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„Der Bücherverbrennung soll man gedenken“: Zum Charakter der faschistischen Aktion

vom 10. Mai 1933


Author(s): Werner Herden
Source: Zeitschrift für Germanistik , Februar 1984, Vol. 5, No. 1 (Februar 1984), pp. 33-
43
Published by: Peter Lang AG

Stable URL: https://www.jstor.org/stable/23974921

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Werner Herden

„Der Bücherverbrennung soll man gedenken'

Zum Charakter der faschistischen Aktion vom 10. Mai 1933

„Solche Taten", so schrieb Heinrich Mann im Mai 1936 zum dritten Jahrestag
schen Bücherverbrennung, „richten vor allem das Regime, das sie veranlaßt
zen hat." Die Aufmerksamkeit auf die Urheber und Nutznießer der Ereigniss
bekräftigte der Schriftsteller zugleich die Notwendigkeit, der faschistischen Ba
gebotenen Entschiedenheit zu begegnen. Er bekannte sich zur Verteidigung d
' Faschismus auf das äußerste bedrohten Kultur, zum gemeinsamen Widers
faschistischen Kräfte, und er leitete aus den konkreten geschichtlichen Einsich
nimg ab, die Zeichen eines Vernunft- und fortschrittsfeindlichen Machtvollz
vergessen. Hielt diese Mahnung die Gefahren bewußt, die von einem derartig
zugfür eine gesicherte, menschenwürdige Existenz ausgehen, so schloß sie jedoch
Maße auch die Sicht auf die Grenzen des Regimes, auf die Haltlosigkeit seiner
und auf seine geschichtliche Perspektivlosigkeit ein: „Der Bücherverbrennung
gedenken — um der Ohnmacht willen, die sich erdreistete, Scheiterhaufen zu e
Geisteswerke, als ob Geisteswerke nicht feuerfest wären."1
Aus dem Versuch, die hinter den Vorgängen sichtbar gewordenen Inte
zulegen, resultierte zum andern die Erkenntnis, daß die Bücherverbrennung wed
zugrunde liegenden Zielen noch in ihrem demonstrativen Charakter als eine iso
auf den Literaturprozeß bezogene Aktion zu begreifen war. Sie bildete einen o
Bestandteil jener gezielten politischen Terrorakte, mit denen die faschistische
das Herrschaftsinstrument der reaktionärsten und aggressivsten imperialistis
ihren Machtmechanismus auszubauen und zu befestigen suchte. Durch den Rü
überwunden geglaubte Methoden der Inquisition gehörten die Bûcher-Autodaf
rich Mann im Einklang mit dem bestimmenden Eindruck in der internationalen
keit feststellte, zweifellos zu den bis dahin empörendsten Schaustellungen des
Gerade die Analyse ihrer Besonderheiten setzte indessen voraus, nach den sozi
heiten der Ereignisse zu fragen, nach ihrem Zusammenhang mit der Gesamth
matisch gesteuerten Terrors.
Geistig waren die Aktionen gegen das Ideengut des Marxismus, gegen die hu
und die jüdische Literatur seit langem geplant und vorbereitet worden, und a
botspraktiken der bürgerlichen Klassenjustiz hatten, wie das Vorgehen gegen
Becher und andere Autoren zeigt, durchaus ihre Vorgeschichte. Mit der Vollzug
faschistischen Regimes erhielt der Haß auf Vernunft und Humanität jedoch ei
nicht gekanntes Ausmaß. Schon in den ersten Tagen der Kanzlerschaft Hitlers f
„Kampfbund für deutsche Kultur", eine der tonangebenden, von Alfred Rosen
Hans Hinkel dirigierten faschistischen Kulturorganisationen, den uneingeschr

1 Heinrich Mann: Die Bücherverbrennung. In: Die neue Weltbühne 25/1936, S. 773.

S Ζ. f. Genn. Η. 1/84 33

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satz staatlicher Machtmittel, um Marxisten und bürgerliche Antifaschi


maßen dem geistigen Feindbild vom „Kulturbolschewismus" zugerec
gungslos zu bekämpfen und auszuschalten. Auf einer Kundgebung
am 3. Februar 1933 formulierte Hinkel „die neue Kampfparole für die A
lichen Linien" mit den Worten : „Rastlose Beseitigung, ja, weil es so sei
rottung des Kulturbolschewismus ! " 2 Auf der gleichen Kundgebung erkl
preußische Kultusminister Rust, er werde der „kulturbolschewistischen
den Zugang zu den Stätten der deutschen Kultur verwehren. Diesen un
Mordhetze gesteigerten Drohungen folgten Zug um Zug administrative
zum drastischen Abbau demokratischer Rechte und zu einer forcierten R
geistig-kulturellen Lebens führten. Mit der „Verordnung zum Schutze d
vom 4. Februar 1933 und mit weiteren, rasch aufeinander folgenden So
Verbotsmaßnahmen wurden Mechanismen zur polizeilichen Beschlag
und verfemter Literatur, zur Liquidierung der Presse- und Versammlun
sitorischen Durchsetzung der faschistischen Innen- und Kulturpolitik ges
Im Bereich der kulturellen Institutionen richtete das Naziregime
erklärten Zielsetzungen folgenden Angriffe insbesondere gegen die Preu
Künste. Den Anstoß dafür lieferte die entschieden antifaschistische Haltu
demiemitglieder Heinrich Mann und Käthe Kollwitz. Beide hatten si
bruartagen 1933 einem „Dringenden Appell" zur Aktionseinheit der Ko
der Sozialdemokratischen Partei bei den für den 5. März 1933 anber
wahlen angeschlossen. „Die Vernichtung der persönlichen und politischen
land", so heißt es in diesem u. a. auch von Emil Julius Gumbel, Robe
Oestreich und Erich Zeigner unterzeichneten Appell, „steht unmittelba
nicht in letzter Minute gelingt, unbeschadet von Prinzipiengegensätzen
menzufassen, die sich in der Ablehnung des Faschismus einig sind. Die
dazu ist der 5. März. Es gilt, diese Gelegenheit zu nutzen und endlich ei
zum Aufhau einer einheitlichen Arbeiterfront, die nicht nur für die parlame
auch für die weitere Abwehr notwendig sein wird . . . Sorgen wir dafür,
der Natur und Feigheit des Herzens uns in die Barbarei versinken lassen !
Die faschistischen Machthaber, denen die politischen und künstleris
und ebenso auch die jüdische Herkunft einer Reihe von Akademiemitgli
haßt waren, reagierten auf dieses Bekenntnis, indem sie am 15. Februar
den von Heinrich Mann und Käthe Kollwitz aus der Akademie erzwa
nicht zufriedengestellt, forderte der „Kampfbund" am 23. Februar in ein
Kultusminister Rust dazu auf, „die Säuberung der Preußischen Dich
fortzusetzen. Dementsprechend wurden die Mitglieder der Sektion Dich
ersten Märzhälfte des Jahres 1933 ultimativ vor die Entscheidung geste
Bereitschaft zur weiteren Mitarbeit „im Sinne der veränderten geschic
erklären oder — wozu sich u. a. Alfred Döblin, Ricarda Huch und Thom

2 Vgl. Friedrich Arenhövel: Der Kampfbund stürmt! In: Völkischer Beoba


S. 2.
3 Vgl. Diether Schmidt: In letzter Stunde, Dresden 1964, S. 27.

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Bücherverbrennung

Ben — die Akademie sofort zu verlassen. Doch auch vor Schriftstellern wie Ludwig Fulda,
Georg Kaiser, Bernhard Kellermann, Franz Werfel und Fritz von Unruh, die im März die
geforderten Loyalitätserklärungen abgaben, machte der faschistische Terror nicht halt:
Sie wurden am 5. Mai 1933 als jüdische oder als pazifistisch geltende Autoren aus der Aka
demie ausgestoßen und durch Gefolgsleute des Naziregimes wie Werner Beumelburg, Hans
Grimm, Hanns Johst, Agnes Miegel und Will Vesper ersetzt.
Nach dem Reichstagsbrand, der das Signal zu einem verschärften Terror gegen alle
revolutionären und demokratischen Kräfte gab, forcierte und erweiterte die faschistische
Diktatur auch ihre Verbots- und Unterdrückungsmaßnahmen auf geistig-kulturellem Gebiet.
Ausdruck dafür waren unter anderem massive Eingriffe in die Arbeit kultureller und wissen
schaftlicher Institutionen, zahlreiche Publikations- und Aufführungsverbote, von denen
ζ. B. am 7. März Die Weltbühne und kurz darauf die Filme Kuhle Wampe und Zehn Tage,
die die Welt erschütterten betroffen waren, die faschistische „Gleichschaltung" des Schutz
verbandes deutscher Schriftsteller sowie die Vorkehrungen zur Kontrolle der Buchproduk
tion, des Buchhandels und des Bibliothekswesens. Mit einer Rede vom 12. März 1933 kün
digte Hitler eine straffe und einheitliche Lenkung der in Gang gesetzten innenpolitischen
Aktionen an; in aller Öffentlichkeit erteilte er den Befehl, „strengste und blindeste Diszi
plin" zu üben und „alle Einzelaktionen" fortan zu unterlassen : „Von nun an wird der Kampf
der Säuberung und Inordnungbringung des Reiches ein planmäßiger und von oben geleiteter
sein."4 Am Tage darauf schuf sich die faschistische Diktatur mit der Errichtung des von
Goebbels geleiteten Propagandaministeriums ein zentrales, mit staatlicher Macht ausgestat
tetes Steuerungs- und Kontrollinstrument zur Reglementierung des gesamten öffentlichen
Lebens. Waren dem neu etablierten Ministerium zunächst Presse, Rundfunk, Film und
Theater zugeordnet, so dehnte es seinen Kompetenzbereich schon bald auch auf literarische
Belange, auf das Musikleben und die bildenden Künste aus.
Auf der Grundlage der „von oben" verordneten Richtlinien wurden in der zweiten
Märzhälfte in der faschistischen Presse wie in internen Konzepten differenzierte Pläne auch
für das weitere literaturpolitische Vorgehen entwickelt. Schulen, Universitäten und Buch
handlungen, so postulierte ζ. B. der Völkische Beobachter am 22. März, müßten peinlich
unterscheiden zwischen dem, was deutsch und was nicht deutsch sei; für die Werke „undeut
scher" Autoren — genannt werden Feuchtwanger und Döblin, Heinrich, Thomas und Klaus
Mann, Wassermann, Arnold und Stefan Zweig — sei im Dritten Reich keine Existenzberech
tigung gegeben. Die gleichen, durch wütende antisemitische Ausfälle eher noch zugespitzten
Forderungen wurden am 3. April 1933 auf einer Berliner „Kampfbund"-Kundgebung unter
dem Thema „Deutscher Geist und deutsches Buch" erhoben, und Will Vesper, einer der ak
tivsten Nazischriftsteller, ließ verlauten, es dämmere „das Ende einer zerstörerischen
Asphaltliteratur", die „immer antideutsch und im letzten bolschewistischen und nihilisti
schen Geistes war" 5.
Unmittelbar ausgehend von diesen Richtsätzen vollzogen sich im Frühjahr 1933 sowohl

Die Rede wurde am 12. 3. 1933 im faschistischen Rundfunk übertragen und am 13. 3. 1933 im
„Völkischen Beobachter" veröffentlicht. Vgl. Max Domarus: Hitler. Reden und Proklamatio
nen 1932—1945, Bd. 1, Würzburg 1962, S. 221.
Will Vesper: Zeitwende in der Dichtung. In: Völkischer Beobachter, 4. 4. 1933, Zweites Bei
blatt.

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Weenes Heed en

die ersten Kampagnen zur „Neuordnung" der Bibliotheken als auch die A
schen Studentenschaft „Wider den undeutschen Geist", die in dem makabren
Bücherverbrennungen kulminierte. Beide Aktionen hatten spezielle Aus
griffen jedoch zeitweise, vor allem in den Monaten April und Mai, ineinand
März übernahm in Berlin ein aus drei Bibliothekaren bestehender Ausschuß d
Aussonderung marxistischen Schrifttums zunächst aus der Stadtbibliothek un
aus sämtlichen Berliner Stadt- und Volksbüchereien. Entsprechend diesem A
der Ausschuß vier Verbotslisten zusammen, die in der letzten Aprilwoch
Zweigbüchereien übergeben wurden. Der vom Ausschuß mitgelieferte Ko
Listen sollten dazu dienen, ein nicht „artgebundenes" Schrifttum, „Asphaltl
„intellektuellen Nihilismus" auszumerzen,6 läßt bis in die Wortwahl hinein di
erkennen, die Interessen des faschistischen Regimes willfährig zu bedienen.
Die sogenannte „Schwarze Liste I" enthielt Werke und Autoren der sc
Literatur. Neben vier Anthologien — unter ihnen die Malik-Ausgaben Dreißig
des neuen Rußland und Dreißig neue Erzähler des neuen Deutschland — nennt
scher Folge 131 Autoren, deren Werke vollständig oder teilweise als nicht lä
gekennzeichnet werden. Auf der Liste sind gleichermaßen deutsche wie auslän
vertreten, darunter Isaak Babel, Henri Barbusse, John Dos Passos, Ilja Ehren
Gladkow, Maxim Gorki, Jaroslav Haâek, Ernest Hemingway, Bêla Illés, Valen
Alexandra Kollontay, Leonid Leonow, Jack London, Ivan Olbracht, Alexa
witsch, Upton Sinclair und Sunao Tokunaga. Der Kreis der aufgeführten deuts
reicht von Vertretern des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller wie Bec
Grünberg, Anna Seghers, Alex Wedding und F. C. Weiskopf bis zu Brecht, D
wanger, Kästner, Heinrich Mann, Remarque, Ringelnatz, Roth, Traven, Tuch
mann, Arnold und Stefan Zweig. Parallel zu dieser Liste, die nach vorliegend
den Charakter eines amtlichen Index für die Volksbüchereien in Preußen erhie
drei weitere Verzeichnisse auszusondernde Literatur in den Sachgebieten Poli
wissenschaften, Geschichte und Kunstwissenschaft.
Mit der Aktion der in starkem Maße nationalistisch orientierten Deutschen Studenten
schaft wurden die Maßnahmen gegen die als „undeutsch" gebrandmarkte Literatur dem
strativ auf den Hochschulbereich ausgeweitet und zugleich genutzt, um den politischen u
ideologischen Zielen der faschistischen Diktatur unumschränkte öffentliche Geltung zu
schaffen. Die detaillierte Lenkung der Aktion erfolgte durch das beim Vorstand der D
schen Studentenschaft in Berlin gebildete und mit besonderen Vollmachten verseh
„Hauptamt für Presse und Propaganda". Es übermittelte in einer Reihe von Rundschrei
zwischen dem 6. April und dem 9. Mai 1933 den örtlichen Studentenschaften die im Ko
mandoton abgefaßten Direktiven über den Inhalt und den Ablauf der geplanten Aktion
Von einer Bücherverbrennung war erstmals in einem vom 8. April datierten Schreiben
Rede: Die Studentenschaften der Hochschulen und Universitäten wurden angewiesen, d
Aktion mit der kontrollierten „Säuberung" der Buchbestände jedes einzelnen Studenten
beginnen, sie im Anschluß daran auf die öffentlichen Bibliotheken auszudehnen und m

6 Vgl. Wolfgang Hermann : Prinzipielles zur Säuberung der öffentlichen Büchereien. In : Börse
blatt für den deutschen Buchhandel 110/1933, S. 356.

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einem öffentlichen „Verbrennungsakt" in den Hochschulorten am Abend des 10. Mai abzu
schließen. Ergänzend dazu verfügte das „Hauptamt" die Bildung „örtlicher Kampfaus
schüsse", die — bestehend aus dem Führer der örtlichen Studentenschaft, drei weiteren Stu
denten, einem Hochschullehrer, einem Mitglied des „Kampfbundes für deutsche Kultur" und
einem Schriftsteller — die Verantwortung für den Ablauf der Aktion zu übernehmen hatten.
Im Mittelpunkt der propagandistischen Maßnahmen, die das Unternehmen flankierten,
standen zwölf von der Deutschen Studentenschaft unter dem Titel „Wider den undeutschen
Geist" herausgegebene Thesen. Mit den Aussagen, es handele sich um einen „Aufklärungs
feldzug" gegen die vom Judentum im Ausland betriebene „Hetze" und um die Ausmerzung
des Liberalismus, wurden dabei kurz zuvor von Hitler eingeführte Sprachregelungen wört
lich übernommen. Im einzelnen wiederholten die Thesen nicht nur den Aufruf zur Entfer
nung der verfemten Literatur aus den privaten und öffentlichen Bibliotheken, sondern sie
richteten auch die diffamierendsten Angriffe auf jüdische Intellektuelle und forderten die
totale Ausrichtung der Universitäten und Hochschulen auf die faschistische Ideologie. In
zentralen und regionalen Presseorganen veröffentlicht, gelangten sie Mitte April auch in
Plakatform zur öffentlichen Verbreitung — an Litfaßsäulen und Anschlagtafeln wie in den
Universitäten selbst. Am 28. April 1933 erläuterten Vorstandsfunktionäre der Deutschen
Studentenschaft bei einem Vortragsabend im Berliner Haus der Presse noch einmal zusam
menfassend die Ziele und die einzelnen Etappen der im wesentlichen strikt nach den erteil
ten Direktiven ablaufenden Aktion.

In der letzten Aprilwoche hatte das von Hans Karl Leistritz geleitete „Haupta
zudem begonnen, die Studentenschaften der Hochschulen und Universitäten mit „Sch
zen Listen" zu versorgen, die ihrer Funktion nach definitiv als ein einheitliches Reglem
für die „Säuberung" der Buchbestände ausgewiesen waren. Eine erste Liste, in den Ak
des Propagandaministeriums als „Vorläufige Liste der Deutschen Studentenschaft
striert7, führte 71 Autoren schöngeistiger Literatur, eine zweite Liste 82 Autoren der
gebiete Politik und Staatswissenschaften auf. Beide Listen gingen auf die von dem
schuß zur „Neuordnung" der Berliner Bibliotheken verfaßten Verbotsverzeichnisse zur
einen Kontakt mit der Deutschen Studentenschaft hatte der Ausschuß bereits am 1. A
1933 mit einem von Wolfgang Herrmann unterzeichneten Schreiben hergestellt. Die
sache, daß sowohl Informationen über die Tätigkeit dieses Ausschusses als auch die m
fizierten, in einigen Positionen gestrafften Listen der Deutschen Studentenschaft
Aktenbestand des Propagandaministeriums gehören, läßt auf dessen maßgebliche
bei der Gesamtaktion schließen, wenngleich in Rechnung zu stellen ist, daß auch ande
Institutionen nicht unbeträchtlich am Prozeß der Faschisierung des geistig-kultur
Lebens beteiligt waren, überdies nicht ohne das Bestreben, an Beflissenheit und Rigori
einander zu überbieten. In jedem Falle verweisen die Fakten und die erkennbaren Zus
menhänge jedoch Vorstellungen von einer vermeintlich spontanen, ungesteuerten oder
im nachhinein sanktionierten Aktion eindeutig in den Bereich der Fehlinterpretation
der Legendenbildung.
Auch die Vorgänge am späten Abend des 10. Mai 1933 verliefen nach einheitlich v

7 Vgl. Hildegard Brenner: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus, Reinbek bei Hamb
1963, S. 44.

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gegebenem Ritual: Fackelzügen zu zentralen Plätzen der Universitä


städte folgte, begleitet durch den Vortrag von neun sogenannten „Feu
brennung der in den Tagen zuvor konfiszierten Literatur. Den Abschlu
chen prominenter faschistischer Politiker, Schriftsteller oder Hochsch
den Verantwortlichen eine öffentliche, über den akademischen Rah
Signalwirkung angestrebt wurde, machten im übrigen auch die propag
umstände deutlich. Der faschistische Rundfunk übertrug das Verbrenn
einer „Staffelreportage" aus mehreren Universitätsstädten; die Vorgän
Opernplatz, wo der Propagandaminister und Nazigauleiter Goebbels die
wurden außerdem durch Filmkameras für eine gezielte aktuelle Berich
halten. Darüber hinaus hatte das Propagandaministerium neben Vert
Zeitungen auch in Berlin akkreditierte Auslandskorrespondenten einge
verbrennung auf dem Opernplatz — dem heutigen Bebelplatz — teilzun
Die „Feuersprüche" waren den örtlichen Studentenschaften am
„Hauptamt" mit der Regieanweisimg zugestellt worden, den Text mögl
feierlich vorzutragen und die Verbrennung symbolisch auf die in den
Schriften zu beschränken. Es werde dadurch nicht ausgeschlossen, so h
trotzdem ein großer Haufen Bücher verbrannt wird" 8 — für Berlin spre
Berichte von 20000 bis 25000 verbrannten Büchern. Die ausgewählten,
abgefaßten Spruchtexte zielten insgesamt auf eine demagogisch wirkun
boten zudem die Möglichkeit, die Ziele und die thematischen Schwerpun
einmal zu unterstreichen und ihren demonstrativen Charakter hervorzukehren. Dem ent
sprach auch die Art und Weise, wie in Form von Thesen und Antithesen den Verdamm
urteilen „gegen Klassenkampf und Materialismus" oder „gegen Dekadenz und moralisc
Verfall" positiv bestimmte Kategorien der faschistischen Ideologie wie „Volksgemeins
und idealistische Lebenshaltung" oder „Zucht und Sitte in Familie und Staat" gege
gestellt wurden.9
Das erste Verdikt erstreckte sich mit der Wendung gegen den „Klassenkampf" und
„Materialismus" namentlich auf die Schriften von Marx und Kautsky. Die Urhebe
Nutznießer der Autodafés stellten damit von vornherein die von Hitler am 23. März 1933
proklamierte Aufgabe, den Kommunismus „restlos auszurotten und zu beseitigen" —
nannte dies „die oberste Aufgabe" seiner Regierung10 —, in das Zentrum der gesamten A
Kautsky, der zu diesem Zeitpunkt in Österreich lebte, war aus dem Index Politik und S
wissenschaften gleichsam als symbolischer Vertreter des zeitgenössischen Marxismus
gewählt worden; die Verbrennung seiner Schriften sollte den Verruf und das striktest

8 Zitiert nach Hans-Wolfgang Strätz : Die studentische „Aktion wider den undeutschen
im Frühjahr 1933. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 4/1968, S. 360.
9 Eine detaillierte Analyse dieser Zusammenhänge gibt der Aufsatz von Irmfried Hiebe
Alfred Klein: Signal zur totalen geistigen Mobilmachung. In: Weimarer Beiträge 5/
vgl. ferner Leonore Krenzlin: Die faschistische Bücherverbrennung Mai 1933— Inszeni
und Wirkungen. In: Künstler und Künste im antifaschistischen Kampf 1933—1935. Be
zu einer Arbeitstagung des ZIL der Akademie der Wissenschaften der DDR und des K
bundes der DDR, Berlin 1983, S. 38—45.
10 Regierungserklärung Hitlers vor dem Reichstag am 23. 3. 1933. Vgl. Max Domarus: Hitler.
Reden und Proklamationen 1932—1945, Bd. 1, S. 231.

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Bücherverbrennung

bot aller neueren marxistischen Arbeiten und Analysen signalisieren. Aus der Verbotsliste
mit Werken der künstlerischen Literatur wurden Autoren mit „Bannsprüchen" bedacht,
die. mit ihren gesellschaftskritischen Darstellungen oder mit desillusionierend-pazifistischen
Kriegsschilderungen unverkennbare Gegenpositionen zur faschistischen Ideologie einge
nommen und bis hin zur Endphase der Weimarer Republik zunehmende Publizität erlangt
hatten: Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner, Kurt Tucholsky und Erich Maria
Remarque.
In weiteren Sprüchen, die jeweils mit der Ankündigung endeten, die Schriften der
genannten Autoren den Flammen zu übergeben, wurden die wissenschaftlichen Arbeiten von
Sigmund Ereud und Friedrich Wilhelm Foerster sowie die biographisch-historische Belle
tristik von Emil Ludwig und Werner Hegemann in Acht und Bann getan. Bei aller Unter
schiedlichkeit in den konzeptionellen Ansätzen und in den Analyse- und Darstellungsme
thoden bezeichneten auch diese Arbeiten eine Reihe tiefgreifender Gegensätze zur faschisti
schen Ideologie, insbesondere zur Rassen-Irrlehre, zum militaristischen Erziehungsprogramm
und zur skrupellosen „völkisch"-nationalistischen Verfälschung der Geschichte. So waren
ζ. B. die pädagogischen und philosophischen Studien, in denen sich Friedrich Wilhelm
Foerster aus christlich-pazifistischer Sicht kritisch mit Tendenzen und Erscheinungsformen
des Nationalismus auseinandergesetzt hatte, den Wortführern der faschistischen Propaganda
seit langem ein Ärgernis. In ähnlicher Weise basierten auch die Attacken gegen Emil Ludwig,
die sich vornehmlich gegen dessen in psychologisierender Manier abgefaßte und in hohen
Auflagen verbreitete Romanbiographien über Bismarck und Wilhelm II. richteten, auf einem
über Jahre hinweg blindwütig geschürten Haß. Anders verhielt es sich dagegen mit Werner
Hegemann. Obwohl auch er schon in den 20er Jahren verschiedentlich das Mißfallen natio
nalistischer Kreise erregt hatte, speziell mit seiner umfänglichen, vom Preußenkult abge
setzten Arbeit Friedericus oder Das Königsopfer, geriet er in die „Aktion wider den undeut
schen Geist" erst aus dem aktuellen Anlaß der Veröffentlichung seines Buches Entlarvte
Geschichte im Frühjahr 1933, als die Nazipresse dessen angeblich antinationalen Charakter
scharf anprangerte und - unmittelbar vor Beginn der Aktion — „das energischste Einschrei
ten der zuständigen Behörden" verlangte.11
Im Vergleich zu den Verbotslisten erhielten die „Feuersprüche" schließlich noch eine
weitere, zusätzliche Funktion. Sie mußten dazu herhalten, den anfangs abgesteckten Aktions
radius zweckbestimmt zu erweitern: Die Texte zielten bewußt darauf ab, zusammen mit
dem Marxismus und mit Positionen des bürgerlichen Antifaschismus in der wissenschaft
lichen und literarisch-künstlerischen Arbeit auch eine eigenständige, demokratisch und
antifaschistisch orientierte Presse, einen „Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung",
als Produkt eines „undeutschen" und „zersetzenden" Geistes einzustufen. Als Repräsentan
ten eines solchen Journalismus, dem jeglicher Boden für eine Wirksamkeit im Lande ent
zogen werden sollte, wurden in den Sprüchen genannt: Georg Bernhard, der langjährige
Chefredakteur der Vossischen Zeitung, Theodor Wolff, Kolumnist und leitender Redakteur

Im „Völkischen Beobachter" vom 15. 3. 1933 beschimpfte .Hellmuth Langenbucher das Buch
Hegemanns als „eine Verächtlichmachung alles dessen, was jedem anständigen Deutschen
von Kind auf heilig ist"; und Will Vesper kanzelte Hegemann als einen „speichelspritzenden
Thersites" ab, der „seinen giftigen Geifer auf alles Deutsche" entlade (Die Neue Literatur
5/1933, S. 302V

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des Berliner Tageblatts, der vor allem als Theaterkritiker bekannt gewor
sowie Carl von Ossietzky, der gemeinsam mit Tucholsky der Weltbu
antifaschistisches Profil gegeben hatte. Offenkundig erfolgte auch die m
bewirkte Akzentsetzung weder zufällig noch zusammenhanglos; sie ging
der terroristischen „Gleichschaltung" der Presseorgane, der das Verbot d
schen Zeitungen und Zeitschriften vorangegangen war und die seit Mitte
des neuerrichteten Propagandaministeriums lag.
Dienten die „Feuersprüche" der politischen und organisatorischen Steu
nerie, mit der die von der Deutschen Studentenschaft getragene Aktion
demonstrativen Abschluß fand, so bedeutete dies jedoch keinesfalls, daß
auf die hier namentlich aufgeführten Schriften beschränkt blieb. Die auf G
zen Listen" vor und nach dem 10. Mai 1933 konfiszierte, verfemte und ver
überstieg bei weitem die in den Sprüchen genannten Arbeiten ausgewähl
der aus den Bibliotheken und Buchhandlungen entfernten marxistischen
sich der besondere Haß der herrschenden Kräfte konzentrierte, gehörten
von Friedrich Engels, von Lassalle, August Bebel und Franz Mehring,
tscharski, Sinowjew und Stalin, von Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg un
von Max Adler, Otto Bauer, Rudolf Hilferding und Helen Keller. Nach de
zip wurde in den Anweisungen an die örtlichen Studentenschaften dekre
Arbeiten von Sigmund Freud zugleich die Publikationen seiner Anhänger
der psychoanalytischen Schule, aus den öffentlich zugänglichen Buch
scheiden waren.
Für den Bereich der künstlerischen Literatur ist ein genauerer Blick auf die Verbots
listen nicht minder aufschlußreich : Bestimmte Hintergründe und Ziele der gesamten Aktio
zeichneten sich in ihren Konturen hier zum Teil deutlicher ab als in den formalisierten und
auf das öffentliche Zeremoniell zugeschnittenen „Bannsprüchen". Eine auffällige Akzen
tuierung lag zunächst darin, daß durch die vorgegebene Namensauswahl der Spruchtexte
ausschließlich deutsche bzw. deutschsprachige Autoren erfaßt wurden, während sich das
Verzeichnis der in den „Schwarzen Listen" aufgeführten Schriftsteller und Wissenschaftler
von Beginn an auch auf ausländische Autoren erstreckte. Noch in den ersten Maitagen des
Jahres 1933 hatte sich der in Berlin gebildete „Kampfausschuß" mit der folgenden Auffor
derung an die einschlägigen Volksbüchereien gewandt: „Der Kampfausschuß ersucht Sie
hiermit, aus Ihrer Leihbücherei und aus dem Vertrieb all die Literatur zu entfernen, die Sie
auf der anliegenden schwarzen Liste vermerkt finden. Damit dieses Schrifttum aber auch
wirklich vernichtet wird, fordert der Kampfausschuß Sie auf, den als seinen Beauftragten
bei Ihnen erscheinenden Studenten die ausgesonderten Bücher und Schriften zu überliefern,
damit diese Bücher am 10. Mai auf dem Opernplatz öffentlich verbrannt werden können."12

12 Gegen „undeutsche Schriften". Rundschreiben der Deutschen Studentenschaft. In: Deutsche


Allgemeine Zeitung, 6. 5. 1933, Abendausgabe, S. 3. — Im „Börsenblatt für den deutschen
Buchhandel" wurde zum Umgang der öffentlichen Büchereien mit ausländischer Literatur auf
eine offizielle Richtlinie des Thüringischen Yolksbildungsministeriums hingewiesen, in der es
u. a. heißt: „Fremdsprachige oder aus fremden Sprachen übertragene Literatur ist nur inso
weit im Ausleihverkehr zu belassen, als sie deutsch-nordischem Empfinden artverwandt und
seelenverbunden ist." (Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 255/1933, S. 825).

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Bücherverbrennu ng

Daß am Vortage des 10. Mai für die Verbrennungen selbst mittels ûer „Feuersprüche" eine
taktisch modifizierte Verfahrensweise festgelegt wurde, änderte nichts an der Tatsache, daß
die fortgesetzt erweiterten „Schwarzen Listen" die Grundlage für die Kennzeichnung, die
Beschlagnahme und das Verbot der verfolgten Literatur bildeten.
Thematisch nahmen in den Verbotsverzeichnissen insbesondere Werke, deren Ideen
gehalt vom Bekenntnis zum Frieden und von der Absage an den imperialistischen Krieg
bestimmt wurde, einen exponierten Platz ein. Wie die faschistische Propaganda nichts un
versucht ließ, um das literarische und publizistische Schaffen in den Dienst der geistigen
„Mobilmachung", der ideologischen Kriegsvorbereitung zu stellen, so ging es ihr in nicht
geringerem Maße darum, entgegengesetzt wirkende Tendenzen bedingungslos auszuschalten.
Alle literarischen Arbeiten, die einer „Wehrhaftmachung" im Sinne der imperialistischen
Kriegsziele hinderlich waren oder einer Verklärung des Krieges auch nur im Wege standen,
wurden in die Kategorie der nicht mehr tragbaren und zu eliminierenden Literatur einge
reiht. Schon in den ersten „Schwarzen Listen" spannte sich der Bogen von Bertha von Sutt
ners Schrift Die Waffen nieder! bis zu Werken von Leonhard Frank, Arnold Zweig und
Ludwig Renn, von Jaroslav Haseks Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk und Erich
Maria Remarques Im Westen nichts Neues bis zu Büchern von Henri Barbusse und Ernest
Hemingway. In einer gesonderten Liste „Entstellende Kriegsliteratur" wurden dieser Auf
stellung weitere Titel hinzugefügt, und neben Publikationen deutscher Schriftsteller wie
dem 1929 von Kurt Klaeber im Internationalen Arbeiter-Verlag herausgegebenen Volks
buch vom großen Krieg oder Adam Scharrers autobiographischem Roman Vaterlandslose
Gesellen standen auch hier durch Übersetzungen verbreitete Bücher ausländischer Autoren,
darunter Die Morgenröte von Konstantin Oberutschew, Strich drunter von Robert Graves
und Die Bestie erwacht von Liam O'Flaherty.
In welchem Maße die Verfasser der „Schwarzen Listen" in eilfertiger und blindester
Gefolgschaft den Interessen ihrer Auftraggeber zu entsprechen suchten, zeigt gleichermaßen
die Konzentration auf weitere Themen- und Werkgruppen. Die Indizierungen bezogen sich
gezielt auf die proletarisch-revolutionäre Literatur, die ihre Stoffe und Themen aus dem
Kampf der Arbeiterbewegung um eine menschenwürdige Gesellschaft gewann, auf die so
wjetische Literatur von Maxim Gorki und Alexander Serafimowitsch bis zu den Vertretern
der jüngeren Generation, auf Autoren jüdischer Herkunft sowie auf eine gesellschaftskriti
sche, antikapitalistische Literatur, deren Spannweite durch Namen wie John Dos Passos,
Jack London und Upton Sinclair, Bernhard Kellermann, Heinrich Mann und B. Traven
dokumentiert wird.
Die Listen, mit denen der Berliner Bibliotheksausschuß und die Deutschen Studenten
schaften im April und Mai 1933 operierten, waren gleichwohl nur ein erster Schritt zum Auf
bau eines straff organisierten, polizeistaatlichen Kontrollmechanismus. So verwendbar sie
in den ersten Monaten der faschistischen Diktatur waren, sowenig genügten sie schon auf
Grund der Begrenztheit und mancher Zufälligkeit in der Titelauswahl — hinzu kamen nicht
wenige bibliographische Ungenauigkeiten und Fehler - den Ansprüchen eines perfektio
nierten Verbots- und Kontrollsystems. Noch bevor die Scheiterhaufen in den deutschen
Universitätsstädten aufloderten, programmierten die Drahtzieher der Aktion bereits die
nächstfolgenden Maßnahmen. Mit einem Schreiben vom 4. Mai 1933 beauftragte die Reichs
leitung des „Kampfbundes für deutsche Kultur" den Generaldirektor der Deutschen Büche

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rei in Leipzig, mit dem Ausschuß der Berliner Bibliothekare Verbindung


die von ihm konzipierten „Schwarzen Listen" anhand der Literaturbestän
Bücherei zu überarbeiten und zu erweitern.13 Nach einer Kette von Bera
thekaren und Buchhändlern sowie mit Vertretern des „Kampfbundes
gesteuerten Schriftstellerorganisation und des Propagandaministeriums,
längeren Tauziehen auch die staatliche Zuständigkeit für die Deutsche
riß, wurden daraufhin im August 1933 sachlich und bibliographisch ergä
zu neun Sachgebieten vorgelegt. Schließlich fiel die Kompetenz für die W
Aktion an die im November 1933 etablierte, Goebbels direkt unterstellte
tumskammer". Unter ihrer Regie entstand die erste, später fortlaufend
samtliste „des schädlichen und unerwünschten Schrifttums". Ausdrücklich
traulichen Dienstgebrauch" bestimmt, umfaßte sie 3601 Einzeltitel sowie
für die Werke von 524 Autoren.14
In den generellen Ausgangspositionen blieben die mit den Bücherverbrennungen ange
strebten Zwecke auch für dieses ausgebaute Instrumentarium faschistischer „Schrifttums
politik" bestimmend.. Andererseits war die „Aktion wider den undeutschen Geist", wie die
Vorgänge im einzelnen belegen, jedoch mehr als nur eine Art Vorstufe für ein immer eng
maschiger werdendes Verbotssystem. Von ihrem Auftakt bis zu den Scheiterhaufen am
10. Mai griff sie wesentlich über den Bereich der Bibliotheken und des Buchhandels hinaus.
Daß die Verantwortung für ihren Ablauf an die Studentenschaften delegiert wurde, ermög
lichte es dem faschistischen Regime zunächst, handfeste ideologische und literaturpolitische
Interessen mit einem terroristischen Druck auf die akademischen Bildungsstätten zu ver
klammern. Die oft als gespenstisch empfundene und wiederholt auch mit Unverständnis
betrachtete Szenerie beschränkte sich insofern durchaus nicht auf den Ausdruck entfesselter
und irregeleiteter kleinbürgerlicher Instinkte. Was ihre geistigen Urheber im Sinne hatten,
entsprang bewußt verfolgten Absichten. Verbunden mit dem erklärten Ziel, die Werke marxi
stischer, jüdischer und bürgerlich-humanistischer Schriftsteller und Wissenschaftler zu
ächten und auszusperren, sollten die Universitäten und Hochschulen auf einen unbedingten
Gefolgschaftsgeist eingeschworen und die Verkehrsformen des öffentlichen Lebens dem
innen- und außenpolitischen Programm des Paschismus drakonisch untergeordnet werden.
Mit aller Entschiedenheit wiesen daher antifaschistische Autoren schon in ersten Ant
worten und Stellungnahmen auf die unverkennbaren Hintergründe der Verbots- und Ver
brennungsaktionen hin. So charakterisierte ζ. B. das Braunbuch über Reichstagsbrand und
Hitler-Terror, das im Mai und Juni 1933 von deutschen Antifaschisten in Frankreich erar
beitet und ab August in zahlreichen Ländern verbreitet wurde, die „Aktion wider den un
deutschen Geist" als einen „Vernichtungsfeldzug" des faschistischen Regimes gegen Wissen
schaft und Literatur, gegen alle humanistischen Bestrebungen. Entgegen dem Versuch, die

13 Der Auftrag war durch den Börsenverein der deutschen Buchhändler, dem die Deutsche Bü
cherei nach ihrer Satzung verwaltungsrechtlich zugeordnet war, bereitwillig sanktioniert
worden. Am 30. 6. 1933 wurde die Deutsche Bücherei auf dem Verordnungswege dem Pro
pagandaministerium unterstellt. Vgl. Reichsgesetzblatt Teil I, 75/1933, S. 449.
14 Die Arbeit an dieser Liste wurde im Oktober 1935 abgeschlossen. Eine zweite, im Dezember
1938 fertiggestellte Liste umfaßte 4175 Einzeltitel und 565 Gesamtverbote. Zu den Autoren,
die mit dieser Liste erstmals mit einem Gesamtverbot belegt wurden, zählten u. a. Annette
Kolb, Else Lasker-Schüler, Thomas Mann, Fritz von Unruh und Carl Zuckmayer.

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Bücherverbrennung

Ereignisse als einen Komplex rational nicht faßbarer Gefährdungen zu werten, machten die
Autoren des Braunbuches zugleich geltend, daß die offenkundigen Akte der Kulturbarbarei
nicht auf sich selbst gestellt, sondern kalkulierter Ausdruck konkreter Machtkonstellationen
waren und daß der faschistische Terror, zunächst gegen das eigene Volk gerichtet, in der
Konsequenz auch die Sicherheit anderer Völüer bedrohte.
Unter den ersten Stellungnahmen von Schriftstellern fanden insbesondere die Proteste
von Oskar Maria Graf und Romain Rolland eine nachhaltige Resonanz. Oskar Maria Graf
veröffentlichte am 12. Mai 1933 in der Wiener Arbeiterzeitung einen Kommentar unter der
Überschrift Verbrennt mich! Ausgehend von der Kritik am „barbarischen Nationalismus"
des Naziregimes, solidarisierte er sich mit den Autoren der verfolgten, in das Exil getriebenen
Literatur und verlangte von den faschistischen Machthabern, seine eigenen Werke gleich
falls auf die „Schwarzen Listen" zu setzen und zu verbrennen. Auch Romain Rolland äußerte
sich im unmittelbaren Anschluß an die Bücherverbrennungen. In einem Schreiben an Die
Kölnische Zeitung wies er den Vorwurf zurück, es handele sich bei den Anklagen gegen den
Hitlerschen Easchismus um kommunistisch gelenkte Lügen und Schauergeschichten. Ange
sichts der offen zutage liegenden Fakten und zugleich sorgsam differenzierend betonte er,
„das Deutschland des Hakenkreuzes" habe sich durch seine Verbrechen gegen die Humani
tät auch als „der schlimmste Feind des wahren Deutschland" erwiesen.15
Daß die Proteste gegen die mit den Bücherverbrennungen praktizierte Kulturbarbarei
nicht ungehört verhallten, zeigte in den folgenden Monaten in besonderer Weise die Grün
dung der Deutschen Freiheitsbibliothek. Ein Initiativkomitee, zu dem André Gide, Lion
Feuchtwanger, Prof. Levy-Bruhl, Heinrich Mann, Romain Rolland und H. G. Wells gehör
ten, sicherte dem Projekt, in Paris, einem der Zentren des antifaschistischen Exils, eine
Sammlung der verbotenen und verbrannten Literatur aufzubauen, die erforderliche mora
lische und materielle Unterstützung. Im Ergebnis beharrlichen Einsatzes und wesentlich
gefördert durch den Schutzverband deutscher Schriftsteller im Exil, konnte die Freiheits
bibliothek nach relativ kurzer Vorbereitungszeit am 10. Mai 1934, dem ersten Jahrestag
der Bücherverbrennung, ihre Arbeit aufnehmen. Ihre Gründung war ein konkreter, sicht
barer Ausdruck der antifaschistischen Solidarität, und sie setzte nicht zuletzt auch ein Zei
chen für spätere, weitergehende Antworten auf die Geist- und Kulturfeindlichkeit des
Faschismus : Das Gedenken an den 10. Mai blieb auf das engste verbunden mit der Bewah
rung: und Verbreitung der humanistischen Literatur, mit dem Bekenntnis zu ihrer fortwir
kenden Kraft, zu einer durch Terror und Scheiterhaufen nicht zerstörbaren Tradition.

15 „Die Kölnische Zeitung" veröffentlichte das Schreiben Rollands am 21. 5. 1933. Vgl. dazu
Lionel Richard: Deutscher Faschismus und Kultur, Berlin 1982, S. 267ff.

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