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Germanistik
„Solche Taten", so schrieb Heinrich Mann im Mai 1936 zum dritten Jahrestag
schen Bücherverbrennung, „richten vor allem das Regime, das sie veranlaßt
zen hat." Die Aufmerksamkeit auf die Urheber und Nutznießer der Ereigniss
bekräftigte der Schriftsteller zugleich die Notwendigkeit, der faschistischen Ba
gebotenen Entschiedenheit zu begegnen. Er bekannte sich zur Verteidigung d
' Faschismus auf das äußerste bedrohten Kultur, zum gemeinsamen Widers
faschistischen Kräfte, und er leitete aus den konkreten geschichtlichen Einsich
nimg ab, die Zeichen eines Vernunft- und fortschrittsfeindlichen Machtvollz
vergessen. Hielt diese Mahnung die Gefahren bewußt, die von einem derartig
zugfür eine gesicherte, menschenwürdige Existenz ausgehen, so schloß sie jedoch
Maße auch die Sicht auf die Grenzen des Regimes, auf die Haltlosigkeit seiner
und auf seine geschichtliche Perspektivlosigkeit ein: „Der Bücherverbrennung
gedenken — um der Ohnmacht willen, die sich erdreistete, Scheiterhaufen zu e
Geisteswerke, als ob Geisteswerke nicht feuerfest wären."1
Aus dem Versuch, die hinter den Vorgängen sichtbar gewordenen Inte
zulegen, resultierte zum andern die Erkenntnis, daß die Bücherverbrennung wed
zugrunde liegenden Zielen noch in ihrem demonstrativen Charakter als eine iso
auf den Literaturprozeß bezogene Aktion zu begreifen war. Sie bildete einen o
Bestandteil jener gezielten politischen Terrorakte, mit denen die faschistische
das Herrschaftsinstrument der reaktionärsten und aggressivsten imperialistis
ihren Machtmechanismus auszubauen und zu befestigen suchte. Durch den Rü
überwunden geglaubte Methoden der Inquisition gehörten die Bûcher-Autodaf
rich Mann im Einklang mit dem bestimmenden Eindruck in der internationalen
keit feststellte, zweifellos zu den bis dahin empörendsten Schaustellungen des
Gerade die Analyse ihrer Besonderheiten setzte indessen voraus, nach den sozi
heiten der Ereignisse zu fragen, nach ihrem Zusammenhang mit der Gesamth
matisch gesteuerten Terrors.
Geistig waren die Aktionen gegen das Ideengut des Marxismus, gegen die hu
und die jüdische Literatur seit langem geplant und vorbereitet worden, und a
botspraktiken der bürgerlichen Klassenjustiz hatten, wie das Vorgehen gegen
Becher und andere Autoren zeigt, durchaus ihre Vorgeschichte. Mit der Vollzug
faschistischen Regimes erhielt der Haß auf Vernunft und Humanität jedoch ei
nicht gekanntes Ausmaß. Schon in den ersten Tagen der Kanzlerschaft Hitlers f
„Kampfbund für deutsche Kultur", eine der tonangebenden, von Alfred Rosen
Hans Hinkel dirigierten faschistischen Kulturorganisationen, den uneingeschr
1 Heinrich Mann: Die Bücherverbrennung. In: Die neue Weltbühne 25/1936, S. 773.
S Ζ. f. Genn. Η. 1/84 33
34
Ben — die Akademie sofort zu verlassen. Doch auch vor Schriftstellern wie Ludwig Fulda,
Georg Kaiser, Bernhard Kellermann, Franz Werfel und Fritz von Unruh, die im März die
geforderten Loyalitätserklärungen abgaben, machte der faschistische Terror nicht halt:
Sie wurden am 5. Mai 1933 als jüdische oder als pazifistisch geltende Autoren aus der Aka
demie ausgestoßen und durch Gefolgsleute des Naziregimes wie Werner Beumelburg, Hans
Grimm, Hanns Johst, Agnes Miegel und Will Vesper ersetzt.
Nach dem Reichstagsbrand, der das Signal zu einem verschärften Terror gegen alle
revolutionären und demokratischen Kräfte gab, forcierte und erweiterte die faschistische
Diktatur auch ihre Verbots- und Unterdrückungsmaßnahmen auf geistig-kulturellem Gebiet.
Ausdruck dafür waren unter anderem massive Eingriffe in die Arbeit kultureller und wissen
schaftlicher Institutionen, zahlreiche Publikations- und Aufführungsverbote, von denen
ζ. B. am 7. März Die Weltbühne und kurz darauf die Filme Kuhle Wampe und Zehn Tage,
die die Welt erschütterten betroffen waren, die faschistische „Gleichschaltung" des Schutz
verbandes deutscher Schriftsteller sowie die Vorkehrungen zur Kontrolle der Buchproduk
tion, des Buchhandels und des Bibliothekswesens. Mit einer Rede vom 12. März 1933 kün
digte Hitler eine straffe und einheitliche Lenkung der in Gang gesetzten innenpolitischen
Aktionen an; in aller Öffentlichkeit erteilte er den Befehl, „strengste und blindeste Diszi
plin" zu üben und „alle Einzelaktionen" fortan zu unterlassen : „Von nun an wird der Kampf
der Säuberung und Inordnungbringung des Reiches ein planmäßiger und von oben geleiteter
sein."4 Am Tage darauf schuf sich die faschistische Diktatur mit der Errichtung des von
Goebbels geleiteten Propagandaministeriums ein zentrales, mit staatlicher Macht ausgestat
tetes Steuerungs- und Kontrollinstrument zur Reglementierung des gesamten öffentlichen
Lebens. Waren dem neu etablierten Ministerium zunächst Presse, Rundfunk, Film und
Theater zugeordnet, so dehnte es seinen Kompetenzbereich schon bald auch auf literarische
Belange, auf das Musikleben und die bildenden Künste aus.
Auf der Grundlage der „von oben" verordneten Richtlinien wurden in der zweiten
Märzhälfte in der faschistischen Presse wie in internen Konzepten differenzierte Pläne auch
für das weitere literaturpolitische Vorgehen entwickelt. Schulen, Universitäten und Buch
handlungen, so postulierte ζ. B. der Völkische Beobachter am 22. März, müßten peinlich
unterscheiden zwischen dem, was deutsch und was nicht deutsch sei; für die Werke „undeut
scher" Autoren — genannt werden Feuchtwanger und Döblin, Heinrich, Thomas und Klaus
Mann, Wassermann, Arnold und Stefan Zweig — sei im Dritten Reich keine Existenzberech
tigung gegeben. Die gleichen, durch wütende antisemitische Ausfälle eher noch zugespitzten
Forderungen wurden am 3. April 1933 auf einer Berliner „Kampfbund"-Kundgebung unter
dem Thema „Deutscher Geist und deutsches Buch" erhoben, und Will Vesper, einer der ak
tivsten Nazischriftsteller, ließ verlauten, es dämmere „das Ende einer zerstörerischen
Asphaltliteratur", die „immer antideutsch und im letzten bolschewistischen und nihilisti
schen Geistes war" 5.
Unmittelbar ausgehend von diesen Richtsätzen vollzogen sich im Frühjahr 1933 sowohl
Die Rede wurde am 12. 3. 1933 im faschistischen Rundfunk übertragen und am 13. 3. 1933 im
„Völkischen Beobachter" veröffentlicht. Vgl. Max Domarus: Hitler. Reden und Proklamatio
nen 1932—1945, Bd. 1, Würzburg 1962, S. 221.
Will Vesper: Zeitwende in der Dichtung. In: Völkischer Beobachter, 4. 4. 1933, Zweites Bei
blatt.
3* 35
die ersten Kampagnen zur „Neuordnung" der Bibliotheken als auch die A
schen Studentenschaft „Wider den undeutschen Geist", die in dem makabren
Bücherverbrennungen kulminierte. Beide Aktionen hatten spezielle Aus
griffen jedoch zeitweise, vor allem in den Monaten April und Mai, ineinand
März übernahm in Berlin ein aus drei Bibliothekaren bestehender Ausschuß d
Aussonderung marxistischen Schrifttums zunächst aus der Stadtbibliothek un
aus sämtlichen Berliner Stadt- und Volksbüchereien. Entsprechend diesem A
der Ausschuß vier Verbotslisten zusammen, die in der letzten Aprilwoch
Zweigbüchereien übergeben wurden. Der vom Ausschuß mitgelieferte Ko
Listen sollten dazu dienen, ein nicht „artgebundenes" Schrifttum, „Asphaltl
„intellektuellen Nihilismus" auszumerzen,6 läßt bis in die Wortwahl hinein di
erkennen, die Interessen des faschistischen Regimes willfährig zu bedienen.
Die sogenannte „Schwarze Liste I" enthielt Werke und Autoren der sc
Literatur. Neben vier Anthologien — unter ihnen die Malik-Ausgaben Dreißig
des neuen Rußland und Dreißig neue Erzähler des neuen Deutschland — nennt
scher Folge 131 Autoren, deren Werke vollständig oder teilweise als nicht lä
gekennzeichnet werden. Auf der Liste sind gleichermaßen deutsche wie auslän
vertreten, darunter Isaak Babel, Henri Barbusse, John Dos Passos, Ilja Ehren
Gladkow, Maxim Gorki, Jaroslav Haâek, Ernest Hemingway, Bêla Illés, Valen
Alexandra Kollontay, Leonid Leonow, Jack London, Ivan Olbracht, Alexa
witsch, Upton Sinclair und Sunao Tokunaga. Der Kreis der aufgeführten deuts
reicht von Vertretern des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller wie Bec
Grünberg, Anna Seghers, Alex Wedding und F. C. Weiskopf bis zu Brecht, D
wanger, Kästner, Heinrich Mann, Remarque, Ringelnatz, Roth, Traven, Tuch
mann, Arnold und Stefan Zweig. Parallel zu dieser Liste, die nach vorliegend
den Charakter eines amtlichen Index für die Volksbüchereien in Preußen erhie
drei weitere Verzeichnisse auszusondernde Literatur in den Sachgebieten Poli
wissenschaften, Geschichte und Kunstwissenschaft.
Mit der Aktion der in starkem Maße nationalistisch orientierten Deutschen Studenten
schaft wurden die Maßnahmen gegen die als „undeutsch" gebrandmarkte Literatur dem
strativ auf den Hochschulbereich ausgeweitet und zugleich genutzt, um den politischen u
ideologischen Zielen der faschistischen Diktatur unumschränkte öffentliche Geltung zu
schaffen. Die detaillierte Lenkung der Aktion erfolgte durch das beim Vorstand der D
schen Studentenschaft in Berlin gebildete und mit besonderen Vollmachten verseh
„Hauptamt für Presse und Propaganda". Es übermittelte in einer Reihe von Rundschrei
zwischen dem 6. April und dem 9. Mai 1933 den örtlichen Studentenschaften die im Ko
mandoton abgefaßten Direktiven über den Inhalt und den Ablauf der geplanten Aktion
Von einer Bücherverbrennung war erstmals in einem vom 8. April datierten Schreiben
Rede: Die Studentenschaften der Hochschulen und Universitäten wurden angewiesen, d
Aktion mit der kontrollierten „Säuberung" der Buchbestände jedes einzelnen Studenten
beginnen, sie im Anschluß daran auf die öffentlichen Bibliotheken auszudehnen und m
6 Vgl. Wolfgang Hermann : Prinzipielles zur Säuberung der öffentlichen Büchereien. In : Börse
blatt für den deutschen Buchhandel 110/1933, S. 356.
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einem öffentlichen „Verbrennungsakt" in den Hochschulorten am Abend des 10. Mai abzu
schließen. Ergänzend dazu verfügte das „Hauptamt" die Bildung „örtlicher Kampfaus
schüsse", die — bestehend aus dem Führer der örtlichen Studentenschaft, drei weiteren Stu
denten, einem Hochschullehrer, einem Mitglied des „Kampfbundes für deutsche Kultur" und
einem Schriftsteller — die Verantwortung für den Ablauf der Aktion zu übernehmen hatten.
Im Mittelpunkt der propagandistischen Maßnahmen, die das Unternehmen flankierten,
standen zwölf von der Deutschen Studentenschaft unter dem Titel „Wider den undeutschen
Geist" herausgegebene Thesen. Mit den Aussagen, es handele sich um einen „Aufklärungs
feldzug" gegen die vom Judentum im Ausland betriebene „Hetze" und um die Ausmerzung
des Liberalismus, wurden dabei kurz zuvor von Hitler eingeführte Sprachregelungen wört
lich übernommen. Im einzelnen wiederholten die Thesen nicht nur den Aufruf zur Entfer
nung der verfemten Literatur aus den privaten und öffentlichen Bibliotheken, sondern sie
richteten auch die diffamierendsten Angriffe auf jüdische Intellektuelle und forderten die
totale Ausrichtung der Universitäten und Hochschulen auf die faschistische Ideologie. In
zentralen und regionalen Presseorganen veröffentlicht, gelangten sie Mitte April auch in
Plakatform zur öffentlichen Verbreitung — an Litfaßsäulen und Anschlagtafeln wie in den
Universitäten selbst. Am 28. April 1933 erläuterten Vorstandsfunktionäre der Deutschen
Studentenschaft bei einem Vortragsabend im Berliner Haus der Presse noch einmal zusam
menfassend die Ziele und die einzelnen Etappen der im wesentlichen strikt nach den erteil
ten Direktiven ablaufenden Aktion.
In der letzten Aprilwoche hatte das von Hans Karl Leistritz geleitete „Haupta
zudem begonnen, die Studentenschaften der Hochschulen und Universitäten mit „Sch
zen Listen" zu versorgen, die ihrer Funktion nach definitiv als ein einheitliches Reglem
für die „Säuberung" der Buchbestände ausgewiesen waren. Eine erste Liste, in den Ak
des Propagandaministeriums als „Vorläufige Liste der Deutschen Studentenschaft
striert7, führte 71 Autoren schöngeistiger Literatur, eine zweite Liste 82 Autoren der
gebiete Politik und Staatswissenschaften auf. Beide Listen gingen auf die von dem
schuß zur „Neuordnung" der Berliner Bibliotheken verfaßten Verbotsverzeichnisse zur
einen Kontakt mit der Deutschen Studentenschaft hatte der Ausschuß bereits am 1. A
1933 mit einem von Wolfgang Herrmann unterzeichneten Schreiben hergestellt. Die
sache, daß sowohl Informationen über die Tätigkeit dieses Ausschusses als auch die m
fizierten, in einigen Positionen gestrafften Listen der Deutschen Studentenschaft
Aktenbestand des Propagandaministeriums gehören, läßt auf dessen maßgebliche
bei der Gesamtaktion schließen, wenngleich in Rechnung zu stellen ist, daß auch ande
Institutionen nicht unbeträchtlich am Prozeß der Faschisierung des geistig-kultur
Lebens beteiligt waren, überdies nicht ohne das Bestreben, an Beflissenheit und Rigori
einander zu überbieten. In jedem Falle verweisen die Fakten und die erkennbaren Zus
menhänge jedoch Vorstellungen von einer vermeintlich spontanen, ungesteuerten oder
im nachhinein sanktionierten Aktion eindeutig in den Bereich der Fehlinterpretation
der Legendenbildung.
Auch die Vorgänge am späten Abend des 10. Mai 1933 verliefen nach einheitlich v
7 Vgl. Hildegard Brenner: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus, Reinbek bei Hamb
1963, S. 44.
37
8 Zitiert nach Hans-Wolfgang Strätz : Die studentische „Aktion wider den undeutschen
im Frühjahr 1933. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 4/1968, S. 360.
9 Eine detaillierte Analyse dieser Zusammenhänge gibt der Aufsatz von Irmfried Hiebe
Alfred Klein: Signal zur totalen geistigen Mobilmachung. In: Weimarer Beiträge 5/
vgl. ferner Leonore Krenzlin: Die faschistische Bücherverbrennung Mai 1933— Inszeni
und Wirkungen. In: Künstler und Künste im antifaschistischen Kampf 1933—1935. Be
zu einer Arbeitstagung des ZIL der Akademie der Wissenschaften der DDR und des K
bundes der DDR, Berlin 1983, S. 38—45.
10 Regierungserklärung Hitlers vor dem Reichstag am 23. 3. 1933. Vgl. Max Domarus: Hitler.
Reden und Proklamationen 1932—1945, Bd. 1, S. 231.
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bot aller neueren marxistischen Arbeiten und Analysen signalisieren. Aus der Verbotsliste
mit Werken der künstlerischen Literatur wurden Autoren mit „Bannsprüchen" bedacht,
die. mit ihren gesellschaftskritischen Darstellungen oder mit desillusionierend-pazifistischen
Kriegsschilderungen unverkennbare Gegenpositionen zur faschistischen Ideologie einge
nommen und bis hin zur Endphase der Weimarer Republik zunehmende Publizität erlangt
hatten: Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner, Kurt Tucholsky und Erich Maria
Remarque.
In weiteren Sprüchen, die jeweils mit der Ankündigung endeten, die Schriften der
genannten Autoren den Flammen zu übergeben, wurden die wissenschaftlichen Arbeiten von
Sigmund Ereud und Friedrich Wilhelm Foerster sowie die biographisch-historische Belle
tristik von Emil Ludwig und Werner Hegemann in Acht und Bann getan. Bei aller Unter
schiedlichkeit in den konzeptionellen Ansätzen und in den Analyse- und Darstellungsme
thoden bezeichneten auch diese Arbeiten eine Reihe tiefgreifender Gegensätze zur faschisti
schen Ideologie, insbesondere zur Rassen-Irrlehre, zum militaristischen Erziehungsprogramm
und zur skrupellosen „völkisch"-nationalistischen Verfälschung der Geschichte. So waren
ζ. B. die pädagogischen und philosophischen Studien, in denen sich Friedrich Wilhelm
Foerster aus christlich-pazifistischer Sicht kritisch mit Tendenzen und Erscheinungsformen
des Nationalismus auseinandergesetzt hatte, den Wortführern der faschistischen Propaganda
seit langem ein Ärgernis. In ähnlicher Weise basierten auch die Attacken gegen Emil Ludwig,
die sich vornehmlich gegen dessen in psychologisierender Manier abgefaßte und in hohen
Auflagen verbreitete Romanbiographien über Bismarck und Wilhelm II. richteten, auf einem
über Jahre hinweg blindwütig geschürten Haß. Anders verhielt es sich dagegen mit Werner
Hegemann. Obwohl auch er schon in den 20er Jahren verschiedentlich das Mißfallen natio
nalistischer Kreise erregt hatte, speziell mit seiner umfänglichen, vom Preußenkult abge
setzten Arbeit Friedericus oder Das Königsopfer, geriet er in die „Aktion wider den undeut
schen Geist" erst aus dem aktuellen Anlaß der Veröffentlichung seines Buches Entlarvte
Geschichte im Frühjahr 1933, als die Nazipresse dessen angeblich antinationalen Charakter
scharf anprangerte und - unmittelbar vor Beginn der Aktion — „das energischste Einschrei
ten der zuständigen Behörden" verlangte.11
Im Vergleich zu den Verbotslisten erhielten die „Feuersprüche" schließlich noch eine
weitere, zusätzliche Funktion. Sie mußten dazu herhalten, den anfangs abgesteckten Aktions
radius zweckbestimmt zu erweitern: Die Texte zielten bewußt darauf ab, zusammen mit
dem Marxismus und mit Positionen des bürgerlichen Antifaschismus in der wissenschaft
lichen und literarisch-künstlerischen Arbeit auch eine eigenständige, demokratisch und
antifaschistisch orientierte Presse, einen „Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung",
als Produkt eines „undeutschen" und „zersetzenden" Geistes einzustufen. Als Repräsentan
ten eines solchen Journalismus, dem jeglicher Boden für eine Wirksamkeit im Lande ent
zogen werden sollte, wurden in den Sprüchen genannt: Georg Bernhard, der langjährige
Chefredakteur der Vossischen Zeitung, Theodor Wolff, Kolumnist und leitender Redakteur
Im „Völkischen Beobachter" vom 15. 3. 1933 beschimpfte .Hellmuth Langenbucher das Buch
Hegemanns als „eine Verächtlichmachung alles dessen, was jedem anständigen Deutschen
von Kind auf heilig ist"; und Will Vesper kanzelte Hegemann als einen „speichelspritzenden
Thersites" ab, der „seinen giftigen Geifer auf alles Deutsche" entlade (Die Neue Literatur
5/1933, S. 302V
39
des Berliner Tageblatts, der vor allem als Theaterkritiker bekannt gewor
sowie Carl von Ossietzky, der gemeinsam mit Tucholsky der Weltbu
antifaschistisches Profil gegeben hatte. Offenkundig erfolgte auch die m
bewirkte Akzentsetzung weder zufällig noch zusammenhanglos; sie ging
der terroristischen „Gleichschaltung" der Presseorgane, der das Verbot d
schen Zeitungen und Zeitschriften vorangegangen war und die seit Mitte
des neuerrichteten Propagandaministeriums lag.
Dienten die „Feuersprüche" der politischen und organisatorischen Steu
nerie, mit der die von der Deutschen Studentenschaft getragene Aktion
demonstrativen Abschluß fand, so bedeutete dies jedoch keinesfalls, daß
auf die hier namentlich aufgeführten Schriften beschränkt blieb. Die auf G
zen Listen" vor und nach dem 10. Mai 1933 konfiszierte, verfemte und ver
überstieg bei weitem die in den Sprüchen genannten Arbeiten ausgewähl
der aus den Bibliotheken und Buchhandlungen entfernten marxistischen
sich der besondere Haß der herrschenden Kräfte konzentrierte, gehörten
von Friedrich Engels, von Lassalle, August Bebel und Franz Mehring,
tscharski, Sinowjew und Stalin, von Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg un
von Max Adler, Otto Bauer, Rudolf Hilferding und Helen Keller. Nach de
zip wurde in den Anweisungen an die örtlichen Studentenschaften dekre
Arbeiten von Sigmund Freud zugleich die Publikationen seiner Anhänger
der psychoanalytischen Schule, aus den öffentlich zugänglichen Buch
scheiden waren.
Für den Bereich der künstlerischen Literatur ist ein genauerer Blick auf die Verbots
listen nicht minder aufschlußreich : Bestimmte Hintergründe und Ziele der gesamten Aktio
zeichneten sich in ihren Konturen hier zum Teil deutlicher ab als in den formalisierten und
auf das öffentliche Zeremoniell zugeschnittenen „Bannsprüchen". Eine auffällige Akzen
tuierung lag zunächst darin, daß durch die vorgegebene Namensauswahl der Spruchtexte
ausschließlich deutsche bzw. deutschsprachige Autoren erfaßt wurden, während sich das
Verzeichnis der in den „Schwarzen Listen" aufgeführten Schriftsteller und Wissenschaftler
von Beginn an auch auf ausländische Autoren erstreckte. Noch in den ersten Maitagen des
Jahres 1933 hatte sich der in Berlin gebildete „Kampfausschuß" mit der folgenden Auffor
derung an die einschlägigen Volksbüchereien gewandt: „Der Kampfausschuß ersucht Sie
hiermit, aus Ihrer Leihbücherei und aus dem Vertrieb all die Literatur zu entfernen, die Sie
auf der anliegenden schwarzen Liste vermerkt finden. Damit dieses Schrifttum aber auch
wirklich vernichtet wird, fordert der Kampfausschuß Sie auf, den als seinen Beauftragten
bei Ihnen erscheinenden Studenten die ausgesonderten Bücher und Schriften zu überliefern,
damit diese Bücher am 10. Mai auf dem Opernplatz öffentlich verbrannt werden können."12
40
Daß am Vortage des 10. Mai für die Verbrennungen selbst mittels ûer „Feuersprüche" eine
taktisch modifizierte Verfahrensweise festgelegt wurde, änderte nichts an der Tatsache, daß
die fortgesetzt erweiterten „Schwarzen Listen" die Grundlage für die Kennzeichnung, die
Beschlagnahme und das Verbot der verfolgten Literatur bildeten.
Thematisch nahmen in den Verbotsverzeichnissen insbesondere Werke, deren Ideen
gehalt vom Bekenntnis zum Frieden und von der Absage an den imperialistischen Krieg
bestimmt wurde, einen exponierten Platz ein. Wie die faschistische Propaganda nichts un
versucht ließ, um das literarische und publizistische Schaffen in den Dienst der geistigen
„Mobilmachung", der ideologischen Kriegsvorbereitung zu stellen, so ging es ihr in nicht
geringerem Maße darum, entgegengesetzt wirkende Tendenzen bedingungslos auszuschalten.
Alle literarischen Arbeiten, die einer „Wehrhaftmachung" im Sinne der imperialistischen
Kriegsziele hinderlich waren oder einer Verklärung des Krieges auch nur im Wege standen,
wurden in die Kategorie der nicht mehr tragbaren und zu eliminierenden Literatur einge
reiht. Schon in den ersten „Schwarzen Listen" spannte sich der Bogen von Bertha von Sutt
ners Schrift Die Waffen nieder! bis zu Werken von Leonhard Frank, Arnold Zweig und
Ludwig Renn, von Jaroslav Haseks Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk und Erich
Maria Remarques Im Westen nichts Neues bis zu Büchern von Henri Barbusse und Ernest
Hemingway. In einer gesonderten Liste „Entstellende Kriegsliteratur" wurden dieser Auf
stellung weitere Titel hinzugefügt, und neben Publikationen deutscher Schriftsteller wie
dem 1929 von Kurt Klaeber im Internationalen Arbeiter-Verlag herausgegebenen Volks
buch vom großen Krieg oder Adam Scharrers autobiographischem Roman Vaterlandslose
Gesellen standen auch hier durch Übersetzungen verbreitete Bücher ausländischer Autoren,
darunter Die Morgenröte von Konstantin Oberutschew, Strich drunter von Robert Graves
und Die Bestie erwacht von Liam O'Flaherty.
In welchem Maße die Verfasser der „Schwarzen Listen" in eilfertiger und blindester
Gefolgschaft den Interessen ihrer Auftraggeber zu entsprechen suchten, zeigt gleichermaßen
die Konzentration auf weitere Themen- und Werkgruppen. Die Indizierungen bezogen sich
gezielt auf die proletarisch-revolutionäre Literatur, die ihre Stoffe und Themen aus dem
Kampf der Arbeiterbewegung um eine menschenwürdige Gesellschaft gewann, auf die so
wjetische Literatur von Maxim Gorki und Alexander Serafimowitsch bis zu den Vertretern
der jüngeren Generation, auf Autoren jüdischer Herkunft sowie auf eine gesellschaftskriti
sche, antikapitalistische Literatur, deren Spannweite durch Namen wie John Dos Passos,
Jack London und Upton Sinclair, Bernhard Kellermann, Heinrich Mann und B. Traven
dokumentiert wird.
Die Listen, mit denen der Berliner Bibliotheksausschuß und die Deutschen Studenten
schaften im April und Mai 1933 operierten, waren gleichwohl nur ein erster Schritt zum Auf
bau eines straff organisierten, polizeistaatlichen Kontrollmechanismus. So verwendbar sie
in den ersten Monaten der faschistischen Diktatur waren, sowenig genügten sie schon auf
Grund der Begrenztheit und mancher Zufälligkeit in der Titelauswahl — hinzu kamen nicht
wenige bibliographische Ungenauigkeiten und Fehler - den Ansprüchen eines perfektio
nierten Verbots- und Kontrollsystems. Noch bevor die Scheiterhaufen in den deutschen
Universitätsstädten aufloderten, programmierten die Drahtzieher der Aktion bereits die
nächstfolgenden Maßnahmen. Mit einem Schreiben vom 4. Mai 1933 beauftragte die Reichs
leitung des „Kampfbundes für deutsche Kultur" den Generaldirektor der Deutschen Büche
41
13 Der Auftrag war durch den Börsenverein der deutschen Buchhändler, dem die Deutsche Bü
cherei nach ihrer Satzung verwaltungsrechtlich zugeordnet war, bereitwillig sanktioniert
worden. Am 30. 6. 1933 wurde die Deutsche Bücherei auf dem Verordnungswege dem Pro
pagandaministerium unterstellt. Vgl. Reichsgesetzblatt Teil I, 75/1933, S. 449.
14 Die Arbeit an dieser Liste wurde im Oktober 1935 abgeschlossen. Eine zweite, im Dezember
1938 fertiggestellte Liste umfaßte 4175 Einzeltitel und 565 Gesamtverbote. Zu den Autoren,
die mit dieser Liste erstmals mit einem Gesamtverbot belegt wurden, zählten u. a. Annette
Kolb, Else Lasker-Schüler, Thomas Mann, Fritz von Unruh und Carl Zuckmayer.
42
Ereignisse als einen Komplex rational nicht faßbarer Gefährdungen zu werten, machten die
Autoren des Braunbuches zugleich geltend, daß die offenkundigen Akte der Kulturbarbarei
nicht auf sich selbst gestellt, sondern kalkulierter Ausdruck konkreter Machtkonstellationen
waren und daß der faschistische Terror, zunächst gegen das eigene Volk gerichtet, in der
Konsequenz auch die Sicherheit anderer Völüer bedrohte.
Unter den ersten Stellungnahmen von Schriftstellern fanden insbesondere die Proteste
von Oskar Maria Graf und Romain Rolland eine nachhaltige Resonanz. Oskar Maria Graf
veröffentlichte am 12. Mai 1933 in der Wiener Arbeiterzeitung einen Kommentar unter der
Überschrift Verbrennt mich! Ausgehend von der Kritik am „barbarischen Nationalismus"
des Naziregimes, solidarisierte er sich mit den Autoren der verfolgten, in das Exil getriebenen
Literatur und verlangte von den faschistischen Machthabern, seine eigenen Werke gleich
falls auf die „Schwarzen Listen" zu setzen und zu verbrennen. Auch Romain Rolland äußerte
sich im unmittelbaren Anschluß an die Bücherverbrennungen. In einem Schreiben an Die
Kölnische Zeitung wies er den Vorwurf zurück, es handele sich bei den Anklagen gegen den
Hitlerschen Easchismus um kommunistisch gelenkte Lügen und Schauergeschichten. Ange
sichts der offen zutage liegenden Fakten und zugleich sorgsam differenzierend betonte er,
„das Deutschland des Hakenkreuzes" habe sich durch seine Verbrechen gegen die Humani
tät auch als „der schlimmste Feind des wahren Deutschland" erwiesen.15
Daß die Proteste gegen die mit den Bücherverbrennungen praktizierte Kulturbarbarei
nicht ungehört verhallten, zeigte in den folgenden Monaten in besonderer Weise die Grün
dung der Deutschen Freiheitsbibliothek. Ein Initiativkomitee, zu dem André Gide, Lion
Feuchtwanger, Prof. Levy-Bruhl, Heinrich Mann, Romain Rolland und H. G. Wells gehör
ten, sicherte dem Projekt, in Paris, einem der Zentren des antifaschistischen Exils, eine
Sammlung der verbotenen und verbrannten Literatur aufzubauen, die erforderliche mora
lische und materielle Unterstützung. Im Ergebnis beharrlichen Einsatzes und wesentlich
gefördert durch den Schutzverband deutscher Schriftsteller im Exil, konnte die Freiheits
bibliothek nach relativ kurzer Vorbereitungszeit am 10. Mai 1934, dem ersten Jahrestag
der Bücherverbrennung, ihre Arbeit aufnehmen. Ihre Gründung war ein konkreter, sicht
barer Ausdruck der antifaschistischen Solidarität, und sie setzte nicht zuletzt auch ein Zei
chen für spätere, weitergehende Antworten auf die Geist- und Kulturfeindlichkeit des
Faschismus : Das Gedenken an den 10. Mai blieb auf das engste verbunden mit der Bewah
rung: und Verbreitung der humanistischen Literatur, mit dem Bekenntnis zu ihrer fortwir
kenden Kraft, zu einer durch Terror und Scheiterhaufen nicht zerstörbaren Tradition.
15 „Die Kölnische Zeitung" veröffentlichte das Schreiben Rollands am 21. 5. 1933. Vgl. dazu
Lionel Richard: Deutscher Faschismus und Kultur, Berlin 1982, S. 267ff.
4â