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Lukas Richter

Lebenslagen
unter Altersarmut
Über die Lebenssituation von als
arm und alt adressierten Menschen
Lebenslagen unter Altersarmut
Lukas Richter

Lebenslagen unter
Altersarmut
Über die Lebenssituation von als
arm und alt adressierten Menschen
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Manfred Lueger.
Lukas Richter
Institut für Soziologie
und Empirische Sozialforschung
Wirtschaftsuniversität Wien
Wien, Österreich

Dissertation an der Wirtschaftsuniversität Wien, Fachbereich Soziologie, 2019

ISBN 978-3-658-27621-8 ISBN 978-3-658-27622-5  (eBook)


https://doi.org/10.1007/978-3-658-27622-5

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Geleitwort
Soziale Ungleichheit und Armut sind brisante und in der Öffentlichkeit heftig diskutierte The-
men. Thomas Piketty bildet mit seinem Werk „Capital in the Twenty-First Century“, in dem er
die zunehmende Ungleichheit von Einkommen und Vermögen anprangert, nur eine gut sicht-
bare publizistische Spitze. Dennoch ist trotz der wiederkehrenden kritischen Diskussion von
Veränderung nur wenig zu bemerken. Auch in Österreich ist die ungleiche Verteilung des
Reichtums in Form von Vermögen als besonders markanter Indikator von Ungleichheit unüber-
sehbar: Nur etwa 5% der Bevölkerung verfügen derzeit über die Hälfte des gesamten Vermö-
gens, während sich die Hälfte der Bevölkerung mit gerade 4% des Vermögens begnügen muss.
Dazu kommt die Armutsgefährdung eines beachtlichen Teils der Bevölkerung. Auch wenn in
diesem Zusammenhang häufig von alleinerziehenden Müttern, von Kindern, MigrantInnen o-
der den „Working poor“ die Rede ist, so ist auch die Altersarmut ein nicht zu unterschätzendes
Problem in unserer Gesellschaft. Allerdings wird Altersarmut meist im Kontext materieller De-
privation betrachtet, was diese Lebenslage völlig unzureichend charakterisiert. Das von Lukas
Richter vorgelegte Buch geht weit über diese beschränkte Sicht hinaus und diskutiert Altersar-
mut als Zuschreibung und als eine drängende Herausforderung im Zusammenhang mit gesell-
schaftlicher Entwicklung, in Hinblick auf die Lebensverläufe, die den Weg in die Altersarmut
bereiten sowie mit Blick auf die Lebensqualität der Betroffenen und deren Strategien der All-
tagsbewältigung.
Die aufgegriffene Thematik ist aus zweierlei Gründen höchst relevant: Zum einen im Rahmen
sozialpolitischer Überlegungen mit Blick auf die soziale und ökonomische Absicherung von
alten Menschen, wobei die demographischen Entwicklungen zusätzlich die Brisanz dieser The-
matik hervortreten lassen. Dabei spielen die Definition von Armut und die Sozialberichterstat-
tung eine besondere Rolle. Zum anderen geht es im Rahmen der Soziologie in Hinblick auf
Alter und Armut um biografische Entwicklungen, die in die Armut führen, was heute als Ar-
mutsfalle diskutiert wird, sowie um die Besonderheiten der Lebenslagen der Betroffenen, ihre
eigenen Einschätzungen dazu und wie sie mit dieser Situation umgehen. Darüber hinaus ist zu
berücksichtigen, dass die Veränderungen der Arbeitswelt (etwa in Richtung atypischer oder
diskontinuierlicher Beschäftigung, Migration) den Kreis altersarmer Menschen künftig noch
zusätzlich ausweiten könnten. Trotz dieser absehbaren Entwicklungen ist die Bedeutung des
Themas in der Öffentlichkeit viel zu wenig präsent, vielleicht auch deshalb, weil diese Form
der Armut häufig vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen bleibt, wenngleich sie massive
Folgen für die Lebensqualität der Betroffenen hat.
Vor diesem Hintergrund untersucht Herr Richter zwei zentrale Forschungsfragen. Die erste be-
trifft die konkrete Ausformung der Lebenslagen von Menschen, die als altersarm adressiert
werden. Die zweite rückt die verschiedenen Dimensionen solcher Lebenslagen und mögliche
Interdependenzen zwischen diesen sowie deren Auswirkungen in das Zentrum der Betrachtung.
Indem die Arbeit nicht bei einer rein statistischen oder begrifflichen Befassung mit Altersarmut
stehen bleibt, zeigt sie, wie sich in der Lebenspraxis altersarmer Menschen deren Lebenslagen
unterscheiden, wie sie in diese Lage geraten sind und wie sie damit versuchen, zurecht zu kom-
men. Dabei bieten die zentralen konzeptionellen Ausgangspunkte eine sehr gute Blickorientie-
rung für die Analyse: Armut wird als gesellschaftliche Kategorie bestimmt, was die als arm
adressierten Menschen in das Zentrum rückt. Darüber hinaus orientieren sich die Ausführungen
an den Lebenslagen als multidimensionales Konzept, welches die Komplexität des Armutsall-
tags berücksichtigt.
VI Vorwort

Ausführlich befasst sich das hier vorgelegte Werk auch mit den sozialpolitischen Debatten und
Messkonzepten, die den verschiedenen Sozialberichten im Zeitverlauf zugrunde liegen und da-
mit die Zuschreibung von Armut immer wieder redefinieren. Das macht unmittelbar einsichtig,
warum Vergleiche so schwierig sind, zeigt aber zugleich, vor welche Probleme die Messung
von Einkommensarmut oder die Bestimmung von Deprivation gestellt sind und lenkt den Blick
auf sozialpolitische Interventionen und Sozialleistungen, die nicht zuletzt von der laufenden
politischen Diskussion abhängen. Die Ausführungen zum politisch-administrativen Standard
von Sozialleistungen in Österreich erläutern nicht nur die Komplexität der Thematik, sondern
schaffen einen wichtigen Hintergrund für das Verständnis der Erkenntnisse aus dem empiri-
schen Teil. Diese empirischen Fallanalysen altersarmer Menschen vermitteln einen überaus fa-
cettenreichen Einblick in die Lebenswelt der untersuchten Gruppe. Eindrucksvoll werden im
Zuge dessen die höchst unterschiedlichen Wege in die Armut charakterisiert und die konkreten
Lebensumstände der befragten Personen sowie ihre Umgangsformen mit ihrer finanziellen Si-
tuation, ihre sozialen Kontakte und die allgemeinen Lebensbedingungen herausgearbeitet. Ei-
nen besonders innovativen Beitrag zur Forschungslandschaft bilden die Ausführungen zu den
Bedingungen von Altersarmut und die Deutung dieser Lebenslage durch die Betroffenen. Im
Zuge dessen wird die Vielfalt der Dynamiken im Zusammenhang mit der Entstehung, der
Wahrnehmung und dem Umgang mit Armut plastisch vor Augen geführt.
An dieser Stelle sollten zwei wichtige Kernaussagen der Arbeit hervorgehoben werden: Zum
einen, dass für das Verständnis von Altersarmut ein Blick auf die Lebensgeschichte der Be-
troffenen unabdingbar ist; zum anderen, dass der Umgang mit diesem Phänomen eine gesell-
schaftliche Aufgabe ist, die nur sehr bedingt individuell zu bewerkstelligen ist. Die empirischen
Ausführungen leisten dazu einen wichtigen Beitrag und erweitern das Verständnis von Alters-
armut, machen die Dynamiken zur Verfestigung der Armutssituation klar erkennbar und lenken
den Blick auf die kumulative Benachteiligung dieser Gruppe von alten Menschen. Und sie zei-
gen, wie beispielsweise historische Phänomene, gesundheitliche Probleme, die berufliche Kar-
riere oder die familiäre Situation in Armut führen, wobei einschneidende Ereignisse oder Än-
derungen im Pensionssystem durch politische Entscheidungen die Planbarkeit der Altersvor-
sorge zusätzlich reduzieren.
Insgesamt erweist sich das vorliegende Werk als umfassender, höchst informativer und kennt-
nisreicher Beitrag zum Verständnis der Differenziertheit von Altersarmut und schafft dadurch
eine wertvolle Entscheidungsgrundlage für damit befasste Stellen. Die detailreiche Analyse der
verschiedenen Wege, Rahmenbedingungen und Umgangsformen mit Altersarmut bildet eine
entscheidende Stärke der Arbeit und bereichert die wissenschaftliche und sozialpolitische Dis-
kussion. Gerade weil diese materielle und soziale Not-Lage in Zukunft voraussichtlich noch
verschärft auftreten wird, ist dieser Arbeit eine breite Leserschaft zu wünschen.

Manfred Lueger
Vorwort
„Direkter als in anderen Forschungsbereichen verweist jede Erkenntnis über Ar-
mut zugleich auf den politischen Handlungsbedarf, diese gesellschaftliche Erschei-
nung zu beseitigen. Soziologie kann sich hier nicht einfach aus dem politischen All-
tagsgeschäft zurückziehen. Forschung über Armut fordert zügig Aktivitäten heraus,
die das System der Erkenntnisgewinnung überschreiten“ (Leibfried & Voges, 1992,
S. 13).
Einige Versionen habe ich auf Papier und im Geiste für das Vorwort formuliert, teils unmittel-
bar nach Interviews, teils nach längeren Pausen, um mich wieder auf die Arbeit zu besinnen.
Prägnante Sätze wie „Konsum ist geil“, wenn nahezu jeder Euro in den täglichen Bedarf fließt
oder „Aus den Augen, aus dem Sinn“, wenn sich die kahle, abgewohnte Wohnung unscheinbar
hinter der Fassade eines typischen Wiener Altbaus versteckt, sollten diesen Worten voranste-
hen, um letzten Endes doch wieder aufgrund der Befürchtung eines unwissenschaftlichen Nach-
rufs in der Schublade zu verschwinden. Doch, so deutet obiges Zitat an, erzwingt das Thema
Armut in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung auch das Engagement einer Beseitigung
und Bewusstmachung der Lebensbedingungen armer Menschen und provoziert damit ebenso
eine plakative Sprache.
„Armut erzwingt Stellungnahmen auch von den distanziertesten Formen soziologi-
scher Gesellschaftsbeobachtung, und genau dies scheint ihren besonderen gesell-
schaftlichen Charakter auszumachen“ (Barlösius & Ludwig-Mayerhofer, 2001, S.
53).
„A critical perspective does not end with study. It is committed to remedying the
underlying conditions that place certain people at the margins“ (Holstein &
Minkler, 2003, S. 794).
Je mehr ich mich mit dem Thema der Altersarmut beschäftige, umso dringlicher sah und sehe
ich die Notwendigkeit dieser Arbeit (mögen hoffentlich weitere folgen) im Bedarf stofflicher
Grundlagen, an denen sich gesellschaftliche Debatten entzünden können, denn erst im Be-
merktwerden wird dem Menschen, dem altersarmen Menschen ein „Platz eingeräumt“
(Todorov, 1998, S. 95). Die Jahre der thematischen Beschäftigung, der Ansammlung von Ma-
terial, Interviews mit Betroffenen und ExpertInnen aus dem Feld, Besuche von sozialen Ein-
richtungen, das Schreiben von wissenschaftlichen Texten und Präsentationen zum Thema, aber
auch die Begleitung der Entstehung der Plattform alt.arm.weiblich machten mir bewusst, wie
wenig der Altersarmut Raum in der politischen Diskussion in Österreich gewidmet wird. Al-
tersarmut scheint nicht zu existieren oder ein Dasein am Rande zu fristen. Diese Arbeit reiht
sich daher in die wenigen ein, welche als Mahnung dafür stehen, dass es sie gibt, die Altersar-
mut – auch wenn man sie nicht sehen will oder sehen kann.
„It may be that more people were poor 50 or lOO years ago; that does not matter.
If poverty remains on a scale of 5 or 10 per cent or more, our societies still suffer
mass poverty“ (Ringen, 1988, S. 352).
„We ignore [poverty] because we share with all societies at all times the capacity
for not seeing what we do not wish to see. Anciently this has enabled the nobleman
to enjoy his dinner while remaining oblivious to the beggars around his door. […]
But while our failure to notice can be explained, it cannot be excused” (Galbraith,
1958, S. 259)
VIII Vorwort

Im Einklang mit den AutorInnen nötigt Armut Stellung zu beziehen, was für mich bedeutet,
das Bestehende kritisch zu hinterfragen und Problemlagen aufzuzeigen. Diese Arbeit soll den
Betroffenen eine Stimme verleihen und trotzdem eine wissenschaftliche Haltung bewahren,
d.h. Handlungen und Aussagen der Befragten ebenso kritisch zu durchleuchten, wie das Sys-
tem, welches Armut schafft. Ich hoffe, dass mir dies gelungen ist.
In diesem Vorwort möchte ich eine Betroffene zu Wort kommen lassen, unkommentiert von
meiner Seite, da auf den folgenden Seiten zuerst ausgiebig theoretisch-abstrakte Ausführungen
folgen, die nicht darüber hinwegtäuschen sollen, dass Altersarmut ein Phänomen ist, das le-
bende Menschen in prekären Situationen umfasst und nicht nur wissenschaftlich hinter dem
Schreibtisch abgehandelt werden kann.
Frau B.1, was wünschen Sie sich, was hätten Sie gerne?
„so Kleinigkeiten, vielleicht einmal irgendwie zum IKEA fahren, irgend eine Klei-
nigkeit kaufen, außer Lampen, wo ich das vorfinanziere und dass dann wieder zu-
rück bekomme aber oder einmal irgendwie vielleicht ein Tischerl kaufen und nicht
aufs Geld zu schauen, einfach was, was mir gefällt [...]
Einfach mal selber, irgendwie, um das geht es. Und einfach mal, vielleicht einmal
bei Schuhen nicht auf den Preis zu schauen [...]
Ja - solche, eigentlich ja, ich bin nicht so, ich muss nicht wegfahren, bin ich gar
nicht so der Fan davon, aber einfach a bisserl, vielleicht einmal Spareribs essen
gehen wieder zum Brandauer [...]
Oder einmal vielleicht nicht ein Eis aus dem Supermarkt, oder vielleicht einmal so
irgendwo eine Eisbox zu kaufen, das sind so Kleinigkeiten [...]
Ein Tablet kaufen zum Beispiel, würde mich wahnsinnig interessieren, ist aber nicht
drinnen
einen neuen Staubsauger, a jetzt, jetzt kommt jetzt dann die Doppelte, da geht es
sich grad aus, dass ich mir eine neue Waschmaschine, also ich möchte mir gerne
eine eigene Waschmaschine kaufen [...]
Oder einfach mal, wenn ich was sehe, für den Hund, irgendwie ein Hundegeschirr,
das zu kaufen oder bestellen zu können
oder die Wertkarte nicht am Ende des Monats, wenn das Geld kommt oder Anfang
des Folgemonats, sondern einfach dann, wenn ich es brauche. Das sind so Sachen
und das ist halt, das sind 20 € das ist purer Luxus, es ist Luxus. Und das irgendwie,
ja aber so, man wird wirklich bescheidener, wenn man, man wird wirklich beschei-
dener, aber trotzdem, so ein paar Kleinigkeiten wären schon nicht schlecht
oder vielleicht einmal, irgendwelche Fruchtsäfte oder sowas, die halt doch, nicht
bio sind aber da gibt es ja welche, die sind halt einfach a bisserl teurer, nicht und
so“ Frau B.1.
Mit diesem Ausschnitt möchte ich mich bei allen InterviewpartnerInnen bedanken, welche mir
tiefe Einblicke in ihr Leben, in ihre Wohnung, viele auch in ihre Wünsche und Hoffnungen,
Trauer und Verzweiflung gewährt haben. Aus meiner Sicht ist es unverzichtbar mit Betroffenen
zu reden und sie als ExpertInnen ihrer Lebenslage zu hören, selbst wenn man sich nur theore-
tisch oder sekundäranalytisch mit dem Thema zu beschäftigen glaubt. Ich möchte mich bei
allen im Feld arbeitenden ExpertInnen bedanken, welche mir bei der schwierigen Suche nach
Betroffenen halfen, mir selbst erlebte Episoden aus der Arbeit erzählten oder mir Einlass in
Vorwort IX

Einrichtungen gewährten, welche mir bis vor Kurzem unbekannt und fremd waren. So lernte
ich in Wien neue Orte kennen, die für mich bis dahin nicht existierten, die keine Bedeutung
hatten und deren Wert ich erst heute zu würdigen vermag.
Die Danksagung an meine wissenschaftlichen Begleiter und Förderer möchte ich mit Herrn
Prof. Jost beginnen, der am Beginn meine Laufbahn begleitete und mich dem Thema Altersar-
mut näher brachte. Einen besonderen Dank möchte ich Prof. Lueger und Prof. Heitzmann in
ihrer Funktion als BetreuerInnen und Prof. Motel-Klingebiel und Prof. Brandtweiner als Be-
gutachter aussprechen, welche mir unterstützend zur Seite standen und mit Anmerkungen zur
Qualität dieser Arbeit beitrugen. Ein herzliches Dankeschön an Prof. Reiger, welcher mit Zuck-
erbrot und Peitsche, Nachsicht in der Hintanstellung anderer Arbeiten und einem immer offe-
nen Ohr für die Leiden eines Dissertanten in den letzten zwei Jahren die Ausarbeitung beflü-
gelte, damit diese „endlich fertig wird!“. Auch gilt mein Dank meinen KollegInnen am Institut,
welche im Austausch Perspektiven anregten und immer für einen Diskurs bereitstanden.
Das Schreiben einer solchen Arbeit kostet nicht nur einem selbst Kraft, sondern zehrt auch an
den Ressourcen seiner Umwelt. Vor diesem Hintergrund möchte ich meiner Lebensgefährtin
Katharina danken, welche meine geistige Abstinenz bereitwillig in Kauf nahm.
Zuletzt gilt mein ganzer Dank meinen Eltern Birgit und Herbert Richter, welchen diese Arbeit
gewidmet ist. Ohne ihre umfängliche Unterstützung wäre die Arbeit wohl nie entstanden. Es ist
ein Privileg, frei von Zwängen zu studieren und sich der Reflexion und dem Schreiben hingeben
zu können. All dies wurde mir ermöglicht. Danke.

Wien, 2019 Lukas Richter


Inhaltsverzeichnis

Vorwort ................................................................................................................................. VII

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis .............................................................................. XIII

1 Einleitung .......................................................................................................................... 1

1.1 Zielsetzung der Arbeit ..................................................................................................... 1

1.2 Aufbau der Arbeit ............................................................................................................ 7

2 Das doppelte Relativ der Altersarmut .......................................................................... 11

2.1 Armut als soziale Beziehung und Reaktion ................................................................. 12


2.1.1 Simmel und der Arme .......................................................................................... 12
2.1.2 Pragmatismus der Praxis ...................................................................................... 17

2.2 Abriss konzeptioneller Bestimmungsversuche von Armut ........................................ 81


2.2.1 Grunddifferenz absolute und relative Armut ....................................................... 83
2.2.2 Indirekte oder direkte Messung von Armut ......................................................... 94
2.2.3 Eindimensionale oder multidimensionale Armut ................................................. 99
2.2.4 Ein Zwischenfazit ............................................................................................... 103

2.3 Das Alter – ein soziales Konstrukt? ............................................................................ 107


2.3.1 Charakteristika der Lebensphase Alter .............................................................. 109
2.3.2 Ausdifferenzierung des Alters und Institutionalisierung des Lebenslaufes ....... 119
2.3.3 Das dritte Alter und seine Altersgrenzen ........................................................... 122
2.3.4 Konklusion – ein Mittelweg ............................................................................... 127

2.4 Adressat altersarmer Mensch ..................................................................................... 128

2.5 Lebenslagen in Altersarmut ........................................................................................ 138


2.5.1 Würdigung der Ursprünge .................................................................................. 140
2.5.2 Der Arbeit zugrundeliegende Konzeptualisierung ............................................. 152
2.5.3 Empirische Fundierung ausgewählter Lagedimensionen ................................... 163
2.5.4 Schlussbemerkung .............................................................................................. 172

3 Methodisches Design und Durchführung .................................................................. 175

3.1 Triangulation der Erhebung ....................................................................................... 176


3.1.1 Narratives Interview nach Schütze ..................................................................... 179
3.1.2 Problemzentriertes Interview nach Witzel ......................................................... 186
XII Inhaltsverzeichnis

3.2 Analyseverfahren ......................................................................................................... 190


3.2.1 Biographische Fallrekonstruktion ...................................................................... 191
3.2.2 Grounded Theory ............................................................................................... 197

3.3 Prozess der Erhebung und Auswertung..................................................................... 199


3.3.1 Zugang zu und Auswahl von InterviewpartnerInnen ......................................... 200
3.3.2 Konkrete Ausgestaltung in der Übersicht .......................................................... 201

4 Ergebnisse ..................................................................................................................... 203

4.1 Portraits altersarmer Menschen ................................................................................. 204


4.1.1 Portrait von Frau R.1 – Die selbstlose Wanderin ............................................... 204
4.1.2 Portrait von Frau L.1 – Lage der altersarmen Arbeiterin ................................... 209
4.1.3 Portrait von Frau R.2 – Die Grenzgängerin ....................................................... 215
4.1.4 Portrait von Herr J.1 – Warten auf Godot? ........................................................ 223
4.1.5 Portrait von Frau M.1 – Gepfändet im Alter ...................................................... 229
4.1.6 Portrait von Frau A.1 –Aufstieg und Fall ........................................................... 234
4.1.7 Portrait von Frau E.1 – Globetrotterin und Mutter............................................. 240
4.1.8 Portrait von Frau S.2 – Die Künstlerin ............................................................... 244

4.2 Ursachen und Deutung der Altersarmut ................................................................... 248


4.2.1 Die Bedingungen von Altersarmut ..................................................................... 249
4.2.2 Ursachenanalyse der Altersarmut....................................................................... 256
4.2.3 Fazit – Abweichungen vom Normalmodell ....................................................... 264
4.2.4 Die Deutung der Altersarmut ............................................................................. 266

4.3 Dimensionen der Lebenslagen und ihre Wechselwirkungen ................................... 273


4.3.1 Einkommen ........................................................................................................ 273
4.3.2 Gesundheit .......................................................................................................... 278
4.3.3 Soziale Kontakte ................................................................................................ 282
4.3.4 Wohnen .............................................................................................................. 285
4.3.5 Wahrnehmung von Ämtern und die Mechanik von Sozialleistungen ................ 292
4.3.6 Alltagsgestaltung und moderne Technik ............................................................ 296
4.3.7 Wechselwirkungen – Vielzahl der Lebenslagen ................................................ 300

5 Abschließende Gedanken ............................................................................................ 305

Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 311


Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildung 1 – Zahl der AusgleichszulagenbezieherInnen ...................................................... 66
Abbildung 2 – Entwicklung der Ausgleichszulage und Armutsgefährdungsschwelle ............ 80
Abbildung 3 – Anzahl der Personen je Versicherungsmonate bei Neuzugängen 2016 ......... 113
Abbildung 4 – Auslangen mit dem Einkommen .................................................................... 137
Abbildung 5 – Selbsteingeschätztes, notwendiges Mindest-Haushaltseinkommen............... 138
Abbildung 6 – Analytische Betrachtung sozialer Netzwerke ................................................ 169

Tabelle 1 – Armutsgefährdungsschwellen für 1997 ................................................................ 41


Tabelle 2 – Gegenüberstellung der Country Reports und Reformprogramme ........................ 59
Tabelle 3 – Vergleich der Armutsgefährdungsquoten jeweiliger Altersgruppen .................... 61
Tabelle 4 – Übersicht der Sozialleistungen .............................................................................. 63
Tabelle 5 – Deprivationsmerkmale nach Townsend (1979) .................................................... 92
Tabelle 6 – Anpassung der Pensionshöhen im Vergleich ...................................................... 114
Tabelle 7 – Haupttätigkeiten verschiedener Altersgruppen ................................................... 122
Tabelle 8 – Alterskonzepte in der Sozialberichterstattung (Tabellenband des SILC 2017) .. 124
Tabelle 9 – Armutsgefährdungsquoten in Österreich und Stichprobenplan .......................... 130
Tabelle 10 – Armutsgefährdung in Österreich nach Alterskonzepten ................................... 131
Tabelle 11 – Verteilung im Alterskonstrukt ........................................................................... 131
Tabelle 12 – Altersstruktur von PensionistInnen ................................................................... 132
Tabelle 13 – Armutsgefährdungsquoten der 65+ im Bundesländervergleich ........................ 132
Tabelle 14 – Zahl der von Altersarmut betroffenen WienerInnen ......................................... 133
Tabelle 15 – Finanzielle Kapazität altersarmer WienerInnen ................................................ 134
Tabelle 16 – Leistbarkeit von Bekleidung ............................................................................. 135
Tabelle 17 – Finanzielle Kapazität entlang diverser Güter .................................................... 136
Tabelle 18 – Zahlungsrückstande und Möglichkeit zu Sparen .............................................. 137
Tabelle 19 – Grundtypen narrativen Nachfragens ................................................................. 184
Tabelle 20 – Befragte im Überblick ....................................................................................... 203
Tabelle 21 – Typen der Altersarmut ...................................................................................... 249
Tabelle 22 – Ausgaben für Wohnen und Energie .................................................................. 287
1 Einleitung
Das vorliegende Werk behandelt und analysiert die Lebenslagen von armutsgefährdeten, älte-
ren Menschen in Wien. Auf Basis der Sozialstatistik bzw. wissenschaftlicher Ergebnisse, eige-
nen sekundäranalytischen Auswertungen und insbesondere mittels interpretativer Analysen
von Interviews mit Betroffen sollen, unter Berücksichtigung der aktuellen österreichischen Ar-
mutsgefährdungsschwelle, Lebenssituationen von als altersarm adressierten Menschen und die
Wirkungsmechanismen von Armut im Alter nachvollzogen werden, welche die Einheit der Le-
benslagen jener mitformt. Zusammenfassend ist das Ziel der Forschungsarbeit, die Lebenslagen
von als arm adressierten älteren Menschen zu analysieren. Denn, und das gilt es zu klären, „ein
zeitgemäßes Modell [von Armut] muß alle die Dimensionen sozialer Ungleichheit enthalten,
die in einem sozialen Kontext wesentlich sind“ (Backes, 1997b, S. 715), um auch deren Zu-
sammenhänge zu verstehen. Insbesondere durch das qualitative Design wird die Einsicht ver-
folgt, dass sich Menschen im höheren Lebensalter nicht zunehmend angleichen, sondern sie
„weisen vielmehr eine größere Unterschiedlichkeit auf als in jüngeren Lebensjahren“ (Kolland,
2015, S. 19). Vor diesem Hintergrund wird nach den Lebenslagen unter Altersarmut gefragt.

1.1 Zielsetzung der Arbeit


Die Relevanz der geplanten Arbeit begründet sich mit der wachsenden Bedeutsamkeit älterer
Menschen, womit auch die Forschung alter(n)sspezifischer Phänomene verstärkt in den wis-
senschaftlichen Blick rückt, wie etwa der bereits in der siebten Welle erhobene Survey of
Health, Ageing and Retirement in Europe: 50+ in Europe (SHARE) oder das verstärkte An-
wachsen (sozial)gerontologischer Publikationen zeigen. Die Zahl der Personen im Alter von
65+ steigt seit Jahren kontinuierlich an, bei gleichzeitigem Rückgang der jüngeren Bevölke-
rungsgruppe in Österreich. Während beispielsweise 1980 und 2013 der Anteil der unter 15-
Jährigen bezogen auf die Gruppe 15-64 Jahre 32,4% bzw. 21,4 % ausmachte, war der Anteil
jener im Alter von 65 und mehr Jahren mit 24,3% bzw. 26,8 % ausgeprägt (vgl. Eurostat, 2014).
In absoluten Zahlen betrachtet, hat sich die Struktur von 1980 bis 2013 fast vollständig umge-
kehrt. Zudem wird prognostiziert, dass sich bis zum Jahr 2075 die Lebenserwartung bei Män-
nern auf 89,6 und bei Frauen auf 92,3 Jahre erhöht bei einer zunehmend negativen Geburten-
bilanz (vgl. Statistik Austria, 2014a). Der Anteil der über 60-Jährigen an der Gesamtbevölke-
rung dürfte als Konsequenz je nach Szenario auf 35% bis 40 % im Jahr 2075 steigen. Neben
diesem Anstieg an älteren Personen waren, als das Proposal zu dieser Arbeit geschrieben wurde,
14,4 % der österreichischen Bevölkerung im Jahr 2013 armutsgefährdet, was rund einem Sie-
bentel oder hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung rund 1,1 bis 1,3 (untere bzw. obere
Grenze des Konfidenzintervalls) Millionen Menschen entsprach (vgl. Statistik Austria, 2014c,
S. 10). Der Anteil der armutsgefährdeten Personen im Alter von 65+ Jahren war mit 15% (rund
226.000 Betroffene) über dem österreichischen Durchschnitt angesiedelt. Innerhalb der Alters-
gruppe zeigte sich zudem ein Überhang an armutsgefährdeten Frauen von 18% gegenüber 13%
bei Männern (Statistik Austria, 2014c, S. 35)1. Addiert man jene Personen hinzu, welche eine
finanzielle Deprivation2 aufweisen, erhöhte sich der Anteil innerhalb der Altersgruppe 65+ auf

1
Butterwegge & Hansen (2012, S. 129) konstatieren, dass insbesondere „die weibliche Altersarmut künftig zu
den größten sozialpolitischen Herausforderungen zählen wird“ bzw. sprechen Alber & Schölkopf (1999, S.
29) bereits von einer „Feminisierung der Altersarmut“. In Österreich hat sich an diesem Zustand nichts geän-
dert und es sind vor allem Frauen betroffen.
2
Der nationale Indikator dient zur Messung des Unvermögens, aus finanziellen Gründen am definierten Min-
destlebensstandard der Gesellschaft teilzuhaben. Als finanziell depriviert gelten jene Personen, bei welchen
mindestens 2 von 7 definierten Problemen auftreten (vgl. etwa für nähere Erörterungen zu den Definitionen

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
L. Richter, Lebenslagen unter Altersarmut,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-27622-5_1
2 Einleitung

24% bzw. auf rund 350.000 betroffene Menschen. Mittlerweile bzw. zum Abschluss dieser Ar-
beit sind die Zahlen auf 201.000 armutsgefährdete bzw. inklusive finanzieller Deprivation auf
281.000 ältere Menschen gesunken; dies deutet auf einen rückläufigen Trend hin – zu beachten
ist, dass aufgrund von Unschärfe insbesondere bei der Armutsgefährdungsquote der Rückgang
statistisch nicht gesichert ist. Außerdem erscheint es fraglich, ob in Zukunft nicht wieder mit
einem Anstieg gerechnet werden muss: Unterbrechungen der Erwerbskarrieren, ein zunehmen-
der Niedriglohnsektor und eine atypische Beschäftigung (vgl. Geisberger & Knittler, 2010),
eine Verstärkung des Äquivalenzprinzips in der staatlichen Altersvorsorge3 (vgl. Mayrhuber,
2006) und die Stärkung der privaten Vorsorge sprechen im Kontext einer steigenden Zahl älte-
rer Menschen für eine mögliche Ausweitung der Altersarmut in Zukunft (vgl. Hauser, 2008, S.
131; Trischler, 2014)4. Da es sich, wie immer die Entwicklung aussehen mag, aktuell und wohl
auch in Zukunft bei Altersarmut um ein Massenphänomen handelt, erscheint eine wissenschaft-
liche Auseinandersetzung nicht nur angebracht, sondern umso dringlicher. Bereits 1981 wurde
im Abschlussbericht des ersten europäischen Armutsprogrammes auf das hohe Armutsrisiko
bei älteren Menschen verwiesen (siehe European Commission, 1981, S. 161). Die Situation
blieb jedoch nicht stabil und entwickelte sich in den einzelnen Länder unterschiedlich, bereits
im zweiten Armutsprogramm folgte der Schluss: „Less poverty among the elderly, although
they remain a vulnerable group“ (European Commission, 1991, S. 6). Während in einigen eu-
ropäischen Ländern die Quoten von Altersarmut zurückgingen, blieb sie in Österreich (beachtet
man etwa die Zahl der AusgleichszulagenbezieherInnen) hoch und gipfelte auf Basis der aktu-
ellen Berechnungsform im SILC 2008 in 18,9% bei älteren Menschen. Trotz dieser Zahlen
blieb die wissenschaftliche Auseinandersetzung in Österreich gering. Nicht ohne Grund kamen
Angel & Kolland (2011, S. 185) zum Schluss, dass „Armut im Alter ein Randthema in der
neueren sozialgerontologischen Forschung“ ist bzw. insistieren Newman & Massengill (2006,
S. 436) in ihrem Literaturreview: „We tend to focus less attention on the elderly poor, as if they
were absent in inner-city communities, but this is clearly not the case, and more research is
needed to understand their lives“. Altersarmut galt bspw. in Deutschland „als überwunden, ob-
wohl weiterhin relevante Teilgruppen in bedeutendem Maße von verschiedenen Aspekten un-
zureichender Ressourcenlagen betroffen waren und auch darüber hinaus über eine geringe Le-
bensqualität verfügten“ (Motel-Klingebiel & Vogel, 2013, S. 463f.). In der Zwischenzeit kön-
nen diese Aussagen zumindest zum Teil revidiert werden, trugen die genannten Arbeiten selbst
zu einer Ausweitung der wissenschaftlichen Arbeiten bei bzw. sind auf nationaler Ebene Pub-
likationen der Sozialberichterstattung zu nennen, wie die jährliche statistische Auswertung des
EU-SILC (etwa Statistik Austria, 2018a) und Teile der vom Bundesministerium für Arbeit,
Soziales und Konsumentenschutz in Auftrag gegebenen „Sozialpolitischen Studienreihe“
(siehe Till-Tentschert u. a., 2011 oder der im Besondern auf die Lage älterer Menschen abzie-
lende Band von Eiffe u. a., 2012) sowie der Hochaltrigenbericht (vgl. Hörl, Kolland, & Majce,
2009). Sie alle bieten beschreibend und/oder erklärend Einblicke in die Lebenssituation älterer

Statistik Austria, 2014c, S. 17) – mittlerweile gilt der Indikator aber als veraltet und wurde auch auf nationaler
Ebene weitgehend durch das Messkonstrukt der erheblichen materiellen Deprivation ersetzt.
3
Trotz einer tendenziell negativen Prognose zukünftiger Pensionshöhen bzw. Ersatzraten können in prekären
Konstellationen durch Kindererziehungszeiten und andere Ersatzzeiten höhere staatliche Pensionsbezüge
durch das Allgemeine Pensionsgesetz (APG) erreicht werden, obgleich diese unter der Armutsgefährdungs-
schwelle verbleiben (vgl. Mayrhuber, 2006).
4
Erwähnt muss jedoch werden, dass die Fortschreibung von Lebensläufen, um Aussagen über das Einkommen
im Ruhestand treffen zu können, aufgrund mangelnder Daten oder Schwierigkeiten der Fortschreibungsme-
thode ein problembehaftetes Feld ist (vgl. für eine kritische Betrachtung deutscher Studien Grabka & Rasner,
2013).
Zielsetzung der Arbeit 3

Menschen und tangieren an manchen Stellen das Thema der Armut. Explizit mit einzelnen As-
pekten der Altersarmut beschäftigen sich Forschungsarbeiten vor dem Hintergrund des Raums
(vgl. Heitzmann & Eiffe, 2008; bzw. Angel, 2010) oder nehmen umfänglich die Lebenssituati-
onen altersarmer Menschen in ländlichen Regionen in den Blick (vgl. Knapp & Koplenig, 2008;
bzw. Koplenig, 2007); letztere auch mittels qualitativer Erhebung. In Hinblick auf die weitere
Entwicklung der Einkommen älterer Menschen in Österreich können exemplarisch Karasek
(2013) bzw. für eine europäische Bewertung Hauser (2008) genannt werden. Zudem sind Pub-
likationen (vgl. Börsch-Supan, Brandt, Litwin, & Weber, 2013; Börsch-Supan u. a., 2005) auf
Basis von SHARE – in diesem werden auch Daten von Österreich erhoben – zu erwähnen,
welche ländervergleichend Aspekte des Alterns teils auch unter den Gesichtspunkten des Ein-
kommens analysieren.
Taucht man etwas tiefer in die Materie ein, so lassen sich im internationalen Kontext weitere
Arbeiten entdecken. Zum einen sind Studien anzuführen, welche weniger die Auswirkungen
von Armut im Blick haben, als die Prävalenz von Armut zu bestimmen versuchen und erneut
differenziert werden können: Einerseits in Bestimmungen, welche allgemein die Einkommens-
und Vermögensverteilungen im Blick haben und Armut als einen Teilaspekt ansehen (vgl.
Motel, 2000; Philip & Gilbert, 2007) und andererseits in jenen Arbeiten, welche explizit auf
Armut gerichtet sind. Die österreichische Sozialberichterstattung ist zwischen diesen Polen an-
zusiedeln, wobei je nach Intention sich mal mehr der einen oder anderen Richtung zugewandt
wird. Eine Reihe von Arbeiten (im Besonderen aus anderen Nationen) beschäftigt sich mit der
Frage nach den Ursachen von Altersarmut (Brettschneider & Klammer, 2016; Hoff, 2008;
McLaughlin & Jensen, 1995), in Bezug auf Österreich sind hierzu meist nur Hinweise in den
Arbeiten zu finden (Angel, 2010; Angel & Kolland, 2011; explizit zum Thema Karasek, 2013).
Neben den Ursachen wird auch die Frage nach der Dynamik virulent und zeigt gerade im Be-
reich der Altersarmut – angesichts der Einkommensquellen auch wenig verwunderlich – eine
deutliche Persistenz (u.a. Statistik Austria, 2018a). Zwar gibt es, wie bereits Jensen &
Mclaughlin (1997) konstatieren, eine gewisse Dynamik, beide stellen jedoch ebenso heraus,
dass Einkommensveränderungen häufig nur im kleinen Rahmen erfolgen und daher die Be-
troffenen in nur geringem Maße über die Armutsschwellen gehoben werden. Neben Ursachen
und Prävalenz von Altersarmut fokussieren andere Studien vor allem auf die konkreten Lebens-
umstände, wobei zwischen partiellen Analysen – z.B.: Altersarmut und soziale Beziehungen
(vgl. Angelini & Laferrère, 2013), Altersarmut und Gesundheit (vgl. Adena & Myck, 2014;
Argyle, 2001; Butler, 2006; Franzese, 2015; Klimont, 2016; Kroh, Neiss, Kroll, & Lampert,
2012; Stolz, Mayerl, Waxenegger, & Freidl, 2017), Altersarmut und Wohlbefinden (vgl. Adena
& Myck, 2013), Altersarmut in sozialräumlicher Betrachtung (vgl. Angel, 2010; Nuissl,
Vollmer, Westenberg, & Willing, 2015) und Wohnen (vgl. Fernández-Carro, Módenes, &
Spijker, 2015; Golant, 2008; Lehning, Smith, & Dunkle, 2015) bzw. Altersarmut und Mobilität
(vgl. Giesel & Köhler, 2015) – und einer umfänglicheren (multidimensionalen) Bearbeitung
(vgl. Adena & Myck, 2013; Angel & Kolland, 2011; Arendt, 2005; Dominy & Kempson, 2006;
Grange & Yung, 2001; Koplenig, 2007; Kotecha, Arthur, & Coutinho, 2013; McKay, 2008;
Milbourne & Doheny, 2012; Moffatt & Scambler, 2008; Norton & West, 2014; Schäfer, Wendt,
& Hoffmeister, 2011; Scharf, 2006; Scharf u. a., 2006) unterschieden werden kann, welche
Zusammenhänge zwischen Armut und jeweiligen Dimensionen konstatieren bzw. in manchen
Fällen auch Kausalität zumindest auf theoretischer Ebene herzustellen versuchen (vgl. Arendt,
2005).
Eine weitere Unterscheidung lässt sich zwischen der Analyse objektiver Lebensbedingungen
und subjektiver Deutungs- und Handlungsmuster finden. Letztere zielen vor allem auf die Dar-
stellung weniger Fälle ab und behandeln in diesem Kontext bspw. Bewältigungsstrategien,
4 Einleitung

Zukunftsängste oder die Folgewirkungen von Einkommensarmut, welche zu Limitationen etwa


im Bereich Wohnen, Gesundheit, Mobilität, Energie, Partizipation, Aktivitäten, allgemein im
Konsum oder spezifischer bei Nahrungsmitteln führen (vgl. Dominy & Kempson, 2006;
Grange & Yung, 2001; Milbourne & Doheny, 2012; Moffatt & Scambler, 2008; Scharf, 2006;
Scharf u. a., 2006) bzw. verweisen darauf, dass viele der von Altersarmut betroffenen Men-
schen bereits mehrfach im Lebensverlauf mit Armutserfahrungen konfrontiert wurden; diese
Erfahrungen stellen häufig die Ausgangsbasis für die Bewertung der aktuellen Situation dar
(vgl. Scharf u. a., 2006, S. 38). In diesem Kontext ist auch das anderorts konstatierte Ergebnis
zu verorten, dass die Lebensqualität meist von den Betroffenen als gut eingeschätzt wird und
deutet einerseits auf akkommodative Anpassungsprozesse hin (vgl. Milbourne & Doheny,
2012; Scharf, 2006, S. 8), wie anderseits die Bewertung der eigenen Situation von Vergleichs-
gruppen abhängig ist (vgl. Scharf u. a., 2006, S. 40). Obwohl in der Tendenz die Lebensqualität
als gut bewertet wird, ist dies insofern zu relativieren, als im Vergleich zu nicht armen, älteren
Menschen durchaus eine etwas geringere Lebenszufriedenheit festgestellt werden kann. Resü-
mierend ist festzuhalten, dass altersarme Menschen von einer Vielzahl an Limitationen betrof-
fen sind bzw. sich das Leben durch Entbehrungen auszeichnet, andererseits gerade qualitative
Arbeiten auf die Unterschiedlichkeiten der Lebenslagen altersarmer Menschen hinweisen, wel-
che sowohl Resultate der aktuellen Lebensführung als auch des gesamten bisherigen Lebens-
verlaufs sind. „Ob das Leben im Alter gelingt, ist sowohl eine Frage der Ausstattung mit viel-
fältigen äußeren Ressourcen als auch des individuellen Lebensentwurfs“ (Amrhein, 2008, S.
160). Geringe Einkommen im Alter engen die Handlungsspielräume ein: der Konsum des täg-
lichen Lebens, Reisen, Bildung sowie kulturelle Aktivitäten werden reduziert. „Handlungs-
spielräume in Hinsicht auf Wohnen, Bildung, Entfaltung kultureller und sozialer Bedürfnisse
werden eingeengt oder verunmöglicht“ (G. Backes & Clemens, 2013, S. 214). Möglichkeiten,
Kinder, Enkel und Urenkel zu beschenken, sind begrenzt bzw. werden auf häuslich Produzier-
tes verlagert oder durch indirekt verzweigte Geldflüsse – von den Kindern zu Betroffenen hin
zu den Enkeln und Urenkeln – aufrecht erhalten. Mobilität wird tendenziell eingeschränkt und
kann sich durch Krankheiten noch weiter reduzieren. Armut im Alter schafft damit Abhängig-
keiten, die neben einer individuellen psychischen Bewältigung auch die Inanspruchnahme so-
zialräumlicher Angebote und der persönlichen Netzwerke bedürfen. Umgekehrt muss zudem
auch bedacht werden, dass die persönlichen Muster, der Sozialraum und das Netzwerk nicht
nur zur Bewältigung, sondern auch zu einer Verschärfung beitragen können.
Die Darstellungen sollen zeigen, dass eine multidimensionale Betrachtung zum Verstehen der
Lebenswelt sinnvoll ist und es eine Vielzahl an Arbeiten gibt, welche sich mehr oder weniger
dem Thema Altersarmut zuwenden. Trotz der Vielfalt und teils umfänglichen Beschreibungen
stehen enumerative und partielle Analysen im Vordergrund. Dies mag insofern verwundern, da
gerade multidimensionale Ansätze der Armut, welche von einer Vielzahl der Arbeiten bean-
sprucht werden, die Notwendigkeit der Betrachtung von Wechselwirkungen einmahnen. Es
wäre zwar falsch zu behaupten, dass solch eine Perspektive gerade in qualitativen Arbeiten
überhaupt keine Berücksichtigung findet (vgl. Kotecha u. a., 2013; Scharf u. a., 2006), gleich-
wohl ist gerade in diesem Bereich Forschungsbedarf zu konstatieren. Aus einem anderen Blick-
winkel können zusammenfassend zwei Richtungen identifiziert werden: Einerseits Armutsstu-
dien, welche auf das Alter als eines von anderen Differenzierungsmerkmalen rekurrieren –
diese Studien können die Prävalenz von Altersarmut unter den gewählten Armutsdefinitionen
aufzeigen bzw. streifen multidimensionale Analysen. Andererseits Altersstudien, welche parti-
ell Armut in den Blick nehmen bzw. bei zentrierten Arbeiten auf Objektbereiche (etwa soziale
Beziehungen) Effekte des Einkommens zumindest in Form von Kontrollvariablen mitanalysie-
ren und eine Verbindung von alt und arm in mancher Hinsicht herstellen. Studien, welche sich
Zielsetzung der Arbeit 5

hingegen umfänglich (multidimensional) mit Altersarmut auseinandersetzen, sind – gerade in


Österreich – selten(er) anzutreffen. Die von Barlösius (2001a, S. 75) thematisierte Problematik
einer Zentrierung auf „zahlenmäßige Ausdrücke und Formeln“, ohne die Lebensbedingungen
der Betroffenen näher zu analysieren, lässt sich gerade für die Altersarmut bekräftigen. Sicher-
lich wäre es bereits ein Gewinn, wenn Studienergebnisse unter dem Lichte von Altersarmut
zusammengetragen werden, um damit Auswirkungen und Ursachen von und für einzelne Le-
bensbereiche aufzuzeigen. Somit ließe sich der einen Seite lebenslagenorientierter Ansätze, Ar-
mut und Benachteiligung umfänglich zu fassen, Rechnung tragen. Nichtsdestotrotz bleibt damit
die zweite Seite, Lebensbereiche nicht nur enumerativ darzustellen, sondern Interdependenzen
der einzelnen Dimensionen sowie Möglichkeiten zur Kompensation einer als defizitär zu be-
zeichnenden Ausprägung in einer Dimension durch eine Andere, unbeantwortet – eine Proble-
matik, welche von ForscherInnen wie Voges, Jürgens, Mauer & Meyer (2003, S. 32) selbst an
lebenslagenorientierten Armutsstudien kritisiert wird.
Forschungsfragen dieser Studie sind daher, welche sich im Bereich der Armutsforschung ver-
orten lassen und darüber hinaus (sozial)gerontologische Erkenntnisse integrieren:
• Wie sind Lebenslagen unter als arm adressierten, älteren Menschen in Wien ausge-
formt?
• Können Interdependenzen zwischen den Dimensionen der Lebenslage identifiziert wer-
den und welche Auswirkungen haben diese?
Die vorliegende Arbeit kann in einer gewissen Traditionslinie zu Arbeiten von Amann (1983),
Lompe (1987) und Hanesch (1994) gesehen werden, welche einerseits auf lebenslagenorien-
tierten Ansätzen aufbauen und andererseits in der Beschreibung von Lebenslagen je eine spe-
zifische Gruppe im Blick haben. Hierbei wird der Idee von Glatzer & Neumann (1993, S. 41)
gefolgt, welche ausgehend von einem Ressourcenansatz „die Bevölkerung, die sich in Einkom-
mensarmut befindet“, identifizieren möchte „und dann darauf hin untersucht werden, wie ihre
Armutslage in verschiedenen Lebensbereichen ausgeprägt ist“. Die Arbeit hat als Zielgruppe
als arm adressierte, ältere Menschen und referiert auf die Armutskonzeption von Simmel (1908)
als eine im gesellschaftlichen Kontext produzierte Kategorie. „Soziologisch gesehen ist nicht
die Armut zuerst gegeben und daraufhin erfolgt Unterstützung – dies ist vielmehr nur das
Schicksal seiner personalen Form nach -, sondern derjenige, der Unterstützung genießt bzw. sie
nach seiner soziologischen Konstellation genießen sollte – auch wenn sie zufällig ausbleibt -,
dieser heißt der Arme“ (Simmel, 1908, S. 489f.). Entsprechend wird der Blick auf jene älteren
Menschen gerichtet, welche in der österreichischen Gesellschaft auf Basis zielorientierter und
administrativer Standards als arm adressiert, gelabelt oder wahrgenommen werden. Armut ist
daher „keine Eigenschaft einer Person, sondern basiert auf einer Zuschreibung“ (Till, Datler,
u. a., 2009, S. 238). Erst in einer relationalen und spezifischen Zuwendung wird Altersarmut
formiert. Anders formuliert werden in der vorliegenden Arbeit jene als arm bezeichnet, welche
in den Sozialstatistiken als „armutsgefährdet“, „depriviert“ oder vor dem Hintergrund admi-
nistrativer Standards als „unterstützungsbedürftige“ bezeichnet werden. Warum es hier Diffe-
renzen gibt und beide Standards auch auseinanderfallen, sei dem Hauptteil dieser Arbeit vor-
enthalten. Die Ausgangsbasis der gesellschaftlichen Adressierung bietet den Vorteil, sich auf
jene Gruppe zu fokussieren, welche auch gesellschaftlich als arm gesehen wird. Ziel ist es, im
Anschluss den „individuellen Zustand“ – wie Simmel es formuliert – bzw. die Lebenslage der
bereits Adressierten zu beschreiben und näher zu erschließen. Zudem deuten die Forschungs-
fragen an, auch als Konsequenz des wissenschaftlichen Diskurses (u.a. Klocke, 2000; Piachaud,
1992; P. Townsend, 1970b), dass es kein konzeptionelles Ziel der Arbeit ist, eine völlig neue
6 Einleitung

Definition von Altersarmut zu liefern, sondern im Gegenteil die Pluralität zu analysieren, wel-
che sich hinter der bereits vorliegenden und in der Praxis angewandten „Schwelle“ verbirgt.
Der monetären Dimension kommt hierbei in der Adressierung und Zuwendung an Unterstüt-
zungsleistungen eine weiterhin dominierende Rolle zu. Die Eingrenzung auf die Stadt Wien ist
abseits der Zugänglichkeit einem zentralen Grund geschuldet. Einerseits zeigen statistische
Auswertungen, dass Armutsgefährdung ein städtisches Phänomen ist. So betrug die Armutsge-
fährdungsquote im SILC 2017 in Wien 22% (383.000 Personen), was etwa 31% aller Armuts-
gefährdeten in Österreich entsprach (vgl. Statistik Austria, 2018a, S. 72). Altersarmut ist in
Wien hingegen noch von geringerer Relevanz (vgl. Statistik Austria, 2013a) und im Verhältnis
zu anderen Bundesländer unterrepräsentiert. Dies könnte sich jedoch in Zukunft ändern, wenn
die überrepräsentierte Gruppe der armutsgefährdeten, jüngeren Personen in die dritte Phase des
Alters eintreten. Freilich mögen nicht alle in die Altersarmut überwechseln, so handelt es sich
gerade in der Erwerbsphase um ein weitaus dynamischeres Phänomen, aber angesichts des
„neuen“ österreichischen Pensionssystems ist in Wien mit einem Anstieg der Altersarmut zu
rechnen. Der Hauptgrund liegt daher in der zukünftigen Entwicklung begründet und soll auf
Problemlagen der aktuell als arm und alt adressierten Menschen aufmerksam machen.
Neben der Ausrichtung auf die Konzeption von Simmel ist als zweiter konzeptueller Ausgangs-
punkt eine lebenslagenorientierte Ausrichtung der Arbeit zu nennen – diese nimmt in der
(deutschsprachigen) Armutsforschung einen gewichtigen Platz ein (vgl. Backes, 1997b; Nahn-
sen, 1992; Voges u. a., 2003). Es handelt sich um ein Mehrebenenkonzept, welches Multidi-
mensionalität entlang materieller/immaterieller, subjektiver/objektiver Dimensionen berück-
sichtigt und Lebenslagen als dynamisch bzw. auch rekursiv entwickelnd versteht (vgl. Voges
et al. 2003). Lebenslage lässt sich als Inbegriff all der Umstände definieren, „die verhältnismä-
ßig unmittelbar die Verhaltensweise eines Menschen, seinen Schmerz, seine Freude bedingen.
Wohnung, Nahrung, Kleidung, Gesundheitspflege, Bücher, Theater, freundliche menschliche
Umgebung, all das gehört zur Lebenslage" (Neurath, 1931, S. 125). Im Hauptteil wird darauf
näher eingegangen und mit der Armutsdefinition von Simmel kombiniert. Um die verschiede-
nen Ausprägungen der Dimensionen und Interdependenzen adäquat zu erfassen, ist ein For-
schungsdesign innerhalb des interpretativen Paradigmas naheliegend. In der vorliegenden Ar-
beit werden hierzu Elemente des narrativen Interviews nach Schütze und Elemente des prob-
lemzentrierten Interviews nach Witzel kombiniert. Die Wahl der Analyseverfahren ist einer-
seits einer Indikation mit den Erhebungsinstrumenten geschuldet, andererseits dem Zweck un-
terworfen, die aktuelle Lebenssituation aus ihrer Entstehungsgeschichte zu erschließen. Ent-
sprechend werden die biographische Fallrekonstruktion nach Rosenthal und die Grounded The-
ory nach Strauss und Corbin angewandt.
Zusammenfassend bringen soziale Beziehungen, Gesundheit oder Wohnbedingungen wie auch
erworbene Erfahrungen in der Lebensgeschichte oder Wissen (auch im Umgang mit Anträgen
und öffentlichen Stellen) unterschiedliche Einheiten von Lebenslagen hervor. Armut aus der
Perspektive der Lebenslagenanalyse betont dies im Besonderen, da Dimensionen als Explana-
ndum und zugleich Explanans verstanden werden (vgl. Voges et al. 2003) und so wird in dieser
Arbeit davon ausgegangen, dass zwischen einzelnen Ausprägungen von Dimensionen Wir-
kungsmechanismen entstehen, welche zu spezifischen Lebenslagen emergieren, trotz einer re-
lativ ähnlichen materiellen und als arm adressierten Basis. Die Arbeit zielt darauf ab, diese
divergierenden Lebenslagen und die damit im Zusammenhang stehenden Verhaltensweisen der
von als arm und alt adressierten Betroffenen herauszuarbeiten.
Aufbau der Arbeit 7

1.2 Aufbau der Arbeit


Armut ist von einem sozialpolitischen Standpunkt aus „ein dichotomes und binär kodiertes
Konzept, das innerhalb des empirisch vereinbarten Spektrums materieller Ungleichheiten eine
eindeutige Grenzziehung zwischen Armut und Nichtarmut verlangt“ (Groh-Samberg, 2009, S.
24). Wenn auch in der aktuellen Armutsberichterstattung meist diffuseren Charakters – die Ver-
meidung des Armutsbegriffs als solchen (vgl. auch Heitzmann, 1999) hat zu einer Entfaltung
dessen beigetragen – trifft dies den elementaren Mechanismus der sozialpolitischen Adressie-
rungspraxis. Ziel ist es, den identifizierten, aber intolerablen Zustand aufzulösen oder zumin-
dest zu mildern. Betrachtet man Armut (wie in der Folge die Ausführungen zu Simmel zeigen
werden) beziehungssoziologisch als das Resultat der sozialen Reaktion (Kapitel 2.1.1.), entbin-
det dies nicht von der Frage nach dem ursächlichen Reiz bzw. Zustand, sondern verlangt die
Offenlegung der theoretischen Wesensbestimmungen und deren empirischen Messkonzepte,
welche zusammen den Nullpunkt bzw. die Grenzen zwischen dem Armen bzw. dem Nicht-
Armen ziehen und diesen erst in der darauffolgenden Adressierung und Reaktion konstituieren.
Diesen Aspekten widmen sich die übrigen Teile von Kapitel 2.1 und rein mit der theoretisch-
wissenschaftlichen Seite betraut ist das Kapitel 2.2. Diese Bestimmungsversuche lassen sich
als konzeptionelle Armut bezeichnen. Anders formuliert ist konzeptionelle Armut jenes theo-
retische oder politische Verständnis, welches der sozialen Kategorie des Armen zu Grunde liegt
bzw. die Konditionen des Punktes festlegen, ab welchem durch ein Unterschreiten Hilfeleis-
tungen erfolgen. Die negativ konnotierte Seite ist jener Bereich, welcher aufgrund der gesell-
schaftlichen Inakzeptanz eine Intervention verlangt bzw. „als ‚illegitim’ gilt“ (Buhr &
Leibfried, 2009, S. 105).Tritt man einen Schritt zurück, wird das Spannungsverhältnis politi-
scher, wissenschaftlicher und weiterer Akteure fassbar, welche im fortlaufenden Prozess den
Grenzwert inakzeptabler Lebensbedingungen aushandeln. In Österreich ist hinsichtlich der Ar-
mutsdefinition eine beachtliche Einflussnahme der Europäischen Union (u.a. Fink, 2010; Heitz-
mann, 2011) zu nennen und manifestiert sich unter anderem in der frequenten, teils obligatori-
schen Berichterstattung und im Besonderen in den (harmonisierten) Indikatorsets der Armuts-
messung. Zwar wurden auch nationale Indikatoren entwickelt, aber das europäische Verständ-
nis darf als dominierend bezeichnet werden und stellt einen Orientierungspunkt für die natio-
nale Entwicklungsgeschichte dar. Dies macht die Behandlung der europäischen Seite notwen-
dig und ist einem eigenen Abschnitt gewidmet, da die amtliche Armutsberichterstattung in Ös-
terreich in einem unmittelbaren Nexus zu dieser steht. Das zusammenfassende und ernüch-
ternde Ergebnis (Kapitel 2.2.4.) wird in Anschluss an Klocke (2000, S. 326) lauten, dass die
theoretischen Zugänge spätestens bei der Operationalisierung und der Schwellensetzung mit
diversen Problemlagen konfrontiert sind und die Altersarmut in Österreich über das Einkom-
men bestimmt wird (sei es im zielorientierten oder administrativen Standard).
Altersarmut ist jedoch nicht nur im Begriff der Armut ein Relativ, sondern ein doppeltes Rela-
tiv, womit auch das Alter (Kapitel 2.3.) einer relationalen Bestimmung bzw. einer Relationalität
unterliegt. Bemerkenswerterweise wird in Studien zum Thema Altersarmut relativ selten der
Alterskategorie genügend Aufmerksamkeit gewidmet und zumindest in internationalen Ver-
gleichsarbeiten häufig über das kalendarische Alter mit der Schwelle 65+ bestimmt. Erneut
wird daher in der vorliegenden Arbeit eine beobachtende Perspektive eingenommen – einerseits
sollen Charakteristika aufgezeigt werden, welche die Lebensphase des Alters auszeichnen. Im
Besonderen wird hierbei auf die Entberuflichung als ein zentrales Element eingegangen und
mit dem Konzept des institutionalisierten Lebenslaufs fundiert. Andererseits kann belegt wer-
den, dass das kalendarische Alter und der Ruhestand in einem verhältnismäßig engen Konnex
stehen, wenn auch die Altersgrenze 65 Jahre und älter gerade in Österreich eine relativ unge-
8 Einleitung

naue Annäherung darstellt, vor allem wenn man andere Bereiche (beispielsweise in der Rechts-
ordnung oder bei Organisationen mit deren Altersermäßigungen) betrachtet. Konkludierend
sind Alterskonstruktionen wie auch Armutskonstruktionen in erster Linie idealtypisch zu be-
greifen, welche realiter nicht vorzufinden sind, aber „in substanzialisierter Form als real exis-
tierend gedacht werden“ (Schroeter & Künemund, 2010, S. 394).
Im Verständnis der Adressierungspraxis von Armut und Alter wird nun auf den als altersarm
adressierten Menschen übergewechselt (Kapitel 2.4.). Zusammen bedeutet dies, dass „Alters-
armut“ sich als jene Lebensphase auszeichnet, in welcher keine Arbeitskraftverwertung mehr
von Nöten ist bzw. ein vorrangig endgültiges Ausgeschiedensein aus dem Erwerbsprozess statt-
gefunden hat und sich durch den potentiellen Zugang zum Pensionssystem oder stark ähnelnden
Sozialleistungen konstituiert, jedoch eine monetäre Lage generierend definiert, auf Basis derer
eine Adressierung und soziale Reaktionen im Sinne der Zugangsgewährung zu Unterstützungs-
leistungen erfolgen. Auf Basis der vorgebrachten Konzeption von Armut erfolgt eine empiri-
sche, deskriptive Analyse der SILC Daten 2016, um die Prävalenz von Altersarmut in Öster-
reich bzw. in Wien abschätzen zu können.
Nachdem die Aufarbeitung von Altersarmut erfolgt ist, gilt es sich der Lebenslagenkonzeption
zuzuwenden (Kapital 2.5.). Hierzu werden Ursprünge des Konzeptes aufgegriffen, wobei der
Fokus auf den Ausarbeitungen von Neurath und Weisser liegen wird. Ersterer hat bereits wich-
tige Grundprämissen ausgearbeitet, die trotzdem eher selten rezeptiert wurden. Im Anschluss
werden Erwägungen von Weisser bzw. die Weiterführungen bei Nahnsen behandelt. Zusam-
men lassen sich aus diesen Einsichten gewinnen, welche in Verquickung mit neueren Ansätzen
von Amann (1983), Voges (2002) und Voges u. a. (2003) zur lebenslagenorientierten Perspek-
tive dieser Arbeit führen und die Lebenslage als gesellschaftlich-historisches und individuell-
lebensgeschichtliches Produkt einer doppelten Dualität, d.h. fortlaufendes Ergebnis und zu-
gleich Ausgangssituation einer sich gegenseitig bedingenden Makro- und Mikroebene, begrei-
fen. Gleichwohl sich eine gewisse Konsistenz in den wissenschaftlich betrachteten Lebensla-
gendimensionen zeigt, ist die Frage der Dimensionswahl mit der Problematik verknüpft – dies
wird vor allem in der Armutsforschung virulent und blieb bisher unbeantwortet (vgl. Voges
u. a., 2003, S. 35) –, ob den jeweiligen Lebenslagendimensionen die gleiche Relevanz bzw.
Gewichtung zukommt. Die Auswahl an Lebenslagendimensionen kann als die Achillesferse
der lebenslagenorientierten Ansätze bezeichnet werden und bedarf der Auseinandersetzung. So
lässt sich bspw. auf Basis von Zeitbudgets aufzeigen, dass immer mehr Zeit in den eigenen vier
Wänden verbracht wird, die Wohnungsausstattung in einem engen Zusammenhang mit den
monetären Mitteln steht, während soziale Beziehungen (im Sinne von sozialem Kapital) in der
Bewältigung monetärer Engpässe unterstützen. Kurz: die Relevanz der Dimensionen – ohne
diese hier gegeneinander abwägen zu wollen, soll auf Basis von empirischen Ergebnissen her-
ausgestellt werden und zentriert sich auf Gesundheit, Wohnen und soziale Kontakte vor dem
Hintergrund von Armut.
Zusammen sind damit die für den empirischen Teil vorausgesetzten Arbeiten abgeschlossen,
wurde Altersarmut – aufgeteilt in Armut und Alter, um die beiden Begriffe anschließend wieder
zusammenzufügen – entlang der gesellschaftlichen Adressierungspraxis definiert, auf die Prä-
valenz hingewiesen, das Lebenslagenmodell aufgearbeitet und mit Altersarmut kombiniert, so-
wie wissenschaftliche Ergebnisse zu den Wirkungen von Armut in ausgewählten Lebensla-
gendimensionen aufgearbeitet. Mit dieser Basis wird in den empirischen Teil übergewechselt.
Das Lebenslagenkonzept stellt mit seinen Anforderungen der Mehrebenenanalyse, Multidi-
mensionalität und Multikausalität, welche zusammen in eine Prozessperspektive gebracht wer-
den, hohe methodische Anforderungen, welche – wie Amann (1983) und Lompe (1987) bereits
Aufbau der Arbeit 9

in ihren eigenen Analysen demonstrieren bzw. Backes (1997b) explizit einfordert – durch qua-
litative Methoden eingelöst werden können. Das Instrument der Primärerhebung ist neben einer
Indikation zum Forschungsprozess unter dem Gesichtspunkt einer „methodologischen Trian-
gulation“ (Denzin, 2009, S. 301) ausgearbeitet (Kapitel 3.1.): Ausgangspunkt der durchgeführ-
ten Interviews ist ein narrativer Teil nach Schütze (1976a), welcher auf die Lebensgeschichte
bis zur aktuellen Lebenssituation der Befragten abzielt. Im zweiten Teil bzw. einem zweiten
Interview mit den gleichen InterviewpartnerInnen kommt das problemzentrierte Interview nach
Witzel (1982) zur Anwendung, indem die spezifische Sondierung für das Forschungsprojekt
vordergründig ist und durch Netzwerkanalysen auf Basis des konzentrischen Kreisverfahrens
ergänzt wird. Für die Analyse (Kapitel 3.2.) des biographisch-narrativen Teils wird auf die Fall-
rekonstruktion von Rosenthal (1995) und für den problemzentrierten Part auf das Kodierpara-
digma von Strauss & Corbin (1990) rückgegriffen. Abseits der theoretischen Ausführungen
erfolgen zum Abschluss (Kapitel 3.3.) Erörterungen über den Prozess der Erhebung, wie er sich
zugetragen hat.
Im letzten Teil der Darstellung der Ergebnisse werden zuerst acht Portraits von Befragten (Ka-
pitel 4.1.) vorgestellt, welche einerseits Einsichten in das Leben altersarmer Menschen geben,
andererseits aufzeigen sollen, wie unterschiedlich sowohl die Wege in die Altersarmut als auch
die Ausgestaltung des Alltags ausfallen können. Sie sind mit das Ergebnis der für diese Arbeit
insgesamt mit 20 Betroffenen plus 7 ExpertInnen geführten Interviews. Die Auswahl der Per-
sonen für die Portraits fiel nicht leicht, da gerade in einer solchen Übersichtsperspektive jeder
Fall seine Spezifika aufweist und wird damit auf das zentrale Ergebnis einer ausgeprägten
Diversität von Lebenslagen unter Altersarmut hindeuten. Die darauffolgenden Teile (Kapitel
4.2.) gliedern sich in vier Segmente: Im ersten wird nach den Bedingungen von Altersarmut
gesucht und hierfür vier Typen von Altersarmut (aus der Kombination von Erwerbseinkommen
und Versicherungsmonaten) abgeleitet. Innerhalb dieser werden die Befragten verortet. Im An-
schluss wird sich der Ursachenanalyse gewidmet. Daraus wird ein erstes Zwischenfazit gebil-
det, bevor im letzten Teil die Deutung der Altersarmut in den (biographischen) Erzählungen
rekonstruiert wird. Die aktuellen Lebenslagen altersarmer Menschen sind in der Zusammenfas-
sung (Kapitel 4.3) als diversifiziert zu bezeichnen. Zwar ist den Befragten ein verhältnismäßig
stabiles, geringes Einkommen gemeinsam, in anderen Bereichen wie der Gesundheit, den sozi-
alen Kontakten, dem Wohnen usw. zeichnen sich aber spezifische Lageausprägungen ab, wel-
che den Schluss von Lebenslagen (Plural) unter Altersarmut nötigen. Zwar sind alle als alters-
arm adressierten Befragten von materiellen Limitationen betroffen, trotzdem wird sich zeigen,
dass sich diese unterschiedlich gut mit ihrer Lebenssituation arrangiert haben
2 Das doppelte Relativ der Altersarmut
Altersarmut kann in einer ersten Annäherung als ein doppelt soziales Relativ aufgefasst werden,
da der als „arm“ und als „alt“ bezeichnete Mensch unabhängig von der Gesellschaft bzw. aus
einer substantialistischen Logik oder als „gegebenes Naturphänomen“ (van den Berg, 2007, S.
43) nicht existiert. „Armut ist keine Eigenschaft einer Person, sondern basiert auf einer Zu-
schreibung“ (Till, Datler, u. a., 2009, S. 238). Erst in einer relationalen und spezifischen Zu-
wendung wird Altersarmut formiert. Bedenkt man bspw. unterschiedliche Lebenserwartungen
der Bevölkerung einzelner Staaten oder deren differenten Wohlstand, erscheint zumindest die
partielle Rückanbindung an den jeweiligen gesellschaftlichen Kontext notwendig (vgl. u.a.
Schroeter, 2014, S. 284). Alter, so Thieme (2008, S. 29), ist „mitbestimmt von ‚den anderen’,
vom ‚Zeitgeist’, dem Empfinden jener Generation, der man angehört, dem sozialen Milieu, der
Schicht, der erworbenen Bildung und dem ausgeübten Beruf“. Anstatt sich daher auf die Suche
nach einer allgemeingültigen Begriffsbestimmung von Armut und Alter zu begeben, soll im
Folgenden eine Definition erarbeitet werden, welche Altersarmut im Sinne einer Beobachtung
zweiter Ordnung erfasst:5 Also danach fragt, wodurch und ab wann Personen entlang von ge-
sellschaftlichen Institutionen als altersarm identifiziert und adressiert werden. Dahinter steht
die Überlegung, dass Armut nicht objektiv, aufgrund statistisch erhobener Fakten feststellbar
ist, „denn letztlich stehen hinter jeder Interpretation des Armutsbegriffs und hinter jedem darauf
beruhenden Messverfahren Wertüberzeugungen, über deren Richtigkeit im ethischen Sinn nicht
allgemein gültig geurteilt werden kann“ (Hauser, 2012a, S. 124).
Im Nachfolgenden wird zuerst eine Teilung von Altersarmut vorgenommen und einerseits der
Begriff „arm“ im Kontext von Österreich und dann „alt“ dechiffriert. Voran steht die theoreti-
sche Konzeption von Simmel, welcher Armut in einer wohl alltagslogisch untypischen Fasson
fasst und Armut von hinten aufzäumt. Kurz: Armut wird über die gesellschaftliche Reaktion
bestimmt und ist eine von außen attribuierte Bestimmung. Im Anschluss wird daraus die Frage
virulent, wo nun der Nullpunkt liegt, ab welchem eine Lebenslage als unterstützungsbedürftig
eigeschätzt wird und so den oder die Arme/n konstituiert. Dieser Punkt wird über die konzep-
tionelle Armut hergeleitet, d.h. über Definitionen von Armut (hierzu zählen auch Begriff wie
Armutsgefährdung, Ausgrenzung usw.), welche das Phänomen über die theoretischen Grund-
prämissen, der Operationalisierung und Prävalenzanalysen bestimmen. Dafür wendet sich die
Arbeit der Praxis zu und blickt darauf, über welche Kriterien im politisch-zielorientierten
(Raum wird einerseits der unionseuropäischen Perspektive gegeben, da sie starke Prägekraft
auf das österreichische Gebaren hat und andererseits den österreichischen Sozialberichten, wel-
che sowohl das Produkt von Armutsbildern und zugleich Produzent für eine öffentliche Wahr-
nehmung von Armut sind) und im politisch-administrativen Standard (hier werden aufgrund
der räumlichen Zentrierung der Arbeit die in Wien vorfindlichen Sozialleistungen thematisiert)
eine Adressierung erfolgt. Die Ebenen sind analytisch zu differenzieren und divergieren auch
in der Praxis teilweise. Zugleich, wie die Analyse zeigen wird, lassen sich Verbindungen zwi-
schen den beiden konstatieren. Das Geflecht spannt in Konsequenz einen Rahmen, in welchem
die Adressierung als (alters)armer Mensch erfolgt. Die Begriffe Armut und Alter stehen in die-
ser Arbeit folglich für das Adressiertsein von Personen bzw. sind Attribuierungen, welche den
Zugang zu Ressourcen reglementieren und zumindest teilweise einen Handlungsrahmen setzen.

5
„Wer von Umwelten, Kulturen oder vom Alter spricht, der konstruiert. Er beschreibt nicht einfach eine vor-
handene Wirklichkeit, sondern nur das, was er beobachtet und wahrnimmt“ (Schroeter, 2014, S. 284).

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
L. Richter, Lebenslagen unter Altersarmut,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-27622-5_2
12 Das doppelte Relativ der Altersarmut

2.1 Armut als soziale Beziehung und Reaktion


Zu Beginn sollen Simmels Überlegungen zum Begriff der Armut dargelegt werden, da diese
als Ausgangsbasis für die weiter folgende Analyse der aktuellen Gegebenheiten und Begriffs-
bestimmung dienen. Gleichwohl im Sinne seiner Zeit zu lesen, sind jene auch heute noch
fruchtbar und in weiten Teilen durchaus aktuell.6 Der erste Abschnitt fasst die viel (aber meist
nur in wenigen Sätzen) rezitierte Arbeit „Der Arme“ von 1908 zusammen und ist durch die
Interpretationen anderer AutorInnen bzw. Anmerkungen historischer Bedingungen, auf wel-
cher sich das Verständnis von Simmel gründet, fundiert. Bewusst werden relevante Stellen
großzügig zitiert, um auch auf die Vielschichtigkeit der Ausführungen hinzudeuten.7 Erst in
darauffolgenden bzw. späteren Abschnitten werden daraus Schlüsse gezogen und der aktuellen
Situation der Sozialhilfe gegenübergestellt, um auch unter Einbezug weiterer theoretischer
Konzeptionen eine Bestimmung von Armut vorzunehmen.

2.1.1 Simmel und der Arme


Simmel begründet seine theoretischen Ausführungen über Armut vor dem Hintergrund einer
beziehungssoziologischen Perspektive: „Insoweit der Mensch als Sozialwesen gilt, entspricht
jeder seiner Pflichten ein Recht andrer Wesen“ und „da jeder [...] auf diese Weise Verpflichteter
auch ein irgendwie Berechtigter ist, entsteht ein Netzwerk hin- und hergehender Rechte und
Pflichten“ (Simmel, 1908, S. 454). Gesellschaft lässt sich als Gegenseitigkeit berechtigter We-
sen bzw. Summe der Wechselwirkungen oder im Sinne eines Prozesses als Vergesellschaftung
auf Basis bestimmter Formen sozialer Beziehungen bestimmen (vgl. Abels & König, 2010).
Dem Recht jedes Menschen wird dabei ein Primat eingeräumt, während Pflichten als Konse-
quenz erwachsen – „ja, dies erscheint eigentlich als das letzterreichbare und rationellste Fun-
dament, auf dem die Leistungen des Einen für den Andern zu fordern sind“ (Simmel, 1908, S.
455). Armut ist in Folge soziologischer Betrachtung keine unterschrittene (monetäre oder nicht-
monetäre) Lebenslage an sich,8 sondern selbst eine spezifische Form von sozialer Beziehung
bzw. sozialer Reaktion, welche sich im Recht auf Unterstützung gründet und sich in „dieselbe
Kategorie wie das Recht auf Arbeit, wie das Recht auf Existenz“ (Simmel, 1908, S. 456) ver-
orten lässt, gleichwohl durch eine teleologisch begründete Armenpflege „zur völligen Nichtig-
keit“ (Simmel, 1908, S. 457) hinter die Pflicht tritt. Der Mechanismus kommt bspw. in der
„Ökonomie des Seelenheils“ (Dietz, 1997) der eschatologischen Heilslehre den Armen zu hel-
fen, zur Geltung. Nicht der Arme ist der Zweck, sondern Mittel des Gebenden. Auch im mo-
dernen Sozialstaat wird der Arme innerhalb der institutionalisierten Armenpflege vorrangig als
ein Mittel bzw. äußerer Zielpunkt zu einem eigentlich anderen Zweck betrachtet. „Sie erfolgt,
freiwillig oder gesetzlich erzwungen, um den Armen nicht zu einem aktiven, schädigenden

6
Gegenläufig lässt sich zudem anmerken, dass sich auch aktuelle Stimmen des gesellschaftlichen Diskurses
nicht über das 18. Jahrhundert hinaus entwickelt zu haben scheinen; Joseph Townsend schreibt 1786 in einem
Pamphlet „Über die Armengesetze“ in England: „Oder welchen Grund zur Furcht haben sie, wenn man ihnen
versichert, falls sie durch ihre eigene Faulheit und Verschwendung, Trunksucht und Liederlichkeit in Not
geraten sollten, würden sie auf Kosten anderer reichlich versorgt auch mit ihren gewohnten Annehmlichkei-
ten? [...] Im Allgemeinen kann nur der Hunger sie anspornen und zur Arbeit treiben“ (J. Townsend, Lepenies,
& Krüger, 2011). Anstelle von Hunger benutzt man heute den Begriff des Lohnabstandgebotes.
7
Hiermit soll auch auf die Kritik von Döring (2003, S. 27) eingegangen werden, welcher aktuelleren Ausle-
gungen Einseitigkeit bzw. Verkürzung attestiert. Besonders die Reduktion rein auf die „dependency“ (Spicker,
Álvarez Leguizamón, & Gordon, 2007, S. 46) im Sinne des Empfangs von Leistung – wenn auch zentrales
Element – wird der Arbeit von Simmel nicht gerecht.
8
„Die Gliedfunktion, die der Arme innerhalb der bestehenden Gesellschaft übt, ist nicht schon damit gegeben,
dass er arm ist; nur indem die Gesellschaft – die Gesamtheit oder die einzelnen Individuen – mit Unterstüt-
zungen darauf reagiert, spielt er seine spezifische soziale Rolle“ (Simmel, 1908, S. 490).
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 13

Feind der Gesellschaft werden zu lassen, um seine herabgesetzte Kraft wieder für sie fruchtbar
zu machen, um die Degenerierung seiner Nachkommenschaft zu verhüten“ (Simmel, 1908, S.
458). Nicht die Milderung des personellen Leides ist der Zweck der gesellschaftlichen Für-
sorge, sondern der Schutz und Erhalt der Gesellschaft bzw. „ihr Sinn ist gerade, gewisse ext-
reme Erscheinungen der sozialen Differenziertheit so weit abzumildern, dass jene Struktur wei-
ter auf dieser ruhen kann“ (Simmel, 1908, S. 459f.). Armenpflege kommt damit auf gesell-
schaftlicher Ebene eine stabilisierende, den Status quo erhaltende Funktion zu und selbst wenn
dafür Umverteilungsprozesse von Nöten sind, aber nicht um die Differenz zwischen arm und
reich grundsätzlich aufzulösen. Anders formuliert ist die Überformung der Pflicht dem Selbst-
zweck aus staatlicher bzw. gesellschaftlicher Perspektive geschuldet.9 Neben der für den Staat
funktionalen Armenpflege (Pflicht) und dem Recht auf Unterstützung (im Sinne eines Men-
schenrechtes und hinter die Pflicht getreten)10 leitet Simmel im späteren Teil seiner Arbeit eine
weitere Form ab (siehe auch Lessenich, 2003), welche sich aus einem moralischen Instinkt als
„apriorische Voraussetzung“ konstituiert bzw. „dass unter all solches Tun eine tief gelegene
Pflicht subintelligiert wird, die gewissermaßen durch das Tun offenbar und fühlbar wird“
(Simmel, 1908, S. 469). Quintessenz ist eine Unterstützung des Armen von Seiten der „Allge-
meinheit und der Wohlhabenden“, welche den Zweck „in der gebesserten Situation des Armen
selbst findet“ (Simmel, 1908, S. 470). Hierin wird eine zweite Funktionsweise begründet, wel-
che die erste Funktion der gesellschaftlichen Strukturerhaltung ergänzt. Das Rechte/Pflichten-
Verhältnis dieser moralischen Beziehung erscheint weniger einseitig, trotz einer zumindest im-
plizit angedeuteten Dominanz der Pflicht.11
Das erste Prinzip misst Simmel am Beispiel Englands idealtypisch der staatlichen Wohlfahrt
bei, während letzteres der privaten Wohltätigkeit obliegt. Seine weiteren Überlegungen sind
hauptsächlich vor diesem Hintergrund zu interpretieren bzw. die Begriffe Staat und Privatwohl-
tätigkeit im Kontext der zwei Funktionen zu lesen. In Erwähnung Frankreichs (in Übersicht der
franz. Verhältnisse Saint-Jours, 1981) wird jedoch die Idealtypik der englischen Praxis betont
und zwischen „beiden sozialen Funktionsweisen fortwährende Ausgleichungen, Verdrängun-
gen, Rangverschiebungen“ (Simmel, 1908, S. 484) attestiert.12 In England kam der Staat für die
dringendste Not – das im Zusammenhang stehende relative Minimum wird an späterer Stelle
noch erörtert – auf, während die Privatwohltätigkeit die Aufgabe hatte, „den vor dem Verhun-
gern schon geschützten Armen wieder erwerbsfähig zu machen, die Not zu heilen, für die der
Staat nur momentane Linderung hat. Nicht die Not als solche, der terminus a quo, bestimmt sie,
sondern das Ideal, selbständige und wirtschaftlich wertvolle Individuen zu schaffen; der Staat
verfährt im kausalen, die Privatwohltätigkeit im teleologischen Sinne. Oder anders ausge-
drückt: der Staat kommt der Armut, die Privatwohltätigkeit dem Armen zu Hilfe“ (Simmel,

9
Verfolgt man diesen Gedanken weiter, so ist der logische Schluss ein Überhang der Pflichten des Armen
gegenüber seinen Rechten.
10
Simmel (1908, S. 456) verweist zudem auf die Beschämung der Bittstellung, welche sich durch die Geltend-
machung des Rechts auflöse. „die Gedrücktheit, die Beschämung, die Deklassierung durch das Almosen hebt
sich für ihn in dem Maße auf, in dem es ihm nicht aus Barmherzigkeit, Pflichtgefühl oder Zweckmäßigkeit
gewährt wird, sondern er es fordern darf“.
11
Einerseits kehrt hierzu Simmel die Beziehung um und setzte die Pflicht als eine ideelle „Pflichtlinie von
Mensch zu Mensch“ dem Recht voran. Andererseits hält Simmel (1908, S. 455) fest: „Im letzten Grunde sind
wir die Sittlichkeit unsres Handelns nur uns selbst schuldig, dem besseren Ich in uns, der Achtung vor uns
selbst, oder wie man den rätselhaften Punkt bezeichnen mag, den die Seele in sich selbst als ihre letzte Instanz
findet, und aus dem heraus sie mit Freiheit entscheidet, inwieweit die Rechte Andrer für sie Pflichten sind“.
Letztendlich, so lässt sich daraus schlussfolgern, hat das Recht ohne die Anerkennung der Pflicht keine Wirk-
samkeit.
12
„Das französische Prinzip bringt es vielmehr unverkennbar mit sich, dass inhaltlich zwischen beiden Stufen
der Hilfe nicht so scharf und grundsätzlich wie in England geschieden werden kann“ (Simmel, 1908, S. 483).
14 Das doppelte Relativ der Altersarmut

1908, S. 481). Einerseits ist der Staat für eine Rahmengestaltung verantwortlich, welche eine
möglichste geringe Chance der Verarmung bieten soll, andererseits für die Beseitigung der Ar-
mut als Selbstzweck; das einzelne Individuum spielt jeweils keine Rolle. Bei der privaten
Wohltätigkeit richtet sich das Interesse an das singulär, über die Armut bestimmte Individuum,
um jenes in eine Situation zu bringen, in welcher sich die Armut von selbst auflöst. Hierbei gilt
es nicht die strukturellen Voraussetzungen zu ändern, sondern sich der konkreten Ursache der
Armut des Einzelnen zu widmen. In beiden Fällen handelt es sich aber um eine soziale Reaktion
zweier Funktionsweisen auf den als Armen adressierten Menschen.
Obwohl nun der Arme in den meisten Fällen nicht das Recht der Fürsorge geltend machen kann,
ist dieser nicht als exkludiert im eigentlichen Sinne zu betrachten, sondern weiterhin als ein
Element der Gesamtheit.13 „Nun war das oben gebrauchte Gleichnis des Wildbaches14 insofern
ungenau, als der Arme nicht nur Armer, sondern auch Staatsbürger ist. Insofern hat er freilich
seinen Teil an dem Rechte, das das Gesetz der Gesamtheit der Bürger als Korrelat der Staats-
pflicht zur Armenunterstützung verleiht; er ist, um in jenem Gleichnis zu bleiben, zugleich der
Bach und sein Adjazent, in dem Sinne, in dem es der reichste Bürger auch ist“ (Simmel, 1908,
S. 463). Zwar wird der Arme einerseits außerhalb der Gruppe gestellt, jedoch vermittels beson-
derer Art der Wechselwirkung und damit andererseits in „eine Einheit mit dem Ganzen in des-
sen weitestem Sinne verwebt“ (Simmel, 1908, S. 464; s. auch 485). Die eigentümliche Interde-
pendenz zwischen Gesamtheit und Armen ist durch die Zweckverschiebung weg von dem Ar-
men geprägt, welche die Reziprozität im Schenkvorgang auflöst. „So ist die Wechselwirkung
abgeschnitten, die Schenkaktion ist kein soziales, sondern ein bloß individuelles Ereignis [...]
allein dadurch, dass seine wirtschaftliche Tätigkeit wieder ermöglicht, seine Körperkraft vor
dem Verfall behütet, seine Impulse von gewalttätiger Bereicherung abgelenkt werden, erfährt
tatsächlich die Totalität seines sozialen Kreises ihrerseits eine Reaktion auf das, was sie an ihm
getan hat“ (Simmel, 1908, S. 464f.). Zusätzlich merkt Simmel (1908, S. 486) an, dass durch
eine Behandlung des Armen als „corpus vile“, jener zum Feind der Gesamtheit werden könne;
also auch der soziale Umgang selbst für die letztliche Reaktion entscheidend ist. Obwohl an
mehreren Stellen entsprechend umgrenzt definiert, erweitert Simmel seine Definition von Ar-
mut abschließend um den Aspekt der Potentialität und führt zu der wohl bekanntesten Passage
seiner Arbeit:
„Der Arme als soziologische Kategorie entsteht nicht durch ein bestimmtes Maß
von Mangel und Entbehrung, sondern dadurch, dass er Unterstützung erhält oder
sie nach sozialen Normen erhalten sollte. So ist nach dieser Richtung die Armut
nicht an und für sich, als ein quantitativ festzulegender Zustand zu bestimmen, son-
dern nur nach der sozialen Reaktion, die auf einen gewissen Zustand hin eintritt“
(Simmel, 1908, S. 490).
Nochmals zusammengefasst ist Armut eine von außen attribuierte Bestimmung: denn nur wer
Unterstützung empfängt gilt als der Arme. Zusätzlich wird auch die individuelle Ebene von

13
„Worauf es soziologisch ankommt, ist die Einsicht, dass die ganze, materiell veranlasste Besonderheit in der
Situation des unterstützten Armen, die einerseits sein individuelles Befinden zum äußeren Zielpunkt der Hilfs-
aktion macht, andrerseits ihn den Gesamtabsichten des Staates als ein rechtloses Objekt und zu formenden
Stoff gegenüberstellt - dass diese durchaus nicht seine gliedmäßige Zugehörigkeit zu der Staatseinheit verhin-
dert“ (Simmel, 1908, S. 463).
14
„Wenn der Staat etwa durch Gesetz verpflichtet ist, ein Wildwasser abzuleiten, und damit die Bewässe-
rung gewisser Gebiete zu gewinnen, so ist der Bach ungefähr in der Lage des vom Staate unterstützten
Armen: er ist zwar der Gegenstand der Pflicht, aber nicht der Träger des ihr korrespondierenden Rech-
tes, welches vielmehr die Adjazenten des Baches sind“ (Simmel, 1908, S. 461).
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 15

Simmel eingeführt und „arm sein“ als Zustand angesehen, in welchem die Mittel zu den per-
sönlichen Zwecken nicht genügen, aber „jeder mit sich selbst abzumachen hat“ (Simmel, 1908,
S. 492). Die Unterscheidung15 in „Armut“ und „arm sein“ verweist dabei auf Zustände wie zum
Beispiel sich als Armer nicht arm zu fühlen oder aber als Nicht-Armer arm zu sein (siehe dazu
auch Zapf, 1984). Virulent wird nun die Frage, wie der „gewisse Zustand“ oder der „Nullpunkt“
definiert sind, ab dem Unterstützung gewährt wird und dies womöglich von der individuellen
Ebene abzuweichen vermag. Hierzu veranschlagt Simmel ein relatives Maß, welches neben den
physisch oktroyierten Grundbedürfnissen schicht- bzw. milieuspezifische Bedürfnisse enthält,
denn „es ist kein Maß dieser Bedürfnisse mit Sicherheit festzustellen, das unter allen Umstän-
den und überall in Kraft wäre und unterhalb dessen also Armut im absoluten Sinne bestünde.
Vielmehr besitzt jedes allgemeine Milieu und jede besondere soziale Schicht typische Bedürf-
nisse, denen nicht genügen zu können Armut bedeutet“ (Simmel, 1908, S. 487). Die Ausprä-
gungen dieser unterliegen einerseits einer sozialgeschichtlichen Entwicklung (hinsichtlich ei-
ner historischen Betrachtung etwa Tocqueville, Füllsack, & Tillmann, 2007), wie auch einer
gewissen Definitionsmacht (über die aktuelle Problematik Schneider & Butterwegge, 2015).
Simmel konstatiert einen variablen Charakter von Armut, womit auch, wie später noch erörtert,
die von ihm geschlussfolgerte Objektivierung staatlicher Leistungen als ein pragmatischer Lö-
sungsansatz gesehen werden kann.
Zuvor soll auf die Rollenzuweisung im Kontext der Verortung des Armen noch näher einge-
gangen werden, bei welcher die Differenzierung zwischen dem Armen bzw. Armut und „arm
sein“ an Bedeutung erlangt: „Wenn er [der Arme] noch irgendeine wirtschaftliche Tätigkeit
ausübt, gehört er insofern in den Ausschnitt der allgemeinen Wirtschaft, der jene unmittelbar
befasst; insofern er Mitglied einer Kirche ist, gehört er in deren, mit keiner andersartigen Be-
grenztheit zusammenfallenden Bezirk; insofern er Familienmitglied ist, gehört er in den perso-
nal und räumlich festgelegten Kreis seiner Verwandten; wohin aber gehört er, insofern er Ar-
mer ist?“ In dieser Konzeption ist „arm sein“ soziologisch gesehen ein bedeutungsloser Zu-
stand, da jene nicht der sozialen Kategorie zugeordnet werden und weiterhin andere soziale
Rollen einnehmen – „er ist eben ein armer Kaufmann, Künstler, Angestellter usw.“(Simmel,
1908, S. 491). Erfolgt hingegen eine soziale Reaktion der Gesamtheit in Form der Hilfeleistung,
so tritt die Person in einen durch Armut charakterisierten Kreis ein und erzeugt damit auf ge-
sellschaftlicher Ebene eine relativ homogene Gruppe der Armen,16 innerhalb dieser Simmel
eine Unverbundenheit und Heterogenität der Individuen attestiert: „Eine [...] Einung der Armen
wurde schon deshalb bald unmöglich, weil mit der wachsenden Differenzierung der Gesell-
schaft die individuellen Unterschiede der Hineingehörigen an Bildung und Gesinnung, an Inte-
ressen und Vergangenheit zu mannigfaltig und zu stark wurden, um jener einen Gemeinsamkeit
noch die Kraft zu realer Vergesellschaftung zu lassen“(Simmel, 1908, S. 491). Während der
Gruppe der Armen assoziative Elemente tendenziell fehlen und eher eine Atomisierung bzw.
Individualisierung erfolgt, dehnt sich der Kreis der sozialen Reaktion nach Simmel aufgrund
der wachsenden Freizügigkeit der BürgerInnen auf das Staatsgebiet aus. Denn „ausschließlich
für diesen Kreis, der, weil er der größte ist, nichts außer sich hat, wohin er eine Verpflichtung
abschieben könnte“ (Simmel, 1908, S. 468), bestehe die Gefahr der räumlichen Konzentration
und damit Überlastung kleinerer sozialer Einheiten nicht. Einerseits obliegt dem Staat damit
die Aufgabe der Fürsorge, dieser bedient sich zugleich der Gemeinde, da sie leistungsfähiger

15
„So kann individuelle Armut - das Nichtzureichen der Mittel zu den Zwecken der Person - ausbleiben, wo ihr
sozialer Begriff statthat, und sie kann vorhanden sein, wo von ihr im letzteren Sinne keine Rede ist“ (Simmel,
1908, S. 487).
16
An dieser Stelle setzten auch Stereotype an, welche sich zum Beispiel in Attribuierungen wie „Sozialschma-
rotzer“ oder „soziale Hängematte“ äußern.
16 Das doppelte Relativ der Altersarmut

die individuellen Fälle bestimmen könne.17 „Dass die Armenpflege auch weiterhin im Wesent-
lichen der Gemeinde delegiert wird, ist deshalb sehr zweckmäßig, weil jeder Fall individuell
behandelt werden muss, und dies nur aus der Nähe und der genauen Milieukenntnis möglich
ist“ (Simmel, 1908, S. 471). Davon differenziert Simmel jene kollektivistischen Fälle, welcher
einer solch genaueren Bestimmung nicht bedürfen. Insofern wird eine Teilung der staatlichen
Leistungen vorgenommen, einerseits eine durch Verallgemeinerung direkte Fürsorge des Staa-
tes und andererseits eine aufgrund individueller Prüfung der Gemeinde obliegende;18 beide sind
weiterhin im Kontext der Strukturerhaltung zu lesen, welche über die Bereitstellung eines rela-
tiven Minimums – weiteres fällt der Privatwohltätigkeit zu – erreicht wird.19 Dies begründet
Simmel einerseits mittels Exkurs über die Negativität kollektiver Verhaltensweisen: „Mit
wachsendem Umfang des Kreises werden die Gemeinsamkeiten, die jeden mit jedem zu der
sozialen Einheit verbinden, immer weniger reichhaltig“ (Simmel, 1908, S. 474) und anderer-
seits besitze das Minimum einen objektiven Charakter.20 Beide Argumentationsgänge können
vor dem Hintergrund einer Legitimationsnotwendigkeit betrachtet werden, welche sich im
kleinsten gemeinsamen Nenner am ehesten zu lösen vermag. „Daraus ergibt sich, [...] im Na-
men einer Gesamtheit keine größere Aufwendung gemacht werden darf, als auch ihrem spar-
samsten Mitgliede zugemutet werden kann“ (Simmel, 1908, S. 472).
Simmels Untersuchung erweist sich als überaus vielschichtig und komplex, welche zwischen
Analysen seiner Zeit, daraus abgeleiteten theoretischen Formulierungen und normativen Vor-
stellung eher unvermittelt pendelt. Neben Einsichten wie der Relativität von Armut, einer Dif-
ferenzierung der Funktionsweisen und der Betrachtung des Selbstzwecks staatlicher Armen-
hilfe ist als zentrale Erkenntnis die Armut als eine soziale Kategorie bzw. soziale Reaktion zu
verstehen, welche ab einem gewissen Punkt erfolgt. Das nächste Kapitel widmet sich diesem
entscheidenden Momentum genauer. Abschließend soll Simmel selbst nochmals zu Wort kom-
men, denn er fasst seine Ausarbeitung trefflich zusammen:
„Die Armut bietet so die ganz einzige soziologische Konstellation: eine Anzahl von
Individuen, vermittels eines rein individuellen Geschickes eine ganz spezifische or-
ganische Gliedstellung innerhalb des Ganzen einnehmend; diese Stellung aber

17
Mit der Schlussfolgerung, die Finanzierung der Fürsorge der Gemeinde aufgrund einer befürchteten monetä-
ren Sorglosigkeit zu überantworten, vernachlässigt Simmel die umgekehrte Problematik einer bewussten Ver-
schleppung zur Reduktion der Last (insbesondere, wenn kein Recht auf Fürsorge besteht). Selbst im Falle der
Mindestsicherung wurden diesbezügliche Schwierigkeiten von SozialarbeiterInnen auf der 10. Armutskonfe-
renz geäußert, da hier ebenso – je nach Bundesland – Gemeinden einen Teil der Kosten tragen und zugleich
auf ähnlicher Ebene (etwa Bezirksverwaltungsebene in Niederösterreich) die Zuerkennung folgt, wie nun auch
aktuell die drohende Last der Bundesländer selbst zum Anstoß strikterer Regelungen gibt.
18
Diesem Prinzip folgte im Wesentlichen die 15a-Vereinbarung der bedarfsorientierten Mindestsicherung (seit
Ende 2016 ist diese ausgelaufen), welche ein Mindestmaß an Leistung festschrieb, aber durch weitere Leis-
tungen ergänzt werden konnte.
19
Simmel schreibt sowohl vom „relativen Minimum“ und „sozialen Minimum“, welches „die unterste Stufe der
intellektuellen, ökonomischen, kulturellen, ästhetischen usw. Skala zu umfassen“ (Simmel, 1908, S. 472) hat,
als auch von einem Minimum, welches vor dem physischem Verkommen bewahrt (vgl. Simmel, 1908, S.
478). Die beiden Minima stehen hierbei nicht konträr, sondern das physische Minimum ist die grundsätzliche
Basis, welche leichter festgelegt und legitimiert werden kann, während das soziale Minimum daran anschließt
und Ausdruck der Relativität im Kontext der betrachteten Gesellschaft ist.
20
Gemeint ist hierbei eine intersubjektive Basis, welche nicht „die volle Bedeutung der Wahrheit besitzen mag“,
aber das „eigentümliche Cachets“ besitzt, „das wir eben Objektivität nennen“ (Simmel, 1908, S. 478). Die
Problematik selbst den Bedarf für das Existenzminimum bestimmen zu können, führte, wie Abschnitt 3.2.2.
offenlegt, gerade zu einer Reformulierung von Armutskonzepten. Simmels Annahme eines objektiven Cha-
rakters konnte sich folglich nicht behaupten und zeigt sich in aktuell hitzigen Debatten, wie viel Geld nun zum
Überleben genügt.
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 17

doch nicht durch jenes eigene Geschick und Verfassung bestimmt, sondern
dadurch, dass Andre: Individuen, Vereinigungen, Ganzheit - eben diese Verfassung
zu korrigieren suchen, so dass nicht der persönliche Mangel den Armen macht,
sondern der um des Mangels willen Unterstützte erst dem soziologischen Begriffe
nach der Arme ist [...] Sie besitzt ihrer Bedeutung und Lokalisierung im Gesell-
schaftskörper nach eine große Homogenität, die ihr aber, wie angedeutet, nach den
individuellen Qualifikationen ihrer Elemente ganz abgeht. Sie ist der gemeinsame
Endpunkt von Schicksalen der verschiedensten Art, von dem ganzen Umfang der
gesellschaftlichen Unterschiedenheiten her münden Personen in ihr, keine Wand-
lung, Entwicklung, Zuspitzung oder Senkung des gesellschaftlichen Lebens geht vo-
rüber, ohne ein Residuum in der Schicht der Armut wie in einem Sammelbecken
abzulagern“ (Simmel, 1908, S. 492).

2.1.2 Pragmatismus der Praxis


Simmels Überlegungen legen nahe, dass sich Armut erst in der Zuwendung zu dieser bzw. sich
die Armen in der Adressierung als unterstützungsbedürftige Individuen konstituieren. Allge-
mein formuliert dies Coser (1992, S. 35), wenn er schreibt: „Die Armen entstehen, historisch
betrachtet, erst dann, wenn eine Gesellschaft dazu übergeht, Armut als besonderen Status an-
zuerkennen und einzelne Personen dieser sozialen Kategorie zuzuordnen“. Ebenso konstatiert
Schäfer (2013, S. 329), dass es sich bei Armut um ein diskursiv erzeugtes Phänomen handelt,
welches sich im reziproken Austausch mit den vorherrschenden gesellschaftlichen Bedingun-
gen befindet. Die politischen, um die bedarfsorientierte Mindestsicherung drehenden Debatten
vor dem Hintergrund einer vermeintlichen Überforderung des Soziallsystems aufgrund der
Migrationszahlen, sind hierzu als aktuelles Beispiel zu nennen, wie die Thematisierung von
Armut und nötiger Mindeststandards zumindest teilweise aus dem Diskurs über eine auf Armut
gerichtete Sozialleistung ausgeklammert werden konnte.21 Soziologisch bzw. „beziehungsso-
ziologisch“ (Leisering, 1997, S. 1042) lässt sich Armut nicht durch eine geringe materielle oder
immaterielle Lage an sich, sondern über die „gesellschaftliche Reaktion“ (Coser, 1992, S. 36)
bestimmen, welche einem disponiblen Niveau der Lebenslage(n) folgt. Entscheidend für diese
Arbeit ist, nach der von Simmel bezeichneten „singulären Bestimmung“ bzw. „Nullpunkt“ zu
suchen, welche den Armen bzw. die Armut in der Gesellschaft konstituiert und im Akt der
Adressierung bzw. Zuweisung auch den Zugang zu Hilfeleistungen als eine wesentliche soziale
Reaktion begründet. Im Anschluss lässt sich dann danach fragen, wie es um die Lebenslagen
bzw. Lebenswelten der damit als arm adressierten Menschen (in Wien) bestellt ist.
Im Gegensatz zum weiterhin sehr belebten Diskurs in Deutschland (jüngst Butterwegge, 2015;
auch Barlösius, 2004, S. 177) und einem mehrgleisigen Verständnis noch in das neue Jahrtau-
send hinein (siehe die ersten beiden Armuts- und Reichtumsberichte - BMAS, 2001, 2005), ist
für die österreichische Berichterstattung ein vergleichsweise stringenteres Begriffsverständnis
– auch wenn Konstrukte wie die Armutsgefährdungsschwelle aufgrund ihrer verteilungspoliti-
schen Brisanz (auch Lang & Steiner, 2010) durchaus ihre KritikerInnen haben – zu konstatie-
ren.22 Seit der Veröffentlichung des „Berichts über die soziale Lage 1996“ (BMAGS, 1997)

21
Allgemein ist darauf hinzuweisen, dass die Bezugnahme auf die realen Kostenstrukturen in Österreich fehlt
(siehe zu dieser Kritik auch Kargl & Schenk, 2010, S. 87).; d.h. es wird über die Einkommenshöhe verhandelt,
ohne die Frage zuzulassen, was man sich eigentlich darum kaufen können soll bzw. kann. Pointiert wird bzw.
wurde dies durch die gewählte Bezeichnung: bedarfsorientierte Mindestsicherung.
22
In Wien begann eine als Sozialbericht titulierte Berichtlegung deutlich später; 2001 lag der Endbericht zur
Machbarkeit eines Wiener Sozialberichtes vor (Schmid & Mayrhofer, 2001), 2006 kritisieren Till & Till-
18 Das doppelte Relativ der Altersarmut

bzw. in heutiger Form als „Sozialbericht“ (aktuellste Fassung BMASK, 2017) wird fortlaufend
Armut thematisiert und bereits im Bericht von 1998 (vgl. Till & Steiner, 1999) das aktuell ge-
nutzte Berechnungsverfahren von Einkommensarmut (bzw. Armutsgefährdung) – 60% vom
Median des Äquivalenzeinkommens – aufgenommen. Dieses ist als zentraler Bestimmungsme-
chanismus des existierenden politischen-zielorientierten Standards – normative Funktion (vgl.
Atkinson, Cantillon, Marlier, & Nolan, 2002, S. 21) – zu bezeichnen und muss von politisch-
administrativen Standards – als Impulsgeber der Unterstützungsfunktion – geschieden werden
(in Anlehnung an Hauser, 2012a, S. 132). Der Nachverfolgung beider widmet sich dieses Un-
terkapitel. Die Differenzierung zwischen den Standards ist relevant (auch Hauser, 2012a, S.
132), da von einer Deckung nur bedingt ausgegangen werden sollte. Zwischen Bemessungs-
grundlage des normativen Anspruchs und jener der tatsächlichen Hilfeleistung scheint in der
sozialstaatlichen Praxis eine durchaus hohe Toleranz der Divergenz zu bestehen. Anders for-
muliert erfüllen die administrativen den zielorientierten Standard (genau genommen handelt es
sich auch bei letzterem um mehrere Standards – dies gilt es an späterer Stelle zu klären) nicht
vollständig: Einerseits, weil sich diese inhaltlich in ihren Bestimmungsmechanismen zumindest
teilweise unterscheiden – je nachdem welche Sozialtransfers in den administrativen Standard
einbezogen werden – und andererseits, weil von einer Hierarchisierung auszugehen ist. Über-
geordneter Zweck ist die Reduktion von Armut, welche sich auf Basis des zielorientierten Stan-
dards bemisst, die administrativen Standards bzw. die dadurch administrierten Unterstützungs-
zugänge sind als unmittelbare Reaktionen zur Milderung der Not zu fassen und tragen nur in
günstigen Konstellationen zur Überschreitung des zielorientierten Standards bei. Zur Reduk-
tion von Armut nach dem zielorientierten Standard kommen zudem weitere, vor allem indirekte
(aber die Not nicht direkt mildernde) Mittel zum Einsatz, welche gesellschaftspolitisch als ar-
mutsreduzierend angesehen werden und zu einem Großteil in Verbindung zur Erwerbstätigkeit
stehen. In einer Broschüre des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumenten-
schutz sind etwa die „Förderung integrativer Arbeitsmärkte“, „Verbesserungen beim Kinder-
betreuungsgeld“ oder die „Senkung des Lohn- und Einkommensteuertarifs“ (BMASK, 2010)
angeführt.
Simmels Konzeption scheint zuallererst auf den administrativen Standard abzustellen, geht man
von dem durch „des Mangels willen Unterstützten“ als Armen aus. Andererseits ist bereits mit
dem zielorientierten Standard ein zu bekämpfender Zustand bzw. illegitime Differenz be-
stimmt. Komplexität erhält die Angelegenheit durch den Umstand, dass es mehrere administ-
rative Standards je nach Sozialleistung gibt, welche sich noch dazu dem zielorientierten annä-
hern; zudem betont Simmel auch die staatliche Funktion, auf struktureller Ebene zur Vermei-
dung von Armut einzuwirken.23 Daher erscheint es sinnvoll die Reaktion nicht an die Fürsor-
getätigkeit per se zu knüpfen, sondern Armut als Resultat von Reaktionen (Anschlussmöglich-
keiten) zu sehen, welche aufgrund einer als illegitim angesehen Differenzierung erfolgen (Akt
der Adressierung). Die Differenzierung der Fürsorgearten nach Simmel (1908, S. 482) – Für-
sorge in Richtung der Tatsache und Fürsorge in Richtung der Ursache von Armut – laufen im
modernen Wohlfahrtsstaat verstärkt zusammen, wiewohl der Privatwohltätigkeit (man denke
etwa an Sozialmärkte) bzw. den Mischformen im Sinne teilstaatlich finanzierter Non-Profit
Organisationen ebenso, wenn nicht gar verstärkte Bedeutung zukommen.

Tentschert (2006) im Vorwort zum Bericht „Armutslagen in Wien“ den bis dahin weiterhin bestandenen Man-
gel; 2010 wurde der erste von bis dato drei Wiener Sozialberichten publiziert (MA24, 2010, 2012, 2015).
23
„Allein die fundamentalen, ökonomisch-kulturellen Zustände, auf denen als Basis sich jene persönlichen Ver-
hältnisse erheben — diese zu gestalten ist wieder Sache der Allgemeinheit; und zwar sie so zu gestalten, daß
sie der individuellen Schwäche oder ungünstigen Präjudiziertheit, dem Ungeschick oder dem Mißgeschick
möglichst wenig Chance geben, Verarmung zu erzeugen“ (Simmel, 1908, S. 482).
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 19

Die nachfolgenden Abschnitte gehen zugleich mehreren Zielen nach: Die Analyse der Sozial-
berichte soll einerseits Aufschluss über die (sich wandelnde) gesellschaftlich relevante Armuts-
definition geben und andererseits aufzeigen, inwiefern Altersarmut eine Thematisierung findet
bzw. wie sich die Anzahl der adressierten Personen in den letzten knapp 20 Jahren entwickelt
hat. Eine gewisse Redundanz ist entsprechend der chronologischen Aufarbeitung unvermeid-
bar, aber nach Möglichkeit kompakt gehalten. Dahinter liegt auch die Frage, inwiefern die von
Angel & Kolland (2011) konstatierte Problematik einer geringen Beschäftigung der Sozialge-
rontologie mit dem Thema Armut eine Entsprechung in der Sozialberichterstattung gefunden
hat.
Die Ausarbeitungen über die konkreten Sozialleistungen dienen einerseits der Gegenüberstel-
lung, inwiefern sich der politisch-zielorientierte Standard und der politisch-administrative Stan-
dard decken bzw. ob der Mechanismus der Adressierung auf anderen Logiken beruht, anderer-
seits soll damit ersichtlich werden, welche und in welcher Höhe Sozialleistungen älteren Men-
schen zur Verfügung stehen. Die Darstellung ist darüber hinaus der Einsicht geschuldet, dass
die Sozialleistungen wesentlich den Handlungsspielraum altersarmer Menschen mitkonstituie-
ren sowie selbst als zu bewältigende Problemlage – bedenkt man etwa die Antragsstellung oder
die Frage, wie Menschen die damit verbundene Abhängigkeit in ihr eigenes Selbstverständnis
integrieren – aufzufassen sind und damit als Versatzstücke zum Verstehen der Lebenssituation
(im empirischen Teil der Arbeit) beitragen.
Eine Synthese findet im letzten Abschnitt statt, welcher die Gemeinsamkeiten und Unterschiede
der beiden Standards kompakt gegenüberstellt. Es wird sich zeigen, dass nicht eine „singuläre
Bestimmung“ wirksam ist, sondern ein komplexes Geflecht, welches einen Raum der Adres-
sierung spannt. Dies mag das Ergebnis der Komplexität der existierenden Lebensverhältnisse
sein; erklärt jedoch nicht, warum die zentralen Leistungen gerade bei älteren Menschen den
politisch-zielorientierten Standard meist nicht zu durchdringen vermögen.

2.1.2.1 Politisch–zielorientierter Standard der Sozialberichterstattung


In Österreich lässt sich aktuell eine rege Armutsberichterstattung attestieren, die zu Beginn der
2000er Jahre expandierte (auch Lang & Steiner, 2010, S. 87). Neben der jährlichen Veröffent-
lichung der EU-SILC Ergebnisse in Form eines Tabellenbandes (u.a. Statistik Austria, 2017d)
sind Arbeiten aus der „Sozialpolitischen Studienreihe“ bzw. durch das Bundesministerium für
Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (BMASK) beauftragte Sonderarbeiten und der Sozi-
albericht (etwa BMASK, 2017b) zu nennen.24 Im Besonderen letzterer ist in seiner sozialpoli-
tischen Relevanz hervorzuheben, da der Sozialbericht bzw. früher als „Bericht über die soziale
Lage“ bezeichnet, in einem Ausschuss des Parlaments bzw. in Parlamentssitzungen behandelt
wird und somit die Inhalte in den tagespolitischen Diskurs münden. Die mediale Rezeption
trägt zusätzlich zu einer Diffusion der Ergebnisse in den gesellschaftlichen Diskurs bei. Dies
bedeutet aber auch, dass der Darstellung im Bericht als Stoff für Debatten und Wahrnehmungen

24
In vielerlei Hinsicht handelt es sich um redundante Präsentationen von Ergebnissen bzw. einer Situationsfort-
schreibung und scheint der limitierten Datengrundlage ebenso geschuldet zu sein. Wohl hat es den Anschein,
als könne Armut auch mit der Menge an bedrucktem Papier bekämpft werden, denn die teils bereits über Jahre
prekäre Lage der meisten „Risikohaushalte“ – wie im Tabellenband des EU-SILC bezeichnet – erfährt zwar
gebetsmühlenartiger Hinweisungen in den Sozialberichten, jedoch keiner wesentlichen Verbesserungen durch
größere sozialpolitische Erfolge.
20 Das doppelte Relativ der Altersarmut

hohe Bedeutung eingeräumt werden muss und die (sozialpolitische) Anerkennung von Alters-
armut von der Thematisierung im Sozialbericht ebenso abhängig ist – im Sinne von Bourdieu
(2016, S. 23ff.) lässt sich von einer hohen Bedeutungsmacht staatlicher Seite sprechen.25
Mit der Regierungserklärung26 am 20.April 1966 wurde vom Bundeskanzler Josef Klaus die
Entstehung des Sozialberichtes induziert. Die Bundesregierung verkündete die Absicht der
„Einführung eines alljährlich vom Bundesminister für soziale Verwaltung zu erstellenden und
im Wege der Bundesregierung dem Parlament vorzulegenden Berichtes über die soziale Lage,
genannt Sozialbericht“ (Nationalrat XI. GP. - 3.Sitzung - 20.April 1966).27 30 Jahre später fand
mittels Entschließungsantrags des Nationalrats die Bestandsaufnahme von Armut und Armuts-
bekämpfung Eingang in die Berichterstattung28 und wurde bis dato in elf Berichten behandelt.
Anhand jener soll im Nachfolgenden die Entwicklung des politisch-zielorientierten Standards
sowie die Thematisierung von Altersarmut in dem zentralen Vehikel der österreichischen So-
zialberichterstattung nachgezeichnet werden.
Die europäische Union spielt als Impulsgeberin sowie bürokratisierende Kraft in der Armuts-
berichterstattung eine gewichtige Rolle und kann dabei selbst auf eine bewegte und weit zu-
rückreichende Auseinandersetzung blicken. „Die Koordinierung der EU in Fragen der Armut-
spolitik und sozialen Ausgrenzung erwies sich letztlich als Druckmittel auch auf die österrei-
chische Regierung“ (Obinger & Tálos, 2006, S. 191). Hierzu zwei Auszüge aus dem Sozialbe-
richt, welche die starke Orientierung am europäischen Vorgehen verdeutlichen:
Der „EU-SILC wird europaweit durchgeführt und ist die zentrale Grundlage zur
Erhebung der vom Europäischen Rat verabschiedeten Indikatoren zur Messung von
Armut und sozialer Ausgrenzung. Diese Indikatoren sollen es den Mitgliedstaaten
und der Europäischen Kommission ermöglichen, die Fortschritte bei der Errei-
chung des vom Europäischen Rat von Lissabon gesteckten Zieles zu messen, bis
2010 bei der Bekämpfung von Armut deutlich weiterzukommen und das Verständnis
von Armut und sozialer Ausgrenzung im europäischen Rahmen zu verbessern“

25
„Durch dessen Vorgaben der offiziellen Taxonomien [...] schreibt das INSEE Rangordnungen fest [...]. Eine
Berufsbezeichnung, ein Titel bildet (wie Lohn oder Gehalt) eine positive oder negative Vergütung, im Sinne
einer Unterscheidungsmarke (Emblem oder Stigma), deren Wert sich nach der Stellung innerhalb eines hier-
archisch gestaffelten Systems von Titeln richtet und die auf diese Weise zur Festlegung der jeweiligen Posi-
tionen von Akteuren und Gruppen beiträgt“ (Bourdieu, 2016, S. 25). Mit diesem Beispiel verweist Bourdieu
auf die zentrale Stellung des französischen Statistikamtes und lässt sich analog auch auf die Zuweisung von
arm und nicht arm übertragen.
26
„Es war schon eine alte Forderung von uns, daß man ähnlich wie den Grünen Bericht jetzt auch zwar nicht
einen "Roten Bericht", aber einen Sozialbericht erstellt. Wir werden vielleicht aus diesem Bericht manches
besser ersehen“ (Ing. Häuser –SPÖ; Nationalrat XI. GP.- 4. Sitzung -22. April 1966).
27
Erwähnenswert ist in diesem Kontext, dass der Sozialbericht zwar bereits eine beachtliche Historie aufweist
– im Vorwort von Alois Stöger der aktuellen Auflage findet sich dazu die Erwähnung: „Vor nunmehr 50
Jahren wurde 1967 auf Wunsch der Bundesregierung der erste ‚Bericht über die soziale Lage’ veröffentlicht
und dem Parlament vorgelegt-“ – obwohl dieser, im Vergleich zu anderen Berichten, wie etwa jenem über die
„Lage der behinderten Menschen“(§13a. des Bundesbehindertengesetzes), nicht explizit gesetzlich verankert
ist. Tatsächlich hatte man den Grund der Berichtlegung – wie ich in informellen Gesprächen erfuhr – bereits
in der Institution selbst vergessen, erst vor kurzem wurde der Entschluss aus dem Archiv wieder ausgehoben.
Gleichwohl die Erstellung als ritualisiert erscheint, wurde innerhalb des politischen Systems dessen Legitimi-
tät angezweifelt, zudem fiel eine Publikation für 2017 erneut aus.
28
Siehe die Erweiterung des Berichtes der sozialen Lage um "Armutsbekämpfung" (20/AEA) in 624 der Beila-
gen XX. GP und Nationalrat XX. GP. – 66. Sitzung – 19. und 20. März 1996.
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 21

„Für eine EU-weite und vergleichbare Berichterstattung zu Armut und sozialer


Ausgrenzung wurden 60% des Medianeinkommens als kritischer Wert festgelegt“
(Till-Tentschert, Lamei, Bauer, & Statistik Austria, 2004, S. 211f.).
Die durchaus beachtliche Einflussnahme (u.a. Fink, 2010; Heitzmann, 2011), welche sich in
solchen expliziten Erwähnungen im Sozialbericht eingelagert hat, manifestiert sich in der fre-
quenten, teils obligatorischen Berichterstattung und im Besonderen in den (harmonisierten) In-
dikatorsets der Armutsmessung. Zwar wurden auch nationale Indikatoren entwickelt, als domi-
nierend darf das europäische Verständnis gleichwohl bezeichnet werden und stellt einen Ori-
entierungspunkt für die nationale Entwicklungsgeschichte dar. Dies macht die Behandlung der
europäischen Seite notwendig und ist einerseits in die chronologische Darstellung der nationa-
len Berichte eingearbeitet, andererseits finden in einem davor gelagerten Unterabschnitt die
„Grundhaltung“ und die relevanten geschichtlichen Stationen der europäischen Sozialpolitik
einen gesonderten Überblick.
Abschließend wird die Anerkennung von Altersarmut in der Berichterstattung resümiert; zu-
gleich soll mit Verweis auf Deutschland aufgezeigt werden, dass sich die Armutsgefährdungs-
quoten älterer Menschen unterschiedlich im internationalen Vergleich entwickelt haben. Die
aktuell verstärkte Thematisierung in Deutschland ist auf einen Anstieg der Quote zurückzufüh-
ren, welche ihren Ursprung in den Pensionsreformen der letzten Jahrzehnte hat und es mehren
sich die Forderungen einer Neugestaltung nach österreichischem Modell. Während in Deutsch-
land die Entwicklung auch in der wissenschaftlichen Bearbeitung aufgegriffen wird, ist die Si-
tuation in Österreich zwar zumindest aktuell günstiger, das hohe Risiko zum Beginn des neuen
Millenniums führte aber nicht zu einer umfassenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung
mit der Altersarmut.

2.1.2.1.1 Der Orientierungspunkt – Europäische Union


Aus nationaler Sicht stellt der europäische Armutsdiskurs nach Lang & Steiner (2010) eine
Ergänzung und Erweiterung nationaler Debatten zur Armutsbekämpfung dar; der Kommission
komme, so Huster (1996, S. 114), letztendlich eine „katalytische Funktion“ zu. Trotz Ernüch-
terung – was bspw. den Nutzen der Methode der offenen Koordinierung (OMK) betraf
(exemplarisch Benz, 2012, S. 659; Fink, 2010; Room, 2010) – ist der Einfluss der Europäischen
Union im Besonderen hinsichtlich der Problemdefinition bzw. „problem stream“ (Fink &
Litschel, 2014) nicht von der Hand zu weisen und wurde durch die Entwicklung gemeinsamer
Indikatoren zur Messung von Armut bzw. Inklusion vorangetrieben; entsprechend ist Armut
konzeptuell zumindest ein Stück weit durch die EU gerahmt. Zudem ist seit der OMK bzw.
Lissabon Strategie die nationale Armutsberichterstattung intensiviert worden und die Armuts-
forschung greift vorrangig auf die Daten, welche im Zuge des Informationsaustausches gesam-
melt werden, zurück. Überspitzt lässt sich formulieren, dass die breite Auseinandersetzung mit
der Armutsthematik in Österreich in erster Linie ein Ergebnis des europäischen Prozesses ist.
Im Nachfolgenden soll weniger eine kritische Sicht (d.h., was aus der Sicht von Armutsfor-
scherInnen nicht bzw. nur bedingt funktioniert) eingenommen, sondern die Entwicklung des
europäischen Armutsverständnisses dargelegt werden, da, wie im später folgenden Teil gezeigt
wird, die amtliche Armutsberichterstattung in Österreich in einem unmittelbaren Nexus zu die-
ser steht. Drei Meilensteine des europäischen Entwicklungsprozesses lassen sich grob zusam-
menfassen (vgl. auch Engsted, 2013) und werden im Anschluss näher erörtert:
Die „Armuts-Programme I bis III“ (I. 1975-1980; II. 1985-1989 und III. 1990-1994), in deren
Rahmen Expertengruppen gebildet und Informationen sowie Analysen über die sozialen Ent-
wicklungen und die nationale Situation der damaligen Mitgliedsstaaten zusammengetragen
22 Das doppelte Relativ der Altersarmut

wurden. Zusätzlich wurden Modellvorhaben entlang sozialpolitischer Initiativen auf nationaler


Ebene finanziert (vgl. Huster, 1996, S. 51) und ein Austausch von Informationen und Erfah-
rungen sollte zwischen den Ländern angestoßen werden (vgl. European Commission, 1991, S.
15). Essentiell ist diese Phase vor allem deswegen, weil sie für die weitere Entwicklung weg-
bereitend war und sich bereits zu dieser Zeit zumindest einzelne Verfahrensweisen (z.B. wur-
den die Äquivalenzskalen oder die Entwicklung des European Community Household Panel
stimuliert) herausbildeten, welche bis heute den Adressierungsprozess bestimmen und die ent-
worfenen Armutsdefinitionen später folgende Überlegungen immer wieder anleiteten (so etwa
Atkinson u. a., 2002, S. 78; Eurostat, 2010).
Die Lissabon Strategie von 2000-2010, in welcher Armut und soziale Ausgrenzung bzw. so-
ziale Eingliederung erneut auf die politische Agenda gesetzt wurden, ebenso die Durchsetzung
einer standardisierten und über die EU Länder hinweg normierten Messung von Armut bzw.
sozialer Ausgrenzung (vgl. Daly, 2010). Bedeutend ist vor allem die Einführung der sozialen
OMK, welche zur Institutionalisierung beitrug und die nationale Politik auf Basis der Aktions-
pläne zu einer breiteren Auseinandersetzung mit Armut und sozialer Ausgrenzung führte. Als
die OMK und das erste Indikatorset eingeführt worden waren, basierten die Berechnungen noch
auf dem europäischen Haushaltspanel, welches jedoch nicht alle Länder abdeckte und 2001
auslief. Es wurde durch die Befragung der “Community Statistics on Income and Living”
(SILC) ersetzt, welche bis heute die Referenzquelle in der EU zum Thema der Armut bzw.
sozialen Ausgrenzung bildet (vgl. Heitzmann, 2011).
Die Europa 2020 Strategie von 2010-2020, welche die Bestrebungen der Armutsbekämpfung
weiterführt und erstmalig in der Geschichte der Europäischen Union ein konkret zu erreichen-
des Ziel in der Armutsreduktion setzt. Europa 2020 dient erneut als Referenzrahmen für Maß-
nahmen auf EU-Ebene bzw. auf Ebene der EU-Länder, welche im Rahmen jährlicher Reform-
programme Berichte über die Fortschritte ablegen (vgl. Europäische Kommission, 2017). Von
ArmutsforscherInnen positiv konnotiert, ist die Weiterentwicklung der Europa 2020 Strategie
hin zu einem quantifizierten Hauptziel der Armutsreduktion um zumindest 20 Millionen (vgl.
Europäischer Rat, 2010) von Armut und Ausgrenzung betroffener Menschen. Gemessen wird
dieses Ziel am dreiteiligen Indikator „At Risk of Poverty or Social Exclusion“ (AROPE), wel-
cher bis heute auf europäischer und österreichischer Ebene das Verständnis von Armut und
sozialer Ausgrenzung prägt.

• Armut I
Im Oktober 1972 auf der Gipfelkonferenz in Paris kam die europäische Gemeinschaft zur Über-
einkunft, dass die „soziale Dimension“ durch die Etablierung des „European Social Action Pro-
gramm“ gefördert werden müsse (vgl. Vanhercke, 2012). Knapp eineinhalb Jahre später, am
21. Januar 1974, wurde das Aktionsprogramm beschlossen und innerhalb dessen das Armuts-
programm „to the understanding of the nature, causes, the extent and dynamics of poverty in
the Community“ installiert , welches letzten Endes von 1975 bis 1980 – angelegt auf zwei Jahre,
1977 auf fünf Jahre verlängert – und aus partizipativen Aktionsprojekten, wissenschaftlichen
Studien und nationalen Berichten bestand (auch Gordon, 2007, S. 196). Neben der allgemeinen
Thematisierung von Armut zeichnen das erste Armutsprogramm die Festlegung einer gemein-
samen Definition (auch Vanhercke, 2012) und die Erkenntnis aus, dass sowohl für internatio-
nale Vergleiche die bestehende Datenlage ungenügend sei als auch die Multidimensionalität
nicht adäquat abgebildet werden könne (vgl. European Commission, 1981, S. 79 u. 124).
Entsprechend wurde im Abschlussbericht festgehalten: „A concerted effort needs to be made
at the level of the community as well as in Member States to collect adequate and comparable
statistics on each dimension of poverty so that progress in combating it can be monitored on a
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 23

regular basis” (European Commission, 1981, S. 149 u. auch 152). Die Zentrierung auf die Ein-
kommensdimension – selbst diese aber durch unterschiedliche Einkommenskonzepte, Mess-
zeitpunkte und Datenqualität für Vergleiche nur bedingt geeignet – wurde neben der Relevanz
im Armutskonzept vor allem aus pragmatischen Gründen gewählt, denn „it is the aspect which
can most readily be measured” (European Commission, 1981, S. 1). Von ebenso großer Bedeu-
tung war die Festlegung auf eine gemeinsame Armutsdefinition, welche bereits im Beschluss
zum Armutsprogramm von 1975 eingeführt wurde und trotz Modifikationen auch heute noch
ein Art Grundverständnis darstellt:
„In Armut lebende Personen: Einzelpersonen oder Familien, die über so geringe
Mittel verfügen, daß sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Mit-
gliedstaat als Minimum annehmbar ist, in welchem sie leben;
Mittel: das Bareinkommen, das Vermögen und die zur Verfügung stehenden öffent-
lichen und privaten Leistungen“ (Rat der Europäischen Union, 1975).
Armut ist hierbei als ein kausaler Wirkungszusammenhang definiert, welcher durch einen Res-
sourcenmangel einen Ausschluss aus dem jeweiligen soziokulturellen Existenzminimum be-
wirkt.29 Einerseits ist damit Armut nur gegeben, wenn ein entsprechender Ressourcenmangel
die Ursache ist und andererseits dies auch als die Wirkung des Ausschlusses identifiziert wer-
den kann. Sowohl abweichende Lebensstile als auch Mängel ohne wirkungsvollen Ausschluss
sind entsprechend nicht als Armut zu klassifizieren (vgl. Deleeck & Van den Bosch, 1991;
Groh-Samberg & Voges, 2013). Die Fokussierung auf das Einkommen hinderte jedoch nicht,
Armut theoretisch bereits als multidimensional zu betrachten bzw. damit den Anspruch einer
mehrdimensionalen Messung zu erheben.

• Armut II
Gut vier Jahre der Evaluierungen und Überlegungen waren erforderlich, bevor die Kommission
einen Vorschlag (vgl. European Commission, 1984) für das zweite Armutsprogramm vorlegen
konnte; im Dezember 1984 verabschiedet, endete das Programm 1989. Insgesamt 91 „local
action-research projects“ (European Commission, 1991, S. 16) und weitere Studien zur Ar-
mutsstatistik wurden durchgeführt. Die vom Rat verabschiedete Armutsdefinition im Zuge des
zweiten Programms lehnt sich stark an die der ersten an, jedoch mit einem markanten Unter-
schied: Verarmte Personen sind „Einzelpersonen, Familien und Personengruppen, die über so
geringe (materielle, kulturelle und soziale) Mittel verfügen, daß sie von der Lebensweise aus-
geschlossen sind, die in dem Mitgliedstaat, in dem sie leben, als Minimum annehmbar ist“ (Rat
der Europäischen Union, 1985). Diese Definition verweist damit zwar weiterhin auf Mittel,
jedoch wurde mit der Beifügung „kulturelle und soziale“ der multidimensionale Charakter30

29
„The command over resources is perceived in terms of income. The assumption here is that there exists a
mapping from the set of situations including the qualitatively different one whereby individuals are not able
to satisfy their (material) needs into the income space; by means of this correspondence it is seen that more
money would enable the individuals to escape from the situation of not achieving the minimum acceptable
way of life. It then becomes legitimate to discuss poverty in terms of levels of income: people are considered
to be poor if their income falls below a certain level which is required for them to realize a minimum welfare
in the context of society's current standards. This certain level of income is the low income cut-off point or
poverty line. Thus, with income as a proxy of command over resources and by means of a low income cut-off
point, the poor can be distinguished from the non-poor and can be studied quantitatively“ (Ghiatis, 1991, S.
119).
30
Im Endbericht zeichnet sich hierzu ein gewisser Zwiespalt ab: Obwohl man die Multidimensionalität aner-
kennt und daraus schlussfolgert – „Poverty has many aspects, which combine in diverse ways for each indi-
vidual. It’s many different forms and dimensions mean that it does not generate a homogeneous group whose
24 Das doppelte Relativ der Altersarmut

deutlicher betont (vgl. Strengmann-Kuhn & Hauser, 2012, S. 174).31 Durchaus berechtigt ist
die von Groh-Samberg (2009, S. 37) geäußerte Kritik, dass jene Definition in ihrer Umsetzung
eher als eine Art „theoretische Richtschnur“ verstanden wird, weil „Mittel“ zumindest zu Be-
ginn – wenn nicht in vielen Arbeiten weiterhin – auf die monetäre Dimension beschränkt wur-
den.32 Im Vergleich zum ersten Programm erfolgte zudem eine verstärkte Institutionalisierung
des Informationsaustausches bzw. Koordination und Evaluation (für eine visualisierte Über-
sicht siehe European Commission, 1989, S. 18), womit auch die Zahl an Publikationen deutlich
anstieg. Neben der Förderung der Modellversuche standen auf der Agenda:
“The dissemination and exchange of knowledge, the coordination and evaluation
of operations to combat poverty, and the transfer of innovatory methods between
Member States.
The dissemination and regular exchange of comparable data on poverty in the
Community” (European Commission, 1987, S. 6).
In diesem Kontext beauftragte die Kommission das Statistische Amt der Europäischen Gemein-
schaften (Eurostat) mit der Ermittlung und Erhebung vergleichbarer Armutsdaten. Eurostat
stützte seine Arbeit auf die Ergebnisse der „family budget surveys“ und die in den Mitglied-
staaten verfügbaren Verwaltungsstatistiken (vgl. European Commission, 1988, S. 13, 1991, S.
19). Das zweite Armutsprogramm war geprägt von experimentierfreudigen Versuchen, Armut
zu operationalisieren, blieb aber der monetären Ebene eng verhaftet (u.a. O’Higgins & Jenkins,
1991). So wurden unter anderem Items den Haushaltssurveys hinzugefügt, um etwa eine sub-
jektive Armutsgefährdungsschwelle bestimmen zu können (etwa Ghiatis, 1991). Deleeck &
Van den Bosch (1991) fassen die Ergebnisse einer weiteren Studie zusammen, welche fünf
unterschiedliche Verfahren (subjektive und statistische Armutsschwellen, Mindesteinkom-
mensansatz und Deprivationsansatz) verglich und kommen zum (wenig überraschenden) Er-
gebnis deutlicher Unterschiede in den errechneten Armutsquoten sowie zur allgemeinen Er-
kenntnis, dass es keine beste Konzeption gibt, sondern jede anhand der spezifischen Vorzüge
gemessen werden müsse. Für internationale Vergleiche – und darauf zielte die Kommission
letzten Endes ab – sei die statistische Berechnung einer relativen Armutsgefährdungsschwelle
auf Basis des Einkommens vorzuziehen (Deleeck & Van den Bosch, 1991, S. 170). Konträr
befürworteten die AutorInnen einer ebenso im Kreis des zweiten Armutsprogrammes durchge-
führten Studie (ISSAS, 1990, S. 72) die Armutsmessung über die Haushaltsausgaben.33 Da-
mals, wie heute – an diesen Punkt wird im Späteren wieder angeschlossen – gilt die Einigkeit
in der Uneinigkeit. Gemein ist den Arbeiten und Resümee der Tagung über „poverty statstics
in the European Community“, die Forderung nach einem Zugang zu Mikrodaten, welche jähr-
lich erhoben werden sollten und der weiteren Arbeit an Äquivalenzskalen (vgl. Haveman,

problems can be solved simply by increasing monetary input” – wird als gemeinsamer Nenner – auch wenn
andere Aspekte bei Armut eine Rolle spielen mögen – das Einkommen gesehen “and can therefore be a good
indicator of the extent of poverty” (European Commission, 1991, S. 4).
31
Die Anleihen an die Kapitalsorten von Bourdieu scheinen eher unbewusster Natur, Witcher (2013) konstatiert
wiewohl einen potentiellen Fit.
32
Jedoch muss angemerkt werden, dass sich einige der AutorInnen dieser Problematik durchaus bewusst waren,
Hagenaars, Vos, & Zaidi (1994, S. 180) konstatieren dazu: „The decision to limit ourselves to the 'economic'
definition of poverty is not made by choice, but because no data on social and cultural resources of the house-
holds are available”.
33
„In the first place, expenditure data can be expected to better reflect so-called permanent income than data on
recorded income. Secondly, expenditure measures the actual satisfaction of needs rather than the potential to
satisfy them. And thirdly, expenditure reflects better than recorded income the declared and undeclared, formal
and informal, resources of a household“ (ISSAS, 1990, S. 72).
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 25

1991). Auch zum Schluss des zweiten Armutsprogramms lautete das Ergebnis: „The infor-
mation available is not sufficient to permit as systematic an analysis of the non-monetary as-
pects of poverty as for income, but it is intended to improve the comparability of statistics on
nonmonetary aspects in the near future“ (European Commission, 1991, S. 5).

• Armut III
Aufgrund der Erfahrungen der beiden Vorgängerprogramme wurde das dritte Armutspro-
gramm von 1989 bis 1994 bereits vor Ablauf des zweiten verabschiedet, mit mehr finanziellen
Mittel ausgestattet (siehe European Commission, 1992) und bereits von Beginn an durch ein
multidimensionales Verständnis gerahmt. In diesem Zuge zeichnet sich ein Begriffswechsel ab
(vgl. Room, 2010, S. 14f.), welcher bereits im Beschluss des Rates in den Worten „zur Be-
kämpfung des wirtschaftlichen und sozialen Ausschlusses“ (Rat der Europäischen Union,
1989a) zum Vorschein trat34 und einen prominenten Platz im Abschlussbericht des dritten Ar-
mutsprogrammes einnimmt: Anstatt rein auf Armut zu rekurrieren, galt es nun auch den Kampf
gegen soziale Exklusion – „combating social exclusion“ (European Commission, 1995, S. 10)
zu führen (Atkinson & da Voudi, 2000, S. 437ff.). Ziele waren unter anderem:
„Durchführung von Maßnahmen zur Unterrichtung, zur Koordinierung, zur Be-
wertung und zum Erfahrungsaustausch auf Gemeinschaftsebene;
Fortführung der Untersuchung der Merkmale der in wirtschaftlicher und sozialer
Hinsicht benachteiligten Personengruppen“ (Rat der Europäischen Union, 1989a).
Neben den „actions programmes“, wurden erneut mit geringeren finanziellen Mitteln (vgl.
European Commission, 1995, S. 17) statistische sowie ökonomische bzw. soziologische For-
schungsprojekte installiert.35 Erstere unter der Einsicht, “that a successful policy to combat
poverty can only be implemented on the basis of comparable and reliable statistics on the extent
and the composition of the population at risk“ (Hagenaars, Vos, & Zaidi, 1994, S. 3). Die sta-
tistischen Arbeiten wurden in Zusammenarbeit mit Eurostat durchgeführt. Das Ziel bestand
darin, ein System zur Analyse der Haushaltsbefragung (HBS) zu entwickeln und damit die
Messung der Armut in Bezug auf das Einkommen zu verbessern. Fortschritte waren in der Nut-
zung von Mikrodaten erzielt worden, hingegen blieben Unzuverlässigkeiten in der Vergleich-
barkeit der Daten bestehen (vgl. European Commission, 1995, S. 64). Trotzdem musste man
sich – unter Bedacht einer langen Argumentation dafür und dagegen – erneut für eine ausga-
benbasierte Messung aufgrund der damals vorherrschenden Datenlagen entscheiden. Ha-
genaars u. a. (1994, S. 181) bleiben in ihrer Konklusion der Ansicht treu, dass eine Messung
auf Basis des Einkommens die adäquatere Lösung sei. Einerseits wurde daher eingefordert, die
HBS zu verbessern und zu harmonisieren (u.a. Eurostat, 1993) sowie Daten für die kulturelle
und soziale Dimension überhaupt zu erheben und andererseits das am Beginn stehende (ECHP)

34
Durch eine Resolution des Rates der Europäischen Union wurde der Begriff der sozialen Exklusion weiter
gefestigt und verwies ebenso auf den multidimensionalen Charakter; der Rat stellte fest, „daß der Prozeß der
sozialen Ausgrenzung in verschiedenen Bereichen erfolgt und daß sich daraus vielfältige Situationen ergeben,
die sich auf verschiedene Personen und Bevölkerungsgruppen sowohl in ländlichen als auch in städtischen
Gebieten auswirken“ (Rat der Europäischen Union, 1989b).
35
„This research work pursued two essential aims: first, to help analyse poverty from the point of view of finan-
cial resources in order to establish comparable data for all the Member States and to shed some light on trends
responsible for recent and current developments; second, to help analyse poverty from a multidimensional
point of view, mainly to overcome the limitations inherent in the approach which considers only its financial
aspects“ (European Commission, 1995, S. 64).
26 Das doppelte Relativ der Altersarmut

European Community Household Panel (siehe Eurostat, 1996a, 1996b), welches neben Längs-
schnitt- auch bessere Einkommensdaten bieten sollte, zu lancieren. Zu Beginn noch als „Euro-
pean panel on family income and living conditions“ benannt und mit dem erklärten Ziel „to
cover the social dimension of the Single Market“ (European Commission, 1993a, S. 26), wurde
dieses bereits 1990 beschlossen (siehe Eurostat, 1994, S. 25) und seit 1994 auf Basis eines
„gentlemen’s agreement“ (Eurostat & Statistisches Amt, 2005, S. 8) in den Mitgliedsstaaten
zuerst auf drei Wellen geplant, später auf acht Wellen erweitert (vgl. Peracchi, 2002) und durch-
geführt. Wohl nicht alleine aus den Beweggründen der Armutsmessung erdacht, teilte die Kom-
mission in ihrem Endbericht zum dritten Armutsprogramm die Einschätzung, damit „ein klare-
res Bild von Armut und sozialer Exklusion“ (European Commission, 1995, S. 68f.) erhalten
zu können. 1997 lag der erste Bericht über Armut gemessen entlang des Einkommens und
basierend auf dem ECHP von 1993 vor (siehe Eurostat, 1997).
Bereits 1993 legte die Kommission einen Zwischenbericht zum dritten Armutsprogramm vor
(siehe European Commission, 1993b), begleitet von einem Vorschlag zum vierten Armutspro-
gramm (geplant für 1994-1999), welcher jedoch noch 1995 diskutiert wurde (vgl. European
Commission, 1995, S. 5) und trotz einiger Mühen letzten Endes durch Deutschland und dem
Vereinigten Königreich per Klage vor dem Europäischen Gerichtshof scheiterte (vgl. Benz,
2012, S. 653). Damit endeten die Armutsprogramme, welche vor allem durch die Bewusstma-
chung der Problematik in der europäischen Union positiv hervorgehoben werden müssen. Von
besonderer Bedeutung waren die gemeinsame Festlegung auf eine Armutsdefinition und be-
deutende Fortschritte in der Quantifizierung von Armut (vgl. Atkinson, Cantillon, Marlier, &
Nolan, 2005; Benz, 2012, S. 653ff.; Daly, 2010).

• Strategie von Lissabon


Nachdem es, wie Daly (2010) resümiert, mit Ende des dritten Armutsprogrammes um eine eu-
ropäische Sozialpolitik still geworden war, erfolgte mit dem EU-Gipfeltreffen von Lissabon
eine Wiederbelebung, welche das Thema der Armut und sozialen Ausgrenzung innerhalb des
Ziels, „die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschafts-
raum in der Welt zu machen“ (Europäischer Rat, 2000) auf die politische Agenda zurück-
brachte. Im März 2000 wurde die Lissabon-Strategie verabschiedet und vereinbart, die Armuts-
bekämpfung bis zum Jahr 2010 entschieden voranzubringen und die Maßnahmen der Mitglied-
staaten auf Basis der Methode der offenen Koordinierung (OMK) weiter zu entwickeln.36 Denn
„die Zahl der Menschen, die in der Union unterhalb der Armutsgrenze und in sozialer Ausgren-
zung leben, kann nicht hingenommen werden“, so forderte der Rat die Kommission auf, „ein
besseres Verständnis der sozialen Ausgrenzung durch einen ständigen Dialog und den Aus-
tausch von Informationen und bewährten Verfahren auf der Grundlage gemeinsam vereinbarter
Indikatoren zu fördern; die hochrangige Gruppe ‚Sozialschutz‘ wird bei der Festlegung dieser
Indikatoren einbezogen“ (Europäischer Rat, 2000). Im Dezember 2000 beschloss der Europäi-
sche Rat von Nizza auf Basis eines Zielpapiers des Rates der Europäischen Union (2000) die

36
Die OMK lässt sich als ein Prozess der gegenseitigen Rückkopplung von Planung, Überwachung, Vergleich
und Anpassung nationaler Politiken verstehen, welche auf in der EU vereinbarten Zielen ruhen. Durch diese
Rückkoppelungen an denen die Europäische Kommission einerseits und alle Mitgliedstaaten andererseits be-
teiligt sind, soll der Austausch von Erfahrungen und Praktiken befördert werden, um so Verbesserungen in
der sozialen Inklusion zu erzielen (vgl. Frazer & Marlier, 2010). Ein nicht im Haupttext angeführtes Element
der OMK für Armut und soziale Ausgrenzung waren die Aufbereitungen des regelmäßig erscheinenden „Joint
Reports“ der Kommission (vgl. Atkinson, Marlier, & Nolan, 2004, S. 49). Im Vergleich zu den Armutspro-
grammen brachte die OMK daher nur bedingt neue Elemente, sondern trug eher zu einer Systematisierung
und Integration bei (vgl. Room, 2010, S. 16.).
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 27

OMK zur Bekämpfung der Armut und sozialen Ausgrenzung (vgl. European Commission,
2003a, S. 10f.). Das Zielpapier ist insofern von Bedeutung, da der Rat der europäischen Union
ebenso der Altersvorsorge eine „wichtige Rolle“ in der Bekämpfung von Armut bzw. sozialer
Ausgrenzung beimaß und als Teil des Sozialschutzsystems gewährleisten müsse, „dass jedem,
die für ein menschenwürdiges Dasein notwendigen Mittel zur Verfügung stehen“ (Rat der Eu-
ropäischen Union, 2000, S. 5 u. 8). Der beste Schutz gegen soziale Ausgrenzung wurde und
wird jedoch dem Arbeitsplatz beigemessen. Im Lichte der OMK erfolgte des Weiteren die Auf-
forderung an die Nationalstaaten, nationale Aktionspläne (häufig als „NAP/incl“ bezeichnet)
bis Juni 2001 zu formulieren (vgl. Strengmann-Kuhn & Hauser, 2012, S. 174). – ab dann für
alle zwei Jahre geplant – und in diesem Zuge Indikatoren und Modalitäten für das weitere
Vorgehen festzulegen, die eine Bewertung der Fortschritte der national aufgestellten Ziele er-
möglichen sollten (vgl. Atkinson u. a., 2002; European Commission, 2002; Rat der Europäi-
schen Union, 2000). Obschon Österreich einen NAP/incl vorlegte (vgl. BMASG, 2001), wurde
die Gelegenheit nicht genutzt, Vorschläge für Indikatoren einzubringen. 37
Es bedurfte etwas Zeit, bis sich ein gemeinsames Indikatorset herausentwickelt hatte, so ist
noch im ersten „Joint Report on social Inclusion“ zu lesen: „It is clear [...] that we are still a
long way from a common approach to social indicators allowing policy outcomes to be moni-
tored and facilitating the identification of good practice. Efforts are needed to improve this
situation, both at the national level and at the level of the EU“ (European Commission, 2002,
S. 80). Zu diesem Zwecke wurde 2001 eine Expertengruppe „Indicators' Sub-Group“ (ISG)
durch das “Social Protection Committee” (SPC) eingerichtet, welche Vorschläge liefern sollte.
Ein Mandat wurde am Treffen von Stockholm zur Festlegung von Indikatoren erteilt (vgl. At-
kinson, Marlier, & Nolan, 2004; Europäischer Rat, 2001b).38 Im Oktober 2001 erschien der
Indikatorenbericht der SPC und wurde am Gipfeltreffen in Laeken im Dezember verabschiedet
(vgl. Europäischer Rat, 2001a). Trotz der verhältnismäßig kurzen Zeitspanne gelang es Atkin-
son u. a. (2002) eine umfangreiche und eloquente Studie aufzubereiten, welche nicht nur die
NAPs/incl und eigene Arbeiten der AutorInnen, sondern die zentralen Ergebnisse, datenbe-
dingte Limitationen und Diskurse, auch gewonnen aus den Armutsprogrammen, aufgriff und
nicht nur die in Laeken beschlossenen Indikatoren, sondern die weitere Ausgestaltung (etwa in
den Empfehlungen der noch zu entwickelnden Indikatoren) wesentlich prägen sollte. Zu Beginn
der Arbeit werden neun zentrale, methodologische Prinzipien offengelegt, denen die empfoh-
lenen Indikatoren unterliegen – für eine umfassende Erörterung siehe Atkinson u. a. (2002, S.
19ff.). Im Nachfolgenden ist die Zusammenfassung der Social Protection Committee (2001, S.
4) zitiert:
„an indicator should capture the essence of the problem and have a clear and ac-
cepted normative interpretation;
an indicator should be robust and statistically validated;
an indicator should be responsive to policy interventions but not subject to manip-
ulation;

37
Erstaunlich ist die Konklusion des ersten NAP/incl von Österreich, denn „Armut ist heute kein Massenphä-
nomen und beschreibt nicht mehr so wie noch vor wenigen Jahrzehnten die Lebenssituation von Bevölke-
rungsgruppen in ihrer Gesamtheit“ (BMASG, 2001, S. 2). Gleichzeitig weist sie aber 900.000 armutsgefähr-
dete bzw. 340.000 „arme Menschen“ – nach nationaler Definition – im Land aus.
38
Es scheint, als hätte man die Gunst der Stunde nutzen wollen, denn es wurde in einem engen Zeitrahmen eine
wissenschaftliche Studie (A. B. Atkinson, Cantillon, Marlier, & Nolan, 2002) für die ISG finanziert und eine
Konferenz für den September 2001, wo die Ergebnisse mit über 200 ExpertInnen diskutiert wurden , anbe-
raumt (Atkinson u. a., 2004, S. 51).
28 Das doppelte Relativ der Altersarmut

an indicator should be measurable in a sufficiently comparable way across Member


States, and comparable as far as practicable with the standards applied interna-
tionally;
an indicator should be timely and susceptible to revision;
the measurement of an indicator should not impose too large a burden on Member
States, on enterprises, nor on the Union's citizens;
the portfolio of indicators should be balanced across different dimensions;
the indicators should be mutually consistent and the weight of single indicators in
the portfolio should be proportionate;
the portfolio of indicators should be as transparent and accessible as possible to
the citizens of the European Union”.
Auf Basis dessen wurden 18 Indikatoren (auch bekannt als Laeken Indikatoren) präsentiert,
welche seitdem weiterentwickelt und überarbeitet wurden. In der ursprünglichen Version war
zwischen Primär- und Sekundärindikatoren (sowie einer nationalen Ebene für freiwillige „third
level“ Indikatoren) unterschieden worden, im Zuge einer Revision im Jahr 2006 kam eine wei-
tere Ebene, jene der Kontextindikatoren hinzu (siehe European Commission, 2006b) und 2009
wurde die materielle Deprivation als weiterer Indikator aufgenommen (siehe European
Commission, 2009). Zwar schreitet die Entwicklung beständig voran (exemplarisch Social
Protection Committee & Indicators Sub-Group, 2007, 2011), die beiden genannten Änderungen
sind aber als besonders markant zu verorten. Im Zuge der mid-term revision der Strategie von
Lissabon (u.a. European Commission, 2003b, 2004) erfolgte ein „streamlining of the Social
OMC“ (Vanhercke, 2012, S. 20; auch European Commission, 2006a), in welcher nicht nur die
Kontextebene eingeführt, sondern auch die wachsende Zahl an Indikatoren in vier Portfolios
aufgeteilt wurde: Einem „overarching“ Portfolio von 14 übergreifenden Indikatoren (+11 Kon-
textindikatoren), welche die neu formulierten Ziele des sozialen Zusammenhalts und der Inter-
aktion mit den Wachstums- und Beschäftigungszielen abdecken sollten sowie den drei „strand“
Portfolios zur sozialen Eingliederung/Inklusion, Pension und Gesundheit bzw. Langzeitpflege
(vgl. Social Protection Committee & Indicators Sub-Group, 2007). Im Zuge des Streamlining
wurde die NAPs/incl diesem Schema angepasst (siehe Social Protection Committee, 2006),
welche damit die Problemdefinition bzw. das Problembewusstsein wesentlich prägte. Im öster-
reichischen NAP/incl für den Zeitraum von 2008-2010 wurde bspw. die Angemessenheit der
Pensionen diskutiert, mit dem Ergebnis, dass zwar ein verhältnismäßig höherer Anteil älterer
Menschen unter der Armutsgefährdungsschwelle lebe, aufgrund der Höhe der Ausgleichszu-
lage die Armutsgefährdungslücke im Vergleich zu armutsgefährdeten Personen in der Erwerbs-
phase geringer sei (vgl. BMASK, 2008, S. 43). Der Vergleich bzw. die Schlussfolgerungen sind
jedoch insofern problematisch, da man die Bruttoausgleichszulage anführte. An sich nahm das
Einkommen bzw. die Armutsgefährdung eine dominante Stellung in den Indikatoren ein und
führte sowohl das overarching, als auch das ‚social und pension portfolio‘ an (vgl. European
Commission, 2006b) – in den beiden letzteren ist dies auch aktuell noch der Fall (vgl. European
Commission, 2015). Bereits zu Beginn der Lissabon Strategie hatte sich ein erneuter begriffli-
cher Wandel abgezeichnet, obschon von „Armut“ – bzw. gepaart mit dem Begriff der „sozialen
Exklusion“ – häufig die Rede war, wurde besonders im Zusammenhang mit den Indikatoren
begrifflich das Risiko der Armut, also Armutsgefährdung forciert (u.a. European Commission,
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 29

2002).39 Atkinson u. a. (2004, S. 19) argumentieren dies mit den Limitationen einer einkom-
mensbasierten Messung; die European Commission (1992, S. 3) verwies darauf, dass Armut „a
complex, heterogeneous phenomenon“ sei, welches „cannot be defined solely in terms of low
income levels” (ähnlich auch European Commission, 1995, S. 67). Die vermeintliche Präzisie-
rung trug jedoch dazu bei, Armut von einem Zustand in ein Risiko umzudeuten. Dies führt „zu
einer Erosion des Begriffs der Armut und stuft einen Zustand, von dem das reale Leben realer
Menschen betroffen ist, zu einer bloßen Messgröße herab“ (Daly, 2010, S. 30). Allgemein
schien man sich aber mit der Begriffsbestimmung nur mehr in geringem Maße zu beschäftigen,
so findet sich erst im zweiten Joint Report eine Definition:
„Armut: Von Armut spricht man, wenn Personen über ein so geringes Einkommen
und so geringe Mittel verfügen, dass ihnen ein Lebensstandard verwehrt wird, der
in der Gesellschaft, in der sie leben, als annehmbar gilt. Ihrer Armut wegen können
sie zahlreichen Benachteiligungen ausgesetzt sein – Arbeitslosigkeit, Niedrigein-
kommen, schlechten Wohnverhältnissen, unzureichender gesundheitlicher Betreu-
ung und Hindernissen im Aus- und Weiterbildungs-, Kultur-, Sport- und Freizeit-
bereich. Sie sehen sich häufig an den Rand gedrängt und von der Teilnahme an
Aktivitäten (wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Art) ausgeschlossen, die für
andere Menschen die Norm sind. Auch kann ihr Zugang zu Grundrechten einge-
schränkt sein.
Soziale Ausgrenzung: Soziale Ausgrenzung ist ein Prozess, durch den bestimmte
Personen an den Rand der Gesellschaft gedrängt und durch ihre Armut bzw. wegen
unzureichender Grundfertigkeiten oder fehlender Angebote für lebenslanges Ler-
nen oder aber infolge von Diskriminierung an der vollwertigen Teilhabe gehindert
werden. Das erzeugt eine Distanz zu den Beschäftigungs-, Einkommens- und Bil-
dungsmöglichkeiten und auch zu den sozialen und gemeinschaftlichen Netzen und
Maßnahmen. Sie haben kaum Zugang zu den Macht- und Entscheidungsgremien
und fühlen sich daher oft machtlos und außerstande, auf die Entscheidungen, die
sich auf ihr tägliches Leben auswirken, Einfluss zu nehmen.
Soziale Eingliederung: Bei der sozialen Eingliederung handelt es sich um einen
Prozess, durch den gewährleistet wird, dass Personen, die von Armut und sozialer
Ausgrenzung bedroht sind, die erforderlichen Chancen und Mittel erhalten, um am
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Geschehen voll teilzunehmen und in den
Genuss des Lebensstandards und Wohlstands zu kommen, der in der Gesellschaft,
in der sie leben, als normal gilt. Sie stellt sicher, dass die Teilhabe dieser Menschen
an Entscheidungsprozessen, die Auswirkungen auf ihr Leben und ihren Zugang zu
den Grundrechten haben, zunimmt“ (European Commission, 2003a, S. 10)
Hiermit wurde eine Triade der Begriffe im Sprachgebrauch etabliert, welche zu einer teils we-
nig eindeutigen Verwendung beitrug. Bspw. sind Arbeiten der Statistik Austria (2015, 2016a)
zu nennen, welche den Titel „Eingliederungsindikatoren – Kennzahlen für soziale Inklusion in
Österreich“ tragen, jedoch nicht solche beinhalten, sondern Indikatoren der Armut und sozialen
Ausgrenzung. Betrachtet man die Definitionen etwas genauer, so scheint Armut mehr auf einen
Zustand zu referieren, welcher zur sozialen Ausgrenzung führt, wobei diese auch durch andere
Ursachen, wie etwa Diskriminierung, hervorgerufen werden kann. Armut wird auf den kausalen

39
Atkinson u. a. (2002, S. 97) gaben hierzu die Empfehlung: „There are therefore justifications that can be given
for both 50 and 60% of the median, and we recommend that both be included at Level 1 and be reported on
as a situation of risk of poverty rather than one of poverty as such“.
30 Das doppelte Relativ der Altersarmut

Nexus geringer Einkommen oder Mittel – ohne die Bedeutung näher zu explizieren – und einem
dadurch verunmöglichten Lebensstandard relativ zur jeweiligen Gesellschaft beschränkt, wo-
mit beiden Seiten aber ein multidimensionaler Charakter zugewiesen wird. D.h., dass Ressour-
cen (Plural) zu einer Verunmöglichung eines relativen, wie auch immer gearteten Lebensstan-
dards führen. In diesem Sinne war die Entwicklung eines materiellen Deprivationsindikators
bereits vorgezeichnet (vgl. Eurostat, 2009) und fand 2009 Eingang in das Portfolio der sozialen
Inklusion, nicht aber der overarching indicators (vgl. European Commission, 2009). Der Indi-
kator basiert auf der Formel 3 von 9, d.h. eine Person gilt als materiell depriviert, wenn es aus
finanziellen Gründen nicht möglich ist, sich drei von insgesamt neun als notwendig angesehene
Aspekte leisten zu können (vgl. Social Protection Committee & Indicators Sub-Group, 2010).
Neben der Indikatorentwicklung wurde bereits relativ am Anfang der Lissabon Strategie unter
anderem aus methodischen Gründen (bspw. Unterschiede der Einkommensmessung im inter-
nationalen Vergleich, Probleme in der zeitlichen Verfügbarmachung der Daten) vom ECHP auf
die Befragung der “Community Statistics on Income and Living” (SILC) gewechselt. Im Ver-
gleich zum ECHP ist eine Besonderheit von SILC der rechtlich bürokratische Charakter, sie
wird auf Basis von EU-Verordnungen und einer nationalen Verordnung (im Kontext von Ös-
terreich) durchgeführt: Basis ist die EU VO (EG) Nr. 1177/2003 und reicht von der Festlegung
der Stichprobengröße bis hin zur zeitlichen Veröffentlichung der Ergebnisse bzw. zum Zugang
der Daten für wissenschaftliche Zwecke.40 Somit wurden die Länder zur Erhebung verpflichtet
und trieb die Datengewinnung wesentlich voran. 2010 erschien der letzte Joint Report und lei-
tete pointiert auf die nächste Phase über: “The task of modernising social protection is not over:
quite the contrary” (European Commission, 2010b, S. 46).

• Europa 2020 Strategie


2009 und in Anbetracht der endenden Lissabon Strategie resümierte das SPC: “However, de-
spite the clear redistributive effect of social protection, inequalities have often increased and
poverty and social exclusion remain a major issue in most EU countries, although with substan-
tial differences across Europe“ (Social Protection Committee, 2010b, S. 3; auch European
Commission, 2010c). Im Dezember desselben Jahres kam der Europäische Rat zur Schlussfol-
gerung, dass es „an der Zeit [ist], die Auswirkungen der Lissabon-Strategie zu bewerten und
vor allem den Blick nach vorne zu richten. [...] und erwartet, dass möglichst frühzeitig im Jahr
2010 ein ambitionierter Vorschlag erörtert werden kann“ (Europäischer Rat, 2009, S. 7f.). Im
März legte die European Commission (2010a) ihren Strategieplan Europa 2020 mit fünf Haupt-
zielen vor, musste aber bis zum endgültigen Beschluss eine bedeutende Änderung in der Ziel-
formulierung im Kampf gegen Armut hinnehmen – auch wurde diese, welche in der Lissabon
Strategie noch separat bestand (vgl. Dieckhoff & Gallie, 2007), den Beschäftigungszielen un-
tergeordnet (vgl. Jessoula, 2015). Während in der Erstfassung des 5. Hauptziels eine Reduktion
um 20 Millionen armutsgefährdeter Menschen (als alleiniger Indikator) angedacht war, wurde

40
Weitere Verordnungen sind etwa die Nr. 1980/2003, welche Definitionen von EU-SILC (bspw. wer als Haus-
haltsmitglied zu gelten hat) regelt. Die Verordnung Nr. 1981/2003 bestimmt Aspekte der Feldarbeit und die
anzuwendenden Imputationsverfahren; 1982/2003 die Stichprobenauswahl und die Weiterbefragung, Nr.
1983/2003 die primären Zielvariablen und 28/2004 die Inhalte der Qualitätsberichte, die an Eurostat zu liefern
sind (intermediate und final quality reports). Selbst die jährlichen Modulfragen werden in eigenen Verordnun-
gen normiert. Auf nationaler Ebene wurde vom Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumenten-
schutz die Statistik der „Einkommens- und Lebensbedingungen-Statistikverordnung“ – ELStV; (BGBl. II Nr
277/2010) erlassen, welche unter anderem die Finanzierung (aktuell circa 1 Million Euro pro Jahr) und die
Erhebung bzw. die Verknüpfung mit Verwaltungsdatensätzen reguliert.
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 31

der Adressatenkreis im Beschluss auf jene Personen erweitert, die nach drei Indikatoren (Ar-
mutsrisiko, materielle Deprivation und Erwerbslosenhaushalte) von Armut und Ausgrenzung
bedroht sind, wobei „es den Mitgliedstaaten freigestellt ist, ihre nationalen Ziele auf der Grund-
lage der am besten geeigneten Indikatoren und unter Berücksichtigung ihrer nationalen Gege-
benheiten und Prioritäten festzulegen“ (Rat der Europäischen Union, 2010). Copeland & Daly
(2012, S. 283) begründen diese Abänderung als Resultat der damaligen politischen Lage – unter
anderem sprach sich Deutschland gegen eine Quantifizierung aus (vgl. Jessoula, 2015, S. 498)
–, „hence, they can either ‘cream’ and pick the easiest target or they can choose the most me-
aningful one”. Letzten Endes war es eine politische Entscheidung, die aber einer Empfehlung
des SPC folgte (vgl. Social Protection Committee, 2010a). Hierbei wurde zugleich der Indikator
der materiellen Deprivation in einem folgewirksamen Detail abgeändert: Anstatt 3 wurde die
Formel auf 4 von 9 umgestellt, was die Zahl der als materiell depriviert adressierten Personen
– nun als erhebliche materielle Deprivation bezeichnet – vorab halbierte. AROPE als Gesamtes
in Form von Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung sowie die drei Komponenten stehen nun
dem overarching Portfolio voran (vgl. European Commission, 2015). Mit Europa 2020 wurde
zudem eine neue Steuerungsarchitektur eingeführt (allg. zum Aufbau Frazer & Marlier, 2010),
genannt „European Semester“, in welchem auch die Armut und soziale Ausgrenzung behandelt
werden, allerdings, zumindest in den Anfangsjahren, von geringerer Relevanz (vgl. Sabato &
Vanhercke, 2014). Beginnend mit dem Annual Growth Survey (AGS), welcher die Prioritäten
für das kommende Jahr im Bereich Wachstum und Soziales festlegt, folgen im Februar die
Country Reports der Kommission mit länderspezifischen Problemidentifikationen, welche
durch die nationalen Reformprogramme – sie thematisieren aktuell alle fünf Hauptziele der
Europa 2020 Strategie – behandelt werden sollen. Die Reformprogramme werden im Anschluss
evaluiert und auf Basis derer „Country-specific Recommendations“ (CSR) von der Kommis-
sion angefertigt bzw. in Folge in einem formalen Akt vom Rat der Europäischen Union emp-
fohlen. In diesen Prozess haben sich die AROPE Indikatoren bzw. weitere Indikatoren der Port-
folios eingeschrieben und geben Stoff für die Diskurse rund um die Bekämpfung von Armut
und sozialer Ausgrenzung; zumindest auf politischer Ebene, da die Dokumente des European
Semesters nur selten an die Öffentlichkeit dringen.41 Obwohl zu Beginn der Europa 2020 Stra-
tegie der Fortbestand der sozialen OMK ungewiss war (vgl. Barcevičius, Weishaupt, & Zeitlin,
2014), forcierte das SPC eine Wiederbelebung (vgl. Social Protection Committee, 2011) und
lud die Mitgliedstaaten dazu ein, „National Social Reports“ anzufertigen. 2012 erschienen die
ersten, während in Österreich dieser noch verhältnismäßig umfangreich ausfiel, verkürzten sich
die folgenden Berichte immer weiter und verweisen gehäuft auf die NRPs (siehe BMASK,

41
Erwähnt soll auch werden, dass im Zuge von Europa 2020 die Gründung einer Europäischen Plattform zur
Bekämpfung der Armut (EPAP) als eine der sieben „flagship initiatives“ initiiert wurde (vgl. European
Commission, 2011; Pena-Casas, 2012, S. 174ff.; Strengmann-Kuhn & Hauser, 2012, S. 176). Ziel der Leitin-
itiativen zur Armutsbekämpfung ist es, „to ensure social and territorial cohesion such that the benefits of
growth and jobs are widely shared and people experiencing poverty and social exclusion are enabled to live
in dignity and take an active part in society“ (European Commission, 2010a, S. 6). Zusammenfassend waren
die Pläne, welche für EPAP angedacht waren ambitioniert – als Dachinitiative hätte sie für eine Vielzahl von
kleineren Initiativen dienen sowie aus der OMK hervorgehen sollen (siehe European Commission, 2010d,
2010a, S. 19). Tatsächlich war die EPAP weder “endowed with adequate resources and staff […] nor, most
importantly, was fully integrated in the negotiations and decision-making at crucial stages of the European
Semester” (Jessoula, 2015). Letzten Endes trat Ernüchterung ein, Sabato & Vanhercke (2014, S. 24) sprechen
gar von einem düsteren Bild der Wirksamkeit; auch die European Commission (2014b, S. 37) konstatiert:
“The flagship initiative also did not fully succeed in creating a coherent and integrated framework for social
policies and exploiting the synergies between the different actions; it is rather a collection of initiatives and
the value added of the flagship initiative is not self-evident”. Mittlerweile dürfte EPAP aufgegeben worden
sein, so laufen ehemalige Internetlinks ins Leere und es lassen sich Dokumente nur bis 2014 finden.
32 Das doppelte Relativ der Altersarmut

2012, 2014a, 2015). Als dritten essentiellen Aspekt in der Adressierung von Armut wurde 2012
vom SPC der „Social Protection Performance Monitor“ (SPPM) eingeführt, welcher als Grund-
lage einer Vielzahl von Aktivitäten des SPC dient: „input for the European Semester and exa-
mination of the Country Specific Recommendations (CSRs), multilateral and thematic sur-
veillance, peer reviews and the SPC Annual report. It will be the underlying instrument for the
monitoring process of the social dimension of Europe 2020” (Social Protection Committee,
2012). Hierfür wurde eine Auswahl aus dem ISG Portfolio getroffen und veranschaulicht die
Entwicklungen der Einzelstaaten hinsichtlich Armut und sozialer Ausgrenzung. Der jährliche
Report fasst die Ergebnisse sowohl auf der Ebene der EU als auch den einzelnen Staaten zu-
sammen und macht auf problematische sowie positive Trends aufmerksam. Im Vergleich zu
den Reformprogrammen, welche eher auf die Hauptziele im Allgemeinen rekurrieren oder den
NSR mit nur einem groben Überblick, werden im Report des SPC nuancierte Analysen vorge-
nommen. Österreich weist hierin eine positive Entwicklung seit 2008 für ältere Menschen auf,
sowohl was die Armutsgefährdung oder soziale Ausgrenzung betrifft, als auch etwa eine Re-
duktion der Überlastungsquote für Wohnkosten (vgl. Social Protection Committee, 2017, S.
380).42 Trotz dieser und ein paar weiterer Hinweise ist die Informationslage sicherlich betref-
fend der Lebensbedingungen älterer (und armer) Personen nicht erschöpft. Zum Abschluss soll
die aktuelle (nach der mit-term revision) 8. Leitlinie der Europa 2020 Strategie angeführt wer-
den, welche sich auf die soziale Inklusion fokussiert, zugleich aber auch die Bereiche Pensionen
und Gesundheitsversorgung umfasst (Rat der Europäischen Union, 2015): 43

42
Personen, welche in einem Haushalt leben, indem mehr als 40% des verfügbaren Einkommens für Wohnkos-
ten aufgewandt werden muss.
43
Diese unterscheidet sich von jener 2010 beschlossenen, welche daher in Auszügen hier angeführt wird und
die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung weit expliziter durch die Inklusion am Arbeitsmarkt
sieht: „Die Schaffung von mehr Beschäftigungsmöglichkeiten ist ein wesentlicher Aspekt der integrierten Stra-
tegien der Mitgliedstaaten zur Verhinderung und Verringerung der Armut und zur Förderung einer uneinge-
schränkten Teilhabe am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben. Hierzu sollten der Europäische Sozi-
alfonds und andere EU-Fonds angemessen genutzt werden. Die Anstrengungen sollten sich darauf konzent-
rieren, dass Chancengleichheit unter anderem durch den Zugang aller Bürger zu qualitativ hochwertigen,
erschwinglichen und nachhaltigen Dienstleistungen, insbesondere im Sozialbereich, sichergestellt ist. [...].
Die Mitgliedstaaten sollten wirksame Antidiskriminierungsmaßnahmen einführen. Indem man den Menschen
eine aktivere Rolle in der Gesellschaft ermöglicht, die Teilnahme derjenigen, die auf dem Arbeitsmarkt am
schwersten zu vermitteln sind, am Erwerbsleben fördert und gleichzeitig verhindert, dass Menschen trotz Ar-
beit von Armut betroffen sind, wird ein Beitrag zur Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung geleistet. Dies
würde die Verbesserung der Systeme der sozialen Sicherung, eine Politik des lebenslangen Lernens und um-
fassende aktive Eingliederungsstrategien erfordern, um den Menschen in den verschiedenen Lebensphasen
immer wieder neue Möglichkeiten zu eröffnen und sie vor der Gefahr der Ausgrenzung zu schützen, wobei den
Frauen dabei besonderes Augenmerk gelten sollte. Die Systeme der sozialen Sicherung einschließlich der
Altersvorsorge und des Zugangs zum Gesundheitswesen sollten so ausgebaut werden, dass eine angemessene
Einkommensstützung und ein angemessener Zugang zu Dienstleistungen — und somit der soziale Zusammen-
halt — gewährleistet sind, die finanzielle Tragfähigkeit dieser Systeme erhalten bleibt und die Teilnahme am
gesellschaftlichen Leben und am Erwerbsleben gefördert wird. [...]Die Sozialleistungssysteme sollten zuvor-
derst sicherstellen, dass in Situationen des beruflichen Übergangs Einkommenssicherheit gewährleistet ist
und Armut verringert wird, insbesondere für Gruppen, die am stärksten von der gesellschaftlichen Ausgren-
zung bedroht sind [...], wobei angestrebt wird, mindestens 20 Mio. Menschen vor dem Risiko der Armut und
der Ausgrenzung zu bewahren“ (Rat der Europäischen Union, 2010). Auffällig ist vor allem, dass das erklärte
Ziel der Reduktion von armuts- und ausgrenzungsgefährdeten Menschen um 20 Millionen aus der aktuell
bestehenden 8. Leitlinie verschwand.
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 33

„Leitlinie 8: Förderung der sozialen Inklusion, Bekämpfung der Armut und Ver-
besserung der Chancengleichheit
Die Mitgliedstaaten sollten die Sozialschutzsysteme modernisieren, um einen wirk-
samen, effizienten und angemessenen Schutz des Einzelnen in allen Lebensphasen
zu gewährleisten, und dabei die soziale Inklusion fördern, Chancengleichheit auch
für Frauen und Männer verbessern und Ungleichheiten beseitigen. Die Ergänzung
allgemeiner Ansätze durch selektive Ansätze wird die Wirksamkeit verbessern,
während eine Vereinfachung einen besseren Zugang und höhere Qualität bewirken
dürfte. Präventive und integrierte Strategien sollten stärker in den Mittelpunkt ge-
rückt werden. Die Sozialschutzsysteme sollten soziale Inklusion fördern, indem sie
die Menschen zu einer aktiven Teilnahme am Arbeitsmarkt und an der Gesellschaft
ermutigen. Ausschlaggebend sind ferner bezahlbare, zugängliche und hochwertige
Dienstleistungen, wie Kinderbetreuung, außerschulische Betreuung, Bildung, Aus-
bildung, Wohnraum, Gesundheitsdienste und Langzeitpflege. Besonderes Augen-
merk sollte auch auf grundlegende Dienstleistungen und Maßnahmen zur Präven-
tion von Schulabbruch, zur Verringerung von Armut trotz Erwerbstätigkeit und zur
Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung gerichtet werden.
Zu diesem Zweck sollte im Einklang mit den Grundsätzen einer aktiven Inklusion
eine Vielzahl von Instrumenten komplementär eingesetzt werden, einschließlich der
arbeitsmarktpolitischen Aktivierung, zugänglichen hochwertigen Dienstleistungen
und der auf individuelle Bedürfnisse abgestimmten Einkommensunterstützung. Die
Sozialschutzsysteme sollten so gestaltet werden, dass alle anspruchsberechtigten
Personen erfasst, der Schutz von und Investitionen in Humankapital gefördert und
während des gesamten Lebenszyklus Prävention und Verringerung von Armut und
sozialer Ausgrenzung sowie der Schutz davor unterstützt werden können.
Vor dem Hintergrund der höheren Lebenserwartung und des demografischen Wan-
dels sollten die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Rentensysteme für Frauen
und Männer nachhaltig und angemessen sind. Die Mitgliedstaaten sollten die Qua-
lität, Zugänglichkeit, Effizienz und Wirksamkeit der Gesundheits- und Langzeitpfle-
gesysteme verbessern und gleichzeitig ihre Nachhaltigkeit gewährleisten“.44
Konkludierend lässt sich die Geschichte der EU in Bezug auf die Bekämpfung von Armut und
sozialer Ausgrenzung als bewegt und durch die Partikularinteressen der Einzelstaaten geprägt
bezeichnen; die aktuellen Entwicklungen deuten darauf hin, dass innerhalb der Europa 2020
Strategie die Thematik an Zugkraft gewinnt, wenn auch das 2010 vereinbarte Ziel der Armuts-
reduktion um 20 Millionen Menschen wohl nicht erreicht werden wird (vgl. Social Protection

44
Im November 2017 brachte die Kommission einen neuen Vorschlag zu den Leitlinien ein, welche jene der
Bekämpfung von Armut ausweitet, sofern diese durch den Rat der europäischen Union angenommen wird,
was bis zur Fertigstellung dieses Textteils noch nicht geschehen ist. Auffällig ist, dass die „Förderung von
Chancengleichheit“ an erste Stelle rückt, auch im Text wird dies deutlich stärker betont. Ein kurzer Auszug:
„Die Mitgliedstaaten sollten präventive und integrierte Strategien entwickeln und umsetzen, bei denen die drei
Pfeiler der aktiven Inklusion miteinander kombiniert werden: angemessene Einkommensunterstützung, inklu-
sive Arbeitsmärkte und Zugang zu hochwertigen Dienstleistungen. Die Sozialschutzsysteme sollten gewähr-
leisten, dass jede Person, die nicht über ausreichende Mittel verfügt, ein Recht auf angemessene Mindestein-
kommensleistungen hat, und sie sollten die soziale Inklusion fördern, indem sie die Menschen zu einer aktiven
Teilnahme am Arbeitsmarkt und an der Gesellschaft ermutigen“(European Commission, 2017). Deutlich häu-
figer wird zudem die Angemessenheit der Sicherungssysteme betont, wenn auch gepaart mit den Begriffen
„effizient“ oder „nachhaltig“. Ebenso neu ist die explizite Erwähnung einer „angemessenen Mindesteinkom-
mensleistung“, wobei auch hier – wie schon in vielen anderen Dokumenten zuvor – eine genauere Definition
fehlt, was denn nun unter „angemessen“ zu verstehen ist.
34 Das doppelte Relativ der Altersarmut

Committee, 2018, S. 5). Inwiefern die Bemühungen zur Neu- bzw. Reformulierung von Stra-
tegien auf nationalstaatlicher Ebene beigetragen haben oder noch werden, lässt sich nur schwer
abschätzen, hingegen führte die Armutsdefinition bzw. die erarbeiteten Indikatorensets gepaart
mit der offenen Methode der Koordinierung und Etablierung eines gemeinsamen Erhebungsin-
strumentes zumindest in Österreich zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit der Thematik
und weitgehenden Gleichschaltung mit der Adressierungsmechanik von Armut. Dem Nach-
vollzug dieser und der Erwähnung von Altersarmut in der österreichischen Berichterstattung
widmet sich der nachfolgende Abschnitt.

2.1.2.1.2 Die Armutsberichterstattung im österreichischen Sozialbericht


Mittlerweile kann Armut in Österreich – zumindest was die Anzahl an Publikationen betrifft –
als ein Phänomen in Dauerbeobachtung bezeichnet werden. Die Arbeiten entstammen zum
überwiegenden Teil aus der amtlichen Auftragsvergabe, wobei auf nationaler Ebene der Statis-
tik Austria (Bundesanstalt Statistik Österreich) maßgeblich die durchführende Kompetenz zu-
fällt und die Thematisierung überwiegend in Berichtsform erfolgt. Größte Benennungsmacht
im definitorischen Diskurs um Armut kann dem Sozialbericht bzw. den damit in Verbindung
stehenden Sonderberichten wie Tabellenbänden des EU-SILC zugerechnet werden, welche das
Verständnis von und über Armut wesentlich prägen sowie über Medien in den gesellschaftspo-
litischen Diskurs diffundieren.45 Denn nach Barlösius (2001b) sind insbesondere solche Be-
richte dazu geeignet (auch Barlösius & Köhler, 1999), konsensfähige Repräsentationen der so-
zialen Welt zu schaffen, wirken auf die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen über die Le-
gitimität bzw. Illegitimität sozialer Ungleichheit und politisieren das Ungleichheitsgesche-
hen.46 Sie vereinen dabei weitere gewichtige Repräsentationsformen:
• „Geometrie und Algebra des Sozialen“ – es entsteht der Eindruck, als sei das soziale
Universum in mathematischen Ausdrücken geschrieben und unterliege damit der for-
malen Logik;
• „Kategorien und Klassifikationen“ – prägen die Art und das Ausmaß staatlicher Un-
terstützungsprogramme, da sie Zuschreibungen sozialer Attribute und Funktionen, aber
auch Rechtfertigungen für spezielle Zuwendungen implizieren;
• „Statistiken“ – dienen als eine Art universeller Sprache zur Vereinheitlichung einer
sozialen Welt.
Das Berichtswesen macht für sich geltend, gesellschaftliche Sachverhalte wissenschaftlich und
unabhängig darzustellen, d.h. eine allgemeingültige und objektive Perspektive zu repräsentie-
ren (auch Barlösius, 2001b, S. 194). Armut, so lässt sich überspitzt formulieren, wird über die

45
Auch wenn diesem das europäische Verständnis inhärent ist, so hätte sich dieses auch nicht bzw. verspätet
durchsetzen können, wie es in Deutschland der Fall war, sind im ersten deutschen Armuts- und Reichtumsbe-
richt gar acht Armutsgrenzen mit entsprechend unterschiedlichen Armutsquoten präsentiert worden (vgl.
Kroker, 2003, S. 34).
46
Die Autorinnen verdeutlichen das an einem Beispiel zur Kinderarmut: „Innerhalb der wissenschaftlichen Öf-
fentlichkeit ebenso wie in informierten politischen Kreisen waren die Resultate im Wesentlichen bekannt.
Doch nun erst, in einem ‚offiziellen Bericht‘ der Bundesregierung publiziert, entfalteten sie eine enorme po-
litische Brisanz und provozierten Stellungnahmen verschiedenster gesellschaftlicher Akteure. Somit erreich-
ten sie eine politische und öffentliche Aufmerksamkeit, die wissenschaftlichen Untersuchungen mit gleichen
Ergebnissen versagt worden war. Überspitzt gesagt: Allein der Publikationsort – ein staatlich-administrativer
Bericht, der beansprucht, eine ‚offizielle Sicht‘ und einen allgemeingültigen Standpunkt wiederzugeben – hat
bewirkt, daß an diesen Zahlen und Aussagen nicht einfach vorbeigegangen werden konnte“ (Barlösius &
Köhler, 1999, S. 551).
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 35

(amtliche) Berichterstattung konstruiert. Denn diese objektivierten Repräsentationen der sozi-


alen Welt sind ausschlaggebend dafür, „ob und wie Armut gesellschaftlich registriert wird“
(Barlösius, 2001a, S. 78). Selbst Interessensvertretungen und Organisationen mit dem Thema
Armut betraut, rekurrieren zumeist auf amtliche Zahlen und damit zumindest implizit auf den
sozialpolitischen Standard in Österreich. Die staatliche Definitionshoheit wird auch dadurch
erkennbar, dass, wie Barlösius (2001a) konstatiert, im Wohlfahrtsstaat nahezu vollständig der
Anspruch einer Beseitigung bzw. Behandlung der illegitimen sozialen Differenzierung auf
staatliche Einrichtungen übergegangen ist. All dies mag nicht daran rütteln, dass es eine Viel-
zahl an Armutsdefinitionen gibt, die um Anerkennung ringen, nicht aber jene Gestaltungsmacht
bzw. Machtressourcen an sich besitzen. Das Verhältnis von Gesellschaft und Armut wird vor-
rangig, wenn auch abänderlich, durch die staatliche Zuwendung im Wohlfahrtsstaat bestimmt.
Die Sozialberichterstattung erfüllt dabei das eigentliche Ziel, ungeachtet dieses konstitutiven
Charakters, „über gesellschaftliche Strukturen und Prozesse sowie über die Voraussetzungen
und Konsequenzen gesellschaftspolitischer Maßnahmen regelmäßig, rechtzeitig, systematisch
und autonom zu informieren“ (Zapf, 1978, S. 11). Die zwei wesentlichen Funktionen der Sozi-
alberichterstattung, so Zapf (1978, S. 12) weiter, seien die gesellschaftliche Dauerbeobachtung
und die Wohlfahrtsmessung. Vogel (1997, S. 110) betont die Wichtigkeit einer Informations-
aufbereitung für die allgemeine Öffentlichkeit,47 Adaptabilität im Kontext gesellschaftlichen
Wandels und das Ziel einer Konfrontation ideologischer Positionen (der Politik) „with the rea-
lity of statistics“. Benchmarking, Problemdefinition, Agenda-Setting und Frühwarnung, die
Setzung von Zielen und Prioritäten, die empirische Begründung für die Wahl politischer Maß-
nahmen und die Evaluation von Programmen und institutionellen Lösungen, werden des Wei-
teren von Noll (2003, S. 68ff.) angeführt. Letzten Endes soll die Sozialberichterstattung ent-
scheidungsrelevante Informationen für die Gesellschaftspolitik bereitstellen (vgl. auch Noll,
2013, S. 818; Zapf, 1999, S. 27). In diesem Sinne ist es naheliegend, dass Sozialberichte Armut
und die damit verknüpften Lebensbedingungen bzw. das Wohlbefinden der Betroffenen behan-
deln. Denn „aus der Sicht eines Sozialstaates stellt das Vorhandensein von Armen unter der
Wohnbevölkerung die Verfehlung eines wichtigen sozialpolitischen Ziels dar“ (Hauser, 2012a,
S. 122). Armut wird dadurch aber eben nicht nur thematisiert, als würde man einen existieren-
den Gegenstand lediglich beschreiben, sondern konstruiert bzw. objektiviert, d.h. einer Bear-
beitung zugeführt, auf die gesellschaftliche Reaktionen folgen. Diese sind, wie bereits darge-
legt, nicht nur auf zugestandene Hilfen zu reduzieren, sondern viel mehr als Horizont an An-
schlussmöglichkeiten zu sehen, welcher sich auf Basis der Adressierung öffnet. Indem ein ge-
wisser Zustand als Armut ausgemacht ist, kann diese in Angriff genommen werden. Amtliche
Berichte sind damit Produzenten und zugleich Reproduzenten, – denn „die Sozialberichterstat-
tung setzt [...] die Ziele nicht selbst, sondern orientiert sich an den jeweils in der Gesellschaft
vorherrschenden Zielen und Werten und stellt lediglich die Informationen bereit, die eine Be-
urteilung des Zielerreichungsgrades ermöglichen“ (Noll, 1999, S. 19)– eines politischen „com-
mon sense“ (Bourdieu, 2016, S. 19) von Armut. Möchte man daher den politisch-zielorientier-
ten Standard und damit einen zentralen Bestimmungsmechanismus von Armut fassen, so ist ein
Blick in die amtlichen Sozialberichte sinnvoll.48

47
In der Zugänglichkeit zu solchen Berichten – sind diese jederzeit ohne Kosten auf der Webseite des Sozial-
ministeriums oder der Statistik abrufbereit – dürfte ein weiterer wichtiger Faktor der Benennungsmacht be-
gründet liegen. Rein wissenschaftliche Arbeiten werden meist aufgrund des kleineren Adressatenkreises und
elitären Publikationssystems nicht von einem breiten Publikum erreicht.
48
Selbstredend lassen sich auch in Österreich kommunale und nicht-amtliche Sozialberichte ausmachen, welche
jedoch geringe Bedeutungsmacht entfalten und an dieser Stelle daher keine Berücksichtigung finden, zumal
36 Das doppelte Relativ der Altersarmut

Anzumerken ist noch, dass es sich beim amtlichen Sozialbericht in Österreich um einen Hybrid
aus Ressortaktivitäten und Analysen, welche unter anderem die Lebensbedingungen der öster-
reichischen Bevölkerung umfassen, handelt. In seiner Entwicklungsgeschichte gesehen, ist die
Beschreibung der Ressortaktivitäten dominierend und ließe sich im Sinne von Noll (2013) als
„sozialpolitischer Bericht“ bezeichnen, wenn auch die Deskriptionen der Lebensbedingungen
in den letzten Auflagen zunehmend an Bedeutung gewonnen haben und sich in einigen Beiträ-
gen der jeweiligen Reporte wiederfinden. In den nachfolgenden Seiten werden nur (bzw. haupt-
sächlich) jene Beiträge betrachtet, welche sich explizit dem Thema Armut widmen. Zusätzlich
werden Ergebnisse in die hier vorliegende Analyse nicht (bzw. nur sporadisch) eingeflochten,
welche PensionistInnen im Allgemeinen betreffen. Till & Steiner (1999, S. 96) verweisen im
Sozialbericht 1998 auf einen, im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung hohen Anteil älterer Men-
schen in Substandardwohnungen. Dies mag bei altersarmen Menschen gar in höherem Maße
zutreffen, wurde jedoch im entsprechenden Bericht nicht näher ausgeführt. Die Aufbereitung
fokussiert die Fragen, wie Armut bestimmt wird und welche Informationen konkret zu Alters-
armut eine Würdigung in den Sozialberichten erfahren. Da jedoch Hinweise diesbezüglich va-
riieren bzw. im jüngeren Verlauf eine abnehmende Tendenz erkennbar ist, wurden, um gleich-
zeitig die Entwicklung von Altersarmut verfolgen zu können, aus anderen Quellen (vorzüglich
den Tabellenbänden des SILC) spezifische Daten im Bedarfsfall ergänzt und sind mittels kur-
siver Schreibweise markiert. Die Höhe der Ausgleichszulage als wichtigstes Instrument der
Absicherung, welche daher der Armutsgefährdungsschwelle gegenübergestellt werden soll,
musste für die jeweiligen Jahre nahezu vollständig aus anderen Quellen (vorzüglich dem allge-
meinen Sozialversicherungsgesetz bzw. jeweiligen Bundesgesetzblättern – im Weiteren als
ASVG und BGBI bezeichnet) bezogen werden, ist aber nicht kursiv gestellt. Sowohl Armuts-
gefährdungsschwelle wie auch Ausgleichszulage werden in ihrer Höhe für den Einpersonen-
haushalt angegeben, für bspw. einen Haushalt mit zwei Erwachsenen und/oder Kindern ist die-
ser Wert mit einem jeweiligen Äquivalenzfaktor zu multiplizieren. Auf Basis der aktuell ver-
wendeten modifizierten OECD Skala, liegt das Gewicht für jede weitere erwachsene Person im
Haushalt bei 0,5 und für Kinder bei 0,3. Für die Ermittlung der Armutsgefährdungsschwelle
eines Zweipersonenhaushalt bestehend aus zwei Erwachsenen sind die in der Arbeit angegeben
Werte mit einem Faktor von 1,5 zu multiplizieren.49

• Bericht 199650
Gleich zu Beginn der ersten Berichtlegung machen Steiner & Giorgi (1997, S. 178) auf eine
Publikation der Eurostat (1997)51 aufmerksam, welche für 1993 knapp über 57 Millionen arme
Menschen in Europa ausweist, mit der Kritik über den eindimensionalen Armutsbegriff, „der

auch diese den amtlichen Armutsbegriff vorrangig übernehmen bzw. hinsichtlich der zahlenmäßigen Betrof-
fenheit auf die Daten und Berichte vorzüglich der Statistik Austria verweisen. Selbst bei „eigenen Berechnun-
gen“ auf Basis der SILC Daten liegt die Verwendung der amtlichen Bestimmung nahe, so werden in den
standardisierten Datensätzen (SDS) gleich die entsprechend generierten Variablen mitgeliefert. Die Dichoto-
mie von arm/nicht-arm manifestiert sich damit bereits im Instrument seiner Bestimmung und leitet subtil die
Übernahme der amtlichen Sicht an.
49
In den ersten Berichten wurden noch andere Skalen verwendet mit anderen Bedarfsgewichten, erst ab dem
Bericht 1998 sind obige Gewichte in Verwendung.
50
Das Datum des Berichtes und das Publikationsjahr unterscheiden sich häufig, ersteres steht offiziell dem Be-
richt voran und bezieht sich im Wesentlichen auf die Ressortaktivitäten. In diesem Sinne kann der Bericht
1996 als Abschlussbericht für das genannte Jahr verstanden werden. In Hinblick auf die Armutszahlen ist
diese Angabe trügerisch, da die Beiträge zum Thema meist auf Daten älteren Datums aufbauen. Daher wird
extra im Text benannt werden, auf welches Jahr sich die angebenden Werte zur Prävalenz beziehen.
51
Eine Literaturangabe fehlt im Bericht, es dürfte sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um die hier angeführte
Arbeit handeln.
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 37

einerseits rein einkommensorientiert ist und andererseits mehr auf Ungleichheit als auf Notla-
gen abzielt“. Entlang einer im Vergleich zu anderen Sozialberichten verhältnismäßig langen
Argumentation der Unzulänglichkeit solch einer Armutsmessung, wird eine Person als arm de-
finiert, wenn:
- ein geringeres Pro-Kopf-Haushaltseinkommen als die Hälfte des durchschnittlichen
Pro-Kopf- Einkommens bezogen wird und außerdem
- zumindest eine der folgenden nichtmonetären Beeinträchtigungen zutrifft:
o Substandardwohnung oder überbelegte Wohnung,
o große finanzielle Nöte beim Beheizen der Wohnung, bei der Beschaffung von
Bekleidung oder beim Kauf von ausgewählten Lebensmitteln,
o Rückstände bei Zahlungen von Mieten und Krediten.
Obschon die dargelegte Definition als eine explizite Abgrenzung von einer rein monetären
Messung zu verstehen ist, wird auf das Einkommen als wesentlicher Bestandteil einerseits nicht
verzichtet und andererseits, wenn auch nicht expliziert, für diesen Indikator der damaligen eu-
ropäischen Berechnungsform Folge geleistet (vgl. Eurostat, 1997).52 Als Datengrundlage diente
ebenso ein von der Union initiiertes Erhebungsinstrument, das zu diesem Zeitpunkt erstmals in
Österreich durchgeführte europäische Haushaltspanel, kurz EHCP (u.a. Peracchi, 2002). Die
Bezeichnung „Pro-Kopf-Haushaltseinkommen“ ist im Zusammenhang der Definition etwas
missverständlich, da es sich bereits um eine Äquivalenzberechnung handelt, gleichwohl mittels
heute nicht mehr gebräuchlicher Skala der ÖSTAT. Zudem wird als Basis der Mittelwert her-
angezogen und eine Schwelle bei 50% angenommen, womit die Berechnungsart vom aktuell
verwendeten Standard abweicht. Trifft nur dieses Kriterium zu, rekurrieren die beiden Auto-
rInnen bereits auf den Begriff der Armutsgefährdung, wenn auch nur marginal im Bericht ver-
folgt. Die für 1994 errechnete Armutsgefährdungsschwelle betrug 93.000 Schilling (6.758
Euro) jährliches Nettoäquivalenzeinkommen für einen Einpersonenhaushalt (1,1 Millionen
Menschen galten als betroffen) und lag unter dem damaligen Ausgleichszulagenrichtsatz von
etwa 101.325 Schilling (7.363 Euro).53 Ein Vergleich mit der aktuellen Situation, in welcher
sich die Ausgleichszulage unter der Armutsgefährdungsschwelle befindet, ist aufgrund der Be-
rechnungsart problematisch (auch Till & Steiner, 1999 zu dieser Thematik). Wenig verwunder-
lich ist die daraus von Steiner & Giorgi (1997, S. 198) resultierende Conclusio einer „weitge-
henden Reduzierung der Altersarmut“ – 41.000 bzw. 2% älterer Menschen (Haushalte mit Pen-
sionen als Haupterwerbsquelle) seien von Armut (insgesamt 410.000 Menschen) auf Basis obi-
ger Definition betroffen –, welche die Autoren auf die positive Wirkung von Ausgleichszulage
und vor allem die überproportionale Erhöhungen der Richtsätze zurückführen.54 Zusammen-
fassend werden im Bericht zwar Dimensionen der Lebenslagen (Gesundheit, Wohnen usw.)
aufgegriffen, jedoch nur teilweise mit Armut verbunden und PensionistInnen im Kontext von
Substandardwohnungen und der Lebenserwartung erwähnt. Mit der noch kompakt gehaltenen
Berichterstattung etablierte sich das Thema der Armut im österreichischen Sozialbericht.

52
Zuvor war an Ermangelung von Daten die Berechnung mittels Ausgaben der Haushalte erfolgt (vgl. Eurostat,
1990).
53
7.500 Schilling brutto (BGBI.Nr:20/1994) abzüglich 3,5% Krankenversicherung mal 14 (siehe ASVG idF
1994).
54
Oppitz (2000, S. 190) nutzt die gleichen Daten sowie Berechnungsform und gibt 10,4% der Personen 60+ als
armutsgefährdet an. Was insofern erstaunlich ist, wenn man bedenkt, dass die Ausgleichszulage über der er-
rechneten Armutsgefährdungsschwelle lag. Wenn auch nicht expliziert, so dürfte ein Grund darin bestanden
haben, dass die Ausgleichszulage bei einem Zweipersonenhaushalt zu dieser Zeit bereits unter der entspre-
chenden Schwelle lag. Zudem könnte dies ein Hinweis sein, dass nicht alle Anspruchsberechtigten tatsächlich
auch eine Ausgleichszulage bezogen.
38 Das doppelte Relativ der Altersarmut

• Bericht 1997
Auch in der zweiten Arbeit von Giorgi & Steiner (1998) wird die Armutsgefährdungsschwelle
als 50% vom Mittelwert des Äquivalenzeinkommens (jedoch berechnet auf Basis der alten
OECD-Skala) definiert und betrug 1995 mit 90.000 Schilling (6.450 Euro) jährliches Net-
toäquivalenzeinkommen etwas weniger, was der Autor und die Autorin auf statistische Unge-
nauigkeiten zurückführen und 1,1 Millionen für 1995 als armutsgefährdet adressieren.55 Die
Ausgleichszulage wurde hingegen leicht erhöht und lag im selben Jahr bei insgesamt 7.565
Euro, womit sich die Differenz noch ausweitete.56 In erneuter Abkehr von einer alleinig ein-
kommensbasierten Definition wurde – jedoch ohne das Adjektiv „arm“ für die Spezifizierung
zu gebrauchen –, nun für „akute Armut“ eine Schwelle definiert, wenn:
- ein geringeres Pro-Kopf-Haushaltseinkommen als die Hälfte des durchschnittlichen
ProKopf- Einkommens bezogen wird und außerdem
- zumindest eine der folgenden nichtmonetären Beeinträchtigungen zutrifft:
o sehr schlechte Wohnbedingungen (Substandard bzw. sehr geringer Wohnraum
pro Person),
o sehr eingeschränkte Möglichkeiten, grundlegende Konsumgüter zu kaufen und
o Zahlungsrückstände bei Miete, Heizung oder Elektrizität.
Entsprechend der Definition galten insgesamt 420.000 Personen bzw. 3% der „Personen in
Haushalten mit Pension als Haupterwerbsquelle“(Giorgi & Steiner, 1998, S. 121) als in akuter
Armut lebend. Während die materiellen Indikatoren im Wesentlichen gleichgeblieben sein
durften, verschwand die direkte Attribuierung und deutet damit einen, im späteren Verlauf der
Berichterstattungen weiter zunehmenden Trend, auf den Begriff der Armut möglichst zu ver-
zichten, an. Im Bericht von 1997 ist die Aussparung gleichwohl nicht stringent, so werden etwa
Unterschiede in den Dimensionen der Lebenslage zwischen armen sowie nicht-armen Personen
dargestellt. Entsprechend tritt die prekäre Lage der Betroffenen bzw. die Ungleichheiten zwi-
schen den zwei Gruppen bedingt durch die Visualisierung mittels Tabelle und Diagramm deut-
licher hervor. Zur Bemessung von Altersarmut ziehen Giorgi & Steiner (1998) nun auch das
chronologische Alter heran (zuvor erfolgte die Kategorisierung über den Pensionsbezug als
Haupteinkommensquelle), anhand dessen mit 5% ein höherer Anteil an Betroffenheit (bzw.
97.0000 Personen) als das Jahr zuvor ausgewiesen wird – sieht man von der später publizierten
Berichtlegung von Oppitz (2000) ab. Die Autoren kommen zum Schluss, dass ältere Menschen
in Mehrgenerationenhaushalten häufiger von Armut betroffen sind als in Pensionistenhaushal-
ten, sich ein Großteil der altersarmen Menschen aber näher an der Armutsgefährdungsschwelle
befindet als Personen im Erwerbsalter. Anhand der Binnendifferenzierung wird ein „höheres
finanzielles Potential“ (Giorgi & Steiner, 1998, S. 122) konkludiert. Letzte Erwähnung findet
Altersarmut im Konnex ungleicher Gesundheit zwischen armen und nicht-armen Menschen in
allen analysierten Altersgruppen. Auf der angewandten Seite verdeutlicht die Arbeit, dass die
divergierenden Werte von Altersarmut auch die Manifestation zweier unterschiedlicher Be-
trachtungsweisen des Alters sind. Entsprechend wird das Konstrukt der Altersarmut nicht nur
durch die Definition von Armut sondern auch durch die Begriffsbestimmung von Alter for-
miert.

55
Dies könnte ebenso mit der leicht veränderten Skala (ÖSTAT versus OECD) zu tun haben, welche Kinder
etwas anders gewichtet (vgl. Kargl, 2004), kann jedoch anhand der Erwähnungen im Bericht nicht näher über-
prüft werden. Weniger dürfte es sich daher um eine statistische Ungenauigkeit, als um ein Artefakt einer an-
deren Berechnungsform handeln.
56
7.710 Schilling brutto (BGBl. Nr. 1026/1994) abzüglich 3,5% Krankenversicherung mal 14 (siehe ASVG idF
1995).
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 39

• Bericht 1998
Mit diesem Bericht zeichnet sich eine Darstellungsexpansion der Sozialindikatoren ab, welche
nun verstärkt zur Deskription von Ungleichverteilungen verschiedener Dimensionen der Le-
benslagen genutzt wurde. Außerdem lässt sich eine stärkere Zentrierung auf die monetäre Situ-
ation – wiewohl weniger auf das Konstrukt der Armutsgefährdung – attestieren, welche einen
höheren Anteil älterer Menschen (definiert als PensionsbezieherInnen) in der niedrigsten Ein-
kommensschicht (36%) als im Gesamtschnitt (25%) kenntlich macht. Dem Vergleich der drei
Einkommensgruppen57 entlang von sozialen Indikatoren ist ein großer Teil des Berichtes ge-
widmet; neben gesundheitlicher Ungleichheit bei älteren Menschen (nun über das kalendari-
sche Alter mit über 60 definiert), wird auf die anteilsmäßig höhere Betroffenheit (jedoch ohne
Differenzierung in arm/nicht-arm) bei der materiellen Deprivation im Vergleich zur jüngeren
Bevölkerung hingewiesen (vgl. Till & Steiner, 1999, S. 98).58 Erst im Anschluss wird auf das
Thema Armut rekurriert; konzeptionell definieren Till & Steiner (1999, S. 100) Armut – „akut“
wurde ausgeklammert – als Kombination aus Armutsgefährdung (60% vom Median des Äqui-
valenzeinkommens, mit alter OECD Skala) und zumindest einer der nachfolgenden Indikato-
ren:
- Rückstände bei periodischen Zahlungen (Miete, Betriebskosten etc.) oder
- Substandardwohnung oder
- Probleme beim Beheizen der Wohnung oder der Anschaffung von Kleidung oder
- es für den Haushalt finanziell nicht möglich ist, zumindest einmal im Monat nach Hause
zum Essen einzuladen.
Entsprechend wurde die materielle Dimension des Armutsbegriffes zumindest um ein weiteres
Kriterium ergänzt, die Berechnungsform der Armutsgefährdungsschwelle wesentlich auf Basis
von Empfehlungen der Eurostat abgewandelt und führte zum ersten Zeitreihenbruch.59 Im Ver-
gleich zu den älteren Berichten wird messtheoretisch nun der Median – das auch aktuell beste-
hende Verteilungsmaß – zur Berechnung der Armutsgefährdungsschwelle genutzt. Sie lag für
1996 bei 103.200 Schilling (7.499 Euro), einem höheren Wert als die alte Berechnungsform
ergeben hätte (vgl. BMAGS, 1999, S. 181), die Ausgleichszulage lag bei 7.721 Euro.60 Insge-
samt galten 900.000 Menschen (bzw. 11%) als armutsgefährdet sowie 13% bzw. 164.000 Men-
schen in Haushalten mit der Pension als Haupteinkommensquelle (vgl. BMAGS, 1999, S. 182)
– Angaben zur Altersgruppe 60+ fehlen hingegen. Weiterhin kam der Armutsgefährdung eine
untergeordnete Rolle zu, wenn auch im Datenband bereits kurz angeführt. Entsprechend obiger
Definition zur Armut galten 330.000 Menschen bzw. davon 17% ältere Menschen (60+) als
arm, womit letztere nicht als Gruppe mit erhöhtem Armutsrisiko von den Autoren angeführt
werden. Die Gegenüberstellung einiger Indikatoren zu Dimensionen der Lebenslage ergab für

57
Ungeachtet der Berechnung der Armutsgefährdungsschwelle wurde die Bevölkerung in vier Quartile entlang
ihres Äquivalenzeinkommens geteilt und für die untersten 25% und die obersten 25% die Einkommensgrenzen
bestimmt: das unterste Viertel hatte 1996 ein Einkommen bis 10.800 Schilling und das oberste Viertel ein
Einkommen von zumindest 18.900 Schilling monatlich zur Verfügung.
58
Im Bericht wird hierzu die Bezeichnung „Indikatoren zur Lebensqualität“ und nicht eine Form materieller
Deprivation verwendet. Entsprechende Fragen bezogen sich auf das Geldsparen, Speisenvielfalt, neue Klei-
dung kaufen, einmal im Monat zum Essen einladen und eine Woche Urlaub im Jahr machen können, auf
welchen ältere Menschen häufiger als die Gesamtbevölkerung aus finanziellen Gründen verzichten mussten.
59
Entsprechende Unterschiede zwischen den Berichten führen Till & Steiner (1999, S. 100) auf statistische Ar-
tefakte zurück und „geben nicht reale Veränderungen wieder“.
60
7.887 Schilling brutto (BGBl. Nr. 808/1995) abzüglich 3,75% Krankenversicherung mal 14 (siehe ASVG idF
1996).
40 Das doppelte Relativ der Altersarmut

den Beobachtungszeitpunkt deutliche Ungleichheiten zwischen armen und nicht-armen Perso-


nen; Altersdifferenzierung sind, außer im Bereich der Gesundheit, nicht angeführt. Abschlie-
ßend fassen die Autoren die Ergebnisse ausgewählter Bevölkerungsgruppen nochmals zusam-
men, in welcher kurz auch die Situation von PensionistInnen angeführt ist. Die Erwähnung
einer erhöhten materiellen Deprivation wird jedoch durch den Vergleich mit Transferbeziehe-
rInnen abgeschwächt.61 Wie in den vorangegangenen Berichten konstatieren Till & Steiner
(1999, S. 102) die existenz-sichernde Wirkung der Ausgleichszulage, zugleich wird auf ange-
wandter Seite der Konstruktionscharakter des Armutsbegriffes und die verfahrenstechnische
Problematik, dass je nach Methodik die Zahl der Betroffenen variiert, deutlich. Abschließend
ist zu erwähnen, dass auch im Bericht für 1998 die Begriffe Armut bzw. arm relativ präsent
sind und zusätzlich ein Abschnitt über ältere Menschen aufgenommen wurde (siehe Schmid,
1999), welcher die soziale Lage unabhängig der Armutskategorie etwas vertieft.

• Bericht 1999
Im von Förster (2001) gefertigten Kapitel des Sozialberichtes zur „Armutsgefährdung und arme
Personen“ gewann – wie auch der Titel bereits andeutet – die Armutsgefährdung als eigenstän-
dige und sozialpolitische Dimension an Bedeutung, welche durch Einkommensdarstellungen
in einem Beitrag von Wagner-Pinter (2001) im Kontext des Lebensstandards und einem über
die soziale Lage von SeniorInnen (siehe Kompetenzzentrum für Senioren- und Bevölkerungs-
politik im BMSG, 2001) ergänzt werden. Während zweiter die Armut thematisiert, sich aber
im Wesentlichen auf Personen bis 60 beschränkt (Personen mit Pensionsbezug wiewohl nicht
per se ausschließt), wird im letztgenannten Beitrag die Zielgruppe abseits von Armut aufgegrif-
fen. Erwähnenswert ist der Hinweis, dass die Nettoersatzquoten der Pension in den Einkom-
mensschichten von PensionsbezieherInnen 1998 deutlich differierten und im untersten Dezil
im Schnitt bei 55% lagen. Die häufig publizierten Durchschnittswerte von Brutto- und Netto-
ersatzquoten (etwa OECD, 2015b, S. 138ff.) täuschen über diesen Umstand hinweg, hinter wel-
chem sich ein für Altersarmut konstitutiv entscheidender Mechanismus verbirgt. Zwar muss
der Höhe der Beitragsgrundlage (vereinfacht: Höhe der Arbeitseinkommen) selbstredend Re-
levanz zugesprochen werden, die zweite entscheidende Größe ist indes der Steigerungsbetrag,
welcher ein Abbild der Beitragsmonate, also der Arbeitszeit in der Erwerbsphase ist.62 Auf den
Beitrag von Förster (2001, S. 198ff.) zurückkommend, ist dieser als eine Zusammenfassung
einer gesonderten Studie (siehe Förster, Redl, Tentschert, & Till, 2001) zu bezeichnen und re-
kurriert verstärkt auf den Begriff der Armutsgefährdung, welche nach „den Gepflogenheiten
und Empfehlungen des Europäischen Statistischen Zentralamtes“ berechnet wurde (siehe
Eurostat, 1998). Im Zuge dessen erfolgt der Wechsel auf die modifizierte OECD Skala, womit
sich die Armutsgefährdungsschwelle anhob und zu einem weiteren Zeitreihenbruch führte.63
Einerseits war damit zwar der Entstehungsprozess des bis heute verwendeten Verfahrens zur
Messung von Einkommensarmut in der österreichischen Sozialberichterstattung abgeschlos-
sen, andererseits brachte dies erneut Schwierigkeiten in der Vergleichbarkeit vorangegangener

61
„In den nichtmonetären Bereichen zeigen sich etwas stärkere Belastungen für PensionistInnen als in der Ge-
samtbevölkerung, die Belastungen erreichen jedoch nicht das Ausmaß, das bei den übrigen Transferbeziehern
gegeben ist“ (Till & Steiner, 1999, S. 102).
62
„Der Steigerungsbetrag ist ein Prozentsatz der zur Anwendung gelangenden Bemessungsgrundlage. Dieser ist
von der Anzahl der für die Leistungsbemessung zählenden Versicherungsmonate abhängig“ PVA, siehe unter:
http://www.pensionsversicherung.at/portal27/pvaportal/content?contentid=10007.707675 &view mode=con-
tent (letzter Abruf, 10.10.2017).
63
Eiffe u. a. (2012, S. 134) berechnen auf Basis mehrerer Äquivalenzskalen Armutsgefährdungsschwellen für
2008. Zwischen alter OECD Skala (9.380 Euro); OECD Skala (12.690) und modifizierter OECD Skala (11406
Euro) ist eine Differenz von über 3.000 Euro zu konstatieren.
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 41

Werte. Hierzu eine Gegenüberstellung der Armutsgefährdung bei älteren Menschen aus dem
Referenzjahr:
Tabelle 1 – Armutsgefährdungsschwellen für 1997 alter und modifizierter OECD Skala 64
Armutsgefährdung Akute Armut
neue Skala alte Skala neue Skala alte Skala
Altersgruppe Quote Anteil Quote Anteil Quote Anteil Quote Anteil
60+ 14% 28% 7% 15% 6% 30% 2% 12%

Wie in Tabelle 1 ersichtlich, weichen die Ergebnisse in der Altersgruppe 60+ je nach verwen-
deter Skala erheblich sowohl bei der Armutsgefährdung als auch bei akuter Armut voneinander
ab und lassen sich vor allem durch den höheren Schwellenwert bei Einpersonenhaushalten er-
klären. Je größer die Elastizität der gewählten Skala, umso weniger (alleinlebende) ältere Men-
schen werden aufgrund einer sinkenden Schwelle als arm adressiert, während die insgesamte
Betroffenheit – zumindest in einer gewissen Bandbreite der Skalen – auf relativ ähnlichem Ni-
veau verharrt, da sich die Anteile der als armutsgefährdet Adressierten zuallererst zwischen den
unterschiedlichen Haushaltsgrößen verschieben.65 D.h., je nach Skala variiert die Zusammen-
setzung der von Armut betroffenen Bevölkerung. Ungeachtet dieser messtheoretischen Dyna-
mik lag nach Angaben des Sozialberichts die Armutsgefährdungsschwelle 1997 bei 120.000
Schilling (8.720 Euro) jährliches Nettoeinkommen und die Ausgleichszulage unverändert zum
Vorjahr bei 7.721 Euro.66 Die Sozialleistung ist seit diesem Zeitpunkt durchgehend unter der
Schwelle. 1997 galten insgesamt 884.000 Personen (11%) bzw. 251.000 ältere Menschen (14%
der 60+) als armutsgefährdet und 102.000 als akut arm. Für letzteres kamen dieselben, wie im
Jahr zuvor genutzten, materiellen Indikatoren zum Einsatz. Die Ergebnisse zur Armutsgefähr-
dung auf Basis der alten Berechnungsmethodik (siehe auch Tabelle 1 – Armutsgefährdungs-
schwellen für 1997 alter und modifizierter OECD Skala) ähneln hingegen jenen der vorange-
gangenen Analysen. Während in drei Arbeiten Altersarmut von geringer Relevanz erachtet wird
und gegen diese Schlussfolgerung auf Basis des damaligen Berechnungsmodells wenig einzu-
wenden ist, attestiert Förster (2001) nun die überproportionale Betroffenheit von älteren Men-
schen (im Besonderen bei Einpersonenpensionshaushalten). Auf Grundlage der neuen Berech-
nungsmethode war bereit 1994 das relative Risiko älterer Menschen armutsgefährdet bzw. arm
zu sein im Vergleich zu anderen Altersgruppen am höchsten und verschärft sich bis 1997 weiter
(vgl. BMAGS, 2001, S. 181). Im Kontext einer dynamischen Armutsanalyse – der ECHP lie-
ferte dazu nun auch die Möglichkeit – betrachtet Förster (2001) zusätzlich die Dimensionen der
periodischen und die Langzeitarmut: Wenig verwunderlich sind ältere Menschen dominierend,
sowohl im Bereich der Armutsgefährdung als auch bei akuter Armut. Die Darstellung von so-
zialer Teilhabe in den Bereichen Grundbedürfnisse, Wohnsituation, Gesundheit, soziale Kon-
takte und negative Eigeneinschätzungen – etwa hinsichtlich der finanziellen Situation – wurde
in seinem verschriftlichten Umfang komprimiert; aufgrund der tabellarischen Gegenüberstel-
lung der Gesamtbevölkerung im Vergleich zur armutsgefährdeten und akut armen Bevölkerung
jeweils in kurzfristiger und langfristiger Perspektive eröffnet sich das bis dahin umfänglichste
Bild sozialer Ausgrenzung entlang der Armutsdefinitionen im Sozialbericht. Eine altersdiffe-

64
Siehe BMAGS (2001, S. 180).
65
Für eine genaue Analyse dieser Thematik siehe Eiffe u. a., (2012, S. 128ff.); als praktisches Beispiel lässt sich
anführen, dass je nach gewählter Skala die Armutsgefährdungsquote 2008 zwischen 6% und 21% bei älteren
Menschen pendelte, hingegen in der Gesamtbevölkerung die Variation nur zwischen 12% und 15% betrug.
66
7.887 Schilling brutto (BGBl. Nr. 732/1996) abzüglich 3,75% Krankenversicherung mal 14 (siehe ASVG idF
1997).
42 Das doppelte Relativ der Altersarmut

renzielle Betrachtung bleibt zwar ausständig, jedoch mit einer wichtigen Bemerkung: „Ein gu-
ter Teil der angeführten Kriterien für fehlende soziale Teilhabechancen korreliert eng mit dem
Alter. Da, wie oben gezeigt wurde, ältere Menschen innerhalb der Bevölkerung in Langzeitar-
mut überrepräsentiert sind, erklärt dies auch einen Teil des starken Zusammenhanges zwischen
Langzeitarmut und sozialer Ausgrenzung“ (Förster, 2001, S. 207). Zudem werden die Armuts-
linderung durch Sozialleistungen bei SeniorInnen (wobei selbstredend der staatlichen Pension
der größte Effekt zukommt) und das relative Risiko der Armutsgefährdung im europäischen
Vergleich (dabei zeigt sich ein höheres Risiko für ältere Menschen in Österreich) thematisiert.
Nicht nur die verhältnismäßig umfängliche Darstellung entlang sozioökonomischer Kriterien
und die Bezugnahme auf ältere Menschen, sondern auch die inhaltliche Verschiebung hin zur
Armutsgefährdung sowie der letzte Schritt zur bis heute angewendeten Berechnungsform des
monetären Indikators zeichnen diesen Armutsbericht aus.

• Bericht 2001 – 2002


Während Armutsgefährdung von Förster & Heitzmann (2002) gleich dem vorangegangen Be-
richt definiert wurde, änderte sich mit diesem Sozialbericht dessen Frequenz auf zwei Jahre –
die Ausnahme ist eine Publikationslücke von 2005-2006 (und 2017). Die Armutsgefährdungs-
schwelle für 1999 betrug 128.900 Schilling (9.367 Euro) und der Richtsatz der Ausgleichszu-
lage 7.936 Euro.67 Die Zahl der älteren armutsgefährdeten Personen nahm auf 17,0% zu; der
Zuwachs in absoluten Zahlen betrug circa 65.000 auf 316.000 Menschen bei gleichzeitigem
Anstieg der Armutsgefährdungslücke auf 12%, welche sich durch die öffnende Divergenz von
Schwelle und Ausgleichszulage erklären dürfte – im Vergleich zu anderen Altersgruppen aber
weiterhin etwas geringer ausgeprägt war. Die Zahl an akut armen älteren Menschen blieb mit
107.000 älteren Betroffenen auf ähnlichem Niveau zum vorangegangenen Bericht (vgl. Förster
& Heitzmann, 2002, S. 190) und übertraf damit weiterhin sowohl in absoluten wie in relativen
Zahl alle anderen Altersgruppen. Unter anderem adressierten die AutorInnen PensionistInnen
in Einpersonenhaushalten als Gruppe mit überdurchschnittlichem Armutsrisiko sowie einen
kontinuierlichen Anstieg des von Armut betroffenen Anteils älterer Personen seit 1994. Im Be-
sonderen hatten über 60-jährige Frauen eine fast doppelt so hohe Gefährdungsrate wie die Ge-
samtbevölkerung (vgl. Förster & Heitzmann, 2002, S. 194). Auch in der longitudinalen Be-
trachtung – als langzeitarm werden Personen mit zumindest vier Jahren Betroffenheit definiert
– wurden mit in etwa 172.400 SeniorInnen als dominierende Gruppe langfristig Armutsgefähr-
deter ausgewiesen: Jede 2. armutsgefährdete ältere Person hatte zumindest 4 Jahre unter der
Armutsschwelle zum damaligen Zeitpunkt gelebt und jede 3. in akuter Armut. Womit erneut
auf die stark verfestigte Situation bei älteren Menschen verwiesen sein dürfte. Zudem konsta-
tieren Förster & Heitzmann (2002, S. 204), dass ohne krankheitsbezogene Transfers 24% der
SeniorInnen armutsgefährdet gewesen wären; dies bedarf im Späteren noch der Auseinander-
setzung. Vorweg sei erwähnt, dass der Einbezug des Pflegegeldes in die Berechnung der Ein-
kommen durchaus kritisch gewertet werden kann, wenn dieses den durch gesundheitliche Ein-
bußen bedrohten Lebensstandard letztendlich nur erhält (vgl. Till & Till-Tentschert, 2007, S.
64). Im Vergleich zum EU-15-Schnitt stiegt das Armutsrisiko älterer Menschen in Österreich
noch weiter. In Kontrast zum vorangegangen Sozialbericht waren die inhaltlichen Änderungen
gering, wiewohl auf eine Darstellung des Zusammenhangs von Armut und sozialer Ausgren-
zung verzichtet wurde.

67
8.112 Schilling brutto (BGBl. Nr. 455/1998) abzüglich 3,75% Krankenversicherung mal 14 (siehe ASVG idF
1999).
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 43

• Bericht 2003 – 2004


Erneut erfolgte in diesem Bericht eine Umstellung. Es wurde das Europäische Haushaltspanel
durch die Befragung „Statistics on income, social inclusion and living conditions“ bzw. EU-
SILC im Rahmen der Lissaboner Zielsetzung 2003 in Österreich ersetzt bzw. im Zuge von EU-
Verordnungen gar, wie bereits erörtert, rechtlich institutionalisiert und erzeugte eine weitere
Zäsur in der Adressierung von Armut aufgrund methodischer Änderungen. Bis heute ist der
EU-SILC „die zentrale Grundlage zur Erhebung der vom Europäischen Rat verabschiedeten
Indikatoren zur Messung von Armut und sozialer Ausgrenzung“ (Till-Tentschert u. a., 2004, S.
211). Die grosso modo unikale Stellung von SILC in Österreich betreffend Samplegröße und
Umfang der erhobenen Indikatoren macht diesen zum hauptsächlichen Analyserahmen.68
Während in den ersten Berichten Armutsgefährdung noch eine untergeordnete, später eine
gleichwertige Rolle gegenüber akuter Armut einnahm, wurde diese nun – bedingt durch die
europäischen Zielsetzungen69 und Harmonisierung der Lissabon Strategie – mehr Platz einge-
räumt und lag auf Basis des EU-SILC 2003 bei 9.425 Euro verfügbarem Jahreseinkommen für
2002.70 Der Richtsatz der Ausgleichszulage betrug für 2002 hingegen 8.501 Euro.71 Obgleich
der steigenden Dominanz des Armutsgefährdungskonstrukts in der Berichterstattung wurde

68
Arbeiten mit sekundäranalytischem Design sind an diesen Rahmen gebunden und wird von Roose (2013) in
diesem Kontext als die Pfadabhängigkeit der Erkenntnis bezeichnet. So bedeutend die bürokratisierte Einfüh-
rung des EU-SILC (gerade für Österreich, an Ermangelung anderer Surveys) ist, muss damit auf das Ein-
schleifen gewisser, vor allem messtheoretisch umsetzbaren Konzepte von Armut hingewiesen werden. „Die
Sekundärfragestellungen bewegen sich in einem Möglichkeitskorridor, der durch die Primärerhebungen vor-
bestimmt ist. Innerhalb dieses Korridors sind vielfältige Variationen möglich, die interessante und wichtige
Ergebnisse bringen werden. [...] Dennoch bleibt ein Einfluss auf die Richtung des Wissenszuwachses durch
die Interessen und Konzepte der Primärforschung. Determiniert wird die Richtung der Forschung durch die
Fragen der Primärforschung natürlich nicht, beeinflusst aber schon. Eine ohnehin für Wissenschaften zu be-
obachtende Orientierung an Paradigmen [...] verstärkt sich und die Wahrscheinlichkeit grundlegend neuer
Perspektiven wird tendenziell verringert“ (Roose, 2013, S. 709).
69
Die Orientierung an der monetären Lage wird selbst an der Ausrichtung des Designs von SILC deutlich: ei-
nerseits wird für die Stichprobengröße in Österreich der Designeffekt der Armutsgefährdungsquote, anderer-
seits das vorab über Registerdaten errechnete Haushaltseinkommen als zweites Stratifizierungsmerkmal der
Stichprobenziehung berücksichtigt (siehe Statistik Austria, 2017c).
70
Obwohl Daten des SILC 2003 genutzt werden, handelt sich genau genommen um Werte von 2002, da die
Befragten nach dem Jahreseinkommen im vergangenen Jahr (Referenzjahr = t-1) gefragt werden. Die Bericht-
legung auf Basis von SILC erfolgt tendenziell in der ersten Jahreshälfte des Folgejahres der Erhebung, womit
bspw. im EU-SILC 2016, erschienen im Publikationsjahr 2017, Aussagen über das Einkommen von 2015
gemacht werden. Die mit 1.1.2017 eingeführte erhöhte Ausgleichszulage bzw. deren Auswirkungen werden
daher erst im Publikationsjahr 2019 aufscheinen. In den sozialstatistischen Berichten werden Erhebungsjahr
und Referenzjahr aktuell von Eurostat oder Statistik Austria gleichgesetzt; also Werte des EU-SILC 2016 dem
Jahr 2016 zugewiesen. In dieser Arbeit wird jedoch das Referenzjahr angegeben, um die Diskrepanz mit der
Höhe der Ausgleichszulage korrekt aufzuzeigen – dieses Vorgehen findet sich auch bspw. im Sozialbericht
2007-2008 im Beitrag von Till, Datler, u. a. (2009). Das Vorgehen trägt zwar nicht zu einer Entwirrung bei,
es muss jedoch bedacht werden, dass soziale Unterstützungsleistungen in ihren Zugangsbestimmungen teils
auf die Armutsgefährdungsschwelle ausgerichtet sind.
Während sich die Einkommen auf das vorangegangene und abgeschlossene Jahr beziehen, wird bei Fragen
zur materiellen Lage auf die aktuelle Situation der Befragten im SILC abgezielt (u.a. Statistik Austria, 2017c).
Diese messtechnischen Notwendigkeiten und zugleich Problematiken führen zusätzlich zu einer zeitlichen
Disparität auch innerhalb des Armutskonzeptes. Abweichungen zwischen Armutsgefährdung und materieller
Deprivation im selben Haushalt sind zumindest ein Stück weit darauf zurückzuführen. Letztendlich oszilliert
die europäische Definition zwischen dem Jahr der Durchführung jeweiliger SILC Erhebung und dem Refe-
renzjahr für die Einkommensmessung.
71
630,92 Euro brutto (BGBl. Nr. 475/2001) abzüglich 3,75% Krankenversicherung mal 14 (siehe ASVG idF
2002). Till-Tentschert, Lamei, Bauer, & Statistik Austria (2004, S. 221) erwähnen die Ausgleichszulage, ge-
ben aber den Bruttowert an.
44 Das doppelte Relativ der Altersarmut

diesem zwei weitere Berechnungsformen – als „erhöhte“ (50% vom Median) und „leichte“
(70% vom Median) Armutsgefährdung betitelt – gegenübergestellt.72 Auch in diesem Fall han-
delt es sich nicht um eine nationale Besonderheit, sondern um das Aufgreifen eines Sekundär-
indikators der Laeken-Indikatoren (u.a. Eurostat, 2004). Zwar stieg die Schwelle im Vergleich
zum Wert von 1999 auf Basis des ECHP nur gering, die Armutsgefährdungsquote für Gesam-
tösterreich erhöhte sich von 11% auf 13,2% (1.044.000).73 Mit 16,4% blieb die anteilsmäßige
Betroffenheit unter SeniorInnen im Vergleich zum letzten Sozialbericht (17%) nahezu unver-
ändert. Aufgrund der Harmonisierung mittels der Laeken-Indikatoren wurde diese nun aber
über die Altersgruppe 65+ bestimmt und hatte deutliche Auswirkungen auf die absolute Zahl,
welche sich auf 198.000 verminderte. Ohne explizit darauf einzugehen, war damit eine zentrale
Differenzierungskategorie im Sozialbericht geändert worden und ist ungeachtet der internatio-
nalen Vergleichbarkeit ein durchaus diskutabler Umstand, bedenkt man das durchschnittliche
Pensionsantrittsalter in Österreich. Angel (2010) konstatiert auf Basis des EU-SILC 2004, dass
39% aller PensionistInnen unter 65 Jahre alt waren. Entsprechend (zum damaligen Zeitpunkt
verstärkt) muss gedanklich zwischen Altersarmut im kalendarischen Sinne und einer eher auf
den Erwerbsstatus Ruhestand referierenden Verwendung geschieden werden. Auf den Bericht
zurückkommend verweisen neben wenigen Erwähnungen in Bezug auf ältere armutsgefährdete
Menschen Till-Tentschert u. a. (2004, S. 224) ein weiteres Mal auf Geschlechterdifferenzen,
welche „allein auf den Niveauunterschied der Pensionen zurückzuführen“ sind. Jede 4. allein-
stehende Pensionistin (104.000 gesamt) galt 2002 als armutsgefährdet, aber auch im Allgemei-
nen wird auf die höhere Betroffenheit in Haushalten mit Pension (17%) – ohne Sozialtransfers
waren es 19% – im Vergleich zu Haushalten ohne Pension als Haupteinkommensquelle (12%)
verwiesen.
Um aufzuzeigen, dass das Einkommen ein guter, „aber kein hinreichender Indikator für Armut“
(Till-Tentschert u. a., 2004, S. 227) ist, wurde eine Analyse entlang der subjektiven Wahrneh-
mung der eignen ökonomischen Situation durchgeführt.74 56% aller armutsgefährdeten Pensi-
onistInnen genügt das Einkommen nicht, um „gerade noch auskommen zu können“. Vor allem,
wenn man bedenkt, dass ein langfristig geringes Einkommen, wie es bei PensionistInnen über-
durchschnittlich der Fall ist, Benachteiligungen in anderen Lebenslagen wahrscheinlicher

72
„Erwiesenermaßen ist die Armutsgefährdungsschwelle ein guter Richtwert für niedriges Einkommen. Sie
kann aber nicht als absolutes Maß für Armut oder als empirischer Richtwert zur notwendigen Mindestsiche-
rung in einer Gesellschaft herangezogen werden. Armut und soziale Ausgrenzung können aus einer Vielfalt
von benachteiligten Lebenslagen heraus entstehen und sind damit durch einen einzelnen Indikator, beruhend
auf einem normativ festgesetzten Richtwert nicht beschreibbar. Daher werden Personen unterhalb der Armuts-
gefährdungsschwelle immer nur als gefährdet oder dem Risiko von Armut ausgesetzt bezeichnet“ (Till-Tent-
schert u. a., 2004, S. 213).
73
Für das Jahr 2000 ergab die Berechnung auf Basis des EHCP mit 9.706 Euro nach Till-Tentschert u. a. (2004,
S. 214) eigentlich eine höhere Schwelle, aufgrund des Forschungsdesigns des EHCP als Panelstudie dürfte es
sich dabei auch um ein Artefakt von Panelmortalität handeln. Letztendlich bekräftigt dies den Zeitreihenbruch
zwischen EHCP und SILC.
74
Konkret wurde jener Anteil an Personen errechnet, deren gesamtes Haushaltsnettoeinkommen geringer ist als
der Betrag, den der Haushalt als unbedingt notwendig ansieht. Dafür wurde folgende Frage aus dem EU-SILC
2003 herangezogen: „Wie hoch müsste Ihrer Meinung nach in einem Haushalt wie dem Ihren das monatliche
Nettoeinkommen sein, um gerade noch auskommen zu können?“. 71% aller armutsgefährdeten Personen (und
12% der nicht armutsgefährdeten) gaben ein höheres Einkommen als notwendig an – in Wien waren es sogar
82% –, was die AutorInnen eher als Argument für weitere Indikatoren der Deprivation zur Erfassung von
Armut ansehen. Anzumerken ist jedoch, dass die Formulierung der Frage weniger Deprivationsindikatoren,
wie etwa einmal im Jahr in den Urlaub zu fahren, rechtfertigt bzw. berührt, als die meisten Befragten damit
eher eine tiefgreifende, existenzielle Komponente assoziieren dürften.
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 45

macht. Die sehr großen Divergenzen zwischen der armutsgefährdeten und nicht-armutsgefähr-
deten Bevölkerung auf Basis jener Betrachtung (71% versus 12% im Gesamtschnitt) macht die
diskriminatorische Relevanz der Armutsgefährdungsschwelle deutlich. Unter pragmatischen
Gesichtspunkten ist das Einkommen (bzw. die Schwellendefinition) daher als ein durchaus le-
gitimer Indikator für Armut anzusehen. Das handlungsbedürftige und im Bericht eher vernach-
lässigte Ergebnis muss aber lauten, dass fast ¾ aller armutsgefährdeten Personen ihr konkret
verfügbares Einkommen als existenziell nicht ausreichend wahrnahmen, wenn man die Formu-
lierung „um gerade noch auskommen zu können“ ernst nimmt.
Die Laeken Indikatoren zielten, wie oben gezeigt, vor allem auf einkommensbasierte Variablen
ab. Atkinson (2002, S. 118) empfahl zwar intensive Anstrengungen im Bereich der Indikato-
renentwicklung materieller Deprivation für europäische Vergleiche, daneben galt jedoch auch
seine Empfehlung, auf nationaler Ebene nach Möglichkeit Indikatoren zu inkludieren – womit
noch kein einheitlicher Standard zu diesem Zeitpunkt festgesetzt worden war. In Österreich,
wie sich im nächsten Bericht zeigen wird, wurde daher ein nationaler Indikator angestrebt, zu-
vor und für diesen Report orientierte man sich an einer Arbeit von Eurostat (2002). Zudem
verschwand im Zuge der Harmonisierung der Begriff „akute Armut“ und wurde durch die drei
Ebenen „Einkommensarmut“, „mangelnde Teilhabe“ und „verfestigte Armut“ ersetzt.75 Letz-
tere schließt an den Begriff der „consistent poverty“ an, welcher sich vor dem Hintergrund der
Armutsdefinition von Townsend (1979) formierte (siehe Nolan & Whelan, 1996) und in unter-
schiedlichen Bezeichnungen, etwa „the truly poor“ (Halleröd, 1995a) bzw. „doppelte Armut“
(Böhnke & Delhey, 1999, 2001), mündete. Als verfestigte Armut wird Armutsgefährdung zu-
züglich zumindest einer der nachfolgenden fünf Benachteiligungen definiert. Sie weist damit
Parallelen zur Armutsdefinition von Steiner & Giorgi (1997) auf, wenn auch in aktuellerer mehr
Indikatoren einflossen. Die fünf Bereiche wurden mittels Faktorenanalyse ermittelt bzw. lehnte
man sich an die von Eurostat (2002) bereits vorgenommene Kategorisierung an (siehe Statistik
Austria, 2005):76
- Das Unvermögen, sich grundlegende Dinge leisten zu können, wird in Folge als primäre
Benachteiligung (bei Auftreten von 3 Problemen) der Lebensführung bezeichnet und be-
inhaltet Fragen, ob der Haushalt es sich leisten kann:
o einmal im Jahr Urlaub zu machen,
o die Wohnung angemessen warm zu halten,
o bei Bedarf neue Kleider zu kaufen,
o Fleisch, Fisch jeden zweiten Tag zu essen,
o unerwartet anfallende Ausgaben zu tätigen oder
o der Haushalt mit Zahlungen im Rückstand ist.
- Der erzwungene Verzicht auf erstrebenswert geltende Güter wird als sekundäre Benach-
teiligung (bei Auftreten von 3 Problemen) der Lebensführung bezeichnet und betrifft:
o PC
o Handy
o Internet-Anschluss
o DVD-Player

75
Einkommensarm sind Personen, die rein armutsgefährdet sind; mangelnde Teilhabe betrifft jene, welche in
zumindest einer der nachfolgenden Bereiche eine Benachteiligung aufweisen.
76
Die Arbeit der Eurostat (2002) nimmt als Ausgangspunkt die dreifaktorielle Analyse von Callan, Nolan, &
Whelan (1993). In der österreichischen Analyse wurde eher die konzeptionelle Idee der fünffaktoriellen Lö-
sung übernommen, denn sowohl ein Teil der Dimensionen als auch einige der Indikatoren unterscheiden sich
im Rahmen der Möglichkeiten – die Zahl an Indikatoren ist auf Basis der Daten logischerweise endlich.
46 Das doppelte Relativ der Altersarmut

o Geschirrspülmaschine
o PKW
- Starke gesundheitliche Einschränkungen (bei Auftreten von 2 Problemen) werden mit fol-
genden Indikatoren erhoben:
o hat einen sehr schlechten Gesundheitszustand,
o ist seit zumindest einem halben Jahr durch eine Behinderung stark beeinträchtigt,
o hat eine chronische Krankheit.
- Wohnungsprobleme und mangelhafte Ausstattung (bei Auftreten von 2 Problemen) zeich-
nen sich ab durch:
o kein Bad oder WC in der Wohnung,
o Schimmel oder Feuchtigkeit,
o dunkle Räume,
o keine Waschmaschine.
- Eine Benachteiligung im Wohnumfeld (bei Auftreten von 2 Problemen) wird attestiert,
wenn Befragte die nachfolgenden Aspekte als Probleme einschätzen:
o Lärmbelästigung,
o Luft- oder Wasserverschmutzung durch Verkehr oder Industrie,
o Kriminalität, Gewalt, Vandalismus.
Auf Basis der Konzeptionen identifizieren Till-Tentschert u. a. (2004, S. 230) 67% der Bevöl-
kerung als „nicht arm“, 19,% mit „mangelnder Teilhabe“, 7% als „einkommensarm“ und 5%
bzw. 467.000 Menschen mit „verfestigter Armut“. Damit waren knapp 45% der armutsgefähr-
deten Personen zusätzlich von zumindest einer Benachteiligung in einem nicht-monetären Be-
reich betroffen.77 Differenzierungen nach dem Alter wurden nicht vorgenommen. Aus dem da-
zugehörigen Tabellenband der Statistik Austria (2005) lässt sich entnehmen, dass der Gesund-
heitszustand bei den 65-Jährigen und Älteren unter Armutsgefährdung häufiger schlechter ist
(bspw. 49% mit chronischen Erkrankungen versus 39%), die Wohnbedingungen tendenziell78
schlechter sind (bspw. leben 11% in Substandardwohnung versus 3%), circa 31% einige bzw.
große Schwierigkeiten haben mit dem Einkommen auszukommen (versus 12%), bzw. sich kein
Handy (19% versus 9%), keinen Urlaub (53% versus 28%) und sich keine unerwarteten Aus-
gaben (44% versus 26%) aufgrund der finanziellen Situation leisten können. Im Vergleich zur
jüngeren Altersgruppe lassen sich bei den armutsgefährdeten Personen zusammenfassend al-
tersdifferenzielle Tendenzen erkennen; die primäre und sekundäre Benachteiligung wurde
nicht nach dem Alter und der Armutsgefährdung aufgeschlüsselt.
Konkludierend zeichnen sich mit diesem Bericht bereits die Anfänge der sich verstärkenden
Fokussierung der europäischen Union auf das Thema Armut und damit auch vermehrte Har-
monisierung ab. Das damals weiterhin erhöhte Risiko der Altersarmut wird zwar in Teilen auf-
gegriffen, explizite Betrachtungen im Bereich der Benachteiligung fehlen hingegen.

77
Aber auch etwa 23% der nicht armutsgefährdeten Personen galten in zumindest einen Bereich als benachtei-
ligt, was angesichts der umfänglichen Betrachtung nicht sonderlich verwundert.
78
Umgekehrt wurde die Lärmbelästigung von älteren, nicht armutsgefährdeten Personen (25%) etwas häufiger
als Problem eingeschätzt (versus 18%).
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 47

• Bericht 2007 – 2008


Im Beitrag von Till, Datler, u. a. (2009, S. 239) wird im Sinne Simmels – ohne auf diesen
explizit Bezug zu nehmen79 – Armut als Unterstützungsnorm bzw. als „Lebenssituation, in der
unterstützende Interventionen angebracht sind“, charakterisiert und hat für die weitere Bericht-
legung eine appellierende Funktion.80 Wie auch im vorangegangenen Bericht nimmt das Kon-
strukt der Armutsgefährdung wesentlichen Raum ein; die AutorInnen geben die Schwelle für
das Jahr 2005 mit 10.711 Euro Jahreseinkommen an, welches damit weiterhin über der Aus-
gleichszulage von 8.822 Euro lag.81 Insgesamt waren 12,6% bzw. 1.027.000 Menschen in Ös-
terreich armutsgefährdet inklusive 214.000 älteren Menschen (bzw. 16% der 65+). Zusätzlich
galten 58.000 PensionistInnen unter 65 Jahre als armutsgefährdet. Eine Längsschnittbetrach-
tung wurde nun auch mit SILC wieder möglich; nahezu drei Viertel aller älteren armutsgefähr-
deten Personen waren auch als „dauerarmutsgefährdet“ – zwei Jahre hindurch gefährdet – zu
bezeichnen. Till, Datler, u. a. (2009, S. 242f.) arbeiteten zusätzlich die Betroffenheit von Frauen
mit Pensionsbezug als Haupteinkommensquelle heraus und stellten fest, dass 28% in Einperso-
nenhaushalten im Jahr 2005 armutsgefährdet waren. Besonders deutlich werden die Geschlech-
terunterschiede, wenn man die Anteile von Männern (27%) und Frauen (73%) innerhalb der
Gruppe armutsgefährdeter älterer Personen vergleicht (Statistik Austria, 2008, S. 51). Zudem
„mit hochgerechnet etwa 123.000 armutsgefährdeten Personen ist etwa jede zehnte armutsge-
fährdete Person eine alleinlebende Pensionistin“ (Till, Datler, u. a., 2009, S. 243). Neben Per-
sonen mit ausländischer Staatsbürgerschaft hatten alleinlebende Frauen im Alter das höchste
Armutsgefährdungsrisiko (auch Statistik Austria, 2008, S. 33). Im Vergleich zu anderen Haus-
haltstypen war die Armutsgefährdungslücke bei älteren Menschen mit 13% auch aufgrund der
Ausgleichszulage weiterhin relativ niedrig. Erneut zeichnet sich die Relevanz dieser Transfer-
leistung, im Sozialbericht ebenso expliziert, ab.
Im Zuge der Lissabon-Strategie und offenen Methode der Koordinierung wurden, beauftragt
vom Bundesministerium für Soziales, Arbeit und Konsumentenschutz, „17 nationale Indikato-
ren für soziale Eingliederung“ (Till, Eiffe, u. a., 2009, S. 213) basierend auf der gesellschaftli-
chen Wahrnehmung von Notwendigkeiten für einen Mindestlebensstandard entwickelt (siehe
Till-Tentschert & Weiss, 2008; Kernbeiß, Lehner, & Wagner-Pinter, 2008; Henke, Till, Schritt-
wieser, & Wagner-Pinter, 2008; Till, Henke, & Schrittwieser, 2008).82 Primäre und sekundäre
Deprivation (bzw. die Aufgliederung in 5 Bereiche) wurden durch den Indikator der „finanzi-
ellen“ Deprivation ersetzt. Demnach sollten sich in Österreich alle Menschen leisten können:
- Die Wohnung angemessen warm zu halten
- Regelmäßige Zahlungen (Miete, Betriebskosten) rechtzeitig zu begleichen
- Notwendige Arzt- oder Zahnarztbesuche
- Unerwartete Ausgaben (z.B. Reparaturen) zu finanzieren
- Neue Kleidung zu kaufen
- Jeden 2. Tag Fleisch, Fisch, Geflügel oder vegetarische Speisen zu essen

79
Das nahestehende Arbeitspapier von Till-Tentschert & Weiss (2008) rekurriert direkt auf die Arbeit von Sim-
mel.
80
Ebenso ist eine stark an Simmel erinnernde Argumentation entlang der „Wahrung der menschlichen Würde
und des sozialen Friedens“ (Till, Datler, u. a., 2009, S. 238) zu erkennen.
81
662,99 Euro brutto (BGBl. II Nr. 531/2004) abzüglich 4,95% Krankenversicherung mal 14 (siehe ASVG idF
2005).
82
Hierzu wurden sowohl Experteninterviews als auch eine telefonische Befragung unter der österreichischen
Bevölkerung durchgeführt, um die als relevant angesehenen Lebensnotwendigkeiten zu erfassen. Im Wesent-
lichen kann dies als konsensualer Lebensstandardansatz begriffen werden (vgl. Groh-Samberg, 2009, S. 92)
und ähnelt dem Vorgehen bei Mack & Lansley (1985).
48 Das doppelte Relativ der Altersarmut

- Freunde oder Verwandte zum Essen einzuladen.


Ist es aus finanziellen Gründen nicht möglich, sich zwei oder mehr der genannten sieben Indi-
katoren leisten zu können, wird von finanzieller Deprivation ausgegangen.83 Die bereits er-
wähnte Kreuztabelle aus dem vorangegangenen Bericht wird nun aus der Kombination von
Armutsgefährdung und finanzieller Deprivation geformt. Auf Basis dieser werden „vier unter-
schiedliche Armutslagen“ (Till, Datler, u. a., 2009, S. 250) abgeleitet:
• Als „manifeste Armut“ werden jene Armutslagen bezeichnet, bei denen Armutsgefähr-
dung gleichzeitig mit finanzieller Deprivation auftritt.
• Ein „Teilhabemangel“ bestehe, wenn Menschen zwar aktuell ein Einkommen über der
Armutsgefährdungsschwelle haben, aber trotzdem finanziell depriviert sind.
• Als „Einkommensmangel“ wird eine Armutslage mit rein armutsgefährdendem Ein-
kommen bezeichnet.
• „Kein Mangel“ liegt vor, wenn weder Armutsgefährdung noch finanzielle Deprivation
auftritt.
Als manifest arm wurden im Sozialbericht 400.000 Menschen adressiert und stehen der Gruppe
mit keinem Mangel gegenüber; die Bezeichnung der verfestigten Armut wurde in diesem Kon-
text folglich aufgegeben. Teilhabe- und Einkommensmängel erscheinen in dieser Dichotomie
als weniger behandlungsbedürftig, gleichwohl zusammen knapp 1,4 Millionen Menschen die-
ser zugeordnet wurden. Erneut sind „alleinlebende Frauen mit Pension“ (Till, Datler, u. a.,
2009, S. 251) zu nennen, welche ein relativ hohes Risiko (12% der Personengruppe) manifest
arm zu sein, aufweisen. Ungeachtet dessen endet damit der Bezug auf ältere Menschen, hinge-
gen wird Kinderarmut etwas detailliert und Lebenslagen wie Wohnen und Gesundheit teils im
Kontext der Armutslagen aufgegriffen. Obwohl die AutorenInnen im Bereich der Gesundheit
gar auf die Notwendigkeit einer altersdifferenzierten Betrachtung hinweisen, zentriert sich die
Berichtlegung auf die Erwerbsphase bzw. wird eine Darstellung des Gesamtschnittes dargelegt.
Zusammenfassend etablierte sich mit der Einführung der finanziellen Deprivation ein nationa-
ler Indikator, welcher zwar heute vermindert, aber trotzdem weiter Bestand in der Berichter-
stattung hat. Als Zwischenresümee lässt sich festhalten, dass über die Jahre die beiden Dimen-
sionen Einkommen und materielle Indikatoren zunehmend unabhängig voneinander betrachtet
wurden, worauf die Kritik von Steiner & Giorgi (1997) eigentlich gründete und zu einer relati-
onalen Definition beitrug, andererseits im Sinne einer Pfadabhängigkeit diese Konzeption im
Bereich der Vier-Felder-Differenzierung der Armutslagen weiterhin aufgeht. „Arm sein“ (Stei-
ner & Giorgi, 1997) sowie „manifeste Armut“ (Till, Datler, u. a., 2009) fußen auf der gleichen
Logik eines Konnexes zwischen finanziell geringen Ressourcen und mit der finanziellen Situ-
ation in Verbindung stehenden Indikatoren materieller Deprivation. Zudem wurde, wenn auch
sehr kurz dargestellt, das relative Armutsrisiko spezifischer Gruppen neu ausgerichtet und an
bestimmte Konstellationen geknüpft – bspw. Mehrpersonenhaushalte mit 3 Kindern, Eineltern-
haushalte oder alleinlebende Frauen mit Pension – und sollte auf die überproportionale Betrof-
fenheit jener Gruppen aufmerksam machen.84

83
Obwohl in den letzten Jahren ein Relevanzverlust zu attestieren ist – zudem wurden die Indikatoren später
überarbeitet (Statistik Austria, 2015b) –, findet sich das Konstrukt ebenso im aktuellen Tabellenband des EU-
SILC (Statistik Austria, 2017d).
84
Das Vorgehen findet sich bereits im Tabellenband des SILC 2004 (siehe Statistik Austria, 2006a), alleinle-
bende Frauen mit Pension sind in diesem aber noch nicht als Risikohaushalt ausgewiesen. Seit dem Tabellen-
band von SILC 2005 sind jene aber eine beständige Gruppe (siehe Statistik Austria, 2007). Die von der Sta-
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 49

• Bericht 2009 – 2010


Der im September 2010 erschienene Sozialbericht ist bereits im Lichte der Europa 2020 Stra-
tegie zu lesen und dies wird durch die Betitelung „Armutsgefährdung und soziale Ausgren-
zung“ gleichfalls angedeutet. Im Vergleich zu den vorangegangenen Berichten wird auf die
Definition von Armut und Erwägungen zu der Problematik einer rein einkommensbasierten
Messung verzichtet. Till-Tentschert u. a. (2010) führen rasch auf die Armutsgefährdung über.
Zwei Punkte sind zuvor zu vermerken: seit diesem Bericht wird das Erhebungsjahr des SILC
mit der Armutsgefährdungsschwelle gleichgesetzt, obwohl weiterhin als Referenzjahr das Vor-
jahr dient. Wie bereits erörtert wird im Nachfolgenden dieses Vorgehen nicht verfolgt, sondern
weiterhin das Referenzjahr der Einkommensmessung angegeben. Zudem wurden zu einem spä-
teren Zeitpunkt (nach Publikation des Sozialberichtes) zur Vermeidung eines weiteren Zeitrei-
henbruchs aufgrund methodischer Umstellungen – Einbezug von Verwaltungsdaten in die Be-
rechnung der Einkommen – die Werte revidiert.85 Da sich die Schlussfolgerungen dieses und
des nächsten Berichtes aber auf jenen „veralteten“ Zahlen gründen, werden sie im Nachfolgen-
den auch angegeben, so liegt bspw. der Wert der Armutsgefährdungsschwelle für 2007 bei
11.406 Euro und nicht, wie nach der aktuellen Berechnung bei 11.648 Euro, womit die Zahl an
Betroffenen im revidierten Tabellenband der Statistik Austria höher eingeschätzt wird, als
durch den Sozialbericht beschrieben. In der abschließenden Übersicht (siehe Tabelle 3) werden
die revidierten Werte herangezogen.
Auf Basis der Schwelle von 11.406 Euro weisen Till-Tentschert u. a. (2010) 940.000 bzw. 1,1
Millionen Menschen (12,4% der Gesamtbevölkerung) in Österreich als in Armutsgefährdung
lebend aus. Angaben zu den absoluten Zahlen bei älteren Menschen fehlen, die Quote mit 17%
bei Frauen und 12% bei Männern wird hingegen angegeben. Für das Jahr 2007 betrug die jähr-
liche Ausgleichszulage 9.961 Euro netto.86 Im revidierten Tabellenband – dieser lag 2014 vor
– liegt der Anteil 2007 mit 19% höher bzw. waren 260.000 der älteren Menschen von Armuts-
gefährdung betroffen. Die Vergleichbarkeit letzterer, kursivgestellter Zahlen ist mit vorange-
gangenen (nicht rückgerechneten) Berichten, basierend auf SILC-Daten, infolge des Zeitrei-
henbruchs erneut problematisch; letztendlich führte die Berechnung über Registerdaten auf-
grund einer höheren Schwelle zu einer höheren Zahl an Adressierungen. Abseits des Hinweises
auf die hohe Betroffenheit alleinlebender PensionistInnen und die Dauerhaftigkeit von Armut
im Alter fokussierte dieser wie bereits der vorangegangene Bericht auf die Erwerbsphase bzw.
Erwerbsintensität oder die Linderung durch Sozialleistungen. Altersarmut wird sporadisch, in
einer Passage aber die Problematik der dauerhaften Armutsgefährdung (aktuelles Referenzjahr
und zumindest 2 von 3 weiteren Jahren) bei alleinlebenden Frauen in Pension deutlich, thema-
tisiert: „MindestpensionistInnen sind zum Großteil Frauen, meist alleinstehend und sie haben
nur mehr sehr eingeschränkte Möglichkeiten ihre Pension durch andere Einkommen zu verbes-
sern. Die dauerhafte Armutsgefährdungsquote bei alleinstehenden Pensionistinnen [...] ist mit
fast 21% vier Mal so hoch wie für die Bevölkerung im Durchschnitt (5%). Die Ausgleichszu-

tistik Austria ausgewählten Konstellationen beanspruchen hierbei zwar keine Vollständigkeit, die ausgewähl-
ten Gruppen zeichnen sich aber durch ein geringeres Medianeinkommen und ein erhöhtes Armutsgefähr-
dungsrisiko als im Gesamtschnitt aus (zur Erörterung der Bestimmung u.a. Statistik Austria, 2006a, S. 53).
85
Die abrufbaren Tabellenbände auf der Webseite der Statistik Austria zum SILC 2008 bis 2011 wurden einer
Revision unterzogen, da 2008 als das Basisjahr für die Umsetzung der Europa 2020 Strategie in Österreich
gilt (Bundeskanzleramt, 2014, S. 25). Ab SILC 2012 wurde das Verfahren regulär angewandt, womit sich die
Zahlen von Sozialbericht sowie Tabellenband wieder gleichen.
86
726 Euro brutto (BGBl. II Nr. 532/2006) abzüglich 4,95% Krankenversicherung mal 14 (siehe ASVG idF
2007).
50 Das doppelte Relativ der Altersarmut

lage für die Mindestpension liegt rd. 10% unter der Armutsgefährdungsschwelle. Ein Einkom-
mensanstieg aufgrund geänderter Lebensumstände ist bei dieser Gruppe nicht zu erwarten“
(Till-Tentschert u. a., 2010, S. 186).
Die Zielsetzung von Europa 2020, die Zahl an Menschen in „Gefährdungslagen“ um 20 Milli-
onen zu reduzieren, ist ein Vorhaben, welches auf europäischer eher nicht und auf österreichi-
scher Ebene möglicherweise knapp erreicht wird (etwa Lamei u. a., 2017, S. 188). Obwohl
dafür, wie einige AutorInnen kritisch anmerken, mittels Erweiterung des Armutskonstruktes
die Zahl der AdressatInnen vorab erhöht wurde87, brachte die Hinzunahmen des Indikators der
erheblichen materiellen Deprivation und als dritte Dimension die Erwerbsintensität von Haus-
halten eine Definiens von Armut(sgefährdung) bzw. Ausgrenzung(sgefährdung) mit sich.88 Zu-
sammen werden diese als AROPE bzw. „at-risk-of poverty or social exclusion“ bezeichnet
(u.a. Eurostat, 2017), womit eine explizite Nennung von Armut weiter in den Hintergrund rückt.
Von erheblicher materieller Deprivation wird ausgegangen, wenn vier oder mehr der folgenden
neun auf EU-Ebene festgelegten Merkmale zutreffen:89
- es besteht Zahlungsrückstand bei Miete, Betriebskosten oder Krediten
- es ist finanziell nicht möglich, unerwartete Ausgaben zu tätigen
- einmal im Jahr auf Urlaub zu fahren
- die Wohnung angemessen warm zu halten
- jeden zweiten Tag Fleisch, Fisch oder eine vergleichbare vegetarische Speise zu essen
- ein PKW ist finanziell nicht leistbar
- eine Waschmaschine ist finanziell nicht leistbar
- ein Farbfernsehgerät ist finanziell nicht leistbar
- ein Telefon oder Handy ist finanziell nicht leistbar
Vorweg sei auf die Problematik verwiesen, dass der freiwillige Verzicht auf den PKW und
zumindest auf das Handy nach Eiffe u. a. (2012, S. 89) bei höheren Altersgruppen in Österreich
deutlich zunimmt und daher als Indikatoren für Deprivation bei älteren Menschen weniger ge-
eignet sind, trotzdem lassen sich auch mit diesem Konstrukt weitere, von Ausgrenzung be-
troffene Personen identifizieren. Bemerkenswert ist die Verschiebung der Altersgruppe von
65+ auf 60+ in diesem Teil des Beitrages (vgl. Till-Tentschert u. a., 2010, S. 192), womit auf
die zu Beginn genannte Armutsquote nicht direkt Bezug genommen werden kann – 290.000
Menschen über 59 Jahre werden von den AutorInnen als ausgrenzungsgefährdet nach AROPE
ausgewiesen. Für alleinlebende Pensionistinnen lässt sich ein Zuwachs um 27.000 Personen
konstatieren, womit knapp jede dritte armuts- oder ausgrenzungsgefährdet war. Gleichwohl al-
leinlebende ältere Männer seltener betroffen sind, verdoppelte sich durch Hinzunahme der er-
heblichen materiellen Deprivation nahezu die Zahl der Betroffen auf 35.000 Personen (bzw.
27% in der betreffenden Gruppe). Mittels erneuter Kreuztabellierung von Armutsgefährdung
und finanzieller Deprivation wird für die Risikogruppe „alleinlebende Frauen mit Pension“ im

87
„Die Verringerung um 20 Millionen Menschen bezieht sich nicht mehr nur auf die Armutsgefährdeten allein
und damit auf insgesamt 80 Millionen Personen, sondern auf die Armutsgefährdeten und/ oder die materiell
Deprivierten und/ oder auf Personen, die in Arbeitslosenhaushalten leben. Das sind insgesamt 120 Millionen
Menschen. Damit wurde die Reduktion, die nach dem ursprünglichen Plan immerhin 25 Prozent betroffen
hätte, auf eine Quote von knapp 17 Prozent gedrückt“ (Heitzmann, 2011, S. 50).
88
Letzterer spielt in der Erfassung von Altersarmut keine tragende Rolle, es werden Haushalte mit Personen
zwischen 18 und 59 Jahren berücksichtigt.
89
Eine erneute Revision aufgrund weiter bestehender Kritik (European Commission, 2012, S. 104) mit Abän-
derung und Erweiterung auf 13 Indikatoren (siehe Guio u. a., 2016a) sowie einer Schwellensetzung von 5 oder
mehr Verneinungen aus finanziellen Gründen ist bereits angekündigt und in den SILC implementiert. Ein
Umstieg ist derzeit aber erst nach Europa 2020 geplant (Eurostat, 2017).
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 51

Vergleich zum vorangegangenen Bericht ein leicht verschlechtertes Bild dargestellt (61% ver-
sus 57% ohne Ausgrenzungsgefährdung). Damit endet die explizite Erwähnung älterer Men-
schen. Themen wie Überschuldung, gewonnen aus dem Sondermodul des SILC oder weitere
nationale Indikatoren wurden für die Gesamtbevölkerung dargestellt.

• Bericht 2011 – 2012


Die zentrale Änderung in diesem Bericht von Till u. a. (2012) ist in seiner Neustrukturierung
zu sehen, welche nun das AROPE Konstrukt voranstellt und auch weiterhin verfolgt wird. Zu-
dem wurde 2011 vor dem Hintergrund der Europa 2020 Strategie in Österreich die Reduktion
von Armuts- und Ausgrenzungsgefährdeten quantifiziert: bis 2020 soll die Zahl um 235.000
Personen im Vergleich zum Basisjahr 2008 reduziert werden (siehe Bundeskanzleramt, 2011,
S. 27). Diese Vorgabe im Blick zielt die Darstellung dieses und der zwei noch folgenden Be-
richtlegungen vermehrt auf eine Trendanalyse in Hinwendung auf die Zielerreichung ab. Auf
Basis des SILC 2010 galten 1,4 Millionen Menschen bzw. 17% in der Gesamtbevölkerung als
armuts- oder ausgrenzungsgefährdet (AROPE). Die Armutsgefährdungsschwelle für das Refe-
renzjahr 2009 lag nach der alten Berechnungsform bei 12.371 Euro jährliches Nettoeinkommen
für einen Einpersonenhaushalt (vgl. Till u. a., 2012, S. 272). Die größte Gruppe innerhalb von
AROPE stellen armutsgefährdete Personen dar, gefolgt von jenen in Haushalten mit geringer
Erwerbsintensität und erheblicher materieller Deprivation. Die Ausgleichszulage betrug 10.262
Euro netto.90 Altersdifferenzierungen sind besonders selten, im späteren Teil des Beitrages wird
jedoch die Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung nach Haushaltstypen geschlüsselt und weist
344.000 Personen in Haushalten mit Pensionsbezug (20%) bzw. 25.000 alleinlebende Pensio-
nisten (18%) und 122.000 alleinlebenden Pensionistinnen (29%) als betroffen aus.
Aus dem revidierten Tabellenband geht eine Armutsgefährdungsschwelle von 12.604 Euro her-
vor, wodurch sich die Armutsgefährdungsquote auf 14,7% (versus 12,1% aus dem Sozialbe-
richt) für 2009 erhöhte. 16,8% bzw. 236.000 der älteren Menschen und davon 163.000 ältere
Frauen galten als armutsgefährdet; insgesamt waren nach AROPE 246.000 ältere Personen
von Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung bedroht. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass nur
ein geringer Teil von erheblicher materieller Deprivation betroffen ist; in Bezug auf den Ge-
samtschnitt sind ältere Menschen unterrepräsentiert (vgl. Statistik Austria, 2014b, S. 74). Die
Ergebnisse auf Basis des nationalen Indikators der finanziellen Deprivation liefern jedoch ein
anderes Bild: Einerseits sind in diesem Falle deutlich mehr Personen als depriviert adressiert
- dies hat mit der Konstruktion zu tun; 2 von 7 Einzelindikatoren mit teils anderem Inhalt (siehe
weiter oben), andererseits entspricht die Quote mit 15% bei älteren Menschen nahezu dem
Gesamtschnitt (vgl. Statistik Austria, 2014b, S. 70).
Der zweite Hauptteil des Beitrages von Till u. a. (2012) behandelt nationale Indikatoren, welche
überarbeitet und auf 20 erweitert wurden (siehe BMASK & Statistik Austria, 2012; Statistik
Austria, 2015b), welche den Themenbereich der sozialen Ausgrenzung umfänglich (bspw.
Kennzahlen zu Wohnraum, Bildungschancen oder Gesundheit) abdecken. In Bezug auf Alters-
armut finden sich keine direkten Hinweise; es wird aber ersichtlich, dass ältere Menschen Bil-
dungsaktivitäten in einem geringen Anteil nachgehen (6,5%) und häufiger unter mehrfachen
gesundheitlichen Einschränkungen leiden (22,3%). Eine Analyse der preisbereinigten Haus-
haltseinkommen zeigt zudem, dass zwischen 2008-2010 von einem Kaufkraftverlust bei ar-
muts- und ausgrenzungsgefährdeten bzw. älteren Personen auszugehen sein dürfte, auch die
Gesamtzahl von manifester Armut Betroffener stieg leicht an (vgl. Till u. a., 2012, S. 283ff.).

90
726 Euro brutto (BGBl. II Nr. 532/2006) abzüglich 4,95% Krankenversicherung mal 14 (siehe ASVG idF
2007).
52 Das doppelte Relativ der Altersarmut

Zusammenfassend handelt es sich damit um einen Beitrag, welcher sehr wenige Informationen
über Altersarmut bereithält, selbst bei den Risikohaushalten fehlt die Kategorie der alleinleben-
den PensionistInnen, auch wenn sie im Tabellenband angegeben sind. 91 Wohl dürfte die Aus-
sparung weniger auf die geringe Zahl an altersarmen Menschen zurückzuführen sein, als der
intensiven Widmung der nationalen Indikatoren, welche auch nur zum Teil für eine altersdiffe-
renzielle Analyse geeignet sind.

• Bericht 2013 – 2014


Mit dem Report aus dem Dezember 2014 erfolgte eine verhältnismäßig umfängliche Analyse
von Armut und Lebensbedingungen. Er widmet sich im Sozialbericht zwei Kapiteln: „Lebens-
bedingungen in Österreich“ und „Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung in Österreich“ (Lamei
u. a., 2014a). Ersterer fasst die Lebenssituation der Bevölkerung umfänglich zusammen und
nutzt als Hauptdifferenzierungskategorie drei Einkommensgruppen, entlang derer eine nahezu
durchgängige höhere Benachteiligung bzw. Belastung von armutsgefährdeten Menschen ge-
genüber der mittleren und hohen Einkommensgruppe ersichtlich wird. Alter ist ein einziges
Mal eingeführt, um die gesundheitliche Ungleichheit zwischen den Einkommensgruppen zu
differenzieren – erst im Bereich der Hochaltrigkeit stellen Lamei u. a. (2014b, S. 323) eine
Konvergenz fest.92 Daneben ist zu vermerken, dass die erwähnte Umstellung auf Verwaltungs-
daten zur Berechnung von Komponenten des Haushaltseinkommens 2012 erfolgte, aufgrund
dessen sich die in diesem Sozialbericht angegebenen Zahlen, basierend auf dem EU-SILC
2013, mit der aktuell verfügbaren Version des Tabellenbandes (Statistik Austria, 2014c) wieder
decken. Während die drei AROPE Indikatoren den gesamten zweiten Beitrag umspannen,
wurde auf die Darstellung der nationalen Indikatoren verzichtet, was angesichts der mehrfach
hingewiesenen Relevanz durchaus überraschen mag. Andererseits schuf dies die Möglichkeit,
die drei Indikatoren von AROPE vertiefend zu beleuchten; insgesamt galten 1.572.000 Men-
schen als armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Die Armutsgefährdungsschwelle lag 2012 bei
13.244 Euro und die Armutsgefährdungsquote bei 14,4% bzw. 1.203.000 Menschen. Sowohl
die Ausgleichszulage mit 10.825 Euro netto im Jahr93 sowie Angaben über die Betroffenheit in
den Altersgruppen – 15% bzw. 226.000 ältere Menschen waren betroffen – sind nicht angeführt.
Hingegen werden Haushalte mit Pensionen als Haupteinkommensquelle ausgewiesen – mit
weiterhin hoher Armutsgefährdung bei alleinlebenden Frauen (24% versus 11% bei alleinle-
benden Pensionisten) – sowie der Erwerbsstatus, in welchem ebenso pensionierte Frauen (17%)
ein höheres Risiko als der Gesamtschnitt aufweisen. Insgesamt werden im Tabellenband
291.000 bzw. 15% im Ruhestand (Erwerbstätigkeit: Pension) befindliche Menschen als armuts-
gefährdet angegeben (Statistik Austria, 2014c, S. 69).

91
Allgemein ist der Rekurs auf Altersarmut in der nationalen Strategie von Europa 2020 sehr gering; bspw.
findet sich folgende kurze Anmerkung im Reformplan 2014: „Auch alleinlebende Pensionistinnen haben ein
überdurchschnittliches Risiko (28%)“ (Bundeskanzleramt, 2014, S. 25). Eine etwas längere Erwähnung lässt
sich im Reformplan von 2017 entdecken, in diesem wurde aber von dem „erhöhten Einzelrichtsatz“ berichtet
(vgl. Bundeskanzleramt, 2017, S. 29). So gesehen ist die Erwähnung von Altersarmut im Plan auch an das
Vorhandensein von Strategien zur Bekämpfung geknüpft; ähnliches attestiert Fink (2010, S. 69).
92
Die Schlussfolgerung der AutorInnen einer Unberührtheit des Gesundheitszustandes durch die Einkommens-
situation bei hochaltrigen Personen als möglicher Angleichungsprozess lässt einen Bezug auf Push-Effekte
Richtung Altenwohnhäusern sowie tendenziell eine geringere Lebenserwartung armutsgefährdeter Menschen
vermissen.
93
814,82 Euro brutto (BGBl. II Nr. 398/2011) abzüglich 5,1% Krankenversicherung mal 14 (siehe ASVG idF
2012).
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 53

Lamei u. a. (2014a) analysieren im Weiteren erneut die Wirkung von Pensionen und Sozial-
leistungen auf die Armutsgefährdung, während ersterer besonders hohe Bedeutung als Haupt-
einkommensquelle im Alter zukommt, reduzieren Sozialleistungen bei Haushalten mit Pension
die Armutsgefährdungsquote um nur einen Prozentpunkt.94 Dies dürfte im Niveau der Aus-
gleichszulage begründet liegen, womit die verbleibenden Leistungen nur in seltenen Konstel-
lationen ausreichen dürften, um die Lücke bis zur Armutsgefährdungsschwelle zu füllen. Auch
für die erhebliche materielle Deprivation finden sich in diesem Bericht Angaben für Haushalte
mit Pension, welche sowohl bei alleinlebenden Frauen wie auch Männern 4% beträgt. Während
Zahlungsrückstände einen sehr kleinen Teil betreffen, besteht eine höhere Problematik uner-
wartet Ausgaben bezahlen (32% bei alleinlebenden Pensionistinnen und 18 bei Pensionisten)
sowie sich einen Urlaub leisten und regelmäßig Fleisch essen zu können. Im Tabellenband wer-
den 2% bzw. 26.000 ältere Menschen (65+) als erheblich materiell depriviert angegeben (Sta-
tistik Austria, 2014c, S. 70); im Ruhestand befindlich 60.000. All jene können keine unerwar-
teten Ausgaben zahlen bzw. auch nicht in Urlaub fahren (Lamei u. a., 2014a, S. 354).95 Der
Indikator der Erwerbsintensität wird grundsätzlich nur bis zum Alter von 59 erfasst, die Auto-
rInnen führen jedoch an, dass „etwa 105.000 Angehörige ab 60 Jahren in Haushalten mit ge-
ringer Erwerbsintensität [leben] – d.h. sie teilen sich die Wohnung mit Jüngeren, die ebenfalls
nur in geringem Ausmaß oder gar nicht am Erwerbsleben teilnehmen“ (Lamei u. a., 2014a, S.
358).
Zum Abschluss wird der Lebensstandard von nicht, einfach und mehrfach (zumindest zwei der
drei AROPE Indikatoren) armuts- und ausgrenzungsgefährdeten Personen in aktueller und
längsschnittlicher Betrachtung beschrieben und Trends der letzten Jahre identifiziert. Während
die Wohnkostenbelastung bspw. für Personen mit einfacher Armuts- und Ausgrenzungsgefähr-
dung zunahm, reduzierte sich der Anteil jener, welche unerwartete Ausgaben nicht decken
konnten; inwiefern diese Trends auf ältere Betroffene zutreffen, wird hingegen nicht näher er-
örtert und sind im Weiteren auch nicht mehr erwähnt.
Abschließend daher der Verweis, dass insgesamt 238.000 ältere Menschen auf Basis des EU-
SILC 2013 als armuts- oder ausgrenzungsgefährdet adressiert wurden; 15.000 davon sind als
armutsgefährdet und erheblich materiell depriviert bzw. als manifest arm zu bezeichnen (vgl.
Statistik Austria, 2014c, S. 75); die Wohnkostenbelastung liegt bei armutsgefährdeten älteren
Menschen bei 30,1% im Gegensatz zu 14,4% bei allen 65 Jahre alten und älteren Personen.
Zusätzlich lässt sich aus dem Sondermodul über Wohlbefinden konstatieren (vgl. Statistik Aus-
tria, 2014c, S. 132ff.), dass altersarme Menschen eine etwas geringere Lebenszufriedenheit
(7,4) als der Schnitt aller älteren Personen aufweisen (7,7), weniger zufrieden sind mit der
finanziellen Situation des Haushaltes (6,4 versus 7,1) und dem persönlichen Einkommen (5,7
versus 6,4).96
Zwar wurde in diesem Bericht die Situation von PensionistInnen wieder etwas näher beleuchtet,
hingegen fehlt die kalendarische Alterskategorie und wird rein über den Erwerbsstatus bzw.
das Haupteinkommen des Haushaltes differenziert.

94
Eine wichtige Leistung im Alter – das Pflegegeld – wird aber im Regelpensionsalter als Altersleistung und
nicht als Sozialleistung geführt, dies „entspricht der Zielvariablen-Definition von EUROSTAT. Diese Defini-
tion orientiert sich dabei an der Klassifikation der Sozialleistungen nach dem Europäischen System integrierter
Sozialschutzsysteme (ESSOSS)“ (BMASK, 2014b, S. 350).
95
Bei den weiteren Indikatoren ist aufgrund einer geringeren Betroffenheit unter Personen mit erheblicher ma-
terieller Deprivation nicht eindeutig, inwiefern ältere Menschen betroffen sind.
96
Die Skala reichte jeweils von 0 (schlechtester Wert) bis 10 (bester Wert).
54 Das doppelte Relativ der Altersarmut

• Bericht 2015 – 2016


Der aktuellste Sozialbericht führt zwar die auf zwei Reports geteilte Ausarbeitung des voran-
gegangenen nicht fort, weist aber zum einen deutliche Bezüge zu diesem in seiner inhaltlichen
Struktur auf und ist zum anderen im Vergleich zu älteren Ausarbeitungen etwas umfangreicher.
Der „Lebensbedingungen, Armut und Einkommen in Österreich“ betitelte Beitrag von Lamei
u. a. (2017) arbeitet nach einer verhältnismäßig extensiven Erörterung messtheoretischer Kon-
zeptionen des Armutsgefährdungskonzeptes die AROPE Indikatoren aus, um im dritten Ab-
schnitt in der Analyse von Dimensionen der Lebenslage entlang der bereits erwähnten drei Ein-
kommensgruppen als Hauptdifferenzierungskategorie zu münden. Auf Basis des EU-SILC
2015 wurde für das Jahr 2014 eine Armutsgefährdungsschwelle von 13.956 Euro errechnet,
womit laut Bericht 1.178.000 Menschen bzw. 13,9% in Österreich armutsgefährdet waren. Ins-
gesamt bzw. nach AROPE waren von Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung etwas über 1,5
Mio. Personen betroffen. Die Darstellung der AROPE Indikatoren erfolgt rein auf Basis der
Gesamtbevölkerung und macht einen Blick in den Tabellenband des SILC notwendig: 200.000
bzw. 13% ältere Menschen (65+) galten 2014 als armutsgefährdet mit einer Armutsgefähr-
dungslücke von 18% (vgl. Statistik Austria, 2016c, S. 74). Die Ausgleichszulage lag hingegen
bei 11.395 Euro jährlich,97 also einer Differenz von 2.560 Euro zur Armutsgefährdungs-
schwelle.
Bezogen auf die Haupttätigkeit waren 256.000 PensionistInnen (nach Sozialleistungen) als ar-
mutsgefährdet adressiert. Während bei Betrachtung der Altersgruppe 65+ Sozialleistungen,
wie bereits erwähnt, keine bedeutende Rolle in der Reduktion von Armutsgefährdung einneh-
men, ist dies bei der Betrachtung von PensionistInnen zu relativieren, da die Armutsgefährdung
um mehr als 100.000 Menschen bzw. fünf Prozentpunkt abnimmt.98 Zuzüglich der erheblichen
materiellen Deprivation werden im Tabellenband des EU-SILC 2015 an die 213.000 Menschen
im Alter von 65 oder höher als armuts- bzw. ausgrenzungsgefährdet angegeben bzw. in etwa
9.000 Personen als manifest arm – letztere Zahl ist jedoch aufgrund der geringen Fallzahl im
SILC mit Vorsicht zu interpretieren (vgl. Statistik Austria, 2016c, S. 81).
Während die genannten Zahlen nicht im Sozialbericht angeführt sind, erfolgt eine Erwähnung
des Anteils von 15% armutsgefährdeter PensionistInnen. Zudem werden sie von Lamei u. a.
(2017, S. 200ff.) im Abschnitt über Gesundheit angeführt, welcher für die Altersgruppe 65+
gesundheitliche Ungleichheiten zwischen den Einkommensgruppen, sowie ein höheres Sterbe-
risiko bei armutsgefährdeten Männern attestiert. Allgemein (ohne Altersbezug) zeigt sich in
diesem Bericht ebenso die häufige Benachteiligung von armutsgefährdeten Personen über die
Dimensionen der Lebenslagen hinweg und verdeutlicht die Ungleichheit etwa bei der Lebens-
zufriedenheit, der Zufriedenheit mit sozialen Beziehungen und sozialen Aktivitäten entlang der
drei einbezogenen Einkommensgruppen (Lamei u. a., 2017, S. 219ff.).
Zusammenfassend zeichnet jener Bericht ein kompaktes und zugleich informativ verdichtetes
Bild über die Lebensbedingungen der von Armutsgefährdung betroffenen Bevölkerung, ohne
der altersdifferenziellen Betrachtung besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Am ehesten lässt
sich eine gewisse Schwerpunktsetzung auf die Erwerbsphase – im Konnex der Ursachen von

97
857,73 Euro brutto abzüglich 5,1% Krankenversicherung mal 14 (siehe ASVG idF 2014).
98
Dies dürfte auch dem Umstand geschuldet sein, dass über 100.000 Personen unter 60 eine Invaliditäts- bzw.
Berufsunfähigkeitspension beziehen – selbst 13 Personen in der Altersgruppe 15-19 – (vgl.
Pensionsversicherungsanstalt, 2015, S. 166) und diese meist mit dem Bezug von Pflegegeld einhergeht bzw.
andere Haushaltskonstellationen wahrscheinlicher sind. Unter dem Regelpensionsalter werden diese als Sozi-
alleistung gewertet.
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 55

Armutsgefährdung – und die Bedeutung von Armutsgefährdung bei Kindern und Jugendlichen
attestieren.

2.1.2.1.3 Die Sozialberichterstattung im Resümee


Resümierend ist zu konstatieren, dass sowohl die variable Ausgestaltung der Berichtlegung,
dies beginnt bereits bei dem äußeren Erscheinungsbild und mündet in der über die Zeit unter-
schiedlichen Themensetzungen, dem veränderlichen, aber teils synonymen Wortgebrauch bzw.
Diskrepanzen zwischen dem Referenzjahr der Einkommensdimension und dem Publikations-
jahr des Berichtes (bspw. ist der Sozialbericht für 2007-2008 im Jahr 2009 publiziert worden,
die Daten stammen aus dem SILC 2006 und daher ist die Einkommensinformationen aus 2005)
als auch fünf methodisch bedingte Zeitreihenbrüche (nur auf die Armutsgefährdung bezogen)
den Aufbau eines stringenten Bildes über Armut bzw. dessen Entwicklung konterkarieren. Die
Funktion der Dauerbeobachtung (siehe Zapf, 1978) wird für Außenstehende unter erschwerten
Bedingungen des Verstehens eingelöst bzw. ist sie im Besonderen bei Altersarmut aufgrund
der zusätzlichen Verwendung unterschiedlicher Alterskonzepte nochmals in ihrer Stringenz
herabgesetzt. Die Variation des Alterskonzeptes ist gleichbedeutend einer Änderung der
Grundgesamtheit, über welche Aussagen getroffen werden und macht damit die Beobachtung
des Phänomens Altersarmut inkonsistent (siehe dazu auch Kapitel 3.3.). Wiewohl ist in der
Gesamtbetrachtung eine gewisse thematische Konsistenz feststellbar, sowohl was die dominie-
rende Perspektive auf die Erwerbsphase, die Orientierung an den europäischen Armutsdefini-
tionen bzw. zumindest in den aktuelleren Berichten die Trendbetrachtung im Zusammenhang
mit den Europa 2020 Zielen betrifft.
In abstrahierter Perspektive kann für das Konstrukt der Armut im Sozialbericht eine endogene
Pfadabhängigkeit mit exogenem Einfluss konstatiert werden. So verlor zwar die im ersten Bei-
trag aufgeworfene Verneinung einer rein einkommensbasierten Messung über die Jahre an
Nachdruck – auch wenn sich immer wieder Erwähnungen dafür finden –, trotzdem blieb die
explizite Bezeichnung „Armut“ als Konnex zwischen Einkommen und materieller Dimension
bestehen.99 Neben dem stabilen Element der Erfassung von Einkommensarmut (trotz veränder-
ter Berechnungsmethodik), ist ein relativ kontinuierlicher qualitativer Wandel der Konzeption
materieller Deprivation und eine partielle Rezeption weiterer Dimensionen der Lebensbedin-
gungen in den Berichten zu testieren, welche durch die sozialpolitischen Bestrebungen und das
Armutsverständnis der europäischen Union bzw. durch das Erhebungsinstrument selbst geprägt
sind. Im europäischen Kontext kommt der monetären Dimension hohes Gewicht zu, unter an-
derem aufgrund der Vergleichbarkeit zwischen den Nationen, wird aber seit Einführung des
AROPE Konzept durch Indikatoren zur materiellen Dimension und Erwerbsintensität ergänzt
(vgl. European Commission, 2015). Letztere findet sehr eingeschränkt Anwendung bei älteren
Menschen, während die materielle Deprivation nur bedingt zur Erfassung von Altersarmut ge-
eignet ist. Nicht weil anhand dessen weniger ältere Personen als depriviert ausgewiesen werden
– ein wünschenswerter Zustand – oder die allgemeinen theoretischen Implikationen dagegen
sprechen würden, sondern weil die Validität (auch Breheny u. a., 2016) der verwendeten Indi-
katoren im Kontext der Subgruppe angezweifelt werden muss.100 Halleröd (2006) kann hierzu

99
In aktuellen Arbeiten ist nun aber eher von „Mehrfachbelastung“ die Rede, wenn auch mit dem Hinweis ver-
sehen, dass es sich hierbei um den nationalen Eingliederungsindikator „manifest Armut neu“ (Lamei u. a.,
2017, S. 225) handelt.
100
Im Gegensatz zur Indikatorentwicklung des SILC wurde im Family Resources Survey (UK) bereits vor ge-
raumer Zeit die Entwicklung eines speziellen Indikatorsets für materiale Deprivation bei älteren Menschen
56 Das doppelte Relativ der Altersarmut

aufzeigen, dass der freiwillige Verzicht mit steigendem Alter und niedrigem Einkommen zu-
nimmt und konstatiert adaptive Präferenzanpassungen (auch Kotecha u. a., 2013, S. 45f.; Do-
miny & Kempson, 2006, S. 83), womit von einer Unterschätzung der materiellen Deprivation
auszugehen ist.101 In den beiden letztgenannten Studien werden zudem intermediäre Faktoren
wie Gesundheit, informelle Unterstützungen oder die subjektiven Bewertungen der materiellen
Umstände genannt, welche eine Deckung von Einkommensarmut und materieller Deprivation
unterlaufen. Zudem zeigen qualitative Arbeiten die Notwendigkeit andere Themenbereiche in
den Blickpunkt zu rücken – bspw. hinsichtlich Mobilität (vgl. Dominy & Kempson, 2006, S.
80f.), Pflege oder altersgerechte Wohnraumadaptionen (siehe Walsh, Scharf, Cullinan, & Finn,
2012) – oder bestehende aus einer anderen Perspektive zu betrachten,102 während quantitative
Arbeiten unterschiedliche Relevanzstrukturen bei Gütern/Dienstleistungen zwischen den Al-
tersgruppen feststellen (u.a. Eiffe u. a., 2012; Guio, Fusco, & Marlier, 2009; McKay, 2008, S.
25ff.).
Konkludierend erscheint die geringe materielle Deprivation bei älteren Menschen in Österreich
eher ein Artefakt der Messung, ein altersspezifisches Indikatorset bedarf noch der Entwicklung
(u.a. Hick, 2013; Eurostat, 2012, S. 31ff.). „In the main, these analyses point to our lack of
knowledge concerning subgroups of the older adult population with respect to deprivation, and
to the inappropriateness of existing deprivation measures in terms of older adults’ lives” (Walsh
u. a., 2012, S. 36).
Praktisch fußt Altersarmut in der Sozialberichterstattung auf dem Konzept relativer Einkom-
mensarmut bzw. dem aktuellen Sprachduktus folgend der Armutsgefährdung und wird, wie
oben bereits vorgestellt, entlang der Berechnung einer Armutsgefährdungsschwelle – 60% des
Medians der äquivalisierten Haushaltseinkommen – realisiert. Aktuell bedeutet dies, dass eine
Person, deren verfügbares Jahreseinkommen 14.217 Euro (siehe Statistik Austria, 2017d, S. 11)
unterschreitet, als armutsgefährdet adressiert wird. Die Zentrierung auf das Einkommen ist
auch im Portfolio der EU-Sozial-Indikatoren ersichtlich (vgl. European Commission, 2015),
welches im Bereich von Pensionen rein auf die monetäre Ebene aufbaut. Selbst Gordon (2006),
ein zentraler Befürworter mehrdimensionaler Messung von Armut (einkommensbasiert und
materiell), nimmt hierzu an: „The ‘poor’ still remain those with an ‘inadequate command of
resources over time’, but cross-sectional scientific measurement of poverty requires that both
resources and deprivation/low standard of living are measured in order to identify the ‘correct’
poverty threshold level. If high-quality longitudinal data were available, then the ‘poor’ would
be those whose income/resources fall below the ‘poverty threshold’ and remain below it for a
sufficient length of time for them to suffer the effects of deprivation as an enforced consequence
of this low income” (Gordon, 2006, S. 33). Wie sich zeigt, ist gerade bei älteren Menschen von

lanciert (siehe McKay, 2008; Bartlett, Frew, & Gilroy, 2013). Der LASCAPE stellt im neuseeländischen Al-
terssurvey ein Indikatorset dar, welches materielle Deprivation und Sens Fähigkeitenansatz zu kombinieren
versucht (vgl. Breheny u. a., 2016).
101
“Adaptation, therefore, will affect the objective-relative-deprivation-index too, because it is likely that poor
people will adapt their preferences over time, such that they, to a larger and larger degree, will tend to state
that they do not want to consume X rather than force themselves to face the bitter truth that they cannot afford
X” (Halleröd, 2006, S. 377).
102
“The most common strategies deployed by older people when money was tight were not to cut out meat and
fish (although a minority did) or to go without meals. Instead, they said that they bought the cheaper food
when they needed to economise. For those who lived on low incomes, this meant buying the cheapest food
from the cheapest supermarkets even if it was less nutritious. It included buying food that was at its sell-by
date or reduced in price, as well as buying low-cost filling food (very cheap sausages for example)“ (Dominy
& Kempson, 2006, S. 79).
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 57

einer Verfestigung der Einkommenssituation auszugehen. 2007 war noch eine gewisse Dyna-
mik zwischen der damals akuten Armutsgefährdung (18,9%) und persistenten Armutsgefähr-
dung (10,6%) festzustellen, die beide decken sich nahezu im aktuellen Band (siehe Statistik
Austria, 2017b, S. 74 u. 88). Anders formuliert war fast jede ältere Person, welche aktuell ar-
mutsgefährdet war, bereits mindestens 2 von 3 der vorangegangenen Jahre armutsgefährdet.103
Die Ergebnisse des empirischen Teils werden hierzu zeigen, dass, wenn auch von individuellen
Präferenzen geprägt, Mangellagen in unterschiedlichen Lebensbereichen auftreten, welche sich
auf die prekäre und anhaltende monetäre Situation zurückführen lassen. Vermögen kann dies
zwar abmildern bzw. eine Zeit lang auffangen, mit Fortbestand der Lage werden Deprivations-
erscheinungen jedoch wahrscheinlicher.
Resümierend wäre die Entwicklung adäquater Deprivationskonzepte für ältere Menschen für
die Erfassung von Armut notwendig. Solange diese aber nicht verankert sind und zumal es sich
bei älteren Menschen meist um eine verfestigte Einkommensarmut handelt, scheint eine mone-
täre Bestimmung von Armut als funktionaler Brückenschlag. Neben der Verfeinerung der ma-
teriellen Indikatoren sind die messtheoretischen Überlegungen der Einkommensarmut ebenso
einer Reflexion zu unterziehen. Ein Anstoß hierzu: Der Einbezug des Pflegegeldes in die Ein-
kommensberechnung nach derzeitigem Gebaren ist durchaus problematischer Natur. Nur we-
nige Arbeiten (bspw. Eiffe u. a., 2012; Evans & Eyre, 2004; Lloyd, 2016; Snell, Bevan, &
Thomson, 2014) beachten dies und konstatieren durchgehend höhere Armutsgefährdungsquo-
ten, wenn das Pflegegeld unberücksichtigt bleibt (im Späteren wird dies nochmals aufgegrif-
fen). Neben den Einkommenskomponenten sind auch Einschränkungen der Grundgesamtheit
in der Abschätzung von Altersarmut zu beachten: Till, Datler, u. a. (2009, S. 239) machen da-
rauf aufmerksam, dass die „Anstaltsbevölkerung“ – damit sind auch Personen in Altenwohn-
häuser usw. gemeint – in der SILC Erhebung unberücksichtigt bleibt. Zwar ließe sich anführen,
dass jene Personen versorgt sind, andererseits sind Aussagen über die Gesamtpopulation damit
problembehaftet. In der Konsequenz wird die Frage verdeckt, ob etwa Altenwohnhäuser zu-
mindest ein Stück weit als Sammelbecken von Altersarmut zu sehen sind. Anders formuliert
erscheint es ungewiss, ob solchen altersspezifischen Institutionen nicht der Charakter eines
letzten sozialen Auffangnetzes zu attestieren wäre. Freilich trifft dies nicht auf alle Bewohne-
rInnen von Altenwohnhäusern zu. Nimmt man diese Thematik aber ernst, bedarf die nahezu
schon als Imperativ anmutende Formel, möglichst lange in den eigenen vier Wänden zu ver-
weilen (die Problematik des nicht barrierefreien Wohnraums noch gar nicht in Betracht gezo-
gen), einer verstärkten Zuwendung. Summa summarum ist die Konzeption und Erfassung in
der amtlichen Berichterstattung mit Zentrierung auf die Erwerbsphase für Altersarmut wenig
geeignet und Unterschätzungen sowohl bei der monetären Dimension als auch (besonders) bei
der materiellen Deprivation sind wahrscheinlich.
Die Anerkennung bzw. Thematisierung von Altersarmut in den Sozialberichten muss in zwei
Hinsichten unterschieden werden. Abgesehen von den ersten Beiträgen erfolgt der durchgän-
gige Verweis auf das Risiko gerade bei alleinlebenden Pensionistinnen bzw. teilweise auf ein
relativ hohes Risiko bei älteren Menschen – die Sozialberichterstattung erfüllt hierbei die Funk-
tion der Problemdefinition (vgl. Noll, 2003). Obwohl sich ein hoher Grad an Betroffenheit ab-
zeichnet und auf diesen verwiesen wird, fehlen Ursachenanalysen bzw. die nähere Betrachtung

103
Wenig verwunderlich ist daher, dass Altersarmut eine andere Qualität beigemessen wird, da im Wesentlichen
das dynamische Element fehlt. Altersarmut unterscheidet sich dramatisch von Armut in jüngeren Altersklas-
sen: Sie ist meist endgültig! Hat man das Rentenalter erst einmal erreicht, dann bestehen anders als bei Aus-
zubildenden oder Erwerbstätigen meist weder Hoffnung noch Chance, der Armut aus eigener Kraft wieder zu
entrinnen“ (Braun & Thomschke, 2017, S. 48).
58 Das doppelte Relativ der Altersarmut

weiterer Lebenslagen armutsgefährdeter, älterer Menschen im Wesentlichen; letzteres wird


noch am ehesten in den Beiträgen von Förster (2001) bzw. Förster & Heitzmann (2002) aufge-
griffen. Genaue Ursachenanalysen würden unter anderem die Erhebung der gesammelten Bei-
tragsmonate in der Erwerbsphase bzw. Ersatzzeiten sowie Gründe für Unterbrechungen der
Erwerbskarriere bedingen. Die Beschreibung weiterer Dimensionen ist zwar in den Berichten
durchaus angelegt, es fehlt aber meist die altersdifferenzielle Betrachtung. Eine häufige Aus-
nahme bildet die in einigen Berichten analysierte Gesundheit. Die größere Problematik besteht
folglich darin, dass Armut oder Alter – einmal abgesehen von ihren genauen Konstruktionen –
als Differenzierungskriterien disjunktiv zur Anwendung bei der Analyse weiterer Lebenslagen
kommen. So ist zwar bekannt, dass ältere und armutsgefährdete Menschen seltener ein Auto
besitzen als der Gesamtdurchschnitt, aufgrund der Gefahr eines ökologischen Fehlschlusses
lässt sich daraus jedoch nicht auf die Lage armutsgefährdeter älterer Menschen direkt schließen
und bedürfte eigener Analysen – auch wenn intuitiv ein Zusammenhang angenommen werden
mag.104 Die von Barlösius (2001a, S. 75) thematisierte Problematik einer Zentrierung auf „zah-
lenmäßige Ausdrücke und Formeln“ ohne die Lebensbedingungen der Betroffenen näher zu
analysieren, lässt sich gerade für die Altersarmut bekräftigen. Fasst man das Ausmaß der Be-
schäftigung mit Altersarmut nochmals im Sozialbericht zusammen, so lässt sich aktuell eine
Abnahme der Rezeption testieren; von einer Residualkategorie nahezu in die Nichtigkeit, wel-
che dem fortbestehenden Grad der Betroffenheit nicht gerecht wird. Nochmals sei aber als Ein-
schränkung betont, dass die vorliegende Analyse nicht die gesamte Sozialberichterstattung ab-
deckt. In dem Bericht über die Lebenslage älterer Menschen von Eiffe u. a. (2012) bzw. in
einem von Oppitz (2000) erstellten Kapitel des Seniorenberichtes 2000 wird auf Armut Bezug
genommen. Hinzuweisen bleibt auf die Publikationsjahre älteren Datums der beiden Arbeiten
bei Verwendung noch älterer Daten aus 2008 bzw. 1994, womit eine Aktualisierung angebracht
wäre. Die Zusammenschau aller dargestellten Sozialberichte fördert zudem eine wellenförmige
Thematisierung ans Licht, wobei ein Zusammenhang zwischen der gehäuften Thematisierung
und der größeren Anzahl an adressierten Personen angenommen werden kann. Der Begriff der
Adressierung bzw. der Konstitutionscharakter von Armut wird hier deutlich. Der Übergang in
die neueren Messkonzepte führte, wie in Tabelle 1 dargelegt, zu einer Verdopplung bzw. bei
akuter Armut gar Verdreifachung der Quoten. An dieser Stelle lässt sich daher wiederholen,
dass sich Armut in der gesellschaftlichen Zuwendung und in der Aushandlung eines unterstüt-
zungsbedürftigen Bereichs bestimmt. Erst in den letzten Jahren kann wohl von einem realen
Rückgang ausgegangen werden. Dieser ist hauptsächlich einer Abnahme um 50.000 armutsge-
fährdeter älteren Frauen zwischen 2007 und 2014 zuzurechnen, bei gleichzeitigem Anwachsen
der älteren Bevölkerung, womit sich vor allem die Armutsgefährdungsquote in den letzten Jah-
ren besser präsentiert. Kritisch hingegen ist die politische Folgenlosigkeit der sich öffnenden
Lücke zwischen Ausgleichszulage und Armutsgefährdungsschwelle zu beurteilen (siehe Ab-
bildung 2; Kapitel 3.1.2.2.2.), vor allem, wenn „das österreichische Pensionssystem [...] die
Aufgabe [hat], den bisherigen Lebensstandard im Alter zu sichern und durch bedarfsorientierte
Leistungen (‚Ausgleichszulage‘) das Entstehen von Altersarmut zu verhindern“ (Schmid, 1999,
S. 109).
Zu der Frage nach den Ursachen der geringen Behandlung von Altersarmut sollen ein paar
Überlegungen angebracht werden. Zum einen ist Altersarmut insofern ein „problematisches“
Feld, als dass die Beseitigung im Wesentlichen von sozialpolitischen Interventionen, d.h. von

104
Solche intuitiven Schlüsse scheinen aus meiner Erfahrung einer der Hauptgründe zu sein, das Thema Alters-
armut als ausreichend durchleuchtet anzusehen.
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 59

einer Erhöhung der Sozialleistungen, abhängig ist. Insofern von einer erstarkenden sozialpoli-
tischen Aktivierungspolitik und einer Überantwortung auf das Individuum ausgegangen wer-
den kann (u.a. Lessenich, 2008b), erscheint die geringe Thematisierung als logische Konse-
quenz einem gesellschaftspolitischen Diskurs zu entgehen.105 Auch die Reformpläne der letzten
Jahre, welche die Maßnahmen der Armutsbekämpfung gegenüber dem Country Report der EU-
Kommission darlegen sollen, verweisen minimalistisch auf altersarme Menschen (siehe nach-
folgende Tabelle 2). Maßnahmen beziehen sich vor allem auf die Erwerbsphase – „auch der
weitere, über die eigentliche Arbeitsförderungspolitik hinausgehende Kranz aktivierender So-
zialpolitiken hat als gemeinsame Zweckbestimmung die politische Durchsetzung möglichst
umfassender Arbeitsmarktvergesellschaftung“ (Lessenich, 2009, S. 169). Dies hat zwar mittel-
bar Folgen auf die Altersarmut, den aktuell Betroffenen ist damit aber nicht geholfen.106

Tabelle 2 – Gegenüberstellung der Country Reports und Reformprogramme


Country Report 2013 Reformprogramm und Annex II - 2013:
„Gender segmentation is very high as testified by Keine explizite Nennung von Altersarmut; Re-
the concentration of women in marginal and low- formziele werden nicht auf Altersarmut bezogen.
wage employment, the third highest gender
paygap in the EU and an old-age poverty risk for
women that is above the EU average“ (S.8).
“The high gender pay and ensuing pension gap
and the relatively high poverty risk of women in
old age have only been tackled by rather small-
scale measures” (S.19).
„The fact that minimum pensions are below the
poverty threshold, which contributes to the sub-
stantial gender inequality in pension outcomes
and above EU-average and increasing old-age
poverty of women, is not tackled at all in the
NRP“ (S.22).
Country Report 2014 Reformprogramm und Annex I – Tabelle 2 -
Keine explizite Nennung 2014:
Keine explizite Nennung von Altersarmut; Re-
formziele werden nicht auf Altersarmut bezogen.
Country Report 2015 Reformprogramm und Annex I – Tabelle 2 -
„The lower pensionable age and early retirement 2015:
of women, beyond translating into high cost for
the pension system in the medium-term, results in Hinweis im Annex enthalten: „By raising the em-
insufficient pension entitlements, a large gender ployment participation of women in full-time and
better paid jobs, reduce the poverty rate, the

105
„Policies promoting increased Medicare coverage for home modifications and assistive devices, as well as
increased Supplemental Social Security Income payments that would bring elderly and disabled recipients
above the poverty line, may well suffer at the hands of a populace and a legislature that has bought the stere-
otypes of a new breed of successfully aging seniors who no longer need much in the way of government
support“ (Holstein & Minkler, 2003, S. 793).
106
Lang & Steiner (2010) kamen bereits vor geraumer Zeit zu dem ernüchternden Ergebnis, dass die Berichtle-
gung eine „selektive Auswahl von geplanten oder bereits durchgeführten Maßnahmen der Regierung, der
Länder und der Sozialpartner“ darstelle, welche zudem nicht auf politische Maßnahmen eingehen, „die dem
Ziel der Armutsbekämpfung zuwiderlaufen könnten“. Letztendlich handelt es sich um eine „mehr oder weni-
ger umfassend zusammengestellte Darstellung von ohnehin bestehenden Programmen“ (Lang & Steiner,
2010, S. 77; auch Fink & Litschel, 2014, S. 804).
60 Das doppelte Relativ der Altersarmut

pension gap, and an increased risk of poverty for working-poor rate and the rate of poverty in old
women in old age“ (S.4). age among women. By better including women
in the labour market, also improve their inclusion
in other spheres of society” (S.27).
Country Report 2016 Reformprogramm und Annex I – Tabelle 2 -
„The Austrian pension system provides compar- 2016:
atively high aggregate replacement ratios and „As a contribution to avoiding poverty in old age,
median relative incomes of people aged 65+. the minimum pension (equalisation supplement
Still, the at-risk-of poverty rates for elderly peo- reference rate; Ausgleichszulagenrichtsatz) will
ple (age groups 65+ and 75+) are higher than the be increased to EUR 1,000 (value as of 2016)
EU average. Figures are particularly unfavoura- once 30 contribution years from employment
ble for women“ (S.59). have been reached. This measure will mainly
„Harmonising the retirement ages would contrib- benefit those groups which have lower pension
ute to narrowing this divide and lowering the risk claims due to low incomes or long periods of
of poverty“ (S.59). part-time employment“ (S.9).
„By raising the employment participation of
women in full-time and better paid jobs; contrib-
ute to women’s economic independence over the
life-cycle and thus reduce the poverty rate, the
working-poor rate and the rate of poverty in old
age among women. By better including women
in the labour market, also improve their inclusion
in other spheres of society“ (S.27).

Country Report 2017 Reformprogramm und Annex I – Tabelle 2 -


„The proportion of the population at risk of pov- 2017:
erty or social exclusion is one of the lowest „Die Armutsgefährdung ist bei alleinlebenden
among EU Member States. However, inequality Pensionistinnen mit 18% deutlich höher als bei
on the labour market — reflected in the large alleinlebenden Pensionisten (14%) Dies ist auch
gender gap in pay and pensions — means that ein Grund für die Erhöhung der Mindestpension
women aged 65 and over are at much higher risk auf 1.000 Euro bei Vorliegen von 30 Beitragsjah-
of poverty than men of the same age, adding to ren (siehe Kapitel 3.1. p. 8). Davon werden Groß-
overall income inequality“ (S.3.) teils Frauen mit langen Teilzeitphasen und Kin-
“Although the effective retirement age is contin- derbetreuungszeiten profitieren“ (S.29).
uously increasing, harmonising the retirement Im Kontext von – „Reaching the employment and
ages for men and women by increasing the statu- poverty-reduction target for women“ (S.1) – wird
tory retirement age for women, combined with erneut auf die Arbeitsmarktintegration von
respective job creation policies, would reduce the Frauen verwiesen.
gender gap in pay and pensions and reduce the „Minimum Pension in the amount of € 1000,-. To
risk of poverty for women aged 65 and over” avoid poverty in old age, it is the main target of
(S.26). our government to keep people as long as possi-
ble in work. Single persons who have 30 contri-
bution years will receive a minimum pension in
the amount of € 1.000,-“ (S.25)

Wie in der Tabelle 2 ersichtlich, wird in den Country Reports nahezu durchgängig auf das hohe
Altersarmutsrisiko hingewiesen; zudem enthält der Bericht 2013 eine direkte Kritik an der po-
litischen Strategielosigkeit. Abgesehen von der erhöhten Ausgleichszulage – siehe den nächs-
ten Abschnitt zu den Sozialleistungen – werden in den Reformprogrammen keine weiteren,
direkten Pläne zur Verbesserung der Lebenslage aktuell von Armut betroffener, älterer Men-
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 61

schen kenntlich. Sieht man von solch möglichen Kalkülen, die Thematik auszuklammern, ein-
mal ab, erscheint eine weitere Ursache der geringen Thematisierung im Mangel an Daten und
der verhältnismäßig kleinen gerontologischen Forschungscommunity. „Es muss nachdenklich
stimmen, dass in Österreich, einem europäischen Land in den Spitzenrängen des gesellschaft-
lichen Alterungsprozesses, kein eigener, entsprechend dotierter Forschungsschwerpunkt geron-
tologischen Zuschnitts existiert, der von öffentlicher Seite, und unter Beratung eines eigenen
Gremiums, koordiniert, finanziert und evaluiert wird“ (Amann, 2000a, S. 619). An dieser Prob-
lematik hat sich bis dato nicht viel geändert und dürfte ebenso dazu beitragen, dass Altersarmut
in der österreichischen Forschungslandschaft selten in die Bearbeitung gelangt (vgl. Angel &
Kolland, 2011). Die Nichtthematisierung in der Sozialberichterstattung wird daher weder durch
Forschungsaktivitäten aufgefangen, noch kann letztere eine verstärkte amtliche Auseinander-
setzung provozieren. Ebenso fehlen spezifische sozialwissenschaftliche Instrumente der Daten-
gewinnung wie etwa der Alterssurvey in Deutschland (abgesehen vom Survey of Health Aging
and Retirement, in welchem dem internationalen Vergleich hohes Gewicht zukommt, und na-
tionale Besonderheiten eher negiert), womit auf der Basis von für die Gesamtbevölkerung kon-
zipierten Instrumenten ein Auslangen gefunden werden muss (siehe hierzu obige Kritik an den
Indikatoren der materiellen Deprivation). Rein rechnerisch ist bei diesen Erhebungen aber nicht
von hohen Fallzahlen altersarmer Menschen auszugehen und beschränkt die statistische Ana-
lyse; es dürfte wenig verwundern, dass es bspw. keine reguläre, deskriptive Bundesländeraus-
wertung mit SILC Daten zum Thema Altersarmut gibt, wenn sich die Zahlen für manche Län-
der im Bereich von 15 Fällen im Datensatz bewegen. Wohl scheint die Auflösung dieser Spirale
des Nichtinteresses und Nichtkönnens oder -wollens anderer Akteure bspw. Interessensvertre-
tungen zu bedürfen, welche eine frequente Berichterstattung und adäquate Daten einfordern,
wie der paritätische Wohlfahrtsverband in Deutschland für eine Armutsberichterstattung eintrat
bzw. weiterhin eintritt (vgl. Schädle, 2010).

Tabelle 3 – Vergleich der Armutsgefährdungsquoten jeweiliger Altersgruppen 107


Österreich Deutschland
Gesamt Kinder (0-17) 18-64 65+ Lücke 65+ 65+
2005 (SILC 2006) 12,6% 14,7% 11% 16,2% 13,3% 12.5%
2006 (SILC 2007) 12% 14,8% 10,6% 14,4% 12,1% 16.2%
2007 (SILC 2008) 15,2% 18,1% 13,3% 18,9% 18,1% 14.9%
2008 (SILC 2009) 14,5% 17,1% 13% 17,4% 17,4% 15.0%
2009 (SILC 2010) 14,7% 19% 12,9% 16,8% 18,6% 14.1%
2010 (SILC 2011) 14,5% 17,8% 13,1% 16,2% 19,1% 14.2%
2011 (SILC 2012) 14,4% 17,5% 13,3% 15,1% 19% 15.0%
2012 (SILC 2013) 14,4% 18,6% 12,9% 15,4% 20,7% 14.9%
2013 (SILC 2014) 14,1% 18,2% 12,9% 14,2% 19,6% 16.3%
2014 (SILC 2015) 13,9% 17,8% 13% 13,2% 17,8% 16,5%
2015 (SILC 2016) 14,1% 16,5% 13,6% 13,2% 16,1% 17,6%

Abschließend soll noch geprüft werden, ob das österreichische Gebaren der Auseinanderset-
zung ein Korrelat in Deutschland findet. Tatsächlich entwickelte sich die Lage zwischen den
beiden Ländern unterschiedlich: während in der Mitte der 1990er Jahre in Deutschland Kinder
und Jugendliche ein besonders hohes Armutsrisiko hatten (vgl. Groenemeyer & Ratzka, 2012,
S. 401),108 SeniorInnen im Gegensatz ein unter dem Schnitt liegendes, war in Österreich das

107
Siehe SILC Berichte bzw. Eurostat.
108
Noch in den 1970er Jahren war in Deutschland die Altersarmut sehr hoch – auf Basis alter Berechnungsver-
fahren – wurden 40% der Haushalte mit einem Haushaltsvorstand über 65 als arm adressiert (vgl. European
Commission, 1988, S. 4). Nochmals sei festgehalten, dass die Vergleichbarkeit aufgrund unterschiedlicher
62 Das doppelte Relativ der Altersarmut

Risiko für SeniorInnen besonders hoch, gefolgt vom Kinderarmutsrisiko (BMAGS, 2001, S.
185). Erst in den letzten Jahren stieg in Deutschland die Armutsgefährdungsquote älterer Men-
schen kontinuierlich auf 17,6% (siehe Tabelle 3) und damit über den EU28 Schnitt von 14,6%,
hingegen sie in Österreich auf 13,2% fiel.
Im Gegensatz zu der von Motel-Klingebiel & Vogel (2013) ihr Buch betitelnden Frage einer
„Rückkehr der Altersarmut?“ für Deutschland, waren bereits 1997 in Österreich 251.000 Men-
schen und damit mehr als im Gesamtschnitt als armutsgefährdet adressiert worden – zumindest
diese hohe Prävalenz hätte der Wissenschaft und der Politik bekannt sein müssen und vertie-
fende Auseinandersetzungen anstoßen können. Konträr dazu nahm in Deutschland mit steigen-
der Armutsgefährdungsquote bei älteren Menschen sehr wohl auch die Thematisierung zu (u.a.
Bäcker, 2016; Braun & Thomschke, 2017; Brettschneider & Klammer, 2016; Geyer, 2015;
Haan u. a., 2017). Vor allem die Frage nach der zukünftigen Entwicklung wurde virulent und
führte in den letzten Jahren zu (hitzigen) Debatten in Deutschland. Die Negation des Phäno-
mens durch schlichte Aussparung trotz der zumindest vor ein paar Jahren noch bestehenden
hohen Quoten in Österreich, muss in diesem Sinne kritisch betrachtet werden.

2.1.2.2 Politisch-administrativer Standard


Die in Österreich gewährten Sozialleistungen bzw. jeweilige Voraussetzungen sind auch auf-
grund der föderalistischen Struktur – im Armenwesen kommt dem Bund nur die Grundgesetz-
gebungskompetenz zu, während den Ländern die Ausführungsgesetzgebung und der Vollzug
obliegt (vgl. Obinger & Tálos, 2006, S. 40) – einerseits mannigfaltig und unterliegen anderer-
seits aktuellen Debatten (wie bspw. der Diskurs zur bedarfsorientierten Mindestsicherung),
weisen aber ebenso historische Bezüge auf bzw. sind davon abhängig – betrachtet man etwa
das Verschlechterungsverbot (u.a. Dimmel & Pratscher, 2014, S. 947) in der Mindestsicherung
oder die lange Historie der Ausgleichszulage. In Folge differieren die Sozialleistungen in den
einzelnen Bundesländern; selbst die nun wieder ausgelaufene 15a-Vereinbarung109 zur bedarfs-
orientierten Mindestsicherung konnte Länderunterschiede nicht völlig beseitigen (siehe auch
APA, 2017).110 Daher wird entlang des Forschungsziels nur die Wiener Situation im Nachfol-
genden dargestellt. Zudem machen laufende Anpassungen bzw. Änderungen die Darstellungs-
bemühungen zu einem infiniten Prozess. Für diese Arbeit wurde die letzte Adaption des Textes
im Jänner 2018 vorgenommen, da zu diesem Zeitpunkt auch die Interviews abgeschlossen wa-
ren. Angemerkt sei aber, dass mit dem 1.2.2018 das neue Wiener Mindestsicherungsgesetz in
Kraft trat, welches, gleichwohl einiger Änderungen, ältere Menschen nicht anderes als bis dahin
behandelt (siehe WMG idF. 01.02.2018).111 Wie bereits erörtert, wird in diesem Abschnitt da-

Berechnungsverfahren (Verwendung unterschiedlicher Lagemaße und Äquivalenzskalen) mit großen Proble-


men behaftet und mit äußerster Vorsicht zu behandeln ist. Die komparativen Analysen, welche im Zuge der
europäischen Armutsprogramme durchgeführt worden waren (u.a. Eurostat, 1991), zeigen zusätzlich die Prob-
lematik, dass jeder Operationalisierungsversuch selbst der gleichen Konzeption, wie am Beispiel der europä-
ischen Armutsdefinition geschehen, zu markanten Unterschieden führt.
109
Ziel einer Vereinbarung gemäß Art.15a B-VG ist die freiwillige Koordination zwischen Bund und Ländern in
ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen (siehe Verbindungsstelle der Bundesländer, 2014).
110
Ein knapp 80 Seiten langes Dokument der Armutskonferenz aus 2012 listet die teils unterschiedlichen Bedin-
gungen in der Mindestsicherung zwischen den Ländern auf (siehe Armutskonferenz, 2012), welche sich nach
Ablauf der Vereinbarung weiter ausgeprägt haben; so wurden in manchen Bundesländern etwa Deckelungen
der Auszahlungshöhe eingeführt.
111
Die Änderungspläne der Regierung sind aktuell schwer zu beurteilen, außerdem hat Wien bereits Widerstand
angekündigt, da wohl tiefe Einschnitte für BewohnerInnen Wiens damit verbunden sein dürften. Ohne dies
hier weiter zu vertiefen, muss die Frage gestellt werden, wie etwa mit einer Deckelung trotz steigender Zahl
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 63

nach gefragt, nach welchen „singulären Bestimmungen“ – um Simmels Worte erneut zu ge-
brauchen – der Zugang zu Sozialleistungen gewährt wird und welche Art von bzw. welche
Höhen der Hilfeleistungen ältere Menschen erhalten. Vorweg sei erwähnt, dass die im Nach-
folgenden dargestellten Unterstützungsleistungen bzw. Befreiungen sich im Wesentlichen an
ein geringes Einkommen knüpfen, obgleich die Einkommensgrenzen für den Anspruch diver-
gieren bzw. einer individuellen Bedarfsprüfung unterliegen können.
Tabelle 4 – Übersicht der Sozialleistungen
Bezeichnung Sichernde Maßnahme Kostenreduzierende Maßnahme
Ausgleichszulage Geldleistung – min. Standard --
Mindestsicherung Geldleistung – min. Standard --
Wohnbeihilfe Geldleistung – Wohnen --
Mietbeihilfe Geldleistung – Wohnen --
Rundfunkgebühren -- Sachleistung – Befreiung
Rezeptgebühren Sachleistung – Befreiung
Ökostrom -- Sachleistung – Befreiung
Fernsprechentgelt -- Sachleistung – Zuschuss
Energieunterstützung Geldleistung – bei Bedarf Dienstleistung – Beratung/Zuschuss
Mobilpass -- Sachleistung – Ermäßigung
Hundeabgabe -- Sachleistung – Zuschuss
Kulturpass -- Sachleistung – kostenfreies Angebot
TUWAS!Pass -- Sachleistung – kostenfreies Angebot
HibL Geldleistung – bei Bedarf --
Unterstützungsfonds PVA Geldleistung – bei Bedarf --
Unterstützungsfonds Krankenkas-
Geldleistung – bei Bedarf --
sen

Um einen ersten Überblick der zentralen Leistungen zu geben, sind die Sozialleistungen in eine
tabellarische Form gestellt und kategorisiert. Meist erfolgen solche Einteilungsversuche nach
der Differenzierung Geld- und Sachleistungen (vgl. Badelt & Österle, 2001, S. 15), welche auch
in der Tabelle 4 zu finden sind.112 Obschon einige der Sozialleistungen auf andere Dimensionen
der Lebenslage (Gesundheit oder soziale Teilhabe) abzielen, wird dies wesentlich auf Basis der
monetären Dimension bzw. der Zahlungsfähigkeit realisiert. Beispielsweise wird mittels des
Fernsprechentgeltzuschusses entlang einer staatlichen, direkt an den Telekommunikationsan-
bieter getätigten Geldleistung, die Möglichkeit einer Nutzung von Telekommunikationsange-
boten und in Folge die Möglichkeiten der sozialen Teilhabe erleichtert. Im Kontext der Zah-
lungsfähigkeit lässt sich hierbei zwischen „sichernden“ (Zahlungsfähigkeit grundsätzlich her-
stellenden) bzw. „kostenreduzierenden“ Transfers unterschieden. Letztere werden nur bei der
Nutzung durch den Betroffenen realisiert und das, den Handlungsraum aufspannende Einkom-
men virtuell erhöht. Begründen lässt sich solch eine monetarisierende Perspektive unter der

an Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft der benötigte Wohnraum noch finanziert werden kann. Noch dazu
unter der von ExpertInnen bereits als akut bezeichneten Marktsituation für günstige Wohnungen (siehe Dawid
& Heitzmann, 2015). In einer aktuellen Analyse zeigt Rebhahn (2017), dass die Deckelung in der konkreten
Ausprägung eine verfassungsrechtliche Unzulässigkeit darstellt. Das niederösterreichische Modell wurde
mittlerweile vom Verfassungsgerichthof als verfassungswidrig aufgehoben.
112
Selbstredend ließen sich einige der Leistungen als Mischformen bezeichnen, folgt man der Definition von
Badelt & Österle (2001). An dieser Stelle wird hingegen die Perspektive von Betroffenen eingenommen, wel-
che entweder die Geldleistung direkt oder unabhängig vom Anbieter eine Sach- oder Dienstleistung erhalten.
Die Zuweisung einer Mischform erscheint aus Betroffenenperspektive vernachlässigbar.
64 Das doppelte Relativ der Altersarmut

Annahme, dass in den Dimensionen der Lebenslage zumindest ein gewichtiger Teil von Mög-
lichkeiten erst durch die Aufwendung materieller Mittel umgesetzt werden kann. Geld „ist ein
universales, kein nur ‚ökonomisches’ Medium, denn von ihm hängt direkt oder indirekt die
Inklusion der Individuen in alle Teilsysteme der Gesellschaft ab“ (Deutschmann, 2009, S. 227).
Soziale Kontakte zu pflegen, bedeutet neben dem Vorhandensein von Telekommunikations-
mitteln z.B. Gehbehelfe bzw. öffentliche Verkehrsmittel nutzen oder einmal auf eine Kaffee-
runde nach Hause einladen zu können – all dies bedarf Geld bzw. der Zahlungsfähigkeit, auch
wenn außer Frage weitere Aspekte eine Rolle spielen.

2.1.2.2.1 Charakteristika der Sozialleistungen


Grosso modo lässt sich konstatieren, dass „MindestpensionistInnen“ bzw. BezieherInnen der
bedarfsorientierten Mindestsicherung in Dauerleistung auf die obig angeführten Leistungen po-
tentiell zugreifen können. Liegt hingegen das Pensionseinkommen, wenn auch nur um einen
kleinen Betrag über dem Mindeststandard, so gilt es, die jeweiligen, im Nachfolgenden darge-
stellten Voraussetzungen genauer zu beachten. Da die Bestimmungen teils umfassend sind und
eine detaillierte Darstellung die Übersichtlichkeit schmälern würde, ist die Zusammenstellung
an Personen im Einzelhaushalt und Pensionsalter orientiert, sofern dieser Status einen Unter-
schied in den Voraussetzungen bzw. Berechnungsgrundlage bedeuten würde. Zu Beginn wer-
den die Ausgleichszulage und die Mindestsicherung in Dauerleistung etwas umfangreicher dar-
gestellt, da diese als zentrale Elemente die Grundversorgung absichern.
Zuvor ist aber noch auf den gängigen Irrtum hinzuweisen, dass es in Österreich eine Mindest-
pension gäbe bzw. man nicht unter den Mindeststandard fallen könne – sieht man bereits von
Menschen in Obdachlosigkeit ab, welche aufgrund fehlender bzw. erschwerter Adressierungs-
möglichkeiten nicht von Sozialleistungen erreicht werden oder Personen, welche eine Beantra-
gung grundsätzlich scheuen. So sind Kürzungen, einerseits durch Arbeitsunwilligkeit bei Be-
zug der bedarfsorientierten Mindestsicherung (was aufgrund des Erreichens des Regelpensi-
onsalters für die hier betrachteten Fälle auszuklammern ist)113 und andererseits „wenn eine
Hilfe suchende oder empfangende Person ihre Mittellosigkeit während oder innerhalb der letz-
ten drei Jahre vor der Hilfeleistung selbst verursacht hat, weil sie Vermögen verschenkt oder
ein Erbe nicht angetreten hat“ (§ 15 Abs. 2 WMG 2013), möglich. Mit letzterem wird das Fi-
nalitätsprinzip (siehe Dimmel, 2014, S. 505f.) wohlfahrtsstaatlicher Systeme erodiert. Auch
wurden vom Rechnungshof einige Problemfelder im Kontext der Ausgleichszulage themati-
siert, welche auf die tatsächlich verfügbare Höhe Auswirkungen haben: etwa im Bereich von
Heimaufenthalten, gleichzeitigem Bezug mehrerer Pensionsleistungen oder einer fehlenden
Abstimmung der Richtsätze hinsichtlich des Existenzminimums nach der Exekutionsordnung
(vgl. RH, 2015).
Konkludierend lässt sich anmerken, dass nachfolgende Angaben über die Höhe der Richtsätze
zwar mit den tatsächlich erhaltenen Leistungen übereinstimmen können, aber nicht müssen.114

113
Eine Umstellung in Niederösterreich 2017 hatte diesbezüglich einige Verwirrung gestiftet, so wurden auch an
Personen im Pensionsalter bzw. mit Arbeitsunfähigkeit Aufforderungen zur gemeinnützigen Hilfstätigkeit
verschickt (u.a. Zach, 2017).
114
Eines, in den letzten Jahren von mir interviewte Paar erhielt überhaupt keine österreichische Pensionsleistung,
da, obwohl die Ehefrau eine österreichische Staatsbürgerschaft hat, mit dem Land, in welchen beide mehr als
30 Jahre arbeiteten, weiterhin kein Sozialvertrag besteht. Folglich wird die Arbeitszeit in Österreich für die
Pension nicht anerkannt und daher kann kein Pensionsanspruch in Österreich geltend gemacht werden. Auf-
grund einer kleinen Eigentumswohnung – diese wurde vor Jahren bei einem guten Wechselkurs angeschafft,
ist nun aber abgewohnt bzw. akut sanierungsbedürftig – wurde keine Mindestsicherung beantragt, um diese
Ressource nicht zu belasten, sondern für zukünftige (wenn auch schon abzeichnende) Pflegekosten bzw. den
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 65

• Ausgleichszulage
Sie ist in den Sozialversicherungsgesetzen, wie dem ASVG, welches im Folgenden rezitiert
wird, verankert115 und steht PensionsbezieherInnen im Sinne einer akzessorischen Leistung zur
Verfügung (vgl. Beck, 2010), wenn „die Pension zuzüglich eines aus übrigen Einkünften des
Pensionsberechtigten erwachsenden Nettoeinkommens [...] nicht die Höhe des für ihn gelten-
den Richtsatzes“ (§ 292 Abs. 1 ASVG idF 2017) erreicht. Die Ausgleichszulage stockt daher
das vorhandene Pensionseinkommen unter Berücksichtigung der familialen Situation bei einem
gewöhnlichen Inlandsaufenthalt auf (auch Dimmel & Pfeil, 2014, S. 634f.) und bedarf eines
eigenen Pensionsanspruches, um überhaupt die Leistung beziehen zu können.116 Der Richtsatz
2018 beträgt 909,42 Euro brutto für eine/n alleinstehende/n PensionsbezieherIn. Im Jahr 2017
wurde zusätzlich die erhöhte Ausgleichszulage (damals 1.000 Euro) eingeführt, welche für
2018 nun 1.022,00 Euro brutto beträgt und für welche 360 Beitragsmonate in der Pflichtversi-
cherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit nötig sind. Wichtig ist zu betonen, finden sich in der
Literatur unvollständige Darstellungen (u.a. Angel & Kolland, 2011, S. 193), dass hiervon die
Krankenversicherung von aktuell 5,1% abzuziehen ist und führt damit zu einer nicht unbe-
trächtlichen Schmälerung um 46 Euro beim normalen und 52 Euro beim erhöhten Richtsatz.117
Letztendlich sind die Nettorichtsätze von 863,04 Euro und 959,88 Euro für Betroffene im Jahr
2018 relevant;118 eine Auszahlung erfolgt 14 mal im Jahr. Aufgrund der Berechnungsmechanik
sind bei mehrfachen Pensionen auch etwas höhere Bezüge – in Richtung Bruttorichtsatz – mög-
lich (siehe für ein Rechenbeispiel RH, 2015, S. 378).119 Im Vergleich zu den weiteren vorge-
stellten Leistungen ist die Ausgleichszulage keine reine Fürsorgeleistung, sondern lässt sich als

Umzug in ein Pflegeheim aufzusparen. Um einen Pensionsanspruch zu bekommen, arbeitet die Ehefrau daher
weiterhin, denn das Pensionseinkommen aus dem Drittland liegt unter dem Mindeststandard für zwei Perso-
nen. Allgemein zeigt sich in den Interviews, dass Personen, welche einen Teil ihrer Erwerbskarriere im Aus-
land verbracht haben, etwa durch volatile Wechselkurse immer wieder mit Einkünften unter dem Mindest-
standard konfrontiert waren bzw. auch weiterhin sein dürften, auch wenn die Ausgleichszulage gewährt
wurde. Der Begriff des Mindeststandards wird seiner Bedeutung daher nur bedingt gerecht, gleichwohl vom
obersten Gerichtshof dessen Relevanz herausgestrichen wird: „’Not’ [ist] dann gegeben, wenn das Existenz-
minimum nicht erreicht wird. Der Richtsatz für die Gewährung einer Ausgleichszulage ist jener Betrag, der
das Existenzminimum garantiert. Durch die Ausgleichszulage sollen nämlich Leistungen garantiert werden,
die dem Rentenberechtigten eine bescheidene Existenz ermöglichen [...]. Der Ausgleichszulagenrichtsatz legt
das (konventionelle) Existenzminimum fest“ (OGH 2.4.1998, 2 Ob 99/98t).
115
Die Ausgleichszulage ist bereits seit dem ASVG von 1955 verankert, seit 1971 sind alle Berufsgruppen dazu
berechtigt (vgl. RH, 2015, S. 317). Auch unter pensionierten BeamtInnen gibt es mit der Ergänzungszulage
ein Pendant zur Ausgleichszulage, welche in Wien von 69 BundesbeamtInnen im Jahr 2016 (BVA – telefoni-
sche Korrespondenz) bezogen wurde.
116
Im Schnitt betrug die Ausgleichszulage der PVA 282 Euro im Jahr 2016 (PVA, 2017a, S. 170), wobei zwi-
schen den Pensionsversicherungsanstalten deutliche Unterschiede (am geringsten in der VAEB – Bergbau und
am höchsten in der SVB) zu erkennen sind (vgl. RH, 2015, S. 367; bzw. SVA, 2017, S. 125).
117
„Grundsätzlich ist jede gebührende Brutto-Leistung (Pension zuzüglich Ausgleichszulage) um den Kranken-
versicherungsbeitrag von 5,1% zu vermindern. Lediglich bei Waisenpensionen wird kein Krankenversiche-
rungsbeitrag abgezogen“(PVA, 2018).
118
Auch mit diesen Werten liegt die Ausgleichszulage bereits jetzt unter der aktuellen Armutsgefährdungs-
schwelle des SILC 2016. Nochmals sei betont, dass es sich genau genommen um Werte für das Jahr 2015
handelt. Geht man von einer ähnlichen Entwicklung der Armutsgefährdungsschwelle in den nächsten Jahren
aus, so dürfte die Differenz von circa 2.500 Euro zwischen Ausgleichszulage und Armutsgefährdungsschwelle
bestehen bleiben.
119
Vereinfacht gesagt: je geringer die erstanfallende und je höher die zweitanfallende Pension ist, umso näher
liegt der Gesamtnettobezug dem Bruttorichtsatz. Dieser Umstand wird aufgrund der Ungleichbehandlung
selbstredend problematisch gesehen, erfuhr aber bisher keiner Behebung.
66 Das doppelte Relativ der Altersarmut

Hybrid zwischen dieser und einer Versicherungsleistung bezeichnen (u.a. Binder, 1981).120 Für
Beck (2010, S. 20) liegt der wesentlicher Unterschied zu anderen Sozialleistungen in der feh-
lenden Verpflichtung einer Vermögensverwertung. Tatsächlich trifft dies aber auch nur bedingt
auf andere Transfers für altersarme Menschen zu – von zentraler Bedeutung und dem Prinzip
gleichwohl folgend sind die Mindestsicherung, Mietbeihilfe und Hilfe in besonderen Lebens-
lagen (HibL) zu nennen. Während das Vermögen entsprechend keine Rolle bei der Ausgleichs-
zulage spielt, wird im ASVG das Einkommen als Verminderungsgrund festgelegt (u.a. Dimmel
& Pfeil, 2014, S. 634), wodurch auch mittels Vermögen erzielte Einkünfte die Ausgleichszu-
lage mindern.121 Es besteht ein Rechtanspruch auf die Ausgleichszulage und wird im Zuge des
Pensionsantrages festgestellt, nachträgliche Änderungen sind auf Basis eines Antrages zu be-
rücksichtigen, zudem muss eine sich verändernde Einkommens- bzw. Familiensituation be-
kanntgegeben werden.

Abbildung 1 – Zahl der AusgleichszulagenbezieherInnen122

Abbildung 1 zeigt die Zahl der AusgleichszulagenbezieherInnen, welche sich von 1973 bis
2013 von circa 380.000 auf 229.000 Menschen reduziert hat. Mit Stand 2016 gab es 211.237
AusgleichszulagenbezieherInnen bei den Versicherungsträgern (SVA, 2017, S. 123). Zwar
ging bspw. zwischen 2009 und 2016 die Zahl der AusgleichszulagenbezieherInnen in den Trä-
gern zurück, wobei am deutlichsten mit knapp 23% in der SVA der BäuerInnen und gar 30%
in der VA für Eisenbahn und Bergbau (vgl. SVA, 2010, 2017),123 der Rechnungshof schätzt

120
Wobei je nach AutorIn mal mehr die eine oder andere Seite betont wird: So argumentiert Resch (2000) eher
für eine Fürsorgeleistung: „Legt man die im österreichischen Sozialrecht übliche Differenzierung der Einord-
nung zugrunde (SV, Sozialhilfe und Versorgung), dominieren mE die Elemente für eine fürsorgerechtliche
Leistung deutlich. Für eine Versicherungsleistung spricht nur die Einordnung in das PV-Recht (samt dem
Umstand, daß der Anspruch nur bei gleichzeitigem Pensionsbezug aus der PV besteht)“.
121
Der Verminderungsgrund stellt für ein paar der interviewten Personen ein nicht unwesentliches Problem dar,
da die Ausgleichszulage in den spezifischen Kostenkonstellationen nicht ausreicht, eine geringfügige Anstel-
lung, welche etwa unter körperlichen Gesichtspunkten noch möglich wäre, durch Abzüge in der Mindestsi-
cherung aber kein höheres Einkommen bedingt. Zumindest im Bereich der Geringfügigkeitsgrenze wäre die
Ausklammerung aus der Einkommensberechnung sinnvoll, um Schwarzarbeit keinen Vorschub zu leisten.
122
Die Grafik ist von RH (2015, S. 319) entliehen.
123
Davon zu differenzieren sind die absoluten Zahlen, gehören 37.191 AusgleichszulagenbezieherInnen der SVA
der BäuerInnen an und 2.087 der VA für Eisenbahn und Bergbau. Der Hauptanteil mit 160.412 Personen
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 67

aber, dass in Zukunft ein weiteres Absinken der Anzahl der Ausgleichszulagenbezieher nicht
selbstverständlich sei, da aufgrund der längeren Durchrechnungszeiträume vermehrt auch Zei-
ten niedriger Beiträge für die Pensionshöhe zum Tragen kommen (vgl. RH, 2015, S. 324).124
Hiermit wird auf die auch von ForscherInnen (u.a. Karasek, 2013; Mairhuber, 2012) monierte
„lebenslange Durchrechnung“ verwiesen, welche zu einer Prekarisierung bei zumindest brü-
chigen Erwerbskarrieren führen dürfte (vgl. Mayrhuber, 2006). Zudem ist auf die Struktur zu
achten, so hat sich bspw. die Zahl der AusgleichszulagenbezieherInnen bei den Angestellten
stabilisiert (vgl. SVA, 2017, S. 124) bzw. ist im Zeitraum von 2009 bis 2016 leicht angestiegen.
In Zukunft dürfte aufgrund der Veränderungen des Arbeitsmarktes auch mit einer Verlagerung
der AusgleichszulagenbezieherInnen in den Angestelltenbereich zu rechnen sein.
Abschließend ist zu konstatieren, dass sich die ungleiche Geschlechterverteilung der Altersar-
mut ebenso im Bezug zur Ausgleichszulage widerspiegelt. 2015 waren knapp 70% aller Aus-
gleichszulagenbezieherInnen der PVA Frauen (siehe Freitag, 2016) – Zahlen zu den anderen
Trägern lagen nicht vor bzw. weist die SVA eine Differenzierung nach Geschlecht nicht aus.

• Mindestsicherung in Dauerleistung
Aufgrund des akzessorischen Charakters der Ausgleichszulage auf einen erworbenen Pensions-
anspruch, ist der Erhalt dieser nicht selbstverständlich – hierbei dürfte es sich um den markan-
testen Punkt handeln, welcher das Modell von einer Mindestpension differenziert. Wer nicht
zumindest 180 Beitragsmonate gesammelt hat (vgl PVA, 2017b), erhält in Österreich keine
Pension und damit keine Ausgleichszulage, selbst wenn der Person entsprechend des kalenda-
rischen Alters keine Arbeitsbereitschaft mehr gesellschaftlich aufoktroyiert wird.125 In solch
einem Falle bleibt nur die Möglichkeit, die bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS) zu be-
antragen, wobei es sich in Wien bei Überschreitung des Regelpensionsalters um die modifi-
zierte Variante der Mindestsicherung in Dauerleistung handelt. Allgemein ist die Mindestsi-
cherung ein relativ junger Transfer, sie wurde 2010 eingeführt und ersetzt die deutlich in den
Bundesländern auseinanderentwickelte Sozialhilfe auf Basis einer nun bereits wieder abgelau-
fenen Bund- und Ländervereinbarung nach Art. 15a B-VG (vgl. Dimmel & Pfeil, 2014, S. 638).
Wie bereits erwähnt, waren die länderspezifischen Unterschiede aber weder zu Beginn voll-
ständig beseitigt worden und haben sich seit dem Ablauf zunehmend ausgeprägt. Daher noch-
mals der Verweis, dass hier nur die Situation von Wien dargestellt wird; im Nachfolgenden
werden Paragraph 1 und 3 des Wiener Mindestsicherungsgesetztes (WMG idF. 01.01.2018)
zitiert, da sie die zentralen Charakteristika der Leistung hervorstreichen:
§ 1.
(1) Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung hat zum Ziel, Armut und soziale Aus-
schließung verstärkt zu bekämpfen und zu vermeiden sowie die dauerhafte Einglie-
derung oder Wiedereingliederung in das Erwerbsleben weitest möglich zu fördern.

rekrutiert sich aus der PVA, obschon diese die meisten Pensionen ausbezahlt, womit anteilsmäßig (rund 8,2%)
relativ selten eine Ausgleichszulage bezogen wird. In der SVA der BäuerInnen sind es hingegen 21,4% (siehe
SVA, 2017).
124
Auch soll darauf hingewiesen werden, dass sich der Abstand zwischen Ausgleichszulage und Armutsgefähr-
dungsschwelle vergrößert hat – 1997 betrug dieser etwa 10% (vgl. Förster, 2001, S. 200), waren es 2015 circa
17%. Die Reduktion der BezieherInnen ist auch auf eine Zunahme dieser Ungleichheit zurückzuführen bzw.
profitierten jene unterproportional von einer allgemeinen Einkommenszunahme. Der 2017 eingeführte, er-
höhte Ausgleichszulagenrichtsatz bei 360 Beitragsmonaten müsste die Zahl an BezieherInnen wieder erhöhen.
125
Arbeitszeiten im Ausland werden ja nach Vertragsstatus als Versicherungszeit angerechnet, Leistungen aber
nur in Höhe der in Österreich erworbenen Beitragsmonate abgegolten.
68 Das doppelte Relativ der Altersarmut

(2) Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung erfolgt durch Zuerkennung von pau-


schalierten Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs
sowie von den bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung erforderlichen
Leistungen. Auf diese Leistungen besteht ein Rechtsanspruch.
(3) Die Zuerkennung von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung ist
subsidiär. Sie erfolgt nur, wenn der Mindestbedarf nicht durch Einsatz eigener Ar-
beitskraft, eigener Mittel oder Leistungen Dritter gedeckt werden kann.
§ 3.
(1) Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung deckt den Mindeststandard in den Be-
darfsbereichen Lebensunterhalt, Wohnen, Krankheit, Schwangerschaft und Entbin-
dung ab.
(2) Der Lebensunterhalt umfasst den Bedarf an Nahrung, Bekleidung, Körper-
pflege, Hausrat, Heizung und Energie sowie andere persönliche Bedürfnisse, zu
denen auch die soziale und kulturelle Teilhabe zählt.
(3) Der Wohnbedarf umfasst den für die Gewährleistung einer angemessenen
Wohnsituation erforderlichen Aufwand an Miete, Abgaben und allgemeinen Be-
triebskosten.
Die subsidiär organisierte BMS wird folglich als pauschalierte Geldleistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs – allgemein 25% vH des Mindeststandards bzw. 13,5%
bei Personen über dem Regelpensionsalters; dieser Teil wird auch „Grundbetrag zu Deckung
des Wohnbedarfs“ genannt – gewährt (u.a. Pratscher, 2017b, S. 4) und beträgt für 2018 den
Nettobetrag der Ausgleichszulage 863,04 Euro für einen Einpersonenhaushalt.126 Die Auszah-
lung erfolgt im Normalfall 12-mal im Jahr; Personen über dem Regelpensionsalter erhalten in
Wien (in Form der BMS in Dauerleistung) auch Sonderzahlungen, also insgesamt eine 14-ma-
lige Auszahlung im Jahr. Die Sonderzahlung wird nicht in jedem österreichischen Bundesland
ausbezahlt, womit sich das Jahreseinkommen eines bzw. einer PensionistIn je nach Mindestsi-
cherung und Land zumindest um 1.600 Euro unterscheiden kann. Ein Umstand, welcher selbst
unter Bedacht einer per se fehlgeleiteten, nur über die Transferhöhe gesteuerten Lohnab-
standsdebatte im Kontext fehlender Verpflichtung der Arbeitsbereitschaft kontradiktorisch er-
scheint. Anders formuliert wird aktuell die Logik des Arbeitsstimulus an Personen herangetra-
gen, die letzten Endes als dem Arbeitsmarkt fern adressiert sind. Die Paradoxie mündet in einer
Ungleichverteilung und weiteren Prekarisierung; noch dazu einer verhältnismäßig kleinen
Gruppe (2016 waren 18.541 Personen über 60 (Frauen) bzw. über 65 (Männer) Jahre der ins-
gesamt 307.533 BezieherInnen einer bedarfsorientierten Mindestsicherung127), welche bei ei-
ner Gleichbehandlung gegenüber AusgleichszulagenbezieherInnen das staatliche Haushalts-
budget nur wenig belasten würden. Tatsächlich ist ein Großteil jener BMS-BezieherInnen

126
Der Betrag von 863,04 Euro enthält folglich im Normalfall 215,76 Euro Grundbetrag für den Wohnbedarf,
bei älteren Menschen (Regelpensionsalter) fällt der Grundbetrag auf 116,51 Euro. Die Absenkung hat einen
positiven Effekt auf die Mietbeihilfe, wie im Späteren noch erörtert wird.
127
Aktuell besteht die Problematik, dass sozialstatistische Merkmale wie das Alter nicht explizit in der Statistik
zur bedarfsorientierten Mindestsicherung erhoben werden; es stehen die fünf Kategorien – Alleinstehende,
Paare ohne Kinder, Alleinerziehende, Paare mit Kindern und Andere – zur Verfügung. Nur für Alleinstehende
und Paare ohne Kinder wird nach den Altersgrenzen: <60/65 Jahre, ≥60/65 Jahre ,15) differenziert, während
bei Alleinerziehenden und Paaren mit Kindern eine Unterteilung nach der Anzahl an Kindern (1 Kind, 2 Kin-
der, 3 Kinder, 4 oder mehr Kinder) erfolgt (vgl. Pratscher, 2017a, S. 836). Ältere Paare bzw. Alleinerziehe-
rInnen sind explizit ausgewiesen, womit die oben genannte Zahl der BezieherInnen im Regelpensionsalter
etwas unterschätzt sein dürfte. Gleichwohl ist ein bedeutender Zuwachs nicht zu erwarten.
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 69

(13.871 Personen) über dem Regelpensionsalter in Wien beheimatet und dürfte bereits die Son-
derzahlungen erhalten, womit die benachteiligte Gruppe älterer Menschen nochmals kleiner
und die Mehrkosten gering einzuschätzen sind. Für Wien lässt sich konkludieren, dass zwischen
„pensionsreifen“ BMS-BezieherInnen und AusgleichszulagenbezieherInnen in der Einkom-
menshöhe kein wesentlicher Unterschied besteht, während aber für einen BMS-Bezug eine
Vermögensverwertung (§ 12 des WMG idF 1.1.2018) vorgesehen ist. Ausgenommen sind da-
von:
- Gegenstände, die zu einer Erwerbsausübung oder der Befriedigung angemessener kul-
tureller Bedürfnisse der Hilfe suchenden Person dienen;
- Gegenstände, die als angemessener Hausrat anzusehen sind;
- Kraftfahrzeuge, die berufsbedingt oder auf Grund besonderer Umstände (insbesondere
Behinderung, unzureichende Infrastruktur) erforderlich sind;
- unbewegliches Vermögen, wenn dieses zur Deckung des angemessenen Wohnbedarfs
der Bedarfsgemeinschaft dient;
- verwertbares Vermögen nach Abs. 2 bis zu einem Freibetrag in Höhe des Fünffachen
des Mindeststandards nach § 8 Abs. 2 Z 1 (Vermögensfreibetrag).
Entsprechend dem fünften Punkt ist ein Vermögensfreibetrag (bspw. auf einem Sparbuch) von
rund 4.300 Euro für das Jahr 2018 vorgesehen. Als Vorgriff auf die Interviews sei erwähnt,
dass für die meisten der Befragten eine solche Summe ein unerreichbares Ziel darstellt, letzt-
endlich werden aber weitere Spannungsfelder erzeugt, wäre etwa der Umbau zu einem alteng-
rechten Bade mit dieser Summe nur in seltenen Fällen möglich. Zugleich wurde mit der BMS
ein Rechtsanspruch auf Zusatzleistungen bei Sonderbedarfe abgeschafft (vgl. Dimmel &
Pratscher, 2014, S. 960), womit ältere Personen systematisch, selbst wenn sie das Vermögen
einmal gehabt hätten, in potentielle Problemkonstellationen gedrängt werden. In Wien mag dies
durch die Bestimmung über vertragliche Leistungen (§ 39 des WMG idF. 1.1.2018) abgefedert
werden, denn Förderungen als Hilfen in besonderen Lebenslagen im Wiener Mindestsiche-
rungsgesetz sind möglich. Eine besondere Lebenslage wird insbesondere vermutet bei:
- einmaligen, unvorhergesehenen, nicht selbst verschuldeten Aufwendungen,
- Mietrückständen, die bei Nichtzahlung unmittelbar zur Delogierung führen (Delogie-
rungsprävention).
Die Kann-Bestimmung ist hinsichtlich des ersten Punktes jedoch sehr offen gestaltet – im spä-
teren Teil wird auf solche Leistungen im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung nochmals
eingegangen –, womit relativ unklar ist, für welche Leistungen ein Antrag gestellt werden kann.
Dimmel & Pratscher (2014, S. 961) verweisen auf ein Handbuch in Wien, welches die Kann-
Leistungen regle, jedoch nicht öffentlich abrufbar ist.128 Anzumerken ist zudem, dass im Rah-
men der BMS angegeben ist, welche Leistungen mit dem Pauschalbetrag abgedeckt sind bzw.
sein sollen, obwohl eine evidenzbasierte Berechnung fehlt. „Es wäre wohl sinnvoll, wenn in
Österreich der zum Existenzminimum relevante Bedarf einmal durch Ausgabenstatistik oder
Warenkorbanalyse erhoben würde und es nachvollziehbare Kriterien zur Festsetzung der Min-
deststandards gäbe“ (Rebhahn, 2017). Auch bei alleinstehenden BMS-BezieherInnen im Re-
gelpensionsalter zeichnet sich erneut mit 77% eine starke Betroffenheit von Frauen ab (vgl.
Pratscher, 2017b, S. 15).

128
Im Internet findet sich auf der Plattform der Arbeitsloseninitiative AMSand eine vermeintliche Version von
2007. Auch wenn von dessen Aktualität nicht mehr ausgegangen werden kann, so sind in diesem sehr genaue
Angaben zum Sonderbedarf etwa im Bereich der Wohnraumausstattung oder der Instandsetzung zu finden
(siehe MA15, 2007).
70 Das doppelte Relativ der Altersarmut

• Wohnbeihilfe
Die Wohnbeihilfe bzw. allgemein Transfers129 zur Kompensation von Wohnkosten sind in
Städten mit tendenziell höheren Mieten besonders relevant, denn es lassen sich aus dem Grund-
betrag für das Wohnen in der Mindestsicherung aktuell nur schwer Wohnungen ohne prekäre
Wohnbedingungen in Wien finanzieren (siehe Dawid & Heitzmann, 2015). Die Wohnbeihilfe,
eine der bekanntesten Transfers, wird in Wien jeweils auf höchstens zwei Jahre gewährt und
zeichnet sich simplifiziert durch einen Einkommenskorridor aus, in welchem sich die Höhe der
Beihilfe durch die Differenz aus anrechenbarem Wohnungsaufwand (AWA) und zumutbarem
Wohnungsaufwand (ZWA) errechnet (vgl. MA50, 2018).130 Der ZWA ist im Wesentlichen aus
dem Haushaltseinkommen und der Anzahl an Personen im Haushalt abgeleitet;131 ab einem
gewissen monatlichen Nettohaushaltseinkommen (das 13. und 14. Gehalt werden berücksich-
tigt; 14/12) von circa 1.200 Euro bei einer Person übersteigt die ZWA den maximal anrechen-
baren Wohnungsaufwand (vgl. MA50, 2017b). Die tatsächliche Höhe der Beihilfe, welche 12-
mal im Jahr ausbezahlt wird, ist aufgrund der vielen Faktoren, welche AWA und ZWA bestim-
men, komplex132 – auch bei PensionistInnen in Ausgleichszulage beträgt der ZWA nach Anga-
ben der MA50 (2017a, S. 2) 116 Euro.133 Bei einer Gemeindewohnung, so das Rechenbeispiel
der Magistratsabteilung, mit 65 Quadratmetern – der Bau nach dem Wohnbauförderungsgesetz
1954 gefördert errichtet – und einem Hauptmietzins von 222,95 Euro, betrage die Wohnbeihilfe
entsprechend 54,53 Euro.134 Wird eine Mindestsicherung bezogen, so ist der Grundbetrag zur
Deckung des Wohnbedarfs (welche in der Mindestsicherung inkludiert ist) zu berücksichtigen
– dieser liegt bei Personen über dem Pensionsantrittsalter in der BMS aber leicht unter dem
ZWA auf Basis des Einkommens.135 Bei Einpersonenhaushalten bewegt sich die Bezugsmög-
lichkeit der Wohnbeihilfe relativ genau an der Armutsgefährdungsschwelle (auch wenn der
ZWA damit weiter ansteigt), fällt aber bei Mehrpersonenhaushalten deutlich darunter (siehe
MA50, 2017b).
Zusammenfassend lässt sich die Wohnbeihilfe, im Besonderen wenn man die Höhe vorab selbst
kalkulieren möchte, als schwer für Außenstehende erfassbare Transferleistung bezeichnen,
welche zudem einer Fülle an Dokumenten im Beantragungsprozess bedarf.136

129
In den Erzählungen einiger Betroffener noch präsent, ist die Mietzinsbeihilfe des Finanzamts. Diese wird
jedoch nicht mehr ausgeführt, da durch die Jahres-Einkommensgrenze von 7.300 Euro, welche bei Überstei-
gen dieser zu einer Reduktion führte, von MindestpensionistInnen bereits überschritten war. Nach Auskunft
bei einem Finanzamt in Wien, bezogen PensionistInnen daher, wenn überhaupt nur in geringem Ausmaß diese
Beihilfe und wurde am 31.Dezember 2015 abgeschafft.
130
Siehe auch Wiener Wohnbauförderungs- und Wohnhaussanierungsgesetz idF 1.1.2018.
131
Im Bereich der allgemeinen Wohnbeihilfe (§ 60 und folgende des Wohnbauförderungs- und Wohnhaussanie-
rungsgesetzes) beträgt der zumutbare Wohnungsaufwand mindestens den jeweiligen Mietzins der Ausstat-
tungskategorie C gem. § 15a MRG; entsprechend wird ein Mindestmaß an ZWA angenommen.
132
Es sind zum Beispiel auch Zuschüsse, die zur Minderung der Wohnungsaufwandsbelastung gewährt wurden,
in die Berechnung einzubeziehen.
133
Auf Basis der erhöhten Ausgleichszulage dürfte der ZWA bei etwa 215 Euro liegen. Womit theoretisch das
Mehr an Pensionseinkommen durch eine Reduktion der Wohnbeihilfe kompensiert werden könnte.
134
Kleinere Bezugsbeträge erscheinen bei der Wohnbeihilfe als typisch, da der AWA je nach Haustyp unter-
schiedlich hoch gedeckelt ist.
135
Bei BMS-BezieherInnen im erwerbsfähigen Alter und bei einer normalen Auszahlung 12-mal im Jahr ist der
ZWA umgekehrt deutlich unter dem Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs. Die Wohnbeihilfe fällt bei
jenen entsprechend geringer aus.
136
Dem Attest des Kontrollamtes der Stadt Wien (2009, S. 12) einer „ausführlichen und übersichtlichen Darstel-
lung“ der Berechnungsweise der Wohnbeihilfe ist nur bedingt zuzustimmen.
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 71

• Mietbeihilfe
Die Mietbeihilfe ist gesetzlich in ihrer Dauer nicht normiert und kann in gewissen Fällen paral-
lel zur Wohnbeihilfe bezogen werden, auch wenn in die Berechnung der Mietbeihilfe die zuer-
kannte Wohnbeihilfe einfließt. MindestsicherungsbezieherInnen in Dauerleistung (im Pensi-
onsalter) oder BezieherInnen einer Pension sind anspruchsberechtigt (der Antrag ist dem BMS
Antrag anhängig bzw. von AusgleichszulagenbezieherInnen gesondert auszufüllen), wenn das
Einkommen den jeweiligen Mindeststandard nicht übersteigt und kein verwertbares Vermögen
über dem gesetzlichen Vermögensfreibetrag vorhanden ist (vgl. MA40, 2014). BezieherInnen
einer Alterspension, welche über dem Mindeststandard liegt, können die Mietbeihilfe nicht be-
ziehen, wie AusgleichszulagenbezieherInnen mit Vermögen über den Bestimmungen des
WMG (siehe oben im Bereich der BMS). Zur Berechnung werden die Wohnungskosten heran-
gezogen und der Grundbetrag zur Deckung des Wohnungsbedarfs abgezogen. Begrenzt wird
die Leistung durch die Mietbeihilfenobergrenze. Derzeit ist diese mit 315,60 Euro festgelegt
(siehe § 2 der WMG-VO 2017), wobei von dieser der Grundbetrag des Wohnungsbedarfs wie-
derum abgezogen werden muss. Um für ältere Personen einen größeren Betrag zur Deckung
des Lebensunterhaltes zu gewährleisten, ist der Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs für
Einpersonenhaushalte bei 13,5% des Mindeststandards normiert und entsprechend die Diffe-
renz zur Mietbeihilfenobergrenze bzw. der daraus resultierende Transferbetrag größer. Für Ein-
personenhaushalte ergibt sich damit theoretisch eine maximale Mietbeihilfe in Höhe von etwa
200 Euro 12-mal im Jahr. Entlang der divergierenden Bemessungsgrundlagen (Hauptmietzins
versus Wohnungskosten) ist der parallel ergänzende Bezug einer Wohnbeihilfe und Mietbei-
hilfe unter bestimmten Konstellationen möglich. Knapp 11.000 PensionistInnen bezogen 2013
Mietbeihilfe (MA24, 2015, S. 96), was circa 1/3 der armutsgefährdeten älteren Menschen in
Wien entsprechen dürfte.

• Befreiung von Rezeptgebühren


Diese Befreiung gilt bei PensionistInnen (auf Antrag) 1 bzw. 5 Jahr(e) bzw. bei einer automa-
tischen Befreiung (schutzbedürftige Personengruppen) solange deren Voraussetzungen vorlie-
gen. „MindestpensionistInnen“ bzw. BezieherInnen einer Mindestsicherung fallen tendenziell
unter die automatische Befreiung (es sind die Regelungen der einzelnen Krankenkassen ge-
nauer zu beachten), während Personen mit einem monatlichen Nettohaushaltseinkommen von
bis zu 909,42 Euro (für Einpersonenhaushalte) oder bei erhöhtem Medikamentenbedarf (etwa
chronischen Erkrankungen) von bis zu 1.045,83 Euro befreit werden können (WGKK, 2018a).
Die Befreiung ist damit zwar am Mindeststandard der Ausgleichszulage angelehnt, durch die
divergente Berücksichtigung der Brutto-Netto-Werte sind jedoch auch Personen mit Einkünf-
ten über dem Nettomindeststandard befreit. Die zusätzliche Rezeptgebührenobergrenze (2%
des Nettojahreseinkommens ohne Sonderzahlung) bedingt außerdem, dass Personen mit höhe-
rem Einkommen ab einer bestimmten Anzahl an Rezepten ebenso jedes weitere im selben Jahr
ohne Gebühr beziehen können (die Mindestanzahl beträgt 37 Rezepte zu je 6 Euro für 2018).
Die Befreiung ist ein interessantes Beispiel der Verstrickung einer Leistung mit technischen
Mitteln und Personendaten, da diese automatisch einsetzt, ohne einer expliziten Beantragung.
Dies kann gegen Stigmatisierungstendenzen wirken, da die Gründe der Befreiung zwischen
Schutzbedürftigkeit und hohem Medikamentenbedarf verschwimmen.

• Befreiung von den Rundfunkgebühren und den damit verbundenen Leistungen


Diese Befreiung gilt maximal für eine Dauer von 60 Monaten und bedeutet konkret eine Ent-
lastung der Haushalte von aktuell 26,22 Euro in Wien monatlich, sofern ein Fernseher vorhan-
72 Das doppelte Relativ der Altersarmut

den ist. Sie kann von unterschiedlichen, aber festgelegten Personengruppen (Pensionsbeziehe-
rInnen oder BezieherInnen bestimmter Sozialleistungen) mit niedrigem Haushaltsnettoeinkom-
men beantragt werden, welches mit 1.018,55 Euro (für Einpersonenhaushalte), damit über dem
Mindeststandard liegend, angesiedelt ist (siehe GIS, 2018a). Mit positivem Antrag werden zwei
weitere Unterstützungen ermöglicht:
Zum einen kann ein Fernsprechentgelt-Zuschuss in Höhe von etwa 12 Euro brutto monatlich
als Unterstützungsleistung bezogen werden (einmalig pro Haushalt), welcher vom BMVIT
(Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie) gewährt und als Gutschrift auf
der Rechnung der teilnehmenden Telekommunikationsunternehmen geführt wird (vgl. GIS,
2018b). Dabei ist zu beachten, dass das Angebot der Telekommunikationsbetreiber breit gefä-
chert ist und beispielsweise von einem gesonderten Wertkartenmodell (häufig mit dem Begriff
„sozial“ gekennzeichnet) bis zu regulären Tarifen mit Vertrag (mit oder ohne Bindung) reicht.
Die Konditionen variieren stark, womit Verallgemeinerungen erschwert werden. Zusammen-
fassend ist festzuhalten, dass einige der Tarifoptionen im Vergleich zu den gängigen Angeboten
(sieht man von einer Gutschrift ab) im Minutenentgelt in Relation zu anderen Tarifen günstige
Konditionen aufweisen, aber die häufig geringen oder nicht vorhandenen Minutenpauschalen
(welche selbst bei heute üblichen Wertkartentarifen angeboten werden) schlussendlich zu hö-
heren Kosten bei intensiverer Nutzung führen dürften.137
Zum anderen bietet die Befreiung von der Rundfunkgebühr die Möglichkeit, einen zusätzlichen
Antrag auf Befreiung von der Ökostrompauschale sowie anfallenden Ökostromförderbeträgen
(ab 20 Euro) zu stellen (siehe GIS, 2018d). Die Antragsstellung erfolgt ebenso bei der GIS
(Gebühren Info Service), welche bei einer Bewilligung die Information automatisch an den
Netzbetreiber weiterreicht. Die Entlastung für die Pauschale beträgt 33 Euro jährlich und ge-
sondert einer variablen Größe des Ökostromförderbetrags, welcher wiederum im Zusammen-
hang mit dem Verbrauch des Haushaltes steht (siehe GIS, 2018c).

• Energieunterstützung
Die Energieunterstützung (bis Ende 2012 Heizkostenzuschuss als jährliche Einmalzahlung be-
zeichnet) wird von der Stadt Wien angeboten und setzt sich aus einer einmaligen Unterstützung
bei Energiekostenrückständen der Jahresabrechnung nach einer Bedarfsprüfung sowie der
Energieberatung für mögliche Maßnahmen bzw. die daran anschließende Hilfe bei der Finan-
zierung dieser zusammen (siehe MA40, o. J.). Als Kriterium der Unterstützung gilt die soziale
Bedürftigkeit: Hierunter fallen Bezieherinnen und Bezieher einer Mindestsicherung sowie Min-
destpensionistinnen und Mindestpensionisten mit Mobilpass. Die Sachunterstützung variiert in
der Höhe und lässt sich mangels veröffentlichter Zahlen nur bedingt erfassen. In einer Aussen-
dung zur ersten Evaluierung wird von der Magistratsabteilung für Soziales, Sozial- und Ge-
sundheitsrecht (MA40) festgehalten, dass insgesamt 11.128 Haushalte unterstützt wurden, wo-
bei durchschnittlich 500 Euro pro Haushalt für die Energieabrechnung bzw. 1.000 Euro für die
Maßnahmenfinanzierung im Jahr 2013 aufgewendet wurden (siehe Stockhammer &
Svejkovsky, 2014). Im Kontext von „Energiearmut“ sind besonders die Beratung und Maßnah-
menfinanzierung für eine nachhaltige Verbesserung der betroffenen Haushalte hervorzuheben
(vgl. Brunner, Spitzer, & Christanell, 2012).

137
Beispiel aus 2018: Mobilfunkunternehmer (A) bietet eine Wertkarte mit der Konnotation „Sozial“ an, auf
welchem der Zuschuss als monatliches Guthaben „geladen“ wird (Restguthaben bleiben erhalten), das Minu-
tenentgelt beträgt 0,167 Euro. Bei einem anderen Anbieter (B) werden mit den 10 Euro die Kosten abgedeckt,
eine Person mit entsprechender Sachleistung muss daher nicht zusätzlich zahlen und erhält 5.000 Einheiten
flexibel für Telefonie, SMS und Datenvolumen einsetzbar zur Verfügung.
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 73

• Mobilpass, Kulturpass und TUWAS!Pass


Der Mobilpass ist bis zu 5 Jahre bei „MindestpensionistInnen“ gültig und kann von Personen
in Haushalten bis zum Mindeststandard beantragt werden. BezieherInnen der Mindestsicherung
erhalten diesen automatisch. Neben einer ermäßigten Monatskarte der Wiener Linien um 18,00
Euro – und damit knapp 10% Preisreduktion im Vergleich zur Jahreskarte für SeniorInnen138 –
können eine günstigere Jahreskarte der Büchereien Wiens bzw. ein ermäßigter Eintritt in die
städtischen Bäder (siehe MA40, 2018), Ermäßigungen bei den Angeboten der städtischen Pen-
sionistenklubs sowie geringere Kursgebühren der Wiener Volkshochschulen bezogen werden;
auch ist mit dem Mobilpass eine Bezuschussung zur Hundeabgabe von 50 Prozent für maximal
einen Hund möglich. Die Bezeichnung wird dem breiten Angebotsspektrum kaum gerecht, wel-
ches neben Mobilitätsförderungen auch für kulturelle, sportliche, bildungsrelevante und soziale
Bereiche finanzielle Erleichterungen bietet.
Der Kulturpass und TUWAS!PASS weisen die gleichen Bestimmungen auf, sind ein Jahr gültig
und bieten einen kostenfreien Zugang einerseits zu Kunst und Kultur, andererseits zu Sport und
Bewegung. Im Gegensatz zu anderen Leistungen sind diese an der Armutsgefährdungsschwelle
orientiert und können bis zu einem Jahreseinkommen von 14.217 Euro (für Einpersonenhaus-
halte) bezogen werden (vgl. Hunger auf Kunst und Kultur, 2017). Die Grenzen entstammen –
um es hier nochmals anzumerken – aus dem Referenzjahr 2015 und sind das Resultat der zeit-
lichen Diskrepanz bis zur Veröffentlichung der statistischen Daten. Damit zeigt sich eine ge-
wisse Problematik für die Administration bei einer Orientierung an der Armutsgefährdungs-
schwelle, da diese genau genommen immer etwas veraltet ist. Theoretisch ist denkbar, dass
Personen, welche sich knapp an der Armutsgefährdungsschwelle bewegen, im konkreten Fall
keinen Pass erhalten, obwohl rückwirkend durch den politisch-zielorientierten Standard be-
trachtet, die Betroffenen als armutsgefährdet adressiert werden.

• Hilfe in besonderen Lebenslagen (HibL) und Unterstützungsfonds der PVA und


Krankenkassen
Die drei Förderungen können nur in besonderen Fällen genutzt werden: „Eine Hilfe in beson-
deren Lebenslagen kommt nur in Betracht, wenn die Notlage trotz Einsatz eigner Mittel und
Kräfte nicht überwunden werden kann und die Förderung eine nachhaltige Überwindung der
Notlage erwarten lässt“ (§.39 Abs.1 WMG, 2010). Die schon genannten Beispiele für den
HibL-Antrag sind Mietrückstände, Instandsetzungen der Wohnung und Installationen, Be-
schaffung einer Unterkunft oder die Nachzahlung von Pensionsbeiträgen zur Erlangung einer
Pension. Der Unterstützungsfonds der PVA richtet sich an PensionsbezieherInnen. Das Senio-
rInnenbüro der Stadt Wien gibt als Verwendungsbeispiel etwa die Wäschebeschaffung oder
Begräbniskosten an. Laut Jahresbericht der Pensionsversicherungsanstalt wurden 4,5 Millionen
Euro im Jahr 2014 aufgewendet (vgl. Pensionsversicherungsanstalt, 2015, S. 73). Der Unter-
stützungsfonds der Wiener Gebietskrankenkasse bietet zudem Hilfestellungen bei Heilbehel-
fen, Hilfsmittel, Kostenanteile für Spitalsaufenthalte sowie Zahnersatz- bzw. -behandlung
(siehe WGKK, 2018b).
Die angeführten Begünstigungen und Beihilfen zeigen die zentralen Möglichkeiten zur Stüt-
zung von PensionistInnen mit geringen Einkommen. Vollständigkeit ist damit aber noch nicht
gegeben, fehlen etwa Ehrengaben der Stadt Wien zu Hochzeitsjubiläen bzw. Geburtstagsehrun-

138
Für NutzerInnen der normalen Jahreskarte beträgt die Ermäßigung mit Mobilpass circa 40%.
74 Das doppelte Relativ der Altersarmut

gen; der Wohnungstausch Aktion 65Plus (siehe Wohnberatung Wien, 2018) bzw. die Förder-
aktion für altersgerechte Umbaumaßnahmen (vgl. MA25, 2018) oder Programme zum Wis-
senserwerb etwa unter der Initiative „Internet für alle“ (A1, 2018).
Nicht zu vernachlässigen sind die Bezuschussungen zu Wohnhausaufenthalten bzw. zur mobi-
len Versorgung und das Pflegegeld an sich. Entsprechende Leistungshöhen können je nach Be-
darf rasch die Grundabsicherung übersteigen und haben existenzielle Bedeutung für die be-
troffenen Menschen. Häufig werden diese in der Armutsforschung hinsichtlich ihrer kritischen
Strahlkraft übergangen: institutionalisierte Personen sind tendenziell nicht in den Armutsstatis-
tiken erfasst (Statistik Austria, 2017c, S. 11) bzw. ist die Hinzunahme der Transfers auf das
Einkommen im Kontext der kompensatorischen Funktion problematisch. So erfolgt in der Kal-
kulation des verfügbaren Einkommens im EU-SILC der Einbezug des Pflegegeldes.139 Das
Pflegegeld erhöht daher das Einkommen, die (fixen) Pflegekosten sind in der Berechnung je-
doch ausgeklammert – hingegen werden geleistete/r und erhaltene/r Unterhalt, Alimentationen
bzw. freiwillig Unterstützungen zwischen Haushalten (vgl. Statistik Austria, 2017d, S. 15) hin-
zugerechnet sowie abgezogen. Grosso modo sind jene Aufwendungen für Pflege, auch wenn
im Gegensatz zum Unterhalt kein Rechtstitel bestehen mag, ebenso wenig vermeidbar. Ohne
Frage ist der gesamte Komplex eine methodische Herausforderung und führt zu nicht unwe-
sentlichen inhaltlichen Schwierigkeiten bzw. unbestimmten Feldern für die sozialpolitische
Steuerung. Beispielsweise stellt sich die Frage – auch wenn jene Personen versorgt sein mö-
gen140 – ob geringe Einkommen das Risiko eines Einzugs in Pensionistenwohnhäuser erhöhen
bzw. diese womöglich als ein letztes Netz und Reservoir für altersarme Menschen anzusehen
sind. Da weitere Faktoren, wie zum Beispiel die familiäre Unterstützung, eine zentrale Rolle
spielen, ist der extensiv finanzielle Charakter von Pflege nicht zu vernachlässigen. Zum anderen
führt die Berücksichtigung des Pflegegeldes als Einkommenskomponente zur Unterschätzung
von Altersarmut; Eiffe u. a. (2012, S. 127) zeigen, dass ohne Berücksichtigung die Armutsge-
fährdungsquote bei älteren Menschen grundsätzlich höher wäre und im Bereich der Hochalt-
rigkeit sogar auf 23% steigen würde. Die Hinzunahme ohne Berücksichtig der tatsächlichen
Kosten (diese übersteigen häufig die Zuwendungen) ist daher als schönend anzusehen.141
Zum Abschluss sind auch noch Sozialmärkte etwa des Vereins Sozialmarkt Wien, des Samari-
terbundes oder des Hilfswerkes zu nennen, welche einen sehr kostengünstigen Einkauf ermög-
lichen und sich meist an die Armutsgefährdungsschwelle in ihren Zugangsbeschränkungen ori-
entieren. Sie sind in den letzten Jahren zu einer wichtigen Säule der Existenz- und Lebenser-
haltungssicherung vieler Betroffener geworden, was zumindest ein Stück weit auch als Grad-
messer einer Verschärfung der monetären Situation zu werten ist. Ohne die Leistung der Sozi-
almärkte bzw. der vielen ehrenamtlichen MitarbeiterInnen absprechen zu wollen – in einem
Studienprojekt von Hunger (2014) zeigt sich eine hohe Zufriedenheit der KundInnen–, sei auf
den Unmut verwiesen, welcher sich in ein paar Interviews bzw. kurzen Gesprächen im Feld
von Sozialmärkten im Zuge dieser Arbeit manifestierte. Insbesondere die Mangelhaftigkeit
(siehe auch Hunger, 2014, S. 156), welche die meisten dort auffindbaren Produkte kennzeichnet
(Waren mit Verpackungsfehlern, Restmengen, überschrittenes Mindesthaltbarkeitsdatum bzw.

139
“The social benefits included in EU-SILC, with the exception of housing benefits, are restricted to cash ben-
efits” (European Commission, 2014a, S. 216).
140
Die Taschengeldregelung - 20 Prozent der Pension, die Sonderzahlungen sowie 45,20 Euro vom Pflegegeld
als monatliches Taschengeld – führt auch im Wohnhaus zur materiellen Distinktion.
141
„Pflegegeld wird [...] als Einkommen gezählt, wieweit diese Annahme zutrifft, und es sich nicht um eine reine
Aufwandsentschädigung für zusätzlich anfallende Kosten auf Grund von Pflegebedarf handelt, muss kritisch
hinterfragt werden“ (Statistik Austria, 2006a, S. 53).
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 75

Volatilität des Sortiments) wurden bei Negativerfahrungen als eine Art Entwertung der Men-
schenwürde empfunden. Für viele (nicht über den Sozialmarkt angebahnte) Befragte war eine
Nutzung dieser zudem kein Thema bzw. wurde nach einem einmaligen Aufsuchen wieder ver-
worfen. Dieser Umstand dürfte neben der teils problematischen Erreichbarkeit auch auf die
Gefühle von Scham und Ressentiments zurückzuführen sein. An diesem Beispiel soll verdeut-
lich werden, dass die reine Anzahl der Unterstützungsangebote über die tatsächliche Annahme
durch die Betroffenen bzw. die Treffsicherheit der Transfers hinwegtäuschen kann. Auch wenn
in dieser Arbeit dem Thema kein Raum geschenkt wird, so muss die Problematik der Stigma-
tisierung weiterhin auf der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Agenda stehen.142

2.1.2.2.2 Schlussfolgerung – Komplexität und Einkommen


Die Vielzahl an Leistungen in Kombination der teils divergierenden Vorrausetzungen, welche
zusätzlich in gegenseitiger Abhängigkeit stehen können, spannen einen Kontingenzraum, der
sich auf der Ebene der individuellen Konstellation – bspw. in Hinblick auf die eigenen Wohn-
kosten – zu spezifischen Inanspruchsmöglichkeiten formiert und entlang von Bewertungs- und
Erfahrungsmustern in diversen individuellen Inanspruchnahmen mündet. Als Beispiele ge-
nannt, hatte für eine der Befragten der Kulturpass aus persönlichem Interesse keine Relevanz,
verweigerte eine Befragte vehement den Mobilpass aufgrund einer Fehlinterpretation der In-
formationen, während wiederum anderen der Fernsprechentgeltzuschuss unbekannt bzw. nicht
zum genutzten Angebot kompatibel war. Zusammenfassend lässt sich für die Befragten dieser
Arbeit testieren, dass Missverständnisse oder fehlendes Wissen über die bloße Existenz von
Leistungen vorzufinden waren. Nur wenige der InterviewpartnerInnen dürften das für sie er-
reichbare Maximum an Leistungen auch tatsächlich in Anspruch nehmen bzw. auf die optimale

142
An dieser Stelle möchte ich auf Erfahrungen der Feldarbeit aufmerksam machen, welche sich im Zuge der
Anbahnung von Interviews ereigneten. Im Späteren wird auf den Prozess der Kontaktgenese nochmals einge-
gangen; hier lässt sich anmerken, dass die Erörterung meines Anliegens vor Gruppen nur bedingt von Erfolg
gekrönt war und schnell in einem Gruppendiskurs über die Fragen nach Ursachen und Selbstverschulden
mündeten. Auch zeigte sich, dass die Thematisierung von Einkommen weiterhin bzw. in dieser Generation
kaum Thema in Wien sein dürfte, sofern es vermieden werden kann. Auch in Vereinsstrukturen von Senio-
rInnen war selbst den Obfrauen und -männern nur relativ selten die monetäre oder zumindest materielle Situ-
ation bekannt (ein für mich unerwarteter Umstand, da von Sport bis zu Beitragsabende zur Sicherheit im Alter
ein breitflächiges Angebot besteht – wohl aber ohne Thematisierung von Altersarmut) und so konnte mir die
Darlegung meines Themas und die Anbahnung von Interviews teilweise nur bei Gruppennachmittagen als
einziger Weg angeboten werden. Der damit einhergehende Diskurs in den Gruppen führte, trotz meiner Ver-
suche persönliche Negativzuschreibungen neutral aufzulösen, relativ rasch in Anklagen der Selbstverschul-
dung, welche man mit mehr Eigeninitiative umgehen hätte können und jetzt eben damit leben müsse. Unter
diesem Stimmungsbild dürfte klar sein, dass sich kaum jemand später für ein Interview bereiterklärte, hätte
dies potentiell zu einem Outing führen können. Neben dieser unmittelbaren Stigmatisierung, wurde aber auch
eine zweite Form offenkundig, welche als die Heroisierung des Erduldens bezeichnet werden kann. Vor dem
Hintergrund ersterer Stigmatisierung zeichnete sich ein Bild des guten armen Menschen ab, der seine Situation
akzeptiert und nicht überall als Bittsteller auftritt. Paradoxerweise wurde im Weiteren diesem ein Mehr an
Unterstützungsleistung zugesprochen. Hingegen werden Personen, welche überall nach Unterstützung suchen
bzw. das Leid nach außen tragen, herabgesetzt. Eine ähnliche Differenzierung fand sich auch bei ein paar
Betroffeneninterviews selbst, welche zwischen Armut in Würde und Anstand sowie Ausnutzung des Systems
(bspw. jeden Tag in einer Wärmestube zu essen) schieden. Koplenig (2007, S. 351ff.) hat in einigen Betroffe-
neninterviews die Problematisierung durch den (damals noch bestehenden) Sozialhilfebezug, als BittstellerIn-
nen in der Selbst- und Fremdwahrnehmung aufgefasst zu werden, herausgearbeitet und findet sein Korrelat in
diesen Stigmatisierungsvorgängen. Neben niederschwelligen Angeboten bedarf es im gleichen Zuge integra-
tiver, gesellschaftlicher Bestrebungen. Der sich insistent haltende Tenor des Selbstverschuldens bzw. als
zweite Seite die Selbstverantwortung, erneut durch die Mode der Aktivierungspolitik wieder en vogue, läuft
diesen Bestrebungen jedoch zuwider.
76 Das doppelte Relativ der Altersarmut

Kosten-Nutzen-Lösung etwa im Bereich der „sozialen“ Verträge der Provider setzen. Die Man-
nigfaltigkeit und Komplexität macht daher allererst den Bedarf an Informationen bzw. deren
Vermittlung143 evident und verlangt von Betroffenen die Bereitschaft zum (pro)aktiven Han-
deln. Trotz dieser Notwendigkeit des Handelns zeichnet sich im Kontakt mit Institutionen bei
einem Teil der Befragten eine gewisse Art der erzwungenen Passivität ab.
Zusammenfassend sind die Ausgleichszulage und BMS in Dauerleistung als die zwei wesent-
lichen Quellen zur Sicherung des (existenziellen sowie soziokulturellen) Mindeststandards im
Alter anzusehen, die Transferhöhe ist in Wien zumindest nahezu gleich bei divergenter Be-
handlung von Vermögen.144 Während die Ausgleichszulage zudem Teil von Bundesgesetzen
ist (ASVG, GSVG usw.), wird die BMS auf Länderebene (WMG, NÖ MSG usw.) geregelt,
zugleich können AusgleichszulagenbezieherInnen Teileaspekte des WMG (im Besonderen ist
an die Mietbeihilfe zu denken) beanspruchen. Zentrales Kriterium der beiden Transfers ist die
Einkommenshöhe, sowie das kalendarische Alter im Bereich des gesetzlichen Regelpensions-
alters145 – aufgrund der politischen Bestrebungen einer Anhebung des durchschnittlichen An-
trittsalters wurden Möglichkeiten der Frühpensionierung beschränkt. Der Übergang zwischen
Erwerbsphase und Ruhestand scheint in diesem Kontext an Diffusität zu verlieren bzw. mit
Verweis auf den institutionalisierten Lebenslauf an Kontur sowie „Altersgradierung“ (Berger,
2001, S. 217) zu gewinnen. Betrachtet man die beiden Leistungen etwas genauer und öster-
reichweit, so lassen sich ein, zwei, wenn nicht sogar drei Klassensysteme im Bereich der Grund-
sicherung für ältere Menschen ableiten. Nicht selbstverständlich – wenn auch in Wien gehand-
habt – ist die gleiche Höhe von Ausgleichszulage und BMS, zudem führt die unterschiedliche
Behandlung des Vermögens zu einer weiteren Differenzierung der beiden Gruppen: Im zweiten
Fall wird der Handlungsspielraum nochmals eingeschränkt, sofern vorab Vermögen vorhanden
gewesen wäre. Eine dritte Klasse lässt sich aufgrund des erhöhten Richtsatzes attestieren, wel-
cher per se die finanziellen Möglichkeiten erweitert. Inwiefern sich dies in der Praxis auswirkt,
ist jedoch schwer abzuschätzen. Eine Interviewpartnerin konnte vor und nach der Einführung
interviewt werden, für sie war trotz des faktischen Zugewinns keine wesentliche Verbesserung

143
Die Vermittlungskanäle sind hierfür breit ausgestaltet und reichen etwa von Gratulationskarten zum Geburts-
tag über das SeniorInnenbüro bis hin zum Kontaktbesuchsdienst. Diözese und Diakonie wollen im Zuge der
Plattformgründung „Alt – arm – weiblich“ verstärkt in Pfarren informieren; zusätzlich lassen sich etwa Initi-
ativen wie AMSand (auch wenn deren Aktivitätsgrad an dieser Stelle nicht eingeschätzt werden kann) und als
besonders wichtige Anlaufstelle die FSW Hotline und Sozialberatungsdienste von Sozialträgern nennen.
144
Die grundlegenden Unterschiede zwischen bedarfsorientierter Mindestsicherung und Ausgleichszulage sind
durchaus gewollten Ursprungs: „Ein weiteres Argument für die zwölfmalige Auszahlung der Mindestsiche-
rung sieht Mikl-Leitner darin, dass die Mindestsicherung ein Unterschied zur Mindestpension sein soll. Denn
jene Menschen, die das ganze Leben lang hart gearbeitet haben, sollen zu Recht mehr bekommen, als jene,
die Mindestsicherung beziehen und demzufolge nicht so lang gearbeitet haben“ (Volkspartei Niederösterreich,
2009). In diesem Sinne ließe sich die Heroisierung des Erduldens auch als Form der Buße bzw. Bestrafung
einer delinquenten Abstinenz vom Arbeitsmarkt in der Erwerbsphase sehen; die individuelle Teilhabe an Er-
werbsarbeit wird im politischen Raum zum alleinigen Maßstab sozialer Gerechtigkeit (diskursiv gerahmt
durch die konsensuale Forderung nach ‚Arbeit für alle‘)“ (Lessenich, 2009, S. 169). Neben anderen Gründen
für geringe Beitragsjahre bleibt die Frage offen, wie dies mit einem konservativen Rollenverständnis der Frau
in der Familie vereinbar ist. Im Falle einer späten Scheidung geht die Sanktion in solch einem Fall auf die
Frau über, wenn sie sich keinen Unterhalt erstritten hat und damit das Potential einer Witwenpension fällt.
Um der Sanktionslogik zu entrinnen bleiben daher nur zwei Wege offen: Selbst einen Pensionsanspruch zu
erarbeiten oder als Hausfrau bzw. -mann keine Scheidung anzustreben. Ist letztere unumgänglich, dann ist aus
pragmatischen Gründen auf einen Unterhaltsanspruch zu pochen.
145
Die Regelungen der Witwen- bzw. Witwerpension hebeln das Kriterium des Alters für die Ausgleichszulage
ein Stück weit aus, die BMS in Dauerleistung ist hier stringenter.
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 77

festzustellen. Eine andere Befragte war hingegen froh, diese nicht zu erhalten, da sie befürch-
tete, eine Kürzung anderer Leistungen hinnehmen zu müssen.146
Wie Rebhahn (2017) konstatiert, gibt es in Österreich zudem keine verfassungshohe Absiche-
rung eines Existenzminimums. „Die Lage dazu ist jedenfalls zum genuinen Bundesverfas-
sungsrecht nach herrschender Auffassung eher einfach: Dieses verpflichte nicht zu Leistungen
zum Lebensunterhalt. [...] Die Bundesverfassung enthält ferner keine ausdrücklichen Bestim-
mungen zu sozialen Grundrechten als subjektive Leistungsrechte. Aus dem Gleichheitssatz
folge kein originärer Anspruch auf Sozialleistungen, auch nicht auf Grundsicherung“. Wiewohl
selbst in der europäischen Sozialcharta keine explizite Höhe festgelegt ist, so ist in Artikel 13
„Das Recht auf soziale und ärztliche Hilfe (Fürsorge)“, welcher von Österreich ratifiziert
wurde, auf ein ausreichendes Maß an Unterstützungsleistung verwiesen: „Um die wirksame
Ausübung des Rechts auf Fürsorge zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien,
sicherzustellen, dass jedem, der nicht über ausreichende Mittel verfügt und sich diese auch nicht
selbst oder von anderen, insbesondere durch Leistungen aus einem System der sozialen Sicher-
heit, verschaffen kann, ausreichende Unterstützung und im Fall der Erkrankung die Betreuung,
die seine Lage erfordert, gewährt werden“ (Artikel 13 Abs. 1 der Europäischen Sozialcharta).
Das European Committee of Social Rights empfiehlt, dass Leistungen nicht unter 50% vom
Median des äquivalisierten Nettohaushaltseinkommens fallen sollen (vgl. European Committee
of Social Rights, 2008, S. 99, 2005, S. 34), unter 40% wird der Transfer als „manifestly inade-
quate“ (European Committee of Social Rights, 2010, S. 769) angesehen (auch Mikkola,
2014).147 Für 2015 lag die 50% Schwelle bei 11.847 Euro (vgl. Statistik Austria, 2017d, S. 27)
die Ausgleichszulage bei 11.589,51 Euro - dementsprechend leicht darunter. Mit dem Einzug
weiterer Transfers ist ein etwas höherer Wert anzunehmen, gleichwohl befindet sich Österreich
damit in einem Grenzbereich.148 Auch ist die Festlegung der Transferhöhe weiterhin willkür-
lich, da weder die „ausreichende Unterstützung“ näher spezifiziert und sehr wohl in Frage zu
stellen ist, ab welcher Einkommenshöhe dieser Fall tatsächlich eintritt.149 Dieser Problematik
widmen sich Warenkorbmodell bzw. Referenzbudgets (siehe Kemmetmüller & Moser, 2014;
Warnaar & Luten, 2009), welche Anhaltspunkte liefern, was gewisse Güter und Dienstleistun-
gen in einem Land bzw. einer Region kosten und zumindest als Diskussionsgrundlage dienen
können, welches Niveau einer betroffenen Person zugestanden werden soll (auch Piachaud,

146
Tatsächlich dürfte dies für ein paar Monate im Jahr 2017 gestimmt haben, denn der erhöhte Richtsatz wurde
ab 1.1.2017 eingeführt. Auf der Webseite der Stadt Wien findet sich die Information (MA40, 2018), dass seit
1.10.2017 auch BezieherInnen einer „Ausgleichszulage neu“ – ebenso eine Bezeichnung, welche zwar in den
Medien verbreitet wurde, aber trotzdem nicht jedem geläufig sein dürfte – einen Mobilpass beantragen kön-
nen. Die Informationslage ist aber nicht stringent, die aktuell downloadbare Informationsbroschüre der MA
40 – das Publikationsjahr 2014 deutet auf einen veralteten Stand hin – ist noch nicht angepasst worden.
147
The Committee considers that assistance is appropriate where the monthly amount of assistance benefits –
basic and/or additional – paid to a person living alone is not manifestly below the poverty threshold“
(European Committee of Social Rights, 2008, S. 99).
148
Inwiefern Personen in der bedarfsorientierten Mindestsicherung die 50% überschreiten ist durchaus fraglich,
eine Deckelung bei 1.500 Euro dürfte in Mehrpersonenhaushalten nicht mit dem Artikel 13 vereinbar sein.
149
“In countries for which national experts explicitly mention that RBs are not used as a political standard and
that the level of social assistance benefits does not refer to what is empirically defined as a basket of goods
and services that represents a certain standard of living, it is not always clear (AT, BE, DK, EE, HR, IE, RO)
on which base the level of social benefits or minimum wages is set. The amounts of minimum benefits seem
often to be set in a political strategic way and in view to keep a certain “distance” to minimum wages or they
go back to the level for pensioners (DK), which has not been based on certain reference budget” (Storms u. a.,
2014, S. 38).
78 Das doppelte Relativ der Altersarmut

1992, S. 69f.).150 Für 2017 lag das kalkulierte Referenzbudget monatlich bei 1.393 Euro (vgl.
ASB Schuldnerberatungen GmbH, 2017) und damit – selbst unter Einbezug der Sonderzahlung
– etwa 400 Euro über dem Richtsatz der Ausgleichszulage. Im Vergleich zu den Erfahrungen
aus den Interviews unterscheidet sich die Ausgabenstruktur in wesentlichen Punkten zu den
Angaben des Referenzbudgets: Die Wohnkosten sind aufgrund langer Mietzeiten meist gerin-
ger als die kalkulierte Annahme und reduzieren damit den Fehlbetrag ohne in diesem Bereich
akut von einer Mangellage ausgehen zu müssen.151 Ebenso sind die Kosten für den öffentlichen
Verkehr in Wien günstiger – sofern man sich nur in der Stadt aufhält. Diesen strukturell be-
dingten Kostendämpfern steht ein (erzwungener) Verzicht in anderen Bereichen gegenüber: In
die Ausstattung der Wohnung kann nur sehr wenig in den meisten Fällen investiert werden –
die vorgesehene Abschreibung von 10 Jahren im Budget dürfte häufig weit überschritten
sein.152 Kleidung und Schuhe werden nur sehr selten bei wirklichem Bedarf gekauft; die meis-
ten tragen Kleidung der letzten Jahrzehnte. Bei Telekommunikation sowie Nahrung wird in den
meisten Fällen (deutlich) weniger ausgegeben; die angeführten Portraits in Kapitel 5.1. zeigen
die Kostenstruktur mehrerer Betroffener.
Konkludierend lässt sich attestieren, dass sich im Vergleich zum Referenzbudget einerseits
strukturell bedingte Einsparungen ergeben können, andererseits in Bereichen wie Nahrung ein
Verzicht stattfinden muss, da weniger Mittel vorhanden sind, als im Budget angenommen wird.
Geht man davon aus, dass die Kosten des Referenzbudgets tatsächlich notwendig wären, um
einen menschwürdigen Grundbedarf zu decken – dies ist von einem existenziell absolut not-
wendigen Minimum zu differenzieren –, so sind soziokulturelle Mangellagen auf Basis aktuel-
ler Transferhöhen durchaus wahrscheinlich. Dimmel & Pratscher (2014, S. 972) kommen nicht
ohne Grund zum Schluss: „Im Ergebnis ist die BMS in ihrer gegenwärtigen Fassung weder
‚bedarfsorientiert’ noch eine ‚Mindestsicherung’“.
Neben den beiden Transfers können je nach Konstellation weitere Leistungen bezogen werden,
welche (auch wenn deutlich geringer in ihren Höhen bzw. in ihrer Funktion kostenreduzierend)
den Handlungsspielraum betroffener Menschen erweitern. In allen betrachteten Leistungen
spielt das Einkommen eine zentrale Rolle und wird teilweise durch Vermögen, Alter bzw. Pen-
sionsbezug und in manchen Fällen durch weitere Kriterien ergänzt, auf welchen die Bedarfs-
prüfung basiert. Im Sinne des Subsidiaritätsprinzips ist die Zentrierung auf Einkommen und
Vermögen als pragmatische Gradienten des Selbsthilfepotentials durchaus einsichtig, sofern
dies als Mittel zur Lösung der Notlage als geeignet angesehen werden kann. Nochmals sei be-
tont, dass sich das eigentliche Ziel eines Transfers auch auf immaterieller Ebene befinden mag,

150
Kemmetmüller, Leitner, & Moser (2010) veranschaulichen detailliert die Kalkulation des Referenzbudgets
für Österreich.
151
Gerade der Bereich des Wohnens muss jedoch altersdifferenziell betrachtet werden, einerseits ist nicht davon
auszugehen, dass bei Abschluss neuer Verträge die Kosten so gering sind (für einige der Befragten käme nicht
einmal eine kleinere Wohnung in Frage – selbst wenn sie sich diese wünschen –, da selbst diese die bisherigen
Kosten übersteigen würde). Gleichzeitig sind viele der von mir besuchten Wohnungen nicht altersgerecht
gebaut, weder Lifte betreffend bzw. die Breiten der Durchgangslichten, barrierefreie Bäder etc. Die Kosten
für neuen/sanierten Wohnraum auf der einen und die sich problematisierende Wohnsituation auf der anderen
Seite führen zu einer zentralen Problemlage.
152
Teilweise stammten Möbel gar noch von den Eltern und waren (in jenen Wohnungen, die ich besuchen durfte)
meist aufgrund der Wertigkeit in einem besseren Zustand, als typische Pressspannverbauungen jüngeren Da-
tums. Der häufige Investitionsbedarf zeigte sich besonders deutlich in stark abgewohnten Böden, an einem
Mangel an Möbeln oder vieler kleiner Mängel, die sich einfach mit etwas Geld beseitigen ließen. An dieser
Stelle sei außerdem vermerkt, dass nur ein geringer Teil einem Treffen in der Wohnung zustimmte. Es lässt
sich mutmaßen, dass sich dahinter noch weitere, vielleicht sogar desolatere Zustände hätten finden lassen.
Armut als soziale Beziehung und Reaktion 79

eine Regelung erfolgt gleichwohl in doppelter Hinsicht – Zugang zur und Mittel der Sozialleis-
tung – über die monetäre Ebene. Die Hinzunahme weiterer Kriterien ist für eine spezifischere
Bedarfsbestimmung funktional, so werden bspw. durch den Deckel der Rezeptgebühren außer-
gewöhnliche Kostenbelastungen für jeweilige Einkommensgruppen begrenzt. Das Alter spielt
unmittelbar eine verhältnismäßig geringe Rolle und ist mit Ausnahmen dem relevanteren Zu-
gangskriterium des Pensionsbezuges inhärent. Wiewohl ist auch der Pensionsbezug eher von
supplementärer bzw. konjunktionaler Bedeutung. Die Befreiung von den Rundfunkgebühren
erfolgt unter einer gewissen Einkommenshöhe und dem Bezug von Leistungen pensionsrecht-
licher Bestimmungen (neben anderen Personengruppen wie StudienbeihilfebezieherInnen);
auch können PensionistInnen mit Ausgleichszulage Mietbeihilfe beantragen und werden folg-
lich dem Adressatenkreis der Mindestsicherung in gewisser Weise hinzugezogen. Hierzu muss
jedoch nochmals angemerkt werden, dass die Mietbeihilfe und HibL-Anträge eine Vermögens-
verwertung verlangen. Entsprechend können nicht alle AusgleichszulagenbezieherInnen hier-
von Gebrauch machen. Konkludierend sind die Transfers nicht exklusiv an PensionistInnen
gerichtet, sie gehören jedoch oftmals zum begünstigten Personenkreis und können in manchen
Fällen sogar mit etwas höherem Pensionseinkommen als dem Mindeststandard an diesen par-
tizipieren.
Zum Abschluss einige Erwägungen für die sozialpolitische Praxis: Die mit anderen Forsche-
rInnen und Interessenvertretungen geteilte Auffassung, dass ein Warenkorbmodell zur Erdung
und Loslösung von „politischen Zahlenspielen“ der Sozialleistungen an Dringlichkeit nichts
eingebüßt hat, darf jedoch nicht darin enden, mit den kostengünstigsten Angeboten (wie
SOMA, etc.) zu kalkulieren. Weder kann eine durchgängige regionale Verfügbarkeit unter Be-
dachtnahme der Erreichbarkeit für womöglich körperlich bereits eingeschränkte ältere Men-
schen hergestellt werden, noch ist von einem ausreichenden, häufig nur mittels Internet erreich-
baren, Informationsstand auszugehen.153 Solch ein Informationsdefizit154 muss auch bei den
Sozialleistungen angenommen werden und kann nur durch eine beharrliche Weitergabe auf
Basis niederschwelliger, einfach verständlicher Kampagnen erreicht werden. Besonders rele-
vant erscheint aber die Bündelung und Vereinfachung der Antragstellungen. Aktuell muss für
nahezu jede der genannten Sozialleistungen ein eigenes, teils mehrere Seiten langes Formular
ausgefüllt und mit diversen, aber zum großen Teil gleichen Beilagen (Einkommensnachweise
sind im Prinzip obligatorisch) versehen und verschickt werden. Auch wenn viele ältere Men-
schen noch kein Internet haben, ein gemeinsames Ausfüllen auf einer gebündelten Plattform
im Internet bei einer Sozialberatungsstelle und bei Bedarf mit aufsuchenden Beratern wäre
denkbar. Aktuell lässt sich zwar mittels Bürgerkarte ein Pensionsantrag stellen oder der Kon-
tostand der Rezeptgebühren überprüfen, Anträge auf Sozialleistungen findet man weiterhin ver-
geblich. Bereits vom Rechnungshof aufgezeigte Ungleichbehandlungen in der Ausgleichszu-
lage bedürfen der Behandlung und Beseitigung vor dem Hintergrund eines Verschlechterungs-
verbotes ebenso, wie die Angleichung der Regelungen von BezieherInnen der BMS im Regel-
pensionsalter an die Ausgleichszulage. Es ist unverständlich, dass in einem Land wie Öster-
reich, einerseits hinsichtlich Größe und andererseits Wohlstands, nicht ein einheitlicher Min-

153
Günstigere Preise, die nur über das Internet abrufbar sind – kostet bspw. eine Einzelfahrt der Wiener Linien
bei Kauf in der Straßenbahn 2,60 Euro und über die App der Wiener Linien 2,40 Euro – noch gar nicht mit-
bedacht.
154
„We cannot assume that they are well informed about the nutritional content of certain foods and where to
obtain them most cheaply, nor can we assume, if they are, that they are actuated only by the need to maintain
the physical efficiency of those in their households“ (Townsend, 1962, S. 217).
80 Das doppelte Relativ der Altersarmut

deststandard und zusätzliche Aufstockungen entlang regionaler Besonderheiten für Pensionis-


tInnen bzw. Personen, welche nicht mehr dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen müssen bzw.
können, auf Basis von tatsächlichen Kosten für ein existenzielles und soziokulturelles Leben in
Würde möglich sein soll.

2.1.2.3 Divergenz der Standards


Am Beispiel Ausgleichszulage (als wichtigster politisch-administrativer Standard) und der Ar-
mutsgefährdungsschwelle (als politisch-zielorientierter Standard) lässt sich die Divergenz der
beiden sehr deutlich veranschaulichen.

Zeitreihe 1 Zeitreihe 2 Zeitreihe 3 Zeitreihe 4 Zeitreihe 5 Ausgleichzulage

16000
14000
12000
10000
8000
6000
4000
2000
0
1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018

Abbildung 2 – Entwicklung der Ausgleichszulage und Armutsgefährdungsschwelle

Die Abbildung 2 zeigt die Entwicklung der Armutsgefährdungsschwelle (Zeitreihe 1 bis 5 auf-
grund der methodisch bedingten Zeitreihenbrüche) und der Ausgleichszulage. Zumindest seit
2002 bzw. bereits in der dritten Zeitreihe ab 1997 liegt die Ausgleichszulage unter der Armuts-
gefährdungsschwelle und hat sich auf ein beträchtliches Maß ausgeweitet. Zwischen 2005 und
2015 lag die Differenz im Schnitt bei circa 2.350 Euro; auch bei der erhöhten Ausgleichszulage
dürfte sie für 2017 bei knapp 1.000 Euro liegen, hat man die Entwicklung der Armutsgefähr-
dungsschwelle in den letzten Jahren im Blick. Noch stärker ist die Diskrepanz bei älteren Men-
schen in der Mindestsicherung ausgeprägt, hier ergab sich 2015 eine Lücke von knapp 4.300
Euro. In Wien trifft letzterer Fall jedoch (noch) nicht zu, wiewohl immer wieder Aushöhlungs-
versuche unternommen werden (vgl. RH, 2017a, S. 31). Die eingeführten Maßnahmen der letz-
ten Jahre haben – einmal von der erhöhten Ausgleichszulage abgesehen – nichts zur Reduktion
dieser Spanne beigetragen. Hauptsächlich wird, im Einklang mit den Empfehlungen der EU in
den CSRs, an einer Verbesserung der Arbeitsmarktintegration gearbeitet, womit in der Lang-
zeitperspektive Altersarmut im Besonderen bei Frauen reduziert werden soll. Ohne Frage stellt
dies für die zukünftige Entwicklung eine wichtige Maßnahme dar, wobei im Angesicht der
relativ stabilen und hohen Arbeitslosenquote sowie gut 300.000 working poor (vgl. Statistik
Austria, 2017d, S. 124) als auch einem beachtlichen Anteil an Teilzeitbeschäftigten sich die
Frage aufdrängen muss, ob ein rein auf die Erwerbsphase ausgerichtetes Pensionssystem eine
angemessene Alterssicherung bereitstellen wird können. Auch aktuelle Überlegungen zur Er-
höhung der Ausgleichszulage gehen an der Realität vorbei und bedienen sich zumindest impli-
zit dem Bild des würdigen und unwürdigen Armen: Würdig ist der oder die mit 40 Beitragsjah-
ren (nach aktuellem Plan). Doch wer soll das sein? Frauen sind damit jedenfalls nicht gemeint,
Abriss konzeptioneller Bestimmungsversuche von Armut 81

selbst bei den Neuzugängen der PVA (in der Berufsunfähigkeits- bzw. Invaliditätspension so-
wie Alterspension) im Jahr 2016 haben nur knapp 32% die Schwelle von 40 Versicherungsjah-
ren überschritten; bei den Männern waren es circa 60% (vgl. PVA, 2017a, S. 175). Zudem
bleibt offen, was unter Beitragsjahren genau verstanden wird und damit – wie im System für
vor 1955 geborene Personen – nur Zeiten gemeint sind, in welchen die Personen in das System
eingezahlt haben oder aber auch die Ersatzzeiten. Aktuell lässt sich daher sagen, dass es keine
Strategie gibt, die Differenz zwischen Ausgleichszulage und Armutsgefährdungsschwelle für
alle älteren Menschen zu vermindern. Altersarmut im Sinne des politisch-zielorientierten Stan-
dards wird damit bestehen bleiben, sofern es für die zukünftige Entwicklung nicht zu einem
Jobwunder kommt bzw. für die aktuelle und zukünftige Situation man zumindest die Aus-
gleichszulage und Mindestsicherung für ältere Menschen an die Armutsgefährdungsschwelle
hebt oder – die wohl realistischere Variante – den Adressierungsmechanismus überdenkt. Mit
letzterem wird aktuell altersarmen Menschen nicht geholfen. Bis dahin lässt sich konstatieren:
Altersarmut ist in Österreich nicht zurückgekehrt, sondern war nie verschwunden, ist femisiert,
singularisiert sowie weitgehend zeitlich verfestigt und wohl im Ausmaß unterschätzt.

2.2 Abriss konzeptioneller Bestimmungsversuche von Armut


„There is no single God-given right measure of poverty, but there are a set of ques-
tions which policy makers can ask, and those questions themselves decree the defi-
nition and measure of poverty that is relevant“ (Haveman, 1991, S. 465).
It often seems that if you put five academics (or policy makers) in a room you would
get at least six different definitions of poverty” (Gordon, 2006, S. 32).
„Allein beim bloßen Versuch, die Anzahl der Armutskonzepte zu konkretisieren o-
der zu benennen, kommen ArmutsforscherInnen zu höchst unterschiedlichen Ergeb-
nissen“ (Mardorf, 2006, S. 49).
„Insgesamt kann der Begriff Armut für eine Vielzahl an benachteiligten Lebensla-
gen verwendet werden. Mangel an finanziellen Mitteln und Aktivierungsressourcen
einerseits, sowie deprivierte Lebensführung anderseits werden als Anzeichen einer
Armutslage betrachtet, also als eine Lebenssituation, in der unterstützende Inter-
ventionen angebracht sind“ (Till, Datler, u. a., 2009, S. 239).
Die Liste an Zitaten ließe sich beliebig verlängern und so kommt es, dass sich im wissenschaft-
lichen Diskurs ein gewisser Konsens in der Divergenz von Armutsdefinitionen gefunden hat –
eine funktionale Einigkeit besteht in der definitorischen Uneinigkeit. Dieser Umstand hat si-
cherlich auch zu der Fülle an Begrifflichkeiten beigetragen, welche mit Armut in Verbindung
gebracht werden; ist von relativer, absoluter, sichtbarer, verdeckter, bekämpfter, integrierter,
marginaler, disqualifizierter, subjektiver, objektiver, neuer oder alter Armut die Rede, um hier
nur ein paar gebräuchliche Beifügungen anzuführen. Das umnebelte Phänomen der Armut wird
in Folge aus unterschiedlichen Blickrichtungen beleuchtet (u.a. für einen Überblick Groh-Sam-
berg & Voges, 2013; Hauser, 2012a; Spicker, 2007; Eiffe & Heitzmann, 2006; Alcock, 1997;
Callan & Nolan, 1991; Hagenaars & de Vos, 1988), um damit zumindest Konturen zu gewin-
nen. Trotz dieser Vielschichtigkeit konstatieren Misturelli & Heffernan (2008) in einer Me-
taanalyse über Armutsdefinitionen der 1970er bis 2000er sieben zentrale inhaltliche Dimensi-
onen – materielle, physische, ökonomische, politische, soziale, institutionelle und psychische –
, welche sich in ihren Bedeutungsrängen über die Zeit hinweg verschieben bzw. verschoben
haben. Insgesamt 157 Dokumente analysieren die Autorinnen mit „unique and original defini-
tion of poverty“ (Misturelli & Heffernan, 2008, S. 608) und dürften damit nur einen Teil des
82 Das doppelte Relativ der Altersarmut

divergenten Verständnisses offengelegt haben. Schäuble (1984) konstatiert in den ersten Seiten
seiner Monographie, die sich zum Großteil mit definitorisch-theoretischen Aspekten der Armut
befasst, dass die Arbeit nicht alle relevanten Definitionen und Theorien berücksichtigen könne.
Die genannten Dimensionen als Definiens für Armut sind jedoch nur die eine Seite, werden
diese mal mehr oder weniger in ein relationales Geflecht gestellt, konsensual oder relativ, teils
mit erheblichem statistischen Aufwand berechnet bzw. von WissenschaftlerInnen normativ be-
stimmt und in ein statisches oder prozesshaftes Gefüge gebracht, mal mehr den Ausgangsbe-
dingungen (Input), dem kausalen Nexus oder den Folgen (Output) zugeschrieben. Allein schon
aus diesem Umstand ist eine trennscharfe Typologie, welche all dies berücksichtigen mag, als
Sisyphusarbeit par excellence zu bezeichnen, womit an das dritte obige Zitat und Konklusion
von Mardorf (2006) angeschlossen werden kann, dass selbst in der Benennung von Armuts-
konzepten kein stringentes Bild auszumachen ist. Im Nachfolgenden wird daher nicht eine voll-
ständige Behandlung von diesen angestrebt, sondern zu Beginn nochmals die Konzeption von
Simmel (1908) in Erinnerung gerufen, welche dieser Arbeit zugrunde liegt. Die Gesellschaft
konzipiert Simmel als Beziehungsgeflecht gegenseitiger Rechte und Pflichten. Das Recht auf
Unterstützung und die gesellschaftliche Pflicht zur Unterstützung bilden das Fundament seiner
Auslegung, denn Ziel ist es, die soziale Ungleichheit soweit abzumildern, dass die Gesellschaft
auf ihr ruhen kann. Armut ist dabei nicht per se eine Mangellage, sondern konstruiert sich im
Akt der Adressierung, auf welche unterschiedliche Reaktionen folgen bzw. sich ein Horizont
an Anschlussmöglichkeiten eröffnet. Armut ist „in der Sicht fast aller Autoren ein gesellschaft-
lich zugewiesener Ort, der innerhalb je einer Gesellschaft relativ bestimmt wird“ (Leibfried &
Voges, 1992, S. 21). Wenn man sich, wie Barlösius & Ludwig-Mayerhofer (2001, S. 28) kon-
statieren, von der Vorstellung, Armut sei ein objektiv gegebenes Phänomen, verabschieden
muss, dann rückt die Frage in den Vordergrund, wer Armut definiert. Im Vorangegangenen
wurde hierzu der politisch-zielorientierte und administrative Standard in Österreich betrachtet,
welche Menschen in arme und nicht arme – wenn auch mit diffusen Grenzen – differenzieren
und eine objektivierte Sozialwelt konstruieren. Trotz politischer Definitionsmacht steht der po-
litisch-zielorientierte Standard aber nicht im luftleeren Raum, sondern ist durch wissenschaft-
liche Armutskonzepte fundiert.155 Diesen widmet sich das folgende Unterkapitel.
Wie Nolan & Whelan (2007) hinweisen, ist es wichtig zwischen Konzeptualisierung, Messung,
Verständnis von und Reaktion auf Armut zu differenzieren. Denn einerseits leitet die Konzep-
tualisierung die Messung an und erzeugt damit ein bestimmtes Verständnis von Armut (wer ist
betroffen, was sind die Ursachen usw.), welches im Anschluss auch zu bestimmten Reaktionen
etwa hinsichtlich der Maßnahmen zur Verringerung von Armut führt. So liegt es bspw. auf
Basis einer Ressourcenperspektive nahe, genau jene zu steigern, um zu einer Reduktion beizu-
tragen. Dies kann sich sowohl auf Sozialleistungen beziehen, wie auch auf Maßnahmen, welche
eine verbesserte Arbeitsmarktintegration bzw. die Chance auf höher bezahlte Anstellungen

155
Bei den administrativen Standards ist dies in Österreich, wie bereits angeführt, anderes gelagert; diese sind
tatsächlich ohne jeglicher Fundierung und werden seit Jahren einfach fortgeschrieben. Anders in Deutschland,
hier wird trotz aller Kritik aufgrund politischer Eingriffe und der letztendlichen Höhen ein Statistikmodell zur
Berechnung von Hartz IV angewandt (vgl. Martens, Puls, Rock, Schneider, & Woltering, 2016). Die Über-
legungen von Callan & Nolan (1991, S. 250) zu politischen Armutsgrenzen passen vortrefflich auf die Situa-
tion in Österreich: „While the levels of support may initially have borne some relation to the costs of what
were thought to be subsistence standards of diet, clothing, etc., both these levels and their adjustment over
time are the product of a complex political process, influenced by many other factors“. Brisante Ergebnisse
liefert Heuberger (2018) hinsichtlich der überproportionalen Betroffenheit von BMS BezieherInnen und ma-
terieller Deprivation in Österreich. Kurzum lässt sich bereits anhand dieser Indikatoren ablesen, dass die Min-
destsicherung aktuell nicht ausreichend vor Deprivation schützt.
Abriss konzeptioneller Bestimmungsversuche von Armut 83

(etwa durch Bildung) gewährleisten oder Umverteilungsmaßnahmen, die einen Ausgleich zwi-
schen hohen und niedrigen Einkommen schaffen. Richtet man den Blick hingegen auf Depri-
vationen und hier etwa auf Wohnungsdeprivation, so ließe sich zwar auch argumentieren, dass
eine Verbesserung der Ressourcenlage zur Reduktion von Wohnungsdeprivation beitragen
kann, andererseits ließe sich an Maßnahmen denken, welche die Wohnsubstanz verbessern.
Resümierend bleibt festzuhalten: „Definitions of poverty matter“ (Lansley & Mack, 2015, S.
12). Welche Konzeptualisierungen sind daher in die EU-dominierten Armutsmessungen einge-
flossen? Einerseits impliziert das gesamte Set an Indikatoren, „dass Armut (und soziale Aus-
grenzung) als multidimensionale Problemlagen wahrgenommen und auch als solche erfasst
werden sollen – wenngleich ökonomisch-materielle Indikatoren überwiegen. Allerdings lassen
sich auch Einflüsse des ‚capability approach‘, des Lebenslagen-Ansatzes und des Ansatzes der
relativen Deprivation an den Indikatoren ablesen; wenn auch auf diese nicht explizit verwiesen
wird“ (Eiffe & Heitzmann, 2006, S. 52). In einer neueren Arbeit kommt Eiffe (2014, S. 115)
zum Schluss, dass die weiteren Indikatoren des EU Portfolios (z.B. Lebenserwartung, Bildung,
Gesundheit und Arbeit), als ein „sanfter Übergang von einem rein monetären Armutsbegriff
hin zu einem sozialen Verständnis des Problems“ verstanden werden könne (auch Nolan &
Whelan, 2007). Obschon die Sicht mit dem Hauptindikator AROPE bis dato limitiert ist, bleibt
bei anderen Indikatoren der theoretische Konnex zu Armut unklar bzw. sind in enumerativ-
deskriptiver Verwendung – kombinierte Betrachtungen fehlen weitgehend bzw. werden man-
che Indikatoren zurecht nicht auf ältere Menschen angewandt.
In einer ersten Analyse lässt sich schlussfolgern, dass es sich bei AROPE im Wesentlichen um
ein relatives Konzept handelt (der Differenzierung zwischen absolut und relativ widmet sich
daher der erste Abschnitt), bei dem sowohl eine indirekte, wie auch direkte Messung und folg-
lich zwei Konzeptualisierungen parallel zur Anwendung kommen (der zweite Abschnitt geht
auf die Differenzierung zwischen indirekter und direkter Messung ein) und zumindest vorsich-
tige Anleihen an eine multidimensionale Betrachtung zu attestieren sind (der dritter Abschnitt
nimmt den Unterschied zwischen einer ein- und multidimensionalen Messung in den Blick).
Zweierlei gilt es hierbei zu beachten: Die vorgestellten Ansätze lassen sich meist nicht nur einer
Differenzierungslinie zuordnen, sondern liegen über alle drei quer. Townsends Konzeption ist
bspw. relativ, in gewisser Weise eine Mischform zwischen einer direkten und indirekten Mes-
sung und eher bei multidimensionalen Perspektiven zu verorten. Zweitens sind die Differenzie-
rungslinien daher durch idealtypische Pole gespannt, welche von den jeweiligen Konzepten mal
mehr oder weniger erreicht werden bzw. bewusst beide Seiten zu beanspruchen versuchen, um
damit Nachteile zu umgehen. Als Beispiel lässt sich hier die Kombination aus relativer Ein-
kommensarmut und Deprivationsindikatoren nennen; Sens Konzeption pendelt hingegen je
nach Leseart zwischen einer absoluten und relativen Auffassung. Die Einordnung der im Fol-
genden ausgeführten Konzepte unterliegt folglich einer gewissen Willkür, wenn auch darauf
geachtet wurde, sie an jenen Stellen zu erwähnen, wo sie den idealtypischen Polen am nächsten
stehen. Zum Abschluss des Unterkapitels werden die Konzeptionen resümiert und mit politisch-
zielorientierten Standards in Beziehung gesetzt bzw. Konsequenzen hinsichtlich Altersarmut
gezogen.

2.2.1 Grunddifferenz absolute und relative Armut


Als kanonisierte und trotzdem strittige Differenzierungslinie konzeptioneller Armutsdefinitio-
nen kann zwischen absoluten und relativen Ansätzen geschieden werden und findet sich etwa
bei Alexis de Tocqueville 1835 erschienen Werk „Das Elend der Armut – Über den Pauperis-
mus“ im ersten Teil eingängig dargestellt:
84 Das doppelte Relativ der Altersarmut

„Wenn man die verschiedenen Gegenden Europas bereist, sticht einem ein sehr
ungewöhnliches und scheinbar unerklärliches Phänomen ins Auge. Gerade in den
allem Anschein nach ärmsten Ländern leben in Wahrheit die wenigsten Armen. Bei
jenen Völkern hingegen, die wegen ihrer Reichtümer bewundert werden, ist ein Teil
der Bevölkerung zum Überleben auf die Unterstützung Dritter angewiesen. [...] Je
reicher, arbeitsamer, wohlhabender eine Gesellschaft ist, desto vielfältiger und
dauerhafter sind die Genüsse einer Mehrheit der Menschen. Und je vielfältiger und
dauerhafter diese sind, desto ähnlicher werden sie durch Gebrauch und Nachah-
mung tatsächlichen Bedürfnissen [...] Mit dem Kreis seiner Freuden hat er auch
den Kreis seiner Bedürfnisse erweitert, und damit ist er anfälliger geworden für
Schicksalsschläge. Daher rührt auch, daß der Bedürftige in England dem Armen in
Frankreich und dieser wiederum dem Notleidenden in Spanien fast reich erscheint.
Was dem Engländer fehlt, hat der Franzose niemals besessen. Und so verhält es
sich, je tiefer man auf der sozialen Leiter hinabsteigt. Bei den Hochkulturvölkern
ist das Fehlen einer Vielzahl von Dingen der Grund für Armut. Bei den Wilden
bedeutet Armut, daß man sich nicht ernähren kann.“
Tocqueville u. a. (2007) deutet damit einerseits auf die Relativität von Armut im Kontext der
Entwicklung von Gesellschaften hin und verweist andererseits auf ein zentrales Element eines
absoluten Verständnisses: das physische Existenzminimum (vgl. u.a. Hauser & Neumann,
1992) bzw. auf das Kriterium der Subsistenz (vgl. Dietz, 1997, S. 87; P. Townsend, 1962, S.
215). Dieser konstitutive Kern absoluter Armut kann in eine (die nötigste Nahrung) oder meh-
rere Dimensionen (z.B. Nahrung, Wohnen und Kleidung) entfaltet werden (vgl. tabellarische
Übersicht bei Mardorf, 2006, S. 74). Nicht unbedingt die Zahl der Indikatoren ist dabei ent-
scheidend, sondern die über Zeit und Raum als konsistent angenommenen Schwellen bzw. Aus-
prägungen, welche bei einer Unterschreitung zu letalen Prozessen führen. Während die (Grund-
)Bedarfe auf abstrakter Ebene als unveränderlich angenommen werden (vgl. Piachaud, 1992,
S. 64), ist jedoch in der Überführung in ein empirisches Messkonzept für den konkreten Güter-
raum (etwa die Geldmenge zu einem gewissen Zeitpunkt für eine spezifische Menge Brot) eine
relative Bestimmung notwendig. Zudem ist die Schwellensetzung aus physiologischen Stand-
punkten und in Bezug einer bereits rein ökologischen Person-Umwelt-Passung ebenso in ein
Relativ zu setzten; bspw. kann der Wasserbedarf eines Menschen entsprechend der Wärmere-
gulation und weiteren Faktoren zwischen 1,5 bis 2,5 Liter und bei Hitzearbeiten gar 10 Liter
pro Tag betragen (vgl. K. Lang, 1974, S. 256). Auch bei einer absoluten Konzeption sind daher
die Schwellenwerte relativ und nur „im Hinblick auf die natürliche Umgebung und die Gesell-
schaft, in der die Menschen leben“ (Hauser, 2012a, S. 124) bestimmbar.

• Repräsentanten einer absoluten Konzeption


Als Vertreter und plakatives Beispiel für die Bestimmung solch einer Existenzschwelle156 wird
zumeist auf Rowntree (1901) verwiesen,157 welcher eine Einkommensgrenze entlang der phy-
sischen Existenz auf Basis von Nahrung, Obdach, Haushaltsgegenstände (zentral Kleidung,

156
Auch gab es im Zuge des europäischen Armutsprogramms II den Vorschlag einer absoluten Armutsgrenze –
The European baseline level of living (EBL) –, welcher jedoch nie große Verbreitung fand (siehe Alcock,
1997, S. 53; European Commission, 1989, S. 16)
157
Tatsächlich scheiden sich die Geister, ob es sich hierbei nun um einen absoluten Ansatz handelt. Till & Till-
Tentschert (2007, S. 48) argumentieren, dass die Identifikation von Armutslagen „relativen sozialen Maßstä-
ben“ folgt (siehe auch P. Townsend, 1979, S. 38f.). Dieser Einwand referiert auf den oben ausgeführten Um-
stand der Übersetzung in ein Messkonzept mit relativem Charakter. Grundsätzlich vertritt Rowntree aber eine
Abriss konzeptioneller Bestimmungsversuche von Armut 85

Energie) festlegt158: „We confine our attention at present simply to an estimate of minimum
necessary expenditure for the maintenance of merely physical health“ (Rowntree, 1901, S.
87).159 Die Schwierigkeit einer solchen Normierung wird in derselben Arbeit zugleich deutlich.
Ausgehend von Studien über den täglichen Kalorienbedarf wird von Rowntree zwar fundiert,
gleichwohl normativ die Entscheidung gefällt160 und auf einen Ernährungsplan übertragen.161
Die errechneten Waren werden anschließend in Geldwerte transformiert, welche sich aus den
Durchschnittswerten von Beobachtungen in York ableiten. Damit handelt es sich um eine Art
Warenkorbmodell bzw. „budget standard approach“ (Callan & Nolan, 1991, S. 246) mit einem
absoluten Armutsverständnis als theoretischen Ausgangspunkt und einer Rückanbindung an
den Kontext der beobachteten Population als Notwendigkeit der praktisch-empirischen Umset-
zung. Auch im Bereich des Wohnens wird dies deutlich, so schlägt Rowntree (1901, S. 106)
einen Standard „of the accomodation required to maintain families of different sizes in health“
vor, verfährt jedoch im Weiteren mit den tatsächlichen Mieten jeder Familie, da er diese als das
Minimum annimmt; „extravagance in this item is very improbable, rent being almost the first
thing in which a poor family will try to economise“. Damit räumt Rowntree dem Wohnen im-
plizit ein hohes Gewicht in seinem existenziellen Ansatz ein, da er die gegebene Höhe der
Wohnkosten nicht in Frage stellt, sondern als notwendig erachtet. Anstatt daher die Armuts-
schwelle nur an dem Haushaltstyp zu fixieren – Anzahl der Personen mit entsprechendem Be-
darf –, wird diese auf Basis der variablen Kosten des Wohnens (Rowntree, 1901, S. 110) zu-
züglich der normativ festgelegten Kosten für Nahrung und Hausrat162 pro Person individuell
für jeden Haushalt bestimmt. Personen, welche unter dieser Schwelle ein Einkommen beziehen,
gelten nach seiner Definition als primär arm. Zusätzlich führt Rowntree (1901, S. 116) den
Begriff der sekundären Armut an, welcher von moralischen bzw. verhaltensbezogenen Vorstel-
lungen geprägt ist (vgl. Freeman, 2011); als hauptsächliche Ursachen sind angeführt: „Drink
[predominant factor], betting, and gambling. Ignorant or careless housekeeping, and other im-
provident expenditure, the latter often induced by irregularity of income“ (Rowntree, 1901, S.
141f.). Zugleich werden diese vorrangig auf strukturelle Ursachen zurückgeführt.163 Forsche-
rInnen wurden in York ausgeschickt, welche die Zahl der Armen direkt zählen sollten, „where

substanzialistische Logik, auch wenn er diese vor allem in späteren Werken um soziale Aspekte etwas erwei-
tert.
158
Genau genommen wird noch eine Kategorie „Sonstiges“ von Rowntree (1901, S. 109) angeführt und grob mit
2 pence pro Kopf und Woche einbezogen.
159
Auch die international poverty line der Weltbank ist in diesem Kontext zu lesen (vgl. Till & Till-Tentschert,
2007, S. 48).
160
„It therefore became necessary to decide which of Prof. Atwater’s standard diets was the most applicable to
the section of the population under discussion” (Rowntree, 1901, S. 97).
161
So müsse die Nahrung möglichst günstig sein, aber “compatible with a certain amount of variety” (Rowntree,
1901, S. 98), „disponible“ erscheint etwa der Tee für Sonntag.
162
Auch in dieser Kategorie wird die Umsetzungsproblematik eines existenziellen Ansatzes deutlich, betrachtet
man die Erwähnungen hinsichtlich Kleidung: „Clothing should be adquate to keep the man in health, and
should not be so shabby as to injure his chances of obtaining respectable employment. Apart from these two
condidtions, the clothing to be most economical obtainable“ (Rowntree, 1901, S. 108). Interessant ist, dass
zur Bestimmung entsprechender Kosten ein partizipativer Ansatz gewählt wurde und die Abschätzung auf
einer Reihe an durchgeführten Interviews mit betroffenen Personen basiert. Mack & Lansley (1985, S. 46)
attestieren der Arbeit insgesamt drei parallel angewandte Vorgehen: Die Messung für den Nahrungsbedarf
basiert auf Expertenmeinungen, die notwendige Kleidung auf Basis eines „public opinion appoach“ und die
Kosten des Wohnens werden mittels Ausgabenansatzes gemessen.
163
„Though we speak of the above causes as those mainly accounting for most of the ‘secondary’ poverty, it must
not be forgotten that they are themselves often the outcome of the adverse conditions under which too many
of the working classes live. Housed for the most part in sordid streets, frequently under overcrowded and
unhealthy conditions, compelled very often to earn their bread by monotonous and laborious work, and unable,
86 Das doppelte Relativ der Altersarmut

there were evidences of poverty, i.e. obvious want and squalor“ (Rowntree, 1901, S. 115).164
Abzüglich jener, welche der primären Armut zugeordnet werden konnten, ergab dies den Um-
fang der sekundären Armut. Konkludierend besitzt Rowntrees Konzept zwar einen absoluten
Kern, welcher in der Messbarmachung und Identifikation in relative, der Gesellschaft ange-
passte Annahmen mündet.
Als zweiter prominenter Vertreter einer absoluten Konzeption ist Sen zu nennen. Anzumerken
ist, dass Sen zwar für einen absoluten Ansatz plädiert, sich aber von einem „klassischen“ Ver-
ständnis im Sinne von Rowntree (vlg. Sen, 1981, S. 11ff., 1983, S. 156) abheben möchte: „even
though the specification of the absolute levels has to be done quite differently from the way it
used to be done in the older tradition“ (Sen, 1983, S. 153). Der Absolutheit kommt weniger
eine existenzielle und über die Zeit stabile Bedeutung zu – auch wenn bspw. auf das Hunger-
sterben immer wieder Bezug genommen wird –, sondern es geht einerseits um die Identifikation
von Armut, ohne entsprechende Gradienten in Relation zu anderen zu bestimmen und anderer-
seits um das binäre Prinzip aut omnia aut nihil. Ersteres negiert relative Ansätze insofern, da
seiner Ansicht nach durch das Kriterium der Ungleichheit (in relativen Ansätzen) Armut über-
sehen werden kann, wenn sich bspw. das Niveau allgemein absenkt. „A sharp fall in general
prosperity causing widespread starvation and hardship must be seen by any acceptable criterion
of poverty as an intensification of poverty“ (Sen, 1983, S. 157). Anders formuliert: Armut soll
nicht in Bezug zu anderen bestimmt werden sondern auf Basis festgelegter Minimalstandards;
der Test, so der Autor weiter, „is not so much having equal shame as others, but just not being
ashamed, absolutely"(Sen, 1985a, S. 670). Hiermit deutet sich auch das binäre Prinzip, bspw.
eben nicht beschämt zu sein oder am Gesellschaftsleben zu partizipieren, an. „In this view to
be able to avoid shame, an eighteenth century Englishman has to have leather shoes. It may be
true that this situation has come to pass precisely because the typical members of that commu-
nity happen to possess leather shoes, but the person in question needs leather shoes not so much
to be less ashamed than others […], but simply not to be ashamed, which as an achievement is
an absolute one“ (Sen, 1983, S. 159). Zentral in Sens Konzeption sind die Begriffe capability
bzw. Verwirklichungsmöglichkeit (vgl. Leßmann, 2007) und function bzw. Funktion. Jedem
Individuum steht eine Menge an Verwirklichungsmöglichkeiten zur Verfügung – "capabilities
represent what a person can do or can be“ (Sen, 1985a, S. 674). Die Menge der Verwirkli-
chungsmöglichkeiten umfasst all das, was Menschen zu tun oder zu sein imstande sind und
hängen von individuellen (empirische Ergebnisse dazu von Hick, 2016) bzw. soziostrukturellen
Faktoren ab (vgl. Arndt, Dann, Kleinmann, Strotmann, &, Volkert, 2006, S. 7; Sen, 1985a, S.
670, 1985b, S. 199). Eng verbunden mit der Verwirklichungsmöglichkeit ist die Funktion, wel-
che das konkrete Tun und Sein repräsentiert – Functionings are ‘beings and doings’, such as
being nourished, being confident, being able to travel, or taking part in political decisions“
(Alkire, 2005, S. 118). Das capapility-set stellt nun den Raum an möglichen Kombinationen
bzw. Bündeln von erreichbaren Funktionen dar. „A functioning combination is a point in such
a space, whereas capability is a set of such points“ (Sen, 1992, S. 50). Die gewählte Kombina-
tion an Funktionen lässt sich mit der Lebenssituation einer Person gleichsetzten, welche jedoch

partly through limited education and partly through overtime and other causes of physical exhaustion, to enjoy
intellectual recreation, what wonder that many of these people fall a ready prey to the publican and the book-
maker? The limited horizon of the mother has a serious effect upon her children; their home interests are
narrow and unattractive; and too often they grow up prepared to seek relief from the monotony of their work
and environment in the public-house, or in the excitement of betting” (Rowntree, 1901, S. 144f.).
164
Angemerkt sei, dass starkes Trinken als Anzeichen von Armut gewertet wurde, neben “pinched faces of the
ragged children told their own tale of poverty” (Rowntree, 1901, S. 116) zugleich dem Trinken eine verursa-
chende Wirkung im Bericht zugeschrieben wird.
Abriss konzeptioneller Bestimmungsversuche von Armut 87

auch entsprechend dem Möglichkeitsraum anders wählen hätte können. Armut wird von Sen
(1992, S. 109) als „failure of basic capabilities to reach certain minimally acceptable levels“
gesehen (auch Sen, 1985a, S. 670), bleibt aber, wie Leßmann (2007b, S. 170) konstatiert, in
einer genaueren Bestimmung ungewiss. So sind Angaben zu den basic capabilities vage (vgl.
Sen, 1983, S. 162f., 1985a, S. 670; auch Townsend, 1985, S. 667) und bestehen unter anderem
aus:165
- to meet nutritional requirements bzw. being free from starvation, from hunger, from
undernourishment;
- to escape avoidable disease;
- to be sheltered bzw. being adequately sheltered;
- to be clothed;
- to be educated;
- to live without shame;
- to participate in the activities of the community-and to have self-respect;
- being free to travel to see friends.
An sich werden keine Listungen – im Gegensatz zu Nussbaum (2003) – vorgenommen, denn
Sen sieht diese einerseits hinsichtlich dem Analyseziel als variabel an166 bzw. sei bei der Ana-
lyse von Armut auf die, für die jeweilige Gesellschaft relevanten, Minimalstandards167 zu ach-
ten. Folglich sind Standards in einer Art gesellschaftlicher Beobachtung zu übernehmen; „it is
primarly a factual rather than an ethical exercise“ (Sen, 1981, S. 21) – teils greifen ForscherIn-
nen relativer Deprivationskonzepte dieses Argument zur konsensualen Bestimmung von De-
privationsmerkmalen auf. Zugleich betont Sen (1981, S. 19f., 1992, S. 107f.), dass die Nicht-
verfügbarkeit von Ressourcen nicht zu einer Neudefinition von Armut führen dürfe. „Look
here, old man, your aren’t really poor even though you are starving, since it is impossible in the
present economic circumstances to maintain the income of everyone above the level needed to
eliminate starvation” (Sen, 1981, S. 20). Auch wenn die Ausklammerung einer Beseitigung von
Hungersnöten als gesellschaftliches Minimum sehr unwahrscheinlich scheint, wird hiermit eine
moralische bzw. normative Komponente eingeführt – wiewohl dies von Sen (siehe die voran-
gegangen Fußnote) verneint wird. Ungeachtet dieser theoretischen Diffusität lässt sich zwi-
schen Ressourcen und Verwirklichungschancen nun ein Konnex herstellen: „absolute depriva-
tion in terms of a person's capabilities relates to relative deprivation in terms of commodities,
incomes and resources. […] Relative deprivation, in this case, is nothing other than a relative
failure in the commodity space – or resource space – having the effect of an absolute deprivation
in the capability space” (Sen, 1983, S. 153 u. 162).168 Angelpunkt ist in Folge nicht ein fix

165
Eine umfängliche Liste hat Leßmann (2007b, S. 282) zusammengetragen.
166
“In the context of some types of social analysis, for example, in dealing with extreme poverty in developing
economies, we may be able to go a fairly long distance with a relatively small number of centrally important
functionings and the corresponding basic capabilities (e.g. the ability to be well nourished and well sheltered,
the capability of escaping avoidable morbidity and premature mortality, and so forth). In other contexts, in-
cluding more general problems of economic development, the list may have to be much longer and much more
diverse“ (Sen, 1993, S. 31).
167
Hierzu findet sich eine Fußnote, in welcher Sen den Gedanken ausführt: “This minimum list does, of course,
vary from society to society, and reflects ‘contemporary standards’. But this does not make the exercise of
specification of poverty standards in a given society a purely subjective one. For the person studying and
measuring poverty, the conventions of society are matters of fact (what are the contemporary standards?), and
not issues of morality or of subjective search (what should be the contemporary standards? what should be my
values? how do I feel about all this?)" (Sen, 1985a, S. 670).
168
“In the commodity space, therefore, escape from poverty in the form of avoiding shame requires a varying
collection of commodities-and it is this collection and the resources needed for it that happen to be relative
88 Das doppelte Relativ der Altersarmut

definiertes Einkommensniveau, welches zwischen arm und nicht-arm teilt, sondern das Krite-
rium der Angemessenheit. So muss das Einkommen individuell bestimmt werden, welches ge-
nügt, um die basic capabilites zu ermöglichen.169 In Verkettung stellt sich der Prozess wie folgt
dar: „So there is, as it were, a sequence from a commodity (in this case a bike), to characteristics
(in this case, transportation), to capability to function (in this case, the ability to move), to utility
(in this case, pleasure from moving). […] So the constituent part of the standard of living is not
the good, nor its characteristics, but the ability to do various things by using that good or those
characteristics, and it is that ability rather than the mental reaction to that ability in the form of
happiness that, in this view, reflects the standard of living “ (Sen, 1983, S. 160). Obschon Sen
(1992, S. 111f.) damit eine Möglichkeit eröffnet, eine ressourcenbasierte Sicht einzunehmen,
geht er darüber hinaus und möchte capability failures explizit in den Blick nehmen, welche
auch losgelöst von Ressourcen existieren bzw. nicht immer durch diese kompensiert oder er-
klärt werden können (bspw. wenn die Lebenswahrscheinlichkeit von der medizinischen Ver-
sorgung abhängig ist, die nur bedingt durch ein größeres Einkommen ausgeglichen werden
kann). „Inequalities in health care can precipitate capability failures in health and nutritation
even when personal incomes are not that low in international standards“ (Sen, 1992, S. 115).
Der Capability Ansatz hat in den letzten Jahren Verbreitung erfahren und ergänzt bspw. im
Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesrepublik Deutschland seit geraumer Zeit den Le-
benslagenansatz (u.a. BMAS, 2013); zumindest ist dies der Anspruch, wenn auch eher rudi-
mentär eingelöst (vgl. Rippin, 2016). Die Schwierigkeit besteht darin, (eigentlich) nicht den
Output zu messen, wie dies in Deprivationsansätzen grundsätzlich getan bzw. auch als die di-
rekte Messung von Armut bezeichnet wird, sondern eben die Verwirklichungschancen (siehe
Hollywood, Egdell, McQuaid, & Michel-Schertges, 2012) – hierin lässt sich ein Schnittpunkt
zum Lebenslagenansatz sehen. In genauerer Betrachtung eröffnet der Capability-Ansatz zudem
einige Fragen, welche Townsend (1985) teils zu thematisieren versuchte. Einerseits scheint un-
klar, ob minimale Verwirklichungschancen losgelöst von der Gesellschaft („ohne Scham sich
in der Öffentlichkeit zeigen zu können“, bedürfte der Klärung, was Scham ist; „Teilhabe am
Gemeinschaftsleben“, bedürfte wiederum der Klärung was Teilhabe ist und was hier nun das
Minimum an Verwirklichungschancen sein soll) bestimmbar sind. Andererseits eröffnen sich
Fragen der Messbarkeit bzw. sind (aktuelle) Operationalisierungsversuche aufgrund der Daten-
verfügbarkeit limitiert (vgl. Karimi, Brazier, & Basarir, 2016; Eiffe & Heitzmann, 2006) oder
gehen an den eigentlichen Empfehlungen von Sen (1992, S. 111) vorbei170 und können, auch

vis-a-vis the situations of others. But on the space of the capabilities themselves - the direct constituent of the
standard of living - escape from poverty has an absolute requirement, to wit, avoidance of this type of shame.
Not so much having equal shame as others, but just not being ashamed, absolutely” Sen (1983, S. 162).
169
Das Kriterium der Angemessenheit führt trotz seiner allererst bestechenden Logik zu einer gewissen Proble-
matik in zweiter Betrachtung. „If Mr Richman has a high income and can buy whatever he needs, and still
squanders the opportunities and ends up rather miserable, it would be odd to call him ‘poor’. He had the means
to live well and to lead a life without deprivation, and the fact that he managed nevertheless to generate some
deprivation does not place him among the poor” (Sen, 1992, S. 110). Obwohl Sen das Beispiel im Späteren
noch um das individuelle (und soziostrukturelle) Potential der Konvertierung von Ressourcen in Funktionen
ergänzt, wird in diesem erneut eine normative Komponente deutlich. So dürften Personen, welche ein über
die Deprivation reichendes capability-set aufweisen, auch wenn dieses aus individuellen Gründen nicht reali-
siert wird, nicht als arm bezeichnet werden. Entscheidend ist hierbei die Frage, wie das Potential der Konver-
tierung zu beurteilen ist, d.h. in welchem Konnex (unabänderliche) Einschränkungen – wie zum Beispiel Al-
ter, Geschlecht, Gesundheitszustand, welche Sen meist als Beispiele anführt – und die (individuelle) Ver-
schwendung (to squander) stehen. Mit neuer Blickrichtung wendet man sich in logischer Konsequenz der alten
Einteilung zwischen würdigem und unwürdigem Armen zu.
170
Sen (1992, S. 52) macht auf die Problematik der Messung selbst aufmerksam und konstatiert, dass man sich
in solchen Fällen meist auf functions beziehen müsse.
Abriss konzeptioneller Bestimmungsversuche von Armut 89

durch die fehlende Explikation der jeweiligen Minima, zu einem fragwürdigen Niveau herab-
gestuft werden. Absolutheit kann sich letzten Endes nur auf Worthülsen beziehen, selbst solch
ein „achievement“ wie „gesund sein“ ist eine Frage dessen, was unter Gesundheit verstanden
wird. Ist es die Abstinenz von Erkrankungen (auch diese müssen erst entdeckt und anerkannt
werden – so sei etwa an das Ringen der klinischen Beschreibungen von psychischen Erkran-
kungen erinnert) oder eine funktionale Frage. Führt man hierzu auch Rowntrees eigentliche
Idee „to maintain health“ gedankenexperimentell weiter, so stößt man auf eine Vielzahl von
Fragen, wie beispielsweise heute Feinstaubbelastungen an dicht befahrenen Straßen einzube-
ziehen bzw. nicht barrierefreie Wohnungen als Quell für ein erhöhtes Sturzrisiko anzusehen
sind oder diese bei körperlichen Mobilitätseinschränkungen verstärkt zur sozialen Isolation bei-
tragen, was wiederum Auswirkungen auf die Gesundheit haben kann. Verdeutlicht soll damit
werden, dass selbst gesundheitsgefährdende Faktoren zumindest in Teilen von der (sozialen)
Umwelt abhängig und dynamischer Natur in Zeit und Raum sind, bei einer umfassenden Mes-
sung eine Vielzahl an Faktoren berücksichtigt werden müssten und die Begriffe erst im gesell-
schaftlichen Aushandlungsprozess an Bedeutung erlangen.171 Noch komplexer wird die Be-
stimmung von Armut, wenn man nicht functions oder achievements, sondern die capabilities
in den Blick nimmt. Zum einen bleibt offen, wann ein „can do“ in ein „can not do“ umschlägt
oder wie das individuelle Potential konkret einbezogen werden muss. Sen (1983, S. 162) führt
bspw. „the need to be educated“ an und verweist in einem Gedankenbeispiel auf einen Fernse-
her, welchen ein britisches Kind für die Schulbildung benötige, ein tansanisches Kind hingegen
nicht. Hierbei geht es um Ressourcen und die Relativität zwischen der Gesellschaft, doch damit
ist noch nichts über das Minimum an der Möglichkeit „to be educated“ gesagt. Soll es sich
hierbei um eine Grundausbildung handeln oder ist damit Bildung bis in den tertiären Sektor
gemeint? Zugleich sind die Vorteile des Konzeptes im Prinzip der Gleichzeitigkeit und Atomi-
sierung bzw. gruppenspezifischen Betrachtung zu sehen. Ersteres kommt in der „functioning
combination“ zum Ausdruck. Nimmt man dies ernst, so müssen Kombinationen existieren, in
welchen alle Mindestniveaus parallel erfüllt sind.172 Die Armutsgrenze ist in dieser Hinsicht
additiver Natur – es muss möglich sein, ohne Scham in der Gesellschaft zu leben und ernährt
zu sein usw. Nur wenn das cabability-set Kombinationen beinhaltet, die über diese Grenze hin-
ausreichen, ist die Person als nicht arm zu bezeichnen.173 Die Betonung des individuellen (und

171
„Isn't the idea of ‘avoidable disease’ dependent on level of medical technology and more basically, those
conditions and symptoms which a country is prepared to identify as disease or as avoidable, and isn't disease
(and its obverse) fundamentally linked with social behaviour? […] These are social notions and this is what I
would want to insist upon. Types of need […], are socially created and have to be identified and measured in
that spirit. Human needs are essentially social, and any analysis or exposition of standards of living and pov-
erty must begin with that fact“ (Townsend, 1985, S. 667).
172
Zwar ist dies keine originäre Sicht des capability Ansatzes, im Gegensatz zu anderen ist dies jedoch deutlicher
expliziert, wird aber in Erhebungen zur materiellen Deprivation nicht ausreichend beachtet. In der SILC Er-
hebung (u.a. Statistik Austria, 2017c) werden Induktoren ohne Relation zueinander abgefragt und ermöglichen
disjunktive Wahlmöglichkeiten. So ließe sich, wenn auch das Budget nur für eines der beiden Fälle genügt,
sowohl die Frage, ob man sich es leisten könne, die Wohnung angemessen warm zu halten, bejahen, wie auch
die Frage, ob man sich es leisten könne, bei Bedarf neue Kleidung zu kaufen. Entscheidend ist aber, ob beides
gleichzeitig möglich ist, muss man sich im Winter womöglich neue Kleidung kaufen und möchte in der Woh-
nung trotzdem nicht erfrieren. „Using phrases such as ‘are you able to’ or ‘can you’ fails to achieve a valid
measure of capability, because it measures each domain independently of other domains. The questionnaires,
in effect, ask an individual to respond with the highest possible achievement on each functioning” (Karimi,
Brazier, & Basarir, 2016, S. 796). Ist anzunehmen, dass RespondentInnen solche disjunktiven Entscheidungen
bei der Beantwortung treffen, dann ist das Phänomen der Deprivation unterschätzt.
173
Hier müsste sich die Frage stellen, wie Personen zu werten sind, welche ein Bündel unter der Schwelle reali-
sieren, obwohl sie die Möglichkeit zur Erfüllung der Minimalstandards hätten. Neuralgischer Punkt in der
90 Das doppelte Relativ der Altersarmut

soziostrukturellen) Potentials macht hingegen auf die Notwendigkeit einer zumindest gruppen-
spezifischen Analyse von Armut aufmerksam. „For example, an old person has a much harder
time in being free from disease, in leading a healthy life, in achieving mobility, in taking part
in the life of the community, in seeing friends, and so on”, denn es sei wichtig, die Wechsel-
wirkung von “income-earning handicap and income-using handicap in generating capability”
(Sen, 1992, S. 113) zu erkennen. In Erfüllung dieses Prinzips wäre zumindest eine altersspezi-
fische Betrachtung von Armut notwendig. Der aktuelle Einbezug des Pflegegeldes in die Ein-
kommensmessung ohne entsprechende Berücksichtigung des income-using handicap ist in die-
sem Sinne kontradiktorisch.

• Townsend als Repräsentant einer relativen Konzeption


Als Kritiker von Sen tat sich vor allem Townsend (1985) hervor, welcher den absoluten Kern
strikt anzweifelte und als bedeutender Vertreter der relativen Sichtweise gesehen werden muss
(vgl. Gordon, 2010, S. 132): „There is no list of the absolute necessities of life to maintain even
physical efficiency or health which applies at any time and in any society, without reference to
the structure, organization, physical environment and available resources of that society”
(Townsend, 1962, S. 219). Till & Till-Tentschert (2007, S. 48), Groh-Samberg (2009) oder
Gordon (2010) sehen darüber hinaus die Armutsdefinition der Europäischen Union durch die
Arbeiten von Townsend beeinflusst. Auch wenn meist auf seine Arbeit „Poverty in the United
Kingdom“ (Townsend, 1979) verwiesen wird, so begann er bereits 25 Jahre zuvor, seine Kon-
zeption zu formulieren (vgl. Townsend, 1954, 1962; Able-Smith & Townsend, 1965;
Townsend, 1970a, S. 42f.).174 Seine Überlegungen basieren dabei auf der Kritik gegenüber dem
substanzialistischen Ansatz,175 welcher seiner Ansicht nach Schwierigkeiten hat (vgl.
Townsend 1962, S. 217), eine ausreichende Ernährung wissenschaftlich und für unterschiedli-
che Bedarfe von Individuen zu begründen – „it is therefore important to remember that calcu-
lations of nutritional requirements are rough estimates subject to a wide margin of error“, sowie
der Problematik, wie dies auf einen allgemein gültigen Ernährungsplan übertragen werden
könne (auch Townsend, 1979, S. 35f.). „Tea is an even better example, for it has little or no
nutritional value. Should any allowance be made for this in the minimum diet?“ (Townsend,
1962, S. 217). Hieraus folgt die Einsicht, dass selbst Nahrungsmittel psychologische, wie auch
soziale Notwendigkeiten und nicht rein einen Nährwert erfüllen.176 Bereits in seinem ersten
Artikel zur Armutsmessung, ging Townsend (1954) davon ab, eine Schwelle losgelöst von den
Menschen treffen zu wollen, sondern empfahl Ernährungspläne in Verbindung mit den tatsäch-
lichen Ausgaben der Haushalte zu setzten. „The average total expenditure of these households,
less the overheads [such as rent and compulsory insurances], according to their different sizes,

Bewertung ist das individuelle Potential, welches in solch einem Fall zur Überverantwortung genutzt werden
kann.
174
Auch verweist Townsend auf Galbraith (1958, S. 252), welcher eine ähnliche Definition zu Armut liefert:
“People are poverty-stricken when their income, even if adequate for survival, falls markedly behind that of
the community. Then they cannot have what the larger community regards as the minimum necessary for
decency and they cannot wholly escape, therefore, the judgment of the larger community that they are inde-
cent. They are degraded for, in the literal sense, they live outside the grades or categories which the community
regards as acceptable”. Unterschiede bestehen darin, dass Townsend (1979) sich nicht nur auf das Einkom-
men, sondern auf Ressourcen bezieht sowie die Fremdzuweisung durch das Herausfallen aus dem gesell-
schaftlich typischen Lebensstandard tauscht.
175
Bereits in seinem im Jahr 1952 erschienen Beitrag „Poverty: ten years after Beveridge“ kritisierte Townsend
(2010a) die wissenschaftliche Fundierung substanzialistischer Ansätze.
176
“The great majority of people think that everyone is entitled not just to eat but to eat at a certain quality (meat
or fish every other day), with regularity (two hot meals a day), and in accordance with traditional customs (a
roast joint once a week)“ (Mack & Lansley, 1985, S. 57).
Abriss konzeptioneller Bestimmungsversuche von Armut 91

can be taken as the poverty line” (Townsend, 1954, S. 135). Zudem können nach Townsend
(1979, S. 50f.) menschliche Bedürfnisse nicht nur auf Nahrung reduziert werden bzw. umfasst
die soziale Teilhabe weitere Bereiche, welche in Zusammenhang mit den Ressourcen einer Per-
son stehen. Letzten Endes hält er Subsistenzansätze von Armut für ungenügend, da sie die so-
zialen Rollen und Verpflichtungen ausklammern (vgl. auch Mack & Lansley, 1985, S. 56). In
seinem zweiten Artikel zu Armut gelangte er zu folgendem Schluss: „Our general theory, then,
should be that individuals and families whose resources, over time, fall seriously short of the
resources commanded by the average individual or family in the community in which they live,
whether that community is a local, national or international one, are in poverty“ (Townsend,
1962, S. 225). Obwohl bereits in diesem Text der letzte Abschnitt mit „relativer Deprivation“
betitelt wird, erfolgte die Publikation seiner Konzeption erst mit dem umfänglichen Werk
„Poverty in the United Kingdom” (Townsend 1979). Hierin werden drei Arten von Deprivation
unterschieden: Zum einen die objektive Deprivation, welche aus einer wissenschaftlich, mög-
lichst neutralen Sichtweise gewonnen wird und sich über die Wertvorstellungen einer Gesell-
schaft erheben soll – „even if, in the end, some colouring of scientific procedure by social atti-
tudes and opinion or individual valuation is inescapable“ (Townsend, 1979, S. 46) –, um damit
den Blick für weitere mögliche Deprivationsformen zu öffnen.177 Diese löst sich von der kon-
ventionell anerkannten Deprivation ab, welche die in der Gesellschaft dominierende Sichtweise
auf Deprivation bzw. damit Wertvorstellungen repräsentiert (bspw. stellt die bedarfsorientierte
Mindestsicherung solch eine konventionelle Sicht dar) und weniger Standards, welche bei
Nichterfüllung die objektive Deprivation anzeigen (vgl. Townsend, 1979). Als dritte Form
nennt er die subjektive Deprivation und bezeichnet damit die Selbsteinschätzung von Indivi-
duen bzw. Minderheiten. Alle drei können voneinander abweichen, womit sich auf inkonsis-
tente Wohlfahrtspositionen verweisen lässt (etwa Zapf 1984, S. 25). Der Ansatz relativer De-
privation richtet sich vorrangig auf die objektive Deprivation – wenn auch die beiden anderen
nicht ausgeklammert werden und wissenschaftliche Erkenntnisse liefern können – und lässt
sich als ein Herausfallen aus bzw. ein Nichtpartizipieren können an dem für die Gesellschaft
typischen Lebensstil bzw. Lebensstandard bezeichnen (u.a. auch Eiffe, Till, & Kafka, 2010).
Dieser „style of living“ (Townsend 1979, S. 57ff.) ist durch ein Muster von Konsumverhalten
und anderen Aktivitäten charakterisiert und formt die Bedürfnisse178 eines Individuums in der
jeweiligen Gesellschaft. „By style of living I do not mean particular things and actions in them-
selves, but types of consumption and customs which are expressive of social form” (Townsend,
1979, S. 249), welche in Zeit und Raum relativ sind.179. Anhand von Indikatoren soll dieser

177
In einer späteren Arbeit – erstmalig 1987 publiziert – fasst Townsend (2010a, S. 216) seine Absicht nochmals
prägnant zusammen: „‘Objective’ deprivation in these senses therefore amounts not just to the scientific ob-
servation and measurement of events and conditions which are registered on the public’s consciousness, but
those too which are not. Part of the social scientist’s affiliation to ‘objectivity’ depends on his or her conscious
detachment from the social or political consensus developed by state and other institutions. In degree or kind
the social scientist must always be on the look-out for what is not yet publicly known or recognized”. Die
Betonung einer möglichst werteneutralen, nicht vorab eingrenzenden Perspektive dürfte auch als Kritik an
absoluten Konzeptionen zu lesen sein, attestiert Townsend (1979, S. 39) dem Konzept von Rowntree den
Vorstellungen seiner Zeit über eine ausreichende Ernährung entsprochen zu haben.
178
„Needs arise by virtue of the kind of society to which individuals belong. Society imposes expectations,
through its occupational, educational, economic and other systems, and it also creates wants, through its or-
ganization and customs” (Townsend, 1979, S. 50).
179
„The essence of the approach I am endeavoring to develop is that society, and especially the State, is creating
or ‘manufacturing’ as well as reconstituting needs at the same time as it is determining the allocation of re-
sources in the first place (and not just the redistribution of income) with which those needs can or will be met.
Our understanding of changes in the extent of poverty depend fundamentally on scientific exposition of this
dual process“ (Townsend, 1985, S. 163). Lansley & Mack (2015, S. 20) können die zeitliche Veränderung in
92 Das doppelte Relativ der Altersarmut

Lebensstil gemessen werden – “Scientific generalisations about deprivation should depend on


inquiries into all aspects of the material and social conditions of life of a people, unearthing
conditions which are ignored or not even perceived, and properly representing those which are
underestimated, as well as reproducing those which are popularly accepted or approved”
(Townsend, 2010a, S. 222). Um diesem Anspruch gerecht zu werden, wurden für die Studie
von 1979 insgesamt 60 Indikatoren in 12 Bereichen entwickelt (siehe die nachstehende Tabelle
für einen exemplarischen Auszug). Zwei Dimensionen werden unterschieden: Zum einen die
materielle Deprivation, welche unter anderem Waren, Dienstleistungen, Ressourcen oder An-
nehmlichkeiten umfasst und zum anderen die soziale Deprivation, welche bspw. den Zugang
zu sozialen Gewohnheiten, Aktivitäten und Beziehungen beschreibt (vgl. Townsend, 1979, S.
1173–1776, 2010a, S. 219):180
Tabelle 5 – Deprivationsmerkmale nach Townsend (1979)
Bereiche Beispiele
Dietary (material deprivation) At least one day without cooked meal in last two weeks
Clothing (material deprivation) Inadequate footwear for both wet and fine weather
Fuel and light (material deprivation) No electricity or light only
Household facilities (material deprivation) No TV
Housing conditions and amenities (material Overcrowded (in terms of number of bedrooms)
deprivation)
Conditions at work (material deprivation) Working fifty or more hours last week
Health (material deprivation) Health poor or fair
Educational (social deprivation) Fewer than ten years’ education
Environmental (material deprivation) No garden or yard, or shared
Family (social deprivation) Difficulties indoors for child to play
Recreational (social deprivation) No afternoons or evenings out in last two weeks
Social (social deprivation) No emergency help available, e.g. illness
Drei Prinzipien macht Townsend (2010a, S. 220) bei der Indikatorentwicklung geltend: So sol-
len diese möglichst umfassend alle Bereiche des Lebensstil abbilden, zweitens „objektiver“
Natur sein und entsprechend Bedingungen, Beziehungen oder Verhalten erfassen und weniger
Meinungen bzw. Einstellungen und drittens Repräsentativität herstellen bzw. im Umkehr-
schluss nicht einzelne Gruppen anhand der gewählten Indikatoren diskriminieren. Auf Basis
des so entwickelten Indikatorsets lässt sich nun der Grad an Deprivation messen, welcher von
Armut zu unterscheiden ist (vgl. Townsend, 2010a, S. 214). „It may be hypothesized that, as
resources for any individual or family are diminished, there is a point at which there occurs a
sudden withdrawal from participation in the customs and activities sanctioned by the culture.
The point at which withdrawal ‘escalates’ disproportionately to falling resources could be de-
fined as the poverty line”. Entscheidend ist also nicht der Umstand, dass Personen depriviert

einem Vergleich von Daten aus 1983 und 2012 deutlich aufzeigen; so verlor etwa die Möglichkeit, Familien-
angehörigen Geschenke machen zu können, über die Jahre seinen Mehrheitszuspruch, hingegen gewann die
Bedeutung eines Telefons hinzu. Wie unterschiedlich die Notwendigkeiten innerhalb der EU aufgefasst wer-
den, zeigt eine Erhebung der European Commission (2007): Während sich die österreichischen Befragten
mehrheitlich für einen guten Zustand der Wohnbedingungen aussprachen, fanden dies nur 38% der belgischen
Interviewten als absolute Notwendigkeit, insgesamt erlangte der Indikator auf europäischer Ebene keinen
Mehrheitszuspruch.
180
Townsend (2010a) ist an dieser Stelle verhältnismäßig unspezifisch und fasst die Begriffe mal mehr, mal
weniger umfangreich. So spricht er bei sozialer Deprivation auch von Rollen, Rechten und Pflichten sowie
Mitgliedschaften. „Material deprivation entails the lack of the goods, services, resources, amenities and phys-
ical environment which are customary, or at least widely approved in the society under consideration. Social
deprivation, on the other hand, is non-participation in the roles, relationships, customs, functions, rights and
responsibilities implied by membership of a society and its sub-groups“ (Townsend, Phillimore, & Beattie,
1988, S. 36).
Abriss konzeptioneller Bestimmungsversuche von Armut 93

sein können –Townsend scheint davon auszugehen, dass der Auftritt zumindest einzelne De-
privationsmerkmale bzw. in gewisser Weise Ungleichheiten eher der Normalfall sind –,181 son-
dern, dass ab einem gewissen Punkt in Anbetracht der Ressourcen der Grad an Deprivation
disproportional zunimmt. „Once it shrinks below a particular level they withdraw (or withdraw
their children) from fulfilling certain social obligations or well-established customs or activi-
ties“ (Townsend, 1985, S. 662). Armut ist durch einen Konnex zwischen Resourcen und Dep-
rivation definiert, wobei erstere nicht nur das Einkommen, sondern auch „capital assets, value
of employment benefits in kind, value of public social services in kind and private income in
kind“ (Townsend, 1979, S. 55) umfassen. „The level of resources available to the local com-
munity, the family and the individual (note that I do not refer just to the individual) seems in
the end to govern whether or not individuals within that community can satisfy social obliga-
tions, expectation and customs and hence need“ (Townsend, 1985, S. 661). Zur Bestimmung
der Armutsgrenze wurde nun ein additiver Deprivationsindex dem Einkommen (andere Res-
sourcen wurde hierbei nicht herangezogen) in logarithmierter Form gegenübergestellt und für
einzelne Haushaltstypen Einkommensschwellen abgeleitet, ab welchen die Zahl an Deprivati-
onsmerkmalen disproportional zunimmt (vgl. Townsend, 1979, S. 248ff.). Tatsächlich mündet
das Vorgehen in einer spezifischen Form der Einkommensarmut, welche jedoch, im Unter-
schied zur substanzialistischen Perspektive, nicht rein auf eine Art Grundbedarf der Existenz
abzielt, sondern umfänglich die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben betont. Zusammenfas-
send sei die viel zitierte Armutsdefinition von Townsend ein weiteres Mal rezitiert und soll
jener der EU gegenübergestellt werden:
Townsend (1979)
„Poverty can be defined objectively and applied consistently only in terms of the
concept of relative deprivation. […] The term is understood objectively rather than
subjectively. Individuals, families and groups in the population can be said to be in
poverty when they lack the resources to obtain the types of diet, participate in the
activities and have the living conditions and amenities which are customary, or are
at least widely encouraged or approved, in the societies to which they belong. Their
resources are so seriously below those commanded by the average individual or
family that they are, in effect, excluded from ordinary living patterns, customs and
activities“ (Townsend, 1979, S. 31).
Europäische Union (1975)
„In Armut lebende Personen: Einzelpersonen oder Familien, die über so geringe
Mittel verfügen, daß sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Mit-
gliedstaat als Minimum annehmbar ist, in welchem sie leben; Mittel: das Barein-
kommen, das Vermögen und die zur Verfügung stehenden öffentlichen und privaten
Leistungen“ (Rat der Europäischen Union, 1975).
Entsprechend wird Armut nicht in einem geringen Konsum gesehen, sondern die Definitionen
zielen auf die Folgen ab. „Ohne eine entsprechende Ausstattung mit Ressourcen sind Menschen
nicht vollwertige Mitglieder ‚ihrer‘ Gesellschaft“ (Rainwater, 1992, S. 198). Piachaud (1981)
kritisierte an Townsends Konzeption, nicht zwischen einem erzwungenen Mangel aufgrund der

181
In puncto dieses Umstandes kritisiert Piachaud (1981): “It is an unsatisfactory feature of any conception of
relative deprivation that, even if all inequality of incomes were removed, there would still be relative depriva-
tion as long as people behaved differently. Taken to its logical conclusion, only when everyone behaved iden-
tically would no one be defined as deprived. Townsend’s index of relative deprivation cannot cope with di-
versity“.
94 Das doppelte Relativ der Altersarmut

Ressourcenlage und „taste“ einer Person bzw. dem freiwilligen Verzicht differenzieren sowie
keine zufriedenstellende Evidenz für den Knickpunkt liefern zu können, ab welchem Depriva-
tion disproportional zunimmt. Hierbei handelt es sich tatsächlich um den Schwachpunkt dieses
Konzeptes; gesichert lässt sich sagen, dass sich der Grad an Deprivation mit steigendem Ein-
kommen abschwächt (auch Mack & Lansley, 1985, S. 110f.), die tatsächliche Existenz eines
Knickpunktes steht wiewohl zur Disposition (u.a. Desai & Shah, 1988; P. Townsend & Gordon,
1993; Eiffe u. a., 2012; Ferragina, Tomlinson, & Walker, 2017) und intervenierende Faktoren
bleiben unberücksichtigt. Ringen (1988, S. 357f.) konstatiert einen logischen Bruch zwischen
Theorie (als direkter Ansatz) und Messkonzept (als indirekte Messung). Zudem ist auf die Will-
kür der Indikatorenwahl zu verweisen (u.a. Mack & Lansley, 1985, S. 34ff.). Trotz dieser Prob-
lematiken muss Townsends Ansatz als Nährboden für eine Reihe an Arbeiten gesehen werden,
in welchen die Überlegungen – auch aus der Kritik heraus – weiterentwickelt wurden.
Fraglich erscheint, ob es in politischer Hinsicht überhaupt einen Knickpunkt geben muss, oder
ob es genügt, einen gewissen Deprivationsgrad als gesellschaftlich intolerabel anzusehen. Wäre
dies der Fall, so ließe sich mittels des beschriebenen Vorgehens eine Einkommensschwelle
bestimmen (vgl. auch Überlegungen zur Integration von Einkommensschwelle und Lebensla-
genansatz von Hauser, 2012b).

2.2.2 Indirekte oder direkte Messung von Armut


Angesichts der „europäischen Definition“ soll im Weiteren die Differenzierungslinie zwischen
direkter und indirekter Armutsmessung erörtert werden, da in der AROPE Konzeption beide
Formen zugleich zur Anwendung kommen. „Direct concepts define welfare in terms of intrinsic
goods, such as consumption or quality of life. Indirect concepts define welfare in terms of re-
sources, such as disposable income. Likewise, measures of welfare can be either direct or indi-
rect. If welfare is measured directly, we establish what intrinsic goods individuals command,
for instance their standard of consumption. If welfare is measured indirectly, we establish what
resources individuals command, for instance their disposable income“ (Ringen, 1988, S. 355;
ähnlich auch Sen, 1981, S. 27f). Für die direkte Messung wird die Weiterentwicklung von
Townsend in den Blick genommen. Zu Beginn jedoch kurz zur indirekten Messung: Armut
wird in sogenannten Ressourcenansätzen anhand der verfügbaren Menge an Ressourcen, zu-
meist durch das Einkommen repräsentiert, bestimmt. Arm sind entsprechend jene Personen,
welche über ein zu geringes Einkommen zur Deckung eines (minimalen) Lebensstandards ver-
fügen.182 „The less command one has over resources, the less welfare one enjoys; that is, the
poorer one is. Poverty is then defined as a situation where command over resources falls below
a certain level, the poverty line” (Goedhart, Halberstadt, Kapteyn, & van Praag, 1977, S. 504).
Die Verwendung des Einkommens als zentraler Indikator wird dahingehend argumentiert, dass
in modernen Marktgesellschaften Güter und Dienstleistungen des alltäglichen Bedarfs gegen
Geld am Markt eingekauft werden können und der Lebensstandard in großen Teilen durch das
verfügbare Einkommen gerahmt wird (vgl. Andreß, 2008, S. 474). Hierin spiegeln sich die An-
sätze von Rowntree (1901) im Sinne der Bestimmung eines existenziellen Grundbedarfs oder

182
“Virtually all definitions of the poverty threshold used in developed economies in the last half-century or so
have been concerned with establishing the level of income necessary to allow access to the minimum standards
of living considered acceptable in that society at that time. In consequence, there is an inescapable connection
between poverty and inequality: certain degrees or dimensions of inequality (such as having an income less
than some fraction of the average) will lead to people being below the minimum standards acceptable in that
society. It is this 'economic distance' aspect of inequality that is poverty. This does not mean that there will
always be poverty when there is inequality; only if the inequality implies an economic distance beyond the
critical level” (O’Higgins & Jenkins, 1991, S. 207).
Abriss konzeptioneller Bestimmungsversuche von Armut 95

von Townsend (1979) im Sinne eines soziokulturellen Mindestbedarfs wider, wenn beide ver-
suchen, ihre Überlegungen in einer Einkommenshöhe zu kanalisieren (auch Laderchi, 2000).
Warenkorbmodelle zielen ebenso auf die Genese einer Einkommensgrenze ab (bspw. Waren-
korbmodell in Deutschland Zimmermann, 1993, S. 210ff.), wie auch Referenzbudgets (bspw.
für Österreich Kemmetmüller, Leitner, & Moser, 2010). Am häufigsten wird aktuell das Kon-
zept der relativen Einkommensarmut angewendet und setzt zur Bestimmung der Armuts-
schwelle an der Einkommensverteilung an. Die Armutsgrenzen werden meist zwischen 40%
und 60% des äquivalisierten Medianeinkommens (oder Mittelwertes) festgelegt und sind
ebenso wie die verwendeten Äquivalenzskalen normativ bestimmt.183 Auch in der AROPE
Konzeption erfolgt die Berechnung der Armutsgefährdung auf diese Weise. Als dritte Richtung
sind subjektive Ansätze zu nennen (vgl. Andreß, 1999, S. 96ff.), welche bspw. anhand von
Befragungsdaten Armutsgrenzen bestimmen und somit die Festlegung auf die Befragten zu
verlagern versuchen (siehe exemplarisch Goedhart u. a., 1977; Deleeck & Van den Bosch,
1991; Van den Bosch, 2017). Dies wird von Deleeck & Van den Bosch (1991, S. 156 u. 169)
als wesentlicher Vorteil gesehen, während als Nachteil vor allem die Variabilität zu nennen ist;
so sind die Schätzungen des Mindesteinkommens etwa durch die gegenwärtigen und vergan-
genen Einkommen des Haushalts sowie Erwartungen über die Zukunft oder die soziale Bezugs-
gruppe bestimmt (vgl. Walker, 1987), zudem sind internationale Vergleiche problematisch.
Wiewohl all jene Ansätze auf die subjektive Einschätzung von Haushalten abzielen, haben sich
diverse Operationalisierungskonzepte entwickelt, welche sich in ihrer Komplexität unterschei-
den (für einen Vergleich solcher Verfahren Flik & van Praag, 1991); basierend etwa auf Wel-
fare Function of Income, Income Evaluation Question oder Minimum Income Question.
Gemein ist zusammenfassend den indirekten Messungen die Fokussierung auf Ressourcen bzw.
meist Einkommen, für welche eine Grenze („poverty line“) mittels vorgestellter Zugänge be-
stimmt wird, um damit zwischen armen und nicht-armen Personen zu differenzieren. Als „in-
direkt“ werden die Verfahren bezeichnet, da sie auf den Input, nicht aber auf die Resultate der
Ressourcenverwendung Bezug nehmen. Inwiefern diese Bezeichnung adäquat ist, hängt aber
von der Definition von Armut ab und wird von VertreterInnen ihrer Ansicht nach direkter Kon-
zepte meist zur Distinktion genutzt. Bezugnehmend auf Simmel sind beide Stränge als Bestim-
mungsmechanismen zu sehen, ersterer aus einer ressourcenorientierten und zweiterer aus einer
lebensstandardorientierten Perspektive.
Im Unterschied zu solchen Ressourcenansätzen betrachten direkte Messkonzepte die Resultate
der Ressourcenverwendung, d.h. den Lebensstandard einer Person bzw. die Teilhabe an einem
gesellschaftlich weitgehend geteilten Lebensstil (u.a. Berthoud & Bryan, 2008). Als program-
matischer, theoretischer Unterbau gilt die Arbeit von Townsend (1979), obwohl aktuelle An-
sätze von der Idee einer Einkommensschwelle abgegangen sind und die Deprivationsindikato-
ren bzw. den Deprivationsgrad in den Vordergrund stellen. Als markante Weiterentwicklung
ist die Arbeit von Mack & Lansley (1985) zu nennen, welche sich im Besonderen durch drei
Umstände abhebt und versucht die Kritik von Piachaud (1981) zu integrieren. Einerseits werden
die Indikatoren der Deprivation nicht normativ festgelegt– die AutorInnen bezeichnen
Townsends Vorgehen als „norm-reference approach“ –, sondern anhand der konsensualen Zu-
stimmung in der Bevölkerung. Zweitens wird Deprivation nur dann angenommen, wenn diese

183
In gewisser Hinsicht werden auch administrative Standards bzw. die Höhe von Sozialleistungen zur Bestim-
mung von Einkommensgrenzen genutzt und lassen indirekt auf Armut schließen. Die Verwendung dieser
Standards ist jedoch problematisch, da die Konklusion, durch Reduktion der Sozialleistung(en) eine Reduk-
tion der Armut zu bewirken, nahe liegt. Andererseits kann im Einbezug von administrativen Standards die
Zahl an Schattenarmut geschätzt werden (all jene, welche ein Einkommen unter dem Standard haben) bzw.
lässt es Schlüsse auf die Durchlässigkeit der Sicherungssysteme zu.
96 Das doppelte Relativ der Altersarmut

(materiell) erzwungen ist und damit den „way of life“ beeinflussen, also nicht aufgrund indivi-
dueller Präferenzen. Andererseits verbleibt die Arbeit auf der Ebene der Deprivationsindikato-
ren und gipfelt nicht in der Errechnung monetärer Einkommensgrenzen. Zusammengefasst
bedeutet dies: „Individuals sharing the social perception will feel deprived when they lack the
items defined by society generally as ‘necessities’“ und definieren Armut „in terms of an en-
forced lack of socially perceived necessities” (Mack & Lansley, 1985, S. 39). Dabei wurden
nur Indikatoren ausgewählt, welche in der Annahme durch monetäre Mittel ermöglicht werden
und rekrutierten sich aus den folgenden Bereichen: „food, heating, clothing, consumer durables,
entertainment, leisure activities, holidays, and social occasions and activities. Two services that
are provided at least in part by the public sector were also included: housing and public
transport” (Mack & Lansley, 1985, S. 44). Bereiche wie die Gesundheitsvorsorge, Bildung oder
Arbeitsbedingungen wurden ausgeklammert, da ein Konnex zu monetären Mitteln nur bedingt
hergestellt werden könne. Auf Basis qualitativer Interviews mit unterschiedlichen, überpropor-
tional von Armut betroffenen Gruppen (etwa Arbeitslose und ältere Personen) und ExpertInnen
wurden 35 Items bzw. Indikatoren ausgewählt. Anhand dieser sollte zuerst der Konsens über
die Notwendigkeiten und anschließend jener Personenkreis identifiziert werden, welche nicht
an diesen erzwungenermaßen teilhaben können (vgl. Mack & Lansley, 1985, S. 49ff.). 26 Items
wurden von der Mehrheit der Befragten ausgewählt, drei korrelierten nicht signifikant mit dem
Einkommen und das Item über den erzwungenen Verzicht eines Fernsehers musste aufgrund
kleiner Fallzahlen entfernt werden. Aus den verbleibenden 22 Items wurden zwei Deprivation-
sindices zu je 18 Indikatoren für Erwachsene und Kinder gebildet. Zudem wurden heuristische
Kritieren eingeführt: “first, those who lack this level of necessities should have low incomes,
falling in the bottom half of the income range; second, their overall spending patterns should
reflect financial difficulty rather than high spending on other goods. This second criterion has
been interpreted as meaning that at this level of lack of necessities households should be cutting
back in other ways and that they should be more likely to do so than those who are not cutting
back on necessities“ (Mack & Lansley, 1985, S. 175f.). Diesen folgend, gelten jene Personen
als arm, welche 3 oder mehr Deprivationsmerkmale aufweisen, abzüglich „a deduction for high
spending“ (betraf 10% der deprivierten Personen)184 und – etwas unerwartet, da sich Mack &
Lansley (1985, S. 177) eher dagegen aussprechen – einer „deduction for the effect of smoking“
(betraf 25% der deprivierten Personen). Zusätzlich erfolgte eine Adjustierung entlang einer
adaptiven Anspruchsreduktion (und Intensität);185 im Anschluss folgern sie: „We will, there-
fore, take all those who cannot afford three or more necessities as an indication of the numbers
in poverty“ (Mack & Lansley, 1985, S. 178). Je nach Einbezug der getroffenen Kriterien variiert
das Ergebnis: zwischen 11,7% (bzw. 6,4 Millionen) und 21,5% (bzw. 12 Millionen), alle Fak-
toren berücksichtigend schätzten Mack & Lansley (1985, S. 183) die Prävalenz von Armut zur
damaligen Zeit auf 8,5 Millionen betroffene Briten.

184
Ringen (1988, S. 361) machte sich für dieses Vorgehen stark: „If poverty means, in any sense, exclusion from
one's society, it must be visible in the way the poor live. This is covered by the criterion of low consumption.
By including, in addition, the criterion of low income, we exclude from the poverty category those who have
a low standard of consumption for reasons other than low income, for example, because of eccentric prefer-
ences. Also excluded are those who have a low income (as we are able to measure it) but still do not suffer
deprivations in consumption because they have other sources”.
185
“We shall calculate a measure of poverty based on all those who do not have necessities excluding only those
of the people who ‘choose’ not to have a necessity who could afford that necessity if they so chose. This, of
course, entails another judgement about those who could not afford necessities they say they do not ‘want’.
We have taken all those in the first, second, third and fourth deciles, where the concentration of deprivation
based on those who cannot afford the necessity is notably higher“ (Mack & Lansley, 1985, S. 177).
Abriss konzeptioneller Bestimmungsversuche von Armut 97

Resümierend lässt sich konstatieren, dass auf Basis des konsensualen Prinzips zwar die Identi-
fikation der Notwendigkeiten auf die Befragten übertragen wurde und damit zumindest ein Part
einer Expertennormierung ausgeschalten werden konnte, trotzdem die StudienautorInnen die
finale Entscheidung darüber trafen, ab wann Deprivation als Armut zu sehen ist (hierzu auch
R. Walker, 1987, S. 216; Callan & Nolan, 1991, S. 255); überdies ist die Auswahl der Itemliste
ein normativer Akt (auch Halleröd, 1994). Entlang dieses Weges wurden nicht minderwiegende
Entscheidungen durch Expertenhand getroffen, welche das Ergebnis maßgeblich mitbeeinflusst
haben. Darüber hinaus zeigen Fahmy, Sutton, & Pemberton (2015), dass weder ein einheitliches
Verständnis über Begriffe wie Notwendigkeiten in der Gesellschaft vorherrscht, noch ein Sur-
veydesign besonders geeignet ist; „Participants are asked to focus upon very specific items and
to make snap judgements, using the response categories provided by experts, without any con-
textual information on the circumstances of households or the other goods and activities avail-
able to them which might usefully inform their deliberations”. Mack & Lansley (1985, S. 59ff.)
machen zudem selbst auf heterogene Sichtweise über die Notwendigkeit innerhalb der Gesell-
schaft aufmerksam. So zeigen sie, dass ein Fernseher mit 51% gerade noch von der Mehrheit
als Notwendigkeit zur damaligen Zeit anerkannt wurde. Während untere soziale Schichten die-
sen mit größerer Mehrheit als notwendig erachteten, fiel die Zustimmung in der höheren
Schicht auf 31% ab. Letztere, so die Ansicht der AutorInnen, sehen den Fernseher trotz seiner
Verbreitung mit Missachtung, hingegen sich die höhere Zustimmung in unteren Schichten
durch die günstige, vielleicht sogar einzige leistbare Form der Unterhaltung erklären ließe.
Problematisch wird das konsensuale Vorgehen, wenn einzelne Indikatoren von der Mehrheit
als nicht notwendig erachtet werden (bspw. die Zustimmung zum Fernseher nur von 48% geteilt
worden wäre), diese aber eine substitutive Funktion in der Lebenspraxis von Bevölkerungs-
gruppen einnehmen. Diesen Fall stellen Mack & Lansley (1985, S. 75) selbst fest: Das Telefon
wurde im Gesamtschnitt von nur 43%, hingegen von 60% der älteren Befragten als Notwen-
digkeit erachtet. Ähnliche Fälle stellen auch Lansley & Mack (2015) fest. Die Schlussfolgerung
– „all differences that reflect the known fact that the young are more likely to go out to enjoy
themselves while the elderly are more likely to be home-bound“ (Mack & Lansley, 1985, S.
75) – mag hierzu zwar nicht weniger richtig sein, verkennt jedoch die weitreichende Konse-
quenz im Ausschluss solcher Indikatoren für einzelne Gruppen (vgl. Halleröd, 1994). Was ist
nämlich, wenn das Telefon abseits von möglichen Schutzfunktionen im gesundheitlichen Ernst-
fall ein bedeutendes Mittel zur Aufrechterhaltung von sozialen Kontakten und damit sozialer
Teilhabe für ältere Menschen darstellt? Auch wenn die AutorInnen die in weiten Teilen der
Studie identifizierte Homogenität über die Zustimmung der Notwendigkeiten betonen, wird in
Ausklammerung solcher Heterogenität ein praxisfremder Lebensstandard einer betroffenen
Gruppe übergestülpt.186 Der Vorwurf an Townsend, Indikatoren aus seiner Sicht heraus entwi-
ckelt zu haben, lässt sich hier auf anderer Ebene wiederholen. Auch zeigen sich kulturelle Un-
terschiede, womit erneut internationale Vergleiche erschwert werden (auch Mack & Lansley,
1985, S. 83f.). Zentral ist jedoch folgende Erkenntnis: „findings show that people see the ne-
cessities for living in Britain today not in terms of subsistence, nor in terms of some historical
yardstick - but in terms of a relative view of needs based on the standards of today. The mini-
mum standard of living established reflects people’s feelings about what is so essential that to
go without would be a deprivation“ (Mack & Lansley, 1985, S. 86; auch Lansley & Mack,
2015, S. 21). Zudem zeigt die Studie, dass nicht jeder vermeintlich freiwillige Verzicht unter

186
Halleröd (1994) kann zudem mit schwedischen Daten aufzeigen, dass bei einer Liste von 36 Items 24 signifi-
kante Unterschiede zwischen Altersgruppe, Geschlecht und Regionen festgestellt werden können.
98 Das doppelte Relativ der Altersarmut

den Armen als solcher gewertet werden kann,187 sondern von anderen Ursachen als einer tat-
sächlich freien Wahl abhängt. In Kenntnisnahme der Anspruchsreduktion (bzw. adaptiven Pro-
zessen) und damit der möglichen Transformation eines erzwungenen in einen freiwilligen Ver-
zicht, reduzieren Mack & Lansley (1985, S. 99) die Aussagekraft ihrer Studie: „As such, these
measures present only a minimal picture of the extent of deprivation“.188 Nichtsdestotrotz kön-
nen die AutorInnen die Verquickung von Deprivation und Beschwernis in weiteren Lebensbe-
reichen wie Wohnen, soziale Partizipation oder Gefühlen der Verzweiflung eindrucksvoll auf-
zeigen, auch da sie hierzu Auszüge aus qualitativen Interviews nutzen.
Überdies wurde und wird der Ansatz weiterentwickelt, bspw. nutzen Callan, Nolan, & Whelan
(1993) 24 Items, welche sie anhand einer Faktorenanalyse in drei Dimensionen aufteilen und
damit einen Indikator aus 8 Items zur „basic deprivation“ konstruieren. In Kombination mit
Einkommenskriterien wird Deprivation bei Auftritt bereits eines Deprivationsmerkmals defi-
niert. Gordon (2000) nutzt hingegen eine deutlich umfänglichere Liste an Deprivationsmerk-
malen und leitet die Armutsgrenze auf Basis statistischer Verfahren (ANOVA und logistische
Regression) ab, bei welcher der Deprivationsindex „maximises the between-group differences
and minimises the within-group differences (sum of squares)“ (Gordon, 2000, S. 78). Ergebnis
ist die Annahme von Armut bei Vorliegen von zwei oder mehr Deprivationsmerkmalen. Per-
sonen dieser Gruppe, welche ein hohes Einkommen haben und auf Basis von Boxplots als Aus-
reißer identifiziert wurden, sind als eine Art Aufsteigerkreis („risen out of poverty“) deskribiert
und Personen mit einem niedrigen Einkommen, aber ohne Deprivationsmerkmale, als armuts-
gefährdet. Gordon (2000, S. 77) geht hierbei von einer Asynchronität zwischen Einkommen
und Deprivation aus: Fällt das Einkommen, steigt zeitversetzt die Deprivation und gleichen sich
über einen längeren Zeitraum an. Groh-Samberg (2009, S. 168) liefert hierzu in Längsschnitt-
betrachtung Ergebnisse und konstatiert, dass nur ein sehr geringer Teil der deutschen Bevölke-
rung von einer inkonsistenten Armutslage betroffen ist (entweder einkommensarm oder depri-
viert). Anders formuliert dominiert in zeitlicher Betrachtung die Konsistenz zwischen Einkom-
men und Deprivation (mit anderem Vorgehen, aber gleichem Ergebnis siehe Hick, 2016).
Entsprechend kann geschlussfolgert werden, dass einkommensbasierte Messungen durchaus
genügen, „if high-quality longitudinal data were available, then the ‘poor’ would be those
whose income/resources fall below the ‘poverty threshold’ and remain below it for a sufficient
length of time for them to suffer the effects of deprivation as an enforced consequence of this
low income” (Gordon, 2006, S. 33). Diskutabel bleibt der Umstand, ob die Identifikation von
Notwendigkeiten über eine Mehrheitsperspektive als konsensuales Prinzip gewertet werden
kann. Zur Auflösung schlägt Halleröd (1994) vor, alle verwendeten Items einzubeziehen und

187
„Tricia, for example, started cutting back on food for herself to buy toys for her children, and in one sense she
chose to go without two hot meals a day. Moreover, she is now in the habit of eating just one meal a day - a
tea of something like beans on toast with the children - and no longer misses regular food; in that sense, she
no longer wants it [...]. Thus, although the lack of necessities may be based on a choice, among the poor this
lack may nevertheless be a deprivation“ (Mack & Lansley, 1985, S. 95). Später wird auch auf ältere Menschen
Bezug genommen, welche besonders häufig einen freiwilligen Verzicht angeben: „For example, take an
elderly person who says they do not want a holiday. If they are poor and could not afford it anyway, should it
be assumed that they are still deprived on the basis that their expectations are distorted - or that they genuinely
do not want a holiday, even if they could afford it?“ (Mack & Lansley, 1985, S. 174)
188
Neben der bereits erwähnten Anspruchsreduktion, werden auch noch Effekte sozialer Erwünschtheit und die
Erfüllung unter einem annehmbaren Niveau genannt – letzteres wäre der Fall, wenn zwar geheizt werden
kann, jedoch etwa nur eine Stunde am Tag, die restliche Zeit die Wohnung eigentlich zu kalt ist.
Abriss konzeptioneller Bestimmungsversuche von Armut 99

diese, basierend auf dem Anteil der Bevölkerung, welche das Item als Notwendigkeit betrach-
ten, zu gewichten (proportional deprivation index - PDI).189 Damit steht auch die Möglichkeit
zur Verfügung, bei signifikanten Gruppenunterschieden, die Gewichtungen jeweilig zu adjus-
tieren, d.h. etwa die Bedeutung des Telefons für ältere Menschen in dieser Gruppe besser zu
berücksichtigen.
Zusammenfassend sind heute unterschiedliche Verfahren zur Bildung von Deprivationsindices
gebräuchlich, welche häufig mit Einkommensarmut kombiniert werden (siehe die Arbeiten von
Böhnke & Delhey, 2001; Groh-Samberg & Goebel, 2007; Halleröd, 1995b; Lamei & Till-Tent-
schert, 2005).190 Bereits seit Jahren wird die Kombination, wie gezeigt wurde, auch in der ös-
terreichischen Sozialberichterstattung angewandt, verbleibt aber aufgrund einer geringen Zahl
an Indikatoren im Vergleich auf einfachem Niveau. Trotz Fortschritt in der Entwicklung sol-
cher Deprivationsindices konnten Problematiken in der Genese einer Armutsgrenze nicht rest-
los beseitigt werden bzw. bilden eine beliebte Angriffsfläche. Die wohl größte Problematik in
der Beforschung von Altersarmut mittels Deprivationsindikatoren dürfte jedoch in adaptiven
Prozessen, d.h. Anspruchsreduktionen (Hick, 2013) und einem spezifischen Zuschnitt von In-
dikatoren für ältere Menschen, zu finden sein.

2.2.3 Eindimensionale oder multidimensionale Armut


Als letzte Differenzierungslinie soll der Frage nach der Dimensionalität von Armut nachgegan-
gen werden. Erstaunlich ist hierbei der Umstand, dass zwar eine hohe Einigkeit darüber besteht,
dass Armut multidimensional sei und auch entsprechend konzeptualisiert wird, sich trotzdem
in der Messung häufig auf eine eindimensionale Betrachtung reduziert. „Poverty in advanced
societies is generally understood to have two core elements: it is about inability to participate,
due to inadequate resources. Most quantitative research then employs a unidimensional ap-
proach to distinguishing the poor: it uses income” (Nolan & Whelan, 2007). Eindimensionale
Messungen rekurrieren insbesondere auf das Einkommen, wobei gedanklich eine Brücke zur
Deprivation geschlagen wird. „Thus, with income as a proxy of command over resources and
by means of a low income cut-off point, the poor can be distinguished from the non-poor and
can be studied quantitatively“ (Ghiatis, 1991, S. 119). Andererseits ließe sich argumentieren,
dass ein Mindesteinkommen „as a basic right“ (Atkinson, 1987, S. 754) gesehen werden könne
und Armut als Bruch dieses Rechts anzusehen ist. Eine weitere Argumentationslinie lässt sich,
gedeckt durch unerwartete Schützenhilfe der OECD, aus volkswirtschaftlicher Richtung im
Zusammenhang von Einkommensungleichheit und Wirtschaftswachstum entdecken. „Drawing
on harmonised data covering the OECD countries over the past thirty years, the econometric
analysis suggests that income inequality has a sizeable and statistically significant negative im-
pact on growth, and that achieving greater equality in disposable income through redistributive
policies has no adverse impact on growth. Moreover, it suggests that it is inequality at the bot-
tom of the income distribution that hampers growth. [...] The present chapter suggests that it is

189
Eine weitere Möglichkeit ist das sogenannte “prevalence weighting“, welches nicht auf Basis der anteilsmä-
ßigen Notwendigkeit basiert, sondern auf der Verbreitung eines Gutes oder Dienstleistung in der Gesellschaft
(u.a. nutzt solche eine Gewichtung Bartlett u. a., 2013)
190
Kurz: Townsend (1979) leitet aus den materiellen Indikatoren eine Einkommensschwelle ab – auch Eiffe u. a.,
(2012) nutzten diesen Vorgehen zumindest exemplarisch zur Herleitung weiterer Einkommensschwellen –,
während Mack & Lansley (1985) höhere Einkommensgruppen in der Betrachtung der materiellen Deprivation
ausschließen, kombiniert bspw. Hick (2014) in Fortführung von Nolan & Whelan (1996) und Ringen (1988)
die beiden Dimensionen im Begriff der „consis tent poverty“. Letzteres findet auch in den Sozialberichten in
Form der Kreuztabellierung Anwendung – Stichwort „manifeste Armut“ (u.a. Lamei u. a., 2017).
100 Das doppelte Relativ der Altersarmut

even more important to focus on inequality at the bottom of the income distribution. Govern-
ment transfers have an important role to play in guaranteeing that low-income households do
not fall further in the income distribution” (OECD, 2015a, S. 79f.). Betrachtet man das Wirt-
schaftswachstum als essentiell, so ließe sich Armut daher auch als jener Bereich der Einkom-
mensverteilung fassen, welcher zur Hemmung dessen führt. Nur in der Abmilderung dieser
Ungleichheit, um Simmels Gedanken erneut zu bedienen, kann eine marktwirtschaftliche Ge-
sellschaft auf ihr ruhen. Kritikpunkte einer rein einkommensbasierten, eindimensionalen Mes-
sung wurden bereits bei der indirekten Messung erwähnt. Nochmals zusammengefasst ist das
wissenschaftlich zentrale Gegenargument der „mismatch“ (vgl. Perry, 2002) zwischen Einkom-
men und Deprivation, wiewohl sich dieser in Längsschnittbetrachtungen verkleinert. Darüber
hinaus wird zur Diskreditierung der Armutsmessung angeführt, dass es sich hierbei (nur) um
(funktionale) Ungleichheit handle, welche auch nicht aufzulösen sei bzw. würde diese auch
bestehen, wenn sich alle Einkommen anheben und damit den wachsenden Lebensstandard ver-
kenne. Butterwegge (2015) hat hierzu eine Liste an Argumenten aus Medien und von einzelnen
WissenschaftlerInnen zusammengetragen, welche teils auch mit schlicht falschen Behauptun-
gen die Debatte um Armut für sich zu vereinnahmen versuchen (eine interessante Zusammen-
schau auch von Lessenich, 2008a). Ohne sich länger auf diese Diskussionspfade begeben zu
wollen, sei hierzu angemerkt, dass sehr wohl eine Beseitigung von relativer Einkommensarmut
möglich wäre (für Deutschland siehe Hauser, 2012b, S. 619) und von der Statistik Austria
(2016, S. 19) für 2015 auf 3,2 Milliarden Euro geschätzt wird, was knapp unter einem Prozent
des BIP entspricht. Wie Schneider (2015) konstatiert, geht das Konzept der relativen Einkom-
mensarmut über den armen Menschen hinaus und berücksichtige den Gedanken der Kohäsion.
Das vermeintlich einfache Konzept ist entsprechend komplex, bietet jedoch ausreichend An-
griffsfläche der Negation.
Inwiefern es sich bei Ressourcen gleichwohl um eine Dimension handelt, ist vorrangig eine des
Umfangs betreffende analytische Frage. So scheint wenig dagegen zu sprechen, Einkommen
wie auch Vermögen in eine Kategorie zu fassen, anders hingegen, wenn man neben dem öko-
nomischen zusätzlich das kulturelle oder/und soziale Kapital einbezieht. Zwar mag auch in die-
sem Fall Armut insbesondere durch den Mangel an ökonomischem Kapital gekennzeichnet
sein, „zum anderen aber auch durch einen Mangel an kulturellem und symbolischem Kapital
[...]. Vorhandenes soziales Kapital kann zur Überwindung der Armutslage beitragen, fehlendes
soziales Kapital dagegen die Armut weiter verfestigen“ (Mogge-Grotjahn, 2012, S. 55). Die
beiden Kapitalsorten lassen sich in Anschluss an Sen als individuelle bzw. relationale Potentiale
denken, welche den Möglichkeitsraum entscheidend formen. Die Eröffnung einzelner Mög-
lichkeiten wird zur Mixtur der Kapitalsorten. So lässt sich zumindest in manchen Fällen durch
kulturelles Kapital der Einsatz von ökonomischem Kapital reduzieren – die Funktion ist folg-
lich auch bei geringen monetären Mitteln möglich. Auch soziales Kapital kann nicht nur in
ökonomisches Kapital, sondern in Möglichkeiten transformiert werden. Diese Logik ist der
später noch erweiterten EU-Definition, welche sich auf materielle, soziale und kulturelle Mittel
bezieht, immanent. Einerseits kann idealtypisch Multidimensionalität auf der Seite des Inputs
angenommen werden, andererseits auf Seiten des Outputs, wenn zum Beispiel allgemein von
Ausschluss aus den gesellschaftlich typischen Lebensweisen oder dem Lebensstandard die
Rede ist. Townsends Ansatz zeugt – ebenso, wenn auch in kleinerem Umfang, Rowntrees Vor-
gehen – von einer multidimensionalen Betrachtung, wenn Dimensionen wie Ernährung, Woh-
nen, soziale Aktivitäten und Kontakte bzw. Arbeitsbedingungen in die Deprivationsmerkmale
einfließen. Der Ansatz von Townsend enthält somit wesentliche Charakteristika des Lebensla-
genansatzes (vgl. Zimmermann, 1993, S. 217). Verdeckt wird dieser multidimensionale Zu-
gang, da die Merkmale in einen Index bzw. in einen Einkommenswert kumulieren, während
Abriss konzeptioneller Bestimmungsversuche von Armut 101

jüngere Ansätze bspw. mittels Faktoranalysen mehrere Dimensionen von Deprivation heraus-
arbeiteten und unter anderem von Wohnungsdeprivation oder Deprivation im Bereich von Kon-
sumgütern die Rede ist. Zugleich haben relative Deprivationsansätze Schwierigkeiten den Ne-
xus zwischen Ressourcen und Deprivation umfassend zu bestimmen. Hierzu ein Beispiel aus
einem Interview, welches bei einer Freundin der Interviewten stattfand: Es stellte sich heraus,
dass die Wohnung der Befragten zu klein und in einem zu desolaten Zustand sei, um Gäste zu
empfangen. Deshalb wurde auch die Frage, ob es möglich sei, Freunde oder Verwandte zu sich
nach Hause zum Essen einzuladen, verneint. Nicht aber, weil hierfür die Ressourcen an sich
nicht genügten, sondern weil die Ressourcen nicht ausreichten, um in einer Wohnung zu leben,
welche es zulässt, Personen zu sich nach Hause einzuladen. Das Deprivationsmerkmal des Ein-
ladenkönnens ist in diesem Fall über die Wohnungsdeprivation – und womöglich damit einher-
gehender Scham – an die Ressourcenausstattung vermittelt. Deprivationskonzepte sind folglich
weniger auf die internen Verkettungen bzw. Wechselwirkungen ausgelegt, als auf das Resultat.
Auch Sens Konzeption weist multidimensionale Züge auf (vgl. Leßmann, 2007), stellt sich je-
doch zumindest in seiner Messbarmachung als Mischform zwischen In- und Output dar, wenn
zwar capabilities voranstehen, diese aber über die functions erschlossen werden müssen.
Ein besonders hoher Stellenwert wird der Multidimensionalität im Lebenslagenansatz einge-
räumt, deshalb vorweg ein paar Grundgedanken dazu, wenn auch dieser Ansatz im nächsten
Kapitel erst umfänglicher erörtert wird. Aufgrund der breiten Verwendung und teils divergie-
render Auffassungen (vgl. dazu etwa Andretta, 1991), lässt sich jedoch nicht von einem einzel-
nen Ansatz sprechen. Kursorisch sei auf die erste tiefergehende Ausarbeitung bei Neurath
(1931) verwiesen; für diesen ist die Lebenslage „der Inbegriff all der Umstände, die verhältnis-
mäßig unmittelbar die Verhaltungsweise eines Menschen, seinen Schmerz, seine Freude bedin-
gen. Wohnung, Nahrung, Kleidung, Gesundheitspflege, Bücher, Theater, freundliche mensch-
liche Umgebung, all das gehört zur Lebenslage, auch die Menge der Malariakeime, die bedroh-
lich einwirken. Sie ist die Bedingung jenes Verhaltens, das wir als Lebensstimmung kennzeich-
nen. Wir sprechen von einer schlechteren Lebenslage, wenn die Stimmung eines Menschen
durch solche Lebenslage im allgemeinen herabgedrückt wird“ (Neurath, 1931, S. 125).191 Weis-
ser (1978) nahm den Begriff auf und nutzte diesen zur theoretischen Fundierung der Sozialpo-
litikwissenschaft – seine Ausführungen wurden in späteren Rezeptionen für die Armutsfor-
schung immer wieder aufgegriffen. Aufgrund theoretischer wie auch forschungspragmatischer
Schwierigkeiten entwickelte Nahnsen (1992) das Konzept jedoch weiter. So wird etwa ergänzt:
„Anders als Weisser würde ich daher vorschlagen, bei der Definition der Lebenslage nicht nur
von dem Spielraum für die Erfüllung von Grundanliegen, sondern auch für die Entfaltung von
Grundanliegen zu sprechen [...] auch die Unmöglichkeit ihrer bewußt zu werden, behindert ihre
Erfüllbarkeit“ (Nahnsen, 1992, S. 106). Im Weiteren ist die Lage als objektive Gegebenheit
definiert, von der sich die subjektiven Verhaltensweisen der Personen unterscheiden lassen –
bzw. wird die handlungstheoretische Ebene ausgeklammert. „Lebenslage ist demnach der
Spielraum, den die gesellschaftlichen Umstände dem Menschen für die Entfaltung und Erfül-
lung seiner Grundanliegen bieten“ (Nahnsen, 1992, S. 110). Zentrales Analyseobjekt sind die
heuristisch abgeleiteten Einzelspielräume (Einkommens- und Versorgungspielraum, Kontakt-

191
Eine anschauliche Erörterung von Neurath (1925) beschreibt die Lebenslage wie folgt: „Um zu wissen, wie
es unserem Landmann stimmungsmäßig ergeht, brauchen wir nicht die Äcker, Sümpfe, Pferde usw. ins Auge
zu fassen; es genügt, wenn wir wissen, wie es mit seiner Ernährung, seiner Bekleidung, seiner Behausung
bestellt ist, [...] wie mit Möglichkeiten, spazierenfahren, Bücher lesen, Radio hören, sein Persönlichkeitbe-
wußtsein entfalten, sich mächtig und tüchtig, erbaut und entrückt fühlen zu können. Diese Bestimmungsstü-
cke, welche wir ‚möglichst nahe’ an das Lebensstimmungssubjekt heranrücken, wollen wir als Lebenslage
[...] bezeichnen“ (S. 31 zit. nach Amann, 1983, S. 132).
102 Das doppelte Relativ der Altersarmut

und Kooperationsspielräume, Lern- und Erfahrungsspielräume, Regenerations- und Mußespiel-


räume, Dispositionsspielräume), welche jedoch nur auf analytischer Ebene getrennt sind, an-
sonsten in der Lebenslage eine interdependente Einheit bilden.192 Die sozialpolitische Ausrich-
tung tendiert hierbei zu einer reinen Makrobetrachtung bzw. aggregierten Sicht (vgl. Andretta,
1991). Im Gegensatz dazu führt Amann (1983) entlang einer sozialarbeiterischen Ausrichtung
eine individualisierende Perspektive ein und konzipiert die Lebenslage als dialektische Bezie-
hung zwischen Verhältnissen und Verhalten. „Diese Beziehung wird als eine gleichzeitig zwei-
seitig bestimmte erfaßt: als eine bedingte und strukturierte und zugleich als eine bedingende
und strukturierende. [...] Lebenslagen sind also die historisch entstandenen und sich entwi-
ckelnden Strukturbeziehungen, die sich aus den äußeren Lebensbedingungen ergeben, die Men-
schen im Ablauf ihres Lebens vorfinden, sowie die mit diesen äußeren Bedingungen in wech-
selseitiger Abhängigkeit sich entwickelnden individuellen Wahrnehmungen, Deutungen und
Handlungen, die diese Menschen hervorbringen“ (Amann, 2000b, S. 57f.). Konkludierend fügt
Backes (1997b, S. 710) hinzu, dass die individuelle Lebensführung aus der sozialen Lebenslage
eine eigentümlich persönliche macht. Armut wird als ein Unterschreiten von Minimalstandards
einer oder mehrerer Dimensionen der Lebenslage definiert, teils wird auch von Unterversor-
gung in einzelnen Lagen gesprochen (vgl. Hauser & Neumann, 1992, S. 247).
Häufige Kritik betrifft die Auswahl der Lebenslagendimensionen, welche heuristisch und prag-
matisch im Zusammenhang mit den verfügbaren Daten eingeführt werden. Andreß (2002, S.
11) kritisiert hierzu die Unbegrenztheit an möglichen Indikatoren bzw. entsprechende Verfah-
rensweisen, um adäquate Eingrenzungen zu tätigen – „am Ende fragt man sich immer, was
eigentlich der theoretische Zusammenhang dieser vielen Indikatoren ist“. Ähnlich argumentiert
Groh-Samberg (2009), dass der Lebenslagenansatz zwar das Ausmaß von Unterversorgungen
in vielfältigen Lebensbereichen gut dokumentieren könne und damit Hinweise auf politischen
Handlungsbedarf in unterschiedlichen Feldern gibt. Die andere Frage jedoch sei, „wie sich aus-
gehend von einer multidimensionalen Betrachtung von Lebenslagen zu einer Bestimmung von
Armut oder sozialer Ausgrenzung gelangen lässt“. Hierin liegt die zentrale Kritik multidimen-
sionaler Messung bzw. allgemein des Lebenslangenansatzes begründet: erstens ist die Identifi-
kation von Armut nicht mehr eindeutig, weil es möglich ist, in der einen Dimension als arm
und in einer anderen als nicht-arm zu gelten. Zweitens stellt sich die Frage nach Kompensati-
onseffekten zwischen Dimensionen (vgl. Leßmann, 2007, S. 55). Hauser (2012a) spricht hier
von normativen Abwägungsregeln, welche bedeutenden Einfluss auf die Armutszahlen haben
(vgl. zur Problematik der Indexbildung, Voges u. a., 2003, S. 61).
Konkludierend ist zu konstatieren, dass zwar Multidimensionalität als eine häufige Forderung
gesehen werden kann und durchaus häufig in die theoretische Definition von Armut einfließt,
zugleich aber die Umsetzung in der Messung äußerst schwierig ist und bei einer Überfrachtung
des Anspruches die Grenzen zwischen Armut und sozialen Ungleichheiten immer weiter ver-
schwimmen.

192
Der Einheitscharakter wird bei Nahnsen (1992, S. 134) deutlich, wenn sie zum Beispiel konstatiert, dass „die
ökonomischen Fakten des Einkommens- und Versorgungsspielraums die sozialen Kommunikations- und Ko-
operationsmöglichkeiten des Kontakt- und Kooperationsspielraums, die Kenntnisse und die Reflektionsmög-
lichkeiten aus dem Lern- und Erfahrungsspielraum für die Verhältnisse im Muße- und Regenerationsspiel-
raum entscheidende Bedeutung“ haben.
Abriss konzeptioneller Bestimmungsversuche von Armut 103

2.2.4 Ein Zwischenfazit


Resümierend wird deutlich, dass die wissenschaftlichen Operationalisierungsversuche von Ar-
mut immer auch normative Komponenten aufweisen und diese mehr verlagern, als tatsächlich
auflösen. Das Konzept der absoluten Armut besteht nur auf einer theoretischen bzw. abstrahier-
ten Ebene und bedarf in seiner empirischen Umsetzung der Rückanbindung an soziale und öko-
logische Gegebenheiten (vgl. Hauser, 2012a, S. 124); it „is a misrepresentation of its logic since
this definition can be relativised as much as anyone might want simply by adding more con-
sumption to what is considered to be the minimum level“ (Ringen, 1988, S. 354). Sens theore-
tisches Fundament basiert zwar auf der abstrakten Ebene absoluter „basic capabilities“ – kön-
nen diese nicht erfüllt werden, dann spricht der Autor von Armut. Zur Erfüllung dieser sind je
Gesellschaft oder je Gruppe ein unterschiedliches Niveau an Ressourcen von Nöten.193 Zentral
für diese Arbeit ist das Beharren von Sen (1983, S. 165) auf den Umstand, dass Personen, wel-
che sich unterhalb einer einkommensbasierten Armutsgrenze befinden – entsprechend der hier
vorliegenden Konzeption als arm adressiert werden –, mit unterschiedlichen Problemlagen kon-
frontiert sein können (auch Mack & Lansley, 1985, S. 130ff.). Argumentiert wird dies durch
den Umstand, dass auch unterhalb der Grenze das Einkommen variiert. Wie auch die Möglich-
keiten einer Konvertierung etwa von Erfahrungen, Informationen oder anderen individuellen
Lebensbedingungen (Sen bezieht sich hier bspw. auf den Gesundheitszustand) sowie struktu-
rellen Rahmenbedingungen abhängig sind (vgl. Sen, 1992, S. 111). Der eigentliche Nachteil
absoluter Konzepte liegt darin begründet, ein Diktat „der richtigen“ Lebenspraxis zu erzeugen.
Hätte man dort und nicht da, dieses und nicht ein anderes Produkt gekauft, so wäre eine nähr-
stoffliche Versorgung gesichert – ließe sich argumentieren.194 Zugleich muss in diesem Nach-
teil aber gleichermaßen eine gewisse Stärke erkannt werden, wenn es darum geht, die politi-
schen Standards mit der Höhe eines Warenkorbmodells zu konfrontieren (vgl. auch Callan &
Nolan, 1991, S. 247; Deeming, 2017). Zentral ist jedoch, wie Sen ebenfalls insistiert, solche
Mindeststandards nicht rein auf die körperliche Substanz zu beschränken, sondern um die Teil-
habe an der Gesellschaft zu erweitern. Solch ein soziokulturelles Mindestmaß kann durchaus
auf abstrakter Ebene als absolut gesehen werden, in dem Sinne, dass es nicht hinterfragbar und
unumgänglich ist – im Sinne einer „absoluten Rechtfertigung“ (Eiffe & Heitzmann, 2006, S.
49).
Besonders in der Debatte um eine direkte oder indirekte Messung von Armut zeigen sich nicht
nur die Verschiedenartigkeit der Operationalisierungsversuche von Armut, sondern allgemein
unterschiedliche theoretische und ideologische Standpunkte. So konstatiert Ringen (1988, S.
355): „Direct concepts of welfare are associated with the principle of equality of result, which
says that egalitarian goals should be formulated in terms of how people in fact live. Indirect
concepts are associated with the principle of equality of opportunity which says that it is enough
to establish that people start out with the same resources and that inequalities after that, for
instance inequalities which arise because some people are able to use their resources better, are
legitimate and unproblematic“. In diesem Sinne ist es notwendig, ebenso den Verwendungszu-
sammenhang der Konzeptionen zu berücksichtigen und abzuwägen, welche Implikationen ein
Ansatz provoziert. Wie das Beispiel von Mack & Lansley (1985) zeigt, führen die Überlegun-

193
“An absolute approach in the space of capabilities translates into a relative approach in the space of commod-
ities, resources and incomes in dealing with some important capabilities, such as avoiding shame from failure
to meet social conventions, participating in social activities, and retaining self-respect“ (Sen, 1983, S. 168).
194
Die Lancierung von capabilities erhärtet dies, da man argumentieren könnte, dass die Möglichkeit, alle Mini-
malstandards zu überschreiten, genügt und eine Nichtrealisierung auf Selbstverschulden rückführt.
104 Das doppelte Relativ der Altersarmut

gen der konsensualen Deprivationsmessung dazu, die Mehrheitsmeinung als angemessenen Le-
bensstandard zu postulieren, womit jedoch Deprivationserscheinungen von kleineren Gruppen
unentdeckt bleiben können. Als problematisch – dies gilt aber für nahezu alle Bestimmungs-
versuche – ist zudem die Schwellensetzung zu bezeichnen, welche entscheidend ist für die
letztendliche Zahl der als arm adressierten Menschen. In direkten und damit teils multidimen-
sionalen Konzepten kommt hierbei die Schwierigkeit hinzu, mit welcher Wertigkeit einzelne
Deprivationsmerkmale in die Armutszählung einfließen sollen. Additive Indices klammern die-
sen Umstand weitgehend aus, womit „sich keinen Urlaub leisten zu können“ mit dem Umstand
„keine unerwarteten Ausgaben zahlen zu können“ auf derselben Stufe stehen; wiewohl nie-
mand bestreiten wird, das letzteres durchaus schwerwiegendere Folgen haben könnten, wenn
man im Winter bspw. eine Therme nicht ersetzen kann. Zurückkommend auf den Verwertungs-
zusammenhang stellt sich darüber hinaus die Frage, ob Armutszahlen – gewonnen aus Depri-
vationsmessungen – anschlussfähig zu vorrangig monetären Sozialleistungen (zumindest in Ös-
terreich durch Ausgleichszulage und Mindestsicherung) sind. Zwar lassen sich Schieflagen bei
bestehenden Sozialleistungshöhen damit eingängig aufzeigen (aktuell zur Mindestsicherung
etwa Heuberger, 2018), jedoch gibt es keinen Aufschluss, wo nun Sozialleistungen anzusetzen
wären, welche Deprivation bzw. Armut flächendeckend verhindern. Die Rückführung von De-
privationskonzepten auf die monetäre Ebene, erscheint als notwendiger letzter Schritt, womit
Townsends Verfahren an Bedeutung erlangt.
Das zusammenfassende und ernüchternde Ergebnis lautet in Anschluss an Klocke (2000, S.
326), dass die theoretischen Zugänge spätestens bei der Operationalisierung und der Schwel-
lensetzung mit diversen Problemlagen konfrontiert sind. Zwischen Theorie und empirischer
Umsetzung klaffen Lücken, deswegen – zumindest aktuell – kein Konzept restlos überzeugen
kann und alleine deshalb das multikonzeptionelle Vorgehen in der Sozialberichterstattung sinn-
voll ist. Nichtsdestotrotz ist im Vergleich zu den in der Wissenschaft angewandten Verfahren
der Sozialberichterstattung eine Simplizität in den Bestimmungsmechanismen von Armut zu
attestieren. So sind etwa die Zahl an abgefragten Deprivationsindikatoren eher als verhalten
und die Bildung des Index bzw. die Grenzziehung der Armutsgrenze als rudimentär zu klassi-
fizieren – es werden in wissenschaftlichen Analysen teils über 50 Indikatoren genutzt und mit
unterschiedlichen Verfahren gewichtet. Obschon dies nicht per se als Defizit zu sehen ist, denn,
wie gezeigt werden konnte, stehen sich in jedem Verfahren Vor- und Nachteile gegenüber. Die
Komplexität der Ansätze mag zwar über ihren normativen Charakter hinwegtäuschen, löst die-
sen jedoch nicht auf. Nochmals dazu exemplarisch: „Poverty line approaches based on style of
living indicators face a number of serious problems: how to derive a particular cut-off to dis-
tinguish between 'the poor' and the rest of the population, how to select and aggregate items
whose enforced absence can be taken to represent deprivation, how to take account of the role
of taste in determining living patterns“ (Callan & Nolan, 1991, S. 256). Die Konzeption im
politisch-zielorientierten Standard ist in mehrfacher Weise pragmatisch:
• Entlang der Ausrichtung auf internationale Vergleiche ist die Berücksichtigung gesell-
schaftlicher Divergenzen notwendig und muss einen gemeinsamen (kleinsten) Nenner
finden.
• Die aktuelle Zieldefinition von Europa 2020 fordert eine Trendbetrachtung, womit Ver-
fahren oder Indikatoren nicht einfach ausgewechselt werden können und macht damit
das Instrument gleichwohl schwerfällig.
• Als dritten Punkt erfüllen die Ergebnisse der Verfahren im Sinne ihres evaluativen Cha-
rakters sozialpolitischer Maßnahmen selbst eine normative Funktion. Andererseits ist
Abriss konzeptioneller Bestimmungsversuche von Armut 105

die Erfassung für gruppenspezifische Problemlagen – gerade in Hinsicht älterer Men-


schen – nur bedingt geeignet und lässt Raum, sich in gesonderten Arbeiten mit Alters-
armut zu beschäftigen.
Wie die Darstellungen hierzu zeigen sollten, sind zwar Deprivationsindikatoren für die Armuts-
forschung keine neue Erfindung (Studie von Townsend ist nahezu 40 Jahre alt), auf europäischer
Unionseben hingegen durchaus noch jungen Datums (siehe European Commission, 2007). Die
Reformierungen der letzten Jahre machen dies deutlich. Wichtig wäre, die Forschungsergeb-
nisse ernst zu nehmen und sowohl adaptive Anspruchsreduktionen zu berücksichtigen (u.a. Hal-
leröd, 2006; Guio, Gordon, Najera, & Pomati, 2017; Amann, 1983, S. 283), wie auch gruppen-
spezifische Problemlagen mittels Extension der Indikatoren Rechnung zu tragen. Nur so kann
Deprivation bei älteren Menschen adäquat erfasst werden. Lässt sich solch ein Set nicht auf
internationaler Ebene entwickeln – zwar steht eine Ausweitung, wie bereits erwähnt, auf 13
Indikatoren fest (Guio u. a., 2017, siehe 2016b), jedoch ohne gruppenspezifische Besonderhei-
ten in den Blick zu nehmen –, so wären zumindest Ergänzungen auf nationaler Ebene anzuden-
ken, also bspw. der SILC auf nationaler Ebene zu erweitern. Hierin muss für Österreich ein
dringlicher Aufholbedarf gesehen werden: während bspw. in Großbritannien reges Forschungs-
interesse zu konstatieren ist und mit dem „Poverty and Social Exclusion Survey“ ein umfang-
reiches Erhebungsinstrument zur Verfügung steht – welches weit über die SILC Erhebung hin-
sichtlich materieller Deprivation hinausreicht –, zirkeln die österreichischen Indikatoren im
Rahmen der EU Verordnung. Damit verkürzt sich die Erfassung von Altersarmut auf den Ein-
kommensindikator und einen Deprivationsindikator mit limitierter Aussagekraft. Überspitzt
lässt sich formulieren, dass Altersarmut aktuell rein auf dem relativen Einkommensarmutskon-
zept basiert, also durch einen Mangel an Ressourcen definiert ist. Die wenigen kombinierten
Analysen – wie in der Aufbereitung der Sozialberichte gezeigt werden konnte – deuten zwar
eine vorsichtige Hinwendung zu einer lebenslagenanalytischen Perspektive an, beziehen sich
aber eher auf die gesamte Gruppe der Armen, womit Altersarmut an Konturen verliert bzw. in
einer auf die Erwerbsphase zentrierten Armutsperspektive aufgeht. Ruft man sich die administ-
rativen Standards in Erinnerung, erhärtet sich das Einkommen in seiner zentralen Rolle der Be-
darfsprüfung; selbst wenn sich das Ziel eines Transfers in einer anderen Lebenslagendimension
befinden mag, eine Regelung erfolgt in doppelter Hinsicht – Zugang zur und Mittel der Sozial-
leistung – über die monetäre Ebene.
Für die vorliegende Arbeit lässt sich Armut daher wie folgt definieren: „Armut“ ist als eine
monetäre Lage zu verstehen, auf Basis derer eine Adressierung erfolgt und zu einer sozialen
Reaktion im Sinne der Zugangsgewährung zu Unterstützungsleistungen führt.
Die Eingrenzung des Armutsbegriffes auf Einkommen gilt es abschließend aus analytischer
Sicht abzuwägen; hierzu bietet sich die Kontrastierung mit multidimensionalen Ansätzen an. Je
nachdem wie umfänglich multidimensionale Messkonzepte gestaltet sind bzw. je mehr auf ku-
mulative Unterversorgungen als Armutsindikator abgestellt werden, kann sich die Problematik
der Irreversibilität ergeben. Weder lassen sich Verschlechterungen in der Gesundheit in vielen
Fällen umkehren, noch sind Bildungsrückstände im weiteren Leben einfach aufholbar. Wird
Armut als Kulmination von Unterversorgungen in mehreren Lebenslagen gefasst, dann dürften
sozialpolitische Maßnahmen der Armutsbekämpfung in Folge zu spät ansetzen, zumindest ein-
zelne Deprivationsdimensionen wären schwer, wenn nicht gar unmöglich auszumerzen; die von
Gordon (2006, S. 42) beschriebene, zeitversetzte Dynamik zwischen Einkommen und Depriva-
tion wird zu einer Asynchronitätsfalle. Die Sozialpolitik müsste in Folge vorrangig bei den Ur-
sachen ansetzen, um Armutslagen zu verhindern. Diesem Umstand wird auch Rechnung getra-
gen, wenn bspw. die Arbeitsmarktintegration verbessert werden soll, um damit mittelbar Alters-
armut von Frauen zu reduzieren. Jedoch ist damit akut armen Personen, welche eine bspw.
106 Das doppelte Relativ der Altersarmut

schlechte Gesundheit und ein zu geringes Pensionseinkommen haben, nicht geholfen. Im besten
Falle ließe sich durch kostenlose Behandlungen und ein ausreichendes Einkommen der Gesund-
heitszustand verbessern, womöglich aber nur mehr kompensieren. Sozialpolitische Maßnahmen
brauchen daher einen Problemanzeiger, welcher frühzeitig im Stadium der Reversibilität adres-
siert und zu einer Bearbeitung führt. Die Frage ist, ob der Armutsbegriff (gerade wegen seiner
gesellschaftspolitischen Brisanz) nicht genau dies leisten sollte, denn „clearly social welfare
policy will be concerned to provide income support to those with inadequate incomes even if
they could not (yet) be categorized as 'excluded from ordinary living patterns'“ (Callan u. a.,
1993, S. 170). Wie Hauser (2012b, S. 607) argumentiert, ließe sich das Lebenslagenkonzept
dazu nutzen, einen angemessener Einkommensbegriff (im Sinne eines soziokulturellen Exis-
tenzminimums) der Armut abzuleiten, wie auch Armutsbekämpfungsmaßnahmen zu gestalten
und in ihrer Wirksamkeit zu beurteilen.
Zusätzlich stellt sich die Frage, was bzw. ob man überhaupt etwas gewinnt, wenn man den Be-
griff der Armut mit einer Vielzahl an Dimensionen bestückt und sich entsprechend die Zahl der
Abwägungsregeln und normativen Entscheidungen erhöht. Dies führt letzten Endes zu einer
wachsenden Angriffsfläche für Negationen von Armut und konterkariert damit die Relevanz
selbst.195 Wird Armut auf Basis der gesamten Lebenslage abgeleitet, ist eine multidimensionale
Betrachtung zwar konsequent, zugleich sind vielerlei Fragen zu klären: Ist Armut ebenso gege-
ben, wenn „ein geringes Einkommen auf eine schlechte Gesundheit“ oder „ein geringes Ein-
kommen auf einen geringeren formalen Bildungsstand“ treffen bzw. wie sind Fälle zu handha-
ben, wenn jemand eine schlechte Gesundheit und einen geringen Bildungsstand, aber ein etwas
höheres Einkommen hat?196 Ist dann von einer Unterversorgung in gewissen Bereichen oder
doch von Armut zu sprechen? Meines Erachtens ist der Kritik von Groh-Samberg (2009, S. 115)
gegenüber multidimensionalen Ansätzen bzw. insbesondere gegenüber dem Lebenslagenansatz
recht zu geben, dass dieser über das Ziel hinausgeht, wenn eine nahezu unbegrenzte Vielfalt von
Ressourcen und Lebensdimensionen gleichrangig in die Analyse von Armut einbezogen wer-
den, denn dadurch verliert der „Armutsbegriff an Kontur und Schärfe – er verschwimmt in der
Mannigfaltigkeit von Erscheinungsformen sozialer Ungleichheit und Prozessen sozialer Be-
nachteiligung. [...] So sehr Armut eingebettet ist in die gesamtgesellschaftlichen Strukturen so-
zialer Ungleichheit, so zeichnet sich der Armutsbegriff gerade dadurch aus, dass er auf extreme
Formen der materiellen Ungleichheit Bezug nimmt, die aus einer sozialpolitischen Perspektive
nicht nur zu bekämpfen, sondern – in letzter Instanz über monetäre Transfers – gänzlich zu
beseitigen sind“. Der erstarkenden Beliebigkeit kann durch eine Zentrierung auf die materielle
Ebene begegnet werden. Folglich sind Personen ohne oder niedrigem formalen Bildungsab-
schluss, gesundheitlich beeinträchtigte oder sozial vereinsamte Menschen nicht per se als arm

195
„Entstanden aus dem Bestreben heraus, größtmögliche Präzision sowohl hinsichtlich der Messung als auch
dessen, was gemessen werden soll, zu gewährleisten, hat die mittlerweile gängige Praxis der Mehrfachdefini-
tionen und -indikatoren einer gewissen Willkür im Umgang mit dem Begriff der Armut Vorschub geleistet“
(Daly, 2010, S. 30) Auch Atkinson legte dies bereits bei der ersten Indiktorentwicklung nahe: „No set of
indicators can be exhaustive, and there are costs in terms of lost transparency from having too extensive a
range of indicators. Too large a set of indicators risks losing credibility, if member states can simply pick and
choose. A selection has therefore to be made“ (Atkinson u. a., 2002, S. 24).
196
„The main conceptual issue with such multiple dimensioned indicators concerns the relation between different
dimensions. Do we assume that the different dimensions are non-comparable and that they have therefore to
be presented separately? If so, then this leads to a proliferation of indicators, reducing their transparency and
acceptability. Or do we assume that we can aggregate them? If so, how is this to be done? Do we take the
cases of overlap? Are we concerned with the proportion of the population who fall below on both measures?
Or is our concern with those below on either one or other indicator? Multiple measures enrich our knowledge
but also pose questions“ (Atkinson u. a., 2002, S. 34).
Das Alter – ein soziales Konstrukt? 107

zu bezeichnen. Wiewohl zeigt der Einbezug dieser Analysekategorien, dass jene Gruppen einem
erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt sein können. Die Einschränkung des Begriffes wird damit in-
sofern zum Vorteil, da sich Ursachen leichter abgrenzen lassen, welche in ihrer sozialpolitischen
Bearbeitung zu einer Verringerung von Armut führen können, und das Anzeigen der negativen
Wirkungen von Armut sozialpolitische Maßnahmen sowohl legitimieren wie auch evaluieren.
Werden hingegen immer mehr Dimensionen einverleibt, ist weder eine Abgrenzung zu anderen
Ungleichheitsformen noch zu Ursachen und Wirkungen möglich. Armut ist – dies ist wichtig
herauszustellen – eingebettet in Strukturen sozialer Ungleichheit. „Insbesondere die soziökono-
mischen Ursachenfaktoren (Klassenlage, Bildung, Migrationshintergrund) begründen gesamt-
gesellschaftliche Ungleichheiten etwa des Statuserwerbs, des gesundheitlichen Wohlbefindens,
der Partizipationschancen oder der Anerkennungsprofite. Diese Zusammenhänge bestehen je-
doch auch unabhängig von Armut. Sie würden – wie immer reduziert – fortbestehen, auch wenn
Armut beseitigt und ein materieller Mindeststandard für alle Bevölkerungsgruppen gesichert
werden könnte“ (Groh-Samberg, 2009, S. 119). Analog argumentiert dies Hauser (2002, S. 74)
für Armut und soziale Ausgrenzung. In diesem Sinne ist für eine eng umgrenzte Definition von
Armut entlang der materiellen Ressourcen zu plädieren, wie sie die Sozialberichterstattung und
administrativen Standards aktuell bieten. Zusätzlich sind Deprivations- oder Lebenslagenkon-
zepte, wie auch bisher, nicht aufzugeben. Im Gegenteil – sie werden dazu benötigt, die Lebens-
bedingungen armer Menschen zu analysieren, Ursachen herauszustellen, Einkommensschwel-
len der Armutsdefinition und der Sozialleistungen zu akkordieren und Prozesse der sozialen
Ausgrenzung bzw. Verkettungen aufzuzeigen. Hierin ist auch das Ziel dieser Arbeit zu sehen
und lehnt sich an einen Vorschlag zur Vorgehensweise im deutschen Armutsbericht an (vgl.
Engels, 2002, S. 210), die als arm identifizierte Gruppe älter Menschen – wie erörtert, reduziert
sich Altersarmut im Wesentlichen auf die Einkommensperspektive197 sowohl im zielorientierten
wie auch administrativen Standard –, in ihren Lebensumständen anhand einer Lebenslagenana-
lyse umfassend und „in alle Richtungen“ weiter zu analysieren. Aus diesem Grund werden sich
die späteren Ausführungen noch intensiver mit dem Lebenslagenkonzept befassen, aber nicht
um daraus Armut abzuleiten, sondern eine Perspektive zu gewinnen, mit welcher die Lebenssi-
tuation älterer als arm adressierter Menschen mittels qualitativer Verfahren betrachtet werden
sollen.

2.3 Das Alter – ein soziales Konstrukt?


Wie zu Beginn des Kapitels hingewiesen, handelt es sich bei Altersarmut um ein doppeltes
Relativ, sowohl was Armut im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext betrifft als auch das Alter
einer relationalen Bestimmung bzw. einer Relationalität unterliegt. Bemerkenswerterweise
wird in Studien zum Thema Altersarmut relativ selten der Alterskategorie genügend Aufmerk-
samkeit gewidmet und zumindest in internationalen Vergleichsarbeiten häufig über das kalen-
darische Alter mit der Schwelle 65+ bestimmt. „Little reflection is needed to realize that this is

197
Ohne dies hier weiter verfolgen zu können, müsste in der Frage, ob Geld nicht als zentrale Kategorie von
Armut genügt, verstärkt das Geld selbst in den soziologischen Blick genommen werden. Geld, so
Deutschmann (2000) in Anlehnung an Simmel, entgrenzt den Menschen. „Die Freiheit, die das Geld dem
einzelnen Menschen vermittelt, umfasst mithin alle Dimensionen der menschlichen Existenz: die soziale
ebenso wie die sachliche, zeitliche und räumliche. Noch mehr: es kombiniert alle diese Möglichkeiten in
einem einzigen Medium. In diesem Sinn ist Geld das „absolute" Mittel“ (Deutschmann, 2000, S. 305). Weiters
hält Deutschmann m.E. richtig fest, dass es heute fast nichts mehr gibt, was nicht für Geld zu kaufen sei.
Während sich nahezu alle Bereiche des menschlichen Lebens ökonomisiert haben, geht man gerade in der
Armutsforschung den umgekehrten Weg.
108 Das doppelte Relativ der Altersarmut

a rather arbitrary definition“ (Timonen, 2008, S. 8). In den meisten europäischen Staaten ent-
spricht diese Grenze dem nominalen Pensionsantrittsalter, in Österreich weicht sie jedoch durch
die Differenzierung zwischen Männern und Frauen davon ab, hinzu kommt noch, dass das tat-
sächliche Pensionsantrittsalter nochmals nach unten verschoben ist. Angel (2010, S. 44) stellt
in einer Analyse des EU-SILC 2004 fest, „dass von allen PensionistInnen ca. 39% unter 65
Jahre und ca.14% unter 60 Jahre alt sind“ – eine ähnliche Situation findet sich in Deutschland,
siehe dazu Thieme (2008, S. 35). Alter ist als Begriff heute unbestimmter denn je, wird, wie
Backes & Clemens (2013, S. 1) herausstellen, in unterschiedlichen Kontexten gebraucht und
ist von einer Vielzahl an gesellschaftlichen und kulturellen Deutungen geprägt. Zugleich lässt
sich festhalten, dass die Lebensphase Alter als kollektive Lebenserfahrung (viele Menschen
erreichen sie bzw. ist Bestandteil der Normalbiographie geworden) und sozial definierte
Gruppe verhältnismäßig jüngeren Datums ist (zu Beginn des 20. Jahrhunderts), wobei sie sich
durch die Ausdehnung der Lebenserwartung und die Institutionalisierungsprozesse (vor allem
hinsichtlich der monetären Absicherungen) entwickelte (vgl. Backes & Clemens, 2013; Ehmer,
1990; Laslett, 1995; Schroeter, 2000b). Dabei stand und steht die Lebensphase „in vielfältigen
Wechselbeziehungen zu den ökonomischen und sozialen Strukturen der kapitalistischen Ge-
sellschaft insgesamt“ (Ehmer, 1990, S. 13); ausgeformt im Zuge der Entwicklung von Pensi-
onssystemen, welche sich wiederum in der Durchsetzung der Lohnarbeit als Notwendigkeit zur
Absicherung der Arbeitsunfähigkeit im Alter entfalteten.
Grundsätzlich kann konstatiert werden bzw. sind sich viele ForscherInnen einig (u.a. Amann &
Kolland, 2014; Amrhein, 2004, 2008; Backes & Clemens, 2013; Kolland, 2015; Rosenmayr,
1983), dass es sich beim Alter um ein soziales Konstrukt handelt und je nach Perspektive un-
terschiedlich gefasst wird:
• anhand der körperlichen Zustände eines Menschen – sein biologisches oder physisches
Alter,
• anhand der Zahl gelebter Jahre – sein kalendarisches oder chronologisches Alter,
• anhand von Einschränkungen (im Vergleich zu Durchschnittswerten) – sein funktiona-
les Alter
• anhand der Zugehörigkeit „zu einer der gesellschaftlich abgegrenzten Altersphasen und
Altersgruppen“ (Schroeter & Künemund, 2010, S. 398) – sein soziales Alter.
Darüber hinaus lassen sich das administrative Alter bei der Verwendung von Altersgruppen in
Verwaltung und Statistik, ein rechtliches Alter auf Basis von Rechten und Pflichten festge-
legt198 oder ein psychologisches Alter, wenn kognitive Leistungsfähigkeit und psychische Ver-
fasstheit im Zentrum stehen, differenzieren. Wie immer auch definiert, sind sie „einengende,
letztlich gesellschaftlich zugeschriebene, diskursiv erschlossene und wissenschaftlich durchge-
setzte Festlegungen, mithin also Formen gesellschaftlich konstruierter Wirklichkeiten des Al-
ters“ (Schroeter, 2014b, S. 289). Folglich handelt es sich bei Alter um ein soziales Orientie-
rungs- bzw. Ordnungsmuster und stellt ein Codierungssystem dar (vgl. Göckenjan, 2010a, S.
404).
Im Nachfolgenden wird erneut eine beobachtende Perspektive eingenommen – einerseits sollen
Charakteristika aufgezeigt werden, welche die Lebensphase des Alters auszeichnen. Im Beson-
deren wird hierbei auf die Entberuflichung als ein zentrales Element eingegangen und mit dem
Konzept des institutionalisierten Lebenslaufs fundiert. Andererseits kann belegt werden, dass
das kalendarische Alter und der Ruhestand in einem verhältnismäßig engen Konnex stehen,

198
„Legal age phases influence the use of age as an identity marker creating social norms and defining specific
behavior adequate for a certain age“ (Pirker & Melzer-Azodanloo, 2013, S. 72).
Das Alter – ein soziales Konstrukt? 109

wenn auch die Altersgrenze 65 Jahre und älter gerade in Österreich eine relativ ungenaue An-
näherung darstellt, vor allem wenn man andere Bereiche (beispielsweise in der Rechtsordnung
oder bei Organisationen mit deren Altersermäßigungen) betrachtet.

2.3.1 Charakteristika der Lebensphase Alter


Häufig wird in der sozialgerontologischen Literatur auf Tews (1993) verwiesen, welcher ent-
lang des Strukturwandels fünf Merkmale des Alters in der Gegenwartsgesellschaft bestimmt
hat, die auch noch heute wenig an Gültigkeit eingebüßt haben:
Mit der „Verjüngung“ des Alters werden mehrere Umstände angesprochen: Kolland (2015)
versteht dies als das Erreichen – heute mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit – eines höheren
Lebensalters bei guter Gesundheit und erhaltener Leistungsfähigkeit; Laslett (1995, S. 272)
geht im Umkehrschluss von einer Verkürzung des zweiten Alters aus (Ausdehnung der Ausbil-
dungszeit bei gleichzeitiger Herabsetzung des Pensionsalters). Tews (1993, S. 24ff.) bezieht
sich auf die Selbsteinschätzung sich heute jünger zu fühlen – „die Älteren halten sich für jünger,
sehen im Durchschnitt jünger aus, sind hinsichtlich ihrer Gesundheit, ihrer Selbständigkeit und
Kompetenz jünger und vitaler als frühere Generationen“ (Schroeter, 2000b, S. 91) – , zugleich
aber auch auf die Berufstätigkeit im Sinne der Vorverlagerung des Berufsaustritts. 1960 lag in
Österreich das durchschnittlich Antrittsalter einer Direktpension bei 61,5 Jahren, 2011 war die-
ses bei 58,1 Jahren – was einer Veränderung von 3,4 Jahren entspricht – (vgl. Stefanits, Sassik,
Freitag, Obermayr, & Mayer-Schulz, 2013, S. 104ff.) und stieg in den letzten Jahren wieder auf
59,3 Jahre an (vgl. SVA, 2018a, S. 63). Der Antritt einer Alterspension selbst war jedoch deut-
lich stabiler als man daraus entnehmen könnte, denn die Absenkung des Antrittsalters ist vor
allem auf die Invaliditäts- bzw. Erwerbsunfähigkeitspensionen bzw. auf das neu eingeführte
Rehabilitationsgeld zurückzuführen, die zu dem u-förmigen Verlauf bei der Gesamtschau des
Durchschnittsalters der Direktpensionen beitrugen. Aktuell verliert das letztere Argument für
eine Verjüngung des Alters hinsichtlich eines früheren Berufsaustrittes an Kraft, während sich
die Lebenserwartung ausgedehnt hat und weiter ausdehnt.
Im engen Zusammenhang mit der Verjüngung steht die „Entberuflichung“ des Alters – ein
zentraler Angelpunkt für die Herausbildung der dritten Lebensphase (u.a. Laslett, 1995) und
kann als eine Folge der Institutionalisierung des Lebenslaufs betrachtet werden. Dieser Prozess
wurde durch die Ausweitung des vorzeitigen Ruhestandes in den vergangenen Jahrzehnten ver-
stärkt, wobei in den letzten Jahren eine Trendwende eingesetzt hat. „Die meisten westeuropäi-
schen Staaten entwickelten [in den 1970er Jahren] Frühpensionierungsprogramme mit dem
doppelten Ziel, arbeitslosen alten Arbeitern den Übergang in die Pension zu erleichtern und den
noch Beschäftigten den Rückzug nahezulegen, um den Arbeitsmarkt zugunsten Jüngerer zu
entlasten“ (Ehmer, 1990, S. 145). Diese Vorstellung änderte sich jedoch mit dem Bild der Al-
terslasten und einer vermeintlichen Unfinanzierbarkeit der Pensionssysteme, womit ein Trend
zur Bekämpfung von Frühpensionierungen einsetzte. Es muss jedoch erwähnt werden, dass
trotz Anstieg des durchschnittlichen Pensionsantrittsalters, von keinem völligen Rückwandel
gesprochen werden kann, so waren 1960 in Österreich 15,1% im Alter von 65 und mehr Jahren
erwerbstätig bzw. lag 1900 die Zahl noch weit höher (vgl. Ehmer, 1990, S. 137). Aktuell ist ein
deutlich geringer Anteil dieser Altersgruppe erwerbstätig (siehe Tabelle 7), womit die Entbe-
ruflichung heute in einem deutlich kompakteren, weniger ausgedehnten Zeitrahmen im Lebens-
verlauf erfolgt.199

199
Die zeigt sich in den letzten Jahren auch in einem kontinuierlichen Anstieg der Erwerbstätigenquote in der
Altersgruppe vor dem Regelpensionsalter (vgl. Statistik Austria, 2013c, S. 28)
110 Das doppelte Relativ der Altersarmut

Als ein weiteres Merkmal zeichnet sich eine „Singularisierung“ im höheren Alter ab und be-
schreibt den Trend hin zu Einpersonenhaushalten unter älteren Menschen, der durch Verwit-
wung, höhere Trennungs- und Scheidungsraten sowie die Abnahme von Mehrgenerationen-
haushalten erklärt werden kann (vgl. Kolland, 2015, S. 7). Ehmer (1990, S. 187) konstatiert
eine markante Verengung der Variationsbreite an Haushalts- und Familienformen älterer Men-
schen im Verlauf des 20. Jahrhunderts – allgemein reduziert sich die Haushaltsgröße mit stei-
gendem Alter. So leben im Schnitt in Österreich 2,29 Personen in einem Haushalt, bei den 60-
64-Jährigen sind es jedoch nur noch 1,98 und bei den über 85-Jährigen 1,23 Personen (vgl.
Statistik Austria, 2013b, S. 43). Mit Daten aus 1991 kommen Hörl & Kytir (2000, S. 65) zu
folgenden drei charakteristischen Phasen in Österreich:
• Zwischen dem 50. und dem 75. Lebensjahr scheidet bei der Mehrzahl der Menschen
das letzte Kind aus dem Haushalt aus. Das Leben in einer Partnerschaft ohne Kinder
wird zur dominierenden Haushaltsform.
• Innerhalb der Gruppe der älteren Menschen sind die Lebensformen zwischen den Ge-
schlechtern heterogen (vgl. auch Statistik Austria, 2013b, S. 22): Für Männer ist das
Leben mit der (Ehe-)Partnerin und ohne Kind die dominierende Lebensform. Erst, so
die Autoren, jenseits des 80. Lebensjahres gewinnen andere Formen verstärkt an Be-
deutung. Für Frauen wird hingegen ab circa dem 75. Lebensjahr das Alleinleben quan-
titativ dominierend.
• In der Phase der Hochaltrigkeit kommt es zu einer Ausdehnung pluraler Lebensformen:
Das Zusammenleben mit dem Partner bzw. der Partnerin wird aufgrund des hohen Mor-
talitätsrisikos seltener, dagegen steigt jenseits des 80. Lebensjahres die Häufigkeit des
Zusammenwohnens mit einem eigenen Kind – annähernd zwei von fünf der 80- und
mehrjährigen ÖsterreicherInnen wohnen mit einem Kind unter einem Dach (vgl. Hörl,
2009, S. 293f.). Ebenfalls an Bedeutung gewinnt für Höchstaltrige das Leben in einem
Alten- oder Pflegewohnhaus – 2,5% im Alter von 75-79, hingegen knapp 25% im Alter
von 90 Jahren und mehr (vgl. Statistik Austria, 2015a).
Die Singularisierung wird auch von der seit Beginn des 20. Jahrhunderts steigenden, jedoch
ungleichen Lebenserwartung von Männern und Frauen vorangetrieben und hat zusätzlich durch
das weiterhin geschlechterbezogene Auseinanderdriften zu einer „Feminisierung“ des Alters
geführt. Anders formuliert sind Männer im Alter von 60-64 zu circa 3% verwitwet, während
dies bei Frauen derselben Altersgruppe bereits auf knapp 15% zutrifft; bei 85 Jahren und älteren
Frauen sind es gar 75%. Insgesamt standen 2017 rund 943.000 Männer (60 Jahre oder älter)
1.188.000 Frauen gegenüber, wobei sich die Proportion zwischen den Geschlechtern merklich
ab dem 70. Lebensjahr ausweitet: Der Anteil der Männer beträgt im Alter zwischen 70 und 74
Jahren noch 45% und nimmt bis zu der Gruppe der 90 bis 94-Jährigen auf 25% ab.200 Nicht nur
das Alter an sich, sondern – wie bereits gezeigt – auch die Altersarmut sind feminisiert (vgl.
auch Tews, 1993, S. 29). Anzumerken ist, dass sich Lebenserwartungsdifferenzen in den letzten
Jahren etwas angeglichen haben, von einer Entfeminisierung lässt sich zwar keineswegs spre-
chen, aber in Zukunft wird sich das Verhältnis wieder etwas mehr ausgleichen (vgl. Kytir, 2009,
S. 54)
Im Verlauf des 20. Jahrhunderts hat sich die Zahl der „Hochaltrigen“ kontinuierlich erhöht
und steigt weiter – waren es 1900 an die 300 Menschen im Alter über 95, werden es nach

200
Quelle: STATcube – Statistische Datenbank von STATISTIK AUSTRIA – Bevölkerung zu Jahresbeginn ab
1982 – eigene Berechnung.
Das Alter – ein soziales Konstrukt? 111

Schätzungen für das Jahr 2050 an die 40.000 Personen sein (vgl. Kytir, 2009, S. 46).201 „Im
Jahr 2015 leben in Österreich mehr als 1.000 Menschen, die das 100ste Lebensjahr erreicht
haben“ (Kolland, 2015, S. 7). Insgesamt zeigt die demographische Entwicklung hin zu einem
Mehr an alten Menschen bei wachsender Bedeutung der Hoch- und Höchstaltrigen. Die demo-
grafische Expansion der Altersphase ging je nach Betrachtungsweise mit einer Verbesserung
des Gesundheitszustands älterer Menschen einher: In Bezug auf die subjektive Gesundheit stel-
len Doblhammer & Kytir (2001) einen permanent Zugewinn der in guter Gesundheit verbrach-
ten Lebensjahre fest (vgl. auch Kytir, 2009, S. 66). Anders ist der Fall bei chronischen Erkran-
kungen und funktionalen Einschränkungen gelagert, bei beiden Betrachtungen steigen die Jahre
mit Beeinträchtigungen schneller als die Lebenserwartung, womit die Zahl der belasteten Jahre
(in den letzten 15 Jahren) zunahm – aktuell ist mit 23,9 Jahren bei Männern und 28,4 Jahren
bei Frauen zu rechnen, in welchen sie mit chronischen Erkrankungen wahrscheinlich leben
werden müssen (vgl. Statistik Austria, 2018d). Etwas weniger Jahre, aber ähnlich in der Ten-
denz ist die Belastung mit funktionalen Einschränkungen (vgl. Statistik Austria, 2018e). Weder
konnte sich daher die These der Kompression noch die der Expansion eines schlechten Gesund-
heitszustandes im Alter umfänglich bestätigen lassen; entsprechend sind auch die wissenschaft-
lichen Ergebnisse uneinheitlich (vgl. u.a. Crimmins & Beltran-Sanchez, 2011; Fries, Bruce, &
Chakravarty, 2011; Santoni u. a., 2018). Besser scheint das Konzept des „dynamic equilibrium“
(Manton, 1982) die Entwicklung zu beschreiben – dieses geht von einer Ausweitung der chro-
nischen Erkrankungen aus, welche jedoch durch bessere Behandlungsmöglichkeiten in ihrem
progredienten Verlauf verlangsamt oder gestoppt werden können. Konkludierend lässt sich da-
her die Annahme von Tews (1993, S. 32) wiederholen, dass die Wahrscheinlichkeit wächst, die
Hochaltrigkeit selbst zu erleben, damit aber auch ihre statistisch häufigeren negativen Begleit-
erscheinungen.
Zusammengefasst bedeuten die Ausführungen, dass sich die Phase des Alters heute über einen
ausgedehnten Zeitraum spannt, von einer Entberuflichung, Singularisierung und Feminisierung
geprägt ist und sich Gebrechlichkeit und Abhängigkeit weiter nach hinten verschoben bzw.
verschieben, trotzdem die Wahrscheinlichkeit, einige Jahre mit Erkrankungen zu leben, steigt.
Gerade im Kontext von Altersarmut muss aber auch auf die „kumulativen Benachteiligungen“
des Alters eingegangen werden, auf welche Rosenmayr immer wieder hinwies (vgl. Rosenmayr
& Majce, 1978) und die vorrangig auf drei Effekte zurückzuführen sind:
• Biologische Alterseffekte wie bspw. gesundheitliche Einbußen, welche einerseits sozial
vermittelt sind, sich andererseits aber nicht völlig auflösen lassen,
• Kohorten- bzw. Generationseffekte wie bspw. die geringere formale Bildung und
• die sozialstrukturell bedingten Effekte, welche den „Zugang zu Ressourcen kanalisie-
ren“ (Rosenmayr & Majce, 1978, S. 235).
Aus dem Wechselspiel können kumulative Benachteiligungen erwachsen, welche durch „ge-
sellschaftsbedingte Selbstverursachung“ verstärkt oder erst erzeugt werden. So sind Ursachen
für Benachteiligungen auch in gewissen Handlungen oder Unterlassungen zu suchen und Indi-
viduen zuzurechnen, zugleich gesellschaftsbedingt, wenn „im Verlauf des – lebenslangen –
Sozialisationsprozesses aufgrund der herrschenden Wertvorstellungen geschlechts- und
schichtspezifische Einstellungen und Haltungen vermittelt [werden], die ein wesentliches

201
Es wird auch von einer Rektangularisierung in der Lebenserwartung gesprochen (vgl. Rosenmayr, 1990, S.
22)
112 Das doppelte Relativ der Altersarmut

Hemmnis für planendes, rationales Verhalten der Daseinsbewältigung sein können“


(Rosenmayr & Majce, 1978, S. 256).
Ein geringes Einkommen, wie noch gezeigt wird, steht mit gesundheitlichen Einschränkungen
in Zusammenhang – eine wechselseitige Verflechtung ist anzunehmen –, welche beide zusam-
men den Handlungsraum verengen und auf die soziale Teilhabe ausstrahlen. Naheliegend ist
folglich die Behandlung der Pensionseinkommen, denn allgemein ist die Phase Alter aufgrund
der Entberuflichung für viele durch Einkommensverluste geprägt.202

• Die monetäre Situation


Die betriebliche und private Altersvorsorgen sind in Österreich überwiegend optional gestaltet
– ob in deren Errichtung als auch deren konkreten Umsetzung (u.a. betriebliche Kollektivver-
sicherung, Lebensversicherung oder direkter Pensionsbezug). Dies erschwert nach Url &
Pekanov (2017, S. 84) die Einschätzung über ihren Umfang. Zwar zielten die letzten Reformen
auf die Reduktion der Einkommenshöhen in der staatlichen Pension (ein drei Säulenmodell
wird seit geraumer Zeit propagiert) und der Umfang an Anspruchsberechtigten einer betriebli-
chen oder privaten Altersvorsorge hat sich erhöht (vgl. Wöss, 2018), aktuell spielen diese aber
weiterhin eine untergeordnete Rolle in den Pensionsbezügen und werden entsprechend kurz
behandelt. Die Leistungen beider zusammen werden auf circa 11% geschätzt (auch Statistik
Austria, 2013c, S. 39), was im Umkehrschluss bedeutet, dass sich die Pensionseinkommen zu
89% aus der staatlichen Pension speisen (vgl. Url, 2013, S. 4). An circa 200.000 Personen
wurde 2015 eine betriebliche Altersvorsorge ausbezahlt (vgl. Statistik Austria, 2017b), wäh-
rend nach Hochrechnungen 2010 an die 40% der unselbständig Beschäftigten eine Anwart-
schaft besaßen (vgl. Url, 2013, S. 14). Erschwerend kommt die verhaltene Entwicklung der
Beitragszahlungen in der betrieblichen Vorsorge hinzu, womit Url (2013, S. 16) zwar die Aus-
dehnung bei gleichzeitigem Rückgang der Auszahlungshöhen konstatiert, welche in vielen Fäl-
len „unter dem Abfindungsgrenzbetrag des Pensionskassengesetzes zu liegen kommen“ dürf-
ten. In Hinblick auf die private Altersvorsorge lässt sich konstatieren, dass 2015 in etwa jeder
und jede dritte Erwerbstätige eine Anwartschaft auf eine private Zukunftsvorsorge und/oder
einer individuellen Lebensversicherung (Url & Pekanov, 2017, S. 29 u. 31) besaßen; die Zahl
an LeistungsbezieherInnen einer Lebensversicherung, welche der Altersvorsorge zugerechnet
werden kann, wird von den AutorInnen auf 441.000 Personen bzw. auf 30% der Pensionsbe-
zieherInnen geschätzt, die Anzahl der leistungsberechtigten Personen einer Zukunftsvorsorge
auf 180.000 Personen. Entsprechend werden sowohl betriebliche, wie auch private Altersvor-
sorgen in Zukunft an Bedeutung gewinnen, gleichwohl ist angesichts der Deckungsgrade bei
weitem nicht von einer vollwertigen 2. und 3. Säule zu sprechen. Für viele (altersarme) Pensi-
onistInnen wird die staatliche Pension auch in Zukunft die zentrale Einkommensquelle bleiben.
Darüber hinaus sind die (aktuellen) Bezüge – sowohl im Abdeckungsgrad als auch in der Höhe
– der betrieblichen Pensionen sowie der privaten Altersvorsorge ungleich verteilt und in den
unteren Einkommensgruppen gering (vgl. Url & Pekanov, 2017, S. 78ff.) – zukünftige Ansprü-
che werden diesem Muster wohl folgen.203

202
Das Aggregatsersatzverhältnis für Renten - der Indikator ist definiert als das Verhältnis vom Median-Brutto-
einkommen der Renten der Altersklasse 65-74 zu dem Median-Bruttoeinkommen der Altersklasse 50-59, un-
ter Ausschluss anderer Sozialleistungen – deutet mit 0,64 klar in diese Richtung (siehe Eurostat; Indikator
tespn070).
203
„Mit steigendem Einkommen nutzen immer mehr Unselbständige private Lebens- und Pensionsversicherun-
gen; der Anteil in der obersten Einkommensgruppe ist mehr als doppelt so hoch als der Anteil in der untersten
Einkommensgruppe. [...] Die durchschnittlichen Beitragszahlungen steigen zwischen den Einkommensgrup-
pen noch deutlicher und vervierfachen sich“ (Url & Pekanov, 2017, S. 78).
Das Alter – ein soziales Konstrukt? 113

Wendet man sich der staatlichen Altersvorsorge zu, so lässt sich in Österreich auf eine hohe
Ersatzrate verweisen, sofern entsprechende Beitragsjahre vorliegen. Wie bereits erwähnt, ist
hierin der neuralgische Punkt zu sehen. Auch wenn konkret noch keine Zahlen vorliegen –
bemerkenswerte Weise wird darauf im bereits vorliegenden Bericht der SVA für 2017 verzich-
tet, obwohl die Ausgleichszulage durchaus Thema ist – lässt sich alleine an der Schätzung, dass
nur 22.000 alleinstehende AusgleichszulagenbezieherInnen von dem erhöhten Richtsatz (kurz:
Voraussetzung sind 30 Beitragsjahre ) profitieren dürften (vgl. Österreichischer Seniorenrat,
2016), eine frappante Differenz zwischen Soll- und Istzustand der Beitragsjahre ablesen.

14000
12000
10000
8000
6000
4000
2000
0

BU-/IV-Pensionen Alterspensionen Direktpensionen Direktpension Frauen

204
Abbildung 3 – Anzahl der Personen je Versicherungsmonate bei Neuzugängen 2016

Auch bei den Neuzugängen 2016 in der PVA hat ein Viertel der PensionistInnen weniger als
30 Versicherungsjahre (siehe Abbildung 3); multipliziert man diese mit dem aktuellen Steige-
rungspunkten – hierbei handelt es sich um eine rudimentäre Annährung und berücksichtigt
nicht die aktuell parallel laufende Vergleichsrechnung usw.– so würde das erste Quartil eine
Ersatzrate von maximal 53,4% der Berechnungsgrundlage erreichen (Abschläge usw. noch
nicht mitbedacht).205 Konkret haben 2016 an die 45% aller Neuzugänge in der PVA 40 Jahre –
die Divergenz zwischen Männern und Frauen ist wieder zu bedenken – und circa 18% Versi-
cherungsjahre im Ausmaß von 45 Jahren bzw. 540 Monaten sammeln können (inklusive Er-
satzzeiten). Anzumerken ist, dass sich der Interquartilsbereich (die mittleren 50% der Neuzu-
gänge) in etwa zwischen 360 Monaten bis 509 Monaten bewegt und entsprechend viele Öster-
reicherInnen mit einer im internationalen Vergleich verhältnismäßig guten Ersatzrate von der
Berechnungsgrundlage rechnen können (vgl. u.a. OECD, 2015b); auf Basis einer günstigeren
Steuerstruktur im Unterschied zu Erwerbstätigen ist letztlich die Nettoersatzrate noch etwas
besser gelagert (vgl. OECD, 2017, S. 107).
Die durchschnittliche Höhe aller Alterspensionen (ohne Beamtenpensionen) betrug 2017 für
Männer und Frauen zusammen 1.275 Euro (brutto, 14mal im Jahr), wobei die Geschlechterdif-
ferenz gut 39% ausmachte (SVA, 2018a, S. 74). Auch wenn damit PensionistInnen nicht an die
durchschnittlichen Bruttogehälter der Erwerbstätigen heranreichen – 2016 lag dieses bei 2.268
Euro (brutto, 14mal im Jahr) –, kann durchaus eine gewisse Finanzstärke angenommen werden.
Wenig verwunderlich haben folglich Unternehmen ältere Menschen als wichtige Konsumen-
tengruppe entdeckt, d.h., es findet eine Ökonomisierung des Alters statt (vgl. Schroeter, 2000b,

204
Quelle: PVA (2017, S. 174f.) – eigene Darstellung.
205
Auch das Sozialministerium stellt solche Berechnung an (vgl. Sektion II des Sozialministeriums, 2017, S. 68).
114 Das doppelte Relativ der Altersarmut

S. 99f.). Inwiefern sich die Pensionshöhen real entwickeln, lässt sich nur schwer abschätzen.
Drei Mechanismen lassen sich hervorheben: Zum einen liegen die durchschnittlichen Pensio-
nen der Neuzugänge über den Durchschnittspensionen (Neuzugänge haben salopp gesagt zu-
meist eine bessere Ausgangsposition – Auswirkungen der Lebenszeitberechnung vorbehalten),
zum zweiten dürfte die Erwerbstätigkeit bei Frauen in jüngeren Kohorten die Geschlechterdif-
ferenz in den Direktpensionen etwas ausgleichen und könnte bei Neuzugängen den Durch-
schnitt erhöhen. Andererseits ist diese Entwicklung schleppend bzw. fand im Zeitraum von
2012 bis 2016 praktisch keine nominelle Erhöhung – im Gegensatz zu den Männern mit 165
Euro – statt (vgl. BMASK, 2017a). Real hatten weibliche Neuzugänge im Schnitt daher einen
Einkommensverlust. Entscheidend für die Entwicklung ist drittens die Pensionsanpassung –
hier wird auf die Anpassung bei Vorliegen eines Leistungsbezuges eingegangen, davon zu dif-
ferenzieren sind die Steigerungsfaktoren zukünftiger Pensionsansprüche–, welche in den letz-
ten Jahren nur teilweise positiv ausfielen. Wie die Tabelle 6 zeigt,206 wurde eine Durchschnitts-
bruttopension (Neuzugang) aus 2002, welche zu Beginn 771 Euro betrug – im Zeitrahmen von
2005 bis 2016 auf ähnlich hohem Niveau der Inflation (VPI 2000) angepasst (bei hohen Pensi-
onen fielen die Anpassungen aber geringer aus).207
Tabelle 6 – Anpassung der Pensionshöhen im Vergleich
Aus-
dt. Brutto-
gleichs-
jahresein-
zulage Inflation
kommen – Anpas- dt. Pen- Anpas- Anpas- Inflation
brutto PIPH
Jahr unselbst- sung in sion aus sung in sung in VPI 2000
(Einper- 2000
ständige % 2002 in € % % in %
sonen- in %
Erwerbstä-
haushalt)
tige in €
in €
2004 25.100 784,88 - 653,1 - - -
2005 25.704 2,41 795,18 1,31 662,99 1,5 2,3 2,7
2006 26.500 3,10 815,06 2,5 690 4,07 1,8 2
2007 27.458 3,62 828,1 1,6 726 5,22 2,2 2,9
2008 28.255 2,90 849,1 2,54 747 2,89 3,2 4
2009 28.537 1,00 877,97 3,4 772,4 3,4 0,5 1,2
2010 28.715 0,62 891,14 1,5 783,99 1,5 1,9 2,4
2011 29.017 1,05 901,83 1,2 793,4 1,2 3,3 4,3
2012 29.723 2,43 926,18 2,7 814,82 2,7 2,4 3,2
2013 30.160 1,47 942,85 1,8 837,63 2,8 2 3
2014 30.655 1,64 957,93 1,6 857,73 2,4 1,7 2,3
2015 31.182 1,72 974,22 1,7 872,31 1,7 0,9 1,5
2016 31.752 1,83 985,91 1,2 882,78 1,2 0,9
Steige-
23,79% 23,05% 30,58% 23,1% 29,5%
rung

Deutlich liegt die Anpassung (2004-2016) unter dem Preisindex für Pensionistenhaushalte
(PIPH) – dieser muss zusätzlich um etwa einen Prozentpunkt höher angesetzt werden, es fehlen
hierzu aber die korrekten Daten, da der PIPH mit Ende 2015 eingestellt wurde – und leicht
unter der Steigerung der Bruttojahreseinkommen pro Kopf der unselbständigen Erwerbstätigen.
Während höhere Pensionen aufgrund unterschiedlicher Anpassungen mit größeren (hier nicht

206
Die Tabelle setzt sich aus Angaben von Koch (2013); Statistik Austria (2016, 2017a, 2018b) sowie SVA,
(2018b) zusammen.
207
In einer längeren Betrachtung der letzten 20 Jahre ist die Angleichung wiewohl negativ und lag um gut 10
Prozentpunkte darunter (vgl. SVA, 2018a, S. 72).
Das Alter – ein soziales Konstrukt? 115

angegebenen) Realeinkommensverlusten konfrontiert sind, wurden die Höhen der Ausgleichs-


zulage über der Inflation nach VPI angeglichen. Dieses Bild ist wieder zu relativieren, wenn
der PIPH betrachtet wird, welcher mehr den Konsumbedürfnissen entspricht, als der auf die
Erwerbsbevölkerung ausgerichtete VPI.208
Konkludierend lässt sich in Bezug zu den Pensionseinkommen die Einsicht – wenn auch etwas
anders interpretiert – von Rosenmayr & Majce (1978) eines „relativen Ärmerwerdens trotz
absoluten Reicherwerdens der Bejahrten“ erneuern, d.h. PensionistInnen steigen zwar bei
den Neuzugängen tendenziell mit höheren Pensionseinkommen ein, verlieren jedoch relativ
gegenüber der Aktivbevölkerung an Einkommen, wenn für PensionistInnen eher der PIPH und
für Erwerbstätige eher der VPI die Konsumstruktur widerspiegeln. Ältere Menschen werden
(wie Rosenmayr & Majce (1978) schon für die 1960er bzw. 1970er feststellten) in den letzten
Jahren (2004-2016) nur bedingt – bei höheren Pensionen trifft dies sehr wohl zu – durch Zu-
wächse bei den Erwerbseinkommen abgehängt, vor allem aufgrund eines Kaufkraftverlustes
entlang der Konsumpräferenzen. Die Autoren zeigen noch weitere Benachteiligungen im Alter
auf, welche sie teils mit geringen Pensionseinkommen verknüpfen. An dieser Stelle soll die
Kumulation von Benachteiligungen im Kontext von Altersarmut nicht weiterverfolgt, sondern
allgemein Benachteiligungen im höherem Alter nur beispielhaft dargestellt werden, da die Ver-
knüpfung im Späteren noch genauer aufgezeigt wird. Indes lässt sich neben dem verminderten
Einkommen ebenso auf die Ausgabenstruktur verweisen, welche sich bei älteren Menschen von
der Erwerbsbevölkerung unterscheidet und das geringe Einkommen widerspiegelt.209 Grund-
sätzlich ist festzuhalten, dass die Konsumausgaben bei älteren Menschen niedriger ausfallen –
niedriger als das Einkommen zuließe, womit eine entsprechende Sparquote angenommen wird,
welche über der von jüngeren Haushalten liegt. Auf den ersten Blick scheinen im Durchschnitt
in nahezu allen Bereichen (außer im Bereich Gesundheit) Pensionistenhaushalte weniger aus-
zugeben. Dieses Bild relativiert sich, wenn eine Standardisierung auf Basis der Haushaltsgröße
und Zusammensetzung sowie des Einkommensniveaus erfolgt, um damit verbleibende Unter-
schiede auf altersbedingt Effekte zurückführen zu können.210 So zeigt sich, dass von älteren

208
Ob selbst der PIPH wirklich geeignet ist die Konsumpräferenzen von altersarmen Menschen abzubilden, wäre
eine Analyse wert. Ad hoc erscheint insbesondere die PIPH Version von 2005 ein zu großes Gewicht auf
Verkehr und Instandhaltung zu legen, während der Anteil für Wohnen und Energie zu gering bemessen sind
(vgl. Kopp & Schimank, 2006).
209
Hierbei lässt sich eine Veränderung in den letzten Jahren in Österreich konstatieren – in der Konsumer-
hebung von 2000 waren auch die Äquivalenzausgaben der 65 Jahre und älteren noch unter dem Durch-
schnitt (vgl. Statistik Austria, 2002, S. 59); seit der Konsumerhebung von 2005 schiebt sich ein Alters-
block, damals zwischen 55 bis 64, mit den höchsten Äquivalenzausgaben nun in der Gruppe der 60 bis
69 Jährigen (vgl. Statistik Austria, 2006b, S. 73, 2017e, S. 60). Zwar gilt weiterhin, dass unstandardisiert
spätestens mit 65 die Haushaltsausgaben abfallen (vgl. Statistik Austria, 2017e, S. 23), durch den Aus-
zug der letzten Kinder und kleinerer Haushaltsgrößen (siehe oben) wird der Einkommensverlust ge-
genüber größeren Haushalten in der Erwerbsphase bei einer Äquivalenzberechnung bei den jungen
Alten ausgeglichen. Inwiefern es sich hierbei eher um einen allgemeinen Trend handelt oder punktuelle
Jahrgänge betrifft (die Pensionsreformen Anfang der 2000er Jahre werden in jüngeren Jahrgängen wohl
eher zu einer Reduktion der Pensionseinkommen führen), ist jedoch schwer abzuschätzen.
210
Leider fehlen Studien in Österreich, die das Konsumniveau von PensionistInnen mit unterschiedlichem Ein-
kommensniveau betrachten, welches selbstredend in starkem Zusammenhang mit dem Konsum steht (auch
Statistik Austria, 2017e, S. 12; Url & Wüger, 2005). Bekannt ist, dass die unteren Dezile der Äquivalenzein-
kommen (über die gesamte Bevölkerung) im Schnitt höhere Ausgaben als Einkommen haben, womit eine
negative Sparquote angenommen werden kann (vgl. Statistik Austria, 2017e, S. 32ff.). Zudem steigen die
Ausgaben anteilsmäßig für lebensnotwendige Güter auf 66% im untersten Ausgabendezil, während selbst bei
Kleidung und Schuhe stark eingespart wird (die monatlichen Äquivalenzausgaben betragen knapp 19 Euro)
und nur mehr 2,6% an der Ausgabenstruktur ausmachen. Die finanzielle Deprivation (ein nationaler Indikator
116 Das doppelte Relativ der Altersarmut

Menschen bspw. für Nahrung sogar etwas mehr ausgegeben wird bei gleichzeitig niedrigeren
Gesamtausgaben, womit sich der budgetäre Anteil von Nahrung erhöht (vgl. Döring & Aigner,
2012, S. 18). Entsprechend konstatieren Url & Wüger (2005, S. 11), dass in erwerbstätigen
Haushalten auf lebensnotwendige Konsumgüter (dazu zählen Ernährung und alkoholfreie Ge-
tränke, Bekleidung und Schuhe bzw. Wohnen und Energie) knapp 41% entfallen, während äl-
tere Personen 48% ihres Einkommens dafür aufwenden. Absolut wie relativ reduzieren sich die
Ausgaben für Verkehr, Telekommunikation, Freizeit, Bildung und Gaststätten bzw. Beherber-
gung, Ausgaben für die Gesundheit steigen. Bemerkenswert sind vor allem Ausgaben für Re-
zeptgebühren, welche sich im Vergleich zu den jüngeren Personen verdreifachen. Allein dies
deutet bereits auf den sich verschlechternden Gesundheitszustand im Alter hin.

• Gesundheit
Die Prävalenz, an chronischen Krankheiten zu leiden, steigt mit zunehmendem Alter ebenso
wie körperliche und sensorische funktionale Einschränkungen (vor allem Hörprobleme und
Schwierigkeiten beim Gehen und Treppensteigen) sowie Aktivitätseinschränkungen (etwa bei
schweren Hausarbeiten), infolgedessen sich der Bedarf an Hilfe erhöht (vgl. Klimont & Baldas-
zti, 2015, S. 16 u. 27ff.; auch Attias-Donfut, Ogg, & Wolff, 2005a, S. 173f.). Entsprechend
wird der perzeptive Gesundheitszustand von einem kleiner werdenden Teil als sehr gut bzw.
gut bewertet (Klimont, 2016, S. 124; für Wien siehe auch Verwiebe, Troger, & Riederer, 2014,
S. 79) – Alter bedeutet daher auch eine potentielle „Vulnerabilisierung“ (Schroeter, 2000b, S.
98). Trotz dieser Tendenzen, wenn sich etwa Hörprobleme mit zunehmendem Alter einstellen
und von knapp über 40% der 60-74-Jähirgen bzw. über 50% der 75 Jahre und älteren Personen
angegeben werden, ist aus der umgekehrten Perspektive zu konstatieren, dass weiterhin ein
großer Teil älterer Menschen einen verhältnismäßig guten Gesundheitszustand aufweist (glei-
ches gilt auch für Aktivitätseinschränkungen oder die perzeptive Gesundheit).

• Wohnen und soziale Eingebundenheit im Alter


Wohnprobleme spielen heute – im Gegensatz zu den Angaben von Rosenmayr & Majce (1978,
S. 251) – eine untergeordnete Rolle im Alter, so konstatiert Eiffe u. a. (2012, S. 92) bei Prob-
lemen mit Feuchtigkeit und Schimmel sowie dunklen Räumen eine leichte abnehmende Ten-
denz im Alterstrend. Wohnung ohne Bad oder WC sind in allen Altersgruppen mit Ausnahme
der über 80-Jährigen (8%) nur noch in sehr geringem Ausmaß vorzufinden. Hinsichtlich der
Bausubstanz muss aber bedacht werden, dass Wohnprobleme anteilsmäßig verstärkt in Wien
auftreten – auch wenn mittlerweile 93% der Wohnungen der Kategorie A zuzuordnen sind (vgl.
MA24, 2015, S. 169) – und ältere Menschen gehäuft in diesen leben.211 Die Wohnungsumge-

– siehe Kapitel 3.1.2.1.2. im Unterpunkt Sozialbericht 2007-2008 ), welcher hierzu ein Maß der Unterversor-
gung mit Gütern ist, liegt aktuell bei älteren Menschen unter dem Bevölkerungsdurchschnitt (vgl. Statistik
Austria, 2018g, S. 74). Andererseits nimmt das Vorhandensein von Konsumgütern – Handy, DVD, PKW, PC,
Geschirrspüler, Internet – mit dem Alter merklich ab, jedoch, so zumindest die Selbstauskunft – die Proble-
matik der Präferenzanpassung wurde bereits erörtert –, aufgrund freiwilligen Verzichts (vgl. Eiffe u. a., 2012,
S. 87).
211
Die Schätzungen gehen auseinander, während Rischanek & Amann (2004) von 7% der Pensionistenhaushalte
in Wien (vgl. auch Moser & Bständig, 2009, S. 20), welche in einer Kategorie D Wohnung leben (kein WC
und Wasseranschluss im Inneren), ausgehen, verweist Baldaszti (2007, S. 63) auf 11% jedoch bei Haushalten
mit HaushaltsvorständInnen ab 60 Jahren; zudem finden sich Substandardwohnungen vorrangig bei Privat-
vermietungen. Ältere Menschen sind deutlich überrepräsentiert und belegen in Wien gut 40% der Wohnungen
der Kategorie D (vgl. Moser & Bständig, 2009, S. 20); mit ein Grund dürfte hierbei die lange Verweildauer
Das Alter – ein soziales Konstrukt? 117

bungsbelastung wird von Eiffe u. a. (2012) bei älteren Menschen als leicht unterdurchschnitt-
lich eingestuft bzw. ist zwischen den Altersgruppen sehr ähnlich verteilt. Wenig verwunderlich
für eine Großstadt konzertieren sich Belastungen wie Lärm, Verschmutzung, Kriminalität bzw.
Vandalismus eher in Wien (vgl. Statistik Austria, 2018g, S. 76); die Alterstrends sind jedoch
diffus: wenige Unterschiede sind beispielsweise hinsichtlich der Ruhelage (vgl. Moser, Bstän-
dig, Czasny, & Hajek, 2005, S. 57) und der Bewertung der Sauberkeit auszumachen, während
Kriminalität und Vandalismus in der eigenen Wohnumgebung von gut 40% der älteren Wiene-
rInnen als Problem gesehen werden (vgl. Reiger, Richter, & Kravanja, 2017, S. 48).212 Dies ist
von Bedeutung, da konative Furchtindikatoren im Alter ansteigen. „Ältere Personen verhalten
sich […] bedeutsam vorsichtiger als Jüngere“ (Greve, 2000). Wird das Wohnquartier hinsicht-
lich Vandalismus und Kriminalität negativ beurteilt, so kann sich dies in Vermeidungsstrate-
gien (eingeschränkte Mobilität, Vermeidung bestimmter Orte usw.) äußern, welche die Teil-
habe mindern bzw. soziale Isolation befördern können (vgl. Nuissl, Vollmer, Westenberg, &
Willing, 2015). Neben dieser Problematik lässt sich zusammenfassend im Bereich Wohnen vor
allem der hohe Anteil älterer WienerInnen in Substandardwohnungen als Benachteiligung de-
klarieren.213
Im Bereich sozialer Kontakte lässt sich allgemein sagen, dass es einen negativen Alterstrend
bezüglich der Netzwerkgröße gibt, dieser jedoch in seinem Ausmaß durch den Familienstand
und Elternstatus variiert (Wagner, Schütze, & Lang, 2010, S. 334). Der Umfang des Familien-
netzwerkes bleibt verhältnismäßig stabil, wenn auch Verlagerungen stattfinden: PartnerInnen
und Geschwister werden aufgrund des Mortalitätsrisikos weniger, aber durch Enkel und Uren-
kel zum Großteil aufgefangen – über 60% der älteren Menschen in Österreich lassen sich in
einem dreifachen (größter Teil) bzw. sogar vierfachen Generationengefüge verorten (vgl.
Kohli, Künemund, & Lüdicke, 2005a, S. 164). Die Zahl der soziale Kontakte zu Freunden
nimmt „mit steigendem Alter deutlich ab“ (Eiffe u. a., 2012, S. 115), hingegen die soziale Iso-
lation (hier verstanden als kein regelmäßiger Kontakt) zu, wovon etwa 17% der 80-Jährigen
und älteren Personen betroffen sind (vgl. Eiffe u. a., 2012, S. 116). Entsprechend fällt der Anteil
an älteren Menschen, welche mit Unterstützung rechnen und gleichzeitig fühlen sich mehr
Menschen mit höherem Alter einsam, wie Rosenmayr & Kolland (2002, S. 258) für Wien auf-
zeigen.214
Im höheren Alter werden die Erreichbarkeit wichtiger Einrichtungen schlechter eingeschätzt,
wobei Mobilitätseinschränkungen den Negativtrend verstärken (vgl. Stoeckel & Litwin, 2015,
S. 44). Auch nimmt mit zunehmendem Alter die soziale Partizipation ab, wobei Molina,
Cañadas-Reche, & Serrano-del-Rosal (2018) im Übergang in den Ruhestand zuerst einen Ab-

sein; so leben an die 80% der 65 Jahre und älteren WienerInnen bereits mehr als 20 Jahre in derselben Woh-
nung (vgl. Moser, Bständig, Czasny, & Hajek, 2005, S. 35). Darüber hinaus wollen selbst ältere Menschen,
welche einen Wohnungsumzug planen, im Vergleich zu anderen Altersgruppen etwas häufiger (mit 37%) in
der gleichen Wohngegend verweilen (vgl. Verwiebe, Troger, & Riederer, 2014, S. 46). Insgesamt lässt sich
daher für ältere WienerInnen eine verhältnismäßig starke Ortsgebundenheit konstatieren.
212
Im Schnitt geben 22% der WienerInnen Kriminalität als Problem der Wohngegend an (vgl. Statistik Austria,
2018g, S. 76); die Vergleichbarkeit mit obiger Zahl ist jedoch geschmälert, da diese aus unterschiedlichen
Erhebungsinstrumenten (EU-SILC und SHARE) mit unterschiedlichen Fragen gewonnen werden.
213
Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass ältere Menschen in Wien signifikant häufiger mit der Wohnsituation
zufrieden sind (vgl. Verwiebe u. a., 2014, S. 34)
214
Der Zusammenhang zwischen Alter und Einsamkeit ist jedoch nicht besonders stark, wenn weitere Faktoren
berücksichtigt werden. Sundström, Fransson, Malmberg, & Davey (2009, S. 272) finden in Folge für Öster-
reich keinen signifikanten Zusammenhang. Hingegen sind entscheidende Einflussfaktoren die Lebensform
und der Gesundheitsstatus, wie auch Rosenmayr & Kolland (2002, S. 258) herausstellen.
118 Das doppelte Relativ der Altersarmut

tausch der Erwerbstätigkeit durch andere Aktivitäten feststellen, was im Einklang mit den An-
nahmen der Aktivitätstheorie steht und sich erst im späteren Verlauf reduziert, womit die Au-
torInnen auf die Disengagement Theorie verweisen – wobei auch hier der Gesundheitszustand
eine wichtige Rolle spielt. Wie Verwiebe u. a. (2014, S. 150f. u. 158f.) aufzeigen, ist die Nut-
zung von Freizeitangeboten zwischen den Altersgruppen unterschiedlich gelagert, während das
Theater (44% der 60 Jahre und älteren WienerInnen) sowie Kunst und Design (36%) Angebote
häufiger von älteren Menschen (Konzerte mit 49% und Literaturvorträge mit 19% sind alters-
unabhängig) besucht werden, fällt die Nutzung von Kino und Festivals verhältnismäßig gerin-
ger aus und deutet auf unterschiedliche Präferenzen hin. Die aktive Teilnahme an Sportveran-
staltungen, die Frequentierung von Parks und Plätzen mit Sitzgelegenheiten sinkt im Alter-
strend. Wiewohl werden von weiterhin 66% der älteren WienerInnen Parks aufgesucht. Zudem
zeigt sich ein besonders hohes Zufriedenheitsniveau älterer Menschen mit den Freizeitangebo-
ten in Wien.
Die Computer- und Internetnutzung spielen bei älteren Menschen weiterhin eine eher geringe
Rolle: 52% der Gruppe zwischen 65 bis 74 Jahren nutzten einen Computer, ebenso machten
52% in den letzten 12 Monaten vom Internet Gebrauch – hiervon der weitaus größte Teil zu-
mindest wöchentlich (vgl. Statistik Austria, 2018b, S. 39ff.). Wie Moser & Bständig (2009, S.
25) herausstellen, nimmt der Anteil an NutzerInnen im hochbetagten Alter aber deutlich ab.
Zumindest bis zu einem gewissen Grad ist dies als eine neue Form der Benachteiligung zu
klassifizieren, denn es können von ihnen weder alle Angebote genutzt, noch auf die ganze
Bandbreite an Kommunikationsmöglichkeiten zurückgegriffen werden. Als Beispiel lässt sich
anführen, dass nur 21% der älteren NutzerInnen das Internet zum Einkaufen gebrauchen, sich
aber gerade in diesem Bereich deutlich an Kosten sparen ließe wie auch die Belastung des Ein-
kauftragens selbst.215

• Die Heterogenität des Alters


Wiewohl einige „Schattenseiten“ des Alters aufgezeigt wurden, gilt es zu betonen, dass es sich
hierbei zwar um quantitativ fassbare Veränderungen handelt, welche jedoch eben nicht alle
älteren Menschen betreffen. Zwar steigt die Wahrscheinlichkeit an chronischen Erkrankungen
zu leiden und damit etwa mit Mobilitätseinschränkungen konfrontiert zu sein, viele können sich
aber ihre Gesundheit bis ins hohe Alter erhalten. Finanziell müssen ältere Menschen einerseits
Einbußen gegenüber der Erwerbsphase hinnehmen, trotzdem bleibt heute die finanzielle Auto-
nomie weitgehend gesichert; über ein Viertel macht Geldgeschenke – hauptsächlich an Kinder
und Enkelkinder, während umgekehrt unter 10% selbst Geld von diesen bekommen (vgl. At-
tias-Donfut, Ogg, & Wolff, 2005b, S. 180). Die sozialen Netzwerke verändern und verkleinern
sich im Alter, trotzdem sind die meisten Menschen nicht sozial isoliert und immerhin noch
8,4% der PensionistInnen ehrenamtlich tätig (vgl. Hank & Erlinghagen, 2005, S. 262). Zusam-
menfassend lässt sich auf Schroeter (2012, S. 158) verweisen, welcher die Divergenz des Alters
pointiert: „Die Lebenslagen älterer Menschen [...] sind so vielfältig und widersprüchlich wie
die anderer Menschen auch. Das Bild des vereinsamten und von der Familie im Stich gelasse-
nen und in ein Alten- und Pflegeheim abgeschobenen alten Menschen ist ebenso schief und
verklärend wie die Vorstellung vom ständig engagierten, reisefreudigen, kultur- und konsum-
freudigen Aktivsenior. Die Wirklichkeit ist viel differenzierter. Die älteren Menschen unter-
scheiden sich in ihren Kompetenzen und Bedürfnissen, in ihren Lebenslagen und Lebensstilen

215
In einer aktuellen Untersuchung kommt der Verein für Konsumenteninformationen zum Schluss, dass bspw.
die Produktpreise für Waschtischarmaturen häufig bei Installateuren das doppelte betragen (vgl. Spanlang,
2018).
Das Alter – ein soziales Konstrukt? 119

und auch in ihren Freiheiten und Zwängen. Einige stehen auf der Sonnen-, andere auf der Schat-
tenseite des Alters, wieder andere irgendwo dazwischen“. In Vorgriff auf die empirischen Er-
gebnisse lässt sich dies auch auf altersarme Menschen übertragen: So findet sich ein Teil der
Befragten in kumulativen Benachteiligungen wieder und hat deutliche Probleme, den Alltag zu
meistern, andere haben sich trotz materieller Limitation arrangiert. Entscheidend für die Be-
trachtung ist zwischen Alters-, Kohorten- oder Einkommenseffekten zu differenzieren, um da-
mit die konkreten Ursachen für spezifisch ausgeprägte Lebenslagen nachvollziehen zu können.
Gesundheitliche Einschränkungen werden mit dem Alter an sich wahrscheinlicher, bei einkom-
mensarmen Menschen liegt das Risiko jedoch noch höher. Aber nicht nur die Eintrittswahr-
scheinlichkeit ist entscheidend und beschreibt die Benachteiligung altersarmer Menschen, son-
dern auch die teils monetär verengten Bewältigungsstrategien sind für die Formung der indivi-
duellen Lebenslage maßgeblich. Entsprechend gilt es die Verkettungen kumulativer Benachtei-
ligungen, die durch Alters- und Kohorteneffekte zumindest partiell angestoßen und durch ge-
ringe monetäre Mittel verschärft werden, nachzuzeichnen, für welche das Konzept der Lebens-
lage aufgrund seiner multidimensionalen Perspektive besonders geeignet scheint.

2.3.2 Ausdifferenzierung des Alters und Institutionalisierung des Lebenslaufes


Rosenmayr (1983) schreibt in seinem Vorwort, dass die jeweilige Gesellschaft und ihre Ar-
beitsteilung in der Produktion über die Ausdehnung und den Zuschnitt der Lebensphase ent-
scheidet. In westlichen Gesellschaften ist das Alter durch die Entwicklung der Pensionssysteme
geprägt, welche zur Konstituierung einer einheitlichen, chronologisch umgrenzten und ökono-
misch abgesicherten Lebensphase beitrug (vgl. Ehmer, 1990, S. 39 u. 80; Backes, 1997a, S. 65;
Hildebrandt & Kleiner, 2012) – wenn sich auch letzteres erst ab den 1950er Jahren für die
Mehrheit der Erwerbstätigen verwirklichte und sich ab da das Prinzip der Einkommenssiche-
rung entfaltete.216 Nicht das chronologische Alter an sich oder die grundlegende Arbeitsfähig-
keit, gerade diese wurde vom Pensionsantritt abgekoppelt (vgl. Ehmer, 1990, S. 80), führen zu
einer bestimmten Definition von Alter, sondern eine wohlfahrtsstaatliche Politik mit dem Sys-
tem altersbasierter Pensionen tragen zur Transformation des Alters in eine soziale Kategorie
bei (vgl. Amann & Kolland, 2008, S. 30f.). „Das Alter definiert sich in geradezu zentraler Weise
über die Nachberuflichkeit. Dazu wird es sozialstaatlich konstruiert durch die Überschreitung
der gesetzlichen Altersgrenze als Statuspassage“ (Schulz-Nieswandt & Tesch-Römer, 2006, S.
133) oder wie Göckenjan (2010b, S. 201) schreibt: „Die nicht intendierte Folge der Renten-
versicherungsreform war die Entstehung der sozialen Figuration eines Rentenalters, des Alters
als eine eigenständige, institutionell formierte Lebensphase der Ruhe und Freizeit. Diese Le-
bensphase wird verstanden als Kompensation vorhergehender Mühen und Anstrengungen und
steht unter dem Diktum der zwangsweisen Beendigung der gesellschaftlich als einzig entschei-
dend bewerteten Lebensphase Berufstätigkeit“. Nach Kohli (2017, S. 495) handelt es sich daher
beim Alter „um eine ‚soziale Tatsache‘ eigener Art, die durch ein besonderes Regelsystem ge-
neriert wird“ (vgl. auch Laslett, 1995), als eine soziale Institution. „Die Gesellschaft beeinflusst
danach individuelle Lebensläufe durch die Vorgabe von Altersnormen. Altersnormen sind Er-

216
Neben der Allgemeinen Ausdehnung der Anwartschaften waren zwei Mechanismen zentral: Anbindung der
Pensionshöhe an das vorangegangene Erwerbseinkommen und die Dynamisierung, also zumindest Inflations-
anpassungen, wenn nicht gar eine Anbindung an Realeinkommenssteigerungen der Arbeitnehmer (Ehmer,
1990, S. 124f.). Dieses System, welches seit dem Pensionsanpassungsgesetz von 1965 auf den Bruttolohnent-
wicklungen basierte, später auf eine Nettoanpassung umgestellt wurde, ist seit 2004 durch eine Koppelung an
den Verbrauchpreisindex ersetzt, wird jedoch regelmäßig von politischen Eingriffen übergangen (vgl. Müller,
2013).
120 Das doppelte Relativ der Altersarmut

wartungen, die individuelle Lebensentscheidungen und Handlungen altersspezifisch leiten, so-


zial kontrollieren und in einen gesellschaftlichen Kontext setzen“ (Sackmann, 2013, S. 35).
Ausgangsbasis Kohlis These ist die Annahme, dass sich der Lebenslauf vor dem Hintergrund
des historischen Wandels chronologisiert hat,217 in den Individualisierungsprozess eingebettet
und um die Erwerbsphase – als entscheidender Strukturgeber (vgl. auch Kohli, 2003, S. 530) –
herum (Vorbereitungs-, Aktivitäts- und Ruhephase) organisiert ist, d.h., dass sich die Bildungs-
phase auf die Erwerbsphase vorbereitet und die ihr nachfolgende Ruhestandsphase sich über
die Erwerbsarbeit ableitet (vgl. Schroeter, 2000b, S. 90), was sich vor allem an der Pensions-
höhe auskristallisiert.218 Die Chronologisierung des Lebenslaufs macht Kohli am Modernisie-
rungsprozess durch den „Übergang von einem Muster der Zufälligkeit der Lebensereignisse zu
einem des vorhersehbaren Lebenslaufs“ (Kohli, 2017, S. 500) fest und argumentiert dies neben
Mortalitätsraten und Familienzyklus vor allem – und für diese Arbeit entscheidend – durch die
entstandenen, altersgeschichteten öffentlichen Systeme. „Indem sie Kriterien einführen, die an
das chronologische Alter geknüpft sind, konstituieren sie verbindliche Altersgrenzen“ (Kohli,
2017, S. 503). Folglich sind Altersgrenzen als soziale Konstruktionen zu werten, die Lebens-
läufe nach Lebensphasen strukturieren (vgl. Schroeter & Künemund, 2010, S. 398). Das Pen-
sionsalter wird dabei zur Grenze der Beteiligung am Erwerbssystem bzw. das Ausscheiden aus
dem Produktionsprozess zum wichtigen „Datum für das Altwerden“ (Thieme, 2008, S. 32).
„Dadurch erst ist es zu einer relativ einheitlich beginnenden, strukturell abgrenzbaren Alters-
phase von beträchtlicher Länge für den überwiegenden Teil der Bevölkerung gekommen“
(Kohli, 2017, S. 505). Die Chronologisierung dient einerseits zur Rationalisierung – die Ratio-
nalisierung staatlicher Leistungssysteme knüpft an das chronologische Alter an (vgl. auch
Ehmer, 1990, S. 52f.), womit der Zugang regelhaft und berechenbar wird; die Rationalisierung
des Wirtschaftens kann „sachfremde Orientierungen“ externalisieren und damit auf andere Le-
bensphasen abwälzen (Lösung der Sukzession); in der Rationalisierung des Individuums dient
die Chronologisierung Bilanzierungsprozessen – andererseits trägt diese zur sozialen Kontrolle
bei (vgl. Schroeter, 2000b, S. 88). Die soziale Kontrolle wird nicht einfach durch die monetäre
Versorgung erreicht, sondern, so Kohli (2017, S. 511), durch die Erwartbarkeit und die damit
erzeugte biographische Perspektive, denn „sie besteht in der entlastenden Gewißheit, auch unter
den Bedingungen der Individualisierung des Lebenslaufs nicht aus den gesellschaftlichen
Stützsystemen herauszufallen“.219 Die Institutionalisierung des Lebenslaufs stellt eine Entlas-
tung einerseits dar, indem sie die Lebensführung in gewisser Weise rahmt bzw. strukturiert,

217
Hierin schwingt die Einsicht mit, dass in vormodernen (bzw. auch heute noch einigen nicht westlichen) Ge-
sellschaften Alter nicht kalendarisch bestimmt wurde (bzw. wird). „Alter beginnt nicht mit dem Erreichen
einer Altersgrenze. Alter beginnt mit der Zuschreibung entsprechender Merkmale und Qualitäten, mit Män-
geln und Unfähigkeiten, wenn diese dazu führen, dass Aufgaben und Pflichten nicht mehr angemessen durch-
geführt werden können“ (Göckenjan, 2010a, S. 408).
218
Das Konzept von Kohli (2017) wurde in den letzten Jahren in seiner noch bestehenden Kraft angezweifelt.
Kohli (2003) selbst verwies in seinem späteren Artikel darauf, dass der institutionalisierte Lebenslauf vor
allem den 1960ern entsprach – „die klassische Dreiteilung des Lebenslaufs [wird] schon heute untergraben
und durchwischt“ (Schroeter, 2000b, S. 90). Zwar mögen Tendenzen der Deinstitutionalisierung in manchen
Dimensionen erkennbar sein, auf der anderen Seite gewinnt der institutionalisierte Lebenslauf, zumindest im
Bereich des Übergangs zwischen Erwerbs- und Ruhstandphase wieder an Aktualität. Selbst im Bereich der
Vollzeitstellen, wie Kohli (2003) konstatiert und auch für Österreich feststellbar ist, hat sich nur wenig in den
letzten Jahrzehnten geändert. So ist die Anzahl an vollzeitbeschäftigten Männern in Österreich zwischen 1994
und 2017 nahezu gleichgeblieben (ebenso der Frauen); die Zunahme der Teilzeitquote ist vor allem auf eine
höhere Beschäftigungsrate der Frauen zurückzuführen.
219
So wurde etwa Bereich des Militärs die „Pensionen als Mittel gesehen, die Motivation von Angehörigen der
Unterschicht zum Eintritt in das Heer zu erhöhen und bei den bereits Dienenden die Neigung zur Desertion
zu vermindern“ (Ehmer, 1990, S. 53).
Das Alter – ein soziales Konstrukt? 121

andererseits aber auch damit die Handlungsspielräume einschränkt (auch Kohli, 2003, S. 527)
„und weist uns einen Platz in der Gesellschaft an“ (Schroeter & Künemund, 2010, S. 393).
Alter ist in diesem Sinne ein von der Gesellschaft zugewiesener, askriptiver Status (vgl.
Sackmann, 2013, S. 35), willkürlichen (sozialpolitischen) Setzungen unterworfen und kann
„den stets individuell verlaufenden Alterns- und Abbauprozess eines Menschen nicht berück-
sichtigen“ (Thieme, 2008, S. 35).
Phasenmodelle des Alterns220 nahmen diese Sichtweise auf; bspw. konstatiert Laslett (1995, S.
35) vier Phasen im Lebensverlauf:221
• Das erste Alter ist von Abhängigkeit geprägt, welche zum Ende dieser Phase immer
weiter abnimmt; an sich ist sie durch eine relative Verantwortungslosigkeit und geringe
Autorität gekennzeichnet.
• Das zweite Alter ist, so Laslett (1995, S. 272f.), die Zeit der Reproduktion und insofern
das produktivste, als „fast die gesamte Arbeit, die wirtschaftliche Werte hervorbringt,
getan wird“. Zugleich ist die persönliche Erfüllung zumeist begrenzt, denn Arbeit ist
fast immer fremdbestimmt und steht unter dem Vorzeichen der Verpflichtungen.
• Von zentraler Bedeutung in der Ausdifferenzierung der dritten Lebensphase sieht
Laslett (1995, S. 130) für die meisten Menschen die Altersgrenze zur Pensionierung
(auch Zeman, 2000, S. 24)222 und die daran anschließende Möglichkeit der persönlichen
Erfüllung als wesentliches Charakteristikum. „Für die Zwecke des Dritten Alters ist die
Befreiung aus den Verwirklichungen des Zweiten Alters wesentlich“, also „ohne das zu
tun, was gewöhnlich produktive Arbeit genannt wird. Richtig verstanden sind diejeni-
gen im Dritten Alter nicht müßig, sondern sie arbeiten für sich an den Dingen, die sie
seit früherster Jugend tun wollten und immer schon vorhatten“ (Laslett, 1995, S. 235).
• Während das Vierte von Abhängigkeit, Altersschwäche und Tod geprägt ist.
Laslett betont damit im dritten Alter den positiven Aspekt der „späten Freiheit“, welche in ge-
ringem Maße von ökonomischen Zwängen geprägt sei. In Hinblick auf die Altersarmut er-
scheint die Erwähnung der Kehrseite notwendig, denn mit der endgültigen Beendigung der Er-
werbstätigkeit, wird das viele Menschen betreffende, magere Resultat der monetär entlohnten
und sozialrechtlich versteuerten Arbeit in Form des Pensionseinkommens ersichtlich, wie „es
zur teilweisen sozialen Desintegration, zur partiellen Zerstörung der soziokulturellen Persön-
lichkeit [kommt]. Der Ausschluß aus einzelnen dieser Bereiche ist mitunter alterstypisch und
charakterisiert geradezu bestimmte Bevölkerungsgruppen als ‚alt‘“ (Amann, 1983, S. 190). Der
Autor sieht des Weiteren die Pension als die formelle Belohnung dafür, das Recht auf Arbeit
nicht mehr zu beanspruchen - doch wie lässt sich dies in Bezug auf Altersarmut argumentieren?
Einerseits ist die Befreiung von einer Arbeitskraftverwertung insofern positiv zu sehen, als auch

220
Neugarten (1974) brachte die Begriffe der „jungen-Alten“ und „alten-Alten“ in den Diskurs ein, koppelte
diese an kalendarische Altersgrenzen und den Übergang in den Ruhestand, während Rosenmayr (1990, S. 37)
die beiden Begriffe in einem qualitativen Sinn interpretiert, andererseits breitflächig von der zweiten Lebens-
hälfte oder von einem dritten chancenreichen, vierten eingeschränkten und fünften abhängigen Alter (vgl.
Rosenmayr, 1996, S. 35) spricht.
221
Diese sind als idealtypisch zu verstehen und werden, wie der Autor selbst zeigt, immer wieder von einzelnen
Gruppen durchbrochen bzw. können sich die Phasen zumindest teilweise überlagen oder nie eintreten.
222
„Es ist nicht mehr länger zwingend zu arbeiten, um am Leben zu bleiben oder sich mit bestimmten Leuten zu
politischen oder sozialen Zwecken zu verbinden oder sich bestimmten Aktivitäten zu widmen, um sich eine
Laufbahn zu sichern. Die Wahl der Verbindungen geht mit der Wahl der Interessen einher, und die Entschei-
dung, welche Interessen man verfolgen will, ist ein leitender Grundsatz des Lebensweges, der im Dritten Alter
seinen Höhepunkt erreicht“ (Laslett, 1995, S. 283f.).
122 Das doppelte Relativ der Altersarmut

altersarme Menschen trotz monetärer Einschränkungen nach Selbsterfüllung trachten können.


Hierzu trägt bei, dass Vermögen – betrachtet man die Ausgleichszulage – nicht vorab verwertet
werden müssen. Andererseits ist die Attribuierung der Belohnung für die Nichtbeanspruchung
als ein Euphemismus im Kontext von Altersarmut zu bezeichnen, denn betrachtet man die pen-
sionsrechtlichen Bestimmungen genauer, so sind es gerade AusgleichszulagenbezieherInnen,
welchen das Recht auf Arbeit223 abgegraben, wenn nicht gar abgesprochen wird, denn jedes
Erwerbseinkommen führt zur Reduktion der Ausgleichszulage. Arbeit, um seine Pension etwas
aufzubessern, verpufft und leistet – wenn überhaupt – der Schwarzarbeit Vorschub.
Zusammenfassend lässt sich nochmals feststellen, dass die Phase Alter jüngeren Datums ist und
sich in der Entwicklung des Pensionssystems ausdifferenzierte. Als das zentrale und konstitu-
tive Merkmal des dritten Alters (auch wenn spätere noch folgen mögen) ist die Entberuflichung
zu nennen, welche den sozialen Status meist verschlechtert und das Einkommen verringert,
andererseits gegebenenfalls eine Freiheit zur Selbsterfüllung beinhaltet.

2.3.3 Das dritte Alter und seine Altersgrenzen


Wie bereits argumentiert wurde, ist das dritte Alter durch das Pensionssystem geformt, welches
zu einem (meist) endgültigen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben führt bzw. damit durch Ent-
beruflichung charakterisiert ist. Entsprechend soll nun der Blick darauf gerichtet werden, wann
der Pensionsübertritt in Österreich erfolgt – auch wenn es eine normierte Altersgrenze gibt, so
entspricht diese nur bedingt der Realität. Damit soll aufgezeigt werden, dass die reine Fixierung
auf ein kalendarisches Datum nicht genügt, um Alter und somit Altersarmut einzugrenzen.

Tabelle 7 – Haupttätigkeiten verschiedener Altersgruppen224


Tätigkeit in Pension Erwerbstätig Arbeitslos
Geschlecht männlich weiblich zusammen männlich weiblich zusammen zusammen
15 bis 24 Jahre - - - 217,2 175,6 392,8 55,4
25 bis 34 Jahre - - - 482,4 383,5 865,9 88,3
35 bis 44 Jahre - - - 505,9 430,9 936,8 76,9
45 bis 54 Jahre 13,8 13,8 27,6 605,9 552,7 1158,7 85,5
55 bis 64 Jahre 179,8 264,6 444,4 319,3 217,3 536,6 50,8
65 Jahre und älter 666,3 778,8 1445,1 14,2 8,5 22,7 -
Zusammen 862,7 1059,6 1922,3 2145,0 1768,5 3913,5 357,5

Tabelle 7 zeigt die selbsteingeschätzte225 Haupttätigkeit der österreichischen Bevölkerung. Er-


kennbar ist, dass sich Personen im Alter von 65 Jahren und höher mit überwiegender Mehrheit
als PensionistInnen beurteilen (nur 22.700 Personen bzw. etwa 1,5% der Altersgruppe sehen
sich noch als erwerbstätig). Der umgekehrte Fall tritt in der Altersgruppe 45 bis 54 Jahre ein.
Problematisch für diese meist vorgenommene Einteilung ist hingegen die Altersgruppe zwi-
schen 55 bis 64 Jahren, in welcher 536.600 Personen angeben, erwerbstätig zu sein und sich

223
Das Recht auf Arbeit im Alter ist m.E. zwiespältig zu betrachten: zum einen scheint nichts dagegen zu spre-
chen, älteren Menschen die Möglichkeit einzuräumen, ihre Pension aufzubessern. Zum anderen kann auch
dies zu einer Überwälzung genutzt werden, um die Verantwortung eines monetär gesicherten Ruhstandes noch
weiter auf das Individuum zu übertragen.
224
Quelle: STATcube – Statistische Datenbank von STATISTIK AUSTRIA – Mikrozensus-Arbeitskräfteerhe-
bung Jahresdaten 2017 – eigene Zusammenstellung.
225
Hierbei handelt es sich um das sogenannte Lebensunterhaltskonzept (LUK), bei dem die RespondentenInnen
selbst angeben, welcher Gruppe sie angehören. Selbst bei dem deutlich strengeren ILO Konzept (wird nicht
weiterverfolgt), nach dem eine Person als erwerbstätig gilt, wenn sie in der Referenzwoche mindestens eine
Stunde gearbeitet hat, erhöht sich die Zahl der erwerbstätigen Personen im Alter von 65 bzw. älter um nur
circa 50.000 Personen und bleibt damit weiterhin auf sehr geringem Niveau.
Das Alter – ein soziales Konstrukt? 123

damit (inklusive arbeitslose Personen) nur 56% zur Erwerbsbevölkerung hinzuzählen lassen –
der Anteil war in den 1990er Jahren noch deutlich geringer (vgl. Statistik Austria, 2013c, S.
28).226 Anders formuliert waren 2017 bereits 43% der Altersgruppe in Pension bzw. stellen
diese immerhin 23% aller PensionistInnen. Die höhere Zahl weiblicher Pensionistinnen unter
65 Jahren, ist dem aktuell noch niedrigeren Pensionsantrittsalter bei Frauen geschuldet.227 Ab-
schließend ist festzuhalten, dass das Durchschnittsalter bei den Neuzugängen in die Eigenpen-
sion 58,5 bei Frauen und 60,3 bei Männern beträgt (vgl. SVA, 2018a, S. 63).228 In puncto Über-
einstimmung von Regelpensionsalter und Pensionierung sind in Österreich daher deutliche Di-
vergenzen feststellbar; die Reglementierungen der letzten Jahre, vor allem in der Einengung
von Frühpensionen und markanten Abschlägen in der Pensionshöhe bei Antritt vor dem Regel-
pensionsalter, treiben jedoch seit zumindest 2007 das durchschnittliche Antrittsalter wieder
nach oben (vgl. SVA, 2018a, S. 64) – wie bereits erwähnt, ist daher eher von einer Erhöhung
der Altersgradierung (auch Kolland, 2015, S. 40) auszugehen. Nichtsdestotrotz bleibt eine al-
tersdifferenzielle Betrachtung mittels kalendarischen Alters (zumindest aktuell) unbefriedi-
gend, wenn Alter und Ruhestand gleichgesetzt werden und dazu die Altersgrenze auf 65+ ge-
setzt wird. Dies könnte einer der Gründe sein, warum in den letzten Sozialberichten anstatt
einer Einteilung anhand des kalendarischen Alters auf eine Einteilung der „Haushalte mit und
ohne Pensionsbezug“229, die „Haupteinkommensquelle Pension“230 und „nicht Erwerbsaktive
in Pension“231 gesetzt wird. Tatsächlich kommen daher drei unterschiedliche Klassifikationen,

226
Sonstige Formen, wie in Karenz befindliche oder haushaltsführende Personen blieben an dieser Stelle unbe-
rücksichtigt und nehmen in der Altersgruppe 55 bis 64 Jahre zusammen circa 100.000 Personen ein.
227
Aktuell liegt diese bei 60 Jahren und wird ab 2024 schrittweise bis 2033 auf 65 Jahre erhöht.
228
Betrachtet man nur die Alterspensionen, liegt der Schnitt bei Männern um 3 und bei Frauen 0,9 Jahre höher.
Trotzdem wird aufgrund von Frühpensionen (hierzu zählen Langzeitversicherung, Schwerarbeiterpension und
Korridorpension), das Regelpensionsalter im Schnitt nicht erreicht. Das geringe Durchschnittsalter bei den
Eigenpensionen kann auf die Invaliditäts- bzw. Berufsunfähigkeitspension sowie das Rehabilitationsgeld (ei-
gentlich sollte dies bei der Berechnung der Antrittsalter ausgeklammert werden) zurückgeführt werden. Letz-
teres ist verhältnismäßig neu und betrifft vor allem Jahrgänge nach 1964 mit einer voraussichtlich befristeten
Arbeitsunfähigkeit – Invaliditäts- bzw. Berufsunfähigkeitspension werden in gewisser Weise substituiert. Ziel
ist es, die Kosten zu senken und das Pensionsantrittsalter nach oben zu verschieben bzw. wurde dieses damit
geschönt (durch die potentielle Ausklammerung). Hierzu muss man sich den Prozess verdeutlichen: wird der
Antrag auf Invaliditäts- bzw. Berufsunfähigkeitspension aufgrund einer vermeintlich befristeten Arbeitsunfä-
higkeit abgelehnt, erfolgt die Übernahme des Falls von den Krankenkassen (zuzüglich eines Case Manage-
ments), welche das Rehabilitationsgeld ausbezahlen, Kostenersatz wird aber von den Pensionskassen geleistet
(siehe §143 ASVG). Der RH (2017b, S. 24f.) kam hierbei zum Schluss, dass sich die Kosten bis einschließlich
2018 durch das neue System um rund 100-200 Millionen Euro erhöhen dürften (einerseits durch Zusatzauf-
wendungen, andererseits weil Einsparungseffekte etwa durch niedrige Genesungsraten und geringe Integrati-
onserfolge am Arbeitsmarkt nicht in entsprechendem Maße eintraten). Die SVA ging dazu über, jene Bezie-
herInnen in die Berechnung des durchschnittlichen Antrittsalters hinzuzuziehen (SVA, 2018a, S. 63) – argu-
mentiert wird dies über einen sonstigen Zeitreihenbruch und da eben die Pensionskassen die Kosten überneh-
men. Tatsächlich ist das Rehabilitationsgeld daher für die Berechnung des Antrittsalters kosmetischer Natur
und wird von der SVA bewusst einbezogen. Hingegen stellt das Sozialministerium das Durchschnittsalter bei
Eigenpensionen ohne RehabilitationsgeldbezieherInnen dar und kann für 2016 mit einem um circa ein Jahr
höheren Durchschnittsalter aufwarten. (siehe OPIS Datenbank – Pensionsantrittsalter nach Pensionsart).
Selbst eine vermeintlich einfach abzuleitende Zahl, wie das Pensionsantrittsalter, hat – wie das Beispiel zeigt
– unerwartet viel Aushandlungspotential.
229
„Haushalte mit/ohne Pension: Als Haushalte mit Pension [...] werden jene definiert, deren Einkommen zu
mindestens 50% aus Altersleistungen stammt, als Haushalte ohne Pension entsprechend jene, wo Altersleis-
tungen weniger als 50% des Einkommens ausmachen“ (Statistik Austria, 2018a, S. 20).
230
„Jene Einkommensquelle, die den größten Beitrag zum Haushaltseinkommen leistet“(Statistik Austria, 2018a,
S. 14).
231
Die Zuordnung basiert auf dem „Haupttätigkeitskalender" (Haupttätigkeit pro Kalendermonat im Jahr 2016,
Selbsteinschätzung). Personen werden dann einer vorwiegenden Haupttätigkeit zugeordnet, wenn sie diese
124 Das doppelte Relativ der Altersarmut

ohne längere Erörterungen zur Anwendung, welche unterschiedliche Grundgesamtheiten reprä-


sentieren. Nachfolgende Tabelle 8 (zusätzlich wurde das kalendarische Alter und die Haupttä-
tigkeit hinzugefügt) verdeutlicht dies auf Basis des Tabellanbandes SILC 2017 – in dort vor-
findlicher Reihenfolge – hinsichtlich der Armutsgefährdung (vgl. Statistik Austria, 2018a, S.
72):
Tabelle 8 – Alterskonzepte in der Sozialberichterstattung (Tabellenband des SILC 2017)
Grundgesamtheit Armutsgefährdet
Klassifikation Quote in %
in Tausend in Tausend
kalendarisches Alter (65+) 1.561 201 13
Haushalte mit Pension 1.602 179 11
Haupttätigkeit (Pension) 1.983 246 12
Haupteinkommensquelle (Pension) 1.675 185 11
Nicht erwerbsaktiv (Pension) zwischen
455 58 13
20-64 Jahre

Zusammen lassen sich fünf „Alterskonzepte“ ausmachen, welche zwar ähnliche Quoten produ-
zieren, in Bezug auf die absoluten Zahlen aber eine Spannweite zwischen 58.000 und 246.000
armutsgefährdeten Menschen erzeugen. Überdies mischen sich Haushalts- und Personenebe-
nen: 1., 3. und 5. Klassifikation basieren auf Individualmerkmalen, während 2. und 4. ein syn-
thetisiertes Haushaltsmerkmal darstellen und auf die Personenebene heruntergebrochen wer-
den.232 Anders formuliert sind bspw. bei den 1.602.000 Personen (2. Klassifikation) jene ge-
meint, welche zwar in einem Haushalt mit mehrheitlich Pensionseinkommen leben, die Person
muss jedoch selbst kein solches Einkommen beziehen. Für die Bestimmung von Altersarmut
erscheinen sie daher wenig geeignet. Die Problematik des kalendarischen Alters wurde bereits
aufgezeigt; zur Haupttätigkeit sei angemerkt, dass sich dieses auf den Befragungszeitpunkt be-
zieht, die Berechnung der Armutsgefährdung auf das vorherige Jahr. Wie auch bei der materi-
ellen Deprivation können folglich Divergenzen aufgrund der zwei unterschiedlichen Referenz-
punkte entstehen.233 Die Loslösung vom kalendarischen Alter und der Zentrierung auf die
Haupttätigkeit hat jedoch den Vorteil, umfänglicher jene Gruppe zu erfassen, welche aus der

mind. 6 Monate lang ausgeübt haben. Personen mit mehrmals wechselnden Haupttätigkeiten werden in der
Kategorie „Sonstige Mischformen" zusammengefasst. Wenn zwei Tätigkeiten jeweils sechs Monate ausgeübt
wurden, wird der Status angeführt, den die Person zuletzt hatte“ (Statistik Austria, 2018a, S. 21). Eine Person
gilt daher in Pension, wenn sie im Referenzjahr zumindest 6 Monate in Pension war. Der Haken: diese Kate-
gorisierung wird nur für Personen zwischen 20-64 Jahre angewandt. Genau genommen handelt es sich also
um Frühpensionen bzw. Invaliditäts- Berufsunfähigkeitspensionen. Auf diesen gravierenden Umstand wird
im Sozialbericht aber nur bedingt hingewiesen (vgl. Lamei u. a., 2017, S. 190f.).
232
Zu betonen ist, dass sich Individual- und Haushaltsmerkmal auf das Alterskonzept beziehen. Die Armutsge-
fährdung wird auf Basis der Äquivalenzeinkommen immer auf der Haushaltsebene errechnet.
233
Eine weitere Schwierigkeit besteht in der Itemkonstruktion bzw. genauer in den Antwortkategorien. Die Frage
lautet: „Welcher der folgenden Begriffe beschreibt am besten Ihre derzeitige Hauptaktivität?“ (SILC Frage-
bogen, P001000), zur Beantwortung stehen unter anderem die folgenden Kategorien zur Verfügung: „7. Pen-
sionistIn“ und „8. Nicht erwerbsfähig auf Grund einer dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigung oder
einer körperlichen Einschränkung“. Ergänzt wird dies durch folgende Intervieweranweisung: „Personen mit
Bezug von Invaliditätspension können sich als ‚Pensionist/in‘ (Code 7) oder ‚Nicht erwerbsfähig auf Grund
einer dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigung oder einer körperlichen Einschränkung‘ (Code 8) klas-
sifizieren (Selbsteinschätzung)“ (SILC Fragebogen, S. 285). Entsprechend sind die Grenzen nicht trennscharf;
im SILC 2014 (eigene Berechnung) gaben knapp 71% der Befragten an, welche eine Invaliditätsleistung be-
zogen, PensionistInnen zu sein, andererseits sahen sich in etwa 11% in der Gruppe der Nichterwerbsfähigen
aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen (der Rest verteilt sich auf ArbeitnehmerInnen, Selbstständige,
Arbeitslose usw.). Es kann zwar sein, dass der Bezug einer Invaliditätsleistung eher zur Einschätzung ‚Pensi-
onistIn zu sein‘ führt. Anzumerken ist jedoch, dass die Gruppe der Nichterwerbstätigen aufgrund der Gesund-
heit verhältnismäßig klein ist und innerhalb dieser sehr wohl über die Hälfte eine Invaliditätsleistung bezogen.
Das Alter – ein soziales Konstrukt? 125

Erwerbsphase ausgeschieden ist (zumindest sein dürfte) und nicht – etwa wie arbeitslose Per-
sonen – dem gesellschaftlichen Anspruch der Arbeitskräfteverwertung unterliegt.234 Anderer-
seits mag es befremdlich wirken, eine 45-jährige in Invaliditätspension befindliche Person mit
„alt“ zu attribuieren. Abweichungen von Altersnormen könnten mit Sanktionen (etwa verächt-
lichen Aussagen) geahndet werden. Die Sanktionierung im Falle einer Pensionierung im Er-
werbsalter lässt sich aus zweierlei Blickrichtungen erklären. Einerseits als einen Bruch der Ar-
beitsfähigkeit als Erwartung der Erwerbsphasenrolle: Wer ein gewisses kalendarisches Lebens-
alter noch nicht erreicht hat, muss arbeitsfähig sein. Abgefedert dürfte diese Zuweisung bspw.
nur dann werden, wenn äußere Anzeichen beim Gegenüber eine erklärliche Arbeitsunfähigkeit
vermuten lassen – ungeachtet, ob es sich dabei nur um ein Stereotyp handelt oder nicht. Ande-
rerseits kann das Unverständnis auch aus der Perspektive von Altersbildern erschlossen wer-
den: Wer pensioniert ist, sollte ein gewisses, sichtbares Alter erreicht haben. Das Erscheinungs-
bild unterläuft den damit antizipierten, aber nicht durch den Betroffenen erfüllten Kriterien ei-
ner chronologisch gealterten Person. Die „Alterserwartungscodes“ (Göckenjan, 2000, S. 24)
entsprechen nicht dem „doing age“ (Schroeter, 2012, S. 159).235 Auf die Haupttätigkeit zurück-
kommend kann in der gesamtheitlichen Erfassung von pensionierten Personen ein Vorzug darin
ausgemacht werden, eben nicht einen beachtlichen Teil an PensionistInnen zu vernachlässigen.
Zwar mögen diese (noch) nicht gängigen Altersbildern entsprechen, wiewohl eint sie das Aus-
geschiedensein aus der Erwerbsarbeit. Diesem Umstand ist Rechnung zu tragen, da Arbeit da-
mit eben kein probates Mittel der Armutsbekämpfung ist. Die Verrückung jener Personen in
das Erwerbsalter (aufgrund des kalendarischen Alters) scheint aber genau diese Implikation zu
untermalen. Möchte man Altersarmut reduzieren, so ist dies zu einem großen Teil eine Politik
der Pensionen bzw. des Pensionssystem, womit es wenig sinnvoll sein dürfte, nicht alle Pensi-
onistInnen in den Blick zu nehmen – Kolland (2015, S. 46) spricht bei der Betrachtung der
Einkommen älterer Menschen in diesem Kontext auch von der „gegenwärtigen Pensionisten-
generation“. So macht es durchaus einen Unterschied, ob man auf 201.000 oder 246.000 ar-
mutsgefährdete pensionierte Personen rekurriert. Durch eine „altersintegrierte“ (Riley & Riley,
2000; Zeman, 2000) Sichtweise, ließen sich Segregationstendenzen zwischen im Ruhestand
befindlichen Personen abmildern. Bedeutend scheint hier die Auflösung vermeintlich strikter
Altersgrenzen (vgl. auch Zeman, 2010). Bemerkenswert sind hierzu die Ausprägungen im ös-
terreichischen Recht, denn in der Gesetzgebung kommt dem rechtlichen Alter eine wichtige
Rolle zu – „there are far more than one thousand regulations concerning age in all areas of
Austrian law“ (Pirker & Melzer-Azodanloo, 2013, S. 71) und wird, so die AutorInnen weiter,
über das kalendarische Alter bestimmt. Deutlich unterrepräsentiert sind dabei jedoch Hinwen-
dungen zu Personen im höheren Alter: Zwar lässt sich eine Dreiteilung (Adoleszenz, Erwerb
und Pension) ausmachen, im Wesentlichen ist von einer Dichotomisierung des Lebenslaufes
auszugehen. „Der mit einem Minus an Rechten, aber auch Schutz, rechtlich gestalteten Lebens-
phase Jugend steht keine entsprechende Lebensphase Alter gegenüber [...]. Auch wenn das
Pensions- oder Ruhestandsalter die Bedeutung des dreigeteilten Lebenslaufs nach wie vor ze-
mentiert, muss doch auf die verfassungsrechtliche Konzeption eines allenfalls zweigeteilten

234
Einschränkend muss natürlich bedacht werden, dass es sich bei der Haupttätigkeit um eine Selbsteinschätzung
handelt, folglich können Fälle auftreten, wo Selbst- und Fremdwahrnehmung bezüglich der Arbeitskräftever-
wertung auseinanderfallen. D.h. eine Person kann sich als PensionistIn sehen, wird aber nach rechtlichen
Bestimmungen in der Erwerbsbevölkerung verortet. Solche Fälle dürften eher dort auftreten, wo gesundheit-
liche Gründe Erwerbsfähigkeit entgegenstehen und zugleich das Pensionsalter in greifbare Nähe rückt.
235
„Die Akteure zeigen sich durch symbolische Zuschreibungen gegenseitig ihre Altersgruppenzugehörigkeit an.
Sie visualisieren und performieren ihr Alter“ (Schroeter, 2012, S. 159) oder wie im obigen Fall eben nicht.
126 Das doppelte Relativ der Altersarmut

Lebenslaufs hingewiesen werden“ (Ruppert, 2010, S. XXIX). Zwei zentrale Aspekte lassen
sich ausmachen:
• Das Regelpensionsalter in den Bundesgesetzten § 253 ASVG, §121 BSVG, § 130
GSVG sowie § 4 des APG.236 Letzteres stellt auf ein Regelpensionsalter von 65 Jahren
ab, wobei die Angleichung des Pensionsalters bei Frauen (aktuell 60) noch erfolgen
wird.
• 1998 wurde im Nationalrat das Bundes-Seniorengesetz beschlossen und definiert Seni-
oren wie folgt: § 2. „Als Senioren im Sinne dieses Gesetzes gelten alle Personen öster-
reichischer Staatsangehörigkeit oder der Staatsangehörigkeit eines Vertragsstaates des
Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum mit Wohnsitz in Österreich,
1. die auf Grund eines Gesetzes oder Vertrages aus eigener Tätigkeit eine Pension,
gleichgültig welcher Art, beziehen oder
2. die ein bestimmtes Alter erreicht haben; dieses ist bei Frauen die Vollendung des
55. Lebensjahres und bei Männern die Vollendung des 60. Lebensjahres“ (Bundes-
Seniorengesetz idF 2018).
Sowohl der Bezug einer Pension oder ein bestimmtes kalendarisches Alter adressieren Perso-
nen als Seniorin bzw. Senior. Entsprechend wird der Kreis deutlich weiter gefasst, als mit einer
Altersgrenze von 65+ bzw. dem Kriterium der Pensionierung. Wiewohl damit eine Alters-
grenze in Österreich unabhängig der pensionsrechtlichen Bestimmungen fixiert wurde, ist dem
Gesetz nur geringe Bedeutung in dieser Hinsicht zu testieren und vor allem durch die rechtliche
Verbriefung von Interessenvertretungen (Seniorenbeirat, Dachverband) und die finanzielle För-
derung von Seniorenorganisationen von Relevanz.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Bestrebungen hin zu einer gesetzlichen Alters-
grenze von 65 Jahren tendieren, wenn es um den zugestandenen Übertritt in den Ruhestand
geht. Das Wiener Mindestsicherungsgesetz greift die Regelungen des Regelpensionsalters im
ASVG bei der Mindestsicherung in Dauerleistung auf, wird jedoch um Bestimmungen zur Be-
rufsunfähigkeit ergänzt und hebt damit die Entberuflichung als entscheidendes Kriterium her-
vor. Ähnliches gilt für die Ausgleichszulage, welche, wie bereits erwähnt, nur an pensionsbe-
rechtigte Personen, jedoch unabhängig des kalendarischen Alters ausgezahlt wird. Eigentüm-
lich wirkt hier die Altersgrenze aus dem Bundes-Seniorengesetz und lässt sich womöglich
dadurch erklären, mittels eines herabgesetzten kalendarischen Alters die Anzahl der Personen
und damit die Fördersumme zu erhöhen. Der Übergang in das dritte Alter bleibt in Summe
verwaschen, die Fixierung auf eine bestimmte Altersgrenze eher unbefriedigend. Diese Einsicht
verstärkt sich weiter, wenn man auf die Altersgrenzen von Organisationen blickt: So werden
bei den Wiener Bädern SeniorInnen als Jahrgang 1956 und darunter definiert, die Wiener Li-
nien237 haben hingegeben ab 1.1.2018 die Bezugsmöglichkeit eines SeniorInnen-Tickets auf 63

236
Bei Personen im öffentlichen Dienst sind aktuell mehrere Regelungen aktiv; allgemein lässt sich sagen, dass
Bundesbedienstete mit 65 Jahren in den Ruhestand versetzt werden, bei Landesbediensteten finden Anpas-
sungen dahingehend statt.
237
Bemerkenswerter Weise enthielt die Verordnung des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Techno-
logie über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Kraftfahrlinienverkehr (Kfl-Bef Bed) auch eine
Definition für SeniorInnen auf Basis des Regelpensionsalters – entsprechend erhielten Männer mit 65 und
Frauen mit 60 Jahren eine Ermäßigung. 2010 (V 39/10-13 u.a.) stellte der VfGH jedoch fest (nach Klage eines
Pensionisten), dass das generelle Anknüpfen am unterschiedlichen gesetzlichen Pensionsalter bei der Ermä-
ßigung für öffentliche Verkehrsmittel nicht geeignet sei, die bestehenden Nachteile von Frauen hinsichtlich
geringere Pensionsleistungen auszugleichen und hob auf Basis des Gleichbehandlungsgesetzes die Regelung
auf. Anstatt jedoch an das Bundes-Seniorengesetz § 2 Abs. 1 anzuknüpfen, wurde zuerst eine Altersgrenze
von 60 Jahren für beide Geschlechter unter den Verkehrsbünden beschlossen, welche sich unter der Annahme
Das Alter – ein soziales Konstrukt? 127

Jahre und älter erhöht, während SeniorInnen in der Wiener Volksoper und Volkstheater ab dem
vollendeten 60. Lebensjahr eine Ermäßigung oder im Kunsthistorischen Museum Wien entwe-
der als Pensionisten ab 65 oder mit gültigem Pensionistenausweis eine Vergünstigung erhalten.

2.3.4 Konklusion – ein Mittelweg


Konkludierend sind Alterskonstruktionen, wie auch Armutskonstruktionen in erster Linie ide-
altypisch zu begreifen, welche realiter nicht vorzufinden sind, aber „in substanzialisierter Form
als real existierend gedacht werden“ (Schroeter & Künemund, 2010, S. 394). Die Frage, wann
nun im Leben die dritte Lebensphase beginnt, lässt sich im groben Bereich von 55 Jahren (bei
Frauen nach dem Seniorengesetz) bis zu 65 Jahren (bei Männern nach dem Regelpensionsalter)
verorten. Die kalendarische Fixierung des Alters bleibt zwar „als formales Maß stets notwen-
dig, sie ist aber durch andere Maßstäbe oder Parameter zu ergänzen“, wie Rosenmayr (1978, S.
35) bereits konstatierte und auch aufgezeigt wurde. Wenn auch nicht die Pensionistengenera-
tion als eine einheitliche Gruppe gedacht werden kann – der Diversität und Differenzierung im
Alter ist Rechnung zu tragen –, so eint sie weitgehend das Element der Entberuflichung, welche
Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse hat, sei es in der Höhe der Einkommen, dem Verlust
von Rollen, aber auch der gewonnen Zeit sich anderweitig zu beschäftigen.238 Die „Formel von
‚Ruhestand gleich Altersphase‘ [hat] noch immer eine gewisse Relevanz“ und ist „noch immer
die stärkste gesellschaftliche Zuschreibung von ‚Alter‘“ (Backes & Clemens, 2013, S. 58 u.
63). Im Besonderen bei Altersarmut scheint es notwendig, eine reine Betrachtung des kalenda-
rischen Alters aufzugeben und durch den Status der Pensionierung zu fundieren, wenn auch
dieser in der Praxis eng an ersteres geknüpft ist. Dies wird vor allem dadurch untermauert, dass
Erwerbsarbeit – working poor an dieser Stelle einmal ausgeklammert – als zentraler Faktor zur
Bewältigung von Armut gesehen wird (siehe u.a. Bundeskanzleramt, 2017). Ist diese Möglich-
keit weitgehend versperrt, sowohl was allgemein die Beschäftigungschancen älterer Menschen
anbelangt239 sowie durch die heutige Vorstellung in der dritten Altersphase eben nicht arbeiten
zu müssen240 und durch pensionsrechtliche Limitationen bei der Ausgleichszulage noch ver-
stärkt wird, emergiert Armut bei PensionistInnen zu einer beharrlichen Benachteiligung. Im
Unterschied zur Erwerbsphase – auch hier muss der Vollständigkeit halber differenziert werden
und findet sich ein Anteil mit langjährigen Armutserfahrungen – ist Altersarmut in weitaus

eines steigenden durchschnittlichen Pensionsantrittsalters alle zwei Jahre um ein Jahr erhöht. Mittlerweile, da
sich der Antritt nicht in diesem Ausmaß nach oben verschob bzw. Frauen weiterhin ein Regelpensionsalter
von 60 Jahren haben, klafft eine erhebliche Lücke von circa 200.000 Personen (vgl. Arbeiterkammer, 2018)
zwischen anspruchsberechtigten und nichtanspruchsberechtigten PensionistInnen.
238
Einwenden lässt sich, dass auch arbeitsunfähige und in Karenz befindliche Personen bzw. Hausfrauen und
Hausmänner oder Präsenz- und Zivildiener nicht erwerbstätig sind. Entscheidend ist hierbei, dass diese eher
in das Erwerbsleben einsteigen können oder werden, sofern das Regelpensionsalter noch nicht erreicht ist. Im
Gegensatz dazu bezogen 2014 an die 7% (bzw. 141.000 Personen) der als selbsteingeschätzten PensionistIn-
nen unabhängig ihres Alters ein Erwerbseinkommen, womit der Anteil an Erwerbspersonen deutlich unter
allen anderen Hauptaktivitätskategorien lag.
239
Ältere Menschen werden zumindest teilweise aus der Erwerbstätigkeit gedrängt: So gaben in Wien über 10%
der PensionistInnen als Grund (und 17% der PensionistInnen, welche lieber länger gearbeitet hätten) an, der
Antritt sei vom Arbeitgeber nahegelegt worden (vgl. Verwiebe u. a., 2014, S. 83f.). Ähnliches zeigen Ergeb-
nisse der Statistik Austria (2013b, S. 52) - so nannten 12% der PensionistInnen (zwischen 50 und 69 Jahren),
welche den Wunsch hatten weiter zu arbeiten, die Kündigung durch den Arbeitgeber als Hauptgrund des Pen-
sionsantrittes.
240
Über 90% der Erwerbsbevölkerung im Alter von 50 Jahren und älter hat konkrete Vorstellungen zum persön-
lichen Pensionsantrittsalter (vgl. Statistik Austria, 2013c, S. 56ff.); knapp ein Fünftel möchte nach dem Pen-
sionsantritt weiterarbeiten, womit der Großteil klar den Pensionsantritt als endgültiges Ausscheiden aus dem
Erwerbsleben sieht.
128 Das doppelte Relativ der Altersarmut

geringerem Maße dynamisch und stellt eine verfestigte Situation dar, welche sich im Kontext
von alters-, kohorten- und weiterer soziostrukturell bedingter Effekte verschärft. Folglich
scheint der reine Bezug auf den Status der Pensionierung sinnvoll, hiergegen ist aber einzuwen-
den, dass aufgrund pensionsrechtlicher Bestimmungen nicht alle älteren Menschen dieser Ka-
tegorie zufallen, da diese keine Anwartschaft haben. Dies lässt sich auch empirisch belegen: Es
ordnet sich die zweitgrößte Gruppe (5,3% auf Basis der SILC Daten von 2014) im Alter von
65 Jahren und älter nicht der Kategorie PensionistIn, sondern „Hausfrau bzw. Hausmann“ zu,
von welchen knapp 18% bzw. etwas über 14.000 Menschen armutsgefährdet sind.241 Nicht zu
vergessen sind jene, welche eine bedarfsorientierte Mindestsicherung erhalten (vgl. Heuberger,
2018) und in Wien von knapp 15.000 Personen im Alter von 60 Jahren und älter im Jahr 2016
bezogen wurde (vgl. RH, 2017a, S. 49). Auch diese dürften teilweise nie eine Pension aufgrund
fehlender Anwartschaften erhalten und sich ebenso nur partiell der Gruppe der PensionistInnen
zurechnen. Durch Verzicht einer kalendarischen Altersgrenze würde man daher Anteile an Per-
sonen vernachlässigen, welche per Gesetzt als SeniorInnen bzw. in den Bestimmungen der
Mindestsicherung als vom Erwerbsleben ausgeschieden gefasst sind.242 Nun wird die Frage
virulent, wo die Altersgrenze festzulegen ist, welche Personen auch ohne Pensionsbezug bzw.
unter Verortung einer anderen Kategorie der dritten Altersphase zugeordnet werden können.
Sinnvoll erscheint es, sich am Regelpensionsalter von Männern (65+) und Frauen (60+) zu
orientieren, wie es auch das Wiener Mindestsicherungsgesetz vorsieht. Entscheidend ist, dass
ab diesem Alter von der Arbeitsfähigkeit abgesehen wird bzw. die Entberuflichung voransteht.
In Kombination vom Status PensionistIn zu sein, welchem selbst ein höheres kalendarisches
Alter inhärent ist und der expliziten Berücksichtigung des kalendarischen Alters auf Basis des
Regelpensionsalters lässt sich an die Zahl jener, welche entberuflicht sind und denen zumindest
mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Altersleistung zusteht, annähern.
Für die vorliegende Arbeit wird das Alter wie folgt definiert: „Alter“ ist als jene Lebensphase
definiert, welche sich durch das vorrangig endgültige Ausgeschiedensein aus dem Erwerbs-
prozess, dem potentiellen Zugang zum Pensionssystem oder stark ähnelnden (altersbasier-
ten) Sozialleistungen auszeichnet.

2.4 Adressat altersarmer Mensch


Ausgangspunkt war die These, dass Altersarmut als ein doppelt soziales Relativ gefasst werden
kann, welches unabhängig von der Gesellschaft nicht existiert, sondern sich in einer relationa-
len und spezifischen Zuwendung konstituiert. Wie hierzu gezeigt wurde, lässt sich dies sowohl
vom Begriff der Armut wie auch dem Begriff des Alters in der Praxis zeigen, noch dazu haftet
den beiden Begriffen eine gewisse Flexibilität an und spannen zielorientierte sowie unter-
schiedliche Bestimmungen im administrativen Standard einen Rahmen, in welchem die Adres-
sierung und Reaktion erfolgt bzw. zumindest erfolgen sollte. Auch Alter wird nicht, vor allem
was kalendarische Altersgrenzen betreffen, einheitlich gefasst, trotzdem eine Tendenz Rich-
tung Regelpensionsalter beobachtet werden kann bzw. die Entberuflichung für die Konstitution
des dritten Alters einen zentralen Stellenwert einnimmt. Aus der analytischen Trennung des
Begriffs Altersarmut ließen sich infolge zwei Definitionsversuche gewinnen:

241
Zusätzlich sind unter jenen, welche als Hauptaktivität ‚nicht erwerbsfähig auf Grund einer dauerhaften ge-
sundheitlichen Beeinträchtigung oder einer körperlichen Einschränkung‘ angeben und ein Alter von 65+ auf-
weisen, 65% bzw. gut 2200 Menschen von Einkommensarmut betroffen.
242
Nach § 14 Abs. 4 gilt: „Der Einsatz der Arbeitskraft und die Mitwirkung an arbeitsmarktbezogenen sowie die
Arbeitsfähigkeit oder Vermittelbarkeit fördernden Maßnahmen darf nicht verlangt werden von Personen, die
das Regelpensionsalter nach dem ASVG erreicht haben.
Adressat altersarmer Mensch 129

• „Armut“ ist als eine monetäre Lage definiert, auf Basis deren eine Adressierung erfolgt
und zu einer sozialen Reaktion im Sinne der Zugangsgewährung zu Unterstützungsleis-
tungen führt.
• „Alter“ ist als jene Lebensphase definiert, welche sich durch das vorrangig endgültige
Ausgeschiedensein aus dem Erwerbsprozess, dem potentiellen Zugang zum Pensions-
system oder stark ähnelnden (altersbasierten) Sozialleistungen auszeichnet.
Zusammen bedeutet dies, dass „Altersarmut“ sich als jene Lebensphase auszeichnet, in welcher
keine Arbeitskraftverwertung mehr von Nöten ist bzw. ein vorrangig endgültiges Ausgeschie-
densein aus dem Erwerbsprozess stattgefunden hat und sich durch den potentiellen Zugang zum
Pensionssystem oder stark ähnelnden Sozialleistungen konstituiert, jedoch eine monetäre Lage
generierend definiert, auf Basis derer eine Adressierung und soziale Reaktionen im Sinne der
Zugangsgewährung zu Unterstützungsleistungen erfolgen. In Abwandlung von Amann (1983,
S. 166) lässt sich die Adressierung als soziokulturell gesteuerte, an institutionelle Handlungs-
voraussetzungen gebundene gesellschaftliche Reaktionsform auf eine monetär defizitäre und
damit mit Signalcharakter versehene Lebenslage definieren. „Bei Änderung der Lebenslage (o-
der Lebenslagedimensionen), die einen Wert soziokulturell normierter Normalität verlassen,
erhält diese Lebenslage Signalcharakter für die soziale Umwelt, die nun ihrerseits aufgrund
ihres Selbstverständnisses oder ihres rechtlich fixierten politischen Auftrags aktiv wird“
(Amann, 1983, S. 162).243 Erst durch die erfolgende Feststellung einer pathologischen Situation
wird sie sozial manifest. Die Konzeption des Alters ergibt sich hingegen erst dort, „wo aus
sozialen und kulturellen Normierungen und Wertregulativen heraus eine alters- oder lebens-
phasenbezogene Charakterisierung (‚Definition‘) der Bedürftigkeit (Abhängigkeit) und der zu-
geordneten Hilfeleistung erfolgt“ (Amann, 1983, S. 166).
Auf Basis der vorgebrachten Konzeption von Armut sollen nun eine empirische, deskriptive
Analyse der SILC Daten 2016 erfolgen, um die Prävalenz von Altersarmut in Österreich bzw.
in Wien abschätzen zu können. Nachfolgende Tabelle 9 gibt Aufschluss über das gesamte
Sample des SILC 2016 und der Armutsgefährdungsquoten unabhängig vom Alter und ihre
Konfidenzintervalle.244 Wie ersichtlich variieren die Konfidenzintervalle bereits auf dieser
Ebene – ohne sich hier bereits dem als älter definierten Teil der Stichprobe zuzuwenden – je
nach Umfang der Stichprobe und Streuung der Armutsgefährdungsquoten teils beträchtlich,
womit die Statistik Austria die Angaben detaillierter Analyse zumindest für kleine Bundeslän-
der nicht empfiehlt. Aus diesem Grund werden sich die später folgenden Ergebnispräsentatio-
nen auf Wien beschränken; vorweg der Hinweis, dass diese Angaben ebenso mit Vorsicht zu
interpretieren sind. Die Armutsgefährdungsquote betrug im Jahr 2016 für Gesamtösterreich
14,1% bzw. dürfte sich in einem Bereich zwischen 12,7% bis 15,5% bewegen – der Begriff der
Armutsgefährdung wird an dieser Stelle verwendet, um zum einen dem Sprachduktus der So-
zialberichterstattung zu folgen, zugleich aber auch um die späteren Werte hinsichtlich älterer
Menschen, welche durch den Begriff altersarm adressiert werden sollen, zu unterscheiden.
Wien hat, wie bekannt sein dürfte, allgemein die höchste Armutsgefährdungsquote unter den

243
„Die defizitäre Entwicklung der Lage (oder einzelner ihrer Dimensionen) muß mindestens den Signalcharak-
ter haben, auf den hin institutionalisierte Reaktionsformen [...] erfolgen können (oder müssen)“ (Amann, 1983,
S. 157).
244
Die angegeben Konfidenzintervalle weichen von den Angaben der Statistik Austria (2017d, S. 11) leicht ab,
welche für ihre Berechnungen auf den vollen Umfang benötigter Informationen über Haushaltsgewichte,
Klumpung auf Haushaltsebene sowie Stratifizierung nach Bundesländern zur Berechnung der Konfidenzin-
tervalle rückgreifen können. Die vorliegende Berechnung auf Basis der komplexen Stichprobe des SILC ist
an das Vorgehen von Herter & Wirth (2018) angelehnt, welche sich den Schätzwerten der Eurostat zu nähern
versuchen.
130 Das doppelte Relativ der Altersarmut

Bundesländern und gliedert sich damit in einen weit verbreiteten Trend von Großstädten in
Europa ein.245
Tabelle 9 – Armutsgefährdungsquoten in Österreich und Stichprobenplan
95%-Konfidenzintervall Ungewichtete
Hochrech-
Untere Grenze Obere Grenze Anzahl in der
nung
Stichprobe
nicht armutsgefährdet 7 382 477 11 465
Österreich armutsgefährdet 1 207 692 1 584
Insgesamt 8 590 169 13 049
armutsgefährdet in % 14,1% 12,7% 15,5%
nicht armutsgefährdet 255 114 374
Burgenland armutsgefährdet 44 833 44
armutsgefährdet in % 14,9% 5,9% 33,2%
nicht armutsgefährdet 483 039 737
Kärnten armutsgefährdet 58 016 86
armutsgefährdet in % 10,7% 7,6% 14,9%
nicht armutsgefährdet 1 484 424 2 498
NÖ armutsgefährdet 159 534 239
armutsgefährdet in % 9,7% 7,7% 12,1%
nicht armutsgefährdet 1 243 546 2 040
OÖ armutsgefährdet 169 112 237
armutsgefährdet in % 12,0% 9,4% 15,1%
nicht armutsgefährdet 479 584 706
Sbg armutsgefährdet 55 156 80
armutsgefährdet in % 10,3% 7,1% 14,8%
nicht armutsgefährdet 1 044 755 1 601
Stmk armutsgefährdet 165 015 214
armutsgefährdet 13,6% 10,3% 17,8%
nicht armutsgefährdet 642 683 973
Tirol armutsgefährdet 131 533 164
armutsgefährdet 17,0% 12,5% 22,6%
nicht armutsgefährdet 325 478 470
Vorarlberg armutsgefährdet 72 841 107
armutsgefährdet 18,3% 12,5% 26,0%
nicht armutsgefährdet 1 423 853 2 066
Wien armutsgefährdet 351 653 413
armutsgefährdet in % 19,8% 16,4% 23,7%

Um die Unterschiede in der Prävalenz zwischen den Alterskonzepten besser verorten zu kön-
nen, fasst die nachfolgende Tabelle 10 die Ergebnisse der Armutsgefährdung bzw. Armut für
Österreich bei älteren Menschen, operationalisiert über das kalendarische Alter, die Hauptakti-
vität Pension und die vorgeschlagene kombinierte Betrachtung (benannt als Alterskonstrukt)246,
zusammen.

245
Auch andere größere Städte in Österreich weisen diesen Trend auf (vgl. Statistik Austria, 2017d, S. 74).
246
Das Alterskonstrukt entspricht der messtheoretischen Umsetzung der vorangegangenen Kapitel erarbeiteten
Altersdefinition. Operationalisiert ist diese über die Hauptaktivität – alle Personen, welche sich selbst als Pen-
sionistInnen einschätzen – oder das Alter, d.h. Personen, welchen Altersleistungen zustehen bzw. zustehen
müssten und damit keiner Arbeitskräfteverwertung unterliegen – also Frauen, welche 60 Jahre und älter bzw.
Männer, welche 65 Jahre und älter sind.
Adressat altersarmer Mensch 131

Tabelle 10 – Armutsgefährdung in Österreich nach Alterskonzepten


Armutsgefährdung bei 60%des Medians
Alterskonzepte nicht armutsge-
armutsgefährdet insgesamt
fährdet
Hochrechnung 1 339 763 203 361 1 543 124
Ungewichtete Anzahl 2 239 321 2 560
65+ in % 86,8% 13,2%
95%-Konfidenzin- Untere Grenze 85,1% 11,6%
tervall Obere Grenze 88,4% 14,9%
Hochrechnung 1 735 387 235 848 1 971 235
Ungewichtete Anzahl 2 889 372 3 261
PensionistIn in % 88,0% 12,0%
95%-Konfidenzin- Untere Grenze 86,6% 10,7%
tervall Obere Grenze 89,3% 13,4%
Hochrechnung 1 864 882 269 648 2 134 530
Ungewichtete Anzahl 3 114 424 3 538
Alterskon-
armutsgefährdet in % 87,4% 12,6%
strukt
95%-Konfidenzin- Untere Grenze 85,9% 11,3%
tervall Obere Grenze 88,7% 14,1%

Entlang des kalendarischen Alters hin zum Alterskonstrukt nimmt die Zahl der Personen in
Österreich, welche den jeweiligen Kriterien entsprechen von 1.543.124 auf 2.134.530 Millio-
nen Menschen zu. Von diesen sind 13,2% (65+), 12,0% (PensionistInnen) bzw. 12,6% (Al-
terskonstrukt) als altersarm zu adressieren. Das Alterskonstrukt liefert aufgrund seiner größten
Grundgesamtheit auch den größten Wert an Betroffenen, welcher auf 269.648 Menschen ge-
schätzt werden kann. Jene stehen den altersbasierten Sicherungssystemen am nächsten (zumin-
dest potentiell), welche zum großen Teil unmittelbar auf die Einkommen wirken. 247 Die einen
sind bereits in der Pension (ungeachtet ihres kalendarischen Alters), die anderen könnten mit
hoher Wahrscheinlichkeit übertreten (ihr kalendarisches Alter beachtend) oder aber werden
womöglich nie dazu berechtigt sein, trotzdem von anderen Systemen wie der Mindestsicherung
als alt adressiert und entsprechend behandelt.

Tabelle 11 – Verteilung im Alterskonstrukt


Häufigkeit Prozente
PensionistInnen 1 971 235 92,3%
Frauen 60+ 150 002 7,0%
Erwerbstätige 28 502 19,0%
Hausfrauen 114 066 76,0%
Sonstige 7 434 5,0%
Männer 65+ 13 293 0,6%
Gesamt 2 134 530 100,0%

Die interne Verteilung des Alterskonstruktes offenbart, den wie zu erwarteten hohen Anteil von
selbsteingeschätzten PensionistInnen mit 92,3%; den zweitgrößten Anteil stellen Frauen im Al-
ter von 60 Jahren und älter, welche sich selbst nicht als PensionistInnen einschätzen, sondern
mit über zwei Drittel als Hausfrauen. In Weiterführung ist zu konstatieren, dass von diesen
114.066 Hausfrauen an die 76% ein Alter von 65 Jahren oder höher haben, folglich würde die-
ser Anteil bei einer kalendarischen Betrachtung einbezogen, nicht jedoch bei einer reinen Be-
trachtung der Hauptaktivität Pension. Das exemplarische Beispiel, soll damit zeigen, welche

247
Hausfrauen (in dem Sinne verstanden, dass jene keine Pension erhalten) sind trotz des Ausschlusses mit dem
Pensionssystem verbunden. Ihnen bleibt der Schritt in die Mindestsicherung, die altersbasiert entlang des Re-
gelpensionsalters über die Notwendigkeit der Arbeitskräfteverwertung entscheidet.
132 Das doppelte Relativ der Altersarmut

Folgewirkungen die einzelnen Operationalisierungen haben können, denn 21.219 der Haus-
frauen im Alter von 65 Jahren oder höher sind als arm zu adressieren. Aus diesem Grund soll
nun auch noch eine kalendarische Perspektive eingenommen werden (siehe Tabelle 12).
Tabelle 12 – Altersstruktur von PensionistInnen
Altersgruppen
Gesamt
bis 19 20-39 40-64 65+
Anzahl 0 3 473 533 658 1 434 104 1971235
Pensionist/in
Anteile 0,0% 0,2% 27,1% 72,8% 100,0%

Wie zu erwarten ist der größte Teil der PensionistInnen 65 Jahre oder älter, wiewohl über 27%
ein jüngeres Alter haben und von diesen an die 56.000 also circa 10% als arm zu adressieren
sind. Die Zusammenführung der beiden Kriterien, kalendarisches Alter und Pensionsstatus, ist
folglich sinnvoll, um Altersarmut flächendeckend zu erfassend. Bevor nun die Frage beantwor-
tet werden kann, in welchem Ausmaß Altersarmut in Wien vorzufinden ist, wird noch Tabelle
13 präsentiert, welche die einzigen (aktuellen) Bundesländerergebnisse auf Basis einer kalen-
darischen Differenzierung zu Altersarmut zusammenfasst.248
Tabelle 13 – Armutsgefährdungsquoten der 65+ im Bundesländervergleich
Bevölkerung 65+ Armutsgefährdet
in 1.000 in 1.000 Quote in %
Burgendland 56 (6) (13)%
Männer 24 - -
Frauen 32 (5) (15)%
Kärnten 107 26 26%
Männer 46 (9) (22)%
Frauen 61 16 27%
Niederösterreich 290 40 13%
Männer 127 (11) (8)%
Frauen 163 (25) (15)%
Oberösterreich 226 (28) (13)%
Männer 96 (7) (7)%
Frauen 130 (19) (16)%
Salzburg 86 (15) (17)%
Männer 38 (4) (15)%
Frauen 48 (10) (21)%
Steiermark 220 40 19%
Männer 93 (11) (13)%
Frauen 127 25 20%
Tirol 113 20 17%
Männer 49 (6) (12)%
Frauen 64 (13) (20)%
Vorarlberg 59 10 (18)%
Männer 26 (3) (13)%
Frauen 33 (5) (15)%
Wien 278 35 13%
Männer 115 11 10%
Frauen 164 24 14%

248
Hierbei handelt es sich um eine Sonderauswertung der Statistik Austria (2013a), welche auf Daten des SILC
und Daten des Mikrozensus zurückgreift. Trotz größerer Stichproben sind die angegeben Werte mit Vorsicht
zu behandeln. Bei geklammerten Werten liegt die Schwankungsbreite zwischen 1/3 und 2/3 des Schätzwerts;
trotzdem lassen sich die Angaben zu mindestens in ihrer Tendenz interpretieren.
Adressat altersarmer Mensch 133

In absoluten Zahlen gesehen, weisen Niederösterreich, die Steiermark und Wien die meisten
armutsgefährdeten älteren Menschen auf; betrachtet man zudem die Quoten, so heben sich vor
allem Kärnten gefolgt von der Steiermark und Vorarlberg mit hohen Anteilen hervor. Wien
reiht sich mit Niederösterreich und dem Burgendland zu jeweils 13% in den niedrigsten Rängen
ein bzw. wurden in der Auswertung von 2013 insgesamt 35.000 ältere WienerInnen als armuts-
gefährdet identifiziert. Über alle Bundesländer hinweg sind anteilsmäßig mehr Frauen betrof-
fen, womit Altersarmut in Österreich als durchgehend feminisiert angesehen werden kann, wie-
wohl circa 70.000 armutsgefährdete, ältere Männer nicht außer Acht gelassen werden sollen.
Hiermit endet die rein kalendarische Betrachtung; zur weiteren Analyse wird nur mehr das vor-
geschlagen Alterskonstrukt genutzt.

Tabelle 14 – Zahl der von Altersarmut betroffenen WienerInnen


Armut bei 60% des Medians
Wien
nicht arm arm Insgesamt
Alterskon- Hochrechnung 334 430 36 203 370 633
strukt Ungewichtete Anzahl 531 47 578
in % 90,2% 9,8%
95%-Konfidenzin- Untere 86,8% 7,1%
tervall Grenze
Obere 92,9% 13,2%
Grenze
Insgesamt Hochrechnung 1 423 853 351 653 1 775 507
Ungewichtete Anzahl 2 066 413 2 479
in % 80,2% 19,8%

Konkludierend lässt sich die Zahl der von Altersarmut betroffenen WienerInnen auf 36.203
Menschen schätzen bzw. 9,8% der als alt klassifizierten Personen. Die Stichprobe, welche für
weitere Analysen der Lebensbedingungen altersarmer WienerInnen genutzt wird, beträgt 578,
wobei ungewichtet 47 Personen als arm zu adressieren sind. Im Vergleich zu Österreich zeich-
net sich, wie auch bereits Angel (2010) konstatiert, eine geringe Prävalenz von Altersarmut in
Wien ab (siehe Tabelle 10 und Tabelle 14). Aufgrund der geringen Fallzahl wird auf eine Ana-
lyse der Geschlechterverhältnisse verzichtet, wie in Tabelle 13 ersichtlich, kann jedoch auch in
diesem Fall von einem Überhang an betroffenen Frauen ausgegangen werden. Vergleicht man
die beiden Hochrechnungen ist die Konstanz der absoluten Zahlen von Altersarmut auffällig.
Einerseits wurden die eigenen Berechnungen mit dem SILC 2016 durchgeführt, die Werte des
Einkommens stammen daher aus 2015; geht man von dem gleichen Messverfahren in der Bun-
desländerauswertung (Tabelle 13) aus, so dürften 3-4 Jahre zwischen den Messzeitpunkten lie-
gen. Große Veränderungen sind in solch einer Zeitspanne gerade bei einer verfestigten Armuts-
situation nicht zu erwarten. Andererseits gab es in Österreich allgemein einen rückläufigen
Trend, der auch für Wien zutreffen dürfte. Die ähnlichen Prävalenzen müssen vor dem Hinter-
grund der Operationalisierung betrachtet werden: das Alterskonstrukt dehnt die Grundgesamt-
heit aus und dürfte daher für einen leichten Rückgang bei einer rein kalendarischen Betrachtung
sprechen. Konkludierend scheint daher Altersarmut in seiner Prävalenz an Bedeutung zu ver-
lieren, trotzdem muss betont werden, dass selbst knapp 10% eine beträchtliche Verwerfung
darstellen und sich nicht ausklammern lassen.
Der SILC ist in seiner Ausgestaltung an einer multidimensionalen Betrachtung von Armut an-
gelehnt und bietet grundsätzlich weitere Informationen zu Gesundheit, Wohnen, materiellen
Bedingungen oder sozialen Beziehungen, im Nachfolgenden wird jedoch nur der materielle
134 Das doppelte Relativ der Altersarmut

Lebensstandard betrachtet. Den Anfang machen vier Indikatoren, die sich dem finanziellen Po-
tential auf Haushaltsebene249 annähern und nur eine Ja/Nein-Beantwortung – abseits einer Ver-
weigerung – zulassen.
Tabelle 15 – Finanzielle Kapazität altersarmer WienerInnen
*Finanzielle Kapazität: Jährlicher Urlaub *Finanzielle Kapazität: Neue
aller Haushaltsmitglieder leistbar250 Kleidung leistbar251
Ja Nein Ja Nein
nicht arm 91,5% 8,5% nicht arm 96,8% (3,2%)
arm (72,4%) (27,6%) arm (83,2%) (16,8%)
*Finanzielle Kapazität: Jeden 2. Tag *Finanzielle Kapazität: Monat-
Hauptgericht leistbar252 lich Gäste bewirten leistbar253
Ja Nein Ja Nein
nicht arm 94,9% (5,1%) nicht arm 91,8% 8,2%
arm (84,1%) (15,9%) arm (72,2%) (27,8%)

In Tabelle 15 zeigt sich die Tendenz, 254 dass die befragten, altersarmen gegenüber alten Wie-
nerinnen eher auf die Bewirtung von Gästen, Urlaube und neue Kleidung verzichten müssen.255
Selbst für geschätzte knapp 16% der von Altersarmut Betroffenen sind Hauptgerichte im Be-
darfsfall nicht leistbar. Aufgrund dessen, dass die Antworten auf Haushaltsebene gewonnen
werden – eine Person beantwortet diese für den gesamten Haushalt – können natürlich die An-
sichten über die Leistbarkeit bei Mehrpersonenhaushalten interpersonell abweichen. Zum Teil
werden Fragen daher auf Personenebene zusätzlich einer Antwortkategorie über den freiwilli-
gen Verzicht gestellt; zwei davon behandeln nochmals die Bekleidung:

249
Es werden die Fragetexte angegeben, um sich ein eigenes Bild über die Datengenese machen zu können; alle
Fragen stammen aus dem Fragebogen zu SILC 2016 österreichische Fassung. Fast bei allen Items wird die
Problematik offenkundig, von diesen auf einen gesellschaftlichen „way of life“ im Sinne Townsend zu schlie-
ßen. Dies wird am Beispiel der „monatlichen Bewirtung“ noch expliziert.
250
„Können Sie [wenn D004010>1: <und die anderen Haushaltsmitglieder>] sich leisten, einmal im Jahr eine
Woche Urlaub an einem anderen Ort zu machen? Dabei ist es egal, ob Sie für die Unterkunft bezahlen, den
Urlaub bei Freunden, Verwandten oder am Nebenwohnsitz verbringen oder Zuschüsse dafür erhalten“.
251
„Können Sie [wenn D004010>1: <und die anderen Haushaltsmitglieder>] sich leisten, bei Bedarf neue Klei-
dung zu kaufen?“.
252
„Können Sie [wenn D004010>1: <und die anderen Haushaltsmitglieder>] sich leisten, jeden zweiten Tag
Fleisch, Fisch oder Geflügel oder eine entsprechende vegetarische Speise zu essen?“.
253
Diese Frage – „Können Sie [wenn D004010>1: <und die anderen Haushaltsmitglieder>] sich leisten, einmal
pro Monat Freunde oder Verwandte zu sich nach Hause zum Essen einzuladen?“ – könnte auch im Bereich
der sozialen Kontakte verortet werden, zielt jedoch in der Intention weniger auf diese ab, als auf das Vermö-
gen, für solch eine Bewirtung die entsprechenden Mittel zu beschaffen. Die Intervieweranweisung macht dies
deutlich: „Es geht darum, ob der Haushalt finanziell in der Lage ist, sich diese Dinge zu leisten. Ob der Haus-
halt tatsächlich einmal im Monat Freunde/Verwandte zu sich zum Essen einlädt, ist dabei unerheblich“. Ohne
Frage lässt die Formulierung deutlichen Interpretationsspielraum über bspw. das Ausmaß oder Qualität der
Bewirtung, was unter „Essen“ zu verstehen ist, etwa im Sinne mehrerer Gänge, kalte bzw. warme Speisen,
ganz zu schweigen von der Anzahl der bewirteten Gäste, welche selbstredend entscheidenden Einfluss auf
den Umfang der benötigten Mittel hat.
254
Da die Ergebnisse auf geringen Fallzahlen beruhen (in der Randverteilung weniger als 50 oder in der Zelle
weniger als 20 Fälle), sind solche Werte geklammert.
255
Auf Basis der ungewichteten Fälle wurden zudem Signifikanztest (Chi-Quadrat und Z-Test auf Basis der Bon-
ferroni-Methode in SPSS) durchgeführt; steht ein „*“ der Itembetitelung voran, sind die Unterschiede signifi-
kant.
Adressat altersarmer Mensch 135

Tabelle 16 – Leistbarkeit von Bekleidung


*Ersetzen abgetragener Kleidung Besitz von mind. 2 Paar Schuhen 257
durch neue256
Ja Nein, aus finanzi- Nein, will Ja Nein, aus finan- Nein,
ellen Gründen das nicht ziellen Gründen will das
nicht nicht nicht
nicht arm 89,7% (4,0%) 6,3% nicht arm 99,1% (0,4%) (0,4%)
arm (69,8%) (19,6%) (10,6%) arm (95,7%) (4,3%) (0,0%)

Zum einen wird das vorangegangene Ergebnis mit einer leicht steigenden Tendenz bei der Klei-
dung bekräftigt, bemerkenswert ist zum anderen der bei altersarmen Menschen etwas höhere
Anteil freiwilligen Verzichts, der sich immer wieder in den Daten finden lässt.258 Wie bereits
angemerkt, deutet dies darauf hin, dass zumindest in manchen Bereichen systematische Präfe-
renzanpassungen vorliegen dürften. Auf ein zweites Paar Schuhe (eines winterfest) wird hin-
gegen weder freiwillig verzichtet, noch sind die angegebenen Unterschiede auf Grund finanzi-
eller Limitationen statistisch signifikant.
In der nachfolgenden Tabelle 17 finden sich ebensolche Fälle – keine signifikanten Unter-
schiede lassen sich beim Vorhandensein von PC bzw. Laptops, Festnetztelefonen bzw. Handys
und einem Internet-Anschluss feststellen. Vor allem Handys bzw. Telefone dürften sich alle
älteren Menschen in Wien leisten können und auch leisten wollen. Bei den beiden anderen
Kategorien ist der Sachverhalt wohl etwas komplexer, da in beiden Fällen der freiwillige Ver-
zicht verhältnismäßig hoch ist. Wichtig wäre hier die Frage – welche sich mittels den vorhan-
denen Daten nicht beantworten lässt –, ob die Gründe des Verzichts gleichen Ursprungs sind,
es sich also eher um Kohorteneffekte (also Geburtsjahrgänge die ohne diese technischen Mittel
aufwuchsen und daher nicht damit umgehen wollen oder können) handelt oder diese durch die
materielle Lage mitbeeinflusst sind und sich dadurch die Gründe zwischen den Gruppen syste-
matisch unterscheiden.259 Signifikante Unterschiede finden sich beim DVD-Player, Waschma-
schine, Geschirrspüler und Besitz eines PKWs. In all diesen Kategorien müssen altersarme
Menschen häufiger aus finanziellen Gründen verzichten. Beim Fernseher ist zwar nicht der
finanzielle, hingegen der freiwillige Verzicht statistisch unterschiedlich und kann wieder ein
Hinweis auf Präferenzanpassungen sein. Besonders häufig wird zudem von altersarmen Wie-
nerInnen auf den PKW und DVD-Player verzichtet; ersteres ist für fast ein Drittel auch finan-
ziell nicht möglich.

256
„Sagen Sie mir bitte, ob Sie die folgenden Dinge tun. Falls nicht, sagen Sie mir bitte, ob das aus finanziellen
Gründen so ist oder ob Sie es nicht wollen. Ersetzen Sie abgetragene Kleidung durch neue (nicht ausschließ-
lich Second-Hand Kleidung)?“.
257
„Haben Sie mindestens zwei Paar Schuhe in passender Größe, davon ein winterfestes?“.
258
In beiderlei Fällen (Kleidung und Schuhe) ist das Ergebnis für die Wiener Stichprobe jedoch nicht signifikant,
betrachtet man die Situation österreichweit (mit entsprechend mehr Fällen) aber sehr wohl. Gleiches gilt auch
für viele der anderen noch folgenden Items. Da hier jedoch nur die Wiener Stichprobe behandelt wird, werden
auch für diese die Werte ausgewiesen; signifikante Unterschiede im freiwilligen Verzicht erhalten einen ge-
sonderten Stern (eine Prüfung erfolgt mittels Chi-Quadrat Test und Z-Test auf Basis der Bonferroni-Methode
in SPSS). Zur gesicherten Überprüfung bräuchte es letzten Endes mehr Fälle.
259
Es ließe sich bspw. daran denken, dass sehr wohl einige ältere, aber nicht arme WienerInnen einen PC aus-
probiert haben, jedoch für sich keinen Nutzen darin erkannten, während altersarme WienerInnen vielleicht
auch die Möglichkeit des Probierens nie hatten und daher keinen Nutzen erkennen können.
136 Das doppelte Relativ der Altersarmut

Tabelle 17 – Finanzielle Kapazität entlang diverser Güter


Finanzielle Kapazität: Vorhanden- *Finanzielle Kapazität: Vorhanden-
sein eines PCs/Laptops260 sein eines DVD-Players
Ja, im Nein, aus fi- Nein, der Ja, im Nein, aus fi- *Nein, der
Haushalt nanziellen Haushalt Haushalt nanziellen Haushalt
vorhan- Gründen will das vorhanden Gründen will das
den nicht vor- nicht haben nicht vor- nicht haben
handen handen
nicht arm 69,9% (2,2%) 27,9% nicht arm 67,9% (2,3%) 29,8%
arm (63,3%) (6,3%) (30,4%) arm (41,7%) (13,6%) (44,7%)
*Finanzielle Kapazität: Vorhanden- Finanzielle Kapazität: Vorhandensein
sein eines Farbfernsehers eines Festnetztelefons oder Handy
Ja, im Nein, aus fi- *Nein, der Ja, im Nein, aus fi- Nein, der
Haushalt nanziellen Haushalt Haushalt nanziellen Haushalt
vorhan- Gründen will das vorhanden Gründen will das
den nicht vor- nicht haben nicht vor- nicht haben
handen handen
nicht arm 96,0% (0,2%) (3,7%) nicht arm 99,1% (0,6%) (0,3%)
arm (88,6%) (1,4%) (10,0%) arm (100,0%) (0,0%) (0,0%)
*Finanzielle Kapazität: Vorhanden- *Finanzielle Kapazität: Vorhanden-
sein einer Waschmaschine sein einer Geschirrspülmaschine
Ja, im Nein, aus fi- Nein, der Ja, im Nein, aus fi- Nein, der
Haushalt nanziellen Haushalt Haushalt nanziellen Haushalt
vorhan- Gründen will das vorhanden Gründen will das
den nicht vor- nicht haben nicht vor- nicht haben
handen handen
nicht arm 97,6% (0,0%) (2,4%) nicht arm 67,1% (4,8%) 28,1%
arm (91,7%) (8,3%) (0,0%) arm (55,9%) (12,2%) (32,0%)
*Finanzielle Kapazität: Vorhanden- Finanzielle Kapazität: Vorhandensein
sein eines privaten PKWs eines Internet-Anschlusses
Ja, im Nein, aus fi- *Nein, der Ja, im Nein, aus fi- Nein, der
Haushalt nanziellen Haushalt Haushalt nanziellen Haushalt
vorhan- Gründen will das vorhanden Gründen will das
den nicht vor- nicht haben nicht vor- nicht haben
handen handen
nicht arm 65,1% 5,5% 29,4% nicht arm 77,6% (2,1%) 20,3%
arm (26,7%) (29,3%) (43,9%) arm (76,1%) (0,0%) (23,9%)

Zusammenfassend zeigt sich für altersarme WienerInnen eine, in einigen Bereichen vermehrte
Problemlage bei Gütern, auf die sie durch die geringen finanziellen Mittel verzichten zu müssen
und deutet damit auf angespannte Lebensbedingungen hin. Positiv muss hervorgestrichen wer-
den, dass sich die Prävalenzen von Unterversorgungen mit materiellen Gütern in Grenzen hal-
ten (wenn man die Frage nach der Wirkung der freiwilligen Verzichtskategorie ausklammert),
trotzdem es sozialpolitisch kritisch zu hinterfragen ist, warum selbst Grundbedarfe, wie der
Kauf neuer Kleidung oder der frequenten Einnahme von Hauptgerichten nicht von jeder und
jedem realisiert werden kann. Auch zeigen Zahlungsrückstände im Bereich von Mieten (siehe
Tabelle 18)– zusammen hat etwas über 15% der altersarmen WienerInnen zumindest einmal in
den letzten zwölf Monaten einen Rückstand bzw. 11,1% gar zweimal oder öfters – auf die pre-
käre Wohnsituation, während die Hälfte der altersarmen WienerInnen nicht die Möglichkeit

260
„Gibt es in Ihrem Haushalt… ...einen PC/Laptop (AUCH iPads, Tablets); ...ein Festnetztelefon oder Handy;
...einen Fernseher; ...einen Internet-Anschluss; ...einen DVD-Player; ...eine Waschmaschine (auch in Gemein-
schaftswaschküche); ...eine Geschirrspülmaschine; ...einen privaten PKW (AUCH privat genutzten Firmen-
wagen)?“.
Adressat altersarmer Mensch 137

hat, zumindest 15 Euro im Monat zu sparen. Dass somit größere Anschaffung für knapp 60%
der altersarmen WienerInnen nicht möglich sind, zeigt die eng Bemessung der Ressourcen.
Tabelle 18 – Zahlungsrückstande und Möglichkeit zu Sparen
Zahlungsrückstand Wohnne- *Zahlungsrückstand Miete in den letzten 12
benkosten in den letzten 12 Monaten
Monaten
Ja, ein- Ja, zwei- Nein Ja, ein- Ja, zweimal oder öfter Nein
mal mal oder mal
öfter
nicht arm (0,2%) (2,0%) 97,8% nicht arm (1,3%) 1,7% 96,9%
arm (0,0%) (1,5%) (98,5%) arm (5,2%) (11,1%) (83,6%)
*Jedes Monat 15 Euro sparen *Finanzielle Kapazität: Unerwartete Ausga-
ben aus eigenen Mitteln finanzierbar
Ja Nein, aus Nein, Ja Nein
finanziel- will das
len Grün- nicht
den nicht
nicht arm 77,1% 14,0% 8,9% nicht arm 84,0% 16,0%
arm (39,7%) (51,1%) (9,2%) arm (40,8%) (59,2%)

Deutlich wird die Problematik, wenn danach gefragt wird, ob mit den vorhandenen finanziellen
Mitteln ein Auslangen gefunden werden kann.261 Abbildung 4 macht den Unterschied zwischen
altersarmen und alten WienerInnen deutlich. Während 23,4% der von Altersarmut Betroffenen
mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, sind es bei den nichtarmen WienerInnen 3,6%.
Zusammen dürften hochgerechnet 80% bzw. knapp 30.000 altersarme WienerInnen Schwierig-
keiten finanziell monatlich über die Runden zu kommen. Nahezu umgekehrt geht es den nicht-
armen, älteren WienerInnen, welche zu 70% zu mindestens „eher leicht“ auskommen. Auch
wenn einige Indikatoren nur bedingt auf finanzielle Limitationen hinweisen, was wie gesagt
positiv zu werten ist, so ist die Gesamtsituation, um auch dies nochmals zu wiederholen, durch-
aus angespannt.

40,0%
33,5%
35,0%
29,8%
30,0% 26,6%
23,4% 24,6%
25,0%
19,0%
20,0%
13,9%
15,0%
7,1% 8,6%
10,0% 6,6%
3,6% 3,4%
5,0%
0,0%
Mit großen Mit Mit einigen Eher leicht Leicht Sehr leicht
Schwierigkeiten Schwierigkeiten Schwierigkeiten

nicht arm arm

Abbildung 4 – Auslangen mit dem Einkommen

261
„[wenn D004010>1: <Wie kommt Ihr Haushalt mit diesem Einkommen aus?>; ansonsten: <Wie kommen Sie
mit diesem Einkommen aus?>] (Das heißt wie leicht oder schwer können laufende Ausgaben getätigt werden.)
(Haushaltseinkommen: Alle Einkünfte aller Haushaltsmitglieder: Erwerbseinkommen, Pensionen, Sozialleis-
tungen (z.B. Familienbeihilfe), regelmäßige private Geldleistungen usw.) (VOR Abzug allfälliger Ausgaben
wie z.B. Miete)“.
138 Das doppelte Relativ der Altersarmut

Die befragten (nicht hochgerechnet) WienerInnen und Wiener verorten das notwenige Haus-
haltseinkommen262 (aufgrund unterschiedlicher Größe wurde es entsprechend der EU-Skala
äquivalisiert) im Schnitt bei 915 Euro, wenn sie altersarm sind, bzw. bei 1396 Euro , wenn sie
nicht altersarm sind; die Mindeststandards liegen, wie gezeigt wurde, unter diesen Zahlen.
Grosso modo dürfte der Schnitt älterer Menschen folglich nicht mit den Mindestleistungen zu-
frieden sein, hier dürfte aber die Bestimmung des Eigenbedarfs und des Fremdbedarfs eklatant
auseinanderfallen, denn die Forderungen nach Erhöhungen der Ausgleichszulage sind bekannt-
lich verhalten.

arm € 915

nicht arm € 1 396

€0 € 200 € 400 € 600 € 800 € 1 000 € 1 200 € 1 400 € 1 600

Abbildung 5 – Selbsteingeschätztes, notwendiges Mindest-Haushaltseinkommen (äquivalisiert)

2.5 Lebenslagen in Altersarmut


Der Begriff der Lebenslage ist, wie bereits angedeutet wurde, älteren Datums und findet sich
in Engels 1845 erschienenem Werk über „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“263 oder
in dem von Weber 1892 erschienenen Werk über „ Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen
Deutschland“. Seine erste theoretische Fundierung erhielt er jedoch erst einige Zeit später durch
Neurath.264 Heute ist der Begriff nicht mehr wegzudenken (siehe zur vielfältigen Anwendung
Romahn & Rehfeld, 2015; Backes, 1997b; Voges u. a., 2003, S. 37) und hat sich in der Sozial-
gerontologie ebenso wie in der Armuts- und Ungleichheitsforschung etabliert. Er gilt in den
Sozialwissenschaften als ein Konzept zur „Beschreibung, Erklärung, Beurteilung und Prognose
der materiellen und immateriellen Lebensverhältnisse von Personengruppen“ (Naegele, 1998,
S. 105), wobei je nach Forschungsstrang unterschiedliche Lebenslagendimensionen bzw. ein-
zelne Merkmale auf horizontaler und vertikaler Achse hervorgehoben werden. Wie Voges
(2006, S. 1) herausstellt, handelt es sich weniger um eine deduktiv abgeleitet Theorie, sondern

262
„Was ist Ihrer Meinung nach das geringste monatliche Nettoeinkommen, das Ihr Haushalt benötigt, um gerade
noch auszukommen? (Unter Berücksichtigung der aktuellen Haushaltszusammensetzung und der aktuellen
notwendigen Ausgaben) (Alle Einkünfte aller Haushaltsmitglieder: Erwerbseinkommen, Pensionen, Sozial-
leistungen (z.B. Familienbeihilfe), regelmäßige private Geldleistungen usw.)“. Leider gibt es keine Hinweise,
ob die Interviewten hier die 13. und 14. Auszahlung einbeziehen soll oder nicht – daher bleibt die Klarstellung
darüber offen.
263
Bspw. schrieb Engels (1990, S. 304) im Verlauf seiner Arbeit: „Die Arbeiterklasse der großen Städte bietet
uns so eine Stufenleiter verschiedener Lebenslagen dar - im günstigsten Falle eine temporär erträgliche Exis-
tenz, für angestrengte Arbeit guten Lohn, gute Wohnung und gerade keine schlechte Nahrung - alles natürlich
vom Arbeiterstandpunkt aus gut und erträglich - im schlimmsten bitteres Elend, das sich bis zur Obdachlosig-
keit und dem Hungertode steigern kann; der Durchschnitt liegt aber dem schlimmsten Falle weit näher als
dem besten“. Auch Engels sah damit die Lebenslage als eine umfassendere Einheit, welche er durch Dimen-
sionen des Wohnens, der Nahrung, Gesundheit usw. beschrieb.
264
Husi & Meier Kressig (1998) erwähnen die Begriffsverwendung bei Marx – „Das Kapital“ von 1867 – und
bei Marx und Engels – „Manifest der Kommunistischen Partei“ von 1848 –, wobei eine sporadische Verwen-
dung konstatiert werden kann und der Begriff auf abstraktem Niveau die Lebenssituation zum Ausdruck
bringt.
Lebenslagen in Altersarmut 139

eher um ad-hoc Theorien mittlerer Reichweite, welchen theoretisch konsistente Erklärungsmo-


delle fehlen. Mit der Vielzahl konzeptioneller wie methodischer Versuche ging, wie Backes
(1997, S. 709) konstatiert, eine Vielfalt von Definitionen und Operationalisierungen einher.
Theoretisch-konzeptionelle Ausarbeitungen blieben jedoch in der Minderheit und eine empiri-
sche wie anwendungsorientierte, aber auch umgangssprachliche Verwendung standen und ste-
hen häufig im Vordergrund. Trotzdem haben sich in der Armutsforschung zumindest in jünge-
rer Zeit drei charakteristische Merkmal bzw. Ansprüche einer lebenslagenorientierten Konzep-
tion ausdifferenziert, welche mal mehr oder weniger in die empirische Umsetzung gelangen
(vgl. Allmendinger & Hinz, 1999, S. 19ff.; Engels, 2008):
• Mehrebenen: Es wird versucht Marko- und Mikroebene zu verschränken – einerseits
die äußeren Bedingungen zu analysieren, wie andererseits mittels Subjektorientierung
dem Einbezug von individuellen Wahrnehmungen und Handlungsorientierungen Rech-
nung zu tragen.265 Der Übergang zu Begriffen wie der Lebensqualität ist fließend; Zapf,
(1987, S. 14) modellierte etwa die Lebenslage als Zusammenspiel von objektiven Le-
bensbedingungen und der subjektiv wahrgenommenen Lebensqualität.266
• Multidimensionalität: Die Lebenslage einer Person ist als eine Einheit zu denken und
soll möglichst umfassend analysiert werden. Immaterielle und materielle Dimensionen
gilt es auf analytischer Ebene zu erfassen.
• Multikausalität: Vor dem Hintergrund der Einheit der Lebenslage sind die verschiede-
nen Lebenslagendimensionen in einem Beziehungsgeflecht zu sehen. Die Unterversor-
gung in einer Dimension, kann zur Versorgung in anderen Dimensionen beitragen.
Wechselwirkungen sind ein zentraler Gegenstand der Analyse.
Zusammenfassend handelt es sich bei der Lebenslagenanalyse um ein Mehrebenenkonzept,
welches gepaart mit Multidimensionalität materielle/immaterielle, subjektive/objektive Dimen-
sionen berücksichtigt und die sich daraus ergebenden Lebenslagen als Explanandum und zu-
gleich Explanans versteht (Glatzer & Neumann, 1993, S. 45; Voges, 2002, S. 22; Voges u. a.,
2003). Die prozesshafte Perspektive beschreibt Backes (1997, S. 717f.) folgendermaßen: Be-
dingt durch ungleichheitsrelevante Kriterien (Strukturmerkmale von Lebenslage) kommt es zu
spezifischen Kombinationen partieller objektiver Statuslagen (Einkommensstatus, Altersstatus)
bzw. zu Kontexten objektiv ungleicher Handlungsbedingungen (Spielräumen, die die Gesell-
schaft dem einzelnen zur Entfaltung und Befriedigung seiner Bedürfnisse bietet), die subjektiv
unterschiedlich interpretiert werden. Dies äußert sich empirisch in Dimensionen der Lebens-
lage: In objektiv und subjektiv ungleicher materieller und immaterieller Lagen (Einkommen,
Wohnen, Gesundheit, Kontakte, Beschäftigung) und konstituiert die ungleichen Spielräume,
die sich gegenseitig verstärken oder kompensieren können. Wie es zu diesem Verständnis
kommt, soll im Nachfolgenden dargelegt werden. Hierfür werden die Ursprünge des Konzeptes
aufgegriffen, wobei der Fokus auf den Ausarbeitungen von Neurath und Weisser liegen wird.
Ersterer hat bereits wichtige Teile zu den oben erwähnten Grundprämissen ausgearbeitet, die
trotzdem – unverständlicher Weise – eher selten rezeptiert wurden. Im Anschluss werden Er-
wägungen von Weisser aufgegriffen bzw. die Weiterführungen bei Nahnsen angeführt. Vor
allem zu Weisser liegen umfängliche Ausarbeitungen vor (vgl. Amann, 1983; Andretta, 1991;

265
Amann (1983, S. 136) mahnt hier ein, die Mesoebene in ihrer Funktion als Bindeglied zwischen Mikro- und
Makroebene als Allokations-, Steuerungs- und Kontrollagenten ebenso zu berücksichtigen.
266
Glatzer & Zapf (1984) stellen hingegen die Lebensqualität voran, welche sich aus Lebensbedingungen und
Wohlbefinden zusammensetzt und rekurrieren hierbei auf das Wohlfahrtskonzept von Allardt & Uusitalo
(1972) bzw. Allardt (1974).
140 Das doppelte Relativ der Altersarmut

Leßmann, 2007; Schmidtke, 2008); wohl lag die Verwendung seines Konzepts in der Armuts-
forschung näher, da dieser Begriffe wie Existenzminimum und sozial Schwache integrierte;
andererseits werden in seiner Konzeption aus sozialpolitischer Perspektive die äußeren (objek-
tiven) Lebensbedingungen betont, während die Subjektorientierung (abseits des Begriffs der
Interessen) eine Ausklammerung erfährt. Deutlich wird dies etwa in der empirischen Umset-
zung von Nahnsen (1992), welche im Vergleich von DDR und BRD die Makrobedingungen im
Blick hat oder Andretta (1991, S. 102ff.), die die Lebenslagen Jugendlicher durch Aggregatda-
ten und Strukturbedingungen beschreibt. Zusammen lassen sich aus diesen Einsichten gewin-
nen, welche in Verquickung mit neueren Ansätzen von Amann (1983), Voges (2002) und Vo-
ges u. a. (2003) zur lebenslagenorientierten Perspektive dieser Arbeit führt. Hierbei wird sich
auch zeigen, dass die Lebenslagenansätze Schwächen aufweisen, welche zu der Kritik der The-
orielosigkeit wohl beigetragen haben, auch wenn nicht alle VertreterInnen diese Sicht teilen
bzw. eine pragmatische Lösung beschreiten.267 Die Rede ist davon, dass sich aus dem Lebens-
lagenansatz nicht deduzieren lässt, welche Dimensionen zu beachten sind, sieht man von dem
Anspruch, möglichst umfänglich zu arbeiten, einmal ab. Die Problematik wird nicht oder nur
wenig virulent, wenn das Unternehmen einer umfangreichen Erfassung beschritten wird, wie
dies etwa in Kompendien der Sozialgerontologie der Fall ist (vgl. Backes & Clemens, 2013).
Hingegen stellt es die Armutsforschung vor eine Herausforderung, wenn man die Armutsdefi-
nition lebenslagenorientiert fundieren und mehrere Dimensionen einbeziehen möchte. Diese
Thematik der Definition stellt sich für diese Arbeit aber nicht, da Armut als eine von außen
herangetragene Attribuierung festgelegt wurde. Trotzdem ist die Frage zu behandeln, da in An-
betracht der Ressourcen Einschränkungen nötig waren. Hierzu wird auf einen Argumentations-
gang von Hradil (1987) zurückgegriffen, welcher in Weiterentwicklung der Sozialstrukturana-
lyse vor demselben, praktischen Problem der Dimensionswahl stand. Abschließend werden die
Dimensionen Gesundheit, soziale Beziehungen und Wohnen näher betrachtet – damit soll auf-
gezeigt werden, warum es sich für ältere Menschen bzw. im Kontext von Armut jeweils um
relevante Dimensionen handelt. Hierfür werden Ergebnisse aus den empirischen Arbeiten auf-
gegriffen.

2.5.1 Würdigung der Ursprünge


Das Nachfolgende zeigt die Ursprünge der lebenslagenorientierten Ansätze auf, da diese zent-
rale Aspekte aktuellerer Konzeptionen beinhalten. Wichtig scheint es anzumerken, dass, wie
Leßmann (2007, S. 61) akribisch ausarbeitet, Weissers Ansatz nicht per se als Weiterentwick-
lung von Neuraths Arbeit gesehen werden kann, sondern teils anderen theoretischen Grundbau-
steinen entspringt, welche zu deutlichen Unterschieden der beiden Ansätze beitrug. In der Zu-
sammenschau lassen sich daher die neueren Entwürfe nachvollziehen, welche Elemente aus
beiden kombinieren.268

• Lebenslagenansatz nach Neurath


Vor dem Hintergrund – wie Voges u. a. (2003, S. 38) und Amann (1983, S. 128) konstatieren
– der Ergebnisse seiner Studien zur Kriegswirtschaftslehre, wonach der Lebensstandard im

267
Ein Kritikpunkt bezieht sich darauf, dass zwar in neueren Formulierungen des Ansatzes Struktur- und Hand-
lungseben ineinander fließen, wiewohl theoretische Fundierungen dazu fehlen (u.a. Schroeter, 2001); dieser
Punkt kann im Nachfolgenden nur angeschnitten werden, da dies nach einer umfassenden Integration unter-
schiedlicher Theoriebausteine verlangen würde.
268
Leßmann (2007, S. 323) kritisiert diese undifferenzierte Übernahme – dem ist jedoch zu entgegen, dass sich
theoretische Reformulierungen weder rein in akribischen Vergleichsarbeiten noch im zwanghaften Festhalten
eines Strangs ergeben, sondern auch aus innovativen (Zusammen)schlüssen.
Lebenslagen in Altersarmut 141

Zuge kriegsbedingter Einschränkungen von Marktmechanismen zugenommen hatte (ebenso


Leßmann, 2007, S. 64), erarbeitete Neurath, auch um ein einheitliches Begriffsgebäude der
Wirtschaftslehre zu etablieren (vgl. Neurath, 1917), einen theoretischen Ansatz der Lebensla-
gen.269 Zentral sind vier Begriffe: Lebensboden, Lebensordnung, Lebenslage und die sich dar-
aus ergebende Lebensstimmung das eigentlich Ziel seiner Überlegungen. „Das menschliche
Gefüge, der jeweils untersuchte Reizverband, erscheint eingebettet in einen Lebensboden, von
ihm beeinflußt, ihn beeinflussend. [...] Der Lebensboden erscheint als Reiz, der auf die Lebens-
ordnung ausgeübt wird, so daß sie sich ändert“ (Neurath, 1931, S. 112). Lebensboden kann als
Umwelt270 – bzw. als „ein Stück Welt mit all seinen Bestandteilen“ (Neurath, 1925, S. 271)
interpretiert werden, welche Einfluss auf die Lebensordnung hat und diese selbst in gewissem
Rahmen kontingent ist. „Ein Jägervolk an die Küste [Lebensboden] verschlagen wird den
Fischfang beginnen. Die Verknüpfung der Menschen wird sich ändern, ihre Lebensordnung.“
(Neurath, 1931, S. 112). So können bei gleichem Lebensboden verschiedene Lebensordnungen
auftreten, welche unterschiedliche Reize erzeugen (vgl. Neurath, 1931, S. 113), die dadurch zu
verschiedenen Ausprägungen der Lebenslagen führen. Die Lebensordnung ist dabei der „Inbe-
griff von Handlungen, Maßnahmen, Sitten, Gebräuchen und derlei mehr [..], welche für Ein-
zelmenschen271 oder Völker charakteristisch sind“ (Neurath, 1917, S. 492, in ähnlicher Fassung
1925, S. 31) bzw. „die Gesamtheit der Gewohnheiten, ihre Abänderung, ob es sich um Ände-
rungen der Gewohnheiten selbst oder um Kombination handelt“ (Neurath, 1931, S. 112). Voges
u. a. (2003, S. 38) interpretieren dies als das soziale Beziehungsgeflecht; wonach m.E. allge-
mein von soziokulturellen Strukturen ausgegangen werden kann (vgl. Neurath, 1931, S. 109ff.
bzw. 118).272 Der Lebensordnung misst Neurath größeren Stellenwert bei als dem Lebensboden
in der Verteilung der Lebenslagen. Er spricht auch von der Lebenslagenleistung einer Lebens-
ordnung und kritisiert an dieser Stelle etwa Malthus Bevölkerungsgesetz, wobei er schlussfol-
gert: „Jedes Zeitalter, jede Lebensordnung hat ihr Bevölkerungsgesetz“ (Neurath, 1931, S.

269
Neurath verstand sich als Gesellschaftstechniker, dessen Aufgabe es sei, die soziale Situation der Menschen
zu verbessern (vgl. Hegselmann, 1979, S. 31).
270
„Man kann soziologische Betrachtungen damit beginnen, daß man eine Gruppe innerhalb ihrer Umgebung
beschreibt, innerhalb der Wälder und Flüsse, Sümpfe und Bakterien, Werkzeuge und Häuser, die sie eben zur
Verfügung hat. Klima, geographische Verhältnisse, kurzum alles, was für das Verhalten von Bedeutung ist,
gehört zum Lebensboden eines Volkes“ (Neurath, 1931, S. 116). Amann (1983, S. 132) interpretiert dies um-
fänglich und bezieht die Gesundheit, Bildung, das politische Bewusstsein oder die individuellen Bedürfnisse
im Lebensboden mit ein.
271
An dieser Stelle spricht Neurath zwar auch von Einzelmenschen, bezieht die Lebensordnung in späteren Tex-
ten eher auf den konkreten Verband (vgl. Neurath, 1931, S. 113).
272
Neurath selbst lässt jedoch gerade beim Begriff der Lebensordnung großen Interpretationsspielraum: ausge-
hend von seiner Arbeit aus 1917, wird zwar die Lebensordnung an sich sehr allgemein gefasst, zugleich
zentriert er seine Analyseabsichten auf die Wirtschaftsordnung. Wirtschaft leitet er dabei aus der Wirtschaft-
lichkeit ab, welche auf Bedingungen für die Lebensstimmung bezogen werden. Kurz: eine Bedingung ist wirt-
schaftlicher, wenn sie eine günstigere Lebensstimmung erzeugt. „Wir haben die Wirtschaftlichkeitsbetrach-
tung so allgemein gefaßt, daß Bedingungen jeder Art auf ihre Wirtschaftlichkeit hin mit anderen verglichen
werden können. Es können dabei auch jene auslösenden Bedingungen in Frage stehen, welche menschliche
Handlungen betreffen“, woraus Neurath (1917, S. 492) folgert: „Soweit wir eine Gruppe von Handlungen
oder eine Lebensordnung auf ihre Wirtschaftlichkeit hin untersuchen, wollen wir sie Wirtschaft nennen“. Ab-
gewandelt wird dies wenige Jahre später: „Soweit wir rechnend und schematisierend diese Abhängigkeit der
Lebensstimmung von der Lebensordnung erfassen können, nennen wir die Lebensordnung ,Wirtschaftsord-
nung‘ oder ,Wirtschaft‘, und sagen, die Wirtschaftlichkeit einer Wirtschaftsordnung sei höher als die einer
zweiten, wenn die erste demselben Lebensboden beglückender Lebenslagen als die andere zu entlocken ver-
mag“ (Neurath, 1920, S. 47; zitiert nach Leßmann, 2007, S. 67). Diese enge Verknüpfung findet sich bei
Neurath (1931, S. 109ff.) nicht mehr, stattdessen erhebt er den Anspruch: „Was bedeutet die Lebensordnung
für den Menschen, das ist die gesellschaftstechnische Frage, um die sich die Soziologie gruppiert, soweit sie
aus gestaltendem Leben hervorgeht“ (Neurath, 1931, S. 113).
142 Das doppelte Relativ der Altersarmut

120); zugleich ist hiermit auch auf die Veränderlichkeit bzw. Wandelbarkeit der Lebensord-
nung hingewiesen. Der Bedeutungsverlust des Lebensbodens wird zudem durch technologische
Entwicklungen vorangetrieben, wodurch geographische Bedingungen veränderbar bzw. wider-
setzbar werden (vgl. Neurath, 1931, S. 118). Trotz der Relevanz der Lebensordnung verfolgt
Neurath ein Schema, welches von einem bestimmten Lebensboden ausgeht, die Lebensordnung
in die Betrachtung einbezieht, um nun danach zu fragen, wie sich die Lebenslagen entwickeln;
aufgegeben wird folglich der Lebensboden für die Analyse nicht.273 Dies dürfte sich auch
dadurch erklären, dass die Lebenslage „gewissermaßen der Reiz [ist], welchen die Lebensord-
nung in Verbindung mit dem Lebensboden schafft“ (Neurath, 1931, S. 113) und zugleich
„selbst zu einem Stück Lebensboden“ (Neurath, 1931, S. 119) wird. Damit ist verdeutlicht, dass
eine erzeugte Lebenslage auch den Ausgangspunkt für zukünftige Lebenslagen darstellt (vgl.
Knecht, 2010, S. 29). Zusammen sind alle drei Ebenen daher in Wechselbeziehung und einer
fortwährenden Veränderung unterworfen.274 Die Lebenslage ist nun „der Inbegriff all der Um-
stände, die verhältnismäßig unmittelbar die Verhaltungsweise eines Menschen, seinen
Schmerz, seine Freude bedingen. Wohnung, Nahrung, Kleidung, Gesundheitspflege, Bücher,
Theater, freundliche menschliche Umgebung, all das gehört zur Lebenslage, auch die Menge
der Malariakeime, die bedrohlich einwirken. Sie ist die Bedingung jenes Verhaltens, das wir
als Lebensstimmung275 kennzeichnen. Wir sprechen von einer schlechteren Lebenslage, wenn
die Stimmung eines Menschen durch solche Lebenslage im Allgemeinen herabgedrückt wird.
Das setzt freilich voraus, daß man Lebensstimmungen in eine Reihe bringen kann, daß man von
mehr oder minder glücklichem Ausdruck eines Menschen zu sprechen sich getraut, daß man
sogar die Verhaltungsweisen zweier Menschen in diesem Sinne zu vergleichen wagt“ (Neurath,
1931, S. 125). Die Lebenslage, „welche wir ,möglichst nahe' an das Lebensstimmungssubjekt
heranrücken“ (Neurath, 1925, S. 31),276 ist damit als quantitative und qualitative Ausstattung

273
So resümiert er etwa über die die Situation in England des 19. Jahrhunderts: „Der Lebensboden ist offenbar
nicht die Ursache der niedrigen Lebenslagen einzelner, ja nicht einmal eine einfache Lebensordnung der Art,
daß die reichen Leute den Armen eben alles wegessen, ihren Luxus durch Arbeit herstellen lassen, die sonst
den breiten Massen Wohnung und Nahrung schaffen würde. Nein die Dinge liegen wesentlich komplizierter.
Die Lebensordnung ist so beschaffen, daß ein Teil der Bevölkerung, der arbeitslos ist, einen Druck auf die
anderen Arbeitenden ausübt, so daß sie bereit sind, unter ungünstigen Bedingungen für die Reichen zu arbei-
ten“ (Neurath, 1931, S. 123)
274
Ein aktuelles Beispiel, inwiefern Lebensboden und Lebensordnung in Zusammenhang stehen, lässt sich in
Island finden, wo im Finnafjord ein großer Containerhafen (als eine Konsequenz der durch klimatische Be-
dingungen sich öffnenden Nord-Ost-Passage) geplant ist. Dieser Wandel wird nicht nur Einfluss auf die Be-
völkerung haben (eine sich verändernde Lebenslagen etwa unter dem Gesichtspunkt veränderter Arbeitsbe-
dingungen), welche aktuell vom Fischfang lebt, sondern auch die Landschaft verändern und womöglich zu
einem schnelleren Abschmelzen des Eises beitragen.
275
Andernorts, aber in gleiche Richtung zielend schreibt dieser: „Den Ablauf des Erlebens eines Menschen wol-
len wir, soweit seine Erfreulichkeit in Betracht gezogen wird, die Lebensstimmung eines Lebensstimmungs-
subjektes innerhalb eines bestimmten Zeitabschnittes nennen“ (Neurath, 1917, S. 485), welche mit dem Erle-
ben aller Art in Zusammenhang stehen.
276
Die Unmittelbarkeit bzw. (räumliche) Nähe der Lebenslage zum Menschen expliziert Neurath daran, dass es
für die Erfassung der Lebensstimmung genüge, „wenn man gewisse Veränderungen innerhalb des menschli-
chen Körpers, die man gemeinhin in das Gehirn verlegt, kennen würde“ (Neurath, 1917, S. 488). Diese letzt-
möglich erfassbaren Bedingungen werden als die Innenlagen der Lebensstimmung bezeichnet und hängen von
Bestimmungsstücken des Lebensbodens ab – der Begriff der Lebensordnung ist zwar bereits in diesem Text
angelegt, Verbindungen zur Lebensstimmung sind abseits einer kurzen Erwähnung wiewohl eher implizit
(vgl. Neurath, 1917) –, welche er als die Lebenslagen bezeichnet und damit genau genommen Ernährungszu-
stand oder den Erwärmungszustand der Haut meint. Erst in einem zweiten Schritt dehnt er den Begriff aus,
womit „etwa das Brot, welches gerade zur Verdauung gelangt, an Stelle des Verdauungszustandes, das Kleid,
welches die Erwärmung der Haut unmittelbar bedingt, an Stelle des Erwärmungszustandes zur Lebenslage im
weiteren Sinne“ (Neurath, 1917, S. 489) gerechnet werden kann.
Lebenslagen in Altersarmut 143

mit Lebensgütern, Lebenschancen (vgl. Amann, 1983, S. 129) oder allgemeiner den unmittel-
baren, gesamten Lebensbedingungen eines Menschen definiert, womit sich Neurath (1937, S.
140f.) bewusst von einer auf Einkommen und Konsum zentrierten Konzeption abgrenzt, da
ansonsten nicht alle (positiven und im Besonderen negative) Aspekte erfasst werden können.277
Die Offenheit führt ähnlich der Bestimmung im Capability Ansatz (zumindest in forschungs-
pragmatischer Konsequenz) zur Frage, was nun zur Lebenslage gerechnet werden soll und
bleibt in diesem Bereich relativ vage bzw. unsystematisch (auch Husi & Meier Kressig, 1998,
S. 263) – „The main task, however, is to define the elements which are characteristic for the
standard of living. We cannot regard it as a weight made up of the sum of the weights of the
various parts. We cannot even specifically enumerate all the things which might be counted in
the standard of living” (Neurath, 1937, S. 143). Zweierlei Einschränkungen führt er gleichfalls
an: Einerseits sei auf jene Teile zu fokussieren, welche sich als wichtig für die Lebenslage
erwiesen haben, andererseits leite die Problemdefinition die Sammlung von Daten an.278 Neu-
rath betont darüber hinaus die Notwendigkeit, nicht nur Quantitäten zu berücksichtigen (etwa
die Größe eines Gartens), sondern auch Qualitäten (etwa die Zeit, die in diesem Garten ver-
bracht werden kann) und dass die einzelnen Elemente immer in Verflechtung zu sehen sind
(vgl. u.a. Neurath, 1925, S. 28). „The standard of living approach provides the opportunity for
constantly keeping in mind the relationship of each social element with the standard of living
and it avoids the calculation of accidents apart from production” (Neurath, 1937, S. 150). Im
Besonderen ist daher auf die Kombination von Elementen der Lebenslage zu achten, 279 denn
gerade in der Wechselwirkung können erst sowohl negative wie auch positive Effekte entste-
hen.280 Damit ist auf die Orientierung am Totalitätsbegriff verwiesen, welche für die Sozialfor-
schung aber nur tentativen Charakter haben kann (vgl. Amann, 1983, S. 135).

277
Neurath (1937) übersetzt seinen Begriff der Lebenslagen in das Englische mit „standard of living“ und muss
von den Bestimmungsversuchen, welche bspw. Townsend unternahm, abgegrenzt werden, zugleich sind Pa-
rallelen zu konstatieren – „The inventory of standard of living also shows what individuals have ‚made‘ of
given possibilities. The figures on real income indicate what can be bought with money income. The sum of
real incomes is, therefore, a fictitious quantity which may be of value for certain considerations, but the in-
ventory of standard of living gives us a view of the actual life of men. It can easily happen that some persons
with the same income have a higher standard of living than others; they use their money in a different way”
(Neurath, 1937, S. 147).
278
“Research into the standard of living should include those data which experience has shown to be character-
istic or important for the standard of living, such as social life, family conditions and school relationships. One
could conceivably include the appearance of certain conflicts, restrictions, etc., in order to obtain a good basis
for establishing the ‘state of felicity’. The very precision in formulating the problem itself prevents us from
slipping into unbounded activity and from gathering too much "accidental" material. For, just as theoretical
work suffers from the lack of opportunity to work up sufficient concrete material, so the amassing of obser-
vational material without a strict definition of concepts and a strict formulation of the problem can lead to a
dissipation of forces which often contributes to underrating the significance of the assembling of material”
(Neurath, 1937, S. 148). An anderer Stelle gibt er zudem den Hinweis: “Zur Lebenslage des Menschen gehört
ihm ebenso die Vorstellung von der Knechtung und Abhängigkeit, wie die schlechte Ernährung und Behau-
sung. Die Freiheitsempfindung, die Empfindung, Teil eines Ganzen zu sein, die Mitwirkung am gesamten
Leben der Gemeinschaft ist ebenfalls Teil der Lebenslage“ (Neurath, 1925, S. 26). Hiermit zeigen sich deutlich
Parallelen zu der Bestimmung von Allardt & Uusitalo (1972) mit den Begriffen „having“, „loving“ und
„being“.
279
Auch Amann (2000b, S. 66) konstatiert die Notwendigkeit multivariate Zusammenhänge aufzudecken und
den Kontext mitzudenken (ebenso Hradil, 1987, S. 148ff.).
280
„If a hospital having 500 tuberculosis patients cures 50, while 10 out of 50 nurses contract tuberculosis, it has
accomplished less than another hospital which only cures 45 out of 500 but which sees to it that no nurse
contracts the disease. If one makes two separate computations, the first hospital appears to be more effective,
but not when one makes a combined computation” (Neurath, 1937, S. 150).
144 Das doppelte Relativ der Altersarmut

Wie ersichtlich wurde, verbindet Neurath die Lebenslage mit der Lebensstimmung eines Le-
bensstimmungssubjektes – wie bereits erwähnt, ist dies das eigentliche Ziel seines Vorhabens
und auch mit den Begriffspaaren „Glück/Unglück“ bzw. „Erfreulichkeit/Unerfreulichkeit“
gleichgesetzt. Lebensstimmungen können jedoch nicht direkt erschlossen werden – "wir kön-
nen sie nur erschließen, durch Einfühlung zu ergründen uns bemühen" (Neurath, 1925, S. 35).
In Folge können sie auch nur in eine höhere bzw. niedrigere, also in eine ordinale Reihung
gebracht werden, wobei Neurath zwar von einer gewissen Vergleichbarkeit ausgeht, diese je-
doch auch Grenzen hat; anders formuliert ist die Vergleichbarkeit in komplexen Situationen
limitiert.281 Als Möglichkeit des Vergleichs bietet Neurath das Lebensstimmungsrelief an, auf
welchem Personen als Flächen aufgetragen sind (auch in aggregierter Form möglich). Die Le-
bensstimmung wird durch ein Prisma repräsentiert, wobei die Höhe die Reihung widerspiegelt
(vgl. Neurath, 1925, S. 34f.). Da jedoch eine unmittelbare Bestimmung der Lebensstimmung
nicht möglich ist, wechselt Neurath auf die Lebenslage über, von welcher er annimmt, dass
diese je nach Ausgestaltung eine höhere oder niedere Lebensstimmung bewirkt.282 Das Lebens-
stimmungsrelief löst Neurath (1931, S. 125f.) in dem Lebenslagenrelief auf – das Relief ist als
empirische Umsetzung der Multidimensionalität des Lebenslagenbegriffs zu deuten (vgl.
Glatzer & Neumann, 1993, S. 43) – „Man kann nun darangehen, die Lebenslagen verschiedener
Menschen auf Grund objektiv angebbarer Merkmale miteinander zu vergleichen. Man kann so
in jedem Zeitabschnitt ein Lebenslagenrelief aufstellen, das sich ändert. Zunächst ist das Le-
benslagenrelief derart, daß jedes Individuum besonders behandelt wird. Man kann aber auch
verwandte Gruppen zusammenfassen und eine Art Durchschnitt herstellen; etwa Bevölkerungs-
klassen auf ihre Lebenslage hin zu untersuchen. Es hat unter Umständen einen guten Sinn, zu
sagen, daß die Lebenslage der Handwerker in bestimmten Zeiten des Mittelalters sich gegen-
über der Lebenslage der Bauern verbessert hat“. Auch bei dem Lebenslagenrelief geht Neurath
zwar davon aus, dass eine Ordnung möglich wäre, stellt jedoch dessen Nutzen in Frage.283 Mehr
zielt er darauf ab Unterschiede bzw. Verbesserungen im Sinne einer Anhebung über die Zeit
festzustellen bzw. auf potentielle Einschränkungen in gewissen Bereichen hinzuweisen. Zur
Systematisierung der Analyse schlägt Neurath (1937, S. 146) den Lebenslagenkataster vor:
„Statistics and descriptions of certain relationships must be developed in such a way that one
could set up and compare inventories of standard of living for particular districts, whole coun-
tries or the world at various periods”.
Zusammenfassend ist bei Neurath der Begriff der Lebenslage als ein Befehlsmittel aufzufassen,
sich der Lebensstimmung mittelbar zu nähern. Sie ist daher „Träger der Lebensstimmung“
(Leßmann, 2007, S. 78) und selbst Produkt von Lebensboden und Lebensordnung; entspre-
chend ist bereits bei Neurath eine zweiseitige Orientierung zwischen strukturellen Bedingungen
und dem individuellen Erleben angelegt. Die Konzeption von Neurath verweist zudem auf das

281
„Es gibt keine Möglichkeit, die Wirkungen von Maßnahmen auf die Lebensstimmung menschlicher Gruppen
unter allen Umständen einheitlich auszudrücken und die Wirkungen in einem Falle mit den Wirkungen im
anderen Falle rechnungsmäßig zu vergleichen: vielmehr kann man allgemein nur Lebensstimmungsreliefs
einander gegenüberstellen; welchem Lebensstimmungsrelief man den Vorzug gibt, muß man jedes Mal so
entschieden werden, wie man darüber entscheidet, ob man diese oder jene Speise lieber ißt“ (Neurath, 1925,
S. 34f.).
282
„We investigate only the conditions under which the totality of feeling becomes more or less pleasurable.
Only these elements are significant for our approach to standards of living“ (Neurath, 1937, S. 142).
283
Der Vollständigkeit halber sei noch angeführt, dass Neurath (1937, S. 143) noch auf das Werkzeug der „Le-
benslagenphysiognomie“ bzw. „Lebenslagen-Silhouetten“ hinweist. „Complexes which are thus composed of
various quantities, each of which would have to be measured by specific units, we shall call ‘standard of living
silhouettes’. They are the crude tools of our discipline” (Neurath, 1937, S. 143). Auch in diesem Fall handelt
es sich um ein Werkzeug der Veranschaulichung unterschiedlicher Lebenslagen.
Lebenslagen in Altersarmut 145

Beziehungsgeflecht einzelner Elemente, welches, wie Amann (1983, S. 138) einmahnt, einer-
seits zufällige und nicht theoriegeleitete Berücksichtigungen von Einzeldaten verhindern soll;
zum anderen auf kombinierte Betrachtungen insistiert und so Hinweise auf negative bzw. po-
sitive Kompositionen liefert. Diese Sichtweise nehmen Rosenmayr & Majce (1978) – wenn
vielleicht auch zentrierter – ein, wenn sie von kumulativen Benachteiligungen sprechen, in
welchen zum Beispiel Gesundheit sowie ein geringes Einkommen zusammenwirken und dies
folglich auch zu Benachteiligung etwa im Bereich des Wohnens führen kann.284 Die prozess-
orientierte bzw. zeitliche Perspektive wird an mehreren Stellen deutlich: Zum einen in einer
sich wandelnden Lebensordnung, welche in ihren Wirkungen auch zur Veränderung des Le-
bensbodens beiträgt. Zum anderen formt die Lebenslage den Lebensboden mit und beeinflusst
damit die zukünftigen. Wenn auch der Mensch als Lebensstimmungssubjekt die Zielrichtung
der Konzeption darstellt, nimmt dieser, wie Amann (1983, S. 139) konstatiert, nur eine korrek-
tive Rolle ein und bleibt in seinen individuellen Gestaltungsmöglichkeiten unterrepräsentiert.285
Anders nun Weisser, welcher den Spielraum zur Erfüllung der Interessen eines handelnden
Individuums in den Vordergrund stellt.

• Lebenslagenansatz nach Weisser


In einem Artikel von 1921 wurde erstmals auf den Begriff der Lebenslage eingegangen (vgl.
Leßmann, 2007, S. 93) und zu einem bedeutenden Bestandteil von Weissers Sozialpolitiklehre
(vgl. Stelzig, 1977); er findet sich in vielen seiner später folgenden Texte bzw. daraus abgelei-
teten Implikationen wieder. Kennzeichnend für Weisser ist, dass er umfänglichere Erklärungen
in unveröffentlichten Vorlesungsmanuskripten zu Papier brachte – im Nachfolgenden wird sich
daher in ein paar Fällen Zitaten aus zweiter Hand bedient. Als Lebenslage gilt bei Weisser „der
Spielraum, den die äußeren Umstände dem Menschen für die Erfüllung der Grundanliegen bie-
ten, die ihn bei der Gestaltung seines Lebens leiten oder bei möglichst freier und tiefer Selbst-
besinnung und zu konsequentem Verhalten hinreichender Willensstärke leiten würden.“ (Weis-
ser, 1978i, S. 275).286 In einer früheren Definition wird vor allem die Bestimmung des Wertes
von Lebenslagen deutlich: „Die ‚Lebenslage‘ eines bestimmten Menschen wird also dadurch
ermittelt, daß ich für seine einzelnen Interessen den Spielraum ermesse, den er objektiv nach-
haltig bei ihrer Befriedigung hat. Je mehr Interessen er befriedigen kann und je stärker der Grad
ist, in dem er die einzelnen Interessen befriedigen kann, umso günstiger ist seine Lebenslage.
Hierbei ist es natürlich unvermeidlich, daß sich die Ermittlung auf die besonders wichtigen
Interessen – die Interessen von besonders großer ‚Dignität‘ – beschränkt“ (Weisser, 1952, S.
2f.; zitiert nach Leßmann, 2007, S. 95). Drei Begriffe können als zentral gewertet werden:
Spielraum, äußere Umstände und Grundanliegen bzw. Interesse (diese Bezeichnung gab er in

284
Noch etwas weiter gesponnen, kann eine große Wohnung nicht immer als positiv erachtet werden, wenn bspw.
Stiegen das Verlassen dieser erschweren oder die Größe selbst zur Herausforderung in der Instandhaltung
wird. So bedarf die Bewirtschaftung einer großen Wohnung auch entsprechender körperlicher Kräfte.
285
Leßmanns (2007, S. 216) Diagnose, dass Neuraths Ansatz ein voluntaristisches Element fehle, lässt sich nicht
im ganzen Umfang zustimmen. Zwar steht außer Frage, dass Neurath diesem Aspekt wenig Aufmerksamkeit
widmet, er erwähnt aber: „The inventory of standard of living also shows what individuals have ‚made‘ of
given possibilities. The figures on real income indicate what can be bought with money income. The sum of
real incomes is, therefore, a fictitious quantity which may be of value for certain considerations, but the in-
ventory of standard of living gives us a view of the actual life of men. It can easily happen that some persons
with the same income have a higher standard of living than others; they use their money in a different way”
(Neurath, 1937, S. 147).
286
Eine weitere Definition bspw.: „Als ,Lebenslage' gilt der Spielraum, den die äußeren Umstände dem Men-
schen für die Erfüllung der Grundanliegen bieten, die er bei unbehinderter und gründlicher Selbstbesinnung
als bestimmend für den Sinn seines Lebens ansieht" (Weisser, 1978d, S. 386).
146 Das doppelte Relativ der Altersarmut

später folgenden Arbeiten auf); letzterem wurde die größte explanative Aufmerksamkeit zu teil.
„Als Grundanliegen einschließlich fundamentaler innerer Bindungen mögen dabei diejenigen
positiven und negativen Interessen, deren Gegenstände um ihrer selbst willen geschätzt oder
verabscheut werden, als innere Bindungen die Postulate und Desiderate gelten, die der Bejaher
unmittelbar, ohne Ableitung aus anderen, im Besonderen ohne äußeren Zwang bejaht; sei es,
daß er sich lediglich für seine Person gebunden fühlt, sei es, daß er von der Allgemeinverbind-
lichkeit überzeugt ist“ (Weisser, 1978b, S. 59). Schulz-Nieswandt (1990) bezeichnet die Grund-
anliegen auch als „Konzeptionen des Wünschenswerten“ oder als Präferenz. Obwohl die
Grundanliegen zentraler Kern Weissers Konzeption der Lebenslagen sind, bleibt dieser in der
Darlegungen der Grundanliegen unklar, teils inkonsistent.287 Zentral ist, dass es sich bei den
Grundanliegen um unmittelbares Interesse handelt, also nicht um „mittelbar aus irgendwelchen
Grundanliegen und den Fakten abgeleitetes Interesse“ (Weisser, 1978f, S. 124) und, um dies zu
wiederholen, die ihn bei der Gestaltung seines Lebens leiten oder bei möglichst freier und tiefer
Selbstbesinnung leiten würden; entsprechend zieht Weisser auch potentielle Grundanliegen
bzw. „fiktive Interessensprofile“ (Amann, 1983, S. 143) in die Definition mit ein. Dies steht
jedoch mit seiner Einsicht im Widerspruch: „Wir können an diese Gültigkeit nur ahnend glau-
ben und uns personell zu ihr bekennen“ (Weisser, 1978f, S. 112). Da es also keine Gültigkeit
der Grundanliegen gibt, ist zu fragen, wie man über wohlverstandene und bei möglichst tiefer
Selbstbesinnung vorhandene Grundanliegen befinden kann (vgl. Andretta, 1991, S. 53; Stelzig,
1977, S. 272); vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass Weisser es für eine „Grundtatsache“
ansieht, „daß die Menschen in dem, was sie unmittelbar begehren, also in ihren unmittelbaren
Interessen, nicht übereinstimmen“ und, „daß das tatsächliche Verhalten des einzelnen Men-
schen oft nicht mit dem übereinstimmt, was er selbst für den eigentlichen Sinn seines Lebens
hält. [...] Es gibt also einen Konflikt zwischen dem, was er für sein wahres Interesse bzw. seine
von ihm selbst bejahte Aufgabe im Leben hält, und der Neigung, der er im jeweiligen Augen-
blick folgt“ (Weisser, 1978k, S. 142). Die Grundanliegen sind folglich auf der Ebene des Indi-
viduums verortet,288 unterscheiden sich und sind zugleich zumindest im spontanen Handeln nur
bedingt von Relevanz; der Einbezug potentieller Grundanliegen im Kontext der tiefen Selbst-
besinnung würde ein Herantragen dieser von außen implizieren, damit aber die Gefahr der Ok-
troyierung in sich bergen (vgl. Nahnsen, 1975, S. 150). Auf der anderen Seite legt Weisser
nahe, dass sich trotz der interpersonellen Unterschiedlichkeiten Gemeinsamkeiten finden las-
sen: „Auch in einer weltanschaulich pluralistischen Gesellschaft pflegt es sich so zu verhalten,
daß die voneinander verschiedenen Bündel von Grundanliegen, die den praktischen Teil der
sogenannten Weltanschauung ausmachen, Gemeinsamkeiten aufweisen. [...] Liegen solche Si-
tuationen vor, so lassen sich trotz der Pluralität der Gesinnungspositionen aus gemeinsamen
Grundanliegen, der Zeitanalyse und den geltenden empirischen Gesetzmäßigkeiten gewisse
sehr allgemeine Leitregeln ableiten“ (Weisser, 1978b, S. 72). So sei es möglich, dass der Ge-
sellschaftsforscher „die vielfach nur im Gefühl bewußten Grundanliegen durch Subsumierung

287
Selbst kritisiert er aber: „Meist beschränkt man sich auf den völlig unzureichenden Grundanliegenkatalog der
Aufklärungsepoche: Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit (Gerechtigkeit) Brüderlichkeit (Friedlichkeit, Ge-
meinschaft). Oder man stellt die Solidarität in den Mittelpunkt. Mit so knappen Katalogen kann die Axiomatik
keiner Ordnungskonzeption auskommen“ (Weisser, 1978b, S. 59).
288
Diese Auslegung führt dazu, dass die Grundanliegen nur auf personeller Ebene bestimmt werden können (vgl.
Leßmann, 2007, S. 271). Schwenk (1999, S. 37) überspitzt die Konsequenz, wenn er konstatiert, „daß die Zahl
der Lebenslagen tendenziell die gleiche Größe erreichen kann wie die Zahl der Gesellschaftsmitglieder“ und
daher auch „die Lebenslagen relativ unvergleichbar nebeneinander stehen“ (Schwenk, 1999, S. 37). Die Nach-
teiligkeit ergibt sich aber erst aus dem Ziel der Forschung, so lässt sich die Individualität der Grundanliegen
auch als Vorschlag für die Verwendung interpretativer Methoden deuten.
Lebenslagen in Altersarmut 147

unter Begriffe oder evtl. durch Bilder möglichst eindeutig bestimmen (interpretieren)“ (Weis-
ser, 1978b, S. 59) kann, wobei Weisser (1978b, S. 90) darunter eine Form der Deskription ver-
steht,289 welche die Grundanliegen bewusst mache, räumt zugleich aber ein, dass „Inhalt, Rang
und Stärke bei bestimmten Typen der [...] (Grund-)Anliegen [...] als Größen nicht präzise be-
stimmt werden können. Demgemäß ist auch der ganze Sinn [...] nicht mit vollkommener Ope-
rationalität interpretierbar“. Weisser zweifelt entsprechend selbst daran, inwieweit Grundanlie-
gen bestimmbar sind (vgl. Schroeter, 2001, S. 36). Die Frage nach den Grundanliegen ist je-
doch, wie Leßmann (2007, S. 108) konstatiert, insofern von Bedeutung, als sie die Suche nach
den „zulässigen Dimensionen“ der Lebenslage andeutet, da es in der Analyse um jenen Spiel-
raum geht, welcher eben der Erfüllung dieser dient. Die Problematik liegt folglich, wie
Schwenk (1999, S. 35) insistiert, im Gegenstand selbst. Zwar gibt es keine Liste, 290 nur bei-
spielhaft nennt Weisser Grundanliegen wie etwa Sicherheit (auch ausgeprägt als Existenzsiche-
rung) und Freiheit, aus welcher sich weitere Interessen ableiten.291 Hier sind sich auch andere
AutorInnen einig (u.a. Andretta, 1991; Leßmann, 2007; Nahnsen, 1992; Schwenk, 1999), ver-
weist er auf die materielle und immaterielle Natur der Grundanliegen (vgl. Weisser, 1978j, S.
554f.). Letzten Endes bedürfe es aber „bekenntnismäßige Entscheidungen für bestimmte inter-
pretierte Grundanliegen“ (Stelzig, 1977, S. 273; auch Weisser, 1978e, S. 33). Damit wechselt
Weisser von einer explikativen zur normativen Wissenschaft über, in welcher interpretierte
Grundanliegen bekenntnismäßig als Axiome eingeführt werden und es hierzu drei Möglichkei-
ten gibt:
• „a) [Der Forscher] kann diesen Axiomen, indem er sich als Philosoph betätigt, in kon-
trollierbarer Weise den Rang allgemein verbindlicher Aussagen praktischer Art verlei-
hen.
• b) Er kann sich an ihren Inhalt durch ein nichtwissenschaftliches Bekenntnis personell
binden (und dabei möglicherweise Gruppen von Gesinnungsverwandten finden).
• c) Er kann die benutzten praktischen Axiome lediglich unterstellen und es also dahin-
gestellt sein lassen, ob er selbst, der Ratempfänger oder überhaupt jemand den Inhalt
dieser praktischen Axiome bejaht oder bejahen sollte.“ (Weisser, 1978b, S. 62f.)

289
„Die Interpretation ist eine Aufgabe explikativer und nicht normativer Wissenschaft. Es wird interpretiert, was
tatsächlich gewollt wird oder gewollt werden würde, wenn der Handelnde sich über seine Anliegen völlig klar
wäre“ (Weisser, 1978e, S. 24f.)
290
Stelzig (1977, S. 270) führt sinnliche Interessen, geistige Interessen, kulturelle Bindungen, sittliche (ethische)
Bindungen bzw. religiöse Bindungen als Grundanliegen an. Weisser (1953, S. 564) erwähnt an anderer Stelle:
Grundanliegen „können in physischen Bedürfnissen, in Schätzungen bestimmter Gestaltungen der Persönlich-
keit, der Kultur und des Verhältnisses zu Gott sowie in Pflichtvorstellungen hinsichtlich der Rücksichtnahme
auf andere bestehen“ (Weisser, 1978j, S. 564) und entwarf auch einen Katalog, in welchem sich einerseits
mittelbare und unmittelbare Interessen (siehe Amann, 1983, S. 146) wiederfinden, andererseits „keineswegs
vollständig [ist]. Wir haben auch regelmäßig vermieden, den Anschein zu erwecken, als ob jedes dieser Inte-
ressen bei jedermann und zwar in gleicher Stärke vorhanden sei. Es handelt sich jedoch um Gruppen von
Interessen, von denen sich sagen läßt, daß sie bei sozialpolitisch orientierten Lebenslagenanalysen regelmäßig
betrachtet werden sollten“ (Weisser, 1966, S. 32; zitiert nach Amann, 1983, S. 146)
291
Diese beiden Grundanliegen können auch in Widerspruch zueinander stehen, womit sich noch aufdringlicher
die Frage stellt, welche und wie Grundanliegen mit den äußeren Lebensumständen in Bezug zu setzten sind.
Denn, so gibt Andretta (1991, S. 56) zu bedenken, gibt Weisser „keine Auskunft darüber, was zu geschehen
hat, wenn die Konstellation eintritt , daß Grundanliegen desselben Menschen in einem antagonistischen Ver-
hältnis zueinander stehen, so daß sich eine Realisierung beider Grundanliegen einander ausschließt“. Weissers
Forderung die Grundanliegen in eine Rangfolge zu bringen erscheint daher zumindest zum Teil äußerst
schwierig, vor allem wenn er zu bedenken gibt, dass sowohl äußere, wie innere Bedingungen auf die Grund-
anliegen einwirken können (vgl. Weisser, 1978f, S. 110).
148 Das doppelte Relativ der Altersarmut

Zwar führt Weisser drei Möglichkeiten an, ist aber vor allem Variante b anhängig, was er durch
die Betonung der „bekenntnismäßigen“ Einführung vielerorts festhält (vgl. Leßmann, 2007, S.
101). Amann (1983, S. 145) konstatiert im Ergebnis, das ForscherInnen konkret angeben müs-
sen, „welche Anliegen eine Gruppe von Menschen kennzeichnen, welches ihre tatsächlichen
Interessen und welches die fiktiven (bei veränderten äußeren Bedingungen) seien“. Dies führt
in Folge auch zur Werteproblematik von Lebenslagen, wobei zusätzlich das „Maß der Zufrie-
denheit mit der Lebenslage [...] manipuliert sein“ (Weisser, 1978i, S. 278) kann, d.h. unter an-
derem, dass situative affektive Momente subjektive Aussagen überformen können (vgl. Voges
u. a., 2003, S. 48). In Folge ist nach Weisser zu berücksichtigen, „was die Angehörigen der
betreffenden Gruppe im Durchschnitt als positiv oder negativ bedeutsam für die Verwirkli-
chung des Sinnes ihres Lebens ansehen" (Weisser, 1957, S. 10; zitiert nach Schroeter, 2001, S.
36). Die äußeren Umstände sind nun abschließend die Gegebenheiten, die sich der Beeinflus-
sung durch den Einzelnen entziehen und als objektiv gegebene gesellschaftliche Umstände in-
terpretieren lassen. „Die Lebenslagen formen sich in einem Prozeß, den die Gesellschaft be-
wirkt und für den ihre Mitglieder daher eine originäre Verantwortung tragen.“ (Weisser, 1978g,
S. 302). Andernorts schreibt Weisser (1978c, S. 309), dass sich die äußeren Bedingungen ver-
ändert haben und argumentiert dies an Mechanismen vor dem Hintergrund einer marktwirt-
schaftlichen Gesellschaftsordnung oder auch an damals typischen Berufskrankheiten, „denen
sich der einzelne durch vernünftiges Verhalten [...] gar nicht mit Sicherheit entziehen kann“.
Entsprechend umfassend skizziert Weisser die äußeren Umstände – dies wird ebenso deutlich,
wenn er die Distributionspolitk erörtert, zugleich aber in Frage stellt, „ob sich überhaupt eine
besondere Lehre empfiehlt, die sich mit der Politik nur der Verteilung von Einkommen und
Vermögen und nicht schlechthin mit der Politik zur Verteilung der Lebenslagen befaßt“ (Weis-
ser, 1978d, S. 386), denn, so seine Ansicht, stehe alles in der Gesellschaft im Zusammenhang
mit allem (vgl. Weisser, 1978f, S. 114),292 die im Sinne eines Spielraums dem Einzelnen als
eine Einheit gegenübersteht und im Wandel begriffen ist.
Von sozialpolitischem Interesse sind folglich Größe und Struktur des Spielraumes, den der Ein-
zelne bei der Interessenbefriedigung hat. Die tatsächliche Realisierung der Möglichkeiten durch
den Einzelnen bleibt jedoch bei der Analyse ausgeblendet (vgl. Andretta, 1991, S. 49;
Schroeter, 2001, S. 36). Einerseits rückt das Individuum mit seinen Interessen – „es findet eine
Individualisierung des Wertebezugs der Lebenslage“ (Nahnsen, 1992, S. 102) statt – in den
Mittelpunkt des Lebenslagenansatzes (vgl. Amann, 1983, S. 139; Voges u. a., 2003, S. 40),
andererseits verschwindet das Individuum in der Frage, wie nun die tatsächliche, persönliche
Lebenssituation ausgestaltet ist.293 Einige Studien (Amann, 1983; Hanesch, Rentzsch, & Schu-
bert, 1993; Krieger, 1993; Lompe, 1987) verwerfen diese und führen die Verwertung durch das

292
Vor diesem Hintergrund möchte Weisser von einem „Quantifizierungsperfektionismus“ Abstand nehmen, da
man seiner Ansicht nach nicht alles quantifizieren könne.
293
In Konsequenz der dargelegten Ausführungen mag es wenig verwundern, wenn Weisser davon ausgeht, Le-
benslagen-Typen identifizieren zu können, deren Spielraum bei der Befriedigung bestimmter wichtiger Inte-
ressen annähernd der gleiche ist. Vor diesem Hintergrund führt er die „sozial schwachen Schichten“ ein, wel-
chen Gesellschaftsmitglieder angehören, „deren Lebenslage von der in der Öffentlichkeit vorherrschenden
Meinung als nicht zumutbar angesehen wird“, sowie „eine Lebenslage, die gerade noch als zumutbar angese-
hen wird, heiße ,soziales Existenzminimum‘. Das soziale Existenzminimum ist also nicht eine Größe, die ein
für allemal feststeht. Die Eigenschaften der Lebenslage, die gegeben sein müssen, damit das ,soziale Exis-
tenzminimum‘ vorliegt, können auch in einer gegebenen Gesellschaft von Mensch zu Mensch verschieden
sein. Wird z. B. ein Klaviervirtuose, um existieren zu können, zu harter manueller Arbeit genötigt, so kann
ihn das in eine Lebenslage versetzen, die als unzumutbar angesehen wird.“ (Weisser, 1957, S. 3f; zitiert nach
Leßmann, 2007, S. 98). An dieser Stelle werden erneut beide Sichtweisen deutlich: zum einen wird die Schicht
der sozial Schwachen von außen bestimmt, in welchem die bekenntnismäßig eingeführten Grundanliegen
Lebenslagen in Altersarmut 149

Individuum bewusst wieder ein, womit „das Postulat, daß nur die sozialpolitisch beeinflussba-
ren ‚äußeren Umstände‘ bedeutsam sein sollen, aufgegeben“ (Andretta, 1991, S. 96) wird (vgl.
auch Nahnsen, 1992, S. 111).294

• Modifikation durch Nahnsen


Um Operationalisierungsmängel der Konzeption von Weisser zu begegnen bzw. eine Oktroyie-
rung der Interessen zu verhindern, entwickelt Nahnsen (1992) das Konzept weiter – auch hier
ist anzumerken, dass vieles nur in Manuskriptform vorliegt und sich das Nachfolgende haupt-
sächlich auf den genannten Text bzw. auf Sekundärquellen bezieht. Deutlich wird in ihrer Aus-
richtung die Objektivierung der Lebenslage. So ist die individuelle Lebenslage zwar auch durch
subjektive Umstände gebildet, „relevant für die Betrachtung sozialer Ungleichheit sind für die
Wissenschaftlerin jedoch vornehmlich objektive Lebenslagen, die eine größere Zahl von Ge-
sellschaftsmitgliedern in sehr ähnlicher Ausprägung betreffen“ (Schwenk, 1999, S. 42) In sechs
Postulaten versucht Nahnsen (1992, S. 104ff.) die Schwächen zu beseitigen:
Betroffenheitspostulat
Unter diesem Aspekt greift Nahnsen (1992, S. 106f.) die Problematik auf, dass man nach Weis-
ser die Grundanliegen der Menschen kennen muss, um aus ihrer Gegenüberstellung mit den
äußeren Umständen auf die Erfüllbarkeit und damit auf den Wert der Lebenslage schließen zu
können, worauf sie verzichten möchte, da die Interessen der Menschen nicht zuverlässig ermit-
telt werden können (vgl. Andretta, 1991, S. 81). Wiewohl wird betont, dass die Ausrichtung
auf die lebensperspektivisch orientierte Betroffenheit der Adressaten unverzichtbar sei und
meint dabei einen Orientierungsmaßstab, welcher an den Selbstbestimmungschancen der Ge-
sellschaftsmitglieder ausgerichtet ist. Vor diesem Hintergrund wird in die Definition der Le-
benslage nicht nur der Spielraum für die Erfüllung von Grundanliegen, sondern auch die Ent-
faltung von Grundanliegen integriert. „Indem hier die Frage nach den Bedingungen gestellt
wird, unter denen wichtige Interessen überhaupt ins Bewußtsein gehoben und realisiert werden
können, entfällt für den Lebenslagenforscher die Notwendigkeit, wichtige Interessen der Ge-
sellschaftsmitglieder zu erforschen und zu interpretieren, um eine Bewertung ihrer Lebenslage

nicht durch die im Durchschnitt ausreichend angesehenen äußeren Umstände erfüllt werden können; anderer-
seits wird vor dem Hintergrund des sozialen Existenzminimums die individuelle Verschiedenheit von Grund-
anliegen betont.
294
Kritisch anzumerken ist, dass das Beharren auf dieses Postulat Präzision und Kraft von sozialpolitischen Maß-
nahmen sogar nimmt. Weder lässt sich der Wert einer Lebenslage alleine durch seine Größe und Struktur
bemessen – eine nach äußeren Maßstäben gleiche Lage kann je nach personellen Faktoren (Sen betont dies
mehrfach, Neurath weist darauf hin usw.) einen unterschiedlichen Umfang und Grad der Interessenbefriedi-
gung ermöglichen – noch lässt sich ohne ein gewisses Grundwissen personeller Faktoren über die Art der
Maßnahmen adäquat entscheiden. „Das Erreichen von Lebenszielen vollzieht sich in Gestalt von Handlungen
und nicht etwa automatisch durch die Stellung von Personen in bestimmten Strukturen“ (Hradil, 1987, S. 145).
So geht es bspw. heute nicht darum, ob grundsätzlich Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge zur Verfügung
stehen (das Interesse nach einer guten Gesundheit wäre damit im Sinne der äußeren Bedingungen bereits
erfüllt), sondern ob diese so gestaltet – Stichwort: niederschwellig oder „bürgernah“ (vgl. Amann, 1994, S.
329) – sind, sodass sie auch betroffene Menschen erreichen und diesen nutzen. Die Ausklammerung der indi-
viduellen Seite führt, wie es Nahnsen (1992, S. 123) selbst demonstriert, zur reinen Situationsbeschreibung
von Strukturbedingungen – bspw. schreibt sie in Bezug auf den Kontaktspielraums innerhalb der DDR: „Hin-
sichtlich der technischen Kommunikationsmöglichkeiten schränkte die sehr geringe Versorgung mit privaten
Kraftfahrzeugen den Individualverkehr zwischen den Menschen ein, und das Telefon als Kommunikations-
mittel spielte nur in relativ seltenen Fällen eine Rolle“; Backes (2000) vollzog eine sehr ähnliche Analyse für
ältere Menschen. Zwar ist sich Andretta (1991, S. 84) bzw. wie sie darlegt auch Nahnsen, der Problematik der
Ausklammerung „individueller Dispositionen“ bewusst, wird jedoch wegen deren Bedeutungslosigkeit für die
Sozialpolitik kurzerhand fallen gelassen. Letzten Endes gilt, dass die gesellschaftlichen Umstände zu berück-
sichtigen sind, „die der einzelne auf sich allein gestellt nicht ändern kann“ (Nahnsen, 1992, S. 110).
150 Das doppelte Relativ der Altersarmut

vornehmen zu können“ (Andretta, 1991). Aufgabe der Lebenslagenforschung sei es in Folge,


auf Basis von begründeten Hypothesen generelle Bedingungen zur Entfaltung und Realisierung
von Grundanliegen zu formulieren. Analysen von Lebenslagen sollen sich auf das Maß kon-
zentrieren, in welchem die Bedingungen in den Lebensumständen der Menschen realisiert wer-
den können (vgl. auch Voges u. a., 2003, S. 42).
Vollständigkeitspostulat
Entsprechend sollen alle wichtigen Interessen und nicht nur die materiellen, sondern auch alle
immateriellen einbezogen werden. „Die bewußt oder unbewußt auf den Sinn des Lebens aus-
gerichteten Grundanliegen konstituieren die Lebenslage in ihrer Gesamtheit und als Einheit.
Sie bilden ein Ensemble, aus dem nicht Einzelnes herausgebrochen werden kann, ohne die Le-
benslage im Ganzen zu verändern“ (Nahnsen, 1992, S. 108). Es sind daher nicht nur materielle,
sondern auch immaterielle Lebenslagendimensionen295 zu berücksichtigen.
Sozialitätspostulat
Der Begriff der äußeren Umstände, wie die Autorin insistiert, erzeugt die Vorstellung, dass ein
gesellschaftliches Äußeres unabhängig einem individuellen Inneren gegenübersteht. Um dies
zu entkräften, betont sie die Wirkung von Sozialisationsprozessen: „[…] internalisierte Sozial-
normen kanalisieren die Möglichkeiten zur Realisierung unserer Grundanliegen vielfach
ebenso, wie die materiell faßbaren gesellschaftlichen Fakten“ (Nahnsen, 1992, S. 109). In Folge
möchte sie auch nicht von äußeren, sondern gesellschaftlichen Umständen sprechen; durch das
Sozialisationspostulat werden daher die äußeren Umstände, um die Formung und Strukturie-
rung der Interessenaktualisierung durch gesellschaftliche Einflüsse miteinbeziehen zu können,
ausgeweitet.296 Nochmals wird bekräftigt, dass es „für den Wert der Lebenslage nicht darauf
an[kommt], ob der jeweils Betroffene die ihm durch den Spielraum gegebenen Chancen auch
ergreift. Der Spielraum stellt eine objektive Gegebenheit dar, von der sich die subjektiven Ver-
haltensweisen seines Inhabers unterscheiden“ (Nahnsen, 1992, S. 110).
Bewertbarkeits- und Vergleichbarkeitspostulat
Hierbei sich die Frage, wie eine Lebenslage bewertet werden soll. Dazu ist das Maß der mög-
lichen Entfaltung und Befriedigung von Grundanliegen bestimmend. Erneut wird das Argu-
ment eingebracht, dass sich der Wert der Lebenslagen nicht darauf bezieht, ob der Einzelne
diese Möglichkeiten auch nutzt. Entschieden verneint sie das Vorgehen, die individuelle Ent-
faltung miteinzubeziehen, denn dies beschwöre die Gefahr der Oktroyierung eigener Wert-
strukturen auf die Adressaten. Der Vergleich, so fasst Andretta (1991, S. 90) zusammen, von
Lebenslagen bezieht sich auf die verschiedenen Grade der Restriktionen von Lebenslagen.
Operationalitätspostulat
Unter diesem Postulat formuliert Nahnsen (1992, S. 116) fünf Einzelspielräume – wenn auch
nur analytisch getrennt – aus; sie werden im später Folgenden präsentiert. Grundsätzlich geht
die Autorin davon aus, dass die Grundanliegen der einzelnen Menschen nicht erforscht werden

295
Der Dimensionsbegriff wird von Nahnsen (1992) nicht explizit gebraucht, im Folgenden wird dieser als ein
analytisches Mittel inhaltlich umschreibbarer Bereiche der sozialen Realität verstanden, „die als Objektberei-
che der Sozialforschung abgrenzbar und so Gegenstand von Objekttheorien sind“ (Amann, 1983, S. 152).
296
„Daß internalisierte Sozialnormen die Rolle massiver gesellschaftlicher Umstände spielen können, wirft ein
weiteres Licht auf Probleme des Vereinigungsprozesses. Genauere Studien würden bei vielen Erwachsenen
in den Ländern der ehemaligen DDR vermutlich eine ganze Reihe solcher internalisierter Sozialnormen fin-
den, die die Umstellung erschweren und damit sehr häufig die Lebenslagen verschlechtern. Ein häufig zitiertes
Beispiel liegt in der selbstverständlich vom frühesten Kindesalter an internalisierten Erfahrung -, daß die re-
levanten gesellschaftlichen Verhältnisse obrigkeitlich geregelt wurden. Diese Erfahrung verstellt immer wie-
der den Zugang zu der möglichen Einsicht, daß unter den veränderten Bedingungen eigene gesellschaftliche
und politische Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet worden sind“ (Nahnsen, 1992, S. 109f.).
Lebenslagen in Altersarmut 151

müssen,297 aufgrund derer allgemeine Bedingungen definiert werden, „unter denen Interessen
überhaupt sowohl entfaltet, ins Bewußtsein gehoben, als auch erfüllt werden können. Die Struk-
tur der Bedingungen muß prinzipiell die Erfüllung wichtiger Interessen, d. h. von Grundanlie-
gen ermöglichen“ (Nahnsen, 1992, S. 116). Dies führt sie zur zentralen Hypothese, dass „die
Entfaltung und Erfüllung wichtiger Interessen bzw. Grundanliegen, um so wahrscheinlicher ist,
je mehr reale Alternativen der Lebensgestaltung dem Einzelnen bekannt und zugänglich sind“
(Nahnsen, 1992, S. 117). Auf Basis dieser Überlegung werden in heuristischer Art fünf Einzel-
spielräume eingeführt, welche einen Zusammenhang zwischen Grad/Maß eines Spielraums und
Möglichkeit der Realisierung und Entfaltung unterstellen.
Spannend und ungeklärt bleibt jedoch, um welche Grundanliegen es sich nun korrekt handelt.
Dies ist eine bedeutende Schwachstelle dieser Konzeption, welche in Konsequenz eine theorie-
geleitete Operationalisierung der Lebenslagendimensionen in Frage stellt. „Was sich in den
Schriften Nahnsens [...] leider nicht finden läßt, sind Übersetzungsregeln, und genau dies muß
eine Operationalisierung leisten“ (Schwenk, 1999, S. 44).298 Diese Problematik scheint weiter-
hin in Lebenslagenansätzen ungelöst299 und dürfte zum Urteil der Theorielosigkeit beitragen.
Leßmann (2007, S. 285) kommt nicht ohne Grund zum Schluss, dass es einen „Königsweg“ bei
der Zusammenstellung einer Liste mit relevanten Dimensionen wohl nicht gäbe. Diese Prob-
lemlage einmal ausgeklammert, sind bereits bei Neurath und Weisser (bzw. in Fortführung von
Nahnsen) zentrale Aspekte für einen Lebenslagenansatz angelegt und lassen sich wie folgt zu-
sammenfassen bzw. interpretieren:
• Weissers Konzeption führt dazu, sich auf die Subjekte der Gesellschaft und ihre Grund-
anliegen bzw. Bedürfnisse zu fokussieren; entsprechend bildet der Mensch diesem An-
satz folgend das „Kernstück“ (Amann, 1983, S. 139) und wird in einigen Arbeiten zur

297
„Ich wiederhole meine These, daß zur empirischen und praktischen Einlösung des Weisser'schen Konzepts
(wenn man sich einmal von der Weisser'schen Anthropologie trennt) irgendeine konkrete Kenntnis der ein-
zelnen Individuen nicht erforderlich ist“ (Nahnsen, 1992, S. 116).
298
Nahnsen unternimmt den Versuch, durch eine noch abstraktere Formulierung die Frage nach den Interessen
aufzulösen. Auf dieser Ebene mag die Formulierung, dass ein Mehr an Alternativen auch tendenziell zu einem
Mehr an entfalteten Interessen und ein potentielles Mehr an befriedigen Interessen führt, logisch erscheinen.
Andererseits wird der Ansatz in der Ausklammerung einer tiefergehenden Behandlung der Interessen für For-
scherInnen willkürlich. Warum sich Nahnsen (1992, S. 120) auf Aspekte wie die Destabilisierung und das
Auseinanderdriften der Nominaleinkommen in der DDR bezieht, wird nur durch ihr überspannendes Thema
der Transformationsproblematik von DDR und BRD begreifbar. Der „je-mehr-desto-mehr“ Annahme fol-
gend, wäre aber auch eine detaillierte Kaufkraftanalyse denkbar, daran angeschlossen eine Konsumstatistik,
welche aufzeigt, wieviele Geldeinheiten nach Abzug des Grundbedarfs für andere Interessen ausgegeben wer-
den können. In der weiteren Detailanalyse wird eine subsumtionslogische Bewertung immer problematischer,
was sich bspw. am Kooperationsspielraum gut verdeutlichen lässt. Wie Nahnsen anmerkt, sind für diesen auch
vorherrschende Sozialnormen entscheidend. Am Land verhindern diese, wie Studien darlegen, in vielen Fällen
den Gang zum Sozialamt, während in Städten auch aufgrund der Anonymität ein deutlich geringeres Hemmnis
besteht. Andererseits wird seit vielen Jahren debattiert, dass in Städten der familiäre Zusammenhalt stärker
erodiert sei als in ländlichen Gebieten und sich Kontakte auf nicht-familiäre Beziehungen verlagern, diese
aber nicht zugleich alle Funktionen erfüllen können. Inwiefern hier noch eine vergleichende Bewertung des
Spielraums zwischen Stadt und Land möglich sein soll, scheint fraglich. Zudem ufert die Betrachtung alleine
des Kontakts- und Kooperationsspielraums in viele Bereiche aus, welche selbst in einer tiefgründigen De-
skription, immer weitere Fragen aufwerfen. Die Auflösung der Interessensfrage entgrenzt daher den Lebens-
lagenansatz.
299
„Die bisherigen Konzepte, die Begriffe Lebenslage und Lebensstandard zu operationalisieren, geeignete Ar-
mutsschwellen zu definieren und die hierfür erforderliche empirische Datenbasis zu finden, sind unbefriedi-
gend geblieben. Die neuere Fachdiskussion hat gezeigt, dass das Konzept der Lebenslage und des Lebensstan-
dards in vieler Hinsicht der weiteren Klärung bedarf, bevor es der empirischen Armutsmessung zugrunde
gelegt werden kann“ (Hanesch, Kraus, & Bäcker, 2000, S. 24).
152 Das doppelte Relativ der Altersarmut

Ausgangsposition der Subjektorientierung. Auch in Neuraths Konzeption findet sich


das Lebensstimmungssubjekt wieder und verweist darauf, sich mit Aspekten wie der
Lebenszufriedenheit oder der subjektiv bewerteten Lebensqualität auseinanderzusetzen.
• Grundanliegen sind dynamischer Natur, daher immer nur für einen bestimmten Zeit-
punkt in historischer, wie auch lebensgeschichtlicher Hinsicht zu bestimmen und auf
der personellen Ebene verortet. Zwar lassen sich auch intersubjektiv geteilte Grundan-
liegen abstrahieren, für einen gewissen Teil kann dies aber nicht beansprucht werden.
Dies verstärkt den Bedarf sich immer wieder auf interpretative Forschung einzulassen.
• Da es unmöglich erscheint, alle Grundanliegen zu erfassen bzw. nicht alle Grundanlie-
gen für alle Menschen beansprucht werden können, ist das Vollständigkeitspostulat ide-
altypischer Natur und führt in der Umsetzung des Lebenslagenansatzes zur Kenntnis-
nahme der Unvollständigkeit.300
• In der Annäherung an das Vollständigkeitspostulat oder der Betrachtung der Lebenslage
als Einheit sind materielle und immaterielle Dimensionen der Lebenslage einzubezie-
hen bzw. sollte ein möglichst umfassendes Bild gezeichnet werden, da die Lebenslage
einen umfassenden Lebenszusammenhang abbildet. Dies verweist darüber hinaus auf
die Interdependenz verschiedener Dimensionen der Lebenslage und legt damit eine
Analyse der Kumulation verschiedener Dimensionen der Lebenslage nahe.
• Nicht nur die Grundanliegen sind dynamischer Natur, sondern auch Lebensboden, Le-
bensordnung und damit auch die Lebenslage, welche in der Zeit in ein zirkuläres Bezie-
hungsgeflecht verwoben sind.
Diese Punkte gilt es im Nachfolgenden zu berücksichtigen und prägen die, dieser Arbeit zu-
grundeliegenden, lebenslagenorientierten Perspektiven mit.

2.5.2 Der Arbeit zugrundeliegende Konzeptualisierung


In der Soziologie, so Backes (1997, S. 708), ist Amann (1983) als prononcierter Vertreter des
Lebenslagenkonzepts zu nennen, welcher sozialarbeiterisches Handeln im Feld der Altenarbeit
lebenslagentheoretisch fundiert und seine Konzeptualisierung vielerorts in Arbeiten der Sozi-
algerontologie Eingang gefunden hat. Im Nachfolgenden soll diese als Sockel für die vorlie-
gende Studie dienen und ist durch die Ausarbeitungen von Voges u. a. (2003) angereichert,
welcher vor allem an der Umsetzung einer lebenslagenorientierten Armutsforschung interes-
siert ist.
Lebenslagen nach Amann (1983, S. 146) „sind die je historisch konkreten Konstellationen von
äußeren Lebensbedingungen, die Menschen im Ablauf ihres Lebens vorfinden, sowie die mit
diesen äußeren Bedingungen in wechselseitiger Abhängigkeit sich entwickelnden kognitiven
und emotionalen Deutungs- und Verarbeitungsmuster, die diese Menschen hervorbringen. Le-
benslage ist ein dynamischer Begriff, der die historischen, sozialen und kulturellen Wandel
erzeugende Entwicklung dieser äußeren Bedingungen einerseits umfaßt und andererseits die

300
Gemeint ist damit, dass lebenslagenorientierte Forschung davon Abstand nehmen muss, den Anschein zu er-
wecken, als hätte man die Gesamtheit der Lebenslage erfasst (vgl. Engels, 2006 in Bezug auf den
Reduktionsmus von Sozialindikatoren), noch das eine gewisses Niveau der Lebenslage tatsächlich immer zum
gleichen Grad der Befriedung von Grundanliegen führt. Bei der Formulierung eines anscheinend gemeinsa-
men Wertemaßstabes ist folglich immer von einer Hintergehung der Minoritäten auszugehen und muss ge-
sondert geprüft werden bzw. sind Divergenzen zu explizieren. Entsprechend sind bspw. Begriffe wie Konsens
bei der Erfassung von Lebensstandard-Items zu vermeiden, wenn diese eben nicht von allen Gesellschaftsmit-
gliedern als notwendig erachtet werden. In solchen Verfahren wird keine Konsensbestimmung, sondern eine
Mehrheitsbestimmung betrieben.
Lebenslagen in Altersarmut 153

spezifischen Interaktionsformen zwischen dem sozialen Handeln der Menschen und diesen äu-
ßeren Bedingungen“. Anders formuliert sind Lebenslagen historisch entstandene, sich entwi-
ckelnde Strukturbeziehungen zwischen äußeren Bedingungen sowie die mit diesen in wechsel-
seitiger Abhängigkeit sich entwickelnden individuellen Wahrnehmungen, Deutungen und
Handlungen von Menschen.301 Zum einen wird von einer Dialektik zwischen Verhältnissen und
Verhalten ausgegangen (auch Naegele, 2015, S. 72) – Backes (1997, S. 710) konstatiert ein
reziprokes Verhältnis zwischen äußeren und inneren Zuständen – und zum anderen wird die
Lebenslage als ein bedingtes und strukturiertes (Produkte gesellschaftlicher Entwicklung und
Handelns) und zugleich als ein bedingendes und strukturierendes (Ausgangsbedingungen der
Entwicklung von Menschen und des Handelns) Gefüge verstanden (vgl. Amann, 2000b, S. 57).
In diesen auf das engste angelegten Überlegungen finden folglich Verschränkungen bzw. Syn-
thesen von Makro- und Mikroebenen bzw. objektiver Struktur- und subjektiver Handlungsebe-
nen unter einer zeitlichen Perspektive statt. 302 Lebenslagen sind daher „sowohl Ursache als
auch Wirkung, vermittelt über die Kategorie Zeit“ (Voges, 2011, S. 24; Voges u. a., 2003, S.
56); Amann (1983, S. 147) pointiert dies, wenn er schreibt, dass Menschen „in die Lebenslage
hineingeboren“ werden. Wichtig ist die Annahme, dass die ökonomischen, sozialen, kulturellen
und politischen äußeren Lebensbedingungen303 – „die durch die Höhe der Produktion, die Art
der Arbeitsteilung und Berufsdifferenzierung, die Institutionalisierung sozialer und politischer
Macht und durch Privilegienverteilung (anhand von Einkommen, Macht, Wissen und Ansehen)
charakterisiert sind“ (Amann, 1994, S. 323) – einem permanenten Wandel unterworfen sind
und ergeben die sich ebenso im Wandel befindlichen Zugangs- und Verfügungschancen in je-
dem individuellen Fall; bspw. über Einkommen und Vermögen, Arbeit und Bildung, Deutungs-
und Interpretationsmöglichkeiten (vgl. Amann, 1983, S. 148). Lebenslage heißt aber auch aus
der individuellen Perspektive „der Spielraum, den die einzelnen innerhalb dieser Verhältnisse
zur Gestaltung ihrer Existenz potentiell vorfinden und tatsächlich verwerten und in denen sich
Chancen als strukturierte Wahlmöglichkeiten, als Dispositionsspielräume darstellen“(Amann,
2000b, S. 58). Wahlen und Entscheidungen erfolgen nämlich, so Amann (2000b, S. 70), nie
völlig beliebig, sondern sind an die gesellschaftlichen Opportunitätsstrukturen304 (diese sind

301
Die Lebenslage ist also der die Deutungen und Handlungen der Subjekte strukturierende Lebens- und Exis-
tenzraum, „indem sich deren höchst unterschiedliche Bewußtseinsformen und -inhalte, Bedürfnisse, Erfah-
rungen, Fähigkeiten und Pläne herausbilden“ (Amann, 1994, S. 324).
302
„Lebenslagen im Alter sind weiterhin von der Vergangenheit des Individuums in seinen sozialen Lebenszu-
sammenhängen abhängig. Soziale Lagen im Alter sind beeinflusst vom Handeln und den Entscheidungen des
Individuums, die z.T. lange zurück liegen, z.B. in Bezug auf den absolvierten Bildungsgang, den ausgeübten
Beruf, das Heiratsverhalten, die Bildung von im Alter verfügbaren Rücklagen usw.“ (Thieme, 2008, S. 238).
303
Engels (2015) betrachtet dies aus systemtheoretischer Perspektive und konstatiert eine Verknüpfung zwischen
individueller Lebenslage und korrespondierenden gesellschaftlichen Systemen, welche auf Basis ihrer Eigen-
logiken Personen ex- bzw. inkludieren, also auch Barrieren erzeugen und die Teilsysteme selbst untereinander
in Spannung stehen. Die gesellschaftliche Ebene bzw. ihre Teilsysteme rücken in den Vordergrund, bzw. wird
Inklusion als Grad der Einbindung in die Gesellschaft gefasst. In der empirischen Analyse verkürzt sich die
Sicht darauf, die individuelle Lebenslagen als Ursache für die Inklusion, beispielhaft dargestellt am Arbeits-
markt, zu sehen, womit der zirkuläre, sich aufschichtende Prozess aus der Betrachtung verschwindet. Der
Gewinn der Perspektive besteht jedoch in der Betonung der Eigenlogik von Teilsystemen (warum wird jemand
inkludiert oder exkludiert, was sind die Inklusionsbedingungen) und in der Einsicht von Spannungsverhält-
nissen zwischen den Systemen, welche zu systeminduzierten Formen der Exklusion beitragen können (vgl.
Engels, 2015, S. 161). Äußere Bedingungen sind daher nicht nur in zeitlicher Hinsicht einem Wandel unter-
worfen, sondern treten m.E. dem Individuum als je eigene Umwelt gegenüber; neben dem Wandel ist den
äußeren Bedingungen daher eine gewisse Variabilität zu attestieren. Dies wird daran deutlich, wenn Sozial-
leistungen an individuelle Bedarfsprüfungen gekoppelt sind.
304
Hierzu unterscheidet Amann (2000b, S. 69) drei Bereiche, in denen verschiedene gesellschaftliche Institutio-
nen beeinflussen, steuern bzw. kontrollieren: Arbeit, Ehe und Familie, „freie“ soziale Beziehungen. „Für das
154 Das doppelte Relativ der Altersarmut

mit der allgemeinen Formulierung der äußeren Lebensbedingungen nicht gleich zu setzten) und
an erlernte Handlungsmuster gebunden;305 die Opportunitätsstrukturen schlagen in der indivi-
duellen Perspektive wahrgenommener und aktualisierter Möglichkeiten in Dispositionsspiel-
räume um. Zugleich ist individuelles Handeln nicht in reiner Abhängigkeit, sondern im Lichte
unterschiedlichen Ausmaßes an Autonomie zu sehen. „Personen sind nicht ausschließlich Op-
fer der Lebenslage, in der sie sich befinden. Natürlich bilden Lebenslagen hochbedeutsame
Randbedingungen für Lebensentwürfe und biographische Projekte. Aber Personen handeln
auch und sind in ihrem Handeln oft eigensinnig und widerständig“ (Tesch-Römer, 2002, S. 30).
Durch die Einführung der Opportunitätsstrukturen wird gleichwohl deutlich, dass die Entfal-
tung und Erfüllung von Interessen nicht alleine von äußeren Bedingungen im Sinne von Res-
sourcen (hier im weitesten Sinn verstanden) abhängig ist, sondern auch von gesellschaftlich
strukturierten Handlungsoptionen und auf personeller Ebene in wahrgenommene Dispositions-
spielräume umschlagen, welche auf diesen externen soziostrukturellen Bedingungen und inne-
rer Autonomie basieren (vgl. Clemens, 1999).306
Darüber hinaus wird der multidimensionale Charakter der Lebenslage explizit betont bzw. ein-
fache Ursache-Wirkungs-Relationen verneint – Lebenssituationen „sind nicht auf jeweils eine
Ursache zurückzuführen, sondern auf eine Interdependenz zwischen disponierenden Elementen
und auslösenden und verursachenden Faktoren“ (Amann, 1983, S. 19). Lebenslagen sind daher
nur in ihrer Einheit zu betrachten, werden aber weder von Individuen „in ihrer Totalität wahr-
genommen und interpretiert, noch können sie ohne Trennung in Einzeldimensionen untersucht
werden“ (Amann, 1983, S. 151). Die Konsequenz ist die Einfuhr von Lebenslagendimensionen
als inhaltlich umschreibbare Bereiche.
Lebenslagen sind zusammenfassend das gesellschaftlich-historische und individuell-lebensge-
schichtliche Produkt einer doppelten Dualität, d.h. fortlaufendes Ergebnis und zugleich Aus-
gangssituation einer sich gegenseitig bedingenden Makro- und Mikroebene.307 Lebenslagen
von Menschen ändern sich stetig im strukturellen wie im individuellen Bereich (vgl. Amann,
1994, S. 324) und sind Ergebnis von Vergangenheit und Ausgangsbasis zukünftiger Entwick-
lung bzw. situativer Kontext für weiteres Handeln (vgl. Voges, 2006, S. 5). Ein plakatives Bei-
spiel liefert Amann (2000a, S. 589): „Die materielle Lage der Älteren zeigt ihre Herkunft aus
verschiedensten Vorbedingungen. Frühere Berufsposition, der Bildungsstatus, das Einkommen
und die Zugehörigkeit zur Sozialschicht wirken aus dem früheren Leben ins Alter hinein nach.

Individuum ergibt sich daraus ein im Lauf des Lebens sich veränderndes, komplexes Feld von sachlich, zeit-
lich und normativ strukturierten Handlungsmöglichkeiten, angesichts derer geplant und verzichtet, zwischen
denen gewählt, entschieden, aber auch ‚vermittelt‘ wird, kurz: Balance-Arbeit geleistet werden muß“ (Amann,
2000b, S. 70). Anders formuliert werden in diesen Bereichen Anforderungen und Erwartungen gestellt, wohl
aber auch Handlungsoptionen offeriert und bilden damit die gesellschaftlichen Opportunitätsstrukturen.
305
„Die zentralen Vermittlungsmechanismen dieser Erlebens- und Verhaltensweisen sind die verschiedenen So-
zialisationsprozesse“ (Amann, 1983, S. 19), die Menschen durchlaufen.
306
„Eine Lebenslage bildet den Ausgangszustand und zeitlich verschoben den Endzustand, der sich ergibt, wenn
Personen verfügbare materielle und immaterielle Ressourcen unter bestimmten Opportunitätsstrukturen ent-
sprechend ihren Fähigkeiten und Präferenzen nutzen“ (Voges, 2011, S. 31)
307
In diesem Sinne können aggregierte Querschnittsbilder zwar Aufschluss über das aktuelle Leben geben und
lassen sich zu Typen von aktuellen Lebenslagen formieren, dahinterliegend ist jedoch immer von eigentümlich
individuellen ganzheitlichen Lebenssituationen auszugehen. Diese Einsicht ist wichtig, denn auch wenn sich
Strukturen aktueller Lebenslagen ähneln, so muss dies einerseits nicht in allem Unbeachteten bzw. Weggelas-
senem der Fall sein (das Leben erschöpft sich auch in vielen Indikatoren nicht), andererseits kann die eine
Lage im Vergleich zur anderen unterschiedlichen Ursprungs ebenso sein, wie sich beide in Zukunft wieder
voneinander entfernen mögen. Hierin lässt sich eine weitere mögliche Typenbildung erkennen, welche in zeit-
licher Perspektive nach ähnlichen Mustern und Verkettungen fragt und so zum Beispiel gleiche und andere
Wege in die Altersarmut zu identifizieren sucht.
Lebenslagen in Altersarmut 155

Aus ihnen kumulieren positive Anteile in Privilegierungen und negative in Benachteiligungen


– Unterschiede verschärfen sich. Schließlich werden aber auch dem Altern eigene Einflüsse
sichtbar, so, wenn ein nicht an Krankheit gebundener Rückgang der Kräfte die Mobilität ein-
schränkt, wenn Gebrechlichkeit eintritt.“308
Ein ideelles Forschungsprogramm muss sich entsprechend der Lebenslagenkonzeption der Le-
benssituation von Menschen möglichst umfassend nähern. Dies ist der programmatische Punkt
und formt eine holistische Perspektive auf das Leben existierender Menschen, welches sich in
seinem aktuellen Vorfinden als Resultat einer prozesshaft aufschichtenden Dialektik zwischen
Struktur und Handlung dem oder der BeobachterIn präsentiert. Die Vielschichtigkeit des Le-
benslagenansatzes lässt jedoch eine empirische Umsetzung als schwierig, „wenn nicht unmög-
lich, erscheinen“ (Voges u. a., 2003, S. 56). Daher plädiert Voges dafür, aus der Einheit der
Lebenslage diejenigen Dimensionen auszuwählen, die einfach zu erheben sind, dennoch ein
möglichst umfassendes Bild der Lebenslage zeichnen. Zu ergänzen ist, dass die Darstellung
unter theoriegeleiteten Gesichtspunkten auf die Gesamtsituation ausgerichtet sein sollte (vgl.
Amann, 1983, S. 152) bzw. sich aus der Problemdefinition ableitet. Im Vorliegenden gilt es
daher Dimensionen auszuwählen, welchen im Kontext von Armut Bedeutung beigemessen
werden kann; die Unvollständigkeit, wie oben erörtert, ist gleichfalls zu beachten. Der Einbe-
zug der zeitlichen Dimension stellt eine nicht mindere Schwierigkeit dar, welche Längs-
schnittanalysen bzw. retrospektive Betrachtungen in qualitativen Arbeiten impliziert. Letztere
bieten zudem den Vorteil die Erfahrungen und Deutungsmuster sowie daraus resultierende
Praktiken der Menschen in den Blickpunkt nehmen zu können. Wie Amann (2000b, S. 66)
aufmerksam macht, prädestiniert eine lebenslagenorientierte Perspektive dafür, bei einer mög-
lichst umfassenden Erhebung ein mixed-method Design anzuwenden. „Aggregatdaten haben
die objektive Seite widerzuspiegeln, jenen Bereich, der äußeren Bedingungen [...] schließlich
müssen Untersuchungen die Interpretations- und Verarbeitungsformen dieser äußeren Bedin-
gungen durch den Menschen verfolgen. Derart durch Ergebnisse unterschiedlicher Ebenen ent-
standene Beschreibungen von Lebenslagengesamtheiten können dann auch als Lebenslagenty-
pen behandelt werden; und nur in dieser Weise können Lebenslagenvergleiche angestellt wer-
den“ (Amann, 1983, S. 156). In der vorliegenden Arbeit steht eine Subjektorientierung im Zent-
rum der Analyse, trotzdem wird der Versuch unternommen beide Aspekte der äußeren und
inneren Zustände zu verquicken – hierzu wurden bereits einige Aspekte der äußeren Bedingun-
gen aufgegriffen. Im Nachfolgenden werden weitere vorgestellt sowie die Analyse im paradig-
matischen Modell in Form der intervenierenden Bedingungen auf die äußeren Umstände ver-
weist. Das Kodierparadigma scheint die Implikationen einer lebenslagenorientierten Perspek-
tive einlösen zu können und überführt in eine systematische Anknüpfung von externen Lebens-
bedingungen und der alltäglichen Deutung und Praktiken. Das Phänomen bzw. im Zentrum des
paradigmatischen Modells ist die Lebenslage als Einheit selbst; als Bedingungen und Kontext
lassen sich gewissen Ausprägungen von Lebenslagendimensionen zu einem bestimmten Zeit-
punkt begreifen, welche durch Interpretationen und Handlungen in Konsequenzen münden und

308
Clemens (2004, S. 49) macht in einem Beispiel auf die perspektivische Ausrichtung von Lebenslagenanalysen
vor dem Hintergrund der aktuellen Situation aufmerksam: „Besonderheiten der Lebenslage im Alter wirken
sich - verglichen mit früheren Lebensphasen - einerseits in mehr Stabilität der Handlungsbedingungen aus,
wie z.B. bezogen auf finanzielle und materielle Spielräume (allerdings häufig auf niedrigerem Niveau). An-
dererseits zeigt sich mehr Instabilität in Umfang und Konstanz sozialer Beziehungen, bei Hilfe- und Pflege-
bedürftigkeit, in Aktivitäts-, Dispositions-, Partizipations- und Kooperationsspielräumen. Deprivationsphäno-
mene - wie geringes Einkommen oder schlechte Wohnbedingungen wirken im Alter stärker, da sie objektiv
weniger veränderbar sind. Die Hierarchie von Handlungsspielräumen erfährt mit zunehmendem Alter Verän-
derungen. So gewinnen materielle Grundlagen - wie das Wohnen - oder Sozialbindungsspielräume an Bedeu-
tung, während sich Partizipations-, Lern- und Erfahrungsspielräume bedeutungsmäßig reduzieren“.
156 Das doppelte Relativ der Altersarmut

eine neue Lebenslage als Einheit produzieren, welche erneut als Ausgangsbedingung dient, wo-
bei auch externe Veränderung zu beachten sind. Das Phänomen der Lebenslage schreibt sich
damit prozesshaft in der Zeit fort.
Zweierlei gilt es abschließend noch aufzugreifen: Einerseits wird in soziologischer Betrachtung
die Verflechtung von Struktur und Handlung virulent und hat zu einer Fülle an Konzeptionen
beigetragen, die dies zu theoretisieren versuchen. Andererseits kritisieren Forscher wie
Clemens (2004) und Schroeter (2001) die Theorielosigkeit in diesem Bereich der Lebenslagen-
konzeption. Hierzu erfolgt noch eine Anmerkung - eine theoretische Aufarbeitung wird an die-
ser Stelle nicht geleistet, bedürfte diese einer eigenen Forschungsarbeit. 309 Im Anschluss wird
auf die Auswahl der betrachteten Lebenslagendimensionen eingegangen.

• Lebensführung als Konzept zwischen Strukturdeterminismus und Autonomie


Abstand soll zu Beginn von Begrifflichkeiten genommen werden, die eine Art verhaltensspe-
zifischer Gruppengemeinsamkeit implizieren. Betont formuliert: es gibt weder eine „cultur of“
noch eine „underclass“ der altersarmen Menschen. Auch wenn sich daher zum Beispiel das
Habitus Konzept von Bourdieu (1998) anböte, so müsste dieses aus seinem klassentheoreti-
schen Fundament gelöst werden, welche die Klassenbedingtheit von Lebensstilen zumindest
aus heutiger Sicht überbetont. Zudem lässt sich eine Berufszentrierung feststellen, welche Fra-
gen der Lebensführung etwa bei Hausfrauen und -männern aufwirft (siehe Ecarius, 1996) –
viele der gängigen Theorien sind letzten Endes „altersblind“ bzw. erwerbszentriert oder in Be-
zug auf Konsistenz und Varianz der Lebensführung widersprüchlich bzw. hinsichtlich der Be-
dingungen für Veränderungen unspezifisch.310 Im Anschluss wird daher der Ansatz von
Amrhein (2008) aufgegriffen, welcher explizit die Lebensführung im Alter in den Blick nimmt.
Die Lebensführung (im weiteren Sinne) wird definiert als „Struktur und den Gesamtzusam-
menhang der inneren Orientierungen, Werte und Einstellungen sowie der äußeren – expressiv-
ästhetischen wie interaktiv-normativen – Verhaltensweisen einer Person. Wenn von Lebensstil
gesprochen wird, ist der alltagspraktische Ausschnitt des expressiv-ästhetischen bzw. symbo-
lisch-stilisierten Verhaltens gemeint. Der Ausschnitt des interaktiv-normativen Alltagsverhal-
tens hingegen soll als Lebensgestaltung (bzw. Lebensführung im engeren Sinne) bezeichnet
werden“ (Amrhein, 2008, S. 27). Die Wahl der konkreten Lebensführung ist neben materiellen
und institutionellen Kontextbedingungen vom vorhandenen und aktivierbaren Wissensvorrat
an Situations- und Handlungsmodellen311 abhängig. Die meisten Deutungsmuster und sozialen
Drehbücher bzw. Skripten liegen dabei in sozial typisierten und standardisierten Formen vor.
Amrhein (2008, S. 207ff.) geht davon aus, dass es kollektive Modelle des Alter(n)s gibt, wobei
zwischen rechtlich/institutionellen (etwa Modelle der Pensionierung) und kulturellen Modellen

309
Mit einem gewissen Erstaunen ist festzuhalten, dass zwar die Kritik offenkundig ist und schon viele Jahre
besteht, es jedoch nur wenige Ansätze gibt, diese Problemlage in der Lebenslagenkonzeption aufzulösen und
meist nur als Versuche verstanden werden wollen (bspw. Clemens, 2004; Schroeter, 2000a, 2001).
310
Als ein Ergebnis aus empirischen Untersuchungen lässt sich gleichfalls festhalten, dass im Alternsprozess
expansive, experimentelle und explorative Aktivitätsmuster mehr und mehr von aufrechterhaltenden und
rückzugsorientierten Verhaltensweisen abgelöst werden (vgl. Amrhein, 2008, S. 149).
311
„Entwicklungsaufgaben, Altersnormen, Altersbilder, Alterserwartungscodes oder Alterssemantiken sind spe-
zifische Aspekte all der Vorstellungen und Erwartungen, die Menschen hinsichtlich des eigenen oder fremden
Alterns entwickelt bzw. internalisiert haben. Diese im Gedächtnis gespeicherten Vorstellungskomplexe sollen
als kognitive Alter(n)sschemata bezeichnet werden“ (Amrhein, 2008). Modelle des Alter(n)s sind jene Sche-
mata, die sich auf typische Situations- und Handlungskontexte im Alter beziehen. Amrhein unterscheidet zwi-
schen Modellen von typisierten Situationsdefinitionen, den sogenannten „Rahmungen“ bzw. Frames, und
Modellen von typisierten Handlungsabläufen, den sogenannten „sozialen Drehbüchern“ bzw. Skripten – hier
wird an Essers Frame-Selektions-Theorie angeknüpft.
Lebenslagen in Altersarmut 157

(Leitbilder über die Lebensführung im Alter bspw. aktiv, selbständig versus abhängig und Al-
tersnormen) unterschieden werden kann, letztere als symbolische Wissensbestände eher infor-
mell konstruiert und verbreitet sind. „Das Profil der Inklusion eines Individuums in die entspre-
chenden ‚kulturellen Milieus‘ und ‚funktionale Sphären‘ sowie eine damit verbundene selektive
Wahrnehmung und selektive Kenntnis kultureller und institutioneller Modelle wirken hierbei
als erster Filter“ (Amrhein, 2008, S. 208).312 Damit reduzieren sich die Lebensführungsmodelle
auf jene, die in sozialer Reichweite des Individuums liegen und der sozialen standortabhängi-
gen Relevanzstruktur entsprechen. Diese kollektiven Modelle bilden eine Hintergrundfolie, auf
Basis deren ausgewählt und eigenen Bedürfnisse angepasst sich individuelle Lebensführungs-
modelle synthetisieren, was jedoch zusätzlich in Abstimmung und Auseinandersetzung mit der
sozialen Bezugsumgebung erfolgt – der zweite Filter.313 Es ist also davon auszugehen, dass sich
Menschen in ihren Entscheidungen an sozial definierten Handlungsmöglichkeiten orientieren,
die in einem interaktiven Prozess lebensweltlich konstituiert werden. Betonen möchte Amrhein
(2008, S. 209) aber nicht nur eine determinierte Wahl, sondern dass die persönliche Präferenz-
bildung für das individuelle Lebensführungsmodell entlang des Abwägens von subjektiv be-
werteten Erträgen und Kosten von möglichen Handlungsfolgen erfolgt, welche die subjektiven
Bedürfnisse am ehesten zu befrieden vermögen. Die Bewertung des Nutzens – ergänzt soll auch
die Entfaltung der Bedürfnisse werden – hängt seinerseits von biographisch erworbenen Dis-
positionen und Geschmackspräferenzen ab, die sich in der Kontinuität der Identität kristallisiert
haben. Zusammengefasst bedeutet dies:
„Biographische Entscheidungen und Formen der alltäglichen Lebensführung bzw.
-stilisierung im Alter resultieren aus einer nutzenorientierten, habitualisierten
und/oder reflexiven Selektion von sozial konstruierten und biographisch angeeig-
neten Deutungs- und Handlungsschemata des Alter(n)s. Die individuelle Konstitu-
tion dieser „Drehbücher des Alter(n)s“ basiert auf institutionellen, kulturellen und
lebensweltlichen Alter(n)smodellen, welche aufgrund ihrer sozialen Typisierung
und Verbreitung Entscheidungskomplexität reduzieren und lebensweltlich kommu-
nizierbare Vorstellungen über Handlungsmöglichkeiten im Alter anbieten. Selek-
tiert werden solche Modelle, die unter Einsatz der verfügbaren Kapital- und Hand-
lungsressourcen die biographisch und lebensweltlich spezifizierten Grundbedürf-
nisse nach physischem, sozialem und mentalem Wohlbefinden am effizientesten be-
friedigen können“ (Amrhein, 2008, S. 209).
Mit dem Begriff Lebensführung wird also der Gesamtzusammenhang der inneren Orientierun-
gen, Werte und Einstellungen sowie der äußeren Verhaltensweisen einer Person bezeichnet, die
im Lebensverlauf angeeignet wurden bzw. sich aufgeschichtet haben. Im Konzept der Lebens-
lage kommt der Erschließung dieser Deutungs- und Handlungsschemata ein erklärendes Mo-
ment im Verstehen der Optionswahl zur Befriedung der biographisch und lebensweltlich ge-
prägten Bedürfnisse zu.

312
„Die Struktur eines sozialen Feldes und die Position, die eine Person darin einnimmt, bestimmen wesentlich,
welche Ressourcen und Kapitalien ihr optimal zur aktiven (d.h. über soziales Handeln erfolgenden) Produk-
tion des individuellen Nutzens dienen“ (Amrhein, 2008, S. 197).
313
„Hier befinden wir uns auf der Meso-Ebene der Lebenswelt der persönlichen Beziehungen, sozialen Netz-
werke und Primärgruppen. Viele alltägliche Entscheidungen und Handlungsweisen ergeben sich so als ge-
meinschaftlicher Prozess der normativen und strategischen Abstimmung mit den jeweiligen Partnern, Ver-
wandten, Freunden und Bekannten. Da diese die relevantesten und stabilsten Quellen für das physische Wohl-
befinden und die soziale Wertschätzung eines Individuums darstellen, üben sie auch den stärksten Einfluss
auf die Bildung von Einstellungen und Lebenszielen und damit auf die realisierte Lebensführung aus“
(Amrhein, 2008, S. 201).
158 Das doppelte Relativ der Altersarmut

• (Un)Endlichkeit der Dimensionen


Wie bereits aufgezeigt wurde, lassen sich aus den vorgestellten Lebenslagenkonzeptionen keine
expliziten Ableitungen von Dimensionen finden, eher wird eine umfassende, vollständige oder
totale Erfassung eingemahnt, gleichzeigt besteht aber Einigkeit, dass dies unmöglich sei. Häu-
fig werden die Lebenslagendimensionen daher ad-hoc bzw. heuristisch eingeführt (u.a.
Allmendinger & Hinz, 1999; Engels, 2006; Voges, 2011). So schreibt bspw. Voges (2006, S.
3): „Um eine Lebenslage und den damit verbundenen Handlungsspielraum erfassen zu können,
scheinen die Dimensionen Bildung, Erwerbstätigkeit, Wohnen, Gesundheit und Einkommen
geeignet. Mitunter wird noch die Forderung erhoben, stärker eine Dimension zum sozialen Ka-
pital in Form von Unterstützungsleistungen aus sozialen Netzwerken zu berücksichtigen“. Ein
paar weitere Beispiele sollen aufzeigen, welche Dimensionen in empirischen Arbeiten mit Ver-
weis auf eine lebenslagenorientierte Perspektive Einzug fanden: Bei Amann (1983) stehen die
Dimensionen des Einkommens, Wohnverhältnisse, Sozialbeziehungen und Gesundheitszu-
stand in der Analyse von Lebenslagen bei KlientInnen der Altenhilfe im Vordergrund. Promi-
nent ist aber vor allem die Ableitung von Nahnsen (1992), welche auf Basis des Operationali-
sierungspostulates fünf Einzelspielräume herleitet: Einkommens- und Versorgungsspielraum,
Kontakt- und Kooperationsspielraum, Lern- und Erfahrungsspielraum, Regenerations- und
Mußespielraum, Dispositions- und Partizipationsspielraum. Je nach Umfang werden die Ent-
faltung und Erfüllung von Grundanliegen bestimmt. In der Studie von Lompe (1987) über So-
zialhilfebezieherInnen wurden die von Nahnsen vorgestellten Einzelspielräume aufgriffen und
„unter Berücksichtigung ihres subjektiven Erlebens der Situation“ (Lompe, 1987, S. 5) analy-
siert. Krieger & Schläfke (1987) präsentieren dazu ein qualitatives „Lebenslageninterview“,
welches von Krieger (1993) weiter detailliert wurde; über 40 Positionen – bspw. über das Maß
der sozialen Kontakte, Ausbildungsschicksal, Mobilität, Wohnsituation, Wohnumfeld, Diskri-
minierung, Möglichkeiten der Gesundheitspflege oder das Vorhandensein von politischen Teil-
haberechten – sind den fünf Spielräumen zugeordnet. Nimmt man die genannten Positionen im
vollen Umfang ernst, so scheint eine Erschließung wiewohl nur in detaillierten und wenigen
Fallanalysen möglich. Konträr dazu wurde in der Arbeit von Hanesch (1994, S. 128) mit einer
deutlichen Einschränkung in den Indikatoren die Dimensionen Einkommen, Erwerbsarbeit,
Bildung, Wohnen, Gesundheit zur quantitativen Analyse herangezogen. Im qualitativen Teil
orientierte man sich zwar auch an den von Nahnsen benannten Spielräumen, wobei auch hier
die relevanten Lebensbereiche durch Arbeit, Bildung, Wohnung, Gesundheit, ergänzt um Ge-
sundheits- und Sozialdienste im Mittelpunkt standen. Neben einer Darstellung der „objektiven
Merkmale der Lebenssituation der befragten Senioren“ (Hanesch, 1994, S. 348), erfolgte eine
Analyse der Ursachen von Armut, Beschreibung des subjektiven Erlebens der Armutssituation
– hier tauchen auch Bereiche wie Wohnen, Gesundheit oder soziale Kontakte auf – und der
gesellschaftlichen bzw. politischen Teilhabe sowie eine kurze Situationsbeschreibung von Ver-
änderungen im Zuge der Wiederholungsbefragung. Naegele (1998, S. 110) – als Vertreter einer
gerontologischen Betrachtung – rekurriert bei den Dimensionen auf den Vermögens- und Ein-
kommensspielraum, den materiellen Versorgungsspielraum, Kontakt-, Kooperations- und Ak-
tivitätsspielraum, Lern- und Erfahrungsspielraum, Dispositions- und Partizipationsspielraum,
Muße- und Regenerationsspielraum sowie Unterstützungsspielraum.314 Schwenk (1999) hinge-
gen verwirft Nahnsens Vorstellung bewusst und wendet sich Hradil (1987) in der Auswahl der
Dimensionen zu, welcher Lebensziele im ökonomischen, wohlfahrtsstaatlichen und sozialen
Bereich verortet. In Anbetracht der verfügbaren Daten, werden Einkommen, formale Bildung,

314
In einer aktuelleren Fassung benennt Naegele (2015, S. 73) sechs Dimensionen: der Unterstützungsspielraum
dürfte im Versorgungsspielraum aufgegangen sein.
Lebenslagen in Altersarmut 159

Wohnungsausstattung, Umweltbedingungen, Anomie, soziale Integration (im Sinne der Kon-


taktanzahl an engen Freunden) und der Wohnraum analysiert. Koplenig (2007, S. 260) als Ver-
treter einer der wenigen österreichischen Studien zum Thema Altersarmut band in seinen Inter-
viewleitfaden die Bereiche soziale und öffentliche Infrastruktur, Wohnen und Wohnumfeld,
Gesundheit, soziale Kontakte, primäre Lebensführung und sekundäre Lebensführung (die bei-
den Letztgenannten sind in Wirklichkeit die Lebensstandard-Items des SILC) ein, während
Schmidtke (2008) aus quantitativer Richtung einen Lebenslagen-Index zu entwickeln versuchte
und dabei 21 Indikatoren aus den Dimensionen Einkommen, Bildung, Erwerbstätigkeit, Ge-
sundheit, Wohnen, soziale Netzwerke, soziale Teilhabe und Partizipation einbezog.315
Zusammen lässt sich in den Bestrebungen der Auswahl an Lebenslagendimensionen eine Va-
rianz bei gleichzeitiger Konstanz einiger Dimensionen attestieren. Wie soll daher bei dieser
Arbeit verfahren werden? Wie bereits Amann (1983) konstatiert, sollte die Darstellung der Le-
benslage immer unter theoriegeleiteten Gesichtspunkten auf die Gesamtsituation ausgerichtet
sein;316 zudem ist zu ergänzen, dass auch pragmatische Entscheidungen in der Forschung ex-
pliziter dargestellt werden sollten und nicht hinter nachgereichten theoretischen Erklärungen
verwischt werden dürfen.317 Häufig ist die Dimensionsauswahl keine theoretische Entschei-
dung, sondern einem Mangel an Daten geschuldet oder leitet sich wohl eher aus dem Interesse

315
Die Arbeit von Schmidtke (2008) kann als einer der ambitioniertesten Versuche gesehen werden, das Lebens-
lagenkonzept zu quantifizieren. Kritisch ist der „Quantifizierungsperfektionsmus“ um Weissers Worte zu ge-
brauchen, dann aber doch zu bewerten, wenn selbst im Bereich der familialen Situation die Lebensform – u.a.
AlleinererzieherInnen und Personen ohne Partnerschaft – einbezogen wird und die beiden genannten Formen
als benachteiligend eingeordnet sind. Zwar scheint sich Schmidtke (2008, S. 205) dieser Problematik bewusst,
gibt hierzu aber keine genauere theoretische Fundierung, warum ein Singledasein per se als benachteiligend
zu werten sei. Der Fall verdeutlich dabei die zweite große Problematik neben der Dimensionswahl Schwellen
für eine benachteiligende Situation zu setzten.
316
Als Ansatzpunkt für eine begründete Auswahl an Dimensionen ist an Ergebnisse aus der Lebensqualitätsfor-
schung zu denken – im Besondern auch die Überlegungen von Allardt (1974) zu den Aspekten having, loving
und being, die im Weiteren auch zwischen objektiven Lebensbedingungen und subjektivem Wohlbefinden
(vgl. Glatzer & Zapf, 1984, S. 21) differenziert wurden –, welche etwa durch Zapf in Bezug zu Lebenslagen
gesetzt wurden bzw. könnte die Lebensstimmung bei Neurath als Lebenszufriedenheit gedeutet werden –
„moderner ausgedrückt geht es um das subjektive Wohlbefinden, die ‚Lebenstimmung‘ wie dies von Neurath
genannt wird“ (Glatzer & Neumann, 1993, S. 43); durch beiderlei ließe sich das Lebenslagenmodell in der
Begründung der betrachteten Dimensionen auch vor dem Hintergrund von Armut weiter fundieren. Eine wei-
tere Möglichkeit besteht sicherlich darin, die Dimensionen über die angefertigte Liste der „Central Human
Capabilities“ (Nussbaum, 2000, S. 70ff.) her- bzw. abzuleiten. Nussbaum hat hierzu auch eine Grundsatzüber-
legung: „first, that certain functions are particularly central in human life, in the sense that their presence or
absence is typically understood to be a mark of the presence or absence of human life; and second – this is
what Marx found in Aristotle – that there is something that it is to do these functions in a truly human way,
not a merely animal way. We judge, frequently enough, that a life has been so impoverished that it is not
worthy of the dignity of the human being, that it is a life in which one goes on living, but more or less like an
animal, unable to develop and exercise one’s human powers. In Marx’s example, a starving person doesn’t
use food in a fully human way – by which I think he means a way infused by practical reasoning and socia-
bility. He or she just grabs at the food in order to survive, and the many social and rational ingredients of
human feeding can’t make their appearance. Similarly, he argues that the senses of a human being can operate
at a merely animal level – if they are not cultivated by appropriate education, by leisure for play and self-
expression, by valuable associations with others; and we should add to the list some items that Marx probably
would not endorse, such as expressive and associational liberty, and the freedom of worship. The core idea is
that of the human being as a dignified free being who shapes his or her own life in cooperation and reciprocity
with others, rather than being passively shaped or pushed around by the world in the manner of a ‘‘flock’’ or
‘‘herd’’ animal. A life that is really human is one that is shaped throughout by these human powers of practical
reason and sociability” (Nussbaum, 2000, S. 72). Auch dies bedürfte einer eigenen Arbeit und müsste zudem
mit der Lebensführung in Einklang gebracht werden.
317
Oder in Abwiegelung der Dimensionsfrage gleich auf einen „data driven approach“ rekurriert wird.
160 Das doppelte Relativ der Altersarmut

der ForscherInnen ab. Vorweg daher zu einem pragmatischen Aspekt, welcher der vorliegenden
Arbeit zu Grunde liegt; entsprechend begrenzter Ressourcen musste eine Entscheidung getrof-
fen werden, ob eine möglichst umfassende Ermittlung der Lebenslagen oder eine gewisse Fülle
an Varianten von Lebenslagen im Vordergrund stehen sollte. Die Überlegungen führten dazu,
einen Mittelweg einzuschlagen, dem damit eine Zentrierung auf gewisse Bereiche vorausging.
Aufgrund der zeitlichen Komponente des Lebenslagenkonzeptes wurde ein, die Biografie der
Befragten, ermittelnder Part in die Interviews aufgenommen. Das restliche Pensum entfiel auf
die aktuelle Lebenslage. Es ist vorauszuschicken, dass die Interviews möglichst offen gestaltet
wurden - dementsprechend war es für die Befragten möglich, ihre Relevanzstrukturen einzu-
bringen, auch wenn ein gewisser Fokus auf den nachfolgenden Dimensionen lag.318 Das ge-
wonnene Material erschöpft sich daher in den drei Dimensionen – Gesundheit, Wohnen und
soziale Beziehungen – nicht. Inhaltlich lässt sich die Auswahl erneut auf eine Beobachtung
zweiter Ordnung zurückführen, d.h. was in der Wissenschaft für relevant gehalten wird. Wie
obige Ausführungen zu den Dimensionen zeigen, spielen die drei Bereiche in aktuelleren Ar-
beiten eine weitgehend konstante Rolle und werden somit in der Forschung für beachtenswert
gehalten; wichtiger war es aber zudem, jene Dimensionen aufzugreifen, welche in der Sozial-
berichterstattung im Bereich Armut zur Anwendung kommen. Die Orientierung an diesen ist
auch der Anschlussfähigkeit geschuldet, denn diese Arbeit soll die Thematisierung von Alters-
armut ergänzen bzw. vielleicht auch dazu anzuregen, die empirischen Ergebnisse mit vorhan-
den Daten weiter zu verfolgen. Ohne hier nochmals die Sozialberichte aufrollen zu wollen, lässt
sich an dieser Stelle sagen, dass Wohnen319 und Gesundheit320 ein fixer Bestandteil der SILC
Erhebungen sind; über soziale Beziehungen finden sporadische Erhebungen 321 statt, werden
aber – wenn Daten vorhanden sind – einbezogen (siehe etwa Lamei u. a., 2017). Warum jene
Dimensionen in der Sozialberichterstattung aufscheinen, lässt sich durch einen Argumentati-
onsgang Hradils (1987) begründen. Er nimmt dabei eine Beobachterposition ein und fragt nach
den intersubjektiv geteilten Lebenszielen, welche er als Zielvorstellungen im Hinblick auf die
Qualität des Lebens verstanden wissen will, „die sich im Prozeß der politischen Willensbildung
relativ durchgesetzt haben“ (Hradil, 1987, S. 143). Hierbei unterscheidet er die ökonomische,
wohlfahrtsstaatliche und soziale Sphäre, in welcher Bedürfnisse unter anderem nach Wohl-
stand, Sicherheit, Partizipation, Integration, Selbstverwirklichung und Emanzipation angelegt
sind und diese auf Basis der unterschiedlichen Ausprägung von Lebensbedingungen einmal
besser bzw. schlechter realisiert werden können. Geht man davon aus, dass die Sozialbericht-
erstattung nicht losgelöst, sondern im Sinne von Problemanzeigern auch Resultate des politi-
schen Willensbildungsprozesses sind (der Bedarf einer Armutsberichterstattung von politischer
Seite ergab sich aus dem Umstand, diese bekämpfen zu wollen), so lässt sich schlussfolgern,
dass die gewählten Dimensionen für dieses Projekt, welche eben Teil der Sozialberichterstat-
tung sind, zur Erfüllung von Lebenszielen gesellschaftlich als beachtenswert gesehen werden.

318
Ein Interviewpartner verwarf in diesem Zusammenhang sozusagen die intendierte Zielrichtung der Einstiegs-
frage und berichtet zuerst ausführlich über eine Weihnachtserfahrung. Inwiefern dies für die Interpretation
eine Rolle spielt, sei hier hintan gestellt, es soll aber verdeutlich werden, dass die Befragten ausreichend die
Möglichkeit hatten, eigene Themen einzubringen. Das „Durchpeitschen“ eines Interviewleitfadens war nicht
das Ziel.
319
Für den Bereich des Wohnens wird in der Literatur ein enger Konnex zur monetären Lage angenommen.
320
Gesundheit ist aufgrund seiner Strahlkraft für andere Lebenslagenbereiche eine Dimension, welche man in
allen mir bekannten (sei es ESS, SILC, SHARE, SOEP usw.) sozialwissenschaftlichen Befragungen mitführt.
321
M.E. liegt ein Hauptgrund für die seltenere Erhebung von sozialen Beziehungen nicht in der zugesprochenen
Relevanz, sondern in der verfahrenstechnischen Problematik, dass deren adäquate Erhebung ein großes Zeit-
budget innerhalb der Befragung in Anspruch nimmt, was der Logik einer möglichst breiten Themenvielfalt in
Omnibusbefragungen zuwiderläuft.
Lebenslagen in Altersarmut 161

Gleichwohl sich eine gewisse Konsistenz in den betrachteten Lebenslagendimensionen zeigt


und sich diese als intersubjektiv geteiltes Verständnis zur Erfüllung von Bedürfnissen durchge-
setzt haben, ist die Frage der Dimensionswahl mit der weiterführenden Problematik verknüpft
– dies wird vor allem in der Armutsforschung virulent und blieb bisher unbeantwortet (vgl.
Voges u. a., 2003, S. 35) –, ob den jeweiligen Lebenslagendimensionen die gleiche Relevanz
bzw. Gewichtung zukommt. Zwar wird der Einkommensdimension – zumindest in der Armuts-
forschung – selbst im Lebenslagenkonzept ein Primat eingeräumt (vgl. Allmendinger & Hinz,
1999; Voges, 2006; Voges u. a., 2003), da durch das Einkommen (bzw. Vermögen) Defizite
in anderen Dimensionen kompensiert werden können oder es wird die Entfaltung von Dimen-
sionen im Wesentlichen erst ermöglicht, wenn gewisse Güter (wie Wohnen, Nahrung, Kleidung
usw.) über die Angebote des Marktes und damit über finanzielle Ressourcen geregelt sind (vgl.
Thieme, 2008, S. 237). Zum anderen ist damit jedoch nicht geklärt, ob z.B. der Gesundheit und
dem Wohnen jeweils die gleiche Relevanz zufallen kann bzw. sollte, was im Anschluss auch
im Einbezug von Dimensionen in die Armutsdefinition eine Rolle spielt.322 Naegele ( 2015, S.
73) verweist daher einfach auf die Wichtigkeit der Dimensionen, Erwerbstätigkeit, Einkom-
men, Bildung, Gesundheit und Wohnen. Engels (2015, S. 155f.) argumentiert, dass die Zentra-
lität der Dimension auf Basis ihrer Relationalität rekonstruiert werden kann, d.h. eine Dimen-
sion ist zentral, weil sich Kausalketten zu anderen Dimensionen identifizieren lassen. Die Über-
legungen werden vor dem Hintergrund von Inklusion/Exklusion bzw. einer systemischen Per-
spektive getätigt. Der Ansatz kann zwar als fruchtbar angesehen werden und wird im Späteren
vorsichtig aufgegriffen, auf eine gewisse Problematik ist allerdings hinzuweisen: Der Gedan-
kengang ist insofern tautologisch als die Lebenslage bereits als Einheit gedacht wird, die Ele-
mente sind also grundsätzlich in einem Beziehungsgeflecht zu sehen. Die Auswahl der Dimen-
sionen kann daher nicht an der Relationalität per se ansetzen, sondern müsste nach dem Wir-
kungsgrad fragen, welcher sich womöglich anhand der Anzahl an Beziehungen erschließen
ließe. Je häufiger ein Element in Kausalketten auftritt bzw. je größer die Beziehungszahl einer
Dimension zu anderen ist, umso größere auch ihre Relevanz. Dazu lassen sich wiederum zu-
mindest zwei Gegenargumente einbringen: Einerseits erscheint es unmöglich, alle Beziehungen
zueinander festzustellen, vor allem wenn man nicht in Großkategorien wie etwa Gesundheit,
sondern in Teilaspekten davon denkt.323 Nicht schlechte Gesundheit verhindert Inklusion am

322
Wie bereits in den vorangegangen Ausführungen erwähnt, wird dieser Einbezug in der letzten Zeit tendenziell
wieder verneint (vgl. u.a. Andreß, 2002; Groh-Samberg, 2009; Hauser, 2010). Jedoch sollen Lebenslagenstu-
dien dazu genutzt werden, die Lebenssituation von als arm adressierten Personen umfassend zu beschreiben
bzw. damit auch Rückschlüsse auf die notwendige Höhe von Sozialleistungen ziehen zu können.
323
Engels (2006) möchte dieser Problematik entgegenwirken, wenn er schreibt, „mit der Rekonstruktion von
einem thematisch relevanten Ausgangspunkt aus wird eine Auswahl an (hier) relevanten Dimensionen bzw.
Teilsystemen entlang wechselseitiger Beziehungen („struktureller Kopplungen“) vorgenommen“. Damit ist
die Dimensionswahl von der Problemdefintion abhängig und wird a priori festgelegt. Es kann daher zuge-
stimmt werden, dass die Auswahl je nach thematisierter Fragestellung bzw. fokussierter Personengruppe er-
folgt, also variabel ist, jedoch sehr wohl von vornherein eine Festlegung erfolgt, wenn dies auch durch empi-
rische Befunde oder logische Ableitungen von Kausalketten geschehen mag. Wichtig ist aber der Hinweis,
dass es unterschiedliche Relevanzstrukturen gibt und Personen einzelnen Dimensionen unterschiedliches Ge-
wicht verleihen. Problematisch ist hingegen, wenn in stereotypisierenden Kategorien gedacht wird, etwa: „Um
beispielsweise die Lebenslage von Senioren zu beschreiben, können Wechselbeziehungen zwischen Gesund-
heit, Partizipation an Kultur und Freizeit sowie sozialen Netzwerken eine höhere Relevanz haben, während
„Erwerbsarbeit“ in den Hintergrund rückt“ (Engels, 2006). Ohne Frage wird Gesundheit im Alter zu einem
wichtigen Thema, vor allem aber deswegen, weil sich für einen immer größeren Teil die Gesundheit ver-
schlechtert. Wie jedoch gezeigt wurde, bleibt bei vielen der Gesundheitszustand bis ins sehr hohe Alter durch-
aus gut, Gesundheit wird in solch einem Falle nur bedingt Relevanz einnehmen. Relevanzstrukturen sind folg-
lich auch innerhalb einer gewissen Gruppe verschieden. Werden Themen wie Erwerbsarbeit zudem hintange-
stellt, bleiben durchaus relevante Probleme wie die der Schwarzarbeit bei altersarmen Menschen unentdeckt.
162 Das doppelte Relativ der Altersarmut

Arbeitsmarkt von vornherein, sondern erst die daraus folgenden Funktionseinschränkungen


(auch hier differenziert nach Bereichen und Schweregrad), wobei es nicht nur darauf ankommt,
tatsächlich von solchen betroffen zu sein, vielmehr auch auf die Zuschreibung der Funktions-
einschränkung und die Abschätzung ihrer Auswirkung. Erschwerend kommt hinzu, wie Engels
(2015, S. 156) selbst konstatiert, dass die Konstellationen der Verflechtung in räumlicher, zeit-
licher, gesellschaftlicher und lebensgeschichtlicher Hinsicht variabel sind. Damit wird die
Komplexität noch weiter gesteigert. Selbst Aussagen mittlerer Reichweite über den Wirkungs-
grad werden sich nur auf sehr abstraktem Niveau finden lassen. Das zweite Gegenargument ist,
dass die Anzahl nichts über den Bedeutungsgehalt (bzw. die Stärke der Kopplung) einzelner
Relationen, also deren Pertubationskraft im jeweiligen Fall aussagt. Der Wirkungsgrad müsste
daher zumindest über die Anzahl der Relationen und das Gewicht einzelner Relationen Berück-
sichtigung finden.324
Zusammenfassend ist die Auswahl an Lebenslagendimensionen die Achillesferse der lebensla-
genorientierten Ansätze. Die Forderung nach Multidimensionalität entpuppt sich als der ‚Zünd-
stoff‘, an welcher Stelle die Betrachtungen beginnen und enden, warum jene und nicht andere
Dimensionen und warum nicht jene oder andere Indikatoren genutzt werden sollten. Die Prob-
lematik erhärtet sich, wenn vorab die Indikatoren zu bestimmen sind bzw. wenn unter Bedacht
des Lebenslagenansatzes eine multidimensionale Armutsdefinition erarbeitet wird. In diesem
Moment wird die Frage nach einer deduktiven Ableitbarkeit relevant und mündet auch in der
Normativitätsproblematik, die Relevanzen der Dimensionen abzuwägen sowie Schwellenwerte
für die Unterversorgung zu setzen. Letzten Endes zirkelt alles um den Angelpunkt des (guten)
Lebens – was macht dieses aus, welche Interessen verfolgt dabei der Mensch, welche Bedin-
gungen müssen gegeben sein, um diese zu erfüllen, wie soll und kann eine Bewertung erfolgen.
In diesen Überlegungen schwingt der Mensch mit und geht trotzdem aus dem Blick verloren,
wenn letzten Endes am Schreibtisch darüber verhandelt wird, ob nun ein gewisser Grad an
Erkrankungen oder Bildung oder Anzahl an Kontakten als benachteiligend bzw. arm zu werten
sind; die gesamtheitliche Lebenssituation verblasst.
Für diese Arbeit wird daher von einem vorab festgelegten Bewertungsmaßstab – abseits des
Einkommens als Adressierungskriterium – für einzelne Dimensionen abgesehen, handelt es
sich bei der Lebenslage schlicht um den Spielraum, den der Einzelne zur Gestaltung seiner
Existenz vorfindet und tatsächlich verwertet. Wird im Zuge der Ergebnisdarstellung eine Be-
wertung vorgenommen, sind zweierlei Pole zu berücksichtigen (diese schließen an die Diffe-
renzierung von Simmel über Armut und arm sein an): Zum einen geht es um die Bewertung der
eigenen individuellen Lage durch das Subjekt selbst.325 Diese lassen sich rekonstruieren und

324
Auch damit wären die Überlegungen noch nicht beendet, so müsste danach gefragt werden, welches Vorzei-
chen eine Relation aufweist, also ob diese zu Inklusion oder Exklusion führt. Im Anschluss wären normative
Überlegungen anzustellen, inwiefern sich Exklusion bei gleichzeitiger Inklusion in einem anderen System
aufwiegen.
325
Denn, so schreibt Andretta (1991, S. 58), greift der Forscher „auf theoretisch vorgegebene Interessen zurück,
führt er neben dem einzig zulässigen Kriterium für die Beachtlichkeit von Interessen – die subjektive intra-
personelle Wichtigkeit der Interessen für den betreffenden Menschen - einen nach Kriterien Dritter entwickel-
ten Maßstab für die Beurteilung der Qualität der Lebenslage ein“. In diesem Sinn kann eine Bewertung nur
durch das Subjekt direkt erfolgen oder man arbeitet (interpretiert) die Interessen bzw. Bedürfnisse heraus, um
sie dann mit der Lebenslage zu vergleichen. Hier stellt sich aber die Frage, warum man die Interpretations-
leistung nicht dem betreffenden Menschen überlässt. Das Argument, dass solche Bedürfnisse „manipuliert“
sein könnten, ergibt sich aus der Logik, nach „wahren“ Interessen suchen zu wollen. Eine solche Differenzie-
rung in „wahre“ und „unwahre“ Interessen bzw. Bedürfnisse ist aber unzulässig, da für die persönliche Beur-
Lebenslagen in Altersarmut 163

können auf ihre Ursachen und Wirkungen untersucht werden. Präferenzanpassungen lassen
sich so beispielsweise entdecken, welche in ihrer Ursache auf Restriktionen äußerer Bedingun-
gen zurückgehen können, zugleich in der aktuellen Situation möglichweise psychohygienische
Funktionen besitzen und zukünftige Handlungen (etwa weiterhin auf etwas zu verzichten) mit-
prägen. Auf der anderen Seite steht eine von außen herangetragene Bewertung, welche sich in
Anlehnung an Amann (1983, S. 148) aus den soziokulturellen Normen heraus bemessen, „die
in der jeweiligen Gesellschaft und/ oder gesellschaftlichen Gruppierung in mehr oder weniger
ausformulierter Weise als Trennlinien zur Unterscheidung von Existenzgrenzen, Lebensstilen
und Status- und Prestigepotentialen gelten“.326 Im Vergleich der beiden Pole lassen sich dann
womöglich auch Divergenzen auffinden, welche als Zufriedenheitsparadoxon usw. bezeichnet
werden können. Wie zudem gezeigt wurde, werden die Dimensionen der Gesundheit, Wohnen
und soziale Beziehungen in der Berichterstattung immer wieder aufgegriffen und deuten damit
darauf hin, dass diese in einem intersubjektiven Verständnis wichtige Bereiche des Lebens um-
fassen und so auch den Einbezug in eine lebenslagenorientierte Beforschung von als altersarm
adressierten Menschen legitimiert.

2.5.3 Empirische Fundierung ausgewählter Lagedimensionen


Neben dieser von außen herangetragenen Legitimation soll in diesem Kapitel ein Bezug zu
älteren Menschen und zur jeweiligen Einkommensarmut hergestellt werden. So lässt sich bspw.
auf Basis von Zeitbudgets aufzeigen, dass immer mehr Zeit in den eigenen vier Wänden ver-
bracht wird, die Wohnungsausstattung in einem engen Zusammenhang mit den monetären Mit-
teln steht, während soziale Beziehungen (im Sinne von sozialem Kapital) in der Bewältigung
monetärer Engpässe unterstützen. Kurz: die Relevanz der Dimensionen – ohne diese hier ge-
geneinander abwägen zu wollen – soll auf Basis von empirischen Ergebnissen herausgestellt
werden. Zudem wird noch die eine oder andere gerontologische Theorie angeschnitten, welche
bestimmte Ausprägungen innerhalb der Dimensionen zu erklären versuchen.

2.5.3.1 Gesundheit
„Die Gesundheitssituation ist eine der wesentlichen Determinanten der Gestaltung des Lebens,
der Lebenszufriedenheit insgesamt, aber auch der Antizipation und Planung der zukünftigen
Lebensbedingungen“ (Künemund, 2000). In diesem Sinne wird gerade der Gesundheit im Kon-
text weiterer Exklusionsprozesse ein hoher Stellenwert eingeräumt. So ist der Gesundheitszu-
stand positiv mit der sozialen Netzwerkgröße (vgl. Houtjes u. a., 2014), der Zufriedenheit mit
sozialen Beziehungen und der emotionalen Nähe assoziiert (vgl. Deindl, Hank, & Brandt,
2013), während die Kontaktfrequenz327 bei einem schlechteren Zustand abnimmt und erhaltene

teilung eben die persönliche Wahrnehmung der Situation zählt. Wenn jemand aufgrund empfundener Schmer-
zen eine schonende Haltung einnimmt, lässt sich dies auch nicht durch „objektive“ Labortests in seiner Hand-
lungskonsequenz negieren.
326
So definiert Weisser bspw. die „sozial schwachen Schichten“ darüber, dass „deren Lebenslage von der in der
Öffentlichkeit vorherrschenden Meinung als nicht zumutbar angesehen wird“; während eine Lebenslage, „die
gerade noch als zumutbar angesehen wird, heiße ,soziales Existenzminimum‘. Das soziale Existenzminimum
ist [...] nicht eine Größe, die ein für allemal feststeht. (Weisser, 1957, S. 3; zitiert nach Leßmann, 2007, S. 98).
327
Cavalli, Bickel, & d’Epinay (2007) kommen an dieser Stelle zu einem umgekehrten Ergebnis als Deindl,
Hank, & Brandt (2013). Dies könnte auf die unterschiedliche Operationalisierung zurückzuführen sein und
beide Ergebnisse dürften sich nicht ausschließen. Während eine schlechtere Gesundheit im Schnitt zu einem
häufigeren Besuch von Familie und Freunden führt, nimmt der mehrmalig Kontakt in der Woche ab. Ver-
schlechtert sich die Gesundheit, mag sich die eigene Möglichkeit der Kontaktaufnahme verringern, die Zahl
der Besuche kann sich erhöhen, aber obigen Verlust nicht ausgleichen.
164 Das doppelte Relativ der Altersarmut

Hilfeleistungen (vgl. Deindl u. a., 2013) ebenso wie Gefühle der Einsamkeit zunehmen (vgl.
Houtjes u. a., 2014); ein weiterer Effekt sind Autonomie- und Kontrollverlust (vg Layte,
Sexton, & Savva, 2013). Mobilität (vgl. Anders, 2016; Sammer u. a., 2012; Webber, Porter, &
Menec, 2010) und damit der Aktionsradius (Dapp, 2016), soziale Aktivitäten und Beteiligung
werden durch einen schlechten Gesundheitszustand vermindert (vgl. Cavalli, Bickel, & d’Epi-
nay, 2007; Bukov, 2000) ebenso die Lebensqualität (vgl. Sivertsen, Bjørkløf, Engedal, Selbæk,
& Helvik, 2015; Verwiebe u. a., 2014). Gesundheit wird daher als wichtiger Teil der Lebens-
qualität von älteren Menschen selbst angesehen (vgl. Browne u. a., 1994). Für höhere Alters-
gruppen gewinnt der gesundheitliche Zustand sogar in Bezug auf die Lebensqualität noch an
Stellenwert und trägt zur Erklärung der allgemeinen Bewertung individueller Lebensqualität
bei (vgl. Motel-Klingebiel, 2001), bedenkt man die steigende Wahrscheinlichkeit, im Alte-
rungsprozess mit Gesundheitseinbußen konfrontiert zu werden. Gesundheit tritt als Selbstwert
für den Einzelnen vor allem dann zu Tage, wenn der individuelle Gesundheitszustand als Vor-
bedingung für die Gewährleistung oder Einschränkung der Lebenskompetenz und Befindlich-
keit wahrgenommen wird (vgl. Radoschewski, 2000). Aus soziologischer Perspektive kann die
Gesundheit daher nicht auf die Absenz von (chronischen) Erkrankungen oder einzelner Indika-
toren wie die Greifkraft reduziert werden (vgl. Richter & Hurrelmann, 2016), sondern bedarf
in Hinblick auf die Lebenslage ebenso einer multidimensionalen Betrachtung: perzeptive, phy-
sische und psychische Gesundheit, wie auch funktionale Beeinträchtigungen lassen sich auf
analytischer Ebene trennen und gerinnen in der Praxis zu einer Einheit.
Breiter Konsens besteht in der Wissenschaft über den Zusammenhang von sozialer Ungleich-
heit und Gesundheit328 (teils auch an anderen Indikatoren wie Bildung oder beruflicher Stellung
festgemacht) und in einer Vielzahl an Studien konnte eine positive Korrelation zwischen Ein-
kommen und Gesundheit aufgezeigt werden (vgl. Arendt, 2005; Kroh, Neiss, Kroll, & Lampert,
2012; Lampert, Richter, Schneider, Spallek, & Dragano, 2016; Richter & Hurrelmann, 2009;
von dem Knesebeck, 2002; von dem Knesebeck & Schäfer, 2009; von dem Knesebeck &
Vonneilich, 2009). Einkommenseffekte auf die Gesundheit sind vermittelt (vgl. Stolz, Mayerl,
Waxenegger, & Freidl, 2017) – bspw. kann die Wohnung nicht ausreichend warm gehalten
werden oder wird bei Nahrungsmitteln gespart, sowohl hinsichtlich Qualität wie Quantität (Mo-
ffatt & Scambler, 2008; Nie & Sousa-Ponza, 2016; Scharf u. a., 2006) sind Auswirkungen auf
die Gesundheit gegeben. Zudem trägt die ungünstige monetäre Situation dazu bei, gesundheit-
liche Einschränkungen schlechter bewältigen zu können – sei es, um Heilbehelfe anzuschaffen
oder Adaptionen im Wohnbereich vornehmen zu können (vgl. Argyle, 2001; Butler, 2006),
verhindert Arztbesuche bzw. allgemein die Gesundheitsvorsorge (vgl. Bremer & Wübker,
2012; Bristle, 2014, S. 20; Carrieri & Wuebker, 2013; Schäfer, Wendt, & Hoffmeister, 2011,
S. 36)329 und kann zu einer weiteren Verschärfung der finanziellen Situation beitragen,330 wenn

328
Eine andere Frage ist hingegen, ob ein schlechter Gesundheit zu einem schlechteren sozioökonomischen Si-
tuation führt (soziale Selektion) oder ob der Gesundheitszustand sozial verursacht ist (vgl. Lampert, 2000);
für die vorliegende Arbeit wird davon ausgegangen, dass an sich eine Wechselwirkung vorliegt (vgl. Elkeles
& Mielck, 1997).
329
In Österreich mag dies seltener der Fall sein, trotzdem tritt selbst dieses Phänomen auf: insgesamt 127.000
Menschen bzw. 15.000 ältere Personen können sich den Arztbesuch nicht leisten, vor allem armutsgefährdete
Personen sind mit 6% überproportional betroffen (vgl. Statistik Austria, 2018a, S. 48) – Allin, Masseria, &
Mossialos (2009) weisen diesen statistisch signifikanten Effekt für Österreich nach.
330
Die Problematik, das Pflegegeld in die Einkommensberechnung der Armutsgefährdung einzubeziehen, tritt
hier besonders zu Tage: einerseits verdeckt dieses die Prävalenz von Altersarmut, andererseits zeigt eine Stu-
die von Pochobradsky, Bergmann, Brix-Samoylenko, Erfkamp, & Laub (2005, S. 25), dass ein nicht unbe-
Lebenslagen in Altersarmut 165

Ausgaben unbedingt nötig sind.331 Armutsbetroffenheit erhöht daher auch im höheren Alter die
Wahrscheinlichkeit einer schlechten Gesundheit. Adena & Myck (2013, S. 69) konstatieren auf
Basis einer Längsschnittstudie: „Poverty increases the probability of moving into the poor phys-
ical health status and reduces the probability of health improvements [...] The same conclusions
apply to depression and to the measure of happiness with life“ (auch Adena & Myck, 2014)
Das mentale Wohlbefinden (etwa steigende Ängste und Nervosität, hingegen werden Freuden
im Leben seltener empfunden) nimmt mit einem geringeren Einkommen ab (Arendt, 2005).
Auch lassen sich – trotz Einbezug einer Vielzahl an Kontrollvariablen – Zusammenhänge zwi-
schen niedrigem Einkommen und erhöhtem Mortalitätsrisiko feststellen (vgl. Kroh u. a., 2012;
Norton & West, 2014). In Hinblick auf Österreich lässt sich konstatieren, dass bspw. die Prä-
valenz an chronischen Krankheiten zu leiden, mit zunehmendem Alter steigt (vgl. Klimont &
Baldaszti, 2015, S. 25ff.) und untere Einkommensschichten bzw. altersarme Menschen ein noch
höhere Risiko haben – vor allem Frauen, bei Männern ist dies ab einem Alter von 75+ weniger
eindeutig; für beide Geschlechter gilt aber, dass diese ein höheres Risiko für chronische Rü-
ckenschmerzen, Nackenschmerzen oder Kopfschmerzen haben; ein ähnliches Bild zeichnet
sich im Auftreten von Schmerzen im Allgemeinen oder in Bezug auf Adipositas ab. Von Al-
tersarmut betroffene Menschen bewerten darüber hinaus mit höherer Wahrscheinlichkeit ihren
Gesundheitszustand seltener als sehr gut bzw. gut (vgl. Klimont, 2016, S. 36ff. und 125).332 Zur
Klärung, ob sich die Gesundheit bei altersarmen gegenüber nicht armen, älteren Menschen ver-
schlechtert, haben sich drei unterschiedliche Erklärungsansätze in der Wissenschaft etabliert,
welche zum Abschluss kurz vorgestellt werden sollen – diese werden nicht nur auf gesundheit-
liche Ungleichheit, sondern auch allgemein auf Ungleichheit im Alter angewandt.
• Kumulationsthese
Die Annahme ist, dass sich Ungleichheiten im weiteren Lebensverlauf systematisch
vergrößern (vgl. von dem Knesebeck & Schäfer, 2009). Die Erklärung dazu ist einer-
seits eine Pfadabhängigkeit, welche sich aus einem niedrigeren Ausgangswert (schlech-
ter Gesundheit bereits in früherer Zeit) und zusätzlich im Alterungsprozess ergänzenden
Effekten zusammensetzt. In diesem Sinne müsste sich also die gesundheitliche Un-
gleichheit zwischen altersarmen und nicht armen, älteren Menschen ausweiten.
• Konvergenzthese oder Destrukturierungsthese
Sie gründet auf Annahmen biologischer Prozesse, welche im höheren Alter letztendlich
zu einer Angleichung der Gesundheit führen. Argumentiert wird, dass sich der Gesund-
heitszustand ab einem gewissen Alter verhältnismäßig rasch verschlechtert und dies bei
einem zuvor besseren Gesundheitsniveau zu einem drastischeren Abfall führt, als es bei

achtlicher Teil pflegender Angehöriger das Pflegegeld als nicht kostendeckend ansieht. In Konsequenz be-
deutet dies, dass zwischen vermeintlichem Geld nach SILC Berechnung und dem tatsächlich verfügbaren Geld
nach Abzug der Pflegekosten, eine noch größere Diskrepanz herrschen dürfte.
331
„Poor health ‘pushed down’ material circumstances by imposing significant restrictions on the ability of re-
spondents to manage their own self-care and by the financial costs associated with poor health. These costs
sometimes constituted a key drain on finances and ranged from paying for occasional physical support (e.g.
needing a gardener or a decorator) to the more costly support needed to manage day-to-day personal care“
(Kotecha, Arthur, & Coutinho, 2013, S. 32).
332
Gerne werden solche Gesundheitszustände auf das Gesundheitsverhalten geschoben, an dieser Stelle muss
jedoch gesagt werden, dass das Bild diffiziler ist: altersarme Menschen haben in Österreich eine geringere
Wahrscheinlichkeit zu rauchen als die höchste Einkommensgruppe, hinsichtlich der Erfüllung von körperli-
chen Aktivitätszielen nach WHO-Definition, sind sie hingegen gleich „schlecht“ (Klimont, 2016, S. 157ff.);
Stolz, Mayerl, Waxenegger, & Freidl (2017) zeigen zudem, dass die gesundheitlich Situation altersarmer
Menschen nur in sehr geringem Maß durch gesundheitsgefährdendes Verhalten erklärt werden kann, deutlich
wichtiger sind psychosoziale und materielle (Wohnsituation, Belastungen im Wohnumfeld usw.) Faktoren.
166 Das doppelte Relativ der Altersarmut

einem zuvor schlechteren Gesundheitsniveau möglich wäre. In der Tendenz kommt es


damit zu einer Angleichung. Das Phänomen lässt sich aber auch dadurch begründen,
dass Personen mit einem zuvor schlechteren Gesundheitsniveau ein höheres Mortali-
tätsrisiko haben. Die Angleichung ließe sich daher auch auf einen sozialen Selektions-
prozess („survival of the fittest“) in der unteren Schicht zurückführen.
• Kontinuitätshypothese
Faktoren, die die gesundheitliche Ungleichheit auch im jüngeren Alter bereits beein-
flusst haben, so die Annahme, wirken im Späteren in der gleichen Weise. In Folge wird
eine kontinuierliche Wirkung und damit weder einer substanziellen Vergrößerung noch
Verkleinerung der Ungleichheit angenommen.
Wie ersichtlich schließen sich die Hypothesen bzw. Ansätze prinzipiell aus; keine davon konnte
jedoch restlos bestätigt werden: „Wahrscheinlich entspricht eine Mischung von Kontinuität,
Kumulation und Destrukturierung in verschiedenen Lebensbereichen am ehesten der Realität“
(von dem Knesebeck & Schäfer, 2009, S. 255); Leopold & Engelhardt (2011) zeigen in ihrer
Arbeit, dass alle drei Thesen zutreffen, je nachdem, welche Dimension von Gesundheit betrach-
tet wird.
Zusammenfassend ist Gesundheit bzw. Funktionsfähigkeit von großer Bedeutung in der Leben-
spraxis und ist selbstredend eine Grundbedingung für Aktivitäten bzw. Handeln überhaupt. Al-
tersarmut trägt zu einer schlechteren Gesundheit bei und verhindert bzw. beschränkt die Mög-
lichkeiten zur Genesung bzw. bestehende Defizite zu kompensieren.

2.5.3.2 Wohnen
Wohnen bzw. Wohnung und Wohnumwelt gewinnen für ältere Menschen infolge eines sich
tendenziell verkleinernden Aktionsradius bei wachsender Zahl gesundheitlicher Beeinträchti-
gungen an Bedeutung; nach Oswald & Konopik (2015) werden etwa 70% aller Aktivitäten von
älteren Menschen in einem Fünf-Kilometer-Radius um den Wohnort überwiegend zu Fuß erle-
digt. „Alltag im Alter heißt vor allem Wohnalltag“ (Saup & Reichert, 1999, S. 245), wobei als
Bedingungen für Lebensqualität der durch Wohnen eröffnete Handlungs- und Funktionsraum
(im Zusammenhang mit der Selbständigkeit im Alter) sowie ein Erlebens- und Gefühlsraum
(vgl. Oswald, Jopp, Rott, & Wahl, 2011), im Sinne von Orten sozialer Bindung und Geborgen-
heit (vgl. Peter, 2009, S. 68f.; Saup, 1999), differenziert werden können. Wohnbedingungen –
die Ausstattung, Wohnungsdefizite, die Erreichbarkeit wichtiger Einrichtungen – und die
Wahrnehmung des Wohnumfeldes tragen daher zum Wohlbefinden bei (vgl. Evans, Kantro-
witz, & Eshelman, 2002; Fernández-Carro u. a., 2015; Oswald & Konopik, 2015; Oswald u. a.,
2007; Smith, Sim, Scharf, & Phillipson, 2004) und gewinnen im Alter an Bedeutung (vgl. Kri-
cheldorff & Oswald, 2015; Motel, Künemund, & Bode, 2000), wenn diese einschränkend (vor
dem Hintergrund eines sich verschlechternden Gesundheitszustandes) oder fördernd wirken
(vgl. Braubach & Power, 2011; Wahl, Schilling, Oswald, & Iwarsson, 2009).333 Dabei geht es
um die Passung zwischen der einzelnen Person und deren Umwelt, den Person-Umwelt-Fit.
„Da die Unterschiede zwischen einzelnen alten Menschen beträchtlich sind, gibt es im Hinblick
auf die Wohnsituation im Alter keine Ideallösungen. Die Wohnsituation muss abgestimmt sein
auf die individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten des einzelnen alten Menschen und auf dessen
subjektive Wohnwünsche“ (Saup & Reichert, 1999, S. 246). Der Zugang zum Wohnraum, wie
Treppen beim Hauszugang, die Überwindung von Stockwerken und die Ausgestaltung des

333
„Die Wohnung oder das Haus sowie das angrenzende Nachbarschaftsgebiet werden zu den wichtigsten räum-
lich-sozialen Kontexten, in denen sich der Alltag älterer Menschen abspielt“ (Saup & Reichert, 1999, S. 149).
Lebenslagen in Altersarmut 167

Wohnraums selbst mit Treppen und Schwellen, altersgerechte Sanitärräume mit einer entspre-
chenden Bewegungsfreiheit, Haltegriffen, ebenerdigen Einstiegen, um hier nur ein paar As-
pekte zu nennen, sind als potentielle Barrieren zu nennen (vgl. Kremer-Preiß, 2011)334 und
werden selbst zu Prädiktoren des Gesundheitszustands (vgl. García-Esquinas u. a., 2016; Pérez-
Hernández u. a., 2018; Stolz u. a., 2017). Hier kommt bspw. auch der Frage, die Wohnung
angemessen warm zu halten, große Bedeutung zu, da Studien die Zusammenhänge zwischen
einer niedrigen Temperatur und schlechterem Gesundheitszustand belegen konnten (vgl. Pérez-
Hernández u. a., 2018; Shiue, 2016).
Ein Großteil älterer Menschen lebt lange in der gleicher Wohnung, wobei zwischen persönli-
chen Motiven bleiben zu wollen (vgl. Scharf u. a., 2006, S. 22) und externen Restriktionen,
welche einen Umzug verhindern, wie zum Beispiel fehlende finanzielle Mittel in Zusammen-
hang mit einem ungünstigen Wohnungsmarkt (vgl. Jann, 2015; Schäfer u. a., 2011, S. 37), zu
differenzieren ist (vgl. Lehning, Smith, & Dunkle, 2015). Insbesondere in Österreich – im Ver-
gleich zu anderen europäischen Ländern – ist die Wohnmobilität unter älteren Menschen sehr
gering (vgl. Angelini & Laferrère, 2012) und je länger jemand bereits in einer Wohnung gelebt
hat, umso unwahrscheinlicher wird der Umzug. Erst im hochbetagten Alter wird ein Umzug in
ein Altenwohnhaus, verstärkt für die untere Einkommensschicht, wahrscheinlich. Dies dürfte
auch darauf hindeuten, dass die finanziellen Ressourcen zur Aufrechterhaltung der Wohnauto-
nomie ab einem gewissen Grad an körperlichen Einschränkungen nicht mehr genügen, denn
die Anpassungen des Wohnraums werden durch eine geringe monetäre Ausstattung begrenzt
(vgl. Kremer-Preiß, 2011, S. 58). Golant (2008, S. 390) konstatiert folgende Probleme für al-
tersarme Menschen: “unmet caregiving needs resulting in poor quality care; financially burden-
some housing costs restricting their other expenditures; physically inadequate dwellings in need
of substantial maintenance and upgrades; design deficiencies resulting in unsafe or uncomfort-
able settings; and declining neighborhoods that have become physically and socially inhospi-
table places to live“.335 In Österreich zeigt sich hierzu, dass die Wohnkostenbelastung bei ar-
mutsgefährdeten älteren Menschen bei 30,1% im Gegensatz zu 14,4% bei allen 65 Jahre alten
und älteren Personen (vgl. Statistik Austria, 2014c, S. 165) liegt – es gibt einen negativen Zu-
sammenhang zwischen der relativen Wohnkostenbelastung und dem Einkommen (vgl. auch
Motel, 2000, S. 144) – und mit 11% der von Altersarmut betroffenen Menschen ein überpro-
portionaler Anteil in Substandardwohnungen lebt. Die hohe Wohnkostenbelastung trägt ange-
sichts der geringen verfügbaren Mittel zu einer Verschärfung der Lebenssituation in anderen
Bereichen bei. Trotz der Problematiken, welche mit Altersarmut einhergehen können, wird
Wohnzufriedenheit zwar etwas schlechter als bei nicht armen, älteren Menschen in Österreich
eingeschätzt, bleibt aber auf einem verhältnismäßig hohen Niveau (vgl. Fernández-Carro u. a.,
2015, S. 192). Es ist jedoch einzuwerfen, dass die von Fernández-Carro u. a. (2015) verwende-
ten Prädiktoren unterschiedlich großen Einfluss zwischen altersarmen und nicht armen, älteren
Menschen auf die Wohnzufriedenheit haben – die Erklärungskraft nimmt bei ersteren ab, womit
auf Anpassungsprozesse (vgl. auch Motel u. a., 2000, S. 125) verwiesen sein könnte. Aber nicht

334
Wahl, Schilling, Oswald, & Iwarsson (2009) nutzten zur Bestimmung von Barrieren 188 Indikatoren in Woh-
nung und Wohnumfeld. Saup & Reichert (1999, S. 265f.) füllen fast zwei Seiten ihres Beitrages nur mit Hin-
weisen, welche Adaptionen hilfreich sein können.
335
Wichtig ist auch darauf hinzuweisen, dass Eigentum nur bedingt als positiver Faktor im Kontext von Alters-
armut gesehen werden kann. „Home owners incurred far more expense and were therefore more likely to be
unable to address problems with their home, compared to tenants. This caused considerable anxiety for some
respondents in thinking about future costs. On the whole, tenants felt positively about the fact that they did
not have any financial responsibility for maintaining their home and that landlords were reliable about getting
things fixed quickly, especially in emergencies“ (Kotecha u. a., 2013, S. 20).
168 Das doppelte Relativ der Altersarmut

nur innerhalb der Wohnung stellen sich Limitationen ein, sondern auch Umweltbarrieren, wel-
che sich mit Geld überbrücken ließen, treten auf (vgl. Nuissl, Vollmer, Westenberg, & Willing,
2015) bzw. wird der Aktionsradius noch enger konzentriert – altersarme Menschen sind selte-
ner unterwegs, können seltener auf ein Auto zurückgreifen, haben seltener ein Jahresticket des
öffentlichen Verkehrs und legen am Tag nur noch kürzere Distanzen zurück (vgl. Giesel &
Köhler, 2015).
Zusammenfassend ist auch dem Bereich Wohnen und Wohnumwelt gerade in Verknüpfung mit
einem sich verschlechternden Gesundheitszustand eine hohe Bedeutung im Alter beizumessen,
und können entweder die Bewältigung das Alltages unterstützen oder verhindern. Die Mög-
lichkeiten, Anpassungen im Bereich des Wohnens vorzunehmen, sind nicht unwesentlich von
den finanziellen Ressourcen abhängig bzw. werden schlechte Wohnbedingungen selbst zu ein-
wirkenden Faktoren auf die Gesundheit oder soziale Isolation.

2.5.3.3 Soziale Beziehungen


Soziale Beziehungen begleiten den Menschen in den meisten Fällen über den gesamten Le-
bensverlauf. Sie sind durch situationelle sowie individuelle Faktoren geprägt und damit einem
kontinuierlichen Wandel – bspw. im Sinne eines Beziehungskonvois (vgl. Kahn & Antonucci,
1980; Huxhold, Mahne, & Naumann, 2010, S. 216) – unterworfen (u.a. Stückler & Ruppe,
2015, S. 179). Durch den Übergang in den Ruhestand, Verwitwung, den Tod von weiteren
Verwandten, Freunden bzw. Bekannten oder weitere gesundheitliche Einschränkungen sowie
durch Umzug in ein anderes Wohnhaus können strukturelle aber auch funktionale Veränderun-
gen im sozialen Netzwerk336 gerade im höheren Alter auftreten (u.a. Fiori, Smith, & Antonucci,
2007, S. 323). Soziale Beziehungen sind ohne Frage in jeder Phase des Lebens von Bedeutung,
befriedigen sie etwa Bedürfnisse nach Zugehörigkeit und Gemeinschaft (vgl. Huxhold u. a.,
2010, S. 215) und nehmen im höheren Alter erst recht eine besonders prominente Position ein;
so steigen bspw. die Anteile und die Anzahl an HelferInnen im sozialen Netzwerk im weiteren
Alterungsprozess relativ kontinuierlich an (vgl. Wagner, Schütze, & Lang, 2010, S. 336):337
Jeder bzw. jede zweite 70-85 Jährige bedarf der instrumentellen Hilfe (vgl. Künemund & Hol-
lstein, 2000, S. 259; auch Attias-Donfut u. a., 2005a). Die Relevanz sozialer Beziehungen bzw.
des sozialen Netzwerks konstituiert sich aus multidimensionalen Unterstützungsleistungen,
welche in vielfältiger Art und Weise positiv auf die Lebenspraxis älterer Menschen wirken. Sie
können die Lebenssituation stabilisieren und helfen kritische Lebensereignisse zu bewältigen.
Eine Vielzahl an Studien (in Überblick Antonucci, Ajrouch, & Birditt, 2014) attestiert in diesem
Kontext den positiven Einfluss auf die mentale (vgl. Shiovitz-Ezra, 2013; Litwin, Stoeckel, &
Schwartz, 2015) und körperliche Gesundheit bzw. Mortalitätsrisiken (u.a. Klein, Löwel,
Schneider, & Zimmermann, 2002; Deindl u. a., 2013; Rook, 2015), kognitive Fähigkeiten (vgl.
Avlund u. a., 2004; Litwin & Stoeckel, 2016) sowie das subjektive Wohlbefinden (vgl. Litwin

336
Unter einem sozialen Netzwerk lässt sich ein Geflecht an Beziehungen (Wagner & Wolf, 2001, S. 531) zwi-
schen bzw. eine durch Beziehungen verbundene Menge von sozialen Einheiten wie Personen, Organisationen
verstehen. In den Anfängen der Netzwerkforschung beschrieb Barnes (1954) ein pragmatisches Bild sozialer
Netzwerke mit den Worten: „The image I have is of a set of points some of which are joined by lines. The
points of the image are people, or sometimes groups, and the lines indicate which people interact with each
other“.
337
Majce, (2009, S. 231) konstatiert einen u-förmigen Unterstützungsbedarf, welcher bis 30 relativ hoch ist, dann
abfällt und erneut in höheren Altersgruppen ansteigt. Die Hilfsbedürftigkeit unterliegt hierbei jedoch alters-
spezifischen Mustern, während die materielle Unterstützungsnotwendigkeit in höheren Altersgruppen auf ge-
ringem Niveau verbleibt, steigt vorrangig der Bedarf im Bereich Haushaltführung, alltäglichen Erledigungen
und Pflege an.
Lebenslagen in Altersarmut 169

& Stoeckel, 2013, 2014; Tomini, Tomini, & Groot, 2016) bzw. insgesamt die Lebensqualität
(vgl. Motel-Klingebiel, 2001; Huxhold, Fiori, & Windsor, 2013). Soziale Beziehungen können
konkludierend als wichtige Form der Ressource betrachtet werden, welche vor Einsamkeit be-
wahren und zu einem Gefühl des Gebrauchtwerdens sowie der Anerkennung beitragen (vgl.
Leung & Lee, 2005). Wer sich gebraucht fühlt, so Gruenewald u. a. (2007), bleibt eher gesund,
während ein Gefühl der Nutzlosigkeit mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko einhergeht. Ande-
rerseits ist darauf hinzuweisen, dass soziale Beziehungen auch Belastungen und Limitationen
bedeuten können (u.a. Kruse & Wahl, 1999; Antonucci u. a., 2014; Rook, 2015).
Analytisch ist es sinnvoll, zwischen der strukturellen und funktionalen Ebene (vgl. Due,
Holstein, Lund, Modvig, & Avlund, 1999; Hollstein, 2001, 2002) zu differenzieren. Erstere ist
etwa durch die Größe, Kontakthäufigkeiten oder Typen sozialer Beziehungen bestimmt, wäh-
rend die Funktion auf die Leistung oder Inhalte bzw. auf die soziale Unterstützung im Allge-
meinen referiert (vgl. Künemund & Hollstein, 2000, S. 240).338 Die Klassifikationen von Un-
terstützungen differieren in der wissenschaftlichen Literatur jedoch teils erheblich (vgl. Sarason
& Sarason, 2009; Vangelisti, 2009). Sinnvoll erscheint es, in drei Unterstützungsbereiche zu
differenzieren (vgl. Diewald, 1991, S. 71):
• Emotionale Unterstützung: Vermittlung von Geborgenheit, Liebe und Zuneigung, so-
wie motivationale Unterstützung.
• Kognitive Unterstützung: Information, Beratung, Vermittlung von Anerkennung und
Zugehörigkeitsbewusstsein, Orientierung
• Instrumentelle Unterstützung: Arbeitshilfen, Pflege, materielle Unterstützung, Interven-
tion, Geselligkeit und alltägliche Interaktion.
In Adaption von Due u. a., (1999) lassen sich soziale Netzwerke wie folgt analytisch visuali-
sieren.

Informelle Bezie- • Zahl der Beziehun-


hungen gen
Struktur • Beziehungstypen
Soziales Netzwerk

• Kontaktfrequenz
Formale Beziehun-
• Räumliche Distanz
gen
• Dichte

Soziale Unterstüt- • Emotional


Funktion • Kognitiv
zung
• Instrumentell

Abbildung 6 – Analytische Betrachtung sozialer Netzwerke


Betrachtet man nun die Strukturebene, so lässt sich mit fortschreitendem Alter ein Rückgang
des Kernnetzwerkes339 konstatieren (vgl. Smith u. a., 2015; Rosenmayr & Kolland, 2002, S.

338
Victor, Scambler, & Bond (2009, S. 15) konstatieren, dass das Netzwerk als die Umschreibung der Grenzen
gesehen werden kann, in welchen der Bezug von Unterstützung möglich ist.
339
Aufgrund der häufigen – methodisch teils auch notwendigen – Limitation auf eine gewisse Zahl an nennbaren
Kontakten und einschränkender, teils auf gewisse Unterstützungsleistungen assoziierter Frageformulierungen
(zu eindimensionalen soziometrischen Namensgeneratoren siehe Diewald, 1991, S. 61 ff.) nach den Kontakten
170 Das doppelte Relativ der Altersarmut

256; Wagner & Wolf, 2001; Künemund & Hollstein, 2000, S. 237). In einem negativen Zusam-
menhang stehen nach Wagner u. a. (2010, S. 335) das Altenwohnaus; zusätzlich lassen sich der
Grad an körperlichen Einschränkungen (vgl. Abuladze & Sakkeus, 2013) sowie die subjektive
Wahrnehmung von Kriminalität (verstärkt bei Frauen) nennen. Positiv assoziiert sind hingegen
Elternschaft und materielle Lage (vgl. Angelini & Laferrère, 2013, S. 325ff.; Schnettler & Wöh-
ler, 2016; für letztere Dimension auch Petermann, 2002; Rosenmayr & Kolland, 2002). Für die
Größe des Netzwerkes nimmt die partnerschaftliche und familiale Situation letztendlich eine
bedeutsame Rolle ein (vgl. Huxhold u. a., 2010, S. 220). Ergebnisse einer europäischen Studie
von Abuladze & Sakkeus (2013) deuten jedoch darauf hin, dass Enkelkinder weniger von Re-
levanz sind und nur etwa 10% der über 80-Jährigen diese in ihrem Netzwerk als Kontakt nen-
nen. In übergeordneter Betrachtung familialer Beziehungen zeigt sich für Österreich, dass mit
dem Alter zwar die Dichte an Verwandtschaftsbeziehungen abnimmt – 11% der über 80-Jähri-
gen haben gar keine Verwandten –, die Betroffenheit mit 2% bei den 71-80-Jährigen aber sehr
gering ist (vgl. Majce, 2009, S. 226).340 Mehr als 80% der älteren ÖsterreicherInnen haben eine
Familie, welche sich über 2 oder mehr Generationen spannt (vgl. Kohli u. a., 2005a, S. 166),
im Schnitt haben ältere ÖsterreicherInnen noch 1,8 lebende Kinder (vgl. Martínez-Granado &
Mira, 2005). Im europäischen Vergleich ist die Wahrscheinlichkeit, Partner und (etwas gerin-
ger) Kinder im Netzwerk zu nennen, besonders hoch; familiale Beziehungen haben eine zent-
rale Rolle (vgl. Abuladze & Sakkeus, 2013; Stoeckel & Litwin, 2013). Sind keine Kinder und
PartnerInnen vorhanden, werden non-familiale Beziehungen wahrscheinlicher, aber auch all-
gemein hat die Bedeutung dieser in den letzten Jahren zugenommen. Im europäischen Ver-
gleich ist die Wahrscheinlichkeit in Österreich, Freunde im Netzwerk zu nennen, etwas höher
(vgl. Stoeckel & Litwin, 2013). 85% der 61-80-Jährigen nennen einen oder mehrere Freunde
und fällt bei den über 80-Jährigen auf 77% ab (vgl. Majce, 2009, S. 226). Netzwerke von kin-
derlosen Personen sind zudem etwas kleiner (eine vollständige Kompensation durch Freunde
ist nicht geben), gleichzeitig steigt jedoch die potentiell eingeschätzte Effektivität der Freund-
schaftsbeziehungen hinsichtlich emotionaler und kognitiver Unterstützung an (vgl. Schnettler
& Wöhler, 2016, S. 1348).
Neben der Zahl an Kontakten, welche grundsätzlich die Chance auf Unterstützung erhöhen und
folglich meist positiv mit Wohlbefinden oder Gesundheitsaspekten assoziiert sind, spielen die
räumliche Nähe und Kontakthäufigkeit ebenso eine Rolle bzw. sind Grundbedingung zur Er-
füllung von Unterstützungsleistungen (vgl. Kahn & Antonucci, 1980, S. 271). Neben soziokul-
turellen Aspekten haben der Familienstand, die Zahl und das Alter der Kinder, Geschlecht und
sozioökonomische Aspekte Effekte auf die räumliche Nähe und Kontakthäufigkeit (vgl. Hank,
2007), welche selbst in Wechselwirkung stehen (vgl. Mulder & Cooke, 2009; Stoeckel &
Litwin, 2013, S. 281f.). Die räumliche Nähe zum nächst wohnenden Kind war in Österreich

der letzten 6 oder 12 Monate bspw. in Hinblick auf Ratschläge oder persönlich wichtige Gespräche, dürften
die meisten Erhebungen vorrangig ein partielles Netzwerk mit Zielrichtung auf das Kernnetzwerk erheben.
Künemund & Hollstein, (2000) stellen – maximal 8 Personen konnten benannt werden – einen Schnitt von
circa fünf Kontaktpersonen fest, während Wagner, Schütze, & Lang (2010) auf Basis der BASE Erhebung
knapp elf Personen im Schnitt angeben, während auf Basis von SHARE – es wird nach 7 Personen gefragt –
in Österreich etwas unter 3 Kontakte genannt wurden (Stoeckel & Litwin, 2013, S. 279). Dieser Hinweis ist
insofern bedeutend, da sie Einfluss auf die Ergebnisse haben; wird allgemein von einer Verkleinerung der
Netze im Alter ausgegangen (wenn möglichst viele Kontakte erhoben werden), stellt sich bei Fokussierung
auf das Kernnetzwerk auch der gegenteilige Effekt ein; kurz: die Zahl steigt sogar (vgl. Schwartz & Litwin,
2018). Beide Trends schließen einander jedoch nicht aus, so kann mittels sozioemotionaler Selektivitätstheorie
– siehe im Folgenden – beides zusammen erklärt werden.
340
Die Chance, im Alter ein soziales Netzwerk zu besitzen, ist in Österreich im europäischen Vergleich mithin
am höchsten (Abuladze & Sakkeus, 2013, S. 314).
Lebenslagen in Altersarmut 171

2005 relativ gering, so wohnten 30-38% der älteren Befragten (60+) im selben Wohnhaus bzw.
bei 47-54% in einem Umkreis von unter 25 Kilometer;341 zwischen 81-85% hatten zumindest
wöchentlichen Kontakt zu einem Kind (vgl. Hörl, 2009, S. 294; auch Kohli, Künemund, &
Lüdicke, 2005b).342 Während der regelmäßige Kontakt zu Verwandten, Freunden und Nachba-
ren mit steigendem Alter abnimmt, wächst die Betroffenheit sozialer Isolation in Österreich auf
15% an (vgl. Eiffe u. a., 2012, S. 114).343 11,2% älterer ÖsterreicherInnen gaben an, sich in der
letzten Woche größtenteils einsam gefühlt zu haben (vgl. Fokkema, De Jong Gierveld, &
Dykstra, 2012, S. 214). Gefühle der Einsamkeit sind dabei ebenso negativ mit der Netzwerk-
größe, der emotionalen Nähe und Zufriedenheit mit dem Netzwerk assoziiert (vgl. Hawkley
u. a., 2008; Shiovitz-Ezra, 2013), wie etwa auch die mentale Gesundheit (vgl. Litwin u. a.,
2015). Wenn auch nicht für alle Bereiche gültig (vgl. T. Klein u. a., 2002), so dürfte die Netz-
werkgröße auf Basis dessen, dass die Potentialität der sozialen Unterstützung steigt, Relevanz
besitzen.
Wendet man sich nun den Auswirkungen von Einkommensarmut zu, so zeigt sich ein positiver
Zusammenhang zwischen Einkommen und Netzwerkgröße (vgl. Angelini & Laferrère, 2013).
Anders formuliert, weisen altersarme Menschen ein kleineres Netzwerk auf als nicht alters-
arme. Nichtsdestotrotz verweisen Milbourne & Dohen (2012) in ihrer Arbeit auf ausgebaute
soziale Netzwerke unter altersarmen Menschen und Arendt (2005) stellt keine Unterschiede in
der Kontakthäufigkeit zu nicht armen, älteren Menschen fest.344 In diesem Kontext mag es we-
nig verwundern, dass Adler, Tremmel, Brassen, & Scheib (2000) keinen signifikanten Zusam-
menhang zwischen der Zufriedenheit mit Freundschafts- bzw. Bekanntschaftsbeziehungen und
der finanziellen Situation finden.345 Die Bedeutung von sozialen Beziehungen im Lichte von
Altersarmut ist weniger durch Auswirkungen auf die strukturelle Ebene der Netze begründet –

341
In Zentraleuropa ist an sich die Wahrscheinlichkeit nicht im selben Haus zu leben in städtischen Regionen
erhöht.
342
Jenes Kind mit häufigstem Kontakt in den letzten 12 Monaten. Für Deutschland deutet sich in den letzten
Jahren ein Trend zur Vergrößerung der Distanz an (Mahne & Huxhold, 2017, S. 225) und dürfte auch in
Österreich auffindbar sein – Studien sind mir hierzu aber nicht bekannt.
343
Armutsgefährdete ältere Personen im Alter von 50-79 sind in einem stärkeren Ausmaß von sozialer Isolation
betroffen, bei über 80-Jährigen dreht sich dieses Verhältnis jedoch um (Eiffe u. a., 2012, S. 118).
344
Lamei u. a. (2017, S. 218), kommen, wenn auch für die Gesamtbevölkerung ebenso zu dem Ergebnis, dass es
nur einen geringen Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Einkommensgruppe und
sozialen Kontakten gibt.
345
Veränderungen und Verkleinerungen der sozialen Netzwerke bei gleichzeigt einer weiterhin hohen Zufrie-
denheit, lassen sich etwa durch das Modell der „Selektiven Optimierung mit Kompensation“ (Baltes & Baltes,
1990) oder das Modell der „Sozioemotionalen Selektivität“ erklären – beide Ansätze können aber auch auf
andere Bereich übertragen werden. Ersteres Modell nimmt an, dass im Alter „Verluste“ auftreten (etwa Ein-
bußen in der Gesundheit führen dazu, sich auf weniger, aber persönlich wichtige Kontakte zu konzentrieren)
und daher eine Selektion auf wichtige Bereiche stattfinden muss, in diesen Bereichen erfolgt eine Optimierung
– etwa der Erwerb neuer Fähigkeiten oder Ressourceneinsatz zur Zieleverfolgung (in die wichtigen Kontakte
wird mehr Zeit investiert) – bzw. werden durch Kompensation Defizite ausgeglichen (aufgrund von Mobili-
tätseinschränkungen wird zum Kontakt das Telefon genutzt). Zweites fußt in der Annahme, dass in der Ein-
sicht eines kurzen Zeithorizontes (im Sinne weniger verbleibender Zeit bis zum Tod) eine Gegenwartsorien-
tierung und Orientierung am emotionalen Wohlbefinden folgt. „Relieved of concerns about the future, atten-
tion shifts to experiences occurring in the moment. When emotion regulation is the primary goal, people are
highly selective in their choice of social partners, nearly always preferring social partners who are familiar to
them, because with these partners emotions are predictable and often quite positive. Moreover, when time is
limited social interactions are navigated carefully in order to ensure that their emotional quality is high“
(Carstensen, Isaacowitz, & Charles, 1999, S. 167). Ein Rückzug aus sozialen Beziehungen – die Disengage-
ment Theorie (Cumming, Dean, Newell, & McCaffrey, 1960), lässt sich hier zwar auch nennen, gilt heute
aber als weitgehend widerlegt – kann so als eine bewusste Entscheidung hin zu den „angenehmen” Kontakten
verstanden werden.
172 Das doppelte Relativ der Altersarmut

allgemein zeigen Studien (siehe im Überblick Uphoff, Pickett, Cabieses, Small, & Wright,
2013), wenn auch nicht auf ältere Menschen im Speziellen gerichtet, dass ein geringer sozio-
ökonomischer Status bzw. hierbei auch insbesondere das Einkommen (vgl. Klein, Vonneilich,
Baumeister, Kohlmann, & von dem Knesebeck, 2012) das Risiko für schlechtere Strukturen
und weniger soziale Unterstützungsleistungen erhöhen –, sondern durch positive, kompensato-
rische Wirkung der Unterstützungsleistungen (auch wenn diese etwas geringer sein mögen) für
altersarme Menschen. Anders formuliert kann soziales Kapital die negativen Wirkungen mo-
netärer Limitationen zumindest ein Stück weit lindern – Puffereffekte werden bspw. hinsicht-
lich der Gesundheit angenommen (vgl. Uphoff u. a., 2013; Barragan, 2015) oder ältere Men-
schen werden durch Kontakte (meist Kinder) mit gewissen Gütern ausgestattet (Dominy &
Kempson, 2006; vgl. McKay, 2008), 346 bekommen Unterstützung bei alltäglichen Aufgaben
oder erhalten direkt Geld (Kotecha u. a., 2013, S. 27ff.). Auf der anderen Seite gilt es abschlie-
ßend zu bedenken, das auch Unterstützungen als Belastung gedeutet werden können (vgl. auch
Dominy & Kempson, 2006, S. 66), wenn der Hilfe durch unausgeglichene Ressourcenvertei-
lung nichts entgegengebracht werden kann und in Folge mit Normen der Reziprozität (Tesch-
Römer, 2010) konfligiert. „The social significance of reciprocation for many older people
should not be under-estimated. Many respondents described feeling marginalised by their fam-
ilies, friends and society at large because of their low incomes or ill-health (or both). Being able
to reciprocate in normal social roles was highly regarded“ (Moffatt & Scambler, 2008, S.
887).347 Entscheidend ist die Frage, inwiefern altersarme Menschen in anderen Bereichen
(Tausch von selbsthergestellten Gütern, Beaufsichtigung von Enkelkinder usw.) einen Aus-
gleich finden können oder ein Ungleichgewicht hingenommen werden muss.
Zusammenfassend zeigt sich, das soziale Beziehungen bzw. Netzwerke eine große Bandbreite
an Funktionen erfüllen und ebenso zur Gesundheit einer Person beitragen, wie sie Anerkennung
und Geborgenheit bieten. Zwar wirkt die Armut auch auf die strukturelle und funktionale Ebene
von sozialen Netzwerken, altersarme Menschen scheinen trotzdem im Schnitt verhältnismäßig
zufrieden und können häufig auf Unterstützungsleistungen zurückgreifen, welche damit zur
Bewältigung von Engpasssituationen beitragen.

2.5.4 Schlussbemerkung
Wie gezeigt werden konnte, verweisen bereits die drei angeführten Dimensionen auf ein enges
und interdependentes Geflecht, welche vor dem Hintergrund von Altersarmut in kumulative
Benachteiligungen münden können bzw. sich zirkulär verstärken. Gesundheitliche Einschrän-
kungen, womöglich bereits durch eine kalte Wohnung mitbeeinflusst, problematisieren früher
unbeachtete Barrieren im Wohnbereich (z.B. ein paar Stufen), tragen damit zu einer vermin-
derten Kontaktmöglichkeit bei, womit eine Gefahr für Isolation bzw. Gefühle der Einsamkeit
erzeugt werden und diese wiederum das mentale Wohlbefinden herabsetzten usw. Ohne hier
weitere mögliche Pfade zu spinnen, ist die Einsicht zu wiederholen, dass die Lebenslage einer
Person als Einheit zu fassen und in den Wechselbeziehungen ein zentrales Moment für die Er-
klärung einzelner eigentümlich individualisierter Lebenslagen zu finden ist. Lebenslagen sind

346
“This help was often not direct financial help, but given as presents of useful or needed items. In order of
prevalence these included: giving electrical items (most common); clothes; holidays; car; furniture; bills; and
food. In addition, many received practical help, such as decorating (most common), transport, shopping, food,
gardening and cleaning (this support is listed in order of prevalence). As well as providing financial, and
practical support, family and friends also played a major role in the provision of social support to older people
with severe health restrictions” (Dominy & Kempson, 2006, S. 55).
347
Argyle (2001) konstatiert, dass die Unmöglichkeit einer materiellen Gegenleistung auch eine Barriere für in-
formelle Pflegetätigkeiten sein kann.
Lebenslagen in Altersarmut 173

das gesellschaftlich-historische und individuell-lebensgeschichtliche Produkt einer doppelten


Dualität, d.h. ein fortlaufendes Ergebnis und zugleich Ausgangssituation einer sich gegenseitig
bedingenden Makro- und Mikroebene. Diese Lebenslagen gilt es im Nachfolgenden zu unter-
suchen. Ausgangspunkte sind hierfür jene Lebenslagen, welche sich, nach soziokulturellen
Normen bemessen, defizitär im Bereich der Einkommen entwickelt haben.348 Ab diesem Mo-
ment – Amanns (1983) Argumentationsgang nutzend – entfaltet solch eine Lebenslage einen
Signalcharakter, welcher im Zusammenhang mit der Unterschreitung des soziokulturell akzep-
tierten Minimums zu einer Adressierung führt und der oder die sich so konstruierende Arme
„Unterstützung erhält oder sie [...] erhalten sollte. So ist nach dieser Richtung die [Altersarmut]
nicht an und für sich als ein quantitativ festzulegender Zustand zu bestimmen, sondern nur nach
der sozialen Reaktion, die auf einen gewissen Zustand hin eintritt“ (Simmel, 1908, S. 490).

348
Armut ist eine „Frage der gesellschaftlichen Übereinkunft, wie wir Armut definieren und ab welchem Grad
der Unterausstattung oder Unterversorgung Armut beginnt. Die Antwort hängt entscheidend davon ab, wel-
chen Grad an Ungleichheit von Lebenschancen und Lebensbedingungen wir in dieser reichen Gesellschaft als
gegeben hinzunehmen bereit sind“ (Hanesch, 1994, S. 23).
3 Methodisches Design und Durchführung
Das Lebenslagenkonzept stellt mit seinen Anforderungen der Mehrebenenanalyse, Multidi-
mensionalität und Multikausalität, welche zusammen in eine Prozessperspektive gebracht wer-
den, hohe methodische Anforderungen, welche – wie Amann (1983) und Lompe (1987) bereits
in ihren eigenen Analysen demonstrieren bzw. Backes (1997b) explizit einfordert – durch qua-
litative Methoden eingelöst werden können. So ist es mittels dieser möglich, die „Lebenswelt
‚von innen heraus’ zu beschreiben“ (Flick, Kardorff, & Steinke, 2005, S. 14), deren soziale
Wirklichkeit damit zu rekonstruieren (vgl. Reinharz & Rowles, 1988, S. 6) und verweilt nicht
vor einem Bild „statistischer Relationen vor dem Hintergrund einer Grundgesamtheit“ (Küs-
ters, 2009, S. 43). Auch kann man sagen – in der Metapher verweilend – dass es nicht darum
geht, ein weiteres statisches Zustandsbild der sozialen Wirklichkeit zu zeichnen, sondern die
prozesshafte Ausgestaltung von Handeln und Erleiden im Lebensalltag darzustellen (vgl.
Schütze, 1987, S.15). Die Welt stellt sich damit als „Wechselbeziehung zwischen den Sicht-
weisen der Menschen und ihrer jeweiligen sozialen und physischen Welt dar“ (Novy, 2002, S.
7). Denn wie bereits konstatiert wurde, sind Lebenslagen historisch entstandene und sich ent-
wickelnde Strukturbeziehungen einer Dialektik zwischen Verhältnissen und Verhalten. Neben
der zeitlichen Perspektive wird damit zwar verdeutlicht, dass die Verhältnisse das Verhalten
rahmen, gleichwohl nicht von einem reinen Strukturdeterminismus ausgegangen werden kann.
So schlagen bspw. auf personeller Ebene strukturierte Handlungsoptionen in wahrgenommene
Dispositionsspielräume um, wie umgekehrt die gesetzten Handlungen zumindest ein Stück weit
die Verhältnisse beeinflussen. „Die äußeren Strukturen der Gesellschaft – d.h. die materiellen
Opportunitäten, die institutionellen Regelungen und die kulturellen Bezugsrahmen – steuern
nicht direkt das Verhalten der Menschen im Sinne eines Reiz-Reaktions-Mechanismus. Sie
müssen zuerst subjektiv wahrgenommen und interpretiert werden, bevor sie handlungswirksam
werden können“ (Amrhein, 2008, S. 202). „Wenn wir jedermanns Wirklichkeit beschreiben
wollen, müssen wir uns mit jedermanns Interpretationen seiner Wirklichkeit auseinandersetzen
und dem Charakter der ‚Gewißheit‘ von jedermanns Wirklichkeit Rechnung tragen“ (Berger &
Luckmann, 2016, S. 23) In Folge bedeutet dies dann auch: „The total situation will always
contain more and less subjective factors, and the behavior reaction can be studied only in
connection with the whole context ” (Thomas & Thomas, 1928, S. 572). Voges (2011, S. 33)
stellt den Bezug zwischen interpretativen Methoden und Lebenslagenanalyse direkt her, wenn
er schreibt, dass eine Lebenslage für die darin befindliche Person konkret gegeben ist, „selbst
dann, wenn die Lebensbedingungen und Opportunitätsstrukturen bei einer Beurteilung durch
eine andere Person ganz anders erscheinen“. In diesem Sinn dürfte klar werden, warum
Schroeter (2001, S. 44) von einer „lebensweltorientierten Lebenslagenforschung“ spricht. Im
Konzept der Lebenslage kommt der Erschließung der Deutungs- und Handlungsschemata ein
erklärendes Moment im Verstehen der Optionswahl zur Befriedung der biographisch und le-
bensweltlich geprägten Bedürfnisse genauso zu, wie im Verstehen der Genese der eigentümlich
individuellen Lebenslage an sich, wenn man die Lebenslage – wie in dieser Arbeit getan – eben
als dialektisches Produkt zwischen Verhältnissen und Verhalten auffasst. Entsprechend ist dem
sinnhaft handelnden Subjekt eine prominente Stellung einzuräumen, wie dies die qualitative
Sozialforschung beansprucht.

Diesem Bestreben folgend, basiert das methodische Design auf dem qualitativen Paradigma;
einerseits werden dazu Primärdaten erhoben, andererseits Fälle als Sekundärdaten aus einem
Forschungsprojekt „Altersarmut und soziale Beziehungen“ von Jost & Richter (2016) in Passa-

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
L. Richter, Lebenslagen unter Altersarmut,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-27622-5_3
176 Methodisches Design und Durchführung

gen einbezogen.349 Das Instrument der Primärerhebung ist neben einer Indikation zum For-
schungsprozess (vgl. Steinke, 1999, S. 220) unter dem Gesichtspunkt einer „methodologischen
Triangulation“ (Denzin, 2009, S. 301) ausgearbeitet:350 Ausgangspunkt der durchgeführten In-
terviews ist ein narrativer Teil nach Schütze (1976a), welcher auf die Lebensgeschichte bis zur
aktuellen Lebenssituation der Befragten abzielt. Im zweiten Teil bzw. einem zweiten Interview
mit den gleichen InterviewpartnerInnen kommt das problemzentrierte Interview nach Witzel
(1982) zur Anwendung, indem die spezifische Sondierung vordergründig ist und durch Netz-
werkanalysen auf Basis des konzentrischen Kreisverfahrens ergänzt wird. Für die Analyse des
biographisch-narrativen Teils wird auf die Fallrekonstruktion von Rosenthal (1995) und für den
problemzentrierten Part auf das Kodierparadigma von Strauss & Corbin (1990) rückgegriffen,
um diese in einer gegenstandgegründeten Theorie zusammenzuführen.351 Im Nachfolgenden
werden die einzelnen Verfahren expliziert und anschließend der ereignete Forschungsprozess
dokumentarisch aufgearbeitet. Aspekte wie das Sampling sind in den letzteren Abschnitt ver-
schoben, da eine Zusammenführung der theoretischen Implikationen und der konkreten Um-
setzung sinnvoll erscheint.

3.1 Triangulation der Erhebung


Erhebungs- aber auch Auswertungsverfahren sind keine isolierten Gebilde des Forschungspro-
zesses, sondern bedürfen, sowohl zueinander als auch gegenüber dem Forschungsgegenstand
und Forschungsinteresse einer entsprechenden Indikation. Das narrative und problemzentrierte
Interview, welche beide auf dem Erzählprinzip352 fußen, ergänzen sich trotz verfahrenstechni-
scher Unterschiedlichkeiten353 für das Projekt in mehrfacher Hinsicht sinnvoll:354 Einerseits

349
Eine Sekundäranalyse der im Vorfeld durchgeführten Interviews bietet sich an, da sich deren erhobenen In-
halte mit dem Analyseziel der vorliegenden Studie in Teilen deckt und das Erhebungsverfahren eine ähnliche,
wenn auch eine kompaktere Form aufweist.
350
Im Sinne von Flick (2011, S. 27ff.) zielt das Vorgehen auf eine methodeninterne Triangulation ab, denn „ihr
Hintergrund sollte die Kombination verschiedener theoretischer Zugänge, ihr Ergebnis wird das Vorliegen
und die Verbindung unterschiedlicher Datensorten sein“.
351
Die Ausgestaltung des Designs begründet sich neben theoretischen Überlegungen auch auf Erfahrungen einer
der Vorsondierungen, in welcher drei Interviews (zwei mit armutsgefährdeten alleinlebenden Frauen und eines
mit einem alleinlebenden, jedoch nicht armutsgefährdeten älteren Mann) geführt wurden und den Erfahrungen
aus dem Forschungsprojekt Jost & Richter (2016).
352
Witzel (1982, S. 66) führt an, dass „die zweite wichtige Stütze des Verfahrens die biographische Methode in
Form von Erzählungen“ ist und verweist für deren Begründung auf Schütze.
353
Während Schütze die bewusste Zurückhaltung bzw. Enthaltsamkeit des Interviewenden weit umfangreicher
fordert, damit sich das Frage-Antwort-Schema weitgehend auflöst und die Sachverhaltsdarstellung der Erzäh-
lung dominiert – „Warum“- bzw. Einstellungs- und Meinungsfragen sind in den letzten Teil des Interviews
verschoben (vgl. Schütze, 1977, S. 30) – wird im zweiten Verfahren von einem (strukturierten) Wechselspiel
ausgegangen. Witzel (1982, S. 49) sieht jene Bewertungen und Handlungskonsequenzen „im Rahmen der
dargestellten Ereignisketten als Einheit“, welche in der Gesprächssituation eines dialogisch-diskursiven Mo-
dus bedarf. „Methodologisch gesehen wird also die streng induktive Vorgehensweise ohne Prädetermination
durch den Forscher im narrativen Interview beim problemzentrierten Interview mittels einer Kombination aus
Induktion und Deduktion mit der Chance auf Modifikation der theoretischen Konzepte des Forschers abge-
löst“ (Lamnek, 2005, S. 364). Nach Mey (2000, S. 143) wird als Konsequenz bei dem problemzentrierten
Interview keine phasenlogische Abfolge von Textsorten postuliert, womit „es keine unmittelbare Prioritäts-
setzung für die Textsorte Erzählung“ gibt.
354
Das problemzentrierte Interview ist auch aus der kritischen Würdigung gegenüber dem narrativen Interview
entstanden (vgl. Witzel, 1982, S. 49f.). Teile der Kritik bauen jedoch auf einer reduzierten Darstellung (vgl.
Schütze, 1977, S. 30 und Witzel, 1982, S. 49) auf, da Schütze Einstellungen und Bewertungen nicht aus-
schließt, sondern deren Hervorlockung auf einem anderen Weg begreift. Beispielsweise werden die Inhalte
von Stegreiferzählungen bei Schütze (1976a, S. 20f., 1976b, S. 232f.) bzw. in seiner später erschienen Arbeit
Triangulation der Erhebung 177

gründet sich der Nutzen einer Anwendung beider Verfahren aus dem Verständnis, die indivi-
duellen Lebenssituation nicht als zeitlich punktuelles Phänomen in Form der rein aktuellen Le-
benslagen – auch wenn die gegenwärtige monetäre Situation dem Betrachtenden nun als nahezu
statisches Kondensat gegenübertritt –, sondern als einen historisch-biographischen (lebensge-
schichtlichen) Prozess zu fassen. Aktuell „altersarm-zu-sein“, aktuell auf ein kleines oder gro-
ßes Netzwerk zu blicken usw. sind die Korrelate dieses vorangegangenen multidimensionalen
Prozesses, die eine lebensgeschichtliche und die aktuelle Lebenssituation betreffende Erfassung
für diese Arbeit obligat machen. Eine biographisch-narrative Orientierung gibt dazu Auskunft
über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunftsperspektive (vgl. Rosenthal, 2014b, S. 181) der
Befragten und konstituiert über subjektive Deutungsmuster, Handlungsorientierungen und in-
dividuellen Konstellationen einen Zusammenhang zwischen der Biographie und aktuellen Le-
benssituation (vgl. auch Brettschneider & Klammer, 2016, S. 24). „Manche Handlungslinien
stammen nicht aus der Situation, sondern aus biographisch früheren Konstellationen, und be-
stimmen dennoch alle späteren mit. Manche Einstellungen sind allein aus einem Gesamtkontext
verstehbar, den die lebensgeschichtliche Erzählung am besten abbilden kann“ (Fuchs-Heinritz,
2009, S. 140). In diesem Sinne soll mittels narrativ-biographischen Teils die Lebensgeschichte
erfasst werden, während der problemzentrierte Part der vertiefenden Erfassung der aktuellen
Lebenssituation dient.
Andererseits bedarf die Implikation – einer biographisch-historischen Konstitution von mit un-
terschiedlich ausgeprägten Facetten bestückten Lebenswelten – zum Verstehen dieser, der im
qualitativen Paradigma betonten Forderung nach Offenheit. „Wenn man schon in die Prozesse
des Untersuchungsbereiches eingreifen muss, kann man dies auf eine Weise tun, welche die
Gestaltungsleistung des Feldes aktiviert und dadurch im Material die Strukturierung der unter-
suchten Lebenswelt zur Darstellung bringt“ (Froschauer & Lueger, 2009, S. 105). Im narrative
Interview werden „die Erfahrungs- und Orientierungsgegenstände des Informanten unter weit-
gehender Zurücknahme des Forschereinflusses [...] unter den Relevanzgesichtspunkten des In-
formanten möglichst immanent zu rekonstruieren versucht“ und zum anderen eignet es „sich
für die Rekonstruktion kognitiv komplexer und/oder für den Informanten bei Bekanntwerden
riskanter bzw. potentiell entblößender Sachverhalte“ (Schütze, 1977, S. 51). Der Umstand die-
ser Ausrichtung des Instrumentes dürfte sich in der ersten größeren Erhebung von Schütze, in
welcher er sich mit „Machtstruktur und Identitätsbewußtsein fusionierter Gemeinden“ ausei-
nandersetzt, begründen. Schütze (1976, S. 222) verweist darauf, dass Gemeindepolitiker zum
einen „überhaupt nicht oder nur sehr unvollkommen“ über heteronome Systembedingungen
Bescheid wissen und mit routinierten Praktiken reagieren, zum anderen aufgrund von Interes-
sensverflechtungen Antworten bei standardisierten Interviews verweigern. Analog dazu lässt
sich Altersarmut betrachten: So ist auch bei einer zu offensiven Thematisierung der Armut wo-
möglich mit Verweigerungstendenzen der Befragten zu rechnen – gleichwohl dies auf andere
Gründe als bei Schütze (etwa Scham) zurückgeführt werden muss. Der Komplexitätsbegriff,
welcher die eingeforderte Offenheit ebenso obligat macht, bezieht sich bei Schütze (1977, S.
51) außerdem auf den zu analysierenden Sachverhalt selbst, wenn dessen Dimensionalitäten für
ForscherInnen explorativen Charakter aufweisen. Zwar zeigt der Stand der Forschung, dass
Altersarmut ein bearbeitetes Thema ist – also an sich kein neu zu explorierender Gegenstand
vorliegt –, jedoch in aktuelleren Arbeiten in Teilbereiche entfaltet wird. Dies erleichtert die

(1987, S. 99–194) thematisiert, welche Elemente von inneren Zuständen, evaluativen und theoretischen Akti-
vitäten beinhalten. Während aber bei der Stegreiferzählung ein Evozieren impliziter Art angedacht und diese
erst in der Analyse bzw. Interpretation des Materials erschlossen werden, ist beim problemzentrierten Vorge-
hen die Hervorlockung argumentativer und bewertender Darstellungsschemata intendiertes Element der Da-
tengenese.
178 Methodisches Design und Durchführung

wissenschaftliche Analyse von Zusammenhängen weniger Faktoren, wenngleich der Blick auf
die Einheit der individuellen Lebenslage verloren geht. Komplexität vermag die Thematik
dadurch zurückerlangen, dass aufgrund subjektiver Relevanzen die einzelne Dimension eine
unterschiedliche Wahrnehmung und Gewichtung durch die Informanten erfahren können, wo-
mit der explorative Charakter in der Frage nach der lebensweltlichen Komposition bzw. den
Ausprägungen der Dimensionalitäten auf der Ebene der Betroffenen zu suchen ist.355 Darüber
hinaus ist ein offenes Vorgehen zur Entdeckung von unberücksichtigten (und womöglich
neuen) Faktoren genauso wesentlich. Das biographisch-narrative Interview bietet sich in dieser
Betrachtung als adäquater Einstieg an, mit größtmöglicher Offenheit das Feld zu betreten und
eine Beziehungsbasis mit den InformantInnen herzustellen.356
Mit der Formulierung „möglichst immanent“ (Schütze, 1977, S. 51) ist – auch wenn dessen
Vermeidung von Schütze empfohlen357 wird – die Kehrseite der exmanenten Fragestellungen
inkludiert und impliziert eine Vorab-Erzählfolie des Interviewenden, die eine Brücke zum prob-
lemzentrierten Teil eröffnet. Die Basis dieser Frage- bzw. Erzählfolien, also die von Forsche-
rInnen relevant gehaltenen Sachverhaltsdarstellungen, begründet sich ihrerseits auf Vorwissen,
welches Schütze in öffentlichen Materialien und vorangegangenen Interviews sieht. Auch kön-
nen Rückfragen von Ausgelassenem (Knotenpunkte des Ereigniszusammenhangs) auf „Stan-
dardproblemen“ (Schütze, 1976a, S. 228) fußen, womit zumindest implizit theoretisches Vor-
wissen angesprochen sein dürfte.358 Nur, dies sei nochmals betont, „soll das Vorwissen nicht
den Blick auf den Gegenstand und seine Eigenlogik verstellen oder verengen“ (Küsters, 2009,
S. 42). Im ersten Teil der Erhebung kann dieser Problematik insofern entgegengewirkt werden,
als auf die exmanent evozierte Behandlung von Sachverhaltsdarstellungen verzichtet wird, um
möglichst die Strukturierungsleistungen der InformatInnen zu beanspruchen. Die hierbei ange-
dachte Ausformung des narrativen Teils – dazu im nächsten Abschnitt mehr – folgt damit jün-
geren Ausführungen von Schütze (1983, 1987; vgl. auch Glinka, 1998), in welcher die exma-
nente Nachfragephase durch immanent gestellte Aufforderungen zur Beschreibung, Argumen-
tation und Entwicklung von Eigentheorien ausgeklammert wird (vgl. etwa Schütze, 1987, S.
49). Auf der anderen Seite wird nun im problemzentrierten Part das Vorwissen systematisch
einbezogen und damit ein heuristisch-analytischer Rahmen gespannt, um die Qualität der em-
pirisch fundierten Theorieentwicklung zu verbessern. Angelehnt an Ausführungen zum theore-

355
„Es ist durchaus denkbar, daß das erhobene Erzählmaterial noch grundsätzlich andersartige, dem Feldforscher
gegenwärtig auch noch nicht einmal in Ansätzen bekannte implizite Hypothesen bereithält. Der an der Pro-
grammatik einer kommunikativen Sozialforschung orientierte Feldforscher geht davon aus, daß der den For-
scher interessierende Praktiker [...] von seinem ureigensten Tätigkeitsfeld zumindest in unbewußten, in der
Erzählung aber dennoch explizierbaren Erfahrungen bedeutend mehr weiß als der am grünen Tisch seiner
Theoriebildungen sitzende Soziologe“ (Schütze, 1976a, S. 221).
356
Die Forschungslogik wird folgend auf den Punkt gebracht: „Die Erkenntnisbewegung geht zunächst von ei-
nem vagen theoretischen Zusammenhangsverständnis und dem ihm entsprechenden Probleminteresse aus.
Durch die Ansehung konkreter empirischer Materialien des Forschungsfeldes, und in strukturellen Beschrei-
bungen und analytischen Abstraktionen werden dann spezifische Fallprozesse sowie die in ihnen wirksamen
allgemeinen Prozeßmechanismen herausgearbeitet. Dadurch wird das anfängliche Zusammenhangsverständ-
nis konkretisiert, abgewandelt, differenziert“ (Schütze, 1987, S. 257f.).
357
Schütze (1987, S. 39) schreibt gar von möglicherweise „verheerenden Auswirkungen“ auf die Form der Dar-
stellung. Trotzdem hat sich in jüngerer Literatur (vgl. etwa Rosenthal, 2014b) die exmanente Phase im narra-
tiven Interview etabliert.
358
Etwas konkreter findet sich auch folgende Aussage: so ist der/die ForscherIn „jedoch im erheblichen Maße
aufgefordert, grundlagentheoretische Vorarbeiten zur dimensionalen Vorabbestimmung des von ihm zu ana-
lysierenden Objektbereiches sowie zur Konzeption des von ihm benutzten Analyseinstrumentes und zum Ver-
ständnis der Arbeitsweise dieses Instrumentes zu leisten“ (Schütze, 1976a, S. 221f.).
Triangulation der Erhebung 179

tischen Sampling – als iterativ-zyklischer Prozess, welcher zu Modifikationen bzw. Differen-


zierungen des Modells führen soll – und zur theoretischen Sensibilität werden die entdeckten
Knoten-/Kulminationspunkte aus dem theoretischen Vorwissen bzw. aus den Daten der bereits
geführten Interviews in ein deduktiv-induktives Wechselspiel überführt und sich damit an der
Position der Grounded Theory orientiert. Die Auflösung der Prioritätssetzung gegenüber der
Erzählung bietet zusätzlich den Vorteil, eine hinsichtlich des Themenbereichs erwachsende
Problematik des narrativen Interviews zu lösen. Wie noch später näher erörtert, bedarf das nar-
rative Interview zur Evokation von Stehgreiferzählungen eines prozesshaften und in gewisser
Weise für die Person bedeutsamen Ereigniszusammenhangs. Die aktuelle Lebenssituation mag
solche zwar bereithalten, ist jedoch ebenso von wiederkehrenden Ereignissen (wie den Wo-
chenalltag) bestückt, welche tendenziell in Beschreibungen ausformuliert werden.
Die kurz vorgestellten Unterschiedlichkeiten der Verfahren, welche auch ihre jeweiligen Stär-
ken konstituieren, sollen in kombinierter Anwendung nicht nur qualitätssteigernd wirken, son-
dern vor allem dem Ziel einer vertieften Darstellung der Lebensgeschichte und der aktuellen
Lebenssituation dienlich sein. Zusammenfassend lässt sich das Verfahren als ein extensiv aus-
gelegtes Interview verstehen, welches im ersten Teil unter größtmöglicher Offenheit die Struk-
turierungsleistung der InformantInnen beansprucht und einen Schwerpunkt in der Erfassung
der Lebensgeschichte setzt, um im zweiten Teil eine Vertiefung und Validierung entlang von
Problemzentrierungen im Kontext der aktuellen Lebenssituation zu forcieren. Nach Möglich-
keit wird eine Zweiteilung verfolgt, um einerseits sowohl Interviewte sowie Interviewer von
einem einzigen und damit langen bzw. erschöpfenden Interview zu entlasten als auch anderer-
seits das Beziehungsverhältnis durch den mehrfachen Kontakt für eine Bearbeitung der wo-
möglich individuell unangenehmen oder gar schmerzhaften Armutserfahrungen zu stärken.
Hierzu sei jedoch angemerkt, dass die Verbindung von narrativem und problemzentriertem Teil
in einem Interview bzw. umgekehrt die Teilung in zwei Interviews sich aus der Logik bzw. den
Bedürfnissen des Feldes ergab. Im Folgenden werden für eine einfachere Darstellung die bei-
den Verfahren getrennt voneinander behandelt.

3.1.1 Narratives Interview nach Schütze


Das narrative Interview wurde in den 1970er Jahren von Schütze entwickelt und vermag die
Forderung nach Offenheit im interpretativen Paradigma weitgehend zu erfüllen; denn es ist
eines „derjenigen Erhebungs- und Analyseverfahren, welche die Erhebungs- und Orientie-
rungsbestände des Informanten bei weitgehender Zurücknahme des Forschereinflusses unter
den Relevanzgesichtspunkten des Informanten möglichst immanent zu rekonstruieren ver-
sucht“ (Schütze, 1987, S. 254). Dies wird durch die Gestalt des Verfahrens erreicht, welches
nach Küsters (2009, S. 22) eine alltägliche Kommunikationssituation zu imitieren versucht,
auch wenn eine „Asymmetrie in der Verteilung des Rederechts“ nicht von der Hand zu weisen
ist. Die gesamte Erzählsituation wird je nach AutorIn in unterschiedlich viele Abschnitte ge-
gliedert, für die vorliegende Ausarbeitung ist sie in vier Akte eingeteilt. Das Folgende gibt einen
Überblick über die wichtigsten Charakteristika der einzelnen Akte und legt die in der Planungs-
phase angedachte Ausformung offen.

• Akt – Vorgespräch, Erzählstimulus und Ratifizierung


Das Vorgespräch erfüllt einerseits Informationsfunktionen und ist wichtige Voraussetzung für
ein erfolgreiches Interview. Eine Besonderheit beim narrativen Interview besteht darin, wäh-
rend der Anbahnung und den Erörterungen über die Struktur des Interviews nicht die konkrete
Fragestellung des Erzählimpulses vorwegzunehmen, da dies dem Sinn einer Stehgreiferzählung
180 Methodisches Design und Durchführung

zuwiderläuft (vgl. Küsters, 2009, S. 45). Für das Vorgespräch sind die folgenden Formulierun-
gen über das Interviewerverhalten359 – in Anlehnung an Schütze (1977, S. 32f.) – und des
Weiteren für die Aufzeichnung mittels Tonaufnahmegerät gewählt360:
„Wichtig ist, dass mir Ihre Erfahrungen klar werden. Deshalb werde ich Sie nur
dann unterbrechen, wenn ich etwas nicht verstanden habe. Allerdings würde ich
mich sehr freuen, wenn wir anschließend Fragen, die mir in den Sinn gekommen
sind, diskutieren könnten. Damit ich meine Fragen nicht vergesse, werde ich mir
hin und wieder ein Stichwort notieren.“
„Ich würde gerne das Gespräch aufnehmen, damit ich auch nichts vergesse, sonst
müsste ich alles mitschreiben und das finde ich unpassend, denn ich möchte Ihnen
doch lieber genau zuhören.“
Zudem werden im Vorgespräch nochmals die Anonymität zugesichert – dies erfolgte auch
schon bei der Anbahnung361 des Interviews – und der Ablauf erörtert, da dieser durch das typi-
scherweise imaginierte Frage-Antwort Muster für viele fremd ist.
Das eigentliche Interview startet mit der Erzählaufforderung bzw. dem -stimulus, welcher nach
Ratifizierung in die Haupterzählung mündet. Um nach Schütze (1976a, S. 227) eine eigener-
lebte Narration einzuleiten, bedarf es dreier Aspekte:
a) Auswahl eines Themas mit narrativer Generierungskraft
b) mit einem zusammenhängenden, pointenreichen Ereignisstrang,
c) wobei das Thema als Tangentialpunkt kritische Momente berührt, jedoch nicht direkt
angesprochen wird.
Diese in Punkt a) angesprochene Kraft ist jedoch nach Küsters (2009, S. 30) nur dann gegeben,
wenn der/die InformantIn selbst (handelnd oder erleidend) involviert war, eine gewisse Auf-
merksamkeit dem Ereigniszusammenhang zuteil wurde und es sich um ein Phänomen mit Pro-
zesscharakter handelt (vgl. auch Schütze, 1977, S. 26, 1987, S. 243).362 Überdies lassen sich
zwei Hauptstrategien zur Annäherung an den Objektbereich identifizieren. Einerseits kann mit
dem narrativen Interview eine breite Erfassung erfolgen (etwa die gesamte Biografie bzw. par-
tielle Teile) um auf Phänomene zu schließen und Vorentwicklungen zu berücksichtigen oder
aber, es wird ein Teilaspekt aus dem Objektbereich mittels spezifischeren (temporalen und/oder
thematischen) Erzählstimulus ausgewählt, welcher durch die Zugzwänge der Erzählung von
InformantInnen umfassend auf das Phänomen ausgedehnt wird.363 Letztere Variante wird bei

359
Die „Regieanmerkung“ wird damit nicht direkt zum Erzählstimulus gesetzt, sondern bereits vorher themati-
siert. Etwaige damit aufkommende Fragen können so die Ratifizierung nicht stören.
360
Solche Passagen bzw. auch Fragestellungen werden nach Empfehlung von Küsters (2009, S. 45) mit einer
passenden alltagssprachlichen Diktion und einem möglichst gleichen Inhalt ohne Abzulesen in das Gespräch
eingebaut. Wichtig erscheint mir, dass gerade zu Beginn eine möglichst alltägliche Kommunikationssituation
generiert wird, welche nicht durch ein abgesetztes bzw. steril wirkendes Ablesen eine Perturbation erfährt.
Ziel war es, eine Atmosphäre des „gemütlichen Gesprächs“ zu schaffen.
361
An dieser Stelle sei erwähnt, dass die Untersuchung mit dem Titel „Lebenssituation bei älteren Menschen mit
geringerem Pensionseinkommen“ vorgestellt wurde, womit das stigmatisierte Wort „Armut“ – inklusive aller
damit verbundener Wortbildungen – ausgespart blieb. Denn bereits vorangegangene Erprobungen zeigten,
dass die Erwähnung zu einem Abbruch führen kann bzw. das Thema Armut ansonsten bereits zu Beginn der
Gespräche außerordentliches Gewicht mit entsprechender Legitimation erhält.
362
Für weitere Bedingungen, wenn ErzählerIn und GeschichtsträgerIn auseinanderfallen, siehe Schütze (1987,
S. 70).
363
Rosenthal & Loch (2002) warnen jedoch bei biographisch-narrativen Interviews vor einer zu großen tempo-
ralen und thematischen Einschränkung. Die hier dargelegte Aufforderung ist daher an einem Vorschlag von
Rosenthal (1995, S. 199) für einen thematisch gerichteten Einstieg orientiert.
Triangulation der Erhebung 181

Schütze (1977, S. 8f.) zur Untersuchung der kommunalen Machtstrukturen angewandt (vgl.
auch Schütze, 1976a, S. 163) und sollte für die Erzählung potentiell blockierende Interessens-
verflechtungen bei den InformantInnen ausblenden. Eine weitere, kombinierte Möglichkeit be-
steht darin, die Lebensgeschichte mit einem thematischen Schwerpunkt zu versehen (vgl.
Rosenthal, 2014b, S. 159). Diese Variante wird für das Forschungsprojekt aus dem Grund ge-
wählt, da zwar an sich die aktuelle Lebenssituation nicht losgelöst von vergangenen Entschei-
dungen, Erlerntem, Erfahrenem bzw. Erlittenem wie auch durch latente bzw. in den Erzählun-
gen implizit angedeuteten heteronomen Systembedingungen betrachtet werden kann, anderer-
seits aber die Selbstpräsentation aufgrund der Gestaltmehrdeutigkeit leicht durch einen Impuls
in Richtung der aktuellen Lebenssituation364 mit einem geringeren Einkommen gelenkt werden
soll:
„Ich interessiere mich für die Lebenssituation von Pensionistinnen und Pensio-
nisten, die ein geringeres Einkommen haben. In der Regel ist die Lebenssituation
nur dadurch zu verstehen, dass man auch die Lebensgeschichte kennt. Ich möchte
Sie für heute daher bitten, mir Ihre Lebensgeschichte umfassend zu erzählen.“
Die autobiographische Erzählung wird entsprechend mit der aktuellen Lebenssituation ver-
knüpft und auf den geringeren ökonomischen Verfügungsraum Bezug genommen. Obwohl die
Frage weiterhin relativ offen gestellt wurde und die Befragten auf unterschiedliche Art auf den
Stimulus reagieren dürften, kann davon ausgegangen werden, dass die Stehgreif- bzw. nötige
Hintergrunderzählungen sich am Thema der aktuellen Lebenssituation mit geringem Einkom-
men orientieren.
Nachdem nun die Erzählaufforderung gestellt wurde, kann entweder unmittelbar die Erzählung
beginnen, der Stimulus wurde damit ratifiziert365, oder es bedarf einer Aushandlungsphase. Die
oben genannte Erzählaufforderung bietet eine relativ große Offenheit, was zum Einstieg in län-
gere Erzählungen einerseits positiv, andererseits jedoch auch als Überforderung wahrgenom-
men werden kann. Zusätzlich attestiert Fuchs-Heinritz ( 2009, S. 181) eine Ungewissheit – es
fehlen systematische Untersuchungen – über das Fertigkeitsniveau der Erzählkompetenz (vgl.
auch Mey, 2000, S. 138f.).366 Zwei Strategien sind für diesen Fall vorgesehen: Erstens wird die
Aufforderung „ein zweites Mal und leicht insistierend“ (Küsters, 2009, S. 56) gesetzt und bei

364
Dies mag in erster Hinsicht womöglich als Pleonasmus gedeutet werden, da – wenn man etwa Rosenthal
(1995) folgt – die autobiographische Selbstpräsentation immer auch durch die Gegenwartsperspektive be-
stimmt ist; ist man akut von einer schweren Krankheit betroffen, so können auch in der lebensgeschichtlichen
Erzählung Erkrankungsgeschichten im Besonderen vorstellig werden. Die Gegenwartsperspektive ist meiner
Ansicht nach aber als Teil der gegenwärtigen Lebenssituation zu sehen, wie eine Erkrankung ein Teil (wenn
auch ein besonders relevanter) der Lebenssituation ist. Durch die bewusste Hereinnahme des Begriffs der
„Lebenssituation“ soll das Interesse an einer über einzelne Aspekte hinausgehenden Darstellung expliziert
werden – alles, was eben zur aktuellen Lebenssituation gehört oder zur lebensgeschichtlichen Genes beigetra-
gen hat. Die Relevanz eines Lebensbereichs wird damit nicht negiert und die Selbstpräsentation kann offen
ausgestaltet werden, es soll jedoch die Möglichkeit befördert werden, dass vermittels Erzählzwänge auch wei-
tere Aspekte vorstellig werden, welche ebenso einen Teil der aktuellen Lebenssituation ausmachen.
365
Dies bedeutet nicht nur, dass mit irgendeiner Erzählung begonnen wird, sondern mit einer innerhalb des The-
menrahmens.
366
Schütze (1987, S. 254) konstatiert hingegen: „Die Wirksamkeit [des narrativen Interviews] fußt auf der all-
tagsweltlichen Kompetenz des Informanten zum Stehgreiferzählen, die nicht nur prinzipiell, sondern auch in
ihrem Fertigkeitsniveau relativ schichtunabhängig ist“. Aus eigenen Erfahrungen lässt sich dies weder bestä-
tigen noch negieren, es stellt sich aber die Frage, inwiefern fehlende Möglichkeiten des Erzählens sich auch
auf die Kompetenz des Erzählens auswirken. Nach Rosenthal (1995, S. 102) bedarf es zur Gestalt einer Le-
bensgeschichte erlernter (sozialisierter) Muster und zugleich wird „von einem Erwachsenen (...) in unserem
Kulturkreis also in verschiedenen Kontexten verlangt bzw. ihm angeboten über sein Leben zu sprechen“. Er-
lerntes kann damit wiederholt und eingeübt werden; was aber, wenn die Angebote des Erzählens schwinden?
182 Methodisches Design und Durchführung

erneuter Nachfrage versucht, das Thema nach der Relevanzstruktur auszuhandeln, ohne (nach
Möglichkeit) die Offenheit seitens des Interviewers einzuschränken. Sollte auf diesem Weg
keine Ratifizierung möglich sein, werden – bevor kein (narratives) Gespräch zustande kommt
– die für den problemzentrierten Teil allgemein vorgesehenen Leitfragen eingebracht, da diese
deutlich konkreter auf Kulminationspunkte der Lebenswelt der armutsgefährdeten Personen
ausgerichtet sind (vgl. dazu auch Schütze, 1977, S. 25).

• Akt – Haupterzählung
Wie bereits angeführt, beginnt nach der erfolgreichen Aushandlung/Ratifizierung die Stehgrei-
ferzählung, welche im Wesentlichen monologisch der Interviewten bzw. dem Interviewten
überlassen ist und eine kurze Erwähnung der erzähltheoretischen Überlegungen Schützes als
sinnvoll erscheinen lässt. Nicht nur das narrative Interview – wenn auch weit substanzieller
betreffend – fußt auf solchen Überlegungen, sondern auch im problemzentrierten Interview
kann darauf Bezug genommen werden. So weisen Erzählungen spezifische Charakteristika auf:
a) Eine prozesshafte Darstellung (erlebter Ereignisabfolgen) mit zumindest „minimalem
Veränderungskern“ (Schütze, 1987, S. 60) und einer autonomen (selbstläufigen) Erzähl-
darstellung, welche durch einen retrospektiven Überblick zu prozessualen Zusammen-
hängen gerafft werden kann.
b) Eine Indexikalität bzw. Spezifität der Darstellung durch Angaben von Zeiten, Orten,
Situationen und Absichten sowie die Reproduktion ehemaliger Orientierungen und Per-
spektiven trotz retrospektiver Betrachtung.
c) Zudem die Selbstvergewisserung eigener Identitätsveränderung mit möglicher Einmün-
dung in theoretische Verarbeitungsanstrengungen (Eigentheorien) und die Thematisie-
rung von Unbewusstem.
d) Vier kognitive Strukturen bzw. Ordnungsprinzipien, bestehend aus sozialen Einheiten
(1. Ereignisträger), welche eine Zustandsänderung in der Darstellung von Ereignissen
erfahren (2. Ereignisketten), Höhepunkte der Narration (3. Situationen) und Ausarbei-
tung des angekündigten Themas (4. Thematische Geschichten), welche in „der Feststel-
lung des Schicksals des/der Handlungsträger(s) kumuliert“ (Kallmeyer & Schütze,
1977, S. 183), lassen sich identifizieren.
Die Punkte zusammenfassend bieten Erzählungen den Vorteil gegenüber anderen Sachverhalts-
darstellungen, dem Handeln und Erleben bzw. Erleiden der InformantInnen näher zu stehen, da
diese aus dem „Standpunkt der existentiellen Handlungs- und Erlebenssituation“ (Schütze,
1987, S. 40) geschildert werden.367 Beschreibungen und Argumentation sind hingegen von all-
gemeinerem Charakter und lösen sich von den betroffenen Personen ab. Eine weitere Beson-
derheit von Stehgreiferzählungen liegt in der Wirkung – durch die geringe Möglichkeit der
Vorabkalkulation (vgl. Kallmeyer & Schütze, 1977, S. 171) – der Erzählzwänge zugrunde, wel-
che Umfang und Qualität der Daten wesentlich mitbestimmen:
a) Aufgrund des Detailierungszwanges sind die InformantInnen angehalten, so viel wie
für die Nachvollziehbarkeit der Narration nötig zu erzählen. Dies bedeutet, dass Ereig-
nisträger vorgestellt bzw. gekennzeichnet wie auch Verknüpfungen und Plausibilisie-

367
Aufgrund der dargelegten Erzählaufforderung sind die InformatInnen nicht nur ErzählerInnen, sondern auch
die GeschichtsträgerInnen, also jene Personen, in deren Handlungs- und Erleidensraum die dargebrachten
Ereignisketten liegen.
Triangulation der Erhebung 183

rungskomponenten (besonders in Form von Hintergrundgeschichten) eingebracht wer-


den und sich die Erzählung grundsätzlich parallel zu den erfahrenen Ereignissen aus-
richtet.368
b) Aufgrund des Gestaltschließungszwanges sind die InformantInnen angehalten, kogni-
tive Strukturen abzugrenzen und abzuschließen, ergo etwa notwendige soziale Einhei-
ten oder Situationen einzubringen und die jeweilige und gesamte Darstellung „zu Ende
zu erzählen“ (vgl. Küsters, 2009, S. 28), da die Geschichte ansonsten nicht „vollständig,
verständlich und ausgewogen wäre“ (Schütze, 1976a, S. 224).369
c) Aufgrund des Kondensierungs- und Relevanzfestlegungszwanges sind die InformantIn-
nen angehalten, grundsätzlich konstitutive Elemente auszuwählen (Ökonomieprinzip)
und mittels Relevanzsetzung zwischen peripher- und zentralkonstitutiven Elementen
entlang der Kombination aus Gewichtung für die Darstellung und Bewertung des Sach-
verhaltes zu entscheiden (vgl. Kallmeyer & Schütze, 1977, S. 227).370
Diese Dynamiken von eigenerlebten Stehgreiferzählungen bergen in sich, schambehaftetes Ge-
schehen und Ausblendungstendenzen (nicht als bewusste Verschleierung verstanden, sondern
als persönliche Notwendigkeit des Vergessens) durch den Erzählenden „in Angriff“ (Schütze,
1987, S. 208) nehmen zu können, ohne die für Betroffene möglichweise schmerzhaften Erleb-
nisse direkt anzusprechen. Anders formuliert, der Interviewende fordert nicht die Explikation
bzw. symptomatische Darstellung ein, sondern die Zwänge des Erzählduktus selbst. „Innerhalb
dieser sekundären, in der Erinnerung reaktivierten Erlebnisabfolgen geht der Erzähler noch ein-
mal in seiner nacherlebten ursprünglichen Erlebnisaufschichtung und –weise mit dem damali-
gen Geschehen mit; Orientierungen, Hoffnungen, Befürchtungen, Freude und Schmerz von da-
mals werden verlebendigt“ (Schütze, 1987, S. 40). Grund für eine allmähliche Verstrickung
und „Mehr-Bearbeitung“ als durch den Erzählstimulus im Vorstellungsvermögen der Betroffe-
nen gedacht, liegt gerade in der Schwierigkeit komplexe Ereignisverwicklungen dem Zuhören-
den im Vorgang des Erzählens klärend darzustellen. In Bezug zur oben vorgestellten Erzählauf-
forderung bedeutet dies, dass die Lebensgeschichte, sofern Armutserfahrungen eine existenzi-
elle Rolle im Leben des/der InformantIn spielen, zumindest symptomatisch in den Erzählungen
auftreten, wenn nicht gar in wichtigen Episoden direkt angesprochen werden, um ein Nachvoll-
ziehen für den Interviewenden zu ermöglichen. Es „muß [...] noch darauf hingewiesen werden,
daß der Erzähler, hat er erst einmal mit dem Erzählen angefangen, mehr oder weniger verpflich-
tet ist, die Erzählung bis zu ihrer Pointe zu Ende zu bringen“ (Schütze, 1976a, S. 184). Verwei-
gerungshaltungen können damit teilweise umgangen bzw. nach Möglichkeit abgebaut werden,
was ein wesentlicher Vorteil des Verfahrens in Hinblick auf die Thematik ist. Zugleich muss
betont werden, dass die Dynamiken nicht dazu genutzt werden sollen, unbewusst die Informan-
tInnen in eine „Falle stolpern“ zu lassen und das Kerninteresse der Untersuchung zu verschlei-

368
„Der Erzähler ist getrieben, sich an die tatsächliche Abfolge der von ihm erlebten Ereignisse zu halten und -
orientiert an der Art der von ihm erlebten Verknüpfungen zwischen den Ereignissen - von der Schilderung des
Ereignisses A zur Schilderung des Ereignisses B überzugehen“ (Kallmeyer & Schütze, 1977, S. 188).
369
„Der Erzähler ist getrieben, die in der Erzählung darstellungsmäßig begonnenen kognitiven Strukturen abzu-
schließen. Die Abschließung beinhaltet den darstellungsmäßigen Aufbau und Abschluß von eingelagerten
kognitiven Strukturen, ohne die die übergeordneten kognitiven Strukturen nicht abgeschlossen werden könn-
ten“ (Kallmeyer & Schütze, 1977, S. 188).
370
„Der Erzähler ist getrieben, nur das zu erzählen, was an Ereignissen als ‚Ereignisknoten’ innerhalb der zu
erzählenden Geschichte relevant ist. Das setzt den Zwang voraus, Einzelereignisse und Situationen unter Ge-
sichtspunkten der Gesamtaussage der zu erzählenden Geschichte fortlaufend zu gewichten und zu bewerten“
(Kallmeyer & Schütze, 1977, S. 188).
184 Methodisches Design und Durchführung

ern. Wie bei der Anbahnung angemerkt, wird das Thema als „Lebenssituation bei älteren Men-
schen mit geringerem Pensionseinkommen“ vorgestellt. Die konkrete Darstellung und Ver-
knüpfung zu diesem Gebiet bleibt damit jedoch den Interviewten offen (vgl. auch Rosenthal &
Loch, 2002, S. 221f.).
Die Ausführungen konnten bereits die Aktivitäten des Interviewenden in der Haupterzählphase
andeuten, welche grundsätzlich nicht mit dem Stellen von Fragen beschäftigt sind, sondern mit
der Aufrechterhaltung und Aktivierung der Erzählbereitschaft unter Bedachtnahme einer mög-
lichen Beeinflussung (vgl. Schütze, 1976a, S. 182). Neben parasprachlichen Bekundungen und
motivierenden Aufforderungen, sind von Rosenthal (2002) empfohlene Strategien das aktive
Zuhören und das szenische Erinnern, wobei ersteres unterstützend bei schmerzhaften Erlebnis-
sen eingesetzt werden kann.
Mit einer eindeutigen Koda (z.B.: „Das war meine Geschichte, mehr kann ich nicht erzählen“)
wird meist die Haupterzählung beendet und in die Nachfragephase übergeleitet.

• Akt – Immanentes (und exmanentes) Nachfragen


„Erst jetzt darf der interviewende Forscher wieder thematisch aktiv werden“ (Schütze, 1987, S.
239), beginnend mit der Ausschöpfung des „tangentiellen Erzählpotentials“ (Schütze, 1983, S.
285). Dies bedeutet, dass zu Beginn der Nachfragephase Themen angesprochen werden, welche
bereits in der Haupterzählung (entweder angedeutet oder symptomatisch) repräsentiert waren.
Repräsentationsformen sind etwa Andeutungen, querliegende Erzählfäden, Stellen der Raffung
oder Stellen mangelnder Plausibilisierung und Vagheit aufgrund schmerzhafter, stigmatisieren-
der oder legitimationsproblematischer Erfahrungen der InformatInnen (vgl. Schütze, 1983, S.
285). Die daran knüpfenden, fallspezifischen Fragen der immanenten Phase sind dem Erzähl-
schema zuzuordnen und sollen nicht per se auf Begründungen oder Argumentationen abzielen.
Fischer-Rosenthal & Rosenthal (1997) bzw. Rosenthal (2014) unterscheiden sechs „Grundty-
pen narrativen Nachfragens“:
Tabelle 19 – Grundtypen narrativen Nachfragens
Grundtyp Funktion
Ansteuern einer Lebensphase371 Detailierung einer gerafften Phase oder Situation
Ansteuern einer benannten Situation
Ansteuern von Tradiertem bzw. Fremderlebtem Detailierung bzw. zusätzliche Erzählungen372
Ansteuern von Zukunftsvorstellungen oder von
Phantasien
Eröffnung eines temporalen Rahmens Detailierung scheinbar statischer Themen
Ansteuern einer Beleg-Erzählung Detaillierung durch Erzählung auf ein vorge-
brachtes Argument

Die zweite Phase – Schütze (1983, S. 285) nennt diese hingegen „dritter Hauptteil“ – wird von
Rosenthal (2014b, S. 152) in „Erweiterung der Nachfragentechnik“ als „exmanentes Nachfra-
gen“ konzipiert und unterscheidet sich damit von Erörterungen Schützes (1983, 1987)373. Die

371
Die Ansteuerung einer Lebensphase ist mehr in ihrer Funktion als Detailierung zu verstehen, da nach
Rosenthal (1995) tendenziell die gesamte Lebensgeschichte erhoben wird.
372
Da Rosenthal (2014, S. 162) in der Nachfragephase auf erzählgenerierende Fragen insistiert und die Grundty-
pen gesamt für immanente und exmanente Nachfragen konzipiert sind, können diese nicht nur auf die Funk-
tion der Detailierung sondern auch auf die zusätzlichen Erzählung ausgerichtet werden.
373
In Schütze (1977, S. 32) findet sich der Hinweis, dass ein „Antippen“ von ausgelassenen Topoi und Ereignis-
höhepunkten möglich ist und wird folgend dargelegt: „Für die aktive und dennoch behutsame Gestaltung der
Triangulation der Erhebung 185

Vorgehensweisen divergieren bei genauerer Betrachtung auf verfahrenstechnischer Seite: Wäh-


rend Schütze (1987) empfiehlt, in diesem Teil weiterhin der Erzählsituation innewohnende Fra-
gen374 zu stellen – er jedoch durch explizit angesprochene Begründungs- und Argumentations-
schemata auch Deutungs- und Wahrnehmungsmuster der InformantInnen einbeziehen möchte
–, sollen beim Vorgehen mittels exmanenter Fragen weitere (unausgesprochene) Themen er-
zählgenerierend aufgeworfen werden (vgl. auch Rosenthal, 1995, S. 200ff.). Da im problem-
zentrierten Teil exmanente Fragen – zumindest im Bereich der Ad-hoc-Fragen (vgl. Witzel,
2000, S. 4) – bewusst hinzugenommen werden können, wird für den narrativen Part auf das
Vorgehen von Schütze rekurriert. Folglich sind innerhalb des Erzählten Fragen zu schöpfen,
welche zu Beginn der Nachfragephase gemachte Darstellungen auf Basis der obigen sechs
Grundfragetypen detaillieren und im zweiten gemachte Darstellungen – wiederrum immanent
– auf eine Beschreibungs- und Argumentationsebene überführen. Für letzteres ist beispiels-
weise an Beschreibungen der genannten AkteurInnen des Geschehens, dessen sozialer Rahmen
sowie Eigentheorien der InformantInnen zu denken.

• Akt – Interviewabschluss
Dieser Akt kam entweder am Ende des problemzentrierten Teils zum Tragen oder bildete den
Abschluss des ersten Interviews, sofern sich eine Zweiteilung anbot. Auch diesem letzten Teil
kommt eine große Bedeutung zu, denn dieser liefert einerseits selbst weitere wichtige Erkennt-
nisse: Die Abschaltung des Tonaufnahmegerätes – „als objektivem ‚Zeugen’ der Darstellung“
– vermag bereits weitere Narrationen anregen und lässt eine Einschätzung über die Befragten
zu, „inwieweit sie der Interviewsituation mißtrauten und ihre Darstellungen von den privaten
Beständen ihres Orientierungssystems und Erfahrungsschatzes freihielten“ (Schütze, 1977, S.
50). Hierzu als letzte angedachte erzählgenerierende Frage wird auf den Vorschlag Rosenthals
(2014b, S. 165) rekurriert:
„Gibt es noch irgendetwas, das Sie mir heute noch gerne erzählen möchten?“
Andererseits ist auf einen positiv gestimmten Abschluss – die Erzählung schmerzhafter Erleb-
nisse, sollte nicht mit diesen enden, sondern auf „sichere Orte“ (Rosenthal, 2014b, S. 164)
rückgeführt werden – zu achten. Sollten daher die Ausführungen zu einem belastenden Bereich
führen, aus welchem sich der bzw. die InterviewpartnerIn nicht mehr heraus zu erzählen ver-
mag, so wird noch folgende Frage angehängt:

Zuhörerrolle ist eine Informationsbasis erforderlich, die den Forscher mit einem Raster von Strukturpunkten
(Topoi und Ereignishöhepunkten) jeder möglichen Erzählung seines Untersuchungsfeldes versieht“, jedoch
unter der „Devise, exmanente möglichst weitgehend durch immanente Fragen zu ersetzten“ (Schütze, 1977,
S. 34).
374
„Nachdem das durch narrative Nachfragen aktualisierte Erzählpotential des thematischen Bereichs des Inter-
views ausgeschöpft ist, bittet der interviewende Forscher den Informanten, die (individuellen und kollektiven)
Akteure im berichteten Geschehen beschreibend zu charakterisieren (d.h. zu portraitieren) sowie die sozialen
Rahmen (Situation, Milieus, soziale Welten) sowohl ganz konkret für das Hier und Jetzt des jeweiligen Ereig-
niszeitpunkts als auch im Hinblick auf ihre durchlaufenden und allgemeinen Merkmale abstrakt zu beschrei-
ben – die sozialen Rahmen, innerhalb derer sich das erzählte alltagspraktische [...] Geschehen und die eigene
Verwicklung in dieses abgespielt haben. Zum Schluß geht der Forscher von den versatzstückartigen eigenthe-
oretischen Kommentaren aus, die der Informant zuvor immer wieder in seinen Erzähldarstellungen eingestreut
hat, und es entwickelt sich ein argumentatives Gespräch, in welchem die (möglicherweise widersprüchliche)
Systematik der Eigentheorie des Informanten über das stattgehabte Geschehen einschließlich seiner bewer-
tenden Stellungnahme zu diesem entfaltet wird“ (Schütze, 1987, S. 240). Diesen Ausführungen können nur
bedingt unter „exmanente Fragen“ subsumiert werden.
186 Methodisches Design und Durchführung

Wenn Sie zurückblicken, was würden Sie sagen, war Ihr schönstes Erlebnis, erzäh-
len Sie mir davon?“
Wie Rosenthal & Loch (2002) anführen, können zum Gesprächsende auch andere Befragungs-
instrumente zur Anwendung kommen (vgl. auch Rosenthal, 2014b, S. 165), was in Form des
problemzentrierten Parts umgesetzt wird.

3.1.2 Problemzentriertes Interview nach Witzel


Das problemzentrierte Interview wurde in den 1980er Jahren von Witzel entwickelt und zielt
auf „individuelle und kollektive Handlungsstrukturen und Verarbeitungsmuster gesellschaftli-
cher Realität“ (Witzel, 1982, S. 67) zuzüglich der „objektiven Rahmenbedingen“ ab, von wel-
chen die Befragten abhängig und in den Handlungen zu berücksichtigen sind (vgl. Witzel, 1985,
S. 230). Mit „problemzentriert“ ist eine Fokussierung auf ein gesellschaftliches Problemfeld
gemeint, für dessen Orientierung ebenso eine Offenlegung und Systematisierung des Wis-
senshintergrundes erfolgen soll; also eine Sondierung bzw. Verarbeitung entsprechender The-
orien und empirischer Studien. Zusätzlich sind strukturelle Merkmale des „Alltagskontextes
der Subjekte“ (Witzel, 1985, S. 230), wie institutionelle Bedingungen zu erfassen, welche sich
für das vorliegende Projekt etwa auf die Ausformung und Inanspruchnahme der Unterstüt-
zungsleistungen für armutsgefährdete Personen beziehen. Ziel der Sondierung ist die „originäre
Problemsicht der Befragten“(Witzel, 1982, S. 70) mittels diskursiven Dialogs, welcher „the
researchers’ prior knowledge [and] the respondents’ practical knowledge“ (18f.) zusammen-
führt, offen zu legen. „In other words, the sensitising approach should guarantee that the eve-
ryday, contextual and, in case of expert interviews, research knowledge of respondents has the
chance to enter into a dialogue with that of the interviewers” (Witzel & Reiter, 2012, S. 46).
Aufgrund der Gegenstandsorientierung des problemzentrierten Interviews kann deren Gestalt
flexibel angepasst werden, womit Witzel (2000) keine starre Struktur, sondern vor allem kom-
binierbare Gesprächstechniken präsentiert. Im Nachfolgenden wird daher der für das For-
schungsprojekt entwickelte Ablauf vorgestellt, welcher das Vorgehen um die Erhebung der so-
zialen Beziehungen mittels egozentrierten Kreisverfahrens in vier Akte strukturiert; Erörterun-
gen zum Vorgespräch entfallen an dieser Stelle; dazu etwa Witzel & Reiter (2012 S. 65ff.).

• Akt – Erzählstimulus
Dem Erzählstimulus misst Witzel (1982, S. 96f.; vgl. auch Witzel & Reiter, 2012, S. 67ff.)
substanzielle Bedeutung bei, welcher wiederum eine narrative Gesprächsstruktur evozieren
soll. Damit kann einerseits der von Witzel (2000) als traditionell und erwartet bezeichneten
Vorstellung eines „Frage-Antwort-Spiels“ der Interviewsituation bei den Befragten entgegen-
gewirkt werden, andererseits liefert sie wesentliche Legitimationsanteile für nachfolgende Fra-
gen, sofern diese rekurrierend auf die initiale Erzählung gestellt werden können. „In a method-
ologically reflected way, the PCI encourages and utilises narratives as prime sources for further
exploring the given 'problem' in a dialogic way“ (Witzel & Reiter, 2012, S. 31). Aufgrund des-
sen lässt sich die Zuweisung des Bedeutungsgrades der Einstiegserzählung bzw. Narration ge-
genüber dem narrativen Interview bezüglich der verfahrenstechnisch Ausgestaltungsunter-
schiede zwar umdeuten, gleichwohl der Anspruch als Quelle für nachfolgende Fragen und spä-
tere Analysen zu dienen (vgl. Witzel & Reiter, 2012, S. 70f.), auch in diesem Fall der ersten
Narration besondere Relevanz verleiht.
Sofern eine Zweiteilung erfolgt, kommt im dargelegten Design dem Erzählstimulus eine etwas
andere Bedeutung zu: Im Gegensatz zur initialen Auffindung von Anschlussmöglichkeiten,
Triangulation der Erhebung 187

steht die Anbindung an das Erstinterview im Vordergrund, welches bereits einen Fundus für
immanente Fragen bietet; dies soll in Form des Einstieges unterstützt werden:
„Seit unserem letzten Treffen ist nun etwas Zeit vergangen. Häufig fällt einem erst
ein wenig später ein, dass man noch etwas erwähnen wollte. Gibt es daher noch
etwas, das Sie mir heute zu Beginn aufgrund unseres letzten Gespräches erzählen
möchten?“
Weitere Funktion dieses Vorgehens ist die Vergegenwärtigung des damaligen Gesprächsver-
laufs, bevor fokussierte, einzelne Aspekte durch den Interviewer aufgegriffen werden sollen.
Erfolgt keine Ratifizierung wird eine zweite Frage, welche sich im Zuge der Analyse des ersten
Interviews ergibt und damit spezifisch für jedes Gespräch bestimmt wird, angeschlossen. An-
gestrebtes Ziel ist es dabei, eine Verbindung zwischen Lebensgeschichte und der aktuellen Le-
benssituation herzustellen, welche in den Mittelpunkt des zweiten Interviews rückt. Die Prä-
misse, eine möglichst erzählgenerierende Phase anzuregen, besteht auch in diesem Fall, zudem
soll die Anbindung an das Erstinterview expliziert werden, um durch die damit demonstrierte
Wertschätzung das Vertrauensverhältnis zu stärken. Das nachfolgende Zitat kann doppelt, im
Sinne des Übergangs vom ersten zum zweiten Interview als auch bei einer Verquickung der
beiden Teile verstanden werden: „Follow-up questions are most acceptable if the respondent
understands that they are based on the interviewer's curiosity in relation to the first account and
to the answers to the opening question“ (Witzel & Reiter, 2012, S. 71).

• Akt – Sondierung und Ad-hoc-Fragen


Nach Beendigung der ersten Erzählphase oder in Anschluss zum narrativen Teil werden durch
exmanente Fragen – Witzel (2000) bezeichnet diese als ad-hoc Fragen – zusätzliche Themen
eingeführt, sofern diese durch die Befragten bis zu jenem Zeitpunkt noch nicht selbst angespro-
chen wurden. Im Gegensatz zum narrativen Interview ist hierbei ein Leitfaden einbezogen.375
Dieser konstituiert einen Rahmen, in welchem sich die Erzählungen vorrangig bewegen und
eine gewisse Vergleichbarkeit zwischen den Interviews generiert werden sollen. Der Relevanz-
setzung der Respondenten wird dabei weiterhin ein Primat eingeräumt und dies mit erzählge-
nerierenden Fragen gestützt (vgl. auch Witzel, 2000). Die von Fischer-Rosenthal & Rosenthal
(1997) und Rosenthal (2014b) entworfenen „Grundtypen narrativen Nachfragens“ werden nach
Möglichkeit wieder in den Verlauf einbezogen. Andererseits werden subjektive Problemsich-
ten, Deutungsmuster, Orientierungen sowie Positionierungen forciert, welche nach Helfferich
(2011, S. 38) eher in Richtung der dialogischen Interviewverfahren deuten, „die die Rollen so
definieren, dass beide, die interviewende Person und die Erzählperson, gemeinsam an etwas
‚arbeiten’“(Helfferich, 2011, S. 43). Entsprechend wechseln sich in Folge mehr erzählgenerie-
rende und mehr verständnisgenerierende Gesprächsphasen ab. Bei letzteren werden von Witzel
(u.a. 1985, 2000) die Zurückspiegelung (zur Selbstreflexion und Behauptung sowie Korrektur
von Sichtweisen), Verständnisfragen (zur Erosion von Alltagsselbstverständlichkeiten) und
Konfrontationen (zur Detailierung von Sichtweisen der Befragten) als Kommunikationsformen
vorgeschlagen. In der verständnisgenerierenden Sondierung kommen deduktive Elemente zum
Tragen, da das vorgängige bzw. im (aktuellen, als auch zuvor geführten) Interview erworbene
Wissen für Frageideen einfließt. Ziel ist es, damit sowohl neue „Muster des Sinnverstehens“
(Witzel, 2000, S. 5) zu generieren, als auch bestehende zu validieren und korrigieren.

375
„Im Idealfall begleitet der Leitfaden den Kommunikationsprozess als eine Art Hintergrundfolie, die zur Kon-
trolle dient“ (Witzel, 2000, S. 3) .
188 Methodisches Design und Durchführung

Sozialen Beziehungen – orientiert am Konzept von Due, Holstein, Lund, Modvig, & Avlund,
(1999) welche diese in eine strukturelle (soziales Netzwerk) und eine funktionale Dimension
(soziale Ressourcen) aufteilen – als Komponente der Lebenslage kommt entlang sozialer Res-
sourcen im Kontext von Altersarmut hohe Bedeutung zu unter anderem in Form kompensato-
rischer und den Handlungsraum erweiternder Funktionen. Die Erfassung – sowohl der Funktion
als auch Struktur aus Sicht der Befragten – soll dabei nicht nur durch die Rekonstruktion von
Textmaterial aus Erzählungen erfolgen376, sondern anhand von Netzwerkkarten direkt mit den
Befragten visualisiert werden. Hierbei wird auf egozentrierte Netzwerkkarten rückgegriffen,
welche in der qualitativen Netzwerkanalyse Verwendung finden (allg. dazu Straus, 2013). Da
die Einführung solch eines Instrumentes jedoch einen Bruch zum bisherigen Verlauf der Inter-
views darstellen kann und auch eine Erklärung gegenüber den Respondenten bedarf, wird die
Phase entsprechend als letzter Teil behandelt. Damit soll auch angedeutet sein, dass die Son-
dierung ausreichend vertieft und notwendige ad-hoc Fragen aus dem Leitfaden gestellt wurden,
bevor der Übergang erfolgt.

• Akt – Netzwerkkarte
Die Beforschung sozialer Netzwerke hat eine Bandbreite an Verfahren zu deren Hervorlockung
angestoßen, welche sich etwa durch die Art des Ausgangsstimulus in Namens-, Positions- und
Ressourcengenerator (vgl. Wolf, 2006) oder hinsichtlich des Grades ihrer Vorabstrukturierung
(von leeren Netzwerkkarten bis hin zu vorgegebenen Kategorien) unterscheiden lassen und –
sofern überhaupt angedacht – ebenso auf die Form der Visualisierung im Erhebungsprozess
rückwirken (vgl. Hollstein & Straus, 2006; auch Straus, 2010). Die Ausformungen sind we-
sentlich der inhaltlichen Ausrichtung geschuldet: werden Netzwerke etwa in Verbindung mit
sozialem Kapital gesetzt, sind Ausdifferenzierungen entlang einer retro- bzw. prospektiven Be-
trachtung des in mehr oder weniger Dimensionen entfalteten sozialen Kapitals sowie dessen
Potenzialität zur tatsächlichen Nutzung im Erhebungsinstrument und der Analyse zu berück-
sichtigen (vgl. Van Der Gaag & Snijders, 2005; auch Song & Lin, 2009). Als anderes Beispiel
wäre für die Berechnung der Dichte eines sozialen Netzwerkes Kenntnis über die Beziehungen
zwischen den Alteri von Nöten; mit jedem genannten Namen von Ego, steigt die Zahl der mög-
lichen Beziehungen und damit aber auch die Erhebungszeit erheblich an. Als ein geeignetes
Verfahren der Visualisierung in Bezug auf ein qualitatives Erhebungsdesign haben sich ego-
zentrierte Netzwerkarten erwiesen (u.a. Hollstein & Pfeffer, 2010; Hollstein, Pfeffer, & Behr-
mann, 2013; Noack & Schmidt, 2013; Schlunze, Plattner, & Ji, 2013; Schönhuth, 2013; Straus,
2013), welche als kognitive Stütze sowie zugleich als „Narrationsgenerator“ fungieren (vgl.
Ryan, Mulholland, & Agoston, 2014) und können aufgrund der Offenheit obig formulierte An-
forderungen (in Bezug auf eine vom Befragten ausgehende Netzwerkinterpretation und Erfas-
sung von Netzwerkdynamiken und –wirkungen) des Forschungsprojektes integrieren.377 „An-
ders als durch einen Fragebogen oder die durch Namensgeneratoren erzeugten Listen entsteht
mit der Netzwerkkarte ein gemeinsames visuelles Gegenüber. Im Akt des qualitativen Netz-
werkinterviews kommt es damit zu einem besonderen partizipativen Akt zwischen Interviewten

376
Straus (2013, S. 36) erwähnt in seinem historischen Überblick zur qualitativen Netzwerkforschung Schwie-
rigkeiten, welche ohne Visualisierungen im Interview entstehen.
377
Hollstein (2010) identifiziert sechs Anwendungsfelder – (1) Exploration, (2) Netzwerkpraktiken, (3) Netz-
werkinterpretation, (4) Netzwerkwirkung, (5) Netzwerkdynamiken und (6) Zugang zu Netzwerken – für den
Einsatz qualitativer Methoden. Das Forschungsprojekt tangiert dabei mehrere Bereiche, da für den Nachvoll-
zug und das Verstehen der Bedürfnisse der Befragten, die konkreten Interaktionen und Handlungsvollzüge,
deren Deutungen und subjektiven Wahrnehmungen bzw. individuellen Relevanzsetzungen und handlungslei-
tenden Orientierung sowie die Wirkung der Netzwerke, aber auch deren Veränderungen im Zeitverlauf (vgl.
Hollstein, 2010, S.460ff.) von Interesse sind.
Triangulation der Erhebung 189

und Interviewer/in.“ (Straus, 2013, S. 53).378 Durch die Einbettung der Netzwerkkarten in den
letzten Teil des Interviews, kann der klassische Stimulus etwa über einen Namensgenerator
(bzw. andere übliche Generatoren) zu Beginn ausgespart werden. Die bereits genannten Kon-
takte – es ist davon auszugehen, dass in der Erzählung zur Lebensgeschichte und aktuellen
Lebenssituation Akteure eingebettet sind – können nun auf eine standardisierte (sechs konzent-
rische Kreise, welche die emotionale Nähe bzw. Wichtigkeit repräsentieren) mit Strukturele-
menten (Sektoren mit sozialen Rollen) versehene Karte gemeinsam durch Interviewer und Be-
fragte übertragen und jeweils über Narrationsanstöße sowie erzähl- und beschreibungsgenerie-
rende Nachfragen, die Beziehung zu Alter näher erschlossen werden. Neben der erneuten Stär-
kung der Vertrauensbasis mittels Beanspruchung von bereits Erzähltem, lässt sich zumindest
partiell die Dynamik des Netzwerkes nachzeichnen (etwa entlang von Erzählungen und Be-
gründung der Aufrechterhaltung bzw. Auflösung von sozialen Beziehungen, welche in der Le-
bensgeschichte zuvor auftauchten). So besteht der Vorteil dieses Vorgehens darin, die sozialen
Kontakte nicht wie beispielsweise bei Burt (1984) oder Wolf (2006) auf ein zeitliches Intervall
(von 14 Tage bis 6 Monate) mit einer oder mehreren Beziehungsattribuierungen (etwa nach
emotionalen oder instrumentellen Gesichtspunkten) des letzten Kontaktes vorab zu beschrän-
ken. In einem zweiten Schritt wird nach weiteren Kontakten anhand der sozialen Rollen bzw.
Rollenbeziehung zwischen Ego und Alter gefragt, um Ergänzungen von Kontakten anzubrin-
gen. Wolf (2010) konstatiert hierbei die Problematik von unterschiedlichen Verständnissen der
Rollen, dies lässt sich jedoch innerhalb der interpretativen Vorgehensweise rekonstruieren.
Werden in der Lebensgeschichte keine sozialen Beziehungen erwähnt, so setzt die Netzwerker-
hebung unmittelbar an den sozialen Rollen an. Um das soziale Netzwerk potentiell noch in
einem dritten Schritt zu erweitern, wird auf das Verfahren der Beziehungsinhalte als Namens-
generator rückgegriffen. Zudem können damit funktionale Aspekte des bereits aufgedeckten
Netzwerkes in Bezug auf soziale Unterstützung reflektiert sowie daraus resultierende uni- und
multiplexe Beziehungen exploriert werden. In Anlehnung an McCallister & Fischer (1978) und
dem Themenkomplex berücksichtigend werden folgende Fragen forciert:
Können Sie mit jemandem über Ihre Sorgen und Nöte sprechen?
Können Sie sich von jemandem Geld leihen?
Können Sie sich von jemandem in der Haushaltsführung unterstützen lassen?
Können Sie im Krankheitsfall Unterstützung von jemandem erbitten?
Nach Abschluss wird für das gesamte Netzwerk, sofern dies nicht durch den/die Befragten
selbständig bereits im Prozess erfolgte, eine Bewertung angeregt, etwa hinsichtlich der Zufrie-
denheit mit Umfang und Qualität der Beziehungen bzw. der nicht zu vernachlässigenden Be-
lastungsmomente. Der Ablauf ist damit in vier Schritte gegliedert und lehnt sich leicht an das
Vorgehen von Olivier (2013, S. 105f.) an:
1. Nennung und Einzeichnen von Alteri mittels Rückspiegelung erwähnter Kontakte aus
den vorangegangenen Interviewteilen
2. Nennungen und Einzeichnen von Alteri aufgrund der Rollenbeziehungen.
3. Ergänzung und Einzeichnen mittels Beziehungsinhalten (zu Krankheitsfall, materieller
Unterstützung usw.).

378
„Sie können als Landkarten sozialer Beziehungen gelesen werden, mit denen Individuen ihre sozialen Netz-
werke bildlich darstellen und entlang derer Interviewer navigieren und kommunizieren. Das Interesse gilt
dabei den subjektiven Bedeutungen, die den Netzwerkakteuren zugeschrieben werden sowie der Interpretation
ihrer Beziehungen“ (Schönhuth, 2013, S. 60).
190 Methodisches Design und Durchführung

4. Reflexion des Beziehungsnetzwerkes mittels bewertender Fragestellungen.

• Akt – Kurzfragebogen
Als abschließendes Element ist ein kurzer Fragebogen in das Gespräch integriert, dieser nimmt
auf soziodemographische Daten und ein paar Aspekte der Lebenslage Bezug. Thematische
Überschneidungen zwischen der Sondierungsphase und dem Kurzfragebogen sind folglich zu
erwarten und sollen Interviewten die Möglichkeit geben, Antworten zu überdenken. Neben der
standardisierten Erhebung von Informationen, werden, wie Witzel & Reiter (2012, S. 93) vor-
schlagen, in zweiter Funktion die Befragten mit Items aus Surveys konfrontiert und diese für
Vergleiche genutzt. Dafür sind diese teils an der österreichischen Konsumerhebung oder Erfas-
sung materieller Deprivation, welche etwa im EU-SILC erhoben wird, orientiert. Da zudem der
Hinweis auf die Möglichkeit der Kommentierung von Antworten erfolgt, können in manchen
Fällen erneut Erzählsequenzen der GesprächspartnerInnen angeregt werden. Die Konfrontation
bzw. die Kommentierung und Evokation von Narration in diesem Teil kann an sich weitere
Informationen liefern und soll nicht unterbunden werden. Im Besonderen lassen die Items über
materielle Deprivation einen Deutungsraum offen, welcher von den Befragten im Dialog einer
Bearbeitung bedarf, da die Fragen zur finanziellen Kapazität gradatim bejaht werden, jedoch
damit im Gesamtbild zum Fehlschluss einer nicht vorhandenen Deprivation führen können (auf
diese Problematik wurde im Kapitel 3.2.1. im Bereich Capability Ansatz hingewiesen). Eine
punktuelle Abwägung, wie sie eine Abfolge unverbundener Fragen mit sich bringt, ermöglich
eine jeweils alternative Ressourcenverschiebung. Im Dialog soll dazu geklärt werden, ob tat-
sächlich die finanziellen Mittel zur gleichzeitigen Beanspruchung genügen würden.
Nach Abschluss des Fragebogens wird das Interview langsam beendet. Sofern narrativer und
problemzentrierter Teil in ein Interview zusammenfließen, sind obige Überlegungen zum Ab-
schluss angedacht.

3.2 Analyseverfahren
Analog der Instrumententriangulation der Erhebung kommen ex aequo bei der Auswertung
zwei Verfahren zur Anwendung. Die Wahl der Analyseverfahren ist hierbei einerseits einer
Indikation mit den Erhebungsinstrumenten geschuldet, andererseits dem Zweck unterworfen,
die aktuelle Lebenssituation aus ihrer Entstehungsgeschichte zu erschließen. „Die Selektivität
einer Lebenspraxis auf der Folie der durch soziale Regeln eröffneten Handlungsmöglichkeiten
vollzieht sich nicht statisch, sondern prozessual. Die durch Regeln eröffneten Handlungs- und
Entscheidungsmöglichkeiten erscheinen ja als Anschlussmöglichkeiten innerhalb eines Ab-
laufs“ (Wernet, 2009, S. 16). Zudem ist nach Rosenthal (1995) davon auszugehen, dass die
gegenwärtige und die Zukunft antizipierende Perspektive auf die Präsentation der Lebensge-
schichte einwirken. Sollen interpretative Fehlschlüsse über die erlebte (gleiches gilt auch für
die erzählte) Lebensgeschichte vermieden werden, sind beide Seiten zu rekonstruieren (vgl.
Fischer-Rosenthal & Rosenthal, 1997, S. 148). Dies ermöglicht eine Analyse des „Nicht-Er-
zählten“ und dient der Kontrastierung; zudem bietet die biographische Fallrekonstruktion, als
erste der zwei gewählten Methoden, die Möglichkeit einer Rekonstruktion der Fallstruktur,
Handlungsabläufe und Handlungsgeschichte. Im Vordergrund steht eine Prozessanalyse über
den Verlauf der Entstehung, Aufrechterhaltung und Transformationen. Die Auslegung in der
biographischen Fallrekonstruktion dürfte neben der Betrachtung der Ereignisverkettungen von
biographischen Strängen (etwa Wechselwirkungen zwischen Gesundheit und Arbeit) und Er-
fahrungsaufschichtung zusätzlich die Möglichkeit bieten, Ressourcenaufschichtungen, aber
auch Ressourcenverluste zu verfolgen. Ressourcen sind hier in einem umfassenden Sinn als
Analyseverfahren 191

materiell bis immateriell zu verstehen und zeichnen sich durch einen konstruktiven Charakter
in der Ausgestaltung der Lebenssituation aus. Eine im Lebensverlauf erworbene Wohnung, der
Aufbau eines unterstützenden Netzwerkes, aber auch umgekehrt, Verlust von Beziehungen er-
zeugen im Zusammenhang mit Wissen bzw. Erfahrung und Handlungsmustern jene Diversität
an Lebenslagen unter Altersarmut. Eine genauere Bestimmung, was nun als Ressource begrif-
fen werden kann, ist erst durch die Analyse im Kontext der Gesamtgestalt zu bestimmen. Es ist
durchaus denkbar, dass sich in einer gewissen Konstellation etwas als förderlich, das andere
Mal als hinderlich entpuppt. Grundvoraussetzung für die zweite Methodenwahl ist eine Beto-
nung der Zeitlichkeit bzw. Prozesshaftigkeit – was, wie Baur (2005 S. 237) herausstellt, der
interpretativen Sozialforschung zwar inhärent ist, gleichwohl in der Grounded Theory (wie in
der Biographieforschung) im Besonderen angelegt sei. „Das Identifizieren und Spezifizieren
von Veränderung oder Bewegung in Form von Prozeßaspekten ist ein bedeutsamer Teil der
Grounded Theory. Jede Veränderung muß mit den sie verursachenden Bedingungen verknüpft
werden. [Ein] Prozess [kann] in Form von Stadien oder Phasen beschrieben werden oder auch
als ein Fließen oder eine Bewegung von Handeln und Interaktion über die Zeit als Reaktion auf
vorherrschende Bedingungen“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 220). Außerdem besteht mittels
Grounded Theory die Möglichkeit, unterschiedliches – aus den problemzentrierten, aber auch
aus den biographisch-narrativen Teilen – Datenmaterial einzubeziehen bzw. zu codieren, wäh-
rend mittels paradigmatischen Modells als analytisches Hilfsmittel Verlaufsmuster rekonstru-
iert werden können. Das „Verknüpftsein von Sequenzen“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 118) wird
durch Bedingungen, sich verändernde Bedingungen, welche Handlung beeinflussen, der Kon-
sequenzen aus Handlungen und damit sich wiederum in Teilen verändernden Bedingungen für
den weiteren Handlungsverlauf beschrieben.
Ziel ist es, aus der autobiographischen Selbstpräsentation regelgeleitet und systematisch die
Lebensgeschichte und Fallstruktur zu rekonstruieren. Die Rekonstruktionsarbeit soll im Weite-
ren die Codierung nach Grounded Theory anreichern, das paradigmatische Modell bzw. die
Bedingungsmatrix dient im Anschluss der regelgeleiteten Systematisierung der Verlaufsmus-
ter. Die Kombination bietet die Möglichkeit, die aus meiner Sicht wesentlichen Stärken der
Verfahren zu nutzen. Im Nachfolgenden sind die Analyseverfahren näher erörtert.

3.2.1 Biographische Fallrekonstruktion


Die Analysemethode der biographischen Fallrekonstruktionen wurde von Rosenthal (1987,
1995) Ende der 1980er Jahre entwickelt und vermengt Analyseschritte aus der Objektiven Her-
meneutik, dem erzähl- und textanalytischen Verfahren nach Schütze und der thematischen
Feldanalyse (Rosenthal, 2014b, S. 186); Küsters (2009, S. 83) attestiert eine Erweiterung zum
Analyseverfahren von Schütze. Ziel von Rosenthal (2014, S. 186) ist es „einen Einblick in die
Genese und die sequenzielle Gestalt der Lebensgeschichte [zu] geben sowie die Rekonstruktion
von Handlungsabläufen in der Vergangenheit und des damaligen Erlebens [zu] ermöglichen
und eben nicht nur die Deutungen der untersuchten Person in der Gegenwart offen zu legen“,
gleichwohl auch letztere einbezogen wird, um „methodisch kontrolliert den Wechselwirkungen
zwischen Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigem gerecht“ zu werden. 379 Damit er-
öffnet sich die Möglichkeit, die Konstitution der Biographie durch Gegenwarts- und Zukunfts-
perspektive sowie Rahmung des biographisch-narrativen Gesprächs zu verstehen, wie auch die
Gegenwarts- und Zukunftsperspektive aufgrund der erlebten Vergangenheit. Zudem wird ein

379
Das Vorgehen ist der Einsicht geschuldet, dass eine Differenz zwischen Erzählungen und Erlebnissen besteht,
auch wenn die Erzählung nicht unabhängig von der erlebten Lebensgeschichte ist, so bedarf beides eines sys-
tematischen Einbezugs in die Analyse.
192 Methodisches Design und Durchführung

Dualismus von Ereignis und Erlebnis380 verneint; stehen – so das Postulat Rosenthals (1995, S.
20) – die erlebte und erzählte Lebensgeschichte in einem wechselseitig konstituierenden bzw.
Erleben, Erinnern und Erzählen in dialektischem Verhältnis. Hierbei sei zu unterscheiden zwi-
schen „der sich darbietenden Lebensgeschichte“ (Rosenthal, 1995, S. 167), einer spezifischen
Zuwendung und damit Strukturiertheit sowie den ebenso Strukturen unterworfenen Erzählpro-
zessen selbst, welche zu einer begrenzten Gestaltmehrdeutigkeit führen.

3.2.1.1 Grundlagentheoretische Annahmen


Rosenthal folgt bei ihrer Analyse über die Gestalt und Struktur von Autobiographien einer phä-
nomenologischen Interpretation über die gestalttheoretische Annahme von Gurwitsch und ent-
wickelt darauf basierend ihre biographische Analysemethode. Als gedankliche Ausgangsbasis
für die theoretische Konzeption kann folgende Passage dienen:
„Erinnern basiert auf einem Vorgang der Reproduktion, bei dem das Vergangene
entsprechend der Gegenwart der Erinnerungssituation und der antizipierten Zu-
kunft einer ständigen Modifikation unterliegt“ (Rosenthal, 1995, S. 70).
Erlebnisse können demzufolge nicht einfach abgerufen werden, wie sie damals erlebt wurden
(keine unmittelbare Homologie), sondern „nur im Wie ihrer [gegenwärtigen] Darbietung“
(Rosenthal, 1995, S. 21) und im Intendierten. Dies bedeutet nicht, dass die Darbietung vom
damaligen Erleben völlig losgelöst ist, sondern sich andere Schwerpunkte darbieten können,
„die allerdings ebenfalls schon in der damaligen Situation enthalten waren“ (Rosenthal, 1995,
S. 95). Während in einer Erzählung die negativen Teile eines Erlebnisses erzählt werden, kön-
nen in einer anderen Erzählsituation die Bewältigungsstrategie des gleichen Erlebnisses vor-
stellig sein, da sich unterschiedliche Erinnerungsnoema auf das gleiche Erlebnisnoema bezie-
hen bzw. auf das noematische Gesamtsystem verweisen.381 Unter Noema wird das Wie der
Darbietung eines Objektes oder Ereignisses bzw. allgemeiner von Etwas verstanden und mit
dem Begriff der Noesis der Akt der Zuwendung bzw. das Wie der Zuwendung. Die Organi-
siertheit eines Objektes oder sozialer Prozesse ist dabei „sowohl durch die noematische wie die
noetische Seite [...] konstituiert“ (Rosenthal, 1995, S. 37) und kommt zum einen bei der Wahr-
nehmung, zum anderen bei Erinnerung zum Tragen. Eine als Haus wahrgenommene und in der
Erinnerung sedimentierte Attrappe eines Hauses, vermag sich auch in der Zuwendung zur Er-
innerung als Haus darbieten, sofern sich nicht etwa durch andere Erfahrungen nun die Attrappe
als Attrappe eines Hauses offenbart. Neben der zentralen Bedeutung von Noema und Noesis
wird auf die gestalttheoretische Figur-Grund-Beziehung rekurriert und mit den Begriffen
„Thema“, „Feld“ und „Rand“ bezeichnet. „Das Thema [als Einheit durch Gestaltkohärenz] ist
das, womit wir uns in einem gegebenen Augenblick beschäftigen, das, was im Zentrum unserer
Aufmerksamkeit steht und jeweils in ein thematisches Feld eingebettet ist“ (Rosenthal, 1995,
S. 50). Das Thema ist zwar vom Feld abgehoben, steht aber in sachlichem Bezug vermittels
kopräsenter Gegebenheiten. Diese Gegebenheiten zumeist von Rosenthal als Bestände benannt,
sind ebenso Einheiten durch die Gestaltkohärenz, also wiederum Themen. Während Thema und

380
Während die einen auf der Suche nach der ‚äußeren Welt’ sind und damit alle Innerlichkeit des Erlebens im
äußeren, durch Reize ausgelösten Verhalten aufgehen lassen, sind die anderen auf der einseitigen Suche nach
der Innerlichkeit. Diejenigen, die Deutungsmuster ohne die Rekonstruktion ihrer biographischen Genes und
damit der lebensgeschichtlichen Handlungskonstellation zu rekonstruieren beabsichtigen, nehmen also an,
Deutungen über Vergangenes unabhängig vom Vergangenen interpretieren zu können“ (Rosenthal, 1995, S.
17).
381
„’Konstant’ bleibt nur das der Erzählung zugrundeliegende, im Erlebnisnoema intendierte Erlebnis“
(Rosenthal, 1995, S. 59).
Analyseverfahren 193

Feld über Relevanz verbunden sind, ist der Rand durch die rein zeitlich kopräsenten Gegeben-
heiten, also jenen, welche zwar im selben Moment gegeben, aber sachlich getrennt sind, be-
stimmt. Biographische Selbstpräsentationen können nun als eine Sequenz von Themen verstan-
den werden, die in einem sachlich relevanten Bezug stehen. Der Verweisungszusammenhang
ist dabei etwa durch zeitliche oder räumliche Nähe bzw. thematische Ähnlichkeit konstituiert
und kann durch die Gruppierung zur Aufspaltung in thematische Felder führen (weitere
Faktoren der Gestaltverbindung bei Rosenthal, 1995, S. 145 ff.). Auf höchster Ebene können
thematische Felder durch eine konsistente (aber meist latente) biographische Gesamtsicht ver-
schmolzen sein, sofern eine „dahinfließende Lebenspraxis“ gegeben ist oder die Gesamtsicht
mittels Konstruktionsleistung bei einer Zuwendung hergestellt werden kann.382 Als letzter
Punkt ist noch darauf hinzuweisen, dass Erinnerungen nicht denselben „interaktionellen Anfor-
derungen als die Erzählung einer Geschichte“ entsprechen, womit Rosenthal (1995, S. 87 ff.)
ein Mehr und Weniger der erzählten Geschichte gegenüber dem Erinnerungsnoema ableitet.
Dazu kann auf die Erzählzwänge verwiesen werden, welche etwa die Einführung von Hinter-
grundinformationen erklären. Andererseits können in Fällen die sich darbietenden Erlebnisse
nicht mit der gewünschten Präsentation (weil bspw. nicht sozial anerkannt oder für einen selbst
problematisch) übereinstimmen, womit sich in Folge die Biographin oder der Biograph nicht
dem Fluss der Erzählung überlässt (vgl. Rosenthal, 1995, S. 114); bspw. Normalisierungen
bzw. Ausblendungen sind dann resultierende Strategien, eine Gesamtsicht herzustellen.
Aus den dargelegten Annahmen, welche das Postulat einer erzählten Lebensgeschichte aus der
Wechselbeziehung zwischen der Zuwendung und Darbietung der erlebten Lebensgeschichte
und dem Erzählprozess dialektisch erklärt, leiten sich Prinzipien383 für die Analyse ab, welche
bestimmend für die Methode von Rosenthal (1995, S. 208ff.) sind:
Prinzip der Rekonstruktion
Im Gegensatz zu einem subsumtionslogischen Vorgehen, gilt es, die Lebensgeschichte in ihrem
Gesamtzusammenhang zu analysieren, da die biographische Relevanz eines Erlebnisses nur in
der Einbettung von vorangegangenen und darauffolgenden Erlebnissen erschlossen werden
kann.
- Welche Bedeutsamkeit hat diese Sequenz für die Gesamtgestalt der biographischen
Selbstpräsentation?
- Welche Bedeutsamkeit hat dieses Erlebnis für die Gesamtgestalt der erlebten Lebens-
geschichte?
Der Typus eines Falles leitet sich daher auch nicht aus den Elementen an sich ab, vulgo durch
das Auftreten oder die Häufigkeit, sondern durch die Funktion in der Gestalt. „Bestimmend für
die Typik eines Falls sind [...] die Regeln, die ihn erzeugen und die die Mannigfaltigkeit seiner
Teile organisieren“ (Rosenthal, 1995, S. 210). Für die Interpretation wird für das Aufspüren

382
Besonders traumatische Ereignisse können hingegen zu einer Teilung der Biographie vor-etwas und nach-
etwas führen.
383
Daraus lassen sich auch Notwendigkeiten für die Erhebung ableiten und gehen im narrativen Interview bereits
ein. An dieser Stelle sei nur kurz betont, dass der Offenheit des Interviews ein besonders hoher Stellenwert
eingeräumt wird und der oben erwähnte Stimulus das akzeptable Maximum für ein thematisches Evozieren
sein dürfte. Die Erwähnung „aktuelle Lebenssituation mit geringerem Einkommen“ erscheint aber insofern
angebracht, als damit eine Zuwendung auch vor dem Hintergrund der monetären Situation etwas stärker in
den Fokus rücken dürfte. Wichtig ist aber zu betonen, dass ein Themenimpuls gegeben wird, wie sich das
thematische Feld für den Einzelnen in Folge aufbaut, welche Themen also mit der Gegenwartsperspektive
verknüpft werden, soll und wird dem Interviewten überlassen.
194 Methodisches Design und Durchführung

von Wirkungszusammenhängen sowohl eine Hypothesengenerierung und –testung mittels Ab-


duktion vorgenommen.

Prinzip der Sequentialität


Sowohl die erlebte als auch erzählte Lebensgeschichte, weisen ein Maß an Kontingenz auf:
(biographisches) Handeln bedeutet eine Selektion aus Möglichkeiten, welche damit wieder ei-
nen Horizont an Möglichkeiten öffnet. Das Erzählen der Lebensgeschichte bedeutet ebenso
eine Selektion an Möglichkeiten, welche durch Formierung eines thematischen Feldes, den An-
schluss weiterer Themen begünstigt und anderer eher unwahrscheinlich macht. „Dieses Ver-
ständnis fordert ein Analyseverfahren, bei dem danach gefragt wird, welcher Möglichkeitsho-
rizont bei einer bestimmten Sequenz offensteht, welche Auswahl der Handelnde vornimmt,
welche er außer Acht läßt und was daraus für die Zukunft folgt“ (Rosenthal, 1995, S. 214).
Prinzip der Kontrastierung
Dieses letzte Prinzip bezieht sich auf das komparative Vorgehen, welches in jedem Analyse-
schritt der biographischen Fallrekonstruktion durchgehend zur Geltung kommt. Besondere Be-
deutung hat dies etwa in der Gegenüberstellung der erzählten und erlebten Lebensgeschichte
bzw. im Vergleich zwischen Vorfindlichem und Möglichem in der sequenziellen Analyse.
Durch die Kontrastierung ist es möglich die Fallstruktur zu erschließen.

3.2.1.2 Umsetzung der Analyse


Die sich aus den Grundannahmen einschließlich der Prinzipien konstituierende Analyseme-
thode setzt sich aus drei (vgl. Rosenthal, 2014a) bis sechs (vgl. Rosenthal, 2014b) formulierten
Schritten zusammen – im Nachfolgenden sind diese in vier Akte zusammengezogen und näher
erörtert. Die Aufteilung der Analyse ist vor allem der Prämisse geschuldet, die in der Erzählung
verflochtenen Phänomene der erlebten und erzählten Lebensgeschichte getrennt voneinander
zu behandeln, um diese anschließend wieder zu verknüpfen. Genau genommen besteht bei die-
ser Analysemethode der Versuch zwischen Erlebnis-, Erlebens- und Erzählebene zu differen-
zieren, um sie anschließend systematisiert aufeinander zu beziehen. Der kontrastive Vergleich
zwischen erlebter und erzählter Lebensgeschichte ermöglicht abschließend Erklärungen mög-
licher Differenzen offenzulegen.

• Akt – Sequenzielle Analyse der biographischen Daten


In diesem ersten Schritt wird die Analyse auf die Strukturdaten (zeitliche Abfolge von Ereig-
nissen) einer Lebensgeschichte fokussiert, „die nicht [oder nur im geringen Ausmaß] an die
Selbstdeutungen der Subjekte gebunden sind, also die noch am ehesten objektiven Charakter
tragen“ (Rosenthal, 1987, S. 150, auch 2014a, S. 516). Einerseits sind damit Stationen des „in-
stitutionalisierten Ablaufmusters des Lebenslaufs“ (etwa die Schul- oder Berufskarriere) aber
auch „nicht-institutionalisierten Stationen“ (wie Wohnungswechsel oder Krankheitsereignisse)
sowie historische Kontextualisierungen von bestimmten biographischen Erlebnissen gemeint
(vgl. Rosenthal, 1987, S. 150, oder 2014b, S. 188).384 Mit letzteren ist entsprechend auch die
Einfuhr von Hintergrundwissen eingefordert, Selbstdeutungen der Befragten werden hingegen
bewusst eingeklammert. Im Kontrast zum zweiten Analyseschritt ist auf eine konstruierte Se-

384
Der Einbezug eines sozialisationstheoretischen und entwicklungspsychologischen Kontextes wie Rosenthal
(1987, S. 155, 1995) vorschlägt, wird nicht angestrebt.
Analyseverfahren 195

quenzialität hinzuweisen, da die Ereignisse in zeitliche (kalendarische) Abfolge durch den In-
terpreten – nicht der Chronologie des Interviews folgend – gestellt werden. Denn „generell
können wir bei der erzählten Lebensgeschichte davon ausgehen, daß die Zeitstruktur der Er-
zählung nicht der Zeitstruktur der erlebten Lebensgeschichte entspricht“ (Rosenthal, 1995, S.
149). Für eine klarere Unterscheidung ist zwischen der „Erlebnisabfolge“ und der „Erzählab-
folge“ zu differenzieren. Aufbauend auf die biographischen Daten (in Erlebnisabfolge) wird
experimentell nach den Handlungsmöglichkeiten je Datum – aber unabhängig von der Selbst-
präsentation der BiografIn – gefragt385 und „Folgehypothesen über den möglichen, anschluss-
fähigen Fortgang entworfen“ (Rosenthal, 2014b, S. 189), zugleich jüngere Daten bzw. Wissen
über den weiteren Verlauf ausgeblendet. Erst im Anschluss wird das nächste Datum aufgedeckt
und die gewonnenen Hypothesen überprüft, einige davon wieder weiterentwickelt, andere fal-
sifiziert. Als Ziel sollen vorläufige Strukturhypothesen entworfen werden, welche in späteren
Interpretationsschritten als fallspezifische Frage dienen.386

• Akt – Text- und thematische Feldanalyse


Weitgehend unabhängig des ersten Schrittes geht es nun darum, nach den Regeln der Selbst-
präsentation (in Erzählfolge) zu suchen. Zu Beginn des Aktes wird der Text in Analyseeinheiten
(stichwortartiger Überblick) gegliedert,387 im Gegensatz zu Schützes Analysemethode werden
argumentative und beschreibende Textpassagen nicht ausgeklammert. Im Anschluss „kon-
zentriert sich die Analyse [...] auf die Frage, weshalb sich ein Biograph oder eine Biographin –
ob nun bewusst intendiert oder latent gesteuert – so und nicht anders darstellt“ (Rosenthal,
2014b, S. 196). Nicht das Erleben, sondern die Mechanismen über die Auswahl und die tem-
poralen bzw. thematischen Verknüpfungen, also die Gestaltung der Selbstpräsentation (bzw.
sequentielle Gestalt des Interviews) sollen aufgedeckt werden (vgl. auch Rosenthal, 1987, S.
178ff.). Zur Orientierung formuliert Rosenthal (2014b, S. 200) folgende Fragen:388
o Weshalb wird dieser Inhalt an dieser Stelle eingeführt?
o Weshalb wird dieser Inhalt in dieser Textsorte präsentiert?
o Weshalb wird dieser Inhalt in dieser Ausführlichkeit oder Kürze dargestellt?
o Was könnte das Thema dieses Inhalts sein bzw. was sind die möglichen themati-
schen Felder, in die sich dieses Thema einfügt?
o Welche Lebensbereiche und welche Lebensphasen werden angesprochen und
welche nicht?
o Über welche Lebensbereiche und Lebensphasen erfahren wir erst im Nachfrage-
teil und weshalb wurden diese nicht während der Haupterzählung eingeführt?

385
„Es wird der Kontext für ein Ereignis, mit dem das Subjekt konfrontiert ist, rekonstruiert, und es werden die
Handlungsprobleme, die daraus resultieren sowie die Alternativen, die das Subjekt in dieser Situation hat,
gedankenexperimentell entworfen“ (Rosenthal, 1987, S. 157).
386
In Rosenthals (1987, S. 177) Dissertationsschrift – in welcher die Analysemethode bereits im Wesentlichen
angelegt ist – wird dazu ein Beispiel angegeben: „aus der narrativen Erzählung wird in diesem Akt der Bio-
graph als Einzelkämpfer hypothetisch identifiziert, welcher sich zwar Institutionen unterordnen, jedoch Frei-
räume zu nutzen vermag“.
387
„Kriterien für die Sequenzierung, d.h. für die Definition, wann eine Sequenz beginnt und wann sie endet, sind:
Redewechsel, Änderungen der Textsorte und inhaltliche Modifikationen“ (Rosenthal, 2014a, S. 517).
388
Praktisch von Rosenthal (1995, S. 219) eingebettet, bedeutet dies: „Von Interesse ist vielmehr, welche Funk-
tion dieser Präsentationsanfang heute für sie hat, weshalb sie diese Erfahrung mit Hilfe einer Argumentation
und nicht mit einer Erzählung thematisiert, weshalb die Sequenz so ausführlich ist und welches Thema sie in
welchem thematischen Feld präsentiert.“
196 Methodisches Design und Durchführung

Im Zuge dieses Analyseschrittes werden zudem Hypothesen für nicht thematisierte (womöglich
vermiedene) Themen, obwohl sie kopräsent sind, gebildet. Das analytische Vorgehen (basie-
rend auf dem rekonstruktiven und sequenziellen Prinzip) erfolgt analog zum ersten Akt, erlaubt
ein Verstehen der Importanz von Erlebnissen in der Gegenwartsperspektive und dient als eine
Kontrastfolie389 für den nächsten Analyseschritt.

• Akt – Rekonstruktion der Fallgeschichte und Feinanalyse


Im anschließenden Akt werden wiederum in Ereignisabfolge die biographischen Daten zusätz-
lich aller weiteren biographischen Erlebnisse rekonstruiert und mit den im Interview zugehöri-
gen Erzählungen und Selbstdeutungen kontrastiert. „Wir gehen in der Logik der sequenziellen
Analyse in der Chronologie der erlebten Lebensgeschichte von biographischem Erlebnis zu
Erlebnis und betrachten dabei jeweils die Interviewpassagen, in denen die Biographin darüber
spricht“ (Rosenthal, 2014b, S. 202). Ziel ist die Funktion eines biographischen Erlebnisses für
die Gesamtgestalt der erlebten Lebensgeschichte herauszuarbeiten bzw. die biographische Be-
deutung des damaligen Erlebnisses für den Biographen zu rekonstruieren. Hierbei werden die
im ersten Akt aufgestellten Hypothesen hinzugezogen, falsifiziert bzw. belegt oder neue Hypo-
thesen entwickelt, ebenso soll durch die Analyse im zweiten Akt eine unterstützende und zu-
gleich bewusste Annäherung an das Erleben in der Vergangenheit erfolgen. Denn, wie bereits
angedeutet, unterliegt die biographische Erzählung einer gewissen Gestaltmehrdeutigkeit (vgl.
Rosenthal, 1995, S. 167), welche ein Maß an Darbietungen in Wechselwirkung mit der Zuwen-
dung offeriert. Soll entsprechend eine möglichst systematische Analyse des damaligen Erlebens
erfolgen, so bedarf dies einer Bewusstmachung der wechselseitigen Durchdringung.
Die Feinanalyse kann zwar auch als eigener Analyseschritt bezeichnet werden, welcher einer-
seits von Rosenthal (2014b, S. 187 u. 202) als jederzeit durchführbar qualifiziert wird, anderer-
seits häufig an den Akt der Rekonstruktion der Fallgeschichte angeschlossen wird. Die Kon-
zeption ist an der objektiven Hermeneutik orientiert und dient zur Überprüfung der aufgestell-
ten Hypothesen (sowohl über Lebensgeschichte und Lebenserzählung). Vorwissen soll nun
wiederum ausgeklammert werden, um die Textstelle möglichst unabhängig tiefergehend zu in-
terpretieren.

• Akt – Kontrastierung der Lebensgeschichten und Typenbildung


Im letzten Schritt sollen nun Erklärungen für mögliche Differenzen – einerseits in der Tempo-
ralität oder andererseits in den thematischen Relevanzen – zwischen erzählter und erlebter Le-
bensgeschichte gefunden werden. „Nun können wir uns bei der Kontrastierung [...] fragen, wel-
che Funktion diese Präsentation für den Autobiographen hat und umgekehrt, welche biographi-
schen Erfahrungen zu dieser Präsentation gehören“ (Rosenthal, 1995, S. 225). Aufbauend auf
der Rekonstruktion des Falles kann nun ein Verlaufstyp formuliert werden, welcher die Regeln
des genetischen Prozesses angibt und in das paradigmatische Modell überführt wird. Die Ty-
penbildung ist daher nicht der Endpunkt der Arbeit, sondern liefert Einsichten für ein von Ein-
zelfällen abstrahiertes Verständnis. Es soll gefragt werden, wo sich die analysierten Fallstruk-
turen ähneln oder konträr präsentieren – erneut handelt es sich um eine Kontrastierung, um
damit unter anderem Bedingungen (aber auch Konsequenzen) bzw. Ausprägungen der Dimen-

389
Ist also auch als Quell für einen kritischen Blick gedacht, „der vermeidet, die durch die Gegenwart neu kon-
stituierte Perspektive auf die Vergangenheit naiv als Abbildung des Erlebens in der Vergangenheit zu verste-
hen“ (Rosenthal, 2014a, S. 517).
Analyseverfahren 197

sionen zu verstehen, welche Lebenslagen unter Altersarmut formen. Beispielsweise ist die kon-
krete Lebenspraxis unter eingeschränkten monetären Mitteln davon abhängig, wann diese Ein-
schränkung im Lebensverlauf auftrat (Dimension des Auftrittes im Kontinuum: früh – spät) und
die spezifische Erfahrungsaufschichtung einsetzt. Während für manche Betroffenen der Eintritt
in die Pension aufgrund der schlagartigen Reduktion der Einkünfte eine Zäsur darstellt – auch
Personen mit relativ hohen Einkünften können der Altersarmut unterliegen, wenn sie etwa re-
lativ spät in ihrer Erwerbsphase nach Österreich immigrieren –, ist es für andere die Fortführung
eines kontinuierlichen Lebens. Mit letzterem ist aber per se keine absteigende Armutskarriere
gemeint, sondern muss wiederum entlang der Dimension der ehemaligen Einkommenshöhe
und der Dimension der Einkommenskontinuität betrachtet werden. Die Kombination der
Grounded Theory mit anderen Analyseverfahren (vgl. auch Strübing, 2014a, S. 66) wird bspw.
ebenso bei Schütze (1983)390 oder Hildenbrand (1999) unternommen.

3.2.2 Grounded Theory


Die Grounded Theory wurde von Glaser & Strauss (1967) in den 1960er Jahren sowohl als
Analysemethode, als auch „general methodology, a way of thinking about and conceptualizing
data“ (Strauss & Corbin, 1994) entwickelt. Endzweck ist die Theoriebildung mittels empiri-
scher Daten und gründet nach Corbin (2011, S. 70) auf der Prämisse, dass die Komplexität des
Lebens vom Forschenden möglichst umfassend erfasst werden soll. Aufgrund divergenter me-
thodologischer und sozialtheoretischer Positionen (vgl. Strübing, 2014a, S. 66ff.) lässt sich
heute – neben den Weiterentwicklungen von Charmaz und Clarke – von einer Grounded Theory
nach Glaser und einer nach Strauss/Corbin sprechen. Für die Arbeit wird die Ausrichtung von
Strauss und Corbin (1990) forciert, was pragmatisch durch die Position – theoretisches Vor-
wissen darf bewusst zur theoretischen Sensibilisierung391 einbezogen werden – begründet ist
(vgl. auch Reichertz, 2011). Durch diese Zuwendung wird der Kritik von Heinzmann und

390
„Der maximale theoretische Vergleich von Interviewtexten hat die Funktion, die in Rede stehenden theoreti-
schen Kategorien mit gegensätzlichen Kategorien zu konfrontieren, so alternative Strukturen biographisch-
sozialer Prozesse in ihrer unterschiedlichen lebensgeschichtlichen Wirksamkeit herauszuarbeiten und mögli-
che Elementarkategorien zu entwickeln, die selbst den miteinander konfrontierten Alternativprozessen noch
gemeinsam sind. Die verschiedenen theoretischen Kategorien von Interesse werden schließlich in einem letz-
ten, dem sechsten Analyseschritt, nämlich der Konstruktion eines theoretischen Modells, systematisch aufei-
nander bezogen. Es geht jetzt um die Wechselwirkung der eruierten biographisch-sozialen Prozesse aufeinan-
der, die zeitlich-sachliche Ablösung der einen durch die anderen und ihren gemeinsamen Beitrag zur biogra-
phischen Gesamtformung. Am Ende der theoretischen Auswertung stehen Prozeßmodelle spezifischer Arten
von Lebensläufen, ihrer Phasen, Bedingungen und Problembereiche“ (Schütze, 1983, S. 288).
391
Mit dem Begriff der theoretischen Sensibilität ist auf den Einbezug von theoretischem Vorwissen angespielt,
welcher – wie Strübing (2014a, S. 52) konstatiert – zu Missverständnissen bzw. zu einem induktivistischen
Selbstmissverständnis führte. Ohne diese Entwicklungsgeschichte hier näher aufrollen zu wollen, beziehen
sich Strauss & Corbin (1996, S. 25) letztlich auf die „Fähigkeit, Einsichten zu haben, den Daten Bedeutung
zu verleihen, die Fähigkeit zu verstehen und das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen“. Hierfür gilt es the-
oretisches Vorwissen einzubeziehen, um bspw. Beziehungen in den Daten überhaupt zu entdecken oder (bes-
ser) verstehen zu können, wie auch bestehende wissenschaftliche Konzepte an den Daten zu prüfen oder an-
regend für eigene Fragen zu wirken. Theoretische Sensibilität befähigt daher „den Analysierenden, die For-
schungssituation und die damit verbundenen Daten auf neue Weise zu sehen und das Potential der Daten für
das Entwickeln einer Theorie zu erforschen“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 27). Anderseits dürfen Vorwissen
bzw. Erfahrungen nicht auf die Daten per se übergestülpt werden, sondern dienen als provisorische Bedeu-
tungsinterpretationen, welche immer auch kritisch hinterfragt und an der Wirklichkeit der Daten gemessen
werden müssen. Der Unterschied zu nomologisch-deduktiven Verfahren liegt, so Strübing (2014a, S. 59),
nicht in dem Verzicht von vorgängigen Theorien, sondern in einem veränderten, bewussten „Umgang mit
jenem notwendig immer schon vorhandenen Vorwissen“.
198 Methodisches Design und Durchführung

Bergmann (2010) entgegnet, dass Arbeiten der Armutsforschung in geringem Ausmaß auf vo-
rangegangene Erkenntnisse rekurrieren. (Sozial)Gerontologische Theoriekonzepte können des
Weiteren Anhaltspunkte bzw. Hinweise auf Ordnungsschemata der entdeckten Kategorien lie-
fern. Die Theoriegenese auch auf Basis (vor)theoretischen Wissens bedarf gleichwohl einer
balancierten Vorgehensweise, um nicht der Überstülpung bzw. dem von Glaser insistierten
„Forcing“ der Daten zu verfallen (vgl. Kelle, 2005). Der Akt des Analysierens ist als Kodieren
(daher nicht selbst ein einzelnes Verfahren, sondern setzt sich aus mehreren Schritten und Ver-
fahren zusammen) benannt und wesentlich durch ein komparatives Vorgehen innerhalb und
zwischen Fällen bestimmt. Kurz: Kodieren im Sinne der Grounded Theory bezieht sich auf den
analytischen Prozess und nicht darauf bereits bestehende Konzepte an die Daten heranzutragen
– wie dies bei subsumtionslogischen Verfahren (etwa der Inhaltsanalyse nach Mayering) der
Fall ist. Im Nachfolgenden werden die drei Akte – offenes, axiales und selektives Kodieren –
erörtert; diese sind jedoch nicht distinkt oder in einer festen Sequenz zu verstehen (u.a. Strauss
& Corbin, 1996, S. 77; Strübing, 2014a, S. 16).

• Akt – Offenes Kodieren


„Während des offenen Kodierens werden die Daten in einzelne Teile aufgebrochen, gründlich
untersucht, auf Ähnlichkeiten und Unterschiede hin verglichen, und es werden Fragen über die
Phänomene gestellt, wie sie sich in den Daten widerspiegeln“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 44).
Drei wesentliche Schritte lassen sich identifizieren: Konzeptualisierung; Kategorisierung und
Dimensionalisierung. Die Analyse wird durch die Konzeptualisierung der Daten initiiert, also
jene durch Konzepte bzw. Etiketten, welche sich „gewissermaßen eine Abstraktionsstufe ober-
halb der Phänomenbezeichnungen bzw. -beschreibung“ (Breuer, 2010, S. 74) ansiedeln, Zeile
für Zeile „oder sogar Wort für Wort“ (Strauss, 2007, S. 58) bestimmt. Hierbei handelt es sich
nicht um eine Paraphrasierung, sondern um Begriffe, welche den Gegenstandsaspekt auf einem
allgemeineren Niveau fassen; in-vivo Codes können dazu ebenso dienen und sind für eine ge-
genstandsverankerte Theorieentwicklung erwünscht. „Die Konzepte bezeichnen eine Bedeu-
tung“(Corbin, 2011, S. 73), sind zu Beginn tentativ und werden im Verlauf verifiziert, verwor-
fen und modifiziert. Auf Basis des Vergleichs werden zueinander ähnliche sowie unterschied-
liche Konzepte identifiziert und erstere auf einer höheren Ebene kategorisiert. Kategorien sind
entsprechend Konzepte zweiter Ordnung und fassen Konzepte erster Ordnung zusammen. Um
aber überhaupt feststellen zu können, „was sowohl das Spezifische des Vorkommens eines Phä-
nomens in einem bestimmten Fall ausmacht, aber auch was die verbindende Gemeinsamkeit
verschiedener Phänomene ist, die wir als in einer bestimmten Perspektive gleichartig in einer
Kategorie zusammenfassen wollen, müssen wir die Variationsmöglichkeiten der relevanten Ei-
genschaften kennen bzw. uns analytisch erarbeiten“ (Strübing, 2014a, S. 23). Kategorisieren
bedeutet daher zugleich auch das Auffinden von allgemeinen, dieser Kategorie unterliegenden
Eigenschaften und der Dimensionalisierung dieser Eigenschaften in Form eines Kontinuums.
Konzepte bzw. dahinterliegende Phänomene, die unter einer gefassten Kategorie auftreten, be-
sitzen ein spezifisches, dimensionales Profil der allgemeinen Eigenschaft der Kategorie.

• Akt – Axiales Kodieren


Der Akt des axialen Kodierens stellt eine Reihe von Verfahren dar, „mit denen durch das Er-
stellen von Verbindungen zwischen Kategorien die Daten nach dem offenen Kodieren auf neue
Art zusammengesetzt werden. Dies wird durch Einsatz eines Kodier-Paradigmas [oder auch
paradigmatisches Modell genannt] erreicht, das aus Bedingungen, Kontext, Handlungs- und
interaktionalen Strategien und Konsequenzen besteht“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 75). Ziel ist
das In-Beziehung-Setzen der gewonnenen Kategorien oder anders formuliert, das „um die
Prozess der Erhebung und Auswertung 199

Achse“ (Strübing, 2014b, S. 267) einer zentraleren Kategorie Kodieren. Dazu zählen Bedin-
gungen und deren Eigenschaften, welche das zentralere Phänomen verursachen (welche Ereig-
nisse führen dazu).392 Das zentralere Phänomen ist weiterhin als Kategorie zweiter (oder höhe-
rer Ordnung) zu betrachten, integriert also spezifischere Phänomene. Der Begriff des Kontexts
stellt nun den spezifischen Satz von Eigenschaften und besonderen Satz von Bedingungen für
das spezifische Phänomen dar (konkrete und situationsgebundene Eigenschaften). Intervenie-
rende Bedingungen sind hingegen breiter und allgemeiner und wirken sowohl befördernd wie
auch hemmend auf die Handlung- und interaktionale Strategien ein. Nach Strauss & Corbin
(1996, S. 82) handelt es sich dabei bspw. um Zeit, Raum, Kultur, den sozial-ökonomischen
Status, die Karriere und die individuelle Biographie, womit an die biographische Fallrekon-
struktion angeschlossen wird. Sie rahmen das Phänomen und stehen selbst in Wechselwirkung
innerhalb der Bedingungsmatrix. „Damit soll verdeutlicht werden, dass die zu analysierenden
Phänomene nicht nur von intervenierenden Bedingungen auf verschiedenen Ebenen gerahmt
werden, sondern ihrerseits zur Reproduktion eben dieser Bedingungen ihren Beitrag leisten“
(Strübing, 2014a, S. 28). Handlungs- und interaktionale Strategien zur Bewältigung, dem Um-
gang oder zur Ausführung sowie daraus erwachsenden Konsequenzen bilden die beiden letzten
Subkategorien.

• Akt – Selektives Kodieren


Der letzte Schritt lässt sich zum einen als ein erneutes axiales Kodieren auf höherem Abstrak-
tionsniveau oder zum anderen als die Integration der entwickelten (Sub-)Kategorien unter einer
Kernkategorie konstatieren. Die Identifikation der Kernkategorie – es können auch mehrere
auftreten, sollten jedoch nach Strauss & Corbin (1996) für eine einfachere Integration letztend-
lich einer untergeordnet werden – kann zugleich als eine Entscheidung für eine spezifische
Perspektive gesehen werden. Neben dem erneuten In-Beziehung-Setzen sollen Beziehungen
validiert, bei Bedarf Kategorien verfeinert und weiterentwickelt werden.

3.3 Prozess der Erhebung und Auswertung


Die sequenzielle Gestalt der Erhebungs- und Auswertungsmethoden mündet in einen iterativen
Prozess. Aus der Qualitätssicherung für interpretative Studien erhebt sich der Anspruch einer
zyklischen Forschungsorganisierung, „welche eine Selbstkorrektur der erzeugten Theorie in
Gang setzt“ (Froschauer & Lueger, 2009, S. 209). „Der Wissenschaftler ist also nicht theore-
tisch und methodisch festgelegt, sondern muß bereit sein, zum einen seine theoretischen Kon-
zeptionen ständig vom realen Untersuchungsfeld prüfen und korrigieren zu lassen, zum anderen
methodische Schritte den situativen Momenten entsprechend anzupassen, um zu fruchtbaren
Ergebnissen zu kommen“ (Witzel, 1982, S. 34). Dies bedeutet für die Arbeit zweierlei: einer-
seits wird zwischen den Interviews eine grobe Analyse der vorangegangenen vorgenommen.
Andererseits, sofern eine Zweiteilung der Erhebung bei einem Interviewten erfolgt, wird auf
den biographisch-narrativen Part und dessen Transkription aufbauend, eine grobe Analyse vor
dem zweiten, problemzentrierten eingeschoben, welches im Anschluss ebenso vollständig
transkribiert wird. Anschließend wird der oben entworfene Analyseprozess vollzogen. In den

392
Im Kontext der Biographie frägt Corbin (2011, S. 74) beispielsweise nach den „strukturellen Merkmalen in
der Biografien der untersuchten Personen“, welche es ermöglichen eine „bestimmte Strategie zu wählen oder
zu benutzen“.
200 Methodisches Design und Durchführung

nachfolgenden Unterkapiteln wird der Zugang und die Auswahl der InterviewpartnerInnen nä-
her erörtert, sowie abschließend der konkrete Verlauf, welcher sich für die Primärerhebung
ergab, dargestellt.

3.3.1 Zugang zu und Auswahl von InterviewpartnerInnen


Der Zugang zu älteren, von Armut betroffenen Menschen gestaltet sich als Herausforderung,
da Altersarmut weder ein sichtbares Phänomen ist, zusätzlich von Teilen der Betroffenen ver-
deckt wird und auch zu einem starken Rückzug bis hin zur Isolation führen kann. Dieser Um-
stand wird in ExpertInneninterviews393 deutlich, in welchen über die Problematik der Kontakt-
aufnahme selbst für anerkannte Organisationen in Wien berichtet wird. Zusätzlich eigener Er-
fahrungen erschien es notwendig, nach Möglichkeit durch Schlüsselpersonen vermittelt zu wer-
den bzw. auf Institutionen rückzugreifen, um eine erfolgreiche Anbahnung zu fördern. Als Zu-
gänge wurden Pensionistenverbände und soziale Einrichtungen gewählt, welche den Kontakt
herstellen und im Bedarfsfall für die Gespräche auch für den Interviewten vertraute Räume zur
Verfügung stellen können.
Wider Erwarten der Beanspruchung des Analyseverfahrens der Grounded Theory kommt das
theoratical Sampling in seiner wohl gebräuchlichen Form, abgesehen von einer „internen An-
wendung“394 innerhalb der erhobenen Daten in der Arbeit nicht zum Tragen. Dies liegt einer-
seits darin begründet, dass die Strategie der Unterschiedsminimierung und maximalen struktu-
rellen Variationen (vgl. Froschauer & Lueger, 2009, S. 217f.) bei einer korrekten Beachtung
der Prämissen auf Basis von Merkmalen getroffen hätte werden müssen, welche bei Anbahnung
in wenig sichtbaren Lebensbereichen begründet liegen. Aufgrund des Zugangs kann kaum –
eine Schlüsselperson mag in einer sozialen Einrichtung nur in Teilen über Lebensgeschichten
oder Lebensverhältnisse einer Person Bescheid wissen – eine Auswahl basierend auf diesen
Merkmalen getroffen werden. „Realistisch gesehen, müssen Sie auf der Basis dessen auswäh-
len, zu dem Sie Zugang haben oder auf das Sie stoßen“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 157). Spe-
zifischer lässt sich das Samplingverfahren daher als selective sampling bezeichnen, welches
vorab auf Basis (manifester) Merkmale und Merkmalsausprägungen nach Kelle & Kluge (2010,
S. 50) bestimmt wurde. Wichtigstes Kriterium stellt die aktuelle Armutsgefährdungsschwelle
dar, welche bei Unterschreitung die Person als arm adressiert und den Bezug von Sozialleis-
tungen ermöglicht. Die Schwelle beträgt circa 1.000 Euro (bei 14 Bezügen) im Monat. Zudem
handelt es sich bei Altersarmut um ein weibliches Phänomen (ein Überhang von Frauen wurde
im Sample daher erwartet) von Alleinstehenden. Zudem sollte das Alter und der Gesundheits-
zustand (jedoch keine Fälle, in denen der Krankheitszustand als fortgeschritten multimorbid zu
bezeichnen wäre) nach Möglichkeit etwas variieren. Auch lag die Idee nahe, dass die unter-
schiedlichen Institutionen aufgrund ihrer Ausrichtungen (Beratungsstelle, Ausspeisung usw.)
selbst zu einer Variation betragen.

393
Diese Interviews werden weder explizit ausgewertet, noch folgten sie einem spezifischen Erhebungsverfahren.
Mit einem groben Leitfaden ausgerüstet, ging es einerseits darum, Fragen über die Möglichkeiten von Sozi-
alleistungen zu klären, die ExpterInnen selbst als Schlüsselpersonen zu gewinnen bzw. zu anderen vermittelt
zu werden und Problemlagen von altersarmen Menschen aus Sicht der ExpterInnen zu identifizieren. In ge-
wisser Weise lassen sich die Interviews als eine Art „nosing around“ bezeichnen, um das Feld zu erschließen
und besser einschätzen zu können.
394
Hierbei ist gemeint, dass die Analyse eines Interviews während des Auswertungsprozesses nicht als endgültig
abgeschlossen betrachtet wird, sondern bei Entdeckung neuer Fragen gleichwohl eine Rückkehr und die In-
terpretation aus einer anderen Perspektive erfolgt (vgl. Strauss & Corbin, 1996, S. 152).
Prozess der Erhebung und Auswertung 201

Zudem flossen vorangegangene Interviews als Sekundärdaten ein (sie wurden durch mich im
Zuge eines Projektes von Jost & Richter (2016) geführt) und dienten als Kontrastfolie. Der
Einbezug der im Vorfeld durchgeführten Interviews bot sich an, da sich deren erhobene Inhalte
mit dem Analyseziel des Forschungsprojektes in Teilen decken. Diese werden jedoch nur spo-
radisch in der Arbeit (konkreter in den Kapiteln 5.2 und 5.3) zitiert und sind in solch einem Fall
gesondert gekennzeichnet. Im Text wird mit der Bezeichnung „erste oder vorgegangene Inter-
viewserie“ darauf hingewiesen, zum anderen sind Personen bzw. Zitate aus den Transkripten
mit einem voranstehenden „Ex“ gekennzeichnet.

3.3.2 Konkrete Ausgestaltung in der Übersicht


Insgesamt wurden für diese Arbeit 20 Interviews mit 19 Betroffenen (15 Frauen und 4 Männer)
plus 7 ExpertInnengespräche geführt. Bei 4 Personen ließ sich die Erhebung zweiteilen, in drei
Fällen handelt es sich um ein Doppelinterview, welches von den Befragten ausging und eine
besondere Herausforderung darstellte. Dies ließ sich jedoch nicht vermeiden, da die Begleit-
personen jeweils als UnterstützerInnen fungierten und ohne deren Anwesenheit die Interviews
nicht zustande gekommen wären. Die methodischen Schritte wurden den situativen Momenten
angepasst, so mussten aufgrund des Verlaufs in einigen Interviews beide Erhebungsteile zu-
sammengezogen werden – die Doppelinterviews wurden hingegen verstärkt zur Erörterung der
aktuellen Lebenssituation und Problemlagen genutzt. Im Gegensatz zu der von Schütze immer
wieder konstatierten Gleichverteilung der Erzählkompetenz, traf dies auf die Befragten nur be-
dingt zu. Wie Rosenthal (1995, S. 100ff.) hierzu kritisch anmerkt, bedarf es einer biographi-
schen Erzählkompetenz, welche sie für Kinder wie folgt beschrieb: „Im Laufe der Sozialisation
lernt man, welche Bereiche des Lebens in welcher Situation erzählbar sind, welche besser ver-
schwiegen werden und welche Darstellungsformen angemessen sind“ (Rosenthal, 1995, S.
100). In diesem Sinne sei eingeworfen, dass die Erzählkompetenz auch wieder abhanden kom-
men kann, denn je isolierter die Befragten lebten, umso schwerer fiel es ihnen, eine längere
Geschichte über ihr Leben aufzubauen, Abläufe ihres Alltags genauer zu beschreiben und teils
verkümmerte die biographische Narration zu wenigen Minuten. In solch einem Fall drängte es
sich auf, nach einigen weiteren Fragen bzw. Anstößen zur Lebensgeschichte in den zweiten
Teil überzugehen. Ein frühzeitiges Ende des Interviews erschien als Hintergehung der Verein-
barung, da jeweils etwa 2 Stunden Dauer ausgemacht waren. Dadurch hätten sich gerade ein-
same Menschen entwertet fühlen können und es wäre fraglich gewesen, ob ein zweiter Termin
zustande gekommen wäre. In anderen Fällen waren die befragten Personen voller Elan, sodass
nach dem narrativen Teil bewusst weitergemacht wurde, vor allem dann, wenn ein weiterer
Interviewtermin fraglich erschien. Grundsätzlich lässt sich aber sagen, dass eine Zweiteilung
durchaus Vorteile bringt: Vertiefung der sozialen Beziehung, Zeit zur Reflexion und neuerli-
chen Vorbereitungen. Andererseits stehen diesen auch Nachteile gegenüber: Gefahr zu laufen,
keinen zweiten Termin mehr vereinbaren oder keine Kontinuität zwischen den Interviews her-
stellen zu können, da die zeitliche Diskrepanz (durch (un)geplante Krankenhausaufenthalte,
längere Urlaube, Umzüge etc.) allzu groß werden kann. Im Nachhinein betrachtet, erzeugte die
Vertiefung der sozialen Beziehung zumindest bei zwei Interviewten eine Überfrachtung des
202 Methodisches Design und Durchführung

neutralen Gesprächsgefüges mit der Erwartungshaltung, nun als permanenter (emotionaler) Ge-
sprächspartner zur Verfügung zu stehen.395 Insgesamt liegen knappe 39 Stunden Tonbandauf-
nahme vor, welche vollständig transkribiert wurden, zudem in Teilausschnitten die 7 ExpertIn-
neninterviews, welche sich zusammen auf knapp 8 Stunden belaufen. Entsprechend ergaben
sich daraus mehrere hunderte Seiten an Transkripttext.

395
Als Kommentierung ist hier anzufügen, dass mich dies durchaus in eine Problemlage brachte. Vielleicht mag
die Entwicklung damit zusammenhängen, dass ich als Jungforscher noch nicht die nötige professionelle Dis-
tanz ausstrahlte, welche es zur Aufrechterhaltung dieses Settings bedarf. Auch der Altersunterschied könnte
dabei eine Rolle gespielt haben, da mich einige mit ihren Enkelkindern verglichen.
4 Ergebnisse
Nun sollen die Ergebnisse aus den Interviews bzw. den Analysen präsentiert werden. Die Ta-
belle 20 bietet eine Übersicht über die interviewten Personen. Wie bereits angemerkt, handelt
es sich in manchen Fällen auch um Interviews mit zwei Personen, da diese die Gesprächspartner
begleiteten und so zu Wort kamen bzw. selbst altersarm sind. Deshalb wurden auch für sie
Eckdaten erhoben bzw. sind Erzählungen von diesen in die Analyse eingearbeitet.

Tabelle 20 – Befragte im Überblick


InterviewparterInnen Jahrgang Pensionseinkommen
Frau L.1 1931 946 (erhöhte Ausgleichszulage)
Herr R.1 1930 1335 (Eigenpension)
Frau R.1 1948 844 (Ausgleichszulage)
Frau R.2 1948 844 (Ausgleichszulage)
Frau M.1 1949 1.070 (Eigenpension), aber 940 nach Pfändung
Frau S.1 1961 1.200 für einen 2-Personenhaushalt (Pension des Mannes)
Herr J.1 1957 915 (befristete Berufsunfähigkeitspension)
Frau D.1 1924 844 (Ausgleichszulage, Proxyinterview mit dem Sohn aufgrund des
Gesundheitszustandes – Pflegestufe 5; Stufe 7 war beantragt)
Frau A.1 1944 2.000 (Eigen- und Witwenpension)
Frau B.1 1965 900 (Eigenpension)
Frau W.1 1948 844 (Ausgleichszulage)
Frau E.1 1946 844 (Ausgleichszulage)
Frau S.2 1944 940 (Eigenpension)
Frau E.2 1962 950 (Eigenpension)
Herr F.1 1943 844 (Ausgleichszulage)
Frau M.2 1939 844 (Ausgleichszulage)
Frau C.1 1937 1.050 (Eigenpension)
Frau H.1 1948 946 (erhöhte Ausgleichszulage)
Frau L.2 1955 844 (Ausgleichszulage)

Im Anschluss werden zuerst acht Portraits von Befragten vorgestellt, welche einerseits Einsich-
ten in das Leben altersarmer Menschen geben, andererseits aufzeigen sollen, wie unterschied-
lich sowohl die Wege in die Altersarmut als auch die Ausgestaltung des Alltags ausfallen kön-
nen. Die Auswahl der Personen für die Portraits fiel nicht leicht, da gerade in einer solchen
Übersichtsperspektive jeder Fall seine Spezifika aufweist. Um nicht auszuufern wurden Fälle
ausgewählt, die die unterschiedlichsten Wege in die Altersarmut und möglichst unterschiedli-
che Zugangsweisen in der Ausgestaltung des Lebensalltags aufzeigen. Im Wesentlichen wird
auf die Darstellungsform der dichten Beschreibung zurückgegriffen, die die erlebten Lebenser-
eignisse in chronologischer Abfolge vorstellt und das Eintauchen in die Alltagspraxis von Al-
tersarmut betroffener Menschen ermöglicht; hierzu werden die Betroffenen selbst breitflächig
zu Wort kommen. Zitate, wie auch in den späteren Abschnitten der Analyse, wurden direkt aus
den Interviews übernommen und sind an das Hochdeutsche zum Großteil angepasst, in man-
chen Fällen schien es zweckmäßiger, Wörter zum Erhalt des Sinns direkt zu übernehmen. Nicht
nur die Namen der Betroffenen sind im Nachfolgenden anonymisiert (siehe Tabelle 20) sondern
auch Tagesstrukturen bzw. soziale Einrichtungen, da in Kombination mit der Lebensgeschichte
eine Identifikation der Befragten allzu leicht möglich wäre.
Das darauffolgende Kapitel wird den Ursachen und der Deutung bzw. der Verarbeitung von
Armut in der Lebensgeschichte gewidmet. Im letzten Kapitel wird der Frage nach der Wech-
selwirkung von Dimensionen der Lebenslage nachgegangen. Zuerst werden die Dimensionen,

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
L. Richter, Lebenslagen unter Altersarmut,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-27622-5_4
204 Ergebnisse

welche in den Interviews hervortraten, einzeln näher ausgeführt, um diese zum Abschluss in
ein paradigmatisches Modell zu integrieren.

4.1 Portraits altersarmer Menschen


Die vorgestellten Portraits sind nach einer einheitlichen Struktur festgelegt: Lebensgeschichte,
Ursachen der Altersarmut, soziale Kontakte, aktueller Alltag, materielle Situation und Resü-
mee. Unter dem ersten Punkt werden, wie bereits erwähnt, die Ereignisse der Lebensgeschichte
in chronologischer Abfolge dargestellt bzw. der Lebenslauf rekonstruiert; häufig mussten Jah-
resdaten abgeleitet werden bzw. sind die Lebensgeschichten häufig aus beiden bzw. den ge-
samten Interviews zusammengetragen. Nur bedingt wurde der Erzählstimulus im erwünschten
Sinne ratifiziert, starke Raffungen bzw. andere Themen standen in der Anfangserzählung im
Vordergrund. Betrachtet man den Erzählstimulus aber genauer, so ist die Frage aufzuwerfen,
ob in den meisten Erzählungen nicht doch eine Ratifizierung erfolgt, aber die aktuelle Lebens-
situation in der Deutung der Befragten von der Lebensgeschichte zumindest teilweise abgekop-
pelt ist. Dieser Aspekt wird im Späteren noch aufgegriffen. Im zweiten Punkt wird der Ursache
von Altersarmut nachgegangen – an dieser Stelle sei nochmals darauf verwiesen, dass es hierbei
nicht um den Aspekt des „Armseins“ geht, sondern was dazu geführt hat, dass das verfügbare
Pensionseinkommen auf einem Niveau ist, welches zur „Adressierung arm“ führt. Wie die Por-
traits hierzu zeigen werden, ist dieser Umstand komplex, vor allem wenn man sich die Frage
stellt, was unter dem Begriff des verfügbaren Einkommens zu verstehen ist. Im nächsten Punkt
werden die sozialen Kontakte bzw. das soziale Netzwerk der Befragten beschrieben. Auf die
Wiedergabe der Visualisierung einzelner Netzwerke wird jedoch verzichtet, welche zur Erhe-
bung genutzt wurden. Bestehend aus vier (bzw. fünf) Sektoren und sechs Ringen (bzw. Krei-
sen), welche die emotionale Nähe repräsentieren, wurden die Befragten gebeten, ihre sozialen
Kontakte auf der Netzwerkkarte zu positionieren. Dabei stand es den Befragten frei, Personen
nach ihren Vorstellungen auf der Karte einzutragen. Ein fünfter Sektor wurde zu einem späteren
Zeitpunkt eingefügt, um InterviewpartnerInnen die Möglichkeit zu geben, ihnen wichtige Or-
ganisationen bzw. Einrichtungen einzutragen, welche nicht nur im Kontakt mit Einzelpersonen
in Erscheinung treten. In den meisten Fällen wurden jedoch Organisationen im Sektor ‚Be-
kannte‘ verortet, da sie eher über persönliche Kontakte definiert sind. Im Punkt „aktueller All-
tag“ der Portraits werden jene Bereiche beschrieben, die in den Erzählungen und Beschreibun-
gen der Befragten vorstellig wurden und welchen häufig eine große Relevanz in der momenta-
nen Lebenssituation zukam. In der Portraitbeschreibung wird zwar immer versucht, Aspekte
wie Gesundheit oder Wohnen anzuschneiden, andere Schwerpunkte und entsprechende Details
sind jedoch auf die Interviewverläufe zurückzuführen. In einem weiteren Punkt wird die finan-
zielle Lage gesondert dargestellt, um deren Einflussgröße nachzeichnen zu können. Insbeson-
dere wird auf die Ausgabenstruktur zum Zeitpunkt des Interviews eingegangen, respektive be-
trachtet, wie die finanzielle Lage in andere Dimensionen hineinwirkt und Bewältigung beför-
dert bzw. behindert. Zum Schluss erfolgt jeweils ein Resümee, welches nochmals zentrale As-
pekte des jeweiligen Falles hervorheben soll.

4.1.1 Portrait von Frau R.1 – Die selbstlose Wanderin

Lebensgeschichte
Frau R.1 wurde 1948 in Wien als Kind einer neunköpfigen Familie geboren. Ihr leiblicher Vater
verstarb jedoch früh; „[…] er war Pilot. Er hatte einen Absturz mit Lungendurchschuss und ist
elendig erstickt. [...] Dann ist meine Mama dagestanden mit vier kleinen Kindern“. Kurz darauf
wurde die Familie getrennt – begründet durch einen Verdacht auf eine Lungenerkrankung der
Portraits altersarmer Menschen 205

Mutter – wodurch Frau R.1 zu Pflegeeltern kam und vom Pflegevater missbraucht wurde.
„Seine Frau hat das gewusst und hat mich mit ihm eingesperrt.“ Frau R.1. leidet noch immer
unter dem erlittenen Trauma (die Erzählung ist an dieser Stelle äußerst brüchig). Nach kurzer
Zusammenführung der Familienmitglieder erfolgte ein Heimaufenthalt, da sich die Mutter
(wieder) in einer Lungenheilanstalt befand. Nach der Wiedervereinigung der Familie lernte ihre
Mutter einen neuen Mann kennen, bei welchem es sich um einen Kriegsinvaliden handelte und
der als Zeitungsausträger bzw. zusätzlich zeitweise als Tapezierer bis zu seiner endgültigen
Pensionierung tätig war, wodurch sich die prekäre Situation nicht auflöste. „Ein Bruder ist in
die Stadthalle Kegel aufstellen gegangen [...] und ich war am Sonntag in der Früh die Zeitung
austragen [...] also jeder hat was gemacht“, um damit den täglichen Bedarf zu finanzieren; Frau
R.1 war damals zwischen 6-7 Jahre alt. Die Mutter arbeitete zu dieser Zeit nicht mehr, was mit
der Pflege des Stiefvaters und den sieben Kindern begründet wird. Im Zuge des Zeitungsaus-
tragens kam es zu einem erneuten Missbrauchsvorfall, dieses Mal durch den Nachbarn und
Freund des Stiefvaters, aufgrund dessen sie sich nicht traute, die Geschehnisse daheim zu er-
zählen. Bis zum 11. Lebensjahr litt Frau R.1. unter Balbuties (Stottern), erst durch einen Umzug
entspannte sich die Situation. Diese traumatischen Ereignisse in der Kindheit und Jugend do-
minieren das Gespräch und überlagern die gesamte Schulzeit, welche nicht in der Erzählung
aufscheint. Am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn machte Frau R.1 eine Lehre zur Schneiderin
(seit dem 11. Lebensjahr half sie zudem in einer Schank aus), nach einem Konkurs des Ge-
schäfts und der altersbedingten Auflösung der zweiten Schneiderei scheiterte diese. Es folgte
eine Lehre im Einzelhandel und nach erfolgreichem Abschluss die Entlassung, denn „früher
war das so üblich, wenn sie ausgelernt haben, dann ist der nächste Lehrling gekommen“. In
Folge fing sie bei einem Rechtsanwalt an, bis dieser ebenso in den „gemachten Konkurs“ ging.
Frau R.1 orientierte sich danach um und stieg in den Pflegeberuf ein, welcher ihrem eigentli-
chen Wunsch, Ärztin zu werden, nahe kam, aber aufgrund der finanziellen Situation der Familie
nicht möglich war. In einigen Erzählpassagen werden auch noch andere kurzfristige Anstellun-
gen in ihrem Erwerbsleben erwähnt. Auf einem Tanzabend lernte sie ihren zukünftigen Ehe-
mann in jungen Jahren kennen. „Dann haben wir unsere Wohnung hergerichtet und haben uns
verlobt, wie das so schön ist und dann nach zwei Jahren haben wir geheiratet“. 1967396 kam das
erste Wunschkind zur Welt, es folgte das zweite im Jahre 1970, alles schien perfekt, „wie im
Bilderbuch, wunderschön“. Materiell ging es Frau R.1 zu diesem Zeitpunkt gut, ihr Ehemann
war Installateur und aus wohlhabenderem Haus; antike Möbel wurden für die Wohnung ange-
schafft und die Schwiegermutter schenkte ihr Kleider. Von einem Auftrag kehrte ihr Ehemann
jedoch nie zurück, was sich Frau R.1 bis heute nicht erklären kann; es stellte sich erst später
heraus, dass dieser mit ihrer damals besten Freundin „nach Amerika“ durchgebrannt war. „Da
hat die Armut eigentlich angefangen. [...] Dann stehen Sie da mit einem neugeborenen Kind,
mit einem kleinen Kind und Wohnung im Umbau“. Die Situation war prekär – „also es ist mir
eigentlich ziemlich dreckig gegangen“ –, fehlende Alimente und die Notwendigkeit, ihre Eltern
finanziell zu unterstützen, zwangen Frau R.1 zur Erwerbstätigkeit. Es folgte die zweite Ehe, um
der angespannten Lage zu entkommen: „Wenn der Herrgott was schickt, dann hat das einen
Sinn. Keine Ahnung. Na gut, wir haben [...] geheiratet“. Der zweite Ehemann, ein studierter
Bauernsohn und einfache Verhältnisse gewohnt, veräußerte kurz nach der Heirat die Möbel und
Kleider von Frau R.1, welche sich beugte. Es folgte nach Kündigung der damaligen Anstellung
des Mannes ein Umzug nach Niederösterreich. Im Jahr 1975 kam es wieder zu einem Rückzug
nach Wien aufgrund der neuen Selbstständigkeit des Mannes, danach wurde sie zum dritten
Mal schwanger. Kurz vor der Geburt wurde sie von ihrem zweiten Mann verlassen, welcher

396
Die Jahreszahlen mussten aus dem aktuellen Alter der Kinder abgeleitet werden, da Frau R.1 nur in seltenen
Fällen Jahreszahlen in der Erzählung erwähnt.
206 Ergebnisse

sich in seine Sekretärin verliebt hatte. Zur Geburt ist „er nur reingekommen und hat geschaut,
ob ich überlebt hab mit dem Kind. Und hat die Scheidung eingereicht. Also das war es. (..)
Graue Nacht“. Erneut musste Frau R.1 rasch arbeiten gehen – „Bedienerin, irgendwas“ -, aber
die Lage verschlechterte sich immer mehr und so konnte weder die Wohnung noch die Heizung
bezahlt werden. Kleidung wurde im Tausch organisiert und für die Kinder, damit es neu aussah,
umgenäht. In ihrer Not antwortete sie auf Heiratsannoncen, in der Hoffnung, dadurch einen
wohlhabenderen, selbständigen Mann kennen zu lernen, bei welchem sie arbeiten und ihre Kin-
der mitnehmen konnte. Tatsächlich gelangen ihre Bemühungen, welche sie und ihre drei Kinder
nach Niederösterreich zu einem Besitzer mehrerer Tankstellen führte, jedoch unter der Bedin-
gung des Mannes, mit ihr noch ein Kind zu bekommen. „Ich habe mir gedacht: Was soll ich
denn machen? Ich habe keine Möglichkeit, keine Wohnung, ich habe nix, ich kann nix mehr
machen“. Bald nach der Geburt des vierten Kindes im Jahre 1984 geriet der Betrieb in wirt-
schaftliche Schwierigkeiten, zudem bahnte sich eine Affäre ihres dritten Mannes an, welche
letzten Endes Frau R.1 zum Auszug und zur Rückkehr zu ihrer Mutter bewog. Nach kurzem
Aufenthalt zog sie mit ihren Kindern wieder nach Niederösterreich an den Rand von Wien und
nahm eine Arbeit im Bereich der Pflege und Betreuung an, da sie die Kinder bzw. die Jüngste,
welche zudem epileptische Anfälle hatte, mitnehmen konnte. „Es hat alles reibungslos funkti-
oniert. Nur wir haben alle gearbeitet zu Hungerlöhnen“. Aufgrund rechtlicher Änderungen
durfte sie später die Kinder nicht mehr mitnehmen und wurde, da eine Vollzeitstelle für sie
nicht möglich war, entlassen. Zudem erkrankte Frau R.1 an Hautkrebs, später noch ein zweites
Mal. Nach der Genesung und Pensionierung im Jahr 2000 fand sie als Privatpflegerin wieder
eine Anstellung in Wien – inwiefern es sich dabei um eine angemeldete Stelle handelte, erörtert
Frau R.1. nicht. Nach dem Tod des betreuten Patienten folgte ein weiterer Pflegefall, bis dessen
Tochter aus Deutschland zurückkehrte und die Eltern zu sich ins Ausland holte. Aufgrund ihrer
letzten Pflegetätigkeit zog sie vor vier Jahren mit einer älteren Dame, die mittlerweile verstor-
ben ist, wieder nach Niederösterreich. Frau R.1 möchte vorerst nicht mehr umziehen und, da
sie einen Garten hat, solange wie möglich in ihrer aktuellen Wohnung (ein sehr kleines Haus
mit 50 Quadratmeter) bleiben, gleichwohl die Kosten eigentlich zu hoch sind und sie sich die
meiste Zeit in Wien aufhält. Heute hat Frau R.1 eine Eigenpension von circa 650,- Euro und
wird durch die Ausgleichszulage aufgestockt. Zusätzlich verdient Frau R.1 ein wenig dazu, um
besser über die Runden zu kommen.

Ursachen der Altersarmut


Zusammenfassend blickt Frau R.1 auf eine bewegte Lebensgeschichte, welche durch viele Um-
brüche gekennzeichnet ist. Am Schluss des ersten Interviews resümiert sie, dass sie bis dato 16
Umzüge hinter sich und nicht ganz 30 Jahre angemeldet gearbeitet hat (die genaue Abfolge
lässt sich nicht rekonstruieren, wiewohl sich eine Vielzahl an Anstellungen abzeichnet), auch
wenn sie mehr gearbeitet haben dürfte – „ich mein, gearbeitet habe ich länger, früher war das
ja so, wenn sie in einem Familienbetrieb gearbeitet haben, wurden die Angehörigen nicht an-
gemeldet“. Hierbei zeigt sich eine für damals durchaus gängige Praxis und strukturelle Proble-
matik, von welcher auch einige andere Befragten betroffen waren. Entsprechend erhält Frau
R.1 keinen erhöhten Mindeststandard, was sie ambivalent bewertet: Einerseits befürchtet sie,
dadurch Sozialleistungen wie den Mobilpass zu verlieren, andererseits bezeichnet sie die Situ-
ation als „traurig“. „Das Leben ist wie eine Münze, nicht? Eine Vorderseite und eine Rückseite,
ein Vorteil und ein Nachteil. Es gibt nicht nur Vorteile“.
Letzten Endes kann die geringe Eigenpension vor allem durch das geringe Einkommen in Kom-
bination mit den fehlenden Beitragsjahren in der Erwerbsphase erklärt werden, welche durch
die schon damals phasenweise auftretende prekäre Situation einsichtig wird. In Bezug auf
Brettschneider & Klammer (2016) lässt sich Frau R.1 dem familienorientierten Typ zuordnen.
Portraits altersarmer Menschen 207

Obwohl sie verhältnismäßig viele Beitragsjahre aufweist (im Vergleich zu jenen Befragten der
beiden AutorInnen), haben unter Bedachtnahme der Kinderanzahl Faktoren wie schlechter be-
zahlte Tätigkeiten, Familienbetrieb bzw. Teilzeitanstellungen, die zusätzlich nicht immer an-
gemeldet waren, zur Altersarmut beigetragen.

Sozialer Kontakt
Die sozialen Kontakte zeichnen sich durch eine Vielzahl an familiären Beziehungen aus: einer-
seits sieben lebende Geschwister (zuzüglich EhepartnerInnen und Nichten bzw. Neffen), ande-
rerseits durch ihre vier eigenen Kinder (zuzüglich ihrer PartnerInnen) und aktuell sechs Enkel-
kinder. Zudem gibt Frau R.1 eine unbestimmte, aber vermeintlich große Zahl nicht-familiärer
Beziehungen an, welche sich gegenseitig unterstützen. „Nicht dass sie mich aussaugen, aber
die brauchen von mir einen Zuspruch und ich brauche von ihnen einen Zuspruch. Das ist ein
Geben und Nehmen“. Pflegetätigkeiten für Frau R.1 werden innerhalb der familiären Bezie-
hungen organisiert bzw. ist allgemein der Unterstützungsgrad innerhalb der Verwandtschaft
hoch. Frau R.1 ist stark in ihrem Alltag nach außen an ihren sozialen Kontakten orientiert:
„Wenn ich nicht arbeite, oder für andere da bin, für meine Nachbarn oder für meine Freundin,
dann bin ich da, um meinen Kindern zu sagen, was ist, was nicht. Also mein Tag ist eigentlich
ausgeschöpft, von der Früh bis in die Nacht. [...] Ich muss den Herrgott bitten, dass er mir den
Tag sehr lange werden lässt, für alle meine Lieben“. Gerne würde Frau R.1 einen Sprachkurs
belegen, findet aber aktuell nicht die Zeit dafür. Neben dem monatlichen, persönlichen Kontakt
zu drei Kindern – der Sohn arbeitet im Ausland, wodurch sich die Treffen auf einmal im Jahr
reduziert haben – telefoniert sie häufig oder kommuniziert mit diesen über WhatsApp. Dabei
wird Frau R.1 durch ihre Nichten und Neffen fortlaufend in der Benützung eingeschult, bald
möchte sie auch E-Mails verschicken können. Wichtigster Treffpunkt stellt ihr aktueller Ar-
beitsplatz dar, bei welchem sie die meisten ihrer Verwandten besuchen kommen. Es zeigt sich
eine hochgradige Vernetzung innerhalb der verwandtschaftlichen Beziehungen, welche durch
den Gebrauch des Handys noch ausgebaut werden konnte. „Jeder weiß, wann ich [arbeite],
jeder hat einen Plan“.

Aktueller Alltag
Der aktuelle Tagesablauf ist als weitgehend straff organisiert zu bezeichnen und, wie bereits
erwähnt, stark nach außen orientiert. Um 4 Uhr steht Frau R.1 auf und geht mit Sonnenaufgang
in den Garten bis etwa 10 Uhr. Die weitere Tagesstruktur ist vorrangig vom Bedarf anderer
abhängig: So hilft sie ihren NachbarInnen, fährt je nach Bedarfslage in die Arbeit, hilft aktuell
einer Schwägerin mittels Massagen, fährt zu einer Freundin und geht um etwa 12.00 Uhr schla-
fen. Dazwischen telefoniert sie mit Personen, welche ihre Hilfe benötigen und zum Beispiel
ihre Telefonnummer sogar in der Arbeit bekommen haben. Zentrales Kriterium ist die Unter-
stützung anderer, welche sie von Niederösterreich nach Wien mit mehreren Ortswechseln pro
Tag führt. Ihre Selbstdiagnose, unter dem Helfersyndrom zu leiden, dürfte zutreffend sein, denn
sie wird nicht nur auf Anfrage tätig, sondern drängt sich regelrecht auf. „Dann muss ich alle
Meine anrufen, ob es was gibt, ob mich wer braucht“ So hilft sie, „nicht weil ich es muss,
sondern weil ich sehe, dass Not am Mann ist. Wenn ich sehe, dass zum Helfen ist. Also ich
meine, meine Freundin würde mich oft gar nicht anrufen und sich trauen, mich ununterbrochen,
aber wenn ich sehe, ihr geht es schlecht und ich will nicht haben, dass einer als Bittsteller ganz
einfach zu mir kommt oder irgendwas“. Die Situation füllt sie dabei aus – „ich bin nicht ausge-
brannt und leer, ich bin zufrieden und glücklich, dass ich das machen darf und dass ich es kann“
– wiewohl sie dieses Bild nicht stringent durchhält und auch davon spricht nicht mehr jedem
helfen zu können – „ich kann nicht, ich habe keine Kraft mehr zu helfen“. Dies ließe sich auch
als eine Art Schutzmechanismus deuten, da sie in solchen Fällen die Hilfsfunktion an den
208 Ergebnisse

„Herrgott“ abgibt, womit sie ihrem Anspruch zu helfen, nur auf bestimmte Personen (vor allem
Familie und Kunden in der Arbeit) bzw. Zeiten (nachdem sie ihre häusliche Arbeit erledigt hat
bzw. Telefonate am Abend) und Orte (Arbeit bzw. bewusst gewählte) verlagern kann. Tief ist
das Selbstbild der Helfenden verankert, konstituierte sich bereits in der Vergangenheit, beglei-
tet den Alltag und wird bereits in zukünftige Pläne integriert: „Wenn ich nichts mehr arbeiten
kann, werde ich meine Kräuter trocknen, fein schneiden und jedem geben, der es braucht. Ir-
gendwas hat der liebe Gott mit mir vor, wenn ich schwach bin und immer noch was machen
kann. Das steht ja schon in der Bibel drinnen, dass kein Mensch auf der Erde zu schwach ist,
zu krank ist, dass er nicht einem anderen Menschen was schenken kann und sei es nur ein
Lächeln. Das habe ich eigentlich als Leitspruch gemacht. Habe ich mir gedacht, wenn ich ganz
schwach bin, dann werde ich mich zu meinen Urenkeln hinsetzen und werde ihnen Märchen
erzählen, und da weiß ich jede Menge. Dann bin ich auch noch zu was nützlich, auch wenn ich
wirklich nichts mehr machen kann“.

Materielle Lage
Die materielle Situation ist angespannt, die monatlichen Kosten für Wohnen und Energie be-
tragen circa 900 Euro, was die Ausgleichszulage bereits übersteigt und einen zusätzlichen Ver-
dienst nötig macht. Insgesamt hat Frau R.1 etwa 1150 Euro monatlich aktuell zur Verfügung,
plus etwa 1.600 Euro jährlich durch die 13. und 14. Pensionszahlung. Um über die Runden zu
kommen, bewirtschaftet Frau R.1 circa 1000 Quadratmeter Grund, lagert bzw. kocht Obst und
Gemüse ein und tauscht Kräuter gegen andere Güter im Bekanntenkreis. Neben dem Garten als
wichtigem Nahrungslieferant kann sie aus der Arbeit Speisen mitnehmen, womit sich ihre mo-
natlichen Ausgaben auf circa 35 Euro reduzieren (zudem dürfte sie im Zuge ihrer Hilfeleistun-
gen bei Bekannten und Verwandten mitessen). Weder gibt es einen Geschirrspüler noch eine
funktionierende Waschmaschine in ihrem gemieteten Kleinhaus; der Fernseher ist ein „Erb-
stück“ ihres letzten Pflegefalles. Schuhe mit orthopädischen Einlagen hätte sie gerne, es fehlen
jedoch die Mittel. Auch gibt es keine Rücklagen, zumindest aber auch keine Schulden. Auf die
Fragen, ob sie die Wohnung angemessen warm halten (es wird nur der Hauptraum beheizt), ob
sie Freunde oder Bekannte einmal pro Monat zum Essen einladen, neue Kleidung im Bedarfs-
fall kaufen oder sich einmal im Jahr eine Woche Urlaub leisten kann (das letzte Mal sei sie vor
40 Jahren mit den Kindern, wohltätig finanziert, gefahren), muss sie aus finanziellen Gründen
verneinen. Auch kann sie sich nur Medikamente auf Rezept – da sie von Rezeptgebühren befreit
ist – „leisten“. Von den Kindern möchte sie trotzdem kein Geld nehmen, wiewohl sie in mate-
rieller Hinsicht etwas unterstützt wird. Zu Weihnachten bekam sie ein Handy geschenkt und
die laufenden Kosten werden übernommen. Ebenso werden Versicherungskosten übernommen
und zudem kann sie sich das Auto vom Schwiegersohn ausborgen. Als ultima ratio – sofern sie
nicht mehr finanziell über die Runden kommt bzw. gesundheitlich Verschlechterungen auftre-
ten sollten – wurde vereinbart, dass sie zu einer der drei Töchter ziehen könne. Ohne Frage ist
die Lage damit zwar aktuell nicht minder problematisch, im Gegensatz zu anderen Befragten
bietet sich damit aber ein Ausweg an bzw. zeigt sich die Unterstützungsbereitschaft der Kinder,
welche wohl im Bedarfsfall noch höher ausfallen könnte – alle vier Kinder haben verhältnis-
mäßig gute Anstellungen.

Resümee
Zusammenfassend ist Frau R.1 von der Suche Hilfe zu leisten und damit nützlich zu sein in
ihrem Alltag getrieben – „ich bin so und so nützlich, für alle, also ich falle ja gar nie auf, wenn
ich irgendwo bin, ich tu ja eh nur helfen“. Beide Interviews sind von diesem Thema überlagert,
brechen an einigen Stellen hervor und leiten die Erzählungen der Lebensgeschichte an, die sich
Portraits altersarmer Menschen 209

zum Großteil fragmentarisch, nicht immer chronologisch darbietet. Gleichwohl sie immer wie-
der betont, mit ihrer Lebenssituation zufrieden zu sein, ist die materielle Lage angespannt und
zwingt sie zu unangemeldeter Arbeit, was sie mit Ängsten erfüllt. „Schlimm, also du wirst ge-
zwungen, zu lügen, du wirst gezwungen, man lebt in einer ständigen Angst, in der absoluten
Angst“ als Schwarzarbeiterin aufzufliegen. Erste Armutserfahrungen machte sie bereits in der
Kindheit, die Erwerbsphase war ebenso von Mangellagen dominiert – so ist etwa von „sparta-
nischer Ernährung“ die Rede –, wiewohl auch Phasen höheren Wohlstandes in Verbindung mit
den Lebenspartnern zu konstatieren sind. Ihre Kenntnisse im Garten – selbst bezeichnet sie sich
auch als „Kräuterhexe“ – dürften ebenso der damalig prekären Situation geschuldet sein: „Ein-
kaufen war vielleicht ganz selten angesagt, ich habe immer wo am Land gewohnt, also vom
Garten. Schmalzbrot war angesagt mit viel Zwiebel, Knoblauch und Paprika oben, das ist ge-
sund. Wenig Schmalz mehr Brot und Äpfel vorwiegend“. Gleichwohl sie selbst nicht viel hatte
bzw. hat und ihr Leben von Umbrüchen gezeichnet ist, bewertet sie die Situation positiv: „Es
geht ja eigentlich immer nur um die Einstellung, um die Einstellung, wie sehe ich was. Bin ich
glücklich und zufrieden mit dem was ich habe, weil ich es eh nicht ändern kann oder will ich
mehr haben. Ich will nicht mehr, wenn ich mehr haben will, dann eigentlich nur für die Allge-
meinheit“. Frau R.1 thematisiert damit selbst ihren Deutungsprozess, sich mit den damaligen,
aber auch den aktuellen Bedingungen arrangieren zu können. Brüche und Zufälle werden in
ihre Biographie durch einen höheren Willen, „ein Geschenk des Himmels“ und „den Herrgott“,
welcher einen Plan für sie bereithält, integriert, woraus sie Kraft schöpft und Verantwortung
auch abgeben kann. Die ausgeprägte Hilfsbereitschaft, welche auch aktuell den Tagesablauf
bestimmt, ließe sich im Sinne der zum größten Teil von außen aufgezwungenen Situationen als
eine Bewältigungsstrategie und ein tief eingelerntes Handlungsmuster deuten. Hierfür spricht,
dass sie sich selbst von den meisten von ihr erwähnten Menschen, welche arm und alt sind
sowie an der strukturellen Eingebundenheit leiden, in der Erzählung differenziert. Diesen Per-
sonen verschafft sie durch ihre Hilfe Freiheit und Autonomie, womöglich jene, welche sie selbst
nur bedingt erfahren hat. Dies würde auch ihre starke Abneigung gegenüber Altenwohnhäusern
(strukturierte und herzlose Orte der Entfremdung) und Notaren („Entmündiger und Raubritter“)
als äußere Zwänge erklären. Selbstwert gewinnt sie über den Nutzen, den sie anderen stiftet.
Aufgrund des familiären Hintergrundes ist sie zudem ihrer Sicht nach abgesichert.

4.1.2 Portrait von Frau L.1 – Lage der altersarmen Arbeiterin

Lebensgeschichte
Frau L.1 wurde 1931 in Wien geboren und erlebte die Zwischenkriegszeit und den zweiten
Weltkrieg mit. Im ersten Interview spricht sie – abseits der damals beschränkten Lage – gar
nicht über ihre Kindheit und schneidet dieses Thema erst im späteren Interview auf Nachfrage
über ihre Lehre an. Sie erlebte die Bombardierung Wiens, was bedeutete, täglich die Koffer
von der Wohnung in den Keller und wieder zurück tragen zu müssen und erzählt über die da-
maligen Wohnverhältnisse – Kohleofen, Wasser und WC bzw. der Sanitärbereich am Gang und
Lavoir –, welche sie im Kontext der stärkeren Vergemeinschaftung aus einem positiven Blick-
winkel betrachtet: „Das war schön, ich muss sagen, wir haben in dem alten Haus, wir haben
Hausbälle gehabt, da hat sich also alles am Gang abgespielt. Das war schön, heute machen sie
ihre Türe zu und aus, weg. Sie sehen keinen, ich sehe oft die ganze Woche niemanden im Haus“.
Diese Erzählung lässt sich dahingehend interpretieren, dass Frau L.1 auch heute gerne unter
Menschen ist, was durch ihre nach außen orientierten sozialen Aktivitäten untermauert wird.
Zum einen verdeutlicht Frau L.1 mit diesen Erzählungen, wie beschwerlich die Zeiten damals
waren und ist davon überzeugt, dass sich gerade jüngere Menschen dies gar nicht mehr vorstel-
len können. Zum anderen erwähnt sie: „Wir sind deswegen nicht unglücklich gewesen, nicht?
210 Ergebnisse

Man hat es anderes nicht gekannt“. Im Frühjahr 1946 begann sie (nach Beendigung der Gewer-
beschule; ihre gesamte Schulzeit absolvierte sie während des Krieges) eine Lehre als Schnei-
derin in einer kleinen Schneiderei und ist froh, zur damaligen Zeit eine Lehrstelle bekommen
zu haben. „Eine sehr schlechte Zeit, weil keine Lehrstellen waren. Wien war in Schutt und
Asche“. In diesem Zusammenhang macht sie auf die Abhängigkeit aufmerksam: „Du hast da
nicht mucksen dürfen, weil da hat es gleich geheißen, suche dir eine andere Lehrstelle, aber das
war ja nicht so leicht“. In ihrem Fall bedeutete dies, dass mit der Lehre viele Hilfstätigkeiten
auch im Haushalt der Lehrherrin verknüpft waren, wie Putzen oder das Hochtragen von Koks
für die Öfen. Trotz dieses Hinweises dürfte Frau L.1 in ihrer Lehre keine größeren Probleme
gehabt haben (sie erwähnt voll Stolz, zum Abschluss ihrer Lehre als das „bravste Lehrmädel“
von ihrer Chefin gelobt worden zu sein) und arbeitete im Anschluss bis zur Pensionierung im
Jahr 1986 nahezu durchgehend. Zwar wurde sie bald nach der Lehre von der Schneidermeiste-
rin, welche ein neues Lehrmädchen aufnahm, entlassen, fand jedoch kurze Zeit später wieder
eine Arbeit. Die neue Chefin neigte aber dazu, ihre ArbeiterInnen nur zeitweise anzumelden.
Dies gefiel Frau L.1 und ebenso ihrer Mutter, angesichts der in Zukunft fehlenden Arbeitsjahre
für die Pension, nicht. Letztere riet ihr daher, sich eine andere Stelle zu suchen. So wechselte
Frau L.1 in einen anderen Betrieb, in welchem sie 10 Jahre verblieb. Auf diesen folgte ein
Wechsel in eine kleine Schneiderei für Abendkleider. Aufgrund mangelnder Nachfrage und der
Schließung erfolgte ihr letzter Wechsel in einen Großbetrieb, wo sie im Musterzimmer (eine
Abteilung, welche die ersten Exemplare anfertigte, bevor diese in die Akkordarbeit gingen) bis
zu ihrer Pensionierung blieb. Frau L.1 gibt an, fünf ArbeitgeberInnen in ihrem Leben gehabt zu
haben. Darüber hinaus machte sie die Meisterprüfung, nutzte diese jedoch nie aus und blieb als
Schneiderin im Unternehmen angestellt. Finanziell war das Leben von Frau L.1 durchgehend
limitiert: „Das Sparen ist uns gelernt worden. Denn ich bin 1931 geboren, da war vor dem Krieg
eine schlechte Zeit und da habe ich auch im Krieg und danach auch sparen gelernt“. „Also, wir
waren ein ganzes Leben lang sparsam. Wir haben immer auskommen müssen. Ich habe ja nie
viel verdient“; sie resümiert: „Man hat sich immer nach der Decke strecken müssen“. In einem
späteren Teil führt sie hierzu nochmals aus: „Wenn das zu teuer ist, na dann muss ich es nicht
haben. Geht ja auch irgendwie anders auch. Und das hat uns geprägt, das haben wir mitbekom-
men. Wir [Frau L.1 spricht hier von „mir“] haben nie das Geld mit vollen Händen ausgeben
können, weil wir es eben nicht gehabt haben“. Diesen Umstand verdeutlicht sie daran, dass sie
gerne Schifahren gelernt hätte oder erst mit 40 Jahren den Führerschein machte – „vorher war
das eine Utopie, ich habe mir das nicht vorstellen können, dass ich überhaupt ein Auto habe“.
1949 kam sie zur sozialistischen Jugend und blieb bis heute der sozialdemokratischen Partei
treu bzw. ist in einer Sektion tätig. Vor 7 Jahren erweiterte sie zudem ihre Aktivitäten, indem
sie noch dem Club für PensionistInnen beitrat.

Ursachen der Altersarmut


Die Ursachen der Altersarmut sind bei Frau L.1 in ihrem geringen Erwerbseinkommen zu fin-
den, welches für SchneiderInnen üblich war. Frau L.1 ist die einzige der Befragten, welche die
40 Arbeitsjahre erreicht bzw. knapp erreicht hat. Wahrscheinlich fehlen jene Monate, in wel-
chen sie zwar arbeitete, jedoch nicht angemeldet war. Entsprechend der damaligen Regelungen
ging Frau L.1 im Alter von 55 Jahren in Pension (nach ihrem Wissen hätte ein längeres Arbeiten
keine Erhöhung der Pension mit sich gebracht), da sie seit ihrem 15. Lebensjahr beruflich aktiv
war. Dieses Beispiel demonstriert die Problematik einer Erhöhung der Ausgleichszulage auf
Basis von 40 Beitragsjahren, wie im Vorangegangenen bereits angemerkt. Tatsächlich bedürfte
es gerade bei Frauen, welche dem Regelpensionsalter von 60 Jahren unterliegen, einer weitge-
hend lückenlosen Erwerbskarriere, um von dieser (geplanten) Regelung profitieren zu können.
Portraits altersarmer Menschen 211

Frau L.1 ist resümierend von Altersarmut aufgrund eines Berufes mit tendenziell geringen Ein-
kommenshöhen betroffen – auch heute weist das AMS ein Einstiegsgehalt von 1.220 bis 1.370
Euro für Personen mit Lehrabschluss aus, womit ArbeitnehmerInnen nur knapp über der Ar-
mutsgefährdung leben.

Soziale Kontakte
Frau L.1 hatte nie geheiratet und auch keine Kinder, alle Ihre Verwandten sind zudem bereits
verstorben und so ist sie aktiv mit dem Aufbau bzw. Erhalt ihres neuen sozialen Netzes be-
schäftigt. Neben der Tätigkeit in einem Club für PensionistInnen ist sie in einer Sektion enga-
giert. Aus beiden rekrutiert sie einen Teil ihres Bekanntenkreises, den sie auch privat nützt, um
sich zu einer Kartenpartie oder auf Kaffee und Kuchen zu verabreden. An dieser Stelle werden
die monetären Beschränkungen ebenso deutlich: „Was finanziell nicht viel ausmacht. Gell! Da
trifft man sich im Club oder auch zuhause, einmal da und dort. Eine Jause oder was backen. Da
kommt man über die Runden“; wir „machen uns das selber, brauchen keine Bedienung“. Au-
tonomie scheint ihr grundsätzlich wichtig zu sein, denn sie versucht alles selbst zu erledigen,
merkt jedoch an, dass sie langsam Unterstützung benötige; aufgrund fehlender Angehöriger –
sie ist die letzte der gesamten Familie – ist der Einbezug fremder Hilfe nötig. Insbesondere
Tätigkeiten auf der Leiter bereiten ihr hinsichtlich des Sturzrisikos Sorgen. „Beim Fensterput-
zen denke ich mir, jetzt musst du dir bald wen suchen, der dir beim Fensterputzen hilft. Denn
da traue ich mich nicht mehr so auf die Leiter. Denn wann ich wo runterfalle, kann das ja ein
Todesurteil sein im Alter“. Zwar scheint die Unterstützung in der Nachbarschaft bei Kleinig-
keiten gegeben – so erwähnt Frau L.1, dass sie aushelfe, wenn jemand eine Sicherung für den
Stromkasten oder einmal ein Produkt zum Kochen bräuchte und ihre Nachbarn würden ihr hin-
gegen hin und wieder beim Tragen helfen. Aus dem Bekanntenkreis dürfte sie zu Anlässen
Gutscheine als Geschenke erhalten, über die sie sich sehr freut, da diese den Einkauf erleich-
tern. Auch bei Erkrankungen gibt es Unterstützung von diesem, indem Essen vorbeigebracht
wird. Sie hat – wie noch gezeigt wird – Schwierigkeiten mit der Handhabung moderner Technik
und ist dabei auf Hilfe angewiesen; auch dabei unterstützt sie ein Bekannter, um zum Beispiel
das neue Festnetztelefon einzurichten. Frau L.1 spricht meist vom Bekanntenkreis und definiert
Freundschaft durch sehr lang bestehende Beziehungen. „Und die was ich von der Jugend her
noch kenne, die Freundschaften pflegt man dann natürlich. Weil die kennt man dann schon alle
50, 60 Jahre - gell! Da ruft man sich an, wenn man lange nichts hört, na wie geht es dir - komm
mal. Das Gute, es ist alles im näheren Umkreis“. In ihre soziale Netzwerkkarte trägt Frau L.1
niemanden in den innersten Kreis ein, benennt aber zwei Bekannte Herrn D. und P. im zweiten
Kreis. Ersterer unterstützt sie vor allem bei technischen und handwerklichen Problemen, wäh-
rend zweiter, selbst schon einen schlechten Gesundheitszustand aufweisend, vorrangig für die
emotionale Unterstützung sorgt. Im dritten Kreis verortet Frau L.1 vier Personen, welche etwa
Fahrtendienste übernehmen oder bei der Entrümpelung helfen. Zudem schätzt sie den vierten
Kreis auf 4-6 bzw. den fünften Kreis auf etwa 15 Personen, welche sie ebenso als Bekannte
bezeichnet und diese sich vor allem aus dem Club rekrutieren. Zusammen verfügt Frau L.1 über
ein Netz von mehr als 20 Personen. Auf die Frage, ob Frau L.1 diese als Freunde bezeichnen
würde, zeigt sich bei ihr eine zwiespältige Haltung. Einerseits fühlt sie sich mit den Personen
durchaus eng verbunden, bezeichnet diese im Anschluss kurz auch als Freunde: „Teilweise
kann man schon Freundschaften sagen, nicht? [...] Aber so, eigentlich so einen engeren, wie
soll ich sagen, so einen intimen Freundeskreis, weniger. Das verliert sich mit den Jahren; wie
man so sagt“. Begründet wird der Wegfall engerer FreundInnen von Frau L.1 einerseits durch
„Krankheiten“ und Todesfälle, „ja der Kreis am Friedhof wird immer größer, je älter man wird.
Und da habe ich gute Freunde gehabt, also die mich wirklich sehr unterstützt haben, bei allem
und die sind leider, die liegen alle schon am Friedhof“. Aufgrund dessen hat sich Frau L.1 zwar
212 Ergebnisse

einen „neuen“ Bekanntenkreis gesucht, dieser wird aber sehr bewusst vom „alten“ Freundes-
kreis unterschieden. Interessant ist die Beziehungsdefinition zu Herrn P., welchen sie bereits
über 50 Jahre kennt und der nun auf der Pflegestation liegt. Auch wenn Frau L.1 ihn regelmäßig
besucht und eine emotionale Nähe gegeben zu sein scheint, gelingt es ihr auch in diesem Falle
nicht, explizit von einem Freund zu sprechen. Trotz der Verluste hat Frau L.1 einen Ausgleich
geschaffen und scheint mit ihrem sozialen Netzwerk wie auch mit der vielfältigen, gegenseiti-
gen Unterstützung zufrieden – „ich hab da eine Bekannte, die nehme ich mit dem Auto mit,
weil die wohnt gleich bei mir in der Nähe, man hilft sich dann gegenseitig“.

Aktueller Alltag
Frau L.1 wohnt in Wien seit über 40 Jahren in ihrer Wohnung in einem Außenbezirk; die
nächste Straßenbahn liegt circa 600 Meter, der nächste Bus circa 300 Meter entfernt und stellt
im Lebensalltag mit zunehmend schlechterer Gesundheit eine immer größer werdende Heraus-
forderung dar. Vor allem die Wohnhausanlage selbst entpuppt sich als Problem, denn bis zu
ihrer Wohnung muss sie insgesamt 12 Stufen bewältigen. Früher, als relativ barrierefreie Zu-
gänge empfunden, werden sie nun zu einem Hindernis in der Alltagsbewältigung: „Wie ich
eingezogen bin, hab ich mir gedacht, mein Gott, die paar Stufen. Was ist das schon? Aber
heute? Heute weiche ich jeder Stufe aus“. Insbesondere lang gezogene Trittflächen sind ihr
unangenehmen. „Bei uns in der Siedlung sind schon viele in das Pensionistenheim gegangen,
weil sie die Stiegen nicht mehr schaffen“. Sich verändernde Bedingungen in der weiteren Woh-
numwelt, wie die Schließung ihrer Bankfiliale in ihrer Nähe, bereiten Frau L.1 Kopfzerbrechen:
„Das ist halt schon eine Belastung, weil wenn das Knie schlechter wird, was tue ich dann. Ich
bin alleine, ich habe ja niemanden, gell! Also ich bin auf mich alleine gestellt“. Die nächste
Bankfiliale ist bei einer durchschnittlichen Gehgeschwindigkeit circa 30 Gehminuten ent-
fernt397 und liegt damit außerhalb ihrer Gehreichweite, selbst mit der Straßenbahn schätzt sie
den Weg auf über eine halbe Stunde, da sie von zu Hause bis zur Straßenbahnstation bereits
über 10 Minuten braucht. Als Folge hat sich Frau L.1 nun eine Bankomatkarte angeschafft, da
Automaten in deutlich näherer Reichweite sind. Besonders glücklich dürfte sie jedoch mit die-
ser Lösung nicht sein, „weil beim Bankomat weiß man nie, wer hinter einem steht“. Frau L.1
hat zwar, wie sie betont, keine Angst vor einem Überfall, mehr scheint der Aspekt der Vulne-
rabilität bzw. die ungewohnte Situation an einem Bankomaten exponiert zu stehen und die Un-
sicherheit im Umgang mit dem technischen Gerät vordergründig zu sein. Sie wurde in einer
Welt des direkten Gelderhalts sozialisiert, in welcher auch der Lohn die größte Zeit ihres Er-
werbslebens bar ausgezahlt wurde: „Ich habe mein ganzes Leben immer Bargeld in der Hand
gehabt und das habe ich dann und dann kann ich ausgeben“. Im Allgemeinen ist Frau L.1 sehr
wenig technikaffin, sie bezeichnet sich selbst als „Feindin vom Handy“ und verweigerte dieses
nach einem erfolglosen Versuch – „ich habe es nicht gebraucht, ich habe es wieder hergege-
ben“-, ebenso wie das Internet. Einerseits möchte sie nicht mehr dazu lernen und sieht auch
keinen persönlichen Nutzen darin, andererseits wird sie mit diesen Herausforderungen konfron-
tiert, wie zum Beispiel eben beim Bedienen von Automaten im Alltagsleben. Wie sie es selbst
ausdrückt: „Dazu ist man glaub ich schon zu alt dann, dann kann man sich nicht mehr so um-
stellen“. Erschwerend kommt hinzu, dass Frau L.1 den rasant wachsenden Fortschritt als ein
„Überrolltwerden“398 empfindet. Hatte sie sich endlich an die Gerätschaften in der Bank ge-
wöhnt bzw. diese erlernt (sie scheint mehrere Monate dafür zu benötigen), wurden sie wieder

397
In ihrem machbaren Tempo - sofern diese Entfernung überhaupt möglich wäre - dürfte Frau L.1 fast eine
Stunde bis zur Filiale benötigen.
398
„Wie gesagt, es sind Sprünge in der Entwicklung der ganzen Wirtschaften und alles, das was uns ein bisschen
überrollt hat. Ihr seid damit aufgewachsen, aber wir nicht mehr. Also wir fühlen uns jetzt irgendwie, (seufzt)
Portraits altersarmer Menschen 213

ausgetauscht. Mit ihrem Auto ist sie vorrangig für Einkäufe unterwegs, andere Fahrten zu Be-
kannten macht sie vor allem in Wien nur am Wochenende, um sich die Parkgebühren zu sparen
bzw. nutzt sie die öffentlichen Verkehrsmittel. Einen wichtigen Bestandteil in ihrem Alltag
stellt der Club für PensionistInnen dar, in welchem sie ehrenamtlich in der Organisation tätig
ist, den sie mindestens zwei Mal in der Woche besucht und zusätzlich an weiteren Treffen für
Kartenpartien und Feste teilnimmt. „Wissen’s, das halt einem ein bisschen fit – da muss man
rechnen und so. Jetzt haben wir wieder Nikolo gefeiert, da muss ich die Karten verkaufen, da
muss das Geld stimmen, da bleibt man geistig auch ein wenig frischer, als wenn man nur zu-
hause Kreuzworträtsel ausfüllt. Das ist nix, Fernsehen ist auch nichts“. Später erwähnt sie zu-
dem, dass es schön sei gebraucht zu werden. Ansonsten besucht sie Bekannte, fährt 2-3 im Jahr
auf einen Tagesausflug mit anderen PensionistInnen oder geht im Sommer ab und zu in das
Freibad, wo sie ebenso einen Bekanntenkreis hat. Ihre Aktivitäten sind jedoch einem gesund-
heitlichen Wandel unterworfen. Während sie früher noch wandern ging oder Urlaube im Aus-
land machte, ist sie heute auch nach einem Tag Freibad erschöpft – im späteren Interview weist
sie darauf hin, nicht mehr so gerne ins Bad zu gehen – und auch die Autobusfahrten belasten
sie beim Ein- und Ausstieg immer mehr. „Wissens, man wird, wenn man älter ist, ein bisschen
bescheidener. Da will man nicht mehr so fort sein. Das kommt dann schon mit dem Alter, da
will man schon gar nicht mehr so“. So ist Frau L.1 zunehmend mit Krankheitsproblemen ihrer
Knie konfrontiert, wodurch das Gehen und Treppensteigen immer schwerer fällt, aber auch mit
Kreuzschmerzen nach Haushaltstätigkeiten. Ebenso haben sich nun Probleme mit den Händen
eingestellt, dies dürfte auch auf ihren ehemaligen Beruf zurückzuführen sein. Entsprechend be-
nötigt sie für Alltagsroutinen immer länger, da sie sowohl mehr Pausen einlegen muss, wie
auch die Tätigkeiten an sich langsamer vonstatten gehen. Sie steht um circa 7 Uhr auf, später
als früher (sieht auch keinen vernünftigen Grund mehr, früher aus dem Bett zu kommen) und
benötigt bis circa 12 Uhr, um sich frisch gemacht, gekocht und die Wohnung etwas aufgeräumt
zu haben. „Es ist so, man macht alles viel langsamer. Ja das ist aber der Lebenslauf“. Hiermit
verdeutlicht Frau L.1 eine weitere zentrale Grundhaltung, in welcher sie die Veränderungen,
vor allem bedingt durch den schlechteren Gesundheitszustand, akzeptiert und in ihre Alltags-
gestaltung adaptiert; dies äußert sich auch in einer genauen Tagesstruktur und Zeiteinteilung.

Materielle Lage
Bereits in den ersten Sätzen des ersten Interviews kommt Frau L.1 auf die Höhe ihrer damaligen
finanziellen Situation zu sprechen, welche zu diesem Zeitpunkt 866 Euro betrug. Entsprechend
bezog Frau L.1 keine Mindestsicherung, sondern lag leicht darüber und ist daher auch nur von
der Rundfunkgebühr befreit. Kurze Zeit erhielt sie Wohnbeihilfe, fiel jedoch durch eine Pensi-
onserhöhung wieder aus der Leistung heraus. Im zweiten Interview stellte sich heraus, dass es
inzwischen zu einer Erhöhung der Pension kam, da Frau L.1 die erhöhte Ausgleichszulage be-
antragte und zugesprochen bekam. Entsprechend stiegen ihre finanziellen Mittel auf 949 Euro
monatlich an – sie ist damit eine von zwei der Befragten, welche von der Erhöhung unter der
Bedingung von 30 Jahren Arbeitszeit profitieren konnte und ist nun zusätzlich von den Rezept-
gebühren befreit. Trotz der Erhöhung merkt Frau L.1 davon nur wenig, denn so seien auch die
Kosten des alltäglichen Lebens gestiegen, „es glaubt man gar nicht, wie geschwind sich es sich
verplempert“. Sie ist daher froh, in einer kleinen Genossenschaftswohnung auf 32 Quadratme-
tern zu leben, da sie sich diese „gerade leisten“ kann. Zwar profitiert Frau L.1 von einem ge-
ringen Mietzins, fehlende finanzielle Möglichkeiten für eine Modernisierung treiben die Kosten
einer Nachtstromheizung jedoch wieder hoch. Auch können altersgerechte Adaptionen nicht

in mancher Weise, ja ich weiß nicht wie ich es sagen soll. Ja man muss mit der Zeit gehen und alles, aber
(seufzt) das hat uns ein bisschen überrollt“.
214 Ergebnisse

vorgenommen werden und so muss sie sich mit dem Ein- und Aussteigen in ihre Badewanne
plagen, obwohl sich Frau L.1 eine Duschkabine wünscht. Ebenso verursacht das Stiegensteigen
Schmerzen, besonders wenn sie bis in den Keller zur Waschküche gehen muss. Es findet sich
aber kein Platz für eine Waschmaschine in ihrem derzeitigen Bad. Die Adaptierungsarbeiten
scheitern jedoch nicht nur am Geldmangel, sondern Frau L.1 hat den Zeitpunkt übersehen, in
welchem sie noch die körperliche Kraft gehabt hätte, den Umbau zu organisieren, denn auch
das Ausräumen vor und das vermehrte Putzen während der Arbeiten traut sie sich nun nicht
mehr zu. Als Trost erwähnt sie dabei immer wieder ihr Auto. „Mein einziger Luxus ist, dass
ich ein Auto habe“. Dies erkauft sie sich jedoch durch Einsparungen in anderen Lebensberei-
chen. Das Auto, zum Interviewzeitpunkt bereits 24 Jahre alt, stellt eine wichtige Ressource zum
Erhalt ihrer Mobilität und Autonomie dar; ein neues wäre finanziell nicht mehr möglich. „Ich
kann gesundheitlich nichts mehr tragen, weil meine Hände kaputt sind. Da bin ich froh, dass
ich zum Einkaufen das Auto habe. Ich tue es hegen und pflegen, solange es geht“. Insofern ist
die Bezeichnung „Luxus“ zu relativieren, da das Auto ihr wegen der gesundheitlichen Ein-
schränkungen vor allem die nötige Mobilität für die Alltagsbewältigung sichert. Nach Abzug
der Fixkosten – 200 Euro für die Wohnung, 92 Euro für die Garage, circa 80 Euro für Energie
und circa 40 Euro für Versicherungen und Telefonie im Monat – versucht Frau L.1 mit 300
Euro zum Leben (sie nennt es „Kostgeld“) auszukommen; große Sprünge, wie sie sagt, könne
sie damit nicht machen und legitimiert dies über ihren geringeren Bedarf im Alter – „na ich bin
jetzt eh schon alt“. Ein Teil des restlichen Betrages dürfte außerdem für Kaffee im Club der
PensionistInnen oder als Benzingeld verwendet werden. In manchen Monaten bleibt ein wenig
Geld übrig, was Frau L.1 anlegt, um sich damit bspw. jährlich einen Urlaub mit den „Pensio-
nisten“ zu ersparen (vor allem über die Sonderzahlungen) bzw. fährt sie über Silvester mit ei-
nem kleineren Kreis ein paar Tage weg. Es gereicht ihr auch zum Vorteil, dass sie ihr Gewand
als gelernte Schneiderin selber nähen kann, gleichwohl die Schmerzen in ihren Händen längeres
Arbeiten unmöglich machen.
Zusammengefasst ist ihr Vermögen (bis auf ein paar Tausend Euro Reserve) gering, sie hat
aber auch keine Schulden; um den Überblick zu behalten, zahlt sie mit Bargeld und teilt sich
dieses über den ganzen Monat vorweg schon ein. Schulden waren für Frau L.1 nie ein Thema,
ein einziges Mal, zur Einrichtung ihrer Wohnung, musste sie einen „Wechsel“ aufnehmen, „die
einzigen Schulden, welche ich in meinem Leben gemacht habe. Das hat mich schon sehr be-
drückt, muss ich ehrlich sagen, weil man, man lebt ja doch von der Hand in den Mund, wie man
sagt, nicht? Und man kann krank werden und kann dann nicht mehr arbeiten, da denkt man,
naja hoffentlich geht es, aber was soll man machen? Wenn man eine Wohnung bekommt und
keine Möbel hat, also was soll man tun? Also das war eigentlich das einzige, weil sonst habe
ich mir geschworen, in meinem Leben keine Schulden mehr [...] es wäre für mich furchtbar
gewesen, wenn ich jemanden hätte bitten müssen, dass er mir [finanziell] aushilft oder was.
Das habe ich mir ehrlich gesagt gar nicht vorstellen können“.

Resümee
Einerseits hat sich Frau L.1 mit den aktuellen Umständen arrangiert und richtete ihre gesamte
Lebensgestaltung bereits in jungen Jahren auf die fortwährend geringe monetäre Situation aus.
In vielen, von ihr angesprochenen Bereichen werden finanzielle Beschränkungen ersichtlich.
Frau L.1 pointiert dies selbst: „Man kann nicht ins Blaue“; im Weiteren verknüpft sie diese
Aussage mit dem Wort „muss“, spricht hierbei auch in der dritten Person „man muss“ oder
einem unbestimmten „es muss“. Dieses „muss“ steht aber nicht nur für die monetär bedingten
Limitationen, sondern repräsentiert ihre allgemeine Haltung: „Es ist der innere Lebenswille: es
muss gehen!“. Diese Haltung bezieht sich daher nicht nur auf finanzielle Belange, sondern all-
gemein auf die Lebensumstände. „Solange man sich noch um alles kümmern muss, solange
Portraits altersarmer Menschen 215

bleibt man halt ein wenig beweglich, denn da muss man. [...] Das braucht der Mensch, sonst
wird er träge“. In diesem Kontext wird verständlich, warum sich Frau L.1 außerhalb engagiert
und im Club tätig ist. Die Verpflichtung hält sie aktiv und dürfte sie aus ihrer Sicht davor be-
wahren, träge zu werden bzw. erhält sie zusätzlich ein Gefühl der Anerkennung. Selbst schätzte
sich Frau L.1 im ersten Interview noch als rüstig ein, obwohl sich manche gesundheitlichen
Probleme bereits bemerkbar machten. Die Beschwerden nahmen dann bis zum letzten Inter-
view zu, was sich in der Aussage niederschlägt: „Mit dem Alter muss man Abstriche machen“.
Bei näherer Betrachtung zeigt sich ein Mix an Faktoren, die zu Einschränkungen führen: Ei-
nerseits verschlechtert sich ihr objektiver Gesundheitszustand – dies ist jener Aspekt, welchen
sie mit dem Alter(n) verbindet. Andererseits nimmt Frau L.1 die Verschlechterung zusätzlich
als eine Steigerung ihrer Vulnerabilität (als subjektive Empfindung) wahr, welche etwa im Kon-
text ihrer Wohnumgebung (wie weitere Distanzen oder die Befürchtung, dass ihr im Bedarfsfall
in der Nacht niemand helfen könne) zu einer Reduktion der abendlichen Aktivitäten führt. So
wäre ab und an der Besuch des Theaters zwar finanziell möglich, die Heimkehr bereitet ihr aber
Schwierigkeiten, da die zusätzlichen Kosten für ein Taxi ihre Mittel übersteigen dürften. Ent-
sprechend nimmt nun der Fernseher einen wichtigen Part in der Abendunterhaltung ein, von
welchem sie bei Ermüdung direkt ins Bett wechseln kann. Soziale Aktivitäten versucht sie auf-
recht zu halten, verlagert sie jedoch in jene Bereiche, wo weniger Mobilität von Nöten ist: Statt
des Wanderns wird nun Karten gespielt, „weil gehen können wir [sie bezieht sich hier auf ihren
Bekanntenkreis] alle nicht mehr so, wir müssen uns irgendwas suchen, wo man sitzen kann
dabei (lacht), ja die Füße wollen nicht mehr“. Trotz mancher Einschränkungen ist Frau L.1 ihre
Autonomie wichtig, sie möchte solange wie möglich selbstständig bleiben und ihre Motivation
dazu ist stark, „denn wenn man sich anfängt zum Gehenlassen, wird es immer schlechter“. Als
den „letzten Ausweg“ sieht sie das Altenwohnhaus an. „Da bin ich eh schon lange [seit 1996]
angemeldet. Aber einstweilen brauche ich das noch nicht!“. Obwohl sie selbst den Ablauf ihrer
Alltagsroutine strukturiert, missfällt ihr in einem Altenwohnhaus, an eine vorgegebene Tages-
struktur gebunden zu sein: „Man ist nicht mehr Herr seiner Zeit. […] Zum Frühstück müssen
sie um 8 Uhr unten sein und das ist irgendwie – man ist nicht mehr so ein freier Mensch“.
Autonomieverlust durch gesundheitliche Einbußen in der eigenen Wohnung und Autonomie-
verlust durch von außen aufoktroyierte Regeln im betreuten Bereich stehen sich gegenüber und
müssen abgewogen werden. Entsprechend versucht Frau L.1 den Umzug so lang wie möglich
hinauszuzögern. Wichtig ist ihr auch der Verweis bezüglich der Taschengeldregelung (20% der
Pension dürfen sich WohnhausbewohnerInnen für den Eigenbedarf behalten), womit sie im
Altenwohnhaus nur mehr einen sehr kleinen Betrag zur eigenen Verfügung übrig hätte.
Die aktuelle Situation facht die Notwendigkeit an, alltägliche Aufgaben zu überdenken, zum
Teil umzustrukturieren und sich nach Hilfe und Unterstützung umzusehen. All dies ist jedoch
auch aufgrund der finanziellen Mittel limitiert. Trotzdem scheint Frau L.1 nach wie vor froh-
gemut auf ihr Leben zurückschauen zu können und resümiert zum Schluss: „I wor eigentlich
gaunz zfrieden mit mein Leben, waun i so nochdenk“.

4.1.3 Portrait von Frau R.2 – Die Grenzgängerin

Lebensgeschichte
Frau R.2 wurde 1948 (außerhalb Wiens) in der Steiermark geboren, hat zwei Geschwister und
lebte mehrere Jahre in einer Stieffamilie. Im Alter von 12 Jahren verstarb ihr Stiefvater, durch
welchen sie zwar häusliche Gewalt erfuhr („der hat mich auch immer gehauen“), zugleich
knüpft sie an diesen auch gute Zeiten ihrer Kindheit. „Einmal haben wir sogar ein Haus be-
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wohnt, ein Viertelhaus, zweimal sogar. Da war ein Garten dabei. Wäschespinne. Alles war da-
bei. Das waren so Dienstwohnungen. Da ist es uns gut gegangen. Bis mein Stiefvater gestorben
ist, dann haben wir eine Gemeindewohnung bekommen. […] Ganz hinten war ein riesiger Bach
und dann waren die großen Gärten. [...] Da haben wir dann alles angebaut. Mein Stiefvater hat
mir alles erklärt. Alles. Wir haben einen schönen Keller gehabt, wie heute mancher eine Woh-
nung. Alles weiß ausgemalt. Wunderbar“. Nach dessen Tod übernahm Frau R.2 aus ihrer Sicht
die Vaterrolle und kümmerte sich, so lange sie noch in dem Haus verweilten, um den Garten.
Bis heute ist ihr ein Garten und das Pflanzen wichtig und, wie sich noch zeigen wird, ein zent-
rales Element ihres Alltages. Ihr Stiefvater hatte sich erhofft, dass sie einmal Lehrerin werden
würde, trotzdem ergriff sie eine Lehre zur Frisörin, auch weil sie nichts mit Kindern anzufangen
wusste. Nach dem Abschluss der Lehre wurde sie schwanger und gebar 1968 (der Großteil der
folgenden Daten musste rekonstruiert werden) ihren Sohn (dessen Vater sie nicht heiratete) und
übersiedelte mit ihm vom Land in die Bundeshauptstadt Wien. Dort lernte sie einen Mann ken-
nen, den sie als „Fremden“ bezeichnet. Während dieser Zeit zog sie ihren Sohn groß und dürfte
auch als Friseurin gearbeitet haben. Nach dem Scheitern dieser Beziehung übersiedelte Frau
R.2 Ende der 1970er nach Oberösterreich. „Ich habe eine Freundin gehabt, die hat gesagt, da
oben ist es so schön und da bekommt man gleich Arbeit und alles, ja die hat mich mitgenom-
men. Ja und ich war jung, hab ich mir gedacht, naja fahren wir halt nach Oberösterreich (lacht)
das war mir so wurscht irgendwie“. So beendete sie die Tätigkeit als Friseurin und arbeitete
zuerst in einem Blumenladen für nur wenige Stunden, später für einen Lebensmittelkonzern
und im Anschluss für ein Versandhaus. Nach einer weiteren gescheiterten Beziehung ging sie
1992 wieder zurück nach Wien, fand einen Job in der Küche eines Pensionistenheims und hei-
ratete einen 20 Jahre jüngeren Mann. Von diesem ließ sie sich aber 2000 scheiden, wobei der
Scheidungsprozess über ein Jahr dauerte. Die Scheidung war jedoch einvernehmlich und Frau
R.2 verzichtete auf jeglichen Unterhalt, da es weder ein Vermögen aufzuteilen gab noch dürfte
ihr Mann gut verdient haben. Bereits circa 1998 lernte sie ihren letzten Lebensgefährten ken-
nen, mit welchem sie 10 Jahre bis zu dessen Tod lebte. „Herzstillstand. Das geht ja auf das Herz
der Alkohol. Ist ihm das Herz stehen geblieben. In der Früh hat er keine Antwort gegeben“.
Diesen lernte sie in einer sozialen Einrichtung [X] kennen und erlitt wie in ihrer Jugend häus-
liche Gewalt, welche sie dem Alkohol zuschrieb, aber auch einem Komplott gegen sie. Ein
anderer Mann und Trinkkumpan ihres Lebensgefährten hätte sie gewollt und ihn aus Eifersucht
gegen sie aufgehetzt. Nun ist sie alleine und möchte dies im Wesentlichen auch bleiben, denn
die Negativerfahrungen spielen hierbei eine zentrale Rolle. Kurz erwähnt sie, Angst vor weite-
rer Gewalt zu haben. Die nun durch die Partnerlosigkeit entstandene Zeit versucht Frau R.2
durch weitere Aktivitäten zu füllen. „Du musst schon schauen, dass du viele Hobbys hast. Viel
ausgelastet bist“. Glücklich scheint Frau R.2 mit diesem Umstand aber nicht zu sein – „der
Mensch ist nicht auf der Welt, dass er alleine lebt“ – und der Versuch der Beschäftigung lässt
sich als Bewältigungsstrategie ihrer inneren Einsamkeit deuten. 2008, im Alter von 60 Jahren,
wurde Frau R.2 schließlich nach zumindest vier Jahren Arbeitslosigkeit (im Nachfolgenden
wird noch gezeigt, dass gerade diese letzte Phase sehr unklar ist) und drei Pensionsanträgen, zu
welchen ihr selbst das AMS riet, pensioniert; seit circa 20 Jahren wohnt Frau R.2 nun in einer
Gemeindewohnung in einer großen Anlage, nicht unweit des Wiener Hauptbahnhofs, welche
sie damals als Notwohnung bekam.

Ursachen der Altersarmut


Frau R.2 hat, wie sie kurz erwähnt, nie viel verdient – „ich habe immer dort gearbeitet, wo man
wenig bekommt“, wusste sich aber aus ihrer Sicht immer zu helfen und arbeitete manchmal
auch in mehreren Anstellungsverhältnissen gleichzeitig. „Freitag bin ich von der Fabrik heim-
gegangen und am Freitag nachmittags bin ich im Kaffeehaus gestanden. Ja, war auch Geld, da
Portraits altersarmer Menschen 217

habe ich gutes Geld verdient. Und am Montag in der Früh bin ich wieder in der Fabrik gestan-
den“. Als Friseurin hat sie nur bis zu ihrem Umzug nach Oberösterreich gearbeitet und gab
diesen Beruf in ihrer weiteren, fluktuierenden Erwerbskarriere auf. Da ihr eben eine Haupttä-
tigkeit nicht genügte, hatte sie auch Nebenjobs. „Im Gastgewerbe war ich auch, also nebenbei.
Dann hab ich auch nebenbei für die Zeitung damals die Abos telefoniert am Abend. Auch für
Weinfirmen habe ich telefoniert“. In einigen Fällen dürfte Frau R.2 jedoch nicht angemeldet
gewesen sein, „das war ja normal.“ Zudem erwähnt sie Zeiten der Arbeitslosigkeit (bleibt dabei
aber sehr unbestimmt) oder, dass sie in einem Imbiss vor einer Schule angestellt war. Frau R.2
ist davon überzeugt, 45 Jahre gearbeitet zu haben. Leider muss dies jedoch im Zusammenhang
der tatsächlich anrechenbaren Jahre korrigiert werden, da sie sonst 45 Jahre (im Alter von 15
Jahren bis zur ihrer Pensionierung mit 60) angemeldeter und bezahlter Arbeit nachgegangen
wäre. In diesem Kontext erwähnt sie nämlich, dass sie in der Zeit mit ihrem letzten Lebensge-
fährten arbeitslos war, sie 10 Jahre kein Geld für die Heizung gehabt hatte bzw. vor dem Tod
ihres Gefährten an Schulungen des AMS teilnahm. Eine längere prekäre Situation wird auch
dadurch untermauert, dass sie ihren Lebensgefährten in der Tageseinrichtung [X] kennen lernte;
so dürfte sie bereits (wenn nicht gar früher) zum Ende der 1990er auf soziale Einrichtungen
bzw. Unterstützungsangebote angewiesen gewesen sein. Konstellationen zwischen Arbeitslo-
sigkeit und working poor – so erwähnt sie auch Tätigkeiten bei Leiharbeitsfirmen, welche sich
in die Zeit nach dem Umzug von Oberösterreich verorten lassen – sind nicht auszuschließen.
Diese Annahme wird in einer späteren Erwähnung von Frau R.2 bestätigt: „Ich war eigentlich
nur zum Schluss dann arbeitslos und da habe ich das eh im [X] gemacht“. Hierbei bezieht sich
Frau R.2 auf ihre ehrenamtliche Tätigkeit in [X], während ihr Lebensgefährte in der Küche der
Ausspeisung stand. Zusammenfassend ist ihre Erwerbskarriere als äußerst brüchig zu bezeich-
nen und gekennzeichnet durch diverse Branchen und Anstellungen. Nun erhält Frau R.2 zwar
eine Pension, diese ist gleichwohl so gering, dass sie durch die Ausgleichszulage aufgestockt
wird. Sowohl die Höhe der ehemaligen Erwerbseinkommen in verschiedenen Berufen und
Hilfstätigkeiten, wie auch die Zahl der Beitragsjahre (wahrscheinlich auch bedingt durch feh-
lende Anmeldungen) dürften zum Ergebnis der niedrigen Pension geführt haben.

Soziale Kontakte
Frau R.2 hat im Vergleich zu den beiden vorangegangenen Portraits ein kleineres soziales Netz-
werk, kann aber nicht als isoliert bezeichnet werden. Dies war nach dem ersten Interview durch-
aus eine Überraschung, sprach sie zu Beginn von der Bösartigkeit der Menschen und dass etwa
Nachbarinnen „von heute auf morgen böse geworden sind“; so stand die Hypothese eines Rück-
zuges bzw. von sozialem Ausschluss im Raum. In der Netzwerkerhebung und auch in weiteren
Erzählungen trat ein anderes Bild hervor. Frau R.2 erwähnt hierzu: „Ich habe ja so viele Be-
kannte immer überall, weil ich bin so ein Mensch, ich brauche das irgendwie und ich find leicht
einen Zugang zu den Leuten“. Beide Tendenzen, Rückzug und Aufbau von sozialen Kontakten,
bestimmen ihr soziales Netzwerk. Es lässt sich durch Selektionsprozesse beschreiben bzw. ist
das aktuelle Netzwerk Resultat eines desultorischen Wandels. Der eigene Rückzug wird über
die Bösartigkeit von Menschen definiert – „die hat mich beleidigt, die hat einen Blödsinn ge-
sagt“. Es erfolgt ein Muster von Schuldzuweisung und Legitimation des eigenen Handelns als
das Richtige, ebenso wird von Frau R.2 als Strategie die Überverantwortung genutzt. In diesem
Kontext lässt sich die Beziehung zu ihrem Sohn als Beispiel nennen. Der Kontakt mit ihrem
Sohn ist aktuell auf geringem Niveau und beschränkte sich in den letzten Jahren auf Feiertage.
Letztes Jahr zum Muttertag hat „er mir einen Blumenstock gekauft, [...], hat er mir einen Toast
gemacht, dann haben wir ein bisschen geredet und dann bin ich wieder gegangen. Und das war
es. Jetzt hab ich ihn ein Jahr nicht gesehen. So ist er. Weiß nicht warum. Mein Bruder ist auch
traurig. Wir sind schon traurig. [...] Auf einmal hat er sich so abgewandt von uns.“. Frau R.2
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kann sich die Ursache des geringen Kontaktes zu ihrem Sohn nicht erklären, welcher selbstän-
dig ist und ein Lokal betreibt. Wenig Zeit aufgrund der Arbeit möchte sie nicht gelten lassen,
offensichtlich bereitet ihr diese Situation jedoch Kopfzerbrechen und sie fragt sich, ob die
Schuld bei der neuen Freundin oder ihm selbst – er habe sich die Arbeit aufgehalst – läge. „Ich
hab alles getan für ihn. Er hat alles bekommen. Alles. [...] Alles hat er gehabt. Plattenspieler,
alles was Sie sich vorstellen können. Die Mama hat alles gemacht“. Sie wünscht sich, dass ihr
Sohn sie wieder zu seinem Lokal mitnimmt und erwähnt zu ihrem ersten und einzigen Besuch:
„Ja, ich habe gleich gesagt, naja aber fertig ist es nicht, habe ich gesagt, sagt er naja, sagt er
ungefähr, sag ich, ein halbes Jahr brauchst noch“. Im Weiteren breitet sie ihre eigene Vorstel-
lung darüber aus, wie das Lokal sein sollte; viele Ideen habe sie, aber sie werde nicht gefragt,
obwohl sie im Gastgewerbe gearbeitet hat. Ausgeklammert wird in der Erzählung die Sicht des
Sohnes und was sich dieser unter dem Lokal eigentlich vorstellt, womöglich weiß sie das tat-
sächlich nicht. Erst bei näherem Nachfragen erwähnt Frau R.2, dass es sich um eine Cocktailbar
handeln dürfte, sie sich aber nicht sicher sei. Letztlich kritisiert sie, von ihrem Sohn „unter-
schätzt“ zu werden; auch „mein Bruder tut mich immer unterschätzen, meine Schwester auch
leider, leider. Meine Bekannten weniger, komischerweise, die wissen genau, was in mir alles
drinsteckt“. Die seltenen Kontakte zwischen ihr und ihrer Familie bzw. Verwandten dürften
sich zumindest teilweise durch dieses Spannungsverhältnis erklären lassen. Während sich Frau
R.2 ihren insgesamt vier familialen Kontakten emotional verbunden fühlt (sie verortet zwei im
ersten und zwei im zweiten Kreis) und sich über die seltenen Kontakte wundert, führt das Span-
nungsverhältnis im Bekanntenkreis zur Umdeutung in Bösartigkeit, gefolgt vom Rückzug. „Da
habe ich eine, da bin ich immer hingegangen, auch so ein kleines Kaffeehaus und wir sind schon
ganz bekannt worden, so wie Freundinnen, aber sie hat einmal einen Blödsinn gesagt, und dann
bin ich beleidigt gewesen. Jetzt war ich schon zwei Jahre nicht mehr bei ihr. Ja, das müssen sie
sich überlegen, die Leute, was sie sagen, wenn die Leute zu frech werden, dann, na da bin ich
weg“. An anderer Stelle erklärt sie: „Man soll ja die Bekannten oder die man nimmer will oder
die nicht gut sind, soll man auch auflassen. Das belastet nur“. Das Resümee von Frau R.2, dass
sie ihre Bekannten besser als ihre Familie verstehe, ist vorrangig die Folge der selegierten Kon-
takte, da sie sich im Netzwerk eben nur jene Personen hält, mit denen sie sich augenblicklich
besser versteht. Im Vergleich zu ihrem Sohn steht sie darüber hinaus mit ihrem Bruder häufiger
in Kontakt. Auch wenn es ihr sehr unangenehm ist, so kann sie sich von diesem Geld borgen,
wenn es wirklich sehr dringend notwendig ist. Zum Beginn des zweiten Interviews berichtete
sie von ihrer Katze, für die sie sich zwecks ärztlicher Behandlung 100 Euro von ihrem Bruder
leihen musste. An dieser Stelle sei daher kurz eingeworfen, dass Frau R.2 auf keine Geldreser-
ven zurückgreifen kann. 120 Euro kann sie sich am Ende des Monats für die Behandlung ihrer
Katze von ihrem Einkommen nicht mehr leisten – „120 € ist für mich ein Vermögen“. Ihre
Schwester, zu der sie sehr wenig Kontakt hat, erwähnt sie nur am Rande. Zusätzlich führt Frau
R.2 eine Cousine an, welche sie bereits zwei Jahre nicht mehr gesehen hat, aber in Zukunft
wieder besuchen möchte. Zwei Bekannte bzw. Freunde, welche ihr soziale Unterstützung bie-
ten und verhältnismäßig häufig mit ihr in Kontakt stehen, verortet sie im ersten Kreis (Frau R.2
differenziert hier sehr unbestimmt und befüllt die Kreise ungeachtet der Sektoren). Sechs wei-
tere zeichnet sie im zweiten Kreis ein und einen zusätzlichen Kontakt im vierten Kreis; zusam-
men erwähnt sie daher 13 familiäre und nicht-familiäre Kontakte, wobei die Einrichtung [X]
auch als Treffpunkt mit manchen von diesen dient. Aus kapitaltheoretischer Sicht ist abseits
ihrer familiären Beziehungen auf die Homologie der Netzwerkpartner hinzuweisen, was in ei-
nem niedrigen sozialen Kapital (aus der Perspektive sozioökonomischer Positionen) resultiert.
Unterstützungen erfolgen im emotionalen und kognitiven Bereich, instrumentelle Hilfe entlang
Portraits altersarmer Menschen 219

alltäglicher Arbeitshilfen; während monetäre Unterstützung nur im geringen Ausmaß zur Ver-
fügung steht. Diese ließe sich durch die familiären Kontakte erhalten, ist ihr aber unangenehm
und wird deshalb eher abgelehnt.

Aktueller Alltag
Ihr Alltag scheint wenig organisiert: früher ging sie vermehrt zu Wärmestuben, Essens- oder
Gewandausgaben. Aktuell hat sie sich davon zurückgezogen, nun besucht sie regelmäßig nur
noch eine davon, in welcher auch die Kontaktaufnahme mit anderen Bekannten erfolgt. Diese
Veränderung begründet sie wegen der Unfreundlichkeiten oder dem Streit zwischen den von
Armut Betroffenen. In diesem Kontext ist anzumerken, dass sich Frau R.2 von jenen Armen in
zweierlei Hinsicht distanziert: Einerseits fände man nach ihrer, von der sich distanzierenden
Beschreibung in den sozialen Einrichtungen wirklich arme Menschen – „Da sind schon sehr
arme Leute drinnen, die sind sehr arm“ – und dürfte diese Armut auf Obdachlosigkeit beziehen;
hält aber andererseits fest, dass es viele „Schauspieler“ darunter gäbe. In diesen Auszügen greift
Frau R.2 einen Gedanken wieder auf, welchen sie bereits in der Anfangserzählung zur Sprache
brachte (die Aufforderung zur Erzählung der Lebensgeschichte überging sie dabei), denn sie
nimmt an, dass einige der BesucherInnen in Wirklichkeit ausreichend Geld hätten. „Und einem
von dort hab ich auch schon gesagt: heast du hast schon auch mehr Geld, wie ich. Ja, ja, sagt er
und sitzt jeden Tag dort zum Essen und am Nachmittag geht er dann heim. Ja, ja da gibt es
viele“. Frau R.2 positioniert sich in der Mitte dieser beiden Pole, weder rechnet sie sich den
sehr armen Personen zu, noch ist sie davon überzeugt, die Hilfeleistungen auszunutzen. Dies
wird auch deutlich, wenn sie einwirft bei Flohmärkten der sozialen Einrichtung immer Geld zu
spenden. Ein seit 2-3 Jahren wichtiger Part im Leben von Frau R.2 ist die Möglichkeit, ein
Stück Garten in ihrer Wohnanlage zu betreuen, in welchem sie Blumen, aber auch etwas Ge-
müse anpflanzen darf und hier an ihre Kindheitserinnerungen anknüpft. Selbst diese Tätigkeit
könnte sich in Zukunft aber verlagern, ist sie im zweiten Gespräch (Ende des Sommers) nicht
mehr vom Standort ihrer bewirtschafteten Fläche im Gemeindebau überzeugt und erwägt, sich
an einem anderen Projekt zu beteiligen; hierbei dürfte es sich um einen über Vereinsstrukturen
organisierten Gemeinschaftsgarten handeln. Ansonsten erwähnt Frau R.2 folgende Tätigkeiten:
„Ich singe und male und mache Handarbeiten und den Garten [...] Ich bin ja komplett vielseitig.
Für mich ist das gut“. Seitdem sie einen Fernseher hat, bleibt sie auch öfters zu Hause und ist
nicht nur auf soziale Einrichtungen angewiesen, welche sie im sozialen Netzwerk benannt hat.
Zudem besucht sie als Zuschauerin hin und wieder eine TV-Show und erwähnt, dass es zwar
kein Geld aber zumindest eine Jause gäbe und es für sie eine Abwechslung darstelle. Viele
Erwähnungen beziehen sich bei Frau R.2 auf die Zukunft, aber eine Realisierung scheint unge-
wiss. So möchte sie unter anderem alte Bekannte besuchen – „Ich muss mir jetzt mal die Zeit
nehmen. Zwei, drei Leute besuchen. Ja, das ist so. Ich hab wenig Zeit“ – oder wieder einmal
einen Ort in Niederösterreich aufsuchen (dies war finanziell bis dahin nicht möglich), wo sie
früher öfters zur Ausspeisung ging und plant außerdem die Renovierung ihrer Wohnung. Das
zweite Interview hätte auch in dieser (nach Fertigstellung der Arbeiten) abgehalten werden sol-
len, in den knapp vier Monaten zwischen den Interviews wurde jedoch nur wenig umgesetzt.
Die Zeit scheint für Frau R.2. knapp und verflüchtigt sich im Hineinleben in den Tag: so schaut
sie fern („die Zeit vergeht“), geht in den Garten („die Zeit vergeht“); setzt sich auf die Sitzbank
und genießt den Tag, dann sucht sie wieder eine soziale Einrichtung bzw. Tagesstruktur zum
Essen auf, tätigt Einkäufe, hat Arztbesuche oder singt bei einer Bekannten in deren Bar am
Abend Karaoke. Frau R.2 dürfte sehr häufig (nahezu täglich) zum Einkaufen unterwegs sein,
kauft aber in kleinen Mengen bzw. teils nur einzelne bis sehr wenige Lebensmittel in einem
Geschäft und nutzt diverse Anbieter. Hier gilt: wo es einerseits billig ist und wo sie andererseits
220 Ergebnisse

die passenden Produkte findet. Bspw. halte sich Milch vom Supermarkt zwei Tage, vom Dis-
konter nur einen Tag (die an sich kurze Haltbarkeit liegt darin begründet, dass Frau R.2 die
Produkte nicht kühlen kann) und bevorzugt daher Milch von ersteren. Auch wenn Frau R.2 auf
billige Angebote sehr bedacht nimmt, erscheint die Strategie des täglichen Einkaufs verhältnis-
mäßig teuer zu sein. Das Einkaufengehen kann aber auch als Versuch der Partizipation an der
Konsumgesellschaft interpretiert werden. Über ihre Gesundheit spricht Frau R.2 erst auf Nach-
frage. Neben Magenproblemen in den letzten Wochen erwähnt sie vor allem Kreuzschmerzen,
welche sie zwar versucht auszublenden, aber die sich zunehmend verschlechtern: „Na gut, mit
dem Kreuz jetzt, ich seh mich nimmer so recht raus, mit dem langen Stehen“. Auch hatte Frau
R.2 bei dem ersten Interview Zahnschmerzen und plante einen Zahnarztbesuch, welchen sie
jedoch nicht wahrnahm. Allgemein ist ihre Gesundheitswahrnehmung schwer einzuordnen,
teils versucht sie auf sich zu achten und berücksichtigt Empfehlungen aus der Sendung „be-
wusst gesund“, andererseits holt sie Laienwissen aus ihrem Umfeld ein und übergeht Symp-
tome. Erst vor kurzem konnte Frau R.2 von ihrer Ärztin zu einem chirurgischen Eingriff –
Entfernung eines großen Basalioms im Halsbereich – überzeugt werden.

Materielle Lage
Die materielle Lage von Frau R.2 ist angespannt, teils prekär Wohnung 198,-
und sie hofft daher auf eine Pensionserhöhung auf 1000 Euro. Strom/Heiz. 90,-
Da das erste Interview im Sommer 2017 geführt wurde, die Lebensbedarf (nur 100-200
erhöhte Ausgleichszulage also bereits eingeführt war, ist nicht Lebensmittel)
Medikamente 0,-
davon auszugehen, dass Frau R.2 genug Beitragsjahre zusam- Tabakwaren 0,-
mengebracht hat. Sie verweist daher auf die Notwendigkeit Zeitungen/Bücher 25,-
der Sonderzahlungen: „Gott sei Dank bekomm ich zweimal Sport/Freizeit/Kultur 0,-
im Jahr die Doppelte. [...] Und da kauf ich mir halt, was ich Öffentlich. Verkehr 48,-
mir im ganzen Jahr nicht kaufen kann. Ja, es geht schon ir- Telekommunikation 2,-
gendwie, wenn man es sich einteilt, weil rauchen tue ich nicht, Versicherungen 0,-
trinken tue ich nicht und zu meiner Freundin geh ich (.)399 na Sparen 0,-
Sonstiges (Pflanzen) 20,-
was hab ich jetzt verbraucht beim Karaoke singen, ganze 30 Schuldenrate 30,-
Euro. Da hab ich mir aber Würstel gekauft und Tee und trink
den Orangensaft aufgespritzt“. Auch Frau R.2 betont damit einerseits die Notwendigkeit der
Einteilung – „du kannst schon leben mit dem wenigen Geld, aber du musst alles mit Hirn ma-
chen“ – und verzichtet auf Alkohol oder Zigaretten. Andererseits manifestiert sich ihre Desor-
ganisation bei der Zahlung von Rechnungen und verpasst so ab und an Zahlungstermine – „die
Fernwärme hab ich ein bisschen übersehen und da hab ich gleich 300 hinlegen müssen, voriges
Monat“ –, man kenne sie dort bereits und berichtet von weiteren Erfahrungen. In Zukunft
möchte sie die Zahlungen jedoch gewissenhafter erledigen, da sowohl Mahngebühren als auch
die Kumulation von Rechnungen das Monatseinkommen schwer belasten. Analog ist die Situ-
ation bei den Sozialleistungen, so hat sie keinen Mobilpass – „habe ich momentan keinen, weil
ich nie dazu gekommen bin, einen zu machen“ – und möchte alsbald einen Antrag stellen.
Wohnbeihilfe bekommt sie hingegen nicht, denn bei ihr tritt die Konstellation ein, dass die
Miete günstig genug ist. Die Wohnung dürfte sich jedoch in einem desolaten Zustand befinden,
sie berichtet über kaputte Böden und eine Fülle anderer Renovierungsarbeiten, welche gemacht
werden müssten. Sie erwähnt zudem in einer Kategorie C Wohnung zu leben; die Vormieterin

399
Hierbei handelt es sich um keine vom Autor getätigten Auslassungen in der Zitierung (solche sind mit […]
gezeichnet), sondern um eindeutige Pausen der interviewten Person. Solche Pausen sind mit (.) bzw. längere
Pausen mit (..) bzw. (…) markiert.
Portraits altersarmer Menschen 221

habe aber eine Duschnische eingebaut. Frau R.2 zahlt 198 Euro für die Miete und hat monatli-
che Energiekosten von circa 90 Euro. Für das öffentliche Verkehrsticket gibt sie monatlich 48
Euro aus. Frau R.2 ist in diesem Kontext nicht über das Pensionistenticket informiert und an-
scheinend hat sie auch niemand darauf hingewiesen. Ihr Ernährungsplan ist von der monetären
Situation abhängig und sehr unterschiedlich wie sie selbst äußert: „Jetzt geh ich noch einkaufen.
Ich brauch ja nicht viel für mich, ich brauch eine Milch. Ich esse halt Cornflakes so gern und
auch nicht jeden Tag, weil die sind nicht so gesund, glaub ich. Gestern hab ich noch ein Ei zu
Hause gehabt, weil zum Einkaufen bin ich nicht gekommen [...] Toastbrot hab ich noch zu
Hause gehabt, hab ich mir ein Spiegelei gemacht, hab ich es reingetan, bisschen Butter hab ich
noch gehabt. Ja, das hab ich gestern gegessen. Mehr brauchst ja nicht. Brauchst nicht immer so
viel essen. Ich hab ja 17 Kilo abgenommen“. Andererseits geht sie in soziale Einrichtungen
essen, kritisiert aber die kalorienreiche Ernährung (vor allem Nudeln usw.) und versucht selbst
mit viel Gemüse zu kochen, muss aber gleichzeitig einschränken: „Momentan esse ich fast kein
Gemüse, weil das kann ich mir nicht leisten, das Gemüse ist ja wahnsinnig teuer“. Trotz Kritik
dürften die Ausspeisungen einen wichtigen Aspekt in der Deckung des Kalorienbedarfs ein-
nehmen. „Ich koch mir ein Gemüse sonst und was es halt in der [Tagesstruktur] gibt [Lebens-
mittel werden dort kostenlos ausgegeben]. Ein Gewand bekommen wir auch geschenkt. Es
geht. Aber wenn sie ein bisschen mehr Geld hergeben würden, bräuchten wir nicht betteln ge-
hen. Weil das ist ja betteln. Man geht hin, weil man es braucht“. Immer wieder finden sich
Beispiele für akkommodative Prozesse. So hat sie zwar einen Kühlschrank, dieser wird jedoch
nicht aktiviert, da sie, wie im ersten Moment argumentiert, immer frisch einkaufe. „Früher ha-
ben sie auch keinen Kühlschrank gehabt die Leute. Wie ich jung war, wir haben eine Speis
gehabt damals. Da war es kalt drinnen und alles. Nein, ich hab da so eine Taktik: eine Milch,
eine normale Milch, [...] die hält zwei Tage unbedingt bei dem kühlen Wetter jetzt und na ja,
wenn am dritten Tag noch a Lackerl drinnen ist, mache ich mir einen Schmarren noch. Also,
am dritten Tag am Vormittag geht es auch noch“. Ergänzt wird jedoch im Nachsatz: „Da kann
ich Strom sparen. Ist viel Geld, das ich mir spare. Und so tue ich“. Zudem heizt Frau R.2 selbst
im Winter die Küche nicht bzw. nutzt sie die günstigsten Geräte, die sie finden konnte – etwa
eine Kochplatte um 19 Euro oder einen Wasserkocher um 14 Euro. Einen Herd oder Geschirr-
spüler besitzt sie ebenso wenig, wie ein Bett (sie liegt auf drei Matratzen); ein Fernsehgerät hat
sie erst seit Kurzem. Auch hat Frau R.2 keine Ersparnisse und lebt von dem monatlich zur
Verfügung stehenden Geld; entsprechend ist auch die Wohnungssanierung von ihrer Sonder-
zahlung abhängig. Sie ist zwar von Rezeptgebühren befreit (aufgrund ihres relativ guten Ge-
sundheitszustandes benötigt sie nur ein Mittel gegen ihren zu hohen Blutdruck), ist jedoch über
den Deckungsgrad verärgert – „Ich hab mir einen Lindenblütentee gekauft, da hilft mir die
Gebührenbefreiung nix“.
Zusammenfassend ist die materielle Situation prekär und Frau R.2 kann sich weder jeden zwei-
ten Tage Fisch/Fleisch/Geflügel leisten, noch einen Urlaub machen oder sich neue Kleidung
im Bedarfsfall kaufen bzw. die Wohnung insgesamt warm halten. Sie ist daher als erheblich
materiell depriviert zu bezeichnen. Nach Abzug von Wohnen, Energie und Mobilität bzw. einer
monatlichen Schuldenrückzahlung dürften ihr circa 460 Euro im Monat zur Deckung ihres Be-
darfs verbleiben, Frau R.2 kann jedoch nicht genau abschätzen, wie viel sie in Bereichen wie
Lebensbedarf (im zweiten Interview schätzt sie die Ausgaben für Lebensmittel auf 100-200
Euro) oder Medikamente ausgibt. Letzteres ist keine Fixposition bei den Ausgaben, während
der Aufwand für den Lebensbedarf stark davon abhängt, was sie bei [X] an Lebensmitteln erhält
– „das [X] hilft wahnsinnig, das [X] hilft wahnsinnig“ – bzw. welche weiteren Kosten anfallen.
Als zusätzliche Strategie zur Kostenreduktion sucht sie die Ausspeisung auf. Letzten Endes
222 Ergebnisse

landet sie am Monatsende bei null. In diesem Zusammenhang spricht Frau R.2 zudem die Prob-
lematik der geringen Pensionserhöhungen an: „Bei der Pension haben wir 7 Euro dazubekom-
men [im Vergleich zum Vorjahr], weil wir so wenig haben und genau die 7 Euro hab ich bei
der Miete wieder dazu, also bleibt mir wieder nix. Das ist sowieso ein Witz. Na, das ist ein
Witz, was die mit uns machen“. Wie bereits hingewiesen wurde, erfolgt die Anpassung auf
Basis des VPI, dieser ist jedoch, wie das Beispiel zeigt, nur bedingt geeignet, da Erhöhungen
im Grundbedarf nicht ausreichend berücksichtigt werden. Geht man davon aus, dass bereits die
Mieterhöhung die gesamte Anpassung vereinnahmt, dann ist mit Einschnitten bei anderen Gü-
tern zu rechnen; zusammen ist entsprechend ein realer Kaufkraftverlust zu attestieren. Sie re-
sümiert zu ihrer finanziellen Situation: „so kämpf ich mich halt durch. Das ganze Jahr“.

Resümee
Vorweg ist festzuhalten, dass Frau R.2 sehr sprunghaft antwortete und es Mühen bereitet, so-
wohl die Lebensgeschichte zu ordnen als auch einen stringenten Faden zu erkennen – teilweise
wechselte sie im Takt der Sätze die Themen. Hierin dürfte sich auch einer der Gründe für die
Lebenssituation von Frau R.2 widerspiegeln. Frau R.2 scheint zumindest teilweise desorgani-
siert, war womöglich beim ersten Interview aufgeregt und vielleicht spielen auch gesundheitli-
che Faktoren eine Rolle. Sie verfolgt unterschiedliche Ziele, denen sie mal mehr oder weniger
beherzt nachgeht und scheint in den Tag hinein zu leben. Entsprechend vielfältig sind die an-
gesprochenen Themen, welche sie im Moment des Erzählens bewegen und zum Vorschein tre-
ten. Affektuelle Handlungen dürften im Vordergrund stehen, mal kommt sie dort hin, mal
macht sie jenes und erscheint als Prototyp sozioemotionaler Selektivität – so ist sie „nur noch
dort, wo es gut ist. Weil das andere, da gibt es Einiges, da geh ich gar nicht mehr hin“. Nicht
nur weil sie durch den Tod ihres Lebensgefährten oder durch ihre Erkrankung (Basaliom) die
Endlichkeit ihres Lebens vielleicht spürt (zumindest lässt sich dies nicht aus den Interviews
direkt rekonstruieren), sondern weil sie sich grundsätzlich emotionsregulatorisch verhält. Was
ihr keinen Spaß bereitet, wo sie eine Beleidigung wahrgenommen hat (so erwähnt sie eine Ein-
richtung, zu der sie nicht mehr gehe, weil „die Betreuer sind so streng und die haben einen Ton
drauf, da hab ich mich dreimal aufgeregt. Aber sie haben mich eh nicht rausgeschmissen, weil
ich weiß, wann es genug ist. Ich hör dann auf. Ich schrei einmal, aber dann hör ich wieder auf“)
oder eine Begegnungsstätte, wo sie sich unwohl fühlt, wird schnell gemieden. Trotzdem ist
Frau R.2 weder als isoliert zu bezeichnen, noch fühlt sie sich unausgelastet, im Gegenteil, aus
ihrer Sicht wird die Zeit immer knapp. Im Gegensatz zu den beiden anderen vorgestellten
Frauen ist sie jedoch wenig organisiert und folgt nur bedingt einer geregelten Tagesstruktur,
spontane Entscheidungen stehen im Vordergrund. Einladungen schlägt sie, wenn sie lieber fern
sieht oder das Wetter zu heiß ist, gerne einmal aus. Die fehlende Selbstorganisation beeinflusst
aber auch den Alltag negativ, so verpasst sie Zahlungstermine und auch in ihrer Wohnung
scheint es viel Unordnung zu geben, sucht etwa ihren Mietvertrag oder einen Gerichtsakt über
ein Schuldenverfahren – „bei mir ist jedes Eck mit einem Kasterl angestellt, also da ist kein
Platz mehr“. Der Tod ihres Lebensgefährten und womöglich die Pensionierung dürften die Lage
verschärft haben, erzeugen eine Zäsur in den Erzählungen und so versucht sich Frau R.2 nun
neu zu organisieren. So möchte sie ihre Wohnung renovieren und einrichten, aber die fehlenden
Ersparnisse und das geringe Einkommen erschweren dieses Vorhaben. Sie zweifelt daran, ob
sie sich noch alle ihre Wünsche (etwa ein Bett – aktuell liegt sie auf drei Matratzen) vor ihrem
Tod erfüllen kann. Zusammenfassend dürfte Frau R.2 trotzdem weitgehend zufrieden sein, sie
hat zwar mit geringen finanziellen Mitteln zu kämpfen, konnte sich aber Strategien zur Bewäl-
tigung zurechtlegen. Auf der anderen Seite dürfte das Risiko weiter abzurutschen, was ihn ih-
rem Fall Obdachlosigkeit bedeuten könnte, für sie verhältnismäßig groß sein. Sie schafft es
nicht, alleine auf Basis der Ausgleichszulage zu leben, sondern ist auf ein niederschwelliges
Portraits altersarmer Menschen 223

Netz sozialer Einrichtungen und Unterstützungen angewiesen. Sie ist als Grenzgängerin zu be-
zeichnen.

4.1.4 Portrait von Herr J.1 – Warten auf Godot?

Lebensgeschichte
Herr J.1 wurde 1957 in Wien geboren und ist mit 60 Jahren (zum Zeitpunkt des Interviews)
noch nicht im Regelpensionsalter, befand sich zum Zeitpunkt des Interviews aber im Übergang
vom Pensionsvorschuss zur Berufsunfähigkeitspension. Auch Herr J.1 verzichtet auf die Er-
zählung des biographischen Hintergrundes und beginnt über seine aktuellen Lebensumstände
zu erzählen, welche ihn aktuell sehr belasten bzw. abgekoppelt von der restlichen Lebensge-
schichte sind, wie in der späteren Analyse noch dargestellt wird. In der Rekonstruktion und auf
Basis späterer Nachfragen, lässt sich jedoch ein Überblick gewinnen. Herr J.1 besuchte eine
Privathauptschule in Wien und machte eine Lehre zum Radio- und Fernsehtechniker bzw. bil-
dete sich im Bereich der Labortechnik weiter; zum Schluss des Interviews erwähnt Herr J.1,
formal gesehen einen Abschluss der Fachhochschule zu haben. Seit dem 20. Lebensjahr ging
er einer bezahlten Erwerbsarbeit nach und spezialisierte sich im Bereich der medizinischen La-
bortechnik. Einerseits war er bei der Planung von Kliniken beteiligt und reiste durch die Welt,
„in Moskau war ich, in Ägypten, überall. Ich habe die Länder (…) die jetzt leider alle zerhaut
und zerbombt werden, hab ich schon gesehen, noch in den Glanzzeiten. [...] Ich war in Syrien,
ich war im Libanon und überall“. Später erwähnt er noch New York, Dubai oder Bahrain. An-
dererseits war er auch als Handelsvertreter für Medizintechnik tätig und reiste auf Kongresse.
In den 1980ern verlegte er seinen Wohnsitz nach Deutschland und verdiente sehr gut. „Ich habe
gewusst, das Monat komme ich mit 10, 12 [Tausend] Euro locker aus, das verdiene ich [...] nur
irgendwann einmal reißt das einmal ab. Und das habe ich natürlich nie geglaubt. Es waren
immer kurze Durststrecken, aber dann ist es wieder aufgeflackert und dann war wieder ein
halbes, dreiviertel Jahr lang Highlife“. Herr J.1 macht hierbei auf zwei Aspekte aufmerksam:
Einerseits auf seine monatelangen bis Jahre andauernden hohen Verdienste (40.000 Euro ver-
diente Herr J.1 manchmal im Monat und besaß bspw. ein Auto, welches damals 90.000 Euro
beim Kauf kostete), andererseits auch auf seinen hohen Konsum, womit Sparen und Vorsorge
nie einen nennenswerten Stellenwert einnahmen. 1999 kehrte Herr J.1 aus Deutschland zurück,
um seine Eltern zu pflegen und nahm sich eine Wohnung im ersten Bezirk. „Ich habe das noch
alles mit meinen alten Gehaltsbescheinigungen, habe ich das alles tadellos bekommen, ich habe
im Palais Esterhazy gewohnt, ich habe eine herrliche Wohnung gehabt“. Kurze Zeit darauf
erfolgten jedoch drei Schicksalsschläge, welche Herrn J.1 aus der Bahn warfen. „Zuerst ist die
Mama verstorben, 2002 im Juni die Mama, (.) dann im Oktober beziehungsweise (.) Oktober-
November dann der Papa, (.) und im Jänner drauf dann (.) meine Lebensgefährtin im dritten
Monat schwanger mit Kind (.) da und dann denkt man sich dann (..) für was machst du irgend-
was?“. Erschwerend für Herrn J.1 kam hinzu, dass er bei allen drei Todesfällen nicht anwesend,
sondern auf Geschäftsreise war. In dieser Krisensituation zog er sich als Konsequenz, möglich-
weise auch als depressive Reaktion zu benennen, zurück. „Ich bin lethargisch geworden, ich
bin nachdenklich geworden. Ich habe sehr viele Dienstreisen nicht mehr angenommen, wo ich
sehr viel verdient hätte. Ich habe sehr viel ausgegeben, zu viel, sehr viel habe ich für die Be-
gräbnisse ausgegeben. [...] Ich habe die Kredite leicht bekommen durch mein Einkommen. Ich
habe dann alles aufgegeben, ich habe dann, ich habe zwei Autos gehabt, ich habe einen großen
BMW gehabt, ich habe dann alles weggegeben. Und trotzdem ist es sich dann nicht ausgegan-
gen“. Aus dieser Zeit stammen die hohen Schulden – im Späteren angeführt –, welche Herrn
J.1 immer noch begleiten und aktuell nicht mehr abbezahlt werden können. Es erfolgte ein
Jobwechsel, mit welchem er seine Reisetätigkeiten vollständig niederlegte und als Laborleiter
224 Ergebnisse

tätig war. Nach einer langen Trauerphase stürzte sich Herr J.1 in das Nachtleben und ging 2008
eine Beziehung ein, die aufgrund des Altersunterschiedes 2011wieder beendet wurde. Seitdem
lebt Herr J.1 alleine in der Wohnung seiner verstorbenen Eltern, in welcher er bereits einen
großen Teil seiner Kindheit verbracht hatte. 2014 entschied sich Herr J.1 seine Anstellung noch-
mals zu wechseln, denn als Laborleiter in einem sensiblen Bereich der medizinischen Infra-
struktur tätig fiel ihm zwar viel Verantwortung zu – „ich war für alles zuständig, [...] war als
Erster in der Arbeit und bin als Letzter gegangen und das sechs Tage in der Woche und ich war
für alles verantwortlich. Hast aber nie einen Cent mehr bekommen, das war alles in dem Auf-
gabenbereich. Ich meine, ich habe es gerne gemacht, aber mit der Zeit möchte man irgendetwas
haben dafür“ –, aber mit der Bezahlung und den beruflichen Rahmenbedingungen (aufgrund
von Einsparungen gingen immer weitere Aufgabengebiete auf ihn über) war er nicht mehr zu-
frieden. Herr J.1 hatte bereits eine neue Stelle außerhalb Wiens in Aussicht und kündigte; er-
sichtlich wird bei der Erzählung seine damalige Freude, in seinem Alter nochmals den Job
wechseln zu können. Bevor Herr J.1 seine neue Stelle antreten konnte, änderte sich die Situation
schlagartig, als er beim Einkauf in einem Geschäft ausrutschte und sich Knochen- und Zahn-
brüche zuzog. Komplikationen in Form eines Rotlaufs und einer Thrombose verschlechterten
den Zustand seines verletzten Beins und große Schmerzen beeinträchtigten die Bewegung. Seit
dem Sturz befindet sich Herr J.1 in einer Abwärtsspirale, welche aktuell in eine äußert prekäre
Situation geführt hat. Nach erfolglosen Rehabilitationsversuchen erlitt er zusätzlich eine beid-
seitige Lungenembolie, welche zwar per Gerichtsentscheid als Folge des Unfalles gesehen
wurde, aber ein langes Procedere beanspruchte. Aufgrund der nicht erfolgreichen Heilung der
Sturzverletzung, wartet er nun wieder auf seine nächste Knieoperation. Da Herr J.1 seine letzte
berufliche Stelle durch den schweren Unfall nicht antreten konnte, wurde er arbeitslos, darauf
folgt der Notstandsbezug und wurde nun in die Berufsunfähigkeitspension übergeführt. Eine
zentrale Problematik ist, dass die Frage, wer an dem Unfall schuld hat und ob Herrn J.1 Schmer-
zensgeld bzw. Verdienstausfälle zustehen, bis zum Interview noch nicht geklärt war und sich
der Prozess schon über zwei Jahre zog. Dies und sein schlechter Gesundheitszustand treiben
Herrn J.1 in die Altersarmut.

Ursachen der Altersarmut


Herr J.1 ist im Kontext von Altersarmut ein spezieller Fall, denn er wird im Spannungsverhält-
nis zwischen Pensions- und Gesundheitssystem hin und her geschoben. Er befand sich zum
Zeitpunkt des Interviews im Übergang von einem Pensionsvorschuss in eine befristete Berufs-
unfähigkeitspension. Die Komplexität dieser Situation ist für Herrn J.1 unübersichtlich, er hat
Mühe, die aktuelle Situation darzustellen und springt zwischen Pensionsvorschuss und Berufs-
unfähigkeitspension hin und her. Ferner treten durch den Übergang neue Konstellationen auf,
welche er noch nicht zu durchblicken vermag. So spricht Herr J.1 immer wieder von der Min-
destsicherung, welche noch im Bereich des Notstandes und des Pensionsvorschusses anzusie-
deln ist, während nun aber die Ausgleichszulage die relevante Größe zur Bemessung von Sozi-
alleistungen darstellt. Die Ähnlichkeit der beiden Leistungen trägt zur Intransparenz bei. All-
gemein ist festzuhalten, dass die Einkommenssituation von Herrn J.1 in den letzten drei Jahren
äußerst instabil war und ist: vom Arbeitslosengeld über die Notstandshilfe, den Pensionsvor-
schuss in die Berufsunfähigkeitspension. Andererseits besteht die Möglichkeit, wieder aus letz-
terer herauszufallen und erneut die Notstandshilfe oder dann gar die Mindestsicherung beziehen
zu müssen. Zum Zeitpunkt des Interviews lässt sich sagen, dass das Einkommen mit 915 Euro
etwas über Ausgleichszulage lag – „dieses Geld überschreitet um 60 Euro die Bemessungs-
grundlage für die Aufstockung zur Mindestsicherung oder für den Mobilpass, also ich falle um
alle diese Vergünstigungen um, (..) muss das ganz normal zahlen“ und somit Herr J.1 einige
wichtige Sozialleistungen nicht in Anspruch nehmen kann. Selbstredend ist er daher entlang
Portraits altersarmer Menschen 225

des zielorientierten Standards als arm zu adressieren. Die Situation von Herrn J.1 verschärft
sich des Weiteren, da ihn die Kosten des Prozesses schwer belasten; zwar hat er eine Recht-
schutzversicherung, aber auch diese kann er nur mehr schwer abdecken und wird zusätzlich um
71 Euro gepfändet. Herr J.1 klammert sich daran, irgendwie das Geld für die Versicherung
aufzubringen bzw. den Prozess zu gewinnen, ist aber verzweifelt. „Ich darf mich mit meiner
Versicherung nicht spielen [...] aber trotzdem muss ich es mir leisten können, aber wenn das so
weit geht (.) immer weniger Geld, nicht? Im Moment dann, ich weiß nicht, wie ich das machen
soll (..) das haut mich alles nieder. Weil ich komme mit dem Geld hinten und vorne nicht aus“.
Ob sich die finanzielle Situation tatsächlich nochmals bessert, ist ungewiss. Zwar hofft Herr J.1
auf seine Genesung und die Wiederaufnahme einer Berufstätigkeit, sofern aber die Berufsun-
fähigkeitspension mit dem Regelpensionsalter in eine Alterspension gewandelt wird, dürften
die Abschläge bestehen bleiben. Ein aktuell unberücksichtigter Faktor ist die deutsche Pension,
welche er durch seinen damaligen Hauptwohnsitzwechsel ebenso erworben hat. Grundsätzlich
hängt jedoch seine zukünftige monetäre Situation davon ab, ob sich Herr J.1 gesundheitlich
noch erholt, ein paar Jahre in Zukunft arbeiten wird können und den Prozess gewinnt.

Soziale Kontakte
Das soziale Netzwerk von Herr J.1 gehört zu den kleinsten aller Befragten, drei Freunde gibt er
an und verortet diese im ersten Kreis. „Der Freundeskreis hat sich dadurch auch, [den Unfall]
muss ich sagen, sehr sehr minimiert, das Ganze. Früher war ich sehr viel unterwegs, ich war
viel im Ausland unterwegs, die kommen natürlich nicht nach Wien, die können sich das oft
[bezogen auf die aktuelle Situation von Herrn J.1] nicht vorstellen“. Aber auch der Kontakt zu
bestehenden Freunden ist limitiert. Bspw. wohnt Herr H. außerhalb von Wien und kann weder
zu Herrn J.1 fahren noch umgekehrt. So kennen sich die beiden zwar bereits seit 50 Jahren,
Herr H. ist also ein Freund seit der Kindheit, direkte Kontakte können aber selten stattfinden;
gleiches gilt auch für Herrn W. Erschwerend kommt hinzu, dass seine Freunde noch berufstätig
sind, entsprechend kann Herr J.1 nur spärlich auf eine sofortige Unterstützung zurückgreifen.
Vor allem Herr F, sein dritter Freund, greift ihm nach zeitlicher Möglichkeit unter die Arme,
geht ab und zu mit dem Hund spazieren bzw. kommt im Bedarfsfall vorbei. Dies ist möglich,
da er im selben Gemeindebau wohnt. Bezüglich der Unterstützung resümiert Herr J.1: „Aber
es ist nicht so, wo ich jetzt sagen kann, na den rufe ich an und der kommt gleich. Sowas habe
ich zur Zeit leider nicht, das ist ja das“. Zwei Nachbarinnen zeichnet Herr J.1 zudem im Netz-
werk im Bereich der Bekannten ein und verortet diese im ersten Kreis. Auch diese sind für ihn
sehr wichtig, so trifft er die eine in der Früh beim Spaziergang mit dem Hund bzw. bringen ihm
beide manchmal ein Essen vorbei bzw. kochen für ihn. Zusätzlich ist Herr J.1 auf eine Heim-
hilfe angewiesen und erhält dafür die Pflegestufe 1. Als letzten Kontakt erwähnt Herr J.1 die
evangelische Kirche, in welcher er Anerkennung und Hilfe erfährt. Alle Kontakte setzt er emo-
tional möglichst nahe an sich heran und dürfte diese damit auch von ehemaligen Freunden und
Bekannten abgrenzen, welche an seinem Schicksal nicht weiter interessiert waren. Zusammen-
fassend: „Ich habe leider keine Partnerin mehr, gar nichts mehr, ich habe keine Verwandten,
also ich muss schauen, dass ich selber über die Runden komme. Ich habe, Gott sei Dank, ein
paar ältere Nachbarn, die mit mir aufgewachsen sind, also die, seitdem ich Kind bin, die meine
Eltern noch gekannt haben, die helfen mir so ein bisschen (.), teilweise mit dem Kochen, teil-
weise ein bisschen finanziell, wenn ich ein paar Euro brauche. Die helfen mir, aber sonst (..),
ich wüsste nicht, wie ich über die Runden kommen sollte, wenn ich diese Hilfe nicht hätte. (.)
Ich weiß es nicht (.). Das einzige, was ich jetzt noch mache, weil mir so Hilfe zukommt, ich
gehe – die einzige Ablenkung, die ich mache –, ich fahre fallweise zum Grab meiner Eltern,
weil ich doch sehr an meinen Eltern hänge und ich gehe, wenn es mir halbwegs gut geht, dann
gehe ich am Sonntag in den evangelischen Gottesdienst“. Seine letzte Beziehung endete 2011,
226 Ergebnisse

geblieben ist ihm der Hund, welcher, wie Herr J.1 selbst erwähnt, sein wichtigster Bezugspunkt
ist. Umso dramatischer gestaltete sich eine Notoperation aufgrund eines Darmverschlusses des
Vierbeiners, für welche er durch Tiervereine und einen privaten Spendenaufruf Hilfe erfuhr
und die Operation finanzieren konnte. Eine Familie aus Deutschland sammelte Nahrungsspen-
den für ihn und Futter für seinen Hund und unternahm eine Reise, um ihm die Lebensmittel zu
überbringen. Zu diesem Zeitpunkt ist Herr J.1 im Interview den Tränen nahe und von der Hilfe
gerührt. Aufgrund dieser Unterstützung konnte Herr J.1 in den letzten Monaten deutlich bei den
Ausgaben für den Lebensbedarf sparen; zusätzlich erhielt er von der Kirche noch eine kleine
Zuwendung zu der Jahresabrechnung für Energie. Insgesamt lässt sich daher durchaus soziale
Unterstützung attestierten, meist ist diese jedoch einmalig bzw. könnten weitere Ausfälle im
Netzwerk wohl eher nicht mehr kompensiert werden. Für Herrn J.1 besteht daher durchaus die
Gefahr der sozialen Isolation.

Aktueller Alltag
„Seit drei Jahren bin ich zu Hause eingesperrt. Ich habe nämlich den Fuß kompliziert gebrochen
gehabt, das linke Knie gebrochen, Kiefer gebrochen, Zähne ausgeschlagen. Seitdem kann ich
nicht einmal etwas beißen. Ich habe um die vierzig Kilo zugenommen, weil ich zum einen nicht
viel gehen kann, weil ich Schmerzen habe und mich nicht gut bewegen kann [Verweis auf den
Funktionsgrad] und weil ich zum anderen mich aufgrund der Zähne falsch ernähre“. Zudem ist
Herrn J.1 sein Aussehen (bedingt durch die fehlenden Zähne) unangenehm und es fehlen ihm
auch die finanziellen Mittel, um außerhäuslichen Aktivitäten nachzugehen. Abgesehen von Le-
bensmitteleinkäufen sind Arztbesuche und Spaziergänge mit seinem Hund, „die einzigen Aus-
gänge die ich mir zur Zeit leisten kann und auch leisten darf; und dann bleib ich zu Hause. Und
des über drei Jahre, seit drei Jahren und das ist (.) jetzt ist irgendwann einmal schon (.) die
Obergrenze erreicht“. Im Späteren ergänzt er noch, das Grab seiner Eltern und Gottesdienste
zu besuchen, zudem fährt er gelegentlich bei einem Fahrdienst für die gesunde Jause in Schulen
mit und versucht etwas zu helfen, um sich von seiner Situation abzulenken und auch Kraft zu
schöpfen – „ich meine, viel ist es nicht, was ich da beitragen kann, aber ich mach zu mindestens
etwas“. Wie der obige Ausschnitt verdeutlicht, ist Herr J.1 aktuell in seinem Bewegungsradius
sehr eingeschränkt, vorwiegend durch seine durch Schmerzen bedingte langsame Gehge-
schwindigkeit; dies zeigte sich auch in der Interviewsituation, als er zum Beispiel Wasser für
seinen Hund holte. Herr J.1. steht vor einer Knieoperation, in welcher eine Prothese eingesetzt
werden soll – hiervor hat er Angst und Albträume, seinen Fuß zu verlieren und erwägt daher
auch die Operation nicht durchführen zu lassen. Momentan muss er täglich 16 Tabletten ein-
nehmen bzw. erhält er vierzehntägig Cortison gespritzt. Herr J.1 nimmt an, dass die Nebenwir-
kungen auch für das Übergewicht und die Wassereinlagerungen mitverantwortlich sein dürften.
Die gesamte Alltagsbetätigung ist durch den Gesundheitszustand stark eingeschränkt und
nimmt eine dominante Stellung in der Erzählung ein. Arzttermine, auch für die Vorbereitung
seiner nächsten Operation, beanspruchen einen großen Teil der Wochenstruktur, da Herr J.1
lange Wege in Kauf nehmen muss und auf keinen Fahrtendienst zurückgreifen kann. Die
Nichtinanspruchnahme lässt sich bei Herr J.1 nicht auf ein Informationsdefizit per se zurück-
führen (erwähnt die Fahrtendienste explizit), sondern er dürfte aufgrund seiner spezifischen
Konstellation (trotz Schmerzen ist dieser als mobil, wenn auch erheblich eingeschränkt, zu be-
zeichnen und hat ein zu hohes Einkommen für eine soziale Bedürftigkeit) durch das Netz fallen.
So ist sein Verhältnis zum Sozialsystem konflikthaft, denn aus seiner Sicht attestiert er ernüch-
ternt: „Das hört sich papiermäßig oder wenn die Politiker oder die zuständigen Herrn im Fern-
sehen reden, hört sich das ja wirklich sehr gut an (.) ‚abgesichert‘ und ‚super‘ und alles mögli-
che und ‚wir sind immer da‘ und alles mögliche, nur wenn man wirklich etwas braucht, (.) wenn
mal wirklich (.) Not ist, und man dringend etwas braucht, dann steht man genauso vor einer
Portraits altersarmer Menschen 227

Mauer“. Aufgrund der prekären Situation versucht sich Herr J.1 zwar Hilfe zu holen, spezifi-
sche Konstellationen und starre Regelungen der Unterstützungsleistungen verhindern dies zu-
meist. Das verärgert ihn einerseits, macht ihn wütend, andererseits fühlt er sich hilflos und ent-
mutigt. „Ich stehe überall an. Ich mag auch schon nicht mehr, ich kann auch nicht mehr die
ganzen Wege machen. Dauernd nur betteln und bitten und rennen“. Hierzu erwähnt er mehrere
Episoden: So fühlt er sich bspw. von Magistratsabteilungen ungerecht im Vergleich zu Mig-
rantInnen behandelt – alles müsse er offen legen, reise mit der U-Bahn an, während jene mit
teuren Autos vorfahren und trotzdem Leistungen bekämen. An anderer Stelle erwähnt er die
Problematik mit seinen Zähnen, die auch seine derzeitige Lebenssituation widerspiegelt; an
sich übernimmt die Krankenkasse die Kosten für eine abnehmbare Zahnprothese, im Fall von
Herrn J.1 wäre eine fixe Prothese sinnvoller, weil die abgebrochenen Zähne seinerzeit auf Stif-
ten aufgebaut wurden (früher leistete er sich ein „Hollywood“ Gebiss), welche noch in seinem
Kiefer sitzen und für die abnehmbare Version entfernt werden müssten. Andererseits bestünde
die Möglichkeit eines Zuschusses durch die Krankenkasse für die zweite Variante, da Herr J.1
jedoch angab, dass der Unfall durch Dritte verschuldet wurde und das Verfahren noch läuft,
beruft sich nun die Kasse darauf, dass der Schuldner die Kosten zu tragen hätte. „Sind sie
schuld? Sage ich: ‚nein ich bin nicht schuld‘. ‚Also wenn sie nicht schuld sind, dann zahlen wir
es nicht, weil wenn das Geld von jemand anderen kommen würde, dann warten sie bis das Geld
da ist‘. Sage ich: ‚herns, das geht aber schon zwei Jahre‘. ‚Naja dann müssen sie einfach weiter
warten‘“. Zusammenfassend wurde Herr J.1 von allen Sozialleistungen, außer der Rezeptge-
bührenbefreiung, abgelehnt, eine kurzzeitig erhaltene Wohnbeihilfe muss er nun sogar zurück-
zahlen, denn die Zuerkennung des Pensionsvorschusses erhöhte sein Jahreseinkommen rück-
wirkend. Er resümiert: „Ich Trottel gehe umadum und sage ‚bitte, danke‘ und ‚geht das nicht‘
und ‚gibt es da nicht eine Möglichkeit?‘ und ‚könnte man nicht?‘ und die sagen ‚na was wollen
sie?‘ [...] und das ärgert mich am meisten, wenn ich bei so einem Schalter bin. Dann sitzt da
irgend so ein junges Mädel, was das Essen noch hinten und vorne hineingeschoben bekommt
von den Eltern und die sagt zu mir dann: ‚heast sie sind eh schon so alt. Sie hätten das wissen
müssen, in was für eine Situation sie kommen können. Sie hätten eine Vorsorge treffen müs-
sen.‘ Und das sagt mir so ein 30-jähriges Mädl und grinst mir auch noch in das Gesicht“. Die
Erzählung darüber erzürnt Herrn J.1 sichtlich und legt damit auch seinen wunden Punkt offen.
Einerseits ist ihm bewusst, wie er weiter ausführt, dass er das Geld in guten Verdienstzeiten
ausgegeben hat und keine Ersparnisse zum Zeitpunkt des Unfalls hatte, andererseits verdeut-
licht es seine Hilflosigkeit, welche wieder in Wut und Resignation umschlägt. Vor allem die
Rückbesinnung auf bessere Zeiten macht ihm zu schaffen und lässt ihn mit seiner derzeitigen
Situation hadern: „Ich will weiter arbeiten. Ich bin noch nicht, ich fühle mich noch nicht alt,
ich fühle mich noch nicht verbraucht. [...] Ich hasse die Zeit, diese drei Jahre. Ich werde halb
verrückt. Dieses verdammt sein zum Nichtstun. Und betteln, herumrennen und angewiesen sein
auf andere. Das ist für mich so entwürdigend und so, so, so deprimierend. Darum sperr ich mich
lieber schon ein“. Verstärkt wird der Rückzug durch die Wahrnehmung von Kriminalität und
Gewalt in seiner Wohnumgebung. So hat sich die Situation in seiner Wahrnehmung in den
letzten Jahren deutlich verschlechtert, dreimal ist er überfallen worden, sein Hund wurde atta-
ckiert und ein Zahn ausgeschlagen; der an den Gemeindebau angrenzende Park sei nicht mehr
sicher, selbst die Polizei würde nur mit Teams aus fünf Personen bestehend ab und an den Park
kontrollieren. Ein Wunsch von Herrn J.1 ist es, von seiner aktuellen Wohngegend wegzuziehen,
„nach Tirol oder irgendwo in die Berge oder so mit Natur und wo Seen sind oder sowas. Wo
man ein bisschen vom Schuss weg ist. Also wo man nicht Jubel, Trubel, Heiterkeit fünf Meter
vor seiner Haustüre hat, wo man ein bisschen abgelegen wohnt, wo man aber doch nicht am A
der Welt ist“.
228 Ergebnisse

Materielle Lage
Die finanzielle Situation von Herrn J.1 ist als äußerst prekär Wohnung 338,-
zu bezeichnen. „Mir haben sie schon oft den Strom und das Strom/Heiz. 72,-
Gas abgedreht, mir haben sie oft genug schon das Telefon ab- Lebensbedarf 110,-
gedreht, weil ich es nicht zahlen habe können. Ich meine, jetzt Medikamente 10,-
hab habe ich wieder Raten, damit ich einen Aufschub habe, Tabakwaren 0,-
nicht? Ich meine, ich kann nur überleben mit ‚Loch auf, Loch Zeitungen/Bücher 0,-
Sport/Freizeit/Kultur 0,-
zu‘ Methode und da muss ich sagen, ich habe mir meinen Le- Öffentlich. Verkehr 20,-
bensabend anders vorgestellt“. Verschärft wird die finanzielle Telekommunikation 40,-
Situation indirekt durch die Prozesskosten, da Herr J.1 zumin- Versicherungen 140,-
dest die Rechtschutzversicherung zahlen muss. Nach Beglei- Sparen 0,-
chen der Rechnungen steht Herr J.1 bereits zu Monatsbeginn Sonstiges
mit wenig Geld da, er pointiert dies mit den Worten: „Wenn Schuldenrate 71,-
ich zehn Euro noch am 2. in der Tasche habe, dann muss ich froh sein“ [...] früher habe ich
gesagt: ‚man überlegt sich zwei Mal, kauf ich mir das oder kaufe ich mir das?‘. Ich kann mir
das [aktuell] nicht einmal mehr überlegen, ich überlege nur, muss ich gleich zahlen oder wann
kann ich vielleicht betteln und bitten und sagen: ‚bitte ich zahle erst im nächsten Monat‘. Das
sind meine Überlegungen, ich überlege nicht, soll ich mir das Monat ein Paar Schuhe kaufen
oder eine Hose, auf das komme ich gar nicht“. Zudem wird Herr J.1 aktuell gepfändet und zahlt
nach Vereinbarung 71 Euro. Damit liegt Herr J.1 nach seinen Angaben unter dem Existenzmi-
nimum, er scheint aber diese Höhe freiwillig akzeptiert zu haben. Andere Probleme sind seiner
Ansicht nach größer und er wolle das Kapitel ironisch abschließen: „Wenn ich 36 Jahre lang
noch lebe, sag ich: ‚dann bin ich glücklich und dann zahl ich gerne.‘“. Auch Herr J.1 kann sich
weder jeden zweiten Tag Fleisch/Geflügel/Fisch, noch einen Urlaub leisten, Freunde zu sich
nach Hause zum Essen einladen oder die Wohnung angemessen warm halten. Rechnungen blei-
ben liegen, seine Schulden belaufen sich – wie erwähnt, vor allem durch die Zeit nach dem Tod
seiner Lebensgefährtin und Eltern verursacht – auf rund 200.000 Euro, ein Auto hat er ebenso
wenig wie Ersparnisse. Herr J.1 ist damit als erheblich materiell depriviert zu bezeichnen.
Trotzdem ist seine verhältnismäßig gute Wohnsituation hervorzuheben, welche sich einerseits
durch den Vorbesitz der Eltern und andererseits durch seine erst im Vergleich zu anderen Be-
fragten kurze Armutsepisode auszeichnet. Waschmaschine und Geschirrspüler besitzt dieser
ebenso, wie einen Fernseher, Computer oder Internetanschluss. Gerade im letzteren Punkt un-
terscheidet sich Herr J.1 von vielen der älteren Befragten. „Es gibt Leute nochmal, ich hab das
schon einmal gesagt, es gibt Leute, denen geht es viel schlechter. Die haben kein Dach über
dem Kopf, die haben Untergewicht, die haben nichts zum Anziehen, die haben gar nichts. Also
so weh in dem Sinne bin ich nicht. Nur ich ärger mich, dass ich vielleicht, ich muss ganz ehrlich
sagen, ich bereue nicht, was ich gemacht habe, ich ärger mich zeitweise, ‚du Depp hättest was
sparen können‘, aber ich muss sagen, das ist ein kurzer Gedanke nur“. Mit dieser Aussage zeigt
Herr J.1, dass er weder im Selbstmitleid noch in Selbstvorwürfen versinkt, ist sich aber bewusst,
dass Ersparnisse seine aktuelle Situation deutlich abgemildert hätten. Und obwohl Herr J.1 im
Interview durchaus auch emotionell an seine Grenzen stieß, bewertet er seine Lage besser als
die von anderen. Dies mag auch als eine Art von Bewältigungsstrategie verstanden werden -
eben noch nicht ganz unten angekommen zu sein.

Resümee
Herrn J.1 Lebenslage ist in vielerlei Hinsichten prekär. Die gesundheitliche Situation ver-
schlechtert sich derzeit zusehends, die Medikation belastet aufgrund der Nebenwirkungen und
erst eine Operation sowie die Reparatur seiner Zähne würden sich positiv auswirken. Die fi-
nanzielle Situation (Schulden gepaart mit lebensnotwendigen Ausgaben) führt zu Rückständen
Portraits altersarmer Menschen 229

bei Zahlungsverpflichtungen bis hin zur Pfändung. Das soziale Netzwerk hat sich rapide ver-
kleinert, es bietet zwar noch soziale Unterstützung, aber Ausfälle dürften nicht mehr kompen-
siert werden können; das Risiko von sozialer Isolation ist als hoch zu bewerten. Halt bietet ihm
sein Hund, welcher wohl einer der zentralen Ankerpunkte seines Lebens ist und für diesen er
weitere Einschnitte hinnimmt. Während zu Beginn des Interviews die aktuelle Lebenssituation
im Mittelpunkt stand, schöpfte Herr J.1 in der Nachfragephase, wo er auch etwas mehr auf seine
Lebensgeschichte einging, Kraft. Wohl dürften die Erinnerungen an seine beruflichen Erfolge
den Selbstwert stärken und ihm Hoffnung gegeben, wenn er rehabilitiert ist, wieder einen Job
zu finden - man kenne ihn ja noch in der Branche, er habe noch Kontakte. „Wenn ich doch
wieder ein bisschen Oberwasser bekommen sollte, also wenn es so weitergeht, dann möchte
ich gerne bis 70 auch noch weiterarbeiten. Ich pfeife auf die Pension, das ist mir wurscht. Ich
brauch jetzt wirklich nur (.), dass ich den Hund und mich über die Runden bringen kann. Mein
Ziel ist, irgendwann wieder einmal auf die Füße zu kommen und wirklich (..) wirklich wieder
Gas zu geben“.

4.1.5 Portrait von Frau M.1 – Gepfändet im Alter

Lebensgeschichte
Frau M.1 wurde 1949 in Wien geboren und lebte ab dem 4. bis zum 13. Lebensjahr bei ihren
Großeltern, sowohl von väterlicher als auch von mütterlicher Seite. Die Gründe hierfür ver-
deutlicht Frau M.1 nur ungenau und dürfte mit der Berufstätigkeit beider Elternteile in Zusam-
menhang stehen bzw. bezeichnet sie sich als „schlimmes Kind“, das sogar aus dem Kindergar-
ten genommen werden musste. Im ersten Abschnitt des Interviews stellt sie ihre Lebensge-
schichte sehr gerafft dar: „Nach der Handelsschule bin ich in die EDV gegangen. (..) Na, erst
war ich beim [V]. Dann war ich bei der [W]. Dann war ich bei der [X]. 1971 hab ich meinen
Sohn bekommen. (..) Dann war ich noch beim [Y]. Und dann, weil ich nicht sitzen wollte oder
nicht dick werden wollte oder weiß nicht wieso, bin ich zum Heurigen gegangen, war ich im
Gastgewerbe. Und dann war ich, die letzten 12 Jahre oder 13 Jahre, bei den [Z]“, einem halb-
staatlichen Unternehmen. In Folge von Panikattacken – psychische Belastungen erwähnt Frau
M.1 immer wieder in den Erzählungen –, sprach sie mit ihrem Betriebsrat, welcher ihr riet, in
die Berufsunfähigkeitspension zu gehen. „Er hat gesagt: ‚weißt was, wir machen das. Geh in
Pension.‘ Und ich hab gesagt: ‚Waas?‘; ‚Na, geh morgen in den Krankenstand.‘ Von einer Mi-
nute auf die andere. Und ich hab mir gedacht, wegen dem Geld und so. Hat er gesagt: ‚Wenn
du länger gehst, bekommst du auch nicht mehr.‘ Ob es damals gestimmt hat (..) oder nicht, das
weiß ich nicht“. 2003 wurde Frau M.1 pensioniert. Insgesamt war Frau M.1 fünfmal verheiratet
– „eigentlich bin ich dann, ich bin überall davongelaufen. Also, gelaufen (.) ich hab mich ge-
trennt, weil (..) ich mir immer ausgenutzt vorgekommen bin. Und keiner hat irgendwie, also
eine Hilfe oder was, hab ich nie gehabt von irgendwem. Überhaupt nicht. Nicht einmal, dass
mir jemand ein Butterbrot geschmiert hat. Ich rede von den Männern“. Nach der letzten Schei-
dung 1991 von einem Alkoholiker ging Frau M.1 ein paar Jahre später ihre letzte Beziehung
ein. Sie sah sich aber auch in dieser ausgenutzt und übernahm ungewollt die Mutterrolle für
seine zwei Kinder. „Er hat zwei erwachsene Kinder gehabt. Und die waren bei der Mutter und
ich war dann bei ihm in der Wohnung. Und am zweiten Tage waren die schon wieder da. Waren
die da und sind dann bei mir geblieben.[...] Wenn ich Nachtdienst gehabt habe, ist der Sohn,
der [T] gekommen. Er hat überhaupt nix zum Essen gehabt. Er war in der Lehre. Ich hab ihm
100 Euro gegeben, dass er sich was zum Essen kaufen kann und so ist das gegangen (.) drei
Jahre“. Seit 20 Jahren ist sie nun als geschiedene Frau alleine und lebt in der Wohnung ihrer
verstorbenen Mutter, während sie ihre Gemeindewohnung an ihren leiblichen Sohn übergeben
hat.
230 Ergebnisse

Ursachen der Altersarmut


Im Vergleich zu vielen anderen Interviewten hat Frau M.1 eine verhältnismäßig einkommens-
reiche Erwerbskarriere hinter sich, die de facto durch die Höhe der Pension sichtbar wird; denn
obwohl Frau M.1 mit 54 Jahren frühzeitig eine Berufsunfähigkeitspension antrat, liegt ihre Pen-
sion in etwa 300 Euro über dem Schnitt weiblicher BU-/IV Pensionen und sie erhält eine Net-
topension von 1070 Euro. Sie hat jedoch Schulden und wird deshalb auf das Existenzminimum
von 940 Euro gepfändet. Folglich hat sie zwar eine Pension, welche leicht über der Armutsge-
fährdungsschwelle angesiedelt ist, zur Verfügung steht ihr aufgrund der gerichtlichen Pfändung
hingegen ein Einkommen unter dem zielorientierten Standard, womit sie als arm zu adressieren
ist. Hierbei zeigt sich die Problematik, dass die Pfändungstabellen nicht an die Armutsgefähr-
dungsschwelle angepasst sind und vor allem untere Einkommensgruppen (bis circa 1.300 Net-
toeinkommen zuzüglich Sonderzahlungen) unter die Armutsgefährdungsschwelle gepfändet
werden können.400 Die vergangene und aktuelle Situation beschreibt Frau M.1 wie folgt: „Frü-
her waren Berge an Geld da. Bin ich ehrlich und sage, das ist mein Fehler gewesen, weil ich
gesagt habe, ich zahl das, ich zahl das. Weil bei der [Z] und auch beim Heurigen hab ich immer
gut verdient. Aber es ist mir nie etwas geblieben. [...] Kredit hab ich mir für Mehrere genom-
men. Ich geniere mich heute nicht, aber es ist natürlich meine Schuld. Weil ich von Haus aus
immer schon so deppert war. Ich sag halt deppert, ja“. Wie Frau M.1 ausführt, hat sie zwar
„immer gut verdient“, gab dieses Geld insbesondere für andere aus und nahm sogar Schulden
diesbezüglich auf. „Das Geld war weg. Für mich ist trotzdem nix geblieben. Und heute hab ich
keinen Euro“. Die Situation ist ihr unangenehm und auch auf Nachfrage, woher die aktuellen
Schulden rühren, bleibt sie weitgehend wage: „Naja dort geholfen, dort geholfen auch dem
Sohn geholfen, weil der hat keinen Job“. Noch nach ihrer Pensionierung nahm sie einen Kredit
auf, mit welchem sie vorrangig ihren Sohn finanziert haben dürfte. Letzten Endes überstiegen
die monatlichen Zahlungsverpflichtungen ihre finanzielle Kapazität und infolge wurde gericht-
lich auf das Existenzminimum gepfändet.

Soziale Kontakte
Die sozialen Kontakte von Frau M.1 sind spärlich und ihr soziales Netzwerk gehört damit zu
den kleinsten unter den InterviewpartnerInnen. Die einzige familiale Beziehung besteht zu ih-
rem Sohn, während andere Verwandte bereits verstorben sind. Ihr Sohn ist zwar um Frau M.1
besorgt, gleichzeitig erwähnt sie, dass sie diesen nur selten sehe. Bemerkenswert ist, dass er als
unterstützende Kraft in einem aktuellen Krankheitsfall von Frau M.1 (dieser wird im Folgenden
noch beschrieben) gar nicht erwähnt wird und sie erst auf Nachfrage kurz darauf eingeht – „er
ist sehr traurig, das weiß ich, fragt mich immer, wie es mir geht, nicht gut, na kannst du nicht
mehr raus, ist ja ein Wahnsinn, da musst du ins Altersheim einmal, ja, das weiß ich eh selber
auch“. Möglicherweise misst Frau M.1 in der Erzählung diesem Umstand deshalb keine größere
Bedeutung bei, da ihr Sohn solche Tätigkeiten entweder nicht übernehmen kann bzw. will, oder
Frau M.1 ihn damit nicht belasten möchte. Viele Hilfstätigkeiten wurden von einer Freundin
übernommen (etwa Kleidung ins Krankenhaus zu bringen oder die Vorbereitung der Wohnung
für die Lieferung des Krankenbettes, etc). Auch im Krankenhaus hat ihr Sohn sie nicht besucht
und sie scheint darüber eher sogar froh zu sein. „Nein, ich habe gesagt, er braucht nicht kom-
men, der macht mich nur nervös, der fragt die Ärzte und wie lange dauert das und der ist ganz
anders wie ich. [...] Er ist ja eher gutmütig schon, aber eher cholerisch, etwas. Der hätte mir da

400
Genau genommen ist dieser Umstand deutlich komplexer und Unterhaltsverpflichtungen können im Kontext
des Unterhaltsexistenzminimums auch zu verbleibenden Einkommenshöhen unter dem Mindestsicherungs-
standard führen – dies gilt auch für höhere Einkommensgruppen (vgl. Bundesministerium für Justiz, 2017).
Portraits altersarmer Menschen 231

vielleicht nur Schaden gebracht, mit seinen Gesprächen“. Nichtdestotrotz ist ihr der Sohn emo-
tional wichtig und so verortet sie diesen im ersten Kreis bzw. dürfte sie häufig mit ihm in tele-
fonischem Kontakt stehen. Besonders wichtig hinsichtlich der sozialen Unterstützung sind für
Frau M.1 ihre einzigen zwei noch gebliebenen Freundinnen – ebenfalls im ersten Kreis einge-
zeichnet -, mit denen sie fast täglich telefoniert; die Unterstützung äußert sich unter anderem
auch in Botengängen und Erledigung von Einkäufen. Von einer kann sie sich im Notfall auch
etwas Geld leihen bzw. halfen und organisierten die beiden wichtige Hilfsmaßnahmen nach
dem Unfall von Frau M.1, bis hin zu kleineren Reparaturen. „Heizung hab ich so einen Gas-
konvektor. Den hat mir ihr Gatte da repariert“. Im weiteren Gespräch verweist sie auch auf zwei
ehemalige ArbeitskollegInnen, mit welchen sie noch sporadisch in Kontakt ist. Zusammenfas-
send hält sie fest: „Früher habe ich viel mehr gehabt, wenn du mich noch gefragt hättest, voriges
Jahr. Es ist alles nicht mehr so geworden“. Auf die Nachfrage, was passiert sei, antwortet sie
nur ungewiss und sich nicht erklären könnend: „Der ganze Freundeskreis hat sich von, naja, ich
weiß es bis heute nicht, hat sich verändert, ja, also ist nicht mehr da, wie es früher war, dass wir
uns getroffen haben, im Kaffeehaus oder was, das ist alles nimmer, das hat sich, ich weiß es
nicht, ich habe ihnen ja nichts gemacht, also 100 prozentig nicht, aber ich weiß es nicht, das
kann ich nicht beantworten, weil ich es nicht weiß“. Auch wenn sich die Ursachen im Gespräch
nicht eruieren lassen, liegen die Aufzeichnungen eines kleinen sozialen Netzwerkes vor. Trotz
Hilfe in Krisenzeiten durch ihre beiden Freundinnen hat Frau M.1 bereits Schwierigkeiten in
der Bewältigung des Alltags. So wirft sie die Frage im zweiten Interview auf, wer ihr bei der
Abwendung der Delogierung helfen könnte, da sie sich auf Grund der derzeitigen Gesundheits-
verfassung nicht im Stande fühlt, selbst Geld einzuzahlen bzw. erforderliche Unterlagen direkt
zum Wohnträger zu bringen.

Aktueller Alltag
Frau M.1 ist aktuell durch die Folgen eines Sturzes gehbehindert (es wird noch darauf einge-
gangen) und unter anderem Diabetikerin vom Typ II: „Da nehme ich Zuckerpulver [insgesamt
5 Medikamente am Tag], aber Medikamente bin ich befreit. Weil ich nehme ja doch zwischen
13 und 15 Pulver täglich [bspw. ein Antidepressivum, etwas gegen Bluthochdruck, Wasserein-
lagerungen, Schmerzmittel vorrangig gegen Kreuz- und Knieschmerzen, einen Magenschutz
und Vitamintabletten – durch einen Sturz wurde die Medikation im zweiten Interview auf 20
Tabletten pro Tag aufgestockt]“, deshalb versucht sie auf ihre Ernährung zu achten – „ich bin
ein sehr großer Salatfan und Gemüse“. Obwohl Frau M.1 mit ihrem Ernährungsplan nicht
glücklich ist, muss sie auf möglichst billige Produkte zurückgreifen. Nach dem ersten Interview
eskalierte die Situation von Frau M.1 aufgrund eines Sturzes, durch welchen sie 15 Stunden
hilflos auf dem Boden ihrer Wohnung lag und anschließend von der Feuerwehr befreit werden
musste. Danach kam sie für mehrere Wochen in ein Spital mit anschließendem Rehabilitations-
aufenthalt. Da sie bereits zum Zeitpunkt des ersten Interviews eine Rate von über 100 Euro an
den Wohnträger zurückzahlen musste, geriet sie bis zum zweiten Interview in einen noch hö-
heren Zahlungsrückstand, welcher bereits zur Androhung einer Delogierung führte. Verant-
wortlich dafür ist unter anderem der Kauf eines Krankenbettes, welches sie aufgrund ihres ge-
sundheitlichen Zustandes nun dringlich benötigt. 300 Euro zahlte sie dafür sofort, 45 Euro Ra-
ten sind noch in den nächsten Monaten zu zahlen. Aufgrund des Sturzes hat sich der Alltag in
die Wohnung verlagert, alle außerhäuslichen Aktivitäten müssen von Bekannten und Freunden
übernommen werden. Frau M.1 beschreibt ihren Ablauf folgendermaßen: „Na der Tagesablauf
ist so, dass ich aufstehe, doch mehr oder weniger zeitiger, also zeitig, sieben ungefähr, naja
dann gehe ich mal aufs Klo und mache mir einen Tee oder Kaffee, dann frühstücke ich, dann
geh ich aufs Klo, dann geh ich raus ein bisserl Gesicht und Zähne putzen. Na dann kommt die
Heimhilfe, zehn vor neun (.) naja, die bleibt eine dreiviertel Stunde ungefähr. Dann schaue ich
232 Ergebnisse

halt, dass ich mich waschen tu, ein bisserl, da setze ich mich auf die Badewanne und tu mich
halt so, möchte ja jeden Tag duschen, aber das geht halt nicht. Ich kann sie ja nicht zweimal am
Tag bestellen und da ich zu wenig Pflegegeld, na was mach ich dann, dann kann ich sie nicht
bezahlen. Dann setze ich mich halt da drauf, das weiß sie nicht, auf die Badewanne und wasche
mich halt. Das dauert eh eine Stunde bei mir, alles. Na und dann lege ich mich ein bisserl nieder,
wieder, na dann nehme ich wieder ein Schmerzpulver, dann esse ich ein Brot und einen Tee
oder irgendwas. Und ein bisserl wieder wegräumen, so Kleinigkeiten, ich kann ja eh nicht viel
machen, ein bisserl das Geschirr und Häferl und Teller, ist ja nicht weiß ich was. Die Wäsche,
jeden Tag, mit dem Aufhängen, das happert. Na und ein bisserl herumgehen in der Wohnung,
ein bisserl sitzen und schauen und nachdenken, nichts Besonderes, nichts Besonders“. Eine
wichtige Ablenkung im Tagesablauf stellt das Fernsehprogramm dar, so schaut sie mehrere
Sendungen tagsüber bzw. am Abend an. Da sie, wie die Ausführungen zeigen, aufgrund ihres
Gesundheitszustandes für die meisten Tätigkeiten viel Zeit benötigt und sich auch ausruhen
muss, scheint der Tag weitgehend gefüllt - im Nachgespräch offerierte sie jedoch auch das Bild
einer Vereinsamung. Die täglichen Telefonate mit ihrem Sohn und den zwei Freundinnen sind
abseits des Fernsehens zwei besonders wichtige Ankerpunkte und erklären auch ihre ziemlich
hohe Rechnung für das Handy. Ähnlich Herrn J.1 ist auch Frau M.1 mit ihrer Wohnsituation
bzw. der Wohnumgebung nicht sehr zufrieden und betrachtet die Entwicklung mit Besorgnis.
Einerseits erwähnt sie die starke Verschmutzung des Gemeindebaus, verursacht durch die Sorg-
losigkeit der BewohnerInnen und verknüpft damit die aus ihrer Sicht hohen Mietkosten, ande-
rerseits erzählt sie von früher: „Da hat es Modegeschäfte geben, schöne, wie ich auch jung war.
Ich sehe alles noch vor mir. Parfümerien, schöne, und alles schön. Alles schön. Aber heute“.
Auch die häusliche Situation ist insbesondere in ihrem aktuellen Zustand nur bedingt optimal.
Zwar gibt es einen Lift, ein paar Stufen, vom Gehweg bis zu ihrer Wohnungstüre, muss sie aber
trotzdem überwinden; auch die Wohnung ist für den Krankheitsfall nur bedingt eingerichtet.
Viele ihrer Sitzgelegenheiten kann sie aktuell nicht nutzen, das Krankenbett mit Aufrichthilfe
ist und war in den letzten Wochen dringend nötig, damit sie alleine überhaupt aus dem Bett
kommt. Die Wege innerhalb der Wohnung sind sehr eng und bieten für den benötigten Rollator
nur wenig Platz bzw. stünden einige Renovierungsarbeiten an (der Gasherd ist desolat, in der
Küche lösen sich Tapeten und Fliesen, die Böden sind in einem schlechten Zustand, das Bad
ist sehr klein und bietet nicht ausreichend Bewegungsfreiheit). „Jetzt geht sich ja nix aus. Ja,
es macht mich schon fertig, weil ich-ja-ich mich eigentlich geniere“. Zusammenfassend ist ihr
Alltag nahezu vollständig von ihrem Gesundheitszustand überlagert und sie hofft sehr auf eine
Besserung in der Zukunft.

Materielle Lage
Frau M.1 war bereits zum Zeitpunkt des ersten Inter- Wohnung 377,- (+Rück-
views in einer finanziell prekären Lage und schob die stände)
Schulden vor sich her. Neben 130 Euro aus der Pfän- Strom/Heiz. 65,-
dung bedient sie Zahlungsrückstände aus der Miete Lebensbedarf 80,-
Medikamente 0,-
bzw. stottert einen Kredit für eine Waschmaschine von Tabakwaren ?
einer Bekannten ab und versucht Zahlungstermine, etwa Zeitungen/Bücher 10,-
im Bereich der Energie, soweit wie möglich hinauszu- Sport/Freizeit/Kultur 0,-
zögern. Aufgrund vorangegangener Erfahrungen kann Öffentlich. Verkehr 0,-
sie bei manchen Dienstleistern sehr genau einschätzen, Telekommunikation 70,-
ab wann sie eine Zahlung tatsächlich tätigen muss und Versicherungen 0,-
Sparen 0,-
übergeht die eine oder andere Zahlungsaufforderung.
Sonstiges (Bett) 45,-
Nach ihrem Unfall verschärfte sich aber auch im finan- Schuldenrate 130,-
ziellen Bereich die Situation weiter, dringend nötigte
Portraits altersarmer Menschen 233

Ausgaben (wie das Krankenbett) führten zu weiteren Zahlungsschwierigkeiten. Nur aufgrund


finanzieller Unterstützungen (HibL Anträge wurden gestellt) ist die Situation gerade noch be-
herrschbar. Sie erhält für die Mietrückstände nun einmalige Zuschüsse und eine Delogierung
wird voraussichtlich abgewandt werden können, wenn sie alle Unterlagen rechtzeitig einbringt.
Zwar wurden durch die Krankenkasse ein Leibstuhl, eine Einstiegshilfe für die Badewanne und
der Rollator finanziert, weitere wichtige Behelfe kann sie sich aber aktuell nicht leisten: „Ich
brauche dann ja auch das Piepserl, haben sie [das Fachpersonal im Krankenhaus] mir gesagt,
das kostet 80 Euro, das kann ich ja jetzt nicht, darum nehme ich jetzt das Handy überall mit,
ja“. Auch der Notrufknopf wird zukünftig das monatliche Budget belasten und kostet etwa bei
der Caritas Pflege zumindest aktuell 18 Euro im Monat (für Personen mit Ausgleichszulage)
zuzüglich der Kosten für einen Festnetzanschluss oder einer mobilen SIM-Karte. Aktuell ist
Frau M.1 nun auf eine Heimhilfe angewiesen, welche sie täglich 45 Minuten betreut. Über die
genauen Kosten ist sich Frau M.1 noch nicht im Klaren, die Anträge hierfür wurden erst gestellt.
Sie muss aber voraussichtlich mit circa 140 Euro rechnen,401 was knapp dem Pflegegeld der
Stufe 1 entspricht. Sie hofft die Pflegestufe 2 zu bekommen, womit sie mehr Zeit für die Pflege
buchen und ebenso Besuchsdienste in Anspruch nehmen könnte. Für ihre 57 Quadratmeter
große Wohnung muss Frau M.1 monatlich 377 Euro, für Energie etwa 65 Euro und für den
Lebensbedarf 80 Euro bezahlen. Da sie nicht in den Sozialmarkt, zu Ausspeisungen oder Nah-
rungsmittelausgaben geht bzw. gehen kann und verstärkt auf zubereitete Speisen zurückgreifen
muss, scheinen die von ihr angegebenen Kosten für den Lebensbedarf deutlich unterschätzt,
wobei sich Frau M.1 bei der Abwägung auch schwer tat. Sie scheint tatsächlich nur in geringem
Ausmaß einen Überblick über ihre Ausgaben zu haben, dies könnte zum Teil auch eine Erklä-
rung für die Überschuldung sein. Ein weiterer Posten sind die Ausgaben für den Tabakkonsum,
welche von Frau M.1 nicht ausgefüllt wurden, obwohl sie raucht. Auch wenn diese von ihrer
Freundin zum Teil getragen werden, dürften hier weitere Ausgaben vorliegen. Zusammenfas-
send sind ihre finanziellen Möglichkeiten erheblich limitiert: „Ich würde gerne ein bisschen
öfter ins Kaffeehaus gehen. So wie da hier [das erste Interview wurde in einem Kaffeehaus
geführt]. Das geht sich halt alles nicht aus. Und ein bisschen auch wohin auch, was schauen,
aber es geht sich alles nicht aus. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich mir irgendwas
zum Anziehen gekauft habe. Das ist alles geschenkt. Geschenkt. Aber macht mir auch nix. Ja.
(..) Es geht sich um 5 Euro kein Leiberl aus. Es geht sich einfach nicht aus. Es geht sich gar nix
aus“. Da Frau M.1 grundsätzlich eine Pension über der Armutsgefährdungsschwelle hat, erhält
sie als Sozialleistungen nur die Befreiung der Rundfunk- und Rezeptgebühren. Einen Mobil-
pass hat sie nicht, die Kosten für ein Ticket spart sie sich und riskiert es, schwarz zu fahren.
Aufgrund ihrer Schulden und des Pfändungsverfahrens hat Frau M.1 auch kein Vermögen;
„Hab ich schon alles, den ganzen Schmuck von der Mama, alles weg. Es war sehr viel da. Alles,
alles. Geschirr, Zinn, alles. Original Holzteller, Besteck. Besteck mit Lederband und allem.
Alles weg. Gar nix hab ich“. Frau M.1 schätzt ihre Schulden auf 60.000 Euro, ist sich jedoch
nicht wirklich sicher. Vor dem Hintergrund, dass sie nicht erwartet, die Schulden in ihrer Le-
benszeit je zurückzahlen zu können – „ja, da zahle ich lebenslänglich, das erlebe ich gar nicht“
–, außer sie hätte „einen Millionengewinn“, ist die Unübersichtlichkeit über ihre Finanzen
durchaus erklärbar.

Resümee
Die Lebenslage von Frau M.1 ist aktuell durch den schlechten gesundheitlichen Zustand stark
geprägt und bindet sie an ihre Wohnung, welche für diese Lebenssituation nicht adaptiert ist.

401
Auch an dieser Stelle muss auf die Komplexität der Berechnung hingewiesen werden (vgl. FSW, 2014), womit
pauschale Aussagen äußerst schwierig sind.
234 Ergebnisse

Ihr Sohn legte ihr daher bereits den Umzug in ein Altenwohnhaus nahe, dafür ist sie jedoch
noch nicht bereit und möchte so lange wie möglich in ihrer Wohnung bleiben. Mit dieser The-
matik dürfte sie sich auch nur bedingt auseinandergesetzt haben und so könnte ein Umzug in
Zukunft möglicherweise zwangsweise erfolgen, wenn sich der Gesundheitszustand nicht bes-
sert und zugleich die Wohnung nicht barrierefrei gestaltet werden kann. Das soziale Netzwerk
von Frau M.1 ist ausgedünnt und hat sich in den letzten Jahren deutlich verkleinert, mit diesem
ist sie daher auch nicht zufrieden, kann aber derzeit bedingt durch ihren Gesundheitszustand
nicht viel ändern. Auch ihr Sohn scheint nur emotional eine stützende Kraft zu sein, während
instrumentelle Hilfeleistungen den beiden verbliebenen Freundinnen obliegen. Auch finanziell
kann sie ihr Sohn nicht unterstützen, ist dieser selbst arbeitslos und dürfte aus ihren Erzählun-
gen einen geringen sozioökonomischen Status aufweisen, gleiches gilt auch für eine ihrer
Freundinnen. Die finanzielle Situation hat sich erst in der Pension verschlechtert. Nach dem
Tod ihrer Mutter war sie eine Zeit sogar schuldenfrei und da sie diese gebesserte Situation mit
dem Lebensende ihrer Mutter verknüpft, liegt der Schluss nahe, dass sie damals ein Erbe antre-
ten konnte. In der Pension nahm sie erneut einen Kredit auf, um ihrem Sohn zu helfen. Bemer-
kenswert ist in diesem Zusammenhang, wie es Frau M.1 durch die Bonitätsprüfung der Bank
geschafft hat; das entsprechende Kreditinstitut ist jedoch für eine hohe Risikobereitschaft mit
entsprechenden Zinssätzen bekannt. Als Folge ist die Situation von Frau M.1 angespannt. Ein
Einkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle, keine genaue Ausgabenübersicht und ver-
hältnismäßig hohe Fixkosten produzieren Zahlungsrückstände, welche wiederum die Möglich-
keit reduzieren, finanzielle Mittel in andere, dringend benötigte Bereiche zu verschieben. Eine
Schuldnerberatung wäre wohl dringend nötig, um der Armut vielleicht doch noch zu entrinnen.

4.1.6 Portrait von Frau A.1 –Aufstieg und Fall

Lebensgeschichte
Frau A.1 wurde 1944 geboren und beschreibt ihre Kindheit mit den knappen Worten: „War
nicht schön und bin dadurch ein harter Mensch geworden“. Nur kurz erwähnt sie, dass ihre
Mutter von ihrem Vater verlassen wurde und darauf Ehen (Plural) folgten, welche Frau A.1 mit
vielen familiären Konflikten in Erinnerung hat - „es war furchtbar“. Nach Abschluss der
Pflichtschule begann sie im Alter von 15 Jahren zu arbeiten. „Ich war von der Lehrzeit an im
Lohnbüro; (.) ich war Lohnverrechnerin“ und blieb ihrem Beruf bis zu ihrer Pensionierung treu.
Aufgrund ihrer Kindheitserfahrungen beschloss Frau A.1 ein harmonisches Familienleben zu
führen und suchte sich einen Mann, mit dem sie ihre Vorstellungen verwirklichen konnte –
„ihm habe ich müssen das lernen, was ich mir vorgestellt habe, was ein Familienleben ist“. Sie
beschreibt ihre Ehe als harmonisch, „bei uns hat es kein böses Wort gegeben, keinen Streit, das
hat es nicht gegeben“. Diese, von ihr als glücklich bezeichnete Beziehung - sie heiratete bereits
mit 18 Jahren -, wurde durch den Tod ihres Mannes vor vier Jahren beendet. Dieses Ereignis
stellte eine Zäsur in ihrem Leben dar, welche sie bis heute noch nicht gänzlich verarbeitet hat.
Im Interview spricht sie immer wieder über das Leben mit ihrem Mann in der Jetztzeit, „seitdem
ich verheiratet bin, hat es gepasst“ und auch ihre starke Bezogenheit auf ihn wird offenkundig.
Zurückkommend zu ihrer Lebensgeschichte zeigt sich, dass Frau A.1 eine kontinuierliche Er-
werbsbiographie aufweist, welche sie trotz der Geburt ihres Sohnes nur kurzeitig und während
der Pflege ihrer Mutter gar nicht unterbrach – „Ich habe viel arbeiten müssen, ich habe den
Haushalt gehabt, ich habe meine Mutter gehabt und ich habe meine Sohn gehabt und gearbei-
tet“. Seit ihrem 15. Lebensjahr war sie „immer durchgängig [angestellt], weder arbeitslos, noch
sonst was“. In den letzten fünf Jahren ihres Erwerbslebens reduzierte Frau A.1 ihre Ganztages-
anstellung auf Teilzeit, da ihr 11 Jahre älterer Mann bereits in Pension war, achtete jedoch auch
in diesem Fall darauf, ein Einkommen entlang der Höchstbemessungsgrundlage für die Pension
Portraits altersarmer Menschen 235

zu haben. „Es ist ja um die Pension gegangen, da haben wir uns auch [bezüglich des Gehaltes]
geeinigt“. Aufgrund des Standortwechsels des Unternehmens, welchen sie nicht mitmachen
wollte bzw. wegen der Distanz auch nicht konnte, wurde Frau A.1 mit 53 Jahren gekündigt. Im
ersten Jahr darauf erkrankte sie an einem Mammakarzinom und war infolgedessen im Kran-
kenstand. Darauf folgte ein Jahr Arbeitslosigkeit, während der sie von der Pensionsversiche-
rung die Möglichkeit zur vorzeitigen Alterspension erhielt (vermutlich aufgrund der langen
Versicherungsdauer, welche zum damaligen Zeitpunkt mit 420 Beitragsmonaten erfüllt war).
So ging sie mit 55 Jahren (1999) in Pension – „naja ich habe 40 Dienstjahr gehabt“. Ihre, bis
kurz vor dem Ausscheiden kontinuierliche, Erwerbsbiographie schlägt sich in ihrem Pensions-
einkommen nieder. Die Eigenpension beträgt netto monatlich circa 1.700 Euro. Frau A.1 Le-
bensgeschichte steht auch symbolhaft für den allgemeinen Wirtschaftsaufschwung in den 60er
und 70er Jahren: Sie startete mit nichts und erarbeitete sich mit ihrem Mann ihren Wohlstand:
„Ich hab nichts gehabt, deswegen habe ich geheiratet und wir haben alle zwei nichts gehabt.
Weder eine Wohnung, noch was zum Anziehen, noch sonst etwas. Das haben wir uns alles
mühselig erarbeitet. Wir haben das gerne gemacht“. Im Gegensatz zu jenen befragten Frauen,
welche eine geringe Pension haben, dürfte Frau A.1 mehr als ihr Mann verdient haben, welcher
Schildmaler war und später eine Arbeit in der Gemeinde annahm. „Ich habe gesagt: ‚Pass auf,
so geht das nicht weiter. Du gehst in die Gemeinde.‘ Ein Aufschrei: ‚Da verdiene ich nichts.‘
Sage ich: ‚Du gehst zur Gemeinde. Schaust, dass du was Sichereres hast und ich schaue, dass
ein Geld in das Haus kommt. ‚Wie willst du das machen?‘ ‚Mach ich‘, sagte ich, ‚ich mach
alles‘ und da habe ich mich von Firma zu Firma hinaufgearbeitet und zum Schluss habe ich
eine super Firma gehabt. Da hat er gesagt: ‚Jetzt glaub ich, dass wir es schaffen‘, sage ich:‘ na
siehst du“, habe ich gesagt.“ So war es möglich, dass Frau A.1 und ihr Mann große Reisen
unternahmen und alle paar Jahre die Wohnung renovierten. 2013 verstarb ihr Mann, was Frau
A.1 in ihre akute Lebenskrise stürzte. Zusammenfassend ist Frau A.1 jene Person unter den
Befragten, welche sehr bewusst bereits in der Erwerbsphase darauf achtete, mit einer hohen
Pension im Alter auszusteigen – „ich habe schon mit 18 Jahren gewusst, ich möchte in Pension
gehen und auf das habe ich hingearbeitet“ – womit sie auf ihr verhältnismäßig veritables Pen-
sionseinkommen verweist. Nichtsdestotrotz ist ihre aktuelle Lebenssituation nun angespannt
und sie kann ihre Ausgaben, vor allem bedingt durch ihre schlechte Gesundheit, gerade noch
decken, wie nachfolgende Ausführungen zeigen werden.

Ursachen der Altersarmut


Grundsätzlich lässt sich in Form der aktuellen Adressierungspraxis bei Frau A.1 nicht von Al-
tersarmut sprechen. Zusätzlich zu ihrer Pension erhält sie eine Witwenpension (da sie mehr als
ihr Mann verdiente nur 32%) und das Pflegegeld der Stufe 1, womit sie 2200 Euro monatlich
plus Sonderzahlungen aus ihrer und der Witwenpension zur Verfügung hat. An Frau A.1 lässt
sich jedoch ein Fall demonstrieren, welcher im später Folgenden als „verschleierte Altersar-
mut“ bezeichnet werden soll. Aufgrund ihres angegriffenen Gesundheitszustandes ist Frau A.1
auf Pflege angewiesen und muss diese über mobile Pflegeangebote organisieren. Abzüglich
dieser Kosten (circa 1.000 Euro für Pflege, 100 Euro für Transporte zu Ärzten – sie nimmt
hierzu den Taxidienst in Anspruch, da die Fahrtendienste ebenso Geld kosten und sie dabei
auch noch lange Stehzeiten in Kauf nehmen müsste –, 100 Euro für die Übernahme weiterer
Alltagsleistungen (Putzen usw.) sowie circa 50 Euro für notwendige Medikamente) bleiben
Frau A.1 im Monat circa 1.000 Euro übrig. Mit diesem Fall soll daher demonstriert werden,
dass nach Abzug gesundheitlicher Bedarfe bzw. Pflegeleistungen (etwa geduscht zu werden,
oder ein Essen zubereitet zu bekommen), das verfügbare Einkommen gleichfalls unter die Ar-
mutsgefährdungsschwelle schrumpfen kann. Diese Fixkosten werden bei der Einkommensmes-
sung nicht berücksichtigt, obwohl dieses auch auf freiwillige Alimentationen Bedacht nimmt.
236 Ergebnisse

Frau A.1 repräsentiert damit einen gesellschaftlich durchaus hinterfragungswürdigen Fall, in-
wieweit einzelne Menschen mit dem Einkommen zur Pflege und Betreuung beitragen sollen
bzw. müssen. Aufgrund dessen, wie die Armutsgefährdung aktuell berechnet wird, scheinen
jene Personen nicht als arm auf und kommen auch in der Debatte von Altersarmut nicht vor.
Trotzdem sind die Kosten für sie beträchtlich und tragen nicht zu einem höheren Lebensstan-
dard bei, sondern dienen dem Erhalt ihrer Funktionsfähigkeit bzw. sind dessen Kompensation.

Soziale Kontakte
Soziale Kontakte gibt es abseits der professionellen Hilfe kaum; Frau A.1 weist mit zwei nahe-
stehenden Personen das kleinste Netzwerk aller Befragten auf. Einzig ihren Sohn möchte sie
im Sektor für Familie verorten und zeichnet ihn in den ersten Kreis ein. Obwohl ihr dieser sehr
wichtig ist, scheint die Beziehung zu ihm bzw. seiner Familie problematisch zu sein. Abwer-
tendes Verhalten seiner dritten Ehefrau gegenüber dürfte zu Zerwürfnissen in der Vergangen-
heit geführt haben. „Mit 20 Jahren musste er ja heiraten, also bitte. Es ist eh schief gegangen.
Und ob es jetzt gut geht, weiß ich nicht. Jetzt ist er das dritte Mal verheiratet, mit einer Ge-
schlitzten, also einer Chinesin (lacht), ob dies das Beste ist, weiß ich nicht. Ich kann es nicht
beurteilen und ich hätte sie nicht geheiratet, aber bitte“. Sichtlich ist Frau A.1 von ihrem Sohn
enttäuscht, denn obwohl er sie täglich in der Früh anruft, steht er ihr aber nicht persönlich hel-
fend zur Seite. „Es hilft mir nicht viel, wenn er fragt: ‚Wie geht es dir?‘ Sage ich: ‚Na mir geht
es nicht.‘ ‚Na mir auch nicht, ich muss so viel arbeiten.‘ Entschuldigung, ich habe auch viel
arbeiten müssen [...] mich hat kein Mensch gefragt, ob ich das schaffe. Aber er muss arbeiten.
Also das ist auch nicht gerade das Beste. Aber da kann man nix manchen. Mit dem muss ich
also auch leben“. Und so ist Frau A.1 in ihrer gesamten Betreuung und Pflege auf externe Hilfe
angewiesen und ist als isoliert und vereinsamt zu bezeichnen. Zu ihrer Ex-Schwiegertochter
und ihren beiden Enkelkindern (aus der ersten Ehe ihres Sohnes gibt es auch Kinder) hat sie,
wie sie erwähnt, nur spärlich Kontakt. Treffen gibt es kurz zu Ostern und zu Weihnachten, weil
sie zu diesen Festtagen Geld von ihr bekommen. Zwei weitere Faktoren spielen für das kleine
Netzwerk von Frau A.1 eine zentrale Rolle: Einerseits bezeichnet sich Frau A.1 als Einzelgän-
gerin und möchte bspw. Seniorenclubs gar nicht besuchen. Dies verweigert sie sehr bestimmt:
„Das ist, was ich nicht will. Ich bin ein Einzelgänger und das waren wir [hier bezieht sie ihren
verstorbenen Mann mit ein] immer schon. Wir waren uns zwei genug und wann wir wirklich
Besuch gehabt haben, dann haben wir uns schon angesehen, jetzt gehen die bald? Wir wollen
wieder unsere Ruhe haben“. Andererseits war Frau A.1 stark auf ihren Mann zentriert, der ihre
sozialen Bedürfnisse ausreichend abdeckte. Inwiefern dies von ihrem Mann geteilt wurde,
scheint jedoch hinterfragungswürdig, denn zu Lebzeiten des Mannes gab es freundschaftliche
Beziehungen zu anderen. So fuhren beide mit einem befreundeten Paar auf Urlaub, bzw. hält
Frau A.1 fest: „Mich ärgert es so viel, dass mich die ganzen Bekannten fallen gelassen haben
[...] seit dem Begräbnis hat sich kein Mensch mehr um mich gekümmert, aber jeder sagt, er
hilft mir“. Diese Problematik hatte ihr Mann schon früh erkannt, denn „bevor mein Mann ge-
storben ist, hat er gesagt: ‚Wenn er nicht mehr ist, bin ich ganz alleine.‘ Er hat Recht gehabt“.
Dies deutet darauf hin, dass ihr Mann die Außenkontakte pflegte und aufrecht hielt, und die
Bekannten eher seine Freunde waren, die daher nach seinem Tod die Beziehung zu ihr abbra-
chen. Möglicherweise hat sie auf Grund ihrer schweren Kindheit Schwierigkeiten mit Men-
schen empathisch und inniger umzugehen, sie bezeichnet sich ja selbst als hartherzig. Dies kann
auch der Hinweis sein, dass sie den Tod ihres Mannes noch immer nicht überwunden hat und
ihre Ehe zu einer harmonischen Lebensgemeinschaft hochstilisiert. Die nichtvollendete Trau-
erarbeit und das depressiven Zustandsbild tragen noch zusätzlich zur Isolation bei. Frau A.1
resümiert über ihre sozialen Kontakte: „Ich hab sie wirklich nicht, tut mir leid (lacht). Bekannte
habe ich keine, bin ganz alleine und das einzige was für mich, wer mir wirklich hilft ist der Herr
Portraits altersarmer Menschen 237

[C], der einzige, zu dem ich einen Bezug habe, und ich freu mich auch immer wieder, wenn er
anruft. Hin und wieder ruft er an, wie es mir geht, da geht es mir kurz gut“. Obwohl Frau A.1
dieser Person hohe emotionale Bedeutung beimisst und jenen im ersten Kreis verortet ist die
Antwort auf die Frage, was er für sie sei (Freund, Bekannter usw.), umso bemerkenswerter: „er
ist kein Bekannter, das ist für mich ein Fremder“.

Aktueller Alltag
Frau A.1 bekommt im Monat circa 54 Stunden professionelle Hilfe, 14 Stunden sind Besuchs-
zeiten und 40 Stunden Heimhilfe. Aufgrund dessen, dass Frau A.1 große Schwierigkeiten hat,
die Wohnung zu verlassen, hält sie sich die meiste Zeit in dieser auf. Außerhalb der Wohnung
ist sie hauptsächlich nur für Arztbesuche unterwegs. „Ich habe keine Ansprüche mehr, was
brauch ich? Außer zum Arzt gehen und da habe ich gar nicht gewusst, dass es so viele Ärzte
im Bezirk [Y] gibt. Ich habe früher nie Ärzte gebraucht“. Der aktuelle Alltag ist durch ihre
gesundheitliche Situation maßgeblich bestimmt und hindert sie auch daran, die Wohnung zu
verlassen. Zwar gibt es in dem Wohnhaus einen Lift, um zu ihrer Wohnung zu gelangen, muss
sie jedoch sechs Stufen bis zu ihrer Wohnungstüre schaffen. Dies vermag sie alleine nicht mehr
zu bewältigen und erzählt, dass sie schon öfter gestürzt sei bzw. hätte sie die Heimhilfe vor
weiteren Stürzen bewahrt. Seit dem Tod ihres Mannes hat Frau A.1 einen Tremor und Schwin-
delanfälle, ist COPD Patientin, hat, wie sich im Interview zeigte, deutliche Schmerzen bei Be-
wegungen (etwa Aufstehen oder Gehen) und wird bald am Knie operiert. Frau A.1 nimmt das
Krankensystem negativ wahr und spricht von „ogschaßlt“ werden, von „Meterware der Medi-
kamentenverschreibung“ oder vom „überbleiben, wenn man sich nicht rührt“. Zusammenfas-
send hat sie das Gefühl, als älterer Mensch diskriminiert zu werden und dass Erkrankungen nur
auf das Alter geschoben werden. „Die verschreiben Ihnen die Pulver, nehmen sie die Pulver
und wenn ich dann anrufe und sage: ‚ich brauche einen Termin.‘ ‚Nein in drei Monaten‘, sage
ich, ‚Naja ich vertrage die Pulver aber nicht.‘ ‚Na dann nehmen sie diese nicht und kommen sie
in drei Monaten.‘ Na das ist arg, ich sag dann kein Wort. So geht es ihnen bei jedem Arzt“. Die
gesundheitliche Lage von Frau A.1 betrifft ihren gesamten Alltag, sie braucht bei der Körper-
pflege Hilfe, aber auch bei der alltäglichen Hauswirtschaft (von der Reinigung bis zum Ko-
chen). Frau A.1 muss sich daher vor allem in der Wohnung beschäftigen, hierzu nimmt der
Fernseher eine zentrale Rolle ein, kurze Ablenkungen bieten die Heimhilfen und einige wenige
Telefonate. Abseits des Fernsehens besitzt Frau A.1 ein Handy, während sie Computerbenüt-
zung und das Internet verweigert. Dies war aber nicht immer so, denn früher wollte sie sich
damit auch zu Hause befassen, wurde jedoch von ihrem Mann umgestimmt. Hierzu führt sie im
Interview explizit an: „Mein Mann hat das dann nicht wollen. Sagt er: ‚Was machst du damit?‘
Sagte ich: ‚Na spielen.‘ Sagte er: ‚Schau wir können Mühle fahren, wir können Schach spielen,
wir können alles machen, aber kein Internet bitte.‘ [...] Ich kann nicht begeistert sein, wirklich
nicht“. Entsprechend dürfte sie sich auch weiterhin dem Wunsch ihres Mannes beugen, nimmt
sich damit die Möglichkeit, ihren eingeengten Alltag abwechslungsreicher zu gestalten und
vielleicht sogar neue Kontakte aufzubauen bzw. ist Frau A.1 für Informationsbeschaffung auf
ihre Heimhilfe angewiesen, welche für sie etwa nach einem neuen Bett recherchierte.
Auf die Wohnung zurückkommend ist dieser ein sehr guter Zustand zu attestieren. Die letzten
Renovierungen wurden erst ein paar Jahre vor dem Tod ihres Mannes durchgeführt bzw. hat
dieser in Eigenleistung Vollholzmöbel getischlert. Problematisch ist für Frau A.1, dass sie ihren
bisherigen Routinen des Putzens (alle vierzehn Tage Fensterputzen, die Souvenirs abstauben,
Vorhänge waschen usw.) nicht nachgehen und die von ihr gewünschte Ordnung nicht mehr
selbst aufrecht halten kann, obwohl ihr die Wohnung und die darin befindlichen Gegenstände
viel bedeuten. Die aktuelle Situation steht auch gänzlich zu ihrer ehemaligen Lebensplanung
für das Alter im Widerspruch: In ihrer Pension wollte sie reisen bzw. ihren Lebensabend mit
238 Ergebnisse

ihrem Mann verbringen. Diesen Bruch verdeutlicht sie mit den Worten: „Ich habe mir meine
Pension anderes vorgestellt“ und benennt damit die Schwierigkeit, sich der neuen Situation
anzupassen. Zwiespältig ist auch das Verhältnis zu Gewohntem: Einerseits knüpft sie Reminis-
zenzen an die Wohnung und kann sich kaum vorstellen, diese zu verlassen– „da sind so viele
Erinnerungen drauf, warum soll ich diese aufgeben und in einen anderen Bezirk oder na sicher
es bleibt mir nichts erspart, wenn ich in ein Pflegeheim komme oder ich muss hier raus. Aber
wenn es nicht sein muss, sollen sie mich da im Sarg hinaustragen. Nein ich möchte von der
Wohnung nicht weg“ –, andererseits versucht sie Ballast aus der Vergangenheit abzuwerfen
und sortierte in den letzten Monaten viele Gegenstände aus – „Mit einem gewissen Alter fangen
Sie an zu überlegen, brauche ich das überhaupt? Ich brauche ja das wirklich nicht. Das ganze
Klumpat, was ich da habe, das habe ich mir alles eingebildet. [...] Und keiner hat es wollen,
jetzt habe ich alles in den Mistkübel geschmissen“. Hierbei wird auch eine zweite Problematik
ersichtlich, nämlich, dass sich niemand – auch ihr Sohn nicht – für ihre Sachen und damit auch
für ihre erlebte Vergangenheit interessiert, beispielsweise für Gegenstände, die sie und ihr
verstorbener Mann aus den Urlauben mitbrachten. „Ich weiß genau, wenn ich nicht mehr bin,
wird alles im Mistkübel landen, aber es sind doch Erinnerungen dran“. Frau A.1 lebt in Folge
in einer Wohnung voller Erinnerungen, an welche sie im Hier und Jetzt nicht mehr anschließen
kann und versucht sich, ein Stück weit von diesen zu lösen und Abschied davon zu nehmen,
mit der Enttäuschung lebend, dass niemand für die Gegenstände und damit auch für ihr ver-
gangenes Leben Interesse zeigt. So wird ihre Umdeutung der Gegenstände erklärlich, welche
nun ein „Klumpat“ sind, also keinen Wert mehr haben, außer ihre daran geknüpften Erinnerun-
gen, die mit ihrem eignen Tod beendet sind.

Materielle Lage
Wie bereits dargelegt, hat Frau A.1 im Vergleich zu den an- Wohnung 243,-
deren Befragten ein verhältnismäßig gutes Pensionseinkom- Strom/Heiz. 65,-
men. So sagt sie über sich: „Finanziell braucht mir niemand Lebensbedarf (nur 200-300
Lebensmittel)
helfen, weil ich teile mir das Geld so ein, dass ich bis zum Medikamente 50,-
Letzten noch fünf Euro habe. Ich kann leben, weil ich kann Tabakwaren 250,-
mir mein Leben, so das Essen und das einteilen“. Aufgrund Zeitungen/Bücher 25,-
der hohen Kosten für die Pflege hat sich die finanzielle Situa- Sport/Freizeit/Kultur 0,-
tion von Frau A.1 gleichwohl deutlich verändert. „Das [X – Öffentlich. Verkehr 0,-
ein Dienst für Essenslieferungen] habe ich aufgegeben, weil Telekommunikation 40,-
das ist mir zu teuer. Das habe ich mir nicht mehr leisten kön- Versicherungen 30,-
Sparen 0,-
nen, also das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Ich kann nicht Pflege u. Betreuung 1000,-
mehr so, früher bin ich einkaufen gegangen, jetzt kauf ich mir Sonstiges (Taxi, wei- 200,-
nichts, die Bluse oder den Rock oder die Hose, das geht nicht tere Betreuung)
mehr. Das Geld ist nicht mehr da und jetzt komme ich auch Schuldenrate 30,-
nicht mehr fort, jetzt renne ich mit meinen alten Sacher herum, bis sie mir vom Körper fallen“.
Obwohl Frau A.1 im Verhältnis zu den anderen Befragten auch nach Abzug der Pflegekosten
ein höheres Einkommen hat, nähert sie sich der Armutsgefährdungsschwelle durch die Ausga-
ben für Pflege und Betreuung an und muss daher auf ihre Ausgaben Bedacht nehmen. „Ich bin
das nämlich nicht gewöhnt, dass ich so arg sparen muss. Aber man lernt das jetzt mit der Zeit,
also es tut mir nicht mehr weh. Früher bin ich einkaufen gegangen, das hat mir gefallen. Ok,
hab ich gekauft. Aber brauche ich das? Mit einem gewissen Alter fangen Sie an zum Überlegen,
brauche ich das überhaupt? Ich brauche es ja wirklich nicht, das ganze Klumpat, was ich da
habe, das habe ich mir alles eingebildet“. Frau A.1 macht damit auf einen Umdeutungsprozess
aufmerksam: Einerseits wertet sie Güter, die für sie früher wichtig oder erstrebenswert waren,
ab; andererseits wird der Umstand des ‚Sich-nicht-leisten-Könnens‘ in eine ‚Ich-brauche-es-
Portraits altersarmer Menschen 239

nicht‘ Haltung verändert. Dieser Willensbekundung steht folglich das Lernen, mit geringeren
Mitteln umzugehen, voran. Gleichzeitig macht sie mit ihrer Aussage auch darauf aufmerksam,
dass sich dieser Umstellungsprozess durchaus schmerzlich vollzogen hat und erst jetzt „nicht
mehr weh“ tut. Hinzuzufügen ist noch, dass Frau A.1 derzeit nicht mehr bzw. nur mehr bedingt
sparen kann und den größten Teil ihrer Wertgegenstände in Geld eingetauscht bzw. für die
Deckung ihrer eigenen Begräbniskosten beiseitegelegt hat. „Habe nichts mehr, ich habe die
ganzen, alles verkauft, das war meine erste Tat, welche ich gemacht habe, dass ich sofort den
Schmuck verkauft habe. Na, weil ich gewusst habe, was das Begräbnis gekostet hat und da habe
ich mir gedacht, dass lege ich mir gleich auf die Seite, wenn etwas passiert“. Die Kostenauf-
stellung macht ersichtlich, dass deren Gesamthöhe dem Einkommen von Frau A.1 entspricht.
Sonderzahlungen dienen dem Kauf größerer Anschaffungen bzw. erhalten die Enkelkinder da-
mit Geschenke zu besonderen Anlässen. Ersichtlich wird aber auch, dass Frau A.1 aktuell nicht
die Möglichkeit hat, sich mehr Pflegestunden zu leisten – selbst wenn sie das Rauchen aufgäbe
– und hofft daher auf eine höhere Pflegestufe, wodurch sie sich mehr Pflegestunden leisten
könnte. Trotz ihres besseren Einkommens ist daher nochmals festzuhalten, dass Frau A1., ak-
tuell bedingt durch den hohen Betreuungsbedarf, ihren Lebensbedarf erheblich reduzieren
musste.

Resümee
Nach längerer Überlegung erschien es wichtig, auch von Frau A.1 ein Portrait anzufertigen,
nicht weil sie ein klassischer Fall von Altersarmut ist, sondern gerade weil sie eine Form der
verschleierten Altersarmut repräsentiert. Frau A.1 musste in den letzten Jahren einschneidende
(gesundheitliche und beziehungsrelevante) Veränderungen in ihrem Leben hinnehmen, welche
nun auch zu einer wesentlichen Verkleinerung ihres finanziellen Rahmens führten. Die Erzäh-
lung ihrer Lebensgeschichte wird vor dem Hintergrund ihrer Witwenschaft aufgebaut, welche
für sie eine Zweiteilung ihrer Biographie darstellt: Ein Leben vor und ein Leben nach dem Tod
ihres Mannes. Ein strebsames, harmonisches Leben mit ihrem Mann, in welchem sie sich nach
oben arbeitete, zu zweit die Welt bereisten und Frau A.1 ein prosperierendes Leben beschreibt.
Durch seinen Tod wandelt sich ihr Leben dramatisch. Frau A.1 dürfte den Verlust lange nicht
verkraftet haben und ist dabei in eine Depression geschlittert (drei Jahre sei sie fast den ganzen
Tag nur im Bett gelegen), hinzu kamen noch somatische gesundheitliche Beeinträchtigungen.
Sämtliche Verschlechterungen ihres Zustandes werden von ihr in den Erzählungen durch und
mit diesem Einschnitt verortet. Seit dem Tod ihres Mannes befindet sich Frau A.1 in einem
inneren und äußeren Rückzug, sei es hinsichtlich des sozialen Netzwerkes, der finanziellen
Einbußen, früherer Interessen oder neuer Aktivitäten. Vieles, was für sie früher materiell wich-
tig war, verliert an Wert, so wie sie sich auch selbst entwertet sieht. Andererseits führt eine
nicht vollendete Trauerarbeit möglicherweise zu scheinbaren Verzerrungen oder Übertreibun-
gen ihrer Wahrnehmung und Erinnerungen, wie zum Beispiel die überaus positive Darstellung
ihrer Ehe, Fortführung von ehemaligen Wünschen ihres Mannes oder der sich selbsterfüllenden
Prophezeiung (weil es ihr Mann gesagt hat), nach seinem Tod alleine zu sein. Da sich ihre
Vorstellungen über das Altwerden, den damit verbundenen Freiräumen und Wünschen nicht
erfüllt haben (fleißig auf eine gute Pension hinarbeiten und dann das Leben genießen), scheint
sie auch den Sinn des Lebens zu verlieren. Sie sieht nur noch mit wenigen Ausnahmen das
Negative und Schlechte in ihrem Leben, wirkt resigniert – niemand kann und will ihr helfen.
Ihre Gedanken und die monetäre Vorsorge stehen unter dem Vorzeichen ihres eigenen Able-
bens: „I tu mi hoit befossen; oiso wos is (.) waunn i nimmer mehr bin?“. Und ergänzt: „Lieber
das Geld, für mein Sterben, zum Sterben, dass für ein Begräbnis das Geld da ist. Was soll ich
sonst damit machen? Ich gehe nicht fort, mein ganzes Gewand, das habe ich alles weggeschmis-
sen, weil gehe ich noch in die Oper? Ich komme ja dort nicht mehr hin“.
240 Ergebnisse

4.1.7 Portrait von Frau E.1 – Globetrotterin und Mutter

Lebensgeschichte
Frau E.1 wurde 1946 in Wien geboren und lebte als Kind in armen Verhältnissen, wie sie aus
Erzählungen ihrer Mutter weiß, dies aber in der damaligen Zeit nicht so stark wahrgenommen
hatte – „wir haben sicher in armen Verhältnissen gelebt aber man hat das damals nicht so ge-
spürt, weil erstens, man hat damals, nach dem Krieg waren fast alle in einer schlechten finan-
ziellen Lage, aber meine Mutter hat das immer so hinbekommen, sie hat auch zu Hause arbeiten
können, was auch gut war, sie hat Buchhaltung gemacht und wir hatten einen Garten also haben
wir Gemüse, Obst und so, ja, also wie gesagt, aus heutiger Sicht waren wir sicher sehr arm aber
damals ist uns das nicht so arg vorgekommen“. Frau E.1 verweist hiermit darauf, dass die Wahr-
nehmung des Armseins relational bestimmt wird. Bei einer späteren Rückfrage erwähnt sie,
dass ihre Mutter das zweite kleine Zimmer in der Wohnung untervermieten musste. Die Mutter
und die zwei Töchter lebten lange Zeit in einem einzigen Zimmer zusammen. Es wurden keine
neuen Kleider gekauft bzw. hatte Frau E.1 als Kind immer nur gebrauchte Kleidung, „na und
das Essen, das war eigentlich immer einfach, aber meine Mutter hat immer geschaut, dass wir
was zum Essen haben“. Andererseits dürfte die Familie mit dem Garten einen Vorteil gehabt
haben, denn dieser deckte einen Teil des Bedarfs an Obst und Gemüse ab. Der Grund für die
damalige Situation war, dass der Vater von Frau E.1 ein russischer Soldat der Besatzungszeit
war und aus Österreich abgezogen wurde, womit die Mutter Frau E.1 und ihre ältere Schwester
alleine großziehen musste. Nach Abschluss der Volksschule hatte Frau E.1 aus ihrer Sicht
„Glück“ und konnte das Gymnasium besuchen, welches sie, trotz des Wunsches ihrer Mutter
ab dem 14. Lebensjahr arbeiten zu gehen, mit der Matura beendete. Danach ging sie als Au-
pair nach England, darauf folgte ein Aufenthalt in Frankreich und im Anschluss daran übersie-
delte sie nach Australien, wo sie ihren französischen Freund heiratete. In dieser Zeit, betont
Frau E.1, sei die finanzielle Notlage bereits vorbei gewesen. Aufgrund der Arbeit ihres Mannes
erfolgte ein Umzug nach Österreich für fünf Jahre und hier gebar sie 1976 auch ihren Sohn.
Nach dem Rückzug des Arbeitgebers aus Österreich zog die Familie nach Frankreich. In dieser
Zeit kam ihre erste Tochter 1978 zu Welt. Erneut übersiedelte die Familie auf einen anderen
Kontinent aufgrund der Arbeitssituation des Mannes, diesmal nach Argentinien. Dort kam 1986
die zweite Tochter, ihr drittes Kind, zur Welt. Nach fünf Jahren in Argentinien (von 1983 bis
1988) zerbrach die Ehe, da sich ihr Ehemann wegen einer jüngeren Frau von ihr trennte. „So
das klassische Bild irgendwie, ich meine, heute kann ich darüber lachen, damals war es schon
ein Schock, weil mit drei Kindern alleine, da habe ich zwar finanziell keine Sorgen gehabt, aber
sie, diese Dame da, die hat das gewusst, dass er drei Kinder hat und die kleinste war erst ein
Jahr“. Nach einem zweijährigen Stopp in Frankreich und der einvernehmlichen Scheidung
kehrte sie nach Österreich zurück, wo sich Frau E.1 eine Wohnung, in welcher sie auch aktuell
lebt, mit der Abfindung kaufte bzw. anzahlte. Nach weiteren sechs Jahren in Frankreich lebt sie
nun seit 1997 wieder in Wien – „also jetzt ziehe ich nicht mehr um (lacht)“. Wieder angekom-
men in der Bundeshauptstadt, suchte sie damals dringlich eine Anstellung, um sich und ihre
beiden Töchter finanzieren zu können – der großjährige Sohn blieb im Ausland. Aufgrund ihrer
Sprachkenntnisse fand sie rasch eine Arbeit und war bis 2012 angestellt. Grundsätzlich hatte
sie den Plan bis 70 arbeiten zu gehen und wollte damit die Mindestpension in Eigenleistung
überschreiten, wurde jedoch in der Firma eingespart und musste deshalb die Pension antreten.
Portraits altersarmer Menschen 241

Ursachen der Altersarmut


Frau E.1 ist aufgrund zweierlei Umständen Ausgleichszulagenbezieherin: Einerseits hat sie Er-
werbszeiten im Ausland, diese werden je nach Land teils bzw. gar nicht verrechnet 402 – mit
Argentinien besteht bis heute noch kein Sozialversicherungsabkommen. Frau E.1 erhält eine
Pension aus Frankreich (12mal im Jahr) und eine österreichische Pension (14mal im Jahr), mit
beiden zusammen liegt sie trotzdem unter dem Jahressatz der Ausgleichszulage und erhält mo-
natlich die reguläre Aufstockung, außerdem einmal im Jahr den Ausgleich für die fehlenden
Sonderzahlungen aus Frankreich. Andererseits fehlen Frau E.1 Erwerbszeiten durch die Kin-
dererziehung – „wie die Kinder klein waren, und die Jüngste bis 10, habe ich nicht gearbeitet,
so war das“. Diese Jahre dürften, da sie zum einen in anderen Ländern verbracht wurden, zum
anderen über das anrechenbare Maß hinausgehen, nicht bzw. nur bedingt als Ersatzzeiten auf-
scheinen. Der Verlust ihrer letzten Stelle zog die Pensionierung nach sich, womit sie mit ihrer
Eigenpension unter der Ausgleichszulage verblieb. Die deutliche Überschreitung des Regel-
pensionsalters war ihr eigentliches Ziel, und sie hätte danach noch leicht ein paar Jahre gering-
fügig dazuverdienen können. Aktuell ist ein Dazuverdienst mit der Ausgleichszulage proble-
matisch, da dies die Streichung der gewährten Zulagen zur Folge hätte.

Soziale Kontakte
Das soziale Netzwerk von Frau E.1 ist nur schwer zu fassen, da sie durch ihre ehrenamtliche
Tätigkeit auf der ‚Suche nach Vätern aus der Besatzungszeit‘ ein beträchtliches Netzwerk auf-
gebaut hat und mit circa 400 Personen in regelmäßigem Kontakt steht. Im sozialen Netzwerk
trägt sie ihre drei Kinder ein, mit denen sie sich gut versteht und die sie auch materiell unter-
stützen: „Sie kaufen mir ein Gewand oder so irgendwas als Geschenk zu Weihnachten als
Weihnachtsgeschenk oder Geburtstagsgeschenk, ich habe wirklich sehr gute Kinder, das muss
ich sagen [...] also ich glaube, es hat sich ausgezahlt, dass man die Zeit investiert in die Kinder,
dass dann eben auch was zurück kommt, wobei natürlich nicht jeder in der Lage ist, es gibt ja
Kinder, denen geht es schlechter als den Eltern.“ Zum Ausgleich dafür betreut Frau E.1 die
Kinder ihrer in Wien lebenden Tochter und hat ihr die Eigentumswohnung bereits überschrie-
ben, für welche Frau E.1 nur noch die Betriebs- und Energiekosten zahlt. „Die Enkelkinder
betreue ich natürlich auch ein bisserl, nicht die ganze Woche, da hat meine Tochter, hat jetzt eh
eine Studentin und zwei Tage sind sie nach der Schule bei mir oder sie übernachten dann da“.
Alle drei Kinder werden im ersten Kreis verortet bzw. die Enkelkinder, vier an der Zahl, im
ersten und zweiten Kreis, letztere sind ihr etwas weniger nahe, da diese im Ausland leben und
sie sie daher seltener sieht. Zusätzlich trägt sie ihre Schwester in den ersten Kreis ein. Der
Kontakt zu ihrer Familie ist intensiv, eine Tochter und die Schwester sieht sie regelmäßig bzw.
greift sie bei den beiden im Ausland lebenden Kindern auf Whats App oder Skype zurück. Frau
E.1 ist als eine relativ kompetente Anwenderin von digitalen Medien einzuschätzen und weiß
auch über die Vorteile und Nachteile der Kosten dieser Kommunikationsmittel Bescheid: „Das
Telefon darf mir nichts kosten, nur die Grundgebühr [...] nein das geht ja nicht, das ist eh schon
alles so teuer, wie gesagt, die Fixkosten, wenn man das alles zusammenrechnet, da spare ich
schon, wo es halt geht“. Aufgrund ihres guten Gesundheitszustandes ist Hilfe im Bereich Pflege
und Betreuung nicht von Nöten und daher auch kein aktuelles Thema – „Nein, eigentlich nicht.
Na man denkt natürlich schon dran, aber na, so richtig Pläne habe ich noch keine gemacht. Na
ich hoffe, ich sterbe einmal im Schlaf, in meinem Bett (lacht)“. Entsprechend wurde noch keine
Vorsorge getätigt bzw. nicht mit den Kindern besprochen. Auf das Netzwerk zurückkommend

402
In einem Interview aus der ersten Serie führte dies dazu, dass eine österreichische Staatsbürgerin überhaupt
keine Pension aus Österreich bezieht (wird im Nachfolgenden noch aufgegriffen), da sie ihr gesamtes Er-
werbsleben in Ländern ohne Sozialabkommen verbrachte.
242 Ergebnisse

ist auch ersichtlich, dass sie sich ebenso gut mit der Schwiegertochter und dem Schwiegersohn
versteht und trägt diese im dritten Kreis ein; weitere Verwandte gibt es nicht. Zehn ihrer wich-
tigsten Freundinnen trägt sie zwischen dem ersten und vierten Kreis ein, wobei sich diese aus
ehemaligen Arbeitskolleginnen, Nachbarinnen und Schulfreundinnen zusammensetzen und
vorrangig auf Basis der Kontakthäufigkeit mal näher bzw. bei selteneren Kontakten etwas wei-
ter weg von ihr positioniert werden. Zusammenfassend hat Frau E.1 das größte Netzwerk aller
Befragten, pflegt die Kontakte und ist mit ihren sozialen Beziehungen sehr zufrieden.

Aktueller Alltag
Frau E.1 ist als sehr aktiv zu bezeichnen und hat sich noch das Ziel gesetzt, ihren Vater, auch
wenn dieser schon verstorben sein mag, zu finden bzw. hilft sie anderen bei der Suche nach
deren verschollenen Besatzungsvätern. Diese Tätigkeit füllt einen großen Teil ihrer Zeit aus
bzw. hat sie in den letzten Monaten ein Buch darüber geschrieben und nun veröffentlicht. Zu-
sätzlich finden Treffen mit dieser Gruppe statt, sie hilft bei Übersetzungen oder es kommt Be-
such aus Russland. Sie verbringt viel Zeit mit ihren beiden Enkelkindern, geht ab und an ins
Museum oder zu kulturellen Veranstaltungen, während sie am Abend fern sieht bzw. ein Buch
liest. „Ich glaube, es gibt keine typische Woche, weil entweder es tut sich gar nichts und ich
habe z.B. nur meine Enkelkinder zweimal in der Woche oder was weiß ich, einkaufen gehen
oder ein Arztbesuch oder pff also nichts Besonderes, aber ich tu schon sehr viel E-Mail schrei-
ben, vor allem mit Russland, die ganze Korrespondenz“. Frau E.1 wirkt sehr beschäftigt und
hat einen ausgefüllten Alltag, auch für den Interviewtermin musste sie ihren Terminkalender
befragen. Wie bereits erwähnt, ist ihr Gesundheitszustand als gut zu bezeichnen und sie kann
daher alle Haushaltsaktivitäten autonom durchführen. Sie merkt aber an: „Seit ungefähr zwei
Jahren ist das sehr oft, einmal das Knie, einmal die Hüfte, einmal die Schulter und das sind halt
Arthrosen, die sich entzünden, dann Arthritis und wenn ich da nichts einnehme, ich weiß gar
nicht wie das ist, weil ich nehme immer gleich ein entzündungshemmendes Mittel, aber das ist
dann schon arg, aber wie gesagt, jetzt, so, ich muss ja fit sein, ich habe ja kleine Enkelkinder,
nachrennen kann ich ihnen zwar nicht mehr, aber so, ich möchte schon hoffentlich noch lange
fit sein“. Hier sei jedoch noch ergänzt, dass die Wohnung, im Vergleich zu vielen anderen
Interviewten, einen hohen Grad an Barrierefreiheit bietet und auch bis auf die Straße keine
größeren Hindernisse genommen werden müssen. Zusammenfassend berichtet Frau E.1 aus
ihrem Alltag abseits ihrer ehrenamtlichen Arbeit wenig. Dies könnte dadurch erklärbar sein,
dass sie eine Alltagsroutine gefunden hat und aktiv ihren Tag gestaltet. Ihr größtes Ziel ist und
bleibt aber, ihren Vater bzw. das Grab doch noch zu finden: „Ich werde sowieso weiter tun bis
an mein Lebensende oder so, weil die Hoffnung darf man nie aufgeben“.

Materielle Lage
Frau E.1 ist in der Bewertung ihrer Situation hin und her ge- Wohnung 400,-
rissen. Einerseits betont sie, wieviel Glück sie im Leben hatte Strom/Heiz. 50,-
und verweist auf die vielen Orte, die sie gesehen hat oder dass Lebensbedarf 200
sie eine Tochter bereits zweimal in New York für mehrere Bekleidung 5,-
Medikamente 25,-
Monate besuchen und mit den Kindern Zeit verbringen Tabakwaren 0,-
konnte, „also so gesehen, denke ich mir, ist doch egal, dass ich Zeitungen/Bücher 0,-
nur so wenig Geld habe. Dann wieder ist es so, meine Freun- Sport/Freizeit/Kultur 15,-
dinnen treffen sich irgendwo zum Mittagessen, und das fällt Öffentlich. Verkehr 20,-
mir dann schon immer schwer, weil für mich ist ein Kaffee- Telekommunikation 24,-
hausbesuch oder ein Mittagessen schon, ja, hie und da muss Versicherungen 21,-
man es sich leisten, aber so oft wie die, kann ich es mir nicht Sparen 0,-
leisten, das ist klar“. Beachtenswert ist hier die Formulierung „muss“, welche darauf hindeuten
Portraits altersarmer Menschen 243

dürfte, dass zum Erhalt dieser Beziehungen auch ein gemeinsamer Kaffeehausbesuch nötig ist,
um sich nicht selbst auszuschließen. An anderer Stelle erwähnt sie noch: „Nur jetzt, das ist halt
ein bisserl unangenehm, weil immer, wenn ich was brauche oder so, meine Tochter oder die
andere, na die Jüngste, die jetzt in Kanada ist, die kann mir jetzt nichts geben, weil die muss
selber kämpfen, aber sonst zahlen mir schon meine Kinder auch Reisen oder so und so Sachen,
aber trotzdem bin ich sehr sparsam“. Zudem erhält Frau E.1 einige Sozialleistungen: „Den Mo-
bilpass habe ich, Kulturpass habe ich, die Karte für den SOMA-Markt habe ich, eh alles habe
ich, was es nur gibt, vom, warten sie ähm Medikamenten Gebührenbefreiung habe ich, dann
was gibt es da noch? Aja, die ORF-Gebührenbefreiung habe ich“; zusätzlich bezieht sie den
Fernsprechentgeltzuschuss. Frau E.1 ist eine der wenigen Befragten, die regelmäßig zum So-
zialmarkt geht. Sie berichtet aber auch, dass es Überwindung brauchte, diesen Schritt zu gehen,
nun ist sie es gewohnt. Aufgrund dessen, dass häufig einige Grundnahrungsmittel nicht vor-
handen sind, geht Frau E.1 zusätzlich in Supermärkte bzw. auf den Markt und kauft dort Obst
und Gemüse. Wie sehr Frau E.1 bei größeren Ausgaben auf ihre Kinder angewiesen ist, wird
in Anbetracht ihrer Kostenaufstellung ersichtlich. Obwohl Frau E.1 in einer Eigentumswoh-
nung lebt und nur die Betriebs- und Energiekosten zahlen muss, gab sie bis vor Kurzem circa
550 Euro für beide Positionen zusammen aus, nach Absenken des Rücklagenanteils sind es
immerhin noch 450 Euro. Wie sich im Laufe des Gesprächs herausstellte, sind ihre Kinder eine
zentrale Kraft in der Bewältigung der finanziellen Lage und so merkt Frau E.1 im späteren Teil
des Interviews bezüglich Kleidung nochmals an: „das meiste, wenn ich was brauche, kauft mir
meine Tochter, weil sie mich eh überhäuft mit Geschenken, ich brauche das oft gar nicht, dass
ich eine neue Jacke brauche oder was, weil ich habe das eh“. Zusätzliche hat Frau E.1 Ausga-
ben für Medikamente, die nicht über die Rezeptgebührenbefreiung abgedeckt sind – dies gaben
auch andere Befragte häufig an. Schulden hat Frau E.1 zwar keine, aber auch nur geringe Er-
sparnisse, welche sie nicht angreifen möchte, um sie für absolute Notfälle zur Verfügung zu
haben.

Resümee
Frau E.1 kommt vor allem durch die Unterstützung ihrer Kinder finanziell über die Runden und
es ist anhand der Indikatoren nicht zu beurteilen, ob sie materiell depriviert ist oder nicht, da
sie etwa die Frage nach der Möglichkeit des Fleisch/Fisch/Geflügel Konsums nicht beantwor-
ten kann. Sie kauft nur selten Fleisch und kann die Kosten nicht wirklich abschätzen. Im Ver-
gleich zu vielen anderen Befragten ist ihre Situation aber eher als wenig prekär – vor allem
durch die Kinder – einzuschätzen und Frau E.1 hat sich mit dem finanziell eng limitierten Rah-
men arrangiert, indem sie sehr genügsam ist. „Manche meiner Freundinnen sagen mir, sie be-
wundern mich, weil ich so, ich rede nie, ich jammere nie ums Geld, manche sagen: ‚ma, das ist
mir zu teuer‘, es ist mir schon manches zu teuer, das ist eh klar, aber ich bin zufrieden und das
ist, glaub ich, das Wichtige, man muss ja nicht alles haben. Natürlich, wenn ich mehr Geld
hätte, würde ich mir vielleicht mehr kaufen, aber wozu?“. Auffallend ist, dass sich die ausbe-
zahlte Eigentumswohnung eher als kostenintensiv entpuppte, da durch die Haussanierung die
Fixkosten relativ hoch wurden bzw. Frau E.1. sich wichtige Reparaturen bzw. Renovierungen
ohne ihre Kinder nicht leisten könnte. Andererseits ist die Wohnung im Vergleich zu den an-
deren Befragten relativ groß, hat sogar ein Kinderzimmer, in welchem derzeit die Enkel schla-
fen können. Durch dieses Extrazimmer hat Frau E.1 den Vorteil, lange, auch bei zukünftig be-
nötigter Pflege, in ihrer Wohnung verbleiben zu können, da diese außerdem in einem guten
Zustand und barrierefrei ist. Deshalb macht sie sich nur wenige Gedanken, wie und wo sie bei
einer gesundheitlichen Verschlechterung leben möchte. Zusammenfassend ist festzustellen,
dass Frau E.1 alle Sozialleistungen nutzt und auch in den Sozialmarkt geht, womit sie mit ihren
244 Ergebnisse

finanziellen Mitteln im Alltag halbwegs auskommt. Könnte sie jedoch bei zusätzlichen Ausga-
ben nicht auf ihre Kinder zurückgreifen, wäre ihre prekäre Situation weitaus spürbarer. Der
offene und unprätentiöse Umgang mit ihrer beengten finanziellen Situation führt in ihrem Fall
nicht zu einer Exklusion im Freundeskreis, ganz im Gegenteil, sie wird dafür sogar geachtet.
Ihr Selbstwert wird nicht durch die finanzielle Lage bestimmt, sondern durch ihr soziales Netz-
werk gestärkt.

4.1.8 Portrait von Frau S.2 – Die Künstlerin

Lebensgeschichte
Frau S.2 wurde 1944 in Wien geboren und verbrachte das erste Lebensjahr in Schlesien auf
einem Gut der Großmutter. Im Zuge der Übernahme von Schlesien durch den polnischen Staat
zog die Familie zurück nach Wien; Frau S.2 wuchs in einem Dreigenerationenhaushalt auf. Sie
erwähnt, dass zu dieser Zeit das Geld knapp war, sie jedoch in eine kirchliche, private Volk-
schule gehen konnte. Im Anschluss daran ging sie zur Schule des Frauenerwerbsvereins, „also
eine gewöhnliche Mittelschule, also grauslich“. Bereits damals wollte sie Schauspielerin wer-
den, formulierte diesen Wunsch vor ihren Eltern aber nicht. Auf Initiative der Mutter sollte sie
die Matura machen bzw. war der Vater davon überzeugt, dass die Hotelfachschule das Richtige
sei – „habe ich mir gedacht, pffff ja das ist mir ja wurscht, schickt mich hin wo ihr wollt (lacht)“.
Im Zuge eines Ferialpraktikums lernte sie den Gatten einer Schauspielerin kennen, welcher ihr
„den richtigen Weg“ wies und schrieb sich auf sein Anraten in einer Schauspielschule ein. Auf-
grund dessen, dass sie noch nicht die Volljährigkeit erreicht hatte, brauchte sie die Unterschrift
eines Erziehungsberechtigten und konnte ihre Mutter letztlich davon überzeugen. Um ihrem
Vater entgegen zu kommen, nahm sie zusätzlich eine Tätigkeit in ihrem Ausbildungsbereich an
und hatte das Glück, dass ihr damaliger Arbeitgeber ihr die Ausbildung nebenbei ermöglichte.
Nach einem gleitenden Übergang widmete sich Frau S.2 nur mehr der Schauspielerei. „Also
jetzt musste ich Farbe bekennen bei meiner Chefin und ich durfte wirklich von einem Tag auf
den anderen aufhören und habe dann noch im [X] gespielt und dann hat die Tingelei begonnen,
einmal dort, einmal da. Was mir natürlich keine soziale Sicherheit gegeben hat, ich meine, ich
war noch zu Hause, mein Vater hat noch gelebt, habe erst, wie sagt man da, Kostgeld zahlen
müssen, wie er verstorben war“. Wie in diesem Beruf üblich spielte sie in diversen Ländern,
etwa der Schweiz und Deutschland, bzw. nannte sie diverse Schauspielhäuser in Österreich und
pendelte zwischen Anstellungen und freiberuflicher Tätigkeit. Aufgrund der Demenzerkran-
kung ihre Mutter verändert sich ihre berufliche Laufbahn, „weil das hat, beruflich also war für
mich dann auch ein Einschnitt und da bin ich dann, ja da war, dass ich die Jahre beisammen
gehabt habe und schon mit 55 mit Abstrichen in Pension gehen konnte und dann habe ich mir
gedacht, weil wie schaffe ich das“. Um daher ihre Mutter 5 Jahre bis zu deren Tod pflegen zu
können, ging sie in Pension. Zusätzlich dürfte sich aber auch ihre Karriere dem Ende zugeneigt
haben, denn sie deutet im späteren Verlauf des Gesprächs eine schlechter werdende Auftrags-
lage an. Zwischenzeitlich ging Frau S.2 sieben Jahre eine Heirat in den 1970ern ein, ließ sich
später von ihrem Mann scheiden und misst der Ehe heute keine Bedeutung mehr bei: „Ich hätte
nie heiraten dürfen aber ich habe das halt gemacht, weil ich geglaubt habe, das gehört sich
(lacht) also die Familie halt auch, also die Mutter und auch die Großmutter, weil ich wollte
mich schon nach 5 Jahren scheiden lassen, hat sie zu mir gesagt, die Großmutter: ‚ich habe
mein Leben lang in meiner Ehe gelitten, das wirst du auch‘“. 1982 bezog Frau S.2 ihre Eigen-
tumswohnung, in welcher sie noch heute lebt. „Es ist eine Eigentumswohnung aber wohnbau-
gefördert oder so irgendwie, es ist also ein bisserl billiger gewesen, das Ganze. Und da haben
sie mir die Wohnung angeboten und eine Zwei-Zimmer-Wohnung in der Hartmanngasse und
bei der Wohnung ist sich das ausgegangen, was ich an Geld gehabt habe und da habe ich mir
Portraits altersarmer Menschen 245

gedacht, ich schaue mir gar nicht die Hartmanngasse an, was solls, weil in Schulden kann ich
mich nicht stürzen bei dem Beruf“.

Ursache der Altersarmut


Frau S.2 trat vorrangig aufgrund der Pflegebedürftigkeit der Mutter die Pensionierung an und
musste entsprechende Abschläge in Kauf nehmen, mit welchen sie nun ein Pensionseinkommen
unter der Armutsgefährdungsschwelle hat: „Ich bin in Pension gegangen mit 55 mit 10 % Ab-
strich von der Pension, gut, die ist im Laufe der Jahre immer um ein bisserl was gewachsen,
um ein, zwei Prozent und so, also dass wir letztendlich bei 940 € im Monat sind“. Zwar war
Frau S.2 auch angestellt, die Dienstverhältnisse wechselten sich jedoch mit ihren freien Tätig-
keiten ab: „Wenn du in einem Keller gespielt hast, warst du überhaupt nicht angemeldet, aber
du hast, also es war schon wichtig, sich immer dem Arbeitsamt zu melden und da war es zu
meiner Zeit noch so, dass du am Ende jedes Monats hingegangen bist und gesagt hast: ‚an
diesen, diesen, diesen, diesen Tage habe ich gearbeitet‘ und die anderen Tage sind dir abgezo-
gen worden, aber versichert warst du. Also ich war krankenversichert und die Zeit ist auch für
die Pension, aber ohne finanzielle, die Zeit ist eben nur angerechnet worden, nicht“. Um eine
noch kleinere Pension zu verhindern, kaufte Frau S.2 in einer Zeit mit besserem Gehalt ihre
Schulzeiten nach, „dass ich die 40 Jahre zusammen bekomme“. Frau S.2 nimmt zusammenfas-
send an, eine große Anzahl an Versicherungsjahren erreicht zu haben, auf der anderen Seite
waren jedoch die Gagen meist gering und die Angestelltengehälter wechselten zwischen nied-
rigen und etwas höheren Beträgen: „Ja, es war ein ewiges Auf und Ab, es hat gegeben, dass ich
um 30 Schilling oder 35 Schilling pro Abend, im Kellertheater gespielt habe und das hat halt
dann auch (...) weiß nicht, ob ich je die 10.000 Schilling Monatsgage irgendwo je erreicht
habe“.

Soziale Kontakte
In der Gesamtschau hat Frau S.2 ein überaus großes soziales Netzwerk und trägt über 25 Posi-
tionen auf der Netzwerkkarte ein. Grundsätzlich betont Frau S.2: „Ich bin die letzte meiner
Familie, es gibt niemanden mehr. Weit, weit verwandt, aber mit denen habe ich überhaupt kei-
nen Kontakt, ich müsste eine Großcousine (lacht) in England haben und die müsste, also in
Deutschland auch, den habe ich sogar einmal kennengelernt, die anderen sind auch schon ge-
storben, also es ist halt, ja“. Trotzdem gibt sie Personen im Sektor der Familie an bzw. bezeich-
net die genannten Personen als Familie und hat sich damit eine Wahlfamilie aufgebaut, in wel-
cher sie in gewisser Weise mütterliche und großmütterliche Funktionen einnimmt; sie spricht
hier auch von „meiner“ P [Frau P]. In diesem Zuge möchte sie Frau P (eine ehemalige Schülerin
aus ihrer Schauspielzeit) und ihrem Sohn gerne die Wohnung überlassen, sofern dies möglich
ist. Frau P. hilft ihr auch im Krankheitsfall bzw. dürften die benötigten Unterstützungsformen
abgedeckt sein. Zusätzlich trägt Frau S.2 eine weitere Familie in den familialen Sektor ein, für
welche sie etwa die Betreuung der Kinder tageweise übernimmt. Frau S.2 ist hiermit zur
„Wahloma“ geworden – „es ist wirklich schön, die Mäderl kommen einmal die Woche zu mir,
mittlerweile sind es zwei, die eine ist 10, die andere ist 7, ähm und ja, das nimmt auch viel Zeit
in Anspruch“. Zusätzlich wurde sie von der Familie erstmalig zur Weihnachtsfeier eingeladen:
„Ich habe noch nie Weihnachten mit Kindern erlebt, so alt ich bin, selber keine gehabt, keine
Möglichkeit gewesen. Habe ich gesagt, ja ich komme [...] Ja da freue ich mich schon drauf“.
Trotz der Scheidung steht Frau S.2 mit ihrem Ex-Mann in Kontakt – „wir sind heute noch gut.
Also und helfen einander auch, wenn es irgendwie geht“ – und trägt diesen im vierten Kreis,
seine Familie im fünften Kreis und ihr Taufpatenkind im sechsten Kreis ein. Zusammen gibt
Frau S.2 damit 8 Personen bzw. eine undefinierte Größe der Ex-Familie im familialen Sektor
246 Ergebnisse

an und konnte sich trotz Kinderlosigkeit und dem Tod ihrer blutsverwandten Familie ein ent-
sprechendes Netzwerk erhalten bzw. neu aufbauen. Im Bereich der Freunde gibt Frau S.2 viele
Kontakte an, welche sich aus der Zeit an der Hotelfachschule, den ehemaligen ArbeitskollegIn-
nen bzw. deren PartnerInnen und als Ausbildnerin im Bereich der Schauspielerei zusammen-
setzen. 15 Kontakte zeichnet sie hierzu über alle sechs Kreise hinweg ein, wobei auch in diesem
Falle eine ehemalige Schülerin im Zentrum steht. Im Bereich der Bekannten gibt sie ihre Sitz-
nachbarInnen im Theater ihres Kulturabos an und nennt als weiteren wichtigen Kontakt eine
soziale Einrichtung, in welcher sie ihr Gedächtnistraining macht. Zusätzlich wird eine Frau
erwähnt, mit welcher sie ab und zu spazieren geht, trägt diese aber nicht mehr ein. Die meisten
Kontakte sind zusammenfassend als intensiv zu bezeichnen und wurden in den letzten Jahren
im Bereich der Freunde im Segment der ehemaligen SchulkollegInnen verstärkt - „früher haben
wir uns alle 10 Jahre einmal getroffen, so ungefähr, dann waren es 5 Jahre und jetzt, seit etlichen
Jahren schon, treffen wir uns jährlich, weil wir gesagt haben, na, jetzt sind wir schon so alt“.
Frau S.2 kann in ihrem sozialen Netzwerk umfangreich auf soziale Unterstützung zurückgrei-
fen, was sie im Interview anhand eines Sturzes vor einigen Jahren verdeutlicht. Dabei verweist
sie zusätzlich auf eine Nachbarin, welche ihr damals half bzw. auch aktuell für sie putzt, da sie
diese Tätigkeit nicht mehr machen kann. Ebenso nannte sie eine Freundin, welche ihr unter
anderem einen Rollstuhl besorgte. Zusammenfassend ist sie mit ihrem Netzwerk sehr zufrieden,
kann trotz ihrer finanziellen Eingeschränktheit am sozialen und kulturellen Leben teilnehmen.

Aktueller Alltag
Frau S.2 verfolgt gewisse Wochenabläufe und Alltagsroutinen: So macht sie regelmäßiges Ge-
dächtnistraining in einer sozialen Einrichtung bzw. auch ein Bewegungsprogramm oder Atem-
übungen gegen ihr COPD (sie war etwa 40 Jahre Raucherin) und ist hierfür mehrfach in der
Woche außer Haus; hat tageweise ihre Wahlenkelkinder bei sich und geht abends manchmal
via Abo bzw. unter Nutzung des Kulturpasses in die Oper oder in das Theater, wobei sie auch
bei Generalproben zuschaut. Im Sommer sitzt sie gerne im angrenzenden Park und besucht
manchmal Vorträge. Zudem hat sie Fixpunkte im Jahr, wie das Martinigansl-Essen mit ehema-
ligen ArbeitskollegInnen. Obwohl der Gesundheitszustand von Frau S.2 vor allem durch ihre
Atembeschwerden beeinträchtigt ist und sie angibt, wetterfühlig zu sein, ist sie sehr aktiv. Je-
doch hat sie Probleme in Räumen mit schlechter Luftqualität, „da wird mir, also ein bisserl
schwummelig, dann muss ich halt den Notfallspray nehmen“. Zudem hat sie einen Wirbelein-
bruch bzw. allgemein Probleme mit der Wirbelsäule und ist beim Putzen auf externe Hilfe an-
gewiesen. Um trotzdem etwas unternehmen zu können, nimmt sie bei längeren Ausflügen vorab
ein Schmerzmittel. „Aber, ich tu was ich kann, um mich halbwegs in Schuss zu halten, dass ich
nicht so bald eine Heimhilfe brauche (lacht) und schon gar nicht, obwohl ich angemeldet bin,
in ein Heim muss“. Dazu berichtet sie über Erfahrungen einer nahen Verwandten in einem
„Heim“: „Jeder Handgriff wurde extra verrechnet [in Verweis auf eine Tante, welche sie im
Heim früher besuchte], (..) und das kann ich mir ja gar nicht leisten, mit meiner Pension. Und
so muss ich schauen, dass ich da halt, solange es gut geht und es geht ja, ich meine ich gehe
alleine einkaufen, habe mein Einkaufswagerl und so. Einmal gehts leichter, einmal gehts
schwerer das Bergerl da rauf, wegen der Luft. Aber es geht noch“. Zur Absicherung (nach ihrem
Wirbeleinbruch, wo sie große Mühe hatte, Hilfe zu rufen) hat sich Frau S.2 einen Notrufknopf
besorgt und fühlt sich dadurch wieder freier und sicherer, da sie im Bedarfsfall darauf zurück-
greifen kann. Frau S.2 ist die einzige der Befragten, welche solch ein Notrufsystem besitzt,
obwohl dieses für einige der Befragten ein wichtiger Behelf wäre. Der entscheidende Grund
dafür oder dagegen ist nicht der dringende Bedarf bei den meisten, sondern die zusätzlichen
Kosten. Zusammenfassend ist ihr Alltag verhältnismäßig wenig durch ihren Gesundheitszu-
stand beeinträchtigt, hat viele wöchentliche Ankerpunkte und ist damit ausgelastet. Trotzdem
Portraits altersarmer Menschen 247

denkt sie an das Szenario der Pflegebedürftigkeit und hat sich bereits vor Jahren im Wohnhaus
angemeldet. Dieses bezeichnet sie jedoch als letzten geeigneten Ausweg – als Ultima Ratio.

Materielle Lage
Frau S.2 hat im Gegensatz zu den anderen Befragten den Vorteil, auf ein Erbe blicken zu kön-
nen, welches sie stückweise aufzehrt bzw. selbst als „dazuschustern“ bezeichnet. Dadurch ist
es ihr auch möglich, größere Kosten bewältigen zu können und verweist unter anderem auf eine
Renovierung des WCs, welches ihr letztes Jahr an die 3.000 Euro gekostet hat. Entsprechend
baut Frau S.2. ihr Vermögen kontinuierlich ab: „Ja, so weit, also ich meine, lange geht das eh
nimmer so weiter, aber das gebe ich mir selber zum Bedenken, ist das, weil ich weiß, das geht
nicht mehr so“. Sie macht aber auch aufmerksam, dass sie ihre Ansprüche reduziert hat bzw.
sich ihre Interessen verschoben haben und deutet damit an, letztlich weniger Geld im Monat als
früher zu benötigen. Dass sich der monetäre Erbschaftspolster deutlich verringert, gibt sie auch
mit folgenden Worten wieder: „Aber es ist, wie gesagt, ich muss jetzt schon, also das mache
ich schon letztes Jahr auch, ein bisserl aufpassen, weil man muss immer damit rechnen, es
kommt auch was außertourliches dazu, nicht. Was ich dann mache, weiß ich nicht, da wird der
Herrgott schon ein Einsehen mit mir haben“. Im Weiteren erwähnt Frau S.2, dass sie sich kein
Gewand mehr kauft, ebenso hat sie vor ein paar Jahren Urlaube eingestellt bzw. habe sie im
Freundeskreis die Vereinbarung getroffen, sich gegenseitig nichts mehr zu schenken – „Ge-
burtstage, Weihnachten und so, weil das ist, irgendein Klumpert, das mag ich auch nicht zu-
sammen kaufen und das kann sehr ins Geld gehen“. Auch gegenüber ihren Wahlenkelkindern
hält sie hierzu fest: „Nein, es ist insofern, also ich kann ja nicht tolle Geschenke machen“.
Zudem versuchte Frau S.2 noch in den Jahren, wo mehr Geld zur Verfügung stand, wichtige
Investitionen in der Wohnung zu tätigen und ließ etwa die Küche renovieren. Auch versucht
sie durch LEDs die Stromkosten zu senken. „Ich habe auch so vorgesorgt, weil ich mir gedacht
habe, ich werde einmal keine große Pension haben, das würde ich jedem Menschen raten, ei-
gentlich wirklich zu schauen, dass man seine Lebenshaltungskosten so günstig wie möglich
hält. Angesichts der Ein-Zimmer-Eigentumswohnung ist Frau S.2 ein gewisses Vermögen zu
attestieren und sie sieht darin auch eine Möglichkeit, die Kosten für das Altenwohnhaus im
Ernstfall decken zu können. Seit 2018, also nach dem Interview, wäre aber auch dies nicht mehr
nötig, da der Regress auf das Eigentum (kurz: Pflegeregress) abgeschafft wurde. Nichtsdestot-
rotz ist auch bei Frau S.2 die Frage einzuwerfen, wie sie mit Wiederbeschaffungskosten umge-
hen wird können, wenn die letzten Ersparnisse verbraucht sind. Positiv lässt sich anmerken -
das Interview fand in der Wohnung statt -, dass (nach meinem eigenen Eindruck) die Wohnung
in einem guten Zustand ist und in der nächster Zeit wohl keine größeren Sanierungen mehr
anfallen dürften. Die Möbel waren alle in einem sehr gepflegten Zustand und dürften einen
gewissen Wert besitzen – „das Speisezimmer von Herrn [Z], das war ein ehemaliger Bürokol-
lege von meiner Mutter [...] also andere Möbel sind von meiner Tante, so, die Schwester meines
Vaters“. Zusätzlich besitzt Frau S.2 ein kleines, 13 Jahre altes Auto und nutzt dieses, wenn sie
mehr als circa 5km Distanz zurücklegen muss. Frau S.2 dürfte daher nicht als depriviert zu
bezeichnen sein. Ihr Beispiel zeigt jedoch auch die Problematik hinter solchen Lebensstandard-
fragen. So antwortet sie auf die Frage, ob sie sich jeden zweiten Tag Fisch/Fleisch/Geflügel
leisten könne: „Nein, weil ich das überhaupt nicht esse aus Überzeugung (lacht) also ich esse,
ich bin keine Veganerin oder so irgendwas“. Auf die Frage, ob sie sich bei Bedarf neue Kleider
kaufen könne, folgt folgende Antwort: „Nachdem ich so viel habe, ist es uninteressant gewor-
den.//I: Hm, aber theoretisch, ist es finanziell möglich?// Frau S.2 : Na begrenzt auch, also das
würde ich nicht sagen. Also ein Leiberl um 15 € geht, oder der Wintermantel jetzt, das waren
halt zwei alte Teppiche, die ich verkauft habe“. Einerseits wurde erstere Frage möglicherweise
missinterpretiert, die letzte Frage bleibt insofern im Unklaren und nicht erhebbar, da sie zwar
248 Ergebnisse

vielleicht um 15 Euro Kleidung einkaufen könnte, andererseits sie bei ihrem letzten Kauf eines
Mantels dafür zwei Teppiche verkaufte, also auf ihren Besitz zurückgegriffen hat. Ohne auf
dies hier weiter eingehen zu wollen, zeigt sich an dem Beispiel die Problematik dieser Frage-
konstruktion. Angesichts des Pensionseinkommens ist sie zudem von der GIS befreit, zahlt nur
etwa das halbe Jahr Rezeptgebühren, hat einen Sozialpass (der Vorgänger des Mobilpasses)
und einen Kulturpass, welcher für sie eine wichtige Finanzierungsmöglichkeit ihrer kulturellen
Aktivitäten darstellt. Im Schnitt von zehn Monaten gibt sie Barauslagen in der Höhe von circa
780 Euro an, zusammen mit gut 220 Euro für Wohnung und Energie (Versicherungen, Handy
usw. nicht mitbedacht, da sie diese nicht mehr nennen wollte und in den Barauslagen nicht
enthalten sind, da eine Abbuchung über das Konto erfolgt) ist zumindest von einem monatli-
chen Defizit von 50 Euro auszugehen. So ist zusammenzufassen, dass Frau S.2 im Vergleich
zu den anderen Befragten durch ihr Barvermögen Vorteile hat oder hatte, ob dieses bis zum
Lebensende reicht, ist jedoch sehr ungewiss, daher versucht Frau S.2 ihre Ausgaben weiter zu
verringern.

Resümee
Frau S.2 gehört zu jenen Befragten, welche sich am besten mit der minder monetären Lage des
eigenen Einkommens arrangieren konnten; als Alleinstellungsmerkmal unter den Interviewten
muss jedoch ein ererbtes Vermögen genannt werden. Durch den Erhalt von Sozialleistungen
und dem Kulturpass kann sie zudem ihre Kosten senken und ihre kulturellen Bedürfnisse abde-
cken. Dies rechnet Frau S.2 der staatlichen Seite hoch an und zieht für sich die Bilanz, durch
solche Hilfeleistungen ein höheres Einkommen zu haben. Entsprechend der Einteilung in Ka-
pitel 3.1.2.2. lässt sich von kostenreduzierenden Maßnahmen sprechen, welche das Einkommen
in der Nutzung virtuell erhöhen. Auch Frau S.2 differenziert nicht zwischen Beitragszeiten und
Ersatzzeiten, sie geht einfach von 40 Versicherungsjahren in ihrer Pensionsbemessung aus.
Entscheidend für die niedrige Pension dürfte vor allem die damalige Einkommenshöhe sein,
sowie der Abschlag für die Frühpensionierung. Zusammenfassend bezeichnet sich Frau S.2
selbst nicht als arm, sondern bewertet ihre Situation weitgehend als gut und gelungen. Sie ist
mit ihrer Lebensbilanz zufrieden: „Also ich bin froh, dass ich, wenn man älter wird, man denkt
viel nach und man zieht auch Bilanz, wenn sie wollen, das ist die (lacht) Philosophie des Alt-
werdens und, dass ich sagen kann, ja ich glaube, es ist gelungen. Also ich habe für mich das
Beste draus gemacht und für andere vielleicht, den einen oder anderen auch, dass ich irgendwie
was Gutes tun konnte“.

4.2 Ursachen und Deutung der Altersarmut


Das folgende Kapitel teilt sich in vier Segmente: Im ersten wird nach den Bedingungen von
Altersarmut gesucht und hierfür vier Typen von Altersarmut (aus der Kombination von Er-
werbseinkommen und Versicherungsmonaten) abgeleitet. Innerhalb dieser werden die Befrag-
ten verortet. Im Anschluss folgt die Ursachenanalyse, daraus wird ein erstes Zwischenfazit ge-
bildet, bevor im letzten Teil die Deutung der Altersarmut in den (biographischen) Erzählungen
rekonstruiert wird. Als Hinweis sei noch angebracht, dass sich nachfolgende Ausführungen auf
alle durchgeführten Interviews beziehen, also nicht rein auf die oben vorgestellten Personen
aus den Portraits. Zudem werden, wie im Methodenteil beschrieben, versatzweise auch Inter-
views aus einer dieser Arbeit vorangegangenen Interviewserie (Personen sind mit „Ex“ gekenn-
zeichnet) genutzt, um hier ein möglichst vollständiges Bild meiner über die Jahre gewonnenen
Einsichten zum Thema zu präsentieren.
Ursachen und Deutung der Altersarmut 249

4.2.1 Die Bedingungen von Altersarmut


Wie bereits im Vorangegangenen formuliert, ist eine wesentliche Bedingung der Altersarmut
im Pensionssystem zu suchen: Auf Basis der rechtlichen Regelungen in Kombination mit den
Erwerbskarrieren der Befragten konstruiert dieses das Pensionseinkommen und ist hauptsäch-
lich durch die Faktoren Höhe des Erwerbseinkommens und Versicherungsjahre bestimmt (vgl.
auch Hauser, 2008; Palk, Schenk, & Schmid, 2014). Die beiden Aspekte leiten die nachfol-
gende Typologie an und lassen sich in eine Kreuztabelle überführen:
Tabelle 21 – Typen der Altersarmut
viele Versicherungsjahre wenige Versicherungsjahre

Untypische Konstellation Typische Konstellation I


„Verschleierter Weg „Instabiler Weg
hohes Erwerbs- in die Altersarmut“ in die Altersarmut“
einkommen Das Pensionseinkommen ist In gewissen Zeitabschnitten war
zwar hoch, Altersarmut wird das Erwerbseinkommen hoch, Brü-
durch exogene Faktoren konsti- che in der Erwerbskarriere mit Fol-
tuiert. gewirkungen reduzieren die Ersatz-
rate.

Typische Konstellation II Typische Konstellation III


„Stabiler Weg „Offenkundiger Weg
niedriges Er- in die Altersarmut“ in die Altersarmut“
werbseinkom-
men Das Pensionseinkommen ist Die Altersarmut rührt aus einem
trotz vieler Versicherungsjahre geringen Erwerbseinkommen sowie
niedrig. brüchigen Erwerbskarrieren und
tritt in verschiedenen Zeitsequen-
zen auf.

Zusammenfassend lassen sich drei „typische“ und eine „untypische“ Konstellation als Weg in
die Altersarmut ableiten, wobei die Bezeichnungen aus der Logik des Pensionssystems zu ver-
stehen ist. Allen drei „typischen“ Fällen ist gemein, dass diese in Kombination der dichotomi-
sierten Dimensionen, ehemaliges Erwerbseinkommen (hoch/niedrig) und Versicherungs-
jahre403 (wenig/viel), direkt in ein geringes Pensionseinkommen münden. Die untypische Kons-
tellation kann bei erster Betrachtung nicht als Altersarmut adressiert werden, da grundsätzlich
jene Personen ein Einkommen über der Armutsgefährdungsschwelle haben. Erst exogene Fak-
toren, wie Lohnpfändungen oder notwendige Ausgaben für die Pflege, drücken das verfügbare
Einkommen unter die Armutsgefährdungsschwelle. Da diese Komponenten nicht in der Be-

403
Personen, welche ins ASVG bzw. teilweise in das ASVG fallen, erwerben sowohl Beitrags- und Ersatzzeiten,
welche in den Versicherungszeiten zusammengefasst werden. Neben einigen Paragraphen, welche in ihren
Voraussetzungen zwischen Versicherungszeiten (etwa 480 Monate) und Beitragsmonaten (etwa 420 Monate)
differenzieren, sind die Beitragsmonate ein geeigneter Hinweis auf die Erwerbstätigkeit. Die Problematik ist,
dass die meisten Befragten auf die Versicherungszeiten verweisen. Womit diese in der 4-Felder-Tabelle auf-
genommen wurden. Nach Möglichkeit wird gleichwohl in der Rekonstruktion auf die Beitragsjahre fokussiert.
250 Ergebnisse

rechnung der Armutsgefährdung berücksichtigt werden, lässt sich dieser Typus auch als „ver-
schleierte Altersarmut“ bezeichnen. Die drei „typischen“ Konstellationen können eingeteilt
werden in eine „stabile“ und zwei „instabile“ Formen, wobei die Kombination aus niedrigem
Erwerbseinkommen und wenigen Versicherungsjahren (die zweite instabile Form) als der „of-
fenkundige“ Weg in die Altersarmut kategorisiert werden kann. M.E. ist diese Bezeichnung
geeignet, da viele der in der Öffentlichkeit diskutierten Fälle diesem Typus zuzurechnen sind.
Im Gegensatz dazu werden die anderen Formen weniger beachtet und häufig übergangen, aber
auch sie müssten eine intensivere Auseinandersetzung in der Armutsdiskussion erfahren. Beim
offenkundigen Typus wird gehäuft auf weibliche Erwerbskarrieren – bestehend aus langen
Passagen der Teilzeitarbeit (daher geringes Erwerbseinkommen) und Phasen der Erwerbsun-
terbrechung etwa durch Karenz und Pflege (daraus ergeben sich teils fehlende Versicherungs-
jahre) – im Feld verwiesen und bildet für gewöhnlich den Idealtypus politischer Interventions-
versuche (bspw. die Überarbeitungen der Anrechnung von Karenzzeiten; Integrationsbestre-
bungen in den Arbeitsmarkt nach Pausen; Ausdehnung des Regelpensionsalters bei Frauen, als
Argument gegen wenige Beitragsjahre; Kritiken am Gender Pay Gap). Erst seit Kurzem lässt
sich zudem ein politisches Interesse am „stabilen“ Altersarmutstyp konstatieren, welches sich
insbesondere aus einer Ungerechtigkeitsdebatte – wer lange gearbeitet hat, soll ein adäquates
Pensionseinkommen erhalten – speist. Allzu leicht wird übersehen, dass diese Debatten die
althergebrachte Stereotypisierung zwischen würdigen und unwürdigen Armen nicht zu über-
winden, sondern eher gar zu entfachen vermag bzw. der stabile Typ verstärkt in den letzten
Jahren für ein ganz anderes Feld, nämlich jenes der Migration, vereinnahmt wird.404
Bevor der Versuch unternommen wird, die Befragten im Bereich der vier Felder einzuordnen,
muss erwähnt werden, dass es hier zwei zentrale Einschränkungen gibt, die sich vorrangig aus
der Komplexität des Pensionssystems ableiten.405 Einerseits ist es schwierig die Versicherungs-
monate zu bemessen (dies hätte eine andere, sehr spezialisierte Form der Befragung benötigt),

404
Auch wenn dies hier nicht weiter verfolgt wird, so muss die Frage aufgeworfen werden, was nun tatsächlich
unter Beitragsjahren verstanden wird (wie in der politischen Debatte aktuell vorfindlich), wenn von einer
Erhöhung der „Mindestpension“ bei 40 Beitragsjahren gesprochen wird und wie Erwerbszeiten im Ausland
in diesem Fall zu behandeln sind. Aktuell deutet sich eher an, dass durch die Bezugnahme auf die Beitragsjahre
Frauen (aufgrund von Kindererziehung als Ersatzzeiten nach dem ASVG) und Personen mit Auslandserwerbs-
zeiten benachteiligt werden (vgl. Parlamentskorrespondenz Nr. 839 vom 05.07.2018).
405
Ein kurzer geschichtlicher Überblick dazu: Zu Beginn des ASVG wurde bei der Bemessung auf das beitrags-
pflichtige Durchschnittseinkommen der letzten fünf Versicherungsjahre vor der Pensionierung abgestellt, zu
einem Grundbetrag von 30 % kamen „für die folgenden Dezennien jeweils 6 %, 9 % und 12 % und ab dem
31. Versicherungsjahr jährlich weitere 1,5 % hinzu“ (Tomandl, 2016). Dem Autor weiter folgend, konnte auch
bereits damals mit 45 Versicherungsjahren die Pension 79,5 % der Bemessungsgrundlage betragen, was dem
zuletzt bezogenen Nettoeinkommen nahe kam. 1960 wurde die Frühpensionierung aufgrund langer Versiche-
rungszeiten bzw. Arbeitslosigkeit eingeführt (vgl. BGBl. Nr. 294/1960). Erst mit dem Pensionsanpassungesetz
von 1965 kam hinzu, „dass sowohl die zur Erstberechnung der Pensionen herangezogenen Bemessungsgrund-
lagen aus der Vergangenheit als auch die bereits angefallenen Pensionen jährlich angepasst werden“
(Tomandl, 2016). Die Witwenpension wurde 1971 auf 60% erhöht bzw. erst 1981 auch Witwern zugestanden;
ab den 1990ern wurden Einschnitte vorgenommen: Zuerst wurde die Hinterbliebenenpension in einer Band-
breite von 40-60% variabel ausgestaltet, seit Anfang 2000 kann diese auch null betragen (hierbei geht es um
das Verhältnis der Einkommen beider Ehepartner). 1984 (BGBl. Nr. 484/1984) bzw. mit der 40. Novellierung
des ASVG wurde der Grundbetrag abgeschafft und die Berechnung des Steigerungsbetrages nach §261 no-
velliert: „Der Hundertsatz nach Abs. 1 beträgt für je zwölf Versicherungsmonate bis zum 360. Monat 1,9, vom
361. Monat an 1,5“. „Dadurch erhöhte sich die Pension für die ersten 30 Jahre linear. Im Ergebnis konnte
jedoch nach wie vor mit 45 Versicherungsjahren eine Pension in Höhe von 79,5 % erreicht werden. Neu
eingeführt wurden Abschläge bei vorzeitigem Pensionsantritt“ (Tomandl, 2016). Zudem wurde die Durch-
rechnungsperiode von den letzten 5 Jahren vor der Pensionierung auf die letzten 10 Jahre ausgedehnt. 1987
wurde die Durchrechnungsperiode auf die letzten 15 Jahre erweitert und verminderte sich ab dem vollendeten
60. Lebensjahr bei Männern bzw. ab dem 55. Lj. bei Frauen für jeden weiteren Lebensmonat um jeweils einen
Ursachen und Deutung der Altersarmut 251

denn in der Wahrnehmung der Befragten ging es hier weniger um eine quantitative Größe, als
um den Umstand, die Voraussetzungen für die Pension erfüllt zu haben. Häufig wurde dies mit
einer Vereinfachung – „die Jahre zusammen gehabt zu haben“ – beschrieben und auf eine 40-
jährige Beitragsdauer projiziert, welche jedoch häufig nicht durch die erzählte Erwerbsbiogra-
phie gedeckt, aber wiederum auch oft nicht nötig war. Es genügten im Normalfall 35 Beitrags-
jahre (neben der Erfüllung der Wartezeit usw.), um die Voraussetzungen für eine Frühpensio-
nierung zu erfüllen. Die Deutung „40 Jahre beisammen zu haben“, dürfte darauf zurückzufüh-
ren sein, dass im Pensionierungszeitraum der Befragten für Frauen ein vorzeitiger Pensionsan-
tritt mit 55 Jahren möglich war; da viele mit circa 15 Jahren zu arbeiten begannen, erscheinen
40 Jahre als logische Konsequenz. Da die 80% Ersatzrate grundsätzlich erst mit 45 Versiche-
rungsjahren erreicht werden konnte – erst in den 1990ern testiert Tomandl (2016) eine Umstel-
lung auf 40 Jahre und dürfte sich auf die 54. Novelle beziehen (siehe vorangegangen Fußnote)
– bzw. zumindest teilweise (je nach geltendem Recht) Abschläge durch einen vorzeitigen An-
tritt in Kauf genommen werden mussten, ließen sich auch Frühpensionierungen als Fälle weni-
ger Versicherungsjahre werten. Für eine vereinfachte Differenzierung sollen aber nur jene Fälle
den beiden Feldern der wenigen Versicherungsjahre zugeordnet werden, bei welchen deutlich
größere Lücken – Fehlzeiten in den Versicherungsmonaten oder wenige Beitragsjahre – iden-
tifiziert bzw. rekonstruiert werden konnten. Als zweiter einschränkender Punkt ist die Einschät-
zung der Höhe der damaligen Erwerbseinkommen zu nennen. Einerseits fehlt ein Vergleichs-
maßstab, andererseits erfolgte die Bemessung (meistens) auf Basis der „besten Jahre“, welche
irgendwo in der Erwerbskarriere liegen können bzw. galt bei ein paar der Befragten, mit einer
Pensionierung nach 2003, die Parallelrechnung und Ausdehnung der Bemessungsgrundlage,

Versicherungsmonat bis zum Ausmaß von 120 Versicherungsmonaten. Zudem wurden Schul- und Hochschul-
zeiten nicht mehr beitragsfrei als Ersatzzeiten anerkannt - mussten also bei Wunsch nachgekauft werden.
Hiermit änderte sich eine weitere wesentliche Bestimmung seit dem ASVG von 1955. Bereits Anfang der
1990er Jahre wurde die Harmonisierung der Regelpensionsalter zwischen Männern und Frauen initiiert, der
Harmonisierungsbeginn wurde jedoch bis 2024 hinausgeschoben. 1993 erfolgte die Umstellung der Bemes-
sungsgrundlage auf die „besten 15 Jahre“, jener Aspekt, welcher auch heute noch der allgemeinen Vorstellung
nach die gängige Form ist. Nach einer Überarbeitung 1996 galt im ASVG nach § 261 Abs. 2: „Der Hundertsatz
gemäß Abs. 1 beträgt 1. für Versicherungsmonate mit Ausnahme von Versicherungsmonaten für Zeiten der
Kindererziehung (§§ 227a, 228a) für je zwölf Versicherungsmonate bis zum 360. Monat ............ 1,830, vom
361. Monat an ............. 1,675; 2. für Versicherungsmonate für Zeiten der Kindererziehung für je zwölf Ver-
sicherungsmonate 1,830“. Zusätzlich wurden Anreize geschaffen, über die vorzeitige Pensionierung hinaus
zu arbeiten durch Zu- bzw. Abschläge (siehe BGBl. Nr. 201/1996); dies verschärfte sich seit den 2000er Jahren
weiter. Mit der 54. Novelle (BGBl. I Nr. 139/1997) trat eine neue vereinfachte Regel mit 2% Steigerungs-
punkten pro 12 Versicherungsmonaten in Kraft, womit sich die 80%-Ersatzrate bereits nach 40 Jahren errei-
chen ließ (gleichzeitig wurden die Abschläge bei einem vorzeitigen Antritt ausgedehnt). Mit der Pensionsre-
form 2003 fand eine umfangreiche Reformierung des Systems statt und mündete ins Allgemeine Pensionsge-
setz (APG), welches nun neben dem ASVG existiert – kurz gefasst konnte das ASVG nicht aufgelöst werden,
und je nach Jahrgang ist entweder das ASVG, eine Parallelrechnung von ASVG und APG oder nur mehr das
APG anzuwenden. Keine Änderung wurde am Umlagesystem vorgenommen, aktuell erwerben Versicherte
daher eine virtuelle Gutschrift, welche am individuellen Pensionskonto ausgewiesen ist. Die Höhe der Pension
hängt aktuell „von drei Faktoren ab: vom erworbenen Pensionskapital, von der Dauer der Beitragsleistung
und vom Pensionsantrittsalter. Das System des Pensionskontos bedeutete damit den endgültigen Abschied
von der Zielsetzung der Sicherung des erreichten Lebensstandards“ (Tomandl, 2016). Diese kurze Ausführung
soll aufzeigen, wie komplex das österreichische Pensionssystem ist bzw. dass für jeden altersarmen Fall ge-
prüft werden müsste, welche Regelungen zum damaligen Pensionsantritt galten und damit zur Berechnung
herangezogen wurden. Allgemein lässt sich jedoch wiederholen, dass bereits mit der Erstversion des ASVG
eine 80%ige Ersatzrate angedacht worden war. Das Fehlen von Versicherungszeiten reduziert diese Ersatzrate,
weil einfach Steigerungspunkte fehlen bzw. vor allem in jüngerer Zeit zusätzlich Abschläge formuliert wur-
den. Ebenso gilt seit Einführung das Erwerbseinkommen als zentrale Grundlage der Bemessung; auch Kin-
derzuschüsse wurden bereits zu Beginn gewährt, aber auch diese erfuhren über die Zeit deutliche Verände-
rungen.
252 Ergebnisse

womit sich die Angelegenheit weiter verkompliziert. Zur Rekonstruierung wurden daher Aus-
sagen über Einkommenshöhen in der damaligen Zeit genutzt bzw. auf Basis der Berufe und
Erwähnungen über bestehende Einschränkungen in Zeiten der Erwerbsphase der Versuch eine
Einteilung unternommen. Zusammen ist daher davon auszugehen, dass einige Fälle mehr als
Mischformen zu charakterisieren sind, in welcher sich einmal weniger als 45 Versicherungs-
jahre und einmal mehr bzw. weniger hohe Verdienstjahre kombinieren.

Verschleierter Weg in die Altersarmut


Dem Typ der verschleierten Altersarmut lassen sich Frau M.1 aufgrund ihrer Pfändung und
Frau A.1, welche einen großen Teil ihres Einkommens für Pflege- und Betreuungsleistungen
verbraucht, zuordnen. Eine Sonderstellung nimmt Frau D.1 ein; sie besitzt zwar eigentlich nur
eine Mindestpension, aber aufgrund der hohen Pflegestufe wird sie nach aktuellem Gebaren
nicht als altersarm adressiert. In Kontrastierung der drei Fälle können unter dem verschleierten
Typ zwei gegenläufige Muster identifiziert werden. Einerseits jene, welche grundsätzlich mit
ihrem Pensionseinkommen über der Armutsgefährdungsschwelle positioniert sind, jedoch das
tatsächlich verfügbare Einkommen unter dieser zu liegen kommt. Bei beiden Frauen sind ent-
sprechende Zahlungsverpflichtungen zu berücksichtigen, welche unumgänglich sind. Diese
Kostenpositionen sind anderer Art als die Kosten für das Wohnen, da sich zum einen im letz-
teren Fall – auch wenn sich die Situation am Wohnungsmarkt in den letzten Jahren in Wien
zugespitzt hat – ein gewisser Alternativraum aufspannt; zum anderen liegt die Problematik im
Einkommensbegriff begründet, welcher sich an „frei kontrollierbaren Ressourcen anlehnt. Die-
ser wird tendenziell in Richtung nutzbarer Ressourcen ausgeweitet“ (vgl. Till & Till-
Tentschert, 2007, S. 50). Wie die beiden AutorInnen kritisieren, wird gerade beim Pflegegeld
nicht die Ausgabenseite berücksichtigt. Sofern aber der Einkommensbegriff auf die frei kon-
trollierbaren oder nutzbaren Ressourcen abzielt, muss die Frage anschließen, ob alternativlose
Ausgaben (das Pflegegeld wird aufgrund eines amtlich festgestellten Sonderbedarfs gewährt)
vom Einkommen abgezogen werden müssten, wie dies bei Unterhalt oder Alimentation der Fall
ist bzw. gehandhabt wird. Der Typ der verschleierten Altersarmut deutet auf die Messproble-
matik von verfügbaren Ressourcen hin und in Folge darauf, dass selbst eine gleiche Ressour-
cenausstattung, je nach Verwertungsmöglichkeiten nur bedingt den gleichen Lebensstandard
zwischen Individuen bietet. Zurückkommend auf die vorliegenden Fälle sind die Ursachen für
eine Unterschreitung der Armutsgefährdungsschwelle unterschiedlich und untermauern die
Notwendigkeit eines ausgeklügelten Einkommenskonzepts in der Adressierung von Armut. Die
beiden ersten Fälle wurden bereits in den Portraits (siehe 5.1.5. und 5.1.6.) aufgearbeitet. Im
Nachfolgenden wird noch der Fall von Frau D.1 thematisiert - nochmals sei darauf hingewie-
sen, dass auf Grund des schlechten Gesundheitszustandes nicht mit ihr selbst ein Interview ge-
führt werden konnte, sondern mit ihrem Sohn:
„Interviewer: Ihre Mutter hat jetzt die Mindestpension.
Sohn von Frau D.1: Ja, plus Pflegegeld der Stufe 5
Interviewer: Wissen sie, was, wie viel das ist?
S. Frau D.1: 920,-. Ja, ich kann es ihnen genau sagen (holt die Unterlagen) das
sind 1.764,76 und 550 kommen noch dazu [Förderung für die 24h-Pflege]. Also
Pension ist, Witwenpension ist 456,71 Cent
und die Ausgleichszulage, wart wo steht denn das, irgendwas mit 400 und dann der
Wohnkostenzuschuss 106 Euro.
Interviewer: Und wie ist das jetzt, was zahlt sie dann für die Pflege noch einmal?
Ursachen und Deutung der Altersarmut 253

S. Frau D.1.: Für die vier Wochen, die 2.490 Euro“ S. Frau D.1.
Rekapituliert bedeutet dies, dass Frau D.1 ein Jahreseinkommen von knapp über 30.000 Euro
zur Verfügung hat, nach Abzug der Pflegekosten verbleiben ihr 848 Euro zum Leben im Jahr
bzw. 70 Euro im Monat. Trotzdem gilt Frau D.1 nach aktueller Armutsrechnung nicht als arm.
Um die Nahrungsmittelkosten sowie Wohnkosten zu decken, muss ihr Sohn im Monat zwi-
schen 500-700 Euro zuschießen.

Instabiler Weg in die Altersarmut


Dafür ist Herr J.1 ein markantes Beispiel, welcher Zeiten äußerst hoher Erwerbseinkommen
erlebte und sich etwa einen Sportwagen oder eine Wohnung im ersten Wiener Bezirk eine Zeit
lang leisten konnte. Durch den Tod seiner Eltern und seiner Lebensgefährtin (mit ungeborenem
Kind) trat eine Zäsur ein, welche ihn, zum Teil aus psychischen Gründen, zuerst in Schulden
stürzte, Herr J.1. sich zwar nach einiger Zeit wieder aufraffte, aber durch einen späteren Unfall
auch noch arbeitsunfähig wurde und er derzeit in einer befristeten Berufsunfähigkeitspension
lebt. Es fehlen ihm daher Beitragsjahre (1977 begann er zu arbeiten, 2014 ereignete sich der
Unfall) bzw. verbrachte er einige Erwerbsjahre in Deutschland. Womöglich dürfte Herr J.1
auch aus diesem Land eine Pension bekommen, hat sich darüber aber noch nicht informiert.
Aus der ersten Interviewserie lässt sich zudem auf Herrn Ex.M verweisen, welcher nach dem
Niedergang seiner Modegeschäfte und dem Scheitern seiner Ehe einige Jahre in die USA aus-
wanderte. Da er dort keine Altersvorsorge vorgenommen hatte und für das Geld verdienen zu
alt geworden war, kehrte er nach Österreich zurück. Auch ihm fehlen daher, trotz teils finanziell
guter Erwerbsjahre, Beitragsjahre. In beiden Fällen dürfte zudem eine Rolle spielen, dass durch
die Höchstbeitragsgrundlage die Anrechnung von Erwerbseinkommen gedeckelt ist, einzelne
ertragreiche Jahre heben daher nur bedingt das Pensionseinkommen; wichtiger ist der Durch-
schnitt im gesamten Berechnungszeitraum. Wenn auch nicht als altersarm zu adressieren, so
trifft das Muster auch auf Herrn R.1 zu:
Interviewer: „Wie war das dann? Sie haben gesagt, 82 ist es Ihnen das erste Mal
gesundheitlich schlechter gegangen. Wie ist es dann mit dem Beruf weitergegan-
gen?
Herr R.1: Mit dem Beruf ist dann nix mehr weitergegangen“ Herr R.1.
So ging Herr R.1 kurze Zeit später in Pension und dürfte gerade noch in das alte System mit
einer Beitragsgrundlage gefallen sein. Aufgrund dessen, dass ihm kein ausreichender Grad an
Behinderung attestiert wurde (für eine Invaliditätspension hätte es 50% bedurft), musste er,
seiner Erinnerung nach, 20% weniger als bei regulärem Antritt hinnehmen, womit aufgrund
seines aktuellen Pensionseinkommens auf ein verhältnismäßig hohes Erwerbseinkommen ge-
schlussfolgert werden kann. Wohl dürfte sein Einkommen noch höher gewesen sein, da Herr
R.1 zumindest andeutet, nebenbei noch Aufträge erledigt zu haben. Ergänzend ist Frau Ex.E zu
erwähnen, um ein weiteres Verlaufsmuster der instabilen Altersarmut hinzuzufügen. In Polen
1944 geboren, kam sie 1973 im Zuge eines „Urlaubs“ nach Wien und fand nach wenigen Tagen
als Bauingenieurin Arbeit. Sie verdiente aus ihrer Sicht damals gut und ging mit 57 Jahren,
nachdem sie abgebaut worden war, unfreiwillig in Pension. So konnte Frau Ex.E circa 28 Ver-
sicherungsjahre erwerben, womit einerseits der Steigerungsbetrag mit an die 56% bereits relativ
254 Ergebnisse

gering ausfiel und verlor von diesen durch die Frühpensionierung – aufgrund der damals gülti-
gen Grundlage406 – zusätzlich Steigerungspunkte. Obwohl sie auch in Polen bereits erwerbstä-
tig war, erhält sie von dort nur eine sehr kleine Pension und wird nun in Summe durch die
Ausgleichszulage aufgestockt. Das Muster der verteilten Beitragsjahre auf mehrere Länder äh-
nelt jenem von Frau E.2, welche sowohl in Frankreich und Österreich (kurz auch in Argenti-
nien) arbeitete, im Unterschied von Frau Ex.E kamen jedoch größere Verluste durch die lange
Phase der Kindererziehung (über die anrechenbaren Jahre hinaus) hinzu. Ein besonderer Fall
ist noch Ex.Fam.M, beide verbrachten ihre gesamte Erwerbskarriere in Argentinien und ver-
dienten für dortige Verhältnisse nach eigenen Angaben gut (es konnte sogar eine kleine Eigen-
tumswohnung in Wien angeschafft werden), durch den Falklandkrieg beeinflusst wurde der
Sohn nach Österreich geschickt und blieb. Nachdem alle Kinder nach Österreich gezogen wa-
ren, folgten die beiden Eltern nach. Aufgrund dessen, dass mit Argentinien kein Sozialversi-
cherungsabkommen besteht, haben die beiden keinen Anspruch auf eine österreichische Pen-
sion (wohlgemerkt haben beide die öst. Staatsbürgerschaft) und sind auf die Zahlungen aus
Argentinien angewiesen, welche unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz für zwei Personen lie-
gen. Um doch noch einen Pensionsanspruch zu erwerben arbeitet die Ehefrau mit 73 Jahren
weiterhin.

Stabiler Weg in die Altersarmut


Insbesondere Frau L.1 und Frau H.1, welche beide einen erhöhten Ausgleichszulagenrichtsatz
beziehen, sowie Frau C.1 (mit einem Pensionseinkommen etwas über der Armutsgefährdungs-
schwelle) können dem stabilen Typ, also einer verhältnismäßig langen und kontinuierlichen
Erwerbskarriere zugerechnet werden. Im Gegensatz zu Frau L.1 beendete Frau C.1 bereits nach
der Volkschule ihre Schullaufbahn, um zuerst als angelernte Weißnäherin (eine Näherin spezi-
alisiert auf Bett- und Tischwäsche, teils auch auf Oberhemden und Blusen) zu arbeiten; wenige
Jahre später folgte der Wechsel in das Gastgewerbe als Kellnerin, wo sie im Gegensatz zu ihrer
früheren Tätigkeit etwas besser verdiente. Zwar wechselte sie ein paar Mal die Anstellung,
jedoch ohne größere Unterbrechungen; mit 54 Jahren ging sie in Pension, „weil ich die Jahre
schon alle beieinander gehabt habe“ Frau C.1. Beiden Frauen ist eine hohe Anzahl an Beitrags-
jahren gemein, wobei in beiden Fällen das Erwerbseinkommen eher gering war, ansonsten die
Pensionseinkommen höher sein müssten. Zusammenfassend verweisen die beiden Fälle auf
Branchen mit geringen Verdiensten bzw. musste Frau H.1 als ungelernte Kraft als Fabrikarbei-
terin, Bedienerin und Wirtschaftshelferin arbeiten. Aufgrund dessen, dass Frau L.1 wohl keine
Zeiten der Erwerbslosigkeit hat (bzw. dürften sich diese auf wenige Monate beschränken) und
keine Zeit für die Betreuung von eigenen Kindern verlor, müsste sie die einzige der Befragten
sein, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit nach den neuesten politischen Plänen eine höhere
„Mindestpension“ erhalten könnte. Die beiden anderen Frauen gingen auch mit 55 Jahren in
Pension, haben jedoch Kinder und deshalb ist das Erreichen der 40 Beitragsjahre höchst un-
wahrscheinlich – Frau H.1 schätzt selbst „36 Jahre beieinander“ zu haben. Schwer zu beurteilen
ist Frau S.2, da sie als Schauspielerin höchst volatil beschäftigt war: Mal angestellt, mal selbst-
versichert und musste die eine oder andere Leerlaufzeit in Kauf nehmen. Auch Frau S.2 ist

406
§ 261 Abs.4 (ASVG idF 2000): „Bei Inanspruchnahme einer Leistung vor dem Monatsersten nach der Errei-
chung des Regelpensionsalters (§ 253 Abs. 1) ist die nach Abs. 2 ermittelte Summe der Steigerungspunkte zu
vermindern. Das Ausmaß der Verminderung beträgt für je zwölf Monate der früheren Inanspruchnahme drei
Steigerungspunkte. Bleibt ein Rest von weniger als zwölf Monaten, so beträgt das Ausmaß der Verminderung
für jeden Restmonat ein Zwölftel von drei Steigerungspunkten. Abs. 2 letzter Satz ist anzuwenden. Das
Höchstausmaß der Verminderung beträgt 15% der nach Abs. 2 ermittelten Summe der Steigerungspunkte,
höchstens jedoch 10,5 Steigerungspunkte“.
Ursachen und Deutung der Altersarmut 255

davon überzeugt die „40 Jahre“ erreicht zu haben, wobei zumindest nachgekaufte Ersatzzeiten
der Schulzeit in ihrer Erwähnung zu berücksichtigen sind.

Offenkundiger Weg in die Altersarmut


Als besonders offensichtlicher Fall ist hier Frau D.1 zu nennen, welche selbst überhaupt keine
Eigenpension erwarb. Zwar half sie im Betrieb ihres Mannes mit, dieser meldete sie jedoch
nicht an bzw. erlaubte ihr auch nicht, einer anderen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Frau D.1.
kann daher weder ein Erwerbseinkommen noch Beitragsjahre vorweisen und erhält aktuell eine
Witwenpension, welche mit circa 460 Euro sehr gering ist und durch die Ausgleichszulage auf-
gestockt wird. Ihr Sohn macht dafür seinen verstorbenen Vater verantwortlich, welcher als Ge-
werbetreibender selbst in seine Pension zu wenig einzahlte, obwohl die Möglichkeit dafür zu-
mindest eine Zeit lang bestanden haben dürfte (in den 1960er ging das Unternehmen in Turbu-
lenzen unter, Schulden blieben). Frau S.1 ist nicht in Pension, sondern bezeichnet sich selbst
als Hausfrau und hat viele Jahre der Angehörigenpflege hinter sich. Ob sie überhaupt einen
Pensionsanspruch hat, kann aus dem Interviewmaterial nicht gesichert abgeleitet werden; sie
partizipiert am Pensionseinkommen ihres Mannes und würde im Todesfall ihres Mannes eine
Witwenpension erhalten. Als Indikator für verhältnismäßig wenige Beitragsjahre (nicht zu ver-
wechseln mit den Versicherungsjahren) ist eine fehlende Umstellung der Befragten auf die er-
höhte Ausgleichszulage zu werten, womit eine zumindest angemeldete und in Österreich statt-
gefundene Erwerbskarriere ausgeschlossen werden kann. Entsprechend sind Frau R.1, Frau R.2
und Frau W.1 – wie auch in den Portraits dargelegt – dem Typus der offenkundigen Altersarmut
zuzuordnen. Auch die beiden jüngsten Befragten Frau E.2 und Frau B.1 gehören diesem an.
Letztere begann mit 16 Jahren zu arbeiten:
„Im Lager und hab mich dann in das Büro rauf gearbeitet und hab dann eigentlich
immer in mehreren Firmen im Büro gearbeitet, also auch bei einer Firma die Ka-
merazubehör vertrieben hat und bei einer Firma, die Krankenhäuser in Russland
eingerichtet hat oder Spitäler eingerichtet hat und dann halt zehn Jahre bei einer
Hausverwaltung und dann bei der Firma [X] im Verkauf, also ich war nie lange
arbeitslos, ganz zum Schluss war ich sieben Jahre arbeitslos, aber sonst, ich war
vielleicht eine Woche arbeitslos“ Frau B.1.
Die Problematik ist, dass Frau B.1 2008 in die Arbeitslosigkeit schlitterte und es ihr mental
dadurch immer schlechter ging – „die Psyche hat ja natürlich durch die ganzen Jahre einen
Knacks bekommen“. So wurde sie 2015 im Alter von 50 Jahren schließlich pensioniert. Frau
B.1 hat damit an die 27 Beitragsjahre. Frau E.2 konnte mit 55 Jahren in Pension gehen, weist
jedoch einige Ersatzzeiten für Kindererziehung und Arbeitslosigkeit auf bzw. blieb sie auf Ver-
langen des Mannes ein paar Jahre zu Hause; alleine aus dem Umstand, dass Frau E.2 von über
10 Jahren Ersatzzeiten für die Kinder spricht, sind maximal 30 Beitragsjahre anzunehmen.
Auch sie hat eine vielfältige, brüchige Erwerbskarriere hinter sich (ähnlich Frau L.2):
„Ich bin Friseurin gewesen, ich war ähm Pflegehelferin und Ordinations-Kraft,
[...] ich habe als Heim-Krankenpflege gearbeitet, [...] ich habe im Kloster oben
gearbeitet, als Wirtschafterin, da hast du den Haushalt gemacht [...] ich habe im-
mer wieder gearbeitet“ Frau E.2.
„Ja ich habe im Krankenhaus gearbeitet, am Schalter meistens, also immer am
Schalter und immer verschiedene Abteilungen. Nach den Kindern war ich dann bei
der Firma [...] und dann, wie das so im Auflösen war, habe ich den Hauswart-
Posten von meiner Mama übernommen“ Frau L.2.
256 Ergebnisse

Den genannten Befragten ist eine verhältnismäßig große Zahl an Jobwechsel in vielen Fällen
über mehrere Branchen hinweg gemeinsam, gemischt mit Zeiten der Arbeitslosigkeit und/oder
Zeiten der Kindererziehung. Frau B.1 und Frau E.2 verweisen auf eine Berufsunfähigkeitspen-
sion (in gewisser Weise gilt dies auch für Herrn J.1, wobei sein zukünftiger Status – vielleicht
zurück in die Arbeitswelt – noch ungewiss ist), aber auch ein Großteil der anderen Frauen ging
(außer Frau L.2 mit 61 und Frau R.2 mit 60 Jahren) mit 55 Jahren vorzeitig in Pension. Höhere
Zeiten weisen noch die beiden Fälle von Herrn F.1 (63) und Frau M.2 (60) auf, welche unge-
achtet des Antrittsalters in Österreich nur eine geringere Zahl an Beitragsjahren sammeln konn-
ten und – wie obiger Erörterung zu Frau Ex.E folgend – aus den ehemaligen Ostblockstaaten
stammen, jedoch mit dem Unterschied, dass die beiden keine hohen Erwerbseinkommen in der
in Österreich stattfindenden Erwerbsphase generieren konnten. In allen drei Fällen ist das Er-
gebnis jedoch das Gleiche: ein durch die Ausgleichszulage aufgestocktes Pensionseinkommen.

4.2.2 Ursachenanalyse der Altersarmut


Da die Versicherungszeiten mitverantwortlich für die Altersarmut sind, wird im Nachfolgenden
darauf eingegangen, welche Ursachen für die meist kurzen Versicherungszeiten ausfindig ge-
macht werden können und welchen bedeutenden Einfluss sie auf die Ersatzrate haben. Allge-
mein lässt sich sagen, dass häufig Kombinationen aus Faktoren auftreten und nicht eine einzige
Ursache – etwa durch die Berufsunfähigkeit oder die Migration – zu nennen ist. Aus der Sozi-
alstatistik ist bekannt, dass der überwiegende Teil (circa 90%) der altersarmen Menschen als
formalen Bildungsabschluss höchstens einen Lehr- bzw. mittleren Schulabschluss besitzen
(Statistik Austria, 2013a, S. 188); dieses Ergebnis findet sich auch unter den Interviewten wie-
der. Damit einhergehend konnten die meisten GesprächspartnerInnen nur in niedrigeren Lohn-
sektoren Fuß fassen und dies ist ein zentraler Aspekt für das später folgende Pensionseinkom-
men. Treten zusätzlich häufige Jobwechsel mit Erwerbsunterbrechungen auf bzw. war aufgrund
der Kindererziehung nur eine Teilzeitanstellung möglich, verminderte dies ebenso das Einkom-
men weiter. Ging mit der Kindererziehung ein völliger Stopp entlohnter Arbeit einher, betraf
dies nicht nur unmittelbar den Wegfall des Einkommens, sondern es wurde bei langem Fern-
bleiben – bspw. werden aktuell (im Normalfall) 48 Monate der Kindererziehung anerkannt –
auch eine Lücke bei den Versicherungsmonaten schlagend. Fünf wichtige Aspekte sollen im
Weiteren noch näher erörtert werden: familiäre Situation (im Sinne der Aufgabenverteilung
bzw. Verpflichtungen), Arbeitsunfähigkeit, (weitere) historische Rahmenbedingungen, die
Frühpensionierung als (un)bewusster Verzicht sowie Erwerbskarrieren mit Auslandszeiten.

• Die familiäre Situation – Kinder, Pflege und Scheidung


„Wenn ich irgendeinen Wunsch äußern würde, an die Politik, so wäre das, so wie
viele Frauen, glaube ich, wäre das zu sagen, dass die Erziehung der Kinder mehr
anerkannt wird, weil das ist schon wichtig, finde ich auch“ Frau E.1.
Frau E.1 spricht damit jenen Aspekt an, welcher als Hauptursache für ihr niedriges Pensions-
einkommen verantwortlich ist. Sie hat drei Kinder und es fehlen ihr, da sie einige Jahre daheim
blieb, entsprechend Versicherungsmonate. Ebenso hat Frau E.2 drei Kinder und Frau R.1 vier
Kinder. Im Unterschied zu den anderen Befragten ist damit die Anzahl der Kinder verhältnis-
mäßig groß und die Zeiten der Kindererziehung erstrecken sich über einen ausgedehnten Zeit-
raum. Auffällig ist dabei nicht nur, dass im Gegensatz zu den Ein-Kind-Familien die Erwerbs-
unterbrechungen mehrmals in der Erwerbskarriere auftraten, sondern, dass auch die Abstände
zwischen den Geburten der Kinder (mindestens drei Jahre) die Spanne der Erziehungzeiten von
Kleinkindern deutlich vergrößerte. Während Frau E.1 in Folge zumindest 10 Jahre zuhause
Ursachen und Deutung der Altersarmut 257

blieb (dies auch innerhalb der Familie gewollt war, da der Ehemann sehr gut verdiente), musste
Frau R.1, meist Alleinerzieherin (wie im Portrait dargestellt, wurde sie mehrfach verlassen),
arbeiten gehen; aufgrund der Unvereinbarkeit zwischen Mutterschaft und Erwerbsarbeit war
sie jedoch nur in Teilzeitjobs tätig oder hatte Anstellungen in schlecht bezahlten Branchen
(etwa als Bedienerin wegen den Arbeitszeiten); auch weiterhin sind vor allem Frauen, wenn
Kinder im Haushalt leben, nur Teilzeit angestellt (vgl. Pericka & Stadler, 2006). Während die
beiden befragten Frauen bei der Ursachenbegründung entweder Versicherungslücken oder
niedriges Einkommen aufweisen, ist Frau E.2 als Mischtyp einzuordnen. Einerseits verdiente
sie in ihren Anstellung eher wenig, andererseits war ihre Erwerbskarriere brüchig bzw. bestehen
Versicherungslücken. Nach dem ersten Kind ging sie wieder arbeiten, dies ließ sich aber mit
ihrem erlernten Beruf als Friseurin nicht vereinbaren:
„Das war dann eigentlich ja, es war eigentlich im Endeffekt nicht die Ehe das Prob-
lem, sondern es war, es ist kein Beruf für Mütter mit Kind [...] Ich habe ja müssen
ein Jahr, früher war ein Jahr Karenz, mein Kind ist am ersten Mai ein Jahr alt
geworden und am dritten Mai hab ich bei Zielpunkt als Verkäuferin gearbeitet aber
das war natürlich auch im Endeffekt, genauso wie als Friseurin, nur verdient hast
du dort mehr“ Frau E.2.
Karenz-, Erziehungs- und Erwerbszeiten wechselten sich in Folge ab; bspw. musste sie nach
der ersten Scheidung erneut kündigen, da sie niemanden hatte, der auf die noch schulpflichtigen
Kinder (die jüngste war zu diesem Zeitpunkt gerade sechs Jahre alt) aufpassen konnte:
„Die älteste war 12, die hätte ich zeitweise alleine lassen können vom Gesetz her,
aber die anderen nicht. Als 14-jährige darf man auf kleinere aufpassen, aber sie ist
da dazwischen gelegen also habe ich den Job von heute auf morgen kündigen müs-
sen“ Frau E.2.
Frau E.2 hatte damit dasselbe Problem wie Frau R.1, einen Job zu haben bzw. zu finden, mit
welchem sich die Berufstätigkeit und Aufsicht der Kinder vereinen ließ. In beiden Fällen gelang
dies nur bedingt, Kündigungen waren die Folge. Zusätzlich war Frau E.2 auch danach noch
betroffen, da ihr nächster Partner ihr das Arbeiten (zumindest eine Zeitlang) verbot, woraus
sich im Zusammenspiel zwischen Kinderzeiten und Arbeitsverbot durch den Partner eine äußert
brüchige Erwerbsphase über die Jahre aufschichtete:
„Ich muss sagen, ich habe viele Dinge gemacht, aber heute bereue ich es nicht, auf
der einen Seite ja, die anderen Sachen wären vielleicht leichter gelaufen, aber auf
der einen Seite für die Kinder habe ich dann halt, auch teilweise für die Ehepartner,
da habe ich dann auch immer zurückstecken müssen, das war auch beim letzten
Partner so“ Frau E.2.
Zusammenfassend machen die drei Frauen auf einen Ursachentyp aufmerksam, welcher sich
vorrangig durch die große Anzahl an Kindern auszeichnet, welche in Kombination mit der Ver-
einbarkeit von Beruf und Familie bzw. Scheidungen und patriarchalen Vorstellungen des Fa-
milienlebens (in Österreich kam es erst im Jahre 1975 durch die Familienrechtsreform zu einer
Änderung und Gleichstellung von Mann und Frau, die nur sehr langsam in der Bevölkerung
wahrgenommen wurde) zu kämpfen hatten. Während Frau E.1 und Frau R.1 zudem auf einen
Unterhalt bei ihren Scheidungen verzichteten und dies mit ein Grund für das nun geringe Ein-
kommen ist (sonst müsste ein Unterhalt geleistet werden bzw. würde damit ein Anspruch auf
Witwenpension bestehen) befand sich Frau E.2 zum Zeitpunkt des Interviews in einem – wie
sie schildert – erbitterten Scheidungsprozess, in welcher ihr unter anderem Unzurechnungsfä-
higkeit vom Anwalt der Gegenpartei vorgeworfen wurde. Nur durch die Pensionierung konnte
258 Ergebnisse

sie zumindest ihr Einkommen halbwegs stabilisieren, da Frau E.2 zu Beginn des letzten Jahres
weder Unterhalt erhielt, noch Sozialleistungen beanspruchen konnte (da hierfür das Einkom-
men des Mannes miteinbezogen wurde).
„Es ist, es ist, wenn du so nachdenkst, dass du wirklich dafür bestraft wirst, dass
du Kinder in die Welt gesetzt hast. Das ist die Kurzform von dem Ganzen. Ich habe
es mir auch überlegt, weil Armut und Frau aber es ist wirklich, es ist nach wie vor,
das dürfte in der heutigen Zeit nicht mehr sein. Ja, ich mein sicher, meine Ehen
sind meine eigenen falschen Entscheidungen gewesen, ja, und sicher sind es auch
Kinder, aber das war nie für mich eine falsche Entscheidung, das war nie ein Un-
fall, das war nie, jedes einzelne Kind, also ähm aber es ist erschütternd, wenn du
denkst, dass es das ist, was dich da rein bringt, ja. Wenn ich einfach, hart irgend-
eine Karriere durchgezogen hätte, wäre ich heute nicht da, wo ich bin“ Frau E.2
„Ich muss mich – wie man so schön sagt – nach der Decken strecken. Wann am
Ende des Monats - nau was glauben sie, wie das war, wie die Buben in die Lehre
gegangen sind, die haben beide am Bau gearbeitet und die Madeln – gut die waren
klein, die waren nicht einmal 4, 5 Jahre; ich habe was auf den Tisch stellen müssen
und gelebt habe ich von der Kinderbeihilfe und Alimenten, die ich bekommen habe,
aber das war erst sehr spärlich – gut der 2. Kindesvater hat aber gschrauft, wo er
nur können hat – und Sozialhilfe habe ich bekommen. Das hat sich müssen ausge-
hen. Und die Kinder wollten natürlich einen vollen Magen haben“ Frau Ex.I.
Neben der Kindererziehung spielt die Pflege von Angehörigen in der Vereinbarkeit von Beruf
und Familie eine wichtige Rolle; 1994 wurden 60% und 2012 noch 54% der Pflegetätigkeiten
„immer oder meistens“ von der Frau übernommen – während die Abnahme relativ gering ist,
verschob sich das Antwortverhalten von „immer“ auf „meist“ (vgl. Fuhrmann, Gruber, Harold,
& Prinz, 2015, S. 22).407 Neben der damit weiterhin bestehenden Dominanz der Frau in der
informellen Pflege, drückte sich die Pflegetätigkeit auch in einem niedrigeren Haushaltsein-
kommen aus (vgl. Trukeschitz, 2008). Bei zwei Befragten nahm die Pflegetätigkeit einen wich-
tigen Platz in der Erzählung ein: Sowohl bei Frau S.1,welche aufgrund der Pflege ihrer Eltern
und nun wegen der Pflege ihres Mannes ihre Erwerbstätigkeit aufgab, als auch bei Frau S.2,
welche die Pflege ihrer Mutter als zentralen Grund für die Pensionierung geltend macht. Im
Gegensatz zu Frau A.1 gelang es den beiden nicht Pflege und Beruf zu vereinen. Während Frau
A.1 zu Beginn der Pflege die Doppelbelastung auf sich nahm, bevor ihre Mutter in das Pflege-
wohnhaus ging, reduzierte sie am Ende ihrer Erwerbskarriere die Arbeitszeit, um ihren bereits
pensionierten Mann zu betreuen. Bis auf Frau E.2, welche sich noch in der gerichtlichen Schei-
dungsphase befindet und auf den Unterhalt bestehen möchte, gelang es keiner der geschiedenen
(und teils nun verwitweten) Frauen – Frau E.2; Frau M.1; Frau M.2,; Frau R.1; Frau R.2; Frau
W.1 – die Unterhaltsansprüche geltend zu machen, womit weder durch den Unterhalt, noch
durch eine Witwenpension das Einkommen aufgebessert wird. Wie das Beispiel von Frau E.2
deutlich macht, kann die Scheidung selbst zu einer immensen Belastung werden. Um psychi-
schen Stress durch Streit und anderen Zwängen zu entgehen bzw. die missliche Ehe schnellst-
möglich hinter sich zu bringen, verzichteten die genannten Frauen auf einen Unterhalt und lie-
ßen sich einvernehmlich scheiden.

407
40% gaben an, in der Partnerschaft Pflegetätigkeiten aufzuteilen, während immer bzw. meist Männer nur 4%
die Pflegetätigkeiten übernehmen.
Ursachen und Deutung der Altersarmut 259

• Arbeitsunfähigkeit
Welche bedeutende Wirkung die Arbeitsunfähigkeit auf die Pension hat, lässt sich an einem
Vergleich der Anzahl an Invaliditäts- bzw. Erwerbsunfähigkeitspensionen408 und jener, welche
in diesem Fall eine Ausgleichszulage erhalten, festmachen. Von den insgesamt 161.211 ausge-
zahlten Invaliditäts- und Erwerbsunfähigkeitspensionen in Österreich wurden 38.045 durch
eine Ausgleichszulage aufgestockt (vgl. Korn & Schmotzer, 2017, S. 62; SV, 2018, S. 22).
Anders formuliert ist zumindest bei knapp jedem und jeder vierten EmpfängerIn – die Anzahl
der Personen, welche solch eine Pension über der Ausgleichszulage haben, aber unter der Ar-
mutsgefährdungsschwelle liegen, lässt sich damit nicht rekonstruieren – einer Invaliditäts- bzw.
Erwerbsunfähigkeitspension davon auszugehen, dass die im Haushalt Lebenden unter der Ar-
mutsgefährdungsschwelle sind. Entsprechend finden sich auch unter den Interviewten einige,
welche aufgrund von Arbeitsunfähigkeit in Pension gingen: Frau R.1, Herr R.1, Frau M.1, Herr
J.1, Frau B.1 und Frau E.2. Im Gegensatz zu Herrn J.1, welcher mit der Gesamtsituation unzu-
frieden ist und eigentlich wieder arbeiten gehen möchte, erscheint für die anderen Personen die
Pensionierung als eine unterstützende, wenn auch für die meisten gar nicht präferierte Maß-
nahme; insbesondere Frau E.2 konnte nur aufgrund dieses Schrittes ihr Einkommen wieder
stabilisieren; trotzdem wollte Frau E.2 eigentlich lieber arbeiten, fand jedoch aufgrund ihres
Gesundheitszustandes keine Arbeit.
„Ich habe in Heim-Krankenpflege gearbeitet, die hätten mich gerne wieder genom-
men aber meine Befunde von der Wirbelsäule, haben sie gesagt, sie können es nicht.
Ich müsste eine Freigabe bekommen nur ähm mein Arzt hat gesagt, na dann gehe
ich ins Gefängnis, weil ich kann ihnen auch die Freigabe nicht geben, weil sie weiß,
psychisch können sie es machen aber physisch können sie es nicht machen. Naja,
also das ist, jetzt sind wir wieder gestaut, also ich war gar nicht darauf aus, jetzt in
Pension zu gehen, sondern aber es geht einfach nicht.“ Frau E.2.
Frau R.1 und Herr R.1 gingen aufgrund von Krebserkrankungen und den damit verbundenen
Auswirkungen in Pension, während Frau M.1 im Zuge einer psychischen Erkrankung (starken
Panikattacken und Angstzuständen) direkt von einer Anstellung in die Pension wechselte und
auch heute noch Medikamente dagegen nehmen muss. Bei Frau B.1 war der schlechte physi-
sche Gesundheitszustand (Probleme mit der Wirbelsäule) mit ein Grund, keinen Arbeitsplatz
mehr zu finden und die darauf folgende lange Zeit der Arbeitslosigkeit belastete sie zusätzlich
psychisch, wodurch sie in Summe ihres Zustandsbildes eine Berufsunfähigkeitspension erhielt.
Auch heute ist sie nur wenig belastbar, versucht aber mit Hilfe einer sozialen Einrichtung eine
geregelte Tagesstruktur zu finden.
Es ist zum Beispiel so, wenn ich mich bewege, habe ich kein Problem, wenn ich
aber zum Beispiel eine Stunde am selben Fleck stehe, bekomme ich Schmerzen.
Und, also eine stehende Arbeit könnte ich auf keinen Fall mehr machen und, ja
computermäßig, ja, es wäre auch nicht mehr gegangen, ich hätte es nicht mehr
gepackt, 40 Stunden oder mehr zu arbeiten, das wäre einfach nicht gegangen. Und
das ist es halt, also das ist der einzige Grund.“ Frau E.2.
Zusammenfassend ist die Erwerbsunfähigkeit eine bedeutende Ursache der Altersarmut. Zwar
erleichtert die Berufsunfähigkeitspension den Druck, unbedingt eine Arbeit finden zu müssen,
die meisten der Betroffenen hätten aber von sich aus lieber weitergearbeitet, wären nicht

408
Diese werden als solche ausgewiesen, solange der/die PensionsempfängerIn noch nicht das Regelpensionsalter
erreicht hat.
260 Ergebnisse

Schmerzen oder die Absagen von potentiellen ArbeitgeberInnen der Arbeitsverhinderungs-


grund gewesen. Inwiefern die aktuelle Regelung der Rehabilitationszeit (Geldbezug für vor-
rübergehende Invalidität) hier geeigneter ist, wird sich erst in Zukunft weisen; fraglich ist vor
allem, ob durch ständige Vorschreibung aller möglichen Therapien, Ärztebesuchen und statio-
nären REHA-Aufenthalten sowie deren Kontrollen tatsächlich bei den meisten BezieherInnen
ein Wiedereinstieg in die Arbeitswelt möglich ist, oder ob damit nicht wieder Druck und Unsi-
cherheit aufgebaut werden und diese nicht zur Genesung, insbesondere bei psychischen Erkran-
kungen, führen.

• (Weitere) historische Rahmenbedingungen


Wie Kindererziehung und Pflege, welche immer noch weiblich dominiert sind, können noch
andere Bedingungen auf historischem Hintergrund beleuchtet werden. An dieser Stelle werden
daher noch weitere Aspekte beschrieben, welche von den Befragten erwähnt wurden bzw. sich
rekonstruieren ließen. Wichtige Punkte sind die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Berufs-
wahl bzw. der Bildungsmöglichkeiten. Wie sehr diese durch äußere Faktoren bestimmt sein
konnten, verdeutlicht Herr R.1, welcher nach der Pflichtschulzeit seine Lehre 1944 dank einer
„Berufsberatung“ antreten musste:
„Die ersten Drei sollen kommen, hat sie gesagt. Einer - das weiß ich heute noch -
wird Tischler und zwei werden Schneider. Ob sie wollen oder nicht wollen, das war
ihr egal. Die anderen sollen kommen - haben wir alle einen Zettel bekommen - und
ich bekomm einen Zettel mit der Adresse Favoriten.“ Herr R.1.
Und so wäre auch Herr R.1. fast zu einer Schlosserlehre verpflichtet worden, konnte aber auf-
grund familiärer Kontakte die Lehre als Drucker beginnen. Trotzdem dürfte er nur bedingt eine
Wahlmöglichkeit gehabt haben, da lediglich ein Verwandter für eine Berufsausbildung zur Ver-
fügung stand. Auch Frau L.1 macht auf die damaligen Umstände aufmerksam, unter denen man
froh war, überhaupt eine Lehre bekommen zu haben. Frau E.1 erzählt ihren Bildungsweg unter
den Schlagworten „Kampf“ (sie musst sich durchsetzen, die höhere Schule besuchen zu dürfen)
und „Glück“ (anderen blieb diese Möglichkeit versperrt). Frau R.1 konnte ihren Wunsch, Ärz-
tin zu werden, nicht erfüllen, denn sie half bereits als Kind das Haushaltsgeld aufzubessern und
begann alsbald eine Lehre, welche sie in ihrer Begründung wegen der Konkurse der Unterneh-
men nicht beenden konnte.
Ein weiterer Aspekt ist die immer wieder angedeutete Schwarzarbeit – wenngleich die Schat-
tenwirtschaft in Österreich auch in den letzten 30 Jahren auf niedrigem Niveau war (vgl.
Schneider, 2013; Schneider & Enste, 2000, S. 31), spielt diese gehäuft bei unteren Einkom-
mensgruppen eine Rolle (vgl. Schneider, 2002, S. 170) –, die das Einkommen in der Erwerbs-
zeit zwar unmittelbar erhöhte und teils überhaupt erst ein ausreichendes Einkommen sicherte,
begreiflicherweise aber nicht in die Berechnung der Pension einfloss. Als Ursache für die
Schattenwirtschaft wird von Schneider (2002) unter anderem die Sozialversicherungsabgaben-
belastung genannt. Genau die Vermeidung dieser führt jedoch in Folge zu einem verminderten
Pensionseinkommen – die Abgabenlast mag einerseits daher natürlich ein Anreiz für die
Schwarzarbeit sein, andererseits werden die Folgewirkungen nicht zu Ende gedacht. Unter den
Befragten, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit auch der Schwarzarbeit nachgingen, ist vor-
rangig die finanzielle Not, irgendwie zusätzlich Geld zu verdienen, als zentrale Ursache zu
nennen. Nur in einem Interview der ersten Serie ist mit Herrn Ex.M ein Fall zu entdecken,
welcher sich ganz bewusst zur Steuervermeidung entschloss und dafür auch eine Haftstrafe
verbüßen musste. Ein weiterer häufiger Grund zur ‚ungewollten‘ Schwarzarbeit ist zudem die
Gepflogenheit zu nennen, dass einige ArbeitgeberInnen die Befragten nicht, nur teilweise oder
Ursachen und Deutung der Altersarmut 261

sehr kurz angemeldet hatten. Frau Ex.S. fasst dies auf die Frage, ob sie 40 Beitragsjahre erreicht
habe, pointiert zusammen:
„Na, weil, heute weiß ich ja genau, wenn ich bei einer Firma angemeldet bin, da
bekomme ich einen Zettel von der Krankenkasse geschickt. Das hat es ja früher
nicht gegeben du hast 1,5 Jahr dort schon gearbeitet, hast einmal gebraucht einen
Krankenschein, haben sie dich drei Tage zurück angemeldet. Und wenn du gemot-
schkert hast, hast bekommen 300 Schilling und hat gesagt: na reg dich ned auf“
Frau Ex.S.
Abschließend sei noch erwähnt, auch wenn dies an wenigen Stellen nur angedeutet wurde, dass
die Wahrnehmung von Arbeit und Ruhestand im jeweiligen historischen Kontext betrachtet
werden muss. Frau L.1 erwähnt (ihrer Erinnerung nach) eine gesellschaftliche Auffassung aus
den 70ern in welcher die Frühpensionierung nicht als Übel, sondern als eine Art ehrenhaftes
Vorgehen, den Jungen einen Platz zu machen, attribuiert war. Auch die Streichung der Anrech-
nung von Schul- und Studienzeiten dürfte einige überrascht haben und zwangen zum Beispiel
Frau S.2 Bildungszeiten für ausreichende Versicherungsmonate nachzukaufen.

• Frühpension als (un)bewusster Verzicht


Der Großteil der Befragten ging vorzeitig, also vor dem Regelpensionsalter, in Pension, wobei
neben dem gesundheitlichen Zustand bzw. der Arbeitslosigkeit auch der bewusste Antritt einer
vorzeitigen Alterspension eine zentrale Rolle einnimmt. Dieser Faktor ist wenig verwunderlich,
so zeigte Schimany (2004, S. 64) auf Basis des Population Policy Acceptance Survey (PPA)
von 1992 und 2001, dass sich das Wunschalter für den Pensionsantritt bei Frauen zwischen
54,7 Jahre (erste Welle) und 55,4 Jahre (zweite Welle) und bei Männern zwischen 57,1 Jahren
und 58,1 Jahren bewegte. Zwar lässt sich inzwischen ein leichter Anstieg konstatieren, trotzdem
ist und war sowohl für Frauen als auch Männer das durchschnittliche Antrittsalter weit vom
Regelpensionsalter entfernt und es ist deshalb entweder mit Abschlägen bei einer vorzeitigen
Pensionierung zu rechnen oder der grundsätzlich ermittelte Steigerungsbetrag bereits unter 80%
angesiedelt. Meist wird dieser Umstand in den Erzählungen aufgegriffen und als bedauerns-
wertes, teils aber auch ungerechtfertigtes Übel im Bereich der Berufsunfähigkeit und Arbeits-
losigkeit beurteilt; einige geben den früheren Pensionsantritt aber auch als bewusste Entschei-
dung an. Hier ist zu differenzieren, ob die Entscheidung auf Basis einer negativen Konsequenz
(etwa Abschläge) oder einer angenommen Folgenlosigkeit (Pensionsmaximum erreicht) getä-
tigt wurde. Eine Nichtthematisierung könnte hingegen darauf hindeuten, dass die Konsequen-
zen bezüglich der Pensionshöhe nicht bekannt waren oder, dass man diesen Aspekt im Inter-
view nicht thematisieren wollte, da dies zu einer Mitverantwortung des geringeren Pensions-
einkommens geführt hätte. Frau R.2 übergeht bspw. diese Thematik, denn sie war im ersten
Interview noch überzeugt, mehr als 30 Jahre gearbeitet zu haben, musste jedoch im zweiten
Interview feststellen, tatsächlich keine erhöhte Ausgleichszulage zu bekommen: „Nein, ich
habe es Gott sei Dank nicht, denn mein Schwiegervater hat mich nicht angemeldet und wegen
der zwei Tage, bin ich noch immer bei meine 800 € etc. Da freut sich die Seele“. Nochmals auf
das Thema angesprochen, weicht sie aus:
Frau R.2: „Also ich habe Krebs gehabt, in 2000, ja und also und dann noch einmal,
also seit dem bin ich in Pension und dann habe ich noch eine schwere Operation
nachher gehabt. Aber wegen dem bin ich nie in Pension, ich arbeite genauso weiter.
Interviewer: „Aber offiziell /R.2:ja// das heißt, Sie sind dann in der Berufsunfähig-
keitspension?“
262 Ergebnisse

Frau R.2: „Genau, genau.“


Interviewer: „Die haben sie jetzt auch noch immer?“
Frau R.2: „Ja, das ist natürlich, naja eh so wie die Mindestsicherung. Es gibt ja
gar nichts, nein, Pension habe ich 600 €, das habe eh das letzte Mal gesagt und das
was drüber ist auf diese 800 das ist die Ausgleichszulage und aus diesem Grund
darf ich nichts dazu verdienen. Hätte ich das nicht, hätte ich keine Probleme und
das ist das Schlimme, und es gibt so viele davon, jede Menge, Männer oder Frauen,
ganz egal und das ist eigentlich das Schlimme, was unsere Gesellschaft so seelisch
kaputt macht“ Frau R.2.
Frau R.2 thematisiert zwar kurz ihre Versicherungszeiten, führt jedoch gleich auf ein anderes
Themenfeld, der Streichung bzw. Verminderung der Ausgleichszulage bei Arbeit, über. Dies
wird als ein äußerer Umstand positioniert und verallgemeinert – viele sind betroffen –, um die
Tragweite abzusichern. Insbesondere die Passage: „Hätte ich das nicht, hätte ich keine Prob-
leme“ ist auf den ersten Anschein doppeldeutig. Einerseits ließe sich dies so interpretieren, dass
Frau R.2 lieber auf die Ausgleichszulage verzichten würde. Dies erscheint jedoch als wenig
plausibel, da mittels angemeldeter Arbeit der Anspruch auf Ausgleichszulage ausgesetzt wer-
den könnte. Es besteht also die Möglichkeit zu arbeiten, jedoch mit Verzicht auf die Aufsto-
ckung und dies ist der eigentliche Kritikpunkt von Frau R.2. Sie möchte sich aber nicht weiter
damit auseinandersetzen, warum sie eine Eigenpension unter der Ausgleichszulage erworben
hat. Bei den meisten Befragten gibt es jedoch eine Antwort oder den Versuch einer Selbster-
klärung zu der Frage, wie das individuelle Pensionseinkommen zustande kam. Auf der einen
Seite kann hierzu Frau W.1 verortet werden, welche die Konsequenzen dieser Entscheidung in
ihren Ausführungen klar formuliert (ähnlich auch Frau H.1):
„Frau W.1.: Ich habe mich schon gefreut, wenn ich 55 werde, weil das war immer
so mein Ding - 55 und dann in Pension , oder? (...) aber dann haben sie die Gesetze
geändert; dann bin ich im Bett gelegen, da ist mir bewusst geworden, ich habe keine
Pension , aber ich werde älter (...) an das habe ich nicht gedacht, oder. (...) es
waren dann 56 (Jahre) und 10 Monate (...), ja ich habe das genutzt, weil ich hatte
immer einen Traum, wenn ich frei bin, dann mache ich Reisen.
Interviewer: „Sie haben mit 56 Jahren in Pension gehen können?“
Frau W.1.: Mit 56 Jahren und 10 Monaten. (...) das war mein, (...) weil ich eben in
Frühpension gegangen bin, haben sie mir bei der Regelpension - ich weiß nicht,
das sind jetzt schon 14 Jahre, nächstes Jahr bin ich 70, also 13 Jahre schon. Also
haben sie mir von der Regelpension was weggenommen, (...) dafür bin ich aber
unter diese Mindestpension gekommen, d.h. ich bekomme eine kleine Ausgleichs-
zulage“ Frau W.1.
„Ich haben bei der [X] gearbeitet und auf einmal hat es geheißen, die Frau [H.1]
soll ins Büro kommen. Na und dann hat er gesagt: ‚Frau [H.1], sie haben die
Jahre‘, weil 4 Jahre bekommt man pro Kind. Hat er gesagt: ‚sie haben alle Pensi-
onsjahre, sie können schon gehen‘. Na ich bin erschrocken, ich hab ja gar nicht
wollen (lacht) Oder, sagt er: ‚sie gehen bis 60 und bekommen 80 € mehr‘. Habe ich
mir gedacht, die verdiene ich mir so auch“ Frau H.1.
Auf der anderen Seite ist Frau L.1 zu nennen, welche zwar ebenso bewusst die Entscheidung
fällte, mit 55 Jahren in Pension zu gehen, jedoch mit der Bemerkung, dass keine Steigerung für
sie mehr möglich gewesen wäre:
Ursachen und Deutung der Altersarmut 263

„Ja ich bin also genau ahh ich bin noch mit ahh mit 55 waren das noch. Wie ich
gegangen bin und eigentlich an meinen, wo ich Geburtstag gehabt habe, das Mo-
nat, bin ich, ja da bin ich in Pension gegangen, weil meine 40 Jahre habe ich ge-
habt, also ich hätte eh, also Steigerungen wären da nimmer drin gewesen. Also was,
man hat damals schon gesagt, na die Jungen wollen auch wieder nachrücken und
da habe ich mit 55 schon gehen können“ Frau L.1.
Frau L.1 wirkt hier sehr überzeugend und es lassen sich auch in den weiteren Interviewpassagen
keine Unstimmigkeiten diesbezüglich entdecken. Sie ging 1986 in Pension und unterlag damit
der 40. ASVG Novelle (bzw. der 41., welche jedoch im Bereich der Pensionsermittlung keine
Änderungen brachte), welche für die ersten 360 Versicherungsmonate 1,9 und ab dem 361.
Versicherungsmonat 1,5 Steigerungspunkte vorsah. Dürften keine weiteren Aspekte zu berück-
sichtigen sein, lag die Ersatzrate von Frau L.1 bei 72%, sie hatte also noch nicht die maximal
Höhe erreicht. Bei einer etwas längeren Versicherungszeit dürfte eine kleinere Erhöhung der
Pension zwar möglich gewesen sein, an dem Umstand der Altersarmut hätte aber auch dies
wohl nichts geändert. Eine Alleinverantwortung dem Einzelnen zuzuschreiben, erscheint daher
ungebührlich, denn auch wenn die eine oder der andere noch etwas länger hätte arbeiten können
– bei den beschriebenen Fällen der Arbeitsunfähigkeit wird ja deutlich, dass selbst diese länger
arbeiten wollten, wären die Pensionseinkommen nicht über der Armutsgefährdungsschwelle
gelegen. Zu groß waren andere Defizite wie niedrige Erwerbseinkommen oder fehlende, nicht
mehr aufholbare Versicherungslücken, welche im Wesentlichen ein niedriges Pensionseinkom-
men besiegelten. Das neue Pensionssystem, das den Durchrechnungszeitraum in Zukunft deut-
lich ausdehnt und mit harten Abschlägen und Boni das Regelpensionsalter zu zementieren ver-
sucht, dürfte insofern zu einer neuen Ungleichheit beitragen, da Personen, welche ein niedriges
Erwerbseinkommen und eine brüchige Erwerbskarriere haben und nicht unter die Armuts-
grenze fallen wollen, weit über das Regelalter hinaus arbeiten müssten.409 Sind diese Menschen
durch Krankheiten nicht mehr arbeitsfähig, wird die Altersarmut ansteigen.

• Erwerbskarrieren mit Auslandszeiten


Zwei der Befragten in der Interviewserie für diese Arbeit haben einen Migrationshintergrund:
Frau M.2 und Herr F.1 sind beide in Polen geboren und verbrachten einen großen Teil ihrer
Erwerbskarriere in diesem Land. Aufgrund der politischen Verhältnisse flohen beide und ar-
beiteten noch einige Jahre in Österreich (16 Jahre verbrachte Frau M.2 in ihrer Erwerbsphase
in Österreich, Herr F.1 etwa 22 Jahre), bevor sie pensioniert wurden – dieser Verlauf trifft auf
fast alle von mir befragten Personen (auch auf jene der ersten Interviewserie) mit Migrations-
hintergrund zu; nur eine Frau kam als Gastarbeiterin und blieb in Österreich bzw. flüchtete eine
andere bereits als Kind. Die Episoden der Flucht treten in der Rekonstruktion als Brüche auf,
denn zum einen bedurfte es meist einer gewissen Zeit bis überhaupt ein Job, vorwiegend in
einem ungelernten Beruf als Hilfskraft, gefunden worden war, zum anderen hatten einige der
Befragten Wartezeiten hinzunehmen, da sie zu Beginn gar keine Arbeitserlaubnis hatten. Nur
einigen gelang es (rasch) in ihrem erlernten Berufsfeld wieder Fuß zu fassen – das auch heute
beobachtbare Phänomen der Dequalifizierung traf bei den Befragten in vielen Fällen zu. Über
die ganze Berufszeit gesehen, können die Befragten zwar keine durchgängigen Karrieren auf-
weisen, meist aber eine verhältnismäßig große Anzahl an Arbeitsjahren, jedoch in mehreren

409
Beispiel aus der Jetztzeit: Eine Frau 1995 geboren, erstmal seit 2015 arbeitend, benötigt bei 45 Arbeitsjahren
1.335€ Bruttolohn mal 14, um eine Nettopension gleich hoch der Armutsgefährdungsschwelle des SILC 2016
zu erhalten; aber 20% der ArbeitnehmerInnen hatten 2016 ein geringeres Einkommen – siehe AK (2018).
264 Ergebnisse

Ländern. Ob das Einkommen damals hoch oder niedrig war, lässt sich nicht eruieren; grund-
sätzlich waren die Reallöhne in den Ostblockstaaten (alle Befragten rekrutieren sich aus diesen
Ländern) im Vergleich zu Österreich deutlich geringer, die Differenz weitete sich zwischen den
1960er und den 1980er Jahren sogar noch aus (vgl. Steiner, 2005, S. 236). Aufgrund dessen,
dass verhältnismäßig wenige Beitragsjahre in Österreich erbracht wurden (die Fälle lassen sich
daher vorrangig im Typ der instabilen und offenkundigen Armut verorten), ist die österreichi-
sche Pension gering, weitgehend ungeachtet der Einkommenshöhe in Österreich. Das Einkom-
men in den letzten Jahren vor der Pensionierung war hingegen entscheidend für die Wahrneh-
mung des Übergangs in die Altersarmut, wie an Frau Ex.E. verdeutlicht wurde. Als sie über
ihren ersten Gang zum Flohmarkt erzählt, weil es nun nicht mehr möglich war, neue Kleidung
zu kaufen, war sie im Interview den Tränen nahe. Für andere war der Übergang in die Pension
ein deutlich geringerer Einschnitt, da deren Erwerbseinkommen in Österreich den unteren Ein-
kommensschichten zuzuordnen sind (etwa die Erwerbstätigkeit als Bedienerin oder Arbeits-
kraft in einer Wäscherei, Schneiderei usw.).
Die eigentliche Ursache von Altersarmut liegt bei diesen Personen im Spannungsverhältnis der
Pensionssysteme begründet bzw. in der Logik der Anerkennung von Versicherungszeiten. Auf-
grund von Kaufkraftunterschieden sind die erhaltenen Pensionszahlungen aus dem Ausland für
österreichische Verhältnisse relativ gering und in Kombination mit der niedrigen österreichi-
schen Pension ergibt sich in Summe wiederum nur ein kleines Einkommen, welches durch die
Ausgleichszulage aufgestockt werden muss. Einschränkend ist festzuhalten, dass solche sys-
temimmanenten Verwerfungen durch spezifische historische Konstellationen beeinflusst sind,
also abhängig vom Zeitpunkt der Pensionierung und die zu diesem Zeitpunkt mit dem jeweili-
gen Herkunftsland bestehenden Abkommen. Aber auch das gängige pro-rata-temporis-Prinzip
(vgl. Spiegel, 2018) und die autonome Leistungsverrechnung, werden aufgrund fehlender Har-
monisierungsversuche der Leistungshöhen vor dem Hintergrund der Kaufkraft zu Fallstricken.
Solange weder Kaufkraftparität gegeben ist noch eine Harmonisierung der Pensionsleistungen
erfolgt, bedürfte es integrativer Verfahren, in welchem der Zielstaat die ausländischen Versi-
cherungszeiten berücksichtigt, als wären es inländisch erarbeitete Versicherungszeiten bzw. im
aktuellen System entsprechende Kontogutschriften am Pensionskonto.

4.2.3 Fazit – Abweichungen vom Normalmodell


Altersarmut ist in erster Linie als Abweichung vom Normalmodell zu bezeichnen. Wie Hauser
(2008) konstatiert, sind die Ursachen für Altersarmut ein niedriges Erwerbseinkommen, längere
Perioden der Arbeitslosigkeit, vorzeitige Erwerbunfähigkeit, längere Krankheiten und Zuwan-
derung im mittleren Alter, da nicht mehr genug Anspruch erworben werden kann. Dies sind im
Wesentlichen jene Faktoren, welche auch im Zuge der Interviews festgestellt werden konnten
und untermauern vorangegangene wissenschaftliche Analysen. Betrachtet man nochmals die
Kombination Versicherungsjahre und Einkommenshöhe in Bezug auf das Pensionseinkommen,
so lässt sich formulieren, dass eine kontinuierliche Erwerbskarriere innerhalb Österreichs mit
steigenden bzw. allgemein hohen Bezügen – als Richtwert ließe sich die Höchstbeitragsgrund-
lage nennen – dem Ideal des Pensionssystems, wenn man auf ein hohes Pensionseinkommen
abzielt, entsprechen. Ein vorzeitiger Pensionsantritt vor dem Regelpensionsalter mit jeweiligen
Abschlägen, diskontinuierliche Erwerbsverläufe bzw. lange Zeiten der Kindererziehung (vor
allem wenn diese über die anrechenbaren Jahren hinausgehen), Pflege oder geringe Erwerbs-
einkommen (etwa verursacht durch Teilzeitanstellungen oder strukturbedingte bzw. branchen-
abhängige Faktoren, wobei hier etwa von Frauen dominierte Sparten zu nennen sind) stehen in
Kontradiktion zu diesem Normalmodell und führen zu geringeren Pensionseinkommen, wenn
nicht gar in die Altersarmut. Wie bereits erörtert, ist es ein komplexes Zusammenspiel von
Ursachen und Deutung der Altersarmut 265

verschiedenen Faktoren, hinter dem, neben der individuellen Erwerbsbiographie, ein durchaus
als dynamisch zu bezeichnendes Pensionssystem steht. Die Erzählungen der Befragten lassen
den Schluss zu, dass Entscheidungen in der Zeit des Erwerbslebens nur eingeschränkt vor dem
Hintergrund der zukünftig zu erwarteten Pensionshöhe getroffen wurden. Frau S.1 versuchte
im Bewusstsein ihrer fluktuierenden Einkommenshöhen in besseren Zeiten vorzusorgen, Frau
E.1 antizipierte ihre Situation wohl verhältnismäßig spät, denn nach ihrer Rückkehr versuchte
sie zwar noch fehlende Jahre auszugleichen, dies gelang ihr aber nicht mehr, da sie von ihrem
Arbeitgeber ‚abgebaut‘ wurde. Frau L.1 suchte sich als junge Frau auf Anraten ihrer Mutter
eine bessere Anstellung, macht aber selbst darauf aufmerksam, dass man mit 20 Jahren kaum
an die Pension denkt.
Auch wenn Herr J.1 etwa ein Mitverschulden an seiner Situation einräumt bzw. Frau Ex.I oder
Frau E.2 sich für die Kindererziehung oder Frau H.1 und W.1 sich bewusst für einen vorzeitigen
Ausstieg entschieden haben, darf darüber hinaus nicht übersehen werden, dass die Auseinan-
dersetzung mit der eigenen (zukünftigen) Pension bzw. mit dem Pensionssystem für viele ein
schwieriges und meist undurchsichtiges Unterfangen ist. Zusätzlich sind in Zeiten der Entschei-
dung oft die Folgewirkungen für später nicht abzuschätzen. So ist die Erwägung von Frau H.1,
sich die 80 Euro Verlust auch in der Pension weiterhin erarbeiten zu können, zwar zum Zeit-
punkt vor ihrem Pensionsantritt nachvollziehbar, zeigt aber auch die Unwissenheit, dass dies
zu Lasten der Ausgleichszulage geht. Außerdem wird dabei ausgeblendet, dass in der weiteren
Phase des Alterns mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Verschlechterung des Gesundheitszustan-
des einhergeht und damit die Arbeitskraft versiegt. 80 Euro Verlust, ohne hier Inflationsanpas-
sungen zu berücksichtigen, summieren sich innerhalb von 25 Pensionsjahren immerhin auf
8750 Euro. So dürften sich in ihrer Erwerbsphase nur die wenigsten Genannten mit ihrer zu-
künftigen Pension beschäftigt haben bzw. wird dies bei den anderen in der Erzählung der Le-
bensgeschichten nicht vorstellig. Der Schluss, niedrige Pensionseinkommen auf eine überwie-
gend persönliche Verantwortung zu schieben, liegt zwar nahe, muss jedoch auf Grund der schon
erwähnten komplexen Pensionsberechnungen und sich ändernden gesetzlichen Grundlagen re-
vidiert werden. Letzten Endes hilft die vorausschauendste Planung und der beste Durchblick
nichts, wenn sich die Vorstellungen am Ende nicht verwirklichen lassen, sei es, dass externe,
nicht persönlich beeinflussbare Faktoren wie Kündigungen, Konkurse von Unternehmen oder
Krankheit und Unfälle eine Rolle spielen (wie der Sturz mit schweren Folgen von Herrn J.1).
Auch ist das Pensionssystem kein stabiles Gebäude, bedenkt man alleine die Reformen der
letzten 15 Jahre und die Verluste, welche aus der Reform 2003 hingenommen werden mussten
und gar eine Vergleichsrechnung mit Verlustdeckelung notwendig machten. Abweichungen
bedeuten folglich, sich nicht auf das sich verändernde Normalmodell einstellen zu können –
einige der Lebensentwürfe hätten wohl sogar unter dem Pensionssystem, welches zum Anfang
der Erwerbskarriere bestanden hat, „funktioniert“ – und erzeugen damit im Resultat ein gerin-
ges Pensionseinkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle. Die provokante Antwort lau-
tet, wenn man der Altersarmut heute entrinnen will: Das aktuelle Pensionssystem macht es not-
wendig, eine möglichst kontinuierliche Erwerbskarriere mit möglichst hohem Einkommen ein-
zuschlagen. Für Frauen bedeutet dies, sich ebenso wie Männer verstärkt der Karriere zuzuwen-
den, wenige oder gar keine Kinder zu bekommen und sich nicht in die familiäre Pflege drängen
zu lassen. Denn die Logik des Pensionssystems folgt einem Modell der Vollbeschäftigung bei
gleichzeitig hohen Durchschnittsgehältern. Aber die gesellschaftliche Verantwortung wäre,
etwa Phänomene wie working poor zu bekämpfen, um zumindest einzelne Ursachen von Al-
tersarmut zu minimieren. Wichtig ist die Einsicht, dass das verändernde Pensionsregelwerk die
Menschen normiert und damit weder individuelle Verläufe beachtet, noch historische Bedin-
gungen ausreichend berücksichtigt werden bzw. selbst zu historischen Konstellationen beitrug,
266 Ergebnisse

die im Späteren ignoriert wurden und die daraus resultierenden Folgen für Einzelne nicht immer
ausgeglichen werden können bzw. konnten.410 So wurde etwa von den Befragten manchmal
angemerkt, dass es in manchen Branchen üblich war, ArbeiterInnen oft gar nicht oder nur teil-
weise anzumelden, oder dass ein guter Teil der Befragten gar keine Möglichkeiten hatte, sich
für einen längeren Bildungsweg zu entscheiden, da die Notwendigkeit, zum Familienerhalt bei-
zutragen, gegeben war, man aber auch froh sein musste, überhaupt eine Lehrstelle gefunden zu
haben, egal ob der zukünftige Beruf den eigenen Vorstellungen entsprach oder nicht. Auch wird
niemand bestreiten, dass wohl die wenigsten ein Leben in working poor einem Leben mit hö-
herem Einkommen freiwillig vorziehen wollen. Somit ist die Frage, wie Altersarmut beseitigt
werden kann, weniger eine individuelle Verantwortung als eine gesellschaftliche Aufgabe und
Herausforderung.

4.2.4 Die Deutung der Altersarmut


Nun stellt sich die Frage, wie Altersarmut unter den Befragten gedeutet und wahrgenommen
wird. Vorweg ist zu konstatieren, dass auch die empirischen Ergebnisse auf die von Simmel
hingewiesene Differenz zwischen Armut und arm sein hindeuten. Prägnant formuliert: Es be-
zeichnete sich kaum jemand der Befragten selbst als arm, wenn gleich in vielen Passagen der
Interviews die finanziellen Limitationen durchscheinen. Nur Frau R.2 lässt sich in einem kurzen
Moment zur folgenden Aussage hinreißen: „Die haben keine Ahnung, ja die [X] ist ja nicht so
arm wie wir“. Ihrer Ansicht nach gibt es Menschen, welche nicht so arm sind und soziale Ein-
richtungen ausnutzen. Jene grenzt sie von sich ab und sieht sich selbst in der Nutzung sozialer
Unterstützungen berechtigt, damit adressiert sie sich selbst als arm. Andererseits grenzt sie sich
aber auch von „wirklich armen“ Menschen ab, wobei sie dies nicht näher ausführt. Durch die
Interpretation weiterer Aussagen dürfte sie hierbei obdachlose Menschen gemeint haben. Sol-
che Abgrenzungen zu den in der Gesellschaftshierarchie ganz unten Stehenden fanden sich im-
mer wieder in den Interviews - „Nur die Freiwilligen sind dort, naja, das wird ihnen zu teuer
gekommen sein, weil es sind ja viele dort, die so ganz arme Leute sind“ Frau L.1. Ersichtlich
wird auch hier die soziale Klassierung bzw. Abstufung und verweist indirekt in der Differenz
von „die nicht ganz/ die ganz armen Leute“ auf die eigene Position arm, aber eben nicht ganz
so arm zu sein.
Führt man den Gedanken der berechtigten Nutzung von Sozialleistungen weiter aus, so lässt
sich vor dem theoretischen Hintergrund argumentieren, dass in Kenntnis der eigenen Unterstüt-
zungsbedürftigkeit die Adressierung als arm wahrgenommen wird. Anders formuliert können
sich die Befragten den Unterstützungsangeboten nicht verwehren und müssen damit ihre Posi-
tion als arm annehmen. Man ist sozusagen arm vor dem Amt und muss dies auch durch Ein-
kommensnachweise usw. beweisen.411 Gleichwohl bleibt die Differenz zwischen Armut und
sich arm fühlen bestehen:
Interviewer: „Wenn ich das richtig verstanden habe vorher, Sie sagen, Sie würden
sich nicht als arm bezeichnen.

410
Warum hätten zum Beispiel StudentInnen in den 1970er Jahren auf eine Anmeldung von ArbeitgeberInnen
während der Studienzeit pochen sollen, wenn a) das Studium als Versicherungszeit angerechnet wurden und
b) mit den besten 15 Jahren der „Zielkorridor“ für eine hohe Pension in der zukünftigen Erwerbskarriere nach
dem Studienabschluss lag.
411
Nicht gemeint ist damit, dass sich die Befragten damit ärmer stellen als sie sind oder sich Leistungen erschlei-
chen wollen, sondern nur, dass die Einforderung der Unterstützung die Annahme des Status des Armen nötigt.
Ursachen und Deutung der Altersarmut 267

Frau E.1: Na, eigentlich nicht. Obwohl ich es sicher vom finanziellen Standpunkt
her bin, weil da gibt es ja so Statistiken mit Armutsgrenze und so nicht?“ Frau E.1.
Frau E.1 verdeutlicht das oben Geschriebene: Ihr ist bewusst, dass sie als arm adressiert wird,
kann dadurch auch Unterstützungen einfordern, fühlt sich selbst aber nicht so, gerade weil sie
Unterstützung erhält. Ein weiterer Grund ist, dass sie mit dem Gefühl des Armseins, andere
Aspekte als die ihrer eigenen Situation verknüpft, denn sie hat eine Wohnung und zu essen,
kann sich aufgrund ihrer Kinder Reparaturen leisten, ist nicht von Obdachlosigkeit bedroht.
Armsein schiebt sie damit von sich weg. M.E. ist dies als eine Bewältigungsstrategie zu deuten,
da man sich die Frage stellen muss, was es bringen würde, sich selbst als arm zu sehen, wenn
man bereits von außen als arm adressiert wurde. Hätte man dadurch einen Gewinn, ein besseres
Gefühl? Wohl eher nicht. Und so formulieren einige der Befragten Armut als soziales Statement
und nicht als ein Selbstbetroffensein:
„Ich hab ihm dann gesagt, ich bin der Überzeugung, dass für Österreicher, Ältere,
Pensionisten, die armutsgefährdet, oder an der Armutsgrenze leben, zu wenig getan
wird. Das ist meine persönliche Meinung, das sage ich jedem ins Gesicht. Ich
scheiß mir nichts“ Frau B.1.
„Dann bist du eh schon so arm, eh schon so alt. Kommst eh schon von so einem
einfachen Milieu und die wundern sich dann über dich, dass du immer das Gleiche
anhast und so. Also, nicht nur, dass der Mensch das ganze Leben arm war, dann
wird er bis ins hohe Alter, bis zum Tod ganz einfach-(.) wieder diskriminiert“ Frau
R.1.
„Du hast zwei Möglichkeiten, ich glaube die Frauenarmut liegt daran, dass eigent-
lich Frauen, die sich, wirklich, denen die Kinder wirklich am Herzen liegen, also
da steckst du dann einiges zurück, dass du dafür eigentlich dann bestraft wirst“
Frau E.2.
Selbst der Sohn von Frau D.1 adressiert seine Mutter nicht als arm, sondern spricht abstrahiert
von Armut:
„Und sie sehen, werden das eh wissen, wie viele Leute in Österreich an der Ar-
mutsgrenze leben, wie viel auch arm sind, die oft im Winter nicht wissen, wie sie
heizen sollen, die sich das nicht leisten können und dann wird immer so gesagt, in
Österreich, es geht eh allen super, Österreich ist so reich und bibabo. Lauter Blöd-
sinn erzählen, ja das können die sagen, wenn es keine Armut gibt in Österreich und
auch viele Frauen, sie wissen das ja eh, die alleinerziehenden Mütter, die da nur
Teilzeit arbeiten, die auch an der Armutsgrenze herum schrammen und auch die
Kinder, die arm sind“ Sohn von Frau D.1.
Konkludierend sind die Befragten zwar als arm adressiert, weisen diesen Status aber im Gefühl
des Armseins zurück, vergleichen sich mit anderen oder grenzen sich zu noch Ärmeren ab oder
abstrahieren auf eine Gesellschaftsgruppe, welcher sie selbst zwar angehören, über die es sich
aber verallgemeinernd leichter reden lässt. Die Wahrnehmung der aktuellen Situation ist zudem
von teils lebensgeschichtlichen Deutungsmustern mitgeprägt, wovon sechs im Nachfolgenden
dazu vorgestellt werden.

• Altersarmut als lebenslange Einschränkung


Als Idealtyp dafür ist für L.1 zu nennen, welche 1931 geboren wurde und 1986 als gelernte
Schneiderin in Pension ging. Als Zwischenkriegskind erlebte sie den zweiten Weltkrieg mit
und war mit den damaligen, schlechten Lebensbedingungen konfrontiert. Bereits in dieser Zeit
268 Ergebnisse

lernte sie das „Sparen“ und deutet damit auf eine eingeübte, genügsame Lebensführung hin,
welche sie bis heute lebt. Auch wenn die Pension eine nochmalige Reduktion des Einkommens
mit sich brachte – aufgrund der Ersatzrate – so ist Frau L.1 schon in ihrer Erwerbsphase der
unteren Einkommensgruppe der ArbeiterInnen zuzuordnen. Der Übergang in den Ruhestand
wird daher im Interview unter finanziellen Gesichtspunkten aus heutiger Sicht weitgehend kon-
tinuierlich und zur damaligen Zeit antizipiert beschrieben; die Ausführungen im Interview sind
entsprechend marginal. Entscheidend dürfte auch sein, dass Frau L.1 in der Kindheit und Er-
werbsphase genügsam leben musste, dies wird bspw. deutlich, wenn sie erwähnt, dass sie erst
mit 40 Jahren ihren Führerschein machte und ein Auto lange Zeit für sie reine Utopie war.
Größere Anschaffungen wurden erst dann getätigt, wenn das Geld angespart worden war –
„wenn ich mir etwas nicht leisten habe können, dann habe ich warten müssen“ – oder werden
als außerhalb des Möglichen abgetan. Auf der anderen Seite verdeutlicht der doch mögliche
Besitz eines Autos den allgemeine Wohlstandsgewinn dieser Zeit, welcher auch Frau L.1 trotz
ihres immer geringen Gehaltes zu einem etwas besseren Lebensstandard verhalf. Hierzu werden
von ihr mehrere Beispiele – die damaligen Wohnverhältnisse, wie geheizt oder gewaschen
wurde – und die Unterschiede zur heutigen Jugend, welche sich diese Zustände nicht mehr
vorstellen könne, eingebracht. Zum einen macht Frau L.1 damit auf den Wandel der Zeit auf-
merksam, welchem sie jedoch insbesondere im technischen Bereich nicht mehr gerecht wird
bzw. auch nicht möchte. Hier muss jedoch die Frage aufgeworfen werden, ob die Deutung als
Willensfrage nicht eher als protektionistische Haltung aufgefasst werden müsste. Zum anderen
lässt sich ihre aktuelle Lebenslage unter Altersarmut als ein kontinuierlicher Fortgang beschrei-
ben, bei dem geringe Lebensstandardzuwächse (alleinig) nur über den allgemeinen Wohl-
standsgewinn der Gesellschaft möglich waren. Bemerkenswert ist das biographische Deutungs-
muster ihres Lebensverlaufs, welches sich als ein aktives Handeln unter äußeren Bedingungen
zusammenfassen lässt. So tritt der Rahmen der Handlungen bspw. in Erwägungen über die
Nachkriegszeit oder aktuell im Gesundheitszustand hervor, in welchen sie sich einpasst bzw. -
passte. In diesem Kontext wird aber auch die Überzeugung ihrer Selbstwirksamkeit erkennbar,
wenn sie immer wieder erwähnt, dass es gehen müsse. Diese Selbstwirksamkeit ist als eine
Form der Resilienz zu bezeichnen, welche durch die Einsicht der Unabänderlichkeit der äuße-
ren Bedingungen noch verstärkt wird. So spricht Frau L.1 häufig in der dritten Person „man“
bzw. „wir“ oder die Gesundheit wird als etwas Äußerliches, im Alterungsprozess sich natürlich
Veränderndes dargestellt. Vielfach sind die Ausführungen mit der Koda „so ist es“ oder „es ist
halt so“ beendet. Frau L.1 wirkt damit zwar passiv, als sich Ergebende ihrer Umstände, jedoch
ist darin viel mehr der Umgang mit den Lebensbedingungen als spezifische Form der Bewälti-
gung zu sehen. In dem sie die Umstände als gegeben annimmt, verliert sie sich nicht in einer
Reflexion über Verluste und Beschränkungen des Lebens, sondern kann diese erfolgreich in-
tegrieren und erlangt damit Handlungsfähigkeit. Sie arrangiert sich mit den Bedingungen, ver-
lagert bspw. Aktivitäten den gesundheitlichen Einschränkungen entsprechend in den privaten
Bereich oder trifft sich, ohne größere Kosten damit zu verbuchen, mit Bekannten im Club.
Diese akkommodativen Strategien werden im späteren nochmals aufgegriffen. Zusammenfas-
send trifft dieses Muster der lebenslangen Einschränkung auch auf andere Befragte zu, wie auch
bei Frau S.1 als Schauspielerin oder bei Frau W.1. und Frau R.1 mit vielen Schicksalsschlägen
konfrontiert, welche sie dem Willen eines höheren Wesens zuschreibt, musste auch sie in ihrem
Leben mehrfach Armutserfahrungen machen und lebte die meiste Zeit eingeschränkt. Diese
Sozialisation der Einschränkung – womit zum Beispiel für alle Genannten klar ist, dass nur
Dinge angeschafft werden können, wenn das Geld vorhanden ist – und das frühzeitige Erlernen
von Bewältigungsstrategien im Lebensverlauf, schwächen die Wahrnehmung der aktuell pre-
kären Situation nicht nur ab, sondern befördern ein zufriedenstellendes Arrangement.
Ursachen und Deutung der Altersarmut 269

• Altersarmut zwischen heute und gestern – der positiv sinnstiftende Vergleich


„Ja, weil ich denke mir so, ich habe so irgendwie die Überzeugung, dass so wie es
mir jetzt geht, dass es mir eigentlich gut geht, mit der Mindestpension, weil das liegt
schon in meiner Kindheit, weil wir sind ganz in armen Verhältnissen aufgewachsen,
meine Mutter war alleine, weil ich, wie gesagt, einen russischen Soldaten als Vater
habe. [...] Also meine Mutter hat kein Glück gehabt, war aber eine recht, ähm, ja
eine selbständige und tüchtige Person, so eine stille, bescheidene eigentlich aber
trotzdem tüchtig, weil sie hat das immer gut gemeistert, hat sich nicht beklagt und
war, wie gesagt, wir haben sicher in armen Verhältnissen gelebt aber man hat das
damals nicht so gespürt, weil erstens, man hat damals, nach dem Krieg waren fast
alle in einer schlechten finanziellen Lage aber meine Mutter hat das immer so hin-
bekommen, sie hat auch zu Hause arbeiten können, was auch gut war, sie hat Buch-
haltung gemacht und wir hatten einen Garten also haben wir Gemüse, Obst und so,
ja, also wie gesagt, aus heutiger Sicht waren wir sicher sehr arm aber damals ist
uns das nicht so arg vorgekommen.“ Frau E.1
„Na, ich kann erinnern, nach dem zweiten Weltkrieg, die Leute hatten gar nichts,
sie waren sparsam und so einander, miteinander geholfen, alles war prima und das
habe ich schon von der Kindheit mitgenommen. Wie ich nach Österreich gekommen
bin, da musste ich anfangen von Null und sparsam sein und nicht so dumm sein,
alles auf einmal, auf einmal alles haben, das geht nicht, in die Arbeit gehen, arbei-
ten und Geld sparen und richtig langsam Geld ausgeben“. Herr F.1
Beide Befragten vergleichen ihre aktuelle Situation mit der Vergangenheit, wobei auf Frau E.1
näher eingegangen werden soll. Frau E.1 wurde 1946 geboren und wuchs als Kind in sehr ar-
men Verhältnissen auf. Aus heutiger Perspektive beurteilt sie die damaligen Verhältnisse ärm-
licher im Vergleich zu der aktuellen Situation, welche sie vor diesem Hintergrund als bewäl-
tigbar ansieht. Ihre aktuelle Lebenslage und jene der Mutter ähneln sich stark: Sie lebt nun
alleine, ist weiterhin tüchtig und beklagt sich nicht, wie sie in späteren Erzählungen ebenso aus
der Perspektive von Freunden darlegt und hat es aus ihrer Sicht bis jetzt „hinbekommen“. Ob
die Armut und Lebenssituation tatsächlich von ihrer Mutter so erlebt wurde, spielt hierbei keine
Rolle, sondern Frau E.1 schreibt ihr diese Annahme zu, um selbst damit Rückhalt zu gewinnen.
So spürt sie die Armut nur bedingt und schließt im Alter wieder an das Leben an, welches sie
bereits als Kind erlebte. Das Deutungsmuster des Vergleichs findet sich des Weiteren nicht nur
bei Herrn F.1, sondern auch bei Frau M.2 oder Herrn J.1, welcher dieses zum beruhigenden
Ausgleich seiner aktuellen Situation nutzt, auch wenn es ihm nur bedingt gelingt. Wiewohl mit
dem Vergleich einige Befragte einen Weg gefunden haben, die aktuelle Situation in ihre Le-
bensgeschichte gelingend zu integrieren, ist auch auf den negativen Fall hinzuweisen.

• Altersarmut zwischen heute und gestern – der negativ belastende Vergleich


„Ja - pff wo soll ich beginnen? Ja, Kindheit in Hietzing, dann Schule gemacht,
Volksschule, Hauptschule, Handelsschule und dann im Beruf Büro, eigentlich fast
nur im Büro, dann beim Ströck im Verkauf, weil ich für das Büro schon zu alt war.
Dann war ich lange arbeitslos und dann bin ich halt krankheitshalber in Pension
geschickt worden. Also ich hab gerade noch die Rutschen bekommen, weil jetzt ist
es sauschwer. Das hab ich schon von anderen mitbekommen. Und ich mache jetzt
den Dienst, den Küchendienst [circa 8 Stunden in der Woche] ehrenamtlich und
mache es gerne damit ich eine Beschäftigung habe, damit ich nicht ganz Dings bin.
Und die jetzige Lebenssituation ist, ich hab sicher durch die Story in der [Z], a
270 Ergebnisse

bissal sind Spenden reingekommen unter anderem auch ein Bettsofa und so, meine
Wohnung ist jetzt ausgemalt, die Elektrik muss noch fertig gemacht werden, also
die Lampen montiert werden und ähm die Leisten bei den Heizungsrohren, aber
das war es dann, also die Wohnung ist wieder, schaut nicht so trist aus, wie sie am
Anfang ausgeschaut hat. [...] Das ist die jetzige Situation, ich habe früher sehr gut
verdient, also ich hab Netto gehabt über 2.000 Euro (.) und das ist halt das ähm wo
ich sage, das ist jetzt nimmer. Und es ist wahnsinnig schwer, also es ist wirklich
schwer (.) und das ist eine psychische Sache, eine psychische Belastung, nur da
habe ich das Glück, dass ich da zum Psychologen gehen kann und auch noch bei
einem Verein bin“ Frau B.1.
Wie viele der Befragten rafft Frau B.1 ihre Lebensgeschichte in wenige Sätze zusammen und
deutet zu Beginn eine „Normalbiographie“ an, welche mit ihrer langen Zeit der Arbeitslosigkeit
und der anschließenden Berufsunfähigkeitspension ein Ende fand. Zwischen Erwerbsphase und
Ruhestand zeichnet sich ein Bruch ab, welcher sich durch einen abrupten Wechsel in die aktu-
elle Situation markiert und eine längere Erzählung folgt, in welcher sie die Eckpunkte der Le-
benssituation aufgreift. Ihre jetzige Situation belastet sie und zieht den Vergleich zu ihrer Er-
werbskarriere, in welcher sie einst gut verdiente. Dabei wird der Anschein erweckt, dass sie
durchgehend ein hohes Einkommen bezog und überlagert den Anfang und das Ende ihrer Er-
werbskarriere, in welcher das Einkommen wesentlich niedriger lag, wie sich in späteren Er-
zählpassagen herausstellte. Frau B.1 überhöht damit die Differenz und unterstreicht den in ihrer
Wahrnehmung bedeutenden Abfall des Einkommens, womit sie nicht mehr an eine frühere Le-
bensführung anschließen kann. Die Folge ist eine Zäsur, welche das Erwerbsleben von ihrem
Ruhestand abtrennt. Durch den Vergleich der beiden Lebensphasen wird ihr der negative Ver-
lauf ersichtlich, welchen sie in einem Unverständnis gegenüber der aus ihrer Sicht mangelhaf-
ten Unterstützung altersarmer Menschen verarbeitet. Auch Frau M.1 ist in diesem Muster ge-
fangen und vergleicht ihre damalige Erwerbsphase mit ihrem jetzigen Leben bzw. schafft es
Frau A.1 nicht, ihre jetzige Situation in ihre Biographie zu integrieren. Zäsuren und negative
Vergleichsprozesse sind die Folgen, an welchen die Frauen – alle drei benötigen Psychophar-
maka zur Bewältigung des Alltags – zu scheitern drohen.

• Altersarmut - verborgene Lebensgeschichte und ein hoffnungsvoller Neuanfang


Ein völlig anderer Typus lässt sich bei Frau R.2 entdecken, in dem sich die zeitliche Ordnung
der Erlebnisse nahezu vollständig im aktuellen Erleben auflöst. Verweise auf ihre Lebensge-
schichte sind eingebettet in Themen, die bei ihr sprunghaft zum Vorschein treten. Auf die Bitte,
noch etwas von ihrem Sohn zu erzählen, verweist sie auf die geringen Kontakte und ist sichtlich
von ihm enttäuscht, was sie damit begründet, dass sie alles für ihn getan habe, verknüpft dies
mit ihren Nebenjobs, welche für ausreichend Geld notwendig waren und greift unter diesem
Aspekt partiell ihre Erwerbsbiographie auf. Zusammengefasst bleibt die Lebensgeschichte
weitgehend im Verborgenen, Frau R.2 kann oder mag sich nicht damit beschäftigen und beant-
wortet auch nicht die Einstiegsfrage im ersten Interview. In der Rekonstruktion scheint sich in
jüngerer Zeit ein Bruch abzuzeichnen. Dieser lässt sich zeitlich zwar nicht genau verorten, liegt
aber zwischen ihrer aktuellen Situation und dem Tod ihres Lebensgefährten, welchen sie bspw.
als „meiner“ bezeichnet. Trotz gewalttätiger Handlungen seinerseits – sie sucht sogar nach le-
gitimierenden Argumente für seine Alkoholsucht („schlechte Kindheit“) und Entschuldigungen
für seine Übergriffe („er wurde angestachelt“) – dürfte sie sich nach dessen Ableben (konnte
sich lange nicht von ihm lösen) in einer Abwärtsspirale befunden haben, welche sie nun lang-
sam durchbricht und in eine Neuorientierungsphase kommt. „Ja, alles ist schief gegangen in
Wien, bis jetzt“. Diesen Neubeginn markiert sie mit einem geplanten Umbau ihrer Wohnung –
Ursachen und Deutung der Altersarmut 271

trotz ihrer minderen monetären Lage möchte sie sich nun einrichten, plant Verbesserungen und
Veränderungen und erzählt, was noch alles gemacht werden müsste; auch dürfte sie viele Kü-
chengeräte erst vor kurzem gekauft haben und plant sogar einen Backofen zu kaufen. Sie resü-
miert: „Dann hab ich alles, was ich brauch. Dass ich mal so halbwegs leben kann“. Zu Beginn
erschien es interpretatorisch naheliegend, dass sie in diese Wohnung erst kürzlich gezogen sei,
lebt aber schon 20 Jahre in dieser und zeichnet hierzu einen Neubeginn, ist sich aber unsicher,
ob sie in ihrer restlichen Lebenszeit noch alles umzusetzen vermag, was sie sich vorgenommen
hat. Auch Herr J.1 nutzt dieses Deutungsmuster einer hoffnungsvollen Zukunft. Während Herr
J.1 seine aktuelle Situation als äußert prekär empfindet und dies mit einem Vergleich in die
Vergangenheit – auch er lebte als Kind in ärmlichen Verhältnissen – etwas abzuschwächen
versucht, ist seine zentrale Hoffnung auf eine zukünftige Erwerbstätigkeit gerichtet, um einen
Neustart zu schaffen.

• Altersarmut als empfundene Abwertung und Diskreditierung


Diesem Typus sind insbesondere Frau E.2 und Frau C.1 zuzurechnen; in beiden Fällen wurde
die Einstiegsfrage nur bedingt ratifiziert und mit der aktuellen Lebenssituation zu erzählen be-
gonnen. Lebensgeschichtliche Aspekte flossen in der Erzählung der Jetztsituation ein und er-
hielten rein argumentatorischen Charakter. Frau E.2 kommt im Zuge der Anfangserzählung
über ihre aktuelle Scheidung zu folgendem Ergebnis:
„Anhand der Verhandlungen, weil sie mich ja wirklich, wie eine Angeklagte haben
sie mich dort behandelt, habe ich müssen bringen, also was ich gearbeitet habe und
ich bin drauf gekommen, dass ich während unserer Zeit, ich habe immer gearbeitet,
ich habe sogar dreifach manchmal gearbeitet, aber als typisch Frau verdienst du
nicht viel also musst du mehrfach arbeiten“ Frau E.2.
Bei beiden Frauen war es nahezu unmöglich, abseits der Beschreibungen mehr über die Le-
bensgeschichte und biographische Armutserfahrungen in den Erzählungen in Erfahrung zu
bringen. Rasch wechselten sie, selbst nach der Bitte etwas zur Erwerbskarriere zu erzählen, in
die aktuelle Situation über, um von dieser ausgehend nur sporadisch vergangene Ereignisse
erneut einzuflechten. Grundsätzlich liegt damit der Schluss nahe, dass die jetzige Lebenssitua-
tion von solch zentraler Bedeutung ist, dass es womöglich nicht wert scheint, mehr über die
Lebensgeschichte zu berichten. Hierfür spricht, dass beide vor allem von Situationen erzählen,
welche unmittelbar von großer Relevanz sind und sie akut bewegen. Während dies bei Frau E.2
die Scheidung ist, wird von Frau C.1 die aktuelle Wohnungssituation betont; bei letzterer
kommt noch erschwerend hinzu, dass keine ihrer Erzählungen mehr als eine Minute einnahm
und das Gespräch die Form eines Dialoges annehmen musste. Beiden ist aber gemein, dass sie
die aktuellen Lebenssituationen als eine Abwertung empfinden und obwohl beide gearbeitet
haben, sind sie davon überzeugt, zu Unrecht mit einem zu geringen Einkommen leben müssen.
Frau E.2 fühlt sich als Frau, welche Kinder großzog, nicht adäquat gewürdigt und deutet Frau-
enarmut als eine strukturelle Verwerfung bzw. als einen Fehler im Gesellschaftssystem. Die
Abwertungen, welche Frau E.2 immer wieder in ihrem Leben erfahren musste, führen gar so
weit, dass sie im Interview Suizidgedanken formuliert; nur die Hoffnung auf Besserung nach
der Scheidung und Gedanken an ihre Kinder und Enkelkinder halten sie von einer Umsetzung
ab. Frau C.1 ist hingegen mit ihrer Gesamtsituation unzufrieden und führt ebenso negative Ver-
gleichsprozesse an. Nichts scheint ihr von ihrer Erwerbskarriere geblieben, die Wohnung, in
welcher sie 33 Jahre lebte, musste sie aus Kostengründen aufgeben und wohnt nun in einer
Wohnung, in welcher sie nur das Schlechte zu erkennen vermag. Ein Wasserschaden erregte
besonders ihr Gemüt und wurde mehrfach und unvermittelt ins Interview eingeflochten. Im
Vergleich zu ihren NachbarInnen, welche sie unter anderem als „Rauschkinder“ bezeichnet,
272 Ergebnisse

macht sie ihrer Enttäuschung gegenüber der Politik Luft, welche sie ihrer Ansicht nach auf
dieselbe Stufe mit Personen stellt, welche nicht lebenslang gearbeitet hätten. So wie sie sich
abgewertet fühlt, diskreditiert sie auch andere. Zusammenfassend empfinden sich beide Frauen
ungerecht behandelt und aufgrund ihrer nicht gewürdigten Leistungen – ob Kindererziehung
oder Erwerbskarriere – abgewertet.

• Altersarmut – trotz allem als Freiheit empfindend


Ein bemerkenswerter Fall ist Frau W.1, welche die Ausgleichszulage für sich selbst als ausrei-
chend, gar als eine Aufwertung zu ihrer Erwerbskarriere sieht und zum Schluss des Interviews
ihre Pension als Grundeinkommen bezeichnet. Auf die Frage nach ihrer Lebensgeschichte be-
ginnt sie wie folgt:
Das ist eine lange Geschichte, da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Was
weiß ich. Ich kann da nur sagen, dass ich mich dazu geformt habe [...]. Ja mein
Leben war vielfältig, mit Auf und Abs, ich hab, ich war einmal verheiratet wie ich
jung war, weil ich die ersten 20 Jahre wie im Mittelalter gelebt, weil ich bin (19)48
geboren und um 68 hab ich halt politisch Verschiedenes gemacht, was mich inte-
ressiert hat, was mich geformt hat, oder? Und war halt verheiratet, hatte Kind,
habe dann später noch einmal entschieden, als Ledige ein Kind zu kriegen [...] ja,
wie die Kids dann groß waren, sind sie eh ihre eigenen Wege gegangen...ah .. ich
habe einerseits in Projekten gearbeitet andererseits war ich einige Zeit erwerbslos.
habe mich schon gefreut, wenn ich 55 werde, weil das war immer so mein Dings –
55 und dann in Pension , oder? [...] es waren dann 56 (Jahre) und 10 Monate, ja
ich habe das genutzt, weil ich hatte immer einen Traum, wenn ich frei bin, dann
mache ich Reisen und meine erste längere Reise war nach Ghana [...] und dann
war ich in der Türkei und dann in Jamaika. Ja, in der letzten Zeit, was weiß ich, da
mache ich so kürzere Reisen nach irgendwo in Europa oder irgendwo so mit Pro-
jekten, die mich interessieren, die auch kritisch sind, weil das Älterwerden spürt
man halt doch irgendwie. So das war jetzt ganz schnell kurz mein Leben (lacht)“
Frau W.1.
Auch Frau W.1 1948 geboren, rafft ihre Lebensgeschichte und verweist bereits in ihrem dritten
Satz auf ihre aktuell sie weiterhin anleitende Grundhaltung, welche sie mit „mich dazu geformt“
von ihrer Sozialisation abgrenzt und sie kurz darauf mit dem Begriff „Mittelalter“ attribuiert.
Bürgerlich und christlich aufgewachsen – letzteres zuerst eine Vermutung, die sie aber im Spä-
teren bestätigt - verweist sie auf die politische und frauenrechtliche 68er-Bewegung, welcher
sie bis heute verhaftet ist. In gewisser Weise dürfte Frau W.1 aber erst nach ihrer Pensionierung
ein „freies“ Leben führen, gekennzeichnet durch Reisen in mehrere Kontinente. In vielen Passa-
gen wird die angedeutete oppositionelle Haltung gegenüber dem kapitalistischen System er-
sichtlich bzw. sieht sie die Lohnabhängigkeit als Zwang an, von welchem sie durch die Pensi-
onierung befreit wurde. Ihre aktuelle Situation vergleicht sie einerseits mit ihrer arbeitslosen
Zeit – „des andere war, weil ich ja viel erwerbslos war, habe ich immer mit 12 Monaten - jetzt
habe ich 14 [Einkommenszahlungen]“ – andererseits mit ihren privilegierten Bedingungen –
„Ich habe ja das Glück eine weiße Europäerin zu sein, ja! Die den Luxus zum Leben hat, weil
wir sämtliche anderen ausbeuten, oder“. Auch Frau W.1 grenzt sich damit von Personen ab, die
ihrer Ansicht nach wirklich arm sind. Im Vergleich zu anderen Befragten formuliert sie dies
vor dem Hintergrund einer Gesellschaftskritik. Auch den Konsumismus kritisierend lässt sich
der Lebensstil von Frau W.1 als asketisch bezeichnen, womit Frau W.1 mit ihrem Geld ohne
Probleme zu recht kommt. Zum einen lebt sie in einer WG, die Fixkosten sind mit insgesamt
300 Euro niedrig und pro Woche gibt sie zu gleichen Teil etwa 100 Euro für Zigaretten und
Dimensionen der Lebenslagen und ihre Wechselwirkungen 273

Nahrung aus. Mehr braucht sie nicht und spendet sogar den Rest an Freundinnen rund um den
Globus; 3.000 € Reserve behält sie für sich, die zugleich ihr Erspartes für die Begräbniskosten
sind. Frau W.1 kann in gewisser Weise als Prototyp der „späten Freiheit im Alter“ bezeichnet
werden – „ich kann über meine Zeit verfügen, das finde ich schon sehr wichtig. Es kann mich
niemand bestimmen. Das sind für mich die Schritte in eine gewisse Freiheit - die totale Freiheit
gibt es ja nicht auf dieser Welt - aber .... in einer gewissen Freiheit. In meiner persönlichen
Freiheit“ – und, als besonderer Fall mit einem gesellschaftskritischen und asketischen Lebens-
stil, eine der wenigen Befragten ist, die in der Eigenwahrnehmung leicht über die Runden
kommt und dabei sogar das Gefühl von Wahlfreiheit vermittelt. „Ich schau nicht auf Preise. Ich
kaufe , was halt gebraucht wird und auf was ich einen Gusto habe“.

4.3 Dimensionen der Lebenslagen und ihre Wechselwirkungen


Die aktuellen Lebenslagen altersarmer Menschen sind in der Zusammenfassung der folgenden
Ergebnisse als diversifiziert zu bezeichnen. Zwar haben die Befragten ein verhältnismäßig
stabiles, geringes Einkommen gemeinsam, in anderen Bereichen wie der Gesundheit, den sozi-
alen Kontakten, dem Wohnen usw. zeichnen sich spezifische Lageausprägungen ab, welche
den Schluss von Lebenslagen (Plural) unter Altersarmut nötigen. Im Nachfolgenden werden
daher zu Beginn die Lagedimensionen einzeln behandelt – wenn auch Anschlüsse zu anderen
Dimensionen nicht vollständig ausgeblendet werden –, um die Variationsvielfalt aufzuzeigen,
gleichzeitig wird aber versucht, wichtige Eigenschaften und ihre Dimensionalisierungen im
Sinne der grounded theory herauszuarbeiten. Im Anschluss werden die Lagedimensionen auf-
einander bezogen und damit die Einheit der Lebenslagen aufgezeigt.

4.3.1 Einkommen
Die monetäre Situation, zumindest seit der Pensionierung, lässt sich beim Großteil der Befrag-
ten als konstant niedrig beschreiben. Diskontinuitäten treten in dieser Phase eher nicht auf. Je-
doch nutzen die Befragten einige Möglichkeiten individueller Art etwas zu korrigieren:
• Frau R.1 erwähnt bspw. sich etwas dazu zu verdienen (auch in der ersten Interviewserie
ließen sich solche Aktivitäten entdecken, bspw. der Handel am Flohmarkt oder kleinere,
bezahlte Tätigkeiten wie Fahrtendienste);
• Frau L.2 erzählt: „Ich betreue noch eine ältere Dame, von der bekomme ich auch, was
weiß ich, für die Botengänge einen 20er oder solche Sachen halt“;
• „Ein bisserl putzen gehen“ berichtet Frau H.1;
• Frau B.1 erhält eine Aufwandsentschädigung auf Basis ihrer Tätigkeit in einer sozialen
Einrichtung, „du hast auch nur einen Euro bekommen die Stunde, aber es hilft irgendwie
weiter, es hilft dir einfach weiter, auch wenn es nur ein paar Euro sind“.
Frau E.2 aufgrund ihrer potentiell bestehenden Unterhaltsansprüche und Herr J.1 aufgrund ei-
nes möglichen Pensionsanspruches aus Deutschland oder der Absicht, nach der Genesung wie-
der arbeiten zu gehen, sind die einzigen beiden Befragten, welche mit relativ hoher Wahrschein-
lichkeit auf Dauer eine Besserung der finanziellen Situation erreichen könnten. Frau M.1. hätte
nach Tilgung der Schulden ein Einkommen über der Armutsgefährdungsschwelle zur Verfü-
gung, dies ist jedoch auf Grund der Rückzahlungsmöglichkeiten höchst unwahrscheinlich; es
trat sogar der umgekehrte Fall ein und sie musste sich zwischen den beiden geführten Inter-
views weiter verschulden. Altersarmut ist auch auf Basis der qualitativen Ergebnisse damit als
weitgehend verfestigt zu bezeichnen. Dies wird durch die Sozialberichterstattung in ihrer Prä-
valenz untermauert, da 145.000 der 201.000 als dauerhaft altersarm (mind. 3 Jahre) adressiert
274 Ergebnisse

werden (vgl. Statistik Austria, 2018f, S. 78 u. 86). Dies ist wenig verwunderlich, nehmen die
Möglichkeiten Einkommen zu generieren im Alterungsprozess eher ab bzw. zeichnet sich das
dritte Alter gerade durch die Entbindung von einer Arbeitskraftverwertung aus. Das Potential
besteht eher noch im Bereich der Veränderung der Haushaltskonstellation, wenn Alleinste-
hende wieder eine oder einen PartnerIn finden und zusammenziehen bzw. im höheren Alter der
Ein- bzw. Umzug in einen Mehrgenerationenhaushalt erfolgt. Wiewohl damit von statistischer
Seite die Armut aufgelöst werden kann, bleibt damit die Frage nach der Einkommensdistribu-
tion innerhalb des Haushaltes unbeantwortet. Neben den Optionen das Einkommen unmittelbar
zu steigern, fanden sich im Interviewmaterial auch indirekte Mittel, indem auf Selbstproduzier-
tes zurückgegriffen bzw. solches gegen andere Güter getauscht wird. Frau L.1 nutzt ihre Fer-
tigkeiten als Näherin, um für sich selbst Kleidung herzustellen bzw. zu reparieren, während
Frau R.1 Obst, Gemüse und Kräuter aus dem Garten entnehmen kann. Gleichwohl waren diese
Möglichkeiten limitiert und auf jene beschränkt, welche zum einen die Fähigkeiten und zum
anderen gewisse Grundressourcen zur Verfügung hatten (die Nähmaschine, einen Garten usw.).
Ein sich verschlechternder Gesundheitszustand kann durch den damit einhergehenden Pflege-
bezug – um diesen Aspekt nochmals hervorzuheben – zwar nach aktueller Berechnungsmetho-
dik das Einkommen erhöhen, diesem Hinzugewinn steht die neue Kostenposition der
Pflege/Betreuung gegenüber, welche, wie die Beispiele von Frau A.1 bzw. Frau D.1 zeigen,
eher zu einem effektiv verminderten, verfügbaren Einkommen führt bzw. sich im Falle von
Frau M.1 kostenneutral auswirkt. Sowohl Frau A.1 und Frau M.1 hoffen auf die Erhöhung der
Pflegestufe, um damit mehr Pflegestunden finanzieren zu können. Dies deutet darauf hin, dass
mit der aktuellen Situation für beide Frauen das finanzielle Limit erreicht ist (aus eigenen Mit-
teln können keine weiteren Stunden finanziert werden) und der bestehende Mehrbedarf an
Pflege bzw. Betreuung in der Zwischenzeit ungedeckt bleibt. Beide Frauen leiden unter dieser
Konstellation und erwähnen die strikten zeitlichen Vorgaben in der Betreuung:
„Da wird für das Waschen zehn Minuten , und das das, so spielt das Leben nicht.
Das sind keine zehn Minuten, das ist eine viertel Stunde, weil ich bin in zehn Minu-
ten nicht geduscht, das kann mir kein Mensch sagen. Und dann müssen sie ja auch
noch abbrausen und das Bett beziehen, das ist nicht in zehn Minuten geschehen,
das ist alles viel Arbeit“ Frau A.1.
„Dann schau ich halt, dass ich mich waschen tu, ein bisserl, da setze ich mich auf
die Badewanne und tu mich halt so, möchte ja jeden Tag duschen aber das geht
halt nicht. Ich kann sie ja nicht zweimal am Tag bestellen und dann bekomme ich
zu wenig Pflegegeld, na was mach ich dann, dann kann ich sie nicht bezahlen. Dann
setze ich mich halt da drauf, das weiß sie nicht, auf die Badewanne und wasche
mich halt. Das dauert eh eine Stunde bei mir, alles“ Frau M.1.
Beide kritisieren, dass die Vorgaben nicht ihren Bedürfnissen und realen Umsetzungen entspre-
chen; die in beiden Interviews eingeflossenen Zeitangaben repräsentieren den für sie unpersön-
lichen Charakter. Es geht nicht um die Personen, sondern die Zeit wird an der Handlung be-
messen – Duschen, nur zehn Minuten. Frau M.1 schämt sich so sehr (wie sie erzählt, schwitzt
sie im Sommer stark), dass sie sich selbst duscht und verdeutlicht im Interviewausschnitt, dass
sie dies der Heimpflegerin verschweigt, weil sie es nicht zahlen könnte, obwohl Frau M.1 auf-
grund ihres Gesundheitszustandes einem sehr hohen Sturzrisiko ausgesetzt ist. Zusammenfas-
send ist der Einbezug des Pflegegeldes als eine besonders problematische Verzerrung der
Adressierung zu bezeichnen, nicht ohne Grund findet sich im Bundespflegegeldgesetz folgen-
der Aufwendungsgrund: „Das Pflegegeld hat den Zweck, in Form eines Beitrages pflegebe-
dingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten, um pflegebedürftigen Personen soweit wie
Dimensionen der Lebenslagen und ihre Wechselwirkungen 275

möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie die Möglichkeit zu verbessern,
ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen“. In einer Studie von 2012 wurde
dazu dargelegt , dass die Einkommensarmut von 85 Jahre und älteren Personen auf Basis des
Einbezugs bei unter 15% lag, während sie bei Ausklammerung knapp 23% betrug (vgl. Eiffe
u. a., 2012, S. 127).
Weitere Sozialleistungen, welche das Einkommen erhöhen, konkret sind damit die Wohn- und
Mietbeihilfe gemeint, sind unter den Befragten die Ausnahme bzw. wurden diese durch Verän-
derungen der Einkommenssituation in der Vergangenheit gestrichen:
„Da habe ich um Wohnungsbeihilfe angesucht, habe ich in der M.gasse darum an-
gesucht und habe sie bekommen. Dann war aber eine Pensionserhöhung, dann
habe ich um 2 Euro zu viel gehabt“ Frau L.1.
„Die Wohnungsbeihilfe haben sie mir dann auch gestrichen, da habe ich das Pfle-
gegeld bekommen und da haben sie mir gleich die Wohnungsbeihilfe genommen,
das sind schon ein Gesindel, ein dreckiges“ Frau C.1
„Nein. Gar nix. Wohnbeihilfe hab ich beantragt - abgelehnt. Es geht sich aus mit
den Quadratmetern, weil es eh nur so wenig ist, die Miete“ Frau R.2.
Wie bereits im Kapitel 3.1.2.2. hingewiesen, sind die Bestimmungen verhältnismäßig komplex
und basieren auf individuellen Bedarfsprüfungen, in welchen noch dazu unterschiedliche Ein-
kommensdefinitionen gelten und sich die Leistungen im Wechselspiel weiterer Faktoren er-
rechnen (bspw. werden die Wohngröße, Teile der Kosten usw. einbezogen). Entsprechend
schwer fällt es, verallgemeinernde Aussagen zu tätigen. Im Versuch dessen scheinen vor allem
die „geringen“ Wohnkosten, auch wenn diese im Verhältnis zum Einkommen nicht als solche
bezeichnet werden können, einen zentralen Faktor der Ablehnung darzustellen, sofern über-
haupt die Basisvoraussetzungen (eingeschränkter Bezug bei EigentümerInnen, Mindeststan-
dard bei der Wohnbeihilfe etc.) erfüllt sind. Zudem dürfte das Wissen über die Wohnbeihilfe
verbreiteter und in manchen Fällen daher kein Versuch einer Beantragung von Mietbeihilfe
unternommen worden sein. Einschränkend ist festzuhalten, dass die ähnlichen Bezeichnungen
und die damit einhergehende Verwechslungsgefahr zu Unklarheiten führten, von welcher Leis-
tung in der Interviewsituation die Rede war. Die größte Verbreitung findet die Rezeptgebüh-
renbefreiung durch den Automatismus, der Mobilpass (bzw. besaßen noch einige der Befragten
den Sozialpass als Vorgängermodell) und die Rundfunkgebührenbefreiung; mit letzterem be-
zog ein Teil gleichfalls den Fernsprechkostenzuschuss. Die Nutzung eines Kulturpasses bzw.
von Sozialmärkten ist einerseits durch die Lebensführung (besteht bspw. ein Interesse an kul-
turellen Angeboten), andererseits durch das räumliche Angebot (sind solche Märkte in der Nähe
vorhanden) gerahmt.
Auf das Einkommen der Befragten zurückkommend, wird dieses allgemein von den meisten
als gering bzw. zu gering eingestuft. Ein paar Auszüge dazu:
„Diese Pension ist von der Hand in den Mund, da muss ich rechnen [...] mit diesen
830 oder 840 Euro die ich bekomme, da kann ich leben, aber man muss aufpassen,
man muss sehr aufpassen“ Frau M.2.
Ich muss die billigsten Sachen nehmen, ich gehe zum Markt am Ende des Tages,
statt für Bananen zwei Euro zu zahlen, zahle ich nur einen Euro, sie möchten das
dann wegverkaufen“ Frau M.2.
„Ich meine jetzt, so gegen Ende des Monats ist es überhaupt extrem, da geh ich halt
dann da her [gemeint ist eine soziale Einrichtung] essen, weil ich keine Kohle mehr
276 Ergebnisse

habe und weil ich eher fürs Tierfutter, also für meinen Hund und für meine Katze
das Geld ausgebe, fürs Futter und ähh also ich bin froh, wenn der Erste ist, saufroh.
Weil ich natürlich Zahlungen habe, Zahlungen gehabt habe, ähm Stromzahlung ge-
habt habe. Einfach die Fixkosten, was man hat, Miete, Fernwärme etc“ Frau B.1.
„Die [S], die kommt hierher [gemeint ist in eine Einrichtung], die macht das gratis,
die schneidet mir die Haare, da erspar ich mir schon mal was“ Frau B.1.
„Einteilen ist wichtig und dann kommt die Bank, Raten zahlen bitte, gibts keine
Arbeit, nix und dann gibt es Probleme, dann landet man in der Obdachlosigkeit
oder sowas“ Herr F.1
„Ich schaue in die Zeitung und dann gehe ich einkaufen. Ich bin so, schon früher
habe ich das so gemacht, immer, was billig ist. Ich kaufe, was im Angebot ist, oder
so, das kaufe ich.“ Herr F.1
„Ja ich habe müssen mein Auto verkaufen. Das war kein besonderes, das war so
ein alter M. aber ich habe ihn geliebt, weil das war groß genug um gewisse Sachen
zu transportieren und klein genug für jede Parklücke ja, es war wirklich, das war
mein, mein Traumauto, ist mir sehr schwer gefallen, natürlich auch unter dem Wert
hergeben müssen. Ich habe Tiere, ich habe Hund, Katze gehabt, 4 Kaninchen, jetzt
habe ich nur mehr zwei Kaninchen“ Frau B.2.
„Man muss überall schauen, auch bei den Lebensmitteln. Und beim Spar gibt es
auch Einiges - da gibt es so ein eigenes Regal, da gibt es billige Lebensmittel. Das
ganze Monat. Das wissen Viele nicht. Sie schauen gar nicht. Und da hab ich mir
schon Reisvorrat gekauft, fast um die Hälfte billiger. Man muss - wenn nicht man
nicht viel Geld hat. Da muss man halt - (.). Wenn man halt gescheit ist, tut man sich
leichter.“ Frau R.2.
„Ja, wie gesagt, ich habe jetzt die ganzen Aktionen, habe ich eh eingepackt die
Zettel da. Da gibt es dort, gibt es das und wenn du Zeit hast kannst schauen, es gibt
dort was billiger und dort was billiger, aber immer hat man nicht Zeit oder Lust
nicht“ Frau R.2.
„Man muss schauen, dass man mit dem Leben durch kommt. Weil wann ich es so
überschlage des Monat über, also was halt die laufenden Zahlungen sind, da bleibt
mir für das Kostgeld nur 300,- über. Also mehr darf ich nicht brauchen“ Frau L.1.
Na, und mit meiner Pension, mit diesen 650 Euro, die Ausgleichszulage- da kann
man nicht leben“ Frau R.1.
„Der Sessel, auf dem du sitzt, hat ein Nachbar hinaus gestellt und da ist gestanden
"wer will mich" und ich habe mir gedacht, ich will dich!“ Frau W.1.
„Ich habe zwar einen Geschirrspüler aber der ist kaputt, aber das kann ich mir
jetzt nicht leisten, also bin ich Tellerwäscherin“ Frau E.2.
Zentrale Handlungskonsequenzen sind die genaue Einteilung der monetären Mittel, Sparsam-
keit und die Minimierung der Kosten. Doppeldeutig ist die folgende Aussage von Frau L.1:
„Ich [hole] mir Bargeld von der Bank, damit ich den Überblick nicht so leicht verliere, wie
wenn ich mit der Karte einkaufen gehen würde. Das ist für alte Leute mit der Karte einkaufen
gehen, wie es für die Jungen üblich ist, das ist halt für uns nicht drinnen. Weil so weiß ich, das
muss ich zahlen, das habe ich und des kann ich ausgeben“. Auch wenn hierbei der Umstand
Dimensionen der Lebenslagen und ihre Wechselwirkungen 277

des Überblickhaltens im Vordergrund steht, deutet die Bezeichnung „nicht drinnen“ einen wei-
tere Sinnhorizont an, welcher auf das geringere Einkommen von älteren Menschen im Allge-
meinen bezogen sein dürfte. Zusammen lässt sich die Stelle daher auch so interpretieren, dass
den Überblick zu behalten eine wichtige Strategie im Auslangen mit den geringen monetären
Mitteln ist und bei einem geringeren Einkommen als in der Erwerbsphase umso wichtiger wird.
Als intervenierende Bedingung wird die monetäre Situation insbesondere bei Sonderausgaben
ersichtlich und können von den meisten nicht gedeckt werden. Es ist an Herrn J.1 zu erinnern,
welcher für die Operation seines Hundes auf eine Spendenaktion angewiesen war, Frau E.1,
welche notwendige Sanierungsarbeiten nur durch ihre Kinder finanzieren kann oder Frau B.1,
welche die Sanierung ihrer Wohnung einem Spendenaufruf in einer Zeitung verdankt. Stehen
solche Optionen nicht zur Verfügung, dann führen Sonderausgaben zu einer Prekarisierung.
Frau M.1 stand beim letzten Interview kurz vor der Delogierung, Frau L.1 und Frau S.2 haben
zwar noch ein Auto, in beiden Fällen wird es aber das letzte sein, da ein weiteres nicht mehr
angeschafft werden kann; Frau L.1 antizipiert mit dem Wegfall Mobilitätsprobleme. Bei vielen
der Befragten sind keine oder nur sehr geringe finanzielle Reserven vorhanden (nur in Ausnah-
mesituationen steht ein größeres Vermögen zur Verfügung, wie bei Frau S.1 und lässt sich auf
Erbschaften bzw. Sparmöglichkeiten in der Erwerbsphase zurückführen). Zwei weitere Strate-
gien lassen sich in diesem Kontext entdecken: einerseits der Kauf von Ausschussware im Ge-
schäft oder am Markt bzw. allgemein der Kauf von Angebotswaren, andererseits zur direkten
Kostenreduktion wird von einigen Frauen der Einkauf von geringen Mengen präferiert, um
Lebensmittel auf gar keinen Fall wegschmeißen zu müssen. Frau M.2 kauft zum Beispiel nur
eine einzige Tomate, welche sie am selben Tag konsumiert; ähnliche Strategien wendet auch
Frau R.2 an. Letztere moniert ausdrücklich die großen Verpackungsmengen. In der ersten In-
terviewserie ließ sich die Strategie entdecken, bewusst größere rabattierte Mengen zu kaufen
und diese zu lagern. Hierfür muss aber sowohl der Platz als auch eine adäquate Lagermöglich-
keit (etwa eine Tiefkühltruhe) vorhanden sein. Auch wenn damit die Strategien vordergründig
differieren, handelt es sich in beiden Fällen um den Versuch keine Lebensmittel zu verschwen-
den und möglichst günstige Einkäufe zu tätigen.
Mietzins zahlen, Energiekosten decken, etwas zum Essen haben, das sind die Grundbedürf-
nisse, welche zu allererst gedeckt werden müssen und einen Großteil der monetären Mittel ver-
brauchen. Insbesondere Frau B.1 macht auf den Umstand aufmerksam, dass selbst Kleinigkei-
ten, die für viele Menschen wohl unhinterfragt in den Alltagskonsum eingehen, nicht gekauft
werden können. „Irgendwie einmal ein Buch zu kaufen“ bleibt für Frau B.1 ein Wunsch. Ganz
häufig wird vor diesem Hintergrund bei Kleidung gespart. Diese werden nach Möglichkeit sel-
ber produziert (Frau L.1), sind Spenden von Kleiderkammern (etwa Frau B.1, Frau M.2) oder
Geschenke von Freunden/Bekannten/Verwandten/NachbarInnen (Frau L.2; Frau M.2) bzw.
wird so günstig wie möglich gekauft oder der Kauf verweigert (Herr J.1). Zusammen gilt auch
hier: möglichst günstig, am besten keine Kosten; Mode spielt im Prinzip keine Rolle.
Zusammenfassend zeigt sich, dass ein sehr bewusster Umgang mit Geld eine wichtige Rolle im
Alltag der Befragten einnimmt. Der Redewendung Rechnung tragend „jeden Euro mehrfach
umzudrehen“, bevor dieser ausgegeben wird, steht den Ausgaben nur selten eine freie und ge-
nussvolle Verwendung voran. Bereits in diesen Ausführungen wird ersichtlich, wie die gerin-
gen monetären Mittel als intervenierende Bedingung in andere Dimensionen der Lebenslage
eindringen und mögliche Handlungsoptionen versperren bzw. den Umweg über die Nutzung
sozialen Kapitals nötig machten. Im Nachfolgenden werden daher weitere Dimensionen aufge-
griffen, die in den Interviews vorstellig wurden und die Lebenslagen unter Altersarmut formie-
ren.
278 Ergebnisse

4.3.2 Gesundheit
Der gesundheitliche Zustand der Interviewten ist als sehr unterschiedlich zu bezeichnen und
bewegt sich zwischen (keinen oder) nur geringen Einbußen bis hin zu großen Schwierigkeiten
(auch nur wenige Meter zu gehen). Insbesondere Herr. J.1 und Frau A.1 waren in einem derart
schlechten Zustand, dass sogar kleine Wege (etwa das Holen einer Mappe in der Wohnung)
während des Interviews zu sichtbar großen Schmerzen und Erschöpfungszuständen führten.
Der Zustand von Frau D.1 ist so prekär, dass ein Interview mit ihrem Sohn stattfinden musste.
Allgemein lassen sich drei zentrale Dimensionen im Bereich der Gesundheit identifizieren,
welche in ihren jeweiligen Ausprägungen das weitere Handeln bzw. den Alltag rahmen.

• Der Grad der gesundheitlichen Beeinträchtigung


Die starken Beeinträchtigungen haben etwa bei Herrn J.1 und Frau A.1 zu einer Zentrierung
der Aktivitäten innerhalb der Wohnung geführt. Frau R.1 und Frau W.1 stellen den anderen Pol
dar und sind gesundheitlich in einem (zumindest perzeptiv zu beschreibenden) guten Zustand,
entsprechend sind diese mobil und legen mehrmals die Woche mit öffentlichen Verkehrsmitteln
große Distanzen zurück. Viele Befragten, so auch Frau H.1 oder Frau L.2 sind zwischen diesen
beiden Polen zu verorten und der unterschiedliche Gesundheitsgrad macht sich bei alltäglichen
Handlungen mehr oder weniger bemerkbar. So ist bspw. Frau E.2 stark von ihrer Tagesverfas-
sung abhängig und benötigt von ihrer Tochter manchmal Unterstützung, kann aber umgekehrt
auch auf die Enkelkinder aufpassen. Nicht zu verwechseln ist der aktuelle Gesundheitszustand
mit der Gesundheitskarriere (etwa bei Frau B.1 oder auch Frau E.2), welche sich nur bedingt
decken; zwar lässt sich formulieren, dass jene Befragten, die aufgrund ihrer beeinträchtigten
Gesundheit eine Berufsunfähigkeits- bzw. Invaliditätspension zugesprochen bekamen, auch ak-
tuell eher mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben, teilweise konnten physische und psychische
Erkrankungen aber rehabilitiert werden bzw. verschlechterte sich der Gesundheitszustand erst
in den letzten Jahren auf ein, bis dahin für die jeweiligen Befragten noch nicht erfahrenes, hö-
heres Krankheitsniveau. Inwiefern von Berufskrankheiten zu sprechen ist, lässt sich auf Basis
der Erzählungen nur bedingt einschätzen; bei Herrn R.1 liegt der Schluss zwar nahe, da er die
Erkrankungen mit dem thematischen Feld der beruflichen Belastungen verknüpft, dies aber
nicht explizit ausspricht. Frau L.1 führt hingegen die Probleme mit ihren Händen auf die Tätig-
keit als Näherin zurück bzw. ließen sich in der ersten Interviewserie gerade bei ArbeiterInnen
mit Belastungen der Hände (etwa eine Schuhmacherin), Hinweise zu beruflich bedingten Ab-
nutzungserscheinungen finden. Wichtig ist, zwischen funktionalen Einschränkungen, welche
zum Status der Arbeitsunfähigkeit führten und funktionalen Einschränkungen, welche den All-
tag berühren, zu differenzieren, denn sie überlappen sich nur teilweise. So ging Herr R.1 auf-
grund von Berufsunfähigkeit in Pension, war viele Jahre gleichwohl für den Alltag rüstig ge-
nug, um bspw. weite Strecken zu Fuß zurückzulegen. In den letzten Jahren verschlechterte sich
seine Gesundheit jedoch (er hat seit Kurzem einen Herzschrittmacher), versucht aber weiterhin
zu marschieren, auch wenn er nicht mehr an seine Leistungen in früheren Pensionsjahren an-
schließen kann.

• Der Zeitpunkt der gesundheitlichen Beeinträchtigung


Der Schweregrad ist mit der Dimension des Zeitpunktes des Eintritts verknüpft. Die Lebens-
umstände von Herrn J.1 haben sich aufgrund des plötzlichen Beginns und des hohen Grades
schlagartig verändert – es ist für ihn schwierig, sich mit den neuen Gegebenheiten zu arrangie-
ren. Seine Strategie besteht darin, auf eine zukünftige Besserung zu hoffen. Dieses Muster tritt
auch bei Frau M.1 hervor, welche nach ihrem Sturz ebenso eine Genesung antizipiert. Frau A.1
Dimensionen der Lebenslagen und ihre Wechselwirkungen 279

scheint auf latenter Ebene diese Hoffnung in sich zu tragen bzw. hatte diese früher stärker aus-
geprägt, ist jedoch vom Gesundheitssystem sichtlich enttäuscht und macht für den fehlgeschla-
genen bzw. noch andauernden Rehabilitationsprozess eine unzureichende Behandlung älterer
Menschen verantwortlich. Frau C.1 sieht sich hingegen von ihren Ärzten gut behandelt, wobei
ihre Erwähnung der langen Wartezeit auf die nächste Operation bzw. wie Krankentransporte
erledigt werden, auch auf eine gewisse Unzufriedenheit hindeuten. Dieser Aspekt muss darin
Beachtung finden, dass aufgrund der finanziellen Situation nur auf Behandlungen durch Kran-
kenkassenärzte zurückgegriffen werden kann, bei welchen die Wartedauer bekanntlich länger
ist. Nur Frau S.2 kann auf Basis ihrer Ersparnisse Wahlärzte aufsuchen. Auf den zeitlichen
Aspekt zurückkommend, macht der schleichende Eintritt, im Zuge dessen Vergleichsprozesse
(nach Staudinger, Freund, Linden, & Maas (2010) eine besonders häufige Bewältigungsstrate-
gie im Alter) möglich sind, die Bewältigung bzw. Integration der neuen Lebenssituation wahr-
scheinlicher. Frau L.1 verweist vor diesem Hintergrund darauf, dass nicht nur sie, sondern der
gesamte Bekanntenkreis, mit welchem sie wöchentlich Karten spielt, nicht mehr so mobil sei.
Entsprechend werden die Aktivitäten den sich ändernden Umständen angepasst und zugleich
fällt bei vielen der Befragten die Einschätzung des Gesundheitszustandes vor dem Hintergrund
ihres eigenen Alters zufriedenstellend aus. Bspw. antwortete Frau C.1 auf die Frage, wie es ihr
gesundheitlich gehe, zuerst mit den Worten: „Mir geht es eh gut“. Auf weiteres Nachfragen
stellte sich heraus, dass Frau C.1 Probleme mit der rechten Hand (beim Greifen und beim Tra-
gen von kleineren Lasten) hat und deshalb in einigen Monaten eine Operation erwartet; zusätz-
lich hat sie Schmerzen in der Schulter und wurde bereits operiert, auch beim Gehen hat sie
Schwierigkeiten: „Na da bin ich auch nicht gut beieinander, geh herum wie eine wackelige
Ente, naja so ist es halt“ Frau C.1; in Folge muss sie tägliche mehrere Medikamente nehmen.
Nichtsdestotrotz kommt bei ihr das Deutungsmuster, „dass es eben so sei“, zur Geltung.

• Die Wahrnehmung der Gesundheit


„Also ich bin ein Jahrgang 1944 also stolze 73, es zwickt und zwackt dort und da,
aber das tut es bei allen, also das finde ich nicht so schlimm“ Frau S.2.
„Mir tut ja nichts weh, aber ich war wegen den Armen bei ihr und da hat die Frau
Doktor gesagt, das müssen wir wegtun. Na gut, bevor es größer wird, versteh ich
schon.“ Frau R.2
Eine dritte und wichtige Dimension der Gesundheit ist die eigene Wahrnehmung der Gesund-
heit bzw. das eigene Gesundheitskonzept. Übergeordnet kann das Auseinanderfallen des „ob-
jektiven“ Gesundheitszustandes und der subjektiven Selbstwahrnehmung bzw. dem Wohlbe-
finden als Zufriedenheitsparadoxon bezeichnet werden (vgl. Staudinger, 2000) und ist in zwei-
ter Hinsicht eine Form der Bewältigung, sich mit den Umständen abzufinden (vgl. Staudinger
u. a., 2010) – also sich den gesundheitlichen Gegebenheiten anzupassen. Akkommodationspro-
zesse dürften die dominierende Form der Anpassung unter den Befragten sein.412 Dies gilt nicht
nur für die Gesundheit, sondern auch für andere Bereiche, wenn vor dem Hintergrund von Al-
tersarmut die Mittel zur Anpassung der Lebensumstände an die Lebensführung fehlen; unter
psychohygienischen Gesichtspunkten wird die Anpassung der eigenen Vorstellungen, wenn es
keine Möglichkeit der Veränderung anderer Umstände gibt, zur wahrscheinlicheren Konse-
quenz. Als Hypothese lässt sich daraus formulieren, dass die finanziellen Limitationen die Ten-

412
Studien konstatieren eine zunehmende Verbreitung von akkommodativen Strategien mit steigendem Alter
(u.a. Brandtstädter & Renner, 1990; Heyl, Wahl, & Mollenkopf, 2007; Wahl & Kruse, 2003), wiewohl kom-
men nicht alle Arbeiten zu diesem Ergebnis (vgl. Bailly, Gana, Hervé, Joulain, & Alaphilippe, 2014).
280 Ergebnisse

denz des „flexible goal adjustment“ erhöhen bzw. nötigen. Dies trägt zum Verstehen bei, wa-
rum altersarme Menschen eher dazu neigen, bei Lebensstandardfragen das Nichtvorhandensein
häufiger zur Willensfrage zu erklären.413 Assimilative Prozesse werden damit aber nicht aufge-
hoben, sondern sind ergänzender Natur, wie das Beispiel von Frau L.1 zeigt. Zum einen wird
der Gesundheitszustand in seiner aktuellen Form integriert bzw. Ziele dahingehend reformu-
liert, auf Basis dessen wird zum anderen im finanziell umgrenzten Rahmen nach Möglichkeiten
der äußeren Anpassung gesucht. Die Lösung ist das Karten spielen mit Bekannten in einem
Pensionistenklub, was keine Kosten verursacht, die Wegstrecken dadurch kurz gehalten werden
können und zudem klimatisch – im Sommer ist es dort kühl – eine angenehme Umgebung bie-
tet. Oder anstatt sich in einem Kaffeehaus zu treffen, wird die gemeinsame Jause in die eigenen
vier Wände verlagert. Neben solchen Prozessen, welche häufig vor dem Hintergrund einer „al-
tersbedingten“ Deutung getätigt werden, kommt es aber bei Herrn J.1 und Frau A.1 zu einem
Sinnverlust – dies zeigt, dass Akkommodation eben nicht immer möglich ist bzw. Zeit benötigt
wird.414 Herr J.1 passt sich nicht an, sondern glaubt fest an seine (eher unwahrscheinliche) Ge-
nesung, womit er die längerfristige Gesundheitsproblematik von sich wegschiebt. Frau A.1 hält
an der Vergangenheit fest und verlagert in regressive Strategien: Sie gibt sich in gewisser Weise
auf – „es geht alleine nicht“ – und beschäftigt sich mit dem Tod.

• Wechselwirkungen von Einkommen und Gesundheit


Deutlich werden die finanziellen Einschränkungen im Bereich der Gesundheit bei Heilbehelfen
bzw. der Prophylaxe. Gehbehelfe wirken bei den Befragten zwar unterstützend, bedürfen aber
einer entsprechenden Umgebung zur Nutzung. So hat Frau M.1 Probleme in ihrer Wohnung
den Rollator zu nutzen und viele der Ecken und Durchgänge müssen auf den Zentimeter genau
genommen werden; Adaptionen sind aus finanziellen Gründen nicht möglich. Wohlwollend
und erfreut führt Frau L.1 im Gespräch an, dass ihr Gehstock dazu beitrage, nun fast immer
einen Platz in der Straßenbahn angeboten zu bekommen. Dies lässt sich als doing frailty ver-
stehen, welche die Alterswahrnehmung anleiten. So bekommt Frau L.1 nicht, weil sie per se
älter ist, einen Sitzplatz angeboten, sondern weil sie einen Gehstock hat, also womöglich auf
andere Fahrgäste gebrechlich (und damit womöglich älter) wirkt. Zurückkommend auf die
Wechselwirkung von Einkommen und Gesundheit, zeigte sich bei Frau M.1. die Problematik,
dass sie durch den dringenden Kauf eines Krankenbettes weiter in den Zahlungsverzug rutschte;
zudem wäre ein Notrufknopf eine wichtige Maßnahme, um bei einem weiteren Sturz leichter
um Hilfe rufen zu können. Herr J.1 benötigt eine neue Couch, welche hoch genug ist, um von
dieser alleine aufstehen zu können. Allgemein sind die Befragten für Rehabilitationsmaßnah-
men auf die Bewilligung durch die Krankenkassen angewiesen, um die Kosten decken zu kön-
nen. Neben solchen allgemeinmedizinischen Aspekten, welche jedoch durch das österreichi-
sche Gesundheitssystem relativ gut abgefangen werden – alle Befragten waren (meist auf Basis
der Pension) krankenversichert –, erwähnt Frau B.1 zahnmedizinische Probleme:
„Zähne muss ich mir machen lassen. Ja aber das ist, ist sag zuerst die Brillen und
dann die Zähne, weil ich bin einmal gestürzt und da sind mir zwei Stücke ausge-
brochen, aber das kostet über 2.000 €, der Kostenvoranschlag liegt jetzt bei 2.200
€ und dadurch, dass ich nicht mehr rezeptgebührenbefreit bin, muss ich mir die
Hälfte selbst bezahlen. Und das sind so Kleinigkeiten, die sind recht nett. Da sagst

413
Studien, welche das Konzept von Brandtstädter & Renner (1990) der „tenacious goal pursuit (TGP) and fle-
xible goal adjustment (FGA)“ in den Kontext von Altersarmut stellen, sind dem Autor nicht bekannt.
414
Es ist nämlich nicht gesagt, dass sich Herr J.1 bzw. Frau A.1 nicht doch an ihre Umstände in Zukunft anpassen
werden, der Prozess könnte daher einfach noch nicht abgeschlossen sein.
Dimensionen der Lebenslagen und ihre Wechselwirkungen 281

du immer, du hast dein Leben lang eingezahlt aber bringen tut es dir gar nichts“
Frau B.1.
Immer wieder wurde von Befragten auf die fehlende Kostenübernahme von in der Apotheke
verkauften, prophylaktischen Mitteln insistiert; seien es Salben gegen Schmerzen, ein Tee oder
ähnliches zur vorbeugenden Behandlung bei bspw. Erkältungen. Und so geben fast alle Befrag-
ten trotz der (gehäuften) Rezeptgebührenbefreiung monatlich Geld in Apotheken aus. Die fi-
nanziellen Beschränkungen wirken zudem indirekt auf die Gesundheit, wenn bspw. die Woh-
nung nicht ausreichend warm gehalten werden kann (wie bei Frau R.2 oder Herrn J.1) oder eine
Mangelernährung zu attestieren ist. Dies lässt sich jedoch nur schwer abschätzen - während
dem Interviewer in den Wohnungen in den Wintermonaten häufig zu kalt war (die Temperatu-
ren dürften unter 20 Grad betragen haben), war es für die Befragten angemessen warm. Die
individuelle Wahrnehmung erschwert damit die Abschätzung des Prekariates, wenn noch dazu
bei Befragungen auf eindeutige Werte verzichtet wird.415 Dieser Kontext macht sich auch im
Bereich der Nahrungsaufnahme bemerkbar - so ist die Spannbreite der Ausgaben groß und teil-
weise wird die Essenseinnahme auf ein Minimum gesenkt. Zugleich wurde nur von den we-
nigsten die Reichhaltigkeit der Nahrung als mangelhaft beurteilt – Frau R.2 verweist hier etwa
auf „besonders“ fettige und kalorienreiche Lebensmittel bei Ausspeisungen. Frau Ex.D. war
meiner Einschätzung nach der Extremfall, welche sich auch aus ihrer Sicht trotzdem bewusst
und gesund ernährt, tageweise aber nur auf ein „Häferl Reis“ als einzige Ernährungsquelle zu-
rückgreift. Insbesondere wird Fleisch von vielen Befragten ausgespart und es bereitete vielen
Mühe, die Frage zu beantworten, ob ein Fleischkonsum alle zwei Tage möglich wäre. Dies
wurde von der überwiegenden Zahl verneint. Zusammen ist festzuhalten, dass freilich auch im
Bereich der Nahrung auf möglichst günstige Produkte zurückgegriffen wird, inwiefern dies sich
auch auf die Qualität durchschlägt, muss an dieser Stelle offen bleiben. Zumindest scheint auf-
grund der österreichischen Lebensmittelstandards ein gewisses Maß gegeben, wenn dies auch
nicht über das Potential einer einseitigen und möglichen Mangelernährung hinwegtäuschen
darf.

• Hoffnung und Ängste


Abschließend ist noch auf den Aspekt von Zukunftsängsten zu verweisen, welche nicht nur an
die finanzielle Lage geknüpft sind, sondern auch, wie der schlechter werdende Gesundheitszu-
stand das weitere Leben beeinflussen wird. Zum einen finden sich Muster, welche eine Ver-
schlechterung antizipieren, zugleich aber von der Hoffnung getragen sind, dass Einschränkun-
gen möglichst lange hinausgezögert werden können. Unkalkulierbarkeit bleibt jedoch bestehen
und die Veränderungen im sozialen Netzwerk auf Basis der Mortalität führen zur Einsicht, dass
sich der eigene Zustand auch schlagartig ändern kann. Als Ultima Ratio wird in solchen Fällen
der Auszug aus den eigenen vier Wänden und der Einzug in ein Altenwohnhaus oder bei Kin-
dern genannt. Die Wahrnehmung des Altenwohnhauses ist gespalten, während Frau L.1 mit
dem Altenwohnhaus einen Autonomieverlust verknüpft, konnotiert Frau E.1 diese Aussicht
nicht negativ; Frau Ex.I war durch die zu erwartenden Erleichterungen sogar positiv gestimmt.
Beide Aspekte widersprechen sich aber nur bedingt, denn sie setzten an unterschiedlichen Be-
trachtungswinkeln an. Abstrahiert formuliert wird dem Altenwohnhaus eine fördernde und eine
hemmende Wirkung zugesprochen: Es ist förderlich, in den Alltäglichkeiten eine Erleichterung
zu erfahren (man macht kein Frühstück mehr, sondern man geht Frühstücken; das Altenwohn-
haus wird zum „Hotel“), aber auch Autonomie hemmend, da der Alltag strukturiert und der

415
Wenn sich etwa die 18 Grad als adäquate Schwelle für eine erhöhtes Krankheitsrisiko in epidemiologischen
Studien erwiesen hat, so wäre eine Aufnahme solcher Erkenntnisse in Armutsbefragungen durchaus nützlich.
282 Ergebnisse

Logik eines Betriebes angepasst („man ist nicht mehr Herr seiner Zeit“) ist, womit die Mög-
lichkeiten der Selbstgestaltung abnehmen. Aber auch die Option, in das Altenwohnhaus zu ge-
hen, wird mit den finanziellen Limitationen verknüpft: Einerseits wird angenommen, dann noch
weniger Geld zu haben – nur noch das „Taschengeld“. Andererseits ist Frau E.2 davon über-
zeugt, einen solchen Aufenthalt gar nicht finanzieren zu können. Diese Beurteilung dürfte ent-
weder auf eine geringe Beschäftigung mit der Thematik oder auf Fehlinformationen zurückzu-
führen sein, da bei ungenügendem Einkommen die staatliche Unterstützung gegeben ist.
Als zweites erkennbares Muster, welches auch mit dem eigenen aktuellen Gesundheitszustand
in Verbindung steht, ist die verweigerte Auseinandersetzung mit dessen zukünftigem Verlauf
zu nennen. Anders formuliert dürfte es bei einigen interviewten Personen keinen Plan für den
Fall der gesundheitlichen Verschlechterung geben bzw. wird er in den Erzählungen nicht vor-
stellig. Auch bei Rückfragen wurde das Thema immer wieder auf eine verallgemeinerte Basis
gehoben und keine individuellen Pläne geäußert. Gesundheit ist zwar, wie Studien zeigen, mit
einem hohen „individuellen Stellenwert belegt, hat aber im allgemeinen, vor allem bei Gesun-
den, keine Priorität und keinen Selbstwert“ (Radoschewski, 2000). Gesundheit tritt als Selbst-
wert für den Einzelnen zu Tage, wenn der individuelle Gesundheitszustand als Vorbedingung
für die Gewährleistung oder Einschränkung der Lebenskompetenz und Befindlichkeit wahrge-
nommen wird.
Zusammengefasst ist die Gesundheit ein bedeutender Aspekt in der Lebenslage altersarmer
Menschen: Für Frühpensionierungen zum Teil verantwortlich prägt der Gesundheitszustand
das Handeln in der aktuellen Lebenssituation mit, wird durch finanzielle Limitationen negativ
beeinflusst und kann durch letztere erschwert bewältigt werden.

4.3.3 Soziale Kontakte


Die sozialen Netzwerke sind unter den Befragten unterschiedlich ausgeprägt und im Sinne eines
Konvois der lebensgeschichtlichen Entwicklung unterworfen. Als ein bedeutender Faktor ist
hierzu das Lebensalter zu nennen. Im Familiennetzwerk wird die Divergenz besonders ersicht-
lich – während Frau B.1 einen Onkel und eine Tante hat und die jüngste im Sample ist, hat Frau
L.1 gar keine lebenden Familienangehörigen mehr, hingegen betont Frau M.2 vor allem ihre
15 Enkel- und Urenkelkinder. Entscheidend für den Umfang des familialen Netzes ist einerseits
das Alter der NetzwerkpartnerInnen und ob es eigene bzw. noch lebende Kinder gibt. Frau L.1,
B.1, C.1, S.1, S.2 und M.2 sowie Herr J.1 sind kinderlos, erste und letztgenannter Befragte/r
besitzen keine lebenden Verwandten mehr, hierbei trifft zumindest bei Herrn J.1 das Bohnen-
stangenphänomen am ausgeprägtesten zu; als einziges Kind fehlen schon Geschwister. Entwe-
der es tritt der Umstand ein, alle anderen überlebt und/oder insbesondere zu weitschichtigen
Verwandten keinen Kontakt mehr zu haben; letzteres erwähnt etwa Frau E.2. Der Fall der Kin-
derlosigkeit, erhöht jedenfalls die Wahrscheinlichkeit, weniger familiäre Kontakte im Alter zu
besitzen und damit auch nicht als wichtige Ressourcen sozialer Unterstützung nutzen zu kön-
nen. Selbstredend ist das Vorhandensein von Kindern auch noch kein Garant für ein wahrge-
nommenes familiales Netzwerk mit Unterstützungspotential, wie Frau W.1 verdeutlicht:
Interviewer: „Wie ist das bei der Familie?“ [Frau W.1 hatte die Kinder bereits in
der Lebensgeschichte erwähnt]
Frau W.1: „Ich habe keine Familie. //I: Kinder?//. Nein, die gibt es nimmer. Es gibt
keinen Kontakt, also leben sie nicht mehr!“
I: „Aber sie leben noch?“
Dimensionen der Lebenslagen und ihre Wechselwirkungen 283

Frau W.1: „Ja, ja, aber wir haben schon lange keinen Kontakt, ja (...) Wir haben
uns auseinander gelebt und das passt so, also ich vermisse sie in meinem persönli-
chen Leben nicht“ Frau W.1.
Entsprechend trug Frau W.1 niemanden in den familiären Sektor des Netzwerkes ein – Frau
C.1 hat bspw. weitere Halbgeschwister, jedoch zu diesen keinen Kontakt und trägt sie ebenso
nicht ein –, verweist aber auf ein umfangreiches Freundesnetzwerk, welches sich international
aufspannt und mit welchem sie über E-Mail und Facebook in Kontakt steht. Da es Frau W.1
aber gesundheitlich weitgehend gut geht und sie noch nicht auf instrumentelle Hilfe angewiesen
ist, macht sich das Fehlen familiärer Unterstützung nicht bemerkbar. Die Notwendigkeit sozi-
aler Unterstützung wird nicht nur in der Bewältigung von Armut offenkundig, sondern zeigt
sich grundlegend in der Alltagsbewältigung. Die Diskrepanz zwischen jenen Befragten mit
Kindern und jenen ohne bzw. ohne erhaltener Unterstützung wird hier deutlich sichtbar. Frau
L.1, welche keine Kinder hat, ist vor Probleme, wie das Geldabheben bei ihrer vertrauten Bank,
gestellt und benötigt für häusliche Tätigkeiten externe Hilfe:
„Also wenn man in einem gewissen Alter ist, macht einem das schon Sorgen. Da
denke ich dann schon, was ist dann, wenn ich nicht mehr gehen kann. Aber irgend-
wie muss es auch weitergehen!“. Frau L.1.
Auch Frau A.1. ist mit Problemen in der Alltagsbewältigung konfrontiert und obwohl sie einen
Sohn hat, kann sie auf diesen nicht als Unterstützer zurückgreifen (ähnlich Frau M.1, Frau H.1
oder Frau R.2):
„Ich bin alleine, außer meinem Kind, aber der arbeitet die ganze Woche bis Sams-
tag. Der wohnt da in [X – in der Nähe von Wien], hat seine Familie, also kann ich
auch nicht verlangen (...) sicher, ich habe mir das anders vorgestellt: wenn ich,
wenn wir alt sind, dass sich ein Kind, um mich kümmert“ Frau A.1.
Frau A.1 gibt daher abseits von Pflege und Betreuung im Monat circa 100 Euro für eine Reini-
gungskraft aus bzw. ist sie hinsichtlich instrumenteller Hilfe vollständig auf formelle Hilfsan-
gebote angewiesen; neben Heimhilfe und Besuchsdienst kommt die Friseurin zu ihr nach Hause
bzw. bestellt sie sich alle paar Wochen eine Fußpflegerin. Dies ist aber nur aufgrund ihres hö-
heren Einkommens möglich. Im Falle von Frau H.1 trägt die familiäre Situation sogar zu einer
Belastung bzw. Verschlechterung ihrer persönlichen Situation bei: Da der Enkel, der Sohn ihrer
Tochter, bei ihr wohnt und diese selbst in einer prekären Lage ist, kann sie keine Kosten für
ihren Sohn übernehmen.

• Unterstützende familiäre Kontakte


Umgekehrt finden sich im Interviewmaterial einige Beispiele der familiären Unterstützung,
welche den von Altersarmut Betroffenen Geld spart bzw. eine Bewältigung von gerade größe-
ren Ausgaben überhaupt erst ermöglicht:
„Meine Kinder bringen verschiedene Sachen mit aus Polen [...] ich bekomme viel
Essen von den Kindern. Darum habe ich es im Leben nicht so schwer“ Frau M.2.
„Also es war wirklich recht schlimm, dass ich mir gedacht habe, ich habe Glück,
ich habe Kinder, ich habe eine Freundin“ Frau E.2
„Muss aber dazu sagen, wenn ich Geburtstag oder Weihnachten, bekomme ich
schon a bisserl was und das hilft mir dann auch wieder a bissal weiter, nicht“ Frau
B.1
284 Ergebnisse

Als These lässt sich daher formulieren, dass insbesondere Kinder bzw. allgemein familiäre
Kontakte unterstützend wirken können, entscheidend hierfür ist jedoch neben der reinen Exis-
tenz die Qualität des Beziehungsverhältnisse bzw. sind je nach Unterstützungsform auch andere
Faktoren, wie etwa die räumliche Distanz oder das finanzielle Vermögen der Kontaktpersonen,
tragend. Frau R.1 sieht sich bspw. durch eine ihrer Töchter für den Ernstfall gut abgesichert
bzw. würde sie bei einer Verschlechterung der Gesundheit bei ihr einziehen, während Frau C.1
auf ihren Neffen zurückgreifen kann. Frau E.1 hat drei Kinder, nur eines davon lebt in Wien,
von zwei wird sie finanziell unterstützt – eines hat selbst gerade zu kämpfen. Für physische
Hilfeleistungen kann sie nur auf das in Wien lebende Kind zurückgreifen. Selbstredend ist die
Kontakthäufigkeit abseits von Skype und WhatsApp bei den entfernt lebenden Kindern gerin-
ger. Verallgemeinert ist auf den Umstand zu verweisen, dass insbesondere jene Frauen mit mehr
Kindern (Frau M.2, Frau R.1, Frau E.1, Frau E.2 und Frau D.1) mehr Unterstützung durch diese
erfahren, was durch die Aufteilung der Aufgabenlast und der Wahrscheinlichkeit bzw. Poten-
tialität, dass jemand zur Verfügung steht, erklärt werden kann. Das Paradoxe besteht darin, dass
gerade jene Befragten aufgrund ihrer Kindererziehungszeiten und Konzentration auf die Fami-
lie altersarm wurden; die Ursache und Bewältigung von Altersarmut sind damit in der Familie
miteinander verschränkt und bedienen das Stereotyp der auf die Familie zentrierten Frau, wel-
che diese umsorgt und von dieser umsorgt wird.

• Kleine Netzwerke - Multifunktionalität und soziale Isolation


Abseits der familiären Kontakte übernehmen Freunde und Bekannte Formen der sozialen Un-
terstützung, welche sich von diversen Hilfsdiensten über die Möglichkeit, sich Geld leihen zu
können bis hin zu sozialer Anerkennung erstrecken (in diesem Kontext müssen auch Vereine
und Organisationen genannt werden, diese werden im Bereich der Alltagsgestaltung noch näher
erörtert). Bei den non-familialen Kontakten gilt gleichfalls, dass eine höhere Anzahl das Poten-
tial für Unterstützung erhöht und vor drohender Isolation schützt. In einigen Fällen – etwa Frau
M.1 oder Frau C.1 – sind die Netzwerke mit je vier Personen im Verhältnis zu den anderen
klein ausgeprägt, womit mehrere Funktionen auf einem Kontakt vereint werden (Multifunktio-
nalität); bspw. hat Frau M.1 eine Freundin, welche ihr nach dem Sturz in allen alltäglichen
Bereichen half und gleichzeitig emotionale Stütze war. Würde sie ausfallen, dann stünde Frau
M.1 praktisch ohne Hilfe da. Wenn auch m.E. bei kleinen Netzwerken noch nicht von sozialer
Isolation gesprochen werden kann, so ist das Risiko in solchen Fällen jedoch überaus hoch.
Insbesondere Frau A.1 mit nur mehr zwei eingetragenen Netzwerkkontakten läuft Gefahr zu
vereinsamen: Sie hat einen Sohn, der sie zwar anruft, aber nur wenig Zeit für sie erübrigt und
einen „Fremden“ – wie sie diesen bezeichnet und ihn trotzdem in den innersten Ring setzt;
einziger regelmäßiger Kontakt ist die formale Beziehung zur ihrer Heimhelferin.

• Geben und Nehmen


Reziprozitätsnormen bereiten den Befragten teilweise Schwierigkeiten, insbesondere wenn
diese auf monetären Mitteln fußen:
„Na ich gebe meinen, sie sind alle erwachsen, bekommen sie ein bisserl was, also
die Großen gar nichts mehr, nur meine drei Enkel und aus, weil da würde mir vom
Weihnachtsgeld auch wieder nicht viel bleiben“ Frau H.1.
Während Geldgeschenke folglich seltener oder in einem geringeren Umfang möglich sind, fin-
det Reziprozität auf anderer Ebene in der Schenkung von Zeit und physischer Arbeitsleistung
statt. Frau C.1. übernimmt bspw. die Wäsche ihres Neffen, welcher wiederum ihr bei Putzan-
gelegenheiten oder amtlichen Gängen hilft; Frau E.1 und Frau E.2 beaufsichtigen jeweils die
Dimensionen der Lebenslagen und ihre Wechselwirkungen 285

Enkelkinder bzw. Frau S.1 ihre Wahlenkel. Geldflüsse laufen eher von den Kindern zu den
Befragten, wobei monetäre Geschenke zu besonderen Anlässen gemacht werden bzw. umge-
kehrt vorhandene Vermögensbestände auf Kinder und Enkelkinder übertragen werden, insbe-
sondere wenn es um die Überschreibung von Eigentumswohnungen geht. Mit dieser Übergabe
wird ein deutlicher Überhang an „Schuld“ bei den UnterstützerInnen generiert. Zusammenfas-
send ist für die meisten aber das Geld knapp und Geschenke werden, wenn überhaupt, über die
13. bzw. 14. Sonderzahlung getätigt; anders bei Frau W.1, welche aufgrund ihrer Lebensfüh-
rung sogar noch Geld erübrigen kann und an Personen verteilt, welche es aus ihrer Sicht noch
schlechter haben (dies ist jedoch der einzige Fall, der mir bei allen Erhebungen unterkam),
während Herr R.1 mit circa 1.300 Euro bereits so ein hohes Einkommen besitzt, dass er monat-
lich circa insgesamt 75 Euro an seine Enkelkinder überweist. Die beiden Fälle zeigen in ihrer
Kontrastierung, dass es nicht um die Einkommenshöhe per se geht (bzw. auch bei jenen Be-
fragten, welche über ihr Geldvermögen Geschenke tätigen), sondern um die Ausgabenstruktur.
Bleibt nach Aufwendungen für den lebenswichtigen Bedarf Geld übrig, kann der Rest zu feier-
lichen Anlässen auch für andere aufgewendet werden oder fließt in die freie Verwendung. Wie
im theoretischen Teil gezeigt wurde, hat zusammenfassend das finanzielle Vermögen Einfluss
auf das soziale Netzwerk. Deutlich wird in den Interviews, dass die finanzielle Situation auch
in diesem Fall die Möglichkeiten verengt und bspw. Orte gewählt werden, die keine oder wenig
Kosten verursachen („zuhause“ oder „Club“). Frau B.1 spricht hierbei das Problem der Aneig-
nung von Raum an, wenn dieser ökonomisiert ist. Zudem wird die Bewirtung (also das Geben)
beschränkt. Andererseits eröffnen sich auch andere soziale Orte (um zu nehmen)416 wie Tages-
strukturen, Ausspeisungen usw., welche neben Nahrung und Gütern des täglichen Bedarfs ein
soziales Umfeld und (teils) professionelle Unterstützung bieten. Trotz gewisser Einflüsse ist
die Prägekraft der monetären Mittel im Bereich der sozialen Kontakte von geringerer Relevanz
und niemand der Befragten dürfte aufgrund der Einkommensarmut Kontakte eingebüßt haben.
Auf der anderen Seite müssen die Interviewten Einschnitte in Kauf nehmen und Reziprozität
auf eine andere Art als mit finanziellen Mitteln herstellen. So wünschen sich einige Befragte
öfter mit FreundInnen unbeschwert in ein Kaffeehaus und dergleichen gehen zu können.
Als Hypothese lässt sich formulieren, dass negative Wirkungen von Altersarmut auf die sozia-
len Kontakte gering ausfallen, auf der anderen Seite in der Bewältigung von Altersarmut, die
aus dem sozialen Netzwerk erfahrene Unterstützung eine zentrale Rolle spielt. Auch wenn dem
Aspekt des sozialen Kapitals vor dem Hintergrund des sozioökonomischen Status keine geson-
derte Aufmerksamkeit in der Erhebung zuteil wurde, so muss doch die Anmerkung erfolgen,
dass in der Frage der Unterstützungsmöglichkeiten sehr wohl auch die Potenz der Kontakte
eine Rolle spielt. Die interpretatorischen Ergebnisse deuten darauf hin, dass Befragte mit hete-
rogenen Netzwerken (also mit Kontaktpersonen mit höherem sozioökonomischen Status) auf
breitflächigere und intensivierte Unterstützungsangebote zählen können.

4.3.4 Wohnen
Durch die Analyse können folgende dimensionalisierte Eigenschaften des Wohnens konstatiert
werden: die Kostenbelastung, die Art der Wohnverhältnisse, die Dauer, das Wohnumfeld und

416
Sozialen Einrichtungen die Mitgliedschaftsbedingung der Armut zuzusprechen, wäre falsch, denn viele Orga-
nisationen beschränken ihre Tätigkeit nicht per se auf als arm adressierte Menschen. Bei Ausspeisungen wer-
den die Menschen gleich behandelt, es wird nicht danach gefragt, warum man hier sei. Jeder der hier ist, soll
etwas zum Essen bekommen. Gleichwohl zielen die Einrichtungen auf arme Gruppen ab, BesucherInnen ad-
ressieren sich damit selbst. Diese Selbstadressierung dürfte mit ein Grund sein, dass nicht arme Menschen
diese Orte eben nicht aufsuchen.
286 Ergebnisse

die Wohnbedingungen. Sie führen zu einer objektiven und subjektiven Wahrnehmung des
Wohnens altersarmer Menschen und stehen letztlich wieder in Bezug zu den anderen Dimensi-
onen.
„Meine Wohnung hat damals, ich hab auf einer Matratze geschlafen und hat auch
recht schäbig ausgeschaut, weil nach 10 Jahren und mit einem Hund und so, schaut
einfach die Wand scheiße aus [...] die Fernwärme ist mir Anfang 2015 abgedreht
worden, die hab ich dann fast zwei Jahre nicht gehabt oder eineinhalb Jahre lang
und der Strom ist mir im Herbst 2015 abgedreht worden und im Februar 2016 wie-
der aufgedreht worden, nachdem das Sozialamt eine Bestätigung geschickt hat,
dass sie das zahlen. [...] In der Früh habe ich mich mit kaltem Wasser gewaschen
und dann bin ich immer wieder hierher duschen gegangen. Im Winter schwitzt man
ja nicht so, also ich hab mich doch dann mit kaltem Wasser gewaschen, also ge-
stunken hab ich nie (lacht), aber ähhm sag ich immer aber, aber trotzdem, es war
halt scheiße, im Winter mit kaltem Wasser waschen, ist nicht super“ Frau B.1.
Frau B.1 pointiert in ihren Erzählungen viele Aspekte, welche mir ebenfalls auch bei anderen
Interviews und Wohnungsbesichtigungen auffielen: Fehlende Möbel, Sanierungsbedarf, Ener-
gienot bzw. Energiearmut – sie traten gehäuft und in unterschiedlichen Facetten und Graden
auf. Bevor diese Aspekte näher erörtert werden, soll auf die Kosten für Wohnen und Energie
eingegangen werden, da diese zusammen meist die umfänglichsten Ausgaben im Budget der
Befragten einnehmen. Kurz: Die Kosten für das Wohnen stellen aufgrund der geringen Ein-
kommen eine Herausforderung und erhebliche Belastung dar, wie auch die nachfolgende Ta-
belle 22 zeigt. Die Sorge, die Miete nicht zahlen zu können, treibt dabei die Relevanz dieser
Dimension an und so gilt die Begleichung des Mietzinses als eine der wichtigsten Aufgaben zu
Beginn des Monats. Eine drohende Obdachlosigkeit wird tunlichst vermieden. Die diesbezüg-
lichen Zahlungsrückstände bei Frau M.1, Frau B.1 und Herrn J.1 verweisen auf die besonders
prekäre finanzielle Lage, stand erstere kurz vor einer Delogierung und auch Frau B.1 geriet
bereits in Zahlungsverzug, während Herr J.1 Mahnungen zwischen einzelnen Kostenpositionen
hin und her zu jonglieren versucht. Allgemein lässt sich zwar sagen, dass die Mietkosten unter
den Befragten in absoluten Zahlen tendenziell gering sind und meist unter dem österreichischen
Schnitt von 530 Euro nach den Äquivalenzausgaben für Wohnen und Energie liegen (vgl. Sta-
tistik Austria, 2017e, S. 57), erst recht wenn man sie mit aktuellen Preisen am Wohnungsmarkt
vergleicht. Nichtsdestotrotz sind im Verhältnis zum Einkommen die Kostenanteile tendenziell
hoch. Frau C.1 formuliert es drastisch: „Da kommt was zusammen, da brauche ich nicht viel
herumscheißen“.
Dimensionen der Lebenslagen und ihre Wechselwirkungen 287

Tabelle 22 – Ausgaben für Wohnen und Energie


InterviewparterInnen Ausgaben für Wohnen und Energie
Frau L.1 278 Euro pro Monat; 29% Kostenanteil
Herr R.1 422 Euro pro Monat, 31% Kostenanteil
Frau R.1 900 Euro pro Monat; 78% Kostenanteil (Nebenverdienst berücksichtigt)
Frau R.2 280 Euro pro Monat; 33% Kostenanteil
Frau M.1 438 Euro pro Monat, 46% Kostenanteil (nach Pfändung)
Frau S.1 255 Euro pro Monat; 21% Kostenanteil
Herr J.1 403 Euro pro Monat; 43% Kostenanteil
Frau D.1 494 Euro pro Monat; 47% Kostenanteil (Wohnzuschuss berücksichtigt)
Frau A.1 307 Euro pro Monat; 13% Kostenanteil
Frau B.1 365 Euro pro Monat; 38% Kostenanteil
Frau W.1 300 Euro pro Monat; 35% Kostenanteil
Frau E.1 450 Euro pro Monat; 53% Kostenanteil
Frau S.1 220 Euro pro Monat; 23% Kostenanteil
Frau E.2 668 Euro pro Monat; 71% Kostenanteil
Herr F.1 249 Euro pro Monat; 28% Kostenanteil
Frau M.2 225 Euro pro Monat, 27% Kostenanteil
Frau C.1 510 Euro pro Monat; 48% Kostenanteil
Frau H.1 527 Euro pro Monat; 55% Kostenanteil
Frau L.2 427 Euro pro Monat (Angaben zu Strom fehlen); 50% Kostenanteil

In 13 der 19 Fälle lag die Kostenbelastung bei über 30% und erreichte bei Frau R.1 einen Spit-
zenwert von 78% des Gesamteinkommens. Neben relativ hohen Wohnkosten, sind dafür auch
die hohen Energiekosten verantwortlich, trotzdem möchte Frau R.1 aktuell nicht umziehen, was
auf ihre bewegte Lebensgeschichte zurückzuführen ist – siehe ihr Portrait. Frau E.2 lebt noch
in ihrer Paarwohnung, welche mit ihrem in Scheidung lebenden Mann verhältnismäßig günstig
war. Erst durch seinen Auszug entpuppten sich die Wohnkosten als ernstzunehmendes Prob-
lem. Sie denkt aktuell nicht an einen Auszug, denn zum einen wäre dieser finanziell ebenso
wenig möglich und zum anderen wohnt eine ihrer Töchter in direkter Nachbarschaft; wohl
dürfte sie auch noch die Scheidung und den damit erhofften Unterhalt abwarten. Frau E.1 ist
insofern ein bemerkenswerter Fall, da sie zwar in ihrer Eigentumswohnung lebt, die Betriebs-
kosten trotzdem einen hohen Kostenanteil einnehmen. Insofern lässt sich pauschaliert nicht da-
von ausgehen, dass Wohnungseigentum unmittelbar mit geringen Fixkosten verbunden ist. Er-
gebnisse der Wohnungsstatistik deuten auf diesen Umstand hin, so liegen die äquivalisierten
Wohnungskosten im Wohnungseigentum bei 331 Euro im österreichischen Schnitt und in der
Gemeindewohnung bei 352 Euro (vgl. Statistik Austria, 2018g, S. 58). Unscharf sind diese
Ergebnisse aber insofern, da für die Berechnungen auch Zinszahlungen zur Schaffung des
Wohnraums berücksichtigt sind. Klammert man diese aus, erscheinen zwar geringere Kosten
im Eigentum als logische Konsequenz (vgl. Mahidi, 2000, S. 212), die Situation ist aber kom-
plexer. Nachdem in älteren Gebäuden im Gegenzug die Wahrscheinlichkeit für Sanierungen
steigt bzw. dadurch die Rücklagenfonds häufig nach oben korrigiert werden sowie innerhalb
der Wohnungen Sanierungsbedarfe entstehen, die in einem Mietverhältnis auf den oder die Ei-
gentümerIn abgewälzt werden können. Als Schlussfolgerung bleibt, dass Eigentum nur bedingt
vor einem inadäquaten Kostenausmaß bei geringen Pensionseinkommen schützt bzw. müssten
Abschreibungen in die Rechnung miteinbezogen werden.
Inwiefern die Wohnsituation hinsichtlich der Kosten verbessert werden kann, ist fraglich. Nur
zwei der Befragten zogen in den letzten Jahren aufgrund dieser um, wobei die Kostenanteile
weiterhin auf hohem Niveau verblieben:
288 Ergebnisse

„Ich habe ja eine schöne Wohnung gehabt in der K.Gasse, da habe ich 33 Jahre
gewohnt aber mit den Mieten sind sie ja deppert, mit den Mieten sind sie hoch rauf,
das sind Trottel, kann ich ihnen sagen“ Frau C.1.
„Ich habe mir die Miete nimmer leisten können. Das ist aber eine private Haupt-
miete gewesen, das waren für 33 qm² damals 450€ und das sind sicher jetzt, jetzt
sind das sicher noch mehr aber das war nicht mehr finanzierbar“ Frau B.1.
Die Dauer des Mietverhältnisses spielt bei den Kosten eine beachtliche Rolle, liegen bei einer
30-jährigen Mietvertragsdauer die Durchschnittsgesamtkosten in Wien bei 5,2 Euro pro Quad-
ratmeter, sind es bei jungen Mietverträgen mit unter 2 Jahren im Schnitt 10,6 Euro (vgl. Statistik
Austria, 2018g, S. 48). Letzten Endes profitieren die Befragten von einem günstigen Bestands-
mietzins, welcher in dieser Höhe bei Neuvermietung nicht mehr angeboten werden würde (vgl.
Moshammer & Tockner, 2016, S. 5).417 Die strukturellen Bedingungen eines sich rasch verteu-
ernden Wohnungsmarktes wurden in der ersten Interviewserie von Frau Ex.E thematisiert, wel-
che aufgrund ihrer gesundheitlichen Belastung gerne die Wohnung wechseln würde, aber selbst
für eine kleine Wohnung mehr als für die jetzige zahlen müsste. Ein Aspekt des Verbleibes sind
konkludierend die steigenden Mietpreise; umgekehrt sind die Wohnkosten aufgrund einer lan-
gen Mietdauer unter den Befragten eher gering, wie ein Beispiel verdeutlichen soll: „Ich wohne
jetzt 66 Jahre in dieser Wohnung“ erwähnt etwa Herr R.1 und kommt auf einen Quadratmeter-
preis von 4,1 Euro.418 Der günstige Mietpreis wird jedoch bei ihm durch die Energiekosten
konterkariert, womit sein Gesamtkostenanteil des Wohnens 31% beträgt. Neben der Dauer
spielt damit die Substanz der Wohnung (in diesem Fall die Heizwerte), gleichwohl kombiniert
mit dem individuellen Energieverbrauch, eine wichtige Rolle. Herr J.1 formuliert dies drastisch:
„Der Heizkostenzuschuss [er erhält hier eine private Zuwendung], also ohne dem
würde ich nicht zusammenkommen, weil ich habe Nachzahlungen gehabt. Fast 420
Euro. Also das reißt mich dann schon rein. Also obwohl ich überall die Heizkörper
abgedreht habe“ Herr J.1.
Der Wohnverbleib ist aber nicht nur den Preisen geschuldet – anzumerken ist noch, dass auch
die Kosten für einen Umzug in vielen Fällen nicht gedeckt wären –, sondern auch den persön-
lichen Präferenzen. Allgemein zeigt sich, dass ältere Menschen eine sehr lange Wohndauer
aufweisen (vgl. Kremer-Preiß, 2011, S. 33; Moser u. a., 2005; Oswald & Konopik, 2015) und
der Wunsch, in der angestammten Wohnung zu verbleiben, mit steigendem Alter wahrschein-
licher wird (vgl. Teti, Grittner, Kuhlmey, & Blüher, 2014). Zentrale Aspekte, welche diesen

417
Moshammer & Tockner (2016) identifizieren in ihrer Analyse die private Vermietung (32%) als Preistreiber,
die in den letzten Jahren (2008-2014) deutlich über der Inflation (12%) lag, während sich die Kosten bei
Gemeindewohnungen (17%) und Genossenschaften (16%) verhältnismäßig moderater entwickelten. Die In-
flation ist hierbei insofern zu beachten, da diese die Erhöhungen der Ausgleichszulage wesentlich mitbe-
stimmt. Ist der Mietzins noch dazu wertgesichert, so sind Wohnungen, welche eigentlich nur mit dem Er-
werbseinkommen finanziert werden können, keine Alternative im Alter. Diese Zuspitzung der Wohnsituation
wird in Wien durch die für Wohnungen unterschiedlich anzuwendenden Gesetzeslagen (mal gibt es einen
Richtzins, mal nicht) m.E. noch verdeckt. Bleibt die Schaffung von günstigem Wohnraum in den nächsten
Jahren aus, welcher adäquate Kostenanteile auch auf Basis der Ausgleichszulage ermöglicht, werden entweder
Sozialleistungen die Diskrepanz decken müssen oder es dürfte zumindest zu räumlich zunehmenden Segrega-
tionstendenzen kommen. Bereits jetzt lassen sich auf Bezirksebene Über- und Unterrepräsentanzen von Ein-
kommensarmut betroffener Menschen (nicht auf das höhere Alter bezogen) finden, gleichwohl ist die Situa-
tion in Wien nicht so sehr gespalten, wie man vielleicht annehmen mag, sind selbst im 1. Bezirk 12% der
BewohnerInnen von Armut betroffen (vgl. Verwiebe u. a., 2014).
418
Frau L.1 wohnt seit 44 Jahren in ihrer Wohnung. „Solange das Haus besteht, nach 2 Jahre nach dem Bau.
Musste 45.000 Schilling zahlen. Aber jetzt kommt es mir halt schon billiger“. Aktuell zahlt Frau L.1 6,25 Euro
pro Quadratmeter, wobei das Haus erst vor Kurzem in Bezug auf den Energieverbrauch saniert wurde.
Dimensionen der Lebenslagen und ihre Wechselwirkungen 289

Wunsch verstärken und sich in den Interviews rekonstruieren lassen, sind zum einen die Ver-
ankerung mit der Wohnung und dem Stadtteil (Geschäfte, Wege sind bekannt, vieles läuft rou-
tiniert) , diese wurde jedoch durch größere, modernere Umbauten und Veränderungen der Ge-
schäftswelt im Stadtviertel (Erinnerung, wie es damals einmal war) und durch oftmaligen
Wechsel der MitbewohnerInnen im Wohnhaus teils ausgehebelt. Frau M.1 ist mit den entstan-
denen Geschäften und Frau A.1 mit der hinzugekommenen Bebauung unzufrieden, Herr J.1
verweist auf die wahrgenommene Zunahme der Kriminalität innerhalb des Wohnblocks bzw.
Frau C.1 auf ihre unliebsamen Nachbarn. Zum anderen nimmt die Wohnung und das Wohnum-
feld eine identitätsstiftende Wirkung ein, welche sich mit den Erinnerungen verknüpft und sich
auch in der Wohnung abbildet (Einrichtungsgegenstände der Eltern oder Verstorbener usw.).
Als Wechselwirkungen können konstatiert werden, dass einerseits in den meisten Fällen zu-
mindest ein Teil des sozialen Netzwerkes in der räumlichen Nähe verortet werden bzw. sind
Ärzte und Ärztinnen im näheren räumlichen Umfeld angesiedelt, die den Befragten vertraut
geworden sind. Andererseits steht einem Umzug oft die eigene Gesundheit entgegen bzw. die
fehlende körperliche Fitness, um einen solchen durchführen zu können, aber auch die be-
schränkten finanziellen Ressourcen. In Summe erscheint der Wohnungsverbleib für die meisten
Befragten weitgehend optionslos, abseits des „letzten Schrittes“ in das Altenwohnhaus. Die
Problematik hierbei ist jedoch, dass die tendenziell alten Gebäude nicht barrierefrei sind und
selbst „kleinere“ bauliche Hindernisse im Alter unüberwindbar werden:
„Ja schwieriger wird es in dem Sinn, in der Anlage, wo ich wohne, wir haben sehr
viel Stufen (.) außen nicht? Weil es geht bergauf, da ist jedes Haus, steht höher, ich
wohne Gottseidank im zweiten Block, also ich hab nicht sehr viele Stufen, aber die
sind schon beschwerlich. Wie ich einzogen bin, ich habe mir gedacht: ‚mein Gott
die paar Stufen, was ist das schon?‘ Aber heute?“ Frau L.1.
„Wir waren froh [Frau A.1 bezieht sich auf den Einzug in ihre Wohnung]: ‚Aha,
ich haben einen Aufzug, passt alles!‘ Ja, aber dass man alt wird, dass man die sechs
Stufen unten nicht mehr rauf kann, dass ich mit dem Rollator nicht runter kann (..)
was wollen sie machen? Die haben alle nicht gedacht, dass die Jungen einmal alt
werden (..) und wo wollen sie die Alten überall hinstecken? Und ich bin, ich will
nicht aus der Wohnung raus gehen. Ich möchten schauen, dass ich, so lang es geht,
dass ich in der Wohnung bleiben kann“ Frau A.1.
„Mit der Badewanne, habe ich mir gedacht, um Gottes Willen, und da haben sie
mir aber im Spital gesagt, haben sie mir das alles gezeigt, was es da für Möglich-
keiten gibt, das finde ich schon super aber ich meine, alleine kann ich es nicht. Das
trau ich mich auch gar nicht“ Frau M.1
„Ich möchte mir da so einen, wie sagt man, einen Sessellift draufmachen, dass ich
im Fall, ich habe oben das Bad und das Klo also, ja [...] das gröbere Problem ist
die Stiege ja die Stiege, weil das ist, was mache ich dann? Ja sicher, man kann
unten, ich meine, ich bin ja von der Pflege und ich weiß, man kann unten, so ein,
na, so ein Zimmer-WC oder was hinstellen, aber man muss das dann ja auch raus-
bringen oder sonstiges“ Frau E.2.
Frau E.2 antizipiert damit bereits eine zukünftige Problemlage innerhalb ihrer Wohnung, doch
wie solch ein Lift finanziert werden kann, bleibt offen. In den letzten Jahren konnte ich bei den
Besuchen nur wenigen Wohnungen attestieren, dass sie tatsächlich barrierefrei sind; Ausnah-
men waren hier die Wohnungen von Frau E.1. und Frau S.2. Bei Frau S.2 verlagern sich die
Probleme einerseits in die weitere Wohnumwelt, aufgrund von COPD ringt sie bei Einkäufen
290 Ergebnisse

um Luft, andererseits handelt es sich bei ihrer Wohnung um einen einzelnen Raum, wodurch
sie keine Möglichkeit für eine 24-Stunde Pflege sieht:
„Das ist schon der Grund, dass ich eben, dass ich für eine 24-Stunden-Hilfe, selbst
wenn ich da alles Pflegegeld ausschöpfe oder so, kann ich mir nicht nehmen, weil
ich niemanden unterbringen kann“ Frau S.2.
Zusammenfassend sind die Wohnbedingungen der Befragten wenig optimal, wenn der Blick
innerhalb der Wohnung bzw. auf das Wohnhaus fällt; bis zu fünf Stockwerke müssen die inter-
viewten altersarmen Menschen erklimmen, zum Teil fehlen Lifte oder sind aufgrund einzelner
Stiegenzugänge ebenso nicht barrierefrei. Schmale Vorräume (aktuell wird ein Durchmesser
von 1,5 Metern für eine barrierefreie Bewegung empfohlen) und enge Durchgangslichten er-
schweren die Nutzung von Gehhilfen, die früher – etwa bei Kindern – vielleicht bessere Vari-
ante der Badewanne, wird zu einem Sturzrisiko, kleine Toiletten verhindern die Einfahrt mit
Gehhilfen bzw. leiden einige der Befragten immer stärker unter den raumklimatischen Bedin-
gungen im Sommer. Ein paar Wohnungen sind auf Substandardniveau:
„Interviewer: Gibt es ein Bad und WC in ihrer Wohnung?
Frau S.1: „Nein, haben wir nicht. Weil er hat ja die Eisenbahn, wissen Sie. Ich geh
ja im [X] duschen“ Frau S.1.
„Nein, Bad ist keines drinnen. Ich hab kein Bad. Ich hab mir jetzt-ist auch jetzt, (..),
ein das ist 20 Jahre jetzt her, haben wir uns eine Dusche gemacht in der Küche.
Die hab ich mir selber gemacht“ Herr R.1.
„Die Duschnische ist nicht dabei. Ich hab eine Kategorie C Wohnung und die
Duschnische hat sich meine vorherige Mieterin gemacht, privat“ Frau R.2.
Duschnischen in Küchen bzw. im Eingangsbereich und fehlende WCs stellten die zwei häu-
figsten Substandardfaktoren dar, waren aber bei allen angeführten Interviews der Befragten
nicht allzu oft vorzufinden. Wie bereits erwähnt sind Substandardwohnung in Wien hingegen
überproportional häufig von altersarmen Menschen bewohnt. Die Angaben im Bereich der
Duschnische sind jedoch nicht immer ganz so eindeutig, da immer wieder diese Nische als
eigener Nassbereich bezeichnet wurde. Wichtig ist hier zu bedenken, dass die Standards für
Wohnen über die Jahre angepasst wurden, aber Barrierefreiheit erst seit einer verhältnismäßig
kurzen Zeit an Importanz gewonnen hat.419 Entsprechend divergent fallen die Wohnverhält-
nisse heute aus und insbesondere bei alten Bausubstanzen kann Barrierefreiheit nicht oder nur
bedingt (ohne größere Kosten) hergestellt werden. Darüber hinaus ist der häufig ungedeckte
Sanierungsbedarf der Befragten zu nennen:
„Der Boden. Also, im Wohnzimmer nicht. Küche (.) die Fliesen, alles. Bekomme
ich gar nicht mehr rein. Ja, wenn ich es runterputze, fliegen sie runter. Der Gasherd
ist schon sehr desolat. Alles ist schon desolat“ Frau M.1.
„Alles, das ist alles alt, das ist nichts Neues, alles alt [...] So alt ist der Herd, ich
glaube 50 Jahre ist schon alt, von Anfang, glaube ich, dass die Wohnung war er-
richtet, ich glaube, dass der Herd schon steht“ Herr F.1.

419
Der Antidiskriminierungsartikel wurde 1997 in die Bundesverfassung aufgenommen, für bauliche Empfeh-
lungen wurden Grundpfeiler bereits 1977 mit der ÖNORM B 1600 gesteckt, im Vergleich zur heutigen Fas-
sung mit 55 Seiten, waren die 12 Seiten der Ursprungsfassung wohl eher eine grobe Richtschnur. Erst die
Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen durch Österreich im Jahr
2008 stieß weitere Novellierungen der Baugesetze an.
Dimensionen der Lebenslagen und ihre Wechselwirkungen 291

„Wenn mal die Wohnung hergerichtet ist, können Sie gern kommen. Nur möchte
ich, dass alles schön ist. Wie gesagt, der Boden gehört noch hergerichtet, die Du-
sche gehört noch ausgemalt“ Frau R.2.
„Ich habe zwar ein Badezimmer, aber da ist noch eine Badewanne. Da habe ich
mir gedacht - also schon vor ein paar Jahren - solltest eine Duschkabine, du wirst
immer älter und kannst nicht in die Wanne. Ich tu mich eh schon schwer mit dem
Hineinsteigen, aber es kostet viel Geld, das Umbauen lassen“ Frau L.1.
Der ungedeckte Bedarf kann zur Gänze auf die fehlenden monetären Mittel zurückgeführt wer-
den und führt zu prekären Wohnverhältnissen, welcher nur durch soziale Unterstützung (sei es
durch Zuwendungen aus dem sozialen Netzwerk oder bewilligte HibL Anträge) etwas abge-
mildert werden könnte. Konkludierend ist anzumerken, dass die Wohnverhältnisse sehr unter-
schiedlich ausgeprägt sind und von kahlen Wohnungen mit einer Matratze und einem Tisch
(Frau B.1) bis zu sehr gut erhaltenen und großen Wohnungen (im Falle von Frau E.1) reichen.
Vor allem in der Wohnung und deren Ausstattung werden nach meiner Erfahrung die Lebens-
geschichten und angehäuften bzw. auch verlorenen oder nie erworbenen Ressourcen sowie
psychische Erkrankungsbilder manifest. Sie sind auch Ausdruck eigener individueller Fertig-
keiten und körperlicher Einschränkungen, welche die individuellen Möglichkeiten von Sanie-
rungen und Reparaturen befördern bzw. beschränken, sowie durch mögliche oder nichtmögli-
che Hilfeleistungen des sozialen Netzwerkes. In Kontrastierung eines Falles aus der ersten In-
terviewserie wird der differente Handlungsspielraum ersichtlich. Herr Ex.L, ein handwerklich
begabter Mann, welcher seine Fähigkeiten auch in der Erwerbsphase nutzte, gelang es bspw.
aus einem weggeworfenen Tisch und zerbrochenen Fließen mit geringem Kosteneinsatz einen
Esstisch für seine Familie herzustellen, renovierte das Bad bzw. erledigt alle Reparaturen im
Haushalt selbst. Frau L.1 übernahm früher ebenso die meisten anfallenden Tätigkeiten selbst,
aufgrund ihres Gesundheitszustandes traut sie sich dies heute aber überwiegend nicht mehr zu.
Frau R.2 möchte hingegen renovieren, dürfte diese Fertigkeiten aber nie gelernt haben und hofft
auf die Unterstützung eines Bekannten. Inwiefern Tätigkeiten übernommen werden können,
liegt teils in vorangegangen Aufgabenverteilungen der Paarbeziehungen begründet, während
insbesondere die alleingebliebenen Frauen Fertigkeiten oder Unterstützung zu organisieren ler-
nen mussten, galt in Paarhaushalten zumindest bei der einen oder anderen Befragten eine strikte
Aufgabenteilung. Fielen handwerkliche Aktivitäten dem Mann zu (dies war auch bei den Fi-
nanzen zu beobachten) und erfolgte spät eine Trennung oder der Tod des Partners, kamen neu
zu bewältigende Problemstellungen hinzu.
Zusammenfassend manifestieren sich die geringen finanziellen Mittel im Bereich des Wohnens
auf unterschiedlichen Ebenen. Es besteht in einigen Fällen ein Sanierungsbedarf, welcher aber
nicht gedeckt werden kann. Entscheidend für den Zustand der Wohnung entpuppte sich die
vorangegangene Erwerbsphase. War diese entweder stabil bzw. gab es auch Zeiten eines höhe-
ren Verdienstes, so ließen sich in dieser Phase Sanierungen vornehmen bzw. wurden hochwer-
tige Güter angeschafft. Beeinflusst wird dieser Umstand jedoch auch von der Lebensplanung
früherer Zeiten. So wurden Bauvorhaben zu lange hinausgezögert bzw. war nicht beabsichtigt,
in der Wohnung zu bleiben (z.B.: aufgrund des pflegebedingten Rückzugs in die elterliche
Wohnung mit angeschlossenem Verbleib). In anderen Fällen sind bauliche Veränderungen un-
möglich und der Umzug wäre nötig. Die Verhältnisse innerhalb und die Wahrnehmung der
Wohnung sind zusammenfassend vom Gesundheitszustand (dem grundsätzlich physischen
Vermögen, den (psychischen) Erkrankungen mit einhergehender Desorganisationsproblema-
tik), den Fertigkeiten und Ressourcen (etwa Werkzeugen), um in Eigenleistung Sanierungen
vornehmen bzw. dem Wissen, um als kompetente Verhandlungspartner gegenüber Professio-
nisten auftreten zu können, den materiellen und immateriellen Unterstützungsleistungen aus
292 Ergebnisse

dem sozialen Netzwerk, sowie der ehemaligen (Investition in langlebiges Interieur) wie auch
von der aktuellen ökonomischen Lage (Neuanschaffungen, Sanierungen) abhängig. In Ver-
schränkung der Wohnungssituation bzw. dem Wohnumfeld und den sich in einigen Fällen ab-
zeichnenden Verschlechterungen des Gesundheitszustandes, dürfte sich beim Verbleib in der
Wohnung eine prekäre Situation einstellen, welche unter anderem zur sozialen Isolation führen
kann (Frau A.1 ist hierzu zu nennen) oder aufgrund des Sturzrisikos eine zusätzliche Gefahren-
quelle darstellt (insbesondere bei Frau M.1.). Zudem ist das Wohnumfeld zu beachten, welches
in einer passenden Gehreichweite öffentliche Verkehrsmittel und nach Möglichkeit eine Nah-
versorgung bieten sollte. Dies ist unter den Befragten abseits von Frau L.1 als weitgehend gut
zu bewerten und die nächste Einkaufsmöglichkeit in wenigen Gehminuten erreichbar. Ein-
schränkend ist aber hier zu erwähnen, dass nur Frau L.1 wirklich am Rande von Wien lebt; das
Verkehrsnetz in Wien mag sehr engmaschig sein, nimmt aber an den Ausläufern zunehmend
ab. In Folge ist anzunehmen, dass die Wohnumwelten auch innerhalb Wiens insbesondere an
den Rändern ihre Probleme für ältere Menschen mit Mobilitätseinschränkungen bereithalten.

4.3.5 Wahrnehmung von Ämtern und die Mechanik von Sozialleistungen


Die Wahrnehmung von Ämtern gerade in Bezug auf Sozialleistung ist unter den Befragten
überwiegend negativ konnotiert bzw. wurden Negativerfahrungen in den Erzählungen vorstel-
lig. Dies ist jedoch insofern zu relativieren, da nahezu alle altersarmen Befragten in irgendeiner
Form Leistungen erhalten, womit im Umkehrschluss ebenso von gelungenen Episoden auszu-
gehen ist bzw. stand bei Frau L.1 die Einsicht im Zentrum, dass der Bezug rechtlichen Rah-
mungen folgen muss:
„Da hat mir die im Büro gesagt, dass es ihr sehr leid tut. Aber da habe ich gesagt,
ja ich weiß, Sie können nichts dafür und eine Grenze muss es halt geben, aber es
ist hart“ Frau L.1.
Während Frau L.1 die Notwendigkeiten von Bedarfsgrenzen anerkennt, auch wenn es schwer
ist und sie sich mehr wünschen würde, so wird die gegebene Situation von anderen Befragten
als Ungerechtigkeit empfunden und führte teilweise zu emotionalen Reaktionen, welche jedoch
angesichts deren Notlage auch nachvollziehbar sind. Hierzu ein paar Auszüge:
„Sozialnetz [...] hört sich papiermäßig oder wenn die Politiker oder die zuständi-
gen Herrn im Fernsehen reden, hört sich das ja wirklich sehr sehr gut an [...] wenn
man wirklich etwas braucht, wenn man wirklich in Not ist, dann steht man genauso
vor einer Mauer“ Herr J.1.
„Sie hat mich abgekanzelt wie den letzten Dreck [...] ich war um Hilfe da und sie
hat gesagt: ‚Da gibt es keine Hilfe‘. Sie hat mich abgekanzelt: ‚Sie bekommen eh
den Doppelten‘. Na, was glaubt denn die mit dem Doppelten? Was man da alles
machen kann. Und hat mich mehr oder weniger - ja, ich soll gehen halt. Ich hab
aber - auch so eine Art - das ist ein Wahnsinn auf dem Sozialamt dort. Wo, die da
oben sehr nett waren, früher, vor Jahren. Also, so eine richtige Ostblocktrulle. Ja,
soll auch ihren Job haben. Keine Frage. Soll auch ihr Geld haben, alles. Aber so
braucht man einen Österreicher mit 68 Jahren nicht behandeln. Da hab ich mich
schon sehr aufgeregt. Ich kann es nicht sagen, war mir zum Weinen und zornig, ich
hab mir gedacht: ‚Na, hab ich die‘. Nein, die war keine 25.“ . Frau M.1
„Alle haben gesagt, ja er muss ihnen zahlen, also die einen wollten mir nichts ge-
ben, also es war jetzt ganz gleich wo ich hingegangen bin, also das geht nicht, weil
er ist verpflichtet ihnen zu zahlen. Er hat aber nicht bezahlt, also ich bin, ich habe
Dimensionen der Lebenslagen und ihre Wechselwirkungen 293

müssen bei Freundinnen und, und, und meine Kinder und alle haben mir müssen
irgendwie mithelfen. [...] ich wusste es ja, dass es ein soziales Netz gibt, aber dass
man dermaßen durchfallen kann durch das soziale Netz, das hätte ich nicht ge-
glaubt, ja. [...] Das Amt kann nichts für sie tun und das hörst du vom ersten Satz
bis zum letzten Satz“ Frau E.2.
In allen drei Fällen herrscht sichtlich Unverständnis darüber, warum die jeweiligen Stellen
keine Hilfe gewähren können und Enttäuschung. Frau R.2 rief mich einige Zeit nach dem letz-
ten Interview an, um mir von der unerwarteten Streichung ihrer Ausgleichszulage zu berichten,
der Sohn von Frau D.1 kämpft für die Anerkennung einer höheren Pflegestufe bzw. ist perma-
nent mit Einreichungen weiterer Kostenzuschüsse beschäftigt.

• Komplexität verhindert Nachvollziehbarkeit


All diesen Fällen ist gemein (abseits der Pflegestufe), dass sie die Anspruchsvoraussetzungen
nicht (mehr) erfüllen (nur von Frau L.1 akzeptiert), daher ihre prekäre Situation in Wut venti-
lieren und dieser auch in den Interviews redlich Ausdruck verliehen. An der bereits von Frau
C.1 zitierten Aussage (nachfolgend nochmals widergegeben) soll die Problematik detaillierter
aufgearbeitet werden:
„Die Wohnungsbeihilfe haben sie mir dann auch gestrichen, da habe ich das Pfle-
gegeld bekommen und da haben sie mir gleich die Wohnungsbeihilfe genommen,
das sind schon ein Gesindel, ein dreckiges“ Frau C.1.
Frau C.1 ist, wie der Auszug zeigt, besonders über die Streichung ihrer Beihilfe erbost und
rechnet dies dem Pflegegeld zu, welches aber nicht der Grund sein dürfte. Daher ist zur Erklä-
rung zu erwähnen, dass sie vor Kurzem die Wohnung wechseln musste, da ihr die Vorangegan-
gene zu teuer wurde. Zur gleichen Zeit beantragte sie, ihrer Erzählung nach, das Pflegegeld.
Dieses wird grundsätzlich nicht dem Einkommen zur Berechnung der Wohnbeihilfe hinzuge-
zählt. Es liegt daher der Schluss nahe, dass die neue Wohnung, welche einen günstigeren Miet-
zins und weniger Quadratmeter hat, womöglich auch noch in eine andere Kategorie der Woh-
nungsaufwandsberechnung fällt, es in der Gesamtkonstellation zur Streichung kommt. Dieses
Beispiel soll zeigen, dass die Problematik der Komplexität in Folge schwerer Nachvollziehbar-
keit zur Wahrnehmung der persönlichen Benachteiligung führt. Prägnant formuliert: Die Situ-
ationen werden häufig nicht überblickt. Vielleicht hätte Frau C.1 im Wissen über die Streichung
gar nicht die Wohnung gewechselt. Es ist daher anzunehmen, dass immer wieder Fälle auftre-
ten, wo eine einmalig gesetzte Handlung aus Unwissenheit eine Kaskade von Veränderungen
hervorrufen kann, die in Konsequenz ein Nullsummenspiel ergeben oder sogar Verschlechte-
rungen bringen.420 Der neuralgische Punkt ist, dass viele Sozialleistungen in der Bedarfsprü-
fung über das Einkommen hinausgehen und teilweise wechselwirkend genehmigt werden. Es
ist daher nicht davon auszugehen, dass die Entscheidungen unter optimalen Informationsvo-
raussetzungen getroffen werden (können). Selbst von mir befragte und erfahrene Sozialarbei-
terInnen wiesen darauf hin, dass Abschätzungen – etwa wie hoch die Wohnbeihilfe konkret
ausfallen wird – und der Erfolg bzw. Misserfolg einer Anerkennung nicht immer vorherzusehen
sei. Es soll daher noch ein Fall demonstriert werden, der zeigt, dass auch Vorwegannahmen
Zuschüsse verhindern: Frau B.1 hat nach Abzug ihrer Fixkosten 450 Euro zur Verfügung. Da
Frau B.1 circa 900 Euro Nettopension hat, kann diese nicht alle Sozialleistungen beziehen. So

420
Interessant in diesem Zusammenhang wäre bspw. die Frage, inwiefern durch die erhöhte Ausgleichszulage
Wohnbeihilfen gestrichen oder vermindert wurden.
294 Ergebnisse

erwähnt sie, sowohl für Medikamente circa 60 Euro im Monat auszugeben bzw. auch GIS zah-
len zu müssen. Entweder dürfte Frau B.1. hierzu eine falsche Information bekommen haben,
denn mit der angegebenen Höhe ihres Einkommens müsste sie sich von der GIS befreien lassen
können – zumindest wenn man die abzugsfähigen Ausgaben in Rechnung stellt – oder aber ihr
Einkommen liegt höher. Frau B.1 hat noch zusätzlich circa 50.000 Euro Schulden, eine Pfän-
dung liegt entsprechend nahe, welche ein etwas höheres Einkommen als die 900 Euro voraus-
setzt. Diese Annahme konnte im weiteren Verlauf des Interviews verworfen werden, da nach
Aussage von Frau B.1 das Einkommen für eine Pfändung zu gering sei, womit dieses wohl am
Existenzminimum von 889 Euro liegen dürfte Die eigentliche Problematik hinsichtlich der
Rundfunkgebührenbefreiung wurde erst ersichtlich, als Frau B.1 dann doch erzählt, dass sie es
nicht probiert habe: „Nein, da brauch ich gar nichts hinschicken, weil es gibt da so ein Infor-
mationsblatt und da steht das dezidiert drinnen, was du haben darfst“. So hat sie zum Beispiel
auch keinen Kulturpass, wie folgende Szene aus dem Interview verdeutlicht. Interviewer: „Kul-
turpass?“ Frau B.1: „Nö, da fällst du überall raus“. Neben solchen Missverständnissen findet
sich aber noch eine andere Problematik: Sie erwähnte im Interview einen auffällig hohen Betrag
für die Monatskarte der Wiener Linien. Auf Rückfrage erörtert sie, weder einen Mobilpass zu
besitzen, noch kann sie aufgrund ihres Alters, obwohl sie pensioniert ist, auf den Seniorenrabatt
zurückgreifen – „das bringt mir leider überhaupt nichts weil die Wiener Linien sagen: Nein,
erst ab 62 gibt es eine verbilligte Jahreskarte. Da hab ich den Schlauch, wie man so schön sagt“.
Aufgrund der finanziellen Mittel fährt sie daher entweder mit Einzelscheinen oder schwarz. In
diesem Kontext ist Frau B.1 richtig informiert und strukturelle Verwerfungen haben zu einer
Lücke eines (deutlich) vergünstigten Seniorentickets und dem Pensionsstatus geführt, da letz-
teres nur an das kalendarische Alter gebunden wird.
Neben der fehlenden bzw. schwer zu überblickenden Berücksichtigung aller relevanten Fakto-
ren zur Abklärung der Voraussetzungen, Informationsdefiziten und strukturellen Verwerfun-
gen, war es in ein paar Fällen sogar schwierig, die einzelnen Komponenten (Eigenpension,
Ausgleichszulage usw.) des Pensionseinkommens und die genaue Höhe zu bestimmen, was im
Weiteren die Prüfung bzw. den Nachvollzug von Ansprüchen der Sozialhilfe erschwerte. Bei
Frau M.1 fehlte die Einsicht, dass ihr Pensionseinkommen eigentlich höher ist, auch wenn die
Pfändung ihr für sie verfügbares Einkommen reduziert. Für die Bemessung von Sozialleistun-
gen werden solche Pfändungstitel weitgehend ausgeklammert, womit als Grund der gefühlten
Benachteiligung ein Auseinanderfallen der „rechtlichen“ Einkommensbemessung und dem
wahrgenommenen Einkommen zu benennen ist. Als zweiter Aspekt lässt sich eine Überlage-
rung von Pensionseinkommen und Sozialleistungen nennen: Frau H.1 ist ein markanter Fall,
nicht klar zwischen Pensionsleistung und weiteren Sozialleistungen differenzieren zu können:
„Nein, ich habe ja eh eine Mietbeihilfe, oder Mietbeihilfe, ich glaube, das heißt
Ausgleichszulage oder Mietbeihilfe, ich glaub das ist eh dasselbe. Weil da habe ich
die 173 gehabt und jetzt bekomme ich 88. Weil das jetzt insgesamt ein Tausender
ist, was ich mehr habe, weil zuerst habe ich mehr als 1.000 gehabt, da hat sich
keiner gekümmert ob ich das habe oder nicht habe und auf einmal bekomme ich
einen Schrieb mit zurückzahlen, 550, nicht“ Frau H.1.
Mit hoher Sicherheit ist Frau H.1 eine „Mindestpensionistin“, wie ihr Sozialpass (dieser wurde
2008 durch den Mobilpass ersetzt) zeugt und zeigte diesen im Interview. Die ähnlichen Be-
zeichnungen von Sozialleistungen, etwa „Wohnbeihilfe“ und „Mietbeihilfe“, bei teils gleichen
Orten der Antragsstellung, etwa die Zuständigkeit der MA40 für den „Mobilpass“ ebenso für
die „Mietbehilfe“ und „HibL“, erschwerte es für die Befragten in ihrer Erinnerung die Leistun-
gen zu differenzieren. Verkompliziert wird im Fall von Frau H.1, dass nun ihr Enkel bei ihr
wohnt und so könnten die Leistungsverschiebungen daher auch von der Haushaltskonstellation
Dimensionen der Lebenslagen und ihre Wechselwirkungen 295

herrühren, womit wieder die Schwierigkeit, alle Faktoren zu berücksichtigen, zu Tage tritt. In
Kombination mit Informationsdefiziten liegt der Schluss nahe, dass weniger Sozialleistungen
bezogen werden, als die Befragten zum Zeitpunkt der Interviews berechtigt gewesen wären. –
Frau H.1 pointierte dies in einer Selbsterkenntnis: „Ja sag ich, ich zahle wahrscheinlich schon
überall drauf, weil ich die Hälfte nicht weiß“. In Nachgesprächen wurden die Defizite meist
erst richtig ersichtlich, wenn versucht wurde, auf weitere Bezugsmöglichkeiten hinzuweisen:
„Der Mobilpass hätte nur Nachteile. Interviewer: Wieso Nachteile? Frau Ex.Z.1: Naja, weil der
im Monat schon einmal 17 Euro kostet und dann bekomme ich die Öffi-Karte zum halben Fahr-
preis [...] also nochmal 9 Euro dazu“.
Die strukturellen Defizite sind für die Befragten unverständlich und alltagsuntauglich. Sie wer-
den auch von Institutionen wie SeniorInnenvertretungen, der Arbeiterkammer oder selbst dem
Rechnungshof kritisiert. Gleichwohl sind Verbesserungen schleppend, wie die weiterhin beste-
hende Lücke im öffentlichen Verkehr zeigt bzw. hat der Rechnungshofbericht über die Aus-
gleichszulage nach Wissen des Autors keine größeren gesetzlichen Änderungen nach sich ge-
zogen. Vor diesem Hintergrund soll auch auf ein bedeutendes Defizit des Einkommenszuge-
winns im Kontext der Ausgleichszulage aufmerksam gemacht werden.
„Aber wenn ich mir jetzt das dazu verdienen würde, würde mir das von der Pension
abgezogen, also nicht alles, weil ich habe eh nur 130 oder 140 Ausgleichszulage
aber das habe ich halt, da kann man nichts machen und das wird sich auch nicht
ändern“ Frau E.1
Verdient ein/e AusgleichszulagenbezieherIn hinzu, so wird die Ausgleichszulage um den ent-
sprechenden Betrag vermindert. Da selbst ein Zugewinn im geringfügigen Bereich nicht frei
steht, wird die Einkommenssituation jener Betroffenen weiter zementiert. Anstatt mit einem
gewissen Freibetrag zumindest eine Möglichkeit zu schaffen, älteren Menschen den Weg für
ein etwas höheres Einkommen zu öffnen, werden diese weitestgehend von politischen Willens-
prozessen über die Anpassung der Ausgleichszulage abhängig gemacht. Das Angesprochene
sollte jedoch nicht zu einer Verschlechterung der öffentlichen Leistungen führen und zu einer
alleinigen Verantwortung der Betroffenen, sondern die Erhöhung der Ausgleichszulage auf ein
adäquates Maß ist eine dringliche Forderung, gleichwohl es den Betroffenen ermöglicht werden
sollte, legal in einem kleineren Rahmen hinzuverdienen zu können, wie es auch beim Arbeits-
losengeld möglich ist. Die aktuelle Situation treibt in monetärer Not Lebende indes in die
Schwarzarbeit, was vereinzelt von den Befragten auch bestätigt wurde.

• Scham und Stigmatisierung


Abschließend sei darauf hingeweisen, dass manchmal auch Scham und Erniedrigung eine Rolle
spielen, ob Leistungen beantragt werden oder nicht:
„Ich bin der Mensch, der den anderen hilft normalerweise, ich bin nicht gerne je-
mand, der irgendwo hingeht und bettelt um irgendwas, ja? Also das war heftig, ja
das war, da habe ich mir wirklich manchmal überlegt, ja die Ablebensversicherung,
da könnten sie wenigstens die Schulden zahlen und dann war es das“ Frau E.2.
„Hilfe anzunehmen, das war nämlich am Anfang, darum bin ich ja auch in diese
Scheiße rein geraten, das war einfach am Anfang so, dass, dass ähm ich mich ge-
niert habe und es genieren sich sicher viele Leute“ Frau B.1.
Bei Frau E.2 wurden in diesem Zusammenhang immer wieder Suizidgedanken im Interview
formuliert. Auch Frau B.1, welche sich lange Zeit für ihre Situation schämte und daher keine
Hilfe in Anspruch nahm, schlitterte genau aus diesem Grund noch weiter in die Notsituation
296 Ergebnisse

und stellt resümierend fest, dass ihr bei rechtzeitiger Annahme einer Unterstützung vieles er-
spart geblieben wäre. Neben der Nichtinanspruchnahme von Sozialleistungen, zeigten mir ins-
besondere Situationen in Pensionistentreffs oder im Zuge der Plattformgründung alt.arm.weib-
lich bzw. Aussagen von ExpertInnen im Feld, wie sehr das Thema Armut stigmatisiert ist. Die
Scham ist groß, nur die wenigsten wollen ihr Gesicht zeigen und führen ein Leben im Verbor-
genen – hiervon zeugen auch die Schwierigkeiten InterviewpartnerInnen zu finden. Dazu trägt
die immer wieder politisch und medial aufgewärmte Differenzierung der würdigen und unwür-
digen Armen bei, welche in Konsequenz altersarme Menschen in das Abseits drängt. Die Frage
der Würdigkeit ist gesellschaftlich tief verankert und immer wieder trat bei Treffen größerer
Gruppen von älteren Menschen die gleich Formel zu Tage – „selbst schuld, hätte man doch an
die Vorsorge gedacht“. Im Kontext der Wahrnehmung von Ämtern und der Mechanik von So-
zialleistungen muss aber erwidert werden: Diese Leistungen sind ein verbrieftes Recht und da-
mit sollte auch die Inanspruchnahme erleichtert und transparent erfolgen.

4.3.6 Alltagsgestaltung und moderne Technik


Abstrahiert sind sowohl Formen der Alltagsgestaltung zu entdecken, welche sich unter der At-
tribuierung ‚aktiv sein‘ formieren lassen, wie auf der anderen Seite ein Rückzug von außer-
häuslichen Aktivitäten und sozialen Kontakten. Unter dem ersten Aspekt lassen sich zum einen
jene Fälle verorten, bei welchen soziale Einrichtungen die Wochenstruktur mitprägen. So sind
Frau B.1, Frau H.1, Frau L.2, Frau W.1 sowie in Teilen Frau R.2 in ihrer Tagesstruktur an
jeweils unterschiedlichen sozialen Einrichtungen orientiert. Während jedoch letztere einen hö-
heren Grad der Desorganisation aufweist, verfolgen Frau B.1 (wieder) bzw. die anderen Frauen
einen kontinuierlichen Verlauf und sind in den Einrichtungen ehrenamtlich tätig, was auch Frau
R.2 früher einmal war. Die genannten Frauen erinnern damit an das Engagement von Frau L.1
bzw. versucht auch Herr J.1 im Rahmen seiner gesundheitlichen Möglichkeiten ein Ehrenamt
auszuüben. Die Beweggründe zwischen den Befragten sind gleichwohl verschieden: Die eh-
renamtlichen Betätigungen - abseits von Frau B.1 (und Frau R.2) und Herrn J.1- sind durch ihre
lebensgeschichtlich länger bestehenden Einstellungen motiviert, welche sich als eine Art le-
benslanges soziales Engagement bezeichnen lassen (Frau W.1 kämpft bspw. weiterhin für die
Rechte von Frauen und ist in Frauenorganisationen tätig). Sie decken zugleich aber auch die
Funktionen der Sinnerfüllung, Tagesstrukturierung und sozialen Anerkennung ab. Diese Funk-
tionen treten auch bei den drei letztgenannten hinzu und haben sogar stärkere Bedeutung. Frau
B.1 und Frau R.2 befinden sich in Klientinnenrollen und haben einen Bedarf an Unterstützung,
welcher durch die Einbindung in die sozialen Einrichtungen erfolgt, um ihren Alltag zu struk-
turieren. Herr J.1 ist dazwischen zu verorten: Einerseits erscheint auch für ihn die ehrenamtliche
Tätigkeit als wichtiges bzw. gar einziges Mittel um Anerkennung zu erfahren, andererseits ist
es für ihn ein Ventil Reziprozität zwischen der erfahrenen und der ehrenamtlich zurückgegebe-
nen Unterstützung herzustellen. Frau S.2 lässt sich als Kundin kategorisieren, denn sie sucht
soziale Einrichtungen auf, um dort an Bewegungsangeboten zu partizipiert bzw. nimmt weitere
Angebote in Anspruch; unter diese Kategorie fällt auch Herr R.1, der vorrangig das Angebot
des Kontakttreffs nutzt. Konkludierend lassen sich drei Typen unterscheiden:
• die ehrenamtlichen HelferInnen – intrinsisch motiviert mit der Entlohnung der Aner-
kennung,
• KlientInnen – bei welchen durch die Einbindung ihr eigener Alltag besser bewältigbar
wird und
• KundInnen – welche vorrangig Angebote nutzen.
Dimensionen der Lebenslagen und ihre Wechselwirkungen 297

In allen drei Fällen wird die Wichtigkeit solcher Einrichtungen manifest, da sie abseits der ge-
nannten Funktionen auch Unterstützungs- und Kontaktpotential bieten. In diesem Sinne mag
es wenig verwundern, dass die Einrichtungen selbst bzw. die dort befindlichen Bekannten in
den sozialen Netzwerken genannt wurden und in der Alltagsstruktur eine wichtige Rolle spie-
len. Andere Aktivitäten werden weitgehend bzw. nach Möglichkeit um diese Knotenpunkte
herum organisiert (eine Ausnahme stellt Frau R.2 dar, für welche die alltägliche Organisation
allgemein ein gewisses Problem darstellt). Trotzdem sehen sich die Befragten nicht mehr in
jenem Ausmaß verpflichtet, wie es bspw. eine Arbeitnehmer-Arbeitgeber Konstellation mit
sich bringen würde und sind, wenn es einmal andere Dinge zu tun gibt, nicht anwesend. Frau
W.1 ist hierzu ein plakatives Beispiel:
„Ich habe keinen Wecker, ich habe keinen Zeitablauf (...) ich kann spontan sein,
auf des stehe ich total. Ich habe keinen Terminkalender, darum habe ich gestern
gesagt, ich bin mein Terminkalander. Manchmal kotzt es mich an, ich muss meinen
Terminkalender. Ich muss niemanden zeigen was ich tue, das Leben alleine ist eh
schon anstrengend genug“ Frau W.1.
Nach außen hin weitgehend in Selbstorganisation aktiv sind Frau E.1, Frau R.1 und Herr F.1.;
im Unterschied zu obigen bedarf es daher nur einer geringen Orientierung an Organisations-
strukturen bzw. entfallen diese völlig. Allen drei ist gemein, dass sie für sie wichtige Aktivitä-
ten, welche bereits früheren Zeiten entspringen, aufrecht erhalten und hierbei soziale Kontakte
pflegen. Frau E.1 wendet viel Zeit für die Suche nach russischen Soldaten auf, welche in der
Besatzungszeit mit österreichischen Frauen in Beziehung standen und Kinder gezeugt hatten.
Frau R.1 ist einerseits beruflich aktiv und geht andererseits ihrer ehemaligen Hauptbeschäfti-
gung, der Heimbetreuung, nun privat nach, während Herr F.1 insbesondere im Sommer Sport
betreibt und sich dazu einen Bekanntenkreis geschaffen hat.
Frau S.1, Frau A.1, Frau E.2, Frau C.1, Frau M.1 und Frau M.2 haben sich weitgehend aus dem
sozialen Engagement zurückgezogen bzw. ist Frau D.1 in Folge ihres schlechten Gesundheits-
zustandes hauptsächlich bettlägerig. Die Gründe des Rückzugs sind jedoch bei den anderen
Frauen unterschiedlich, ähnlich Frau D.1 können auch Frau A.1, Frau M.1, Frau E.2 nur bedingt
aufgrund der beeinträchtigten Gesundheit am außerhäuslichen Leben teilnehmen, während sich
dies bei Frau A.1 zusätzlich mit einer ablehnenden Haltung gegenüber sozialen Kontakten kom-
biniert, ist Frau M.1 mehr von Scham erfüllt. Im Falle von Frau E.2 kommt neben der gesund-
heitlichen Dimension, die aktuelle Situation der Scheidung hinzu, welche ihr viel Zeit und
Energie raubt bzw. ist ihre Lebensführung als häuslich-familiär zu kategorisieren und Aktivi-
täten spielen sich in einem familiären und nachbarschaftlichen Setting ab. In den beiden erst-
genannten Fällen steht der Rückzug einem sehr kleinen sozialen Netzwerk gegenüber, die Re-
duktion war einerseits ihrem aktuellen Zustand vorgelagert, andererseits hat der Gesundheits-
zustand zu einer weiteren Verschlechterung beigetragen. Auf die Alltagsgestaltung zurückkom-
mend ist Frau C.1 zu erwähnen, welche sich versinnbildlicht als Januskopf zwischen aktiv und
rückgezogen sehen wollte und auch so beschreiben lässt. Ihre Grundhaltung ist verbittert und
zynisch, in ihren Erzählungen werden vor allem Enttäuschungen und Benachteiligung vorstel-
lig bzw. wird ihre (soziale) Umwelt negativ konnotiert – Begriffe wie „Rauschkinder“, „Hin-
nige“, „Sozialhilfeempfänger“, „Gsindel“ werden ausreichend bedient. Vor diesem Hinter-
grund in Kombination mit ihrer Gesundheit erfolgt der Rückzug in die eigene Wohnung und
beschränkt sich auf häusliche Aktivitäten und das Fernsehen. Trotzdem ist die Situation zwie-
spältig: Eine Nachbarin kommt zu ihr fast täglich auf Besuch und auch gegenüber dieser ist
Frau C.1 ungehalten, kocht aber für die Nachbarin mit und lässt sie für Stunden in der Wohnung
gewähren. Als einzige fragte Frau C.1 noch während des Intveriews mehrfach nach einem bal-
298 Ergebnisse

digen erneuten Besuch des Interviewers und macht damit auf ihr Bedürfnis nach sozialen Kon-
takten aufmerksam. Aber obwohl der Wunsch nach Kontakt besteht, verhindert Frau C.1 durch
ihre Grundhaltung die Möglichkeit einer außerhäuslichen Alltagsgestaltung und bleibt lieber in
ihrer Wohnung, in welcher ihr nur der Fernseher und die unliebsame Nachbarin Abwechslung
bringt.
Eine geringere Rolle spielt die Gesundheit bei Frau S.1 und Frau M.1 – zumindest ließ sich dies
in der Interpretation des Interviewmaterials weder verifizieren noch falsifizieren –, bei denen
der Rückzug als Wirkung der Lebensführung gedeutet werden kann. Frau M.2 pointiert dies
mit den Worten: „Ich habe keine Lust, jetzt bin ich ein altes Weib, ich bin zu Hause“. Auch
diese Frauen besitzen ein verhältnismäßig kleines Netzwerk mit Konzentrationstendenzen auf
einzelne Kontakte, welchen ein universelles Unterstützungspotential zufällt. Frau S.1 und Frau
M.2 scheint dies zu genügen. Hierbei lässt sich die Alltagsgestaltung mit der Formel des „Ge-
nugseins“ auf den Punkt bringen. Dies ist in zweifacher Sicht zu lesen: Einerseits als ein ge-
nügsamer, ausreichender Zustand (Frau S.1 ist mit ihrem Mann und einer Freundin ausgelastet)
und andererseits prozesshaft, im Sinne einer Reduktion auf ein selbstregulatorisches, der aktu-
ellen Lebensführung angepasstes Niveau. Insbesondere bei sozialen Beziehungen scheint die-
ses Muster immer wieder durch, so auch bei Frau Ex.S, welche sich aus der Beaufsichtigung
ihrer Enkelkinder bewusst herausnahm und über wenige Besuche und einer damit reduzierten
Belastung bei gleichzeitigem Autonomiegewinn sehr froh ist.
Das Bisherige zusammenfassend unterscheiden sich die Alltagsgestaltungen vor allem darin,
ob sich diese vorrangig auf die eigene Wohnung beschränken oder zusätzlich außerhäusliche
Aktivitäten wahrgenommen werden, welche nicht nur die Wochen mitstrukturieren und Zeit in
Anspruch nehmen, sondern über soziale Anerkennung und das Gefühl gebraucht zu werden,
einen wichtigen Beitrag zur Lebensbefindlichkeit der Befragten liefern. Gemein ist diesen Ak-
tivitäten ein kostengünstiger oder kostenloser Charakter, die Befragten profitieren manchmal
über die eine oder andere Sachleistung und das verweist in diesem Zusammenhang ein weiteres
Mal auf den Einfluss der finanziellen Dimension. Weitgehend einig erklären die Befragten,
dass häusliche Aktivitäten immer mehr Zeit in Anspruch nehmen, da es an sich nicht mehr so
schnell gehe bzw. Pausen eingelegt werden müssen. Den Befragten steht durch die Pensionie-
rung zwar mehr freie Zeit zur Verfügung, diese verkleinert sich erneut mit einem fortschreiten-
den, sich verschlechternden Gesundheitszustand, wenn häusliche Aktivitäten aufrecht erhalten
werden müssen. Insgesamt sind die Möglichkeiten der Alltagsgestaltung durch die Einkommen
limitiert, Frau S.2 bspw. kann nur aufgrund des Kulturpasses viele Veranstaltungen besuchen,
Frau B.1 erwähnt die Kosten im sozialen Raum – ein Aspekt, der auch in der ersten Interview-
serie ab und an angebracht wurde – bzw. wird kein Geld oder nur sehr wenig (15 Euro erwähnt
Frau E.1, 10 Euro Frau M.1, 8 Euro Frau M.2) für Bücher, Zeitschriften oder andere Freizeit-
aktivitäten ausgegeben. Hierfür ist in den Ausgabenstrukturen meist keine Reserve vorhanden
(der überwiegende Teil verneint daher solche Ausgaben) und würde eine Umschichtung, etwa
von Nahrungsmittelausgaben hin zu solchen Aktivitäten, nötig machen. Teils ist eine Wechsel-
wirkung zwischen finanziellen Mitteln, dem Alterungsprozess und der Aufgabe von Aktivitäten
zu attestieren. Einige der Frauen erwähnten zum Beispiel, nicht mehr in das Theater zu gehen
und argumentieren dies über die späte Stunde der Rückkehr, welche zu diesem Zeitpunkt mit
öffentlichen Mitteln schwieriger sei. Als Alternativfolie wäre in solch einem Fall an die Nut-
zung von Taxis zu denken, wird jedoch nicht weiter erwähnt. Dies könnte ein Hinweis sein,
dass die finanzielle Lage die Entfaltung von Handlungsoptionen versperrt und erneut akkom-
modative Strategien hervorruft, welche die Einschränkung von Aktivitäten auf das Alter um-
deuten. Summa summarum ist die Erkenntnis, dass die Zuweisung von Ursachen ein höchst
Dimensionen der Lebenslagen und ihre Wechselwirkungen 299

problematisches Feld ist und sich diese zwischen der Lebensführung (man maß gewissen Ak-
tivitäten persönlich nie einen Wert bei oder umgekehrt ist einem etwas besonders wichtig), dem
Alterungsprozess insbesondere im Sinne eines sich wandelnden gesundheitlichen Zustandes
und finanziellen Limitationen bzw. weiteren externen Faktoren (wie etwa das bestehende An-
gebot) aufspannen. Dies führt weiter zur Lebensstandardmessung und untermauert die Notwen-
digkeit, Indikatoren zu finden, welche vor dem Hintergrund alters- und kohortenspezifischer
Überlegungen zu entwickeln wären.
In diesem Kontext ist auf die Nutzung von Technik im Alltag hinzuweisen, welche weiterhin
in höheren Altersgruppen geringer ausgeprägt ist (vgl. Brandtzæg, Heim, & Karahasanović,
2011; Friemel, 2016; Rauschnick, 2014). Oswald & Wahl (2016) fassen zusammen, dass die
Akzeptanz und Nutzung von Technik als direkt fühlbare positive Auswirkung auf die Lebens-
qualität sichtbar sein soll und wahrgenommene Vorteile deutlich überwiegen müssen sowie die
Leichtigkeit der Nutzung zur Akzeptanz beitragen. Unter den Befragten finden sich zwar viele
HandynutzerInnen (außer Frau L.1, welche selbst dies verweigert, da sie keinen Vorteil für sich
darin erkennen kann), wobei davon die Kommunikation, wie die Nutzung von WhatsApp, einen
Internetanschluss bzw. die Nutzung des Internets, gleichwohl geringer ausfällt:
„Geh, kenn ich mich ja gar nicht aus, brauch ich Internet? Wie die Weiber da, die
suchen die Männer, pfui“ Frau C.1.
„Nein. Ja, übers Handy halt a bisserl. Aber ich bin auch nicht so, dass ich den
ganzen Tag vor dem Computer sitzen muss. Aber obwohl so ein Tablet wäre schon
ganz kommod, aber es ist einfach, aber es ist nicht so, dass ich jetzt, so wie andere,
die jejejejejej - mach ich nicht, nein. Ich will keinen Internetanschluss“ Frau B.1.
„Ich geh immer noch in die Handyschule. Na die lachen. Das bekomm ich schon
langsam, aber das Internet (.) interessiert mich weniger“ Frau S.1.
Jene Befragten, welche kein Internet nutzen, sehen für sich keine Vorteile bzw. wird die mo-
derne Medientechnik im Alltag etwa von Frau B.1, welche in ihrem Beruf mit einem Computer
arbeitete oder Frau L.1 im Allgemeinen strikt abgelehnt. Dies trägt jedoch zu einer weiteren
Prekarisierung bei, so können weder Informationen abgerufen werden bzw. verlagern sich diese
immer mehr in das Internet, wodurch sich etwa Frau L.1 oder Frau M.1 benachteiligt sehen; in
Folge erscheinen Anschaffungen bzw. der Wunsch sich damit zu beschäftigen als eine von au-
ßen herangetragene Notwendigkeit:
„Ich habe einen Computer, aber er interessiert mich gar nicht. Ich habe da mein
Facebook, meine Seiten - meine Freundinnen, auch weltweit! Also, da man Kontakt
halten kann, über den Alltag reden, das finde ich nett. Aber ich verstehe vom Com-
puter nix. Also bei Facebook, da brauch ich nur klick machen, das weiß ich! Und
geht es über das hinaus, verweigere ich. .. und ja, das (Handy) habe ich mir an-
schaffen müssen, weil früher hat es überall Festnetz gegeben, jetzt gibt es keines
mehr und das ist ein nicht angemeldetes“ Frau W.1.
„Interesse hab ich schon. Weil die tun alles nur anklicken und wissen alles. Na,
ehrlich. Es ist ja eine Frechheit. Es ist ja überall nur www, du kannst nirgends
anrufen“ Frau M.1.
„Nur, dadurch, dass ich kein Internet habe, ist es schwer zu sagen, was ist jetzt
aktuell, weil das ändert sich hunderttausend Mal, weil kaum habe ich einen Zettel
von ihnen [sie spricht über das Angebot des Kulturpasses], ändert sich das schon
wieder, ist schon wieder was ganz anderes“ Frau L.2.
300 Ergebnisse

Die finanzielle Situation kommt bei Frau M.1 zur Geltung, welche zwar den Wunsch äußert,
sich mit Computer und Internet zu beschäftigen, aber sofort die Frage daran knüpft, was so eine
Schulung kosten würde bzw. sie von dieser gar nichts hätte, selbst wenn sie kostenlos wäre,
wenn sie für eine Nutzung zu Hause nicht ausreichend Geld zur Verfügung hat. Auch im Falle
der Nutzung von technischen Geräten und digitalen Kommunikationstechnologien schwingt die
Dimension der finanziellen Limitation mit, ist aber erneut mit anderen Beweggründen durch-
setzt, welche zwar als Umdeutung ausgelegt werden können oder aber unabhängig von der mo-
netären Dimension bestehen. So wäre es für Frau L.1 vermutlich möglich, die Kosten zu tragen,
sie will es aber einfach nicht. Nichtsdestotrotz erscheint der limitierte Handlungsspielraum ne-
gativ auf die Bereitschaft zu wirken, da ein nicht kalkulierbarer Nutzen (was bringt einem das
Internet usw. tatsächlich) manifesten Kosten gegenübersteht. Fehlen dann auch noch vertraute
Personen, welche einem die Technik näherbringen, Ängste nehmen und Vorteile herausstrei-
chen, bleibt die Bereitschaft gering. Insbesondere das Internet stellt heute aber eine zentrale
Ressource in der Informationsbeschaffung dar und ist allgemein ein wichtiger Kommunikati-
onskanal. In der Konsequenz fühlen sich einige Befragten von dieser rasanten Entwicklung
überfordert und verlieren zunehmend den Anschluss an eine sich immer rascher digitalisierende
Welt.

4.3.7 Wechselwirkungen – Vielzahl der Lebenslagen


Zum Abschluss wird der Versuch unternommen, die einzeln vorgestellten Dimensionen zu ver-
einen bzw. in Wechselwirkung zu stellen. Die hier angebrachte Bescheidenheit ist der Einsicht
geschuldet, dass sich die Lebenssituationen der von Altersarmut Betroffenen diversifiziert prä-
sentieren und eine allzu starke Abstrahierung dieser Diversität nicht adäquat Rechnung tragen
kann. Verallgemeinert lässt sich aber sagen, dass im Gegensatz zu Armutslagen im Erwerbsal-
ter Altersarmut nur sehr bedingt als eine vorübergehende Statuspassage zu bezeichnen ist, da
die Möglichkeiten, die ökonomische Lage zu verbessern, limitiert sind. BezieherInnen von ge-
ringen Alterspensionen, AusgleichszulagenbezieherInnen oder ältere BezieherInnen der be-
darfsorientierten Mindestsicherung sind aus ökonomischer Perspektive, auch hinsichtlich des
Umfangs der Armutslücke, vom staatlichen Anpassungsniveau der Versicherungs- oder Sozi-
alleistung im Besonderen abhängig. Die Einkommenssituation ist aufgrund ihrer Verfestigung
bzw. der definitorischen Ausgangsbasis dieser Arbeit – wie auch gezeigt wurde, erfolgt gesell-
schaftlich die Adressierung als arm nahezu ausschließlich über die Einkommensdimension –
die zentrale Bedingung des Phänomens Altersarmut. Sie wirkt dabei in andere Dimensionen
hinein und manifestiert sich in diesen als (intervenierender) Kontext, welcher allgemein formu-
liert Handlungsmöglichkeiten rahmt. Auf individueller Ebene ist ein positiver Zusammenhang
zwischen Einkommenshöhe und Zahl der Handlungsalternativen zu konstatieren, während sich
vor dem Hintergrund staatlicher Sozialleistungen erst durch das geringe Einkommen – weitere
Voraussetzungen hier einmal ausgeklammert – Unterstützungsmöglichkeiten eröffnen und in
Folge die monetären Mittel direkt steigern oder den Lebensstandard in der Absenkung von
Kosten bei Inanspruchnahme virtuell erhöhen. Diese virtuelle Erhöhung wird im Bereich der
Armutsmessung, wie und ob solche Leistungen in der Berechnung der Einkommen zu berück-
sichtigen sind, debattiert. Anstatt dies hier weiter auszuführen, soll der Aspekt der starren Ein-
kommensgrenzen von Sozialleistungen aufgegriffen werden, welcher vor dem Hintergrund der
virtuellen Erhöhung zu Ungleichheiten bei altersarmen Menschen beiträgt. Während bspw.
AusgleichszulagenbezieherInnen grundsätzlich auf eine Vielzahl an Leistungen zugreifen kön-
nen – die Wohnbeihilfe und Mietbeihilfe sind hier auszuklammern, da die vielen weiteren Fak-
toren zu spezifischen Konstellationen führen – bzw. automatisch befreit sind, reduzieren sich
die Möglichkeiten bei Personen mit darüberliegendem Einkommen wieder, auch wenn diese
Dimensionen der Lebenslagen und ihre Wechselwirkungen 301

unter der Armutsgefährdungsschwelle ihr Einkommen haben. Dieser Fall tritt etwa beim Mo-
bilpass ein, welcher den Bezug einer im Preis reduzierten Monatskarte für den öffentlichen
Verkehr ermöglicht. Aktuell betragen die Kosten des Tickets 18 Euro; die reguläre Senioren-
karte (bei jährlicher Zahlung), 19,6 Euro und die reguläre Monatskarte (bei jährlicher Zahlung)
30,4 Euro. Alle drei Tarife kommen bei den als arm zu adressierenden Befragten zur Anwen-
dung, obwohl alle pensioniert sind (hier spielt das kalendarische Alter eine Rolle und nicht der
Pensionsbezug). Personen mit der Seniorenkarte müssen 19 Euro im Jahr mehr aufwenden und
Personen mit einer regulären Karte 149 Euro. AusgleichszulagenbezieherInnen haben in Folge
bei Nutzung ein virtuell höheres Jahreseinkommen um zumindest 19 Euro, wenn dies als Grad
des Lebensstandards verstanden wird. Dies mag auf den ersten Blick nicht viel erscheinen –
149 Euro höhere Ausgaben aber durchaus – in Summe der Sozialleistungen weitet sich die
Differenz gleichwohl aus; anders formuliert können sich Benachteiligungen ergeben, da Ab-
stufungen fehlen. Abseits dessen sind die weiteren Geldleistungen aber an sich zu gering, um
damit die Armutsgefährdungsschwelle zu erreichen, womit Altersarmut – wie auch die Sozial-
statistik zeigt (vgl. Statistik Austria, 2018f) – nur in geringem Ausmaß durch diese gedämpft
bzw. reduziert wird. Kurz: Das Ziel Armut zu reduzieren, wird vor dem Hintergrund des sozi-
alpolitischen Standards verfehlt.
Wendet man sich nun den anderen Dimensionen zu, wird die Verallgemeinerung zu einem
schwierigen Unterfangen und führt zur bereits erwähnten zentralen Einsicht, dass es nicht die
eine Lebenslage, sondern eine Vielzahl an Lebenslagen unter Altersarmut gibt. Als bedeuten-
den Grund und intervenierende Bedingung im Phänomen der Altersarmut ist auf die Lebensge-
schichte zu verweisen, welche Aufschluss über gewonnene oder auch verlorene materielle und
immaterielle Ressourcen (im umfänglichen Verständnis) bietet. Zwar gibt es insofern einen
gemeinsamen Nenner als bestimmte Faktoren und historische Gegebenheiten abstrahiert in ver-
hältnismäßig wenigen Ausprägungen – Pflege, Kindererziehung, Erkrankungen, Migration, Ar-
beitslosigkeit, niedrige Erwerbseinkommen – in ein geringes Pensionseinkommen kumulieren,
alles andere und damit eben auch gewonnene oder verlorene materielle und immaterielle Res-
sourcen außer Acht bleiben. Freilich mag dieser Umstand auch bei Armut in der Erwerbsphase
in Rechnung gestellt werden, rein hierarchisch gesehen weisen ältere Menschen aber eine wei-
ter fortgeschrittene, „höher“ aufgeschichtete Lebensgeschichte auf. Dass hiermit Diversität ein-
hergeht – diese soll damit für andere arme Altersgruppe nicht verneint werden – liegt auf der
Hand. Wie komplex die Thematik damit wird, soll am Beispiel eines schlechten Gesundheits-
zustandes verdeutlicht werden: Dieser kann einerseits ursächlich für die Altersarmut verant-
wortlich, eine Wirkung der Armut oder eine Wirkung der beruflichen Karriere sein (die wiede-
rum als eine unabhängige Ursache für die Altersarmut auftreten kann), oder aber die Ver-
schlechterung des Gesundheitszustandes ist die eingetretene und im weiteren Alterungsprozess
manifestierte Wirkung biologischer Alterung oder anderer disponierender Faktoren. Nun
kommt noch der Umstand hinzu, dass ein schlechter Gesundheitszustand nicht für alle Befrag-
ten behauptet werden kann. In Konsequenz zeigen sich unter den Befragten unterschiedliche
Gesundheitszustände, die sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten bereits einstellten und weiter
im Wandel begriffen sind, im Weiteren zu einer unterschiedlichen Relevanz der Gesundheit
und in unterschiedlichen Handlungskonsequenzen und zu Überlagerungen von anderen Le-
bensbereichen führen. Dies bedingt keine oder unterschiedliche Bewältigungsstrategien, die
durch andere Lebenslagendimensionen – im Bereich Wohnen, finanzielle Ausstattung, soziales
Kapital – pertubiert werden. Auch für Wohnen und soziale Netzwerke lässt sich das Geschrie-
bene analog anwenden, womit sich die Vielzahl an aktuellen Lebenslagen erklärt.
All dies wird von den individuellen Lebensführungen gerahmt, welche sich in der biographi-
schen und historischen Wechselwirkung geformt haben, sich teils als hartnäckig und stabil und
302 Ergebnisse

teils als fortwährend wandelbar erweisen. In diesem Sinne ist nochmals auf die These zu ver-
weisen, dass Altersarmut zu einer „flexible goal adjustment“, also zu einer flexiblen, akkom-
modativ anpassbaren Lebensweise nötigt, mehr als dies allgemein von älteren Menschen zu
erwarten ist. Resilienz unter Altersarmut bedeutet daher auch Anpassbarkeit der eigenen Le-
bensziele an die begrenzten Ressourcen. Werden hingegen Ziele im Sinne der „tenacious goal
pursuit“ hartnäckig verfolgt und trotzdem nicht erreicht, können Sinn-, Autonomie- bzw. Kon-
trollverluste die Folge sein und sich in resignierten, zurückziehenden Tendenzen manifestieren.
Die akkommodative Anpassung ist dabei in gewisser Weise zwiespältig – während sie den Be-
troffenen hilft, ihre Not zu bewältigen, verschwinden diese zumindest teilweise aus der Sozial-
statistik, wenn Lebensstandards zur Willensfrage werden oder sich kein Gehör verschaffen kön-
nen, womit sie gesellschaftlich immer weiter aus dem Blick geraten. Durch Scham und Zu-
schreibung über die Würdigkeit der Armut weiter in das Abseits gestellt, wird Altersarmut zu
einem weitgehend unsichtbaren Phänomen. Es muss daher wiederholt werden: Altersarmut war
in Österreich in den letzten Jahrzehnten nie verschwunden, es wird und wurde zum Teil einfach
zu wenig beachtet.
Auf die Wechselwirkungen zurückkommend, lässt sich die wissenschaftliche Erkenntnis der
kumulativen Benachteiligungen wiederholen, wenn sich etwa nicht barrierefreie Wohnverhält-
nisse mit schlechten oder sich verschlechternden Gesundheitszuständen, mit begrenzten Mit-
teln ohne daran etwas ändern zu können (ein Umzug oder Adaptionen in den eigenen vier
Wänden) und mit zumindest teilweise geringem sozialen Kapital bzw. sozialer Unterstützung
kombinieren. Die soziale Unterstützung nimmt, wie zu erwarten, eine wichtige Ressource in
der Bewältigung von Altersarmut bzw. in anderen Lebensbereichen limitierten Handlungsmög-
lichkeiten ein und kompensiert individuell fehlende Fähigkeiten oder Ressourcen. Soziales Ka-
pital lässt sich also auch unter den Befragten in Geld bzw. erwerbbare Dienste und Güter trans-
formieren. Bemerkenswert erscheint hier der Umstand, dass gerade die Frauen mit größeren
Familien, vor allem durch die langen Zeiten der Obsorge und der Umsorgung ihrer Familie,
altersarm wurden. Mit ein Grund ist, dass das Pensionssystem nicht für den Fall der Scheidung
im späteren Erwerbsleben oder in der Pension ausgelegt ist, da hierfür ein Ausgleich auf Basis
der scheidungsrechtlichen Bestimmungen vorgesehen wäre. Damit soll nicht gesagt sein, dass
Frauen in intakten Familien keinen Pensionsanspruch benötigen, genau das ist ja das Problem,
wenn doch ein Scheidungsfall eintritt. Der fehlende Pensionsanspruch wird aber erst seit dem
Anstieg der Scheidungsraten zu einem immer sichtbareren Phänomen. Wie alle Frauenorgani-
sationen schon länger vehement einfordern, müssen Frauen daher auf ihre Unterhaltsansprüche
bestehen. Dies ist aber leichter gesagt als in der Lebenspraxis umzusetzen, wie sich auch bei
einer in Scheidung stehenden Befragten zeigt. Beharren Frauen oder auch Männer auf Unter-
halt, stellt sich nun aber eine neue Problematik ein: Der Haushaltssplit und das geteilte Ein-
kommen erzeugen im schlechtesten Fall zwei armutsbetroffene Haushalte, da Skaleneffekte
verloren gehen (das sogenannte Pensionssplitting, in welchem Teilgutschriften in den ersten
Jahren nach der Geburt eines Kindes vom arbeitenden zum anderen Partner übertragen werden
können, ist hierzu genauso kritisch zu betrachten).421 In Wirklichkeit bedarf es daher einer Ver-
änderung des Pensionssystems, welches bei einem Ein-Ernährermodell trotzdem den anderen
Partner ausreichend absichert, oder aber es kann vor allem für Frauen nur die Empfehlung lau-
ten, sich verstärkt auf die Karriere zu konzentrieren. Entweder wird damit die „klassische Fa-
milie“ obsolet oder es wird gesellschaftlich mehr getan werden müssen, bspw. eine rechtlich

421
Die Idee dahinter mag durchaus Gerechtigkeitsvorstellungen folgen, ist der Haushalt aber in unteren Einkom-
mensschichten zu verorten und folgt die Trennung, bleiben dadurch mit hoher Wahrscheinlichkeit zwei alters-
arme Haushalte über.
Dimensionen der Lebenslagen und ihre Wechselwirkungen 303

verbriefte Ganztagesbetreuung von Kindern unmittelbar nach der Karenzzeit, um Frauen den
(Wieder-)Einstieg in das Erwerbsleben zu erleichtern.
Nochmals auf die Wechselwirkungen zurückkommend soll noch etwas zum Bereich Wohnen
gesagt werden: Insbesondere dieser zeigt m.E. die erworbenen Ressourcen in der Lebensge-
schichte sehr gut auf bzw. ist ein guter Indikator für die aktuelle Lebenslage. Einerseits lässt
sich entlang des Wohnungszustandes auf finanzielle Ressourcen in der Vergangenheit und
heute schließen, zum anderen schreiben sich Erfahrungen, Handlungen und selbst mentale wie
physische Gesundheitszustände in den Wohnraum ein. Letztere Aspekte werden am Organisa-
tionsgrad, der Ausgestaltung der Wohnung und an bezeichnenden Gegenständen wie einem
Krankenbett, einer Einstiegshilfe oder Haltegriffen manifest. Auf Basis der Interviews lässt sich
aber auch ein Zusammenhang zwischen Lebenseinkommen und den gesamtheitlichen Wohn-
verhältnissen konstatieren, der nur in wenigen Ausnahmefällen durchbrochen wird. Hochwer-
tige Möbel, die in den meisten Fällen wohl auch teuer gewesen sein dürften, waren nach meiner
Beurteilung in einem besseren Zustand; je länger aber die Armutssituation bereits anhielt, umso
eher wurden abgewohnte oder defekte Geräte nicht mehr getauscht bzw. nur behelfsmäßig re-
pariert. Und selbst soziale Unterstützung wird zu einem guten Teil innerhalb der Wohnung in
Gegenständen und hauswirtschaftlichen Tätigkeiten materialisiert.
Zum Abschluss sei noch auf eine besondere Problematik hingewiesen, welche die Kenntnis-
nahme der Einheit von Lebenslagen so dringend nötig macht. Wie die „Standard Budgets“ zei-
gen, bedürfte es, um ein sozioökonomisches Mindestmaß zu erreichen, eines höheren Einkom-
mens als die Armutsgefährdungsschwelle angibt. Warum trotzdem die Befragten mal mehr oder
weniger mit ihrem Einkommen, das häufig um bis zu 2.500 Euro im Jahr unter dieser Schwelle
liegt, über die Runden kommen, lässt sich nur durch die Verschiebung von Ressourcen von
einem oder mehreren Bereichen in andere und Einschränkungen erklären. Wer am kulturellen
Leben teilnehmen möchte, muss vielleicht beim Essen sparen oder hat den glücklichen, aber
eben nicht verallgemeinerbaren Umstand einer kostengünstigeren Wohnmöglichkeit oder kann
durch Einsatz von sozialem Kapital Kosten kompensieren. Die Ergebnisse dieser Arbeit sollten
jedoch deutlich gemacht haben, dass im Prinzip niemand der von Altersarmut Betroffenen die
Möglichkeit hatte, all das, was zu einem gesellschaftlich adäquaten Mindest-Lebensstandard
gezählt wird, gleichzeitig zur Verfügung zu haben. So gilt, dass sich altersarme Menschen zwi-
schen Bündeln an Handlungsmöglichkeiten und Gütern entscheiden müssen, die, sofern eben
keine begünstigenden Umstände vorliegen, nicht das Niveau eines solchen sozioökonomischen
Existenzminimums erreichen. Es geht auch nicht darum, dass altersarme Menschen keine
Wahlmöglichkeiten hätten, sondern, dass sich viele der Wahlmöglichkeiten nur durch Aufgabe
anderer Wahlmöglichkeiten im wahrsten Sinne des Wortes erkaufen lassen.
„Jo jo, na des, worm muass scho sei; do schränk i mi liaba beim Essen ein,
bevor i frier, gö?“ Frau L.1.
5 Abschließende Gedanken
Zum Abschluss dieser Arbeit soll weder eine reine Zusammenfassung erfolgen, noch alles be-
reits Geschriebene wiederholt werden. Im Nachfolgenden werden einzelne Punkte hervorgeho-
ben, welche meiner Ansicht nach durch ihre Tragweite eine Wiederholung legitimieren bzw.
zu weiteren Schlüssen anregen.
Ausgangsbasis war die Annahme von Simmel, dass sich Armut erst rückwirkend durch die
Adressierung konstituiert, wodurch sich der Frage gewidmet wurde, ab wann ein Individuum
in der österreichischen Gesellschaft als arm bzw. als alt gilt. Hierfür wurden sowohl der poli-
tisch-zielorientierte Standard als auch der politisch-administrative Standard detailliert durch-
leuchtet. Das Ergebnis lautet, dass die Adressierung auf Basis der Einkommenssituation und
dem Status der Entberuflichung erfolgt, welcher hauptsächlich durch den Status der Pension
vermittelt ist. Zusammen bedeutet dies, dass „Altersarmut“ sich als jene Lebensphase auszeich-
net, in welcher keine Arbeitskraftverwertung mehr von Nöten ist bzw. ein vorrangig endgülti-
ges Ausgeschiedensein aus dem Erwerbsprozess stattgefunden hat und sich durch den potenti-
ellen Zugang zum Pensionssystem oder stark ähnelnden Sozialleistungen konstituiert, jedoch
eine monetäre Lage generierend definiert, auf Basis derer eine Adressierung und soziale Reak-
tionen im Sinne der Zugangsgewährung zu Unterstützungsleistungen erfolgen. In Abwandlung
von Amann (1983, S. 166) lässt sich die Adressierung als soziokulturell gesteuerte, an institu-
tionelle Handlungsvoraussetzungen gebundene gesellschaftliche Reaktionsform auf eine mo-
netär defizitäre und damit mit Signalcharakter versehene Lebenslage definieren. Kurz: Alters-
armut ist Einkommensarmut. Multidimensionale Ansätze werden damit in der Praxis nicht ein-
gelöst bzw. sind in der Lebensstandardmessung Defizite im Bereich der Altersarmut zu konsta-
tieren. An sich muss jedoch die Frage aufgeworfen werden, was bzw. ob überhaupt etwas ge-
wonnen wird, wenn man den Begriff der Armut mit einer Vielzahl an Dimensionen bestückt
und sich entsprechend die Zahl der Abwägungsregeln und normativen Entscheidungen erhöht.
Dies führt letzten Endes zu einer wachsenden Angriffsfläche für Negationen von Armut und
konterkariert die Relevanz selbst. In diesem Sinne ist für eine eng umgrenzte Definition von
Armut entlang der materiellen Ressourcen zu plädieren, wie sie die Sozialberichterstattung und
administrative Standards aktuell bieten. Hierzu ein weiterer Gedankenanstoß:„The suggestion
that a deprivation score should take priority over an income measure implies that an inefficient
spender of a moderate income is of greater interest to policy than an efficient spender of a low
income. How many participants in this debate would endorse that opinion?“ (Berthoud &
Bryan, 2008, S. 15). Trotzdem sind Deprivations- oder Lebenslagenkonzepte, wie auch bisher,
nicht aufzugeben. Im Gegenteil – sie werden dazu benötigt, die Lebensbedingungen armer
Menschen zu analysieren, Ursachen der Armut herauszustellen, Einkommensschwellen der Ar-
mutsdefinition und der Sozialleistungen zu akkordieren und Prozesse der sozialen Ausgrenzung
bzw. Verkettungen aufzuzeigen, müssen jedoch unter einer alternsspezifischen Perspektive
ausformuliert werden. Die Analyse der Sozialleistungen in Österreich bzw. Wien hat zudem
aufgezeigt, dass sie in Kombination der teils divergierenden Voraussetzungen, welche zusätz-
lich in gegenseitiger Abhängigkeit stehen können, einen Kontingenzraum der Adressierung
aufspannen, der sich auf der Ebene der individuellen Konstellation zu spezifischen Inan-
spruchsmöglichkeiten formiert und entlang von Bewertungs- und Erfahrungsmustern in diverse
individuelle Inanspruchnahmen mündet, aber zugleich das Gefühl der Benachteiligung schüren
kann.
Zusammenfassend lässt sich für die Befragten dieser Arbeit testieren, dass Missverständnisse
oder fehlendes Wissen über die bloße Existenz von Leistungen vorzufinden waren. Nur wenige

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
L. Richter, Lebenslagen unter Altersarmut,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-27622-5_5
306 Abschließende Gedanken

der InterviewpartnerInnen dürften das für sie erreichbare Maximum an Leistungen auch tat-
sächlich in Anspruch nehmen bzw. auf die optimale Kosten-Nutzen-Lösung setzen. Die Man-
nigfaltigkeit und Komplexität macht daher allererst den Bedarf an Informationen bzw. deren
Vermittlung evident und verlangt von Betroffenen die Bereitschaft zum (pro)aktiven Handeln.
Nichtsdestotrotz hilft insbesondere in Bezug auf das Pensionseinkommen die vorausschau-
endste Planung und der beste Durchblick nichts, wenn die Vorstellungen sich am Ende nicht
verwirklichen lassen, sei es, dass externe, nicht persönlich beeinflussbare Faktoren wie Kündi-
gungen, Konkurse von Unternehmen oder Krankheit und Unfälle eine Rolle spielen. Die Vari-
abilität des Pensionssystems, durch permanente politische Modifikationen, machen es für den
bzw. die Einzelnen schwierig bzw. unmöglich die Konsequenzen von Handlungen zu antizi-
pieren, womit Altersarmut zumindest zum Teil ein Phänomen von SystemverliererInnen im
Zuge politischer Entscheidung ist. Einerseits müssten Eingriffe in das Pensionssystem daher
mehr in Rechnung stellen, wie Personen unter den damaligen Bedingungen agiert haben – die
Ausdehnung der Berechnungsgrundlage macht bspw. (wenn überhaupt möglich) ein anderes
Agieren in Gehaltsverhandlungen von Nöten, so müssten nun frühzeitig höhere Einkommen in
der Erwerbsphase erzielt werden, während ein Modell des kontinuierlichen Aufstieges nur mehr
bedingt in ein hohes Pensionseinkommen mündet. Kurz: jedes Erwerbsjahr zählt. Ein anderes
Beispiel sind die Überlegungen, einen erhöhten Ausgleichszulagenrichtsatz für Personen mit
40 Beitragsjahren anzubieten. Dies mag zukünftigen PensionistInnen nutzen, wenn sie in die-
sem Wissen handeln und zumindest auf Teilzeitanstellungen achten. Aktuell altersarmen
Frauen, welche Jahre der Ersatzzeiten angehäuft haben bzw. Versicherungslücken aufweisen,
wird dies nur wenig nützen. Auch wenn anhand dieser qualitativen Arbeit keine Abschätzung
für ganz Österreich gelingen kann, so deuten die Ergebnisse in die Richtung bereits vorgetra-
gener Kritik von Interessensvertretungen. Zudem ist einzuwenden, dass eine Klassierung al-
tersarmer Menschen die alt hergebrachte Dichotomie zwischen würdigen und unwürdigen Ar-
men neu aufwärmt und partielle Erhöhungen immer auch der Abstimmung mit anderen Sozial-
leistungen bedürften. So ist zu klären, ob im Dickicht der Sozialleistungen eine Erhöhung der
Ausgleichszulagen nicht den Anspruch anderer vermindert und damit eher von einem Nullsum-
menspiel auszugehen wäre. Solche tiefergehenden Auseinandersetzungen scheinen im aktuel-
len Diskurs keine Rolle zu spielen; anstatt wirklich an der Verbesserung der Lebenssituation
altersarmer Menschen interessiert zu sein, bleibt die Debatte populistischer Natur. (Neu)Rege-
lungen des Pensionssystems müssen sich, wenn sie treffsicher sein sollen, an den individuellen
Lebensverläufen und an den historischen Bedingungen, welche erstere mithervorbrachten, ori-
entieren. Dies stellt eine grundsätzliche Forderung dar, welche allgemein auf strukturelle Be-
dingungen ausgeweitet werden muss. Und es bedeutet, dass das „Normalmodell“ des Pensions-
systems nicht an der Realität von tausenden in working poor lebenden Menschen vorbeiformu-
liert werden kann, wenn man der Altersarmut entgegentreten möchte. Entweder es wird der
Arbeitsmarkt an das Pensionssystem angepasst und bspw. ein adäquater Mindestlohn einge-
führt, welcher Altersarmut verhindert oder es wird auf ein Pensionssystem umgestellt, bspw.
eine Basispension, die jeder und jede in Österreich erwirbt und ein Pensionseinkommen über
der Armutsgefährdungsschwelle garantiert. Auf sozialpolitischer Seite wurden in den letzten
Jahren aber auch Erfolge in der Bekämpfung zukünftiger Altersarmut erzielt, bedenkt man die
Anrechnung von Kindererziehungszeiten am Pensionskonto mit einer verhältnismäßig guten
Bemessungsgrundlage von aktuell 1828,22 Euro auf 48 Monate oder die kostenlose Weiterver-
sicherung von pflegenden Angehörigen (vgl. Thomasberger, 2015).
Es zeigte sich in der Aufarbeitung der Lebenslagenkonzeptionen, dass auf Basis des Vollstän-
digkeitspostulates eine möglichst umfassende Annäherung an das Leben von Menschen bzw.
Abschließende Gedanken 307

altersarmen Menschen vorgenommen werden muss. Daraus kann für die Beforschung der Al-
tersarmut der Programmpunkt abgeleitet werden, dass es sich einerseits um eine wissenschaft-
liche Querschnittsmaterie handelt und andererseits Einzelergebnisse in die Gesamtsituation
rückangebunden werden müssen. Die Analysen setzen, an dieser Stelle an Amann (1983, S.
152) anlehnend, auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen auch Theorien unterschiedlicher
Allgemeinheit voraus, die es zu integrieren gilt. Um eine weiterhin bestehende Forschungslü-
cke zu schließen, erscheint es mir von Nöten, die verstreuten Ergebnisse der Forschung in ei-
nem Kompendium der Altersarmut zusammen zu tragen, wie es in dieser Arbeit im Kleinen zu
den drei Dimensionen Gesundheit, Wohnen und soziale Kontakte versucht wurde. Zudem sind
die theoretischen Grundlagen einer Lebenslagenkonzeption zu verfeinern und sich auf Basis
offener Lücken in das Feld zu begeben. Die Lebenslagenansätze (es geziemt sich wohl weiter-
hin im Plural zu sprechen) sind sowohl für eine quantitative und qualitative Bearbeitung geeig-
net und leisten jeweils wichtige Beiträge. Sie machen aber auch darauf aufmerksam, dass die
Strukturbedingungen oder äußeren Bedingungen einbezogen werden müssen; besteht Einigkeit
darüber, dass diese von Land zu Land, alleine nur aufgrund unterschiedlicher Pensionssysteme
und Regelungen der Sozialhilfe, eher gar von Region zu Region unterschiedlich sind, dann wird
einsichtig, dass sich Altersarmutsforschung nicht in internationalen Ergebnissen erschöpfen
kann. Diese mögen Hinweise geben, auf welche Objektbereiche man seinen Fokus legt oder
liefern Verstehensansätze für bestimmte Ausformungen von Lebenslagen, trotzdem bedarf es
einer nationalen Zuwendung. Nur so lassen sich die Prozesse verstehen und geeignete sozial-
politische Maßnahmen einrichten.
Aus diesen Einsichten ergeben sich zwei Einschränkungen für die Arbeit: auch wenn diese mit
Lebenslagen unter Altersarmut betitelt ist, so muss darauf hingewiesen werden, dass, auch
wenn vieles beachtet und beschrieben wurde, eine Auswahl erfolgte; die Darstellungen sind
daher ein Ausschnitt aus der Gesamtsituation und es wäre wünschenswert, wenn nachfolgende
Arbeiten daran anschließen und diese ausbauen. Themen wie Integration und Partizipation
konnten nur angeschnitten werden, steigende Zahlen altersarmer Menschen mit Migrationshin-
tergrund machen eine Zuwendung dieser ebenso notwendig wie weiterhin bestehende diskri-
minierende Altersbilder, welche Zugänge beschränken und ausgrenzende Wirkung entfalten.
Verfolgt man die Aspekte weiter, so lässt sich erkennen, dass diese auch auf andere Dimensio-
nen wie die Gesundheit referieren und eine negative Wechselwirkung entfalten können. Die
zweite Limitation ist in der räumlichen Begrenzung dieser Arbeit zu sehen, welche auf die Si-
tuation in Wien fokussiert. Ohne Zweifel finden Menschen in anderen (ländlichen) Räumen
auch andere Bedingungen vor und führen zu anderen eigentümlich individuellen Lebenslagen.
Solche Phänomene sind aber bereits in einer Stadt wie Wien zu erkennen, welche bspw. je nach
Bezirk einen unterschiedlichen Grad der Dichte an Nahversorgung bietet und damit unter-
schiedliche Problemlagen je altersarmen Menschen schafft.
Die Behandlung der Wege in die Altersarmut ging zuerst der Frage nach, welche Ursachen zu
einem geringen Pensionseinkommen führen und konnte zeigen, dass:
• gesundheitliche Gründe und damit endende Erwerbskarrieren,
• Unterbrechungen dieser aufgrund familiärer Verpflichtungen (sei es durch Pflege oder
Kinder),
• ein konservatives Familienmodell mit einem Verdiener bzw. einer Verdienerin,
• arbeitsmarktbedingte niedrige Erwerbseinkommen,
• sowie Lücken im Pensionssystem (etwa durch fehlende sozialpolitische Verträge mit
Ländern)
308 Abschließende Gedanken

zu einem grundsätzlich niedrigen Pensionseinkommen und damit dem Bezug einer Ausgleichs-
zulage führen. Diese genügt nicht, um altersarme Menschen über die Armutsgefährdungs-
schwelle zu heben. Auch diese Arbeit kann sich nur den kritischen Stimmen anschließen, wel-
che eine allgemeine Erhöhung der Ausgleichszulage zumindest an den Wert der Armutsgefähr-
dungsschwelle fordert, das Ziel der Bekämpfung von Armut wird ohne diese Maßnahme letzten
Endes verfehlt bzw. müssen sich altersarme Menschen in ihrer Bedürfnisbefriedigung entschei-
den bzw. Optionen wählen, welche sich zumindest teilweise gegenseitig ausschließen, wenn
der monetäre Mitteleinsatz für einzelne Handlungsmöglichkeiten allzu hoch ist. Anders formu-
liert sind die finanziellen Mittel so gering, dass nur selten ein verwirklichtes Optionsbündel
auffindbar ist, welches einem sozioökonomischen Existenzminimum gleichzeitig in allen Be-
reichen entspricht. Der Gleichzeitigkeit kommt hier große Bedeutung zu. Anstatt sich konjunk-
tiv für ausreichend Nahrung, Wärme, eine adäquate Wohnung usw. entscheiden zu können,
nötigen die Mittel zu disjunktiven Entscheidungen. Entweder ausreichend Wärme oder ein Kaf-
feehausbesuch; entweder ein Krankenbett oder die Miete zahlen können. Bewältigt werden
diese disjunktiven Entscheidungsnotwendigkeiten maximal in der Zeit, in einem Monat kann
man sich das eine leisten, im nächsten das andere dringend Benötigte. Nochmals sei betont,
dass es hierbei nicht um Luxusgüter geht, sondern, dass selbst ein sozioökonomisches, men-
schenwürdiges Niveau unterschritten wird. Ausreichend Nahrung, eine kleine warme Wohnung
haben, ein wenig am kulturellen und sozialen Leben teilnehmen und sich dann auch noch ein
Buch leisten zu können, sind in einem reichen Land wie Österreich als Standards anzusehen,
welche jedem Menschen zuteil werden müssen.
Die Behandlung der Ursachen zeigte aber auch, dass die aktuelle Prävalenzmessung hinsicht-
lich der Einkommensberechnung zu hinterfragen ist. Pfändungen oder Pflegedienstleistungen
bleiben unberücksichtigt, während das Pflegegeld in das Einkommen einbezogen wird. An sich
scheinen die Bestrebungen eher dahin zu gehen Einkommenskomponenten aufzunehmen – die
„unterstellten Mieten“ sind hierzu ein gutes Beispiel (vgl. Törmälehto & Sauli, 2013) –, anstatt
sich auch der Kostenseite zuzuwenden. So reduziert die Hinzunahme der „imputed rent“ zwar
auf dem Papier die Altersarmut, Eigentum entbindet aber nicht von Kosten, vielmehr findet
eine Verlagerung der Kostenstruktur statt.422 An dieser Stelle sei zudem auf die Aussage einer
Interviewten hingewiesen: „abbeißen kann man davon nicht“. Natürlich stellt das Eigentum –
sofern es einen Wert hat – eine potentielle Ressource dar und kann zur Not aufgelöst werden,
in der aktuellen Lebenssituation altersarmer Menschen ist dies aber weitgehend unbedeutend,
wenn weder das Einkommen für Essen vorhanden ist, noch ein alter Heizkörper repariert wer-
den kann. Während bei der Debatte um „imputed rents“ der Anschluss an die Frage der Lebens-
standardmessung trotz des Einwandes nachvollziehbar ist, steht der Einbezug des Pflegegeldes
im luftleeren Raum. Grundsätzlich wird das Pflegegeld deswegen gewährt, weil ein entspre-
chender Pflegebedarf besteht. Wer sich nicht selber waschen kann, braucht Unterstützung und
muss das Geld zwangsweise zur Aufrechterhaltung entrichten. Wird das Pflegegeld einbezo-
gen, so müssen vom Einkommen auch die Kosten der Pflege abgezogen werden, was wohl zu
einer Erhöhung der Altersarmutszahl führen dürfte. Zusammenfassend zeigt die Arbeit unter-
schiedliche Gründe, warum das tatsächliche Einkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle
liegt. Für die Armutsforschung stellt sich daraus folgend weiterhin die Herausforderung, selbst
wenn nur der Indikator des Einkommens herangezogen wird, an der Einkommensmessung zu
feilen und einzelne Komponenten kritisch zu hinterfragen.

422
Als Anmerkung sei darauf hingewiesen, dass die im Bereich der Vermietung gängige Praxis der Abschreibung
durch Abnutzung bei solchen Verfahren außer Acht gelassen wird.
Abschließende Gedanken 309

Auch zukünftig sind brüchige Erwerbskarrieren gefährdet, spätestens im Alter in die Armut
abzurutschen, ebenso wie Personen mit Teilzeitbeschäftigung und entsprechend geringem Ein-
kommen; gerade letzteres betrifft Frauen. Selbst bei Ausklammerung von Teilzeitbeschäftigten
werden strukturelle Nachteile in Form eines Gender Pay Gap sichtbar, einerseits zwischen Män-
nern und Frauen in derselben Berufsgruppe, als auch an sich geringere Einkommen in von
Frauen dominierten Berufsfeldern (vgl. Leitner & Dibiasi, 2015, S. 82). All dies kanalisiert sich
in den Pensionseinkommen, ob die genannten Pensionsreformen diesen Pension Pay Gap ab-
fangen können, ist fraglich. Altersarmut dürfte daher auch in Zukunft mehr Frauen als Männer
betreffen. Abseits der Erhöhung der Ausgleichszulage bedarf es zur Verbesserung der Einkom-
menssituation aktuell und zukünftiger Betroffener einer weitreichenderen und treffsicheren So-
zialpolitik auf europäischer Ebene. Der Arbeitnehmerfreizügigkeit steht ein minimalistisch aus-
gebautes Sozialsystem im Bereich der Pensionseinkommen gegenüber und dürfte in Zukunft
zu einem „neuen“ Ursachentyp der Altersarmut beitragen. In den über die Jahre geführten In-
terviews wird dieser Typ bereits bei geflüchteten MigrantInnen präsent, welche einen guten
Teil ihrer Erwerbskarrieren im Ausland verbracht haben. Die Ursache der Altersarmut ist hier
aber nicht in fehlenden Beitragsjahren (die Versicherungszeiten werden angerechnet) oder ge-
ringen Einkommen (die Einkommen können für das jeweilige Land gesehen durchaus hoch
ausfallen) zu sehen, sondern in der Verschränkung von Pensionseinkommen unterschiedlicher
Höhen aufgrund länderspezifischer Pensionssysteme in Kombination mit der jeweiligen Kauf-
kraft. So erhalten einige der Befragten eine ausländische Pension, diese ist jedoch für österrei-
chische Verhältnisse zu gering und auch in Österreich konnte aufgrund der wenigen Beitrags-
jahre nur ein geringes Pensionseinkommen erworben werden. Resultat ist in diesen Fällen häu-
fig eine Pension mit Ausgleichszulage. Gerade in einer immer näher zusammenwachsenden
Welt, in welcher Auslandszeiten in einigen Branchen immer häufiger zum guten Ton gehören,
muss sich die Frage aufdrängen, wie mit solchen Lücken an Gutschriften am Pensionskonto
umgegangen werden soll.
“If poverty remains rampant in spite of economic growth, the market does not do
its job; if it remains rampant in spite of expanding public transfers, the welfare
state does not do its job“ (Ringen, 1988, S. 352).
Die Ergebnisse im Bereich der Lebenslagendimensionen machen auf die Vielschichtigkeit der
Ausformungen aufmerksam und bestätigen die zum Beginn der Arbeit formulierte Annahme,
dass sich Unterschiedlichkeiten im Alterungsprozess ausweiten (vgl. Kolland, 2015, S. 19).
Zwar mag auf abstrakter Ebene der Schluss gezogen werden, dass sich unter Altersarmut ku-
mulative Benachteiligungen einstellen, wobei sich entlang der Dimensionen und Schweregrade
der Benachteiligungen eine Vielzahl an Kombinationen manifestieren. Anders formuliert gibt
es eine Fülle an Lebenslagen unter Altersarmut. Hierbei kumulieren nicht nur Benachteiligun-
gen als Wirkung von Armut, sondern diese sind auch noch von Faktoren aus dem Alterungs-
prozess bzw. auch durch Kohorteneffekte durchdrungen und verstärken sich. Als Beispiel sei
hier nochmals auf den technologischen Wandel verwiesen, welcher für viele der Befragten eine
Herausforderung darstellt und von einem nicht unbeachtlichen Teil abgelehnt wird. In Folge
kommt es zur digitalen Exklusion, welche die Informationsbeschaffung erschwert, heute gän-
gige Möglichkeiten der Kostenoptimierungen versperrt (etwa die Suche nach dem günstigsten
Anbieter von bestimmten Gütern), und damit die Ausgaben „künstlich“ erhöht, wodurch für
andere Handlungsmöglichkeiten weniger Ressourcen zur Verfügung stehen. Gerade im Bereich
moderner Kommunikationstechnologien könnte bei deren Nutzung vor dem Hintergrund sozi-
aler Kontaktmöglichkeiten Isolation zumindest vermindert, wenn nicht gar abgewehrt werden.
Um aber solche Medien nutzen zu können, bedarf es nicht nur der Bereitschaft, sondern auch
der finanziellen Mittel, womit sich der Kreis der kumulativen Benachteiligung schließt. Abseits
310 Abschließende Gedanken

dessen wurde in der Analyse mehrfach auf akkommodative Bewältigungsstrategien hingewie-


sen, welche zwar in Teilen der Armut zugerechnet werden können, zugleich aber auch aus dem
Alterungsprozess, vermittelt über eine sich verschlechternde Gesundheit oder der erwarteten
Lebenszeit, rühren können bzw. von dem einen in das andere überlaufen. Von außen betrachtet
mag beides als Benachteiligung aufgefasst werden, wenn etwa der Rückzug aus kulturellen
Aktivitäten folgt, spannend bleibt aus gerontologischer Perspektive, welche Mechanismen da-
für verantwortlich sind. Wichtig wäre daher, die Forschungsergebnisse dieser, aber auch vo-
rangegangener Arbeiten (u.a. Halleröd, 2006; Guio u. a., 2017; Amann, 1983, S. 283) ernst zu
nehmen und sowohl adaptive Anspruchsreduktionen zu berücksichtigen, wie auch gruppenspe-
zifischen Problemlagen mittels Extension der Indikatoren Rechnung zu tragen. Nur so ließe
sich womöglich Deprivation bei älteren Menschen adäquat erfassen. Hierzu wird es auch not-
wendig sein, Konzepte wie das ‚flexible goal adjustment‘ in die Altersarmutsforschung aufzu-
nehmen.
Zum Abschluss daher folgendes Ergebnis: Aufgrund der verfestigten Armutssituation bei älte-
ren Menschen nähern sich monetäre Ressourcen sowie der Lebensstandard an – zeitversetzte
Dynamiken zwischen Einkommen und Deprivation werden aufgelöst – und es kommt zu einer
Gleichschaltung, wodurch kumulative Benachteiligungen die Folge sind, welche durch nega-
tive Alterungsprozesse, Kohorteneffekte und gesellschaftliche Altersbilder befördert werden
können; all dies nötigt zur erfolgreichen Bewältigung: einerseits zu akkommodativen Anpas-
sungsprozessen und andererseits zu disjunktiven Entscheidungsnotwendigkeiten.
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