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gest-milosci-w-obliczu-nienawisci.html

Maximilian Kolbe und seine heroische Geste der Liebe


im Angesicht des Hasses
Jan Józef Szczepański
(17. August 2019)

Deutsch von Robert Jaroslawski (9. September 2020). ©

Jan Józef Szczepański - (geboren 1919 in Warschau, gestorben 2003 in Krakau) -


Schriftsteller, Essayist, Reporter, Drehbuchautor und Filmkritiker, Bergsteiger, Segler und
Reisender. Er nahm an der September-Kampagne teil und kämpfte später in der
Heimatarmee. Seit 1947 war er mit "Tygodnik Powszechny" verbunden. Ab 1980 war er
Präsident des Polnischen Schriftstellerverbands, der während des Kriegsrechts von den
Behörden der Volksrepublik Polen aufgelöst wurde; diese Zeit beschrieb er in "Kadencja" /
"Kadenz". Seine Helden waren Menschen, und damit trat er in J. Conrads Fußstapfen, die
vor einer schwierigen moralischen Entscheidung gestellt waren. Er benutzte das Thema
des Septembers '39 im "Polnischen Herbst" und schrieb u.a. in seiner Kurzgeschichte
"Schuhe" über die durch die Besatzung bedingte "Todesansteckung". Die historischen
Romane "Ikarus" und "Insel" über Antoni Berezowski, den verhinderten Attentäter des
Zaren Alexander II., und "Odysseus Hosen" mit dem Lügenhelden brachten ihm große
Popularität. "Er verherrlichte nicht die nationale Tradition, er hat nicht die Augen vor den
schwarzen Seiten der Geschichte verschlossen" – schrieb Adam Michnik über ihn – und
doch repräsentierte er Patriotismus höchster Güte ".

Der Heilige,
ein Essay aus dem Buch "Vor dem unbekannten Tribunal".

Viele Zeugen dieser Szene waren sich ihrer außerordentlichen Bedeutung bewusst,
obwohl die volle Bedeutung dessen, was damals geschah, auch heute noch, nach dreißig
Jahren [geschrieben in den 1970er Jahren], nicht vollständig verstanden wird. Vielleicht
wird sie nie verstanden werden, denn die Sprache des Universalismus wird, allem
Anschein entgegen, immer schwerer verständlich, immer mehr durch die Mundarten
praktischer Rhetorik verdrängt.

Selbst das genaue Datum des Geschehens wird nicht mehr erinnert. Es war wohl einer
der letzten Tage im Juli oder einer der ersten Tage im August 1941. Am Abend dieses
unbestimmten Tages (den alle lebenden Zeugen als besonders heiß in Erinnerung
haben) fand im Konzentrationslager Oświęcim [Auschwitz; RJ] ein Strafappell statt - die
Folge der vorangegangenen Flucht von drei Häftlingen.

Auf der Lagerstraße zwischen den Baracken der mit den Nummern vierzehn und
siebzehn beschrifteten Blöcke standen Menschen, die ihres Rechts auf Leben beraubt
worden waren, in engen Reihen. Die Köpfe der hungernden Menschen mit abstehenden
Ohren, mit in tiefen Höhlen sitzenden Augen, Köpfe, die an Geierhälsen staken, in
schmutzigen Lumpen gestreifter Lagerkleidung, die die verwüsteten Körper bedecken,
und ihre Füße in unförmigen Holzschuhen. Seit dem Morgen standen sie so da und
waren der Folter der sonnigen Hitze, des Hungers, des Stillstehens (noch mühsamer als
die Anstrengung der Galeerenarbeit) und der Angst vor einem um ein Vielfaches
grausameren Tod ausgesetzt, der am Ende dieses Wartens seine Opfer blind auswählen
würde. Jeder wusste, was am Ende dabei herauskommen würde: die Aussonderung für
den Tod in dem Hungerbunker, gemäß dem im Lager geltenden Prinzip der kollektiven
Verantwortung.

Gegen sieben Uhr abends war es endlich soweit. Lagerführer Karl Fritzsch, begleitet von
Rapportführer Gerhard Palitzsch und einer Gruppe von SS-Männern, schritt langsam die
schweigenden Reihen ab. Starre, hochgebogene Mützen mit Totenschädeln am Rand,
Uniformen, die glatt die athletischen Oberkörper der Übermenschen umspannen, sauber
rasierte Gesichter, erloschen in einem Ausdruck verächtlicher Strenge, Revolver in den
Gürteln, glänzende Offiziersstiefel. Eine majestätische Parade der Verwalter des
Schicksals.

Alles fand ohne ein Wort statt. Fritzsch deutete mit der Hand hin, ein SS-Mann drückte
die schwankende Strohpuppe in der gestreiften Lageruniform nach vorne, Palitzsch
schrieb eine Nummer in sein Notizbuch, ein weiterer SS-Mann begleitete den
Verurteilten zum linken Flügel der Kolonne. Aus dem Block 14, zu dem einer der
Flüchtlinge gehört hatte, wurden auf diese Weise zehn Männer ausgewählt.

Aber das Verfahren wurde durch etwas gestört. Das vorletzte Opfer, ein Mann etwa in
den Vierzigern, reagierte mit einem Ausbruch von Verzweiflung. Die Stille wurde durch
Schluchzen und Stöhnen getrübt. Der unglückliche Mann schrie, dass er eine Frau und
Kinder habe, dass er zu ihnen zurückkehren wolle. Die Klage klang für einen Moment in
jene Leere hinein, die der Dimension des Mitleids und der Hoffnung beraubt war.

Doch plötzlich trat ein anderer Gefangener aus seiner Reihe hervor. Nach den Berichten
der Anwesenden machte er einen "energischen Schritt", machte vor einer Gruppe von
SS-Männern strammstehend halt und drückte seinen Hut, wie vorgeschrieben, an den
Saum seiner Hose. Er war klein und zierlich gebaut, trug eine runde Brille mit
Drahtgestell und seine eingefallenen Wangen waren kränklich gerötet. Sein kahler
Schädel war an den Seiten mit grauen Stoppeln bedeckt.

Fritzsch, der bereits im Weggehen begriffen war, blieb erstaunt stehen, während die
Reihen, zuvor unbeeindruckt von den Klagen des Verurteilten, lebhafter wurden. Die
Menschen streckten ihre Hälse lang, reckten sich auf die Fußspitzen, um besser sehen zu
können. Denn wenn es auch gelegentliche zu lauten Äußerungen von Verzweiflung kam,
so war ein solcher Akt der Anmaßung, wie das Aus-der-Reihe-Treten während des
Appells, doch etwas Unvorstellbares. Und es war wahrscheinlich nur der Einzigartigkeit
seiner Tat zu verdanken, dass der Draufgänger nicht sofort umgestürzt und bewusstlos
getreten oder auf der Stelle erschossen wurde. Stattdessen fand ein kurzes Gespräch
zwischen ihm und Lagerführer Fritzsche statt.

Natürlich hatte niemand die Gelegenheit, das Gespräch aufzuzeichnen. Der wesentliche
Inhalt des Wortwechsels wird jedoch einstimmig durch die Zeugenaussagen derjenigen
bestätigt, die nahe genug standen, um zu hören, und die überlebt haben, um Zeugnis
abzulegen.
Häftling Nr. 16670, der polnische Franziskaner Rajmund Kolbe, bekannt unter dem
Ordensamen Maximilian Maria, zeigte mit der Hand auf den weinenden Mann in der
Gruppe der Sträflinge und bat mit ruhiger Stimme, wobei er sorgfältig die deutschen
Worte aussprach, um die Erlaubnis, diesen Mann im Hungerbunker vertreten zu dürfen.

Nach einem kurzen Augenblick des Schweigens fragte Fritzsch den Häftling, wer er sei.
"Ein katholischer Priester", sagte Rajmund Kolbe. Und dann stimmte Lagerführer
Fritzsch zu. Der Erinnerung einiger nach mit einem Nicken, anderen nach aber mit zwei
Tritten: Einer galt dem Weinenden (was bedeuten sollte, dass er in seine Reihe
zurückkehren durfte), der andere Tritt stieß den Gefangenen 16670 auf seinen Platz in
dem Haufen Verurteilter.

Rapportführer Palitzsch strich in seinem Notizbuch die Nummer des Entlassenen durch
und trug die Nummer des neuen Opfers ein. Unmittelbar danach wurden die zum
Verhungern selektierten in den dreizehnten Block eskortiert. Pater Maximilian Kolbe
ging als einer der letzten beiden.

Einige der nach dem Krieg niedergeschriebenen Zeugenberichte zeigen die Tendenz, die
Realität in eigentümlicher Weise zu "verbessern". Der Autor eines dieser Berichte, der
das Gespräch Pater Maximilians mit Fritzsche beschreibt, legt Pater Kolbe einen Satz in
den Mund: „Ein polnischer katholischer Priester bin ich, ein alter Mann bin ich, mich
nehmt für ihn in den Tod, denn jener ist die Zukunft des polnischen Volkes“. Dieses
naive Fabulieren, die dem Stil der Predigten von Dorfpfarrern nachempfunden ist,
entspringt dem Bedürfnis des Volkes, Fakten von besonderer Bedeutung mit
hieratischen und feierlichen Formen zu versehen. Die gewöhnliche Rede scheint zu
gemein zu sein, um einen erhabenen Inhalt auszudrücken. Archaismen, zeremonielle
Syntax und Reime klingen angemessener für die Sprache tiefer Verehrung. Nicht für alle
bedeutet dies, sich von der Realität in die Sphäre leerer Rhetorik zu entfernen. Doch
sollten ästhetische Kommentare hier in den Hintergrund treten.

Stattdessen müssen wir bei dem erstaunlichen Verhalten von Karl Fritzsch halt machen.
Warum hat er dem Antrag des Gefangenen Kolbe zugestimmt? Für die Kategorien der
Logik seiner Welt ist dies unverständlich. Schließlich war der Vorschlag, den er
akzeptierte, ein offener Anschlag auf alles, was seine eigenen Taten beweisen sollten.

Konzentrationslager dienten nicht nur der Unterdrückung und Ausrottung


"unerwünschter Elemente". Ihre Aufgabe bestand unter anderem darin, die Fiktionalität
der Ethik menschlicher Brüderlichkeit aufzuzeigen – eines Prinzips, das die Ansprüche
des rassischen Elitismus auf das Deutlichste untergrub. Untermenschen sollten wie in
den Schlamm getretene Würmer umkommen - massenhaft, aber einsam, anonym, ohne
die Würde, die ihnen durch ein aufopferndes Leid zukommt, in Erniedrigung und
Schande, und wenn möglich, indem sie noch selbst bei ihren eigenen Untergang Hand
anlegen. Nur auf diese Weise konnte der Triumph der übermenschlichen Rasse
moralisch gerechtfertigt werden. Nur so konnte die Losung der Menschlichkeit als eine
"jüdisch-christliche" Lüge entlarvt werden, die dem einzig wirklichen Recht auf Leben
und Herrschaft, nämlich dem Recht der Macht, gegenübergestellt wurde.

Die Anhänger der Macht-Mystik betrachteten die Verbreitung des Losung der
Menschlichkeit als einen Kunstgriff der Feigheit. Daher die besondere Verachtung, die
sie für jeden Prediger der Menschlichkeit hatten. Intellektuelle, Priester, Vertreter aller
politischer Doktrinen, die auf der Annahme des Universalismus basierten, wurden in
den Lagern einer besonderen Behandlung der Erniedrigung unterworfen. Dies war
nämlich die Probe auf die Wahrheit. „Und wo ist eure Menschlichkeit? Wo ist sie hin,
wenn ihr euch wegen Brotkrumen gegenseitig an die Gurgel geht, wenn ihr euch auf
Befehl des Kapos gegenseitig mit Stöcken überzieht?“ In gewisser Weise waren die
Konzentrationslager ein Fragment der letztgültigen Debatte der Weltanschauungen.

Karl Fritzsch hat sicherlich nicht ohne Grund die Position des Lagerführers in Oświęcim
innegehabt. Unter den Anhängern der Mystik der Macht muss er einer der eifrigsten
Vertreter gewesen sein. Als eine der Parteien in der Debatte hatte er auch den Vorteil
der absoluten Macht über Leben und Tod der Häftlinge von Oświęcim. Unter diesen
Umständen war zu erwarten, dass er, wenn er die Herausforderung des Häftlings Kolbe
annahm, dann nur, um sie mit verächtlichem Hohn zunichte zu machen. Er war an
keinen Moralkodex gebunden, der ihn zur Einhaltung der Vertragsbedingungen
verpflichtete.

Warum hat er zugestimmt, Feldwebel Gajowniczek – diesen verzweifelten Sträfling – zu


verschonen? Die Logik des Terrors und der Verachtung legten eine andere,
"natürlichere" Lösung vor: das Opfer zu akzeptieren und gleichzeitig sein Resultat
zunichte zu machen. Lass sie doch beide sterben. Ein sinnloses Heldentum wäre dann
nur Wahnsinn.

Eines ist klar: Karl Fritzsch hat die Folgen seiner Entscheidung nicht vorhergesehen.
Und er sah die Konsequenzen nur deshalb nicht voraus, weil er die Debatte für endgültig
entschieden hielt. Seiner Überzeugung nach hatte die These, die er vertrat, bereits
gewonnen. Die alten Werte haben für alle Zeiten aufgehört zu zählen. Niemand wird
mehr die Argumente der unterlegenen Seite aufgreifen. Und überhaupt, so oder so, wird
es keine Zeugen geben. Denn diese Menge der noch atmenden, sich noch bewegenden
Körper in ihren schmutzigen gestreiften Lageruniformen war nichts weiter als ein
Kontingent von Leichen, die nur in der Schlange vor dem Ofen darauf warteten, an die
Reihe zu kommen. Ihre Chancen auf Leben wurden in Wochen, bestenfalls in Monaten
gemessen. Es gab keine Zukunft, die ihnen auf irgendeine Weise Recht geben konnte.
Welche Bedeutung könnten Gesten der Menschlichkeit haben, die von Leichen für
Leichen erwiesen wurden?

Ich sehe keine andere Erklärung als diese. Eine Haltung der totalen Geringschätzung.
Eine Nummer durch eine andere ersetzen, bevor sie alle das Sterberegister ausfüllen...
warum nicht? Und ein Tritt. Ein Tritt scheint mir sehr wahrscheinlich.

Aber Karl Fritzsch irrte. Er war einfach zu primitiv, zu beschränkt, um zu verstehen, dass
jetzt die Wahrheit selbst auf die Probe gestellt wurde, und dass er verloren hatte – er
und seine ganze leere Welt der Gewalt.

Der Häftling Kolbe starb langsam. Ein Schwindsüchtiger mit nur einer Lunge, der schon
in der Freiheit von geschenkten Tagen lebte, musste hier am Ende mit einer Injektion
von Karbolsäure getötet werden, nachdem er zehn Tage lang als einer der letzten drei
Verurteilten des vierzehnten Blocks im Sterben begriffen war. Während zehn langen
Tagen war sich das ganze Lager dieses Sterbens bewusst, dieses hinausgezögerten
Todes, der nicht das Werk eines hasserfüllten Schicksals oder eines blinden Zufalls war,
sondern die Frucht einer Entscheidung – ein freiwilliges und wirkmächtiges Lösegeld
für das Leben eines anderen Menschen. Und ein Tod, der trotz seiner entsetzlichen
Grausamkeit in Würde erstrahlte.

Jene, die durch Erschießung hingerichtet werden, haben zuweilen noch im letzten
Augenblick die Chance, ihre Menschlichkeit, ihre Treue gegenüber der Sache, für die sie
sterben, unter Beweis zu stellen. Selbst diejenigen, deren Münder zugegipst wurden, um
ihnen das Privileg des letzten Wortes zu nehmen, konnten die Kugel zumindest mit
erhobenem Kopf stolz begrüßen. Die von Durst und Hunger gemordeten Menschen in
den Folterkammern des Todesblocks starben nackt, auf dem Zementboden der
Kellerzellen, in Dunkelheit getaucht. Unter diesen Bedingungen, die ich nicht mit einem
Beschreibungsversuch zu illustrieren wage, ist das Einnehmen einer absichtlichen
Haltung – einer Haltung, die die Souveränität des Menschen gegenüber seinen Qualen
zum Ausdruck bringt – ein Akt unvorstellbarer Tapferkeit.

Pater Maximilian Kolbe füllte die Zeit des Sterbens mit lautstarkem Gebet und dem
Singen religiöser Lieder aus, und seine todgeweihten Kameraden aus seiner Zelle und in
den Nachbarzellen begleiteten ihn im Chor. Die Laute dieses Gottesdienstes
durchdrangen die Wände, wurden jeden Tag schwächer, gingen in ein Flüstern über und
verlöschten mit dem menschlichen Atem. Das Lager hörte ihnen zu. Tag für Tag lief in
den Baracken die Nachricht um, dass sie immer noch beteten. Das abgestorbene Gewebe
der menschlichen Solidarität begann wieder, mit Leben zu pulsieren. Der Tod, der sich
langsam im Keller des Blocks 13 vollzog, war nicht der Tod von in den Schlamm
getretenen Würmern. Er war ein Drama und ein Ritual. Er war ein reinigendes Opfer.

Die Welt von Karl Fritzsch konnte nur um den Preis der Zerstörung menschlicher
Solidarität siegen. Dies sollte so geschehen, dass allen, die von den Privilegien des
Mensch-Seins ausgeschlossen sind, das Empfinden für einen bedeutsamen Sinn ihres
Lebens genommen wird; dass sie zu bloßen Instrumenten des Willens ihrer Herren
würden und am Ende ihrer Sklavenmühsal wie unbrauchbar gewordenes Vieh sterben
würden. Dieses neue Modell der Welt wurde in den Konzentrationslagern erprobt. Die
Isolation dieser Orte bot günstige Bedingungen für das Experiment. Akte der
Selbstverleugnung und des Heldentums, die trotz allem geschahen, erloschen ohne
Resonanz im Ruß des Krematorienrauchs.

Die Tat von Pater Maximilian Kolbe wurde zu einem erschütternden Durchbruch. Vor
allem durch ihre unmittelbare und offensichtliche Wirkmächtigkeit. Auf Kosten des
freiwilligen Opfers des Lebens eines Mannes wurde ein anderer Mann gerettet. Ein
Fremder. Mit seinem Erlöser durch keine andere Bindung als die der menschlichen
Brüderlichkeit verbunden.

Die abstrakte Losung der Menschheit hat ihren sichtbaren Inhalt wiedererlangt. Das
Leben, durch Tod vergolten, gewann wieder einen Preis. Der Tod, der Früchte des
Lebens trug, verlor die Züge verzweifelter Bedeutungslosigkeit. Und dieses lange
Sterben vor den Augen des ganzen Lagers – nicht in Schande, sondern in höchster
Konzentration, in der Würde einer bewusst getroffenen Wahl...

Die Nachrichten drangen über die Stacheldrähte von Oświęcim hinaus und verbreiteten
sich in anderen Lagern. Es gab Zeugen. Viele von ihnen sollten, entgegen dem Kalkül der
Fritzschs, überleben. Franciszek Gajowniczek, ein Mann, der durch den Märtyrertod von
Rajmund Kolbe freigekauft wurde, sollte ebenfalls überleben.
Die verrückten Pläne des Hitlerismus wurden durch eine militärische Niederlage
zunichte gemacht. Ohne die Argumente der Moskauer Konferenz (auf der die
Entscheidung getroffen wurde, Nazi-Kriegsverbrecher vor Gericht zu stellen) und ohne
Stalingrad gäbe es keine Nürnberger Urteile. Aber der tiefste Kern des Streits über die
Bedeutung der Menschlichkeit wurde nicht von Militärs, Politikern und Juristen
entschieden. Die entscheidende Antwort wurde im August 1941 in der unterirdischen
Zelle des Blocks 13 in Oświęcim, dem sogenannten Todesblock, gegeben. Sie wurde von
einem polnischen Franziskaner, Pater Maximilian Maria Kolbe, gegeben. Er gab diese
Antwort durch Beweise, die von keiner Dialektik untergraben werden können.

***

Courage, Edelmut, und schließlich auch die durchaus nicht seltene Gabe des Mitgefühls –
all diese schönen menschlichen Eigenschaften haben ihre natürlichen Grenzen. Es gibt
Umstände, unter denen es einfach eine Überschätzung der Stärke eines Menschen
darstellt, sie von ihm einzufordern. Diese Tugenden erreichen am Häufigsten die
Dimensionen des Heldentums und des höchsten Opfers in den Stürmen des Kampfes,
unter Einfluss von gewaltigen emotionalen Impulsen. Wenn es für uns relativ einfach ist,
großartige Heldentaten zu beschreiben, dann deshalb, weil wir uns vielleicht der Illusion
hingeben, dass wir uns selbst – trotz unserer eigenen Schwäche, die wir so gut kennen –
unter besonderen Bedingungen zu ihnen aufschwingen könnten.

Die Tat von Pater Kolbe gehört in eine andere Kategorie. In der einsamen Konzentration
der Entscheidung, für einen unbekannten Mann den Märtyrertod zu sterben, ist etwas,
das über das gewöhnliche menschliche Maß hinausgeht. Sicherlich unendlich weit über
das Maß desjenigen hinaus, der diese Worte schreibt. Daher die ganze Schwierigkeit,
darüber zu sprechen.

Es besteht kein Zweifel, dass die Quelle von Rajmund Kolbes Heldentum sein Glaube
war. Er bewaffnete ihn nicht nur mit Tapferkeit, sondern gab ihm auch ein
vorgefertigtes Handlungsmuster an die Hand – ein Modell mit den Eigenschaften zuleich
eines Beispiels und eines Symbols: Eines Symbols, das dazu dient, Abstraktionen mit
Inhalt zu füllen. Die Tatsache, dass ihn keine persönlichen Bindungen mit Franciszek
Gajowniczek verbanden, ist in dieser Hinsicht von Bedeutung. Als Christ opferte er sein
eigenes Leben für einen menschlichen Bruder und legte damit für das in den Evangelien
dargelegte Prinzip der Nächstenliebe Zeugnis ab, einer Liebe, die den Gesetzen von Hass
und Verachtung entgegensteht.

Die katholische Kirche hat die Bedeutung dieser Tat richtig eingeschätzt, indem sie Pater
Maximilian Kolbe heiliggesprochen hat. Es ist kaum möglich, eine besser motivierte
Entscheidung zu finden, aber in gewisser Weise verschließt diese vielen Menschen, die
diese Heldengestalt außerhalb des hagiographischen Rahmens feiern und verstehen
wollen, den Zugang zu ihr.

Die heutige säkulare Welt braucht die Heiligkeit wahrscheinlich mehr als je zuvor. Aber,
so vermute ich, braucht sie Hagiographie weniger als je zuvor.

Darüber zu reden kann an Kleinlichkeit grenzen, es bringt das Problem auf den Boden
des unwesentlichen Scheins - in die Sphäre der Ästhetik. Und doch lässt sich dies nicht
vermeiden, wenn man das gesamte Phänomen umfangen will. Ich meine hier die
traditionelle Hagiographie der Kirche – die sterile Welt aus Gips, wächsernen Lilien,
erhabenen Gemeinplätzen. Das in naive Krippenszenen übersetzte Drama, die sich vor
dem Hintergrund eines infantilen Himmelsmodells abspielen.

Ich erlaube mir Vereinfachungen. In Angelegenheiten, die über das gewöhnliche


menschliche Maß hinausgehen, sind unsere Vorstellungskraft und unser
Einfühlungsvermögen auf dem Niveau des sprichwörtlichen Kirchenvolkes ebenso
ungelenk wie auf dem eines Universitätskatheders, und die Angst vor der Unterstellung
blasphemischer Absichten verschließt oft die Münder derjenigen, die sich mit
konventionellen Zeichen nicht zufrieden geben können.

Am Horizont des Christentums stehen die Heiligen wie erloschene Vulkane. Ihre Namen
werden oft nur noch mit einem ikonographischen Symbol, mit einer volkstümlichen
Wettervorhersage oder mit einem Kalenderdatum in Verbindung gebracht. Man vergaß,
welche Erschütterungen sie emporhoben, welche Lava sie hinaussprudelten. Wenn man
sie genau betrachtet, scheinen viele dieser Gestalten heute umstritten zu sein. Unter
ihnen findet man sprachgewaltige Demagogen, die zu Intoleranz aufrufen, Fanatiker, die
Kinder in den sicheren Tod durch Krankheit und sarazenische Pfeile schickten, und
Doktrinäre, die ihre Köpfe für Spekulationen hinhielten, die niemandem mehr
irgendetwas bedeuten.

Das Erscheinen eines Heiligen in unserer dem Zynismus geneigten Zeit ist ein
Phänomen, das zum Nachdenken über das Wesen der Zivilisation anregt, die uns geprägt
hat. Man könnte die Umrisse dieser Angelegenheit mit einer Formel umreißen: Religion
in der modernen Welt. Aber die Grenzen dieses Gebiets abzustecken, ist eine äußerst
schwierige Aufgabe - wenn sie denn überhaupt durchführbar ist.

Die katholischen Biographen von P. Maximilian Kolbe verleihen ihm Eigenschaften eines
Intellektuellen und Denkers. Manche sehen in seinem Geist Anzeichen des Genies. Er
hatte angeblich hervorragende mathematische Fähigkeiten. Sein schriftstellerischer
Nachlass umfasst einen Artikel, der während seines Studiums in Rom verfasst wurde
und der sich der Raumfahrt widmet. Es geht dort um ein durch Berechnungen und
technische Zeichnungen gestütztes Projekt eines Raketenfahrzeugs, das vom Autor
"Äteroplan" genannt wird. Der Artikel wurde während des Ersten Weltkriegs
geschrieben.

Dieses seltsame Aufblitzen wissenschaftlicher und technischer Interessen scheint eine


völlig isolierte Episode im spirituellen Leben des zukünftigen Heiligen zu sein. Von der
wissenschaftlichen Terminologie ist in religiösen Artikeln, Predigten und Briefen nur
eine Spur geblieben. Das Newtonsche Gesetz von Aktion und Reaktion dient hier oft zur
Übersetzung theologischer Probleme – des Wesens der Heiligen Dreifaltigkeit, des
Wirkens der Gnade. Begriffe aus dem Bereich der Physik werden zu Metaphern. Es ist
wahrscheinlich ein unvermeidlicher Prozess, wenn der Verstand seine ganze Energie auf
unermessliche Dinge richtet.

Ich gestehe, dass eine solche Vermischung zwischen den Sprachen der Theologie und
des wissenschaftlichen Empirismus mich besonders verlegen macht. Ehrlich gesagt ist
es mehr als Verlegenheit. Es ist Irritation. Darin ist sicherlich viel von der
Eingebildetheit des zeitgenössischen Menschen, der in der Präzision der Begriffe ein
Zeichen seiner Reife sieht. Auch wenn wir es uns leisten können, den mageren Horizont
der wissenschaftlichen Erkenntnis und unsere eigene Unwissenheit innerhalb dieser
Grenzen zu erkennen; auch wenn wir angesichts des Geheimnisses unserer Existenz
unsere Hilflosigkeit eingestehen, schätzen wir über alles den Sinn für eine rationale
Einstellung zur Realität.

Das Nicht-Erkennbare mit den Mitteln des wissenschaftlichen Empirismus anzugehen,


erscheint uns daher als ein kindlich naives, wenn nicht gar groteskes Unterfangen. Wir
haben ein undeutliches Gefühl, dass der Glaube in einer völlig abgesonderten Sprache
sprechen soll. In welcher Sprache? Auch einer so dunklen wie die Dunkelheit des
Geheimnisses? Oder vielleicht gehen wir insgeheim davon aus, dass es eine solche
Sprache gar nicht gibt, dass sie unmöglich ist, was uns von der Verpflichtung, von der
gefährlichen Versuchung befreien würde, uns in die Dunkelheit zu wagen? Weil hier
eigentlich jeder Weg verzweifelt unverhältnismäßig erscheint.

Alles scheint darauf hinzudeuten, dass Rajmund Kolbe selbst nicht nur nicht vorgab, ein
Intellektueller zu sein, sondern dass er gegen den Intellektualismus ein tiefes
Misstrauen hegte. Denn die Hoffnung auf das Licht der eigenen Vernunft zu setzen
kollidiert mit der Demut, die er für die erste der christlichen Tugenden hielt und in der
er die sicherste Heilschance sah. Deshalb wählte er aus allen Varianten praktischer
Religiosität die populärste Tradition, die emotionalste.

Aber der Marienkult, dessen leidenschaftlicher Anhänger und Propagator er war, ist
auch ein typisch polnischer Strang des Christentums. Und – das muss gesagt werden –
ein Strang mit einer ziemlich beunruhigenden Abstammung. In unserer Geschichte wird
sie mit den Auswüchsen der Gegenreformations-Bigotterie, mit dem Sarmatismus, mit
politischen Aktivitäten der extremen Rechten in Verbindung gebracht. Die "Jasna Góra-
Schwüre" der nationalistisch orientierten akademischen Jugend der Zwischenkriegszeit
sind eines der Beispiele für Verbindungen dieser Strömung mit politischen Bewegungen
chauvinistischen und anti-intellektuellen Charakters.

Ich glaube, auch wenn ich Pater Maximilian Kolbe persönlich kennen würde, könnte ich
die Vorbehalte, die sich aus dem Zusammentreffen eben dieser Phänomene ergeben,
nicht durchbrechen. Ich glaube, ich würde ihn von Vornherein einfach nicht mögen - als
einen vermuteten Vertreter der Überzeugungen und Einstellungen, die in mir einen
gewaltigen Widerstand hervorrufen. Das erfüllte Schicksal dieses Mannes hat ihn bereits
außer Reichweite solcher Vorurteile gebracht. Deshalb wage ich es, von ihnen zu
sprechen in der Überzeugung, dass sie in keiner Weise die grenzenlose Wertschätzung
verletzen, die er verdient; der Widerstand aber, den ich spüre, die Fremdheit, die ich
nicht durchdringen kann, sind eine Herausforderung. Es scheint mir, dass ich auf diese
Herausforderung so gut wie möglich antworten sollte - auch wenn ich es nicht im Geiste
der Demut tun kann - bevor die Hagiographen das Bildnis des Heiligen endgültig
modellieren. Denn auch ich gehöre zu den Zeugen seiner Zeit.

***

Zweifellos war es die polnische Tradition, welche die Idee der Ritterschaft der
Unbefleckten gebar. Polonus, defensor Mariae. Und Maria, die Königin der polnischen
Krone. Und noch früher ertönte "Bogurodzica" auf den Feldern von Grunwald.
Ryngravuren auf Rüstungen, Banner mit der Jungfrau Maria - eine ewige Symbiose des
Marienkultes mit der Waffe, mit der Sache der Heimat. Vielleicht auch eine spezifische
Adaption der Ritterromantik. Dienst am sublimen Ideal der Weiblichkeit.

Es ist bekannt, dass Rajmund Kolbe an der Schwelle seines Berufes das Lemberger
Seminar für die Legionen beinahe aufgegeben hätte. Es ist nicht unvernünftig
anzunehmen, dass die endgültige Wahl seiner Entscheidung durch eine gewisse
Konvergenz der Bestrebungen erleichtert wurde, zwischen denen er einen Moment lang
zögerte.

Von zu Hause brachte er eine verehrende Frömmigkeit. Tägliche gemeinsame Gebete


der ganzen Familie vor der Statue der Muttergottes, ständige Angst vor der Sünde, die
Überzeugung, dass all die Entbehrungen der dürftigen Handwerkerexistenz in Zduńska
Wola oder Pabianice nur eine kurze Lehrzeit auf dem Weg zum paradiesischen Ruhm
sind.

Er war schwindsüchtig, und der Tatendrang, der ihn verzehrte, hatte diese fieberhafte
Beharrlichkeit an sich, mit der er sich in Menschen manifestiert, die sich der
Zerbrechlichkeit ihrer Existenz ständig bewusst sind. Er verstand Handlungen immer als
ein Opfer. Als er zu den Legionen ging, träumte er wahrscheinlich nicht von
Generalssternen, sondern vom Tod für sein Heimatland. Denn die Selbstaufopferung
war eine Bedingung für die Heiligung der Tat, eine Probe für die Qualität ihrer
Absichten. Sein erhabenes Ideal des Rittertums war vor allem das Ideal des treuen
Dienstes bis an die Grenzen der Selbstverleugnung. "Der Akt der Selbstaufopferung an
die Unbefleckte... bis zur letzten Schwingung der Nervenfaser und zu den verborgensten
Sphären der eigenen Gedanken" war eine Formel für die Zugehörigkeit zu der von ihm
gegründeten Organisation.
Mit der Erwähnung des Widerstandes, den P. Maximilian Kolbes Gestalt – nicht nur in
mir – hervorruft, meine ich genau seine organisatorische Tätigkeit - die Tätigkeit eines
Proselyten und Ideologen.

Das Rittertum der Unbefleckten wurde in einem eindeutig präökumenischen Geist


konzipiert. Obwohl das allgemeine Ziel der Organisation „der größtmögliche Ruhm
Gottes“ war, der dadurch erreicht werden sollte, „dass ich mich und alle für die
Unbefleckte erobere, denn nur mit ihrer Hilfe kann das Endziel auf eine bestimmte und
einfache Weise erreicht werden“, gab es auch ein spezifisches Ziel. Es klingt: „Die
Bekehrung der Sünder, Ketzer, Schismatiker usw. und vor allem der Freimaurer
anzustreben und alle unter der Obhut und durch die Vermittlung der Unbefleckten zu
heiligen.“

Heute verursacht dieses Programm sogar unter orthodoxen Hagiographen einige


Verlegenheit. Benigny L. Dyczewski O.F.M. Conv. schreibt in seiner Skizze „Religiös-
soziale Tätigkeit von P. Maximilian Kolbe“: „P. Maximilian nannte die Freimaurerei
lediglich als Beispiel. In hohem Maße brachten ihn dazu die antikirchlichen Auftritte
dieser Organisation im Jahre 1917. Er war hierfür Augenzeuge in Rom, und sie
hinterließen bei ihm einen unauslöschlichen Eindruck. Kein Wunder also, dass er im
gleichen Jahr beim Verfassen des Programms für die Ritter der Unbefleckten auch die
Freimaurerei erwähnt hat.“

Eben nicht. Es war kein Zufall - keine impulsive Reaktion auf einen deutlich
empfangenen Eindruck. Es war der konsequente Ausdruck einer Haltung, die das Umfeld
charakterisierte, welches das Weltbild von Rajmund Kolbe prägte. Jeder, der sich - wenn
auch nur vage - an die Publikationen der Vorkriegszeit unter dem Zeichen der
Unbefleckten erinnert, weiß, dass es unmöglich ist, diese Angelegenheit einfach so zu
übergehen. Klerikale Phobien, Antisemitismus, ein System von Verdächtigungen, das in
den Äußerungen jeder abweichenden Position zur Wahrnehmung einer satanischen
Verschwörung führten (ein klassisches Beispiel dafür war die Dämonisierung der
Freimaurerei) – all diese Mentalität der sprichwörtlichen Schützengrabenkämpfer der
Heiligen Dreifaltigkeit kam auf den Seiten von „Der Ritter der Unbefleckten“ oder „Das
kleine Tagebuch“ krass zum Ausdruck, alles Schriften von einer massenhaften, ständig
wachsenden Reichweite.

P. Maximilian selbst lehnte es wiederholt ab, in seiner öffentlichen Tätigkeit irgendeine


politische Position einzunehmen. Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, dass er davon
aufrichtig überzeugt war. Es ist jedoch offensichtlich, dass sich diese seine Aktivität
automatisch mit den Unternehmungen der rechtsextremen Gruppen synchronisierte, die
in Polen traditionell den Einfluss des Klerus nutzten. Und es besteht kein Zweifel daran,
dass, wenn in Polen eine Situation wie in Spanien entstanden wäre, die Unbefleckten-
Propagandamaschine den heimatlichen Franco unterstützt hätte.

Diese Konstellationen verlieren in unseren Augen ihre Gültigkeit. Pater Kolbes Zeiten
ahnten nichts von den Arbeiterpriestern, vom Revisionismus des Kirchenrates, von den
Berriganern. In jenen Jahren muss der Besetzungsstreik der spanischen Priester und
Mönche in der Residenz des Nuntius wie eine unglaubliche Vision einer von den
Freimaurern angezettelten Intrige erschienen sein.
Anscheinend war damals alles einfacher. In einem sich rasch säkularisierenden Europa
war eine Taktik der aktiven Verteidigung der orthodoxen Festungen geboten, aber
jenseits der Meere gab es noch riesige Gebiete, die es zu erobern galt - Gebiete der
missionarischen Expansion. Es war von den Schwierigkeiten der Kirche die Rede, aber
nicht von ihrer Krise.

P. Maximilian Kolbe war sich sicherlich nicht bewusst, dass er in den Reihen der
Nachhut kämpfte. Er war in der Tat kein Politiker. Sein Ultramontanismus, seine
kompromisslose Orthodoxie resultierten aus Demut. Er war zutiefst davon überzeugt,
dass „die Entfernung zwischen Glauben und Vernunft unendlich ist“, denn „die
geschaffene Vernunft wird immer endlich sein und daher nicht in der Lage sein, die
Unendlichkeit zu umfassen“. Aus diesem Grund, so schrieb er: „Alle Wahrheiten, von
denen der Glaube spricht, werden nicht nur wir selbst und andere nicht erfahren,
sondern wir werden nicht einmal unsere Vernunft umfangen und durchdringen
können.“ Nur Liebe und Gehorsam konnten, seiner Meinung nach, „das Nichts, das der
Mensch in sich selbst ist“, zum Licht führen.

Er hielt das Streben nach Gott außerhalb der Kirche für unmöglich, da „der Mensch
durch die Taufe geistlich wiedergeboren wird und ihm dann durch die Lehren der
Kirche ein Weg gegeben wird, dem er folgen kann“. Und seiner Meinung nach war dies
der einzige Weg.

Die Wahl der Marienverehrung als eine privilegierte Form der Religiosität scheint eine
Folge desselben Gefühls der Hilflosigkeit des menschlichen Geistes gegenüber den
abstrakten Begriffen der Unendlichkeit und Vollkommenheit zu sein. P. Kolbes
demütiger und emotionaler Glaube brauchte eine vermittelnde Konkretheit. Das Dogma
der Unbefleckten Empfängnis, das den Gegenstand der Anbetung wie an die Grenze
zwischen menschlicher Realität und dem Übernatürlichem stellt, war in diesem Fall der
Grundstein des ganzen Systems.

Gegen dieses System von Ansichten Einwände zu erheben, ist sicher keine Sache für
Laien. Es steht zweifellos völlig im Einklang mit der offiziellen Doktrin der katholischen
Kirche. Die Unerschütterlichkeit der kirchlichen Dogmen scheint jedoch nicht mehr so
sicher zu sein wie noch bis vor kurzem. Die eigentliche Grundlage dieser Konstruktion -
das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubensfragen - wird nun von
theologischen Revisionisten in Frage gestellt. Und ihre Gründe lassen sich mit der
gleichen These begründen, die für P. Kolbe der logische Ausgangspunkt für den blinden
Gehorsam gegenüber der Orthodoxie war: Die Aussage, dass der endliche menschliche
Geist nicht in der Lage ist, „alle Wahrheiten, von denen der Glaube spricht“, zu
durchdringen.

Der Prozess der Ökumenisierung muss unweigerlich viele der Themen alter
Lehrstreitigkeiten, die, in Ermangelung einer Lösung durch Beweise, durch Urteile
widerstreitender Autoritäten beigelegt wurden, erneut auf die Tagesordnung setzen.
Dies wird aber nicht mehr zu Blutvergießen oder zu lodernden Scheiterhaufen führen,
wie es einst der Fall war, als die Arianer und die Anhänger des Bekenntnisses von Nicäa
oder die Mono- und Duophysiker die Vertilgung der Prediger der von den ihrigen
abweichenden Wahrheiten vom Angesicht der Erde für den wirksamsten Weg hielten,
ihre eigenen Wahrheiten zu beweisen.
Die Zeiten der dogmatischen Religiosität sind vorbei. Selbst heutige Theologen sprechen
nicht mehr von Häretikern und Schismatikern, und der letzte Religionskrieg in Europa,
den wir erleben - der blutige Umgang zwischen Katholiken und Protestanten in Irland -
ist in Wirklichkeit eine Konfrontation von Nationalismen.

[Autorenkommentar für die Ausgabe 2001:

Dieser Text wurde viele Jahre vor dem Zerfall Jugoslawiens und dem Krieg bzw. einer
Reihe von lokalen Kriegen, die darauf folgten, geschrieben. Diese Kriege - zwischen
Serben und Slowenen, Serben und Kroaten, Kroaten und Muslimen und Serben - sind in
erster Linie ethnische Konflikte, aber die religiöse Motivation spielt dabei eine
zunehmende Rolle, zumal rein ethnische Kriterien oft zumindest unklar sind. Die
überwältigende Mehrheit der bosnischen Muslime unterscheidet sich weder in ihrer
stammesgeschichtlichen Herkunft noch in ihrer Sprache von den Serben. Diese
Unterschiede zwischen Kroaten, Serben und Slowenen sind ebenfalls nicht deutlich
signifikant.

Die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale der Fremdheit bleiben religiöse


Unterschiede: Orthodoxie, Katholizismus, Islam. Die bedeutsame Verwicklung in
Konflikte religiöser Hierarchien führt dazu, diese Kriege (insbesondere in Bosnien) als
Religionskriege zu behandeln, was der These ihres Anachronismus in der Realität des
heutigen Europas widersprechen würde].

P. Kolbe war ein Mensch einer vergangenen Epoche. Dem widerspricht auch nicht die
Tatsache, dass er eifrig und geschickt alle möglichen Einrichtungen der
fortgeschrittenen Technologie nutzte. Das Verlags- und Pressezentrum in Niepokalanow
– dem Sitz der von ihm gegründeten Religionsgemeinschaft – wurde mit den
modernsten Maschinen der damaligen Zeit ausgestattet, und zum Programm der
Weiterentwicklung gehörten der Einsatz eines eigenen Radiosenders und eigener
Flugzeuge. Diese Projekte waren bereits auf dem Weg. Kurz vor Ausbruch des Krieges
absolvierten einige Brüder einen Pilotenkurs und begannen mit dem Bau eines
Flughafens.

Die Väter mit Rosenkränzen an den Streifen hinter dem Steuer von Flugzeugen, die
marianische Flugblätter und fromme Presse transportieren: ein Wenig ein Bild aus einer
satirischen Zeitschrift. Es hat etwas von einem gutherzigen Spott an sich. Warum? Der
Anblick einer Nonne auf einem Roller, der durch italienische Filme populär gemacht
wurde, ist ähnlich erstaunlich und lustig. Eine Art Antinomie. Eine Art Verwirrung der
Realität. Auch wenn wir die These vom grundsätzlichen Widerspruch zwischen Religion
und Technik (als Ergebnis wissenschaftlichen Denkens) zurückweisen würden, ist das
Gefühl der Fremdheit dieser beiden Welten tief in uns verwurzelt. Und wenn einer von
ihnen die Mittel des anderen benutzt, erscheint es uns als Usurpation.

Die Zeiten, in denen die christliche Kultur eine integrale Einheit war, in denen sich ihr
spiritueller Inhalt, ihr Erkenntnishorizont, ihre materiellen Errungenschaften und ihre
praktischen Funktionsformen in einem harmonischen System ergänzten, treten immer
tiefer in die Vergangenheit zurück, in die Zeit, bevor die Untersuchungen des
zeitgenössischen Historikers begannen. Wir versetzen sie zurück ins Mittelalter.
Ausgehend von der flüssigen Grenze dieser Epoche sehen wir eine sich ständig
vertiefende Spaltung. Bis hin zum Antagonismus. Bis zum gegenseitigen Zerwürfnis.

Dieser Mönch, der ein Flugzeug steuert, ist für uns ein Symbol des Mittelalters in einer
unerwarteten Symbiose mit der Ära der modernen Zivilisation. Aber ein säkularer
Flieger, ein Flieger von Beruf - Saint-Exupéry in religiöser Meditation versunken -
kommt er uns anachronistisch vor? Nein. Der Riss ist also nicht vollständig. Der
moderne Mensch hat nicht aufgehört, ein religiöses Wesen zu sein, denn kein noch so
vollkommen funktionierendes Werkzeug wird ihn vor der Angst schützen und ihm
niemals den Sinn der Existenz erklären. Auf der anderen Seite bewegt sich der
zeitgenössische Mensch - der Schöpfer und Nutzer der technischen Zivilisation - auf
immer weitere Horizonte des Zweifels zu. Natürlich nicht derjenige, der immer die
Realität seiner Epoche als einzige und absolute Norm akzeptiert. Nicht der Konformist
aller Zeiten, der im Automatismus der Sakramente und in der Unverletzlichkeit der von
Autorität gelenkten Wahrheiten die gleiche volle Beruhigung findet wie in einem
blinden Glauben an die autarke Wirksamkeit der Mechanismen und der rationalen
Organisation. Aber die Richtungen der kulturellen Entwicklung hängen nicht von
Konformisten ab. Konformisten leben über die Zeit hinaus, denn sie tragen nicht zu ihrer
Transformation bei.

Aber die Veränderungen bringen keine Ruhe. Sie multiplizieren Fragen mehr, als sie
beantworten – sie diskreditieren alte Antworten und kompromittieren mit
zunehmender Geschwindigkeit ihre eigenen. Und der heutige Mensch – der bewusste
Herrscher über alle Mächte, die er freigesetzt hat – fühlt sich immer noch machtlos.
Immer machtloser, immer weniger sicher über das Ziel seines Weges. Die gestrigen
Tröstungen und Garantien einer formalisierten, dogmatischen Religion können ihn nicht
befriedigen, denn er weiß, dass alles, was er in der zeitlichen Welt erreicht hat, der
Unruhe seines Denkens zu verdanken ist. Aber was er erreicht hat, hat an der
grundlegenden Qualität der menschlichen Existenz nichts geändert. Die Spannung
religiöser Unruhe nimmt eher zu als ab. Allein der Rahmen einer institutionalisierten
Religion reicht für diese Strömung nicht mehr aus. Sie fließt mehr und mehr außerhalb
des Flussbettes der gesamten Orthodoxie.

Für P. Maximilian Kolbe waren die Gründe für die Säkularisierung der modernen Welt:
Hochmut, Genusssucht und die Tätigkeit antiklerikaler und kirchenfeindlicher
Organisationen. Er erklärte die Abkehr von der Orthodoxie nur mit Verblendung oder
bösem Willen. In Fragen des Glaubens oder auch nur des religiösen Bewusstseins ließ er
weder Unterschiede in den Positionen noch eine Vielzahl von Wegen zu. Seiner Meinung
nach geht jeder Mensch, der anderes glaubt oder die Wahrheit auf eigene Faust sucht,
einfach fehl.

Wenn die Bezeichnung eines Konformisten auf ihn nicht zutrifft, dann deshalb, weil ihm
die Passivität und Gleichgültigkeit, die diese Haltung kennzeichnen, völlig fremd waren.
Er war ein glühender Apostel dieser Vision der Wirklichkeit und dieser Vorstellung von
menschlichen Schicksalen, die er für einzig und allein wahr hielt. Wie viele Mystiker
betrachtete er die Welt als eine unvollständige Realität, als eine vorbereitende Form der
wahren Existenz.

Er ordnete alles dem Erreichen dieses wahren Seins unter. Wie hat er sich den Himmel
vorgestellt? Er schrieb darüber in seinem „Ritter der Unbefleckten“ im Jahre 1924: „Wir
sammeln das Schönste um uns herum und was am besten ist, um daraus dieses Bild zu
machen, aber all dies ist nur eine entfernte, sehr entfernte Ähnlichkeit, weil es unendlich
anders ist.“

Also ein weder der Vernunft noch der Phantasie zugänglicher Begriff, der sich nur im
Gegensatz zu der Zeitbedingtheit du Unvollkommenheit der materiellen Welt
beschreiben lässt.

Er zweifelte nicht daran, dass diese Umkehrung unserer irdischen Erfahrung das Ziel
und die Bestimmung der menschlichen Seele ist. Und er zweifelte nicht daran, dass ein
Hindernis bei der Vollendung der Metamorphose jedwede Verstrickung in das Zeitliche
ist. So glaubte er an die Notwendigkeit und Wirksamkeit der Askese. Er glaubte an die
Notwendigkeit, sich im Voraus von den Fesseln der Materie zu befreien. Die technische
Zivilisation hatte wahrscheinlich keinen hohen Stellenwert auf der Werteskala, zu der er
sich bekannte. Aber - als ein eifriger Proselyt - verzichtete er nicht auf ihre Dienste.
Bedenkenlos griff er zu den Werkzeugen, die im Streben nach Täuschung geschaffen
wurden, um mit ihnen das Gebäude der Wahrheit zu errichten.

„In einer geflickten Robe, in geflickten Schuhen, auf dem modernsten Flugzeugtyp -
wenn es für die Rettung und Heiligung weiterer Seelen notwendig ist - das ist es, was
unser Ideal bleibt.“ So schrieb er von Nagasaki aus an seine Brüder in Niepokalanow und
charakterisierte damit den Stil seiner paradoxen Tätigkeit.

Wahrscheinlich hat er das Paradoxon nicht bemerkt. Wichtig für ihn war hier diese
geflickte Robe. Armut und Demut. Das Paradox steckte eben tiefer als in der
Gegenüberstellung der Kleidung des Eremiten mit den modernen
Kommunikationsmitteln. Es bestand in einer merkwürdigen Kombination aus Demut
und Aggressivität. Schließlich strebte er danach – nicht mehr, nicht weniger – die Welt
zu erobern. Deshalb bekehrte er „Heiden“ in Japan, deshalb erweiterte er ständig seine
Verlage, gründete Klöster und schmiedete Pläne, die ganze Welt mit dem Netzwerk
seiner Organisation der Ritter der Unbefleckten zu umfangen.

Er schuf all diese Werke – alle in einem gigantischen Maßstab zugeschnitten – aus fast
nichts. Er sammelte, ohne einen Pfennig für seine Seele auf die Seite zu legen, sammelte
ohne Müdigkeit in den sprichwörtlich zusammengeflickten Roben. Er war ein Phänomen
von Energie und Organisationstalent. Er begann jedes Projekt buchstäblich mit seinen
eigenen Händen. Er mischte Kalk, trug Ziegelsteine zum Bauen, stand hinter dem
Setzerkasten.

In Nagasaki begann er, die lokale Version von "Der Ritter der Unbefleckten" zu
veröffentlichen, ohne die japanische Sprache zu beherrschen. Dort schlief er während
der Bauarbeiten für den japanischen Zweig von Niepokalanow auf dem Dachboden und
bedeckte sich mit einem Mantel. Nur ein fanatischer Sinn für Mission konnte aus diesem
gebrechlichen, schwerkranken Mann so viel Kraft entfachen. Nur die absolute
Gewissheit des Sieges, denn er zweifelte nicht daran, dass Gottes Vollkommenheit und
Allmacht ihn in seinen Nöten führten.

Die Bandbreite von P. Kolbes proselytischen Ambitionen offenbart die Annahmen, die er
für sein Rittertum der Unbefleckten formulierte. Die „Jungen und Alten, und Mönche,
Priester und Laien, Männer und Frauen, Gelehrte und einfache Leute“ sollten in diese
Organisation aufgenommen werden. Seine Aktivitäten sollten sich, wie er in einem
seiner Artikel feststellte, „an alle richten, ohne rassische, nationale, geographische,
kulturelle, soziale und zeitliche Beschränkungen, sowohl an Einzelpersonen als auch an
Gruppen, an staatliche Gesellschaften und an die globale Gemeinschaft“. Eines der klar
definierten Ziele wiederum war es, „an der Verbesserung aller Lebensbereiche, z.B. der
Presse, Wissenschaft, Kunst, Literatur, Technik, Politik, Handel usw.“ zu arbeiten.

Trotz der relativ bedeutenden Erfolge ist das Missverhältnis zwischen diesen
weltumstürzlerischen Plänen und ihrer Umsetzung nur allzu offensichtlich. Die
Bewegung, obwohl vom Standpunkt der statistischen Zahlen her eine Massenbewegung,
hat nie den gewünschten universalistischen Charakter erhalten und insbesondere
keinen Einfluss auf die Bereiche Wissenschaft, Kunst und Kultur gehabt, die ihrem
Gründer so sehr am Herzen lagen. Entgegen seinen Annahmen existierte und
entwickelte sie sich nur innerhalb der traditionellen Grenzen der kirchlichen oder
kirchennahen Partikularitäten. Anders konnte es auch nicht sein, und nur P. Maximilians
naiver Optimismus ließ es nicht zu, dass er es sah.

Der Fehler lag wahrscheinlich in der Bewertung dieser Realität, die wir eine christliche
Zivilisation nennen. P. Maximilian Kolbe verstand sie noch immer als eine Funktion des
orthodoxen theologischen Systems und einer säkularen Erweiterung der kirchlichen
Hierarchie. Kurz gesagt, er verstand sie in mittelalterlichen Kategorien. Es ist ihm nicht
in den Sinn gekommen, dass die unglaubliche Energie und der Reichtum dieser
Zivilisation ihre Quelle in den erz-christlichen Konzepten des Universalismus, des freien
Willens und der Verantwortung des Individuums gegenüber seinem Gewissen haben -
mit einem Wort, in der personalistischen Weltanschauung. Und dass die Säkularisierung
der christlichen Welt nicht so sehr das Werk Satans ist, sondern vielmehr eine Folge
dieser Weltanschauung.

Für ihn wurde jedes Dogma der katholischen Religion durch die unbestreitbare
Autorität der Offenbarung unterstützt. Die Tatsache, dass z.B. die Lehre des Arius nur
wegen des Kräfteverhältnisses zwischen den Nachfolgern Konstantins nicht zu einem
dieser Dogmen wurde, konnte ihn in dieser Überzeugung nicht erschüttern, denn er
glaubte, dass Gott persönlich über die Reinheit der einzig wahren Lehre der Kirche
wacht. Eine solche Haltung muss die Toleranz gegenüber unabhängigen
Untersuchungen eines Historikers, Naturforschers oder Schriftstellers ausgeschlossen
und es unmöglich gemacht haben, zu verstehen, dass es für diese Menschen
Unehrlichkeit bedeutet, die Freiheit dieser Untersuchungen im Namen der Treue zum
dogmatischen Denken aufzugeben - es ist eine Sünde (im christlichen Sinne des Wortes)
gegen das Gewissen.

Die moderne Welt war zu kompliziert für seinen glühenden, kindlich-einfachen Glauben.
Und die Idee, die gesamte Menschheit unter dem Banner des Dogmas der Unbefleckten
Empfängnis zu vereinen, musste sich als eine Utopie entpuppen, ähnlich wie Don
Quichottes Träume von der Wiederherstellung des mittelalterlichen Rittertums.

***

Er hat etwas unvergleichlich Wichtigeres getan. Ein Akt, der über die Widersprüche der
gebrechlichen menschlichen Erkenntnis hinauswächst, ein Akt, der die höchsten Werte,
die höchste Würde der Menschheit bestätigt.
Die moderne Geschichte ist reich an dramatischen Akten des Protests oder der
Verzweiflung. Viele Menschen zögern nicht, ihr eigenes Leben zu opfern, um ihren
Widerstand gegen Ungerechtigkeit und Gewalt zu demonstrieren. Dies geschieht vor den
Augen der ganzen Welt. Millionen von Europäern und Amerikanern konnten, in
bequemen Sesseln sitzend, sehen, wie buddhistische Mönche auf den Straßen
vietnamesischer Städte in den schnellen Flammen von Benzin brennen. Zwischen der
Pepsi-Cola-Werbung und dem galoppierenden Cowboy, eine lebende Fackel in der Mitte
eines Kreises stummer Zuschauer mit undurchdringlichen Gesichtern.

Es wäre zynisch, eine Hierarchie des Martyriums und eine Werteskala für die Bedeutung
der Angelegenheiten, für die es unternommen wird, aufzustellen. Doch der Hungertod
von Pater Maximilian Kolbe in Oświęcim unterscheidet sich von jenen tragischen
Erscheinungen, die - was noch tragischer ist - durch die Massenmedien in der ganzen
Welt verbreitet werden und zu einer Art politischer Unfallsäule geworden sind. Der
erste Unterschied besteht darin, dass es sich nicht um einen Akt der Verzweiflung oder
des Protests handelte. Es war ein Akt der Affirmation. Es war eine heroische Geste der
Liebe im Angesicht des Hasses. Und diese Geste wurde nicht vor der Welt gemacht, um
ihr träges Gewissen zu erschüttern und ihr Urteil zu erzwingen, sondern vor Gott.

Rajmund Kolbe, ein geborener Propagandist, ein Mann, der so viel Vertrauen in den
Einfluss von Presse und Rundfunk setzte, der das Fernsehen als Instrument seines
Apostolats mit Begeisterung begrüßt hätte, erlebte im Lager von Oświęcim ein
akustisches Vakuum. Er konnte nicht darauf zählen, dass die Zeugen seines Opfers
überleben würden, um davon Nachricht zu geben. Er konnte nur auf die Belohnung der
Erlösung zählen und auf die Tatsache, dass er einem Fremden, der so viel Angst davor
hatte, die Qualen eines grausamen Todes ersparen würde. Wer dieser Mann war, ist im
Moment unwichtig. Er hätte ein Atheist, ein Ketzer, ein Freimaurer sein können. Die
Retorten der Henker des Lagers glühten alles bis auf den innersten Kern aus. Zum
nackten Kern des Elends und Ruhms der Menschheit.

In diesem schrecklichen Laboratorium musste der Glaube des Häftlings Kolbe destilliert
werden. Seine Handlung war die letzte Konsequenz dieses Glaubens, das eigentliche
Wesen des Christentums. Wenn sie universelle Bedeutung erlangte, dann deshalb, weil
ihr ein ebenso elementares Phänomen gegenübergestellt wurde. Die durch den
Nationalsozialismus wiedererstandene Ethik der primitiven Horde unterlag im Lager
einer ähnlichen Verdichtung. Die Konfrontation dieser beiden Prinzipien, die nicht mehr
weiter reduziert werden konnten, war ein Zusammenprall absoluter Gegensätze. In der
Geschichte der Menschheit ereignen sich gelegentlich solche plötzlichen Kurzschlüsse,
deren greller Blitz für einen Augenblick die Pole von Gut und Böse offenbart. Eines
davon war das Opfer von Pater Maximilian Kolbe.

Ein kurzer Blitz. Denn die Geschichte und das Leben eines jeden von uns spielt sich in
der Regel in der Mitte ab, zwischen den dramatischen Extremen. Es gibt immer noch
Regionen der Welt, es gibt Generationen, deren Schicksal nicht die entscheidende
Prüfung der Menschlichkeit erfahren hat. Aber auch die Zeugen solcher Versuche
versuchen meist, ihr Entsetzen aus der Erinnerung zu löschen. Unser Marsch durch die
Geschichte, den wir uns gerne als einen Siegeszug in Richtung grenzenloser, klarer
Horizonte vorstellen, ist in Wirklichkeit ein geschäftiges Trippeln von Krise zu Krise. Wir
ziehen es vor, nicht zu bemerken, dass die Erde unter unseren Füßen schrumpft, dass
die Möglichkeiten, den Weg zu wählen, abnehmen, dass der Preis der Menschenwürde
eher sinkt als steigt.

Wir beglückwünschen uns für die Errettung aus jeder folgenden Katastrophe und
denken nicht an die neuen Bedrohungen, die die nächste bringen wird. Wir geben uns
der Illusion hin, dass sie, selbst wenn sie kommt, von uns nicht verlangen wird, die
letzten Fragen zu beantworten.

Können wir aber darauf vertrauen, dass diese Herausforderung uns erspart werden
wird? Dürfen wir wirklich auf die Sicherheit unserer Häuser, den Reichtum unserer
Speisekammer und die Wertschätzung unserer Mitmenschen zählen?

Die Vision einer entblößten Menschlichkeit ist keineswegs die Chimäre einer
krankhaften Phantasie. Sie kann schneller zur Realität werden, als wir denken. Wenn es
dazu kommt: was wird dann der Mensch auf der überbevölkerten, kahl gegessenen und
vergifteten Erde sein? Eine vor Entsetzen und Hunger verrücktgewordene Ratte oder
immer noch ein Mensch?

Als ich am Anfang die Auffassung zum Ausdruck brachte, dass die Tat von Pater
Maximilian Kolbe für uns nicht in ihrer ganzen Tragweite verständlich ist, und vielleicht
auch nie verständlich sein wird, war dies die Frage, an die ich dachte.

Der Text des Aufsatzes nach der Ausgabe: Jan Józef Szczepański "Vor einem unbekannten Tribunal".
("Literaturstunde mit Krzysztof Zanussi"), Wydawnictwo Literackie, Krakau 2001 (Erstdruck: Czytelnik,
Warschau 1975)

[https://de.wikipedia.org/wiki/Maximilian_Kolbe]

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