Oktober 2021 Georg Modestin Verlauf des Prozesses gegen Jacquet Durier (1448)
Sitzung Datum Aussage
1 1448, März 3 (Sonntag) Mord an Jean de Mossel mittels eines Pulvers, das dem An- geklagten von seinem Meister Satan übergeben worden sei. 2 –, März 4 (Montag), Begegnung mit dem MEISTER SATAN, DER SICH ANERBOTEN Vormittag HABE, DEM ANGEKLAGTEN ZU SEINER RACHE AN JEAN DE MOSSEL ZU VERHELFEN. Nennung erster Komplizen. Satan habe den Angeklagten zu einem Jean de Mossel gehö- renden Weinberg getragen, wo er ihm Salbe (Art. 13) über- reicht und ihn unterrichtet habe, wie er Mossel damit töten könne. Elf oder zwölf Jahre zurückliegende Einführung in eine «Sek- te» (Art. 3), als der Angeklagte MELANCHOLISCH gewesen sei. Die EINFÜHRUNG sei DURCH den inzwischen verbrann- ten PIERRE RUVYNAZ und dessen unbekannten Begleiter geschehen, der in der Folge als Satan identifiziert wird. Der Angeklagte habe Satan ein Stück des kleinen Fingers seiner rechten Hand versprochen, Gott verleugnet (ore ta- men et non corde) und Satan als Meister angenommen (Teil von Art. 5). 3 –, März 4 (Montag), Ves- Wiederholung der Einführung in die «Sekte». Präzisierung, perzeit (ca. 15 Uhr) wonach der Angeklagte Satan sein Fingerglied bono corde et ore überlassen habe. Hinweis auf erfolgte FOLTER (fuerat ante tractatus ad cordam). Pierre Ruvynaz habe den Angeklagten in der Fertigung eines poucetums (giftige Substanz, möglicherweise in Pulver- form; vgl. pousset) unterwiesen. Nach anfänglichem Zögern habe der Angeklagte Gott, die Dreifaltigkeit, die Taufe, das Antlitz Gottes, das Kreuz so- wie das Altarsakrament bono corde verleugnet. Daraufhin habe er den GESCHWÄNZTEN Satan auf den Hintern geküsst und ihm Gefolgschaft geschworen (homagium) (Teil von Art. 5). Danach habe Satan den Angeklagten sowie Pierre Ruvynaz durch die Luft an einen Ort oberhalb von Châtel-Saint- Denis getragen (Art. 14), wo ein festlicher Tisch bereit ge- standen habe. Das Fleisch, von dem der Angeklagte an- genommen habe, es sei vom Schwein und Lamm, sei süss gewesen. Nennung von Komplizen. Orgie, an welcher der Angeklagte wegen seines fortgeschrit- tenen Alters nicht teilgenommen habe (Einschränkung von Art. 9 und 11). Gegenseitige Versicherung der Teilnehmer, sich nicht zu denunzieren (Art. 10). «Sekte» samt Orgie am Mont de Corsier, zu welcher der An- geklagte und Pierre Ruvynaz auf einem Stab (baculum) ge- langt seien. Sekte» samt Orgie unterhalb des Weinbergs von Cornaux (bei Montreux). Dabei hätten sie Fleisch gegessen, das süsser gewesen sei als Lamm. Als Lichtquelle hätten bläuliche Kerzen gedient. 2
4 –, März 6 (Mittwoch) In den obengenannten «Sekten» sei dem Angeklagten der
Empfang von Weihwasser und des Altarsakraments sowie der Kirchgang untersagt worden, woran er sich aber nicht gehalten habe. Der Angeklagte habe Satan an dessen schlechten Werken als Teufel erkannt. In der Folge habe er sich von der «Gesell- schaft» (societas) ferngehalten. Weigerung des Angeklagten, Unschuldige zu denunzieren. 5 –, März 9 (Samstag) Weigerung des Angeklagten, mehr auszusagen, und Bitte um Absolution, in der Hoffnung auf eine leichtere Busse, als wenn er mehr gestehen würde. Abschwörung der Häresie. 6 –, März 11 (Montag) Der Glaubensprokurator präsentiert 15 Artikel, zu denen der Angeklagte befragt werden soll. Da sich der Angeklagte bei der Beantwortung der Artikel in Widersprüche verstrickt und die meisten verneint habe (stark kondensiertes Protokoll), verlangt der Glaubenspro- kurator die Anwendung der Folter. Angesichts der «Verstocktheit» des Angeklagten verhängen die Richter die Folter (sententia interlocutoria). Anwendung der FOLTER. Bestätigung der vorgängig gemachten Aussagen durch den Angeklagten. Zahlreiche Ergänzungen und Präzisierungen, so: – regelmässiger Erhalt von 5 Schilling für jede Teilnahme an der wöchentlichen Zusammenkunft (Art. 4); – Tötung und Verspeisung von Kindern durch den Ange- klagten (Art. 8), darunter die TÖTUNG EINES SEINER EIGE- NEN SÖHNE; – Nennung zahlreicher weiterer Komplizen (darunter Pierre Munier) und Identifizierung von Pierre Ruvynaz als Koch der Gruppe; – Häufung von Kindsmorden und -verspeisungen; – Übergabe der Hostie an seinen Meister Satan (Art. 6); – Präzisierung, dass das «Zeichen» (signum) unter dem Arm des Angeklagten vom Teufel stamme (Art. 12) und dazu diene, der Folter zu widerstehen. 7 –, März 12 (Dienstag) Wiederaufnahme des Verhör und Wiederholung bereits er- wähnter Motive: Kindsverspeisung, Übergabe von Hostien an den Teufel, Entschädigung durch den Teufel, Nennung von Komplizen (darunter Catherine Quicquat). Erwähnung einer über dem linken Auge eingeprägten Kröte (die nur für die Sektenmitglieder sichtbar sei) als gegensei- tiges Erkennungszeichen. Bestätigung aller gemachten Aussagen durch den Angeklag- ten (Art. 15). Antrag des Glaubensprokurators auf Abschuss des Verfah- rens, dem die Richter stattgeben. 8 –, März 15 (Freitag) Urteilsverkündigung (im Protokoll abgekürzt) und Überstel- lung des Angeklagten an den weltlichen Arm. Legende Fett: im Verlauf des Verhörs «berichtigte» Aussagen; grau unterlegt: Entsprechungen zwischen den Prozessaus- sagen und den fünfzehn Verhörartikeln; KAPITÄLCHEN: Entsprechungen zwischen den Prozessaussagen und den Errores Gazariorum, sofern sie nicht durch die Verhörartikel abgedeckt werden. Quelle: Martine Ostorero, ‘Folâtrer avec les démons’. Sabbat et chasse aux sorciers à Vevey (1448), Lausanne 1995 (20082), S. 194-235.