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DIÖZESANMUSEUM KOLUMBA

IN KÖLN
PETER ZUMTHOR
EIN HAUS FÜR SINN
UND SINNE
Peter Zumthor erbaute für das Kunstmuseum des Kölner Erzbistums
einen auratischen Ort und vergrub an ihm eine architektonische Reliquie, die Kapelle
St. Kolumba, die Gottfried Böhm in den fünfziger Jahren in der
Kirchenruine errichtet hatte.
von Wolfgang Pehnt

Kölner Stadtgespräch Kolumba. Ob das Diözesan-


museum die herkömmlichen Verkündigungsmittel der
Kirche mit seinem Kunstparcours missionarisch und
seelsorgerisch ergänzen kann? Das hermetisch zuge-
mauerte Gebäude öffnet sich über den ausgegrabe-
nen Ruinenfeldern mit einem sogenannten Filtermau-
erwerk, das im Inneren ein kontemplatives Lichtspiel
B11 2007 Diözesanmuseum Kolumba in Köln erzeugt.
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Umstritten bleibt die Einhausung von Gottfried Böhms
Kapelle, auf der höchstens noch flirrende Lichtflecken
die Verbindung zur Außenwelt herstellen; auch die
Seitenfenster der ehemaligen St. Kolumba-Kirche an
der Brückenstraße sind lediglich noch als Intarsien in
der neuen Fassade ablesbar. Die Erinnerung an die
Zerstörung Kölns verliert ihre dramatische Wirkung.
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Bevor man sich in das Dunkel der Ausgrabungen hin-
ter einem schwarzen Ledervorhang begibt (rechte
Seite), sieht man durch eine riesige Fensterwand in
den ehemaligen Kirchhof. Er ist als baumbepflanzter,
bekiester Museumsgarten angelegt, im Blickfang die
„Große Liegende“ von Hans Josephsohn. Nicht über-
sehen sollte man den schlanken Türgiff: Zumthor
legte sogar fest, in welche Richtung die Handfeile zum
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Glätten der Oberfläche geführt werden sollte.
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So einen wie Peter Zumthor scheint jede Bauepoche zu brau- couturiers, der Gehry, Hadid oder Libeskind, teilen Baumeis- Demgemäß forderte die anspruchsvoll formulierte
chen, als Ausnahmeerscheinung, als Außenseiter. Einen, der ter Zumthors Bauten, so konträr sie sind, den autonomen Wettbewerbsausschreibung die Planer auf, eine Architektur
sich weigert, auf dem Karussell zeitgenössischer Novitäten Charakter. Bei allem, was sie sonst noch leisten, sind sie „für aufbrechende Wege zum Transitorischen und Spirituel-
und Imagekampagnen mitzufahren. Der auf eine Architektur zugleich Zweck in sich selbst. Auch die persönlichen Auf- len zu schaffen“. Aber wenn der Kölner Kardinal Joachim
der Stille, der Geduld setzt. Der in den achtundzwanzig Jah- tritte dieses bärtigen Helvetiers mit seinem bärenhaften Meisner dieses Haus, das er sehr gefördert hat, einen
ren seiner Arbeit und in seinem bestenfalls mittelgroßen Ate- Charme, dieses Naturtalents der Selbstdarstellung, entgehen „Sakralbau in den Dimensionen eines Museums“ nennt, ver-
lier nicht mehr als ein gutes Dutzend überregional wahrge- dem Starwesen nicht. Wer Kultfigur wird, entscheidet nicht kennt er die Dialektik, die dessen Beständen zugrunde liegt.
nommener Bauten hervorgebracht hat. Der sich Zeit für sein der Betroffene, sondern die Medien. Und deren Appetit wird Dieses Haus ist keine Kirche, auch wenn man in dem einen
Tun nimmt; beim Museum Kolumba waren es neun Jahre durch Zugangsbeschränkung, Terminverweigerung oder oder anderen Meditationsraum ein Rüchlein Weihrauch zu
Planungs- und Bauzeit. Der seine anthropologischen Ausstellungsaskese nur noch angereizt. spüren vermeint. Hier tritt sakrale Kunst einer Kunst gegen-
Gewissheiten modisch aktuellen Formspielen entgegenhält. über, die durchaus „von der Gottesverehrung abgekoppelt
Wenn Zumthor sich auf Vergangenheit bezieht, hat er anders Museum der Nachdenklichkeit ist“. Einen beträchtlichen Teil des Bestandes müsste der Kar-
als seine alerten Kollegen nicht ein Repertoire abrufbarer Abb. 1 Als das Kölner Generalvikariat 1996/97 in der Erzdi- dinal nach seinem unsäglichen Wort zur „entarteten Kultur“
Zur Expo im Jahr 2000 konterkarierten Peter Zumthors
Zitate im Sinn. Sondern so etwas wie das stets Gültige, das özese den Wettbewerb für ein neues Kunstmuseum aus- zählen.
Brettstapel die exaltierten Pavillonarchitekturen.
als gesammeltes Wissen vieler Generationen im Vergange- schrieb und Zumthor zu den sieben zusätzlich eingeladenen Bisher war das Diözesanmuseum auf 380 m2 Ausstel-
nen steckt. Im „Wesen der Dinge“ eröffne sich „ein Abgrund Teilnehmerbüros zählte, muss das Bauprogramm auf den lungsfläche in einem Verwaltungshaus am Roncalliplatz, in
von Reichtum“, heißt es bei Goethe, der vom „alten Wahren“ Aber das alte Wahre ist auch nicht mehr das, was es Graubündner Architekten wie ein Wink des Schicksals der Nachbarschaft des Domes, untergebracht. Jetzt steht ihm
zu sprechen liebte. Zumthor ist ein Leser des Klassikers. war. Der Zeitgeist verleibt sich Positionen wie Antipositionen gewirkt haben. Denn das 1853 gegründete Diözesanmuseum an anderer, fast ebenso würdiger Stelle der Innenstadt, auf
ein und macht jede Richtung zum Trend. In der lauten Welt verfolgt heute ein Programm, das wie Zumthors Werk auf dem Territorium der ehemaligen Kirche St. Kolumba, mehr
Das alte Wahre im modisch Neuen der Daytrader bleibt die Stille nicht still, sondern erzeugt andere Werte als die der Tagesaktualität setzt. Seine Kurato- als das Vierfache an Fläche zur Verfügung, 1750 m2, Foyer
Auf solche Bestätigungen stößt er weit eher in Dich- ihrerseits Sensation. Man kann auch in Zumthor-Bauten ren verstehen das Museum als Erlebnisraum für Sinn und und Treppen eingerechnet (nicht aber die Ausgrabungs-
tung und Kunst als in Lehr- oder Baugeschichtsbüchern, vor Modenschauen abhalten. Der Stapel aus Lärchen- und Föh- Sinne, als Schatzhaus der Erinnerung, als Begegnung mit halle). Zwischen ständiger Sammlung und Wechselausstel-
allem aber in der eigenen Erinnerung an Heimat und Kind- renhölzern, den Zumthor im Jahre 2000 am Hannoveraner dem Unbekannten, als Ort der Nachdenklichkeit. lung wird in Kolumba nicht unterschieden. Fast alle Paarun-
heit: an das Klappern der Pfannen in der Küche der Mutter, Kronsberg aufschichtete (1), war nicht nur ein Konzentrat Gesammelt werden nicht nur, wie in einem regionalen gen der jetzigen Hängung sind auf Zeit gedacht. Nur wenige
an den Geruch des gewachsten Eichenholzes im Treppen- heimatlicher Bilder, Düfte und Geräusche. Er war das zur Diözesanmuseum üblich, heimatlos gewordene Kunst- Arbeiten werden den Platz bewahren, der ihnen bei der Pre-
haus seiner Tante, an das satte Geräusch der ins Schloss fal- Schau gestellte Exponat einer Weltausstellung, das die sich schätze des Bistums, sondern zeitgenössische Avantgarde- miere zugewiesen wurde.
lenden Haustür. In der Betrachtung jener Dinge, die er die überbietenden Nationalpavillons mit einem Gegenentwurf werke. Denn auch den Kounellis, Rothko, Thek trauen Muse-
„wirklichen“ nennt. Es sind keine Produkte der Konsumgü- unterlief und von Millionen Besuchern wahrgenommen umsdirektor Joachim M. Plotzek und sein Team die Kraft der Parochia primaria
terindustrie, sondern ehemals alltägliche Werkzeuge, wurde. Die Kapelle, die Zumthor in der Nähe des Voreifel- Kontemplation, die Fähigkeit zur Transzendenz und die St. Kolumba war keine jener baugeschichtlich hervor-
Gebilde und Wahrnehmungen, die heute eine archaisch-fei- dorfes Wachendorf (2) als geheimnisvolles, schwer zugängli- Offenheit zum Dialog zu. Auf oberem künstlerischen Niveau ragenden Stiftskirchen, die den Ruhm des romanischen
ertägliche Anmutung haben: der Anblick bauchiger Kera- ches Mal errichtete und dem Einsiedlermönch Nikolaus von sollen die Arbeiten, ob alt oder neu, Fragen an die Existenz Köln ausmachen. Aber sie war die älteste und reichste Pfarr-
mikgefäße, die gefühlte Temperatur des Holzes, das schräg Flüe widmete, dient nicht nur der frommen Einkehr des Bau- des Menschen richten. Kunstgeschichte bleibt hier als Hilfs- kirche der Stadt, die parochia primaria. Ihre Vorgängerbau-
einfallende Streiflicht in einer Studentenkneipe. „Es gibt ern, der sie in Auftrag gegeben hat. Vielmehr zieht sie Tag wissenschaft im Hintergrund. Es gibt keine Beschilderung ten gehen in merowingische und karolingische Zeit zurück,
keine Idee außer in den Dingen.“ für Tag neugierige Architekturtouristen an, die vom frisch der Kunstwerke und keine Erläuterung der Assoziationen, darunter liegen römische Siedlungsreste und dazwischen
In den 1910er und 20er Jahren war es ein Baumeister eingerichteten Sonderparkplatz den Hang hinauf pilgern. von denen die Museumsleute geleitet waren. Künstlernamen, zahlreiche Grabgewölbe, die in umfangreichen Ausgrabun-
wie Heinrich Tessenow, der sich um Dinge mühte, die „einen Entstehungsort und -zeit muss man sich aus den Grundris- gen zu Tage gefördert wurden. Was bis zu den Bombenan-
einigermaßen dauerhaften Wert“ haben sollen, und fand, sen, den Raumnummern und den Angaben eines kargen griffen des Zweiten Weltkriegs stand, war eine große fünf-
„dass das eine merkwürdig schwierige Geschichte“ sei. Tes- Heftchens erschließen. schiffige Emporenbasilika der ausgehenden Gotik. Ihren
senow konnte über diese „schwierigen Geschichten“ ebenso Wo alles auf das stumme Gespräch zwischen Kunst- verkanteten Baukörper überragte ein robuster romanischer
schön und verständlich schreiben wie Zumthor. In der Nach- werk und Betrachter angelegt ist, nehmen auch die Kunst- Turm, der von einem steilen Knickhelm bekrönt war. Schon
kriegszeit nach 1945 gehörte Emil Steffann zu denen, die werke untereinander ungewohnte Dialoge auf. Den goldenen damals zählte diese innerstädtische Pfarrei, früher die
nach der „Einfalt in der Vielfaltigkeit unserer modernen Heiligenscheinen in Stefan Lochners Veilchenmadonna ant- größte der Stadt, bloß noch einige hundert Seelen. Ein Wie-
Zivilisation“ suchten und sie in einer Architektur der arche- wortet das satte Gelb in Josef Albers’ Quadratschichtungen. der- oder Neuaufbau wurde zwar immer wieder erwogen.
typischen Gestalten fand. An sie schließt Zumthors Position Der spätgotische Schmerzensmann krümmt sich vor den Aber schließlich wohnt in diesem City-Quartier kaum noch
an. Dem globalen Freihandel mit beliebigen Formen wider- Kreuzen, die auf Andy Warhols Siebdrucken als grafische jemand.
setzt er sich, ohne den Konventionen von Heimatkunst und Zeichen gesetzt sind. Bis zur Gegenüberstellung von mittel- Von der malerischen Baugruppe überstanden nur
Regionalismus zu verfallen. Die Kapelle wird bei ihm zur alterlichem Aquamanile und Rosenthal-Service wagen sich Umfassungsmauern die großen Brände, das meiste davon
Arche, der Glockenstuhl zur Himmelsleiter, die Therme die Museumsleute vor. Manchmal strahlt die sakrale Würde wurde später niedergelegt. Und es überstand die spätgotische
zum Ritualbad, das Museum zur Reliquienkammer, das Haus der alten Kunst auf die neuen Werke ab und lädt sie mit Muttergottes, die während des Krieges am nördlichen Chor-
zum Urhaus. Bedeutungen auf, die sie von sich aus nicht besitzen und pfeiler eingemauert war. Den Kölnern erschien die verhalten
Es ist, als setzte dieser Baumeister Martin Heideggers eigentlich auch nicht tragen können. Manchmal gelingt die lächelnde „Madonna in den Trümmern“ wenn nicht als ein
Reflexionen über das Wesen des Wohnens in Gebautes um. Kommunikation auch in der umgekehrten Richtung. Dann Wunder, so doch als Symbol des weiter gehenden Lebens
Die geraunten Gedanken des Meßkircher Philosophen über stellen die verschlossenen Farbflächen oder unentziffer- und als Zeichen möglicher Regeneration. Sie war der Anlass,
den Schwarzwaldhof und dessen „geheiligte Plätze“ schei- baren Zeichen der Gegenwart Fragen an den Text der Ver- weshalb Joseph Geller, der damalige Pfarrer der Gemeinde,
nen sich in denen des Haldensteiner Baumeisters über das Abb. 2 gangenheit. an den Bau einer Kapelle dachte. Den Auftrag erhielt einer
Einen unerwarteten „Zumthor-Effekt“ löste die Bruder-
Graubündner Bauernhaus zu spiegeln. In Zumthors Essen- der prominentesten Kirchenbauer der Stadt, Dominikus
Klaus-Kapelle in Wachendorf (2007) aus.
zialismus zählen nicht allein die Bilder, die von Gebäuden Böhm, der ihn in väterlicher Patronage an seinen 27jährigen
geweckt werden, sondern alle sinnlich erfahrbaren Qualitä- Sohn Gottfried weiterreichte.
ten, das Gewicht und die Struktur der Materialien, die Masse Einsiedler leben heute nicht mehr in der Abgeschieden- Aber das alte Wahre ist auch Nach immer wieder revidierten Plänen nestelte Böhm
und Dichte des Gebauten, die Reflexe und Tastbarkeit seiner heit, sondern mitten in der Menge, und die Menge zwingt junior (und inzwischen längst seinerseits senior) den Neu-
Oberflächen zwischen glänzend glatt und rau oder stumpf, ihnen auf, was ihnen ganz und gar zuwider ist oder sein nicht mehr das, was es war. bau in das Ruinengelände ein, nutzte den Turmstumpf für
der Klang der Bewegungen in den Räumen. Wenn Zumthor müsste: Inszenierung. Wenn Zumthor bei der Kölner Muse- den Kirchenraum und schloss im Osten einen achtseitigen,
in seinen verführerischen Essays seine „Gefühle der Stim- umseröffnung sich von jeglichem Architektur-Marketing Der Zeitgeist verleibt sich mit einem Betonzelt gedeckten Zentralbau als Chörlein an.
migkeit“ beschreibt, suggeriert er zugleich einen Glanz, und jedem „Bilbao-Effekt“ distanzierte, ehrt es ihn. Aber es
eine Aura um die Dinge, als wären sie nicht von dieser Welt. gibt auch so etwas wie einen „Vals-Effekt“. Ihn kennt die Positionen wie Antipositionen
Noch die grafische Technik, mit denen er seine im Wettbe- Gemeinde derer, die den Zumthor-Schöpfungen nachziehen,
werb vorgelegten Schnitte, Grundrisse und Ansichten für sich an seiner durchaus nicht nur spartanischen Material- ein und macht jede Richtung
St. Kolumba bearbeitete, edle Aquatinta-Radierungen, pfle- wahl delektieren und meditative Stunden in seinem Valser
gen das Auratische. Thermentempel verbringen. Mit den Kreationen der Nobel- zum Trend.
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1950 wurde die Kapelle geweiht. 1957 kam eine Beicht- und Selbstbewusste Besetzung
Sakramentskapelle hinzu, in deren Flachdecke eine kleine Es hilft nichts: Wie der Außenbau mit der Situation Es hilft nichts:
Kuppel sitzt. Trümmersteine des Vorgängerbaus wurden ver- umgeht, das ist eine Schwäche dieses Entwurfs. Schwach ist
wendet und gaben dem Neuen die legitimierende Kraft des er, weil er so stark auftritt. Der Architekt, dem sonst die Ins- Wie der Außenbau mit der
Alten. Alle Innenräume sind überreich mit erhaltener alter piration des Ortes über alles geht, handelte mit einem Selbst-
und neu in Auftrag gegebener Sakralkunst geschmückt. Die bewusstsein, das kaum zu übertreffen ist. Hier stehe ich, sagt Situation umgeht, das ist eine
Liebe der Kölner hatte sich auf diese winzige Oase in der der Bau, ich kann nicht anders und will auch nicht anders.
Trümmerwüste geworfen und ein Kleinod daraus gemacht. Mit seinen turmartigen Aufsätzen beansprucht das Haus ein Schwäche dieses Entwurfs.
Volumen, das auch das gegenüber liegende, massiv-elegante
Jonas und der Walfisch Dischhaus von Bruno Paul aus den späten zwanziger Jahren Schwach ist er, weil er so
Zumthors neuer Museumsbau nimmt dagegen die Flä- überbietet. Allem Fragmentarischen, das den Bauplatz und
che der alten Pfarrkirche ein, bis an die Fluchtlinien von seine Umgebung bestimmte, hält der Bau ein harmonisieren- stark auftritt.
Kolumba- und Brückenstraße. Sogar die leichte Knickung des Bild der Einheit und des Zusammenhalts entgegen. Kein
der Kirchensüdseite an der Brückenstraße zeichnet er nach. Chaos mehr, keine Brüche, nichts Heterogenes, keine nach
Die Böhmsche Kapelle hat er sich – wie der Walfisch einst außen getragenen Konflikte. Die beibehaltenen Ruinenreste kassiert und zu einem umschlossenen und überdachten
Jonas – einverleibt, ohne sie materiell anzutasten; auch Jonas wirken nur noch als malerische Bereicherung. Eingangsraum der Kapelle geworden. Ihn zu passieren,
kam ja heil davon. Ebenso ersetzt der Neubau das ehemals Böhms Kapelle blieb zwar materialiter bewahrt. Bei der erfordert einen Entschluss.
nördlich angeschlossene Minoritenkloster Kolumbastraße Abb. 3 gleichzeitig fälligen Restaurierung erhielt sie sogar ihre Zelt- Damit blieb der ummantelte Sakralbau zwar immer
Zumthor, ein Hüter der Schwelle. Das Kunsthaus in
2-6, ein viergeschossiges unauffälliges Gebäude der Nach- dächer zurück, wenn auch nicht wie ursprünglich als hän- noch getrennt vom Museum zugänglich. Doch jenseits und
Bregenz (1998) verbirgt sein Inneres.
kriegszeit gleichfalls von Böhm. Im Wettbewerbsentwurf gende Gewebedecke (seinerzeit eine Böhmsche Weiterent- oberhalb der Kapelle, innerhalb des Museumsterritoriums,
war Zumthors Museum noch eine ruhige, die horizontale wícklung der väterlichen Rabitz-Konstruktionen aus den nur um Mauerbreite und Deckenhöhe getrennt, umwandeln
Abschlusslinie einhaltende Masse, punktiert von einigen Für die meisten Bauten Zumthors gilt, dass sie sich dem 1920er Jahren). Doch im Stadtbild hat dieses Haus im Haus ihn Besucher, Touristen, Schaulustige. Wenn Messe gelesen
Fensterfeldern, wenigen Lochöffnungen und den Eingängen raschen ersten Blick verschließen. Man soll nicht alles gleich jede dreidimensionale Wirkung eingebüßt, so wie auch die wird, erblickt man vom überdachten Gräberfeld her die Sil-
mit ihren tiefen Gewänden. Im Laufe der Bearbeitung hat erfahren. Weniges, was den Besucher erwartet, ist am ganze, an Verlust und Zerstörung erinnernde Lokalität mit houette des Priesters durch die Glaswände des Oktogons.
der als Minimalist abgestempelte Architekt seinen Entwurf Außenbau ablesbar, fast alles bleibt Geheimnis. Zumthor ist dem freien Blick auf den Dachreiter der Minoritenkirche und Denn in Umkehrung der bisherigen Lichtverhältnisse ist
unruhiger und gewiss auch: interessanter gemacht. ein Meister des Verbergens und Entziehens. „Die Fassade die Domtürme im Hintergrund verloren ging (4). Nirgendwo zwar jetzt das Innere der Kapelle vom Tageslicht so gut wie
Denn im ausgeführten Bau verspringen die Traufkan- sagt: Aber ich zeige Euch nicht alles. Gewisse Dinge sind (allenfalls vor St. Alban am Gürzenich) konnte man sich in abgeschnitten, aber in der dunklen Ausgrabungshalle glüht
ten jetzt mehrfach. An den Grundstücksecken steigen sie zu drinnen, die gehen Euch einen Dreck an.“ Weder der Glas- Köln sonst vergegenwärtigen, was Krieg bedeutet und ange- das nun künstlich belichtete Kapelleninterieur wie ein Lam-
Türmen auf. Die Türme treten aber nicht als eigene Baukör- würfel des Kunsthauses in Bregenz (3) noch der Fünfkant richtet hat. Jetzt ist auch das vorbei. pion. Mit und in der Kapelle ist der Zufluchtsuchende wider
per von unten bis oben hervor, sondern wirken wie aus der der Bruder Klaus-Kapelle in Wachendorf lassen auf ihr Inne- Willen zu einem Ausstellungsexponat geworden. Das verän-
Gesamtmasse herausgefräst. In Zwischenetappen des Ent- res schließen. In Bregenz umhüllen die Glasschuppen einen dert die Art und Weise seines Aufenthalts in der Kapelle.
wurfs sollte hier über der Fläche von St. Kolumba ein zweites Betonwürfel, dessen vierstöckige Aufteilung sie nur bei In der Diözese wusste man sehr wohl, dass solche Ein-
Museumsgeschoss auf dem ersten sitzen. Von dessen Raum- bestimmtem Lichteinfall preisgeben. In Wachendorf kom- wände zurückzustellen waren, sollte die Realisierung des
volumen sind die Türme übrig geblieben. Innen bilden sie men die organhafte Körperhöhle und der Blick von innen Projekts nicht gefährdet werden. Denn bei der knappen
steile, von hoch liegenden Seitenfenstern belichtete Luft- hinauf ins offene Himmelsauge als völlige Überraschung. Kassenlage der Kirche lag der Einwand draußen in den
räume über den entsprechenden Sälen. Für die innere Raum- Schweigsamkeit im Äußeren trifft auch auf Köln zu. Gemeinden sowieso nahe: Für projektierte 36,7 Millionen
folge ergibt sich daraus ein dramatischer Wechsel von dunk- Das Innere des neuen Museums geht zwar den Passanten Euro und schließlich ausgegebene 43,4 Millionen Euro baut
len, künstlich belichteten Kabinetten und lichtstarken Steil- und potenziellen Besucher durchaus etwas an. Doch sehr die Diözese ein neues Museum, doch vorhandene Kirchen
räumen. viel wird dem Außenstehenden nicht mitgeteilt. Dass und wo legt sie still oder reißt sie gar ab? Dagegen argumentierte der
Auch die unterschiedlich dimensionierten Fenster, im Bau ein anderer Bau steckt, nämlich Gottfried Böhms Generalvikar, dieses Museum sei keines wie andere, ihm
Glasfelder eher, scheinen sich von einem zuvor strenger Kapelle, errät man bestenfalls nur. An der Kolumbastraße käme eine missionarische, geradezu seelsorgerische Auf-
gehandhabten Maßsystem losgelöst zu haben. Um wenige blieb lediglich die Westfassade der Vorhalle als flacher Schat- gabe zu. Viele Zeitgenossen lassen sich auf die herkömm-
Steinlagen gegeneinander versetzt, flottieren die metallge- tenriss, als fast grafische Eintragung. „Broschen auf der lichen Verkündigungsmittel der Kirche nicht mehr ein. Viel-
rahmten Fensterfelder auf der Fassadenfläche. Eine Hand- Außenhaut“ nennt es Plotzek. Ähnlich sind die spitzbogigen Abb. 4 leicht wagen sie es mit der Kunst? Wenn der städtebauliche
Jetzt verborgen im Museumskastell: die Kapelle
breit liegen sie vor der Wandebene. Schmutzfahnen, die ihr Erdgeschossfenster der äußeren Seitenschiffe von St. Ort nicht länger eine „Stätte der bleibenden Erinnerung an
St. Kolumba aus den Nachkriegsjahren
Relief im Regenabschlag produzieren wird, deuten sich jetzt Kolumba an Süd- und Nordseite behandelt. Auch vermutet die Katastrophe der Zerstörung Kölns“ ist und den Passanten
schon an. Es ist ein Bau, der fast festungsartig in den engen man nicht, dass sich hinter dem flirrenden Muster der perfo- zu entsprechenden Gedanken über die Vergänglichkeit
Straßen mächtige Präsenz entwickelt. Auch aus der Entfer- rierten Ziegelsteinwände ein Ausgrabungsgelände im offe- Dass sich Zumthors Vorschlag im Preisgericht 1997 durchsetzte der Menschenwelt veranlasst, muss der Museumsparcours
nung will dieses Kastell wahrgenommen werden, in der ein- nen Saal (mit Außenklima-Bedingungen) verbirgt. Dessen und die Konsequenzen nachträglich von den (in der Jury nicht mit seinen physischen wie metaphysischen Eigenschaften
zigen längeren Sichtschneise vom Offenbachplatz, von der Decke (die Untersicht des darüber geschichteten Museums- stimmberechtigten) Denkmalpflegern abgesegnet wurden, wundert wettmachen, was hier verloren ging.
Oper her, also aus Richtung Südwesten. Dass es schräg geschosses) ruht auf schlanken, die Ausgrabungen mög- noch heute. Denn mit der Wettbewerbsforderung einer Umbauung,
gegenüber, an der Herzogstraße, einen als Autostellfläche lichst wenig störenden Rundpfeilern. „die den Kapellenbau in seiner äußeren (!) Schlichtheit und in der Ein Ende der Wundpflege
verunstalteten, bisher unbemerkten und sogar unbenannten Die Bodendenkmalpflege kann zufrieden sein, die Bau- reizvollen inneren Lichtwirkung (!) nicht beeinträchtigt“, war das Mit dem neuen Kunstmuseum des Erzbistums ist ein
Platz zum Nachbarn hat, einen Gewinn aus der Nachkriegs- denkmalpflege weniger. Die ornamentale Lochstickerei mit Projekt nicht vereinbar. Die „äußere Schlichtheit“ ist nicht nur Paradigmenwechsel in der Behandlung des historischen
planung, müsste die Kölner Stadtplanung künftig deutlich ihren unregelmäßig auf Lücke gesetzten Steinen versorgt „beeinträchtigt“, sie ist von den Straßen her überhaupt nicht mehr Erbes vollzogen. Bis in die neunziger Jahre galt nicht aus-
machen. Der Neubau braucht ihn. weder das überdeckelte Grabungsfeld angemessen mit wahrzunehmen. Beeindruckt von den großen übrigen Qualitäten, schließlich, aber vorherrschend die deutliche Konfrontation
Eigenartig ist die Materialwahl. Zumthor hat sich für Tageslicht noch belichtet sie ausreichend das Innere der in sprachen die Juroren von einer „selbstbewussten Besetzung des überlieferter Bausubstanz mit den neuen Eingriffen. Das
einen eigens entwickelten, weißgrauen, weitgehend handge- den Ausgrabungen stehenden Kapelle. Der Fensterzyklus Ortes“. So freundlich drückt man sich aus, wenn man ein Projekt par- Neue stand kontrastierend neben dem Alten, getrennt durch
formten Ziegelstein aus dänischer Fabrikation entschieden, von Ludwig Gies im Böhmschen Achteck und sein blaugel- tout durchsetzen will. inszenierte Schnitte. In Deutschland war Karljosef Schatt-
den er für die sichtbaren Wandschalen des Gebäudes ver- ber Engelsreigen, der die gerettete Madonna umtanzt, wird Dass sich der Bauherr, die Erzdiözese, vorbehaltlos mit Zum- ners Arbeit im Bischofs- und Universitätsstädtchen Eichstätt
wendete. Mit seinen 54 x 21,5 x 4 cm erinnert der Stein an nicht mehr mit der Morgensonne aufleuchten und im Abend- thors Entwurf identifizierte, verwundert gleichfalls. Gewiss hat Zum- ein Lehrbeispiel für diese „Kunst der Fuge“. Hier war das
römisches, „bipedales“ Langformat. Mit breiten Lagerfugen schatten versinken, sondern ist auf die Wattstärke von thor ihm genügend Aura geliefert. Andererseits: Für Kölner bedeutet Alte, und dort begann das Neue. Zwischen beidem lag die
vermörtelt, erlaubte er den Handwerkern, leichten Anschluss Scheinwerfern angewiesen. Kurz vor der Eröffnung hat es die Kapelle von St. Kolumba, einst Hoffnungsträger im zerstörten Trennungslinie, der Saum, der Materialwechsel. Man konnte
an die erhaltenen und bewahrten Mauerreste mit ihren unre- den Kirchenvorstand der – noch bestehenden – Gemeinde zu Köln, noch heute eine Zufluchtsstätte. Mancher, der auf der nahen, sehen und fühlen, was alt und was neu war. Von solchem
gelmäßigen Abrisskanten zu finden. Auf die Entfernung enttäuschten Reaktionen veranlasst. Da hätten die Herren geschäftigen Hohen Straße seine Einkäufe getätigt hatte, suchte Her-Zeigen der Spuren will die Generation, der auch der
wirkt der Ziegel wie sorgfältig behandelter Sichtbeton. In der nur rechtzeitig in die Pläne schauen sollen. hier einen Augenblick der Ruhe, ob er sie im Gebet verbrachte oder mittlerweile 64jährige Zumthor schon angehört, nichts mehr
wechselnden Lichtreflexion nimmt er alle möglichen Farb- nur die Stille genoss. Wie die Kapelle im Stadtraum stand, mit einem wissen. Auch wenn er hochmusikalisch ist und selbst Musik-
töne zwischen Grünlich und Orange an. kleinen Vorplatz, über den man seitlich in den sakralen Zeltbau instrumente spielt, diese Kunst der Fuge steht nicht auf sei-
schlüpfte, unterstützte sie dieses Verhalten. Jetzt ist der Vorplatz nem Notenständer.
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Wer einst die desolaten Orte der Vergangenheit norma- womöglich noch schmaler und steiler als in Zumthors Bre- aber nicht in den „Häusern“, sind Boden und Wand durch
lisieren wollte, galt als geschichtsvergessen. Jetzt wird die genzer Kunsthaus. Fahrstühle sind natürlich vorhanden. Schattenfugen getrennt. In ihnen wird die verbrauchte
Normalität der Stadt, werden ihre alten Baumassen und Stra- Doch ohne Not sollte sich niemand dieses Initiationsritus’ Raumluft abgesogen, während die Zuluft von oben aus den
ßenfluchten auch von einem Architekten eingefordert, der – berauben. Unterwegs, im ersten Obergeschoss dieses Flü- Leuchtenauslässen einströmt. Klimatechnisch ist auch
wie Zumthor – jahrelang als Denkmalpfleger gearbeitet hat. gels, öffnet sich seitlich das sogenannte Armarium, die Kam- dieser Zumthor-Bau vom Feinsten. In den massiven Wänden
Das Offenhalten der Wunden ist kein Punkt mehr auf dem mer, die den Kirchenschatz von St. Kolumba aufgenommen läuft ein Leitungssystem, dessen Basisversorgung sich die
urbanen Heilungsplan. Wenn ältere Zustände beschworen hat. Das nachtschwarze Gemach ist mit nachtschwarzem Grundwassertemperatur – Wärme im Winter, Kühlung im
werden, so sind es nicht mehr die aus den Tagen der Zerstö- Samt ausgekleidet. Anders als in der Vorplanung nehmen Sommer – zunutze macht. Dazu sind sechzehn Bohrungen
rung und der ersten Versuche, ihrer Herr zu werden, sondern effektvoll ausgeleuchtete Monstranzen, Vortragekreuze und siebzig Meter tief ins Erdreich eingebracht worden.
solche aus jenen ferneren Zeiten, in denen die Städte enge Stundenbücher den Platz über dem Schiff der eingehausten Zumthors Architektur gilt als menschenfreundlich, und
Straßen und Gassen, Geschlechtertürme und Klosterhöfe Kapelle ein, den Sakralraum unten mit einem quasi sakralen sie ist es weitgehend auch. Den Sinnen wird ein Fest ange-
hatten. Das übt offenbar seinen Reiz auch auf Architekten Raum überfangend. richtet, aber eins, das nicht dionysisch, sondern dezent ver-
aus, die nichts mit dem Rekonstruktionswahn zeitgenössi- Abb. 5 läuft. Geboten wird ein hohes, jedoch nicht überforderndes
Nach dem Weg über die Ausgrabungen trifft man in
scher Historisten im Sinne haben. Maß an Abwechslung, Wahrnehmungsreizen, Stimulanz.
der ehemaligen Sakristei auf Serras Stahlskulptur.
Dass noch 1997 an sensible Lokalempfindungen Jeder Raumzuschnitt, jede Lichtdosierung ist anders. Nie-
gerührt wurde, zeigte im Wettbewerb das Verhalten vieler mand wird in einen vorgeschriebenen Rundgang gezwun-
Kölner Teilnehmer. Mit Türmen, Würfeln, Spangen und Den Durchgang vom Foyer zur Ausgrabungshalle öffnet eine gen. Es herrscht Freiheit der Wahl, auch auf die Gefahr hin,
Klammern, winkel- oder U-förmigen Flügelbauten umgaben Portiere aus schwerem Leder. Von hier führt ein massiver dass man den einen oder anderen Raum verpasst. In wel-
sie das Böhmsche Ortsheiligtum, ohne es anzutasten. Dage- Holzsteg über die ergrabene Unterwelt. Das sehr auffällige chem Museum gibt es ausreichend Sitzgelegenheiten? Hier
gen wagten die beiden Schweizer Gewinnerteams, neben Gebilde aus rotem Padouk-Holz zickzackt an der eingehaus- sind es zahlreiche lederbezogene, auf dem Boden liegende
dem Atelier Zumthor die zweiten Preisträger Gigon und ten Kapelle vorbei bis zur Ruine der ehemaligen Sakristei. Rollen, die man zuerst für minimalistische Skulpturen hält.
Guyer, unbeeindruckt die komplette Einhausung, als han- In ihr steht Richard Serras stählerne Portal-Skulptur „The Die Fürsorge des Architekten reicht bis zum tropfenför-
dele es sich um eine der byzantinisch-orthodoxen Klein- Drowned and the Saved“ (5) über einer Gruft, in der alle bei migen Querschnitt des hölzernen Handlaufs an den Treppen,
kirchen, die in Athens Großstadtstraßen von modernen den Grabungen geborgenen Gebeine beigesetzt wurden. den die Hand mühelos umspannen kann. Dagegen fragt sich,
Geschäftsbauten überfangen sind. Wobei Gigon und Guyer Zurück gibt es nur denselben Weg, der die Ambivalenz von ob die minimale Höhendifferenz zwischen „Weg“ und
wenigstens dem Oktogon in einem inneren Lichthof den Exterieur und Interieur in ihren verschiedenen Aggregatzu- „Platz“ einerseits und den anrainenden Gehäusen anderer-
offenen Himmel gegönnt hätten. ständen vorführt. Sind wir „drinnen“ oder „draußen“? Die seits ratsam war. Zu „Häusern“ gehören Schwellen, mag sich
Einen hat der Affront gegenüber der Kolumba-Kapelle Trümmer der Geschichte liegen einem zu Füßen als ein riesi- der fundamentalistische Architekt gedacht haben. Aber
besonders geschmerzt, ihren Urheber Gottfried Böhm. Böhm ges, unlesbares Buch. Wie im gesamten Gebäude wird auch Schwellen können auch zu Stolperschwellen werden. Schön
ist ein konzilianter Mann. Der Versuchung, mit einer Urhe- hier auf Information verzichtet und auf die unmittelbare war der Gedanke, einen Raum der stillen Lektüre des Gastes
berrechtsklage gegen die Pläne Zumthors vorzugehen, folgte Anmutung der Dinge vertraut: Stimmung statt Diskurs. zu widmen. Doch im Lesezimmer des obersten Stockwerks
er nicht. Nach einem Besuch in Haldenstein, dem Wohn- und Die Atmosphäre in der zwölf Meter hohen Halle ist Abb. 6 schweifte Zumthors Vorliebe für das Kostbar-Einfache in
So blickt Stefan Lochners „Madonna mit dem Veil-
Atelierort Zumthors, berichtete die Presse von gutgelaunten gedämpft, getragen, pietätvoll, sepulchral. Tütenförmige preziösen Luxus ab. Das laute Muster des Mahagoni-Fur-
chen“ (mit den Besuchern) auf den Kölner Dom.
gemeinsamen Auftritten der zeitweisen Kontrahenten und Hängelampen und Spotlights werfen Punkt- und Streiflicht niers, mit dem das Kabinett ausgeschlagen ist, und die raum-
neuen Duzfreunde. Danach gab es doch wieder einen har- auf die Assemblage aus freigelegten Gewölben, Pfeilerso- füllenden, lederbezogenen Sessel nach eigenem Design pas-
schen Briefwechsel, als Böhm vermeintlich oder wirklich ckeln, Grabkammern, Kirchen- und Hausfundamenten. Oben, im eigentlichen Museumsreich des zweiten, sen eher zu einem britischen Herrenclub als zu einem Ort des
versprochene Änderungen durch Zumthor nicht verwirklicht Durch die umgebenden zweischaligen Mauerwerksfilter fällt jedoch über der Ausgrabungshalle einzigen Obergeschosses, Nachdenkens und Nachsinnens, wie der Meister so viele,
glaubte. Tatsächlich kann man sich bei Einwänden gegen die Licht nur sparsam, punktförmig glitzernd ein. In den Dop- öffnet sich ein Kranz von Sälen und Kabinetten, die sich um auch und gerade in diesem Hause, geschaffen hat. Da ist der
Einhausung der Kapelle nicht auf Böhm berufen. Denn in pelwänden steht ein Stahlgefach, auf dessen Fachböden das das Trapez des Mittelsaales gruppieren. Sie säumen den mitt- gelernte Schreiner Zumthor dem Architekten gleichen
mehreren seiner Entwürfe zwischen 1947 und 1997 hatte auch neue Mauerwerk ruht, damit die fragilen alten Wandreste leren Raum wie Häuser einen Marktplatz. Man betritt sie Namens, der Materialreize sonst zu dosieren weiß, in die
er die Kapelle in einen größeren Zusammenhang eingestellt, von St. Kolumba nicht belastet werden. Vierzehn weitere, auch so. Jeweils zwei sind zusammengeschaltet. Hat man Quere gekommen.
in den zunächst beabsichtigten Wiederaufbau erst der mörtelumgossene Stahlsäulen stehen frei im Gräberfeld und einen dieser Zwillinge in Augenschein genommen, muss Der Jubel über Zumthors jüngste Schöpfung ist ver-
Gemeindekirche und dann in den ausgeschriebenen Neubau folgen der Trapezfigur des einstigen unregelmäßigen Mittel- man umkehren und zur „Piazza“ zurückkehren. Manche breitet. Die Stadt Köln, die lange nicht auf der Hitliste neue-
des Museums. Im Projekt eines erzbischöflichen Tagungs- schiffs. Mit der Decke darüber bilden sie eine Tischkonstruk- Räume sind fensterlos und künstlich belichtet, andere rer Großbauwerke stand, kann nach Renzo Pianos „Welt-
hauses von 1973 („Kolumba-Institut“) hatte er sie selbst weit- tion. Die Wände des Museumsgeschosses auf der „Tisch- durch große Fensterflächen in voller Raumhöhe oder in den stadtkaufhaus“ Peek & Cloppenburg, Oswald Mathias
gehend den Blicken von außen entzogen. platte“ zeichnen in direkter senkrechter Lastabtragung das Türmen von seitlichen, satinierten Oberlichtern erhellt. Ungers’ Wallraf-Richartz-Museum und dem einen oder
Trapez nach. Auf diese Weise setzt sich eine Erinnerung an Die Ausblicke rücken Hauptstücke des Stadtbilds ins Auge: anderen Bau Gottfried Böhms sich einer weiteren Attraktion
Im Reich der Sinne den alten Kirchengrundriss auch im neuen Museumsbereich das Dischhaus, die Oper und, in Raum 15, natürlich die rühmen. Ob das vor der Fertigstellung stehende Völkerkun-
Innen im Hause wird kompensiert, was manche (und durch. Domtürme (6). Der Domblick, den vor der Errichtung des demuseum, das Rautenstrauch-Joest-Museum, sich in die
dieser Autor) draußen vor dem Hause vermissen. Zumthor Um in diese aufgeständerte Ausstellungszone zu gelan- Neubaus jeder Passant aus Straßenhöhe genießen konnte, ist Liga der Baukunstwerke einreihen wird, bleibt abzuwarten.
weiß auch bei seinem bisher größten Gebäude alle Register gen, bedarf es des steilen Aufstiegs und mehrerer Kehrtwen- jetzt sozusagen nach oben transportiert. Gegenüber dem Der große Zauberer Zumthor jedenfalls hat sein Werk getan.
seiner Stimmungskunst zu ziehen. Der Einlass in der Kolum- dungen in jenem Bauteil, der auf dem Grundstück des vor- quadratischen Einteilungsraster des Wettbewerbsentwurfs Nachdem er zum Auftakt Böhms Kapelle in seinem weiten
bastraße seitlich der Kapellenfront hat nichts Grandioses, maligen Minoritenklosters steht. Die Treppenläufe wirken bedeutet diese Stockwerksgliederung eine entscheidende Mantel verschwinden ließ, spielte er alle seine Künste aus.
vollführt auch keine Willkommensgeste. Man stößt sogleich Verbesserung. Eine Überarbeitung hatte Zumthor schon bei Die Vorstellung ist triumphal. Sie verdankt sich stiller
auf eine Querwand (hinter der sich die kajütenartige Garde- der Abgabe des Entwurfs versprochen. Hartnäckigkeit, geschärfter Konzentration und lebenslanger
robe verbirgt), wird zweimal um die Ecke genötigt und
zunächst mit der Qualität der Materialien getröstet: Muschel-
Innen im Hause wird kom- Die Innenwände bestehen aus normalem Backstein
(nicht dem aus der teuren dänischen Spezialanfertigung)
Erfahrung. Und wie jeder Triumph hat auch dieser seine
Opfer gefordert.
kalk für den Boden des Foyers, Birnholz in der Garderobe,
Eukalpytuswurzel für den Empfangstresen. Aus der Enge
pensiert, was manche draußen und erhielten einen Lehmverputz. Wie in Bregenz werden
auch in Köln die Kunstwerke, soweit wandgebunden, direkt
erlöst der Ausblick durch eine riesige Fensterwand in einen
weiß bekiesten Museumsgarten, Teil des einstigen Kirchhofs
vor dem Hause vermissen. in der Mauer verdübelt. Aber da es Ziegelsteine sind und
nicht Beton wie in Bregenz, werden die Museumsleute weni-
von St. Kolumba. Er ist mit lichten Bäumen bepflanzt, deren
deutscher Name passenderweise Christusdorn lautet. Dieser
Zumthor weiß auch bei seinem ger Probleme haben, nach dem Bilderwechsel mit den Bohr-
löchern fertig zu werden. Wichtig war allen Beteiligten die
hortus conclusus ist von einer Mauer aus Stampfbeton
umgeben, die an die Einfriedungen japanischer Zen-Gärten
bisher größten Gebäude alle Speicherfähigkeit und Massivität der Wände. Die Farbskala
ist in Grautönen gehalten: lichtgrau und leicht gelblich die
erinnert. Register seiner Stimmungs- Putzwände, mausgrau die auf Schalung gegossenen Mörtel-
decken und die Mörtelfußböden in den Kabinetten („Häu-
kunst zu ziehen. sern“), weißlich und leicht gesprenkelt der spiegelnde Ter-
razzo auf dem Boden der „Weg“- und „Platz“-Räume. Dort,
B11 2007 Diözesanmuseum Kolumba in Köln B11 2007 Diözesanmuseum Kolumba in Köln

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Ein Steg, fein wie ein begehbares Möbel, leitet über
die Ausgrabungen (rechte Seite). Die neuen Muse-
umsräume bieten anschließend Kabinette von ausge-
suchter architektonischer Aufmerksamkeit. Es bleibt
Raum zum Spüren und die religiöse Kunst im Dialog
mit der Avantgarde zu entdecken. Klare Ausblicke auf
die Stadt unterbrechen die Kontemplation, dann fällt
das Licht wieder wie eine Substanz in die Kunsttürme
(unten links Eduardo Chillidas „Gravitaciónes“).

6500 m2 Wandflächen wurden mit einem Lehm-Fein-


putz im eigens für das Museum gemischten Sonder-
ton hellgrau (einer Mischung aus porzellanweißem
und schieferschwarzem Lehmputz) überzogen. Der
etwa zwei Millimeter starke Schlussauftrag ergibt eine
dichte, matt glänzende und wie tastbar wirkende
Oberfläche.

B11 2007 Diözesanmuseum Kolumba in Köln

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Bauherr: Erzbistum Köln Das Mauerwerk
Architekt:
Peter Zumthor, CH-Haldenstein
Mitarbeiter: Rainer Weitschies (Projektleitung), Mark Das „Filtermauerwerk“ schützt vor Witterung, im Inneren
Darlington, Stephan Meier, Serge Schoemaker, Gian herrscht Außenklima – ein zweischaliges Mauerwerk, dessen
Salis und Daniel Bosshard (Wettbewerb), Mirco Elser, Vorsatzschale jedoch im festen Verbund mit den Hintermau-
Rosa Gonçalves, Simon Mahringer, Guy Muntwyler,
erziegeln ausgeführt wurde. Hieraus ergeben sich konstruk-
Clemens Nuyken, Oliver Krell, Daniel Schmid
Örtliche Bauleitung: tive Besonderheiten und die Notwendigkeit einer Sonderan-
Architekturbüro Peter Zumthor, CH-Haldenstein fertigung für den Hintermauerziegel. Die Vorsatzschale
mit Architekturbüro Wolfram Stein, Köln besteht aus handgeschlagenen Ziegeln des dänischen Her-
9 Tragwerksplanung:
stellers Petersen-Tegl, sie ist selbsttragend, biegesteif in ihrer
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Jürg Buchli, CH-Haldenstein
mit Ingenieurbüro Schwab Lemke, Köln Gesamtheit jedoch nur im Verbund. Die enorme Höhe der
8 Klimaplanung: Wandscheibe erforderte eine Druckfestigkeit des Hintermau-
Gerhard Kahlert, Haltern erziegels von 20 N/mm2. Hierfür wurden die Rohdichte
Elektro- und Sanitärplanung:
sowie das Lochbild der Ziegel entsprechend modifiziert.
7
Ingenieurgesellschaft Hilger, Aachen
11
Bauphysik: Gleichzeitig wurde die Wasseraufnahmefähigkeit des
Ferdinand Stadlin, CH-Buchs gebrannten Ziegels auf 12 Prozent eingestellt, damit im Ver-
Garten- und Umgebungsgestaltung: bund mit dem Vormauerziegel bei Temperaturänderungen
13 12 Architekturbüro Peter Zumthor, CH-Haldenstein,
und witterungsbedingter Feuchte keine Spannungen auftre-
unterstützt von Günther Vogt und Maren Brakebusch
Fertigstellung: 09/2007 ten. Auch die Schnitthöhe der Hintermauerziegel ist ein Son-
dermaß. Es entspricht mit 15,1 cm exakt der Höhe von drei
Beschläge: www.fsb.de Schichten Vormauerziegel einschließlich der zwei Lagerfu-
Fenster: www.mbm-konstruktionen.de
gen. Der Aufwand für das Filtermauerwerk war enorm: Son-
Hintermauerziegel: www.unipor.de
Sichtziegel: www.petersen-tegl.dk deranfertigung eines Mundstücks für knapp 25 000 Euro
Sichtbeton: www.dyckerhoffweiss.de (Lochbild), gesonderte Trocknung und Brennen des Ziegels,
Terrazzo: www.betonwerkstein.de um Risse zu vermeiden und die erforderliche hohe Maßhal-
Holzarbeiten Eingang Bücherregale (Roseneiche),
tigkeit zu erreichen, Zustimmung im Einzelfall bei der zustän-
Tresen (Eukalyptusholz), Garderobe (Birnholz),
Lesesaal (Pyramiden-Mahagoni): www.schumann- digen Behörde – um nur die wichtigsten Bedingungen aufzu-
moebel.de zählen.
Putze: www.claytec.com
Downlights: www.zumtobel.com
Tresenbeleuchtung: www.viabizzuno.com

Fotos:
Hélène Binet, London
Markus Bachmann, Stuttgart
5 6 Roland Halbe, Stuttgart

Rechts:
Schnitte M 1:500

AA
BB
Grundrisse M 1:1000

OG 2
OG 1
EG
Ludwigstra
ße
1 Foyer
B 2 Hof
3 Ausgrabung
4 Ehemalige Sakristei
5 Kabinett
6 Armarium
7 Nordkabinett
8 Nordturm
9 Ostkabinett
10 Ostturm
11 Südkabinett
12 Südturm
4 13 Lesezimmer
14 Kapelle St. Kolumba
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3
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A

A 14
1
Dischhaus

Kolumbastraße B

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