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Erschienen in: Sprachreport, Jg. 32 (2016), Heft 4, S.

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Larissa Schüller / Angelika Linke

WEIHNACHTEN ERZÄHLEN

Wie war Weihnachten, als Sie Kind wa- methodisch unter beiden Gesichts- Georgakopoulou 2008, S. 381) dar, Larissa Schüller ist
ren? Diese Frage haben Studierende punkten sehr bewährt hat. Was zu denen etwa gerade sehr kurze Masterstudentin der
Fächer Germanistik
im Kontext eines linguistischen nicht heißt, dass unter den vielen Erzählungen gehören, die nicht und Geschichte an der
Forschungsseminars zur Erzählfor- ganz unterschiedlichen Erzählun- dem Labov’schen Erzählschema Universität Zürich und
schung im Herbst 2015 den von ih- gen, welche die Fokusgruppenge- entsprechen oder die nur einzelne Studentische
nen organisierten Fokusgruppen spräche prägen, nicht auch zahlrei- Elemente daraus realisieren oder Hilfskraft am
Deutschen Seminar
gestellt, und sie hat in allen diesen che solche sind, die unerhörte und unvollendet bleiben. Auch die von der Universität Zürich.
Gruppen1 zu lebhaften Gesprächen einmalige Weihnachtsereignisse the- Bamberg und Georgakopoulou als
geführt, die zudem reich an Erzäh- matisieren – so wenn eine Ge- shared stories bezeichneten Erzäh- Angelika Linke ist
lungen sind. Genau das war beab- sprächsteilnehmerin davon erzählt, lungen gehören als eine Untergrup- Professorin für
Deutsche Sprachwis-
sichtigt. Das Fokusgruppen-Arran- wie „damals der Weihnachtsbaum pe hierher (vgl. Bamberg/Georga- senschaft an der
gement war methodisch darauf in Flammen aufging“. Es sind sol- kopoulou 2008, S. 381). Universität Zürich.
angelegt, Erzählungen zu elizitie- che Erzählungen, die dann auch am
ren, die nicht, wie in der klassischen ehesten dem von Labov und INDIVIDUELLE WEIHNACHTS-
Interviewsituation, von einem ein- Waletzky (Labov/Waletzky 1967) ERINNERUNGEN WERDEN IM
zelnen Sprecher bzw. einer einzel- entwickelten Erzählmodell samt
nen Sprecherin mehr oder weniger dessen relativ klarer Anfang-Mitte- INTERAKTIVEN ERZÄHLEN
monologistisch produziert und ver- Ende-Struktur entsprechen, und ZU ETWAS GEMEINSAMEM
antwortet werden, sondern die in die zudem – abgesehen von ermun- VERKNÜPFT
den interaktiven Austausch einer ternden und evaluierenden interak-
kleineren Gesprächsrunde einge- tiven Beiträgen der ZuhörerInnen – In solchen shared stories werden In-
bettet sind. Mit der Frage nach von einer einzigen ErzählerIn halte thematisiert, die den Zuhö-
Weihnachtserinnerungen war zu- vorgetragen werden (vgl. Bamberg/ renden bereits bekannt sind, entwe-
dem unter inhaltlicher Perspektive Georgakopoulou 2008, S. 381). der weil sie die Geschichte selbst
die Hoffnung verbunden, Erzäh- schon einmal – und vielleicht sogar
lungen zu stimulieren, die nicht, Small stories, shared stories mehrfach – gehört haben oder weil
wie in der Erzählforschung üblich, In erster Linie sind unsere Fokus- das Ereignis, das (wieder)erzählt
ein singuläres und außergewöhnli- gruppendaten jedoch von Er- wird, von allen oder zumindest den
ches biografisches Ereignis zum zählaktivitäten dominiert, die sich meisten GesprächsteilnehmerInnen
Gegenstand haben,2 sondern im unter den von Michael Bamberg gemeinsam erlebt wurde (vgl. Ge-
Gegenteil das Übliche und Typi- und Alexandra Georgakopoulou orgakopoulou 2005, S. 204).3 Gera-
sche eines wiederkehrenden Festes, geprägten Terminus small stories de Letzteres hat dann häufig auch
dem allerdings ein hoher alltags- fassen lassen. Dieser stellt einen zur Folge, dass sich mehrere Ge-
kultureller Wert zukommt und das Sammelbegriff für „underrepresen- sprächspartner am Erzählprozess
– so unsere Hypothese – Gegen- ted narrative activities“ (Bamberg/ beteiligen: ‚Geteilt’ ist dann nicht
stand eines generational gebunde- mehr nur das erzählte Ereignis und
nen kulturellen Gedächtnisses ist. damit ein Ausschnitt aus der Ver-
Die inzwischen vorliegenden Daten gangenheit, sondern auch das Er-
zeigen, dass sich das Arrangement zählen als sprachliche Handlung
im Hier und Jetzt. In der For-

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schungsliteratur wird denn auch woben bzw. bereits als kollektive Wie viele unserer Videoaufnahmen
die identitätsbildende und -stär- dargestellt werden. Gleichzeitig sind auch die hier präsentierten Er-
kende Funktion solcher Erzählun- möchten wir zeigen, dass und wie zählmomente sehr lebhaft, laut und
gen bzw. solchen Erzählens für die diese Erzählmomente und damit bewegt, und es wird viel gelacht.
daran Beteiligten betont (vgl. bei- die Herstellung gemeinsamer Erin- Weihnachten wird in unseren Da-
spielsweise Norrick 1997). nerungen dieselbe Funktion wie ten von den meisten Gesprächsteil-
shared stories erfüllen, das heißt: ge- nehmerInnen als ein Fest der Freu-
In unseren Daten liegt die Sache meinschafts- und damit identitäts- de und der Besinnlichkeit darge-
anders. Die ProbandInnen in unse- stiftend wirken. stellt, vor allem aber als ein Fest,
ren Gesprächsaufnahmen erzählen das ganz der Familie gehört. Gleich-
durchweg individuelle Weihnachts- VON WEIHNACHTEN ZU zeitig – und eng verbunden mit
erinnerungen, die TeilnehmerInnen ERZÄHLEN, IST EINE VER- dem Aspekt des Familienfestes – er-
an den Fokusgruppen haben nie scheint das Weihnachtsfest aber
das Weihnachtsfest zusammen ge- BLÜFFEND EMOTIONALE auch als konfliktreich, stressbelas-
feiert. Dennoch finden sich sehr ANGELEGENHEIT, AUCH tet und mit vielen Verpflichtungen,
viele Gesprächspassagen, in denen UNTER EINANDER UNBE- Regeln und Verboten assoziiert.
die GesprächsteilnehmerInnen über Wobei, zumindest in unseren Da-
kürzere oder längere Passagen eine KANNTEN MENSCHEN ten, der letztere Gesichtspunkt dem
Form von shared story herstellen, ge- ersteren nicht einfach nur entge-
nauer: in denen sie ihre biografisch In diesem Kontext gehen wir, wenn gensteht, sondern ihn zum Teil so-
individuellen Erinnerungen und auch nur knapp, auch auf den (kör- gar stützt.
Erfahrungen, die nie gemeinsam perlichen) Emotionsausdruck der
durchlebt wurden, im interaktiven Gesprächspartnerinnen ein. Denn Schön angezogen
Erzählen zu etwas Gemeinsamem eines machen unsere Fokusgrup- Der erste Transkriptausschnitt
verknüpfen. Das gemeinsame Er- penaufnahmen sehr deutlich: Zu stammt aus einer Gesprächsauf-
zählen ist in diesen Fällen also nicht erzählen, wie Weihnachten war, als nahme mit drei 20-jährigen Frauen,
Ausdruck bzw. Folge gemeinsamen man Kind war, ist auch unter einan- anwesend sind zudem drei For-
Erlebens, sondern dessen Medium. der nur wenig oder nicht bekannten scherinnen. Es wird hier wie auch
Menschen eine verblüffend emotio- im zweiten Ausschnitt schweizer-
Gemeinsames Erzählen und die nale und für die Beteiligten offen- deutsch gesprochen. Thema ist, wie
Konstruktion gemeinsamer sichtlich angenehme Angelegen- immer wieder in unseren Daten,
Welt heit. die Kleidung. An Weihnachten
Im Folgenden soll an zwei Erzähl- musste, wollte und durfte man sich
momenten aufgezeigt werden, mit schön anziehen.
welchen sprachlichen und kommu-
nikativen Mitteln individuelle Erin-
nerungen der Gesprächs- und Er-
zählpartnerinnen von diesen selbst
zu gemeinsamen Erinnerungen ver-

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Schön angezogen4

Sprecherinnen: Angela, Christina, Elena5

((50.12-50.53))

01 A: °h und (.) a WIEnachte aso mir hend eus immer-


und an Weihnachten also wir haben uns immer

02 A: obwohl mer NUR diheime gsi sind,


obwohl wir nur daheim gewesen sind

03 A: 1
[het mer sich so chli] [FE:schtlich]1 agleit.
hat man sich so bisschen festlich angezogen

04 E: 1
[°hhh] [SCHÖn agleit.]1
schön angezogen

05 E: 2
[JA.]2

06 C: 2
[ja]2 genAU.

07 C: 3
[das wür ich AU imfall,]3
das würde ich auch übrigens

08 E: 3
[mir hend immer müse s RÖCKli]3 azieh.
wir haben immer müssen das Röckchen anziehen

09 E: 4
[IM:mer mit]4 wullige strumpfhose (.) IM:mer;
immer mit wollenen Strumpfhosen immer

10 C: 4
[das wür ich AU-]4
das würd ich auch

11 C: würi nöd ÄN[dere.]


würd ich nicht ändern

12 E: [JA] immer.

13 E: JA=

14 C: =SCHÖn alegge irgend[wie;=]


schön anziehen irgendwie

15 A: [JA.]

16 E: =und SCHÖn f äh-


und schön f äh

17 E: !FRI!sch duschet !SCHÖ!n frisiert [und] !SCHÖ!n agleit.


frisch geduscht schön frisiert und schön angezogen

18 C: [mhm]

19 C: JA.

20 E: JA.

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heime gsi sind), setzt Elena zum
Sprechen an: Sie hebt den Kopf und
holt hörbar Luft. Exakt nach dieser
Reaktion von Elena wechselt Ange-
Abb. 1: v.l.n.r.: Angela, Christina, Elena la das Pronomen und transformiert
damit ihre familienbezogene Erin-
Direkt vor dem hier wiedergegebe- woanders war. Sie hat ihren Erinne- nerung zu einer generellen Aussage
nen Ausschnitt haben sich Elena, rungsprozess körperlich darge- (het mer sich so chli FE:schtlich agleit).
Angela und Christina über weih- stellt. Diese Generalisierung wird zudem
nachtliche Kirchenbesuche unter- durch Elenas überlappenden Spre-
halten. Während Elena und Christi- PRONOMENWECHSEL IN DER cherbeitrag in Zeile 4 bestärkt:
na dieses Thema länger fortführen, ERZÄHLPASSAGE MARKIERT SCHÖn agleit.
schweigt Angela. Ihr Blick schweift
ab, ist nicht mehr ihren Gesprächs- DEN ÜBERGANG VON INDIVI- Angela und Elena formulieren den
partnerinnen zugewandt und sie DUELLEN ZU KOLLEKTIVEN Kern von Angelas Aussage gemein-
scheint in Gedanken versunken. ERINNERUNGEN sam, wobei sie zwar verschiedene,
Dann holt sie tief Luft, wendet sich jedoch semantisch ähnliche Ad-
wieder den anderen beiden zu und In der darauf folgenden Verbalisie- jektive wählen (FE:schtlich und
leitet in Zeile 1 das neue Gesprächs- rung ihrer Erinnerung greift Angela SCHÖn) und dasselbe Verb benut-
thema ‚Anziehen an Weihnachten’ dann allerdings nicht zum zunächst zen. Durch diesen parallel kon-
ein. Im Unterschied zu vielen ande- erwartbaren Pronomen der ersten struierten „cooperative overlap“
ren Erzählsequenzen in unseren Person Singular, sondern sie wählt (Tannen 2007, S. 41) markiert Elena
Daten macht Angela ihr individuel- die entsprechende Pluralform mir Interesse an Angelas Erzählen so-
les Erinnern hier allerdings nicht (wir), womit sie sich als Mitglied ei- wie ein Mitwissen, das es ihr er-
verbal explizit (im Sinne von ich ner Gruppe – hier ihrer Familie – möglicht, Angela buchstäblich ‚das
weiß noch/ ich kann mich noch daran identifiziert und als Vertreterin die- Wort aus dem Mund zu nehmen’,
erinnern, dass/ mir fällt ein, dass o.Ä.), ser erzählt. Bereits in der dritten obwohl diese ihre Erzählung ur-
mit ihrer vorgängigen Körperhal- Zeile findet allerdings ein Prono- sprünglich als biografische Erinne-
tung und ihrer kurzzeitigen Ab- menwechsel statt von mir (Zeile 1) rung angelegt hatte. Die beiden jun-
wendung von den Gesprächsteil- bzw. mer (nebentonige Form von gen Frauen erzeugen hier ko-
nehmerinnen hat sie aber deutlich mir, Zeile 2) zum generalisierenden operativ und auf knappstem Raum
signalisiert, dass sie in Gedanken Pronomen mer (man6) (Zeile 3). Die- den Übergang von einer individu-
ser Wechsel geschieht eng ver- ellen, auf die eigene Familie bezo-
schränkt mit Elenas Einsatz als Mit-
erzählerin (Zeile 4): Direkt nach
Angelas Betonung der Tatsache,
dass die festliche Kleidung auch im
ganz familiären Kreis zuhause ge-
pflegt wurde (obwohl mer NUR di-

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genen Erinnerung zur geteilten Er- Der von Angela initiierte Erinne- Gleichzeitig wird durch dieses
innerung an eine gemeinsame rungsprozess zum Thema ‚Klei- IM:mer aber auch das immer von
Kinderwelt. dung an Weihnachten’ wird in den Angela in Zeile 1 „recycled“ (An-
Beiträgen von Elena weiter detail- ward 2015), wodurch Elena ihren
DIE ZUSTIMMUNG WIRD liert: mir hend immer müse s RÖCKli Beitrag auch auf der lexikalischen
MIT DEM GANZEN KÖRPER azieh (Zeile 8) IM:mer mit wullige Ebene eng mit dem von Angela ver-
strumpfhose (.) IM:mer (Zeile 9). Die schränkt. Andererseits markiert
KONSTITUIERT Wahl des Pronomens der ersten Elena körperkommunikativ die In-
Person Plural (mir, Zeile 8) markiert dividualität ihrer Erinnerung, in-
In diesem Moment schaltet sich diese Detaillierung morphosyntak- dem sie sich, während sie von ih-
auch Christina ein: Sie wendet sich tisch als individuelles Erzählen, als rem röckli erzählt, von Christina
Angela zu, lächelt, zeigt mit ange- Erinnerung an das persönliche Er- und Angela abwendet und nach
spannter, flacher Hand auf diese leben in Elenas Familienverband, oben blickt. Sie scheint nach Erinne-
(vgl. Abb. 1) und bestätigt deren das aber im nahtlosen inhaltlichen rungsfragmenten zu suchen und
Aussage in Zeile 6 mit ja genAU, da- Anschluss an Angelas Ausführun- bestätigt sodann mit Kopfnicken
bei ein JA von Elena überlappend, gen gleichzeitig als deren Veran- und schließlich auch verbal mit JA
mit welchem diese die Gültigkeit schaulichung und Explizierung er- immer (Zeile 12) ihre eigene Aussa-
von Angelas zunächst individueller scheint. ge und damit ihre Erinnerung als
Aussage auch für sich (laut) bekräf- richtig, um sich dann sofort wieder
tigt. Solches „embodied agree- DURCH DAS GEGENSEITIGE ihren Erzählpartnerinnen zuzu-
ment“ (Bietti 2014, S. 2011), die Zu- AUFGREIFEN VON wenden.
stimmung, die sich nicht nur verbal,
sondern eben maßgeblich körper- WORTMATERIAL WIRD AUF Während also Elena in den Zeilen 8
lich – durch „pointing“ – konstitu- DER SEMIOTISCHEN EBENE und 9 mit der Ausschmückung und
iert, wurde auch in Erzählungen GEMEINSCHAFT HERGE- Evaluierung einer Weihnachtserin-
beobachtet, in denen Familienmit- nerung, die als gemeinsame mar-
glieder in der Vergangenheit tat- STELLT kiert wurde, befasst ist, evaluiert
sächlich gemeinsam Erlebtes rekon- Christina – Elenas Beiträge überlap-
struieren (vgl. Bietti 2014, S. 2011). Indem Elena hier das Modalverb pend – diese Erinnerung im Hin-
müse (müssen) verwendet, erweitert blick auf ihr eigenes, zukünftiges
Angela, Christina und Elena sind sie zudem Angelas Weihnachtserin- Verhalten: Sie will die Sitte der fest-
alle drei in dieser Passage in Bewe- nerung durch eine Evaluation: Sie lichen Kleidung an Weihnachten
gung, sie sprechen schneller und markiert das röckli und damit die beibehalten. Die Wahl des Kon-
lauter und zeigen damit ein Kör- festliche Art der Kleidung als junktivs (Zeile 7: das wür ich AU im-
perdisplay, wie es Neal R. Norrick Pflicht, und zwar als alljährli- fall; Zeile 10: das wür ich AU) signa-
im Kontext von shared stories von che, ausnahmslose Pflicht, was sie lisiert die konditionale Bindung der
Familienmitgliedern als typisch be- mit der dreimaligen Wiederholung formulierten Absicht an die spätere
obachtet hat, nämlich „rapid-fire des Adverbs IM:mer unterstreicht. Existenz einer eigenen Familie. In
turn exchanges and overlaps“, wel- Zeile 11 schließlich kann Christina
che aber auch im vorliegenden Fall ihre beiden von Elena überlappten
einen „high level of involvement“ und syntaktisch fragmentarisch ge-
(Norrick 1997, S. 205) sowohl indi- bliebenen Turns mit würi nöd ÄNde-
zieren als auch konstituieren. re abschließen. Diese Formulierung
stellt eine Selbstreparatur dar:

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und folgt dabei einem rhythmi-
schen Muster, zu welchem sie mit
ihrer linken Hand den Takt angibt.
Abb. 2: v.l.n.r.: Angela, Christina, Elena Sie skandiert ihre Sentenz geradezu
und ihre ‚Performance’ gilt Angela
Während das syntaktische Gerüst seits Christina die bereits von An- und Christina, welche ihr gebannt
ihrer Beiträge in den Zeilen 7 und gela und Elena genutzten Formen zuhören, zuschauen und ihr
10 (wür ich AU) im Kontext der Vor- (FE:schtlich agleit bzw. SCHÖn ag- schließlich kopfnickend und verbal
gängerturns im Prädikatsslot ein leit) und stellt über diese Resonan- zustimmen – fast so, als wären sie in
affirmierendes machen projiziert zen (Du Bois 2014) auch auf der dieser ‚Performance’ die Kinder von
(also: wür ich au mache), leistet die in semiotischen Ebene sprachlicher früher, welche eine elterliche Ermah-
Zeile 11 dann gewählte Formulie- Form Gemeinschaft her.7 In unmit- nung erhalten (vgl. Abb. 2).
rung (würi nöd ÄNdere) mehr und telbarem Anschluss greift dann
anderes: Christina übernimmt auf auch Elena das von ihr ursprüng- Klingelverbot
diese Weise die von Angela und lich eingeführte und von Christina Der zweite Ausschnitt ist einem Ge-
Elena hergestellte Erinnerung an wiederverwendete schön nochmals spräch zwischen drei 40-jährigen
die festliche Kleidung an Weih- auf, bricht die angefangene Kon- Frauen entnommen. An diesem Ge-
nachten auch für sich. Denn das struktion dann aber unvermittelt spräch waren zwei Forscherinnen
„nicht ändern“ präsupponiert, dass wieder ab (und SCHÖn f äh-, Zeile beteiligt, die zwischen 20 und 25
auch in ihrer Familie schöne Klei- 16), um die gemeinsam rekonstru- Jahre alt sind. Während im vorheri-
dung an Weihnachten Pflicht war. ierte Erinnerung mit einer drei- gen Gesprächsausschnitt ein weih-
Sie nimmt mit ihrem kurzen Beitrag gliedrigen rhythmischen Sentenz nachtliches Verhalten thematisiert
also einerseits Bezug zur erzählten abzuschließen, in der sie das inzwi- wurde, das alle Gesprächsteilneh-
Welt, wie sie von Angela und Elena schen zum Schlüsselwort des Erin- merinnen im Sinne eines positiven
entworfen wurde, und bestätigt nerns gewordene schön gleich zwei- Gebots befolgten und auch als sol-
diese, andererseits stellt sie in ih- mal einsetzt und das Bild des ches weitergeben wollen, wird in
rem Beitrag einen Zukunftsbezug festlich herausgeputzten Kindes an ‚Klingelverbot’ eine Regel, gar ein
her, der zudem im Hier und Jetzt Weihnachten um zusätzliche As- Verbot besprochen, das „nervte“.
der Erzählwelt verankert ist. pekte erweitert: !FRI!sch duschet Das Beispiel illustriert einen weite-
!SCHÖ!n frisiert und !SCHÖ!n agleit ren, in unseren Daten häufig vor-
Christinas evaluierender Zukunfts- (Zeile 17). kommenden Fall, dass eine Spre-
ausblick bildet gleichzeitig eine Art cherin zwar auf ein biografisches
Vor-Abschluss der gemeinsamen DIE ERZÄHLPASSAGE ENDET Erleben zurückgreift, dieses aber
small story über weihnachtliche PROSODISCH MARKIERT von vornherein selbst als ein zwar
Kleidungssitten. Was folgt, ist eine nicht faktisch, aber sozial und kul-
gemeinsame Coda: Nachdem Elena MIT DER VERBALISIERUNG turell geteiltes darstellt.
Christina mit einem JA in Zeile 13 GEMEINSAMER WERTE
zugestimmt hat, wiederholt Chris-
tina nochmals, was für alle drei zu Diese abschließende Verbalisierung
Weihnachten gehört: SCHÖn alegge der „shared values“ (Norrick 1997,
irgendwie. Mit dieser Formulierung S. 211) der Fokusgruppe wird mit
parallelisiert und variiert nun ihrer- „prosodic marking“ (Selting 1994,
S. 377) produziert. Elena spricht
lauter, dehnt die betonten Silben

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Klingelverbot

Sprecherinnen: Bettina, Anna, Claudia, Tina (Forscherin)

((25.08-25.48))

01 C: ja am FüfeZWÄNzigschte-
ja am Fünfundzwanzigsten

02 C: das han het mich als CHIND immer so GNERVT =oder,


das habe hat mich als Kind immer so genervt oder

03 C: döfsch !NIE:!merem go lüte chunsch [use go spile,]


darfst niemandem klingeln kommst raus zum spielen

04 B: [<<lachend>ja genAU:.>]

05 B: ((lacht))

06 A: ((lacht))

07 C: und EIgentlich wetsch 1[denn au mit]1 dine kollege 2[go]2 zeige.


und eigentlich willst dann auch mit deinen Kameraden zeigen

08 T: 1
[(würklich?)]1
wirklich?

09 B: 1
[ja genAU;]1 2
[JA:;]2

10 A: [JA;]

11 T: [((lacht))]

12 C: nei musch WARte bis am sechsezwänzi,=


nein musst warten bis zum Sechsundzwanzi

13 C: =!HÖ:CH!schtens am sechsezwänz[igschte.]
höchstens am Sechsundzwanzigsten

14 A: [JA]

15 B: [JA]

16 C: A::h. ((lacht))

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zählung, Inszenierung vergangener
Rede und direkter Adressierung ih-
rer Gesprächspartnerinnen schillert
und auf diese Weise das ‚Klingel-
verbot’ bei aller Knappheit der Pas-
sage sehr eindringlich vermittelt:
Claudia schlüpft aus der Perspekti-
Abb. 3: v.l.n.r.: Forscherin Erika, Forscherin Tina, Bettina, Anna, Claudia ve des Kindes, das ‚genervt’ war, in
die der erzieherischen Instanz, de-
In ‚Klingelverbot’ stellt die Erzähle- ge, die Haltung, die sie als indivi- ren Rede (döfsch !NIE:!merem go
rin Claudia ihr eigenes Weihnachts- duelle formuliert hat, als geteilte lüte) sie gleichzeitig durch „laye-
erleben von Anbeginn als Exemplar voraussetzt: Nicht nur sie, jedes ring of voices“ (Günthner 1997,
eines Regelfalls dar: Dass es näm- Kind war durch die Konfronta- S. 189) evaluiert. Auf der einen Seite
lich am Weihnachtstag verboten tion mit diesem Verbot genervt. Zu hört man die bevormundende
war, bei Nachbarskindern zu klin- dieser Generalisierung trägt auch Stimme der Autorität, auf der ande-
geln, um diese zum Spielen abzu- die appositionale Bestimmung als ren Seite hört man die Stimme der
holen, obwohl natürlich alle Kinder CHIND bei, womit Claudia ihre kleinen Claudia, und zwar in dop-
sich gegenseitig die Geschenke zei- Aussage einerseits auf einen biogra- pelter Weise: einerseits in der eben-
gen wollten. Mit einer syntaktisch fischen Zeitraum beschränkt und so minimalen wie anschaulichen
und intonatorisch als Einschub sich gleichzeitig als Exponentin ei- Inszenierung des EIgentlich Er-
markierten Phrase (Zeile 2) veran- ner Gruppe, nämlich der der Kin- wünschten, nämlich der Frage
kert Claudia diese Regel zudem in der, darstellt und entsprechend für chunsch use go spile (Zeile 3), wie die
ihrer persönlichen Biografie, indem diese spricht. kleine Claudia sie dem herausge-
sie ihre persönliche kindliche Reak- klingelten Nachbarskind zugerufen
tion auf das Verbot darstellt: das han Sie markiert ihr emotionales Erle- hätte, wäre das eben nicht verboten
het mich als CHIND immer so ben damit als nicht-individuelles, gewesen, andererseits in der Be-
GNERVT. Dieser Einschub ist durch wiederkehrendes (immer) und ge- wertung des elterlichen Verbots als
das Vergangenheitstempus8 aus teiltes. pedantisch und nervig. Letzteres
dem präsentisch formulierten Ma- wird durch die starke Akzentuie-
trixsatz herausgehoben und inso- DAS ERLEBEN DES VERBOTS rung des !NIE:!merem (Zeile 3)
fern als minimale Erzählung indivi- WIRD ALS NICHT- geleistet, welches als eine extreme
duellen Weihnachtserlebens mar- case formulation im Sinne von Pome-
kiert. Mit der den Einschub ab- INDIVIDUELLES, WIEDER- rantz (Pomerantz 1986) betrachtet
schließenden tag question (=oder,) KEHRENDES, GETEILTES werden kann, sowie durch das
die im Schweizerdeutschen als ty- ERLEBEN MARKIERT mit gehobener Hand geäußerte
pischer „marker of shared back- !HÖ:CH!schtens (Zeile 13), was eine
ground knowledge“ (Norrick 1997, Das Verbot selber (Zeile 3, 12, 13) Hochstufung des zeitlichen Rah-
S. 208) fungiert, signalisiert Claudia wird weder sprecherzentriert (ich mens des Verbots (bis am sechse-
andererseits, dass sie die Gefühlsla- durfte nicht ...) noch unter Rückgriff zwänzi,= =!HÖ:CH!schtens am sechse-
auf das generalisierende man (man zwänzigschte) darstellt. Claudias
durfte nicht ...), sondern in der zwei- nachäffende, parodistische Stimme
ten Person Singular formuliert. Die-
se Wahl trägt dazu bei, dass Clau-
dias Beitrag insgesamt zwischen
abstrakter Verbotsformulierung, Er-

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und ihr Kopfwackeln unterstützen
diese Re-Inszenierung des kindli-
chen Genervt-Seins (vgl. Abb. 3).
Das Kind muss das Verbot jedoch
schließlich akzeptieren (Zeile 16) –
wenn auch mit einem bedauernden
A::h.
Abb. 4: v.l.n.r.: Forscherin Erika, Forscherin Tina, Bettina, Anna, Claudia
MIT DER 2. PERSON
SINGULAR IM VERBOT und diese zugleich zustimmungsfä- der Kontrahent ist. Claudia geht
hig machen wollen, in denen sie von einem gemeinsamen kulturel-
„DARFST NIEMANDEM“ also interaktiv um Bestätigung und len Wissen aus, was dann auch
WIRBT DIE ERZÄHLERIN UM –™Š‘’Žȱ Ž›‹Ž—ȃȱ ǻž”Ž—‹›˜Œ”ȹȦ durch ihre Gesprächspartnerinnen
ZUSTIMMUNG Bahr 2017, im Druck). Dies gilt auch bestätigt wird: So in den Zeilen 4, 5
im vorliegenden Fall: Claudias Zu- und 6 durch Bettinas explizites ja
Mit Blick auf den situativen Kon- hörerinnen gehören derselben Ge- genAU sowie deren lautes Lachen,
text der Fokusgruppe funktioniert neration wie Claudia an und waren in das auch Anna einstimmt. Betti-
Claudias gesamter Beitrag als Kipp- – dies zumindest Claudias Unter- na bewegt sich in dieser Phase auch
figur zwischen Erzählwelt und er- stellung – demselben Erleben aus- mehr, sie nickt und ihr Blick
zählter Welt, zwischen einer Stim- gesetzt, das Claudia mit Blick auf schwenkt von Claudia zu den bei-
me aus dem Dort und Damals von sich selbst formuliert: Das Kind, den Forscherinnen (als wolle sie
Claudias Kindheit (und damit in das mit den anderen Kindern spie- diese einladen mitzulachen) und
jedem Fall „[an]other’s voice“ (Tan- len will, wird mit den Regeln und wieder zu Claudia. Auch Anna be-
nen 2007, S. 102)) und einer aus Verboten der Erwachsenenwelt kon- stätigt Claudias Annahme nonver-
dem Hier und Jetzt der Fokusgrup- frontiert. bal mit Nicken.
pe, wo die Wahl der zweiten Person
Singular die Zuhörerinnen der Er- Der Gegensatz Kind – Eltern bzw. Durch die bestätigenden Beiträge
zählwelt zur Mitimagination der Kind – Erwachsene wird nur teil- und das Lachen ermutigt, beson-
geschilderten Situation einlädt. weise explizit gemacht. Während ders von Seiten der wortwörtlich
Denn im Gegensatz zum abstrahie- die eine Perspektive, die kindliche, von Kopf bis Fuß bewegten Bettina
rend-neutralisierenden man kommt explizit als solche angesprochen (vgl. Abb. 4),9 intensiviert Claudia
dem generalisierenden du eine wird (als CHIND), wird die Gegen- ihr interaktives Verhalten: Sie
stark personalisierende, das Gegen- partei nicht benannt. Die Spreche- spricht nun deutlich schneller, sie
über zur Perspektivenübernahme rin scheint auf einen kulturellen lehnt sich vor, ihr ganzer Körper
auffordernde Funktion zu (vgl. Antagonismus zu referieren: Allen und vor allem ihre linke Hand sind
Weinrich 2003, S. 98; Sacks 1992, Gesprächsteilnehmerinnen ist klar, stark in Bewegung.
S. 166-167). Wie Anja Stukenbrock wer solche Verbote ausspricht, wer
und Cornelia Bahr in einer neuen Zeitlich parallel zu ihrer verbalen
Studie anhand einer Vielzahl von Äußerung in Zeile 7 scheinen ihre
Gesprächsdaten zeigen, wird du Hand- und Armbewegungen ges-
„gehäuft in solchen Kontexten ge- tisch die Kinder vorzuführen, die
nerisch verwendet [...], in denen einander ihre Weihnachtsgeschen-
Sprecherinnen und Sprecher ihre
subjektive Perspektive mitteilen

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ke zeigen wollen (vgl. Abb. 4). Die Weihnachtserzählungen als practice (Wenger 1998) herstellen. In
zeitliche Präzisierung und latente generationales Erinnern inhaltlicher Hinsicht werden dabei,
Ausdehnung des Verbots in den In beiden Erzählpassagen werden wie auch in unseren beiden Beispie-
Zeilen 12 und 13 geht dann mit ei- individuelle Erinnerungen an Weih- len, häufig weihnächtliche Regeln,
ner deutlichen körperkommunika- nachten zu kollektiven. Die Ge- Pflichten, Traditionen und Verbote
tiven Veränderung einher: Claudia, sprächspartnerinnen nutzen hier- thematisiert, die als geteilte voraus-
eben noch vor Energie, Freude und für in ebenso komplexer wie syste- gesetzt oder erzählend zu solchen
Neugier sprudelndes Kind, lehnt matischer Weise unterschiedliche gemacht werden. Damit hängt
sich wieder in ihren Stuhl zurück, sprachliche und körperkommuni- dann auch zusammen, dass die im
spricht langsamer, leiser und deut- kative Mittel. Besonders auffallend Medium der oft nur sehr fragmen-
licher. sind das subtile und interaktiv auf tarischen small stories hergestellte
minimale Reaktionen der Erzähl- Peergroup eine doppelte ist: Einer-
Durch Claudias körperkommuni- partnerinnen abgestimmte ‚Gleiten’ seits die der damaligen Kinder, die
kative Inszenierungen wird die Di- der Pronomen zwischen ich, wir, einem weihnächtlich-familiären Re-
stanz zwischen erzählter Welt und man und (generalisierendem) du, glement ausgesetzt sind, als dessen
den Rezipientinnen in der Erzähl- die Nutzung von overlaps, mit de- Instanz die Eltern (und Großeltern)
welt verringert. Das Ereignis wird nen Beteiligte die eigene Vertraut- dargestellt werden, andererseits die
vergegenwärtigt, die Rezipientin- heit mit den von einer Sprecherin in der am Fokusgruppengespräch Be-
nen in die betreffende Situation diesem Moment formulierten Erin- teiligten, welche sich gemeinsam an
versetzt und so ein „common con- nerungen signalisieren, die inhaltli- eben diese Kindheit erinnern.
text“ geschaffen, in dem das Er- che Detaillierung einer vorgängig
zählte gemeinsam evaluiert werden von einer Erzählpartnerin allge- Und obwohl es in den Erzählungen
kann (vgl. Günthner 1997, S. 189). mein formulierten Weihnachtserin- um Regeln und Verbote geht und
nerung aufgrund eigenen Weih- zum Teil, wie in ‚Klingelverbot’,
Dabei lässt sich auch in unserem nachtserlebens sowie das gegen- auch um negative Gefühle, wird in
sehr kurzen Abschnitt eine komple- seitige Aufgreifen (‚recyceln’) von den Gesprächen viel gelacht. Im Er-
xe Interdependenz zwischen Clau- Wortmaterial bzw. von Konstrukti- zählen, in der Konstruktion eines
dias letztlich vorwurfsvoll-karikie- onen, womit über eine Formkom- generational gebundenen alltags-
render Darstellung weihnachtlicher ponente semiotisch Gemeinsamkeit kulturellen Gedächtnisses10 scheint
Verhaltensregulierungen und der hergestellt wird. sich für die Beteiligten ein wohliges
Unterstützung dieser Darstellung Gefühl von Zugehörigkeit einzu-
durch ihre Gesprächs- und Erzähl- Die hier verwendeten Transkript- stellen. Was in den Erzählungen
partnerinnen beobachten: Je deutli- beispiele sind mit Blick auf unsere und Erzählfragmenten hergestellt
cher wird, dass diese ihre affektive Daten in all dieser Hinsicht typisch. wird, ist eine gemeinsame Welt.
Bewertung teilen, desto expressiver Die TeilnehmerInnen der Fokus- Und dass sie in der Vergangenheit
wird Claudias zunächst eher vor- gruppen finden ganz offensichtlich liegt, scheint ihr eine besondere
sichtige Inszenierung des Konflikts großen Gefallen daran, ihre Weih- Bindungskraft zu geben.
zwischen Kind und elterlicher In- nachtserinnerungen zwar nicht als
stanz, mit dem die 40-jährigen faktisch, aber doch sozial geteilte Anmerkungen
Frauen als Kinder konfrontiert wa- zu entdecken bzw. zu konstruieren 1
Die insgesamt neun Fokusgruppen,
ren. und sich – obwohl sie sich in vielen die von jeweils zwei oder drei Studie-
Fällen erst im Fokusgruppenge- renden eingeladen, moderiert und
spräch kennengelernt haben – ge- ŠžŽ—˜––Ž—ȱ ž›Ž—ǰȱ œŽĵŽ—ȱ œ’Œ‘ȱ
meinsam einer generationalen Peer- aus jeweils drei bis fünf gleichaltrigen
group zuzuordnen, indem sie im (20-, 40-, 60- und 80-jährigen) Frauen
gegenseitigen und gemeinsamen zusammen, eine Fokusgruppe be-
stand aus drei 20-jährigen Männern.
Erzählen von ‚Weihnachten, als sie
Kinder waren’ eine in die Vergan-
genheit projizierte community of

10 IDS SPRACHREPORT 4/2016


2
Wie prototypisch in den Erzählungen Literatur Linke, Angelika (2005): Kulturelles Ge-
von Probanden, die durch William dächtnis. Linguistische Perspektiven
Anward, Jan (2015): Doing Language.
Labovs berühmte Frage elizitiert auf ein kulturwissenschaftliches For-
Linköping: Studies in Language and
wurden, ob sie schon einmal in To- œŒ‘ž—œŽ•ǯȱ —DZȱžœœŽǰȱ’Ž›’Œ‘ȹȦȹ’Ž‘›ǰȱ
Culture No 26, Linköpings universi-
desgefahr geschwebt haben. ‘˜–ŠœȹȦȹŽ—Ž•Ž›ǰȱŠ›’—ȱǻ ǯǼDZȱ›’Ȭ
tet.
3
ȱ —ȱŽ›ȱ’Ž›Šž›ȱꗍŽ—ȱœ’Œ‘ȱŸŽ›œŒ‘’Ž- sante Semantik. Neuere Konzepte
Assmann, Aleida (2010): Re-framing und Forschungsergebnisse einer kul-
dene Termini für diese Erzählform:
memory. Between individual and turwissenschaftlichen Linguistik. Tü-
shared, known, familiar stories. Diese
collective forms of constructing the bingen: Niemeyer, S. 65-85.
Ž›’ěŽȱ Ž›Ž—ȱ –Ž‘›ȱ ˜Ž›ȱ Ž—’Ž›ȱ
™Šœǯȱ —DZȱ ’•–Š—œǰȱ Š›’—ȹȦȹŠ—ȱ ›ŽŽǰȱ
austauschbar verwendet; Georga- Norrick, Neal R. (1997): Twice-told
›Š—”ȹȦȹ’—Ž›ǰȱ Š¢ȱǻ ǯǼDZȱŽ›˜›–’—ȱ
kopoulou (2005, S. 224) konstatiert tales. Collaborative narration of fa-
the Past. Memory, History, and Iden-
„fuzzy boundaries amongst them.“ miliar stories. In: Language in Society
tity in Modern Europe. Amsterdam:
4
Die Aufnahmen wurden nach den 26, S. 199-220.
Amsterdam University Press, S. 35-
Konventionen von GAT 2 (Basistran- 50. ˜–Ž›Š—ĵǰȱ—’ŠȱǻŗşŞŜǼDZȱ¡›Ž–ŽȱŠœŽȱ
skript) verschriftlicht. Körperkom- formulations. A way of legitimizing
Š–‹Ž›ǰȱ ’Œ‘ŠŽ•ȹȦȹ Ž˜›Š”˜™˜ž•˜žǰȱ
munikatives Verhalten wurde nicht claims. In: Human Studies 9, S. 219-
Alexandra (2008): Small stories as a
–’Ĵ›Š—œ”›’‹’Ž›ǰȱ žȱ ‹Ž˜‹ŠŒ‘‹Š›Žȱ 229.
new perspective in narrative and
körperliche Verhaltensweisen wer- Sacks, Harvey (1992): Lectures on Con-
identity analysis. In: Text and Talk,
den aber in unsere Analysen mitein- ŸŽ›œŠ’˜—ǯȱ ǯȱŸ˜—ȱ Š’•ȱ ŽěŽ›œ˜—ǯȱ¡-
28/3, S. 377-396.
bezogen. ford: Blackwell.
5
’ŽĴ’ǰȱ žŒŠœȱ ǯȱ ǻŘŖŗŚǼDZȱ –‹˜’Žȱ Š—ȱ
Bei den Namen handelt es sich um Selting, Margret (1994): Emphatic
distributed contexts of collaborative
Pseudonyme. speech style – with special focus on
remembering. In: Müller, Cornelia
6
Dieses Pronomen ist im Schweizer- žǯȹŠǯȱ ǻ ǯǼDZȱ Š—‹˜˜”ȱ ˜¢ȱ Ȯȱ Š—- the prosodic signalling of heightened
deutschen homophon mit dem ne- guage – Communication. An Interna- emotive involvement in conversation.
bentonigen wir. tional Handbook on Multimodality in In: Journal of Pragmatics 22, S. 375-
7
ȱ —œ˜Ž›—ȱ‘›’œ’—Šȱ‘’Ž›ȱ’–ȱ ŽŽ—œŠĵȱ Human Interaction, Bd. 2. Berlin: De 408.
zu Angela und Elena nicht eine Parti- Gruyter Mouton, S. 2008-2016. ž”Ž—‹›˜Œ”ǰȱ—“ŠȹȦȹŠ‘›ǰȱ˜›—Ž•’ŠȱŘŖŗŝȱ
£’™’Š•Ȭǰȱ œ˜—Ž›—ȱ Ž’—Žȱ —ę—’’Ÿ˜›–ȱ Du Bois, John W. (2014): Towards a dia- (im Druck): Zur kommunikativen
—žĵǰȱ ’Žȱ Š–ȱ Ž‘ŽœŽ—ȱ Š—ȱ ’‘›ȱ das in logic syntax. In: Cognitive Linguistics Leistung des generischen „du“-Ge-
Zeile 10 anschließbar ist, akzentuiert 2014, 25 (3), S. 359-410. brauchs in der sozialen Interaktion.
sie gleichzeitig ihren in die Zukunft —DZȱ’—”Žǰȱ—Ž•’”ŠȹȦȹŒ‘›ãŽ›ǰȱ ž•’Š—Žȱ
Georgakopoulou, Alexandra (2005):
gerichteten Blick. (Hg.): Sprache und Beziehung. Berlin:
Same old story? On the interactional
8
Die schweizerdeutschen Dialekte ken- de Gruyter.
dynamics of shared narratives. In:
nen kein Präteritum. žŠœ‘˜ěǰȱ Šȱ ǯȹȦȹŽŒ”Ž›ǰȱ Š‹ŽŠȱ Tannen, Deborah (2007): Talking voices.
9
Zeitgleich mit der Äußerung der be- (Hg.): Narrative Interaction. Amster- Repetition, dialogue, and imaginery
stätigenden Antwortpartikel JA in dam: John Benjamins Publishing, conversational discourse. Cambridge:
Ž’•Žȱşȱ‘Ž‹ȱŽĴ’—Šȱ’‘›Ž—ȱ•’—”Ž—ȱ›–ǰȱ S. 223-242. Cambridge University Press.
um sich mit der Hand durchs Haar zu Günthner, Susanne (1997): Complaint Weinrich, Harald (2003): Textgramma-
fahren und gar ihren Fuß (siehe Abb. stories. Constructing emotional reci- tik der deutschen Sprache. Hildes-
ŚǼǯȱŠœȱǮŽ–‹˜’ŽȱŠ›ŽŽ–Ž—ȃȱǻ’ŽĴ’ȱ ™›˜Œ’¢ȱ Š–˜—ȱ ˜–Ž—ǯȱ —DZȱ ˜Ĵ‘˜ěǰȱ heim: Olms.
2014, S. 2011), das auch im vorherigen Ž•ŠȹȦȹ˜Š”ǰȱž‘ȱǻ ǯǼDZȱ˜––ž- Wenger, Etienne (1998): Communities
Beispiel zu beobachten war, be- nicating Gender in Context. Amster- of Practice. Learning, Meaning and
schränkt sich nicht nur auf ein „poin- dam: Benjamins, S. 179-218. Identity. Cambridge: Cambridge Uni-
ting“ mit der Hand. Es ist gesamtkör- versity Press.
Š‹˜Ÿǰȱ ’••’Š–ȹȦȹŠ•Žĵ”¢ǰȱ ˜œ‘žŠȱ
perlich.
(1967): Narrative Analysis. Oral Ver-
10
Während im kulturwissenschaftli- sions of Personal Experience. In:
chen Kontext das Konzept des „kul- Helm, June (ed.): Essays on the Verbal
turellen Gedächtnisses“ seit bald 40 Š—ȱ’œžŠ•ȱ›œǯȱŽŠĴ•ŽDZȱ—’ŸŽ›œ’¢ȱ˜ȱ Bildnachweise
Jahren ausführlich in seiner individu- Washington Press, S. 12-44. Seite 4, 6, 8, 9: Standbilder erstellt von
ellen Bindung, seiner sozialen Be- Larissa Schüller aus Videodaten des
dingtheit und seinem kollektivieren- Forschungsseminars, Herbstsemester
den Potenzial diskutiert wird (vgl. 2015. I
etwa rezent Assmann 2010), gibt es
kaum Beiträge aus linguistischer Per-
spektive, vgl. zu diesem Befund auch
Linke 2005.

IDS SPRACHREPORT 4/2016 11

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