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Bertha v. Suttner:
„Ich sterbe, wie ich
gelebt habe, als
überzeugte Frei-
denkerin. Habe nie
Glauben geheuchelt
und will auch keine
Heuchelei nach dem
Tode“.
Bertrand Russell:
„Religion ist ein
Übrigbleibsel unserer
kindlichen Intelli-
genz, die verblassen
wird, wenn wir uns
Albert Dulk: Vernunft und Wis-
„So ist denn Frei- senschaft als Richt-
denkertum nichts linien nehmen.“
anderes als das
unbehinderte und
unverirrte, das
naturgesetzliche
und richtige
Denken des
Menschen.“
Seite 1
D-89518 Heidenheim
ed.spinoza@t-online.de
2021 (erweiterte Auflage)
Begrifflichkeiten des Humanistisches
Freidenkertums
Seit über 300 Jahren werden Menschen
als „Freidenker“ bezeichnet, die für eine
selbständige und selbstverantwortliche
Lebensgestaltung im Sinne der Aufklä-
rung eintreten und religiösen Glauben,
Gottesglauben und kirchliche Dogmen
ablehnen, bzw. sich als Atheisten, Ag-
nostiker, Skeptiker oder säkulare Huma-
nisten verstehen. Die gesamteuropäi-
sche Bewegung der Aufklärung - in den
Niederlanden Verlichting, in England En-
lightenment, in Frankreich siècle des Lu-
mières, in Italien Illuminismo, in Spa- der positiven und negativen Religions-
nien Ilustración, oder Era de las luces, in freiheit, die Abschaffung des Teilnahme-
Russland Prosveščenie Просветление zwangs an kirchlichen Ritualen, zivile
usw. genannt - war eine geistige Eman- Eheschließ-ung und Bestattung, Feuer-
zipationsbewegung, mit einem ausge- bestattung, Jugendfeiern, Fortschritte in
prägten antifeudalen und antiklerikalen Richtung Trennung von Kirche und
Grundcharakter. Freidenker, Vrijdenker, Schule / Kirche und Staat, weniger Dis-
Libertins, Freethinker, Libero pensatore, kriminierungen gleichgeschlechtlicher
Librepensadore, Svobodomýsliye usw. Liebe, weniger rigide Sexualmoral und
nannten sich die frühen europäischen Frauenunterdrückung. Auch konnten
Aufklärer, die frei von Dogmen denken teilweise Forderungen nach gleichen und
wollten und die Religion auf „vernünf- demokratischen Bildungsmöglichkeiten
tige“ Regeln zu reduzieren gedachten. verwirklicht werden. Freidenker traten
Heute sind Selbstbezeichnungen oft: und treten ein für weltanschauliche
Humanisten, Konfessionsfreie, Freigeis- Selbstbestimmung, fördern und verbrei-
ter, Neue Atheisten, Agnostiker, Evoluti- ten eine nichtreligiöse, rational begrün-
onäre, Monisten, Naturalisten, Dialekti- dete Weltsicht, die sich auf ein Denken
sche Materialisten, Skeptiker, Säkulare, frei von Vorurteilen, Dogmen und Tabus
Laizisten, Brights u.a. – Wie die Bezeich- stützt und sich an wissenschaftlich be-
nungen auch immer lauten mögen, allen gründeter Erkenntnis orientiert. Sie
gemeinsam ist der Wunsch, dass sie frei kämpfen für Toleranz und die volle Ver-
von Dogmen und in Selbst- wirklichung der Glaubens-,
bestimmung leben und Gewissens- und Weltan-
denken wollen; und sie se- schauungsfreiheit und
hen sich in der Tradition wehren sich gegen
von Aufklärung und Huma- Zwangsmissionierung und
nismus. Fundamentalismus. Freies
Aufklärer, Freidenkerinnen Denken soll originär, viel-
und Freidenker haben vie- fältig, undogmatisch,
les erreicht und erkämpft, phantasievoll sein und eine
was früher verboten war ständige Einladung zu
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Selbstbestimmung und
und uns heute schon
vorurteilslosem Denken
selbstverständlich er-
ohne Fremdbestimmung.
scheint: die Wahrnehmung
Konfessionen in Deutschland
5%
27% Konfessionsfreie 39 %
39%
Katholiken 28 %
Evangelische 27 %
Sonstige 5 %
28%
Nur mehr rund 55 % der Bevölkerung und 50 %, in vielen Großstädten ist der
Deutschlands gehören einer christlichen Anteil erheblich höher oder die große
Konfession an. Weit mehr als ein Drittel Mehrheit, z.B. in den Stadtstaaten Ham-
ist konfessionsfrei und stellt mit über 30 burg und Berlin. Aufgrund des anhalten-
Millionen die größte Konfessionsgruppe den Prozesses der Individualisierung,
dar. In den neuen Bundesländern liegt der Säkularisierung und Wertewandels
dieser prozentuale Anteil bei rund 80 %, wird ein noch weiteres Ansteigen des An-
in den Altbundesländern zwischen 25 % teils von Konfessionsfreien erwartet.
terrepräsentiert ist.
„Christlich-abendländische Leitkultur“ Europas?
Rolf Bergmeier, Magister für Alte Ge- islamisch-arabische in großen Teilen
schichte und Philosophie, hat hierzu eine Südeuropas. Diese stand im Vergleich
Reihe von Büchern veröffentlicht1, in de- zur christlichen Klosterkultur deutlich
nen er den Mainstream-Politikern und höher. In arabischen Bibliotheken wurde
-Historikern entschieden widerspricht, ein großer Teil des antiken Erbes vor der
die noch immer meinen, Europas Zerstörung durch christliche Fanatiker
(Leit-)Kultur sei vor allem eine christli- gerettet. Erst in der Renaissance wurde
che. Er leugnet zwar nicht, dass Europas das übers christliche Mittelalter geret-
Kultur im „finsteren Mittelalter“ vom tete antike Wissen wieder aufgenom-
Christentum geprägt war, was aber nicht men.2 Im 17./18. Jahrhundert leitet die
bedeutet, dass diese Religion auch das Aufklärung, als moderner Höhepunkt der
einzige Fundament der europäischen europäischen Geistesgeschichte, Revo-
Kultur bildete. Europa wuchs aus vielen lutionen für Freiheit und Menschenrechte
Quellen. Die ergiebigste, der Grundstock ein. Demokratie, Freiheit und Gleichbe-
unserer Kultur, war die antike grie- rechtigung (Proklamation der Menschen-
chisch-römische, die ihr Ende durch die rechte) mussten gegen den heftigsten
Erhebung des Katholizismus in Rom zur Widerstand von Feudalmächten und Kle-
Staatskirche im Jahre 380 u.Z. fand. rus hart erkämpft werden und sind heute
Zwischen den Jahren 700 und 1400 u.Z. die anerkannten Werte, die es zu vertei-
bestand neben der christlichen auch die digen gilt.
1 2
Rolf Bergmeier: Christlich-abendländische Kul- Stephen Greenblatt: Die Wende. Wie die Re-
tur. Eine Legende. Über die antiken Wurzeln, naissance begann. München 2011.
den verkannten arabischen Beitrag und die Ver-
klärung der Klosterkultur. Aschaffenburg 2014.
Glauben an Wunder und Geister?
„Es gibt mehr Ding’ im Himmel und auf schlossen, die der gemeinsamen Über-
Erden, als Eure Schulweisheit sich zeugung sind, dass Wissenschaft und
träumt, Horatio.“ (William Shakespeare: kritisches Denken eine wichtige gesell-
Hamlet) - Ohne Zweifel, die menschliche schaftliche Herausforderungen darstel-
Wissenschaft hat schon viel erforscht, len. Diese Skeptiker untersuchen syste-
erklärt und bringt ständig Neues hervor. matisch ungewöhnliche Behauptungen,
Ebenso bleiben „letzte Fragen“ bestehen überprüfen diese mit wissenschaftlichen
und es wird immer „noch nicht Erkann- Methoden und publizieren die in der Re-
tes“ übrigbleiben. Doch wie gehen wir gel ernüchternden Ergebnisse über die
mit dem Wissen um, das uns noch im- Wirkungslosigkeit von „alternativen Arz-
mer Fragen aufwirft? Die Religiösen ma- neimitteln“, Abhängigkeit unseres
chen es sich einfach: völlig irrational er- „Schicksals“ von Sternenkonstellationen,
klären sie alles Unbekannte mit Über- Gläubigkeit an „Gedankenleser“, „Zu-
sinnlichem, mit ihren Glaubensüberzeu- kunftsdeuter“, „Erdstrahlen“ usw.
gungen, die völlig unbeweisbar sind.
Wissenschaftlicher Anspruch bedeutet
Aber so einfach sind wir nicht zu über-
eben in erster Linie, dass Phänomene
zeugen. beschrieben werden können, einer kriti-
Der kanadische Entertainer James schen Untersuchung standhalten oder in
Randi, Jahrgang 1928 und Mitglied der „Doppelblind“-Versuchen wiederholt und
„Skeptics Society“, setzt schon seit Jahr- verifiziert werden kann. Wissenschaft-
zehnten den pseudowissenschaftlichen lichkeit bedeutet eben auch, sich bei
Scharlatanen naturwissenschaftliche Er- neuen Erkenntnissen zu korrigieren und
klärungen3 entgegen. Bereits 1964 ver- fortzuentwickeln.
sprach Randi demjenigen, der paranor-
male Fähigkeiten unter objektiven Be-
dingungen belegen könnte, ein Preisgeld, Freidenker Bertrand
das er aus eigener Tasche bezahlen Russell (1872-1970):
wollte. Zurzeit steht das Preisgeld bei ei- „Gebraucht wird nicht
ner Million Dollar („One Million Dollar Pa- der Wille, etwas zu
ranormal Challenge“). Bis jetzt ist es al- glauben, sondern der
lerdings noch niemandem geglückt, sol- Wunsch, etwas heraus-
che „paranormalen Fähigkeiten“ unter zufinden, was das ge-
Beweis zu stellen und damit das Preis- naue Gegenteil ist.“
geld für sich zu sichern. - Auch bei uns
haben sich um Aufklärung bemühte Wis-
senschaftler in der „Gesellschaft zur wis-
senschaftlichen Untersuchung von Para-
wissenschaften“ (GWUP)4 zusammenge-
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3 4
James Randi: Lexikon der übersinnlichen Phä- www.gwup.org/ueber-uns-uebersicht/was-wir-
nomene. Die Wahrheit über die paranormale wollen
Welt. (deutschsprachige Ausgabe) München
2001.
Werktags Wissenschaft, sonntags wundergläubig?
Es gibt viele Zeitgenossen, die werktags führen das Kunststück in zwei „Wel-
rational denken, hochkomplexe Arbeits- ten“ zu leben und zwei „Wahrheiten“ an-
prozesse formallogisch aufgrund neues- zuerkennen). Auch ist vielen Gläubigen
ter wissenschaftlicher Grundlagen aus- noch nicht klar, dass bei den vielen „Hei-
führen, aber sonntags einem Kult nach- ligsprechungen“ eine offizielle Anerken-
gehen, der Wundergläubigkeit voraus- nung (Kanonisation) in einem kirchen-
setzt. Darunter sind sogar Naturwissen- rechtlichen Verfahren durch den Papst
schaftler, die aber ihre Werktags-Prinzi- selbst erfolgen muss, bei der der Nach-
pien nicht bereit sind auf den eigenen weis eines „Wunders“ gebracht werden
Glauben anzuwenden. Dies funktioniert muss, also übernatürliche Phänomene
nur, wenn man von klein auf gewohnt ist, im Spiel gewesen seien. Auch die Evan-
idealistisch-dualistisch zu denken, d. h. gelische Kirche glaubt noch immer an
in der Methode der Religiösen die monis- „Wunder“ (Jesus sei von den Toten er-
tische Einheit der Welt leugnet und Ma- weckt worden, habe Teufel ausgetrieben,
terielles und Ideelles dualistisch als von- Fische und Brot vermehrt und sei übers
einander unabhängig ansieht. (Sie voll- Wasser gegangen).
Der religiöse Begriff „Wunder“ beleidigt gewesen, was aber allen archäologi-
unseren naturwissenschaftlichen Ver- schen Altersbestimmungen der paläon-
stand. Er bedeutet eine Erscheinung, ein tologischen Funde widersprechen würde.
„Zauberkunststück“, welches den Natur- Unerklärlich bleibt nach diesem Schema
gesetzen widerspricht und auf „göttliche auch, wie nach dem biblischen Alten
Einwirkung“ zurückzuführen sei. Tat- Testament (Genesis, 1. Buch Mose), die
sächlich gibt es aber bisher gar keinen
„Schöpfung der Welt“ durch einen per-
Nachweis, dass Erscheinungen plausibel
sönlichen „Gott“ in sechs Tagen zu-
außerhalb der naturgesetzlichen Ursa-
chen entstanden wären. Dies legt den stande gekommen sein soll. Am ersten
Schluss nah, dass auch das, was wir Tag wurde nach diesem Text das
noch nicht naturwissenschaftlich erklä- „Licht“ und damit die Scheidung von Tag
ren können, nicht im Widerspruch zu ei- und Nacht geschaffen, aber erst am vier-
ner natürlichen Erklärung angesehen ten Tag die Himmelskörper mit der
werden kann. Sonne. Wusste „Gott“ damals noch nicht,
Vor Charles Darwin galt etwa als Erklä- dass die Sonne für das Tageslicht ver-
rung für die Weltentstehung ausschließ- antwortlich ist?
lich der Text der Bibel (noch heute
gibt es Fundamental-Kreationisten,
die auf den wortwörtlich auszule-
genden Bibeltext bestehen, denn es
wäre ja direkt „Gottes Wort“). Die
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Evangelisches Glaubensbekenntnis aus dem Glaubensbekenntnis aus dem katholischen Er-
Heidelberger Katechismus, bzw. Katholisches wachsenenkatechismus, herausgegeben von
der Deutschen Bischofskonferenz.
6
Augsburger Allgemeine 4.07.2014
„Denn sie wissen nicht, was sie glauben“
Franz Buggle stellte in seinem Buch
Denn sie wissen nicht, was sie glauben 7
die Frage, ob jemand gleichzeitig auf
dem Fundament der Bibel Christ sein
und intellektuell redlich bleiben kann,
konsequent denken, human handeln
kann - und antwortet mit Nein. Der Psy-
chologieprofessor belegt diese Einschät-
zung anhand einer Analyse biblischer
Texte (nicht nur aus dem Alten, auch aus
dem Neuen Testament). Dabei weist er
im „Buch der Bücher“ nicht nur zahlrei-
che inhumane Stellen (Rechtfertigung
von Völkermord und Gewalt gegen Ab-
weichler, paulinischer Antijudaismus
u.v.m.) nach, sondern setzt sich auch
kritisch mit den Folgen biblischer Vor-
stellungen für die ethische Orientierung
des Einzelnen auseinander (z.B. Kreu-
zestod Jesu als Erlösungstat, ewige Ver-
dammnis, Willkürlichkeit göttlicher
Gnade u.a.). Buggles Kritik richtet sich
insbesondere auch gegen die Positionen
zeitgenössischer progressiver Theologen Zeichnung: Jacques Tilly
(Hans Küng u.a.) und christlicher Wis-
senschaftler (C. F. v. Weizsäcker), die an der Bibel und den darin propagierten
zwar die Kirche negativ bewerten, aber christlichen Werten festhalten.
nicht wissen: Das finanzielle Engage-
„Dass Glaube etwas ganz anderes sei als ment der Kirchen hält sich in Grenzen.
Aberglaube, ist unter allem Aberglauben Viele Einrichtungen, wie Krankenhäuser,
der größte.“ Kindergärten, Altenheime, werden na-
Karlheinz Deschner 8 hezu zu 100% aus öffentlichen Mitteln
unterhalten. Dafür ist der kirchliche Ein-
fluss auf die Arbeitsverhältnisse umso
Wie sehr Anspruch und Wirklichkeit größer. Denn dort gilt ein eigenes kirch-
christlichen Ethik einander widerspre- liches Arbeitsrecht, das zahlreiche
chen, zeigt sich am deutlichsten dort, wo Grundrechte der Beschäftig-
es um reale wirtschaftliche Macht geht. ten einschränkt und insbe-
Die Kirchen, als multinationale Konzerne, sondere Konfessionsfreie
sind in Deutschland nach dem öffentli- diskriminiert.
chen Dienst der zweitgrößte Arbeitgeber. Informationen der Kam-
Die sozialen Einrichtungen in kirchlicher pagne „Gegen religiöse
Trägerschaft werden in der Öffentlichkeit Diskriminierung am Arbeits-
stets als Pluspunkt für die Kirchen wahr- platz“ GerDiA: www.gerdia.de
genommen. Was aber viele Menschen
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7
Franz Buggle: Denn sie wissen nicht, was sie glauben. Oder warum man redlicherweise nicht mehr
Christ sein kann. Eine Streitschrift. Neuauflage bei alibri, Aschaffenburg 2012.
8
Karlheinz Deschner: Ärgernisse. Aphorismen. Reinbek 1994, S. 73.
Freies Denken beschränkt auf Religionskritik ?
„Freidenker kritisieren ständig an religi- Gründe nur
„… dann ist er eben
ösen Inhalten und kirchlichen Machtver- sind ihm
kein ganzer, sondern
hältnissen rum. Habt Ihr eigentlich keine maßgebend,
anderen Sorgen?“ - Sind wir tatsächlich die Logik al- nur ein halber Frei-
zu einseitig? lein ist seine denker!“
9 10
Jakob Stern: Vom Rabbiner zum Atheisten. Ludwig Büchner (1824-1899) und August
Ausgewählte religionskritische Schriften. Hrsg. Specht (1845-1909) waren damals bekannte
von H. Jestrabek. Aschaffenburg 1997, S. 33- Autoren der Freidenkerbewegung.
47.
Einmischung in Fragen der Politik ?
Jakob Stern polemisierte gegen Einsei- rent und kirchenloyal gestimmt („Phäno-
tigkeit, gegen die „Nur-Religionskriti- men der Rechristianisierung, bzw.
ker“, die Religion und Gottglauben ohne Reklerikalisierung der Linken“). Und
historisch-psychologisches Verständnis dort, wo parteipolitisches Gezänk inner-
attackierten. Sein Schlagwort vom „hal- halb der freidenkerischen Organisatio-
ben Freidenkertum“ wurde zum geflü- nen Fuß fasste, schadete dies nur und
gelten Begriff und sollte in der Folgezeit verursachte nicht selten Spaltungen.
nicht nur gegenüber dem unpolitischen Auch bekennende Freidenker blieben
Freidenkerlager, das die soziale Frage nicht von politischen Irrtümern bewahrt.
ignorierte, Anwendung finden, sondern Abgesehen von kleinen Minderheiten-
galt im Umkehrschluss natürlich auch gruppen, blieben die humanistischen
gegenüber denjenigen Sozialisten, die Freidenker aber von größeren Dummhei-
sich um die Religionskritik herumdrü- ten, wie Stalinismus oder islamophober
cken wollten. Wer möchte bestreiten, Fremdenfeindlichkeit, bewahrt.
dass solche Texte nicht noch immer Die Geschichte der organisierten Frei-
hochaktuell sind. Nicht nur Personen- denker ist vielfältig und verschlungen.
kulte um politische Führer oder Parteien, Einig waren sie selten. Und gehasst und
die „immer Recht haben“, sind so für frei verfolgt wurden sie von Reaktion und
denkende Menschen von vornherein Klerus, von den faschistischen Regimes
zweifelhaft. Die Stern‘sche Definition des verboten und verfolgt, in den „realsozia-
Begriffs Freidenkertum sollte uns, ge- listischen“ Ländern Osteuropas als zu
rade angesichts des Scheiterns eines
freiheitlich nicht erlaubt.
dogmatisch-administrativen
„Realsozialismus“, sowie der
Perspektivlosigkeit einer
neoliberal-kapitalistischen
Wirtschaftsordnung, zu den-
ken geben.
Damals dachte Jakob Stern
noch an eine Verbindung von
Freidenkertum und der Sozi-
aldemokratie, deren dama-
lige Theoretiker durchweg
Freidenker waren (August
Bebel, Wilhelm Liebknecht
u.a.). Das zwischen uns lie-
gende 20. Jahrhundert hat aber gezeigt,
dass keine politische Partei sich mehr
Freedom of Thought
zum Freidenkertum bekennt und im par- Heutzutage haben wir genug damit zu
teipolitischen Alltag unsere Anliegen ver- tun, die weltweit zu beobachtenden Ver-
nachlässigt werden. Opportunismus, das folgungen und Benachteiligungen von
Buhlen um Wählerstimmen – aber auch Atheisten und Konfessionsfreien anzu-
eine geschickte kirchliche Demagogie, prangern und zu bekämpfen. Denn in
die sich als sozial kompetent und ethisch
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www.freethoughtreport.com
Humanistische Ethik – Zehn zeitgemäße Angebote
Aber benötigen die Menschen nicht doch Humanität durchzusetzen! Wer in der Na-
die Religion um sich sittlich zu verhalten? zidiktatur nicht log, sondern der Gestapo
Der große Aufklärer und Spötter Voltaire treuherzig den Aufenthaltsort jüdischer Fa-
(1694-1778) glaubte noch: „Die Gesell- milien verriet, verhielt sich im höchsten
Maße unethisch – im Gegensatz zu jenen,
schaft braucht eine Ansicht, das Volk
die Hitler durch Attentate beseitigen wollten,
braucht eine Religion, gäbe es Gott
um Millionen Menschenleben zu retten. Ethi-
nicht, müsste man ihn erfinden.“ sches Handeln bedeutet keineswegs, blind
Glücklicherweise bedürfen wir in unserer irgendwelchen moralischen Geboten oder
heutigen demokratischen Gesellschaft Verboten zu folgen, sondern in der jeweili-
dieser Doppelmoral nicht mehr. Ethische gen Situation abzuwägen, mit welchen posi-
tiven und negativen Konsequenzen eine Ent-
Werte lassen sich viel besser weltlich be-
scheidung verbunden wäre.
gründen, als durch „göttliche“ Ge- oder
Verbote. Die biblisch-christlichen Zehn 5. Befreie dich von der Unart des Moralisie-
Gebote enthalten inhaltlich höchst zwei- rens! Es gibt in der Welt nicht „das
felhaft und inhumane 12 Forderungen. Gute“ und „das Böse“, sondern bloß Men-
schen mit unterschiedlichen Interessen, Be-
Eine Alternative wäre z.B. die zeitgemä-
dürfnissen und Lernerfahrungen. Trage dazu
ßen Zehn Angebote für einen evolu-
bei, dass die katastrophalen Bedingungen
tionären Humanismus, wie sie die Gi- aufgehoben werden, unter denen Menschen
ordano-Bruno-Stiftung propagiert: heute verkümmern, und du wirst erstaunt
1. Diene weder fremden noch heimischen sein, von welch freundlicher, kreativer und
„Göttern“, sondern dem großen Ideal der liebenswerter Seite sich die vermeintliche
Ethik, das Leid in der Welt zu mindern! Wer „Bestie“ Homo sapiens zeigen kann.
Wissenschaft, Philosophie und Kunst besitzt, 6. Immunisiere dich nicht gegen Kritik! Ehr-
braucht keine Religion! liche Kritik ist ein Geschenk, das du nicht ab-
2. Verhalte dich fair gegenüber deinem weisen solltest. Durch solche Kritik hast du
Nächsten und deinem Fernsten! Du wirst nicht mehr zu verlieren als deine Irrtümer,
nicht alle Menschen lieben können, aber du von denen du dich besser heute als morgen
solltest respektieren, dass jeder Mensch – verabschiedest.
auch der von dir ungeliebte! – das Recht hat, 7. Sei dir deiner Sache nicht allzu sicher!
seine individuellen Vorstellungen von „gu- Was uns heute als richtig erscheint, kann
tem Leben (und Sterben) im Diesseits“ zu schon morgen überholt sein! Zweifle aber
verwirklichen, sofern er dadurch nicht gegen auch am Zweifel! Selbst wenn unser Wissen
die gleichberechtigten Interessen anderer stets begrenzt und vorläufig ist, solltest du
verstößt. entschieden für das eintreten, von dem du
3. Habe keine Angst vor Autoritäten, son- überzeugt bist. Sei dabei aber jederzeit of-
dern den Mut, dich deines eigenen Verstan- fen für bessere Argumente, denn nur so wird
des zu bedienen! Bedenke, dass die Stärke es dir gelingen, den schmalen Grat jenseits
eines Arguments völlig unabhängig davon von Dogmatismus und Beliebigkeit zu meis-
ist, wer es äußert. Entscheidend für den tern.
Wahrheitswert einer Aussage ist allein, ob 8. Überwinde die Neigung zur Traditions-
sie logisch widerspruchsfrei ist und unseren blindheit, indem du dich gründlich nach allen
realen Erfahrungen entspricht. Seiten hin informierst, bevor du eine Ent-
4. Du sollst nicht lügen, betrügen, steh- scheidung triffst! Du verfügst als Mensch
len, töten – es sei denn, es gibt im Notfall über ein außerordentlich lernfähiges Gehirn,
lass es nicht verkümmern! Achte darauf,
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z.B. „Du sollst neben mir keine anderen Göt- sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den
ter haben […] Denn ich, der Herr, dein Gott, bin Söhnen, an der dritten und vierten Generation.“
ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir feind
dass du in Fragen der Ethik und der Weltan- derer, die die Welt zu einem besseren, le-
schauung die gleichen rationalen Prinzipien benswerteren Ort machen woll(t)en! Eine
anwendest, die du beherrschen musst, um solche Haltung ist nicht nur ethisch vernünf-
ein Handy oder einen Computer bedienen zu tig, sondern auch das beste Rezept für eine
können. Eine Menschheit, die das Atom spal- sinnerfüllte Existenz. Es scheint so, dass Alt-
tet und über Satelliten kommuniziert, muss ruisten die cleveren Egoisten sind, da die
die dafür notwendige Reife besitzen. größte Erfüllung unseres Eigennutzes in sei-
ner Ausdehnung auf Andere liegt. Wenn du
9. Genieße dein Leben, denn dir ist höchst-
dich selber als Kraft im „Wärmestrom der
wahrscheinlich nur dieses eine gegeben! Sei
menschlichen Geschichte“ verorten kannst,
dir deiner und unser aller Endlichkeit be-
wird dich das glücklicher machen, als es je-
wusst, verdränge sie nicht, sondern „nutze
der erdenkliche Besitz könnte. Du wirst in-
den Tag“ (Carpe diem)! Gerade die Endlich-
tuitiv spüren, dass du nicht umsonst lebst
keit des individuellen Lebens macht es so
und auch nicht umsonst gelebt haben wirst!
ungeheuer kostbar! Lass dir von niemandem
einreden, es sei eine Schande, glücklich zu Zehn Angebote für einen evolutionären Hu-
sein! Im Gegenteil: Indem du die Freiheiten manismus. Ausführlich dargestellt in:
genießt, die du heute besitzt, ehrst du jene, Michael Schmidt-Salomon: Manifest des
die in der Vergangenheit im Kampf für diese evolutionären Humanismus. Alibri Verlag,
Freiheiten ihr Leben gelassen haben! Aschaffenburg 2006.
10. Stelle dein Leben in den Dienst einer
„größeren Sache“, werde Teil der Tradition
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Humanistisches Selbstverständnis
Heute haben sich die allermeisten orga- besteht, dass Menschen ein selbst be-
nisierten Freidenker und Freigeister der stimmtes und verantwortliches Leben
größten Interessenorganisation für Kon- führen und einfordern, ohne sich dabei
fessionsfreie in unserem Land ange- religiösen Glaubensvorstellungen zu un-
schlossen, dem Humanistischen Verband terwerfen. … Die Mitglieder des Huma-
Deutschland (HVD). Der HVD bekennt nistischen Verbandes treten dafür ein,
sich zur parteipolitischen Unabhängig- die Dominanz der christlichen Kirchen zu
keit und lehnt sich an keine politische überwinden, die vielfach noch immer ei-
Bewegung an. Die individuelle Freiheit nem Alleinvertretungsanspruch gleich-
der Mitglieder, sich politisch in verschie- kommt. Dabei achten und respektieren
denen Gruppen zu engagieren, bleibt sie alle religiösen und weltanschaulichen
ihnen unbenommen. Freidenkende Hu- Orientierungen, alle anderen Welt- und
manisten äußern sich immer dann zu po- Lebensauffassungen. Ihre Toleranz hat
litischen Fragen, wenn die Menschlich- jedoch dort Grenzen, wo Menschen-
keit bedroht ist und fundamentalistische rechte verletzt oder missachtet und Po-
und missionarische Kräfte unsere müh- sitionen der Intoleranz vertreten werden.
sam erkämpften Freiheiten wieder ein- Der moderne praktische Humanismus,
zuschränken versuchen. wie ihn die Mitglieder des HVD sehen,
steht in den freigeistigen Traditionen der
Antworten auf viele aktuelle gesell-
Aufklärung sowie den atheistischen, frei-
schaftliche und ethische Fragen finden
religiösen, freidenkerischen und huma-
wir im Humanistischer Selbstverständ-
nistischen Bewegungen des 19. Und 20.
nis 13 des Humanistischen Verbands
Jahrhunderts. Auf Vernunft- und natur-
Deutschlands. Das Humanistische
orientierte Ausgangspunkte folgten ag-
Selbstverständnis trägt der Tatsache
nostische, existentialistische, marxisti-
Rechnung, dass es innerhalb der freiden-
sche, liberale, pragmatische, psycholo-
kerisch-humanistischen Diskussion „un-
gisch bzw. psychoanalytisch begründete
terschiedliche philosophische Richtun-
und skeptische Standpunkte. Humanis-
gen, politische Programme und weltliche
mus baut auf verschiedene Zugänge und
Lebensauffassungen [gibt, die] mit-
Quellen und hält die Verbindung zu den
einander wetteifern und sich verbinden
Wissenschaften. Er sucht den Dialog mit
können, denen ein moderner praktischer
allen, die ebenfalls Humanität begrün-
Humanismus gemeinsam ist.“
den möchten, sei es christlich, islamisch,
Es verbinden sich hier Menschen, „die für jüdisch, buddhistisch, konfuzianisch
einen modernen Humanismus eintreten. oder auf andere Weise.“
Sie sind miteinander durch säkulare
ethische Lebensauffassungen verbunden. www.humanismus.de
Zweck des Verbandes ist die Förderung Humanistisches
von Humanismus und Humanität auf Selbstverständnis
weltlicher Grundlage. Der Verband ist
der Überzeugung, dass ein moderner
praktischer Humanismus im Kern darin
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http://www.humanismus.de/selbstverstaendnis
Nada Topic Peratovic:
Humanismus für Kinder.
Zagreb 2014
Geb. Beruf *
Humanistischer Freidenker-
Straße Wohnort Verband Ostwürttemberg,
Körperschaft des öffentlichen
Rechts, Regionalverband der
Telefon Handy
Humanisten Baden-Württem-
berg, K.d.ö.R., Kulturorganisa-
E-Mail Konfessionsfrei seit * tion, Interessenvertretung und
Weltanschauungsgemeinschaft für
* = optionale Angaben Konfessionsfreie
Reguläre Mitgliedschaft oder Fördermitgliedschaft Hellensteinstr. 3
89518 Heidenheim
Tel.: (07321) 42849
Bei Familienmitgliedschaft: Fax: (07321) 42892
Ehepartner und Kinder unter 27 Jahren, die noch nicht berufstätig sind: http://ost.dhubw.de
Mail: hfv-ost@dhubw.de
Name Geburtsdatum Bankverbindung:
Die Humanisten Baden-Württem-
berg IBAN: DE49 6005 0101 0002
Name Geburtsdatum
4935 29, BIC: SOLADEST600
Name Geburtsdatum
Neben der regulären Mitgliedschaft be-
steht auch die Möglichkeit einer För-
Name Geburtsdatum dermitgliedschaft für Mitglieder, die
aus beruflichen oder familiären Grün-
Der Regeljahresbeitrag für Einzelmitglieder beträgt 80 € für die gesamte den gezwungen sind Mitglied einer an-
Familienmitgliedschaft 120 €. Finanziell weniger Gutgestellte geben ge- deren Konfession zu bleiben [siehe
ringere Beträge oder beanspruchen Beitragsfreiheit. Verfassung der Humanisten Baden-
Württemberg K.d.ö.R., Art. 4 (1) 6].
Hiermit ermächtige ich widerruflich, die von mir zu entrichtenden
Bitte in diesem Fall die Option Förder-
Beiträge Beitragshöhe/Jahr: _____€, bei Fälligkeit zu Lasten meines Kon-
mitgliedschaft ankreuzen.
tos Auch für Menschen, die bereits ande-
ren Organisationen mit gleicher oder
IBAN ähnlicher Zielsetzung angehören,
macht eine Mitgliedschaft bei uns Sinn.
Bank BIC Wir berücksichtigen dies gern bei einer
evtl. Beitragsreduzierung oder -befrei-
ung. Selbstverständlich gilt dies auch
mittels (SEPA-)Lastschrift einzuziehen. für finanziell weniger Gutgestellte.
Eine Erhöhung unser Mitgliedszahlen
Ort Datum durch Menschen, die ihre Interessen
durch uns vertreten lassen möchten,
hilft unser politisch-gesellschaftliches
Unterschrift Gewicht zu stärken. Wir verstehen uns
auch als Bürgerrechts- und Selbsthilfe-
Alle Beiträge und Spenden können bei der Lohn- und Einkommenssteuer organisation und möchten noch mehr
geltend gemacht werden (als Zuwendung an eine der bezeichneten Kör- anerkannte gesellschaftliche, weltan-
perschaften der in § 5 Abs.1 Nr.9 des Körperschaftsteuergesetzes ge- schauliche und kulturelle Aufgaben
wahrnehmen, konfessionsunabhän-
nannten,
gige soziale Einrichtungen aufbauen,
im Sinne des § 10b des Einkommensteuergesetzes) vor allem ein Netz von Feierrednern.
Hierfür beanspruchen wir auch geringe
Bitte zurücksenden an: finanzielle Förderung des Landes, als
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89518 Heidenheim
Seite 63
Prométheus edition Spinoza
(griech. Promēthéōs „der Vorausden- ed.spinoza@t-online.de
kende“), nach der griechischen Mytholo-
gie ein Titan, Freund und Kulturstifter
der Menschheit. Er entwendete den Göt-
tern das Feuer, brachte es den Menschen
(„Erleuchtung“, Wissen, Zivilisation) und
wurde deshalb von Zeus
hart bestraft. An einen
Felsen im Kaukasus ge-
schmiedet, von einem
Adler gequält, der ihm
seine immer nachwach-
sende Leber fraß, wird er
erst nach vielen Jahren
durch Herakles befreit.
P. ist die Empörer-Ge-
stalt gegen die Götter
schlechthin (Karl Marx
bezeichnete ihn in seiner
Dissertation 1841 als
„den vornehmsten Heili-
gen und Märtyrer im phi-
losophischen Kalen-
der“). P. ist nicht nur ein
Freund der Menschen,
sondern auch ein Feind
der grausamen und nei-
dischen Götter. Der
Grundtenor des Prome-
theus-Mythos ist nicht
nur nichtreligiös, son-
dern ausgesprochen reli-
gionsfeindlich. Goethe
schrieb durchaus in die-
sem Sinn seine Hymne
Prometheus:
„Ich kenne nichts
Ärmeres unter der Sonn'
als euch Götter!
Ihr nähret kümmerlich
von Opfersteuern
und Gebetshauch
Eure Majestät
und darbtet, wären
nicht Kinder und Bettler Ein Prometheus des frühen 20. Jahrhunderts
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