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Zeitschrift für

Gerontologie+Geriatrie
Editorial

Z Gerontol Geriat 2021 · 54:1–2 Elisabeth Bubolz-Lutz1 · Cornelia Kricheldorff2


https://doi.org/10.1007/s00391-020-01818-y 1
Forschungsinstitut Geragogik, Düsseldorf, Deutschland
2
Soziale Gerontologie und Soziale Arbeit im Gesundheitswesen, Katholische Hochschule Freiburg i.R.,
© Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von
Freiburg i.R., Deutschland
Springer Nature 2020

„Was wir tun, ist unbezahlbar“


Die Bedeutung neuer Engagementprofile in
Pflege- und Versorgungsnetzwerken

Das oben zitierte, selbstbewusste Motto und als spezifische Facetten in Pflege- Der Beitrag von Renate Schramek,
von freiwillig Engagierten, die sich für und Versorgungsnetzwerken verstehen. Verena Reuter und Andrea Kuhlmann
Menschen in besonders schwierigen Le- In dieser Logik werden vier Forschungs- „,PuppetBegleitung‘ – ein geragogisch
benssituationen einsetzen, steht für ein und Entwicklungsprojekte mit unter- fundierter Begleitungsansatz“ skizziert
Selbstverständnis, das Pflege- und Ver- schiedlicher Ausrichtung und in ver- zunächst den größeren Bezugsrahmen
sorgungssettings zunehmend in geteilter schiedenen organisationalen Strukturen rund um das freiwillige Engagement im
Verantwortung sieht, im Sinne eines Hil- dargestellt, die über bereits vorliegende Kontext der Förderung von Pflege und
fe- und Pflegemix. Freiwilliges Engage- Erfahrungen, Evaluationsergebnisse und Gesundheit. Beispielhaft rekurrieren die
ment erfolgt dabei in mittlerweile viel- Wirkungsmessungen verfügen. Autorinnen auf die Entwicklung des
fältigen neuen Rollen und Ausprägungen Die Beiträge zum Themenschwer- bundesweiten Netzwerk Pflegebegleitung
und ist vielfach nicht öffentlich sichtbar. punkt stellen aber nicht nur die jewei- zu Unterstützung und Stärkung pflegen-
In ihrer Zahl sind die Freiwilligen im Pfle- lige Datenlage vor, sie greifen auch auf der Angehöriger. Dabei wird das Prinzip
gesektor – etwa im Vergleich zu Enga- aktuelle Debatten zurück, die im Rah- der Begleitung als eine besondere Form
gierten im Sportbereich – noch eher we- men der gerontologisch und geriatrisch des nachbarschaftlich angelegten En-
nige. Dennoch kommt ihnen aufgrund angelegten Gesundheits-, Pflege- und gagements auf Augenhöhe eingehend
ihrer emotionalen und oft auch räumli- Versorgungsforschung geführt werden. beschrieben. Auf diesem Hintergrund
chen Nähe zu den Personen und Familien Einbezogen werden auch konzeptionelle erfolgt die Vorstellung des Projekts Our-
mit Unterstützungsbedarf eine besonde- geragogische Entwicklungen, die sich Puppet, denn hier kommt den speziell
re Funktion zu: Sie sind Bindeglied zwi- mit dem Lernen im Engagement und dazu ausgebildeten Freiwilligen die Auf-
schen dem privaten und dem professio- für spezifische Engagementbereiche be- gabe zu, im Sinne von Technikbegleitung
nellen System. Dabei gleichen sie nicht fassen. Ebenso werden jeweils ethische in Familien, in denen Menschen mit
nur den oftmals vorhandenen Zeitman- Aspekte angesprochen. Vor allem findet Demenz betreut und gepflegt werden,
gel professioneller Pflege und Versorgung aber auch der vielfach geführte kritische einen Roboter (in der Gestalt einer Pup-
aus – sie selbst sind als „Netzwerker“ Engagementdiskurs Berücksichtigung, pe) einzuführen. Über kontinuierliche
im Kontext auch privater und nachbar- etwa im Hinblick auf die Frage, wie die Besuche in der Häuslichkeit von Puppet-
schaftlicherUnterstützungsnetzwerke tä- personelle und organisatorische Konti- Robotbegleiter*innen findet – quasi „en
tig und tragen so dazu bei, dass Gesund- nuität und Qualität der Begleitungsarbeit passant“ – auch eine Verlinkung mit
werden und Pflegen gelingen können. gesichert werden können. So ist allen dem Pflege- und Versorgungsnetzwerk
Beiträgen ihr durchaus kritischer Blick vor Ort statt.

»vielfältiger
Engagementprofile werden
und treffen in ihrer
auf fehlende oder im Entstehen befindli-
che Engagementstrukturen gemeinsam.
»Begleitung
Kontinuität und Qualität von
Es zeigt sich etwa, dass die im SGB XI
Wirkung aktuelle Bedarfe im §45 eröffneten Möglichkeiten der durch verlässliche
Engagementförderung in den einzelnen Strukturen
Der Facettenreichtum aktueller En- Bundesländern ganz unterschiedlich
gagementprofile wird in diesem The- stark ernst genommen werden, und dass Der Artikel von Britta Bertermann, Ste-
menschwerpunkt exemplarisch aus sehr auch die regionalen Gegebenheiten eine phanie Lechtenfeld, Andrea Kuhlmann
verschiedenen Bereichen unseres Ver- wichtige Rolle dabei spielen, ob und und Anja Ehlers „Gesundheitsbegleitung
sorgungssystems vorgestellt. Bezug ge- wie sich ehrenamtlicher und freiwilliger – Erkenntnisse aus der Erprobung eines
nommen wird dabei auf verschiedene Einsatz organisieren und koordinieren neuen Engagementprofils“ nimmt ex-
neue Ansätze, die sich immer als Teil lässt. plizit eine gesundheitswissenschaftliche

Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 1 · 2021 1


Editorial

Perspektive ein. Vorgestellt wird hier ne eines z. T. auch digital unterstützten des Zusammenhalts im Gemeinwesen
das auf Prävention hin angelegte En- Modulsystems zu verstehen. zukommt.
gagementprofil Gesundheitsbegleitung, Die Bedeutsamkeit der Pflege- und Das im Titel dieses Editorials benann-
das darauf zielt, multimorbide, ältere Versorgungsnetzwerke wird von allen te Motto lässt sich fortführen: „Was wir
Menschen für ein gesundes und akti- Autor*innen bestätigt und in besonde- tun, ist unbezahlbar, aber nicht umsonst
ves Leben zu sensibilisieren, sie bei der rer Weise hervorgehoben: Es geht also zu haben.“ Insofern ermutigen die vor-
Umsetzung von Gesundheitsaktivitäten um weitaus mehr als um die erforder- gelegten Erkenntnisse und positiven Er-
zu unterstützen, ihnen den Zugang zu liche Bereitstellung von individuellen gebnisse dazu, auf politischer Ebene Rah-
lokalen Angeboten der Gesundheitsför- Hilfe- und Unterstützungsleistungen. menbedingungen einzufordern, die das
derung zu erleichtern und sie in vor Herausgestellt wird, dass es förderliche dringend notwendige Engagement nach-
Ort bestehende soziale Netzwerke zu (Rahmen-)Bedingungen braucht, da- haltig sichern.
integrieren. Herausgestellt werden die mit sich Bürgerengagement nachhaltig
positiven Wirkungen für die begleiteten entwickeln und festigen kann. Diese Korrespondenzadresse
Menschen und Begleiter*innen sowie die Bedingungen sind nicht nur auf der
für den Auf- und Ausbau dieses Profils lokalen Ebene bereitzustellen. Vielmehr Prof. Dr. phil.
Elisabeth Bubolz-Lutz
förderlichen Bedingungen. wird eine (Zusatz-)Qualifizierung auf
Forschungsinstitut Geragogik
Der Artikel von Ann-Kathrin Teich- verschiedenen Ebenen vorgeschlagen – Düsseldorf, Deutschland
müller und Susanne Frewer-Graumann für Personen, die für die Organisation Bubolz-lutz@fogera.de
„Verbesserung von Hospizkultur und des Angebots zuständig sind und für
palliativer Kompetenz in Altenpflege- die Begleitenden selbst. Als dringend
einrichtungen durch die Kooperation notwendig erscheint eine finanziell si- Prof. Dr. phil.
Cornelia Kricheldorff
mit einem ambulanten Hospizdienst chere Basis – etwa im Sinne einer auf
Soziale Gerontologie
– ein Praxisbeispiel“ verweist auf die Bundes-, Länder- oder Regionalebene und Soziale Arbeit im
Notwendigkeit, gerade in Pflegeheimen angesiedelten Netzwerkstruktur. Diese Gesundheitswesen,
eine Begleitung am Lebensende zu ge- hätte die Aufgabe, die Nachhaltigkeit Katholische Hochschule
währleisten. Hier werden die Kooperati- der Engagementprofile und -ansätze zu Freiburg i.R.
Freiburg i.R., Deutschland
onsmöglichkeiten und -schwierigkeiten gewährleisten und über eine Qualitäts-
cornelia.kricheldorff@
zwischen der bürgerschaftlich getrage- initiative dafür Sorge zu tragen, dass t-online.de
nen ehrenamtlichen Hospizbegleitung die Engagierten vor Ort nicht zu einer
und dem professionellen Bereich analy- Art „Lückenbüßer“ werden, sondern in Interessenkonflikt. E. Bubolz-Lutz und C. Krichel-
siert. ihren Fähigkeiten gestärkt und nicht in dorff geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Im letzten Beitrag „Geschulte Schlag- ihrem Einsatz überfordert werden.
anfall-Helferinnen und Schlaganfall- Aus Sicht der beiden Verantwortli-
Helfer: ein ehrenamtliches Versorgungs- chen dieses Themenschwerpunkts, die
modell in der ambulanten Schlagan- über Jahrzehnte hin selbst Engagement-
fallnachsorge“ stellen Kerstin Bilda und profile entwickelt, an den Start gebracht
Stefan Stricker ein Entwicklungs- und und wissenschaftlich evaluiert haben,
Forschungsprojekt vor, das sich speziell sollte sich nicht nur die Praxis, sondern
durch seine erfolgreiche (bundesweite) auch die Wissenschaft für eine nachhalti-
Verbreitungsstrategie auszeichnet. Als ge Strukturentwicklungen des Bürgeren-
„Erfolgsfaktor“ wird hier die Koope- gagements stark machen. Über weitere,
ration zwischen einer Hochschule für in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft
Gesundheit und der Stiftung Deutsche unternommene Entwicklungs- und For-
Schlaganfall-Hilfe, also einer etablierten schungsvorhaben in diesem Bereich
Organisation in der Gesundheitsversor- hinaus, sollte ein offensiver Diskurs
gung, erkennbar; auch auf der lokalen über die politische Verantwortlichkeit
Ebene erfolgen Kooperationen mit eta- bei der Implementierung von Bürgeren-
blierten Akteuren aus den bestehenden gagement im Kontext von Gesundheit,
Versorgungsnetzwerken. Insofern sind Pflege und Versorgung eröffnet und stetig
die inzwischen 400 freiwilligen Schlag- fortgeführt werden. Hier geht es v. a. dar-
anfallhelfer*innen Teil eines standardi- um, aufzuzeigen, welch unschätzbarer
sierten Prozesses zur Implementierung (Mehr-)Wert einem fachlich fundierten
eines regionalen Projektes – in diesem und vernetzten Bürgerengagement auch
Sinne sind auch die von den Trägern vor im Hinblick auf die Stärkung der Selbst-
Ort angebotenen Schulungen im Sin- verantwortlichkeit der Bürger*innen und

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