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GISBERT GRESHAKE

DER DREIEINE GOTT


Eine trinitarische Theologie

d~
HERDER ~
FREIBURG ·BASEL · WIEN
SONDERAUSGABE
(= 5., nochmals erweiterte Auflage der Erstausgabe)

Texterfassung durch den Autor

Alle Rechte vorbehalten - Printed in Germany


© Verlag Herder Freiburg im Breisgau 1997/2007
Umschlaggestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart
Gesamtherstellung: fgb · freiburger graphische betriebe 2007
www.fgb.de
Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem Papier
ISBN 978-3-451-29667
E-ISBN 978-3-451-84667-0
Inhalt

EINFÜHRUNG

§ 1 Hinführendes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
1. Zur Situation des trinitarischen Glaubens und der Trinitätslehre 15
2. Zielsetzung der Studie - Struktur - Lesehinweise - Dank . . . 22

§ 2 Methodisches: Trinitätsoffenbarung und menschliche Erfahrung 28


1. Anmerkungen zum Problem „Glaube und Erfahrung" 28
2. Verschärfung: Trinitätsglaube und Erfahrung? . . . . 32
3. Trinitätsglaube und pluralistische Konzeptualisierung 43

ERSTER TEIL
AUF DEM WEG ZU EINER COMMUNIALEN
TRINIT ÄTSTHEOLOGIE

Erstes Kapitel: Übersicht über Grundlagen und Grundprobleme der


Trinitätstheologie 47

§ 1 Zugänge .. .. 48
1. Das Fundament . 48
2. Erste Entwicklungen des trinitarischen Glaubens 51

§ 2 Das zentrale Problem: Zum Verhältnis von Einheit und (trinitarischer)


Vielheit .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . 60
1. Ursprüngliche Anliegen des trinitarischen Personenverständnisses 60
2. Der Vorrang des „Unitarischen" im abendländischen Denken 61
3. „Unum in trinitate" oder „Unus in trinitate"? 64

§ 3 Resümee und Aufgabenstellung . . . . . . . 71

5
Inhalt

Zweites Kapitel: Das eine göttliche Wesen und die sich unterschei-
denden Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
§ 1 Geschichtliche Stationen des trinitarischen Personenverständnisses in der
Frühen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . 74
1. Bemerkungen zur „Vorgeschichte" . . . . . . 74
2. Entwicklung des trinitarischen Personbegriffs 77
a) Das Problem . . . . . . . 77
b) Einige Begriffserklärungen 78
Prosopon 78
Hypostasis . . . . . . . 81
Persona . . . . . . . . 82
3. Personal als Einmaligkeit 84
Tertullian . . . . 84
Die Kappadozier 85
Ergebnis . . . . 87
4. Person als „Relationalität" (Gott als Interpersonalität) 90
5. Die Konzeption Augustins: Engführung oder epochale Entdeckung? 95

§ 2 Personenverständnis und Trinitätskonzeption im Mittelalter 101


1. Die Voraussetzung: Boethius 101
2. Richard von St. Viktor 104
3. Thomas von Aquin . . . 111
a) Zum Personenverständnis 111
b) Zur Trinitätskonzeption 114
c) Größe und Grenzen der thomanischen Trinitätslehre. Zugleich ein Exkurs zur
Trinitätslehre Bonaventuras 116
Hinweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

§ 3 Neuzeitliche Trends. - Einige Grundlinien 127


1. Vom Nominalismus bis Hegel . . . . . . . 127
2. Hegel und die Trinität . . . . . . . . . . . . 136
3. Exkurs: Neuere, von der neuzeitlichen Philosophie (mit)beeinflusste Trini-
tätskonzeptionen 141
a) Karl Rahner . . 141
Voraussetzungen 141
Die Konzeption 143
b) Karl Barth . . . 148
4. Die nachhegelsche Entwicklung 150
a) Dialogisches und trialogisches Personenverständnis 152
b) Sozialphilosophie und -psychologie . . . . . . . . 164
5. Exkurs: Triistisches Personverständnis bei Jürgen Moltmann? 168

6
Inhalt

Drittes Kapitel: Die Entdeckung der Person und der Verstehenszu-


gang zum trinitarischen Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172

§ 1 Resümee . . . . . . . . . . 172
1. Zusammenhang von trinitarischem Glauben und Personverständnis 172
2. Die Wesensmerkmale der Person und die Wirklichkeit der Communio 175
3. Exkurs: Erläuterungen zur Verwendung des Wortes Communio 176

§ 2 Trinität als Communio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179


1. Zur Analogizität trinitarischer Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
2. Die These: Trinität als Communio - Vermittlung von Einheit und Vielfalt 182
3. Probleme . . . . . . . . . . . . . . 191
4. Die Einheit des trinitarischen Gottes 196
5. Die Differenz der Personen 200
a) Problemkreise 201
b) Die Personen 207
Der Vater .. 207
Der Sohn 208
Der Heilige Geist 210
c) Konsequenzen: Trinitarische Sicht der göttlichen Eigenschaften 214

ZWEITER TEIL
TRINITÄT ALS MITTE UND VERSTEHENSSCHLÜSSEL
DES CHRISTLICHEN GLAUBENS

Erstes Kapitel: Das Verständnis von Schöpfer und Schöpfung und der
Trinitätsglaube . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

§ 1 Von der göttlich-trinitarischen „ Vielheit" zur geschöpflichen Pluralität 219


1. Erste Überlegungen zum Problem Einheit und Vielfalt 219
2. Geschaffen aus Liebe und auf Liebe hin . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
3. Der trinitarische „Raum" der Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
4. Die Dialektik des Geschaffenen: Gegenüber-Sein zu Gott (im Sohn) und
In-Sein (im Geist) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238

§ 2 Schöpfung als Bild der Trinität . . . . . . . . . 244


1. Trinitarische Strukturen des geschöpflichen Seins 244
a) Die Realdifferenz von Sein und Wissen 244
b) Ternare und triadische Rhythmen . . . 245
c) Die „Communialität" des Geschaffenen 248

7
Inhalt

2. Menschsein als Bild des dreieinigen Gottes 251


a) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . 251
b) Trinität der geistigen Vollzüge . . . . . . 254
c) Trinität der „pronominalen" Grundvollzüge 255
d) Trinität der Wesenskonstituentien . . . . . 257
3. Trinitarische Analogie des Geschlechtlichen: Frausein als Bild des Heili-
gen Geistes; Familie als Bild der Trinität? . . . . . . . . . . . . . . . . . 259

§ 3 Schöpfung im Vollzug 267


1. Werden und Evolution 267
2. Die Geschichte der Freiheit 277
a) Grundsätzliches: Geschöpfliche Freiheit und Gottes „Diskretion" 277
b) Comrnunio mit Gott- Comrnunio untereinander 283
Die zwei-eine Wirklichkeit 283
Prinzip Stellvertretung . 289
c) Das Ziel der Geschichte 293

§ 4 Wenn Gott in die Geschichte eintritt . . . . . . . . . . . . . 301


1. „Gott und die Geschichte zusammendenken" (J. Moltmann) 301
2. Gott in der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308
a) Selbstmitteilung und Vermittlung . . . . . . . . . . . . . . . 308
b) Konkretisierung: Wortgeschehen als trinitarische Selbstmitteilung 310
3. Gott wird Mensch - Die „immanente" Trinität wird zur „ökonomischen" 317

Zweites Kapitel: Das „trinitarische Drama" 326

§ 1 Sünde - Verweigerung von Communio 326


1. Die Wirklichkeit der Sünde . 326
a) „Cor incurvatum in seipsum" 326
b) Die Sünde der Welt 329
2. Trinitarische Voraussetzungen und Folgen der Sünde 332

§ 2 Endgültige Communio-Stiftung durch Jesus Christus 337


1. Christus der „perfectus communicator" 337
2. Exkurs: Das Kreuz - Gott im Leiden? 340
3. Das Kreuz als Sühneopfer 349
a) Zum Begriff der Sühne . . . . . . . . 354
b) Stellvertretende Sühne durch Jesus Christus 354
4. Bemerkungen zur Auferweckung Jesu . . 357
5. Eine trinitarische Interpretation der chalzedonensischen Christologie 359

8
Inhalt

§ 3 Realisierung des Erlösungsgeschehens 363


1. „Ergänzen, was noch fehlt" (Kol 1, 24) . 363
2. Darstellende Praxis . . . . . . . . . . . 370
3. „Christus liegt in Agonie bis zum Ende der Welt" 373

Drittes Kapitel: „Die Kirche macht kund, was sie ist: Das Geheimnis
der trinitarischen Koinonia" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377

§ 1 Kirche als Communio . . . 377


1. „Bild der Trinität" . . . . . . 377
2. Gelebte Communio - Communio-Ekk:lesiologie 383
Institution und Charisma 389
Besonderheit und Allgemeinheit 391
Tradition und Inkulturation 391
Frau und Mann . . . . . . . . 392
Laie und Priester . . . . . . . 392
3. Das „Extra se esse" der Kirche und die kirchliche Communio 394

§ 2 Kirche als Missio 400


1. Grundsätzliches . . 400
2. Gnostisch-enthusiastisches Missverständnis der Communio contra kenoti-
sche Missio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401
3. Gelebte Missio. - Unterbewertete Missio-Ekklesiologie 404
4. Sakrament: Zeichen und/oder Werkzeug des Heils? . 407

§ 3 Amt und Verfassung der Kirche im Licht der Trinität 411


1. Amt in der Communio 411
2. Zentralismus oder „Corpus ecclesiarum"? . . . . . . 419
3. Entsprechung von Kirchenverständnis und Trinitätskonzeption 427

§ 4 Communio Sanctorum in Communione Trinitatis 431


1. Auf Vollendung hin . . . . . . . 431
2. Der „ewig-neue" dreifaltige Gott . . . . . . . . . 437

9
Inhalt

DRITTER TEIL
PROBLEMKNOTEN DER WIRKLICHKEIT
IM LICHT DES TRINITARISCHEN GLAUBENS

Erstes Kapitel: Grundprobleme . . 441

§ 1 Das Problem „Einheit und Vielfalt" 443


1. Die metaphysische Problemfassung 443
2. Das Eine und das Viele im Kampf . 447

§ 3 Zum Problem einer „ trinitarischen Ontologie" . . . . . . . . . 454


1. Grundanliegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454
2. Zum Entdeckungszusammenhang einer trinitarischen Ontologie 457
3. Zum ontologischen Begründungszusammenhang . . . . . . . . 460

Zweites Kapitel: Gesellschaft und Trinität . . . . . . . . . . . . 465

§ 1 Wege und Irrwege des Zueinander von Religion und Gesellschaft 465
1. Zum Problem einer politischen Theologie 465
2. Trinität als „Inspiration" . . . . . . . . . 472

§ 2 Die Konstitution von Staat und Gesellschaft und der trinitarische Glaube 475
1. Der Gesellschaftsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . 475
2. Gleichursprünglichkeit von Individualität und Sozialität 479
3. „Antizipationen" trinitarischer Communio . . . . . . . 481
a) Vermittlung des Personalen und Sozialen 481
b) Kommunikationspragmatik der Wahrheit . . 484

§ 3 Der dreieinige Gott und die Einheit der Menschheit . . 492

Drittes Kapitel: Religionen und Religionskritik im Licht des trinitari-


schen Glaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499

§ 1 Die Menschheitsreligionen und der trinitarische Glaube der Christen 499


1. Das Verhältnis Christentum - Weltreligionen . . . . . . 499
2. Die trinitarische Wirklichkeit Gottes als Dialog-„Prinzip" 506
a) Drei religiöse Grundtypen 506
b) Probleme ....... . 513
3. Angewiesen auf den Dialog der Religionen 516

10
Inhalt

§ 2 Neuzeitliche Religionskritik und Trinitätsglaube 523


1. Die religionskritische These der Psychoanalyse 523
2. Philosophische Religionskritik . . . . . . . . . . 526
a) Gott und Mensch als Konkurrenten? . . . . . . . 526
b) Anfragen: Fehlendes Weltengagement und die ungelöste Theodizeefrage 531
c) „Wie hielte ich's aus, kein Gott zu sein" (Nietzsche) . . . . . . . . . . 536

AUS-„BLICK"

§ 1 Von der Trinitätstheologie zur künstlerischen Darstellung des drei-einen


Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541

§ 2 Vier trinitarische Darstellungstypen . . . . . . . . . . . . 545


1. Erster Typos: Drei gleichgebildete Gestalten . . . . . . . . . 545
2. Zweiter Typos: Die drei Besucher Abrahams („Philoxenia") 547
3. Dritter Typos: Der „Gnadenstuhl" . . . . . . . . . 550
4. Vierter Typos: Krönung Mariens durch die Trinität 551

§ 3 Fazit und Aus- „ Klang" 555

§ 4 Nachwort zur vierten Auflage: Zum Stand der gegenwärtigen trinitäts-


theologischen Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558
1. Wichtige trinitätstheologische Publikationen der letzten Jahre 558
a) Zur Thematik einer „trinitarischen Ontologie" 558
b) Einige theologiegeschichtliche Werke . . . 566
c) Zum Zusammenhang „Trinität und Kirche" 567
d) Zur Thematik „Trinität und Kunst" . . . . 568
2. Zu einigen von Rezensenten aufgeworfenen Einzelproblemen 569
a) Zur Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570
b) Ablösung des „genetischen Konstitutionsmodells" durch das Communio-Modell? 573
c) Zum Personenverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575

§ 5 Zu einigen neueren trinitätstheologischen Veröffentlichungen 579


Abkürzungen 585
Bibliographie 587
Register . . . 631

11
EINFÜ HRUN G
,,Fides omnium christianorum in Trinitate consistit"
(Caesarius v. Ades)

„Fides autem christiana principialiter consistit in


confessione sanctae Trinitatis" (Thomas v. Aquin)

„Wer von Gott nicht weiß, daß er dreieinig ist,


der weiß nichts vom Christentum" (G. W. F. Hegel)

„Der Trinitätstheologie wird die Zukunft gehören müssen"


(L. A. Smits) 1

' Diese programmatischen Worte aus allen vier christlichen Epochen (Altertum, Mittelalter, Neuzeit, Ge-
genwart) sind an folgenden Stellen zu finden: Vet.Miss.Gallic. (= PL 72, 349). - Thomas v. Aquin, Opusc.
De rationibus fidei contra Saracenos, Graecos et Armenos, proem. (949). - G. W. F. Hegel, Vorlesungen über
die Philosophie der Weltgeschichte, WW (Lasson: Phil.Bibi. 17 lc)) ill, 722. - L. A. Smits, Trinitätstheolo-
gie in der Zukunft. Die Frage der Grundworte, der Geschichte und der Zukunft, in: FS 57 (1976) 240.
§ 1 Hinführendes

1. Zur Situation des trinitarischen Glaubens und der Trinitäts/ehre

Im Herzen des christlichen Glaubens steht das Bekenntnis zum dreieinen Gott und
dessen dreifaltigem Heilswirken. In seinem und auf seinen Namen wird der Christ
getauft, d.h. er tritt in sein trinitarisches Lebensgefüge ein und läßt seine ganze Exi-
stenz durch ihn in Beschlag nehmen. Darüber hinaus ist der Glaube an den trinitari-
schen Gott das „dreifache, unzerreißbare Seil, an dem die ganze Kirche hängt und
von dem sie getragen wird" 2 ; Kirche ist „das von der Einheit des Vaters und des Soh-
nes und des Heiligen Geistes her geeinte Voile Gottes" 3.
In den Begleitworten des unzählige Male in Liturgie und Privatgebet vollzogenen
Kreuzzeichens („Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes")
wird immer neu das trinitarische Glaubens- und Taufbekenntnis nachvollzogen und
in der Doxologie des „Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist" in
Lobpreis, Dank und Anbetung verwandelt.
Umso auffiilliger, wenn nicht gar beunruhigender ist es, daß diese trinitarische
Herzmitte für den Glaubens- und Lebensvollzug nicht weniger Christen derzeit keine
wesentliche Rolle spielt. Das ausdrückliche Bekenntnis zum dreieinigen Gott scheint
ein geheiligtes, ritualisiertes Relikt zu sein, das man zwar im allgemeinen nicht leug-
net, sondern in kirchlicher Homologie und liturgischem Gestus rnitvollzieht, das aber
den persönlichen existenziellen Glaubensakt und erst recht das Existenz- und Welt-
verständnis kaum prägt. Eher erscheint die Trinität manchen als begriffliches Speku-
lationsobjekt und mythologische Chiffrierung. Zu Recht bemerkte Karl Rahner
im Jahre 1967, daß man sich nicht darüber hinwegtäuschen dürfe,
„daß Christen bei all ihrem orthodoxen Bekenntnis zur Dreifaltigkeit in ihrem
religiösen Daseinsvollzug beinahe nur ,Monotheisten' sind. Man wird also die
Behauptung wagen dürfen, daß, wenn man die Trinitätslehre als falsch aus-
merzen müßte, bei dieser Prozedur der Großteil der religiösen Literatur fast
unverändert bleiben könnte. Man kann dem auch nicht entgegenhalten, die
Lehre von der Inkarnation sei doch theologisch und religiös so zentral bei den
Christen, daß von daher die Trinität im religiösen Leben der Christen immer
und überall unausscheidbar ,anwesend' sei ... Mann kann [jedoch] den Ver-

2 Origenes, hom. In exod. IX, 3 (= GCS 29, 239).


J LG 4 mit Verweis auf Cyprian. - Diese Überzeugung, daß Grund, Band und Ziel der Kirche der trinitari-
sche Gott ist, hat auch Eingang gefunden in das Basis-Bekenntnis des Ökumenischen Rats der Kirchen. Auf
seiner Vollversammlung in Delhi ( 1961) definierte sich der Ökumenische Rat der Kirchen als „Gemeinschaft
von Kirchen, die den Herrn Jesus Christus gemäß der Heiligen Schrift als Gott und Heiland bekennen und
darum gemeinsam zu erfüllen trachten, wozu sie berufen sind, zur Ehre Gottes des Vaters, des Sohnes und
des Heiligen Geistes". Siehe dazu H. Krüger, Wesen und Wirken des Ökumenischen Rates der Kirchen, in:
H. J. Urban I H. Wagner (Hrg.), Handbuch der Ökumenik, Band II, Paderborn 1986, 64-66.

15
Einführung

dacht haben, daß für den Katechismus des Kopfes und des Herzens (im Unter-
schied zum gedruckten Katechismus) die Vorstellung des Christen von der In-
karnation sich gar nicht ändern müßte, wenn es keine Dreifaltigkeit gäbe. Gott
wäre dann eben als (die eine) Person Mensch geworden, und mehr ergreift der
durchschnittliche Christ ausdrücklich bei seinem Bekenntnis zur Inkarnation
faktisch ja doch nicht" 4 •
Sieht man aber von der Frage der Menschwerdung Gottes ab, so scheint erst recht für
die meisten Christen irrelevant zu sein, ob Gott ein-, drei- oder (sit venia verbo!)
zehnfaltig ist 5 • Was ändert es schon für den Glaubensvollzug und das Weltverständ-
nis im Glauben, wenn man weiß, wie Gott in sich selbst „strukturiert" ist? Und über-
dies: ist es nicht schon „schwierig genug" überhaupt an Gott zu glauben, so daß man
auf detaillierte ,,Zusatzauskünfte", die wegen ihres paradoxalen Geheimnischarak-
ters den Gottesglauben nur noch mehr erschweren, gern „verzichten" kann? 6 Genügt
es nicht - so eine Tendenz des westlich „bürgerlichen Christentums" - an die Liebe
eines allmächtigen Gottes zu glauben, der eine gute Lebensordnung garantiert, für
ein versöhntes, harmonisches Leben zuständig ist, mit seiner liebenden Vorsehung
und seinem orientierenden Wort alles begleitet, der gerechtes Gericht und ein Leben
nach dem Tod verheißt, im übrigen aber als „gütiger Vater über dem Sternenzelt" den
Menschen „in Ruhe läßt"? Damit ist ein Gottesbild umrissen, das Heinrich Böll an

• K. Rahner, Der dreifaltige Gott als transzendenter Urgrund der Heilsgeschichte, in ; MySal II, 319 f. - Für
den evangelischen Bereich formulierte wenige Jahre früher H. J. !wand, Predigtmeditationen, Göttingen
1950, 222: „Wer aus unseren Gemeinden begreift noch etwas von jener Lehre? Sie ist oftmals zur leeren For-
mel geworden. Ein rationaler Gottesbegriff, weithin als Monotheismus verbrämt, hat ihren Platz eingenom-
men. Seitdem der vernünftige Glaube an die Stelle der an die Schrift gebundenen Offenbarung Gottes in Je-
sus Christus getreten ist mit allem, was dazu gehört, mit seiner Verachtung der ,Lehre', mit seiner
Verwandlung des Christentums in eine Moralreligion, mit seinem ,Anknüpfungspunkt' , seinem ,Gesprächs-
charakter' „ . , mußte notwendigerweise auch die Lehre vom dreieinigen Gott „ . gegenstandslos werden."
s Vgl. W. J. Hollerweger, Geist und Materie= Interkulturelle Theologie 3, München 1988, 325: „Die kirch-
liche Lehre von der Dreieinigkeit [ist] stumpf . . „ weil sie weder von der Gemeinde noch von vielen Theolo-
giestudenten in ihrer Funktion erkannt wird. Man vergegenwärtige sich nur, was ein normaler Pfarrer im
Konfirmationsunterricht zu diesem Thema lehrt - wenn er nicht überhaupt auf dieses Lehrstück verzichtet-:
Er spricht z.B. von drei Kerzen, die alle das gleiche Licht geben. Er kann aber nicht erklären, warum es drei
und nicht vier, warum es nicht neunundneunzig (Qualitäten Gottes, wie im Islam) oder Hunderttausende von
Kerzen sind, wie bei den indischen Religionen. Die Gemeinde weiß auch nicht, warum es gerade diese drei
sind (Vater, Sohn und Geist), warum die ,Mutter Maria' nicht auch dazu gehört, wie dies seinerzeit von C. G.
Jung gefordert wurde. Mit einer theologischen Lehre aber, die, mag sie noch so wichtig sein, in der Ge-
meinde im besten Falle bedeutungslos, im schlimmsten Falle aber auf Protest und Unverstand stößt, muß et-
was schief gelaufen sein."
6 Vgl. D. Wiederkehr, Bedeutungsverlust und Bedeutungsgewinn des trinitarischen Glaubens: Versuch der
Erschließung, in: La signification et !' actualite du Ile concile oecumenique pour Je monde chretien d' au-
jourd'hui = Les etudes theologiques de Chambesy 2, Chambesy-Geneve 1982: „Wie sollte ein Glaube ... im
Klima einer radikalen Religionskritik und einer ständigen Forderung nach Relevanz sich den ,Luxus ' der
Trinität leisten können, wo die elementare Wirklichkeit Gottes zum Problem wurde?" Über die Gründe des
Zurücktretens der Trinitätstheologie im Rahmen von theologischen Entwürfen, welche die „Säkularisierung"
ernst nahmen, informiert ausführlich N. Ciola, La crisi de! teocentrismo trinitario nel Novecento teologico. II
tema nel contesto emblematico della secolarizzazione, Roma 1993.

16
Einführung

der Gestalt des Kulturphilosophen Bur-Malottk:e und dessen Glauben an ,jenes hö-
here Wesen, das wir verehren" zynisch glossiert 7• All das ist weit von einem trinita-
rischen Glauben entfernt.

Kein Wunder, daß bis in die endsiebziger Jahre hinein in vielen neueren Glaubensbü-
chern, Katechismen, pastoralen und kerygmatischen Wegweisungen sowie „Kurzfor-
meln des Glaubens" die Trinitätslehre entweder ausfiel oder eine durchaus unterge-
ordnete Rolle spielte, daß sie bestenfalls ein Kapitel unter anderen, nicht aber die
integrierende Mitte des Ganzen war.
Nicht viel anders sah es zur erwähnten Zeit in der wissenschaftlichen Theologie
aus. Im Jahr 1965 schrieb Romana Guardini über den Trinitätsglauben: „Dieses Ka-
pitel der Theologie ist doch offenbar in Stillstand getreten, nachdem es jahrhunderte-
lang ,die Theologie' überhaupt war" 8 • Viele Theologen schienen nur einer Pflicht-
übung zu genügen, wenn nach einer von der Trinität absehenden allgemeinen Gottes-
und Schöpfungslehre sowie nach einer Behandlung des dreifaltigen Wirkens Gottes
in der Geschichte auch noch über das dreieine „Sein" dieses Gottes die Rede war 9 .
Zumal die insgesamt mehr auf individuelle und politische Glaubenspraxis hin tendie-
rende Theologie der Gegenwart stand bewußt oder unbewußt im Banne der Bemer-
kung Immanuel Kants:
„Aus der Dreieinigkeitslehre, nach den Buchstaben genommen, läßt sich
schlechterdings nichts fürs Praktische machen, wenn man sie gleich zu verste-
hen glaubte, noch weniger aber, wenn man innewird, daß sie gar alle unsere
Begriffe übersteigt. - Ob wir in der Gottheit drei oder zehn Personen zu vereh-
ren haben, wird der Lehrling mit gleicher Leichtigkeit aufs Wort annehmen,
weil er von einem Gott in mehreren Personen (Hypostasen) gar keinen Begriff
hat, noch mehr aber, weil er aus dieser Verschiedenheit für seinen Lebenswan-
del gar keine verschiedene Regeln ziehen kann" 10 •

1 H. Böll, Dr. Murkes gesammeltes Schweigen, in: ders., Nicht nur zur Weihnachtszeit, Satiren, München
1966, 87-112.
s R. Guardini, Die Kirche des Herrn, Mainz 1965, 17.
9 Vgl. dazu Rahner, MySal II, 323 f. - Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß in dem damals sehr
einflußreichen, die aktuelle Problemlage der Theologie zusammenfassenden Sammelwerk von J. Feiner u.a.
(Hrg.), Fragen der Theologie heute, Einsiedeln u.a. 1960 die Trinitätstheologie als Problemfeld überhaupt
nicht vorkommt. Zum Stand der Trinitätstheologie und ihrer Behandlung in der Studienliteratur zu Ende der
Sechzigerjahre siehe: La Trinitad, hoy. EI tratado sobre Ja Ss. Trinitad en el nuevo ordenamiento de los estu-
dios teologicos = Semanas de Estudios Trinitarios, Salamanca 1971; C. Welch, The Trinity in Contemporary
Theology, London 1954.
10 1. Kant, Der Streit der Fakultäten= WW (Weischedel) IX, Darmstadt 1971, 303 f. - Inders., Die Religion
innerhalb der Grenzen der blosen Vernunft = WW II, 809 heißt es, daß aus dem trinitarischen Glauben „für
die sittliche Besserung nicht das mindeste ausgerichtet würde". Eine ähnliche Einstellung findet sich auch
bei Fr. Schleiermacher, Der christliche Glaube, hrg. v. M. Redeker, Bd. II, Berlin 1960, 462 (§ 170). Er ver-
merkt, daß die Aussagen über die Trinität Gottes „von gar keinem Nutzen sein können". Siehe dazu E. Brito,
Schleiermacher et Ja doctrine de Ja Trinite, in: RTL 23 (1992) 321-342.

17
Einführung

Wie also nach Kant die Trinitätslehre für die Praxis gesehen irrelevant ist, so war sie es
auch für viele Theologen 11 • Das galt besonders für die Theologen, die ihre Reflexio-
nen betont im Dialog mit nichtchristlichen Weltdeutungen entfalteten, mit verschie-
denen Atheismen oder nichtchristlichen Religionen oder auch mit der Philosophie der
Gegenwart. Für diesen Dialog schien gerade die Trinitätslehre eher ein Hindernis dar-
zustellen. So wurde sie relativiert oder in den Hintergrund gestellt. Auch hier
herrschte mithin die Überzeugung von einer letzten Irrelevanz dieser Glaubenslehre.

Ungefähr seit Ende der siebziger Jahre ist jedoch in der Stellung der Trinitätslehre ein
Wandel zu vermerken. Dieser kam nicht wie ein Blitzstrahl vom heiteren Himmel. Er
war vorbereitet durch die Ekklesiologie des 2. Vatikanischen Konzils, durch eine
Reihe von exegetischen und historischen Vorarbeiten sowie durch eine wachsende
Beschäftigung vieler Theologen mit dem Deutschen Idealismus (vor allem mit He-
gel) 12 • Doch grundsätzlicher noch dürfte das neue Interesse am trinitarischen Gott aus
einer kritischen Infragestellung des vorhin glossierten „bürgerlichen Gottesbildes" er-
wachsen sein. Gegenüber der verharmlosenden Banalität eines Himmelsvaters, ,jenes
höheren Wesens, das wir verehren", entstand ein neues Fragen und Suchen, das sich
am biblischen Gottesbild orientierte. In der Heiligen Schrift ist Gott das Geheimnis
äußerster Nähe zum Menschen; Gott ist der, der mit seiner Schöpfung radikale Ge-
meinschaft eingeht und die Menschen zur Gemeinschaft mit sich und untereinander
zusammenführen will. Dieses Bild eines „gemeinschaftlichen Gottes" entspricht zu-
gleich dem Verlangen des heutigen Menschen nach Einheit, Ganzheit und Vernet-
zung. Aus dieser neuen Grundeinstellung resultiert eine neue Bereitschaft, sich dem
überlieferten, aber weithin bedeutungslos gewordenen Glauben an einen trinitari-
schen Gott zuzuwenden. Von hier aus wird verständlich, daß sich seit etwa Ende der
siebziger Jahre in der theologischen Trinitätslehre ein Wandel abzuzeichnen beginnt.
In einem vorzüglichen Übersichtsartikel „Das unterscheidend Christliche in der
Gottesfrage: Zu neueren Entwicklungen in der Trinitätstheologie" 13 faßt Ulrich Ruh
zusammen: „Als ein Resultat der Diskussion der letzten Jahrzehnte über den Gottes-
gedanken der abendländischen Metaphysik, das biblische Gottesbild und die neuzeit-
liche Krise des Gottesbegriffes hat sich ein beachtlicher theologischer Konsens her-
ausgebildet: Wenn der christliche Glaube von Gott spricht, ist damit der trinitarische
Gott gemeint; die Lehre von der Trinität Gottes ist das ,unterscheidend Christliche"'.

11 Nur zwei Beispiele seien genannt: E. Brunner, Die christliche Lehre von Gott, Dogmatik I, Zürich 1946,

214 meint, daß die Trinitätslehre nur „eine theologische Schutzlehre für das biblisch-kirchliche Glaubens-
zentrum (sei); das seit dem 5. und 6. Jahrhundert von der Kirche verkündet und liturgisch wirksam gemachte
Trinitätsmysterium ist ein Pseudomysterium, das aus einer Abirrung der theologischen Reflexion von der ihr
vorgezeichneten biblischen Linie, nicht aber aus der biblischen Lehre selbst entsprang": 230. Und noch 1974
charakterisiert E. Schillebeeckx, Jesus, Freiburg i.Br. 1974, 593 die Trinitätslehre als eine „Theologie ,drit-
ten Grades"'.
12 Vgl. dazu G. M. Salvati, La dottrina trinitaria nella teologica cattolica postconciliare, in: A. Amato (Hrg.),
Trinita in contesto, Rom 1994, 13 f.
13 HerKorr 36 (1982) 188.

18
Einführung

Doch schränkt er selbst im folgenden diese These ein: „Dieser Konsens hinsichtlich
der Unverzichtbarkeit eines trinitarischen Gottesverständnisses kontrastiert aller-
dings mit dem eher geringen Stellenwert der in einer langen Tradition ausgebildeten
Lehre vom dreifaltigen Gott, sowohl für das konkrete Glaubensverständnis der mei-
sten Christen, wie für die breiten Ströme der neuzeitlichen Theologie" 14 • Gewiß,
zwar sind seit Ende der 70er Jahre eine ganze Reihe vorzüglicher trinitätstheologi-
scher Neuentwürfe und Studien erschienen 15 sowie zahlreiche Artikel und Skizzen 16 •
Doch läßt sich daraus keineswegs die Schlussfolgerung ziehen, daß damit das voran-
gehende Defizit ausgeglichen ist. So schreibt noch im Jahr 1981 Christian Schütz in
seinem Überblicksartikel „Gegenwärtige Tendenzen in der Gottes- und Trinitäts-
lehre": „Streng trinitätstheologische Fragen, Überlegungen, Ausläufer oder Ableger
der Gotteslehre sind gegenwärtig selten" 17 • Und die Fachtagung der deutschsprachi-
gen „Arbeitsgemeinschaft katholischer Dogmatiker und Fundamentaltheologen" in
Luzern 1982 über „Aktuelle Perspektiven der Trinitätstheologie" wird von Ulrich
Ruh unter der Überschrift kommentiert „Gehversuche" [!] in der Trinitätstheolo-
gie" 18• Deshalb bestimmen nicht zuletzt eine Reihe von trinitätstheologischen Desi-
deraten, Postulaten und Appellen die theologische Szene - nach dem Muster von
Eberhard Jüngel: Der Glaube an den dreieinen Gott müßte „die ganze christliche Exi-
stenz kennzeichnen, müßte im christlichen Gottesdienst, in der christlichen Fröm-
migkeit, in der christlichen Sittlichkeit und ebenso in der die christliche Wahrheit ver-
antwortenden Theologen durchgehend bestimmend sein" 19 •

i• Ebd.
15 Zu nennen sind hier vor allem im katholischen Bereich die Arbeiten von K. Rahner, H. U. v. Balthasar,
H. Mühlen, W. Kasper; im evangelischen von J. Moltmann, E. Jüngel, W. Pannenberg; im angelsächsischen
die Arbeit von C. E . Gunton, Tue Promise of trinitarian Tbeology, Edinburgh 1991. Übersichten über die
verschiedenen Trinitätstheologien der Gegenwart finden sich bei E. Stranzinger, Trinitätskonzeptionen in der
neueren deutschen Theologie, in: WiWei 30 ( 1967) 30--44; T. Peters, God as Trinity. Relationality and Tem-
porality in Divine Life, Louisville (Kentucky) 1993, 81 - 145; E. Mauser, Tendenzen neuerer Trinitätslehre,
in: VF 39 (1994) 3- 24.
16 Siehe z.B. : Smits, Trinitätstheologie 240-276; K. Rosenthal, Bemerkungen zur gegenwärtigen Behand-
lung der Trinitätslehre, in: KuD 22 (1976) 132- 148; L. Scheffczyk, Trinität: Das Specificum Christianum,
in: ders„ Schwerpunkte des Glaubens, Einsiedeln 1977, 156-173; F. Courth, Das trinitarische Gottesbe-
kenntnis als Wesensaussage des christlichen Glaubens, in: MThZ 29 (1978) 1- 19; Chr. v. Schönborn, Imma-
nente und ökonomische Trinität. Zur Frage des Funktionsverlustes der Trinitätslehre in der östlichen und
westlichen Theologie, in: FZPhTh 27 (1980) 247- 264; G. Fuchs, Gott ist Liebe. Die Trinitätslehre als Inbe-
griff christlicher Glaubenserfahrung, in: rhs 24 (1981) 1-15; W. Knoch, Die Trinitätslehre - Schlüssel zum
Verständnis des christlichen Gottesbegriffs, in: ThGI 77 (1987) 151- 178; Wiederkehr, Bedeutungsverlust
259-273.
11 In: MySal. Erg. Bd. 311- 322, hier: 311. - Auf der gleichen Linie der Artikel von L. Lies, Trinitätsverges-
senheit gegenwärtiger Sakrarnententheologie? In : ZThK 105 (1983) 290-314.
1s Siebe HerKorr 37 (1983) 89-91.
19 E . Jüngel, Entsprechungen, München 1980, 265 f. - Ganz ähnlich nannte auch Papst Johannes Paul II. in
seiner Rede am 18.11 . 1980 die „Konzentration auf den dreifaltigen Gott als Ursprung und bleibenden Grund
unseres Lebens und der ganzen Welt die vordringlichste Aufgabe der heutigen Theologie": Verlautbarungen
des Apostolischen Stuhles, Nr. 25, Bonn 1980, 169 (Hervorhbg. v. G. G.).

19
Einführung

Zumal wenn man auf den Vollzug des christlichen Glaubens, wie er sich im Gemein-
deleben und in der alltäglichen christlichen Praxis abspielt, blickt und wenn man sich
mit der Schulkatechese und deren Materialien befaßt, so herrscht dort bezüglich des
trinitarischen Gottesbildes noch immer Verlegenheit und Unverständnis bis hin zu
veritablen Totalausfällen. Man vermag - wie Josef Schulte für den Bereich der Kate-
chese schreibt - nicht einzusehen, was das trinitarische Gottesbild für einen „Mehr-
wert" bringen könnte, weil es „nicht in eine lebendige und praktische Glaubenserfah-
rung übersetzbar erscheint" 20 • Georg Baudler berichtet von Schülerreaktionen, die
auf verschiedene Weise ihr völliges Unverständnis belegen: „Trinität erscheint ... in
den meisten Schülernotizen als eine Art von theologisches Kreuzworträtsel, das
keine Bedeutung für das Leben hat" 21 • So scheinen folgende Bemerkungen Goethes
nicht nur bei Schülern immer noch und immer wieder fröhliche Urständ zu feiern:
„Ich glaubte an Gott und die Natur und an den Sieg des Edlen über das
Schlechte; aber das war den frommen Seelen nicht genug, ich sollte auch glau-
ben, daß drei eins sei und eins drei; das aber widerstrebte dem Wahrheitsgefühl
meiner Seele; auch sah ich nicht ein, daß mir damit auch nur im mindesten
wäre geholfen gewesen" 22•

Im Zusammenhang der Ablehnung oder Unterbewertung des trinitarischen Glaubens


wegen seines unlogisch-paradoxalen und zugleich „unpraktischen" Charakters trifft
man gelegentlich auf zwei zusätzliche Erwägungen:

20 J. Schulte, Das Geheimnis der Trinität und die christliche Glaubenserfahrung, in: KatBI 106 (1981) 426.
21 G. Baudler, Ideen zu einer symboltheoretischen Interpretation der Trinitätsüberlieferung, in: rhs 24 (1981)
44. - Von daher wird auch die Feststellung von R. Lachmann, Die Trinitätslehre in religionsdidaktischer
Sicht, in: Glaube und Denken 1 (1988) 102 verständlich: „In aufklärungsbestimmten, traditionskritisch und
anthropologisch orientierten religionspädagogischen Positionen - häufig an ihrer Katechismuskritik auf-
weisbar - spielen Trinität und Trinitätslehre für gewöhnlich keine Rolle; weder begegnen sie als Unterrichts-
gegenstand, noch als theologisches Element im Begründungszusammenhang religionspädagogischer Theo-
riebildung" .
22 J. W. v. Goethe, Gespräch mit J. P. Eckermann, 4. 1.1824. Diese ,,Erfahrung" wurde von Goethe auch in
seinem Faust I, Hexenküche (2561 f) verarbeitet: ,,Denn ein vollkommener Widerspruch bleibt gleich ge-
heimnisvoll für Kluge wie für Toren. Mein Freund, die Kunst ist alt und neu. Es war die Art zu allen Zeiten,
durch Drei und Eins und Eins und Drei Irrtum statt Wahrheit zu verbreiten".
Goethe ist nicht der einzige, der über die „Unlogik" der Trinitätslehre gespottet hat. Vgl. L. Plioutch, Dans Je
carnaval de l'histoire, Paris 1977, 55: „Die Spötteleien Tolstois über die Heilige Dreifaltigkeit lassen seinen
Rationalismus ganz deutlich hervortreten. Der hinterste Bauer wisse, daß eins nicht gleich drei sein könne;
folglich sei das Dreifaltigkeitsdogma absurd und diene nur dazu, die Gläubigen zu verdummen . Doch als
Mathematiker wußte ich Eines sehr gut: Der Satz, daß der Teil kleiner ist als das Ganze, gilt nur für begrenzte
Quantitäten. Für unendliche Größen hat dieser Satz keine Geltung ; hier kann der Teil gleich dem Ganzen
sein. Und aus der Lektüre eines sowjetischen Historikers des Christentums erfuhr ich, daß der Begründer der
Theorie der großen Zahlen, Cantor, sein Studium eben damit begonnen hatte, daß er über das Problem der
Gleichwertigkeit zwischen einer Hypostase Gottes und drei Hypostasen nachdachte ... " . In diesem Zusam-
menhang ist - nebenbei bemerkt - von Interesse, daß auch sonst Mathematiker wie Wissenschaftstheoretiker
an der Trinitätstheologie interessiert sind. Vgl. z.B . A. Menne, Mengenlehre und Trinität, in: MThZ 8 ( 1957)
180-188; K. H. Reich, Die Trinitätslehre als Modell für die Strukturierung der Beziehungen zwischen Theo-
logie und Naturwissenschaften, in: Glauben und Denken 1(1988)202- 222.

20
Einführung

(1) Wenn überhaupt, so habe die Trinitätslehre nur den Sinn, die Geheimnishaftigkeit
und Unsagbarkeit Gottes herauszustellen, so daß das trinitarische Bekenntnis im
Grunde nur eine „Defensiv-Formel" für das anzubetende und von der menschlichen
Vernunft nicht einzuholende Mysterium Gottes sei 23 • Haben solche Überlegungen
aber wirklich das „Geheimnis Gottes" im Blick? Gewiß sind mit dem Begriff „My-
sterium" auch die Grenzen aller Denk- und Vorstellbarkeit mitgemeint, aber „Ge-
heimnis" ist nicht nur etwas Negatives, Paradoxes und dem Menschen Fernes, son-
dern auch etwas Positives, uns Nahes und Umgreifendes: es ist das, was alles andere
trägt, umfängt und bewegt und sich so - unter Wahrung seines bleibenden Charakters
als Geheimnis - annäherungsweise auch zur Sprache bringen läßt. Jörg Splett macht
darauf aufmerksam, daß Geheimnis, buchstäblich genommen, „Ge-heim-nis" meint
und das bedeutet ,jene Sammlung (Ge-), die Heim gibt. Wir hören in diesem Wort
nurmehr das Ausgeschlossensein; doch nennt es ursprünglich jenes, darin man da-
heim ist. Dies Umfassende läßt sich naturgemäß nicht seinerseits fassen. Dies aber
nicht, weil es sich entzöge, sondern gerade, weil es uns (sich gebend) um-gibt" 24 .
Sollte als die über Augustin berichtete Legende zutreffen, wonach dieser beim
Nachsinnen über die Trinität durch ein Kind, welches das Meer in eine kleine Sand-
grube löffeln wollte, über die Unmöglichkeit seines Unterfangens belehrt worden sei,
so hätte das Kind besser daran getan, Augustinus ein Bad im gleichen Meer zu emp-
fehlen. Warum sollte man denn das Meer auslöffeln wollen, wo es doch sein eigent-
liches Wesen, seine Schönheit und seinen Glanz gerade darin gewinnt, den Schwim-
mer zu empfangen, zu reinigen, zu tragen, zu erquicken!
Im Klartext: Der Glaube an den dreieinigen Gott ist kein unlösbares Rätsel, noch
ein unverstehbares Paradox, noch eine von der Praxis des Alltags ferne „Zusatz-Aus-
kunft" über das Wesen Gottes, sondern Ausdruck dessen, worin „wir leben, uns be-
wegen und sind" (Apg 17, 28). Darum ändert auch „der Glaube an den Dreieinen Gott
... die gesamte geistige Atmosphäre, in der der Mensch lebt", wie August Brunner
zutreffend bemerkt 25 . Er taucht die ganze Wirklichkeit in ein neues Licht. Dies aber
ist gegenwärtig weder in der Theologie noch im Glauben und in der christlichen
Frömmigkeit wirklich eingeholt und nachvollzogen. Es ist Klaus Hemmerle Recht zu
geben, wenn er schreibt:
„Die ,Revolution' des Gottesbildes, die durch den Glauben an ... den dreifal-
tigen Gott in der Menschheitsgeschichte eingesetzt hat, ist kaum zu ermessen.
Sie hat sogar unser eigenes, christliches Bewußtsein noch nicht bis zum tief-

23 Siehe dazu Chr. Theilemann, Die Frage nach Analogie, natürlicher Theologie und Personenbegriff in der

Trinitätslehre, Berlin-New York 1955, 1 f.


24 J. Splett, Ehe aus der Sicht christlicher Anthropologie, in: IntamsR 1 (1995) 45. - Ganz ähnlich auch
E. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 1977, 341; J. Heinrichs, Ideologie oder Freiheitslehre?, in:
ThPh 49 (1974) 408; H. Beck, Triadiscbe Engel-Ordnungen: frühchristlicher und mittelalterlicher Ansatz,
in: TbPb 67 (1992) 321. Letzterer spricht sogar davon, daß das Geheimnis dasjenige ist, „in welchem der
Verstand ,sich zu Hause fühlen ' und die Wirklichkeit besser verstehen und annehmen kann".
25 A. Brunner, Dreifaltigkeit. Personale Zugänge zum Geheimnis, Einsiedeln 1976, 127.

21
Einführung

sten Grund durchdrungen. Daß Gott ganz und gar Mitteilung, sich verströmen-
des Leben, daß er in sich geschlossene Seligkeit und lautere gegenseitige Hin-
gabe ist, das dreht nicht nur das menschliche Bild von Gott um; es betrifft auch
unser Selbstverständnis, unser Verständnis der Welt" 26 •

(2) Als Bedenken gegen eine Trinitätslehre wird gelegentlich angeführt, daß es über-
flüssig sei, sich mit dem dreifaltigen Wesen Gottes „in sich" zu befassen. Es reiche
doch aus, die dreifaltige Selbstkundgabe Gottes in der Geschichte entgegenzuneh-
men, ohne deshalb auf das In-sich-Sein Gottes zu blicken. Auf dieses Problem wer-
den wir im Laufe der Studie noch verschiedentlich zurückkommen. Hier nur soviel:
Wenn Gott sich wirklich dem Menschen so erschließt, wie er ist, sind wir mit eben
diesem uns erschlossenen Sein Gottes konfrontiert: Konfrontation nicht nur als Her-
ausforderung des intellectus fidei, sondern auch als ein Licht, das alles, die ganze
Wirklichkeit, zumal das eigene menschliche Selbstverständnis und die menschliche
Praxis, neu erblicken läßt. So gesehen ist das trinitarische Sein Gottes keine folgen-
lose Zusatzauskunft, vielmehr sind gerade die Konsequenzen aufzudecken und ein-
zulösen, welche dieses trinitarische Sein Gottes für alles geschöpftiche Sein hat. Von
daher ist den Theologen - wie Chr. Gestrich vermerkt
„ins Stammbuch geschrieben, daß sie den Skandal erkennen möchten, der
darin liegt, daß die christlichen Glaubenslehren bisher offensichtlich vor der
Aufgabe kapitulieren, den dreieinigen Gott, den wir in manchen Liedern und
Bekenntnissen preisen, wirklich dort zur Sprache bringen, wo sie von Gott, wo
sie von Christus, wo sie vom Hl. Geist und im Anschluß daran von den ande-
ren Realien des christlichen Glaubens und Lebens reden. Der Skandal liegt
darin, daß die Christen ihren eigenen christlichen Gottesbegriff sozusagen
nicht einlösen, sondern einem bestenfalls alttestamentlichen Gottesbegriff
oder einem philosophisch-metaphysischen Gottesbegriff verhaftet bleiben -
und dies oft, ohne es selbst zu merken" 27 •

2. Zielsetzung der Studie - Struktur - Lesehinweise - Dank

Aus dieser Situation des Trinitätsglaubens heute ist das Anliegen der vorliegenden
Studie erwachsen. Sie will keine Trinitätslehre im herkömmlichen Sinne sein, d.h. sie
will nicht - jedenfalls nicht in erster Linie - aufzeigen und begründen, warum der

26 Kl. Hemmerle, Glauben -wie geht das?, Freiburg i.Br. 1978, 147. - Für diese Einstellung Hemmerles las-

sen sich viele Stimmen anführen. Vgl. z.B. Th. Haecker, Schöpfer und Schöpfung= WW IV, München 1965,
428 f: ,,Das Gewaltigste in der Geschichte des menschlichen Geistes ist bislang der Kampf gewesen um das
Dogma der Trinität kraft der Offenbarung Gottes ... Dieses Dogma ist heute auch philosophisch die größte
Kraft der Christen im Kampf der Weltanschauungen, und zwar in jedem Betracht, auch politisch ...".
27 Chr. Gestrich, Karl Rahners Beitrag zur Trinitätstheologie im Vergleich mit Karl Barth, in: M. Delgado /

M. Lutz-Bachmann (Hrg.), Theologie aus Erfahrung der Gnade, Hildesheim 1994, 156f.

22
Einführung

christliche Glaube sich veranlaßt sah und sieht, auf Grund der geschichtlichen Offen-
barung Gottes von der Trinität zu sprechen; sie will ebenso nicht im einzelnen die ge-
schichtliche Entwicklung dieses Glaubens nachzeichnen und die verschiedenen Sta-
tionen der Dogmengeschichte bestimmen, an denen das Bekenntnis zur Trinität eine
vertiefte Einsicht oder auch eine bestimmte Pointierung oder Einengung erfuhr. Das
Ziel ist begrenzter und bescheidener, zugleich aber betrifft es auch unmittelbarer die
Erfahrung: Die Studie möchte die Relevanz, d.h. die theoretische Bedeutung und
praktische Konsequenz, man könnte auch sagen: die Leuchtkraft des Glaubens her-
ausstellen, die sich für das christliche Glaubensverständnis und für die vielfältigsten
Wirklichkeitsbereiche ergeben, wenn und wo man damit Ernst macht, daß der christ-
liche Glaube nicht „irgendwie" an Gott glaubt, sondern daß er an einen dreipersönli-
chen Gott glaubt. Das scheinbar - aber wirklich nur scheinbar! - Abstrakte, so Feme
und Lebensfremde wie der Blick auf Leben und Wirken des dreifaltigen Gottes als
solchen soll gerade als das Allerkonkreteste und das die Wirklichkeit am meisten und
besten Treffendste verdeutlicht werden. Und dies unter verschiedenen Gesichtspunk-
ten und mit unterschiedlichen Methoden.

Nach Erarbeitung eines angemessenen Trinitätsbegriffs in Teil 1, der noch am ehesten


einem herkömmlichen Trinitätstraktat nahe kommt, geht es in Teil II darum, die Be-
deutung des trinitarischen Gottesglaubens für das Gesamt des christlichen Glaubens
herauszustellen. Für Hegel, dessen Philosophie in gewisser Weise das Testament
abendländischen Denkens vollzog, war die Trinität noch „die Grundbestimmung der
christlichen Religion" 28, das Zentrum, um das sich alles übrige dreht. Wo die christ-
liche Theologie im vorigen Jahrhundert den Systemgedanken übernahm, so z.B. bei
Matthias Joseph Scheeben, griff sie auf ihre Weise dieses Grundvision auf: Die Tri-
nität ist „der Quellpunkt eines ganzen wissenschaftlichen Systems ... , das sich aus ih-
rem innem System herausbildet und fortbildet, in dem sie sich selbst als in ihrem rea-
len Spiegelbild offenbart" 29 • Auch wenn man heute skeptisch gegen eine allzu
geschlossene theologische Systembildung ist, bleibt dennoch wahr und zutreffend,
daß der Glaube an den dreifaltigen Gott nicht ein Teilstück des christlichen Glaubens
ist, sondern dessen Herzmitte und der Fluchtpunkt all seiner Einzelmomente, das
Ganze in seiner aufzugliedernden Vielfalt oder kurz - wie Jörg Baur bemerkt - „die
Summe des Evangeliums" 30 •

Eben dies soll in Teil II aufgezeigt werden: Der Glaube an und das Bekenntnis zum
trinitarischen Gott werden vorausgesetzt und nach deren erschließender Kraft für die

2s Hegel, Vorlesungen (Anm. 1) 47.


29 M. J. Scheeben, Die Mysterien des Christentums, hrg. v. J. Höfer= Ges. Sehr. II, Freiburg i.Br. 3 1958,
111 . - Siehe dazu K.-H. Minz, Pleroma Trinitatis. Die Trinitätstheologie bei M . J. Scheeben, Frankfurt 1982;
ders„ Die Lebensdynamik der göttlichen Dreieinigkeit. Der Beitrag Scheebens für eine heutige Neuorientie-
rung, in: rhs 24 (1981) 49- 51.
30 J. Baur, Die Trinitätslehre als Summe des Evangeliums, in: KuD 22 (1976) 122- 131.

23
Einführung

übrigen Glaubenswahrheiten gefragt. Die Grundstrukturen und inneren Zusammen-


hänge des Glaubens, aber auch dessen Fragen und Aporien sollen im Blick auf den
trinitarischen Gott offengelegt und beleuchtet werden. Dabei werden über die Bin-
nendimensionen des Glaubens hinaus auch schon philosophische Grundprobleme,
wie z.B. die Frage nach dem Verhältnis unendlichen und endlichen Seins, göttlicher
Allmacht und menschlicher Freiheit, Ewigkeit und Geschichte berührt sowie Pro-
bleme der Evolutions- und Geschichtsdeutung skizziert.

Teil III der Studie schließlich widmet sich ausdrücklich der die Innenwelt des Glau-
bens übersteigenden Grundfrage: Was gibt der Glaube an den dreifaltigen Gott ge-
wissermaßen „her", um Probleme des Menschen- und Weltverständnisses zu be-
leuchten und in der Wirklichkeit Orientierung zu finden? Dabei werden Fragen
angeschnitten wie etwa: Was bedeutet es für das Selbstverständnis und für die Selbst-
findung des Menschen, daß der wahre Gott der dreipersönliche ist? Welche Konse-
quenzen hat es für die Grundgestalt menschlicher Vergesellschaftung, wenn die ge-
sellschaftsbegründende Sinndimension absoluter Geltung (Peter Berger) selbst
„Communio" ist? Aber auch: Was „bringt" die Trinitätslehre für den Dialog mit dem
Atheismus und den nichtchristlichen Weltreligionen? Kann es gar sein, daß sie, statt
den Dialog zu erschweren, diesem überhaupt erst die Möglichkeit zu einem guten
Gelingen schenkt? Kurz: Es geht darum, das Bekenntnis zum trinitarischen Gott auf
die christliche Glaubenserfahrung und auf menschliche Erfahrung überhaupt zu be-
ziehen, so daß er neue Erfahrungen erschließen, verdunkelte erhellen und aporetische
aus ihren Sackgassen herausführen kann.

Die Studie möchte also zeigen, daß die Trinität nicht nur Gegenstand von Homologie
und Doxologie (von Bekenntnis und Lobpreis) ist, sondern auch der Schlüssel zum
Verstehen der ganzen Wirklichkeit 31 • Es ist buchstäblich so, wie es die Verse Eichen-
dorffs zum Ausdruck bringen:

3t Dabei ist Verstehen nicht nur im Sinne des intelligere gemeint, sondern auch im Sinne von Praxis, so wie
man von jemandem sagt: Er versteht sein Handwerk, d.h. er kann es ausführen, ist ihm gewachsen. Siehe dazu
M. Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen 10 1963, 143. - Gerade die Praxis ist hier in besonderer Weise gefragt,
wie zu Recht J. M. Lochman, Zum praktischen Lebensbezug der Trinitätslehre, in: EvTh 35 (1975) 283. 241
schreibt: Eine Beschäftigung mit der Trinitätslehre „erscheint ... nur dann glaubwürdig und deshalb verhei-
ßungsvoll, wenn es gelingt, den praktischen Lebensbezug der Trinitätslehre aufzuweisen. Mehr denn andere
Grundaussagen christlicher Überlieferung leidet doch gerade das Dreieinigkeitsdogma unter dem Verdacht,
daß es sich in ihm um eine abstrakte Theorie handelt. Der Aufgabe, praktische, anthropologische und sozia-
lethische Aspekte der Lehre auszuarbeiten, kommt unter diesen Umständen im Kontext jeder trinitarischen
Theologie eine besondere Bedeutung zu ... Es geht um die Frage, inwiefern der trinitarische Gottesglaube die
menschliche Wirklichkeit beleuchtet und real verändert, ... inwiefern die trinitarische ,Revolution im Got-
tesbegriff' eine entsprechende ,Re-volutio' (METANOIA) in der Welt der Menschen initiiert". Ähnlich auch
R. Panikkar, Trinität, München 1993, 70: „Die Trinität [ist] nicht nur der Grundstein des Christentums von ei-
nem theoretischen Standpunkt, sondern auch die praktische, konkrete und existentielle Basis des christlichen
Lebens". So gilt es, den Trinitätsglauben „auf die Verfassung der erkennbar gegenwärtigen Weltwirklichkeit
überhaupt zu beziehen": E. Herms, Die Lehre im Leben der Kirche, in: ZThK 82 (1985) 230.

24
Einführung

„Schläft ein Lied in allen Dingen,


Die da träumen fort und fort.
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst Du nur das Zauberwort."

Das ,,Zauberwort", das die Wirklichkeit der Welt und die Erfahrung des Menschen
zum „Singen" bringt, so daß sie zu sich selbst kommt, zu Ganzheit, Durchlichtetheit
und Integration, ist der trinitarische Gott in seinem Sein und Handeln. Und weil die
Wirklichkeit nur eine ist, sind auch Teil II und m unserer Studie nicht strikt vonein-
ander isolierbar: christliche und „rein-menschliche" Erfahrungen, die ständig un-
trennbar ineinandergreifen, sollen im Lichte des Trinitätsglaubens betrachtet werden.
Und dies in der Erwartung, daß es vom Glauben an den trinitarischen Gott zu einer
zusammenhängenden Interpretation der Glaubens- und Weltwirklichkeit (in ihrer ge-
genseitigen Verschränkung) kommt und umgekehrt von der Möglichkeit einer sol-
chen Interpretation her zu einer neuen Plausibilität des trinitarischen Glaubens ge-
genüber anderen Weltdeutungen. Präzise die wechselseitige Bezogenheit von
Trinitätsglauben einerseits und christlicher und menschlicher Erfahrung andererseits
ist Gegenstand unserer Studie. Kurz: Es geht um eine Gesamtsicht der Wirklichkeit
aus trinitätstheologischer Perspektive. Insofern aber handelt es sich - paradoxerweise
- gerade nicht (nur) um eine Trinitätstheologie, d.h. um einen einzelnen Traktat bzw.
um ein spezielles Kapitel der Theologie, sondern - wie der Untertitel lautet - um
„eine trinitarische Theologie", also um den Versuch, vom Glauben an den dreieinen
Gott her das Ganze in den Blick zu nehmen.

*
Da die vorliegende Studie einen Beitrag zur Theologie leisten möchte, bedient sie
sich theologischer Argumentationsformen, die für den Nicht-Fachtheologen gele-
gentlich als „Fachsirnpeleien" erscheinen und nicht immer nachvollziehbar sein mö-
gen. Es kommt hinzu, daß für die behandelte Problematik auch eine gewisse Vollstän-
digkeit angestrebt ist, so daß die Fülle der Materialien den einen oder anderen
überwältigen könnte.
Um nun Lesern, die nicht Fachtheologen sind, den Zugang zur Studie zu erleich-
tern, seien folgende Lesevorschläge gegeben: Grundsätzlich sind Exkurse und klein-
gedruckte Passagen sowie die zahlreichen Anmerkungen für die Gedankenfolge
nicht notwendig. Auch die sich jetzt unmittelbar anschließenden methodischen Aus-
führungen von § 2 sowie große Abschnitte von Teil I dienen eher einer fachtheologi-
schen Intention. So können z.B. die Seiten 28-44 ohne weiteres überschlagen wer-
den.
Für das Auffinden der Literaturangaben und das Aufschlüsseln der Abkürzungen
sei auf Seite 585 verwiesen.

*
25
Einführung

„Wenn man Erfinder sein will,


so verlangt man, der Erste zu sein,
will man nur Wahrheit,
so verlangt man Vorgänger" (Immanuel Kant) 32•

Da diese Arbeit „Wahrheit will", scheut sie sich nicht, sich auch ausdrücklich auf viele
Vorgänger zu berufen. Dies wird rein äußerlich dadurch hervorgehoben, daß nicht sel-
ten zitiert wird. Gerade da, wo „Vorgänger" einen Gedanken kompakt und treffend for-
muliert haben, sehe ich keine Veranlassung, diesen aus seiner ursprünglichen Fassung
herauszunehmen und in die eigene Sprachform zu übertragen. Längere Zitate werden
dabei graphisch abgehoben. Daraus daß nicht wenige Zitationen von Hans Urs v. Bal-
thasar, Wolfhart Pannenberg und Jürgen Moltmann stammen, kann man sogleich er-
sehen, welchen Theologen ich mich in Sachen Trinitätslehre besonders verbunden
fühle. Dabei habe ich die leise Hoffnung, daß dann auch das vielzitierte Wort Bern-
hards von Chartres zutreffen möchte: „Wir sind wie Zwerge, die auf Schultern von Rie-
sen stehen; aber vielleicht sehen wir darum auch mehr und weiter als diese".

Richard v. St. Viktor schreibt in seinem Trinitätstraktat einige Sätze, die auf die vor-
liegende Studie angewandet gewiß viel zu hoch gegriffen sind und die doch auf ihre
Weise etwas von dem zum Ausdruck bringen, was über Zielsetzung und Horizont
auch dieser Arbeit gesagt sein sollte:
„Angesichts des Vorhabens meines Buches mag jeder lachen, der will, ja er
kann mich auslachen. Er wird es wohl zu Recht tun! Ich will es gerade heraus
gestehen: nicht sosehr die Wissenschaft ist es, die mich zu diesem Wagnis an-
stachelt, es ist vielmehr eine brennende Glut im Herzen. Was nun, wenn das
Angestrebte zu erreichen mir nicht vergönnt ist? Wie, wenn ich unterm Laufen
zusammenbreche? Gut, ich werde trotzdem die Freude gehabt haben, das Ant-
litz meines Herrn suchend, nach Kräften gelaufen zu sein, mich gemüht, mich
bis zur Erschöpfung ausgegeben zu haben. Und wenn der Weg zu lang war, zu
rauh, zu steil, und ich versage: etwas werde ich doch erreicht haben, falls ich in
Wahrheit sagen kann: ich tat, was ich konnte, ich suchte ihn, doch fand ich ihn
nicht, ich rief nach ihm, aber er hat mir nicht geantwortet (vgl. Hld 5, 6). Und
sieh, jene seltsame Eselin Balaams, die ihren Reiter am Weitergehen hinderte,
irgendwie treibt sie mich an, sie drängt mich, auf dem begonnenen Weg voran-
zueilen. Wieder fängt sie an zu reden, ich höre, wie sie mir sagt: Der, der es
vermochte, mich reden zu machen, wird gewiß auch dich zum Reden bringen.
So wird es Zeit, mit allem Fleiß an unser Vorhaben zu gehen ...
Freilich: die Abgründigkeit des Mysteriums ist so tief, daß ein Mensch kaum
je oder gar nie die geeigneten Worte finden wird, es zu erklären. Keiner wun-
dere oder ärgere sich, wenn ich, nach dem Beispiel der jungfräulichen Mutter,

32 1. Kant, Reflexionen 2159, WW (Ak. Ausg.) XVI, 235.

26
Einführung

die empfangene Wahrheit bei ihrer Geburt in Windeln der Sprache einwickle,
da ich über keine Seidengewänder der Darstellungskunst verfüge. Ist aber ein
Gedanke erwiesenermaßen richtig, dann darf es dem klugen Leser überlassen
werden, die rechten Worte, für die ich ihm höchst dankbar sein werde, als Aus-
druck zu finden" 33 •

*
Im letzten Satz steht das Stichwort „Dank", das am Schluß der „Hinführung" nach-
drücklich aufgegriffen werden soll.

Zu danken habe ich vor allem meiner Sekretärin Frau Annemarie Ramson, die in un-
ermüdlicher Arbeit dieses große und schwierige Manuskript erstellt und wiederholt
modifiziert und korrigiert hat. Zu danken habe ich sodann meinen Assistenten
Dr. Eva-Maria Faber und Dr. Wilhelm Christe, die das Manuskript sorgfältig durch-
geschaut und mit kritischen Anmerkungen versehen haben. Herr Joachim Kittel hat
mich in dankenswerter Weise tatkräftig bei der Verifikation von Zitaten und Litera-
turangaben unterstützt.
P. Dr. H.-J. Lauter OFM, Prof. Dr. Werner Löser SJ, mein spanischer Übersetzer
Dr. R. H. Bemet sowie Dipl. theol. M. Schupp haben mir nach der 1. Auflage detail-
lierte Zusammenstellungen von Druckfehlern zukommen lassen, die in den folgen-
den Auflagen beseitigt werden konnten. Dr. Meinrad Walter verdanke ich wichtige
Hinweise für die zwei neuen Anmerkungen zum Thema „Musik und Trinität" auf
S. 555 f. Bei Herrn Dr. Peter Suchla vom Herder-Verlag bedanke ich mich gern für
die angenehme Zusammenarbeit bis in die nunmehr fünfte, nochmals erweiterte Auf-
lage hinein.
Es war wohl kein Zufall, daß ich während der Arbeit in einer vita communis im Pfarr-
haus zu Freiburg-Kappel leben und schaffen konnte. Wenn manche Pfarrangehörige,
ohne von meiner Beschäftigung mit der Trinität zu wissen, über unsere vita communis
gelegentlich in lockerer Weise als von der „Dreifaltigkeit im Pfarrhaus" sprachen, so
haben sie darin unreflex etwas von der Entsprechung zwischen göttlicher und mensch-
licher Communio erfaßt, die ich- Gott Dank! -in den letzten Jahren bei wechselnder
Besetzung in intensiver Weise erfahren durfte. Darum gilt mein besonderer Dank auch
Stefan Ernondts, Josef Freitag, Joachim Koffler und Toni Leichtfried.

*
Bevor wir nun medias in res gehen, seien eine Reihe von - für den Fachtheologen
wichtige - methodischen Problemen behandelt, deren Lösung von der inneren Struk-
tur unserer Arbeit her in einer ganz bestimmten Weise vorausgesetzt wird bzw. deren
Lösung hier Konsequenz einer bestimmten, im folgenden zu begründenden Option ist.

33 Richard von Sankt-Victor, De trin. m, 1; V, 22 (= B. 83 f, 175).

27
Einführung

§ 2 Methodisches: Trinitätsoffenbarung und menschliche Erfahrung

Da es in unserer Studie nicht nur darum geht, die Trinität als Zentrum des christlichen
Glaubens auszuweisen, sondern auch die im Trinitätsglauben gegebenen Einsichten
für das Verständnis der Wirklichkeit als solcher fruchtbar zu machen (vor allem im
Teil ill, aber auch in den beiden anderen Teilen), sind einige methodische - und zu-
gleich mehr als nur methodische! - Vorüberlegungen vonnöten, um ein solches Un-
terfangen zu rechtfertigen. Dabei gilt das Wort Friedrich Nietzsches: „Die Methoden,
man muß es zehnmal sagen, sind das Wesentliche, auch das Schwierigste, auch das,
was am längsten die Gewohnheiten und Faulheiten gegen sich hat" 34•
Wir werden auf der Linie dieses Wortes uns nicht scheuen, ungewohnte methodi-
sche Voraussetzungen zu machen und Schritte zu unternehmen. Wichtig ist vor al-
lem: Der in der kirchlichen Tradition überlieferte Glaube, daß Gott in sich selbst drei-
faltig, d.h. Vater, Sohn und Heiliger Geist ist, wird in dieser Studie zunächst einmal
schlicht vorausgesetzt. Dieser Glaube ist also jener methodische Anfang, von dem
Ludwig Wittgenstein sagt: „Es ist schwer, den Anfang zu finden. Oder besser: Es ist
schwer, am Anfang anzufangen. Und nicht zu versuchen, weiter zurückzugehen" 35 •
Gewiß werden wir insofern „weiter zurückgehen", als wir wenigstens in einer ganz
knappen Skizze den neutestamentlichen Urgrund dieses Glaubens bestimmen und in
Teil I ausführlicher dessen Reflexion in der Glaubens- und Denkgeschichte an eini-
gen Stationen betrachten. Dies geschieht aber nicht, um „hinter" den Anfang zu blik-
ken, sondern um diesen in seinem Gehalt, seiner Intention und Sinnspitze genauer
wahrzunehmen.
Daß mit diesem „Anfang" nicht einem „Offenbarungspositivismus" gehuldigt
wird, aufgrund dessen alles folgende an einem dünnen „fideistischen Faden" hängt,
wird sogleich deutlich werden, wenn wir uns dem ersten methodischen Problem zu-
wenden.

1. Anmerkungen zum Problem „Glaube und Erfahrung

Die von uns beabsichtigte Herausarbeitung der Beziehung von Trinitätsglaube und
Wirklichkeitserfahrung setzt voraus, daß erstens der Glaube es prinzipiell mit Erfah-
rung zu tun hat, und daß zweitens auch speziell der Glaube an den dreifaltigen Gott,
obwohl er doch als mysterium stricte dictum bezeichnet wird, davon nicht ausge-
schlossen ist. Beide Voraussetzungen aber sind problematisch. Denn wird der Glaube
im Hebräerbrief (11, 1) nicht geradezu definiert als „Feststehen in dem, was man er-
hofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht"? Ist also der Glaube nicht et-

34 Fr. Nietzsche, Der Antichrist § 59, WW (Schlechta) II, 1231.


35 L. Wittgenstein, Über Gewißheit, Frankfurt 1951, 123.

28
Einführung

was, das nicht in Erscheinung und damit in den Bereich der - wie auch immer gear-
teten - Erfahrbarkeit tritt?
Ohne auch nur annähernd das weite Gebiet des Problems „Glaube und Erfahrung"
abschreiten zu können 36 , sei hier kurz skizziert, wie im Rahmen unserer Untersu-
chung das Verhältnis des Glaubens zur Erfahrung verstanden und warum es so ver-
standen wird.

„Bevor" - und diese Konjunktion ist sowohl im Sinne einer chronologischen wie
auch ontologischen Priorität zu verstehen - Angebot und Aufforderung des christli-
chen Glaubens den Menschen erreichen, macht dieser immer schon Erfahrungen: mit
der ihn umgebenden Welt, mit den Mitmenschen, mit sich selbst und sucht diese Er-
fahrungen mit seiner Vernunft zu ergründen und deren Vielfalt zur Einheit zusam-
menzubringen. Doch viele und die wichtigsten Erfahrungen sind, wie sich zeigt, dun-
kel, zwiespältig, widersprüchlich; es fehlt ihnen Ganzheit, sie lassen sich nicht
integrieren, lösen unbeantwortbare Fragen aus. Gerade so weisen sie über sich hinaus
auf etwas hin, was vom Menschen her nicht in den Griff zu bekommen und auf den
Begriff zu bringen ist. Da es aber zum vollen und eigentlichen Begriff der Erfahrung
gehört, daß man nicht nur einzelne Eindrücke, Informationen, Ideen u. dgl. erhält,
sondern daß diese sich zu einem einheitlichen Bild, zu einer „Welt" zusammenfügen,
bleibt ohne einen stimmigen Gesamtzusammenhang, indem die einzelnen Widerfahr-
nisse und deren Resultat eingeordnet und verstanden werden können, die Erfahrung
des Menschen fragmentarisch, gebrochen, ambivalent. Stimmig, durchsichtig und
licht wird sie erst, wo ein Gesamtzusammenhang aufleuchtet, in dem die einzelnen
Momente einen sinnvollen Platz erhalten.
Der christliche Glaube (natürlich nicht nur er) stellt sich als ein solcher, sich der Of-
fenbarung Gottes verdankter, integrierender Erfahrungshorizont vor 37 vor. Denn da
Gott, wie der Glaubende bekennt, aus sich selbst heraustritt und sich dem Menschen in
seiner Welt und Geschichte mitteilt, wird nicht nur offenbar, wer Gott ist, sondern
auch, wer der Mensch ist. Wo Gott spricht und handelt, sagt er nicht nur etwas über

36 Vgl. dazu aus neuerer Zeit z.B. E. Schillebeeckx, Christus und die Christen. Die Geschichte einer neuen
Lebenspraxis, dt. Freiburg i.Br. 1977, 24-57; D. Mieth, Nach einer Bestimmung des Begriffs „Erfahrung":
Was ist Erfahrung?, in: Conc. 14 (1978) (159-167; R. Schaeffler, Fähigkeit zur Erfahrung= QD 94, Freiburg
i.Br. 1982; W. Kasper, Der Gott Jesu Christi, Mainz 1982, 106-116 (Lit.). In philosophischer Perspektive:
R. C. Laing, Phänomenologie der Erfahrung, Frankfurt 1973. Für die „ältere" Form der Problemfassung
„Glaube und Erfahrung" ist die ganze, auf der augustinischen Formel: „ld quod credirnus nosse et intelligere
cupimus" (De lib.arb. II, 2 [= CC 29, 239]) aufbauende Diskussion um das anselmische Axiom „Fides quae-
rens intellectum" zu berücksichtigen.
37 Dabei soll keineswegs verkannt werden, daß unter den Bedingungen der (faktisch sündigen) Geschichte
der Horizont des Glaubens dem Menschen nicht einfach als ein auf den ersten Blick stimmiges, harmonisch-
barmonisierendes Integrationsgebilde erscheint, sondern immer auch als etwas „Fremdes" und „Befremdli-
ches", das zu einem Blick- und Perspektivenwechsel provoziert, das - in der Sprache der Heiligen Schrift -
zur ständigen Umkehr auffordert und die undurchschaubare Transzendenz des Deus semper maior spüren
läßt. Und dennoch bleibt wahr, daß der Mensch in der Annahme des christlichen Glaubens einen integrieren-
den Erfahrungshorizont empfängt, der ihn seine „ vorchristliche" Erfahrung in einem neuen Licht sehen läßt.

29
Einführung

sich, sondern auch über den Adressaten seines Sprechens und Handelns aus: über den
Menschen und seine Welt 38 • So gesehen bedeutet glauben immer auch: neue „Erfah-
rung mit der Erfahrung machen", wie Eberhard Jüngel treffend formuliert 39, das heißt,
das „zuvor" Erfahrene in einen umfassenderen Horizont, in einen bis dahin ungeahn-
ten Gesamtzusammenhang, unter ein neues Licht stellen. Damit wird durch Offenba-
rung und Glaube unser Erfahrungshorizont „strukturell so verändert, daß alle Inhalte,
auch die längst zuvor schon bekannten, einen veränderten ,Stellenwert' erhalten" 40
und nunmehr in einer neuen Tiefe, gewissermaßen als „Relief' erscheinen. Doch diese
„Neuheit" ist nur relativ. Biblisch gesagt ist das „neue Gebot" immer auch das uralte
(1 Joh 2, 7). Denn im Licht der christlichen Offenbarung und des Glaubens zeigt sich
die neue Wahrnehmung alles bis dahin „Vorchristlichen" - also die vorangehenden Er-
fahrungen und der Versuch des Menschen, sie mit Hilfe der Vernunft zu integrieren
und sich so in der Wirklichkeit Orientierung zu verschaffen - als etwas, worauf der
Mensch immer schon angelegt, wohin er unterwegs war, wonach er im Grunde, viel-
leicht ohne es zu wissen, Ausschau gehalten hatte, ohne sich aber das Neue selbst ver-
mitteln zu können. Denn auf die freie und unverfügbare Selbstmitteilung Gottes hin
angelegt, sind der Mensch, seine Vernunft und sein unendlich offener Erfahrungsho-
rizont zwar jene „potentia", die nur durch das Geschehen (den „actus") der liebenden
Selbsthingabe Gottes voll aktuiert werden. Doch läßt sich nur vom „actus" auf die
„potentia" schließen; von der „potentia" auf den „actus" läßt sich dagegen - was die
Theorie betrifft - nur rätseln und mutmaßen und - was die Praxis angeht - nur sehnen
und experimentieren. Erst das Geschehen der Offenbarung selbst bringt jenes Licht
mit sich, in dem die Erfahrungen des menschlichen Daseins aus ihrer Ambivalenz und
Gebrochenheit, Unbestimmtheit und Potentialität befreit und zu sich selbst gebracht
wird - unter den Bedingungen geschichtlicher Vorläufigkeit freilich nur im Ansatz
und Vorschein, in vollendeter Gestalt erst jenseits der Todesschwelle bei Gott.
So sind die Offenbarung und der ihr entsprechende Glaube nicht jenseits mensch-
licher Erfahrung, sondern bilden die - geschichtlich vermittelte - transzendentale
Bedingung dafür, daß diese zu sich selbst, zu ihrer Vollendung kommen. Würde man
dies leugnen, so hätte dies einen unvermittelten Bruch zwischen (vorgläubiger) Er-
fahrung und Glaube zur Folge. Die Offenbarung würde dem Menschen einen Glau-
bensakt zumuten, der ihn in gnostischer Manier aus seinem In-der-Welt-Sein in eine
Überwelt, die mit unserer Erfahrungswelt nichts zu tun hätte, auszusteigen hieße.
Entgegen dem eigenen Selbstverständnis wäre der Glaube nicht Heil, Ziel und Erfül-
lung des konkreten Weltseins und seiner Welt, sondern Absprung in eine irrational-
separate Sphäre, in die Beliebigkeit einer „Glasperlenspiel-Provinz", in eine unver-
bindliche Stimmungslandschaft. Irrational, beliebig, unverbindlich deshalb, weil

38 Vgl. GS 22, wonach Christus ,,in der Offenbarung des Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe dem
Menschen den Menschen selbst voU kund macht". Siehe auch GS 13, 41 u.ö.
39 Jüngel, Gott XL
40 Schaeffler, aaü. 63.

30
Einführung

zwischen der kommunikablen Erfahrungswelt hier und heute und der Welt des Glau-
bens nur der inkommunikable „Sprung" in ein „ganz anderes" Jenseits herrschen
würde. Soll diese Konsequenz nicht sein - und sie darf vom Selbstverständnis des
christlichen Glaubens her, der den Menschen und dessen Welt in seiner Gesamtheit
erfassen will, nicht ein -, so stellt sich das eben dargestellte Zueinander von Erfah-
rung und Glaube als ein brauchbares Modell ihrer Zuordnung dar. Kurz: Es gilt, im
Glauben neue „Erfahrung mit der Erfahrung zu machen".
Damit ist auch gegeben, daß Offenbarung und Glaube, ohne sie aus der menschli-
chen Erfahrung ableiten zu können, sich doch an ihr aufweisen und „verifizieren" las-
sen. Es ist möglich, im Diskurs zu prüfen und in der Bestätigung des Lebensexperi-
ments zu erfahren, ob der im Glauben erschlossene neue Erfahrungshorizont die
Wirklichkeit zum tieferen und eigentlichen Verstehen bringt, ob - anders gesagt - der
„actus" des christlichen Glaubens der „potentia" des „vorchristlichen" Menschseins,
seinem Verstehen und seiner Praxis entspricht.

Konkret auf die die Trinitätslehre gewendet, bedeutet dies, daß auch sie darauf hin
befragt werden kann (und soll), ob und wie sie Wirklichkeit erschließt, ob und wie sie
eine neue „Erfahrung mit der Erfahrung" bringt, ob und welche Konsequenzen sie für
das Umgehen mit Mensch und Welt mit sich bringt. Wenn dies aufgezeigt werden
kann, findet der Trinitätsglaube, also jener bereits erwähnte methodische „Anfang",
der nicht hintergangen werden kann, selbst eine gewisse „Verifikation" und „Plausi-
bilität". Dadurch wird nicht etwa der Glaube in unmittelbare Erfahrung oder rationa-
les Wissen aufgelöst oder dadurch überboten. Vielmehr geht es um ein Verstehen im
Glauben an den dreifaltigen Gott, um eine tiefere Ein-Sicht in das Mysterium, und
zwar auf einem Weg, den grundsätzlich schon Thomas v. Aquin gewiesen hat. Denn
im Rückgriff auf die von Aristoteles im 8. Buch der Topik enwickelte Denkfigur ,,Ad
positionem" zeigt der Aquinate - nicht von ungefähr gerade in jenem Artikel, in dem
er eine natürliche Erkenntnis (cognitio per naturalem rationem) der Trinität ablehnt:
STh 1, 32, 1 - , daß es möglich ist, für den Glauben eine zwar nicht zwingende, wohl
aber probable Beweisführung dadurch zu führen, daß man das Aufzuweisende (hier:
die Trinität) als Hypothese setzt und daraufhin prüft, ob die hieraus sich ergebenden
Konsequenzen stimrnig 41 und - so möchten wir hinzufügen - in dieser „Stimmig-
keit" gerade realitätserschließend sind. Somit findet sich bereits bei Thomas eine Ver-
hältnisbestirnmung von Glaube und Rationalität bzw. Glaube und rationaler Erfah-
rung, die der zuvor gegebenen mindestens ähnelt 42 •

41 STh I, 32, 1 ad 2. - Was Thomas also ablehnt, ist die Möglichkeit eines zwingenden rationalen Beweises
für den trinitarischen Gott. Denn das hieße, die eigenständige Würde (dignitas) des Glaubens auf die be-
grenzte menschliche Vernunft zu reduzieren sowie gegenüber Nichtglaubenden den lächerlichen Anschein
zu erwecken, die Christen bekennten sich auf Grund einer nur probablen Beweisführung zum trinitarischen
Gott. Siehe aber S. 34f.
42 Die von Thomas aufgegriffene aristotelische Methode „Ad positionem" (in der klassischen Logik auch
,,modus tollens" genannt) findet sich ebenso bei B. Pascal, Reponse au tres bon Reverend Pere Noel, in

31
Einführung

2. Verschärfung: Trinitätsglaube und Erfahrung?

Mit diesen zuletzt gegebenen Ausführungen sind wir bereits an eine Verschärfung
des Problems „Glaube und Erfahrung" gelangt: Mag auch - so kann gefragt werden -
zwischen Glaube (allgemein) und menschlicher Erfahrung eine Beziehung bestehen
- darf dies denn auch für den Glauben an den dreifaltigen Gott gelten? Sagt solcher
Glaube nicht etwas über das innerste, „intimste" Leben Gottes aus, das, der Vernunft
unerreichbar, absolut jenseits der menschlichen Erfahrungswelt steht und sich nur in
der personalen Selbsterschließung Gottes als unzugängliches, schweigendes myste-
rium strictissime dictum offenbart?
Die theologische Tradition hat diesen Einwand folgendermaßen konkretisiert: Die
Erfahrungswelt tut zwar die Wirklichkeit eines höchsten göttlichen Wesens kund,
weil alles Geschaffene auf dieses als auf das letzte tragende Prinzip des Seins not-
wendig verweist. Alles Kreatürliche spiegelt den Creator wider und bleibt auf ihn als
auf seinen Grund und sein Ziel bezogen. Nun ist der Schöpfergott zwar der trinitari-
sche Gott, aber er ist es nicht als trinitarisch sich zeigender. Vielmehr gilt nach Tho-
mas v. Aquin: „Das schöpferische Wirken Gottes ist der ganzen Trinität gemeinsam.
Daher bezieht es sich auf die eine göttliche Wesenheit, nicht aber auf die Personen in
ihrer Unterschiedenheit". Und die Konsequenz: „Durch den natürlichen Verstand
kann von Gott erkannt werden, was zur Einheit seines Wesens, nicht aber was zum
Unterschied der Personen gehört" 43 • Deshalb hat kreatürliche Erfahrung als solche es
zwar mit dem einen Gott, nicht aber mit Gott in seinem dreipersönlichen Sein, Leben
und Wirken zu tun. „Relatio Dei ad extra est una", heißt darum ein altes theologi-
sches Axiom, frei übersetzt: „Die Beziehungen Gottes nach außen (in der Schöpfung)
bringen ihn als einen (nicht als dreieinen) ins Spiel."

Oeuvres completes (Ed. Gallimard), Paris 1954, 374: „Pour trouver la cause de plusieurs phenomenes con-
nus, on pose une hypothese, cette hypothese peut etre de trois sortes. Car quelquefois on conclut un absurde
manifeste de sa negation, et alors l'hypothese est veritable et constante; ou bien on conclut un absurde mani-
feste de son affirmation, et alors l'hypothese est tenue pour fausse; et lorsqu'on n'a pu encore tirer d'absurde,
ni de sa negation, ni de son affirmation, l'hypothese demeure douteuse".
Auch der newmansche „Grarnmar of Assent" ist nicht weit von dieser Methode entfernt: Für J. H. Newman
wird ein bestimmtes Glaubensurteil umso gewisser, je mehr es durch Verknüpfung mit anderen Urteilen in
größere Zusammenhänge stimmig eingeordnet werden kann. Siehe vor allem J. H. Newman, Entwurf einer
Zustimmungslehre, dt. Mainz 1961. Dazu: D. A. Pailin, Tue Way to Faith. An Exarnination of Newman's
Grammar of Assent as a Response to the Search of Certainty in Faith, London 1966.
Kriterien, wodurch und wie die „Stimmigkeit" eines bestimmten „Obersatzes" (wie z.B. der des Trinitäts-
glaubens) durch Konsequenzen und Verknüpfungen bestätigt werden kann, hat Reich, Trinitätslehre
(Anm. 22) 206 f zusammengestellt: Es soll diejenige Vorstellung (Hypothese, „Obersatz") den Vorzuggenie-
ßen, die (a) ein breiteres Spektrum von verschiedenartigen Phänomenen beschreibt bzw. erklärt, (b) in mehr
Bereichen überprüft worden ist, (c) schon zu mehr unerwarteten Voraussagen und Anwendungen geführt hat,
(d) exaktere Ergebnisse liefert, (e) zuverlässiger ist und (f) ggf. als einzige bestimmte Phänomene erklären
kann: Dabei ist nicht ein einzelner der Punkte (a)- (f) entscheidend, sondern deren „Aggregat". Zwar dürfen
einige dieser Testfragen für die Theologie Schwierigkeit bereiten, insgesamt kann aber das hier angegebene
Fragespektrum hilfreich sein. Siehe dazu auch die von Reich angegebene Literatur 20712.
• 3 Thomas v. Aquin, STh 1, 32, lc.

32
Einführung

Diese theologische Lehre hat eine lange, komplexe Geschichte 44 •


Während Origenes die unterschiedlichen Wirkbereiche der drei göttlichen Personen in der
Schöpfung betont, stellen Athanasius und nach ihm die Kappadozier eher deren Wrrkeinheit,
die keinen Rückschluß auf das innergöttliche Leben gestattet, heraus. Augustinus erklärt in sei-
nen „Confessiones" (VII, 9, 13 f) , er habe, wenn auch korrekturbedürftig, in den platonischen
Schriften die Trinität gefunden. Nicht zuletzt deshalb hält er es in seinem neuplatonisch gefärb-
ten Frühwerk noch für möglich, den trinitarischen Gott, insofern dieser als solcher in die krea-
türliche Welt gewissermaßen hinein-„fließt", gleich einer Ursache aus ihren Wrrkungen zu er-
kennen45. Doch ändert sich während der Arbeit an seinem großen Werk „De Trinitate" die
Sachlage. Jetzt gibt es für ihn nur noch Spuren der Trinität in der Schöpfungswirklichkeit, vor
allem im triadisch strukturierten menschlichen Geist, der irnago Dei schlechthin. Es sind aber
nur Spuren (vestigia), die keinerlei argumentativen Rückschluß erlauben, sondern in denen der
Glaubende (und nur er) lediglich Entsprechungen zum dreieinen Gott entdeckt. „Weil der
Schöpfer sich im Verstand durch seine Werke offenbart, haben wir uns zur Einsicht in die Tri-
nität zu erheben, deren Spuren geziemenderweise in der Kreatur erscheinen. Denn in der Trini-
tät ist der letzte Ursprung aller Dinge, in ihr vollkommenste Schönheit und seligste Freude ...
Wer das sieht, wenn auch nur im Bruchstück oder im Spiegelbild und Rätsel, soll sich der Er-
kenntnis Gottes freuen . . . Wer es aber nicht sieht, möge durch frommen Glauben (pietate) zum
Sehen gelangen" 46 .
Nur der Glaubende weiß also mit Sicherheit, daß es in Gott drei „distincta" gibt, und er allein
stellt dieses Glaubensdatum dann in Korrespondenz zu triadischen geschöpflichen Strukturen,
gewissermaßen nach dem Muster „dort drei" - „hier drei" 47. Diese Korrespondenz ist für Au-
gustin ein „mirum", aber sie übersteigt nicht ein „quantulumcumque conicere" 48. Denn er ist
sich dessen bewusst, daß sein Blick von vornherein durch den Glauben in eine bestimmte Rich-
tung geht und deswegen die Phänomene so (und nicht anders) ordnet. Das Dogma ist also die
Konstante, von der er ausgeht, und die Erfahrungswelt die Variable 49 . So bleibt der trinitarische
Gott im eigentlichen Sinn ,jenseits" unserer Erfahrungswelt und ist als solcher nur im Glauben,
der sich auf die heilsgeschichtliche Offenbarung stützt, zu erfassen. Die trinitarisch differen-
zierte Offenbarungsgeschichte veranlaßt also Augustin nicht, auch der Schöpfungswirklichkeit
die gleiche Qualifikation zuzusprechen. Hier gilt vielmehr das Prinzip, daß die göttlichen Per-
sonen „inseparabiliter operantur" 50.
Diese augustinische Position wurde in der folgenden Zeit weiter expliziert, reflektiert und in
der Formulierung von Prinzipien wie z.B. „Opera trinitatis ad extra sunt indivisa" - nicht zu-
letzt durch Anselm v. Canterbury und Petrus Lombardus vermittelt - „zum Allgemeingut der
scholastischen Theologie" 51.

44 Vgl. dazu Pannenberg, SystTh. II, 15- 23.


45 Vgl. De div. 83, qu . 18 (=BA 10, 66). Siehe dazu A. Schindler, Wort und Analogie in Augustins Trinitäts-
lehre, Tübingen 1965, 20ff.
46 De Trin. VI, IO, 12 (= BA 15, 498 t).
47 Vgl. dazu Schindler, aaO. 180.
48 De Trin. XV, 21 , 40 (=BA 16, 530).
49 Vgl. Schindler, aaO. 206.
so Vgl. DeTrin. I, 4, 7 ; IV, 21 , 30 ; VI, 7, 9 (=BA 15, 104. 418f. 488). Schindler, aaO. 127 fragt von hier
aus wohl zu Recht, ob aufgrund dieser Trennung von Heilsgeschichte und Schöpfungslehre nicht schon „das
Auseinanderfallen der Gotteslehre in zwei zusammenhangslose Hälften, nämlich in die Lehre vom einen
Gott, der auch als einer auf die Kreatur wirkt, und von drei Personen, die völlig jenseitig bleiben, ... faktisch
geschehen ist".
s1 W. Simonis, Trinität und Vernunft. Untersuchungen zur Möglichkeit einer rationalen Trinitätslehre bei

33
Einführung

Dennoch lassen sich im weiten Feld scholastischen Denkens auch andere Akzente ausma-
chen. Zum einen läßt - ganz allgemein - der augustinische Gedanke von den vestigia trinitatis
noch einen großen Interpretationsspielraum zu, zum andern gibt es deutliche Gegenakzente. So
schreibt z.B. Richard v. St. Viktor: „In der geschaffenen Natur, die nach Bild und Gleichnis der
göttlichen erschaffen wurde, pflegen wir nach einigen Ähnlichkeiten mit der göttlichen zu su-
chen, um uns von da[!] zum Verständnis Gottes zu erheben" 52 ; und bei Hugo v. St. Viktor liest
man: „Es ist kein Wunder, daß die Vernunft durch sich selbst diese Trinität hat erfassen können;
denn auch die heidnischen Philosophen haben, allein von der natürlichen Vernunft geleitet, dies
erfassen können, wie z.B . Platon, für den es einen nous, to agathon und die Weltseele gibt" 53 •
Doch seit dem 13. Jahrhundert verneint man gemeinhin die Auffassung, daß der Mensch aus
der Schöpfung Gott in seinem dreipersönlichen Wesen erkennen könne. Besonders seit Gilbert
v. Poitiers und Wilhelm v. Auvergne setzt sich immer mehr die Überzeugung durch, daß der
Vernunft nur die Einheit Gottes, nicht aber dessen Dreiheit zugänglich sei. „Die These hatte
großen Erfolg. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, daß nach einer Zeit der Autonomie
der Vernunft von der Hochscholastik die Notwendigkeit von Offenbarung und Glaube vor allem
gegen die Fakultät der artes gesichert werden mußte" 54 • Oder anders: der Trinitätsglaube hatte
sich eine Sicherheit zu geben, die allein durch Vernunftgründe vor der Artistenfakultät nicht zu
begründen war. Etwas davon schimmert bei Thomas v. Aquin durch, wenn er sich in STh I, 32,
lc gegen die Beweisbarkeit der Trinität richtet, um sich nicht „lächerlich" zu machen. Doch hält
selbst Thomas wenigstens den Hervorgang eines wesensgleichen göttlichen Wortes für einsich-
tig (STh I, 27, 1), ja notwendig (ebd. ad 2) 55 und stellt das Faktum von vestigia trinitatis, deren
ontologischen Status er reftektiert 56 , heraus. Die Überzeugung von „Spuren der Trinität" in der

Anselin, Abaelard, den Viktorinem, A. Günther und J. Frohschammer, Frankfurt 1972, 17. An dieser Stelle
und im folgenden auch Einzelheiten und Differenzierungen.
52 De Trin. V, 23 (= B. 221).
53 Sententiae de divinitate, fol. 58v. Lat.Text zit. nach Smits, aaO. 2472s (eigene Übersetzung). - Zu den
verschiedenen Einstellungen der scholastischen Theologen zur Frage der Erkennbarkeit der Trinität vgl.
L. Hödl, Von der Wrrklichkeit und Wirksamkeit des dreieinigen Gottes nach der appropriativen Trinitäts-
theologie des 12. Jahrhunderts, München 1965; J. Arnold, „Perfecta Communicatio". Die Trinitätstheologie
Wilhelms v. Auxerre, Münster 1995, 67ff.
54 Smits, aaO. 249. -Siehe auch Simonis, aaO. 115f. Auch wenn diese Untersuchung-zumal was die neu-
zeitliche Theologie angeht- z.T. fragwürdig ist, bietet sie doch mannigfaltiges Material für unsere Fragestel-
lung.
" So - mit Hinweis auf noch weitere Thomas-Stellen - L. Oeing-Hanhoff, Thomas v. Aquin und die gegen-
wärtige katholische Theologie, in: W. P. Eckert (Hrg.), Thomas v. Aquino, Mainz 1974, 276f. Dagegen
wandte sich A. Hoffmann, Der Mysteriencharakter der Trinität, in: ThGI 68 (1978) 267-283. Doch Oeing-
Hanhoff wiederholte seine These in: Trinitarische Ontologie und Metaphysik der Person, in: W. Breuning
(Hrg.), Trinität= QD 101, Freiburg i.Br. 1984, 174--177. Dagegen wiederum A. Hoffmann, Ist der Hervor-
gang des Wortes beweisbar? Bemerkungen zu STh 1, 27, 1 und 1, 32, 1, in: MThZ 34 (1983) 214--223. Auch
darauf gibt es wiederum eine Replique von Oeing-Hanhoff in: ders„ Metaphysik und Freiheit, München
1988, 155- 158. Anders als Oeing-Hanhoff auch W. Kern, Dialektik und Trinität in der Religionsphilosophie
Hegels. Ein Beitrag zur Diskussion mit L. Oeing-Hanhoff, in: ZKTh 102 (1980) 145 f, der auf STh 1, 32, J
verweist: „Impossible est per rationem naturalem ad cognitionem trinitatis divinarum personarum perve-
nire". Weiteres Material gegen die Position von Oeing-Hanhoff präsentiert auch die jüngste Studie über die
thomanische Trinitätslehre: H. Chr. Schrnidbaur, Personarum Trinitas. Die trinitarische Gotteslehre des hei-
ligen Thomas von Aquin, St. Ottilien 1995, 115- 129.
56 Vgl. z.B. STh 1, 45, 7: „In omnibus creaturis invenitur repraesentatio Trinitatis per modum vestigii, in
quantum in qualibet creatura inveniuntur aliqua quae necesse [!] est reducere in divinas Personas sicut in
causam". Siehe auch STh 1, 93, 6. Dazu: H. Jorissen, Zur Struktur des Traktates ,De Deo', in der Summa

34
Einführung

Schöpfung wird vor allem von den Franziskanertheologen (Bonaventura, Robert Grosseteste)
vertreten und läßt sich noch bis an die Anfänge der reformatorischen Theologie nachweisen. So
sagt Luther in einer Tischrede: „In allen Creaturen ist und siebet man Anzeigung der heiligen
Dreifaltigkeit. Erstlich das Wesen bedeutet die Allmacht Gottes des Vaters; zum andern die Ge-
stalt und Form zeigt an die Weisheit des Sohnes, und zum dritten der Nutz und Kraft ist das Zei-
chen des Heiligen Geistes; daß also Gott gegenwärtig ist, in allen Creaturen, auch im geringsten
Blättlin und Mohnkömlin" 57 • Erst in der Neuzeit verliert die Überzeugung, daß die Trinität in
und aus der Schöpfungswirklichkeit erkennbar ist, mehr und mehr an Gewicht. Im katholischen
Raum: wegen der immer schärfer herausgearbeiteten Differenz einer natürlichen und übernatür-
lichen Ordnung (dabei gehört die Trinitätsoffenbarung eindeutig zur übernatürlichen Ordnung).
Im evangelischen Bereich (erst später, um die Wende zum 20. Jahrhundert): wegen der verbrei-
teten Skepsis gegen alle ,,natürliche Theologie" und wegen der zunehmenden, in der Gegenwart
gelegentlich sogar exklusiven Bindung der Trinitätsoffenbarung an das Kreuzesereignis (Karl
Barth, Eberhard Jüngel, Jürgen Moltmann).
Trotz dieser Tendenz gibt es in der katholischen Theologie durchaus auch weiterhin noch Be-
mühungen, die göttliche Trinität aus ihrer isolierten Rolle in der übernatürlichen Glaubenswelt
zu befreien und sie als Gegenstand rationalen, philosophischen Diskurses vorzustellen. Zu nen-
nen sind hier im 19. Jahrhundert vor allem Anton Günther und Jakok Frohscharnmer 58 und auf
andere, je sehr verschiedene Weise auch Herman Schell 59 und Maurice Blonde) 60 . In der Ge-
genwart legte Ludger Oeing-Hanhoff auf der Linie Hegels einen rationalen Aufweis für die Tri-
nität vor und wies - sich selbst in eine große Tradition stellend - darauf hin, daß Augustin sein
„De Trinitate" auch für nichtgläubige Denker geschrieben hat, daß Anselm v. Canterbury ratio-
nes necessariae für die Trinität angab, Thomas wenigstens den Hervorgang des göttlichen Wor-
tes für einsichtig und notwendig hielt 61 und probable Argumente für die Trinität bejahte 62 und
Nikolaus von Kues erklärte: „Veritas trinitatis ab omnibus de necessitate arnplectetur" 63 .
Solche Versuche, einen Zugang zur göttlichen Dreieinigkeit nicht erst und nicht ausschließ-
lich aufgrund der spezifisch biblischen Offenbarungsgeschichte zu finden, widersprechen nicht
dem kirchlichen Lehramt. So hat z.B. das wohl erstmals von Anselm v. Canterbury formulierte

theologiae des Thomas v. Aquin, in: M. Böhnke / H. Heinz (Hrg.), Im Gespräch mit dem dreieinen Gott, FS
W. Breuning, Düsseldorf 1985, 238f; Schmidbaur, aaO. 62f, 105. Dieses thomanische „necesse est" meint
nicht, daß aus den vestigia der Schöpfung ein strikt rationaler Nachweis der Trinität erbracht werden kann,
sondern daß „die glaubende Vernunft bei der Suche nach intellektueller Rechtfertigung nicht völlig lichtlos
und einem widervemünftigen Fideismus ausgeliefert" ist: Schmidbaur, aaO. 105. Ich würde noch hinzufü-
gen, daß sich erst im Licht des Trinitätsglaubens der allen erfahrbare vestigia-Charakter der Schöpfung klärt.
51 WA T 1, 395f.
58 Siehe dazu die Arbeit von Simonis.
59 Vgl. H. Schell, Kath. Dogmatik, Bd. II, Paderborn 1890 = München u.a. 1972, 6: „Die spekulative
Schwierigkeit darf nie zum Vorwand schonender Behandlung werden; sonst wird damit dem Vorwurf recht
gegeben, die Kirche wisse mit ihren höchsten Mysterien eigentlich nichts anzufangen; daher suchte man das-
selbe möglichst zu isolieren und so unschädlich zu machen, wie der Organismus es mit Stoffen macht, die er
nicht zu verwerten, aber auch nicht auszusondern vermag".
60 M. Blonde!, Die Aktion (1893), dt. Freiburg i.Br. 1965, 375: „Da das Personale nicht einsam sein kann, da
es nur eins ist, indem es nicht allein ist, ... ist [seine Vollkommenheit] ohne die Trinität unbegreiflicher, als
die Trinität selbst für den Menschen unbegreiflich ist. Die Trinität ist der ins Absolute übertragene ontologi-
sche Beweis, wo dieser Beweis kein Beweis mehr ist, sondern die Wahrheit selbst und das Leben des Seins".
61 Vgl. S. 34.
62 Vgl. S. 34.
63 Nikolaus V. Kues, De pace fidei 9, ww (Gabriel) m, 742.

35
Einführung

und vom Konzil v. Florenz (DS 1330) angeführte Wort: „In Deo omnia sunt unum, ubi non ob-
viat relationis oppositio" - „In Gott ist alles eins, wo dem nicht der Gegensatz der Beziehung
entgegensteht" 64 bei Anselm einen Sinn, der keineswegs meint oder assoziiert, daß in der
Schöpfung nur die unitas Creatoris erscheint und erst dann in der Heilsgeschichte die „relationis
oppositio" der drei Personen. Im Gegenteil! Heribert Mühlen hat gezeigt 65 , daß Anselm sagen
will: Die Vorstellung der (numerischen) Einheit Gottes wird gerade dann und immer dann
falsch, wenn man nicht die Gegenseitigkeit personaler Beziehungen in Gott, also die Commu-
nio der göttlichen Personen beachtet. Die unitas Creatoris schließt nicht aus, sondern ein, daß er
als ein „communiales" Prinzip bzw. daß er gerade in der perichoretischen Einheit distinkter
Personen die Schöpfung setzt und in der Schöpfung wirksam ist. Kurz: „Die oppositio relationis
ist bei Anselm also nicht als eine Ausnahme von der Einheit der göttlichen Natur verstanden;
vielmehr korrigiert und mäßigt . .. die Lehre von der Dreiheit der göttlichen Personen die Kon-
sequenzen, welche an sich mit der Lehre von der Einheit der göttlichen Personen sich aufdrän-
gen, und ebenso korrigiert und mäßigt die Lehre der Einheit der göttlichen Natur die Konse-
quenzen, welche an sich mit der Lehre von der Dreiheit der göttlichen Personen verbunden
sind" 66 Die im anselmischen Prinzip gemeinte Einheit ist also immer sofort durch den Ge-
sichtspunkt personaler Beziehungen in Gott gegenläufig zu akzentuieren. Wenn nun auch das
Konzil von Florenz dieses anselmische Prinzip in einer ganz einseitigen Weise aufgreift, näm-
lich in einem dezidiert antitritheistischen Sinn („Pater et Filius et Spiritus Sanctus non tria prin-
cipia creaturae, sed unum principium": DS 1331), so bleibt die ursprüngliche Bedeutung doch
erhalten: das „unum principium creaturae" beinhaltet keine abstrakte Wesenseinheit, sondern
ist in Balance zu setzen zu einer perichoretischen, „communialen" Einheit, die sich dann -
warum eigentlich nicht? - als solche auch in der Kreatur widerspiegelt, so daß - wie Wolfhart
Pannenberg bemerkt - „auch im gemeinsamen Handeln der trinitarischen Personen nach außen
die Gegenseitigkeit ihrer Beziehungen zum Ausdruck kommt" 67 •
Jedenfalls ist höchst bedeutsam, daß auch in den Auseinandersetzungen mit den - so genann-
ten - rationalistischen Strömungen des 19. Jahrhunderts die göttliche Trinität vom kirchlichen
Lehramt nie als mysterium stricte dictum, d.h. als eine zur übernatürlichen, von der bloßen Ver-
nunft nicht erfaßbaren Ordnung gehörenden Wahrheit ausdrücklich verbindlich gelehrt
wurde 68 . Luchesius A. Smits bemerkt dazu: „Das erste Vatikanische Konzil . .. wollte nur die
Verurteilung von Frohscharnmer wiederholen. Die Verurteilung hat Bezug auf die Behauptung,
der Mensch könne mit Hilfe seines eigenen Verstandes erkennen: ,das übernatürliche Ziel des
Menschen und alles, was damit zusammenhängt; auch das hochheilige Geheimnis der Mensch-
werdung des Herrn'. Nur die Menschwerdung Christi und die übernatürliche Bestimmung des
Menschen werden also zu den eigentlichen Mysterien gerechnet. Natürlich ist in der heilshisto-
rischen Trinität dann schon die Wesenstrinität schon impliziert, aber damit ist noch nicht be-
stimmt, ob sie nicht auch in der Schöpfungsordnung impliziert ist" 69 .

64 Anselm v. Canterbury, De proc. S., Opera Omnia (Schmitt) II, 180f.


65 H. Mühlen, Der Heilige Geist als Person, Münster 5 1989, 306ff; ders„ Person und Appropriation. Zum
Verständnis des Axioms: In Deo omnia sunt unum, ubi non obviat relationis oppositio, in: MThZ 16 (1965)
33- 57.
66 Mühlen, Person 46.

67 Pannenberg, SystTh. II, 20.

68 Obwohl dies wohl die sententia communis der Theologen war. Vgl. M. J. Scheeben, Die Mysterien des
Christentums, Ges. Sehr. II, Freiburg i.Br. 1951 , 21-41.
69 Smits, aaO. 246. - Genau zum gleichen Ergebnis kommt auch W. Simonis, Trinität 185, der ergänzend
hinzufügt, daß das eigentliche, vom kirchlichen Lehramt gemeinte Mysterium die geschichtliche Selbstmit-

36
Einführung

Diese Formulierungen Smits' stehen vor dem Hintergrund der traditionellen katholischen
Unterscheidung zwischen einer natürlichen, mit der Vernunft des Menschen erreichbaren und
einer übernatürlichen, allein im Licht des Glaubens erfaßbaren Ordnung. Dem gemäß hat nach
katholischer Auffassung der Trinitäts glauben seinen Ort in der übernatürlichen Ordnung. Doch
wirft diese Differenzierungen von natürlicher und übernatürlicher Ordnung viele Fragen auf,
die hier nicht per longum et latum entfaltet und behandelt werden können 70 . Doch sollen ange-
sichts dieser in der katholischen Theologie verbreiteten „Denkform" (die bemerkenswerter-
weise auf dem II. Vaticanum keine, jedenfalls keine explizite Rolle spielte 71 ) im folgenden ei-
nige Fixpunkte genannt werden, welche die vorliegende Studie methodisch voraussetzt:
(1) Faktisch gibt es keine rein natürliche Ordnung. Das, was Schöpfung ist und heißt, ist fak-
tisch immer schon jene Welt, die aus freiester Liebe im Sohn begründet und auf den Sohn und
dessen „Pleroma" (Fülle) hin erschaffen wurde, jene Welt also, in der der Mensch zum Leben
mit dem dreifaltigen Gott berufen ist. Es ist jene Welt, von welcher der Johannesprolog sagt,
daß der Logos immer schon in ihr war, und von welcher bereits das Alte Testament durchge-
hend zum Ausdruck bringt, daß Gottes Geist sie erfüllt und in ihr wirksam ist. Damit ist verbun-
den, daß Gott sich nicht erst seit der spezifischen Heilsgeschichte des alttestamentlichen Got-
tesvolkes offenbart und mitteilt und daß sein dreifaltiges Wirken nicht erst im Christusereignis
ansichtig wird 72 . Dies muß nicht bedeuten, daß das Offenbarsein Gottes als trinitarischer Gott
dem Menschen immer so und in gleicher Weise gegeben ist wie das Offenbarsein des einen
göttlichen Wesens. Wenn man Ernst damit macht, daß Gott sich in der Geschichte offenbart, so
gehört dazu auch die Anerkennung, daß das menschliche Wissen um Gott in einem Prozeß
steht, der erst im Christusereignis zur Eindeutigkeit und zur - unter der Bedingung der Ge-
schichte - vollen und eindeutigen Klärung kommt 73 • Warum sollte dann nicht auch auf die Tri-
nität das Wort Romano Guardinis angewandet werden: „Es gibt Wirklichkeiten, die an sich zur
,Welt' , zum Ganzen des unmittelbaren Daseins gehören und also durch geklärte und vertiefte
Erfahrung sollten erfaßt werden könnten, faktisch aber erst dann erfaßt werden, wenn sie von
den entsprechenden Wirklichkeiten der Offenbarung übergriffen sind" 74 ? Anders gesagt: Es
gibt - unter der Voraussetzung einer von den Begriffen Natur-Übernatur strukturierten Seh-

teilung Gottes ist. Deren „Übernatürlichkeit ist aber noch nicht angegriffen, wenn es gelingen sollte, die
Dreieinigkeit als immanenten, ewigen Lebensvollzug Gottes aus natürlichen, grundsätzlich rein philoso-
phisch erkennbaren Prinzipien abzuleiten".
10 Eine kurze Problemskjzze findet sich bei G. Greshake, Geschenkte Freiheit, Freiburg i.Br. 5 1992, 61-70.
11 Im Gegenteil! Auf dem letzten Konzil wird die Einheit der verschiedenen Wirklichkeitsdimensionen be-
tont: Gott ist der Herr sowohl der Profangeschichte (historia humana) wie der Heilsgeschichte (historia salu-
tis): GS 41 ; der eine Heilsplan Gottes umfaßt den ordo spiritualis und den ordo temporalis.
12 Nur so dürfte auch der Befund, daß überall in der Religionsgeschichte trinitarische Ideen verbreitet sind,
seine Begründung finden.
73 Selbst wenn bereits vor dieser vollen Klärung ein prinzipieller Zugang zum trinitarischen Gott eröffnet
ist, setzt dies nicht unbedingt das explizite Erfassen eines dreipersonenhaften Antlitzes Gottes voraus. Ein er-
ster Zugang z.B. ist auch in der Erkenntnis der Lebendigkeit Gottes gegeben. Präzise im Blick auf die Leben-
digkeit Gottes bemerkt J. Macquarrie, The Principles of Christian Theology, London 1977, 181: „If God had
non reveled himself as a triune, we would have been compelled to think of him in some such way". Ein an-
derer Zugang kann sich etwa aus der Vielgestaltigkeit der Gottesbeziehungen und -prädikationen ergeben:
Gott ist der „Gott über uns", der „Gott mit uns" und der „Gott in uns". All das sind natürlich keine „Be-
weise", und damit ist noch kein ausdrückliches Bekenntnis zur Trinität gegeben, wohl aber sind dies Zu-
gänge, die in der faktischen vor- und außerchristlichen Religionsgeschichte vielfach zu einem trinitarischen
oder triadischen Gottesbild geführt haben.
74 R. Guardini , Welt und Person, Würzburg 1952, 67.

37
Einführung

weise - nicht nur, wie v. Balthasar bemerkt, den Bereich von Natur und Übernatur, sondern
auch einen dritten Bereich, der aus solchen Wahrheiten und Werten besteht, die an sich in der
Naturordnung fundiert sind, „dort aber erst, wie ein ,Katzenauge', im Angestrahltwerden durch
die Gnade aufleuchten" 75 • Doch ist über Guardini und v. Balthasar hinaus geltend zu machen,
daß das, was von ihnen Natur bzw. Welt genannt wird, keine statische Gegebenheit ist, sondern
in Wrrklichkeit und faktisch der Raum trinitarischen Wirkens und geschichtlichen trinitarischen
Offenbarwerdens. Gott hat sich als er selbst und d.h. auch als trinitarischer nirgendwo unbe-
zeugt gelassen; er gibt sich in und aus der von ihm schöpferisch im Sein gehaltenen und gelei-
teten Welt zu erkennen, freilich nicht so, daß er als auf der verlängerten Linie des dem Men-
schen vorgegebenen geschöpflichen Seins gesehen werden darf, sondern so, daß die
kreatürliche Wirklichkeit in ihrem von Gott in Dienst genommenen Transparenzcharakter auf
ihn hin geschaut wird. Wo dies gegeben ist, gilt das Rahner-Wort: „Die Kreatur vermittelt ihn
[Gott] nicht, insofern sie durch ihre geschaffene Wirklichkeit auf Gott verweist, sondern Gott
vermittelt sich durch sich selbst an die Kreatur" 76 • Eine solche Sicht wird vom sündigen Men-
schen leicht und immer wieder dadurch konterkariert, daß dieser die Welt als etwas ihm zu Ran-
den Gegebenes, ihm Verfügbares und von ihm Beherrschbares an sich reißt und damit auch das
Offenbarsein des lebendigen Gottes verstellt und zur eigenen Projektion pervertiert. Doch ist
grundsätzlich auch eine andere Sicht möglich, zumal dort, wo berufene Propheten die sündige
Immanenz aufbrechen und den Sünder vor das Geheimnis Gottes stellen: vor den lebendigen
Gott, der verzehrendes Feuer ist und doch zugleich den Menschen in Liebe umgibt.
(2) Damit ist ein Begriff von „Natur" und „natürlicher Theologie" erreicht, der in mancher
Hinsicht dem traditionellen Verständnis widerspricht 77 . Wenn und weil ,,Natur" nicht das „irn-
mergleiche", ungeschichtliche Substrat ist, auf dem aufbauend sich dann sozusagen in einem
zweiten Schritt Geschichte verwirklicht, sondern wenn und weil ,,Natur" (besser: Schöpfung)
von Anfang an als Wirkraum des trinitarischen Gottes mit dem Geschöpf geplant ist, so ist sie
von vornherein „beweglich" und „offen" für das, was in ihr von Gott in seiner je größeren, vom
Menschen nie in den Begriff zu bringenden Andersheit und Freiheit und von der unableitbaren,
reagierenden Freiheit des Geschöpfs her geschieht. Gotteserkenntnis aus der so verstandenen
Natur heraus besagt dann von sich her - so Erich Przywara - „nicht Konstruktion Gottes von
der Natur aus, sondern geradezu Verstehen der Kreatur von Gott aus" 78. Natürliche Gotteser-

75 H. U. v. Balthasar, Pneuma und Institution, Einsiedeln 1974, 202. - Dabei geht v. Balthasar am Ende sei-
ner großen Trilogie noch weiter, da er betont, daß, wenn Gott die Welt aus freier Liebe auf eine freie Selbst-
aussage hin erschafft, geschöpfliches Sein „dann notwendig Spur und Bild der innergöttlichen Differenz in
sich enthalten wird": Epilog, Einsiedeln-Trier 1987, 66.
76 Rahner, Sehr. IV, 90. - Deshalb ist auch Roland Faber zu widersprechen, wenn er sagt, daß von der

menschlichen Erfahrung her Gott als trinitarischer nicht zu erschließen sei: „Anders als im Christusereignis
ist Gott nie und unter keinen Umständen als der trinitarische Gott für die Menschen zu erkennen, weil er sich
erst in diesem als trinitarischer Gott zu erkennen gibt": R. Faber, Der Selbsteinsatz Gottes, Würzburg 1995,
88; ähnlich auch ebd. 167, 255 u.ö. Es kommt aber alles darauf an, was hier Erfahrung (Faber gebraucht den
Ausdruck „Selbst-Erfahrung") besagt. Da, wo Welt und Welterfahrung als für Gott transparent von Gott in
seiner Freiheit in Dienst genommen sind, findet in der Erkenntnis Gottes keine Projektion vom Menschen,
der von sich auf Gott hin schließt, statt, sondern dann eröffnet sich umgekehrt in eben dieser „Transparenz"
die je größere Unähnlichkeit Gottes, so daß sie dem Menschen erfahrbar wird.
n Allerdings ist der Begriff ,,natürliche Theologie" ohnehin heute nicht eindeutig. Beispielsweise bestimmt
z.B. Kasper, (Anm. 367) 104, natürliche Theologie so, daß sie „aus einer transzendentalen Reflexion des
Glaubens auf seine eigenen Bedingungen der Möglichkeit" entspringt; „es geht .. . um die dem Glauben ei-
gene Vernünftigkeit und Universalität": ebd. 106.
78 E. Przywara, Analogia entis, Einsiedeln 1962, 453 f.

38
Einführung

kenntnis schließt dann nicht von der Kreatur auf Gott als den „Immer-schon-Gewesenen", son-
dern öffnet sich für den in Schöpfung und Geschichte frei handelnden Gott. Dieser Begriff von
natürlicher Theologie ist nicht weit entfernt von Überlegungen Rahners, welcher vermerkt:
Wenn Schöpfung des Nichtgöttlichen „von vornherein dogmatisch verstanden wird als Moment
an und Bedingung für die Möglichkeit der absoluten Selbstmitteilung Gottes, in der die abso-
lute Liebe nicht etwas von sich Verschiedenes setzt, sondern sich selbst gibt, dann ist die Schöp-
fung als freies Wort der grundlosen Unbegreiflichkeit schon als Anfang und Grammatik der
göttlichen Selbstaussage in das Leere hinein gesehen und als Anfang der trinitarischen Selbst-
offenbarung"79. Allerdings bleibt in diesem Zitat das Verhältnis von „Anfang" und „Gramma-
tik" ungeklärt. Das Stichwort Grammatik verweist auf pure Formalität und inhaltliche Leere
(der deutschen Grammatik kann man nicht Gehalt und Schönheit von Stifters „Nachsommer",
Rilkes „Duineser Elegien" oder Jüngers „Strahlungen" entnehmen), „Anfang" dagegen ver-
weist auf Inhaltlichkeit, Bestimmtheit und Gestalt, die freilich noch auf dem Weg zu ihrer ei-
gentlichen Vollendung sind. Es dürfte deutlich sein, daß unsere Bestimmung von natürlicher
Theologie die Schöpfung und ihre weitere Geschichte als Anfang trinitarischer Selbstoffenba-
rung versteht.
(3) Wenn es faktisch keine natürliche Ordnung (im traditionellen Sinn) gibt und „Natur"
(Schöpfung) immer schon Anfang von trinitarischer Offenbarungs- und Heilsgeschichte ist, so
gibt es auch keine natürliche Vernunft im Sinne eines „neutralen" Vermögens als jener geistigen
Fähigkeit, mit der der Mensch sich die Wirklichkeit zueigen macht, seinen eigenen Ort darin
bestimmt und allenfalls noch eine unbestimmte Offenheit auf Transzendenz erfährt. Vielmehr
ist auch die Vernunft faktisch geprägt von dem und ausgerichtet auf das von Gott in Freiheit er-
öffnete und geschenkte Ziel des Lebens mit dem dreifaltigen Gott. Und da dieses Ziel sich dem
Menschen in einem geschichtlichen Offenbarungsprozeß darbietet, ist die Vernunft nicht indif-
ferent gegenüber den sie an-gehenden geschichtlichen Bestimmungen. So sehr diese geschicht-
lichen Bestimmungen ihrerseits auch von der Vernunft reflektiert werden können, so ist es doch
unmöglich, daß diese sich in ihrem Refiexionsprozeß auf einen ungeschichtlichen Kern zurück-
zieht und sich von ihren geschichtlichen Bestimmungen distanziert. Darum ist es auch letztlich
unmöglich - bei aller Unterschiedenheit der Methoden, methodischen Voraussetzungen und
Argumentationsformen-, philosophische und theologische Vernunft säuberlich voneinander zu
trennen. Konkret: auch eine noch so „autonom" verfahrende Philosophie kann faktisch nicht
davon absehen, daß sie hinsichtlich bestimmter Grundverfassungen und -werte (Freiheitsidee,
Personenwürde, Menschenrechte) vom jüdisch-christlichen Erbe geprägt ist. Diese „Linie" läßt
sich noch weiter ,,nach hinten" verlagern. Wenn schon die ganze Schöpfungswirklichkeit von
Anfang an durch das Wirken des dreieinigen Gottes zutiefst geprägt ist, so gilt dies auch von der
Vernunft. Auf diesem Hintergrund bemerkt C. E. Gunton: „Die Trinität ist ,die Idee aller Ideen'
[Samuel Taylor Coleridge], in gewisser Weise ist sie der Schlüssel für alles Denken und zu-
gleich für alle Wirklichkeit ... Was wir aus der Offenbarung erfahren [leam], kann in seiner
Entsprechung zu den Strukturen der allgemeinen menschlichen Rationalität aufgewiesen wer-
den" 80. Das ist nicht weit entfernt von der Grundvoraussetzung Hegels, nach welcher Gott „als
der Dreieine gewußt, ... die Angel [ist], um welche sich die Weltgeschichte dreht" 81 • Beide
Thesen mögen in gewisser Weise überzogen sein. Sie bringen aber auf ihre Weise zum Aus-
druck, daß zwischen Trinitätsglauben und Wirklichkeitserfahrung kein Abgrund, sondern ein
Zuordnungs-, ja Integrationsverhältnis besteht.

79 Rahner, Sehr. Vill, 174.


80 C. E. Gunton, The One, the Three, and the Many, Cambridge 1993, 211.
s1 Hegel, Vorlesungen (Anm. l) 722.

39
Einführung

Umgekehrt: Wenn es nicht so wäre, entstünde ein Widerspruch zwischen philosophischem


und theologischem (glaubensmäßigem) Zugang zur Welt. Der philosophische Zugang (jeden-
falls der im Sinne der klassischen Metaphysik verlaufende) würde Sein unter einem Einheitsbe-
griff denken, in dem letztlich alle Differenzen eingeschmolzen sind. Ist ein solches Einheitsden-
ken aber „der ursprüngliche Ort für die Erfassung von Sein im Ganzen, dann würde die ratio
formalis unserer Seinserkenntnis, von der wir behaupten, sie sei adäquat, insofern sie das Sein
in seiner Totalität und in seinem An-sich erfaßt, von der Offenbarung der Trinität radikal ge-
sprengt: Offenbarung und philosophische Seinserkenntnis stünden sich nicht mehr analog, son-
dern dialektisch gegenüber" 82, da durch die Offenbarung ein ganz anderes Einheits- und Seins-
verständnis offengelegt wird. Das trinitarische Glaubenslicht würde im Widerspruch zur
Vernunft stehen und ihr etwas aufzwingen, das sie in ihrer eigenen Struktur pervertiert. So aber
ist Glaube nie verstanden worden. Deshalb setzt der ausdrückliche trinitarische Glaube wenig-
stens eine trinitarische Vernunft-„Grammatik" voraus (siehe das auf S. 39 Erörtete).
Ähnliches zeigt sich auch im Bezug auf die Sprachlichkeit des Glaubensaktes. Soll das Be-
kenntnis „Ein Gott in drei Personen" nicht aus reinen, nichtssagenden „nornina" bestehen, die
eine vorgeschriebene Lautfolge für etwas absolut Unsagbares sind (so daß man stattdessen
ebenso gut sagen könnte: Gott ist babig und kagurig), soll hingegen das trinitarische Bekenntnis
etwas grundsätzlich Sinnvolles und nicht einfachhin Unverstehbares aussagen (und diesen An-
spruch hat der christliche Glaube immer erhoben), so muß dieses Bekenntnis in die Sprache des
Menschen integrierbar sein. Das aber setzt voraus: Die Sprache muß für das trinitarische Be-
kenntnis einen Platz, mindestens eine Offenheit haben, so daß es darin neue Sprachmöglichkei-
ten eröffnen kann und auf diese Weise dann auch eine Wirklichkeit erschließende, neue Erfah-
rung ermöglichende Kraft annimmt.
Nach diesen Überlegungen ist nunmehr Bilanz zu ziehen.
Wir sahen: Es gab und gibt in der Glaubens- und Theologiegeschichte die Auffas-
sung, daß die trinitarische Selbsterschließung Gottes eine exklusive Größe des Glau-
bens ist, die in der intimen Gnadenbeziehung zwischen Glaubendem und Gott ver-
bleibt ohne Konsequenzen für das „natürliche" Verstehen des Menschen und der
übrigen Wirklichkeit, ohne ontologische, anthropologische, soziologische Relevanz.
In der Tat stand die These, „daß die Beziehungen Gottes nach außen als den einen,
nicht als den dreifaltigen ins Spiel bringen, ... seit Augustinus einem Ausziehen der
trinitarischen Linien [auf die gesamte Wirklichkeit] im Weg" 83 • Die Schöpfung
wurde demnach gewissermaßen als indifferent gegenüber dem innersten Sein Gottes
gesehen, gleich ob dieser nun ein-, drei- oder zehnpersonal ist. Das aber führte gera-
dezu zwangsläufig zur Irrelevanz des trinitarischen Glaubens. Kein Wunder - be-
merkt zu Recht Michael Schmaus -, „daß, wenn der trinitarische Gott dem Menschen
nur als einziges Tätigkeitssubjekt begegnet, ... sich der Mensch in seinem Glaubens-
vollzug, d.h. in seinem Gebet, auch nur an dieses eine Tätigkeitssubjekt wenden
[wird] ... Man könnte in dieser Vorstellung von der Versuchung bedroht werden, die
Trinität aus dem Glaubensleben weitgehend auszuschalten, ohne daß dabei dem
Glaubensvollzug selbst ein Verlust geschehe" 84•

82 E. Klinger, Über den Begriff der trinitarischen Substanz, in: BPTF 25 (1964) 65.
83 Kl. Hemmerle, Thesen zu einer trinitarischen Ontologie, Einsiedeln 1976, 56.
84 M. Schmaus, Der Glaube der Kirche, Bd. II, St. Ottilien 1979, 211 f.

40
Einführung

Demgegenüber gab es immer auch Theologen und Philosophen - dazu ist wenigstens
ansatzweise Augustinus zu zählen -, die mit aller Kraft Analogien, Bilder und Ähn-
lichkeiten für das trinitarische Geheimnis in der Schöpfung suchten und fanden.
Wenn nun solche „vestigia trinitatis" nicht einfach nur als rein äußerliche, d.h. mit
der Sache selbst in keinerlei Weise verbundene, eher nur nachträglich „aufgeklebte"
triadische Vergleiche, fromme subjektive Anmutungen oder irrationale Spekulatio-
nen verstanden werden dürfen - und so sind sie von den meisten Theologen nicht be-
griffen worden-, so muß es in der Schöpfung und vorchristlichen Geschichte Struk-
turen und Dynarnismen geben, welche verweisfähig sind auf das im Christusereignis
ganz manifeste trinitarische Geheimnis hin, welche mithin an der trinitarischen Wirk-
lichkeit partizipieren und diese eben deshalb - mit welchem Klarheitsgrad auch im-
mer - „abbilden" können. Ja, es muß nach v. Balthasar „im weltlichen Bereich eine
Abbildlichkeit des Trinitarischen geben, an die der sich auslegende Logos zu seinem
Selbstausdruck wird anknüpfen können und müssen" 85 • Von dieser Basis aus vertritt
die vorliegende Studie die Auffassung, daß sich in Schöpfung und vorchristlicher
Geschichte immer auch schon antizipierende Formen der Trinitätsoffenbarung ereig-
nen (Näheres dazu S. 494; 505 219), so daß „menschliche" Erfahrungen mit Gott auch
schon anfänglich christliche und trinitarische Erfahrungen sind.
Wenn darum bereits bisher und im folgenden immer wieder zwischen menschlicher bzw. vor-
christlicher und christlicher Erfahrung differenziert wird, ist eine eher phänomenologische Un-
terscheidung gemeint: unter menschlicher bzw. vorchristlicher Erfahrung ist jene verstanden,
die sich nicht ausdrücklich an der christlichen Tradition orientiert und sich nicht expressis ver-
bis in christlicher Glaubenssprache verbalisiert (obwohl sie wenigstens im Abendland kaum
ohne jene geschichtliche Vermittlungen sein kann, die wesenhaft vom Christentum her geprägt
sind); christliche Erfahrung dagegen soll jene Erfahrung bezeichnen, die von christlich soziali-
sierten und darum auch in christliche Glaubenssprache und -vorstellungen verwickelten Men-
schen gemacht wird.

Wenn vorchristliche, d.h. also in Wirklichkeit anfänglich christlich-trinitarische Er-


fahrungen von der Vernunft auch erst da deutlicher eingesehen und verarbeitet wer-
den, wo das auf dem geschichtlichen Christusereignis basierende, volle Bekenntnis
zum dreieinen Gott das Verstehen leitet und prägt, so werden doch trinitarische
Strukturen und Dynarnismen nicht in die Wirklichkeit „hinein"- sondern „heraus"-
gesehen: Das Geschaffene ist auf Grund seines Ursprungs und seiner Entfaltung vom
dreieinen Gott durchwirkt und deshalb dessen Abbild; es findet deshalb auch seine
volle Verwirklichung erst dann, wenn es in das Licht des Urbilds, welches Maß und
Ziel seines Seins und Wirkens ist, gestellt wird. Deshalb ist es die vom Glauben an
den dreieinen Gott geleitete Vernunft, welche die tiefsten Potentialitäten alles Wrrk-
lichen zu entdecken und zu aktuieren vermag. Und eben darin erweist der trinitari-
sche Glaube auch seine Erschließungskraft und Relevanz. In dieses Ineinander von
Glaube und Vernunft geht der Glaube - so Heinrich Beck - „nicht als konstitutives,

ss TL 2, 33.

41
Einführung

wohl aber als regulatives Prinzip in die Vernunft ein. So kann er die Vernunft in ihren
eigenen Möglichkeiten noch mehr erwecken und sich dabei als der Vernunft gemäß
und vernünftig erweisen, ohne jedoch von ihr ,verschluckt' zu werden" 86• Umge-
kehrt: Wo der Bezugspunkt des trinitarischen Glaubens allein im geschichtlichen
Christusereignis gesehen wird, erhebt sich das Problem, ob Glaube und Theologie
dann nicht „in sich selbst schwingen" 87, nämlich in einem Binnenraum, der letztlich
mit der Weltwirklichkeit nichts oder nur wenig zu tun hat.
Die Rede von den vestigia trinitatis in aller geschaffenen Wirklichkeit ist also ge-
wissermaßen eine Gratwanderung: auf der einen Seite betont sie den Zusammenhang
zwischen trinitarischem Gott (qua trinitarischem) und Erfahrung, auf der anderen
Seite betont sie durch die Abweisung eines durch rationale Argumentation gesche-
henden, evidenten und zweifelsfreien Rückschlusses die „ontologische Differenz":
Die Weise, wie Gott in sich ist, übersteigt alle geschöpfliche Ausdenkbarkeit, und
darum kann (endliche) Erfahrung nur auf vestigia für das Unendliche stoßen. Aber
dieses „Nur-vestigium-Sein" der geschöpflichen Wirklichkeit ist nicht als Defizienz,
sondern als positive modale Bestimmung zu werten: Die Erfahrungswirklichkeit
weist tatsächlich auf den trinitarischen Gott hin.

Damit dürfte geklärt sein: Die Zielsetzung dieser Studie, den Glauben an den dreifal-
tigen Gott auf die Erfahrung zu beziehen, und zwar so, daß dieser Glaube sie sinnof-
fenen und oft dunklen Erfahrungen erhellt und seinerseits eben darin auch selbst
seine Plausibilität und Stimmigkeit zeigt, - diese Zielsetzung bedeutet nicht schon,
daß die Wirklichkeit der Trinität sich aus der Erfahrung einfachhin be- oder erweisen
ließe. Diese Frage ist für den Gang unserer Überlegungen nicht wichtig; sie kann da-
hingestellt bleiben 88 • Es geht vielmehr um die grundsätzliche Zuordnung von Trini-
tätsglaube und Erfahrung. Wenn Gott, Grund, Mitte und Ziel allen Seins, nicht ein-
same göttliche Person, sondern Communio (inter-)personaler Liebe ist, dann ist
dieses letzte, tiefste und höchste „Prinzip" auch allem geschaffenen Sein und Werden
zuinnerst eingeschrieben, so daß dieses nur verstehbar sowie lebbar ist im Licht und
in der Kraft trinitarischer Wahrheit und Dynamik. Die Trinität ist keine Größe, die ei-
ner aus sich heraus nur auf die Einheit Gottes verweisenden Schöpfung und einer (in-
ner- wie außerbiblischen) Heilsgeschichte erst ab einem bestimmten Zeitpunkt, dem
Christusereignis, aufgeht, sondern sie schafft sich, da sie innerstes Herz aller Wirk-
lichkeit ist, immer auch Ausdruck und Gestalt im Kreatürlichen. Von daher stellt sich
gewissermaßen mit innerer Logik das Erfordernis einer trinitarischen Ontologie und
Kosmologie, Anthropologie und Soziologie sowie erst recht einer trinitarischen Her-

86 H. Beck, Analogia Trinitatis, in: SJPh 25 (l 980) 88.


87 So: W. Löser, Trinitätstheologie heute. Offene Fragen, in: K. Rahner (Hrg), Der eine Gott und der dreieine
Gott. Das Gottesverständnis bei Christen, Juden und Muslimen, München-Zürich 1983, 16.
88 Grundsätzlich dürfte hier gelten: Beweise im strikten Sinn gründen letztlich in Notwendigkeit. Da aber
die Schöpfung freiestes Werk des all-freien Gottes ist, läßt sieb Gott nicht mit Notwendigkeit aus ihr bewei-
sen.

42
Einführung

meneutik sowohl des Alten Testaments wie auch der außerbiblischen Religionsge-
schichte mit dem Ziel, die „vestigia trinitatis" als kreatürliche Grundstrukturen und
Urdynarnismen aufzudecken, die freilich erst durch die neutestamentliche Trinitäts-
offenbarung zu sich selbst, zur vollen Manifestation kommen.
Auf diesem Hintergrund möchte die vorliegende Studie zeigen, daß und wie die
Wirklichkeit und die Erfahrungen, die der Mensch von ihr macht, erst im Licht eines
trinitarischen Gottesbildes schlüssig und plausibel verstehbar werden. Es soll sich
„die ,Analogia Trinitatis' als ein ,hermeneutischer Schlüssel' für ein besseres rationa-
les Verständnis der empirischen Welt aus dem Glauben und des Glaubens aus der Er-
fahrung der Welt" erweisen 89 • Jedoch geht es - wie bereits vermerkt - nicht nur um
die Relevanz des trinitarischen Glaubens für die „allgemeine" menschliche Erfah-
rung und umgekehrt, sondern auch, ja noch mehr, für die spezifisch christliche Erfah-
rung selbst, die zwar bereits vom trinitarischen Gott her ihre Prägung erhalten hat,
sich dessen aber meist wenig bewußt ist 90 • Es gilt, sie von ihren eigenen Implikatio-
nen her aufzuhellen.

3. Trinität und pluralistische Konzeptualisierung

Der Zielsetzung unserer Studie scheint noch ein weiteres methodisches Problem ent-
gegenzustehen: Wenn sich die Aufgabe stellt, das Bekenntnis zum dreieinen Gott in
seiner Relevanz für das menschliche und christliche Selbst- und Weltverständnis zu
betrachten, so ist darüber Rechenschaft abzulegen, welche Trinitätstheologie hier den
Parameter abgeben soll. Denn den trinitarischen Glauben gibt es immer nur in unter-
schiedlichen, ja teils gegensätzlichen theologischen Konzeptualisierungen, Ausle-
gungen, Ausprägungen. Die „nackte Aussage", daß Gott Einer in drei Personen ist,
ist viel zu formal und unbestimmt, als daß sie das Leben prägen, das Denken bestim-
men und das Erschließungsprinzip der Wirklichkeit sein könnte. Wo aber der Glaube
an den dreieinen Gott weiter konkretisiert, expliziert, reflektiert wird, stehen wir vor
einem Pluralismus von Theologien und Spiritualitäten, ja selbst vor kirchen- und
konfessionstrennenden Unterschieden. Wie kann hier methodisch einsichtig und un-
beliebig verfahren werden, ohne a priori und stillschweigend eine ganz bestimmte
Trinitätstheologie vorauszusetzen?
Hier sind zwei Antworten zu geben:
(1) Betrachtet man die Geschichte des trinitarischen Glaubens und der Trinitätsrefle-
xion - und dies soll ausführlicher in Teil 1 geschehen -, so läßt sich darin bei aller

89Beck, Analogia 99.


90Rahner, Sehr. IV, 108 bemerkt zu Recht, daß, wenn der Traktat ,,De Trinitate" einmal abgehandelt ist, er
kaum noch in anderen Lehrstücken vorkommt. ,,Man sieht seine Funktion im Ganzen der Dogmatik nur un-
deutlich". Was hier von der theologischen Systematik her ausgesagt ist, gilt noch einmal mehr vom christli-
chen Glaubensvollzug.

43
Einführung

Vielfalt und Variationsbreite doch so etwas wie eine Tendenz beobachten, die ein Kri-
terium für eine heutige sachgemäße Auslegung dieser Glaubenslehre darstellt.
(2) Die Fähigkeit einer bestimmten Trinitätslehre, den christlichen Glauben und
die Erfahrungswelt des Menschen, zumal in ihren Aporien und Problemknoten,
schlüssig zu erschließen, läßt sich als ein weiteres Kriterium ihrer Stimmigkeit be-
trachten.
Diese zweite Antwort gibt noch einmal Gelegenheit, die genaue Struktur der vorlie-
genden Studie anzugeben: Auf der einen Seite und vor allem geht es darum, den Tri-
nitätsglauben von menschlicher Erfahrung (im weitesten Sinn) her und auf sie hin
auszulegen; umgekehrt eröffnet aber gerade die Fähigkeit dieses Glaubens, Erfah-
rung zu erschließen, einen neuen und vertieften Blick auf das Leben des dreieinen
Gottes. Denn der trinitarische Gott erweist seine Wirklichkeit als trinitarischer gerade
darin, daß der Glaube an ihn die Potentialitäten der Schöpfung zu aktuieren, die Dun-
kelheit menschlicher Erfahrung zu erhellen, die Aporien der Welt zu klären und das
komplexe Gefüge der christlichen Glaubenswelt sinnvoll zu entschlüsseln vermag. In
dieser Wahrnehmung des Selbsterweises des trinitarischen Gottes in und an mensch-
licher und christlicher Erfahrung geht nun aber auch auf, wer dieser Gott in sich
selbst ist. So erhellen sich in der Wechselwirkung von Glauben und Erfahrung beide
Faktoren gegenseitig.
Das bedeutet, daß auch die immanenten Auslegungsprobleme der Trinitätstheolo-
gie nicht nur in immanenter theologischer (also exegetischer, dogmengeschichtlicher,
philosophisch-reflektierender) Arbeit, sondern ebenso im Blick auf die Erfahrung zu
klären sind. Dies ist nur scheinbar ein circulus vitiosus. Wenn schon circulus, so ist es
der circulus vitalis des konkreten Glaubensvollzugs, in dem sich Glaube und Erfah-
rung gegenseitig vermitteln: Die Erfahrung wird durch den Glauben unter ein neues
Licht gestellt, der Glaube aber wird darin bestätigt, daß er menschliche Erfahrung
stimmig, plausibel, ja beglückend erhellt. Um es in einem Bild zu sagen: Die Sonne
ist es, welche die sonst im Dunkel der Nacht verborgenen Gegenstände hell macht,
aber was der Reichtum und Glanz des Sonnenlichtes ist, zeigt sich am widerspiegeln-
den Glanz der Gegenstand in der Atmosphäre. Wo letztere fehlen - etwa im Welt-
raum - herrscht trotz der Sonne ein diffuses Grau in Grau. Nur im untrennbaren Zu-
gleich der Wahrnehmung von Leuchte und Beleuchtetem zeigt sich das Wesen beider
Wirklichkeiten.
Methodisch werden wir darum so verfahren, daß im folgenden Teil 1 entlang der Ge-
schichte des trinitarischen Glaubens und im Gespräch mit ihr eine bestimmte Trini-
tätstheologie entfaltet wird. Wenn danach in den weiteren Teilen herausgearbeitet
wird, wie diese sich an den Phänomenen der Erfahrung, der spezifisch christlichen
wie der allgemein-menschlichen, bestätigt, so ist dieses „Danach" nicht ein wirkli-
ches, sondern eher ein didaktisches „posterius", weil nun einmal menschliche Gedan-
ken und Worte nicht zugleich, sondern nur im Nacheinander zeitlicher Abfolge geäu-
ßert werden können.

44
ERSTER TEIL

AUF DEM WEG ZU EINER COMMUNIALEN


TRINIT ÄTSTHEOLOGIE
„Sie werden mit einem Problem nicht fertig?
Nun, so gehen Sie daran, die Geschichte
des Problems zu verfolgen!"
(Mao Tse-tung, Das rote Buch)
Dieser erste Teil der Studie weist noch die meisten Entsprechungen und Beziehungen
zu Kapiteln einer traditionellen Trinitätstheologie auf: Basis und geschichtliche Ent-
wicklung des trinitarischen Bekenntnisses sollen an einigen Problem- und Knoten-
punkten dargestellt und analysiert werden. Dabei geht es weder um eine (relative)
lehrmäßige Vollständigkeit noch um eine rein binnentheologische Reflexion des tri-
nitarischen Glaubens. Vielmehr sollen diejenigen Grundzüge entwickelt werden, die,
ungeachtet des Pluralismus in Sachen Trinitätslehre, zu einem vertieften Verständnis
des trinitarischen Gottes führen können und die - wie in der Einführung näher ausge-
führt - dazu dienlich sind, den christlichen Glauben als ganzen in seinen Zusammen-
hängen sachgemäß zu verstehen, die Strukturen dieser Welt auf ihre Tiefendimensio-
nen hin freizulegen sowie ihre Fraglichkeiten und Aporien plausibel aufzuhellen.
Diese erschließende Kraft und Konsequenz des Trinitätsglaubens werden dann in den
Teilen II und ill behandelt.

Die trinitätstheologische Grundlegung soll - wie bereits angekündigt - entlang der


Geschichte und im Gespräch mit ihr durchgeführt werden und zwar vornehmlich am
Leitfaden des trinitarischen Personverständnisses. Dieses Vorgehen leitet sich von
der Voraussetzung ab, daß die Geschichte von Glaube und Theologie nicht nur die
Offenbarung Gottes weitervermittelt, sondern auch eine Fülle von Selbstinterpreta-
tionen und -korrekturen sowie ein Reservoir von Erfahrungen und unabgegoltenen
Wahrheiten in sich birgt, die zu einem adäquateren Verständnis im Hier und Heute
führen können. Dabei bildet gerade das Personverständnis, wie sich zeigen wird, eine
Art von Schibboleth, an dem sich die Geister scheiden werden und auch wohl müs-
sen 1•

1 So schreibt H. Vorgrimler, Zum Gespräch über Jesus, in: M. Marcus u.a. (Hrg.), Israel und Kirche heute,

FS E. L. Ehrlich, Freiburg i. Br. 1991, 151 in polemischer Zuspitzung: „Selbstverständlich finden sich auf
christlicher Seite weiterhin noch Theologen, die den irreführenden Begriff ,Person' für die Trinitätsauffas-
sung nach wie vor für unentbehrlich halten und die sich durch den gemeinsamen jüdischen Glaubensgrund
an den Einen und Einzigen Gott nicht davon abhalten lassen, von ,drei Subjekten' in Gott zu reden". Vor-
grimler nennt dann als Beispiele W. Kaspar (sie!), W. Pannenberg und „in einer besonders krassen Ausprä-
gung" J. Moltmann und fügt hinzu: „Die innerchristlichen Divergenzen über Gott sind evident". In der Tat!
Und sie entscheiden sich zu einem Gutteil am trinitarischen Personbegriff.

47
Erstes Kapitel

Übersicht über Grundlagen und Grundprobleme


der Trinitätstheologie

§ 1 Zugänge

1. Das Fundament

,,Einen andern Zugang zum trinitarischen Mysterium als dessen Offenbarung in Jesus
Christus und im Heiligen Geist gibt es ... nicht, und keine Aussage über die imma-
nente Trinität darf sich von der Basis der neutestamentlichen auch nur einen Fußbreit
entfernen, will sie nicht in die Leere abstrakter und heilsgeschichtlich belangloser
Sätze abfallen" - diese These Hans Urs von Balthasars 2 ist das schlechthin entschei-
dende „Ceterum censeo" jeder trinitätstheologischen Reflexion. Trinität muß, bevor
sie bedacht, auf den Begriff gebracht und auf ihre Konsequenzen hin weiter reflek-
tiert wird, als Ereignis der Offenbarung Gottes zunächst erzählt werden 3 • Was aber
ist das Herzstück dieses geschichtlichen Ereignisses, was ist präzise die neutesta-
mentliche Basis, von der man sich „keinen Fußbreit" entfernen darf, will man nicht
im Bodenlosen selbstfabrizierter Projektionen und Spekulationen enden?
Diese Frage ist letztlich nicht zu beantworten mittels einer Exegese von neutesta-
mentlichen Einzeltexten, zumal wenn man auf diese Weise die spätere explizite
Trinitätstheologie darin aufzufinden sucht. Deshalb soll dieser Weg hier auch nicht
beschritten werden 4 • Wohl aber soll mit Nachdruck auf die neutestamentliche

2 TL II, 117. -Ähnlich auch J. Werbick, Trinitätslehre in: HdD II, 565: „In der Lehre von der immanenten
Trinität .. . darf nichts behauptet werden, was sich nicht als theo-loglsche Begründung der ökonomischen
Trinität ... ausweisen läßt". Diese These ist in den letzten Jahren der Basissatz nahezu aller katholischen wie
evangelischen Trinitätstheologie. Siehe dazu auch J. Wohlmuth, Zum Verhältnis ökonomischer und imma-
nenter Trinität, in: ZkTh 110 (1988) 139-162; E. Jüngel, Das Verhältnis von „ökonomischer" und „imma-
nenter" Trinität, in: ZThK 72 (1975) 353-364.
3 Ein solcher ausführlicher Versuch findet sich bei B. Forle, Trinität als Geschichte, dt. Mainz 1988.
4 Dafür steht im übrigen eine Menge von entsprechender exegetischer und auch systematischer Literatur zur

Verfügung. Neuere Durch- und Überblicke zur ntl. Trinitätsoffenbarung und -erfahrung sowie weitere Lit.-
Angaben finden sich vor allem bei A. W. Wainwright, The Trinity in the New Testament, London 1962;
R. Schulte, Die Selbsterschließung des dreifaltigen Gottes, in: MySal II, 49-82; F. J. Schierse, Neutesta-
mentliche Trinitätsoffenbarung, in: MySal II, 85-131; Kasper, Gott (Anm. E, 36) 179- 183, 209-222,
250-260, 297-303; F. Courth, Trinität. In der Schrift und Patristik= HDG Wla, Freiburg i.Br. 1988, 13-30;
Werbick, aaO. 484-490; P. Schoonenberg, Der Geist, das Wort und der Sohn, dt. Regensburg 1992;

48
Übersicht über Grundlagen und Grundprobleme der Trinitätstheologie

„Basiserfahrung" hingewiesen werden: In der Mitte der christlichen Urerfahrung


steht die Ein-Sicht, daß Jesus von Nazareth aus eigener Vollmacht und Kompetenz
dem Menschen Gott schenkt, daß - anders gesagt - durch ihn als den Sohn und im
Heiligen Geist Gott der Vater auf die Menschheit zugegangen ist und sich selbst ihr
ganz „mitgeteilt" hat; „Mitteilung" im Sinne von Selbsteröffnung und Selbst-
geschenk:, von Kommunikationsstiftung und Anteilgabe am eigenen göttlichen Le-
ben 5.

In der Begegnung mit Jesus Christus und in der Erfahrung des ihn erfüllenden und
uns verheißenen Geistes ging und geht dem Glaubenden also auf, daß Gott sich dem
Menschen genau so gibt, wie er in Wirklichkeit ist. Das bedeutet ein Doppeltes:

(1) Jesus Christus und der Heilige Geist sind nicht von Gott verschiedene „Medien",
durch die zwar Gott handelt, selbst aber dahinter als verborgener, unzugänglicher
Abgrund entzogen bleibt, vielmehr sind die „Vermittlungsgestalten", in denen Gott
auf die Menschen zugeht, selbst Gott. Denn Jesus, der als letzte und unüberbietbare
Gestalt des Wortes Gottes und äußerste Verwirklichung der göttlichen Liebe dem
Menschen begegnet ist, würde sich als „Vermittlung Gottes" selbst aufheben und- so
Joseph Ratzinger - „statt einer Vermittlung eine Abtrennung werden, wenn er ein an-
derer als Gott, wenn er ein Zwischenwesen wäre. Dann würde er uns nicht zu Gott
hin, sondern von ihm wegvermitteln" 6. Und der Heilige Geist, der als jene personale
Kraft erfahren wird, die Jesus Christus erfüllt, sein Handeln je neu und anders verge-
genwärtigt und die unmittelbare Verbindung der Glaubenden mit Gott und unterein-
ander bewirkt, würde diese Unmittelbarkeit zu Gott verhindern und an etwas Krea-
türliches binden, wäre er nicht selbst Gott. Wenn nun die „Medien" dieser Selbstgabe

G. Kraus, Gott als Wirklichkeit, Frankfurt 1994, 250-256; G. L. Müller, Katholische Dogmatik, Freiburg
i.Br. 1995, 434-437; Th.F. Torrance, The Christian Doctrine of God, One Being Three Persons, Edinburgh
1996, bes0.32-72; besonders gut reflektiert bei: J. Ackva, An den dreieinen Gott glauben, Frankfurt 1994,
53-193; eher meditativ: E. M. Heufelder, Das Geheimnis der Dreifaltigkeit. Nach der HI. Schrift meditiert,
Regensburg 1979.
Bezüglich der Frage einer „Vorschattung" des ntl.-trinitarischen Gottesgedankens im AT vgl. die Bemerkung
von N. Lohfink, Das Alte Testament und sein Monotheismus, in: K. Rahner (Hrg.), Der eine Gott und der
dreieine Gott, München-Zürich 1983, 46: „Ich halte es für völlig überflüssig, im Alten Testament nach Drei-
heiten zu suchen, um in ihnen erste Spuren des Wissens um die Trinität zu finden. Die Offenbarung der Tri-
nität ist im Alten Testament längst im Gange, aber gerade in der Struktur der Offenbarung selbst, in der Got-
tes Geschichte sich mit der Geschichte seiner Boten vermischt und hinzielt auf eine gemeinsame Geschichte
mit dem von ihm geliebten Volk".
s Dieses „Herzstück" des christlichen Glaubens läßt sich kreuzestheologisch noch einmal mehr „zentralisie-
ren", etwa im Sinne der These von B. Steffen, Das Dogma vom Kreuz, Gütersloh 1920, 152: „Nicht die spär-
lichen trinitarischen Formeln des Neuen Testaments, sondern das durchgehende, einheitliche Zeugnis vom
Kreuz ist der Schriftgrund für den christlichen Glauben an den dreieinigen Gott, und der kürzeste Ausdruck
für die Trinität ist die göttliche Kreuzestat, in welcher der Vater den Sohn sich durch den Geist opfern läßt".
In dieser Perspektive entwirft z.B. Jürgen Moltrnann in seinem Werk Der gekreuzigte Gott, München 1972,
bes. 184 ff eine trinitarische Kreuzestheologie, besser: eine staurologische Trinitätslehre.
6 J. Ratzinger, Einführung in das Christentum, München 21968, 126.

49
Auf dem Weg zu einer communialen Trinitätstheologie

Gottes göttlich sind, so muß Gott selbst durch innere Differenzierungen charakteri-
siert sein, zumal ja die Geschichte Jesu als des Sohnes Gottes durch seine Selbstun-
terscheidung vom Vater einerseits und vom Geist andererseits bestimmt ist 7 • In der
konkret-geschichtlichen Erfahrung mit Jesus ist also deutlich, daß er die vom Geber
(Gott dem Vater) unterschiedene göttliche Gabe an uns ist und zwar so, daß in ihrer
beider Beziehung der ,,Hin-Gabe" der Geist auch für uns entbunden wird 8•

(2) Da Gott als er selbst sich in Jesus als Geheimnis äußerster Hinwendung und Nähe,
Liebe und Kommunikation gezeigt hat, ist er auch in sich selbst „schenkende Kom-
munikation" -Trinität 9 • So ist also Jesus Christus -wie Eberhard Jüngel formuliert-
das eigentliche „vestigium trinitatis" 10, der entscheidende Haftpunkt, an dem auf-
geht, daß Gott dreieinig ist.

Um mithin von dem zu sprechen und dem zu ent-sprechen, was Gott getan hat und
tut, muß der Glaubende sich zu diesem dreifach handelnden, lebendigen Gott beken-
nen und ihm sein Leben übergeben, so wie es im trinitarisch formulierten Taufbe-
kenntnis und in der Taufe auf den Namen des dreieinen Gottes grundlegend ge-
schieht 11 und dann im Vollzug gläubiger Existenz verwirklicht wird.
Darüber hinaus macht John D. Zizioulas darauf aufmerksam, daß das Bekenntnis
zum trinitarischen Gott von der Erfahrung des Kircheseins geprägt ist. Denn gerade
die Erfahrung von der Kirche als Communio ließ plausibel erscheinen, daß auch das
Sein Gottes Communio, d. h. durch personale Beziehungen und interpersonale Liebe
ausgezeichnet ist. Auch die weitere trinitätstheologische Entwicklung „wäre niemals
möglich gewesen ohne die Erfahrung des Kircheseins ... Gottes Sein ist relationales
Sein: Ohne die Idee der Communio wäre es nicht möglich gewesen, über das Sein
Gottes zu sprechen" 12 •

7 Vgl. W. Pannenberg, SystTh I, 297. - Vgl. auch ders., Grundzüge der Christologie, Gütersloh 5)976, 159:
Wenn sich in der Geschichte Jesu Gott offenbart, dann „gehört auch der Unterschied, den Jesus zwischen
sich und dem Vater festgehalten hat, zur Gottheit Gottes".
s Damit sind Formulierungen von M. Bieler, Freiheit als Gabe, Freiburg i.Br. 1991, 166 aufgegriffen: „Der
sachgerechte Zugang zur Trinitätslehre ... ist nur möglich, wenn die Sendung Jesu, die den trinitarischen
Gott als Geber (Vater) und Gabe (Sohn) in ihrer Beziehung als Hingabe (Geist) eröffnet, zum Leitbegriff der
Gotteslehre erhoben wird". - Völlig haltlos ist dagegen ein trinitätstheologischer Ansatz, dessen Kapitel-
überschrift lautet: „Was Jesus [!I über die Dreieinigkeit Gottes wußte [!]": N. Scholl, Auf den Spuren des
dreieinen Gottes, Weinheim 1994, 63.
9 Vgl. dazu Y. Labile, Essai sur Je Monotheisme Trinitaire, Paris 1987, bes. 23-40.
10 Jüngel, Gott (Anm. E, 24) 479.

11 Zur trinitarischen Form der Taufe und des Taufbekenntnisses vgl. die bei Courth, HDG Wla, 27 ff ange-
gebene wichtigste Literatur. Danach: Kraus, aaü. 266ff. Aus der Lokalisierung des trinitarischen Bekennt-
nisses im Taufbekenntnis folgen jedoch nicht die völlig überzogenen Bemerkungen von Scholl, aaü. 89f,
wonach in der Taufliturgie der Ursprung des trinitarischen Bekenntnis zu suchen ist, insofern dieses aus dem
dreigliedrigen Taufakt gleichsam „herausgesponnen" wurde.
12 J. D. Zizioulas, Beingas Communion. Studies in Personhood and the Church, New York 1985, 16f.

50
Übersicht über Grundlagen und Grundprobleme der Trinitätstheologie

So ist als ursprüngliche Glaubens- und Kirchenerfahrung der trinitarische Glaube vor
aller lehrmäßigen Festlegung und theologischen Reflexion fest im Bewußtsein der
Gemeinden verankert; sein Bekenntnis hat einen klaren Platz in der Liturgie 13 . Und
da, wo dieser Glaube meditiert wird im Sinne einer Trinitätslehre ist er „der unerläß-
liche, aber auch unerläßlich schwierige Ausdruck der einfachen Wahrheit, daß Gott
lebt" 14 und in radikalstem Sinn ein „Gott der Menschen" ist.

Dieser ursprüngliche Glaube an den auf dreifach-eine Weise in der Geschichte han-
delnden Gott, anders gesagt: dieses Bekenntnis zur heilsgeschichtlichen (ökonomi-
schen) Trinität wurde von den Christen weder als Einschränkung oder gar Preisgabe
des strikten Monotheismus verstanden 15 , noch als eine Art „nachträglicher" Spezifi-
kation eines vorausgesetzten Glaubens an den einen Gott. Vielmehr ist der eine Gott
ursprünglich Trinität, relationales Sein, Communio. Jedoch mußte sich aus dem
christlichen Glauben heraus selbst die Frage stellen, wie er sich denn genauerhin zu
der vom Alten Testament so nachdrücklich eingeschärften Einheit Gottes verhielte
(vgl. Dtn 6, 4) sowie zur praeparatio Evangelii, die man in der aufgeklärten, am Ein-
Gott-Glauben orientierten heidnischen Religiosität und Philosophie gegeben sah. Die
gleichen Fragen, nur ungleich polemischer, stellten aber auch die Invektiven des Ju-
dentums und der aufgeklärten heidnischen Philosophie: War der christliche Glaube
nicht Rückfall in einen religiösen Polytheismus und - hinsichtlich des Glaubens an
die Menschwerdung eines Gottessohnes - in eine überholte, nicht ernst zu nehmende
Mythologie?

2. Erste Entwicklungen des trinitarischen Glaubens

Diesen Herausforderungen gegenüber genügte es nicht mehr, das schlichte heilsge-


schichtlich-trinitarische Gottesbekenntnis, wie es sich in den Heiligen Schriften und
in den Symbolen der Kirche fand, zu wiederholen und weiterhin allein vom dreifach
in der Geschichte handelnden Gott zu sprechen. Jetzt galt es, die christliche Überzeu-
gung zu vertiefen, indem man nunmehr ausdrücklich auch das innere Verhältnis von
Vater, Sohn und Heiligem Geist so in den Blick nahm und bedachte, daß es weder
dem strikten Monotheismus noch der heilsgeschichtlich-trinitarischen Erfahrung wi-

13 G. Kretschmar, Studien zur frühchristlichen Trinitätstheologie, Tübingen 1956, l ; siehe auch 185f, 191 ,
206f; Courth, aaO. 31-40 (Lit); Werbick, aaO. 491 f.
1• Jüngel, Gott (Anm. E, 24) 470.
15 Dies wurde mit äußerstem Nachdruck gerade in den frühen Auseinandersetzungen mit der jüdischen
Theologie hervorgehoben. Siehe dazu J. Danielou, Theologie du judeo-christianisme, Paris 1958. Etwas
ähnliches wiederholte sich in den ganz frühen Auseinandersetzungen mit der islamischen Theologie. Die
christlich-arabischen Denker stellten heraus, daß Christen an die „Trinität der Einheit Gottes" glauben. Die
hier zugrunde liegende arabische Formel läßt sich auch übersetzen mit ,,Dreifachheit der Einzigkeit Gottes".
Siehe dazu R. Haddad, La Trinite Divine chez les theologiens Arabes (750-1050), Paris 1985, 206f.

51
Auf dem Weg zu einer communialen Trinitätstheologie

dersprach. Mehr noch: Wenn der Gott „für uns" in Wahrheit der gleiche ist, wie er „in
sich selbst" ist, und wenn er in radikaler Freiheit als er selbst auf die Welt zugegangen
ist, dann konnte es nur eine Frage der Zeit sein, dieses In-Sich - nicht zuletzt um der
Freiheit Gottes willen - auch eigens zu artikulieren. Wird nämlich In-Sich- und Für-
uns-Sein Gottes einfachhin und in jeder Hinsicht identifiziert, so droht - wie v. Bal-
thasar zu Recht sagt - „die immanente und ewige Trinität Gottes in der ökonomi-
schen aufzugehen, klarer gesagt, Gott in den Weltprozeß hineinverschlungen zu wer-
den und nur durch diesen hindurch zu sich selbst zu kommen" 16• Es gilt darum, das
Sein Gottes „in sich" als Voraussetzung seines „Für-uns-Seins" zu sehen.
Dabei reicht es aber auch nicht aus, die immanente Trinität ausschließlich als
„transzendentale Bedingung der Möglichkeit" für deren heilsgeschichtliches Wirken
in den Blick zu nehmen, weil so eine entscheidende Pointe der Selbstgabe Gottes
verfehlt würde: Wenn Gott sich uns so gibt, wie er wirklich ist, dann gehört dazu, daß
wir ihn auch in der Lebendigkeit seines eigenen göttlichen Seins als Liebe erfahren
dürfen. Es genügt also nicht, das trinitarische In-sich-Sein Gottes gewissermaßen
dem trinitarischen Wirken in Schöpfung und Geschichte vorauszudenken und diese
womöglich aus jenem zu deduzieren 17, sondern es gilt, im freien geschichtlichen
Vorgang der göttlichen Selbstmitteilung Gottes ewiges trinitarisches Sein mitzuse-
hen.

Indem man also etwa ab dem dritten Jahrhundert mehr und mehr vorrangig nach dem
Sein Gottes „in sich" fragte, fragen mußte, wurde eine neue Ebene des trinitarischen
Glaubens beschritten, für die es allerdings durchaus auch in der Heiligen Schrift eine
Reihe von Hinweisen gab. Zum Beispiel sind hier viele Passagen des Johannesevan-
geliums anzuführen, die davon sprechen, daß der Sohn vor aller Zeit beim Vater ist,
von jeher in engster Lebensgemeinschaft mit ihm steht, von ihm geliebt, teilhaftig
seines göttlichen Lebens und seiner Herrlichkeit, die durch den Sohn nun gleichsam
auf die Jünger „ausgeweitet" wird (Joh 17,21 ff); so daß er- mit deutlicher Entspre-
chung zur atl. Jahwe-Selbstvorstellung - von sich sagen kann: „Ehe Abraham ward,

16 TD W2, 466.
17 Hinter dieser Forderung bleibt die Formulierung von H. de Lubac, Credo, dt. Einsiedeln 1975, 73 zurück:
„Die Dreieinigkeit Gottes ist, wenn auch ein dem Verstand unzugängliches Licht, die einzige Hypothese, de-
ren Ansetzung das Phänomen Christi (wie es in der Bibel, in der Kirche, in der Geschichte sich immerfort
vergegenwärtigt) phänomenologisch sachgerecht, ohne Vergewaltigung der Tatsachen zu klären gestattet".
Ähnlich auch H. J. Kraus, Systematische Theologie im Kontext biblischer Geschichte und Eschatologie,
Neukirchen-Vluyn 1983, 74: „Die Trinitätslehre hat im Grunde keine andere Funktion, als Gottesgeschichte
so wahr sein zu lassen, daß sie verantwortlich erzählt werden kann"; sie ist eine „Grenz- und Schutzlehre":
ebd. 73. Auf der gleichen Linie auch der anglikanische Theologe L. Hodgson, Essays on Christian Philoso-
phy, London 1930, 133: Die Trinitätslehre ist „the one truly intelligible way of thinking about God" . Auch
die Formulierung, die Trinitätstheologie sei „Theologie dritten Grades" (Schillebeeckx, Jesus [Anm. E, 11]
593) erfaßt nicht das Ganze des Phänomens. Erst Recht ist die Trinität keine „gedankliche Konstruktion" (so:
G. Hasenbütt!, Kritische Dogmatik, Graz 1979, 112), noch eine ,,hellenistische Formel" (H. Kling, Christ-
sein, München 1974, 463 f).

52
Übersicht über Grundlagen und Grundprobleme der Trinitätstheologie

bin ich" (Joh 8, 58). Ja, durch ihn wurde bereits die Schöpfung ins Dasein gerufen
(Joh 1,3), in ihm findet sie auch ihre Vollendung, - eine Aussage, die sich ebenso in
deuteropaulinischen Schriften findet (Kol 1, 15; Eph 1, 10). Nicht zuletzt ist es aber
schon Paulus, der durch den Gedanken der Sendung des Sohnes (ähnlich auch: des
Geistes) durch den Vater das vor-, besser: überzeitliche Leben von Sohn und Geist
mitthematisiert und der durch die Übernahme des Christushyrnnus in Phil 2, 6 ff sogar
ausdrücklich auf die vorzeitliche göttliche Gestalt des Sohnes und seine Selbstentäu-
ßerung in der Menschwerdung blickt. Solche und andere Schriftzeugnisse gaben
Rahmen und Richtschnur für die nun einsetzende vertiefende Meditation und argu-
mentative Reflexion des trinitarischen Glaubens ab. Basis dieser Vertiefung aber war
(und ist) die in der Schrift narrativ bezeugte Erfahrung, die es um ihrer selbst, aber
auch um der Invektiven von außen willen zu meditieren und zu bedenken galt (und
gilt).

Diese Meditation der und Reflexion über die Dreieinigkeit erfolgte - wie alles Glau-
bensdenken - innerhalb eines vorgegebenen Erfahrungs- und Denkhorizonts, eines
bestimmten Weltbildes, einer bereitstehenden Sprache und Begrifflichkeit. Diese wa-
ren im 3./4. Jahrhundert 18 geprägt von der Philosophie des Mittel- und Neuplatonis-
mus. Hier fanden sich Überzeugungen, die auf der einen Seite die absolute Transzen-
denz und Abgesondertheit der einen, höchsten, unbegreiflichen und unveränderli-
chen Gottheit von der vielfältigen, veränderlichen Welt des Materiellen vertraten, die
auf der anderen Seite aber eine Reihe von absteigenden, gestuften Vermittlungen die-
ses göttlich Einen zur Welt und von der Welt zum Göttlichen hin konzipierten 19• In

1s Von den davor liegenden geschichtlichen Anfängen der Trinitätslehre soll hier nicht die Rede sein, weil
darin noch vorrangig „ökonomisch", nicht „theologisch", d. h. an der immanenten Trinität orientiert, gehan-
delt wird. Vgl. aber außer den einschlägigen Dogmen- und Theologiegeschichten: G. Kretschmar, aaO.;
J. Danielou, Trinite et Angelologie dans Ja theologie judeo-chretienne, in: RSR 45 (1957) 5-11; C . An-
dresen, Zur Entstehung und Geschichte des trinitarischen Personbegriffes, in: ZNW 52 (1961) 1-39; B. Stu-
der, Zur Entwicklung der patristischen Trinitätslehre, in: ThGI 74 (1984) 91-93; T. T. Torrance, Tue Trinita-
rian Faith, Edinburgh 1988. - Aus der Tatsache, daß vor dem 4. Jh. der Akzent auf der heilsgeschichtlich-
ökonomischen Trinität lag, zu schließen, „daß die Trinität in dem im 4. und 5. Jahrhundert von den Konzilien
definierten Sinne im Neuen Testament keine Grundlage hat", ja, daß bis dahin ,,niemals von drei Personen in
einer Gottheit die Rede" ist (K. Flasch, in: St. Dietzsch, Krisis der Vernunft. Gespräch mit Kurt Flasch, in:
Sinn u. Form 48 [ 1996) 272), ist anachronistisch bezüglich des Personbegriffs und entspricht bezüglich der
abgesprochenen ntl. und frühchristlichen Grundlage weder dem biblischen (s.o. S. 49f) noch dem dogmen-
geschichtlichen Befund. Auf der gleichen Linie wie Flasch bemerkt auch H. Häring, Der christliche Glaube
an den dreifaltigen Gott, in: Conc. 31 (1995) 119, „daß die neutestamentliche und frühchristliche Trias von
,Vater', ,Sohn' und ,Geist' erst später auf eine innergöttliche Trias übertragen und mit ihr verbunden wurde".
So kann die Trinität nur ein „paradoxes Symbol" für eine triadische Erfahrung des Göttlichen seitens des
Menschen und für die Unbegreiflichkeit Gottes sein: ,,Das Göttliche selbst hat keine Namen und Worte mehr.
Es verbirgt sich uns": ebd. 121. Wie gehen solche Thesen zusammen mit den auf S. 49f erwähnten ntl.
Schriftstellen und mit der ntl. Grundüberzeugung von der Selbstkundgabe und -mitteilung Gottes?
19 In diesen Auffassungen war nicht selten eine gewisse triadische Rhythmik impliziert. Es entwickelte sich
immer deutlicher „die Auffassung, daß die Wirklichkeit Gottes im Ganzen und Letzten eine ,kreisende Be-
wegung' in drei Selb-Ständen (Subsistenzen, Hypostasen) darstellt: von ( 1.) dem in sich ruhenden Sein (In-

53
Auf dem Weg zu einer communialen Trinitätstheologie

diesem Denk- und Vorstellungsrahmen legte es sich nahe, „Sohn" und „Geist" Got-
tes, die der christliche Glaube bekannte, als abgestufte, untergeordnete, den höchsten
und eigentlichen Vater-Gott zur Welt hin vermittelnde Größen zu begreifen (Subordi-
natianismus). So konnte man die absolute Einheit und Unveränderlichkeit Gottes zu-
gleich mit der Pluralität handelnder „göttlicher" Subjekte und mit der Geschichtlich-
keit seines Heilshandelns wahren und verbinden, freilich um den Preis, die Einheit
Gottes auf Kosten seiner nur untergeordneten und damit die wahre göttliche Wirk-
lichkeit verlierenden geschichtlichen Vermittlungen zu betonen.
Neben diesen sehr verbreiteten subordinatianistischen Tendenzen stand ein ande-
rer Erklärungsversuch, nach welchem „Sohn" und „Geist" nicht dem einen Vater-
Gott untergeordnet sind, sondern nach dem alle drei göttlichen Handlungssubjekte
als nur äußere Erscheinungsweisen, genauer: als geschichtliche Offenbarungsgestal-
ten (,,modi") des Einen, „hinter" seinen Epiphanien ganz zurücktretenden, weil sie
unendlich transzendierenden, verborgenen und unbegreiflichen Gottes begriffen wur-
den (Modalismus) .
Wurde also im Subordinatianismus die Einheit Gottes der göttlichen Pluralität
übergeordnet, so löste sich in den - wiederum auf verschiedene Weise ausgeprägten -
modalistischen (oder auch „sabellianistischen") Denkversuchen die Pluralität als
bloße Epiphanie- (also Schein-)Wirklichkeit in die Einheit auf.
In beiden Fällen war der Monotheismus „gerettet", aber um den Preis der neuen
christlichen Erfahrung, in Sohn und Heiligem Geist Gott selbst- d. h. weder einer nur
untergeordneten (also letztlich: kreatürlichen) Gestalt des Göttlichen noch einer nur
äußeren Erscheinungsweise des sich auf diese Weise in seinem An-Sich entziehen-
den Gottes - zu begegnen. Kurz: Subordinatianismus und Modalismus konnten eine
wirkliche Selbstmitteilung Gottes nicht denken und begrifflich erfassen.

Gegenüber diesen defizienten Denkversuchen, im Rahmen der vorgegebenen grie-


chischen Philosophie die Einheit Gottes und zugleich seine dreifach-eine Offenba-
rung in der Geschichte zu verstehen, bedeuten das Konzil von Nizäa 325 und das er-
ste Konzil von Konstantinopel 381 sowie die um beide Konzilien sich rankende

sistenz) als ,Urgrund', zu (2.) dem hervorgetretenen Sein (Ek-sistenz) als ,Aus-Druck', zu (3.) dem zurück-
gekehrten Sein (Re-in-sistenz) als ,Voll-endung '": Beck, Triadische Engel-Ordnungen (Anm. E, 24) 321.
Näheres bei ders„ Triadische Götter-Ordnungen: klassisch-antiker und neuplatonischer Ansatz, in: ThPh 67
(1992) 23~245. Über die triadische Struktur neuplatonischen Denken informiert kurz F.-P. Hager, Neupla-
tonismus, in: TRE XXIV, 341-363. Innerhalb eines solchen platonisch bestimmten Horizonts entwarfen ver-
schiedene Gnostiker als erste eine - freilich eher theogonisch und kosmogonisch geprägte - Trinitätslehre.
Siehe dazu A. Orbe, Hacia la primera teologfa de la procesion del Verbo, Bd. 1/1, Rom 1958. Vgl . zu diesem
Fragekomplex auch A. Böhlig, Zum Gottesbegriff des Tractatus Tripartitus, in: A. M. Ritter (Hrg.), Kerygma
und Logos, FS C. Andresen, Göttingen 1979, 49f. - Zur Wertung dieser außerchristlichen trinitarischen Par-
allelen ist die Mahnung H. U. v. Balthasars zu beachten, „daß bei Heranziehung außerchristlicher Analogien
zur Trinität größte Vorsicht geboten ist: ihnen fehlt die ökonomische Basis, weswegen sie leicht als bloße
Additionen kosmologischer Prinzipien auftreten ... und dann über einen Tritheismus nicht hinauskommen,
oder als drei Aspekte des Einen .. . und dann im Modalismus verharren": TD Il/2, 466.

54
Übersicht über Grundlagen und Grundprobleme der Trinitätstheologie

theologische Arbeit einen gewaltigen Umbruch in den herrschenden weltbildlichen


Voraussetzungen: Man geht nicht mehr von einer vorgegebenen Gestalt des philoso-
phischen Monotheismus aus, für den die Einheit Gottes in sich selbst keine Vielheit
duldet und seine Transzendenz keine Kontamination mit der Geschichte zuläßt; viel-
mehr wird die durch die Offenbarung selbst ausgelöste Glaubenserfahrung zum Leit-
faden eines neuen Denkens über Gott. Der eine Gott ist keine in sich ruhende oder
kreisende Monade, er ist in sich selbst Vielfalt: Leben, Liebe, Communio. Der Vater
sendet seinen ihm wesensgleichen Sohn und seinen ihm wesensgleichen Geist in die
Geschichte, damit wir darin Gott selbst begegnen und Anteil am göttlichen Leben ge-
winnen. Nicht zuletzt durch die ursprünglich sehr sinnoffene Aussage des Konzils
von Nizäa, daß der Sohn homoousios tö patrf - wesensgleich dem Vater ist, kam der
Gottesbegriff sozusagen in Bewegung 20 • Nicht mehr eine transzendente Monas ist
der letzte Bezugspunkt aller Wirklichkeit, sondern ein Gott, der Leben ist, der Diffe-
renz und Vereinigung in sich birgt, ein Gott also, der selbst Kommunikation ist. Des-
halb formuliert Peter Hünermann in seiner Interpretation des christologischen Be-
kenntnisses von Nizäa zu Recht: „Damit ist der griechische Gottesbegriff von der
arche, die unberührbar, unbefleckt von der Welt, völlig identisch, unbeweglich in sich
steht, korrigiert. Die Kommunikation in Gott selbst wird bejaht, weil nur dadurch
Gott als jener denkbar wird, der seinen eigenen logos dieser Welt mitteilen kann" 2 1•
Vor allem Athanasius, der große Theologe im Umkreis von Nizäa, hebt hervor, daß
die „Communio" (zwischen Vater und Sohn) sich nicht (allein) auf die Ebene der
freien Entscheidung und Tätigkeit bezieht, sondern auf die des (substantiellen)
Seins 22 • Erst von dieser Voraussetzung her war es auch möglich zu verstehen, daß der
„relationale" Gott selbst in die Relationalität der Geschichte eintritt. Demgegenüber
war von arianischen Voraussetzungen her eine wirkliche Selbstmitteilung Gottes
nicht zu denken.

Maßgebend für diese „Enthellenisierung" des Gottesbildes waren das Zeugnis der
Heiligen Schrift, die Erfahrung des Glaubens sowie die Praxis von Liturgie und Ge-
bet, wobei alle drei Elemente unter einem dezidiert soteriologischen Gesichtspunkt
standen: Nur wenn Jesus Christus selbst wahrer Gott ist, kann er den Menschen erlö-
sen, nur dann ist Gemeinschaft mit ihm auch Gemeinschaft mit Gott; nur wenn der
Heilige Geist selbst wahrer Gott ist, kann er den Menschen heiligen, d. h. Anteil ge-
ben an der Heiligkeit und am Leben Gottes selbst. Wenn dagegen Sohn und Geist
nicht Gott selbst in Person sind, sondern lediglich untergeordnete göttliche Wesen

20 Vgl. dazu R. P. C. Hanson, The Search for the Christian Doctrine of God. The Arian Controversy,
318-381 , Edinburgh 1988, 163-172, 1~202, bes. 170.
21 P. Hünermann, Jesus Christus. Gottes Wort in der Zeit, Münster 1994, 145. - Siehe auch H. Hoping, Das
Absolute in der Differenz des Seins, in: D. Hattrup I H. Hoping (Hrg.), Christologie und Metaphysik, FS
P. Hünermann, Münster 1989, 13. Vgl. zum Ganzen auch M. Simonetti, La crisi ariana nel IV secolo, Rom
1975.
22 Vgl. Zizioulas, Being 86, 8967.

55
Auf dem Weg zu einer communialen Trinitätstheologie

oder nur Erscheinungsformen eines grundsätzlich entzogenen Gottes, so hat es der


Mensch im Offenbarungs- und Heilsgeschehen nie mit Gott selbst, sondern allein mit
kreatürlichen Vermittlungen zu tun, die trotz ihrer vermittelnden Funktion den grund-
sätzlichen und unüberbrückbaren Abstand zwischen Gott und Mensch nur noch ein-
mal mehr betonen, ja geradezu definitiv machen. Eben dies aber widerspricht der bi-
blischen Botschaft: Gott steht nicht über einer - ihm geschichtlich untergeordneten -
Offenbarung oder hinter ihr, sondern er offenbart sich darin selbst. So wie er uns in
den geschichtlichen Heilsereignissen begegnet, ist er auch in Wahrheit und Wirklich-
keit. Das trinitätstheologische Prinzip, das in der Gegenwart Karl Rahner formuliert
hat und das nicht ganz zu Recht ihm zugeschrieben wird, ist also uralt: Die ökonomi-
sche Trinität (d. h. die Trinität, die sich in der Heilsgeschichte zeigt) ist die imma-
nente (d. h. so wie Gott in sich selbst ist) 23•

Durch diese „Enthellenisierung" eines starr monarchianischen Gottesbildes war nun


die trinitarische Vielfalt nicht mehr unter- oder außerhalb des göttlichen Wesens an-
gesiedelt, sondern - bei dessen bleibender Einheit - in diesem selbst. Damit stand
man nun theologisch vor einer Gratwanderung. Auf der einen Seite wandte man sich
vehement gegen den jüdischen und aufgeklärt-heidnischen Tritheismus-Vorwurf und
bekannte sich zum einen Gott, auf der anderen Seite wies man Subordinatianismus
und Modalismus, welche die Vielfalt aus Gott heraushielten, zurück und gab der
Vielfalt einen der Einheit gleichwertigen Ort in Gott selbst. Freilich konnten dabei
Einheit und Dreiheit nicht unter ein und demselben Gesichtspunkt stehen. Vielmehr
war zu folgern: In Gott muß es gleichsam zwei „Ebenen" geben; auf der einen hat die
Einheit, auf der anderen die Verschiedenheit von Vater, Sohn und Geist ihren Ort.
Nach einem langwährenden Hin und Her, das durch ein vielfältiges, oft widersprüch-
liches und darum auch so unübersichtliches Ringen um begriffliche Klarheit und Ein-
heitlichkeit gekennzeichnet war (vgl. dazu S. 77 ff), erhielten die vielen theologi-
schen Ansätze und Denkversuche das von der Gesamtkirche rezipierte Ergebnis in
der Formel: Gott ist einer in seinem Wesen, dreifaltig in den Personen (oder auch:
Hypostasen). Die Herausstellung des einen Wesens dient der Zurückweisung des Tri-
theismus-Vorwurfs; die Betonung der drei Personen richtet sich gegen Modalismus
und Subordinatianismus und hat im Grunde ursprünglich lediglich zum Inhalt, das in
Gott Unterscheidbare, das Nicht-Gemeinsame in einem Allgemeinbegriff zum Aus-
druck zu bringen. So gesehen markiert die Formel zunächst einmal nur einen sehr
schmalen Grat zwischen dem Abgrund hüben und dem Abgrund drüben. Sie hat im
Grunde eher einen negativen Charakter, da sie ihre Herkunft der Intention verdankt,
gegen anderslautende Erklärungen zu sagen, wie man vom Gott des Heils nicht den-
ken und sprechen darf. In dieser Hinsicht ist die entfaltete Trinitätslehre ein Stück ne-
gativer Theologie. Dies stellt Joseph Ratzinger sehr zutreffend heraus:

23 Rahner fügt allerdings noch hinzu: „und umgekehrt". Zu dieser Problematik vgl. S. 143ff.

56
Übersicht über Grundlagen und Grundprobleme der Trinitätstheologie

„Wenn man das Ganze überblickt, wird man feststellen können, daß sich die
kirchliche Form der Trinitätslehre zunächst und zuerst einmal negativ rechtfer-
tigen läßt als Erweis der Weglosigkeit aller anderen Wege. Vielleicht ist das
sogar das einzige, was wir hier wirklich können. Trinitätslehre wäre dann we-
sentlich negativ, als die einzig bleibende Form der Abweisung alles Durch-
schauenwollens zu verstehen, als die Chiffre für die Unauflösbarkeit des Ge-
heimnisses Gott. Sie würde fragwürdig, wo sie ihrerseits in ein einfaches
positives Wissenwollen überginge. Wenn die mühsame Geschichte des
menschlichen und des christlichen Ringens um Gott etwas beweist, dann doch
dies, daß jeder Versuch, Gott in den Be-griff unseres Be-greifens zu nehmen,
ins Absurde hineinführt. Recht können wir von ihm nur reden, wenn wir aufs
Begreifenwollen verzichten und ihn als den Unbegriffenen stehenlassen. Trini-
tätslehre kann also nicht ein Begriffenhaben Gottes sein wollen. Sie ist eine
Grenzaussage, eine verweisende Geste, die ins Unnennbare hineingreift; nicht
eine Definition, die eine Sache in die Fächer menschlichen Wissens eingrenzt;
nicht ein Begriff, der die Sache ins Zugreifen des menschlichen Geistes geben
würde." 24
Diese Feststellung ist in der Tat gleichsam die hermeneutische Klammer aller Trini-
tätstheologie: sie ist ihrem tiefsten Wesen nach negative Theologie.

Eine Reihe von griechischen Vätern betonte dabei das trinitarische Mysterium Gottes so sehr,
daß sie sogar nicht einmal mehr von der heilsgeschichtlichen Offenbarung auf das immanente
Leben Gottes „zurückzuschließen" wagten. Stattdessen knüpften sie an das eher negative neu-
platonische Denken an, das die Unbegreiflichkeit Gottes betonte 25 . Christlich übersetzt hieß
das: Gottes trinitarisches Wesen ist unerkennbar, erkennbar sind nur seine „Ausstrahlungen",
seine - ungeschaffenen! - ,,Energien".

24 Ratzinger aaO. 133. - Und Ratzinger fährt fort: „Dieser Charakter der Andeutung, in der der Begriff zum
bloßen Hindeuten, das Begreifen zum bloßen Ausgreifen nach dem Ungreifbaren wird, ließe sich exakt an-
hand der kirchlichen Formeln selbst und ihrer Vorgeschichte darstellen. Jeder der großen Grundbegriffe der
Trinitätslehre ist einmal verurteilt worden; sie alle sind nur durch diese Durchkreuzung einer Verurteilung
hindurch angenommen; sie gelten nur, indem sie gleichzeitig als unbrauchbar gekennzeichnet sind, um so als
armseliges Gestammel - aber auch nichts mehr - zugelassen zu werden": ebd.
23 M.-J. Le Guillou, Das Mysterium des Vaters, dt. Einsiedeln 1974, 96 f sieht die Genese des apophatischen
Denkens differenzierter: „Im Kontext der neuplatonischen Teilnahme-Metaphysik mußte ... jede Ordnung
zwischen den göttlichen Personen als eine hierarchische Unterordnung untereinander ausgelegt werden. Ein-
zig der Vater, das Eine, konnte hier wesenhaft Gott sein; Sohn und Geist dagegen konnten es nur durch ver-
minderte Teilnahme an ihm sein ... Indem sie diese Position bekämpften, legten die kappadozischen Väter
den Ton darauf, daß die Monarchia des Vaters die Würde der beiden andern Personen, die ihm im Gottsein
ebenwürdig sind, nicht herabsetzt. Aber weil sie unbewußt die metaphysische Gleichung ihres Gegners zwi-
schen Ordnung und Ungleichheit übernahmen, sahen sie sich gezwungen zu leugnen, daß die Offenbarung
eine Ordnung der persönlichen Hervorgänge in Gott erkennen läßt ... Da aber andererseits die Ökonomie
von einer Ordnung zwischen Vater, Sohn und Geist zeugt, mußten die kappadozischen Väter, um allen Sub-
ordinatianismus zu vermeiden, eine radikale Unterscheidung zwischen dem Gebiet der innertrinitarischen
Theologie und dem der Ökonomie befürworten".

57
Auf dem Weg zu einer communialen Trinitätstheologie

Ansätze einer solchen Konzeption finden sich bereits bei Athenagoras, lrenäus und den Kap-
padoziem 26 , ausgefaltet wurden sie besonders - als Basistheorie für eine immer neuplatonisch
gestimmt bleibende mystische Gotteserfahrung- bei Gregor von Palamas 27 , dessen Lehre von
der Orthodoxie weithin übernommen wurde.
Nun bleibt in der Tat Gott im Offenbarungsgeschehen ein Mysterium, nicht allein aufgrund
der endlichen Bedingungen unseres Erkennens, sondern aufgrund des Gottseins Gottes. Er
bleibt immer ganz dem menschlichen Erkennen transzendent, und doch hat er sich aus voller
Freiheit in Sohn und Geist ganz dem menschlichen Erkennen erschlossen. Das Miteinander bei-
der Sätze ist ein Paradox, das nicht auflösbar ist. Werden allerdings beide Pole als dialektisches
Paradox nicht ernst genommen und betont man auf der Linie der Energienlehre allein die Un-
zugänglichkeit Gottes, so besteht die Gefahr, daß das Trinitarische im Heilshandeln Gottes
„funktionslos" wird 28 und die Trinitätslehre sich als eine in sich stehende, völlig folgenlose
,,Zusatzauskunft" „über" der heilsgeschichtlichen Erfahrung bewegt und allein mit Nachdruck
den negativen Charakter aller Gotteslehre betont.
Doch so sehr das erste und letzte Wort jeder Trinitätsaussage der Verweis auf das
bleibende Geheimnis Gottes zu sein hat, so darf hier doch - um es mit Hegel zu sagen -
ebenso „die ungeheure Kraft des Negativen" nicht übersehen werden. Die Negation
treibt sozusagen auch ein neues positives Verstehen hervor, das zwar das Geheimnis
Gottes nicht begreift, wohl aber in eine bestimmte Richtung weist, in der etwas vom
Licht des Geheimnisses Gottes auch den menschlichen Geist erreicht. Überdies darf
nicht außer acht gelassen werden, daß die vertiefte trinitätstheologische Fragestel-
lung aus Auseinandersetzungen erwuchs, in denen es um die Denkbarkeit und die ra-
tional verantwortbare Sinnhaftigkeit des christlichen Offenbarungsglaubens ging. In-
sofern sind die trinitätstheologischen Aussagen, genausowenig wie sie nur abstrakte
Spekulationen darstellen, auch kein unverstehbares Raunen; sie weisen vielmehr in
eine positive Richtung, in welche Einsicht, Durchsicht und Übersicht zu gewinnen
zwar der menschlich begrenzten Ratio ob der Überhelle göttlichen Lichtes verwehrt
ist, in welcher aber das Licht Gottes doch ein Ansichtigwerden des Geheimnisses und

26 Vgl. E. Mühlenberg, Die Unendlichkeit Gottes bei Gregor von Nyssa, Göttingen 1966; J. J. Verhees, Mit-
teilbarkeit Gottes in der Dynamik von Sein und Wirken nach der Trinitätstheologie des Basilius des Großen,
in: OS 27 (1978) 3-24; J. Panagopoulos, Ontologie oder Theologie der Person? Die Relevanz der patristi-
schen Trinitätslehre für das Verständnis der menschlichen Person, in: KuD 39 (1993) 2-30.
21 Siehe dazu kurz: TL ill, 116-119. Ferner: M. E. Hussey, ThePersons-Energy Structure in the Theology of
St. Gregory Palamas, in: SVTQ 18 (1974) 22-43; D. Wendebourg, Geist oder Energie. Zur Frage der inner-
göttlichen Verankerung des christlichen Lebens in der byzantinischen Theologie, München 1980. Zur kriti-
schen Auseinandersetzung mit diesem Werk siehe u. a. H. Aldenhoven, Die Unterscheidung zwischen einer
erkennbar-zugänglichen und einer unerkennbar-unzugänglichen Seite in Gott und die Trinitätslehre, in: IKaZ
72 (1982) 214-232; v. Schönborn, Immanente (Anm. E, 16) 247-264. Weitere Rezensionen sind bei G. G.
Blum, Oikonomia und Theologia, in: OS 33 (1984) 29510 genannt. Näheres zur Energienlehre siehe auch bei:
M. M. Garijo Guembe, Bibliografia sobre Ja Trinitad en Ja teologia ortodoxa (1945-1977), in: EstTrin 11
(1977) 370-441; J. Freitag, Geist-Vergessen-Geist-Erinnern. VI. Losskys Pneumatologie als Herausforde-
rung westlicher Theologie, Würzburg 1995, 76-79 (zu Losskys Energienlehre).
28 So: Le Guillou, aaO. 99: „Unter solchen Bedingungen ist die Möglichkeit, Theologie und Ökonomie ein-
ander gegenseitig erhellen zu lassen, sehr gering geworden. Ihr Konvergenzpunkt ist nicht mehr das trinita-
rische Zeugnis von Ostern, sondern die Finsternisse der negativen Theologie". Dies ist weiter ausgeführt in
der These von D. Wendebourg (s. vorangehende Anm .).

58
Übersicht über Grundlagen und Grundprobleme der Trinitätstheologie

dessen Relevanz für das Selbstverständnis des Menschen und seiner Welt gewährt.
Ganz im Sinne der Lehre des 1. Vatikanischen Konzils: „Wenn die vom Glauben er-
leuchtete Vernunft eifrig, fromm und lauter forscht, erlangt sie mit Gottes Gnade eine
gewisse Einsicht in die Geheimnisse, und zwar eine überaus fruchtbare, sowohl aus
der Analogie zu dem, was sie auf natürliche Weise erkennt, wie aus dem Zusammen-
hang der Geheimnisse untereinander und mit dem letzten Ziel des Menschen" (DS
3016).

59
Auf dem Weg zu einer communialen Trinitätstheologie

§ 2 Das zentrale Problem: Zum Verhältnis von Einheit und


(trinitarischer) Vielheit in Gott

1. Ursprüngliche Anliegen des trinitarischen Personverständnisses

Das Ineinander von negativer und positiver Theologie in Sachen Trinitätslehre zeigt
sich deutlich an dem in der trinitarischen Grundformel „una substantia in tribus per-
sonis" - „ein göttliches Wesen in drei Personen" gebrauchten Personbegrijf. Dieser
im Trinitätsglauben implizierte und für die Verbalisierung und Konzeptualisierung
des trinitarischen Mysteriums wesentliche Begriff soll den Leitfaden für die folgen-
den geschichtlichen Darlegungen bilden. Zwar ist der Personbegriff nicht der eigent-
liche Kernpunkt der Trinitätstheologie. Und doch ist gerade er geeignet, ein ange-
messene(re)s Verständnis Gottes und seines Verhältnisses zur Welt hervorzutreiben.
In diesem Abschnitt geht es zunächst nur um einige hermeneutische Vorüberlegun-
gen zum Kontext des Personverständnisses.

Basil Studer vertritt die These, daß die für die göttliche Trinität gebrauchte Personbe-
zeichnung „hauptsächlich als Ablehnung der sabellianischen [modalistischen] ...
Abschwächung der Verschiedenheit von Vater, Sohn und Geist zu verstehen ist, als
eine im Grunde sehr negative, ausschließende Erklärung des wahren Taufglaubens".
Deshalb eignet sich nach ihm der trinitarische Personbegriff „nicht für einen Ver-
gleich mit dem anthropologischen Personbegriff ... Wenn man die persönliche Ge-
meinschaft und die persönliche Entfaltung der Menschen irgendwie mit dem göttli-
chen Leben von Vater, Sohn und Geist vergleichen will, tut man gut daran, dabei den
Begriff Person, wie er dogmatisch im vierten Jahrhundert entwickelt und dann allge-
mein angenommen worden ist, nicht ins Spiel zu bringen" 29 • Doch diese Schlußfol-
gerung ist überzogen. Erstens gibt Studer selbst zu, daß im Begriff der persona (im
Unterschied zu dem der hypostasis [dazu später]) „die verschiedene Funktion und in
etwa auch das Dialogische durchschimmert" 30• Zweitens stoßen Reflexionen über
den Personbegriff in Gott sowohl bei den Kappadoziern als auch bei Augustinus po-
sitiv auf das relationale Wesen von Person (S. 90ff). Drittens „mußten" die persona-
len heilsgeschichtlichen (vor allem am Dialog Jesu mit seinem Vater zu Tage treten-
den) Beziehungen mindestens als vorstellungshafter Hintergrund auch auf das

29 B. Studer, Der Person-Begriff in der frühen kirchenamtlichen Trinitätslehre, in: ThPh 57 (1982) 168, 162,
177.
30 AaO. 117. - Darüber hinaus unterstreicht Studer, Gott und unsere Erlösung im Glauben der Alten Kirche,

Düsseldorf 1985, 220, daß durch die augustinische Identifizierung von persona mit dem Ich „eine revolutio-
näre Neuerung in die Geschichte der abendländischen Philosophie eingeführt" ist. Dann aber fügt er an - zu
Unrecht!, und verstellt damit von vornherein alle weiteren Explikationen - , daß persona als Ich verstanden,
besser dem einen Gott entspricht, da es in der Gottheit nur ein Ich gibt. Eben dies ist zu bezweifeln! Siehe
dazu S. 121 f.

60
Übersicht über Grundlagen und Grundprobleme der Trinitätstheologie

innertrinitarische Personverständnis Einfluß nehmen. Mindestens! Denn wenn Gott


sich in der Geschichte so offenbart, wie er in sich ist, dann zeigen die hier sichtbar
werdenden „Handlungssubjekte" in ihrem Miteinander und Zueinander nicht nur
„ negativ" eine nicht weiter aufzuhellende Differenz in Gott selbst an, sondern sie
weisen auch „positiv" in eine bestimmte Verstehensrichtung. Insofern ist der Person-
begriff, auf den trinitarischen Gott angewandt, etwas, das „zu denken gibt".
Das bedeutet: Der in der frühen Trinitätstheologie ursprünglich vorwiegend nega-
tiv gebrauchte Begriff „Person", der primär nur die Differenzierung in Gott selbst
zum Ausdruck bringen wollte und zudem noch bis ins vierte Jahrhundert hinein von
den Theologen des Westens entweder vermieden oder nur sehr behutsam und spar-
sam gebraucht wurde (weil er in einer gewissen Nähe zum Modalismus stand)3 1,
steht von vornherein in einem größeren, freilich erst im Laufe der Geschichte bewuß-
ter gewordenen Kontext, der es gestattet, ansatzhaft, aber doch positiv das Personsein
in Gott als relationales Miteinander, Voneinanderher und Aufeinanderhin zu erfassen
und damit den christlichen Gott als Communio des Lebens und der Liebe zu verste-
hen. Dabei ist natürlich festzuhalten, daß all diese Begriffe wie Person, Communio,
Leben, Liebe, auf Gott angewandt, jeweils nur analoge, d. h. eine zwar durch Ähn-
lichkeit und Entsprechung, aber zugleich durch größere Unähnlichkeit und Fremd-
heit ausgezeichnete Bedeutung haben (siehe S. 179-182).

Der Durchbruch zu einem „interpersonal-communialen" Gottesbild geschah, glau-


bens- und geistesgeschichtlich gesehen, nur unter großen Schwierigkeiten in einem
Prozeß, der bis heute keineswegs beendet ist. Das entscheidende Hindernis auf dem
Weg zu einem dezidiert communialen Gottesverständnis war und ist der Vorrang ei-
nes bestimmten Einheitsdenkens, für das Pluralität und damit auch personale Diffe-
renzierung ein sekundärer Modus des Seins ist. In einem solchen Horizont mußte und
muß gegenüber der Einheit Gottes die unterscheidende trinitarische Vielheit an
zweite Stelle rücken.

2. Der Vorrang des „ Unitarischen" im abendländischen Denken

Es ist unbestreitbar, daß - soll die Rationalität des Denkens nicht zugrunde gehen -
jede Vielheit auf eine Einheit zurückzuführen bzw. an eine solche zurückzubinden ist.
Dieses Prinzip ist die reflektierte oder auch nur stillschweigende Voraussetzung der
gesamten antiken Philosophie. Dagegen wurde das dialektische Gegenprinzip kaum
erörtert, wonach Einheit nur im Gegenüber zu einem wie auch immer gearteten „an-
deren" (vielen), und sei dies auch nur zum „Nichts" als gedachtem Gegenbegriff zum
Einen, denkbar ist. Dieses Ungleichgewicht in der denkerischen Bemühung um die

31 Vgl. Hanson, aaO. XIII.

61
Auf dem Weg zu einer communialen Trinitätstheologie

Dialektik des „einen" und „vielen" - ein Ungleichgewicht, das sich auch darin zeigt,
daß im Abendland Parmenides (über Platon) wirkungsgeschichtlich bei weitem He-
raklit übertraf - führte zwangsläufig dazu, in der Trinitätstheologie einlinig von der
Einheit Gottes auszugehen und erst von daher die trinitarische Vielheit zu verstehen.

Dafür bot sich insbesondere die platonisch/neuplatonische Philosophie an, zu deren


zentralem Anliegen es gehörte, die Entstehung des Vielen aus dem Einen zu reflek-
tieren und das Viele als „Hervorgang" bzw. stufenförmige „Emanation" aus dem Ei-
nern plausibel zu machen 32 • So lauten z.B. einige der ersten Propositionen der
stoichefosis theologike des Proklos 33 : „Alle Vielheit hat in irgendeiner Weise teil am
Einen" (1). „Alle Vielheit ist dem Einen nachgeordnet" (5). „Alle Vielheit beruht ent-
weder auf Geeintem oder auf Einheiten" (6) 34 • Das höchste Eine ist geradezu da-
durch definiert, daß es alle Vielheit, selbst alle innere Relationalität ausschließt und
deshalb allein durch radikale Negation definiert werden kann 35 • Aus dem differenz-
losen Einen tritt, indem dieses sich durch Reflexion auf sich selbst zurückbezieht, der
Geist und damit erst das (durch mögliche Differenzierung und Vielheit gekennzeich-
nete) Sein hervor, das sich wiederum in die „Weltseele" als das die Vielheit setzende
und durchwaltende Prinzip „entäußert" und zwar so, daß die untergeordneten Hypo-
stasen Ausstrahlungen bzw. Erscheinungsformen des Einen sind, das selbst unbe-
rührt über allem Sich-Vervielfältigenden steht 36 • Es war also die Idee einer irgendwie
sich abstufenden höchsten Einheit bereits vorgebildet; und damit lag für die Refle-
xion des trinitarischen Glaubens ein Modell bereit, das man bei allen notwendigen
Korrekturen übernehmen konnte und übernahm. Aber diese Korrekturen hatten es
„in sich"!
So sind etwa bei Ps.-Dionysius, der in zentralen Fragen seines Gottesverständnisses vom Neu-
platoniker Proklos abhängig ist, die Hypostasen nicht einfach dem „Einen" untergeordnet, son-
dern sie zeigen sich „in dem neuen (christlichen) Kontext als Aspekte oder voneinander un-
trennbare Wesensmomente Ein und des Selben, derselben göttlichen Einheit, des Einen
Gottes" 37 • Es gingja christlich darum, Gott nicht als das jenseits aller Vernunft angesiedelte un-
wandelbare Eine zu denken, „sondern als ein in sich selbst durch den Logos vernünftig struktu-

32 Siehe dazu: E. Brehier, La Philosophie de Plotin, Paris 1958; H. R. Sehlette, Das Eine und das Andere.
Studien zur Problematik des Negativen in der Metaphysik Plotins, München 1966; G. Huber, Das Sein und
das Absolute, Basel 1955; W. Beierwaltes, Denken des Einen, Studien zur neuplatonischen Philosophie und
ihrer Wirkungsgeschichte, Frankfurt 1985. - Auch im sog. Pythagoreismus ist das Eine Ursprung aller Viel-
falt. Siehe dazu Th. Merlan, Monismus und Dualismus bei einigen Platonikern, in: K. Flasch (Hrg.), Paru-
seia, FS J. Hirschberger, Frankfurt 1965, 143- 154.
33 Dieses Werk hat über die Übersetzung Wilhelms v. Moerbekes „Elementatio theologica" (1268) und indi-
rekt auch über den sog. Liber de causis Einfluß auf die Theologie des 13. Jahrhunderts ausgeübt. Zu Proklos
siehe speziell W. Beierwaltes, Proklos. Grundzüge seiner Metaphysik, Frankfurt 21979.
34 zit. nach K. Ruh, Geschichte der abendländischen Mystik, Bd. I, München 1990, 50.

35 Bis dahin, daß dem überseienden Einen das Sein als das erste „Differenzierende" abgesprochen wird.
Siehe dazu W. Beierwaltes, Andersheit, in: ABG 16 (1972) 166-197.
36 Vgl. zum Ganzen Beierwaltes, Denken bes. 193-225.
37 Beierwaltes, aaO. 212.

62
Übersicht über Grundlagen und Grundprobleme der Trinitätstheologie

riertes Differenzgeschehen, das ihm ermöglicht, als Logos in Jesus Christus in die Schöpfung
einzugehen, ohne in ihr aufzugehen, seine Gottheit aufzugeben und die Differenz zwischen
Schöpfer und Geschöpf aufzuheben ... Im trinitarischen Dogma [ging es] darum, ... die undif-
ferenzierte platonische monas und die ihr hierarchisch subordinierten Hypostasen durch eine
relationale Einheit zu ersetzen" 38 . Eben dies war damals aber zuhöchst anstößig. Eindringlich
formuliert Alois Grillmeier: „Wenn die griechische Philosophie der damaligen Zeit gegen et-
was empfindlich war, dann gegen dies: als oberstes Prinzip, als arche, etwas anderes zu setzen
als das exklusiv-absolute ,Hen'. Diesem galt die eigentliche Liebe der Philosophen. Nous und
Psyche sollten im Grunde gar nicht sein. Eine göttliche Einheit in Dreifaltigkeit an die oberste
Stelle als absolute arcbe zu setzen, war also für die Mittelplatoniker und die Neuplatoniker reine
Torheit" 39 .
Und dennoch: Trotz aller Korrekturen verraten die Kirchenväter gerade in ihren theologi-
schen Reflexionen zur Trinität, „wie sehr sie von der platonischen Vorstellung der gestuften
Gottheit ausgingen und durchdrungen waren" 40 . Immer wieder schlug die Tendenz durch, die
emanierenden Hypostasen der höchsten Ur-Einheit unterzuordnen. Das hing auch damit zusam-
men, daß der antike theos-Begriff (ohne Artikel!) ein sehr weitgespanntes Bedeutungsfeld hatte
und auch die gestuft-untergeordneten „Varianten" des Göttlichen bezeichnen konnte 41 .
Es kommt hinzu, daß die Bezeichnung „Vater", auf Gott angewandt, bei den Apologeten des
2./3. Jahrhunderts nicht (allein und vornehmlich) die erste göttliche Person in der Beziehung
zum Sohn artikulierte, sondern (auch) Gottes Schöpfersein gegenüber der Welt. Wenn nun in
dieses Verständnis vom Vatersein Gottes der Status des Gottessohnes eingeordnet wurde,
konnte dies nur subordinatianistische Folgen haben 42 .

Auch wenn spätestens seit Nizäa geklärt war, daß die innergöttlichen Differenzen
nicht subordinatianistisch verstanden werden durften, so als ob Sohn und Geist nicht
die ganze Fülle der Gottheit besäßen, bleibt vielfach doch der platonisch/neuplato-

38 1. U. Dalferth, Jenseits von Mythos und Logos= QD 142, Freiburg i.Br. 1993, 88. 95.
39 A. Grillmeier, Jesus von Nazareth - im Schatten des Gottessohnes? in: H. U. v. Balthasar u. a. (Hrg.), Dis-
kussion über Hans Küngs „Christ sein", Mainz 1976, 68.
40 E. P. Meijering, Wie platonisierten Christen?, in: ders., God Being History. Studies in Patristic History,
Amsterdam-Oxford-New York 1975, 26. Ch. Stead, The Origines ofthe Doctrine ofthe Trinity, In: Theo!. 77
(1974) 508-517; 582-588; X. Pikaza, Dios como Espiritu y Persona, Salamanca 1988, 278 f. - Die Idee einer
„gestuften Gottheit" findet sich insbesondere bei Origenes (siehe dazu K. 0. Weber, Origenes der Neuplato-
niker. Versuch einer Interpretation, München 1962; A. H. B. Logan, Origen and the Development of Trini-
tarian Theology, in: L. Lies [Hrg.], Origeniana Quarta, Innsbruck-Wien 1987, 424-429) sowie bei den Kap-
padoziem. Zumal das Werk des Basilius enthält ganze Passagen aus den Enneaden des Plotin, ohne daß diese
jedoch ausdrücklich genannt werden. Erst recht ist das einflußreiche Werk des Ps.-Dionysius und dessen Tri-
nitätskonzeption ein einziger großer Reflex auf Plotin. Des Dionysius ' Aussage, daß die Vielheit der göttli-
chen Prozessionen im Vater ihre Einheit findet, hat seine Entsprechung im neuplatonischen, später sog. Liber
de causis § 16 ( = Bardenbewer 179).
41 N. Brox, „Gott" -mit und ohne Artikel. Origenes über Joh 1, 1, in: BN 66 (1993) 33 macht von daher ein-

sichtig, daß „Christologie ... bis mindestens ins hohe 3. Jh. hinein nur subordinatianisch konzipiert werden
[konnte]; Monotheismus bzw. Monarchianismus ließen nichts anderes zu. Dazu paßt „. der ,reduzierte'
theos-Begriff optimal".
42 Vgl. Hanson, Search XIX: „With the exception of Athanasius virtually every theologian, East and West,
accepted some form of subordinationism at least up to the year 355; subordinationism might indeed ... have
been described as accepted orthodoxy". Siehe auch ebd. 64. Erst im Zuge der Auseinandersetzung mit dem
arianischen Subordinatianismus änderte sich die Sachlage.

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Auf dem Weg zu einer communialen Trinitätstheologie

nische Denk- und Vorstellungshorizont erhalten, wonach- bei gleicher göttlicher Na-
tur- Sohn und Geist aus der Einheit (des Vaters) von Ewigkeit „hervorgehen" 43 • Ent-
sprechend wird das gleichfalls neuplatonische Bild von der „fontalis plenitudo" als
der letzten und höchsten Einheit, aus der alles übrige „strömt", auf den Vater übertra-
gen44. Damit wird aber die Vorstellung einer - wenn auch ewigen - innergöttlichen
„Genese" von der Einheit zur Dreiheit unumgänglich: Gott, der Vater, zeugt von
Ewigkeit her das göttliche Wort und haucht den Geist der Liebe. „Une Personne pro-
duit [!] une autre ou est produite [!] par une autre, dont elle ,procede'. Les ,processi-
ons' sont essentiellement les ,productions [!] intra-divines"', so faßt Bertrand de
Margerie in geradezu „verräterischen" Termini die an diese frühchristliche Konzep-
tion anknüpfende spätere scholastische Trinitätsspekulation zusammen 45 •
Ein solcher Vorrang des Einen und eine solche „genetische" Konzeption von Ein-
heit und Vielheit erschweren aber ein dezidiert comrnuniales Verständnis der Trinität,
wonach Einheit und Vielheit sich gegenseitig konstituieren und die Vielheit als der
eine, die Einheit Gottes konstituierende, interpersonale Austausch der göttlichen Per-
sonen verstanden werden kann.
Dieses Problem wird noch deutlicher, wenn man darauf blickt, daß der in der Tra-
dition anzutreffende Vorrang des Einheitsdenkens in der Trinitätstheologie auf zwei
Weisen wirksam geworden ist.

3. „ Unum in trinitate" oder „ Unus in trinitate"?

Wenn und insofern bei den Theologen ein eher „philosophischer" Zugang zu Gott
vorherrscht, wenn und insofern Gott also nicht so sehr von seinem heilsgeschichtli-
chen Handeln, sondern von einer Metaphysik naturhaften Seins her erschlossen wird,
erscheint Gott als ,,höchste Substanz", als das eine und letzte Prinzip der Welt. Denn
die Vielfalt, Kontingenz und Endlichkeit der Dinge vermag sich selbst nicht zu erklä-
ren und im Sein zu halten, sondern verweist auf eine höchste, in sich selbst stehende,
unveränderliche Substanz, auf einen sich selbst begründenden letzten Grund, der not-
wendig einer ist. Dieses Gottesbild höchster und letzter substantieller Einheit ist aber
- so Karl Lehmann - gewonnen „im Anhalt an oder Gegenhalt gegen die Gestalt pri-
mär des materiellen Seienden ... Das Seiende in der Natur ist das fundamentale Mo-
dell, an dem extrapolierend (via negationis - via eminentiae) mit den Begriffen Sein,

43 Anders hätte man im übrigen auch dem arianischen Vorwurf: Wenn der Sohn von Ewigkeit her mit dem
Vater koexistiert, wäre er eher ein „Bruder" des Vaters als dessen Sohn (so Arius in einem Brief an Konstan-
tin. Dazu: B. Sesboüe I B. Meunier, Dieu peut-il avoir un Fils? Le debat trinitaire du IVe siecle, Paris 1993,
58) nichts entgegenhalten können.
44 So wird der Vater innergöttlich gutplatonisch/neuplatonisch als arche und pege bezeichnet. Siehe Orige-

nes, In Jo II, 20 (=SC 120, 220); Gregor v. Nazianz, or. 2, 38 (=SC 247, 140); Ps.-Dionysius, div.nom. 2
(=Corpus Dionys. 1, 132); Jo. Damasc., fid. orth. 8 (=Kotter II, 19).
4 s B. de Margerie, La Trinite chretienne dans l'histoire, Paris 1975, 205.

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Übersicht über Grundlagen und Grundprobleme der Trinitätstheologie

Wesen, Art, Bewegung, Substanz, Ursache, Ziel usw. Gott als das ,höchste Wesen',
als ,Ursache' (causa), ,substantia infinita' usw. gedacht wurde" 46 •
Die in der geschichtlichen Offenbarung dieses Gottes mitgeteilten personalen Dif-
ferenzen werden nun gleichsam in diesen vorausgesetzten Rahmen substantieller
Einheit hineingestellt, ohne daß der Rahmen selbst deshalb eine prinzipielle Verände-
rung oder Modifizierung erfährt. Mit anderen Worten: die Dreiheit wird nachträglich
zu einem vorgängigen, an der Substanz orientierten Einheitskonzept zu verstehen ge-
sucht. Konsequenterweise ist das Hauptproblem einer solchen Trinitätslehre die
Frage nach der Verschiedenheit der Personen in der (vorausgesetzten) Einheit Gottes,
so sehr, daß die Trinitätslehre sozusagen dann an ihr Ziel gekommen ist, wenn sie er-
faßt hat, wie die Differenzen in Gott zustande kommen (durch Zeugung des Wortes
und Hauchung der Liebe), zumeist ohne daß eigens darauf rekurriert wird, wie diese
Differenzen zur Einheit „zurück"-finden (etwa durch die Gegenseitigkeit des Erken-
nens und der Liebe).
Auf der Linie eines solchen Denkens bewegt sich z.B. Augustinus, dessen Trini-
tätslehre das lateinische Abendland maßgeblich bestimmt hat. Auch wenn Augusti-
nus durch eine deutliche anthropologische Pointierung den Horizont dinghaften Sub-
stanzdenkens aufbricht, besteht doch für ihn das Problem nicht darin, daß Gott una
substantia bzw. una essentia ist; problematisch für ihn ist die Verschiedenheit in
Gott 47 • Darum ist auch Ausgangspunkt und Hauptgegenstand seines Werks De Trini-
tate die göttliche Einheit; und es geht ihm darum aufzuweisen, daß die heilsge-
schichtlicben Sendungen von Sohn und Heiligem Geist dieser Wesenseinheit und
-gleicbheit nicht widersprechen 48 • Ja, Augustinus erwägt, ob in der alttestamentli-
chen Heilsgeschichte nicht ununterschieden „Gott schlechthin" (der indiscrete unus
Deus), also die göttliche Substanz erschienen sei 49 •
Überdies sieht - wie noch eingehender gezeigt werden wird (S. 97 f) - der Bischof
von Hippo die eigentliche Verstehensanalogie für die trinitarische Differenziertheit
nicht in der Beziehung menschlicher Personen untereinander, sondern in der inneren
„trinitarischen" Strukturiertheit einer Person, nämlich der geistigen Seele. Selbst da,
wo er von der trinitarischen Struktur der Liebe spricht (amans - id quod amatur -
amor), schränkt er seine Betrachtung auf die Selbstliebe, also auf eine innerhalb der
einen Person gegebene Wirklichkeit ein. Nimmt man noch hinzu, daß Augustinus

46 K. Lehmann, Kirchliche Dogmatik und biblisches Gottesbild, in: J. Ratzinger (Hrg.), Die Frage nach
Gott, Freiburg i.Br. 1972, 125. -Th. Kobusch, Die Entdeckung der Person, Freiburg i.Br. 1993, 27ff weist
darauf hin, daß erst ab dem 13. Jh. diese am Naturding orientierte (aristotelische) Metaphysik zugunsten ei-
nes an der Person und deren Freiheit orientierten Denkens umzuschlagen beginnt.
47 Mit anderen Worten: Das Problem, wie gerade die Dreiheit von Vater, Sohn und Geist als das eine göttli-
che Wesen zu verstehen ist, wird im Grunde von ihm ausgeklammert. Vgl. dazu W. Pannenberg, SystTh. 1,
370.
48 Siehe etwa De Trin. IV, 20, 29 (=BA 15, 412 t). Dazu M. Schmaus, Die psychologische Trinitätslehre des
m. Augustinus, Münster 1927, 164; J. Arnold, Begriff und heilsökonomische Bedeutung der göttlichen Sen-
dungen in Augustinus' De Trinitate, in: RechAug. 25 (1991) 4-69, hier: 4f.
49 De Trin. III, prooem. 3 (=BA 15, 276).

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