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Campus Forschung Reinhold Bauer

Band 893

Gescheiterte Innovationen
Fehlschläge und technologischer Wandel

Reinhold Bauer, Dr. phil. habil., ist Privatdozent am Seminar für Geschichtswissen- Campus Verlag
schaft der Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg.
Frankfurt/New York
1 1111
1
III 11111111

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds 'Wissenschaft der VG WORT.
Inhalt

1. Einleitung 9
1.1. Zum Begriff »Fehlgeschlagene Innovation« 11
1.2. Entwicklung der Forschung 18
1.3. Ausgewählte Fallbeispiele und Untersuchungsansatz 38

2. Innovationsprojekte der Zwischenkriegszeit: Die


Lokomotiven mit Kohlenstaubfeuerung und
die Dampfturbinen-Lokomotiven der Deutschen
Reichsbahn 50
2.1. Rahmenbedingungen 50
1./. Lokomotiven mit Kohlenstaubfeuerung 68
Das Verfahren und seine Geschichte 68
2.2.2. Die Entwicklung im Überblick 70
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. 2.2.3. Interessen und Ziele der Hauptakteure 79
Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
ISBN-13: 978-3-593-37973-9
2.2.4. Faktoren des Scheiterns 84
2.2.5. Zusammenfassende Analyse 94
2.2.6. Ausblick: Lokomotiv-Staubfeuerungen
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne
Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen,
nach dem Zweiten Weltkrieg 98
Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Copyright CD 2006 Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2.3. Dampfturbinen-Lokomotiven 100
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier.
Printed in Germany 2.3.1. Das Verfahren und seine Geschichte 100
Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de 2.3.2. Die Entwicklung in Deutschland im Überblick 109
1. Einleitung

In programmatischen Veröffendichungen zur Technikgeschichtsschrei-


bung wird seit inzwischen gut vier Jahrzehnten mit einiger Regelmäßigkeit
gefordert, die historische Forschung solle sich in Zukunft stärker mit der
»Technik der Verlierer«, das heißt mit fehlgeschlagenen Innovationen aus-
einandersetzen.' Trotz solcher Mahnungen spielt das Thema eine nach wie
vor eher untergeordnete Rolle. Dies ist umso bedauerlicher, als eine Ge-
schichtsschreibung, die sich ganz überwiegend mit der erfolgreichen Ver-
wertung und Umsetzung technischer Entwicklungen beschäftigt, zwangs-
läufig ein verzerrtes Bild des historischen Prozesses entwirft. So entsteht
der Eindruck, die technische Entwicklung sei einem geraden, rationalen
Pfad aus der Vergangenheit in die Gegenwart gefolgt. Die Geschichte stellt
sich als stetige Fortentwicklung vom Schlechteren zum Besseren dar, die
ohne Umwege oder Seitenpfade auf die heutige Welt als präzisem Ziel-
punkt ausgerichtet war. Folgt man dieser Sicht, so muss die gegenwärtige
Technik als bestmöglicher Kulminationspunkt einer zur reinen Vorge-
schichte degradierten Entwicklung wahrgenommen werden; erfolglose
Erfindungen oder überholte Theorien erscheinen als reine Irrwege, alter-
native Pfade sind kaum vorstellbar.2
Tatsächlich zeigt schon ein oberflächlicher Blick auf praktisch jeden
Teilbereich der Technik, dass es den unterstellten geraden Entwicklungs-

1 Siehe u.a.: Muinford Jones, »Ideas«, insbesondere S. 25, Braun, »Kohlenstaubmotor«,


S. 154, Staudenmaier, Storytellers, S. 145f., und S. 175f., Schwartz Cowan, »Junction«,
S. 261, Staudenmaier, »Politics«, S. 151f., Braun, »Konstruktion«, hier S. 227E, Braun,
»Introduction«, passim, Goodav, »Re-Writing«, insbesondere S. 271.
Vgl. auch: Ferguson, »Discipline«, Riirup, »Geschichtswissenschaft« passim, hier aber
besonders S. 64ff. Als ebersetzung davon: Rürup, »Historians«.
2 Vgl. u.a.: Mumford Jones, »Ideas«, S. 24f., Braun, »Konstruktion«, S. 227, Braun,
»Introduction«, S. 213, Ferguson, »Discipline«, insbesondere S. 19, Riirup, »Geschichts-
wissenschaft«, S. 64f., Stauderunaier, »Politics«, S. 151E, Bijker/Pinch, »Construction«,
S. 22.
10 GESCHEITERTE INNOVATIONEN
EINLEITUNG 11
weg nicht gegeben hat. Technische Entwicklung stellt sich vielmehr als
komplexer Prozess dar, bei dem »Erfolg« oder »Scheitern« nicht als abso- 1.1. Zum Begriff »Fehlgeschlagene Innovation«
lute Kategorien verstanden werden können. Die jeweilige Zuordnung ist
»Innovation« ist heute ein in Medien und Politik allgegenwärtiger Mode-
zeitlich bedingt und von diversen inner- wie außertechnischen Faktoren
begriff: Innovation erscheint als Schlüssel zu Wettbewerbsfähigkeit und
abhängig. Die Vorstellung, vermeintlich objektive technikwissenschaftliche
Wachstum, ja als Allheilmittel auf dem Weg aus der Krise. Trotz oder ge-
Kriterien, ökonomische Rationalität und die »Weisheit des Marktes« wür-
rade wegen seiner Omnipräsenz scheint eine Definition des Innovations-
den im Sinne einer darwinistischen Selektion garantieren, dass sich letztlich
begriffs unglücklicherweise ebenso unnötig wie seine Problematisierung.
immer die jeweils beste Technik durchsetzt, muss als reiner Mythos zu-
Es bleibt zumeist leider bei der eher vagen Ahnung, dass Innovation
rückgewiesen werden.3
irgendetwas mit Neuerung, mit Veränderung im Sinne einer Verbesserung
Eine Technikgeschichtsschreibung, die sich überwiegend auf erfolgrei-
zu tun hat. Selbstverständlich bedeutet Innovation dabei stets Fortschritt
che Entwicklungen bezieht, droht zudem den Eindruck zu vermitteln, dass
und Erfolg. Weder aufsehenerregende Fehlschläge in der Vergangenheit,
erfolgreiche Innovationsprozesse der Regelfall seien. Unternehmen oder
sei es das Riesenwindrad »Growian« oder der nie fertiggestellte »Schnelle
Einzelinnovatoren scheinen vielversprechende neue technische Kenntnisse
Brüter«, noch spektakuläre aktuelle Fälle, etwa der erst jüngst gescheiterte
einfach in erfolgreiche Produkte umzusetzen oder aber in Reaktion auf
Frachtzeppelin »Cargolifter«,5 vermochten diese grundsätzlich positive
einen erkennbaren Bedarf schnell neue, marktgängige Lösungen zu entwi-
Konnotation des Innovationsbegriffs zu gefährden.6 Kurz gesagt: Innova-
ckeln. Bei entsprechend intensiver Entwicklungsarbeit auf Basis ausrei-
tion wird in der Regel nicht klar definiert und zudem gedankenlos alit
chender finanzieller und personeller Ressourcen erscheinen auftretende
Erfolg gleichgesetzt.
Probleme stets als lösbar. De facto ist der Erfolg aber alles andere als die
Die ernsthafte Auseinandersetzung mit Innovationen, mit den tatsäch-
Regel. Bereits Untersuchungen für die 1960er Jahre haben gezeigt, dass
lichen Bedingungen für innovatives Handeln und den de facto stets vor-
auch in großen Unternehmen mit leistungsfähigen Forschungs- und Ent-
handenen Risiken des Scheiterns, verlangt aber zuallererst danach, den
wicklungsabteilungen etwa 85 Prozent der Entwicklungszeit auf Produkte
häufig zur Leerformel verkommenen Innovationsbegriff zu »füllen«. Auf
verwendet wird, die nie zur Marktreife gelangen.4
dieser Basis kann dann auch »Scheitern« und damit der Gegenstand dieser
Für das Verständnis technischer Entwicklung ist die Untersuchung
Untersuchung definiert werden.
gescheiterter Innovationsversuche ebenso sinnvoll wie notwendig. Eine
Unter einer Innovation sei im Folgenden die erstmalige wirtschaftliche
Geschichte des Scheiterns respektive eine Analyse seiner Ursachen ermög-
Verwertung einer neuen Problemlösung verstanden. Grundsätzlich ist dabei
licht eine umfassendere und realitätsnähere Beschreibung technischen
irrelevant, um welche Art von Problemlösung es sich handelt: Es kann sich
Wandels. Sie kann darüber hinaus die außertechnischen Einflüsse auf den
etwa um eine organisatorische Veränderung zum Beispiel innerhalb eines
Innovationsprozess — wirtschaftliche, soziale, politische, kulturelle Fakto-
Unternehmens (organisatorische Innovation), um eine Veränderung der
ren — oftmals deutlicher zeigen, als es die Untersuchung erfolgreicher Ent-
wicklungen vermag. Art und Weise, in der ein Produkt erzeugt wird (Prozessinnovation)
und/oder um eine Veränderung des hergestellten Produktes selbst bzw. die
komplette Neueinführung eines Produktes (Produktinnovation) handeln.
Hier werden vor allem die beiden letztgenannten Fälle, genauer die Pro-
duktinnovation sowie die Kombination aus Produkt- und Prozessinnova-
tion, von Interesse sein. Neu muss das Produkt oder Verfahren dabei nicht
in einem grundsätzlich globalen Sinne sein (»objektive Innovation«), es
3 Vgl u.a.: Bijker/Law, »Introduction«,
insbesondere S. 144ff., Braun, »Introduction«,
S. 2131., Gooday, »Re-Writing«, S. 268ff. 5 Siehe u.a.: Heymann, »Windenergietechnik«, Bauer, »Top«.
4 Robertson, Management, insbesondere 6 Zusammenfassend zur Allgegenwärtigkeit des Innoyationsbeg,riffs in Medien und Politik
S. 3, Braun, »Introduction«, S. 215.
siehe: Sentker, »Halbzeit«.
GESCHEITERTE INNOVATIONEN
EINLEITUNG 13

reicht aus, wenn die Erstmaligkeit der Verwertung für das innovierende
falls zwingend. Nicht selten kommt es zu einer Art Fragmentieruiag des
Subjekt bzw. die innovierenden Subjekte gegeben ist (»subjektive Innova-
Innovationsprozesses, bei der die Funktionen »Finanzierung«, »technische
tion«).7
Entwicklung« sowie »Fertigungsvorbereitung und Einführung« auf ver-
Charakteristisch für Innovationen ist stets ihrproesshafter Charakter: Bei
schiedene Akteure verteilt sind. Zu verweisen wäre etwa auf den Fall eines
Innovationen handelt es sich um planvolle, zielgerichtete Veriinderungs-
reinen Ingenieurbüros, das als Auftragsleistung zwar die Entwicklung eines
bzw. Entwicklungsproesse. Diese Prozesse können alle Phasen von der
neuen Produktes oder Verfahrens, nicht aber dessen tatsächliche Einfüh-
Ideengewinnung bis zum marktreifen Produkt/Verfahren umfassen, müs-
rung bzw. Produktionsaufnahme betreibt (vgl. Abschnitt 3.2.4.). In diesem
sen aber auf die wirtschaftliche Nutzung der Neuerung abzielen. Im Ideal-
Falle übernimmt das Ingenieurbüro zwar Teile der Innovatorfunktion, ist
fall führt der Innovationsprozess zur erfolgreichen Markteinführung und
selbst aber weder von einem späteren Erfolg der Innovation am Markt
Verbreitung eines veränderten, respektive neuen Produktes bzw. zur
noch von einem möglichen Misserfolg unmittelbar wirtschaftlich betrof-
erfolgreichen Einführung eines neuen Verfahrens.8
fen.
Über die Frage, was in diesem Zusammenhang eolgreich bedeutet, ist
Sinnvoller erscheint daher eine Erfolgs- bzw. Misserfolgsdefinition, die
viel diskutiert worden. Eine mögliche Definition bezieht sich auf die inno-
sich auf das neue Produkt bzw. Verfahren selbst bezieht, jedoch nur mit-
vierende Wirtschaftseinheit selbst: Eine Innovation kann in diesem Sinne
telbar auf den bzw. die beteiligten Akteure. Eine Innovation kann dann als
dann als erfolgreich bezeichnet werden, wenn sie die Wettbewerbsposition
erfolgreich bezeichnet werden, wenn ihre wirtschaftliche Verwertung grund-
des Innovators verbessert bzw. letztlich dessen Gewinn vergrößert.
9 sizklich gelingt, das heißt es grundthklich gelingt, durch ihre Vermarktung die
Problematisch an dieser zunächst einleuchtenden Definition erscheint
entstandenen Entwicklungskosten wieder zu erwirtschaften. Bei einer fehl-
allerdings, dass sie implizit unterstellt, die Entwicklung eines Verfahrens
geschlagenen Innovation misslingt hingegen die wirtschaftliche Verwer-
oder Produktes zur Marktreife und dessen tatsächliche Markteinführung
tung in diesem Sinne. Das entscheidende Kriterium bleibt zwar der kom-
liege stets in der Hand nur eines Innovators. Im Erfolgsfall wird dieser
Innovator für seine Entwicklungsanstrengungen durch die Einnahmen aus merzielle Erfolg oder Misserfolg der Neuerung, aber nicht jeder der betei-
ligten Akteure muss davon unmittelbar betroffen sein. Bei fehlgeschlage-
der Vermarktung der Innovation belohnt, im Misserfolgsfall gelingt es ihm
nen Innovationen gelingt es innerhalb der gegebenen Produktions- bzw.
hingegen nicht, seine Entwicklungskosten wieder zu erwirtschaften. De
Verwendungszeit nicht, Einnahmen zu erreichen, die einen Rückfluss der
facto ist die hier unterstellte Identität von »Entwickler zur Marktreife« und insgesamt investierten Innovationsaufwendungen sicherstellen bzw. inner-
»Anwender bzw. Produzent und Vermarkter« der Neuerung aber keines-
halb eines für den Produzenten bzw. Anwender wirtschaftlich akzeptablen
Zeitraums erwarten lassen. Der Begriff des »Akzeptablen« verdeutlich, dass
7 Trotz inzwischen zahlloser Vorschläge hat sich bisher keine allgemein akzeptierte eine umfassende Objektivierung von »Erfolg« und »Scheitern« auch mit
Definition des Begriffs »Innovation« durchsetzen können; zu vielfältig sind die Frage- dieser Definition nicht gelingt, ihre Stärke liegt aber m.E. darin, die Kate-
stellungen und Interessenlagen der verschiedenen Fachgebiete, die sich mit Innovation
gorien für die historische Forschung operationalisierbar zu machen.
auseinandersetzen. Jeder erneute Versuch stellt sich als Kompilation der verschiedensten
Ansätze dar. Vgl. etwa: Drucker, »Trends«, S. 18f., Pfetsch, »Innovationsforschung«, S.
Bereits die verwendeten Begriffe unterstreichen, dass es sich um eine
10f., Dierkes/Hoffmann, »Understanding«, systemspezifische Definition innovatorischen Scheiterns handelt. Die Aus-
S. 11, Brockhoff, Forschung, S. 28, Tronirns-
dorf/Schneider, »Grundzüge«, hier S. 3, Pleschak/Sabisch, Innomtionsmanagement, sagekraft der vorgeschlagenen Kriterien ist an das kapitalistische Kon-
S. 6,
Grupp, Alessun,g, S. 15, Greiling, Innovationsystem,
S. 15ff., Staudt/Kriegesmann, »Innova- kurrenzprinzip gebunden.") Diese Einschränkung scheint schon darum
tionsmanagement«, S. 356f., Grupp/Dominguez-Lacasa/Friedrich-Nishio, Innovationsys-
tem, S. 6.
8 Siehe u.a.: Greiling, Innovationsystem,
S. 18, Vahs/Burrnester, Innovationsmanagement, S. 44,
Staudt/Kriegesmann, »Innovationsmanagement«, S. 356f. 10 Die eingeführte Definition stößt da an ihre Grenzen, wo der Markt vollständig oder
9 Zur Relativität der Begriffe »erfolgreich« und »gescheitert« siehe u.a.: Braun, »Introduc- überwiegend ausgeschaltet ist. Insbesondere für Zentralverwaltungswirtschaften muss
fion", 216f, Gooday, »Re-Writing«, der Innovationsbegriff daher gleichsam »planwirtschaftskompatibel« definiert werden.
S. 280ff., Lipartito, »Picturephone«, insbesondere
S. 55f. Vgl. auch: Greiling, Innovationsystem, Auch in kapitalistischen Konkurrenzwirtschaften kann aber insbesondere durch staatli-
S. 20ff., Hauschildt, »Messung«.
ches Engagement, etwa im Bereich der Riistungs- oder Weltraumtechnologie, ein weit-
14 GESCHEITERTE INNOVATIONEN
EINLEITUNG 15

gerechtfertigt, weil Aussagen über innovatorisches Scheitern ohnehin stets


An dieser Stelle sei zudem zweierlei angemerkt: Erstens soll mit der
Aussagen von in mehrfacher Hinsicht begrenzter Reichweite sind. Schei- obigen Definition nicht in Frage gestellt werden, dass Innovationen ihrem
tern kann in aller Regel nur für einen bestimmten Zeitraum sowie für einen
Wesen nach stets »Zwitter« sind, sowohl spezifische technisch-ökonomi-
bestimmten geographischen bzw. kulturellen Raum eindeutig diagnostiziert sche Prozesse zum Beispiel innerhalb eines Unternehmens als auch soziale
werden. Dass die Einführung einer Neuerung zu einem bestimmten Zeit- Phänomene. Die eingeführte Definition soll den Innovationsbegriff hand-
punkt in einer bestimmten Region misslingt, schließt keinesfalls aus, dass habbar machen, nicht aber diese zweite Dimension innovatorischen Han-
dieselbe Technologie zu einem späteren Zeitpunkt oder in einem anderen delns leugnen.12 Zweitens soll es nicht darum gehen, die unumstrittene
Land — das heißt unter anderen Rahmenbedingungen — sehr erfolgreich Relativität jedweder Kategorisierung in Frage zu stellen, sondern darum,
sein kann.11
ein Forschungsfeld sinnvoll zu erschließen. Auf Basis einer gewissen
Selbsteinschränkung soll eine handhabbare Interpretation dessen vorge-
gehend »marktfreier Raum« entstehen, in dem Sonderbedingungen gelten. Der Einfluss schlagen werden, was unter einer »gescheiterten Innovation« innerhalb der
staatlichen Handelns auf die hier zu untersuchenden Fallbeispiele wird noch zu diskutie- Forschung sinnvollerweise verstanden werden kann.
ren sein (vgl. insbesondere Abschnitt 1.3. und 4.), in keinem Fall führte die staatliche
Das scheint schon deshalb gerechtfertigt, weil eines der Probleme bei
Beteiligung an den Innovationsvorhaben jedoch zu einer dauerhaften Ausschaltung des
Konkurrenzprinzips. Zu einer »planwirtschaftskompatiblen« Definition des Innova-
der Auseinandersetzung mit fehlgeschlagenen Innovationen bis heute darin
tionsbegriffes vgl.: Wagener, »Innovationsschwäche«, Bauer, Pkw-Bau, S. 132ff. liegt, dass ganz unterschiedliche Kriterien für die Diagnose von »Erfolg«
11 Als gutes Beispiel dafür mag die Mikrowelle dienen: Der erste Versuch, einen ent- und »Scheitern« angelegt werden. Dieses definitorische Wirrwarr, auf das
sprechenden Ofen auf den Markt zu bringen, schlug Ende der 1940er Jahre völlig fehl.
bei der Vorstellung des Forschungsstandes noch zurückzukommen sein
Der damals immens teure, kühlschrankgroße und wassergekühlte Apparat (1,70 Meter
hoch, 340 kg schwer, 5.000 US-Dollar teuer), der Essen mit Hilfe eines elektromagneti-
wird, reflektiert weniger eine mangelnde Sorgfalt der bisherigen Forschung,
schen Feldes erhitzte, erwies sich als praktisch unverkäuflich. Neben Preis und Größe als vielmehr die tatsächliche Vielschichtigkeit des Phänomens »Scheitern«.13
spielte dabei der Umstand eine Rolle, dass dem aus der Radartechnik stammenden Es ist im Grunde unstrittig, dass ein und dieselbe Innovation unter
neuen Gerät seine militärische Herkunft noch deutlich anzumerken war. Radargeräte bestimmten Aspekten als Erfolg, unter anderen hingegen als schrecklicher
bestehen im Kern aus einem pulsierenden Mikrowellensender und die Rüstungsfirma
Raytheon hatte entdeckt, dass sich mit Hilfe dieser Wellen grundsätzlich auch Speisen Misserfolg interpretiert werden kann. Hans-Joachim Braun hat bereits 1992
erwärmen lassen. Raytheon brachte daraufhin 1947 den eben erwähnten »Mammut- in der Einleitung zu dem von ihm herausgegebenen Zeitschriftensonder-
Mikrowellenofen« auf den Markt. Dass die Firma ihrem neuesten Produkt auch noch band zu »Failed Innovations« darauf hingewiesen, dass unterschiedliche
den wenig kiichen- und familientauglichen Namen »Radarrange« gab, trug nicht eben zur Gruppen — und damit ggf. eben auch unterschiedliche Innovationsforscher
Marktgängigkeit des Herdes bei. Erst nachdem das Gerät seit den 1960er Jahren wesent-
lich verkleinert und vor allem auch verbilligt worden war, gelang ihm mit neuem, zivilen
— bei der Definition und Diagnose von »Scheitern« und »Erfolg« unter-
Image der Einzug in die Privathaushalte. Vermarktet wurde es nun als praktischer schiedliche Kriterien anlegen und daher zu sehr unterschiedlichen Ergeb-
Küchenhelfer, nicht mehr als neuste Errungenschaft der Radartechnologie. Ihren wirkli- nissen kommen können.14 Eine Einigung darüber, welche Neuerungen
chen Siegeszug trat die Mikrowelle zudem in einer neuen Gesellschaft voller Singlehaus-
halte an, die es in den 1940er und 1950er Jahren noch kaum gegeben hat. Parallel zur
Weiterentwicklung des Gerätes hatte sich also auch die Gesellschaft verändert, sodass
Zur begrenzten Reichweite aller Aussagen über das Scheitern siehe u.a. auch: Braun,
die Technik jetzt mit ihrem Nutzungsumfeld harmonierte. Schließlich sei noch erwähnt,
»Kohlenstaubmotor«, S. 161, Gooday, »Re-Writig«, S. 270, Mom, »Elektromobil«,
dass sich die Mikrowelle zwar in den USA, in Deutschland oder Großbritannien sehr gut
S. 270f, Ostersehlte, »Hydromotor«, S. 275 und S. 294f.
verkauft, in Ländern mit anspruchsvollerer Esskultur wie Frankreich oder Italien aber
12 Vgl.: Müller/Veyrassat, »Einleitung«, S. 9.
nach wie vor Akzeptanzprobleme hat. Ganz offenbar muss also bei der Frage nach
13 Darüber hinaus resultiert es m.E. auch aus der vermeintlichen Allgemeinverständlich-
Erfolg oder Misserfolg einer neuen Technologie auch das jeweils spezifische kulturelle
Umfeld in den Blick genommen werden. Cockburn/Ormrod, Gender, S. 18f., Hardy- keit, ja Selbsterklärungsfahigkeit des Begriffs »Fehlgeschlagene Innovation«. Einigen
mant, Mangle, S. 134 und 195, König, Autoren erscheint eine genaue Definition angesichts dieser Selbsterklärungsfahigkeit
Konsumgesellschaft, S. 242ff., Bauer, »Top«, S. 205,
Southwest Museum of Engineering, offenbar schlicht überflüssig.
Communication and Computation, 5.5.2003,
http://www.smecc.org/microwave_oven.htm. Invention of 14 Braun führt weiter aus, dass zum Beispiel Ingenieure eher Wert auf Funktionalität,
the Microwave Oven,
5.5.2003, http: / /www.ideafinder.com/ his tory/inventions / s tory068.htm. Aktionäre auf Profitabilität, bestimmte Kunden auf Bequemlichkeit oder einfache
Handhabung, andere hingegen auf Eigenschaften wie Sicherheit oder Umweltverträg-
16
GESCHEITERTE INNOVATIONEN
EINLEITUNG 17
aufgrund welcher Kriterien als »gescheitert« oder eben »erfolgreich« ange-
sehen werden können, ergibt sich immer aus einem diskursiven Prozess, ist Kritik zunächst erscheint, so sehr liegt auch ihr ein im Grunde definitori-
immer nur innerhalb einer mehr oder minder großen Gruppe möglich. Die sches Problem zu Grunde: »Erfolgreich« muss nicht zwangsläufig »perfekt«
Merkmale »gescheitert« oder »erfolgreich« scheinen insofern nie wirklich und »marktbeherrschend« heißen, umgekehrt besteht zwischen »nicht
allgemeinverbindlich, nie als feste Eigenschaften einer bestimmen Technik absolut perfekt« und »gescheitert« ein großer Unterschied. Dass Techno-
zugeschrieben werden zu können.15 logien stets Kompromisscharakter haben, ist unumstritten und wird auch
Diese offenbare Relativität der Kategorien wurde in der Vergangenheit durch die Kategorien »erfolgreich« und »gescheitert« nicht in Frage gestellt.
zum Anlass genommen, um fehlgeschlagene Innovationen als sinnvollen Damit zurück zur oben vorgeschlagenen Begriffsbestimmung: Diese
Forschungsgegenstand grundsätzlich in Frage zu stellen. Argumentiert Definition innovatorischen Scheiterns bietet den Vorteil, dass sie Probleme
wurde dabei mit der unumstrittenen Tatsache, dass es sich bei den Krite- entschärft, die sich aus der Relativität der Kategorien »Scheitern« und
rien »Erfolg« und »Scheitern« um recht fragile Konstruktionen handelt, um »Erfolg« sowie aus der vermeintlichen Ausblendung der Grauzonen zwi-
Zuschreibungen, die von einer ganzen Reihe von Prämissen und Rah- schen den Extremen »absolut erfolgreich« und »total gescheitert« ergeben
können. Eine Innovation kann bereits dann als »erfolgreich« gelten, wenn
menbedingungen abhängen." Davon jedoch abzuleiten, die Beschäftigung
alit sie kommerziell erfolgreich genug war, um einen Rückfluss der Innovations-
fehlgeschlagenen Innovationen sei insgesamt wenig sinnvoll, hieße
aufwendungen — sei es direkt oder indirekt — zu ermöglichen. Eine techni-
m.E., das vielzitierte Kind mit dem Bade auszuschütten. Richtig ist aller-
dings, dass man sich dieser Problematik bewusst sein sollte und auch, dass sche Neuerung, die nach ihrem Markteintritt nur vorübergehend und
die jeweils angelegten eigenen 'Kriterien offengelegt werden müssen, was in innerhalb einer Nische erfolgreich ist, dann aber wieder verschwindet,
der bisherigen Forschung häufig nicht der Fall war. kann also durchaus als »erfolgreiche Innovation« gelten, während ein neues
Produkt, das über Jahrzehnte am Markt präsent war, aber verschwindet,
An der Kategorisierung »erfolgreich«, respektive »gescheitert« wurde
weiterhin kritisiert, dass sie sämtliche möglicherweise auftretenden Zwi- ohne jemals den gewünschten kommerziellen Erfolg erbracht zu haben, als
»Fehlschlag« bezeichnet werden kann.
schenstufen ausblende. Der Blick des historischen Technikforschers werde
auf die nicht sehr typischen, schnell und durchschlagend erfolgreichen Schließlich verdeutlicht die eingeführte Definition auch, welche Ent-
oder eben schnell und vollständig gescheiterten Innovationen fokussiert. wicklungsvorhaben innerhalb des weiten Feldes »technischer Projekte«
Tatsächlich seien aber langsame Ablöseprozesse zwischen alter und neuer nicht zu den »gescheiterten Innovationen« im hier gemeinten Sinne gehö-
Technik, die Dauerkonkurrenz oder dauerhafte, gleichberechtigte Ko- ren. Bemüht man die übliche Einteilung des Gesamtinnovationsprozesses
existenz zweier Techniken, die anhaltende Nischenposition einer techni- in die Teilschritte Invention, also die Erfindung selbst, Innovation im
schen Lösung, Kompromiss- oder Integrationslösungen sowie ggf. sogar engeren Sinne, also die Entwicklung zur Marktreife und die Marktein-
die zunächst stattfindende schnelle Verdräng führung, sowie Diffusion, also die Verbreitung am Markt, so ist es offen-
ung einer Technik und deren
spätere »Wiederbelebung« sichtlich die Phase vom Erreichen der vermeintlichen oder tatsächlichen
ebenso denkbare und sogar in ihrer Gesamtheit
häufiger zu beobachtende Entwicklung5wege. Marktreife bis hin zur beginnenden Verbreitung, die für die Diagnose in-
17 So berechtigt auch diese
novatorischen Scheiterns von besonderem Interesse ist. Alle Phänomene
lichkeit legen. Siehe: Braun des Scheiterns, bei denen die Projekte nie soweit gediehen sind, fallen da-
»Introduction«,
S. 228. S. 216f. Vgl. auch: Braun, »Konstruktion«, mit schon per Definition aus dem Untersuchungsrahmen. Selbstverständ-
15 Vgl.: Braun, »Introduction«,
lich kann es also nicht um die Auseinandersetzung mit phantastischen bzw.
»Faure«, S. 154, Bijker/Law,S. 216, Gooday, »Re-Wng«, S. 280. Vgl. auch: Braun,
»Postscript«, S. 291, Bijker,
»Studies«, S. 242, Kunkel,
utopischen Maschinen oder Projekten gehen. Ebensowenig Sinn macht die
»Electron Microscope«,
S. 82, Lipartito, »Picturephone«, hier insbesondere S. 55f., Stau-
denmaier, »Politics«, S. 151f. Untersuchung von durchaus ernstzunehmenden Vorschlägen, Vorhaben
16 Gooday, »Re-Writing«, oder Erfindungen, deren Entwicklung zur Marktreife jedoch nie in Angriff
Ittner, Dieselmotoren, passim, insbesondere aber S. 266ff. und S. 280ff. Vgl. auch:
S. 223f.
17 Freemann, Economics,
S. 115, Ittner, Dieselmotoren,
S. 224f., Braun »Failure«, S. 154.
18 GESCHEITERTE INNOVATIONEN
EINLEITUNG 19
genommen wurde.18 Schließlich spielen auch die zahlreichen industriellen
Forschungs- und Entwicklungsprojekte, die bereits zu einem sehr frühen bildete Fachhistoriker der technikgeschichtlichen Forschung zu. Dieser
Zeitpunkt, das heißt vor der Definition eines konkreten Produktes oder tiefgreifende Wandel stand mit der Etablierung des Faches als akademische
eines potentiellen Marktes abgebrochen wurden, hier keine Rolle. Für Disziplin, als Disziplin, die nicht etwa Anhängsel der Ingenieurwissen-
dieses Scheitern als alltägliches Phänomen der Forschung und Entwicklung schaften, sondern primär Teil der Geschichtswissenschaft ist, in Verbin-
(FuE) gelten andere Bedingungen als für das Scheitern in der späten dung.20 Die Aufforderung, sich mit fehlgeschlagenen technischen Entwick-
vations- bzw. frühen Diffusionsphase.19 Inno- lungen zu beschäftigen, muss unmittelbar in Zusammenhang mit der Neu-
orientierung der Technikgeschichte insgesamt gesehen werden, kann als
Teil der Abkehr von der älteren, ingenieursdominierten Technikgeschichts-
schreibung interpretiert werden.
1.2. Entwicklung der Forschung Schaut man auf die Entwicklung in den USA, so war es sicherlich kein
Zufall, dass Howard Mumford Jones bereits in der ersten Ausgabe der
1959 gegründeten Zeitschrift »Technology and Culture«, deren Bedeutung
Dass die Diskussion um die Untersuchung fehlgeschlagener Innovationen
für die Neuorientierung der Technikhistorie kaum überschätzt werden
innerhalb der Technikgeschichte gerade Ende der 1950er Jahre begann, ist
auf die Emanzipation des Faches von seinen ingenieurgeprägten Anfängen kann, eindringlich zur Beschäftigung mit gescheiterten Innovationen aufge-
rufen hatte.21
zurückzuführen, hängt also mit der Geschichte der Disziplin selbst
Frische Impulse erhielt die Analyse fehlgeschlagener Innovationen in
zusammen. Lange Zeit waren es vor allem Ingenieure bzw. Techniker, die
den 1980er Jahren durch neue Forschungsansätze in der US-amerikani-
sich mit der Geschichte der Technik beschäftigten. Es ist nicht eben ver-
wunderlich, dass technischer Wandel in deren Arbeiten ganz überwiegend schen und auch in der europäischen Techniksoziologie. Die soziologische
Technikforschung wandte sich von der bis dahin dominierenden Technik-
als Erfolgsgeschichte präsentiert wurde. Schließlich ging es nicht zuletzt
darum, die eigenen Leistungen zu feiern, den eigenen Beitrag zum mate- folgenforschung ab und entdeckte Technikgenese- und Technisierungs-
riellen und — gerade in Deutschland brisant — auch zum kulturellen »Fort- prozesse als neue Forschungsfelder. Technik wurde nicht mehr als exoge-
schritt« darzustellen. Insbesondere seit den 1950er Jahren entwickelte sich ner, außerhalb der Gesellschaft stehender Faktor betrachtet, sondern viel-
aber ein neues Verständnis von Technikgeschichte, ein neuer Forschungs- mehr als gesellschaftlich geformt interpretiert. In Anknüpfung an die vor
allem von Thomas S. Kuhn angestoßene wissenschaftssoziologische De-
ansatz, der sich um eine Untersuchung der Technik in ihren gesellschaftli-
chen, ökononlischen, politischen und kulturellen Entstehungs- und Ver- batte über den Charakter naturwissenschaftlicher Erkenntnisse lautet die
wendungszusammenhängen bemühte. In der Bundesrepublik gewann ein grundlegende These der neuen Techniksoziologie, dass auch Technik unter
solcher Ansatz vor allem seit den 1960er Jahren an Boden. Nachdem die dem Einfluss vielfältiger gesellschaftlicher Rahmenbedingungen »sozial
Technikgeschichte jahrzehntelang von der Geschichtswissenschaft kaum konstruiert« sei, dass die soziale Umgebung auch die technischen Charak-
zur Kenntnis genommen worden war, wandten sich nun verstärkt ausge- teristika von Artefakten und Verfahren forme. Ausdrücklich wandte sich
die neue soziologische Technikforschung damit von der Vorstellung eines
18 Beispiele fir technischen Determinismus, einer gleichsam entpolitisierten und menschli-
phantastische bzw. utopische Projekte finden sich u.a. in: Möser, »Amphi- chem Einfluss entzogenen »Sachgesetzlichkeit« von Technik ab.22
bien«, Päch, »Utopien«. Eine interessante Zusammenstellung verschiedener nicht weiter
verfolgter technischer Ideen bietet irn Internet die Seite rexresearch.com
. Neben ernst- 20 Ferguson, »Discipline«, S. 16f., Weber, »History«,
zunehmenden Erfindungen werden auch hier allerdings zahlreiche phantastische bzw. Engelskirchen, »History«, Schulze,
regelrecht versponnene Projekte präsentiert, deren Misserfolg zudem verschwörungs- Geschichtswissenschaft, Ludwig, »Technikgeschichte«, Treue, »Technikgeschichte«.
theoretisch gedeutet wird. Siehe: Rexresearch, 28.9.2004, http://www.rexresearch.com/ 21 Mumford Jones, »Ideas«, S. 25.
index.htm.
22 Siehe u.a.: Joerges, »Soziologie«, insbesondere S. 59 und S. 80, Hörning, »Umgang«,
19 Ittner, Dieselmotoren,
S. 224. Siehe auch: Lewis, »Research«. Marsch, insbesondere S. 90f., Fox, »Introduction«, S. if., MacKenzie, »Properties«,
insbesondere S. 27ff. Industlieforschaq, insbesondere
S. 262f., Huisinga, Theorien, S. 215ff. Zum Konzept des technischen Determinismus
siehe insbesondere auch: Smith/Marx, Technology.
20 GESCHEITERTE INNOVATIONEN
EINLEITUNG 21
Von besonderer Bedeutung ist, dass der sozialkonstruktivistische An-
In den 1960er Jahren begannen vor allem Betriebswirte, die zentralen
satz in Bezugnahme auf die Wissenschaftssoziologie explizit die gleichge-
wichtige Untersuchung erfolgreicher und nicht erfolgreicher Entwicklun- Einflussfaktoren für erfolgreiche, respektive erfolglose Innovation zu un-
gen, die symmetrische Analyse geglückter und gescheiterter Innovationen tersuchen. In der Folgezeit entstanden zahlreiche empirische Studien, die
sich dieser so genannten »Erfolgsfaktorenforschung« zuordnen lassen.24
forderte. Besonders einflussreich war dabei einerseits der vor allem von
Wiebe E. Bijker und Trevor Pinch propagierte »SCOT« Beschäftigt man sich mit diesen Arbeiten, so gewinnt man zunächst den
-Ansatz (»Social
Construction of Technology«) Eindruck, die Ursachen für den Erfolg oder Misserfolg von Innovations-
und andererseits die besonders von Michel
Callon, John Law und Bruno Latour favorisierte versuchen seien inzwischen umfassend untersucht, jede weitere Beschäfti-
»Actor-Network Theory«.
gung mit dem Thema sei daher überflüssig. Bei näherem Hinsehen offen-
In beiden Fällen ging es letztlich darum, den Einfluss der verschiedensten
baren sich allerdings einige Probleme bzw. Defizite dieser Erfolgsfaktoren-
sozialen, politischen und ökonomischen Faktoren auf die technische Ent-
forschung.
wicklung zu untersuchen. Scheitern wie Erfolg wurden als gleichwertige
Zunächst stößt man auf ein Problem, das bereits in Zusammenhang
»soziotechnische Phänomene«, das eine wie das andere nicht mehr not-
mit der Definition des Innovationsbegriffs angesprochen wurde: Die ver-
wendigerweise als Folge bestimmter Eigenschaften der Technik selbst,
schiedenen Autoren gehen von sehr unterschiedlichen Definitionen dessen
sondern als Folge häufig komplexer, heterogener gesellschaftlicher Rah-
aus, was eine Innovation und damit ggf. auch was eine gescheiterte Inno-
menbedingungen begriffen. Erst durch deren gleichgewichtige Unter-
vation ist. Es werden zudem sehr unterschiedliche Branchen und — insbe-
suchung, so die Sozialkonstruktivisten, seien befriedigende Einblicke in
den Prozess technischer Entwicklung gewinnbar.23 sondere was den Grad der Neuerung anbelangt — auch sehr unterschiedli-
che Innovationsvorhaben in den Blick genommen. Schließlich sind be-
Die »techniksoziologische Wende« der 1980er Jahre führte nicht nur
stimmte Studien als reine Misserfolgs-25, andere als reine Erfolgsuntersu-
dazu, dass vermehrt die Untersuchung fehlgeschlagener Innovationen
chungen26 angelegt, während eine dritte Gruppe versucht, Erfolg- und
gefordert wurde, sondern auch zu einem zumindest partiell durchaus
Misserfolg gleichgewichtig zu untersuchen.27 Aufgrund der außerordentli-
fruchtbaren und für die Technikgeschichtsschreibung befruchtenden Aus-
chen Heterogenität der Untersuchungsansätze ist eine vergleichende Inter-
tausch zwischen Techniksoziologen und Technikhistorikern. Die Aus-
einandersetzung mit sozialkonstruktivistischen Ansätzen schärfte dabei
sicherlich das Bewusstsein für die soziale Dimension technischen Schaf-
fens.
Was die wirtschaftswissenschaftliche Forschung anbelangt, so hat sich
24 Gute Zusammenfassungen der verschiedenen Untersuchungen finden sich bei:
diese intensiv mit dem Phänomen der Innovation auseinandergesetzt. Seit Lilien/Yoon, »Determinants«, Kotzbauer, »Erfolgsfaktoren«, insbesondere S. 8-19,
den grundlegenden ersten Veröffentlichungen Joseph Alois Schumpeters Trommsdorff, »Erfolgsfaktorenforschung«, insbesondere S. 139ff., Eichhorn, Risiko-
Anfang des 20. Jahrhunderts (vgl. S.24) entstand eine inzwischen kaum management, S. 16ff., Staudt/Kriegesmann, »Innovationsmanagement«, S. 365f.
25 Etwa, Lazo, »Key«, Cooper, »Products«, Crawford,
mehr zu überblickende Fülle von Veröffentlichungen, die ein breites »Marketing«. Vgl. auch: Ders., »Pro-
duct«.
Spektrum von Fragestellungen bearbeiten. Die Spannbreite reicht von 26 Etwa, Myers/Marquis, Innovations, Rubenstein/Chakrabarti/O'Keefe/Souder/Young,
grundsätzlichen innovationstheoretischen Überlegungen bis zu detaillierten »Factors«, Voss, »Determinants«.
betriebswirtschafdichen Studien, die einzelne Rahmenbedingungen des 27 Vorbildgebend und besonders einflussreich war hier das Ende der 1960er Jahre an der
Innovadonsprozesses in den Blick nehmen. University of Sussex angelaufene »Scientific Activity Predictor from
Patterns with Heu-
ristic Origins Project«, kurz SAPPHO-Projekt. Im Rahmen des SAPPHO-Projekts wur-
den erstmals paarweise Innovationsversuche untersucht, von denen jeweils einer kom-
merziell erfolgreich war, der andere hingegen scheiterte. Zum SAPPHO-Projekt und zu
23 Siehe
u.a.: Bijker/Pinch, »Constrution«, S. 24f., Bijker/Law, »Introduction«, S. 3, Bijker, dessen Ergebnissen siehe u.a.: Robertson, Alanasement, S. 4ff.,
Centre for the Study of
»Studies«, S. 242, Heilige, »Leitbilder«, Industrial Innovation, Success, Rothwell, »SAPPHO«, Freemann,
S. 196, Kunkel, »Electron Microscope«, S. 82, Economics, S. 113ff. Zu
Pinch, »Construction«, insbesondere weiteren Untersuchungen ähnlichen Zuschnitts siehe u.a.: Utterback, »Process«, Maidi-
S. 22, Maller/Veyrassat, »Einleitung«.
que/Zirger, »Study«, Cooper/Kleinschmidt, »Product«,
Zirger, Product Innovation.
22 GESCHEITERTE INNOVATIONEN
EINLEITUNG 23
pretation der Befunde problematisch, worauf in zusammenfassenden Ver-
öffentlichungen auch immer wieder hingewiesen wurde.28 Versucht man trotz ihrer problematischen Heterogenität die Ergebnisse
Noch problematischer erscheint allerdings die Datenerhebung, auf de- der betriebswirtschaftlichen Erfolgs faktorenforschung knapp zusammen-
ren Grundlage die Studien basieren. Die Untersuchungen beruhen aus- zufassen, so kann man einige Faktoren identifizieren, die immer wieder als
nahmslos auf Interviews oder Fragebögen: Ex post wurden Mitarbeiter entscheidend für Erfolg oder Misserfolg eines Innovationsvorhabens ge-
und Manager, die an Innovationsprojekten beteiligt waren, zu ihren Erfah- nannt werden: der Markt- bzw. Konkurrenzfaktor (Stärke des Wettbe-
rungen befragt bzw. aufgefordert, standardisierte Fragebögen auszufüllen.29 werbs bzw. Stärke etablierter Wettbewerber, Kenntnis der Märkte), der
Daraus ergeben sich verschiedene das Ergebnis verzerrende Konsequen- FuE-Faktor (angemessene FuE-Ressourcen, effiziente FuE-Organisation,
zen. Naheliegendenveise erhält man nur Informationen, die die Beteiligten ausreichende Entwicklungszeit, umfassende Produktionsvorbereitung), der
zu geben bereit waren. Auch die übliche Anonymisierung der Befragung Produktfaktor (erkennbarer Vorteil des neuen Produktes, Alltagstauglich-
schützt dabei weder vor bewusster Informationsmanipulation noch vor der keit des Produktes, angemessene Preis-Leistungs-Relation), der Absatz-
ggf. sehr subjektiven Beurteilung von Erfolg- und Misserfolg sowie der faktor (ausreichende Verkaufsförderung und Werbung, ausreichende
dafür verantwortlichen Faktoren. Die Ergebnisse bleiben an die zwangsläu- Kenntnis der Kundenwünsche, angemessene Distributionsmöglichkeiten
fig beschränkte Perspektive der Beteiligten gebunden. Besonders bedauer- zur Erschließung des Marktes) sowie der Managementfaktor (Unterstüt-
lich ist, dass diese Datenerhebung dem prozesshaften Charakter von Inno- zung des Innovationsprojektes durch das Top-Management, Güte der
vationen nicht gerecht wurde. Die Befragten waren sich zum Zeitpunkt der Projektplanung, kontinuierliche Abstimmung zwischen den beteiligten
Akteuren) 31
Befragung stets der Ergebnisse ihrer Innovationsbemühungen bewusst,
interpretieren die abgeschlossenen Projekte mithin unter dem Eindruck Unbefriedigend ist bei diesen Ergebnissen zum einen, dass die techni-
dieses Wissens. sche Entwicklung selbst von bestenfalls untergeordnetem Interesse ist.
FuE findet im Wesentlichen in der »Black Box« statt, in die bestimmte
Die Relevanz der betriebswirtschaftlichen Erfolgsfaktorenuntersuchung
für die historische Innovationsforschung wird darüber hinaus durch die Inputs eingebracht werden und aus der im Erfolgs fall ein Produkt mit den
naturgemäß fachspezifische Fragestellung der Studien eingeschränkt. Ziel gewünschten technischen Eigenschaften, im Nlisserfolgs fall ein »fehler-
dieser Arbeiten ist es, konkrete Empfehlungen für das zukünftige Innova- haftes« Produkt als Output herauskommt. Programmgemäß geht es der
tionsmanagement abzuleiten. Misserfolge werden daher stets als Folge von betriebswirtschaftlichen Innovationsforschung eben nicht um ein besseres
Managementfehlern wahrgenommen, bei Vermeiden dieser Fehler er- Verständnis des technischen Handelns. Charakteristisch für die Ergebnisse
scheint entsprechend auch das Scheitern vermeidbar bzw. der Erfolg re- der Erfolgsfaktorenforschung scheint zum anderen die große Pauschalität
produzierbar. Bei dieser Interpretation des Innovationsprozesses werden ihrer Ergebnisse. Da sie explizit allgemeine, branchenübergreifende und
unwillkürlich die vom Management kontrollierbaren Faktoren als die für situationsunabhängige Faktoren untersuchen bzw. identifizieren will, kann
Erfolg oder Misserfolg entscheidenden wahrgenommen, andererseits die diese Pauschalität kaum verwundern. Die quantitativ-statistische Auswer-
nicht kontrollierbaren tendenziell unterbewertet.3°

28 Siehe etwa, Eichhorn, Risikomanagement


S. 19f., Hauschildt, »Messung«, S. 452, Kotz-
bauer, »Erfolgsfaktoren«, S. 6f., Staudt/Kriegesmann, »Inovationsmanagement«, 31 Bemerkenswert ist die hohe Redundanz der Untersuchungsergebnisse vom frühen
S. 364f., Tromrnsdorff, »Erfolgsfaktorenforschun SAPPHO-Projekt bis zu jüngsten Veröffentlichungen. Siehe u.a.: Center for the Studies
29 Eichhorn, Risikomanagement, g«, S. 137.
of Innovations, Success, insbesondere S. 5f., Eichhorn,
S.
dorff, »Erfolgsfaktorenforschun 20ff., Kotzbauer, »Erfolgsfaktoren«, S. 124, Tromms- Risikomanagement, S. 40ff., Free-
g«, S. 141. man, Economics,
S. 112 und S. 124ff., Kotzbauer, »Erfolgsfaktoren«, S. 8ff., insbesondere
30 Eichhorn, Risikomanagement aber S. 18, Lilien/Yoon, »Determinants«, zusammenfassend auf S. 3,
S. 72, Staudt/Kriegesmann, »Inovationsmanagement«, S.
365f., Trommsdorf, »Erfolgsfaktorenforschun Staudt/
g«, S. 140 und S. 142. Vgl. auch: Cooper, Kriegesmann, »Inovationsmanagement«, S. 367ff., Kriegesmann/Staudt, »Misserfolgs-
»Identifying«, S. 135.
faktoren«, S. 134f. Als Beispiel für eine aktuelle Veröffentlichung siehe etwa, Barske,
»Wegweiser«.
24 GESCHEITERTE INNOVATIONEN
EINLEITUNG 25
tung großer Samples32 wird zwangsläufig der Komplexität von Erfolgs
wird. Während in der bis dahin dominierenden neoklassischen Sichtweise
undMisserfolgsbedingungen im Einzelfall nicht gerecht; die Aussagen
der »technische Fortschritt« als exogener Faktor, als »öffentliches Gut« und
bleiben unscharf; der tatsächliche Innovationsablauf gerät nicht in den
Blick der Untersuchungen. reine Potentialgröße interpretiert wurde, rückte nun der technische Wandel
als ein für die ökonomische Entwicklung zentraler Faktor in den Mittel-
Neuere Veröffentlichungen zum Innovationsmanagement stellen den
punkt der gesamtwirtschaftlichen Theorieentwicklung. Schumpeters Ana-
Sinn der klassischen Erfolgsfaktorenforschung inzwischen grundsätzlich in
lyse35 des Zusammenhangs von Wettbewerb und Innovation bildete dabei
Frage, da deutlich geworden ist, dass sich von ihren Ergebnissen — anders
die Grundlage, gleichsam den Ausgangspunkt der modernen volkswirt-
als ursprünglich erhofft — eben kaum allgemeingültige Handlungsmaximen
schaftlichen Innovations forschung. Entwicklung und Fragestellung dieser
für den betrieblichen Innovationsprozess ableiten lassen. Die Hoffnung,
Forschung können hier bestenfalls knapp angerissen werden: Gefragt
immergleiche »Stellschrauben« für innovativen Erfolg identifizieren und
wurde und wird u.a. nach den entscheidenden Ursachen für die Inno-
das konkrete Management auf deren »Justierung« konzentrieren zu kön-
vationstätigkeit von Unternehmen (zum Beispiel »technology-push«- versus
nen, hat sich nicht erfüllt. Obwohl nach wie vor zahllose Ratgeber auf dem
»demand-pull«-Hypothese), nach dem Zeitpunkt von Innovationen (Inno-
Markt sind, die mehr oder minder starre Handlungsanweisungen für er-
folgreiches Innovationsmanagement vorgeben33 vation in Krisenzeiten versus Innovation in Boomphasen), nach dem Ver-
, wenden sich aktuelle hältnis von Aufwand zu Ertrag bei den FuE-Ausgaben, nach den Bezie-
betriebswirtschaftliche Handbücher von dieser Form des Innovationsma-
hungen zwischen innovativen und imitierenden Unternehmen, nach der
nagements ab. En vogue ist zur Zeit eher das Plädoyer für einen grund-
Bedeutung von Marktstruktur und Unternehmensgröße für das Neu-
sätzlicheren personellen, strukturellen und organisatorischen Umbau von
erungsverhalten, nach dem Einfluss institutioneller und sozialer Rahmen-
Unternehmen, um deren Innovationspotential, deren Risikobereitschaft
und innovative Aktionsfähigkeit zu erhöhen.34 bedingungen, staatlicher Interventionsmaßnahmen sowie von Standort-
faktoren auf die Innovationsbereitschaft.36
Als Fazit bleibt festzuhalten, dass die betriebswirtschaftliche Innova-
Es geht also vor allem um die gesamtwirtschaftlichen Ursachen für In-
tionsforschung zwar wichtige Anregungen gibt und auch den Blick für ver-
novation, um ökonomische Einflussfaktoren, um das theoriebasierte Ver-
breitete betriebliche Innovationshemmnisse zu schärfen vermag. Zur Aus-
ständnis der Gründe für innovatorisches Handeln. Der Innovationsprozess
einandersetzung mit innovativem Scheitern im hier beabsichtigten Sinne
kann sie aber nur relativ wenig beitragen. selbst wird zwar als risikobehaftet wahrgenommen, sein tatsächlicher 1/er-
/a#' ist jedoch kaum von Interesse, die Ursachen für innovatorisches
Nimmt man nun die volkwirtschaftliche Innovations
forschung in den Scheitern im Einzelfall bleiben ohne Belang. Für die hier angestrebte Aus-
Blick, so ist festzustellen, dass seit der »Schumpeter-Renaissance« der spä-
einandersetzung mit gescheiterten Innovationen sind die Ergebnisse dieser
ten 1970er, frühen 1980er Jahre eine intensive Diskussion um die gesamt-
»traditionellen« Innovationstheorie daher nur sehr bedingt relevant.
wirtschaftlichen Ursachen und Folgen technischer Entwicklung geführt
Wendet man sich der technikhistorischen Forschung zu, so spielt das
32 Rubenstein, Phänomen des Scheiterns auch in zahlreichen Untersuchungen eine Rolle,
Chakrabarti u.a. untersuchen beispielsweise 103 Innovationsprojekte, bei
Lilien und Yoon sind es 112 Projekte, bei Cooper die sich primär mit erfolgreichen Entwicklungen auseinandersetzen. Miss-
195 und bei Cooper und Klein-
schmidt sogar 203 Innovationsprojekte erfolg taucht hier im Sinne vorübergehender Rückschläge, nach einiger
in 125 Finnen.
33 Allein in den vergangenen zwei Jahren erschienen diverse Veröffentlichungen diesen Zeit aufgegebener Entwicklungswege bzw. letztlich nicht zielführender
Zuschnitts. Siehe etwa: Dankbaar,
Innovation, Schwarz, Innovationsmanagement, Bertz,
Managing, Blackburn,
Intellectual Property, Burgelman/Christensen,
Wahren, Eolgsfaktor S trategic Management,
35 Zu Schumpeters Interpretation von innovatorischem Handeln und konjunktureller
34 Zur Kritik an der traditionellen Erfolgsfaktorenforsch Entwicklung siehe: Schumpeter, Theorie, S. 88ff und S. 132ff., Schumpeter, Konjunktur-
gen siehe u.a.: Mumford Jones, »Ideas«, ung und zu neueren Entwicklun- uklen, S. 94ff. und S. 110ff., Schumpeter, »Unternehmer«, S. 483.
S. 484f., Staudt/Kriegesmann, »In Jones/Stevens, »Micropolitics«, insbesondere
ovationsmanagement«, S. 366 und S. 376ff., Krieges- 36 Siehe u.a.: Kromphardt/Teschner, »Innovationstheorie«, insbesondere S. 236-242,
mann/Staudt, » Canter/Hanusch, »Innovationstheorie«, insbesondere S. 17f., Erdmann, Elemente,
Misserfolgsfaktoren«, S. 136f., Trommsdorff, »Erfolgsfaktorenfor-
schung«, S. 143f, Kotzbauer, »Erfolgsfaktoren«, S. 123. zusammenfassend S. 201ff. , Huisinga, Theorien, S. 251ff., Auffermann/Staudt, Innova-
tiovmzefl, S. 6ff., Strecker, Innovationstheorie, S. 3ff., Weckwerth,
Innovationstheorie, S. 11ff.
26
GESCHEITERTE INNOVATIONEN
EINLEITUNG 27
Sackgassen auf. Scheitern wird damit zum reinen Vorspiel von Verbes-
serung und Erfolg. Die sich schließlich durchsetzenden Technologien, so langen Phase des Erfolgs irgendwann verschwundenen sind.39 Auch diese
eine verbreitete Interpretation, haben Erfolg, weil sie gut funktionieren Arbeiten gehören definitionsgemäß nicht in den Forschungsbereich der
und gesellschaftliche Bedürfnisse befriedigen, der Misserfolg der »Aussor- »Fehlgeschlagenen Innovationen«, wie er hier verstanden werden soll.
tierten« zeigt hingegen, dass diese genau das eben nicht konnten. Eine Diese letzte Kategorie von »Failure Studies« leitet zu einem Problembe-
eingehendere Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen, Bedingungen reich über, der bereits wiederholt angesprochen wurde: der starken Hete-
und Hintergründen des Scheiterns findet in diesen Arbeiten in der Regel rogenität bisheriger Untersuchungen in definitorischer, darüber hinaus aber
nicht statt.37 auch in methodischer und thematischer Hinsicht. Die Vielfalt der Themen
Welche Studien lassen sich nun aber tatsächlich dem Forschungsbe- spiegelt dabei letztlich nur die Breite des Forschungsfeldes, die Vielzahl
reich »Fehlgeschlagene Innovationen« in einem engeren Sinne zuordnen? untersuchungswürdiger Beispiele. Um — leicht modifiziert — mit Bernard
Versucht man, das Forschungsfeld einigermaßen exakt einzugrenzen, so Real zu sprechen: Der Friedhof gescheiterter Innovationen ist zum Bersten
vo11.4o
stößt man zunächst auf ein Problem, das sich aus einer semantischen und
damit letztlich auch definitorischen Unschärfe im englischsprachigen Raum Bemerkenswerter und problematischer erscheint die Uneinigkeit in de-
ergibt: Unter dem Label »Failure Studies« finitorischer Hinsicht. Technikhistoriker, Techniksoziologen, Wirtschafts-
werden dort sehr unterschiedli-
che Untersuchungsgegenstände zusammengefasst. Envartungsgemäß fin- wissenschaftler und andere, die sich bisher mit fehlgeschlagenen Innovati-
det man Studien, die sich tatsächlich mit den Ursachen innovatorischen onen auseinandergesetzt haben, wandten z.T. explizit, noch wesentlich
Scheiterns am Beispiel einzelner Innovationsprozesse auseinandersetzen, häufiger jedoch implizit, ganz unterschiedliche Kriterien für die Diagnose
also ohne Zweifel dem Forschungsfeld zuzuordnen sind. des Scheiterns an. Legt man die oben eingeführte Definition für innovato-
Darüber hinaus umfasst der Begriff risches Scheitern als Maßstab an, so bleiben in etwa vier Dutzend Untersu-
»Failure Studies« aber Arbeiten zu
Phänomenen, die im Deutschen wohl am besten mit dem Begriff des chungen übrig, die sich mit Fehlschlägen in diesem Sinne beschäftigen.'
»technischen Versagens«
zu beschreiben wären (zum Beispiel einstürzende
Brücken, abstürzende Flugzeuge oder kollabierende Dämme). 39 Eine wahre »Fundgrube« für »Failure Studies« in diesem sehr problematischen Sinne
38 Es handelt bildet the Zusammenstellung bei: Staudenmaier, S togtellers,
sich mithin um Untersuchungen, die zum Verständnis innovatorischen S. 220. Siehe zum Beispiel:
Esper, »Replacement«, Frazier, »Telegraphic«, Hunter,
Scheiterns wenig beizutragen vermögen. »Past«, Tucker, »Rysselberghe«.
40 Real, Puce, S. 26: >Le cimitiere des innovations non
difussees est plein a craquem
Schließlich stößt man unter der Kategorie 41 Beispielsweise gehören die unter dem Label >Gescheiterte Innovationen veröffentlichten
»Failure Studies« auf durch-
aus erfolgreiche Technologien, deren Verwendung oder Verbreitung aber Arbeiten von W. David Lewis und William F. Trimble, Robert McCutcheon und
Hugh
einige vermeintliche Besonderheiten aufwiesen: Sei es, dass diese Techno- S. Torrens m.E, nicht zum Forschungsbereich im engeren Sinne, da hier wirtschaftlich
durchaus erfolgreiche Technologien untersucht werden. Lewis und Trimble sowie Tor-
logien nur in einem Nischenmarkt erfolgreich waren, dass sie nur für eine rens problematisieren die Zuordnung ihrer Aufsätze zum Forschungsfeld auch selbst.
relativ kurze Übergangszeit Erfolg hatten oder aber dass sie nach einer McCutcheon interpretiert den industriellen Wohnungsbau aufgrund anderer als wirt-
schaftlicher Kriterien als Misserfolg, Lewis untersucht mit dem Airmail Pickup System
eine Technologie, die zeitlich befristet durchaus erfolgreich war, und Torrens untersucht
Technologien, bei denen zwar der Innovator
wirtschaftlich scheiterte, die Innovationen
selbst (Zweitakt-Motor, Rotationskolbenpumpe) aber erfolgreich war. Auch die Unter-
suchung »Why Innovation Fails«
von Arthur Levine gehört trotz ihres vielversprechen-
37 Es scheint wenig sinnvoll, aus der Fiille entsprechender Arbeiten hier einige xvenige den Titels nicht zur Fehlschlagforschung im hier definierten Sinne, da der Autor sich
herauszugreifen. Zusammenfassend hierzu siehe
Ferguson, »Discipline«, S. 16ff. abet, Lipartito, »Picturephone«, S. 53, ausschließlich mit dem Scheitern organisatorischer und curricularer Reformbemühungen
38 Zahlreiche entsprechende in US-amerikanischen Universitäten auseinandersetzt. Scheitern kann hier also nicht als
graphy, Schlager, »Failure Studies« Scheitern am Markt interpretiert werden. Siehe: Lewis/Trimble, »Airmail«,
finden sich zum Beispiel in: Herring, Biblio-
Disasters. Vgl. auch: Petroski, McCutcheon,
»Science«, Torrens, »Study«,
Hendley Dobbin, Role, Petroski, Design, Petroski, »Success«, Torrens, »Feuerheerd«, Levine, Innovation.
»Klebstoff«. Weitere Untersuchungen, die unter Auf der anderen Seite gehören bestimmte Studien zum Forschungsfeld, die von den
mieren und in diese Kategorie fallen: Burke, »Boilers«, »Failure Studies« fir-
Pearson, »Princeton«. Autoren selbst diesem nicht unbedingt zugeordnet worden sind. Etwa, Schinkel, »Last-
rohrflo13«, Bartels,
»Winterschmides«, Schmucki, »Verkehrssysteme«.
28
GESCHEITERTE INNOVATIONEN
EINLEITUNG 29
Es handelt sich dabei ausschließlich um Einzelfallstudien, deren Ergebnisse
überwiegend in Aufsatzform veröffentlicht wurden. Die bisher erschiene- Trotz der schon frühen Appelle, sich mit innovatorischem Scheitern zu
nen NIonographien lassen sich fast noch an den Fingern einer Hand ab- beschäftigen, entstanden nur wenige der heute vorliegenden Arbeiten vor
zählen42, vergleichende Untersuchungen mehrerer Innovationsvorhaben Mitte der 1 980er Jahre.45 Einen gewissen Aufschwung nahm die Auseinan-
oder zusammenfassende Arbeiten mit Überblickscharakter fehlen bisher dersetzung mit fehlgeschlagenen Innovationen seit Ende der 1980er Jahre,
nahezu gänzlich.43 was m.E. vor allem auf zwei Faktoren zurückzuführen ist.
Zudem sind eine Reihe von Fallbeispielen zwar in Form
von Tagungsvorträgen präsentiert, bisher aber leider nicht veröffendicht Zum einen spielte das bereits angesprochene 1989 von Hans-Joachim
worden.44 Braun im Rahmen der ICOHTEC Tagung in Hamburg organisierte Sym-
posium zu »Failed Innovations« eine wesentliche Rolle. Auf der Tagung
selbst wurde erstmals eine Reihe von Fallbeispielen für gescheiterte Inno-
42 Hendry, Covuter, vationen gemeinsam präsentiert und diskutiert. Noch wichtiger aber war,
Graham, RCA, Knie, Irankel-Alut,
Schneider, Techmkentwicklun<,. Latour, Arands, Lindgren, Glog, dass die verschiedenen Beiträge 1992 in einem von Braun eingeleiteten
43 Eine gewisse Ausnahme bildet hier der bereits erwähnte von Hans-Joachim Braun
Themenheft der »Social Studies of Science« gemeinsam veröffentlicht
herausgegebene Z
eitschriftensonderban d zu wurden.46 Mit diesem Zeitschriftenband gelang es erstmals, das
»Failed Innovations«, in dem eine Reihe
von Fallbeispielen
wird. Braun, präsentiert und in der Einleitung zusammenfassend kommentiert Forschungsgebiet »Gescheiterte Innovationen« etwas deutlicher zu umrei-
Syvosium.
ßen. In der kommentierenden Einleitung formulierte Braun zudem erste
Auf den ersten Blick scheint auch ein 2002 erschienenes Buch von Christian Mähr mit
dem Titel »Vergessenen Erfindungen
« grundsätzliche Überlegungen zur historischen Relevanz sowie zur Defini-
einige Beispiele für gescheiterte Technologien
gemeinsam
gene zu präsentieren. Tatsächlich enveist es sich aber als außerordentlich hetero- tion und ansatzweise zur Typologisierung des »innovatorischen Schei-
Z usammenstellun
g
von Fallbeispielen für vermeintlich aus dem »technischen terns«, welche die Auseinandersetzung mit fehlgeschlagenen Innovationen
Bewusstsein« verschwundene Erfindungen. Unter anderem werden dem Leser der Flett- befruchteten und bis heute beeinflussen.47
ner-Rotor, die Natronlok, der Absorberkalschrank, der optischen Telegraph, der
Imbertsche Holzgasgenerator sowie verschiedene Kunstsprachen vorgestellt. In
Der zweite Faktor, der zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit
the dem Phänomen des Scheiterns führte, war die bereits erwähnte »technik-
Kategorie »gescheiterte Innovation« gehören bestenfalls der Hettner-Rotor,
the
Natronlok
sind hingegund
en mit einigem guten Willen auch der Absorberkühlschrank, »vergessen« soziologische Wende« der 1 980er Jahre. In Reaktion auf die Forderung,
fast alle Beispiele sehr viel weniger g,ründlich, als Mähr annimmt. Keines auch Misserfolge zu untersuchen, entstanden verschiedene Studien zu
der präsentierten Beispiele wird auch nur annähernd zufriedenstellend analysiert, Mähr
innovatorischen Fehlschlägen. Methodisch orientieren sich diese Arbeiten
perpetuiert vielmehr den Mythos vom »verkannten Erfindergenie« und macht den Leser
zum Opfer seiner häufig wenig strukturierten Assoziationsketten. Mähr,
dungen. I7eisessene En-
44 Das gilt einerseits für die Vorträge in der Sektion
Failure« auf der »Technical Success and Practical
SHOT
Workshops »Innovation -Tagung 1999 und andererseits für die im Rahmen des
Failure Cases« Market for British Hovercrafts, Peters, Stuart, Failure and Success of the Liquid Crystal
gehaltenen Vorträge. Beiträge der Aarhus Business School im September 2000
Half-Century of SHOT 1999: Lewis, Display Technology (Manuskripte bzw. Abstracts liegen dem Verfasser vor).
Dan, The Empire Strikes Out, A
45 Ausnahmen: Post, »Page Locomotive«, Leslie, »Copper-Cooled Engine«, Braun, »Koh-
Railroad, Technical Success and Practical Failures on the South Pacific
Schramm, Jeff, No Chuff of Mexico lenstaubmotor«, Noble, Automation, Callon, »Electrical Vehicle«, Flick, »Movement«.
Failure of the Steam Just
Turbine LocomotiveWhoosh, The Technical Success and Practical 46 Das Themenheft zu gescheiterten Innovationen enthält folgende Aufsätze:
tive Chapter in in the U.S., Freeze, Buchanan,
the Pre-History- of HVE Karen J., A Mostly Abor-
ding, 19604973, (Home Video Era), Electronic »The Atmospheric Railway«, Torrens, »Study«, Todd, »Electric Ploughs«, Efmertovä,
Slater, Ian J., Video Recor-
Reactors Designs at Nuclear Achilles Said to »Television«, Lewis/Trimble, »Airmail«, Stranges, »Nitrogen Fixation«, Braun, »Auto-
and the SLOPOKE the Tortoise, Passively Safe
ser vor). Beiträge Aarhus Business Nuclear Reactor (Manuskripte liegen dem Verfas- motive Gas Turbine«, McCutcheon, »Science«, Huh, »Itera Plastic Bicycles, Hacker,
Fuel Additive to School Workshop 2000: »Paraglider«.
meet the Californian Green, Ken, An Alcohol-
A new 47 Braun, »Introduction«, insbesondere S. 215ff. Siehe auch:
Reservation and Scheduling Emission Standards, Mitev, Natalie, »SOCRATE". Cooper/Sinclair, »Conference
Software for the French Report«. Zur Wirkungsgeschichte siehe u.a.: Ittner,
High-Speed Rail Network, Diesehnotoren, S. 14ff., Mom, »Elek-
Graham, Ian, Electronic Auctions for British Livestock Markets, Howells, John,
Retail tromobil«, S. 270 und S. 283, Edgerton, »Use«,
Funds Transfer Network insbesondere S. 1231. und S. 135, Goo-
A New
for the British Retail Banks, day, »Re-Writing«, passim, insbesondere aber S. 268ff. und
Spinardi, Graham, A Mass S. 288, Lipartito, »Picture-
phone«, insbesondere S. 54f.
30
GESCHEITERTE INNOVATIONEN
EINLEITUNG 31
in unterschiedlich starkem Maße an den erwähnten sozialkonstruksti-
schen Ansätzen 48
zern differierenden Deutung der neuen Technik betrachtet.5° Problematisch
Versucht man, die vorliegenden Studien zu fehlgeschlagenen Innovati- am sozialkonstruktivistischen Ansatz ist allerdings, dass die Eigenschaften
onen insgesamt ihren methodischen Ansätzen entsprechend zu kategorisie- der Technik selbst, etwa ihre Funktionsfähigkeit oder Wirtschaftlichkeit,
ren, so wird man feststellen, dass eine ganze Reihe von Arbeiten über ihren mitunter aus dem Blick geraten, mithin die Gefahr eines soziologischen
Untersuchungsansatz nicht explizit Auskunft gibt. Charakteristisch für Reduktionismus besteht.51
viele dieser Studien ist der Versuch, den Gründen des Scheiterns durch Eng verwandt mit den sozialkonstruktivistisch orientierten Studien ist
eine mehr oder minder ausführliche Rekonstruktion des Innovationsab- eine kleine Gruppe von Arbeiten, die sich mit dem Einfluss so genannter
laufs auf die Spur zu kommen. Im Idealfall werden dabei die komplexen »Leitbilder«52 auf gescheiterte Innovationsversuche auseinandersetzt. Das
Zusammenhänge innovatorischen Scheiterns, die Wechselwirkungen zwi- Scheitern wird hier letztlich darauf zurückgeführt, dass ein wirkungsmäch-
schen R
ahmenbedingungen und Handeln der Akteure deutlich gemacht. tiges »Leitbild« — das heißt ein prägnant formuliertes, massiv entwicklungs-
Typisch ist allerdings auch, dass nach der möglichen Verallgemeinerungs- bestimmendes, bildhaftes Problemlösungskonzept53 — die dringend gebo-
fähigkeit der Ergebnisse nicht gefragt, auf Parallelen zu anderen Fallbei- tene Anpassung einer neuen Technologie bzw. eines neuen technischen
spielen bestenfalls am Rande verwiesen wird. Es bleibt also in der Regel Systems an die tatsächlichen Nutzerbedürfnisse oder aber an sich verän-
dem Leser überlassen, Verbindungen zu anderen Untersuchungen herzu- dernde Rahmenbedingungen verhinderte. Wieder ist zu bemerken, dass das
stellen.49
Konzept des »Leitbildes« einerseits zwar zum Verständnis technischen
Im Gegensatz dazu postulieren die einem sozialkonstrukstischen Handelns beizutragen vermag, andererseits aber die Gefahr eines gewissen
Reduktionismus in sich birgt.54 Die vorliegenden Studien bestätigen, dass
Ansatz verpflichteten Untersuchungen ihre prinzipielle Verallgemeine-
rungsfähigkeit, zumeist allerdings ohne diese durch Verweis auf andere unter dem Eindruck des Leitbild-Konzepts der Einfluss anderer hand-
Fallbeispiele zu exemplifizieren. Das Verdienst dieser Arbeiten liegt ihrem lungsleitender Faktoren tendenziell unterbewertet wird.55
Ansatz entsprechend vor allem darin, den prägenden Einfluss unterschied- Wirft man den beiden soeben vorgestellten stark techniksoziologisch
licher Akteure, ihrer spezifischen Interessen und insbesondere auch ihrer beeinflussten Arbeitsansätzen vor, sie würden dazu neigen, »harte« Fakten
spezifischen Werte auf die entstehende Technologie deutlicher gemacht zu wie die Wirtschaftlichkeit und Funktionsfähigkeit neuer Technologien
haben. Technik wird hier wesentlich als Gegenstand unterschiedlicher unterzubewerten, so stellt sich unmittelbar die Frage, wie diese denn im
Interpretationen, Scheitern insofern als das Ergebnis einer Innovationsprozess zu ermitteln sind. Von zentraler Bedeutung dafür sind
ggf. Zwischen
verschiedenen Gruppen bzw. Individuen, zwischen Entwicklern und Nut- Versuche bzw. Tests, mit denen verlässliche Aussagen über die Eigen-
schaften neuer Technologien gewonnen werden sollen. Für den Verlauf

50 Vgl. u.a.: Callon, »Electrical Vehicle«, Carlson, »Artifacts«, Heymann,


48 »Windenergietech-
Zur »Kerngruppe" dieser Untersuchungen gehören: nik«, Hult, »Itera Plastic Bicycle«, Knie, Vankel-Mut, Latour
Carlson, »Artifacts«, Kunkel,
Aramis, Law/Callon, »Air-
»Electron Nlicroscope«, Lipartito, »Picturephone«, Latour, craft«, McCray »Telescope«, Noble, Automation,
Noble, »Machine Design«, Noble,
craft«, Todd »Electric Ploughs«. Aramis, Law/Callon, »Air- Alaschinenstiirmer, Todd, »Electric Ploughs«.
Deutlich beeinflusst vom sozialkonstruktivistischen Ansatz zeigen sich 51 Deutlich m.E, etwa bei, Callon »Electrical Vehicle«, Carlson, »Artifacts«,
u.a.: Hey-mann, Knie, Vankel-
»Wind Technology«, Heymann, »Windenergietechnik«, Kirsch, Mat, Noble, Automation, Noble, »Machine Design«, Noble,
IVankel-illut, Electric Vehicle, Knie, Alaschinenstiirmer, Vgl. auch:
bil«, Lyth, »Air Transport, 1920-195«, McCray, »Telescope«, Mom, König, »Technikgeneseforschung«, passim, insbesondere S. 245ff. und S. 259.
Noble, »Machine Design«, Noble, »Elektromo-
Automation, Maschinenstiirmer, insbesondere S. 98-132, Noble, 52 Zum Leitbild-Konzept siehe: Heilige, »Technikgeneseforschung«, Heilige, »Technikleit-
49 Siehe etwa: Schwartz Cowan, »Refrigerator«, Wildi, »Trürnmer«. bilder«, Lenz/Maier/Meyer, »Leitbildbegriff«.
motor«, Buchanan, »Atmospheric Railway«, Hacker, »Ramjets«, Ostersehlte, 53 Vgl. Heilige, »Technikgeneseforschung«, S. 196.
»Hydro-
Hacker, »Paraglider«, Leslie, »Copper-Cooled Engine«, Lewis/Trimble, »-
mail«, Lindgren, 54 Zur Gefahr des Reduktionismus siehe: Heilige, »Technikleitbilder«, S. 27, Bauer, »DKW-
Glog, Konzeption«, S. 176, Heymann, »Elektrizitätsversorgung«, S. 177ff.
Stranges, Schinkel, »Lastrohrflofl«, Schramm,
»Nitrogen Fixation«. Steam Turbine Locomotive,
55 Heilige, »Leitbilder«, Schrnucki, »Verkehrssysteme«. Vgl. auch: Mitev,
Reservation Software,
Graham, RCA, Lipartito, »Picturephone«.
32
GESCHEITERTE INNOVATIONEN
EINLEITUNG 33
von Innovationsprozessen sind solche Tests von großer Bedeutung: Sie
geben Orientierung, bestätigen im Erfolgsfall eingeschlagene Entwick- sehr differenzierten Analysen der technischen, ökonomischen und sozialen
lungswege und deuten auf zukünftige Marktchancen. Ihre Ergebnisse frei- Zusammenhänge.59
lich sind häufig nicht nur ausgesprochen interpretationsbedürftig, sondern Die verwirrende Vielzahl möglicher Ursachen droht den Blick auf vor-
über die jeweiligen Testbedingungen auch leicht manipulierbar. Trotz ihrer handene Regelmäßigkeiten, auf sich wiederholende Muster und Abläufe zu
zentralen Bedeutung für den Innovationsprozess spielt die genauere Unter- verstellen. Andererseits muss jeder Versuch, die für das Scheitern verant-
suchung von Tests, Testbedingungen und Testinterpretation bei der Erfor- wortlichen Ursachenbündel zu entflechten und die erkennbaren Ursachen-
schung fehlgeschlagener Innovationen bisher eine untergeordnete Rolle. stränge verschiedenen Kategorien zuzuordnen, den nicht ganz von der
Die wenigen vorliegenden Arbeiten lassen allerdings erkennen, dass gerade Hand zu weisenden Vorwurf provozieren, letztlich Apfel mit Birnen zu
ihre Untersuchung lohnenswert ist» vergleichen. Darüber hinaus zwingt der Versuch einer solchen Typologisie-
rung aus der »Vogelperspektive« zu einer Reduzierung von Komplexität,
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass sich angesichts der Hetero-
genität der Untersuchungsansätze stärker generalisierende Aussagen zu den die das Ergebnis tendenziell in die Nähe der oben kritisierten betriebswirt-
schaftlichen Erfolgs faktorenforschung rückt. Trotz dieser Einwände soll
Hintergründen und Bedingungen für innovatorisches Scheitern bisher nur
sehr vorsichtig und ansatzweise formulieren lassen. Wie im Grunde kaum im Folgenden jedoch eine »Typologisierung des Scheiterns« versucht wer-
anders zu erwarten, zeigen die bisher untersuchten Fallbeispiele, dass den, da nur auf diesem Wege die Überwindung des bisher vorherrschenden
»Sammelns« einzelner Fallbeispiele möglich scheint.6() Die in den bisheri-
Fehlschlägen viele unterschiedliche Probleme zugnmde liegen können. Die
Palette der für das Scheitern angebotenen Erklärungen reicht dabei von der gen Untersuchungen identifizierten Gründe für innovatorisches Scheitern
scheinbar schlichten Feststellung »unzureichender Zuneigung« können m.E. fünf Schwerpunkten zugeordnet werden:
57 zu einer
neuen Technologie über problematische Verschwörungstheorien 58 bis zu 1. Innovationsversuche, die aufgrund der spezifischen Konkurrenzsitu-
ation scheitern.
56 Collins/Pinch, Go/em, Weitgehend erwartungskonform dürfte die Feststellung sein, dass die
S. 2f. besonders aber S. 58-75: Crash! Nuclear Fuel Flasks and
Anti-Misting Kerosene on Trial. P jeweilige Konkurrenzsituation von überragender Bedeutung für Erfolg
Vgl. auch: inch/Ashmore/Mulkay, »Technology-, Testing, Text«.
MacKenzie, »Properties«, oder Misserfolg einer Neuerung ist. Für das Scheitern von Innovationsver-
rag, S. 340ff, Vincenti, insbesondere S. 253ff., MacKenzie, Inventing Accu-
Aeronautical Histog,
57 Bruno Latour insbesondere S. 233f. suchen spielt »überlegene« Konkurrenz stets eine Rolle, sei es, dass diese
kommt bei seiner Untersuchung des französischen Kabinenbahnsystems
»Aras« (Agencement en Rames Automatisees de bereits erfolgreich am Markt präsent war, dass alte Techniken in Reaktion
tions) Modules Independant dans les Sta-
zu dem zunächst vielleicht erstaunlichen Ergebnis, dass das System von allen auf die neue Herausforderung weiterentwickelt wurden oder dass andere
beteiligten Akteur en
zu wenig »geliebt« und daher schließlich kollektiv »umgebracht« neue Techniken den erhofften Erfolg vereitelten. Worin aber die Überle-
worden sei. Aras ging aus einem Nahverkehrskonzept der frühen 1970er Jahre hervor, genheit der konkurrierenden Technik jeweils genau bestand, ist oft gar
das trotz sich tiefgreifend verändernder Rahmenbedingungen bis zu
1987 im Grunde unverändert blieb. seiner Aufgabe nicht so einfach festzustellen. »Harte Faktoren« wie bessere technische
Latour führt das darauf zurück, dass keiner der
beteiligten Akteure ausreichendes Interesse am Kabinenbahnsystem h Leistungsdaten, niedrigere Anschaffungs- oder Nutzungskosten spielen
liebte«), um diese eigentlich atte (»es genug
Aramis no -endige Anpassung durchzusetzen. N hier natürlich eine wichtige Rolle. Ebenso entscheidend können aber »wei-
daher als »ahistorisches« ach Latour endete
und »asoziales« Objekt. Latour, AratinIr. Vgl. auch:
Schmucki, »Verkehrssystemeo.

58 zierte
So führt Andreas Knie das Scheitern des Wankelmotors als Antrieb für massenprodu-
Gebr auchsautomobile
auf eine Art Verschwörung der etablierten Pkw-Hersteller
zurück, die den Wankelmotor Verbesserungen an Hubkolbenmotoren als
konventionellen eigenen Hu »abgewürgt« hätten, um den wirtschafdichen Erfolg der Knie, IFankel-Alut. vermeintlich unbedeutend aus dem Blick.
bkolbenmotore n
zu sichern. Problematisch daran ist einer-
seits, dass Knie technische
sacht hätte, a priori und wirtschaftliche Probleme, die der Wankelmotor verur- 59 Eine Auswahl muss hier willkürlich bleiben. Siehe u.a.:
als vorgeschoben Freeze, Electronic Video Recording,
Graham, RCA, Hult, »Itera
»revolutionäre Potential« und konstruiert interpretiert und andererseits das Plastic Bicycle«, Lipartito, Pi»cture phone«, Todd, »Electric
P1oughs«.
des Wankelmotors deutlich überschätzt Infolge d er Über-
schätzung des Wankelmotors geraten die tatsächlich seit den 1970er Jahren erreichten 60 Einen ersten entsprechenden Versuch unternalun Hans-Joachim Braun 1992. Vgl.:
Braun »Introduction«,
S. 219ff.
34
GESCHEITERTE INNOVATIONEN

EINLEITUNG
35
chere Faktoren« wie besseres Image der Konkurrenz oder generell höhere
Konformität der Technologie mit dem Nutzungsumfeld sein.61
auch -fähigkeiten, droht der Innovationsversuch an einer Fehleinschätzung
2. Innovationsversuche, die an technischen Problemen scheitern. der Nachfrage bzw. an fehlender Akzeptanz auf Seiten der potentiellen
Nicht eben erstaunlich ist auch die Feststellung, dass technische Prob-
Nutzer zu scheitern. Gerade bei langwierigen Entwicklungsvorhaben
leme für das Scheitern einer Reihe von Innovationsversuchen zumindest
besteht darüber hinaus die Gefahr, dass das Nutzungsumfeld, für das die
mitverantwordich waren. Die Neuerungen zeigten nicht die von den Ent- Innovation ursprünglich gedacht war, sich bis zum tatsächlichen Markt-
wicklern oder Nutzern envarteten bzw. gewünschten Eigenschaften, was eintritt erheblich verändert. Da Modifikationen des Innovationsvorhabens
letztlich zum Fehlschlag des Innovationsversuchs beitrug.
62 die Entwicklungsarbeit erschweren und bei den Entwicklern zudem häufig
Stelle könnte man mit einigem Recht einwenden, dass technische An dieser
Probleme
eine gewisse »Betriebsblindheit« entsteht, droht die eigentlich erforderliche
lediglich ein Sonderfall der ersten Kategorie seien, tragen sie doch zur
unzureichenden Kon Anpassung des Projekts an sich verändernde Rahmenbedingungen zu
ist es allerdings kurrenzfähigkeit des neuen Produktes bei. Tatsächlich unterbleiben. Der Erfolg des Vorhabens gerät damit in Gefahr.
63
im laufenden Innovationsprozess häufig alles andere als 4. Innovationsversuche, die aufgrund zu hoher Anpassungserforder-
einfach festzustellen, welche Eigenschaften eine neue Technik tatsächlich nisse scheitern.
hat. Auch die Unterscheidung zwischen
»funktionstüchtig« Innovationen können mitunter zu hohe Anpassungsleistungen von
und »nicht
funktionstüchtig« beruht in vielen Fällen auf einer problematischen Zu-
ihrem Nutzungsumfeld erfordern. Ist eine Innovation in diesem Sinne zu
schreibung, deren Ergebnis interpretationsabhängig ist. Insgesamt handelt radikal, passt sie ggf.
nicht in die herrschende »Produktions-0, »Produkt-«
es sich um einen Problemkomplex »eigenen Rechts«, auf den noch wie-
oder »Venvendungskultur«. Ihre Herstellung, Verbreitung oder Nutzung
derholt
führt einzugehen sein wird und der hier sinnvollerweise gesondert aufge-
wird. erfordert zu aufwändige technische, mentale oder auch soziale Verände-
rungen; die Anpassungskosten, ob im wörtlichen oder übertragenen Sinne,
tiellen
3. Innovationsversuche, die wegen einer Fehleinschätzung der poten-
Nutzer scheitern. sind zu hoch. Besonders groß ist die Gefahr, an diesem Problem zu schei-
tern, bei Innovationen, die in ein bereits vorhandenes (technisches) System
Ein offenbar entscheidender Punkt für die Erfolgsaussichten einer In- integriert werden müssen."
novation ist diedas
Nutzern. Fehlt möglichst enge Verbindung zwischen Innovatoren und
Verständni 5. Innovationsversuche, die aufgrund eines instabilen »Entwicklungs-
s raumes« scheitern.
für Nutzerbedürfnisse, -erwartungen und
61 Braun, »Kohlenstaubmotor«, Braun, Um erfolgreich umgesetzt werden zu können, sind Innovationsversuche
Additive, »
Automotive Gas Turbine«, Green, auf ein in mehrfacher Hinsicht stabiles Umfeld, einen stabilen »Entwick-
»Ramjets«,Buchanan, »Atmospheric Railway«, Freeze, Alcohol-Fuel
Heilige, »Leitbilder«, Electronic Video Recording
Electric Vehicle, Hendry, Computer, Hacker, lungsraum« angewiesen. Eine möglichst hohe Stabilität sollte bei den
Kunkel, »Electron Microscope«, Hult, »Itera Plastic Bicycle«, Kirsch,
Transport«, McCray,
Lipartito, »Picturephone«, Lyth, »Air
grundsätzlichen Entwicklungszielen, bei den beteiligten Akteuren (zum
Post, »Page »Telescope«, Mom,
Locomotive«, »Elektromobil«, Noble, »Machine Beispiel Auftraggeber, entwickelnde Firmen oder Abteilungen,
Schinkel, »LastrohrfloB«, Schramm, Design«, ggf. betei-
Schwartz Cowan, »Refrigerator«, Slater,
Fixation«, Steam Turbine Locomotive, ligte staadiche Stellen usw.) sowie beim Entwicklungsbudget gegeben sein.
Todd, Passively Safe Reactor
»False« »Electric Ploughs«, Design, Stranges, »Nitrogen
Eine schwankende oder sprunghafte Firmen- oder auch staatliche Innova-
Zitna,
(Wilmoth setzt sich u.a. mit der »Motorkonzeptionen«. Vgl. auch: Wilmoth,
Entwicklun
luftschiffen und Lastensegelflugzeugen auseinander).g und dem Verschwind en von Starr- tionspolitik, unerwartet starker administrativer Widerstand, Konkurrenz

62 wesentliche
Technische Rolle:
Probleme bzw. Unzulänglichkeiten spielten bei folgenden Beispielen eine
Bartels, 63 Graham,
Electronic Auctions, Mitev,
»Automotive Gas Turbine«, »Winterschmidt's«, Braun, Electronic Video Recording, Reservation Software,
Recording, »Kohlenstaubmotor«, Braun, Carlson, »Artefacts«, Freeze,
Buchanan, »Atmospheric Railway«, Freeze,
Hacker, »Paraglider«, Heilige, »Leitbilder«, Hilt,
»Electron Microscope«, Leslie, »Itera
Plastic Bicycle«, Kunkel,
Kunkel, »Electron Microscope«,Heymann, Electronic Video »Copper-cooled Engine«,
»Picturephone«, Mom,
Post, »Page Mitev, »Windenergietechnik«, Kirsch, Electric Vehicle, Lindgren, Glog, Lipartito,
Locomotive«, Reservation Software, Ploughs«. »Elektromobil«, Schmucki, »Verkehrssysteme«, Todd,
Schramm, Steam Ostersehlte, »Hydromotor«, »Electric
teme«. Siehe auch: Zima, »Motorkonzeption«,Turbine Locomotive, 64 Braun, »
insbesonder Schtnucki, »Verkehrssys- Automotive Gas Turbine«,
e S. 667f. Hey Callon, »Electrical Vehicle«,
-mann, »Windenergietechnik«, Hellige, »Leitbilder«,
Latour, Aramis,
»LastrohrfloB«, Todd, Lipartito, »Picturephone«, Schinkel,
»Electric Ploughs«.
Vgl. auch: Braun, »Failure«.
36
GESCHEITERTE ININOVATIONEN'

EINLEITUNG
zwischen verschiedenen Projekten innerhalb des »Entwicklungsraumsg, 37
Zielkonflikte, Alisstrauen oder auch Rivalität zwischen den beteiligten Ak-
rischen Zusammenstellung der bisherigen Forschungsergebnisse unsicht-
teuren — etwa zwischen verschiedenen Unternehmen oder auch Abteilun- bar bleiben würden.
gen innerhalb eines Unternehmen
s
— können zur Destabilisierung Warum aber lohnt es sich angesichts der bisher doch offenbar schon
»Entwick-lungsraums«, des
letztlich zum Scheitern eines Innovationsvorhabens
führen 65 umfassenden Ergebnisse, sich dem Thema »gescheiterte Innovationen«
erneut zuzuwenden? Zunächst könnte man rein quantitativ argumentieren:
Abschließend sei hier noch auf einen wichtigen Faktor für Erfolg oder Bisher sind es eben nur relativ wenige Fallbeispiele, die eingehender unter-
Nlisserfolg eines Innovationsversuchs verwiesen, der in den ausgewerteten sucht worden sind. Die Ergebnisse bedürfen insofern nach wie vor einer
Studien häufig genannt wird: der Innovationszeitpunkt. Sowohl
the Inan- Überprüfung, die vorhandenen Einblicke in die »Anatomie des Scheiterns«
griffnahme eine Innovationsvorhabens wie die erfolgreiche Markteinfüh- sollten durch weitere Untersuchungen ergänzt werden.
rung einer Innovation ist von geeigneten Rahmenbedingungen abhängig, Wichtiger ist jedoch, dass das Forschungsfeld »gescheiterte Innovatio-
die mitunter nur innerhalb eines relativ schmalen Zeitfensters gegeben nen« nach wie vor nicht ausreichend deutlich umrissen erscheint. Die
sind. Das richtige Timing des
Innovationsversuch
s ist insofern von großer inzwischen mehrfach betonte Heterogenität der vorliegenden Untersu-
Bedeutung, von den Akteuren mitunter aber nur bedingt zu beeinflussen.66 chungen illustriert diese Unsicherheit bei der Auseinandersetzung mit dem
Die zusammengestellten »Innovationstypen« kommen de facto fast Phänomen des Scheiterns. Nur in ihrer Gesamtheit decken die vorliegen-
niemals in Reinform Vor. Zudem existieren zahlreiche Überschneidungen den Arbeiten — wie soeben gezeigt — ein weites Spektrum möglicher Ursa-
Problem
zwischen e den Typen selbst. So führen natürlich nicht nur technische chen für innovatorischen Misserfolg auf. In Abhängigkeit vom jeweiligen
zu einer unzureichenden
Konkurrenzfähigkeit, sondern etwa Untersuchungsansatz nehmen sie im Einzelfall hingegen häufig ganz unter-
auch Fehleinschätzungen von Nutzerbedürfnissen oder zu hohe Anpas- schiedliche Aspekte des Innovationsprozesses in den Blick. Insofern ist das
Gründ
sungserfordernisse.
e Anders ausgedrückt: Wollte man die vorgestellten Forschungsfeld insgesamt nach wie vor unscharf definiert, verlangt im
für das Scheitern von Innovationen hierarchisiere Grunde immer noch nach »Pionierstudien«.
n, so käme dem
Faktor Konkurrenzfähigkeit eine besondere, gleichsam übergeordnete Die bisherige Auseinandersetzung mit den Gründen innovatorischen
Bedeutung zu. Darüber hinaus sind innerhalb der Typologie auch Wider- Scheiterns sollte schließlich nicht zu dem Fehlschluss verführen, es ginge
chender
sprüche erkennbar,
F zum Beispiel wenn bestimmte Projekte wegen unzurei- im Folgenden ausschließlich um das Identifizieren der Ursachen für Miss-
lexibilität,
dernde Rahmenbdin e das heißt unzureichender Anpassung an sich verän- erfolg. Natürlich spielt das Erklären des Fehlschlags eine wichtige Rolle,
gungen, and ere
hingegen wegen unzureichender natürlich gehört zu den für die Erforschung fehlgeschlagener Innovationen
Stabilität der Entwicklungsvorgaben scheitern. Trotz aller methodischen konstituierenden Überzeugungen, dass »Scheitern« ein komplexer Prozess
und inhaldichen Probleme vermag eine solche Typisierun
g aber Gemein- ist, der genauso erklärungsbedürftig ist wie »Erfolg«. Erinnert sei aber
samkeiten, ja Regelmäßigkeiten zu verdeutlichen, die bei einer rein summa- daran, dass es letztlich darum gehen sollte, dem Charakter technischen
Wandels insgesamt auf die Spur zu kommen. Fehlgeschlagene Innovatio-
65 Bartels, nen bilden also lediglich das Anschauungsobjekt, mit Hilfe dessen es gelin-
»Winterschmidt's«,
Callon, »Electrical Vehicle«, Braun, »Kohlenstaubmotor«, gen soll, Technik im Entstehungsprozess zu untersuchen. Genau darauf
tronic Video Green, Alcohol-Fuel Additive,
Recording, Efmertovi, »Television«, Flick, richten sich schließlich die Forderungen, sich stärker der Untersuchung
kel, »Electron Graham, »Ramjets«, Hendry, »Movement«, Freeze, Elec-
Nlicroscope«, Covuter, Howells, Retail von Fehlschlägen zuzuwenden. Die gescheiterte Innovation ist gleichsam
cooled Engine«, Latour, Aramis, Funds, Kun-
floB«, Slater, McCray, Law/Callon, »Aircraft«,
Passively »Telescope«, Leslie, »Copper- das Vehikel, durch dessen Nutzung ein anderer Blick auf die Entstehungs-
66 Braun, SO Reactor Desisn. Post, »Page bedingungen on
»Introduction«, Locomotive«, Schinkel, »Las trohr-
S. 225, Technik ermöglicht werden soll. Im Idealfall gewährt
Freeze,
»Paraglider«,
Engine«, Hellige, »Leitbilder«, Hult, Electmnic
»Itera Video gerade das Scheitern deutliche Einblicke in Technikgeneseprozesse und die
Post, »Page Recording, Grah am, RcA Hacker,
Locomotive«, , unvermeidbaren Unsicherheiten jedweder technischer Entwicklung. Genau
Plastic Bicycle«, Leslie,
Schinkel, »Lastrohrfloß«. »Copper-cooled
diese Möglichkeit macht es so reizvoll und gewinnbringend, sich mit Miss
-

;Us.
38
GESCHEITERTE INNOVATIONEN
EINLEITUNG 39
erfolgen zu beschäftigen. Bildlich gesprochen geht es nicht nur darum,
einen Blick anf
die Ursachen für innovatorisches Scheitern zu werfen, mit- Übriggeblieben sind schließlich vier gescheiterte Innovationsvorhaben,
hin das Scheitern selbst zu erklären, sondern darüber hinaus darum, mit deren Untersuchung sinnvoll und möglich erscheint. Die ausgewählten
Hilfe des Scheiterns hinter Fallbeispiele haben allesamt mit dem Bereich der Energietechnik im weite-
diese Ursachen zu blicken, um damit den Bedin-
gungen für technischen Wandel insgesamt näherzukommen. Trotz ent- ren Sinne zu tun, das heißt mit Energiewandlung bzw. Energieträgerge-
sprechender Forderungen wird die Chance, die die Fehlschlagforschun winnung. Sie verteilen sich auf zwei Zeiträume: Zum einen die 1920er und
g in 1930er Jahre mit den Innovationsvorhaben »Lokomotiven mit Koh-
diesem Sinne bietet, von den bisherigen Untersuchungen zu wenig genutzt.
In dieser Arbeit wird also erstmalig versucht, mehrere — genauer gesagt lenstaubfeuerung« und »Dampfturbinen-Lokomotiven«, zum anderen die
vier — Fallbeispiele für innovatorisches Scheitern auf der Basis einer ge- 1970er und 1980er Jahre mit den Projekten »Hydrobergbau im Ruhrgebiet«
meinsamen Definition sowie eines gemeinsamen Untersuchungsansatzes und »Automobil-Stirlingmotor«. Gemeinsam ist allen vier Beispielen, dass
zu analysieren. Dabei wird es selbstverständlich darum gehen, die Gründe es sich um Projekte handelt, mit denen auf ein Krisenphänomen reagiert
des Scheiterns zu identifizieren und damit die Ergebnisse der bisherigen wurde. Die 1920er Jahre wurden ebenso wie die 1 970er Jahre von den
Forschung kritisch zu überprüfen. Darüber hinaus soll aber der Frage Zeitgenossen als Phasen der Energiekrise wahrgenommen, was jeweils eine
nachgegangen werden, welche Aussagen sich anhand der ausgewählten intensive Energiediskussion und breite Innovationsbemühungen auslöste.
Fallbeispiele über En Die spezifisch deutsche Energiekrise der frühen 1 920er Jahre, die so
tstehungsprozesse
und Entstehungsbedingungen
neuer Technologien generell gewinnen lassen. genannte »Kohlennot«, betraf mit der Steinkohle den damals wichtigsten
Primärenergieträger. Verursacht wurde sie in erster Linie durch den Verlust
wichtiger Steinkohlelagerstätten als Folge des verlorenen Ersten Welt-
kriegs, wozu Steinkohle-Lieferverpflichtungen an die alliierten Sieger-
mächte kamen.68 Die Energiekrise der 1970er Jahre, die wiederum den
1.3. Ausgewählte Fallbeispiele und Untersuchungsansatz
wichtigsten Primärenergieträger, inzwischen Erdöl, betraf, wurde durch die
Förder- bzw. Exportbeschränkungen der arabischen OPEC-Länder in
Bei der Auswahl der zu untersuchenden Fallbeispiele galt es, theoretisch-
Reaktion auf den Yom-Kippur-Krieg Ende 1973 ausgelöst. Bei der
methodologische und rein pragmatische Überlegungen zu berücksichtigen.
Der beabsichtigte Ölpreiskrise der 1970er Jahre handelte es sich nicht um ein spezifisch deut-
durch hinreichendVergleich
ähnliche zwang dazu, Beispiele auszuwählen, die sich sches Phänomen, sondern sie betraf alle westlichen Industrieländer.69 In
branchenintern e
und gesamtwirtschaftliche beiden Untersuchungsperioden zeigte sich ein starkes Krisenbewusstsein,
Rahmenbedingungen auszeichnen. Andererseits verlangt die ohnehin stets
Strittige
Streuun Repräsentativität der getroffenen Auswahl eher eine breitere das die Phase der eigentlichen Versorgungsstörung bzw. -stockung zeitlich
g der Fälle. überdauerte.
Begleitet wurde die Suche nach geeigneten Fallbeispielen v Charakteristisch für die untersuchten Vorhaben ist weiterhin, dass in
pragmatischen Problem, dass die meisten Unternehme on dem eher keinem der Fälle unmittelbar ein neues oder modifiziertes Konsumgut
n zwar gerne ihre entstehen sollte, keines der Projekte also direkt auf Endverbraucher als
erfolgreichen Innovationen präsentieren, ihre Fehlschläge aber eher ungern
untersucht und veröffentlicht wissen möchten. Fast alle der angeschriebe- potentielle Käufer zielte. Die zukünftigen Abnehmer respektive Anwender
nen Firmen bzw. Firmenarchive antwo der neuen Technologie waren vielmehr Unternehmen, die mehr oder min-
. rteten ablehnend, konnt
eigenen Geschichte keine fehlgeschlagenen Innovationen entd en in der
zumindest keine entsprechenden Unterlagen finden.67 ecken oder decken, oder wenn darauf hingewiesen wurde, dass dank »überlegener« Management-
methoden im betreffenden Unternehmen innovatorische Fehlschläge zuverlässig ausge-
schlossen werden könnten.
67 etwa
Die erhaltenen Antwortschreiben hatten dabei z.T. unbeabsichtigt komische Züge, wenn 68 Siehe u.a.: Radkau, Technik, S. 286f, Abelshauser, »Wirtschaft«, S. 437, S. 454 und S. 467,
Vertreter alter, etablierter Unternehmen
v Henning, Deutschland, S. 52ff., Pierenkemper, Gewerbe, S. 38.
ersicherten,
Recherche nicht gelungen sei, in der eigeneu Geschichte dass es Fehlschlag
irgendeinen trotz intensivster 69 Hohensee, lpreisschock, S. 218ff., Petzina, »Ruhrgebiet«, S. 536 und S. 541f., Abels-
zu ent- hauser, REhrkohlenbetsbau, S. 161.
40
GESCHEITERTE INNOVATIONEN

EINLEITUNG
der eng und kontinuierlich in den Enmicklungsprozess eingebunden wa- 41
ren. Die Dampflokomotivprojekte der Zwischenkriegszeit wurden ent-
Kohlenbergbau spielten staatliche Subventionen Anfang der 1970er Jahre
scheidend durch die Interessen der noch jungen Deutschen Reichsbahn
ohnehin bereits eine große Rolle. Das Innovationsvorhaben Hydrobergbau
geprägt, der als einziger inländischer Abnehmerin für die neuen Maschinen
wurde darüber hinaus vom Bundesministerium für Forschung und Tech-
eine besondere Bedeutung zukam. Im Falle des Hydrobergbaus war sogar
nologie wesentlich mitfinanziert. Die Entwicklung des Automobil-Stir-
eine partielle Identität von Entwickler und Anwender gegeben, da das neue
lingmotors wurde schließlich seit Ende der 1970er Jahre im Wesentlichen
Steinkohlenabbau- und -förderungsverfahrens nicht nur zu großen Teilen vom US-amerikanischen Department of Energy
von, sondern auch ausschließlich für die Ruhrkohle AG (RAG), finanziert und vom NASA
the Ein- Lewis Research Center organisiert sowie koordiniert.
heitsgesellschaft des Ruhrbergbaus, entwickelt worden war. Das Innovati-
Es handelt sich also um vier Innovationsvorhaben, die im Vergleich zu
onsvorhaben Pkw-Stirlingmotor schließlich unterschied sich insofern von rein privatwirtschaftlich getragenen Projekten einige Besonderheiten auf-
den bisher
einigten angesprochenen
Staaten abspielte Projekten, als es sich überwiegend in den
7 Vet- weisen. Staatliche oder staatsnahe Akteure verfolgen andere Ziele als pri-
° und auf ein neues Produkt abzielte, das tatsäch- vate Firmen, zudem hat die staatliche Mitfinanzierung Einfluss auf die für
lich die AutomobilkeirOr hätte überzeugen müssen. Dennoch war es
US-amerikanische
Automo the die Entwicklungsarbeit zur Verfügung stehenden Ressourcen und deren
motors bdustrie, von der das Schicksal des
Stirling- Verwendung. Die technische Entwicklung selbst erfolgte allerdings in allen
abhing. Den Kraftfahrzeugherstellem kam innerhalb des Entwick- vier Fällen in privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen.
lungsprozesses eine zumindest vorübergehend wichtige Rolle zu, da sie Es wird im Zuge der Einzelfallanalyse zu untersuchen sein, welche
über die Serieneinführung des neuen Motors zu entscheide
n hatten. Rolle die staatliche Beteiligung für den Verlauf des Innovationsvorhabens
Es war also eine überschaubare Zahl von Unternehmen, von denen in jeweils hatte. Wichtig ist noch darauf hinzuweisen, dass es sich bei den
erster Instanz der Erfolg oder Alisserfol
g der untersuchten Technologien meisten der von der Forschung bisher untersuchten Beispiele für fehlge-
abhing. Diese Unternehmen waren mit ihren spezifischen Interessen und schlagene Innovationen keinesfalls um »staatsfreie« Projekte handelte, dass
Zielen
lenmäßig imfassbar,
Entwicklungsprozess
was für die Analysunmittelbar präsent und sind auch quel- vielmehr staatliche Mitfinanzierung oder unmittelbare Beteiligung staatli-
e cher Stellen die Regel ist.71
von Vorteil ist. Dafür muss allerding der In novationsvorhaben zweifellos
sich In diesem Sinne sind die hier ausgewählten
the s in Kauf genommen werde
n, dass Innovationsvorhaben also durchaus an die bisherige Forschung »anschluss-
untersuchten Projekte in diesem Punkt von Innox-ationsvorhaben fähig«.
unterscheiden, bei denen es um die Entwicklun
g von Prod ukten für einen Der rein pragmatische Vorteil der staatlichen Beteiligung für die Bear-
relativ anonymen Massenmarkt geht. Wie tiefgreifend die Unterschiede beitung der ausgewählten Fallbeispiele liegt auf der Hand: Staatliches
letztendlich waren, wird noch zu diskutieren sein.
Engagement schlägt sich in Akten nieder, die, anders als Firmenmaterial,
Alle vier Fallbeispiele zeichnen sich darüber hinaus durch m
ehr oder für den Historiker zugänglich sind. So sind die Vorhaben Lokomotiven mit
minder umfangreichen staatlichen Einfluss bzw. Einfluss eines staatseige- Kohlenstaubfeuerung und Dampfturbinen-Lokomotiv
nen Unternehmens
Reichsbahn, the aus. Im Falle der en durch umfangrei-
Lok che Reichs bahnakten dokumentiert. Die ehemals zersplitterten Reichs-
omotivprojekte war es the
unmittelbar in die Entwicklung eingriff. bahnbestiinde sind mittlerweile im Zwischenarchiv Dahlwitz-Hoppegarten
70 Für the Im deutschen
des Bundesarchivs zusammengeführt worden. Für die Untersuchung der
hierUS-amerikanischen
lin Mittelpunkt stehendeund demFragestellung stellen dabei die Unter
schen dem deutschen
schred nvi-
Problem dar. Selbstverständlich wird aber bei der UntersuchInnovationssyst
ern kern wesente.lich es 71 Staatliche Finanzierung und/oder andere staatliche Beteiligung spielten u.a. bei den
ungund folgenden Innovationsvorhabe n eine Rolle:
jekts das Innovationsumfeld in den USA zu berücksichtigen desdie Fr
surjrugmotor-Pro- Bartels,
zess batten. motive Gas Turbine«, Callon, »Electrical Vehicle«, »Winterschrnidt's«, Braun, »Auto-
sein, welchen Einfluss die spezifischen Rahmenbedingungen auf den inuoyati age zu stellen Efmertovä, »Television«, Hacker,
Holtz Zusammenfassend zu »Paraglider«, Hacker, »Ramjets«,
onsp ro- Hellige, »Leitbilder«, Heymann,
,SYstems,
-Hart/Reuter/Vock, rettbewerb, Latour, Aram's, Callon/Law, »Windenergietechnik«,
Nelson, S:ystems, rn Konzept nationaler Innovatroussysteme »Aircraft«, Lewis/Trimble, »Airmail«,
P-1'quist , System siehe.. Lyth, »Air Trans-
----- S.
s. 9f. und S. 355ff. Vgl. auch: Lundvall, National
port«, McCray, »Telescope«,
Noble, »Machine
nology, Testing, Design«, Pinch/Ashmore/Mulkay, »Tech-
Text«, Schinkel, »Lastrohrfloß«, Schmucki, »Verkehrssysteme«,
Passioe/y Sale Reactor DeR:gn, Willi Slater,
, »Trütnmer«.
2. Innovationsprojekt INNOVATIONSPROJEKTE DER ZWISCHENKRIEGSZEIT
51
e der Zwischen-
wurde der Versorgungsengpass ab Herbst 1919 so akut, dass die deutschen
kriegszeit: Die Lokomotiven mit Kohlen- Eisenbahnen ihren normalen fahrplanmäßigen Zugverkehr nicht mehr
staubfeuerung
und die Dampfturbinen- aufrecht erhalten konnten. Der Kohlenmangel entwickelte sich zu einem
zentralen Problem der Eisenbahn in den Nachkriegsjahren. Ihren eigentli-
Lokomotiven der Deutschen Reichsbahn che Höhepunkt erreichte die Versorgungskrise dabei erst 1923, nachdem
es infolge von Ruhrbesetzung und »Ruhrkampf« zu einem dramatischen
Fördereinbruch im wichtigsten verbliebenen deutschen Abbaugebiet ge-
kommen war. Der Kohlenabbau im Ruhrgebiet sank auf weniger als die
Hälfte des Standes von 1922 (knapp 42 Millionen t statt über 96 Millionen
2.1.
Rahmenbedingungen t) und in das restliche Reichsgebiet konnte keinerlei Kohle mehr geliefert
werden.91
Da sich the
Mit dem Ende des »Ruhrkampfes« im September und der Währungs-
Innovationsvorhaben Kohlenstaub-Lokomotiven und
Dampfturbinen-Lokomotiven unter dem Einfluss der gleichen Rahmenbe- stabilisierung im November 1923 begann sich auch die Steinkohleversor-
dingungen entwickelt haben, sollen diese im Folgenden gemeinsam in den gung zu verbessern. Die Förderung erreichte 1925 im Ruhrgebiet annä-
Blick genommen hernd wieder den Vorkriegsstand. Die steigende Förderung, die Ablösung
vorzustellen sind.9 werden, bevor anschließend die Technologi
° Für the Loko en selbst der Steinkohle-Liefen-erpflichtungen Deutschlands durch die Neuregelung
waren fünf Bedingungen bzw. motivprojekte
E ntwicklunge der Zwischenkriegszeit der Reparationsfrage 1924 und die konjunkturelle »Zwischenkrise« der
n von besonderer Relevanz: 1.
die Versorgungslage der Bahn mit dem für den Zugförderdienst wichtigs- Jahre 1925/26 ließ zeitweise sogar Haldenbestände entstehen. Entschei-
ten Energieträger Steinkohle, 2. dend war aber, dass Mitte der 1920er Jahre die Kohlenknappheit überwun-
the
Organisation und Geschäftspolitik des den wurde und im gesamten Reichsgebiet auch hochwertige Steinkohle
Hauptakteurs Deutsche Reichsbahn, 3. das gesellschaftlich-kulturelle
4. the wieder problemlos beschafft werden konnte.92
»Geschwindigkeits-« bzw. »Beschleunigungsgebot« der Zwischenkriegszeit, Mit Ende der Inflation
Autarkiepolitik und Aufrüstung nach 1933 sowie 5. die Situati pendelten sich die Steinkohlepreise wieder auf einem mittleren Niveau von
deutschen Lokomotivindustrie. on der etwa 15,- Reichsmark (RM) pro Tonne ein. Lediglich Ende der 1920er
Die Kohlenstaub- wie
the Dampfturbi Jahre war ein vorübergehender leichter Preisanstieg zu verzeichnen, dem
nen-
nächst vor allem als Energiespartechnologien inLokomoti
Reaktionven
auf waren
d zu- Anfang der 1930er Jahre erneut ein krisenbedingter Preisrückgang folgte.
93
en akuten Ab Mitte der 1920er Jahre konnte der Bergbau in Deutschland nicht
Energieengpass, der in den Jahren nach Ende des Ersten Weltkriegs in
Deutschland herrschte, entwickelt worden. Durch die Gebietsabtretungen zuletzt aufgrund umfangreicher Rationalisierungsaktivitäten die Stein-
infolge des verlorenen Krieges (Lothringen,
derstatus des Saargebiets und Os
the Steinkohle-Li toberschlesien), den Son- 91 Pohl,
»Staatsbahnen«, S. 79, S. 85 und S. 104ff., Abelshauser, »Wirtschaft«, S. 437, S. 454
Alliierten Siegermächte verlor Deutschland etwaeferverpflichtungen an die und S. 467, Hermann/Hermann, Zechen, S. 79ff., Henning,
Deutschland, S. 52ff., Pieren-
kemper, Gewerbe, S. 38.
the
kriegs-Kohlenförderung bzw. -versorgung. Während Hälfte
auf denseiner Vor-
außerdeut- Siehe auch: Bleibtreu, Kohlenstaubfeuerungen 1922,
S. III, Gottwaldt, Einheits-Lokomaziwn,
in Deutschland
schen selbst » eine wahre »Kohlenschwemme« entstand, herrschte
Energiernärkten S. 41, Hinz, Kohlenstaubfeuerung,
S. V, Peters, » Rationalisierungsbestrebungen«, S. 198f.,
hochwertiger Steinkohle Rasch, »Paul Rosin«, S. 104 und 107.
Kohlennot«,
, das heißt ein empfindlicher Mangel an
wurde. Mit der jahresze wie sie u.a. für Loko Zur Bedeutung der »Kohlennot« für die breite Beschäftigung mit Fragen der Wärme-
itlich motivfeuerungen benötigt ökonomie in der Weimarer Republik siehe u.a.: Radkau, Technik, S. 286f.
bedingt steigenden allgemeinen Nachfrage 92 Siehe u.a.: Abelshauser, »Wirtschaft«, S. 437, S. 460, S. 474, S. 489, Hermann/Hermann,
Zechen, S. 82.
90 Zu den Verfahrenseigenschaften vgl. Abschnitt 2.2.1. und 2.3.1. 93 Statistisches Reichsarnt, Statistisches Jahrbuch,
diverse Jahrgänge (45/1924; 47 /1 928;
51 /1932; 56/ 1937; 57 / 1
938), Angaben zu jahredurchschnittlichen Großhandelspreisen
deutscher Steinkohle ab Zeche.
52 GESCHEITERTE INNOVATIONEN
INNOVATIONSPROJEKTE DER ZWISCHENKRIEGSZEIT 53

kohlennachfrage ohne Schwierigkeiten befriedigen. Erst die forcierte Auf-


Die Beschaffungspolitik der Reichsbahn war in den ersten dreieinhalb
rüstung und die nationalsozialistische Autarkiepolitik führten ab 1937 dazu,
Jahren ihres Bestehens durch expansive Ankäufe gekennzeichnet. Diese
dass die Steinkohlenförderung der steigenden Nachfrage nicht mehr ent-
Investitionswelle diente zum einen dem Ausgleich vorangegangener Ver-
sprechen konnte. Die sich zunehmend öffnende Schere zwischen Förde-
luste, hatten die deutschen Bahnen doch infolge des Versailler Vertrages
rung und Nachfrage ließ auch das Interesse der Bahn an brennstoffsparen-
u.a. 8.000 Lokomotiven an die Alliierten abgeben müssen. Zum anderen
den Innovationen erneut steigen.94
ging es dem zuständigen Reichsverkehrsministerium um die Förderung der
Eine einheitliche Staatseisenbahngesellschaft entstand in Deutschland
zivilen Inlandsproduktion und damit um die Bekämpfung der Arbeitslosig-
erst im April 1920 durch den Übergang der ehemaligen Länderbahnen in
keit in der schwierigen Übergangsphase von der Kriegs- in die Friedens-
Reichseigentum. Militärische Anforderungen hatten allerdings schon im
wirtschaft. Schließlich spielte die inflationsbedingte allgemeine Flucht in
Ersten Weltkrieg zu einer Zentralisation des Eisenbahnwesens gezwungen.
Sachwerte eine zunehmende Rolle.97
Die »Verreichlichung« der Bahnen knüpfte an organisatorische Vorarbeiten Bereits während dieser Beschaffungswelle war innerhalb der Reichs-
an, wobei der Einrichtung einer zentralen Kriegs-Betriebsleitung aller deut- bahnfiihrung unumstritten, dass eine Bereinigung des Lokomotivparks auf
schen Bahnen beim preußischen Ministerium für öffentliche Arbeiten im Basis neu zu entwickelnder »Einheitslokomotiven« anzustreben sei. Die
Winter 1916/ 1
7 eine besondere Bedeutung zukam. Nach Kriegsende war Reichsbahn hatte von den Länderbahnen ein Konglomerat unterschied-
weitgehend unumstritten, dass es möglichst bald zur Gründung einer lichster Lokomotiven übernommen und musste somit eine breite Typen-
reichseinheitlichen Staatsbahngesellschaft kommen müsse, zumal sich the palette unterhalten. Da Einheitsmaschinen aber bei Gründung der neuen
deutsche Regierung im Versailler Vertrag dazu verpflichtet hatte, die deut- Reichseisenbahn-Gesellschaft noch nicht entwickelt worden waren, kam es
schen Eisenbahnen als Reparationspfand der Alliierten einzusetzen. lit unter den Ausnahmebedingungen der Inflationszeit nochmals zur
Ausnahme Bayerns stellten die Linder der Reichsbahn-Gründ ung nur Anschaffung von über 8.300 Lokomotiven alter Liinderbahnbauarten.
geringen Widerstand entgegen. Infolge des Krieges war nicht nur das »rol- Ende 1923 besaß die Reichsbahn über 28.800 Loks verteilt auf mehr als
lende Material«, das heißt die Lokomotiven und Wagen, sondern auch the 350 verschiedene Lokomotivtypen.98
Gleisanlagen weitgehend verschlissen, und die Bahnen fuhren steigende Nach der Währungsstabilisierung Ende 1923 setzte auch bei der Bahn
Defizite ein. Ende 1919 einigten sich daher die Linder mit dem Reich auf eine Phase der Konsolidierung ein, die nicht zuletzt auf einer durchgrei-
den 1. April 1920 als Übernahmeterrnin für ihre Eisenbahnen.
95 fenden Reorganisation des Unternehmens beruhte. Zwar war schon in der
Die neu entstandene Deutsche Reichsbahn war in der Phase von Koh- Weimarer Verfassung von 1919 festgelegt worden, dass das Reich der zu
lennot und Inflation noch kein selbständig wirtschaftendes Unternehmen. schaffenden nationalen Eisenbahngesellschaft den Charakter eines selb-
Da die Haushalte von Reich und Reichsbahn nicht getrennt wurden, ständigen Unternehmens geben müsse, doch erließ der Gesetzgeber erst
»versickerten« Verluste der Bahn im allgemeinen Reichshaushalt. Die junge jetzt die »Verordnung zur Schaffung des Unternehmens Deutsche Reichs-
Reichsbahn agierte ganz als ge
meinuirtschaftlicher Staatsbetrieb, de r vor bahn«, mit der die »Autonomisierung« der Bahn umgesetzt wurde. Die
dem Hintergrund iibergeordneter (sozial-) politischer Ziele ein defizitäres
Betriebsergebnis billigend in Kauf nahm.
96
97 Bei Auslieferung der möglichst frühzeitig bestellten Maschinen musste die Bahn ange-
sichts des Währungsverfalls nur noch ein Bruchteil des Ursprungswertes tatsächlich
zahlen. Witt, »Inflation«, S. 393f., Lichter, »Reichsbahn-Gesellschaft«, S. 20, Schwille,
94 Siehe u.a.: Abelshauser, Produktionskapav.tiit, S. 1 1 ff. , Rössler, Lokomotivindustrie, S. 110 und S. 378ff., Pohl,
»
Buschrnann, Zechen, Wittschaft«, S. 474ff., Herrnann/Herrnann, Zechen, S. 82ff.,
95 Siehe »Staatsbahnen«, S. 93ff.
S. 125ff., Bührer, »Wirtschaft«, insbesondere S. 114ff. 98 Gottwaldt/Maedel, Dampflokonlotthen, S. 230, Gottwaldt, Einheits-Lokomotiven, S. 27ff.,
»S
taatsbahnen
u.a.: Seidenfus,
«, S. 71ff.»Eisenbahnwesen«, hier S. 275ff Lang,»Eisenbahn«, S. 655, Pohl, Peters, »Rationalisierungsbestrebungen«, S. 196, Bundesarchiv Berlin, Zwischenarchiv
96 Pohl, »S
taatsbahnen« Dahlwitz-FIoppegarten, Bestand R 43.04: Reichsbahnzentralamt Berlin, Nr. 604 (im
»Eisenbalin
« S. 655. , S. 93ff., Seidenfus, »Eisenbahnwesen« 1918-1932, S. 275ff, Lang,
Folgenden Zwarch R 4304/604): Wagner, 24.-27.2.1925, S. 21-27, hier S. 27, Zwarch R
4313/18: 0.V., o.D. (1929), 10 S., hier S. 5.

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