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ZUR PHÄNOMENOLOGIE DER

INTERSUBJEKTIVITÄT
D r it te r T eil
H USSERLIAN A
EDMUND HUSSERL
GESAMMELTE WERKE

BAND XV
ZUR PHÄNOMENOLOGIE DER
INTERSUBJEKTIVITÄT
D ritter T eil

AUF GRUND DES NACHLASSES VERÖFFENTLICHT IN


GEMEINSCHAFT MIT DEM HUSSERL-ARCHIV AN DER
UNIVERSITÄT KÖLN VOM HUSSERL-ARCHIV (LÖWEN)
UNTER LEITUNG VON

H. L. VAN BREDA
EDMUND H U S S E R L
ZUR PHÄNOMENOLOGIE DER
INTERSUBJEKTIVITÄT
TEXTE AUS DEM NACHLASS

DRITTER TEIL: 1929-1935

HERAUSGEGEBEN
VON
ISO KERN

Ouvrage préparé sous les auspices


du Conseil International de la Philosophie et des Sciences Humaines,
et de la Fédération Internationale des Sociétés de Philosophie,
avec l’aide de l’U.N.E.S.C.O.
et de la Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften.

D EN HAAG
MARTINUS N IJH O FF
1973
© ig73 by Martinus Nijhoff, The Hague, Netherlands
All rights reserved, including the right to translate or to
reproduce this book or parts thereof in any form
ISBN 90 247 5030 X

P R IN T E D IN TH E N E T H E R L A N D S
INHALT

E in l e it u n g d e s He r a u sg eber s ........................................................... x v

ZUR PHÄNOMENOLOGIE DER


INTERSUBJEKTIVITÄT
TEXTE AUS DEM NACHLASS

DRITTER TEIL: 1929-1935

I. Texte aus dem Zu s a m m e n h a n g der En t s t e h u n g und

ERSTEN UMARBEITUNG DER „CARTESIANISCHEN MEDITA­


TIONEN” MÄRZ 1929 BIS MÄRZ 1930 ........................................ 1
Nr. 1. Erste Fassung der fünften Cartesianischen Meditation
(Ende März/Anfang April 1 9 2 9 )............................................. 3
§ 1. Exposition des Problems der Fremderfahrung in Ge­
genstellung gegen den Einwand des Solipsismus. . . 3
§ 2. Die noematisch-ontische Gegebenheitsweise des An­
deren als transzendentaler Leitfaden für die konstitu­
tive Theorie der Fremderfahrung................................. 4
§ 3. Reduktion der transzendentalen Erfahrung auf die
Eigenheitssphäre.............................................................. 6
§ 4. Der Grundcharakter der Eigenheit der Erlebnisse
und Erlebnispotentialitäten: die Originalität in der
apodiktischen Selbstwahrnehmung............................. 8
§ 5. Erweiterung des Bereichs des Eigenen: die Originali­
tät des im apodiktischen ego von ihm unabtrennbar
Konstituierten.................................................................. 10
§ 6. Die Erlebnisse der Fremd Wahrnehmung und die in
ihnen konstituierten Transzendenzen gegenüber dem
Primordinalen.................................................................. 11
§ 7. Der echte Sinn der Aufgabe einer „Theorie der Ein­
fühlung” .......................................................................... 12
§ 8. Das transzendental Konstituierte als primordinal
Eigenes und als Nichteigenes. Die Gegebenheit des
Nichteigenen durch Vergegenwärtigung..................... 15
VI INHALT

§ 9. Das Verständnis der transzendentalen Subjektivität


als Intersubjektivität..................................................... 16
§ 10. Konstitution der intersubjektiven Natur. Die Ver­
bindung meiner Monade mit allen anderen................ 17
§ 11. Konstitution sozialer Gemeinschaften und kulturel­
ler Umwelten ................................................................. 19
§ 12. Der Sinn des phänomenologisch-transzendentalen
„Idealismus” ................................................................. 20
Nr. 2. Die Seinsabhängigkeit alles Seienden, zunächst aller tran­
szendentalen Subjekte von mir und dann meiner selbst von
ihnen (zweite Hälfte der zwanziger Jahre)............................. 22
a) Theorie der Einfühlung - Intersubjektivität. Einwand
der Verrücktheit, Idee der Normalität als Voraus­
setzung, die im ego ste c k t................................................. 22
b) Transzendentale Abhängigkeit der Anderen, der Gene­
ration, der Welt von meinem e g o ..................................... 38
Nr. 3. Seins Vorzug der konstitutiven Subjektivität. Nichtweg-
denkbarkeit derselben aus der konstituierten Welt in der
weltlichen Selbstobjektivierung. Apodiktizität des ego und
hypothetische Apodiktizität des alter ego (Ende Oktober
bis 4. November 1929)............................................................. 40

B e il a g e I.
Primordinale und solipsistische Reduktion (Oktober/
November 1 9 2 9 ) .............................................................................. 50

B e il a g e II.Unterscheidung von Modalisierung und Unstimmig­


keit zwischen normalen und anomalen Menschen im Konnex
(nach 1 9 3 0 ) ...................................................................................... 52
Nr. 4. Personale Umwelt in ihrer Gliederung. Reduktion auf reine
Intersubjektivität und Reduktion auf das ego. Zum An­
fang der Zweiten Cartesianischen Meditation (7.-9. März
1 9 3 0 )............................................................. 54
Nr. 5. Zum Problem der Intersubjektivität in den Cartesianischen
Meditationen (wohl 1930)......................................................... 70
a) Der Gang von der phänomenologischen Reduktion. Ad
Erste Meditation, evtl, als letzter R ü ck blick................. 70
b) Besonders ad Fünfte Meditation. Der Gang von der
phänomenologischen R ed u k tio n ..................................... 73
c) Zur Fünften Meditation..................................................... 74
d) Reflexion ad Fünfte M e d ita tio n ..................................... 76

B e il a g e III.
Die zweifache Thematik nach der transzendentalen
Epoch.6 (wohl 1934).......................................................................... 77
INHALT VII

II. T ex te aus dem Zu s a m m e n h a n g der Vo r b e r e i t u n g e n


DES „SYSTEMATISCHEN W ERKES” (SOMMER 1930 BIS FRÜH­
JAHR 1 9 3 1 ) ................................................................................... 79
Nr. 6. Zur Lehre von der Fremderfahrung. Anschauliche und un­
anschauliche Erfüllungsgestalt der Fremdwahrnehmung
(August 1 9 3 0 ) .......................................................................... 81

B e il a g e IV. Erfahrung vom Geistigen in der Welt, vor allem von


Seelischem. Einfühlung als Wahrnehmung. Behaviorismus
(J ahreswende 1930/1931).................................................................. 91
Nr. 7. Primordialer Kern und Fremderfahrung als Schichten der
transzendentalen Gegenwart (Sommer 1 9 3 0 ) ..................... 99
Nr. 8. Das transzendentale Problem, wie für mich transzendenta­
le Andere sind (Dezember 1930)............................................. 111

B e il a g e V. Psychologische und transzendentale Einfühlung (An­


fang dreissiger J a h r e )............................ 116
Nr. 9. Primordiale Reduktion (Abstraktion) auf meine Erfah­
rungswelt, zunächst auf meine Wahrnehmungswelt. Prä­
sentation und Appräsentation. Zur besseren Klärung des
Begriffs der Primordialität (wohl Dezember 1930) . . . . 117

B e il a g e VI.Die phänomenologische Epoche. Das mir selbst Zuge­


hörige und das Transzendente (wohlDezember1930) ....................... 131
Nr. 10. Die Welt der Normalen und das Problem der Beteiligung
der Anomalen an der Weltkonstitution (10. Januar 1931) . 133

Beilage VII. Normalität im Reich der personalen Welt (Sitte etc.)


(Juli-August 1 9 3 0 ) .......................................................................... 142
Nr. 11. Apodiktische Struktur der transzendentalen Subjektivität.
Problem der transzendentalen Konstitution der Welt von
der Normalität aus (wohl Ende1930, oder 1931).......................148

B e il a g e VIII. Problem: Generativität - Geburt und Tod als We­


sensvorkommnisse für die Weltkonstitution (Anfang dreissiger
Jahre)................................................................................................... 171

B e il a g e IX. Wichtige Betrachtung über konstitutive Genesis.


Wesentlich verschiedene Begriffe von Einfühlung (wohl Anfang
1 9 3 1 )........................................................................................................ 172

B e il a g e X. Welt und Wir. Menschliche und tierische Umwelt


(1934) 174
VIII INHALT

III. T exte aus dem Zu s a m m e n h a n g d e r z w e it e n Ne u b e ­


a r b e it u n g DER „CARTESIANISCHEN MEDITATIONEN”
UND DER DARAUS HERVORGEGANGENEN KONZEPTION
EINES „SYSTEMATISCHEN W ERKES” (jU L I 1931 BIS FE­
BRUAR 1 9 3 2 ).............................................................................. 187
Nr. 12. Ad Fünfte Meditation: Konstitution von Realien in der
PrimordiaLität als „Gebilde” des „ego” und Konstitution
von Anderen, nicht als egologischen Gebilden, sondern al­
len solchen Gebilden transzendent und mit meinem ego
koexistierend (1931 oder später)............................................. 189
Nr. 13. Der konstitutive Aufbau der Welt und die konstituierende
Intersubjektivität. Die Selbstauslegung des ego führt im
ego auf die alter ego’s. Zur transzendentalen Monadenlehre
(16. Juli 1 9 3 1 ) ......................................................................... 192
Nr. 14. Die vorgegebene Welt in anschaulicher Enthüllung - die
Systematik der Erweiterung (Mitte August 1931) . . . . 196
B e il a g e XI. Heimwelt, fremde Welt und „die” Welt (1930 oder
1 9 3 1 )....................................................................................................... 214
B e il a g e XII. Sprache, Urteils Wahrheit, Umwelt (Heimwelt). Die
Funktion der sprachlichen Mitteilung für die Konstitution der
Umwelt (wohl Sommer 1 9 3 1 ).............................................................. 218
B e il a g e X III.Normale Menschengemeinschaft und die Stufen­
ordnung relativer Normalitäten und Anomalitäten. Das Pro­
blem der identischen Welt für jedermann (wohl Sommer 1931). 227
B e il a g e XIV. Zum Problem der Weltanschauung. Umwandlung
fremder Erfahrung in mögliche eigene (2. Oktober 1932) . . . 236
B e il a g e XV. Vergegenwärtigung v o n unzugänglicher Natur und
einfühlende Vergegenwärtigung(August oder September 1931) 242
Nr. 15. Zur Lehre von der Einfühlung, auch auf Grund genauer
Leibanalysen. Hineinphantasieren, Paarungsassoziation,
Erinnerungsabwandlung (August 1931)................................. 245
Nr. 16. Die Apperzeption der Raumkörperlichkeit meines Leibes
als eine Voraussetzung für die Einfühlung (wohl August
oder September 1 9 3 1 )............................................................. 259
B e il a g e XVI. Zur systematischen Konstitution der untersten
physischen Natur. Leib und Aussending in Korrelation (Ende
Mai 1 9 3 2 ).......................................................................................... 266
B e il a g e XVII. Psychophysische Apperzeption. Wie kommt der
Leib dazu, erfahren zu werden wie ein anderes Ding - als bewegt
und ruhend wie andere, also im Raume? (wohl Juni 1932). . . 277
INHALT IX

Nr. 17. Mein primordiales Sein als „Mensch” und seine transzen­
dentale Konstitution. Das Problem der Scheidung von Ich
und Nicht-Ich und der Leib. Die Möglichkeit eines nicht­
weltlichen Ich in der Primordialität (Anfang September
1 9 3 1 ).......................................................................................... 282

B e il a g e XVIII. Die Weise, wie der Leib sich als Körper und Leib
konstituiert, sowie die Weisen, wie überhaupt seine Konstitu­
tion und Aussendingkonstitution verschwistert sind (wohl
September 1 9 3 1 ) .............................................................................. 295
Nr. 18. Wie begründet die blosse körperliche Ähnlichkeit eines
Aussenkörpers mit meinem Leib eine Modifikation, die die
Primordialität transzendiert? Die durchgängige Zweisei­
tigkeit der konstituierten Welt. Natur und Geist. Im
weitesten Sinn humanisierte Welt (1., 2. und 3. September
1 9 3 1 )............................................................................................... 314

B e il a g e XIX .Kinästhese als begehrendes Hinstreben und als


Willensweg (wohl September 1 9 3 1 ) ............................................. 329
Nr. 19. Konstitution der einheitlichen Zeit und einheitlich-objek­
tiven Welt durch Einfühlung (Ende September 1931). . . 331
Nr. 20. Konstitution der intermonadischen Zeit. Wiedererinnerung
und Einfühlung (20./22. September 1931) . . ..................... 337

B e il a g e X X .
Ich und alles mir Eigene. Das Ich in seiner habituel­
len Eigenheit (das Ich der Entscheidungen). Das Universum
meines Eigenen im Unterschied zum Anderen (Mai 1932) . . . 350

B e il a g e XX I.Welt als gemeinsame Geltung. Der Durchbruch des


Eigenen durch einfühlende Vergegenwärtigung und Selbst­
phantasie (April oder Mai 1932) .......................................................... 357
Nr. 21. Gang der systematischen Beschreibungen bis zur Monaden­
lehre, nach der Reduktion (Oktober 1931)............................. 362

B e il a g e X X II.
Intentionales Ineinander und reelles Aussereinan-
der der Monaden. Monadische Individualität und Kausalität
(zweite Hälfte Oktober 1931).......................................................... 371
Nr. 22. Teleologie. Die Implikation des Eidos transzendentale In­
tersubjektivität im Eidos transzendentales Ich (aufgrund
von Noten vom 5. November 1931)..................................... 378
Nr. 23. Die geschichtliche Seinsweise der transzendentalen Inter­
subjektivität. Ihre verhüllte Bekundung in der Menschen­
geschichte und Naturgeschichte (9./12. November 1931) . 387

B e il a g e X X III. Teleologie (etwa 13. November 1 9 3 1 )................. 403


X INHALT

B e il a g e XXIV. Wissenschaft in der vorgegebenen („histori­


schen”) Welt. Ontische und historische Wissenschaft (13. und
14. November 1931)......................................................................... 407

B e il a g e XXV. Interesse und Situation (13. Dezember 1931). . . 414


Nr. 24. Personale (ichliche) Gemeinschaft mit mir selbst als Paral­
lele zur Gemeinschaft mit Anderen (20. November 1931) . 416
Nr. 25. Normstruktur der Personalitäten (22. November 1931) . . 421
Nr. 26. Alles Subjektive, auch das fremde Subjektive, nur zugäng­
lich durch Reflexion (Ende November 1931)........................ 425
Nr. 27. Heim - fremd. Ich - die Anderen, Wir. Die für mich prim­
ordiale Menschheit, meine Wir-Menschheit - andere
Menschheiten - neues Wir. Entsprechende Relativität der
gemeinsamen Welt (Weihnachtsferien 1931/1932) . . . . 428

B e il a g e XXVI. Die Stufen in der Konstitution der Welt, die im­


mer schon an sich ist. An-sich-sein und Einstimmigkeit (wohl
Weihnachtsferien 1931/1932)......................................................... 438

B e il a g e XXVII. Erfahrung und Praxis - Umwelt. Die Grenze des


Verstehens (Neujahr 1931/32)......................................................... 440
Nr. 28. Zur Einfühlung: der Andere in eins Weltobjekt und Mit­
subjekt schon vermöge der einfühlenden Deckung. Paral­
lele: Wiedererinnerung und Einfühlung. Apodiktizität des
ego aus Wiedererinnerung. Problem der Apodiktizität des
alter bzw. eines Universums von Mitsubjekten (27. und 29.
Januar 1932).............................................................................. 444

B e il a g e XXVIII.Die Apodiktizität des ego in ihrer Fraglichkeit.


Gemeinschaft mit mir und mit Anderen (wohl 1 9 3 2 ) ................. 454

B e il a g e X X IX . Zum Thema ego gehört, sogut wie meine Vergan­


genheit, auch die Mitgegenwart der Anderen als Mitsubjekte für
die Welt. Transzendentales Ich und Mensch (wohl Februar
1 9 3 2 ).................................................................................................. 456

IV. T exte aus der z e it vom 1932 b i s z u m


Fr ü h ja h r
ja h r e 1935....................................................................... 460
Nr. 29. Phänomenologie der Mitteilungsgemeinschaft (Rede als
Anrede und Aufnehmen der Rede) gegenüber der blossen
Einfühlungsgemeinschaft (blosses Nebeneinander-sein).
Zur phänomenologischen Anthropologie, zu Erfahrung
(Doxa) und Praxis (13. April 1932 und vorher, Abschluss
am 15. April 1932)..................................................................... 461
INHALT XI

Nr. 30. Universale Geisteswissenschaft als Anthropologie. Sinn


einer Anthropologie (November-Dezember 1932; ab 11.
November 1 9 3 2 ) ..................................................................... 480
§ 1. Der universale Charakter der Anthropologie . . . . 480
§ 2. Die Einstellung der Anthropologie und ihre Para­
doxie. Ich und die Anderen als Thema.........................481
§ 3. Erfahrung von Anderen und Konnex. Auf Andere
Gerichtetsein und auf das, was sie sagen, meinen,
Gerichtetsein. Der Konnex mit Anderen in mir. . . 484
§4. Analogie; Konnex mit mir selbst, Erinnerung'und
Einfühlung. Ichzeitigung und korrelativ Weltzeiti­
gung .......................................................................................487
§ 5. Die Objektivität des Leibes als Fundament aller Ob­
jektivität. Konstitutive Auslegung und Genesis. . . 490
§ 6. Konstituierendes Bewusstsein und konstituierte Er­
fahrung ...............................................................................491
§ 7. Die konstitutive Ordnung der Welt. Die primordiale
Wahrnehmungssphäre und die Erweiterung der
Welt durch die Anderen (Weltanschauung)..................... 492
§ 8. Substrat und Explikation. Schlichte und fundierte
E r fa h r u n g ...........................................................................502
§ 9. Wahrnehmung durch Ausdruck und bloss sinnliche
W ahrnehm ung................................ 505
B e il a g e X X X . Beschäftigung mit Sachen - Beschäftigung mit
Menschen (als wie mit Sachen und als Menschen). Konnex -
Hemmung, Zwang, Willenseinstimmigkeit, Streit (November
1 9 3 2 ) ................................................................................................ 508

B e il a g e X X X I.Personales Leben. Soziale Verbindung aus wil­


lentlicher Stiftung - aus Instinkt - aus Sympathie. Das Teilneh­
men („Sympathie”) (November 1 9 3 2 ).............................„ . . . 510

B e il a g e X X X II. Einfühlung und Erinnerung (November-Dezem­


ber 1 9 3 2 ) .......................................................................................... 514

B e il a g e X X X III. Zur Umfingierung des Ich und der Welt: das


Primat der Wirklichkeit gegenüber der Möglichkeit. Das Ich in
der Selbstvergemeinschaftung und Selbsterhaltung (17. April
1 9 3 3 ) ................................................................................................ 518

B e il a g e XXXIV. Substrat und Bestimmung im absoluten und


relativen Sinn (November-Dezember 1 9 3 2 )................................. 520
Nr. 31. Reduktion auf die Primordialität. Das Verhältnis von prim­
ordialer und transzendentaler Reduktion. Das Verhältnis
von Seele und transzendentalem Bewusstsein (26. und 28.
Februar 1933) .......................................................................... 526
XII INHALT

§ 1. Die Welt - die Natur in ihren subjektiven Gegeben­


heitsweisen. Der Weg der intersubjektiven Erfahrung
als Grundlage für intersubjektive Erkenntnis. . . . 520
§2. Reduktion auf die Priinordialität.............................528
§ 3. Die Reduktion auf die Primordialität in natürlicher
Einstellung und in transzendentaler Einstellung . . 530
§ 4. Thema und Epoche. Die Vollzugsweise der transzen­
dentalen Einstellung, andererseits der natürlichen. Die
Vollzugsweisen der anonymen Konstitutionsstufen . 538
§ 5, Ich-Mensch und transzendentales ego. Seele als
transzendentale Selbstapperzeption des absoluten
B ew u sstsein s............................................................ 541
§ 6. Intentionale Modifikation als allgemeine „Reflexivi-
tät” des Bewusstseins und die Verweltlichung des
transzendentalen e g o ................................................ 543
§ 7. Paradoxien................................................................. 546
§ 8. Neuanfang: Seele und transzendentales Bewusstsein.
Die Konstitution der Andern. Das naive Erkenntnis­
problem und die Motivation der transzendentalen
R e d u k tio n .......................................................................... 549
B e il a g e XXXV. Der Weg zur Entdeckung und Thematisierung
meiner und unserer transzendentalen Subjektivität (wohl vor
dem 26. Februar 1933)..................................................................... 556
B e il a g e XXXVI. Die primordiale Reduktion aufgrund der Frage
nach dem eigentlich Wahrgenommenen und Wahrnehmbaren
(Anfang dreissiger Jahre)...................................................................... 557
B e il a g e XXXVII. Primordialität als absolute Uroriginalität auch
die einfühlenden und verstehenden Bewusstseinsweisen um­
greifend (Anfang dreissiger J ahre)......................................................559
B e il a g e XXXVIII. Reduktion auf das Uroriginale im Sinne desje­
nigen, das nicht mehr Erscheinung ist: die absolute Perzeption
(Anfang dreissiger Jahre)...................................................................... 560
B e il a g e X X X IX .Zweierlei Probleme des Solipsismus: 1) In mir
ausschliesslich konstituierte Welt, bedeutet das Solipsismus?
2) Absolut seiende und solitär seiende primordiale „Welt”. -
Höhlenwelt (Februar oder März 1 9 3 3 )........................................ 561
B e il a g e XL. Das Eigene (Primordiale) und das Allgemeine. Alle
originalen (primordialen) Dinge durch den Leib vermittelt
(wohl 1 9 3 5 ) ...................................................................................... 563
Nr. 32. Gemeinschaft mit mir selbst und Gemeinschaft mit Ande­
ren als Ichpol-Einigung und korrelative Konstitution einer
einheitlichen Natur. Ichpol, personales Ich und Zeit (Mai
1 9 3 3 )............................................................................. 574
INHALT XIII

Nr. 33. Ein Nachtgespräch: Reduktion auf das absolute „Ich" des
urtümlichen Strömens, das das Sein des eigenen und der
anderen Ich enthält. Die Unendlichkeit von urtümlichen
ego’s. Monadologie (22. Juni 1933)......................................... 580

B e il a g e XLI. Erinnerung und Einfühlung als sich selbst verzeit-


lichende Vergegenwärtigungen (Monadisierung) des absolut
einzigen, urtümlichen Ich. Monadische Zeiträumlichkeit und
natürlich-weltliche Zeiträumlichkeit (1932oder1933) . . . . 588

B e il a g e XLII. Der Aufbau des Seins als Geltungsaufbau (1932) . 590


Nr. 34. Universale Teleologie. Der intersubjektive, alle und jede
Subjekte umspannende Trieb transzendental gesehen.
Sein der monadischen Totalität (Schluchsee, September
1 9 3 3 ).......................................................................................... 593

B e il a g e XLIII. Notizen über Triebgemeinschaft, Liebe usw.


(Schluchsee, September 1933)......................................................... 597

B e il a g e XLIV. Personales und konstituierendes Ich. Ich im prim­


ordialen Ineinander der ichlichen Zeitigung, des Selbstgewor­
denseins und Selbstwerdens. Ich im Miteinander, Ineinander
des Werdens im Konnex (wohl erste Hälfte Oktober 1933) . . . 602

B e il a g e XLV. Das Kind. Die erste Einfühlung (Juli 1935). . . . 604


B e il a g e XLVI. Monadologie (Anfang dreissigerJahre).......................606
B e il a g e XLVII. Menschen- und Tiermonaden. Das monadische
Universalproblem (dreissiger Jahre).................................................. 611
Nr. 35. Statische und genetische Phänomenologie. Die Heimwelt
und das Verstehen der Fremde. Das Verstehen der Tiere
(Schluchsee, Ende August oder Anfang September 1933) . 613

B e il a g e XLVHI. Heimwelt als Welt der All-Zugänglichkeit.


Fremdheit als Zugänglichkeit in der eigentlichen Unzugäng­
lichkeit (Schluchsee, 10. September 1933)..................................... 627

B e il a g e IL.Unvollkommenheit der Erkenntnis des Anderen in


seiner „Historizität” (wohl September oder Oktober 1933). . . 631
Nr. 36. Monadische Zeitigung und Weltzeitigung. Von der Theorie
der Einfühlung zur monadischen Subjektivität und von da
aus zu Leiblichkeit, Natur, Welt. Natürlich zur Monadolo­
gie (Mitte Januar 1 9 3 4 ) ......................................................... 634

B e il a g e L.Einfühlung und Wiedererinnerung als tertiäre und se­


kundäre Originalität. Deckung in Differenz. Modifikation mei­
ner Zentrierung (Januar 1934) 641
XIV INHALT

B e il a g e LI. Verweltlichung (Lokalisierung) des Ich und Versach­


lichung des Fungierens in der Einfühlung (wohl Januar 1934) . 644
Nr. 37. Einfühlungsproblem: die Apperzeption meines Leibes als
eines körperlichen Dinges als Voraussetzung der Einfüh­
lung - die Verräumlichung des Leibes durch die Einfühlung
(wohl 1 9 3 4 ) ............................................................................. 648
B e il a g e LII.Das Problem der Einfühlung. Der Sinn der Reduk­
tion der Welt auf das Primordiale im Zusammenhang einer uni­
versalen Geltungsanalyse der Welt(wohl 1934) ...............................657
B e il a g e LIII.Das Problem der Konstitution des homogenen und
objektiven Raumes in der Primordialität und durch Einfühlung
(wohl März/April 1 9 3 4 ) ................................................................. 659
B e il a g e LIV. Einfühlung und Wiedererkennen. Paarung. Die Ap­
perzeption meines Leibes als Körpers als erste Voraussetzung
der Einfühlung (wohl März/April 1934)......................................... 660
B e il a g e LV.Die in der Fremdleibwahrnehmung implizierte Apper­
zeption meines Leibes als Körpers (wohl März/April 1 9 3 4 ) . . . 661
B e il a g e LVI.Zur Phänomenologie des Ausdrucks. Auch relevant
für die Lehre von der Einfühlung. Objektivität des Körpers,
Objektivität des „Ausdrucks”, der ausdrückenden Momente am
Körper (Kappel, 9. September 1935).............................................. 663
Nr. 38. Zeitigung - Monade (21./22. September 1934)..................... 666

TEXTKRITISCHER ANHANG
Zur T extg esta ltun g ....................................................................673
T extkritische A nmerkungen .....................................................674
N achweis der Or ig in a l s e it e n ................................................. 740
N a m en r eg ister ...............................................................................742
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
XVI EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XVII
XVIII EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XIX
XX EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XXI
XXII EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XXIII
XXIV EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XXV
xxvi EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XXVII
xxvrrr EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XXIX
XXX EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XXXI
XXXII EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XXXIII
XXXIV EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XXXV
XXXVI EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XXXVII
XXXVIII EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XXXIX
XL EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XLI
XLII EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XLIII
XLIV EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XLV
XLVI EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XLVII
XLVIII EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS XLIX
L EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS LI
LII EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS LIII
LIV EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS LV
LVI EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS LVII
LVIII EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS LIX
LX EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS LXI
LXII EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS LXIII
LXIV EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS LXV
LXVI EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS LXVII
LXVIII EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS LXIX
LXX EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

Iso Kern
I

TEXTE AUS DEM ZUSAMMENHANG DER ENTSTEHUNG


UND ERSTEN UMARBEITUNG
DER „CARTESIANISCHEN MEDITATIONEN”
MÄRZ 1929 BIS MÄRZ 1930
Nr. 1

<ERSTE FASSUNG DER


FÜNFTEN CARTESIANISCHEN MEDITATION >
<Ende MärzAniang April 1929>1

5 c§ 1. Exposition des Problems der Fremderfahrung in


Gegenstellung gegen den Einwand des Solipsismus >
Doch nun muss das einzige ernstliche Bedenken zu Worte
kommen: wie denn das transzendental reduzierte ego im abge­
schlossenen Erkenntnisbereich seiner transzendentalen Gegeben-
10 heiten je über die Mannigfaltigkeiten seiner „ V o r s t e l l u n g e n ”
von Anderen und darin immanent sich konstituierenden Einhei­
ten der Synthesis zu den A n d e r e n selbst kommen könne, die
doch im ego bewusste, bestenfalls erfahrene, und einstimmig er­
fahrene, aber doch a n d e r e ego’s <sind>. Wenn ich, das medi-
15 tierende Ich, mich durch die phänomenologische Epoche auf
mein absolutes, transzendentales ego reduziere, bin ich dann
nicht zum solus ipse geworden, und bleibe ich es nicht, solange ich
unter dem Titel Phänomenologie konsequente Selbstauslegung
betreibe? Wäre also eine Phänomenologie, die Seinsprobleme
20 lösen und schon als Philosophie auftreten wollte, als transzen­
dentaler Solipsismus zu brandmarken? Schon Fragen der Mög­
lichkeit wirklich transzendenter Erkenntnis, vor allem der Mög­
lichkeit, wie ich aus meinem absoluten ego zu anderen ego’s kom­
me, die doch als andere nicht wirklich in mir, sondern in mir nur
25 bewusste sind, sind rein phänomenologisch nicht zu stellen. Es ist
von vornherein selbstverständlich, dass mein transzendentales
Erkenntnisfeld über meine transzendentale Erfahrungssphäre
und das in ihr synthetisch Beschlossene nicht hinausreicht — es
1 Vgl. Husserliana I, S. 34, Zeile 7 f. und S. 121 ff. sowie die Einleitung des Heraus­
gebers zum vorliegenden Bande, S. XVI ff. — Anm. d. Hrsg.
4 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

ist selbstverständlich, dass das alles in eins durch mein eigenes


transzendentales ego bezeichnet und erschöpft ist.
Indessen, vieheicht ist doch in solchen Gedanken nicht alles
in Ordnung. Ehe man sich für diese „Selbstverständlichkeiten”
5 entscheidet und nun gar sich in dialektische Argumentationen
und in „metaphysisch” sich nennende Voraussetzungen <ein-
lässt>, deren Selbstverständlichkeit sich vieheicht noch als voll­
kommener Widersinn heraussteht, dürfte es doch angemessener
sein, zunächst die sich hier mit dem „alter ego" anzeigende Auf-
10 gäbe der phänomenologischen Auslegung in konkreter Arbeit
systematisch anzugreifen und durchzuführen. Wir müssen uns
doch Einbhck verschaffen in die explizite und implizite Intentio­
nalität, in der sich auf dem Boden unseres transzendentalen ego
das alter ego bekundet und bewährt, wie, in welchen Intentiona-
15 htäten, in welchen Synthesen, in welchen Motivationen der Sinn
„anderes ego” sich in mir gestaltet und unter den Titeln einstim­
miger Fremderfahrung sich als seiend und in seiner Weise sogar
als selbst da sich bewährt. Diese Erfahrungen und ihre Leistun­
gen sind ja transzendentale Tatsachen meiner phänomenologi-
20 sehen Sphäre. Kann ich woandersher als durch ihre Befragung
den Sinn „seiender Anderer” allseitig auslegen?

<§ 2. Die noematisch-ontische Gegebenheitsweise des Anderen


als transzendentaler Leitfaden für die konstitutive Theorie
der Fremderfahrung>
25 Zunächst habe ich an ihm, so wie er sich mir geradehin und in
Vertiefung in seinen noematisch-ontischen Gehalt <gibt> (rein
als Korrelat meines cogito, dessen nähere Struktur erst zu ent­
hüllen sei), den transzendentalen Leitfaden. In der Merkwürdig­
keit und Vielfältigkeit dieses Gehalts zeigt sich schon die Viel-
30 seitigkeit und Schwierigkeit der phänomenologischen Aufgaben
an. Z.B. die Anderen erfahre ich, und als wirklich seiende, in wan­
delbaren einstimmigen Erfahrungsmannigfaltigkeiten einerseits
als Weltobjekte. Nicht als blosse Naturdinge, obschon nach einer
Seite auch als das, sofern sie als leibliche, in Naturleibem psychisch
35 waltende erfahren sind. So mit Leibern eigenartig verflochten, als
„psychophysische” Objekte, sind sie „i n” der Welt. Andererseits
erfahre ich sie zugleich als Subjekte für diese Welt, als diese Welt
TEXT NR. I 5

erfahrend, und diese selbe Welt, die ich selbst erfahre, dabei zu­
gleich auch mich erfahrend, als wie ich sie und darin die Anderen
erfahre. So kann ich in dieser Richtung fortschreitend noch vieler­
lei noematisch auslegen. Jedenfalls also, in mir, im Rahmen mei-
5 nes transzendental reduzierten Bewusstseinslebens, erfahre ich
die Welt mitsamt den Anderen nicht als mein sozusagen privates
synthetisches Gebilde, sondern als intersubjektive, für jedermann
daseiende, in ihren Objekten jedermann zugängliche Welt, darin
die Anderen ebenfalls für Andere, für jedermann überhaupt da.
10 Wie klärt sich das auf? Unbeirrbar muss ich daran festhalten,
dass jeder Sinn, den irgendein Seiendes für mich hat und haben
kann, sowohl nach seinem „Was” als nach seinem „Es ist in
Wirklichkeit” Sinn ist in bzw. aus meinem intentionalen Leben,
aus dessen konstitutiven Synthesen, in den Systemen einstimmi-
15 ger Bewährung sich für mich klärend und enthüllend. Es gilt
also, um für alle erdenklichen Fragen, die überhaupt sinnvoll
sein sollen, den Boden der Beantwortung zu schaffen, ja, um sie
selbst schrittweise zu stellen und zu lösen, eine systematische
Entfaltung der offenen und impliziten Intentionalitäten durch-
20 zuführen, in denen das Sein der Anderen für mich sich „macht"
und sich nach seinem rechtmässigen, das ist seinem Erfüllungs­
gehalt, auslegt.
Das Problem ist hier zunächst wie ein spezielles, eben als das
des „Für-mich-da” der Anderen gestellt, als Thema also einer
25 transzendentalen Theorie der Fremderfahrung, der „Einfüh­
lung”. Aber es erweist sich alsbald, dass die Tragweite einer sol­
chen Theorie eine sehr viel grössere ist als es zunächst scheint,
dass sie nämlich auch mitfundiert eine transzendentale Theorie
der objektiven Welt, und zwar ganz und gar, also auch hinsich t-
30 lieh der objektiven Natur. Im Seinssinn der Welt und im beson­
deren <der> Natur als objektiver liegt ja, wie wir oben schon be­
rührt, das „Für-jedermann-da” als von uns stets mitgemeint, wo
wir von objektiver Wirklichkeit sprechen. Zudem gehören zur
Erfahrungswelt Objekte mit „geistigen” Prädikaten, die ihrem
35 Ursprung und Sinn gemäss auf Subjekte, und im allgemeinen
auf Fremdsubjekte, verweisen, so alle Kulturobjekte (Bücher,
Werkzeuge und Werke irgendwelcher Art usw.), die dabei aber
zugleich den Erfahrungssinn des „Für-jedermann-da” mit sich
führen.
6 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

<§ 3. Reduktion der transzendentalen Erfahrung auf die


Eigenheitssphäre >
Ist nun die transzendentale Konstitution und damit der tran­
szendentale Sinn von Fremdsubjekten in Frage und in weiterer
5 Konsequenz in Frage eine universale Sinnesschichte, die von
ihnen ausstrahlend der ganzen objektiven Welt zuwächst, so ist
es ein erstes methodisches Erfordernis, dass wir zunächst inner­
halb der transzendentalen Universalsphäre eine Art thematischer
Epoche durchführen. Wir schalten alles Fragliche zunächst aus
10 dem thematischen Feld aus, wir sehen von allen konstitutiven
Leistungen der auf fremde Subjektivität unmittelbar oder mit­
telbar bezogenen Intentionalität ab und umgrenzen zunächst
den Gesamtzusammenhang derjenigen Intentionalität, der aktu­
ellen und potentiellen, in der sich d a s e g o i n s e i n e r Ei g e n -
15 h e i t konstituiert und in der es v o n ih r u n a b t r e n n b a r e ,
also selbst ihrer Eigenheit zuzurechnende synthetische Einhei­
ten konstituiert.
Die Reduktion auf meine transzendentale E i g e n h e i t s ­
s p h ä r e oder mein transzendentales I c h - s e l b s t durch Ab-
20 straktion von allem, was mir transzendentale Konstitution als
Fremdes ergibt, hat hier einen ungewöhnlichen Sinn. In der na­
türlichen Einstellung der Weltlichkeit finde ich unterschieden
und in der Form des Gegenüber: mich und die Anderen. Ab­
strahiere ich von den Anderen in gewöhnlichem Sinn, so bleibe
25 ich „allein” zurück. Aber solche Abstraktion ist nicht radikal,
solches Alleinsein ändert noch nichts an dem natürlichen Welt­
sinn des Für-jedermann-erfahrbar, der auch dem natürlich ver­
standenen Ich anhaftet und nicht verloren ist, wenn eine univer­
sale Pest mich allein übrig gelassen hätte. In der transzendenta-
30 len Einstellung und in eins der vorhin bezeichneten konstituti­
ven Abstraktion ist aber das ego in seiner transzendentalen
Eigenheit nicht das auf ein blosses Korrelatphänomen reduzierte
gewöhnliche Menschen-Ich innerhalb des Gesamtphänomens der
Welt. Vielmehr handelt es sich um eine wesensmässige S t r u k -
35 t u r der universalen Konstitution, in der das transzendentale
ego als eine objektive Welt konstituierendes dahinlebt. Das ihm
spezifisch Eigene, sein konkretes Sein als Monade rein in sich
selbst und für sich selbst in abgeschlossener Eigenheit, befasst
TEXT NR. 1 7

wie jede so auch die auf Fremdes gerichtete Intentionalität, nur


dass zunächst aus methodischen Gründen deren synthetische
L e i s t u n g (die Wirklichkeit des Fremden für mich) thematisch
ausgeschaltet bleiben soll. In dieser ausgezeichneten Intentiona-
5 lität konstituiert sich der neue Seinssinn, der das monadische
ego in seiner Selbsteigenheit überschreitet, und es konstituiert
sich ein ego nicht als Ich-selbst, sondern als sich in meinem eige­
nen Ich, meiner Monade „spiegelndes”. Aber das zweite ego ist
nicht schlechthin da und eigentlich selbstgegeben, sondern es
10 ist als „alter ego” konstituiert, wobei das durch diesen Ausdruck
als Moment angedeutete ego ich selbst in meiner Eigenheit bin.
Das „alter” verweist seinem Sinn nach auf mich selbst, der An­
dere ist „Spiegelung” meiner selbst, und doch nicht eigentliche
Spiegelung, Analogon meiner selbst, und doch wieder nicht Ana-
15 logon im gewöhnlichen Sinn. Ist also, und als erstes, das ego in
seiner Eigenheit umgrenzt und in seinem Bestand — nicht nur
an Erlebnissen, sondern auch an von ihm konkret unabtrenn­
baren Geltungseinheiten — überschaut und gegliedert, so muss
daran anschliessend die Frage gestellt werden, wie das ego inner-
20 halb seiner Eigenheit unter dem Titel Fremderfahrung eben
Fremdes konstituieren kann, und zunächst irgendwelche alter
ego’s und dann all das, was von diesen her Sinnbestimmungen
gewinnt, kurzum eine objektive Welt in der eigentlichen und
vollen Bedeutung.
25 Diese Problematik wird an Verständlichkeit gewinnen, wenn
wir, mindestens im rohen, die Eigenheitssphäre des ego charakteri­
sieren. Die thematische Ausschaltung der konstitutiven Leistun­
gen der Fremderfahrung und mit ihr aller auf Fremdes bezüg­
lichen Bewusstseinsweisen besagt jetzt nicht die blosse phäno-
30 menologische Epochä hinsichtlich der Seinsgeltung all dieser Be­
wusstseinsweisen, die schon beschlossen ist in der Universalität
der transzendentalen Reduktion. Wir stehen ja schon auf dem
transzendentalen Boden. Aber wir nehmen nun die im „Phä­
nomen” der Welt beschlossenen Phänomene des fremden Seins
35 nicht als Indizes für konstitutive Systeme; wir sehen also im
Weltphänomen ab von den Anderen und allem, was sinngemäss
ihr Dasein voraussetzt, und fragen nun, was uns übrig bleibt.
Richten wir den Blick auf uns selbst. Ich kann in transzen­
dentaler Einstellung bei solcher Abstraktion nach wie vor sagen:
8 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

Ich bin mir apodiktisch gewiss und bin in diesem strömenden


Leben, mit all seinen Erlebnissen, darunter auch die jeweiligen
Erlebnisse der Fremderfahrung. Es sind nun aber im Übergang
zu den konstitutiven Systemen der Aktualität und Potentialität
5 diejenigen abzuheben, in denen unserer Abstraktion gemäss
Fremdbewusstsein keine konstitutive Rolle spielt. In dieser
Hinsicht scheidet sich im Phänomen der Welt als eine universale
zusammenhängende Unterschicht ab d ie b l o s s e N a t u r , also
abstraktiv auch befreit von dem Sinn des Für-jedermann-da
10 und nicht nur von allen besonderen, auf Subjekte bezüglichen
Bestimmungen („geistige” Prädikate wie alle der Kultur). Unter
den puren Naturobjekten finde ich in einziger Auszeichnung
m e i n e n Lei b, nämlich als den einzigen, der nicht bloss Kör­
per ist, sondern eben mein Leib, das einzige Objekt, „in” dem ich
15 unmittelbar „schalte und walte”, und in Sonderheit in jedem sei­
ner einzelnen „Organe”. Ich nehme mit den Händen kinästhe-
tisch tastend, mit den Augen ebenso sehend usw. wahr und
„kann” jederzeit so wahrnehmen; desgleichen die Kinästhesen
der Organe ins Spiel setzend stossen, schieben usw. und dadurch
20 unmittelbar leiblich handeln. Wahrnehmend tätig erfahre ich
(oder kann ich erfahren) alle Natur, darunter die eigene Leiblich­
keit, indem ich jeweils mittels der einen die andere Hand, mittels
einer Hand ein Auge usw. wahmehmen kann, wobei Organ zum
Objekt und Objekt zum Organ wird; und ebenso für das allge-
25 mein mögliche ursprüngliche Behandeln der Natur und der Leib­
lichkeit selbst durch die Leiblichkeit, die also auch praktisch auf
sich selbst bezogen ist.

<§ 4. Der Grundcharakter der Eigenheit der Erlebnisse und


30 Erlebnispotentialitäten: die Originalität in der
apodiktischen Selbstwahrnehmung >
Dieses als Unterschicht herausabstrahierte System der „blos­
sen”, von allem Fremden befreiten Natur und Eigenleiblichkeit
konstituiert sich als System der „Eigenheit” in den „eigenen”
35 Erlebnissen und Erlebnispotentialitäten. Offenbar ist der Grund­
charakter der Eigenheit, zunächst der letzteren, in folgender
Weise zu beschreiben: Die apodiktische Evidenz, in der das ego sich
nach der phänomenologischen Reduktion selbst kontinuierlich
TEXT NR. 1 9

vorfindet, betrifft in erster Linie (als Klarlegung der Evidenz des ego
cogito) mein Sein in der Einheit des kontinuierlichen, endlos offenen
Erlebnisstromes — ich bin in der mir originaliter gegebenen Ein­
heit eines transzendentalen Lebens. Obschon ich aber stets in Evi-
5 denz so sagen und dieses Lebens in der Weise der Wahrnehmung
direkt erfassend innewerden kann, unterscheide ich innerhalb
dieser Wahrnehmung doch die im prägnanteren Sinn wahrgenom­
mene Gegenwart, strömend sich wandelnd, <und> die ebenso sich
wandelnde endlos offene Lebensvergangenheit und -Zukunft, die
10 „eigentlich” nicht wahrgenommen, sondern in kontinuierlich
gewandelten Modis der „Retention” und „Protention” bewusst
sind. Dazu gehören begleitende Evidenzen des Ich-kann — ich
kann in die sinkende, alsbald unanschauliche Vergangenheit
durch Erweckung, durch Erzeugung von Wiedererinnerungen
15 eindringen, ich kann in Wiederholung immer von neuem Wieder­
erinnerungen derselben Vergangenheiten und Gesamtvergangen­
heit hersteilen; ebenso immer wieder die wahrnehmungsmässig
und alsbald retentional sich in den Modus Vergangenheit wan­
delnde Gegenwart in entsprechender Methode identifizieren, und
20 wieder ähnlich hinsichtlich des Kommenden, bzw. der ganzen
Zukunftsunendlichkeit. Nur so ist für mich überhaupt ein s e i e n ­
der, d.i. frei zugänglicher und immer wieder identifizierbarer Er­
lebnisstrom, und seiend in einer immanenten Zeitlichkeit, in ge­
nauer zu beschreibenden kontinuierlichen Mannigfaltigkeiten syn-
25 thetisch ineinander übergehender Erscheinungsweisen immanenter
Zeitlichkeit mit zugehörigen und enthüllbaren Potentialitäten,
die als Horizonte des Ich-kann mit konstitutiv sind. Wie schwie­
rig die Aufhellung des immanenten Zeitbewusstseins und damit
der Seinskonstitution des Erlebnisstromes sein mag, in der unzer-
30 brechlichen Evidenz des Ich-bin liegt enthalten das ebenso un­
zerbrechliche Für-mich-sein meines Erlebnisstromes, meines
cogitierenden Lebens und der ihm mitzugehörigen Potentiali­
täten des Lebens, eine Evidenz, die den Charakter einer auf ein
endlos offenes („unendliches”) Universum bezüglichen Wahr-
35 nehmung hat. Freilich schliesst diese Evidenz nicht aus, dass ich
mich im einzelnen, z.B. hinsichtlich des Gewesenseins eines Er­
lebnisses oder gar hinsichtlich des wirklichen Kommens eines
erwarteten täusche, und das gehört sogar als eine Wesensmöglich­
keit selbst mit zu meinem Sein. Aber darum bleibt doch die
10 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

Seinsevidenz für den universalen Lebensstrom unbetroffen; da


oder dort ist er nur, bzw. ein in ihm in Sonderheit Seiendes, durch
den Schein überdeckt. Jedem Schein entspricht a priori ein
Sein, nach dem daher gefragt, das gesucht, das in einer vorge-
5 zeichneten Methode gefunden werden kann, wennschon in einer
blossen Approximation an seinen vollbestimmten Inhalt (der als
immer wieder und nach allen Teilen und Momenten fest identifi­
zierbarer eine „Idee” ist). In dieser Strukturform und Beschrän­
kung besteht also für mich eine apodiktische Selbstwahmeh-
10 mung meines Lebens. Das ist a priori die einzige mögliche Weise,
in der ein endlos offenes Leben als einheitlicher Gegenstand ori­
ginal gegeben sein kann, es ist die bestdenkbare Originalität.
Alles in dieser ursprünglichen Gegebenheit des eigenen Lebens
Beschlossene an einzelnen Bewusstseinsmodis, an solchen der
15 Aktualität und Potentialität, nennen wir vorläufig in übertra­
genem Sinn auch original, nämlich dem ego original eigen.

<§ 5. Erweiterung des Bereichs des Eigenen: die Originalität


des im apodiktischen ego von ihm unabtrennbar
Konstituierten >
20 Weitergehend nehmen wir alles und jedes sich als unabtrenn­
bar vom apodiktischen ego Erweisende mit hinzu; alles, was sich
in der ursprünglichen Eigenheit seines Lebens als der in erster
Linie apodiktischen Seinssphäre so konstituiert, dass es zwar
nicht selbst dem Lebensstrom als reeller Teil, also als Erlebnis zu-
25 gehört oder auch als von ihm unabtrennbare Sphäre von Poten-
tialitäten eines möglichen Lebens, sondern auch vermöge der
Aktualitäten und Potentialitäten sich in ihm konstituierend:
auf seiten des Ichpols die ihm „original” zuwachsenden Habitu-
alitäten, die bleibenden Überzeugungen, in denen das Ich spe-
30 zifisch als Ich (obschon in dem abstraktiven Sinn, der noch kein
Du kennt) ist, auf seiten der für es bleibend „seienden” Gegen­
stände diejenigen, die es in „Originalität” konstituiert, nämlich
als synthetische Einheiten, die in der Synthesis der Identifizie­
rung die von den zur Einheitsdeckung kommenden Akten un-
35 t r e n n b a r e n Gegenstandspole sind.
Hierher gehören also auch „transzendente” Gegenstände, wo­
fern sie als Indizes für explizierbare Unendlichkeiten potentieller
TEXT NR. 1 11

Synthesen gegeben sind, wofern eben die ins Endlose fortgehende


Enthüllung ausschliesslich synthetische Reihen ergibt, in denen
die Einheit von ihnen u n t r e n n b a r und original gegeben ist,
sozusagen als immanenter Pol oder Schnittpunkt. Wir sehen so-
5 fort, dass in diese Sphäre der Eigenleib und die gesamte „blosse”
Natur fällt: in der vorhin genau besprochenen Blösse. Sowie wir
die intentionalen Leistungen der „Einfühlung” als Fremderfah­
rung ausser Betracht halten, haben wir eine Natur und eine
Leiblichkeit, die sich zwar als raumgegenständliche und gegen-
10 über dem Erlebnisstrom „transzendente” Einheit konstituiert,
aber als blosse Mannigfaltigkeit von Gegenständlichkeiten mög­
licher Erfahrung, wobei diese Erfahrung mein eigenes (das mir
als ego apodiktisch in Originalität zugehörige) Leben ist und das
darin Erfahrene nichts weiter als eine synthetische Einheit, die
15 von diesem Leben und seinen Potentialitäten u n a b t r e n n b a r
ist.
In dieser Weise wird es klar, dass das konkret genommene ego
ein Universum des von seinem apodiktischen Sein Unabtrenn­
baren hat, und zwar als eine originale Sphäre, in der es für sich
20 selbst ist und eine „Welt” hat, die ausschliesslich aus ihm und in­
tentional in ihm ist, in einer Intentionalität der originalen und
ihm ausschliesslich zugehörigen Selbstgebung. Doch gehören
auch alle e n t s p r e c h e n d e n Scheine, Phantasiemöglichkeiten,
eidetischen Gegenständlichkeiten, sofern sie eben in unserer
25 führenden Abstraktion gehalten und konstituiert sind, mit in die­
sen Bereich — den Bereich des mir als ego E i g e n e n .

<§ 6. Die Erlebnisse der Fremdwahrnehmung und die in ihnen


konstituierten Transzendenzen gegenüber dem Primordinalen >
Natürlich gehört in dieses für sich selbst eigene ego (in meine
30 konkrete „Monade”) auch die Gesamtheit der innerhalb der Mo­
tivationen meines Lebens erwachsenen E r l e b n i s s e d e r
F r e m d w a h r n e h m u n g und so die ganzen auf die Welt im
vollen und eigentlichen Sinn bezogenen Erfahrungen und sonsti­
gen Bewusstseinsweisen. Sowie wir sie nun t h e m a t i s c h in
35 Rechnung ziehen und nach ihrer k o n s t i t u t i v e n L e i s t u n g
befragen, erkennen wir sogleich, dass in ihnen eine prinzipiell
neuartige Transzendenz zur Konstitution kommt, bzw. eine
32 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

ganze Mannigfaltigkeit neuartiger Transzendenzen. Der Stufen­


folge nach die ersten sind die „anderen” ego’s. Der Deutlichkeit
halber sprechen wir von nun ab vom p r i m o r d i n a l e n ego,
seinen primordinalen Erfahrungen und überhaupt Eigenheiten,
5 darunter seinen p r i m o r d i n a l e n T r a n s z e n d e n z e n — ge­
genüber dem, was zwar auch zum transzendentalen Bereich des
ego gehört, was ihm in einem sekundären Sinn als in ihm Konsti­
tuiertes zu eigen wird an Erlebnissen, an Potentialitäten, an Syn­
thesen, an Transzendenzen — eben in dem Sinn, in dem fremde
10 ego’s und fremde Eigenheiten jeder Art mir bewusst und erfahr­
bar werden.
Erfahrung ist Originalbewusstsein; der Andere steht selbst,
„leibhaftig” vor uns da, aber diese Erfahrung ist nicht primor­
dinal. Obschon ich ihn natürlich als primordinal Erfahrenden
15 erfahre, erfahre ich sein Ich selbst nicht, seine Erlebnisse selbst
nicht, seine intentionalen Gegenstände selbst nicht, seine Ding­
perspektiven selbst nicht, auch Dinge selbst nicht, rein sofern sie
ihm synthetisch einheitlich gegebene, seine Wahrnehmungsdinge
sind. Es ist nicht so wie <ich>, in meiner Sphäre direkter Erfah-
20 rung, etwa die Rückseite eines Dinges oder das durch ein Ding
Verdeckte, aber als mitdaseiend Apperzipierte miterfahre, also
auch in einem gewissen, aber eben ganz anderen sekundären
Sinn erfahre. Denn in diesen Beispielen handelt es sich um Ap-
präsentationen, die die Potentialität zur Herstellung der ent-
25 sprechenden direkten Präsentationen in sich schliessen; Das Mit­
erfahrene, also noch Ungesehene, kann ich zum wirklich Gesehe­
nen machen. Aber das dem fremden ego Eigene ist in einer ande­
ren Weise appräsentiert, es ist a priori nicht direkt erfahrbar als
es selbst — es würde sonst zum Moment meiner selbst, und der
30 Andere wäre nicht mehr Anderer.

<§ 7. Der echte Sinn der Aufgabe einer „Theorie der


Einfühlung” >
Hier erwächst nun der reine und echte Sinn der Aufgabe einer
„Theorie der Einfühlung”. Wie ist innerhalb des primordinalen
35 ego, also innerhalb der absolut abgeschlossenen Sphäre meines Ei­
genen, in der auch meine Einfühlungserlebnisse auftreten, diese
höherstufige Intentionaütät auszulegen? Wie ist durch systema-
TEXT NR. 1 13

tisch allseitige Aufschliessung der in dieser sekundären Erfahrung


vom alter ego implizierten inneren und äusseren synthetischen Ho­
rizonte ihre Leistung, als Sinn und wirkliches Sein eines Anderen
bewährend konstituierende, an den Tag zu bringen und damit alle
5 vernünftigen Fragen, die sich für ego und alter ego, für den recht­
mässigen Seinssinn des letzteren und seine Beziehungen zum Be­
wusstsein von ihm stellen lassen, aus der ursprünglichsten Quelle,
der den Sinn schaffenden, zu beantworten? Die Fundierung der
Fremderfahrung in den Gegebenheiten der primordinalen besagt
10 natürlich für die erstere eine in ihren eigenen Horizonten angezeigte
intentionale Verflechtung, die als den Sinn mitbestimmende er­
schlossen werden muss.
Die Leitung für die Auslegung des Fundierungszusammenhan­
ges und seiner Intentionalität wird zu Anfang der ganzen Unter-
15 suchung der schlichte Sinn „Anderer” sein, ursprünglich entnom­
men aus der Fremderfahrung, und genau so, wie er da auftritt.
„Anderer” besagt: anderes Ich, alter ego. Den Sinn „Ich” schöpfe
ich aber ganz ursprünglich „aus mir selbst”. Doch ganz zu An­
fang noch in der natürlichen Weltapperzeption befangen finde
20 ich mich selbst als Menschen und Menschen-Ich im gewöhnli­
chen Sinn, und diesem haften, näher besehen, Sinnesmomente an,
die schon Beziehungen auf einen offenen Umkreis mitseiender
Anderer voraussetzen. Natürlich muss hier also vorerst jene Ab­
straktion einsetzen, die mich und meine Selbsterfahrung auf das
25 Primordinale, meine reine Eigenheit reduziert. Letztlich weist also
der Sinn alter ego zurück auf mein eigenes ego in d i e s e r R e i n ­
h e i t . Das Wort alter in seinem Sinn deutet dabei auf eine gewisse,
in der Gegebenheitswelse selbst liegende Modifikation, die mein
eigenes Selbst, eben in der Weise der „Modifikation”, i n t e n t i o -
30 n a l in sich schliesst. Damit sind wir also hingelenkt auf eine in
der beständig lebendigen Selbstapperzeption des Ich-selbst
gründende neue Apperzeption, deren Sinn sich als Abwandlung
jenes ersten Sinnes „Ich” gibt, etwa in der Weise eines Analo­
gons. In der ersten, primitivsten Stufe der Fremderfahrung wäre
35 also das pure primordinale Ich-selbst das, was in ihr „eingefühlt”
wird in der Sinnesgestalt „Anderer”.
Es folgt dann die Frage nach den besonderen Gehalten der pri­
mordinalen Sphäre, die diese eigenartige Apperzeption fundieren,
bzw. nach der Gliederung der Eigenheitssphäre, die zu diesem
14 .CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

Ende vorausgesetzt ist und dann in der Fundierung auch in den


Sinn des alter ego modifiziert übergeht. Hier sind natürlich grund­
legend die oben andeutungsweise herausgestellten primordinalen
Transzendenzen eigener Leib und auf ihn bezogen die eigenheit-
5 lieh konstituierte Natur wie andererseits auch das dem Leib zu­
gehörige eigenheitliche Psychische. Innerhalb dieser so geglie­
derten „Umwelt” meines puren ego (die als eigenheitlich konsti­
tuierte von ihm konkret untrennbar ist) tritt nun als Motiva­
tionsfundament der Fremderfahrung der fremde Leibkörper —
10 der Körper auf, der als fremder Leib aufgefasst wird. Hier setzen
Aufgaben der intentionalen Klärung ein. Es muss gezeigt werden,
wie die sinnliche Ähnlichkeit des Körpers „dort” mit dem Körper,
der als mein Leibkörper die Sinnesschichte der Beseelung, zu­
nächst der spezifischen Leiblichkeit (des darin ichlichen Waltens
15 und Waltenkönnens) trägt und Nullobjekt der „um ihn herum
orientierten” erscheinenden Welt ist, der Auffassung jenes Kör­
pers den Sinn „mitdaseiender Leib als Nullglied einer primordinal
konstituierten eigenheitlichen Welt mit dem zugehörigen Ich
und Bewusstseinsleben” Zuwachsen lässt, aber das alles als mit-
20 seiend „appräsentiert”, in einer leeren Vergegenwärtigung, die
nicht den Charakter der wirklichen Gegenwärtigung, also der
Ursprünglichkeit der wirklich primordinalen Gegebenheit an­
nehmen kann. Nur in anschaulichen Vergegenwärtigungen kann
sie anschaulich gemacht werden, einigermassen ähnlich, wie ich
25 in mir selbst meine Vergangenheit anschaulich nur haben kann
in Form einer erinnernden Vergegenwärtigung. Diese Vergegen­
wärtigung hat in ihrer Rückbeziehung auf meine kontinuierlich
lebendige Selbstgegenwärtigung mit dem Mittelglied des primor­
dinal gegenwärtigen Leibes den Charakter einer auf Verähnli-
30 chung mit dieser primordinalen Gegenwart beruhenden, also in
gewisser Weise verähnlichenden Apperzeption und nicht etwa
eines „Analogieschlusses”.
Apperzeption ist kein Schluss, kein Denkakt. In gewisser Weise
ist jede Apperzeption eines Neuen auf Grund einer früheren ur-
35 stiftenden Apperzeption analogisierende Übertragung, aber kein
Analogieschluss. Mit der ersten ursprünglich stiftenden Auffas­
sung des Zwecksinnes einer Schere „sieht” das Kind ohne weite­
res Scheren, ohne dass es an die erste Schere zurückdenkt und die
analogische Zweckbestimmung erschliesst. Das Ur-ego für die
TEXT NR. 1 15

Erfahrung von jedem ego ist für mich das, das ich selbst ursprüng­
lich bin und das in der beständigen Selbsterfahrung unablässlich
in der bezeichneten Zentrierung und Gliederung der primordina­
len Eigenheit seiner als Original bewusst ist, ob nun beachtet
5 oder nicht. Und eben dies ist die fundamentale Eigentümlichkeit
dieser Apperzeption „Anderer”, dass für sie ihr urstiftendes Ori­
ginal immer zugleich lebendig gegenwärtig ist und somit ego und
alter immerzu und notwendig in ursprünglicher Paarung (der ur­
sprünglichsten Form der intentionalen Synthesis, die wir gegen-
10 über der Synthesis der Identifizierung „Assoziation” nennen).
Immer ist in solcher „Assoziation”, die das als unterschieden E r­
scheinende phänomenal als Einheit der Ähnlichkeit, als „Paar”,
zur Erscheinung bringt, ich und der Andere in eins gegeben, auch
wenn ich, sei es nicht auf mich, oder nicht auf den Andern, oder
15 auch nicht auf beide, besonders achte, sofern überhaupt nur ein
Anderer für mich im „Erfahrungsfeld” ist.
Die genauere Auslegung des Laufes der Linien der Motivation
und vorher des Sinnes einer solchen paarenden Assoziation und
damit die Aufklärung, wie sich der Andere für mich in einer Art
20 sekundärer Originalität, als „Erfahrung” konstituiert, hat ihre
Schwierigkeiten, die eine weitere Ausführung hier nicht möglich
machen, geschweige denn, dass wir in das Problem der phäno­
menologischen Genesis eingehen könnten. Doch verständlich ist
uns schon, dass es hier keine anderen Wege der Aufklärung ge-
25 ben kann, als das intentionale Problem der Konstitution, das
im Titel Fremderfahrung liegt, in der von uns gezeichneten Li­
nie methodisch zu verfolgen.

<§ 8. Das transzendental Konstituierte als primordinal


Eigenes und als Nichteigenes. Die Gegebenheit des
30 Nichteigenen durch Vergegenwärtigung >
Doch verständlich ist auch ein Weiteres, für unseren Gang
höchst Wichtiges. Der Anhieb der Aufklärung der Fremderfah­
rung, der in der letzten Betrachtung vorliegt, birgt schon die
Einsicht, dass alles, was sich erdenklicherweise als seiend für
35 mich als transzendental reduziertes ego konstituiert und je kon­
stituieren kann, also für mich je sein kann, unter die beiden Titel
fällt „primordinal Eigenes” und „Nichteigenes”. Ferner, dass
16 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

als im primären Sinn Nichteigenes sich nur konstituieren kann


eine offene Mannigfaltigkeit von alter ego’s, die als solche für sich
selbst mit ihrer Eigenheitssphäre konkret sind, für mich aber ur­
sprünglich gegeben <sind und> nur gegeben sein können in ver-
5 gegenwärtigenden Erfahrungen. Es liegt an der Eigenart dieser
Vergegenwärtigungen und ihrer sinnkonstituierenden Leistung,
dass ihr Sinn a -priori nicht primordinal auftreten, m.a.W., dass
das Vergegenwärtigte immer nur durch synthetisch einstimmige
Vergegenwärtigungen sich bewähren kann, eben als Fremdes, als
10 Anderes. Bestimmter ausgedrückt, es tritt noematisch in einer
intentionalen Modifikation auf, ähnlich wie meine Vergangenheit
nur in der intentionalen Modifikation des Vergangenen (vergan­
gene Gegenwart) gegeben ist und gegeben sein kann, und doch als
sich „vernünftig” Bewährendes, also für mich Seiendes. Die Ver-
15 gangenheit transzendiert die Gegenwart, das fremde Sein tran­
szendiert das eigene Sein. Aber es ist „Abwandlung” dieses Eige­
nen, das alter ego ist zwar in sich selbst ego, aber eben als Modifika­
tion meines eigenen, mitdaseienden gegeben. In dieser innerlichen
intentionalen Vermittlung ist es vermöge der Einstimmigkeit im
20 Fortgang wechselnder Gegebenheitsweisen als seiend gewiss, so
dass ich <in> dieser einstimmigen Synthesis lebend das wirkliche
Sein nicht bezweifeln oder durchstreichen k a n n . Und nur so hat
fremdes Dasein für mich möglichen Sinn und mögliche Geltung.

<§ 9. Das Verständnis der transzendentalen Subjektivität


25 als Inter Subjektivität >
Zugleich ist evident, dass in dieser Auslegung, die ich in der
transzendentalen Reduktion als transzendentales ego vollziehe,
ich notwendigauf die Anderen als t r a n s z e n d e n t a l e A n d e r e
komme und dass damit nicht etwa die transzendentale Reduktion
30 durchbrochen und die Anderen in naiver Weise als in der vorgege­
benen Welt seiende, also mitvorgegebene ins Spiel gesetzt sind.
Die Durchführung der Selbstenthüllung meines transzendentalen
ego und darin der Enthüllung der in ihm Seiendes konstituieren­
den Intentionalitäten führt wesensmässig auf die Scheidung von
35 Eigenem und Nichteigenem und dann zur offenen Mannigfaltig­
keit der alter ego als mit meinem primordinalen ego in eins seiend,
aber nicht in ihm in primordinaler Originalität seiend, sondern
TEXT NR. 1 17

in ihm in ursprünglichster Weise erfahren durch vergegenwärti­


gende „Bekundung”.
Vom Gesichtspunkt der Gegebenheitsweise bin „ich selbst”,
ist mein primordinales Ich, konkret genommen, die Urmonade
5 für alle anderen sich in mir „bekundenden” Monaden, wie für sie
selbst dann notwendig dasselbe gilt in Hinsicht auf die Art, wie
in jeder transzendental die anderen mitbeschlossen sind als
synthetische Einheiten der Bekundung, aber immer bekundet
als primordinal für sich selbst seiende.
10 So erweitert sich die transzendentale Subjektivität zur Inter­
subjektivität oder vielmehr, eigentlich gesprochen, erweitert sie
sich nicht, sondern es versteht sich selbst nur die transzendentale
Subjektivität besser. Sie versteht sich als primordinale Monade,
die in sich andere Monaden i n t e n t i o n a l trägt, sie darin als
15 transzendentale Andere notwendig (die Einstimmigkeit der Er­
fahrung macht, solange sie im Stil der Einstimmigkeit wirklich
fortgeht, die Seinsgewissheit notwendig) setzen muss. Das nach
der transzendentalen Reduktion zunächst gesetzte transzenden­
tale ego ist eben noch unbestimmt, es entbehrt noch der Unter-
20 Scheidungen, die doch wesensmässig in ihm selbst liegen, es ver­
steht noch nichts von der transzendentalen Intersubjektivität,
die in ihm als einem Vorausgesetztermassen eine objektive Welt
erfahrenden ego intentional beschlossen sein muss.

<§ 10. Konstitution der intersubjektiven Natur. Die


25 Verbindung meiner Monade mit allen anderen>
Sind mannigfaltige transzendentale Subjekte für mich erfah-
rungsmässig seiend und auch als wechselseitig füreinander sei­
end, so sind sie ihrem Seinssinn nach getrennt hinsichtlich ihrer
primordinalen Eigenheiten. Es ist nun aber unschwer zu ver-
30 stehen, wie die Transzendenzen, die eine jede in sich a ls p r i m ­
o r d i n a l e konstituiert, vermöge der intentionalen Gemein­
schaft der Monaden gleichwohl identifizierbar werden und wie
dadurch eine intersubjektive, nun im gewöhnlichen Sinn objek­
tive Welt konstituiert ist für „jedermann”, eine Welt, in der je-
35 des ego objektiviert ist als leiblich-seelische Realität, als animal,
als Mensch. Ähnliches gilt wie für die reale Welt so für alle ide­
alen Welten, die jeder rein innerhalb seiner Eigenheit konsti­
tuiert. Machen wir uns das klar!
18 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

Die erste der intersubjektiv werdenden Transzendenzen (s.z.s.


das Urobjekt) ist der fremde Leibkörper, der zunächst als syn­
thetische Einheit meiner Eigensphäre konstituiert ist, zugleich
aber vermöge der intentionalen Leistung der Fremderfahrung als
5 der Leib des Anderen konstituiert. Gehen wir dieser Identität hin­
sichtlich ihrer ursprünglichen Identitätsdeckung nach, so stossen
wir auf die Vergegenwärtigung der Leiberfahrung und darin der
leibkörperlichen Erfahrung, deren mitvergegenwärtigter Eigen­
heitshorizont zum fremden ego, der fremden Monade führt. Also
10 eine Synthesis der Identifikation spannt sich zunächst an dieser
Stelle von meiner Eigenheit hinein in eine vergegenwärtigte und
prinzipiell nur zu vergegenwärtigende andere, ähnlich etwa wie
innerhalb meiner Eigenheit selbst eine Synthesis meine Gegenwart
und meine Vergangenheit z.B. darin synthetisch einigt, dass das
15 jetzt ursprünglich erzeugte Zahlengebilde dasselbe ist wie das
erinnerungsmässig vorhin erzeugte. Innerhalb der Gegenwarts­
sphäre meines Lebens kommt dabei ein wahrnehmungserzeugter
Sinn und ein vergegenwärtigter Sinn zur evidenten Identifizie­
rung. Zeitlich getrennte, also in ihrer Individualität getrennte
20 Akte sind durch das Medium der Vergegenwärtigung zur Synthe­
sis gebracht und dadurch konstituieren sie nicht nur für mich
denselben Gegenstand, sondern haben sie auch und konstituieren
sie auch Verbindung der als zeitliche aussereinander gegebenen
Erlebnisse. Darauf beruht die Einheit meines immanenten Zeit-
25 Stromes. Ebenso also sind die Eigenheiten des fremden ego
von den meinen getrennt, und im besonderen die Konstitution
des fremden Leibkörpers für mich und für ihn, aber dieser Körper
ist vermöge der Synthesis der primordinalen und vergegenwär­
tigten Erfahrung als derselbe erfahren, und zugleich ist so eine
30 Art Verbindung meines ego mit dem anderen hergestellt.
Das trägt natürlich weiter. Die um diesen Leibkörper orien­
tierte Natur, vermöge der Intentionalität der „Einfühlung” als
Horizont dieses Körpers (verstanden natürlich als gegenständ­
lichen Sinn) mitvergegenwärtigt, ist in weiterer Konsequenz syn-
35 thetisch dieselbe als die Natur, der derselbe Körper als Körper
meiner Eigenheit zugehört, also der um meinen Leibkörper orien­
tierten Natur. Nur ist dieselbe Natur als meine Erfahrungsein­
heit und als die des Anderen zwar in gleichen synthetischen Sy­
stemen von Aspekten, von Perspektiven usw. konstituiert, aber
TEXT NR. 1 19

in korrelativen Abläufen in verschiedener Weise verwirklicht,


wie das die verständliche Rede andeutet: Würde ich den Ort des
Anderen einnehmen und er den meinen, so würden seine Abläufe
die gleichen sein als wie ich sie jetzt habe an meiner Stelle und
5 vice versa. So konstituiert sich als erstes einer objektiven Welt
(hier nicht genetisch-zeitlich, sondern nach der Fundierung der
Intentionalität gesprochen) die identische gemeinsame universale
Natur mit dem gemeinsamen Raum, der gemeinsamen Zeit —
die identische „objektive” Natur. Sie bezeichnet also transzen-
10 dental eine Verbindung meiner Monade mit allen Monaden, die
für mich dasein können, eine durch die Möglichkeit wechselseiti­
ger vergegenwärtigender Erfahrung ermöglichte Verbindung der
Synthesis, während reelle Verbindung, reeller Übergang von
meinen Eigenheiten in die ihren ausgeschlossen ist. Dasselbe gilt
15 dann für jede dieser Monaden in bezug auf alle für sie „anderen”.
Weiter versteht sich, dass mit der gemeinsamen Natur in eins,
zu der die Leiber der Monaden gehören, konstituiert ist die „Ani-
m alität”. Es ist keine blosse objektive Natur denkbar ohne psycho­
physische Wesen in ihr. Das erste animal in der konstitutiven
20 Ordnung, oder vielmehr, der erste Mensch ist der Andere, und
erst von daher erhalte ich selbst den Sinn Mensch. Danach ob­
jektivieren alle Monaden sich selbst wesensmässig in ihren Eigen­
heitssphären und vermöge deren Synthesis als psychophysische
Wesen in einer objektiven Natur.

25 <§ 11. Konstitution sozialer Gemeinschaften und kultureller


Umwelten >
Leicht zu verstehen ist dann im weiteren Aufsteigen die Mög­
lichkeit der Ich-Du-Akte oder „ s o z i a l e n A k t e ” und damit
die Konstitution von objektiv seienden s o z i a l e n Ge me i n -
30 s c h ä f t e n verschiedener Stufenordnung, darunter die ausge­
zeichneten Typen von P e r s o n a l i t ä t e n h ö h e r e r O r d ­
n u n g . In weiterer Folge die Konstitution einer menschlichen
und dabei kulturellen Umwelt für jeden Menschen und jede
Menschengemeinschaft in ihrer beschränkten Weise der Objek-
35 tivität, beschränkt, weil die Erfahrung, die ich und irgendeine
„Person” (mit dem spezifischen Sinn, der mit der Gemeinschafts­
konstitution erwächst) von einer personalen Gemeinschaft und
20 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

ihrer Umwelt gewinnen, Horizonte hat, die für mich hinreichend


bestimmte und enthüllbare nur sind, wenn für mich gewisse
„historische” Voraussetzungen erfüllt sind, wobei aber Möglich­
keiten bestehen, dass ich mir indirekt und mehr oder minder zu-
5 reichend solche Voraussetzungen zueigne. Das betrifft natürlich
mit die Gebilde der in der personalen Vergemeinschaftung und
ihrer Geschichte entsprungenen Kultur.
So konstituiert sich auf dem reinen Grund der transzendenta­
len Subjektivität als Intersubjektivität eine Welt für jedermann,
10 und zwar, wie es nicht anders sein kann, ausschliesslich aus kon­
stitutiven (im übrigen überaus problemreichen) Synthesen, die
allen und jeden Sinn aus den selbst synthetisch (durch „Spiege­
lung”, die kein wesenloser Schein ist) verflochtenen Monaden
schöpfen.

15 <§ 12. Der Sinn des phänomenologisch-transzendentalen


„Idealismus”>
Durch diese allgemeine Überlegung enthüllte sich der volle
und eigentliche Sinn des phänomenologisch-transzendentalen
„Idealismus”. Der Schein eines Solipsismus verschwindet, ob-
20 schon der Satz die fundamentale Geltung behält, dass alles, was
für mich ist, seinen Seinssinn ausschliesslich aus mir selbst, aus
meiner Bewusstseinssphäre schöpfen kann. Dieser Idealismus er­
gibt sich als eine Monadologie, die bei allen absichtlichen An­
klängen an Leibnizens Metaphysik ihren Gehalt rein aus der
25 phänomenologischen Auslegung der in der transzendentalen Re­
duktion freigelegten transzendentalen Erfahrung schöpft, also
aus der ursprünglichsten Evidenz, in der alle erdenklichen Evi­
denzen gründen müssen, oder aus dem ursprünglichsten Recht,
aus dem alle Erkenntnisrechte je schöpfen können. Phänomeno-
30 logische Auslegung ist also nichts dergleichen wie „metaphysi­
sche Konstruktion” und nicht, weder offen noch versteckt, ein
Theoretisieren mit übernommenen Voraussetzungen oder Hilfs­
gedanken aus der historischen metaphysischen Tradition. Sie
steht zu all dem in schärfstem Gegensatz durch ihr Verfahren im
35 Rahmen reiner „Intuition” oder vielmehr der reinen Sinnausle­
gung durch erfüllende Selbstgebung. Insbesondere tu t sie hin­
sichtlich der objektiven Welt der Realitäten (wie auch jeder der
TEXT NR. I 21

mannigfachen idealen Welten, die Felder rein apriorischer Wis­


senschaften sind) nichts anderes als den Sinn auslegen, den diese
Welt für uns alle vor jedem Philosophieren hat, und offenbar nur
aus unserer Erfahrung hat, den Sinn, der philosophisch entstellt,
5 aber nie geändert werden kann und nur aus Wesensnotwendig­
keit und nicht aus unserer Schwäche in jeder aktuellen Erfahrung
Horizonte mit sich führt, die der prinzipiellen Klärung bedürfen.
Nr. 2

DIE SEINSABHÄNGIGKEIT ALLES SEIENDEN,


ZUNÄCHST ALLER TRANSZENDENTALEN
SUBJEKTE VON MIR UND DANN MEINER SELBST
5 VON IHNEN
<zweite Hälfte der zwanziger Jahre U

<a)> Theorie der Einfühlung — Intersubjektivität. Einwand


der Verrücktheit, Idee der Normalität als Voraussetzung,
die im ego steckt
10 Das naive Leben als mundanes Erfahrungsleben. In ihm ist die
Welt beständig daseiend, immerfort „vorhanden”. Für sie, die
für den Erfahrenden, für den irgendwie sich Beschäftigenden im
voraus immer ist, werden die Fragen gestellt, wie sie ist, wie sie
erkannt werden kann, in welchen wissenschaftlichen Methoden,
15 wie sie Bedürfnisse weckt und befriedigt, ob sie in dem und
jenem wert ist, ob und wie sie wertvoller nach Zwecken gestaltet,
als Mittel verwertet werden kann, wie sie zu behandeln ist diesen
Zwecken gemäss; auf sie beziehen sich alle Pläne, alle Handlun­
gen etc.
20 Einstellung des Phänomenologen auf die reine Subjektivität,
auf ihr Erfahren, auf ihr gesamtes Leben, darunter auf das, was
für sie das aktuelle und virtuelle Dasein der Welt ausmacht. Ihr
Thema ist nicht die Welt, sondern das, was in der Subjektivität
in ihrem eigenen Leben das Bewusstsein, es sei eine Welt, und
25 „diese” seine Welt, ausmacht, was den jeweiligen aktuellen1
1 Die beiden Texte dieser Nummer hat Husserl „zu den Pariser Vorträgen”, d.h.
zu den Cartesianischen Meditationen geordnet. Sie sind in ihrer Entstehung wohl nicht
homogen: während der erste Teil des Abschnittes a) (bis S. 33, Zeile 36) noch vor den
Cartesianischen Meditationen entstanden sein dürfte (evtl. 1926), sind möglicherweise
der zweite Teil dieses Abschnittes (S. 33, Zeile 36 bis S. 38, Zeile 5) und der Abschnitt
b) im Herbst 1929 geschrieben worden (vgl. die textkritischen Anmerkungen zu dieser
Nummer). — Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 2 23

Weltglauben mit dem und dem bestimmten Gehalt, was sein


wahrnehmendes und sonstwie erfahrendes Leben charakterisiert
als ein solches, worin in Gewissheit seiende Dinge „gegeben” sind
als direkt erschaute, u. dgl., was für das Subjekt diesen in der
5 normalen Wahrnehmung liegenden gewissen Glauben motiviert
und wie es ihn weiter ausweist, welche Motive Ausweisung evtl,
trotz der schon vollzogenen Wahrnehmung fordern und wie es ein
Bewusstsein, ein Wissen (oder wie man es nennen mag) davon ge­
winnt, es seien die Dinge nicht bloss in der oder während der
10 Wahrnehmung, es seien Dinge im unendlichen Raumfeld von
unwahrgenommenen, bekannten oder unbekannten Dingen um­
geben, es sei eine Welt, die immer nur partiell wirklich erfahren
sei usw. Daran knüpfen sich dann alle weiteren Probleme des
Weltlebens in bezug auf eine immerfort „an sich” seiende Welt.
15 Die Epoche: Es soll prinzipiell nicht geradehin über die Welt
geurteilt werden, sondern nur geurteilt werden über die „reine”
Subjektivität, und über Weltliches und Welt überhaupt nur als
das im subjektiven Leben, sei es aktuell in der oder jener subjek­
tiven Weise Bewusste, oder als die Habitualität der Subjektivität,
20 bzw. die rein subjektiv verstehbare Virtualität oder Potentialität
möglicher Erfahrung und des Bewusstseins, über die aktuelle Er­
fahrung hinaus ein immerzu offenes Feld möglicher Erfahrung zu
haben und darin ein möglicherweise Erfahrbares, zu dem be­
stimmt geartete Zugangsmöglichkeiten bestehen. Das bleibende
25 Dasein und An-sich-sein einer Welt als „der” Umwelt des Sub­
jekts wird dabei rein als das genommen, was es für das Subjekt
und im Subjekt ist, als in ihm gebildeter Sinn und in ihm selbst
gegründete Art von Möglichkeiten, subjektive Prozesse derart wie
Bewährungen zu vollziehen und subjektive Charaktere derart
30 wie „wirklich”, „wahr”, „sich konsequent Bestätigendes und zu
bestätigen” im jeweilig bewussten Sinngehalt zu vollziehen.
Die erste transzendentalsubjektive Beschreibung <ist> die
meiner eigenen Wahrnehmungen, dann Wiedererinnerungen und
sonstigen Erfahrungsformen, dann der kontinuierlichen Forter-
35 Streckungen und der diskreten Synthesen usw., dann schliesslich
das Sein ausserhalb der Erfahrung und des aktuell darauf ge­
richteten Bewusstseins und die Idee des bleibenden An-sich-
seins in seinem wahren An-sich. Alles zunächst in meiner „In­
trospektion”, und dabei zunächst das An-sich-sein als bleibend
24 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

bewährbares Sein fü r m i c h in dem ideal unendlichen System


meiner möglichen Wahrnehmung und Erfahrung (original).
Fange ich dabei notwendig mit der Dingwahrnehmung an, so
habe ich als Phänomenologe in Reflexion lebend zunächst Zu-
5 schauer zu sein für mein naives Wahrnehmen und für das, was
für mich als naiv ontisch gerichtetes Ich im Wahrnehmen (das
eben selbst naiv ontische Dingerfassung und Dinghabe ist) aus­
schliesslich im Blick hegt. Ich beschreibe nun dies im Blick Lie­
gende (kontinuierhche Wahrnehmungsrichtung auf das wahrge-
10 nommene Objekt) nach ahem, was der kontinuierhche Fortgang
des Wahrnehmens nicht nur momentan im Blick hat, sondern
auch in den Bhck bekommt, und unterscheide: was da Thesis
des Glaubens <ist>, oder vielmehr (da ich für subjektive Richtung
auf das Ichsubjekt noch nicht wesenthch interessiert bin) die
15 seienden Charaktere, das Thematische, den Gegenstandspol und
den hervortretenden gegenständhchen Bestimmungsgehalt, an­
dererseits den offenen ontischen Horizont und den thematischen
Prozess als Erfüllungsprozess und als Prozess eben der fortgehen­
den Wahrnehmung vom selben (identischen Gegenstandspol) als
20 in seinen Bestimmungen Seienden, sich bestimmend für mich,
mir bekannt werdend und in Bekanntheit der schon eben be­
kannt gewordenen Bestimmungen verbleibend (im „Behalten”),
andererseits mir zwar mit immer neuem Gehalt zur bestimmten
Kenntnis kommend, aber gemeint als von vornherein daseiend,
25 da der unbestimmte Horizont eben auch von vornherein Seins­
horizont ist im Glauben unbestimmten Sinnes, der sich in der Be­
stimmung „nur bestimmt”. Usw. (Natürlich muss schon fürd.en
Anfang der Wahrnehmung mit ihrem ersten Thematischen der
rückgewandte Horizont herausgestellt werden, doch gehört das
30 schon zur Betrachtung der umfassenden Lebenszusammenhänge,
in die jede Wahrnehmung verflochen ist.) Ich muss nun schon da
auf subjektive Modi des „Objektiven”, des Thematischen („ob­
jektiv” als ein subjektives Vorkommnis) hinweisen, aber nun die
Betrachtung immer mehr zur Beschreibung der vollen Konkre-
35 tion des wahrnehmenden Lebens und Erlebens bringen. Ich sehe
ja, dass eine Wahrnehmungsaussage nur das Thematische zum
Ausdruck bringt, das nur konkret ist, was es im subjektiven Le­
ben ist in einem Erlebnismilieu.
Unthematisch ist immerfort da die kinästhetische Motivation,
TEXT NR. 2 25

unthematisch, aber doch im inneren Feld und wesensnotwendig


für das, was sich als daseiend und soseiend in fortgehender syn­
thetischer Identifizerung, also als Eines (und die jeweiligen einen
Eigenschaften) darbietet und sich in Erweiterung immer „voll-
5 ständiger herausstellt”, durch die Kinästhesen motiviert, das sich
„durch” abschattende Daten abschattet, also das Erscheinen als
kontinuierlich wandelbares Erscheinen von Gestalt, von Farbe
etc., wodurch das Substrat selbst als darin so und so seiendes er­
scheint usw. Ich sehe, dass dasselbe Substrat mit denselben the-
10 matischen und hervortretenden oder „behaltenen” Bestimmun­
gen in mannigfaltigen Erscheinungsweisen erscheinendes ist,
und in Graden der Vollkommenheit, der Nähe und Ferne usw.
Bei diesen Analysen beschreibe ich nicht mehr das, worauf der
geradehin Erfahrende, der Wahrnehmende in seiner normalen
15 Einstellung, thematisch gerichtet ist, was er thematisch hat und
worauf er in einer vorblickend-s t r e b e n d e n Intention hinaus­
will und realisierend erzielt, sondern ich beschreibe ein in Relation
dazu tiefer Subjektives, erst in phänomenologischer Reflexion sich
Enthüllendes. Dabei muss ich mir freilich sagen: So wie ich es
20 durch Einstellungsänderung finde, so war es nicht im geradehin
Wahrnehmen gelebtes Leben; denn was in diesem primär gegeben
war, thematisch wahrgenommen, ist es jetzt nicht, und was vor­
hin nicht thematisch war, ist jetzt Thema, und darin beschlossen
in modifizierter Weise das vorhin thematisch Gewesene. Ich er-
25 kenne aber, dass, nur in thematischer Einstellungsänderung, „das­
selbe” vorhegt, dessen Konkretion ich eben nur so erkennen kann,
und dass es an sich nur so erkennbar ist.
Die Einheit einer jeden Wahrnehmung ist Einheit eines Be­
gründungszusammenhanges, die jeweilige thematische Setzung
30 ist unter den subjektiven Umständen, ist mit Beziehung auf die
kinästhetisch mit ihnen im Weil und So zusammenhängenden
Abschattungen und so mit dem darin Erscheinenden motiviert
und im Erfüllungsgang evident begründet, aber mit einer wesent­
lich zugehörigen Vorbehaltlichkeit, sofern der offene Horizont
35 noch nicht begründet ist und Möglichkeiten der Enttäuschung
daher immer offen sind.
26 .CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

Andere, E in fü h lu n g

Bisher haben wir alles Subjektive der Dingwahrnehmung und


Dinggegebenheit überhaupt betrachtet, rein als in mir direkt er­
fahren und erfahrbar. Um die Erfahrung A n d e r e r zu mittelbar
5 eigener Erfahrung zu machen und um überhaupt die Welt in
ihrem An-sich-sein gegenüber beliebig sie erfahrenden Subjekten
und als für jedermann daseiend verstehend aufzuklären, muss ich
natürlich zunächst die Einfühlungserfahrung, meine Erfahrung
vom Dasein anderer Ichsubjekte verständlich machen.
10 Ist es nun nicht eigentlich schon selbstverständlich, dass ich
fürs erste äussere Erfahrung vom Dasein des fremden Leibes als
Dinges (Körpers) innerhalb meiner egologischen Weltsphäre
habe, und, solange diese Erfahrung einstimmig ist, habe ich
wohlbegründete und sich ausweisende Kenntnis von diesem
15 Leibkörper. Zweitens, dieser Körper in seiner subjektiven Gege­
benheitsweise für mich ist nicht nur motivierte Einheit der und
der Erscheinungen. In meinem Leben haben die von mir erfah­
renen Dinge subjektiv betrachtet als erfahrene ihrer Erfahrungen
überhaupt noch vielerlei wechselnde Charaktere, die sie in dem
20 Zusammenhang meines Lebens annehmen. So alle „assoziativen”
Charaktere.1 Z.B., erscheint neben einem Baum ein anderer
Baum, und zwar in gleichartiger Erscheinungsweise, so kann ich
nicht anders als „beide” in eins, als Paar, bewusst haben; von dem
einen als so erscheinenden geht eine Weckung und eine Art
25 Deckung par distance auf den anderen und umgekehrt. Es kön­
nen überhaupt Erfahrungsgegenstände als solche und in ver­
schiedenen Modis Charaktere des an andere „Erinnems”, des auf
sie Hinweisens und der in ihnen gründenden Anzeige, der Ap-
p r ä s e n t a t i o n haben. Das Assoziative gehört schon grund-
30 wesentlich zum Aufbau der Dingwelt als für mich erfahmngs-
mässig seiender. In Erfahrung als daseiend Gegebenes weist auf
anderes bekanntlich Mitdaseiendes als „mit da” vor, und diese
Appräsentation hat ihre Weise der Bestätigung ihres Vorglau­
bens. Im übrigen abgesehen davon, dass schon zur Erfahrung
35 jedes Einzeldinges in Form seines Horizontes grundwesentlich

1 Natürlich richtiger, z u e r s t das Assoziative überhaupt in meiner egologischen


Sphäre und dann erst das Hereinziehen fremden Leibes!
TEXT NR. 2 27

Appräsentation, also assoziative Vordeutung und evtl. Bestäti­


gung durch selbstgebende Wahrnehmung u. dgl. zugehört.
E i n e b e s o n d e r e W e i s e d e r A p p r ä s e n t a t i o n ist die,
dass ein Körper, ein Ding, das ich sonst erfahre wie ein anderes,
5 in subjektiverWeise als der meine und für mich seiend so und so
erscheinende assoziativ in Beziehung tritt zu meinem beständig
erscheinenden Leib. Dieser selbst ist dadurch ausgezeichnet, dass
all mein Erfahren von sonstigen für mich (original) erfahrbaren
Dingen und damit auch all mein personales (ichzentriertes) mich
10 wie immer beschaffenes Beziehen auf meine Umwelt mit ihm as­
soziativ verflochten ist. Die Assoziationsbeziehung, die nun der
Körper dort als Ähnlichkeitspaarung mit meinem Leib eingeht,
bedingt es nun, dass sich auf ihn die originale Eigentümlichkeit
meines Leibes als Leibes analogisch überträgt (oder anders aus-
15 gedrückt: apperzeptiv). Hier wird nun in einer zu meinem Leben
gehörigen Apperzeption ein subjektives Leben, ein Erfahren,
Dinge vor sich Haben, eine Dingwelt bleibend als Seinsumwelt
Haben, darauf ichlich Bezogensein in Affektion und Aktion —
ein subjektives Leben, das nicht das meine, d.h. nicht von mir
20 originär erfahren und erfahrbar ist, durch den in meiner Erfah­
rungswelt gegebenen und von mir soeben da erfahrenen ,,frem­
den" Leibkörper indiziert und im Glauben appräsentiert. D .h. es ist
nicht mein Leben, mein selbstgelebtes, also original wahrneh-
mungsmässig bewusstes, mein erinnertes, mein je zu erwartendes
25 etc., es sind nicht meine Dingerscheinungen und zunächst nicht
meine Dinge als Dinge meiner originalen Erfahrung. Alles, was zu
meinem Leben gehört und sich darin als Reales, aber doch ihm
zugehörige synthetische Einheit, konstituiert, ist ausschliesslich
mein eigen. Was da appräsentiert ist, ist ein Analogon von all
30 dem, ist als das vergegenwärtigt statt original gegenwärtig, alle
konstitutiven Erscheinungsmannigfaltigkeiten sind mit ihren
Erfahrungseinheiten nicht Einheiten meiner wirklichen und mög­
lichen Erfahrung, sondern einer vergegenwärtigten wirklichen
und möglichen Erfahrung. Das aber nicht beliebig, sondern in
35 bestimmter Motivation mit bestimmtem Sinn und ihrem Glau­
ben, der Seinsglaube ist, Seinsglaube bezogen auf ein indiziertes
Leben mit indizierten Wahrnehmungen, Erscheinungsmannig­
faltigkeiten, wirklicher und möglicher Erfahrung usw. Zu dieser
Appräsentationsgegebenheit gehören dann Wege der konsequen-
28 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

ten Bestätigung, natürlich in meinem eigenen Lebensfeld ver­


laufende, aber einer Bestätigung, die sich durchaus in Modis der
Vergegenwärtigung hält und prinzipiell nicht in eigene direkte
Erfahrung übergehen kann. Direkt erfahren ist immer nur Ver-
5 gegenwärtigung. Solange diese indirekte Erfahrung in Einstim­
migkeit verläuft, kann ich nicht anders als an das Appräsentierte
glauben und den Leibkörper dort wirklich als Leib, aber nicht als
originär nach seiner Leiblichkeit erfahrenen und erfahrbaren
Leib, sondern als Leib eines Anderen erfahren.
10 Ich habe also als erstes in phänomenologischer Betrachtung
m e i n e o r i g i n a l e W e l t , meine Natur und mich selbst als in
dieser Welt durch meinen originalen Leib als meiner Umwelt
waltend. Diese Welt ist mein System der „Objektivität”, aber
Objektivität besagt hier ein zu meinem Leben selbst gehöriges
15 konstitutives Gebilde — mein Nicht-Ich, nicht mein immanent
zeitliches Leben selbst, sofern seine Objektivität als syntheti­
sches Einheitsgebilde darin besteht, im Leben, in der syntheti­
schen Einigung seiner intentionalen <Erlebnisse >, wirklicher und
möglicher, als thematisch Identisches und immer wieder Identi-
20 fizierbares konstituiert zu sein, also ein im Verhältnis zur im­
manenten Zeitlichkeit und der immanenten Individualität der
Lebenspulse Ideales, Überzeitliches und konstituiert mit einer
eigenen objektiven Raumzeitlichkeit.
Nun gewinne ich aber zu meiner originalen Welt und zu mir
25 als personalem und konstituierendem Subjekt hinzu die fremden
Subjekte mit ihrem konstitutiven Leben, ihrer konstituierten
Welt, subjektiv zentriert um ihre Leiber usw., ich gewinne sie als
eine sekundäre in Vergegenwärtigungsweisen mittelbar konsti­
tuierte Objektivität, indiziert (also vergegenwärtigungsmässig
30 appräsentiert) durch Körper in meiner Originalwelt, die nun die
Auffassung fremde Leiber und in ihnen waltende Ichsubjekte —
andere — erhalten.
Des näheren ist die Motivation eine solche, dass ich den frem­
den Leib nur dadurch als fremden Leib auffassen kann, dass ich
35 ihn als originalen Leib des Anderen auffasse und so den meiner
originalen Welt zugehörigen Körper „fremder Leib” mit dem in
seiner appräsentierten originalen Welt ihm gegebenen originalen
Körper „eigener Leib” in eins setze; in weiterer Folge die Natur,
TEXT NR. 2 29

die er erfährt als seine originale, mit der Natur, die ich erfahre
als meine originale.
In dieser rein transzendentalen Betrachtung, also in konse­
quenter phänomenologischer Epoche vollzogen, finde ich nicht
5 nur im Rahmen meines eigenen originalen Lebens und seiner ori­
ginal konstituierten Welt (Natur, mit geistigen Charakteren, die
ausschliesslich aus mir selbst ihre originale Bedeutung haben)
eine besondere Art von „Vorstellungen”, die da Vorstellungen
von Anderen heissen, und ein Verständnis (evtl, ein genetisches)
10 dafür, wie ich in mir zu „Vorstellungen" von Anderen komme,
sondern es ist klargelegt, wie in meiner originalen Sphäre eine
Erfahrungsart eigener Art möglich ist und aktuell fungiert, in
der irgendeines m e i n e r originalen Dinge aus meiner wirklichen
und möglichen originalen Erfahrung zum Untergrund einer Ap-
15 Präsentation werden kann, eine Vergegenwärtigung motiviert
durch die subjektive Art der Erfahrung dieses Dinges, die als
mit diesem Körperlichen einig eine fremde Subjektivität zur
Setzung bringt, aber so, dass das Mitgesetzte nicht einig ist mit
dem originalen Körper, der in meiner originalen Welt vorhanden
20 ist und selbst ein in meiner originalen Welt Vorhandenes ist.
Denn genauer besehen indiziert dieser Körper in der Analogie
mit meinem Leibkörper eine zweite originale Leibkörperlichkeit
und Leiblichkeit mit all den subjektiven Besonderungen dieser,
ihrer notwendigen Beschränkung in den Erscheinungsweisen,
25 ihrem Orientierungsnullpunkt-sein etc., und so wird eine zweite
originale Welt und original für sich selbst seiende Subjektivität
indiziert oder mit der meinen in eins gesetzt durch vergegenwär­
tigende Erfahrung, die in konsequenter Weise zu bestätigen ist
und sich in der Tat bestätigt. Das Genauere über die in mir und
30 meiner originalen Welt sich vollziehenden Motivation, durch die
diese Appräsentation fremder Subjektivität und ihrer originalen
Welt erwächst, gibt eine „Theorie der Einfühlung”.
Haben wir nun nicht zwei Naturen und Welten, die eine, die
ich in mir original konstituiert habe, und die andere, die ich als
35 die vom Anderen original konstituierte vergegenwärtigt habe?
Habe ich den fremden Körper in meiner originalen Welt und einen
Doppelgänger in der eingefühlten, oder besser, <in> der durch den
ersteren appräsentierten? Man möchte auch fragen: Könnte es
nicht sein, dass ich solus ipse wäre und dass ich konsequent in mir
30 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

und meiner Welt Motive für Appräsentationen von anderen Sub­


jekten und Subjektwelten fände, während der Andere gar nicht
wäre?
In letzter Hinsicht ist die Antwort: Natürlich kann es in jedem
5 Momente sein, dass die äussere Erfahrung, sowohl meine originale
Erfahrung als die sekundäre Erfahrung der Appräsentation,
mich täuscht, sich nicht bestätigt, sondern aufhebt. So wie die
Gewissheit meiner ersten Welt präsumptiv ist und doch zweifel­
los während des Fortgangs der Einstimmigkeit, so die dieser ap-
10 präsentierten Welt. Es könnte sein, dass in <mir> mein Glaube
ungültig würde, aber nur, wenn in meiner eigenen Lebens- und
Welterfahrung Motive dafür erwachsen und die Gegenerfahrun­
gen ihrerseits sich konsequent einstimmig bestätigen. Also im
Gang meiner einstimmigen Erfahrung steht es mir nicht frei zu
15 glauben und nicht zu glauben oder in Zweifel zu ziehen und in
Zweifel zu bleiben. Bei diesem Gang der Erfahrung ist die Ge­
wissheit eine notwendige und somit eine zweifellose.
Ist es aber nicht doch möglich, dass alles mein Leben so ver­
läuft, wie es verläuft, und alle meine sekundären Erfahrungen
20 von Anderen sich konsequent bestätigen, während die Anderen
in sich selbst gar nicht sind? Ihr eigenes Sein ist doch Sein im ori­
ginalen Leben, das ich nur motiviert durch den Gang meines
Lebens in bezug auf gewisse organische Körper meiner Erfah­
rungswelt in der Weise der Einfühlung setze und in mir immer-
25 fort bestätige. Diese Bestätigungen sind doch Modi meines Le­
bens, sie könnten einstimmige Bestätigungen sein, ich müsste
also in jener mittelbaren Weise glauben an die für sich selbst
seienden Subjekte, während sie doch nicht wären. Ich wäre dann
in einer eigentümlichen Lage: Ich glaubte, müsste vernünftiger-
30 weise glauben, dass die Anderen sind, und die Gewissheit ihres
Seins wäre konsequent, ja ideell, wie wir voraussetzen können,
in infinitum gerechtfertigt in der einzig erdenklichen Weise.
Ist es aber dann nicht undenkbar, dass das andere Subjekt nicht
sei? Sage ich aber, es sei möglich, dass es doch nicht sei, liegt dar-
35 in nicht, dass das denkbar sei? Stehe ich nicht in einem offen­
baren Widerspruch? Wie soll ich den Gedanken v o l l z i e h e n ,
also die Denkbarkeit, Möglichkeit evident machen, dass der An­
dere nicht sei? Ich könnte dann auch beifügen wollen, dass er
zwar sei, aber total anders sei. — Doch nur dadurch, dass ich das
TEXT NR. 2 31

Anderssein eben anschaulich und in allseitiger Anschaulichkeit


zur Erfüllung bringe. Und wesensmässig-generell sehe ich ein:
Die Möglichkeit, dass ich nicht sei, während ich mich erfahre,
kann ich nicht vollziehen; die Möglichkeit, dass ein Anderer
5 sei oder nicht sei, kann ich nur vollziehen als Möglichkeit einer
Einfühlung und als Möglichkeit konsequenter Bestätigung oder
Nichtbestätigung dieser Einfühlung im gesamten Gang meines
Lebens. Nehme ich an, dass die Bestätigung nie durchbrochen
werden kann, weder durch den zufälligen Gang der Erfahrungen,
10 noch durch mein willkürliches Eingreifen (im sozialen Verkehr
mit den einfühlungsmässig erfahrenen Anderen), dass, wie ich es
vermöge der bisherigen Einstimmigkeit supponiere, es in der Tat
immer so bleiben wird, dann habe ich in der Tat Unmöglichkeit,
Undenkbarkeit für das Nichtsein von Anderen vorstellig ge-
15 macht, und die einzige Art solchen Vorstelligmachens, die ihrer­
seits erdenkbar ist. Zum eigenen Gehalt meiner Erfahrung von
Anderen gehört es, dass sie, die für mich in der indirekten Weise
der Einfühlung als daseiend motivierten, ein Für-sich-selbst-sein
haben, das eben zur Vergegenwärtigung kommt mit der Umwelt
20 des Anderen. Und so ist es für mich undenkbar, dass sie nicht ein
Eigenleben haben wie ich, usw. Und weiter ist es undenkbar für
mich, dass es für irgendein anderes Ich (das ich selbst nur in der
angegebenen Weise erfahren haben kann) sich anders verhielte
wie für mich. Wie immer ich mich und meine Erfahrungswelt
25 umdenke, diese Art der Fremderfahrung bleibt bestehen, und
jeder solchen möglichen Abwandlung meines Ich entspricht ein
möglicher Anderer. Ihn auf Grund der Einfühlung umdenken,
das heisst notwendig, mich selbst und meine Motivationen um­
denken, und wie immer ich ihn denke, er ist für mich Anderer,
Abwandlung meiner selbst, mein Analogon, das für mich nur an­
schaulich sein kann, indem ich mich in ihm wiederfinde oder ihn
30 in mir. Ich sage, in ihm, weil ich dabei meinen Leib in seinen oder
seinen in meinen verwandelt denken muss, etc.

Einwand der Verrücktheit

Wie aber, wenn ich „total verrückt” werde und meine Erfah­
rungswelt sich in ein „Gewühl” ohne einheitlichen Sinn auflöst?
35 Dann sind für mich auch keine Tiere und Menschen da. Sind sie
32 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

darum notwendig nicht? Können sie nicht sehr wohl sein, ob­
schon für mich jeder Grund auf hört, sie zu setzen?
Die fremden Subjekte sind nicht etwa subjektive Gebilde in
meinem Leben, trotzdem sie für mich nur sein können durch konse-
5 quent einstimmige Einfühlung. Aber sie sind nicht so wie physi­
sche Dinge, als in meiner egologischen Sphäre konstituierte, in ihr
sich realisierende Wirklichkeiten. Sie sind Vergegenwärtigungen
von solchem, was in Originalität eben in anderem Leben Wirk­
lichkeit hat. Sind nun für mich andere Menschen schon da, so
10 kann ich mir leicht vorstellen, wie sie anomal, wie sie verrückt
werden, und schliesslich komme ich an eine Grenze, an die Mög­
lichkeit, dass für sie nicht einmal eine originale Natur konsti­
tuiert bleibt. Ich kann mir dann die Möglichkeit denken, dass
sie wieder gesund werden, dass ihre früher abgebrochene Konsti-
15 tution sich mit der späteren in der neuen Gesundheit wieder zu-
sammenschliesst, dass sie durch indirekte Erfahrung unter Ver­
mittlung der nachverstehenden Erfahrungen Anderer sich die
Lücken ausfüllen usw. Jeder kann verrückt werden, und ich
selbst kann mein Verrücktwerden vorstellen, wenn ich schon
20 Andere in einstimmiger Erfahrung habe und mir entsprechend
denke, dass meine Erfahrungseinheiten sich auflösen, dass wieder
sich solche bilden, dass ich durch Vermittlung der nun wieder
gegebenen Anderen zu einer universalen einstimmigen Welt
komme. Können nicht alle verrückt werden, und wäre es nicht
25 möglich, dass überhaupt viele reine Subjekte für sich sind, aber
in einem weltlosen Leben, somit ohne alle Gemeinschaft, die
offenbar eine gemeinsam konstituierte Welt voraussetzt ? Dann
wäre, könnte man einwenden, eine Vielheit von solipsistischen
ego’s, und doch die Vielheit unerkennbar und nie erkennbar ge-
30 wesen. Setzt aber Sein der Vielheit nicht voraus die Möglichkeit,
die Vielheit als Vielheit zu erkennen, und das wieder voraus die
Möglichkeit eines mit allen Ich und ihrem Leben vergemeinschaf-
teten Lebens — also wieder eine Gemeinwelt ? Das muss ernstlich
überlegt werden, es scheint darauf keine Antwort möglich zu sein.1
35 Ist es so, dass für mich Andere zweifellos sind, so gehört nun
zum selbsteigenen Sein und dem sekundär zweifellosen Anderer­
sein dies, und notwendig, dass die originale Welt, die ich als mein
konstitutives ideales Gebilde erfahre, dieselbe ist als die jeder
1 Der letzte Satz wurde von Husserl nachträglich gestrichen. — Anm., d. Hrsg.
TEXT NR. 2 33

Andere erfährt. Aber zunächst scheint ein Widerspruch <vorzu­


liegen >. Denn meine originale Welt ist doch ein in mir konstituier­
tes Sinn- und Seinsgebilde, und des Anderen originale Welt das
seine. Jede Subjektivität hat ihre eigenen originalen Verwirkli-
5 chungen und erfährt in ihnen immer wieder synthetische Einheit,
die also in ihrer aktuellen und potentiellen Intentionalität auf-
tritt. Wie kann hier Identität bestehen, bzw. in Erfahrungsevi­
denz durch das Medium der einfühlenden Vergegenwärtigung er­
fahren werden ? Antwort natürlich: Ich erfahre in verschiedenen
10 Erfahrungen, deren jede ihre intentionale Gegenständlichkeit
hat, doch, dass die eine und andere Erfahrung dasselbe erfährt.
So in allen Zusammenhängen der Synthesis, so vor allem hin­
sichtlich gegenwärtiger und (eigener) vergangener, nämlich wie­
dererinnerter Gegenständlichkeit. So muss ich auch meine Dinge,
15 die ich erfahre, und die fremderfahrenen entsprechend identifi­
zieren. Die eigenen Erfahrungen und die vergegenwärtigten frem­
den Erfahrungen kommen notwendig synthetisch zur Deckung.
„Ding” und Welt (Natur) „vor” der Einfühlung und dem Mitda­
sein Anderer war die ideell synthetische Einheit meiner wirklichen
20 und möglichen Erfahrungen in der Motivation des universalen
einstimmigen Zusammenhanges meines Lebens und im besonde­
ren meines Erfahrungslebens. Hier heisst Erfahrung die Erfah­
rung der ersten Stufe, der original eigenen. Nehmen wir Einfüh­
lung und Andere hinzu, so sind Ding und Welt synthetische
25 Einheiten meiner und aller Anderen wirklichen und möglichen
Erfahrungen, wobei als Neues die zu den verschiedenen Subjek­
ten durch Einfühlung herzustellenden Synthesen der Erfahrun­
gen verschiedener Ichsubjekte ihre Funktion üben. Da die ge­
meinschaftliche identisch konstituierte Welt mit offenen Hori-
30 zonten konstituiert ist und offenen Möglichkeiten für immer neu
zu erfahrende fremde Subjekte, und so für jedermann, ist die
Welt nun selbst die zur offen endlosen Mannigfaltigkeit von Sub­
jekten einer wirklichen und motiviert möglichen Vergemein­
schaftung gehörige Einheit wirklicher und motiviert möglicher
35 miteinander konsequent einstimmiger Erfahrungen.

Geistige Normalität. Normalität als Voraussetzung der Wahrheit,


Normalität als Vernunftvermögen
Ich, der solche Möglichkeiten und zugehörige Notwendigkeiten
34 .CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

erwäge, bin „geistig normal”, ich hatte und habe meine einstim­
mig fortschreitende Erfahrung, ich habe darin beschlossen Natur
und Geisteswelt in bewährter Geltung, als schlechthin wirkliche
mir vorgegeben und fortgegeben. Ich bin in der Freiheit eines
5 normalen, im allgemeinen gelingenden empirischen und logischen
Denkens, vernünftigen Handelns jeder Art usw. Ich kann mich
auch als Verrückten denken, während ich aber das denke, in Wirk­
lichkeit nicht verrückt bin, wie dieses Denken selbst erweist, das
den Verrückten als Möglichkeit „vernünftig” begründet. Die
10 Denkbarkeit des Verrückten setzt voraus den Nichtverrückten,
wie es sich dann hinsichtlich aller Arten und Typen von beson­
deren „Anomalitäten” zeigt, dass sie Wesensmodifikationen von
(an sich also früheren) Normalitäten sind. Soll ich, der ich bin, das
Miteinander von Verrückten mir denken können als eine „reale
15 Möglichkeit” oder auch nur als Möglichkeit im Sinn blosser Vor­
stellbarkeit einstimmiger Phantasie, so ist diese Möglichkeit auf
mich bezogen und setzt mein normales Sein voraus. Ich sehe nun
auch die Möglichkeit ein, dass ich selbst verrückt würde und in
dieser Verrücktheit keine Welt und keinen Anderen hätte, und
20 sehe dafür auch die reale Möglichkeit in meiner faktischen Kon­
stitution ein unter dem Titel möglicher Erkrankung meiner phy­
sischen Leiblichkeit in eins mit psychophysisch zugehöriger psy­
chischer Erkrankung, vielleicht bis zu jener vollständigen Ver­
rücktheit, die mir nicht einmal eine einstimmige Welt beliesse.
25 Aber eben als normales Ich habe ich diese Möglichkeit, vermöge
deren ich sagen kann, ich hätte von vornherein anomal sein
können. Ebenso sehe ich ein, dass jeder Andere, der noch nicht
verrückt ist, hätte verrückt sein können, und alle könnten es —
wobei ich im Hintergrund immer als das mögliche denkende Ich
30 vorausgesetzt bin, das in seiner Normalität die möglichen Anoma­
litäten konstruiert und im einzelnen sie in seiner normal konsti­
tuierten Welt als wirklichen Bestand vorfindet, Bestand einer
normalen Welt, bezogen auf normale Subjektivität. Ich sehe auch
ein, dass jeder normale Andere von sich aus mir als Normalen dar-
35 in gleichsteht und dieselben Denkmöglichkeiten und -notwendig-
keiten sich zueignen könnte. Aber der normale Andere ist we-
sensmässig auf mich als das normal seiende Ich bezogen, aber frei­
lich auch, n a c h d e m sein Sein für mich begründet ist, ist mein
Sein auf ihn ebenso bezogen, und ich sehe ein, dass er es einsehen
TEXT NR. 2 35

kann, dass sein normales Sein für die Erwägung seiner Denk­
möglichkeiten einer verrückten Welt die Wesensvoraussetzung ist.
Aber ist nun m e i n n o r m a l e s Se i n Träger (archimedisches
Fundament) der für mich nicht nur wirklichen, sondern auch
5 der für mich erdenklichen Welten und auf sie bezogen der für
mich wirklichen und möglichen anderen Ichsubjekte und dann
ebenso für jedes für mich wirklich oder möglicherweise motivierte
Ichsubjekt im Modus Anderer, dann erhebt sich die Frage: Wie
weit reicht diejenige Wesensform meines Ich, die mich zum nor-
10 m a l e n Ich macht? Gehört dazu nicht notwendig eine Umwelt,
die objektive Welt darstellt, also das Mitsein von Anderen? Va­
riiere ich mich selbst, dann bewege ich mich in dieser Wesens­
form. Jede konkrete Möglichkeit meines Ich innerhalb dieser
Form ergibt mich immer anders, aber als normales Ich.
15 Aber wie verhalten sich dann die Begriffe konkretes Ich und
normales Ich? Bin ich als völlig verrücktes Ich nicht konkret,
oder nur konkret, weil ich vordem nicht verrückt gewesen bin
oder, wenn ich es bin, normal werden kann? Aber ist das not­
wendig? Und ebenso für jeden Anderen, wenn ich im Horizont
20 notwendig andere seiende normale, aber auch anomale Ich habe.
Oder kann ich gar und jedes Subjekt nur konkret sein in einem
generativen zusammenhängenden endlosen Subjektzusammen­
hang, der seinerseits a -priori nur konkret sein kann als ein nor­
maler und mit anomalen Subjekten als Abwandlungen an sich
25 immer vorangehender normaler? Das klingt höchst gewagt, ja
abenteuerlich. Aber man muss die hier bestehenden Möglichkei­
ten und Notwendigkeiten wirklich durchdenken. Was ist der
Sinn der Normalität, auf die wir hier gestossen sind? Dieser Be­
griff ist bezogen auf das wahre Sein, auf das Universum der Wahr-
30 heit und des Seins, das die Philosophie als Thema hat. Wir sind
damit auf Subjektivität bezogen, die Erkenntnisquelle der Wahr­
heit und des wahren Seins ist. Eine Subjektivität muss sein, um
ihr eigenes Sein begründen zu können; ihr Sein stände in der
Luft, wenn sie nicht für sich selbst seiend, für sich selbst sich
35 ausweisend und in einem möglichen Denken begründend wäre.
Ohne Denkenden habe ich keine Denkbarkeit, und eine leere
Denkbarkeit eines fingierten Subjekts, das sich selbst denken
kann und sein eigenes Sein denkend ausweist und ebenso anderes
denkend ausweisen kann, oder die leere Möglichkeit von Subjek-
36 .CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

ten, die Denkvermögen haben etc., das setzt voraus, dass ich oder
einer von mir aus als seiend Ausgewiesener diese Möglichkeit als
Möglichkeit ausweist usw. Nun sehe ich aber ein, dass, wenn ich,
der philosophierend Erwägende, zum Subjekt für die Erkenntnis
5 der Möglichkeiten wahren Seins werde und es, wenn ich für mich
Klarheit erstrebe, sein muss, ich dann eben schon eine gewisse
sehr weitreichende Struktur bei mir voraussetze. Und eben diese
Struktur der Normalität als meine Wesensstruktur derjenigen
„Vernunft”, die Korrelat ist des wahren Seins, geht dann notwen-
10 dig in jeden für mich wirklichen und denkbaren Anderen ein, der
selbst für sich soll Träger der Wahrheit, Subjekt transzendentaler
Vernunft sein können.
Soll eine Welt sein, sollen Subjekte selbst sein, für sich und
miteinander sein, soll eine Zahlenwelt, sollen Wesenswahrheiten
15 und Wesen selbst sein können usw., so muss es normale Subjek­
tivität geben; ich gehe nicht nur überhaupt als unbestimmtes ego
allem, was für mich ist, vorher, sondern als normales Vernunft­
subjekt, und das ist nun das grosse Thema, es zu umschreiben.
Als Phänomenologe stelle ich als notwendigen Ausgang einer
20 philosophischen Besinnung, als einer Besinnung, die mir das Uni­
versum des Seienden konstitutiv zugänglich und verständlich
macht, das ego heraus. Es ist im Anfang nur konkret unenthüllt
in den Blick tretend, ein Faktum, das ich erst als Faktum in
Schritten enthülle. Aber bald sehe <ich>, dass ich zu keiner wirk-
25 lieh universalen Enthüllung des Faktums durchdringen kann,
sondern auf die Aufgabe der Wesensform dieses ego und seiner
schrittweise und in infinitum auszulegenden Wesensstrukturen
mich einstellen muss. Ist dieses ego nicht von vornherein, als
Wesen meiner transzendentalen Subjektivität, das normale Ver-
30 nunft-ego, oder vielmehr, macht die mir zugewachsene Zielstel­
lung der Verständlichmachung der universalen Konstitution alles
für mich (in meiner Wesensfassung) Seienden, und zwar in der
Einheit einer Allheit von Seienden, für mich mögücherweise
Seienden, es nicht von vornherein, dass ich mit einzelnen Leit-
35 fäden von Seiendem und Konstitutionsuntersuchungen beginne
und dann fortgehe zu möglichen Seinsuniversa, zu möglichen
Welten (in einem zunächst weitesten Sinn von möglichen Seins­
allheiten), und sind die konstitutiven Strukturen in ihrer Einheit
dann nicht von selbst eins als Einheit des Vernunft-Ich? Natür-
TEXT NR. 2 37

lieh gehören zu diesem auch die Potentialitäten der Unvernunft,


die assoziativen Passivitäten, alles, was eben auch dasein muss,
damit ein Ich konkret, also als Vernunft-Ich konkret sein kann.
Ich kann dann auch und muss die Abwandlungen der Unstim-
5 migkeit, die aller Anomalitäten jeder Art in die Forschung ziehen,
ich muss alle Möglichkeiten und Unmöglichkeiten beherrschen.
Nun gehören faktisch zur Welt auch unvernünftige Subjekte,
zeitweilig oder dauernd „Geisteskranke”, und als das sind sie
real seiend, also sich einstimmig konstituierend, ebensogut als
20 vernünftige Subjekte, die übrigens wie ich nicht gerade unbedingt
und allzeit vernünftig sind. Aber wie wiederholt gesagt, meine
Vernünftigkeit mit der in ihr konstituierten Seinsidee, der meines
Seins in möglicher konsequenter Vernunft (die ich mehr oder
minder vollkommen in wirklich vernünftigen Akten gewinne,
15 also als dabei wirkheh Vernünftiger) g e h t b e s t ä n d i g v o r ­
her. Es ist dann und von hier aus zu fragen: Welche Gestalten
von unvernünftigen Subjekten sind als Abwandlungen der im­
mer vorausgesetzten Vernünftigkeit möglich, und wie steht es
mit der Voraussetzung einer Welt von anderen Subjekten und
20 von Vernunftsubjekten von dem Standpunkt der Möglichkeit eines
Seinsalls überhaupt und meines Seins zunächst für mich selbst
und dann des <Seins> einer offenen Vielheit von Anderen? Eine
objektive Welt setzt offene Vielheit von Subjekten voraus. Setzt
sie nicht eine solche von Vernunftsubjekten voraus? Was nicht
25 ausschliesst, dass auch Unvernünftige, Verrückte sein können
und vielleicht aus tieferen Wesensgründen als reale Möghchkeiten
und vielleicht sogar Wirklichkeiten in einer realen Welt sein
müssen. Aber muss eine objektive Welt sein, während ich selbst
notwendig bin, nämlich während ich da philosophierend die Mög-
30 lichkeiten durchdenke? Gibt es Wesensgründe, die in mir, und
eben in meinem egologischen Wesen gründend es notwendig
machen, dass eine objektive Welt sei, dass Vemunftsubjekte in
ihr sind, für die sie intersubjektiv wahres Sein ausweist oder aus-
weisen kann und darin konkret ist? Hier tritt auch das grosse
35 Generationsproblem auf. Gehört zum Wesen meines Seins und
transzendental mittelbar des Seins von Anderen eine konstitu­
tive Struktur, vermöge deren notwendig eine Welt mit generativ
zusammenhängenden Menschengeschlechtern besteht, die mich
als konstituierten Menschen umgreifen? Gehören notwendig zum
38 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

Sein einer Allheit des Seins und so jeder Welt Menschen, in genera­
tiven Zusammenhängen, und so, dass bei dem „Tode" der ein­
zelnen doch Menschen notwendig sind und vielleicht Tod in der
Welt doch immer Subjektivität als Vernunftsubjektivität not-
5 wendig erhält?

<b)> Transzendentale Abhängigkeit der Anderen, der Generation,


der Welt von meinem ego
Was motiviert, was „begründet" in irgendeinem Sinn meinen
transzendentalen Anfang? Der generative Zusammenhang mit
10 meinen Eltern und weiter Voreltern? Aber geraten wir da nicht
in grosse Schwierigkeiten?
Ich muss doch sagen und immer wieder sagen, ich, der Phäno-
menologe, der in transzendentaler Einstellung nicht phänome-
nologisierender Mensch bin, sondern transzendentales Ich, phä-
15 nomenologisch erfahrend und denkend: Was irgend für mich ist
und als Weltall für mich ist, ist in mir selbst und durch m e i n
transzendentales Leben konstituiert, also auch dieser gesamte
generative Zusammenhang, in den ich selbst als Mensch Konsti­
tuierter hineingehöre als Gegenstand möglicher weltlicher Erfah-
20 rung, wie er selbst, dieser Zusammenhang, weltlich ist, Gegenstand
möglicher „Erfahrung”. Die Anderen sind in mir, in meinem in
sich geschlossenen transzendentalen Leben in bestimmter Moti­
vation erwachsene Geltungsgebilde, habituell mir eigener E r­
werb, habituell in Geltung, in meinem transzendentalen Leben
25 immer wieder identifizierbar, durch erneuerte Erfahrung syn­
thetisch bewährbar. Und so sehe ich und sage ich: Sie sind in
Wahrheit und gemäss dem in mir konstituierten Sinn „meines­
gleichen”, mit ihrem transzendentalen Leben, das ich durch die
Selbst vergegenwärtigungsart (in mir motivierter) Fremdapprä-
30 sentation analogisch erfahre, in einer Art, die es mir ermöglicht,
in meinem ausgebildeten Vermögen, dem Selbst des Anderen im­
mer näher zu kommen, von ihm immer vollkommenere Kenntnis
und Erkenntnis zu gewinnen — immer in Form von Modis der
Selbstvergegenwärtigung. Auch mein eigenes transzendentales
35 Sein ist seiend für mich aus einer Konstitution, die ich zustande
bringe und gebracht habe, und einer Geltung, die in mir dabei
erwächst und sich in erster Apodiktizität für mich rechtfertigt.
TEXT NR. 2 39

Alles das <ist> selbst in mir verlaufendes Transzendentalsubjek­


tives und Erworbenes, wie ich selbst reflektierend und denkend
sehe und erkenne, und so iterativ, wobei ich die Möglichkeit der
freien Iteration selbst wieder so gewinne als transzendentalen
5 Erwerb. Also in Geltung habe ich, in bewährter und fortschrei­
tend zu bewährender und inhaltlich zu verbessernder, die Ande­
ren sogut wie mich selbst, wie auch unsere gemeinsame Welt mit
uns als Menschen darin. Aber ich gehe doch in meinem Sein und
Für-mich-gelten allem voran, alles Geltende ist aus meinem Gelten,
10 und das sehe ich ja sogleich durch Reflexion. Das, sagt man viel­
leicht, bedeutet „nur” das Triviale, dass vom Gesichtspunkt der
Erkenntnis ich das Frühere bin; wäre ich nicht, so könnte ich
natürlich den Anderen nicht erkennen. Aber ist dieses „nur”
nicht Zeugnis einer ganz unzureichenden Erfassung der hier be-
15 stehenden transzendentalen Sachlage? Liegt in ihr nicht, dass
das Sein aller Anderen von meinem eigenen Sein abhängt?
Wohlgemerkt, im transzendentalen Sinn.
Das wird klar, wenn ich erwäge, dass jedes frei mögliche Um­
denken meines transzendentalen Seins ein Umdenken aller Welt
20 und der transzendentalen Anderen in sich schliesst. Variiere ich
mich, der ich Weltkonstituierender bin (und zunächst primordi­
nale Welt), so, dass ich irgend mögliche Welt Konstituierender
bin, so variiere ich damit alle Anderen. Oder des näheren, variiere
ich mich hinsichtlich meines transzendentalen Lebens so, dass die
25 konstitutiven Zusammenhänge anders werden, und so, dass an­
statt durch sie diese Welt Bewährungsgültigkeit hat, wie sie jetzt
ist, nun diese als Welt meiner Erscheinungen, Meinungen, Bewäh­
rungen irgendeinen von mir aus erfahrenen Anderen in geänder­
ter Weise oder überhaupt nicht enthalten würde, so wäre dann
30 eben ein anderer Anderer oder kein Anderer etc. Denn „es ist
ein Anderer” sagt doch überhaupt für mich nur, er ist aus mei­
ner Konstitution. Also ist es evident, dass das Sein der Anderen
von meinem Sein transzendental gesprochen abhängt. Allerdings
gehört zum Sinn des für mich seienden Anderen zugleich, dass
35 für ihn dasselbe gilt. Also so ist Welt für mich konstituiert bzw.
Andere und mittels ihrerintersubjektive Welt, dass alles, was ist,
von meinem Sein abhängt, dass aber auch alles, was ist, vom Sein
der Anderen abhängt — die für mich sind.
Nr. 3

SEINSVORZUG DER KONSTITUTIVEN


SUBJEKTIVITÄT. NICHTWEGDENKBARKEIT
DERSELBEN AUS DER KONSTITUIERTEN WELT
5 IN DER WELTLICHEN SELBSTOBJEKTIVIERUNG.
<APODIKTIZITÄT DES EGO UND HYPOTHETISCHE
APODIKTIZITÄT DES ALTER EGO>i
(Ende Oktober bis 4. November 1929)

Von mir aus (meiner Hier-Jetzt-Gegenwart mit ihren Horizon-


10 ten als Horizonten meines Erfahrenkönnens und seiner zeitigen­
den Modifikationen) hat Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft
ihren ursprünglichen Seinssinn, und von meinen eidetischen Ab­
wandlungen hat jede eidetisch mögliche Welt ihren Sinn als in
den Modis Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft seiende. Ich
15 decke mich mit allen meinen Möglichkeiten (Phantasiemöglich­
keiten von Könnensmöglichkeiten), dabei deckt sich meine und
meiner Welt Gegenwart mit der Gegenwartskoexistenz jeder
Möglichkeitsabwandlung meines Ich und seiner möglichen Welt,
und so in allen Zeitmodis.
20 Eine Vergangenheit ohne mein Weltleben kann ich verstehen1

1 Ausnahmsweise geben wir hier nur ein Bruchstück eines grösseren, zusammen­
hängenden Textes wieder: Es ist das Schlussstück (sechs Blätter) eines 18 Blätter
umfassenden Textes, der den Seinsvorzug der konstitutiven Subjektivität gegenüber
der Welt erörtert. Die ersten zwölf Blätter behandeln die Notwendigkeit des ego. Auf
dem Umschlag der 18 Blätter, denen noch drei Beilagen beigefügt sind, vermerkt
Husserl als Inhaltsangabe: „Seinsvorzug der konstitutiven Subjektivität. Nichtweg-
denkbarkeit derselben aus der konstituierten Welt in der weltlichen Selbstobjekti­
vierung. Notwendigkeit der Selbstkonstitution der transzendentalen konstituierenden
Subjektivität als animalisch-menschliche in der Welt. Das meiste wichtig zur Auf­
klärung der Konstitution der vorgegebenen Welt in ihren Stufen, insbesondere der
Konstitution der unendlichen raumzeitlichen Welt durch Naturhistorie und Geistes­
historie, also zur Fortführung der Lehre von der Intersubjektivität und von der
Konstitution der Gemeinwelt und der Zeitkonstitution. Auch zu Weltanschauung. —
Wichtige Gedanken, aber nicht gut in der Darstellung”. — Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 3 41

und erkennen von der Gegenwart aus, in der ich lebe und von der
ich auch die Vergangenheitsstrecke meines Lebens erkenne.
A n d e r e erkenne ich durch gegenwärtige Einfühlung „unmit­
telbar”, aber in anderem Sinne mittelbar. Das in meinem gegen-
5 wärtigen Leben motiviert auftretende Einfühlen ist in sich m it­
telbar gegenwärtigend. Die in meiner primordinal erfahrenen
Welt auftretende körperliche Leiblichkeit appräsentiert den An­
deren; ich erfahre Andere dann als erfahrende Mitsubjekte, und
in dieser Miterfahrung gewinne ich die objektive Welt als die
10 unsere: wobei Ich und meine primordinale Gegenwart diese ganze
Welterfahrung und Welterkenntnis und das Sein der Anderen
mitträgt. Das bleibt bestehen in jeder Art Welt, und zwar Welt
als prim ordinal erfahrene und Welt als objektiv erfahrene zu
erdenken, also in eidetischer Abwandlung.
15 Ist es also möglich, dass ich die gegebene Welt so umdenke,
dass sie sonst verbleibt, wie sie ist, seiende Welt, während ich
nicht wäre, nicht darin vorkäme? Umdenken kann ich die Welt
freilich in unendlich vielen Weisen. Aber ich darf nicht verges­
sen, dass jedes Umdenken eines Dinges, z.B. des Feldberges, auch
20 mich selbst als Subjekt für die und in der umgedachten Welt not­
wendig mitwandelt. Meine Welterfahrung hätte sich geändert,
mein erfahrendes und Sein in Erfahrung bewährendes Leben
kann nicht mehr so verlaufen wie vorher, das ist, wie für mich als
das wirkliche Ich. Umgekehrt: Mache ich mich direkt zum Objekt
25 des Umdenkens, so bedeutet jede Abwandlung meines erfahren­
den Lebens derart, dass die Systeme einstimmiger wirklicher und
möglicher Erfahrungen geändert würden, eine Veränderung der
ganzen Welt, die für mich seiende ist und als seiende sich fort­
gehend bewährt. Mich als gegenwärtiges f a k t i s c h e s Ich mei-
30 nes faktischen konkreten Lebens verliere ich, wenn ich die Welt­
objekte ausser mir wandle, aber ich verliere doch nicht mein Ich
als gegenwärtiges Ich der geänderten Welt. Ich bin dasselbe Ich,
ich habe nur notwendig ein anderes erfahrendes Leben. Variiere
ich die Welt völlig frei und bewege ich mich in reinen Möglich-
35 keiten, so bin ich notwendig bei allen und jeden Abwandlungen
als mitabgewandeltes Ich, und als abgewandeltes doch „gegen­
wärtiges” der „gegenwärtigen” Welt, dabei, seil, jeder fingierten.
Und dann weiter gehört die Vergangenheit und Zukunft dieser
als möglich erdachten Welt eben zu dieser Gegenwart, die die
42 .CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

meine wäre. Die Konstitution der Vergangenheiten und der zu­


künftigen Zeiten und Weltvorkommnisse ist wesensmässig von
demselben Stil und immer auf mein primordinales Ich in Ab­
wandlung bezogen so wie in der faktischen Welt meines fakti-
5 sehen Ich.
Das gilt nun freilich in gewisser Weise von jedem anderen
Menschen-Ich, das der Welt zugehört, und seinen Abwandlun­
gen. Aber nur so: Jeder Andere ist für mich Anderer, in der wirk­
lichen Welt als wirklich Seiender, in jeder möglichen Welt als in
10 ihrer Möglichkeit beschlossen als quasi seiend, und dann seiend
für mich (die Möglichkeitsmodifikation meines Ich) als „Ande­
rer”. Der Andere, den ich von meinem primordinalen Sein her in
Einfühlung, also in der bekundenden Vergegenwärtigung er­
fahre, ist für mich anderes Ich, ist so wie ich Subjekt für diese
15 Welt, diese selbe, zu der ich als Konstituierender Beziehung habe;
er ist von mir a ls Konstituierender erfahren, als solcher, welcher
von sich aus und seinem gegenwärtigen Leben aus Weltgegen­
wart und in den weiteren Wesensformen und Konstitutionsfor­
men Weltzeitlichkeit mit zeitlichem Gehalt nach Vergangenheit
20 und Zukunft konstituiert.
Hatte ich gesagt: mein Sein ist von der Welt, die ich als seiend er­
fahre, nicht wegzudenken — muss ich dann also nicht auch sagen:
des Anderen Sein, und j edes Anderen, ist aus der Welt nicht wegzu­
denken, jede erdenkliche Welt muss jeden Anderen enthalten?
25 Ist der Andere in sich Welt Konstituierender wie ich selbst
— und als solchen erfahre ich ihn —, so muss er sich doch,
wenn er meditiert wie ich selbst, einsichtig sagen: „Ich kann
mich nicht aus der Welt wegdenken, die Welt, wie immer ich sie
umfingiere, enthält mich immer wieder selbst als Umfingierten,
30 enthält mich als Ich, der ich von meiner primordinalen Sphäre
aus die und jene Dinge und irgendwelche Personen als meine
Anderen und durch sie hindurch mittelbar wieder alles Weltliche
erfahre als intersubjektiv Seiendes, als „objektive” Welt.” So
sagt sich der betreffende Andere mit Recht, denn er sieht es apo-
35 diktisch ein. Ich aber, muss ich nicht anerkennen, dass er recht
hat, kann ich nicht sein einsehendes Denken miterfahren, ob­
schon ich es freilich nicht primordinal erfahre?
Versetzt uns diese Betrachtung nicht in Verlegenheit? Über­
legen wir! Ich sage apodiktisch: Ich bin, obschon ich mich über
TEXT NR. 3 43

mich vielfach täusche. Mein Sosein enthält mancherlei, was nicht


apodiktisch ist, und doch, ich bin, und ich bin als diese Welt erfah­
rend, deren Seinsgewissheit dabei keineswegs apodiktisch ist, aber
als eingeklammerte zum Apodiktischen gehört als vermeinte. Apo-
5 diktisch ist auch, dass, wie immer ich die Erfahrungswelt fin­
giere, ich als Mensch ihr mitangehören müsste, zur Welt als Ein­
heit der Erfahrungen meines, des dabei mitfingierten transzen­
dentalen erfahrenden Ich (der Abwandlung meines Faktischen
gehört notwendig <zu> eine Abwandlung meines empirischen Ich,
10 des psychophysischen Menschen in der Welt). Der Andere, nicht
nur in seinem Sosein, sondern in seinem Sein, ist für mich nicht
apodiktisch, aber für ihn. Das besagt: Wenn ich dessen sicher
bin, dass der Andere existiert, bin ich auch dessen sicher, dass
er Selbstbesinnung vollziehend seiner als in apodiktischer Ge-
15 wissheit seiend innewerden kann. Aber dies, dass das so ist, diese
zweite Sicherheit, hängt von der ersten ab. Der Andere ist für
mich nicht schlechthin notwendig seiend, und als weltlich Seien­
der, wenn ich ihn, fortmeditierend über seine Zugehöi'igkeit zur
Welt und jeder möglichen Welt, annehme. Ich sehe ein, dass ich
20 mich hinsichtlich seines Seins täuschen kann und somit auch
über sein Sein als Welt konstituierendes und als dann notwendig
dieselbe Welt konstituierendes.
Denken wir nun an die stufenweise Konstitution der objekti­
ven Welt. „Solange” in meiner Primordinalsphäre kein Anderer
25 konstituiert ist, gesetzt, dass das wirklich denkbar wäre, wäre
meine primordinale Welt ein blosses „Gebilde” meines primordi­
nalen ego. Aber sowie ich ein alter ego als einen anderen Menschen
erfahre und in rechtmässiger, obschon nur präsumptiver Geltung
habe, habe ich eine primordinale Welt des anderen Menschen als
30 Gebilde s e i n e s ego (des transzendentalen) gesetzt. Zugleich aber
ist evident, dass hinsichtlich eines gewissen Umkreises in meiner
und seiner primordinalen Welt eine Identität besteht und dass
sich diese Identität fortpflanzt vermöge wechselseitiger Mitgel­
tung auf das Überschüssige auf der einen und anderen Seite und
35 dass so überhaupt sich eine gemeinsame Welt und nun auch als
gemeingeistige Kulturwelt konstituiert.
Ich habe jetzt zwei ego (bzw. mehrere), das meine apodiktisch
mir gewiss, in dem das andere empirisch gewiss ist, und dieses
dabei gewiss als seiner selbst apodiktisch gewiss, ferner als mich
44 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

in empirischer Gewissheit als was ich bin und für mich apodik­
tisch bin erfahrend. Ich habe entsprechend nicht zwei Welten,
sondern die eine auf die beiden ego konstitutiv bezogene Welt,
nur in der Weise, dass ich, der ich hier der mich Besinnende bin,
5 bevorzugt bleibe. Ich erfahre die Welt, die mir die Welt von uns
beiden ist, dadurch, dass ich den Anderen in empirischer Gewiss­
heit habe. Und ich erfahre sie demnach, indem ich nicht mehr
(wie wenn ich den Anderen nicht erführe) meine Primordinal­
sphäre als Welt habe, sondern diese als konstitutiv auf die pri-
10 mordinale des Anderen (durch ihn hindurch) bezogen und in der
Gemeinschaft der Weltkonstitution mit mir als Welt, von wel­
cher jeder seine Gegebenheitsweise hat, seinen primordinalen
„Aspekt”, und seine Weise, diesen durch den Anderen hindurch
zur Welt zu konstituieren. Die Welt ist nun Gemeinwelt der bei-
15 den, der beiden transzendentalen ego und der beiden wechselsei­
tig erfahrenen Menschensubjekte, und nicht konstitutives Ge­
bilde, das bloss dem einen ego zugehört, bloss zu seiner Konkre­
tion mitgehörig. Ist aber die Welt die von mir aus zwar, aber
doch von den beiden, von mir und dem Anderen (obschon dem
20 für mich als Anderer konstituierten), konstituierte und so von in-
tersubjektivem Seinssinn, so ist es ganz verständlich, dass sie
ohne diese beiden Ichsubjekte nicht sein kann und dass jedes der­
selben sich apodiktisch evident als ihr zugehörig weiss, aber dann
auch den von sich aus erfahrenen und ihm in Gewissheit geltenden
25 Anderen, und dass jedes die apodiktische Gewissheit des Anderen,
zur Welt notwendig zu gehören, übernehmen muss unter der Hy­
pothese, dass der Andere wirklich sei, dass es wirklich bei der ein­
stimmigen Bewährung seines Daseins bleiben wird.
Nehmen wir nun an, dass ich statt eines Anderen eine offene
30 Vielheit von Anderen, eine freilich offen unbestimmte, konstitu­
iert habe, dann hat natürlich auch die Welt, die ich in Geltung
habe, ihren konstitutiven Sinn bestimmt nicht nur durch meine
aktuelle Gemeinschaft mit bestimmten Personen (direkte oder
indirekte durch deren Mitteilungen etc.), sondern auch durch die
35 unbestimmten, noch als voraussichtlich in Wirklichkeit oder of­
fener Möglichkeit zu erfahrenden. Die Welt ist ja selbst eine be­
stimmte und doch offen unbestimmte, und jeder evtl, in meine
Erfahrung tretende Mensch ist nicht nur Daseiendes der Welt,
sondern mit da als transzendentales Ich, als nicht nur sich als
TEXT NR. 3 45

leibliches Ich in seiner primordinalen Welt vorfindend, sondern


als Anderer, dessen Erfahrungen für mich mitgelten, also als mit
mir in eins Erfahrender, und umgekehrt als Anderer, der sich
ebenso mit mir einig weiss. Alles Weltliche ist intersubjektiv
5 konstituiert. Die Konstitution der Intersubjektivität und inter­
subjektiven Welt ist beständig auf dem Marsch und hat einen
entsprechenden Horizont, in dem sie mir vorweg gilt als immer
noch neuen intersubjektiven Sinn mit Beziehung auf neue Ich-
subjekte annehmend. Dann ist also wieder der „jedermann” aus
10 dieser Welt nicht wegzustreichen, im voraus nicht; jedermann,
der eben Mitsubjekt für diese Welt ist, und auch jeder unbe­
stimmt in der offenen Vielheit für mich und von jedermann Antizi­
pierte.
Ich könnte auch sagen: Der Sinn der für mich seienden Welt,
15 als Welt aus meiner Erfahrung, aus meinem transzendentalen
Leben, ist ein nie fertiger, ein ins Endlose offener Sinn. Er ge­
staltet sich im Fortgang meiner Erfahrung fort, aber nicht bloss
meiner primordinalen Erfahrung, sondern auch, und in ganz an­
dersartiger Weise, durch einfühlende Erfahrung von Anderen.
20 Jede bestimmt gerichtete und sich in Einstimmigkeit haltende
Einfühlung erwirbt mir ein Mitsubjekt für die Welt und dadurch
eine auf es und seine Gemeinschaft mit mir und alle anderen Mit­
subjekte bezogene neue Sinnesvorzeichnung. Auch in dieser Hin­
sicht vollzieht sich also eine Fortgestaltung des Sinnes der Welt,
25 als Gemein weit. Aber im voraus habe ich als „reifer Mensch”, als
der ich mich besinne, schon Welt als gemeinschaftliche Welt, ich
habe immer schon nicht nur bestimmte Menschen und Tiere als
Umgebung, sondern eine offen endlose Welt mit einer offenen
Mannigfaltigkeit von m ö g l i c h e r w e i s e mitdaseienden un-
30 bekannten Menschen und Tieren, mit der Voraussicht, dass im
Lauf der wirklichen Erfahrung, der eigenen und der <der >mir be­
kannten Anderen, sich in der Tat unbekannte, neue Andere,
neue Mitträger der Sinnbildung der Welt ergeben werden. So an­
gesehen handelt es sich um eine Erweiterung der Sinnbildung
35 „objektive Welt”, der intersubjektiv konstituierten, die sich
aber im Rahmen einer immer schon vollzogenen a l l g e m e i n e n
Sinnbildung vollzieht. Es ist schon ein offener Horizont für sie
vorgezeichnet und damit ihr Allgemeinstil in der Art, wie der
Horizont unbekannter Anderer sich besetzt mit den neu bekannt
46 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

werdenden, obschon immer wieder einen offenen Horizont von


unbekannten belassend.
Jetzt versteht es sich, in welchem Sinn ich sagen muss: Ich
stehe d o c h jedem Anderen als konstituierendem Mitträger der
5 Welt gleich. So wie ich selbst, so ist auch jeder Andere für das
Dasein der Welt, derselben, die für mich die wirkliche, die objek­
tive ist, notwendig. Keinen kann ich wegdenken, ohne diese Welt
preiszugeben. Kein schon bestimmtes anderes Subjekt ist weg­
zudenken und implicite kein im offenen Horizontsinn antizipier-
10 tes, obschon unbestimmtes.
Es ist die Relativität der Sinnbildung „Seiendes” in der Welt­
konstitution nicht zu übersehen. Die erste ursprüngliche Sinn­
bildung ist die in der primordinalen Sphäre, immerfort beweglich
als das in ihr sich ursprünglich ausweisende Seiende mit seinem
15 Innenhorizont und seinem offenen Aussenhorizont von anderen
primordinal Seienden. Diese Art der Sinnesoffenheit der Konsti­
tution in Horizonten ist nur Unterlage für die höhere Sinnbildung
durch Intersubjektivität.1 Sie erweitert nicht nur die Sinnbil­
dungen des primordinalen ego, etwa so, dass, was da Seiendes und
20 Soseiendes ist und darin schon bestimmt ist, nur in den Näherbe­
stimmungen sich bereichert (die zum Teil das primordinäle ego
selbst hätte erreichen können) oder, was dasselbe ist, dass sie die
Aussenhorizonte desselben durch bestimmtes Seiendes ausfüllt,
und evtl. <durch > solches, das sonst nicht, nämlich nicht direkt-
25 primordinal, zugänglich gewesen wäre. Freilich bleibt das relativ
Seiende des primordinalen Bereichs in der Mitfunktion konsti­
tuierender Anderer erhalten als dasselbe Seiende und mit jeder
primordinal sich ausweisenden Beschaffenheit — aber nur in ge­
wisser Weise. Denn in der Vergemeinschaftung der Erfahrungen,
30 der meinen meiner primordinalen Sphäre und der eingefühlten
des Anderen, vollzieht sich zwar Identifizierung, aber doch nicht
so einfach, als ob jedes Weltobjekt und überhaupt das gemein­
same Weltfeld des Anderen in einer blossen Wiederholung der
Konstitution gegeben wäre, also alle weltlichen Realien in der
35 synthetischen Einheit der Erfahrungen des Ich und des Anderen
völlig gleich wären. Einerseits ist „Wiederholung”, ist gleiche
Konstitution von Gleichem in den verschiedenen Ich noch kei-

1 Das darf aber nicht im Nacheinander genetisch verstanden werden.


TEXT NR. 3 47

neswegs Konstitution d e s s e l b e n und so d e r s e l b e n Welt


in numerischer Identität, und andererseits konstituiert sich in­
tersubjektiv nicht nur primordinal Gleiches als dasselbe.
Also zunächst: Die intersubjektiv konstitutive Synthesis
5 schafft eine Synthesis der zunächst primordinal Seienden zu ei­
nem intersubjektiv Seienden, für welches jede Erfahrung des
einen und des anderen synthetisch mitfungiert. In dieser konsti­
tutiven Synthesis gibt es wieder — intersubjektive — Einstim­
migkeit und Unstimmigkeit. Halten wir uns an die Einstimmig-
10 keit, bzw. an das Reich des wahrhaft Seienden, so gewinnen wir
durch die Synthesis, die sich als die intersubjektive herstellt
zwischen dem, <was> in jeder primordinalen Sondersphäre in
g l e i c h e r Weise konstituiert ist (und auf dem gewissen Weg
über die zur Einfühlung ursprünglich gehörige Identitätsdek-
15 kung des Fremdleibes in meiner und des fremden Ich primordi­
nalen Sphäre zur individuellen Deckung kommt), nur einen
Kern der objektiven Welt, nämlich die gemeinsame Natur. Al­
lerdings so, dass, was der eine überschüssig konstituiert, in der
hergestellten intersubjektiven Synthesis, wie näher zu verstehen
20 ist, notwendig sich einträgt als Näherbestimmung in den offe­
nen Horizont des Gegen-Ich und umgekehrt. Zwar sind die Er­
scheinungen keineswegs identisch und so ohne weiteres austausch­
bar, es sei denn im alltäglichen Leben der „normalen” Menschen­
gemeinschaft. Es gibt ja oft genug psychophysische Anomalitä-
25 ten (Krankheit, angeborene Unterschiede der Leibessinnlich­
keit). Aber diese Relativität der „erscheinenden Dinge” auf die
Leiblichkeit, die, in der Erfahrung verfolgt, das Ding selbst als
Identisches aller solcher „Erscheinungen” konstituieren lässt, ge­
hört schon jeder primordinalen Sphäre für sich an, sie ist für
30 jedes Subjekt die gleiche. Ideal gesprochen, jedes hat seinen psy­
chophysischen Umständen gemäss dieselben Dinge in den diesen
Umständen entsprechenden Erscheinungen, und man versteht
sich wechselseitig danach, bzw. man erfährt auch in der Kommu­
nikation dasselbe seiende Ding, wo man die Möglichkeit hat, eine
35 Identifikation vom normalen Boden (den die Einfühlung selbst
gibt) <aus> durchzuführen und die Differenzen auf psychophysi­
sche Umstände zurückzudeuten. Sonst würde man sie als Un­
stimmigkeiten nehmen, die das eine oder andere der entsprechen­
den Momente als Schein zu fassen nötigen würde. Der Farben-
48 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

blinde sieht ganz richtig, nämlich seine abweichende Farbener­


fahrung ist nicht falsch, sondern gehört zu seiner „psychophysi­
schen Konstitution”. Ich würde sein Sehen nur dann als falsch
auffassen, wenn ich das „normale” Sehen der „normalen” Ge-
5 meinschaft eben als Wahrheitsnorm nehmen würde. Würde
durch eine „Krankheit” meine psychophysische Konstitution
entsprechend sich ändern, so würde ich dieselben Dinge und deren
fraglichen visuellen Eigenschaften ebenso sehen wie er. Das phy­
sische Naturding „selbst” ist in dieser Relativität, die aber nicht
10 erst der Intersubjektivität entstammt und durch sie geändert
wird.1
Anders steht es mit den Kulturbestimmungen der Erfahrungs­
welt. Sie entstammen der Intersubjektivität. Technische Werke
sind weltzugehörig, der Welt des Jedermann, nicht weil jeder für
15 sich schon sie primordinal konstituiert hätte. Eine Brücke in
ihrer allgemeinen Zweckbestimmung für jedermann ist erst
durch die Intersubjektivität da und hat eine ganz andere Rela­
tivität als die blosse Natur. Ebenso ist ein Verein, ein Volk nicht
nur in der Welt als seiend, weil ein Haufen von psychophysischen
20 Wesen in ihr sind, sondern die betreffenden Wesen sind in Ge­
meinsamkeit konstitutiv fungierende Subjekte für die Vereins­
bildung und für die Leistungen eines jeden als Vereinsmitglied,
und in der Welt des Staates durch das Recht, das wieder auf
konstitutiver Leistung der Vergemeinschaftung beruht.
25 Freilich fragt es sich, ob wir nicht eine geheime idealisierende
Voraussetzung gemacht haben, von der die ganze frappierende
Darstellung abhängig ist.
Ich habe die Existenz der Welt vorausgesetzt, die in fortge­
hender Erfahrung ist. Sie ist erfahren als eine „historische” Welt
30 (in dem erweiterten Sinn des Historischen), die ich nach ihrer
„Geschichte" befragen kann, die ich als eine nach Vergangenheit
und Zukunft unendliche erfahre; die Geschichte der Vergangen­
heit zeichnet künftige Geschichte vor.
Transzendental finde ich mich als primordinal konstituieren-
35 des Ich und mein transzendentales erfahrendes Leben bezogen
auf Andere, und diese wieder auf Andere gemäss der natürlich

1 Siehe Beilage I I : Unterscheidung von Modalisierung und Unstimmigkeit zwischen


normalen und anomalen Menschen im Konnex. — Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 3 49

erfahrenen Welt für uns. In Vorgeltung habe ich aus der Einstim­
migkeit der Erfahrung den unendlichen Welthorizont. Aber nur
durch Erfahrung bestimmt er sich innerhalb seiner vorgezeich­
neten Horizontstruktur, die präsumptiv immerfort gilt, und in
5 einer unbekannten, als an sich bestimmt vorausgesetzten Inhalt-
lichkeit.
Aber zu bedenken ist, dass Welt für mich jeweils ist als mir
mit jeweiligem Sinn geltende, relativ so und so bestimmte, und
so ist es „die” Welt, die mich affiziert und in die ich hineinlebe,
10 durch mein freies Aktleben die Inhaltlichkeit mitbestimmend.
Und ebenso für die Anderen, die selbst für mich aus Erfahrung
in einer gewissen Inhaltlichkeit geltende sind, wozu ein Bereich
ihres mitkonstituierenden Lebens gehört. Wir haben Welt in
ihrem Sosein in fortgesetzter Relativität. Wir setzen sie vermöge
15 unserer Erfahrung in einer horizontmässigen Unendlichkeit, von
der wir faktisch nichts wissen, die präsumptiv vorgezeichnet ist,
aber in den Unendlichkeiten nicht gegeben. Was für Möglichkei­
ten ergeben sich hier?
Dinge, Tiere, Menschen können Scheine sein, auch intersubjek-
20 tive Scheine. Diese bestimmen uns, und doch sind sie nicht. Wir
streichen sie aus dem Sein heraus. So ändert sich die uns bislang
geltende Welt in ihrem Seinssinn, ohne das Allgemeine des Sin­
nes (die Totalregion, könnten wir sagen, Welt überhaupt) zu
überschreiten. Danach scheint es, als ob wir aus der Welt man-
25 cherlei, und auch Subjekte, herausstreichen könnten eben in der
Art, dass, während sie uns als weltzugehörig gelten, sie es nicht
sind, ohne dass die Welt sich ändert. Nur unsere „Weltvorstel­
lung” ändert sich. Indessen, da bewegen wir uns unter Voraus­
setzung der Idee seiende Welt in dem Relativismus der vermein-
30 ten Welten in ihrer Beziehung auf die seiende. Der Schein be­
sagt, dass der Lauf der einstimmigen Erfahrung ein anderer ist,
als er aus der bisherigen Motivation und der Erfahrung für uns
vorgezeichnet war. Wir variieren aber in der Erwägung der Welt­
möglichkeiten eben möglicherweise einstimmig seiende Welt, zu
35 der wir selbst und alle unsere Wandlungen der „Weltvorstel­
lung” von „Seienden” in Scheine gehören. Halten wir an der Idee
einer seienden, also vollbestimmt-einstimmig gedachten unend­
lichen Welt fest, so sind wir alle für sie notwendig, als wirklich
in der wirklichen, als abgewandelte in der abgewandelten Welt.
50 ,CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

Wie mit Leben und Tod?


Was ist aber „ins Leben Treten”, Geborenwerden? Ist das ein
Modus des Erwachens? Gibt es Modi des Erwachens? 1) Er­
wachen vom Schlaf: Erwachen im Modus des die Wachheit mit
S einer früheren Wachheit als vergangener zur Synthesis Bringens,
2) ein anderes Erwachen als Wachheit, die keine konstituierte
Vergangenheit hinter sich hat. Was kann das transzendental be­
deuten? „Seelenwanderung” ? Kann ein niederstes Ich als ein
pflanzliches etc. verstanden sein, das noch unwach ist im mensch-
10 liehen Sinn?

BEILAGE I
<PRIMORDINALE UND SOLIPSISTISCHE REDUKTION >
<Oktober/November 1929>

Wie denke ich fingierend die Welt, die wirkliche, so um, dass irgend-
15 eines ihrer Dinge aus der abgewandelten Welt weggestrichen wäre?
Nun offenbar ist unter der Welt, die da wirklich ist, die erfahrene
Welt gemeint, und zwar so, dass jedes ihr zugerechnete Reale für mich
und jedenuann, der als Mitsubjekt zu dieser Welt gehört, Gegenstand
möglicher Erfahrung ist, aber so, dass wir nie auf Erfahrungen stossen
20 könnten, wie weit wir auch im Fortgang gingen und welche Erfahrungs­
wege wir auch einschlügen, die uns nötigen könnten, die auf dieses
Reale bezüglichen Erfahrungsgewissheiten zu durchstreichen, also das
erfahrene Reale als Schein zu entwerten.
Umgekehrt: Hiesse also das sich Umdenken der Welt in einer Art,
25 dass ein Gegenstand möglicher in einstimmiger Intersubjektivität als
seiend bewährter und sich fortbewährender Erfahrung fortgestrichen
würde, soviel, dass dieser auf ihn bezogene Erfahrungsstil geändert
gedacht würde in einen solchen, der ihn als Schein entwertet? Natür­
lich bedeutet diese Abwandlung eine Abwandlung unser aller seelischen
30 Innerlichkeit. Der Umdenkende hält sich dabei in dieser Abwandlung
identisch fest und in der abgewandelten Welt abgewandelt weiter
seiend, und er behält auch Mitmenschen als ihr weiter zugehörig, sie
ist als „objektive Welt” Welt für jedermann, was eben auf Mitsubjekte
verweist.
35 Wie nun, wenn ich irgendeinen Anderen „wegdenke” ? Natürlich ist
es ähnlich wie vorhin und nur ein besonderer Fall davon. Andere sind
für mich in der Welt in der Erfahrungsart, die gewöhnlich Einfühlung
genannt wird. Auch da gibt es einstimmige Erfahrungsbewährung und
evtl. Umschlag von Sein in Schein, und ich könnte mir also wieder
40 irgendeinen Anderen aus der Welt wegdenken. So kann ich einen nach
dem anderen wegbringen. Aber nun auch alle zumal? Natürlich mich
BEILAGE I 51

selbst als den erfahrenden Menschen kann ich nie, solange ich Erfah­
rungswelt haben soll, wegdenken; meine Gegenwart als gegenwärtig
Erfahrender, in immanenter ursprünglicher Gegenwartszeitlichkeit
weltliche Gegenwart erfahrend, leiblich sehend, hörend usw., das ist
5 ein unabänderlich Notwendiges. Aber es ist wieder zu bedenken, dass
mit der Abwandlung aller meiner Genossen in Schein die übrige Welt
nicht unverändert bleiben kann, und so vor allem ich selbst nicht, und
zwar insbesondere nicht in meinem seelischen Sein, in dem alle Erfah­
rungsmannigfaltigkeiten, die auf Andere als einstimmige bezogen wa-
10 ren und weiter präsumptiv bezogen sein sollten, radikal sich wandeln,
bzw. fortfallen. In weiterer Folge bin ich nun gründlich (obzwar ich
selbst) geändert, das ganze soziale Leben; die ganze intersubjektive
Kulturwelt ist verschwunden, obschon, was mir als Welt bleibt, die­
jenige Identität behält mit der wirklichen Welt, die der Rede <von
15 der> Abwandlung der wirklichen <Welt> Sinn gibt, ebenso wie ja auch
ich derselbe bleibe, derselbe und doch ein grundwesentlich gewandelter
(nicht geändert im Sinn einer realen Veränderung).
Bin ich eigentlich noch ein Mensch, ich, derselbe, nur sohis ipse in
einer fingierten Welt ? Und ist die Welt noch Welt in dem natürlichen
20 Sinn, die doch immer gemeint ist als Welt für jedermann und damit
schon als geistige Welt, als kultivierte? Nennen wir jede reine Wesens­
abwandlung der Welt „Welt”, so müssen wir eben bei der Benennung
bleiben. Die s o l i p s i s t i s c h r e d u z i e r t e Wel t ist n i c h t zu
v e r w e c h s e l n mi t der p r i m o r d i n a l e n Welt, oder die sol-
25 i p s i s t i s c h e R e d u k t i o n n i c h t mit der pr i mor di ' nal en
R e d u k t i o n . Denn diese ist die Reduktion dessen von der Welt, die
ich erfahrungsmässig in Geltung habe, auf das von ihr, was ich origi-
naliter erfahre und je erfahren kann. Damit reduziere ich mich auf mein
primordinales Ich als Schichte meines konkreten Ich. Zum Primordi-
30 nalen gehören alle meine einfühlenden Erfahrungserlebnisse, nicht
aber die darin wenn auch rechtmässig erfahrenen Anderen. Und ähn­
lich mit allen Bestimmungen der intersubjektiven Kultur. Allerdings
kann eine solipsistische Welt mit ihrer Raumzeitlichkeit und ihren
solipsistischen Erfahrungsrealitäten so in der Forterfahrung sich ge-
35 stalten, sich so neuen Sinn zueignen (neuen Sinn eignet jede Weiter­
erfahrung zu, aber hier ist ein Besonderes gemeint), dass in mir die
Erfahrungsmotivationen erwachsen, mit denen Einfühlungen auftre-
ten, und in der möglichen Einstimmigkeit einfühlungsmässiger Fort­
bestätigung sind dann rechtmässig Andere da, und damit gewinnt die
40 solipsistische Welt im Lauf der Forterfahrung den Sinn einer intersub­
jektiven Welt, und ich werde dann zum Menschen im gewöhnlichen
Sinn usw.
Hier wird also <in> der Verfolgung der Möglichkeiten, die in einem
solipsistischen Ich bzw. einer solipsistischen Welt beschlossen sind,
45 eine Genesis denkbar, als Genesis eines solipsistischen Ich zum Men­
schen einer Menschenwelt und der solipsistischen Welt zu einer aus ihr
werdenden intersubjektiven menschheitlichen Welt. Zu den Wesens-
52 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

möglichkeiten einer solipsistischen Welt gehört, dass sie sich dem Ich
im Fortgang seines erfahrenden Lebens enthüllt als nicht bloss solip-
sistische Welt, sondern als beschränkte Vorstellung einer intersubjek­
tiven. Oder zum Wesen des sich als solus findenden Ich gehört, dass
5 es im Lauf seines Fortlebens sich als socius von Genossen finden könn­
te.
Das könnte darauf hinweisen, dass ich und jeder Mensch eine sub­
jektive Entwicklung und letztlich eine transzendentalsubjektive haben
dürfte und vielleicht wesensnotwendig hat, in der ich mir in der tran-
10 szendentalen Immanenz meines Seins und Lebens zuerst eine, wenn
auch sehr arme, solipsistische Welt intentional aufbaue und dann wie­
der stufenweise mittels der einfühlenden Erfahrungen das Sein von
Anderen und durch sie hindurch — stufenweise — eine Welt im vollen
Sinn. Umgekehrt, nachdem diese Entwicklung stattgefunden hat und
15 ich die volle Welt als „reifer Mensch” habe, werden notwendig die
Welten unterer Stufen, die für mich als Ich unterer Stufe die allein mir
geltenden waren, zu bloss beschränkten Aspekten, „Vorstellungen”
von der einen vollen Welt, deren letztgewonnene „Vorstellung” eben
die mir aus dem voll gestaltenden Erfahrungsleben her geltende ist.

20 BEILAGE II
UNTERSCHEIDUNG VON MODALISIERUNG UND
UNSTIMMIGKEIT ZWISCHEN NORMALEN UND ANOMALEN
MENSCHEN IM KONNEX
cnach 1930>

25 1) Körper in wahmehmungsmässiger Gegebenheit für mich, für das


Einzel-Ich, in Selbstgegebenheit anschauliche Einheit in perspekti-
vierenden Mannigfaltigkeiten von „Erscheinungen” — Erscheinungs­
einheit; so für die ganze Zeit, für alle Gewesenheit als wahmehmungs-
mässige frühere Gegebenheit und als wahrnehmbar gewesene in früher
30 möglicher Wahrnehmung etc. Voraussetzung der Einstimmigkeit,
konsequenter Bewährung.
2) Körper sind für j e d e r m a n n so erfahrbar, sie sind für jeden
solche Erscheinungseinheiten, für ihn Einstimmigkeiten, konsequent
stimmende.
35 Für normale Gemeinschaften von Erfahrenden (sinnliche Normali­
tät) stimmen die Menschen im Miteinander überein. Jeder hat von sich
aus, von seiner Stelle aus (in seiner Orientierung) seine Erscheinung,
seine Erscheinungsreihe und darin Erscheinungseinheit, und jeder die­
selbe, die der Andere bei entsprechender Orientierungsänderung (Stel-
40 lenänderung) haben würde, und indem er das versteht, den Anderen
jeweils so nachversteht und das was er hat, stimmt es immerfort — für
normale Menschengemeinschaft. Für anomale stimmt es nicht. Trotz­
dem verständige ich mich mit dem Anomalen, der doch für mich bleibt
BEILAGE II 53

der dieselben Dinge in seinen Erscheinungsmannigfaltigkeiten Erfah­


rende. Ein Bestand als Kem muss gemeinsam sein und dabei das, was
raumzeitliche Form nicht nur allgemein, sondern individuell identifi­
zieren lässt. Wie konstituiert sich nun für mich Natur (dann Welt) als
5 identische Erfahrungsnatur für alle unter der Idee: dieselbe Natur sich
in intersubjektiver Einstimmigkeit darstellend, aber so, dass jeder
seine einstimmige Einheit von Naturerscheinungen hat, der Normale
seine normalen, der Anomale in seiner Anomalität ? Doch Normalität
und Anomalität sind Begriffe, die erst auf den Konnex Beziehung ha-
10 ben. Nun im Konnex stellt sich „die” Natur in einer Schichte für alle
identisch dar; oder „Austausch” der Erscheinungen, Auffassung der
fremden Erscheinungen als solcher, die ich als dieselben haben würde,
wenn ich in seiner subjektiven Orientierung, in seinen subjektiven
Umständen wäre, ist in dieser Schichte möglich und sie betrifft mit
15 das Raumzeitliche und darin insbesondere die zeiträumliche Stelle.
Was darüber hinaus geht und zur Konkretion der naturalen Erfah­
rung des Anderen gehört wie zu jeder naturalen Erfahrung (das We­
sensallgemeine ist ebenfalls ohne weiteres intersubjektiv), ist in der
Unstimmigkeit erfahren als Abweichung vom Normalen (dem, was
20 vertraute sinnliche Tradition ist). Aber diese Abweichung ist selbst
bald vorauszusehen, und ich antizipiere bald Art und evtl. Grösse der
Abweichung, ich kann dem nachgehen. Ist sein Sehen anomal, so hat
er doch Farbe, ich kann die „Farbengleichungen” aufsuchen, deren
Kenntnis mich genauer antizipieren lässt etc. Ist er ursprünglich taub,
25 so kann ich mich mit ihm in den anderen Sinnlichkeiten verständigen.
Verständigung nach gemeinsamer Welt als Natur zunächst setzt vor­
aus, dass die Anomalitäten eben doch ihren Stil haben, der eine Re­
duktion auf Normalität ermöglicht. Diese S t i m m i g k e i t und
U n s t i m m i g k e i t ist a ber wohl zu u n t e r s c h e i d e n von
30der im ei ge nen Gang der K o n s t i t u t i o n der N a t u r für
das E i n z e l - I c h und wi eder in der n o r m a l e n Verge-
m e i n s c h a f t u n g e i n t r e t e n d e n Mo d a l i s i e r u n g u n d Aus­
s c h e i d u n g von Schein.
N r. 4

PERSONALE UMWELT IN IHRER GLIEDERUNG.


<REDUKTION AUF REINE INTERSUBJEKTIVITÄT
UND REDUKTION AUF DAS EGO. ZUM ANFANG
5 DER ZWEITEN CARTESIANISCHEN MEDITATION >
(7.-9. März 1930)

<Inhalt:> Personale Umwelt in ihrer Gliederung. Die Person ihr


selbst zugehörend. Für uns, für jedermann <ist> Welt nur umwelt­
lichgegeben. Von da aus transzendentale Wendung.

10 Die Umwelt gliedert sich für jede wache Person, gemäss dem
Unterschiede der cogitationes ihres Lebens in „Affektionen
und Aktionen der spezifischen Wachheit” (derjenigen, die die
ausgezeichnete Form des ich bin affiziert, ich erfahre, ich denke,
ichtueetc. <haben>), andererseits der unwachen Hintergrunderleb-
15 nisse, 1) in das Umweltliche, das die Person gerade „angeht”, das
für sie in Betracht ist, sie beschäftigt, sie stört, Reize übt etc.,
2) andererseits das Umweltliche, das toter Hintergrund ist.
Alle wachen cogitationes haben ihre Einheit durch Zentrie­
rung im personalen Ich, und nicht nur in dieser formalen Art.
20 Das Ich hat jeweils aus der Einheit seiner Habitualität Einheit
eines aktuellen Interesses, und da es vielerlei bleibende Interes­
sen hat, so kann sich die Wachsphäre selbst wieder gliedern:
a) in das, was besondere Einheit hat durch ein aktuelles Interes­
se, z.B. was zu den Tätigkeiten des aktuell gerade lebendigen
25 Berufsinteresses gehört, für sie in Betracht kommt, beruflich
vom jeweiligen Hintergründe (dem beruflichen) affiziert und
Zuwendung erfährt, Einbeziehung in das berufliche Handeln,
oder auch nur Erwägen, Sorgen etc. b) Andererseits kann vom
Hintergründe her eine Affektion ausgehen, die das Ich als Per-
30 son eines anderen seiner habituellen Interessen weckt, was für
TEXT NR. 4 55

es z.B. als Vater, als Bürger von Interesse wichtig, bedeutsam


ist.1 Und endlich c) kann Affektion auch als blosse roheste Stö­
rung statthaben, ausser Beziehung zu irgendeinem Interesse,
wie eine Explosion, bevor noch eine Apperzeption sie „bedeut-
5 sam” macht.
Bedeutsamkeitscharaktere <sind> die intentionalen Charakte­
re, die diesen Unterschieden entsprechen. Diese Gliederung der
Umwelt betrifft sowohl die blossen Dinge derselben als auch die
animalische und die sonstige immer schon habituellen Bedeut-
10 samkeitscharakter habende Umwelt.
Die Umwelt hat immer schon ihre bleibende typische Gestalt,
apperzeptiv aufgefasst. Die Gliederung hat nicht immer die glei­
che genetische Ursprünglichkeit. Die Situationen wiederholen
sich in Ähnlichkeit, der Habitualität der Interessen entspricht
15 die nachher passiv apperzipierte Umwelt als eine Umwelt in
Bedeutsamkeiten gegliedert.12 Der habituellen Person, der Person,
wie sie jeweils „ist” (und nicht bloss zentrierender Pol ist), ent­
spricht als Korrelat die Umwelt der Person, und zwar die aktuell
erfahrene.3 „Apperzeption überhaupt” ist eine Habitualität, die
20 ihre erste Aktualisierung hat in einem erfahrenden Verstehen in
einem Blick, also zwar Erfahren, aber mit einem leeren und doch
besonderen Horizont. Das betrifft also nicht nur das „Bekannte”,
das das Ding als Ding, das Ding als Ding des Typus Pferd etc.
ausmacht, sondern auch das, wofür es in Betracht kommt, mir
25 (und auch Anderen, die selbst nur leer mit intentional sind).
Man kann vielleicht sagen: Für uns als entwickelte Menschen
hat alles schon seine Bedeutsamkeiten, ist alles von Interesse,
auch die „völlig uninteressanten” Hintergründe sind nur relativ
uninteressant, sie stehen nur ausserhalb des besonderen, herr-
30 sehenden und vielleicht beruflichen Interesses, sie gehören kei­
nerlei positivem „Lebensinteresse” zu, das zur Universalität des

1 Das in fester Habitualität Interessierende und als interessant Apperzipierte: das


Bedeutsame, mit zugehörigen Charakteren der Bedeutsamkeit.
2 Ausgezeichneter Sinn von E i g e n h e i t e n de r B e d e u t s a m k e i t : habituelle
apperzeptive Charaktere an den Gegenständen, die bleibend apperzipiert werden als
solche, die in bekannten Interessenzusammenhängen und -Situationen in Betracht
kommen und Hinsichten dieses In-Betracht-Kommens, dieses im weitesten Sinne
praktisch Beschaffenseins, an sich tragen.
3 Es ist zu beachten, wie Person und Akt (korrelativ das das Ich „Angehen”) und
Interesse in Beziehung gesetzt worden ist. Das Ichsubjekt, die Person, ist interessier­
tes Ich, und so ist Korrelat der Person die „interessante”, die bedeutsame Umwelt.
56 .CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

Lebens in der Weise einer positiven Stiftung gehört. Und trotz­


dem, alles und jedes kann gelegentlich interessant, kann brauch­
bar, kann wertvoll werden und evtl, daraufhin angesehen sein,
wie es und ob es in Betracht kommen könne, und somit hinein-
5 gestellt sein in den Gegensatz des Nützlichen und Nutzlosen,
welches ein negativer Charakter der Bedeutsamkeit ist und auch
als das apperzeptiv werden kann; und in der Tat, für den „ent­
wickelten” Menschen spielt alles Umweltliche seine Rolle, sei es
auch die negative.
10 Die konkrete „Umwelt” ist danach durchaus „bedeutsame”,
„interessante”, den personalen Interessen gemäss gegliederte und
typisierte, also Korrelat der Person selbst (die seiend ist als iden­
tische ihrer jeweils begründeten Habitualitäten). Hierbei ist
nicht bloss von Gliederung, sondern auch von Schichtung zu
15 sprechen. Was immer schon Bedeutsamkeit hat in bezug auf ge­
wisse Interessen, tritt in Betracht für andere Interessen und be­
kommt von ihnen Bedeutsamkeiten einer evtl, neuen Dimension,
so dass die Bedeutsamkeiten nicht etwa nebeneinander liegen
und sich so zur Einheit eben aus der Einheit eines Interesses
20 verknüpfen, sondern verschiedenen Dimensionen angehören.
Wir haben bisher so gesprochen, als ob die Umwelt einet Per­
son wirklich nur von ihr, einer einzelnen, her ihre Bedeutsam­
keitsstruktur hätte. Aber das ist die merkwürdige Doppelstel­
lung der Personen, dass sie einerseits Objekte der vorgegebenen
25 Umwelt sind und als das Bedeutsamkeiten an sich tragen, und
andererseits, dass sie P e r s o n e n sind, als solche sich verge-
meinschaften und nun nicht bloss einzeln, sondern in Gemein­
schaft Bedeutsamkeiten stiften. Bedeutungsprädikate von Ge­
genständen der Umwelt, der für die Subjekte einer kommuni-
30 zierenden Menschheit allgemeinsamen, verweisen in ihrem Sinne
selbst auf die bekannten oder unbekannten Subjekte, aus deren
personalen Akten diese Bedeutsamkeiten stammen. Das ein­
zelne Subjekt hat nicht nur überhaupt seine ihm eigenen Akte,
sondern private Akte gegenüber anderen, kommunikativen Ak-
35 ten, mit denen es kommunikativ fungiert. Auch ein Personen­
verband hat analog einer einzelnen Person als Verband Akte,
worunter wir verstehen die jeweilig sich in einheitlicher kom­
munikativer Funktion der beteiligten Personen verflechtenden
Akte mit dem einheitlichen Ergebnis der gemeinschaftlichen
TEXT NR. 4 57

Leistung dieser Personen. Dabei hat diese Leistung als solche


umweltliche Existenz und als umweltliche Tatsache einen Be­
deutsamkeitscharakter, der auf die betreffenden Personen und
ihre kommunikativen Akte verweist.
5 Die Vergemeinschaftung von Personen zu einer bleibenden
Gemeinschaft kann in erster Stufe aus dem natürlichen Mitein­
anderleben und aus ursprünglich instinktiven Quellen gewor­
den sein als eine Habitualität der Gesinnung und der korrelati­
ven typischen Leistung (Familie, Volk), oder sie ist in höherer
10 Stufe aus willkürlicher Stiftung entsprungen, einer Willkür, die
selbst den Sinn einer vergemeinschafteten Willkür der stiftenden
Personen hat (Verein, Staatsstiftung). Auch das ergibt mögliche
und wichtige Unterschiede: eine natürlich oder stiftungsmässig
gegründete Gemeinschaft kann entweder auf bestimmte indivi-
15 duelle Personen beschränkte oder ihrem Sinne nach eine offene
Gemeinschaft sein, eine Gemeinschaft mit Personenwechsel,
aber darum nicht bezogen auf beliebige Personen, sondern auf
solche, die durch den schon mitgestifteten Horizontsinn der Of­
fenheit dem Allgemeinen nach vorgezeichnet sind.
20 Die Konstitution der gemeinschaftlichen Welt durch altrui­
stische Erfahrung begründet es, dass jedermann eo ipso (jeder­
mann, der körperlich in sein Erfahrungsfeld tritt, altruistische
Apperzeption unmittelbar übend) all die privaten Apperzep­
tionen, bzw. die Gegenstandstypik ohne weiteres dem Anderen
25 ein verstehen kann, die er selbst schon ausgebildet hat. Zu­
nächst ist es so, dass ich den Anderen, im Falle der in Form kon­
tinuierlich einstimmiger Bewährung fortgehenden Erfahrung,
verstehen kann dahin, dass er diesen Körper dort als Leib hat
(in einer Bedeutungsstruktur der Leiblichkeit, in der gleichen,
30 in der ich schon meinen Körper als Leib erfahre), dass die sich
konstituierende gemeinsame Raumwelt dann ähnliche, auf den
Anderen bezogene private „Kulturobjekte” (Objekte aus aktiver
Leistung und mit entsprechenden Leistungsprädikaten, Be­
deutungsprädikaten) haben kann, als welche ich aus meiner
35 Leistung her, also ganz ursprünglich kenne. Die neuen Gebilde,
die aus Vergemeinschaftung entspringen, und zwar aus meiner
und bestimmter Anderer, geben dann wieder die Möglichkeit,
ähnliche umweltliche Objekte als entsprechend bedeutsame, als
geistige Gebilde ausserhalb dieses Kreises stehender Personen
58 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN’’ 1929-1930

aufzufassen, sofern sie eben solche sind, die nicht erfahrungs-


mässig von mir und meinen bekannten Genossen in Gemeinsam­
keit gebildet worden sind. Übrigens kann man auch zuschauend
das Werden einer Vergemeinschaftung durch Verabredung etwa
5 und das gemeinsame Handeln mit seinen gemeinschaftlichen Er­
gebnissen werden sehen, sofern das miteinander Reden, Verhan­
deln, an ein gemeinschaftliches Werk Gehen usw. auch seine
Äusserlichkeit hat, die sich apperzeptiv nachverstehen lässt
nach dem inneren Sinn, zunächst äusserlich apperzeptiv, also
10 ohne eigentlich anschauliches Verstehen dieser Innerlichkeit,
dann auch in solcher eigentlicher Verwirklichung des Verste­
hens.
Endlich ist zu bemerken, dass ein personaler Verband auch
darin einer Einzelperson ähnlich ist, dass er mit anderen Ver-
15 bänden, oder auch Einzelpersonen, sich verbinden kann, dass er
dann als Verband seine in Relation zu höheren Verbänden, deren
Glied er geworden ist, relativ privaten Akte hat und anderer­
seits seine kommunikativen Akte, nämlich die über den Glied­
verband hinausreichenden.
20 Das alles betrifft also auch die Personen, die als letzte Ele­
mente von personalen Gemeinschaften und zuoberst Mensch­
heiten fungieren können und fungieren: Es gehören ihnen, wo es
sich um bleibende Einheiten handelt, bleibende personale Cha­
raktere zu, und sofern sie selbst in dieser Hinsicht für sich selbst
25 und Andere erfahrbar sind, haben sie, als Gegenstände der Um­
welt (zu der die Subjekte der Umwelt, die einzelnen wie die Ge­
meinschaften, in Rückbezogenheit auf sich selbst immer auch
mitgehören), ihre personalen Bedeutungscharaktere, und ent­
sprechende Typen bezeichnet die Sprache und verwendet sie zu
30 ihrer Nennung (Beamter, und spezieller, Richter, Postbeamter
etc., Bürger, Vater etc.).
Die Gliederung der Umwelt, die uns beschäftigt hat, betraf
(wie das Wort Umwelt als Korrelatwort für Personen in Einzel­
heit und Gemeinschaft schon besagt) die Welt in ihrer typischen
35 apperzeptiven Struktur, die sie eben für die Personen hat, als
Personen, die in ihr, die in sie hineinleben, und von ihnen her
immer neue individualtypische Charaktere, Bedeutungscharak­
tere annimmt. „Die” Welt ist für sie wesensmässig nur gegeben
als Umwelt, und doch scheidet sich, und für sie selbst, für uns
TEXT NR. 4 59

selbst, erfahrungsmässig Welt selbst und Umwelt. „Umwelt”


war der universale Titel für die Objekte und ihre Objektbestim­
mungen, die in einem Horizont der unbestimmten Unbekannt­
heit erfahren oder durch Erfahrung bekannt waren. Wir hatten
5 hier rein ontisch eingestellt nicht zu sprechen von dem wech­
selnden Wie der „subjektiven” Gegebenheitsweisen dieser Onta,
der wechselnden Orientierungen und was dazu irgend gehört,
sowohl für die einzelnen Personen als für eine Vielheit sich ver­
ständigender, sofern sie dieselben Objekte in korrelativen Orien-
10 tierungen und zugehörigen korrelativen Erscheinungsweisen
(als „normale” Subjekte einer normalen Verständigungsgemein­
schaft) haben. Aber dieses ontische Universum ist selbst Uni­
versum in subjektiver Gestalt, schon darin, dass es ein Wahr­
nehmungsfeld als Zentralsphäre hat, als subjektives Gegenwarts-
15 feld und als Zentralsphäre durch Erinnerung aufweckbarer Ver­
gangenheiten und einen Horizont der Zukunft. Desgleichen, dass
dieses in subjektiv zeitlicher Orientierung erscheinende Ganze
selbst wieder, und in jeder Phase, Zentralsphäre ist für einen Ho­
rizont der Unbekanntheiten, in offener Endlosigkeit. Ferner,
20 diese Kontinuität von Gegenwartsumwelten ist selbst kompli­
zierter Struktur. Nehmen wir die jetzt aktuelle Gegenwart in
ihrem lebendigen Fortströmen in die Zukunft hinein, so ist
Rücksicht darauf zu nehmen, dass nicht nur von uns her unsere
Umwelt (jene ontische) in ihrem subjektiven Modus zwar der all-
25 gemeinen Struktur nach notwendig sich erhaltend, doch inhalt­
lich sich abwandelt, obschon wir dabeibleiben, stillschweigend
Einstimmigkeit der Erfahrung vorauszusetzen. Nicht nur, dass
neue Gegenstände bekannt werden, in der unmittelbaren Er­
fahrung oder durch Feminduktion vorgezeichnet, aus dem Leer-
30 horizont in die Gegenwartssphäre eintretend; wir selbst schaf­
fen ja durch unser Leben in das schon Vorhandene neue Gestalt
hinein.
Aber nicht nur das. Indem auch neue Subjekte uns entgegen­
treten und mit uns zur Gemeinschaft des personalen Lebens
35 kommen, und in den verschiedensten Weisen und Stufen, in
loser oder inniger Form, erwächst auch ein immer neuer Gehalt,
eine immer neue Gemeinschaftskultur, die Umwelt als „unsere”
Objektwelt bereichernd. In diesem beständigen Wandel haben
wir also immer schon intersubjektive Welt als relative Umwelt,
60 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

aber nun auch immer wieder neu (obschon <in> allgemein sich er­
haltender Wesensstruktur), und in diesem Wandel sich konti­
nuierlich konstituierend „die” Welt als die identische, während
die jeweils praktisch geltenden Umwelten subjektive Erschei-
5 nungsweisen eben d e r Welt sind. So erleben wir ja beständig
diesen Wandel und erlebten ihn vordem, aber ontisch einge­
stellt erleben wir „die” Welt, „von der” jeweils nur das und jenes
wirklich bekannt war, die aber immer ihren unbekannten Hori­
zont hatte, und das in verschiedener Weise für jeden von uns.
10 Wir, die wir theoretisch eingestellt Beschreibungen wie die bis­
herigen entwerfen, haben im Durchleben der subjektiven Modi
der Weltgegebenheit von all den verschiedenen Sinngestalten
vorweg die Einstellung auf „die” Welt, die durch diese Gegeben­
heitsweisen hindurch „erscheinende”. Wir kontrastieren als theo-
15 retisch Eingestellte beständig die Welt selbst als wahrhaft
seiende mit den Erscheinungsweisen, und in der letzten Betrach­
tung mit denjenigen, die da sich wandelnde individuelle und ge­
meinschaftliche Umwelten heissen. Gegenüber den Erschei­
nungsweisen der Orientierung und Perspektive, die wir früher
20 besprochen haben, sind die jetzt betrachteten Umwelten nach
dem, was sie an Gegenständen und auch gegenständlichen Mo­
menten der Art, wie es die „geistigen” Prädikate, die Prädikate
der Bedeutung sind, bieten, in Geltung als objektiv wirklich,
die Gegenstände gelten als Gegenstände der „Welt” selbst. Das
25 Subjektive liegt hier an den den Gegenständen und den erfah­
renen Gesamtheiten anhaftenden offenen Horizonten, anderer­
seits natürlich, wovon wir abstrahiert haben, in den ebenfalls
horizontmässig unbestimmten Möglichkeiten, dass Sein sich als
Schein heraussteilen könne, dass zwischen wahrem Sein und
30 bloss geltendem Sein unterschieden werden muss. Und für den
theoretisch Interessierten besagt das dann, dass Erfahrung der
Kritik bedürfe, bzw. dass erfahrene Welt der Bewährung be­
dürfe. Freilich ist daran lange nicht genug, da neue Probleme
der subjektiven Gegebenheitsweise und neue der Überwindung
35 dieses so vielgestaltigen Relativismus des für uns Seienden und
der endgültigen Bestimmung wahren Seins als des „Irrelativen”,
das aus diesem Relativen herauszuerkennen sei, auftauchen, wie
z.B. die Probleme der Normalität und Anomalität.
Die Welt ist nur umweltlich erfahren und nur von daher für
TEXT NR. 4 61

uns seiend — für uns seiend in all den Sinnesstrukturen, in de­


nen sie uns bedeutet, was sie bedeutet: uns, den Personen, die
selbst zur Welt gehören und wie alles Weltliche und Welt selbst
für uns Seiendes sind, das ist wieder, uns, diesen Personen, ge-
5 geben. Und wieder sagt das „uns” gegeben: wir, die wir je von
Welt reden oder auch nur wie immer ihrer gedenken, genauer, ich
jetzt und alle Anderen, die mir jetzt gegenüberstehen oder mir
als Bekannte bewusst sind, und im Unbekanntheitshorizont die
offen endlose Vielheit von mir vorauszusetzender oder möglicher-
10 weise für mich erfahrbarer und indirekt erkennbarer Personen.
Hier sind gründliche Beschreibungen nötig über die Gegeben­
heitsweise meiner Umwelt und darin derjenigen meiner Anderen,
die doch vorausgesetzt sind, damit Welt als volle objektive Welt,
als die sie mir gilt, als die sie von Anderen her Sinn hat, für mich
15 erfahrbar sein kann. Ich muss schon Erfahrbares haben, um
Andere als Andere zu erfahren, und wenn objektive Welt nur
mittels wirklicher und möglicher A n d e r e r seiende Welt ist
(wie sie immerfort für mich gilt), so kann jenes Ersterfahrbare
nur in einer Weise subjektiv sein (nämlich dasjenige, das für
20 mich das erfahrungsmässige Sein der Anderen konstituiert), dass
es noch nicht den Sinn objektiven Seins haben kann. Sage ich
also, für jedermann ist die Welt von ihm her gegeben, oder auch
sage ich, uns gemeinsam ist die Welt von uns her gegeben und
danach in umweltlichen Modis gegeben (und das gilt selbstver-
25 stündlich nicht nur für mich und uns, sondern für beliebige an­
dere Menschen und Menschengemeinschaften), so ist zu beden­
ken, dass diese anderen schon „uns” voraussetzen, und dieses
„uns” mich, der ich jetzt der mich Besinnende bin, voraussetzt.
Das Uns oder Wir erstreckt sich von mir aus zu den gegenwärti-
30 gen und vergangenen und künftigen Anderen, den für mich „ge­
genwärtigen” usw., und unter dem Titel der vergangenen zu mei­
nen Vorfahren und den unbekannten Vorfahren dieser Vorfah­
ren in der endlos offenen Generationenkette mit all den ihren Per­
sonalitäten zugehörigen Horizonten. Das alles sind Menschen in
35 der Welt, abgesehen von den auch mitzurechnenden Tieren, die
ja keine Maschinen sind, sondern personal seiende Wesen mit
ihren wiederum anders gewandelten Umwelten. Alle diese
menschlichen und tierischen Personen und Gemeinschaften sind
aber doch in der Welt, der immer vorgegebenen Welt, in der wie
62 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

sie so ihr insgesamtes Subjektives, also auch diese Umwelten als


subjektive Erscheinungen ihre Stelle haben. Aber wieder muss
ich fragen, die vorgegebene, die selbstverständlich seiende Welt,
auf deren Boden die durchgeführten Betrachtungen sich bewe-
5 gen —- w e m v o r g e g e b e n e , f ü r we n selbstverständliche?
Natürlich wieder uns. S i n d d a k e i n e R ä t s e l ? Sind nicht
menschliche Personen wie alle Objekte der Welt umweltlich
in subjektiven Erscheinungsweisen gegeben und als wahrhaft
Seiendes in der Welt immer nur durch Transzendenz gege-
10 ben, als „Erscheinendes”, das verweist auf Möglichkeiten der
Ausweisung, auf Möglichkeiten der Überwindung der relativen
Gegebenheitsweisen usw.? Hier ist also die Stelle, wo der Über­
gang auf den Boden der transzendentalen Subjektivität moti­
viert ist.
15 Wir hatten den Weg genommen: Wie ist die Welt subjektiv
gegeben, nämlich den Personen ? Wir hatten die Personen als
Thema, und das führte auf das Thema W e l t f ü r di e P e r s o ­
n e n und auf mannigfaltige Weisen, in denen für sie Weltliches
und Welt selbst subjektiv gegeben ist. Die Personen waren da-
20 bei, da wir in der Positivität die Welt schon selbstverständlich hat­
ten als seiend nicht in leerer Allgemeinheit, sondern als selbst­
verständlich konkret mit dem Inhalt seiend, der uns durch E r­
fahrung gegeben ist, Personen in dieser Welt. Im geheimen
wussten wir auch schon, dass Erfahrung allein nicht ausreicht
25 und dass Wissenschaft erst auf ihrem Grunde das objektiv wahre
Sein herausbestimmt. Also im Hintergründe setzten wir eigent­
lich — ohne jede Auslegung — voraus, dass subjektive Gegeben­
heitsweisen unter dem Titel Erfahrung es allein sind, denen wir
den Sinn Welt, obschon nur einen ersten, durch Wissenschaft
30 entsprechend auszugestaltenden, zu einem theoretischen umzu­
gestaltenden, verdanken. Wir wussten auch noch viel mehr. Die
Erfahrungswelt Hess sich befragen, und wir kamen auf die raum-
zeithch-kausale Natur, auf die weltHchen Tiere und Menschen,
auf Kultur, und dann auch auf die subjektiven Weisen, wie die-
35 sen weltiich seienden Personen alles WeltHche umweltlich usw.
gegeben ist oder „erscheint”. Das spezifisch Personale, das was
es macht, dass der Mensch nicht bloss Naturobjekt ist, sondern
eben Mensch, war das Psychische, Psychologie war die univer­
sale, auf das typisch Allgemeine und GesetzHche gehende Wis-
TEXT NR. 4 63

senschaft von den Personen, ontologisch die Wesenswissen­


schaft. Und so hatten wir unter dem Titel der universalen Per­
sonalwissenschaft thematisch: personales Leben, personales ha­
bituelles Sein, personale Umwelt und Umweltbildung, wie um-
5 gekehrt die Bildung der Personen in Hinsicht auf ihre Habituali-
täten — die Genesis ihrer Habitualitäten thematisch. Re i n e ,
i n t e n t i o n a l e P s y c h o l o g i e führte über das Reich der
eigentlichen, der kurz gesagt praktischen Personalität und ihrer
Akte auf die viel tieferen noetischen Strukturen, und so erst zur
10 konkreten Psyche-, wie sie seiend für sich selbst seiende ist. So
hatten wir die vollständige Wesensvorzeichnung für das, was
mögliche Personalität und personale Intersubjektivität konkret
ausmacht, und darin die Struktur der konkreten „Weltvorstel-
lung”, die der Welt selbst in der Positivität gegenübergesetzt
15 wird. Diese Welt selbst war die vorausgesetzte, und genauer
besehen, vorausgesetzt als nichts anderes als die in den reinen
Subjekten und ihrer Vergemeinschaftung konstituierte Einheit
der in ihr synthetisch sich verknüpfenden Stufen von „Welt­
vorstellungen” mit dem Horizont des präsumierten, immer wie-
20 der durch neue Umwelten hindurch zu identifizierenden wahren
Seins, das seiner Form nach zu umschreiben ist als die immanente
konstituierte Welt Vorstellung vom wahren Sein der Welt.
Schliesslich erwacht das Bewusstsein, dass die zunächst voraus­
gesetzte Weltpersonalität in Reinheit gefasst auch absolut setz-
25 bar sei und dass in ihr selbst die Stätte der Apperzeption und der
Bildung der Apperzeption „Welt” und „Mensch in der Welt” ist.
Wir können sagen: Aller Anfang ist Naivität, in dieser Naivität
der Betätigung der intersubjektiven Welterfahrung versuchen
wir eine Ontologie der Welt als Welt der Erfahrung. Wir können
30 mit der Natur anfangen und dann zur Psyche übergehen, das
ist, mit der Erfahrungswelt konkret anfangen, abbauen, dann
wieder von Natur abstrahieren, um rein personal vorzugehen.
Dann darf nicht wie in den Amsterdamer Vorlesungen1 ohne
weiteres zum rein Psychischen als dem ego cogito, verstanden als
35 das Letzt-Noetische, übergegangen werden, mit der Suggestion,
dass dieses schon hinreichend konkrete Betrachtungsweise sei.
Vielmehr, das nächste cogito besagt: ich lebe in eine „Umwelt”1

1 Siehe Husserliana IX , S. 302-349. — Anm. d. Hrsg.


64 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

hinein, die Akte umweltlich bezogen, aber in phänomenolo­


gisch-psychologischer Reduktion. Warum muss der Psychologe
die Welt einklammern?
Etwa darum, weil es zum Sinn der Apperzeption Mensch ge-
5 hört, dass dieses Reale in sich ist, auch wenn das, was er bewusst
hat, nicht ist oder ganz anders ist. Die Welt, in der als räum­
licher dieser Mensch, ein einzelnes Reales im Raume, ist, ist
zwar vorausgesetzt, andererseits wird im Sinne der Apperzep­
tion Mensch gefunden, dass er die Welt „vorstellt”. „Vorstel-
10 lungen” können täuschend sein, das ändert nichts daran, dass
sie selbst sind, was sie sind. So auch die Welt Vorstellung.1 Sie
ist eine subjektive Bewusstseinsweise von „Welt”, und Welt
darin hat den Sinn von dem, was das betreffende Ich erfahrend
vermeint. Genau so wird es als psychische Tatsache gesetzt und
15 das Präjudiz der Existenz dieser Welt eingeklammert.
Aber nun ist die Frage, wie hat eine reine Psychologie anzu­
fangen, wie hat sie systematisch vorzugehen? Es ist dieselbe
Frage, die in transzendentaler Einstellung erwächst, wie ja auch
in ihr vorweg das ego konkret als das jeweils „Welt vorstehende”
20 genommen werden muss, worauf nachkommend die Auslegung
dieser Welt Vorstellung zu den Umwelten, den subjektiven Mo-
dis jeder Art von weltlich Vermeintem führt. Aber wie gehe ich
wirklich vor? Modi der Anschauung (der Zeitigung). Warum
nicht anfangen mit den umweltlichen Gegebenheitsweisen, und
25 zunächst dann: Umweltliches ist in subjektiven Zeitmodis ge­
geben.
Wie steht das zu der Darstellung der Ideen und der entworfe­
nen Meditationen?

Zum Anfang in der II. Meditation, insbesondere aber zum


30 Begriff der intersubjektiven Lebenseinheit und der intersubjektiven
„immanenten" Zeit, sowie der intersubjektiven Raumorientierung

Es ist wichtig, folgendes hervorzuheben:


Wenn ich die Welt ästhetisch-ontologisch als Welt der E r­
fahrung auslege, so heisst das, aus meiner und unserer Erfah-
35 rang, als Welt für jedermann, der mit jedermann irgend sich1

1 Besser doch der Rückgang von dem. erfahrenen Realen auf die Erscheinungs­
weisen — daran kann dann auch der Verweis auf mögliche Täuschungen geknüpft
werden.
TEXT NR. 4 65

verstehend auch erfahren muss: „Was ich erfahre und was jeder
Andere erfährt als Welt ist dieselbe mit derselben Struktur etc.”
Ist dann weiter die Frage, wie ist eine Welt, und in Hinsicht
auf alle die hervorgetretenen ontologischen Strukturen, in wel-
5 dien subjektiven Gegebenheitsweisen wesensmässig gegeben,
so ist das rein psychologisch gefasst die Frage: Ich erfahre in
mannigfaltigen Erfahrungen Welt in eins mit Anderen, die ich
mit als in dieser Welt Seiende erfahre. Was ist rein in diesem
immanenten Leben der Intersubjektivität erfahrene Welt als
10 solche, und in welchen subjektiven Gegebenheitsweisen und Syn­
thesen ist notwendig erfahrene Welt als sich für mich konsequent
bewährende gegeben? Hier komme ich sofort bei mir selbst auf
meine subjektive Zeitlichkeit als Form meiner Phänomene.
Aber ich komme auch auf das Wir und u n s e r e Erfahrung,
15 u n s e r e Erfahrungswelt, u n s e r e Phänomene von dieser sel­
ben Welt für uns, unsere Synthesen in Vergemeinschaftung,
unsere gemeinsamen Umwelten als gemeinsam identisch er­
fahrene und ihren Wandel und ihre synthetischen Einheiten
in der Gemeinsamkeit, jedes selbst ein Phänomen von unserer
20 identischen ontologischen Welt. Andererseits die Unterschei­
dung der egologischen Wahrnehmungswelt eines jeden und de­
ren Synthesis aus „Erscheinungen”. Jede gemeinsame Umwelt
(in ihrer eigenen Relativität als blosse intersubjektive Welter­
scheinung) synthetische Einheit aus den egologischen Phänome-
25 nen etc.
1) Meine reduzierte Welt, Welt rein als Welt m e i n e r Er­
fahrung kann besagen: die mir ontisch aus Erfahrung, und rein
aus Erfahrung und ihren Phänomenen sich ausweisende Welt,
und zwar so, dass ich dabei die Erfahrung der Anderen in Mit-
30 geltung habe und somit sage: meine Welt reiner Erfahrung ist
unsere Welt reiner Erfahrung.
2) Ich kann auch sogleich fragen: Die Welt (in ihrer ontolo­
gischen Struktur) ist für uns allem voran Welt aus unserer (ge­
meinschaftlichen) Erfahrung. Nehmen wir sie reduzierend rein
35 als in u n s e r e n Erfahrungen in der Mannigfaltigkeit subjek­
tiver Erscheinungsmodi vermeinte und synthetisch durch Ein­
stimmigkeit der Bewährung selbstgegebene und zu gebende Ein­
heit.
Hier ist nun-zu beachten: Wir reduzieren auf das W ir in sei-
66 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

ner Gemeinsamkeit des Lebens als Weltlebens und der darin auf­
tretenden weltkonstituierenden Phänomene und haben dann
eine i m m a n e n t e g e m e i n s a m e Z e i t d i e s e s W i r —
Wir-Gegenwart, Wir-Vergangenheit, Wir-Zukunft.
5 Es ist dabei v o n v o r n h e r e i n d i e I n t e r s u b j e k t i v i ­
t ä t al s e i n e r e i n g e i s t i g v e r b u n d e n e E i n h e i t , die
alle reinen Subjekte in sich fasst, der Erfahrungsboden für alle
Beschreibungen, nur naiv, ohne dass sie thematisch und beschrie­
ben würde, und sie ist dabei gefasst als das Universum alles und
10 jedes Subjektiven und so mit allen relativen Umwelten und
schliesslich der darin in der universalen Synthesis der subjekti­
ven Weltphänomene erfahrenen (im Erfahren beständig als
Idee der identischen Wahrheit an sich präsumierten, aber auch
bewährten) ontologischen Welt — die evtl, als „Weltvorstel-
15 lung” figuriert.
Dabei ist es wichtig, dass die Intersubjektivität, in dieser
Weise rein psychisch gefasst, wesensmässig mit einer intersub­
jektiven immanenten Zeitform konstituiert ist, als universale
Form für alles intersubjektiv Subjektive. Wir haben also 1) für
20 jedes ego seine eigene egologisch reduzierte immanente Zeit, so­
zusagen seine private, und in ihr sich darstellend die immanente
Zeit und Zeitfülle subjektiver Phänomene jedes anderen ego.
2) Wir haben in jedem ego sich darstellend die intersubjektive
Synthesis, und jedes kann die Intersubjektivität selbst als rei-
25 ne vorfinden und beschreiben; jeder in seiner immanenten Ge­
genwart findet diese in Deckung mit der Gegenwart jedes An­
deren und beschlossen in der Gegenwart als intersubjektiver.
Diese merkwürdigen Verhältnisse betreffen natürlich auch die
immanenten zeitlichen Ge h a l t e . Jedes ego hat sein primordi-
30 ales Weltphänomen, bzw. seine primordial reduzierte seiende
Welt, sich als Einheit mannigfaltiger primordialer Darstel­
lungen konstituierend, in der Form einer festen Orientierungs­
räumlichkeit eine „objektive” Räumlichkeit, egologisch-objek­
tive. In der Synthesis der Vergemeinschaftung wird jede solche
35 primordial seiende Welt zum Phänomen, zur Gegebenheitsweise
derselben intersubjektiven Welt. Dabei hat jede ihre primordiale
Gegenwart (und damit egologisch immanente Zeitlichkeit über­
haupt) . Aber alle diese primordialen Gegenwarten gehören in die
eine intersubjektiv konstituierte Gegenwart, sie sind intersub-
TEXT NR. 4 67

jektiv zugleich jetzt. Ferner, es konstituiert sich intersubjektiv


eine gemeinsame Heimwelt, eine gemeinsame Umwelt. Hinsicht­
lich der R ä u m l i c h k e i t gilt, dass jede egologische Raumstelle
zur intersubjektiv identischen wird. Jede ist für jedes andere ego
5 anders orientiert, weil jeder Leib ein anderer Leib ist (also kein
gemeinsames Hier entsprechend dem gemeinsamen Jetzt). Und
doch hat auch die Intersubjektivität die seiende Welt orientiert
— intersubjektiv orientiert. Jede Gemeinschaft hat in jeder Ge­
meinschaftsgegenwart ihren Gemeinschaftsort, der räumliche
10 Lokalität hat, aber kein Punkt ist {in der momentanen Gegen­
wart), sondern für die Familie, für die Stadt etc. der „Wohn­
ort”, für das Volk, den Staat das Territorium etc., für die Mensch­
heit die Erde. So ist die intersubjektive Welt in intersubjektiven
Umwelten zeit-räumlich orientiert erscheinend. Die objektive
15 Zeitform hat ihr Korrelat in der intersubjektiv konstituierten
Form der Zeitigungsweisen; der objektive Raum in den inter­
subjektiven Raumorientierungsweisen. Objektive Zeit-Räum­
lichkeit und objektive Welt selbst ist eine I d e e . Was sich
„wirklich” jeweils konstituiert, ist eine relative Objektivität, so
20 wie schon die primordiale oder gar die immanente Zeit der
Empfindungsdaten etc. Immer neue Stufen relativer Konstitu­
tion, immer neue Horizonte — zuletzt die oberste Idee.
Nach den letzten Ueberlegungen werden wir sagen:
Die universale Deskription der Welt rein als Welt der Erfah-
25 rung und in eins mit der Deskription der Welterfahrung selbst,
der subjektiven Modi, in denen sie für die erfahrende Subjektivi­
tät erfahrene ist, kann in doppelter Weise Vorgehen:
1) Wir fragen: Wie erscheint u n s die Welt, die wir mitein­
ander erfahren und gemeinsam in unserem Weltleben immerfort
30 dieselbe erfahrene Welt haben? Wie beschreibt sie sich in den
ontologischen Wesensstrukturen, in denen sie notwendig für uns
die gemeinsam seiende ist? Und wie erscheint sie modal? Sie er­
scheint uns „umweltlich”, jeder hat seine Umwelt, und in der
Gemeinschaft haben wir gemeinsame Umwelt, jede Sonderge-
35 meinschaft hat die ihre. In diesem Wandel besteht aber bewusst-
seinsmässig Einheitsbeziehung auf „die” Welt. Welche Typik
besteht hier, welche Wesensstrukturen im einzelnen und in der
Synthesis, welcher systematische einheitliche Aufbau? Wir, die
wir zur Welt selbst gehören, sind selbst in wechselnden subjek-
68 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN’' 1929-1930

tiven Modis, in denen von der Erfahrungswelt für uns, mitbe­


schlossen. In welchen Erscheinungsweisen erscheine ich mir
selbst, und wie scheide ich: was mir erscheint „primordial” und
was schon das Für-mich-erscheinen der Anderen voraussetzt
5 etc.? Wie sehen die Erfahrungen aus, denen ich das Für-mich-
sein Anderer verdanke und damit des „Wir”, das in seiner Kon­
kretion das gesamte Erfahrungsleben und Weltleben ausmacht,
in dem seiende Welt beständig vorgegeben und gegeben ist und
seiende Welt als unser praktisches Feld.
10 2) Wir stellen wieder die ontologische Auslegung der Erfah­
rungswelt, die die unsere ist, voraus. Statt aber auf die Weisen
einzugehen, in denen sie uns gemeinsam, und zwar in gemeinsa­
men Modis der Relativität und so überhaupt „subjektiv” gege­
ben ist, fragen wir sogleich zurück: Die Welt unserer Erfahrung
15 ist allem voran zunächst Welt m e i n e r Erfahrung, die Anderen,
die Miterfahrenden, sind für mich selbst schon weltlich gegeben,
verschiedentlich erscheinend in subjektiven Modis. Ich reduziere
auf das Ich und die cogitationes, aus denen Welt für mich ist, und
frage, w ie sie das ist. Ich reduziere also sofort auf das primor-
20 diale ego, frage dann, wie es zum sozialen ego wird, und wie die
sich für es bewährende Gemeinschaft, in der jede Einzelperson
meinesgleichen ist und für welche alles gilt, was für mich gilt,
zur gemeinschaftlichen Welt erfahrend kommt, welche Typik
intersubjektiver Erscheinungsmodi und intersubjektiver Syn-
25 thesen höherer Stufe etc.

Doppelsinn von Immanenz und immanenter Zeit

1) Für das ego sprechen wir von Erlebnissen, von Akten, von
Empfindungsdaten, Auffassungen, Affektionen etc. im „ur­
sprünglichsten Zeitbewusstsein” sich immanent zeitlich kon-
30 stituierend. Wie kam ich darauf? Nun, geleitet von der sensua-
hstischen Psychologie; ich suchte auf das Eigene des ego zu re­
duzieren, auf dasjenige Leben, das transzendental mein ist, aber
nicht betroffen wird, ob das gemeinte Transzendente ist oder
nicht ist, Schein ist etc.
35 Epoch6 hinsichtlich der objektiven Welt — aber die objektive
Welt ist in subjektiv relativen Transzendenzen gegeben, die in
diesem Ausgang nicht sichtig sind und auch nicht „transzen­
TEXT NR. 4 69

dental reduziert” werden, nämlich auf das sie konstituierende


Subjektive.
Also darauf muss doch Rücksicht genommen werden. Dann
komme ich letztlich freilich auf einen „Bewusstseinsstrom” und
5 seine immanente Zeitform (abgesehen von Ichpol und Habitu-
alität).
Das betrifft dann auch die Intersubjektivität; wir haben das
intersubjektive reine Leben als immanente Sphäre.
2) Wenn wir aber a l l e s Subjektive in eins nehmen, und zu-
10 nächst alle relativen Transzendenzen, so gewinnen wir eine im­
manente Sphäre in einem neuen Sinne und eine immanente Zeit­
form für sie, z.B. die Zeitform für die subjektiven Umwelten in
der Intersubjektivität (so wie wir auch in der egologischen Sphäre
schon subjektive Transzendenzen finden).
15 Diese Unterscheidung ist wichtig für die Lehre von der phä­
nomenologischen Reduktion. Von der Intersubjektivität aus­
gehend, kann man intersubjektive Reduktion etablieren, indem
man die an sich seiende Welt einklammert und so die Reduktion
auf das Universum des Intersubjektiven durchführt, das alles
20 Einzelsubjektive in sich befasst. Dann ein zweiter Schritt, Reduk­
tion auf das intersubjektiv letztkonstituierende Leben, den inter­
subjektiven „Erlebnisstrom”, die Vergemeinschaftung aller ego­
logischen.
Wenn man gleich auf egologische Phänomenologie ausgeht:
25 1) Reduktion auf das Subjektive, aber dann zu beachten, 2) dass
subjektive Objektivitäten eben noch subjektiv sind und auch neu
Reduktion erforderlich ist.
Nr. 5

<ZUM PROBLEM DER INTERSUBJEKTIVITÄT IN


DEN „CARTESIANISCHEN MEDITATIONEN” >
<wohl 1930>

5 <a) > Der Gang von der phänomenologischen Reduktion.


Ad Erste Meditation, evtl, als letzter Rückblick
Die transzendentale Epoche ermöglicht, heisst es, „transzen­
dentale Reduktion”.1 Worauf wird reduziert? Hier besteht eine
Z w e i d e u t i g k e i t . Die Epochö macht zugänglich das Univer-
10 sum des transzendentalen, des absoluten Seins, eine neue Welt
von Individuellem, von zeitlichen Individuen, ein Reich einer
neuen, der transzendentalen Zeitlichkeit, und macht es zugäng­
lich zunächst in Form einer t r a n s z e n d e n t a l e n E r f a h ­
r u n g , die den Geltungsboden herstellt für theoretische (und
15 praktische) Mittelbarkeiten. Indem das Ich in der Epoche (das
sie als universale vollziehende) 12 es ist, für das diese Erfahrung
besteht, das sie theoretisch vollzieht, aber auch passiv durchlebt,
das auf Grund dieses erfahrenden Lebens, eines transzendentalen
Lebens, ein weiteres theoretisches Leben, das beschreibende etc.
20 Tun übt, haben wir also unter dem Titel des Transzendentalen
zu unterscheiden: a) zwischen dem Subjektpol der transzendental
erfahrenden und sonstigen Akte, überhaupt dem ganzen kon­
kreten Leben, dessen Pol dieses Ich ist, b) und dem Reich des
Transzendentalen, auch das Transzendentale der alter ego, das
25 innerhalb dieser Konkretion —■innerhalb des konkreten ego —

1 Vgl. Cartesianische Meditationen (Husserliana I), § 8. — Anm. d. Hrsg.


2 Die Epoche, ich erinnere daran, ist nicht ein einmaliger Aktus, sondern eine
durch einen Aktus im Modus des „überhaupt” gestiftete Habitualität, immer wieder
in Epochd zu sein und in ihr ausschliesslich transzendentale Akte zu vollziehen. So
ist Einheit des „transzendentalen Lebens in der Epoche” universal über das jetzt
■wirkliche hinaus als universaler Möglichkeitshorizont gestiftet.
TEXT NR. 5 71

zur Erfahrung und Erkenntnis kommt oder kommen kann.


Zum transzendentalen ego gehört auch die mögliche reflektive
Erfahrung, wodurch es sich selbst und seine transzendentalen
Erfahrungen und sonstigen Akte erfahren und erkennen kann.
5 Ebenso seine primordial reduzierte Welt. Nehmen wir diese Er­
fahrung hinzu in ihrer Wiederholbarkeit hinsichtlich der jeweils
vollzogenen reflektiven Akte in reflektiv höherer Stufe (wodurch
das transzendentale ego als identisch dasselbe fortgesetzt reflek­
tierend und neuen Gehalt aus sich selbst her annehmend erfah-
10 ren wird), so unterscheidet sich als Reich der transzendentalen
Erfahrenheiten: 1) Das ego selbst als das Transzendentale, in dem
alle Erfahrungen und alles Denken <liegt>, durch welches (als
Ich der transzendentalen Epochö) alles, was überhaupt tran­
szendental für es existiert, intentional beschlossen ist. Sein eigenes
15 wirkliches und mögliches (vermögliches) Leben ist es, worin die­
ses selbst und alles überhaupt transzendental Seiende bewusst
wird und im besonderen erkannt. 2) Dasjenige Transzendentale,
das evtl, im ego zur Erfahrung und auf Grund der Erfahrung zur
Geltung kommt, w as es a b e r n i c h t s e l b s t ist , was ihm
20 „transzendent” ist. Wiefern wirklich dergleichen Transzendenz
transzendental im ego erfahrbar sein kann und erfahren wird, und
dann notwendig als ein anderes transzendentales ego und eine
offene Allheit von solchen ego’s als „Monaden”, das ist vorweg
nicht ausgemacht.
25 Es handelt sich jetzt nur tun einen formal von uns als denkbar
vorgezeichneten Unterschied. Evident ist im voraus nur, dass,
wenn überhaupt nach der Epoche das Ich der Epochö als Ich
eines erfahrenden Lebens (und zwar eines transzendentalen, das
ist, eben setzbar nach und in der Epochö) übrig ist, wir notwendig
30 auf diese formale Scheidung kommen.
A m A n f a n g weiss ich noch nichts von einem „konkreten
ego” oder meiner Monade (gegenüber anderen) als einem zusam­
menhängenden endlos offenen Erfahrungsfeld, als Zugangsfeld
einer „Welt” absoluten Seins. Es scheint zunächst: Sicher kann
35 ich dessen sein, dass ich die Enthaltung von allen Vorgegeben­
heiten, Vorurteilen, Vorgeltungen auch über die mir geltende
Welt der Erfahrung ausdehnen kann, die mich selbst, diesen
Menschen unter anderen, einschliesst.
Nun setzt mich aber gleichwohl diese Epochö in Verlegenheit.
72 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

Wie kann ich sagen, „ich enthalte mich jeder für mich bestehen­
den Geltung, ich enthalte mich des Glaubens hinsichtlich des
Seins der Welt überhaupt und meiner selbst, dieses Menschen”,
da doch in der Aussage „ich enthalte mich” das Ich als sich so
5 enthaltendes liegt? „Ich” heisst doch „ich, dieser Mensch”. Ich
stosse auf die Apodiktizität der Aussage „ich bin”, und es muss
nun die Frage aufgeworfen werden, wiefern dies nicht mit jener
Universalität der Epoche streitet, die mich einbegreift, oder in­
wiefern ich, sie mit dem Sinn der Universalität vollziehend, dessen
10 evident werden kann, dass ich mich als Menschen (als darin be­
schlossen) ausser Geltung halten kann (als blosses „Phänomen”),
da ich mich, dasselbe Ich, als das die Epoche vollziehende apo­
diktisch in Geltung setzen muss. Ist das verträglich, so wäre ich
nach der Epoche nicht das Ich der (natürlich-weltlichen) „Selbst-
15 erfahrung”, das in ihr beständig vorgegebene, auch nicht eine
Komponente, ein Bestimmungsstück des Gehalts dieser Vorgege­
benheit, und wäre doch im voraus schon dabei, und bei allem
Weltlichen dabei als das Ich, für das Vorgegebenheit besteht.
Doch das sind im Anfang unklare Reden. Soviel kann ich aber
20 wohl sagen: Die Weltepochö als ein allgemeiner Enthaltungssatz,
Enthaltung vom „Satz” des Seins der Welt, ist zu Anfang in
folgendem Sinn eine evidente Möglichkeit: Ich mache die Über­
legung, dass ich in meinem wachen Leben kontinuierlich Raum­
weltliches erfahre, wahrnehmungsmässig anschaulich habe und
25 in diesem Erfahren beständig (= habituell) einen universalen
raumzeitlichen Welthorizont habe, d.L, ein für mich seiendes,
mir als seiend geltendes Universum „raumzeitliche Welt” vor­
gegeben habe. Das ergibt mir diesen universalen „Satz” Welt, die
für mich immerfort seiende. Und diesen allgemeinen Satz (Ge-
30 neralthesis) als eine universale kontinuierlich fortgehende
Seinsgewissheit, als die ich in meinem Leben immerfort hatte
und haben werde, wie ich gewiss bin, als durch meine Lebenszeit
hindurch verharrende einheitliche universale Gewissheit, unter­
ziehe ich der Epochö. Das kann ich ohne weiteres in der Form,
35 die in der sehr unbestimmten Überschau über das mir vorgege­
bene Sein der Welt erwächst. Aber habe ich damit die Möglich­
keit der unbedingt universalen Epochö (und Ich-Reduktion),
die Möglichkeit im Sinn der wirklichen Vorstellbarkeit meines
unbedingt universalen Lebens als beständig diese Epochö durch-
TEXT NR. 5 73

führenden dargetan? Ich beanspruche zudem noch, erfahren und


urteilen zu können und jedenfalls mit dem „ich enthalte mich...”,
„ich bin” anfangen zu können. Ich gehe a u s meinem Sein und
Leben in der natürlichen Vorgegebenheit und Ingeltunghabe
5 ü b e r in das Sein und Leben in der universalen Epochö. Ist das
möglich? Gewiss ist die Epoche und das setzende Leben in der
Epoche als Epoche hinsichtlich des allgemein-unbestimmten, un­
explizierten Satzes möglich; aber ist sie noch möglich, wenn ich
sie zugleich explizit als totale, also auf alle Welteinzelheiten er-
10 streckte und konsequent bleibende durchführe? Das ist doch zu
schnell und sehr wenig einleuchtend.
1) Generaithesis, vorausgesetzt die explizite (logisch-univer­
sale) Konstitution der Welt als „Universum” ; 2) ist diese Mög­
lichkeit in einem Akte der Totalitätskonstruktion gewährleistet,
15 so auch die Epoch6 als universale; 3) dann die Frage: was bleibt
erfahrbar, denkbar etc.

<b) > Besonders ad Fünfte Meditation. Der Gang von der


phänomenologischen Reduktion
Nach der Epoche wendet sich der Blick zunächst auf das
20 „transzendentale Phänomen W elt” oder das transzendental
konkrete Erlebnis des Weltbewusstseins, dessen Ich nun das
transzendentale Ich ist, und zwar das in phänomenologischer
Reduktion stehende, phänomenologische Aktionen übende (Phä­
nomenologie treibende). Zunächst phänomenologische Erfah-
25 rung in theoretischer Absicht und auf diesem Boden Deskription
mit den zugehörigen begriffs- und urteilsbildenden Akten.
„Reduktion auf transzendentale Subjektivität”, das wird sich
als z w e i d e u t i g erweisen. Die in der Epoche setzbare Subjek­
tivität wird zu verstehen sein als „meine monadisch eigene”, des
30 phänomenologisierenden Ich monadisch eigene Subjektivität,
und als die in dieser sich erschliessende transzendentale Inter­
subjektivität.
Versteht man unter Subjektivität das primordial konkrete
Ich, den Ichpol als Pol seiner wirklichen und möglichen Akte und
35 konkret eins mit diesen, somit als Pol seines Erlebens und des von
diesem Unabtrennbaren, so haben wir als parallelen Begriff den
der konkreten Intersubjektivität als Allheit der primordial kon-
74 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

kreten Ich, deren Leben einerseits verteilt ist nach einzelnen


konkreten Ich, andererseits „verbunden” ist, sofern die Intentio­
nalität eines jeden konkreten Ichlebens in sich intentionale
Mittelbarkeiten trägt, und solche, die nicht nur in die Breite des
5 konkreten Ichlebens reichen und ihm Einheit geben, Einheit
monadisch immanenter Präsenz und immanenter monadischer
Zeitlichkeit, sondern auch transzendierende Einheit intersub­
jektiver Präsenz und intermonadisch-allmonadischer Zeitlich­
keit konstituieren. Wir können daher auch sagen: Der funda-
10 mentale Unterschied, der hier zwischen Primordialität und Inter­
subjektivität spielt, ist i n n e r h a l b des für mich in der tran­
szendentalen Epoche Setzbaren und in konsequenter Erfahrung
Ausweisbaren: zwischen 1) der an sich e r s t e n universalen Zei­
tigung, durch die die konkrete Einheit (die Ganzheit) „meine
15 Monade” konstituiert ist, 2) der fundierten Zeitigung, durch die
Kompräsenz konstituiert ist, die Kon-präsenz einer anderen und
überhaupt anderer Monaden und die Kon-temporalität ihrer mo-
nadischen (und für sie primordialen) Zeiten mit meiner Gesamt­
zeit; in weiterer Folge die wechselseitige Kon-temporalität der
20 für mich seienden Monaden als Monaden, für die die meine selbst
wieder kontemporal ist (im weiteren Sinn koexistiert). Wirhaben
damit „transzendental-objektiv” eine Monadenwelt, in der Ein­
heitsform einer Zeit, „in” der alle Monaden sind, deren jede ihre
Zeit hat, die sich der Allzeit einfügt. Jede Monade hat ihre
25 strömende Präsenz, in der implicite geborgen ist die gesamte In­
tentionalität ihrer Vergangenheit und Zukunft. Natürlich ist die
Präsenz als Einheit, und als Einheit im Strömen, Einheit einer
Urassoziation und der ihr eigenen intentionalen Mittelbarkeiten,
kontinuierlich einig. Auf dem Grund kontinuierlicher Einigung
30 sind auch diskrete Einigungen (Fernassoziationen) konstituiert.
Jede Monade hat innerhalb ihrer erfüllten primordialen Zeit auch
Einfühlungserlebnisse, durch die hindurch die Konstitution der
Kon-temporalitäten, der fremden Monaden, geht.

<c) >Zur Fünften Meditation


35 Ich muss scheiden: die jetzt transzendental-phänom enolo-
g i s i e r e n d e Subjektivität (als wirkliches ego — Monade) und
die transzendentale Subjektivität s c h l e c h t h i n ; diese erweist
TEXT NR. 5 75

sich als die transzendentale Intersubjektivität, welche die tran­


szendental phänomenologisierende in sich fasst.
Ferner, die jetzt transzendental phänomenologisierende Sub­
jektivität ego erkennt sich selbst hinsichtlich ihrer Vergangen-
5 heit, in der sie nicht transzendental phänomenologisierende war,
aber doch transzendentale Subjektivität, und sie erkennt auch
in ihrer transzendentalen Fremderfahrung andere ego’s als nicht
phänomenologisierende (evtl, aber auch gelegentlich als das),
aber als transzendentale ego’s.
10 Zum transzendentalen ego gehört die universale transzenden­
tale Erfahrung als sein erfahrendes Leben, und diese Erfahrung
ist einerseits transzendentale Selbsterfahrung, in der ich als in
der Reduktion lebendes transzendentales ego mich selbst und
m e i n intentionales Leben und das darin Intentionale als solches
15 erfahre und erkenne; darin als nicht immanent zeitliche, sondern
ihr gegenüber ideale Einheit die Welt rein als Welt meiner prim­
ordialen Erfahrung. Andererseits ist sie transzendentale Fremd­
erfahrung und durch diese hindurch transzendentale Erfahrung
von der Welt als objektiver.
20 Welchen Sinn hat es, von einer transzendentalen Erfahrung
von der Welt zu sprechen? Das hiesse doch, in der Einstellung
der Epoche die universale Welterfahrung und Weltwissen und
Weltleben überhaupt vollziehende Subjektivität, diejenige, in der
alles Weltliche Seinssinn hat, zum Thema machen und darin,
25 als darin konstitutiv Mitbeschlossenes, zum Mitthema machen
die in diesem universalen Leben konstitutiv vermeinte und aus­
gewiesene und dann auszuweisende We l t . Das ist aber doch gar
nichts anderes als die Welt des Lebens, die darin bald richtig,
bald falsch, bald mythologisch, bald wissenschaftlich positiv
30 vermeinte und geltende Welt, nur eben a ls solche, d.i. vom tran­
szendentalen Zuschauer gesehen, und gesehen als konstitutive
Einheit der transzendentalen monadischen Subjektivität. Eine
andere haben wir nicht und kann niemand haben, ein anderes
hätte keinen Sinn. Die Epoche eröffnet überhaupt die transzen-
35 dentale Erfahrung in ihrer offenen Unendlichkeit, eröffnet das
transzendentale All des Absoluten, das transzendentale Monaden­
all m it allem darin transzendental Konstituierten.
Das alles ist darin bei entsprechender Erfahrungsrichtung
transzendental erfahren oder erfahrbar; und so die Welt als
76 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

transzendental konstituierte. Sie ist die Welt natürlicher Einstel­


lung für das natürlich eingestellte Ich (und Wir); aber die natür­
liche Einstellung und die natürlich eingestellte Subjektivität
überhaupt mitsamt ihrer Welt ist in der transzendentalen univer-
5 salen Erfahrung, in deren universalem Horizont beschlossen, und
in ihr kann der transzendentale Bück sich richten auf natürlich
Weltliches und Welt überhaupt der natürlichen Einstellung, und
so ist sie selbst es, dieselbe, von der wir je sprachen, die tran­
szendentales Erfahrungsthema wird und nun verständlich wird
10 in ihrem vollen und absoluten Seinssinn als transzendentale
Leistung der transzendentalen Intersubjektivität, und von ihr
selbst unabtrennbar, eben als in ihr selbst vollzogene und verblei­
bende Leistung, und zwar als eine in ihr sich ausbildende und
in Stufen der Relativität sich kontinuierlich bewährende I d e e
15 als Korrelat einer präsumptiven und doch geltenden, in ihrer
Weise evidenten Unendlichkeit von Vorzeichnungen in immer
neuen relativen Bewährungen.
Das ergibt einen Doppelsinn: 1) Welt in natürlicher Einstel­
lung als die Welt, in der ich und jedermann evtl, in der Anony-
20 m ität des Transzendentalen lebt; evtl, hat in der ganzen Mensch­
heit niemand Epoche je vollzogen. 2) Die Menschheit ist tran­
szendental erwacht, hat transzendentale Selbsterkenntnis er­
rungen und damit transzendental ihr eigenes Sein in Natürlich­
keit und Welt in dieser Natürüchkeit thematisch gemacht.

25 <d) > Reflexion ad Fünfte Meditation


Das „konkrete” Ich (die durch Primordiaütät konstituierte
Monade) und die konkrete (im zweiten Sinn konkrete) Inter­
subjektivität als „verbundene” Mannigfaltigkeit der konkreten
Ich, verbunden dadurch, dass in meinem Ichbewusstsein, in mei-
30 nem intentionalen Leben andere Ich mit ihrem Leben bewusst
sind, und in Mitgeltung bewusst sind und bewährt sind als in
i h r e m Bewusstseinsleben auf mich und mein Leben bezogen, also
ihrerseits mit mir „verbunden”. In dieser intentionalen Durch­
dringung wird für mich das von den Andern Bewusste zugäng-
35 lieh, mein Bewusstsein ist intentional bezogen auf das fremde
und durch dieses hindurch auf das in diesem Bewusste, und u m ­
g e k e h r t , wobei auch diese Umkehrung, dieses auf mich und
BEILAGE III 77

mein Bewusstes zurückbezogene Bewussthaben des Anderen mir


bewusst wird, so d a s s m e i n B e w u s s t s e i n i m K r e i s
d u r c h d a s i n i h m s i c h e r s c h l i e s s e n d e f r e m d e zu
s i c h s e l b s t z u r ü c k k e h r t , und so evtl, eines jeden Bewusst -
5 sein, wie ich und jeder erkennen kann.
Die transzendentale Intersubjektivität ist die f ü r mi c h sei­
ende, mein transzendentales Leben ist geschichtet, die Grund­
schichte ist die erste „Konkretion”, das „zusammenhängende”
Leben in „ u n m i t t e l b a r e r ” Intentionalität, die Schichte der
10 Primordialität. Aber was heisst hier Unmittelbarkeit und was
Mittelbarkeit? Zunächst haben wir den Begriff: Mittelbarkeit
der intentionalen Implikation — Bewusstsein von etwas als
Bewusstsein, das auf und durch ein Bewusstsein von etwas
geht, was sich iterieren kann. Aber das gilt schon von der Erin-
15 nerung, von jeder „Vergegenwärtigung”. Was ist der Grund­
charakter der intentionalen Mittelbarkeit des höheren Ranges,
welche die Primordialität übersteigt? Also was zeichnet die Ein­
fühlung aus? Wie kann eine monadisch konkrete Gegenwart eine
konkrete Mitgegenwart anderer Monaden setzen? Wie kann eine
20 Primordialität eine zweite setzen? Es kommt alles auf den Be­
griff der Primordialität an und den des darin sich erschliessenden
„Fremden”, der Mittelbarkeit des Bewusstseins vom Fremden
als eine Mittelbarkeit, die weder bloss symbolische Indikation
ist, noch blosse Vergegenwärtigung, die ja solche von Eigenem
25 sein kann.
Was kann davon gleich im Anfang seine Rolle spielen?

BEILAGE III
<D IE ZWEIFACHE THEMATIK NACH DER TRANSZENDENTALEN
EPOCHE >
30 <wohl 1934>

Ist es nicht eine zweifache Thematik, welche zunächst „naiv” an­


fängt als das Erfassen und Auslegen des transzendentalen ego, wie es
sich zu An f a n g nach Einsatz der transzendentalen Epoche bietet,
und dann zweisclüchtig wird, in Fundierung: Die Forschung fordert
35 1) einerseits Konstitution der Monadenwelt durch Mitsetzung der
alter ego’s und ihrer Prünordialitäten, 2) andererseits Reflexion auf das
phänomenologisierende Ich und sein Tun.
78 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1929-1930

1) Ich als Welt und mich als Menschen-Ich in Geltung habend habe
schon Mitsubjekte, Mitmenschen, in Geltung in offener Unendlichkeit.
Durch Reduktion ergibt sich, dass ich, das transzendental reduktiv
verwandelte Ich in ständigem Vollzug ein Geltungsleben habe, worin
5 für mich andere t r a n s z e n d e n t a l e Subjekte in Geltung sind. Die
Reduktion der Welt auf das Weltphänomen ergibt hinsichtlich meiner
Reduktion meines Menschen-Ich das ego, das als urmodales ego seine
alter ego’s in offener Unendlichkeit in Geltung hat, in Geltung setzt.
Dass Andere als transzendentale erst gesetzt werden müssen, nachdem
10 ich die Setzung ego vollzogen habe, ist selbstverständlich. Die Setzung
- ego führt weiter in der Weise, dass ich zunächst die mannigfaltigen
Akte vollziehe und als transzendental meine in Anspruch nehme, an­
gefangen von der Setzung des Weltphänomens und all dessen, was
seine Auslegung in Einstellung der Epoche macht usw. Auch diese
15 Setzungen sind schon später gegenüber der ersten leeren Setzung: ego.
Nun umschreibe ich die Primordialität — die gesamte Intentiona­
lität, die mir, dem Ich, eigen ist, als die ich aktuell oder potentiell voll­
ziehe, ich, ihr identischer Pol; sie ist als mein Leben und was in ihm
ausschliesslich erworben ist.
20 Dazu ist zu bemerken: Ich in der natürlichen Weltlichkeit habe
Weltbewusstsein und Selbstbewusstsein mit dem Sinn, selbst in der
Welt zu sein. „Gerichtet” bin ich nur gelegentlich auf mich, in der re­
flexiv-aktiven Selbstwahrnehmung. Aber hegt es nicht im Wesen jedes
reflexiven Aktes, dass er den geraden als vorgängig voraussetzt, dann
25 ebenso der reflexive zweiter Stufe einen reflexiven erster Stufe usw.
Und dazu ist weiter gehörig: Jeder Akt setzt voraus Affektion; das,
worauf er hin sich richtet, ist schon im Bewusstseinsfeld, unerfasst:
das hintergründliche Anschauliche oder Unanschauliche. Das Anschau­
liche braucht nicht wahrgenommen zu sein —- aber als erinnert führt
30 es auf Wahrnehmung, frühere Wahrnehmung zurück; als nicht erin­
nert, aber anschaulich, führt es mittelbar auf Wahrnehmung; das Un­
anschauliche — auch das <führt> wieder in anderer Weise auf Wahr­
nehmung, bzw. als Erinnerung.
Ferner, alle Hintergrundakte setzen früher entsprechende gerade
35 Akte voraus als in Hintergrund verwandelte. Alle reflexiven Akte wer­
den zum Erwerb, reflexives Bewusstsein muss schon erworben sein.
Das alles ist rohe Rede: Wege der Zurückführung als Entfaltung
einer Genesis. Ich komme zurück auf ein Ich, das noch keine Reflexion
vollzogen hatte, noch kein Selbstbewusstsein als Akt, aber auch als
40 Hintergrund Selbstbewusstsein hat, auf eine Uraffektion und eine Ur-
hyle als affizierende etc.
Mache ich die Abstraktion von Anderen und von allem, das durch
sie Sinn gewinnt, so gewinne ich das primordiale Feld. Abgestellt sind
alle darüber hinaus reichenden Vermögen. Kann ich aber Selbstbe-
45 wusstsein haben aus einer Selbstreflexion, als „Ich ohne Andere” ?
II

TEXTE AUS DEM ZUSAMMENHANG DER


VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES"
SOMMER 1930 BIS FRÜHJAHR 1931
Nr. 6

ZUR LEHRE VON DER FREMDERFAHRUNG.


<ANSCHAULICHE UND UNANSCHAULICHE
ERFÜLLUNGSGESTALT DER FREMD WAHRNEHMUNG >
5 (August 1930)

Der Mensch in der Welt, ich selbst als Mensch in der Welt:
Das in der natürlich-normalen Welterfahrung gegeben und sich
bewährend. W ie i s t d e r M e n s c h i n n e r h a l b d e r be ­
s t ä n d i g e r f a h r e n e n W e l t al s E r f a h r u n g s o b j e k t
10 u n t e r a n d e r e n g e g e b e n ? Ich, der diesen Menschen M
Erfahrende, habe mein Wahrnehmungsfeld — die Welterfahrung
in Form der Erfahrung der Welt als sich mir in dieser Wahrneh­
mungsgegenwart für mich selbst darstellend, darstellend mit
dem Sinn „objektiv raumzeitliches Universum von Realitäten”,
15 von denen in diesem Feld direkt wahmehmungsmässig gegeben
sind die und jene „Dinge” und Dingzusammenhänge, darunter M.
Jedes Reale, das ich wahrnehme, erfahre ich mit einem gegen­
ständlichen Sinn, von dem nur eine Seite in eigentlicher Wahr­
nehmung dargestellt ist. Im Wandel der Wahrnehmung kommen
20 immer neue Seiten zu wirklicher Selbstdarstellung, im Fortgang
also lerne ich den Gegenstand immer besser kennen bzw. komme
auf früher schon Bekanntgewordenes zurück. Dabei verbleibt
identifiziert-identisch das „Allgemeine” dieses gegenständlichen
Sinnes, das erfahrene Individuelle als solches als das, was be-
25 kannt wird und immer genauer sich bestimmt. Dem Allgemein­
sten nach ist mir dies da bekannt eben dadurch, dass ich es mit
dem gegenständlichen Sinn, etwa Stein oder Organismus etc.,
wahrnehme, und zwar als dieser Stein etc. Dem Allgemeinen
nach weiss ich, wie es sich benehmen wird, wie es aussehen muss,
30 welche Schichten von Merkmalen es zeigen muss, welche Ver­
änderungen es annehmen wird oder annehmen kann. Dieser M
82 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

<nach> seinem körperlichen Sein hat darin seinen gegenständ­


lichen Sinn, aber nur beschlossen im gegenständlichen Sinn
„Menschenleib” und „Mensch überhaupt”. Wie erfahre ich, wie
nehme ich wahr diesen M hinsichtlich seiner spezifischen Mensch-
5 lichkeit ?
Ich erfahre z.B. seinen körperlichen Teil „Hand” als Organ
Hand, als das, was M zum Tasten, zum Greifen, zum Stossen
„gebraucht”, ebenso sein „Auge” als Organ, als das, w o m i t er
sieht,.das er so und so bewegen kann, wodurch Dinge, die von
10 dieser oder jener von seinem Auge <aus> zu ziehenden Richtungs­
linie getroffen werden, ihm „,zu Gesicht kommen”. Ich erfahre
in dieser Art den Menschen als in seinem Leib waltenden und
ähnlich als bei Berührung etc. von aussen her empfindenden und
die berührenden Dinge erfahrenden und von da aus Weiteres
15 und immer Neues, das zum M seinem gegenständlichen Erfah­
rungssinn nach gehört und was über ein sonstiges körperliches Sein
und körperliche Beschaffenheiten hinausgeht.
Ich frage nun: Wie weit reicht die „eigentliche” Wahrnehmung
in Hinsicht auf dies alles, was den Menschen über das Körper-
20 liehe hinaus in dem spezifischen Sinn zum Menschen macht, zu
dem, der in diesem Körper „psychisch” waltet und in bezug
auf ihn ein mannigfaltiges „Vermögen” hat, der in ihm sein Organ
des psychischen Wirkens hat und des psychischen Leidens, bzw.
in ihm mannigfaltige und doch psychisch vereinheitlichte Organe
25 sonderheitlichen Wirkens und Leidens hat, eines Wirkens auf die
ihn umgebenden Dinge, Realitäten, und auch auf sich selbst als
Ding der Welt, bzw. des Affiziert- werdens, des Leidens von ihnen,
wobei diese umgebenden <Dinge>, sofern sie unmittelbar „wahr-
nehmungsmässig” von ihm betroffen werden, eben für diesen
30 Menschen in seinem jeweiligen Wahmehmungsfeld liegen, allen
voran der eigene Leib selbst, der unmittelbarst betroffen <ist>,
wodurch die äusseren Beziehungen des Wirkens und Leidens
vermittelt sind. Es handelt sich also hier zunächst um ein
„Psychophysisches”, das Verhalten des Wirkens und Leidens des
35 M zu seiner Umwelt als von ihm selbst psychisch bewusster.
Ich, der psychologisch, anthropologisch Erfahrende und For­
schende, erfahre den M a ls Umwelt erfahrend, als Umwelt in
sonstigen Weisen bewusst habend, als sie erfahrend, während er
in seinem Leib in gewissen Weisen affiziert wird und in ihm aktiv
TEXT NR. 6 83

wirkt, wobei sein jeweiliges vermittelndes Organ in gewissen


Weisen in räumlicher Stellung zu den betreffenden Objekten ist
usw.
Wie erfahre ich nun dieses Psychophysische des M, und zwar
5 das, was dabei erfahren ist über das Physische hinaus, das ich
seinerseits direkt, in originaler Leibhaftigkeit, wahrnehme? Den
Menschen dort wahrnehmend, und Schritt für Schritt in Son­
derheit wahrnehmend, finde ich hinsichtlich des Körpers das, was
dazugehört, einzelweise wirklich und eigentlich in Sonderwahr-
10 nehmungen wahrnehmbar ist, auch die momentan unsichtbaren
Seiten. Wie steht es mit dem „Psychischen” und je nachdem
’’Psychophysischen” ? Der Mensch in seiner von mir erfahrenen
körperlichen Stellung sieht das Haus, das ich auch sehe, von
einer anderen Seite als ich, einer für mich jetzt nicht sichtbaren.
15 Das sage ich, weil ic h es „sehe” . Aber was fällt in meine eigent­
liche Wahrnehmung, wenn ich so aussage? Doch nicht des A n-
d e r e n Sehen, und Sehen der anderen Seite, bzw. jenes Hauses
in der Gegebenheitsweise als Haus von der Seite, die doch dem
M zugemeint ist, während ich dasselbe Haus als Haus von der
20 andern Seite wahrnehme. Lhid habe ich keine eigentliche Wahr­
nehmung, habe ich dann eine anschauliche Vergegenwärtigung?
Wahmehmend sehe ich den Menschen M und ihn sehend „ver­
stehe” ich als Bestandstück dieser Wahrnehmung sein Gerichtet­
sein auf jene andere Seite, sein psychisches Hinsehen etc. Ich
25 sehe nicht nur seinen Körper, sondern ich erfahre dabei seine
Körperlichkeit, seine Stellung, die seiner Augen, das Mienenspiel
des Gesichts etc., ich erfahre den körperlichen A u s d r u c k al s
A u s d r u c k von einem Seelischen, ich erfahre das Körperliche
als bedeutsam und in seiner psychischen Bedeutung.
30 Es ist also ebenso wie im Sprechen die gehörten Wortlaute
verstanden werden in ihrem Sinn, und dann auch geschrieben
nicht nur als visuelle Zeichen etc. Dieses Verstehen, wie gesagt,
ist hier nicht nur ein Annex meiner Wahrnehmung des M-Kör-
pers, sondern meine Wahrnehmung von M: Solange „Wahrneh-
35 mung” den normalen Sinn behält, muss ich hier von Wahrneh­
mung sprechen. Ein Gegenstand, irgendein Reales heisst wahr­
genommen, wenn ich ihn „unmittelbar” evident bewusst habe,
als selbstgegenwärtig, im Original vor mir, mir gegeben. Ich
nehme Menschen wahr, ich kann sie nicht erdenken als direkter
84 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

erfahren, als ihrer in ihrer selbsteigenen Gegenwart mir bewusst,


als wenn ich sie so erfahre, wie sie leiden und leben. Aber nun
merke ich, dass das „Seelenleben” des Anderen, dass überhaupt
das, was ihn zu einem Menschen und nicht einem blossen Körper
5 für mich macht, bloss „bedeutungsmässig” gegeben ist — „bloss
bedeutungsmässig”, das ist, keineswegs „eigentlich” wahrge­
nommen. Nichts vom Psychischen, weder das Psychische im
ganzen, die fremde Person, das personale Leben in irgendwel­
chen Einzelgestalten, irgendein Leiden und Tun, irgendein
10 passives Erscheinendhaben — nichts davon ist in Sonderheit
wahrgenommen.1 Kann Psychisches „wirklich” wahrgenommen
werden ? Natürlich sage ich, ja. Nur nie das des Andern, vielmehr
nur mein eigenes.
Aber noch mehr. Fremdes Psychisches kann ich mir doch
15 anschaulich machen, obschon nicht wahrnehmungsmässig, so
doch in Form a n s c h a u l i c h e r Vergegenwärtigung. Ich kann
es, aber ich muss es nicht, und im allgemeinen tue ich es auch
nicht. Ja, es ist leicht einzusehen, dass das unanschaulich­
bedeutsame Verstehen jedenfalls vorangeht dem die schon ge-
20 meinte und in der Fremdwahrnehmung fungierende Bedeutung
Anschaulich-machen. Das gilt für jede Appräsentation.
Im wahrnehmenden Verstehen der Anderen haben wir origi­
nale Wahrnehmung, und in der Originalität sich konsequent be­
stätigende, hinsichtlich des Fremdleibes in seinen verschiedenen
25 naturalen Eigenheiten, die seitenweise selbst vortreten (frei­
lich in ihrem Selbstsein f ü r m i c h und nicht in dem „objektiven
Sinn”). Und im Gang dieser uroriginalen Wahrnehmung sich
wirklich durch originale Erfüllung bestätigend sind mitverfloch­
ten „Auffassungen”, „Bedeutungen” . Diese, im Fortgang der
30 „Wahrnehmung” des Anderen, haben ihren eigenen Stil des
Stimmens und Nichtstimmens, also sie laufen im ersten Fall fort
als Erfüllungen, nämlich für das wirkliche Dasein des Psychischen,
das sie „bedeuten”, das aber doch nicht selbst zu originaler, zu

1 „Bedeutungsmässig” ist Gegenwärtiges mitpräsentiert (appräsentiert). Aber


diese Appräsentation kann nie zu wirklicher Präsentation werden so wie diejenige
einer Rückseite etc. (S. 87 f. ergänzt).
TEXT NR. 6 85

eigentlicher Wahrnehmung kommt. Das bedarf natürlich der


Aufklärung.1
Auch wenn eine Dingwahrnehmung im Modus der Einstim­
migkeit fortschreitet, bestätigt sich nicht nur die auf das beson-
5 dere kommende Seitenmoment bezüghche „Bedeutung” mit
ihrem Eintreten, sondern das Sein des immerfort wahrgenom­
menen Dinges selbst in allen seinen ins Endlose doch nur vorbe­
deuteten Seiten. Also im beständigen Wandel des Gesamt­
horizontes und der in ihm hegenden gesamten Setzungen hegt
10 ein Erfüllungsprozess, diese Setzungen verlaufen selbst erfühungs-
mässig, und zwar dadurch, dass die eigenthche Erfüllung (die
aber ihrerseits noch Komponenten der Leerintention hat) in
ihren beschränkten Beständen stilgemäss verläuft. Darin wurzelt
Horizonterfüllung. Die eigenthche Erfüllung ist zugleich Er-
15 füllung der G e s a m t Wahrnehmung in ihrer Gesamtbedeutung.
Sie ist nicht isoliert.
Bei der F r e m d Wahrnehmung ist die Körperwahrnehmung
nicht isohert, sondern nur abstraktiv herauszulösende Schichte
der ganzen Fremdwahrnehmung. Sie ist kontinuierlich be-
20 deutsam in der Weise des A u s d r u c k s : Die Erfüllung geht
so vonstatten, dass das jetzt Ausdrückende, damit ein Psychisches
zur Setzung bringend, eben dadurch einen neuen Ausdruck for­
dert, also im Körperhöhen eine neue Erscheinungsstruktur als
nun bedeutsam, und wenn im Körperhöhen nun etwas für mich
25 originaliter eintritt, was dieser Forderung nicht gemäss ist, so
ist die Setzung aufgehoben. Die beiden Schichten greifen also in­
einander, oder die erste Appräsentation, die körpermässige, ap-
präsentiert stetig Psychisches, diese rückwärts gerichtet apprä-
sentiert stetig Körperhches.
30 Aber nun ist die Frage, ob es bei dieser Art Erfüllung, die
wir in der psychischen Schichte als leere Indikation (leere Ap­
präsentation) dachten, sein Bewenden haben kann. Wie weit
kann ein leeres Verstehen des Anderen als leere gegenwärtigende
Setzung „aufgrund” der Wahrnehmung des körperhchen Leibes
35 reichen? Fordert nicht alle „wirklich” erfahrende Fremdwahr-

1 Z w e i s c h i c h t i g k e i t de r E r f ü l l u n g d e r F r e m d w a h r n e h m u n g .
Unterschichte der Erfüllung: Prozess und Erfüllungshorizont der blossen Körper­
wahrnehmung. Demnach ist die Apperzeption, bzw. die k o n t i n u i e r l i c h e A p ­
p räsentation zweischichtig.
86 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

nehraung eine a n s c h a u l i c h e Vergegenwärtigung (die „ein­


fühlende”, ein verstehende) ? Ist es nicht ähnlich wie bei der
w i e d e r e r i n n e r n d e n Wahrnehmung? Ich sage z.B.: Ich sehe
(nach Jahren) die Stadt wieder, es sind noch die alten Strassen,
5 da und dort sehe ich neue Häuser, sehe, dass die Kirche neu
restauriert ist etc. Ich nehme wahr — das jetzt Gegenwärtige,
diese Strassen etc. erfahre ich als teils unverändert, teils ver­
ändert, das Wiedererkannte verweist auf früher Gesehenes in
dem sonst wiedererkannten Zusammenhang, aber da ist ein
10 „anderes”. Da laufen auch die Motivationen von der Wahrneh­
mung in die Erinnerung und von dieser zurück in die Wahrneh­
mung. Ich vollziehe aber keine wirklich anschauliche Wieder­
erinnerung, ich bleibe im Unanschaulichen. Günstigenfalls
brechen Moment-anschauungen, Bruchstücke durch.

15 Zwei Erfüllungsgestalten der Fremdwahrnehmung,


die zugleich Erfüllungsstufen sind

Jedenfalls werden wir sagen müssen, Fremdwahrnehmung hat


z we i E r f ü l l u n g s g e s t a l t e n , die zugleich E r f ü l l u n g s ­
stufen sind. In der ersten unterbleibt die Anschauung, in der
20 zweiten tritt sie zum leeren, sich im Gang bestätigenden Verste­
hen hinzu. Es ist nachzuweisen, dass d i e s e eigenartige Verge­
genwärtigung in der Tat den Andern als Andern mir zur ur­
sprünglichsten, zur wahmehmungsmässigen Gegebenheit bringt,
ähnlich wie die Wiedererinnerung mir meine Vergangenheit als
25 Anschauung im „Wieder” zur Gegebenheit bringt.
Dabei ist die Schichtung in der Fremdwahrnehmung, und
zwar der Wahrnehmung des anderen Ich und seines psychischen
Lebens, zu beachten und zunächst zu studieren: Der naturale
Kern, sein Leibkörper, hat eine erste Bedeutungsschicht unter
30 dem Titel „Leib als Organ” und somit ein e r s t e s P s y c h i ­
s c he s , eben das „organisierende”, d a s d ie L e i b e s t e i l e al s
O r g a n e b e s e e l e n d e I c h .1 Diese Schichte ist nun fundierend
für das volle psychische Subjekt. Es ist das Ich, das seine Um-

1 Das Ich ist nur so weit in dieser „Schichte” appräsentiert und im übrigen von
dieser Appräsentation her unbestimmt, obschon von vornherein Anderer, anderes Ich
appräsentiert ist: „meinesgleichen”.
TEXT NR. 6 87

weit hat, bzw. sich auf eine, auf diese Welt bezogen weiss, in
gewissen jeweiligen Erscheinungsweisen, das sich zu ihr als per­
sonales Ich umweltlich verhält und längst verhalten hat, das
als das seine Überzeugungen, seine Gewohnheiten, seine Zwecke,
5 seine Mittel hat, das von früher her seine Erwerbe hat und auf
sie jeweils und öfters zurückkommen kann etc.
Zunächst verstehe ich den Leib als Leib und diesen in eins
mit dem Wahrnehmungsfeld, in dem der Andere leiblich ist,
und das um diesen herum orientiert ist. Das verstehe ich von mir
-10 aus und meinem Wahrnehmungsfeld, in dem jener Leib dort
die Bedeutung hat eines Analogons meines Leibes, wie wenn ich
dort stünde etc.
Darauf baut sich dann der höherstufige Sinn, d.i. den noch
unbestimmten Ichsinn (über das Bestimmte der unteren
15 Schichte) nun näher bestimmend. Es ist offenbar, dass in dieser
höheren Schichte die Vorbedeutungen öfters einer „wirklichen”
Ausweisung bedürfen. Aber das muss doch genauer studiert wer­
den.

Ergänzende Ausführungen

20 [Zur Wahrnehmung eines Realen derart wie ein Mensch, ein Tier
gehört als wesentliche Komponente das Mitbedeuten von Psy­
chischem, aber nicht eine anschauliche Vergegenwärtigung des­
selben. A b e r wa s i s t d a s de s n ä h e r e n f ü r e i n , , Mi t be­
d e u t e n ” ? Ein Mitgegenwärtigen (Appräsentieren) soll es sein,
25 wodurch das Psychische ja mit dem Körperlichen in eins selbst
da ist. Appräsentation in der Schichte der Dingerfahrung hin­
sichtlich der Rückseite. Aber da ist der Fortgang der Erfahrung
als fortgehende Bewährung, Erfüllung der wahmehmenden
Meinung, Erfüllung durch Sonderwahrnehmung, das Appräsen-
30 tierte verwirklicht sich durch Präsentation, es stellt sich als es
selbst dar. H i e r aber gilt das nur vom Körper, nicht aber für
sein Seelisches. Was hat das aber für eine merkwürdige Weise
der Bewährung? M ist wirklich ein Mensch, der Körper verän­
dert sich körperlich in einem Änderungsstil, der immer wieder
35 Mannigfaltigkeit des A u s d r u c k s und Einheit eines G e s a m t ­
a u s d r u c k s ist, jeder neue Ausdruck stimmt mit dem vorigen,
88 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

die Einheit der „Bedeutung” „menschliche Person” bleibt inne­


gehalten.
V e r g l e i c h e n wi r m i t s p r a c h l i c h e n A u s d r ü c k e n .
Indem ich den Ausdruck verstehe, habe ich in gewisser Weise
5 auch eine Wahrnehmung, die Wahrnehmung des Wortes, des
Satzes als bedeutsamen Ausdrucks. Aber es kann eine Trugwahr­
nehmung sein. Indem ich „verdeutliche”, sehe ich, dass die Teil­
bedeutungen nicht wirklich eine Einheit der Bedeutung ergeben.
Was kann das besagen? Die Einzelbedeutungen weisen vor, sie
10 haben Horizonte und müssen in ihrem Verlauf Erfüllungszu­
sammenhänge haben. Wie wir wissen: Ein anderes soll sein das
Verwirklichen in der Einheit eines möglichen Urteils, das wider­
spruchslos sich Vereinigen, dasjenige, in dem die Thesen zur Ein­
heit einer Thesis Zusammenhängen, das „Sich-denken-können”
15 in dem Sinn des „ U r t e i l e n k ö n n e n s ” (und so überhaupt
Einheit einer möglichen Stellungnahme Vollziehenkönnens);
und dann erst als Weiteres und Neues die Einheit einer Selbst-
gebung, einer Evidentmachung der „Meinung”, des Ausdrucks,
der ausdrücklichen Meinung: ist sie „Wahrheit” oder „mögliche
20 Wahrheit” ?i
Da ist natürlich verschiedenes noch zu ergänzen. Ich „apperzi-
piere” ein Sinnliches „als Ausdruck”. Es kann sein, dass es „zu­
fällig” wie ein Wort, wie ein algebraisches Zeichen etc. aussieht
und ich es so mit Bedeutung verstehe. Unterschied: Ich erfasse
25 diese „Zufälligkeit”, ich phantasiere mich dann hinein, es ist
dann nicht wirklich ein Wort, ein Ausdruck, sondern es ist, als
ob es ein Wort wäre. Ein Wort ist wirklich nur Wort als gespro­
chen, als geschrieben, gedruckt mit der Absicht, dass es ver­
standen wird, was dann wieder verschiedene Wandlungen an-
30 nehmen kann hinsichtlich des Intendierten. In einem Wappen
ein Wahlspruch besagt eben: Das gehört zum Wappen dieses
Geschlechts, als Wahlspruch dereinst gestiftet und von Anderen
auf diese Situation zu beziehen. Oder Vorschrift einer Warnungs­
tafel vor Beschreiten einer Wiese oder Druck auf dem Stück Papier
3 5 — es ist <eine> Zeitung, also Zeitungsnachricht” oder Unter­
haltungsanzeige etc. oder wissenschaftliche Mitteilung, Lehr­
buch etc. Die Situation wird aufgefasst, bestimmt oder bleibt1

1 Die bekannte „Dreischichtung” !


TEXT NR. 6 89

unbestimmt, die Worte haben „denselben Sinn” für die ver­


schiedensten Situationen und den Situationssinn, aber doch
wieder den Sinn abwandelnd, z.B. wie ein Satz, den ich
ausspreche als mein Urteil, und „derselbe”, den ein Anderer aus-
5 spricht. Derselbe Satz als Wappenspruch, derselbe in einem Ge­
bet, in einem wirklichen und <in> einem Roman etc. Beziehung
auf wirkliche und bestimmte Personen oder auf eingebildete
oder auf die „Stadt”, die nämlich durch ihre Funktionäre den
Satz als Verordnung ausgegeben hat, und in dauernder Geltung
10 und mit der Adresse an die voraussichtlich gelegentlich Vorüber­
gehenden etc.
Da haben denn oft die V e r a n s c h a u l i c h u n g e n ihre Er­
füllungsrolle zu spielen, aber inwiefern eine notwendige? Ich
verstehe etwas sofort, ich lese das Zeitungsblatt, lese weiter —
15 es organisiert sich die Einheit der zusammenhängenden Bedeu­
tung in ihren Gliederungen. Aber plötzlich vermisse ich die Deut­
lichkeit, das Verständnis ist vage geworden, ich lese die letzten
Zeilen nochmals. Nun wird es deutlich. Ich kann wiederholen
„im Belieben” und erkenne dieselbe Einheit, dieselbe Bedeutungs-
20 einheit im wiederholten Verstehen. Urteile ich mit, so ist es das­
selbe Urteil, eine und dieselbe Meinung, Überzeugung, die die
meine ist. Aber freilich kann nun fraglich werden: Ist das wahr,
ist das überhaupt möglich? Ich habe zunächst mitgeurteilt, aber
dann melden sich innere Widerstände, „es stimmt nicht mit dem
25 oder jenem früheren Urteil”, das noch das meine ist. Welches ist
nun „richtig” etc.?
Wir haben einen Wandel der „Bedeutung” des Sinnes, der
sich auf die Situation bezieht, auf die bedeutungsbestimmende
Subjektivität etc., wobei aber die Worte in sich selbst eine
30 „Bedeutung”, eine und dieselbe haben, die durch den Wandel
nicht leidet. Wir haben hier also Zweideutigkeit der Rede von
Sinn oder Bedeutung und damit auch verschiedene Richtungen
der Ausweisung, der Bewährung.
Wir haben eben verschiedene miteinander verflochtene, inein-
35 ander fundierte intentionale Leistungen im Zusammenhang der
Intersubjektivität. Wo immer ichliche Intentionalität in Funk­
tion ist, haben wir Gerichtet-sein-auf, aber auch intentionale Zu­
sammenhänge und Zusammenhangshorizonte, und Bewusstseins­
leben ist immerfort ein Fortschreiten von Intention zu Erfüllung
90 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

in sehr verschiedenem Sinn. Wahrnehmung geht in Wahrneh­


mung über, aber dabei gehen die Vordeutungen, die Horizonte
ineinander über, in ihrer Weise erfüllend fungierend; im einzelnen
eine Vordeutung der perzeptiven Vorderseite kontinuierlich in
5 perzeptive Erfüllung, in die kontinuierlich neue Seite über, wo­
bei in jeder Phase eigentlicher Erfüllung durch das eigentlich
,,Selbst”eintretende der Perzeption sich die ganze den Horizont
befassende Perzeption erfüllt, also der Horizont jeder Phase sich
auch erfüllt —- durch den Horizont der neuen; so für das Wahr-
10 nehmungsfeld und die Übergänge in neue Wahrnehmungsfelder,
partiell unter Erhaltung derselben Dinge, aber in kontinuierlich
wechselnden Wahrnehmungen. In diesen Übergängen wird nur
wenig eigentlich anschaulich, und doch, wie gesagt, hegt auch
kontinuierliche Erfüllung in den Übergängen des u n a n s c h a u -
15 l i e h verbleibenden Sinnes, der mitgemeinten Horizonte. Kon­
kret gesprochen hegt ein beständiges Stimmen in der Kon­
tinuität der konkreten strömenden Präsenz als der strömenden
Weltpräsenz für mich. Wird das Stimmen durchbrochen in der
Form des Illusionären, so geschieht das auf dem Boden des uni-
20 versalen Stimmens, das von dieser einzelnen Unstimmigkeit nur
an einer Stehe, einer Linie gestört ist. Aber die Präsenz hat noch
„Bedeutung” über die Präsenz hinaus. So als Wiedererkennen
mit dem Sinn „früher schon wahrgenommen gewesen”, also Ver­
weis auf ein Erinnerungsfeld, das ich aktuahsieren kann durch
25 eine Wiedererinnerung oder durch Bedeutungen der Art wie
sprachliche Bedeutungen, überhaupt alle in der Urpräsenz sich
gesellenden „Bedeutungen”.
BEILAGE IV
ERFAHRUNG VOM GEISTIGEN IN DER WELT, VOR ALLEM
VON SEELISCHEM. EINFÜHLUNG ALS WAHRNEHMUNG.
BEHAVIORISMUS
5 <Jahreswende 1930/1931 >

Inhaltsangabe: > Das Erfahren des Menschen in seiner Individual-


typik und der Schichten dieser Typik. Das Gehaben ( B e h a v i o r ) .
Die Gegebenheitsweise eines Mens chen im blossen Be-
havior aufgeklärt als blosse „induktive” Indikation des Personalen
10 („Wahrnehmung” von Menschen, sie im Wahrnehmen ohne weiteres ver­
stehen in ihrem Tun und Treiben) ohne wi rkl i ch e i nf ühl ende
A p p r ä s e n t a t i o n in Fremdanschauung. Also Klärung der
doppelten Weise der „W ahrnehmung" v on Andern, undals
bewährende Erfahrung: Einstimmigkeit in der blossen Indikation, aber
15 höherer Begründungswert durch das höherstufige Anschaulichmachen in
der wirklichen Vergegenwärtigung.
Problem der deskriptiven Wissenschaft, insbesondere vom Menschen.
Dies als F u n d a m e n t f ür eine K r i t i k der behavioristi-
schen Psychologie.
20 D ie me n s c h l i c h e Ge i s t i g k e i t von aussen. Die Individu-
altypik eines Menschen in ihren Allgemeinheitsstufen, Charaktere. Der
normale Mensch. Typen von Anomalitäten, der Individualtypus eines
Geisteskranken. Individualtypen der Normalität — innerhalb der
Gattung Mensch der normale Mensch — aber auch der Mensch über-
25 haupt.
Der Forscher, der Wissenschaftler, im besonderen der Psychologe, als
normaler Mensch mit dem Vermögen der wissenschaftlichen Vernunft,
als forschendes Subjekt, um alle Typen, auch die des Wissenschaftlers,
vernünftig zu beschreiben, und zwar findet er sich schon in einer For-
30 schergemeinschaft wissenschaftliche Gemeinschaftsarbeit leistend und
dadurch Theorie, Wissenschaft als Gemeinschaftswerk gewinnend.
Die Welt, in der wir uns finden, die „äussere”, die raumzeitliche.
Wir als Subjekte, die einander und unsere Welt „innerlich”, bewusst-
seinsmässig intentional finden, und ihr Leben.
35 In der „Aussen”welt, in der Raumzeitlichkeit, im All der raumzeit­
lichen Realitäten Menschen. Der reale Mensch (Tier) als Körper mit
verräumlichter, naturalisierter „Geistigkeit”, mitseiend mit der phy­
sischen Körperlichkeit.
Der n a t u r a l i s i e r t e Geist. Der Leib mit dem spezifisch leib-
40 liehen Gehaben und dem darin sich bekundenden personalen weltli­
chen Gehaben. Der Mensch von aussen erfahren, der Mensch in seiner
organischen Natur, der Mensch im besonderen in seinem somatischen
und seinem personalen Gehaben. Die Typik dieses Gehabens, das In-
92 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-193 l

dividualtypische. Der individuell erfahrene Mensch als dieser Mensch


in diesem seinem Gehaben. Das Problem dieses Gehabens als Bestim­
mung des Menschen in seiner individuellen und allgemeinen typischen
Äusserlichkeit.
5 D as V e r s t e h e n des Gehabens. Dieser Mensch zählt, spricht
Zahlen aus, schreibt Zahlen auf der Tafel, die vor ihm steht, ein. Das
„sehen” wir Zuschauer, wir beobachtenden Psychologen, wir sind mit
ihm gemeinsam in derselben Umwelt, in der wir uns ebenfalls ver­
schiedentlich verhalten, und diese Tafel ist auch für uns Tafel, auf der
10 wir schreiben können etc. Wir verstehen: Das Physische seines körper­
lichen Leibes, seiner körperlichen Bewegungen, seiner körperlichen
Kausalität beim real-kausalen Geschehen in bezug auf die Tafel etc.
hat eine a u s s e r p h y s i s c h e Be deut ung. Für mich: Ich bewege,
ich intendiere, ich erfahre meinen körperlichen Leib in gewissen Er-
15 scheinungsweisen und so die Tafel, meine Umwelt, ich bin aber nicht
auf das bloss subjektiv Wechselnde des Erscheinens etc. gerichtet, son­
dern in dessen Wechsel auf das mir erfahrend-gewisse Ding. Dann aber
subjektiv gewendet: Ic h bewege meine Hand etc., ich gebrauche
sie als „Organ”. Das Bewegen als physisches Bewegen, aber zugleich
20 von mir aus dirigiert, erstrebt, abzielend. Ich erfahre den Anderen:
Physisch in der physischen Umgebung ist er da, ich bin aber auf ihn als
Menschen gerichtet, ich erfahre sein seine leiblichen Organe Gebrau­
chen, sein Abzielen auf Leistungen in seiner Umwelt, sein Handeln,
aber auch sein Überlegen, sein Zweifeln, sein Bestreben, den Zweifel
25 zu entscheiden etc. Das verstehe ich, das kann ich mir klar anschau­
lich machen, mich dabei in den Anderen „einlebend”, als ob ich selbst
so täte, ich, der ich für mich das Geistige meines Gehabens wirklich er­
lebe und wirklich erfahrend betrachten kann, in originaler Erfahrung
und Evidenz.
30 Im Beobachten und Beschreiben der Menschen in der Welt, als wie
sie sich da von aussen darstellen und in ihrer nusserlichkeit, in ihrem
Gehaben wiedererkannt und als Wirklichkeiten ausgewiesen werden (in
der Feststellung ihrer Allgemeintypik und schliesslich ihrer Individual-
typik, wo der individuelle faktische Mensch in seinen Charakteren be-
35 schrieben wird), brauche ich da „Anschauung”, anschauliche Klarheit
der „geistigen Bedeutungen” ? In der Erfahrung von Menschen meiner
Umwelt, die in wechselndem äusseren Gehaben vor mir als dieselben
stehen und darin verstanden werden, wird dieses Gehaben einzeln und
im ganzen verstanden in der Weise einer erfahrenden Apper zep-
40 t i o n : Es ist erfahrende Bekundung von tastend die Hände, sehend
die Augen Bewegen etc. als original dabei Wahmehmen von Dingen,
die diese Person eben in der Weise kontinuierlich fortschreitender und
vielseitiger Wahrnehmung als unmittelbar da und je nachdem als nä­
her und ferner vor sich hat. Ferner, es ist erfahrende Bekundung von
45 darin fundierten Tätigkeiten, dass diese Person die Feder ergreift, den
Stein wirft etc., in höherer Stufe von einem umweltlich mannigfaltig
und doch einheitlich Beschäftigtsein gemäss einheitlichen Zielen, und
BEILAGE IV 93

zuletzt zur Einheit einer Selbsterhaltung zusammengehörigen etc. Die­


se Menschen sind dabei evtl, wieder auf Menschen, als welche sie er­
fahren, bezogen, und die von ihnen ebenso erfahren werden als sich
leiblich bekundende etc. Diese erfahrenden Bekundungen sind als Er-
5 fahrungen Gewissheit und als Erfahrungen miteinander stimmend,
oder anomalerweise miteinander streitend, evtl, so, dass die Bekun­
dung als Scheinbekundung durchstrichen wird.
Schon in der blossen, unanschaulichen, nur anzeigenden Bekundung
stimmt das sich Bekundende oder stimmt nicht, nämlich im Gesamt-
10 Zusammenhang des Ganges der bekundenden, der bloss anzeigenden
Erfahrungen. Es ist also eine eigene E r f a h r u n g s s c h i c h t e , die
schon in sich Stimmigkeit oder Unstimmigkeit zeigt, im Fortgang Ge­
wissheit bewährt und in Fortgeltung erhält oder Gewissheit aufhebt.
Es ist also so wie in der strömend sich einigenden Erfahrung der phy-
15 sischen Umwelt (in Sphären, wo geistige Bekundung ausser Spiel
bleibt). Z.B., wir wandeln dahin durch Berg und Tal, was wir sehen,
ist immer wieder Sehen in anderen Erscheinungsweisen, im Fortgang
verweisen sie aufeinander und gehen normalerweise einstimmig fort,
dasselbe wird gesehen. Und im Zusammenhang verweist es auf Neues
20 als zu Erwartendes, als vorgedeutet, und das bewährt sich im allge­
meinen. Evtl, aber stimmt es nicht, und ohne alle Reflexion erfolgt
Umdeutung, Korrektur unter Durchstreichung, und schon vor wirk­
licher Wahrnehmung. Beschreibung der Natur nach ihrer vertrauten
Typik, nach anschaulichen Gattungen und Arten, evtl, des einzelnen
25 Naturobjektes in seiner Individualtypik, die immer schon im Rahmen
vorgebildeter Allgemeinheiten als Besonderung erfahren wird, erfolgt
auf dem Grund einer universalen Erfahrung, die als einstimmig her­
zustellende vorausgesetzt wird und als einstimmig in einem schlichten
Gang erfahrender Betätigung unter selbstverständlicher Korrektur
30 betätigt wird — ohne dass an diese natürliche Erfahrungsmethode und
ihre Leistungsfähigkeit Fragen gestellt werden. Man folgt der natür­
lichen Evidenz, die in der gelingenden Einstimmigkeit liegt. Ebenso
für die geistige Sphäre. Man betrachtet die Menschen, und in ihrem
geistigen Gehaben folgt man der indizierenden Erfahrung und ihrer
35 eigenen Einstimmigkeit als einer durch gelegentliche Korrektur immer
wieder herzustellenden. Man „versteht”, und im verstehenden Auffas­
sen ist man gewiss vermöge der Bewährung durch das Fortstimmen.
Kann das Erfahren von Personen, personalen Tätigkeiten, Hand­
lungen, Überlegungen etc. in der Äusserlichkeit des Ge habe ns
40 ganz ohne a n s c h a u l i c h e V e r g e g e n w ä r t i g u n g der perso­
nalen Innerlichkeiten verbleiben? Wir haben einen ungeheuren Be­
reich einer so weitgehenden Vertrautheit mit dem durch einfühlende
Indizierung Angezeigten in der ursprünglich anschaulichen Selbstdar­
stellung in unserem eigenen Leben — unserer eigenen Leibeserfahrung
45 mit der Erfahrung vom selbst Walten in unseren Leibesorganen, un­
serem unmittelbaren Erfahren der sich „durch” solches Walten unter
dem Titel äusseres Erfahren selbstdarstellenden Dinge, unserem the-
94 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

matisch Beschäftigtsein mit diesen Dingen, unserem sie Explizieren,


unserem sie „logisch”-prädikativ Beurteilen, Theoretisieren, unserem
sie handelnd Umgestalten, die praktischen Möglichkeiten, unsere Ver­
möglichkeiten in diesem praktischen Abzielen Erwägen, unserem wie
5 theoretisch so praktisch Zweifel, Vermutlichkeiten, Fraglichkeiten
Entscheiden oder zu entscheiden Anstreben usw. Aber auch unser mit
uns selbst vermöglicherweise Beschäftigtsein ist uns ursprünglichst er-
fahnmgsmässig vertraut. In dieser Sphäre haben wir auch Natur in
ihrer ursprünglichsten Erscheinungsweise und eben in eins mit ihr un-
10 ser eigenes seelisches Sein als mit uns e r em körperlichen Leib in be­
sonderer Weise verflochten (in der Weise des sich seiner „als Organ
Bedienens” und der von da aus fundierten Beschäftigungsweisen mit
anderem Physischen als in unseren Erscheinungen primordial erfahre­
nen). Hier sind im voraus systematisch Möglichkeiten der einstimmi-
15 gen Selbst-Mensch-Erfahrung von der wirklichen her „ursprünglich
vorgezeichnet”, in ursprünglicher Gewissheit antizipiert. Das ergibt
ein Reich ursprünglichster, primordialer Apperzeption von Natur und
vom Ich her beseelter Natur im besonderen Sinn der selbsteigenen
„psychophysischen” Natur und der vom Ich, von seinem eigenen Be-
20 schäftigen her „vergeistigten” Natur. Hier ist von den Anderen ab­
strahiert, von dem einfühlend Verstehen derselben und von dem,
was sie mir auf Grund dieses für meine Apperzeption der Welt unter
dem Titel objektive, gemeinschaftliche Welt, Welt für alle, beitragen.
Das apperzeptive Feld der Primordialität geht in die Einfühlung
25 ein. Da ist die Frage, wie die einfühlende Fremdapperzeptibn dazu
kommt, als bloss unanschauliche Indizierung und doch wie eine Erfah­
rung zu fungieren. Ist denn eigentlich die einfühlende A n s c h a u l i c h ­
k e i t das Erste, und geht erst hinterher die Anschauung, erlahmend,
verloren ?
30 Aber ist nich alle Erfahrung — als Erfahrung von Gegenständen —
„Apperzeption” ? Gehört zu ihr nicht notwendig ein Bereich der „Pro-
tention" in einem weitesten Sinn (wie andererseits ein solcher der Re­
tention), ein Horizont einer angezeigten Mitgegenwart, Zukunft und
Mitzukunft etc., und zwar im Modus der Vermöglichkeit (der selbst
35 noch modale Abwandlungen hat) ? Auch diese Horizonte fungieren in
der Erfahrung, und nicht erst, wenn sie anschaulich werden, was sie in
dieser Funktion doch nur tun in Form der nur in gewissen Linien ver­
laufenden Erfüllung. Das Klarmachen, das nach allen sonstigen Sinn­
richtungen möglich ist, ist eine Veranschaulichung, z.B. eine Vor-
40 oder Nachverbildlichung, die, solange der Gang der Erfahrung ein­
stimmig verläuft, für die Erfahrung selbst, die einzelne und zusammen­
hängende, keine Funktion zu üben hat. Erst wenn eine Hemmung der
Einstimmigkeitssynthesis statthat, die sich im passiven Gang der Er­
fahrung nicht von selbst wieder löst, ihr Korrekturen beibringt, wird
45 das Klarmachen der indizierten Möglichkeiten in Funktion treten.
Ist es nicht ebenso bei der Einfühlung ? Solange die Indikation in­
nerhalb der ganzen Erfahrung, der psychophysischen (mit dem phy-
BEILAGE IV 95

sischen Kern ursprünglichster Erfahrenheit, dem Kern des Indika­


tionshorizontes), normal erfahrend fungiert und so die Einstimmigkeit
der konkreten Apperzeption sich forterhält, so lange bekräftigt sich Er­
fahrung an Erfahrung, und die Daseinsgewissheit etwa dieses Menschen
5 da, und als so und so wahmehmenden, sich wie immer beschäftigen­
den, aber auch wie immer gestimmten, gefühlsmässig reagierenden
(vermöge der Indikationen der höheren Stufenlage), bleibt ungebro­
chen, und zwar eben als psychophysische Wahrnehmung. Das geht
natürlich in die Modifikationen der Wahrnehmung, wie die Wieder-
10 erinnerung, ein. Sie „wiederholt” die Einstimmigkeit, und auch in die­
ser wiederholenden Vergegenwärtigung bedarf es keiner Veranschau­
lichung der Horizonte,' sie fungieren wiedererinnerungsmässig als
„leere” Indikationen, so wiederholend das frühere normal fungierende
Wahmehmen, als Wiederholung doch zugleich Vergangenheitserfah-
15 rung.
Verstehe ich einen Anderen schon als Anderen, und als handelnden,
verstehend — in dieser psychophysischen Erfahrungsweise — nun
doch nicht im besonderen, was er da eigentlich tut und aus welchen
Motiven er das tut, was er da eigentlich bezweckt oder letztlich be-
20 zweckt, so tritt auf dieser Verständnisbasis eine Hemmung ein. Sie
kann „von selbst” verschwinden im fortgehenden Zuschauen. Indem
das neu Erfahrene auf das soeben noch Erfahrene, retentional noch
Bewusste, und seinen apperzeptiven Sinn zurückwirkt, <kann> sich
ohne weiteres das gehemmte Verständnis von dieser Hemmung be-
25 freien. Evtl, treten Korrekturen ein. Der neue Horizontsinn, von sei­
nem Kern aus in Gewissheit begründet, wirkt direkt zurück, dass die
Geltung des Früheren, noch retentional Bewussten, und seine schon
eingetretene Hemmung (sein Zweifelhaftwerden) Durchstreichung er­
fährt, also den Charakter der Scheinhaftigkeit annimmt. Aber wo der
30 Gang weiterer Erfahrung solches nicht leistet, nicht leisten kann (z.B.,
wenn der Andere sein angefangenes Tun zeitweise unterbricht oder ich
sonst nicht abwarten kann, bis er mit seinem Tun fertig ist), kann ich
interessiert für sein Tun und sein weiteres Absehen dabei vielleicht
schon zur Klarheit kommen, wenn ich mich a n s c h a u l i c h in ihn
35 und seine ganze Lebenssituation einfühle, als ob ich selbst in ihr stünde
und so motiviert wäre, wie er es in den und den Hinsichten offenbar
gemäss dem, was ich schon erfahrend weiss, ist.
Nun müssen wir aber offenbar sagen: Die Erfahrung von Menschen
(von Tieren, aber auch von allen objektiv geistigen Realitäten) ist zwar
40 Selbstgebung, auch wo das spezifisch Seelische und Geistige nur indi­
zierend appräsentiert ist. Aber die v o l l k o m m e n e r e Selbstge-
b u n g haben wir nur, wenn diese einfühlimgsmässig erfahrenen Be­
stände der physio-psychischen und der objektiv-geistigen Realitäten
zu „eigentlicher” Erfahrung kommen, wenn ich also, was ich da unan-
45 schaulich mitmeine, obschon konkret in Erfahrungsfunktion, auch
„sehe”, also seine Meinung zur Erfüllung bringe. Nun ist freilich dieses
„Sehen” keine unmittelbare Wahrnehmung der betreffenden Seiten
96 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

des überphysischen Konkretums. Aber die Veranschaulichung ist hier


doch eine ernstlich erfüllende, eine ursprünglich erfahrende Apprä-
sentation, ein Analogon der anschaulichen Wiedererinnerung, deren
intentionale Mittelbarkeit es nicht hindert, dass sie Selbstgebung von
5 Vergangenem als Wahrgenommengewesenem ist. Hier handelt es sich
um Selbstgebung von Fremdsubjektivem, das ein ursprünglich erfah­
rend zu erfassender Abwandlungsmodus der unmittelbaren wahrneh-
mungsmässigen Selbstgebung von meinem eigenen Subjektiven ist. So
wie ohne meine Wahrnehmung keine Wiedererinnerung möglich ist
10 als eine intentional abgewandelte Gewissheit von selbstgegebener Ver­
gangenheit, so ist ohne mein stetig wahrnehmungsmässiges Selbster­
scheinen meiner eigenen Geistigkeit für mich selbst keine Fremderfah­
rung möglich als FremdWahrnehmung in einem modifizierten Sinn, als
ursprünglich erfüllte Appräsentation von Fremdem oder als ursprüng-
15 lieh erfüllte Anschauung von Fremdem als Analogon meiner selbst.
Nicht einzugehen ist hier auf die auf der psychophysischen Ein­
fühlung, auf Fremderfahrung und schon vorgegebenen Menschenwelt
beruhende und viel kompliziertere Erfahrungsart der Gegenständlich­
keiten des objektiven Geistes. Es gilt aber auch für sie, dass sie ihren
20 vollen Erfahrungssinn erst entfalten und eigentlich erfahrungsmässig
erst gegeben sind in einer entsprechenden A n s c h a u u n g (und zwar
erfahrenden, Seinsgewissheit konstituierenden) für die objektivierte
Geistigkeit, zu der eben auch die Beziehung auf die schon vorgege­
bene Welt als Erfahrungs- und Betätigungsfeld von Menschen gehört.
25 Danach haben wir, und für den einfacheren Fall der psychophysi­
schen Realitäten besprochen, eine z wei st uf i ge „ Wa hr ne h­
mu n g ” u n d E r f a h r u n g s o l c h e r R e a l i t ä t e n : eine das Psy­
chische bloss im i n d i z i e r e n d e n Au s d r u c k im Physischen
miterfassende Erfahrung und eine vo l l k o mme n e r se l bst ha-
30 b e n d e und selbstausweisende durch erfüllende A p p r ä s e n t a t i o n .
Das also gehört zur Erfahrung von psychophysischen Realitäten,
bzw. von Realitäten mit objektiv geistigem Sinn (unangesehen der
objektiven Geistigkeit, die in der intersubjektiven Weltlichkeit über­
haupt Hegt).
35 Alle objektive Erfahrung, Erfahrung von WeltKchem, ist nicht bloss
Erfahrung von Individuellem in der Weise, dass Allgemeinheit erst
nachkommen müsste in Form von logischer Geistigkeit (Begrifflich-
keit). Das Individuelle ist individuell, aber schon typisiert erfahren,
als Gebrauchsobjekt, als Wald, als Fluss, als Stein etc., der Mensch als
40 Mensch, das Tier als Tier, der Mensch in typischen menschHchen Eigen­
heiten etc. In gewisser Weise Hegt das Allgemeine, das Klassifikato-
rische, schon vor der Klassifikation, jedenfaHs vor der begrifflichen
Fassung, und selbst die für uns normalerweise einsetzende Benennung
hat ihre AUgemeinheit der Bedeutung keineswegs schon in einem Lo-
45 gischen, in einem Begriff, der aus Vergleichung und identifizierender
Abhebung von Allgemeinem entsprungen ist und darin seinen Sinn
hat.
BEILAGE IV 97

Das gilt auch für die Geistessphäre bzw. für die psychophysischen
etc. Realitäten und ihre umweltlich von uns erfahrenen, in expliziter
Erfahrung sich uns explizierenden Eigenschaften. Eine besondere Rolle
spielt schon in der organisch-physischen Sphäre und in einem neuen
5 und mannigfaltigeren Sinn in der spezifisch geistigen der Unterschied
der Normalität und Anomalität, Unterschiede der Vollkommenheit,
der Wahrheit, Echtheit als Vernunftnorm etc. Sie knüpfen sich an den
Typus personales Ichsubjekt an mit den Charaktereigenschaften, den
Begabungseigenschaften, den Fertigkeiten usw. In der fortgehenden
10 Erfahrung sind immer schon Typenerfahrungen zugrunde hegend;
aber sie ist auch immer Neubildung von Typen vermöge der sich immer
neu bildenden und erweiternden Horizonte der Ähnlichkeitssphären,
die jede Apperzeption sich wiederholend in Ähnlichkeit begründet.
Das ist das Fundament allgemeiner Benennung, die zugleich eine be-
15 sondere Horizontbildung bedeutet: Jedes Reale der Umwelt hat schon
irgendeinen Namen, ist damit apperzipiert, und ist es „neuartig”, so
hat es einen unbekannten Namen. Auch „ein” Name überhaupt ist
eine typische Beschaffenheit.
Das alles unterliegt nun, soweit es eben geistig ist, jener äusserlich
20 indizierenden oder wirklich erfüllend selbstgebenden Erfahrung. Es ist
nun die Frage, wie d e s k r i p t i v e W i s s e n s c h a f t in i h r e r
w i s s e n s c h a f t l i c h e n B e g r i f f s b i l d u n g und Festlegung be­
schreibender Wahrheiten vorgeht oder vorzugehen hat. Erfahrung ist
Urmethode, auf der alle Methoden ruhen. Wie muss wissenschaftliche
25 Erfahrung als wissenschaftliche Methode beschaffen sein und wie die
Methode der Deskription und dann Theorie?
Hier scheint es, nachdem unser Stück Analyse der Geisteserfahfung
vorangegangen ist, selbstverständlich, dass Wissenschaft aus Deskrip­
tion auf einer vol l en A n s c h a u l i c h k e i t , auf Herstellung der er-
30 füllenden Appräsentationen gegründet sein muss. Allerdings vollkom­
mene Anschaulichkeit, allseitige und nach allen Seiten ursprünglich
anschaulich auslegende Erfahrung ist (wie eine Analyse des Erfahrens
von Realem wesenseinsichtig macht) unmöglich. In dieser Hinsicht
untersteht deskriptive Theoretisierung von Realem überhaupt, von
35 Realitätsgebieten der Natur und des realen Geistes (bzw. der Natur im
erweiterten Sinn der objektiven Weltlichkeit), allgemeinen Fraglich­
keiten, allgemeinen Problemen der Rechtsausweisung. Keine deskrip­
tive Wissenschaft denkt daran, bis ins letzte zu gehen, sie setzt voraus,
dass man nicht immer weiter — ins Unendliche — gehen muss, sondern
40 dass es, um des Daseins des Realen und seines individualtypischen So-
seins oder auch eines allgemeinen empirischen Typus von Realem als
Wirklichkeit zweifellos gewiss <zu> werden und es begrifflich fixieren
zu können, einer endlichen Ausweisung in der Erfahrung und einer
darauf gegründeten logischen Begriffsbildung bedarf, mit der es trotz
45 der nicht ausschöpfenden Endlichkeit genug ist.
Von da aus ist einsichtig zu machen, dass solches Erfahren wirk­
lich unter ernstlichen Rechtfertigungsfragen steht, dass es verständ-
98 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

lieh werden muss, worin die Leistung der endlichen Beschränkung im


Rahmen der offenen Unendlichkeit besteht und in welchem Sinn, in
welcher „vernünftigen” Präsumption ihr Recht hegt. Es ist klar, dass
anstelle der naiven, prinzipiell unausgelegten Erfahrungsmethode
5 und Denkmethode der positiven Wissenschaften eine systematische
Erforschung der Methode treten muss. Da E r f a h r u n g hi er die
Met hode ist, so muss Wesen und Leistung der Erfahrung von Rea­
lem und dann im besonderen von geistig Realem zum eigenen Thema
gemacht werden.
10 Hier müsste eine Kritik des B e h a v i o r i s mu s ansetzen, der im
wesentlichen an der symbolisch leeren Ausdrücklichkeit haftet und
nicht einmal eine Anschauung von der Geistigkeit systematisch her­
stellt, geschweige denn, dass er dann weitergehend die Weisen der Er­
fahrung von Geistigem systematisch zum Thema macht, also nicht
15 einmal im Rohen Betrachtungen anstellt, wie wir sie oben angestellt
haben.
Nr. 7

PRIMORDIALER KERN UND FREMDERFAHRUNG


ALS SCHICHTEN DER TRANSZENDENTALEN
GEGENWART i
5 (Sommer 1930)

Wir haben bisher das Weltphänomen in der transzendentalen


Gegenwart ausschliesslich betrachtet in Hinsicht auf das, was in
ihr als w a h r n e h m u n g s m ä s s i g e W e l t g e g e n w a r t ge­
geben ist, und von da hätten sehr umfassende weitere Deskrip-
10 tionen auszustrahlen, welche die Raumzeitlichkeit der Welt, und
zwar im Gegebenheitsmodus der raumzeitlichen originalen Ge­
genwart betreffen.

Wendung von der noematischen, ontophänomenologischen


Deskription zur noetisch-phänomenologischen.
15 Selbstkonstitution der transzendentalen Ich-Monade als
sich selbst zeitigende

Anstatt weiter in dieser ontischen Richtung zu gehen, über­


legen wir: Im konkreten transzendentalen Jetzt meines tran­
szendentalen Ich stellt sich als transzendentales Phänomen „die”
20 objektive Welt in Form des für mich als hic et nunc original Er­
scheinenden dar. In Form des Strömens konstituiert sich meine
transzendentale Seins- und Lebensgegenwart mit strömendem
Horizont und dadurch das „Bewusstsein” fortdauernden (von1

1 Dieser Text folgt im Manuskript Ausführungen, die unter dem Titel der „lebendig
strömenden Gegenwart” stehen und die eigentliche Wahrnehmungsgegenwart von
der Welt analysieren. Er ist ihnen gegenüber aber von Husserl deutlich abgehoben.
Auf dem Umschlag, in dem das ganze Manuskript liegt, bezeichnet Husserl den In­
halt des hier wiedergegebenen Teiles folgendefmassen: „Die Gegebenheitsweise der
Welt in der urphänomenalen Gegenwart <ist> zweischichtig: 1) primordiale Schicht
(als Schichte in der Gegenwart), 2) die Anderen und Gegebenheitsweise der Welt durch
die Anderen. Begriff des transzendentalen ego und der Primordialität”. - Anm. d.
Hrsg.
100 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

Vergangenheit durch die Gegenwart in die Zukunft hinein wer­


denden) Seins, des Seins im strömenden Dasein. Dieses Einheits­
bewusstsein hat aber seine Verschlossenheit, es enthüllt sich,
wieder innerhalb der strömenden Selbstgegenwart, in selbstge-
5 genwärtigen Vergegenwärtigungen und insbesondere mittels
eines darin bewusst werdenden und im „immer wieder” in ver­
schiedenen Weisen zu vollziehenden „ich kann”. Hier ist eine
Richtung schwieriger Analysen und Deskriptionen zu verfolgen;
sie betreffen die Weise, wie sich in der strömenden Gegenwart
10 durch solche Vermöglichkeiten von Vergegenwärtigungen tran­
szendentale Vergangenheit und Zukunft als seiender „Erlebnis”-
strom ursprünglich herausstellt, zu evidenter Selbstgegebenheit
kommt als Strom, so dass die Worte Gegenwart, Vergangenheit
etc. eine Typik in einer strömenden Relativität andeuten.1 Und
15 weiter ist zu zeigen, wie sich in dieser strömenden Relativität
durchgehende Einheit einer immanenten Zeit konstituiert, der
gemäss z.B. in Evidenz jeweils zu erschauen ist ein und dasselbe
Vergangene im beständigen Wandel der relativen und immer wie­
der neu gewandelten Vergangenheiten bzw. Erinnerungsmodi.
20 Ähnliches gilt hinsichtlich der Konstitution des transzenden­
talen Phänomens Welt hinsichtlich der in ihr beschlossenen
Weltzeitlichkeit auf Grund der im immanentzeitlichen Strömen
der Gegebenheitsweisen der phänomenalen Weltgegenwart sich
nicht nur konstituierenden Weltgegenwart selbst, sondern auch
25 der Weltvergangenheit und Weltzukunft und schliesslich der sich
konstituierenden Weltzeit, die im Wandel der Relativitäten des
für mich Gegenwärtigen, Vergangenen und Künftigen eine syn­
thetische Identitätsform bezeichnet.

Methodisches: Rechenschaft über das Vorgehen von der Epoche an

30 Das natürliche Vorgehen, das hätte wohl vorangestellt sein


müssen, kann wohl kein anderes sein als dies, dass wir im Aus­
gang von der Welt als Phänomen, das konkret immer gegeben,1

1 Diese Selbstenthüllung als Evidenz der Selbstgegebenheit, als Evidenz der strö­
menden Gegenwart, darin des Seins des Ich in den gezeitigten Modalitäten des Le­
bens, des Seins des Stromes der Erlebnisse in ihren Zeitmodalitäten, diese Selbst­
enthüllung ist natürlich Leistung der phänomenologischen Reflexion des transzen­
dentalen Zuschauers.
TEXT NR. 7 101

aber noch nicht ausgelegt ist, nach ihrer transzendental-ästhe­


tisch allgemeinsten ontologischen Struktur fragen und von da
nach ihren transzendentalen Gegebenheitsmodis, den Erschei­
nungsweisen zurückfragen. Wir kommen auf immer neue Gege-
5 benheitsweisen-von, auf immer neue Weisen der Synthesis des­
selben in verschiedenen Gegebenheitsweisen, und alle sind tran­
szendentale Vorkommnisse des transzendentalen Ich.1
Aber nun ist noch ein neuer fundamentaler Unterschied anzu­
führen,12 und zunächst wieder in der t r a n s z e n d e n t a l e n
10 G e g e n w a r t und innerhalb des transzendentalen Wahmeh-
mungsfeldes von der Welt, der für mich originaliter erscheinen­
den. Als transzendentales Ich habe ich als weltliches Phänomen
mich als Menschen, und es gehört mit zu jedem mundanen Wahr­
nehmungsfeld. Was immer für mich an Dingen, an Realitäten
15 da ist, originaliter gegeben, ich bin als Mensch bei allem mit da­
bei, ich gehöre als mundanes Wahmehmungsphänomen selbst
mit zu jedem mundanen Wahmehmungsphänomen. Natürlich
betrifft alles, was angedeutet worden ist an transzendentalen
Analysen und Deskriptionen, in seiner Weise, in entsprechend
20 durchzuführender Besonderung auch mich als Menschen. Ziehen
wir nun a n d e r e M e n s c h e n als für uns im Weltphändmen
wahrnehmungsmässig gegebene in Betracht, so fällt uns ein
grundwesentlicher Unterschied auf in der Art, wie Bestände von
Weltlichem transzendental als „erscheinende” zur Gegebenheit
25 kommen, und zwar zu originaler Gegebenheit für mich, das
transzendentale Ich. Auch der andere Mensch ist nur nach einer
„Seite” originaliter gegeben, wie alles Reale. Aber es besteht der
unüberbrückbare Unterschied zwischen 1) Realitäten, die im
Übergang von Seiten zu neuen Seiten und in der Aktivität des aus-
30 weisenden, das Horizontmässige zur eigentlich erfahrenden Gege­
benheit bringenden Ich wesensmässig schliesslich a l l e Seiten, d.i.
alle ihnen zuzumeinenden und zugemeinten Bestimmungen zu
Tage bringen, und 2) Realitäten, bei denen es „Seiten” gibt, die

1 Aber nun bedarf es einer Änderung der Blickrichtung des transzendentalen Zu­
schauers, des Ich, das das Weltphänomen („Welt im Wie der Gegebenheitsweisen”)
ausgelegt hatte - einer Reflexion auf „Bewusstseinsleben”, das transzendental kon­
stituierende Leben, worin das Weltphänomen, die Welt in ihrem Wie strömend be­
wusst wird, im Urstrom des Erlebens, sowie dabei zugleich auf das konstituierend­
erlebende Ich der konstituierenden Aktivitäten und Passivitäten.
2 In der ersten, noematisch-ontischen Richtung.
102 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

prinzipiell nicht in wirklicher, in eigentlichster Originalität gege­


ben sein können. Das betrifft das „Seelenleben” (das seelische Sein
mit Ich, ichlichen Vermögen und Erlebnissen) der „Anderen”,
Menschen und Tiere, die ich wahrnehmungsmässig als selbstge-
5 genwärtige und dann in Vergegenwärtigungen als vergangene
in meinem Erfahrungsfeld habe. Die körperlichen Leiber und so
alle Körper des Wahrnehmungsfeldes sind hinsichtlich ihrer kör­
perlichen Merkmale im Wahrnehmungsfeld seitenweise gegeben
derart, dass die jeweilige Seite in ihren Merkmalen originaliter,
10 wirklich wahrnehmungsmässig gegeben ist und im Fortgang von
Seiten zu neuen Seiten schliesslich jedes der körperlichen Merk­
male, der dem Körper eigenwesentlichen, zur wahrnehmungs-
mässigen Gegebenheit kommen kann. M.a.W., der jeder Seiten­
gegebenheit als einer rein wahrnehmungsmässigen anhaftende
15 Horizont verweist auf einen rein wahrnehmungsmässigen Zu­
sammenhang, wir werden von Wahrnehmung zu Wahrnehmung
gewiesen. Jede Vergegenwärtigung hat hier die Bedeutung eines
Wahrgenommenhabens, eines Wahrgenommen-sein-werdens, ei­
ner möglichen Wahrnehmung, einer mir, meinem transzenden-
20 talen Feld zugehörigen. Aber jede Seite, in der die Körperlich­
keit eines anderen Menschen gegeben ist, und jede synthetische
Seitenkontinuität, in <der> sie synthetisch und immer reicher
gegeben ist, führt beständig noch einen anderen Horizont mit
sich, dessen Verwirklichung auf Vergegenwärtigungen, aber Ver-
25 gegenwärtigungen grundwesentlich neuer Art führt, nämlich
solche, die im Wahmehmungsfeld, im Fortgang der Strömung
der Gegenwart prinzipiell nie zu direkten Wahrnehmungen wer­
den können oder früher Wahrnehmungen gewesen waren (d.i.
den Charakter von Erinnerungen haben können).

30 i ) Die Kernschichte des primordial Erfahrbaren in meiner


transzendentalen Gegenwart, 2 ) die weltlichen Bestände,
die nur durch Einfühlung erfahrbar sind

Hier tut sich im Ausgang vom transzendentalen Phänomen


Welt eine fundamentale Scheidung auf. Die für das transzenden-
35 tale Ich erfahrene und erfahrbare Welt, transzendental betrach­
tet rein als solche, hat eine kontinuierliche in wirklicher und
möglicher Erfahrung zu durchlaufende K e r n s c h i c h t e von
mundanen Merkmalen, die als wirklich und eigentlich erfahrbare,
TEXT NR. 7 103

d.i. nach allen eigenwesentlichen Merkmalen, die dieser Schichte


zugehören, sei es wahrgenommen oder wahrnehmbar oder wahr­
genommen gewesen oder wahrnehmbar gewesen usw. <ist >, und
zwar für mich, das transzendentale Ich, also in der transzen-
5 dentalen Einstellung betrachtet. Demgegenüber hat das als
weltlich Erfahrene, wir lassen offen, ob durchgängig oder
nur im einzelnen, noch eine Schichte von eigenwesentlichen
Beständen, die verwirklicht in meinem Erfahrungsfeld auf
Vergegenwärtigungen führen, die zwar als solche in gewisser
10 Weise auch mögliche Wahrnehmungen in sich tragen, aber
solche eines wahrnehmenden Ich, das nicht ich selbst bin,
sondern eines anderen Ich. In meinem immanenten Erfahrungs­
feld treten diese Vergegenwärtigungen als meine Erlebnisse auf,
und als Erfahrungen von Fremdseelischem derart, dass sie Wahr-
15 nehmungen vergegenwärtigen als solche, die mit meinen jetzt
wirklichen Wahrnehmungen simultan koexistieren, aber eben
Wahrnehmungen eines Anderen sind, d.i., so mir mit dem Charak­
ter der Seinsgewissheit transzendental gegeben sind. Und in wei­
terer Folge habe ich Vergegenwärtigungen in meinem transzen-
20 dentalen Feld, die Vergegenwärtigungen von Erinnerungen, aber
nicht von meinen Erinnerungen, sondern von Erinnerungen des
anderen Ich sind, usw. Auch Phantasien, die in meinem Feld auf­
tret en als Vergegenwärtigungen von Wahrnehmungen-als-ob (als
ob ich räumlich Reales sehen und hören würde, als ob ich mich
25 dabei so und so verhalten würde, als ob, was da als Geschehenes
auftritt, wirklich wäre) haben in meiner Sphäre mögliche Paral­
lelen in Erfahrungen von Phantasien, die nicht meine Phanta­
sien, sondern erfahrende Vergegenwärtigungen von Phantasien
des Anderen sind, oder auch in Phantasien, in denen ich, fremde
30 Subjekte phantasierend, deren Erlebnisse und darin wieder deren
Phantasieren mir einbilde usw.
Es ist vorauszusehen, dass ich als transzendentales Ich auch
was der Titel anderer Mensch oder auch Tier befasst, und so die
Sozialitäten und die aus Gemeinschaftsbetätigung entspringen-
35 den weltlichen Gebilde, in transzendentaler Reduktion mir zu­
eignen kann, dass ich daran nicht nur nach den dabei spielenden
Körperlichkeiten, sondern auch hinsichtlich des Geistigen ein
Reich transzendentaler Feststellungen machen kann. Aber ohne
darauf einzugehen, setzen wir nur die Scheidung voran und wei-
104 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

sen darauf hin, dass sich im Reich möglicher transzendentaler


Erfahrung und Deskription ein allgemeiner Schnitt machen lässt,
der durch das transzendentale Phänomen Welt hindurchgeht.
Für dieses Phänomen besagte er doch folgendes: Die Welt, rein
5 als Welt der Erfahrung transzendental betrachtet, tritt alsbald
mit der Epoche auf als meine, des transzendental eingestellten
Ich. Dieses Ich und sein „Ich enthalte mich” ist das erste transzen­
dental Setzbare für dieses Ich selbst, und so sind auch alle
transzendentalen Gegebenheitsweisen der Welt, die wirklichen
10 und möglichen, die in ihrer Einheit jenes Weltphänomen aus­
machen, das von meiner Epoche unabtrennbar ist, ein tran­
szendental Meiniges, eben von diesem Ich und dem „Ich enthalte
mich von” als dem erst Setzbaren und von nun ab in bleibender
Seinsgeltung mir transzendental Verbleibenden unabtrennbar.
15 Hier gibt es natürlich kein anderes Ich, nur im Weltphänomen
das Phänomen anderer Mensch (und ich selbst als Mensch), das
aber als transzendentales Phänomen hier „ m e i n ” Phänomen
ist, zum Kreis dessen gehörig, was, mindestens gleich hier zu An­
fang, als von mir, dem transzendentalen Ich, untrennbar gegeben
20 ist.
So sind nun, wie die passiv verlaufenden mundanen und tran­
szendental gefassten Gegebenheiten, so auch die aktiv und in
„meinen” Vermögen verlaufenden bzw. all die zugehörigen Wei­
sen des Ich-kann und Ich-tue, die eigentlichen Wahrnehmungen
25 von, die Seiten von, die Perspektiven von usw., die ihnen an­
hängenden Horizonte, die diese auslegenden Vergegenwärtigun­
gen usw. die m e i n e n (des transzendentalen ego), bzw. meine
„intentionalen Erlebnisse”, nur eben stets transzendental ge­
fasst. Demnach soll z.B. unter dem Titel erscheinendes Ding
30 oder erscheinende Seite dieses Dinges u. dgl. nicht in natür­
licher Weise das Sein des Dinges oder der betreffenden sichtba­
ren Momente des Dinges zur Setzung kommen. In dieser Weise
ist natürlich auch jeder Mensch als Erfahrungsweltbestand mein
wirkliches und mögliches transzendentales Phänomen. Ein an-
35 deres Ich als transzendentaler Anderer, ein zweites transzen­
dentales Ich, das hat hier noch keinen verständlichen Sinn.
J e t z t b i n i c h d a s e i n z i g e t r a n s z e n d e n t a l e I ch, und
alles, was ich als transzendentales Ich gegeben habe, ist mein
„Erlebnis”, d.i. Inhalt meines Erlebens, meines Bewussthabens,
TEXT NR. 7 105

es ist meiner transzendentalen Gesamtgegenwart zugehörig,


durch ihre jeweiligen Vergegenwärtigungserlebnisse hindurch
gesetzt als transzendental Vergangenes oder Zukünftiges usw.
Die Phänomene von Mundanem sind im konstituierenden Be-
5 wusstseinsleben Bewusstes, „Vermeintes” als solches, von dem
strömenden Bewusstseinsleben unabtrennbar, unabtrennbar als
dessen gegenständlicher Sinn, und dann jeweils notwendig als
gegenständlicher Sinn im Wie der noematischen Erscheinungs­
weisen im Fortgang synthetisch identifiziert in kontinuierlichen
10 und diskreten Synthesen, die selbst synthetische Erlebnis Ver­
bindungen sind und das synthetisch Identische als gegenständ­
lichen Sinn in sich tragen.
Was ich als transzendentales Ich gegeben habe, worauf ich
den Blick richten kann, ist aber e i n e r s e i t s die eingeklam-
15 merte Welt, das Weltphänomen, darin die jeweils einzeln mir
gegebenen mundanen Phänomene, die Dinge, Menschen etc. in
ihren jeweiligen Gegebenheitsweisen. A n d e r e r s e i t s , indem
ich noetische Reflexion übe, finde ich die Ursphäre der konstitu­
tiven Zeitigung, den Strom meiner Bewusstseinsweisen und der
20 ichlichen Modi der Aktivität, in denen alles mundan Reale und
die Mannigfaltigkeit seiner Erscheinungsweisen in ständigem
Strömen zustande kommt, sich „konstituiert”. Das transzenden­
tal konstituierende Leben des transzendentalen Ich, worin sich
für es die ständig für es bewusste Welt im Wandel der Jeweüig-
25 keit konstituiert und in weiterer Reflexion auch dieses konsti­
tuierende Leben selbst sich für das Ich als sein transzendentales
Leben konstituiert, ist die letzte Konkretion, in der alles als
seiend Setzbare beschlossen ist. Dies ist das absolut konkrete
noetische Leben, das allerlebende, in dem das jeweils Bewusste,
30 als seiend Gesetzte „Erlebnis” ist.
Überlegen wir mm, was die Schichtung in der transzendentalen
Gegebenheitsweise der Welt, also im Weltphänomen (dem von
mir unabtrennbaren) besagt, auf die uns die Scheidung von Ich-
Mensch und anderer Mensch aufmerksam machen kann.
35 Wo in der Welterfahrung andere Menschen und Menschliches
jeder Art im Erfahrungssinn, und in unmittelbarer Wahrneh­
mung, auftreten, im Bestand des Weltlichen (welches als blosses
Phänomen, nicht als schlechthin Seiendes gesetzt ist, sondern als
transzendentaler „Seinssinn” zur Erfassung kommt), da ist im
106 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

Wahrnehmungssinn des Anderen, im wahrgenommenen Men­


schen als solchen, offenbar eine Schichtung: Nur der menschliche
Körper, nicht sein Psychisches ist eigentlich wahrnehmungs-
mässig gegeben und kann je so gegeben sein, wiesehr trotzdem
5 auch der konkrete Mensch, sofern er leiblich wahrnehmbar ist
und sein Seelisches als „mitgegenwärtig” für mich ursprüngüch
zur Erfahrung kommt, als wahrgenommen bezeichnet wird, und
sogar in einem guten Sinn. Also wir haben als Unterschichte, wo
immer Animahsch-Weltliches erfahren ist, notwendig eine Sin-
10 nesschichte, die direkt wahrnehmbar ist und die synthetische
Einheit ist von ihrerseits direkt wahrnehmungsmässigen Ge­
gebenheitsweisen. Eben dadurch hat diese Unterschichte das
Ausgezeichnete, dass sie von dem transzendentalen Ich, das als
das an sich erste Transzendentale nach der Epoche auftritt (als
15 in ständiger apodiktischer Identität und absoluter Originalität
gegeben), unabtrennbar ist. Es sind meine Wahrnehmungen, mein
strömendes wahrnehmend Bewussthaben, meine Wahrneh­
mungssynthesen. Von ihnen unabtrennbar ist der ihnen selbst
einwohnende, sich in strömender Synthesis aufbauende Wahr-
20 nehmungssinn, also sie sind von dem transzendental wahrneh­
menden Ich, dem einzigen bisher transzendental Seienden, un­
abtrennbar. Das überträgt sich auf alle Vergegenwärtigungen der
Art Wiedererinnerung. Das jetzige (seinerseits wahrnehmungs-
mässig gegebene) Bewusstsein des mundan „wahrgenommen Ge-
25 wesenen” ist nicht nur mein jetziges Bewusstsein, sondern es ist
darin gesetzt und transzendental zu setzen mein Wahrgenom­
menhaben, und so für alle ähnlichen Vergegenwärtigungen. Aber
nicht so steht es für die fundierte Schichte, für die neuartigen
Vergegenwärtigungen, die zum Bestand der Erfahrung von an-
30 deren Menschen gehören, durch die nämlich das Fremdpsychische
für mich in eins mit dem fremden Leib da ist (Einfühlung). Diese
Erfahrung vom Fremdpsychischen ist zwar mein intentionales
Erlebnis, aber es ist eine Vergegenwärtigung, die nicht meine
Erinnerung, Rückerinnerung, Vorerinnerung u. dgl. ist, was sie
35 vergegenwärtigt, ist nicht in meinem Wahrnehmungsfeld, es ist
ein Wahrnehmen und ein Wahrgenommenes in einem gewissen
Wie, es ist ein Erinnern, ein Erwarten, ein mögliches Erfahren
mit <einem > entsprechenden Wahrnehmungssinn vergegenwär­
tigt, aber ein solches, das nicht das meines identischen Ich ist,
TEXT NR. 7 107

das als das eines Anderen erfahren ist, als des es erlebenden Ich.
Von diesem A n d e r e n , wenn er ist, ist dieses Erleben, gesetzt,
dass es ist, untrennbar, es wäre nur möglich als zu seinem Ich
gehörig. Aber wie immer es mit meiner transzendentalen Set-
5 zung eines anderen Ich und seiner Icherlebnisse stehen mag, je­
denfalls zunächst1 habe ich mich selbst originaliter und <als >tran­
szendentales Ich in Seinsgeltung und zu ihm gehörig einen ge­
schlossenen Kreis meiner intentionalen Erlebnisse und der ihnen
unabtrennbar zugehörigen Vermeintheiten. Dazu ist zu rechnen
10 der Gesamtbestand der eigentlichen Wahrnehmungsgegeben­
heiten von Weltlichem, also des Weltlichen in der Grundschicht.
Natürlich aber auch alle die Vergegenwärtigungen, durch die
in meiner Welterfahrung sich für mich die geistige Welt als die­
jenige, die für mich Erfahrungssinn hat im Gesamtbestand der
15 für mich erfahrbaren Welt, konstituiert.
Ich kann überhaupt sagen: Vom ersten Ich-bin und „Ich übe
Epoche” aus eröffnet sich ein offen endloses Reich des m ir
E i g e n e n , und dieses Reich ist das Universum des für mich i m
ersten und e ig e n tlic h s te n Sinn W ah rg en o m m en e n
20 und Wahrnehmbaren, in weiterer Folge, des durch ursprüng­
liche Abwandlungen m e i n e r W a h r n e h m u n g e n m i r Zu­
g ä n g l i c h e n . 12 Ich selbst, meine strömende Gegenwart mit all
ihren Beständen ist wahrnehmungsmässig, und zwar transzen­
dental gegeben, also transzendental beurteilbar. Ebenso ist die
25 in ihr sich in gegenwärtigen Wiedererinnerungen und vor allem
in Tätigkeiten der Wiedererinnerung für mich konstituierende
offen endlose Vergangenheit hieher gehörig, es sind eben ur­
sprüngliche Abwandlungen meiner wirklichen und möglichen
Wahrnehmungen usw. In gewisser Weise kann ich diese ur-
30 sprünglichen Abwandlungen als Bereich möglicher und evident
rechtmässiger transzendentaler Setzungen im erweiterten Sinn
Wahrnehmungen nennen, Wahrnehmungen meiner transzenden­
talen Vergangenheit, meiner transzendentalen Zukunft (obschon

1 Das „zunächst” besagt nicht zeitlich zuerst und ohne jede Seinsgeltung von
Anderen, die erst als ein Zweites, Gesondertes hinzuträte. Wir stellen nur fest, dass
das primordiale Ich und sein original-primordiales wirkliches und mögliches Bewusst­
seinsleben etc. ein Erstes ist als immerfort die Seinsgeltung der Anderen fundierend
in ihrer möglichen Einfühlungserfahrung und Bewährung.
2 Darin liegt: Wenn ich mein Sein auf das Wahrnehmungsmässige reduziere,
gewinne ich meine primordiale transzendentale Gegenwart. Vgl. S. 102 ff.
108 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

mit einem Spielraum von Zukunftsmöglichkeiten) usw. Eine


besondere Sphäre von Wahrnehmungen sind die weltbezogenen,
die mundanen Wahrnehmungen, die transzendental reduziert
auf Zusammenhänge meiner transzendentalen Erlebnisse führen,
5 aber solcher, die einen transzendenten gegenständlichen Seins­
sinn in sich tragen, der rein als solcher der betreffenden transzen­
dentalen Erlebnisse und Erlebnissynthesen von ihnen untrenn­
bar ist und als ihr transzendentaler Sinn in Mitgeltung ist, wäh­
rend die Setzung (Seinsgeltung) geradehin, die natürliche, unter-
10 bleiben muss. Es ist hier offenbar anders wie hinsichtlich meiner
vergangenen transzendentalen Erlebnisse, etwa eines vergange­
nen Ichaktes, den als Transzendentales ich geradehin setzen
kann, ohne ihn als bloss Vermeintes seiner Vergegenwärtigungen
zu setzen.
15 Die Reduktion der Welterfahrung auf die reine mundane
Wahrnehmungssphäre und ihr Derivat — auf die „reine” Welt­
erfahrung,1 und zwar innerhalb der transzendentalen Reduktion
der Erfahrungswelt überhaupt, nennen wir die Reduktion auf
das p r i m o r d i a l e Weltphänomen als Grundschichte des tran-
20 szendentalen Weltphänomens überhaupt.
Damit bestimmt sich ein Grundbegriff des transzendentalen
ego. Wir befassen damit das transzendentale Ich und alles von
ihm aus seiner eigenen Konstitution Unabtrennbare. Das tran­
szendentale Ich ist der Identitätspol, auf den alle „seine” (die
25 ihm eigenen, von ihm konstitutiv unabtrennbaren) Vermögen,
seine Akte, seine passiven Erlebnisse, seine Intentionalitäten,
seine intentionalen Vermeintheiten (die gegenständlichen Sinne),
die Seinscharaktere in diesen Sinnen, aber auch die Wertcharak­
tere usw. cbezogen sind>. Dahin gehören die vermeinten Anderen
30 als solche, die psychischen Erlebnisse der Anderen als Vermeint­
heiten meines meinenden Erlebnisses, nicht aber sie selbst in
ihrem eigenen Sein. Der Andere ist nicht bloss Seinssinn, den ich
in meiner konstitutiven Leistung gebildet, in Geltung gesetzt
habe, nicht bloss Geltender aus meinem Gelten mit einem Sinn-
35 gehalt, der mir entstammt und mir eigen ist. Die egologische
Sphäre ist die durch ursprüngliche Wahrnehmung transzenden­
tal zugängliche und zu theoretisierende Sphäre. Der Theoretisie-

1 Aber dann heisst eben Welterfahrung primordiale Erfahrung.


TEXT NR. 7 109

rende bin ich selbst, das transzendentale ego, und die Theorie ist
Theorie aus mir und für mich, sie hat keine „Objektivität”, keine
Adresse an eine Menschengemeinschaft, wie wenn ich als Mensch
positive Wissenschaft treibe. Als transzendentales Ich besinne
5 ich mich über mich und das mir Eigene. Ich vollziehe diese Be­
sinnung und mache für mich zunächst beschreibende, der schlich­
ten Selbstevidenz sich anpassende Aussagen, und das ist schon
„Theorie”, schon Wissenschaft. Ich urteile und begründe diese
Urteile als evidente Wahrheiten — Wahrheiten von mir heraus-
10 gestellt und für mich, und nur mein Eigenes betreffend. Diese
transzendentale E g o l o g i e ist die an sich erste Phänomenolo­
gie, sie ist bewusst „solipsistisch”, aber sie erweist sich als das
fundamentale Gebiet der Phänomenologie überhaupt, der sehr
viel weiter reichenden, der schliesslich alle im echten Sinn so zu
15 nennende Philosophie umspannenden.
Eine Erweiterung der egologischen Phänomenologie wäre
offenbar dann denkbar und notwendig, wenn ich, das Ich der
Epoche, mich im Fortgang davon überzeugen könnte, dass bei
der transzendentalen Reduktion des anderen Menschen sein
20 Ich und das ihm Eigene transzendental ebenso für mich notwen­
dig geltend und ausweisbar setzbar ist wie in der transzendenta­
len Reduktion meines eigenen menschlichen Daseins mein eige­
nes seelisches Sein und Leben, nämlich in der Reduktion dessel­
ben auf mein transzendentales ego und mein transzendentales
25 Sein, worin dann mein Leib sich in ein transzendentales Phäno­
men in mir verwandelt. Insbesondere, wenn sich zeigen würde,
dass die transzendentale Betrachtung der Vergegenwärtigungen,
in denen fremdes Ich und Ichleben zur Erfahrung kommt, in
Hinsicht auf das Setzbare gleichzustellen ist wie die transzen-
30 dentale Betrachtung der Wiedererinnerungen und ähnlicher Ver­
gegenwärtigungen, in denen ich mich in meiner strömenden Ge­
genwart auf mein nichtgegenwärtiges Sein erfahrend zurück­
beziehe.1 Es würde dann die Rede sein müssen vom transzen­
dentalen Ich gegenüber transzendentalen Anderen, in weite-
35 rer Folge die Rede sein von transzendentalen Ichgemeinschaften,
und es würden schliesslich alle Weltbestände, die in ihrem natür-

1 Die transzendentale Reduktion der Einfühlung ist also nicht wirklich durch­
geführt worden.
I IO VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

liehen Sinn auf menschliches Denken, Fühlen, Wollen, Handeln


zurückweisen, als menschliche Leistungen, die der menschlichen
Umwelt einen geistigen Sinn geben, einen durchgängigen tran­
szendentalen Gehalt ergeben, der das Reich der transzendentalen
5 Seinssphäre ausserordentlich erweitern würde.
Schliesslich hat jedes Weltobjekt, auch jeder bloss materielle
Körper in der Welt als „Objekt” den Sinn von etwas, das für
jedermann da ist, für jedermann erfahrbar und auch durch Re­
kurs auf die Erfahrung Anderer bewährbar. Darin hegt, dass
10 jedes Objekt auf die Gemeinschaft der miteinander Lebenden,
miteinander Erfahrenden bezogen ist, also auch im Übergang
in die transzendentale Einstellung mit diesem Sinn zum Phäno­
men wird. So hat die Welt einen durchgängig geistigen Sinn,
der, wenn den Menschen transzendentale Subjekte durch tiefer-
15 dringende transzendentale Reduktion zuzuordnen sind, also auch
dem menschlichen gemeinschaftlichen Sein und Leben, selbst
transzendentale Bedeutung erhalten muss.1
Die Methode der primordialen Reduktion kann danach offen­
bar auch so inszeniert werden, dass man die Erfahrungswelt als
20 solche, als Phänomen, nach all dem ihr zugemeinten, dem ihr für
uns selbst zugehörigen Seinssinn befragt, welcher Menschensub­
jekte und ihr menschliches Leben voraussetzt. Indem man nun
zeigt, dass Welt einen Sinneskern hat, der „reine Erfahrung” ist,
nämlich keine Fremderfahrung voraussetzt, reduziert man damit
25 auf die transzendentale Primordialität.

1 Da Welt für mich den intersubjektiven Sinn hat, so muss das Weltphänomen
notwendig auf die transzendentale Geltung der Anderen im Monadenall zurück­
führen.
N r. 8

<DAS TRANSZENDENTALE PROBLEM, W IE FÜR


MICH TRANSZENDENTALE ANDERE SIND>
(Dezember 1930)

5 Überlege ich als „Zuschauer”, sei es auch nur ganz im allge­


meinen, wie ich als Mensch mit Anderen in Kommunikation
stehe und was meine einfühlende Erfahrung von ihnen und
ihren Bewusstseinsweisen von der Welt erfasst, aber auch ver­
wertet, so bemerke ich, dass dieses Verwerten nicht nur darin
10 besteht, dass ich erfahre oder gewiss werde, dass sie sie haben
und dass ihnen Welt und das jeweilige einzelne Weltliche als
seiend gilt, sondern auch darin, dass dieses ihr Gelten a u c h
m i r gi lt , soweit wechselseitige Einstimmigkeit objektiver
Meinungen reicht und jedenfalls mit,,verrechnet” wird unter
15 den Titeln Sein, als für uns und jedermann Einstimmigsein,
und S c h e i n . Vermöge der Erfahrungsgeltung, die ich in mei­
nem Bewusstseinsleben den Anderen erteile, kommuniziert mein
und das fremde Bewusstseinsleben und kommt zu einer Synthe­
sis, durch die für mich zur Gewissheit kommt, dass wir eine und
20 dieselbe Welt als seiende haben, und zwar unter sich stützenden
und tragenden Bewusstseinsgeltungen und mit sich wechselsei­
tig ergänzenden objektiven Beständen. Ohne das weiter zu ver­
folgen durch die Mittelbarkeiten, in denen Andere für mich sind
und ebenso für mich fungieren als Andere der Anderen usw., er-
25 gibt sich schon ein Merkwürdiges für die transzendentale Sphäre.
Mein transzendentales Leben ist das aus der Epoche ins Tran­
szendentale sich „reinigende”, das absolute Leben. Meine Anderen
sind für mich durch Einfühlung, die rein gefasst zu diesem mei­
nem Leben mitgehört. Die darin in einer gewissen intentionalen
30 Mittelbarkeit erfahrenen Anderen sind andere Ichsubjekte, dem
Allgemeinsten nach also mir gleichend, Subjekte mannigfaltigen
112 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

Bewusstseins, wahrnehmenden, erinnernden, erwartenden, phan­


tasierenden, fühlend-wertenden, wollenden usw., und es ist auch
mannigfaltiges Bewusstsein von Weltlichem, das in ähnlichen
Erscheinungsweisen erscheint wie mir usw.
5 Wenn ich nun mein Bewusstseinsleben aus der „Unreinheit”,
„Naivität" und Beschränkung heraushebe (Beschränkung, in­
sofern die in der Weltvoraussetzung liegende universale Apper­
zeption nicht thematisch wird und das Psychische immer nur als
Seelisches, als im vorgegebenen Leib seiendes oder in ihm walten-
10 des, betrachtet wird, während das universale vorgebende Leben
unenthüllt bleibt), so wird es zu meinem, des transzendentalen
Ich, wirklichen Leben. Und das im transzendental gefassten Ein­
fühlen erfasste fremde Sein und Leben —- was wird daraus? Über­
trägt sich nicht meine „Reinigung” an meinen menschlichen Er-
15 lebnissen auf die anderen Menschen meines Weltphänomens?
Ich habe als Mensch universale Reflexion übend mich selbst und
die mitseienden Anderen in der Welt (der ständig selbstverständ­
lich vorgegebenen). Aber ich weiss auch, dass diese Welt ihren
besonderen und jeweiligen Seinssinn für mich (allen Realitäts-
20 gehalt, in dem sie mir gilt) nicht nur hat aus meinen eigenen Er­
fahrungen und Erkenntnissen, sondern hat aus meiner Kottimuni-
kation mit den Anderen, die dieselbe Welt auch nur als die ihre
haben (und zwar für mich als die ihre haben) dadurch, dass sie
als ihrerseits mit mir verkehrend für Sein und Sosein der Welt
25 mir zu Dank verpflichtet sind.
Wenn ich nun mich transzendental reduziere und Weltsein
zum Phänomen wird, sagt das nicht, dass ich die mir geltende
Welt inhibiere und damit all das inhibiere, was die Anderen
durch ihr Bewusstseinsleben und bewusstseinsmässiges Gelten
30 zu meiner Welt beitragen? Das tun sie, indem ich in meinem Be­
wusstsein von der Welt diese in den Bestimmungen mitmeine,
die durch einfühlungsmässige Erfahrung der Anderen und Mit­
gelten ihrer Geltungen erwachsen sind. Die Anderen haben auch
für das Dasein meiner Welt mitzureden, meiner Welt, d.h. der
35 Welt mit all dem Realitätsgehalt, Gehalt an mundan Seienden,
in dem Welt für mich d i e s e ist, als der sie in ihrer relativen
Besonderheit und Bestimmtheit mir gilt. Ich muss ja gelegent­
lich meine Meinungen von Weltlichem und selbst Welterfah­
rungen durch die Anderen korrigieren. Das kann auch mich
TEXT NR. 8 113

selbst betreffen, ich kann mich über mich nach Seele und Leib
täuschen, und sie können mich belehren. Aber über mein Sein
im letzten Sinn, mein transzendentales, können sie mich nicht
belehren, das geht dem Sein der für mich seienden Welt voraus
5 und geht auch voraus dem Sein oder Nichtsein der Anderen, die
ich erfahre. Das Ausser-Spiel-setzen der Welt kann nicht mich
ausser Spiel setzen. In jenem Ausser-Spiel-setzen liegt das Ausser-
Spiel-setzen der bestimmten Anderen und der Bewusstseinswei­
sen der Anderen als mir geltende Inhalte für Weltsein, oder das
10 Ausser-Spiel-setzen anderer Ichsubjekte als für meine inhaltlich
bestimmte Welt mitkonstituierende ist mitvollzogen durch die
Epoche.1
Wenn ich aber echte Epoche, die der universalen Weltapper­
zeption als Boden aller einzelnen Thematik, durchführe, besagt
15 das dann auch das Ausser-Spiel-setzen der Anderen überhaupt?
Wenn ich die Anderen ebenfalls als Träger einer Weltapperzep­
tion — der vor aller Bestimmtheit vorgegebenen Welt — erkenne
und wenn ich die Weltapperzeption der Anderen, in die sich alle
Sonderapperzeptionen derselben eintragen12 (so wie bei mir, ich
20 apperzipiere sie ja als meinesgleichen), für mich ausser Geltung
setze, so wandle ich sie doch in transzendentale Subjekte, d.h.,
diese Epoche hebt die Bewusstseinsweisen der Anderen und sie
selbst nicht auf, sondern lässt sie als dasjenige Leben der Anderen
bestehen, als in welchem für sie und für mich mit Welt ist. Für
25 mich sind sie transzendentale Subjekte, die eines transzendenta­
len Lebens, nur dass sie nicht in sich selbst durch die Methode
der transzendentalen Reduktion ihrer selbst als solcher Subjekte
innegeworden sind. Dass für sie die Möglichkeit besteht, es zu
tun, das erkenne ich übrigens leicht in meiner Sphäre. Aber wie
30 steht es mit dem Für-mich-sein der transzendentalen Anderen,
die doch bei dem notwendigen Ausgang von der natürlichen Ein­
stellung zunächst als meine Menschengenossen auf treten? Wie

1 Heisst „Welt ausser Spiel setzen” soviel wie, alles, was ich einzelweise als Welt­
liches in Gewissheit habe, was ich in meinen Realitätserfahrungen erfahre und be­
währe etc., ausser Spiel setzen? Dann sagte die Reduktion: Alles v o n d e r W e l t
kann ich inhibieren, nur nicht meine Meinungen, meine Erfahrungen, meine Akte,
durch die ich Welt als diese so bestimmte Welt habe. All meine Geltungen von der
Welt, die mannigfaltigen bestimmenden Inhaltsgeltungen sind eingeklammert, aber
die Welt? Sie ist nur inhaltlich-universal in Frage gesetzt.
2 Das Folgende bis zum Ende des Absatzes mit Bleistift gestrichen. — Anm.
d. Hrsg.
114 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

steht es mit dem durch meine Einfühlung erschlossenen kom­


munikativen Bewusstseinsleben, in seiner von mir her zugleich
erschlossenen Wechselseitigkeit und Geltungsverbundenheit ?
Ist es transzendental, in Reinheit von Weltgeltung zu setzen,
5 von mir aus als seiendes der für mich seienden transzendentalen
Anderen zu erkennen?
Die Welt ist für mich die, roh gesprochen, in mir vermeinte
(auch Ausweisen ist danach ein Meinen), aber vermeint als durch
Andere hindurch vermeinte, auch von ihnen Seinssinn empfan-
10 gend. Wie ich als Subjekt des Meinens dem Gemeinten vorgehe,
und zwar der von mir vermeinten Welt, so gehen in eins damit
auch die Anderen als von mir vermeinte Mithelfer im Weltmei­
nen, als Mitträger des Sinnes, den ich von Welt habe, dem Sein
dieser Welt vorher. Also wie ich für mich transzendental allem
15 Weltlichen voran bin, so müssen auch meine Anderen transzen­
dental allem Weltlichen, bzw. der Welt im Sein vorangehen. Für
mich sind sie aus meiner Einfühlung selbst als von mir Gemeintes,
sich Bewährendes. Ich bin also transzendental der erste, ihrem
Sein für mich gehe ich im Für-mich-sein vorher. Nun werde ich
20 doch sagen müssen, das Sein der Anderen für mich als vorausge­
setzt dafür, dass ich transzendentales Subjekt bin für eine sich
in meinem Bewusstseinsleben konsequent bewährende Welt,
kann nicht im Sein der Welt und von Weltlichem begründet sein,
da das Sein der Welt für mich der Anderen bedarf. Es muss also
25 von meinem transzendentalen Ich und von meinem bewusst-
seinsmässigen Sein aus ein transzendentaler Weg zu den Anderen
als transzendentalen Anderen führen und zur transzendentalen
Vergemeinschaftung, deren synthetischer Gehalt für mich und
dann für meine Anderen Welt als seiende bewusst macht und
30 bewährt.
Das transzendentale Problem, wie für mich so etwas wie seien­
de Welt zu Seins- und Soseinsgeltung kommt, durch welche Be­
wusstseinsleistungen und -vermögen sie diesen Sinn für mich ge­
winnt, in dem sie für mich ist und so ist, führt auf das transzen-
35 dentale Problem, wie für mich transzendentale Andere seiend
und soseiend sind, das ist, wie sie für mich als transzendentale
Ich sind ohne Mitgeltung der Apperzeption, wodurch sie für
mich in der Welt sind. Bin ich Subjekt, das sich als Menschen
in der Welt vorfindet, sich als das apperzipiert und in dieser Ap-
TEXT NR. 8 115

perzeption lebend, „die” Welt und. sich in der Welt in einstimmi­


ger Bewährung erfahren kann, so bin ich wesensnotwendig —
wenn Welt intersubjektiven Sinn haben soll — transzendentales
Ich in einer von mir aus sich transzendental erschliessenden
5 transzendentalen Wirgemeinschaft, die in einer Gemeinschaft
des transzendentalen Bewusstseinslebens lebt, das eine gemein­
same Welt für alle konstituiert.
Das ist nun eine Argumentation und nicht eine wirkliche Auf­
weisung, die die Wesenszusammenhänge wirklich zeigt und daher
. 10 wirkliches Verständnis herstellt. Die Aufgabe der Transzenden­
talphilosophie ist nicht, argumentierend Überzeugungen zu
schaffen, die bloss Vorüberzeugungen bleiben würden, sondern
das Reich des Transzendentalen systematisch in systematischer
Erfahrung und Erfahrungstheorie zur Erkenntnis zu bringen.
15 Welchen Weg sehen wir nun vorgezeichnet? Transzendental
habe ich ■— in der Epoche — nichts anderes als mich selbst als
mein Bewusstseinsdasein, als nächst Zugängliches mein Bewusst­
seinsleben als Strom meines passiven und aktiven Bewusstha­
bens — und das, was darin oder von da aus in der transzenden-
20 talen Einstellung seine Seinsgeltung und Seinsbewährung erhält,
natürlich als durch die Epoche nicht betroffene Geltung. Ich
sagte schon, ich habe ein Sein vor den Anderen; sollten Andere
als transzendentale Ichsubjekte von mir aus transzendental zu­
gänglich sein, so gehe ich mit meinem eigenen Sein vorher, und
25 die Zugänglichkeit würde besagen, mir selbst eigenes Bewusst­
sein vollzieht als Anderen eine transzendente, eben mein Eigen­
sein überschreitende Setzung, ein über mich Hinausmeinen, das
doch zu Bewährung kommen kann — transzendental. Seiendes
muss sich letztlich durch Erfahrung bewähren. Es muss also eine
30 mich transzendierende Erfahrung, die von Anderem, geben, und
das kann offenbar nur sein die transzendental reduzierte Ein­
fühlung. Als mein Erleben ist sie zu mir gehörig, wie sie Tran­
szendenz zustande bringt, mag uns noch viel beschäftigen. Zu­
nächst, wenn ich doch eigenes und fremdes Sein gegenüberstelle,
35 eigenes und fremdes transzendentales Leben, und schon die
Möglichkeit im Auge habe, dass Fremdes zu meiner Erfahrung
kommt und in mir als erfahrungsmässig Seiendes auftritt, aber
als Nicht-Ich, so fragt es sich, wie transzendentale Selbsterfah­
rung als Erfahrung von dem mir transzendental Eigenen gegen-
1 16 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES’’ 1930-1931

über den Erfahrungen von Anderen und überhaupt Transzen­


dentem zu charakterisieren ist. Da alle Erfahrungen der letzte­
ren Art zunächst doch als meine Erlebnisse sind und in den Be­
reich des Selbsteigenen gehören, so versuche ich den Umkreis der
5 Eigenheit und der ihr entsprechenden Selbsterfahrung zu kenn­
zeichnen. Selbsterfahrung ist gegenüber aller Erfahrung von mir
gegenüber Anderem in einer gewissen Weise unmittelbar, da ja
das Andere erfahren ist in meinem Erfahren, das in mir ist als
das an sich Frühere. Aber was für Unmittelbarkeit ist das? Es
10 gibt doch hinsichtlich meiner Eigenheit auch Unterschiede der
Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit.

BEILAGE V
<PSYCHOLOGISCHE UND TRANSZENDENTALE
EINFÜHLUNG >
15 <Anfang dreissiger Jahre >1

1) Als p s y c h o l o g i s c h e Einfühlung, als Verstehen eines um­


weltlichen Körpers von einem gewissen vertrauten Typus als tierischen
Körper, als Rochen, als Menschen. Indem ich den Menschen vor mir
sehe, kann ich seine empirische (umweltliche) Körperlichkeit für sich
20 betrachten und sie als „Ausdruck”, als apperzeptive Anzeige, als „Ap-
präsentation” der menschlichen Person mit ihrem personalen Leben
erfassen. Diese Appräsentation, dies Erfahren in der Form: da ist ein
Körper des vertrauten Typus, und in ihm ist das „Mitdasein” einer
menschlichen „Seele” in Gewissheit angezeigt, hält sich in der
25 allgemeinen Vorgegebenheit der Welt.
2) Die t r a n s z e n d e n t a l e „Einfühlung”, von der p r i m o r d i a l
konstituierten Leiblichkeit und Natur aus die „Appräsentation” der
fremden transzendentalen Primordialität leistend, ist eine Struk­
tur der Konstitution, durch die Vorgegebenheit der Welt und
30 personales Dasein in der Welt, personale Akte der psychologischen
Einfühlung überhaupt erst möglich werden. Der psychologische Akt,
die psychologische Apperzeption, in der Seele als Seele eines körper­
lichen Leibes bewusst wird, das ist eine ganz andere Appräsentation
als die, wodurch ein in meiner Primordialität vorgegebener primordi-
35 aler Körper zum Umschlagspunkt für die „Appräsentation” einer
fremden Primordialität eines fremden Ich und Ichlebens wird,
wodurch wir eine gemeinsame Natur, eine gemeinsame Welt und uns
selbst darin und als Wir konstituieren.
Nr. 9

<PRIMORDIALE REDUKTION (ABSTRAKTION)


AUF MEINE ERFAHRUNGSWELT, ZUNÄCHST AUF
MEINE WAHRNEHMUNGSWELT. PRÄSENTATION
5 UND APPRÄSENTATION. > ZUR BESSEREN
KLÄRUNG DES BEGRIFFS DER PRIMORDIALITÄT
(wohl Dezember 1930)

Ich als die vorgegebene Welt in natürlicher Geltung habend.


In der Epoche: ich als den natürlichen GeltungsVollzug ausser
10 Spiel setzend, durch den mir die Welt zum Seinsboden des na­
türlichen Als-Menschen-mich-findens und Als-Mensch-lebens ist,
zur Prämisse für alle Urteile, zum Vorurteil, das sie alle vor­
aussetzen.
Mein Interesse in der Epoche: das eigene Sein als die Welt
15 beständig, bewusstseinsmässig als seiend Erleben und in dieser
seienden Welt als Mensch Leben — das Sein der Welt ausserthe-
matisch, korrelativ diese Vorgegebenheit und in der vorgege­
benen Welt Leben als Phänomen, es ist dasselbe in seiner Art wie
vorher, und doch, der Vollzug der Geltungen ist durch Enthal-
20 tung modifiziert. Zwar gebe ich die Existenz der Welt nicht preis,
ich mache aber keinen Gebrauch von ihr; ich mache mein Welt­
bewusstsein und den Zusammenhang seiner Geltung zum Thema:
Ich-bin und mein Leben, worin Welt zur geltenden, seienden, für
mich wird, und bin in Setzung als seiend, ohne dass die Welt als
25 seiend vorausgesetzt ist. Nun untersuche ich, wie mein Welt-in-
Geltung-haben, mein Welt-leben, Menschen-leben aussieht und
im Phänomen wie da bleibende Geltung für mich aus meinen
eigenen Quellen zustande kommt, wie stufenweise für mich blei­
bende Geltung neue gründet, für mich Seiendes auf schon für
30 mich Seiendes, bis ich die Welthabe voll erreicht habe, voll ver­
ständlich gemacht habe.
1 18 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

Nun kann ich doppelt Vorgehen. Ich bleibe dabei, ausschliess­


lich mein transzendentales Sein und Leben zu beschreiben, ich
beschreibe die Erfahrungen, die Bewährungen, die Evidenzen
verschiedener Stufe, die Modalisierungen der Gewissheit, die
5 Durchstreichungen, Korrekturen etc., o d e r ich kann es auch als
ein nachfolgendes Zweites nehmen, ich mache schrittweise die
Geltungen mit und habe so schrittweise ihr Seiendes, auch als
bleibende Kenntnis.
Dann werde ich mein Thema erweitern und komme wieder
10 dazu, die Welt als seiend zu setzen.
Das in verschiedener Weise. Ich frage zuerst, wie ist der
allgemeine Stil meines ganzen Weltlebens, wie verbleibt er,
wenn ich überhaupt weltmeinendes, welterfahrendes, welt­
lebendes Ich bin. (Es kommt nicht genau an auf meine genaue
15 Welterinnerung, wie immer sie schwanken mag, ich mag sie sogar
beliebig abwandeln und mir denken, dass es in der Welt ganz an­
ders vonstatten gegangen wäre, dass andere Dinge wirklich ge­
wesen wären etc. Ich mag also die Welt abwandeln, verbleibt da­
bei nur ihre Identität als Welt überhaupt und so Ich als sie be-
20 wussthabendes, erinnerndes etc., so ergibt das einen gewissen
Bewusstseins- und Geltungsstil, ich habe eine Wesensstruktur
der Welt als einer Welt überhaupt (ontologisch) und korrelativ
den <Stil> meines Weltlebens.)
Ich erweitere dieses Thema, d.i., ich setze in Geltung, was sich
25 in meiner Weltkonstitution als Nicht-Ich und schliesslich als
Welt bietet. Aber nun kann ich mich sozusagen von der schon
wirklich betätigten bzw. zum Stil der Welthabe gehörigen allge­
meinen Geltungsstruktur tragen lassen; dann komme ich zum
Verständnis, wie vermöge dieses Stils für mich immerzu Einheit
30 einer vorgegebenen seienden Welt zustande kommt, also diese
Welt schlechthin für mich ist und ich in ihr als Mensch bin.
Betrachten wir nun die Erfahrungen, die zur Welterfahrung
gehören und die übrigens durch ihre äussere Horizonthaftigkeit
selbst Modi der Welterfahrung sind, und betrachten wir des
35 näheren Wahrnehmungen (Gegenwartserfahrung), so finden wir,
dass sie zwar alle natürlich appräsentierend sind, dass aber Un­
terschiede in der Appräsentation hinsichtlich vermöglicher Be­
währung durch Präsentation bestehen (physische Dinge — Wahr­
nehmung Anderer etc.).
TEXT NR. 9 119

Aber kann man so ohne weiteres anfangen? Die transzenden­


tale Besinnung beginnt mit der Epoche hinsichtlich der mir gel­
tenden Welt — der Welt in ihrer Allzeitlichkeit, so wie sie mir in
meiner transzendentalen Gegenwart als gegenwärtige, in meiner
5 Vergangenheit als vergangene etc. gilt, gegolten hat etc. Die
Welt ist durch mein ganzes, von mir zu überschauendes transzen­
dentales Bewusstseinsleben (Leben in meinen Wachheitsperio­
den) mir bewusst als erfahrene, als gegenwärtig wahrgenommene,
als in meiner Erinnerung erinnerte, d.i. wahrgenommen gewesene
10 und so künftig wahrgenommen sein werdende. Aber ich habe
noch über diese Erfahrungsgewissheit hinaus noch weltbezogene
Gewissheiten. So habe ich ein vielfältiges Wissen von der Welt,
das ich der Erfahrung Anderer und dann wieder ebenso dem Wis­
sen Anderer durch Übernahme verdanke. Vieles von der inter-
15 subjektiven Wissenschaft Herrührende bestimmt die für mich
seiende Welt mit. Nun so überlegend sage ich mir, dass hier doch
Geltungsfundierungen vorhegen. Die Anderen, die bestimmten
(oder eine unbestimmte oder unbekannte Mannigfaltigkeit An­
derer wie im <Fall> der Tradition oder im Fall der Wissenschaft),
20 müssen für mich schon in Geltung sein als seiende, damit ich mit
ihnen geistig verbunden <sein> und von ihnen übernehmen kann.
Ich überlege weiter, dass, was ich in einem nicht-erfährenden,
etwa einem eigenen logischen Denken der Welt zumeine, doch in
seiner Begründung schon erfahrendes voraussetzt, und nur, was
25 an weltlichen Bestimmungen oder vermeinten Gegenständen,
seinsmässig begründbar ist, gehört wirklich der Welt zu. Doch
will ich selbst das nicht etwa vorurteilsmässig voraussetzen, aber
es mag mich motivieren, zunächst eine Reduktion der für mich
seienden Welt auf die Welt, rein sofern sie Welt der Erfahrung
30 ist, vorzunehmen, und zwar meiner Erfahrung, in der wie sonsti­
ges Weltliches andere Menschen erfahren sind.
Freilich bemerke ich, dass wenn ich die in der Erfahrung der
Anderen miterfahrenen Erfahrungen der Andern als mitgeltende
in Rechnung ziehe, ich auch die Frage abstellen kann auf die
35 in der allgemein intersubjektiven Erfahrung erfahrene Welt, wie
sie rein als Erfahrungswelt zu beschreiben sei, und zwar als die
mir geltende und alles, was mir von der Welt gilt, fundierend.
Aber wenn ich so anfange, so komme ich doch darauf zurück mir
zu sagen: Die Welt, die durch mein ganzes transzendentales Le-
120 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

ben die von mir in der Mannigfaltigkeit der in diesem Leben be­
schlossenen Gegebenheitsweisen der Welt eben als die eine und
selbe Welt gemeinte war und ist und voraussichtlich als künftige
ist, ist in fundierender Stufe oder Schichte universale intersub-
5 jektive Erfahrungswelt; aber diese Schichte geltender Welt ist
selbst fundiert in dem, was von ihr in meine eigene universale
Erfahrung fällt. Das führt also zurück auf meine vermeinte
Welt als wie sie meine Erfahrungswelt oder, wie wir auch
sagen können, die Welt meiner Wahrnehmungen, meiner
10 gegenwärtigen Wahrnehmungen, meiner vergangenen und künf­
tigen Wahrnehmungen ist. Ich habe also eine gewisse reduk­
tive Epoche zu vollziehen, ich reduziere die mir konkret gel­
tende Welt, die eine meines ganzen überschaubaren transzen­
dentalen Lebens, abstraktiv auf meine Wahrnehmungswelt, was
15 ich von der Welt, der durch mein Leben hindurch bei allem Wech­
sel der Erfahrungen und Meinungen von ihr einen und selben,
wirklich wahrgenommen <habe>.
Ich werde wohl voraus mein transzendentales Selbstsein in
einer ersten grundlegenden Weise schon ausgelegt haben, wie
20 das notwendig ist. Ich bin in der Epoche zwar Subjekt für die
Welt, aber auch Subjekt für mich, der ich Bewusstseinssubjekt
für die Welt bin, und mich selbst als transzendental Setzbares
erforsche ich zuerst insoweit, dass ich die vermeinte Welt noch
ausser näherer Untersuchung belasse und mich in meiner allge-
25 meinsten Struktur auslege als identisches Ich eines Bewusst­
seinslebens, in Positionen, die teils und in einer universalen (all-
heitlichen) Geschlossenheit Welt zur Setzung bringen, und als
nun ja transzendentales Ich auch transzendental-immanente
Setzungen; dass ich, mich transzendental auslegend, mein im-
30 manentes Leben als immanent zeitliches finde oder vielmehr sich
zeitigendes; dass ich bin in Form einer strömend lebendigen Ge­
genwart, in welcher sich durch gegenwärtige Erinnerungen Ver­
gangenheit, vergangene Gegenwart zeitigt usw. Ich bin für mich
ganz ursprünglich als selbstwahrnehmendes (selbstgegenwärti-
35 gendes), ich kann mich selbst aktuell kennenlernen, weil ich
schon passiv in originaler Selbstgegenwärtigung bin und von da
affiziert auf mich aktuell hinsehen und mich in meinen originalen
Eigenheiten erfassen kann etc.
Es ist dann im Übergang zu den „transzendenten”, den weit-
TEXT NR. 9 121

liehen Erfahrungen die weltliche Zeitigung zu kontrastieren mit


der transzendental-immanenten Selbstzeitigung, welthche Ge­
genwart in immanenter Gegenwart wahrnehmungsmässig gege­
ben, also in der immanent gegenwärtig seienden äusseren Wahr-
5 nehmung wahrgenommen das weltlich Gegenwärtige etc.
Ich reduziere die Welt, die für mich die geltende ist, auf das,
<was> von ihr „in meine Wahrnehmung fällt”, und wenn diese
Welt zu meinem ganzen, zu überschauenden Leben in dessen und
in ihren Zeitmodis gehört, also in jeder immanenten Phase Wahr-
10 nehmungswelt ist (wahrgenommen gewesen, jetzt aktuell wahr­
genommen, wahrgenommen sein werdend) und so auch im gan­
zen als Wahrnehmungswelt zu bezeichnen ist und in abstracto
und im prägnanten Sinn dieser Rede von Wahrnehmungswelt
rein nach den Wahrnehmungsbeständen genommen werden
15 kann, so erfordert es doch die Methode, sich irgendeine imma­
nente Gegenwart, etwa die jetzt aktuelle, als lebendige Gegen­
wart, als strömend-verströmend-kommend seiende, nach dem zu
befragen, was in ihr als aktuelle Wahrnehmungswelt [in ab­
stracto) sich bietet. Das wäre also ein weiterer noch verengen-
20 derer Abbau. Doch blicken wir dabei auf das Wesensmässige,
das dann eo ipso gemeinsam ist als invariante Form für alle
vergangenen und künftigen wahmehmungsmässigen Weltgegen­
warten.
Meine Weltgegenwart, und so eine jede erdenkliche, ist in
25 meiner immanenten Gegenwart vermeint als Gegenwart ihrer
Vergangenheit, aus ihr hervorgeworden, wie andererseits als die
einer Zukunft als aus ihr hervorwerdende. Innerhalb meiner im­
manenten Gegenwart habe ich einen „Horizont”, einen doppelten,
und zwar einer Mitmeinung, einer positionalen, der sich nicht nur
30 auf mein transzendental Immanentes nach Vergangenheit und
Zukunft bezieht (wodurch diese beständig für mich ist als mit­
seiend mit meiner immanenten wahmehmungsmässigen Gegen­
wart). Dieser Horizont ist im allgemeinen ein „dunkler”, un-
enthüllter, unexplizierter, aber es treten in meiner immanenten
35 Gegenwart gelegentlich teils passiv, teils im bewusstseinsmässi-
gen Ich-kann und Ich-tue Wiedererinnerungen und Vorerinne­
rungen auf, letztere als Vorschauungen oder Vorverbild­
lichungen des Künftigen. Dasselbe gilt hinsichtlich der in
meiner immanenten Gegenwart bewusst werdenden Weltgegen-
122 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

wart hinsichtlich ihrer Gegebenheitsweise als seiende, welche


weltliche Vergangenheit und Zukunft als mitseiend in ihrer
Setzung hat.
Damit kreuzt sich in gewisser Weise eine anders gerichtete
5 Horizontsetzung. Jede Weltgegenwart hat einen Horizont der
Mitgegenwart. Nehme ich die Weltgegenwart rein als wahr-
nehmungsmässige, so finde ich zunächst ein jeweiliges Wahr­
nehmungsfeld in dem besonderen Sinn einer Mannigfaltigkeit
von einzelnen Realitäten, deren jede für sich betrachtet eine
10 in dieser Gegenwart wahrnehmungsmässig (also im Modus
originaler Selbsterscheinung) erscheinende ist. In der Lebendig­
keit der immanenten Gegenwart als einer strömend seienden
erhält sich diese Mannigfaltigkeit nicht identisch, insofern
schon wahrgenommenes Reales aus der Wahrnehmung entschwin-
15 det und anderes noch nicht wahrgenommenes „in die Wahrneh­
mung tritt”. Aber das Entschwundene gilt noch mit, es ist noch
Mitgegenwart und nicht bloss Vergangenheit, und das noch nicht
Eintretende gilt schon im voraus, sofern es nicht nur als Künftig­
seiendes, sondern als nur immanent-künftig in die Wahrnehmung
20 Tretendes gilt. Und nun sehen wir überhaupt, das jeweilige spezi­
fische weltliche Wahrnehmungsfeld ist nicht ein in sich selb­
ständiger Seinssinn in der wahrnehmungsmässigen Gegenwart;
was da im einzelnen und als Gesamtgruppe in Seinsgeltung ist
(positional gegeben), ist ein Bereich von einzeln oder gruppen-
25 massig original Erscheinendem, das einen Horizont von mitge­
genwärtigem Realen unabtrennbar mit sich führt. Wir können
auch sagen: Ich habe jeweils eine Gesamtwahrnehmung, die
meiner vollen wahrnehmungsmässigen Weltgegenwart, und in­
nerhalb dieser haben wir als spezifisches und eigentliches Wahr-
30 nehmungsfeld einen Bereich von wirklich original wahrgenom­
menen Realitäten und darüber hinaus einen Bereich (obschon
einen offenen und inhaltlich unbestimmten) von Mitwahrge-
nommenem, wahrnehmungsmässig mitgegenwärtigen, aber nicht
in eigentlicher Selbstgebung verwirklichten Realitäten.
35 Zur näheren Charakteristik dieser Sachlage und des Sinnes
der Redeweise, die sich bald noch besser rechtfertigen wird,
weisen wir darauf hin, dass zu jeder Weltgegenwart, die ich durch
Wahmehmungsfeld und Mitgegenwartshorizont gegeben habe,
mein Leib unweigerlich gehört, und zwar immerfort als ,,Zen-
TEXT NR. 2 123

trum ” des eigentlichen Wahrnehmungsfeldes, also als immerfort


eigentlich wahrgenommener und in eigentümlicher „Funk­
tion”. Das „Wahrnehmungsfeld” verstehen wir nicht bloss als
den Bereich der Realitäten, mit denen ich als weltlich Gegen-
5 wärtiger aktiv, aufmerksam, selbsttätig erfassend und betrach­
tend beschäftigt bin, sondern die in der Weise originaler Selbst­
erscheinung für mich jeweils gegenwärtig sind, so dass ich auf
sie nach Beheben hinsehen, mich damit betrachtend beschäfti­
gen kann, aus welchen theoretischen oder praktischen Gründen
10 immer.
Beachten wir dieses Ich-kann, bzw. Ich-tue, das sehr we­
sentlich für die jetzige Deskription in Frage kommt, und zwar
insbesondere als zum Seinssinn des, wie gesagt, zu jeder Weltge­
genwart (für mich) gehörigen Leibes zählend. Er hat das Aus-
15 zeichnende, dass ich in ihm (in der Form „Ich-übe-Kinästhesen”
und dadurch „Ich-bewege”) waltend wahrnehmungsmässiges
Tun ins Spiel setzen kann bzw. setze, tastend, sehend usw., da­
bei die Organe, die Hand, die Augen etc. bewegend oder mich
leibhch im ganzen fortbewegend, etwa in der Weise des Gehens.
20 Dadurch vermittelt vollzieht sich mein explizierendes und er­
weiterndes Wahrnehmen, bzw. es gibt sich mir dadurch origina-
liter ein immer neues Wahrnehmungsfeld, aber in der Weise,
dass immer von neuem aus der horizontmässig mitgesetzten
Mitgegenwart dies und jenes zur eigentlichen Selbstgegenwart
25 kommt und dadurch zu eigentlicher Kenntnis.
Aber hier werden wir auf einen neuen Horizont aufmerksam.
Jedes eigentlich wahrgenommene Reale ist eigentlich nur „ein­
seitig” wahrgenommen, im wechselnden leiblichen wahrnehmen­
den Verhalten (oder evtl, korrelativ in Form der Selbstverän-
30 derung, Selbstbewegung des realen Objektes) treten vom selben
Realen neue Seiten in die Wahrnehmung. Ein Reales betrach­
ten, dem, was es ist, nachgehen, das ist ein solches vom schon
Wahrgenommenen zu dem noch nicht Wahrgenommenen tätig
Übergehen, eben durch leibliches Tun. Vorweg ist das wahrge-
35 nommene Reale mehr, der Wahmehmungsmeinung nach, als die
jeweilige eigentlich wahrgenommene Seite, sie ist nicht für sich
allein Gemeintes, sie ist gemeint als was sie ist, von vornherein
gemeint a ls Seite, als mitgegenwärtige korrelative Seiten m it­
setzend. Wahrnehmung eines Realen besteht also von vornherein
124 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

hinsichtlich des Wahrgenommenen aus dem jeweilig eigentlich


Wahrgenommenen und dem als mitgegenwärtig Gemeinten von
demselben Realen. Diese mitgemeinte Gegenwart aber ist
ein Bereich der Wahrnehmbarkeit, all das, was ich in leib-
5 licher Fortbetätigung wahrnehmen kann oder könnte. Anderer­
seits, was schon eigentlich als es selbst zur Kenntnis gekommen
ist, verschwindet im allgemeinen im Fortgang der Wahrnehmung
aus dem Kreis eigentlicher Wahrgenommenheit, es bleibt aber
im Kreis des bestimmten Ich-kann, des der Wahrnehmbarkeit
10 und der entsprechenden bleibenden Kenntnis, die nämlich der
bleibende Erwerb des Wahrnehmens ist.
Ebenso verhält es sich mit dem „Aussenhorizont” (gegenüber
dem zum einzelnen Realen gehörigen „Innenhorizont”). E r ist
ein Horizont der Potentialität möglichen, zur eigentlichen Selbst-
15 erfassung führenden Wahrnehmens, ein Reich der Zugänglich­
keit als Zugänglichkeit von Mitgesetztem, obschon nicht gerade
einzelnweise bestimmt Mitgesetztem.
Nach dieser rohen Beschreibung der immanenten Gegeben­
heitsweise der weltlichen Gegenwart versteht sich unsere auf sie
20 bezügliche Unterscheidung von Präsentation und Appräsenta-
tion, die zunächst als relative und dann letztlich als absolute zu
verstehen ist. Jede Gegenwärtigung oder Präsentation ist nur ei­
gentliche Gegenwärtigung unter Mitgegenwärtigung (Appräsen-
tation). Die Gesamtgegenwärtigung als die Bewusstseinsweise der
25 Weltgegenwart ist eigentlich präsentierend das Wahrnehmungs­
feld, aber das nur als mitgegenwärtigend einen offenen Horizont
potentieller Wahrnehmungsfelder. Hierbei gilt also ein einzelnes
Reales des Feldes als eigentlich präsentiert. Aber bei diesem kehrt
dieselbe Unterscheidung wieder. Ein Einzelreales als gegenwärti-
30 ges ist eigentlich präsentiert hinsichtlich der wirklich gesehenen
etc. Seite und ist das nur (eine Seite hat nur Sinn durch Mitsein
von Gegenseiten) unter Appräsentation. (Genauer besehen setzt
sich die Relativität der Scheidung auch hier noch durch, die
Sachlage ist noch viel komplizierter. So hat visuell das Fernding
35 in Appräsentation die ihm zugehörigen Nahdinge. Aber diese
Appräsentation, dieser andersartige „Innenhorizont”, geht uns
hier nicht an, sie betrifft eine Mittelbarkeit in der selbstgebenden
Wahrnehmung, aber nicht die weltliche Gegenwart selbst. Das
TEXT NR. 9 125

Fernding ist kein Reales der Weltgegenwart, sondern nur eine


5 Erscheinung des betreffenden gegenwärtigen Realen.)
Zum Gegenwartsbereich, dem eigentlich präsentierten oder
appräsentierten, gehören nun verschiedenartige Realitäten,
darunter jedenfalls unsere Mitmenschen. Sie sind, wie wir schon
wissen, dabei Mitseiende, auch als wirkliche oder mögliche Mit-
10 erfahrende, unsere gegenwärtige Welt als die für uns geltende
ihrem Seinssinn nach mitbestimmend. Wir richten uns wechsel­
seitig nach einander, und das gehört selbst mit zur Wahrneh­
mungsgegenwart als der meinen.
D ie p r i m o r d i a l e R e d u k t i o n a u f di e W e l t al s
15 m e i n e E r f a h r u n g s w e l t und zunächst der für mich gegen­
wärtigen Welt auf m e i n e wahmehmungsmässige Gegenwarts­
welt hat nun den besonderen Sinn, dass ich nur in Geltung setze
meine eigenen eigentlichen Präsentationen sowie alle meine Ap-
präsentationen, die ich als eigene Präsentationen verwirklichen
20 könnte.
Die erste Reduktion, die auf meine direkte Erfahrungswelt, auf
das, <was> mir von der Welt wahrnehmungsmässig ist, war, sein
wird, und auch in meiner Möglichkeit.
Die zweite Reduktion, die des Abbaus der Appräsentationen,
25 die nicht zu meinen eigentlichen Präsentationen werden könnten.
Eben die ergibt die primordiale „Welt”. Die fremden Menschen
sind wahrnehmungsmässig Reahtäten, sie gehören zur Wahr­
nehmungswelt, aber nicht zur primordialen Sphäre.
30 Nun bestimmen wir den Begriff der primordialen transzen­
dentalen Subjektivität. Wir nehmen zusammen:
In der Epoche bin ich als Ich und in meinem Weltbewusst­
seinsleben absolut mir gegeben, meine Gegenwart in der Wach­
heit, Ich als in diesem immanenten Gegenwartsleben bin apo-
35 diktisch gegeben und habe auch apodiktisch, unmodalisierbar
meinen immanenten Zeithorizont, wie sehr seine Erfüllung un­
bestimmt und vieldeutig sein und nach bestimmenden Rück­
gewissheiten und Vorgewissheiten zweifelhaft werden kann. Die
Erfahrungsgewissheit, die ich dann aber habe, enthält doch apo­
diktische Seinsgewissheit. Nur das Sosein ist nicht in seiner Be-
stimmheit apodiktisch gewiss. Zu dieser mir apodiktisch eigenen
Sphäre gehört auch die mir jeweils seinsgeltende Welt als solche.
Diese Seinsgeltung ist eingeklammert.
126 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES" 1 930-1931

Zunächst innerhalb dieses meines eigenen Ich im bewusstseins-


mässigen transzendental beschlossenen Dasein kann ich eine
Fundierung der Seinsgeltung aufweisen: Mein immanent Gegen­
wärtigsein fundiert mein Vergangen- und Künftigsein, und ge-
5 nauer besehen ist die strömend lebendige Selbstgegenwart eine
strömende Fundierung, das Jetzt fundiert, roh gesagt, das So-
eben-gewesen und das Soeben-kommend in der strömenden Zeiti­
gung. Das konkrete Gegenwartsfeld ist ein ganzes Feld, das selbst
die Unterschiede von Gegenwart, Soeben-vergangen (in einer
10 Kontinuität) und Künftig einschliesst. Darin ist im Strömen
jedes Soeben als hervorgegangen aus dem Jetzt (und jedes
spätere Soeben aus dem früheren) in dem Sein eines Jetzt fun­
diert, als eine Ur-Genese von Sein-Werden aus schon Seiendem.
Die konkrete Gegenwart als konkretes Jetzt-seiendes fundiert als
15 konkret verströmende ihr konkretes Soeben etc. in einer strö­
menden, also sich kontinuierlich vermittelnden Fundierung, und
schliesslich ist der jeder lebendig strömenden Gegenwart zuge­
hörige Gesamthorizont der Vergangenheit und Zukunft eine nur
nicht explizierte Geltungseinheit aus kontinuierücher Fundierung
20 und selbst noch im Strömen seinen Seinssinn abwandelnd.
Wir können ferner sagen: Es geht das Sein der konkreten
strömenden Gegenwart selbst als das im Modus der Originalität,
der Präsentation Bewusste dem darin als retentional und proten-
tional Bewussten voran, in der Weise der Fundierung. Das Be-
25 wusstsein des Soeben ist jetzt seiend und bewusst als wahrge­
nommen seiend, und was darin bewusst ist, ist ein Soeben, ein
Nicht-Jetzt. Die Seinsgeltung, die für mich meine Vergangen­
heit und Zukunft hat, ist selbstverständlich eine in meiner Gegen­
wart liegende Leistung. Mein gegenwärtiges Sein ist der Träger
30 meines vergangenen und künftigen Seins. Die Aufhebung des
Seins der Gegenwart bedeutet auch die aller Vergangenheit und
Zukunft. Andererseits liegt in der Gegenwart die Vergangenheit
etc. mitbeschlossen als in ihr konstituierte notwendige Gel­
tung.
35 Nun bin ich transzendental das ego, das in seinem Bewusst-
seinsleben seiner selbst in dieser Zeitigung und Seinsfundierung
bewusst ist als eine Welt bewusst und in Geltung habend. Des
näheren geschieht das in Form einer ursprünglichen Zeitigung,
in der Welt in meiner Selbstgegenwart als gegenwärtige, in mei-
TEXT NR. 9 127

ner Selbstvergangenheit als vergangene etc. „erscheint” und


gilt, bzw. in meiner konkret lebendigen Gegenwart gilt mir als
seiend in eins und verflochten mein immanent-zeitliches Sein
und das welt-zeitliche (raum-zeitliche) Sein. Natürlich ist die
5 Seinsgeltung der für mich seienden Welt seinsmässig in meinem
Sein fundiert, und wir fragen nach den weiteren Fundierungs­
stufen. Klar ist, dass die für mich seiende Weltgegenwart wieder
als in meiner immanenten Gegenwart ihre Geltung habend hin­
sichtlich dieser Geltung fundiert die Weltvergangenheit und
10 -Zukunft für mich.
Ferner, was für mich als Wahmehmungswelt in der Gegen­
wart (und dann in jeder vergangenen und künftigen Gegenwart)
sich abgrenzt, geht in der Seinsgeltung voran dem nicht wahr-
nehmungsmässig für die Welt Geltenden, und die primordial
15 reduzierte Welt (das von der geltenden Welt abstraktiv so Redu­
zierte) hat eine an sich frühere Geltung gegenüber dem übrigen.
So schreite ich also zu dem für mich von der Welt an sich Frühe­
ren vor, innerhalb der beständig vollen Welt, als was und wie sie
für mich immer als seiende gilt.
20 Ich fasse nun näher ins Auge mein Primordiales von der
Welt, und zwar wie es in meiner transzendentalen Immanenz, in
meinem Weltbewusstsein zu seinem Seinssinn kommt.
Wie sieht eine weltlich Reales selbstgebende Präsentation aus,
welche Seinsfundierungen liegen in ihr, natürlich wenn ich sie
25 primordial reduziert halte? Ich komme auf Empfindungsdaten,
als abschattende in der Auffassung der Empfindungsdaten, in
der ich immanent Erscheinung von räumlichem Sein habe, auf
Kinästhesen und kinästhetische Motivation etc. Ich komme in
dieser Abstraktion von der in der hier fraglichen Geltungsleistung
30 fundierten Leistungssphäre, welche die objektive Welt erst er­
gibt, auf Konstitution von raumzeitlicher Natur und dem einzig
ausgezeichneten eigenen Leibkörper, diesen aber in der ganz
anderen Weise aufgefasst und in beständiger Geltung, nämlich
eben als meinen Leib.1

1 Ich beschreibe die „Erscheinungsweisen” vom Selben und die Synthesis der Ein­
stimmigkeit, worin es den Charakter des Fortgeltenden, fort sich bestätigenden
Selben hat.
128 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

Ich überlege nun, was damit für Einheiten zur Selbstgegeben­


heit kommen und wie sie zu mir selbst, dem transzendentalen
Fundament ihrer Konstitution, stehen. Ich zeige, dass sie zwar
mein B e w u s s t s e i n s l e b e n transzendieren und mein Sein
5 als sozusagen immanente Person Ich, dass sie aber darin analog
sind den hyletischen Einheiten, die gegenüber Ich, Ichvermö-
gen, Ichakten, Ichbewusstsein ein sozusagen Ichfremdes sind,
und doch vom Ich konkret unabtrennbar sind als im Bewusst­
seinsleben Auftretendes und zu seiner vollen Konkretion Ge-
10 höriges. In höherer Stufe gehört zur Konkretion des Ich, das
immerfort Welt in einstimmiger Geltung hat, und zu seinem apo­
diktischen Für-sich-selbst-sein, dass es in der primordialen Welt­
geltungsschichte Einstimmigkeit hat hinsichtlich der primordi­
alen Erscheinungen und eine Potentialität des Ich-kann, ein Ver-
15 mögen hat, in bezug auf die mögliche Erfahrung der Horizonte
der Mitgegenwart einstimmige präsentierende Erscheinungen
vom selben hersteilen zu können. Zu jedem Wahrnehmungsob­
jekt gehört also einstimmige wirkliche und mögliche Erfahrung,
bzw. ein System möglicher Erfahrung als eine vorausgesetzter-
20 massen wirklich bestehende Potentialität des Ich. In der Ein­
stimmigkeit des Ablaufs der „Mannigfaltigkeit”, die durchaus
zum eigenen Sein des Ich gehört, ist die synthetische Einheit in­
tentionales Objekt im Modus des Es-selbst und als sich immer
wieder bewährend in gewisser Weise ein Immanentes, ein
25 von ihr Unabtrennbares, obschon als Einheitspunkt der bewäh­
renden Synthesis ein „Idelles”, ein Irreales. Dies ist also in einem
wohlbegründeten neuen Sinn dem konkreten Ich immanent, als
von seiner Konkretion unabtrennbare Potentialität der Synthe­
sis, als ein immer wieder dasselbe als es selbst Erfahrenkönnen,
30 wobei die Seinsquellen dieses selben, die einen Seinssinn begrün­
denden, ausschliesslich in der Sphäre des apodiktischen Für-
sich-selbst-seins liegen.
In der Bildung des Begriffs „primordiale transzendentale
Subjektivität” ist diese Subjektivität k o n k r e t umgriffen. Die
35 Rede ist dabei von mir selbst, der ich als Mensch in die Epoche
getreten und im Vollzug derselben meines absoluten Wesens in-
negeworden bin. Darin hegt als festlegend für das, was hier
transzendentale Subjektivität heisst, dass sie Welt konstituieren­
de ist für mich, dass sie es ist, welche die Welt, von der ich in
TEXT NR. 9 129

natürlicher Einstellung spreche, in Geltung hat. Mein transzen­


dentales Ich, konkret genommen, befasst das Bewusstseinsleben,
in dem für mich Welt seiend ist und im besonderen erfahren, ja
direkt durch mich wahrnehmbar etc. ist, aber darum nicht die
5 Welt selbst. Die Welt ist in meiner transzendentalen Subjekti­
vität geltend, aber ihr gegenüber unterschieden als das Andere;
wenn man will, gegenüber dem Transzendentalen das Tran­
szendente, wofern man das Wort nur rein in diesem Gegen­
satz nimmt, wie er im Erkenntnisbereich des transzendentalen
10 Ich selbst hegt. Von diesem Anderen, das in seinem Sein ja ein­
geklammert ist, fällt nichts in das selbsteigene Sein meines
transzendentalen Ich, also wenn ich die Welt abstraktiv redu­
ziere auf meine Wahrnehmungswelt, so ist damit nicht ein Be­
standstück der Welt selbst zugerechnet und zuzurechnen meinem
15 eigenen Sein.

Ergänzung zur Klärung des Begriffs der Primordialität

Die Sache wird zunächst nicht anders, wenn ich auf das pri­
mordial Reduzierte mich zurückziehe. Wenn ich nämhch die
darüber hinausgehende Weltgeltung ungeschoren lasse, dann ist
20 es das, was ich von der Welt selbst zu Gesicht bekomme, z.B.
visuell diesen grünen Lampenschirm als wie ich ihn wirklich
sehe, grün, in Form einer kugligen Schalotte, oder wie ich ihn
tastend erfahre als glatt usw.
Aber hier muss man vorsichtig sein und sich vor einem Miss-
25 Verständnis unseres Begriffs vom Primordialen hüten. Er befasst
nicht das, was ich von dem Ding wirklich wahrnehme und was
sonach als Wahrgenommenes immer als dem Ding Zugehöriges
gilt, seine Farbe, Form usw. und sonstige jetzt nicht eigentlich
30 wahrgenommene, aber mitgemeinte und als wahrnehmbar mit-
herausgehobene Eigenschaften des Dinges. Vielmehr ist die
primordiale Reduktion, statt einer „Abstraktion”, einer Ein­
schränkung des beschreibenden und heraushebenden Blickes
auf das wirklich Wahrgenommene von dem Ding und so von dem
35 sonstigen als Welt Geltenden, eine wirkliche Epoche hinsicht­
lich der Mitgeltungen unter dem Gesichtspunkt der Analyse
der Geltungsfundierungen, die eo ipso Fundierungen des welt­
lichen Seins (Für-mich-seins) in vorangehenden Für-mich-Seien-
130 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

den, aus meiner Geltung her Für-mich-Seienden sind. Enthalte


ich mich des Vollzuges der betreffenden Appräsentationen,
eingeschlossen alle Horizontgeltungen, die zu ihnen fundiert ge­
hören, so komme ich auf die primordiale Transzendenz als sozu-
5 sagen eine Welt für sich, aber vor der objektiven Welt, aus­
machend und nicht etwa eine Schichte der objektiven Welt
selbst. Nur ist es freilich so, dass, sowie die fundierte Gel­
tung ins Recht gesetzt wird, die primordiale Schichte zur
Selbstdarstellung von Weltlichem wird, in der höher fundier-
10 ten Auffassung und Geltungsschicht den volleren Seinssinn
annehmend. So wird ja auch die Hyle, die in der Reduktion des
primordialen Transzendenten auf die Bewusstseinsimmanenz
und das von ihr immanent-zeitlich Unabtrennbare sich heraus­
hebt, erst durch die Auffassung und Geltung als Abschattung
15 nicht mehr als Hyle (Empfindungsdatum) gesehen, sondern durch
sie hindurch wird objektive Farbe etc. gesehen.
Allerdings die Art dieser „Auffassung” ist hier eine andere.
Die Appräsentation von Anderen und ihren primordialen Sphären
begründet die auffassungsmässig mitgeltende Synthesis meiner
20 und der fremden Primordialitäten und mittelbar die universale
Synthesis meiner primordialen Dingerscheinungen mit denen der
Anderen, wodurch wir eine intersubjektive Mannigfaltigkeit ge­
winnen für jedes Reale, die doch erst durch Synthesis der Pri­
mordialitäten ermöglicht wird. Mein Primordiales bekommt seine
25 Gesellen, und ein jedes ist in dem zweiten Sinn transzendental
immanent, jede transzendentale Subjektivität habe ich transzen­
dent-immanent.
Wie steht es nun mit der intersubjektiven Welt als Welt der
Realitäten in der intersubjektiven Raumzeitlichkeit gegenüber
30 der ersten primordialen Raumzeitlichkeit? Von der universalen
N atur als Grundschichte der realen Welt kann man sagen, dass
sie der Gemeinschaft der transzendentalen Subjekte (die in mir
als transzendentale Ich zur Geltung kommen) vermöge der Ge­
meinschaft ihres transzendentalen Lebens und ihrer transzen-
35 dental fungierenden Vermögen immanent sei, als immanente
Transzendenz. Wie steht es aber mit den Menschen und ihrem
psychischen, ihrem psychisch-personalen Sein? Man muss hier
überall sehr vorsichtig, sehr genau sein, auch bei der Rede von
<der> Immanenz der Natur. Die primordialen Sphären, die Mo-
BEILAGE VI 131

naden, liegen nicht nebeneinander und nur verbunden. Voran


liegt, dass ich in meiner Primordialität „Leib” and „Natur”
habe und, den fremden Leib verstehend, schon damit ein sich dar­
in ausdrückendes Ich und in dieser Einheit von Ausdruck und
5 Ausgedrücktem Einheit eines Menschen habe, in meinem pri­
mordialen Raum erscheinend in seiner körperlichen Leiblichkeit,
seinen primordialen Raum und <seine > Raumumgebung mit sich
bringend, und beides tritt in Deckung. Dann wird er auch ver­
standen als mich erfahrend, mein Leib wird als ihm erscheinend
10 zum Ausdruck meines- primordialen Seins und zunächst meines
Ich als Ich meiner (zunächst nur primordial-immanent zu fassen­
den) Umwelt. Woraus sich dann erst das eigentliche Für-Andere-
Mensch-sein, Als-Zentrum-einer-Umwelt-sein konstituiert, wo­
bei die Umwelt Welt in der subjektiven Gegebenheitsweise ist,
15 und das Ich wechselseitig zur Umwelt gehört und zur Welt selbst.
Aber ist darauf nicht auch Rücksicht zu nehmen bei der ge­
meinsamen Natur, die für jeden umweltliche Natur ist?

BEILAGE VI
<DIE PHÄNOMENOLOGISCHE EPOCHE. DAS MIR SELBST
20 ZUGEHÖRIGE UND DAS TRANSZENDENTE >
<wohl Dezember 1930>

Die Art der Einführung der phänomenologischen Epoche. Ich


schalte das Urteilsfeld „seiende Welt” aus als Grundfeld. Was bleibt
übrig? Ich, der diese Welt in Geltung Setzende, ich, das Subjekt
25 ihrer Erscheinungen, ihrer Seinsmeinung, ihrer Seinsbewährung. Ich —
wie steht es mit dem von mir aus Setzbaren ? Welterfahrung, das im­
pliziert Stufenfolgen von Erfahrungen, von ursprünglich gründen­
den und begründeten Seinssetzungen. Die Weltsetzung selbst
als die in dieser Stufenfolge gegründete Seinssetzung oder die Welt als
30 die in ihr habituell vorgegebene und im gleichen Stil zu immer neuer
Setzung kommend. Die Welt als Phänomen — diese in solcher
Gründung begründete oder für mich seiende, ihr Seinssinn in dieser
Folge sich konstituierend. Ich als Thema, ich als Subjekt dieser Grün­
dung und Endgeltung. Ich in meinem Leben, in meinem Bewusstha-
35 ben von seiender Welt — die seiende Welt als Nicht-Ich — ich und
alles Bewussthaben, alles In-Geltung-Haben als von mir untrennbar,
als worin ich bin, ich als Welt Habender. Ich, mein Bewusstseinsleben
und das darin Bewusste als solches. Aber das Bewusste ist das mir Gel­
tende als solches, wenn ist, was mir gilt. Ich selbst oder mir selbst zuge
132 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

hörig. Was vollkommen erfahrbar ist, so nämlich, dass, was der


Erfahrungssinn horizonthaft enthält, für mich selbst wahrnehmbar
ist, das gehört mir selbst zu, darunter Ideen, gegenüber meinen
Erlebnissen ideale Einheiten, in ihnen sich allseitig konstituierend.
5 Transzendent, was appräsentiert ist als nicht erfahrbar in seinem
eigenen Selbst.
Zweierlei: 1) Die Welt als die mir geltende; darin beschlossen die ver­
mittelnden oder fundierenden Geltungen; nicht das im einzelnen Akt
Vermeinte als Welt, sondern im ganzen Leben als Einheit und als
10 wirklich seiend: als bewährte und weiter zu bewährende aus meinem
Vermögen, die Horizonte zu erschliessen, die Erfahrungen zu diri­
gieren etc. Natürlich, ich kann mich dieser Welt enthalten, mich ent­
halten dieser Geltungen und mein subjektives Leben des Geltens be­
trachten. Aber das ist nicht die „Epoche", die nur keinen Boden
15 in der Welt haben will.
Nr. 10

<DIE WELT DER NORMALEN UND DAS PROBLEM


DER BETEILIGUNG DER ANOMALEN AN DER
WELTKONSTITUTION >
5 (10. Januar 1931)

Es handelt sich nicht nur um Verstehen der Anderen, sondern


um Verstehen der gemeinsamen Umwelt und der Menschenge­
meinschaft als die, für die diese Umwelt ist als ihre geistig-prak­
tische Welt, als in die sie hineinleben und die sie in ihrer geistigen
10 Form gestaltet haben.
Es ist dabei so, dass ich, der Erschliessende, schon eine „volle
Welt” habe, zu der ich schliesslich kommen muss, sie schliesslich
voll-konstitutiv verstehend. Aber in Geltungsstufen — Stufen
der Struktur „Mensch” und Menschheit — korrelativ Stufen von
15 möglichen relativen Umwelten. So ist Heim der Familie, Hei­
matort und -land etc. eine sich relativ abgliedernde Einheit;
ich kann sie durch „Abbau” verselbständigt denken. Historisch­
anthropologische Beispiele, die mir im Nach verstehen den Ab­
bau erleichtern oder exemplarisch leisten.
20 Es ist nun ein Problem, welche „Rolle” die verschiedenen Ty­
pen von psychischen Wesen für die Konstitution der vorgegebe­
nen Welt spielen. Aber zunächst, was ist da eigentlich Problem?
Ich, der mich Besinnende und mich auf den absoluten Boden
der transzendentalen Reduktion Stellende, habe „die” Welt vor-
25 gegeben. Wie klärt sich die fertige Leistung meines den Seinssinn
in der Weise des Vermeinten und Geltend-Fortgeltenden in sich
tragenden Bewusstseinslebens? Wie baut sich die Intentionalität
der Vorgegebenheit und in ihr die Identität der fortgeltenden und
sich dabei doch fortbestimmenden Welt auf? Sie ist schon aufge-
30 baut, ich lebe als waches Ich in der aktuellen Intentionalität der
Welthabe, aber ich kann sie befragen nach ihrem „Ursprung” ;
134 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

als intentional fundierte, aktuelle und potentielle Implikationen


in sich schliessende kann ich sie explizieren; von ihr aus als le­
bendiger Genesis kann ich die lebendig verlaufende, aber auch
verlaufene Genesis auslegen und so überhaupt diese leben-
5 dig vorgegebene Welt in ihrer lebendigen Allzeitlichkeit zum
Verstehen mir bringen, den Sinn ihres Seins und Soseins als Lei­
stung meines Bewusstseins von ihr.
In meiner Methode der primordialen Reduktion (der vorgege­
benen Welt auf ihre Primordialität) komme ich korrelativ auf
10 das primordiale ego und baue von da aus weiter, ich setze eine
Einfühlung (in erster Ursprünglichkeit = Fremdwahrnehmung),
ich könnte sagen, wieder eine primordiale Einfühlung, in Geltung
und gewinne „primordiale Andere”. Ich halte mich im Bereich
der Erfahrung und zunächst der „Fremdwahrnehmung”. Ich
15 verfolge in der abstraktiven Reduktion verbleibend, was in der
mir vorgegebenen Welt von meiner Primordialität aus zunächst
fundiert ist als Fremdwahmehmung und zur Geltung kommt.
Ich gehe nun derart weiter. Ich hätte ja gleich mehrere Andere
im Wahrnehmungsfeld annehmen können. Aber ich müsste sie
20 doch einzeln zu fortschreitend auslegender, bewährend bestim­
mender Erfahrung bringen, um zu sehen, was ein einzelner für
sich leistet und in welcher Weise dann ihr Zusammen zu der mir
vorgegebenen Welt beiträgt, nämlich subjektiv für mich, sofern
ich von mir aus, von meiner Primordialität aus motiviert den
25 Seinssinn dieses Anderen intentional bilden und in dieser Mo­
tivation zur Geltung bringen musste. Ein wahrnehmungsmässi-
ger Anderer bestimmt eine Geltungsschichte der vorgegebenen
Welt, nämlich ein schon intersubjektiv Weltliches, konstituiert
rein von mir, primordial, und von ihm als ausschliesslich von dieser
30 Motivation aus für mich nun seienden. Der nächste, den ich mir
ansehe, ist nun schon der dritte, der (was er seinerseits vermöge
der ihm von mir, dem Ich, das schon mit dem zweiten Ich gemein­
same Welt als Schichte hat, <erteilten Sinnstiftung kann>) nun
diese Welt des ersten „wir beide” fortbilden hilft zur Welt für
35 uns drei. Usw. Dabei bildet sich auch der Seinssinn der Fremd­
subjekte um, und auch mein eigener Seinssinn (als Ich unter
Anderen meinesgleichen) fortgesetzt um. Dann, sowie ich ab-
straktiv schon den Anderen im Weltfeld habe (das zunächst —
abstraktiv — Welt für uns zwei ist), habe ich ihn auch als werten-
TEXT NR. 10 135

des und praktisches Mitsubjekt, aber auch als Objekt, Objekt


meiner Sorgen, meiner Tätigkeiten etc. (Natur nur nach einer
Schichte). Und so erhalte ich neue habituelle Schichten, und die
Welt, der ich selbst zugehöre, neue diesbezügliche Schichten,
5 darunter ich „Bedeutsamkeiten” für den Anderen und der An­
dere „Bedeutsamkeiten" für mich.
Wir haben das alles im blossen Wahrnehmungsfeld sich abspie­
len lassen. Es ist natürlich die weitere Frage, wie sich die volle
Zeitigung, die Konstitution der Menschen als verharrende Reali-
10 täten, verharrend durch die Zeit, und nicht nur als Körper, son­
dern als in eins damit seelisch verharrende Subjekte, auf klärt,
und in eins damit, <wie sich> der Fortbau der vorhandenen Welt
für alle diese ihr selbst zugehörigen Subjekte und durch sie <auf­
klärt >. Dabei ist nicht zu vergessen die Konstitution des verhar-
15 renden Miteinander von Menschen, der offenen Gemeinschafts­
menschheit und ihrer Gliederungen, durch die erst eine Einheit
einer bleibenden praktischen Umwelt, einer Lebenswelt wird.
Nun ist ausdrücklich eine Voraussetzung hervorzuheben, die
ich unwillkürlich in diesem Fundierungsgang auf den konstitu-
20 tiven Aufbau meiner vorgegebenen Welt gemacht habe. Kurz ge­
sagt, ich nehme die Anderen in der „ N o r m a l i t ä t " , und es ist
nun zu überlegen, was das besagen kann, bzw. was die Abstrak­
tion von den doch zur vorgegebenen Welt mitgehörigen anomalen
Mitsubjekten und auch anomalen Lebensstrecken der normalen
25 Subjekte besagen kann: wie diese sich mitkonstituieren können
und inwiefern sie durch ihr psychisches Leben (transzendental
gewendet) an der Konstitution der vorgegebenen Welt selbst be­
teiligt sind oder nicht sind.
Überlegen wir zunächst, um zur „Normalität” zu kommen,
30 folgendes: Als transzendentales ego Welt erfahrend (obschon
Welt als Seinsboden einklammernd) habe ich meine etwa wahr-
nehmungsmässig erscheinenden Anderen durch „Einfühlung”.
Ich, mit meiner gesamten habituellen Struktur und der mir schon
geltenden Welt, und mir schon als intersubjektiv geltenden, fun-
35 giere dabei vermöge meines Seins in der Form des Für-mich-
selbst-seins und In-Konnex-mit-Anderen-seins als urstiftend für
die Apperzeption des Anderen als meinesgleichen. Zu mir gehört
meine bewusstseinsmässige Umwelt als die so und so für mich
bewusstseinsmässig seiende, als für mich Gemeinwelt der Mit-
136 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

menschen seiende, als Feld meiner habituellen und aktuellen In­


teressen (und eines jeden seiner <Interessen > und so unserer In­
teressen), meiner und unserer Instinktbedürfnisse und Instinkt­
befriedigungen, meiner und unserer auf sie bezogenen sonstigen
5 Bedürfnisse, meiner und unserer Sorgen, meiner Mühen. Da ich
schon längst und immerzu, solange ich mich entsinne, schon mit
Anderen in Konnex war, so beziehen sich meine Aktualitäten
und Habitualitäten, mein ganzes Interessenleben und bleibendes
Sein als Ich habitueller Interessen, Vermögen, Gewohnheiten
10 usw. auf eine Umwelt, die schon Andere enthält und im Verkehr
mit Anderen sich geformt hat und immer neu formt. (Nicht zum
mindesten sind dann auch Andere mitunter Zielpunkte meiner
Interessen, Objekte der praktischen Umwelt.) Jeder neu in mei­
nen Kreis Eintretende wird nach meinem Ebenbild apperzipiert,
15 und nun heisst er n o r m a l , wenn die allgemeine Horizontvor-
zeichnung, die er mit Einsatz der wahrnehmungsmässigen Ein­
fühlung für mich haben muss eben als meinesgleichen, im allge­
meinen Wesensstil mit mir stimmt, also konkret ähnlich sich
im Fortgang der Erfahrung bestätigt (wobei die Konkretion eben
20 den ganzen Seinsstil, in dem ich für mich schon Form habe, und
zugehörig die für mich bewusstseinsmässige Welt in ihrem korre­
lativen Stil umspannt). Verläuft alle weitere Erfahrung, und zu­
nächst etwa die kontinuierliche Wahrnehmung, so, dass im Fort­
schreiten derselben kontinuierlich Näherbestimmung und selbst
25 Andersbestimmung, aber innerhalb der konkreten Formvorzeich-
nung statthat, so ist der Andere ein Normaler.
Gehen wir auf den konstitutiven Ursprung zurück, so versteht
sich, dass Ähnliches für jede Stufe der Geltungsfundierung analog
auszuführen wäre. Hebe ich abstraktiv mein primordiales Sein
30 und meine primordial reduzierte Welt, mein primordiales Welt­
leben, heraus, so blende ich damit die höherstufigen Motivationen
ab und betrachte, was als „Andere” von da aus apperzeptiv moti­
viert wäre und was als eine intentionale Unterschicht, und zwar
Geltungsschicht, in die Konkretion meines ego und meiner kon-
35 kret vorgegebenen Welt und meiner menschlichen Anderen ein­
geht. Ich bekomme zunächst einen abstrakt reduzierten, sozu­
sagen an sich ersten Anderen, auf den sich meine reduzierte
Seins- und Weltstruktur, mein reduziertes Weltleben (nur abge­
wandelt in korrelativen Perspektiven etc.) überträgt und der nun
TEXT NR. 10 137

n o r m a l e r Anderer ist, wenn die einfühlende Wahrnehmung


sich wirklich in dem relativ konkreten Stil hält, der in dieser
abstrakten Reduktion konkret heissen würde. Mein reduziertes
primordiales Sein in seiner primordialen Konkretion wird nun
5 erst zum Ich, das ein anderes Ich hat, von da aus in mögliche so­
ziale Verbundenheit mit ihm tritt, zum personalen Ich wird, das
sein personales Du hat, für sich selbst Ich, dessen Du ich werde
oder werden kann.
Konstruieren wir so eine Geschichte als Genesis der Mensch-
10 heit als Menschheit für mich und ihrer Welt (im Nacheinander
der in meine zunächst primordiale Erfahrungssphäre eintreten­
den Anderen), so haben wir gleichsam den Stufenbau der Moti­
vationskausalität historisiert und für jede neue Stufe haben wir
eine höherstufige Normalität mitdefiniert und korrelativ für eine
15 jede eine konstituierte Umwelt als normale Erfahrungswelt, be­
zogen eben auf die Normalen der höheren und der universalen
Stufe.1
Nun ist nicht gesagt, dass jedes neu in Betracht gezogene ande­
re Ich eine neue Welt ergibt, d.h. die formale Wesensstruktur der
20 Welt ändert, welche den Horizontsinn der vorgegebenen Welt
und jeder möglichen vorgegebenen so zeichnet, dass alle wirk­
liche Erfahrung, wie weit sie auch Kenntnis und Erkenntnis er­
weitern mag, doch nur die dem allgemeinen Sinn nach schon ver­
traute (wenn auch nicht explizit und gar wissenschaftlich ausge-
25 legte) Welt zur expliziten Bekanntheit bringt.
Es handelt sich aber darum, die Strukturstufen zu scheiden.
Durch Einfühlung überhaupt, und quasi genetisch gesprochen

1 Der Gang der konstitutiven Aufklärung, wie ich da beschreibe, bedarf grösserer
Genauigkeit hinsichtlich der Raumzeitigung der Anderen als verharrender, als fort­
schreitend erfahrbarer und fortschreitend als meinesgleichen verstehbarer, und korre­
lativ der Raumzeitigung der identischen, also in ihrer Weise verharrenden Welt als
ebenso durchgängig verständlicher, <von> gleicher Erfahrbarkeit für alle diese An­
deren eben als meinesgleichen. Darin liegt beschlossen, dass, was aus eines jeden
In-die-Welt-leben in geistiger Bedeutung erwachsen ist, für einen jeden als das ver­
stehbar ist, dass diese Gemeinwelt also homogen ist in ihrer Relativität auf dieses
Subjektall.
Ein ausdrücklich hervorzuhebendes und zu behandelndes Moment in der Konstitu­
tion ist die Konstitution eines verharrenden „Wir” derart, dass die Einzelpersonen
dieses Wir füreinander erfahrbar, erreichbar sind und sich innerhalb einer gemein­
samen aktuell erfahrbaren Weltsphäre halten, die für sie zur gemeinsamen, verharren­
den Lebenssphäre, Lebensumwelt wird, sie selbst zugleich als Objekte befassend.
Das konstitutive Problem ist also das der konkreten personalen Umwelt als endliches
Interessenfeld der Personen als Subjekten von Interessen.
138 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES" 1930-1931

schon durch die erste Einfühlung, konstituiert sich eine gemein­


same Welt. Ein Weiteres ist das In-Konnex-mit-Anderen-sein,
das dauernd miteinander (und gegeneinander, das nur eine Form
des Miteinander ist) in dieselbe Welt Hineinleben, Hineinsorgen
5 usw., die zur Interessenwelt, zu unserer praktischen Lebensumwelt
wird, wobei das Wir, ich und die Anderen, selbst zur konstituier­
ten Objektwelt gehört, und zwar dauernd, während es, das
„Wir” zugleich Subjekt der Welt ist, das Welt erfahrende (selbst
einbegriffen), Welt wissende, weltlich handelnde Wir, mit Er-
10 gebnissen, welche den objektiven Inhalt der Welt bereichern.1
Ein wesentlich Neues tritt mit der Erweiterung von der Zwei­
heit zur Mehrheit und zu einer offen endlosen, in die offen „un­
endliche” Welt hineinzuantizipierenden Mehrheit zunächst darin
<auf>, dass sich die Vergemeinschaftung (welche sozusagen <als>
15 Umwelt weiterbauend fungiert) von den unmittelbar erfahrenen
Anderen durch die Anderen der Anderen hindurch und so iteriert
forterstreckt und dass diese Mittelbarkeit dann auch diejenige
der „Ergebnisse” der Vergemeinschaftung, die sich konstituie­
renden verbundenen Gemeinschaften und ihre Gemeinschafts-
20 leistungen, bedingt.
Wieder ein wesentlich Neues, obschon damit beständig sich
Verflechtendes, ist die Konstitution der offen endlosen Genera­
tion und in eins damit die Konstitution von Geburt und Tod,
nicht als gelegentliche Zufälligkeiten, sondern als allgemeine
25 Strukturmerkmale aller psychischen Lebewesen: Zum Menschen
als solchem gehört es, geboren zu werden und zu sterben.12
Wieder hängt damit zusammen die Geschichtlichkeit des
menschlichen Daseins, bzw. die Konstitution der Welt für mich,
für uns als einer historischen Umwelt historischer Menschen, hi-
35 storischer Menschengemeinschaften. Historisch ist ein Mensch, in

1 Also dauernd füreinander dasein als verbundenes Wir, in derselben Nab weit
als praktisches Feld in Interessenverflechtung leben, miteinander und gegeneinander
in die Welt als aktuelle Lebensumwelt leben. Ein Besonderes ist also die Konstitution
einer praktischen Lebensumwelt und ihr Wir.
2 Die Konstitution einer verharrenden Mitmenschlichkeit, allgemeinen Gesell­
schaftlichkeit in korrelativer Bezogenheit zu einer praktischen Umwelt, kann ab­
strakt schon vor der Generation behandelt werden, und so liegt vermöge der Art der
Zeitigung dieser praktischen Umwelt als personal bedeutsamer schon eine abstrakte
Historizität darin beschlossen. Wird die Generation ins Spiel gesetzt, so ist dieser
Fortschritt in der Konkretion auch eine Konkretisierung der bleibenden Mitmensch­
lichkeiten, Mutter bzw. Eltern und Kind etc., und zugleich haben wir eine konkreter,
generativ geformte Zeitigung und historische Umwelt.
TEXT NR. 10 139

einem weitesten und nicht in einem prätentiös prägnanten Sinn,


als Glied einer historischen Gemeinschaft. Diese ist als Seiendes in
der Welt (die immer nur Welt für „mich” und für „uns" ist) kon­
stituiert in Form einer vergemeinschafteten Menschheit als einer
5 v e r h a r r e n d e n Realität höherer Ordnung, welche das be­
sondere Verharren hat durch den Personenwechsel hindurch,
durch Hineingeborenwerden und Heraussterben. Das ergibt
einen eigenen Sinn von Gegenwart (historische Gegenwart der
Gemeinschaft, sei es etwa einer politischen (Staat), sei es einer
10 wissenschaftlichen, und historische Gegenwart ihrer Umwelt),
von historischer Vergangenheit und Zukunft; desgleichen einen
bestimmten Sinn für eine historisch verborgene und evtl, auf
Grund dieser verborgenen Traditionalität ausdrücklich be-
wusstseinsmässige Vergemeinschaftung der gegenwärtig Leben-
15 den mit den längst Verstorbenen (verschiedene Formen der
historischen Tradition und des Lebens in Tradition).
Die Umwelt des normalen Menschen als zu einer historischen
Gemeinschaft gehörigen ist selbst, sagten wir, historisch. Sie ent­
hält als reale Objekte nicht mehr bloss Personen, sondern auch
20 Gemeinschaften in verschiedenen Formen und Stufen und ent­
hält neben der Bildung, Umbildung und Auflösung von Gemein­
schaften auch eine sich fortbildende historische Sachenwelt, ge­
bildet und fortgebildet als Gemeinschaftsleistung.
Ist jeder n o r m a l e Mensch historisch, konstituiert als
25 seiend in einer historisch dauernden Gemeinschaft, so ist seine
Umwelt, die Welt, die für ihn konkret konstituiert ist, um ­
g r e n z t als historische, unerachtet eines offenen Horizontes
einer „leeren” Raumzeitlichkeit und Welt; so, wenn wir die totale
historische Gemeinschaft nehmen, die als totale sich in Sonder-
30 gemeinschaften gliedert.
Problem der Erweiterung der Welt durch Besetzung des leeren
Welthorizontes mit einer anderen historischen Totalität, einer
fremden, total fremdartiger, in diesem Sinn abnormer Menschen
einer abnormen Umwelt. Verknüpfung zur totalen „irdischen”
35 Menschheit. Umgekehrt der Zerfall einer Totalität durch „Ver­
gessen” der Tradition, durch Bruch der Tradition.
Wesensmässig Hand in Hand mit der Konstitution histori­
scher Umwelt geht die Konstitution einer ihre Endlichkeiten
überschreitenden und endlosen, einer offenen Natur, und diese
140 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

e r m ö g l i c h t als immerzu vorlaufende die Konstitution der of­


fenen Möglichkeit von immer neuen, obschon faktisch unzugäng­
lichen historischen Totalitäten.1
Aber wie steht es nun mit der Konstitution der Anomalitäten?
5 Ich ging als der mich transzendental Besinnende von mir aus
und der mir geltenden Welt. In meiner Zeitlichkeit, soweit ich
mich zurückbesinne, hatte ich immer schon Welt, dieselbe Welt,
die aber in meinem Leben immer neuen Sinn annahm und doch
Einheit seiender Welt durch alle diese Wandlungen durchhielt.
10 In meiner Kindheit war mir noch der Sinn des generativen Da­
seins der Menschheit und einer Historie verschlossen, ich wusste
noch nichts von Tradition, für mich gab es keine Tradition. Nur
Andere wussten es, dass selbst meine Spiele, meine Märchen etc.
aus uralter Tradition mir — durch die Anderen, die in ihr stan-
15 den — übermittelt sind. Von Geburt und Tod hatte ich keine
Ahnung, selbst wenn ich die Worte dafür schon hatte. Ich wusste
nichts von Literatur, von Wissenschaft, von Kunst, von histori­
scher Kultur überhaupt, obschon ich schon eine Umwelt mit
Bildern, mit Gebrauchsobjekten usw. hatte. Der Seinssinn Welt,
20 den ich hatte, war in fortgehender Umbildung des Sinnes, nicht
einer blossen Sinneserweiterung durch Besetzung der Horizonte.
Der Welthorizont hatte keine bestimmte, jedenfalls keine offen
ins Endlose fortgehende bestimmte Einzeichnung, obschon er
doch eine gewisse Offenheit hatte. Es ist ein Problem, welche Art
25 der Sinnbildung vonstatten ging, wie sie zu verstehen, konstitu­
tiv auszulegen ist und wie sich hinterher verstehen lässt, dass ich
als Reifgewordener sagen kann: Von „der” Welt hatte ich eine
Vorstellung, aber eine sehr unvollkommene, erst allmählich ge­
wann ich immer weiter reichende Weltkenntnis.
30 Als reifer Mensch unter Reifen und Normalen bilde ich und alle
mit mir in mindestens mittelbarer Gemeinschaft Stehenden meine
Welterfahrung ebenfalls aus, aber der Stil der Erfahrungswelt,
wie sie für den reifen „vernünftigen” Menschen ist und, was das­
selbe zu besagen pflegt, „wie sie wirklich ist”, ändert sich nicht
1 Doch von anderer Seite wird diese Möglichkeit zum Problem. Kann die gesamte
Welt so beschaffen sein: eine unendliche Natur, in ihr verteilt historische Gemein­
schaften, sich fortschreitend vergemeinschaftend, und ideell so, dass die unendliche
Natur zum einheitlichen Territorium einer universalen Menschheit wird oder auch
dass die unendliche Welt zu einer einheitlich einzigen historischen Welt wird, in der
die Allmenschheit, die Synthesis aller Menschheiten ideell über alles Seiende prak­
tische Verfügung gewinnen, alles ins Unendliche vergeistigen kann etc.?
TEXT NR. 10 141

mehr grundwesentlich. Freilich, im Lauf der Zeiten ändern sich


die „Weltanschauungen”, ihr Seinssinn, auch innerhalb unserer
Einheit der historischen Kulturgemeinschaft. Also das gibt wie­
der Probleme.
5 Zurückgehend in meine Kindheit, soweit ich einigermassen
klare Erinnerung habe, vollziehe ich nicht nur Erinnerung, son­
dern auch rückgreifend Interpretation und Korrektur, zumeist
freilich auch eine unbewusste Erinnerungsfälschung durch ap-
perzeptive Umdeutung und Umgestaltung früherer Erfahrung,
10 rückgreifende Apperzeption von der jetzigen aus.
Der normale Mensch im Sinn der Definition ist eine Idealisie­
rung des reifen und dabei in einem anderen Sinn (einem erst zu be­
stimmenden) normalen Menschen.
Ich will verstehen, wie sich meine Welt als menschliche Um-
15 weit, und zwar als Umwelt einer vergemeinschaftet lebenden
Menschheit, ja des näheren meines „Wir” meiner praktischen
Umwelt oder Lebenswelt konstituiert, umgrenzt von einem wei­
teren apraktischen Welthorizont, oder konkreter, einem Welt­
horizont, der andere Menschheiten und ihre Lebenswelten ent-
20 hält und schliesslich erst in einen „leeren” Welthorizont über­
geht. Um das zu können, brauche ich Abstraktionen, und eine
Abstraktionsstufe ist die Gemeinschaft der Reifen und zunächst
der als wirklich „meinesgleichen” angenommenen Menschen.
Zum Problem gehört jede Schichtung, die die Welt für mich als
25 tatsächlich für mich ausweisbare hat. Hier gilt es, die Gemein­
schaft der Reifen meines normalen „Wir” und dann jeder solchen
Wirgemeinschaft generativ zurückzu verfolgen, während die
Kinder nur zur Welt des Vorhandenen und zu Behandelnden ge­
hören, ebenso andererseits die Verrückten, die Kranken etc. Aber
30 schwierig ist es, all diesem andererseits genugzutun, wie es die
konkrete Welt mitbestimmt, wie konkrete Kulturwelt danach
sich abschichtet und dabei als Wissenschaft, Kunst, als Handwerk,
als Staat zunächst nur das Normale, relativ Vernünftige und Rei­
fe befasst und dann wieder mit dem Ausgeschlossenen in eins
35 zu nehmen ist in konkreter Historizität.
Schliesslich, wie konstituiert sich eine Lebenswelt, trotzdem
die reifen Menschen nichts weniger als ernstlich gleich zu gleichen
stehen? Sie konstituiert sich als eine individuelle (z.B. als euro­
päische Kulturwelt, als die der englischen Nation etc.) durch eine
142 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

individualtypische Universalstruktur, die jeder „normale” Mensch


der betreffenden Kultur in seiner Zeit und ihrer Zeit (je in Ge­
genwart) bewusstseinsmässig-habituell als seinen geistigen Le­
bensraum hat, als „Form", die er nach seinen individuellen Ver-
5 mögen und aus seinem persönlichen Leben her konkretisiert,
unvollkommen, in unzähligen Stufen der UnVollkommenheit.1
Wie konstituiert sich diese ihre verharrende Struktur, an wel­
cher das Verharren dieser Kulturwelt selbst hängt? Andererseits
hat auch sie „ihre Zeit", sie ist nur die „ihrer Zeit”, und sich wan-
10 delnd ändert sie sich doch wieder nur in der Einheit eines histo­
rischen Stiles, der sozusagen die „historische Substanz” einer uni­
versalzeitlichen Kultur ausmacht, wie der europäischen von den
alten Griechen an bis zur Gegenwart. Der j etzt Lebende weiss da­
von nichts, aber er kann die Geschichte, die die seine als die seiner
15 Kultur ist, enthüllen, und nur von der Struktur seiner histori­
schen Gegenwart <her > (der konkret lebendigen Zeitlichkeit mit
ihrer gegenwärtig lebenden Vergangenheit) kann er das tun.
Als Mensch n o r m a l ist, wer mit dem Wort „jedermann”
sich konkret versteht, wer einer offenen Menschengemeinschaft
20 von Mitmenschen angehört, die dieselbe historische Lebenswelt
haben, bestimmt durch dieselbe, allen vertraute, aber nicht aus­
gelegte Formstruktur. Der Normale ist normal in und vermöge
der normalen Gemeinschaft.

BEILAGE VII
25 NORMALITÄT IM REICH DER PERSONALEN WELT (SITTE ETC.)
(Juli-August 1930)

<Inhalt:> Ich, wir Menschen im „menschlichen Dasein”, im mensch­


lichen Leben. Ziele im Leben und Lebensziele, Lebensideale. Das Leben —
des mündigen Menschen — in der Normalität. Bruch der Normalität
30 selbst als Bestandstück normalen Daseins. Streben nach möglichst willent­
licher Erweiterung der Normalität, des Bereichs, auf den man rechnen
kann. Normalität der Natur. Das Normale im Reich der personalen, der
Kulturwelt. Das Kathekon, Besinnung über das Kathekon selbst mitzuge­
hörig. Sitte. Geschichte als Besinnung mit ihrem Zweck. Beschreibung des
35 normalen Stiles der menschlichen Umwelt (individuelle Form „unsere”
Umwelt), individuelle Form, nicht Wesensform.

1 Vorerst: Jede Kulturwelt hat i h r e Form, im Waudel ihre verharrende Gestalt.


BEILAGE VII 143

Ziele im Leben und Lebensziele, Lebensideale

Der Mensch — ich — im Menschheitsleben, mit Anderen insgemein


in die Welt hineinlebend, ich mit meinen „Lebenszielen" mit und gegen
Andere mit ihren Lebenszielen.
5 I. Die Selbstbesinnung über die besten Wege zu einem Ziele.
Wechselnde Zwecke im Leben, also für einen jeden Zweck eine solche,
evtl, eine wiederholte Besinnung. Zwecke des Willens, der eine Lebens­
strecke als vorbildender, als Vorgestalt eines Erwünschten, Gewollten,
regelnde. Der möglichen Wege sind im allgemeinen viele, der Weg ist
10 vieldeutig unbestimmt, auch darin, dass noch nicht klar ist, welche
vorgedachten Möglichkeiten wirkliche Möglichkeiten sind, Möglich­
keiten des Ich-kann.
II. Selbstbesinnung über die Zwecke selbst — Selbstbesinnung über
den ganzen möglichen Lebenshorizont als Horizont meines Könnens,
15 und als gelingendes Zweckleben allgemein gedacht: die Frage, welches
Gesamtleben — von dem Jetzt aus — mit erzielten Zwecken besetzt ge­
dacht ein glückliches wäre, ein Leben, das ich als ganzes bejahen könn­
te.
1) Ideal der „Glückseligkeit”. Ein Leben besetzt mit positiven Gü-
20 tern, die genossen werden, und zwar mit den höchsten Gütern, oder
der menschlich besten Güterordnung, höchstes Gut.
2) Besinnung über die Zufälle, über das Versagen des Könnens,
über die subjektiven Hemmungen der Freiheit als allgemein dem
menschlichen Leben zugehörig, über mitmenschliche Hemmüngen,
25 über Konflikte, wie das alles aussieht, wie darauf Rücksicht zu nehmen
ist.
3) Das Leben in der Normalität, die ein Planen, ein Zweckleben
möglich macht. Das Leben im Bruch der Normalität — das Leben,
das Anomalität als zur allgemeinen Form des Lebens, in höherer Nor-
30 malität, rechnen gelernt hat.
4) Das Streben nach möglichster Erweiterung der Normalität —
Normalität als einigermassen selbst beherrschbar.
a) Die normale Natur — die Naturwissenschaft, die Präsumption
einer allgemeinen Naturgesetzmässigkeit, die fortschreitende Erkennt -
35 nis der präsumierten Gesetzlichkeit. Die wissenschaftliche Naturer­
kenntnis als Mittel zur Naturpraxis.
b) Die normale Gemeinschaftswelt — das normale alltägliche Leben
mit anderen Menschen in normaler Sitte, in der Normalität der Staats­
ordnung, in der Normalität des gemeinsamen Erfahrungsbodens, des
40 Bodens der gemeinsamen Tradition, der gemeinsamen Urteils- und
Bewertungsweise, der voraussichtlichen Weise der Reaktionen in jeder
jeweiligen typischen Situation. Der Mensch im normalen Dasein,
nicht nur wie eine Sache in empirisch induktiver Faktizität sich unter
typisch normalen Verhältnissen typisch gleich verhaltend: der Mensch
45 lebt in der Norm, indem er sich ihrer als Norm bewusst wird. Normaler
Lebensstil als Stil des Gemeinschaftslebens ist nicht nur ein Faktum
144 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

für ihn, sondern ein Seinsollen und ein Sein aus dem Lebenswillen ge­
mäss dem Sollen. Das Leben in seiner Lebensform wird bejaht, und
obschon nicht an die Form gedacht ist, wird das einzelne gebilligt,
bejaht in seiner Form, tun seiner Form willen. Das Kind wird in die
5 Form der Tradition hineinerzogen, und auch weiter wird das Über­
schreiten der Form durch den „Egoismus” der einzelnen missbilligt
und geahndet, und die Ahndungsweise ist selbst zur Form gehörig. Die
normale Form ist das, worauf man rechnet (wie auf die normale Form
der Natur) in ihrer umweltlichen Gegebenheitsweise, aber sie ist Form
10 aus dem Willen. Sie ist und soll sein, und es war immer schon gesollt
' und lag als das im Willen der Väter und Altvorderen. Und das gehört
zu ihrem Sollens-und Willenssinn. Es soll jetzt so sein, weil es immer
so war, weil man in dieser Norm lebte. Diese Norm, soweit sie einen
unbestimmt offenen Horizont hat als Form, wird näher bestimmt
15 durch Befragen der Ältesten, wie es in solchen Fällen früher war.
Dies ist der Rahmen der menschlich gemeinschaftlichen Normalität
und der Rahmen des im weitesten Sinne „Sittlichen”, des xodBjxov.
In ihm halten sich auch die Typen des normalen, schicklichen perso­
nalen Lebens, die Berufsziele und die beruflichen Lebensformen usw.
20 Eine korrelative Normalität, nämlich als Korrelat des schicklichen
personalen Lebens, ist die schickliche Form der gemeinschaftlichen
Umwelt, ihre in der Form des Traditionellen und als das Schickliche
von den einzelnen und zum Teil in Gemeinschaftsleistung gestaltete
Umwelt; die Bauform der Häuser, der Wohnhäuser, der Ställe etc.,
25 die Bauform der „Gemeinden” und darin Stellung und Form der „Ge-
meinde”-häuser, der Kultstätten usw. Im Leben, dem in den Nor­
malformen verlaufenden Leben der Personen und der „Gemeinden”
und Gemeinden höherer Ordnung, spielt die Besinnung ihre selbst zur
Form gehörige Rolle: Besinnung über das Schickliche, mittelbar in
30 Konnex mit der Befragung der Ältesten.
Dabei aber ist die traditionelle Sitte oder Schicklichkeit in manchen
Bestandstücken bekannt als ein historisch Gewordenes; gewisse Ge­
bräuche sind aus einem bestimmten Anlass in der Vergangenheit ge­
stiftet worden.
35 Ichliche Individualform „unsere Welt” und das Kathekon
Beschreibung des normalen Stiles der menschlichen Umwelt, der
Welt als Welt der Erfahrung, der normalen Natur (mit ihren normalen
Regelmässigkeiten, sozusagen ihren Gewohnheiten), ebenso die nor­
male personale und die Kulturwelt, Kultursachenwelt als Sachenwelt,
40 in der „man" lebt, die Welt der Mittel- und Zweckobjekte in dem Stile
des Üblichen, in der allgemeinen Form des „sittlichen” Sollens. Sie ist
ein wesentliches Stück der menschlichen Individualform „unsere”
Welt und ihrer Formgliederungen, Formstufen.
Die Menschenwelt als Personen,,weit”, als vergemeinschaftete Per-
45 sonalität oder als die Vielheit von Personen, die personal lebend mit-
BEILAGE VII 145

einander verflochten sind in ihrer Familie, ihrer „Gemeinde”, in ihrem


Stamm etc. Gemäss der Abstufung personale Verflochtenheit. Sie ist
als pe r s onal e Gegenwar t , hat ihre personale Erinnerung, ihre
Vergangenheit, gemeinschaftspersonal ihre Geschi cht e, die aber
5 nur gelegentlich und im einzelnen, ungeordnet unmittelbar und mit­
telbar geweckt ist, nämlich in den Erzählungen (der Alten), durch die
Erinnerungsmale der Sachenkultur etc., die aber einen Horizont der
fortgehenden Erweckbarkeit, der Enthüllbarkeit haben.
Die Deskription der umweltlichen Natur (empiriographisch), die
10 Naturhistorie, desgleichen die der spezifisch personalen Umwelt mit
der personal geformten Sachenwelt: die Kulturgeschichte und Ge­
schichte überhaupt, sofern sie auf das historisch Wesentliche geht, das
ist auf die individuelle Form der Welt, in der wir als Personen leben,
und die jeweiligen Mitstifter dieser Form in der historisch erreichbaren
15 Zeit, soweit sie das sind und selbst fortleben in der Erinnerung als Tra­
dition bestimmend (im doppelten Sinne).
Sitte und Geschichte (die besinnlich wiedereröffnete Geschichte
des Gemeinschaftslebens in der sich darin gestaltenden und immer
neu formenden gemeinschaftlichen Umwelt) sind überhaupt un-
20 trennbar. Zum Schicklichen gehört die Verehrung der Eltern, der
Voreltern, der „grossen” Männer der Vergangenheit und der Art, wie
sie ihr Leben gelebt, wie sie in das Leben der Gemeinschaft eingegrif­
fen haben. Geschichte — Geschichtserzählung, was die Alten und Äl­
testen erzählen als das, was ihre Alten ihnen erzählt haben usw. in
25 weiterer Mittelbarkeit, sofern sie nicht selbst dabei waren und davon
aus ihrer direkten Erfahrung erzählen.
Man lebt in Gemeinschaft und hat Erfahrung vom Leben der An­
deren in Strecken, man hat dabei auch Erfahrung vom eigenen Leben
als mit den Anderen Leben, am reichsten von dem der Glieder der eige-
30 nen Familie; und je älter man wird, um so grösser ist die selbst erfah­
rene Lebensstrecke und Gemeinschaftsstrecke, soweit sie allerdings in
die wirkliche Erfahrung reicht. Im Leben beurteilt man die Anderen
nach dem Kathekon (zunächst) und wird selbst beurteilt und wird
schon früh motiviert, Selbstbeurteilung zu üben — Beurteilung der
35 Vergangenheit und evtl, der ganzen Lebensvergangenheit, die in
Erinnerung ist, oder der ganzen Berufsvergangenheit, der ganzen Ver­
gangenheit von der Reife an, womit das „ernste” Leben anging. Die
Selbstbesinnung und Selbstbeurteilung dient der Regelung des Lebens,
sie geht in die Vergangenheit um der Zukunft willen, und geht in die
40 Zukunft um der Lebensmöglichkeiten willen, der möglichen teleologi­
schen Formen willen, unter denen beurteilend-wertend gewählt wird
und werden soll.
Bevorzugend hatten wir jetzt im Auge innerhalb der weiteren Indi­
vidualform die Form des Kathekon, des personal Gewöhnlichen, das
45 zugleich den Charakter des Seinsollenden hat — freilich unter Abwei­
chungen, des „nicht so, wie es sich gehört”, was als Abweichung dann
doch wieder zum Gewöhnlichen gehört.
146 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

Hier ist hinsichtlich der Scheidung des menschlich Gewöhnlichen


und dessen, was der „Sitte” entspricht, noch manches zu bedenken.
Das personal Gewöhnliche: Dahin gehören die „berufsmässigen” Die­
be, Betrüger etc., die Scheinehrlichen, die Scheinbürger, die in Wahr-
5 heit die Sollensform der „Sitte” durchbrechen, darunter aber auch die
Räuberbanden, die sich offen gegen sie stellen, gegen die Staatsord­
nung, die zum „sittlich” Gesollten gehört. Wir hätten also „eigent­
liche” Berufe und uneigentliche, auch ehrliche und unehrliche (Scharf­
richter, Wucherer). Was dabei wesensmässig ist und was allgemein
10 vorkommend, kann zunächst ununterschieden bleiben.
Zunächst genügt auch die allgemeine Rede von Person. Aber nun
des näheren: was gehört zu einer „Person”, die in diesen „Formen”
lebt und von ihnen her selbst Form hat (Form des Beamten, Offiziers,
des Privatmannes etc., Funktionär der Staatsgemeinschaft, Nicht-
15 funktionär etc.). Doch in anderem, aber verwandten Sinne hat jeder
seine Privatsphäre, worin er nicht Funktionär ist.
Jetzt kommen die Charaktertypen der Person und die Weise eines
menschhchen personalen Lebens als Zwecklebens, die Umwelt als
mein Feld der Zwecke, als Reich, Herrschaftsbereich, in dem ich walte,
20 in dem ich meine Lebensziele setze und verwirkliche, die ich mir ge­
mäss gestalten will.

Unsere Lebenswelt als Individualform


Die „Form” der Welt, in der der Mensch — der faktische Mensch —
personal bewusst lebt und der er selbst zugehört, für sich selbst in sei-
25 nem personalen Bewusstseinsleben, ist eine individuelle Form. Ge­
nauer gesprochen: Ich, der Innenpsychologe, bzw. der Phänomenologe,
beschreibe originaliter, als faktischer Mensch, mich, und mich in „un­
serer” Mitmenschheit, in meiner Familie, meiner Stadt etc., in meiner
offenen Menschengemeinschaft findend, in unserer Welt — eben diese
30 Welt, uns selbst inbegriffen, nach ihrer Individualform, nach der
Form, die diese Welt (Lebenswelt, aber nicht als Aussenwelt verstan­
den) hat. Jeder dieser Welt Angehörige, d.i. jeder zur selben Gemein­
schaft als meinem Wir Gehörige, beschreibt dieselbe, und notwendig
dieselbe Individualform. Ein Chinese, sofern er nicht zu ihr gehört,
35 beschreibt eine andere. Welt als Individualform ist nicht Welt als We­
sensform für jeden erdenklichen Menschen, das ist für den Menschen
als „Wesen”. Aber jeder erdenkliche Mensch ist doch individueller und
lebt im Rahmen einer Individualform. Es ist zu unterscheiden das We­
sensallgemeine überhaupt, das zum Menschen und der Welt für den
40 Menschen gehört, und darin beschlossen die Wesensform „Individual­
form überhaupt”, von der bestimmten Individualform, die irgendein
faktischer Mensch und, was gleich gilt, seine faktische Allgemeinschaft
(„wir alle” im weitesten Sinne) hat. In der Wesensallgemeinheit be­
schrieben setzt sie voraus (bzw. schliesst sie ein) die Wesensform
BEILAGE VII 147

menschliche Gemeinschaft überhaupt, die wir jetzt in einer Allge­


meinheit denken, die umschrieben werden kann, ehe man heran­
kommt an das Wesensallgemeine „Individualform”, das wir im Auge
haben. Z.B. das Wesen des einzelnen Menschen, das die intentionale
5 Psychologie bis in seine tiefsten Strukturen verfolgt, und das intentio­
nale Wesen einer Menschengemeinschaft, rein innenpsychologisch ge­
sehen, worin sich für sie personale Welt konstituiert, ist vorausgesetzt
und es braucht nicht ausgelegt zu sein. Die Individualform des perso­
nalen Seins in Gemeinschaft und der Gemeinschaft selbst kann sozu-
10 sagen naiv, und nicht nur in einer empirisch-typischen, sondern einer
Wesensallgemeinheit, beschrieben werden; man gebraucht dabei die
Wesensform Person (das Eidos); aber dazu bedarf man nicht der vor­
gängigen Ausarbeitung der konkreten reinen „Seele”, bzw. der kon­
kreten monadischen Subjektivität und ebenso der intermonadischen.
15 Sie kann unerschlossen bleiben, wie sehr das auch für das Verständ­
nis ein Manko bleibt. Es gibt eine naive Ontologie der Personalität und
personalen Welt als Individualform.
Diese Form ist für mich, ist für jeden Menschen das allervertrau­
teste, nicht natürlich als theoretisch herausgestellte, irgend herausab-
20 strahierte, sondern als die vertraute Horizontstruktur, in die sich alles
besondere Tun und Treiben einfügt.
Diese Form hat jeder individuell orientiert von sich aus und erfüllt
als seine personale Umwel t , als mehr oder minder unbestimmte, be­
kannt-unbekannte personale Welt „von ihm aus” erfahren. Sie be-
25 schreibt sich in grösserer oder geringerer Allgemeinheit und je nach­
dem dann auch mit ihrem individuellsten Gehalt.
Nr. 11

<APODIKTISCHE STRUKTUR DER


TRANSZENDENTALEN SUBJEKTIVITÄT. >
PROBLEM DER TRANSZENDENTALEN
5 KONSTITUTION DER WELT VON DER
NORMALITÄT AUS
<wohl Ende 1930, oder 1931 >

<Inhalt: > Vorgegebene Welt und Welt der Normalen mit Ano­
malen. Die Modi der Anomalität. Mensch — Tier — Wahnsinnige.
10 Personale Anomalität etc. Welt der Tiere, der Primitiven, der
Wahnsinnigen und Welt schlechthin — unsere Welt.
Das Ich als Subjekt der Intentionalität. Das wache Ich. Die
Intentionalität im Modus der Passivität und in dem der Aktion.
„Passivität” : Instinkt und Assoziation. Aktivität des wachen Ich
15 in wachem Selbstbewusstsein strebend durch seine Ichakte hin­
durch. Das Ich als spezifisches Subjekt der instinktiven Triebe
(als Triebhabitualitäten), der durch alle lebendige Gegenwart hin­
durchgehenden Triebintentionalitäten; dabei als Subjekt der in
wachen Affektionen und Akten sich auslebenden und sich mit
20 ihnen neu stiftenden A k t h a b i t u a l i t ä t e n . Auszeichnung
der unmodalisierten: Triebe auf unmodalisiert verbleibende Er­
werbe hin. Besondere Synthesis aller solchen Triebe. Durch das
Aktleben hindurch geht also Trieb, das Ich, das affizierte, rich­
tet sich auf etwas, zielt auf etwas, erstrebt es. Akte als ,,lei-
25 stende”, das Ich als in seiner Aktivität leistend aufgrund einer
Habitualität, der gemäss es seine alten Leistungen bis auf wei­
teres als bleibende, undurchstrichene Erwerbe hat, bleibende
Vermögen. Durch die assoziative Passivität vollzieht sich die
Aktualisierung der Erwerbe als Apperzeptionen. Das Leben des
30 wachen Ich als apperzipierendes, das Neue gemäss dem Alten,
in Gewissheit Gültigen auffassendes, in einem gewissen Sinn ihm
TEXT NR. 11 149

assimilierend. Die Intentionalität, durch die ich eine weltliche


Gegenwart habe, impliziert in sich die Intentionalität der Ver­
gangenheit; oder die gegenwärtige Welt der Erfahrung, der er­
fahrenden Apperzeption, impliziert in sich die vergangene meiner
5 Erfahrungsvergangenheiten als sie in intentionaler Kontinuität
und Vermittlung verähnlichend. Streben auf Gewissheiten, auf
standhaltende, auf bleibende Gültigkeiten, Haben. — Aber das
alles ist zu allgemein, unbestimmt.
Wir betrachten also d ie W e l t al s L e i s t u n g — die Welt
10 für mich als meine Leistung, Leistung aus meiner intentionalen
Aktivität, auf dem Grunde meiner Passivität. In dieser Leistung
erwerbe ich für mich das Sein der Andern, als für mich das Sein
der Welt mitleistend.
Die Gesamtleistung ist, wenn ich reflektiere, immer schon
15 vollzogen, und derart, dass ich i m m e r s c h o n v o r g e g e b e n e
W e l t habe. Die Leistung geht als eine beständig fortschreitende
meiner und unserer leistenden Subjektivität weiter, die vorgege­
bene Welt gestaltet sich fort, erhält immer neuen Sinn, aber
verbleibt immerfort d i e s e l b e W e l t und in jeder Gegenwart
20 künftig und für j edermann mit diesem entsprechend gewordenen
Sinn vorgegeben. Ich erforsche den a l l g e m e i n e n S t i l der
vorgegebenen Welt, den Stil ihrer Vorgegebenheitsweisen in Um­
welten verschiedener Stufen, den Stil ihrer Modalisierungsstruk-
tur, ihrer im Fortgang sich vollziehenden Seinssinneskorrektur,
25 ihrer Weise, in diesem Wandel Identität durchzuhalten. Das kann
ich beschreiben und g e w i n n e e i n e S t r u k t u r w a h r h e i t
f ü r di e V o r g e g e b e n h e i t , die aber doch u n g e h e u r e
P r o b l e m h o r i z o n t e o f f e n l ä s s t . Das Sein der Welt, das
Sein der konstituierenden Subjektivität, führt es nicht auf a k t u-
3 0 a l e U n e n d l i c h k e i t e n ? Ist das Sein ein b e s t ä n d i g e r
P r o z e s s der Genesis von G e l e i s t e t e m aus i mme r
n e u e n L e i s t u n g e n und r ü c k b l i c k e n d i m m e r so ge­
we s e n, so scheint die a k t u a l e U n e n d l i c h k e i t notwendig.
Die transzendentale Reduktion führt das naive Sein der Welt
35 auf die vorgebende, Welt als Vorgegebenheit und als in immer
neuen Erfahrungen erfahrene und erfahrbare Welt konstituie­
rende Subjektivität zurück. Zu dieser gehört die Welt mit als
konstituierte, als habitueller Erwerb und als konstituiertes Feld
der Aktivitäten und insbesondere der Selbsterhaltung.
150 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

Aber gesetzt, es wäre die systematische intentionale Ausle­


gung der Welt in dieser Konstitution, also korrelativ der konsti­
tuierenden Subjektivität durchgeführt, dann mögen wir sagen:
G e g e n ü b e r d e r W e l t als in Relativität zur konstituierenden
5 Subjektivität seienden sei diese selbst a b s o l u t s e i end.
Aber ist die transzendentale Subjektivität wirklich absolut sei­
end, hat sie nicht selbst eine Zeitweiligkeit — wenn wir nicht
Sein in einer aktual unendlichen Zeit annehmen wollen, obschon
einer Zeit, der wir schon transzendentalen Sinn geben, ohne ihre
10 Form der Unendlichkeit und Ordnung ändern zu können?
Die transzendentale Reduktion und die Auslegung der Konsti­
tution der Erfahrungswelt (in der sie Sinn hat und Sinn erhalten
hat, Sinn immer neu gewinnt, weiter die Konstitution der wissen­
schaftlich-logisch konstruierten und idealisierten Welt, durch
15 „theoretische Bearbeitung” der Welt als Welt der Erfahrung)
mag ein weites Feld neuartiger und fundamentaler Einsichten
sein. Aber sie führen noch weitere Rätsel mit sich. Wir verstehen
uns Menschen, wir verstehen die Welt tiefer: unser tieferes Sein,
in dem erst unser menschliches e n t s p r i n g t , ist Sein als tran-
20 szendentales Ich und Wir; und doch verstehen wir uns und un­
ser Weltleben a ls M e n s c h e n noch nicht.
Selbstauslegung beginnend und durchführend finde ich: Ic h
bi n, sosehr ich mir unbekannt bin, ich kann mich kennenlernen
und mich finden als Ich, das sich als Menschen in der Welt objek-
25 tiviert erfährt, das überhaupt die Welt vorgegeben hat, in die
vorgegebene und mit einem jeweiligen Sinn schon seiende hinein­
lebt, in ihr immer neue aktuelle Zwecke hat, auf sie bezogene
Instinkte, stets wiederkehrende Bedürfnisse, auf sie bezogene
bleibende Zweck- und Mittelgebilde, die es sich verschafft hat
30 aus eigener Leistung und eventuell in Kommunikation mit An­
deren etc.
Das findet das transzendentale Ich als transzendentales Phä­
nomen, es findet sich selbst und dergleichen als sein Gebilde, es
findet sich als Subjekt ursprünglicher und erworbener Vermö-
35 gen, in einer Struktur der Habitualität. Ich finde mich t r o t z
d e r U n b e k a n n t h e i t in vieler Hinsicht als Ich, der ich so
Geartetes kann und nicht kann, unmöglich kann. Ich finde mich
vor als apodiktisch für mich seiend, und für mich seiend in einer
apodiktischen Struktur, für die ich sagen muss: So bin ich und
TEXT NR. 1I 151

anders kann ich nicht sein; es wäre „undenkbar” für mich, es ist
eine i n v a r i a n t e S t r u k t u r , die mit dem Variierenden, Zu­
fälligen, Besondernden ausgefüllt ist und irgend ausgefüllt sein
muss. Täusche ich mich über mein Sosein, so entspricht dem not-
5 wendig ein anderes innerhalb der „im voraus”, nämlich als apo­
diktisch-notwendige Struktur mir zugehörigen Fülle. D ie Apo-
d i k t i z i t ä t d e s I c h - b i n l ä s s t f ü r di e B e s o n d e r u n g
d e r S t r u k t u r n i c h t s of f en, o f f e n b l e i b t nur , ob
i c h es w i r k l i c h e r k e n n e . Me i n e i g e n e s S e i n i s t
10 „ d e f i n i t ” ; jede mich selbst betreffende, aus meiner eigenen
Erfahrung mich auslegende Aussage ist entweder wahr oder
falsch: sie ist „im voraus” entschieden.
W ie w e i t r e i c h t n u n d i e d e f i n i t e S t r u k t u r , di e
v o n d e r A p o d i k t i z i t ä t u m s c h l o s s e n e ? G e h ö r t da-
15 zu n i c h t m e i n S e i n al s S u b j e k t f ü r e i n e Wel t ,
g e h t das n i c h t in alle Se l bs t Va r i a t i o n e n mei nes
I ch, s o f e r n si e r e i n e E r d e n k l i c h k e i t e n si nd, al s
W e s e n s a l l g e m e i n e s ein? U n d b e s c h l i e s s t d a s n i c h t
di e G e m e i n s c h a f t d e r t r a n s z e n d e n t a l e n S u b j e k t e
20 al s e i n e g e m e i n s a m e W e l t k o n s t i t u i e r e n d e ?
Aber wie das? Kann ich mich nicht so abgewandelt denken
bzw. meine Welt, dass sie die O b j e k t i v i t ä t f ü r a l l e v e r ­
l i e r t, ja, kann ich mir nicht vorstellen, dass sich alleErfahrungs-
präsumptionen auflösen und nicht einmal eine reduzierte Welt
25 für mich wäre?1 <Ist es> nicht denkbar, dass mein Leib und die
Dinge für mich ihre Seinsgeltung verlieren, dass in meinen im­
manenten Sinnesfeldern jede Abhebung, jede Konstitution für
sich identifizierbarer Sinnesdaten aufhörte, daher aufhörte jeder
Reiz für mein aktives Ich? — Oder kann ich mich nicht so um-
30 denken, dass ich von vornherein keine Empfindungsfelder hätte
mit abgesetzten Daten? Wie könnte ohne Daten ein Ichleben
vonstatten gehen in seinen Affektionen und Aktionen? Sind aber
Empfindungsdaten notwendig, warum müssten sie so verlaufen,
und in eins mit Kinästhesen verlaufen, dass sich objektive Ap-
35 perzeptionen bilden könnten?
Es scheint also, ich könnte w e l t l o s sein! Aber ist das Leben

1 Mich und meine Welt, das Faktum, frei variierend umdenken — das Problem
der Weltverniehtung (Ideen).
152 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

ein Feld, das ich beliebig umdenken kann? Ist es nicht Leben des
Ich? Bin ich denkbar als Ich, der ich nie wach werden könnte,
der nie affiziert sein, nie zu Akten kommen, nie zu bleibenden
Leistungen usw. <kommen könnte»? Ist Schlaf und Bewusstlo-
5 sigkeit nicht Möglichkeit des wachen Ich und ohne ein waches
Ich, das von der Wachheit aus in Schlaf übergeht und erwachend
Schlaf versteht, denkbar? Und ist ein „leeres” Gesichtsfeld oder
Tastfeld und dergleichen vielleicht nur denkbar als Abwand­
lung eines mit Daten besetzten und von seiten eines Ich, das
10 schon in irgendeinem, wenn auch beschränkten Sinn Welt hat,
und eine ganz willkürliche Abwandlung aller Felder zumal und
erstreckt auf das ganze Leben überhaupt durch die Struktur eines
Ichlebens (und Leben in diesem Sinne ist ohne Ich überhaupt un­
denkbar) ausgeschlossen? 1
15 Es hängt viel an der Methode der Konstruktion evidenter
Möglichkeiten des verschiedenen Sinnes und der Sinnesvoraus­
setzungen, und so leicht darf man nicht evidente, aber beschränkte
Möglichkeiten in evidente universale verwandeln wollen. Ander­
seits ist es sehr schwer, die Evidenz, die Selbstgegebenheit des
20 Ich als Subjekt der Vermögen, der Habitualitäten, der bleiben­
den Erwerbe, der bleibenden Apperzeptionstypen, in denen
Weltliches gegeben ist, der bleibenden Instinkte, die „angebo­
ren” sind und die aller möglichen Genesis schon vorhergehen,
zum phänomenologischen Thema zu machen.
25 Es ist ein grosses Problem, zunächst vom Faktum „ich bin
Subjekt meiner Erfahrungswelt” diese in ihrer Vorgegebenheit
durch wirkliche und mögliche Erfahrung systematisch auszu­
legen und zu beachten, dass zu ihrer Auslegung gehört, dass die
ihr zugehörigen „Seelen”, personalen Subjekte in der Konkretion
30 ihres seelischen Daseins, dann notwendig mit auszulegen seien
nach ihrer invarianten Struktur, vermöge deren es Subjekte
sind, die psychologisch-intentional auf die Welt bezogen sind, in
der sie sind.
Wird das t r a n s z e n d e n t a l g e w e n d e t , so geht für mich
35 als transzendentales Subjekt, das sich in der Welt als Menschen
findet, mit ein in das transzendentale ego die ganze innerseelische

1 Und ist überlegt, was da freie A b w a n d l u n g heisst, dass in ihr wesensmässig


„Verdeckung” der Erfahrung, der wirklichen und unter der Idee wahren Seins m ög­
lichen, ist? Und dazu gehören Probleme.
TEXT NR. 11 153

Struktur, die Person mit ihrem ganzen Leben, ihren Vermögen


etc. Variiere ich mich nach eidetischen Möglichkeiten meiner
selbst, der ich Mensch in der Welt bin, und transzendental ge­
wendet, so verbleiben in der Variation invariant die Wesensmo-
5 mente der rein seelischen Struktur, also die Person und ihr Be­
wusstseinsleben: eben als in jeder Weise Leben der Person, mit
den Strukturen der Passivität und Aktivität, nach immanenter
Zeitlichkeit und ihren Vorkommnissen und nach Vermögen,
Habitualitäten und Zentrierung. Aber zum invarianten Wesen
10 gehört, dass zu dieser für das Ich selbst als invariant erkennbaren
Struktur auch gehört, dass sie invariant nur ist als Struktur eines
strömenden Lebens und aus ihm einer sich wandelnden und im
Wandel doch verharrenden Person, sowie der von ihr aus sich
umgestaltenden Umwelt, in der doch diese Person Existenz hat
15 und mit der ihrer eigenen Zeitlichkeit entsprechenden jeweiligen
„Erscheinungsweise" von „der" Welt ist. So liegt in der transzen­
dentalen Subjektivität nach Noesis und Noema, dass sie ver­
harrend ist in einer Genesis von verharrender Form.
Aber dann bringt das durch die Welt des Ich objektiviert
20 mitgegebene Sein von anderen transzendentalen Ich und das Sein
aller in Form der Generation neue Probleme der Genesis und die
Probleme von G e b u r t u n d Tod.
Von mir her im Transzendentalen vordringend, eröffnet sich mit
derFrage der Unendlichkeit der Zeitigung dieFrage derUnendlich-
25 keit der transzendentalen Mannigfaltigkeit von Subjekten.
Die Frage, w a s b in ich, w a s i s t d e r Me ns c h, di e
M e n s c h h e i t , beantwortet die Transzendentalphilosophie
durch ihre tiefste Auslegung der Subjektivität als sich selbst
und Welt konstituierender. Aber wie gesagt, im Fortschreiten
30 erwachsen hierbei immer tiefere Probleme. Wir nannten soeben
schon das Problem der Unendlichkeit der transzendentalen Sub­
jektivität als Unendlichkeit von transzendentalen Einzelsub­
jekten, auch ihrer Verweltlichung, also das Problem, wie ihre
Totalität zu denken ist.
35 Doch in anderer Richtung: die Auslegung eines Menschen als
bezogen auf s e i n e vorgegebene Welt, zu verstehen als a k t i v
in diese Welt H i n e i n l e b e n , sich auf sie erfahrend, denkend,
wertend <beziehend> und praktisch in sie eingreifend und sie
umwandelnd gemäss leitenden Absichten, Zwecken.
154 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

Der Mensch in der Welt und die Menschen im Miteinander ha­


ben durch alle ihre Schlafpausen hindurch Einheit eines wachen
Lebens in Synthesis ihrer Wachheiten, in mannigfaltigen Einzel­
akten. Dazu eine b e s o n d e r e Einheit, durch alle Pausen der
5 Krankheit und jedweder Anomalität E i n h e i t e i n e s n o r m a ­
l en L e b e n s . Hier kann der einzelne durchaus anomal sein,
aber zur Menschheit, der totalen oder einer in sich abgesonder­
ten Menschheit, rechnen wir, dass n i c h t a l l e a n o m a l s e i n
k ö n n e n . Anomalität ist M o d i f i k a t i o n d e s N o r m a l e n ,
10 hebt sich aus ihm heraus und fügt sich dann ihm bei als ein unter
gelegentlichen, möglichen und erkennbaren Umständen notwen­
dig eintretendes Vorkommnis. Aber ist nicht Wachheit selbst ein
Grundmodus der Normalität?
Eine Menschheit hat eine besondere Einheit darin, dass sie
15 a ls n o r m a l e durch ihre normalen einzelmenschlichen Sub­
jekte eine normale Welt konstituiert, und als Feld einer normalen
Menschheitspraxis, in der normale Kultur erwächst <und> die
Einzelsubjekte in allen ihren Lebensweisen, mindestens im gan­
zen genommen, ihren normalen Stil sich erhalten. Auch das Ein-
20 zelsubjekt hat also seine Normalität, innerhalb deren Anomalität
als einen gewissen Einheitsstil im einzelnen und gelegentlich
störend auftritt. Menschliche Normalität bezeichnet nicht nur
einen von aussen zu beschreibenden Stil, sondern eine innere Ein­
heit, eine Einheit der Person in ihrem Leben, eine Einheit der be-
25 treffenden Menschheit als Analogon einer Person.1
Das alles betrifft nun, transzendental aufgeklärt, selbstver­
ständlich die transzendentale Subjektivität, die einzelmonadi-
sche und die kollektive, aber nicht nur kollektiv zusammenge­
nommene, sondern innermonadisch vergemeinschaftete.
30 Aber Normalität hat verschiedene Formen und Stufen, die we-
sensmässig zur Konstitution des Menschen und des Menschen in
der Menschheit gehören, mit der vergemeinschaftet er selbst
wi r d , vom Kinde zum normalen reifen Menschen wird. Der
Mensch ist nicht nur in der Gemeinschaft, sondern als Werden-
35 der in die Vergemeinschaftung hineinwerdend und sich nach ihr,
mit ihr in wechselseitiger Motivation Bildender, <so dass er> also

1 Volksmenschheit! Dann in der Idee: Totalmenschheit in eigentlicher Personali­


tät. Eine Staatsnation in einer Übernation kann als Analogon einer einzelnen Person
gelten.
T E X T NR. 11 155

als j eweils Gewordener in sich die aus Gemeinschaft entsprungene


Genesis trägt, oder, was gleich gilt, seine mitmenschlichen Bildner
intentional in sich trägt. Das betrifft natürlich auch die Bildung
durch die Tradition, die Wirkung (sogenannte Nachwirkung)
5 von Mitmenschen derselben Menschheit, nur solcher früherer
Zeiten, bedeutet.
Wie gewinnt man den Sinn derjenigen Normalität, die zur
konstituierten Welt selbst, der objektiven Welt für alle, gehört
und die ihrerseits vorausgesetzt ist als Struktur des sich selbst
10 Besinnenden über die Welt? Die Stufen der Normalitäten
und Anomalitäten entsprechen den Stufen der Seinskonstitution
nach relativem Sein in relativen Erscheinungen bis hinauf zum
objektiv wahren Sein der wahrhaft seienden Welt.
Die in einer Normalität konstituierte Welt ist zugleich konsti-
15 tuiert als Anomalitäten in sich enthaltende. Oder die Erfahrungs­
welt schlechthin, die da als allgemeinsame konstituiert ist, ist
konstituiert als eine normale Menschheit enthaltend, welche
die Welt in Normalität erfährt, und daneben auch Anomale,
welche d i e s e l b e anomal erfahren. Aber dabei so, dass die
20 Normalen und Anomalen sich verständigen über dieselbe Welt,
dieselben Dinge etc. Darin liegt folgendes: Jedes normale Sub­
jekt hat selbst gelegentlich anomale Abweichungen von seiner
normalen Erfahrung und so anomal Gegebenes. Aber es identi­
fiziert doch dasselbe Gegebene, dasselbe Ding als nur verschie-
25 den erscheinend, gelegentlich unter Umständen anomal. Eben­
so intersubjektiv. Das weist auf eine gegenständliche Grundstruk­
tur, welche als Form die Identifikation leitet, auf raumzeitliche
Individuation. Die erste und universale Normalität ist die, dass
die transzendentale Intersubjektivität überhaupt eine Welt kon-
30 stituiert als normale E r f a h r u n g s w e l t der normalen Mensch­
heit; wobei aber in der Erfahrungswelt auch anorme Menschen
auftreten, und auch Tiere, die wir nicht anomal nennen. Aber sie
sind doch als von der Norm des Menschen abgewandelt verstan­
den und dann verstanden als in einem eigenen Miteinander in
35 e i g e n e r Normalität eine normale „Welt” für sie, und zwar
für jede Spezies im besonderen, konstituiert habend. Aber das
ist keine Welt im eigentlichen Sinne.
Die konkretere Auslegung der menschlichen Normalität hat
ihre Schwierigkeiten. Sie führt auf Schichtungen in besondere
156 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

Normalitäten. Fürs erste, die normale Welt hat als fundierende


Schicht die n o r m a l e N a t u r , das Reich der bloss sinnlichen
Erfahrung. Die Normalität der durch normale menschliche
Sinnlichkeit konstituierten Natur (rein aus „sinnlicher Er-
5 fahrung”) ausgelegt, das wäre ontologische Auslegung des nor­
malen Dings als Wesensform und der normalen Natur überhaupt.
Korrelativ: Auslegung der subjektiven Erfahrungsgegebenhei­
ten der Natur, ihrer Erscheinungsweisen für jeden sinnlich Nor­
malen, d.i. als Normaler normal sinnlich Erfahrenden. Harmonie
10 aller normalen Menschen hinsichtlich ihrer sinnlichen Erfah­
rungen, ihrer Erscheinungsverläufe, vermöge deren sie, obschon
jeder andere Erscheinungen und gleichzeitig nicht dieselben hat,
doch dasselbe sehen.

Charakteristik der menschlichen Normalität

15 „Ich, die Welt apperzipierend, apperzipiere sie als Normaler”.


Das ist zunächst privat gesagt. Aber wie charakterisiert sich
dieses Phänomen allgemein? Ich finde mich zunächst in meiner
Wahmehmungsgegenwart unter Mitmenschen, mit denen ich
mich ohne weiteres so verstehe, dass sie dieselben Naturgegen-
20 stände, die ich sinnlich wahrnehme, bzw. in sinnlicher Wahr­
nehmung kontinuierlich bestätigt habe, ebenfalls bei entspre­
chender Wahrnehmungsrichtung wahrnehmen und wahrneh­
mend bestätigen, und zwar dieselben Dinge in denselben sinn­
lich erfahrbaren Qualitäten wie ich selbst. Ebenso weiter: Ich
25 habe eine Umwelt der Mitgegenwart, darin Mitmenschen, und
alles, was für mich aus sinnlichen Erfahrungen sein bestätigtes
Dasein hat und seine eigenschaftlichen Merkmale, seine raum­
zeitlichen Relationen, seine kausalen Beschaffenheiten (diese im
Rahmen sinnlicher Erfahrung genommen), hat eben dieselben
30 für die Anderen, und so, dass wir jeder unsere sinnlichen Phan­
tome haben, in unseren Kinästhesen sich wandelnd, jeder seine
eigenen und unterschiedenen, dass wir aber bei Platzwechsel
(uns in des Anderen raumzeitlichen Platz versetzend) diese E r­
scheinungsweisen austauschen würden etc. Aber nun die Korrek-
35 tur. Zur Umwelt gehört auch A n o m a l i t ä t , und zu meinem
eigenen Erfahrungsleben und der darin erscheinenden e i g e n e n
Umwelt, meiner privaten, gehört, das Auftreten von anomal er-
TEXT NR. 11 157

fahrenen Dingen, wir sagen dann, anomal erscheinenden, die


doch nicht eigentlich Schein sind. So das Anderssehen bei er­
kranktem Auge oder das Undeutlich-sehen, das mit verschwom­
menen Umrissen oder Vervielfältigung der erscheinenden Kon-
5 turen und dergleichen bei eintretender Alterssichtigkeit des Nor­
malen. Das anomal Gesehene und überhaupt sinnlich Erfahre­
ne wird zur Erscheinungsweise des entsprechend normal zu
Sehenden für mich selbst, d.h. es ist a ls „anomale” Abweichung
von seinem normalen Urgegenständlichen apperzipiert, es gilt
10 nicht als das Dingliche unmittelbar selbst, natürlich auch nicht
als ein Abbild, sondern als eine M o d i f i k a t i o n , die auf das
Ureigentliche verweist.
So finde ich auch in der Umwelt im Verstehen der Anderen,
dass unter ihnen anomal Erfahrende sind, und zwar auch konse-
15 quent anomal Erfahrende im Vergleich zu mir und den mir
Gleichen. Ich finde, dass sie Subjekte einer Einstimmigkeit
i h r e r sinnlichen Erfahrung sind, der gemäss sie in ihrer priva­
ten Erfahrungswelt keine privaten Anomalien haben können als
solche, die für sie selbst — ausser Beziehung zu Anderen — als
20 anomale Abweichungen erscheinen könnten.
Wir haben also zu ergänzen: „Ich bin Normaler”, das sagt
phänomenologisch von innen gesehen: Ich bin in einer Umwelt
mit Menschen, die „alle — bis auf vereinzelte Ausnahmen”
«diese Welt> als dieselbe gleichbestimmte erfahren, bzw. als
25 erfahrbare und füreinander in Identität erfahrbare in Gewissheit
haben. Welt — vor der Wissenschaft ■ — besagt für mich und sie
alle (in ihrer offenen, auch generativ „offen unendlichen” Man­
nigfaltigkeit) eben diese Gemeinweit, und zwar Natur, die „je­
dermann”, der sie nach allem, was sie „ist”, in seiner eigenen
30 möglichen sinnlichen Erfahrung erfahren kann, sie zugleich ap­
perzipiert in bezug auf einen offenen Horizont von „allen Ande­
ren, ausgenommen einzelne”,1 die dieselbe Welt und wieder nach
allem, was sie ist, erfahren könnten und sie als Gemeinwelt mög­
licher Erfahrung haben. Darin liegt, dass sie auch zusammen er-
35 fahrend, voneinander Erfahrung übernehmend, sie als Welt
möglichen gemeinsamen Erfahrens haben.

1 Das „in der Regel”, „gewöhnlich”, „immer, mit einzelnen Ausnahmen, wirk­
lichen und bekannten oder eventuellen”, ist eine der logischen Formen, die des em­
pirischen Überhaupt.
158 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

Die ausgenommenen einzelnen haben dann den Charakter der


anomalen Mitsubjekte. Als umweltliche O b j e k t e sind sie für
unsere Normalität mit da, für uns alle in gleichen Bestimmungen,
als was sie in dieser Erfahrungswelt sind, erfahrbar. Sie sind
5 aber nicht „normal” miterfahrend, sofern sie ex definitione nicht
das Vermögen haben, dieselbe Welt nach a l l e m , was sie für
uns ist (und so als im bezeichneten Sinn normale), in möglicher
eigener Erfahrung zu erreichen. Andererseits erfahren wir sie
doch als dieselbe Welt Erfahrende (wenn wir sie überhaupt als
10 Menschen und selbst als „vertierte” Menschen erfahren). Wir
erfahren sie evtl, als in sich möglicherweise Welt sinnlich erfah­
rend in Einstimmigkeit mit sich selbst und evtl, auch völlig
darin übereinstimmend mit einzelnen Anderen, aber so, dass sie,
wie wir erfahren („einfühlend” erfahren), nicht in der Lage sind,
15 ihre private Erfahrungswelt nach allen Erfahrungsmerkmalen
als Gemeinwelt für „alle bis auf einzelne” zu erfahren, vielmehr
eben nur als Gemeinwelt im einzelnen und nach einzelnen Merk­
malschichten.
Wir verstehen aber auch, dass sie in der endlosen Vielheit von
20 Normalen erwachsend, die immer wieder als Regel erwarten
können, auf ihresgleichen und eine Übereinstimmung der E r­
fahrungsgegebenheiten mit denselben zu stossen, sich eventuell
anpassen und sich selbst als Ausnahmemenschen, als Anomale
ansehen und, was für sie privat gesprochen normal Seiendes
25 wäre, interpretieren müssen als anomale Modifikation von dem,
was normalerweise ist. Das aber unter der Voraussetzung, dass
sie nur anomal sind hinsichtlich einer bestimmten Schichte von
Merkmalen der normalen Gemein weit, während sie in allem
übrigen in völliger Harmonie mit den Normalen erfahren, also im
30 übrigen selbst normal sind.
Man sieht, es sind hier weitere Probleme. Fürs erste, wie kommt
es überhaupt zur Identifikation derselben Dinge, derselben Na­
tur für Normale, und welche Anomalitäten sind für jedes Sub­
jekt Möglichkeiten, welche Typen von relativen oder für immer
35 bleibenden Anomalien sind denkbar bzw. verstehbar? Die Fremd­
erfahrung, die Erfahrung von Anderen als Anderen, setzt voraus,
dass der eine, etwa ich, den Körper (des Anderen) a ls L e i b
eines anderen Ich erfährt, und damit ist gegeben, dass das in
meiner Erfahnmgssphäre gegebene Körperding und das von dem
TEXT NR. 11 159

Andern als sein körperlicher Leib erfahrene d a s s e l b e ist. Und


so führen überhaupt die Bedingungen der Möglichkeit der Ein­
fühlung als Fremderfahrung auf eine im einfühlenden Verstehen
der Andern in einem gewissen Umfange mitverstandene, und
5 zwar als identisch selbige mitverstandene Erfahrungswelt der
Andern. Wie weit muss nun diese in den Mittelbarkeiten des ein­
fühlenden Einverstehens begründete Gemeinwelt reichen, und
wie weit ist Anomalität möglich (nicht Scheinhaftigkeit), welche
Anomalien sind als typische a priori offen, welche sind daher zur
10 Interpretation der Andern (etwa als nicht nur in ihrer leibhchen
Sinnlichkeit Anomale, sondern als Irrsinnige) verwertbar? Hier
kommt alles auf das phänomenologische Strukturverständnis des
transzendentalen (bzw. des rein seelischen) Seins an und auf die
dabei mitspielende Grundtatsache, dass der Auslegende nur in
15 intentionaler Abwandlung s e i n e r individuell eigenen inner-
seelischen Struktur alle und jede Anomahtät als erfahrbare Mög­
lichkeit gewinnen kann. Das betrifft nicht nur das „anders” des
anderen Menschen und eine mögliche Typik anderer Menschen,
sondern auch das Verständnis von Tieren und die Typik tierisch-
20 seelischen Seins in immer entfernteren, sich vermittelnden inten­
tionalen Abwandlungen.
Auch Grundunterschiede kommen in Frage: 1. Der Anomale,
z.B. wie der Farbenblinde, der sonst gar sehr normal sein kann,
als einheitliche Persönlichkeit seine einstimmige Welt erfahrend,
25 die mit der der Normalen völlig stimmt bis auf seine individuel­
len Farbengleichungen. 2. Das Anomale wie die „Wahnsinnigen”,
in ihren verschiedenen Ausprägungen, die keine Menschen mehr
sind und doch keine Tiere. Auch das Tier hat als normales Tier
seiner Spezies sein in sich einheitliches und einstimmiges Dasein,
30 und eben diese Einheitlichkeit, einstimmige Ganzheit gegen­
über dem Zerfall, dem radikal Abnormen, muss intentional ver­
ständlich gemacht werden. Aber auch für Tiere sind beiderlei
Typen von Anomalitäten möglich.
Es gibt Anomalien des Gedächtnisses, Anomalien der Intelli-
35 genz, des wertenden Verhaltens, des Willens, des Gefühlslebens,
der instinktiven Triebe und Bedürfnisse usw. Es gibt im Rah­
men einheitlicher Persönlichkeit, in einem einheitlichen Menschen­
leben, personale Anomalien. Dafür liegt ja ein gewaltiges vor­
wissenschaftliches und wissenschaftliches Erfahrungsmaterial
160 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

aus Vergangenheit und Gegenwart vor. Aber in ihm prägt sich,


so wie es überliefert und beschrieben ist, nur eine äusserliche und
unverständliche Typik aus. Alltagsinterpretationen und von aus­
sen her mit Alltagspsychologie (oder auch „moderner” Psycho-
5 logie) operierende geben kein wissenschaftliches Verstehen, keine
Rekonstruktion des anomal Seelischen, keine Möglichkeit einer
Innenpsychologie der Anomalität. Dazu bedarf es einer schon
sehr weit fortgeschrittenen Phänomenologie.
Was lernen wir da für die Aufgabe der phänomenologischen
10 Auslegung der Welt als uns als Wissenschaftlern und Philoso­
phen vorgegebenen Welt, und in Sonderheit als Welt der allge­
meinsamen Erfahrung?1
So erforsche ich als transzendentales ego meinen eigenen Logos,
in eins den meiner Welt und meiner Andern. So schaffe ich mir
15 eine Norm, eine völlig konkrete für alle Beurteilung der fakti­
schen Welt, meiner Beurteilung zunächst bzw. der mir in mir sich
bekundenden und ausweisenden transzendentalen Genossen, wel­
che für mich als transzendentale Mitträger der Welt, unserer
Welt, fungieren. Es ist das konkrete universale Eidos einer mög-
20 liehen transzendentalen Subjektivität, die Mathesis der tran­
szendentalen Subjektivität und ihrer Welt: konkrete transzen­
dentale Logik. Die „formale” Logik, die transzendental-apophan-
tische, bezüglich auf das transzendentale ego (und die transzen­
dentalen Andern) als urteilende Subjekte bezogen auf irgendeine
25 transzendentale Seinssphäre. Ich sage, irgendeine, da sich Seien­
des verschiedener Art transzendental konstituiert, so transzen­
dentales Ich, transzendentales Ichleben etc., aber auch Welt mit
allem Weltlichen, weltlich bezogenen Ideen etc. Sie alle haben
zwar in ihrer Weise transzendentalen Sinn, aber in verschiedener
30 Weise, jedoch so, dass sie alle konstituiert oder konstituierbar
sind als seiende.

1 Nicht Rücksicht genommen ist auf die Z e i t — oben erwogen ist nur Gegenwart
—, Gegenwart, die Urmodalität ist für die Zeitmodalitäten. Und da die fundamen­
tale Scheidung: Der Mensch weiss sich als Person seines personalen generativen —
historischen — Zeitzusammenhanges, in dem seiner Menschheit, und diese als in der
realen Welt mit der Naturzeit lebend derart, dass die Personen zugleich als psycho­
physische Menschen und die Menschheit als psychophysische Menschheit zur Realitä­
tenwelt gehören. In dieser doppelsinnigen Welt die Tiere, die keine generative, histori­
sche Welt haben, damit aber auch keine reale Welt haben und im eigentlichen Sinne
keine Zeit, keinen Raum, kein Universum von Realien mit ontischer Struktur; der­
gleichen ist für sie nicht konstituiert, sondern für uns.
TEXT NR. 11 161

Die von mir aus meiner Selbstbesinnung hervorgehende tran­


szendentale konkrete und formal-apophantische Logik (die, na­
türlich transzendental verständigt und eingeordnet, alle apriori­
schen Wissenschaften befasst) ist nichts anderes als die voll aus-
5 gebildete eidetische transzendentale Phänomenologie, die dem
transzendentalen Faktum und darunter aller weltlichen Positivi-
tät den transzendentalen apriorischen Sinn vorhält, durch den es
zu seiner konkreten und absoluten Bedeutung kommt. Sie ist die
absolute ratio für alle empirische Erkenntnis.
10 Aber freilich ist damit nicht alles gesagt. Die transzendentale
Phänomenologie oder konkrete Logik ist selbst ein transzenden­
tales Faktum, meiner, des sie Aufbauenden, und meiner Mitar­
beiter, die ich als transzendentale Genossen meiner Arbeit vor­
finde. Wie alles Transzendentale hat sie ihre Verweltlichung und
15 tritt in der Welt als transzendentale Phänomenologie historisch­
faktisch, in der faktischen Gegenwart des 20. Jahrhunderts usw.
auf. Sie ist jetzt Faktum für mich, den sie Ausbildenden, und
war vordem für mich eine mein Faktum als transzendentales
Ich bestimmende „reale” Möglichkeit, wie sie das für jeden mei-
20 ner transzendentalen Genossen ist, der als Mitträger unserer
Welt, auch wenn er von ihr keine Ahnung hat, doch das' tran­
szendentale Vermögen hat, sie mitzuverstehen, sie selbst auszu­
bilden.
Welchen Sinn das hat und haben darf, das aufzuweisen,
25 ist selbst ein transzendental-apriorisches Thema. Die tran­
szendentale Subjektivität ego erkennt sich selbst als Subjekt
ihrer Vermögen und eben damit ihre Mit-ego’s als die eben der­
selben Vermögen.1 Sie erkennt ihrer aller eingeborenen Vermögen,
als Vermögenskorrelate des transzendentalen Logos.
30 Offenbar ist transzendentale Logik nicht etwas zunächst mir
in meiner transzendentalen Eigenheit (Individualität) Eigenes
und ebenso gemäss meiner transzendierenden Erkenntnis der
Andern je ihnen, jedermann für sich Eigenes und als dasselbe
für alle von mir und von jedermann dann erkennbar. Die An-
35 dem, die Mitträger meiner Welt sind, sind, wo sie Mitarbeiter,
sind, auch Mitträger meiner transzendentalen Logik, so wie ich

1 Freilich nicht aktueller Vermögen als aktuelles Können, sondern als eine „ideale”
Möglichkeit, solches Können ausbilden zu können; eine Möglichkeit, die doch nicht
nichts besagend ist.
162 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

Mitträger der ihren. Das heisst, wir tragen dann alle dazu bei,
aber sie ist mit allen diesen von mir nachverstandenen und mit
eigener Geltung aufgenommenen Beiträgen dann ganz und gar
auch meine und so jedes einzelnen Logik oder Phänomenologie,
5 eventuell mit einem Horizont von noch unbekannten, nachzu­
verstehenden und zu prüfenden Beiträgen.1
Meine transzendental-logischen Einsichten gelten immerzu,
wesensmässig für alle Andern, sofern sie von vornherein als mei­
nesgleichen erfahren oder präsumiert sind. Aber „andere" Sub-
10 jekte (und auch transzendental-monadisch verstanden) sind doch
auch die „Wahnsinnigen" und Tiere, beides in mannigfaltiger
Wesenstypik. Intentionale Modifikationen meiner selbst sind
a l l e durch „einfühlende” Erfahrung mir zugänglichen Wesen.
A b e r n i c h t a l l e si nd, t r a n s z e n d e n t a l r e d u z i e r t ,
15 M i t t r ä g e r d e r W e l t , die ich als die meine vorgegeben habe
und die „wir” vorgegeben haben, „wir” verstanden als die offene
Vielheit eben von Mitträgern, dieselbe Welt miteinander in Ge­
meinschaft konstituierend (keineswegs die Tiere und die wahn­
sinnigen „Menschen”, ob schon auch sie von uns erfahren sind als
20 auf die Welt, die eine und selbe „wirkliche” Welt, in ihrem Innen­
leben bezogen).
Wir Menschen-Monaden, wir alle, mitkonstituierende Sub­
jekte, Mitträger unserer Welt, Miterfahrende, Mitdenkende,
nicht jeder überhaupt, sondern in der Weise einer gewissen Har-
25 monie, die jedem Mitträger bewusst, und zwar erfahrbar wird als
nicht nur dieselben Erfahrungs- und Denkergebnisse liefernd,
sondern als wechselseitig dasselbe, dieselben Gegenstände in Er­
gänzungen bestimmend, in einer Geltung, die sich durch Über­
nahme von Subjekt zu Subjekt fortpflanzen muss. So sind wir
30 auch Mitträger der Wertewelt und praktischen Welt, die für
uns alle da ist; wir sind eventuell zusammen, füreinander, m it­
einander handelnd an denselben Zwecken, in deren Sinn wir
übereinstimmen, obschon wir uns auch darin schon besinnlich
ergänzen, in deren Verwirklichung z.B. als Werk ein Gemeinsa-
35 mes entspringt, das für uns Mithandelnde denselben Sinn, die­
selbe Sollensgeltung hat. Und als Aussenstehende verstehen wir
das Werk in Beziehung auf dessen spezielle praktische Träger in

1 Das ist aber zu flüchtig!


TEXT NR. 11 163

seiner personalen Bedeutung. Ebenso sind wir Mitbürger, Mitge­


nossen derselben kirchlichen Gemeinschaft, Mitkinder im Gottes­
reich usw. All dergleichen sind wir als Menschen, in mancher
Hinsicht, einmal hinsichtlich eines Allgemeinsten, das Welt zur
5 Gemeinwelt für a l l e M e n s c h e n ü b e r h a u p t macht, als
Menschen überhaupt, die im weitesten Sinne füreinander da
sind, miteinander in wirklicher und möglicher Verständnisge­
meinschaft stehen, somit als Mitglieder unserer Menschheit, der
Menschheit im weitesten Sinne; in anderer Hinsicht sind wir
10 Mitträger unserer Welt als einer speziellen, speziell auf uns in Be­
sonderheitenbezogenen. Wir als Vereinsmitglieder, als Kirchenge­
nossen, als Bürger einer Stadt, eines Staates usw. Es besondern
sich Gemeinschaften und Gemeinschaftsumwelten bis hinauf zu
einer europäischen oder irdischen Menschheit, die doch noch
15 nicht die Idee der Menschheit im universalsten Sinne erfüllt, so­
fern hier ein Wesensbegriff vom Menschen in Frage ist, der es
offen lässt, ob nicht noch ausserhalb der Erde Menschen als Mit­
träger unserer Welt leben, Menschen, die, sowie sie in faktische
Verständnisbeziehung zu uns treten, alsbald zur Mitkonstitution
20 der Welt berufen und befähigt wären.
Wie charakterisieren sich nun aber diese Mitträger, und zu­
nächst dem entsprechend: wie charakterisiert sich in der für
mich, für uns konstituierten Welt der Mensch, w ir Me n­
s c h e n als Personen, als Vemunft-Ich, die wir eben das sind,
25 uns als das wissen, gegenüber den T i e r e n , für die das alles nicht
gilt? Wie sind in meiner Welt wirklicher und möglicher Erfah­
rung unter den in ihr immer mitgesetzten und mitvorausgesetz­
ten psychischen Wesen diejenigen ausgezeichnet, die ich als für
den Seinssinn meiner Welt m i t f u n g i e r e n d e Subjekte an-
30 sehe und als das im Grunde immer voraussetze? Mit anderen
Worten, meine Welt, die, von der ich je spreche und sprechen
werde, ist für mich allezeit gemeint gewesen als „unsere” Welt,
die Welt von u n s M e n s c h e n . Nicht gerade von bestimmten,
obschon ich nur mit bestimmten in unmittelbarem und mittel-
35 barem Verkehr war und von ihnen her Erfahrungen und Kennt­
nisse übernahm, die in den besonderen Sinn, den Welt für mich
hat, eingingen. Ebenso kommen auch nicht bloss diese beson­
deren und bestimmten wirklichen Übernahmen in Betracht. Die
Welt als Welt möglicher Erfahrung und darauf zu gründender
164 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

möglicher Erkenntnis. Auch die ganze indirekte Tradition unbe­


kannter Menschengenerationen rechnet mit. Und schliesslich,
wenn es sich für uns heraussteilen sollte, dass z.B. auf dem Mars
„Menschen” leben, und wir Mittel finden, mit ihnen in eine Ver-
5 ständigungsgemeinschaft zu treten, so würden sie alsbald mit­
rechnen zu dem menschlichen „Wir”, das Korrelat ist der Welt
als „unserer” aller Gemeinwelt.
Ich habe „die” Welt vorgegeben, ich in meinem intentionalen
Leben. Zu dieser Vorgegebenheit gehört, bzw. zum vorgegebenen
10 Sinn dieser Welt, dass zu ihr Mitmenschen gehören, zu mir,
dass ich in ihr selbst objektiv real bin als Mensch. Dabei ist, was
immer sonst den allgemeinen Bestimmungsgehalt des Typus
Mensch als weltlich realen ausmacht, vor allem diese Form in
ihm gemeint, dass er von mir in meinem Bewusstseinsleben als
15 für mich seiend erfahren bzw. erfahrbar auch mit dem Seinssinn
erfahren bzw. erfahrbar ist, dass er mit mir in Verständigungs­
gemeinschaft treten kann.1 In dieser erfahre ich ihn vorweg als
erfahrend auf dieselbe Welt bezogen, die ich erfahre, in denselben
Erfahrungsmöghchkeiten sich bewegend wie ich selbst, in gleicher
20 Weise wie ich im Vermögen, das vermöghcherweise welthch Er­
fahrene denkend zu bestimmen wie auch es zu werten und zü be­
handeln. So wie meine original eigenen Erfahrungen und selbst­
erworbenen Gedanken für mich gelten und in Geltung bleiben,
solange nicht in meiner selbeigenen Sphäre Unstimmigkeiten
25 sich zeigen, <durch die> ich schhesshch zur Durchstreichung und
Korrektur genötigt werde, so gelten mir auch die nachverstan­
denen Erfahrungen und Gedanken, durch welche Art Ausdruck
sie mir auch verständhch werden, ohne weiteres so wie die eige­
nen, solange sie zu den meinen „passen”, solange sie mit diesen
30 Zusammengehen zur Einheit eines einstimmigen Erfahrungs­
und Denkzusammenhanges. Die einstimmigen Verläufe, die sich
in den von mir erfahrenen Einzelsubjekten mir bekunden, erge­
ben nicht getrennte Geltungen und Gültigkeiten jener Menschen,
und getrennt von der in mir selbeigen konstituierten Einstim-
35 migkeit, sondern sie kommen mit der meinen und untereinander
auch zu einer einheitlich sie alle umspannenden Einstimmig­
keit. Aber sie kommen dazu in erster und für mich allein be-
1 Der andere Mensch ist für mich als Person. Darin liegt schon, er ist für mich
Person in meiner personalen „Menschheit”. Das muss alsbald betont werden.
TEXT NR. 11 165

gründbarer Form in mir, sofern mir die Andern nicht nur gelten
als mitseiende Subjekte, sondern auch ihre Geltung, und zwar
die ihnen geltende „Welt”, in Mitgeltung von mir her auch für
mich eben Geltung ist, und wie alle meine Geltung im Zusam-
5 menhang der mir schon eigenen Geltungen (des für mich schon
Seienden) eventuell der Modalisierung unterliegt und bleibende
Geltung nur ist, solange der universale Zusammenhang derselben
seine Einstimmigkeit erhält.
Nun liegt es aber an der Sinngebung meiner Fremderfahrung,
10 dass der Andere in der Art als meinesgleichen apperzipiert ist,
dass er umgekehrt auch in Geltung ist als mit mir in Verständi­
gungsgemeinschaft von sich aus. Indem ich ihn als seiend und
mich verstehend in aktueller Geltung habe und er aktuell mich,
kann ich mich an ihn wenden und verstehen, dass er, meines-
15 gleichen, sich an mich wenden kann und es eventuell tut. Ich
kann mich antwortend verhalten, und es kann ein Verkehr von
Person mit Person und Gemeinschaft im prägnanten Sinne sozi­
aler Verbundenheit in Aktion und Wideraktion werden.
Das alles finde ich nun schon vor als immer schon mit da und
20 immerfort sich umbildend und neubildend, als mitzugehörig zur
Welt, die die meine ist und die in allem und jedem, was hier ge­
sagt ist und gesagt werden kann, eo ipso von mir verstanden ist
als dieselbe Welt der für mich seienden und in diesen Weisen mit
mir „in Beziehung” tretenden Andern, der bekannten und unbe-
25 kannten, der Anderen in offener Endlosigkeit raumweltlicher
Verteilung, für mich vorweg seiend als Subjekte, mit denen ich
dieselbe Welt gemein habe, in der wir alle leben, und so, dass
diese Welt für alle aus der Vergemeinschaftung für uns alle Sinn
erhalten hat und Sinn erhält.1
30 Diese von mir aus in meinem Leben und für mich zur Geltung
gekommenen Menschen, zur Geltung gekommen als mitfungie­
rend für die Konstitution des Seinssinnes Welt in der ganzen
Fülle seiner mir und uns bekannten und unbekannten Konkre­
tion, zur Geltung gekommen in einem Wort als W e l t g e l t u n g s-
35 g e m e i n s c h a f t , die für mich und für alle Andern die eine und
selbe Welt des Jedermann konstituiert, diese „wir Menschen”
sind offenbar die „normalen Menschen”. D ie A u s z e i c h -
1 Aber weiter: Ich finde schon vor mich als personales Glied meines „Volkes",
meiner Menschheit als universaler Heimmenschheit.
166 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

n u n g , d i e im W i r u n d J e d e r m a n n s t e c k t , i s t di e
N o r m a l i t ä t , die aber als solche sich erst abhebt durch das
Mitvorkommnis des Anomalen. Oder vielmehr, von dem Norma­
len als an sich Erstem hebt das Anomale sich ab und tritt auf als
5 intentionale Modifikation des Normalen. Dieses seinerseits wird
in der weiterreichenden Sphäre der einfühlungsmässig als psy­
chische Wesen, als abgewandeltes Menschentum Verstandenen
zu einer ausgezeichneten Klasse von solchen Wesen, der Men­
schen im vollen und eigentlichen Sinne, der vollgereiften und
10 voll „vernünftigen” Menschen, derjenigen, die Korrelate der wirk­
lich seienden Welt sind.
Die anderen psychischen Wesen „beziehen” sich zwar (inten­
tional) auf dieselbe Welt, aber als meine Abwandlungen. Sie
sind als das „in ,der’ wirklichen Welt”. Unsere Welt konstituie-
15 rende Gemeinerfahrung (unsere, der vollen Menschen) findet sie
darin vor, aber auch, soweit das Nachverstehen reicht, als „ihre
eigene ,Welt’” habend, wenn sie überhaupt einstimmiges Er­
fahren vollziehen können, eine „Welt”, die wir als „Erscheinungs­
weise” (Bewusstseinsweise) der wirklichen Welt für sie anspre-
20 chen, eben als intentionale Modifikation, aber keineswegs als
eine derjenigen „Erscheinungsweisen”, die das Sein der Welt
selbst ursprünglich mitbegründen, die zur Ursprünglichkeit der
Erfahrung als Ausweisung derselben mithelfen können.
Die Welt muss für mich schon sein, sie muss schon den Seins-
25 sinn Welt haben, damit die in meinen Erfahrungshorizont ein­
tretenden oder vorweg auftretenden Tiere oder gar Wahnsinni­
gen als Subjekte verstanden werden können, welche die Welt in
anomaler Weise erfahren; und damit eventuell die Tiere verstan­
den werden können als in sich und im Verkehr mit ihresgleichen
30 eine eigene zusammenstimmende Erfahrungswelt habend, die
doch nicht eine Welt neben „unserer” Welt ist, sondern ihre
Erscheinungsweise von „der” Welt, eine intentionale Modifika­
tion von der Welt, die wir Menschen haben. Die unsere kann
durch sie nicht korrigiert werden, sie ist keine scheinhafte oder
35 erscheinungsmässige, die in S t r e i t mit der unseren, bzw. unse­
ren Welterscheinungsweisen, treten kann, da sie eben nicht mit­
konstituierend ist und sein kann für das, was wir Welt nennen.
Welt schlechthin, wirkliche Welt, ist das ausschliessliche Korre­
lat von uns Menschen als Einheit unserer menschlichen und darin
TEXT NR. 11 167

wieder menschlich normalen und menschlich anomalen Erschei­


nungsweisen.
Doch es fragt sich, ob das wirklich so richtig ist, da man ein­
wenden könnte, dass, wenn die Tiere verstanden sind als sich auf
5 die Welt beziehend, dieselbe, die die unsere ist, sie auch gele­
gentlich als Welt mitkonstituierend fungieren können. Wenn
der Hund als ein Wild witternd verstanden wird, so belehrt er
uns gleichsam von dem, was wir noch nicht wussten. Er erweitert
unsere Erfahrungswelt. Der Hund, ein Tier, hat in sich, originali-
10 ter und vermittelt, s e i n e einstimmige Welterfahrung. Es als
das verstehen, heisst das nicht, eine Synthesis herstellen zwischen
dieser und meiner bzw. unserer menschlichen Erfahrung und so
Welt Wirklichkeit haben als die sich durch alle menschlichen und
tierischen Erfahrungen synthetisch hindurcherstreckende Er-
15 fahrungseinheit ?
Mit den Tieren verhält es sich, wird man weiter einwenden,
ebenso wie mit den „Primitiven”. Diese sind doch sogar Menschen,
und warum sollen wir sie nicht konstitutiv mitrechnen. Aller­
dings sie haben, wie wir verstehen lernen, eine e i g e n e L o g i k
20 u n d e i g e n e K a t e g o r i e n , die ihre Identifizierungen leiten
und ihren Sinn von Realitäten bestimmen, und so i h r e Weltap­
perzeption. Aber sind sie in ihrer Weise nicht doch auf die eine
Welt, die Welt für alle, ob Primitive, ob Tiere, ob „normale”
Menschen, bezogen? Jede Tierspezies und jede Sorte von Primi-
25 tiven hat eben ihre Weise, wie dieselbe Welt ihr erscheint. Aber
können wir nicht diese Weise nachverstehend ihre Weltapper-
zeption in die unsere sozusagen übersetzen und so gegebenen­
falls feststellen, was für Dinge, was für Vorkommnisse der uns
normalen Menschen als ausweisbare Wirklichkeit gegebenen
30 Welt ihren Apperzeptionen aus der ihnen subjektiverscheinenden
und zusammenstimmend geltenden Welt entsprechen?
Indessen, woher habe ich, als mich Besinnender, das, was
mir als Welt vorgegeben ist, diese Welt als seiende und so-
seiende, und in der Auslegung derselben ihre Identität und Wirk-
35 lichkeit gegenüber den wechselnden Weisen der Apperzeptionen
bei normalen Menschen, bei Tieren, bei Primitiven und schliess­
lich ja auch bei Wahnsinnigen?
Ich lege aus, m i c h s e l b s t befragend, die Welt, die m ir
immerfort schon vorgegeben ist, im Fortgang meiner Welterfah-
168 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

rung immer neu „erscheint”, mir immer neue Erfahrungsfelder


bietet, immer neu beurteilt wird usw. und trotz des wandelbaren
gegenständlichen Sinnes doch mir als die eine Welt gilt und in
der Einstimmigkeit der Erfahrung und der darauf begründeten
5 Erkenntnis sich zu bewähren hat und fortbewährt, unter gele­
gentlichen Korrekturen: Denn seiende Welt ist und enthält nur
,,Seiendes” nur aus Bewährungsleistung, die in unterster Stufe in
der blossen Einstimmigkeit liegt.
Besinne ich mich nun, was da für mich als seiende Welt im
10 strömenden Bewusstseinsleben sich in Einstimmigkeit bewährt
und bewähren könnte in wirklicher und möglicher Evidenz, be­
sinne ich mich dabei auf die Ordnung der unmittelbaren und m it­
telbaren Evidenzen und damit auf die Fundierungsordnung der
Sätze, der Seinsgeltungen, so komme ich auf meine jeweils wirk-
15 liehen und möglichen Wahmehmungsfelder, auf meine wirk­
lichen und möglichen Felder der Erinnerung als meine früheren
wirklichen und möglichen Wahrnehmungsfelder und so für die
Zukunft auf künftige eigene Wahrnehmungsfelder: das alles aber
zur Einheit der Erfahrung als meiner originalen sich verknüpfend
20 und die Welt, als von mir original erfahrene, erfahren gewesene
und sein werdende, vermöglich zu erfahrende, konstituierend.
Die Welt, die ständig aus meiner eigenen wirklichen und mög­
lichen Erfahrung Sinn hat, enthält andere Menschen, deren kör­
perliche Leiber ihr wirklich erfahrbar, eventuell wahmehmungs-
25 mässig zugehören, deren Seelenleben, deren personales Sein in
einer sekundären und nicht mehr originalen Weise erfahren,
erfahrbar (sondern durch „Fremderfahrung”) und ausweisbar
ist in der eigenen Zusammenstimmung dieser sekundären Erfah­
rungsweise.
30 In meiner erweiterten Erfahrung, welche mir die vorgegebene
Welt zur Evidenz der Selbstdarstellung bringt, treten die Vor­
kommnisse auf: Geburt, Altem, Krankheit, Tod, das Generative,
und danach verstehe ich mich selbst als dereinst sterbend und
als dereinst geboren. Ich erfahre dabei Ältere, die vor mir gebo-
35 ren sind, und habe die Erfahrungsvoraussicht, dass nach mir und
allen Genossen meiner Gegenwart neue Generationen kommen
werden. Ich verstehe überhaupt die Menschen in der Welt a ls
g e n e r a t i v in offener beiderseitiger Endlosigkeit zusammen­
hängend und verstehe, dass das Sein derselben Welt, die ich er-
TEXT NR. 11 169

fahre, als d i e s e l b e durch die endlose Kette der Generationen


hindurch von Menschen erfahren war, im Konnex dieselbe durch
einstimmige Erfahrung (und durch wechselseitige Korrektur
hindurch) ausgewiesen und als ausweisbare gegeben war und in
5 evidenter Voraussicht sein wird. Durch die von Geburt und Tod
begrenzten Lebenseinheiten der Menschen erstreckt sich so Ein­
heit eines Menschheitslebens als Einheit einer vermittelten aber
verbundenen a l l m e n s c h l i c h e n E r f a h r u n g und darauf
gegründeten T r a d i t i o n . So verstehe ich die Menschheit als
10 geschichtliche, das Hinausreichen der Weltzeit, der mit welt­
lichen Vorkommnissen erfüllten, über meine Lebenszeit und die
meiner mitgegenwärtigen Menschengenossen.
Wie unvollständig und roh diese Auslegung auch ist, ich ge­
winne ein erstes, nur noch weiter in seinen Verständnishorizon-
15 ten auszulegendes Verständnis dafür, dass die Welt, die für mich
vorweg ist, die immer schon vorgegebene, mitkonstituiert ist
durch die in meinem Bewusstseinsleben Seinsgeltung und Seins­
ausweisung (für mich) gewinnenden anderen Menschen meiner
und ihrer Menschheit.1
20 Nun finde ich12 auch Primitive, Tiere, Wahnsinnige in m e i ­
n e r Welt, aber ich erfahre doch, dass ich sie nicht als meines­
gleichen und „unseresgleichen” erfahre. Die ich bei der Rede von
„wir Menschen” im Auge habe, verstehe ich im Ausgang von den
engeren und engsten „Wir” meiner Bekannten, die ich in Be-
25 stimmtheit vor mir hatte aus selbsterfassender Erfahrung, aller­
dings auch in grösserer oder geringerer Vollkommenheit. Aber ich
verstehe sie doch (und dieses Verständnis geht dann sinnbestim­
mend in den offenen Horizont Unbekannter, mir möglicherweise
bekannt werdender, ein) ohne weiteres als Mitkonstituierende
30 meiner Welt, als Mitpersonen meiner „Menschheit”. Wie gesagt,

1 Aber das Eigentümliche einer Menschheit, einer Welt, konkret einer Kulturwelt,
einer Welt v o n Personen und a u s Personen sich gestaltend, ist gerade noch nicht
aufgeklärt! Kettenweise Kommunikation würde keine Tradition geben, welche
Tradition für alle wäre, Gemeinsamkeit der geistigen Erwerbe als für alle zugänglich,
für alle schon horizonthaft vorgezeichnet als „die wirkliche Welt”. Es fehlt: H e i m -
w e i t — fremde Heimwelten, die nicht uns, sondern ihnen gelten. Von da der Weg
zu einer Relativierung, aber auch das Problem einer neuen Welt für alle — alle
„Menschheiten”. Eventuell als Problem die Leistung der Methode für eine unbedingt
objektive Wissenschaft, zunächst exakte Naturwissenschaft, und Problem objek­
tiver Geisteswissenschaft.
2 Schon vor der Konstitution der Idee einer unbedingt objektiven Wissenschaft
bzw. der Relativierung meiner ersten Menschheit!
170 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

im Ausgang von meinen Nächsten, den mir völlig Vertrauten,


mit denen gemeinsam sich mein Leben, zunächst in einer Schich­
te der Alltäglichkeit, abspielt. Es ist gemeinschaftliches im zu­
sammen Erfahren, zusammen Bedenken, zusammen Arbeiten,
5 aufeinander Rücksichtnehmen, gemeinsam Besprechen, Streiten,
Sich-einigen usw., aber auch gemeinsam Mahlzeiten Nehmen, ge­
meinsam Wohnen, gemeinsam Spielen etc.
So naiv im Horizont meiner Menschheit lebend erfahre ich die
Andern meiner nächsten alltäglichen Umwelt als bei allem und
10 jedem von mir umweltlich Erfahrenen und Erfahrbaren als ent­
weder dasselbe Miterfahrende oder zur Miterfahrung und jeder
Erfahrungsausweisung Mitbefähigte. Ich erfahre sie so als durch
Ausdruck, vorzüglich durch ihre Mitteilungen, meine „Welt­
vorstellung” Mitbestimmende. Das betrifft natürlich auch all ihr
15 Tun, sofern es unser schon gemeinsam konstituiertes Umwelt­
liches betreffend es praktisch handelnd umgestaltet, ihm dabei
Zweck- oder Mittelbedeutung erteilt oder in anderen Weisen ihm
einen Sinn erteilt. Ich verstehe ohne weiteres in dieser Lebens­
gemeinschaft,1 sofern ich nur, wie ich kann, für die Bedingungen
20 des Verstehens Sorge trage (dafür, dass ich ihnen nahe genug bin
und in entsprechender Stellung zu ihnen stehe, um ihre Aus­
drücke, ihre Mitteilungen sehend, hörend usw. auffassen zu kön­
nen), ihre Werkzeuge als Werkzeuge, ihre Werke als Werke, das
angefangene und „im Werk” stehende wie das fertige Werk mit
25 seinem Zwecke usw. Ich verstehe Zweckbestimmungen teils als
solche, die für sie individuelle Bedeutung haben, teils als solche, die
Adresse an „jedermann" haben und von jedermann verstanden
werden als allgemein zweckmässige. Ich verstehe ja auch, dass,
was ich verstehe in meiner Umwelt, jedermann versteht, und dass
30 so diese Umwelt, die vorgegebene für mich, für jedermann (der
für mich schon ist) vorgegeben ist, für jedermann in demselben
Sinne verstanden ist und dass sie sich im Leben jedermanns und
im Zusammenleben aller als einem wechselseitig ineinander Wir­
ken unter Vermittlung des einander Verstehens immerzu fortge-
35 staltet mit einem Seinssinn, zu dem alle beitragen.12

1 Das ist relativ: wir Deutschen, wir Europäer.


2 In Stufen der Heimweltlichkeit. Soweit wir uns nicht verstehen oder einander
„fremd" bleiben, soweit haben wir nicht dieselbe Welt.
Konstituiert bin ich und meine Mitmenschen immer schon im Horizont meiner
BEILAGE VIII 171

BEILAGE VIII
PROBLEM: GENERATIVITÄT — GEBURT UND TOD ALS
WESENSVORKOMMNISSE FÜR DIE WELTKONSTITUTION
<Anfang dreissiger Jahre >

5 Es muss gezeigt werden, dass Geburt und Tod als konstitutive Vor­
kommnisse für die Ermöglichung der Weltkonstitution — oder als We­
sensstück für eine konstituierte Welt gelten müssen, bzw. Generati-
vität mit Geburt und Tod. Im Aufbau der Leistung der Einfühlung als
Erfahrung von Andern und meiner unter Andern weise ich zunächst
10 fremde wirkliche und mögliche Erfahrung auf als eine Weise der Ver­
gegenwärtigung, die Seinsgeltung hat, und eine abgewandelte gegen­
über meiner primordial-originalen Erfahrung.
Solange „fremde” Erinnerung in Deckung ist mit möglicher eigener
Erinnerung, solange meine Erinnerung nur die Grenze hat des Ver-
15 gessens, mein Unvermögen der Erinnerung bloss Vergesslichkeit ist,
die zugleich Potentialität der Erinnerung des Vergessenen offen lässt,
solange ist einer Konstitution von Welt nicht Genüge getan. Das wäre
ja so, als ob Generativität, mit Geburt und Tod, ein zufälliges Welt­
faktum wäre.
20 Einfühlung ergibt ursprünglich nur den Anderen, und evtl, den An­
deren mit Erf ahrungen, wirklichen und möglichen, die ich teils selbst im
gleichen habe oder haben könnte, hätte haben können etc. Seine Er­
innerungsvergangenheit reicht, wie ich verstehen kann, weiter, aber
indem ich nachverstehe, hat sie für mich einen Sinn, der nicht aus-
25 schliesst, dass die Erinnerungen für mich mögliche sind oder waren. So
auch das künftige wirkliche und mögliche Eintreten von Anderen in
meinen Erfahrungskreis; es sind Andere, die ich erfahren werde oder
erfahren könnte: Mein „menschliches” Sein unter Menschen ist mein
voraussichtliches und gewisses Seinwerden mit ihnen als Anderen zu-
30 sammen. Nun tritt aber in die Erfahrung dieser Stufe neu ein als sinn­
bildend für Menschen und Welt der T od und die Geburt . Die Zu­
kunftsgewissheit vom eigenen Sein als weltlebender Mensch unter
Menschen und vom Sein eines jeden Anderen bekommt eine unüber-
schreitbare Grenze und ebenso korrelativ die Erinnerungsgewissheit
35 vom menschlichen Vergangensein und Menschen in Weltleben.
Aber mm gilt es, Welt und Geburt und Tod (also Generativität)
ernstlich in Wesensbeziehung <zu> setzen, aufzuzeigen, wiefern das

Heimmenschheit. Welt ist so vorgegeben, dass sie jeweils Seinssinn hat als Welt
meiner, „unserer Menschheit”, die in ihr selbst real ist. Vorweg bin ich und jedermann
im Horizont der Menschheit und alles Reale im Horizont der realen Welt. Dieser
Horizont ist Korrelat des Horizontes meiner Menschheit, zunächst meiner Heim­
menschheit, dann Übernation und irdischen Menschheit, offen, aber im Leben ist
nach der menschheitlichen Einstellung „verschiedene Wir” und „seiende Welt"
verschieden.
172 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

nicht ein Faktum ist, inwiefern eine Welt und Menschen ohne Geburt
und Tod undenkbar sind.

BEILAGE IX
WICHTIGE BETRACHTUNG ÜBER KONSTITUTIVE GENESIS.
5 <WESENTLICH VERSCHIEDENE BEGRIFFE VON EINFÜHLUNG >
<wohl Anfang 1931 >1

<Inhalt:> i) Aufwickelung der psychologisch im ego (das „mensch­


lich” ist und menschliche Umwelt hat) liegenden Fundierungsstufen
der Weltgeltung. Das führt auf die Kindheitsentwicklung, aber nicht
10 in die Frühkindlichkeit und ihre embryonale Entwicklung — rd rt v
slvai. <2) > Die biologischen Probleme von da aus. — Es sind zugleich
Probleme der „ E infühlung": i) das Psychische, das anschaulich
nachverstehbar ist und wovon her Welt für alle allverständlich ist, 2) die
abgewandelte Einfühlung, die Analoga des Menschen, zunächst des
15 reifen, ergibt; abgewandelte Einfühlung, die auch abwandelt die Ent­
wicklungsstufen Kindlichkeit — Reife, Frühkindlichkeit etc. — Grenze
der Abwandlung. „Symbolisch" konstruierte Stufen. Wo endet die Ana­
logie? Limes der Analogisierung. Und das alles einbezogen in meine,
des ego Weltkonstitution. Speziesentwicklung, Urzellen etc.
20
Die konstitutive Genesis in der Weltlichkeit—die Genesis, die in dem
phänomenologisierenden ego als menschlichem hegt — psychologische
Genesis. 2) Biologische <Genesis> im Rückgang auf die Generativität
und die Genesis der Generativität als Speziesentwicklung. Anderer-
25 seits Rückgang auf die Frühkindlichkeit. Das führt auf wesenthch ver­
schiedene Begriffe von Ei nf ühl ung.
1) Die Welt ist konstituiert als Universum von Seienden. Die Kon­
stitution ist Konstitution in Stufen, in schon Seiendem gründet Seien­
des höherer Stufe. Konstitution ist hier thematisierende Leistung, sie
30 verläuft in Thesen. „Genesis” der seienden Welt, die sich selbst fort­
konstituiert; ihr Sein ist ständiges sich in immer neuer Leistung der
konstituierenden Subjektivität Fortkonstituieren — aber es ist immer
Welt, die Welt, und alles neu konstituierte Seiende ist weltlich. Die
genetischen Unterstufen sind aktive Leistungen, die vorwelthches
35 Sein, in diesem Sinn Vor-sein konstituieren.
2) Demgegenüber eine andere Genesis und ein anderes Vor-Sein und
„Konstitution”.
Tn der ersten Genesis haben wir die Welt für uns Menschen, die
Genesis in mir, dem ego, das „menschlich” ist als das Weltgewissheit
1 Husserl datierte das Manuskript nachträglich auf 1933. Wahrscheinlich stammt
es aber aus Januar 1931 (siehe Textkritischer Anhang, S. 692). Husserl beschäftigte
sich im August und September 1933 mit analogen Problemen, wie sie in diesem
Manuskript enthalten sind (siehe unten die Nummern 34 und 35), und datierte es
daher wohl irrtümlicherweise auf jene Zeit. — Anm. d. Hrsg.
BEILAGE IX 173

<habende>. Auflösung der Geltungsstufen als solche der Seinsfundie­


rungen und genetischer Rückgang auf Seinsvorstufen, die im ego
auf we i ba r sind: das als psychologisch konstituierend Aufweisbare,
das selbst dann in der Weltlichkeit hegt als Psychisches, als Akte und
5 Aktthesen, die vorausgesetzt sind als Weltgeltung fundierende.
Weltlich: Wir stehen in der Generativität als normal menschlicher
und dazu der Kindlichkeit und Entwicklung jedes Menschen-Ich und
seiner Welt aus Kindlichkeit. Aber „Menschenkindlichkeit”. Die
wirkliche Kindlichkeit und ihre psychische Entwicklung gehört nicht
10 dazu: Dieses Psychische ist nicht das derjenigen Einfühlung, die Men­
schen für uns und Welt für alle Menschen v e r s t ä n d l i c h - a n ­
s c h a u l i c h ergibt und als zur Weltkonstitution (der der seienden
Welt) gehöriges subjektives Korrelat. Me nsc hl i c he Aktivität, aus
der Welt „ist”, für uns da ist, mit jeweiligem Inhalt, aber auch immer
15 schon war und bei jeder aktiven Erfassung, in der aktuell für uns etwas
ist, schon vorausgesetzt ist als sie war (das Sein, das i mmer
schon war).
Frühkindlichkeit in ihren Stufen, bis zur Kindlichkeit, die Welt hat.
Frühkindlichkeit — und tierisches Sein. Die Tierspezies, höhere und
20 niedere Tiere in Stufen der Abständigkeit und Verstehbarkeit vom
Menschen mit der, parallel der reif-menschlichen normalen Welt, je­
weiligen reif-tierischen normalen Welt für die betreffende Tierspezies
und mit den zugehörigen Unterstufen der Kindlichkeit und Früh-
kindlichkeit: parallel zur menschlichen Generativität die tierische Ge-
25 nerativität. Universum der Tiere, die noch psychophysische Analoga
von Menschen sind.1 Dann aber: vor dem geborenen Kind das unge­
borene, seine psychische Genesis bis zum Zeugungspunkt. Grenze der
Abwandlung der Interpretation aus Einfühlung. Entwicklungsstufen
als symbolisch nachzukonstruieren. Parallele bei allen Tieren, die Ana-
30 loga der Menschen sind: Leiber haben mit sinnlichen Organen wie der
Mensch. Aber wo endet die Analogie ? Sind Einzeller nicht auch psy­
chophysisch, haben sie nicht auch ihre Leiber als Organe ihres „Ich-
pols” ? Aber da endet die Analogie im Limes. Andere Parallele: die der
ganzen Speziesordnung und Speziesentwicklung — phylogenetisch zu-
35 rückführend auf die Urorganismen.
Vor-Sein, Vor-Welten, Vor-Subjektivität als vor-konstituierende,
Vor-Genesis. Aber alles unserer menschlichen Welt eingeordnet und
Mle Vorkonstitution selbst zur universalen Einheit der Weltkonstitu­
tion gehörig als fundierende.

1 Demgegenüber die Pflanzen?


174 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” L930-L931

BEILAGE X
<WELT UND WIR. MENSCHLICHE UND TIERISCHE
UMW ELT>1
(1934)

5 1) Natürliches Weltleben des Menschen in seiner vertrauten Um­


welt — seiner Hehnwelt als Lebenshorizont; <natürhches Weltleben>
im ersten Sinn, es fehlt in ihm der Menschheit noch ein theoretisches
Leben mit seinen Trägern, den Wissenschaftlern und wissenschaftli­
chen Gemeinschaften, und die durch wissenschafthche Erwerbe und
10 ihre Aufnahme in die menschliche Umwelt bedingte Verwandlung der
Menschheit und dieser Umwelt.
2) Wissenschafthches Leben zunächst in einzelnen zur Urstiftung
kommend als habituehes „theoretisches Interesse” und Auswirkung
als theoretisches Handeln, gerichtet auf gewisse bleibende Erwerbe,
15 die immer wieder Prämissen werden für höherstufige theoretische
Erwerbe. Personale Auswirkung solchen Handelns und zunächst in
Stiftung von sich erweiternden Gemeinschaften von „Theoretikern”.
Das natürliche Interessenleben des ersten Sinnes in der Mannigfaltig­
keit seiner Interessentypik und damit Typik von Personalitäten und
20 Gruppen (darunter die „Berufe”) wandelt sich nun in seiner allgemei­
nen Typik, insofern ein neuer Beruf, der der Theorie, der Wissenschaft,
in den Kreis der Berufe eintiitt mit seinem typischen Interesse. Das
natürliche Weltleben im zweiten Sinn, von positiver Wissenschaft be­
einflusst.1
2
25 Die Menschen als Personen hatten schon ihre personale Zeitlichkeit
in der Form, dass sie verschiedene „herrschende” Interessen haben,
deren jedes sich auswirkt und auszuwirken hat in „seiner” Zeit. Das
Leben der Person ist einheitlich, sofern alle ihre Interessen in ihr einig
sind, aber auch nicht bloss kollektiv einig und nur äusserlich in der
30 personalen Zeit sich abwechselnd, eventuell periodisch in relativ stren­
ger und willkürlich geordneter Periodizität (Berufsstunden, an Wochen­
tagen etc.) sich abwechselnd. Die Interessen verflechten sich inhalt­
lich zu komplexen, zu höherstufigen Interessen, sie beeinflussen sich,
so dass jedes schliesslich den ganzen Gang des Lebens und die Habitua-
35 lität der ganzen Persönlichkeit verwandelt.
Dazu ist noch auszuführen. Interesseleben ist Leben auf Willens­
ziele hin, ist praktisches Leben. Das aber ist Leben im Gelingen und
Misslingen, worin die Motivation hegt für Überlegung der Möglich-

1 Fortführung, Vertiefung der Probleme des Textes Nr. 11. Auch als Vertiefung
der Lehre von der Zeitigung von Welt, die eben nur Menschenwelt ist und als das
Sinn hat. Alles wichtig.
2 „Wissenschaft” zunächst in meiner Heimmenschheit ohne Rücksicht auf die
fremden Menschheiten; sie mögen wie Wahnsinnige oder Dumme, Verrückte, Ano­
male angesehen werden und ausser Betracht bleiben.
BEILAGE X 175

keiten, für Wahl usw. Zugehörig ein Sich-besinnen auf Sein und Nicht­
sein und auf Behebung der Modalitäten der Seinsgewissheiten, also ein
doxisches Leben im Dienst der jeweiligen Praxis, soweit sie es erfor­
dert. Hier tritt das „es ist wahr” als „es ist wirklich so”, „es ist falsch”,
5 „es ist nur Schein”, „es ist nicht so”, „es ist möglich”, „es ist unmög­
lich” usw. auf — aber nicht im theoretischen Sinn.
Schon das praktische Leben im gewöhnlichen Sinne, der die theore­
tische Praxis ausschliesst, hat seine Wahrheit, hat als Korrelat das,
was an und für sich wirklich ist gegenüber den wechselnden Meinun-
10 gen, gegenüber den selbst bei wahrnehmungsmässiger Gegebenheit
(oder wiedererinnerungsmässiger) möglichen und oft eintretenden
Wechseln der Auffassung, der subjektiven Meinung.
Das theoretische An-sich, das Korrelat der theoretisch-prädikativen
Wahrheit, ist eine gewisse Steigerung der ausser- und vortheoretischen
15 Wahrheit. Diese entspringt aus einem theoretischen Interesse, als
Interesse rein am Sein und Sosein, und zwar nicht am vereinzelten,
sondern totalen; für ein einzelnes Reales an der vollen und ganzen,
also vollständigen Erkenntnis des gesamten Soseins dieses einzelnen
oder alsbald dieses Typus, zunächst in seinen inneren Bestimmungen,
20 dann weiter auch seiner realen Relationen, die also anderes Reales und
die von diesem her bedingten relativen Bestimmungen betreffen, und
so unbeschränkt sich ausbreitend über die Welt. Oder es ist Interesse,
das unpraktisch von vornherein auf die ganze Umwelt geht, ins Un­
begrenzte, sich verhaftend an der Allheit der Typen von Seienden, an
25 den universalen Formen, die diese Typik, bzw. die Allheit der in ihr
sich immer wieder darbietenden einzelnen Realitäten und Gruppen,
typischen Konfigurationen usw. betreffen. Von Allgemeinheit in kon­
kreten Besonderungen sich fortpflanzend und dann wieder das indivi­
duell einzelne, das jeweils neu in die Betrachtung tritt, auf Grund der
30 schon erworbenen allgemeinen Erkenntnis näher bestimmend, in seine
individuellen Besonderungen hinein. Andererseits Überwindung der
Relativität der Meinungen, auch der'erfahrenden, und vor allem der
erfahrenden, als der bewährenden, durch Methoden der Beobachtung,
sowie die Erschliessung der jeweils unzugänglichen Femen durch In-
35 duktion und ihre methodischen Weisen der Bewährung, um gesicherte
Gewissheiten oder mindestens Wahrscheinlichkeiten zu erzielen. In
sprachlicher Hinsicht; Ausbildung von theoretischer Sprache, die
nicht bloss der Mitteilung dient, sondern auch der Sicherung objektiv
für jedermann zugänglicher, von jedermann nachprüfbarer Erwerbe,
40 in nachprüfbarer Methode, die selbst sprachlich dokumentiert und ge­
sichert ist.
Das alles als Wissenschaft, Theorie der Welt oder von Weltgebieten.
Wissenschaft im ersten Sinne, korrelativ theoretisches Interesse, Wahr­
heit, wahres Sein (An-sich-sein) im ersten Sinne. Schon durch sie ge-
45 staltet sich die natürliche erste Umwelt und das menschliche Welt­
leben um, sie nimmt in ihre Apperzeption das Theoretische in ver­
schiedenen Stufen auf. Es ist bereit, um von jedem Wissenschaft Ler-
176 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

nenden aufgenommen zu werden, soweit er vermag, und durch sein


subjektives Missverständnis etc. bedingt.
3) Dieses theoretische Interesse, diese Wissenschaft, Wahrheit ist
aber in einer Hinsicht noch relativ-subjektiv. Welt ist Welt für jeder-
5 mann, von jedermann in Konnex mit jedermann identifizierbar. Sie ist
für mich, als der ich von Welt spreche und aus der gewöhnlichen prak­
tischen Einstellung auf einzeln Seiendes, dem mein Interesse sich zuge­
wandt hat in irgendwelcher Beschäftigung, in eine universale Einstel­
lung auf das Universum eingetreten bin, horizonthaft vorgegeben, <sie
10 ist >von mir, von meinem Leibe, von dessen Umgebungskem der wahr-
nehmungsmässigen realen Präsenzen ausgehender Horizont der zu­
nächst immer ferneren, immer weniger vollkommen in der Anschaulich­
keit gegebenen Wahrnehmung, ins Endlose fortgehender unanschauli­
cher Bereich möglicher Erfahrung von Realitäten. Das alles als Bereich
15 möglicher Erfahrung als einer möglichen Einzelerfahrung und Gemein­
erfahrung für uns alle, für jedermann als mit mir in mögliche Kommu­
nikation tretend, mit mir erfahrend und Erfahrungserwerbe, mit mir
denkend und Denkerwerbe in bezug auf gemeinsam schon geltende
austauschend, mit mir im Austausch im Verhältnis der Wechselweisen
20 Berichtigung, in Beziehung der Korrektur stehend.
Ich habe einen offenen Horizont unmittelbarer und mittelbarer wirk­
licher und möglicher Gemeinschaft mit Anderen als selbst miteinander
in möglicher Gemeinschaft stehenden, als selbst einen offenen Hori­
zont von Anderen habenden. Ich habe so in ständiger Seinsgewissheit
25 ein offenes Universum von meinen Andern, mein universales Wir, als
ein solches, das jedes andere Ich als Ich dieses Wir seinerseits als sein
Wir hat.1 Es ist das Un i v e r s u m der S u b j e k t i v i t ä t , die als
Gemeinschaftsuniversum, Universum in „Kommunikation” stehender
Personen die universale Subjektivität ist, auf die die für mich seiende
30 reale Welt bezogen ist als meine, die unser aller ist, die für jedermann
ist, für jedermann als aus seinen eigenen uroriginalen Erfahrungen,
aber nicht aus diesen allein, sondern als seine <aus> Zueignungen der
fremden Erfahrungen unter ständiger Ergänzung und Korrektur ihm
erwachsenden seienden Realitäten — für ihn seiend und solange seiend,
35 als nicht durch solche weitere eigene und kommunikative Erfahrung
Korrekturen Änderungen fordern. Zur Welt in dieser ständigen Ho-
rizonthaftigkeit, antizipiert als seiendes Universum, aber als solches,
das durch keine faktische Erfahrung einen endgültigen totalen Seins­
sinn gewinnt, gehören die Subjekte selbst als füreinander als psycho-
40 physische Objekte ständig erfahren und erfahrbar.
Die Korrelation von unserer Welt und uns als der sie erkennenden,
auf sie bewusstseinsmässig bezogenen, ihren jeweiligen Seinssinn ge-

1 Meine Heimwelt, mein Volk. Das Universum in erster Form als Heimwelt kommt
nur zur Abhebung, wenn schon andere Heimwelten, andere Völker mit im Horizont
sind. Die Lebensumwelt im Horizont von fremden Lebensumwelten, mein Volk
umgeben von fremden Völkern.
BEILAGE X 177

staltenden Subjektivität ist selbst ein „Entwicklungs” 1-Glied für eine


offene Wandlung des Sinnes dieser Korrelation, bzw. für Verwandlun­
gen des Wir und damit des Seinssinnes der Welt, als der für uns sei­
enden, als der, in der wir als Menschen leben.
5 Wir können, was hier gemeint ist, so zur ersten Klärung bringen:
Wir, das besagt natürlich, wir Menschen. Als Menschen sind wir, gel­
ten wir uns selbst als Personen, und darin liegt: Personen je i hrer
Menschhei t . Nicht alle Personen sind Personen einer und derselben
Menschheit, und sind es doch wieder, je nachdem Menschheit verstan-
10 den ist. Und ist Welt Welt für uns alle, so ist, je nachdem das „wir
alle” verstanden ist, die Welt wirklich konkret dieselbe oder nicht die­
selbe, sofern eben Menschheit bald einen Sinn hat, der Einzigkeit ein-
schliesst, bald einen pluralisierbaren Sinn. Im letzteren Falle gehört zu
jeder Menschheit ihre Welt (wir sagen dann ihre Lebenswelt, ihre Um-
15 weit), und wenn doch alle diese Umwelten in der Entwicklung oder
Besinnung eine einzige Totalität Welt „bilden” oder vielmehr als „Er­
scheinungsweisen” der einzigen Welt je für diese Menschheiten gelten,
so ist diese einzige Welt für diese verschiedenen Menschheiten prinzi­
piell nicht Umwelt im selben Sinn, als ob sie Korrelat wäre eines als
20 wirklich vorausgesetzten „Wir”. Doch das alles ist nur eine zunächst
notwendige Andeutung.
Bauen wir uns schrittweise ein Verständnis für Menschheit und Um­
welt auf. Tiere, animalische Wesen, sind wie wir Subjekte eines Be­
wusstseinslebens, in dem ihnen in gewisser Weise auch „Umwelt” als
25 die ihre in Seinsgewissheit gegeben ist. Das Subjektsein bezieht sich
auf die anima solcher Wesen. Ihr rein animalisch verstandenes Be­
wusstseinsleben ist zentriert, und im Reden von einem „Subjekt für
Bewusstsein”, für Bewussthaben liegt ein Analogon, oder ein Allge­
meineres für das menschliche ego seiner cogitationes von den und jenen
30 cogitata: wofür wir kein passendes Wort haben.1 2 Auch das Tier hat so
etwas wie eine I c h s t r u k t u r . Der Mensch aber hat sie in einem ein­
zigartigen Sinn gegenüber allen untereinander verwandten tierischen
Ichbesonderungen; sein Ich — das Ich im gewöhnlichen Sinn —■ist
p e r s o n a l e s Ich, und mit Beziehung darauf ist der Mensch für sich
35 und alle Mitmenschen Person. Indem er aber Person u n t e r Personen
ist, ist er, was das Wort Person schon mitbedeutet, Person einer
in sich abgeschlossenen, aber je für die Person als offen-endloser3
1 Die „Entwicklung” kann besagen: a) historische Entwicklung eines offenen
Horizonts von bekannten Fremdvölkern, die möglicherweise selbst wieder ihre frem­
den haben, diese eventuell wieder ■— bis zum letzten? Das mag unbedacht bleiben;
oder anderweitige Motivation führt das in infinitum herbei, b) Entwicklung konkreten
Verkehrs. Bei a) schon Konstitution einer sich über das eigene Territorium hinaus­
dehnenden „Natur” (Erdboden, Himmel, Pflanzen, Tiere), als worauf auch das fremde
Lebensfeld liegt. Durch b) im konkreten Verkehr Nötigung der Geltungssynthesis
der eigenen und fremden (nur partiell verstandenen) Lebensumwelt.
2 Die Allgemeinheit entspringt eben als verähnlichende Apperzeption (Assimila­
tion) — und darin als eine Grundweise intentionaler Modifikation.
3 Dieses „offen-endlos” besagt nicht ein Immerwieder <von> Mitpersonen im Sinne
178 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

Horizont bewussten Menschheit, einer Totalität „wir insgesamt”.


Jeder Mensch, sofern er in seinem Weltbewusstsein lebt, oder sofern
er wirklich Ichsubjekt ist für die Welt als die ihm seinsmässig gewisse,
ist für sich Person im endlos offenen g e n e r a t i v e n Zusammen-
5 hang, in der Verkettung und Verzweigung von Generationen. Darin
ist er (weiss er sich), und zwar als Kind seiner Eltern, als reif geworden
aus Erziehung durch sie und durch die kommunikativen ihrerseits rei­
fen und reif gewordenen Mitsubjekte, nunmehr selbst fungierend als sie
miterziehend, allgemein verstanden, ihr personales Sein im unmittel-
10 baren oder mittelbaren Konnex mit ihnen mitbestimmend, eventuell
selbst schon Vater oder Mutter usw. Der generative Zusammenhang
umfasst Neugeborene, bzw. überhaupt „Frühkinder”, sozusagen Em­
bryonen, die als Vorstufen für eigentliche Kinder verstanden sind.
Eigentliche Kinder, das sind Vorpersonen in den Stufen vor der Reife,
15 die einen Vollendungspunkt im Typus Person bedeutet. Sie haben
schon bewusstseinsmässig etwas von realer Umwelt (ungleich dem em­
bryonalen Stadium), aber noch nicht die voll auf ein „wir alle”, auf
Menschheit bezogene Welt. Es ist schwer, das scharf auszudrücken:
dieses Personsein, das doch kein voll wirkliches Personsein ist, es viel-
20 mehr erst in der Reife ist. Doch wird es sich von anderer Seite noch
besser klären.
Zunächst ist aber zu betonen: Wir und unsere Welt, das verweist
nicht auf den konkret vollen (psychophysisch verstandenen) genera­
tiven Zusammenhang, der für uns seinsgewisser ist; ausgeschlossen
25 sind dabei die Kinder, wie andererseits die Geisteskranken und über­
haupt die Kranken, solange sie in der Anomalität leben. Mindestens
rechnen sie nicht mehr voll mit und nur soweit ihr Bestand des Mitle­
bens partiell ein Mitfungieren ist mit den restlichen und Vollnormalen.
Nur die Reifen als die normalen menschlichen Personen und im Ein-
30 heitszusammenhang ihres kommunikativen Lebens mit der Einheits­
form ihrer personalen Zeitlichkeit sind die Subjekte für die Welt, die
die i hr e ist. Jedes rechnet dabei in seinem zeitlichen Sein (der Strecke
dieser generativ-kommunikativen Zeit) nur hinsichtlich seiner Nor­
malität, in der es allein als konstitutiv für „die” Welt fungiert: in der
35 Form „die” Welt, das eine Universum von Seienden als Seienden „für
uns alle”. Auch die „Alten”, soweit sie emeritiert, zur Ruhe gesetzt
sind, insbesondere die nicht mehr ratenden und tätigen, sind als Ano­
male hier zu rechnen, so wie die Kranken.
Wie umschreibt sich nun aber die Einheit „einer” Menschheit und
40 ihrer Umwelt? Wie die für mich als Person, für meine Mitpersonen
immer schon bewusstseinsmässig konstituierte pe r s o n a l e Al l h e i t

der absoluten Iteration, der Unendlichkeit im prägnanten Sinne. Ihm entspricht eine
Menge, die kein für das Subjekt angebbares letztes Glied hat und somit keine „Ab­
zählbarkeit” (freilich nicht im mathematischen Sinne); also eine solche natürlich
konstituierte Menschheit ist für ihre Personen eine nicht faktisch gegebene Allheit
der Bekannten, sondern eine unbestimmt zahllose Totalität.
BEILAGE X 179

als innere rein personale Verbundenheit in der Form Allheit, und wie
kontrastiert sich mit dieser To talsubjektivität für die Welt die Welt
selbst, in der zugleich alle Subjekte verleiblichte mundane Realitäten
sind, psychophysische Realitäten, in welchen das Personale als Seele
5 lokalisiert, temporalisiert ist in der Raumzeitlichkeit der Natur, der
naturalen Welt ? Wie kontrastiert sich danach die personale Zeit und
die real-naturale Zeit?
T r a n s z e n d e n t a l entspricht dem natürlich die monadische Zeit
als Form des Monadenalls und die Zeit der in ihr konstituierten Welt —
10 mit ihrer merkwürdigen Doppelheit von personal und real, wobei aber
zu beachten ist, dass korrelativ zum verbundenen All der Personen,
das doch nicht alle menschlichen-Personen umfasst, als verteilt auf
verschiedene Menschheiten und Umwelten als einander „fremden”,
auch das [transzendental entsprechende Monadenall ein S o n d e r a 11
15 ist.
Aber man sieht auch, dass sich hier eine noch nicht berücksichtigte
t r a n s z e n d e n t a l e Problematik eröffnet: So wie die Menschheiten
nicht ein Nebeneinander sind, wenn wir sie nicht in der Einstellung
auf Realität betrachten, sondern in der personalistischen Einstellung,
20 so wie vielmehr die Beziehung von Heimmenschheit und Fremde eine
intentionale Geltungsbeziehung ist, die auf Einigung zu einer Uber­
nation führen muss, so liegt in der Transzendentalität eine problema­
tische intentionale Gliederung im (selbst schon konstituierten) Mona-
den-Sein und in jedem als heimisch für sich fungierenden Monaden-
25 all eine Tendenz fortschreitender Konstitution eines seine Fremden
mit sich verbindenden überheimischen Alls, als eines Heimalls höherer
Stufe. Und dabei die durch das Territorium fortschreitende Konstitu­
tion einer überheimatlichen fortgehenden Natur mit organisch-anima­
lischer Welt. Vor allem betrifft das die Konstitution einer allmonadi-
30 sehen Zeit und die einer realen Zeit, Raumzeit, beide in ihrer konstitu­
ierten Unendlichkeit. Und der letzte Sinn dieser Unendlichkeit und
dieser transzendentalen sowie menschlich-personalen Prozesse ?
Menschen als „oberste Tierspezies”, zoologisch — subjektiv.
Der generative Zusammenhang der Menschen wie der Tiere einer
35 Spezies und dann phylogenetisch weitergehend alle Tierspezies ver­
bindend zur generativen Einheit, Einheit einer Deszendenz, schliess­
lich der organischen Wesen überhaupt; das biophysisch verfolgt, aber
auch biopsychisch.1
Demgegenüber eine andere Generativität oder „Deszendenz”, die
40 dem Menschen, dem personalen Wesen ausschliesslich eigentümliche.
Der Mensch als Person unter Personen lebend, mit ihnen personal sich
absichtlich verbindend und immer schon als reife Person natürlich
verbunden; natürliche personale Verbände als Teile und Schichten

1 Aber auch rein psychisch, rein „monadisch”, dieses Wort jetzt nicht transzenden­
tal verstanden.
180 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

höherstufiger natürlicher Verbände, die schliesslich in einem Total­


verband, Menschenvolk, kulminieren.1
Hier die Fundamentalprobleme. Tierische Gemeinschaft, tierisches
geselliges Leben — in rein geistiger Beziehung betrachtet, lebend in
5 ihrer „Umwelt”, jede Spezies in ihrer spezifischen Umwelt. Jedes Ein­
zeltier hat seine „geistige” Entwicklung vom embryonalen Anfang bis
zur Reife, und in dieser baut es sich die für es bewusstseinsmässige,
für es „daseiende” Umwelt auf. Aber es reift nicht zur Person, und die
Umwelt ist nicht menschliche Umwelt, bzw. eine menschliche ist nicht
10 nur eine besondere tierische, nur differenzierter, so wie derartige Un­
terschiede zwischen niederen und höheren Tieren überhaupt bestehen.
Nur soviel kann man sagen, dass in der menschlichen Umwelt und im
Menschen als ihrem Subjekt eine abstrakt unterscheidbare Schichte
ist, die als das Tierische darin, bzw. als das Gemeinsame mit dem Tier
15 v i e l l e i c h t abgehoben werden kann (was erst näherer Untersuchung
bedarf).
Es fällt dem flüchtigen Blick schon auf, wenn wir Tiere und Men­
schen vergleichen (beide vorkommend in der menschlichen Umwelt
und doch verstanden je als Subjekte der ihnen je geltenden Umwelt):
20 Der Mensch als Person ist S u b j e k t ei ner K u l t u r we l t , die das
Korrelat ist der personalen Allgemeinschaft, in der sich jede Person
weiss, und dabei weiss in bezug auf ihre humane, die Kulturwelt, in
der sie lebt. Das Tier lebt nicht (sich wissend) in einer Kulturwelt.
Dazu gehört offenbar: Der Mensch ist ein geschichtliches Wesen, er
25 lebt in einer „Menschheit”, die ist im geschichtlichen, Geschichte
schaffenden Werden; sie ist die S u b j e k t i v i t ä t als T r ä g e r
der g e s c h i c h t l i c h e n Welt, ein Ausdruck, der dann nicht be­
sagt: das historisch lebende, Historie konstituierende Leben, sondern
das umweltliche Korrelat bezeichnet als humane Umwelt, vom Men-
30 sehen, von der totalen Menschheit her geistige Bedeutung in sich tra­
gend, als Titel ontischer Beschaffenheiten der Realitäten und ihrer on-
tischen Geschichtlichkeit, als aus dem menschlichen Handeln, aus
menschlichen Interessen, Zwecken, Zwecksystemen her diese Be­
deutung habend.
35 Jede tierische Generation in ihrer vergemeinschafteten Gegenwart
r e p e t i e r t ihre spezifische Umwelt mit der dieser Spezies eigenen
Typik. Eine menschliche Kulturwelt ist in fortwährender Entwick­
lung, die Kultur jeder menschlichen Gegenwart ist Boden für das neue
Kulturschaffen der neuen Generation dieser Menschheit, wir können
40 auch sagen, Prämisse. Die zweckvollen Gebilde sind in der Welt als
ihren Zwecksinn beschaffenheitlich in sich tragend; in ihm verstanden
motivieren sie neue Zwecke auf dem Grund der alten bzw. ihre Erfül-

1 Von vornherein also hat jede reife Person den Totalhorizont '„Volk”. In diesem
Horizont finden dann im Weltleben (des Menschen als Volksmenschen) alle Zweck-
verbindungen statt, alle Verabredungen etc. Alle „sozialen” Akte und „sozialen”
Verbände sind im Horizont Volk.
BEILAGE X 181

lungsgestalten. Das Kulturantlitz der Welt hat eine Typik, die sich
konkret in gewisser Weise wiederholt oder zu wiederholen scheint,
aber für den Menschen gilt tempora mutaniiir et nos mutamur in illis.
Die Zeiten sind die in der einheitlich me n s c hl i c he n Zeit real
5 e r f ü l l t e n Zeiten, erfüllt mit den in Jeweiligkeit zweckvoll gestal­
teten Realitäten. Die konkrete Typik ändert sich in der Wiederholung;
es fallen manche konkreten Typen aus, obschon diese Wandlungen so
vor sich gehen, dass ein allgemeiner Gesamttypus der Umwelt und des
sozialen menschlichen Daseins in ihr erhalten bleibt.
10 Menschliche Werke werden nach im voraus vorstelligen und als
Vermöglichkeiten dem Menschen geltenden Möglichkeiten handelnd
erwirkt. Der Mensch hat Ent wür f e , er hat Wahl zwischen dem
geltenden Möglichen und entscheidet sich für das als das Beste Er­
kannte. Er verbindet sich mit Anderen zu gemeinschaftlichem Han-
15 dein in Vergemeinschaftung der Wollungen und ihrer Ziele, die für ihn
Zwecke sind, individuelle (private) und Gemeinschaftszwecke, Ver­
einszwecke etc.
Das Tier verwirklicht in Gemeinschaft „Instinkte”, sein Tun ist in­
stinktiv, die Vergemeinschaftung des Strebens ist instinktiv. Die Biene
20 h a n d e l t nicht, die Biene hat keine Zwecke, das Bienenvolk ist keine
Zweckgemeinschaft, es steht nicht in der Einheit eines Lebens, das
menschliches Zweckleben ist, das seine Träger hat in Subjekten, die
ihre Zwecke habituell und in der Weise der Wiederemeuerung ihrer
Absichten von neuem in Funktion setzen, als dieselben sie identifizie-
25 rend usw.
Ein Tier schafft nicht in der Einheit seines Lebens ein System von
geistigen Erwerben, die es als Entwicklung erfährt, es hat nicht Ein­
heit einer die Generationen überspannenden Zeit als historische Zeit
und Einheit einer durch sie hindurchgehenden Welt, es „hat” sie
30 nicht bewusstseinsmässig. Wir, wir Menschen sind es, die die Ketten,
die unendlichen Abfolgen und Verzweigungen der Ameisengeneratio­
nen etc. in Seinsgeltung haben in unserer Welt. Das Tier selbst hat
keine generative Welt, in der es bewusstseinsmässig lebt, kein be-
wusstseinsmässiges Dasein in einer offenen Unendlichkeit von Genera-
35 tionen und korrelativ kein Dasein in einer eigentlichen Umwelt, die
wir Menschen ihm, es vermenschlichend, zuschreiben.1

1 Das sind natürlich erst die Anzeigen für die wirkliche Klärung von Person und
Menschheit mit ihrer menschheitlichen Umwelt. Zu folgen hat dann die Klärung der
E n d l i c h k e i t einer Menschheit und der Scheidung von H e i m a t u n d F r e m d e ,
von unserer Menschheit, unserem Volk und anderen (uns fremden Menschheiten),
ferner noch die relativ einheitlichen Gruppen in einer Menschheit mit dem Wir —
Andere.
Von da dann weiter die Antizipation der Verkettung von Umwelten ins „Unend­
liche" und der Konstitution von Übernationen und Welten auf Grund von „ein-
fühlungsmässigen” Welten, immer von der eigenen aus; die Probleme der Unend­
lichkeit und die Idee der einen unendlichen Welt als der Idee eines universalen An­
sich — universale ins Unendliche exakte Natur und auf rsie bezogene Mensch­
heiten ins Unendliche auf dem Wege zu e i n e r Menschheit und zu e i n e r Kultur
182 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

Die Tiere finden wir in unserer Welt vor durch eine Einfühlung, die
eine assimilierende Abwandlung der mitmenschlichen Einfühlung ist.
Aber die Verähnlichung mit menschlichen Subjekten betrifft natür­
lich zunächst das Verstehen der tierischen Leiblichkeit als solcher und
5 so überhaupt die Grundschichte der Einfühlung, die uns Mitmenschen
als in eine gemeinsame Umwelt hineinlebende konstituiert. Was dem
eingefühlten Ich notwendig zu eigen sein muss, damit überhaupt Ein­
fühlung zustandekommt, eben das ist die „Grundschicht". Die Assimi­
lation des fremden Leibkörpers als Leibes, wie er mein eigener ist, die
10 Auffassung des Organsystems als System von Wahrnehmungsorganen
und praktischen Organen, durch die die wahmehmungsmässige Um­
gebung für das Tier da ist, und als einheitliches Feld von identischen
Dingen, jedes Einheit von Erscheinungsweisen; zugleich aber so,
dass diese Erscheinungsweisen nur ähnliche sind, wie ich sie und
15 jeder Mensch sie hat und wie sie im Erfahren von Mitmenschen sich
kommunikativ austauschen und in der Unterschichte menschliche ge­
meinsame Natur ergeben, ein Universum von Erscheinungseinheiten,
die Einheiten nicht nur meiner, sondern unser aller zu vergemeinschaf-
tenden Erscheinungsweisen sind, der wirklichen und möglichen. Dieses
20 ganze menschliche System und menschliche Natur ist schon vorausge­
setzt, damit wir Tiere als Tiere erfahren, Einfühlung als Wahrneh­
mung von Tieren gewinnen können. Die urgenerative Entwicklung des
Menschen, in der er zum ersten Selbstbewusstsein und Umgebungsbe­
wusstsein, zum ersten „Ich und Umwelt” erwächst, ergibt dieses erste
25 Ich schon als Ich eines Wir und die Umwelt als gemeinsame dieses
Wir. Die Anderen sind nicht bloss Reduplikationen des Ich, die An­
gleichung erfordert immerfort korrigierende Abwandlung, und vorweg
sind die Andern als Analoga in einer unbestimmten Allgemeinheit mit
einem individualtypischen Kern verstanden. Aber die Erscheinungs-
30 weisen der Dinge gehören selbst dazu, und die Horizonte selbst haben
in gewisser Weise ihre konkrete Typik und sind in ihr „entworfen”.
Eben diese schon wandelt sich in gewisser Weise bei Vollzug der Ein­
fühlung in ein tierisches Dasein ab. Ganz so empfindet das jeweilige
Tier (in seiner Spezies) nicht wie wir. Aber es sind doch dieselben Din-
35 ge, die sie in ihrer Weise wahmehmen, es wird doch assimiliert, es sind
doch Erscheinungen von demselben, es wird doch ein waltendes Ich in
dem analogen Leib durchgehalten, und was dabei sonst bei der gefor­
derten Analogie standhält und nicht in Wandlung sich beseitigt. Für
jede Tierspezies ein abgewandelter Typus des „Ich und Umwelt”, für
40 mich schon „wir Menschen und Umwelt”, also des tierischen Ich im

als im Unendlichen liegend. Aber demgegenüber aktuelle Menschheit, irdische, und


das Schicksal, der Zufall.
a) Wissenschaft im ersten Sinne; b) Wissenschaft im zweiten Sinne auf Unendlich­
keit bezogen, als naive Konstruktion; c) Wissenschaft im dritten Sinne, absolute
Wissenschaft. Ebenso: a) natürlich-erstes endliches Leben; zweites unter Leitung
von erster Wissenschaft; drittes im Horizont unendlicher Natur; viertes im tran­
szendentalen Horizont.
BEILAGE X 183

Wir. Wir Menschen sind schon darin im Wir abgehoben, dass wir kon­
kret typisch dieselbe Leiblichkeit haben, und in unserer Konstitution
als Ich und Wir sind wir schon vermöge des generativen Ursprungs in
dieser typischen Leiblichkeit konstituiert: Ich bin schon im Selbstbe-
5 wusstsein als Ich dieses typischen Leibes, ich habe vorweg schon mei­
nen mitmenschlichen Horizont in der Typik meine Familie etc., und
mein Leib hat schon den Seinssinn eines allgemein typischen für uns
alle.
Problem des Tieres: Das Tier ist ein neues, ein anderes Subjekt, aber
10 anders wie wir Menschen, aber darin anders, dass es doch analog wie
wir Menschen unter Menschen ist, so Löwen unter Löwen etc. in der
Lebensgenerativität als Analogon unserer menschlichen. Im übrigen,
das in der Welt Leben, in der Löwenwelt, für Löwen erscheinungs-
mässig einheitlich sich konstituierenden, Hineinleben, Bedürfnisse
15 Haben, sie Erfüllen, Hunger und Durst Haben, Essen und Trinken,
geschlechtlich miteinander Verkehren etc., das wird ohne weiteres assi­
miliert, überhaupt menschliches Leben in menschlicher Generativität
und Umwelt, soweit es eben in der Analogisierung geht und diese sich
in Erfahrung bestätigt.
20 Aber da ergeben sich wesentliche Differenzen. Leben die Bienen in
ihrer Umwelt generativ so wie wir ? Schon wenn wir fragen, entwickeln
sich die Bienen so wie wir als „Kinder”, die geistig in die Welt der Rei­
fen ähnlich hineinwachsen ? Oder um Tiere zu nehmen, die in der Ana­
logie uns näher stehen, die uns in der Körperlichkeit als Leiblichkeit
25 näher verwandten Säugetiere: ein Rehkalb und selbst die Jungen der
Haustiere, ein Pferdefüllen etc., ist das ein Kind, das eine ähnliche Ent­
wicklung macht wie ein Menschenkind ? Biophysisch — das macht kei­
ne grosse Schwierigkeit, aber wohl psychisch. Wh stossen da auf das
Instinktive, aber schon beim Menschen spielen sie, und nicht nur in
30 der kindlichen Entwicklung, eine ständige Rolle. I n s t i n k t ist zu­
nächst ein Titel für äusserlich zu charakterisierende Tatsachen, der
aber von innen her betrachtet seine Unverständlichkeiten hat. Wo ist
die Grenze ? Sind die Bienenbauten in ihrer „Zweckmässigkeit” wirk­
liche Zweckgebilde, deutlicher, zweckrationale, Ergebnisse der „ver-
35 nünftigen” Zielstellung, Berechnung der Mittel etc. ? Der „Bienen­
staat”, der Ameisenstaat, die Sklavenhaltung der Ameisen, die Amei­
senkriege usw. — wie steht es mit den analogischen Interpretationen,
die im Gebrauche der Worte hegen?
Man kann hier fragen: 1 Haben die Tiere (die Haustiere ausgeschlos-
40 sen) eigenthche Wiedererinnerungen, anschaulich wiederholende,
und haben sie anschauliche Phantasievorstellungen in selbem Sinne
wie wir?
Haben sie Horizonte, die sie wie wir anschaulich sich klarmachen
können? Haben sie Zielvorstellungen, Zweckvorstellungen als feprä-
45 sentierende Vorbilder des Künftigen (oder möglicherweise) als eines
1 <Das Folgende bis Schluss» Zusatz Juli oder August 1934.
184 VORBEREITUNGEN DES „SYSTEMATISCHEN WERKES” 1930-1931

dann Befriedigenden, als Ende eines praktischen Weges, eines selbst


anschaulich vorstelligen ?
Können dafür nicht eintreten dunkle Triebe mit Trieberfüllungen,
die doch nicht zu Vorstellungen werden, nämlich in erneuter Aktuali-
5 sierung des Triebes ? Ist die ursprüngliche Zeitigung in der Periode der
U r k i n d l i c h k e i t des Menschen eben von dieser Art, dieser tieri­
schen? Wie baut sich die Weltzeitigung in der Stromzeitigung zu­
nächst als Zeitigung der hyletischen Gehalte auf ? Ist das beim Urkind
schon eine wirkliche Zeitigung — von Seienden?
10 Hat die tierische Stufe „eingeborene" Dingvorstellungen, Weltvor-
stellung, mannigfaltige Wahrnehmungserscheinungen normal zusam­
mengehend zur einstimmigen Einheit, andererseits gelegentlich un­
stimmige, sich hemmende, wodurch jede einzelne Zielung den Charak­
ter der gehemmten erhält: die Intentionalität verstanden als eine rein
15 triebmässige, triebmässig auf Einstimmigkeit gerichtet ?
Die Tiere wissen also nichts von der Umwelt, die wir ihnen in naiver
Einfühlung zuschreiben? Vergangenheit haben sie nur als Retentiona-
lität und haben S e l b i g k e i t von Dingen nur in der Form des pri­
mären Wiedererkennens, das noch kein Zurückgehen auf die Vergan-
20 genheit im Wiedererinnern (als ^wusf-Wiederwahrnehmen) kennt und
kein Identifizieren der Zeit- und Ortsstellen, das Individualität der
Dinge als seiender ermöglicht.
Das Tier hat nicht das Vermögen, durch das es ein Bewusstsein, ein
Wissen von einer seienden Welt haben könnte, einer Welt verharrender
25 Dinge, verharrend in der Zeit, in Veränderungen, Kausalität der Ver­
änderungen unter Umständen etc., so einzeln und zugleich einheitlich
durch die universale Zeiträumlichkeit, Identifizierbarkeit nach Zeit-
und Ortsstellen, nach Vergangenheit undantizipiert-vergegenwärtigter
Zukunft. Kennenlernen, Möglichkeiten entwerfen, wollen, erzeugen,
30 wirken etc., Werke, Zweckgebilde, Mitteilungsgebilde, als <die> immer
wieder dasselbe mitteilbar machen, all das ist ausgeschlossen. Tiere
haben keinen „Satz” im engeren und im weitesten Sinne. Tiere ver­
ständigen sich, verstehen Lautäusserungen — und haben doch keine
Sprache.
35 Beim Menschen vollzieht sich eben eine ständige Umwandlung der
passiven Intentionalität in eine Aktivität aus Vermögen der Wieder­
holung. Ist das so als schroffe Scheidung richtig ? Wie ist es verständ­
lich zu machen, warum das Tier keine eigentliche Erinnerung, keine
wiederholenden Anschauungen hat als wiederholende Wahmehmun-
40 gen und mit dem Vermögen des „immer wieder”, eben damit keine
Konstitution von Se i e nde n in der Seinsform der Zeitlichkeit? Der
Mensch hat „Vernunft” ; ist das eben Gesagte Bezeichnung der unter­
sten Stufe der „Vernünftigkeit” ? Der Mensch, das animal rationale,
interpretiert notwendig zunächst die „blind instinktive” Intentionali-
45 tät, die rein triebmässige, als eine Umwelt konstituierende: als ob die
Tiere in der Tat eine Art minderer Mensch wären, als ob auch sie
Seiendes, Seinszusammenhänge und auf Seiendes, auf vorgegebene
BEILAGE X 185

Umwelt gerichtete Zwecke hätten, Vorstellungen von Se i ns ol l e n­


dem; als ob sie anstatt ihrer Gefühle, die blosse Modi im blinden
Triebleben sind, menschliches Werten hätten, gerichtet auf Werte
und Güter.
5 Aber die Haustiere? Sind sie nicht schon wirkliche Analoga von
Menschen oder wirklich schon seiend in menschlicher, aber sehr nie­
derer Personalität, nur unfähig, sich wie unsere Menschenkinder über
ihre Anfänge hinaus weiter zu entwickeln?
Die Psychologie ist demnach p r i n z i p i e l l menschliche Psycholo-
10 gie als erste und eigentlich auf Erfahrung ruhende Psychologie. Die
Psychologie der Tiere aber ist rein konstruktiv, sie setzt für die Recht­
mässigkeit ihrer Konstruktion eine, und zwar eine wi rkl i ch i n t e n ­
t i onal e, Me ns c h e n p s y c h o l o g i e voraus.
III

TEXTE AUS DEM ZUSAMMENHANG DER


ZWEITEN NEUBEARBEITUNG DER
„CARTESIANISCHEN MEDITATIONEN”
UND DER DARAUS HERVORGEGANGENEN
KONZEPTION EINES
„SYSTEMATISCHEN WERKES”
JULI 1931 BIS FEBRUAR 1932
Nr. 12

AD FÜNFTE MEDITATION: KONSTITUTION VON


REALIEN IN DER PRIMORDIALITÄT ALS
„GEBILDE” DES „EGO” UND KONSTITUTION
5 VON ANDEREN, NICHT ALS EGOLOGISCHEN
GEBILDEN, SONDERN ALLEN SOLCHEN GEBILDEN
TRANSZENDENT UND MIT MEINEM EGO
KOEXISTIEREND
<1931 oder später >1

10 Was ist also hinsichtlich des Seins prim ordinales Naturobjekt


und Naturtotalität zu sagen?
Dieses Seiende hat den Sinn Seiendes des und des Inhalts für
mich: Es ist in meinem Leben primordial konstituiert und ist
aktuell und potentiell Einheit von Mannigfaltigkeiten, die aus-
15 schliesslich zu mir als primordialem Vermögens-Ich gehören.
Dieses primordiale Ich hat seine eigene Konkretion, seine eigen­
wesentlichen reellen und ideellen Eigenheiten. Die hat es für sich
selbst, es ist sich selbst originaliter gegeben und in seinen Po-
tentialitäten auf sich selbst zurückbezogen, es ist für sich selbst.
20 Zu seiner Konkretion gehört, dass es primordinale Natur als in
ihm, und rein in ihm, konstituierte in sich trägt. Diese Natur ist
auch Seiendes, Bestimmbares, Erkennbares, aber in diesem
Sein eben Einheit von meinen Erscheinungen, Identisches mei­
ner aktuellen und potentiellen Identifikationen. Nicht etwas aus-
25 ser mir, gesondert von mir und nur durch ein unbegreifliches
starres Gesetz mit mir zusammenseiend, mit mir irgendwie ver­
bunden, sondern es ist nichts als intentionales Korrelat, nur
Sinn meiner, und ausschliesslich meiner Sinngebung.
1 Das Manuskript des hier wiedergegebenen Textes trägt den Vermerk Husserls:
„Fink". Im Frühjahr 1931 hat Husserl seinen Assistenten, Eugen Fink, zum ersten
Mal mit der Umarbeitung der „deutschen" Cartesianischen Meditationen betraut
(vgl. Einleitung des Herausgebers zu diesem Band, S. ff.). — Anm. d. Hrsg
190 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

Wie steht es nun mit den transzendentalen Anderen, anderen


Ich, anderen erfüllten immanenten Zeiten, anderen Erlebnissen,
Akten, einer anderen primordialen Natur usw.? Meine primordi­
ale Natur ist seiend in ihrer Raumzeitlichkeit (einer primordialen,
5 die danach ihren Sinn hat, der in ihr erfahrener und weiter aus­
zulegender ist) und ist meiner immanenten Zeitsphäre, Erleb­
nissphäre „transzendent”.
Mein Anderer und alles ihm immanent und primordial transzen­
dent Zugehörige ist meiner primordialen (immanenten und prim-
10 ordial transzendenten) Sphäre in einem neuen Sinn transzendent.
Er ist in meiner primordialen Sphäre appräsentiert als Anderer,
als für sich selbst Seiendes, als Ich seiner Primordialität — und
ist in meiner primordialen Sphäre ebenfalls Erfahrungseinheit
von „Erscheinungen”, evtl, und normalerweise sich einstimmig
15 bewährend und immerfort Bewährung vorzeichnend. Als diese
Einheit m e i n e r Appräsentation, der meiner Primordiaütät zu­
gehörigen, ist er für mich seiend und appräsentiert als für sich
seiend, und nicht bloss für mich. Sofern meine primordiale Natur
„fremde Leiber” enthält und Sein von fremden Leibern mir vor-
20 zeichnet, kann ich, so wie ich bin, nicht anders, als Andere setzen,
sie sind, obschon gesetzt in der Weise der Appräsentation und
in ihr bewährt, ebenfalls von mir untrennbar. So wie ich bin und
für mich bin, bin ich nicht nur Ich einer primordialen Natur, die
Einheit aus meinem eigenen Leben in sich ist, sondern auch Ich,
25 für das Andere sind als mit mir koexistierend. Die Natur als
meine primordiale hat nicht reelle Inexistenz in mir in dem Sinn
immanenter Erlebnisse, aber sie hat konstitutive Inexistenz in
mir, Inexistenz als konstitutives Korrelat. Hier wäre es verkehrt
zu sagen, diese Natur koexistiere mit mir, mit dem sie konstitu-
30 ierenden ego, sondern hier sage ich, diese Natur ist ideelles Ge­
bilde in mir (Primordialität als eine besondere Weise der „Idea­
lität”). Dagegen der Andere konstituiert sich nicht als ein „Ge­
bilde”, das mir selbst in eigener Weise einwohnt, sondern in ge­
wissen primordialen Mannigfaltigkeiten (in meinen einverste-
35 henden, beseelenden Erfahrungen) konstituiert sich für mich Sein
eines Andern, der als anderes Ich für sich ist.
Der Andere hat in mir nicht reelle transzendente Präsenz, kön­
nen wir sagen, sondern reelle Appräsenz und durch sie ideelle
Kompräsenz.
T E X T NR. 12 191

Eben damit begründet sich ein untrennbares Füreinander­


sein, weder ich bin für mich, und so wie ich bin, trennbar vom
Anderen, noch ist er es von mir. Jeder ist für sich und ist doch
für den Anderen. Jeder als seiend hat Sinn zugleich aus sich und
5 zugleich für jeden Anderen, und das gehört zu eines jeden Wesen.
Es ist nicht kraftlose Spiegelung, sondern, wenn wir ein ego ein
absolut Reales nennen, so gehört es zu einem solchen Realen,
dass sein Sein untrennbar ist von jedes anderen Sein und jedes
jedes andere intentional umgreift und in intentionaler Mittel-
10 barkeit, die nicht eine leere Geste ist, in sich trägt.
So wie meine lebendige (urphänomenale) Gegenwart meine Ver­
gangenheit in sich trägt, sie immer in Gegenwartsform ausweist,
und wie sich dadurch meine immanente Zeit konstituiert, so trägt
meine primordiale raumzeitliche Gegenwart meine primordiale
15 Vergangenheit und Zukunft, und es konstituiert sich primordiale
Natur als erfüllte universale Raumzeitlichkeit.
Ebenso: Meine Primordialität trägt in sich einen Anderen,
seine Primordialität, und dieser wieder etc. Es konstituiert sich
für mich, und jeden für mich seienden Anderen, eine Primordia-
20 litätenkompräsenz, -konsukzession — eine transzendentale All­
zeitlichkeit, dadurch eine transzendental begründete objektive
Natur, objektive Welt. Die Koexistenz der transzendentalen
Subjekte, die Koexistenz ihrer immanenten Zeitlichkeiten, die
Koexistenz ihrer Primordialitäten ist kein leeres (genau besehen
25 undenkbares) Zusammensein, sondern ein Füreinander-sein,
und das sagt, ein einander appräsentativ Zugänglichsein und da­
durch innerlich, verständlich, selbstanschaulich miteinander
Vereinigt-, Verbundensein.
Dadurch wird intersubjektive Konstitution möglich; dadurch
30 wird aus meinem Bewusstseinsstrom und dem in mir appräsen-
tierten anderen Bewusstseinsstrom, in dem dann ebenso der
meine appräsentiert ist, ein einheitlich verbundener Bewusst­
seinsstrom (ähnlich wie mein vergangenes Leben und mein ge­
genwärtiges zu einem Lebensstrom wird), und Assoziation, die
35 zunächst und in einem ersten Sinn primordiale Assoziation ist,
erhält einen neuen Sinn einer intersubjektiven Assoziation.
Nr. 13

DER KONSTITUTIVE AUFBAU DER WELT UND


DIE KONSTITUIERENDE INTERSUBJEKTIVITÄT.
DIE SELBSTAUSLEGUNG DES EGO FÜHRT IM
5 EGO AUF DIE A LT E R EGO’S. ZUR
TRANSZENDENTALEN MONADENLEHRE.
(16. Juli 1931)

Die konstitutive Auslegung des ego in der ersten Ursprüng­


lichkeit der strömenden egologischen G e g e n w a r t führt in die
10 apodiktisch (obschon nur als Spielraum apodiktisch) vorge­
zeichnete Vergangenheit. In der Gegenwart, in ihrem apodikti­
schen Horizont beschlossen, ist die Vergangenheit, das gegen­
wärtige ego „ i m p l i z i e r t ” das vergangene. Auch Zukunft ist
in ihrer Weise als die meines ego vorgezeichnet. Kann man so
15 fortfahren, der Gegenwartshorizont (mittelbar und impliziert
der Vergangenheits- und Zukunftshorizont) imphziert auch Welt
als Phänomen — imphziert zunächst auch Andere? Zunächst in
der Gegenwart der Bestand der Primordialität, der primordial re­
duzierten „Welt”, mit einem primordialen Eigenleib etc. So
20 wird <das> Weltphänomen der Geltungsenthüllung unterzogen.
Apodiktisch bin ich als G e g e n w a r t s - e g o meines Horizon­
tes das Ich, das Gegenwartswelt als Phänomen hat, die ihren kon­
stituierten Zeithorizont hat. Die Exphkation (letzthch die mei­
nes transzendentalen Gegenwartshorizontes, voll genommen)
25 führt auf die transzendental und aktuell mitgegenwärtigen An­
deren und deren Horizonte. Hier ist eine apodiktische Univer­
salstruktur vorgezeichnet — in meinem ego, in jedem ego über­
haupt —, eine egologische Intersubjektivität als in jedem ego
in seiner eigenen Struktur vorgezeichnet. Das ontologische Aprio-
30 ri der Welt als einer ideal möghchen Welt überhaupt ist (durch
„Ursprungsklärung” als Klärung des konstitutiven Sinnes gel-
TEXT NR. 13 193

tender Welt und der Tragweite der Geltung) zurückgeführt auf


das absolute, universale Apriori, das Apriori möglichen und
wirklichen Seins überhaupt, oder zurückgeführt auf das univer­
sale transzendentale Apriori.
5 Hier muss aber die Leistung der Aufklärung, und als Aufklä­
rung des Gehaltes der Apodiktizität, wirklich durchgeführt wer­
den. Es muss gezeigt werden, dass das absolut Seiende die apo­
diktische Wesensform hat als absolute Totalität des monadisch
(egologisch) gegliederten Seins, und als Seins in der Form des in-
10 tentional Für-sich-seins und intentional Füreinander-seins; es
muss gezeigt werden, dass zum monadischen All wesensmässig,
also apodiktisch gehört das intermonadische Konstituieren einer
Welt als der Welt, in der die monadische Totalität in der apper-
zeptiven Gestalt menschlicher und tierischer <Wesen> erscheint;
15 es muss gezeigt werden, dass das transzendentale Monadenall
(die Monadenwelt) die Form der transzendentalen Zeitlichkeit
hat — dass wir also zu sagen haben: Der Welt im gewöhnlichen
Sinn, dem Universum der mundanen Realitäten, entspricht
transzendental die absolute „Welt”, das Universum der tran-
20 szendentalen Realitäten. Der Begriff der Realität („Substanz")
verwandelt sich in die Doppelheit: konstituierende absolute Re­
alität und konstituierte relative Realität. Die „Substanz” im
anderen Sinn, in dem des selbständigen Seins einer vollen Kon­
kretion, verdoppelt sich ebenso. Das mundane Weltall allein ist
25 selbständig; jedes einzelne Reale und jedes endliche Ganze von
einzelnen Realien ist aber unselbständig, sofern es bloss Teil im
„Ganzen” der Welt ist, es hat ein Sein, das relativ ist auf anderes
Weltliches, es hat einen Welthorizont, einen Horizont von ande­
ren Realitäten, von denen es „abhängig” ist im Wie seines Da-
30 seins, eine Abhängigkeit, die wechselseitig ist. Solange die
Transzendentalität nicht erschlossen ist, ist die Welt, die Totali­
tä t der endlichen Substanzen und als Totalität das allein unbe­
dingt mundan Seiende, unendliche Substanz.
Ebenso ist jedes ego, jede Monade konkret genommen Sub-
35 stanz, aber nur relative Konkretion, sie ist, was sie ist, nur als
socius einer Sozialität, als „Gemeinschaftsglied” in einer Total­
gemeinschaft. Hier tritt aber ein völlig neuer Begriff von Auf­
ein ander-angewiesen-, Voneinander-abhängig-sein, Miteinander-
verbunden-sein und der weitesten Form nach überhaupt Mit-
194 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

einander-sein, Koexistieren, In-der-Einheit-einer-Zeitlichkeit-


sein auf, wie auch das Real-sein, das Letztes-Substrat-sein einen
ganz anderen Sinn, den absoluten hat. Die Monade ist seiend
als identisches Ich eines intentionalen und als das konstituieren-
5 den Lebens, eines aktuellen und vermöglichen Bewusstseinsle­
bens, von daher Sein als Ich von Vermögen, von relativ verhar­
renden Vermögenszuständlichkeiten bezogen auf die sie jeweils
aktualisierenden Bewusstseinserlebnisse (darunter speziell Akte).
Das Ich als so zentrierte, im Ichpol zentrierte Intentionalität
10 und Vermögenseinheit ist als sich selbst konstituierende, ihrer
selbst bewusste, sich selbst passiv und aktiv gestaltende <Ein­
heit > und ist zugleich in ihrem Bewusstseinsleben (das zugleich,
wie gesagt, bewusstseinsmässig Für-sich-selbst-Seiendes ist, als
das „subjektiv” Konstituiertes ist) andererseits „Objektivität”
15 (Transzendenz) konstituierend. Dazu gehört aber, jede Monade
ist nicht nur sich selbst in Stufen konstituierend (von der strö­
menden lebendigen Gegenwart her), sondern auch alle anderen
Monaden konstituierend, aktuell und potentiell (was selbst Aus­
drücke sind, die notwendig je nach der intentionalen Stufe ver-
20 schiedenen Sinn gewinnen, die doch durch eine Einheitlichkeit
Übergriffen sind), und so überhaupt alles überhaupt mögliche
Sein potentiell, wenn nicht aktuell, in ihrem Horizont habend.
Jede Monade ist nicht nur für sich, sondern auch für jede andere
Monade. So wie das Für-sich-sein nicht ein leeres (und im Grunde
25 sinnloses) Abbilden in dem eigenen Sein ist, so ist das Füreinan-
der-sein nicht eine blosse „Spiegelung”, „Repräsentation”. Es ist
ja nicht so, als ob jede Monade für sich wäre (für sich geschaf­
fen) und nun so Sein hätte ohne die anderen Monaden, sondern
jede, sofern sie in ihrem Sein die anderen intentional „konsti-
30 tuiert” hat (so wie jede in ihrer Gegenwart ihre Vergangenheit
konstituiert hat), kann ohne die anderen nicht sein. Ihr e i g e n e s
Sein, so wie es als ichliches, intentional konstituierendes ist, „im­
pliziert” jede andere und wird von ihr „impliziert”, jede ist „in
Beziehung” auf jede, jede koexistiert so, dass ihre Existenz die
35 Existenz aller anderen bedingt, jede ist mit jeder „real verbun­
den” — reale Verbindung verstanden in dem Sinn, der eben
zu Monaden gehört, und ein anderer hat für sie gar keinen
Sinn. Jede mundane Realität und reale Beziehung (Kausali­
tät) führt vermöge der Konstitution der Welt zurück auf ab­
TEXT NR. 13 195

solute, monadische Realität und monadisch-reale Beziehung.


Dem Problem der Welttotalität, wiefern sie als Endlichkeit
oder Unendlichkeit gedacht werden muss, entspricht das absolute
Problem der monadischen Totalität.
5 Aber wie weit trägt solche Vorzeichnung? Vorausgesetzt ist:
Ich bin Subjekt für eine mir geltende Welt, worin Mitmenschen
schon sind, meine Eltern etc. Ich konstruiere, was diese Voraus­
setzung absolut voraussetzt. Dabei komme ich aber auf Geburt
und Tod und auf die Fragen des „Eintretens” und „Austretens”
10 von Monaden aus der aktuellen monadischen Zeitlichkeit, die ja
in ihrer Weise auch nur ist in den Modis der lebendig-gegenwär­
tigen, vergangenen, künftigen, wobei die gegenwärtige die in
einem primären Sinn wirkliche ist, in einem Sinn, in dem auch
mundan im eigentlichen Verstände „real” das Gegenwärtige ist,
15 solange es fortdauert, gegenwärtig verbleibt.
Das Vergangene und nicht mehr Gegenwärtige als dauernd ist
„nichts”. Daher der Versuch, die Welt auf „ewige”, ewig gegen­
wärtige Atome zu reduzieren. Das deei ov — Unendlichkeit der ge­
genwärtigen Welt, Unendlichkeit der allzeitlichen Welt, aber
20 Endlichkeit in jeder Gegenwart etc. „Unsterblichkeit” der Mo­
naden — „Unsterblichkeit” des Monadenalls bei Sterblichkeit,
einzelner Monaden. Fragen des letzten Sinnes der Monadenwelt.
Welche Denkbarkeiten der Abwandlung lässt das Ich-bin als Ich
einer mir kontinuierlich geltenden Welt zu? Welches sind die
25 letzten Denkbarkeiten? Welches sind vom apodiktischen Fak­
tum des Ich-bin die letzten darin imphzierten Notwendigkeiten
eines Seins, nur im Horizont von Möglichkeiten?
Nr. 14

DIE VORGEGEBENE WELT IN ANSCHAULICHER


ENTHÜLLUNG — DIE SYSTEMATIK DER
ERWEITERUNG
5 (Mitte August 1931)

<Inhalt: >
1) Allgemeine Vorüberlegung (in roher Allgemeinheit) des nor­
malen Erfahrungsstiles der Welt: die Welt in ihrer lebendigen
noematischen Zeitigung, wie sie in ihr vorgegebene ist, die raumzeit-
10 liehe (geometrische, mechanisch kausal-naturale) Struktur. Be­
kanntheitsstil als vorgegebene, immer schon bekannte Struktur der
Erfahrungswelt zu jeder Zeit. Der Horizontstil: die Endlichkeit der
eigentlich selbstgezeitigten bekannten Umwelt, die iterierbare Er­
weiterung nach Vergangenheit und Zukunft als Iterationsstil der
15 Erfahrungswelt: das Erweiterte immer schon zur vorgegebenen Welt
gehörig als Vermöglichkeit zu wirklich lebendiger Zeitigung. Kor­
relativ die konstituierende Subjektivität. Das Rätsel des Urseins,
rückfragender Gang. Alles, was für mich ist, ist aus meiner univer­
salen Zeitigung: primordiales Sein, Sein Anderer, identisch ge-
20 meinsame Welt, Konstitution des Wir als Wir-Personen in perso­
nalen Gemeinschaftsbeziehungen, personal vergemeinschaftende
Akte (soziale Akte und Sozialitäten), die menschheitliche Welt als
Feld gemeinschaftlicher Zwecke, als sich durch personal-soziale
Menschheit humanisierende. Das Generative: identische mensch-
25 heitliche Welt durch die Generationen hindurch — in offener Zeit­
lichkeit (S. 2 0 4 f.). Di e e n d l i c h e n M e n s c h h e i t s w e l t e n .
Heimwelt und Fremde. Territorium. Die Abwandlung dieses Be­
griffs. Die Abwandlung der Fremde (fremde Heimat, fremde
Fremde etc.). Frage nach dem, was darin wesensnotwendig ist für die
30 Möglichkeit einer unendlichen Erfahrungswelt (S. 2 0 6 f.). Die ge-
TEXT NR. 14 197

nerative Synthesis der Lebenswelten ergibt nicht schon Konstitution


einer unendlichen Welt als Welt „möglicher Erfahrung". Sinn des
allgemeinen „Wir” in bezug auf Umwelt (S. 2 0 8 ). Wir als univer­
sale Form der Verständigungsgemeinschaft, darin beschlossen die
5 Sozialitäten als personale Verbindungen; zu jeder gehörig ihre be­
sondere praktische Umwelt. Das alles ist vorgegebene Welt. — Von
da die transzendentale Rückfrage: als Geltungsgebilde. Rückfrage
führt auf mich etc.
2) Nachtrag (S. 2 1 off.) : Es war nur berücksichtigt in naiver Weise
10 die normale Erfahrungswelt und ihre Gegebenheitsweisen. Ergän­
zung: die Anomalitäten als Sinnimplikation in der vorgegebenen
Welt bis hinauf zum Zusammenbruch der konkreten menschlichen
Lebenswelt — Schicksal.

Endlichkeit der Welt und lebendige Zeitigung

15 Die Welt aus Erfahrung in ihrer lebendigen Zeitigung mit


ihrem lebendigen Vergangenheits- und Zukunftshorizont als le­
bendig gegenwärtige Welt. Ursprüngliche Homogeneität der
Welt, ihre ursprünglich lebendige homogene Struktur. Die raum­
zeitliche Struktur, ihre konkrete Typik, ihre Typik der Verände-
20 rangen nach Bewegung und Ruhe, nach Deformation, nach quali­
tativen Veränderungen, nach dem Kausalstil: ich stosse und
Gegenstoss, im Stil des freien Falles und der Fallbeschleunigung,
in der Trägheit, im Zusammenhang zwischen schwingender De­
formation von Körpern (durch Stoss) und strahlender Verbrei-
25 tung von Tönen im Raum. Zusammenhang zwischen Wärme im
Raum und Erwärmung von Körpern, umgekehrt von warmen,
Wärme ausstrahlenden Körpern und Wärme als raumerfüllender
Wärme, Wärme und Lichtstrahlung, in Beziehung auch auf
„mechanische” Vorgänge.
30 Diese allgemeine Typik gehört zur Erfahrungswelt als unserer
gemeinsamen zu jeder Zeit und in jeder Raumstelle, sie ist da, wo
wir immer uns finden, in jeder räumlich-zeitlichen Weltgegen­
wart das Vertraute, das Vorgegebene, der bekannte Stil, der für
das Kommende und für jede von uns her vollzogene Situations-
35 änderung antizipiert ist.
Zum Stil gehört auch ■— <als > der Gegebenheitsstil für die Welt
als Welt unserer Erfahrung, als in ihr selbst gegebene, aber mit
198 .CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

einem Horizont vermeinte Welt — die Unbestimmtheit des ihr als


seiend Zuzurechnenden. Für das, was von ihr wirklich jeweils er­
fahren ist, haben wir den Stil, eine Typik der relativen Endlich­
keit, der im allgemeinen vertrauten, überschaubaren Umgebung,
5 der Welt, die wir schon kennen und in der wir leben.

Lebendig strömende Erweiterung und Iterierbarkeit der Erweiterung

Aber diese endliche Welt (die endliche Welt der wirklichen Er­
fahrung und ihre Bekanntheit) ist in beständigem Fluss des
Für-uns-seins, uns zur Erfahrung, zur Kenntnis Kommens, und
10 nicht nur darin, dass wir uns mit dem und jenem von dem schon
für uns Daseienden beschäftigen und es im Rahmen der ver­
trauten Typik neue Gestalten annimmt. Die Welt, sagen wir,
reicht weiter als unsere gegenwärtige Erfahrung, wir können
uns subjektiv fortbewegen oder bewegt werden, und unsere
15 Kenntnis erweitert sich in der Art, dass die endliche Mannigfal­
tigkeit der bekannten Dinge sich vermehrt. Die Welt war immer
als endliche Mannigfaltigkeit bekannte, bzw. zur Erfahrung ge­
kommene, aber immer auch Welt, die in Extension der Erfah­
rung (unserem subjektiven von neuen zu neuen endlichen Man-
20 nigfaltigkeiten Fortschreiten) sich erweitert und erweiterungs­
fähig bleibt. Ich und jeder hat Welt mit einem Erfahrungshori­
zont der Erweiterung, ich kann dabei auf Andere rekurrieren,
ich kann meine Eltern, meine Genossen befragen nach ihrer Um­
welt (der von mir unbestimmt als die ihre miterfahrenen, aber
25 im Besonderen unbekannten) usw. Auch dieser Stil als Stil der
Kenntniserweiterung in Hinsicht auf unbekannte Weltsphären
ist antizipiert, und ist antizipiert als ein i t e r i e r b a r e r Stil.
Korrelativ ist die Welt für uns nicht nur die endlich wirklich er­
fahrene und die in jeder Gegenwart sowie in der ganzen subjek-
30 tiven Vergangenheit bis zur Gegenwart zur Kenntnis gekommene
Mannigfaltigkeit von Realitäten mit ihrem beschränkten, dabei
lebendig fortschreitenden Erweiterungsstil, sondern sie ist Welt,
die in ihrem iterierbaren Zukunftshorizont auch iterierbar ist in
der Form fortzusetzender Erweiterung. Das gehört als Poten-
35 tialität auch zu unserer Vergangenheit, wir hätten immer statt
in der Richtung in anderen Richtungen neue Dinge kennenlernen
können, wie auch jetzt das erweiternde Fortgehen seine verschie-
TEXT NR. 14 199

denen Möglichkeiten, seine verschiedenen Richtungen immerzu


hat.
Was da beschrieben ist, das betrifft <die> Erweiterung unserer
Kenntnis der Welt, die für uns ist; was erweiterte Kenntnis bie-
5 tet, ist nicht von uns neu geschaffen, sondern gehört vorweg zur
Welt und der Weltzeitlichkeit. So ist die Welt in der strömenden
Erfahrung, der strömenden subjektiven-intersubjektiven Zeiti­
gung gezeitigt, dass die zur Intersubjektivität einzeln und ge­
meinsam gehörige Vermöglichkeit eines begründeten Systems
10 von Erweiterungen der Kenntnisnahme in sich den Charakter
einer iterierbaren hat. Die Welt ist als eine endliche Menge von
Realitäten wirklich erfahren, in der Weise einer lebendigen Zeiti­
gung in dem Wandel der Zeitmodalitäten, a ls d a s ist sie eine
endliche Menge schon bekannter Realitäten (mit ihren bekannt
15 gewordenen Vorgängen, Veränderungen, Eigenschaften), aber
im Fluss des Sich-erweiterns, neue Dinge zu Gesicht Bekommens,
die überhaupt noch nicht aktueh da waren. Aber jeweils haben
wir und hatten wir das V e r m ö g e n , weiterzugehen und Neues
aufzusuchen, und antizipiert ist, dass es immer Neues kennenzu-
20 lernen gibt in den verschiedenen möglichen Fortgangsrichtungen.
Antizipiert ist eine Weltzukunft, zunächst als unsere, aber auch
eine zugängliche Mitgegenwart, und dann iterativ mit den Ver­
möglichkeiten, an jeder Zeitstelle weitergehen zu können und in
den verschiedenen Richtungen.

25 Unendlichkeit und generative InterSubjektivität.


Der generative Zusammenhang selbst iterativ konstituiert.
Iteration durch die Anderen hindurch

Natürlich muss hier auf die generative Intersubjektivität


Rücksicht genommen werden, mitgehörig zur Sinnbildung der
30 objektiven Welt als „unendlicher”, als von jedermann in seiner
endlichen Zeitigung nur endlich zu erweiternder; aber in der in­
tersubjektiven Vergemeinschaftung erweitert sich die Welt in
der erweiterten und sich erweiternden intersubjektiven Zeit.
Aber ist der Generationszusammenhang der Subjekte nicht von
35 mir her und dann für einen jeden nicht von der Endlichkeit her
iterativ konstituiert? Das Leben und seine Zeitigung vollzieht
sich in kontinuierlicher Präsumption, die iterativ immer wieder
Präsumption in sich fasst, intentional. Dazu gehört die fortge-
200 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

setzte Präsumption, dass meine Anderen nicht nur dieselbe end­


liche Umwelt haben wie ich, sondern darüber hinaus noch Umwelt
haben, die ich noch nicht oder überhaupt nicht habe und faktisch
haben kann; dass diese Anderen darum wieder Andere haben
5 können und schliesslich in dieser Mittelbarkeit mir selbst fak­
tisch unzugängliche Andere. Ebenso wie generativ: Ich habe
Eltern, ich habe noch die Eltern meiner Eltern gekannt, aber
diese hatten wieder Eltern, und diese wieder usw., die ich gar
nicht kennenlernen konnte. Dieses Usw. gehört zu meiner Prä-
10 sumption, zum Horizont meines präsumptiven Daseins. Mir ge­
hört zu das Vermögen, diesen Horizont zu „enthüllen” und mir
eine der Möglichkeiten als mögliche Wirklichkeit anschaulich
zu machen, und dann gehört notwendig dazu der zu dieser Mög­
lichkeit gehörige Horizont und das in infinitum.
15 Ich in meinem Geltungsleben habe das Ineinander von aktuel­
ler Geltung und impliziter, in der Implikation wieder implizieren­
der Geltung, und so iterierbar. Iterierend in Aktualität der Ent­
hüllung entspringt Geltung und immer wieder Geltung, ent­
springt Daseiendes und immer wieder Seiendes, wobei das schon
20 für mich Seiende sich in immer neue Gehalte zeitigt und neues
Seiendes hervortritt und dann zu bestimmen ist. All das in der
konstitutiven Bezogenheit auf die für mich erst konstituierte
Intersubjektivität. In mir impliziert die Anderen als ineinander
impliziert, und ich in ihnen wieder impliziert, und in der in mir
25 implizierten und so im ichlichen Ineinander ineinander implizier­
ten Lebendigkeit ichlichen Lebens konstituiert „die” Welt. In
mir ein Horizont der Verfügbarkeit, der Betroffenheit, der Zwecke
und Zwecktätigkeiten, des Wirkens und Schaffens, von Stim­
mungen, von Färbungen des Glückes und Unglückes. Ich — vor
30 mir als Horizont mein personales Dasein in meiner Welt, in mei­
ner menschlichen Mitwelt meiner vielfach vermittelten persona­
len Beziehungen, wobei diese Personen meiner Lebenssphäre
selbst irgendwie ihre eigenen personalen Verbindungen haben.
Das alles als dunkler Horizont, dessen Implikation ich aufhellen
35 kann, auslegen in seinen Bekanntheiten und in seine leeren Mög­
lichkeitshorizonte von Unbekanntheiten.
Ich als Erkenntnissubjekt, ich mit Hilfe der Anderen erken­
nend, Erkenntnisleistungen (-gebilde) vollziehend, die als blei­
bende zur „Welt”, zum Seinshorizont sich gesellen, für die Mit­
TEXT NR. 14 201

forscher zugänglich, für sie bestimmt, so wie ich ihre Leistungen


in meinem Horizont finden kann in möglicher „Erfahrung”.
Diese Lebendigkeit des absoluten transzendentalen Seins als
Lebendigkeit intentionaler Leistung des Seins in der Form „Ich”
5 und eines konstituierenden Ichlebens, das aus ursprünglichen
instinktiven Habitualitäten seine Richtung der Sinnbildung vor­
gezeichnet hat und immer schon Horizonte hat und immerzu da­
hinlebt als seine Welt sich gestaltend, b e s t i m m t e Horizont­
gebilde gewinnend, und darunter solche gewinnend mit dem Sinn
10 „Andere”, mit dem Sinn von Mitsubjekten, mitkonstituierenden
für einen intersubjektiven Horizont mit intersubjektiver Welt.
Das Rätsel des U r s e i n s — mein, des transzendental Fragen­
den, Urrätsel — meinurphänomenaler Strom der Zeitigung. Dar­
in finde ich als Fragender schon vorgegeben das Sinngebilde
15 We l t , Welt als mir geltende, Welt im Strömen für mich seiend,
in sich selbst in den Zeitmodalitäten strömend und Sein dabei in
sich konstituierend. Stets erfahre ich als waches Ich „die” Welt,
aber als strömend lebendiges Gegenwartsphänomen, als Meinung,
als Erscheinung, als wie sie mir jetzt wahrnehmungsmässig er-
20 scheint, oder zugleich in Wiedererinnerungen und Voraussich­
ten, wie sie mir dabei gilt, immer wieder in anderem Was und
Wie und doch dieselbe, mit einem Geltungshorizont, auf den ich
mich erst besinnen muss, um auch nur das ganze mir Bekannte,
für mich momentan erweckbare Bekannte herauszuholen und
25 zu dem die universale Form und Typik, die immerzu vorgezeich­
net ist, <gehört >.i In Synthesen der enthüllenden Veranschau­
lichung und Identifizierung, in einem Strom meines Lebens ge­
winne ich als Explikat Welt als Seinssinn in diesem Lebensmilieu
und mit dem Bewusstsein des Vermögens, so vielfältig und immer
30 wieder identifizierend bestimmen zu können. Dabei mache ich
meinen Identifizierungsweg durch die Enthüllung der Anderen
und ihres identifizierenden Lebens hindurch, und so auch in der
Aktivität des urteilenden Denkens, des prädizierenden, der
Praxis des auf feste Gültigkeit gehenden Erkennens.
35 Ich lege damit aus, was ich schon als Erwerb habe, aber als ein
Erwerb, der immerzu im Erwerben ist. Die Welt, die da vorgege­
ben ist, ist nicht vorgegeben als ein starres Seiendes, sondern als
ein im Strömen des Lebens, im Urstrom immer für mich Fort­
werdendes, und dann als ein Seinssinn, der für mich wird, für
202 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

mich Seinssinn gestaltet als einen Sinn, der den Sinn „andere
Ich” als mit mir koexistente in sich trägt, als einen immer schon
offen präsumierten Sinn, der auszugestalten ist durch meine
wirkliche oder vermögliche Aktivität, aber in dieser eventuellen
5 willkürlichen Ausgestaltung (Explikation) doch nur den schon
geltenden Seinshorizont näher bestimmt, nämlich in der Art:
Die Könnensrichtungen sind im voraus Richtungen möglichen
Tuns, und wenn ich so vorgehe in dieser willkürlich gewählten
Richtung der Verwirklichung, so verwirkliche ich etwas, das ich
10 vordem schon hätte verwirklichen können und nachdem immer
wieder verwirklichen kann als etwas, was an sich seine Dauer in
der objektiven Zeit, seinen Anfang, seine Veränderungsweisen,
sein Ende hat und nachher doch in diesem D auersein immer wie­
der als dasselbe, früher Gewesene zugänglich ist, wie andererseits,
15 bevor es war, <es> doch seine Weisen hatte, vorausgesehen wer­
den zu können, jedenfalls etwas Künftiges zu sein, das dem festen
Zukunftsstil «entspricht >, der unbestimmt allgemein als ein Stil
künftigen realen Seins von jeder Stelle, von jeder ichlichen Ge­
genwart und ihrer Erfahrung aus vorgezeichnet, und von jeder
20 in ihrer Weise vorgezeichnet <ist>, die hinterher immer wieder
als Erfüllung und blosse Näherbestimmung gefasst werden muss.
Ich komme zur Erkenntnis —■in transzendentaler Einstel­
lung, in transzendental prädikativer Auslegung und mit dem An­
spruch auf Wesenserkenntnis, auf Apodiktizität, auf Logizität
25 —, dass das an sich erste und wahrhaft konkrete Seiende mein
Sein in Aktualität und Habitualität, in Passivität und Agilität
ist; dass ich in diesem Sein ein Sinngebilde als schon erworben
und immerfort erworben habe (imflicite), aber ein Sinngebilde,
das in der Geltung „Welt” Seinssinn in einem beständigen sub-
30 jektiven Gegebenheitsmodus ist, immerzu darin geltend, aber
immerzu Antizipation, immerzu Antizipation in verschiedener
Weise als Antizipation eines vermöglichen Enthüllungsprozesses
und Bewährungsprozesses hinsichtlich der Vergangenheit, der
Mitgegenwart und Zukunft. Nun finde ich, dass diese vorgege-
35 bene Welt als dieses Seinssinngebilde, dieses Identische in der im­
merzu beweglichen, wirklichen und vermöglichen identifizieren­
den Bewährung vielfältig fundiert ist, und insbesondere finde ich,
dass es auf dem Seinssinn „anderes transzendentales Sein” fun­
diert ist, aber in einer Weise, die in Verflechtung der Fundierun-
TEXT NR. 14 203

gen immer wieder zu einer endlichen Weltsphäre führt, jeweils


in Beziehung auf die sie fundierenden transzendentalen Anderen
(die zugleich in dieser endlichen Weltsphäre als Menschen,
Weltobjekte, objektiviert auf treten), und dabei alsbald zu einer
5 erweiterten Weltsphäre führt vermöge eines Mehr an Weltob­
jekten, die in der Vermöglichkeit dieser Subjekte ursprünglich
zugänglich sind. Zu diesen Weltobjekten gehören dann auch die
für die Anderen mitseienden Anderen (objektiviert als Menschen)
und deren Welterweiterung mit mindestens vermutlich zu erwar-
10 tenden neuen Subjekten, und so immer wieder, wobei die inter­
subjektiv zur Geltung kommende Welt immerfort auch für alle
neuen Subjekte mitgilt (unter eventueller Korrektur), nach dem
Neuen auch für die alten. Das zudem in dem generativen Zu­
sammenhang, wodurch die Welt in ihrer sukzessiven Zeitlichkeit
15 ihre Seinsgeltung auslegt, und so im offenen Zusammenhang der
Kommunikation.
Ich sage aus, was ich als seiend vorfinde, was ich als Seinssinn
in Geltung habe, in aktuelle Geltung setze als Index für seinen
Horizont, der für mich besagt: Vermögen, immer wieder zu iden-
20 tifizieren in vertrauten synthetischen Wegen, die vorgezeichnet
und zu begehen sind für mich. Mein Leben ist durchaus Leben in
Vermöglichkeiten, durchaus ein Leben intentionaler Synthesis,
einer passiven Synthesis, die vielfältige Fortgangsrichtungen hat,
in jeder Richtung, die verwirklicht wird, urzeitigend ist im ur-
25 phänomenalen Strom. Diese passive Verlaufsstruktur <ist> aber
vom wachen Ich, dem der Aktivitäten bzw. Vermögen, aktiv di­
rigiert, wobei aber alle Aktion ihren Horizont der Vermöglich­
keiten hat.
Nun habe ich unter dem Titel Passivität auch die sekundäre
30 Passivität, die aus Akten entsprungene — eigenen Akten und
apperzipierten, durch einfühlende Vergegenwärtigung passiv mir
zukommenden fremden —, und ich habe eigene lebendig fungie­
rende, originale Vermöglichkeit wie Tätigkeit und fremde, eigene
Leistung als primordiale Seinssinnleistung aus eigenem Vermö-
35 gen und Tun und vergegenwärtigte, mir nun mitgeltende fremde;
das aber dadurch, dass das fremde Ich nicht nur ein passiv ver­
gegenwärtigtes ist, sondern aus meiner Vermöglichkeit her als
seiendes in Geltung ist mit dem Horizont des sich für mich Be-
stätigenkönnens und sich Bestätigens. Darin impliziert ist dann
204 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

die von den für mich nun seienden Anderen aus ihren Vermög­
lichkeiten konstituierte Seinssphäre, sie ist für mich mittelbar
seiend, mittelbar zu bestätigen als die ihre und in synthetischer
Deckung, sei es auch partieller, mit der meinen als die meine. Da-
5 bei erhalten die Anderen aus meinem fortschreitenden Fremd­
erfahrungshorizont ihre Anderen, die im allgemeinen nicht meine
sind, und so wie ich im Fortschreiten in meiner primordialen Um­
welt bzw. meiner gegenwärtigen Umwelt als die meiner voll ge­
bildeten Erfahrung damit vertraut bin, dass ich immer wieder
10 auf Andere stossen kann und gelegentlich stossen werde, die mir
nocht nicht bekannt sind, so erfahre ich auch nun Andere mit
diesen Möglichkeiten.
Es ist aber auch darauf zu achten, dass, was ich an Anderen
und für Andere erfahre, seine Rückwirkung hat auf mich in Hin-
15 sicht auf den Seinssinn, den ich für mich selbst habe und immer­
fort neu gewinnen kann und gewinne. Wenn ich mich besinne,
bin ich immer schon die Person, die, und zwar für mich selbst,
schon einen Sinn hat, der mir erwachsen ist durch das Für-mich-
sein von Anderen. Mein Handeln bezieht sich auf den Umkreis
20 des schon für mich Seienden, auf meine jeweilige wirklich erfah­
rene Umwelt und den Horizont von zwar Unbekanntem, aber
wirklich für mich Zugänglichem, als das wirklich mir Geltendem.
So auch bezieht sich mein Handeln auf die Anderen. Aber hier
wird möglich und wirklich ein Handeln auf die Anderen hin nicht
25 bloss als Objekte, sondern als Subjekte, als ein sie Veranlassen,
sie Motivieren zu leiden und zu tun, und eben das geht dann auch
in sie ein, die mir geltenden Anderen, nämlich als ihr wirkliches
und mögliches mich Motivieren, und da entspringt auch das sich
„Vereinbaren” in einem weitesten, erweiterten Wortsinn, also als
30 personales Sich-verbinden.
Bei der Enthüllung der Fundierungen, in der die Welt für
mich seiende, mir geltende ist, sehe ich ein, dass mein eigenes
transzendentales Sein, das, in dem ich mich für mich transzen­
dental konstituiere (auf Grund des urzeitigenden Stromes mich
35 selbst aktiv als seiend erfahre), das Sein von allem, was für mich
ist, in einer universalen Zeitigung, die die meine ist, zeitigt; und
zwar ausgelegt: Es gründet in meinem Sein meine primordiale
„Welt”, darin das Für-mich-sein Anderer, das Für-sie-sein ihrer
primordialen Welten, darin weiter das Für-mich-sein der identi-
TEXT NR. 14 205

sehen Welt als derselben, die sich als meine primordiale und ihre
primordialen erscheinungsmässig darstellt. In dieser Weise kon­
stituiert sich für mich auch das sich wechselseitig verstehende
und verstehenkönnende Wir, die wirkliche und vermögliche
5 wechselseitige oder bald wechselseitige bald einseitige s o z i a l e
B e z i e h u n g als wechselseitige soziale Paarung, soziale Ver-
mehrheitlichung als personale Verbände, die menschheitliche
Welt als Feld gemeinschaftlicher Zwecke, als durch soziales
Menschentum s i c h h u m a n i s i e r e n d e . Weiter die Möglich-
10 keit (und von seiten der Menschen dieser Welt die Vermöglich­
keit), das in dieser Welt Konstituierte generativ zu verfolgen,
bzw. sie als eine Lebenswelt aufeinanderfolgender Generationen
mit einer Einheit historischer Tradition, also als eine historische
Kulturwelt zu verstehen und danach zurückzufragen und vor-
15 wärtszufragen und so Welt und Menschentum in einer offenen
Zeitlichkeit auszulegen, sie in den strömenden Zeitmodalitäten
gegenwärtige, vergangene, künftige Welt (menschliche Lebens­
welt) und als die eine und selbe zu haben (im Strömen eine identi­
sche Zeit und identisches verharrendes Weltsein objektiv konsti-
20 tuierend), das ist, sie in dieser Endlichkeit <als> Welt für jeder­
mann, der in ihr gegenwärtig lebt, für mich und dann für jeder­
mann so erfahren.
Endliche Welt. Heimwelt und Fremde

Zu jeder so gedachten, so als normale gewöhnliche Lebens-


25 weit konstituierten Welt gehört Endlichkeit und Möglichkeit der
Überschreitung dieser Endlichkeit. Sie ist als konstitutive Stufe
— erste objektive Weltstufe — h e i m a t l i c h e Welt einer in
ihrer konkreten Gegenwart vergemeinschafteten heimatlichen
Menschheit, deren aus Generation entsprungenen Verbände und
30 Verbände der Verbände usw. alle schliesslich eine Einheit bil­
den, eine alle verbindenden Mittelbarkeiten übergreifende Mit­
telbarkeit der Verbundenheit. Sie ist für jedes personale Indivi­
duum wie für jeden geschlossenen Verband bewusst als Univer­
sum in der Tat möglicher Zugänglichkeit.
35 In dieses Menschentum und ihre einheitliche Welt (Umwelt)
können nun gelegentlich „ F r e m d e ” hineinkommen aus der
Fremde her, einer Fremde, die eine ebensolche Welt ist mit eben­
solchen Menschen wie wir Heimmenschen, aber eben anderen,
206 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

fremden. Ähnlich wie ich von mir aus transzendental Andere zur
Erfahrungsgeltung bringe, so bringe ich, schon als heimatlicher
Mensch konstituiert, also als Glied meiner Heimat im heimat­
lichen Kulturraum ( T e r r i t o r i u m ) , mir zur Erfahrung eine
5 neue Anderheit. Oder wir Heimatlichen mit unserer Heimat er­
fahren (konstituieren ursprünglich im Fortschreiten der allge­
meinen Weltkonstitution) eine Fremde als eine fremde Heimat
mit fremden Menschen, die ihre Heimat, ihr Territorium haben
(auch Fremde der Fremden etc.). Das Kulturterritorium (die
10 wirklich praktisch gewordene, schon humanisierte Umwelt) hat
seinen Aussenbereich der Natur, offen endlos, evtl, zu Nutzbar­
keiten heranzuziehen, zu humanisieren, aber nicht eben eigent­
liches Territorium. Im gelegentlichen Eindringen in diese Ferne
kann auch vergangene Kultur, vergangenes Dasein von Menschen
15 sich indizieren.
Das Territorium kann auch ein bloss zeitweiliges sein, das
Heimvolk kann ein Nomadenvolk sein und dann mit anderen
Nomadenvölkern, mit anderen Stämmen etc. Zusammentreffen.
Hier bestehen mancherlei Möglichkeiten (die die Anthropologie
20 und Geschichte als Wirklichkeiten uns vor Augen stellen). Aber
bestehen nicht durch sie hindurchgehende Wesensnotwendigkei­
ten als Bedingungen der Möglichkeiten dafür, dass wir die volle
zeiträumliche unendliche Welt in Erfahrung haben können, deren
ausgearbeitete logische Idealität wir als Wahrheit für die Welt
25 schlechthin nehmen, die uns doch im „Ausschnitt” als endliche
Lebenswelt gegeben ist?
Die Welt, die für uns ist, sagen wir, ist Welt möglicher Er­
fahrung. Und besagt Möglichkeit nicht vermögliche Zugänglich­
keit (also Bewährung) nach Zeit und Raum, sind das nicht Zu-
30 gangsformen?
a) Für die Z e i t l i c h k e i t haben wir die Generation — meine
Eltern, unsere Eltern, die Eltern der Eltern usw. Das aber ist
nicht bloss phantasiemässig gedacht, sondern in dieser Mittel­
barkeit vorgezeichnet, eine vorgezeichnete Vergangenheit als die
35 der zugehörigen Umwelten, die waren, die uns, sowenig bekannt
sie sind, so unbestimmt antizipiert, gelten und ein offener Hori­
zont möglicher historischer Kunde sind.
b) Wie aber r ä u m l i c h ? Mein und unser irdischer Horizont
mit seinen Ferndingen, die im Horizontkreis verschwimmen. Wir
TEXT NE. 14 207

können hingehen, uns annähern, und wenn wir dahin gekommen


wären, so könnten wir dem neuen Horizont wieder entgegen­
gehen, und so können wir uns „ins Unendliche” fortbewegend
oder auch fortbewegt d e n k e n . Die ferndingliche Abwandlung,
5 die Perspektivierung, betrifft nicht nur die irdische Bodenfläche;
emporgeworfene Steine, emporfliegende Vögel etc. zeigen sie, in
die Höhe ragende Bäume, Berge etc. So können wir uns auch
denken, dass wir emporfliegen, emporbewegt würden etc.
Aber ist dieses Sich-denken nun auch eine empirische Vorzeich-
10 nung, die eine Seinsmöglichkeit uns erweist? Mein Können ist
begrenzt. Meine Freiheit der konstitutiven Erfahrung, durch die
ich im Wandel der Nähe und Ferne dasselbe Seiende erfahre, ist
mitunter zufällig gehemmt, aber hier habe ich doch eine normal
vorgezeichnete, im voraus geltende allgemeine Beschränkung.
15 Dazu gehört ja vor allem, dass ich in dieser Welt der Geburt und
des Todes ein zeitlich endliches Leben habe und endliche wie im­
mer wachsende Kräfte. Ich habe also eine für mich und meine
Heimmenschheit in eins äusserste Ferne, deren Erreichung zwar
wieder Fernerscheinungen ergeben muss. Aber sie indizieren nicht
20 mehr Gegenstände einer in der Tat vermöglichen Erfahrung des
hier erwogenen Stils, also nicht durch diese tatsächlichen Ver­
möglichkeiten als wirklich seiende vorgezeichnet. So schliesslich
auch für uns alle und gemeinsam, auch wenn wir wandern und
unsere Welt erweitern. Sie bleibt als Welt solcher Vermöglich -
25 keit der Erfahrung und als von daher für uns seiende in End­
lichkeit. Und nun gar mit Beziehung auf die Himmelsfernen.
Wie nun, wenn wir die Generationenkette heranziehen? Ihre
zeitliche „Unendlichkeit” zeichnet noch nicht eine räumliche vor
als raumweltliche Wirklichkeit oder auch nur als reale Möglich-
30 keit, dass die wirklich für uns als generative Menschheit seien­
den, in ihr erfahrenen und in wirklicher Vermöglichkeit erfahr­
baren Realitäten sich „allseitig” im Raum ins Unendliche be­
wegen, also ausweisen könnten.
Die Synthesis der Lebenswelten und der Generationen ergibt
35 also nicht, wie es zunächst schien, eine unendliche Welt als
„Welt möglicher Erfahrung”. Nehmen wir Welt in unserem Sinn
als „Welt möglicher Erfahrung”, so kann das nicht besagen das
Universum des Seienden, das die universal kommunizierende
Menschheit und als generative mit ihrer historischen Zeit in
208 .CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

infinitum in allen vermöglichen Erweiterungen in der Tat er­


fahren könnte.1

Sinn der Konstitution des Wir (personal-menschlich).


Das universale „W ir” als Rahmen für Sondergemeinschaften

5 So ist für mich seiende — immerzu horizonthaft seiende —


Welt eine jeweilige Erfahrungswelt der aktuellen Wahrnehmung,
Wiedererinnerung, Vorschau, mit einem Horizont der nicht ak­
tuell erfahrenen bekannten Weltobjekte, darunter anderer Men­
schen, diese Anderen aber als menschliche Mitsubjekte, mit de-
10 nen ich im Erfahren, Denken, Tun in Verständigungsgemeinschaft
stehe, aber auch in personaler Verbundenheit durch soziale Akte
und soziale Habitualitäten. Als Verständigungsgemeinschaft bin
ich mit meinen Anderen Einheit eines Wir, d.h. für mich ist die­
ses Wir konstituiert als ich und die mit mir in wirklicher oder
15 wirklich herzustellender Gemeinschaft der Verständigung Steh­
enden, in der jeder dieser Anderen mir zugleich gilt als <der>,
der seinerseits für sich Ich ist und Zentrum derselben Verständi­
gungsgemeinschaft (als menschlicher, praktischer), desselben Wir
als von ihm aus geltenden. Zum Sinn des Wir gehört diese Ver-
20 möglichkeit des identifizierenden Austauschs als eine Vermög­
lichkeit, die ich als die meine habend zugleich vice versa den An­
deren zumessen muss, und sie so jederzeit nehme, mitverstehe.
In diesem Rahmen des „Wir” <bestehen> besondere personale
Verbundenheiten, in die ich eingehe oder in die nur die Anderen
25 eingehen, momentan und verharrend. Sie haben den Charakter
von Beziehungen und von Verbundensein der Personen in bezug
auf die für sie gemeinsam ihnen geltende Umwelt, die für sie
jeweils da ist und in der sie füreinander da sind, ihr zugehörend
als Menschen und Menschenverbindungen. In der personalen
30 Verbundenheit verbunden handelnd haben sie, bzw. haben wir
verbunden, selbst wieder eine Umwelt als das ganze für uns prak­
tisch Seiende, das Bereich, Feld unseres verbundenen Handelns
ist. Usw. Umwelt besagt nicht gerade äussere Welt, eine Äusser-
lichkeit, die nur ihren Sinn hat, wo der Handelnde oder der han-
35 delnde Verband ausser sich sein Tätigkeitsfeld hat, das Reich
1 Husserl notiert hier: „Dazu Genaueres in FF Sept. 1931”. Dieses von Husserl
als FF bezeichnete Manuskript befindet sich heute im Husserl-Archiv unter der
Signatur A VII 17. — Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 14 209

seiner Zwecke. Aber sofern ein jeder auch für sich selbst Objekt
sein kann und auch ein Verband für sich selbst oder sein eigenes
personales Sein inbegriffen sein kann in den Zwecksinn, gehört
es mit in die Umwelt.
5 Aber wie spielt sich all das transzendental ab, dieser bestän­
dige Prozess einer fortschreitenden Weltkonstitution, einer fort­
schreitenden Bildung der eigenen und fremden Personalitäten
mit den dabei wechselnden für sie seienden Umwelten als für sie
lebensvoll geltenden, sie bestimmenden, von ihnen bestimm-
10 ten, von ihnen her immer neue Gestalt, immer neuen Zwecksinn,
immer neuen Stimmungssinn, immer neue Farbe einer hoff­
nungsvollen, einer schönen oder einer schicksalsvollen, einer be­
trüblichen <Umwelt> annehmend ? Aus solchen Prozessen ist
schon die Welt, die für uns ist, geworden und hat von vornherein
15 einen Horizontsinn, eine verborgene Geltung, die wir ihr als der
uns geltenden Welt, wenn immer wir uns besinnen, abfragen
können.
Ich, der Fragende, der mich Besinnende bin doch die lebendige
Stätte aller für mich schon geltenden und doch als Erbschaft
20 meiner inneren Tradition, aus meiner eigenen leistenden Ver­
gangenheit her geltenden Welt. Ich mit meinem urströmenden
Leben gehe voran, in ihm konstituiert sich das für mich Gelten
der Anderen und als seiender, das ist in einer Horizonthaftigkeit
meiner Tätigkeiten des sie vermöglich Kennenlernens, mit ihnen
25 in Beziehung Tretens, ihre eigenen Seinsgeltungen für mich zur
Geltung Bringens, mit den eigenen primordialen synthetisch ver­
bindend usw. In mir konstituieren sich die Geltungen, die Seins­
vorkommnisse Geburt und Tod der Anderen und, zurücküber­
tragen auf mein schon lebendig konstituiertes eigenes und schon
30 personales Sein, eigene menschliche Geburt, eigener mensch­
licher Tod. In mir konstituiert sich die in der Synthesis der end­
lichen Umwelten, der Umwelten der aktuellen Zugänglichkeiten
mit freilich unbestimmt offenem Randhorizont, unendliche
Welt, in deren objektiven Zeiträumlichkeit ich ein unbedeutendes
35 Menschenkind bin, in die ich einmal hineingeboren worden bin
und einmal unter Zerfall der Leiblichkeit aufhören werde zu
sein, weltlich zu sein. Mein „Nicht-sein” ist zweifellos, wenn
„Sein” Realsein, Person-in-der-Welt-sein, leiblich Wirklichsein
in der Raumzeitlichkeit besagt.
210 .CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

Aber wie steht es mit meinem transzendentalen Sein, in dem


ich jetzt lebendig Welt Konstituierender bin, in dem die man­
nigfaltig-einheitlichen Seinsgeltungen als gestiftete und habi­
tuell gewordene geborgen sind, in dem sie sich fortspinnen, wie-
5 der aktualisiert werden, mit den neu gestifteten, schon auf
Grund der alten Stiftungen neu erworbenen sich verspinnen als
Fortbildung der Konstitution, verlaufend in dem in diesem Gang
in mir motivierten und in seiner Weise mitgeltenden offenen
Horizont der unbekannten und doch für mich seienden Welt?
10 Wie steht es mit den transzendentalen Anderen, doch in mir
und für mich als Seinseinheiten konstituiert, und dabei konsti­
tuiert als transzendental mitfungierende Andere, mitfungierend
für die Konstitution der Welt, die mir gilt und dadurch Welt ist
in meiner Geltung für uns alle, für die offene Unendlichkeit der
15 transzendentalen Anderen? H at ihr Sein als Sein für mich aus
meinem konstituierenden Leben für mich mögliche Geltung ohne
dieses Leben?
Ergänzung

In naiver Weise ist die Welt der Erfahrung ausschliesslich als


20 Welt der Normalität genommen. Ausschliesslich Gewicht ist ge­
legt auf „Heimwelt” etc., also betrachtet ist nur die n o r m a l e
Lebenswelt, die Welt in dem normalen Stil, dem mir vertrauten,
auf den ich immerzu rechnen kann. Die A n o m a l i t ä t , die die
Normalität gelegentlich durchbrechende, hat selbst ihren Stil,
25 vorauszusehen ist die Typik unvorhersehbarer anomaler Ereig­
nisse. Das hat selbst seine Relativität. Also z.B. der normale Tag
als Lebenstag, die normale Periodizität der täglichen Ereignisse
bzw. Tätigkeiten mit ihren Stilformen der Anomalität; die Woche,
wochentägliches Dasein und der Sonntag; das wochentägliche
30 Berufsleben und ausserhalb desselben das Versorgen der sonsti­
gen Lebensinteressen.
Das Typische eines zusammenhängend ganzen normalen Le­
bens, eines Lebens, das immerfort seinen normalen praktischen
Horizont hat, ein praktisches Feld, ein Feld der „Berechenbar-
35 keit”, der praktischen Möglichkeit mit den voraussehbaren Fol­
gen und im Bewusstsein des Könnens.
B r u c h d i e s e r N o r m a l i t ä t . „Ich weiss nicht mehr aus
und ein”. Ich und mein normales Können — die normal seiende
TEXT NR. 14 21 1

Umwelt und ihre praktischen Möglichkeiten in der Jeweiligkeit.


Grade der Störung dieser Normalität: Einzelnes stimmt nicht,
verläuft nicht erwartungsgemäss, aber jedes einzelne hat seinen
Horizont der Möglichkeiten, und die Störung ist untergeordneter
5 Art, wenn die Anpassung an die übrigen Möglichkeiten vertraut
und wohlgeübt ist und das Totalsystem der praktischen Um­
welt ungestört verbleibt; der Totalstil unseres jeweiligen Interes­
senlebens läuft einstimmig weiter. Wir haben nur an der ein­
zelnen Stelle unseren Weg zu ändern.
10 Anders, wenn ein „schwerer Schicksalsschlag’' uns trifft. Schon
der Tod eines Kindes verändert den gesamten Interessenhorizont
und somit den Lebensmodus, das Zwecksystem der Eltern. Das
künftige Leben in seiner Vielfältigkeit ist von Leben und Gedei­
hen des Kindes bestimmt, von der Fürsorge für seine richtige Ent-
15 Wicklung, der Sorge für die Sicherung seiner materiellen Zukunft
etc. Oder der Tod der Gattin für den Gatten als Mitträgerin der
Lebensaufgaben, als Mutter der Kinder, als sorgende Hausfrau
etc. In anderer Weise: ein Krieg, der die ganze Zukunft der
Volks- und Staatsgemeinschaft in Frage stellt, eine Überschwem-
20 mung, die Haus und Heim und Ackerland vernichtet, etc.
Der Bruch des normalen Stils eines personalen Lebens hat ver­
schiedene Typen; es sind zu unterscheiden diejenigen Typen der
Anomalitäten, die schwer-wichtigen, tief in die Lebensthematik
eingreifenden Schicksale, welche aus der erworbenen Kenntnis
25 der Umwelt als Erwerbe des Lebens in einer Lebensgemeinschaft
schon vertraut sind. Dahin gehört der Tod der zu unserem nor­
malen Leben gehörigen Nächsten gemäss der obigen Beispiele,
dahin das schicksalsvolle Eingreifen Anderer in unser Leben, das
Versagen von Mitarbeitern, von Genossen, mit denen wir uns zur
30 Gemeinsamkeit eines Zwecklebens verbunden haben. Die mannig­
faltige Typik solcher Schicksale ist uns vertraut, wir wissen als
Menschen in einer vielgestaltigen Heimwelt und überhaupt nor­
malen Umwelt lebend, was Anderen gelegentlich passiert ist;
auch wo wir selbst nicht davon betroffen waren, wissen wir, dass
35 dergleichen auch uns normal passieren könnte.
Andererseits kommen Schicksale in Betracht, auf die wir nicht
gefasst sind und sein konnten, die unsere ganze normale Umwelt,
die uns allen gemeinsame, erschüttern. Auf Erdbeben als schick­
salsvoll unsere ganze Umwelt zerstörend sind wir in Deutsch­
212 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

land z.B. nicht gefasst, wenn auch es anders der Fall ist in irdi­
schen Gebieten, wo das Eintreten von Erdbeben sozusagen eine
normale Anomalität ist, obschon doch von einer Art, dass man
sich im allgemeinen nicht im voraus danach richten kann.
5 Die Welt als die für uns seiende (für mich und für meine je­
weiligen Mitsubjekte, für mein „Wir”) ist nicht eine starr seiende
Welt. Wir sind Aktsubjekte, praktische Subjekte im weitesten
Sinn, und praktisch in bezug auf die uns in einer Jeweiligkeit vor­
gegebene, mit einem Seinssinn bestimmte, unbestimmte etc. gel-
10 tende Welt. Das sagt zunächst Aussenwelt. Aber wir selbst als die
Subjekte, ich, das praktische Ich , bin selbst ein immer wieder an­
derer, obschon dasselbe Ich, meine Vermögen ändern sich, und
nicht nur dadurch, dass die Aussenwelt sich mir versagt. Ich bin
gesund oder krank, ich lasse mich gehen oder nehme mich zu-
15 sammen etc. Ich habe immer schon meine Eigenart, meinen
Charakter, meine Fähigkeiten und in allem Wandel eine indivi­
duelle Identität als Person, die Identität ist in der Freiheit des
Eingreifenkönnens und im Stil des bald Frisch-, bald Müdeseins,
des Lässig- oder Ernstseins etc.; je nachdem ich bin und dispo-
20 niert bin, ist die künftige Welt eine andere, und doch individuell
dieselbe, sofern sie in Möglichkeiten sich bewegt, die Möglichkei­
ten für mich sind, obschon nicht praktisch berechenbar und be­
herrschbar. Aber auch, wenn wir das nicht bewusst in Rechnung
ziehen, dass wir kein starres Sein sind, ist es alsbald klar, dass
25 jeder Andere in der Freiheit seines Sich-entscheidens die Welt
verändert, als nach aussen Handelnder die Welt ausser ihm, die
auch die unsere ist, und auch dadurch, dass jeder Aktus das an­
dere Subjekt selbst ändert, das also hinfort für uns alle ein ge­
ändertes ist. So ist Welt immerfort in Wandlung, wir selbst in
30 unserem Tun und durch es ändern uns selbst als weltlich Seiende,
ändern aber auch die Welt von uns nach aussen handelnd als je­
weilige Aussenwelt des handelnden Ich. Es gibt keine starre
Welt für uns — eine andere Welt aber als die Welt für uns mit all
ihren vagen einzelsubjektiven und intersubjektiven Horizonten
35 hat für uns nicht den mindesten Sinn.
Es ist nun aber die Frage zu stellen: Wir sind nur, und für uns
ist Welt nur in der Relativität von Normalitäten und Anomali­
täten. Eine dieser Normalitäten ist die, in der jeder Mensch, in
der ich, der mich Besinnende, mich selbst normalerweise immer
TEXT NR. 14 213

befinde: in der Einheitlichkeit eines im ganzen einstimmigen


Zwecklebens, Interessenlebens, in dem ich tue und erwerbe und
damit eine standhaltende Welt der Erwerbe als erfüllter Ziele
und Prämissen für weitere Ziele gewinne und mich selbst dabei
5 entwickle als ein verharrendes, in seinen Überzeugungen, in sei­
nen Willensrichtungen, seinen Zwecken und Mitteln mit sich
selbst einstimmiges Ich, so lebend in einer Ständigkeit des Sich-
befriedigens und des Hineinstrebens, Hineinwirkens, Hinein­
schaffens in einen Horizont künftiger Befriedigungen. Normaler-
10 weise verbleibt menschliches Dasein in dieser Normalität trotz
einzelner Hemmungen, Störungen, Brüche derselben. Dieselben
werden wieder überwunden, und die Überwindung selbst gehört mit
zur fortschreitenden und sich selbst bestätigenden Befriedigung.
Diese Normalität hat ihren Horizont der Möglichkeiten, hat
15 ihren Stil in diesen Möglichkeiten und Voraussichtlichkeiten.
Dazu gehört als Normalbestand der kommende Tod und die nor­
malen Schicksale und schliesslich auch der Typus „unbekannte,
in ihrem besonderen Typus völlig unbekannte oder nur als
fernste Möglichkeiten, jeweilige höchste Unwahrscheinlichkeiten
20 denkbare <Schicksale>” ?
Aber ist nun nicht auch möglich eine Weise des Schicksals­
laufs, der diese Normalität total bricht und mich in die Situa­
tion bringt: „ich weiss nicht mehr aus und ein, es ist nicht abzu­
sehen, wie das Leben weiter noch laufen, wie es wiederum die
25 Form annehmen kann eines fruchtbringenden, eines stabilen Da­
seins, eines normal menschlichen” ?
Ist nicht ein Zusammenbruch möglich der ganzen Menschen­
gemeinschaft, in welchem nicht nur ich, sondern wir alle in diese
Grenzsituation hineingeraten könnten: auf nichts ist mehr Ver-
30 lass, auf keinen Menschen, für mich selbst nicht auf mich selbst,
die ganze Umwelt als unsere gemeinschaftliche Lebenswelt ver­
liert für uns alle den Charakter einer Welt, in der man Voraus­
sicht üben, in der man sich Zwecke stellen und in einer Man­
nigfaltigkeit von Zwecken ein einheitlich sich integrierendes
35 Menschheitsleben leben kann, jeder sich befriedigend als Mensch
in einer erfreulichen Menschenwelt, in der alle sich normalerweise
befriedigen, aufsteigen, erwerben, sein können, jeder Normale in
der normalen Welt, die jeder einzelne und im Zusammen bejahen
kann? Was nützt es da, wenn Welt durch alle Anomalitäten hin-
214 .CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

durch und selbst durch die des Zusammenbruchs der praktischen


menschlichen Umwelt die Identität erhält, die ihrerseits auf
einer Stilform beruht, in der die Naturgesetze passiv sich erfüllen
etc.?
5 Das Sein der Welt hat nur einen Anschein von Festigkeit, in
Wahrheit ist es Festigkeit eines Normalgebildes. Aber eben von
daher erwächst, sowie dieser Instabilitätsmodus entdeckt oder
mindestens fühlbar wird, die höchste Weltfrage, das philosophisch
Fraglich werden der Welt überhaupt in ihrer Totalität, und zwar
10 radikal verstanden, alle Horizonte lüftend und in die Frage
einbeziehend.

BEILAGE XI
<HEIM WELT, FREMDE WELT UND „ D IE ” WELT> 1
<1930 oder 1931 >

15 Ich und wir lernen Fremde als Subjekte einer fremden, in ihrem Ge­
meinschaftsleben einstimmig erfahrenen Welt kennen. Korrelativ zu
dieser Welt, als praktische Lebenswelt und als Welt überhaupt für sie
geltend, sind sie Menschen anderer Erfahrungen, anderer Naturumge­
bung, anderer Lebensziele, anderer Überzeugungen jeder Art, anderer
20 Gewohnheiten, anderer praktischer Verhaltungsweisen, anderer Tradi­
tionen. Für mich erweitert sich meine Welt (bzw. für meine Heimge­
nossenschaft) dadurch, dass es eine andere Heimgenossenschaft gibt,
anders lebend, sich verhaltend, „die” Welt anders auffassend, aber in
der Tat auch eine andere Kulturwelt habend als ihnen geltende, nicht
25 uns.12
Es konstituiert sich also fremdes Menschentum, eine fremde Mensch­
heit, als fremdes Volk etwa. Eben damit konstituiert sich für mich und
für uns „unsere eigene” Heimgenossenschaft, Volksgenossenschaft in
Beziehung auf unsere Kulturumwelt als Welt unserer menschlichen
30 Geltungen, unserer besonderen. Ich habe also (wenn ich das quasi oder
wirklich genetisch-historisch verstehe) eine Änderung meiner und un­
serer Welterfahrung und Welt selbst. In „der” Welt sind wir, mein
Volk, und das andere Volk, und jedes hat seine völkische Umwelt (mit
seinem unpraktischen Horizont). Um w e l t scheidet sich von Welt.
35 Aber wie ? Wenn ich weiter sage, die Welt, was ist da das unter diesem
Titel für mich Seiende und sich Bewährende, und so für uns, wenn wir,
wir mindestens in einigerhund.fortschreitendem Umfange, von dem

1 Wichtig zur Methode des konstitutiven korrelativen Aufbaus der transzenden-


talen Ästhetik — also korrelatives Geltungssystem der Welt als Welt der Erfahrung.
2 Dazu immer die leere Fernwelt, die unpraktische in i h r e r Auffassung.
BEILAGE XI 215

fremden Volk Kenntnis gewinnen ? Zunächst mögen wir ganz und gar
an unseren Seinsgeltungen festhalten, während wir doch scheiden und
in gewisser Weise verbinden die Welt, in ihr unterscheiden unsere Um­
welt als Lebensumwelt und die der anderen Völker.1
5 Hier ist also eine Aufgabe, die Fundierung der Seinsgeltungen auf­
zuklären, die ich und die irgendein Subjekt einer zunächst blossen
Heimwelt in Vollzug haben muss, um Welt und Heimwelt zu unter­
scheiden, bzw. um ein anderes, fremdes Menschentum mit seiner frem­
den Heimwelt im Unterschied von der meinen zu verstehen. Oder noch
10 deutlicher: Auf der ersten Geltungsstufe der Intersubjektivität und
der intersubjektiven Lebenswelt habe ich einfach Welt in die offene
Endlosigkeit von der Lebenswelt als der allein interessanten, der In­
teressenumwelt aus sich erstreckend, nachher aber habe ich statt die­
ser Welt (mit dem ihr zugehörigen Korrelat des Wir, das alle Menschen
15 besagt) vielmehr dieses Wir als eine Sondermenschheit und unsere Le­
benswelt nicht mehr in alter Weise als die Lebens weit. Sondern es hat
sich konstituiert gegenüber diesem Wir ein fremdes Wir, gegenüber
unserer Menschheit eine fremde Menschheit, jede sich vorfindend als in
ihrer Umwelt, die nun nicht mehr die Welt überhaupt heisst: im ge-
20 wohnlichen Menschensinn (Lebenswelt). Es konstituiert sich von mir
und uns aus eine erweiterte Menschheit und in weiterer Folge dann im
selben zu iterierenden konstitutiven Prozess eine Vielheit von Volks­
menschheiten, die eine einzige Menschheit bilden (aber zunächst als
eine blosse Kollektion von Volksmenschheiten bezogen auf ihr Terri-
25 torium und ihre konkrete Kultur) und zu einer und derselben Welt ge­
hören, die in erster Weise Welt für sie alle ist. Aber zunächst in der
Form einer fortgehenden und immer weiter fortgehenden Realitäten­
welt mit neuen und neuen „Wir” und „unsere Welt”.
Das immerfort Gemeinsame ist die naturale Struktur mit dem all-
3 0 g e me i n s t zu verstehenden und in Geltung zu setzenden Menschen­
tum: Menschen seiend, vergemeinschaftet, handelnd, immerfort vor­
findend ihre kulturelle Seinssphäre, sie durch ihr menschliches Leben
und Wirken fortgestaltend zu Seienden einer für sie allgemeinen Gel­
tung, also in Relativität solchen Seins, während hindurchgeht ein all-
35 übergreifend geltendes und sich bewährendes Sein als universale Rea­
litätenwelt. Zur Relativität gehört eben dies, dass jede solche Mensch­
heit als Umwelt eine Welt schlechthin, aber für sie hat, für sie einstim­
mig, aber in dem Universalen der Realität darum nicht schon
einstimmig auch mit den anderen Menschheiten, bezogen auf ihre gel-
40 tende Welt.
1 Es wird deutlicher geschieden werden müssen: die personale Umwelt der Anderen
als die ihnen geltende, für sie bestätigte Wirklichkeit seiende — total genommen: die
Welt für sie, die i h r e Lebenswelt umschliesst — und die „an sich wahre Welt”, die
aus wissenschaftlicher Besinnung von uns Wissenschaftlern zu erkennende, zu der die
Natur, die Menschen und ihre vermeinten Umwelten als mehr oder minder einseitige,
aber auch evtl, falsche Auffassungen von „der” wirklichen Welt gehören.
Kann nicht eine personale Lebensvvelt ihre „Situationswahrheit” haben, also durch­
aus nicht falsch sein?
216 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

Ich von wir aus mein „Wir” erschliessend. Was kann ich in Geltung
behalten angesichts der Unstimmigkeit zwischen meiner und der an­
derer Menschheiten universalen Erfahrung, universalen Überzeugung ?
Ich werde motiviert zur Konstitution einer neuen Welt, neu jedenfalls
5 darin, dass sie die fremden Menschheiten und Kulturen in die Welt als
Tatsachen aufgenommen hat, aber darum ist nicht in der Art eine
Synthesis vollzogen, dass sie die fremden Geltungen übernimmt. Es ist
nicht meine „erweiterte” Welt so erweitert konstituiert, dass sie eine
Verknüpfung meiner und der anderen Welten ist in der Einheit einer
10 durch alle Menschen des erweiterten Kreises hindurchgehenden einstim­
migen Erfahrungsüberzeugung. Wie lässt die ursprüngliche Welt
schlechthin diese Umformung zu? Offenbar dadurch, dass die Welt,
die für mich und uns in Geltung ist aus Einstimmigkeit der Erfahrung,
einen raumzeitlichen Horizont, den möglichen individuell-realen Seins,
15 <hat >, das nicht nur wie bisher antizipiert sein muss in der Form der
offenen Fortsetzung im bisherigen Stil, bzw. der möglichen Erfahrung,
die, wenn Menschen überhaupt gegeben oder antizipiert sind als die Er­
fahrenden, so immer wieder diese Menschen als <Menschen > meiner
Volksmenschenart apperzipiert und somit eine entsprechende umwelt-
20 liehe Gestalt erfährt.1Der offene raumzeitlich reale Horizont erhält in
Andersbestimmung eine Besetzung durch das fremde Volk und die
fremdvölkische Umwelt. Dadurch hebt sich aber ab reale Welt über­
haupt und besondere Menschheit und menschheitliche Umwelt, völki­
sche Umwelt, worin beschlossen ist die Abhebung von Kultur als sol-
25 eher in bezug auf Volk als solches (zunächst Heimgenossenschaft als
solche mit heimischer Kultur), im Kontrast: unsere und eine andere.
Das versteht sich durch die schon in der konstitutiven Gründung der
konkreten ersten Hehnwelt beschlossene Geltungsschichtung: ange­
fangen von der primordial reduzierten „Welt” mit „Natur”, Eigenleib,
30 „Kultur"; dann in der Heimwelt die entsprechende Geltung und Seins­
schichtung, dergemäss sich unterscheiden lassen physische Natur, die
Vielheit der Leiber bzw. Menschen, die Menschensondergemeinschaf­
ten, die Sachenkultur. Das sagt natürlich nicht, dass sich für mich und
mein heimgenössisches Wir abgliedert eine eigene Schichte universaler
35 blosser Natur und die Schichte der Menschensubjekte und personalen
Gemeinschaften etc. Die Welt für uns gewinnt neue, fremde Menschen,
aber doch Menschen, Realitäten, beseelte Körper, Personen, die in be­
sonderer Gemeinschaft miteinander leben, Kultur bildend, eigenartige
Sondergemeinschaften bildend, dabei in Konnex durch ihre eigenarti-
40 gen Überzeugungen, theoretischen, axiologischen, praktischen, in ihnen
nach eigenartigen (typisch neuartigen) Lebenszwecken Kultur gestal­
tend. Das verstehen wir. Das besagt, es ist für uns selbst mit Seinssinn
in Geltung: nämlich Realitäten individuiert durch ihre Physis und
deren raumzeitliche Stellen, Leiber als das geltend und sich in ihrer

1 Wenn aber keine fremde Menschheit gegeben ist, so ist blosse „Natur” das plus
ultra.
BEILAGE XI 217

Schicht bestätigend, nämlich geltend je als Organ für ein waltendes


seelisches Subjekt, dieses mittelbar raumzeitlich individuiert, aber in
sich selbst und für sich selbst identisch verharrend und bezogen inten­
tional auf die universal ihnen und uns gemeinsame Natur und auf die
5 Nebenmenschen, ihnen und uns als das zugänglich, als erfahren und
erfahrbar. Diese Gemeinsamkeit der Erfahrung betrifft die Realitäten
und betrifft die Mitmenschen alle, die der neuen Sphäre mitbeschlos­
sen in ihrer realen Individualität, aber in einer Horizonthaftigkeit, die
nunmehr eine verschiedene ist für uns (die wir früher alle Menschen
10 waren und die wir es jetzt nicht mehr sind) und für die Anderen. Ihr
Seinshorizont ist nur bekannt in der Form der Fremdheit und der Ver-
ständlichkeit ihrer Umwelt, die aber nur indizierte ist und nur indirekt
aus den nur <aus> der allgemeinsten Kulturform her geschöpften Ver­
ständlichkeiten ausgelegt werden kann, durch indirekte Mittel.
15 Kann ich die mythischen Überzeugungen der Anderen, die den Seins­
sinn ihrer Welt (dessen, was sie als seiend erfahren) <bestimmen >, gel­
ten lassen, ihre Fetische, ihre Gottheiten, ihre mythischen Kausalitä­
ten usw. ? Behalte ich meinen Glauben (sie mögen ilm als blosse Mytho­
logie ansehen), so ist ihr Glaube Aberglaube, behalte ich meine seiende
20 Welt, so ist ihre Welt nicht seiend. Die fremden Menschheiten sind
für mich als Tatsachen und als Subjekte tatsächlicher Überzeu­
gungen, tatsächlich v e r m e i n t e r Welten, die ich als ihre mythischen
Weltvorstellungen bezeichne. Ich bezeichne sie so, weil ich schon
meine Welt, im wesentlichen meine Überzeugungen festhaltend, in
25 ihrem Seinssinn entsprechend modifiziert habe, eben durch Ingeltung­
setzung dieser anderen Menschen innerhalb meiner Raumwelt, nur
unter Berichtigung der früheren Antizipation, die mich und uns auf
keine anderen Menschen gefasst machte.
Wie komme ich dazu, nun doch von einer Erfahrungswelt für alle
30 Menschen überhaupt, die bekannten und unbekannten, zu sprechen,
wie dazu, sie in Geltung zu haben ? Wie ich durch Kennenlemen von
anderen Völkern, durch gelingende, obschon nur beschränkt gelingende
Einfühlung in völkisch Fremde und ihre Umwelt zu einer erweiterten
Tatsachenwelt komme, so jedermann, jeder fremdvölkische Mensch
35 ebenfalls. Aber die tatsächliche Welt ist für jeden die verschiedenen
Volkskreise eine andere, und doch so, dass jeder sich mit jedem einig
weiss darin, dass die eine und selbe Welt erfahren sei, aber dass jede
Sondermenschheit sie, dieselbe, „anders auffasse”. Was ist nun der
Grund dieser Selbigkeit, und sofern hierin eine Wahrheit liegt, was ist
40 die allgemeinsame einstimmige Erfahrung, der eine allgemeinsame
Welt entspricht, wie ist diese zu umschreiben in einer alle bindenden
Wahrheit ? Was ist wahres Sein, und zwar aus einstimmiger Erfahrung
in einer Heimwelt, was für eine jede Heimwelt überhaupt formale, was
in höherer Stufe universale, in der Allsynthesis von wirklichen und
45 möglichen Heimwelten herzustellende Wahrheit ?
Wie konstituiere ich, von mir aus immer neue Geltung und Gel­
tungsstufen vollziehend, die Geltung, die alle anderen in sich trägt als
218 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

fundierende Unterstufen, die Geltung wahrhaft seiender Welt, und


wie bereichert, erweitert, erhöht sich diese seiende Welt in Aufnahme
neuer Fundierungen, wo ist der Abschluss, wie versteht sich die Anti­
zipation und Geltung einer E n d f o r m als eine solche, die innerhalb
5 einer universalen Horizontstruktur nunmehr nur Näherbestimmung
zulässt und alle möglichen Geltungen nunmehr schon in sich schliesst
als vorgezeichnete?
BEILAGE XII
SPRACHE, URTEILSWAHRHEIT, UMWELT (HEIMWELT).
10 DIE FUNKTION DER SPRACHLICHEN MITTEILUNG FÜR
DIE KONSTITUTION DER UMWELT
<wohl Sommer 1931 >
<Inhalt:> Das Problem der Objektivität der prädikativen Wahrheit mit
Beziehung auf die Vorgegebenheit und Gegebenheit der W eit in St uf en
15 der Umweltlichkeit, denen Stufen der Relativität der entsprechen­
den Wahrheiten korrespondieren, also relative Umwelt als Situation.
Heimwelt und unzugängliche Fernen. Die Funktion der sprachlichen
Mitteilung in der Konstitution einer humanen Umwelt. Sehr unvollkom­
men — keine ausreichende Klärung der Leistung der Sprache und des
20 Unterschiedes zwischen tierischer Mitteilung und menschlicher in der
Sprache.
O b j e k t i v e G ü l t i g k e i t von p r ä d i k a t i v e n U r t e i l e n in
i h r e n v e r s c h i e d e n e n Stufen. Ihre Begründung durch Evidenz.
Ohne konstitutive Gedanken hier durchzuführen, kann ich als an-
25 fangender Philosoph doch sagen:
Was „die” Welt für uns ist und dass sie ist, das ist sie aus (in und
auf Grund) unserer Erfahrung,1 und zwar unser aller verbundenen, ein­
stimmig dahinströmenden Erfahrung. Erfahren ist sie für mich in
jedem Moment meines wachen Lebens als verendlichte gegenwärtige
30 Welt, die hinter sich eine mir durch Erinnerung obschon nur stück­
weise zu erschliessende Vergangenheit hat und vor sich eine Zukunft
als Horizont künftiger Gegenwärtigkeiten, die mein künftiges Leben
verwirklichen wird. Diese meine Umwelt ist zugleich Welt für die mit­
gegenwärtigen, mitvergangenen und mitkünftigen Anderen, deren je-
35 der seine eigene Welterfahrung hat, hatte, haben wird. Zu meiner Um­
welt gehören die Anderen als in ihr und zugleich in der uns gemeinsa­
men Welt seiende andere Menschen, und gehört auch, dass sie geboren
sind und Nachkommen haben, und künftig, dass Menschen geboren
werden und Nachkommen haben werden in offener Endlosigkeit, wie
40 ebenso hinsichtlich der Vergangenheit. Die gemeinschaftliche Erfah­
rung12übersteigt mein und eines jeden endliches Leben, sie erstreckt sich
1 in und auf Grund unseres Denkens
2 „gemeinschaftliche Erfahrung” — deutlicher, Vergemeinschaftung der Erfahrun-
BEI LAG E XII 219

durch unser aller Leben und durch die offene Kette der Generationen
hindurch. Sie reicht auch hinaus über die mir bekannten Anderen und
die mir durch die Historie hindurch individuell bekannt werdenden;
5 sie reicht auch hinein in die unbestimmt allgemein anzusetzenden
Menschenmengen, die als nationale und staatliche und sonstige Ge­
meinschaften bestimmt sind unter dem Titel von historischen Völkern
usw. Zudem trägt die gemeinsame Welt indirekte Anzeigen in sich für
tierisches und menschliches Sein, das unsere Historie nicht mehr um-
10 greifen kann, und auch indirekte begründete Möglichkeiten für Mitda­
sein von tierischen und schliesslich möglicherweise menschenartigen
Generationen, die nicht zu unserer Generationenkette, der irdischen,
gehören würden. Unsere Umwelt, die mit uns historisch-generativ
verknüpfte, von uns Gegenwärtigen aus in der Einheit der generativ ge-
15 bundenen Historie, schrittweise zugängliche und möglicherweise noch
zugänglich werdende, hat einen offenen Horizont einer Natur, die die
diesem Kreis zugehörige und wirklich zugängliche Natur transzendiert,
als eine stets unzugänglich bleibende „astronomische Natur”, zu der
doch generative Zusammenhänge welterfahrender Subjekte gehören
20 könnten, Subjekte, die nur mit uns in Gemeinschaft treten (und sich
evtl, sogar mit uns generativ verbinden könnten), wenn einmal in einer
künftigen Gegenwart die Unzugänglichkeit der Gestimnatur über­
wunden und sie in eine zugängliche Nahnatur verwandelt werden
könnte. Aber auch dann würde sich hinter den zugänglich gewordenen
25 Gestirnen eine unzugänglich gebliebene Femwelt mit unbekannten
Subjekten vorzeichnen.
In dieser Weise ist also gemeinschaftlich oder objektiv seiende Welt
in universaler Erfahrung gegeben, als eine Welt für uns Menschen zu­
nächst — und „wir Menschen”, das bezeichnet eine endlose Genera-
30 tionenverkettung, der wir keinen Anfang und kein Ende zuerteilen
können (beides müssen wir problematisch sein lassen, nach Ob und
Wie), innerhalb deren wir aber eine allzeit bewegliche, sich offen er­
weiternde und noch zu erweiternde Historie haben, die uns nicht nur
allgemein eine Umwelt unserer, der historischen Menschheit gewiss
35 macht, sondern auch sie, in fortschreitendem Masse der Bestimmtheit,
unserer Erfahrungserkenntnis erschliesst. Darin scheiden sich wieder
relative Umwelten für relativ geschlossene Menschheiten, und schliess­
lich hat jedermann seine private Umwelt, während doch alle diese Um­
welten zur Einheit einer Umwelt (der gesamten in uns zentrierten Ge-
40 nerationenkette) Zusammenhängen. Und diese selbst hat ihre Hori­
zonte. Einerseits ihren Innenhorizont des innerhalb der allgemein ver­
trauten Bekanntheit (des Individuellen und der Typik im Aufbau jeder
relativen Umwelt) Unbekannten in seiner eigenen offenen Endlosig­
keit ; andererseits den Aussenhorizont der Feme, in ihrem eigenen Stil
gen, meiner und meiner Anderen als von mir erfahrenen Anderen, die ihrerseits selbst
einander erfahren und erfahren können etc., also je meine wirkliche Erfahrung und
gegenwärtig erfahrenen Anderen eingefühlte Erfahrung sich vergemeinschaftend,
dann die Mittelbarkeiten der Mitteilung.
220 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN" 1931-1932

der Ferne bekannt, Nähen unbestimmt indizierend, die unzugänglich


bleiben.
Universale^Welterfahrung hat also eine eigentümliche Struktur; sie
ist 1) für jeden von ihm aus orientiert, bzw. sie bietet die Welt als
5 orientiert von liier zu dort, von Nähe zu Ferne, von Umwelt zu Fern­
welten; 2) sie ist aber auch orientiert als gemeinschaftliche Erfah­
rungswelt durch die Art, wie für mich als Erfahrenden die übrigen
Erfahrenden, durch die hindurch auch ich erfahre, gegeben sind, als
unmittelbar Andere, als für sie unmittelbar, aber für mich mittelbar
10 Andere usf.
Die Endlosigkeit der sich erweiternden und evtl, noch zu erweitern­
den Welterfahrung, mit der eine „unendliche” Welt (zunächst als end­
los offene) mir zu eigen wird, geht durch diese offen endlose Vermitt­
lung der für mich Anderen hindurch, wobei zugleich klar ist, dass, was
15 für mich, auch für jeden dieser Amderen gilt. Wir, die Subjekte der
Welterfahrung, haben die endlos offene Welt nach ihren bekannten
Wirklichkeiten und unbekannten Möglichkeiten je von uns aus, jeder
von sich aus durch die Vermittlung der Anderen und letztlich ihrer
Mi t t e i l u nge n.

20 Näheres über Mitteilung


Zu den letzteren, um nun auf sie einzugehen, gehören die unwill­
kürlichen Ausdrücke des Erfahrens, das, was man ihnen <scü. den
Amderen >in ihrem leiblichen Gehaben selbst ansehen kann und apper-
zeptiv ihnen einlegt, ebenso wie die mittelbaren Ausdrücke ihres Le-
25 bens und darin ihres selbstverständlich mitgehenden Erfahrens, z.B.
des werktätigen, und was dabei für sie „da” war, als ihr Erzeugnis, als
Werk in derselben Welt, in der ich bin, wahmehmungsmässig er­
wächst usw.
Dazu aber die absichtlichen und im besonderen sprachlichen Mit-
30 teilungen.
Gemeinschaftliche Erfahrung, die uns gemeinschaftliche, endlose
Welt und in orientierter Ordnungsfolge werdend die unendliche Welt
für „alle” gibt, ist nicht eine in einem Akte fertige Sache, sondern ein
Prozess des Werdens und einer werdenden Leistung, die immer schon
35 gewordene Leistung in sich hat und darauf neu fortwerdend gründet,
passive und aktive Leistung. Umwelt, mindestens in niederster Stufe
schon als gemeinschaftliche, erweitert sich, berichtigt sich zum Teil
oder bestimmt sich fort, zu grösserer Bestimmtheit führend, durch
s p r a c h l i c h e Mi t t ei l ung, und diese ist immer beteiligt am Bau
40 des Erfahrungsinnes der Welt, in der wir handelnd leben, in der wir im
besonderen im Handeln des theoretischen Interesses, im wissenschaft­
lichen, Wissensgebilde besonderer Art erzeugen, die wir da wissen­
schaftliche Aussagen, „Sätze”, Grundsätze, Schlussätze, wissenschaft­
liche „Erfahrungstatsachen” und dgl. nennen.
45 Aussagen jeder Art, normale ernste Aussagen (nicht spielerische
B E I L A G E XI I 221

Phantasieaussagen und sonstige anomale Modi, wohin wir jetzt auch


monologische Aussagen im stillen Denken rechnen) haben ihre Funk­
tion für die Ausbildung einer Welterfahrung und haben alle ihre „Ob­
jektivität” ; freilich eine ganz ausgezeichnete die wissenschaftlichen
5 Aussagen, deren Klärung hier mein besonderes Absehen ist, wo es gilt,
mir verständlich zu machen, worauf Wissenschaft als System, von
Aussagen, bzw. die wissenschaftliche Subjektivität, solche wissen­
schaftlichen Aussagen bildend, eigentlich hinauswill.
Erfahrung entspringt aus Erfahrung. Erfahrung erzeugt in ihrem
10 teils passiven teils aktiven Verlauf Kenntnis als bleibenden Erwerb,
lünfort verfügbar in der Wiedererinnerung. Sie zeichnet auch das
künftig zu Erwartende vor. Zudem gründet in ihr künftige Erfahrung
von Neuem nach Analogie des Altbekannten; sie bestimmt für die
Zukunft, sie ist Apperzeption und in eins mit dieser die Auffassung
15 von Neuem in einer vertrauten Typik, das Erkennen des Neuen als
Haus (wie dergleichen und wiederholt schon erfahren worden), als
Baum, der Hausfarbe als gelb usw.
Welterfahrung ist von vornherein immer schon Gemeinschaftserfah­
rung, wie immer sie sich dann weiten und die Welt selbst erweiterten
20 Sinn annehmen mag. Der orientierte Aufbau des Seinssinnes Welt, in
dem sie ihre Zugangstypik hat und zugleich ihre Weise der Erhaltung
der Identität unter Aufnahme immer neuen Sondersirmes, hat eine
Umwelttypik, die wir noch etwas näher beschreiben müssen.

Umweltstypik, Heimwelt und Heimwelterfahrung


25 Ich als Erfahrender habe eine nächste Umwelt, eine Nahwelt, die
wir etwa die He im weit nennen mögen, die Welt, in der ich schon
heimisch bin aus eigener Erfahrung, als ursprünglich durch diese von
mir erworbene wohlbekannte, altvertraute Umwelt. Die Heimwelt ist
ein individualtypisch Identisches im Wechsel mannigfaltiger Gege-
30 benheitsweisen. In der sich abwandelnden aktuellen Erfahrung hat
jedermann eine aktuelle momentane Gegenwart mit einem Horizont,
und so ist diese Gegebenheitsweise Darstellung der Heimwelt, die in
Aktivität oder Passivität solcher Gegebenheitsweisen ihre Identität
erhält. Zu ihr gehören auch die nächsten Anderen, die mit mir das-
35 selbe „Heim” teilen, nämlich die im ganzen dasselbe aus eigener Er­
fahrung erworben haben. Doch rechnen wir auch dazu den unmittel­
baren Erfahrungsaustausch, in dem das wohlvertraute gemeinsame
Heim erwächst (Heim in einem erweiterten Sinne). Freilich hat jeder
sein Heim als das seiner wirklich ursprünglich eigenen Erfahrung, und
40 in der Vergemeinschaftung gibt es Unterschiede. Alle Heimdinge als
bekannt und für die Heimgenossen identifiziert im direkten Verkehr
als zum selben eigenen Heim gehörig <sind dies> nicht ohne Unter­
schiede. Der eine kennt sie genauer, der andere weniger genau, und
auch das „weiss” jeder aus dem ursprünglichen Verkehr. Das gehört
45 also für jeden zum Innenhorizont.
222 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

Für jeden einzelnen hat das altvertraute Heim auch unerschlossene


Horizonte, die erst durch gelegentliche Vorkommnisse, evtl, absicht­
lich im Fortgang des praktischen Lebens und seiner neuen Zielsetzun­
gen, sich erschliessen: wie wenn ich mein Haus umbauen will und die
5 unbekannten Fundamente blosslege, sie nachzuprüfen. Im allgemeinen
wird da dem einen manches bekannt und vertraut sein — unbeschadet
der Gemeinsamkeit der Heimwelt —, was es für den anderen nicht
ist.
Der Inhalt der Heimwelt, unerachtet der Erhaltung einer bleibenden
10 Typik, und insbesondere auch der Erhaltung individueller Gegenstän­
de (Dinge, Arbeitsplätze, Werkzeuge, Menschen und Tiere) in ihrer
Individualtypik, ändert sich; neue Gegenstände treten auf, neu aus
Passivität oder Aktivität des Erfahrenden (evtl, durch seine erzeu­
genden Tätigkeiten); sie werden durch Erfahrung bekannt und ver-
15 bleiben ihre Zeit, andere verschwinden, ändern sich, es ändert sich so
auch der konkrete Typus der Heimwelt in ihrem Zeitweiligen. Aber
diese Veränderungsweise gehört selbst mit zum allgemeinen Typus des
Seins der Heimwelt.
Den Sinn dieser Heimwelt können wir erweitern, und er erweitert
20 sich im natürlichen Gang der Erfahrung von selbst; etwa eigenes Heim
mit eigenem Garten, eigenem Feld und dgh, dann erweitert, eigenes
Dorf, eigene Stadt und zugleich unser Dorf, unsere Stadt. Hiebei die­
nen der Erweiterung alsbald, und wie schon im engsten Heim so erst
recht in der immer mehr sich erweiternden Heimweit, synthetische Er-
25 gänzungen eigener und ursprünglicher gemeinsamer Erfahrung durch
mitteilende Aussagen.

Ursprüngliche Mitteilung als Erweiterung der Erfahrung des Verstehenden


Ursprünglichste Mitteilung ist Auslegung und sprachlicher Aus­
druck dessen, was ich direkt erfahre oder erfahren habe und was der
30 Andere günstigenfalls ebenfalls in seinem Erfahrungsfeld, wenn auch
nicht im aktuellen Gegenwartsfeld, hat, so dass er, wenn die Aussage
hinreichend vollständig und bestimmt ist und auf die schon gemein­
same und in Gewissheit geltende Heimwelt bezogen ist, er sie nicht
nur vollkommen verstehen, sondern auch alsbald im Mitglauben voll-
35 ziehen kann. So hat er durch Mitteilung auch Anteil an einer Erfah­
rung, die er nicht selbst ursprünglich hat; er gewinnt so eine s e kun­
d ä r e E r f a h r u n g (Erfahrung von dem Erfahrungsgehalt des vom
erfahrenen Anderen Erfahrenen), die nur zu kleinem Teile für ihn zu
originärer Erfahrung vom selben Gehalt führen kann und jedenfalls
40 ihr eigenes Recht, ihre eigenen Weisen der Bestätigung hat, nämlich
aus der Einstimmigkeit des gemeinschaftlichen Erfahrungslebens, in
dem jedes originale Erfahrungen und die mittelbaren, die Sekundär­
erfahrungen durch Mitteilungen in Einstimmigkeit sich verbinden
und im Fortgang in Geltung bleibend die Einstimmigkeit bestehen
45 lassen. Wo das nicht der Fall ist, wo Mitteilungen, sei es unmittelbar
B EI L A G E XII 223

oder mittelbar, mit dem streiten, was ich selbst erfahre oder was An­
dere (gemäss ihren Mitteilungen, aber gut sich einpassenden) erfahren
haben, da wird aus der gläubigen Übernahme Unglaube; was da angeb­
lich ist oder war, das ist und war nicht.1
5 Der Verstehende gewinnt eine ursprüngliche sekundäre Erfahrung,
wenn er die Mitteilung verstehend sie alsbald anschaulich nachvoll-
zieht, das Mitgeteilte dabei, als ob er der Andere wäre, so anschaulich
hat, „als ob” er es sähe. Dabei ist diese Erfahrung-als-ob ihrem inter­
subjektiven Sinne nach zugleich für mich mögliche Erfahrung vom
10 selben, das ich nämlich wirklich selbst sehen würde, wenn ich „hin­
ginge” usw. Aussagen werden aber auch leer verstanden ohne in an­
schaulichen quasi-Vollzug überzugehen, und sie können das werden
vermöge der in Beziehung auf die Heimwelt schon gebildeten, ihrer
allgemeinen relativ verharrenden Typik angepassten Sprache. Eigen-
15 namen, Gattungsnamen, Sachverhalte etc. werden im leeren Erkennen
dessen, was gemeint ist (unser Haus, der Vater etc.), verstanden und
im allgemeinen mitgeglaubt, wenn sie nicht in dieser Bestimmung
früher schon durchstrichen worden sind.
Die Aussage hat einen Aussageinhalt, der in der Gemeinschaft von
20 Person zu Person übergehen kann, und sie hat ihren objektiven Sinn,
wenn sie eben jedermann je nachdem aussagen und verstehen und in
demselben Sinne verstehen könnte und jedermann evtl, glauben könn­
te. Sie hat objektive Gültigkeit oder Wahrheit, wenn ich und jeder­
mann sich jederzeit davon überzeugen kann, sei es durch originale Er-
25 fahrung (Wahrnehmung und Erinnerung, originale Induktion) oder
durch sekundäre Übernahme von jemand, der sie in der Tat durch ori­
ginale Erfahrung gebildet hat, sofern sich eben die Vertrauenswürdig­
keit und das vertrauensvoll Übernommene weiterhin auch bestätigt.
Was in dieser Weise für den einen objektiv gültig ist, ist es für jeder-
30 mann in derselben Gemeinschaft, sofern man ja jedermann auf die
letzte Wahrheitsquelle der originalen Erfahrung der Sache und die
originale von den Anderen verweisen kann.
Wir haben also objektive Aussagen, bezogen auf diese Heimwelt :
1) Unmittelbare und mittelbare deskriptive Aussagen für Individu-
35 eiles, jedermann, sei es direkt erfahrbar oder durch Mittelbarkeit der
Mitteilung, bekannt und auf ebenso bekannten Wegen erreichbar. Be­
stimmung in Erfahrungsbegriffen. Direkte Erfahrung: Wahrnehmung,
Wiedererinnerung, ursprüngliche Erwartung (Urinduktion) des Ähn­
lichen unter ähnlichen Umständen, Einfühlung.
40 <2)> Allgemeine Deskription, typische Allgemeinheiten als Allge­
meinheiten der Induktion; induktive Schlussfolgerung mittels solcher
Allgemeinheiten. Durch'-das „es ist überhaupt so unter solchen typi­
schen Umständen, es tritt dergleichen überhaupt unter solchen typi­
schen Veränderungen der bekannten Umstände auf” leite ich mittei-
45 lend den Genossen an, ein Typisches sekundär zu erfahren, das er nicht
1 Nicht zureichend analytisch.
224 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

in seiner aktuellen Erfahrung wirklich durch Erfahrung sich erworben


hat.
<3)> Ferner, Denkleistung nicht nur in beschreibenden Aussagen,
sondern auch Bestimmung individueller Gegenstände durch Denkbe-
5 Stimmungen wie Mass und Zahl, wodurch ich und jedermann sich in­
direkt von Identität und Nichtidentität (individueller Verschiedenheit)
von Gegenständen in diskret verknüpften Gegenwarten überzeugen
kann.
Herstellung einer sprachlich dokumentierten objektiven „Welt”-
10 Erkenntnis als intersubjektiven Urteilserwerbes, als allgemeinsames
Wissen, als ein gemeinsamer Bestand, den man voraussetzen, den man
erweitern kann, indem jeder die Erwerbe der Anderen übernehmend
und sie ihnen mitteilend sie und ihre Weltkenntnis in bestimmter
Weise erweitert, zunächst als Fundament für eine individuelle und
intersubjektive Lebenspraxis.
15
Menschliche und tierische Mitteilung
Wir haben also nicht wie das Tier eine vertraute Heimwelt durch
bloss eigene und fremde direkte Erfahrung und ein gemeinsames un­
mittelbares Verstehen und direkte Übernahme des fremden Erfah-
20 rungsglaubens und Erfahrungsinhaltes aus der Gemeinsamkeit des
synthetisch sich verbindenden, wechselseitig sich ergänzenden und
ausgleichenden Erfahrens, auch nicht die tierische Art der Mitteilung
durch Anzeige eines direkt Erfahrbaren, sondern der Ausdruck, die Mit­
teilung durch Sprache, welche die typischen Formen der Denkgebil-
25 de als Bedeutungen ausprägt und vollständig ausprägen kann, indi­
ziert zugleich und korrelativ die auszuübenden Tätigkeiten, die auf
Grund der passiven Vorgegebenheit der Erfahrung (der synthetischen
Niederschläge der früheren Erfahrung) zu vollziehenden Aktivitäten
der Explikation, der begrifflichen Fassung, der ganzen zur Einheit des
30 prädikativen Urteilens gehörigen Denktätigkeiten, in denen die be­
treffenden Gebilde ursprünglich evident erwachsen würden. In der
Mitteilung besagt ihr Nachverstehen als ein quasi-Vollziehen dieser
Tätigkeiten und ihrer Ausgangserfahrungen, die der Verstehende im
allgemeinen nie erlebt hat, dass ihm durch eine Indizierung von den
35 sprachlichen Intentionen her eine mögliche Erfahrung vermittelt ist,
und im motivierten Mitglauben, und wiederum vermittelt, was ihr für
ihn an Bestimmtheit fehlt und was sich für ihn durch Explikation und
eigene Typenauffassung bestimmen würde.1
Zu erörtern <wäre noch die> Funktion der Sprache in der Genera-
40 tionenkette.
Ein menschliches Gemeinschaftsleben wird so möglich als Leben
einer Sprachgemeinschaft, das von ganz anderer Art ist als tierisches
Gemeinschaftsleben. Die He i mwe l t des Menschen, die das
1 Das alles nicht wirklich zureichend ausgelegt!
BE I LA G E XI I 225

Grundstück für die Struktur der objektiven Welt für <ihn> ist oder für
ihn in höherer Entwicklung in immer bedeutsamen Formen werden
kann, is t g r u n d wes e n t l i e h von der Spr ache her be­
s t i mmt . Erst dadurch erwächst eine nicht nur sinnlich gemeinsame
5 Welt, eine konkrete Gegenwartswelt (in einem erweiterten Sinne, der
den noch mitlebendigen Mitgegenwarts- und Vergangenheitshorizont
und in einem Stück lebendige Zukunft befasst), sondern eine praktische
menschliche Heimwelt, deren unvergleichlich weiterer Erfahrungs­
kreis auch die sprachlich vermittelten Erfahrungen der Genossen
10 wirksam in sich enthält, und nicht nur die wirklich voll anschaulich
nachverstandenen und in den Glauben übernommenen, sondern auch
die unvollständig oder gar nicht anschaulich nachverstandenen sprach­
lichen Erkenntnisgebilde, als solche, die, wo es nötig, klar gemacht und
verwertet werden können. In jeder Gegenwart hat der Erfahrende also
15 nicht nur seine „sinnliche” Umwelt, die wirklich ihm in originaler Er­
fahrung gegenwärtige, mitgegenwärtige, in originaler „Einfühlung” als
sekundärer sinnlicher Erfahrung ihm mit eigen werdende, sondern
diese Gegenwart mit einem sprachlichen Belag und einem sprachlich-
apperzeptiven Horizont; es gehören zu dieser Welt mannigfaltige eige-
20 ne und fremde Sprachgebilde, mit ihrer neuartigen Gültigkeit, Zu­
gänglichkeit, Ausweisbarkeit. Und diese Umwelt ist nun die typisch
eine und selbe für alle, nämlich die miteinander gemeinschaftlich Le­
benden. In ihr liegen die praktischen Ziele eines jeden, seine Leistungs­
gebilde, auf sie bezieht sich das werktätige, aber auch das aussagende,
25 stets irgendeiner Praxis dienende Leben, in dem die Umwelt als sprach­
lich bestimmte sich intersubjektiv als dieselbe bereichert und erwei­
tert.1

1 Eine gemeinsame schon vertraute Welt (Heimwelt), in der jedes zu ihr korrela­
tive Subjekt lebt, die ihm in. einer unmittelbar zugänglichen Nahsphäre (Gegenwarts­
sphäre und ihre Vergangenheit) gegeben ist, von der ausstrahlen die relativen Fer­
nen, als zugängliche, in denen Menschen wohnen, die selbst wieder ihre Fernen haben
usw.
Vertrautheit im individuell Faktischen. Vertrautheit im Typischen der Verläufe
und in dem typisch zu Erwartenden.
Das individuell jedermann Bekannte als Ausgangspunkt der Orientierung, als
Beziehungspunkt für relative Orientierungen. Die Orientierungsformen, die Orien­
tierungsdimensionen, rechts, links, nahe, ferne, die Zahl der Schritte, die Messung
mit Zählung. Das Iterative. Die Ordnung mit Zählung.
Individuelles in seinen explikativen Eigenheiten, in seinen Eigenschaften bestim­
men, in seinem konkreten Typus (Substrattypus) bestimmen, in seinen Relationen.
Relative Bestimmungen als Ordnungsbestimmungen, Masse, Zahlbestimmungen. Das
letztere ist formal, wie alle Denkformen. Das Konkrete stammt aus der vertrauten
Erfahrung. Also objektive, austauschbare, für jedermann verstehbare und ausweis­
bare Urteile. Ihre Evidenz: die der vertrauten konkreten Erfahrung, individuellen
und allgemeintypischen, die der vertrauten Art Mitteilung, Überlieferung von wirk­
lich Erfahrenem an Andere (in vertrauter Sprache), Methoden der Teilung, Messung,
Zählung, Richtungs- und Ordnungsbestimmung: evident im Vollzüge der Denk­
leistungen an selbst Erfahrenem, einzeln oder verbunden erfahren. Vorausgesetzt
die vertraute Welt, als Erfahrung vertraut.
Erweiterung der Heimwelt zur Welt für das Volk, Welt für eine kommunikative
226 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

Gemeinschaftsleben sich erweiternd und in „politischer” Form auf


Universalität einer Praxis, soweit mögliche Kommunikation reicht,
tendierend. Universalität der Praxis als Universalität zusammenstim­
mender befriedigender und intersubjektiv befriedigter Praxis. Univer-
5 salität der Sprachgemeinschaft, Überbrückung der Fremdsprachlich-
keit, Einheit der praktischen Umwelt, Einheit der Heimwelt höherer
Ordnung auf Grund des synthetischen Baus der Heimwelten unterer
Stufe.
Das theoretische Interesse. Wissen überhaupt, um Macht zu gewin-
10 nen (abgesehen von Wissen aus Neugier). Universales Wissen im
Dienste einer universalen vernünftigen, befriedigenden, also befriedig­
ten Praxis. Tendenz auf eine systematische Wissenschaft, eines syste­
matischen Aufbaus eines Universums objektiv gültiger, das Univer­
sum — das universale Heim in seiner möglichen Erweiterung — voll-
15 kommen umspannender Urteile, umspannend ihre freilich offene Indi-
vidualtypik und Generaltypik. Dieses universale Wissen, als objektives
jedermann zugänglich, gibt jedermann universale Kenntnis der prak­
tischen Heimwelt — freilich eine universale Kenntnis, die sich der
fortgesetzten Umbildung anzupassen hätte — und damit das Wissens-
20 fundament für alle praktischen Pläne, und insbesondere für alle prak­
tischen Möglichkeiten, Ziele und Wege gegen das Endziel hin der Er­
möglichung einer universalen politisch befriedigten Praxis.
Heimwelt — unheimische Welt. Relativität. Und doch ein bleiben­
der Unterschied: irdische Welt und Welt des Himmels, der unzugäng-
25 liehen, für immer unheimischen Feme, die doch den Sinn von Feme
hat, die idealiter näher gebracht, in Nähe verwandelt werden könnte.
Universale Welterkenntnis; die Welt, die auch alle Feme umspannt
aus theoretischem Interesse — wie sie praktisch wird dadurch, dass
die „Zufälle” der Heimwelt in Analogie der verständlichen Kausalität
30 des Eingreifens von Femen, die nur zeitweilig unzugänglich waren,
durch „astronomische” Kausalität erklärlich und diese Kausalitäten
praktisch relevant werden. Die Unendlichkeiten, die äusseren und in­
neren, die physikalische Weltauffassung und ihre Bewährung. Der
Aufbau des objektiven, durch sprachliches Denken sich konstituieren-
35 den Weltalls, und sich konstituierend durch denkmässig konstituierte
Iteration und in infinitum.
Diese neuartige objektive Erkenntnis als exakte, die objektive Welt
Menschheit, Welt der Gegenwart, Vergangenheit als Welt der vergangenen Mensch­
heiten, Menschengenerationen.
Objektive Aussagen neuer Art. Was kann man von Fernen, die der Menschheit
überhaupt unzugänglich sind, aussagen? Das Formale, das Ferne als Weltferne mit
der Nähe gemein haben muss. Das raumzeitlich Kausale (Mechanische).
Relativität aller umweltlichen Aussagen, aller deskriptiven und auf Deskription
von Okkasionellem beruhenden. Irrelativ die Formaussagen, Wesensaussagen. Ratio­
nale Objektivität; relativ rationale Aussagen: was für jedermann überhaupt in Wahr­
heiten an sich aussagbar ist. Die Weltaussagen, die nicht Umweltaussagen sind.
Welt-formale Aussagen. Wesensform der Welt. Ewige Wahrheiten für die gegebene
Welt und eidetische Wesensaussagen für jede mögliche.
B EI LA G E X I I I 227

schon ein Denkgebilde, ein Gebilde der Methode, und diese dann als
Thema objektiver, „exakter" Wissenschaft, in der sich objektive Welt
nicht bloss wie ein Heimweltliches expliziert und dann näher bestimmt.
Radikal einsichtige Wissenschaft nur Wissenschaft, die diese Metho-
5 de selbst thematisch macht. Universale Formenlehre der Konstitution
der Allwelt aus der Formenlehre iterativer Heimwelten etc.

BEILAGE XIII
NORMALE MENSCHENGEMEINSCHAFT <UND DIE
STUFENORDNUNG RELATIVER NORMALITÄTEN UND
10 ANOMALITÄTEN. DAS PROBLEM DER IDENTISCHEN WELT
FÜR JEDERMANN >
<wohl Sommer 1931 >
Wichtige Überlegungen zur Methode einer systematischen Auslegung der
Welt der Erfahrung — transzendentale Ästhetik —, ontologisch und kon-
15 stitutiv-subjektiv, hauptsächlich in Rücksicht auf die Stufen der Normali­
tät-A nomalität.
Zu einer vorgegebenen Welt gehört eine Allheit ihr zugehöriger, mit­
einander unmittelbar oder mittelbar tätiger Menschen, denen sie als
20 dieselbe vorgegeben ist, als dieselbe psychologisch konstituiert ist.
Ideal gesprochen: Wäre wirklich für einen jeden dieselbe Welt vor­
gegeben 1 und infolge davon das Weltleben der Menschen auf diese
identische, und für sie identische, bezogen und würde auch durch
fortgehende Humanisierung die Identität der vorgegebenen Welt
25 für die Menschen (alle neu hineingeborenen natürlich mitgerechnet)
identisch dieselbe bleiben, so gäbe es keinen Unterschied zwischen
Gebildeten und Ungebildeten, von Gelehrten und Laien etc. So,
wenn wir die Vorgegebenheit im eigentlichsten Sinn aktueller Vor­
gegebenheit verstehen. Aber nicht jeder hat wirklich Zugang zu
30 allem, was ist, für jeden ist zwar Welt mit einem unbekannten Ho­
rizont bewusst, aber nicht jeder kann unmittelbar oder mittelbar
durch Erfahrung Kenntnis von allem Unbekannten gewinnen; mittel­
bar, sofern er die Erfahrungen Anderer, bzw. die Erfahrungsbeschrei­
bungen derselben übernimmt.
35 Wie in unserer Welt ? Auch Wissenschaften kommen in der Welt vor,
auch Staat und Staatsgesetze usw. Nicht jeder kann die Wissenschaf­
ten kennenlemen, kann von ihren Theorien „Erfahrung” gewinnen,
und das ist, sie nachgestalten, einsehen, dadurch nachverstehend, nach-
einsehend die in der Arbeit der erfahrenden Forscher gewordenen Gei-
40 stesgebilde. Religiöse Symbole, Dogmen etc. sind auch zur Welt gehö­
rig, aber direkt Zugang hat zu ihnen, der in der betreffenden Religion
steht, jeder andere indirekt, sofern er im unvollkommenen Nachver-
1 Im Sinn von aktuell zugänglich?
228 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

stehen als Irreligiöser oder einer anderen Religion zugehörig nur soviel
versteht, dass dergleichen etwas ist, was der Gläubige im wirklichen
Glauben in einer gewissen Weise realisiert, ähnlich wie der einer Wissen­
schaft Unkundige die indirekte Vorstellung von „Kundigen” hat, für
5 welche die unverstandenen oder halbverstandenen Sätze und Be­
gründungen volle Bedeutung und die Kraft der wirklichen Einsicht
haben. Ebenso hinsichtlich der Kunst. Die Laute hören ist nicht die
Musik hören, und die Musik als eine Verkettung von einzelnen Harmo­
nien hören ist nicht die Symphonie, das Quartett etc. in seinem wirk-
10 liehen Sinn und seiner Eigenart wirklichen Seins in sich aufnehmen.
Was besagt das also, eine Menschheit als Allmenschheit einer ihr
identisch vorgegebenen Welt, oder wenn ich sage als Phänomenologe:
mir ist die Welt vorgegeben, ich bin mir dabei selbst als Mensch vor­
gegeben, der Welterfahrung und durch sie Welterkenntnis hat, der an-
15 dere Menschen erfährt als Welt, dieselbe Welt Erfahrende und Erken­
nende, und transzendental, ich bin auf eine transzendentale Intersub­
jektivität bezogen, die eine und selbe Welt konstitutiv gemeinsam hat ?
Was besagt da identische Welt und Konstitution derselben, was cha­
rakterisiert die Subjekte als Subjekte „für” diese Welt?
20 Ich bin Wissenschaftler. Ich rechne Wissenschaft über, Theorie
über die Welt nicht mit. Vorangeht Welt rein aus Erfahrung. Aber
was besagt das? Ist Wissenschaft nicht eine Form der Kultur, und ge­
hört Kultur nicht zu den Erfahrungstatsachen der Welt ? Gehört dazu
ihr wissenschaftlicher Wert (die Wahrheit der Theorien oder die Un-
25 Wahrheit) mit, der in der einsichtigen Begründung als Ergebnis auf-
tritt ? Die Wissenschaftsgeschichte, die Kunstgeschichte etc., die Kul­
tur in ihrer Geschichtlichkeit werden wir aus der tatsächlichen Welt
nicht verbannen.
Gewiss, aber wir werden doch sagen: Nehmen wir die Einstellung
30 auf die Welt bloss als Universum der tatsächlichen R e a l i t ä t e n , so
befasst sie die Natur, die Menschen und ihr reales Leben, ihre realen
Vermögen, ihre realen Identifizierungen, ihre realen Evidenzen und
Vermögen, Evidenzen zu wiederholen und in der synthetischen Wie­
derholung immer wieder dasselbe als evident seiend zu finden. Die
35 Theorien selbst gehören nicht zur Welt, sondern die entdeckten •«The­
orien > als entdeckte von dem und jenen Menschen, also besser, die
Entdeckungen entdeckender Personen und die Vermögen anderer Per­
sonen, nachzuverstehen, mitzuurteilen, mitzuerkennen etc. Dem Be­
griff der Realität entspricht der Begriff der r e a l e n E r f a h r u n g ,
40 der Erfahrung im gewöhnlichen Sinn, genauer: Erfahrung der Körper­
welt, Erfahrung von der Menschen- und Tierwelt und der Pflanzen­
welt, der Natur im weitesten Sinn (wohl die <püctlc, der Alten).
Was ist das nun, mit einer Allheit von Anderen dieselbe Welt vor­
gegeben" haben,'dieselbe Natur, denselben Raum, dieselbe Zeit, erfüllt
45 mit denselben'Realitäten, denselben Dingen, denselben Menschen und
Menschengemeinschaften, denselben Kulturobjekten, denselben realen
Tatsachen jeder Art ? Aber ich und jedes Ich haben Welt nur horizont-
B EI L A G E X I I I 229

haft und wir haben nicht dieselben Tatsachen wirklich gegeben, nur
vorgegeben. Und weiter, wir sind weit entfernt davon, all das, was
einer als tatsächlicher Mensch in sich erlebt, z.B. wenn er ein Newton
ist, als Tatsache durch Nacherfahrung erfahren zu können, und selbst
5 dann nicht, wenn dieser Newton uns selbst von seinem Leben Mit­
teilung machen wollte, so gut er es seinerseits kann. Nicht alle Tat­
sachen sind, und nicht bloss weil wir gehemmt sind, in der Ausübung
unserer Vermögen zugänglich. Der reife Mensch, der nie Wissenschaft
getrieben hat, kann nicht wissenschaftliches Denken nachverstehen,
10 und im allgemeinen ist sein Leben zu kurz, um noch die entsprechen­
den Vermögen in sich auszubilden. Und doch ist auch Newton oder
Einstein für jedermann in der Erfahrungswelt da,-von jedermann als
Mensch verstanden, nur eben unvollkommen. Die Welt hat nicht nur
den allgemeinen Horizont, sondern die Einzelrealitäten, die schon erfah-
15 renen, haben selbst in der Erfahrung ihre Horizonte, und diese sind
keineswegs vollkommen zugänglich. Die Erfahrungswelt ist ein offenes
Universum erfahrbarer konkreter Realitäten. Insofern haben „wir”
alle eine Erfahrungswelt, als wir Zugang haben (mindestens indirekt und
mittels all der Anderen, zu denen wir Zugang haben) zu allen Realitä-
20 ten, zu denen sie Zugang haben, und zwar als denselben Gegenständen
möglicher Erfahrung, obschon wir und sie nicht zu allen objektiven
Merkmalen dieser Realitäten Zugang haben. Was irgend jemand kon­
kret gegeben hat als ein Reales in Wahrnehmung und in einer anschau­
lichen Abwandlung von Wahrnehmung, das kann ich entweder auch
25 wahmehmen oder ich hätte es können oder ich kann es mir in'Über­
nahme seiner Erfahrung mittelbar anschaulich machen (als wie wenn
es ein Wahrgenommenes wäre) etc.1, ja das Reale in einer Erschei­
nungsweise, einer Anschauung, die es individuell in eigentlicher oder
uneigentlich-mittelbarer Weise zur anschaulichen Geltung bringt, ob-
30 schon mit einem zum Teil vielleicht ganz und gar unzugänglichen Ho­
rizont.12
Es ist dann aber das Problem: wie die Welt vorgegeben sein kann als
eine an sich b e s t i mmt e , also doch für jedermann seiende, auch
nach dem Unzugänglichen für viele Menschen. Gewinne ich Einsicht
35 in die psychische Art und Leistung eines produktiven Geistes, ich
vielleicht als der einzige, wie komme ich dazu, das zur Welt des Jeder­
mann zu rechnen, meine Näherbestimmung des Horizontes als Näher­
bestimmung des Menschen, der für jedermann dieser Mensch ist, zu
beanspruchen? Es ist ja nicht allgemein mitteilbar, es kann nicht all-
40 gemein übernommen werden als wie eine Erfahrung und nicht für je­
dermann durch Einfügung in den einstimmigen Zusammenhang der
intersubjektiven Erfahrung bestätigt oder korrigiert werden.
Was ich in meiner einstimmigen Erfahrung kennenleme als die mir
1 Das gilt für alle, die unmittelbar oder mittelbar mit mir in wirklichem Konnex
stehen.
2 „Wahrnehmung” —- hier natürlich zugerechnet die Fremdwahrnehmung und
ihre Verwandlungsmodi der Analogisierung von Tieren mit Menschen.
230 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

schon geltende Welt bestimmend, das geht auch die Welt, die der An­
dere erfährt, an. Er ist für mich konstituiert als auf dieselbe Welt bezo­
gen. Ich erfahre ihn nicht als all das im einzelnen erfahrend, was ich
erfahre, und alle Bestimmungen desselben erfahrend, das wir erfahren,
5 obschon ein Boden der Gemeinsamkeit wirklicher Erfahrung durch die
Einfühlung selbst gegeben ist als ein Bereich gemeinsam wirklicher Zu­
gänglichkeiten. Das betrifft die Schichte der konkreten, deskriptiven Na­
tur, der physischen; ebenso die Leiblichkeit und eine kleine Schichte,
Struktur der Seele, des personalen Lebens und Treibens, insbesondere
10 des Instinktlebens, übergeleitet in bewusste Bedürfnisse und typische
Weisen der Bedürfnisbefriedigung. Indem ich Andere in tieferen
Schichten mir zur Erfahrung und Erkenntnis bringe, so liegt in der
Übertragung nicht die Meinung, dass der Andere zu denselben wirklich
ebenso Zugang hat und das entsprechende Vermögen dazu hat wie ich,
15 und ebenso bei sonstigen realen Tatsachen der Welt. Wir erfahren den­
selben Realitätenkreis und im besonderen das betreffende Reale ge­
meinsam, wir haben überhaupt gemeinsame Erfahrungswelt. Jede Er­
fahrung, die ich nun hinsichtlich eines Realen mache, gilt, solange sie
undurchstrichen bleibt durch hervortretende Unstimmigkeit, <sie>
20 bleibt für die gemeinsame Welt in Geltung, solange sie die intersubjek­
tive Einstimmigkeit nicht stört. Dass der Andere gewisse Erfahrungen
nicht hat und gar nicht haben kann, als wie er ist, stört nicht die Ein­
stimmigkeit. Meine erweiterte Erfahrung gilt also fort für die Welt,
die unsere gemeinsame Erfahrungswelt ist. Für die Anderen wird, was
25 ich vielleicht als einziger erfahre, und in einer Weise, die Mitteilbarkeit
und Übersetzbarkeit in analogisierende Anschauung ausschliesst, doch
als indirekte Anzeige auffassbar, wenn ich (wie etwa, wo es Erfahrung
von wissenschaftlicher Erkenntnis ist) Konsequenzen ziehe und diese
sich bewähren, und zwar in einer für Andere anschaulich verständli-
30 chen Weise. Dann surrogiert ihm für die fehlende Erfahrung der Ge­
danke einer „gewissen” Einsicht, die der Andere hat, mittels deren er
weltliche Tatsachen voraussieht etc.
Eine Menschengemeinschaft, in der jeder jeden anderen als Mitsub­
jekt derselben Erfahrungswelt in dem Sinn erfährt, dass dieser in
35 Eigenerfahrungen direkten oder indirekten Zugang zu allen Realitäten
dieser Welt hat, ist eine n o r ma l e G e m e i n s c h a f t . Jeder davon
erfährt den Anderen und <sich> selbst als normal.1 In diesem Sinn ist
ein Volk „primitiver Menschen” in Relation zu i h r e r Welt, der ihnen
vorgegebenen, und in wechselseitiger Übernahme der Erfahrungen
40 stimmend normal.
Das sagt also nicht, dass alle auf gleicher Stufe stehen. Es gibt ja
noch einen anderen Begriff des Normalen. Innerhalb desselben Volks­
kreises gibt es in der sinnlichen Erfahrung und in allen Vermögen
Unterschiede, Unternormale (vorübergehend oder dauernd, also das
1 Aber das ist noch ungenau. Die Gemeinschaft muss als eine Allheit von Menschen
gefasst werden, die, sei es noch so mittelbar, in Erfahrungskonnex stehen.
BEILAGE XIII 231

erstere in der Krankheit, die jeden treffen kann) oder Übernormale


und auch dauernd Abnorme wie Farbenblinde, Taube etc. und eben­
so übemormal Verständige, unternormal, etwa Dummköpfe etc.,
auch Anorine als Idioten. Es handelt sich da um eine innerhalb der
5 Normalität im vorigen Sinn verlaufende Typik. Es ist konstituiert
eine Durchschnittlichkeit,1in welcher eben durchschnittlich genommen
so und so sinnlich Welt gesehen, gehört etc. wird und so und so beur­
teilt, gewertet, so und so praktisch gehandelt. Dem entspricht die Er­
fahrungswelt des Menschen in der Durchschnittlichkeit, was ihr erfah-
10 rungsmässig allgemein gesprochen zugehört12 und für „jedermann” in
ihr die Weltvorstellung bestimmt. Aber die durchschnittliche Welt­
vorstellung 3 ist nicht die Welt selbst, die für diese Menschheit über­
haupt geltende. Und schliesslich gehört auch das zum allgemein Be­
kannten und Mitgeltenden, dass es Ausnahmsmenschen, Übernormale
15 gibt, denen noch manches zugänglich ist, was nicht dem Durchschnitts­
menschen zugänglich ist.4
Die Welt in der Erfahrungsgestalt der Durchschnittlichkeit5 ist na­
türlich viel reicher als die a l l geme i ne Erfahrungswelt von Men­
schen, die zu allem Realen Zugang haben. Das Kind z.B., das alles
20 zwar „sieht”, aber so wenig noch „versteht” von der Menschen- und
Kulturwelt, ist kein Subjekt jener Durchschnittlichkeit der Reifen.
Die Erfahrungswelt hat für jeden Reifen 6 eine Typik, eine allgewohnte
typische Gestalt, auf die im praktischen Handeln beständig gerechnet
wird. Auch das muss sich konstituieren. Ein ungewöhnlich dummer
25 Mensch, ein Idiot, kann insoweit normal sein, dass er eine pure Reali­
tätenwelt mit den Normalen gemein hat, aber er ist wie ein Kind oder
noch dümmer wie ein Kind.
Ist nun schon alles in Ordnung? Stehen wir nicht in Abstraktion
und müssen wir nicht durch bewussten Abbau die richtigen deskrip-
30 tiven Abstraktionen gewinnen und von da aus in Schritten der Kon­
kretisierung zu der wirklich konkreten Welt und weltkonstituierenden
Subjektivität überführen als derjenigen, die ich, der Philosophierende,
als unsere Erfahrungswelt ansprechen kann ?
Muss ich nicht von der Grundtatsache ausgehen: Ich bin Subjekt
35 einer Welt, in welche ich menschlich hineinlebe und die immer schon
für mich ein Universum der Vorhandenheit ist, von Realitäten, auf die
ich <in> Erfahrung bezogen bin und die mich als erfahrene und erfahr­
bar für mich seiende „etwas angehen” oder „nichts angehen”, die po-

1 Bezogen auf die Typik der Lebensalter als der Entwicklungsstadien, aber auch
der Stände, der Berufsschichten.
2 Für jede Entwicklungsstufe.
3 Jedes Lebensalters.
4 Es gibt also nicht eine, sondern viele Durchschnittlichkeiten, unter ihnen eine
oberste oder mehrere oberste.
6 „Durchschnittlichkeit" nachträglich verändert in „Durchschnittlichkeiten”. —
Anm. d. Hrsg.
6 Seiner Gruppe.
232 „ C A R T E S I A N I S C H E M E D I T A T I O N E N ” 1931-1932

sitiv und negativ praktisch für mich in Frage sind ? In dieser Welt sind
für mich Andere vorhanden, aber sie sind zugleich Mitsubjekte der Er­
fahrung und der Praxis, in dieselbe Welt hineinlebend, und in Gemein­
schaft mit mir, praktisch und erkenntnismässig. Diese Welt als eine
5 und dieselbe für uns alle, in die wir alle in mittelbarer praktischer Ge­
meinschaft gemeinsam hineinleben, steht ihrem Sein nach in der Korre­
lation der Vorhandenheit fü r das Uns-angehen (einzeln und in Ver­
gemeinschaftung), und uns als Subjekten, die sie etwas angeht. Aus
dem aktuellen Angehen der Beschäftigung mit ihr nimmt sie immer
10 neuen Inhalt als vorhandene, als vorgegebene an. Das ist die Grund­
tatsache. Einheit dieser Welt für „uns alle” ist korrelativ Einheit der
miteinander unmittelbar oder mittelbar in Lebenskonnex, der erfah­
render, wertender und letztlich praktischer Konnex ist, stehenden
Menschen, wie diese Welt selbst für sie — für uns alle — praktische
15 Umwelt ist.
Wie nun zur He i mwe l t und von dieser weiterkommen, wie die
Heimwelt in ihrer konstitutiv fundierenden Gestalt durch Abbau be­
stimmen? Sollen wir sagen: Die Welt als Lebensumwelt, also prak­
tische Umwelt, hat einen unpraktischen Horizont, einen unerfahrenen,
20 unerfahrbaren, praktisch nicht bloss „ausser Spiel "gelassenen (was
schon praktisch wäre), sondern überhaupt für Praxis nicht in Frage
kommenden Horizont ? Das kann nur heissen, es liegt in der Art des
Seins und Lebens dieser Menschheit und ihrer Lebensumwelt, dass sie
sich in einer praktischen Erfahrungs- und Wirkungsendlichkeit hält,
25 dass die praktische Unmöglichkeit weitergehender Erfahrung die
Praxis, die Lebenswelt einengt und nur die leer-gedankliche Möglich­
keit einer weiteren Erfahrung übrig ist, die als praktisch undurchführ­
bar ausser Betracht bleibt, wie etwa die Lebenswelt eines Inselvölk­
chens, das ganz isoliert seine „Weltvorstellung” hat und seine Welt als
30 endliche Lebensumwelt. So kann überhaupt in verschiedener Weise
eine relative geographische und zunächst unüberschreitbare Grenze da-
sein und für die Lebenswelt bedingend. Es kann aber auch, während
schon ein weiterer Horizont von Menschen- und Weltdasein (andere
Lebenswelten) gebildet ist, eine Heimwelt, bzw. eine praktisch ge-
35 schlossene Umwelt in Endlichkeit (im wesentlichen) verbleiben.
Das gibt eine Stufenordnung relativer Normalitäten und Anomali­
täten und Stufen der Erweiterung „unserer” Welterfahrung und der
erfahrenen Welt als solcher. Genauer gesprochen, der Welthorizont
gewinnt immer neue Besetzung durch Erfahrungen und entsprechende
40 Korrekturen und Vorzeichnungen, wonach er aber immer eine Offen­
heit behält, und das sagt Unbestimmtheit, die immer wieder neue Be­
stimmung, Näher- und Andersbestimmung, durch Erfahrung als Vor­
zeichnungen annehmen kann. Wir sagen, der Mensch lernt durch fort­
schreitende Erfahrung seine relative Umwelt überschreiten, er lernt
45 d ie Welt immer besser kennen. Umgekehrt müssen wir transzenden­
tal sagen, er konstituiert für sich mit einem immer reicheren Sinn die
Welt, die ihm gilt, aber nur mit einem unbestimmten Horizont gilt.
BEILAGE XIII 233

In dieser Relativität baut sich überhaupt in der lebendigen konsti­


tutiven Genesis die konkrete Welt auf als Welt für den im allgemein­
sten und erweiterten Sinn normalen Menschen. Er ist nicht mehr bloss
der Normale seiner Heimwelt, sondern der Normale der in syntheti-
5 scher Erweiterung der Umwelten zu gewinnenden Menschen- und
Welterkenntnis. Von meiner Heimwelt aus, als Welt einstimmiger in­
tersubjektiver Erfahrung der mit mir Einheimischen, ist für mich und
uns schliesslich jeder Fremde normal, sofern er verstanden ist so wie
ich und wir Einheimischen als Subjekt seiner in einstimmiger Erfahrung
10 konstituierten Heimweit, bzw. als Genosse seiner Gemeinschaft Ein­
heimischer, verbunden durch einstimmige Erfahrungsgemeinschaft.1
Den Fremden so verstehen, so apperzipieren ist selbst eine noch un­
bestimmtere Horizonterfahrung; zu wirklich explizitem Verstehen, zu
wirklicher Erfahrung des Anderen und sich voll herstellender Erfah-
15 rungsgemeinschaft mit ilnn gehört, dass ich seine Heimwelt, die für
ihn jeweils vorhanden ist, wirklich kennenleme bzw. die heimatliche
Menschheit in ihrem umweltlichen Leben, Wirken, Schaffen, in der
diese Heimwelt ihren Seinssinn bekommen hatte und noch weiter be­
kommt. Diese Kenntnis verschafft wissenschafthch-methodisch die
20 Geisteswissenschaft als Wissenschaft vom Menschen in seiner Heim­
welt und weiter von den Menschheiten in ihrem auf relative Umwelten
bezogenen und doch in Verbindung tretenden Kulturleben.12
Aber ist so der primitive Mensch nicht Mensch einer primitiven
Heimweit und somit nicht im selben Sinn normal? Natürlich.
25 Es ist nun aber zu überlegen: Eine erste seiende Welt habe ich (in
meiner kindlichen Genesis) als einstimmig erfahrene Heimweit meiner
Einheimischen. Verstehe ich nun Fremde als Subjekte ihrer Heimge­
nossenschaft und ihrer anderen Heimwelt, so ist diese für mich zu­
nächst ihre vermeinte Welt, und es ist die Frage, inwiefern ich und wie
30 weit ich ihre (der Fremden) Erfahrungsgeltungen im Nachverstehen
ü b e r n e h me n , also zu einer Synthesis ihrer Heimwelt mit der mei-
1 Was soll das aber konkreter heissen? Zunächst, ich lerne als Subjekt einer Heim-
weit Fremde kennen und eine fremde Heimwelt als von Fremden vermeinte, mir
„unverständlich” bis auf die allgemeinste verständliche Form ihrer Vermeintheit.
Da ist Gemeinsamkeit und Differenz und <der> Unterschied zwischen <der> Tatsache
der Koexistenz der Fremden und ihrer „Weltvorstellung”, ihren Weltverhaltungs­
weisen, und der Frage der Wahrheit. Die Erfahrungswelt ist praktische Welt im Sinn
der Heim weit. Und so scheidet sich erst s e i e n d e W e l t und H e i m w e 11 dadurch,
dass nun mehrere Heimwelten sind und ihr verschiedenes praktisches Gesicht dabei
haben.
2 Natürliche Entwicklung des Menschen zum Menschen seiner Heimwelt von der
Kindheit her; die Heimwelt als ihm geltend, das Korrelat. Dann aber Probleme der
Historie, der Entwicklung der Heimwelten und Menschheiten in Korrelation und im
Miteinander. — Unsere heimische Natur, unsere Geschichte, in der wir geworden
sind und unsere Umwelt historisches.Gesicht, Kulturgesicht <erworben> hatte. Ihre
<der Fremden» Heimwelt, ihre Geschichte. Kann ich anders als im Nach verstehen,
wenn es wirklich gelänge, mich sozusagen durch historische Einfühlung in sie verset­
zen, mit ihnen leben, mich entscheiden, ihnen zustimmen? Ist Welt eine fortschrei­
tende Synthesis historischer Endlichkeiten ? Die Wissenschaft — die Phänomenologie
und die Unendlichkeit.
234 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

nen fortschreiten kann. Wie komme ich, und muss ich kommen, zu
einer übergreifenden Einstimmigkeit? Aber kann ich nicht von mei­
nem transzendentalen Boden aus meiner Primordialität, meiner .Ein-
fühlung und durch sie meiner möglichen Gemeinwelt wesensmässig er-
5 forschen, welche Struktur eine Welt überhaupt als eine Heimwelt ha­
ben muss und welche Struktur eine einstimmige Welt überhaupt,
durch welche Synthesen welcher Heimwelten immer sie für mich <in >
relativem Sinn (relativ durch ihren offenen Horizont) zustande kom­
men mag, in Wesensnotwendigkeit haben muss, also auch die Wesens-
10 Struktur einstimmiger, sei es auch internationaler, interkultureller Er­
fahrung, und die Wesensformen möglicher wechselseitiger Korrek­
turen?; Heimweltliche, nationale und sonstige Einstimmigkeit relativ
abgeschlossener Menschheiten ist noch keine universale Einstimmig­
keit. Im Wesen der kontinuierlich sich bewährenden Einfühlung liegt,
15 dass wir Beteiligte im Miteinander auf di es el be Welt bezogen sind,
derselben Heimmenschheit angehören. Das schliesst im einzelnen
Fall, wo ich mit einzelnen zu tun habe, aber auch wo Gemeinschaften
in Frage sind, nicht wechselseitige Korrekturen aus, ja die Möglichkeit
solcher ein. Es ist also nicht gesagt, dass ohne weiteres, was ich als
20 Welt einstimmig in Erfahrung habe, seine Einstimmigkeit auch behält
als Teil der begründeten einstimmigen Synthesis meiner und Anderer
Erfahrungen und Erfahrungseinstimmigkeiten. Die Frage ist nicht,
wer da in seiner Immanenz der Erfahrung den Vorzug hat, sondern wie
es mit der Gemeinschaft der beidseitigen Gesamterfahrungen in ihrer
25 möglichen oder herzustellenden Synthesis der Einstimmigkeit steht.
Stellt sie sich her, und sogar in Synthesis mit immer neuen Menschhei­
ten her, so kann immer noch die Frage nach der Endgültigkeit dieser
Einstimmigkeit gestellt werden, oder vielmehr, es ist immer wieder die
Einstimmigkeit eine relative und in Bewegung. Die Erfahrung, Einzel-
30 und Gemeinschaftserfahrung, steht nicht still. Es ist dabei zu beden­
ken, dass ich die mir seiend geltende Welt auslegend und die Geltung
von mir aus, auf Einstimmigkeit als Korrelat des Seins bedacht, korri­
gierend, doch nicht Welt als die meiner bloss privaten Überzeugungen
im Auge habe, sondern die Welt für alle. D.h., in mir der Anderen Er-
35 fahrungen und Einstimmigkeiten nachverstehend, lasse ich sie gelten
als meine Welt mitkonstituierend, solange als Erfahrungsunstimmig­
keit nicht zur Durchstreichung führt und ihre Erfahrungen sich als
täuschende Illusionen mir enthüllen. Hier habe ich die Möglichkeit,
von meiner Erfahrung aus, der unmittelbaren, eigentlichen, primordia-
40 len aus, die Wesensmöglichkeiten der einstimmigen Einfühlung ver­
schiedener Stufen und der durch Synthesis herzustellenden Einstim­
migkeiten zu erforschen, in Rechnung ziehend die möglicherweise mit­
geltenden Anderen und ihre Erfahrungsgeltungen, dadurch eine mög­
liche Erfahrungswelt als Umwelt aller in der Einheit einer Erfahrungs-
45 gemeinschaft stehenden Mitmenschen und einer verbundenen Mensch­
heit überhaupt zu umzeichnen, und zwar in offener Unendlichkeit.
Das wird die Aufgabe einer t r a n s z e n d e n t a l e n Äs t h e t i k ,
BEILAGE XIII 235

einer transzendentalen „Empiriographie” ergeben, die eine allmensch-


heitliche Erfahrungs- und Erfahrungsweltstruktur entwirft, die als
Norm der Kritik der relativ einstimmigen Erfahrungswelten und
Meinungswelten irgendwelcher Menschheiten zu dienen hat. Zur em-
5 piriographischen (transzendental-ästhetischen) Sphäre gehören die
Menschen selbst und ihr Bewusstseinsleben, die Menschheiten, ihre
vermeinten Umwelten als solche und die ständige Lebensbewegung, in
welcher die bewegliche Lebensumwelt der Allgemeinschaften, der
Heimgenossenschaften stehend-strömend sich wandelnde ist und ihre
10 Einheitlichkeit und innere Typik relativ erhält; korrelativ die Seins­
weise der Menschen, ihr Sein im Werden, ihre Persönlichkeit von Kind­
heit reifend und fortentwickelnd, dabei die Gemeinschaft in Gemein­
schaften, etc. Das alles als im weitesten Sinn Psychologisches und Psy­
chisches. Sofern aber die Aufgabe eine transzendentale ist, sind die
15 Menschen zwar transzendentale, also absolute Subjekte geworden, und
zwar Subjekte, die in sich transzendental eine vermeinte und rela­
tiv auf sie einstimmige „Welt” konstituiert haben. Zugleich sind sie
aber in Frage als konstituierende Mitsubjekte für die Welt, die in
Erfahrungswahrheit die meine und dieselbe für alle Mitsubjekte ist,
20 die sich in einer möglichen Einstimmigkeit der intersubjektiven Er­
fahrungen konstituiert, also die Frage ist, ob und wie meine und aller
transzendentalen Mitsubjekte Erfahrungen und relative Erfahrungs­
einstimmigkeiten zu einer universalen für immer in infinitum fortzu­
führenden Einstimmigkeit zu bringen sind in dem angezeigten und
25 mehr oder minder verwirklichten Konnex mit den fremden Heim­
genossenschaften etc., bzw. der offenen Beweglichkeit der Konnex­
bildung.
Wir sehen, die Frage nach der transzendentalen Konstitution der
für mich seienden Welt hat ihre Stufen; die nächste ist die Stufe der
30 Konstitution einer einstimmigen Hei mwel t . Und das Formale die­
ser Untersuchung bringt es mit sich, dass damit für mich auch das
Problem gelöst ist, wie irgendein für mich seiender Fremder einer frem­
den Heimwelt Heimwelt überhaupt konstituiert, wofern eben dieser
wesensmögliche, offen endlos mögliche Fortgang in der Fremdheit und
35 der Ausweisung einer fremden Heimgenossenschaft vorher aufgewie­
sen und geklärt ist.
Das zweite ist das Problem der Kritik einer Heimwelt im Horizont
fremder Heimwelten, bzw. der Kritik einer universalen Erfahrung, die
über alle synthetisch zu verbindenden Heimwelten Einheit herstellen
40 soll, bzw. eine wahre Welt herstellen. Die Frage betrifft nicht das
Faktum, sondern die Wesensmöglichkeit, also die Wesensform einer
durch die bloss relativen Heimwelten und ihre Synthesen reichenden
absoluten Einstimmigkeit der Erfahrung ins Unendliche.1
Zur Wesensform der Heimwelt und Heimgenossenschaft gehört
45 schon eine gewissen Struktur. Jede Heimwelt hat ihre Offenheit, die es
1 Problem, der Kritik = Problem des echten relativen Sinnes.
236 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

als möglich erscheinen lässt, dass sie sich heimwelthch forterhält und
raumzeitlich erweitert. Zur Heimweh gehört vor allein die Formstruk­
tur der erfüüten Raumzeitlichkeit, der Aufbau aus einzelnen Realitä­
ten in raumzeitlicher Ordnung, in Modis der Zeitigung, in raumzeit-
5 hcher Gestalt und nicht nur Lage hinsichtlich des raumzeithchen In­
halts: die Kernstruktur blosse Natur usw. Da ergeben sich dann be­
sondere Fragen: z.B. Bedingungen der Möglichkeit einer Identität
eines Naturdinges als Gegenstandes möglicher Erfahrung, und zwar
einer allheithch einstimmig durchzuführenden Erfahrung.
10 Das Studium der Konstitution schon der Natur in der Heimsphäre
führt auf die Relativität der Konstitution: sinnhch normal erfahrene
Natur, Natur bezogen auf eine sinnhch normale Heimgemeinschaft
und Identität der Natur für sinnhch Anomale in Synthesis mit sinn­
hch Normalen. Aber schon im einzelnen Individuum normale Konsti-
15 tution und anomale von demselben.
Das überträgt sich ins Zwischenheimathche. Es wäre z.B. denkbar,
dass die alten Griechen wirklich in Relation zu unseren neueren Völ­
kern in bestimmter Weise farbenblind gewesen wären, obschon doch
die erfahrene Natur im Wesen dieselbe wäre.1
20 Die wahre Natur als synthetische Einheit aller normalmenschheit-
hchen Erfahrungen (normal im vorigen Sinn) ist eine Idee, sie leitet
die Wissenschaft und ihre „Idealisierungen", und Wissenschaft er­
möglicht dann die Antizipation aller relativen, bloss sinnhch erfah-
rungsmässigen Naturen und korrelativ ihre konstitutiven Systeme. Die
25 Natur des Normalen in seinem Absehen von den Vorkommnissen der
sinnlichen Anomalität wird zu einem bloss relativen und „subjektiven”
Aspekt der wahren Natur als Idee. Die Natur aus wirklicher und mög­
licher Anschauung, in Einheit eines universalen „Bildes” gedacht, ist
unerachtet ihrer Unendlichkeit ein blosser Aspekt, aber durch diese
30 Aspekte hindurch konstituiert sich synthetisch auf Grund dieser „Er­
fahrung” intuitive Identität.12

BEILAGE XIV
<ZUM PROBLEM DER WELTANSCHAUUNG. UMWANDLUNG
FREMDER ERFAHRUNG IN MÖGLICHE EIGENE >
35 (2. Oktober 1932)

1) Wi e d e r h o l u n g der urmodalen strömenden Gegenwart meines


ego in e r i n n e r e n d e r M o d i f i k a t i o n — in stetiger Iterierbar-
keit.
1 Es handelt sich dabei offenbar um Probleme der Geschichtlichkeit, in der Mensch­
heiten sind, die Art, wie sie eine einzige Geschichte konstituieren, wie weit diese
reicht etc.
2 Das Problem der Koexistenz, der Möglichkeit einer Unendlichkeit von Heim­
welten in mittelbarem Konnex in Beziehung auf das Problem der Konstitution einer
BEILAGE XIV 237

Das ergibt das primordiale egologische Leben in seiner „Immanenz”


(immanente Zeitigung). Darin Konstitution der „transzendenten” Ob­
jektivitäten, universal der Welt, zunächst die abstrakte Schichte der
„primordialen Welt” (primordiale weltliche Zeitigung). Objektive Ge-
5 genwart, Vergangenheit und Zukunft als erscheinende: objektive Ge­
genwart selbsterscheinend als Wahrnehmung, ein immanent selbstge­
genwärtiges Erlebnis, in der immanenten Gegenwart erscheinend die
objektive Gegenwart. Vergangenheit in der immanenten Wiedererinne­
rungsmodifikation erscheinend als objektive Vergangenheit — in der
10 immanenten Gegenwart erscheint wiedererinnerungsmässig vergange­
ne immanente Gegenwart, aber als vergangene Wahrnehmung, und so
trägt sie in sich wahrgenommenes Objekt in der intentionalen Modifi­
kation „vergangenes Objekt”, Objekt der vergangenen Zeitlichkeit
usw.
15 Objektiv in Wahrnehmung als selbstda Erscheinendes und sein
Horizont potentieller „erinnernder” Vergegenwärtigungen, durch die
sich das erscheinende Objekt in seiner Vielseitigkeit etc. selbst zeigt,
hätte zeigen können etc. „Mögliche Erfahrung”, mögliche Wahrneh­
mung, Erinnerung etc., als Erinnerungsmodifikation, frei tätig in der
20 immanenten Sphäre zu erzeugende Immanenzen, also immanente Er­
innerungen, in denen vermöge ihrer immanent auftretenden Modifika­
tionen objektive Gegenwart und damit modifizierte Gegenwarten sich
erscheinungsmässig konstituieren — in Einstimmigkeit der Seinsge­
wissheit. Dazu mögliche Unstimmigkeiten der objektiven Erscheinun-
25 gen (wie schon der immanenten Erinneningserscheinungen), Modali-
sierung. Endlich die Geltungsmodifikation aller Modi als Phantasie
(Neutralitätsmodifikation). Die Zeitkonstitution abermals Konstitu­
tion durch modifizierende Wiederholung, iterativ.
2) E i n s c h a l t u n g der E i n f ü h l u n g s m o d i f i k a t i o n und
30 i h r e r I t e r a t i o n — abermals eine Abwandlungsform der Erinne­
rung, aber aller primordialen Erinnerungen und ihrer Modifikationen:
in der Immanenzsphäre ein Übersteigen der Immanenzsphäre in Form
von primordialen Immanenzsphären, die den Sinn fremder haben. In
der eigenen Primordialität kommen diese fremden zur „Vorstellung”,
35 und in Seinsgewissheit, durch eine Erinnerungsmodifikation höherer
Modifikationsstufe, die eben das ganze primordiale Sein modifiziert
und in dieser Modifikation zur Seinsgewissheit bringt. Alle früheren
Iterationen und Iterationsmöglichkeiten nunmehr wiederholt in Modi­
fikation. Dazu die neue Iteration dieser Modifikation selbst: Andere
40 der Anderen usw. Dann korrelativ konstituierte objektive Welt als
Welt für mich in eins mit den in meiner Immanenzsphäre erschlossenen
Anderen und Anderen der Anderen etc. Die primordiale Zeiträumlich­
keit wird zur allsubjektiven Zeiträumlichkeit. Die für mich als egomit-
einander vergemeinschafteten Primordialitäten sind konstituiert als
unendlichen Natur aus den unendlichen heimweltlichen Naturen bietet noch andere
Seiten, die grosse Untersuchungen erfordern.
238 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

eine vergemeinschaftete intersubjektive Immanenz mit Ichsubjekten,


die füreinander aktuell und potentiell da sind, in diesem Füreinander-
da in soziale Akte treten können etc. In dieser Vergemeinschaftung'der
Immanenzen eine Vergemeinschaftung der Welterscheinungen aller
5 einzelsubjektiven Primordialitäten und intersubjektive Konstitution
eben der einen objektiven Welt für alle, d.i. als im Durchgang von der
eigenen Primordialität zu den sich in ihr „erinnerungsmässig” pekun-
denden durch motivierte Mitgeltung (abgesehen von Modalität und
Korrektur) sich in ihren Wirklichkeiten und Möglichkeiten zeitigend.
10 Ich verfüge nicht nur über meine primordialen Erinnerungen, sondern
auch die fremden Erinnerungen (in allen Stufen, die fremden realen
Wahrnehmungen, realen Wiedererinnerungen, Erwartungen, „mögli­
chen” Erfahrungen für unwahrgenommene Gegenwart, für nie wahr­
genommen gewesene Vergangenheit etc.) sind für mich wie für jeden
15 verfügbar.
D as P r o b l e m in e x e m p l a r i s c h e r F o r m u l i e r u n g :
„Selbstverständlich ka n n ich und j e d e r m a n n in sich eine
einheitliche Weltanschauung bilden, als ob Welt Einheit s ei ner ei­
genen möglichen Erfahrung (in seiner eigenen Primordialität) sein
20 könnte. Wie kann ich ihr Geltung geben, ja sie gibt sich doch schon als
Evidenz?” Problem der Kritik dieser Evidenz.
Ich bin mich erinnernd bei meinem vergangenen Ich und seiner in­
tentionalen Gegenwart, der ihm erscheinenden im Wie. — Ich bin mich
in den Anderen einfühlend bei „meinem” anderen Ich, bei seiner Im-
25 manenz und seinen Erscheinungen, dem ihm Erscheinenden im Wie.
Geschieht das in Anschaulichkeit, so habe ich eine gewisse intentionale
Modifikation von Erinnerung, und zwar hinsichtlich seines Wahmeh-
mungsfeldes ist es eine mit-gegenwärtigende Erinnerung ähnlich wie
eine nicht einfühlungsmässige Mitgegenwärtigung bei primordial mir
30 mitgegebenen Objektseiten, indem ich mir sie jetzt anschaulich mache:
hier als mögliche Wahrnehmung, die ich künftig haben würde, wenn
ich entsprechend „hinginge”, das unverändert gedachte Objekt ist
dabei bestimmend, oder wenn ich früher mein Wahmehmen passend
dirigiert hätte. Sage ich statt dessen, ich vergegenwärtige, wie das
35 Objekt aussehen würde, wenn ich statt hier dort stände, so hegt darin
nicht minder horizonthaft die Potentialität im System meiner kin-
ästhetischen Vermöglichkeiten und der zugehörigen Erscheinungssyn­
thesen als möglichen Wahrnehmungen.
In der Einfühlung ist der Andere als entsprechendes Vermögens-Ich
40 vergegenwärtigt in der neuartigen Modifikation. Als das ist es eine
neue „Wiederholung” des in meiner Primordialität Gegebenen. Mich in
meiner Sphäre erinnernd sage ich: Es ist, als ob ich im Damals jetzt
wäre, aber das Damalige ist nicht jetzt, es vergegenwärtigt einen Zu­
sammenhang der Erinnerung mit möglichen Folgen von Erinnerungen
45 innerhalb eines möglichen Erinnerungssystems.
Das dem Anderen Gegenwärtige ist aber für mich Mitgegenwart, und
in einem Nahfeld habe ich Identitätssynthesis zwischen einer prim-
B EI LA G E X I V 239

ordial erreichbaren Mitgegenwart und der einfühlungsmässigen. An­


dererseits aber ist, was ich als bestimmt eingefühlte Mitgegenwart er­
fahre, eine Miterfahrung, durch die ich mein Feld des primordial Be­
kannten synthetisch erweitere. Meine Kenntnis meines Objekts, des
5 von mir erfahrenen, bzw. meines Objektfeldes reicht nun weiter, als ob
ich selbst hingegangen wäre etc. Nun habe ich aber auch mittelbare
Einfühlung, freilich durch indirekte, etwa sprachliche Mitteilung, und
da komme ich auf Erweiterungen, die mein Vermögen überschreiten.
Insbesondere aber nicht hinsichtlich der bestimmten Mitgegenwart,
10 sondern hinsichtlich der Vergangenheit, und von da gewinne ich indi­
rekte Indikationen (Induktionen) für das, was in der Gegenwartswelt
ist — da, wie ich voraus gewiss werde, aufweisbar sein muss, vorfind-
bar, obschon es in der Gegenwart nicht vorgefunden wurde und nicht
aus der erweiterten Gegenwartszeit in den Bekanntheitsbereich des je-
15 weils aktuell Wahrgenommenen schon aufgenommen ist.
Ich kann mich in alle Zeiten versetzen, in alle historischen Zeiten,
bezogen auf die generativen und kommunikativen Menschheiten in der
Einheit einer Menschheit. Ich „interpretiere” Sonne, Mond, Sterne,
Milchstrassen etc. als ferne Körper, ihre Erscheinungen als Femer-
20 scheinungen, zu denen wie in meiner nächsten Umweltsphäre Naher­
scheinungen gehören müssten. Ich kann mich überall hinversetzen?
Ich kann mir denken, dass ich, wie ich in meiner Nahwelt bald bewegt
bin und mich bewege, auch den fernen und fernsten Raum durch Be­
wegung erreichen könnte — mein faktisches Vermögen reicht dazu
25 nicht hin und es ist notwendig endlich. Und ich weiss, dass die Sonnen­
hitze, wenn ich zu nahe käme, mich vernichten würde — aber auch
einem Hochofen kann ich nicht zu nahe kommen. Wie kann ich alle
Erscheinungen meiner Primordialität apperzipieren mit einem Seins­
sinn, der für alle Körper ein gleiches System möglicher Erfahrungen
30 in Geltung hat, und wie kann ich alle Erscheinungssysteme, bzw. alle
primordialen Dinge und Welten, die eigenen und fremden, als eine
Welt aus einem homogenen Erscheinungssystem ansehen, und zwar so,
dass ich, was die eingefühlten Systeme ergeben, genau so behandle als
wie die eingefühlten Systeme der Nahsphäre, die ich als solche selbst
35 realisieren kann in eigenen Erfahrungen ?
Wie verstehe ich dies, dass ich anschaulich die Welt mir vorstellig
machen kann, sie in alle Unendlichkeiten hinein veranschaulichend,
und zwar ganz wie wenn es in der Tat mögliche Erfahrungen für mich
wären? Was jeder Andere erfahren kann und hätte erfahren können,
40 behandle ich nachverstehend so, als ob ich es ebenso könnte (evtl, als
ob ich nur zufällig gehemmt wäre); was Andere dereinst erfahren hat­
ten, behandle ich so, als ob ich es, wenn nicht wirklich erfahren hatte,
so doch hätte erfahren können. Meine endliche Zeit ist doch unüber-
schreitbar auch in dem, was ich früher hätte aktualisieren können, wie
45 in dem, was ich künftig verwirklichen kann. Aber ich tue so, als hätte
ich Zeitflügel, als hätte ich ein Vermögen der Bewegung durch alle
Zeiten, als könnte ich eine Einheit der Weltanschauung, einer mögli-
240 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

chen Welterfahrung konstruieren als mir eigene, in der ich in unend­


licher Immanenz alle Unendlichkeiten der Erfahrung durchlaufen
könnte. Jede Weltkenntnis, die mir auf dem Wege über Andere zuteil
wird, verwandle ich in eigene mögliche direkte Erfahrung.
5 Und doch kann das nicht ernstlich ein System möglicher eigener,
primordialer Erfahrung sein. Die Weltanschauung, die so in injinitum
zu bilden ist von mir und so von jedermann, kann unmöglich eine
wahre universale Weltanschauung sein. Denn wie steht es mit der zur
Welt gehörigen menschlichen Subjektivität — auf sie bezieht sich
10 doch auch die zu konstruierende Weltanschauung?
Wenn ich mich in das Getriebe der platonischen Akademie hinein­
versetze, so bin ich doch der Deutsche von heute, und die Anschauung,
die ich von diesem Getriebe erzeuge, hat nur Sinn als Einfühlung in
einen mitgegenwärtigen Griechen, bzw. in den einen und anderen Aka-
15 demiker selbst. Mein Durchwandern der Geschichte und der damaligen
Welten ist ein ständiges Sich-einfühlen, und die damaligen Welten
sind die nachzuverstehenden Umwelten der damaligen Menschen.
Freilich, E i n f ü h l u n g selbst ist sozusagen De ckung des eigenen
Ich und Ichlebens mit seinen Erscheinungen und denen des Anderen.
20 Die fremden Erscheinungen sind intentionale Modifikation, sie sind
inhaltliche Abwandlungen, in demselben Sinn wie meine eigene mög­
liche Erfahrung eine Abwandlung ist meiner wirklichen Erfahrung.
Ich, der ich jetzt bin, wie ich bin (wozu die Vermöglichkeiten dieses
Sich-versetzens gehören), bin eben nicht in Wahrheit das Subjekt, das
25 damals, das in antizipierter Zukunft nach Jahrtausenden in der'Him­
melsfeme, in die ich mich hinversetze, wirklich war, ist, sein wird, son­
dern das gegenwärtige, das sich „hinversetzt”. In meiner Vergangen­
heit hat das Zurückversetzen einen anderen Sinn, den Sinn des „das
war ich”, und ich, der ich jetzt bin, bin der zugleich, der war. In den
30 anderen Fällen, da bin ich es, der diese Mitsubjekte hat und in mir ihr
Sein gegeben hat als mir mitgeltend, aber in der Weise Anderer, und
diese als Subjekte von Erscheinungen, die in der Einstimmigkeitssyn-
thesis für mich mitgelten, aber gelten als die, die ich nur in meinem
endlichen Umkreis selbst haben könnte usw.
35 Aber durch sie hindurch gewinne ich erfahrend nicht nur ihr Leben
und Mitgeltung ihrer Erscheinungen, dadurch die gemeinsam geltende
und seinsmässig auszuweisende Welt für uns und schliesslich alle, son­
dern ich kann auch, wie hinsichtlich meines beschränkten eigenen Le­
bens und meiner Erfahrungssphäre, so auch hinsichtlich ihrer und der
40 Welt für alle „theoretische”, uninteressierte Einstellung gewinnen und
als iminteressierter Betrachter „anschauend”, für Sein interessiert, Welt
durchlaufen und von ihren bekannten Wirklichkeiten, aber auch von
ihren Spielräumen der Möglichkeit Kenntnis gewinnen. Dazu gehören
auch die Menschen und ich selbst als Mensch der weltlichen Gegen-
45 wart.
Aber bleibt hier nicht ein Problem übrig?
Indem ich die Synthesis verfolge, die eigene Erscheinungen mit
BEILAGE XIV 241

ihren primordialen Erscheimmgshorizonten mit denen des unmittel­


baren Anderen als simultane von denselben gegenwärtigen Objekten
verbindet, mein totales Wahrnehmungsfeld und meinen zugehörigen
totalen (primordial reduzierten) Horizont mit Wahrnehmungsfeld und
5 Horizont des Anderen; wenn ich dann den Mittelbarkeiten nachgehe,
der Synthesis der verschiedenen primordialen Vergangenheiten und
Zukünftigkeiten, so ergibt doch diese Synthesis schliesslich ein univer­
sales intersubjektives Erscheinungssystem für die Welt, ganz so wie
in mei ner P r i m o r d i a l i t ä t jedes Ding und die ganze primordiale
10 Welt jedes sein Erscheinungssystem hat. Dieses Erscheinungs­
system summiert sich nicht nur mit dem in der universalen Ein­
fühlung erfahrenen und erfahrbaren Erscheinungssystem, sondern wir
haben eine objektive Welt, in ihr jedes Objekt als Einheit seiner wirk­
lichen und möglichen Erscheinungen, jedes hat sein System möglicher
15 Erscheinungen, und dieses ist nicht eine äusserliche Summe der Sy­
steme der einzelnen Subjekte, sondern eine in ihrer verständlich zu ma­
chenden intersubjektiven Synthesis konstituierte intentionale Einheit.
Hier ist nun das Merkwürdige und Problematische, dass das Erschei­
nungssystem jedes Objektes, und jedes im universalen objektiven Zu-
20 sammenhang, wie es scheint und evidenterweise, von jedem Ichsubjekt
so konstruiert und beschrieben werden kann, als ob es nur ein ins Un­
endliche forterstrecktes primordiales System wäre. So scheint es doch,
und scheinbar sogar in Evidenz. Zwar benützen wir beständig auch die
Einfühlung und hinsichtlich der Natur ihre die Geschichte überschrei-
25 tende eigene naturhistorische Vergangenheits- und Zukunftsbekun­
dung, aber wir gewinnen doch eine einheitliche Anschauung, die
wirkliche eigene Erfahrungsmöglichkeit mit Erfahrungsmöglichkeiten,
und im Bewusstsein ihrer Geltung, verbindet, die unsere Erfahrungs­
möglichkeiten nicht sind, und doch ganz so verbunden werden, als ob
30 sie es wären. Wie können sie dann aber uns gelten ? Hinsichtlich der Er­
fahrungen fremder Subjekte sind es wenigstens Möglichkeiten, die für
Andere gelten und im Konnex uns mitgelten. Aber gleichwohl: wir ver­
binden sie mit den eigenen wirklichen nicht als von ihnen her geltend,
sondern als ob das Sein der Anderen dabei irrelevant wäre. So, wenn
35 wir etwa, wie unvollkommen immer, eine erinnernde Anschauung uns
bilden von dem Wachstum und den sukzessiven Seinsstadien des Fei­
genbaumes, unter dem Buddha gelehrt hatte und der durch die Jahr­
tausende sich erhält bis zur Gegenwart (wie man sagt), oder von Rom,
wie es von Romulus’ Zeiten her bis zur Gegenwart war. Natürlich mei-
40 nen wir bei solcher, sei es auch hypothetischen Konstruktion, dass Rom
von Anderen in verschiedenen Stadien so gesehen worden sei oder hätte
sein können. Aber unsere einheitliche Anschauung setzt doch nicht die
Anschauungen Anderer zusammen, obschon sie auf Grund derselben,
der Nachrichten Anderer gebildet worden ist. Für uns ist es Einheit
45 einer anschaulichen Wandlung, die nicht anders beschaffen ist als die
eines endlichen von uns selbst in unserer eigenen Primordialität gesehe­
nen Vorgangs.
242 .CARTESIANISCHE MEDITATIONEN'’ 1931-1932

Was aber die universale Natuxanschauung aufgrund der Naturhi­


storie anlangt, so kümmert sie sich nicht um die Unmöglichkeit einer
Vergangenheitsanschauung, die hinter meine Geburt zurückgeht.
Ist diese Weise des sich Welt und alles Weltliche Anschaulichma-
5 chens eine naive Fortführung der Weltanschauung im Rahmen der
normalen Menschengemeinschaft ? Aber auch hier ist nicht klar, wie
die intersubjektive Synthesis der normalen Anschauungen reduziert
wird auf eine beliebig forterstreckte und schliesslich unendliche An­
schauung in der eigenen normalen Primordialität.
10 Wie ist die Bildung einer solchen „Weltanschauung” motiviert und
wie kann sie sich erhalten — wie ist an ihr Kritik zu üben und <wie
können > die Grenzen, in denen sie nützlich sein kann, verständlich
gemacht werden?

BEILAGE XV
15 <VERGEGENWÄRTIGUNG VON UNZUGÄNGLICHER NATUR
UND EINFÜHLENDE VERGEGENWÄRTIGUNG > 1
(<August oder> September 1931)

Astronomie, Geologie, Paläontologie, universale erdzeitliche Natur­


geschichte, Phylogenese etc.
20 Die dem Menschen unzugängliche Welt, unzugänglich, weil seine
organische Leiblichkeit an ein kausales Milieu gebunden ist, dessen
typische Änderung organisches Dasein zerstört. Gebiete der Welt, wo
Menschen und Tiere nicht leben können; andererseits die Sterne als zur
Einheit der Natur, der ins Unendliche reichenden Natur, gehörige
25 Körper, auf denen als Wohnstätte bei günstigen umweltlichen Be­
dingungen organische Wesen, Tiere, Menschen, leben könnten.
Wie sind Dinge, die doch ihren ursprünglichen Sinn aus der Nah­
weltlichkeit konstituierenden Erfahrung, der „sinnlichen” Erfahrung,
gewinnen, erfahrbar, ausweisbar, wenn es zum Seinssinn der organi-
30 sehen Wesen gehört, dass sie umweltlich gebunden sind, dass also jede
„sinnliche” Vorstellung von den Femgebieten der Natur unmöglich
ist ? Operieren wir nicht trotzdem auch für diese Unzugänglichkeiten
mit Erfahrungsvorstellungen der Nähe, stellen wir nicht die Himmels­
körper wie Körper aus unserer Nähe vor, heben wir die Perspektivie-
1 Auf diesen Text weist Husserl durch eine besondere Notiz, die er in den Zu­
sammenhang der Texte über „Einfühlung” im Konvolut E I 4 gelegt hat: „Zu E i n ­
f ü h l u n g nicht die wichtigen Schlussblättchen qn, qj2 in FF (September 1931) ver­
gessen, worin die anschauliche Vergegenwärtigung der durch naturhistorische Indi­
kation konstituierten Weltfernen (der unzugänglichen) als Vergegenwärtigungsmodus
gleichgestellt wird der einfühlenden Appräsentation, die auch ein prinzipiell Unzu­
gängliches indiziert und anschaulich gemacht appräsentiert. Beiderseits .Analogi-
sierung’ mit Zugänglichem, wo das Analogisierte an sich unzugänglich ist” (Ms.
E I 4, S. 27a). Das betreffende Manuskript FF befindet sich heute im Husserl-Archiv
im Konvolut A VII 17, das über „Weltanschauung” handelt. — Anm. d. Hrsg.
B E I L A G E XV 243

rung auf, machen wir uns nicht auch in der Physik „Modelle”, wo
von Sichtbarkeit und dgl. doch keine Rede sein kann ? Denken wir uns
den flüssigen Zustand der Erde bei ungeheuren Temperaturen nicht so,
wie wir uns schmelzendes Metall und dgl. aus wirklicher Erfahrung her
5 denken ? Festes kann flüssig werden, kann schmelzen,1 nun auch die
feste Erde. Ich denke das Schmelzen in der Indikation so, als ob ich
doch dabei wäre und es sähe — und ebenso die Vereisung in der Eiszeit
oder die Ichthyosaurier, als ob ich im Meer, in dessen Temperatur ich
nicht leben könnte, schwimmen und diese Ungetümer sehen würde, wie
10 ja auch für das Meer, wie es in den gewaltigen Tiefenschichten ist. Ich
sehe mit den Augen der indizierten Tiere, nachverstehend, so könnte
man hier sägen.
Was ist das für ein Anschaulichmachen — Sehen, Erfahren-als-ob,
worin sich das Als-ob-Erfahrene konstituieren würde — als ob. Ich
15 bin, ich konstituiere in beständiger Apperzeption, in beständiger Ana-
logisierung durch Fortgeltenlassen des Alten und Auffassen des Neuen
nach Analogie des Alten. Ich spreche von Gestalt, Grösse etc., als ob es
sich um ferne Punkte handelte oder Fernperspektiven, die ich oder wir
in Nahperspektiven, in ein Optimum verwandeln könnten. Was be-
20 deutet dieses „als ob” ? Wie versteht sich die erweiterte Konstitution
als Konstitution, als identifizierende Sinnbildung, in der jede Stufe
„Erscheinung” ist von demselben?
Was sind das für „Indizierungen”, für Analogisierungen ? Es sind
doch Indikationen von Schmelzen etc. Also ich schliesse von Bekanntem
25 auf unbekanntes Ähnliches, von anschaulich Konstituiertem und zu
Konstituierendem auf Ähnliches ? Ähnlich wie bei E i n f ü h l u n g s Ver­
gegenwärtigungen. Aber ist da nicht ein Ich mitvergegenwärtigt, das
dann leiblich dabei sein müsste? Aber eben das soll ausgeschlossen sein.
Wodurch, müssen wir fragen. Eine Feuerstelle von Menschen, verge-
30 genwärtigend-indizierend verstehe ich das, glaube es. Aber wie kann ich
das? Als ob ich dabei wäre. Die Anderen habe ich doch erst durch
dieses Als-ob-dabei-sein, aber ich bin nicht dabei, ich bin hier.
Spielt dieses Als-ob nicht schon seine Rolle bei der Analogisierung
meines Leibes hier mit seinem Leib dort, wodurch ich erst den Innen-
35 leib für den Anderen bekomme ? Ich kann doch nicht zugleich hier und
dort sein. Ich kann mir im voraus denken, dass ich dorthin ginge und
dann dort wäre. Ich kann ein Nahding dorthin bewegt denken; ich
kann das Nahding nicht wirklich in den Nullpunkt bringen, meinen
Leib kann ich nicht wegschieben, aber in den Nullpunkt gebracht
40 „denken” und meinen Leib hingeschoben „denken”, also nun auffassen
als im Raum bewegt dorthin, in Deckung mit meiner Innenbewegung.
Erfahren kann ich das nicht, es ist eine eigene Art Vergegenwärtigung,
die eine Modifikation ist einer Wahrnehmung; und wieder eine eigene
Art in den anderen Fällen.

1 Nicht alle sinnlichen Schichten sind leiblich realisierbar, ich kann es nicht tasten
etc.
244 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

Die Feuerstelle. Das Vergegenwärtigen <ist> nicht Vergegenwärti­


gen > einer wirklichen Wahrnehmung, sondern einer Wahrnehmungs­
modifikation : Sie appräsentiert (ad-temporalisiert) etwas, sie appräsen-
tiert erst die einfühlende Appräsentation fremden Lebens und d a r i n
5 Appräsentation einer von ihm wahrgenommenen, erfahrenen Welt.
Auch sie ist vergegenwärtigt, und das Vergegenwärtigte ist, als ob ich
es wahrnähme oder früher wahrgenommen hätte, und doch ist es für
mich nicht wahrnehmbar. Wir haben hier in neuer Mittelbarkeit ap-
präsentierte Wahmehmungen-als-ob, Appräsentiertes durch eine Mo-
10 tivation, die ihren Anhalt hat in einer Präsentation und einer Paarung
durch die Vergegenwärtigung hindurch.
Apperzeption dessen, was ich gegenwärtig erfahre mit einem Sinn,
der aus der früheren Erfahrung stammt. Das gilt für jede Apperzep­
tion. Apperzeption ursprünglich, mit dem ursprünglichen Vermögen —
15 andererseits Vergangenheit, kausales Ergebnis und Zukunft. Apper­
zeption als Werkzeug. Aber primär das Hervorgehen dieses aus mei­
nem Handeln und Benützen zu meinem Zweck. So ist es aber nicht bei
der Einfühlung. Wie bleibe ich bei einer Apperzeption, aber ihren Sinn
wandelnd? „Indikation eines Anderen”. Gegeben also sind Andere
20 erstens direkt durch Einfühlung und in ihr ihre Wahrnehmungen etc.,
ihr erweitertes wirkliches und mögliches Feld. Dadurch habe ich Ver­
gegenwärtigungen modifizierter Art — dielEinfühl ungen. Aber in
ihnen die Könnenshorizonte, ausgelegt in Vergegenwärtigungen
<dessen >, was der Andere kann.
Nr. 15

ZUR LEHRE VON DER EINFÜHLUNG,


AUCH AUF GRUND GENAUER LEIBANALYSEN.
<HINEINPHANTASIEREN, PAARUNGSASSOZIATION,
5 ERINNERUNGSABWANDLUNG >
(August 1931)

Zur Aufklärung der Konstitution des Leibes ist einiges noch


zu überlegen. Meinen Leib kann ich nicht allseitig, vollseitig
s e h e n , aber durch Se l bst bet as t en ist er konstituiert und
20 appräsentiert visuelle Gestalt, also auch die des Kopfes und der
Augen, und so den ganzen Körper.
Ich kann mich wie um meine Längsachse gedreht vorstellen,
dass ich meinen Rücken sehe wie meinen Bauch. Auch kann ich
mir vorstellen, wie meine Rückseite aussieht, während ich hier
15 sitze, ebenso wie ich mir vorstellen kann, wie die Bücherwand
hinter mir aussieht oder die Sesselplatte, während ich darauf
sitze. I c h k a n n ja aufstehen und sie mir ansehen, sie sehe ich
dann, also wie sie nach dem Aufstehen etc. ist. Aber sie ist
unverändert, sie ist dann so, wie sie jetzt ist, ungesehen und
20 doch jetzt visuell schon so aussehend — ein ungesehenes Aus­
sehen.
Meine Rückseite sieht ungesehen so aus, als ob ich meinen
Kopf so (als hätte ich einen Giraffenhals, aber einen ganz belie­
big denkbaren) nach hinten biegen könnte, dass ich mir meinen
25 Rücken beliebig besehen könnte. Mein Kopf aber, als wenn ich
unabhängig voneinander fungierende Augen und Augenkinästhe-
sen hätte (Augen an Augenarmen), dass ich mich überall so be­
sehen und die Augen selbst sich wechselseitig so besehen könn­
ten, wie ich mich betaste, wie ein Tastglied das andere betastet.
30 Aber ist nicht überhaupt zu überlegen, wie Körper ihre
sinnendinglichen Schichten haben, und haben, ob die betreffen-
246 .CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

den Sinne im Spiel sind oder nicht. Ein Ding im Tasten gegeben,
es ist aber ungesehen das, was sein Aussehen hat. Im Tasten
habe ich die wechselnde Gegebenheitsweise, aber ich erfahre es
als unverändert, und es hat im voraus schon, was in späterer
5 Stelle als tastlich ihm zugehörig sich ergeben wird. Es ist ,,ap-
präsentiert”, und das Präsentierte ist beständig strömend eins
mit dem Appräsentierten. Da ist es die Konstitution durch
Potentialitäten der Wahrnehmung unter vermöglichen Kinäs-
thesen. Das Optische ist antizipiert, ein Gegenstand, den ich
10 tastend gegeben habe oder den ich anfasse im Dunkeln, über­
haupt ungesehen, weckt die Möglichkeit des Sehens und spannt
vor ihn ein Bild aus der optischen Sphäre unter Umständen
möglichen Sehens, eine Strecke des optischen Sehens wird
lebendig, als Vorsprung in die Möglichkeit.
15 Aber wie ist es bei der Vorstelligmachung meines Körpers?
Hier habe ich doch an ihm selbst eine beschränkte Vermöglichkeit
als konstituierende ausgebildet. Ich kratze mich auf dem Rücken
und ich „sehe” meinen Rücken visuell appräsentiert, während
ich doch ihn nicht sehen könnte. Warum hat mein Leib nicht
20 eine beschränkte visuelle Schichte, oder was gibt dieser antizi­
pierten Erscheinungsweise ihren Funktionssinn, da es doch nicht
antizipierte wirkliche Sichtbarkeit sein kann, aus meinem
erfahrenden sehenden Vermögen? Ich habe meinen Leibkörper
wie ein sonstiges Ding vorstellig, und diese Vorstellung ist
25 jeweils eine erfahrende, Geltung in sich tragende. Aber wie, ist
diese eine Geltung aus anderen Sinnesquellen, muss ich sie dann
nicht darin finden? Nun ich weiss doch, wie es mit dem Sehen
steht und mit dem möglichen Tasten meines Rückens und dass
dieses nicht erst warten muss auf ein Hingehen und <dass>
30 beständig Anzeigen hier von der beständig gesehenen und ge­
tasteten etc. Vorderseite ausgehen, also nur warten muss auf
die Kinästhesen des Hinwendens der tastenden Organe. Ist es
nun so, dass die Anschauung meines Rückens, sowie ich die
Intersubjektivität ausser Spiel gesetzt habe, eo ipso abstraktiv
35 auszuschalten ist als von den Andern herstammend? Aber
ist nicht gerade für die Einfühlung die Schwierigkeit, zu ver­
stehen, wie Appräsentation möglich werden soll, wo die ent­
sprechende Vermöglichkeit der Präsentation für mich fehlt ?
TEXT NR. 15 247

In der Weise „ Au s s e n d i n g ” haben wir eine Konstitution,


die ihre Stufen h a t :
1) Konstitution von Ruhe, Ruhe erster Stufe — noch nichts von
Realität ist dabei, und die Ruhe ist konstitutiv bezogen auf mein
5 Stillhalten der Gehkinästhesen und in diesem Sinn meinen
Stillstand. Die Ruhe als Ruhe des gesamten Wahrnehmungs­
feldes als ruhenden ,,Ding”feldes. Verschiedene Sinne für Ruhe
fungierend; das Tasten kann „weiter reichen” als das Sehen und
umgekehrt.
10 2) Konstitution von Ruhe, während, ich meinen Stand (gehend
etc.) ändere.
3) Wandlung einer Ruhe, einzelnes Ruhendes wandelt bei
meinem kinästhetischen Stillhalten und Nichtstillhalten seine
Erscheinungsweise; Konstitution der Bewegung, in die Ruhendes
15 übergeht, der Bewegung als Kontinuität von möglichen Ruhen.
So in meinem Stillstand und so in meinem Standwandel. Kon­
stitution eines sich bewegenden Objekts in doppeltem Sinn, mit
Teilung, Deformation und ohne sie. Beziehung zur Teilung,
Konstitution der extensiven Grösse, der Figuren als Grenzen,
20 Deformation — Bewegung der Grenzen etc. Teilung bedeutet
hier das Sich-abheben kontinuierlich zusammenhängender Teile
(Teile in einem kontinuierlichen Ganzen) und Sich-einstellen
von neuen Abhebungen solcher Teile durch qualitative Verän­
derung, endlich bewegend Auseinander-treten der früheren Teile
25 zu einer dann ruhenden Konfiguration, die ihrerseits in Bewe­
gung treten und als Konfiguration sich verändern kann.
4) Kausalität der Veränderungen und dann auch der Verän­
derungen der Qualifizierungen. Konstitution des Realen und
seiner real-kausalen Prädikate.
30 Nun die Konstitution des L e i b e s :
ad 1) Die erste „Ruhe”, d.h. das, was sich konstituiert in mei­
nem Stillstand. Während ich alle Kinästhesen stillhalte, habe
ich von meinem Leib ein ungewandeltes Phänomen wie bei
Aussendingen. Wenn ich bloss meine Hand bewege und in Tast-
35 funktion habe, <habe> ich von dem ganzen übrigen Leib das
gleiche wie bei einem Ding. Würde ich bloss die Augen bewegen,
so hätte ich wieder wie bei einem Aussending ein Ruhephänomen
— von dem, was ich sehe. Sehen und Tasten zusammen — ich
taste, was ich sehend nicht erreichen kann. Aber das findet
248 .CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

ebenso statt bei Aussendingen als unveränderten und im be­


sonderen ruhenden.
Aber auch gesehene „Dinge" „in Ruhe" habe ich, die ich nicht
taste. Ein dem Tasten unerreichbares „Ding" als visuelles sieht
5 aber ähnlich aus wie ein tastbares Nahding. Bei diesem gehört
dazu eben das Betastenkönnen, und je nach der „Entfernung”
anderer Kinästhesen als motivierter. Ist aber die Entfernung eine
grössere, so fehlt diese Vermöglichkeit. Sehend habe ich eine
Konstitution für sich als „Ruhe" des „Sehdinges”. Aber verschie-
10 dene Sehdinge unterscheiden sich (unter vereinfachender Ab­
straktion von Licht und Schatten, Beleuchtungsunterschieden)
durch „Entfernung”, das ganze visuelle Objektfeld ein Ent­
fernungsrelief. Das Visuelle kinästhetisch konstituiert, aber das
eben visuell Unverändert bleibende —■ in dieser Domäne der
15 „Ruhe”.1
Also das feste Ortssystem, in dem <ich> mich bewege von
Ort zu Ort, habe ich schon durch Gehen. Das Realsein meines
Leibes als Körpers der Naturkausalität durch Bewegtwerden.
D ie L e i s t u n g des B e w e g t w e r d e n s kommt zustande
20 ursprünglich durch „Einswerden” mit einem Objekte, das ich
schon erfahre als bewegt (in der unteren Stufe). Was ist dieses
E i n s w e r d e n und dann ein passives Einssein? Eine Art des
Zusammenseins derart (das ich hersteilen kann), in welchem das
mir „Verbundene” seine Orientierung behält, also scheinbar
25 ruht und nur als Ruhendes an seiner Stelle Veränderungen,
evtl, auch Drehungen erfährt. Diese willkürlich in einer Ur­
sprungssphäre herzustellende Veränderung verwandelt erfahrene
Bewegung in „Ruhe”, die alsbald zur Bewegung wird, wenn die
„Verbindung” gelöst wird von mir her. Aber auf einem Wagen
30 kann ich mich auch noch bewegen, und diese Bewegung in der
Bewegung schafft eine Modifikation höherer Stufe, die auch in
Betracht zu ziehen wäre.

Ad Einfühlung
Wird durch das Zustandekommen der Erfahrung von Bewegt-
35 werden und Übergängen des Bewegtwerdens in Ruhen oder
1 Offenbar spielt auch die Typik eine Rolle, die vertraute Weise, wie ein Haus der
Nabe sieb perspektiviert etc.
TEXT NR. 15 249

Selbstgehen usw. auch die sonderbare Vorstellungsweise mög­


lich: mein Leib, wenn er dort wäre, und die Vorstellung meiner
Bewegung dorthin als perspektivische Bewegung? Und wie ist
es mit dem S p i e g e l b i l d - v e r s t e h e n ? Gehört das hierher?
5 Oder ist all das schon Folge der Einfühlung?
Wie wird die Ähnlichkeit meines Leibes mit dem fremden oder
umgekehrt möglicherweise Zustandekommen, um wirksam zu
werden? Das ist die Grundfrage. Es muss subjektive Ähnlichkeit
sein, es muss Assoziation sein. Zwei Dinge, zwei Häuser, das
10 eine von der einen Seite, das andere von der anderen Seite, die
ganz anders aussieht (wie wir annehmen wollen) als die Vorder­
seite. Kenne ich das Haus nicht allseitig, so erkemie ich nicht,
dass es dasselbe ist. Unmittelbare Wirksamkeit der Assoziation
als Paarung nur <durch> das wirklich „Gesehene”, und die Ab-
15 Wandlungen durch Seitenverschiebung müssen so sein, dass par­
tielle Deckung statthat und zugleich lebendige Weckung der an­
gedeuteten Seitenstücke.
Die apperzeptive Übertragung — wann findet sie statt, da ich,
was ich bei dem einen kenne, nicht bei einem andern nachträg-
20 lieh finden muss ? Ist es nicht gewohnheitsmässige ÜLerschie-
bung, die Ähnlichkeit und Gemeinsames durchhält, während das
Differente sich aufhebt? Und wenn ich alles schon apperzeptiv
auffasse, so ist auch d a s eine gewohnheitsmässige Antizipation,
dass ein Gemeinsames verbleiben wird und Differenzen sich aus-
25 schalten.
Wenn nun ein „anderer Mensch” gesehen werden soll: wie
kann sein gesehener Körper und mein gesehener Körper eine
Paarung ergeben? Meine Hand und seine Hand, meine Füsse
und seine, sie sehen ähnlich aus bei passender Stellung des
30 Anderen im Nahraum. Reicht das hin? Ich kann den Andern
betasten — „fleisch”ähnliche Körperlichkeit, ich in der Ruhe,
er im Dort ebenfalls. Brauche ich da mehr? Den andern Leib­
körper habe ich dann bald in der, bald in jener Entfernung in all
seinem gewandelten Aussehen, seinen perspektivischen Seiten-
35 gegebenheiten, und er bleibt meinesgleichen — körperlich. Ist
es also nicht richtig zu sagen, die Aussenvorstellung „mein Leib
an irgendeiner Raumstelle” als perspektivische Vorstellung
komme erst auf dem Weg über die andern Leibkörper als gleich
erkannte Körper mit meinem Leib zustande? Diese Vorstellung
250 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

hat mir immer wieder Schwierigkeiten gemacht. Liegt hier nicht


die Lösung?
Mein Leib ist konstituiert nicht nur als Körper — eben als
mein Organ. Er induziert nicht, wie ein erfahrenes, wahrgenom-
5 menes, selbstgegebenes anderes Ding als für mich Selbstzuge­
bendes, Wahrnehmbares induziert, und doch, als ob ich dort
wäre: der Körper dort ein Körper, ähnlich, als ob dort mein
Leib wäre.
Und indem ich mich dort vorstelle als in einem dem dortigen
10 ähnlichen Körper waltend, und als ob ich dort wäre, geschehen
dort im wirklichen Körper, im jetzt wirklich dort seienden, ähn­
liche körperliche Bewegungen, als ob ich dort waltend das und
das tun (getan hätte, etwa wenn ich statt des andern Körpers
leiblich dort wäre, dorthin vorher gegangen wäre etc.), wahr-
15 nehmend die Augen, die Hand etc. bewegen würde, handelnd
mir mit den Dingen dort, den von dort aus sich so und so dar­
stellenden, zu schaffen machen würde, in der mir selbstver­
ständlichen, vertrauten Weise.
Phantasiere ich mich in den andern Leib hinein ? Kann ich das
20 überhaupt? Vollziehe ich ein phantasierendes Als-ob-ich-den-
zweiten-Körper-dort-als-meinen-Leib-hätte, kann ich meinen
Leib in diesen andern verwandelt mir phantasieren, als ob ich
ihn als Leib hätte, diesen in der Tat anderen Körper? Hiesse das
nicht, dass ich meinen Körper verlasse und in den zweiten dort
25 übergleite? Aber kann mein Leib fortrücken, und ein anderer
Leib mir unterschoben werden, oder abgeschnitten werden, mir
wegamputiert werden, und dafür mir irgendein anderer zuteil
werden ? Bin ich nicht Subjekt der Allheit der für mich seienden
und zunächst der primordial seienden Dinge und als das mit
30 meiner identischen Leiblichkeit untrennbar eins, als leiblich
wahrnehmend alles, was für mich ist und sein kann? Setzt nicht
die Identität jenes anderen Leibes vor und nach der Amputation
m e i n e n Leib voraus ? Es ist aber doch soviel die Rede von dem
Sich-in-den-Andern-hineindenken, wofür man auch sagen kann,
35 Hineinphantasieren. Was kann nun der gute Sinn dieser Rede
sein, die also nicht Umwandlung sagen kann, sondern ein
„Phantasieren”, Sich-denken, indem ich bin, der ich bin, und
doch in eins damit mir aufgrund der Erscheinung des fremden
Körpers bewusst werde des Als-ob-ich-dort-wäre, dabei der
TEXT NR. 15 251

Ähnlichkeit des Leibes dort bewusst werde mit der <Erscheinung,


wie > ich, wenn ich dort wäre in derselben Körperlichkeit, die
ich jetzt habe, von hier aussehen müsste? Wie komme ich in
unserem Fall von da aus zu einer realen Möglichkeit eines anderen
5 Menschen, anderen Leibes, anderen Ich? Real möglich ist, dass
ich dorthin ginge, wo der Andere ist (oder genau an seinen Ort
hinbewegt würde), wenn er, wenn sein körperlicher Leib seinen
Ort verlässt; so kann ich mich an die Stelle jedes Dinges ver­
setzen, es fortbewegt denken und mich dahinbewegt, wo es war,
10 und meinen Körper mit dem dort in gewisser Weise zur Deckung
gebracht denken, nicht als Möglichkeit des jetzt zugleich Dort­
seins, aber ähnlich, wie ich bei einem anschaulich vergleichenden
Übergang in mir Gleiches und Gleiches, Ähnliches und Ähn­
liches zur Überschiebung bringe, auch bei Identifizierung.
15 Was ist nun dem gegenüber das Neue der Einfühlung? Ich sage,
die aller Assoziation — der originären, positionalen, nicht im Als-
ob der reinen Phantasie verlaufenden, für die dann eben alles für
die ursprüngliche Assoziation Gültige sich entsprechend modifi­
ziert — wesenseigentümliche Apperzeption — Übertragung des
20 Seinssinnes, also wirkliche A d p e rz e p tio n , sofern in der Per­
zeption der Sinn der Seinsgeltung hegt.1

1 Ursprünglich, vor der von Husserl wohl unmittelbar vollzogenen Korrektur, lau­
tete der Text der beiden vorangehenden Absätze (von S. 250, Zeile 19 an): „Phan­
tasiere ich mich in den anderen Leib hinein ? Vollziehe ich ein phantasierendes ,als ob
ich den Körper dort als meinen Leib, in diesen verwandelt als Leib hätte’? Aber von
der blossen Phantasie führt kein Weg in die Wirklichkeit. Oder liegt statt einer puren
Phantasie eine phantasiemässige Umwandlung und Ansetzung einer Seinsmöglich­
keit vor? Ich kann mir das Ding dort umphantasieren, so dass es seine Farbe ändert,
dass es anfängt sich zu bewegen etc. Aber das sind im Wesen des Dinges, in seinem
Sinn beschlossene r e a l e M ö g l i c h k e i t e n . Wie komme ich in unserem Fall zu
einer realen Möglichkeit ? Real möglich ist, dass ich dorthin ginge, wo der Andere ist,
wenn er, wenn sein körperlicher Leib seinen Ort verlässt; so kann ich mich an die
Stelle jedes Dinges versetzen, es fortbewegt denken und mich dahinbewegt, wo es
war. Ich kann mir zugleich eine Wandlung, eine körperliche, meines eigenen Leibes
wohl denken, dass mein körperlicher Leib nun genau so beschaffen wäre wie der des
Anderen. Freilich nehme ich dann meinen wie seinen als blosse Körper der Natur.
Biophysisch sich einen Organismus in einen genau gleichen andern real verändert
denken — eine solche Veränderung widerspricht aller bisherigen Erfahrung. Also es
fragt sich, ob sie real möglich ist, a priori, und selbst schon für Naturobjekte, ob völ­
lige Gleichheit nicht real ausgeschlossen ist aus dem Apriori der Natur. Aber vorstel­
len kann ich mir natürlich, dass ich dort hinkäme und von hier aus .genau so aus­
sähe’ als Körper wie der Körper dort.
Ich kann aber doch so sagen: Zwei Körper können, was wir aus der Universalität
der voll entwickelten Erfahrung wissen, derjenigen, die Welt und Natur im vollen
Sinn konstituiert, nicht absolut gleich sein; darin liegt, dass nicht alle ihnen zugehö­
rigen Erscheinungsweisen (innerhalb einer universalen Einstimmigkeit aller Erfah­
252 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

Die Paarung der Assoziation ist wechselseitige „Überschie­


bung”, und haben die sich Paarenden jedes in seiner Weise in
sich präsumptive Geltungen mit zugehörigen Vermöglichkeiten,
so überträgt sich das wechselseitig von dem einen auf das
5 andere — passiv, ohne weiteres, in einem Schlage. Aber natür­
lich sagt das nicht, dass die je übernommene Geltung sich
erhalten muss, sich erhalten kann, sie ist in diesen Fällen ja
noch Geltung mit präsumptivem Horizont, zwar im Augenblick
der Übertragung Gewissheit, aber eben präsumptiv hinsichtlich
10 des Horizontes. Darauf beruht ja alle „vorschnelle” und als
falsch sich herausstellende Apperzeption nach Analogie (was
eigentlich eine Tautologie ist). Der Fortgang der Erfahrung
zeigt, dass die Geltung, so wie sie voll aus der Übertragung, also
als schlichte Apperzeption geworden ist, über ihre „rechtmäs-
15 sigen” Grenzen hinausschiesst. Sagt man, soweit die „wirkliche
Analogie” reicht, soweit ist Recht, so ist zu antworten: Die
Erfahrung erst zeigt, was „wirkliche Analogie” hier jeweils
heissen darf, d.h. die Erfüllung und Enttäuschung der An­
tizipation. Was ich an dem einen Glied wirklich aus Erfahrung
20 her „weiss”, was als bewährte Geltung in meiner Apperzeption
des einen steht, das mag sich übertragen. Aber im anderen Fall
habe ich ja nur Ähnliches, und bei näherer Kenntnisnahme kann

rungen) gleich sein <können>. Aber sehr wohl ist es möglich, dass von meinem Hier
aus, auch in einem Wechsel meiner Stellung, ja während meiner ganzen lebendigen
Gegenwart zwei Dinge für mich völlig gleich aussehen, dass sich in ihrem zugehörigen
Erscheinungswandel mir zwei Dinge völlig gleich perzeptiv darstellen, so dass ich sie
gleich bestimmt sehe. Habe ich nun wirklich für meinen Leib eine Vorstellungsweise
möglich, die ich solipsistisch in den Erscheinungsweisen eines Dinges — wie jedes
Aussendinges —, wenn auch mittels indirekter Vergegenwärtigung, vorstellig mache,
und so für jede Raumstelle, zu der er hingehen kann, so würde es auch möglich, dass
ich einen AussenkÖrper vorfände, der im Dort ein solches Aussehen mir zeigte, das
ich ununterscheidbar finde von meinem Aussehen im Dort, wie ich es mir gültig
.vorstelle’.
Aber ich bin doch hier, und bleibe es, wenn ich körperlich mit dem fremden
Körperleib .gleich aussehe’, und der Ansatz, ich wäre dort, hat nur Möglichkeit als
Ansatz, ich könnte jetzt dahin gehen, ich könnte dahin gegangen sein, gefahren
worden sein etc. Diese Möglichkeiten beherrsche ich, wie auch alle die Erscheinungs­
mannigfaltigkeiten, die als Abwandlungen derjenigen, die ich hier habe, dort ein-
treten müssten. Diese sind seinsmässig vorgezeichnet.
Was ist nun dem gegenüber Einfühlung, da sie all das nicht ist und natürlich keine
Hypothese sein kann, dass ich j e t z t dort sein könnte in dem Sinn: jetzt dort und
zugleich, wie ich es wirklich bin, hier ? Ich sage, die aller Assoziation — der originären,
positionalen, nicht im Als-ob der Phantasie verlaufenden, für die dann eben alles für
die ursprüngliche Assoziation Gültige sich entsprechend modifiziert — wesenseigen­
tümliche Apperzeption— Übertragung des Seinssinnes; also hinsichtlich der Position
ist sie eigentlich Adposition, oder besser, Transposition zu nennen”. — Anm. d. Hrsg.
TEXT NE. 15 253

es auch sein, dass nur ein Teil der Präsumption bewährend über­
gehen kann (d.h. standhalten kann) in das Analogon. Umgekehrt
kann die Rückübertragung auf das andere Analogon zugleich zu
neuen Momenten standhaltender Analogie führen, trotz der
5 hervorgetretenen Differenzen.
In unserem Fall der Einfühlung bin ich für mich, vertraut und
aus meiner Lebenserfahrung her, konstituiert mit dem Sinn des
in diesem einzigen körperlichen Leibding waltenden Ich mit
allem, was dazugehört. Es ist eine konstituierte Geltung, natür-
10 lieh mit einem offenen Geltungshorizont; die sinnbildende und
mich als diese psychophysische Ureinheit konstituierende Erfah­
rung geht ja fort.
Andererseits, der körperliche Leib dort ist für mich ausschliess­
lich mit dem Sinn Aussenkörper in seinem offenen Universum
15 von Aussenkörpern konstituiert, nämlich so, wie er in die Paarung
eintritt, genommen. Tritt sie ein, und ohne weiteres in dem Mo­
mente, wo ich jenen Körper dort erfahre, und zwar in einer Er­
scheinungsweise, die ursprüngliche Paarung ermöglicht,1 so über­
trägt sich von ihm her bloss durch Apperzeption die Körperlich-
20 keit und alles, was dazugehört, in der blossen Abwandlung der
Ähnlichkeit, wir können sagen, im Rahmen des Typus Körper
überhaupt. Natürlich bewährt sich diese Übertragung ohne
weiteres, wenn mein körperlicher Leib eben für mich wirklich als
Körper, und beständig konstituiert ist. Das ist der erste ent-
25 scheidende Punkt. Andererseits, von mir aus überträgt sich die
spezifische Leiblichkeit und das ,,ich walte” auf diesen Leib,
und zwar analogisiert. Nicht überträgt sich im wörtlichen Sinn
mein Ich und Walten usw.
Hier ist der zweite entscheidende Punkt erreicht. Ich bin für
30 mich konstituiert eben aus Erfahrung und in einem Horizont,
einem Erfahrungsstil, der von der vergangenen Erfahrung her
vorgezeichnet ist, und ich bin als Ich dieses Vergangenheit und
Zukunft und lebendige Gegenwart umspannenden Stiles, habe
darin meinen Sinn als o r ig in a le n . Die „Ähnlichkeitsübertra-
35 gung” o r i g i n a l e n Lebens, im Leib Waltens, original durch
dieses Walten in die Welt, die ich eben wirklich erfahre, Hinein-

1 Im allgemeinen kann ja erst bei hinreichender Annäherung das schon als Aussen­
körper Apperzipierte in die Verähnlichung treten.
254 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

lebens^Hineinerfahrens, Handelns etc. — ist sofort aufgehoben.1


Wie wirkt sie doch fort, wie kommt es zur Abwandlung der
unmöglichen Präsentation zur möglichen und geltenden Apprä-
sentation? Jede apperzeptive Präsumption kann ich mir an-
5 schaulich machen. Für Aussendinge überhaupt und Aussendinge
eines jeden Individualtypus ist es Präsumption, die durch
originale Erfahrung zu erfüllen oder zu enttäuschen ist. Die
apperzeptive Präsumption der Einfühlung ist aber eine solche,
die prinzipiell nicht durch originale Erfahrung zu bewähren ist.
10 Die primordiale Sphäre ist die Totalität des für mich in Originali­
tät Erfahrenen und Erfahrbaren, darin ist enthalten jedes wirk­
liche und erdenkliche original erfahrbare Walten wie jeder
erdenkliche original erfahrbare, sagen wir, ,,original präsumier-
bare” Akt. Und jeder, somit alles original Ausweisbare über-
15 haupt für mich, hat mich als den einen absolut einzigen Ichpol.
Wenn ich in dieser Sphäre primordial also konstituiert bin als
Ich meines Leibes, also als psychophysisch Seiendes, so ge­
schieht das in absoluter Einzigkeit, die keine Mehrheit über­
haupt vorstellbar macht. Die Einzigkeit dieses Ich als im Leib,
20 „dem” Leib (dem einzigen) waltend ist nicht ein Faktum, das
andere Möglichkeiten offen liesse. Ein zweites Ich in meiner
Primordialität, das hiesse ein zweites Leben, dessen ich primor­
dial inne bin, als psychophysisch waltendes ein zweites primor­
diales Walten, ob nun in meinem selbigen Leib oder in einem
25 anderen. Aber wie sehr ich sagen kann, ich bin mit einem Mal
ein ganz anderer geworden, ich habe einen Bruch meiner Per­
sönlichkeit erfahren, oder wie sehr eine Persönlichkeit sich
spalten kann, all diese Spaltungen vollziehen sich als die des
identischen und durch sie hindurch verharrenden Ichpols. Das
30 in diesem Leib, dem primordialen, waltende Ich ist dasselbe, das
im lebendig primordial strömenden Leben lebend ist. Also in
dieser Sphäre ist kein zweiter Leib als Leib und somit als waltend
ein zweites Ich präsumierbar, durch keine erdenkliche primor­
diale Apperzeption mit ihren Bewährbarkeiten, sei es durch
35 aktuelle Wahrnehmung, sei es durch irgendeine der primordialen
Vergegenwärtigungen, wie es die Wiedererinnerung ist.

1 Ich bin ja einzig, und in meiner Primordialsphäre kann kein Aussending ein
Ichanalogon, ein Walten ausweisen, das hiesse ja, perzeptiv erfahrbar ausweisen.
TEXT NR. 15 255

Wie kann nun doch in der primordialen Sphäre ein Aktus auf-
treten, eine apperzeptive Präsumption, die als Präsumption ver­
gegenwärtigend und anschaulich zu machen <ist>, doch nicht in
vermöglicher Bewährung original bewährt, doch aber bewährt
5 <werden kann >?
Ist sozusagen die Angleichung meines Leibes an aussen-
dingliches Sein (das doch wesentlich verschieden erfahren und er­
fahrbar ist) schon vorgegeben und so für mich mein Leibkörper
„anzusehen” als ein Dingkörper wie irgendein anderer, ist sonach
10 die individualtypische Ähnlichkeitspaarung meines Leibes mit
irgendeinem Körper zustandegekommen, so ist zunächst zu
überlegen, was das für eine individualtypische Paarung ist.
Mein Leib ist für mich konstituiert als eine vielgliedrige Einheit,
die Glieder sind meine Leibesorgane, sie sind durch mein be-
15 ständiges Walten in ihnen, bald einzeln, bald sie zusammen in
Anspruch nehmend, in besonderer Weise beständig abgehoben,
auch hinsichtlich der puren Körperlichkeit. Also immer als so
gegliederte, in dieser Gliederung allerbekannteste und immer so
apperzipierte Einheit, Vielheit in Einheit bewusst und in der
20 abstraktiven Blickrichtung auf die blosse Körperlichkeit so
apperzipiert. Die individualtypische Ähnlichkeit mit einem
Aussenkörper besagt also, dass er eben als eine solche vielghedrige
Einheit apperzipiert ist und dass es nicht überhaupt eine viel­
ghedrige Einheit ist wie ein Baum in seinen Verzweigungen;
25 mein Leib ist für mich individualtypisch auch in seinen Händen,
Fingern, Armen, Beinen etc., und dies setzen wir voraus in Ähn­
lichkeit, in individualtypischer Ähnlichkeit des Ganzen und eben­
solcher Ähnlichkeit der abgehobenen Teile, für den zweiten Kör­
per, der als Leib soll apperzipiert werden können.
30 Weiter gehört hierher das Individualtypische der Bewe­
gungen, der Veränderungen des eigenen Leibes und seiner
Glieder im einzelnen und in Verbänden oder Gruppen, wie
sie typisch eben zugehören zu den Weisen des ichhchen psycho­
physischen Waltens. Bei mir gehört diese Typik eben zu meinem
35 Walten, unabgesondert, es „gehört” dazu. Das Walten ist nur
Walten als vertraute Einheit der Zusammengehörigkeit, aus einer
Einheit der Konstitution, die in jeder lebendigen wachen Gegen­
wart aktuell ist als originale Erfahrung, als immanent originales
strömend verlaufendes Erscheinen vom Leib mit seinen Ghedern
256 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

in der und der psychophysischen Situation, in dem und dem origi­


nal verlaufenden ichlichen Walten und in eins, in konstituierter
oder apperzipierter (wahrnehmungsmässiger) Zugehörigkeit, die
und die Weisen der leiblichen vielgestaltigen Konfiguration
5 <mit> den und den Bewegungen, Deformationen etc. in ihrer Ty-
pik, d.h. so, dass alles a ls typisch vertraut wahrnehmungsmäs-
sig verläuft. 1
Eben eine solche Typik, abgewandelt gegenüber derjenigen,
die ich momentan an meiner Leiblichkeit als perzeptive erlebe,
10 aber eine der Abwandlungen, die meinem Einzigkeitsleib in Ver­
trautheit zugehören (also horizonthaft von vornherein mitapper-
zipiert waren in meiner Selbstleibapperzeption), finde ich an dem
Leib dort, ein Analogon also, und lebendiges Analogon (perzep-
tives) meiner eigenen, perzeptives Analogon meiner physischen
15 Körperlichkeit.
Nun tritt „Assoziation” ein, das ist nichts anderes, als dass
diese Ähnlichkeit lebendig ist, als dass eben Paarung ist, Über­
schiebung und Apperzeption. Mein Leib ist aber nur in einer
Schichte perzeptiver Körper, konkret ist er Leib, Leib meines
20 waltenden Ich, das Ich meiner universalen primordialen Sphäre
ist. Die Apperzeption kann hier nicht Indikation von' etwas
Seiendem ausser ihm sein (also in der primordialen Aussending-
lichkeit, unter der der fremde Leibkörper ist), als Indikation oder
Induktion von ihm auf etwas daneben zu Erwartendes hinlaufen,
25 ebensowenig in der Zeitlichkeit auf ein früheres Primordiales
oder späteres als in der primordialen „Weltlichkeit” in der Regel
damit Verbundenes. Und doch „erinnert” die typische Gestal­
tung und das „Gehaben” dieses Körpers dort an mein Walten in
meinem ausgezeichneten Körper, wodurch er einzig ist in der
30 Originalität.
Er erinnert — und doch nicht in dem originalen Sinn meiner
Erinnerungen (Rückerinnerungen, Miterinnerungen etc.), er ist
ein Analogon, eine Abwandlung von Erinnerung und hat dann
als „Erinnerung” seine Erinnerungshorizonte, seine Voraus-
35 sichtlichkeiten und seine Bewährung wie auch seine Entwährung.
Das Gehaben des Körpers dort, bzw. der Biegung des Körpers

1 Welche Art Abgehobenheit oder Schichtung hat der Leib in sich, als Raumkörper
und als ichliche Leiblichkeit? Aus der Konstitution her ist doch der Körper in einer
Sonderschichte konstituiert.
TEXT NR. 15 257

dort mit der sich ausstreckenden Hand etc. ,,erinnert” an mich,


wie wenn ich dort wäre, mich kinästhetisch biegen, die Hand
strecken würde, das Ding dort, den Stock zu ergreifen. Die
weitere Bewegung für mich wäre die, mich wieder aufzurichten;
5 das überträgt sich apperzeptiv, und der Körper dort macht in
der Tat eine Bewegung des Typus usw. In dieser beweglich
fortgehenden Vergegenwärtigung unter beständiger Erfüllung
der immerzu vorgezeichneten Vergegenwärtigungen konstituiert
sich eine Einheit vielfältig intentional miteinander verflochtener
10 und ineinander fundierter Vergegenwärtigungen als Vergegen­
wärtigungen eines Waltens und damit eines waltenden Ich, in
dessen Leben das, worin es als seinem Leib waltet, raumzeitlich
konstituiert ist, das aber notwendig nur vergegenwärtigt ist
und nicht ich selbst mit meinem Leben <bin>, der ich diese
15 Vergegenwärtigung habe und in meinem Leben die Konstitution
dieses Ich als für mich seiend zustande bringe.
Der für mich original erfahrene Körper dort, indem er ap-
präsentiert ein darin waltendes Ich, appräsentiert dieses doch
nicht wirklich als einen psychischen Annex an diesem Primor-
20 dialen, sondern als ein Ich, das diesen selben Aussenkörper in
sich als Innenkörper konstituiert.

Nochmalige Überlegung (ein andermal)

Von mir aus habe ich nun konstitutiv die für mich seienden
Andern. Ein Körper meiner Primordialität, in ihr zunächst nur
25 konstituiert als Aussenkörper, verähnlicht sich assoziativ mit
meinem Leib hinsichtlich dessen Leibkörperhchkeit und ap­
präsentiert nun in einer eigenen Weise. Ein in diesem Aussen­
körper Walten kann nicht bloss appräsentiert sein, in meiner
Primordialität ursprünghch konstituiert kann ein Walten prä-
30 sent nur sein als mein Walten in ursprünglicher Wahrnehmung
(oder was dasselbe, Präsentation). Der Körper dort ähnelt mei­
nem Körper, wie wenn ich dort wäre. Er vergegenwärtigt durch
seine optische Gegebenheitsweise oder schon als haptisches
Nahding die Selbsterscheinungsweise, die ich haben würde, wenn
35 ich dorthin ginge und an Stehe dieses Dinges wäre, und so das
Ausser-mir-sein eines Körpers, an dessen Stelle ich dort sein
könnte — eines ähnlich gegliederten, in ähnlicher Typik sich
258 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

körperlich benehmenden Körpers. Wie jeder Aussenkörper


setzt er mit voraus, dass er, solange er ist und wo immer er ist,
ausser mir, ausser meinem Leib ist, und dass mein Leib in Wahr­
nehmungsfunktion muss treten können derart, dass er diesen
5 Aussenkörper möglicherweise zur optischen Selbsterfahrung
bringen könnte, wobei in eins mein waltender Leib und dieses
Aussending in dem Miteinander und körperhchen Aussereinander
der Berührung wären. Dadurch ist, versuche 1 ich zu sagen, die
apperzeptive Übertragung in ihrer Geltung aufgehoben.12 Das
10 Ding dort „erinnert” nur an mein mögliches Dortsein und dort
Walten, mein Sein als leibliches Ich, als in dem Leib waltend,
deckt sich in dieser „Erinnerung”, dieser VorsteUung des mög­
lichen Dortseins (wenn ich hinginge, hingegangen wäre usw.)
mit dem Körper dort und seinem körperhchen Gehaben, so dass
15 die Sinnschichte des Waltens miterinnert ist und diesem Körper
sozusagen aufgelegt ist. Aber das ergibt natürhch keine Geltung,
höchstens aufgehobene Geltung. Wie wird da die Fremdwahr­
nehmung?

1 „versuche" nachträglich verändert in „versuchte”. — Anm. d. Hrsg.


2 Aber das ist verkehrt, denn die Verähnlichung meint doch nicht, dass ich jetzt
dort bin.
Nr. 16

<DIE APPERZEPTION DER


RAUMKÖRPERLICHKEIT MEINES LEIBES ALS
EINE VORAUSSETZUNG FÜR DIE EINFÜHLUNG U
5 <wohl August oder September 1931 >

Apperzeption — Auffassung von ähnlichem Seienden gemäss


dem schon für mich seienden Ähnlichen. Das Neue erfahre ich,
habe ich ohne weiteres erfahrend in Geltung mit dem Erfahrungs­
sinn, der aus der Ähnlichkeit mit dem schon als früherer Erwerb
10 für mich seienden Ähnlichen <stammt >. Der Auffassungs­
sinn ist eine Seinsgeltung mit einem antizipierten Horizont
möglicher Bewährung. Apperzeption verweist auf frühere Urstif-
tung, aber Apperzeption ist auch ein beständiger Prozess in der
Koexistenz, nämlich in der Sphäre der lebendigen Gegenwart.
15 Habe ich in ursprünglicher Assoziation in meinem Gegenwarts­
feld eine Mehrheit von Gleichen (sinnlich Ähnlichen), so über­
trägt sich passiv-assoziativ jede neue Sinnbildung, also neue Ap­
perzeption eines der Gleichen, während die Gleichheit verharrt,
auf alle anderen: gemäss der Ähnlichkeit, analogisch.
20 Nun sind Erfahrungsgegenstände und Mehrheiten (Gleichhei­
ten, Ähnlichkeiten) für uns schon normalerweise sehr kompli­
zierte Gebilde aus Apperzeptionen, es stecken in ihnen dann in
der Weise intentionaler Modifikation Antizipationen von sinn­
aufbauenden Apperzeptionen, die nicht wirklich vollzogen, son-
25 dem impliziert sind. Z.B. Gleichheit zweier Dinge, von denen
das eine als Nahding, das andere als Fernding gegeben ist; Ap­
perzeption wirkt fort durch intentionale Modifikation und Ver­
ähnlichung; Motivation durch Ähnlichkeit ist selbst etwas, das
intentionale Modifikation erzeugt.1
1 Der Text dieser Nummer wurde bereits 1946 von Alfred Schütz in Philosophy and
Phenomenological Research, Vol. VI, No. 3, S. 337-343 veröffentlicht. — Anm. d. Hrsg.
260 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN" 1931-1932

Nun konstituiert Assoziation bzw. Apperzeption Seiendes und


Seinstypus oft derart in Stufen, dass die Apperzeption von Ähn­
lichem gemäss dem Ähnlichen noch in gewisser Weise in Kraft
bleibt, wenn die typische Ähnlichkeit durchbrochen wird, sofern
5 ein Glied über die typische Ähnlichkeit hinaus, die bewahrt
bleibt, noch eine Sinnauflage hat, die die anderen nicht haben,
und diese anderen alle eine apperzeptive Gemeinschaft unter­
einander haben, die jenes Ausnahmsglied seinerseits nicht hat.
Doch das ist wohl zu formal. Es handelt sich mir um Bildung
10 von Apperzeptionen durch intentionale Abwandlungen von schon
gebildeten Apperzeptionen, also um Bildung von Wahrneh­
mungen, von Vergegenwärtigungen etc. verschiedener Stufe,
bzw. solchen, die in ihrer höheren Sinnbildung eigenartige inten­
tionale Abwandlungen der unterstufigen, der ursprünglicheren
15 Erfahrungen <sind>, aber immer wieder Erfahrungen, in ihrer
höherstufigen Art für Seiendes konstituierend.

Einfühlung als Fremderfakrung, Wahrnehmung eines


anderen Menschen
Der Leib dort als Leib erfahren gemäss der Apperzeption mei-
20 nes Leibes. Das scheint einfach, es ist Apperzeption des Ähn­
lichen durch vorgängig erfahrenes Ähnhches, ihm gemäss. Aber
es ist doch nicht so wie in dem schon konstituierten Feld ausser
mir seiender Dinge, <wo ich>, was ich an einem kennenlerne,
ohne weiteres apperzeptiv auf ein anderes, ihm ähnliches über-
25 trage. Mein Leib hat noch keinen Gleichen und gewinnt derglei­
chen erst durch die neuartige Apperzeption des Leibes, die schon
die Aussendingapperzeption voraussetzt, aber sie in eine neue
verwandelt. Mit anderen Worten, vorausgesetzt für die Kon­
stitution für mich seiender Anderer ist die Konstitution meines
30 Leibes als körperhchen Dinges wie ein anderes. Das macht erst
die Erfahrung möglich von gleichen Dingen mit meinem Leibe
und dann möglich, dass solch ein gleiches Ding wie mein Leib­
ding Leib, aber Leib eines Anderen sei, für mich so erfahrbar sei.

Konstitution der primordialen Welt und zunächst der


35 „ausserleiblichen" Aussenwelt
Voranhegt hier die Konstitution der ausserleiblichen primordi­
alen Welt als raumzeitlichen Welt, wobei mein Leib mit seinen
TEXT NE. 16 261

Kinästhesen fungierender Leib ist. Im Wandel der kinästhe-


tisch motivierten Erscheinungsweisen konstituiert sich jedes
Aussend ing als dasselbe und so jedes Zusammen konfigurativ
als dasselbe, und zwar als verharrend in Ruhe und Bewegung,
5 sowie in qualitativer Unveränderung und Veränderung.
Voraussetzung dabei, an sich Erstes, <ist die> Konstitution von
Bewegung (mit Deformation) und Ruhe, und das innerhalb des
Raumfeldes als Invarianzsystem möglicher Lagen. Diese Konsti­
tution in zwei Stufen: 1) Die Kinästhesen des Gehens sind noch
10 ausser Spiel; wir abstrahieren vom „ich gehe” und vom Sinne die­
ses „ich gehe” als: ich bin im Raume bewegt. Damit zusammen­
gehörig: ich werde „mechanisch” im Raume, ohne mein Gehen,
bewegt. Es sind also bloss im Spiel meine verschiedenen sonsti­
gen Kinästhesen, Armbewegungen, Finger-, Augenbewegungen,
15 auch Fussbewegungen, die nicht Gehen, Springen etc. sind.
2) Erst nachdem wir die Leistung dieser Sphäre betrachtet ha­
ben, kommt das Gehen in Frage. Das „ich ruhe” geht konstitu­
tiv dem „ich bewege” insofern voraus, als dieses seine Bedeutung
als Kontinuum möglicher Ruhepunkte erst gewinnen muss.
20 Hier betrachten wir nun im System des „ich bewege mich”, rein
nach seinem subjektiven kinästhetischen Sinne genommen, die
besondere Ruhe des Stehens, Sitzens, des „mich nicht Fortbe-
wegens”, wie es in schon objektiver Auffassung heisst, die hier
erst konstitutiv aufgebaut werden soll. Alle sonstigen Kinästhe-
25 sen sind im Spiel, in ihrem freien Ablauf als „Ruhe” und „Bewe­
gung”. Dabei <ist> konstituiert die erscheinende Aussenwelt von
Dingen in ihrer Bewegung und Ruhe, aber auch mein Leib ist
dann durch sein leibliches auf sich selbst Bezogensein konsti­
tuiert als beweglich in den oder jenen Organen, die Hand im
30 Ausstrecken ist räumlich in Bewegung in eins mit dem „ich
strecke aus”, die Augen räumlich rollend in den Augenhöhlen
und in eins das „ich bewege die Augen” etc. Die Kinästhesen und
räumlichen Bewegungen <sind> in Einigung durch Assoziation,
und dabei Kombination der verschiedenen Bewegungen im Dop-
35 pelsinn: zugleich bewegt sich der Kopf und das Auge im Kopf,
zugleich die Hand, der Oberarm, die Finger usw. Sehen wir von
den Kinästhesen ab, so sind die Organe und ihre Einheit, der
Leib, eben ein Körper wie die anderen, wie die anderen konsti­
tuiert als Körper mit Beziehung auf die Erscheinungsweisen,
262 .CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

motiviert durch die jeweils fungierenden Kinästhesen, die als


fungierende nicht zu den Raumdingen gehören, sondern zu ihren
subjektiven Gegebenheitsweisen. So auch für den körperlichen,
dinglichen Leib. Der Körper ist konstituiert jeweils durch fun-
5 gierende Kinästhesen mit zugehörigen Erscheinungsweisen, die
hier freilich in Änderung der Einstellung als in den Händen,
den Augen, in den Leibgliedern lokalisierte kinästhetische Ver­
läufe und als Parallelen der äusseren räumlichen Bewegungen
der Glieder erfahren werden.
10 In diesem konstitutiven Zusammenhang haben wir Dinge ge­
geben als Nahdinge und Ferndinge, Bewegungen und Verände­
rungen gegeben in verschiedenen, auf die verschiedenen kinäs-
thetischen Sondersysteme bezogenen Erscheinungsweisen. Für
jedes solche System haben wir ein System der Erscheinungen von
15 Ruhe und Bewegung, von Veränderung und Unveränderung.
Aber all das wandelt sich ab, wenn andere kinästhetische Syste­
me in Mitfunktion treten. Aber in der Gesamtheit konstituieren
sie in aufzuklärender Weise eben schon, obschon mit sehr be­
schränktem Gehalt, verharrender Dinge seiende „Welt”.
20 Hierbei habe ich eine Kernsphäre von vollursprünglich konsti­
tuierten Dingen, sozusagen eine Kernwelt, die Sphäre der Dinge,
zu denen ich vermöge meiner Kinästhesen hinkann, die ich in op­
timaler Form erfahren kann, betastend, sehend etc., wo ich also
verfügbare Systeme von Erscheinungen für sie habe, die ich ver-
25 möglich überführen könnte in die optimalen Erscheinungsweisen.
Darin hätte ich auch eine mögliche Praxis, Kernsphäre möglicher
Praxis, einer unmittelbar durch meinen stossenden, schiebenden
etc. Leib zu vollziehenden.
Doch habe ich apperzipiert auch Dinge ausserhalb dieser
30 Sphäre. Was kommt hier in Frage? „Dinge” entfernen sich in
Perspektivierung bis zum äussersten Rand des Horizontes, und
von dort her Annäherung in Perspektivierung, evtl, eintretend
in das Kernfeld. Sie verhalten sich in der Perspektivierung wie
Dinge. Sehr „ferne” Dinge in ihrer Ungewöhnlichkeit gegenüber
35 der vertrauten und erstvertrauten Nahsphäre (Kernsphäre)
sind ähnlich Nahdingen von verkleinertem Format — und doch
wieder nicht ganz, sofern sie sich nicht merklich perspektivieren
durch Ins-Spiel-setzen der Kinästhesen, und nur, wenn sie sich
bewegen, sich im Horizont schliesslich verlieren: sie können dann
TEXT NR. 16 263

wie Bilderbuchbilder gesehen werden. Das tritt natürlich nicht


in Frage, wenn das Erfahrene sich im „geschlossenen Raume"
abspielt (im Zimmer z.B.); dann fehlt die „ungewöhnliche Ferne”
mit dem Horizontkreis. Nicht in Betracht gezogen sind die
5 nicht durch Perspektiven im Zusammenspiel a l l e r Kinästhesen
konstituierten Phänomene, die Sternbilder, die Wolken, der Re­
genbogen, die Sonne, der Mond, das Nordlicht usw.
Nun aber spielt von vornherein schon mit das Gehen, und
schon im geschlossenen Raume, in dem normalerweise alles zu-
10 gänglich wird und so alles sich in derselben Weise als reales Aus-
sereinander raumzeitlich konstituiert. Der geschlossene Raum
ist aber dinglich geschlossen und hat seine Ausgänge in den
offenen. Und nun vollzieht sich die apperzeptive Erweiterung
der Nahsphäre (der ursprünglicheren Kernsphäre) zu einer ho-
15 mogenen endlos offenen Raumwelt.
Zunächst im Gehen, zusammenspielend mit den anderen Kin­
ästhesen und den durch sie schon konstituierten Dingen einer
„Kernwelt”, werden die Fernerscheinungen perspektivierend ab­
gewandelt in Naherscheinungen und werden also vorweg aufge-
20 fasst in der Vermöglichkeit, sie als Dinge auszuweisen, und dazu
gehört auch, mit ihnen „selbst”, unmittelbar tätig umzugehen.
So für alle ausserleiblichen Dinge. Der Leib hat von vornher­
ein eine konstitutive Ausnahmestellung. Schon wenn ich die
Konstitution im Stehenbleiben betrachte. Der Leib (ähnlich wie
25 die Wand des geschlossenen Raumes )ist nicht erfahren als mög­
licherweise und auch vermöglicherweise bald ruhend, bald sich
bewegend als ganzer Körper, sondern nur die Glieder, und <auch
diese nur> beschränkt. Meine Hand kann ich bewegt erfahren
und in der perspektivischen Weise erfahren als wie eben eine
30 ähnliche Dingbewegung, und doch kann sie nicht beliebig bewegt
werden und bewegt sein, so wie ein sonstiges Ding nach allen
Orientierungsrichtungen beliebig weit; ich kann meine Hand
nicht fortwerfen, dass sie weit weg fliegt etc. Was aber den gan­
zen Leib anbelangt, so gleicht seine Erscheinungsweise unerach-
35 tet aller Gliederbewegungen der Ruhe, ähnlich wie ein Baum im
Ganzen ruht, auch wenn seine Zweige bewegt sind. Und doch,
jede dingliche Ruhe ist ihrem Sinne nach nur als Ruhe erfahren
mit der Möglichkeit derjenigen Erscheinungswandlung, in der
sich dingliche Bewegung konstituiert. Eben das aber ist für den
264 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

Leib nicht der Fall. Abgesehen davon, dass er als mein Leib ein­
zig ist dadurch, dass er erfahren ist als mein Totalorgan und ge­
gliedert in Organe, in denen ich das fungierende Ich bin, und so,
dass in diesem Funktionieren alle Dingwahrnehmung statthat
5 und auch die Wahrnehmung des Leibes selbst, durch sich selbst
also, ist der Leib auch einzigartig konstituiert dadurch, dass er
sozusagen halb und halb als Ding erfahren ist und doch nicht
für ihn erfahrbar ist dingliche Bewegung — so wie diese eben ur­
sprünglich sich konstituiert in perspektivierenden Phänomenen.
10 Daran ändert sich nichts, wenn wir das Gehen hinzuziehen.
Diese Kinästhese erwirkt zunächst dadurch ein Neues, dass jene
erste „Welt", die bei konstantem Stehenbleiben (als Stillbleiben
dieser Kinästhese) konstituiert ist, um meinen körperlichen Leib
bzw. eine darin konstituierte Nullstelle fest orientierte Welt ist;
15 tritt das Gehen ein, so bleibt es dabei, dass alles Weltliche, das
für mich da ist, mir um meinen phänomenal stillbleibenden,
„ruhenden” Leib orientiert erscheint, nach hier und dort, nach
rechts und links usw., wobei ein festes Null der Orientierung so­
zusagen als absolutes Hier verharrt. Aber nun ist das „Erschei-
20 nung", und so, dass alles, was bei beliebiger Unterbrechung des
Gehens und bei Umkehr des kinästhetischen Tuns (Zurückgehen)
sich als ruhendes Objekt zeigt und im stillstehend Bleiben als ru­
hend sich ausweist, nun als in einem Orientierungswandel und
danach in einer Scheinbewegung sich gibt, während Bewegung
25 im Stillstand entweder als Ruhe oder phänomenal als abgewan­
delte Bewegung sich gibt. Das Gehen erhält die Bedeutung einer
Abwandlung aller koexistenten subjektiven Erscheinungen,
durch die sie eben nun erst die Intentionalität der Erscheinung
von den Dingen erhalten, als <die> sich in den orientierten Dingen
30 und dem Orientierungswandel als identische Dinge konstituieren.
So wie jede Kinästhese sinngebend dadurch fungiert, dass sie
ihre Modi Stillhalten und in Gang Halten („ich bewege") hat und
das kinästhetische Bewegen zum Kontinuum konstitutiv gewor­
den ist, das Kontinuum von Stellen möglichen Stillhaltens ist,
35 so auch die sozusagen abschliessende Kinästhese des Gehens, die
ihre besondere Funktionsweise hat durch ihre Rückbeziehung auf
die schon synthetische Leistung aller anderen vergemeinschafte-
ten Kinästhesen, deren jede schon den Sinn angenommen hat,
mit jeder anderen in Stillhalten und Sich-bewegen vermöglich
TEXT NR. 16 265

kombinierbar zu sein und so Funktionsglied in einem Funk­


tionsganzen, sozusagen einer Einheit organisierter Funktionen.
Im Gehen konstituiert sich neue Bewegung und Ruhe (wie
alle sonstige Unveränderung und Veränderung) der Erfahrungs-
5 umweit (Wahrnehmungswelt) in ihrer strömenden Weise. Es kon­
stituiert sich nun erst das feste Ortssystem mit den festen Ab­
ständen, den festen Konfigurationen, Gruppierungen der ruhen­
den Dinge, und der „objektive” Wandel dieser Konfigurationen
durch Abstandsänderung in der Bewegung.
10 Ich frage mich, konstituiert sich die homogene objektive Welt,
die homogene Raumzeitlichkeit, der gegenüber die orientierte
blosse Erscheinung ist, erst durch das Zusammenspiel von Selbst­
gehen und Gefahren-, mechanisch Bewegtwerden? Versuchen
wir es mit dem blossen Selbstgehen. Kann man nicht sagen, im
15 ersten System, dem der starr orientierten Raumwelt, hat jedes
von jedem seinen veränderlichen oder festen Abstand? Auch mein
Leib hat, wie seine Glieder, wechselnden Abstand von den orien­
tierten Dingen, nur dass er keine Stellungsänderung vollziehen
kann, er bleibt starres Nullobjekt, und nur andere Objekte än-
20 dem relativ zu ihm den Abstand. Im Gehen ändere ich von mir
aus meinen Abstand zu den im Wandel der Orientierung iden­
tisch ruhenden, verharrenden Objekten, und wie zwei Aussen-
objekte sich schliesslich berühren können, wodurch ihr Abstand
an der Berührungsstelle null wird, so auch mein Leib und irgend-
25 ein Aussenobjekt. Kann ich also auf diese Weise nicht in der
Reichweite meines Gehenkönnens überallhin kommen, und ist so
nicht schon der Raum als Ortssystem (und nicht mehr als Orien­
tierungsraum) und mein Leib als Objekt wie andere und als einen
Teil des Raumes einnehmend, im Raume Stelle habend und be-
30 wegt, räumlich bewegt wie andere Objekte, konstituiert?
Das feste Ortssystem aller für mich perspektivisch-zugänglichen
Aussendinge ist offenbar konstituiert und auch, dass ich mich
leiblich jedem Ding und Ort annähern kann (auf der „Erdober­
fläche” ; indirekt auf dem Wege schon der Einfühlung in Vögel ver-
35 stehe ich Fliegen und habe dann die ideelle Möglichkeit eines Flie­
genkönnens und immer weiter Fliegenkönnens idealisierend vor
Augen; aber das gehört nicht zu der jetzigen konstitutiven Stufe).
Ich kann an jeden Ort herankommen und an ihm sein, und so ist
mein Leib auch ein Ding, eine res extensa etc. und beweglich.1
1 Aber ist das wirklich korrekt?
266 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

Leistet nun aber das im Raume Bewegtwerden (Gefahrenwer­


den, Getragenwerden etc.) nichts für die Konstitution, leistet es
nicht Wesentliches für die Möglichkeit der Einfühlung?

BEILAGE XVI
5 ZUR SYSTEMATISCHEN KONSTITUTION DER UNTERSTEN PHYSISCHEN
NATUR. LEIB UND AUSSENDING IN KORRELATION
(Ende Mai 1932)

Wenn ich in primordialer Abstraktion, also „vor” der Mitgeltung


Anderer, zur Klarheit bringen soll, wie bei der wesentlich verschiede-
10 nen Gegebenheitsweise des eigenen Leibkörpers und der aussending-
lichen Körper eine Apperzeption zustande kommen soll, in der dieser
Leibkörper erfahren sein soll als ein Körper wie jeder andere, so hat
man verschiedene schwierige Probleme zu lösen.
Von vornherein ist für uns, die wir in der ständigen Welterfahrung
15 leben, der eigene Leib erfahren als ein raumkörperliches Ding unter
anderen und jedes andere Ding ebenso. In der allgemeinen Erfahrung
sind alle Dinge eben als Dinge erfahren, wie verschieden sie auch sein,
mit wie verschiedenem speziellen und individuellen Sinn sie erfahren
sein mögen. Ein regionales Allgemeines Hegt in der Apperzeption, sie
20 ist „Ding”-Apperzeption. Sie hat im Sinn schon den Weltraum als
universalen Horizont, in dem das jeweiHge Ding ist unter anderen, ins
Unendliche nach ErfahrungswirkHchkeit und -möghchkeit. So finde
ich in der Einheit einer Gesamtapperzeption einer Wahmehmungsge-
genwart von der Welt immerzu beides, Leib und Aussendinge; mein
25 Leib immer da, andere <Dinge> wechselnd im Auftreten.
Ich betrachte erst für sich die Sonderapperzeptionen, die typischen
von Aussendingen und die meines Leibes. Sehe ich mir aber diese Ap­
perzeptionen in concreto an, als meine Selbstleibwahrnehmung und
meine Wahrnehmung von einem anderen Ding, und überlege ich den
30 systematischen Gang der Erfahrungskontinuität, in der im einen und
anderen FaH der Wahmehmungssinn „Leibkörper” <und> „Aussen-
ding” zu fortschreitender erfüllender Selbstgegebenheit kommt, so
muss ich konstatieren, dass beiderseits bedenkhche Unterschiede ob­
walten, die es schwer verständhch machen, wie liier beides in gleichem
35 regionalen Sinn gelten, beides in gleichem Sinn als Raumobjekt gelten
kann.
Für alle Aussenobjekte (die Nicht-Leiber) ist die Mannigfaltigkeit
der Erfahrungen und ihre VereinheitUchung zur Selbstgebung eines
und desselben daseienden Objektes völhg gleich; aber eine ganz iso-
40 lierte und andersartige für die Selbstleibwahmehmung.
Ich halte mich an das, was wirkhche und möghche Wahrnehmung in
der Einheit einer universalen Wahmehmungskontinuität bietet und
BEILAGE XVI 267

bieten kann, oder ich überschaue die totale Mannigfaltigkeit wirklicher


und möglicher Wahrnehmungen, die alle miteinander einzeln, und
schon als Erfahrung vom selben verknüpft, verknüpfbar sind.
Zunächst Aussendinge (und diese vor aller Veränderung, ruhend,
5 qualitativ unverändert, weder deformiert noch in ihren extendierten
Qualitäten sich verändernd; da fällt also auch die Änderung durch
Teilung und Zusammenstückung noch aus). Ich gewinne dann in der
Frage, was von den apperzipierten realen Dingen zur wirklichen Selbst­
gegebenheit kommt, die Oberflächenphantome als verständliche Ein-
10 heiten von „Seiten”, von den jeweiligen Phantomdarstellungen; da­
bei <ist> darauf verwiesen, dass die Einheitsgeltung in diesem Gang
der Seitengeltungen motiviert ist durch das Fungieren der Leiblichkeit
als Wahrnehmungsleiblichkeit, in der ich fungierend tätig bin. Von da
aus müsste fortgeschritten werden zur weiteren Rückfrage der Ding-
15 apperzeption, Frage nach den möglichen Wahrnehmungen, in denen,
was sonst dem Ding als solchem eigen ist, zur Selbstgegebenheit käme.1
Gewisse ontologische Unterscheidungen sind dabei Leitfäden, und
ihre Ordnung ist durch die Fundierung der Wahrnehmbarkeiten und
Wahmehmungssysteme bestimmt, als Systeme, in denen in vorge-
20 zeichneter Ordnung, die selbst eine Vorzeichnung von Geltungen durch
Geltungen impliziert, Ausweisung allein verlaufen kann, aber so, dass
im zu gewinnenden Gesamtsystem Fundierungsverhältnisse obwalten:
Das System des Phantoms fundiert das der Bewegung, der Deforma­
tion, der Teilung usw. Gesucht ist das geltungsmässig an sich Frühere
25 und an sich Spätere.
Das erste ist der Rückgang vom Ästhetisch-Ontischen zu den selbst-
darstellenden Erscheinungen desselben. Dann Betrachtung der Eigen­
art der ästhetisch-ontischen Leiblichkeit und ihrer Erscheinungsweise.
Wir kommen sofort auf <das> „ich dabei” : mein Wahrnehmen, mein
30 Fungieren im Leibe, <in den> Wahmehmungsorganen. Wende ich
mich dieser Richtung zu, so ist nun selbst der Leib, sogar ständig, als
erfahrenes Ding, aber <als> mehr denn <ein> Ding gegeben; und sein
Fungieren als das motivierend Vorausgesetzte, damit andere Dinge mir
in Erscheinungsweisen erscheinen, darin als seiend gelten können mit
35 dem und dem sich darstellenden ontischen Inhalt, bietet sich als ein
ontisches weltliches Vorkommnis, und doch nicht als ein blosses Na­
turvorkommnis. Studiere ich, wie dieses ontische Miteinandersein von
Leibkörper und Wahrnehmungsobjekten ausser ihm zur Selbstgebung
kommt, wie dessen Wahrnehmungssystem <und> Erscheinungsweise
40 aussieht und die zu ihm gehörigen Geltungsfundierungen und Geltungs­
motivationen, so komme ich ontisch auf die Gliederung des Leibes in
bewegliche, und zwar kinästhetisch bewegliche Organe, die in diesen
Bewegungen als Wahmehmungsorgane fungieren. Und diese Organe

1 Unzureichend, voreilig! Das körperliche Ding, rein wie es original erfahren ist:
ontologische Beschreibung. Die ästhetische Wesensstruktur des Dinges: Leitfaden
für die phansiologische Struktur und die ichlich-noetische.
268 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN" 1931-1932

haben, wie ich schon immer sie auffasse, die besonderen ontischen
Strukturen als Augen, als Tastorgane etc. Aber hier ist nur die Frage,
was die Wahrnehmung wirklich zur Selbstgegebenheit bringt, was im
Gang der aussendinglichen Wahrnehmung auf Leibesseite selbst im
5 wahmehmenden Bewusstsein von ihm gegeben ist, als die Seinsgel­
tung, die den Dingerscheinungen einwohnt, motivierend, also fundie­
rend. Wahrnehmung von allem Realen, und in Reduktion auf das
eigentlich Perzipierte, ist zurückbezogen auf Wahrnehmung meines
Leibes; auch die reduzierte Naturerfahrung weist zurück auf meinen
10 Leib, der selbst wahrnehmungsmässig gegeben ist als „Ding” — aber
noch <als> mehr.
Aber ist der Leib, indem er als wahrgenommenes Körperding gilt,
nicht selbst in derselben Weise wahrgenommen wie andere Dinge,
nämlich durch Sehen, Tasten etc. ?
15 Ich komme also auf das Für-sich-selbst-fungieren des Leibes als
Wahmehmungsorgan oder auf die Weisen, wie er aus mannigfaltigen
Organen gebaut ist und ich in ihnen fungierend jedes Organ bald als
Wahmehmungsorgan für andere Organe, für den übrigen Leib be­
nützen kann, bald als das Wahmehmungsobjekt, indem dabei andere
20 Organe als auf es wahmehmend bezogen fungieren.
Ich stosse auf die Schwierigkeit: Die Oberfläche des Aussendinges
ist sowohl haptisch als optisch konstituiert; die Oberfläche meines
Leibes kann ich zwar allseitig abtasten, aber nicht voll sehen, und doch
habe ich eine vollseitige optische Vorstellung meines oberflächlichen
25 Aussehens für mich. Wie ist die „Ergänzung” des Nichtgesehenen
denkbar, als „mögliche Wahrnehmung”, die doch für mich niemals
möglich sein kann ?
Ferner finde ich, dass mein Leib in der Sclüchte der Oberflächlich­
keit — in reiner Erfahrung — eine doppelschichtige Erfahrungsweise
30 hat, die kein anderes Raumobjekt hat (die„Ästhetik” des Leibes führt
über das Sinnlich-Ästhetische jedes anderen Dinges hinaus). Seine
Oberfläche ist eine kontinuierlich „empfindsame”, und in ihm bin ich
in meinen wahmehmenden, aber auch ursprünglich praktischen Tätig­
keiten fungierend. In diesem Fungieren bewegt er sich — doppelseitig,
35 im räumlichen Bewegen und kinästhetisch ichlich; und dieses inner­
liche „ich bewege” hat in sich nichts von Bewegung im Raumsinne.
Aber darin hegt auch beschlossen, dass ein Aussending im allseitigen
Erfahren in der Schichte der Oberflächenerfahrung als unbewegt,
überhaupt unverändert erfahrbar ist und dann die konkrete Erfahrung
40 notwendig den Sinn hat des daseienden unverändert verharrenden
Dinges.1 Explizites Selbstleiberfahren zeigt aber notwendig den Leib,
und zwar hinsichtlich seiner „Aussenseite”, in Bewegungsvorgängen
und in miterfolgenden Deformationen.
Weiter, jedes Aussending hat sein zu seiner totalen Gegebenheits-
45 weise gehöriges Totalsystem von orientierten Darstellungen, von on-
1 Das nicht bloss Oberfläche ist.
BEILAGE XVI 269

tischen Perspektiven. Andererseits, nur einzelne Organglieder meines


Leibes haben eine, aber unvollständige, Perspektivierung. Mein Ge-
samtleib aber kann sich nicht perspektivieren, kann keine Gegeben­
heitsweisen des „näher” und „ferner” haben. Damit in Zusammen-
5 hang: Aussendingliche Bewegung in ursprünglicher Erfahrung, die
den Anhalt gibt für alle mittelbare Erfahrung (für alle Mittelbarkei­
ten, den Sinn von Raumbewegung zu verstehen und eine mögliche
nicht direkt erfahrene Bewegung indirekt als seiend zu supponieren),
aussendingliche Bewegungswahmehmung hat kein Analogon in der
10 Selbstbewegung als Lokomotion des ganzen Leibkörpers. Wie kommt
die innerlich erfahrene Kinästhese zu ihrem „objektiven” Seinssinn als
Ortsveränderung in dem Raume, in demselben wie der anderer Dinge ?
Wie komme ich dazu, das, was ich wirklich aus meiner Selbstleibwahr­
nehmungskontinuität als meine Raumgestalt, die Oberflächengestalt zu-
15 nächst, erfahre, als Stück eines universalen Raumes zu apperzipieren ?
Jedes Aussending ist gegeben in der Möglichkeit seines Platzwechsels
mit dem jedes anderen. Kann ich in gleicher Weise diesen Platzwechsel
sehen, wahmehmen, der zwischen einem anderen Ding und meinem
Leib statthat, wenn ich „mich bewege” ? Freilich, wenn ein Ding ruht,
20 kann kein anderes seine Stelle besetzen, im Hinbewegen kommt es zum
Stoss, das ruhende widersteht, und solange es nicht fortgestossen ist
oder sonstwie in Bewegung kommt, hält es seinen Platz. Solange ich
stillhalte, kinästhetisch Ruhe halte, kann ein Aussending an meinen
Leib bis zur Berührung heran, und bleibe ich in Ruhe, „widerstehe”
25 ich, „spanne ich eventuell meine Kraft an”, so ist die Bewegung zu
Ende. „Weiche ich aus”, so findet das Ding leeren Raum, den es in
Bewegung weiter durchlaufen kann. Aber das Stillhalten, der Wider­
stand, die Kräfte, von denen da die Rede ist, als die ich anspanne,
sind Innerlichkeiten und nicht Gegebenheiten meiner leibkörperlichen
30 Erfahrung als Aussenerfahrung.
Muss man nicht sagen, der zu den Aussendingen aus wirklicher
Wahrnehmung, wirklicher und möglicher Wahrnehmung gehörige
Raum, der Raum primordialer Wahrnehmung, konstituiert sich als
Einheit in der Art, dass ich in jedem Moment und ständig Nullzentrum
35 des Stellensystems der Orientierungen bin, in dem sich die Raumstel­
len darstellen, die jeweils als solche erfahren sind? Das im Modus der
Orientierungsstelle Erscheinende, seinem Gehalt nach, ist die Apparenz
(die qualifizierte Oberfläche), deren unterscheidbare Teile selbst
orientiert gegeben sind, untereinander relativ orientiert. Der körper-
40 liehe Leib ist in seiner Gegebenheitsweise als Nullkörper im ganzen
genommen einer Stellungsänderung, einer Orientierungsbewegung
nicht zugänglich, im orientierten Raume weder in Ruhe noch in Be­
wegung, ungleich allen anderen Objekten. Er hat aber seine Apparenz,
seine Extension und in ihr in besonderer Weise innere Unterschiede der
45 Orientierung. Im kinästhetischen Wandel des Gehens in der oder jener
subjektiven Richtung identifiziert sich in stetiger perzeptiver Erfül­
lung die Apparenz der orientierten Stelle als Raumstelle und die Appa-
270 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

renz der Nullstelle und -extension, trotz ihrer Unveränderlichkeit als


Null, wieder als eine räumliche Stelle für den einen räumlich exten­
dierten Leib. Meine eigene Apparenz von Körperlichkeit indiziert mir
für jedes sinnlich wahrnehmungsmässige Orientierungsfeld und seine
5 Orientierungsrichtungen die in vertrauten Kinästhesen künftig zu er­
fahrenden orientierten Räumlichkeiten und in ihrer apperzeptiven
Identitätssynthesis das Sich-freilegen von Orientierungsraumsphären,
Orientierungsraumstellen, die in dieser apperzeptiven Identifikation
bei entsprechendem Gehen ausfallen würden, weil mein Leib als Zen-
10 trum aller Orientierung und Orientierungsabwandlungen, mit seiner
zentralen Kinästhese diese Abwandlungen erweckend, nicht selbst als
Einheit in Orientierungswandlungen gegeben sein kann. Er indiziert
immerfort in der Weise, wie er selbst, und korrelativ, konstituiert ist,
mögliche ursprüngliche Perzeption von Räumlichkeiten, und in dieser
15 Indikation setzt er eine Räumlichkeit indirekt in Geltung als solche
möglicher Erfahrung, die also in seiner gehenden wirklichen und
möglichen Kinästhese i n d i r e k t zur Ausweisung kommt.
Indem aber mein Leib in seiner gehenden Kinästhese immer wieder
orientierten Raum freigibt und die Konstitution einer identischen,
20 sich als unmittelbar perzeptiv orientiert darstellenden Räumlichkeit
möglich wird, ist wohl verständlich, dass ein universaler Raum ist und
eine Raumwelt, in welcher alle orientiert gegebenen Dinge im Wechsel
ihrer Orientierungen identische Raumstellen haben, die sie in Ruhe
oder Bewegung bald innehalten, bald wechseln. Das betrifft aber nur
25 alle ausserleiblichen Dinge, eben als die in möglichem Orientierungs­
wandel stehenden, als ein Wandel, der zur Darstellung von Identischem
dadurch wird, dass ich es bin, der in seinem vermöglich beherrschten
kinästhetischen System jeden Orientierungswandel erzeugen, jeden
von selbst eintretenden umwandeln und ideell auch aufheben kann.
30 Dagegen ist noch nicht verständlich, dass mein Leib selbst im Raume
existiert, erfahren und erfahrbar sein soll als ein Raumding, das seine
Stelle hat, dass er darin physisch bewegtes und ruhendes und so über­
haupt reales Objekt ist, als res extenso, in seiner Äusserlichkeit konsti­
tuiert.
35 Ich apperzipiere mich als mich innerlich kinästhetisch bewegend
und apperzipiere das als ein von innen Inszenieren einer mechanischen
Bewegung, einer Bewegung im objektiven Raume. Ich apperzipiere
mich als innerlich stossend, schiebend, als Widerstand erfahrend und
widerstehend, und verstehe das äusserlich mit als physischen Vorgang
40 von Stoss und Gegenstoss, von Widerstehen usw., der zwischen dem
Ding Leib und dem anderen Ding sich genau so abspielt wie zwischen
zwei beliebigen Dingen überhaupt: So ist mein Leib Naturobjekt.
Es fragt sich, wie weit die Seinssinnkonstitution der Primordialität
reicht, die ich abstrakt herausstellen muss, obschon ich natürlich wohl
45 merke und mich bei Besinnung reichlich davon überzeugen kann, dass
der Seinssinn der extensiven Natur sich nicht rein primordial aufbaut
und Andere sozusagen beständig mir mithelfen — sowie sie als Andere
BEILAGE XVI 271

für mich erfahrbar und erfahren sind. Will ich aber verstehen, wie die
Seinsgeltung des Sinnes Anderer in ihren Fundierungen beschaffen ist
und wieweit primordiale Geltung und Geltungseinheit fundierend ist
für die Ermöglichung der Wahrnehmung von Anderen, muss ich zu-
5 nächst eigensinnig die Reichweite der primordialen Konstitution ver­
folgen als Geltungsfundierung aus der systematischen Struktur der er­
füllenden Identifizierung im System möglicher, in einstimmiger Syn­
thesis der Selbstbewährung verlaufend gedachten Erfahrung. Ich muss
dadurch diejenige doppelseitige „psychophysische” Einheit der Prim-
10 ordialität heraus bekommen, die als in sich geschlossenen Seinssinn
eine „Aussenseite”, eine Sondergeltungseinheit körperlicher Leib in
sich trägt, die in dem ihr zugehörigen typischen äusseren Gehaben mit
einem ähnlichen, ähnliches Gehaben zeigenden Aussenkörper (fremder
Leib) sich assoziativ paarend zur appräsentierenden Übertragung der
15 „psychischen” Seite führt.
Es muss aber dabei verständlich werden, gerade aus der Eigentüm­
lichkeit der originalen Konstitution der leiblichen Körperlichkeit und
zugleich aus ihrer Überschicht an Appräsentationen, die schon die
Eigenheit hat, nicht zur eigentlichen Präsentation werden zu können,
20 warum das in der Einfühlung appräsentierte Seelische nicht in origi­
nale Präsentation für mich überführbar ist.
In der Schichte Apparenz des Realen, primordial: Erfahren ist im­
mer innerhalb der Wahrnehmung reale Gegenwart als Modus der rea­
len Zeitapparenz und das Reale an seinem Ort, dargestellt in der räum-
25 liehen Gegenwart, im Hier und Dort. Diese Darstellung ist Orientie­
rung. Aber wie immer Orientierung wechselt und wie immer das Er­
fahrene als ruhend oder bewegt erfahren sein mag, es hat seine körper­
liche Extension, und in der Erfahrung <ist> in jedem Moment als ei­
gentlich Erfahrenes seine Oberfläche erfüllt, seine Apparenz, und in
30 jedem Augenblick diese nur von einer Seite. Die Apparenz am eigent­
lich perzeptiv Gegebenen <ist> zweischichtig dargestellt, unmittelbar,
visuell-taktuell.
Gesehenes und Betastetes appräsentieren sich wechselseitig, und die
Appräsentation ist ursprünglich in der Sphäre, wo es im Bewusstsein
35 geschieht: wo ich nicht sehe, aber taste, vermag ich das entsprechende
Sehen bzw. das dem Getasteten als solchem zugehörige Visuelle als
Darstellung de s s e l ben <zu> aktualisieren. Ich restituiere hier, was
die ursprüngliche Genesis als vermöglich gestiftet hat. Aber meinen
Rücken kann ich nicht sehen, und doch wird er ganz so miterfahren,
40 ursprünglich apperzipiert als wie die Rückseite meiner tastmässig er­
fahrenen Hand, für die ich die appräsentierte visuelle Seite jederzeit
gewinnen kann. Die verschiedenen Sinnlichkeiten haben doch mit ihre
sinngebende Funktion. Mag sein, dass die typische Analogie des Tast­
rückens mit dem Tasthandrücken sozusagen leichtsinnigerweise in
45 „blinder” Assoziation dahin führt, den visuellen Rücken zu appräsen­
tieren. Aber sagt das anderes als, gewohnheitsmässig erwarte ich, in as­
soziativer Geltungsübertragung, und darin hegt, Vermöglichkeitsüber-
272 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

tragung, dass ich, was ich hier kann, auch dort kann, und nämlich das
Analogon des Visuellen, das ich antizipiere, zu verwirklichen ?
Wie kommt es, dass ich nun, da jeder Versuch zum Misslingen führt,
doch dem Betasten des Rückens die entsprechenden visuellen Eigen-
5 heiten als Parallele zuweise, anstatt sie zu durchstreichen ? Lautet hier
nicht die richtige Antwort: Konstituiert ist Seiendes nicht für sich
visuell oder taktuell, als ob zwei Seiende für sich konstituiert wären,
sondern ein Seiendes; und die Vermöglichkeit, die ihm zugehört, ist
die möglicher erfahrender Ausweisung, die neben sich hat Möglichkei-
10 ten des Scheins. Dazu gehört aber, dass die Durchstreichung, das
„nichtig”, als Schein nur seine ursprüngliche Ausweisung haben kann
in Widerstreit mit standhaltendem Sein. In unserem Falle: Der apprä-
sentierte visuelle Rücken ist Rücken, ist derselbe, der taktuell erfahr­
bar ist in der Einheit der Rückenerfahrung. Dass ich faktisch nicht
15 „hinkann” im Sehen, ergibt keine Durchstreichung als Schein; denn
ich kann ja hin, in der ständigen Berührung durch die Kleider bin ich
eigentlich schon in dieser Erfahrung, ich schreite im Sinn der grösseren
Erfüllung fort, indem ich mit der Hand hinfasse. Habe ich den Über­
gang in die visuelle Appräsentation gemacht und darin aus gegebenen
20 Motiven künftige visuelle Darstellungen antizipiert, so sind sie nichts
Fiktives, sie haben Geltung, sie weisen sich bestätigend aus durch ta­
stendes Tun oder erweisen sich als unrichtig. Aber freilich, während
sonst die Erfüllung beide Seiten einschlagen kann und im allgemeinen
die visuelle Nahsphäre die Optima ergibt, kann ich hinsichtlich der un-
25 zugänglichen Leibesteile diesen Vorteil nicht haben. Beim Kleid am
Rücken kann ich mich auch durch Ausziehen desselben und vor meinen
Leib Hinhalten oder getrennt Hinlegen visuell überzeugen (wobei aber
das Taktuelle mitgilt in seiner Appräsentation und mitstimmen muss
in ihrer Ausweisung, sonst ist das Visuelle Schein). Aber es ist doch
30 evident, dass ich das für den Leib selbst nicht kann.
Wie nun hinsichtlich der Bewegungen ? Gehend apperzipiere ich mich
als bewegten Körper im Raume. Ursprünglich aber erfahren bin ich
nur hinsichtlich des kinästhetischen „ich gehe”. Von meiner Raumbe­
wegung aber? Ursprüngliche Erfahrung von räumlicher Bewegung
35 habe ich nur an anderen Dingen als orientierten. Auch hier kann ich
mir ganz gut vorstellen, wie mein Gehen „aussehen” würde, wie es sich
mit geschlossenen Augen am Tastobjekt darstellen würde. Tue ich hier
so, als ob mein Leib ein Aussenobjekt wäre, als ob er wie ein solches
visuell sich perspektivieren würde im sich von mir Entfernen, im
40 Orientierungswechsel überhaupt? Aber wie soll diese Vorstellungs­
weise einen Geltungssinn haben, den sie doch für mich hat, da es wider­
sinnig ist, das als eine mögliche Erfahrung gelten zu lassen in der Art,
wie die Vorstellungsweise der möglichen Bewegung eines Aussendinges
die Geltung hat als mögliche Erfahrung, in möglicher Wahrnehmung
45 zu verwirklichen? Wie kann eine anschauliche Vorstellung als mög­
liche Erfahrung nichtig sein und doch eine Geltung in sich tragen, und
eine Erfahrungsgeltung ? Das wäre dann wohl, wenn überhaupt, mittel-
BEILAGE XVI 273

bar möglich, indem diese Vorstellung im Zusammenhang des mögli­


chen Wahrnehmungssystems von demselben Geltungsfunktion an­
nimmt, sofern es mögliche Erfahrungen darin indiziert, obschon nicht
diejenige, die hier wie eine unmittelbare zu der Tastwahrnehmung ge-
5 hörige Parallele sich gibt.
Das Beispiel des Kleides zeigt die Möglichkeit solcher mittelbaren
Verweisungen. Das visuelle parallele Bild des getasteten Rockrückens,
den ich gerade trage, hat keine unmittelbare Geltung, als unmittelbare
Appräsentation, als in unmittelbar vermöglicher Präsentation zu Ver-
10 wirklichendes, d.i. im blossen Hinsehen. Aber die in diesem Geltungs­
sinn entwertete Anschauung verweist mich nicht nur auf die mit­
geltende Taktualität einerseits, sondern andererseits in der visuellen
Sphäre selbst auf die Mannigfaltigkeit von visuell herstellbaren Wahr­
nehmungen dieses Rockes und was darin visuell zu entdecken ist, die
15 ich vermöglich hersteilen kann durch Ausziehen des Rockes etc.
Das führt uns darauf hin, dass das synthetisch verbundene, bzw.
verbindbare Gesamtsystem möglicher Erfahrungen, möglicher Selbst­
darstellungen, in denen ein und dasselbe Ding in seinem originalen
Selbstdasein erfahrbar ist und im synthetischen Durchlaufen in jeder
20 Hinsicht ausweisbar, in zwei wesenthch verschiedene Gruppen zer­
fällt, die miteinander in einem Motivationszusammenhang bestehen,
der mit den Seinssinn bestimmend ist.
1) Das Erscheinungssystem, in dem das (nicht mein Leib seiende)
Aussending in dem Sinne ausser dem Leibe sich darstellt, dass es im
25 Orientierungssystem nach den Dimensionen rechts, links, oben, unten,
vorn, hinten erscheint, erfahren und erfahrbar ist, als das ausweisbar,
und in allen diesen Dimensionen mit den Graduahtäten von nah und
fern. Das gibt Unterschiede der Gegebenheitsweisen der erfahrbaren
Realien hinsichtlich ihrer Erfahrung von Orten im Raume, Darstel-
30 lungsunterschiede, die sich auch ausdrücken als relative Unterschiede
des Hier und Dort; das in den verschiedenen Richtungen Entferntere
ist „dort”, das Nähere „hier”. Und die ganze relative Nahsphäre wird
auch als die des Hier angesprochen, ähnhch wie für alle Graduahtäten
innerhalb der Erfahrung (als Selbstgebung) gilt, dass das Gesamtgebiet
35 derselben sich vage gebietsweise scheidet mit den allgemeinen Cha­
rakteren nah — fern, Zwischengebiet des „weder nah noch fern”.
In allem liegt aber die Beziehung auf den Leib, „ausser” dem als im
weitesten Sinne dort die Aussendinge erfahren werden. Er selbst ist,
aber als Ganzes genommen, das Null aller Orientierungen, in diesem
40 Sinne das absolute Hier für alles Dort, alles ausser ihm.
2) Fürs zweite haben wir ein k o r r e l a t i v e s System von Selbst­
darstellungen derselben Aussendinge (als Dinge, die nicht mein Leib
sind); es sind diejenigen Erscheinungen, die die jeweils selben Körper
dadurch annehmen, dass sie mit meinem Leib „ v e r b ü n d e n” werden,
45 oder die sie in der tatsächlich schon seienden „Verbundenheit” haben
und allein haben können.1
1 Orientierungswandel: 1) von selbst ohne mein Eingreifen, nur Kinästhesen des
274 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

Was ist das für eine „Verbundenheit”? Gemeint ist natürlich die
eigentümliche Weise der Einigung, die z.B. eintritt, wenn ich ein „frei
für sich” stehendes, sich bewegendes Ding in die Hand nehme, ja
auch nur meine Hand darauflege, und die es nun hat, solange ich <es>
5 in der Hand habe, die Hand darauflegend halte (evtl, mitlaufend) ;
oder die meinen Leib und den Wagen einigt, solange ich auf ihm bin,
während er bald fährt, bald stillhält usw. Dazu gehört natürlich die
Einigkeit meiner Kleider mit „mir”, solange ich sie angezogen trage,
auch natürlich die Einigkeit mit meinem Schreibtisch, solange ich an
10 ihm sitzend, auf ihn ständig gestützt schreibe usw. „Objektiv” sind
diese Dinge nach wie vor getrennt von meinem Leibe. Wie charakte­
risiert sich also diese Einigkeit, Verbundenheit? Offenbar dadurch,
dass nun nicht mehr mein blosser Leib das Nullobjekt, das in der Nuh-
orientiefung, ist (die als Null das Gegenteil von Orientierung ist, aber
15 in aller Orientierung vorausgesetzt ist), sondern nun mein Leib in eins
mit dem mit ihm „verbundenen” Objekt. Jedes Objekt, das nicht
Leib ist, kann durch ein gewisses Verhalten des Leibes in die Null­
orientierung rücken, aber nur dadurch, dass es in diesem Verhalten an
seiner ursprünglichen und ihm eigenen Erscheinungsweise Anteil ge-
20 winnt. Der Leib hat sich das Objekt, das vordem dort war, im rechts,
links, im nah, fern, vor mir usw., so akquiriert, dass es sein Dort ver­
liert, dass es die Orientierungsmodi einbüsst und in die Nullerfahrungs­
weise eintritt, die für den ganzen Leib in eins mit dem Akquirierten
eine einheitliche ist.
25 Mitbeschlossen in dem Gesagten ist das Mitlaufen, Mitgeheri <mit
einem bewegten Ding>, das nicht nur wie jedes Gehen die Orientie­
rungsweisen der Dinge ändert, sondern als ständiges bei dem Ding Da­
beisein die Erscheinungsweisen des Leibes und die des anderen Dinges
einheitlich verbindet. Das in die Hand Nehmen ist, wenn ich gehe, das
30 vordem etwa ruhende Objekt, statt vermöge meines Gehens in Orien­
tierungswandel erscheinen Lassen, es vielmehr ständig als Null erschei­
nen Lassen, und dadurch wird es als „mit mir bewegt” erfahren. Ist es
bewegt gewesen, so ist das Mitlaufen keine Wandlung seiner Bewe­
gung, aber die seiner Orientierung in Null.
35 Das Wesensmässige und Allgemeinste ist: Es ist zwischen meinem
erfahrend-fungierenden Leib und der Totahtät jeweiliger Erfahrungen
mit Beziehung auf das ihr wesensmässig zugehörige System der Orien­
tierungen (in der festen bleibenden Form) der Zusammenhang, dass ich
durch gewisse Kinästhesen in Freiheit die wie immer faktisch verlau-
40 fenden Orientierungen beliebig wandeln kann. Ich habe Vermöglich­
keit, Herrschaft über den Orientierungswandel, mm dass ich an die
Form und an die Gesetzmässigkeit der Kontinuität des Wandels ge­
bunden bin; und darin hegt, dass ich schliesslich auch für jedes Ding
seine Orientierung in Null verwandeln und fortdauernd in der Null-

die Apperzeption Durchlaufens, 2) jedes Eingreifen ändert die gesamten Orientie­


rungen des Erfahrungsfeldes.
BEILAGE XVI 275

gestalt erhalten kann. Dies nun betrifft gewisse kinästhetische Insze­


nierungen im kinästhetischen System, sie sind die leiblichen Funktions­
korrelate dessen, was als Orientierung erfahren ist. Zu jeder passiven
Orientierung gehört eine kinästhetische Situation im Stillhalten; jede
5 Orientierung in meinem in dieser Hinsicht „gehenden” Stillhalten
(Stillstehen) steht unter der schon vertrauten Möglichkeit der Wand­
lungen.1
Vorweg hätte ich sagen müssen, dass wir in dieser Fundamentalbe­
trachtung es ausschliesslich zu tun haben wollen mit Objekten rein
10 aus wirklicher und möglicher Wahrnehmung, also nach dem, was in
ihr zur S e 1b s t darstellung kommt, und wieder, dass wir darin aus­
schliesslich den Umkreis von körperlichen Objekten ins Auge fassen,
bzw. abstraktiv ausscheiden, die allseitig und vollständig wahrnehm­
bar sind. Ausgeschlossen ist dabei der Bode nkör per , auf dem sich
15 all unser Gang, all unser natürliches und ursprüngliches Wahrneh­
mungsleben abspielt: die Er de als Bodenkörper, wie gesagt. Denn*12

1 Orientierung und Orientiertes:


1) Orientierung im okularen Feld, Kinästhese der Orientierung. Das Orientierte:
Einheit mannigfaltiger Darstellungen, einig durch die Kinästhese des sich „allseitig
Ansehens”. — In diesem kinästhetischen Wandel abschattende Darstellungen und
Synthesis abschattender Darstellungen vom totalen okularen Ding und seinen
Explikaten. Aber Ding ist es nur als orientiertes, und dabei hat es seine Intentionali­
tät auf ein Optimum „es selbst”, auf eine absolute okulare Nähe.
2) Orientierung im ästhetischen Raumfeld. Kinästhese der Orientierung. Das
Orientierte: die Apparenz, Einheit in der Mannigfaltigkeit von Darstellungen, einig
durch die Kinästhese der Einseitigkeit und Allseitigkeit. In diesem kinästhetischen
Wandel „abschattende Darstellungen”, ihre Synthesis <ist> das Oberflächending als
Entfernungsding. Zunächst Sich-ansehen der Seite — das okulare Ding in der
optischen Schichte. Es wird in der Kinästhese der Allseitigkeit des Raumdinges
degradiert zur Abschattung dieses Dinges. Die Kinästhesen, die bei der Verbindung
der visuellen und taktuellen Schichte fungieren.
Das allseitige Sich-ansehen eines Dinges (ohne es umzudrehen, was ja eine Be­
wegung desselben wäre) ist zugleich bedingend einen Orientierungswandel der anderen
Dinge.
Die Apperzeption erwächst immer in der Ausbildung der Vermöglichkeit und —
was dazu gehört — eines antizipierten Horizontes als einer konstituierten praktischen
Möglichkeit bzw. eines verbundenen systematischen Horizontes praktischer Möglich­
keiten, systematisch in ihrer kontinuierlichen Vermittlung des Sich-darstellens und
Darstellens als gekannt; also systematische Fundierung übereinander gebauter prak­
tischer Antizipationen als immer wieder erzielbarer, Erwerbe einer bleibenden immer
wieder herzustellenden Erzielbarkeit, als das Identisches, immer wieder Verfügbares
für andere praktische Möglichkeiten, ein für allemal seiend, vermögliches „immer
wieder”.
Für die ästhetische Sphäre: das Allseitige, die Apparenz relativ seiend, aber diese
selbst Erscheinung im System der Beziehungen von Entfernung und Nähe. Das Nahe
das Optimum. Aber die Mannigfaltigkeiten der orientierten Apparenz haben Iden­
tisches, in relativem Sinne Seiendes nicht nur als jeweilige Apparenz aus ihrer syste­
matischen Vermöglichkeit, sondern auch Seiendes aus der systematischen Vermög­
lichkeit, das Orientieruugssystem frei zu wandeln und in diesem Wandel Identität
als ein immer wieder Verfügbares zu erhalten. Was da im Wandel Identisches dar­
stellt, ist das in der Relativität Seiende, das Seiende als Apparenz; es ist Identisches in
Ruhe und Bewegung, ist Identisches in seinem Orientierungswandel, sofern dieser
seinerseits von mir her zu beherrschen ist.
276 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

im Luftschiff fahrend, können wir die Luft, die wir sonst zur Erde rech­
nen, nicht in einem „Gehen” durchfliegen. Wären wir Vögel, so wäre
es anders; ihr Fliegen ist ein kinästhetisches „ich bewege”, und sowie
sie sich auf ein Luftfahrzeug setzen, vollzieht sich für sie — wie für
5 uns auf unserem Bodenkörper — die Umkehr in allen Erscheinungs­
weisen. Die Beschränkung auf die für uns wirkliche und vermögliche
Erfahrbarkeit schliesst unseren Bodenkörper darum aus, weil dieser in
seiner Endlosigkeit für uns nicht erfahrbar ist in dem Gesamtsystem
seiner Erfahrungsweisen. Natürlich weist das auf Erweiterungen der
10 primordialen Apperzeptionen hin durch indirekte Sinngebungen als
Sinnerweiterungen, die hier noch nicht in Frage kommen können.
Es erwächst hier natürlich die Aufgabe, die intentionale Aufeinan-
derbezogenheit der beiderseitigen Apperzeptionen des Totalsystems
und die darin statthabende Geltungsfundierung auszulegen, die es
15 macht, dass zum Seinssinn jeder einzelnen Erfahrung eines Raum­
körpers, seinem ontischen Sinn korrelativ gehört, dass seine jeweilige
Erscheinungsweise, wenn sie eine orientierte ist, auch auf die Gegen­
erscheinungsweisen verweist, die als Nullerscheinungsweisen ihr zu­
gehören. Da alle Erscheinungsweisen im System als vermöglich inein-
20 ander überzuführende bewusst und nur so Seinssinn leistende sind, so
besagt das Verweisen, dass ich selbstverständlich von mir her, d.i. in
meiner kinästhetisch freien Tätigkeit, die betreffenden Umwandlun­
gen vollziehen kann. So werden auch Täuschungen aufgeklärt. Denke
ich z.B. nicht daran, dass ich in den Wagen oder das Schiff eingestiegen
25 bin, dessen orientierte Bewegung ich vordem sah, so erfahre ich Ruhe
oder erfahre hinsichtlich der auf dem Schiffe seienden Objekte Be­
wegungen, die andere sind als die wahren Bewegungen.
Es ist auch nicht unwichtig die Unterscheidung: Einigung mit einem
Leibesglied und dadurch Erweiterung des Leibesgliedes, wodurch es
30 mittelbar als erweitertes zum Wahrnehmungsorgan, Stossorgan etc.
wird — H a n d w e r k z e u g — , und Einigung mit dem ganzen Leib,
mit dem besonderen Fall, dass ich dadurch das Angeeignete zum
F a h r z e u g mache. Die „Zeuge” im ursprünglichen Sinn sind phy­
siche Gegenstände, durch die das ursprünglichste, unmittelbare leib-
35 liehe Tun und das nächst mittelbare des leibüch auf Äusseres Wirkens
die neue Form erhält, unter Mithinzunahme eines den Leib erweitern­
den Dinges zu wirken, und wirksamer, zweckvoUer.
Sind solche Aufklärungen geleistet, und insbesondere auch diejeni­
gen, die hierbei vorausgesetzt sind als Auslegungen der Nullerschei-
40 nungsweisen und darin der des Leibes selbst, die Aufklärung der Eigen­
art, die in der Orientierungsnullgestalt gleichwohl dem Leib und seinen
Erscheinungsweisen gegenüber den in dieser Nullgestalt unitbefassten
nicht-leiblichen Dingen <zukommt > — dass sie keine kinästhetischen
GHeder sind, keine eigenen Kinästhesen haben, aber an den Kinäs-
45 thesen einen gewissen Anteil gewinnen, wenn sie mit einem „Leibes­
glied” „verbunden” werden, zu einem Mitbestand dieses gehören —,
ist das aUes geleistet, so kann an die Frage herangetreten werden, wie
BEILAGE XVII 277

nun der Leib selbst apperzeptiv g l e i c h g e s t e l l t werden kann den


nicht-leiblichen Dingen, als ob er auch eines der Nullobjekte wäre, die
ja erst durch sein leiblich-ichliches Walten die Nullgegebenheitsweisen
annehmen können neben ihren orientierten Aussengegebenheitsweisen.

5 BEILAGE XVII
PSYCHOPHYSISCHE APPERZEPTION. WIE KOMMT DER
LEIB DAZU, ERFAHREN ZU WERDEN WIE EIN ANDERES
DING — ALS BEWEGT UND RUHEND WIE ANDERE,
ALSO IM RAUME?
10 <wohl Juni 1932>
In der Primordialität ist in der Weise der Apperzeption bzw. Kon­
stitution ein wesentlicher Unterschied zwischen meinem körperlichen
Leib und den anderen Körpern. Reduzieren wir beiderseits auf reine
Erfahrung, also auf die pure körperliche Apparenz als Einheit in der
15 Mannigfaltigkeit der „Erscheinungsweisen”, der Seitengegebenheiten
und der zu dem jeweils eigentlich Perzeptiven, zu den Momenten der
Seite gehörigen mannigfaltigen Perspektiven. Dann ist zunächst, was
ursprünglich als mein Körper zur anschaulichen Ausweisung kommt,
wesentlich verschieden von dem aller anderen Körper — der Aussen-
20 körper, die alle in gleicher Weise konstituiert sind. Zu ihnen gehört
ontisch als mitkonstituiert, als ursprünglich erfahren und erfahrbar
Bewegung, und diese sich darstellend in der Weise von „Nah- und Fem-
dingen”, von wechselnden Gegebenheitsweisen der „Orientierung”.
Korrelativ dazu ist, dass ich, selbsttätig eingreifend in den Wandel
25 dieser Gegebenheitsweisen, sie so abwandeln kann, dass im Grenzfall,
was ohne mein Eingreifen als Ruhe erfahren war, nun genau so, genau
in solchen Gegebenheitsweisen und Abläufen sich darstellt, wie vor­
dem die Bewegung, und umgekehrt. Dieses Eingreifen ist charakteri­
siert als wahrnehmendes leibliches Tun, als mit dem Auge Sehen etc.,
30 und zwar als dabei sehend und sonstwie wahmehmend meine Leibes­
organe von mir her bewegend, oder bald bewegend, bald stillhaltend
usw. Betrachte ich nun meinen Leib, so wie er als Körper sich in der
Wahrnehmung, und rein wahrnehmungsmässig gibt, bzw. allseitig
ausweist, so finde ich zwar, dass meine Hand, dass einzelne Leibes-
35 glieder, die als Wahrnehmungsorgane mitfungieren, wenn auch in sehr
beschränkter Weise, in ihrer körperlichen Bewegung und Ruhe (die
Hand als auf dem Tisch bewegt etc.) erfahren werden wie Aussendinge,
und das sagt, dass sich Bewegung, OrtsVeränderung bei ihnen wirklich
wahmehmungsmässig zeigt, nicht aber der ganze Leib in irgendeiner
40 seiner Bewegungen bzw. Ruhen.
Trotzdem wird mein Leib apperzipiert als Körper wie ein anderer.
Die apperzeptive Stiftung meines in der Stufe der rein sinnlichen Er­
fahrung konstituierten Körpers, der noch keine Gattungsgemeinsam-
278 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

keit haben kann mit dem, was in der sinnlichen Aussenerfahrung als
Aussenkörper sich sinnlich erscheinungsmässig darstellt, zum Körper
wie alle anderen Körper schafft erst die allgemeine Körperlichkeit im
allgemeinen Raume, der Form aller körperlichen Koexistenz in Be-
5 wegung und Ruhe, in Veränderung und Unveränderung der Gestalt,
die unter allen Umständen in dem allgemeinsamen Raum ein Raum­
stück ausmacht und in ihrer Qualifizierung es zur realen stellenmässig
jeweiligen Gestalt macht.
Damit zugleich vollzieht sich die Stiftung des Leibkörpers, des
10 schon als res extenso, in der allgemeinsamen Räumlichkeit erfahrenen,
als des Körpers der Natur, in dem ich ständig walte und bei dem ich
damit ständig und unmittelbar bin. Mit anderen Worten, es vollzieht
sich damit und von da aus die Stiftung meines psychophysischen
Seins. Bei der räumlich bald ruhenden, bald bewegten, sich damit so
15 und so deformierenden und sonstwie veränderlichen leiblichen Körper­
lichkeit bin ich ständig, und so ständig, im Raume, in der Raumzeitlich­
keit lokalisiert, also erfahrbar und erfahren als Einheit von Leib und
Seele, als beseelter Körper.
In weiterer Folge ist damit die Stiftung der Region Mensch ermög-
20 licht auf dem Wege der apperzeptiven Übertragung des Seinssinnes
psychophysischen Seins auf Aussenkörper, sofern sie den Bedingungen
dieser Übertragbarkeit entsprechen, also diejenige Ähnlichkeit mit
meinem leiblich-körperlichen Dasein haben, die zu dieser apperzeptiven
Übertragung führen kann.
25 Näher besehen liegt aber vor der eigentlichen psychophysischen
Apperzeption, als in welcher ich <als >beseelter Körper in der Ällnatur,
also <als > in der Raumzeitlichkeit seiender erfahren bin, eine sie fun­
dierende leib-seelische Apperzeption, durch welche erst die Apper­
zeption „mein Leibkörper, Körper wie jeder andere Körper” und damit
30 Raumapperzeption überhaupt ermöglicht wird. Dazu ist nämlich er­
fordert, dass die wirksame Ähnlichkeit meines im Selbstbesehen,
Selbstbetasten sinnlich erfahrenen Körpers mit den sinnlich erfahrenen
anderen Körpern zur indirekten apperzeptiven Übertragung der an
diesen Aussenkörpern erfahrenen Bewegung und Beweglichkeit auf
35 meinen Leib führen kann und führt, und zwar auf folgende Weise. Die
Bewegung meiner Leibesglieder, die ich in der Tat als Bewegung sehe,
nämlich so wie die Bewegung der Aussenobjekte (obschon Bewegung
beiderseits ein ontisches Vorkommnis ist, das noch nicht den vollen
Sinn Bewegung haben kann), hat ihre kontinuierliche und unweiger-
40 liehe Parallele in dem innerlich waltenden „ich bewege” der Kinäs-
these. Man sieht schon, dass das seine Rolle spielen muss, wo an einem
Aussenkörper ein Glied, das meiner Hand gleicht und in typisch ähn­
licher Weise in Bewegung sich darstellt wie meine Hand, aufgefasst
wird als Handbewegung, d.i. als eine räumliche Bewegung, die eine
45 parallele Innenbewegung, ein ichlich waltend mitgehendes Bewegen
indiziert. Aber das setzt noch anderes voraus. Es muss erst durch Ana­
lyse der sinnlichen Selbsterfahrung meines Leibes gezeigt sein, wie
BEILAGE XVII 279

diese Erfahrung den Leib als einheitliche Körperlichkeit zunächst sinn­


lich erscheinungsmässig analog zur Erfahrung bringt wie die sich aus­
sen darstellenden Körper, und zwar gegliederte Körper und in den
Gliedern analog mit entsprechenden Gliedern meines Leibes, jedoch
5 wie Körper, die diejenigen sinnlichen Änderungsweisen nicht zur Er­
fahrung bringen, die da in einem ersten, ursprünglicheren Sinne ihr da­
hin und dorthin sich Bewegen, ihr sich Nähern oder Entfernen, ihr
sich nach rechts und links Bewegen usw. ausmachen. Dieser Analogie
entsprechend wird <mein Leib> als „unbewegter” Körper aufgefasst,
10 an dem sich nur seine Glieder bewegen. Nun ist aber jede sinnlich er­
fahrbare Bewegung meiner Leibesglieder eine konsequent begleitete,
also assoziativ einig mit einem parallelen „ich bewege”, einer ichlichen
Kinästhese. Sie wird also stets in einer „psychophysischen” Weise,
doppelseitig erfahren. Andererseits aber ist diese erfahrene Gliederbe-
15 wegung in ständiger Funktion bei jeder Aussenerfahrung, nämlich je­
denfalls bei allen Verläufen des Wahrnehmens der Aussenkörper, und
zwar gehört als grundwesentliches Moment zu diesem Fungieren die
innere „Bewegung”, die Kinästhese, die aber ständig ihre Aussenseite
mit sich führt. Dieses Fungieren kann ein Doppeltes zur Folge haben.
20 Es kann sein, dass <es> als kontinuierlich zugehöriges Korrelat der
Kinästhese diejenigen> Erscheinungsverläufe (als Mitverläufe der
Kinästhese) bedingt, in denen „Ruhe” als Erfahrenes sich konstituiert.
Im innerlichen, vom Ich her inszenierten Durchlaufen der Kinästhese
ist es so, dass, sooft ich innerlich zu „derselben” Kinästhese zurück-
25 kehre, ich immer wieder dieselbe Erscheinungsweise gewinne und so im
beliebigen Durchlaufen mitdurchlaufe eine Mannigfaltigkeit von im­
mer wieder gleichen entsprechenden Erscheinungsweisen, in denen ein
und dasselbe Ruhende sich konstituiert. Freilich scheidet sich dabei
eben dieses identisch Verbleibende, bzw. unveränderte Korrelat-
30 System, von dem, was in Erscheinungsweisen oder in den konkreten
Erscheinungsweisen nicht von mir her, nicht als reine Folge des ichlich
kinästhetischen Bewegens sich wandelt, das ist, was am Gegenstand
seine qualitative Veränderung und Unveränderung ausmacht, die ohne
mein Zutun erfolgt. Wenn wirklich im Wandel der Kinästhesen die Er-
35 scheinungsweisen in der Weise der Mitfolge wiederkehren, ganz und gar
die gleichen, wird völlige Unveränderung erfahren, die sich dann im
Konkurs mit anderen Fällen erst scheidet in kinästhetisch motivierte
und kinästhetisch nichtmotivierte Veränderung. Doch darauf gehen
wir nicht ein.
40 Dementsprechend wird Bewegung erfahren, wenn die Erscheinungs­
weisen in einer geregelten Weise so verlaufen, dass sie nicht ohne
weiteres und bei allen kinästhetischen Verläufen eine und dieselbe
Mannigfaltigkeit zusammengehöriger und ihnen entsprechend zuge­
höriger Erscheinungen bilden, sondern es nur bilden, wenn das leiblich
45 waltende Ich in einem entsprechenden kinästhetischen „Mitgehen”
eine besondere Funktion übt und dabei in doppelter Weise kinästhe­
tisch fungiert, nämlich so, dass durch ein gehendes Eingreifen gewisser
280 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN1’ 1931-1932

Art, von einer gewissen Schnelligkeit, von einem gewissen Tempo, die
Erscheinungsweisen wieder wie in der Ruhe verlaufen und die sonst
freien Kinästhesen, in beliebige Funktion gesetzt, Erscheinungsweisen
als Mitfolge haben;' ganz wie in der Ruhe.
5 Danach haben wir das Merkwürdige, dass in den Kinästhesen eine
funktionelle Teilung statthat: Leibesbewegungen als waltende des Ich
und in eins äusserlich erscheinend als „gehend” in einem erweiterten
Sinne (lokomotiv fungierend) und Leibesbewegungen als fungierende
(hier ausschliesslich wahrnehmungsmässig), aber ohne lokomotivě
10 Funktion. Dadurch kann Bewegung erfahren werden, und zwar mit
einem Sinn, der sie als ein Kontinuum möglicher Ruhen auffasst, wie
andererseits als ein kontinuierlich in Scheinruhen zu verwandelndes
Änderungsphänomen, dadurch dass in jedem Moment das Mitgehen, das
Mitlaufen einsetzen kann, das <das> Änderungsphänomen in ein Phä-
15 nomen der Ruhe verwandeln kann.
Wendet sich nun der erfahrende Blick und das tätige Erfahren auf
den Leib, so unterscheidet er sich von allen Aussendingen sehr wesent­
lich hinsichtlich Bewegungs- und Ruheerfahrung. Alle Aussendinge
bedürfen zu ihrer sinnlich erfahrenden Apperzeption von Bewegung
20 (bzw. Übergang von Ruhe in Bewegung und umgekehrt als die stän­
dige Möglichkeit, die der Ruhe ihren Sinn als Nullfall der Bewegung
gibt) der als motivierend ständig mitfungierenden Leiblichkeit, und
zwar der gehend fungierenden. Was sonst an den Aussenobjekten zu
sehen, sinnlich zu erfahren ist, das besorgen die mitfungierenden json-
25 stigen Kinästhesen (z.B. Augenbewegüngen, Tastbewegungen, während
ich mich zugleich dahin oder dorthin gehend bewege, eventuell still­
halte, wieder gehe etc.). Andererseits mein Leib, in dieser letzteren
Hinsicht wie Aussendinge erfahren, wird durch die gehende, die loko­
motivě Kinästhese keineswegs als bewegt oder ruhend erfahren. Für
30 ihn hat also ursprünglich Bewegung und Ruhe keinen Sinn, nämlich
keinen Sinn derart wie bei Aussendingen als Bewegung und Ruhe in
ihrem Raumfeld (das allerdings zunächst nocht nicht wirklicher Raum
ist). Die gehende Kinästhese hat also nur inneren Funktionssinn, aber
keinen Sinn einer wirklichen Ortsveränderung des Leibes im Raume,
35 und so ist eben noch kein Raum konstituiert, in dem das leiblich wal­
tende und zugleich den Leib erfahrende Ich dank dieser Erfahrung
selbst rein als sinnlicher Erfahrung <als >dieser Leib Raumgestalt und
Lage im Raum hätte und somit — für den Erfahrenden und rein ver­
möge des Sinnes dieser Erfahrung — räumliche Koexistenz hätte.
40 Damit korrelativ ist auch der Raum der Aussendinge noch kein wirk­
licher Raum, die entsprechende Aussenwelt keine wirkliche Welt, als
welche alles Koexistierende, den Leib und das psychophysische Ich
eingeschlossen, umspannte als dessen Koexistenzform.
Wie kommt nun doch die h ö h e r s t u f i g e , in der sinnlichen Er-
45 fahrung fundierte A p p e r z e p t i o n des Lei bes als K ö r p e r
wie alle Kö r p e r zustande, und wie ist damit also Raum und Welt
erfahrbar? Darauf gibt es eine nicht schwer verständliche Antwort.
BEILAGE XVII 281

Haben wir schon Aussendinge und Leib als Naturobjekte, haben wir
uns schon als psychophysisch Reales, als Menschen usw. erfahren, so
ist es eine all verständliche Tatsache, dass wir ausserleibliche Objekte
mit dem Leibe verbinden, dass wir die alltäglichen Gebrauchsobjekte
5 in die Hand nehmen, heben, tragen können, dass wir auf einen Wagen
steigen, auf einen fahrenden Wagen aufspringen und gefahren wer­
den können und dergleichen. Achten wir auf die Erscheinungs­
weisen, so verwandelt sich für jedes Objekt das System seiner mög­
lichen sinnlichen Erfahrung, sowie es aus einem vom Leibe ge-
10 trennten zu einem mit ihm einigen Objekt wird. Das in die Hand ge­
nommene Objekt verliert sofort die Fähigkeit, als ruhend oder bewegt
so zu erscheinen wie ein Aussending, es wird sozusagen Leibesglied,
nur dass ihm die besonderen Kinästhesen fehlen. Es wird durch mein
Gehen nie den Wandel der Erscheinungsweisen der Nähe und Ferne
15 ergeben können usw. E b e n diese U m k e h r u n g f u n d i e r t
o f f e n b a r die Mögl i c hke i t der A p p e r z e p t i o n des Lei­
bes als Körper. Nehme ich ein Ding zur Hand und gehe, so be­
wegt es sich, dann wenn ich es fahrenlasse, ist es an einer anderen
Stelle des schon konstituierten „Aussenraumes”, als ob es ohne mein
20 Gehen sich hinbewegt hätte. Im Auf- und Abspringen beim Beispiel
des Wagens kann ich nach Belieben Bewegung sehen und Bewegung
verschwinden lassen als Phänomen, in Umkehrung in ein Leibstück­
phänomen. Eins und das andere wird als gleichwertig apperzipiert,
indiziert die jederzeit bereite Möglichkeit der Umwendung, und das
25 überträgt sich auf jeden Teil des Leibes, auf jedes Glied und auf den
totalen Leib. Er wird bewegt im Raume als Teil des fahrenden Wagens,
er bekommt selbst einen äquivalenten Sinn von Bewegung, den einer
Dingbewegung.
Nr. 17

<MEIN PRIMORDIALES SEIN ALS „MENSCH”


UND SEINE TRANSZENDENTALE KONSTITUTION.
DAS PROBLEM DER SCHEIDUNG VON ICH
5 UND NICHT-ICH UND DER LEIB.
DIE MÖGLICHKEIT EINES NICHTWELTLICHEN
ICH IN DER PRIMORDIALITÄT >
(Anfang September 1931)

Das primordiale ego in der lebendig strömenden primordialen


10 Gegenwart, seiend in seiner primordialen Weltkonstitution. Das
in dieser Lebendigkeit Konstituierte — Einheit in den strömen­
den Wahrnehmungserscheinungen, als perzeptiv verwirklichte
Vermöglichkeiten eines Horizontes von Vermöglichkeiten.
Die im Strömen konstituierte Einheit „Aussenwelt” als strö-
15 mend sich erweiternde Alleinheit der jeweiligen Einzeldinge,
jedes eine Einheit einer Konstitution, eingebettet in der Welt­
konstitution, aber es ist konstituiert untrennbar von dieser
Einheit und selbst mit ihr zusammen konstituiert — in primor­
dialer Reduktion sei all das gesagt. Mein Leib als Raum-
20 körper, darin gleich den Aussenkörpern, aber als Körper, worin
ich, wodurch ich walte, wahrnehmend beschäftigt bin und be­
schäftigt sein kann mit den ausserleiblichen Dingen und mit ihm
selbst, praktisch, kausal eingreifend im Stossen, Schieben usw.
Wie steht es mit der Einheit des Ich als des im Leib, durch ihn
25 weltlich waltenden? Nun doch wohl, das was den Leibkörper
weltlich auszeichnet, das ist, dass ich in der strömenden Gegen­
wart kontinuierlich identisch das in diesem Körper Waltende
und Waltenkönnende bin. Ich bin identisch eins und untrennbar
von diesem Körper. Ich bin aber nicht selbst als Körper, sondern
30 in einzigartiger Weise eben, was ich als Ich bin, Waltender: im
Leib und durch ihn äusserlich.
TEXT NR. 17 283

So als Ich des Leibes bin ich Ich für die Welt, Ich, das bald
in dieser, bald in jener Raumstelle ist und somit raumzeitlich
seine Stelle hat. Ich bin aber nicht im Raum wie ein Ding im
Raum ist, auch nicht wie mein Leib im Raum ist, ich bin nicht
5 in Bewegung wie ein Ding in Bewegung ist. Ich habe Ort nicht
als Ding, sondern mein Leibkörper hat das, aber sofern ich
leiblich walte und nur bin als das, wie der Leib nur ist als Leib,
bin ich mit dem Leib eins, ich bin leiblich, wie der Leib Leib ist
als ichliches Organ.
10 In der Primordialität bin ich also weltliches Ich, psychophy­
sische Einheit in diesem Sinn, dass ich jeweils meinen Leib
abstraktiv als Körper unter Körpern betrachten kann und so
auch behandeln und dann mir sagen <kann>, ich bin nicht
Ergänzungsstück dieses Körpers, als ob dieser wie andere
15 Körper sein könnte, sondern bin kontinuierlich darin Waltender
und dadurch auf alles äussere Dingliche bezogen, durch ihn ist
alles Seiende für mich da, für mich zugänglich.
So scheiden sich Aussenwelt, Welt blosser Dinge, blosser Kör­
per, und mein primordiales Sein „als Mensch” , mit einem an
20 mir zu unterscheidenden Leibkörper — der doch nicht ein
Körper wie andere ist und nicht dadurch sich von anderen
unterscheidet, dass etwas zu ihm noch dazukommt, was bloss
faktisch bei anderen Dingen fehlt.
Diese primordiale Welt ist Welt meiner Erfahrung, sie ist in
25 meinem strömenden Erfahren konstituierte, erfahrene Einheit
vielfältiger Sondereinheiten — unter ihnen Ich-Mensch selbst,
„darin” mein Leibkörper als eine in gewisser Weise zentrale
Einheit—, ich leiblich in der Welt, ich leiblich mit dem Vermö­
gen, alle Dinge wahrzunehmen, an sie heranzukommen, mit ihnen
30 praktisch beschäftigt zu sein, die Dingwelt dadurch verändernd
und evtl, mich selbst als Menschen durch mein menschliches Tun
verändernd.
Aber diese Welt mit allem, was hier als weltlich umzeichnet
worden ist, ist Erfahrungseinheit, Welt der Wahrnehmung, der
35 Erinnerung, der antizipierenden Meinung verschiedener Art,
Welt, die im Strömen der „Erscheinungen”, der verschiedent-
lichen Meinungen als Geltungseinheit und als einheitlich-viel­
fältige Einheit von Geltungseinheiten sich synthetisch konsti­
tuiert, die ich durch mein aktives und passives „transzenden-
284 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

tales” Leben als transzendentales Ich zur Geltung bringe,


habituell in Geltung habe als aus mir geltende und ihre Geltung
in vielfältigen Geltungsfundierungen erhaltend als meine Lei­
stung, als meine durch meine Aktivität auf dem Grund meiner
5 Passivität, meiner von früher her gestifteten Geltungen, die für
mich fortgelten in Form einer einheitlichen Seinssinn bedingen­
den verborgenen „Tradition”, auf Grund eines verborgenen
Horizontes, den jedes als Sinneinheit Erfahrene impliziert. Also
auch das psychophysische „Ich”, dieser primordial reduzierte
10 Mensch (der freilich weit entfernt davon ist, ein Mensch zu sein,
wie das Ich ein Ich im normalen Sinn zu sein, das schon auf ein
Du, auf ein Wir etc. verweist) ist konstituierte Einheit, ist er­
worbener Seinssinn., Erwerb des transzendentalen Ich und seiner
transzendentalen „Leistungen” .
15 Vollziehen wir also hinsichtlich der naiv für uns seienden Welt
phänomenologische Reduktion, bringen wir uns aus der naiven
Einstellung heraus, in der wir den Strom der Erfahrungen durch­
lebend die Erfahrungsgeltungen so aktivieren, dass wir geradehin
und ausschliesslich auf die Welt und auf die jeweiligen einzelnen
20 Weltobjekte, Weltvorgänge etc. gerichtet sind, richten wir
unseren Blick darauf, dass diese Einheiten eben synthetische
Einheiten eines konstituierenden Lebens und konstitutive
Erwerbe sind.
Ich kann ein Analogon meines Ich mit analogem Walten in
25 analoger Leiblichkeit dadurch gewinnen, dass ich mich umdenke,
als ob ich einen abgewandelten Leib hätte, auch in einer evtl,
abgewandelten Umwelt.
Ich wandle dann eben m e i n e Denkmöglichkeiten ab im
Streite mit meiner immerfort verharrenden Wirklichkeit. Ich bin
30 aber als Seinssinn aus einer wesensmässig zugehörigen Konsti­
tution, ich bin als das in jeweiligen Modis erfahren und erfahrbar;
transzendental reduziert bin ich als im Leib Waltender, als von
Aussendingen durch Berührung affizierbar, als sie (mit offenen
Augen) sehend, sie hörend etc., als sie praktisch bewegend, ver-
35 ändernd, als leiblich im Raum körperlich seiend, körperlich be­
wegt und körperlich veränderlich. Transzendental bin ich all das,
m it dieser meiner Aussenwelt Sinneinheit eines strömenden
Erscheinungslebens, eines strömenden egologischen Seins über­
haupt, in einem Ichpol zentriert, einem Ichpol von Vermöglich-
TEXT NR. 17 285

keiten, von Kinästhesen, die, wenn ich sie ins Spiel setze, zuge­
hörige Erscheinungen von mir her in Gang bringen, in welchen
der jeweils mir geltende Seinssinn zur Selbstgegebenheit und
Selbstbewährung kommt, der einzelne und jeweils dieser als
5 Moment in dem universalen Seinssinn „leibliches Ich als Ich in
der Welt und diese Welt selbst”. Gehe ich von der Einheit
leibliches Ich (Ich konkret als primordial reduzierter Mensch)
zurück in das transzendentale Konkretum, so finde ich die
transzendentale im transzendentalen Ichpol zentrierte strömende
20 Konstitution, in der alles primordial-transzendental beschlossen
ist.
Ich finde darin einheitlich und unabtrennbar zusammen ver­
laufend die strömende transzendentale Welterscheinung, in sie
eingeordnet alle einzelnen weltlichen Erscheinungen — als
15 wahrnehmungsmässige Welt, Welt, wie sie mir jetzt lebendig ge­
genwärtige ist. In ihr „erscheint” die Welt — als im Wandel der
Erscheinungen, der einzelnen und der Totalerscheinung, iden­
tischer Seinssinn, identisch in diesem Verlauf auch in seinem
Verlaufshorizont, Index für die systematischen Vermöglich-
20 keiten, die, wenn ich sie kinästhetisch ins Spiel setze (ich, das
transzendentale Ich als Pol), dieselbe Welt von immer neuen
„Seiten”, in immer neuen Erscheinungsweisen erscheinen
<lassen> und dabei evtl, immer neue solche Einheiten des Sinnes
zeigend, die ebenfalls als im Wandel der Gesamterscheinung mit-
25 beschlossen als offene Vermöglichkeiten kommen würden, kom­
men könnten.
In diesem Strom der Weltkonstitution ist zugleich beschlos­
sen, und in untrennbarer Verbundenheit beschlossen, als Kon­
stitution der primordial-raumzeitlichen naturalen Welt die
30 Konstitution der ausserleiblichen Dinge (Aussendinge) und die
meines körperlichen Leibes. Beide als res extensae konstituiert in
der Einheit der Raumzeitlichkeit und naturalen Kausalität,
obschon in verschiedener Weise konstituiert, sofern die optischen
Erscheinungsweisen meines Leibkörpers nicht diesen Totalkörper
35 perspektivisch als sich nähernden und entfernenden erscheinen
lassen können und auch die Perspektivierung von Leibesgliedern
(rein körperlich reduziert) nur beschränkt ist. Ferner, in der zur
Naturkonstitution gehörigen Erscheinungsmodalität Nahweit
als unmittelbar sichtbare nicht nur, sondern auch greifbare Welt
286 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

(andererseits fernere Welt, die erst durch Übergang — in der


naturalen Bewegung „von selbst" oder in der „von mir her
dirigierten” — in die Nahmodalität als „unmittelbar da" gegeben
ist) — in Beziehung auf diese Modalität, sage ich, hat der Leib-
5 körper die Eigenheit, dass er notwendig „immer da” ist, immerzu
der Körper ist, „in” dem ich bin oder bei dem „ich selbst” bin,
was hier besagt: Ich, das transzendentale Ich, mit meinen
transzendentalen kinästhetisch-erscheinungsregierenden Aktivi­
täten lebe hier allein in einer unmittelbaren Aktivität, während
10 ich bei Dingen, die in Fernmodalität erfahren sind, nur durch
Unmittelbarkeit der Regierung meiner leibkörperlichen Erschei­
nungsverläufe und <in> dem darin sich konstituierenden Leib­
körper im leiblichen Bewegtsein mittelbar andere Dinger­
scheinungen zum Verlauf bringe, und zwar zur Verwandlung in
15 die Nahmodalität, in der ich dann unmittelbar bei ihnen aktivie­
rend bin.
Ferner, wenn ein Aussenkörper sich mit einem anderen zur
Einheit des Aufeinander oder Beieinander verbindet und in Ruhe
und Bewegung mit ihm andauernd eins bleibt, so verschwistern
20 sich nur ihre Gegebenheitsweisen, sie verlaufen parallel und zu­
gleich. Wenn aber ein Aussenkörper sich mit meinem Leibkörper
verbindet, wenn jener von diesem oder dieser von jenem ge­
tragen wird, so wandeln sich die Erscheinungsweisen des Aus-
senkörpers (und aller zugleich so mit „mir” geeinigten) sowohl
25 optisch wie haptisch, und alle sonst.
Diese verschiedenen Konstitutionsweisen sind aber insofern
korrelativ, als sie wesensmässig zusammengehören zur Konstitu­
tion einer Natur, und zunächst einer Natur, eines Universums
von res extensae in der individuierenden Form der Raumzeitlich-
30 keit, als in lebendiger Gegenwart einheitlich wahrnehmbarer.
Darin muss auch konstituiert sein ein Körper, insofern eine res
extensa wie andere, in jener ausgezeichneten Weise, sofern er
konstituiert sein soll supranatural als Leib, Leib, worin das Ich
empfindet, worin das Ich unmittelbar waltet, worin es sein
35 Organ hat, mit dessen Sonderorganen seine Kinästhesen eins
sind etc. Es ist nicht so, dass die Natur und Welt überhaupt
konstituiert wäre als Sinneinheit in einem ichzentrierten Strom
von Erscheinungsweisen und Vermöglichkeiten der Erscheinung,
so dass wir in solcher Korrelation Welt hätten und das Ich, das
TEXT NR. 17 287

überweltlich ist, das Ich, das Welt konstituiert, das als Ich seines
transzendentalen Lebens Welt als Nicht-Ich sich gegenüber hat,
nur mit der Welt insofern gleichsam in beständiger Berührung,
dass sie eben in seinen nichtweltlichen Erscheinungsweisen, in
5 seinem erfahrenden Leben und seinen vorweltlichen Erfahrungs­
gebilden die erscheinende, die sich strömend darstellende ist.
Vielmehr, die Welt ist so konstituiert, dass in ihr selbst das Ich
als verleiblichtes auftritt. Als leibliches Ich, als Ich, das in der
Welt leibt und lebt, ist es selbst weltlich Seiendes, reales Objekt
10 unter den anderen realen Objekten. Oder: die Welt ist nicht
bloss Natur, sondern Mensch und Natur, auch in gewisser Weise
Mensch innerhalb der Natur, sofern er dadurch, dass er einen
Leib „hat” , der auch Natur ist, aber ihn hat als sein Organ,
verweltlicht ist und nur so verweltlicht sein kann.
15 Aber dieses primordiale Menschen-Ich, konkret verleiblichtes
Ich oder verichlichter Leibkörper, ist selbst Einheit transzenden­
taler Konstitution, und somit kommen wir letztlich doch im
Zurückfragen nach der konstitutiven Bildung des Seinssinnes
Ich-Mensch auf die tiefste Scheidung: auf das transzendental-
20 primordiale Ich seines strömenden transzendentalen Lebens
— darin die Welt konstituierenden — und das Nicht-Ich, die
Welt, einschliesslich des verleiblichten Ich. Aber kann man so
scheiden? 1
Müssen wir nicht sagen: Das Ursein ist das total strömende
25 absolute Leben, in dem notwendig eine korrelative Synthesis
waltet, die Synthesis, welche das Ich konstituiert (eine Konsti­
tution, die einen total anderen Sinn hat als die in Stufen g e ­
schehende > Weltkonstitution, die durch Erscheinungen leistet),
andererseits eben diese, die ontifizierende Konstitution, bzw.
30 Synthesis?
Vorgebildet sozusagen ist dieser Gegensatz schon in der ur­
sprünglichen Passivität durch die Scheidung des Hyletischen
und Noetischen (Funktion). Stellen wir gegenüber Ich — Nicht-
Ich=W elt als zwei Seinssphären, so kann das nur den Sinn
35 haben, dass ich erfahrend und denkend „natürlich eingestellt”
1 Vgl. folgende Seite! Im transzendentalen Ich unterscheiden wir dann es in seiner
vollen Konkretion, das das gesamte transzendentale Leben befasst (mit der in allen
Phasen vermeinten Welt als vermeinten), und das Ich als blossen Ichpol der im
Aktleben notwendig statthabenden Polsynthesis und der daranschliessenden Konsti­
tution des Ich der Vermöglichkeiten.
288 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

konsequent über Welt urteilen kann und in der Weise der Er­
kenntnis wahren Seins, andererseits, dass ich konsequent über
mein transzendentales Sein urteilen kann und alles in allen
Stufen darin als Sinn (als seiender, geltender) urteilen kann
5 und somit über die Welt als transzendental konstituierten
Seinssinn, als der mir jeweils gilt und sich mir unter Korrekturen
bewährt, wieder korrigierbar und dann wieder bewährbar etc.
Auch die „Idee” der Welt als an sich wahre ist dann ein in
höherer Stufe von mir konstituiertes und ausdrücklich gemachtes,
10 in der Art seiner Evidenz evtl, geklärtes transzendentales Ge­
bilde. Die transzendentale Subjektivität umspannt dann die
Totalität alles Subjektiven, in das schliesslich sich einbegreift die
Welt selbst a ls subjektiv konstituierte, so dass alle geradehin
gewonnene Seinswahrheit für die Welt hier wiederum auftritt in
15 geänderter Betrachtungsweise des Gebildes.
Können wir also nicht in gutem Sinn die seiende Welt ge­
genüberstellen dem gesamten Transzendentalsubjektiven, in dem
sie sich als Geltungseinheit konstituiert ?
Für jede Stufe ontischer Seinskonstitution haben wir dann
20 die entsprechende Unterscheidung zwischen Ontischem selbst in
seinem Eigensein und der Seinssinn leistenden Konstitution als
des Transzendentalsubjektiven, das ihr Korrelat ist. Diejenige
transzendentale Subjektivität, die in Ichakten hierbei seinskonsti­
tuierende ist, ist dann Korrelat dieser ontischen Sphäre, und dazu
25 gehört das Ich der dabei ausgebildeten Vermögen, der ihm
zugehörigen Kinästhesen etc. Aber es gibt nicht viele Ich neben­
einander, sondern es ist nur das eine transzendentale ego und
ein einziges Vermögens-Ich, das aber in sich zusammenhängend­
einheitliche Vermögens-Ich enthalten kann, wie in der Welt-
30 stufe das relativ geschlossene wissenschaftliche Ich, Familien-
Ich etc.
Also diese Korrelation geht durch alle Stufen der Ontifizierung
hindurch — der Objektivierung, Verdinglichung, Versachlichung.
In der Weise der „Konstitution” ist eben zwischen Ich, tran-
35 szendental genommen, und „Sache”, „Welt” (wozu auch in Un­
terstufen gehört die „Welt” der okulomotorischen Daten und
dergleichen „bloss subjektive” Welten und schliesslich auch die
primordiale als noch „bloss subjektive”) <zu scheiden >. Indem
TEXT NR. 17 289

das Ich seine Habitualitäten, seine Vermögen erwirbt, stellt es


sich nicht dar, perspektiviert es sich nicht u. dgl.
Aber der Mensch ist selbst Weltobjekt, er ist verweltlichtes
Ich, und doch Ich. Die Ichstruktur und in eins damit sein
5 konstituierendes Leben, die Erscheinungen selbst und die
relativen Onta, in seiner ganzen transzendentalen Fülle, dieses
Ganze verweltlicht sich, d.h., die transzendentale Subjektivität
verleiblicht sich.
Wie kann das die Verleiblichung leisten, bzw. wie kann die
10-transzendentale Subjektivität, die in der Verleiblichung eine
besondere Leistung vollzieht, die doch ihrem Eigenwesen zuge­
hört, sich verleiblichen, also auch diese verleiblichende Leistung
verleiblicht haben? Führt das nicht auf einen unendlichen
Regressus ?
15 In gewisser Weise ja. Zunächst aber handelt es sich bei jeder
Objektivation um Konstitution eines besonderen Seinssinnes,
eines besonderen im Leben der transzendentalen Subjektivität
immer wieder identifizierbaren, immer habituell bereitliegenden
Identitätspoles.
20 Das Ich ist hierbei der Gegenpol der Richtungsstrahlen mit
ihrem Woraufhin, ihrem Zielpol; im Wechsel der Ziele, der iden ­
tischen „Gegenstände”, haben die Richtungsstrahlen insgesamt
ihren Ausgangspunkt, ihr Von-mir-aus. Also Ich, der identische
Pol, von dem aus alles Sich-richten als mein Sich-richten aus-
25 läuft, und dieser Pol ist notwendig während des Sich-richtens nicht
Gegenstand, woraufhin die Richtung geht.
Immerzu ist die Welt da, ein Universum des Da, für mich da,
und zunächst wahrnehmungsmässig da. Sie ist Universum des­
sen, worauf ich gerichtet bin und mich mannigfaltig richten
30 kann, im raumzeitlichen Horizont Universum der raumzeit­
lichen Gegenständlichkeit und selbst evtl, einheitlich gegen­
ständlich werdend. Ich bin dabei der identische, aber nicht durch
ein darauf gerichtetes Identifizieren identifizierte, das hiesse ge­
genständliche Ichpol. Freilich, dass ich als dieser Pol bin, davon
35 weiss ich nachkommend durch eine gewisse methodische Re­
flexion, die schon vergegenständlichend ist, aber darum noch
nicht verweltlichend. Dieses Ich als Gegenpol der Welt ist das
transzendentale.
Ich als welthabendes, weltgerichtetes Ich, aktuell gerichtet
290 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

und in ichlicher Potentialität mich richten könnend vom Aktu­


ellen durch das habituelle Richtungssystem auf die Voraussicht-
lichkeiten des Welthorizontes, kann mich richten oder bin ge­
richtet auf Aussendinge, auf dieses und jenes, und ich kann mich
5 richten oder gerichtet sein auf meinen Leib. Auf ein Ding bin ich
gerichtet, indem ich durch vertraute kinästhetische Wege und
durch weitere von ihnen motivierte Erscheinungsweisen hin­
durch auf die erscheinenden Einheiten, die Dinge <blicke>.
Richte ich mich auf meinen Leib, so ist er ebenso konstituiert
10 als Körper. Aber bei jeder Darstellung eines Dinges ist er konsti­
tuiert und erfahren als mit dabei. Jeder kinästhetische Darstel­
lungsprozess eines Dinges, jedes es tastende, sehende etc. Er­
fahren, verläuft parallel und in eins mit körperlichen Bewe­
gungen meiner (entsprechenden) Leibesglieder unter Ruhe oder
15 Bewegung meines ganzen Leibes: Hand- und Fingerbewegungen,
Armbewegungen, Augenbewegungen, Vorbeugen, Gehen etc.
Aber diese körperlichen Bewegungen im Raum haben zugleich
den Charakter ichlicher Prozesse, von mir als Ich strebensmässig,
tuend ins Spiel gesetzter, getaner Bewegungen. Dasselbe Ich-
20 bewege, dieselbe Kinästhese, welche im Ich-erfahre-ein-Ding
vonstatten geht, etwa im <Ich >-sehe-es, ist das ichliche Bewegen
des Auges; im tastenden Erfahren ist es tastende Kinästhese und
bedeutet für die Hand eine Raumbewegung als ichliche Bewe­
gung. Ein spezifisch Ichliches, ein Ich-tue ist also im Auge, in der
25 Hand, und zwar in dessen räumlicher Ruhelage und Bewegung
lokalisiert, beides in eins verschmolzen in der Form Ich-bewege-
die-Augen. Noch mehr, das Auge hat, „in” ihm „liegt” das „Ver­
mögen”, eine gewisse Mannigfaltigkeit von Raumlagen, eine
gewisse Systematik von Bewegungen zu durchlaufen, und zwar
30 in der „Funktion” des Sehens. Doch das betrifft beide Augen in
eins, sie haben eine gewisse Koordination von Bewegungen, in
dieser Funktion sind sie eins in jeder Zeitphase des Sehens, ein
Ich-sehe-dahin-und-dorthin, räumlich eine gleichzeitige Bewe­
gung zweier Augen. So sind in den verschiedenen körperlichen
35 Gliedern des Leibkörpers zugleich „Vermögen” der Bewegung
und aktuelle Kinästhesen in der jeweils verlaufenden Bewegung
lokalisiert, wann immer ich diese Bewegungen, oder vielmehr die
Kinästhesen ins Spiel setze in der Funktion dieser oder jener
Wahrnehmung, wobei diese Glieder als Wahmehmungsorgane
TEXT NR. 17 291

fungieren und ihr körperliches Bewegen dann notwendig die


Schichte der Kinästhesen in sich lokalisiert hat.
Zum Auge gehört aber mehr. Das Sehen des Auges ist nicht
bloss Vollzug der Kinästhesen, in denen das Gerichtetsein des
5 Auges oder der Augen erfahren wird; ist das Auge offen (dazu
eine eigene in ihm lokalisierte Kinästhese des Öffnens und Schlies-
sens), so sieht es, bei geschlossenen Augen sieht es nichts. Ich
sehe ein Ding, ein ganzes Sehfeld von Dingen. Aber ich sehe doch
nicht immer dasselbe, nämlich auch fortdauernd dasselbe Ding
10 sehend habe ich-ein verschiedenes „Bild”. Objektiv, körperlich
gesprochen gemäss dem körperlich-gegenständlichen Sinn der
Erfahrung, sage ich, ich sehe von dem Ding jetzt diesen Teil der
Oberfläche (diese „Seite”), bald jenen. Und ich sehe es bald in
dem Abstand von meinem körperlichen Leib (in d e r „Ent-
15 fernung”), bald in jener. Aber all das Mannigfaltige, das bei kör­
perlicher Raumbewegung und Veränderung darin beschlossen
ist, gibt sich im Sehen in Form von wechselnden „Aspekten”, „An­
blicken” (Bildern, wie man in gefährlicher Redeweise auch sagt).
Schliesse ich das Auge, so verschwinden sie, obschon objektiv alles
20 weiter ist, wie es ist, und evtl, durch andere Sinne und ihre „Bil­
der” erfahren wird. Der veränderliche Gang dieser Aspekte, die­
ser visuellen Erscheinungen von den Dingen und dinglichen Vor­
gängen ist geregelt durch mein kinästhetisches Bewegen der Au­
gen, aber zugleich auch durch meine sonstigen Körperbewegun-
25 gen, und zwar ebenfalls als solchen, die begleitet von ichlichen
Kinästhesen den Charakter von ichlichen Bewegungen haben.
Dabei entsprechen diesen Bewegungen bzw. Ruhen (Stillhal­
tungen) derart Bewegungen und Ruhen im Raumfeld, dass eine
gewisse Korrelation besteht: Aspektwandlungen bei objektiver
30 Ruhe können im System der kinästhetischen Bewegungen erzeugt
werden in derselben Art und Folge, als wie sonst objektive
Bewegungen in Aspekten erscheinen. Usw.
Diese Aspekte unterscheiden wir also als bloss Subjektives
von den gesehenen Dingen, sie sind die Dinge im Wie ihrer
35 visuellen Erscheinungsweisen. Sie werden nicht im Auge oder
am Auge erfahren als lokalisiert, weil sie dem Auge nicht immer
zugehören, ob es Körper wahrnehmend fungiert oder nicht, so
wie die Kinästhesen mindestens normalerweise, da es anomal
ist, dass das Auge mechanisch bewegt wird ohne ichliche Beteili-
292 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

gung. Die Zugehörigkeit der Aspektwandlungen zu den Augen


als Körpern im Raum und als Raumkörper sehenden wird als
eine Kausalität erfahren. Die Körper, die sind, auch wenn sie
nicht gesehen sind, sind in ihren Bewegungen und ihren qualita-
5 tiven Veränderungen im Raum, bzw. in der Raumzeitlichkeit,
müssen in gewisser räumlicher Stellung zum Auge sein, um
gesehen werden zu können, und es muss dabei Tageslicht sein;
von seiten des Auges auch, es muss offen sein, es muss für ein
visuelles Kennenlernen in gewissen Weisen kinästhetisch sich
10 bewegen, in gewisse ausgezeichnete Lagen übergehen, akkomo-
diert sein (in einer eigenen Akkomodationskinästhese in ein
Optimum der Akkomodation überführend), das Auge muss seine
normale, seine gesunde Struktur haben usw. Das Ding affiziert
den Leib und speziell das Auge in einem Reizprozess, dessen
15 nähere Eigenheiten man durch Erfahrung, durch Erforschung
der beiderseitigen körperlichen Bedingungen des Sehens kennen­
lernt; infolge dieser Affektion werden die ichlichen Prozesse im
Leib und im besonderen im Auge und in den beim Sehen mit­
fungierenden anderen Gliedern ausgelöst und vom Ich her in
20 Gang gesetzt, und es findet nun subjektiv als kausale Folge der
Ablauf der sehenden Apperzeption der Erscheinungen der Dinge
im Wie statt, ein Ablauf, in dem das fortschreitende Sehen und
sehende Kennenlernen zustande kommt. Die Verflechtung der
körperlichen Vorkommnisse unserer Erfahrungswelt mit den
25 körperlichen Vorkommnissen des immer mit erfahrenen Leibes
und der darin lokalisierten, bzw. auf ihn geregelt bezogenen
subjektiven Prozesse führt zur psychophysischen Erfahrung.
Alle „äussere” Erfahrung ist in psychophysische Erfahrung
verflochten.
30 Das Auge wird von erleuchteten Objekten affiziert, es „emp­
findet” sie, ich empfinde sie im Auge, obschon keine differente
Lokalisation der verschiedenen gleichzeitigen Bilder und des
ganzen Bildfeldes zustande kommt. Dagegen sind die haptischen
Erfahrungen so auf die Oberfläche oder vorzüglich auf die
35 Oberfläche des Leibes bezogen, dass sie ein einheitliches Lokali­
sationsfeld aller Berührungen ist und alle Tastdaten in ihrer
Differenz ihre differente Lokalisation haben. Auch das „Ge­
hörsfeld” ist nicht in dieser Weise auf einen Teil des Leibes, auf
TEXT NR. 17 293

das Ohr bezogen, sondern indifferent einheitlich auf das Ohr,


„worin” ich höre.
Es ist etwas anderes, den Leib als Körper erfahren und eine
Leibesempfindung erfahren. Die Empfindung ist nichts Körper-
5 liches im Sinn der Körperlichkeitserfahrung. Nicht der Körper
empfindet, sondern ich empfinde, ich werde von dem für mich
daseienden Körper eines Aussenobjekts affiziert, und zwar so,
dass die Empfindung auf dem oder in dem Leib, an der oder
jener Stelle lokalisiert gegeben ist. Der Leib hat das Einzigartige,
10 dass, wenn er physisch berührt wird, zugleich ich affiziert werde
und dass, wenn ich Kinästhesen ins Spiel setze, in eins damit
körperliche Bewegungen in der raumkörperlichen Erfahrungs­
sphäre verlaufen derart, dass diese in jeder Phase sich mit
Phasen der Kinästhesen decken und so Organbewegungen
15 <sind> im Modus des „ich bewege”, „ich wirke aktuell in die
‘N atur’ ein, sie unmittelbar bewegend in meinen Gliedern
und evtl, dadurch mittelbar hineinwirkend in die übrige raum­
körperliche Welt”. Dies kann dann so geschehen, dass ich ein
mittelbares kontinuierliches „ich bewege”, „ich wirke”, „ich
20 schlage mit dem Stock”, „ich schiebe den Wagen” etc. ins Spiel
setze oder dass ich, weitere Folgen meines Tuns voraussehend, sie
praktisch als Ziel habe oder auch dass ich sie eintretend finde als
Folgen, unbeabsichtigt.
Ich bin als Ich, das aus Erfahrung eine objektive raumzeitlich
25 reale Welt hat, und eine Welt, in welcher ein ganz ausgezeichnetes
Objekt, mein Leib, körperlich enthalten ist, in dem alle meine
Kinästhesen als für Erfahrung fungierende und in Mittelbarkeit
durch sie alle meine Erfahrungen selbst, die mannigfaltigen sinn­
lichen Erscheinungen, lokalisiert sind. Wieder sind alle Affektio-
30 nen von den Aussendingen und vom Leibkörper selbst auf meinen
Leib bezogen, als „an” dem ich affiziert bin, und alle meine Reak­
tionen aktiver Art, alle meine Handlungen haben die Form von
Geschehnissen, die im Leib ihre Urstätte haben, als den ich kin-
ästhetisch bewege, stosse etc., und von da aus fortwirken in die
35 übrige Welt. Alles Handeln ist zweiseitig, und die ursprüngliche
Zweiseitigkeit ist die im Leib in der vollen Leibeserfahrung ge­
gebene, die meines Waltens im Leib, meines ihn Bewegens etc.
Es ist nicht nur die raumkörperliche Welt — primordial —
und ich mit meinen wechselnden Erfahrungen und was sonst zu
294 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

mir gehört, die Erscheinungen als solche, worin ich eben Welt er­
fahre, die zu ihnen gehörigen Kinästhesen und Vermögen als sol­
che, die ich betätige und betätigen kann, es sind nicht nur durch
erfahrende Konstitution und Apperzeption raumkörperliche
5 Horizonte, Horizonte von „an sich” seienden Naturobjekten da,
und von ihnen auf mich als Ichzentrum laufen Affektionen, mich
bestimmend zu Handlungen in dieser Welt, sondern in dieser
Welt ist auch ein Leib als Leib, als mein Körper, „mein” im E r­
sinn, konstituiert. Diese Gegenüberstellung soll nicht voraus-
10 sagen, dass eine Welt für mich konstituiert sein könnte, ohne dass
in ihr ein Körper als mein Leib konstituiert wäre, sondern nur,
dass dies zunächst als eine zu überlegende Möglichkeit dasteht.
Ein Körper ist als mein Leib konstituiert, damit ist gegeben,
dass zunächst alles dem Ich als Welt konstituierendem Zuge-
15 hörige in einem weiten Sinn in diesem Körper lokalisiert ist, und
das Ich selbst als affiziertes, als erfahrendes, als kinästhetisch die
Erfahrungen (die subjektiven Gegenstände im Wie) zum Verlauf
bringendes, als betrachtendes, als in jeder Weise praktisches usw.
ist in diesem Leib lokalisiert, sein Walten ist konstituiert als in
20 ihm Walten, es selbst ist konstituiert als leiblich seiend, als
leibend-lebend. Das aber nicht nur partiell. Denn alles, was Ich-
sein und Ichleben ausmacht, ist eine untrennbare Einheit, alles,
was durch phänomenologische Enthüllung vorfindlich ist, hat
mit der Konstitution des leiblichen Ich mittelbar seine Lokalisa-
25 tionsbeziehung auf den Leib gewonnen.
Welt ist vorgegeben als Welt, in der ich leiblich bin und als
primordialer Mensch bin, d.i. in diesem Körper waltend, in ihm
empfindend, Lust und Schmerz leidend, in ihm tätig bewegend,
durch ihn tätig in die Umwelt. Nur e in Leib kann in meiner
30 Welt konstituiert sein. Ich bin als Ich einzig, ich kann nicht zwei­
mal dasein, ich kann nicht einen Doppelgänger in meiner primor­
dialen Welt haben. Indem ich im Leib und mittels seiner walte,
ist dieses subjektive Walten mit allem Subjektiven primordial
erfahren, und in der Einmaligkeit, die zum Ich wesentlich gehört.
35 Ein Leib kann nicht dasein, der bloss visuell erfährt, und ein an­
derer, der taktuell, ein dritter, der hörend erfährt —■und das alles
als mein Erfahren. Denn zur Konstitution der Raumkörper­
lichkeit überhaupt (und zunächst der nicht-leiblichen) gehört,
dass alle diese Sinnlichkeiten miteinander verflochten sind und es
BEILAGE XVIII 295

sein müssen, damit in allen das eine und selbe Ding bzw. die eine
und selbe Welt erfahren sein kann, der alles Erfahrene zugehört.
In der Beschränkung der Primordialität, in der Welt ihres Sinnes
der intersubjektiven Welt für alle abstraktiv entkleidet ist, muss
5 die Möglichkeit aber offen bleiben, dass eine Welt konstituiert
sein könnte, ohne dass ich, das Konstituierende, in der Welt wäre.
Darin liegt natürlich, dass ich mich durch Abstraktion gleichsam
blind gemacht habe für die Schichten meines transzendentalen
Seins und die in ihnen bestehenden Modifikationen, in denen Ein-
10 fühlung entspringt und Einfühlung als konstitutive Funktion
schon immer ihre Leistung vollzogen hat.

BEILAGE XVIII
DIE WEISE, WIE DER LEIB SICH ALS KÖRPER UND LEIB
KONSTITUIERT, SOWIE DIE WEISEN, WIE ÜBERHAUPT
15 SEINE <KONSTITUTION > UND AUSSENDINGKONSTITUTION
VERSCHWISTERT SIND
<wohl September 1931 >

Der Leib ist optisch durch Perspektiven und Kinästhesen der ersten
Funktionsstufe sowie durch die tastenden Kinästhesen so konstitu-
20 iert, dass er mit Kinästhesen und Empfindungsdaten in doppelter
Weise zusammenhängt, einmal durch die konstitutive Funktion der
Darstellung, andererseits durch eine in ganz anderer Richtung liegende
Assoziation des Dargestellten mit Kinästhesen und Empfindungsdaten.
Die Hand erscheint optisch in perspektivischer Weise, haptisch etwa
25 als von der anderen Hand betastet, zugleich aber so, dass in ihr die
Kinästhesen, die wir als ihre eigenen bezeichnen, lokalisiert erscheinen.
So ist der Leib überhaupt, im ganzen genommen, durch doppelte
kinästhetische Funktionen oder in doppelter Weise durch das Total­
system der Kinästhesen konstituiert. Einerseits sind die kinästheti-
30 sehen Systeme in Funktion für die Mannigfaltigkeit von Darstellungen,
in denen sich der Leib als Körper ähnlich wie ein Aussenkörper (beides
in der Stufe vor dem „Gehen”) als Körper darstellt; andererseits
bringt es die Weise, wie die Kinästhesen beständig sich im Funktio­
nieren teilen und dabei verbinden, dass nicht nur die objektivierende
35 Kinästhese für ein Glied Gi (die betastete Hand) mit dessen mannigfal­
tigen Darstellungen verbunden ist, sondern auch zugleich ein Gegen­
glied sich darstellt (die betastende Hand, eo ipso betastbar aufgefasst
durch die betastete Gegenhand), so dass immer und notwendig Gegen-
kinästhesen und Gegenmannigfaltigkeiten einig da sind. Also objekti-
296 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

viert ist ein Glied, etwa <eine> Hand, nur so, dass in eins damit andere
Glieder als objektivierende sozusagen mit da sind, die ihrerseits objek­
tiviert sind mittels der durch sie objektivierten. Der Leib ist so konsti­
tuiert, dass seine Glieder als Raumkörper erfahren sind, sich darstel-
5 lend wie Aussendinge in Wahrnehmungserscheinungen. Aber in jedem
Gliede „lokalisiert” gegeben ist in gewisser Weise seine Kinästhese in
eins mit seiner räumlichen Lage (in Orientierung).
In der jeweiligen Wahmehmungserscheinung hat das Glied seine
darstellenden Daten, aber es selbst als dargestelltes, erscheinendes hat
10 an jeder Stelle seiner Oberfläche und so als ganzes haptische Daten.
Die haptische Gesamterscheinung des Leibes als totalen Leibphan­
toms, als Einheit aller seiner Glieder (dadurch bestimmt, dass der ein­
heitliche Leib in Teile sich zergliedert, zu denen je besondere Kinäs-
thesen gehören) hat auf seiner Oberfläche lokalisiert das einheitliche
15 Tastempfindungsfeld. Dieses ist so lokalisiert, aber nicht in Wahrheit
erfahren als räumlich ausgedehnt.
Eben in dieser zum Leib als Leib gehörigen ontologischen Struktur
ist es gegründet, also in dieser Schichtung <von> räumlichem Ober­
flächenphantom und lokalisiertem Empfindungsfeld und lokalisierter,
20 also verteilter Kinästhesen ist es gegründet, dass die räumliche Erfah­
rung des Leibes bevorzugt ist. Das kinästhetische System ist in eins
mit dem Tastfeld, das sich gliedert, so dass zu den Partien besondere
Kinästhesen, einfachere und komplexe, gehören. Zum Stück desTast-
empfindungsfeldes „Fingerspitze” A gehört eine besondere Kinästhese
25 und Gruppe kombinierter Kinästhesen; ihre Leistung ist, dass dieses
Stück A mit jedem Stück der sonstigen Tastempfindungsfläche zur
„Deckung” gebracht werden kann, darauf „aufgelegt” werden kann.
Das Feld ist Feld und seiner Form (seiner immanenten Koexistenz­
form, einer zweidimensionalen, flächenartigen) nach invariant, wäh-
30 rend seine Fülle, seine beständig sich abhebenden Daten wechseln.
Das einheitliche Tastempfindungsfeld teilt sich in Teilfelder durch
die darauf bezogenen, nämlich sie in Tastfunktion nehmenden Kin-
ästhesen.
Getrennte, in der Tastfeldextension diskontinuierlich aussereinander
35 liegende Teile des Tastfeldes können in darstellender Funktion in eine
Art Kontinuität treten, nämlich aneinander grenzende Stücke einer
objektiven Extension darstellen, bzw. in einem einheitlichen tastenden
Prozess miteinander fungierend eine und dieselbe Oberfläche konsti­
tuieren. Tasten wir mit mehreren Fingern der Hand zugleich, ohne ihre
40 Sonderkinästhesen gegeneinander auszuspielen, vielmehr in einer ein­
heitlichen Kinästhese zumal tastend, so ist es so, als ob wir einen
Finger hätten und mit ihm in einer Kinästhese hin und her tasteten.
BEILAGE XVIII 297

,,Doppelempfindung” — die Eigentümlichkeit des


Taslempfindungsfeldes, dass distante Teile desselben sich
miteinander „berühren", „decken” können, und das in
kinästhetischen Situationen, also frei herstellbaren

5 In jeder, mit welchem kinästhetischen Apparat immer vollzogenen


Betastung und dem entsprechenden Verlauf von kinästhetisch moti­
vierten Darstellungen, in welcher ein Leibesglied tastlich erfahren ist,
ist jedem erfahrenen Oberflächenmoment dieses Gliedes mit zugeord­
net, als konstant mitlaufend, ein sich abhebendes Moment im Tastfeld,
10 bzw. zum Verlauf der allmählich und stetig in Synthesis sich aufbau­
enden Oberflächendarstellung ein Verlauf von Abhebungen im Tast­
feld, in seinem kontinuierlichen Aussereinander stellenmässig sich ver­
schiebend. Zugleich gehört zu diesem Verlauf im Tastfeld ein sich da­
mit „deckender” Verlauf der Tastdaten, der beim Abtasten fungieren­
den (z.B. die tastenden Fingerspitzen der anderen Hand). Das sagt,
15 das Tastfeld hat (ungleich dem visuellen Feld) die Grundeigentümlich­
keit, dass zwar alle seine Daten im Aussereinander sind, dass aber zwei
Daten und ihre Stellen im Aussereinander sich trotzdem decken kön­
nen, dass sie zwar dabei in gewisser Weise verschmelzen, aber doch
sich nicht wirklich mischen. Die Lokalitäten bleiben getrennt und, um
20 im Aussereinander als stetig durchlaufbarem vom einen zum anderen
stetig zu kommen, muss man eben die im Lokalfeld vorgezeichneten
Wege einschlagen, und so, um von einem Datum hier zu einem anderen
Datum dort zu kommen. Die lokal verschiedenen Daten „berühren”
sich, „decken” sich, ohne sich doch zu verdecken. Das ist ein phänome-
25 nologisch ganz einzigartiges Vorkommnis, keineswegs zu vermengen
mit dem Sich-verdecken von visuellen Schatten, die als Schatten schon
nicht mehr Empfindungsdaten sind. Die haptischen Daten, die be­
rührungslos aussereinander sind, kommen zur Berührung durch die
kinästhetischen Prozesse, in denen sich der Leib ursprünglich-haptisch
30 konstituiert als sich von Glied zu Glied betastender, sich tastend be­
rührender. Dabei ist die Datenberührung objektiviert als räumliche
Berührung der körperlichen Glieder und in eins als kinästhetisches
Sich-berühren, diese Berührung als kontinuierliches Betasten Erzeu­
gen.

35 Lokalisation des Tastfeldes auf der Oberfläche des Leibkörpers

Indem ich mit einem Organ tastend die rechte Hand betaste und sie
nicht nur als Körper in der Art eines Aussenkörpers gegeben habe,
sondern notwendig in assoziativer Einheit mit dem extensiven Ausser­
einander der abgehobenen Daten des Tastfeldes, erhält die dargestellte
40 Oberfläche die in ihr lokalisierte Schichte dieser Daten. Ein Stück des
Tastempfindungsfeldes, seiner Extension, gehört dieser Oberfläche,
gehört der Hand als ihr Empfindungsfeld zu, Punkt für Punkt, und
zwar im Wechsel der haptischen Qualifizierung (z.B. ob ich mehr oder
298 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

minder drücke) dasselbe. Ebenso für jedes tastmässig behandelte


Glied meines Körpers. Nur muss man beständig daran denken, dass,
was wir schon objektiviert so finden, erst als dieses Objektivierte kon­
stituiert ist durch die Sinngebung der Erfahrung. Sie als die konkrete
5 Erfahrung, durch die ich den vertrauten Leib als Leib immerzu erfahre,
gibt ihm diesen Sinn durch die wohleingeübte Vermöglichkeit wechsel­
seitigen Betastenkönnens, wobei sich das gesamte Empfindungsfeld in
Lokalisation verteilt auf die „Glieder” des Leibkörpers in ihrer Phan­
tomkonstitution und dadurch auf den ganzen Körper.
10 In dieser Lokalisierung sind die Empfindungsdaten als sich lokali­
sierende gedacht, als die den betasteten Oberflächen sich durch Asso­
ziation auflegenden. Aber im Betasten haben wir Doppeldaten,
jedes mit seiner Empfindungsfeldextension und Lage in „Deckung”.
Warum sind nicht beide in der Oberfläche des getasteten Gliedes loka-
15 lisiert, warum sind die im Tasten fungierenden Daten nicht auf der
betasteten Leibfläche lokalisiert? Die Antwort lautet: Die mit dem
Tasten in zweiter Schicht sich auflegenden Daten sind vorübergehend,
nicht ein für allemal dem Getasteten ebenso zugehörig verbleibend wie
die ersten. Einmal kann mit dem Organ (schon objektiviert gespro-
20 chen) getastet werden, das andere Mal mit jenem. Mit welchem immer,
das Betastete hat sein Empfindungsfeldstück als ihm zugehörig, nur
dass die qualifizierende Ausfüllung nicht genau identisch ist. Aber
vertraut ist für jede Weise der Betastung mit dem oder jenem Organ
(eventuell mittelbar mit behandschuhter oder nicht behandschuhter
25 Hand oder gar mit einem Stock etc.), wie sich dasselbe Feldstück mit
ähnlichen Daten abwandeln würde.
Nun ist aber jedes Organ einerseits durch Betasten taktuell konsti­
tuiert, und <durch> die dabei fungierenden Kinästhesen, andererseits
aber selbst konstituiert als wirklich oder möglicherweise tastendes, so
30 dass wir immer und notwendig in ursprünglichster Tasterfahrung, die
den Leib als Körper und als Leib ergibt, ein funktionelles Beieinander
von tastendem und getastetem Organ finden, und mit der jeweils ver-
möglichen Umkehrung, dass das getastete zum tastenden werden kann.
Sowie diese Umkehrung statthat, kehrt sich auch die Funktion der
35 dabei also stets sich deckenden Empfindungspaare um; was vorher auf
der Oberfläche des getasteten Organs lokalisiert gegeben war, fungiert
nun im Tasten für das Gegenorgan, und was vorher in diesem fun­
gierte, ist nun lokalisiert gegeben auf seinem Partner. Darin liegt:
Sowie die Vermöglichkeit ausgebildet ist, durch die in der Einheit
40 tastender Erfahrung der Leib als Raumphantom konstituiert ist, ist
er konstituiert mit dem auf seiner Oberfläche lokalisierten ganzen
haptischen Empfindungsfeld und mit einer Bezogenheit der Totalkin­
ästhese möglicher Betastung in fester Verteilung auf die Teile des hap­
tischen Feldes, welche lokalisiert sind in Körperteilen als Gliedern.
45 Dadurch sind also auch die Partialkinästhesen möglicher Betastung
verteilt auf die Leibglieder, ein jedes ist nicht nur konstituiert als be-
BEILAGE XVIII 299

tastbar, sondern als betastend, als Glied mit Kinästhesen, die in Frei­
heit in Gang gebracht werden können. Sowie es so in Funktion tritt,
fungieren Empfindungsdaten in darstellender Auffassung als berüh­
rende; aber dieselben sind es dann, die, wenn das Glied vielmehr be~
5 tastet wird oder in Betastung vermöglich gedacht wird, als in ilun lo­
kalisierte gelten.
Ist diese volle Konstitution erreicht, so wird es verständlich, dass
der Leib ohne Besehen und Betasten (etwa im Dunkel, wo er über­
haupt nicht gesehen ist), während er ausschliesslich für aussending-
10 liehe haptische Konstitution fungiert, immerfort doch ganz lebendig
bewusst ist und in seiner haptischen Anschaulichkeit bewusst zu ma­
chen ist; nämlich das immerfort erfüllte und in sich zu durchlaufende
Tastfeld sowie die fest auf es verteilten Kinästhesen indizieren (apprä-
sentieren) beständig sein tastliches „Aussehen”.
15 Bei aller sinnlichen Erfahrung, so zunächst der visuellen, ist irgend­
welche Hapsis mit dabei, und mein Leib als ursprünglich haptisch
konstituierter dabei, mit im Raum als Körper und doch nicht ernstlich
Körper wie die Aussenkörper, in Ruhe und Bewegung, in Veränderung
und Unveränderung, und doch nicht ernstlich so, wie andere Körper
20 ruhend und bewegt sind und sich verändern, nicht so aus ursprüng­
lichster Erfahrung von räumlichem Dasein in Ruhe und Bewegung
sein Wesen erhaltend. Auch der Leib kann „gestossen” werden und
„stossen”. Sein Stossen und Gestossenwerden ist aber doppelsinnig,
doppelschichtig im Sinn. S o stossend als Leib kann er nur sich selbst
25 stossen, und so kann er auch nur durch sich selbst gestossen werden,
wie wenn die Hand den Fuss stösst, schlägt, schiebt etc. Nun ist es
doch etwas Eigenes: Ein Ding kann von ihm weggestossen werden, ob
es starr ist oder bewegliche Teile hat; es kann, während die Teile in
ihrer Weise sich relativ zum Ganzen bewegen, mitsamt diesen Bewe-
30 gungen fortgestossen werden. Aber der Leib, der sich selbst stösst,
kann sich nicht als ganzen fortstossen, er kann sich körperlich nur so
stossen, wie ein Ding sich selbst stösst, dadurch, dass einer seiner Teile
einen anderen stösst.1
Das alles sind offenbar Wesenseigenheiten der leiblichen Körperlich-
35 keit gegenüber der Aussenkörperlichkeit. Damit hängt zusammen das
Merkwürdige, dass jede Verbindung eines Aussenkörpers mit einem
Leibesglied ihm die Eigenheiten einer Erweiterung dieses Gliedes gibt,
obschon nicht die Erweiterung um ein neues „Glied”, ein neues Organ,
sofern er nicht etwa eine neue Kinästhese erhalten kann. Das ergrei-
40 fende Glied erweitert sich körperlich, und in dieser Erweiterung gehört
ihm die Kinästhese zu; und so hantiert es nun selbst als erweitertes
Organ. Darin hegt, der erweiternde Körper gewinnt Teil an dem Sinn
„Organ”. Es wird dadurch so etwas wie ein mittelbares Berühren (mit
einem Stock) und Tasten, Stossen etc. möglich.
45 Die primordial konstituierte Welt ist insofern also n i c h t homo-
1 Stossen ist ein Beispiel für leiblich Handeln. Zur Einzigkeit des Leibes, als worin
300 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

gen, als sie aus dem einzigen Leib und der Aussenwelt besteht. Die
Homogeneität besteht nur hinsichtlich der Körperlichkeit und befasst
in dieser Hinsicht auch den Leib, der eben in einer Schichte auch als res
extensa konstituiert ist. Aber wodurch er als Organ des Ich und als von
5 ihm untrennbar konstituiert ist, das ist nicht eine Auflage, die der
Leibkörper zufällig hat und andere Körper zufällig nicht haben. Denn
nur durch das Fungieren des Leibes als Organ kann sich Aussenkörper
als räumlich seiend, mit körperlichen Eigenschaften konstituieren, und
der Leib sich selbst konstituieren als Körper — dadurch dass er eine
10 vereinheitlichte Mannigfaltigkeit von Organen ist, die wechselseitig
fungieren können.1
Im Rückgang auf die ursprüngliche Konstitution von Aussendingen
und von dem Leib als Ding und als Organ erkennt man, dass nicht et­
wa Dinge ohne Leib erfahrbar sind, sondern dass notwendig in eins
15 und korrelativ körperliche Dinge und Leib, als doppelschichtig und in
der einen Schicht als Körper, zusammen konstituiert sein müssen.
Darin liegt die erste Stufe für die Begründung des Satzes, dass eine
Welt blosser Natur, eine Welt ohne animalische Wesen undenkbar ist.
20 Die Glieder des Leibes können optisch als bewegt erfahren werden
so wie andere Dinge, ohne dass sie berührend erfahren werden, und
umgekehrt. Aber sie werden auch als bewegt erfahren, während sie
weder berührt, noch getastet werden, nämlich in dem kinästhetischen
„ich bewege”. Dabei werden sie als von mir räumlich bewegt erfahren
25 und doch nicht in aussenpraktischer Weise erfahren durch „Stossen”
etc., was ja Berührung voraussetzt (wir sagen auch „von innen her”
oder kinästhetisch bewegt).
Und dann in Kombination: Meine Hand wird als räumlich bewegt
durch Berührung haptisch erfahren (die andere Hand betastet sie); ich
30 sehe sie sich bewegend und erfahre sie, „nehme sie wahr” als bewegt,
aber ohne dass sie betastet würde; oder sie wird auch das, dann nehme
ich sie doch als bewegt wahr, aber nicht als kinästhetisch und dadurch
örtlich bewegt durch die sie betastende Hand oder sonstige Organe.

35 Der Leib konstituiert als praktisch in Beziehung auf sich selbst,


mit einem Organ das andere praktisch als seinen
Aussenkörper bewegend
Wieder: Die Hand kann örtlich unbewegt sein, aber erfahren sein als

ich walte, gehört es, dass er das einzige ist, worin und wodurch ich handle und wo­
durch Aussenobjekte von daher in ihrem Sein als verharrende, als sich verändernde
die zweite Sinnschicht annehmen können. Diese Sinnschicht ist ihnen als Aussen-
körpern ausserwesentlich; sie können sein, können sich bewegen, auch ohne <von
mir> gestossen zu sein etc.; ihr Sein ist nicht an sich zweischichtig. Ich kann mich
nicht fortstossen — primordial, als ob mein Leibkörper noch sein könnte ohne mich
und ich der Stossende bleiben könnte ohne Leib.
i Vgl. S. 309.
BEILAGE XVIII 301

bewegt durch die andere Hand — in einer Aussenpraxis dieser Hand.


Der Leib ist als gegliedert erfahren; jedes Glied ist von mir her sich
bewegend in einer Weise, in der es nicht von mir aussenpraktisch durch
Berührung vermittelt bewegt wird (im Stoss etc.), und zwar dadurch,
5 dass ich ein anderes Glied „innerlich” bewege, mit dem ich berührend
das erste Glied bewege. Also jedes Glied kann von mir aussenpraktisch
bewegt werden, dadurch dass ich ein anderes Glied „von innen” be­
wege, das das erstere berührt. Darin liegt, ein Glied kann das andere
berühren, das ist eine räumliche Berührung. Aber zugleich, ich bewege
10 das eine Glied von innen „gegen das andere”, und mit der Aussenbe-
rührung ist das eine das andere zugleich innerlich berührend. Jedes
berührende kinästhetische Tun, jede Hapsis eines Dinges ist zu­
gleich erfahren als I n n e n b e w e g u n g eines Gliedes, das das Ding
tastend berührt, und dabei in doppeltem Sinne, sofern es in eins äusser-
15 lieh, raumkörperlich eine Berührung des Körperdinges Leibglied mit
dem Aussending als Körper ist. Wo aber leibliche Organe haptisch er­
fahren sind, haben wir wechselseitige Berührung eines tastenden und
des getasteten Organs, und zwar in diesem doppelten Sinne von Be­
rührung.
20 Der Leib t o t a l g e n o mm e n ist haptisch erfahren bzw. erfahrbar
durch eine total durchgeführte bzw. durchzuführende Berührung —
und dann natürlich, da er ein Zusammenhang von Organen ist, durch
ein dabei Betasten seiner Organe durch tastende Organe. Aber ein
solches Organ kann nicht selbst durchaus betasten. In der Tat, der
25 Leib als Berührungseinheit verweist nicht auf ein bestimmtes berüh­
rendes Organ; jedes hat seine grössere oder geringere Reichweite der
Betastung des Leibes, und verschiedene Organe leibbetastend können
dasselbe vom Leibe betasten. Umgekehrt: Die Weise, wie die verschie­
denen Mannigfaltigkeiten von Darstellungen zur Synthesis kommen,
30 macht es, dass in ihnen Identität des dargestellten Gegenstandes sich
konstituiert und dass durch wechselseitige Erweiterung und Ergän­
zung sich der eine totale Leib in Beziehung auf all diese möglichen
Kombinationen konstituiert.
In dieser haptischen Konstitution konstituiert sich durch sukzessive
35 Synthesis eine sondereinheitliche Gesamtkinästhese, die aus dem Total­
system der kinästhetischen Vermöglichkeiten zur Verwirklichung
kommt: das Oberflächenrelief, sich aufbauend aus den Teilstücken der
Oberflächengestalt (des Reliefs) des Leibes.
Diese kinästhetisch konstituierte Oberflächenform ist Form eines in
40 allen „Formpunkten” (deren jedem eine momentane kinästhetische Si­
tuation entspricht) mitkonstituierten Inhalts: die qualifizierende Ma­
terie dieser Form, so wie bei Aussendingen, die von mir her berührt
und abgetastet werden, wobei die Qualifizierung nichts anderes ist als
die jeweilige Berührungsempfindungsqualität, in der Zeitfolge eine
45 sukzessive Verschmelzung eingehend, aber dabei als „Nachsatz” der
Kinästhesen apperzipiert.
Aber beim Leib haben wir den Unterschied der wahmehmungs-
302 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

massigen Qualität des|Leibkörpers, und in diesem Sinne des quäle des


berührten Punktes und Linien- und Flächenstückes der Oberfläche,
und der wahmehmungsmässigen Gegebenheit der Berührungsempfin­
dung, die beim Betasten an jeder berührten Stelle des Leibes empfun-
5 den wird. Und im stetigen Fortgang haben wir das haptische Empfin­
dungsfeld, das auf dem als räumlich-körperliche Oberfläche konstitu­
ierten Leibe lokalisiert erscheint, sich mit dieser Oberfläche deckend,
wie immer sie sich als Leibesoberfläche deformieren mag und wie im­
mer die haptischen Empfindungen sich abwandeln mögen.
10 Hierbei stellt sich im Wechsel der meinen Leib betastenden Organe
heraus, dass dieselben Berührungsdaten, die durch das tastende Organ
in apperzeptiver Funktion seiner und der übrigen Kinästhesen als Ma­
terie der betasteten Leibesfläche aufgefasst werden und so dem Leibe
als Körper zugemessen sind, wenn umgekehrt tastendes zum betasteten
15 Organ wird, zur lokalisierten Empfindungssphäre gehören. So z.B.,
wenn ich meine Stirne mit der Hand taste, sie über die Stirne hinbe­
wegend, und dann, die Stirne bzw. den Kopf passend unter Berührung
bewegend, die tastende Hand bzw. die tastenden Fingerspitzen taste
und genau dieselben Empfindungsreihen einmal als Oberflächenbe-
20 Stimmungen der Stirn (andererseits der Hand), und das andere Mal als
auf der Stirnfläche lokalisierte Berührungsempfindungen (bzw. auf
den Spitzen der Hand lokalisierte) erfahre.
Endlich habe ich das Eigentümliche ausdrücklich zu erwähnen, dass
der totale Leib niemals tastend fungieren kann so, dass seine gesamte
25 haptische Empfindungssphäre in eins fungieren könnte als berührend-
betastend in bezug auf ihn selbst. Die Konstitution des Leibes als res
extensa ist nur möglich durch seine Gliederung in Organe und durch
Berührung eines Organs, eines Leibesteiles durch ein anderes Organ.
Dabei haben wir das Merkwürdige der Doppelempfindung in der Selbst-
30 berührung, worin das Eigentümliche hegt, dass zwei Daten desselben
Feldes sich in der eigenen Weise der „Berührung” decken können, wäh­
rend sie in der Kontinuität der Feldlokalität getrennt sind. Diese im
Berühren statthabende Deckung zweier Tastdaten ist ein eigenes Phä­
nomen der Tastempfindungssphäre. Sorgsame Überlegung fordert
35 auch die Verteilung der Kinästhesen auf die Organe, die Verbindung
von Organen zu einem Organ durch die Verbindung der Kinästhesen
etc.
Mit all dem müssen wir konstitutiv fertig werden und zudem noch
bedenken, dass jeder Aussenkörper nur durch Berührung haptisch
40 wahmehmungsmässig gegeben ist und, sowie die Berührung gelöst ist,
der Körper nur noch im haptischen Horizont mit da sein kann. Diese
Lösung kann die Form haben einer Lösung von mir her, ohne Druck
und Stoss und dergleichen und unter Stoss, Schub etc.; im letzteren
Fall heisst es, infolge davon bewegt sich der Aussenkörper.
45 Zur haptischen Erfahrung von Bewegung gehört, dass ich eine pas­
sende Kinästhese in vertrauter Form des wieder an denselben Körper
Herankommens ins Spiel setzen kann, eine neuerliche Berührung her­
BEILAGE XVIII 303

stellen, oder wie beim Schieben bei dem Körper verbleiben kann „unter
Überwindung seines Widerstandes” und unter einer Kinästhese des
Mitgehens, die im Fall, dass der Aussenkörper schon in Bewegung war,
verschieden ist von der ursprünglich erforderlichen.
5 Was nun meinen Leib anlangt, so haben wir an ihm reichlich Bewe­
gung, ursprünglich haptisch erfahrene und erfahrbare Bewegung. Aber
er als einheitlicher Totalkörper ist nicht ebenso erfahrbar als bewegt.
„Ursprünglich haptisch erfahren” heisst eine Bewegung (bzw. Ruhe),
wenn sie haptisch konstituiert ist durch kontinuierliches berührendes
10 Tasten, bei der Ortsveränderung (Bewegung) des Körpers unter „mit­
gehender” Abwandlung der Kinästhese, wobei eine nichtmitgehende
Kinästhese, die Ruhe charakterisierende, eine solche ist, die immer
wieder wiederholt werden kann unter beliebigem Stillhalten in jedem
Augenblick, ohne Aufhebung der Berührung.1
15 Dergleichen Bewegungserfahrung habe ich von jedem z.B. in Wahr­
nehmungsfunktion bewegten Gliede, auch durch einen Stoss von aussen
(der nicht Stoss von mir her ist) bewegtem Glied, aber nicht von mei­
nem Gesamtkörper. Hier ist diese Erfahrung undenkbar. Also fehlt,
wie ursprünglich erfahrbare Bewegung, ihr Gegenstück, ursprünglich
20 erfahrbare Ruhe im normalen Sinne einer Ruhe, die in Bewegung
übergehen oder in die Bewegung übergegangen sein kann. Statt dieser
Ruhe haben wir hier eine Privation der Bewegung (im Rahmen ur­
sprünglicher Bewegungserfahrung gesprochen), die mit der Ruhe das
gemein hat, dass haptische Erfahrungen von meinem Leibe immerzu
25 und kontinuierlich im Spiel bleiben können, ohne Möglichkeit, dass
ich meinen Leib aus der Reichweite meiner Hapsis verlieren könnte.
Ich könnte freilich, ich brauche nicht mich selbst zu betasten; aber ich
bin doch beständig in der Reichweite meines vermöglichen Tastens,
und das in anderer Weise als Dinge, die fortdauernd da sind, wie die
30 Dinge dieses Schreibtisches, während ich sie nicht betaste; sie brauch­
ten nicht beständig da zu sein, in der Reichweite meines tastend sie
Wiederfindenkönnens. Mein Leib aber ist immer und notwendig da,
was immer sonst für mich zeitweise da ist und dann wieder nicht da,
in dem lebendigen Gegenwartsfeld meiner unmittelbaren Zugriffe. Der
35 Leib ist immer da, ja er ist auch, wenn wir die visuelle und sonstige
sinnliche Erfahrung abstraktiv oder wirklich ausschliessen, in gewisser
Weise wahmehmungsmässig da. Das beständig perzeptiv bewusste
Empfindungsfeld in seiner beständigen aufmerkend-perzeptiven Durch-

1 Wir haben zweierlei Bewegung und Ruhe zu unterscheiden: diejenige Ruhe, die
schlechthinnige Bewegungslosigkeit ist, und diejenige, die relative Ruhe insofern ist,
als an dem. Körper, sei es als Drehung, sei es an einzelnen seiner beweglichen Teile
Bewegungen statthaben, während er als ganzer „an seiner Stelle bleibt” ; wie z.B.
eine feststehende Windmühle, deren Flügel sich bewegen. Bei solchen Objekten
können wir (bei kleinen) haptisch immerzu bleiben und wiederholt und immer wieder
in ihrem dauernden Dasein zu denselben Teilen zurückkehren, nur im einzelnen
<müssen> die Kinästhesen mitgehend fungieren, ohne dass wir eine Kinästhese des
Mitgehens brauchten, um überhaupt bei dem Objekte bleiben zu können.
304 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

laufbarkeit appräsentiert beständig die Vermöglichkeit des Tastens,


und zwar des eigenen Leibes und in eins äusserer Dinge. Denn auch
das kinästhetische System in irgendeinem Stande momentan aktueller
kinästhetischer Situation ist originaliter bewusst. Ferner, in meinem
5 haptischen Empfindungsfeld habe ich immer, ich als Ich, das eine
Welt hat, Abhebungen, die in meiner kinästhetischen Situation, der
stillhaltenden oder subjektiv gewandelten, auch wenn ich nichts be­
taste (etwa sitze auf einem Sessel), schon den Auffassungssinn (perzep-
tiv) von Berührungen von Körpern haben, die nach Beheben von da
10 aus betastet werden können.1 Zugleich aber appräsentiert die Berüh­
rung und kinästhetische Situation meinen Leib als haptisch gegen­
wärtigen, wie sinnlich auch sonst gegenwärtigen, auch wo diese Sinne
sozusagen schweigen.
Eine Kinästhese ist undenkbar, die meinen Leib mir erst erfahr-
15 ba r machen müsste. Auch diese Appräsentation meines Leibes in
eins mit der mindestens haptischen Präsentation der aussendinglichen
Berührungen etc. ist ein Moment der ursprünglichen Welterfahrung
und gehört zu ihr in jedem Moment, in der sie, in welcher Gestalt im­
mer, Welterfahrung ist.
20 Diese Untersuchung des Dabeiseins des Leibes bei aller und zu­
nächst ursprünglichen Aussenerfahrung (wozu gehört, dass der
Leib haptisch immerzu wahrgenommen sein muss, aber auch, dass in
eins mit dem Leib Dinge haptisch wahrgenommen sein müssen) bedarf
noch einiger Ergänzung.
25 Innerhalb unserer jetzigen Bevorzugung der haptischen Erfahrung
ist folgendes auszuführen: Die ursprünglich konstitutiv wahmehmen-
de Erfahrung ist die im aktiven Betasten. Innerhalb dieser kinästhe­
tischen Aktivität kann ich „stillstehen bleiben”, dann wieder fortge-
hen. Ich kann aber auch in eine ganz andere Aktivität, die der aktiven
30 Wahrnehmung anderer Dinge, <übergehen>, meine bisherige Aktivität
einstellen, während doch die Berührung verbleibt.
Hier ist im Auge zu behalten, dass die Weise des „Nichtstuns” beim
Stillhalten und Stehenbleiben in einer kinästhetischen Konstellation
eine ganz andere ist als die eines wirklichen Nicht-aktivseins. Denn ich
35 bin noch in Aktivität, noch in einem Modus des als Ich mit etwas Be­
schäftigtseins, noch strebend gerichtet, obschon im Modus „verwei­
lend”. Wenn ich aber meine Sache fahrenlasse, einer anderen mich
zuwende, wenn mein Beschäftigtsein mit der einen überhaupt aufge­
hört hat, dann ist das sie Berühren, von ihr Berührtsein ein solches in
40 einem wesentlich anderen Sinne, nicht mehr ein darauf Gerichtetsein,
1 Das passive Berührtwerden, z.B. von einem Kleid oder vom Sessel, auf dem ich
sitze, ist Berührung in einer kinästhetischen Situation und in einem noch lebendigen
Horizont der Erfahrungsgeltung. In diesem Horizont ist die aktuelle kinästhetische
Lage assoziativ bewusst in einer kinästhetischen Horizontsituation etc. Diese Passi­
vität hat also eine assoziierte Vermöglichkeit, und ich kann jederzeit in aktive Ein­
stellung übergehen, und das Berühren erhält damit schon tastende Funktion.
BEILAGE XVIII 305

in aktivem Streben Sein (in einem Willensmodus Sein). Die Äquivo-


kation hat aber ihre guten Gründe. Denn die aktive Berührung mit
ihrem Horizont der Vermöglichkeit als aktiver Horizont der Tunsmög-
lichkeiten ist in den Modus passiver Apperzeption übergegangen, in
5 den einer blossen Assoziation, wie auch das Empfindungsdatum (die
Berührungsempfindung) in ursprünglich assoziativer Zeitigung „be­
wusst” ist, fern von aller wirklichen Aktivität. Werde ich aufmerk­
sam, „affiziert” mich dieses hintergrundmässig berührte-berührende
Ding, so ist diese Affektion schon ein ichlicher Modus, der die pure
10 Assoziation durchbricht (die die Sphäre der „Ichlosigkeit”, der Un­
wachheit des Ich ist — für das, was im „passiven Hintergrund” oder
Untergrund des aktiven, oder besser, des affektiv-aktiven Ichlebens
ist und vonstatten geht).
Nun ist es aber auch klar, dass, sowie ich mich affiziert von einer Be-
15 rührung hinwende und somit in den Aktivitätsmodus übergehe, aus
der inaktiven Berührung eine aktive geworden ist. Wenn ich auf den
Sessel aufmerksam geworden bin, auf dem ich sitze, so ist das nicht ein
fortgehendes „Betasten”, aber doch ein Modus der aktiven Tastwahr­
nehmung, ein Tasten, während ich mich nicht rühre an Ort und Stelle.
20 Damit hängt also der Doppelsinn auch von Wahrnehmung zusam­
men — aktive Wahrnehmung, die allein den Seinssinn ursprünglich
konstituierende, und passive Wahrnehmung, „Hintergrund”-Wahr­
nehmung.
Was nun den Leib anbelangt, so ist er beständig da, sofern er immer
25 schon konstituiert ist, und dabei immerfort in dem einen oder anderen
Sinne wahrgenommen, wahrnehmungsmässig da. Konstituiert ist er
aber als Leib und mit der ganz ursprünglich ihm zugehörigen, in der
Oberfläche lokalisierten haptischen Empfindungsschicht (der ästhe-
siologischen) und mit den zu seinen Gliedern als Organen gehörigen
30 und miteinander kombinierbaren kinästhetischen Vermöglichkeiten,
bzw. den aktuellen kinästhetischen Konstellationen der einzelnen
Zeitmomente. Diese Schichten appräsentieren sich wechselseitig, so
ähnlich, wie für einen Aussenkörper mit dem Haptischen das Optische
appräsentiert ist und umgekehrt. Also ist der Leib immerzu wahrge-
35 nommen, sei es in der Art, dass er bloss ästhesiologisch wahrgenommen
ist, ohne dass er als wahrgenommener durch wechselseitiges Tasten
aktualisiert ist, oder auch noch tastend. Für die Leibwahrnehmung
ist freilich die Vermöglichkeit des sich selbst Betastens die fundierende,
das Ästhesiologische ist ja nur leiblich dadurch, dass es als auf der
40 Oberfläche lokalisiert konstituiert ist, deren Seinssinn also fundierend
ist. So ist aber auch der haptische Seinssinn der fundierende für den
optischen, der aber doch allein verwirklicht sein kann, während er den
haptischen bloss appräsentiert. Schliesslich ist ja jede objektivierende
Präsentation als Vorkommnis in der immanenten, der urphänomena-
45 len Sphäre, Präsentation mittels Appräsentation, wobei notwendig ein
Kern des eigentlich-original Gegebenen vom Objekt diesen Sinn ori­
ginaler Präsenz von dem Objekt nur der Appräsentationjverdankt.
306 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

Die Einheit des Präsentierten und Appräsentierten ist dann das wahr-
nehmungsmässige Präsentiertsein des Objektes selbst. Hinsichtlich der
raumzeitlichen Welt ist die ursprüngliche Objektivation nun aber
nichts Isoliertes; immerzu und notwendig ist in eins und in unlöslicher
5 Verbundenheit Objekt in präsentierender Gegebenheit und Leib in
präsentierender Gegebenheit.
Mit jedem unmittelbar haptisch wahrgenommenen Objekt ist eo
ipso von der Berührung her appräsentiert der berührende Leib, also
auch mittelbar von seiten einer optischen Erscheinungsweise, die z.B.
10 als Femerscheinung auf Naherscheinungen und von da durch die Ap-
präsentation auf mögliche Berührung „durch den Leib” verweist. Die
Verweisung der Femerscheinungen in der femdinglichen optischen
Einheit „sich in der Ferne drehender und wendender Wagen” und
„sich nach meinem Standort und meiner Bewegung kontinuierlich an-
15 ders darstellender” auf das Nahding in entsprechender Erscheinungs­
weise („wenn ich unmittelbar davorstünde”) ist einerseits Assoziation
und Apperzeption nach Analogie. Sie geht von <dem> kontinuierlichen
Wandel der Femerscheinungen auf den entsprechenden der Naher­
scheinungen. Hier appräsentiert in faktischer Wahrnehmung die wirk-
20 lieh verlaufende Erscheinung das ganze System der vermöglichen Er­
scheinungen und erwartungsmässig als kommend einen nächsten wei­
teren Verlauf der in aktuellen Gang jetzt gebrachten Kinästhese ge­
mäss. Die Appräsentation läuft von den jeweiligen visuellen Daten
und den immanent mit ihnen zusammen auftretenden Konstellationen
25 der Kinästhesen aus, da schon gestiftet ist das vielfach fundierte Sy­
stem der Vermöglichkeit, im Wenn und So, vermittels der ins Spiel zu
setzenden Kinästhesen, als Nachsätze die entsprechenden kontinuier­
lichen Abwandlungen herstellen zu können und damit die durch sie alle
hindurch zu leistende einstimmige Synthesis. So ist das jeweilige Ge-
30 samtempfindungsdatum nicht als es selbst erfahren, sondern es fun­
giert als „Darstellung von”, und zwar als Erscheinung von (Perspekti-
vierung der ersten, untersten Stufe) dem ursprünglich ersten, dem „op­
timalen” Nahding; und so fungierend ist „dadurch” erfahren diese
synthetische Einheit, die sich in ihm von der einen Seite darstellt.
35 Diese Seite appräsentiert ihre Mitseiten. Im kinästhetischen Durch­
laufen der Seitenabwandlungen ist immer wieder der Bestand zwischen
primärer Originalität der Präsentation von der jeweiligen Seite und
dem Bestand der Appräsentation verschieden, aber in der durchlaufen­
den Synthesis ist dasselbe wahrgenommen, dasselbe, als wie es von
40 verschiedenen Seiten aussieht — dasselbe Oberflächending. Aber in
der neuen Wandlung der Entfernung modifiziert sich das Nahding
stetig zum Femding, bzw. in der Umkehr das Femding wieder ins
Nahding. Dieses ist der „Urmodus” gegenüber jenem als „intentiona­
ler Abwandlung”. Was besagt das hier? Das Femding wird vermöge
45 der Ähnlichkeit apperzipiert als ein Analogon des Nahdinges, aber es
ist kein Nahding (nicht ein verkleinertes Pferd etc.), das heisst, es
wird nicht als das gesehen. Ein Pferd in seiner Typik der Gegebenheits-
BEILAGE XVIII 307

weise hat im Typus der Nähe (darin insbesondere der vollkommensten


Nähe, der haptischen unmittelbaren Greifbarkeit) denselben Typus
von „Grösse” und zugehörig eine Typik der vermöglichen oder von
selbst (als entfernende Bewegung) erfolgenden Entfernung, und Ent-
5 fernung nach verschiedenen „Richtungen des Sich-entfernens”. Das
innerhalb der Sphäre lebendiger Wahrnehmung.
Die unmittelbare Apperzeption des Ferndinges nach Analogie ist von
derselben Art wie auch eine unmittelbare Apperzeption eines Nah­
dinges, das, wenn wir die Voraussetzung machen, dass es das an sich
10 frühere ist, also seine Apperzeption als Nahding schon leitend ist, auch
seine gesamte Appräsentation überträgt. Das Nahding ist charakteri­
siert dadurch, dass es die unmittelbare Berührbarkeit und Tastbarkeit
appräsentiert oder dass durch die aktuell erscheinende Seite die Tota­
lität der Seiten appräsentiert ist; dann aber auch durch die eigentlich
15 erscheinende Seite die Berührbarkeit, wenn Berührung schon statthat,
diese als haptische Darstellung und als mitzugehörige fungiert, und so
in Einheit das visuelle Ding als dasselbe wie das kompräsente hapti­
sche, beide als Darstellungen höherer Stufe desselben Dinges. Durch
diese ApPräsentationen in ihrer Verbundenheit muss nun das „kleine”
20 Femding auch das haptisch zugehörige „Ding” appräsentieren, also als
Nahding aufgefasst werden, solange es wirklich optisch ähnlich erfah­
ren ist. Das betrifft also schon die Dinge der relativen Nähe, die durch
einen oder ein paar Schritte in „Dinge greifbarer Nähe” überzuführen
sind.
25 Das Kind, das schon die Konstitution der greifbaren Nähe aufge­
baut hat, greift nach dem Ferneren, das sich erscheinungsmässig even­
tuell aus der greifbaren Nähe heraus entfernt hat und dabei Erschei­
nungswandlungen zeigt, die kontinuierlich und ähnlich denjenigen
sind, die innerhalb jener engsten Nähe Vorkommen. Aber danach grei-
30 fend, wird es enttäuscht. Doch es „lernt” auch im Gang der Erfahrung
(als konstitutivem Aufbau), dass durch eine gewisse perspektivische
Vergrösserung im Hinlaufen oder Hingetragenwerden die Greifbarkeit
sich wiederherstellt. Es lernt die Typik der Dinge in der Nähe, in der
Berührbarkeit und Greifbarkeit kennen und dabei die Typik der Nah-
35 Perspektive mit ihrer Nahgrösse und die Typik der Fernperspektivie-
rung, und damit lernt es die in der Weise der Feme optisch erscheinen­
de Ruhe und Bewegung als eine solche verstehen, die durch aktive Per-
spektivierung der Näherung (oder durch Hingetragen-, Hingefahren­
werden) überzuführen ist in einen entsprechenden Individualtypus
40 „desselben” Dinges als Nahdinges mit den ihm wesentlich eigentüm­
lichen haptischen und sonstigen Sinnschichten.
Nun muss man diese gefährliche Rede von dem Lernen des Kindes
richtig verstehen. Der erfahrende Blick ist von dem Einheitssinn und
Seinssinn Nahding geleitet, ist auf ihn gerichtet und hält ihn in der
45 kontinuierlichen Perspektivierung fest, auch wenn die Tastbarkeit,
Greifbarkeit, praktische Behandelbarkeit zur Durchstreichung kommt
und so das sich entfernende Ding als wirkliches, volles Ding zum Schein
308 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

geworden ist. Es ist darum nicht nichts geworden, es ist noch immer und
in gewissem Masse bewährbar als „Phantom”, als im Wechsel der Er­
scheinungen und im Wegsehen und wieder Hinsehen identifizierbar
und bewährbar. Im gehenden Bewegen (oder Herumgetragenwerden)
5 vollzieht sich aber die höherstufige Konstitution, die Bildung der Er­
fahrung der durch die neuen kinästhetischen Funktionen sich voll­
ziehenden Annäherung und Rückwandlung in ein volles Nahding; es
bilden sich die neuen Zusammenhänge des Wenn und So, die Unter­
scheidung desselben Dinges im Typus der Nahperspektive, und zwar
10 in der für den erworbenen Individualtypus Pferd, Wagen etc. ent­
sprechenden Weise, in den zu diesem Individualtypus gehörigen Modis:
dasselbe Ding rechts oben, links unten, so und so weit, sehr weit, näher
usw., bezogen auf die vertraut werdenden Funktionen der kinästhe­
tischen „Vordersätze” neuen Stiles. Was sich hier perspektiviert dar-
15 stellt, ist das Ding in den jetzigen Modis optisches Ding der greifbaren
Nähe und optisches Ding in dieser oder jener Fernorientierung. Dieses
hat in seiner sinngebenden Erfahrung höhere Stufe den Sinn einer in­
tentionalen Einheit, die durch Ins-Spiel-setzen der entfernenden Kin-
ästhese in die intentionale Einheit Nahding als optisch so charakteri-
20 sierte, aber auch als haptisch unmittelbar greifbare und als praktisch
unmittelbar zu behandelnde <übergeht>. Konstituiert ist also nun die
Einheit des Dinges, als Einheit seiner mannigfaltigen Erscheinungen
höherer Stufe, und diese Erscheinungen sind die durch kontinuierlich
synthetischen Übergang der Identifikation (der einstimmig syntheti-
25 sehen Einheit) verbundenen Entfemungsdinge im erweiterten Sinne,
die selbst schon synthetische Einheiten sind, selbst schon relative
„Dinge” unterer Stufe.
Aber dieses Universum konstituierender Erscheinungen, der onti-
schen Erfahrungen (Modi des Dinges im Wie der Orientierung), sind
30 nicht Erscheinungen völlig homogener Struktur. Sie stehen zwar in
einem System der Vermöglichkeit, in der sie alle aufeinander verwei­
sen ; aber doch wieder so, dass alle Feme auf die Nähe verweist in einer
vorzüglichen Weise als die das Ding eigentlich selbstgebende; oder
dass alles Entfernen Entfernen von der Nähe, eine Entnahung ist, die
35 dabei Erscheinung des Dinges selbst nur dadurch verbleibt, dass sie
den Sinn der vermöglichen zurückführenden Näherung hat, sei es von
mir aus durch Gehen, oder vom Ding selbst aus durch sich annähern­
des Bewegen. Und so verweist zwar das Nahding auf Möglichkeiten
und Vermöglichkeiten der Entfernung, aber verweist damit in eins
40 immer auf sich selbst zurück als den Urständ, als den Urmodus, der
sich intentional modifiziert. Und nur in dieser Weise hat das Ding in
allen Erscheinungsweisen haptische Sinnschicht, die eigentlich und
ursprünglich nur zugehört zum Urmodus der Nähe, und im Zusam­
menhang mit der haptischen die praktische Schicht als die der subjek-
45 tiven Kausalität des Eingreifens in die Umwelt, andererseits die
Schicht Kausalität der sich selbst überlassenen Natur und überhaupt
die den Dingen selbst eigene Naturkausalität.
BEILAGE XVIII 309

Endlich ist noch folgendes hervorzuheben: Indem aller Seinssinn


von Aussendingen zurückbezogen ist hinsichtlich aller ontischen Gege­
benheitsweisen, der orientierten, auf die Nahsphäre der Berührbarkeit
und Greifbarkeit, der praktischen, unmittelbaren Vermöglichkeit des
5 Schiebens, Stossens etc., sind alle Aussendinge — immer in der Prim-
ordialität, im Rahmen meiner eigenen originalen Erfahrung — eo ipso
zurückbezogen auf meinen berührenden Leib. Er ist in aher erdenk­
lichen Dingwahrnehmung und Weltwahrnehmung appräsentiert. Aber
während Appräsentation jeder Stufe, die unter dem Titel Ding und
10 Aussenwelt steht, einem abgeschlossenen System der Apperzeption
und Appräsentation zugehört, in dem sich eben je Einheit als raum­
dingliche, als raumzeitliche Aussenwelt konstituiert, abgeschlossen al­
so, ist durch diese ganze einheitlich konstituierte Welt, die meine prim­
ordiale Welt der Erfahrung ist, mein Leib appräsentiert als Zentrum
15 aller möghchen Nahdinge, als bei allem Erfahren fungierender Leib
und bei ahem dinglichen Handeln und wieder Erfahrung vom Han­
deln. Er ist aber nicht etwa bloss nächstes Ding, um das sich alle son­
stigen Dinge nach Nähe und Ferne erscheinungsmässig gruppieren,
denn er ist eben Leib, und darin hegt, was ihn von allen Aussendingen
20 rakidal trennt. Nicht etwa in der Art, als ob er darüber hinaus, dass er
Ding, und in der primordialen Erfahrungsgegebenheit Ding in der zu­
fälligen und doch nicht und nie zu verändernden Modalität Nahding,
ist, zudem eine merkwürdige neue Sinnschicht des spezifisch Leibli­
chen, als in ihm lokalisiert, aus seiner besonderen Konstitution her an-
25 genommen hat und hat. Genau besehen hat Naherscheinungsweise,
wenn wir den eigentlichen Sinn dieses Ausdruckes gelten lassen, für
den Leib keinen Sinn, denn Nähe ist nichts ohne Ferne, wie Feme
nichts ohne Nähe. Diese Korrelation gehört zum Aussending, dem ur­
sprünglich-eigentlichen Ding, solange wir nicht eine neue konstitutive
30 Stufe aufgeklärt haben, die den volleren Sinn von Welt als Welt der
Erfahrung bzw. der Erfahrung als Erfahrung einer Welt ergibt, einer
Welt, die Aussendinge und Leib zugleich als mundane Realitäten um­
fasst und dem Leib den Erfahrungssinn gegeben hat als Leib und doch
<als> ein Körper so gut wie andere, wie seine Aussenkörper, eine Ho-
35 mogenisierung der Welt zum Universum von Seienden, die alle Sei­
enden mindestens darin gleichsteht, dass sie ahe homogen sind als
Raumkörper, nur dass der Leib noch eine Bestimmungsschicht hat,
die ihrem Sinne nach kein sonstiger Körper haben kann. So in der
Primordialität.1
40 Ist die Intersubjektivität und die intersubjektive Welt konstitu­
iert, so erweitert sich diese homogenisierte Welt dahin, dass wir eine
Welt von Körpern haben mit Wesenseigenheiten, die alle Körper ha­
ben können, und Menschen (Tiere) haben, die durch „Seelen” ausge­
zeichnet sind, fast als ob es nur eine besondere Dingklasse, ein beson-
45 derer Typus wäre mit besonderen Klasseneigenschaften, wie etwa Holzi
i Vgl. S. 297.
310 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

und Eisen. Aber man wird auch in dieser Stufe der konstitutiven Sinn­
gebung nachgehen müssen und dadurch einsehen lernen, dass die hier
wieder ursprünglich sinngebende Erfahrungswelt, die Welt meiner und
unserer strömenden Wahrnehmung, konstituiert ist von unserer Nah-
5 weit aus. Die Art, wie aber diese Nahwelt zu ihrem konstitutiven Sinn
kommt, führt zurück auf meine primordiale Konstitution und die
darin konstituierte Nah-Fem-Welt, meine primordiale Aussenwelt,
die meinen Leib und mich „darin” als waltenden appräsentiert; so wie
umgekehrt dieser Leib immerzu, sowie er für mich konstituiert ist, als
10 worin ich waltend bin und von ihm untrennbar, appräsentiert seine
Nah-Fern-Weit als die zugleich, in der ich durch meinen Leib und mein
darin ursprüngliches Walten mittelbar walte.
Haptisch stosse ich tastend-berührend auf ein Oberflächending,
analog meinem leiblichen Oberflächending, also als Nahding in der
15 Ursprünglichkeit. Ich sehe es. Meinen Leib habe ich nur partiell sicht­
bar, beschränkt durch meine Kinästhese des wahrnehmenden Sehens.
Die Beschränkung ist eine Hemmung. Auch im tastend die Hand Aus­
strecken bin ich gehemmt und habe daher beschränkte Entfernung im
haptischen Feld.1 Das wird konstitutiv überwunden durch die
20 Kinästhese des Gehens. Beim Leib ist das unmöglich. Taste ich den
Rücken oder meinen Kopf. Ich kann auch mit einer ganz ähnlichen
Kinäasthese ein anderes Ding, etwa die Sessellehne oder ein ähnliches
Ding wie der Kopf, tasten; sie indiziert mir das Sehbild beim Mich-
herumdrehen und das Ding vor mir Betasten — die n o r ma l e
25 Lage, das n o r m a l e Z e n t r a l f e l d der Wa h r n e h mu n g ,
die N a h we l t vor mir, die Sphäre, in der die Dinge zugleich
tastbar und greifbar, aber auch sichtbar sind, und d er Leib
in der n o r ma l e n Lage.12 In ihr hat er auch seinen Bereich
der Sichtbarkeit in eins mit der Greifbarkeit. Die Wahrnehmungs-
30 weit v or mir ist total eine Vorderseite und hat ihr Korrelat in der
„Vorderseite meines Leibes” als normales. Die Dinge vor mir ap-
präsentieren ihre übrigen Seiten — als vermögliche, kinästhetisch
motivierte Vorderseiten. Mein Leib ist optisch ewig Vorderseitenkorre­
lat in wirkhcher Wahrnehmung. Die sichtbaren Glieder <sind >konsti-
35 tutiv ähnlich wie die nahen Sehdinge und Greifdinge hinsichtlich der
Oberflächlichkeit. Hätte ich einen entsprechend langen Hals etc., so
könnte ich mich allseitig sehen. Die Analogie macht, dass ich auch
meinen Leib als sichtbar „vorstelle”. Man könnte sagen, ich stelle
meine unsichtige Seite appräsentierend so vor (wenn ich Andere in
40 Rechnung ziehe), wie Andere mich von ihrer Stelle äusserlich sehen.
Aber gesetzt, es sei so, wie stelle ich meinen Tastrücken als visuell vor
mit Hilfe der Anderen? Vermöge einer Synthesis meines Tastrückens,
müsste man dann sagen, der mir original zugehört, mit dem vom An-
1 Ist eigentlich nicht denkbar ein Sich-strecken ein Stück weiterreichend als ich
sehe? Die Kraftgrenze ist doch nicht so bestimmt, dass sie notwendig gesehen sein
müsste.
2 Wohl zu beachten!
BEILAGE XVIIT 311

deren gesehenen Tasten, aber von ihm verstanden als originales Ta­
sten, das mir zugehört. Das ist doch schwer verständlich. Ist es in
Wirklichkeit so, dass ich meinen Leib äusserlich vorstelle und einen
Anderen dazu oder dass ich ihn ohne Andere vorstelle, wie wenn ich
5 von einem Dort aus mich sähe, was doch wieder soviel wäre, dass ich
mich vorstellte, als wie wenn ich ein Anderer wäre? Aber jedenfalls
habe <ich> doch keinen Anderen vorstellungsmässig im Spiel.
Analogische Apperzeption meines Leibes in Totalität als sichtbar,
wie ein Ding vor mir. Dazu wirkt auch die Appräsentation von
10 seiten des Tastfeldes. Freilich, wenn ich klärend der Analogisierung
nachgehe, komme ich auf die Hemmung und die Unsichtbarkeit. Die
Frage ist, was hier trotzdem Geltung schafft, wirkliche] Appräsenta­
tion.
Im Gehen bleibt diese analogische Apperzeption fortwirkend. Keine
15 Perspektivierung meines visuellen Leibphänomens (als normales Vor­
derseitenphänomen mit Rückseitenappräsentation). Dagegen, das
ganze Aussenwahrnehmungsfeld perspektiviert sich optisch und „er­
weitert” sich haptisch, immer Neues wird berührt und ist unmittelbar
berührbar. Ich, mein Leib, ist bei immer neuen Dingen unmittelbar
20 dabei. Ein Nahding kann nun, während ich gehe, auch immerzu das­
selbe Nahphänomen bleiben, dann bewegt es sich als Ding. Es kann
aber auch mein Gehen eingestellt werden, dann perspektiviert es sich,
bzw. verliert seine Berührung. Bleibe ich im Gehen, so habe ich indes­
sen zumal dasselbe Phänomen von meinem Leibe wie von einem so be-
25 wegten Ding. Aber genügt das im mindesten? Im Sinn dieses Bewe­
gungsphänomens liegt ja nicht das blosse Ungewandeltbleiben dieses
Phänomens, sondern sein sich Perspektivieren in Abhängigkeit von
meinem Andersgehen oder Nichtgehen.
Mein Leib kann überall hinkommen. Er ist ein beständiges Nah-
30 objekt oder Analogon eines Nahobjektes, das aber die Analogie da­
durch bricht, dass es keine Vermöglichkeit der haptischen und visuel­
len Entfernung mit entsprechenden Modalitäten der Perspektivierung
haben kann, aber mit jedem anderen Objekt, das visuell perspektivisch
erscheint oder haptisch als mit da leer appräsentiert wird, zur Berüh-
35 rung kommen kann. Ein Ding kann sich zu einem anderen hinbewegen
bis zur äusseren Berührung, es kann ihm äusserlich näher und ferner
kommen, beider relative Lagen verändern sich, und äussere Annähe­
rung führt schliesslich als beständige Möglichkeit zur Berührung. Jedes
Ding, das ruht, hat seinen Ort, jedes andere kann an seinen Ort kom-
40 men und ihn einnehmen, wenn jenes Platz macht. Jedes Näherungs­
phänomen und Berührungsphänomen appräsentiert ein vermögliches
Nahphänomen. Mein Dabeisein und Berühren eines Dinges ist phäno­
menal analog dem zweier Dinge. Schon in meinem Nahfeld, jedes
Ding darin, das ich nicht berühre, kann ich berühren, und das sieht
45 ebenso aus, wie wenn ein Ding mit einem anderen in dieser Sphäre zur
Berührung kommt. Ich komme durch mein Gehen an jeden Platz. Der
Aussenraum, die Aussenwelt, ist von der Nähe aus schon konstituiert
312 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

gerade dadurch, dass ich jede Ferne verwirklichen kann als Nähe, als
wobei ich berührend etc. bin. Aber dieses Dabeisein ist auch mein
räumliches Dabeisein; ich bin räumlich in der Nahsphäre wie ein an­
deres Nahding, obschon Leib, und dadurch einzig. Mein Gehen bringt
5 mein räumliches Sein an jede Raumstelle, ich vollziehe dadurch Orts­
veränderung meines Leibes im Raume, ebenso wie ein anderes Ding
seinen Ort verändert, sich bewegt. Andere Dinge haben freilich Be­
wegungserscheinungen, die mein Leib nicht zulässt. Andere müssen
optisch durch Perspektivierung erst zurückweisen auf die Nahdinge,
10 die von fern erscheinen als solche, die ich durch Hingehen verwirk­
lichen könnte. Mein Leib ist immer im ,,Da”, er bedarf keiner erschei-
nungsmässigen Zurückleitung auf das Da. Ich habe mein einziges Sein
eben dadurch, dass ich meine Räumlichkeit durch mich selbst und
meine verschiedenen kinästhetischen Mitorgane konstituiere, während
15 andere Dinge durch mich und meine Organe konstituiert werden. In
der verschiedenen Konstitutionsweise konstituiert sich freilich ver­
schiedenes, aber qua Raumobjekt im Ortssystem des Raumes einerlei;
mein Körper ist Körper im Raume, mein Gehen Ortsveränderung, ist
Bewegung.
20 Bewege ich mich leiblich im Raume unter kontinuierlicher Berüh­
rung mit einem Aussending, was sind da für Möglichkeiten ? Berühre
ich das Ding dauernd an derselben Stelle seiner Oberfläche und im
Wechsel an verschiedenen Stellen oder diese im Gehen betastend und
wiederholt und beliebig die alten Stellen wiederfindend, so habe ich es
25 als Nahding beständig während meines Gehens verwirklicht, und es
bewegt sich selbst mit meiner Bewegung in eins. Kann ich zu denselben
Stellen n u r d u r c h Gehen z u r ü c k k e h r e n und immer wieder
in solchem Zurückgehen, <so> ruht das Ding, aber ich, mein Leib, ist
auf ihm und bewegt sich auf ihm.1 Gehe ich selbst nicht, nur Glieder
30 bewegend, unter ständiger Berührung mit einem Aussenobjekt, das
unbewegt ist, so ruhe ich auf ihm stehend, wenn es bei allen kinästhe­
tischen Bewegungen, die ich leiblich vollziehe unter Stillhaltung der
Gehkinästhese, in Berührung mit mir verbleibt; <odef> während mein
Leib im ganzen nicht stehend, sondern in anderer Weise ruht (sitzend,
35 hegend auf), wenn eben noch die Aufstehkinästhese, die das Gehen
einleitet, offen ist.
Natürlich heisst es von einzelnen Gliedern, dass sie auf einem Dinge
aufruhen, wenn alle eigenen kinästhetischen Bewegungen des Gliedes
die Berührung in ihrem Verharren nicht stören, z.B. Aufliegen meiner
40 Hand mit dem Arm in eins auf dem Tisch. Ist ein Gegenstand in
meinem Feld in Ruhe oder Bewegung, so kann ich mich auf ihn stehen,
so dass ich auf ihm nunmehr ruhe. Stehen ist ein gehendes Bewegen
von einem Stande aus, in dem man auf einem Ding ruht, zu einem
anderen <Stande>, in dem man auf einem anderen <Ding> ruht (evtl.
45 nun auf beiden zugleich).
1 So geht das nicht!
BEILAGE XVIII 313

Hier ist nichts anderes in Rücksicht gezogen als die Vorkommnisse


für die Raumdinge als Phantome, nicht aber die Widerstandsvor-
kommnisse und alle Phänomene der spezifisch leiblichen und der bloss
körperlichen Kausalität (das Zerbrechen des Dings bei dem sich Dar-
5 aufstellen etc.). Indem ich mich auf ein bewegtes Ding stelle (das seine
bisherige Bewegung und seine Ganzheit behält), nehme ich an seiner
Bewegung teil, ich werde bewegt, und wenn ich mich selbst bewege,
so wird diese Bewegung als körperliche Bewegung eine relative, eine
selbst bewegte Bewegung.
10 Es fragt sich, welche konstitutive Bedeutung mein Bewegtwerden
für die Raumkonstitution hat, ob hierzu, dass für mich das Bewegt­
werden Sinn bekommen kann, bzw. meine Bewegung im Raum den
Sinn einer Bewegung, die ich kinästhetisch gehend vollziehen oder
auch durch Aufsteigen auf ein Bewegtes und evtl, kausal durch Ge-
15 worfenwerden etc. haben kann, ob, sage ich, hierzu eine prinzipiell
neuartige Konstitution nötig ist, die auch nötig ist, damit eine homo­
gene Körperwelt konstituiert ist, der ich als Körper eingeordnet bin,
darin gleich sonstigen Körpern.
Ist mein Leib als Körper in der Körperwelt konstituiert, so kann ein
20 anderer Körper als dem Körper meines Leibes ähnlich apperzipiert
werden, ähnlich in seiner Individualtypik körperlichen Gehabens, das
die körperliche Seite bei meinem Leib ist für sein konkret-leibliches —
„psychophysisches” — Gehaben.
Nr. 18

<WIE BEGRÜNDET DIE BLOSSE KÖRPERLICHE


ÄHNLICHKEIT EINES AUSSENKÖRPERS MIT
MEINEM LEIB EINE MODIFIKATION, DIE DIE
5 PRIMORDIALITÄT TRANSZENDIERT? >
DIE DURCHGÄNGIGE ZWEISEITIGKEIT DER
KONSTITUIERTEN WELT. NATUR UND GEIST.
IM WEITESTEN SINN HUMANISIERTE WELT
(1., 2. und 3. September 1931)

10 Die Anologisierung eines Aussenkörpers mit meinem körper­


lichen Leib, seiner Gliederungen und seines körperlichen Geha­
bens in diesen Gliedern mit denen meines Leibes, bei dem dieses
Gehaben zweiseitig ist und „Äusserung” eines ichlichen Waltens.
Der Körper dort hat ein typisches Sich-verhalten wie mein
15 körperlicher Leib, wie wenn ich dort wäre und dort leiblich
seiend und waltend diese Bewegungen etc. als Ich im ichlichen
Walten ins Spiel setzte. Ich erfahre den Anderen nicht als dort
seiende Wiederholung meines Ich oder Ähnlichkeitsabwandlung
meines Ich, wie ich solche Abwandlung, mich selbst umphanta-
20 sierend, an mir vollziehen kann. Solche Abwandlungen ergeben
immer nur mich selbst in meinen eigenen verschiedenen Denk-
barkeiten. Denn ich bin nicht zu wiederholen, auch nicht als
Möglichkeit meiner selbst, und doch ich erfahre ihn ähnlich mit
mir, als ob ich dort wäre. Aber erst muss ich den Anderen haben,
25 als wirkliche oder mögliche Erfahrung und in eins mit mir, um
so sagen, um mein leibliches Sein und das leibliche Sein des
Anderen paaren und vergleichen zu können.
Aber die Frage ist, wie ich „zum Anderen komme”, wie die
blosse körperliche Ähnlichkeit eine neuartige Modifikation be-
30 gründet, in der diejenige Appräsentation sinnvoll wird, durch
die der Sinn „Anderer” erwächst. Der Körper dort, als wie er
TEXT NR. 18 315

für mich primordialer Körper dort ist, bekommt nicht etwa eine
neue Bestimmungsschichte als primordiale, wie ein Körper sonst
der primordialen Welt im Gang der Erfahrung neue Eigenheiten
zeigen kann, die aber dann in der Form der Körperlichkeit und
5 der primordialen Objektivität schon vorgezeichnet sind als
Möglichkeiten. Hier soll aber diese Welt transzendiert werden,
also derart, dass dieser Körper vermöge seiner Ähnlichkeit mit
meinem körperlichen Leib zum Ansatzpunkt für eine Modifi­
kation wird, in der eine Primordialität vergegenwärtigt und doch
10 bewährbar wird, die nicht die wirklich originale, die meine ist.
Verähnlichung überhaupt und Konstitution durch Erscheinungen

Zwei Körper in verschiedenen Aspekten und Aspektwand­


lungen erscheinend, Körper in Mehrheit von vornherein in
15 „Paarung”, dem Allgemeinsten nach sich deckend, der eine
nahe, der andere fern etc., aber allgemeine konstitutive Ver­
wandtschaft, Rückbezogenheit auf die Nahsphäre. Der eine er­
scheint gross, der andere klein, bei dem einen die Kreisgestalt in
einer Perspektive, bei dem anderen in anderer, ebenso Farben­
perspektive usw., also Gleichheit und doch verschiedenes Aus-
20 sehen des Gleichen. Aber sie werden als gleiche ohne weiteres wie­
dererkannt.
Wie wirkt die Assoziation? Es „assoziieren” sich nicht bloss
die Bilder sich paarend, sie wecken unter ihren kinästhetischen
Situationen konstitutive Verläufe zu den Optima hin, nicht alle,
25 der Stil ist aber vertraut, und mit dem Sinn sind die Wege zum
Optimum vorgezeichnet. Das ist also ein wichtiges Problem.
Wie nun die Analogie des Körpers dort mit meinem Leib — die
Paarung? Die Erscheinungsweisen sind zunächst sehr ver­
schieden, die ganzen konstitutiven Systeme sehr verschieden.
30 Optische Verähnlichung — der Leib dort optisch und nur
optisch erfahren. Haptische Verähnlichung, ein anderer Körper
neben mir angefasst, betastet. Mein Leib immerfort, aber sehr
verschieden erfahren. Zunächst körperlich:
1) (in einigem) erscheinungsmässig unmittelbar konstituiert wie
35 ein anderes Ding durch Selbstbetastung, durch Sehen, visuelle
Perspektivierung, obschon beschränkt,
2) indirekt von der ichhchen Seite her, durch Berührung, durch
Kinästhesen, die für anderer Dinge Wahrnehmung fungieren,
316 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN" 1931-1932

appräsentierend die Vermöglichkeiten der erscheinungsmässigen


Selbsterfahrung,
3) der Leib aber dabei als Stätte der Ichsubjektivität erfahren,
in ihm in verschiedener Weise lokalisiert Ich, Ich-walten, Kin-
5 ästhesen und kinästhetisch verlaufende Erscheinungen etc. Alles
Subjektive auf ihn bezogen, in ihm zentriert — das Menschen-
Ich.
Kommt die Paarung mit dem Körper dort zustande...

2. September 1931

10 Wie weckt eine Erscheinung ihr System? Wie assoziiert sich


ein erscheinendes Objektives mit einem anderen unter Vermitt­
lung der beiderseitigen Erscheinungen?
Wie „überträgt” sich eine Konstitutionsschichte (Erfahrungs­
schichte) des einen auf das vermöge der fundierenden Schichte
15 assoziierte andere? Kann, wo die G ü l t i g k e i t der Über­
tragung, die Bewährung ausgeschlossen ist, aus der Unmöglich­
keit der antizipierten Erfahrung eine m o d i f i z i e r t e Erfah­
rung, eine Appräsentation, die nicht durch Präsentation, son­
dern immer nur durch solche Modifikation bewährbar ist, wer-
20 den?
Konstitution der primordialen Erfahrungswelt durch Asso­
ziation und durch die Aktivität des Ich, das von assoziativ
konstituierten Einheiten der Abhebung (Ursphäre der Zeitigung
von Vorgegenständen) affiziert ist, durch Hinwendung, aktive
25 Erfassung reagiert (aktive eigentliche Intention, auf etwas
g e r i c h t e t sein) ..., die Aktivierung, das Hinstreben verlaufend
in der Form kinästhetischer Strebensprozesse auf Optima bezo­
gen. Ausbildung einer Herrschaft durch Übung über das sich
kontinuierliche Abwandeln des Datums (des Vorgegenstandes) in
30 den Abwandlungen der kinästhetischen Strebensverläufe und
aller abgehobenen Daten eines Feldes in eins. Übertragung und
Bewährung: Jeder Inhalt sofort in der Hinwendung, die schon
eine geübte und vorgezeichnete kinästhetische Form hat, Apper­
zipiert. Die kinästhetisch geformte Intention terminiert in einem
35 Optimum der Modifikationen. Konstitution einer optimalen
TEXT NR. 18 317

Zentralsphäre, auf die alle Abwandlungen kinästhetisch-sachlich


zurückführen.1
So ähnlich in immer neuen Stufen. Paarung, Pluralisierung
in der untersten Stufe der puren Passivität. Paarung in jeder
5 Stufe, es paaren sich die konstituierten „Dinge”, bzw. sie sind
einheitlich erfahren, einheitlich gezeitigt als koexistente Mehr­
heiten in einer koexistenten Alleinheit, die in der dinglichen
Sukzessionszeit eine offene Allheit ergeben, die in jeder Phase
durch ein endliches Wahrnehmungsfeld sich darstellen. Aber
10 die sich konstituierende Welt ist raumzeitlich, in jeder Sukzes­
sionsphase der Form offen unendliche Raumwelt (Alleinheit des
Koexistierenden) etc.
Die Welt als Welt meiner primordial reduzierten Erfahrung
konstituiert als eine assoziativ-aktive (aus ichlicher Intentiona-
15 lität des strebend Gerichtetseins her) Mehrheit, Alleinheit von
verharrenden einzelnen Dingen. Diese selbst Einheiten in der
Mehrheit. Die Zeitigung ist Unifikation und Pluralisierung in
eins.
Die Konstitution hat zwei Stufen:
20 1) Die erfahrende Konstitution der Welt-Natur — universal
gefasst, die einheitliche Konstitution der Welt als Welt der
raumzeitlich verharrenden „Dinge”, Realitäten. Alle Erfahrung
im gewöhnlichen Sinn ist dieser universalen Leistung, Leistung
des Ich und ichlichen Aktivität auf dem Grund der Urpassivität,
25 eingeordnet. Alle besondere Erfahrung ist Dingerfahrung oder
Komponente der Dingerfahrung, für Dingkonstitution mit­
fungierendes Moment und als besondere Erfahrung mitfungierend
in den untrennbaren Zusammenhängen der pluralisierenden
Weltzeitigung.
30 2) Die humanisierte real-praktische Welt, in der Menschen ver­
weltlicht sind und alles Weltliche humanen Sinn hat.
Nennt man jede Aktivität praktisch, jedes aktive Ergebnis
ein praktisches Gebilde, so ist Erfahrung eine Praxis. Aber
praktisch ist im gewöhnlichen Sinn zu nennen nur diejenige

1 Husserl bemerkt dazu: „Analyse dieser Urkonstitution in Ha I ff.”. Mit dem


Zeichen Ha (was wohl Hapsis bedeutet) bezeichnet Husserl Manuskripte, die sich heu­
te im Husserl-Archiv unter der Signatur D 12 befinden. Dieses Manuskriptbündel
trägt von Husserl den Titel: „Konstitution der Natur, sinnliche Welt, Leib”. Aus
diesem Bündel stammen Text Nr. 16 und die Beilage XVIII des vorliegenden Bandes.
— Anm. d. Hrsg.
318 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

Aktivität, welche in die Welt „eingreift” , d.h. ihre Verände­


rungen ichlich tätig abwandelt (Veränderung und Unveränderung
in eins genommen!).
Die Aktivität der erfahrenden Konstitution der Welt als raum-
5 zeitlicher realer Natur ist immerzu im Gang, nämlich sofern Welt
erfahren ist, und die Welt ist immerzu in dem konstituierten
Sinn in Geltung, nur ist sie als Natur konstituiert die besondere
Bestimmtheit ihres Seinssinnes beständig abwandelnd, da fort­
gehende Erfahrung auch immerzu neue Leistung in der univer-
10 salen endlosen Einheitsleistung besagt. Da Welt konstituiert ist
als Natur <als> Universum der Realitäten in Veränderung (also
in eins: Veränderung und UnVeränderung), genauer in Ortsver­
änderung und qualitativer Veränderung verharrender Realitäten,
so ist immerzu Veränderung konstituiert. Die Aktivität dieser
15 Konstitution ist reale Erfahrung.
Praktisches Eingreifen in die Welt ist aber eine aktive Lei­
stung, welche reale Veränderung — seiende, durch Erfahrungs­
leistung konstituierte und im Fall unmittelbarer Praxis aktuell
erfahrene Veränderung — wandelt; sprachlich können wir auch
20 sagen, verändert, nämlich etwa Ruhe in Bewegung, eine von­
statten gehende Bewegung in eine anders geformte, statt gleich­
förmige ungleichförmige, verändert. Aber sosehr Veränderung
von Veränderungen ein reales Vorkommnis ist und unter Regeln
der realen Kausalität steht, so ist es ein Neues, dass eine Aktivität
25 sich auf der schon erfahrenden aufstuft, die Veränderungen
welcher Erfahrungsform immer ichlich abwandelt, so dass die
Veränderung nicht bloss reale Veränderung ist, obschon immer
auch das, sondern eine zweite, ichliche Schichte annimmt, in
der sie in jeder Phase und als ganze den Charakter einer vom
30 Ich her erstrebten und erwirkten hat. Die Bewegung, die Ver­
änderung (bzw. die Ruhe, die Unveränderung) erhält nun einen
praktischen Sinn, der sich konstituiert nicht durch blosse
naturale Erfahrung, sondern durch die reale praktische Aktivität
auf Grund der erfahrenden (naturalen) Konstitution.1

1 Da ein. reales Objekt eine individual typische Invariante seiner raumzeitlichen


Veränderungen ist, so verändert das in die Welt eingreifende Ich das reale Objekt
selbst, und indem es das nach Zwecken tut, zweckbewusst, verändert es nicht nur
zweckmässig, sondern es haben nun die umgeschaffenen Objekte für es bleibend (bis
auf weiteres) eine geistige, auf den Menschen zurückbezogene Bedeutung.
TEXT NR. 18 319

Ein natur-praktisches Geschehen konstituiert sich ursprüng­


lich in zwei abtrennbaren Stufen:
1) Im „ich stosse” vollziehe ich leiblich einen K r a f t a u f w a n d ,
der über das blosse berührende Erfahren hinaus das Leibesglied
5 bewegt — also nicht bloss „tastend” berührend, während ich
doch zugleich berühre. „In Folge” davon tritt ein Neues ein, was
bei erfahrendem Verhalten des Gliedes nicht eintritt: eine Ab­
wandlung des Veränderungszustandes des Berührten. In ichlich
freier Wiederholung erfahre ich, dass mein „Stossen” solche Folge
10 hat, und ich lerne sie durch-Übung kennen.
2) Meine praktische Intention richtet sich auf solche Folgen oder
jeweils eine gewisse solche Folge, und nun erstreckt sich das Prak­
tische intentional auf dasselbe: Mein stossendes Bewegen der
Hand einigt sich mit dem erfolgenden äusseren Vorgang zur
15 Einheit: Durch mein stossendes Tun in der Hand stosse ich das
Ding, und einheitlich: Ich stosse das Ding, was schon impliziert
das Handstossen und das fortgehende Absehen auf das erfolgende
Geschehen.2
Nun kommt hier in Betracht, dass Stossen ein exemplarischer
20 und zu verallgemeinernder Ausdruck ist für Schieben, Heben
usw., und zunächst also nach 1) für das praktisch mit Kraft," mit
praktischer Kraft Ausstatten eines Leibesgliedes (das sich bewe­
gend in Funktion selbst aus meiner Kraftleistung sich bewegt).
Widerstand
25 Dieses hat sein Korrelat im Widerstand des Realen, des
Körpers. In der Welt der Erfahrung verhalten sich verschiedene
Körper sehr verschieden darin, dass sie, um die gleiche Verän­
derung ihrer gleichen Veränderungsweisen praktisch von mir

2 Beides durchdringt sich eigentümlich bei dem Leib. Die Bewegung der Hand (in
der erfahrenden Intention des Tastens oder in der praktischen des Schiebens eines
Gegenstandes) sehe ich, auf sie in der sehenden Intention gerichtet: sie also visuell
aktiv erfahrend im Bewegen meiner Augen, das selbst nicht aktiv erfahren ist. Das
Sehen aber der tastenden Hand in ihrer Bewegung ist nicht bloss Sehen wie das
eines Steines und seines Dorthinrollens. Ich „erfahre” ja kontinuierlich zugleich die
Aktivität des Tastens der Hand, des Betastens des Dinges, das sie berührt etc., oder
das Schieben des Dinges, dessen Grösse und Typus mir schon sagt (also dessen Apper­
zeption), dass ich mich tüchtig anspannen, anstemmen muss, um es weiter zu kriegen.
Die einheitliche Organerfahrung hat eine Seite naturaler Erfahrung und eine zweite,
„geistige” Seite, und ich kann die eine aktivieren, also in eigentlicher Wahrnehmung
geistigerweise vollziehen und wieder die andere. Probleme der Konstitution dieser
Einheit Leib, Organ.
320 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

her zu gewinnen, einen sehr verschiedenen Kraftaufwand for­


dern. Gleiche Körper, in gleicher Veränderungsweise erfahren,
haben den gleichen Widerstand, sie erfordern dieselben Kraftauf-
wände. Genauer gesprochen, da verschiedene Glieder, und das-
5 selbe in verschiedener Weise fungierend, dasselbe Ding stossen
können, müssen wir hinzufügen: Bei gleicher Praxis des Stossens
sind die Erfolge bei gleichen Dingen die gleichen, sie widerstehen
in gleicher Weise. Und wieder reicht das nicht hin: Die gleichen
Dinge können in verschiedenen kausalen Zuständen sein, in ver-
10 schiedenen Zusammenhängen (Umständen) kausalen Bedingens
und Bedingtseins. Dinge in gleicher kausaler Situation, müssen
wir offenbar also hinzufügen, aber auch, das Verhältnis des mir
als praktischem Ich Widerstehens wie des praktischen Stossens
zu dem „trägen Widerstand” der Dinge als Dinge im blossen
15 kausalen Verhalten zueinander, bzw. zum Stossen und Gestos-
senwerden im äquivoken, „mechanischen” Sinn, als einem
kausalen Prozess besprochen, der zu den Dingen als Natur
selbst gehört, ob ich praktisch eingreife und damit in die Ver­
änderungsweisen eingreife oder, da diese kausal sind, in die Kau-
20 salität der Dinge eingreife oder nicht. Ob ich es tue oder nicht,
die Erfahrungswelt ist insofern eine real-kausale, als die Verän­
derungen, in deren Verlauf die Realien verharren, nicht eine die
vereinzelten Realien angehende Regelung haben unter dem Titel
dieses Verharrens. Die Realien, diese Einheiten der Verharrung,
25 sind darin oder im Regelverlauf ihrer Veränderungen voneinander
abhängig. Sie sind es aber auch von der möglichen und wirk­
lichen Praxis des Ich als im Leib verkörperten, als durch leibliche
Kraftanspannung, durch subjektives Stossen in die reale Welt
eingreifenden.
30 Es scheidet sich gemäss dem Sinn der Erfahrungswelt als sol­
cher (vor aller Theorie) mein Leib, bzw. Ich als Mensch von der
Aussenwelt und hinsichtlich der letzteren die sich selbst über­
lassene blosse Natur ausser meinem Leib, in der die realen
Veränderungen in real-kausaler Abhängigkeit verlaufen, und die
35 von mir her praktisch bestimmte Aussenwelt. Die erstere, die
Welt unter meiner praktischen Passivität erfahren (ich kann ja
passiv bleiben), hat nun einen vertrauten, einen Gewohnheitsstil,
indem schon in der Unterschichte körperlicher Natur unter
TEXT NR. 18 321

gleichen Umständen Gleiches geschieht.1 Freilich tritt auch das


Ungewöhnliche, das Zufällige auf, in der primordialen reduzierten
Welt schon darum, weil ja die Praxis der Anderen der primor­
dialen Reduktion verfallen ist.
5 In diesen Stil aber greife ich ein. Nun ist auch mein Leib und
darin die stossende Hand Körper, und das dingliche Stossen die­
ses Körpers <ist> konstituiert als ein dinglich kausaler Bewegungs­
vorgang, der wie der eines anderen Körpers kausale Folgen hat.12
Also unter Abstraktion vom „ich stosse” haben wir die immerzu
10 fortgeltende und nicht durchbrochene Kausalität der meinen
Leibkörper mitbefassenden Allnatur. Aber die universale Einheit
dieser realen Kausalität als ein universaler Veränderungsstil,
an den alle realen Veränderungen der miteinander in der Welt
seienden Dinge gebunden sind, sosehr er als Stil erhalten bleiben
15 muss, hat doch eine Vieldeutigkeit, lässt Möglichkeiten offen:
Ich kann jederzeit stossend etc. eingreifen, und es geschieht
innerhalb dieses allgemeinen Stiles, was vordem nicht geschehen
wäre, meine Hand gewinnt physisch eine Bewegungsenergie, die
sie ohne mein ichliches Tun nicht gehabt hätte.3

1 Praktische Passivität voll genommen kann es nicht geben, wenn Welt Welt
möglicher Erfahrung sein soll und ist. Schon die Reales, Natur wahrnehmende Akti­
vität ist hinsichtlich meines Leibes praktisch, hinsichtlich der sonstigen Natur un­
praktisch — so in der u r s p r ü n g l i c h s t e n Erfahrung, der gemäss also auch meine
Organbewegungen in „blosser” Wahmehmungsfunktion doch nicht als in <die>
Kausalität der äusseren Natur einbezogen erfahren werden. Das ist also eine untere
konstitutive Stufe.
2 In der Urerfahrungssphäre freilich dann nicht, wenn der Leib bloss wahrnehmend
fungiert.
3 <Der vorangehende Text, von S. 320, Zeile 30 an,> ist wohl nicht reinlich
ausgeführt. Gehe ich von der Welt, die konstituiert ist, aus, so ist sie durchaus und
wesensmässig zugleich Natur-und Geisteswelt, sie ist es durch und durch, in allen
Konkretionen, obschon in verschiedener Weise.
Sie ist in allen konstitutiven Schichten transzendental konstituiert als „ichfremde"
Natur, als Nicht-Ich, die aber gleichwohl als vom Ich her konstituierte ihre Geistig­
keit, ihre Ichbezogenheit, ihren ichlichen Sinn hat, nur dass er in der konstituierten
Natur, in ihrem ontischen Sinn, nicht vertreten ist. Alle ihre „konstitutiven”, das
passt gut: ihre konstituierten Merkmale, die den Inhalt, den eigenwesentlichen Sinn
von Natur ausmachen, sind ungeistig, enthalten nichts von der Ichbezogenheit,
durch die sie konstituierte sind. In den untersten Stufen ist das konstituierende Ich
sozusagen a n o n y m b e i der Welt, und ihre geistige Seite ist nicht selbst objektiv
konstituiert. Schliesslich aber haben wir den Menschen —■schon in der primordialen
Stufe —•in der Welt und die Welt humanisiert, vergeistigt, aber als vom menschlichen
Ich her Sinn in sich tragend.
In dieser Vollendungsstufe ist die Welt der Erfahrung, dem Erfahrungssinn nach
genommen, in der universalen Unterschichte Natur — Allnatur; in der Oberschichte
ist sie mit Sinn ausgestattet, der auf die Menschen als Ichsubjekte verweist.
Die Menschen selbst sind körperlich-leiblich bloss Natur im Zusammenhang der
322 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN" 1931-1932

Die Welt als durch die ichliche Praxis mitkonstituiert: Der


W i d e r s t a n d eines Dinges, subjektiv gesehen, ist die dem
Ding zugehörige Eigenheit, in dem gleichen Veränderungszu­
stand stets die gleiche subjektive Stosskraft zu erfordern, um
5 einen gewissen neuen Veränderungszustand einzugehen, genauer,
einen Bewegungszustand.
Dieselbe Veränderung der Bewegungszustände kann ohne
mein Eingreifen durch eine woher immer statthabende äussere
Kausalität, und zwar durch eine gewisse Kausalität der Art me-
10 chanisch stossender Bewegungen statthaben. Insofern hat die
subjektive Kraft ein Äquivalent in der physischen Stosskraft,
und der subjektiv bezogene Widerstand des Objektes sein Äqui­
valent in dem „trägen Widerstand", den es im ausserpraktischen
Dasein hat.1 Indessen, das ändert nichts daran, dass die Welt
15 selbst aufgrund der praktischen Konstitution einen praktischen
Sinn hat, angefangen von dem zum Daseienden gehörigen
Widerstand, oder besser, der Eigenschaft einer gewissen ihm
zukommenden Widerständlichkeit. Denn von da aus hat sie

Allnatur. Alle leiblichen Veränderungen, alle Gliederveränderungen der mensch­


lichen (und dann auch tierischen) Leiber sind, wenn abstrahiert wird von, der im
menschlichen Dasein (Dasein des Menschen als Objekts der konkreten Welt) ver­
leiblichten Psyche, von allem „Ich” und Ichlichen, mechanische, naturale Bewe­
gungen und sonstige darauf fundierte naturale Veränderungen.
Die Idee einer „sich überlassenen” , einer nicht von den Ichsubjekten her ichlich be­
wegten Natur (und überhaupt veränderten) kann als fiktive Möglichkeit, aber Mög­
lichkeit, so konstruiert werden: die Welt als Natur, wie sie verliefe, wenn alle Ich-
subjekte überhaupt jedwedes Eingreifen zugleich unterliessen und sogar das Eingrei­
fen, das in ihren wahrnehmend fungierenden Gliederbewegungen liegt. Dem konsti­
tuierten Sinn der Natur gemäss würde sie (die darum doch nicht konkrete Wirklich­
keit wäre, die Menschen sind ja noch da) „von selbst” in mechanischen Bewegungen,
in naturalen Veränderungen verlaufen. Die Naturwissenschaft operiert mit dieser
Möglichkeit darin, dass sie theoretisierend voraussetzt, dass Natur in rein naturaler
Einstellung völlig determiniert sei, und in der angewandten Physik etc., dass durch
natural-kausale Analyse und nach reinen Naturgesetzen alle erfolgenden Ereignisse
vorausgesehen, berechnet werden könnten. Aber im Grund liegt das Recht dieser
Idealisierung darin, dass die konkrete Natur, als wie sie in der Erfahrung vorliegt,
freilich aus konstitutiven Gründen, empirisch-typisch geschieden zeigt menschlich-
praktisch erwirkte Vorgänge und Vorgänge, die von selbst vonstatten gehen. Das ist
ein empirischer Stil, der in Erweiterung der wissenschaftlichen Erfahrung, die selbst
Fortkonstitution der Welt ist, sich relativiert; je tiefer die kausale Analyse eindringt,
um so weiter schiebt sich dieser Typus zurück, die wahrnehmend fungierende Hand­
bewegung schiebt Luftteile beiseite, ändert die Wärmeverteilung des umgebenden
Raumes etc. Das führt dann auf idealisierende Approximationsbetrachtungen.
1 Im Fortschritt der Erfahrung, im Fortschritt der konstitutiven Leistung, die
im Wesen der Erfahrung überhaupt liegt, konstituiert sich die Allnatur im fort­
schreitend strengeren Seinssinn, so dass auch das bloss wahrnehmende Bewegen (das
ursprünglich den Aussendingen nichts antut) mit ihnen zur Einheit eines real-kau­
salen Naturganzen verbunden ist.
TEXT NR. 18 323

einen Sinnüberzug' dadurch, dass mechanische Weisen der Be­


wegung, wie sie in der Natur aus der unpraktischen Erfahrung
her Vorkommen, auch praktischen Sinn haben können aus der
praktischen Erfahrung. Das in der unpraktisch konstituierten
5 <Natur>. Sie ist und bleibt Natur, sie ändert nicht ihren Stil, der
aus der ursprünglichen Erfahrungskonstitution stammt, nicht
ihren Natursinn, aber sie erhält und hat immerzu (da Praxis
immer mit in Frage kommt) eine Schichte praktischen Sinnes.
Und das geht weiter. Die praktischen Bewegungen können
10 sowohl als sie selbst als auch um gewisser bleibender Zwecke, ge­
wisser Endergebnisse willen fungieren, und so nehmen ver­
harrende Objekte — verharrend im realen Sinn — noch eine
Schichte von praktischer Bedeutung an, eben als Zweckobjekte,
so verharrend, weil sie in sich jederzeit verstehbar einen bleiben-
15 den, dem Ich bleibend geltenden Zweck verkörpern. Das Bleiben
liegt in der Habitualität des Zweckwillens, und darin gibt es
bekanntlich wieder Mittelbarkeiten und vielerlei Typen.

20 3. IX. 1931

Ergänzend ist nun noch zu erwägen, dass der Leib in der Welt
als physischer Körper konstituiert ist, sich in ihr also physisch
bewegt und ruht; er ist also in dieser Hinsicht in die allgemeine
25 physische Kausalität verflochten. Er ist aber konstituiert als
Leib, als worin sich mein Ich „verkörpert", worin ich mein
Organ, mein Totalorgan habe mit den verschiedenen Sonder­
organen. Diese sind als das doppelseitig konstituiert. Als Wahr­
nehmungsorgane fungieren sie in physischer Ruhe und Bewegung
als ichlich, vermöglich, kinästhetisch sich von mir her regend
30 etc. Sie haben in Deckung mit der Sinnschicht der Körperlichkeit
in dieser Hinsicht eine ichliche Sinnschichte — eine Schichte des
mir zu Gebote Stehens, mir Fungierens, hier des Dinge, Aussen-
dinge, aber auch Leibliches (ein Organ in Funktion für Wahr­
nehmung anderer) Wahmehmens.
35 Diese doppelseitigen Bewegungen, die ichlich-physischen, voll­
ziehe ich auf Grund von Affektionen. Die wahrgenommenen
Dinge sind dabei (so ist die Welt jederzeit für mich konstituiert)
erfahren als die mich affizieren können und in der Wahrnehmung
324 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

wirklich affizierten.1 Darin hat also die Welt der Erfahrung einen
zu ihrem konstitutiven Wesen gehörigen ichlichen Sinn, der das
jeweilige Reale in seinem Realsinn in „Beziehung” setzt oder
vielmehr in Verbindung setzt mit meinem Ich, das als verkörper-
5 tes Ich konstituiert ist. Die Beziehung oder Verbindung ist nicht
erst nachkommende Verbindung oder nachkommend aus einem
Beziehen, als ob erst einmal die realen Dinge wären und dann
bezogen würden. Sondern korrelativ und immer in eins sind
Körper da als wahrgenommen und wahrnehmbar, als seiend in
10 wirkhcher und möglicher Affektion, und die Doppelseitigkeit,
die sie damit haben, ist korrelativ zur Doppelseitigkeit des kör­
perlichen und zugleich ichlich fungierenden Leibes; und als
ichhche Bezogenheit ist die Affektion und dann in weiterer Folge
die ichhche Reaktion des wahrnehmenden, tuenden ichlichen
15 Verhaltens doppelseitig konstituiert, insofern zu beidem auch
auf körperlicher Seite ein paralleler, erst „näher zu erforschen­
der” 12 Stil körperlicher Verbundenheiten, Kausahtäten gehört.
Was die Affektion anlangt, so ist zwar das Ich affiziert, aber in
eins der Leibkörper erfahren als Lokalisation der vom affizieren-
20 den Objekt ausgehenden und im Ich erlebnismässig auf tretenden
Affekte sozusagen. Der Leib ist der Ort der Empfindlichkeiten
oder, wie ich auch sage, der Empfindnisse, auf ihm und in ihm
erscheinen sie mehr oder minder differenziert verteilt, örthch
verteilt, lokahsiert, z.T. quasi extendiert. Sofern das Ich ver-
25 körpert konstituiert ist als Menschen-Ich, in eins mit dem körper­
lichen Leib als Mensch, ist das gesamte Reich des Subjektiven
und zunächst die Erscheinungsweisen der Dinge in ihrem kon­
stituierenden Wandel lokahsiert, auf den räumlichen Ort des
körperlichen Leibes und seine körperliche, seine räumlich exten-
30 sive Einheit und ihre Ortsveränderungen bezogen — eine Be­
ziehung, die wieder beständig da ist, eine in der Erfahrung der
Welt immer schon vorgegebene Korrelation.

1 Affektion zur konstituierten Welt selbst gehörig. Sie setzt also subjektiv — für
jedes Subjekt, das in Wachheit Welt hat, und dann als die ihm jeweils wahrnehmungs-
mässige — voraus, dass es eben für sich selbst als Mensch konstituiert ist und die
Habitualitäten hat, vermöge deren Objekte für es mit dem Sinn bleibend zugäng­
licher Erwerbe da sind.
2 „näher zu erforschend”, das besagt, in der höher ausgebildeten Erfahrungs­
konstitution entspricht jeder geistigen Affektion und Aktion eine kausal-real parallel
verlaufende zwischen meinem Leibkörper und den Aussenkörpern.
TEXT NR. 18 325

Wenn wir die Welt als Welt der Erfahrung — meiner, des
primordialen Ich, meiner, des primordialen Menschen, betrach­
ten, diesen als Körper und als Ich, das den Körper „beseelt”,
betrachten (ausschliesslich nach dem Seinssinn, den sie aus der
5 Erfahrung hat), müssen wir sagen, sie hat in untrennbarer Kor­
relation körperlichen Sinn und „geistigen” Sinn, sie ist in ge­
w i s s e r Weise überall, durch und durch „psychophysische”
Welt, so schon, wenn wir bloss den Blick richten auf die Erfah­
rung als Naturerfahrung. Die Welt ist für mich nur, was sie ist,
10 als Einheit wirklicher und möglicher Erfahrung, als Einheit der
mannigfaltigen synthetischen Verläufe, wirklicher und ver-
möglicher. Als das ist sie in beständiger lebendiger „Beziehung”
zu mir, zu meinem Leben, zu dem diese Erscheinungen, Synthe­
sen, kinästhetischen Tätigkeiten und Vermöglichkeiten gehören.
15 Und diese sind in meinem Körper mitlokalisiert, haben ihre
besonderen Beziehungen auf meine Wahrnehmungsorgane, auf
die wahrnehmend fungierenden körperlichen Bewegungen, wobei
diese immer doppelseitig konstituiert sind, als körperliche und
als meine Tätigkeiten, in ihrem intentionalen Gerichtetsein auf
20 die verwirklichende Bildung der Einheiten. Aber mein Leib, als
„worin” ich „lebe” , ich wahrnehmend und sonstwie walte, mein
Leib, der als Körper verharrt, aber auch verharrt mit dem
festen Sinn, der ihm zugehört aus dem in festem Stil der Ver­
möglichkeit verlaufenden und für ihn immer horizonthaft vor-
25 gezeichneten Prozess des waltenden Tuns, ist p s y c h o p h y ­
s i s c h in einem ausgezeichneten und einzigen Sinn. Und natür­
lich ebenso Ich, als das <ich> im kontinuierlichen ichlichen Wal­
ten eins bin mit dem Leibkörper, M e n s c h bin, der unter dem
Titel Ich alles Ichliche der Vermöglichkeit, des Lebens in Akti
30 vität und Affektivität einigt, aber auch verleiblicht, in dem
kontinuierlich erfahrenen körperlichen Sein des Leibes lokalisiert
zeigt. Alles sonstige Körperliche, die „Aussenwelt” ist als Einheit
kinästhetisch-vermöglicher Mannigfaltigkeit beständig auf mich
als Ich, also so wie ich konkret konstituiert bin, auf mich als
35 Menschen „bezogen”, auf meinen fungierenden Leib, auf meine
fungierenden Organe.
In der Richtung auf die Körper erfahren wir erfassend nur
Körperliches, in der korrelativen Richtung auf die Mannigfaltig­
keiten übergehend sind diese in gewisser Weise in eins mit dem
326 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

Körper gegeben und so in g e w i s s e r Weise jeweils in ihnen


lokalisiert. Aber sie sind untrennbar vom Ich und der Totalität
seines konstituierenden Lebens, das in dieser Totalität mit dem
einzigen Leib einig, auf ihn fest und unabtrennbar bezogen ist.
5 In gewisser Weise ist also das Ich als das erfahrende und erfahren
könnende auf alles und jedes Weltliche bezogen und allem in eins
zugehörig, bei allem mit dabei — aber eben dadurch keineswegs
in besonderer Weise der ,,Lokalisation” zugehörig — mit Aus­
nahme seines Leibes; in dessen wahrnehmendem Walten sind alle
10 kinästhetischen Tätigkeiten unmittelbar einig mit den körper­
lichen Gliederbewegungen und dadurch vereinigt mit den Man­
nigfaltigkeiten der Erscheinung, in denen jeweils Körper wahr­
genommen und wahrnehmbar sind; Mannigfaltigkeiten, die frei­
lich als zu dem Körper gehörig und in dieser leiblichen Funk-
15 tionsweise gehörig es machen, dass ich als erfahrendes Ich überall
dabei bin.
Bin ich nun in dieser besonderen und einzigen Weise der Loka­
lisation bei meinem körperlichen Leib, so ist dieser für mich
doch, wie die reale Aussenwelt und so überhaupt Dinge der tota-
20 len Welt, als Einheit wirklicher und möglicher „äusserer” Erfah­
rung, also wirklicher und möglicher konstitutiver Erscheinungs­
mannigfaltigkeiten, eingeordnet dem gesamten Erscheinungs­
system der körperlichen Welt in eins konstituiert. Die raum-
körperliche Erfahrung v om Leib, mit ihren Mannigfaltigkeiten
25 von Erscheinungsverläufen und Kinästhesen, ist wie alle solche
Erfahrung wieder zurückbezogen auf den Leib als fungierenden,
so dass die Wahrnehmung vom Leiblichen und vom ganzen Leib
schon den Leib, also psychophysische Erfahrung voraussetzt.
In der Wahrnehmung meines Leibes ist das Wahrgenommene
30 auf den schon wahrnehmend fungierenden Leib zurückbe­
zogen, der körperliche Leib ist schon als Erfahrungsleib voraus­
gesetzt, als worin waltend ich ihn als körperliches Objekt erfahren
soll und erfahre. Nehme ich meine Hand wahr, so ist sie wahrge­
nommen, und bewusstseinsmässig, als durch das Sehen der Augen
35 durch kinästhetisch fungierende Augenbewegungen und sonstige
Körperbewegungen (mich Vorbeugen etc.), bzw. durch Betasten
m it einem anderen Leibesglied (der anderen Hand, den Lippen
etc.). Die aktuelle Erfahrung von diesen als fungierend voraus­
gesetzten Leibesgliedem setzt aber dann wieder schon erfah-
TEXT NR. 18 327

rungsmässig daseiende Leiblichkeit voraus. So bietet der Leib


die Schwierigkeit, dass seine Erfahrung ihn immer schon voraus­
setzt. In der wirklichen Erfahrung, in der wir uns mit der Welt
erfahrend beschäftigen, macht das keine Schwierigkeit. Immer
5 ist schon die Welt für uns da, für uns Seinsgewissheit als Erwerb
bisheriger wirklicher Erfahrung und eines beständig schon mit
ihr vorentworfenen Horizontes vermöglicher Erfahrung. Und
jeder Rückgang in frühere Erfahrung zeigt uns dasselbe Bild.
Immer ist schon und war Welt uns gewiss, und jetzt wahr-
10 nehmend fortschreiten, das ist eben uns mit der schon gewissen,
aber mit unbekannten Llorizonten gewissen <Welt beschäf­
tigen >, die inhaltlich unbestimmten Vermöglichkeiten und damit
das Unbestimmte im Seienden, an den einzelnen Dingen, an den
als Mitdasein unbestimmt antizipierten, verwirklichen, es heisst,
15 tätig sich auf die vorgegebene Welt einlassen, sich mit ihr in
gewisser Weise beschäftigen, nämlich ihr Vorgemeintes, Unbe­
stimmtes zur Kenntnis bringen im ,,es selbst”, in wahrneh­
mender Verwirklichung des vorgemeinten Seins.
Die Vorgegebenheit der Welt schliesst ein das vorgegebene
20 System der verwirklichenden Wege von dem schon Verwirk­
lichten und jeweils aktuell tätig sich Verwirklichenden. Dazu
gehört, dass für mich, den wahrnehmend Beflissenen, immer
schon und in ungebrochener Kontinuität mein Leib als System
der Wahrnehmungsorgane (in einem weitesten Sinn der im wahr-
25 nehmenden Tun wie immer fungierenden Organe) erfahren ist,
und mit dem Horizont: bekannt-unbekannte Welt als auf dem
,,Wege” der kinästhetischen Funktion der Leibesglieder und
damit ihrer von mir aus ins Spiel zu setzenden körperlichen
Bewegung zu erkennende. — Das ist also bloss Auslegung der
30 vorgegebenen Welt in ihrem vorgegebenen Seinssinn.
Demgegenüber die Aufgabe der konstitutiven Auslegung,
in transzendentaler Reduktion: Die Aufgabe, zu verstehen, wie
sich dieses vertraute Wegsystem und die Welt selbst als mir,
dem Menschen, dem für mich schon vorgegebenen Menschen,
35 im leiblichen Wahrnehmen zugänglich konstituiert, wie für
mich dieses immer schon vorgegebene Sein als Mensch in der
vorgegebenen Welt, und der Welt als Welt menschlich-leiblicher
Zugänglichkeit, verständlich werden soll, da sie doch beständig
Sinn und nur den Sinn hat, den sie als die mir gewisse und gewiss
328 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

werdende im Gang meines Bewusstseinslebens gewinnt. Diese


Aufgabe ist offenbar eine eigenartige und eine ganz andere als
nach den Wegen fragen, auf denen ich, der für mich schon Vor­
gegebene und mir als Wirklichkeit Geltende, und zwar als Mensch,
5 der ich in ihr selbst mich finde, gehen muss, um jeweils sie mir zu
bestimmter Kenntnis zu bringen, und ursprünglich durch Wahr­
nehmung, durch ein selbst der Welt eingeordnetes, meinem
menschlichen Dasein zugehöriges Handeln. Die neue Aufgabe ist
die transzendentale, die der transzendentalen Weltkonstitution.
10 Da der Leib für mich, so wie er aus Erfahrung erfahrbar ist, ein
Körper unter Körpern ist, verharrend als Naturobjekt in seinen
Veränderungen und zunächst seinen Bewegungen (Ruhen), so
bietet sich uns das Walten der Wahrnehmung im Leib, das den
Leibesbewegungen den Sinn gibt von ichlich getanen, als eine
15 P r a x i s des Ich in der Welt, und zwar als eine U r p r a x i s , die
für alle andere Praxis mitfungiert und im voraus schon fun­
giert hat, ihr mitzugehört, so nur an dem Leibkörper zu üben als
dem „urpraktischen Objekt”. Als Wahrnehmungsleib hat es einen
praktischen, einen Funktionssinn, der es als Ausgangspunkt aller
20 Praxis und zunächst als Urstätte einer stets fundierenden Praxis
charakterisiert, wobei alle weitere unmittelbar in die Körperwelt
eingreifende Praxis in ihm mit neuen urpraktischen Schichten
beheimatet ist.
Der Mensch bewegt, was er bewegt, dadurch, dass er sich selbst
25 bewegt — darin liegt, das menschliche Ich (die „Seele”) bewegt
den körperlichen Leib praktisch, psychophysisch, und was immer
es tun mag, worauf es immer sein Absehen richten mag in der
vorgegebenen Welt, sie ist ihm dabei wahrnehmungsmässig
erscheinend; aktuelles und potentielles Wahmehmen, poten-
30 tielle als inaktuell gewordene, aber selbst zu aktualisierende
Vermöglichkeit, Erscheinungen in Richtung auf das Erschei­
nende in den Gang der Selbstverwirklichung desselben aktiv
zu bringen, begleitet alles im gewöhnlichen Sinn praktische Le­
ben, und es geht auch aktuelles Wahrnehmen in es ein, in die
35 Wege und verwirklichbaren Ziele. Auffällig ist hier der Vorzug
des Bewegens gegenüber allen anderen Weisen der Veränderung.
Alle Veränderungsaktivität anderer Art ist durch die Aktivität
der Bewegung, und urpraktisch der Leibesbewegung, vermittelt.
BEILAGE X IX
<KINÄSTHESE ALS BEGEHRENDES HINSTREBEN UND
ALS WILLENSWEG >
<wohl September 1931 >

5 Das Interesse richtet sich auf ein Affizierendes. Vom Ich aus geht
der Richtungsstrahl (Aufmerken) auf dasselbe, die Richtung oder das
Sich-richten des Ich ist ein strebend Sich-richten, ein im Aufmerken
Dabeisein, Interessiertsein, Beschäftigtsein, Tun. Das Ich vollzieht
einen Aktus. Aber das ist darum noch nicht ein eigentliches Tun, ein
10 Handeln, so wie aufmerkend auf etwas Gerichtetsein noch nicht ist ein
erfahrend, ein wahmehmend oder gar ein unmittelbar wahmehmend
bei etwas, und gar als einem Objekte, Dabeisein. Das eigentliche Tun,
das Handeln (und das Wort hat hier noch immer einen ungewöhnlich
weiten Sinn) ist gerichtet auf ein schon als „Ziel”, und zwar als erreich-
15 bares Ziel, Konstituiertes. Denn es ist zu scheiden zwischen Ziel eines
blossen Begehrens (Begehrungspol), das sich auf ein vermisstes Gut,
auf ein evtl, schon als gut Erfahrenes, aber in seiner Güte Dahin­
schwindendes bezieht, und praktischem Ziel, das bewusst ist als Ziel
eines verwirklichenden Weges, und eines von mir vermöglich zu ver-
20 wirklichenden.
In der Ursphäre der lebendig perzeptiven Gegenwart: Hier ist das
an sich Frühere das Vermissen, das Bewusstwerden einer Ungenüge
und das Begehren. Soll ich nun sagen: Instinktiv geht lebhaftes Be­
gehren oder Begehren sich steigernd in ein erstes „Wollen” über, es
25 bleibt nicht bei der Passivität des Strebens, es wird „aktives Streben”
= Wollen daraus (obschon eines und das andere „Akt” ist) ? Soll ich
sagen, dieses ursprüngliche Wollen hat die Form einer sich entladen­
den Totalkinästhese, sich entladend in Kinästhesen, die noch unbe­
herrscht, also in ihren Partialkinästhesen ungeschieden durcheinander-
30 gehen, wobei sich die Felddaten abwandeln und gelegentlich, auch
mehrfach das Vermisste „näher”kommt oder wiederkommt? Das
„näher” besagt, eine Datenwandlung in aufsteigender Ähnlichkeit
lässt das Vermisste eben in Form der Ähnlichkeit immer durchschei­
nen, es gefällt schon und verähnlicht das Vermisste, erinnert daran
35 und hat es in der Ähnlichkeit schon gleichsam in sich, aber noch nicht
genug. Jedes Wiederkehren ist Wiederkehren durch Verähnlichung in
Steigerung, und ist es da, so hört mit der Befriedigung das begehrende
Wollen, das hinstrebende, bewegliche auf. Das Begehren ist erfüllt,
das tätige Hinstreben, das ursprüngliche Kinästhese ist, kommt zur
40 kinästhetischen Ruhe.
Doch wird man sagen können, das betrifft von vornherein je nach
den Reizen die einzeln ursprünglich zugeordneten kinästhetischen
Mannigfaltigkeiten, so die zum Sehen gehörigen oder bei Berührung
der Hand die zur Hand gehörigen etc. Aber schon durch <das >Bevor-
45 zugtsein der Ruhelagen, z.B. die Lagen mindester Kraftanspannung, in
330 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

die die Bewegung von selbst zurücksinkt, ist es gegeben, dass das In­
teressierende sich mindert oder verlorengeht, wieder gesucht werden
muss etc. Die Kinästhesen selbst sind nicht Willensmodi, aber sie
konstituieren sich als Willenswege auf Ziele hin, im aktiven Streben
5 auf etwas hin werden sie zu eingeübten Wegen, zu vermöglich zu be­
gehenden — sich durch Wechsel der Inhalte als Wege assoziativ über­
tragend.
Nr. 19

KONSTITUTION DER EINHEITLICHEN ZEIT


UND EINHEITLICH-OBJEKTIVEN WELT
DURCH EINFÜHLUNG
5 (Ende September 1931)

Ich erfahre den Anderen durch Appräsentation, zweiseitig.


Sehe ich von der Körperlichkeit ab und richte den Blick auf den
Konnex meiner Seele und der seinen. In Konnex ist mein objek­
tives Wahrnehmen und das seine, mein objektives Wiedererin-
10 nern und das seine, meine wirkliche und mögliche Welterfahrung
und die seine, noetisch, und korrelativ, noematisch. Es koexistiert
durch Deckung, was wir ontisch gemeinsam wahrnehmen, und
so meine darin konstituierte Zeit und die seine. Hinsichtlich
meiner und seiner Mitgegenwart, Vergangenheit und Zukunft
15 kommt mittelbar Deckung und Identifizierung zustande hin­
sichtlich all dessen, was wir von der gemeinsamen Wahrneh­
mungssphäre her in gleicher Weise rekonstruieren können.
Wie versteht sich das? Meine lebendige Gegenwart, meine
urmodale, enthält meine Einfühlung, und in dieser vergegen-
20 wärtigt sie die andere lebendige Gegenwart. Der in der meinen
präsentierte Körper („fremder Leib”) ist Index für eine Totalität
vermöglicher Wahrnehmungen als meiner eigenen, in denen er
als der eine und selbe nach allem, was er für mich ist, und der
ihm eigenen Zeitlichkeit (als der für mich original erfahrbaren)
25 zur Gegebenheit käme. Dieser Körper, in meiner Primordialität
erfahren in der Ähnlichkeitsbeziehung zu meinem, in der beson­
deren Weise „mein Leib” apperzipierten primordialen Körper,
wird als fremder Leib aufgefasst, wird zum Träger der Apprä-
sensation fremder, anderer urmodalen Gegenwart, in welcher ih r
30 primordial als Leib konstituierter Körper in „Deckung” ist mit
jenem „Körper dort” in meiner Primordialität, wobei die Zeit
332 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

des einen und des anderen sich decken. Korrelativ müssen sich
die Konstitutionen der beiden Körper, also zunächst in dieser
Hinsicht die Primordialitäten, decken.
Wir beide, jeder rein seelisch, jeder in seiner Zeit und seiner
5 lebendigen Gegenwart, die nicht raumzeitliche Gegenwart ist,
haben Erscheinungen von Dingen, und jeder die seinen und seine
Seinsgeltungen. Ich erfahre nun den Anderen und habe von mir
natürlich S e l b s t e r f a h r u n g . Ich finde das „in meinem Jetzt
erfahre ich den Anderen” und s e i n Jetzt; ich finde als in eins
10 seiend mein und sein Jetzt, meine Erscheinungen und seine,
mein Erscheinendes als mir Geltendes und seines, aber beides als
dasselbe. Und dabei hat dieses in derselben Erfahrung seine
„äusserlich” erscheinende Zeitdauer als seine fortdauernde o b ­
j e k t i v e Gegenwart, und diese in Deckung mit m e i n e r dau-
15 ernden Erscheinung und der sich damit verbindenden und Punkt
für Punkt deckenden dauernden Erscheinung des Anderen.
Solange ich in meiner lebendigen Gegenwart mein Einfühlen
vollziehe, solange habe ich in ihrer Erstreckung Zeitpunkt für
Zeitpunkt zugleich meine Gegenwart und die des Anderen, nur
20 dass diese letztere nicht für mich wahrnehmungsmässig an­
schaulich, sondern eingefühlt ist. Das Eingefühlte (das Vergegen­
wärtigte) ist kontinuierlich Erfahrenes und kontinuierlich einig
m it dem Erfahren. Nun wird man aber sagen, so ist es doch auch
bei der anschaulichen Wiedererinnerung. Es deckt sich das
25 gegenwärtige Wiedererinnem mit dem Wieder erinnerten hin­
sichtlich der beiderseitigen Dauern Punkt für Punkt. Aber dieses
Zugleich dieser Deckung ist nicht zeitliches Zugleich, das eine
meine Gegenwart, das andere meine Vergangenheit. Wieder­
erinnertes ist ja zudem auch vergegenwärtigte Gegenwart. Wie
30 kommt es, dass bei der Vergegenwärtigungsart der Einfühlung
ein simultan-zeitliches Z u g l e i c h zustandekommt?
Hier ist aber zu bedenken, dass, solange ich wirklich anschau­
liche Einfühlung vollziehe, meine lebendig strömende Gegenwart,
aber damit auch m e i n e indessen verflossene und durch Wieder-
35 erinnerung aufzuweckende V e r g a n g e n h e i t , und die des An­
deren zur Deckung kommen. Ferner, wenn der Andere sich wieder­
erinnert an eine frühere Vergangenheit, in der er nicht Gegen­
stand meiner Einfühlung war, so wird diese Erinnerungsvergan­
genheit mir doch etwa jetzt zugänglich werden können. Indem
TEXT NR. 19 333

eine Strecke seiner und meiner Zeit sich deckt, setzt sich die
Deckung durch die ganzen Zeiten fort. Wir haben uns vordem
gesprochen, das gibt eine Strecke aktueller Deckung; dazwischen
fehlt die Einfühlungskontinuität mit dem Anderen, aber wären
5 wir z u s a m m e n g e k o m m e n etc.
Nun spielt sich ja das Zusammenkommen körperlich ab. Das
Zusammenkommenkönnen ist aber mein und sein Vermögen,
und mit den Zeiten decken sich auch die Vermögen. Zudem, das
„Spiel” des körperlichen Zusammenkommens ist psychisch ein
10 Spiel der Erscheinungen und Erscheinungssynthesen, der Kin-
ästhesen und der zugehörigen, in meiner und des Anderen Im­
manenz statthabenden und aktualisierten Vermögen. Somit
haben wir in der Einfühlungsbetätigung immer ein erfahrendes
Bewusstsein, in dem rein seelisch meine Seele als seelisch erfüllte
15 Zeit und die andere Seele und ihre Zeit zu kontinuierlicher Dek-
kung kommen, und zwar einer Deckung in Seinsgeltung. Also
wirklich ist für mich Koexistenz meines zeitlich-seelischen Seins
und des Anderen erfahren und ebenso für den Andern, wenn er
meiner inne wird. Natürlich pflanzt sich das durch die Andern
20 der Andern fort und ebenso durch die mittelbaren Einfühlungen
in Subjekte der Vergangenheit, mit denen ich jetzt gar keine
Verbindung habe, von denen ich aber auf dem Wege über Andere
erfahre als die dereinst von ihnen erfahrenen, und das selbst in
Mittelbarkeiten der Fortpflanzung (durch die Generation hin-
25 durch, Geschichte).
Es ergibt sich also, dass für mich und dann ebenso für jeder­
mann eine Koexistenz unserer aller rein seelischen Koexistenzen
erfahrungsmässig besteht, dass jede Einzelseele die Koexistenz­
form ihrer eigenen Zeit hat und für sich selbst ist und erfahren
30 ist als durch diese Zeit hindurch, ihre Lebenszeit, die Zeit ihres
Verharrens in ihrer personalen Individualität, in ihren wech­
selnden Habitualitäten und ihres Verharrens in diesem Wechsel
als Person personaler Eigenschaften; ferner, dass alle Seelen ein
rein seelisches Universum haben, das für sie beständig als Er-
35 fahrung konstituiert ist als Universum seelischer Koexistenzen,
und in der Weise, dass eine jede ihre eigene Koexistenzsphäre
als primordiale Erfahrung besitzt, alle Anderen aus unmit­
telbarer und iterativ mittelbarer Einfühlung, aktueller und po­
tentieller (vermöglicher).
334 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

Die Form nun der allgemeinen Koexistenz im erweiterten


Sinne aller Seelen ist die universale in den Seelen selbst als Er­
fahrung beschlossene Zeit, in die sich die einzelseelischen Zeit­
formen nicht im Nebeneinander kontinuierlich einordnen, als
5 ob sie selbst Strecken in ihr wären, als ob demnach das Geformte
einer jeden, der seelische Gehalt in s e i n e r Zeitlichkeit, sich
kontinuierlich fortsetzen könnte in dem der anderen, vielmehr
ist es eine Zeit höherer Ordnung, aus der intentionalen Deckung
der Seelen im Füreinander-sein entsprungen. Der Urquellpunkt
10 dieser Zeitkonstitution ist für eines jeden Erfahrung seine urmo-
dale Gegenwart und die Vermöglichkeit eines jeden, Andere zu
erfahren, andere Ich, andere konkrete Seelenmonaden, und zu­
nächst Andere „wahrzunehmen”, d.h. in der eigenen lebendigen
Gegenwart die fremde, urmodale zu erfahren und eben damit die
15 Urkoexistenz eigenen Seins und eines fremden Seins zu erfahren.
Dieses Zugleich, das eine Deckung zwischen meiner urmodalen
Gegenwart und der fremden, meines urquellenden Jetzt, meiner
urquellenden retentionalen Soeben etc. Phase für Phase oder in
eins in der Kontinuität, herstellt, ist, und zwar als potentielles,
20 zugleich das objektive Jetzt der objektiven, und zwar rein see­
lischen Allzeit. „Objektiv” jetzt ist, was mit meinem primordia­
len Jetzt koexistiert, d.i. aktuell in Deckung ist oder potentiell
zur Deckung zu bringen. Dieses objektive Jetzt oder diese objek­
tive Gegenwart ist strömende Gegenwart und ist Quellpunkt
25 bzw. quellende Erstreckung für eine strömende objektive Ver­
gangenheit und Zukunft. Was sich in diesem Strömen als objektiv
identisch konstituiert, hat dann die objektive Form der im
Strömen sich darstellenden starren objektiven Zeit — der all­
seelischen.
30 Natürlich kann das alles transzendental verstanden werden
als transzendentale Aufklärung der transzendentalen Allzeit
gegenüber den transzendentalen Zeiten der einzelnen Monaden
als Formen von deren in sich geschlossenen Individualität. Die
seelischen Individuen sind nicht erst durch ihre Körper, sondern
35 in sich selbst „getrennte” Individuen; doch passt das Wort
nicht, obschon die Seelen unzerstückbar sind und auch in diesem
eigentlichen Wortsinn Individuen. Es kommt der andere Sinn,
die Einmaligkeit des Seins, in Betracht, und die haben die Seelen
nicht erst aus einem Sein unter Umständen in einer vorgegebenen
TEXT NR. 19 335

universalen Zeit, sondern aus sich selbst, aus ihrem eigenen zeit­
lichen Wesen, in dem andere Zeitlichkeit intentional beschlossen
ist, die wesensmässig eine andere ist. Die Individualität der See­
len besagt in gewissem Sinn unüberbrückbare Trennung, also
5 ein Anders-sein und Aussereinander-sein (im logischen und nicht
räumlichen Sinn), das nie zu einer kontinuierlichen Ver­
bindung werden kann, einer Verbindung, die kontinuierliches
Ineinanderfliessen der monadisch eigenen Zeiten wäre. Anderer­
seits hindert diese Trennung nicht, ja sie ist die Bedingung der
10 Ermögüchung dafür, dass Monaden sich „decken” können, dass
sie, mit anderem Worte, in Gemeinschaft sein können. Aber wie­
der dasselbe sagt, dass sie koexistieren, und wieder dasselbe, dass
sie im Plural sind und sein können. Monaden im Plural, koexistie­
rende Monaden als Möglichkeit, darin liegt, das Sein der einen
15 lässt offen die Möglichkeit des Seins einer anderen. Die Möglich­
keit meines monadischen Seins liegt in meiner Wirklichkeit, und
alle anderen Möglichkeiten, die ich aus dieser Wirklichkeit durch
freie phantasiemässige Abwandlung gewinne, sind eben nur Ab­
wandlungen und Möglichkeiten meiner, und zunächst nur meiner
20 Wirklichkeit. Aber Ich, gedacht als wie wenn ich anders wäre,
das heisst noch nicht ein Anderer. In mir liegt die Möglichkeit
eines Anderen und damit der Zweiheit: ich und der Andere (in
weiterer Folge „wir zwei”, was aber schon mehr, schon ein Neues
beibringt) ausschliesslich durch die Möglichkeit der Einfühlung,
25 und zwar als meine Vermöglichkeit. Diese Vergegenwärtigungs-
art ergibt, wenn sie statthat, als ein Eigenartiges die Koexistenz
des in dieser Vergegenwärtigungserfahrung Erfahrenen mit mir,
dem es erfahrenden ego, verstanden als seelische Monade, eine
Koexistenz, die, wie wir sagen, den Sinn gemeinsamer Gegenwart
30 herstellt; durch die dann weiter ermöglicht ist identisch gemein­
same Gegenwart, nicht nur unserer beiden, sondern einer offenen
Vielheit von immer wieder Anderen und wieder Anderen in der
Einheit einer ursprünglichen, d.i. gegenwärtigen Koexistenz.
Koexistenz ist nicht ein leeres Zusammensein, sondern für mich
35 ein Für-mich-Dasein, mit mir „gemeinsam” Dasein dadurch,
dass mein Dasein anderes in sich vergegenwärtigend erfährt
(erfahren kann), in eins damit, dass es sich selbst erfährt als
vergegenwärtigendes. Das Vergegenwärtigte als solches, als in
mir Sinn und Seinsgeltung habendes und in mir es ausweisendes,
336 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

liegt — intentional als Bewährungspol — in mir, und liegt in


mir mit seinem Seinssinn „Anderer” unüberbrückbar unter­
schieden von mir als seiende Monade in der Form der monadi-
schen Zeit. Ich sagte auch, „ausser” meiner Monade, aber in
5 meiner Monade ist dieses „ausser ihr seiend" selbst als intentionale
Bewährungseinheit der einstimmigen VergegenwärtigungsVer­
läufe beschlossen. Ähnlich wie eine eigene Vergangenheit in
meiner Gegenwart beschlossen ist als intentionale Einheit meiner
mannigfaltigen Wiedererinnerungen in ihrer einstimmigen Ein-
10 heit (obschon unter Korrektur), aber so wie meine Vergangenheit
in mir und meinem eigentlich lebendigen Sein als gegenwärtigem
nicht nichts ist, sondern in mir als meine Vergangenheit Wirk­
lichkeit hat und immerfort behält, d.i. im strömenden Fort­
währen von Gegenwart zu Gegenwart h a t: ebenso ist der Andere,
15 der Mitgegenwärtige, in mir nicht nichts, sondern in mir als mein
Anderer, und ich bin nur, der ich bin, als der den Anderen und
alle Anderen in mir tragende.
Nr. 20

<KONSTITUTION DER INTERMONADISCHEN ZEIT.


WIEDERERINNERUNG UND EINFÜHLUNG>
(20./22. September 1931)

5 Innerseelischer (bzw. transzendentaler) Zusammenhang, inner­


seelische Zeit. Also 1) Zeitigung und Zeit innerhalb einer „Mo­
nade” als einer „Welt” für sich; 2) intermonadischer Zusammen­
hang und intermonadische Zeit als Zeit höherer Stufe: Monaden­
welt.
10 Fassen wir den Zusammenhang der Seelen ins Auge in der
Frage, ob er unter abstraktiver Ausschaltung der Leiber noch
besteht als ein rein im Wesen der Seelenmonaden gegründeter
Zusammenhang, so ist folgendes zu überlegen:
Ich bin körperlich hier und sehe den Körper dort. Als Leib
15 induziert er mir einen seelischen Anderen. Leiblich sind wir beide
getrennt, aussereinander, unsere Seelen sind getrennt lokalisiert.
Damit ist aber noch nicht gesagt, dass unsere Seelen nicht einen
eigenwesentlichen Zusammenhang haben können und sogar not­
wendig haben müssen. Damit in naher Beziehung steht folgende
20 Frage: Wir beide, und Menschen überhaupt, sind Objekte in der
vorgegebenen Welt. Die universale Koexistenzform der Objekte,
der individuellen realen Konkreta, ist die Raumzeitlichkeit. Die
Koexistenz im weitesten Sinne als raumzeitliche ist entweder
Gleichzeitigkeit, und dann örtliches Aussereinander im Raume,
25 oder zeitliche Folge. So hat jeder Mensch als konkret mundaner
seine objektive Dauer und in jeder Phase derselben seine Exten­
sion in einer räumlichen Lage; jeder gleichzeitige andere Mensch
eine andere Extension an einem anderen Ort. Aber natürlich
nur vermöge seiner Körperlichkeit hat der Mensch seine Räum-
30 lichkeit, räumliche Koexistenz, im notwendigen Aussereinander,
wenn sie Gleichzeitigkeit mitmeinen soll. Andererseits hat jede
338 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

Seele nicht nur durch ihren Körper Zeitlichkeit, vielmehr eine


ihr eigenwesentliche Zeitlichkeit als monadische Form ihres Seins
als einer Totalität koexistierender seelischer „Daten” (die wir
als letzte Substrate fassen, formal gesprochen, Realitäten). Mo-
5 nade ist die Seele, eine konkrete Einheit, die sozusagen eine
eigenwesentliche geschlossene Welt für sich ist. Zu einer Allein­
heit zusammengeschlossen sind die mannigfachen seelischen Er­
lebnisse und überhaupt, was in einer Seele zusammen ist und zu
unterscheiden ist als individuelles Datum. Jedes solche Moment,
10 etwa ein einzelnes Erlebnis, ist unselbständig gegenüber dem
Ganzen, der Totalität, in der es auftritt.1
Diese Welt für sich hat als Koexistenzform ihrer „Realitäten”
eine Zeit für sich, die Seinszeit, Lebenszeit der Seele, in der all
ihr Leben verläuft, alle ihre Akte, ihre Assoziationen, ihr Ver-
15 harren von einmal gestifteten Habitualitäten, Gewohnheiten
usw. Alles darin hat „seine Zeit”, d.h. seine Dauer, sein Anfängen
und Aufhören innerhalb der Gesamtzeit, die als inhaltlich aus­
gefüllte, und notwendig lückenlos ausgefüllte, die Monade selbst,
die konkrete Seele selbst ist, und zwar rein an und für sich ge-
20 nommen, abgesehen von ihrem Körper. Der Totalität, die das
Wort Monade ausdrücken soll, entspricht es, dass jede solche
Totalität ihre Totalform, d.h. ihre Totalzeit hat, in der alle
Sonderzeiten, d.h. die Zeitstellen und Zeitdauern als die dieser
Monade (bzw. der Vorkommnisse ihres Lebens), eingeordnet sind.
25 Mit anderen Worten, die „Lebenszeit”, die einer monadischen
Seele e i g e n w e s e n t l i c h ist, kann nicht ein Stück sein einer
umfassenderen Zeit, kann sich nicht zusammenstücken mit den
Lebenszeiten anderer Monaden, kann sich nicht fassen lassen, als
sei sie eine blosse Dauer innerhalb einer universalen Zeit, in der
30 andere und alle Monaden dauern. Die Monadenzeit als Allheits­
form ihrer konkret zusammengeschlossenen Momente erstreckt
sich kontinuierlich weiter, und zwar in einer lebendigen, mit
kontinuierlichen Lebensgehalten notwendig ausgefüllten E r­
streckung, sie ist konkrete lebendige Strömung, und alles, was

1 In der Alleinheit = Welt haben wir eine Vielheit von Realien, und wieder Viel­
heiten von realen Vielheiten; alles darin, was als einzelnes oder schon als vieles zu
erfassen ist, ist unselbständig. Alles ist mit allem zusammen und zusammen eins,
verbunden, steht aber in einem „Horizont” <von> damit selbst wieder zu Verbinden­
dem und schon Verbundenem in injinitum. Die Totalität ist „unendlich”.
TEXT NR. 20 339

sich hier erdenklicherweise einfügt, gehört zur einen und selben


Monade, gehört zu demselben in ihrem Leben lebendigen Ich.
Die Zeit meines strömenden Lebens und die meines Nachbarn
ist also abgrundtief geschieden, und selbst dieses Wort sagt noch
5 in seiner Bildlichkeit zu wenig. Sowie sie als diese Zeit (mit dem
Sinn von Zeit, der eben in der Monade als solcher, eigenwesent­
lich, gegründet ist) einig würde mit der nachbarlichen, wären
wir beide e in Ich mit einem Leben, einem Erlebnisstrom, einem
Vermögen usw.
10 Und damit geht es parallel, dass ich leiblich hier bin und der
Andere dort. So wie das Hier nicht zum Dort werden kann, und
so, dass der eine menschliche (organische) Körper zum anderen
wird, so kann nicht meine Seele die des Andern werden, oder
auch: Die Zweiheit der körperlichen Leiber geht zusammen mit
15 der Zweiheit der Seelen, und darin liegt, der Zweiheit der Lebens­
stromzeiten, die nicht eine Zeit sind und je werden können, eine
Form, die mit den Lebensmomenten der einen und anderen
Seele zu füllen wäre. Sind also die Seelen gleichzeitig und nach­
einander, sind sie zeitlich koexistierend nur durch ihre Verbin-
20 düng mit den Körpern, also durch Methexis an der universalen
Naturzeit? Jeder Körper hat zwar auch die ihm eigenwesentliche
Zeit, aber hier ist es evident, dass diese Zeit nur den Sinn haben
kann einer Dauer innerhalb der naturalen Allzeit, der Raumzeit.
Es ist nur e i n e Natur, und sie ist nur in dieser Universalität
25 <in> Wahrheit konkret. Die einzelnen Naturkörper sind nur
relativ konkret; sie sind, was sie sind, nur <als> Körper innerhalb
der Allheit der Körper, der Allnatur. Sie sind je in ihrem exten-
sionalen Gehalt, aber dieser Gehalt als erfüllte raumzeitliche
Extension ist noch nicht voll bestimmt als Körper, der vielmehr
30 sein jeweiliges extensionales Was hat als kausale Zuständlich-
keit. Er ist, was er ist, unter seinen „Umständen”, er hat auch
seine kausale Form und jeweils seine individuellen kausalen
Eigenschaften. Die Einheit der Natur ist die Einheit, die alle
Körper als Substrate kausaler Eigenschaften haben, sie „ver-
35 harren” im Wandel ihrer extensionalen Zuständlichkeiten als
dieselben Körper vermöge des Verharrens in ihrer kausalen
Regelung unter kausalen Umständen, Umständen, die selbst die
umstehenden Körper sind. In der kausalen Verflochtenheit aller
Körper mit allen hat die Natur, das Universum der Körper, in
340 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

einer universalen Kausalität ihre Konkretion, eben damit aber


eine individuelle Konkretionsform, die der konkreten Totalität,
der Raumzeit. Zeit ist also, verstanden als eine universale Ko­
existenz, nicht eine leere bedeutungslose Form, in die man eine
5 beliebige Menge von Einzelheiten hineinschütten könnte. Einheit
einer universalen Zeit hat nur Sinn als Einheitsform einer All­
heit, die nicht als leere Allheit, sondern Allheit von Gegenständen
eines eigenwesentlichen Gehaltes Konkretionsform ist.
-Sicherlich nun, an dieser Form haben die Seelen mittelbar
10 durch ihre Verleiblichung Anteil. Aber natürlich gibt ihnen das
noch nicht eine eigenwesentlich begründete universale Form der
Zeit. Wenn ihnen eine solche aber eigen ist, so ist nach dem
soeben für die Natur Ausgeführten vorweg klar, dass sie dann
doch einen eigenwesentlich begründeten Zusammenhang aller
15 Seelen miteinander voraussetzen würde, dessen Konkretionsform
sie wäre. Für die Natur war der universale Zusammenhang hier
schon durch die extensionale Struktur gesonderter Körperlich­
keiten dadurch hergestellt, und doch eigenwesentlich fundiert,
dass eine universale Kausalität alle Körper verflocht, die aber
20 voll konstituierte Körper erst waren durch ihr sich in verharren­
den kausalen Eigenschaften konstituierendes Für-sich-seiri. Was
entspräche dem für die Seelen? Jedenfalls selbstverständlich ist,
dass, wenn hier eine universale Konkretionsform Zeit für die
Allheit der andererseits doch eigenwesentlich getrennten Seelen
25 bestünde, diese, da jede Seele als eine „Welt” für sich ihre Zeit
hat, eine Zeit höherer Ordnung sein müsste. Für ihre höher fun­
dierte Form wären die einzelnen Monaden und danach auch ihre
einzeln ihnen zugehörigen Zeiten (Lebenszeiten) „Zeitinhalt",
Fülle; so könnten die Gehalte der verschiedenen Monaden und
30 diese selbst, so wie ihre Lebenszeiten, dem Sinn einer universalen
Zeit entsprechend koexistieren in den Modis der Gleichzeitigkeit
und der zeitlichen Folge.
In der Tat, nun ist es bei einiger Vertiefung in die Weise, wie
Menschen dem Sinne der Welterfahrung gemäss als Ichsubjekte,
35 konkret gesprochen, wie die menschlichen Seelen, die Ichsubjekte
in ihrem Lebendsein zeitlich koexistieren, einzusehen, dass nicht
etwa die psychophysische Verknüpfung der Seelen mit den Kör­
pern erst eine Zeitigung der Seelen und ihrer seelischen Lebens­
gehalte ermöglicht, vielmehr in den Seelen selbst von ihnen her
TEXT NR. 20 341

ein eigenseelischer Zusammenhang und eine eigenseelische Ko­


existenzform begründet ist, eine Form der Mehrheit von Seelen,
d.i. eben eines möglichen Zusammen von einer und einer anderen
und eventuell wieder anderen Seele usw., und schliesslich eine
5 Allheitsform, eine Form, die eine Allheit, eine dann endlos offene
Allheit („Unendlichkeit”) möglich macht. Bei genauer Erwä­
gung kehrt sich hier die Sachlage freilich um gegenüber der ver­
meintlich selbstverständlichen: Nicht sind erst mehrere Seelen,
und ist die Frage, unter welchen Bedingungen sie miteinander
10 im Dasein „verträglich” sind, sondern die Frage ist, wie kann
ich, wenn ich einer Seele gewiss bin und mich in ihr Eigenwesen
(in selbstgebender Anschauung) vertiefe, da entnehmen, dass sie
bloss „eine” Seele ist und nur so sein kann, dass sie also in diesem
Wesen selbst verweisen muss auf andere Seelen, dass diese Seele
15 zwar in sich und für sich ist, dass sie aber doch nur Sinn hat in einer
in ihr selbst gegründeten, aus ihr selbst zu entfaltenden Pluralität ?
Es ist ja ebenso schon für die Körperlichkeit. Der Körper hat
sein Eigenwesen. Das erst Anschauliche ist seine Extension.
Aber diese Anschauung gibt mir doch nicht den Körper; er
20 kommt erst zur Selbstgebung, wenn ich auf seine Kausalität
Rücksicht nehme; er hat eben ein kausales Wesen, durch das er
vorweg nur „ein” Körper ist unter Körpern. Der Plural geht
voran dem Singular, und doch wieder der Singular der Extension
(die unter dem Gesichtspunkt der kausalen Apperzeption Zu-
25 stand heisst) dem Plural — nämlich der vielen getrennten Ex­
tensionen, nur dass diese eben noch nicht Körper wären ohne die
universale kausale Regelung, der gemäss jede der Extensionen
Zustand ist in einem Sondersystem der Zuständlichkeiten, in
denen synthetisch derselbe Körper mit denselben kausalen Eigen-
30 schäften konstituiert ist.
Wie bezeichnet sich nun das Analogon der kausalen Leistung
für die Naturzeitigung, das, was dieser Leistung für die Ermög­
lichung seelischer Koexistenz entspricht? Und was entspricht
der Substantialität des Körpers, nämlich seiner Eigenheit, Sub-
35 strat kausaler Eigenschaften zu sein? Was macht, analogisch
gesprochen, die Substantialität der Seele aus, das, was in ihrem
eigenen Wesen auf die Pluralität verweist, es also macht, dass,
wenn wir uns in das Wesen der Seele als Seele vertiefen, wir sie
notwendig als „eine” Seele unter Seelen, möglichen und wirk-
342 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

liehen, finden? Die Antwort muss offenbar lauten: Seelen sind


nicht nur in sich und für sich, oder Seelen sind menschliche Ich-
subjekte in der Konkretion ihres strömenden, rein psychisch
betrachteten Lebens; aber als das sind sie eben nicht bloss in
5 sich und für sich seiend, also seiend in ihrer monadischen Zeit­
lichkeit. Sie sind auch, und wesensmässig, in aktueller oder po­
tentieller G e m e i n s c h a f t , in aktuellem und potentiellem
Konnex, wovon das Kommerzium, der Umgang in seinen viel­
fältigen Gestalten, nur Besonderheit ist. Wir könnten statt Umgang
30 Angang sagen; die Seelen sind nicht nur für sich, sondern sie gehen
einander an. Das aber liegt in ihnen selbst gegründet; eine jede
in ihrem Wesen hat schon die Wesensform einer „Substanz”,
einer Personalität, als eines Ich, das in seinem Leben auf andere
ebensolche Ichsubjekte und ihr Leben „Beziehung” hat. Als
15 Seele ist sie nur konkret durch diese ihre Struktur, dadurch dass
sie nur ist als ichlich seiend, als welche andere Ich angehen (ein
Verhältnis, das sich dann umkehren kann) und mit denen es dann
umgehen, mit denen es sich in verschiedenen Weisen des Kom-
merziums vergemeinschaften kann.
20 Der Urmodus des A n g e h e n s ist die E i n f ü h l u n g . Inder
Selbstwahrnehmung, im originalen für mich selbst Gegenwärtig­
sein, ist das original Gegenwärtige Ich in meinem eigenen Leben.
Dazu gehört auch das Lebensmoment der Einfühlung. Durch
sie aber beziehe ich mich auf ein zweites Ich und sein Leben,
25 durch sie ist es für mich unmittelbar da als anderes und geht
mich an. Es geht mich als anderes schon dadurch an, dass ich
vor allem Umgang mit ihm eo ipso sein Leben, soweit es wirklich
für mich zu einem Da wird (also in der Sphäre der Anschaulich­
keit und jedenfalls Bestimmtheit), nicht nur erfahre, sondern
30 mitlebe, mitwahmehmend, mitglaubend, miturteilend — zustim­
mend, ablehnend, zweifelnd, mich mitfreuend, mitfürchtend usw.
Alle Modi dieses Mit sind Modi einer Urvergemeinschaftung, in
der ich in meinem (primordialen, uroriginalen) Leben lebend zu­
gleich doch m i 11e b e mit dem für mich einfühlungsmässig mit-
35 daseienden anderen Leben, eine Lebenseinheit also hergestellt
<ist> und eine Ich-Du-Einigkeit der Ichpole durch das Medium
der Einfühlung hindurch. Zunächst betrifft die Lebensgemein­
samkeit mit der Ichvergemeinschaftung nur das aktuell in Son­
derheit sich Vergemeinschaftende; in eins aber damit die beider-
TEXT NR. 20 343

seitigen Lebenshorizonte, und das bedeutet eine Synthesis der


beiderseitigen Potentiaiitäten.
Im aktuellen Vollzug einer Einfühlung „deckt” sich so meine
urmodale strömende Gegenwart, mein urmodales Ich-bin, dessen
5 Jetzt-Gegenwärtigsein Sein aus der urpräsentierenden Zeitigung
ist (das im engsten und eigentlichsten Sinne präsent- (jetzt-)
seiende Ich), mit der urmodalen Gegenwart des Anderen, die
aber für mich nicht urmodale, sondern appräsentierte ist; und
von da aus ergreift die Deckung die beiderseitigen Horizonte. Es
10 decken sich dabei mein urmodales urimpressionales Jetzt, der
absolute Quellpunkt der urmodalen Ursprünglichkeit, mit dem
einfühlungsmässig vergegenwärtigten urimpressionalen Quell­
punkt-Jetzt, das in dieser Deckung zugleich ist mit dem meinen
nach Form und Inhalt. Die Abwandlungsform der Soeben wie-
15 derholt sich in der Vergegenwärtigung und deckt sich Phase für
Phase mit der urmodal verlaufenden Abwandlung, und zwar
konkret nach Form und Inhalt, und so wiederholt sich auch die
in der lebendig strömenden Gegenwart konstituierte Identität
des strömend in immer weitere frische Vergangenheit Versin-
20 kenden und damit die indentisch verharrende erfüllte Zeit Phase
für Phase, und das Wiederholte steht Phase für Phase nach
Form und Gehalt in Deckung, und so konstituiert sich ein zeit­
liches Zugleich der übermonadischen oder intermonadischen Zeit
höherer Stufe.
25 Wiedererinnerung und Einfühlung

Man könnte bedenklich werden mit Rücksicht auf den doch


ähnlichen Fall der Deckung von meiner urmodalen Gegenwart
und meiner jeweiligen W i e d e r e r i n n e r u n g s g e g e n w a r t .
Zu meiner lebendigen urmodalen Gegenwart gehört auch mein
30 jetzt eintretendes und verströmendes Mich-wiedererinnern (ähn­
lich wie zu ihr jeweils gehört das als jetzt eintretende und ver­
strömende Vergegenwärtigen jedweder Art, und darunter der
Art „Einfühlung”). Dabei deckt sich Phase für Phase das gegen­
wärtige strömende Wiedererinnern mit dem darin Wiedererin-
35 nerten, das wir als das frühere strömend Gegenwärtige ansprechen.
Wäre die Deckung konstituierend für ein zeitliches Zugleich,
müsste <dann> hier nicht statt des Nacheinander ein Zugleich­
sein erfahren sein ? Indessen, die Deckung, werden wir antworten
344 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN" 1931-1932

müssen, zwischen Wiedererinnerung als jetziges Erlebnis und


wiedererinnertem Erlebnis für sich allein konstituiert noch nicht
die Koexistenz der Form des Nacheinander. Zunächst ist jedes
dieser Erlebnisse unselbständig, jedes in seiner Anschaulichkeit
5 ist Erlebnis in einem konkreten Erlebnisfeld, des näheren, jedes
im Feld einer konkreten strömenden Gegenwart, meiner urströ-
menden bzw. der durch das vergegenwärtigte Erlebnis mitver­
gegenwärtigten totalen Gegenwart. Aber auch das langt noch
nicht. Einerseits ist offenbar wesentlich, dass eine Gegenwart
10 ihren Vergangenheitshorizont und einen Horizont des Kommen­
den mit sich führt, und so jede wiedererinnerte ihren wiederer-
innerungsmässigen. Und andererseits, jede als wiedererinnernd-
lebendige Gegenwart hat einen im vergangenen Fortströmen
sich schon erfüllt habenden Zukunftshorizont. Und dass dem so
15 ist, das ist selbst aus dem zu jeder Wiedererinnerung gehörigen
Horizont bzw. dessen wiedervergegenwärtigungsmässigen Aktua­
lisierung geschöpft. Und dazu kommt, dass Wiedererinnerung
wesensmässig ein Vermögenserlebnis ist, d.h. es gehört dazu das
„ich kann immer wieder mich an das und das erinnern, die Er-
20 innerung wiederholen”, das ist aber ein immer neues Herstellen
von Wiedererinnerungen, in denen immer wieder dieselbe Gegen­
wart vergegenwärtigt ist, in einer immer neuen Stelle meiner
lebendig fortströmenden Gegenwart (in der Einheit der Konti­
nuität einer Wachheit). Erst durch diese vermögliche Wieder-
25 holung unter Identifizierung und durch das Bewusstsein „ich
kann nach Belieben immer wieder so tun” gewinne ich ein
Identisches der Geltung und Fortgeltung, und dieses ist vermöge
der Deckung mit immer wieder anderen lebendigen Gegenwarten,
allerdings ineinander überströmend Einheit einer umfassenden
30 lebendigen Gegenwart konstituierenden (der einen, innerhalb
deren ich die Wiederholungen vollziehe), zwar charakterisiert als
mit ihnen allen koexistierend, aber nun doch als anderes, als nicht
gegenwärtiges. So ist in gewisser Weise auch das Ich dieser
vergegenwärtigten und nicht gegenwärtigen Gegenwart zwar von
35 mir angesprochen als Ich, als derselbe, der ich jetzt aktuell
gegenwärtiger bin, zugehörig zu dieser urmodal strömenden Ge­
genwart, und doch eigentlich Anderer, nicht der eigentlich Sei­
ende, jetzt wirklich Seiende, sondern vergegenwärtigtes Ich,
Abwandlung (die für den Augenblick das Wort Anderer be-
TEXT NR. 20 345

zeichnen sollte). Nun gewinnt aber erst die Abwandlung den


Sinn Vergangenheit von einer anderen Seite: Ich habe mannig­
faltige solche modifizierte Gegenwarten verfügbar und jeweils
wirklich gegeben als „erinnerte”, jede eine andere, jede mit einem
5 anderen modifizierten Ich, jede mit einem Horizont von immer
wieder vermöglich heranzuholenden anderen und wieder anderen
derselben Art, und zugleich alle beschlossen in einem allheitlichen
Horizont, der alle einzelnen Horizonte synthetisch deckt. Hierbei
konstituiert sich immer wieder in der Aktualisierung (welche
10 Wiederaktualisierung der aktiv-ursprünglichen Seinskonstitution
ist) Koexistenz durch Deckung. Sofern alles Sich-decken zunächst
Sich-decken der urmodalen Gegenwart ist im urmodalen Ich
(der ich das Frühere vergegenwärtige) mit modifiziert bewussten
Gegenwarten bzw. Ich, ist es Koexistenz aller vergegenwärtigten
15 Gegenwarten mit der jetzt urmodalen, und ebenso der vergegen­
wärtigten Ich mit dem jetzt gegenwärtigen. Die universale Form
dieser Koexistierenden, die Vergangenheiten und urmodale Ge­
genwart befassen, ist die Zeit in einem Sinne, der noch nicht
der Zukunft Rechnung getragen hat, bzw. die Vergangenheit
20 als die zur strömenden Urgegenwart gehörige. Aber es sind
die Vergangenheiten (die wir eigentlich bei der Stufe unserer
Auslegung noch nicht so nennen dürften) nicht ein Zusammen,
eine Koexistenz in einer Ebene. Es ist Rücksicht zu nehmen
darauf, dass sie sich nicht nur alle mit der lebendigen Gegenwart
25 decken, sondern auch untereinander decken, d.h. <es> gibt sich
die eine als frühere der anderen. Die letztere als vergegenwärtigte
Gegenwart, in der die andere als die frühere so vergegenwärtigt
wird wie in meiner urmodalen Gegenwart irgendeine Vergangen­
heit. Die frühere ist selbst wieder möglicher relativer Urmodus
30 (in der Vergegenwärtigung) für die in Relation zur ihr frühere.
Andererseits kann in jeder jede frühere auch direkt in Vergegen­
wärtigung auftreten, in unmittelbarer Deckung. Vermöglich kann
ich, mich erinnernd an meine lebendige Gegenwart Gm (wo m
die entsprechende Modifikation andeutet), als Ich dieses Gm,
35 sagen wir, I m, mich an ein Gm> erinnernd gegeben sein, mit
dessen Imi, und so immer wieder. Dabei ist es zu beachten, dass
ich, das jetzige Ich, vermöglich mich an Gm erinnernd, das Gm
vermöglich und aktiv ausgestalten kann, so dass ich zu einer Er­
innerung zweiter Stufe komme, und so immer wieder. Was ich in
346 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

meiner Gegenwart kann, das ist nicht nur gegenwärtiges Können,


sondern nachher auch in die Wiedererinnerung miteingehendes,
darin intentional impliziertes Können, und ist zugleich in der
urlebendigen Gegenwart aktuelles Können: das Implizierte zu
5 aktivieren mit dem Sinn einer Erinnerung in der Erinnerung,
die zugleich jetzt für mich die Seinsgeltung wirklicher Erinnerung
hat. Die Ordnung, die wesensmässig jede Menge von Erinnerungs­
gegebenheiten in sich trägt, ist die Ordnung des Früher und
Später; jedes Durcheinander von Erinnerungseinfällen kann ich
10 ordnen oder mindestens ordnen wollen (dessen gewiss, dass Ord­
nung ist) nach früher und später in eine einzige Reihe. Zum
Wesen dieser Reihe gehört aber, dass es eine Reihe von Erinne­
rungen ist, die, wenn wir immer nur die konkret vollen vergegen­
wärtigten Gegenwarten nehmen, intentional ineinander beschlos-
15 sen sind in der Art, dass in der urmodalen Gegenwart die zu­
nächst frühere erinnerte ist, in ihr die nächst frühere danach,
und so in ständiger Mittelbarkeit. Die Vermöglichkeit, so zu
ordnen, ist eins mit der Vermöglichkeit, so in jeder die ihr frühere
zu finden. Andererseits gehört aber zu je zwei Erinnerungen die
20 Möglichkeit, Zwischenerinnerungen zu suchen und zu finden,
oder, was prinzipieller ist, von jeder zu einer unmittelbar frü­
heren zurückzugehen, zu einer Wiedererinnerung des retentio-
nalen Soeben, und andererseits von jeder kontinuierlich in pro-
tentionaler Erfüllungsrichtung vorzuschreiten zu kontinuierlich
25 neuer Erinnerung. So kontinuierlich kann ich innerhalb der
Wachheit von jeder zu jeder Erinnerung kommen.1 Schliesslich
gilt es also die Welt möglicher Wiedererinnerung als Kontinuum
zu erkennen mit der Form der kontinuierlichen Zeit, innerhalb
deren jede einfallende Wiedererinnerung eine Strecke als wieder-
30 verlebendigte Gegenwart aktualisiert.
Die wirkliche Gegenwart und jede vergegenwärtigte hat immer
schon einen einheitlich kontinuierlichen Vergangenheitshorizont,

1 Wie die Kontinuität gewonnen wird, ja was sie eigentlich besagt, muss also erst
durch tiefere Überlegung herausgestellt werden. Hier muss gezeigt werden, wie ich
zu jeder Wiedererinnerung eine „kontinuierlich frühere” zu gewinnen vermag; aber
auch gezeigt werden, was dieses „kontinuierlich” eigentlich charakterisiert: die Mög­
lichkeit, mich aufmerkend zu richten auf das „soeben Versunkene” und es identifi­
zierend als Wiedererinnerung zu verwirklichen; andererseits, wie ich in umgekehrter
Richtung von der wiedererinnerten Gegenwart mich in kontinuierlich strömendem
Fortlauf tragen lasse in die spätere Gegenwart, also in einem kontinuierlichen Wieder­
erinnerungsstrom vom Früheren zum Späteren komme.
TEXT NR. 20 347

einen Horizont, der in sich birgt die Vermöglichkeit, eine offene


„Unendlichkeit” von mannigfaltigen Wiedererinnerungen wecken
und in dieser Weise ordnen und ineinander intentional schachteln
zu können, dabei jede für sich wiederholen und nach ihrem
5 „Inhalt” identifizieren zu können, so dass jede schon von vorn­
herein als Einheit der Wiederholung und als eine konkret­
individuelle gilt. Dazu dann die Vermöglichkeit, zu erkennen,
dass Vergangenheit eine kontinuierliche Einheit ist, durch die
hindurch das e i n e I c h a l s k o n t i n u i e r l i c h g e g e n w ä r -
l Ot i g e s u n d k o n t i n u i e r l i c h v e r g a n g e n e s und immer
weiter vergangenes ist und in d i e s e r K o n t i n u i t ä t n u m e ­
r i s c h i d e n t i s c h d a s s e l b e ist, d a s s e l b e e i n e s s e l ­
b i g e n L e b e n s , das seine Selbigkeit darin hat, dass es, sich
kontinuierlich abwandelnd von der lebendigen Gegenwart, in der
15 es ursprünglich lebendiges Leben ist, einerseits fortströmend
immer Neues in Kontinuität erlebt, andererseits verströmt und
immer weiter und weiter verströmt in die „Unendlichkeiten”
„der” Vergangenheit. Aber kann das anderes besagen, als dass
lebendige Gegenwart in sich selbst als Erstes und Urphänomen
20 Kontinuum ist mit dem zwiefach gerichteten Fortströmend-
Verströmend, mit dem Zentrum Urimpression, von der urim-
pressionalen Phase als Urquell und Urmodus sich stetig modifi­
zierend im „Verströmen”, stetig im Abklingen sich „verdeckend”
bis zur vollen „Verdunkelung”, zur Unanschaulichkeit und Ab-
25 hebungslosigkeit? Damit fällt das Dunkel, „Unbewusste” aus
dem Rahmen des „Urphänomens” heraus. Doch ist es als das
nicht nichts, sondern, wie sich hinterher zeigt, ist es weiter in
seinem konstitutiven Stil Fortströmendes. Verdunkelt kann es
„wieder” geweckt werden, wieder anschaulich werden im Modus
30 und im Rahmen der expliziten Klarheit und Abhebung, das ist
der urphänomenalen Gegenwart, als vergegenwärtigte, als modi­
fizierte Gegenwart (als cogitatum der jetzt als „Erlebnis” auf­
tretenden Wiedererinnerung).
Aber diese Rede von dunklem Fortströmen und Wieder-
35 anschauhch-werden-können, hat das einen anderen Sinn, als
dass zur lebendigen Gegenwart und ihrem aktuell-lebendigen Ich
eben das Vermögen dieser Konstitution, dieser Zeitigung gehört?
Oder vielmehr, der Zeitigung, die ihre Arbeit längst getan hat
und die in der Weise des Fortgehens der schon ausgebildeten
348 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 19311932

Erfahrung sich auch forterstreckt, in Form der Bestätigung ver-


möglich immer wieder reaktiviert werden kann. Aber die Zeiti­
gung, die Erfahrungsbildung, die Konstitution hat verschiedene
Seiten. Das Ich selbst ist konstituiert als zeitliche Einheit. Es
5 ist die schon als stehendes und bleibendes Ich erworbene (und
im Forterwerben immerfort weiter erworbene) ontische Einheit:
identisches Ich meines zeitlichen Lebens als dasselbe seiende Ich
all meiner Vergangenheiten, meines innerhalb der kontinuier­
lichen Einheitsform der Zeit verlaufenen und jetzt noch fort-
10 strömenden Lebens, das fortströmend in sich und für sich immer
neue Vergangenheit als verharrende konstituiert.
Die G e g e n w a r t ist die „absolute Wirklichkeit”, ist eigent­
lichst Wirklichkeit als urzeugende. Als das ist sie sich selbst
zum Zeitmodus ontifizierend, und urzeitigend hat sie als onti-
15 sehen Erwerb das zeitliche Sein, urzeugend hatte sie es zugleich
immer schon urgezeugt. Ich, immerfort in der Gegenwart „Be­
sitzer” des Erworbenen, immer schon in der Gegenwart meiner
bewusst als Ich, der ich bin und als dasselbe Ich gewesen bin,
ein gelebtes Leben hinter mir habe und darin erworben habe
20 usw., und das alles ist in der Urlebendigkeit im Urphänomen
zu erschauen, weil es, all das, selbst schon Erwerb ist, und aus­
zulegender, d.i. wieder <zu konstituierender ist — konstituierend
und zugleich im Bewusstsein der Reaktivierung.
Es muss genauer für die Kontinuität der subjektiven Zeit bzw.
25 der Selbstkonstitution der Zeitlichkeit der Subjektivität, der
ursprünglichst seienden, Rechenschaft gegeben werden. Wir
haben Wiedererinnerung, als Weckungen, als Haufen von er­
weckten Vergangenheiten, als sich ordnende betrachtet, aber
nicht Rücksicht genommen auf die Zukunftshorizonte, und zwar
30 nicht nur auf den, der zur urmodalen Gegenwart gehört als das
„Kommende”, sondern als den, der in jede Vergangenheit selbst
reproduktiv eingeht. Vom Strömen der Gegenwart können wir
uns forttragen lassen. Hier muss das Sein und Leben in der
„lebendigen Gegenwart” und die Relativität, die diesem Begriff
35 selbst anhaftet, zuerst geklärt werden. Im strömenden urmodalen
Dahinleben bin ich Subjekt der Affektionen und Aktionen, und
zunächst sind solche zu betrachten, die zurückgerichtet oder
vorgerichtet (wenn nicht auf das urquellend jetzt Verhar­
rende selbst gerichtet) sind, und zwar innerhalb der lebendigen
TEXT NR. 20 349

Gegenwart selbst. Diese Gegenwart ist einzige Lebendigkeit,


e i n e Urgegenwart, e in Strom, aber doch ein Strom, indem mit
gutem Sinn zu sagen ist, dass eine Urgegenwart in eine neue
Urgegenwart und immer wieder neue überströmt. Das „noch
o neoendige' , und doch schon liinuntergesunkene, auf das ich
zurückgehen, das ich aktiv erfassen und durch wiedererinnernde
Anschauung als dasselbe erfahren kann, wird anschaulich und
expliziert als blosse Wiedervergegenwärtigung dessen, was „noch”
im Strömen ist und noch für mich im Felde ist. Im Fortgetragen-
10 werden zu neuer ursprünglicherer Lebendigkeit mag die frühere
schon fast ganz versunken sein, ja „ganz versunken”, aber ich
erfasse sie nachher rückgerichtet als „soeben noch dagewesen”
und als „noch im Felde”, völlig ins Dunkel des „Unbewussten”
versunken, doch als dem Strom zugehörig, und dann als dasselbe,
15 was die Wiederveranschaulichung eben nur wieder anschaulich
macht. Und nun umgekehrt, von dem Wiedererweckten und
Wiederanschaulichen kann ich mich im Reproduzieren wieder
forttragenlassen und wieder die Aktivitäten etc. vollziehen und so
von Gegenwart zu Gegenwart übergehen und jede kontinuierlich
20 frühere als das soeben Versunkene, immer unklarer Gewordene
und doch noch Strömend-Verströmende erkennen. Die Wieder­
erinnerung ist nicht ein Neues, sondern nur als Modus ein Neues;
sie geht nur zurück und macht nur klar eine Strecke des ver­
sunkenen Ström ens.
25 Die Gegenwart geht der Zukunft entgegen, mit offenen Armen.
In ihrem Fortströmen, in dessen Intentionalität, erwirbt ur-
strömende Gegenwart die Zukunft. Was als Jetzt auftritt in der
Uranschaulichkeit, das ist das Anschaulichwerden der Erfüllung,
das Anschaulichmachen, das urimpressionale Gegenwart selbst
30 macht, erfüllend. Aber dieses urströmende Erfüllen erwirbt Zu­
kunft wirklich erst durch das Versinken in die retentionalen
Modi unter Deckung und durch die Leistung der Wiedererinne­
rung. Erworben ist Gegenwart und Zukunft erst durch Wieder­
erinnerung und ihr Vermögen des Immer-wieder, in dem immer
35 wieder der strömende Prozess der Erfüllung und überhaupt der
ursprünglichsten Zeitigung wiederholt werden kann. Von jeder
wiedererinnerten Gegenwart kann ich kontinuierlich aufsteigen,
im Strömen fortlebend, also in die Zukunft lebend, in die Zukunft,
die doch schon zur Vergangenheit geworden ist, die nicht unbe-
350 ,,CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931 -1932

stimmte, leere Zukunft, sondern schon erworbene ist. Als erwor­


bene ist sie jetzt in der Wiedererinnerung der strömende Prozess,
in dem nicht nur ursprünglich Protentionales zum Urimpressio-
nalen wird, sondern auch dieses zum Retentionalen wird, und
5 so die ganze lebendige Gegenwart wird und das Versinken der
ganzen Gegenwart in eine andere wird, bzw. geworden ist, re­
produktiv vergegenwärtigt.
Von jeder Wiedererinnerung aus bzw. von ihrem Erinnerten
kann ich im Prozess das Werden der künftigen Gegenwarten
10 stetig verfolgen und die spätere Wiedererinnerung erreichen als
die gewordene Gegenwart.

BEILAGE XX
ICH UND ALLES MIR EIGENE. DAS ICH IN SEINER
HABITUELLEN EIGENHEIT (DAS ICH DER ENTSCHEIDUNGEN).
15 <DAS UNIVERSUM MEINES EIGENEN IM UNTERSCHIED
ZUM A N D E R E N >
(Mai 1932)

Bewusstseinsstrom in seiner Uroriginalität<ist>undenkbar ohne ur-


originalen Ichpol. Er liegt auch im anonymen Bewusstseinserlebnis.
20 Der Reflexionsakt enthüllt das im Modus Soeben unreflektierte Erleb­
nis und seinen Ichpol; aber beides in Deckung derselbe <Pol>. Alle ver­
gegenwärtigenden Erlebnisse tragen in sich als Vergegenwärtigtes den
Ichpol; sind es im weitesten Sinne Erinnerungen, so Deckung: derselbe
Pol. Die vergegenwärtigenden Erlebnisse sind in uroriginaler Einheit
25 im Strom und sind als das im uroriginalen Ich polarisiert. Sie stehen
aber in einer uroriginalen Deckung, Identitätseinheit hinsichtlich des
in ihnen vergegenwärtigten Ich mit dem uroriginal fungierenden Ich
der lebendigen Gegenwart.
Alles, was im Strom der lebendigen Gegenwart für mich, in welchen
30 Modis immer, als ein Gegenstand (Gegenstandspol) bewusst ist, ist auf
das uroriginale Ich (das immerfort wahmehmungsmässige) bezogen.
Alles, was darin durch Vergegenwärtigungen, Zeitigung, gezeitigt, be­
wusst wird, hat das Ich als das eine und selbe in sich, jede vergegenwär­
tigende Anschauung durch original einigende Identifizierung mit dem
35 uroriginal bewussten <Ich>. Und das geht weiter in die intentionalen
Mittelbarkeiten. Auch durch alle möglichen Erfahrungen — ich hätte
so erfahren können, ich hätte so wahrnehmen können etc. — Identität
des Ich, das jetzt für mich uroriginal bewusst wird auch durch alle
phantasiemässigen Vergegenwärtigungen hindurch; auch da reicht die
BEILAGE XX 351

Deckung hinein. Das ist also eine durch das gesamte Bewusstseins­
leben hindurchgehende Struktur, es ist die der universalen Deckungs­
einheit aller Bewusstseinserlebnisse hinsichtlich des originaliter oder
vergegenwärtigt in ihnen fungierenden Ich (der reflektierend das Ich
5 enthüllt habenden wie der es nicht habenden, die aber jedenfalls es
implizit, auuuym mit sich führen) mit dem „stehenden”, uroriginal
fungierenden Ich, durch eine ständige, die aktuell vergegenwärtigten
oder unreflektiert mitvergegenwärtigten <Erlebnisse > aktuell einigen­
de Deckung. Die leeren Antizipationen, ihre Mittelbarkeiten, die Hori-
10 zonte, darin liegt antizipiert immerzu auch Antizipation der in der
Enthüllung enthüllten Deckungen
Mein Ich und alles mir Eigene — meine Bewusstseinsweisen, meine
Akte, meine Bewusstseinsgegenstände — das Meine hat seine Mein-
heit in dieser Ichzentrierung durch ständig sich aktualisierende Dek-
15 kung in jeder eintretenden Vergegenwärtigung, und ständig sich er­
haltend, ständig behalten durch alle Sedimentierung. Ich sage auch, Ak­
tualisierung durch Eintreten originaler Deckung mit dem uroriginalen
ständigen Ich in der uroriginalen Gegenwart, dem ständigen Quellboden.
Ich, das identische Ich, ist danach aufgewiesen worden in seiner
20 Eigenheit und nicht charakterisiert worden durch Kontrast mit den
sich für mich konstituierenden Anderen.
Ich, das reflektierende Ich, bin Menschen-Ich, mein Bewusstseins-
i ; leben Weltbewusstseinsleben. Ich selbst bin meiner bewusst als Mensch
DJ unter Mitmenschen. Die Welt, ich selbst, die Menschen überhaupt sind
25 bewusst als Welt für alle, ich Mensch für alle, jedes Objekt, jeder
Mensch darunter, seiend für alle. Bewusstsein, hier Geltungsbewusst­
sein, doxisches Bewusstsein, Seinsgewissheit in sich tragend, ich als
jU| doxisch Stellung nehmend oder habend, wobei diese Stellung, die Thesis
sich modalisieren kann. Ständiges Weltbewusstsein — eine universale
30 Verbundenheit aller doxothetischen Bewusstseinserlebnisse, die die
meinen sind, die allen meinen expliziten und impliziten doxischen
Thesen Einheit geben. Mein Bewusstseinsleben ist durch immanente
Zeitigung eine universale Einheit. Aber eine besondere Einheit darin
die zwar im Wandel sich inhaltlich ändernde, und doch in jeder leben-
35 digen Gegenwart fertige Weltgewissheit. In der stehend-strömenden
uroriginalen Gegenwart ist konstituiert und konstituiert sich strömend
gezeitigter Bewusstseinsstrom, horizonthaft. Ich kann diesen gezeitig­
ten enthüllend zurückverfolgen und vorverfolgen. Darin alle meine
Seinsgeltungen, Seinsgewissheiten, Modalisierungen, aber auch alle
40 Fiktionen.

Das Ich in seiner habituellen Eigenheit


Einheit besonderer Art, die unter dem Titel Weltgewissheit sich
konstituiert, sich durch den „Bewusstseinsstrom” hindurch kontinuier­
lich als kontinuierliche Einheit des Geltens und Geltenden durchhält,
45 aber so, dass immerfort einzelne Geltungen korrigiert werden, zeit-
352 .CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

weilig in Modalisierung steckenbleibend. Identität meines Ich, aber nun


besondere Identität des Ich als in Gewissheit lebenden, Gewissheit
festhaltenden, Gewissheit mit Gewissheit einigenden, ein Universum
des ihm Geltenden konstituierend, dessen Geltungssubjekt es ist. Aber
5 die Gewissheiten modalisieren sich, das Ich in seiner Gewissheit er­
leidet einen Bruch, seine verbleibende Richtung vermag es nur zeit­
weilig zu erhalten. Das Ich ändert seine Seinsweise. Es ist als Geltungs­
ich das Ich, das entschieden ist, und ist solange dasselbe, als es das ist.
Es ist universales Welt-Ich, es ist dasselbe und verharrend in seiner
10 universalen Entschiedenheit, die die Sonderentschiedenheiten in sich
fasst. Aber es kann sie nicht alle halten; es kann sich nicht so rein in
seiner Universalität der Einzelstellungen halten. Das gibt schwierige
Probleme. Vor allem, wenn schon geklärt ist, wie eine einzelne doxische
Gewissheit aussieht und für das Ich bleibende Geltung ist, in der es
15 Seiendes hat, so ist zu verstehen der Akt der Doxa und synthetische
Akte, in denen ein doxischer Akt und ein anderer, und so überhaupt
mehrere, Einheit eines Aktes herstellen, und wie dabei eine akt-synthe­
tische Gegenständlichkeit als „kategoriale” sich konstituiert.
Aber ein anderes ist die Verbundenheit, die alle Akte, die mein Ich
20 als seine Entschiedenheiten jetzt vollzieht, als Wiederaufnahme von
Entscheidungen, die ich früher vollzogen habe und die im Jetzt noch
fortgelten, in denen es noch jetzt entschieden ist, haben.1 Nicht alle
früheren Akte, jetzt wiedererinnert, gehören mir zu, dem Ich, das
entschieden ist, sondern eben nur diejenigen als frühere erinnerten, die
25 meine Entschiedenheit aus früherer Entscheidung bekunden. Jede neue
Entscheidung verbindet sich mit dem Horizont der Akte, die mich als
das Ich, das ich jetzt bin, das Ich der Entschiedenheit, auslegen. Ich
ändere mich als dieses Ich nicht durch Aufnahme neuer Entscheidun­
gen, die nunmehr mir als Entschiedenheiten zu eigen sind. Vielmehr,
30 als dieses Ich bin ich nur derselbe in ständigem Erwerb neuer Ent­
schiedenheiten ; Ichsein in diesem Sinne ist Sein im sich Entscheiden
und Verharren in seinen Entschiedenheiten, und solange bin ich der­
selbe, als ich im Fortgang der Entscheidungen meine alten Entschie­
denheiten bewahre. So bin ich als mich selbst erhaltend. Aber ich bin
35 doch auch, wenn ich mich in einzelnen Entscheidungen nicht erhalten
kann, insofern noch derselbe, als bei diesem Nichterhalten, in Form
nämlich der Modalisierung, <ich> sie dadurch überwinde, dass ich die
modalisierte frühere Entscheidung und Entschiedenheit in eine neue
Entschiedenheit umwandle; die Modalisierungen scheiden aus, die alte
40 Entschiedenheit wird dabei ausgestrichen, und in dieser Wandlung, in
diesen Weisen der Veränderung des Ich als Ich der Entschiedenheiten,
verharrt das Ich doch als dasselbe, sofern es in jedem Moment der ur-
lebendigen Gegenwart zu einer Einheit der Selbsterhaltung gekommen
ist. Das sagt: Der gesamte Lebensstrom des im weiteren Sinne iden-
45 tischen Ich — der der meine ist — ist so beschaffen, dass er in jeder
1 Entscheidung ist aber kein gutes Wort, da es schon auf Modalisierung Bezug hat.
BEILAGE XX 353

uroriginalen Gegenwart die Form einer Einheit der Entschiedenheit


hat, oder in der Voraussicht hat, in ihr darauf hinstrebend, in der Un­
entschiedenheiten, modalisierte Entschiedenheiten in Entschiedenhei­
ten sich wandelnd, eben eine Totalität der Entschiedenheit herstellen,
5 und so das Ich als Ich einer universalen Gewissheit lebt. Nun ist aber
die ganze Sache nur nach der einen Seite, der Vergangenheit, betrach­
tet worden. Das Ich ist immerzu strebendes, in Modis des Strebens, als
das vorgerichtet lebend in Vorintentionen und in Erfüllungen oder in
Enttäuschungen etc. Alle Entschiedenheiten sind schon Modi der
10 Aktivität. Aktivität hat ihren Horizont der potentiellen Aktivität, der
Vorgeltung etc.
Die Konstitution des Ich als bleibende Seinsgewissheit konstituie­
rend, als sich dabei in seiner Totalität der Entschiedenheiten selbst er­
haltend und in Form des Abfalls von der Selbsterhaltung und Selbst-
15 korrektur sich als sich selbst erhaltendes, als durch seine relativen
Selbsterhaltungen hindurch verharrendes Ich zeitigend, das ist die
Konstitution des Ich als Person, als verharrendes Subjekt für ein
Universum von Seienden, für ein seiendes Universum, eine Welt, die
als das Korrelat der Person ist — „Person” in einem exageriert erwei-
20 terten Sinne, aber ich finde kein Wort.
Aber ich, der Reflektierende, bin personales verharrendes Subjekt
der Welt im natürlichen Sinne — der raumzeitlichen Welt, der Men­
schenwelt, worin ich Mensch bin und die Welt dieselbe Welt für alle
Menschen, für alle verharrenden menschlichen Personen ist.
25 Zu mir, zur Person überhaupt, das liegt im obigen, gehört meine
Totalität von Seienden, auf mein gesamtes Bewusstseinsleben und sein
durchgehendes Ich bezogen und auf die darin sich konstituierende und
schon konstituierte Einheit des verharrenden Ich, in dem ein Univer­
sum der Entschiedenheit sich konzentriert hat als sich erhaltend, als in
30 einer ständigen Voraussicht des Sich-erhaltens und praktisch vom Ich
her zu Erwirkens. Zu jedem Seienden gehört, es ist das Identische, wo­
für ich entschieden bin, dabei Einheit einer Mannigfaltigkeit von Ent­
schiedenheiten, erledigten als Vergangenheit, antizipierten als Zu­
kunft. Seiendes ist Identisches, worauf ich immer wieder zuriickkom-
35 men kann, das mir immer wieder zugänglich ist, unmittelbar oder mit­
telbar; zugänglich in Ursprünglichkeit, sofern ich es „erfahren” habe,
aus Erfahrung in Seinsgewissheit gewonnen und als Entschiedenheit
nun erworben habe und so immer wieder meine Entschiedenheit aktua­
lisieren kann im Rückgang auf die Wiedererinnerung in ihrem Bewusst-
40 sein der Noch-Geltung. Andere Gewissheit ist Antizipation in ihrer
Weise von dem, was ich schon erworben habe, vorentschieden, Vorge­
wissheit etc.
A ndere
Aber wie kommen da Andere mit hinein? Wie wird Seiendes
45 für mich in meinem Bewusstseinsleben zum Seienden für die An­
deren, zum Seienden für alle, und diese selbst wieder zu Seienden
354 ,.CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

und damit zu Seienden für alle, worunter sie selbst begriffen sind?
Mich besinnend, auf allen Anfang zurückgehend, sage ich mir: Alles,
was für mich ist, ist es als mir bewusst, als mir mit seinem Sinngehalt in
Seinsgewissheit geltend, explizit oder implizit, d.h. von dem mir eigent-
5 lieh Bewussten <aus> zugänglich, auf Bewusstseinswegen, die ich, wie
ich schon weiss, frei vollziehen kann. Mich besinnend merke ich alsbald,
dass meine wahmehmungsmässige reale Umgebung Ausschnitt ist
dessen, was ich von „der” Welt aktuell wahmehme; ich kann von da
weiter und weiter gehen oder in Vergegenwärtigung möglicher Erfah-
10 rungswege ein Weitergehen mir denken. So erfahre ich nach Wirklich­
keit und Möglichkeit immer neue weltliche Realitäten und Realitäts­
typen und in freier Variation der Möglichkeiten die Strukturtypik der
Welt als Welt möglicher Erfahrung. Zu ihr gehören auch Mitmenschen.
Sind sie aktuell bewusst, so gilt von ihnen natürlich dasselbe, was von
15 Bewusstseinsobjekten überhaupt gilt, sie sind geradehin oder unter
Ichreflexion bewusst, das Bewusstsein <ist >dabei selbstgebendes (wahr­
nehmendes) oder in verschiedenen Weisen Modifikation von wahmeh-
mendem. Ist der Andere für mich selbst da, wahmehmungsmässig, so
bin ich, wie ich durch Reflexion inne werde, bei ihm selbst; während
20 ich selbst jedenfalls zugleich — wie bei allem Bewussten — uroriginal,
wahmehmungsmässig mit dabei seiend bin.
Jede Wahrnehmung und Erfahrung von Realem ist „apperzipie-
rend”. Gehe ich hinsichtlich der Anderen, wenn ich sie wahrnehme,
dem Apperzipierten nach, so finde ich als eigentlich perzipiert und
25 perzipierbar nur ihre körperliche Leiblichkeit. Das andere Ich und all
sein Bewusstseinsleben, alles ihm als Ich Eigene, ist und bleibt immer
nur vergegenwärtigt; es ist für mich nie in eine Gegenwärtigung, in
eine Wahrnehmung zu verwandeln, obschon es als ein Mit-da, ein Mit­
gegenwärtiges in Geltung ist.
30 Die einfühlenden Vergegenwärtigungen sind in ihrer Wesenseigen­
tümlichkeit von allen sonstigen Vergegenwärtigungen unterschieden.
Es scheiden sich alle ab als ein geschlossenes Universum (nicht als eine
bloss begriffliche Klasse), bei denen, wenn wir sie der Reflexion „in"
der Vergegenwärtigung unterziehen und auf das Ich und Ichbewusst-
35 sein zurückgehen, das vergegenwärtigtes Korrelat des vergegenwärtig­
ten Gegenständlichen ist, evidenterweise dieses Ich und Bewusst­
sein das meine, das des Vergegenwärtigenden ist. Die originäre Re­
flexion auf die jetzt seiende Vergegenwärtigung macht mich und mein
Vergegenwärtigen als jetzt uroriginal Seiendes thematisch. In eins da-
40 mit in der Vergegenwärtigung reflektierend auf ihr Ich und ihr Wahr­
nehmen und sonstiges Bewussthaben als das vergegenwärtigte, tritt
alsbald die originale Identität hervor in der Form: ich, das Ich der ur­
tümlichen Gegenwart mit dem uroriginal darin seienden Vergegen­
wärtigen, bin dasselbe Ich, das in der Erinnerung bei dem Erinnerten
45 dabei war, in der Erwartung bei dem Kommenden dabei sein wird
usw.
Alle positionalen Vergegenwärtigungen, alle von mir im Modus einer
BEILAGE XX 355

Seinsgeltung vollzogenen, auf die mich die Reflexion führt und ver-
möglich führen kann, bilden untereinander und in eins mit den konti­
nuierlich strömenden Wahrnehmungen insoweit eine geschlossene
Einheit, als wir durch Reflexion das wahrnehmende Ich und das re-
5 Ilexive Ich in der Vergegenwärtigung als identisch finden in ursprüng­
licher Evidenz. Alle solchen Vergegenwärtigungen nenne ich meine Er­
innerungen. Was liegt im Sinn dieses Universums ursprünglicher Iden­
tifizierung und seines Identischen? Ich bin dasselbe Ich, das jetzt in
aktuell uroriginaler Selbstgegenwart ist, bin im strömenden originalen
10 Leben, und derselbe, der war in meinem vergangenen, strömende
Gegenwart gewesenen Leben, derselbe, der vor sich hat seine Zukunft
als strömend seinwerdendes, künftig zu original gegenwärtigem Leben
kommendes Ich, dasselbe Ich im universalen Seinshorizont seiner Zeit­
lichkeit, in seinen strömend sich wandelnden Zeitmodalitäten: meine
15 Gegenwart, meine Vergangenheit, meine Zukunft.
Von da aus sehe ich: Uroriginal bin ich als Ich der strömenden ur-
originalen Gegenwart, zu der schon gehört ein uroriginaler Wandel
von urquellender Originalität in verquehende, die als solche schon, die
Originalität modifizierend, die Vorgestalt der Vergegenwärtigung
20 schafft, die der Retention, und dann in Gegenrichtung die Protention.
Damit vollzieht sich die erste, meine Selbstzeitigung, die, wie hier
nicht näher auszulegen ist, als passiv-urassoziative im stehenden Strö­
men den sich da konstituierenden Strom in seiner lebendig sich er­
streckenden Zeitlichkeit mit ihren Zeitmodalitäten Gegenwart (Ge-
25 genwärtigkeit des Strömens), Vergangenheit (soeben gewesenes Strö­
men), Zukunft zeitigt, phasenmässig, streckenmässig und endlos als
Strom, und alles in eins als konkrete subjektive Zeitlichkeit ohne An­
fang, ohne Ende. Die darin strukturell enthaltene ichliche Affektivität
und Aktivität ergibt Identität des aktuellen Ichpols in diesem Strom,
30 und das Vermögen der Reflexion enthüllt das identische Ich auch in
der Anonymität der geraden Bewusstseinsgeltungen, die in Kontinui­
tät aneinandergeschlossen durch diesen Strom hindurchgehen. In der
uroriginalen Gegenwart bzw. in dem zeitmodal extendierten, als zeit­
lich seiend vermöglich zu identifizierenden Bewusstseinsstrom mit sei-
35 nem identischen Ich (als uroriginalem, für sich selbst wahmehmungs-
mässig seiendem) treten vermöglich die „Erinnerungen” auf, und zu
ihnen wie zu allen Akten gehörig die Vermöglichkeit der identifizieren­
den Wiederholung und der Reflexion. Alle Vergegenwärtigung ist
selbst so etwas <wie> „Wiederholung”, und Reflexion in der Wieder-
40 holung, in der Vergegenwärtigung, und in der Wiederholung der Ver­
gegenwärtigung selbst ist immerfort vermöglich. Vermittels der Ver­
gegenwärtigungen vollzieht sich eine universale Zeitigung, und zwar
in ausschliesslichem Sich-halten an die Vergegenwärtigungen, in wel­
chen die subjektive Reflexion auf Identität des reflektierten Ich (des
45 Ich in der Vergegenwärtigung) mit dem uroriginalen Gegenwarts­
ich führt, erschliesst sich bzw. konstituiert sich als seiend die Totalität
meiner, des identischen Ich, zeitlichen Koexistenz, es erschliesst sich
356 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

meine Allzeitlichkeit als die meines Identischseins in der Universalität


meines jeweils gegenwärtigen, vergangenen und künftigen Bewusst­
seinslebens. In der sich in der urständigen lebendigen Gegenwart voll­
ziehenden Selbstzeitigung konstituiert sich als universale immanente
5 Zeit (konkret in ihrer Fülle) mein universales Sein als wahrnehmungs-
mässiges und erinnerungsmässiges; die Selbstzeitigung vollzieht sich
ideell im Universum meiner Selbstwahmehmungen und Selbsterinne­
rungen, und dasselbe fungiert nachher weiter als Universum der eige­
nen Bewusstseinsintentionalität, in der sich in zweiter Linie objektive
10 Zeit konstituiert.
Ziehen wir nun die e i n f ü h l e n d e n V e r g e g e n w ä r t i ­
g u n g e n in B e t r a c h t . Als meine Bewusstseinsweisen, aktiv als
meine Akte treten sie in Jeweiligkeit in meiner uroriginalen Gegen­
wart auf. Aber was sie vergegenwärtigen, führt, wenn ich Reflexion i n
15 ihnen vollziehe, also auf das Ich und das Bewusstsein zurückgehe, das
da vergegenwärtigt ist, nicht auf dasselbe Ich, das ich selbst bin, nur
in einer anderen Zeitmodalität, also nicht auf einen Bereich meiner
Lebenszeitlichkeit und meines in diesem Zeitbereich lebenden (gelebt
habenden einmal usw.) Ich.
20 Doch zunächst ist hier das Merkwürdige, dass die Apperzeption
machende aktuelle und potentielle Vergegenwärtigung, welche zu je­
dem Realen gehört und so auch zu jedem anderen Menschen, im Falle
der Wahrnehmung und ihrer apperzipierten Mitgegenwart nicht, und
prinzipiell nicht, vermöglich zu wandeln ist in eine Wahrnehmung,
25 sondern dass dies nur hinsichtlich der Leiblichkeit rein als Körperlich­
keit gilt, während das, was sie zum Leibe macht und zum Leibe einer
menschlichen Person mit menschlichem Bewusstseinsleben, statthat.
Das Ich dieses Leibes, der Andere als anderes Ich mit seinem anderen
Bewusstseinsleben, ist prinzipiell nur vergegenwärtigt und nur in
30 Weise einer Vergegenwärtigung zu fortschreitender Klarheit zu brin­
gen, ebenso hinsichtlich der Ausweisung der Seinsgeltung zu fort­
schreitender Bewährung: also ohne dass je die Vergegenwärtigungen
für mich zu wandeln wären in Wahrnehmungen. Trotzdem ist die kon­
krete Apperzeption des Menschen nicht nur als Körper, sondern als die-
35 ser Mensch Wa h r n e h mu n g .
Gilt das nun von jeder Wahrnehmung, durch die ein Anderer für
mich selbst da ist, so ist demgemäss jede Erinnerung an Andere, jede
in der Weise einer Erinnerung überhaupt vergegenwärtigende Gege­
benheitsweise desselben, eine vergegenwärtigende in höherer, minde-
40 stens in zweiter Stufe, nämlich hinsichtlich des spezifisch Psychischen
des anderen Ich und seines intentionalen Lebens. Diese Erinnerungen,
als das Modifikation meiner Wahrnehmungen, führen natürlich in der
inneren Reflexion auf mich selbst, aber in dem zweiten Schritt, hin­
sichtlich der vergegenwärtigten Vergegenwärtigungen, durch die das
45 fremde Ich in einem aussergegenwärtigen Zeitbereich meiner imma­
nenten Zeitlichkeit verzeitlicht mir entgegentritt, als Momenten mei­
ner vergegenwärtigten psychophysischen Wahrnehmungen, komme
BEILAGE XXI 357

ich durch innere Reflexion statt auf mich eben auf den Anderen: auf
„ich”, aber nicht ich selbst, das ego ist alter ego.
Bleiben wir bei der ursprünglichen Wahrnehmung vom anderen
Menschen, in der sein Ich vergegenwärtigt, aber trotz der Unüberschreit-
5 barkeit dieses Modus appräsent ist, also stets in Mitgeltung, die
eben das Selbst-da des Andern, das Da nicht nur des Körpers, sondern
des Menschen ausmacht, so bin ich also selbst bei ihm selbst. Aber ich
selbst bin nur als der die Menschapperzeption, darin die Einfühlungs­
komponente Vollziehende, und „bei ihm selbst” heisst hier nicht in der
10 einfühlenden Vergegenwärtigung darin bei ihm sein.
Wie ist das zu verstehen, dieses den Andern wahrnehmungsmässig
- Vor-sich-haben, aber doch ihn in seiner spezifischen Menschlichkeit,
seinem Ich und Ichleben nur einfühlungsmässig Vergegenwärtigt-ha-
ben, in einer Vergegenwärtigung, also einer Modifikation von Wahr-
15 nehmung, während ich doch nicht das wahrnehmende Subjekt sein
kann, dessen Modifikation in der Vergegenwärtigung beschlossen ist?
Aber bin ich nicht in gewisser Weise bei ihm, ich, der ich in meinem
Eigensein bin, bei ihm in seinem eigenen? Ist er als anderes Ich nicht
seiend als für sich selbst seiend, wie ich identisches Ich seines Bewusst -
20 seinslebens, das in seiner offenen Unendlichkeit durch die beschriebene
Struktur in sich geschlossen, einig ist und charakterisiert, als das er in
sich „das meine” nennen müsste, während ich es das seine nenne? Und
ihn wahrnehmen, heisst das nicht, eine Wahrnehmung vollziehen, in
welcher ich in meinem originaliter Für-mich-sein eine Modifikation des
25 Für-sich-selbst-seins gewinne, also eine Modifikation meiner selbst un­
ter dem Titel „Anderer”, anderes Für-sich-selbst? Und wieder, heisst
das nicht, in meinem eigenen Bewusstseinsleben ein Bewusstseinsleben
im Charakter „sein”, „ihm eigenes” bewusst haben, wobei das „ihm
eigenes” Modifikation ist, Modifikation des originalen Eigenen,
30 Meinen? Bin ich als das Ich, das Träger der Modifikation ist und sie
hat, nicht also beteiligt und bei dem Modifizierten dabei, bei dem an­
deren Ich, dem anderen Leben, Akte Vollziehen etc., bei seinem Wahr­
nehmen, Erinnern etc. ?

BEILAGE XXI
35 <WELT ALS GEMEINSAME GELTUNG. DER DURCHBRUCH
DES EIGENEN DURCH EINFÜHLENDE
VERGEGENWÄRTIGUNG UND SELBSTPHANTASIE >
<April oder Mai 1932>

Die Welt, die m ir jeweils als seiende gilt — die Welt, die Andern,
40 die uns gemeinsam gilt, die Welt für alle überhaupt, die Welt, die selbst
ist, wie sie ist, und von der wir unsere Weltvorstellungen, Weltmei­
nungen haben, jeder die seinen, jeder <die> ihm in seiner Weise gelten­
de Welt. Aber die Welt, die mir gilt, ist doch fü r mich die Welt, die
358 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

Andern als anders seiende gilt, und so überhaupt für mich die eine
Welt, die den mannigfaltigen Personen und Gemeinschaften in ver­
schiedenen Geltungen geltende ist, mit teils stimmendem, teils nicht-
stimmendem Wasgehalt. Und sie gilt mir als Welt, die mich und die an-
5 deren Menschen, auf deren Geltung ich Bezug genommen habe, ent­
hält — das Sein derselben und ihrer Geltungen ist mitbeschlossen in
dem, was mein Weltgelten als seiend zur Geltung bringt.
Die Welt, die mir jeweils mit dem und dem Seinssinn gilt, einem teils
bestimmten, teils horizonthaft unbestimmten, gilt mir auch als die, in
10 betreff deren ich mich täuschen kann, die ich bald hinsichtlich ihr in
Gewissheit zugerechneter Realitäten dauernd als gewiss seiende fest-
halte, bald in Zweifel geratend und mich besser überzeugend preisgebe
als Nichtigkeiten. Während für mich „die” Welt immerfort als seiende
in Geltung bleibt, ist das ihr als Einzelreales Zugerechnete in Schwebe
15 zwischen Sein und Schein, zwischen zweifelsfreier Wirklichkeit, frag­
licher, bloss vermutlicher Wirklichkeit oder gar fälschlich vermeinter
Wirklichkeit (Nichtigkeit, Schein). Mir in solcher Schwebe und dem­
entsprechendem Wandel der Geltungsmodalitäten geltend, gilt mir
doch „die” Welt; es sei das Universum selbst, d.i. es sei möglich, jede
20 Modalisierung zu überwinden durch Überführung in eine Gewissheit
aus einer Weise der Bewährung, die ihr den Charakter der Endgültig­
keit gibt, und dass jedwede Gewissheit überhaupt entweder in dieser
Weise bewährbar ist oder im Versuch der Bewährung durch Modali-
sierungen und Änderungen des Seinssinnes, kurz durch Korrektur, zu
25 einer neuen, inhaltlich korrigierten Seinsgewissheit zu führen sei, und
zwar zu einer solchen, die den Charakter der Endgültigkeit hat.
Diese Weise der Weltgewissheit in Antizipation einer zu erzielenden
Endgültigkeit für alle ihre jeweiligen Wasgehalte umgreift auch in
gewisser Weise alle Anderen und ihre Weltmeinungen, als für mich zu-
30 gängliche, für mich zu bewährende bzw. zu korrigierende Meinungen,
wobei die Anderen in ihrem Weltmeinen mich ebenso und mein Mei­
nen umfassen — ein Umfassen, das ich als Moment meiner Weltgeltung,
die ihr Sein befasst, ihnen als meinesgleichen ohne weiteres zumesse.
Die Welt gilt mir als Welt für mich als in Gemeinschaft seiend mit An-
35 deren und einer Allheit von Anderen, und als ein wahres An-sich-sein
aus endgültiger Bewährung betrifft <sie> meine Weltgeltung in Ver­
flechtung mit den Weltgeltungen aller, die mir selbst wieder geltend
sind. Alles in diesem Ineinander ist zu bewähren, so ist implicite meine
Überzeugung.
40 Wie<steht>es nun mit der Eigenart der einfühlend-appräsentieren-
den Vergegenwärtigung Anderer? Es ist eine meiner Seinsgeltungen
wie meine „Erinnerungen” im weitesten Sinne, und doch keine Erin­
nerung. Alle meine Erinnerungen in eins mit meinen Wahrnehmungen
gehören zusammen zur synthetischen Einheit meines eigenen Seins als
45 Ich, das in der Allheit seiner einstimmigen Seinsgewissheiten von sich
selbst sein immanent zeitliches Sein hat, als strömend sich zeitigend und
in seiner immanenten Strömung der Zeitmodalitäten Selbstgegenwart,
BEILAGE XXI 359

Vergangenheit, Zukunft seiend in seiner immanenten Koexistenz­


form, der immanenten Allzeitlichkeit.
Die einfühlenden Vergegenwärtigungen sind keine Phantasien, sie
sind Seinsgeltungen; aber sie durchbrechen — ähnlich wie die Phan-
5 tasien, diese Geltungen „als ob” — die Universalität des Ich in allem
ihm Eigenen, immanent Seienden. Die einfühlende Vergegenwärti­
gung, die eingefühlten Seinssphären mit dem eingefühlten Ich und
dem Seinen an Bewusstseinsweisen, an Selbstgeltungen und Vermög­
lichkeiten für Selbstphantasien, sind vom einfühlenden Ich her ihm
10 eigene Geltungen von diesen Geltungen und ihren Geltungsgehalten.
*

Zusammenstimmung aller Selbstbewusstseinsakte —- in ihrer Be­


ziehung auf S e l b s t wa h r n e h m u n g . Auch aller S e l b s t p h a n ­
t asien; ich „träume”, ich wäre in Afrika, ich träume, ich wäre im
alten Griechenland etc. So träumend bin ich weiter in Geltung als Ich
15 meiner Selbstwahmehmung und meiner Umwelt. Was ist das für ein
Fingieren, worin ich dasselbe Ich bleibe?
Mein Selbstbewusstsein als universal vereinheitlichtes Selbstbe­
wusstsein als die universale Selbstgeltung, worin alle einzelnen Selbst­
apperzeptionen Geltungen sind. Positionen. Einheit der Zusammen-
20 Stimmung, die Koexistenz und die Koexistenz in der Immanenz —
immanente Zeit, Selbstzeit als Koexistenzform. Dazu nun Einfühlung
als Geltung. Der Andere: Universalität von auf ihn bezogenen Einfüh­
lungen. Eine eingefühlte Koexistenzsphäre, aber all das als Vergegen­
wärtigungen, die für mich nur in meine immanente Zeit gehören als
25 meine Erlebnisse, ganz wie meine Selbsterinnerungen. Aber das v e r ­
g e g e n w ä r t i g t e Ich (das fremde) bin ich nicht; die vergegenwärtig­
ten Erlebnisse (Analoga der Erinnerungen) sind nicht meine, sind
nicht Erinnerungen, nicht Immanenz, nicht zum Universum meiner
Selbsterfahrung, meiner wirklichen und möglichen gehörig, zu meiner
30 universalen Koexistenz.
In ihr auch als koexistierend pure Phantasien, in ihr vergegenwär­
tigtes Bewusstsein als fingiertes, das ist entweder Gegenwart-als-ob
oder sonstige Zeitmodalität „als ob”. Eine Erinnerung ist ganz anders
als Gegenwartserinnerung in Deckung mit der Selbstwahmehmung als
35 ein Als-ob; sie ist ver-gegenwärtigt mit der Gewissheit eines vermög-
lichen Übergangs in eine Selbstwahrnehmung. Eine Vergangenheits­
erinnerung — ich kann von Vergangenheit zu Vergangenheit fort­
schreiten bis in die Wahrnehmungsgegenwart. Die Phantasiegegen­
wart, -Vergangenheit etc., da habe ich im voraus das Universum meiner
40 Selbstgeltung als Ich, der ich Seiendes habe und hier ein Stück Wahr­
nehmungsfeld. Versuche ich die reproduktive Phantasie als Erinne­
rung, setze ich versuchsweise an; die Annahme ist nur möglich als die
einer Mitgegenwart etc., danach als die eines Seienden an einer Stelle
der Zeiträumlichkeit. Die Phantasie hat ihre Phantasieraumzeitlich-
360 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

keit, freilich fingierend auszubauen in Klarheit, aber jedenfalls damit


ist quasi-Welt und quasi-Ich, (/««si-Bewusstseinsleben in notwendiger
Deckung mit mir, der ich existiere und meine geltende Welt etc. darin
korrelativ habe. Das ist eine Deckung eigener Art, eine Deckung in
5 Widerstreit, oder, sowie ich die seiende Welt und mein Selbstsein ak­
tualisiere, ist die Phantasie „Fiktion”.
Andere Weisen des Streites: Wo wirkliche Geltung, habituelle Ge­
richtetheit in Streit kommt mit einer anderen, da ist Modalisierung.
Aufhebung durch Negation: das, was für mich seiend war, wird ne-
10 giert, Nichtsein. Die Phantasie, die im Durcheinander immer neue
Welten fiktiv erscheinen lässt, lässt keine dieser Welten ernstlich als
enthüllbar, als Zugänglichkeiten erscheinen. Sie fingiert in einer Wei­
se, dass sie immer offen lässt das Fallenlassen, den Übergang ins
Durcheinander und andererseits das willkürliche Fortbilden einer fin-
15 gierten Welt zu einer Welt in einstimmiger Als-ob-Geltung. Phantasien
auftauchend, eine Weile einheitlich fortgebildet, eine Weile willkürlich
gebildet und umgebildet. Phantasien als solche sind in keinem Streit
mit der Wirklichkeit. Erst wenn sie, wie es möglich ist, in Annahmen
verwandelt werden, erst dann verwandelt sich das angenommene Sein
20 in Nichtsein. Annahme fasst die Fiktion als eine versuchte der offenen
Seinsmöglichkeiten oder als Abwandlung einer schon geltenden Wirk­
lichkeit. Wir können auch sagen, jede Annahme hat im voraus den
universalen Geltungsboden der Wirklichkeit und damit der ihr zu­
gehörigen Wesensform. Jede Umfiktion eines Gegebenen lässt seine
25 Form unberührt. Kann ich annehmen, dass dieses Ding statt raum­
zeitlich nicht raumzeitlich sei ? Umfingieren kann ich ein Reales nur
innerhalb seiner Möglichkeiten, und dann streitet jede Möglichkeit mit
der faktischen Wirklichkeit.
Da ergibt sich, jede einstimmig ausgestaltete Welt, wie sie von einem
30 vorgegebenen ^wßsz-Wahrnehmungsfeld in infinitum fortzubilden
wäre, ist Korrelat meiner dazugehörigen, sich mitaufbauenden eigenen
Subjektivität (in ihr beschlossen dann einer Intersubjektivität).
Mein Ich, als der ich bin, entbindet aus sich eine Unendlichkeit von
Phantasieabwandlungen, Fiktionen, die Fiktionen meines Ich sind.
35 Und so intersubjektiv für jede von mir aus fingierte Intersubjektivität.
Jede solche universale Fiktion ist mit jeder in sich <in> Beziehung,
nämlich weder „verträglich", noch „unverträglich”, wenn diese Worte
im gewöhnlichen Sinne verstanden werden als in Seinsgeltung zusam­
menstimmend oder nicht zusammenstimmend. Erst wenn ich eine
40 solche in eine Annahme verwandle oder sie als Umfiktion der mir gel­
tenden Welt, diese in Vollzug haltend, verwandle, dann haben wir
Unverträglichkeit, und ebenso für mehrere und die Allheit dieser Um­
fiktionen. Ich kann dann sagen: ich, als der ich bin, trage in meinem
Sein das Vermögen, eine Unendlichkeit von Phantasien meines Ich zu
45 erzeugen, jede enthält mich, aber mich als ein fingiertes Als-ob, und
nicht als Wirklichkeit, und ebenso die Möglichkeit, von daher etwa
BEILAGE XXI 361

eine Unendlichkeit von fiktiven Abwandlungen meiner selbst, Umfik­


tionen meines wirklich für mich seienden Ich zu erzeugen, alle als mit
meinem Sein und untereinander als Annahmen in Widerstreit, alle
nichtig.
5 Wie steht es mit dem Spiegelbild von mir und mit Bildern überhaupt,
sei es Porträte, sei es von beliebigen Dingen ? Sie sind perzeptive Fik­
tionen.
Nr. 21

GANG DER SYSTEMATISCHEN BESCHREIBUNGEN


BIS ZUR MONADENLEHRE, NACH DER
REDUKTION
5 (Oktober 1931)

■(.Inhaltsangabe :> Das Weltphänomen in meiner transzendental­


subjektiven Gegebenheitsweise — in meiner transzendentalen Zeit­
lichkeit. Die erste transzendentale Feststellung: des Ich-bin, Ich-
war, Ich-werde-sein. Der Gehalt dieser transzendentalen Zeitlichkeit
10 — die „Erscheinungen” der „Welt”, stehendes und bleibendes Ich,
stehende Gegenwart. Gegenwärtige Vergegenwärtigungen — Wieder­
erinnerungen, Einfühlungen. Vergegenwärtigungen Anderer, frem­
der transzendentaler Zeitlichkeiten. Usw.

Ich als transzendentales Ich habe das „Phänomen Welt”. Das


15 Phänomen ist jetzt mein Phänomen und ist „fortdauernd” mein
Phänomen und es war und war fortdauernd mein Phänomen. So
ist und war mir als seiend geltend <die> eine und selbe Welt,
obschon immer wieder anders sich mir darstellend, in andern
subjektiven Weisen. Die Welt m i t s a m t i h r e r R a u m z e i t -
20 l i c h k e i t , die ihre Form ist, Form für alle ihr zugehörigen
Realitäten, ist „Phänomen”. Ich spreche aber weiter nicht nur
von mir, sondern von mir jetzt, früher, zukünftig, von meinen
subjektiven zeitlichen Modis, darin das Phänomen Welt mein
Phänomen ist, usw. Diese „transzendentale egologische Zeit” ist
25 also nicht Phänomen, sondern gehört als Form zu mir selbst, zu
allem als mein Transzendentales Erfahrbaren. So konstatiere ich
in der transzendentalen Selbsterfahrung als Erstes: Ich bin, ich
war, ich werde sein, ich bin im Strom meiner, der transzenden­
talen Zeit, und bin darin derart, dass in dieser Zeitlichkeit man-
30 nigfaltiges mir Eigenes steht unter dem Titel subjektive Weisen,
TEXT NR. 21 363

wie mir Welt, raumzeitlich reale Welt, sich bietet, oder unter
dem Titel mannigfaltige transzendentale „Erscheinungen” in
einem weitesten Sinn, worin mir Welt und Weltliches erscheint,
und zwar als seiend dabei gilt, oder auch unter dem Titel tran-
5 szendentale „Erlebnisse”, worin das, was im eigentlichen Sinn
„erlebt” wird oder „bewusst” wird, das Weltliche ist und zum
Erleben die Seinsgeltung gehört — die aber in meiner Epoche
eingeklammert ist. Diese Erlebnisse sind teils jetzige Erlebnisse,
teils für mein Ich-war vergangene meines vergangenen Ich usw.
10 Genau besehen bin ich aber „ständig”,-stehendes und bleibendes
Ich, im stehenden Jetzt, und darin treten meine Erlebniswand­
lungen — jetzt — auf, worin das Soeben (Retention) bewusst
ist, oder treten „Wiedererinnerungen” auf, worin meine Vergan­
genheit und in meinen vergangenen Erlebnissen meine damals
15 mir geltende und erscheinende Welt auftritt, etc. In meiner
stehenden Gegenwart erfahre ich mich als gegenwärtiges, aber
auch als vergangenes etc., und in unabänderlicher Notwendig­
keit. Mir transzendental eigen sind hinsichtlich des Weltphä-
nomens meine gegenwärtigen Wahrnehmungen, meine vergan-
20 genen (jetzt „mittelbar” vergegenwärtigten) Wahrnehmungen etc.
und je das in ihnen Wahrgenommene als solches sowie im Strom
der transzendentalen Zeit die Synthesis, die strömende, in der
das Einheitsphänomen Welt sich stetig konstituiert und so mit
zu mir gehört.
25 Aber genau besehen ist Welt zwar in dieser Weise ganz richtig
mein Wahrnehmungsphänomen, Einheitsphänomen meiner tran­
szendental wirklichen und erfahrenen Wahrnehmungen und dazu
der von mir in freier Vermöglichkeit ins Spiel zu setzenden („mög­
liche Erfahrung”). Aber meine Wahrnehmungen sind zum Teil
30 von einer eigenen Art, nämlich sie sind wirkliche und mögliche,
als aktuell jetzige oder jetzt vergegenwärtigte Wahrnehmungen
(als das mir transzendental geltend, als gewesene und dgl.), aber
siebefassen in sich auch V e r g e g e n w ä r t i g u n g e n , und mir
geltende, d ie n i c h t E r i n n e r u n g e n s i n d oder Erwartun-
35 gen oder für mich in freier Zugänglichkeit herzustellende Wahr­
nehmungen oder solche, die ich hätte früher haben und hersteilen
können, etc. Ich habe ja auch Wahrnehmung von A n d e r e n
und damit in meinem Weltphänomen auch in gewisser Weise
Erfahrung von dieser Anderen Wahrnehmungen etc., während
364 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

diese selbst nie wirklich Wahrnehmungen für mich sein können,


es nie waren etc. In meinen Wahrnehmungen von fremden Men­
schen sind impliziert Vergegenwärtigungen, die selbst nie in
Wahrnehmungen für mich, das transzendentale Ich, übergehen
5 können. So sehe ich mich genötigt, zu scheiden und zu sagen, in
meiner transzendentalen Zeitlichkeit, als in der ich bin und in
der alles für mich wahrnehmungsmässig ist, d.i. originalster selbst
da ist bzw. da war etc., finde ich auch Erlebnisse, Bewusstseins­
weisen von Weltlichem, die als in meiner transzendentalen Seins-
10 Sphäre natürlich auch originalster da sind, aber in sich vergegen­
wärtigen diese „einfühlenden” Erlebnisse, die andere Menschen
erfahrenden, eine Sorte von Gegenwärtigungen und von Vergegen­
wärtigungen, in denen das Präsentierte und Vergegenwärtigte
nicht in m e i n e r Zeitsphäre auftritt, sondern in einer fremden.
15 Das aber transzendental gesprochen in der Epoche.
Der „andere Mensch” gehört zum Weltphänomen. Ich, das
transzendentale ego, vollziehe die Epoche hinsichtlich der totalen
Welt, also auch hinsichtlich der anderen Menschen, also auch
hinsichtlich aller Geltungen, die sie als Menschen vollziehen
20 (bzw. die ich in meinen Einfühlungen in dieser Hinsicht vor der
Epochö vollzog). Ist das aber nicht merkwürdig? Indem ich die
anderen Menschen als meine Phänomene habe, habe ich im
Phänomen ihr reines „Seelenleben”, also ihr Ich in der Vielfältig­
keit der Akte und Vermögen, ihren Strom der Erlebnisse, in denen
25 ihnen Welt erscheint, in denen ich und andere ihnen erscheinen
etc. Aber da ich transzendentale Epochö vollziehe, so ist für mich
nicht nur ihr Für-mich-sein als Menschen, sondern implicite das
ihnen selbst eigene Gelten von Welt und ihr sich selbst Wissen
als Menschen e i n g e k l a m m e r t . Es ist also so, als ob ich für
30 sie oder in ihnen die phänomenologische Epochö vollzogen hätte.
Indem ich das Phänomen Welt und darin das Phänomen anderer
Mensch als transzendental seiendes in meiner transzendentalen
Seinssphäre in Geltung habe, habe ich damit nicht schon als von
mir in Seinsgeltung Gesetztes, also als Phänomen, ein anderes
35 transzendentales Ich. Nachdem ich mich als transzendentales
Ich durch Epoche gewann (aber die Epoche als bleibende Ein­
stellung begründend), durfte ich nicht etwa sagen: Jedermann
kann so verfahren, jedermann sich als transzendentales Ich
finden. Aber von mir aus gewinne ich vermöge der obigen Er-
TEXT NR. 21 365

kenntnis des im Phänomen Anderer implizierten transzendentalen


Anderen nicht die Wirklichkeit, obschon die Möglichkeit von
anderen transzendentalen Ich. Ich frage nun: Wie kann diese
Möglichkeit, die der anschaulichen Vorstellung und Vorstellbar-
5 keit Anderer als transzendentaler Phänomene, beschlossen in
Menschenphänomenen, für mich zur Wirklichkeit werden, und
wann muss sie Wirklichkeit für mich werden?
Mein erster Gedankenweg zur Erkenntnis der transzendentalen
Beschlossenheit der transzendentalen Anderen als mitseiend mit
10 meiner eigenen <transzendentalen Subjektivität > oder der Be­
schlossenheit der transzendentalen Geltung Anderer als seiender
in der transzendentalen Selbsterfahrung war folgender:
Jedes als real, als Einheit mannigfaltiger Erscheinungen Er­
fahrene indiziert in jeder einzelnen Erfahrung die ganze Mannig-
15 faltigkeit als die „möglicher Erfahrungen” ; d.i. sie tritt motiviert
auf und indiziert einen Erfüllungszusammenhang der Erschei­
nungen von demselben, der Form: wenn ich, wie ich kann, so
fortgehe, so ist d a s motiviert, muss das kommen in Selbst­
geltung usw. Vollziehe ich nicht naiv die Geltung, bin ich in der
20 Epoche, und universal, so habe ich rein den transzendentalen
Motivationszusammenhang für die bewährende Erfüllung der
Geltung als seiende für das Eine. Für mich als transzendentales
Ich ist er die Vermöglichkeit meines Erlebens als für mich
Seiendes darstellenden und vermöglich ausweisenden. Das Seien-
25 de verbleibt mir transzendental als Einheit der ausweisbaren
Geltungen, als transzendentales Korrelat. So auch für die Er­
fahrung von Andern im Motivationszusammenhang meiner Ein­
fühlung. Die Seinsgeltung Anderer verbleibt mir als meine ein-
fühlungsmässige Motivationseinheit als aktuelle Erfüllungsein-
30 heit und Indikation, antizipierende Gewissheit möglicher wei­
terer Erfüllungen in meiner vertrauten Vermöglichkeit. Und
darin der t r a n s z e n d e n t a l e Andere als in meiner transzen­
dentalen Selbstgeltung mitbeschlossen und in der Motivation
notwendig als seiend geltend.
35 In meiner Primordialität habe ich als stehende konkrete Gegen­
wart nicht nur mich in meinem Erleben, sondern auch in meinen
Vermögen; sie reduzieren sich mit. In meinem intentionalen
Erleben liegt eben immerzu Vermeintes, Erscheinendes als sol­
ches, also Vermöglichkeit. In der Sinngebung, die die Erschei-
366 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN" 1931-1932

nung zustande gebracht und ihr eben Sinn schon gegeben hat,
liegt der Geltungs„horizont”i bzw. meine Habitualität als Ver­
mögen, das da als selbiges selbstdarstellend und identifizierend
ausweisen zu können. „Die" Welt ist nicht verloren gegangen
5 durch die Epoche, sie ist nicht überhaupt Enthaltung hinsichtlich
des Seins der Welt und j e d e s Urteils über sie, sondern sie ist
der Weg der Aufdeckung der Korrelationsurteile, der Reduktion
aller Seinseinheiten auf mich selbst und meine sinnhabende und
sinngebende Subjektivität mit ihren Vermöglichkeiten.
10 Aber wenn so alles in mir intentional beschlossen ist, was über­
haupt denkbar ist und möglicherweise und wirklicherweise ist,
so sagt das nicht, dass alles, was ist, mein transzendentales Ich
allein ist. Alles Nicht-Ich „liegt” selbst im Ich, aber als intentio­
nale Einheit der Geltung, obschon als „Transzendenz” nicht Ich.
15 So liegt auch das andere transzendentale Ich in mir, es liegt in
mir so als Geltungseinheit, dass es antizipierte und bewährte
Seinsgewissheit ist, und zwar als das Nicht-Ich, das selbst Ich
ist und das als anderes Ich mich selbst wiederum in sich trägt.
Diese Innerlichkeit des F ü r e i n a n d e r s e i n s als eines inten-
20 tionalen I n e i n a n d e r s e i n s ist d i e „ m e t a p h y s i s c h e ”
U r t a t s a c h e , es ist ein Ineinander des Absoluten. Jedes hat
seine Primordialität, darin impliziert seine transzendentalen Ver­
mögen seines „Ich”, und jede <ist> eine andere derart, dass keine
mit einer andern das Mindeste reell gemein haben kann. Aber
25 jede als Primordialität der intentionalen Erlebnisse seines darin
erlebenden, sich „selbsterhaltenden” Ich impliziert jede andere
primordiale Intentionalität. Und jedes personale Ich „umspannt"
in seiner Intentionalität und seinen Vermögen und durch sein
Weltphänomen jedes andere Ich und sein Weltphänomen, und in
30 der Vergemeinschaftung des Ineinander findet jedes den Andern
als Ich geschieden von sich und als anderes Ich mit anderen
Intentionalitäten und Vermögen, aber intentional in sich und
„bezogen" auf dieselbe Welt etc.
Da ist verschiedenes zu lernen:
35 1) Reduziere ich das Weltphänomen auf meine primordialen
„Bewusstseinsweisen”, Erlebnisweisen, in denen Welt für mich
ist, so liegt in dieser Reduktion eo ipso die Reduktion auf mein
Ich als „personales” Ich der Vermögen. Die Bewusstseinsweisen
als die von Weltlichem und überhaupt Bewusstseinsweisen als
TEXT NR. 21 367

die „von” etwas sind ja Weisen, in denen mir etwas gilt, <und
darin > liegt schon Antizipation, und das ist Vormeinung, von der
untrennbar ist das Ich-,,vermag” und letztlich das „ich vermag
in Bewährung übergehen und bewährend identifizieren, das ist
S in Erfahrung übergehen als Selbstdarstellung und fortgehende
Selbstbewährung”. So stehe ich von vornherein, und ich muss
das umfassend auslegen, in einer Reduktion auf das Ich und
seine Vermögen, und nicht in leerer Allgemeinheit, sondern auf
die Vermögen, die im wirklich verlaufenden Bewusstseinszusam-
10 menhang schon sind, wie das Ich eben das Ich dieser Vermögen
ist, und andererseits die Vermögen, die im Gang des Bewusst­
seinslebens sich ständig neu bilden. Durch sie bin ich immer der­
selbe und doch immer wieder anders, nicht ein Anderer, sondern,
m.a.W., ich bin (in verschieden zu beschreibenden Weisen) mich
15 selbsterhaltend.1 Korrelativ damit zeigt sich, dass die Welt, die
für mich ist, für mich als habituelle Geltungseinheit einer offen
endlosen Antizipation vermöglicher Selbstbewährung ist, die im
Gang meines Bewusstseinslebens für mich in ihrer Einstimmig­
keit der Selbstbewährung (durch Korrekturen hindurch) immerzu
20 dieselbe ist und doch immer wieder anders — anders vermöge
meines konstituierenden Bewusstseinslebens. Dies aber konsti­
tuiert Seinssinn in Aktivitäten meines Ich und auf dem Grund
von Passivitäten, welche sich als Sedimentierungen von Aktivi­
täten (erworbenen Gewohnheiten) erweisen. Ich konstituiere
25 seiend-werdende Welt aus aktiven Quellen in verschiedenen
Stufen, wobei notwendig die jeweils gewordene Welt die prak­
tisch gewordene und werdende im gewöhnlichen Sinn ist.
2) In meiner transzendentalen Subjektivität, im Ich der
Bewusstseinsweisen und Vermögen und der letzten Unterlage der
30 Hyle etc., ist die Welt als Phänomen beschlossen, aber in mir ist
auch das Universum der transzendental für mich seienden A n ­
d e r e n beschlossen, die doch wirklich für mich Andere sind. In
ihnen ist dann wiederum dieselbe Welt als Phänomen beschlossen
und das Universum der transzendentalen Subjekte, mich mit-
35 gerechnet, beschlossen. Wir sind ein absolutes Zusammensein,
wir koexistieren, und doch <ist es> ein Koexistieren im Inein­
ander. Jedes Ich, jede konkrete „Monade”, ist Monade dadurch,

1 Ich bin nicht erst und erhalte mich hinterher, Sein ist Selbsterhaltung.
368 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN" 1931-1932

dass sie ihr primordial und reell e i g e n e s Sein hat. Dieses reelle
Aussereinandersein ist aber wesensrnässig korrelativ mit dem
Aussereinander der Welt als notwendige intentionale Objektiva­
tion, in der ich und dann jedes transzendentale andere Ich sich
5 selbst und seine transzendentalen Andern objektiviert haben
muss. Das reelle Aussereinandersein und als aussereinander welt­
lich Erscheinenmüssen ist aber eine Weise der konstituierenden
Selbstabscheidung des jeweils eigenen Daseins als etwas Für-
sich-seiendes gegenüber andern ebenso Für-sich-selbst-seienden
10 und sich als das für sich Konstituierenden, die ein Grundstück
der wirklich konkreten totalen Konstitution der transzendentalen
Intersubjektivität und verweltlicht der Konstitution einer
Menschheit ist, die Welt habende und in der Welt seiende ist.
Durch die transzendentale Methode entdecke ich meine „tran-
15 szendentale Subjektivität". A b e r z u n ä c h s t h e i s s t d a s
n i c h t : m e i n p r i m o r d i a l e s E i g e n s e i n , was zu bezeich­
nen ist als eine für den Anfänger fast unvermeidliche Verwechs­
lung. Ich „entdecke", in der Epoche etabliere■ich eine neue
Erfahrung, habe vor mir ein neues Erfahrungsfeld, und zwar
20 mich selbst und das Weltphänomen — als mein Eigentum und
wie es das ist, rein in dieser Erfahrungssphäre. Ich habe min erst
zu sehen, was da Erfahrenes und Erfahrbares ist. Mir geltende
Dinge, für mich Einheiten der Geltung in meiner Vermöglichkeit
und meinen Erscheinungen, mir geltende Andere als in der Welt
seiende und weltlich erfahrende und lebende — in meinen Er-
25 scheinungen.
*

D a s I n e i n a n d e r d e r M o n a d e n ; in mir, in meiner
primordialen Gegenwart der Andere, leiblich-seelisch als inten­
tionale Geltungseinheit in mir. Diese Einheit, die da als Einheit
meiner „Erscheinungen" motivierte Geltung hat, ist hinsichtlich
30 des eingefühlten Anderen anderes Ich, andere Vermögen, ande­
re Erscheinungsweisen etc. Was ist da das Schwierige?
Meine Vergangenheit, die ich als in meiner Primordialität ent­
haltene, gezeitigte erkenne, enthält m i c h a l s v e r g a n g e n e s
I c h, vergangene wirkliche und mögliche Erscheinungen etc.
35 In meiner Gegenwart jetzt gilt das, stehend und bleibend, und
die „ T r a n s z e n d e n z " meines früheren Seins ist intentional
TEXT NR. 21 369

in mir, im stehenden und bleibenden Jetzt. Sie ist als mein „ich
kann bewähren” Einheit der stehenden aktuellen Bewährung,
und der Bewährung, in welcher ich überhaupt mein immanent
zeitliches Sein bewährbar konstituiert habe. Auch den Andern
5 habe ich so nur als Andern in mir als Bewährungspol, als in
meiner Primordialität lebendig ursprünglicher Gegenwart „be­
schlossene” Vermöglichkeit der „Erkenntnis” (die ich selbst
erkenne als Gebilde) der darin gezeitigten primordialen Subjek­
tivität.
10 S t u f e n : Das urmodale Ich als das stehende und bleibende,
das urmodale, darin gezeitigte Ich seiner Umwelt in der primor­
dialen Verleiblichung. Das gezeitigte Ich der Immanenz, in seiner
Gegenwart als Zeitmodalität die Vergangenheit und Zukunft in
sich tragend. Ich, der primordiale Me n s c h , primordial-weltlich
15 seiend, und in der zeitmodalen Weltgegenwart, die Vergangen­
heit und Zukunft als „Erkenntnis” in sich zeitigend. Dann die
Andern in der Primordialität intentional beschlossen — durch
„Bewusstsein” und „ichliche Vermögen”.
D a s „ r e e l l e ” E n t h a l t e n s e i n . Die Vergangenheit und
20 mein vergangenes Ich ist nicht reell enthalten im gegenwärtigen.
Reell enthalten kann Gegenwart in Gegenwart sein, in der Ein­
heit eines Wahrgenommenen und Wahrnehmbaren, Fortdauern­
des in der Einheit eines Dauernden, ebenso Vergangenes im Ver­
gangenen. Ein Mensch <ist > reell enthalten in der Welt, der prim-
25 ordiale Mensch in der primordialen Welt, aber nicht ein Mensch
in einem anderen, in der Einheit eines Ich nicht das andere er­
fahren und erfahrbar, sie koexistieren, aber nicht als Ganzes und
Teil (Stück). Ein anderes Ich koexistiert mit mir, aber ich er­
fahre es, und dadurch ist es für mich, und ich erfahre auch die
30 Koexistenz und sein „Anderes”-Ich-sein.
Die „Konstitution” des Anderen, die Bildung des Seinssinnes
Anderer (dieser Andere) in meinem absoluten Sein. Ich in der
Vergangenheit, ich in meiner primordialen Welt, ich und Andere
ausser mir im Raum in der objektiven Welt, und doch mich be-
35 sinnend muss ich sagen, ich bin es, in dem und für den das alles
Seiendes ist. Und was immer ist, ist für mich. und. aus mir: ande­
res ist nicht denkbar. Und, ist anderes Ich, so ist es aus mir und
in mir konstituierte Geltungseinheit, und doch anderes Ich und
als das ein Ich, für das alles aus ihm und durch es ist und auch
370 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

ich selbst wieder, und so bin ich selbst aus mir und durch mich
Ich, das nur ist, was es ist, durch das und in dem anderen Ich,
das seinerseits für mich und aus mir dies andere ist. Als mich
universal Besinnender muss ich sagen: Das i n t e n t i o n a l e
5 Beschlossensein durch Konstitution betrifft alles in jedem Sinn
Seiende, und so, dass auch diese in mir beschlossen ist und auch
in mir beschlossen ist das Universum der transzendentalen Ich
und dass in jedem derselben selbst wieder das Universum der
transzendentalen Ich beschlossen ist. Auch das, wie alles, ist aus
10 mir und dann aus jedem. Es hat keinen Sinn, anderes erdenken
zu wollen, anderes zu verlangen.
Was besagt das nun „ m e t a p h y s i s c h ”, für das Absolute?
Ich, als transzendentales, bin absolut und mein absolutes Sein,
darin liegt, ich bin, indem ich für mich bin und in Konstitution be-
15 griffen bin eines Universums von transzendentalen Mit-Ich. Ich
kann nicht sein, der ich bin, ohne die so für mich seienden An­
dern, diese Andern nicht ohne mich. Die intentionale Beschlos-
senheit ist Notwendigkeit der transzendentalen Koexistenz. Nicht
aus einem sinnlosen äusseren Gesetz, das eines und das andere
20 zufällig, und sei es auch absolut regelmässig, zusammengebunden
hätte, das wäre eben eine unbedingte allgemeine Zufälligkeit.
Alles als seiend Erkannte ist erkannt nicht als Zufall eines
Erkennens, sondern hat als Erkenntnisobjekt, als Sein, das in
Wahrheit ist, einen Seinssinn, der bleibend ist und korrelativ zu
25 meiner bleibenden transzendentalen Subjektivität und ihrer
Vermöglichkeit und, in konkret letzter, radikaler Erkenntnis,
transzendentalen Existenz und Koexistenz ist.
Was nicht erkannt werden kann, das kann auch nicht sein,
Sein ist Erkennbarkeit, und was nicht ohne Andere erkannt wer-
30 den kann, kann nicht ohne Andere sein. Was als notwendig seiend
erkannt wird als ein mir, dem Erkennenden, Transzendentes, das
ist nicht ein blosses „Erkenntnisprodukt”, sondern ist an sich
wirklich. „Wie kann ich wissen, <dass> was a -priori in mir als
unbedingt und evident gültig erkannt wird, für alles Seiende
35 wirklich gilt?” etc. Das vermeinte Rätsel der Erkenntnis.
Das alles löst sich durch konstitutives Aufklären, und löst sich
nur durch die transzendentale Phänomenologie. Also absolut bin
ich aus absoluter Selbsterkenntnis, zu der auch rechnet die Er­
kenntnis, dass das Selbst-erkennbar-sein, und in einer niedersten
BEILAGE XXII 371

Stufe der Selbstzeitigung „Erkannt’'sein, das Für-mich-selbst­


sein, mein Sein ausmacht. Und weiter, dass in mir alles, was ist,
erkenntnismässig beschlossen ist und dass dieses Beschlossensein
für andere transzendentale Ich besagt: absolut mit mir Koexi-
5 stieren aus meiner Konstitution und in Wechselkonstitution. Mit­
einander Absolutsein, Koexistieren ist in und aus Wechselerkennt­
nis Koexistieren, ,,An-und-für-sich”-sein ist a ls absolutes für
jedes andere Absolute und so für die transzendentale Intersub­
jektivität Allsubjektivität-sein. Kein Absolutes kann sich der
10 universalen Koexistenz entziehen, es ist U n s i n n , dass etwas ist
und mit keinem Sein in Konnex steht, dass es allein ist. Nicht nur
ich bin kein solus ipsc, k e i n erdenkliches Absolutes ist solus
ipse, das ist schlechthin Unsinn. Und so ist es, wenn das Sein
der Welt transzendental aufgeklärt ist, evident, dass auch Natur
15 undenkbar ist als absolut für sich seiende. Sie ist nur denkbar
als Natur in einer menschlichen Umwelt und mit menschlichen
Leibern und als transzendental Konstituiertes d e r transzen­
dentalen Intersubjektivität — d e r : ich bin dabei, und darin
liegt eine Faktizität, die selbst wieder zu überwinden ein non-
20 sens ist.
D a s I n e i n a n d e r d e r K o n s t i t u t i o n , und somit das
intentionale Inexistieren in der Erkenntnis, i s t M i t e i n a n d e r
d e s S e i n s und ist das Fundament für ein neues Ineinander,
das der Vergemeinschaftung; das ineinander, durcheinander
25 Denken und Wollen. Hier ist noch ein Punkt der Überlegung.

BEILAGE XXII
< INTENTIONALES INEINANDER UND REELLES
AUSSEREINANDER DER MONADEN. MONADISCHE
INDIVIDUALITÄT U ND KAUSALITÄT >
30 (zweite Hälfte Oktober 1931)

In meiner transzendentalen Subjektivität ist die Welt als die aus


ihren konstitutiven Aktivitäten und Passivitäten, aus ihren ursprüng­
lich erworbenen Vermögen und ihren wesenseigenen Beständigkeiten
der Assoziation gewordene und fortwerdende Sinn- und Geltungsein-
35 heit beschlossen, in ihr und für sie verharrend als habituelle Einheit
eines immerfort antizipierten und immerfort relativ selbstgegebenen
und selbstbewährten Sinnes, m.a.W., immerfort als Einheit aus uni-
372 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

versaler Erfahrung (Perzeption) mit einem Horizont möglicher Erfah­


rung (Apperzeption).
In der Welt enthalten sind die Menschen, ich, dieser Mensch, und
andere Menschen. Entdeckte ich durch phänomenologische Reduktion
5 mein transzendentales Ich und die Welt als Phänomen, d.i. ihr Sein
als Geltungseinheit aus meiner Konstitution (in welcher Korrelation
sie allein phänomenologisches Forschungsthema ist), so entdeckte ich
nun auch als aus meiner Seinskonstitution seiend die transzendentalen
Andern, die (so wie ich als Mensch) so ihrerseits als Menschen in der
10 Erfahrungswelt verweltlicht auftreten. Die Welt, wie gesagt, in mir
konstituiertes Gebilde mit ihrem ganzen jeweiligen konkreten Seins-
sinn als raumzeitliche reale Welt, erkenne ich als eine universale Sinn-
bildung, die mir selbst, dem transzendentalen Ich, weltlichen Sinn so­
zusagen als meine Rolle auferlegt (die Rolle meines leiblichen Daseins
15 in der Welt) und jedem anderen transzendentalen Ich eine besondere
und andere, und doch dem Allgemeinen nach eine gleiche, eben als
Mensch zu sein unter Menschen und in der gemeinsam für sie seienden
Welt, der sie selbst zugehören. Aber ich erkenne dabei, dass, so wie die
objektive Welt aus meiner Konstitution ist mit allen Menschen, mit
20 mir und meinen Genossen, so auch die transzendentalen Andern für
mein transzendentales Ich nur sind aus seiner (meiner, des transzen­
dentalen Ich) Konstitution, also als Sinn- und Geltungseinheiten in
mir transzendental beschlossen, was eben durch die transzendentale
Methode der Auslegung der Konstitution des Phänomens Welt her-
25 vortritt. Sind aber die transzendentalen Andern in meiner transzen­
dentalen Geltung seiend mit dem Sinn Andere — andere Ich, so liegt
darin offenbar des näheren der Geltungssinn „mit mi r t r a n s z e n ­
d e n t a l k o e x i s t i e r e n d ” : mein stehendes und bleibendes Ich
mit dem ihren, meine transzendentale Gegenwart mit der ihren, meine
30 transzendentale Vergangenheit Phase für Phase mit der ihren usw. Bin
ich transzendental in einer zeitlichen Erstreckung, seiend in wechseln­
den, meine immanente Form der Zeitlichkeit ausfüllenden transzen­
dentalen Beständen, so ist der mit mir koexistierende Andere eben
als anderes Ich in s e i n e r erfüllten Zeit. Aber die beiden Zeiten, so-
35 weit die Koexistenz reicht, „decken” sich, und das ist eben, wir exi­
stieren in der Weise stetig Koexistierender in Gegenwart etc. Alle für
mich aus meiner Konstitution geltend-seienden Anderen stehen in
einer transzendentalen Zeitlichkeit, oder was dasselbe, alle mit ihren
strömenden Zeitlichkeiten decken sich mit mir in Zeitlichkeit.
40 Ferner: In mir, in meinem eigenen primordialen Sein, ist der Andere
konstituiert mit einem anderen primordialen Sein, mit anderem perso­
nalen Ich der Aktivitäten, der Vermögen, der Erlebnisse, der Erfah­
rungen mit ihren Erscheinungen — mit all dem, wodurch er in diesem
primordialen Sein als Sinn- und Geltungseinheit „die” Welt als die
45 seine konstituiert. In mir ist also in einer gewissen Mittelbarkeit der
Konstitution auch das Welt-konstituieren des Anderen konstituiert
und konstituiert die Identität der Welt, die für mich konstituiert ist
BEILAGE XXII 373

insbesondere als Welt, die ich erfahre und die er erfährt, in dem mittel­
baren, in mir vollzogenen Erfahren seines Erfahrens und Erfahrenen
als solchen. In mir ist konstituiert der Andere als sich selbst in der
Weise des leiblich-seelischen Menschen ständig konstituierender, aber
5 auch als derselbe, der mich evtl, erfährt als den, der ihn erfährt, der
überhaupt als Anderer, so wie ich ihn, in seiner Welt, derselben, die ich
konstituiert habe und erfahre, mich als dieselbe Welt Konstituieren­
den mitbeschlossen hat, mich als mit ihm koexistierenden transzenden­
talen Andern in sich geltend, eben konstituiert hat, usw. Alles, was für
10 mich ist, ist mein konstitutives Sinn- und Geltungsgebilde, und schliess­
lich auch ich selbst für mich selbst bin aus Selbstkonstitution. Folge
ich dem, was mir überhaupt als seiend schon gilt und fortgehend als
seiend zur Geltung kommt, so habe ich die universale Koexistenz, die
in transzendentaler Reduktion sich als die absolute transzendentale
15 Intersubjektivität zeigt, und in der naiven, das Absolute verhüllenden
Natürlichkeit als offenes Universum aller Ichsubjekte, die alle zumal
koexistieren und in einer Welt leben, die als ihre Welt sie zugleich
selbst in sich hat. Dabei ist dann die seiende absolute „Welt”, die
universale absolute Intersubjektivität, eine offen endlose Mannigfaltig-
20 keit von getrennten transzendentalen Subjekten, seiend im Ausserein-
ander, seiend in Konstitution eines identischen Weltphänomens, in der
sie objektiviert als Menschen getrennt, raumzeitlich aussereinander
sind. Nur in dieser raumzeitlichen Objektivation kann sich in mir
überhaupt das Sein Anderer konstituieren oder, wie sich als gleich-
25 wertig zeigt, nur dadurch, dass ich mich in meiner ganzen Primordiali-
tät unmittelbar objektiviere, in einer der Ordnung nach fundierenden,
also ersten, einer primordialen Welt und darin als verleiblichtes Ich,
kann ich andere Ich konstituiert haben und habe sie dann notwendig
als verleiblichte wie mich selbst, als Menschen meinesgleichen. In der
30 Verweltlichung sind die Ichsubjekte „Seelen”, untergeordnete Momen­
te in der Welt, konkret real nur mit ihren Leibern, die selbst reale
Momente, Naturkörper in der Welt sind. Wenn die menschlichen Per­
sonen, die Ichsubjekte, zueinander in personale Beziehung treten und
sich personal verbinden, vergemeinschaften, wenn sie weltlich leben,
35 mit bloss leblosen Objekten oder mit Menschen <und> Tieren beschäf­
tigt sind, in letzterer Hinsicht mit deren Körpern oder mit ihnen als
verleiblichten Personen, so ist all das Vorkommnis in der Welt, im
Universum und in der Horizontform der Räumlichkeit und Zeitlich­
keit. Transzendental aber haben wir die transzendentale Koexistenz
40 der transzendentalen Ichsubjekte, hier verstanden als konkrete „Mo­
naden” mit ihrem transzendentalen Leben. Jeder realen menschlichen
Seele der Welt, in ihr ein abstrakt-unselbständiges Moment eines Men­
schen, entspricht ein transzendentales Ich, jedes hat sein monadisches
Eigensein in seiner Primordialität, und die transzendentale Trennung
45 besteht darin, dass kein Moment der einen Primordialität, d.i. kein in
ihrer Zeitlichkeit Individuelles, identisch sein kann mit dem einer an­
deren.
374 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

Wir sagten: individuell. „Individuell” besagt Einmaligkeit des Da­


seins. Also der Begriff der Individualität ist ein zeitbezogener Begriff,
individuell ist, was als zeitlich Seiendes nur an einer Zeitstelle (ein­
malig, nicht vielmalig) sein kann. Nicht individuell ist dann der noe-
5 matische Si nn „Individuelles” (und zwar ganz bestimmt auch als
dieses Individuelle, dieses Haus, dieser Mann), sofern ich (und dann
irgend jemand), in seiner subjektiven (immanenten) Zeitlichkeit den­
kend, in mehreren, beliebig vielen ihrerseits individuellen Denkakten
dasselbe Individuelle denken kann.
10 Die Individualität kann von doppelter Form sein: 1) Individuelles
in seiner Zeit kann sich repetieren in Form von Gleichheit. Dann liegt
im Gleichen ein identisches nichtindividuelles Was, von dem es heisst,
dass es sich durch die Zeitstelle individuiert. So meinen wir, dass es in
der objektiven, der Raumzeitlichkeit gleiches Individuelles geben
15 könne und gebe, gleich nach Gestalt, nach Farbe, nach Bewegungs­
gestalt usw. 2) Absolute Individualität, darunter verstehen wir Indi­
viduelles, das nicht als sich in seiner Zeit Repetierendes gedacht wer­
den kann oder, besser gesprochen, das nicht seinesgleichen in seiner
Zeit haben kann.
20 Der Ausdruck „gedacht werden kann” ist nochmals zweideutig. „Es
kann nicht gedacht werden” kann meinen, es kann nicht als seiend ge­
dacht werden — ohne mit schon Seiendem in Widerstreit zu treten
und dadurch aufgehoben zu werden. Darin liegt: Es kann nicht als
seiend begründet werden, was wieder äquivalent ist mit: Es kann
25 nicht sein, sofern es mit Seienden streitet. Andererseits kann Nicht­
seiendes sehr wohl gedacht und evtl, als Mögliches gedacht werden.
Als Gedachtes kann es wiederholt, beliebig oft, als dieses selbe gedacht
werden, während es in Wahrheit doch nicht ist.
Nun hat das absolut Individuelle das Charakteristische, dass es
30 zwar wie jedes Denkbare wiederholt denkbar ist und somit im Denken­
den, und zwar in seiner immanenten Zeitlichkeit, ein sich verzeitlichen-
der, und beliebig oft verzeitlichender Sinn; andererseits, dass es nicht
seinesgleichen haben kann, dass also nicht seiner Zeit ein allgemeines
Wesen entspricht, das sich an irgendeiner Zeitstelle individuieren
35 könnte, das, wie man dann auch sagen möchte, die zufällige Zeitstelle
jetzt und nicht dann hat.
Nun scheint es, dass man weiter sagen kann: In jedem universalen
Zeitfeld gibt es relativ und absolut Individuelles, und der Unterschied
falle wohl oft zusammen mit dem der Abstraktheit und Konkretheit.
40 Aber es stünden beide in naher Beziehung in folgender Art: In der
abstrakten Sphäre gibt es in jedem zeitlichen Universum Gleiches,
nicht aber in der konkreten, nämlich wenn wir das Konkretum nicht
relativieren, sondern als strickten Gegensatz gegen das Abstrakte ver­
stehen. So in der Raumzeitlichkeit, also in der Welt: Ein Ding, genom-
45 men in seiner jeweiligen kausalen Zuständlichkeit, kann nicht ein
zweites Mal da sein, es können nicht mehrere gleiche existieren, nicht
gleichzeitig, nicht nacheinander; in abstracto Gleiches an inneren Be-
BEILAGE XXII 375

Stimmungen und an Relationen, an Verbindungsformen usw. wird es


darum doch geben können. Indessen, scheidet man das Eigenwesen
des Realen als das durch die Zeitlichkeit sich dehnende Wesen, als die
eigentliche Zeitfülle, und die realen (real-kausalen) Relationen, so ist
5 reale Gleichheit in der Zeitlichkeit, Gleichheit von Realien in ihrem
konkreten Eigenwesen denkbar. In der Natur haben wir, da für die
Naturkörper die Möglichkeit eigenwesentlicher Gleichheit besteht, alle
Veränderung bezogen auf den Grenzfall der Unveränderung (Ruhe,
qualitative Unveränderung). Das bestimmt dann auch den Begriff des
10 Verharrens des Körpers in seinen Veränderungen, die nun zudem ge­
regelt sind durch Kausalgesetzlichkeit.
Die Welt selbst wäre dann absolut individuell, in jedem Moment
ihrer Zeit, sofern es damit kein überhaupt vergleichbares Zweites in
diesem Moment gibt, und in der Zeitfolge wäre jede Weltphase ein-
15 malig, wenn sie nicht mehrmals in Gleichheit wiederkehren kann (falls
das zu zeigen ist). Andererseits hat die Welt nicht Zeitlichkeit wie ein
Ding, das in der Zeit, der Weltzeit, ist, eines einer Vielheit, während
die Welt in ihrer Konkretion und ihrer Allzeitlichkeit mit nichts ko­
existieren kann, als ob sie eben in einer umfassenden Welt von Welten
20 sein könnte.
Was nun eine Monade anbelangt, so hat sie ihr zeitlich exten­
diertes Sein aus eigener stehender und bleibender Zeitigung, die sie
selbst in erstem und eigentlichstem Sinn ist. Als für sich selbst und
durch sich selbst gezeitigte ist sie nichts weniger als ein Analogon einer
25 Welt von Dingen. Diese sind verharrende Einheiten in Veränderungen
und Unveränderungen, während die Welt selbst in anderer Weise eben
als Universum von zeitlich Verharrendem verharrt. Aber die Monade
ist absolut in sich und für sich. Zwar ist sie darin einem Ding glei­
chend, dass sie ist als in ihrer Zeitlichkeit verharrend in ihren Verän-
30 derungen. Aber hier können wir nicht auch sagen, <in> ihren Unver­
änderungen, denn es können prinzipiell nicht zwei Zeitphasen densel­
ben monadischen Gehalt haben, wie wir hier auch nicht die totalen
Veränderungen der Monade aufteilen können in Veränderungen von
Einzelheiten einer Art Dinge, die sich ihrerseits verändernd verharren.
35 Die Monade ist eins, und zwar ein Ich, das in der monadischen Zeit
identisch ist in seinen notwendig wechselnden Akten, in seinen wech­
selnden Affektionen, in seinen wechselnden Bewusstseinsweisen, dar­
unter den spezifisch erfahrenden Erscheinungsweisen, in seinen passi­
ven (nicht vom Ich her entquellenden) Assoziationen, Verschmelzun-
40 gen etc. Als Ich hat es als von ihm untrennbar seine Hyle als ständig
wechselnden Kern seiner Auffassungen, seiner Gefühle, Triebe. Hier
haben wir hyletische simultane Koexistenz und Sukzession, in der es
Gleichheit gibt, und doch, genau besehen, ist keine Hyle konkret und
hat ihre assoziativen und ichlichen Modi, die nicht in so etwas wie
45 reale Relation (Kausalität) aufgelöst werden können, als ob diese
nicht selbst Momente der Zeitfülle selbst wären und als ob die abge­
hobenen hyletischen Einheiten doch so etwas wie Dinge wären. So
376 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

gibt es hier nur relative, in einem eigenen Sinn abstrakte Ähnlichkeiten


und Gleichheiten. Dazu kommt die Unteilbarkeit der Monade als Un-
zerstückbarkeit, das ist, sie ist im wörtlichen Sinn Individuum, wäh­
rend jedes weltlich konkrete Reale zerstückbar ist.
5 Durch die monadisch immanente Zeitlichkeit ist also wohl eine Form
der Individuation gegeben, aber so, dass die Monade als konkretes In­
dividuum unzerlegbar in konkrete Individuen, unzerstückbar ist und
ihre konkrete Zeit erfüllt Phase für Phase mit konkreten, unteilbaren,
unzerstückbaren Phasen, die als diese konkreten Phasen in allen Be-
10 ständen „unvergleichbar”, einmalig sind, nur in Momenten Ähnlich­
keiten haben können, aber nicht Wiederholung in konkreter Gleich­
heit.
Wie steht es nun mit der monadischen Intersubjektivität? Die All­
heit der monadischen Subjekte ist doch eine „Welt”, in der die einzel-
15 nen Subjekte die „Dinge” sind, und zwar in der Zeit dieser Welt als der
Form ihrer universalen Koexistenz, der simultanen und sukzessiven.
In dieser Zeit verharrt eine jede in ihren Veränderungen (denen keine
Unveränderungen entsprechen — wenn nicht traumloser Schlaf und
Tod etc. als Grenzfälle Möglichkeiten solcher Auffassung bieten). Sie
20 stehen auch miteinander in „realen” Beziehungen, in denen „realer”
Kausalität. Jeder personalen Beziehung in der Welt entspricht im
Absoluten der Monaden eine monadische Kausalität, aber auch jeder
Bewusstseinsbeziehung der Art z.B. jeder menschlichen Erfahrung
und Erkenntnis und Praxis ihrer Umwelt, auch der bloss physischen,
25 entspricht offenbar eine absolute Kausalität. Aber die ganz prinzipielle
Unterschiedenheit der Wesensformen der uneigentliche, blosse Ein­
maligkeit des Daseins in der Raumzeitlichkeit besagenden Individuali­
tät der weltlichen Realitäten und der den Monaden eigenen echten
Individualität bedingt auch den grundwesentlichen Unterschied
30 zwischen Kausalität der weltlichen Realitäten und Kausalität der
Monaden und wieder zwischen der universalen Kausalität, die allen
Realitäten Einheit einer Regelordnung gibt oder, genauer gesprochen,
allen Realitäten hinsichtlich ihrer die universale Zeiträumlichkeit
füllenden konkret eigenwesentlichen Füllen eine Regel möglichen Da-
35 seins gibt, und der universalen Kausalität, die alle Monaden einigt.
Zunächst ist es klar, dass die für die Welt bestehende Grundart der
Kausalität einer Zerstückung (Teilung im gewöhnlichen Sinn) und
Zusammenstückung (Verbindung zu extensiven Ganzen) für Monaden
keinen Sinn hat. Von einer Monade kann sich nichts abstücken und in
40 eine andere Monade sich einstücken. In diesem Sinn hat keine Monade
Fenster, in die monadische „Materie” hineinfliegen könnte oder her­
ausfliegen. Das betrifft alle zur Individualität einer Monade gehörigen
Momente, sie sind absolut einmalig an ihre Monade gebunden (obschon
das sprachliche Gleichnis des Bindens wieder den Schein der Gegenauf-
45 fassung in sich trägt, als ob es nur ein Gesetz wäre, das die an sich
denkbare Ablösung verböte). Das betrifft in der Selbstobjektivierung
der Monaden als Seelen auch diese rein in sich genommen: wie umge-
BEILAGE XXII 377

kehrt alles rein Seelische sich in phänomenologischer Reduktion auf


Monadisches zurückleitet. Mitteilung von Person zu Person ist nicht
ernstlich eine Übertragung eines Teils der einen (eines reellen, ihrem
immanentzeitlichen Eigenwesen zugehörigen Moments) auf die andere.
5 Die Mitteilung besteht darin, dass etwa im Denken der einen ein Idea­
les, ein Urteil, ein Gedanke erwächst und infolge davon, vermöge der
wechselseitigen Kausalität, in der anderen Seele oder Monade ein rein
in ihr verlaufendes zweites Denken verläuft, in dem derselbe Gedanke,
dasselbe Urteil erwächst, und zudem, die eine ist dessen bewusst, dass
10 die andere mitteilend ist, und umgekehrt: ein Bewusstsein, das wieder
je in der einen und anderen verläuft.
Aber man fühlt doch eine Schwierigkeit in dem Verständnis der
Kausalität der Monaden. Es ist nicht eine Kausalität der Art wie die
Kausalität der Natur, die in der raumzeitlichen Welt als einer in Natur
15 fundierten ihre universale Rolle mitspielt.
Die Existenz jeder Monade ist in jeder impliziert. Jede in ihrem
„Bewusstsein” hat dieselbe Welt konstituiert, „implicite” ist in jeder
alles Seiende und transzendental das All der Monaden und alles, was
sich in der einzelnen und in der Gemeinschaft konstituiert, beschlos-
20 sen. Andererseits, die Monaden sind absolut getrennt, sie haben kein
Moment, kein Reelles gemein, sie koexistieren in der monadischen
Allzeit.
Das ist nicht so verwunderlich, wird man sagen: Reelles Ausserein-
ander verträgt sich natürlich mit intentionalem Ineinander. Dasselbe
25 kehrte uns schon wieder in der Welt hinsichtlich der Seelen. Die Seelen
sind aussereinander, hier räumlich aussereinander, als seelisch-reale
Beigaben von Leibern, die im Raum äusseres Dasein haben. Aber jede
Seele erkennt, was sie selbst nicht ist, nach idealer Möglichkeit alles
ausser ihr. Erkenntnis klingt beschränkt und wird in der Regel so
30 verstanden. Sagen wir, Bewusstsein: Jede Seele hat Bewusstsein von
ihrer Welt, freilich horizonthaft, was sie explizit bewusst hat, ist
armselig, aber das hat seinen offen unbestimmten, dunklen Horizont.
Nr. 22

TELEOLOGIE. <DIE IMPLIKATION DES


EIDOS TRANSZENDENTALE INTERSUBJEKTIVITÄT
IM EIDOS TRANSZENDENTALES ICH.
5 FAKTUM UND EIDOS >
<aufgrund von Noten vom 5. November 1931 >

Die Selbstkonstitution der transzendentalen Subjektivität als


ins Unendliche auf „Vollkommenheit”, auf wahre Selbsterhaltung
Gerichtetsein. Das Sein in immer neuen Widersprüchen, Über-
10 Windung der Widersprüche. Transzendentale Subjektivität seiend
in der ihr notwendigen Form der Weltlichkeit, also in der einer
Menschheit, die sich und damit ihre Welt zu einer wahren, „wider­
spruchslosen” Welt gestalten will. Dazu: Notwendigkeit der
Selbstbesinnung in immer höheren Stufen, also eines Entwick-
15 lungsprozesses der Selbstbesinnung bis hinauf zur transzenden­
talen Selbstbesinnung und ihrer eigenen systematischen E nt­
wicklung.
Dieser Entwicklungszug und Entwicklungsprozess ist einge­
ordnet als Funktion in den universalen Einheitszug und Ent-
20 wicklungszug der Teleologie, die das universale Sein der tran­
szendentalen Subjektivität als ontologische Form ausmacht.
Dieser teleologische Prozess, der Seinsprozess der transzenden­
talen Intersubjektivität, trägt in sich einen universalen, zunächst
in den einzelnen Subjekten dunklen „Willen zum Leben”, oder
25 vielmehr, Willen zum wahren Sein (vielleicht können wir sagen,
der jeweilige Wille in seiner patenten Form hat einen latenten
„Willenshorizont”). In der Entwicklung wird er in einzelnen
Subjekten zunächst patent, oder aus dem offen-leeren, unge-
formten Horizont wird ein geformter, der Mensch in seinem
30 Transzendentalen erwacht, es erwacht in ihm der Horizont des
echten Menschentums. In ihm hegt diese Idee als vorontologisch
TEXT NR. 22 379

geformte, als diejenige, die in weiterer Entwicklung durch die


Besinnung in Gestalt der Ontologie wissenschaftliche Form er­
hält und als ontologische Idee leitend werden kann für den Wil­
len, der so sein ausdrückliches Ziel hat, bzw. die ausdrückliche
5 Zielform, Zweckform der Totalität aller individuellen und über­
individuellen (intersubjektiven, allmenschheitlichen) Zwecke.
Idee der unendlichen Vollkommenheit, Idee vollkommenen
einzelsubjektiven Seins innerhalb einer unendlich vollkommenen
intersubjektiven Allgemeinschaft. Ihre Undenkbarkeit als voll-
10 endete Form, als wirkliche Form eines denkbaren (anschaulich
vorstellbaren) transzendentalen Daseins. Idee eines im unend­
lichen Progressus „allervollkommensten”, die notwendigen „Wi­
dersprüche” des Daseins überwindenden und sich dadurch zur
Einstimmigkeit mit sich selbst zum wahren Sein erhöhenden,
15 eines sich zur Wahrheit erneuernden Daseins („Erneuerung”,
neuer Mensch 1) im erwachten Willen zur Echtheit, 2) im Willen,
gemäss der Idee des Progressus leben zu wollen, als neuer Mensch
sein zu wollen in ewiger, sich immer wieder wiederholender Er­
neuerung). Sinn der Geschichte, Sinn der Geschichtlichkeit des
20 einzelnen Ich innerhalb der Inter Subjektivität, der noch nicht
erwachten oder nur in einzelnen erwachten, und Sinn der Ge­
schichtlichkeit der transzendentalen Intersubjektivität über­
haupt. Der Wahrheitssinn, der in ihr „lebt”, in ihr verborgener
transzendentaler universaler Wille ist (der „metaphysische” Wille
25 zum Sein) und in ihr zum erwachten Willen in Wachheitsstufen
<wird >, in einzelnen und in extensiv-intensiver Ausbreitung — in
der Form der „wahren” Traditionalität, als Traditionalität der
nur im Willen liegenden Wahrheit. Der Wille im wahren Ich und
einer wahren Gemeinde, einer wahren Menschheit ist Wille im
30 „eigentlichen” Sinn, Entschlossenheit für das absolute Ziel als
in seiner logifizierten Form vollendet erkanntes. Das Ziel in
seiner erkannten Ewigkeit, Unendlichkeit. Die Entschlossenheit,
der Wille Wille zur Unendlichkeit, zur Ewigkeit. Darin ist aller
endliche Wille ein für allemal aufgegeben oder aufgehoben in
35 seiner blossen Funktionalität in die Unendlichkeit.
Wiederholt die Besinnung also, was schon immerzu in der
Endlichkeit Unendlichkeit ist, Endlichkeit selbst durch ihre
dunkle Horizonthaftigkeit eine Form der Unendlichkeit, und
Unendlichkeit nur seiend in der Form der Zeitlichkeit, als
380 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

Zeitfolge von Endlichkeiten, aber beschlossen im nunc stans.


Das Erwachen der transzendentalen Allsubjektivität, das
Wachwerden der ihr immanenten Teleologie als der universalen
Form ihres individuellen Seins, als Form aller Formen, in der sie
5 ist. Aber das Erwachen ist selbst eine Sonderform in der Univer­
salität, und was gehört zu ihr als solcher? Könnten alle transzen­
dentalen Einzelsubjekte in eins erwachen, in welcher Form voll­
zieht sich notwendig das Erwachen? Zuerst in Einzelsubjekten.
Aber sie sind schon einzeln in einer irgendwie geformten Subjekt-
10 Umgebung, und was ist über sie als Umgebung des oder der er­
wachenden Einzelsubjekte notwendig zu sagen?
Ferner, welche mögliche Form hat die Verbreitung der Tradition
der schon in einzelnen, in „Gemeinden” („Kirchen”) erwachten
Echtheit, als Mission, als Motivation zur imitatio, als Pädagogik
15 und „ethische” Politik? Und wie hängen alle Formen selbst in
Form zusammen und gehören zur universalen Teleologie?
Ferner: Ich nannte die Teleologie Form aller Formen, wie ist
das zu verstehen? Ist sie eine allgemeinste Form, die an allem
Seienden aus Erfahrung aufgewiesen und als allgemeinste gar
20 zunächst aufgewiesen werden kann? Natürlich nicht. Sie ist die
für uns späteste, obschon an sich erste, es müssen alle Formen
in ihrer vollen Universalität aufgewiesen, es muss die Totalität
schon als Totalität erschlossen sein in ihrem ganzen System von
Sonderformen (darunter der Welt und der Weltform), damit die
25 Teleologie aufgewiesen werden kann als die alles Sein in Totalität
konkret und individuell ausmachende, letztermöglichende und
dadurch verwirklichende.
Wenn Sein als transzendentales, also absolute Subjektivität,
nur denkbar ist in einer Seinsuniversalität und in einem univer-
30 salen Willen zu sein, durch die einzelnen hindurchgehend als ihr
individueller Seinswille, bezogen auf das ideale Telos, bzw. den
idealen Progressus der teleologischen Unendlichkeit, so ist zu
bedenken, dass dieser Wille schöpferisch, weltschöpferisch ist
(im „Sinn” einer bestmöglichen aller möglichen Welten), aber
35 nur in gewissem Sinn Schöpfung aus Nichts is t; nämlich die Welt
— das sagt hier die transzendental-subjektive und in ihrem je­
weiligen Stande der Weltkonstitution als Selbstobjektivierung —
ist, aber ist im „Widerspruch” mit sich selbst. Sie ist und ist doch
noch nicht, sofern sie seiend immerzu in relativ wahrem Sein ist
TEXT NR. 22 381

und in relativem Nichtsein. Und das kann selbst wieder ver­


schieden verstanden werden, sofern sie im Status der Unerwacht-
heit, der noch nicht bewusst gewordenen Wahrheit und Falschheit,
überhaupt als nichtseiend bezeichnet werden kann, als noch
5 nicht einmal relativ seiend. Die Welt ist in ewiger Schöpfung aus
dem Nichts, weil sie ihr wahres Sein nur in dem Progressus der
Seinsstufen hat, die Stufen der Relativität sind. Sein hat hier
den Sinn des transzendentalen Daseins, Daseins einer „Subjek­
tivität” (individuellen Personalität konkret in ihrem Leben), die
10 seiend im Willen lebt, in Echtheit zu sein, in widerspruchsloser
Einstimmigkeit. Das ist Sein im Sinn des Willens, wie der Wider­
spruch die willentliche Unverträglichkeit, Unerträglichkeit ist.
Aber Wirklichsein der transzendentalen Intersubj ektivität in
konkreter Individualität ist nur möglich in der Form dieses
15 Seinwollens, willentlich Seinkönnens, sich selbst Bejahen-
könnens.
Nun setzt aber Wille und das willensgemässe Sein, in willent­
licher Einstimmigkeit Sein, schon Sein, schon transzendentale
Subjektivität in irgendeinem Modus und irgendeiner Mensch-
20 lichkeit, Weltlichkeit voraus, und in einem ganzen Formen­
system, das an sich und für uns vorangeht als Voraussetzung.
Das sagt nicht, dass es ohne den universalen „weltbewegenden”,
Welt in Wahrheit schaffenden Willen sein kann, sondern nur,
dass sie zur Konkretion des absoluten Seins (und damit auch des
25 raumzeitlichen Seins) als Wesensstruktur gehört. Der universale
absolute Wille, der in allen transzendentalen Subjekten lebt und
der das individuell-konkrete Sein der transzendentalen Allsub­
jektivität möglich macht, ist der göttliche Wille, der aber die ge­
samte Intersubjektivität voraussetzt, nicht als ihm vorangehend,
30 als ohne ihn möglich (auch nicht etwa so, wie Seele den Leib­
körper voraussetzt), sondern als strukturelle Schichte, ohne die
dieser Wille nicht konkret sein kann.
Wenn ich als Phänomenologe das erkenne, so weiss ich mich
in der universalen Entwicklung, und diese ist Faktum. Inwiefern
35 ist hier aber zugleich eine Wesenseinsicht gewonnen oder zu
gewinnen? Ich kann mich und meine Welt in ihrer Jaktischen
Horizonthaftigkeit des Für-mich-seins enthüllen und damit ihre
faktische Wirklichkeit, die faktisch ist in einem Spielraum von
Möglichkeiten für mich, in einer dieser Möglichkeiten anschaulich
382 .CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

machen. Ich kann nun aber diese Möglichkeit ganz und gar,
nämlich auch hinsichtlich des Kerns von relativ und eigentlich
Erfahrenem und damit an individuell faktisch Festgelegtem, in
freie Variation nehmen und die universale Wesensform der tran-
5 szendentalen Allsubjektivität gewinnen. Ich gewinne dann die
Wesensform meines faktischen eigenen ego und die jedes in dem
meinen intentional implizierten, in dem meinen horizonthaft
beschlossenen faktischen anderen ego, natürlich auch dabei die
in meiner Horizonthaftigkeit mitbeschlossene Form der Tota-
10 lität. Achte ich nun auf die alteri, so ist jedes in meinem Faktum
von vornherein beschlossen gewesen als Spielraum von Möglich­
keiten, und hinsichtlich der beschlossenen völlig unbekannten,
obschon als reale Möglichkeiten vorgezeichneten Anderen, ist es
ein Spielraum, in dem keine der Möglichkeiten durch Erfahrung
15 als faktische bevorzugt ist. Ich sehe nun, dass die Wesensform
eines und aller für mich faktisch seienden Anderen, ob bekannten
oder selbst völlig unbekannten, dieselbe ist als die Wesensform
meines faktischen ego.
Zunächst scheint es sogar, dass die Wesensform eines ego, eines
20 transzendentalen Einzelsubjektes überhaupt, identisch ist mit
der allgemeinen Form, die alle Möglichkeiten eines faktisch für
mich möglichen Anderen überhaupt umspannt. Sie sei schon
Wesensform, nur gebunden an mein faktisches Sein dadurch, dass
sie einen Horizont von real möglichen völlig unbekannten An-
25 deren befasst. Aber da ist freilich ein Unterschied. Zu jedem real
für mich möglichen Anderen gehört, dass er mich als faktisches
ego mit meiner wirklichen Erfahrung und Erfahrungswelt impli­
ziert. Zu einem rein wesensmöglichen Anderen aber, dass er in
seiner Möglichkeit die Wesensmöglichkeitsabwandlungen meines
30 ego impliziert. Damit ist auch gesagt: Der völlig unbekannte
Andere hegt objektiviert als Mensch in der für mich faktischen
Welt, entweder als Mensch der Erde oder als menschenartiges
Wesen auf irgendeinem Gestirn etc. Ein eidetisch mögliches
transzendentales Ich hegt aber objektiviert als Mensch in einer
35 eidetisch möglichen Welt.
In der Wesenseinstellung sehe ich, dass alle wesensmöglichen
transzendentalen Ich in der Form „ich und Andere” je ineinander
impliziert sind. Jede einzelne Möglichkeit eines transzendentalen
Ich, die ich herausgreife, zeichnet aus den freien Möglichkeiten
TEXT NR. 22 383

sonstiger Ich je eine aus dadurch, dass jeweils diese Möglichkeit


als anderes Ich in jenem ausgewählten Ich impliziert ist. Ein
mögliches Ich impliziert alsbald ein Universum, eine Allheit mit
ihm koexistenter Ich.
5 Jedes exemplarische Ich als Wirklichkeit oder Möglichkeit
ergibt dasselbe Eidos. Aber dieses Eidos hat das Merkwürdige,
dass jede seiner eidetischen Singularitäten ein einzelnes transzen­
dentales Ich (als Möglichkeit) ergibt, das ein Universum von
transzendentalen Ich intentional impliziert als kompossible Mög-
10 lichkeit, als ein Universum von Möglichkeiten, die zwar zugleich
eidetische Singularitäten des Eidos transzendentales Ich sind,
aber zugleich ein Universum notwendig koexistierender „Anderer”
ist, in dem Sinn, dass die Ansetzung jenes Ich als seiend in eins
dieses Universum seiender Ich sein muss. Die Möglichkeit der
15 einen eidetischen Singularität als Ich ist zugleich durch Impli­
kation die Möglichkeit eines koexistenten Universums der dem
Ich zugehörigen Anderen. Ferner ist evident, dass in diesem
Universum jedes einzelne Ich ego ist für alle anderen Glieder des
Universums als seinen alteri, so dass ein jedes solches Universum
20 von jedem Glied aus das Universum impliziert, ein Universum,
eine Allheit von möglichen Subjekten, deren jedes alle anderen
impliziert und die Allheit als Allheit impliziert. Durchlaufen wir
die eidetischen Möglichkeiten des Eidos transzendentales Ich,
so durchlaufen wir damit auch die in jeder Variante desselben
25 implizierten Universa von Möglichkeiten, und es ist klar, dass
das Eidos dieses Universums, also das Eidos transzendentale
Intersubjektivität, zugleich impliziert ist im Eidos transzenden­
tales Ich.
Nun aber ein weiteres sehr Bedeutsames: Das Eidos kon-
30 struiere ich, das faktische phänomenologisierende ego. Kon­
struieren und Konstruktion (die konstituierte Einheit, das Eidos)
gehört zu meinem faktischen Bestände, meiner Individualität.1
1 Irgendwo einfügen: Jedes erdenkliche transzendentale Ich ist für mich erdenk­
liches, ist es aus meiner Wirklichkeit und meiner Vermöglichkeit, es zu konstruieren.
Jedes erdenkliche transzendentale Ich ist nur so erdenklich, dass ich meinerseits für
es wirkliches bin und mögliches aus s e i n e m Sein, das aber (und zwar, wie hier
angenommen, als mögliches Sein) mögliches ist aus meiner Wirklichkeit. Mein Sein
ist apodiktischer Grund für alles Sein, das für mich Sein und Sinn hat. Aus meiner
Apodiktizität. Fremdes Sein setze ich als für sich selbst apodiktisch seienden Grund
für alles, was für es ist, darin mich beschlossen und meine Apodiktizität.
Aber bin ich nicht zeitweilig, geboren etc.? Ja, aber diese Zeitweiligkeit ist selbst
in meinem apodiktischen Sein verwurzelt.
384 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN" 1931-1932

Diese transzendentale Implikation der eidetischen Möglichkeiten


meiner selbst und des Eidos in meiner Faktizität überträgt sich
auf alle für mich Anderen. So wie sie nicht nur als Konstitutions­
gebilde in mir sind, sondern für mich seiend in einem Seinssinn
5 sind, dass sie selbst konstituierende Subjekte sind, und da sie
als das in mir konstituiert sind, eben als das sind, als was sie in
mir konstituiert sind, ebenso gilt, dass sie wirklich sind als ver­
wirklichte ihrer eidetischen Möglichkeiten, aber auch, dass sie
in sich selbst die Möglichkeit tragen, sich als eidetische Möglich-
10 keiten und ihr Eidos als ideal seiendes zu konstruieren.1

1 Freilich, dass sie nicht Phänomenologen sind, das gehört zu ihnen im Faktum,
aber dass sie für sich, sei es unausgebildet, die Vermögen tragen, es zu werden, das
liegt in ihnen als Ichsubjekten wesensmässig. So liegt auch im neugeborenen Kind das
All der menschlichen Möglichkeiten, während es Schicksal, Faktum ist, was davon
in ihrer Umgebung und in den künftigen faktischen Umgebungen, in die sie hinein­
geraten, zu ausgebildetem Vermögen und schliesslich zur Verwirklichung wird. Aber
was ist das für eine Potentialität?
Eine damit zusammenhängende Frage: Ein jeder ist für mich, der ich Phänomeno-
loge bin, als ein Ich, als Anderer, für den ich bin, der mich verstehen könnte, wie ich
ihn verstehe. Aber nicht jeder, kann man doch sagen, hat wirklich das Vermögen,
mich in meinem wissenschaftlichen und meinem phänomenologischen Tun zu ver­
stehen, hätte er es, dann wäre er schon dabei, selbst Phänomenologe zu werden. So
sind denn überhaupt dem menschlichen Sich-verstehen nur zu empfindliche Grenzen
gesetzt. Der offene Horizont, in dem ein anderer Mensch in seiner personalen Inner­
lichkeit verstanden ist, hat also in sich einen Horizont des in Zukunft Verstehbaren
und einen Horizont des Unverständlichen. Aber gilt das nicht für die Welt über­
haupt, die für jemand geltende ist ? Ihr Horizont ist von ihm her beschränkt aus sei­
ner Erfahrung, aus seinen ursprünglichen und erworbenen Vermögen. Und doch sa­
gen wir, jeder hat die Welt vorgegeben, dieselbe Welt, jeder in seiner individuellen
Horizonthaftigkeit hat eine anders bestimmte Welt aus anderen Vermögen und Zu­
gänglichkeiten für ihn, und doch dieselbe. Intentional impliziert ist jeder in mir als
•der für mich je zugängliche — in meiner Horizonthaftigkeit, wozu die Mittelbarkeit
der Anderen der Anderen gehört bis ins leer Horizonthafte.
Aber ich, in transzendentale Einstellung eintretend und die auslegende Konstruk­
tion der transzendentalen Intersubjektivität vollziehend, erkenne die von meinem
horizonthaften Sein erschliessbaren Horizonte meines eigenen Seins und als darin be­
schlossen alles für mich erdenklichen Seins und darin auch die horizonthaften Mög­
lichkeiten der bekannten Anderen und die in den unbekannten beschlossenen Mög­
lichkeiten und darunter all das, was oben gesagt wurde, also die Implikation der An­
deren in mir und die wechselseitige der koexistenten Anderen in der Weise, wie sie zu
verstehen ist in der Endlichkeit und Subjektivität ihrer Zugänglichkeit.
Dahin gehört auch, dass ich jeden in meinem Horizont für mich seienden, auch
den als präsumtive Möglichkeit (als reale) für mich seienden, so wie mich selbst in
seinen universalen Wesensmöglichkeiten erkenne. Aber ist nicht jede fiktive Weise,
wie ich anders sein könnte (und damit meine Welt anders sein könnte, was äquivalent
ist) eo ipso eine Weise, wie ich anders werden könnte — in reiner Möglichkeit? Aber
ist das nicht ein Unsinn? Kann ich mich nicht jetzt umfingieren so, dass mein Leib
zu meinem Leib der Kindheit wird und meine Seele zur kindlichen Seele? Aber ist
nicht das erst recht und nun ein wahrhaftiger Unsinn?
Was aber durch solche Fragen empfindlich wird, ist, dass das Problem des U m -
d e n k e n s nicht eigens gestellt und behandelt worden ist.
TEXT NR. 22 385

Wir haben hier einen merkwürdigen und einzigartigen Fall,


nämlich für das Verhältnis von Faktum und Eidos. Das Sein
eines Eidos, das Sein eidetischer Möglichkeiten und des Univer­
sums dieser Möglichkeiten ist frei vom Sein oder Nichtsein irgend-
5 einer Verwirklichung solcher Möglichkeiten, es ist seinsunabhän­
gig von aller Wirklichkeit, nämlich entsprechender. Aber das
Eidos transzendentales Ich ist undenkbar ohne transzendentales
Ich als faktisches.
Solange ich, im Faktum meiner transzendentalen Subjektivität
10 und der mir geltenden Welt stehend, abwandle und zum Eidos
übergehend systematisch forsche, stehe ich in der absoluten
Ontologie und korrelativ in der mundanen Ontologie.
Nun bedenke ich aber, dass in der Rückfrage sich schliesslich
die Urstruktur ergibt in ihrem Wandel der Urhyle etc. mit den
15 Urkinästhesen, Urgefühlen, Urinstinkten. Danach liegt es im
Faktum, dass das Urmaterial gerade so verläuft in einer Ein­
heitsform, die Wesensform ist vor der Weltlichkeit. Damit
scheint schon „instinktiv” die Konstitution der ganzen Welt für
mich vorgezeichnet, wobei die ermöglichenden Funktionen selbst
20 ihr Wesens-ABC, ihre Wesensgrammatik im voraus haben. Also
im Faktum liegt es, dass im voraus eine Teleologie statthat.
Eine volle Ontologie ist Teleologie, sie setzt aber das Faktum
voraus. Ich bin apodiktisch und apodiktisch im Weltglauben.
Für mich ist im Faktum die Weltlichkeit, die Teleologie enthüll-
25 bar, transzendental.
Eigentlich müsste, wenn eine ordentliche Psychologie da, aus­
gebildet worden wäre, es von ihr aus möglich gewesen sein, eine
mundane Teleologie aufzuweisen, die aber verständlich erst wird
als transzendentale.
30 Aber nun hat diese Teleologie Bedingungen ihrer Möglichkeit,
also auch das Sein der teleologischen Wirklichkeit selbst, und von
der (transzendentalen) Wirklichkeit her ihre Wesensmöglichkeit.
Eben im Verwiesenwerden auf die Urfakta der Hyle (im weite­
sten Sinn); ohne die wäre keine Welt möglich und keine transzen-
35 dentale Allsubjektivität.
Kann man bei dieser Sachlage sagen, diese Teleologie, mit
ihrer Urfaktizität, habe ihren Grund in Gott?
Wir kommen auf letzte „Tatsachen” — Urtatsachen, auf letzte
Notwendigkeiten, die Umotwendigkeiten.
386 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

Aber ic h denke sie, ich frage zurück und komme auf sie
schliesslich von der Welt her, die ich schon „habe". Ich denke,
ich übe Reduktion, ich, der ich bin und für mich in dieser Hori-
zonthaftigkeit bin.
5 Ich bin das Urfaktum in diesem Gang, ich erkenne, dass zu
meinem faktischen Vermögen der Wesensvariation etc. in mei­
nem faktischen Rückfragen sich die und die mir eigenen Urbe-
stände ergeben, als Urstrukturen meiner Faktizität. Und dass
ich in mir einen Kern von „Urzufälligem” trage in Wesensformen,
10 in Formen vermöglichen Funktionierens, in denen dann die
weltlichen Wesensnotwendigkeiten fundiert sind. Mein faktisches
Sein kann ich nicht überschreiten und darin nicht das intentional
beschlossene Mitsein Anderer etc., also die absolute Wirklichkeit.
Das Absolute hat in sich selbst seinen Grund und in seinem
15 grundlosen Sein seine absolute Notwendigkeit als die eine „ab­
solute Substanz”. Seine Notwendigkeit ist nicht Wesensnotwen­
digkeit, die ein Zufälliges offen Hesse. Alle Wesensnotwendig­
keiten sind Momente seines Faktums, sind Weisen seines in
bezug auf sich selbst Funktionierens — seine Weisen, sich selbst
20 zu verstehen oder verstehen zu können.
DIE GESCHICHTLICHE SEINSWEISE
DER TRANSZENDENTALEN INTERSUBJEKTIVITÄT.
IHRE VERHÜLLTE BEKUNDUNG IN DER
5 MENSCHENGESCHICHTE UND NATURGESCHICHTE1
(9./12. November 1931)

<Inhalt:> Selbstobjektivation in Weisen, in Stufen der Endlich­


keit. Der Mensch in der E n d l i c h k e i t : i) Endlichkeit <als>
Verhüllung der vorgegebenen Welt-„Unendlichkeit”, 2 ) Endlichkeit
10 des menschlichen Daseins als Verhüllung der Transzendentalität.
M e n s c h e n g e s c h i c h t e u n d H u m a n i s i e r u n g der
Wel t , Selbstbewusstsein (Selbsthumanisierung). Der Bereich der
menschlichen Geschichtlichkeit, die Weise der historischen Bekun­
dung. In der Historizität der bewusstseinsmässig geltenden Welt
15 für uns di e s e l be Weit apodiktisch.
Der M e n s c h i n der S i t u a t i o n (Umweltstufe). Relativität
der Gegenwart — I n t e r e s s e n h o r i z o n t . Ich mit mir selbst in
Gemeinschaft, indem ich stets dieselbe Welt habe, in der ich stets
derselbe bin. Ich mit meinen Anderen in Gemeinschaft, wobei wir
20 immerfort mit der Bewusstseinsgemeinschaft eine gemeinschaftliche
Welt haben. Ich (und vergemeinschaftete Subjektivität ebenso) be­
ständig für mich selbst als Menschen-Ich konstituiert.
Apodiktizität des Ich-bin (im natürlich menschlichen Sinn).
Apodiktizität des Wir-Menschen? Apodiktizität führt auf die W e-
25 s e n s f r a g e n . Die Frage der Methode, im Faktum der vorgegebe­
nen Welt die Formalien herauszuerkennen. Wie ist freie Variation
möglich? Wie führt sie zum apodiktischen Wesen mögliche Welt
überhaupt?
1 Gemeint als Anfang näherer Ausführung der Notizen vom 5. November 1931
<vgl. den vorangehenden Text Nr. 22>. Der Anfang war hier eine Rückfrage von der
Idee der Selbsterhaltung der transzendentalen Allpersonalität. Er wird aber nicht zu
Ende geführt, sondern nur behandelt eine Strecke der Selbstobjektivation überhaupt.
388 ,C A R T E S IA N IS C H E M E D IT A T IO N E N ” 1931-1932

Wir enthüllen vom transzendentalen ego aus die Weltkonsti­


tution: die Selbstkonstitution der transzendentalen „Personali­
tä t” als ins Unendliche auf „Selbsterhaltung" gerichtet in der
Notwendigkeit der Selbstobjektivierung als menschliche Perso-
5 nalität, als Menschheit, die sich und ihre sich immer neu huma­
nisierende Umwelt zu einer echten oder wahren Menschheit und
einer menschlich schönen und guten Umwelt gestalten will.
Die Selbstobjektivation der transzendentalen Allsubjektivität
als im transzendentalen Ineinander seiender vollzieht sich in
10 jeder transzendentalen Monade in orientierter Weise, in jeder in
Form einer individuellen Entwicklung von Geburt zu Tod, in
jeder als Entwicklung individueller Personalität in einem inten­
tionalen Leben, in dem sich „Weltvorstellung” entwickelt, fort­
schreitende Welterfahrung und darin gründendes individuelles
15 Weltbewusstsein, subjektiv ihr geltende Welt, mitbeschliessend
im Horizont die seiende Mitmenschheit. In jeder Monade ist die
individuelle menschliche Selbstobjektivierung transzendentale
Selbstverhüllung. Diese geschieht in Form der raumzeitlichen
Objektivierung als „Seele” ihres Naturleibes, und als eine Seele,
20 die im psychologisierten Für-sich-selbst-sein in gewisser Weise
auch ihr psychisches Sein verhüllt, als für sich selbst bekannt­
unbekannte oder horizonthaft bekannte Person eines psychischen
Lebens, das Natur und Welt in verhüllten ontischen und noeti-
schen Horizonten zur Erscheinung bringt. Wir können auch
25 sagen: Das transzendentale Einzel-Ich, in dem transzendentalen
Status des Daseins als menschliches Individuum in der ihm be-
wusstseinsmässig erscheinenden und fortgeltenden Welt, lebt,
und in verschiedenem Sinne, in einer E n d l i c h k e i t , in d e r
s i c h d i e „ U n e n d l i c h k e i t ” de s S e i e n d e n v e r h ü l l t .
30 1) Fürs erste, als Mensch lebend bin ich mir meiner als end­
liches Wesen in der Unendlichkeit der raumzeitlichen Welt be­
wusst. Aber diese Welt, diese Unendlichkeit als horizonthaft
bewusste und bei allem Leben der Erschliessung des Horizontes
in infinitum horizonthaft verbleibende ist ständig verhüllt auch
35 bei fortschreitender Enthüllung. Und verhüllt ist alles noch so
Bekannte, auch das eigene Menschsein, die eigene Leiblichkeit
und das eigene Ichsein, es ist immerzu in der Endlichkeit, in der
Relativität der Patenz und Latenz, und nach allem und jedem.
Dies ist die Struktur des Daseins als Mensch, des Daseins der Welt
TEXT NR. 23 389

für ihn; und dem entspricht in der Weltlichkeit auch die Struktur
des zur Seele gehörigen Weltbewusstseins und j e d e r m ö g l i ­
c h e n W e l t e r k e n n t n i s als endlicher in einem Horizont un­
endlicher Erkenntnisse, das ist in einer Relativität, in der keine
5 Erkenntnis abschliessende ist. Nicht nur, dass sie unvollständig
ist, sondern auch, dass sie inhaltlich sich verendlichend auch das
endlich Beschränkte nur horizonthaft und unvollkommen zu er­
kennen vermag und ins Unendliche unvollkommen bleiben muss.
Also dies ist das erste. Der Mensch im Stande der Weltlichkeit
10 lebt in der Vorgegebenheit seiner und der Welt, und das ist, er
lebt horizonthaft, lebt im Bewusstsein der Endlichkeit in eine
unendliche Welt hinein.
2) Diese Struktur der Vorgegebenheit der Welt für den Men­
schen, des Menschen für sich selbst, ist es nun, in der in einem
15 zweiten Sinne der Mensch in Schranken der Endlichkeit lebt,
nämlich sofern ihm notwendig im natürlichen Leben als Mensch
sein transzendentales Sein als transzendentale Subjektivität
verhüllt bleibt, oder was einerlei ist, in seiner Menschlichkeit die
transzendentale Subjektivität als verhüllte lebt.
20 Das menschliche Sein ist Sein in der Endlichkeit derart, dass
es beständiges Sein im Bewusstsein der Unendlichkeit ist. Aber
dies Ganze des für sich selbst in dieser Art Endlichseins ist Ver­
hüllung der transzendentalen Subjektivität. Diese Verhüllung
besagt aber etwas total anderes als Horizonthaftigkeit, als Ver-
25 hüllung in der Vorgegebenheit (nämlich des bewusstseinsmässig
ins Unendliche Unbekannten in der Horizonthaftigkeit des Be­
kannten). Mit anderen Worten, es ist nicht die Verhüllung der
vorgegebenen Welt vermöge der inneren und äusseren Unend­
lichkeit, in der sie vorgegeben ist. Die transzendentale Subjek-
30 tivität ist in der menschlichen Weltlichkeit nicht v o r g e g e b e n
und doch in ihr „verhüllt”, sofern der Mensch, der, sich selbst
und die Welt „wissend” und in diesem Wissen für sich Mensch
seiend, transzendentale Reduktion vollziehen und seine Weltlich­
keit durchbrechen kann. Sozusagen eine transzendentale Ver-
35 blendung ist die Weltlichkeit, die ihm vor der phänomenologi­
schen Reduktion, als an den Horizont der Vorgegebenheit Gebun­
denen, das Transzendentale notwendig unzugänglich macht, aber
auch ihm jede mögliche Ahnung davon verschliesst. Man beachte,
dass jedwede n a t ü r l i c h e R e d e mit ihrer natürlichen Bild-
390 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

lichkeit (verscliliessen) verhüllen und dgl.) Rede und Bildlich­


keit aus der Weltlichkeit ist, und daher alle phänomenologische
Rede, sofern sie die natürliche Sprache benützen muss, ihren
Sinn völlig wandelt.
5 Indem aber das „transzendental erwachte” Ich am „Leitfaden”
der zum „transzendentalen Phänomen” gewordenen Weltlichkeit
das transzendentale Eigensein und das sich darin bekundende
Sein der transzendentalen Allsubjektivität systematisch enthüllt,
schafft es „produktiv” einen neuen unendlichen Horizont und
20 eine Erkenntnis als Selbsterkenntnis des transzendental phäno-
menologisierenden Ich, aber auch eine Erkenntnis des Seins
transzendentaler Individualität überhaupt in ihrer unendlichen
und durch neue „Produktion” neu „produzierten” Horizonthaftig-
keit für sich. Diese Horizonthaftigkeit ist die Unendlichkeit
15 evidenter transzendentaler Auslegung, die das phänomenologi-
sierende Ich ins Werk setzt, immerzu den unendlichen Horizont
des noch zu Leistenden vor sich. Dieser Horizont bleibt im all­
gemeinen für die sonstigen transzendentalen Subjekte (mit Aus­
nahme der phänomenologisch erwachten) verhüllt, nämlich ver-
20 hüllt durch ihre Weltlichkeit.
Also der Mensch in seiner Endlichkeit hat eine ihm horizont­
haft bewusste unendliche Welt und ihre Unendlichkeit auch in
jedem einzelnen Sein, in besonderer Weise in der Unendlichkeit,
die im Sein der Seele für sich selbst beschlossen ist. So lebt er
25 in beständiger Verhüllung eigenen weltlichen Seins und alles
Seins als Seins einer Relativität ins Unendliche, in innerer und
äusserer Unendlichkeit oder Horizonthaftigkeit. Aber die anders­
artige Enthüllung, die der Phänomenologe für sich und für alle
Menschen in allweltlicher Interpretation überhaupt vollzieht, die
30 Enthüllung des absoluten, des transzendentalen Seins, zeigt, dass
auch das Leben jedes transzendentalen Ich ein Leben endlichen
Seins in die Unendlichkeit hinein ist, das sich in der Verhüllung
der menschlichen Endlichkeit sozusagen reflektiert und, wiedas
enthüllend interpretierende transzendentale Ich (der Phänome-
35 nologe) sagen kann, sich in der Verhüllung bekundet. Ferner:
In der Weise, wie der Mensch ist, als in seinem Selbstbewusstsein
das Bewusstsein vom Sein der Welt als einer Menschenwelt im­
plizierend, also darin das Bewusstsein von dem seelisch jedem
Mitmenschen eigenen Selbstbewusstsein und Anderer-Bewusst-
TEXT NR. 23 391

sein in intentionaler Mittelbarkeit implizierend, bekundet sich


phänomenologisch die transzendentale Implikation aller tran­
szendentalen Subjekte in jedem derselben.
Das Menschentum ist korrelativ in Selbstentwicklung und in
5 Humanisierung der Welt. Denn der Mensch ist, indem er sich
seelisch, und sich dabei als Person, fortgesetzt entwickelt. Das
vollzieht sich aber korrelativ dadurch, dass er fortgesetzt in
Aktivitäten lebt, aktive Gebilde einzeln und vergemeinschaftet
erzeugt, dass die fortgesetzten Erzeugnisse der einzelnen und
10 Gemeinschaften selbst bewusstseinsmässig konstituiert sind als
seiend und so das menschliche Dasein immerfort eine allbefassende
seiende Welt hat, die alle seine Gebilde, seine Werke, seine Gemein­
schaften in sich aufgenommen hat und weiterhin aufnimmt; und
eben damit humanisiert sie sich, als für ihn, als für uns Menschen
15 seiende, und zwar auch in dem ihm und den Anderen verständ­
lichen Seinssinn einer von Menschen her aktiv gestalteten Um­
welt. Humanisierung ist der ständige Prozess des menschlichen
Daseins, Selbsthumanisierung, Sein in beständiger Genesis der
Selbstgestaltung, und Humanisierung der Umwelt. Als schon
20 humanisierte drückt sie beständig ihre frühere Genesis aus.
Menschliches Dasein, Sein der menschlichen Welt — der Welt,
die für Menschen seiende ist — ist Sein in beständig lebendiger
Geschichte und Sein in sedimentierter Geschichte, die als das ihr
immer neues historisches Gesicht hat, dem die Genesis anzusehen,
25 dem sie abzufragen ist. Die Historie des menschhchen Seins, in
der von ihm her gewordenen Welt, zugerechnet auch das Hinein­
wachsen des Geborenen in diese Welt, das Ausscheiden des Ster­
benden, der generative Zusammenhang und die von ihm ge­
tragene Gemeinschaftsgeschichte als Menschheitsgeschichte —
30 das alles hat transzendentale Bedeutung und wird in phänomeno­
logischer Methode enthüllt. Die Geschichte wird zur Geschichte
der transzendentalen Allsubjektivität, die Gliederung der
Menschheit in Familien, Stämme, Völker, Menschheiten in offe­
ner Endlosigkeit, wobei die Natur sich in Territorien gliedert,
35 wird zur Gliederung der transzendentalen Subjektivität. Freilich,
in der Menschhchkeit ist die Natur als das Ungeistige, das ver­
menschlich immer schon Seiende gegeben. In der transzenden­
talen Interpretation wird die Natur selbst zu einem Gebilde der
transzendentalen Geschichte, einer „ewigen” transzendentalen
392 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

Geschichte. Sie ist in irgendwelchen Stufen immer schon konsti­


tuiert in eins mit der transzendentalen Intersubjektivität, deren
wechselseitige „Spiegelung” sie vermittelt. Was in der Menschen­
geschichte, was in der Gegenwart und allen je erschlossenen
5 Vergangenheiten als menschliche Umwelt auftritt, als die Welt,
welche die historische Menschheit als ihr erscheinende, als ihr
geltende bewusst hat, die Welt der Primitiven, die Welt des
antiken Griechentums, die Welt der römischen Kaiserzeit, auch
die Welt der Wissenschaft in allen ihren historischen Stufen, das
10 setzt sich in anderer Richtung nur fort als tierische Umwelt in
ihrer tierischen Historizität; das wird zum transzendentalen
Index als transzendentales Phänomen Welt überhaupt zur Rück­
frage auf transzendental-noetisches Weltbewusstsein, das in allen
unzähligen Stufen intentional vereinheitlicht werden muss. Mein,
15 des Phänomenologen, transzendental befragtes Weltphänomen
führt in der Auslegung auf das (intentionale, also sinnhaft darin
beschlossene) Weltphänomen der für mich in unendlicher Hori-
zonthaftigkeit seienden Menschen und Tiere. Sie alle treten in
die transzendentale Indizierung und Befragung, und sie alle sind in
20 eins im intentionalen Ineinander weltlich und mein und unser all­
menschliches Phänomen habend. Dieses Weltphänomen'trägt in
sich Welt in ontischer Wahrheit als Idee und als transzendentales
Korrelat der noetisch-noematischen Intersubjektivität. In ihrem
Ineinander, in ihrer transzendentalen Innenbezogenheit und Verge-
25 meinschaftung, tragen sie dieses Korrelat als „Pol” in sich. Der
Pol, ein Pol und zugleich Universalität von Polen, ist aber Pol
einer Entwicklung. Menschliche Natur und Geschichte wird zum
transzendentalen Index der Einheit einer transzendentalen Ge­
schichte, in welcher die transzendentale Subjektivität wesens-
30 massig gewordene ist und wird und in diesem Werdend-geworden-
sein ihr ständiges Sein hat, in ewiger transzendentaler Genesis ins
Unendliche werdend. Ihr Sein ist geschichtliches Sein, ihre Un­
endlichkeit ist geschichtliche Unendlichkeit, die sich in der raum­
zeitlichen Unendlichkeit der Natur bis zu völliger Unverständ-
35 lichkeit verhüllt,1 in der menschlichen Geschichte sich zu einer
relativen Verständlichkeit erhebt, aber alles in allem transzen-

1 Es fehlt Naturgeschichte als Bekundung der transzendentalen.


TEXT NR. 23 393

dental verhüllt bleibt, aber in ihrer Verhüllung verständlich


wird für den Phänomenologen.
Aber der Phänomenologe und die Phänomenologie stehen
selbst in dieser Geschichtlichkeit. Verweltlicht wie alles Tran-
5 szendentale auftretend, bekundet sie eine Entwicklungsstufe der
transzendentalen Subjektivität selbst, die des Durchbruchs der
transzendentalen Selbsterkenntnis der transzendentalen Allsub­
jektivität.

Der Bereich der menschlichen Geschichtlichkeit und


10 die Art der historischen Erkenntnis (jedweden
„Verstehens" historischer Gegebenheiten)

Der Mensch, der in Geschichte steht, treibt einmal „Geschich­


te” (Historie), d.h. er enthüllt die Geschichte, in der er und die
Mitmenschheit, in der er und unter der er lebt, <steht>. Darin
15 liegt auch, er enthüllt die endlose generative Vergangenheit, in
welcher er und seine einheitliche mitmenschliche Gegenwart ge­
worden ist. Das besagt, wie wir wissen: Geleitet von den mittel­
baren Erinnerungen, Denkmälern als Verweisung auf Erinne­
rungen, ebenso Dokumenten usw., die in der lebendigen gemein-
20 schaftlichen Gegenwart da sind, rekonstruiert er in verschiedenen
Evidenzstufen frühere Gegenwarten und schliesslich kontinuier­
liche Zusammenhänge, sich immer weiter verbreitende Strecken
solcher vergangenen Gegenwarten. Jede Gegenwart ist die Welt
als diejenige, die f ü r den Menschen dieser Welt jeweils ist, als
25 die ihm in seinem jeweiligen Jetzt erscheinende, ihm als das und
das geltende, mit den Menschen als denen, die sie ihm einzeln
„für sich” und „füreinander” „sind”, d.h. als was sie sich ge-
wissermassen sehen, auffassen, einander motivieren usw., aber
gemäss s e i n e r Auffassung von ihnen und evtl, seiner be-
30 währenden Begründung. Die Vergangenheiten, die früheren
Gegenwarten, rekonstruiert in seinen Vorstellungen und Urteilen
der Historiker als Mensch seiner Gegenwart und als der sich,
seine Genossen, die Welt dieser Gegenwart so und so in Geltung
Habende, inhaltlich so und so Verstehende. E r versteht dabei
35 seine Gegenwart, sich selbst inbegriffen, und sogar sein Histori­
sieren als geworden, als „gezeitigt” in der historischen Zeit, als
verständliche geistige Folge der Prämissen, die nichts anderes
sind als die kontinuierlich auseinander erfolgenden generativen
394 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

Gegenwarten, „Zeiten”, konkret natürlich als erfüllte mit den


Menschheiten und menschheitlichen Welten je ihrer Zeit.
Der Mensch (die Menschheit im Miteinander) ist in jedem
Individuum und im verbundenen Miteinander tätig, Akte voll-
5 ziehend und im raumzeitlichen Aussereinander der gemeinsam
einheitlich für diese Menschen seienden Welt sich äusserlich dar­
stellend in Handlungen und mitresultierenden äusserlich, raum­
zeitlich allgemeinsam daseienden Werken, daneben auch welt­
lichen Nebenergebnissen, auf die es nicht abgesehen ist, sondern
10 die da sind als doch menschliches Tun bekundend, Abfälle und
dgl. Alle Tätigkeit im menschlichen Zusammenhang, alle Hand­
lung geht in die Welt also mit ein, und zugleich stellt sie sich für
den Menschen verständlich dar mit dem geistigen Gesicht: Hand­
lung, und ebenso, was aus der Handlung als Abgesehenes oder
15 nicht Abgesehenes erfolgt.
Hier muss von vornherein neben dem dinglichen Handeln
auch das sich mit Anderen Verbinden, Verkehren, Verabreden,
sich sozial Personalisieren besprochen werden. Dadurch beant­
wortet sich die Frage, wie treten Freundschaften, Ehen, Vereine,
20 Gemeinden, wie Verträge, Verabredungen etc. in die Welt, wie
Besuche, Gesellschaften, Aufläufe, Demonstrationen etc. Dann
gemeinschaftliche Handlungen, Werke usw.

Menschen in dev Situation. Relativität dev Situation

25 Menschen werden k o n k r e t als M e n s c h e n verstanden in


ihrer k o n k r e t e n S i t u a t i o n , die dem Verstehenden durch
direkte Erfahrung (im Dabeisein) oder indirekt mitgegeben ist.
Beides in seiner Wechselbeziehung erleuchtet sich, denn beides
ist zunächst horizonthaft, mit einem Kern der Bekanntheit und
30 einem Nebel der Unbekanntheit (aber im voraus von einer hori­
zonthaft vorgezeichneten Form der Bekanntheit), gegeben. Das
Reden des Menschen, sein ganzer Ausdruckshabitus zeichnet vor
in Hinsicht auf das schon Verstandene der Situation, was er nicht
nur jetzt sieht, hört etc., und in welcher Orientierung, Erschei-
35 nungsweise, sondern auch sein darüber hinausgehendes Vor­
stellen, Denken, seine Gemütsreaktion, sein daraufhin Tun etc.
Zur Situation gehört das Sachliche (in seinem Bedeutungsge-
TEXT NR. 23 395

sicht) als auch das Personale, die Menschen, zu denen er spricht,


die Menschen, die daneben als Mithörer ihn bestimmen, die
Menschen, die ihn brieflich, etwa in dem Brief, den er in der
Hand hält, angehen etc.1
Offenbar ist Situation relativ zu verstehen. Die n ä c h s t e
Situation, z.B. des Zimmers, in dem der „fremde Besucher” als
5 solcher verstanden wird von den Hausgenossen und evtl, gleich­
zeitigen Besuchern, kommt nicht allein in Frage für das konkrete
Verstehen jener besuchenden Person als solcher. Wird sie oder ist
sie dem Verstehenden bekannt als Mann der und der Berufsstel­
lung, so verweist sie alsbald auf dessen w e i t e r e Situation —
10 freilich zunächst wieder horizonthaft als nur einer allgemeinen
Form nach bekannt werdend, aber sich durch sein jetziges Ge­
haben, und evtl, sehr weitgehend, näher bestimmend. Mensch­
liches Dasein, menschliches Leben spielt sich als ihm selbst
horizonthaft in der beständigen und beständig beweglichen Span-
15 nung der Bekanntheit und Unbekanntheit, der Nähe und Feme
ab, also immer „umweltlich”, in einer Relativität dieser Umwelt­
lichkeit, oder was nur ein anderes Wort ist, in der Relativität der
weltlichen Situation, und in dieser Beweglichkeit besteht seine
beständige H i s t o r i z i t ä t , seine und seiner Umwelt. Wie
20 diese durch sein Leben selbst und für ihn einzeln und für seine
Mitmenschen als ihn erfahrend verstehende sich bereichert und
überhaupt verwandelt, also eine beständige weltliche Genesis
vom Menschen her s c h o n zur l e b e n d i g e n G e g e n w a r t
gehört und ihre Gegenwartshistorizität ausmacht, so ist diese
25 Gegenwart, soweit sie in ihrer Lebendigkeit des sie jeweils ver­
stehenden Bewusstseins reicht, selbst historisch geworden. In der
Lebendigkeit früherer Gegenwart lag ihre Verwandlung in neue
und von da aus in immer neue Gegenwart, wobei im Lebens­
prozess vergangene Gegenwart allmählich ins Dunkel versinkt
30 eines „Unbewusstseins”, während doch die jeweilige Gegenwart
in sich selbst die Vergangenheitshorizonte als dunkle, aber
auch befragbare enthält, natürlich am Leitfaden der bleibenden
und in ihrer zunächst leeren horizonthaften Historizität ver-

1 Das Entscheidende für den Begriff der Situation liegt aber in dem, was erst
S. 3 97f. herausgestellt ist als I n t e r e s s e n h o r i z o n t der jeweiligen lebendigen
Gegenwart jais praktisch weltlicher).
396 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

ständlichen Erwerbe (z.B. alte „unverständliche” Pergamente,


Denkmäler — man weiss nicht mehr, was sie bedeuten, während
sie doch als „Male”, als Grabmale, als Siegesmale etc., kurz,
irgendwie verstanden in der Gegenwartswelt dastehen).

5 Historizität der Welt, die überhaupt für uns seiende ist.


Wissenschaft und Historizität der Welt

Zu dieser Historizität gehört die ganze konkrete Welt als die


jeweils jetzt bewusstseinsmässige Umwelt, die „für” den Men­
schen in seiner menschlichen Gemeinschaftlichkeit in jeder
10 Gegenwart und so in der historischen Kontinuität, die historische
Zeit heisst, da ist; und eine andere Welt hat er nicht und nie
gehabt.
Ist in der Menschheit Wissenschaft geworden, eines der Er­
zeugnisse menschhcher, rein seehsch-personal sich abspielender
15 Aktivität, und zwar vergemeinschafteter Aktivität, die in die
historische Umwelt, wie ahe sonstigen Erzeugnisse der Literatur,
der Wirtschaft etc. eingehen, so hat eben für die Wissenschaftler
(sei es die forschenden oder die lernend-verstehenden) die Welt
nicht anders eine weitere Sinnbestimmung angenommen, wie
20 sonst, was immer schon für die Menschen ist, im Lauf des tätigen
Fortlebens neuen Sinn, Sinneszuwachs, Sinnesumbildungen an­
nimmt und mit diesen dann fortgilt — natürlich bis auf weiteres,
im historischen Prozess der immer wieder im einzelnen wie im
ganzen einsetzenden Sinnbildungen. Es ist hierbei zu beachten,
25 wie alles hier Thema wichtiger näherer Beschreibungen ist, dass
die Welt, also auch Mensch und Menschheit durch die Historie
hindurch für uns alle und in jeder Verständigung eine ist. Als hi­
storische Welt, als die einzeln und im Miteinander bewusstseins­
mässige, jeweils erfahrend apperzipierte, gedachte, mythologi-
30 sierte, verwissenschaftlichte, religiös interpretierte Welt etc., ist
sie in ihrem beständigen Wandel, und doch eine. Im besonderen
Gehalt der Weltauffassungen, unserer und der von uns verstan­
denen Menschen, Völker, Zeiten, mögen noch so grosse Wider­
sprüche sich zeigen, im Wechselverkehr mögen wir über Wahr-
35 heit und Schein streiten, es ist aber d i e s e l b e W e l t —■für
alle selbstverständlich, bewusstseinsmässig dieselbe Welt, die
widersprechend aufgefasst wird, über die gestritten wird. Be-
TEXT NR. 23 397

gründen wir als Wissenschaftler eine Weltauffassung („Weltvor­


stellung”) als wahre, bewerten wir andere Auffassungen danach
als mythologische Supposition oder als wissenschaftlich längst
überholt, so ändert das nichts an der Evidenz des Seins derselben
5 Welt, die auch die Primitiven, die wie immer Irrenden vorstellen,
und die wir nur besser vorstellen, bzw. beurteilen. Innerhalb
dieser Identität also scheidet sich auch mit dem Auftreten histo­
rischer Wissenschaft in steter Relativität wissenschaftlich wa h r e
Geschichte und wissenschaftliche Geschichte als Geschichte.

10 Relativität der Gegenwart — Interessenhorizont1

Die Einheit der Welt im Wandel ihrer Historizität zeigt sich


schon als Evidenz der Einheit der jeweils jetzigen Umwelt, der
Welt in der lebendigen Geg mwart, auf die unser gegenwärtiges
Leben als praktischer Horizont bezogen ist; z.B. für den Kauf-
15 mann die gegenwärtige „Saison”, für den Minister das Etatsjahr,
das Parlament die Session, schliesslich aber für jeden Menschen
sein ganzes überschaubares einheitliches Interessenleben usw. Wie
verschieden die Gegenwart aufgefasst ist, in ihrer allverständlich
beweglichen Relativität, es ist immer eine „überschaubare” Ver-
20 gangenheit und vorgeschaute Zukunft vermittelt um den Spring­
quell des lebendigen Jetzt, der in Wahrheit die eigentlich wache
strömende Gegenwart ist.
Aber das im aktuellen Jetzt tätige Ich umgreift mit seinem
aktuellen Interesse einen besonderen Vergangenheits- und Zu-
25 kunftshorizont als den I n t e r e s s e n h o r i z o n t . Obschon als
Horizont nur gelegentlich in Erinnerungen wirklich anschaulich
vergegenwärtigt, bildet er einen umschriebenen lebendigen dunk­
len Hintergrund, der in dieser beständigen Gewecktheit und als das
in der Bereitschaft zu unmittelbar vermöglicher Rückerinnerung
30 und Vorveranschaulichung wohl unterschieden ist von dem wei­
teren Hintergrund des sedimentierten Lebenshorizontes seiner
sedimentierten Interessen. Jeder Einbruch durch aktuelle, ein
neues herrschendes Interesse ins Spiel bringende Erfahrung
schafft einen neuen Interessenhorizont, eine neue „Gegenwart”.
35 In der „weiten” Gegenwart überschaut der Blick der Wieder-

1 Vgl. Beilage XXV über Interesse und Situation. — Anm. d. Hrsg.


398 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-5932

erinnerung durchlaufend vergangene lebendige Gegenwarten und


vergangene Welten, nämlich die mir und uns gemeinsam damals,
vor einem Jahr, vor zehn Jahren (seit Antritt des Amtes, seit Be­
gründung des Geschäftes etc.), gegolten haben. Es heisst dabei:
5 „so habe ich 'die’ Welt damals angesehen, so sah sie für mich,
für uns aus”. Aber nie hatten wir anderes als die jeweilig uns
geltende Welt, und immer wieder hatten wir eine andere — aber
im Durchlaufen sagen wir nicht willkürlich, sondern notwendig
immerzu, d i e s e l b e Welt — wie sie uns jeweils gilt. Die Geltung
10 mag die Form der Korrektur haben, aber auch vor der Korrektur
war „die” Welt für uns, eben als die Welt, dieselbe in Zeitmodali­
täten und inhaltlich sich wandelnd, aber auch evtl, vom Men­
schen späterer Gegenwart „korrigiert”, und Korrektur selbst
sei nur neue Auffassung desselben, die wieder korrigiert werden
15 mag.
Ich mit mir selbst in Gemeinschaft — mit Anderen in
Gemeinschaft

Es ist darauf zu achten, dass auch diese Einheit der Welt als
Einheit der menschlichen Umwelten nur aus dem wirklichen und
20 möglichen überschauenden, wiedervergegenwärtigenden Be­
wusstseinsleben selbst Einheit ist. Mein eigenes Leben in seiner
Horizonthaftigkeit und im Wechsel seiner jeweiligen Interessen
und Interessenhorizonte, dementsprechend im Wechsel seiner
Erinnerungsrückblicke und Vorblicke, ist m it s i ch s e l b s t in
25 s t ä n d i g e r G e m e i n s c h a f t , es vollzieht in sich selbst und
für sich selbst beständig Synthesen mit diesen Erinnerungsfolgen,
wodurch „die” Welt durch alle zu überblickenden Gegenwarten
hindurch bewusst ist als dieselbe Welt aller dieser wechselnden
Weisen, mir zu gelten, aller der wechselnden Zeitmodi und in-
30 haltlichen Apperzeptionen. Aber in meinem Leben bin ich bei all
dem, in all den Wahrnehmungen, Erinnerungen (Vergegenwärti­
gungen) erinnerungsmässig m it An de r e n, gegenwärtigen,
vergangenen, künftigen, in G e m e i n s c h a f t , in den Modis
jetzt, damals, künftig in Gemeinschaft. D.h. in meiner gegen-
35 wärtigen und vergegenwärtigten Umgebung erfahre ich (in der
Weise der „Einfühlung”) Andere und durch sie hindurch als auch
mir geltend ihre Umgebungen, ihre Bezogenheiten auf dieselbe
uns gemeinsam geltende Welt, als die in meinen selbsteigenen
TEXT NR. 23 399

Synthesen und ihren von mir mitverstandenen und mir mitgel-


tendcn Synthesen identifizierte Welt. Wie ich durch sie hindurch,
ihr Bewusstseinsleben mir durch Vergegenwärtigung zueignend
und mit meinem primordial eigenen Bewusstseinsleben verbin-
5 dend, dieselbe Welt als in eins meine und ihre gegeben habe, so
fasse ich auch sie auf und habe sie in Geltung als Andere, die
ebenso in sich ihre Bewusstseinswelt als dieselbe erfahren, als die
ihnen auch bewusst werdende durch Einfühlung in mich als ihnen
und mir gemeinsame. Eine Einheit des Bewusstseinslebens ist das
10 meine und ist das aller Anderen, mit mir in wirklicher und mög­
licher Einfühlungsgemeinschaft stehenden, und diese, von mir,
und rein aus mir zu erschliessend, haben in sich miterschlossen
als darin beschlossene Seinsgeltung, dass die für mich Anderen in
sich selbst ihre Anderen und darunter mich selbst als Mitsubjekte
15 haben, eben damit in derjenigen Bewusstseinsgemeinschaft mit
mir, wie ich mit ihnen, stehen, in der notwendig für uns alle die
eine Welt ist. Sie ist die eine unseres historischen, das ist eben
lebendigen, in lebendiger Genesis fortschreitenden Daseins — und
ist in ihrer E i n h e i t selbst historisch, den historischen Um-
20 weiten i m m a n e n t e Einheit der Selbigkeit. Jeweils stellt sie
sich mit anderem Seinssinn dar, mit anderen geltenden Bestän­
den, sowohl hinsichtlich des als allgemein durchschnittlich für
jedermann Geltenden, als hinsichthch der besonderen Apperzep­
tionen, die den einzelnen und Gruppen eigentümlich sind.1
25 Das betrifft die Welt durch alle historischen Zeiten hindurch
bis zur gegenwärtigen in ihrer urquellenden und darin bevor­
zugten Historizität. Aber zur Welt gehören auch wir Menschen
alle, wir, von deren Bewusstseinsleben soeben die Rede war, dem
Leben, worin, wie wir sehen, die Welt als durchgehende synthe-
30 tische Einheit sich für uns konstituiert. Was irgendein Mensch ist,
was ich selbst als Mensch bin, was zum menschlichen Sein über­
haupt, in Allgemeinheit gehört, das schöpfe ich natürlich aus
meinem Selbstbewusstsein, das durch den Strom meines Be­
wusstseinslebens in Historizität hindurchgeht, in immer neuer
35 Selbstapperzeption, je nach den in den jeweiligen eigenen Gegen­
warten die Apperzeption bedingenden Motiven. Nur zum Teil
sind es Apperzeptionen mit einem Sinn, nämlich einem mir

1 Hier müsste die apodiktische Seinsweise derselben Welt in Frage kommen.


400 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

als Soseienden zugerechneten Gehalt an Eigenschaften, die mir


durch den Zeitlauf hindurch fortgalten und die mir noch jetzt
gelten, sei es als die ich, das jetzige Ich, noch wirklich habe, oder
die ich, wie ich damals war, wirklich hatte, genau so, wie ich sie
5 schon damals mir, als mir wirklich eigen, zuschrieb. Aber nicht
immer verhält es sich so. Was ich mir jetzt zuschreibe, muss ich
oft sehr schnell als „irrig” preisgeben und mir dafür anderes zu­
rechnen, oder was ich früher mir als mein Sosein zuschrieb, muss
ich nachträglich, und etwa jetzt, als Selbsttäuschung beurteilen.
10 Natürlich auch die für mich Anderen sind für mich in der Histo­
rizität m e i n e r Apperzeption, durch die sie mir gelten mit
ihrem jeweiligen Seinssinn. Zu diesem gehört auch die Wandel­
barkeit ihrer Selbstapperzeption, in der sie für sich selbst gelten,
und der wechselnden Apperzeptionen, in denen sie einander und
15 ich ihnen gelte.

Die ungebrochene Ständigkeit meines Ich in der vorgegebenen Welt


als leibliche Person

Aber hier besteht ein merkwürdiger Unterschied. Im Wandel


meiner Selbstapperzeptionen mag ich mein Sosein wie immer
20 beurteilen, reicher und minder reich, mit dem und jenem Be­
stimmungsgehalt, und bald als täuschenden Schein oder als
Wirklichkeit, ich bin und bleibe in ungebrochener Geltung als
stehendes und bleibendes Ich. Es ist wohl zu beachten, was das
hier in unserem Zusammenhang besagen soll. Nicht etwa handelt
25 es sich um das apodiktische Sein des Cartesianischen ego, viel­
mehr um das Ich im gewöhnlichen Sinne, ich, dieser Mensch, ich,
diese leiblich seiende Person. Ich kann dahin kommen, das Sein
anderer Menschen, selbst derjenigen, die ich wahrnehme, als
Schein zu werten, und nicht nur ihr Sosein. Für meine Anderen
30 ist es nicht so, dass ich, zwar sie subjektiv verschiedentlich apper-
zipierend, ihres Seins beständig gewiss bleibe. Schon darin be­
steht ein auffälliger Unterschied, dass m e i n e l e i b l i c h e P e r ­
s on (ich sage so lieber als „psychophysisches Wesen”, um kei­
nen in die moderne Psychologie hineinführenden Denkzug zu
35 fördern) in m e i n e m G e g e n w a r t s f e l d u n d s c h o n in
jeder engsten urquellenden Gegenwart notwendig
w a h r n e h m u n g s m ä s s i g d a ist, kontinuierlich da, not-
TEXT NR. 23 401

wendig in Seinsgeltung da, und ebenso zu jeder vergangenen und


künftigen Gegenwart, die die meine ist, gehört hat bzw. gehören
wird. Andere Menschen sind einmal in meinem Gegenwartsfeld,
dem der für mich gegenwärtigen Welt, als daseiend, das andere
5 Mal als nicht daseiend. Zudem auch kann es kommen, nach dem
obigen, dass sie in meiner Gegenwart (oder in einer früheren
Gegenwart) als da auf tretend sich für mich in Schein auflösen.
Ich aber habe kein gelegentliches Auftreten. Bei allem, was für
mich da ist, bin ich schon dabei, wie gesagt, in der apperzeptiven
10 Form leibliche Person, die bei allem Wandel des Soseins und der
bald erhaltenen bald durchstrichenen Geltung des Soseins doch
immer die bleibende Form leibliche Person und einen bleibenden
individuellen Sinn (einen in unzerbrechlicher Seinsgeltung in der
Form mit sich erhaltenden) hat und in Gewissheit hält. Der
15 Selbsttäuschung sind keine Grenzen gesetzt, aber nur dem Be­
stimmungsgehalt nach. Denn eine Grenze <liegt> darin, dass ich
dieses menschliche Individuum (wie wenig ich es haltbar be­
stimmen mag) bin, in ungebrochener Gewissheit bin. Damit hat
die Welt, die für mich ist, ein kontinuierliches Zentrum und einen
20 unzerbrechlichen Kernbestand in meinem leiblich-personalen
Sein.
Aber vielleicht noch ein Merkwürdiges. Uber einzelne Mit­
menschen kann ich mich täuschen; ferner, einzelne, Gruppen etc.
könnte ich mir aus der Welt wegdenken, sie dadurch passend in
25 der Möglichkeit abwandelnd. Aber kann ich mich als solus denken
und doch ein Kern der Welt sein, die für mich ist?
Natürlich, die Welt ist nicht mehr dieselbe, sowie ich mir
irgendein Ding aus ihr wegdenke, also auch irgendeinen Men­
schen. Aber man überlege doch, dass die Welt als die uns, als die
30 mir, und vor allen Anderen, vorgegebene und fortgegebene Ein­
heit meiner Bewusstseinsweisen Einheit ungebrochener Geltung
ist in der Wesensform der Horizonthaftigkeit, einer relativen Be­
kanntheit mit einem Horizont, der im voraus ein Spielraum un­
endlicher, obschon dem Stile nach umgrenzter Möglichkeiten
35 ist, Möglichkeiten für Realitäten, deren Ansetzung als seiend
oder nichtseiend uns im voraus freigegeben ist. Aber wohl­
gemerkt, der Horizont ist seinem Stile nach, sagten wir, um­
grenzt, und so sind wir doch nicht völlig frei. So ist dann erst zu
überlegen, inwiefern ich, dessen inne, dass Andere nur durch
402 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

meine Geltungen und letztlich meine erfahrenden Apperzep­


tionen für mich sind, und in allen Gewissheitsmodahtäten, ja als
Möglichkeiten durch Modi meines Umdenkens, nun frei bin, mir
z.B. zu denken, dass ein universales Sterben alles menschliche
5 Dasein auslösche, oder mir zu denken, dass ich bin, der ich bin,
dass ich mich nicht nur wie sonst hinsichthch Anderer in e i n ­
z e l n e n Wahrnehmungen und Erinnerungen täusche, sondern
in allen, durch die für mich andere Menschen überhaupt mit da
sind und welthch waren. Dass ich mich hinsichthch meines Be-
10 wusstseinslebens, hinsichthch meiner seelischen Bestände dann
geändert denke, anders werde, als wie ich mir bisher galt, ist
selbstverständhch. Aber kann ich Ich bleiben, dieser Mensch
bleiben, nur eben etwas anders, mit anderem seehschen Gehalte,
wenn ich alle Menschen, alles ichhche (auch tierische) Sein aus
15 der Welt wegdenke? Ist das so ohne weiteres zu sagen, oder gar
wie bei den Naturforschern als eine naturwissenschaftliche
Selbstverständlichkeit zugrunde zu legen, oder taucht hier nicht
ein ernstes und vielleicht schwieriges Problem auf? Dass ein
phantasiemässiges und hypothetisches Umdenken der Mensch-
20 lichkeit auch die humanisierte Welt, die menschheitlich histo­
rische Gemeinwelt angreift, ist evident, und sie fällt dahin, wenn
wir alle Menschen wegdenken würden, wegdenken könnten. Aber
bleibt nicht die Natur, dieser wesensnotwendige Kern der Welt?
Aber selbst wenn wir das Wesensmässige der Welt gewinnen
25 wollen — wir vollziehen doch die freie Variation, in der wir um­
denken, was in Universalität umzudenken ist, und gerade das ist
ja in Frage. Offenbar können wir das Fragliche auch so bezeich­
nen : Möglichkeiten der Welt als Abwandlungen der uns faktisch
geltenden nach dem uns Geltenden als Faktum, und es dabei den
30 Horizonten überlassend, wie sie nun sich mitvariieren müssten
(da wir sie ja nur fassen können eben durch Besetzung mit Mög­
lichkeiten). Das können wir offenbar ausbilden bis zu einem ge­
wissen Masse in gerader Evidenz. Bis zu einem gewissen Masse,
nämlich gerade für die Form der Natur können wir Argumenta-
35 tionen wie die Kantischen der transzendentalen Analytik passend
gereinigt durchführen. . .
BEILAGE XXIII 403

Fortsetzung, 12. November.

Doch hier gilt es in konkreter Weise vom Faktum auszugehen,


vom Faktum „ich und die für mich seiende Welt”, und die fak­
tische universale Struktur umzeichnend, muss die Methode er-
5 wogen werden, wie das zufällige empirische Faktum vom Struk­
turellen im Wesenssinn sich scheidet, bzw. die Methode, die
Wesensformalien im Faktum zu erkennen, deren „Variation”
unmöglich ist, die im Variierbaren invariant bleiben.
Wie sieht freie Variation meiner selbst aus, inwiefern kann ich
10 Andere frei variieren, und wie beeinflusst das meine freie Varia­
tion? Wieder, <wie kann ich> ein Ding frei variieren?

BEILAGE XXIII
TELEOLOGIE
(etwa 13. November 1931)

15 Bauen wir im systematischen Gang die transzendentale Konstitu­


tion der vorgegebenen Welt von unten auf, so ist zu beachten: Natür­
lich ist gegenüber der We s e n s f o r m das F a k t u m des wirklichen
Gehaltes in seinem strömenden Bestände in der je zu leistenden „Auf­
klärung” v o r a u s g e s e t z t . Das güt ebenso selbstverständlich für
20 das „Absolute”, die transzendentale Intersubjektivität überhaupt.
Das Absolut e, das wir e n t h ü l l e n , ist a b s o l u t e „ Ta t s a ­
che”.
Hier drängt sich folgende Überlegung auf: Durch phänomenologische
Reduktion enthülle ich mei n transzendentales ego als das Ich des uni-
25 versalen „Phänomens” Welt. In der systematischen Enthüllung meines
transzendentalen Seins und des darin transzendental Implizierten fort­
schreitend, in der beständigen Rückfrage der Konstitution, komme
ich (durch die Stufen der primordialen Selbstkonstitution und die
<Stufen >der darin intentional implizierten Konstitution der Anderen
30 und Selbstkonstitution der Anderen für sich und meiner für sie) zur
Erkenntnis des „Weltphänomens” als transzendentaler Leistung der
Verweltlichung der transzendentalen Intersubjektivität (in Form einer
raumzeitlichen Natur, in der psychische Subjekte verleiblicht (ver­
körpert) sind, also konkret als psychophysische Menschen, seiend ob-
35 jektiv in der naturalisierten Welt und zugleich in ihr seiend als sie er­
fahrende, sie erkennende, als durch fühlend Werten in ihr Werte und
Unwerte vorfindend, als in ihr handelnd, auf Wertobjekte gerichtet,
aus ihnen neue Wertobjekte erzeugend als das menschliche Begehren
befriedigende).
404 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

Weiter fortschreitend verstehe ich, dass durch jedes transzenden­


tale Dasein, aber nicht bloss einzeln, sondern in der intersubjektiven
Vergemeinschaftung und als intersubjektive Totalität hindurchgeht
ein Einheitsstreben der „ Ve r v o l l k o mmn u n g ”. Es ist kein Zu-
5 fall, dass der Mensch, immerfort mit Einzelheiten der Erfah­
rung, der Bewertung, der begehrenden und handelnden Abzielung
(Bezweckung) beschäftigt, ni emal s zu ei ner Z u f r i e d e n h e i t
kommt , oder vielmehr, dass keine Befriedigung im einzelnen und in
der Endlichkeit wirkliche und volle Befriedigung ist, und dass Befrie-
10 digung auf eine Lebenstotalität und personale Seinstotalität verweist,
auf eine Einheit in der Totalität der habituellen Geltungen, die alle
Endlichkeit übersteigt. Einheit der konkreten Persönlichkeit ist nicht
eine beliebige Einheit eines dahinlebenden, bald die, bald jene Geltun­
gen vollziehenden Ich, und ebenso Einheit der konkreten Gemeinschaft
15 der Personen in der offenen Historizität der strömenden Zeit und
Welt. Die Persönlichkeit, das aktive Ich, ist in all seinen Aktionen
praktisch, alle Objektivierung ist praktische Leistung, und letzte
Stufe der Praxis in der Ordnung der Objektivierung, der Konstitution,
ist we l t l i c h e Pr a xi s : Sie schliesst von vornherein, und wesens-
20 mässig, als unselbständige Schichten erfahrend, wertend, strebend auf
Verwirklichung (Realisierung) Gerichtetsein, und das ist zur Geltung
Bringen und dann habituell in Geltung Haben, ein. Aber die Person ist
nicht vielfältig, nicht ein leeres Ich in einer Vielfältigkeit von Stellung­
nahmen und Stellunghaben, von Ingeltungsetzungen und Sätzen, im
25 Habituellen gültige Sätze als Erwerb habend. Die menschliche Person
hat ihre personale Einheit in der Einheit ihres mannigfaltigen Strebens.
In all seinen einzelnen Gefühlen ist es als Gefühls-Ich einheitlich; zu­
nächst, in allen seinen Erfahrungen vorweg hat es eine Einheit der Er­
fahrungswelt konstituiert, mindestens als Natur und als Welt der in
30 Natur fundierten empirischen Welt als blosser Tatsache (eine Welt,
die tatsächlich nur ist, aber noch lange nicht, wie sie „sein soll”), und
somit kommt es in sich dazu, alle Erfahrungsgewissheiten mit allem
Erfahrungsinhalt zur einstimmigen universalen Gewissheit, obschon
unter Korrektur, zu bringen: So hat es als Person in sich eine univer-
35 sale Einheit des Lebens, des wirklichen und möglichen, das in Hin­
sicht auf die Erfahrungsgeltungen, auf die erfahrende Habitualität
u n i v e r s a l und im v o r a u s E i n h e i t ist, den beweglichen Stil
eines sich im strömenden Leben in seinen erfahrenden Stellungnahmen
durch Selbstkorrektur ständig erhaltenden Ich. Das ist Einheit der
40 Person als Person, die immerzu Welt hat: die eine einzige Welt als
Tatsache.1
Alles, was schon ist, berührt das Gefühl, alles Seiende wird in Wert­
apperzeptionen apperzipiert und weckt damit begehrende Stellung-

1 Alle objektivierende Konstitution schafft Tradition — die Tradition ist naturale


Tradition, durch Humanisierung der Natur und Sozialisierung erwächst die Welt als
Tradition in ihrer unendlichen Beweglichkeit.
BEILAGE XXIII 405

nahmen, unerfüllte oder erfüllte; in eins damit geweckt Handlungen,


darauf gerichtet, Werte zu erhalten, bereitzustellen, höhere Werte zu
gestalten aus niederen Werten etc.1 Aber nichts bleibt da isoliert, das
Ich „will” auch als wertend Werte schaffendes und Werte habendes,
5 also habituell in seinen wertenden Stellungnahmen sich erhalten und
als wertendes zu einer universalen Einheit kommen, d.h., hier ist eine
notwendige Tendenz dahin. Werte haben ihre besonderen Arten der
Entwertung, nicht bloss vom Sein des Wertobjektes und der antizi­
pierten Werteigenschaften her, sondern auch die Weisen der Entwer-
10 tung, sei es durch Minderwertigkeit im Vergleich mit höheren Werten,
sei es durch die persönliche absolute Forderung des Vorzuges unter
Opfer (uneigentliche Minderwertigkeit). Ferner, objektive Werte sind
zwar Werte für jedermann, aber als zu geniessende nicht jedem zu
eigen. Mit Beziehung darauf, dass alle Werte — objektiven Werte —
15 durch möglichen Verzicht der mit danach Begehrenden für jedermann
realisierbare Werte sind und ihre Objektivität auch speziell darauf sich
gründet, bekommen alle objektiven Werte Beziehung auf absolute
Forderungen (Nächstenliebe).12 Dazu kommt die Steigerung, die alle
Genusswerte (in ihrer Beziehung auf künftigen möglichen Genuss) da-
20 durch notwendig erfahren, dass sie sich in einer Gegenwart häufen kön­
nen und von Gegenwart zu Gegenwart einen Aufschwung des prakti­
schen Daseins herbeiführen, dass Wertverluste übersteigert werden
durch neu erworbene höhere Werte und die Wertsteigerung einer Ge­
genwart überhöht wird durch die einer neuen. Das Tier in einem Stan-
25 de regelmässiger Befriedigung seiner Instinkte und der damit bezeich-
neten Werte lebt in einer endlichen Umwelt in einer beschränkten
Zeitlichkeit (begrenzt durch Enge der Wiedererinnerung und Vorerin­
nerung), in der Periodizität des Hungers (im erweiterten Sinn), anstei­
gend als Hunger in der Leerform und dann sich erfüllend, in der Erfül-
30 lung selbst wieder ansteigend und dann erst absteigend, ist „glück­
lich”. Genauer, es ist hungernd unzufrieden und gesättigt zufrieden,
sich sättigend auch sich voll befriedigend; könnte es sein Leben über­
schauen, das so verlaufende, so könnte es sich nichts Besseres wün­
schen.
35 D er Mensch l e b t in der „ U n e n d l i c h k e i t ”, die sein bestän­
diger Lebenshorizont ist, er übersteigert die Instinkte, er schafft
Werte höherer Stufe und übersteigert diese Werte. Jeder Mensch findet
sich in einer endlos offenen Werte-Welt, und zwar Welt praktischer
Werte, die „in injinitum” zu übersteigern sind, die in Steigerungen
40 menschlich erwachsen sind. Alles, was man schafft, verweist auf Bes­
seres3 und hat im allgemeinen ein Besseres, das schon Andere erwor­
ben haben, das man aber nicht selbst gemessen kann, neben sich.
1 Werte — nicht etwa, als ob alle Werte Genusswerte, Werte des Gefühls wären
und praktisch hedonische Werte.
2 Hier Konflikte, Widersprüche, Einstimmigkeit durch Widersprüche hindurch,
sie „aufhebend”.
3 Aber das ist gefährlich, das „Bessere” — das klingt hedonisch.
406 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

Der Mensch und dann die Menschheit ist in unaufhörlicher Bewe­


gung — im Streben nach einer Werte-Welt für ihn, einer Werte-Welt
für alle, die allen zugleich Möglichkeiten der Glücklichkeit geben könn­
te, für jedermann das Gesicht einer Werte-Welt, für ihn geniessbar.

5 Hedonische, „sinnliche" Werte und die „geistigen" Werte, Werte der Liebe.
Aber das alles deutet nur die niedere Glücklichkeitsstufe an. Die Un­
endlichkeit als Lebenshorizont jedes Menschen, sofern sein Lebens­
horizont die Unendlichkeit der generativen Menschheit umfasst, und
für ihn als erschlossener, bringt Tod und Schicksal in den Horizont
10 und die Möglichkeit des Selbstmordes, auch die Möglichkeit eines in­
tersubjektiven „Selbstmordes”. In der erschlossenen Unendlichkeit ist
Glückseligkeit ein Widersinn. Dazu: Von vornherein sind nicht hedo­
nische Werte da; hedonische Werte haben ihren Ursprung im Genuss,
letztlich in sinnlichen Gefühlen, und sie verwirklichen sich jeweils im
15 Genuss. Alles Streben, sie zu erzeugen, ist Streben, eine Art Genuss
„gegebenenfalls” praktisch vorzubereiten, zu ermöglichen.
Die Werte der Person, <nicht> in dem Sinn derjenigen, die sie als
blosse Bereitschaften des Genusses hat, sondern die ihren „wahren
Wert” ausmachen, diejenigen, um deren willen sie geliebt wird, so wie
20 alle spezifisch „geistigen” Werte, entspringen aus ganz anderen Quel­
len, den Quellen der Liebe im prägnanten Wortsinn. In diesem ist
L i e b e s g e n u s s ein W i d e r s i n n (daher Brentanos „Phänomene
der Liebe” schon im Titel einen grossen Irrtum ankündigt). Die Liebe
— liebend sich im Anderen verlieren, im Anderen leben, sich mit dem
25 Anderen einigen1, ist ganz und gar nicht hedonisch, obwohl sie Freu­
den, „hohe” Freuden begründet. Hier muss auch die Art des „Wertes”
und Wertvergleichs zwischen personalen und hedonischen Werten an­
setzen. Alle aus personaler Liebe entsprungenen Werte, nicht nur die
der Person selbst Wert geben, haben die Eigenschaft, dass sie selbst im
30 „Genuss”, d.i. in der Erfahrung als Werte, in der wertenden Freude
(negativ Unfreude), liebender Hingabe bedürfen; eine liebende Hin­
gabe, die umgekeimt jeder Person, die sie übt, z.B. die Hingabe an
Werke der hohen Kunst, einen Zuwachs personalen Wertes rückstrah­
lend erteilt.
35 In aller Liebe liegt Verehrung, in aller Verehrung Seligkeit als
wesensmässige Mitgabe. Man darf wohl diese Seligkeit dankbar erfah­
ren, und doch liegt hier eine gefährliche Perversion nahe, dass man die
liebende Hingabe als blosses Mittel des Genusses behandelt und ihr die
Hingabe an die Lust unterschiebt. Das liebende Streben erfüllt sich
40 nicht in der Lust, sondern im Gegenteil, diese ist nur Begleitfolge der
Erfüllung.
Das führt auch auf das Problem der „Schönheit” der Natur. Ist das
eine bloss sinnliche Schönheit (Naturgenuss), oder liegt darinnicht eine

1 Aber nicht wie im Verhältnis von Herrn und Diener oder Sklave.
BEILAGE XXIV 407

instinktive Liebe und für den entwickelten Menschen eine mit ver­
borgenem geistigen Gehalt gespeiste Liebe ?
Liebe in verschiedenen Formen und Stufen. Korrelate: Verehrung,
Ergebung, Seligkeit, beseligende Schönheit.
5 Sinnliche Gefühle als Beimischungen bei aller Seligkeit. In der Hin­
gabe an das Liebesgefühl kommen wohl auch die sinnlichen Kompo­
nenten zur Überbetonung. Aber das alles muss neu durchdacht werden.
Vgl. die alten Manuskripte ?

BEILAGE XXIV
10 WISSENSCHAFT IN DER VORGEGEBENEN („HISTORISCHEN” )
WELT. ONTISCHE UND HISTORISCHE WISSENSCHAFT
(13. und 14. November 1931)

<Inhalt: >Der Staat das notwendig Erste und Leitende der Geschichts­
schreibung. Struktur der Humanwelt, Heimwelt etc. in eins mit der Ver-
15 einheitlichung von Menschheiten (von der Familie an). Vereinheitli­
chung und Herrschaft — Staat. Begriff der Alltäglichkeit, Begriff des
Privaten.

Die Wissenschaftler und ihre Wissenschaft selbst in der Welt, die


ihrerseits nur ist in historischer Relativität als in der transzendentalen
20 Historizität sich konstituierende Einheit, als Welt für den Menschen,
der in der konstituierten Welt konstituierter Mensch ist, sich ihm
historisch darstellend, wobei er selbst in historischer Darstellung je­
weils sich darstellt. Ihm stellt sich aber in der historischen Erinnerung
und schliesslich, in Historie übergehend, in der Relativität der über-
25 lieferten Welt- und Menschendarstellungen eine durchgehende Einheit
d e r s e l b e n Welt dar, derselben, die ihm jetzt als gegenwärtige gilt,
und derselben, die er, von sich aus früherer Geltung übernehmend und
an ihr Kritik und Korrektur übend, als durch die historischen Zeiten
hindurchgehende vergangene und als künftige historisch setzt. Diese
30 Historie als Gebilde des gegenwärtigen Menschen und objektiv sich
einfügend in seine Gegenwartswelt — als literarisches Werk der all­
gemeinen Literatur, wie korrelativ hinsichtlich des subjektiven Vor­
stellens, Denkens, Kritisierens des historisierenden Menschen — un­
terliegt selbst der historischen Wandlung, ist eben selbst Moment der
35 geschichtlichen Welt, die eben diese Gegenwart mit ihren Historikern
überschreitet, in historischer oder weltlicher Zeitigung und Zeitlich­
keit ein Moment des fortströmenden Stromes. Dasselbe gilt natürlich
von jeder Wissenschaft in eins mit ihren Wissenschaftlern, anfangend
und strömend sich fortbildend in der historischen Zeit.
40 Wissenschaft hat die Welt zum Thema, in der sie selbst als ein
weltliches Gebilde auftritt.
408 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

1) Wissenschaft in der Natürlichkeit, Wissenschaft des Menschen,


der in naiver Weltlichkeit lebt;
2) Transzendentale Wissenschaft.
H i s t o r i e : Ihr Thema <ist> der Mensch in der schon menschlich
5 gestalteten Welt; der Mensch in der Aktualität seines strömend gegen­
wärtigen Daseins, in seiner Umwelt, zunächst in seiner alltäglichen,
jeweils gegenwärtigen Heimwelt, sie als sein Lebensboden, seine Habe,
die vertraute Periodizität der Tages- und Jahreszeiten, auch Jahres­
folgen mit der zugehörigen Periodizität der Bedürfnisse, der auf sie
10 bezogenen Lebenstätigkeiten und in ihnen erzeugten Erwerbe der Vor­
sorge — so also der Mensch von seiner altvertrauten nächsten Umwelt
affiziert und in ihr erfahrend, überlegend, wertend, handelnd, zu ihr
als erfahrener und lebendig horizonthaft gegenwärtiger sich verhal­
tend: in Stellungnahmen, in Handlungen, in Zuständlichkeiten, von
15 dem Lebensverlauf aus in Zuständlichkeit der Stimmung und Miss­
stimmung. In all dem zeigt er bzw. gewinnt er Charakter, zeigt er seine
ursprüngliche Individualität und entwickelt in ihr seine erworbenen
Charaktereigenschaften. All das gehört zum Bereich der Erfahrung
jeder Gegenwart und wird vom Menschen-Ich selbst in konkreter Indi-
20 vidualtypik aufgefasst, im Leben durch Gespräche ausgedrückt, deren
Allgemeinheiten eben das Typische zum Ausdruck bringen im Indivi­
duellen der selbstverständlichen Situation.
Der Mensch in seiner Gegenwart ist je nachdem bewegt von seinen
praktischen Interessen. Aber der Mensch hat nicht bloss Interessen
25 der nächsten Nahsphäre, und <fürihn> als Menschen der entwickelten
Kultur ist Leben, ist Streben und Glück, das sich für ihn im Heimrah­
men hauptsächlich abspielt, aber ihn selbst in fremde Heimsphären
hineinführt, bezogen auf seinen strukturierten Horizont als seinen to­
talen Lebenshorizont. Die Gliederung des totalen Horizontes in näher
30 und ferner, die Gliederung des Lebens als Lebens in einer nächstver­
trauten Alltagssphäre, deren völlig vertrauter Stil auf dem Boden des
lebendig Anschaulichen der Gegenwart durchbrochen wird durch Vor­
kommnisse, die eine fernere Bekanntheit haben und in die ferneren
Horizonte hineinziehen, wie diese im ganzen vage bleiben können und
35 nie die vollkommene Vertrautheit des nächsten Heimhorizontes haben
etc., das ist Thema schwieriger intentionaler Strukturanalysen. Das
Leben eines heimatlich, in dem Altvertrauten sich betätigenden Men­
schen, der doch Stadtbürgerist, Staatsbürger ist — Worte, die über das
alltägliche Leben und seinen Nahhorizont hinausweisen. Vorkommnisse
40 eines Ausnahmestiles (als Ausnahmen doch von einem allgemeinen
Typus, Streit, Mord, Diebstahl etc.), bezogen auf Staatsgesetze, auf
Amtsgerechtigkeit, Landesgerechtigkeit etc. Im Nahen auch ein Appa­
rat, der in das Allgemeine, Umspannende der bürgerlichen Gemein­
schaft, des Staates und seines Staatsapparates hineingehört, der Dorf-
45 schulze, die Stufen der Oberbehörden etc.
Der Staat hat um sich andere Staaten; die Natur, die Boden gebende
in jeder Nahsphäre, reicht weiter, von Dorf zu Dorf, schliesslich sind
BEILAGE XXIV 409

alle Dorffluren, dörflichen Territorien Bestandstücke des Staatsterri­


toriums. Dieses hat ausser sich die fremden Staatsterritorien, in ähn­
lichen Gliederungen. In der Gliederung der Lehensinteressen hat das
alles Bedeutung, Interesse am Heim und Wohlergehen im heimatlichen
5 Dasein reicht durch diese Gliederungen hindurch und verflicht die
ganze Staatsvolksgemeinschaft gemäss ihren inneren Gliederungen,
ihren stets territorial sich umzeichnenden.
Das ist nun ein Hauptthema für die Klärung der Aufgabe der Hi­
storie und universalen Geisteswissenschaft. Der Staat ist das erste
10 Thema der universalen Geschichtsschreibung, und diese ist keineswegs
von vornherein u n i v e r s a l e Geschichtswissenschaft als Fachwis­
senschaft in rein theoretischem Interesse (was vielmehr ein ganz und
gar Spätes ist, nachdem längst schon sonstige Fachwissenschaft aus
rein theoretischem Interesse am Werke ist). Jeder hat seine individu-
15 eilen Interessen und braucht für sie Spezialerfahrungen und Erkennt­
nisse, obschon im Nächsten eines alltäglich vertrauten Stiles (einer
Vertrautheit ursprünglichster Art). Aber Kenntnis des Staates, in dem
man lebt, und der Staatsgeschichte ist ein allgemeines Interesse, oder
deutlicher, der Staat bezeichnet einen allgemeinen Interessenhorizont
20 und ist selbst Gegenstand eines Interesses für jedermann in gleicher
Weise, und im Dienst dieses Interesses ist das Wissen über ihn und
seine Geschichte, also selbst ein Interesse für jedermann.
In der Polis sind die Einrichtungen des Staates jedermann vertraut,
und es scheidet sich in der heimatlichen Sphäre:
25 1) eine Schichte des gewöhnlichen einzelnen und sich vergemein-
schaftenden bzw. vergemeinschafteten Lebens als privaten Lebens;
das der einzelnen geschlossenen Familie, das des geschäftlichen Ver­
kehrs, das der Bewirtschaftung des Familienterritoriums, des Fami­
lienbesitzes, das des sich nachbarlich Aushelfens, sich privat Verabre-
30 dens, auch Güter Austauschens, ohne an Staatsgesetze, an staatliche
Gebote und Verbote zu denken; andererseits
2) das Staatliche, die Schichte der auf Streit und Ausgleichung des
Streites, auf geordnete Allgemeinschaft bezüglichen Einrichtungen
(als Gesetzesordnung des Handels und Wandels) der Pojis. Dazu
35 die Einrichtungen zur Sicherung der Polis, also der Lebensmöglich­
keit der politischen Gemeinschaft gegenüber den Aussenstaaten. Im
höher entwickelten Leben der Menschheit nach höheren Staatsord­
nungen haben wir Ähnliches in jedem Dorf, jeder Stadt, sofern jede
eben auch etwas von einer Polis hat, eine Regierung und Ämter, aber
40 diese eben nicht selbständig, vermöge der Ordnung im Aufbau des
Staates.
Jeder als Subjekt des privaten Lebens ist Privatmann, als unter
Staatsgesetzen stehend und als Mitglied der Staatsgemeinschaft ist
<er> Bürger. Im normalen staatüchen Leben verläuft das gesellschaft-
45 liehe Leben der Staatsgemeinschaft in jeder Gegenwart in gewohnheits-
mässig gewordenen Formen, und zwar von jedem Einzelsubjekt aus in
seiner lebendigen Gegenwart in gewohnheitsmässigem Stile. Die aus-
410 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

sergewöhnlichen Einbrüche und ihre Einordnungsformen haben selbst


wieder einen Normalstil etc.
Für den Bürger des höher entwickelten Staates ist die komplizierte
Staatsordnung nicht mehr etwas in eins mit dem durch Sitte und Staats-
5 recht geregelten Handel und Wandel Vertrautwerdendes und konkret
Bekanntes und ebenso nicht die Verflechtung der Interesseneinheit
des eigenen Staates mit der anderer Staaten in den Formen bald fried­
licher politischer Verständigung, bald kriegerischer Auseinanderset­
zung. Um hier zu verstehen, muss man nun auch fremde Staaten und
10 Staatsgeschichten oder die Einheit der Staatengeschichte, die Ge­
schichte der Staatengemeinschaft, in der der eigene Staat Glied ist,
erst kennenlernen, und das ist ein Allgemeininteresse für jedermann,
und jeden als Bürger seines Staates.
Dem dient also Historie — voll umfassend die Rechts- und Staats-
15 Wissenschaft, die Geographie, die Rechtsgeschichte, die „politische"
Geschichte etc. Hier haben wir also ein universales Wissen, als freilich
meist latentes, unausgebildetes Interesse für „jedermann”, mitgehörig
in seiner Dienlichkeit zu allem Interesseleben des Menschen, eben als
Bürgers, der er immer schon ist, hineingeboren in ein Staatsvolk.1
20 Freilich ist der Staatshorizont, der für jedermann da (aber norma­
lerweise nur als jeweiliger Horizont der Gegenwart), aber unbe­
kannt ist, nicht so leicht in Kenntnis zu verwandeln. Da haben wir
wieder eine eigene Einrichtung: Es sind berufsmässige Rechtskundige
da, welche das Recht lehren, berufsmässige Politiker etc.
25 Welche Motivation weckt die historische Vergangenheit, so dass sie
immer neu wirkend die unendliche Vergangenheit weckt und zu le­
bendiger, wirkender Gegenwart macht ?
Andererseits, in der praktischen Einstellung ist das Wissen vielfach
befangen, durch jeweilige Mächte in Dienst genommen und verfälscht.
30 Das, wie alles Ähnliche, gilt von jeder Besinnung im Dienste irgend­
einer Praxis. Demgegenüber Wissen im theoretischen Interesse, Wis­
senschaft, Wissen des unbeteiligten Zuschauers und Forschers. Und
solches Wissen dann im höheren Masse praktisch zu verwerten und ein
Dienliches für jedermann.

1 Aber es ist doch erst zu erwägen die Frage, wie weit praktisches Interesse
Universalgeschichte und universale Geisteswissenschaft motiviert. Der praktische
Mensch lebt in seiner praktischen Gegenwart, und Gegenwartsinteresse weckt, moti­
viert zur Besinnung, führt in die Vergangenheit und erweitert so das gegenwärtig
Relevante oder die wirksame, breite Gegenwart. Aber die gesamte historische Ver­
gangenheit und die gesamte historische Mitgegenwart? Zudem, in der entwickelten
Kultur ist das Berufsleben entwickelt und spezialisiert und sind geschieden Berufe
der sinnlichen Bedürftigkeit, der leiblichen Selbsterhaltung, und geistige Berufe —
entsprechend geistige Güter. Die Mitgegenwart selbst in ihrem Güterbestand ist als
allgemeine unbekannt. Dazu aber die überstaatlichen Verbindungen, Einheiten der
geistigen Kultur, welche die Scheidung machen zwischen Staatsvolk und Kulturvolk.
Das alles ergibt Formalien für den Aufbau des Menschentums. Der Mensch in der
Selbsterhaltung, der einzelne als entwickelter Kulturmensch in staatlicher Selbst­
erhaltung, in „geistiger" etc.
BEILAGE XXIV 411

Wissenschaft auch als Historie geht auf das „Allgemeine” (Be­


schreibung dieser „Allgemeinheit”!) und als Erstes auf das Allge­
meinste, das ist das Politische, und dann erst auf das Besondere in
seiner strukturell umzeichneten Individualtypik. So auch auf das
5 Kulturelle der Geistigkeit, die eine neue Universalität eröffnet. Das
Allgemeine, die verharrende Form, in der eine Menschheit individu­
elles Dasein hat, und das jedes Individuum in seinen wechselnden in­
dividuellen Tätigkeiten etc. allgemein Angehende. Aber in der Hi­
storie ist es konkret ausgefüllte Form, individuelle, aber die Form
10 muss ausgeprägt sein.
14. November 1931
Stufen der Kultur, Stufen in der Ausbildung von Umwelten, von
geo-historischen Horizonten.
Der Mensch und sein Heim, Familie und Familienheim. Heim als
15 die engste „alltägliche” umweltliche Gegenwart, dieselbe für die Fami-
liengenossen. Jedes Heim hat seine „Aussenwelt”, aussenweltliche Ge­
genwart, Heim-Umwelt. Welt, Umwelt, ist zunächst immer die aktu­
elle, die konkrete Gegenwart als die für den tätigen Menschen seiende.
Ein Stamm als Familiengemeinschaft in Symbiose hat sein (stabiles
20 oder bewegliches) Heim höherer Stufe, „Dorf”, dörfliches Territorium.
Gemeinsame Innenwelt für alle Familienheime, einzeln und in dörf­
licher Allgemeinsamkeit in neuer Weise (Wohnung, Wohnstätte, aber
nicht auf das bloss Dingliche angewendet). Das Dorf hat wieder seine
Aussenwelt. Heimat im engsten Sinne, eine vergemeinschaftete
25 „Menschheit” im engsten Sinne und Umwelt, Lebenswelt (gegenwär­
tige, jetzt seiende für diese Menschheit) im engsten Sinne. Doch ist da
von vornherein zu scheiden:
1) Die innere Umwelt, die „ A llta g sw e it”, in der das alltägliche
Leben in seinen normalen Formen der Alltäglichkeit sich abspielt,
30 wozu ein Interessenkreis der Alltäglichkeit gehört.
2 ) Die äussere Lebenswelt, die Weltsphäre, der nicht mehr „alltäg­
lichen” Lebensinteressen — aber noch Lebensinteressen.
3) Der äusserste Welthorizont.
Aber dabei haben wir wieder ein Doppeltes zu scheiden. Der Mensch
35 hat unter dem Titel Heimat und ausserheimatliche Welt:
a) vorgegeben sein ursprüngliches generatives Gemeinschaftsleben
(symbiotisch) und Umwelt als Umwelt des Handels und Wandels, des
im menschlichen Miteinander Tuns und Leidens. In dieser Hinsicht ist
sein Heim das des familienhaft gemeinsamen Lebens, und es ist Fami-
40 lienheim in der dörflichen Gemeinschaft der Heime. Das Dorf ist wie­
der „umgeben” von anderen Dörfern, miteinander herrschaftlich ver­
bunden oder nicht. Es macht in dieser Hinsicht keinen prinzipiellen
Unterschied, ob Dorf im wörtlichen Sinne auf „sesshaftes” Dasein be­
zogen ist oder Nomadenstamm ist. Die „Fremde”, der Aussenhorizont
45 ist wieder menschlich-gesellschaftlich und nach heim und relativ
412 .CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

fremd gegliedert. Für jedes Dorf, bzw. für jeden Menschen seiner
Heimsphäre als Sphäre der „Alltäglichkeit” ist die Fremde mit da;
aber die Fremde ist selbst in verschiedener Weise Lebensumwelt, In­
teressenwelt für den in seiner Heimat Lebenden, auf sie beständig in
5 Handel und Wandel Bezogenen. Die äussere Interessenweit ist, frei­
lich je nach dem Stande der Kulturentwicklung (das sagt hier: der
Stufe der Vergemeinschaftung der Menschen und menschheitlichen
Einheiten in fortschreitender Vermittlung und wirksamer Vereinheit­
lichung durch die Vermittlungen hindurch), nähere und fernere mensch-
10 heitliche Umwelt, und je nach der Ferne in einer verschiedenen Hori-
zonthaftigkeit, in verschiedener Stufe der Bekanntheit und Unbe­
kanntheit in „Bereitschaft”, als lebendiger, stets in verschiedener
Kraft wirksamer Horizont.1
<b) > Es besteht stets ein Grundunterschied: Wir ziehen in Betracht
15 die Einheit der Herrschaft, die Einheit einer willensmässig vergemein-
schafteten und geregelten Daseinsordnung, welche als „ s ta a tlic h e ”
den fremden Dörfern, Gemeinschaften (jede in sich eine herrschaftliche
Einheit, wie schon die einzelne Familie als engste Heimgenossenschaft)
Einheit gibt in ihrer Mittelbarkeit. Die letztere besagt: Das Dorf, mein
20 Dorf, <hat >sein nächstes oder seinen Umkreis von nächsten „anderen”,
fremden Dörfern, die Nachbardörfer, diese haben (für uns Dörfler, die
meines Dorfes, apperzipiert und stets in Bewusstseinsbereitschaft ge­
genwärtig) wiederum ihre nächst fremden Dörfer oder Nachbarn usw.
Diese Mittelbarkeit bedeutet zugleich eine Mittelbarkeit der über die
25 „Alltäglichkeit” hinausreichenden Interessen- und Lebensverbunden­
heit, neben derjenigen, die irgend jemandes Alltäglichkeit aktuell ver­
binden kann mit der Fremde und mit fremden Alltäglichkeiten. Wir
haben im Einzelleben Handel und Wandel mit den alltäglichen Heim­
genossen (und schon gegliedert nach Familiengenossen und Familien-
30 fremden), andererseits zwischen Dorfgenossen und Fremden, nach­
barlich-dörflich Fremden oder ferneren Fremden. Aber über all diesen
„Handel und Wandel” hinaus haben wir die Einheit der staatlichen
Verbundenheit, die über allen Handel und Wandel reicht, allen in ge­
wisser Weise umgreift und jeden einzelnen in Beziehung setzt zur
35 „Regierung”, eine Beziehung, die in einem entwickelten menschlichen
Sein über die Heimsphäre hinausreicht. Damit sind wir nicht zu Ende
— Krieg und Frieden mit anderen Staaten.
Staat ist eine Einheit durch Macht, durch Herrschaft. Sie finden wir

1 Hier ist beizufügen: Das Leben und die aktuellen Interessen der normalen all­
täglichen Stilförmigkeit können die Ferne, die Fremde der verschiedenen Stufen in
verschiedener Weise lebendig haben und einbeziehen. Handel in die Ferne in ver­
trauten Formen sich vollziehend, daheim und durch Reisen. Verstehen wir unter
Alltäglichkeit den aktuell lebendigen Gegenwartsstil menschlichen Tuns und Leidens,
menschlichen Strebens, Wirkens, Schaffens mit dem aktuellen Interessenhorizont,
so finden wir einen Grundunterschied in der Struktur dieser Alltäglichkeit durch die
Unterscheidung des Privaten und des Staatlichen.
BEILAGE XXIV 413

schon in der Familie. Es scheiden sich auch in jeder Familie (jeder Zelle
des sozialen Gewebes) die Herrschaftsfunktionäre, der Herr der Fa­
milie, der Vater als Herrscher (die Mutter in ihrem mütterlichen und
hauswirtschaftlichen Herrschaftsbereich, der ausgezeichnete Bereich
5 der heranwachsenden und noch unreifen, noch nicht in die Gemein­
schaft der Vollmenschen gerechneten, für sie erst zu erziehenden
Kinder). Im einzeldörflichen Verband haben wir dann wieder Funk­
tionäre der dörflichen Herrschaft und die dörfliche Bürgerschaft als
die durch Herrschaft in ihrer bürgerlichen Freiheit Geregelten. Im
30 Verband der Dörfer haben wir, seine Mittelbarkeiten übergreifend, wie­
der Funktionäre der Herrschaft. Die allübergreifende staatliche Herr­
schaft regelt alle Herrschaften, hinsichtlich deren alle herrschaftlich
Funktionierenden funktionsmässig Untergeordnete sind. Die Funk­
tionäre der Staatsherrschaft (im einfachsten Falle ein einziger, der
35 Herrscher über alle) haben ein Funktionsleben, das sich vom alltäg­
lichen Leben, dem des normalen „Bürgers” unterscheidet.
Genauer gesprochen, wir müssen unterscheiden das alltäglich ge­
wöhnliche, das zur generativen Ursprünglichkeit gehörige und gefor­
derte Leben, in dem vor allem für die periodisch wiederkehrenden in-
20 stinktiven Lebensbedürfnisse, die der untersten Stufe, gesorgt werden
muss. In gewissem Umfang lebt jedermann in der Alltäglichkeit, aber
dieser Umfang, als Umfang der in ihr verlaufenden Lebenstätigkeiten,
ist vermöge der Entwicklung des Menschentums ein sehr verschiede-
der. Und zwar dadurch, dass die Tätigkeiten der staatlichen Funktio-
25 näre (vom Staat aus gesehen im Dienste des Staates und seines obersten
staatlichen Funktionärs, während andererseits vom Individuum und
der Familie aus der Staat mit all seinen Funktionen im Dienste der
Selbsterhaltung eben des Individuums und der Familie ist) besondere
Tätigkeiten sind, die für sie die Interessensphäre und das Leben des
30 „Alltags” einschränken und notwendig, je höher die Entwicklung des
Staatsmenschentums ist, um so mehr einschränken. Im Staat scheidet
sich das Private und das Staatliche, und es scheiden sich auch die
Menschen in solche, die normalerweise ganz in der Alltäglichkeit, im
Privaten aufgehen, was einen bestimmten Begriff von Alltagsmenschen
35 ausmachen würde, und solche, die „berufsmässig” staatlich beamtet
sind, Staatsfunktionäre, und eine neuartige Alltäglichkeit, Normalität
von Lebensinteressen und Lebenstätigkeiten haben. Für sie ist das ur­
sprünglich Alltägliche das Sekundäre, wenn auch nicht geradezu Ano­
male, da es sich stets meldet und seine Fürsorge braucht, die aber se-
40 kundär wird und zum grössten Teile ihnen abgenommen ist durch die
Organisation der alltäglichen Gemeinschaftskultur und die ihr zuge­
hörige Gliederung der privaten Berufe, der durch sie ermöglichten
Güteransammlungen, durch die (staatlich geordnete) Geldwirtschaft
usw. Andererseits, im privaten Leben, in seinen verschiedenen Berufs-
45 formen als Formen des ganzen Interessendaseins und Interessenlebens
der privaten Menschen, fehlt es nicht an Lebensweisen staatlicher
Funktion. In gewisser Weise ist jeder gelegentlich Funktionär, aber
4M „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

eben nicht in der Weise des Berufes, der ständigen Hinrichtung darauf
und in der Weise ständig einheitlicher Auswirkung dieser Willens­
richtung. Sowie der Beamte als Beamter mit ihm in Konnex tritt,
wird er zum Bürger oder wird er als Bürger aktuell und steht damit
5 in Korrelatfunktion. (Dafür natürlich tritt als Ersatz ein das amtliche
Schreiben, der Steuerzettel etc.)
Das alles ist aber noch nicht befriedigend. Was hier kontrastiert ist
oder als Unterscheidung versucht worden ist als „Privates” und Staat­
liches, bedarf noch der Überlegung :
10 1) Der Privatmensch gegenüber dem Staatsmenschen ais Staats­
beamten, als Verwaltungsbeamten, Militär etc.
2 ) Der Mensch überhaupt in seinem Privaten in dem Sinne, dass er
keine staatliche Funktion übt, wie z.B. gelegentlich als Wähler, oder
als Zeuge vor Gericht gezogen, oder zur Steuer aufgefordert etc.
15 3) Der Bürger, ob Beamter oder nicht Beamter, lebt in einer norma­
len, gewohnheitsmässigen Form der Alltäglichkeit, innerhalb deren er
als Normalbürger sich in den Grenzen, welche das Staatsgesetz steckt,
also denen des Rechtes, hält. Hier scheidet sich das rechtlich Geform­
te, bewusst staatsmässig Geforderte, und das rechtlich Freigelassene —
20 allgemein Private. Also demnach innerhalb der positiven Rechtssphäre
gegenüber den alltäglichen, den gewohnten innegehaltenen Formen all
das, was man im Auftrag der Regierung in eine Staatsfunktion tretend
tut: Geschworener, Wähler etc.
Vom Staat und Recht aus gesehen ist das Private (nach 3) das der
25 individuellen Freiheit Überlassene, hat aber als das seine Rechtlich­
keit, also Herrschaftsform. Indessen bleibt doch das übrig, dass im
Leben des Menschen in der menschlichen Gemeinschaft zu unterschei­
den ist zwischen dem, was bewusstseinsmässig keine juristische Form
hat, keine Verweisung auf das Recht, und dem, was sie hat. Mein täg-
30 licher Gang zum Mittagstisch und die Betätigung des Essens hat solche
Form nicht. Ebenso für den Landmann sein Bestellen des Ackers, seine
Betätigungen nach den Jahreszeiten etc. Das Einkäufen des täglichen
Lebens lässt nicht an Juristisches denken, und das freundschaftliche
Sich-aushelfen auch nicht. Aber der Kaufmann, sich zu sichern, sorgt für
35 die Innehaltung der rechtlichen Formen im kaufmännischen Verkehr
mit Kaufleuten und mit den Kunden, denen er Kredit gibt.

BEILAGE X X V (zu S. 397 f.)


<INTERESSE UND SITUATION >
40 (13. Dezember 1931)

E i n h e i t des I n t e r e s s e s — aktuelles jeweiliges Interesse (der


Mensch im Geschäft und in seiner Situation). Danach hat auch A kt
des I n t e r e s s e s seinen ausgezeichneten Sinn. Ich spreche auch vom
jeweiligen aktuellen I n t e r e s s e n h o r i z o n t .
BEILAGE XXV 415

Der Kaufmann in jedem Momente seines aktuellen Berufslebens hat


seinen universalen Interessenhorizont geweckt und darin einen in aus­
gezeichneter Weise geweckten Sonderhorizont, z.B. die Saison, für die
zu sorgen ist und in der er in Sorge ist. Im jeweiligen Momente seines
5 aktuellen kaufmännischen Daseins („im Geschäft”) hat dieser Jeweilig-
keit, und durch alle Jeweiligkeiten liindurch geht die Einheit seines
„Berufsinteresses”. Das jeweilig lebendige Interesse bezeichnet mit
Beziehung auf den Umweltboden der Praxis die Si t uat i on, so für
jeden wachen Menschen als Menschen in seiner Situation, der Beamte im
10 Amtsgeschäft, der Parlamentarier in parlamentarischen Geschäften, die
Hausfrau in hausfraulichen, etwa auf dem Markt in der Marktsituation.
Das Ich „im Geschäft” umgreift mit seinem aktuellen Interesse nicht
seinen gesamten Vergangenheits- und Zukunftshorizont, sondern dar­
aus hebt sich sein jeweiliger Interessenhorizont. Dieser ist keineswegs
15 anschaulich, sondern eben Horizont, aber in einer beständigen Ge­
wecktheit während der jeweiligen Geschäftseinstellung, als das in einer
beständigen Bereitschaft zu vermöglicher Rückerinnerung, Vorveran­
schaulichung nach praktischen Möglichkeiten und Umständen.
Die Jeweiligkeit des Interessenhorizontes, sagte ich, in ihrem Wech-
20 sei trägt in sich die Einheit eines bleibenden Interesses. Als Berufs­
mensch habe ich mein Interesse als Wissenschaftler. Aber als Vater
ebenso ein einheitliches Lebensinteresse usw. Das bezeichnet aber zu­
gleich Schichten der menschlichen Persönlichkeit. Einen Menschen
verstehen ist zunächst, ihn in der Situation und dabei in einem Lebens-
25 interesse verstehen. Aber ihn als Menschen apperzipieren, das ist vor­
weg, im normalen Verständniszusammenhang — normalerweise ist er
ein Deutscher, ein Europäer wie ich —, ihm gewisse Interessensphären
zuschreiben (als Vater der Familie, als Bürger der Gemeinde, des
Staates, und evtl, disjunktiv in der Fraglichkeit: ist er Arbeiter, ist er
30 Kaufmann, Bauer? etc.). Die Einheit der Persönlichkeit birgt in sich
eine Mehrheit von Sondereinheiten; er hat in Sonderhabitualität seine
im allgemeinen unbekannten, aber allgemein formal antizipierten In­
teressenrichtungen ; er hat seine Mannigfaltigkeit von Zwecken, mehr
oder minder vollkommen organisiert zur Einheit eines Zweckes, und
35 jedem Interessenkreis entspricht je eine solche Zweckmannigfaltigkeit
und Einheit. Das aber mit zugehörigen Vermögen, Gewohnheiten, Er­
werben, „geistigen” oder mundanen Erwerben (z.B. Geld und Gut),
mit entsprechenden Handlungen und Taten. Die totale Persönlichkeit
ist wissenschaftliche Persönlichkeit, Familienpersönlichkeit, politische
40 Persönlichkeit etc. und so zugleich mehrfach. Freilich sind hier sehr
verschiedene Stufen, und Persönlichkeit im prägnanten Sinne be­
zeichnet eine feste und konsequente Gerichtetheit (in einer oder allen
diesen Sondereinheiten); in diesem prägnanten Sinne ist jemand keine
Persönlichkeit, sofern seine Art die Inkonsequenz ist, das sich und
45 seine Ziele immer wieder Verlieren, immer wieder darin Wechseln etc.1
1 Vielleicht gehört zu all dem auch die „Normstruktur” der Persönlichkeit.
Nr. 24

PERSONALE (ICHLICHE) GEMEINSCHAFT MIT


MIR SELBST ALS PARALLELE ZUR GEMEINSCHAFT
MIT ANDEREN
5 (2 0 . November 1931)

Ich im Zwiegespräch mit mir, in einem dialektischen Gespräch


mit mir. Ich mich in eine vergangene Stellungnahme, in eine
früher von mir entworfene Theorie und ihre Motivationen ver­
senkend, in ihr verborgene; meine damaligen Vorurteile, und
10 jetzt als gegenwärtiges Ich Kritik übend, beistimmend, ableh­
nend. Ebenso in sonstigen Akten der Selbstbesinnung, des Rück­
gangs auf mein früheres Leben, meine früheren Stellungnahmen
jeder Art, sie bekräftigend, durchstreichend etc., also Selbst­
kritik jeder Art.
15 Es kann dabei sein, dass ich jetzt noch die vergangene Stel­
lungnahme in Geltung habe, oder aber, dass ich sie schon lange
preisgegeben habe und nun doch mich in die Vergangenheit in
Wiedererinnerung versetze und meine damalige Begründung er­
neut überdenke.
20 Wie, wenn ich jetzt eine Möglichkeit erwäge, eine neue Theorie,
eine neue Zielstellung probiere?
Versuchen wir nun die Parallele der Gemeinschaft mit Anderen.
In der Einfühlung, im sie ursprünglich Verstehen und sie als
Personen in Mitgegenwart Haben bin ich mit ihnen in Fühlung
25 als Ich mit dem Du, mit dem anderen Ich, ähnlich wie ich in
der Erinnerungsdistanz in Fühlung bin, in Bewusstseinsgemein­
schaft bin mit dem vergangenen Ich. Genauer; Ich und meine
ichliche Lebensgegenwart mit allem, was dazu gehört, meinen
Erfahrungen, Meinungen, Gewissheiten und Ungewissheiten,
30 meinen jetzigen Horizonten, also auch den Fortgeltungen von
früher her — dem gegenüber das vergangene Ich, ich, wie ich
TEXT NR. 24 417

damals gegenwärtiges war, freilich vergegenwärtigt in einer sehr


unvollkommenen Vergegenwärtigung, in einer Art Horizont-
haftigkeit mit einem schwankenden und auch nur teilweise ganz
lebendig geweckten Kernbestand. Ich und Ich in Deckung und
5 Leben mit Leben, Horizont mit Horizont in „Deckung" vermöge
der strukturellen Formahen, die überall Deckung begründen. So
auch Ich und Anderer. Leiblich, weltlich ausser mir, ist er doch
trotz dieser veräusserbehenden Weise des Aussereinander inner­
lich in Deckung mit mir. Auch mein „ich war” und mein „ich
10 bin jetzt” hat ja seine Veräusserlichung. Damals war ich in Paris,
jetzt bin ich in Freiburg etc. Und dazu das zeitliche Ausserein­
ander. In Deckung bin ich mit mir selbst. Aber in der jeweihgen
Gegenwart bin ich in einer anderen Gegenwart, und von ihrem
lebendigen Interesse hängt ihr Interessenhorizont und damit die
15 jeweihge Vergangenheit und was von ihr geweckt ist (oder ver­
mischt ist) ab. Dieselbe Vergangenheit ist also in der Deckung
mit verschiedener Gegenwart nicht mit gleichem aktualisierten
Gehalt (auch gewecktem Gehalt) gegeben. Ähnlich bei Verkehr
mit denselben Anderen — da haben wir zudem den „Verkehr”
20 mit den vergangenen Anderen.
Wie nun mit zukünftigen, möglichen, auch mit Romanper­
sonen?
In meiner Einfühlung habe ich die Einfühlungseinheit „An­
derer” als Einheit aus ursprüngheh selbstgebender Geltung, aus
25 einer kontinuierlichen und dann evtl, diskreten Selbstbewälirung,
eben Wahrnehmung, Erfahrung, aber vom Anderen als Anderen.
So ist Wiedererinnerung, in kontinuierlicher Selbstbewährung
durchgeführt, „Wahrnehmung” vom Vergangenen, von meiner
vergangenen Gegenwart und meiner Kontinuität vergangenen
30 gegenwärtigen Seins. Die eine und andere Erfahrungsweise ist
eben angepasst dem, wovon sie Erfahrung ist, und sie ist dann,
wie Erfahrung überhaupt, massgebend für Richtigkeit und Un­
richtigkeit von Meinungen, von nicht erfahrenden. Anders ist es
bei Fiktionen, wie von Anderen, so von mir selbst: wenn ich
35 „damals” so gesagt hätte, wie ich nicht gesagt hatte, wenn ich
Aladin gewesen wäre etc. Ich bin das Ich der wirklichen strömen­
den Gegenwart und habe darin meine wirkliche Gegenwart und
ein darin Gegenwärtiges als Weltliches konstituiert, ich habe in
meiner ursprünglichen Gegenwart das Fingieren und Fingierte,
418 .CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

und habe das Fingierte als verdeckend das für mich Seiende und
das Fingieren in gewisser Weise als verdeckend mein wirkliches
Sein. Verdeckt ist, was mir wirklich gilt, und ursprünglich be­
währbar gilt, mein wirkliches Sein und meine wirkliche Umwelt.
5 Aber das Verdeckende ist geltend im Als-ob, und in diesem Modus
ist es Fiktion, aber es ist für mich nicht Wirklichkeit und streitet
daher nicht mit der Wirklichkeit, sondern nur mit einer anderen
Fiktion, sofern ich beide in der Einheit eines Als-ob in quasi-
Geltung halte, was Sache der Freiheit ist. So ist auch die Fiktion
10 von Anderen in mir nicht eine Konstitution von Anderen als
seiende, und meine Gemeinschaft mit ihnen eine Gemeinschaft-
als-ob und nicht eine wirkliche Gemeinschaft; in der konstitu­
ierten objektiven Wirklichkeit als Welt kommen nicht unter den
Menschen, den für mich seienden, die fingierten vor, aber in der
15 partiell umfingierten Welt, die damit selbst fingierte ist, Welt-
als-ob, kommen Menschen-als-ob vor, und ich selbst nicht als
wirkliches Ich, sondern als ob ich es wäre, als Umfiktion meiner
selbst und damit als Fiktion; das aber ist eo ipso schon geschehen,
wenn ich irgend etwas von der Welt umfingiert habe und im
20 Modus des Als-ob dazuhalte — als ob es bleibend wäre.
Mein selbiges vergangenes Sein bietet sich mir in verschiedener
Gegenwart je nach dem lebendig wirksamen Horizont der Gegen­
wart sehr verschieden dar, seinerseits in verschiedenem anschau­
lichem Gehalt und verschiedenem von der Gegenwart her ge-
25 wecktem und dann in Fortweckung vorschreitendem Horizont.
Es heisst nun, meine Vergangenheit steht mir erinnerungsmässig
zu Gebote; wenn ich will, kann ich mir sie wieder vergegen­
wärtigen. Aber das ist nicht so einfach zu sagen. Wie lückenhaft
und sonst unvollkommen meine Lebenserinnerung ist, etwas
30 Wahres ist doch daran. Ich kann mein Leben „überschauen”, in
seinen markanten Stadien durchlaufen — ähnlich wie ich einen
Wanderweg, den ich begangen habe, nachträglich einheitlich
überschaue und in seinen markanten Stadien einzeln wieder ver­
gegenwärtigend mir heranhole und evtl, in geordneter Folge
35 durchlaufe. Rückblickend habe ich den Weg als Einheit, obschon
keineswegs als anschaulich verlaufende Erinnerungseinheit, im
allgemeinen heben sich auf dem Grunde dieser leeren, „vagen”
Einheit Stadien, und nicht in ihrer ursprünglichen Folge, ab, ich
kann sie dann aber ordnen, wobei das Ordnen Einordnen in die
TEXT NR. 24 419

vage Einheit ist. An solchen Stadien haltmachend, kann ich sie


mehr oder minder vollkommen ausarbeiten, auch sie haben ihr
Vages, dem ich in seiner Horizonthaftigkeit nachgehen, es an­
schaulich verwirklichen kann. Evtl, dann vorwärts schreiten
5 (wie ich weitergegangen bin), evtl, wieder „zurückspringen”, in­
dem mir Früheres nun wieder einfällt, wohl weil ich an den je­
weiligen Hauptstadien, an den kürzeren oder längeren Ruhe­
stellen seinerzeit, wie es Wandergewohnheit ist, zurückgeblickt,
mein letztes Wegstück oder die ganze Strecke sozusagen „wieder-
10 holt” habe. Offenbar so ist es auch mit meinem Lebensweg.
Aber darf man sich damit begnügen, und ist es nicht ein Haupt­
stück der Konstitution der vorgegebenen Welt als vorgegebener
menschlicher Welt (Welt des Menschen und Mitmenschen) und
wohl ein Grundunterschied gegenüber dem Tier, dass in dieser
15 Weise für mich und dann für jedermann (als Mitmenschen) ein
„Lebensweg” konstituiert ist, meine Lebenszeit, meine „Lebens­
geschichte” ?
Der Vergleich mit einem Wanderweg, überhaupt einem Weg
im gewöhnlichen Sinn, so alltäglich es ist, von der Lebens-
20 Wanderung, dem Lebensweg zu sprechen, ist doch nicht ganz
passend. Die Einheit eines Weges ist die des Weges zu einem Ziel
oder Zweck, mag der Zweck auch nicht am Ende liegen, sondern
in der Wanderung selbst und was in ihr selbst als Ziel sich ver­
wirklicht, den schönen Aussichten, der schönen Einheitsfolge der
25 Aussichten etc. Ein Weg im gewöhnlichen Sinne ist vorbedacht
und vorgewollt, ein Gutes durch ihn, in ihm oder an seinem
Ende, etwa als Werk, als Mittel für weitere Zwecke etc., zu ver­
wirklichen. So ist es nicht mit dem Lebensweg, obschon es ein
nachkommendes Ideal sein mag, dem Ganzen des Lebens „von
30 nun ab” vorbesinnlich und aus fortlaufend sich erneuernder Be­
sinnung willentlich die Einheit eines universalen Zwecksinnes zu
erteilen, es ihm gemäss zu gestalten. Nicht von vornherein, und
im allgemeinen überhaupt nicht, hat das Leben eine solche teleo­
logische Einheit, die alle Sonderzwecke und -handlungen verein-
35 heitlicht.
W ie s i e h t a l s o m e n s c h l i c h e r L e b e n s w e g v o r
d i e s e r I d e a l - B i l d u n g aus, u n d wi e v e r s t e h t s i c h
di e k o n s t i t u t i v e M o t i v a t i o n , in d e r er a l s E i n ­
h e i t e r w ä c h s t ? Mit der Einheit des Lebens erwächst natür-
420 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

lieh auch die Einheit meiner Lebensumwelt. Nun konstitutiert


sich offenbar, da mein Leben von vornherein gemeinschaftliches
Leben ist, auch für mich das Leben der Anderen als Leben in
einem Lebensganzen und die Umwelt als eine gemeinsame Um-
5 weit — schliesslich als Welt, in der die Anderen mit ihren Lebens­
zeiten stehen und von der sie durch ihr Leben, und vor allem
historisch, Erfahrung haben, also ihre Erfahrungsumwelt, als
Zweckwelt, und das in der Beständigkeit und kontinuierlichen
Erweiterung der gemeinschaftlichen Erfahrung sich konstitu-
10 ierend-bewährend. Das Kind ist vorweg mit Zweckobjekten um­
geben; im alltäglichen Gebrauch lernt es sie in ihrer Zweck-
haftigkeit verstehen, und so lernt das Kind auch, umgeben von
zwecktätigen Nächsten, ihre Zwecktätigkeit als solche verstehen
und Zweckobjekte verstehen nicht nur als Gebrauchsobjekte,
15 sondern als teleologisch gewordene (Urgeschichte). Nachahmend
ist es tätig und spielt es Tätigkeit; es erwächst Neugier, Interesse
für das Gewordene, Interesse für das „warum das so ist". Die
Frage des Warum ist ursprünglich Frage nach der „Geschichte”.
Nr. 25

NORMSTRUKTUR DER PERSONALITÄTEN


(22. November 1931)

Die Menschheit — eine mehr oder minder vergemeinschaftete


5 Mannigfaltigkeit von relativen oder Sondermenschheiten, die
selbst wieder aus Sondermenschheiten gebaut sind — ist als
solche eine Vergemeinschaftung der Selbsterhaltung, und zur
Selbsterhaltung gehört Selbstverantwortung und Selbstnormie­
rung, zur Vergemeinschaftung jeder Form und Stufe vergemein-
10 schäftete Verantwortung, wobei die Selbstverantwortungen selbst
vergemeinschaftete sind in den Gemeinschaftlichkeiten. Das er­
fordert noch sorgsame Auslegungen, es gibt da Verwicklungen.
Wir wissen, dass zu all dem im Sein der einzelnen und im Sein
der Gemeinschaften eingebildete, k o n s t i t u i e r t e N o r m e n
15 gehören, die also konstitutiv zu den Personen als menschlichen
Personen und zu den Personalitäten höherer Ordnung gehören
— was sich natürlich in die transzendentale Subjektivität über­
trägt. Das bezeichnet also zugleich die höchste Stufe der Kon­
stitution der Personalität, der einzelnen und der Gemeinschafts-
20 personalitäten, bis zur Allpersonalität, durch die erst konkret
Person da ist (etwas von Norm tritt übrigens schon ein in das
Haustier als vermenschlichtes Tier).
Die Entwicklung der transzendentalen Intersubjektivität als
Gemeinschaft von Personalitäten ist also eine Entwicklung in der
25 Ausbildung immer neuer und in immer höheren Stufen sich ver­
einheitlichender Normsysteme.
Aber wie steht dazu die Entwicklung zur Echtheit, die zur
wahren Selbsterhaltung der Person, und als Person in der
Personengemeinschaft, die die korrelative Gemeinschaftsecht-
30 heit haben muss? Was für besondere Einstimmigkeit mit sich
selbst als willentlich, als in selbst auferlegten Normen geregelte?
422 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

Verantwortung und Normstruktur des menschlichen (und transzendentalen)


Daseins.
Selbstverantwortung, Sein aus Selbstverantwortung in einem
Leben, das von Selbstverantwortungen durchsetzt ist in der Ein-
S heit einer Habitualität universaler Selbstverantwortung. Aber
Selbstverantwortung ist für den Menschen, der Mensch ist im
gemeinschaftlichen Sein und vergemeinschafteten Leben, eins
mit der Verantwortung vor Anderen und mit dem Verantwort­
lichmachen der Anderen.
10 Der Mensch hat sein gesamtes Leben in seiner Lebensumwelt
habituell konstituiert als jeweils überschaubares, als beständig
im jeweiligen Dahinleben lebendigen Horizont.
Er kommt immer wieder in die Lage aktueller Selbstverant­
wortung. Er sagt sich z.B.: Hätte ich gewusst, was davon ab-
15 hängt, so hätte ich so nicht getan; ich hätte es wissen können.
Warum habe ich mich nicht gesammelt, warum nicht mich be­
sonnen? Etc. Reue tritt nun ein und gegebenenfalls dann der
Gedanke: Ich hätte mir die Reue ersparen können. Das darf mir
nicht mehr passieren.
20 Verantwortung Anderen gegenüber: z.B. vor dem Richter, vor
Eltern, Freunden etc. Jeder weiss sich als unter dem Gesetz
stehend, unter den Staatsgesetzen, unter den Normen der Sitte,
des Kathekon, aber auch des „Schönen”, Edlen, Ethischen, wo­
mit bezeichnet ist ein von mir selbst und allen „rechten”, edlen
25 Menschen zu billigendes Sein und Leben.
In bezug auf mich selbst: Ich weiss mein Leben schon als
<unter > Normen stehend und habe schon diese Normen nicht
nur als gewusste, sondern als von mir im Willen gebilligte.
Willensnormen sind habituelle Willensrichtungen, und expliziert
30 sind es Allgemeinheiten des Wollens, auf handelndes Wollen ent­
sprechender Situationen gerichtet. Nicht alles Handeln ist norm-
gemäss, aber nicht nur in der Weise der Irrigkeit, die Bezug hat
auf Normbewusstheit. Denn nicht immer verläuft das Tun im
Normbewusstsein —■ geradehin „gedankenlos” der Neigung
35 folgen oder auch ihr folgen gegen das Normbewusstsein, also den
darin implizierten (eigenen) Willen.
Demnach ist der Mensch immer schon, und als Mensch, in
Selbst Verantwortlichkeit. Sein als Mensch ist Sein in einer Habi­
tualität von selbstnormierenden Wollungen, freilich mannig-
TEXT NR. 25 423

faltigen sozialen, im besonderen rechtlichen, Schicklichkeits­


normen, ethischen Normen. 1 Diese Mannigfaltigkeit hat im all­
gemeinen eine kollektive Einheit, ihre Einheit bloss in dem Ich,
aber sehr gewöhnlich, normalerweise gehört zum Menschen auch
5 ein einheitlicher Normwille (als Habitus), schon im heran wach­
senden Kind erwachend als „ich will ein ordentlicher, ein rechter
Mann werden", am Vorbild des Vaters und anderer vorbildlicher
Menschen. So ist der Mensch normalerweise schon erzogen zur
Selbstverantwortung und Bereitschaft zur Verantwortung vor
10 Anderen: Es heisst immer wieder, „so darfst du nicht tun, das
ist nicht schön”, oder „das schickt sich nicht”, oder „das darf
niemand, sonst wird er bestraft” etc., „du musst dir das merken
und dir vornehmen, brav zu sein” etc.
Der Mensch ist Mensch in seiner Selbstverantwortung, aber
15 jede verbundene Menschheit ist eine Menschheit, ein Verband in
vergemeinschafteter und damit auf sie als Gemeinschaft be­
zogener Verantwortung. Kann man nicht sagen, alles einer ver­
bundenen Menschheit Verbindung Gebende ist eine universale
Norm? So ist eine Sprachgemeinschaft verbunden durch die
20 Sprachnorm und dann mit durch die Einheit der sprachlichen
Kultur, die in ihren Sprachkulturgütern eine höhere Norm her­
einbringt. Ein Verein hat natürlich seine Statuten als Norm.
Für die europäische Einheitskultur haben wir die vereinheit­
lichenden Normen der europäischen Mode, Sitte, allgemeinen
25 europäischen Kultur.
Jeder friedliche Verkehr ist schon menschliche Vergemein­
schaftung und setzt voraus einen gemeinsamen Boden der Norm,
sei es auch nur der Norm der allgemeinsten Menschenfreundlich­
keit, der Norm nicht zu betrügen etc.
30 Die Hauptsache ist hier das Charakterisieren der allgemeinen
zum Sein des Menschen als Menschen und zum Sein aller
Menschengemeinschaften gehörigen Willenshabitualitäten und
schliesslich derjenigen, welche die Struktur des „echten”
Menschen ausmacht und der echten menschlichen Gemeinschaft
35 als eine Normalität (und zugleich ein Ideal der Normalität), die

1 Die Selbstverantwortung hat ihr Feld in der Totalität des Seins, in der Totalität
des Lebens, und wieder bezogen auf die Totalität der Lebensumwelt. Wille, das feste
Vermögen auszubilden, jeder Frage nach dem Warum — nach der gültigen Norm
als der Recht begründenden — Antwort stehen zu können.
424 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

zur Konstitution der Menschheit mitgehört, aber als Normalität,


die Anomalitäten neben sich hat (auf die aber gerechnet ist),
Anomalitäten, die intentionale Modifikationen der Normalität
sind und als solche in allen Stufen natürlich erfahren werden.
5 In den niederen Stufen haben wir das Normale des Gemein­
schaftslebens in einstimmiger „Befolgung” der jeweiligen gemein­
schaftlich geltenden Normen — der Bruch der Norm ist das
Anomale. Der Reue als Selbst Verwerfung entspricht die Ver­
werfung des Verhaltens der Anderen.
Nr. 26

<ALLES SUBJEKTIVE, AUCH DAS FREMDE


SUBJEKTIVE, NUR ZUGÄNGLICH DURCH
REFLEXION>
5 (Ende November 1931)

Von jedem Gegenstand meines Bewusstseins, wie immer er mir


jeweils bewusst ist, führt eine mögliche Reflexion auf sein Sub­
jektives, zunächst auf seine Erscheinungsweisen, dann auf die
ichliche Motivation, die Vermöglichkeiten, Kinästhesen, auf Ich-
20 liches jeder Art, auf das Ich selbst als das Ich dieses mannig­
faltigen Subjektiven v o n diesem Objekt und seinem Objektiven
(ontische Eigenschaften, Beschaffenheiten), ebenso führt jeder
gegenständliche Zusammenhang, jede Relation, jeder Sachver­
halt, jedes Kollektivum etc., der bewusst ist, durch mögliche
15 Reflexion zurück auf das Ich, bzw. auf das mannigfaltige Sub­
jektive von diesem komplexen, wie immer vielgestaltigen
Ontischen.
Es ist klar, dass, was von jedem Gegenstände gilt (mag er ein
Stein sein oder ein Tier, ein Mensch, ein Staat oder auch eine
20 Zahl, ein Gott usw.), auch von der Welt, der Alleinheit der
Realitäten, gilt. Auch die Welt als Totalität ist gelegentlich,
jedenfalls wann immer wir von ihr sprechen, sie philosophisch
bedenken usw., „Gegenstand”, Thema des Bewusstseins. Sie ist,
was immer wir sonst bewusst haben, in gewisser Weise immer
25 auch bewusst, obschon nicht „gegenständlich”, nicht Thema
eines auf sie gerichteten Aktes, obschon sie es jederzeit und von
jedem sonst Thematischen aus durch entsprechende Einstellung
werden kann. Von ihr, wo immer sie das ist, können wir ebenfalls
den thematischen Blick zurückbiegen auf ihr Subjektives, oder
30 deutlicher, ich, der gerade Welt schon thematisch bewusst habe,
vollziehe die Reflexion, und jedenfalls kann ich und muss ich
426 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

dabei im Rahmen dieses Subjektiven mein Ich finden und meine


Weisen, Welt bewusst zu haben, sie in Wahrnehmungsfeldern,
Erinnerungsfeldern jeweils erscheinend <zu> haben, mit ihr
wahrnehmend, erfahrend, denkend, handelnd beschäftigt zu
5 sein, von ihr im Gefühl so und so gestimmt zu sein usw.

Wir, die Anderen. Die Reflexion in der Einfühlung

Eine genauere Überlegung zeigt, dass zu dem unbestimmt hier


so genannten „Subjektiven”, auf das ich und wir von der immer
schon gegenständlichen Welt aus durch Reflexion kommen, als
10 das ihr selbst entsprechende Subjektive kommen, nicht nur mein
Ich und das mir eigene Subjektive gehört, in dem mir Welt
erscheint, in dem ich weltlich beschäftigt bin usw., sondern auch
das Subjektive aller „Anderen” (und selbst der Tiere), und zwar
nicht bloss vereinzelt genommen, sondern in der Vergemein-
15 Schaffung, in der es im gemeinschaftlichen Erfahren, Denken
usw. sich überindividuell vereinigt. Zunächst ist zu sehen, dass
in jedem „wir" sinngemäss beschlossen ist eine Zentrierung in
mir, der ich das Wir-Bewusstsein habe und evtl, ausspreche. Ist
die Welt mir gegenständlich, so sind in ihr die anderen Menschen
20 und ich selbst mitbeschlossen als gegenständlich. Soll ich das
Wir-Bewusstsein haben, irgendeinen Kreis von Anderen in der
Form „wir” gegenständlich haben, so habe ich darin mich selbst
und die Anderen in Einheit, aber auch in Sonderheit gegen­
ständlich. Ich kann aber auch Andere schon gegenständlich
25 haben, ohne sie in der Weise des Wir gegeben zu haben, wie wenn
ich vom Fenster aus die Arbeiter am Strassenbau beobachte,
ohne mich selbst überhaupt thematisch erfasst zu haben. Über­
legen wir vorerst, wie überhaupt Andere mir bewusst sind, und
zwar erfahren sind (nicht-erfahrendes Bewusstsein, in dem mir
30 etwas gegenständlich ist, und zwar als seiend gilt, hat seine Ver­
wirklichungsform in einem erfahrenden Bewusstsein). Ihr Körper
ist für mich original erfahren. Ihr Psychisches ist bloss durch
Ausdruck in der Vergegenwärtigungsweise der „Einfühlung”
gegeben und günstigenfalls in mehr oder minder vollkommener
35 Anschaulichkeit oder „Klarheit”. Indem ich mir aber einen
Anderen klarmache, finde ich ihn als ganz so wie ich selbst bin,
nämlich als weltlich lebend, also Welt in verschiedenen Weisen
TEXT NR. 26 427

bewusst habend, darunter gelegentlich auch auf sich selbst


reflektierend und den subjektiven Modis seines Bewusstseins
thematisch nachgehend. Tut er dies aber noch nicht oder be­
trachten wir ihn in den Strecken, in denen er es nicht tut, so
5 „weiss” er nichts von sich und seinem Subjektiven, er ist mit
Objektivem überhaupt beschäftigt, aber nicht mit sich. Wie
können wir ihn aber als Ich von Beschäftigungsweisen, von
mancherlei Subjektivem erfassen? Bedarf es für Fremdsubjek­
tives unsererseits keiner Reflexion und nur für Eigensubjektives?
10 Indessen, zu einer einfühlenden Vergegenwärtigung gehört es
offenbar, dass wir uns in den Anderen gleichsam hineinversetzen,
dass wir seine umweltliche Situation, zunächst die physisch­
dingliche, uns klarmachen, in der Weise des „als ob wir dort
wären, von dort aus das Zimmer sähen usw.”, und darin liegt,
15 als ob wir seinen Leib im Dort hätten, von dort herumschauten,
die Dinge entsprechend berührten etc. Im Als-ob dieser Ver­
gegenwärtigung sind wir zunächst ganz der dinglichen Umwelt
hingegeben, während unser Subjektives, das dabei spielt, zu­
nächst ebenso anonym bleibt, wie für uns hier, wenn wir rein
20 mit den Dingen beschäftigt sind.
So wie wir unser Subjektives durch Reflexion allein thematisch
erfassen, so offenbar das fremde durch eine R e f l e x i o n in
d e r E i n f ü h l u n g ; in der Deckung, in welcher wir unter dem
Titel des Hineinversetzens in den Anderen mit ihm sind, durch-
25 leben wir ein quasi-Leben geradehin und eine yiiasj-Rcflexion,
durch die das Subjektive des Anderen und der Andere selbst als
Subjekt für die Gegebenheitsweisen seines Objektiven thema­
tisch wird.
Es ist das aber eine Analyse, die vollkommen klar und über-
30 zeugend vielleicht nur wird durch meine „Theorie der Einfüh­
lung”. Also kann im Anfang wirklich einsichtig gemacht werden,
dass alles Subjektive der Welt nur zugänglich ist durch reflexive
Erfahrungen, hier durch einfühlende, die eben ein besonderer
Modus von reflexiven sind?
35 Dann müsste gezeigt werden, dass die Welt ihr subjektives
Korrelat hat in einem totalen Subjektiven, das, wenn es redu­
ziert wird auf das reine und ausschliesslich Subjektive, zum
Transzendentoden wird.
Nr. 27

HEIM — FREMD. ICH — DIE ANDERN, WIR.


DIE FÜR MICH PRIMORDIALE MENSCHHEIT,
MEINE WIR-MENSCHHEIT — ANDERE
5 MENSCHHEITEN — NEUES WIR. ENTSPRECHENDE
RELATIVITÄT DER GEMEINSAMEN WELT
(Weihnachtsferien 1931 /32)

I n h a l t s a n g a b e :> H o r iz o n ts tr u k tu r d e r U m w e lt a n a ly s ie r t. Z w e i
S tu fe n i n d er „g e n e tis c h e n ” D a r s te llu n g d e r G e ltu n g sfu n d ie ru n g —
10 a ls „ E r w e ite r u n g ” d e r N o r m a ls p h ä r e d e r L e b e n s p r a x is — der n o r­
m a le n U m w e lt. D ie z w e ite S tu fe , d ie „E in f ü h lu n g ” u n se re r vö lk isch en
M e n s c h h e it in d ie u m g e b en d en fr e m d v ö lk is c h e n M e n sc h h e ite n . A d
G e ltu n g sfu n d ie ru n g , G e ltu n g sa u fb a u d e r W e lt u n d „ W e lta n sc h a u ­
u ng”.

15 K o n s t i t u t i o n d e r u n m i t t e l b a r s t e n N a h we i t , der
nächsten erfüllten Raumzeitlichkeit, mit „Dingen” (aus „hyle-
tischem” Index) in Nahorientierung als Gegebenheiten der sinn­
lichen Erfahrung und dem Eigenleib als Organ aller sinnlichen
Erfahrung und selbst durch Fungieren in bezug auf sich selbst
20 sinnlich erfahren. Konstitution der verharrenden sinnlichen
Dinge und des Leibes durch die Pausen des Schlafes hindurch.
Der Leib als das beständig erfahrene Ding, eben in allem E r­
fahren mit dabei als derselbe. Andere Dinge zunächst normaler­
weise mit da im nächsten Seinsfeld, in der ursprünglichsten
25 „Nahwelt”, bald wirklich erfahren, bald ohne weiteres erfahrbar
durch unmittelbares Ins-Spiel-setzen der leiblichen Kinästhesen.
In dieser Umwelt sind konstituiert Andere als meine unmittel­
bar und im eigentlichsten Sinn „Nächsten”. Aber zu dieser
nächsten Umwelt gehört es auch, dass die ihr zugehörigen ver-
30 trauten Dinge (mit Ausnahme des Eigenleibes) aus ihr, aus
TEXT NR. 27 429

diesem Nahraum, verschwinden können und dann wiederkehren,


und ebenso die Nächsten (Mutter, Vater, Geschwister). Ferner,
in dieser vertrauten Umwelt treten, ihre Vertrautheit durch­
brechend, fremde Dinge und Subjekte auf, teils in ihr Vertraut-
5 heit und Eingliederung erfahrend, teils kommend und wieder
gehend.
Das Zimmer als etwa erste nächste Umwelt mit dem vertrauten
Darinseienden, gelegentlich Hereinkommenden und Gehenden.
Erweiterung dieser Nahsphäre. Fortbildung und Umbildung der
10 Horizonte, der Einzelobjekte und der ganzen Nahumwelt. Aus­
bildung neuer komplexer Kinästhesen, neuer Erscheinungsver­
läufe: das Verlassen des Zimmers, die Gasse, dann neue Gassen,
Iteration, Konstitution des Dorfes oder der Stadt. Bruch dieser
vertrauten Umwelt durch Umbildung des Horizontes. Im Weiter-
15 gehen nach allen Richtungen kommen nicht immer wieder
Gassen von Häusern, es kommen einzelne Häuser, Gärten —
schliesslich offenes Land, also anders, ganz anders, unvertraut
werdend.
Ausbildung von Umwelten, die stufenförmig ineinander fun-
20 diert sind, jede höhere Stufe r i n g f ö r m i g um neu erfüllte
Räumüchkeit erweitert. Aber jede erweiterte Umwelt hat als
ganze neuen Sinn auch nach dem, was zu den engeren Beständen
gehörte. Jede relative Umwelt ist konstituiert als eine Normalität,
die ihren normalen Horizontsinn hat für alles ihr zugehörige
25 Erfahrene oder Erfahrbare, Bekannte und Unbekannte. Die
Erweiterung ändert den Horizont, den Stil der Erfahrungsmög­
lichkeiten für alles Umweltliche zunächst darin, dass die Ver­
änderungsmöglichkeiten eine erweiterte stilmässige Vorzeich­
nung haben. Und für mich selbst und meine Leiblichkeit z.B.:
30 Ich kann (als ein vertrautes Können) von hier nicht nur auf die
Gasse gehen, in der Stadt mich umtun, ich kann in diese und
jene (oder in unbestimmt offen-unbekannte) Dörfer der länd­
lichen Umgebung wandern. Die Erweiterung, nachdem sie ein­
mal in konstitutive Bewegung geraten ist, bedeutet auch für die
35 jeweils vertraut gewordene Umwelt horizontmässige Möglichkeit
neuer, noch nicht in Gang gekommener Erweiterungen, also die
Konstitution eines Ausserhalb der Umwelt, eines Aussenraumes,
einer Aussenraumzeitlichkeit, die ein völlig leerer Horizont ist,
aber doch schon dem allerallgemeinsten Stil nach vorgezeichnet
430 ,.CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

(also das völlig unbekannte Draussen, das völlig Fremde ist doch
soweit bekannt, dass es mögliche Raumdinge sind, Menschen und
Tiere, Dörfer, Landschaft etc.).
Die apperzeptive Horizontvorzeichnung folgt der Stilanalogie.
5 Die Sache ist so, dass, wenn eine Umwelt voll ausgebildet ist, sie
nicht den Charakter eines geschlossenen endlichen Raumes hat,
für den kein Draussen konstituiert ist, wie wenn ein Kind hinein­
geboren wäre in einen Kerker ohne Türen und Fenster oder in
einen Raum mit einer solchen Leiblichkeit, mit einer solchen
10 Kinästhese, dass es ein beliebiges Fortgehen mit der Iteration
des Undsoweiter <nicht> ausbilden könnte. Die wirklich konsti­
tuierte Endlichkeit der Umwelt ist die mit einem offenen Hori­
zont, der aber nicht horizonthaft besetzt ist mit bekannten
Objekten, vielmehr völlig unbekannten. Diese aber in ihrer Un-
15 bekanntheit sind als Einzelheiten, als Gruppen, als zusammen­
hängende Komplexe und Ganzheiten im offenen Horizont stil-
mässig nach Analogie vorgemeinte, als Unbekanntheiten im Stil
der Bekanntheiten, als Möglichkeiten der Erfahrung, die, wenn
sie erfahren würden, eben solche Horizonte wieder haben würden.
20 Die aktuelle Vertrautheit des möglicherweise zu Erwartenden auf
Grund der Vermöglichkeit, die leiblichen Kinästhesen iterativ
ins Spiel zu setzen, zeichnet immer wieder vor offene Möglich­
keiten für mögliche Vertrautheiten, als <die> sich in Folge ver­
wirklichender Erfahrung immer wieder einstellen und immer
25 wieder Horizonte neuen Vertrautwerdenkönnens ergeben würden.
Das alles ist intentional impliziert, obschon nicht wirklich in
einem aktuellen Ausbilden der Möglichkeiten durchdacht.
Bei der fortschreitenden Erweiterung des Bekanntheitshori­
zontes kann aber Doppeltes eintreten:
30 1) Entweder der Horizont erweitert sich nach seiten des
„Draussen” im konkret vorgezeichneten Horizontstil: Die Um­
welt gewinnt eine umfassendere, ringförmig (kugelschalenförmig)
erweiterte Raumsphäre: immer wieder mit dem gleichen und
konkret analog geformten unbekannten Draussen. Dann ist es
35 aber eigentlich die eine schon ausgebildete Umwelt, die nur um
neue Raumregionen der Bekanntheit bereichert wird. Da der
Mensch nicht immer auf dem Marsch ist und überhaupt nur leben
kann in einer schon vertrauten, schon bekannten Welt bekannter
Realitäten (obschon mit Horizonten der Unbekanntheit not-
TEXT NR. 27 431

wendig umgeben) und auch die beschriebenen Erweiterungen


voraussetzen, dass sich bekannte Welt ausgebildet hat, so ist
seine Umwelt insofern immerzu eine endliche Lebenswelt, als er
mit seinen Lebensgenossen in einer Einheit des Lebens steht,
5 bezogen auf eine vertraute Umwelt, die, sich um Bekanntheiten
stetig erweiternd, doch normalerweise nicht in den offenen Hori­
zont des unbekannt bleibenden Draussen systematisch eindringt.
In einer fliessenden Typik bleibt eine standhaltende endliche
Welt mit einem gleich bleibenden leeren Draussen. Das prak-
10 tische Interesse ist im Drinnen, jeder hat seine nächste Nah­
sphäre, jeder aber ist mit Andern in Konnex, und der Konnex
schafft eine relativ bleibende, relativ sich wandelnde gemeinsame
Nahsphäre, und in der Vermittlung ist doch konstituiert ein
menschheitliches Universum von Kommunizierenden als un-
15 mittelbar und vermittelt miteinander Lebenden in einem Lebens­
raum, einer Umwelt, welche für alle Einzelmenschen dieser ge­
schlossenen Menschheit die Welt schlechthin ist. Sie hat aber für
alle ein offenes, für alle unbekanntes und „im allgemeinen” irre­
levantes Draussen (nämlich in der Normalität des Daseins, die
20 Normalität für die Umgrenzung „der” Welt bedeutet). Das nor­
male Leben als generatives hat nun seine Geschichtlichkeit und
zunächst die jeder Generation eigene Lebenszeitlichkeit und
Weltzeitlichkeit, die selbst ihre Horizonte der Bekanntheit und
Unbekanntheit h at .1
25 2) Fürs zweite nun besteht die Möglichkeit, dass diese Welt als
Umwelt einer geschlossenen Menschheit zwar relativ erhalten
bleibt, aber im menschlichen Leben Erweiterungen motiviert
werden und sich konstituieren, welche den Stil des offenen
Draussen modifizieren, nämlich ihn in gewisser Weise „modali-
30 sieren”. Die konkrete Analogie wird durchbrochen — die Mensch­
heit tritt in Konnex mit einer „fremden” Menschheit. Zwar ge­
hört der Kontrast von heimisch oder vertraut und fremd zur
beständigen Struktur jeder Welt, und zwar in einer beständigen
Relativität. Aber das Eigene der jetzt fraglichen Fremdheit ist,
35 dass der Gesamtstil der Aussenwelt, des leer vorstelligen Draus­
sen durchbrochen wird. Man lernt fremdartige Menschen kennen

1 Ja, diese Geschichtlichkeit besagt Konstitution der Umwelt als einer erstlichen,
mythischen Welt — alles darin ist mythisch geformt.
432 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

und fremdartige „Welten”, die von einem ganz anderen Stil sind,
als welcher analogisch iteriert sich erstreckt über die eigene Weit
hinaus. 1 Es ist weit draussen nicht nur überhaupt wieder Men­
schenleben ganz so wie das unsere, es gehen die Berge, die
5 Wälder, die Flüsse, die Sandsteppen etc. nicht nur so weiter,
nur für uns irrelevant, weil unsere Menschheit mit denen dort
nichts zu tun hat, weil wir getrennt sind durch weite Strecken
Landes, die unbewohnt, evtl, unbewohnbar sind, während doch
drüben alles so ist wie hier. Das Fremde, das jetzt in erste
10 Kenntnisnahme kommt oder kommen soll, ist nicht ein ohne
weiteres dem konkreten Stil nach Verständliches, ohne weiteres
erfahrbar wie das schon Bekannte, im ersten Blick empirisch
apperzipiert mit einem Erfahrungshorizont, der ohne weiteres
aktualisierbar ist und Kenntnis schafft. Vielmehr ist das Fremde
15 zunächst unverständlich Fremdes. Freilich, alles noch so Fremde,
noch so Unverständliche hat einen Kern der Bekanntheit, ohne
das es überhaupt nicht, auch nicht als Fremdes, erfahren werden
könnte. Es sind doch Dinge — unverstanden nach ihrem kon­
kreten Typus, verstanden nur als Raumdinge überhaupt und noch
20 nach dem regionalen und sonst allgemeinsten Erfahrungstypus:
als unbelebte Objekte, als organische Wesen, als Tiere (psychisch
lebendige) oder Pflanzen (unbeseelte), als Himmel und Erde, als
Berge und Täler, als Flüsse, Seen etc .12
Aber sehen wir von dem, was da an seelischen Vorkommnissen
25 mit auftritt, ab, so ist nur unmittelbarer Erfahrungskenntnis zu­
gänglich, als durch fortlaufende Erfahrung bekannt werdend, die
blosse Natur, und nicht mehr so ohne weiteres das, was die Ob­
jekte als Kultur objekte erfahrbar macht und überhaupt als
Objekte, die von seelischen Subjekten her eine erfahrbare (eine
30 nach ihrem geistigen Sinn apperzipierbare) Form haben. Was die
Natur anbelangt, so hat die Erfahrung zwar nicht den Charakter
einer nur den vertrauten Dingtypus (z.B. Fichte, Veilchen etc.)
näher bestimmenden und so das Individuelle oder Individual-

1 Das ist aber immer schon geschehen, wenn auch die normale Form mythischer
Stammvölker unter Stammvölkern noch auf primitivere Unterstufen verweist. Aber
heimatlich und fremd oder stammheitlich und fremdstämmisch ist immer schon
vorauszusetzen, aber freilich in verschiedener Typik (griechische Stammverwandt­
schaft, „barbarisch”-fremd etc.).
2 Mythisch fremd ist unterschieden vom uneigentlich Fremden, bezogen auf die
unbekannten Tiere und Pflanzen der „fremden" Territorien.
TEXT NR. 27 433

typische niederster Stufe zur Kenntnis bringenden. Aber im­


merhin führt die kontinuierlich fortgehende „sinnliche” Er­
fahrung geradehin zu einer Erfahrungserkenntnis, die eben mit
dem Individuellen zugleich Kenntnis der fremden Typik schafft,
5 neue allgemeine Apperzeptionen, wie etwa Palme anstatt Tanne
usw. So wird aber nicht ein fremdes Kunstwerk oder Religions­
symbol durch Erfahrung zugänglich.1 Was das Seelische bzw.
zunächst die Menschen und ihr leibliches und personales Wesen
anbelangt, so werden sie ohne weiteres zwar als Menschen ver-
10 ständlich, und doch nicht so, wie wir unsere Nebenmenschen
unserer Umwelt verstehen, sie in der Menschen zugehörigen
Weise ohne weiteres erfahren. Sie werden leiblich verständlich,
bzw. als Ichsubjekte, die wahrnehmend oder auch unmittelbar
leiblich tätig als stossende etc. leibüch walten. Sie werden ver-
15 standen als ihre umweltlichen Dinge, und dieselben, die die un­
seren sind, habende und wieder als uns und andere als Menschen
verstehende. Aber das alles nun in einer Allgemeinheit, die weite
Unverständlichkeit übrig lässt.
Das Erfahren des Physischen (der Objekte als res extensae, als
20 raumzeitlich realer) setzt waltende Leiblichkeit voraus; das Er­
fahren der Anderen als Andere, die wie ich dieselben res extensae
erfahren, in denselben erfüllten Raum hineinleben, setzt voraus,
dass ich eben von mir her waltende Leiblichkeit als „andere" und
anderes leiblich waltendes Ich verstehe. Und das kann ich ver-
25 möge dieser konkreten Ur-Analogie. Damit einig ist, was für mich
das formal Allgemeinste meiner seienden Umwelt und meines
personalen Seins ausmacht, das Urgenerative, das Sein in perio­
dischen Bedürfnissen und Bedürfnisbefriedigungen, das Sein als
in eine natürliche Umwelt Hineinhandeln. Und von da aus breitet
30 sich <als> ein formal Allgemeinstes die Verständlichkeit über die
raumzeitliche Natur. Aber zugleich kontrastiert sich innerhalb
dieser Form die Welt, als wie sie die unsere, unsere Lebenswelt
ist, uns vertraut, von uns her geistigen Sinn habend, und die
Welt, dieselbe, sofern sie dieselben res extensae und dieselben
35 Menschen enthält, aber von den Fremden anders <erfahren ist>,
mit dem aus ihrer vertrauten Umwelt her stammenden Sinn, mit

1 Kultur — Mythisch-Animistisches ist zu scheiden, obschon letzteres in die Kultur


eingeht.
434 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN" 1931-1932

ihren Apperzeptionen, die nicht die unseren sind. Der fremde


Mensch für uns ist Leib, im Leib waltendes Ich, aber über dieses
Allgemeine hinaus ein unverstandenes Ich, ein Horizont für ein­
fühlende Erfahrungen, die schon als solche nicht die schlichte
5 kontinuierliche Erfüllbarkeit haben, nicht den Gang schlicht
erfüllender Selbstgebung, Näherbestimmung und Andersbestim­
mung haben, wie die sinnlichen Erfahrungen.
Die Einfühlung ist Erfahrung in einem sekundären Sinn.
Primordiale sinnliche Erfahrung ist eigentliche, d i r e k t e e r -
10 f a h r e n d e A k t i v i t ä t , das Seiende verwirklichend, auf das
sie gerichtet ist, ganz ursprünglich in der Kontinuität e i n e r
Wahrnehmung. Nicht mehr freilich unmittelbare Verwirklichung
ist die Wahrnehmung eines Dinges in dem gewöhnlichen Sinn,
<z.B.> eines Hauses, das ich erblickend als schon dagewesenes
15 auf fasse, und so überhaupt des physischen Dinges, des ruhenden
oder sich verändernden, als das an sich ist und sein Verharren
hat und im Wahrnehmen nur gerade jetzt wahrgenommen wird,
während seine Dauer weiterreicht. Aber jedenfalls die kontinuier­
liche Wahrnehmung in ihrem Verlauf ist Verlauf der Selbstver-
20 wirklichung des Gegenstandes, und zwar in meiner A ktivität: so
als eigentliche Erfahrung, als Wahrnehmung, in der ich das Sein
des Gegenstandes mir zur ursprünglichen Kenntnis, der selbst­
gebenden, bringe. Demgegenüber ist die passive Hintergrund­
wahrnehmung eine sekundäre Modifikation, das Ding gibt sich
25 zwar selbst, aber nur sofern ich es nehme und seinem gegenständ­
lichen Sinn selbst nachgehe, nehme ich es wahr, nehme ich es als
es selbst in meine Kenntnis.
Und wieder anders in der Einfühlung. Sie ist keine Aktivität
der Selbstverwirklichung, sowenig wie es die Wiedererinnerung
30 ist. Diese als Aktivität der erneuernden quasi-Wahrnehmung
bringt nicht das originale Selbst zur Verwirklichung, aber die
Modifikation des g««sf-Selbst des Erinnerungsmässigen, des für
mich Vergangenen. Ebenso die Einfühlung nur die Modifi­
kation der fremden Wahrnehmung, des fremden Wahrgenomme-
35 nen als solchen, als des „Anderen” im Modus dieser Andersheit
(wobei leider die Worte „Anderer”, „fremd” vieldeutig sind). Die
Aktivität der Einfühlung, wenn eben Einfühlung im Urmodus
als vollzogener Aktus verläuft, ist also eine uneigentliche, eine
sekundäre Erfahrung (bzw. wahrnehmende Verwirklichung).
TEXT NR. 27 435

Sie hat nun ihre eigenen Stufen der Unmittelbarkeit und


Mittelbarkeit. Die unmittelbare einfühlende Appräsentation be­
trifft die Leiblichkeit, bzw. das leibliche Walten als wahrnehmen­
des, z.B. jeweils <das> mit den Händen tastende und die betref-
5 fenden Tasterscheinungen synthetisch einigende Durchlaufen,
ebenso mit den Augen sehend die betreffenden visuellen E r­
scheinungen (im Rahmen der visuellen Erscheinungsmannigfal­
tigkeit) usw. Das aber im „von dort aus”, wie wenn ich von dort
aus tastete, sähe etc. Das Erste ist also, was an ichlich-kinästhe-
10 tisch motivierten Erscheinungsverläufen zur raumkörperlichen
Konstitution gehört. Das fremde Ich ist dabei appräsentiert als
aktives Ich, als aufmerkend erfassend auslegendes, von mir aus
also verstanden, im nachverstehenden „wie wenn ich dort wäre” .
(Während mein eigenes erfahrendes Verhalten und Erleben dabei
15 ursprünglich aktiv verwirklichend ist, ist das andere Ich in
meinem Erfahren seines Erfahrens und des darin Erfahrenen
eben nur nach verstanden, und meine eigene Aktivität dabei hat
sekundären Charakter analog einer wiedererinnernden Repro­
duktion.)
20 Ein Zweites ist dann das Handeln in einer Unterschichte, näm­
lich das in die rein körperliche Natur als solche hinein wirkende
Handeln: das Heben, Tragen, Schieben, Stossen mit den körper­
lichen Organen des fremden Leibes.
Das Dritte ist das darüber hinausgehende Verstehen dieses
25 Handelns und des durch dasselbe Erwirkten, z.B. als Ergreifen
der Speise, als Abbeissen und Verspeisen, das Laufen im Wald
als Flucht, das Sich-verstecken, das sich hinter einen festen
Gegenstand Stellen als Schutz gegen Steinwürfe, das Benützen
von Dingen als Hut, als Kleidungsstück sonst, und so überhaupt
30 physisch durch leibliches Tun erwirkte Geschehnisse als nütz­
liche Bewegungen und die zugehörigen nützlichen Objekte, und
zwar nach Menschenart dauernd (nämlich bei passender Situa­
tion immer wieder) benützte und zu benützende, als dauernd
ihren Zw'eck habende.
35 Das betrifft aber nur die nächsten und allgemeinsten Men­
schenzwecke, bezogen auf die allgemeinsten, überall bei Men­
schen wiederkehrenden Bedürfnisse und Formen (Typen) der
Bedürfnisbefriedigung, desgleichen bezogen auf individualtypisch
gleiche äussere Objekte.
436 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

Kenne ich nicht den Individualtypus des Objekts, so natürlich


auch nicht den möglichen Bezug auf menschliche Bedürfnisse,
z.B. dass es zur Speise diene, dass es evtl, schon zurechtgearbeitet
sei für die späteren Mahlzeiten. Ein Mensch, der wie ein Südsee-
5 insulaner nur eine tropische Umwelt hat, kann den besonderen
Zwecksinn eines Pelzes oder von Skiern, eines wärmenden Ofens
etc. nicht erfahren. Das schlichte sinnliche Erfahren, durch das
ich physische Natur habe, und das schlichte Erfahren meines
Leibes als Dinges und als Organes zugleich ermöglicht in dieser
10 Hinsicht ein schlichtes appräsentatives Verstehen eines anderen
Menschen als Ich seines Leibes und seines leiblichen Waltens
darin sowie als physische Dinge erfahrenden. Aber schon in den
einfachsten Zweckobjekten, den auf die nächsten Bedürfnisse
bezogenen, versagt das Verständnis, wo es mir an Erfahrung
15 gebricht hinsichtlich der besonderen, auf besondere Dingtypen
bezogenen Zweckhandlungen im Rahmen der primitiven Be­
dürfnisse.

Neu zu bearbeiten <ist> diese ganze Problematik vom funda­


mentalen Gesichtspunkt aus: Die für mich, für uns (Griechen,
20 Deutsche etc.) „an sich erste”, völkisch-primordiale Umwelt,
zunächst für uns die Welt schlechthin, ist die in lebendig-ur­
sprünglicher Historizität des generativen Daseins erwachsene
und fortwachsende „ m y t h i s c h e ” Umwelt, natürlich ein uni­
versaler Animismus (vortheoretisch verstanden ) .1
25 Von dieser primordialen Umwelt führt der Weg zur „Ent­
deckung” der fremden Umwelt — in der „nationalen” Einfüh­
lung. Es ist dann die Aufgabe, diese aufzuklären und damit aufzu­
klären die Konstitution einer identischen Welt, in korrelativer
Konstitution zum Wir höherer Stufe (wir europäischen Nationen
30 z.B.).
<Es ist dann aufzuklären >, wie sich in Stufen Kern-Identisches
im Übergang von Unverständnis des Fremden zum Verständnis
abhebt und schliesslich eine gemeinsame objektive Welt — so
schliesslich universal verstanden als identisch für alle bekannten
35 und unbekannten Nationen, die in wirklichem und möglichem
Konnex sind.

1 Vgl. Beilage <XXVI>.


TEXT NR. 27 437

Die nationalen Umwelten (je für ihre Sondermenschheit als


die Welt schlechthin erfahren) verwandeln sich in nationalsub­
jektive „Apperzeptionen”, Vorstellungsweisen d e r wirklichen
objektiven Welt, als Welt an sich.
5 Damit stehen wir aber vor den tieferen Problemen objektive
Welt und Weltapperzeption, Objektivität und Subjektivität.

In dieser guten Betrachtung ist einige Ergänzung und Bes­


serung nötig. Es muss genauer die Stufenfolge der Geltungs­
fundierung aufgewiesen werden, aus der die für uns schon fertige
10 und doch unbekannte, erst durch Erfahrung kennenzulernende
Umwelt der fremden Menschheit konstituiert ist und fortkonsti­
tuiert wird. Genetisch muss jeder von uns sich die Kenntnis der
fremden Umwelt als unterschieden von der eigenen erst erwer­
ben, genetisch tritt sie überhaupt in seinen Horizont — durch die
15 Schule, durch die Erzählungen von Reisenden, durch eigenes
Hineingeraten in die fremde Umwelt, bei einer eigenen Einreise.
Letzteres <ist> eigene apperzeptive Leistung und direkte Genesis,
das andere natürlich vermittelt. Ordnung hier zu schaffen — das
führt auf das Problem der „Weltanschauung”. Es ist dabei ja ein
20 Problem, warum wir einen „Roman” einer systematischen Gene­
sis und in dieser Form eines Fundierungsaufbaus konzipieren
können, der doch kein blosser Roman ist, andererseits aber nicht
die wirkliche und volle Genesis wiedergeben kann.
Aber nun zu den vorangehenden Ausführungen: Es muss
25 scharf pointiert werden, dass in diesen Blättern nicht Rücksicht
darauf genommen ist, dass u n s e r e eigene Umwelt als vorwis­
senschaftliche die ursprünglich gewachsene („ursprünglich” hi­
storische) m y t h i s c h e Umwelt ist, und diese bedarf vor allem
einer Strukturerforschung, wobei die Frage ist, was an Strukturen
30 sich überhaupt erst abheben kann im Kontrast mit der fremden
Umwelt, bzw. mit der Weise, wie Unverständnis bewusst wird
und in Verständnis und immer neu sich korrigierendes Verständ­
nis übergeht. Der Weg zur Abhebung von identischen Kernen
gegenüber dem in Spannung bleibenden konkret Unverstan-
35 denen und so der Weg zur identischen Welt <muss> von der
eigenen und fremden Umwelt als blossen nationalen Weltapper­
zeptionen, „Weltvorstellungen” unterschieden werden.
BEILAGE XXVI
DIE STUFEN IN DER KONSTITUTION DER WELT, DIE
IMMER SCHON AN SICH IST. AN-SICH-SEIN UND
EINSTIMMIGKEIT
5 <wohl Weihnachtsferien 1931/32 >

<Inhaltsangabe: > i ) M ein e sin gu läre P rim o rd ia litä t — A n dere und


„w ir ”, von daher
unsere Gem einwelt. 2 ) „P rim o rd ia le” „M enschheit” —
„andere” M en sch h eit; „ W ir ”-V ölker (E u ro p ä e r), „unsere” Gemeinwelt
— in s U nendliche die totale W elt.
10 Einstimmigkeit der Konstitution von Seienden, von Gewissheiten
des jeweiligen normal konstituierten Sinnes, von Geltungseinheiten —
schreitet in Umkreisen und Stufen, Kegelringen fort, schreitet fort
von lebendiger Gegenwart zu lebendiger Gegenwart im Prozess der
Sedimentierung, der Horizontbildung, der Wiedererweckung in Form
15 von Vergegenwärtigungen der Art der Erinnerung von Apperzeptio­
nen, aber auch von Einfühlungen und von beständigen neuen Syn­
thesen, teils in der Primordialität, teils durch die einfühlenden Apprä-
sentationen hindurch.
In diesem synthetischen Gang der Normalität innerhalb der Aktua-
20 litätssphäre, in der aller wirklichen Aktualitäten (der strömend stehen­
den Gegenwart), treten die Mo d a l i s i e r u n g e n auf, die reduziert
werden wollen auf anschauliche. Dabei schreitet fort die Welt der
Bekanntheit mit Horizont der Unbekanntheit als jeweilig normal
seiende. Es bilden sich Umwelten, kegelringförmig sich erweiternd und
25 sich doch nicht äusserlich vereinigend: jede neue als eine „Anomalität”.
Einheit einer Geschichtlichkeit — Einheit einer „Erinnerung”, einer
aktuellen der Menschheit und mit offenen Horizonten der unbekann­
ten Hintergründe der Zeiten. Einstimmigkeit ist immer bezogen auf
das Latentgewordene. Welt in ihrem wahren Sein bezogen auf diese
30 Relativität, und Welt ist in Wahrheit, sofern im Prozess der Historizi­
tät, die das Patente erweitert, immer wieder die Idee der identischen
Welt sich bewährt.
Alle Erscheinungen, zunächst die sinnlichen, aller kommunizieren­
den Ichsubjekte und Menschheiten stimmen zusammen unter der
35 Regel: „Anomalität als Bruch der ursprünglich stimmenden Erschei­
nungseinheit wird in eine höhere Normalität einbezogen”. Damit Hand
in Hand geht „Antizipation”, leere Meinung, Bewährung an den Ein­
stimmigkeiten der wirklichen Erscheinungen, an der Erfahrung. Jede
Selbstgebung ist Rechtgebung. Alle Selbstgebungen stimmen univer-
40 sal zusammen, und zwar so, dass ihre Behaftung mit Nicht-Selbstge-
bung auf Selbstgebung reduziert werden kann, aber auch reduziert
werden kann. Im Leben ist der unendliche Horizont immer da mit
der vorzeichnenden Erfahrung vom Verlauf der Erfahrung, vom Ver-
BEILAGE XXVI 439

lauf der Bewährungen, der Vorzeichnungen des wieder zu Einstimmig­


keit Kommens und aktiv Bringens. Wir in der Unübersehbarkeit
unseres generativen Daseins, unserer generativen Vergangenheit und
Zukunft, leben so, dass für uns notwendig die Idee der Wahrheit als
5 Norm gelten muss.
Das schliesst aber nicht aus, dass die Sache „wirklich ein Ende” hat.
Sprechen wir von einer Eiszeit, die alles Leben vernichtet, so bewegen
wir uns doch in einer patent gemachten Tradition, einer naturhisto­
risch vermittelten.
10 Absolut gesprochen, ich lebe in der stehend lebendigen Gegenwart,
in ihr intentional impliziert und in Gewissheit mitlebende Ichsubjekte
in mitlebendigen Gegenwarten — ein transzendental intersubjektives
aktuelles Leben, ein stehendes, innerlich vereinigtes Strömen im In­
einander von einzel-ichlichen Primordialitäten. Einstimmigkeit be-
15 trifft Naturkonstitution — immer wieder erneuert und durch die Er­
neuerung verharrend. Jede Monade hat Geburt und Entwicklung.
Teleologie dieses universalen Stimmens. Wer kann die Notwendigkeit
sehen, dass das so weit reichen muss, dass unsere Wissenschaften von
der Natur unter <der> unendlichen Idee der Natur notwendig sind?
20 Psychophysische Konstitution. Der Leib in seiner höchst komplizier­
ten physiologischen Struktur (Biophysik). Muss das sein, muss die
Welt naturwissenschaftlich begreiflich sein ?
Die Unendlichkeit muss in ihren Forderungen erfüllt sein. Äussere
Unendlichkeit und die Konstitution der Menschheit, anderen Men-
25 sehen — Ich als Mensch. Identität des Menschen — Identität des
Leibkörpers als Natur vorausgesetzt. Konstitution des Leibes im
spezifischen Sinn, Konstitution in der Primordialität, genetisch von
Geburt an. Intersubjektive Genesis von mir aus. Aber darin betrete
ich die immer schon gewesene Intersubjektivität durch alle Geburten
30 hindurch, die für mich durch Mittelbarkeit erworbene ist als in mir
sich bekundende. Aber so in jedem. Das wird mir bekannt, und als
An-sich, das ich immer wieder bewähren kann. Die Transzendentalität
der Anderen, die Identität der Menschen.
Nur aus wirklicher Einfühlung und wirklichem Verkehr mit Andern
35 und wirklicher Gemeinkonstitution der Natur, wirklicher Humani­
sierung — in der Endlichkeit, in wirklicher Verbundenheit — kann
und muss Unendlichkeit des Horizonts erwachsen und sich eine Un­
endlichkeit der Natur, der humanisierten Natur, der Menschheiten als
Horizonte für Menschheiten, die selbst schon horizonthaft gegeben
40 sind, konstituieren. Das ist wieder Konstitution aus Geburt der ein­
zelnen, von mir als einzelnem und von jedem einzelnen auslaufend.
„Geburt” hat aber jede Stufe von Menschheit, und ihre Entwicklung
als Menschheit und ihre Reife, ihren Konnex mit anderen Menschhei­
ten, die eine andere „Geburt” haben. Und wie mir in primordialer
45 Entwicklung meines singulären Seins primordiale g^asi-Natur etc. zu­
wächst, wie mir zuwächst meine Wir-Menschheit und ich für sie Sub­
jekt bin und in ihr an ihrer Entwicklung teilhabe, und zwar durch
440 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

meine Aktivität, so erwächst in einer Menschheit „primordial” die


Welt dieser Menschheit, in ihr durch „Einfühlung” fremde Menschheit,
fremde Welt dieser fremden Menschheit, Konstitution einer neuen
Welt als Gemeinwelt, die doch Welt für eine jede ist, aber für sie im
5 Charakter des Mitseins für die anderen Menschheiten. Es ist hier aber
beständig zu erwerben die Identität, die vorweg nur einen kleinen
Kern der Gemeinsamkeit hat, das was Wechselverständigung über
Dinge, Menschen, humanisierte Unweit etc. ermöglicht, in unbestimm­
ter Allgemeinheit und mit nicht übereinstimmenden Horizonten. Im
10 fortschreitenden Sich-konstituieren für uns einer irdischen Total­
menschheit und Welt für diese bleibt aber die offene Möglichkeit wei­
teren Fortschreitens vermöge der Unendlichkeit der Natur, die in
ihrer beschränkten Zugänglichkeit doch nicht prinzipiell unzugänglich
ist. Was uns vom Mond oder der Venus trennt, gleicht schliesslich
15 dem, was früher Menschheiten als Weltmeer oder unübersteigbare
Gebirge trennte. Natürlich bleibt auch offen, dass Leiblichkeit ist,
was wir nicht als Leiblichkeit verstehen, wie umgekehrt, dass, was als
Leiblichkeit schon aufgefasst war, doch wieder als „animistische” Un­
wahrheit eingesehen und aufgegeben wird. Apperzeptionen bilden
20 sich, Apperzeptionen werden in ihrer typischen Sondergestalt wieder
zerstört im Fortgang der Bewährung und Entwährung.
Dass Welt ist, ist selbstverständlich. Welt ist das Universum des
immer schon Seienden und immer schon in Forthumanisierung sich
Gestaltenden. Die Transzendentalphilosophie führt uns zurück auf die
25 konstituierende Subjektivität: Philosophie konstituiert die transzen­
dentale Subjektivität als erkannte und durch Erkenntnis bekannte,
aus transzendentaler Erfahrung und in Erfahrungsleistung fundierter
denkender Erkenntnis. Aber sie erkennt, „was an sich schon ist" und
was sie als absolute zur absolut begründeten Geltung bringt. Aber dar-
30 in liegt, sie erkennt <... >

BEILAGE XXVII
ERFAHRUNG UND PRAXIS — UMWELT.
<DIE GRENZE DES VERSTEHENS >
(Neujahr 1931/32)

35 <Inhalt: >Besonders wichtig der Gegensatz in der Weise: a) Naturerfah­


rung (der Zugänglichkeit naturalen Seins für jedermann) b) der Erfah­
rung von Mitmenschen und aller objektiven Geistigkeit; wie ich es hier
auch ausdrücke: a) des Seins der „Natur für jedermann”, b) des Seins
„der Menschen und der humanen Umwelt für jedermann”. Es gibt eine
40 Schichte des in der Tat für jedermann überhaupt Nachverstehharen der
geistigen Umwelt. Demgegenüber ist klar, dass jedermann (und jede
vergemeinschaftet-historische Subjektivität) seinen bzw. ihren Welthori-
BEILAGE XXVII 441

zont hat mit der aus seiner und ihrer Erfahrung und Bildung stam­
menden VorZeichnung einer (also auf ihn relativen) ontologischen Be­
kanntheitsstruktur und darin der Grenze seines Verstehens für andere
Subjekte und andere historisch-menschheitliche Welten. Das Problem der
5 historischen Methode in ihrer Relativität und der Methode der universal
gerichteten Geschichte, selbst fremdes Sein und fremde Geschichte zu ver­
stehen usw.
Praxis ist unmittelbare oder mittelbare. Unmittelbare Praxis in der
Welt setzt Welterfahrung, Erfahrung von weltlich Seiendem voraus.
10 Und zwar das Unmittelbare der Praxis vollziehe ich in der Erfahrungs­
gegenwart, die aber das ist als Gegenwart einer Erfahrungsvergangen­
heit und -Zukunft — aber nicht nur in dem Sinne dessen, was ich
selbst erfahren habe etc. Die Erfahrungsgegenwart ist Gegenwart der
Erfahrungswelt, die erfahren ist als Zeitwelt mit Gegenwart, Vergan-
15 genheit und Zukunft. Sie ist der Seinsboden für alle bewusstwerden-
den, -werden könnenden praktischen Möglichkeiten, also auch für alle
Vorhaben, Zwecke, Handlungen. Jede wirkliche Praxis des in der
Welt handelnden Menschen geht vom schon Seienden, bzw. auch dem
in ihr neu Werdend-gewordenen zum Sein-werdenden als Erhandelten.
20 Seiend ist, was erfahrbar, erkennbar ist für jedermann. Aus Seiendem
wird gemacht Seiendes. Handeln ist willentlich verwirklichend Ge­
richtetsein auf Seiendes, das noch nicht ist, auf Seiendes, das davon
jetzt verwirklicht, eigentlich verwirklicht ist, und Mitgerichtetsein
auf das, was soeben erledigt ist und als das in das schon Seiende ein-
25 geht. Das noch nicht Seiende ist das Seinsollende im weitesten forma­
len Sinne. Im Handeln ist das Seinsollende seinwerdend im Willens­
sinne (ich werde = ich will, das ist im Werden — in „Arbeit” etc.), in
diesem Seinwerden schliesslich gegenwärtig Seiendes als „verwirk­
licht”, willentlich. So ist von Gegenwart zu Gegenwart eine neue Er-
30 fahrungsweit dem Gehalt nach an Seienden, eine Welt wirklicher und
möglicher Erfahrung, ein neuer praktischer Boden für neue praktische
Möglichkeiten — meine, für jedermann von uns in Vergemeinschaf­
tung im miteinander, füreinander, gegeneinander Leben und „Wir­
ken”.
35 Nun ist es so, dass aus der schon seienden Natur (dem Urreich sinn­
licher Werte sozusagen) neue seiende Natur erzeugt da ist, und doch
dieselbe Natur, geänderte Natur. Aber sie ist da nicht bloss als Natur,
sondern zugleich für uns jederzeit verstehbar, apperzipierbar als prak­
tisches Gebilde — so für jedermann, unter uns — innerhalb der Um-
40 weit als Korrelat dieses „uns”. Also soweit mit zu ihr gehört nicht nur
der Umkreis persönlich bekannter Personen, sondern die Typik von
Personen und eines Horizonts solcher Personen als Personen, mit denen
ich in unmittelbarem und mittelbarem Konnex stehe, und als prak­
tische Subjekte einer zugehörig sich verflechtenden praktischen Typik.
45 Damit korrelativ die Typik der für alle daseienden praktischen Ob­
jekte, der bekannten und unbekannten, im Horizont liegenden, in
442 „CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

dem Horizont, der <den > Innenhorizont der Umwelt ausmacht, ihren
Stilsinn bestimmt.
Der Mensch ist in einem anderen Sinne „objektiv”, seiend, erfahrbar
als identisch für jedermann denn ein Naturobjekt. Ein solches ist für
5 jedermann rein als Gegenstand möglicher Wahrnehmung in Form
direkter Wahrnehmung nach allem und jedem, was es ist, erfahrbar.
Für jedermann, mit dem ich mich normal verständigen kann, ist es
dasselbe, von jedermann in denselben, sein naturales Wesen ausma­
chenden Erfahrungsbestimmungen erfahrbar. Ein Mensch ist nun frei-
10 lieh für uns alle auch als Mensch erfahrbar. Mit dem Anderen in ak­
tueller Verständigung sein, ist schon ihn als Menschen erfahren und
weiter erfahren können. Aber darum ist doch, was sein individuelles
Sein, sein Eigenwesen als dieser Mensch (und insbesondere als diese
Person, als diese Seele) ausmacht, nicht schon für mich direkt, wahr-
15 nehmungsmässig erfahrbar. Es ist nicht so horizonthaft vorgezeichnet,
dass ich bloss eigentlich erfahrend weitergehen könnte und, was ich
von ihm zunächst wirklich erfahren habe (die „Seite”), zur Allseitig­
keit bringen könnte.
Dies bedarf der genaueren Begrenzung. Auch in Hinsicht auf die
20 Erfahrungsweise von Anderen haben wir den relativen Unterschied
von Normalität und Anomalität. Wir verstehen die Anderen aus un­
serem Handeln (und freilich dann rückwirkend auch unser Handeln in
gewissen Hinsichten aus ihrem Handeln). Wir verstehen sie überhaupt
in ihrem Sein und Handelndsein, Akte welcher Art immer Üben, aus
25 unserem, das Elementare jedes Handelns schon in Vertrautheit ent­
haltenden Handeln. So können wir verstehen, dass sie und was sie tun,
welche praktischen Wege sie einschlagen, was sie als Ergebnis er­
zeugen, welchen Zwecksinn das Gewordene von ihnen her hat. In wei­
terer Folge verstehen wir Erzeugnisse dieser A rt apperzeptiv in ih-
30 rem bleibenden Zwecksinn.1
Indessen, das ergibt zunächst nur den Bereich der niederen Zweck­
sphären und hinsichtlich bleibender Seinserzeugnisse sozusagen den
Bereich des Handwerklichen. Dieses aber ist im allgemeinen nur ein
Kern für einen höheren, so nicht verstehbaren Zwecksinn. Z.B. den
35 chinesischen Maler verstehen wir zwar als Maler, das Erzeugnis als ge­
maltes Bild, aber doch nicht seine eigentliche künstlerische Absicht,
korrelativ nicht den eigentlichen Sinn des Werkes, das Werk als
Kunstwerk seines bestimmten künstlerischen Sinnes. Nur die leere
Allgemeinheit, dass es sich um ein Kunstwerk handeln dürfte, suppo-
40 nieren wir aus unserer eigenen Erfahrung von Zeichnen, Malen, nnd
1 Genauer: 1) Verstehen des Leibes als Organ, Verstehen durch unmittelbare
Appräsentation und ihre unmittelbare Bewährung; 2) in eins damit und korrelativ
Verstehen der unmittelbaren sinnlichen Umwelt ais uns gemeinsame normal sinn­
liche; 3) das Verstehen der unmittelbar instinktiven Bedürfnisse und des Lebens in
der gemeinsamen Form der engsten Alltäglichkeit; 4) Analogie von Interessen­
sphären, die in das Alltägliche eingreifen, aber die sinnliche Alltäglichkeit, das Un­
mittelbare übersteigen.
BEILAGE XXVII 443

nachdem wir freilich schon in unserer Umwelt malende Künstler und


ihr Werk nachverstanden haben. Nun gar Musik, religiöse Aktionen
und Symbole. Wir haben nicht die historische Erbschaft, die in ihren
Mittelbarkeiten der Intentionalität sich auswirkt. Innerhalb derselben
5 Kulturwelt versteht man sich „ohne weiteres”, aber es ist offenbar
auch hier schon der oben bezeichnete Unterschied gegenüber der na­
turalen Erfahrung, wie sich ja auch darin zeigt, dass wir in diesem
„ohne weiteres” Verstehen bezogen sind auf den Stand unserer Men­
schenerfahrung bzw. auf unsere „Bildung”. Durch eigene fortgehende
10 Erfahrung und auch durch gemeinschaftliche Erfahrung — als leben­
dige Erfahrung der Gegenwart und der von Gegenwart zu Gegenwart
in die Zukunft fortschreitenden Erfahrung — können wir, solange diese
Bildung sich nicht entsprechend erweitert, ein Kunstwerk noch solange
und eingehend uns ansehen und nachzuverstehen suchen, oder einen
15 fremdartigen Menschen noch so genau beobachten: wir kommen zu
keinem wirklich sich erweiternden und vollen Verständnis. Das Kind
kann einen Erwachsenen noch solange im gemeinschaftlichen mit ihm
Leben beobachten, es ist nicht so weit, um ihn über seine enge Ver-
ständnissphäre hinaus zu verstehen, nicht seine personale Art als Bür-
20 ger, als Junker, als Arbeiter, Sozialdemokrat etc. So auch für die Er­
wachsenen, sie haben ihren Bereich möglicher Apperzeptionen, und
doch gehört alles zusammen zu einer seienden Welt, innerhalb deren
die Welt des Kindes, des erwachsenen Bauern etc., des Deutschen, des
Chinesen etc. eingebettet ist. Jedes Objektive jeder dieser relativen
25 Welten ist zugänglich für jedermann, in welcher Welt er ist — für
jedermann in einer selbst wieder relativen universalen Normalität: der
der Erwachsenen. Das aber nicht, als ob jedes Objektive wirklich in
seinem vollen Sondersinn zugänglich wäre, wohl aber verständlich als
zu einem universalen historischen Menschheits- und Welthorizont
30 <gehörig>, mit seiner Form der Bekanntheit und Unbekanntheit, der
Bestimmtheit und Unbestimmtheit und der Form einer Erkennbarkeit
in Mittelbarkeiten, die doch nicht faktisch für jedermann bei der Ge­
bundenheit und Endlichkeit seines Lebens verwirklicht werden könn­
ten. Schliesslich kommen wir also auf die Probleme der Verwirklichung
35 des mitmenschlichen Verstehens, insbesondere darunter der histori­
schen Methodik, um die vagen traditionalen Horizonte zu enthüllen
und sie für „jedermann” und sein Verstehen zugänglich zu machen.
Nr. 28

ZUR EINFÜHLUNG: DER ANDERE IN EINS


WELTOBJEKT UND MITSUBJEKT SCHON
VERMÖGE DER EINFÜHLENDEN DECKUNG.
5 PARALLELE: WIEDERERINNERUNG UND
EINFÜHLUNG. APODIKTIZITÄT DES EGO AUS
WIEDERERINNERUNG. PROBLEM DER
APODIKTIZITÄT DES ALTER BZW. EINES
UNIVERSUMS VON MITSUBJEKTEN
10 (27. und 29. Januar 1932)
27. Januar 1932.
Das alles scheint klar, aber bei tieferem Eingehen sieht man,
dass es keineswegs genügt.2)
Jeder hat seine Primordialität und in ihr seine primordial
15 konstituierte sinnliche Welt jeweils w'ahrnehmungsmässig ge­
geben in einer Orientierung. Also zunächst, ich apperzipiere oder
antizipiere mit <dem> ersten Anblick Welt, im einzelnen das
Ding als synthetische Einheit. Oder: ich antizipiere eine syste­
matisch vielfältige Synthesis im ,,ich kann mich in diesem ver-
20 trauten kinästhetischen System bewegen, darin nach Belieben
vertraute Wege durchlaufen und damit die kontinuierlich zuge­
hörigen Erscheinungen ablaufen lassen” . So gewinne ich kon­
tinuierliche einstimmige Synthesen, kontinuierlich aneinander­
zufügen, in verschiedenen vertrauten Richtungen zu vereinheit-
25 liehen, und korrelativ synthetische Einheit eines und desselben
Dinges, des einstimmig seienden, in seinen einstimmigen Eigen­
schaften seienden. Ich werde vielleicht so und so in Unstimmig­
keit geraten, Sosein und selbst Sein werde ich vielleicht nicht
halten können, ich werde aber vermöge einer selbst immer
30 einstimmig sich bewährenden Antizipation höherer Stufe alle
Unstimmigkeiten der niederen, nämlich im Gang der bislang
1 Den Manuskriptunterlagen ist nicht zu entnehmen, auf welchen Text sich
dieser Satz bezieht. - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE XXVIII 455

nicht nur „Objekt”, sondern Mitsubjekt. — Ist da nicht zu unter­


scheiden: miterfahrend und mithandelnd? Ist nicht zu unterschei­
den im Sich-decken? Differenz gegen die Wiedererinnerung? Aber
haben wir nicht auch da ein Doppeltes ?
5 Apodiktizität des Ich-erfahre. Darin liegt schon abgewandelte
Wiedererinnerung und Vorerinnerung, als die sich bestätigt hat, auch
vor der Frage, ob ich jetzt eine ferne Zukunft habe.
Ich erfahre und stehe auf dem Boden der Erfahrung, und ich stehe
auf dem Boden der Zukunft, ich entwerfe für sie praktische Möglich-
10 keiten. Ich bin im praktischen Willen, im vorhabenden. Ich habe Er­
ledigtes, Vergangenes, d.i. vergangenes Wollensedimentiert als erledigt,
und habe Unerledigtes, Gewolltes, Gesolltes.
In der Wiedererinnerung vergegenwärtigt. Als Erfahrung: vergan­
gene Wahrnehmung vergegenwärtigt. Als Wille (Vorhabe): vergange-
15 ner Wille vergegenwärtigt. Jetzt noch Wille, jetzt noch Vorhabe. Ist
er erledigt, so ist er jetzt eben erledigter Wille; war er damals nicht
erledigt, so hat er im Horizont die Fortgeltung und nachkommende
Erledigung, der jetzt nachwirkt. Ich nehme ihn: Ich war damals in
der Arbeit an der Schrift (der inzwischen erschienenen). Aber jetzt bin
20 ich noch im unerledigten Willen, der Fortsetzung aus Erinnerung ist.
So bin ich als gegenwärtiges Ich in Willensgemeinschaft mit dem
vergangenen.
Ich will — wiederaufnehmend mit mir, dem vergangenen Ich, in
Gemeinschaft.
25 Ich will — ein neues Leben, Herrschaft über mein Leben. Ich will
mein vergangenes Leben reinigen durch Reue etc. Da bin ich auch mit
mir in Gemeinschaft, in einem ich-ichlichen Willensverhalten. Ich in
Harmonie mit mir selbst als praktisches Ich und in Widerstreit mit
mir. Ich in Gemeinschaft mit Anderen — in Willensgemeinschaft als
30 in ihm, in seinem Wollen wollend, oder, statt sein Wollen zu überneh­
men als meinen Willen, das Wider zu wollen im Streit. Wollung, in
Praxis jedes Modus in Gemeinschaft der Zusammenstimmung oder
Unstimmung.
Nun sind auch die alten erledigten Wollungen und ihre Ergebnisse.
35 Natur als Ergebnis des einzelnen in seiner Primordialität, das für
jeden in seiner zugänglich ist. Ideales etc. als Ergebnis, Zahlen etc.,
auch für jedermann.
456 CARTESIANISCHE MEDITATIONEN” 1931-1932

BEILAGE XXIX
<ZUM T H E M A EGO G E H Ö R T , SO G U T W I E M E I N E
V E R G A N G E N H E IT , AUCH D I E M I T G E G E N W A R T D E R
A N D E R E N ALS M I T S U B J E K T E F Ü R D I E W E L T .
5 T R A N S Z E N D E N T A L E S ICH U N D M E N S C H >
<wohl Februar 1932>

Als Ich habe ich Welt bewusst in verschiedenen Bewusstseinswei­


sen, als Ich habe ich strömend-wechselnd verschiedenes Bewusstsein,
aber auch bleibende Überzeugungen von Weltlichem etc.
10 Reduktion auf Erfahrung, Wahrnehmung, Erinnerung — gegen­
wärtige, vergangene Welt.
Ander e Ich, Menschen und Tiere, sind erfahren zunächst wie
Weltliches sonst, aber erfahren als Körper, „ausdrückend”, appräsen-
tierend fremdes Bewusstseinsleben. Scheidung: Primordiales und Ein-
15 gefühltes. Fremdes Bewusstsein als mitgeltend wird für mich zu einem
mittelbaren Bewussthaben, In-Geltung-, In-Erfahrung-haben von
Welt. Zum Thema ego gehört, sogut wie meine Vergangenheit, auch
die Mitgegenwart der Anderen als Mitsubjekte für die Welt, ihr Sub­
jektives als „Mif’subjektives in und für mein Subjektives, das sich nur
20 als primordiales unterscheidet, ähnlich wie meine Gegenwart für mich
als primordiale charakterisiert ist gegenüber meiner in der primordial
gegebenen Erinnerung als intentionale Modifikation bewussten Ver­
gangenheit (erinnerte Gegenwart). So haben wir eine eingefühlte Ge­
genwart, deren Ich aber nicht identisch ist mit meinem Ich, sondern
25 anderes Ich ist, intentionale Modifikation des meinen, aber als anderes
etc.
Der Gang in das Universum des Subjektiven, zur Welt als Welt der
Intersubjektivität, als meine WTelt, die meines ego, das in sich das
Ich dieses Wir ist.
30 Die Subjektivität, die als ego die Anderen und die offen endlose
Mannigfaltigkeit der Anderen (in der späteren Auswirkung der Mittel­
barkeit der Einfühlung) in sich impliziert hat, bin ich selbst, und doch
nicht ich, der Mensch, ich als Glied der Welt, mundanes Objekt, seiend
mit den regionalen Bestimmungen eines Weltlichen. Alle solchen Be-
35 Stimmungen setzen schon leistende Subjektivität, mich als Ich, das da
in eins mit den einfühlungsmässig in Mitgeltung gesetzten fremden
Bewusstseinen leistende Ich, leistend die Sinn- und Geltungseinheiten
des Titels Welt. Und so ist auch das Bewusstseinsleben dieses Ich
nicht menschliches. Das Verhältnis von Ich im gemein menschlichen
40 Sinn und ego ist ganz eigenartig. Sofern der Mensch Selbstobjektivie­
rung der transzendentalen Subjektivität ist, impliziert sein Sein die
transzendentale Subjektivität, aber nicht als „Dasein im Menschen”,
als einen irgendwie anzunehmenden Kern im Menschen, sondern nur
als Potentialität, vom mir Gelten als Mensch zur Transzendentalität
BEILAGE XXIX 457

durchzubrechen. Andererseits impliziert in anderer Weise das tran­


szendentale Ich, wie die Welt überhaupt, so den Menschen als Gebilde,
aber als das eigenartige Gebilde, das „ich” sagend transzendentales Ich
ist und sich apperzeptiv weltliche Regionalität aufgelegt hat, und so,
5 dass es sich dann immer nur als so seiend vorfindet.
IV

T E X T E A U S D E R Z E IT
VOM F R Ü H J A H R 1932 B IS ZUM J A H R E 1935
N r. 29

PH Ä N O M E N O L O G IE D E R
M IT T E IL U N G SG E M E IN SC H A F T (R E D E ALS
A N R ED E U ND AUFNEH M EN D E R REDE)
5 G E G E N Ü B E R D E R BLO SSEN
E IN F Ü H L U N G S G E M E IN S C H A F T (BLO SSES
N E B E N E IN A N D E R -S E IN ). Z U R
PH Ä N O M E N O L O G ISC H E N A N T H R O P O L O G IE ,
ZU E R F A H R U N G (DO X A) U N D P R A X IS
10 (13. A pril 1932 und vorher, A bschluss am 15. A pril 1932)

< I n h a lt:> D ie in te r s u b je k tiv k o n s titu ie r te W e lt vorgegeben a ls


W e lt f ü r d ie M e n s c h h e it — a ls W e lt v e rh a rre n d d en „ M e n sc h e n
g eg e n ü b er” : fu n g ie re n d e S u b je k tiv itä t — b a ld re a lw e ltlic h e in g e­
ste llt, b a ld p e r s o n a l. M itte ilu n g s g e m e in s c h a ft a ls V o r a u s s e tz u n g
15 u n d F o r m f ü r s o z ia le A k te . K o n s t i t u tio n s o z ia le r V e rb u n d e n h e it —
p e r s o n a le r V e rb a n d . S o z ia le H a b itu a litä t und e in z e lsu b je k tiv e .
M e n s c h h e it a ls E in h e it d e r S o z ia litä t.
N u r A n f a n g , a b er g ru n d le g e n d .

W ie e r f a h r e i c h d e n A n d e r e n , w ä h r e n d i c h E i n -
20fühlung vollziehe?
1) Zunächst ganz allgemein: Erfahrung kann Erfahrung in
irgendeinem Interesse sein, und so auch die ein fühlende Erfah­
rung. Alles, was zur Aktualisierung des Interesses gehört, ist bei
jedem Akt aus dem Interesse primär oder sekundär thematisch:
25 ich bin darauf gerichtet, im prägnanten Sinne bin ich auf das
primär Thematische gerichtet. Erfahrung kann auch ausser-
thematische Erfahrung sein, und dann bald im vermittelnden
Übergang zu thematischer Erfahrung, in solche wirklich über­
führend, bald schon auf dem Wege dazu, aber ohne wirklich dahin
30 zu führen: nämlich imthematische Erfahrung kann im Modus
462 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

des „Appells an das Interesse” sein, oder anders ausgedrückt,


an das Ich des Interesses, es anrufend. Eigentlicher gesprochen:
Das jeweils Erfahrene hat den Charakter des Anrufenden, des
Reize auf das Ich Übenden, und dementsprechend das Erfahren
5 des Erfahrenen seinen Modus. Der Anruf mag aber das Ich be­
treffen, ohne dass von diesem das antwortende Hinsehen, Hin­
hören erfolgt und damit der Übergang in die interessierte Aktivi­
tät erfolgt. Aber auch das ist offenbar möglich, dass wohl Er­
fahrung statthat derart, dass das Erfahrene als solches sich dem
10 Ich entgegenhebt, anruft, aber der Anruf verhallt als nicht das
im aktuellen Interesse stehende Ich, bzw. nicht sein Interesse
„angehend”.
In dieser Weise hat nun „eine und dieselbe Erfahrung” sehr
verschiedene phänomenologische Gestalten, je nach ihrer Nicht-
15 funktion oder Funktion in einer Aktivität; je nachdem ist ihr
Erfahrenes nicht thematisch oder in verschiedener Weise primär
oder sekundär thematisch.
2) Betrachten wir diese verschiedene Sachlage in der Ein­
fühlung. Der Andere ist erfahren in der Weise, dass ich „in ihm
20 versunken” bin aus welchem Interesse immer. Ich lebe in der
Appräsentation sein Leben mit, wobei er als leibliche Person in
meiner Wahrnehmungswelt erfahren ist, näher in meinem aktuel­
len Raumfeld der wahrnehmungsmässigen Gegenwart. Ist er
überhaupt so für mich da, so ist er auch appräsentiert als Person
25 personalen Lebens. Doch kann die Appräsentation, wie bei
flüchtigem Sehen, gar wenn er als für mich interesselos im Hinter­
gründe bleibt, in voller Undeutlichkeit und Unklarheit — völlig
inaktiv bleiben. Ist sie selbst aktiviert, in der Aktivität des
Interesses fungierend, so besteht sie in einem Eingehen a u f d ie
30 u n d in d ie andere Person in einem quasi mit ihr Leben: ihr
Erfahren, ihr Denken, ihr Werten, ihr Tun in der vergegen­
wärtigenden Appräsentation, und soweit sie jeweils bestimmte
ist. Ich lebe „gleichsam” mit.

Deckung—- „Übernehmen" oder Teilhaben

35 Wenn nicht Gegenmotive im Spiele sind, mache ich ohne


weiteres in Deckung meines Ich mit dem seinen (gleichsam in
ihm so und so mich verhaltend) seine Verhaltungsweisen, seine
TEXT NR. 29 463

Stellungnahmen, seine Geltungen mit: ic h ü b e r n e h m e so­


zusagen sein ihm als wirklich Geltendes als meine Geltung, seine
Urteile als meine. Auch seine Vorhaben, seine Handlungen,
Werke? Zunächst, was das eine anlangt, so sagt das Übernehmen
5 nicht das eigentliche „Übernehmen” als eine eigene Verhaltungs­
weise, seil, nicht in Gegenübersetzung, nicht in Absonderung
meines Ich von dem seinen: während ich doch ganz in Deckung
mit ihm bin, wenn ich in ihm mitlebe und so z.B. miturteile.
Erst wenn ich dazukomme, aus welchem Interesse immer, mich
10 aus der Deckung zu lösen und wieder zu distanzieren, sehe ich,
dass mir ein selbsteigener Seinsglaube, ein mir selbsteigenes Ur­
teil in der Deckung erwachsen ist, dass ich aber in ihr als Ich
mich noch nicht von dem Anderen schied, und doch ein Mit-
stellungnehmen als übernehmendes, ein des Anderen Geltung
15 Übernehmen vollzogen habe: mir nunmehr verbleibend, wie
ein sozusagen solipsistisch erworbenes Sein, Sosein, Urteil usw.1
3) Was nun die Akte der P r a x i s anlangt, so beziehen sie
sich alle auf die Welt als die schon für den Handelnden seiende,
und zwar ihrem Sinn gemäss objektiv seiende. Das sagt aber:
20 Als objektive hat sie schon den Sinn der aus jenen intersubjek­
tiven Übernahmen durch Deckung der beteiligten Ich ent­
sprungenen Geltungssphäre, aus wirklichen und möglichen und
durch wechselseitige Korrektur und Fortbewährung entsprungen
und immerfort entspringend.
25 Mit jeder Übernahme des mir im Konnex mit Anderen zur
Seinsgeltung Kommenden erhält die schon für mich seiend-
geltende Welt eine neue Sinnbestimmung. Rückgewendet sehe
ich alsbald, dass, was vordem für mich als Welt in Geltung war,
seinerseits immer schon Bestände hat, die aus solcher Tradition
30 stammen. Für mich seiende Welt war immer schon, solange ich
Welt hatte (oder soweit ich mich zurück verfolgen kann als
waches Menschen-Ich), Gemeinwelt, „unser aller” Welt, und
nicht etwa bloss kollektive Welt eines jeden von uns für sich,
sondern Welt aus wechselseitiger Tradition. Ja selbst mein „wir
35 Menschen” beruht auf Tradition.
Hier sind also besondere Aufklärungen zu vollziehen, die Weise
betreffend, wie durch Einfühlung und die mit ihr Hand in Hand

1 Wie bei der Erinnerung natürlich.


464 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

gehende Übernahme eine gemeinsame Welt erwächst und wie


über die aktuell miteinander kommunizierenden Menschen-Ich
hinaus ein offener Seinshorizont von wirklich miterfahrenen und
möglicherweise zu erfahrenden erwächst und eine Welt für alle
5 in der Endlosigkeit der ichiichen Koexistenz als Welt, die für
alle je aktuell in Kommunikation Tretenden in ihren „über­
nahmen” als gemeinsam seiende sich konstituiert haben muss —
als Welt nicht nur für sie, sondern für alle.
E in H a n d e l n , s c h o n ei n p r a k t i s c h e s V o r h a b e n ,
l O k a n n m a n in d e m b e z e i c h n e t e n S i n n e n i c h t „ ü b e r ­
n e h m e n ”. Des Anderen Wollen, vergegenwärtigt in meiner
Appräsentation, ist in der Deckung nicht mein Wollen, das,
wenn ich aus der Deckung herausträte, mir als mein eigenes
Wollen verbliebe; so das vorhabende Wollen, <der> Entschluss,
15 so das ausführende Wollen als Handlung, so das im Ergebnis,
etwa im Werk „niedergeschlagene”, erledigte Wollen — als ob ich
dann das Werk auch als das meine ansehen würde und ansehen
könnte.
(Beifügung, Fortsetzung vom 13. April 1932).
20 Ich kann zwar, wo ich im Konnex mit dem Anderen bin, in
ihm quasi lebend, in ihm quasi wünschend, praktische Möglich­
keiten erschauend, mich für die eine oder andere als die vorzüg­
liche entscheidend, in allem sozusagen mitgehen und in anderen
Fällen nicht mitgehen — also in gewisser Weise habe ich hier
25 auch den Unterschied von Übernehmen und Nichtübernehmen,
wie des doxischen, so des fühlenden, begehrenden, praktischen
Verhaltens. Aber mich als eigenes Ich in meiner Primordialität
von dem eingefühlten, appräsentierten Ich (dem alter ego) distan­
zierend, bin ich nun doch nicht im Begehren desselben, im Wollen
30 desselben, im praktisch mich Entscheiden für dasselbe, während
in Hinsicht der d o x i s c h e n Verhaltungsweise des Anderen,
hinsichtlich des Seins dieser oder jener Weltobjekte, wofern ich
in der Einfühlung in Kongruenzdeckung mitgehe (mit ihm in
dieser Hinsicht „kongruiere”), mir eine Doxa desselben gegen-
35 stündlichen Seinssinnes verblieben ist, in der Kongruenz mir zu­
gewachsen ist der mir nun verbleibende Seinsglaube; dasselbe,
was für ihn ist und so beschaffen ist, ist nun für mich seiend und
so beschaffen.
TEXT NR. 29 465

Wie versteht sich diese Differenz? Aus der schon erhellten


Konstitution weiss ich: Was ich doxisch als weltlich seiend in
Geltung habe, ist für mich in Geltung als durch mitseiende
Andere hindurch für mich und sie in eins geltend. Weltlich Seiendes
5 ist für uns gemeinsam, für jeden durch die kommunizierenden
A n d e l s h i n d u r c h , seiend, soweit die Einstimmigkeit reicht.
Greife ich verändernd ein, während die für mich seienden An­
deren nicht ihrerseits eingreifen, so besagt das zunächst, in der
solitär reduzierten Sphäre meiner Primordialität ändere ich das
-10 primordial für mich Seiende, es wird als dasselbe Geändertes. In
der Gemeinschaft mit den Anderen ist es nun auch für sie da als
anderes — soweit die Einstimmigkeit reicht.
Greifen sie aber auch ein als für mich in Kommunikation seien­
de Andere, so erwachsen die Möglichkeiten der Vergemeinschaf-
15 tung der Änderung. Wir zugleich ändernd ändern evtl, dasselbe
derart, dass wir stimmend verändern und aus unserem jeweiligen,
je ichlichen Verändern Einheit einer gemeinsamen Veränderung
erwächst. Oder die intendierten Veränderungen ergeben keine
resultierende Veränderung, sie sind widerstimmig, eine hemmt
20 die andere. Aber die Rede von resultierender Veränderung ist
vieldeutig. Einer nach dem anderen kann an demselben Seienden
verändernd eingreifen, und jede Veränderung des einen schafft
ein Verändertes, das nunmehr für die anderen da ist und durch
ihre Veränderungen verändert wird, dann aber auch für jeder-
25 mann Verändertes ist. Oder unser Eingreifen ist ein gleichzeitiges,
und dann hemmt zwar das des einen das des anderen, aber in
verschiedener Weise: in der Weise einer Resultantenbildung in
der gemeinsamen kontinuierlichen Gleichzeitigkeit, mit dem
Grenzfall, dass sich ein Eingreifen und das andere einfach auf-
30 hebt, während sonst Unterschiede der Kraft im Spiele sind, d.i.
eine positive Resultante sich ergibt, ein Veränderungsergebnis,
das „Resultante” heisst.
Wir haben Veränderungen des für alle Kommunizierenden
Daseienden, die „von selbst”, ohne Eingreifen der Subjekte (die
35 nur als gemeinsam erfahrende tätig sind) statthaben, und wir
haben Veränderungen von den eingreifenden Subjekten her (von
den wertend-wollend-handelnden), also als subjektiv erwirkte,
aktiv erstrebte und erzeugte, gegenüber den rein passiv ver­
laufenden.
466 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

Nun ist aber nicht zu übersehen, dass ich meine für mich da­
seiende Umwelt habe als in einem Kern wirklich erfahrene und
mit einem Horizont möglicher, vermöglich zu antizipierender und
nur als Spielraum vorgezeichneter Erfahrungen. Was für mich
5 ist, ist für mich als das (aber spielraummässig) für alle, für jeder­
mann, der mit mir kommuniziert, Seiende. Ich habe einen offenen
Horizont Anderer, und Anderer, die bald passiv sich verhalten,
bald aktiv in den Gang ihrer erfahrenen Umwelt, also verändernd
eingreifen. Das aber im allgemeinen nur in Spielräumen mög-
10 ücher Erfahrung vorgezeichnet. Die für mich seiende Umwelt als
Welt für alle ist also über das eigentüche Erfahrungsfeld bzw.
seine Seite hinaus horizonthafte Vorgegebenheit, und die Spiel­
raumgegebenheit besagt, dass es Spielräume von Möglichkeiten
sind, teils von bekannten und unbekannten Möglichkeiten des
15 von selbst Verlaufenden, teils von bekannten und unbekannten
eigenen und fremden Möglichkeiten, die aus dem Eingreifen von
unbekannten und bekannten Anderen entspringen.
In dieser Horizonthaftigkeit ist die Welt für mich, wenn ich
mich besinne, als seiende immer schon konstituiert: Abbauend
20 finde ich die Horizonthaftigkeit in der Primordialität, dann als
Horizonthaftigkeit der transzendentalen, der ersten Anderen —
als offene reale Möglichkeit von Anderen und als in jedem er­
fahrenen und zu erfahrenden Anderen als seine eigenen Seins­
möglichkeiten, innerhalb der Form eines appräsentierten Ich mit
25 seiner appräsentierten Primordialität und dann in der notwen­
digen Identifikation gemeinsamer Onta als notwendige Einheits­
konstitution einer Einstimmigkeit in einem Horizont offen mög­
licher Unstimmigkeit und Korrektur. Diese für mich durch den
Horizont der Anderen hindurch konstituierte Welt dieser Onta
30 ist eo ipso Gemeinwelt für alle diese Anderen, als ebenso für sie
konstituiert. Diese Welt ist konstituiert als allgemeinsame raum­
zeitliche Welt, in der ich und meine Anderen (also wir) als die
Welt Konstituierenden, als die transzendentalen Subjekte aller
konstituierenden Apperzeptionen selbst für sich und für Andere
35 apperzipiert sind als weltlich seiende Menschen, als aus transzen­
dental intersubjektiver Konstitution seiende Körper, die Leiber
sind für ihre Seelen. Unter dem Titel Seele ist das jeweilige
transzendentale Subjekt ontisch apperzipiert als P e r s o n eines
personalen Lebens, als sich selbst und Andere weltlich apperzi-
TEXT NR. 29 467

pierend, so dass jedes Welterfahren, jedes Weltliches Bewusst­


haben als psychisches Erlebnis des Menschen apperzipiert auf-
tritt. In dieser Welt haben wir unser Universum — das Univer­
sum des Seienden, des apperzeptiv Konstituierten, das Univer-
5 sum möglicher einstimmiger Erfahrung — das Seiende aller
Stufen, aller „Erfahrungen” jeder möglichen Stufe, das Univer­
sum des einmalig, „individuell” Seienden, individuiert in der
Form der Raumzeitlichkeit, aber auch das der idealen Gegen­
ständlichkeiten als in der universalen Menschheit verwurzelte
10 Potentialität, von jeweiliger individueller Welt zu ihren Wesens­
möglichkeiten und Wesensallgemeinheiten emporzusteigen.
Zur raumzeitlichen Individualwelt gehören, wie die Subjekte
objektiv als Menschen, so die menschlichen Handlungen und
Taten und Werke. Aber weltüch sind nicht nur seiende Einzel-
15 Subjekte, sondern nur Einzelsubjekte als soziale Glieder von
Sozialitäten, und letztlich von sozial verbundenen, unmittelbar
und mittelbar miteinander personal verbundenen Menschheiten.
Einheit einer totalen Menschheit reicht so weit, als Mittelbarkeit
der sozialen Aktivität reicht, aktueller und potentieller, im
20 weitesten Sinne Einheit einer universalen Tradition.
Also in der unendlichen Bewegtheit der transzendentalen
Konstitution, in der transzendentale Intersubjektivität ihr Sein
erhält und entfaltet, ist konstituiert diese Welt als Welt für mich,
der ich zentraler Mensch bin meiner totalen Menschheit, aber
25 einer Menschheit, die einen offenen Horizont anderer Mensch­
heiten hat. Diese Horizonthaftigkeit ist untrennbar einig mit der
horizonthaften Gegebenheit des Universums von r a u m z e i t ­
l i c h e n Realitäten des mir immerfort in der Weise der Erfah­
rung einheitlich erscheinenden Universums. Ich habe Welt, eben
30 als diese erscheinende Unendlichkeit, und habe sie als mensch­
liche Person in meiner personalen Menschheithchkeit und als für
sie und offen fremde Menschheiten dieselbe. Die identische Welt
für die Menschheit, für jedermann überhaupt in jeder Mensch­
heit und in der Allmenschheit, die doch zugleich alles Menschen-
35 tum in sich hat, ist für jedermann und für jede Menschheit zeit-
räumlich-real seiende. In dieser Raumzeitlichkeit ist das Reale
Identisches seiner ontischen Veränderungen und Unverände­
rungen, Veränderungen, die sich in Relation zu mir, zu den Einzel­
subjekten, oder auch zu den totalen Menschheiten und der
468 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

T otalität aller M enschheiten im m erfort unterscheiden als Ver­


änderungen von selbst und Veränderungen aus m enschlicher
A k tivität, aus m enschlichem Vorhaben, Planen, H andeln. D ie
W elt ist seiend, als das für M enschen vorhanden, als den Men-
5 sehen gegenüber (an sich, o b je k tiv ): den M enschen gegenüber,
sofern jeder Mensch und jede M enschheit S u b jek tivität ist und
i h r Gegenüber hat und als Gegenüber auch die M enschen und
M enschheit und sich selbst hat — eben als in der A llraum zeit­
lichkeit seiende.

10 Schlicht-objektive Einstellung — reflektive Einstellung auf


sich und andere Subjekte als fungierende. Naturwissenschaftliche
Einstellung und personalistische. Die Weltzukunft als
Zukunft von selbst und von uns her, ebenso Gegenwart und
Vergangenheit

15 In dieser R elativität finde ich Seiendes als m enschliche Sub­


je k tiv itä t und Seiendes als O b jek tivität, als raum zeitliche R eali­
tä t ; und je nachdem ich und der M ensch sich als Subjekt b etätigt,
in Subjektfunktion ist, also gerichtet in diesem Fungieren auf
O bjekte, oder je nachdem er auf sein Subjektsein und Anderer
20 Subjektsein und Fungieren gerich tet ist, und als w elche Objekte,
darunter M enschen als O bjekte haben (in einem Fungieren
höherer Ordnung), ist er b ald real w eltlich (w issenschaftlich ge­
sprochen naturw issenschaftlich im w eitesten Sinne) eingestellt,
und bald personal (geistesw issenschaftlich). D ie reale W elt ist
25 dabei im m erzu erfahren als die, w ie sie schon ist und bisher als
durch frühere K onstitution war, m it dem offenen H orizont realer
Zukunft, die den doppelten M öglichkeitssinn h at: Zukunft von
m einer A ktion her, m einem handelnden Eingreifen her, oder von
selb st, sofern ich nicht eingreifen m a g ; und so für jede M enschheit.
30 D er H andelnde hat diese d oppelte M öglichkeit notw endig vor sich,
das, w as w ar und ist, und das, w as m eine praktische M öglichkeit
ist und w as je nach der R ich tu n g m eines m öglichen H andelns
ein neues reales, aber je ein verschiedenes reales Sein sch afft.1
J ed e M enschheit in der V ielgestaltigk eit des einzelnen personalen
35 H andelns (nebeneinander, m iteinander, gegeneinander Handelns)

1 Das Handeln ist fundiert im erfahrenden, letztlich in meinem leiblichen Tun, wo


oder soweit mein Handeln unmittelbar ist. Mittelbar ist Handeln auch in Form des
Handelns durch Andere hindurch und durch mein Erfahren von ihrer Leiblichkeit.
TEXT NR. 29 469

hat in jedem Momente ihres Seins ebenso seiende und gewesene


Welt und Zukunft als Universum von Möglichkeiten, in deren
Einstimmigkeit oder in deren Streit, wozu hier der personale
Streit der Absichten und wechselseitige Hemmung gehört, not-
5 wendig eine seiende Zukunft eintreten muss — als schliessliche
Resultante, die abhängt von der Weise, wie die einzelnen handeln
werden, also wie sie fühlend sich zu dieser seinserfahrenen Welt
verhalten, sich danach entscheiden. Damit ist aber eine Gesamt­
resultante notwendig entschieden. Durch alles Nebeneinander-,
10 Miteinander-, Gegeneinanderhandeln, durch alle praktische Ein­
stimmigkeit und Unstimmigkeit hindurch geht aber dies, dass
eine reale Welt ist, der alle Unstimmigkeit nichts anhaben
kann, dass, wie unbekannt es ist, was im Konkurs des Von-selbst
und Von-uns auch geschehen mag, etwas Bestimmtes doch ge-
15 schehen wird als ein Geschehen der seienden Welt. Die Welt ist
gezeitigt nicht nur als Vergangenheit und Gegenwart, sondern
auch als Zukunft, und sie konnte als Gegenwart und Vergangen­
heit nur gezeitigt sein, weil eingreifende Aktivität bei aller prak­
tischen Unstimmigkeit doch zu einer Seinsresultante führt,
20 führen muss. Seiendes ist immerzu vorbestimmt, für alle Zu­
kunft, oder vielmehr, Zeit als Zukunft von Seiendem hat nur
Sinn als Vorbestimmtheit des: irgend etwas wird resultieren, ein
Etwas, ein Reales. Im voraus hat Welt eine Form, und zur Form
gehört die Struktur der künftigen realen Möglichkeiten, auch der
25 praktischen. Die Subjekte haben ihre Form, und als Subjekte
von schon für sie horizonthaft geltender Welt. Die Welt als im
voraus als zeitlich, als künftig geformte hat einen Rahmen für
Induktionen. Aber das sagt nicht, dass von der Gegenwart her
Zukunft doxisch entscheidbar ist in ihrer bestimmten Indivi-
30 dualität. Zukunft ist „bestimmt”, sofern bestimmt ist: „es wird
e t w a s sein innerhalb der ontischen Form”. Aber nicht ist
Zukunft darum schon bestimmbar, von der Gegenwart her
„berechenbar”.
Auf dem Boden der selbstverständlich und im voraus seienden
35 Welt wird man sagen: Solange Einfühlung gelingt und soll ge­
lingen können als eine Weise einstimmig bewährender Erfah­
rung, solange ich den Anderen konsequent verstehen kann als
denselben, solange muss die Deckung meiner primordialen Welt
und der des Anderen Kongruenzdeckung sein oder durch Korrek-
470 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

tur zu Kongruenzdeckung führen. Dazu muss zunächst die Ein­


heit meines wahrnehmenden primordialen Tuns für den Anderen
in seiner Primordialität als Einheit verstehbar sein und korrelativ
mein wahrnehmendes Tun für den Anderen als Einheit leistendes
5 und als Einheit der aus Vermöglichkeit entspringenden Tätig­
keiten verstehbar sein. Ebenso muss, was der Andere in seiner
primordialen Erfahrungsumwelt in handelndem, veränderndem
Eingreifen erzeugt, für mich als Veränderung aus seinem Ein­
greifen verständlich sein. Oder es muss so sein, dass nicht nur der
10 Andere als Subjekt verständlich wird, sondern auch als Objekt,
als Mensch, als Reales in der Welt; und ebenso, ich selbst muss
als Mensch für mich apperzipiert sein und in Kommunikation
mit den anderen Menschen als in der Raumzeitlichkeit horizont­
haft verteilten. Das alles muss sich in der Analysis der fertigen
15 Weltkonstitution, in der konstitutiven Rückfrage nach der Ver­
flechtung der konstituierenden intentionalen Leistungen auf­
klären.
In der primordialen Unmittelbarkeit: unmittelbarstes wahr­
nehmendes leibliches Tun, mittelbares Tun des Handelns, des
20 schon raumzeitlich Wahrnehmbares ichlich Bewegens und quali­
tativ Veränderns — das als Grundlage für die Apperzeption des
Anderen, der so ohne weiteres als Wahrnehmender und ichlich
Verändernder, handelnd Wirkender aufgefasst wird. Dann Ver­
flechtungen und weitere Mittelbarkeiten des erfahrenden Tuns,
25 das zugleich real erwirkendes ist, also ichlich erwirkend; ebenso
weitere Mittelbarkeiten des ichlichen Wirkens. Das Handeln
im prägnanten Sinne als zielhaftes, absehendes, absichtlich
realisierendes, dabei Erfahren, Wahrnehmen etc. als absicht­
liches, als auf Seiendes es Abgesehenhaben gegenüber dem un-
30 absichtlichen etc.
Transzendental: Identität trotz hyletischer Wandlungen ■ —■
Konstitution eines identisch Unveränderten vermöge des „ich
kann von mir aus die Abwandlung erwirken”. Sein in Korrelation
mit Können. Konstitution von Veränderung. Zunächst: Unver-
35 änderung in das <p-Phänomen überfliessend. Diese Wandlung
kann früher oder später von selbst haltmachen, und dann ist
wieder Unveränderung: das ohne mein „Eingreifen”, nur wahr­
nehmendes Verhalten und Tun. Beim eigenen Leib: Jede Ver­
änderung der Art „Bewegung” als blosses <p-Phänomen kann ich
TEXT NR. 29 471

zum Halten bringen, und so habe ich hier das korrelative Zu­
sammengehen von cp-Wandlung und Stillhalten, wodurch wieder,
wie ohne mein Mittun, Unveränderung wahrnehmbar wird, un­
ter Sukkurs der übrigen wahrnehmenden Organe etc. In einem
5 engen Umkreis der Nahsphäre: Bewegen als „handelnd” „mit­
tels” der Leiblichkeit ein Ausserleibliches in Bewegung setzen —
ra-Phänomen —, willkürlich stillhalten, in Unveränderung über­
führen. Zu berücksichtigen auch das ein Ding Ergreifen, Heben,
Tragen etc. So in der eigenen Primordialität. Dann Andere im
10 gleichen verstehen.
Bewegung und bewegende Kraft. Widerstand.
Aufklärung der realen Identität als Identisches im intersub­
jektiven Konnex. Konstitution der ontologischen Form der raum­
zeitlichen res extensa, des Naturobjektes als Objektes für uns alle.
15 Korrelativ mitkonstituiert die ontologische Form des mensch­
lichen Subjektes in der Schichte des Natur erfahrenden und in
Natur eingreifenden Subjektes.
Nun aber: Konstitution der menschlichen Personalität im
personalen Konnex als Glied von Sozialitäten, als Person in einer
20 totalen personalen Menschheit. Das Füreinander-dasein, das in
eins damit dieselbe raumzeitliche Umwelt gemein hat und in
ihr psychophysisch als „Reales”, als in die Natur Eingeord­
netes da ist, ist noch nicht „sozial” Vergemeinschaftet-sein. Im blos­
sen Nebeneinandersein und Füreinander-dasein, einander einseitig
25 oder wechselseitig verstehend (in Einfühlung erfahrend), ist, wenn
die Einfühlung zu anschaulicher Appräsentation wird, eine
„Deckung” zwischen mir und dem Anderen zwar hergestellt;
aber ein ganz Neues ist die darin fundierte Deckung, die mich
und meinen Anderen personal „einigt”. Voraussetzung: wechsel-
30 seitiges aktuelles Füreinander-dasein, wechselseitig einer des
anderen Innesein. In dieser Situation „wende ich mich an ihn”.
Die Situation der wechselseitigen aktuellen Einfühlung kann
noch verschiedene Modi haben. Ich erfahre den Anderen, in
unmittelbarer Fremdwahrnehmung, unmittelbarer Einfühlung.
35 Ebenso er mich. Ist damit schon gesagt, dass wir uns wechsel­
seitig als einander Wahrnehmende wahrnehmen? Natürlich
nicht. Es kann ja sein und ist öfters so, dass ich den Anderen
(etwa in einer Gesellschaft) sehe, aber nicht weiss, ob er mich
überhaupt gesehen hat oder jetzt mich beachtet. Ich kann ihn,
472 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

er kann mich sogar beobachten, ohne dass er oder ich eben dies
merken. Es kann auch sein, dass Andere, während ich mit irgend
etwas, mit einer Sache oder einer Person, beschäftigt bin, als
Menschen in meinem Wahrnehmungsfeld da sind — ich bin nicht
5 auf sie gerichtet, bin nicht in expliziter Einfühlung in sie, in ihr
personales, leibliches Sein mich speziell einlassend, ihren aus­
drücklichen Bekundungen einzeln verstehend hingegeben.
Also es kommt fürs erste offenbar darauf an, dass ich auf den
Anderen gerichtet bin als anderes waches, so und so aktives Ich,
10 und natürlich aktiv in bezug auf die gemeinsame Umwelt. Ich
bin mit ihm beschäftigt in der Weise des expliziten Nachver­
stehens seiner „Bekundungen”, der unmittelbarsten seines leib­
lichen wahrnehmenden, handelnden und sonstigen Waltens und
all des Mittelbaren, worin sich eben sein „psychisches” Sein
15 bekundet, z.B. in der „Heftigkeit” der stossenden Bewegung
seines Armes und derjenigen des im Stoss Geschleuderten seine
innere Heftigkeit, seine Kraftanspannung, evtl, seine Gemüts­
erregung.
Ein Besonderes ist es nun, dass ich ihn verstehe als vice versa
20 auf mich aktiv und explizit auf meine Bekundungen, auf meine
darin bekundete Aktivität gerichtet. Und wieder ein Besonderes,
dass ich ihn dabei verstehe als in besonderen Bekundungen sich
ausdrückend, dass er zugleich mich versteht als auf ihn so ex­
plizit gerichtet. Er kann ja, z.B. mich in irgendeinem Interesse
25 beobachtend, meinen, dass ich das nicht merke, vielleicht, weil
ich „so tue”, als ob ich es nicht merkte — jeden Ausdruck meines
Merkens dabei eben unterdrückend.
Wie nun, wenn wechselseitige aktiv eingehende Einfühlung
hergestellt ist? D a m i t i s t n o c h k e i n e s o z i a l e E i n i -
30gung, k e i n e k o m m u n i k a t i v e , h e r g e s t e l l t , kein ak­
tueller Ich-Du-Konnex, als diejenige Aktualität, die Vorausset­
zung ist für die habituellen Ich-Du- und Wir-Einheiten, die
nicht ein blosses Zusammensein von Menschen in der Welt sind
und als das für mich und für andere Glieder solcher Kollektion
35 kollektiv erfahrbar sind, sondern eine personal verbundene G e­
meinschaft, eine personale Vereinigung der verschiedenen mög­
lichen Typen.
W as n och feh lt, ist V orhabe und W ille der K undgebung — es
feh lt der spezifische A kt der M itteilung (des Sich-m itteilens),
TEXT NR. 29 473

der als G em einschaft schaffender lateinisch geradezu c o m m u n i-


ca tio heisst.

Phänomenologie der Mitteilung

E s ist natürlich ein w ich tiges Problem , die ursprüngliche


5 Genesis dieses A ktes verständlich zu m achen. Z unächst aber gilt
es, ihn selb st in seiner In ten tio n a litä t auszulegen. Seine Voraus­
setzung h a t er nach dem schon A usgeführten in der w echselsei­
tigen E in fü h lu n g im M odus der w echselseitig ak tu ell wahrneh­
m enden, in der einer auf das su bjektive Sein-des anderen eingeht
10 und zudem einer den anderen in dieser H in sich t versteht. In
dieser S itu a tio n w ende ich etw a m ich an den A nderen, das andere
Ich, das für m ich zum D u wird. Sofern er als anderes Ich ver­
standen ist, is t er es als A k t- bzw . V erm ögenssubjekt. Er sieht
je tz t oder geh t jetzt dahin, er kön nte in unserem gem einsam en
15 W eltfeld nach B elieben da- oder dorthin gehen, er hantiert m it
dem , schiebend, stossend oder sonstw ie; er k ön nte sta tt dessen
anders eingreifen, oder sta tt dieses Objektes ein anderes, und
sta tt in dieser in anderer A bsich t in B esch äftigu n g nehm en. W ie
er sich dabei faktisch benim m t, verstehe ich dadurch, dass jeder
20 seiner A k te, der für m ich verständlich wird, d ie Z w eiseitigkeit
des A usdrucks h a t ; er bek u nd et in der Ä usserlichkeit die en t­
sprechende Innerlichkeit des A bsehens und V erw irklichens, eine
B ekundung, die für m ich w irksam ist, ohne dass der Andere eine
spezifisch bekundende, näm lich m itteilende A b sich t h at. D iese
25 se tz t offenbar schon voraus, dass eine B ekundung durch blossen
A usdruck verständlich ist. M itteilung is t nun n ich t ein blosses
Erw irken, dass der A ndere den oder jene A k te vollzieh t, dass er
etw a auf dies oder jenes aufm erksam wird und danach, w ie vor­
auszusehen, das oder jenes tu n wird. D as kann ich erwirken,
30 ohne dass der A ndere eine A hnung davon h at, dass ich hierbei
im Spiele w ar, dass seine A k tiv itä t gem äss m einem W unsch und
W illen inszeniert sei. Ich w erde in solchen F ällen n ie sagen, ich
h ab e ihm d iese M itteilung gem acht. Zum Sinn solcher R ede,
zum norm alen B egriff von M itteilung gehört natürlich, dass ich,
35 w ährend ich im A bsehen und Ausführen der M itteilung bin, zu ­
gleich v o n dem A nderen verstanden (erfahren) w erde als so agie­
rendes Ich , w as seinerseits voraussetzt, dass m ein m itteilendes
T un für den einfühlungsm ässig für m ich daseienden A nderen
474 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

sich ausdrücklich bekunde, dass es in seiner sinnlichen Aussen-


seite meine zugehörige Innerlichkeit nach Absehen und wollen­
dem Tun ausdrücke. Auch die Absichtlichkeit eines Ausdrucks
muss sich also ausdrücken, und dieses immer vorausgesetzte
5 Ausdrücken ist wie das zum Allgemeinen der Einfühlung gehö­
rige noch nicht Mitteilung.
Doch nun müssen wir wieder scheiden: Im Falle einer Mit­
teilung an den Anderen wünsche ich natürlich, ihn zu Akten zu
bestimmen, ich wünsche, ihn das oder jenes wahrnehmen zu lassen,
10 an das oder jenes zu erinnern, das wir etwa gemeinsam erlebt
hatten, oder ich wünsche, dass er etwas theoretisch Urteilsmäs-
siges zur Kenntnis nehmen soll, mein Wissen in sich aufnehmend,
oder ich wünsche, dass er, etwa als Folge solcher Erfahrungen
oder solchen Wissens, eine Handlung vollziehen soll — wofern er
15 nicht gar schon auf Grund früherer Vereinbarungen in Habitua-
lität mein Diener ist, dem ich ihnen gemäss nun Befehle erteile:
das oder jenes für mich auszuführen. Offenbar sind zu unter­
scheiden die mitteilenden Akte von den Akten, auf deren durch
sie vermittelte Erwirkung im Anderen ich es schliesslich abge-
20 sehen habe.
Ich wende mich an den Anderen, wünschend, dass er das und
das tue in der jeweiligen Mittelbarkeit seiner Aktion, die das
letztlich Erwünschte seines Tuns, und als das für mich, ergibt.
Dieser Wunsch hat evtl, seinen ursprünglichen sinnlichen Aus-
25 druck, und so auftretend kann es sein, dass derselbe vom Anderen
verstanden wird, falls dieser auf ihn bzw. auf mich als so Wün­
schenden gerade eingehend aufmerksam ist. Ein Neues ist es,
dass ich etwa auf Grund der Erfahrung, dass solches Verstehen
Motiv sein kann für das Erfüllen des Wunsches, den Ausdruck
30 absichtlich und in einer Aufmerksamkeit erweckenden Eindring­
lichkeit besonders gestalte, etwa den natürlich sich in meiner
Geste und ohne weiteres ausdrückenden Wunsch verbinde mit
einem sprachlichen Ausdruck, einer Rede.
Der Andere, selbst ein gelegentlich redend Mitteilender, ver-
35 steht die Rede als Rede und was ich rede als Anrede an ihn, als
mitteilende Rede, in der ich mich über mein ihn und sein Akt­
verhalten betreffendes Absehen ausspreche. Und so versteht er
und verstehe ich auch Andere als in Beziehung aufeinander als
Redende, als sich Mitteilende. „Rede” hier in einem weitesten
TEXT NR. 29 475

Sinne absichtlicher und zunächst unmittelbarer, urmodaler Mit­


teilung welcher Gestalt immer (durch lautende Worte, durch
Schrift, durch mitteilende Gesten).
Zur Begründung der Sozialität gehört also von mir und ap-
5 präsentiert von der Gegenseite eine mehrschichtige Aktivität:
einfühlend, und zwar in aktiv eingehender Fremdwahrnehmung,
auf den Anderen Gerichtetsein in Absicht, ihn zu gewissen Akten
zu motivieren, dazu ihn dadurch zu motivieren, dass ich ihn
anrede, dass ich ihm redend mein Absehen kundtue und in
10 unserer gemeinsamen Situation ihn motiviere, meine Rede, mein
an ihn Wenden als solches zu verstehen.
Die normale Situation ist die, dass ich anredend die Erwartung
habe, dass er die Mitteilung verstehend (zuhörend, also auf sie
als solche eingehend, sie übernehmend) entgegennehmen werde.
15 Diese normale Erwartung kann enttäuscht werden. Er hört
nicht zu, und ich versuche etwa wiederholend oder durch son­
stige Mittel des Ausdrucks dieses Eingehen zu erreichen.
Aller Sozialität Hegt zugrunde (zunächst in UrsprüngHchkeit
der aktuell hergestellten sozialen Aktivität) der aktueHe Konnex
20 der Mitteilungsgemeinschaft, der blossen Gemeinschaft von An­
rede und Aufnehmen der Anrede, oder deuthcher, von Anspre­
chen und Zuhören. Diese sprachhche Verbundenheit ist die
Grundform der kommunikativen Einigung überhaupt, die Ur­
form einer besonderen Deckung zwischen mir und dem Anderen,
25 und so zwischen irgend jemand und einem für ihn Anderen, eine
Einigung der Rede: ich apperzipiere den Anderen als mich
Anredenden und somit als mir irgendeinen auf mein Aktver­
halten bezogenen Wunsch oder Willen Mitteilenden (auch der
Wunsch ein Willensmodus mit dem Horizont der hoffnungsvollen
30 MögHchkeit) bzw. als meine Anrede, wenn ich umgekehrt sie
vollziehe, Hörenden, und zwar auf meine Mitteilung Eingehen­
den. Die Mitteilung wird als solche übernommen, aufgenommen.
Mein Mitteilenwollen, also mein Aktus mit seinem Sinngehalt,
geht in den appräsentierten Anderen ein, indem dieser die Akti-
35 vität der Zueignung, des darauf eingehenden Zuhörens vollzieht
— was sich für mich in dem Verstehen des Anderen als Zuhö­
renden bezeugt, bezeugt aus dem äusseren Gehaben des Anderen,
das das Zuhören in dem ersten Sinne „ausdrückt”. Aus diesem
ersten appräsentierenden Ausdruck wird ein mitteilender, wenn
476 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

der Andere dazu sagt, ich verstehe, auf die Anrede etw a nur
höflich reagiert m it „ b itte ” und dgl.

1ch-Du-Deckung

D as W esentliche ist, dass ich als gew isse A kte, und hier zu-
5 nächst als A k te der M itteilung, V ollziehender in eine solche q u a s i-
D eckung m it dem anderen Ich trete, dass es a l s ak tvollzieh en ­
des, als w ach fungierendes Ich m it dem m einen sich d e c k t . Oder
deutlicher: A k te v ollzieh e ich nicht nur und werde nicht nur von
dem A nderen als A k te vollziehend verstanden, sondern m ein
10 A ktvollzu g m otiviert in ihm einen gew issen M itvollzug, A kte
des die M itteilung A ufnehm ens, auf das A bsehen der M itteilung
E ingehens. In A nrede und A ufnahm e der A nrede kom m en Ich
und anderes Ich zu einer ersten E inigung. Ich bin n ich t nur
für m ich, und der Andere ist nicht m ir gegenüber als Anderer,
15 sondern der A ndere ist m ein D u, und redend, zuhörend, gegen­
redend bilden wir schon ein Wir, das in besonderer W eise ver­
einigt, vergem ein sch aftet ist.
Aber d am it haben wir noch nicht R ücksicht genom m en auf
den Inhalt der M itteilung. Sie h at ja jew eils in sich als Inhalt
20 m ein A bsehen, den A nderen zu einem gew issen A ktverh alten zu
bestim m en, w obei dieses A ktverh alten eben durch die M itteilung
als ihr G ehalt kundgetan wird. D ie M itteilung zuhörend über­
nehm en ist noch nicht den W unsch oder W illen in dem Sinne
der E rfüllung ü b ern eh m en ; der A ndere kann sich diesem W illen
25 auch versagen. Im einen F alle stim m t der A ndere m ir zu, verhält
er sich innerlich bejahend, im anderen F alle ablehnend, dagegen
stim m end, verneinend. D as „antw ortende” V erhalten, z.B . die
Bejahung, fin d et entw eder bloss A usdruck der A ppräsentation,
oder einen m itteilen d en A usdruck in norm aler, sprachlicher A nt-
30 w ort, als p rädikative B ejahung bzw . V erneinung oder auch als
M odalität: ich bin unentschieden, oder, ich werde es vielleicht
tu n etc. In jedem Falle ist dabei in der Ich-D u-G em einschaft
Ich als Ich gew isser A k te und anderes Ich als Ich gew isser korre-
later A kte verbunden, beide Ich in einer Ich d eck u ng als wie
35 ein D oppel-ich, von dem zusam m enstim m ende und n ich t zusam ­
m enstim m ende A k te ausstrahlen. So w ie ein Ich m it sich selbst
in Streit kom m en kann, so kann in dieser D eck u ng ein Ich m it
TEXT NR. 29 477

dem sich mit ihm deckenden in Streit kommen. Das Verhältnis


der Einstimmigkeit, in der Akte des einen Ich sich in Akten des
anderen Ich erfüllen, das eine durch das andere abzielend und
leistend hindurch sich erstreckt, einseitig und wechselseitig eines
5 im anderen strebendes, vorhabendes, ausführend verwirklichen­
des ist, schafft offenbar die innigste Deckung. Aber auch das
Gegeneinander, das verneinende, ablehnende Verhalten ist ein
Verhalten nicht im Nebeneinander, sondern im Ineinander von
Akt-Ich und Akt-Ich. Der Wunsch, den ich an den Anderen
10 richte, ist in ihn eingegangen, ich reiche wünschend in das andere
Ich hinein, als es motivierend, aber nur sofern ich schon in ihm
mit meinem Wunsch bin, er meinen Wunsch aufgenommen hat,
erfahre ich, in ihm, Ablehnung.
Nun sind vielerlei besondere Fragen zu stellen und wesens-
15 massig mögliche und nahe zusammenhängende Vorkommnisse
zu studieren. Es handelt sich durchaus um Vorkommnisse ver-
gemeinschafteter Aktivität, innerhalb also einer aktuellen Mit­
teilungsgemeinschaft.
Doxische Sphäre, Vergemeinschaftung in erfahrender Kennt-
20 nis, jetzt also in der Sphäre der Ausdrücklichkeit, als ausdrück­
liche Urteile von Urteilenden auf Urteilende durch Mitteilung
übergehend oder Einigung im ursprünglichen Urteilen; anderer­
seits Streit und Streben nach Einstimmigkeit — intersubjektiver
Einstimmigkeit, Einstimmigkeit im vergemeinschafteten Ur-
25 teilen.1
Dann Absehen auf Wahrheit, auf Endgültigkeit als Gewinnung
von Urteilen, die jedermann, die wir alle im mitteilungsmässigen
Miteinander einstimmig anerkennen könnten und müssten. Ver­
gemeinschaftung in Absicht auf dauernd uns bleibende, immer
30 wieder für uns verfügbare, durch Dokumentierung der Begrün­
dung gesicherte und fixierte Erwerbe. Wissenschaftliche, theo­
retische Sozialität, Einheit der Wissenschaft als Gemeinschafts­
erwerb.
D em gegenüber die Praxis, die der T heorie gegenübergesetzt
35 wird. D as ein > die seiende, gem einsam erfahrene und gem einsam
beurteilbare W elt verändernd eingreifende H andeln und V erge­
m einschaftung in diesem H andeln — w echselseitige Störung, das

1 Es fehlt die Frage des einsamen Urteilens — aussagend!


478 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

Widereinanderhandeln, vor der Vergemeinschaftung. Das in der


Sprachgemeinschaft, in der aktuellen Verbundenheit von Rede
und verstehend aufgenommener Rede ermöglichte Ich-Du-
Handeln, das wir-hafte Handeln, einstimmig verbundenes Han-
5 dein in der Einheit eines Zwecksinnes, der „vereinbarter” Zweck­
sinn ist, an dem jedes handelnde Einzel-Ich „beteiligt” ist. Kon­
stitution eines handelnden Wir als Personalität höherer Ordnung,
als Einheit einer aktiven Subjektivität, sozusagen einer viel­
köpfigen. Aber in dieser Sphäre auch das negierende praktische
10 Verhalten, das absichtliche und ausdrückliche Widereinander­
handeln.
Es ist hier zu bedenken, dass Mitteilung und Verbundenheit
von Mitteilung und Aufnehmen der Mitteilung nicht in gewöhn­
licher sprachlicher Rede vonstatten gehen muss. Schon bei
15 Tieren: sich wechselseitig verstehen und als „Ich" die Wünsche,
die Wollungen des anderen Ich verstehen, die auf „mein” Ich-
verhalten gehen — so wechselseitig, und das im aufeinander
Gerichtetsein und schon bewusst auf mitteilenden Ausdruck für
den Anderen Gerichtetsein. Wie die Köhlerschen Affen im Mit-
20 einander, in ihren höflichen Begrüssungen, in ihren Spielen als
miteinander spielen.1
Zuerst betrachte ich normale soziale Akte — dann auch die
Anomalität der Lüge, der absichtlichen Verstellung, der un­
wahrhaftigen Mitteilung.
25 Alle sozialen Akte sind Akte im schon konstituierten inter­
subjektiven Wahrnehmungsfeld, als das für einen jeden in diesem
Felde Erfahrenden reale Vorkommnisse, Vorkommnisse, an
denen mehrere Subjekte, Menschen beteiligt sind — als so er­
fahren werden. Aber jede Erfahrung hat ihre Erfahrungshori-
30 zonte, sie ist Apperzeption. Sie kann Scheinerfahrung sein, und
so kann ein sozialer Akt sich im Gang der Erfahrung heraus-
stellen als ein unwahrer, scheinhafter, im besonderen als ein
verlogener. In dieser Modifikation der Verlogenheit ist es selbst
ein Modus möglicher Sozialität. Das muss also genauer noch
35 ausgelegt werden.
Ferner: Zunächst müssen soziale Akte, die Ich-Du-Akte, die

1 Aber das wichtige Problem des Unterschiedes von tierischer Mitteilung und
Sprache!
TEXT NR. 29 479

spezifischen Wir-Akte zu Verständnis gebracht werden. Dann ist


zu leisten die Aufklärung der sozialen Verbindungen als habi­
tueller Verbände eines habituellen Wir (im Verband vereinigtes
Wir), eine Ehe, eine Freundschaft, ein Verein etc. als personale
5 kommunikative Verbände. Aber auch das Sein einer fortwäh­
renden Vereinbarung in bezug auf einen zeitlich begrenzten
Zweck, auf eine besondere einzelne Leistung etc. Die Habitua-
lität der verbundenen Personen ist einerseits einzeln zu ihnen
gehörige Habitualität, in ihnen seiende, verharrende Willens-
10 richtung. Aber die Personen sind nicht vereinzelt, sofern sie
verbunden sind. In die Habitualität geht das Füreinander- und
Ineinandersein, das In-Deckung-sein, das an einer vielköpfigen
Willenseinheit Beteiligtsein ein. Die Verbindung stellt Einheit
her zwischen Akt-Ich und anderem Akt-Ich und so für eine
15 Mehrheit von Akt-Ich (und schliesslich evtl, eine offene Vielheit,
die in mittelbaren sozialen Akten aufeinander bezogen und ver­
bunden sind). So konstituiert sich eine Personalität höherer
Ordnung als ein fortdauernd Seiendes. Nicht nur jedes personale
Ich hat seine eigene Habitualität, sondern die Vielheit hat ihre
20 verbundene Habitualität, dadurch dass jede Habitualität eines
jeden in die jedes anderen „hineinreicht''.
Aber von da erst beginnt der Aufbau der Formenlehre der
personalen Verbände und ihres verbunden-personalen Seins, sich
auslebend in einem verbundenen personalen Aktleben, an dessen
25 vielköpfigen Akten die einzelnen Genossen „beteiligt” sind, und
so, dass jeder einzelpersonale Akt in das Aktleben der Genossen
hineinreicht, aktuell oder potentiell. Das ergibt besondere Hori-
zonthaftigkeiten für Personen und Verbände, einzelsubjektive
Weisen der Darstellung des Seins der Gemeinschaft, in der er
30 ist, der er ist etc.
Aufbau des Menschen als Menschen in einer Menschheit, und
einer Menschheit in Allmenschheit. In dieser ontologischen Form
Entwicklung, Geschichte.
(Abschluss: 15. April 1932)
- UNIVERSALE GEISTESWISSENSCHAFT ALS
ANTHROPOLOGIE. SINN EINER ANTHROPOLOGIE
(November-Dezember 1932; ab 11. November 1932)

5 <§ 1. Der universale Charakter der Anthropologien


Ich besinne mich, wie in der Welt, der für mich immerfort als
meine Habe schon seienden, der Mensch „vor” der Wissenschaft
und als Wissenschaftler lebt, was er als Wissenschaftler, und im
besonderen als Geisteswissenschaftler, als Anthropologe, vorhat.
10 Indem ich den Menschen überhaupt, die Menschheit in univer­
saler Allgemeinheit als Thema denke, die Schranken aufhebe,
in denen die gewöhnlichen Geisteswissenschaften innehalten (im
übrigen aber den Menschen in ebensolcher Weise thematisch
bedenkend, aber in schrankenloser Allgemeinheit, wie es diese
15 in den Besonderheiten tun), finde ich also: dass universale an­
thropologische Erkenntnis a l l e W e l t e r k e n n t n i s ü b e r ­
h a u p t u m s p a n n t wie alle menschlichen Beziehungen über­
haupt auf Welt, die Universalität menschlicher Bestrebungen,
Wertungen, Handlungen, in denen Menschen ihre Welt gestalten
20 und ihr dabei „menschliches Gesicht” erteilen.
Das Sein der Welt ist vorausgesetzt, alle Welterkenntnis er­
forscht seiende Welt. Zur seienden Welt gehört auch der han­
delnde Mensch, hineinhandelnd in die ihm in einem Sein vor­
gegebene Welt, er will sie anders, erkennt in ihr im einzelnen
25 praktische Möglichkeiten des Andersseins, und danach handelt
er. So ist universale Wissenschaft auch Wissenschaft vom Men­
schen in seiner menschlichen Praxis, aber auch vom Menschen
als erkennenden, also schliesslich auch vom Menschen als uni­
versal anthropologisch erkennenden, von allen dabei wirklichen
30 und mögüchen Erkenntnisakten, Erkenntnisvermögen etc. Die
TEXT NR. 30 481

seiende Welt wird von der universalen Wissenschaft universal


erforscht, in verschiedenen Richtungen. Die Anthropologie als
Wissenschaft von der universalen Menschheit in der Welt er­
forscht, wie beschaffen Menschen sind. Sie sind, sieht sie, als
5 Subjekte, die sich auf sich selbst und alles andere Weltliche
mannigfaltig beziehen und evtl, darin wissenschaftlich beziehen
und darin wieder anthropologisch beziehen. Schliesslich also
gehört in ihren Kreis vom Menschen her, von den Menschen im
Miteinander, der einzelnen, Gemeinschaften etc., Wissenschaft
10 als menschliche Leistung, Gebilde, und sie selbst als menschliche
Leistung. Natürlich jede andere Wissenschaft auch. Also Natur,
die der Mensch hat, die für ihn ist als unvollkommen erfahrene,
in von ihm aus zu vervollkommnender Erfahrung, als erkennbar
und immer vollkommener erkennbar, schliesslich als in die
15 vollkommenste Vollkommenheitssteigerung fortschreitende Wis­
senschaft der Naturwissenschaftler.
Gibt es eine Naturwissenschaft ausserhalb der universalen
Anthropologie? Exakte und deskriptive Naturwissenschaft, or­
ganische und anorganische, und eine sonstige Wissenschaft, Ma-
20 thematik, Psychophysik? Die Wissenschaft vom Menschen
scheint eine besondere Wissenschaft zu sein. Der Mensch ist
doch i n der Welt und nicht selbst die Welt enthaltend ■
— und die
Wissenschaft vom Menschen, ohne den Menschen als Menschen
zu überschreiten, umfasst doch a l l e Wissenschaften. Wie ist
25 ihre Einstellung ?

<§ 2. Die Einstellung der Anthropologie und ihre


Paradoxie. Ich und die Anderen als Thema>
Anthropologische Menschenbetrachtung ist eine Betrachtung
des Menschen als Person, welche in der Welt ist dadurch, dass
30 sie sich auf Welt „bezieht”, als Subjekt der Intentionalität, die
eben das personale Sein, das Subjektsein für etwas ausmacht.
Sie ist also identisch mit dem, was eine u n i v e r s a l e r e i n e
P s y c h o l o g i e erforscht? Freilich ist der Mensch immerzu
gemeint als Subjekt seines Leibes, als immerfort seinen Leib
35 habend, mit dem Leib einig — aber diese Einigkeit ist in der
Anthropologie und ihren Disziplinen ausschliesslich gemeint als
eine gewisse, zu umschreibende, habituelle intentionale Bezogen-
482 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

heit jeder Person auf ihren Leib. Ebenso ist das Sein in der Welt
anthropologisch ausschliesslich gemeint (mag auch jede Reflexion
der Geisteswissenschaftler darüber in das Vorurteil des Natura­
lismus ausarten) als i n t e n t i o n a l e B e z o g e n h e i t de r
5 S u b j e k t e aufeinander und auf die sonstige Welt.
Die Anthropologie umfasst alles Naturerfahren, alles Natur­
meinen, alles Naturerkennen, ob nun das des einzelnen Menschen
oder das des vergemeinschafteten und im besonderen wissen­
schaftlich vergemeinschafteten Menschen, natürlich das unechte
10 und echte, das uneinsichtige und einsichtige, das Erkennen
in allen seinen Relativitäten der Echtheit der Bewahrheitung
(diein dieser Relativität Einsicht heisst), und so in der Relativität
fortschreitend sich vervollkommnende Naturwissenschaft der Na­
turwissenschaftlergenerationen in ihrer eigenartigen Vergemein-
15 schaftung. So umfasst sie also von den naturwissenschaftlichen
Personalitäten her alle gewordenen und verharrenden wissen­
schaftlichen Gebilde, die naturwissenschaftlichen Wahrheiten,
Theorien. Dabei sind eben diese Menschen als Personen thema­
tisch im universalen Thema Menschheit überhaupt als univer-
20 saler menschlicher Personalität, und Menschen können gar nicht
thematisch sein, ohne dass ihr intentionales Leben, ihr Vorstellen,
Denken, Fühlen, Handeln, thematisch wird ■— und so ihre Lei­
stungsgebilde.
W as unterscheidet nun die naturalistische E instellung von der
25 anthropologischen (geistesw issenschaftlichen) ? D er N aturw issen­
sch aftler hat die N atur, u nd rein sie selbst, zum T hem a und nicht
den M enschen, w eder den M enschen überhaupt noch den N atur
erkennenden M enschen.
Nichts kann für wen immer, kann für welche Gemeinschaft
30 immer sich selbst als seiend zeigen und ausweisen, es sei denn in
der Weise eines darauf Gerichtetseins und erkennend Fungierens
der erkennenden Subjektivität, und so, dass sie dabei von dem
betreffenden Seienden, aber nichts von sich selbst als erkennender
und ihren Erkenntnisweisen erfährt, in den thematischen, er-
35 kennenden Griff bekommt. Nur wenn universal-anthropologisch
die menschliche Person thematisch gemacht wird, ist auch das
erkennende Thematisieren und alles fungierende Ichliche über­
haupt in das Thema einbezogen wie alles sonstige ichliche Fun­
gieren. Sie ist zwar in jedem einzelnen Akte und bei jedem be-
TEXT NR. 30 483

sonderen Thema da, und die fungierenden Mitsubjekte sind


auch mit bewusst, aber sie untersteht der neuen Aufgabe der
Durchführung universaler Reflexion.
Selbstverständlich: Was immer wir erkennen, wir sind Men-
5 sehen, wir sind erkennende Ichsubjekte, wir durchleben ein er­
fahrendes Leben, konstituieren aktiv, assoziativ apperzipierend
konstitutive Gebilde, erwerben mit ihnen bleibende Haben, Er­
werbe, Erkenntnis, und das erkannte Seiende als solches, als was
es für uns dann „ist”, mit all seinen Ist-heiten, wissenschaftlichen
10 Bestimmungen, ist unser „menschliches” Gebilde — das alles ist
personal konstituiert. Was ist das für eine P a r a d o x i e ? Also
wir, die wir in der Welt Menschen sind, Ichsubjekte sind, sind
es, die Welt erfahren, Welt schliesslich wissenschaftlich erken­
nend haben. Sagt das nicht, die Welt, in der wir selbst unter-
15 geordnete Vorkommnisse sind, ist unser Gebilde und wir selbst
also unser Gebilde? Welch ein Unsinn oder welche Paradoxie!
Wie löst sie sich dann auf als scheinbarer Widersinn, der doch
seine Wahrheit in sich trägt?
W elt is t das U niversum des für uns Seienden, auf sie bezieht
20 sich das U niversum der Zw ecke, das U niversum des Seinsollen­
den, des v o n m ir B ezw eckten, zu Bezw eckenden, und unser aller;
darunter das U niversum der von uns, w enn w ir ethisch interes­
siert sind, erstrebten einstim m igen Zwecke und korrelativ der
„ethische” Zw eck einer universalen S u b jek tivität, die in ihrer
25 U n iversalität im M iteinander einstim m ig n ich t ist, sondern dar­
auf hintendiert.
N ehm en w ir als erstes die W elt, die für uns ist, als unser
universales T hem a der E rkenntnis, die auf „Seiendes” geht. Ich,
das jew eilige Ichsubjekt, wir, die Subjekte des them atisierenden
30 Erfahrens und Erkennens, als „fungierende” sind nicht th em a­
tisch , w ährend wir eben ichlich „fungieren” . D as schliesst n ich t
aus, dass wir nachkom m end auch th em atisch w erden als die
vordem T hem atisierenden der Erfahrung und E rkenntnis. D ann
sind wir, für uns fungierend, „w eltlich”. Fungierende Subjek-
35 tiv itä t und W elt sind relativ zueinander. S u b jek tivität lebt,
fungiert, bald dies, bald jenes erfahrend, erkennend, behandelnd
usw ., es besonders them atisierend, und s o ist sie relativ für
sich n ich t seiend. Sie h a t dabei ihre H ab itu alität, ihre alten
Erwerbe, ihre A pperzeptionshorizonte und so die P o ten tia litä t
484 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

fortschreitenden Thematisierens in Vorzeichnungen. Demnach


auch ich. In meinem thematischen Horizont habe ich evtl,
aktuell, im allgemeinen aber potentiell Andere. Ich bin als fun­
gierend nicht thematisch; aber als Ich, das „Selbstbewusstsein”
5 hat, bin ich jedenfalls in meinem Horizont potentieller Thematik,
und evtl, mache ich mich selbst thematisch, wobei ich mich aber
nie nach allem, was ich bin, erfassen kann. Aber ich kann mich
in dem Sinne ganz thematisch machen, dass ich einen erkennen­
den Willen mit dem ganzen Horizont, der ganzen Potentialität
10 der Reflexion installiere.

<§ 3. > Erfahrung von Anderen und Konnex. A uf Andere


Gerichtetsein und auf das, was sie sagen, meinen,
Gerichtetsein. Der Konnex mit Anderen in mir
Indem ich Andere erfahre, und zwar thematisch, werden sie
15 als Ichsubjekte zwar thematisch, aber in der Weise, dass ich
dabei verschiedene Möglichkeiten habe. Fürs erste, sie sind z.B.
wahrgenommen in dem Sinne, dass jemand ins Zimmer tritt und
mich anredet. Normalerweise bin ich dann in der Einstellung,
dass ich seine Mitteilung verstehe und „übernehme".
20 Ich frage: Ist der Andere dann ernstlich thematisch — ist er
im Wahrnehmen als einem auf ihn Gerichtetsein, ihn zu bestim­
men, ihn kennenzulemen, so wie wenn ich ein Haus sehe und
es betrachte? Natürlich nicht. Erfahrend und überhaupt the­
matisch die ausgesprochene Meinung des Anderen oder auch die
25 Aufforderung des Anderen, seinen Wunsch, seinen Befehl „auf­
nehmend" oder ohne weiteres „übernehmend", bin ich auf das,
„was er sagt", gerichtet. Ich frage auch: Ist das gleichzustellen
mit dem Falle, dass ich, ein Ding sehend, es als Z e i c h e n für
ein anderes, als Wegweiser z.B., nehme {den ich mir etwa selbst
30 gemacht habe, das, um alle Fremdbeziehung auszuschliessen).
Ich folge der Weisung, ich betrachte nicht dieses Ding, sondern
richte mich in meinem Vorstellen auf das Gewiesene. Natürlich
„erkenne” ich das Ding, und es ansehend gehe ich so weit, als es
nötig ist, um es „als Wegweiser auffassen" zu können. Es ist für
35 mich Ding in den Beschaffenheiten, die in dieser Erscheinungs­
weise sichtlich sind und als so erscheinende ihre relative Seins­
gewissheit haben, genau die hier dienlich ist für die Weisung.
T E X T N R . 30 485

Ähnlich, sicherlich, in dem Falle des Meinens jener eintreten­


den Person. Ich erkenne sie als Mann, als die Person, natürlich
nur bestimmt in wenigen ihrer Eigenheiten, nur so viele, als für
mich in dieser Situation nötig sind. Sofort gehe ich über zum
5 verstehenden Eingehen in das, was er sagt. Das ist aber nicht
als ein reales Moment seines Seins für mich thematisch. Sowie
er eintritt und mein ihn Wahrnehmen beginnt, sofort erkennend,
bin ich auch für mich selbst nicht mehr „anonym”, obschon ich
nicht primär auf mich gerichtet bin. Ich bin „meiner selbst be-
10wusst”, als auf ihn wahrnehmend gerichtet und in Vermittlung,
und primär interessiert, was er sagt und noch sagen will. Mein
Selbstbewusstsein befasst mein Aufnehmen und evtl. Überneh­
men des Gesagten. Zu beachten ist aber, dass es sich nicht um
eine blosse Zweiheit handelt, das im Anderen sich Vollziehende des
15 Mitteilens (als das rein auf sein Subjektives <bezogen >, dabei sinn­
lich und „geistig”, bedeutunggebend ablaufend) und andererseits
das, was in meinem Für-mich-sein und Leben vonstatten geht.
In meinem eigenen Bewusstseinsleben habe ich die Unter­
scheidung zwischen mir und dem Anderen, und in diesem, in
20 meinem Bewusstseinsleben, die Unterscheidung zwischen seinem
Aussagen und meinem Verstehen, verstehend mich Verhalten.
Aber nicht als ein Nebeneinander, sondern dasselbe, was er sagt,
ist es, das ich in meinem Verstehen verstehe. Und verstehend
glaube ich mit, was er glaubt, oder bezweifle ich, was für ihn
25 gewiss ist, oder ich bin gewiss, wo er nur eine Vermutung aus­
spricht usw. Oder auch, er spricht einen Wunsch aus, ich wünsche
aufnehmend mit, wünsche dasselbe, oder aber ich verhalte mich
zu dem von ihm Gewünschten negativ — in einem negativ wün­
schenden Modus. Wünscht er, dass ich etwas tue, so antworte
30 ich innerlich (und vielleicht mitteilend-sprechend zu ihm) durch
den bejahenden Willen und weiter vielleicht ausführend. Das
ist ichliches Miteinandersein, miteinander erfahrend, wertend,
handelnd, theoretisierend Fungieren.
Beachten wir hier die innere Situation, und zwar ich beschreibe
35 die meine, und nicht etwa von aussen, was ich zwei Personen mir
gegenüber einzeln zuteile, und dann auch, mich und meinen
Partner im Nebeneinander mir denkend, mir und ihm zuteile.
Das Miteinander der Anderen ist f ü r m i c h ja Miteinander,
und wir sind dabei in Einheit einer Funktion.
486 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

In m e i n e m Bewusstseinsleben habe ich den Zusammenhang


meiner kontinuierlichen Primordialität und das für diesen Zu­
sammenhang fungierende Ich und Ichleben. Ich habe da prim­
ordiale „Welt”, aber auch zugehörig mich und mein primor-
5 diales Fungieren, nämlich das Fungieren für die Welthabe, wie
sie da primordiale ist. Speziell das thematische Gerichtetsein auf
dies und jenes mit dem Dazugehörigen. Die da auftretenden
Verweisungen auf Andere können mich nun fortleiten und tun
es, wo ich mit einem Anderen aktuell verkehre. Wie werde ich
10 geleitet eben im Verkehr, in der aktuellen Vergemeinschaftung?
Davon haben wir oben zu einem Teil gesprochen. Jetzt genauer
gemacht ist zu sagen: Eine modale Abwandlung meiner Primor­
dialität ist durch einfühlende „Vergegenwärtigung” bewusst, ein
anderes Ich als das dieses körperlichen Leibes „dort”, darin
15 waltend etc., und das andere, vergegenwärtigte Ich als das seiner
vergegenwärtigten Primordialität in intentionaler Deckung hin­
sichtlich der mir und ihm geltenden Welt, aber im allgemeinen
in Einstimmigkeit nur zum Teil, evtl, in Unterschieden der
Modalisierung. Deckung, die liegt in jeder Modalisierung, und
20 andererseits, so etwas wie Deckung hegt hinsichtlich meines Ich
und <des> anderen Ich, die Deckung des Miteinander, womit
zusammengeht die Deckung meines primordialen Fungierens
und des seinen (einstimmig oder in modalisierenden Abwand­
lungen), und aus diesem Fungieren, meiner primordialen „Welt”
25 und der seinen. Ich im Selbstbewusstsein meiner Primordialität
als meines primordialen Fungierens in Selbstdeckung (als Ich)
bin zugleich Ich des einfühlungsmässigen Fungierens, des den
Anderen als Anderen „Wahmehmens”, des die Seinsgeltung einer
Modifikation meiner selbst als fungierendes Ich Vollziehens.
30 Aber nicht nur das, sondern in eins damit und untrennbar davon
ein Mitvollziehen der Vergemeinschaftung. Wir haben die ver­
bundene Seinsgeltung des Ich primordialen Vollziehens (das
darin „Welt” hat als Seiendes, jetzt aktuell Thematisches und
als Horizont potentieller Thematik), andererseits des einfüh-
35 lungsmässig bewusst gewordenen anderen Ich (anderes Ich,
wie ich Vollzieher eines modifiziert mir Bewussten, das seiner
Primordialität). Dabei bin ich es, der b e i d e Seinsgeltungen
vollzieht: Ich bin das Vollzugssubjekt für mich selbst als das
Ich primordialen Geltens und das der einfühlenden Wahrneh-
TEXT NR. 30 487

mung, der Seinsgeltung des Anderen mit seiner für ihn (aber
nicht für mich) primordialen Geltung. Für mich ist er im Modus
Anderer geltend, und seine Primordialität in dem Modus des
„Anderen”, einfühlungsmässig vergegenwärtigt.

5 <§ 4.> Analogie: Konnex mit mir selbst, Erinnerung


und Einfühlung. Ichzeitigung und korrelativ Weltzeitigung
Ebenso, wie ich immer wieder daneben stellte, wie ich als
originales Gegenwarts-Ich der an sich erst-urspriinglichen, gegen­
wärtigen Lebens- und Vollzugssphäre in einer Wiedererinnerung
10 mein „vergangenes” Ich und seine vergangene ursprüngliche
Gegenwartssphäre gegeben habe, in der intentionalen Modifika­
tion eben erinnerungsmässig vergangen — hier ist das Ich
jetzt und das Ich, das war, „dasselbe”, und darin liegt, durch
eine potentielle und zu aktualisierende Wiedererinnerungskon-
15 tinuität die Einheit bleibendes Ich, Ich eines zeitlich kontinuier­
lichen Lebens ergebend; das aber hat wieder nur Seinssinn in der
kontinuierlichen Deckung der vom Ich in seinen ursprünglichen
und wiedererinnerten (bzw. vermöglich wiederzuerinnemden)
Gegenwarten als thematisches Feld konstituierten Welt als der-
20 selben, nur verschieden erscheinenden, und im Wandel der Hori­
zonte, aber auch im Wandel der Modalisierung, die aber selbst
Deckung in sich trägt — e b e n s o nun bin ich der, <der> die
Geltung Ich-selbst und Ich meiner Primordialsphäre vollzieht mit
ihrer Welt als der primordial konstituierten und der z u g l e i c h ,
25 indem er die Einfühlungsgeltung vollzieht, ein anderes Ich mit
der anderen Primordialsphäre und Welt in Vollzug setzt, aber
eben damit alsbald die Synthesis vollzieht, in welcher die Welt
dieselbe für uns beide ist, und zwar durch eine Synthesis ent­
sprechender primordialer Seinsgeltungen. Ich habe meine primor-
30 diale Seinsgeltung als ursprüngliche, ich habe die einfühlungs­
mässig modifizierte, die des anderen Ich, in eins als die des ver­
gegenwärtigten Anderen u n d a ls m e i n e „ Ü b e r n a h m e ”,
als mein das vergegenwärtigte Meinen, Wahrnehmen, Einsehen
etc. des Anderen „Mitvollziehen”, a ls e i n e n n e u e n Vo l l -
35 z u g s m o d u s , e i n e n e u e m o d i f i z i e r t e I n t e n t i o n a ­
l i t ä t . E i n A n a l o g o n des E r i n n e r n s also, so wie ich
in der Vergegenwärtigung meines „vergangenen” Lebens eine
488 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

Modifikation meines Wahrnehmens vollziehe, in welcher nicht


das jetzige Ich, sondern das vergangene das wahrnehmende war
und das im ,,damals” Wahrgenommene eben nicht mein Wahr­
genommenes ist. Aber zugleich vollziehe ich, das jetzige Ich, meine
5 Mitgeltung, in der ich mich gleichsam mit dem erinnerten ver-
gemeinschafte, eine Mitgeltung, die in Gewissheitsmodalitäten
sich wandeln kann, aber in jeder Modalität liegt eine Deckung,
und sie betrifft dieselbe „Welt”, dieselbe noch im Streit. Ebenso
hinsichtlich der Vorerinnerung, der Bildung einer Voraussicht
10 meiner Zukunft. Ich, das jetzige Ich, habe in erster Linie originale
Gegenwart, und durch erweiternde Erinnerung habe ich Vergan­
genheit und Zukunft, ich habe Einheit für mich seiender Zeit als
gegenwärtige und von der Gegenwart aus durch Modifikation
und Erweiterung der Thematisierung bewusst werdende. Die
15 Gewissheit künftigen Seins ist dann Gewissheit künftiger Gegen­
wart (von der jetzt aktuellen primordialen aus), die als solche
von sich aus Gegenwart ihrer Vergangenheiten und ihrer künfti­
gen Gegenwarten ist. Sie ist es für mich im Jetzt dadurch, dass
ich etwa im Belieben eine künftige Gegenwart als Voraussicht
20 (im Modus etwa, es könnte so kommen) anschaulich mache und
nun von dort aus intentional impliziert einen Seinshorizönt der
Zukunft wie der Vergangenheit habe (wobei dann zur Vergangen­
heit meine jetzige Gegenwart gehört). So konstituiert sich seiende
Welt in der Seinsform der Zeit und korrelativ seiendes Ich, als
25 das auf diese Welt bezogen, auf sie hinlebend, in ihr lebend.1
Ebenso intersubjektiv. So wie in meinen Vergangenheiten und
Zukünftigkeiten Ich und das Meine s i c h w i e d e r h o l t und
mein gegenwärtiges „primordiales” Sein „sich” wiederholt, das
Wiederholende und Wiederholte ist, so ähnlich in den „Wieder-
30 holungen” der für mich seienden Anderen. So wie ich als iden­
tisches Ich, das Zeit und Welt hat, fortdauerndes Ich bin und
für mich selbst seiend als durch die Zeit hindurch verharrend
dadurch, dass ich in jeder Gegenwart und Primordialität aktuell
oder vermöglich mit den intentionalen Modifikationen (inten-
35 tionalen Abwandlungen, Wiederholungen) meiner selbst nach
Ich und Habe in vergemeinschaftender Deckung bin, ebenso bin
ich mit den Anderen als in meiner aktuellen Gegenwart (und

1 Vgl. Beilage X X X IV . — Anm. d. Hrsg.


TEXT NR. 30 489

von da aus in meiner gesamten ichlichen Dauer mit all ihren


modifizierten Gegenwarten) sich wirklich oder vermöglich als
meine intentionalen Modifikationen konstituierenden Anderen
und ihren modifizierten Gegenwarten und dauernden Seinsweisen
5 in Gemeinschaft, und vermöge dieser Gemeinschaft ist für mich
„die1’ Welt nicht als bloss meine aus meiner Primordialität,
sondern als Gemeinwelt. Der in meiner originalen Primordialität
für mich seiende Leibkörper, den ich als Leib wahrnehme, „er­
innert” mich an meinen eigenen originalen Leib, als in dem ich
10 walte, und „erinnert” dadurch an fremdes Ich und Ichwalten,
und das ist die Brücke für die Vergemeinschaftung der eigenen
primordial konstituierten Welt und der „erinnerten" als der des
Anderen.1 Der Andere ist meine intentionale „Wiederholung”,
und darin liegt nicht nur, dass ich ihn als Wiederholung habe
15 (aktuell oder vermöghch), sondern auch, dass er (so muss er mir
gelten, das ist in meiner Seinsgeltung, durch die er für mich ist,
intentional beschlossen) auch mich als seine intentionale Wieder­
holung hat. In der Vergemeinschaftung, die wechselweise Ver­
gemeinschaftung ist, hegt dann weiter die „Objektivität” jedes
20 Leibes und jedes durch Fungieren im Leib für das Ich, das darin
fungiert, sich konstituierenden Welthchen. Jedes ist mundan
„objektiv”, nämlich dasselbe, das ich als Erfahrbares habe und
das jeder Andere als erfahrbar hat. Das System meiner Erfah­
rungen ist auf dem Wege über Aktualität und Potentialität der
25 Einfühlung (als mein ,,Erinnerungs”modus) mit dem jedes An­
deren vergemeinsehaftet und so das Gesamtsystem meiner mög­
lichen und vermöglichen Bewusstseinsweisen mit denen aller
Anderen. Dadurch konstituiert sich objektive Welt mit objekti­
ver Zeit-Räumlichkeit und korrelativ Gemeinschaft aller Sub-
30 jekte als die für die Welt und als vergemeinschaftete Menschheit

1 Neben dem Manuskriptblatt des obigen Textes liegt im Originalmanuskript ein


Zettel mit folgenden Sätzen, die aber keiner bestimmten Stelle des laufenden Textes
zugeordnet sind: „Apperzeption setzt voraus, dass früher schon ein ähnliches Objekt
erfahren worden ist. Objektbildung geht immerfort vonstatten, es kommt eine Ein­
heitsbildung, Identifikation zustande, auf Grund des Typus Säugetier ein neuartiges
wie das. Nicht ein neues Individuum der bekannten Art Elephant, sondern ein
Säugetier einer neuen Art, etwa nur eine neue Sonderart von Elephanten oder eine
neue Art von Dickhäutern. Typische Auffassung, Speziesauffassung, Artauffassung.
D a s E i n z e l n e h a t s c h o n e i n e n H o r i z o n t s e i n e s g l e i c h e n in der ver­
trauten Umgebung als dem Normalen, das erst als sein Anomales eine Fremde und
einzelnes Fremdes möglich macht. In der Grundsphäre, der normalen, hat alles seine
Typik als artmässig vertraut”. — Anm. d. Hrsg.
490 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

in der Welt. Es ist ja einzusehen, dass die Vergemeinschaftung


neue erweiterte Horizonte schafft, dass „die” Welt in fortgehen­
der Konstitution ist unter ständiger Erweiterung ihres Seins­
sinnes.
5 In dieser Art hat für mich Welt Seinssinn aus meiner Leistung
der „wiederholenden” „Erinnerungen”, also aus meinen Leistun­
gen verschiedener intentionaler Modifikationen unter ständiger
Zusammenwirkung aller dieser Modifikationen und unter stän­
diger Vergemeinschaftung mit mir selbst und den durch sie be-
10 wusst werdenden Anderen und aller darin beschlossenen Lei­
stungen — immer meiner originalen und der für mich mitgelten­
den „in” den Modifikationen.

<§ 5. Die Objektivität des Leibes als Fundament aller


Objektivität. Konstitutive Auslegung und Genesis >
15 Hiebei ist noch folgendes zu bemerken. Fundament der Ob­
jektivität ist die Objektivität des Leibes. Die Objektivität hat
ihre Ordnung des Früheren und Späteren, schon begründet in
der Seinsordnung in der Primordialität als einer Ordnung aus
konstituierender Funktion. Der Leib ist früher als das ausser
20 ihm seiende Körperliche, und die Körperlichkeit, obschon in der
objektiven Welt eine blosse Unterschichte von Bestimmungen
umfassend, ist früher als die Bestimmungsschichte, die objektiver
Geist heisst. In der Art aber, wie der Leib in Ständigkeit objektiv
früher ist vor allem Objektiven, gründet es, dass er mundan
25 objektiv untrennbar ist von dem „in” ihm fungierenden Subjekt,
das in dieser Weise mit objektiviert wird. Der fremde Leib
ist für mich fremder, als worin der Andere waltet, und wir wech­
selweise erfahren uns untrennbar von unseren Leibern, die für
uns beide „objektiv” sind, in der Welt sind für uns beide. Freilich
30 damit habe ich noch keinen im vollen Sinne mundan objektiven
Anderen und mundan objektiven Leib. Aber sowie ich zur offenen
Vielheit der Anderen und als wechselweise füreinander Anderen
gekommen bin, sehe ich ja, dass jedermann (jeder für mich wirk­
liche und erdenkliche Andere) für jedermann erfahrbar ist als An-
35 derer, als seiendes Ich seines für jedermann als seinen (den, worin
er waltet) erfahrbaren Leibes, und nur durch die intersubjektive
Erfahrung desselben Leibkörpers als Leibes des betreffenden
TEXT NR. 30 491

Ich ist dieses selbst erfahrbar. Es ist also immer das Ich objektiv
als Menschen-Ich, das ist als leibliches, im objektiven körper­
lichen Leib waltendes, erfahren, und von da aus jedes als Ich
seiner sonstigen Welt, zunächst seiner Aussenwelt. Die Welt ist
5 für jedermann notwendig als Ich-Mensch-Aussenwelt erfahren,
aber durch diese Relativität der Gegebenheitsweise ist erfahren
die Welt als dieselbe, die sich jedem orientiert um seinen Leib
darstellen muss. Jedes Weltliche hat Sinn als Weltüch-Objektives
natürlich dadurch, dass es den Horizontsinn hat des von mir aus
10 Identifizierbaren aller meiner möglichen Erfahrungen und aller
möglichen Erfahrungen der für mich erfahrbaren Anderen, und
in allen Mittelbarkeiten der Bekanntheit und Unbekanntheiten,
desgleichen erstreckt über die Zeit, die selbst als objektive Zeit
die subjektiven Zeiten aller für mich je Seienden (allzeitlich)
15 durch Vergemeinschaftung einigt.
Unwillkürlich spricht man in der konstitutiven Auslegung in
der Sprache einer Genesis, obschon, wenn die Welt als immerzu
vorgegebene Welt ausgelegt und die Seinsordnung, die darin als
konstitutiv vorgebildete, herausgestellt wird, zunächst nicht von
20 einer ernstlichen Genesis die Rede ist und sein kann.1 Aber jede
intentionale Modifikation verweist auf eine Genesis, trägt in sich
selbst den Sinn einer solchen. Habe ich Welt, so habe ich Erin­
nerungen, Vergegenwärtigungen jeder Art und habe dadurch Be­
wusstsein von Vergangenheit, Zukunft, von meiner und Anderer
25 etc. Aber Erinnerung hat in sich den Sinn einer Genesis, ebenso
Erwartung, Einfühlung usw. Aber es ist schwierig, die echten
Probleme der transzendentalen faktischen Genesis und einer
universalen Genesis zu gewinnen, in der für mich Welt als für mich
seiende wird und zugleich als inständiger intersubjektiver— all-
30 menschlich objektivierter —• Genesis wird, oder vielmehr i n in -
f in i tu m fortdauernde ist, indem sie fortdauernd konstituiert wird.

<§ 6. K o n s titu ie r e n d e s B e w u s s ts e in u n d k o n stitu ie rte E rfa h ru n g >

Die objektive Welt ist konstitutiv Welt für jedermann und


für mich Welt wirklicher und möglicher Erfahrung, in welcher
1 Genesis vor allem, kann hier nicht einen weltlichen Sinn einer weltlichen Kausa­
lität haben, sondern einen transzendentalen. Es ist dann aber die Frage, wie diese
transzendentale Genesis sich in der menschlichen und tierischen Genesis und in der
psychologischen und gesellschaftlichen (pädagogischen) Genesis „spiegelt”.
492 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

für mich die offene Allheit anderer Menschen beschlossen ist,


als Mitsubjekten wirklicher und möglicher Erfahrung, auf die
ebenso wie auf mich bezogen die Welt objektive, unser aller
Welt ist. Aus meiner und unser aller Erfahrung erfahre ich eben
5 alles, weiss ich alles, was Welt für mich ist und für irgend jemand
ist, und so jeder von sich aus. Aber heisst das nicht: Erfahrung
und das aus Erfahrung hervorgehende sonstige Bewusstsein,
meines und unseres, ist Welt für mich, für uns konstituierend. Wie
soll nun die Menschheit und ich selbst darunter durch wirkliche
10 und mögliche Erfahrung konstituiert sein, die doch meine und
unsere Erfahrung ist, also die Menschen voraussetzt als Subjekte
der Erfahrung?
Hier ist aber zu beachten: Wirkliche und mögliche Erfahrung,
aus der alles Wissen von der Welt und alles menschliche Bewusst-
15 werden von Welt in jedem natürlichen Sinne stammt, ist nicht
Welt konstituierend, sondern ist selbst konstituiert und ge­
hört schon zur Welt als meine menschliche Erfahrung und
meiner Mitmenschen, als mein, des Menschen, und unser, der
Menschen, Bewusstsein jeder Art. Ist Welt konstituiert, so sind
20 für mich alle meine Akte Akte meiner, des Menschen, und von
da aus habe ich Andere als andere Menschen, menschliche Ich-
subjekte ihrer Akte. So für Affektion, so für Hintergrundbe­
wusstsein etc.

<§ 7. Die konstitutive Ordnung der Welt. Die primordiale


25 Wahrnehmungssphäre und die Erweiterung der Welt
durch die Anderen ( Weltanschauung) >
Aber das bedarf eines tieferen Verständnisses. Alles Bekannt­
werden der Welt, alles Wissen von der Welt, für sie Möglich­
halten und Erreichbarhalten etc. vollzieht sich im Weltbewusst-
30 sein. Als waches Ich bin ich ständig im Weltbewusstsein und
darin, <wie> gesagt, b in ic h s t ä n d i g i m S e l b s t b e w u s s t ­
sei n, in welchem ich, dieses Selbst, die leibliche Person, die
menschliche, bin. In jedem ego cogito, das ich im alltäglichen Leben
oder als anfangender Philosoph ausspreche, hat das ego diese Be-
35 deutung. Sage ich „ich”, so erfasse ich mich in schlichter Reflexion ;
aber diese Selbsterfahrung ist wie jede Erfahrung, und zunächst
jede Wahrnehmung, bloss Hin-mich-richten auf etwas, das schon
TEXT NR. 30 493

f ü r m i c h d a ist, schon bewusst ist und nur nicht thematisch


erfahren ist, nicht Aufgemerktes. So ist aber Welt überhaupt
immerfort bewusst, immerzu apperzipiert; während ich davon
nur auf dies und jenes einzelne gerichtet bin, habe ich doch das
5 Mitdaseiende im Hintergrund wahrgenommen, als Feld konsti­
tuierter und verbundener Einheiten, als das Affektive, und ich
richte mich nur auf sie, in blosser „Aufmerksamkeit”. Darüber
hinaus der Horizont — Welthorizont. Welt ist für mich, der ich
selbst für mich bin. Im weiteren Sinne ist Welt von mir erfahren,
10 teils thematisch, teils unthematisch, von mir, der ich ständig für
mich selbst erfahren bin, bald thematisch, bald unthematisch.
Gehen wir der konstitutiven Ordnung nach, so ist (soviel wie
ich sehe) für das, was in der Primordialsphäre als Leib und als
Aussenwelt erfahren oder überhaupt bewusst ist, nichts von
15 aktueller, endthematischer Reflexion auf Ich und Walten des
Ich Erfordernis. Das Ich ist ausschliesslich auf das Gegenständ­
liche gerichtet. Dagegen, sowie Einfühlung als Fremdwahmeh-
mung in Betracht gezogen wird, ist einzusehen, dass in ihr not­
wendig Reflexion auf mich selbst als im Leib und nach aussen
20 hin waltendes Ich liegt und dass von dieser Reflexion die Modi­
fikation derselben motiviert ist, welche die Einfühlung aus­
m acht.1
Mache ich mir von meinem Wahrnehmungsfeld aus klar, was
die Welt ist, von der hier dieser Bereich von Realien mir wahr-
25 nehmungsmässig gegenwärtig ist, so trete ich in einen Prozess
möglicher Wahrnehmung, möglicher Erfahrung überhaupt ein,
in eine Grenzenlosigkeit im Fortgang möglicher einstimmig zu­
sammenhängender Erfahrungen. Es ist der Gang des möglichen
Kennenlernens der Welt in ursprünglichem Wahmehmen, bzw.
30 des Reaktivierens des schon Bekannten in möglicher Wahrneh­
mung unter fortsetzendem Kennenlemen. Es ist ein Fortschrei­
ten von Realem zu Realem. Welt ist vorgegeben als Welt von
„konkreten Realitäten”, jede nachher „explizierbar”. Die Seins­
gewissheit, die im Wahrnehmen des als „Wahrnehmungsfeld”
35 einheitlich Bewussten liegt, ist nicht nur Erfahrungsgewissheit
von diesen Dingen hier, sie reicht weiter; mitgemeint im Sinne

1 Nein, so ist das inkorrekt. Das konstitutive Wenn niederer Stufe ist stets Durch­
gang für das So. Einfühlung in ihrer Fundierung setzt eben die primordiale Leiblich­
keit voraus — also als konstitutiven Durchgang!
494 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

von als implizit als seiend Mitgeltendem ist ein weiterer und
immer weiterer Horizont von Realien, schon bekannten oder
unbekannten und noch inhaltlich völlig unbestimmten, und zu
diesem Horizont gehört offenbar das korrelativ mitantizipierte
5 Bewusstsein der Vermöglichkeit einer endlos fortschreitenden
Erfahrung. Und das betrifft schon das Sein der jetzt faktisch
wahrgenommenen Dinge und evtl, der jetzt faktisch als vergan­
gen erinnerten Dinge und dgl. Denn jedes für sich selbst in seiner
Einstimmigkeit verweist auf mögliche allseitige Erfahrung, und
10 jedes als Ding in einer gewissen Ferngegebenheit auf Mannig­
faltigkeiten möglicher anderer Ferngegebenheiten, so wie zudem
alle Erfahrungsferne auf einen typischen Gang möglicher Er­
fahrung verweist, die in konsequenter Vervollkommnung der
Erfahrung auf eine optimale Sphäre der Nähe verweist.
15 Versuche ich nun weiterzudringen, und zwar über mein Wahr­
nehmungsfeld als das der originalen Weltgegenwart hinaus, um
das Unwahrgenommene, aber weltlich Mitgegenwärtige zu er­
reichen, so wandere ich in möglichen Erfahrungen und allseitig
in den Raum hinaus, und er bezeichnet ein offen endloses Feld
20 von Möglichkeiten, unbekannten, unbestimmten Möglichkeiten,
einen vieldeutigen Horizont, einen Spielraum von möglichen,
in der Raumform simultan seienden Realien. Jede dieser mög­
lichen Simultaneitäten käme mir zur Wahrnehmung in Gegeben­
heitsweisen der Orientierung, im Fortschreiten von orientiertem
25 Wahrnehmungsfeld zu orientiertem Wahrnehmungsfeld, sich in
näher zu untersuchenden Weisen synthetisch verbindend, wenn
alles in diesem Wandel als wahrnehmungsmässig seiend Erfah­
rene und sich in seiner Einzelnheit und seinen Zusammenhängen
vielfältig gewandelt Darstellende in sich und mit allem sonst als
30 geltend Erfahrenen und Bewährten zusammenstimmen soll.
In diesem Gang von Wahrnehmung zu Wahrnehmung, von
wahrnehmbaren Einzelrealitäten zu wahrnehmbaren Einzelreali­
täten in der Einheit synthetischen Wahrnehmens halte ich mich
in einer Wahrnehmungskontinuität, und frage ich mich, wie ich
35 kontinuierliches Wahrnehmen zustande bringe, so lautet die
erste Antwort: 1 Unwillkürlich richte ich mich erst auf die Körper,
leiblich waltend, „sinnlich” erfahrend, wozu wesensmässig ge-

1 Siehe folgende Seite!


TEXT NR. 30 495

hört: die leiblichen Kinästhesen ins Spiel setzend, Augen bewe­


gend etc. und schliesslich immer auch und notwendig „gehend”. Es
ist also, da mögliche Wahrnehmung hier besagt, sich vorveran­
schaulichend in die Vermöglichkeit wahrnehmenden Tuns,
5 leiblich so und so kinästhetisch die „Sinnesorgane” ins Spiel
setzend, verlebendigend, und in entsprechender tätiger Ver­
wirklichung, hineindenken, eben ein Hineindenken in ein mich
Fortbewegen und beweglich sinnlich Wahrnehmen. Dabei werde
ich oder würde ich den im Fortgang auf tretenden oder sich
10 durcherhaltenden Ferndingen immer näher kommen müssen und
könnte sie, bzw. würde sie, näher kennenlernen in beliebiger
Vollkommenheitsstufe.
Ich bin in irgendeinem jeweiligen Nahraum, einer relativ sta­
bilen Nahumwelt. Was kann da an Wandlungen passieren?
15 Bewegungen und von mir ichlich Bewegtwerden, Veränderungen
und von mir Verändertwerden, Fortgehen — Zurückgehen. Ich
habe neue Nahräume, relativ stabile, wenn ich nicht gehe oder
gefahren werde. Dabei spielt das Gefahrenwerden als Aufhebung
der stabilen Gestalt des Nahfeldes seine Rolle — parallel mit
20 dem Gehen als kinästhetischer Weise, kontinuierlichen Wandel
der Nahsphäre zu erzeugen. Schliesslich das „immer wieder” . In
jedem Nahfeld zudem das Wandeln durch „Aufmerksamkeit”,
das Sich-richten, womit nicht notwendig kinästhetische Verän­
derungen Zusammengehen müssen. Aber nun fällt mir auch ein,
25 dass alle Vermöglichkeit ihre Grenzen hat; ich habe nicht unend­
liche Zeit und Kraft, um so allseitig sinnliche Erfahrung zu
üben, wie sie als Möglichkeit immerfort offen ist und als Vermög­
lichkeit vorgezeichnet ist von daher, dass ich im allgemeinen
nur zeitweise vermöglich gehemmt bin ■ — und vor allem, dass
30 ich noch andere Weisen möglicher Erfahrung habe, meine End­
lichkeit zu überschreiten. In meinem Wahrnehmungsfeld habe
ich vielleicht schon Andere, und wenn nicht, jedenfalls ein Be­
reich vertrauter Anderer gehört vorweg als wirklich erfahrbar
zu meiner Welt und schon vermöge der offenen sinnlichen Struk-
35 tur der unbestimmt unbekannten Umwelt auch ein offen end­
loses Universum von Mitmenschen.
Ich dachte mir bisher einen Fortgang von Wahrnehmung zu
Wahrnehmung, aber sie kann natürlich in erster Linie „bloss”
sinnliche Wahrnehmung sein, und das sinnlich für mich Wahr-
496 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS [935

nehmbare waren Realitäten rein hinsichtlich ihres sinnlich


Wahrnehmbaren.1 Im einzelnen nehme ich unter den Realien,
sei es von vornherein oder im Fortschreiten, Leiber wahr,
sinnlich als res extensae, als Körper. In all dem gewinne ich
5 primordiale „Dinge” in primordialen „Erscheinungen”. Unter
allen Umständen ist mein körperlicher Leib in jedem Wahrneh­
mungsfeld. Solange ich rein auf Körperliches gerichtet bin, auf
das, was sinnlich erfahrbar ist in den Einzelbestimmungen der
res extenso., fungiere ich, fungiert kinästhetisch mein Leib, und
10 schreite ich in der Ordnung vom leiblichen Hier (dem Nullkörper
in seinem Null des Dort) zum Dort, und dabei vom Nahen (wobei
der Leib ausgezeichnet ist als der immer absolut nahe) zum
Femen, das dabei zum Nahen wird. Also ständig spielt er seine
Rolle in Form „ich bleibe ruhig”, „ich bewege mich” (gehend
15 als Raum durchschreitend), „ich bin bewegt”. Als das ist Leib
Zentrum der wahrnehmbaren Aussenwelt, alle Realien um
meinen Leib, um mich herum sinnlich wahrnehmbar bzw. schon
wahrgenommen oder sinnlich anschaulich gemacht. Ich bin dabei
wechselnd gerichtet, und evtl, rein auf das sinnlich Gegebene,
20 den blossen Körper.
Aber komme ich zu einem fremden körperlichen Leib, so ver­
zweigt sich die Möglichkeit der Forterfahrung. Ich kann gerichtet
bleiben auf das sinnlich Erfahrbare, also die pure Körperlichkeit,
oder mich auf die fremde Person richten. Ich kann also konse-
25 quent im aktiven Erfahren fortschreiten, so dass ich mein End­
interesse, mein mich thematisch Richten terminieren lasse im­
merfort im Physischen. Tue ich das in meinem möglichen Wahr­
nehmen, so halte ich mich in meiner primordialen Wahrneh­
mungssphäre. Aber sowie „Geistiges”, Psychisches oder objek-
30 tiver Geist, in meiner fortschreitenden möglichen Wahrnehmung
mit auftritt, habe ich eine mögliche Verzweigung. Aber jedenfalls,
ich komme prinzipiell nicht zu einem solchen Verzweigungs­
punkt, wenn ich nicht vorher sinnlich wahrnehmend dahin ge­
kommen bin. Erst muss das Reale sinnlich wahrnehmungsmässig
35 da sein, also in meinem leiblichen Tun als res extenso seine Wahr­
nehmungsgewissheit haben, als sich selbst gegenwärtig darstel-

1 Vorgegeben ist in der ständigen Welterfahrung und darin Weitwahrnehmung die


Welt als Universum von „Realitäten”. Sie ist immer „sinnliche Wahrnehmung”,
aber nicht in dem Sinne der Ichrichtung auf das rein sinnlich Gegebene.
TEXT NR. 30 497

lend, damit mein Interesse sich abzweigen kann. Das Sinnliche


bleibt notwendig die Brücke zum „Geistigen”.
Bevorzugen wir nun aber körperliche Leiber. Der fremde Leib
als Körper verweist auf meinen Leib und weckt Reflexion auf
5 mein in ihm Walten, motiviert die „Auffassung” jenes Körpers
als Körper, worin eine intentionale Modifikation meines walten­
den Ich in entsprechenden Weisen waltet. In entsprechenden
Weisen: mein waltendes Tun läuft parallel mit sinnlich erfahre­
nen und erfahrbaren Vorkommnissen meines körperlichen Leibes,
10 und zwar in bestimmten dabei mitlaufenden Erscheinungsweisen.
Der fremde Körper in seinen körperlichen Geschehnissen und
der Analogie derselben mit denen meines Körpers erinnert an
meine subjektiven Modi in der Abwandlung, die sie für mich
hätten, wenn ich meinen Körper, mit einem anderen gleichstel-
15 lend als Körper, in dessen Erscheinungsweisen dächte etc.
Mit der faktischen Einfühlung, also Apperzeption, Wahrneh­
mung fremder primordialer Ichsubjekte hat es nicht sein Be­
wenden. Es muss nun gezeigt werden, wie ich in fortschreitender
sinnlicher Wahrnehmung zur Motivation eines offenen Horizon-
20 tes von körperlichen Leibern komme und so auf einen offenen
Horizont von Mitsubjekten und schliesslich als Mitmenschen.
Sowie ich aber Richtung auf andere als Menschen habe, ist schon
mitgegeben die Selbsterfahrung als ein Mensch „unter Men­
schen” : Ich bin, wie überhaupt jeder Mensch unter den vielen
25 Menschen, in besonderer Weise „Mensch unter Menschen”, das
ist, jeder <ist> für jeden Mitmensch, jeder jeden als Mitsubjekt
für dieselbe Umwelt, und zunächst körperliche und dann auch
leiblich personale und objektiv geistige Umwelt, erfahrend.1 In
der Entfaltung meiner Welt als Welt möglicher Erfahrung, in
30 diesem systematischen Auslegen der in ihr implizierten inten­
tionalen Fundierungen, der ihren Seinssinn konstituierenden
Motivationen, wird auch dies verständlich, dass die Welt ständig
um mich orientierte Welt ist, bzw. dass ich immerfort zentrales
Ich bin. Zentral ist mein Leib als beständig wahrnehmend fun-
35 gierend, bzw. durch mein fungierendes Walten in ihm fortschrei­
tend sinnliche Erfahrung zustande bringend und dadurch m ittel­
bar bei den als körperliche Leiber ausgezeichneten Dingen Fremd-

1 Vgl. die nähere Ausführung unten S. 501 ff.


498 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

Wahrnehmung ermöglichend und mitermöglichend die Erfahrung


der Gemeinsamkeit meiner Wahrnehmungsumwelt mit der ihnen
eingefühlten, zunächst soweit die aktuelle Gemeinsamkeit reicht.
Hier kommt dann das sich vergemeinschaftende Wahrnehmen in
5 Aktion als ein Erfahren, das von meiner Wahrnehmung hineinreicht
in das Wahrnehmen der Anderen (das für mich eingefühltes, und
nicht wirkliches und eigentliches Wahrnehmen ist) und auf dem
Wege des Ausdrucks einen Anteil hat an Wahrnehmungen und
wahrnehmungsmässig gegebenen Objekten des Anderen, die
10 für mich nicht wirklich wahrgenommen sind und vielleicht über­
haupt nicht wahrnehmbar. Das nun in alle Mittelbarkeiten und
Wechselseitigkeiten, und Aufklärung der Erweiterung der für
mich seienden Welt über die Welt meiner wirklichen und ver-
möglich zu erweiternden Wahrnehmung.
15 Die primordiale Wahrnehmungssphäre, die primordiale sinn­
liche Erfahrung und zugerechnet die primordiale Leiblichkeit,
die eigene, und mein primordiales Sein als fungierendes Ich er­
weitert sich nicht nur so, dass in dieser mir sinnlich und nur sinn­
lich zugänglichen dinglichen Aussenwelt gewisse Dinge auftreten
20 und immer wieder auftreten können als Leiber für andere Ich.
Also nicht nur dadurch, dass ich eine neue Wahrnehmurigsstufe
erreiche — fremde Subjekte, „Menschen wahrnehmend”, und
Menschen im Konnex, sondern hier erweitert sich auf dem Wege
des Ausdrucks als der M i t t e i l u n g 1 der vergemeinschaftet, im
25 Füreinander und Miteinander lebenden Menschen für mich (und
für alle mir selbst als mitseiend geltenden) die Welt meiner ver-
möglichen und endlichen Erfahrung zu einer offen unendlichen
Welt.
Das aber ist eine vorläufige und unzureichende Betrachtungs-
30 weise. Denn die Rede war nur von der durch Andere sich ver­
mittelnden Erfahrung der Weltgegenwart über meine eigene
Wahrnehmungsgegenwart hinaus. Die Welt ist aber in a l l e n
Z e i t m o d a l i t ä t e n zu betrachten, und es muss gezeigt wer­
den, wie in der systematischen Herstellung einer vollkommenen
35 Anschauung von der Welt, in der sich der Erfahrungssinn der
Welt vollkommen und in apodiktischer Evidenz auslegt, der

1 Hier ist sogleich einzureihen: a) Mitteilung als absichtliche „Rede” im weitesten


Sinne, b) der nicht absichtliche Ausdruck menschlichen Daseins als objektiver Geist.
TEXT NR. 30 499

v o l l e E r f a h r u n g s s i n n d e r Z e i t zur möglichen expliziten


Erfahrung zu bringen ist und welche Rolle dabei nicht nur die
offen unendliche Simultaneität von möglichen Mitmenschen
spielt, sondern auch die offene Endlosigkeit der Verkettung der
5 Generationen, und zudem welche Erfahrungsweisen und Erfah­
rungsmöglichkeiten sich unter dem Titel naturhistorischer Be­
kundung eröffnen und in Funktion, naturale Unendlichkeiten
vorzuzeichnen. Andererseits die Bekundung durch Ausdruck
von Subjekten an den Sachen. Also diese Ergänzung ergibt erst
10 die Welt in der Konkretion, in der sie für uns als menschliche
Gemeinwelt jeweils wirklich erfahren ist. Ein besonderes Thema
bilden vor allem die an der Umwelt auf tretenden und in gewisser
Weise miterfahrenen, verharrend mitzugehörigen Bestimmungs­
schichten der Kultur, aber auch alles, was gesehen ist als Anzei-
15 chen, als Symbol, als Ausdruck, auch wenn es nicht zweckhaft
dazu erzeugt ist, also Kultur.
In anderer Dimension liegend und nicht berücksichtigt ist
auch das grosse Thema der eigenen und intersubjektiven Moda-
lisierung und von da der Unterschied zwischen normaler Ge-
20 meinschaft, und zunächst sinnlicher, und Gemeinschaft mit
Anomalen. Dann die Degradierung des primordial Währge-
nommenen, desgleichen des intersubjektiv normal Erfahrenen
als Erscheinung und ebenso des anomal Erfahrenen, während
man sich doch verständigt und seiende Welt als identische Gel-
25 tungseinheit der Verständigung hat.
So lernen wir verstehen die Welt als Universum der Seins­
geltungen der miteinander in offener Endlosigkeit mittelbar
und unmittelbar vergemeinschafteten Subjekte: jedes Welt er­
fahrend, jedes im wachen Leben Welt wahrnehmend in Form
30 eines Wahrnehmungsfeldes, das in vermöglichem Wandel ständig
in seiner Grundschichte primordialer Wahrnehmung ist und darin
wieder seine ständige Schichte sinnlicher Wahrnehmung hat.
Jedes sinnlich Wahrgenommene hat einen ersten, sinnlichen
Horizont, und zwar den Horizont der mannigfaltigen sinnlichen
35 Wahmehmungserscheinungen, in deren vermöglichen (und zwar
in der Vermöglichkeit eigenleiblichen) Kinästhesen, und in Kon-
tinuen verwirklichten, kontinuierlich dasselbe Ding erscheint und
sich im Gang zum sinnlichen Optimum als selbst da bewährt in
seinen sich selbst darstellenden sinnlichen Eigenschaften. Diese
500 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

meine ästhetische res extensa ist aber nicht der objektive Körper
des Realen der Welt, die das Universum des Seienden für „jeder­
mann” ist. Jedes sinnliche Ding für mich in seinem Verharren
in UnVeränderung und Veränderung, jedes Miteinander von
5 solchen verharrenden Dingen in ihren Verhältnissen sinnlich er­
fahrbarer Kausalität, h a t s e i n e n ü b e r s i n n l i c h e n H o r i ­
z o n t , der ihm erst reale Bedeutung gibt, nämlich eine Bedeu­
tung, die auf die offene Unendlichkeit und in dieser Unendlich­
keit <auf> die Allheit der Mitsubjekte verweist, als solcher, mit
10 denen ich (der leiblich Erfahrende und in dieser Vermöglichkeit
das Ding als das identische vermöglich zu durchlaufender
sinnlicher Erfahrung Besitzende) in Gemeinschaft möglicher Er­
fahrung stehe. In der Einheit meines eigenen intentionalen
Lebens habe ich ständig mein eigenes Sein bewusst, meinen Leib
15 und mein Sinnliches ausser mir apperzeptiv gegeben, das ist
bewusst als einstimmig bewährte und bewährbare Einheit von
Nah- und Fernerscheinungen, von visuellen Perspektiven, von
taktuellen, akustischen usw. Erscheinungsweisen. Alle diese Er­
scheinungen habe ich als Erscheinungen bewusst, und wo ich
20 irgendwelche aktuell habe, wie im aktuellen Sehen, da habe ich
sie einerseits in Beziehung auf eine gewisse mir (in anderer'Weise
original) bewusste kinästhetische Situation, andererseits mit
einem Geltungshorizont, dem vermöglich herzustellender, und
wenn ich mag und nicht gerade gehemmt bin, also dann frei
25 wirklich zu erzeugender weiterer Erscheinungen von einem ver­
trauten Stile. Diesen St i l , die Horizontstruktur, kann ich jeder­
zeit auch in vorverbildlichendem Durchlaufen der vorgezeichne­
ten möglichen Erscheinungen anschaulich machen. Bin ich des
sinnlichen Objektes, wie eben in normaler Wahrnehmung, gewiss,
30 so habe ich darin Freiheit, aber auch Bindung an eine Systematik
der Erscheinungen, welche einen Spielraum für die verschiedenen
systematischen Möglichkeiten des Erfahrungsfortgangs umzeich­
nen: eine dieser Möglichkeiten „muss" durchlaufen sein, wenn
Erfahrung wirklich betätigt wird. Über das alles verfüge ich.
35 Nun habe ich im Bereich meines Bewusstseinslebens und seiner
Vermöglichkeit (Potentialität), sofern ich immer schon von An­
deren weiss, menschliche Subjekte wie ich. Sofern ich eben das
Ich bin, das in der Welthabe ist, werde ich nun sagen müssen:
All das, was m ir sinnliche Wahrnehmung ergibt und was ihr
TEXT NR. 30 501

zugehört, ist ausschliesslich mein eigen, durch mein „Bewusst­


seinsleben”, mein Geltungsleben umschlossen. Jeder Andere hat
s e i n Bewusstseinsleben, ist seiner selbst original bewusst, und
nur er ist es, hat s e i n e originalen Kinästhesen und seinen zu
5 ihnen gehörigen Horizont, vermöglich sie abzuwandeln und sie zu
beherrschen, seine im Charakter des „infolge” für ihn, und nur für
ihn, gegebenen und ablaufenden sinnlichen Erscheinungen; und
wenn diese sinnlichen Erscheinungen erwartungsmässig für ihn
und dann einstimmig ablaufen, so ist das sinnliche Ding das für
10 ihn seiende. Auch die Unstimmigkeiten sind seine und der
daraus sich ergebende Schein. Aber ich in meinem Bewusstseins­
leben bin es doch auch, der die nicht mehr bloss sinnliche, son­
dern in sinnlicher Erfahrung fundierte Erfahrungsweise der Ein­
fühlung vollzieht und darin eben der Anderen bewusst wird und
15 von da aus der offenen Unendlichkeit aller möglichen Anderen,
nämlich auf dem Wege des Mitgegenwärtighabens Anderer durch
sachlichen Ausdruck, wie ihres Mitvergangenhabens. Dadurch
konstituiert sich die Welt als objektiv geistige, in infinitum
menschliches Dasein ausdrückend mit dem Kern unendlicher
20 Natur und eine Unendlichkeit von Menschen in offener Mög­
lichkeit enthaltend.1
Durch Einfühlung12 habe ich die Anderen und ihre Primor-
dialitäten in Seinsgeltung, aber zugleich ergibt das Vergemein­
schaftung. Meine Primordialität bleibt freilich meine und ihre
25 Primordialitäten bleiben ihre, und jedes Ich ist Ich. Aber in
dieser Vergemeinschaftung mit Anderen b in ic h M e n s c h
u n t e r M e n s c h e n , Menschen-Ich unter Menschen-Ich. Als
mich Besinnender bin ich für mich Mensch, bin ich meiner be­
wusst, erfahrend gewiss als Mensch. Sooft ich „ich” sage und
30 sage „ich bin” oder „das und jenes ist”, bin ich Mensch und bin
als Mensch in Vergemeinschaftung mit Menschen bewusst, und
alles, was für mich „ist”, ist sozusagen m e n s c h l i c h e s I s t , ist
weltlich, hat sein Sein im Weltall, dem Universum des Seins für

1 Es hätte oben betonter gesagt werden müssen, dass sinnendingliche Erschei­


nungen und ihre Einheiten nicht darum mir ausschliesslich eigen sind, weil sie mir
überhaupt bewusst werden, sondern weil sie mir, als im prägnanten Sinne seiendem
Ich, d a s s e i n e s S e i n s s e l b s t o r i g i n a l b e w u s s t i s t , original bewusst wer­
den (oder vielmehr primordial) und weil alles primordial Bewusste mit dem Ich als
Ich untrennbar eins ist, und nur mit diesem Ich.
2 Nähere Ausführung zu S. 497.
502 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

uns Menschen, eben des Seins für mich und alle meine Genossen,
für uns, die mit mir und miteinander die Allgemeinschaft „wir
Menschen” bilden. D i e s e I s t - S p h ä r e i s t di e des A u s s a g ­
b a r e n , o b s c h o n n i c h t A u s g e s a g t e n . Sie ist äquivalent
5 mit meiner und unserer Sphäre des möglicherweise Erfahrbaren,
des auf Grund der Erfahrung Denkbaren, Erkennbaren und dann
eben in Wahrheit Aussagbaren, wir könnten auch beifügen, des in
Falschheit Aussagbaren, des zu Bezweifelnden, des zu Vermu­
tenden, des zu Befragenden — diese Modalitäten gehören schon
10 zur Erfahrung. Das Reich wirklicher und möglicher Erfahrung
ist zu verstehen, und das ist der normale Sinn, als das des (ideell)
einstimmig Erfahrbaren oder auch des bald einstimmig, bald
unstimmig Erfahrbaren. Im einen Falle ist es in der Erfahrung
in Einstimmigkeit verharrender Seinsgeltung, ist es in der Ein-
15 stimmigkeitssynthesis der betreffenden Erfahrungen als Identi­
sches in Seinsgeltung; im anderen Falle ist es in einzelnen Er­
fahrungen, in ihrer Strecke der kontinuierlichen Einstimmigkeit
und gruppenweise in ihren Zusammenstimmungen Identisches
in identifizierend sich bewährender Seinsgeltung, aber diese
20 Seinsgeltung wird gebrochen, verliert ihren Modus schlichter
Gewissheit vermöge der synthetischen Widerspannung der nicht
zusammenstimmenden, der einander ihre Seinsgeltung bestrei­
tenden, mit all den hier möglichen Sondervorkommnissen der
Modalisierung.

25 <§ 8. S u b s tr a t u n d E x p lik a tio n . S ch lic h te u n d


fu n d ie r te E r fa h r u n g >

Ferner, Erfahrung — als Aktus der ursprünglichen Erfassung


und Kenntnisnahme — hat verschiedene Stufen. Die universalste
und niederste ist die sinnliche Erfahrung. Alles Erfahrbare ist
30 entweder schlicht geradehin erfahrbar oder nur auf dem Grunde
von schlicht Erfahrenem erfahrbar, also durch Aufstufung. Zum
Erfahren von etwas als dem darin in erfahrender (ursprünglich
selbsterfassender) Seinsgeltung Stehenden rechnen wir seinen
Fortgang als Explikation. Erfahren ist sich erfassend auf etwas
35 als es selbst richten und es in seine Momente, die in Sonderer­
fahrungen auszulegenden Sonder-Istheiten dieses Selbst (seine
Beschaffenheiten), auslegen. Insofern gehört zu j e d e r Erfah-
TEXT NR. 30 503

rung als der von ihrem Seienden (in ihr in Seinsgeltung als es
selbst Bewussten) eine Aufstufung. Das, was da „ist”, das „Sei­
ende", zeigt in der Explikation, was es in Sonderheit ist. Die
Sondererfahrungen sind fundiert, so in der Erfahrung des Dinges
5 die Erfahrung „seiner” Gestalt, seiner Färbung etc. Die Expli­
kation rechnen wir in der Rede von schlichter Erfahrung m it; sie
ist schlichtes Sich-richten-auf und dann vielstrahlig explizieren­
des Weitergehen. Die vielen Strahlen sind einig, als ein und das
selbe Seiende, das fortgesetzt das intendierte Es-selbst ist, aus-
10 legend. Natürlich schliesst das nicht aus, dass ein besonderes
Interesse ausschliesslich ein Sondermoment bevorzugt, wie wenn
ein Gegenstand nur um seiner Farbe willen interessiert. Der­
gleichen „Interessen”, welche immer sei es das Ding oder diese
und jene Bestimmungen betreffen, seien hier ausser Frage. Aber
15 wichtig ist, dass zu jeder schlichten Erfahrung ihr „Seiendes”
schlechthin, ih r S u b s t r a t gehört, und dass sie als ihre er­
fahrende Intention auswirkend dieses Substrat expliziert in fun­
dierten Sondererfahrungen mit den darin sich selbst zeigenden
Sondermomenten des Substrates, denen, worin es ist.
20 Jede Erfahrung überhaupt ist auf Substrate bezogen. Wir
werden bald unterscheiden lernen1 zwischen Substraten schlichter
Erfahrungen und denen fundierter Erfahrungen und korrelativ
zwischen Explikaten der einen und anderen Substrate; <wir wer­
den > also auch in übertragenem Sinne von schlichten und nicht
25 schlichten eigenschaftlichen Erfahrungen sprechen müssen. Das
schlichte Substrat hat schlichte, seiner Schlichtheit wesensmässig
zugehörige Bestimmungen. Jede schlichte Erfahrung, bzw. jede
mit dem Seinssinn eines schlichten Substrates, ist sinnliche Erfah­
rung. Das seiende Substrat (rein mit dem Seinssinn der Erfahrung
30 seiend) ist Körper, in Einstimmigkeit der Erfahrung sich bewäh­
rend und als das als wahrhaft seiend geltender Körper. Univer­
sale sinnliche Erfahrung in universaler Einstimmigkeit gedacht,
hat eine Seinseinheit, eine Einheit höherer Ordnung; das Seiende
dieser universalen Erfahrung ist die A l l n a t u r , das Universum
35 aller Körper. Offenbar ist die Allnatur nicht substrathaft erfah­
ren in einer schlichten Erfahrung, also nicht sich schlicht aus­
legend in Substratmomente, in „Eigenschaften”. Die Erfahrung

1 Dazu die explizite Ausführung in <Beilage XXXIV>.


504 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

von der Allnatur ist offenbar fundiert in den also jedenfalls


vorangehenden Körpererfahrungen. Aber auch sie ist „erfahren”,
auch auf sie können wir, schon einzelne Körper erfahrend, uns
richten und auch sie explizieren in ihre Sonderheiten, in denen
5 ihr Sein sich in seinen Sonder-Istheiten zeigt.
Um hier klar zu sehen, müssen wir noch ein Zwischenglied
betrachten. Körper erfahrend, sind wir auf diesen und jenen Kör­
per auslegend (wir sagen auch, ihn betrachtend) gerichtet. Aber
die Körper sind für uns nicht zusammenhangslos, und ihre Er-
10 fahrung ist nicht ein blosses Nacheinander von Erfahrungen
immer neuer Körper. Wir sagen erfahrend: Körper stehen in
körperlichen Beziehungen, räumlichen, zeitlichen, kausalen Be­
ziehungen, Beziehungen von Teil und Ganzem, von Teilen des­
selben Ganzen, in verschiedenen Weisen. Wo immer dergleichen
15 Erfahrung ist, sind nicht bloss die betreffenden Körper für sich
erfahren, sondern mehrere Körper „zusammen” erfahren, in der
Einheit einer Mehrheitserfahrung, in welcher die hineingehörigen
Einzelkörper eine gewisse Einheit haben, die der räumlichen
oder zeitlichen K o n f i g u r a t i o n , die der (eine solche schon
20 voraussetzenden) kausalen K o n f i g u r a t i o n , usw. Wir erfah­
ren einzeln und im Nacheinander, wobei solche „Konfiguratio­
nen”, solche konkreten körperlichen Mehrheiten bewusst werden.
Aber sie können auch vorweg schon bewusst werden und dann
näher betrachtet. Wie immer, eine Mehrheit als Erfahrungsein-
25 heit ist fundiert, sie ist nicht ein schlichtes Substrat, sondern ein
Substrat höherer Stufe, nicht selbst e in Körper, sondern ein Ver­
band, eine mehrheitliche Einheit von Körpern. Erfahrend legt
sie sich aus in ihre Sonderbestimmungen: Das sind jetzt die
einzelnen Körper selbst mit ihren Eigenschaften, aber auch die
30 Verbindungsmomente und die den einzelnen Körpern und die
ihren Eigenschaften selbst zuwachsenden Beziehungsbeschaffen­
heiten. Auch mehrheitliche Einheiten können selbst wieder mit­
einander Einheit haben, und so können sie vorweg als verbunden
erfahren werden, substrathaft intendiert oder, was dasselbe, the-
35 matisch sein und expliziert werden.
Gehen wir nun zum Universum der Körper, zur Allnatur über,
so wird man zunächst sagen, sie ist als die universal-einheitlich
erfahrbare Natur eine Mehrheit, und zwar die allumspannende
TEXT NR. 30 505

Mehrheit, die alle Körper, und eben damit alle erfahrbaren Son­
dermehrheiten in sich begreifende.

<§ 9. Wahrnehmung durch Ausdruck und bloss


sinnliche Wahrnehmung >
5 Die Welt, die ich als waches Ich ständig in Wahrnehmung und
Erfahrung habe, in Seinsgewissheit als mit dem und dem Inhalt
anschaulich und im Horizont der Bekanntheit, aber nicht an­
schaulichen Gegegenwärtigkeit, und unbestimmten Unbekannt­
heit.
20 Die Welt meiner primordialen Erfahrung, meiner Wahrneh­
mung, der wirklichen und möglichen. Was ich von der Welt
wirklich wahrnehme und wahrnehmen kann. Zunächst geradehin
nach aussen meine Aussenwelt. Alles Aussenweltliche nehme ich
sinnlich wahr als körperlich in der raumzeitlichen körperlichen
15 Natur. Wo ich auf Menschen und Tiere stosse und auf Kultur­
objekte, da habe ich nicht blosse Natur, sondern Ausdruck von
geistigem Seinssinn, da werde ich über das sinnlich Erfahrbare
hinausgeführt. Die Wahrnehmung rein als sinnliche Wahrneh­
mung ist auf blosse Körperlichkeit gerichtet, schlicht geradehin.
20 Andererseits haben wir die Wahrnehmung des durch Verstehen
des Ausdrucks allein Wahrnehmbaren, wie das Verstehen eines
Werkzeuges in seiner verweisenden „Erinnerung” an Menschen,
die es zu einem Zweck gemacht haben oder auch für die es be­
stimmt sein soll, und dann wieder, und unmittelbarer, der Aus-
25 druck eines körperlichen Leibes als der eines menschlichen. Bei­
des setzt voraus eine sinnliche Wahrnehmung des den Ausdruck
fundierenden Körperlichen und von da aus den Ü b e r g a n g
i n e i n e R e f l e x i o n , die also unmittelbar oder mittelbar ein
Mitsein von menschlich Personalem (Ichlichem) oder ebenso
30 tierischer Subjektivität zur Endgewissheit bringt und in dieser
fundierten Weise ein Seiendes, das nicht bloss körperlich Da­
seiendes ist, sondern in eins damit und darauf bezogen Subjek­
tives. Dieses aber ist n i c h t s c h l i c h t g e r a d e h i n 1 erfahr­
bar, wahrnehmbar; es ist nur in Fundierung durch schlicht
35 sinnlich Erfahrbares erfahrbar als mit und in eins mit dem

1 Schlicht geradehin gegenüber ich-reflektiv.


506 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

Schlichten „wahrnehmungsmässig” da, selbst da. Die Reflexion


ist also nicht ein Wahrnehmen, in dem man schlicht auf das
Wahrgenommene gerichtet sein kann, sondern nur aufgestuft
und in A b l e n k u n g von der geraden Richtung zugänglich. Ist
5 ein Mensch wahrnehmungsmässig da, so kann er wie irgendein
bloss sinnliches Ding bloss hintergrundmässig dasein. Das Hin-
tergrundmässige ist in meinem „Wahrnehmungsfeld”, aber ich
bin nicht darauf gerichtet, aktiv es wahrnehmend, damit be­
schäftigt. Aber ich bin seiner doch bewusst als original da, ich
10 habe das Bewusstsein, mich darauf richten zu können und in
der Tätigkeitsform des Wahrnehmens eintreten zu können in
ein tätig wahrnehmendes Betrachten, explizierend dem Sein in
seinem Sosein nachgehen zu können. So auch für Menschen und
Tiere.
15 Hier ist aber noch Besonderes hervorzuheben: Richte ich mich
auf einen Menschen, so geht das Sich-richten, der thematische
Strahl der Aktivität zunächst schlicht geradehin auf den Körper,
also sinnlich wahrnehmend; der thematische Strahl t e r m i ­
n i e r t nicht in dem Körper, sondern geht weiter, im Verstehen
20 des Ausdrucks auf das Ichsubjekt, also auf sein Sein im dies und
jenes Tun, Sich-richten, Beschäftigtsein, Welthaben, davon welt­
lich Affiziertwerden etc., soweit das eben zum Ausdruck kommt.
Und dazu gehört notwendig ein Bestand des ichlichen Bezogen­
seins auf seinen körperlichen Leib, eben der für mich Ausdruck
25 ist. Doch vor jeder weiteren Auslegung ist hier zu sagen, dass
dieser normale Gang meines Wahrnehmens eines Menschen von
der sinnlichen Wahrnehmung seines Körpers durch den Ausdruck
auf das zugehörige sich ausdrückende Ichsubjekt auch eine Ein­
stellungsänderung zulässt: Ich kann rein auf das Körper liehe
30 achten, damit so wie mit einem bloss körperlichen Ding beschäf­
tigt sein: der Ausdruck ist noch verstanden, aber das Verstehen
fungiert nicht aktuell, das Ichsubjekt ist nun sozusagen Hinter­
grund, mit da, aber ausserthematisch.
Danach werde ich, um systematisch die Welt als Welt der
35 Erfahrung und zunächst rein als Welt der Wahrnehmung zu
betrachten und zu beschreiben, gut tun, allen Ausdruck fürs erste
ausser Funktion zu setzen und rein die sinnliche Wahrnehmung
(und dann Erfahrung überhaupt) in Funktion zu setzen. Ich
gewinne damit die pure universale Natur, als die sich in konse-
TEXT NR. 30 507

quentem Fortgang sinnlicher Wahrnehmung als ein in sich ge­


schlossener Zusammenhang ergibt, und zwar rein als die von
mir wahrgenommene und wahrnehmbare, denn in meinem aktu­
ellen Erfahrungsbereich habe ich nun durch Ausserfunktion-
5 setzung des Ausdrucks keine Anderen. Für die konkret seiende
Welt besagt das eine Abstraktion, ein Wort, das zunächst nur das
Ausserfunktionsetzen ausdrücken soll, ein zunächst Ausserbe­
trachtlassen <von etwas >, was für mich ist und weiter in Geltung
bleibt, womit natürlich nicht gesagt ist ein Übersehen oder eine
10 Meinung, dass Natur für sich ahein und getrennt existierte, oder­
auch, dass in der ursprünglichen Bildung der „Weltvorstellung”,
eines Seinsbewusstseins von der Welt erst eine systematische
Ausbildung der für mich seienden blossen Natur erforderhch
wäre, die dann erst weiteren Seinssinn erhalten muss. Von all
15 dem ist keine Rede.
Welt, und zwar Welt als wie sie für mich in wirkhcher und
möghcher Wahrnehmung wahrgenommen ist, zur Anschauung
bringen wollen, das heisst mich nach aussen wenden, in dieAus-
senwelt hinausgehen, und zunächst sinnlich wahrnehmend. Aber
20 wo ist der Anfang? Die Aussenwelt ist für mich sinnlich wahr­
genommen in einer Ausweitung von Nähe und Feme oder Weite,
aber das Nahweltliche hat wieder sein Näheres und Ferneres.
Schliesslich merke ich, dass ich ein absolut Nahes habe oder einen
Anfang aller relativen Unterschiede der Nähe und Feme, und
25 das ist mein Leib: in der Reduktion auf sinnlich wahrnehmbare
Welt oder Natur (für mich) komme ich zu dem an sich ersten
Körper für meine sinnliche Wahrnehmung. Warum ist er für
mein sinnliches Wahrnehmen der Welt der an sich erste, oder
was dasselbe, der notwendig für mich erste? Weil er eben mein
30 „Leib” ist, mein Organ bzw. Organsystem, wodurch ich alles,
was ich als Körper wahrnehme und je wahrnehmen kann, wahr­
nehme, weil sinnlich Wahrnehmen Sehen ist, und Sehen mit dem
Auge Sehen ist, oder Tasten mit den Fingern usw. Tasten, usw.
Aber wie ist der Leib selbst sinnlich wahrgenommen? Hier ist
35 ein leibliches Organ Organ des Wahrnehmens für das andere,
und so schliesslich der Leib Totalorgan für sich selbst. Aber dass
dem so ist, das ist doch selbst ständig mir gewiss durch Wahr­
nehmung. Ist das bloss sinnliche Wahrnehmung, die doch selbst
schon fungierende Leiblichkeit voraussetzt?
508 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

Das Fungieren ist in der schlichten Richtung auf Natur ano­


nym. Aber...

BEILA G E XXX
BESCHÄFTIGUNG MIT SACHEN — BESCHÄFTIGUNG
5 MIT MENSCHEN (ALS WIE MIT SACHEN UND ALS MENSCHEN).
KONNEX — H EM M UN G, ZWANG, W IL L E N SE IN ST IM M IG K E IT ,
S T R E IT
(November 1932)

Wir in der Welt, die die unsere ist — unsere Lebensumwelt. Welt
10 haben und personal in der Welt sein, mit der Welt beschäftigt sein.
Welt haben, für mich ist Welt, sie ist für mich als Welt mit Anderen,
für die selbst Welt, dieselbe Welt, ist. Ich und jeder andere ist be­
schäftigt, jeder mit dem Seinen, jeder in seinen Interessen als Inter­
essen an dem und jenem Weltlichen, das gerade ihn interessiert. Ver-
15 einigtes Beschäftigtsein, vereinigte Personen, vereinigt in Interessen
und Beschäftigungen. Ich beschäftige mich mit „Dingen” — sie ken­
nenlernen (evtl, bloss dafür interessiert, wie sie sind, und, wenn in
einem weiteren Interessenzusammenhang, so „rein theoretisch”, wie
sie in Wahrheit sind und im Gesamtzusammenhang des wahren Seins
20 sind), sie fühlend zu werten, beschäftigt mit ihnen in Gefallen und
Missfallen, in Lust hingegeben, in Unlust abgestossen: ferner sie prak­
tisch erwägend und praktisch umgestaltend nach Zwecken, praktisch
verwendend für Zwecke.
Ich beschäftige mich mit Menschen: sie kennenlernen (evtl, als im
25 blossen Interesse, wie sie sind, oder in wissenschaftlichem Interesse an
ihrem wahren Sein), fühlend mit ihnen beschäftigt, ihr Sosein genies­
send, in Lust und Unlust. Praktisch mit ihnen beschäftigt — als wie
m it Sachen. Ich will ihr Anderssein, ich will verändernd sie behan­
deln, verändernd im selben weiten Sinn wie für Dinge. Z.B., sie sollen
30 nicht hier, sondern woanders sein, sie sollen nicht „qualitativ” so,
sondern anders sein, nach dem also, was ihr raumzeitliches Was-sein aus­
macht. Sie sollen nicht sein; so wie ich Dinge als die ihres Typus nicht
bloss gelegentlich ändern will, innerhalb dieses Typus, in dem ich sie,
wo ich normalerweise von Veränderung im Leben spreche, festhalte
35 (z.B. den Bleistift, den ich spitze, das Papier, das ich zurechtschneide),
<sondern> wie ich mitunter die betreffende Sache „zerstöre”, z.B.
das Papier zerreisse und wegwerfe. Natürlich handelt es sich da in der
Regel um Zweckobjekte. So kann ich einen Menschen töten wollen. Als
Reales der Region Mensch ist er dann nicht mehr in der Welt vorhan-
40 den. Der Mensch steht mir physisch im Wege, ich will gerade ein Ding
durch den Raum bewegen, in dem er ist. Er soll sich wegbewegen oder
BEILAGE XXX 509

er wird, wenn er es nicht kann, wie ein Holzklotz weggetragen etc. Der
Mensch hemmt mich, stört meine Kreise, steht meinen Absichten im
Wege in g e i s t i g e r Hi ns i c ht . Ich überrede ihn, ich einige mich
mit ihm, dass er mir Freiheit gibt, nachgibt. Hier „einige” ich mich mit
5 ihm, aber ich ve re i ne mich nicht zu gemeinsamen Zwecktätigkeiten
in der Einheit eines gemeinsamen Zweckes. Evtl, liegt die Einigung
darin, dass ich seinen Zweck fördere und er dafür den meinen und
umgekehrt. In gewisser Weise nimmt er dann an meinem Zweck, und
ich an seinem, teil — soweit nur als es nötig ist, um nicht gestört zu
10 sein. Will er nicht, so brauche ich evtl. Gewalt, ich zwinge ihn. Was
macht den Zwang? Seinem Tun Hemmungen auferlegen, die er nicht
überwinden kann, aber innerhalb der personalen Gemeinschaft, des
füreinander bewusstseinsmässig Seins. Es ist ein willentliches gegen­
einander Gerichtetsein in der „Deckung”, der aktuellen und habituellen.
15 Es ist das Negativum der positiven Vereinigung in den Wollungen,
Willensgerichtetheiten.
Positive Einstimmigkeit im miteinander Erfahren, Fühlen, Denken,
Planen, Wollen, Handeln. Sympathie. Aber im Wollen, im Willen des
Anderen auch wollen und nicht bloss sympathisieren. Äusserster Fall:
20 sich ganz und gar in den Dienst des Anderen freiwillig stellen. Anti­
pathie. Dann aber in der Gemeinschaft Willensuneinigkeit. Nicht
wollen, was er will, besagt nicht, überhaupt nicht wollen (privativ),
was er will. Er will, dass etwas sei oder so sei, ich will, dass es nicht sei,
nicht so sei. Aber auch das sagt nicht eindeutig, um was es sich hier
25 dreht. Dazu gehört nicht das Miteinandersein der Vergemeinschaftung.
Das, was er will, ist sein Willensziel und hat als das für ihn seinen
Seinssinn. In der Vergemeinschaftung mit ihm richtet sich mein Wol­
len gegen sein Willensziel als solches. Es ist ein negativer Wille, Wille
gegen sein Ziel, und darin liegt ein in der Vergemeinschaftung gegen
30 ihn als Person Gestelltsein. Es ist also nicht bloss mein Wille, dass das
nicht sei, nicht werde, eintrete, was er im Absehen hat, sondern (viel­
leicht aus dem Grund, weil ich allerdings diesen Willen habe), sowie ich
dessen innewerde, dass es eintreten würde, wenn sein Wille ungehemmt
es realisiert, nun darum mich gegen ihn stelle, gegen dieses Eintreten
35 aus seinem Willen, oder wie wir einfach sagen, gegen seinen Willen.
Wir richten uns gegen das von ihm Gewollte als solches, gegen den
„Willenssatz”, der sein stiftendes Subjekt in ihm hat.
So auch im urteilenden Streiten. Ich wende mich gegen die Aussage,
den Urteilssatz als den des Anderen, ihn ablehnend, und wende mich
40 damit gegen ihn. Aber so ist es bei allen Sätzen, bei aller Unstimmig­
keit, auch der mit mir selbst. So, wenn ich mich erinnere und mit
meinem vergangenen „Erfahrungssatz” nicht „sympathisiere”, also
-gegen mein vergangenes Ich-nehme-wahr und so implicüe gegen mich
selbst als das Ich in der Erinnerung mich wende, und wieder, wenn ich
45 gegen den Anderen als Wahmehmenden Stellung nehme, merkend,
dass er (wie ich meine) einer Illusion unterliege. Freilich ist das wieder
eine Unterstufe, und zwar wenn ich z.B. auf Grund gemeinsamen Seins
510 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

(also da sind wir einig) im Wollen eine andere Stellung nehme als er
und damit gegen ihn.
Nun ist im Fall des Willensstreites in der Vergemeinschaftung in
Frage die „Macht ”. In der Deckung ist es z.B. so, dass ich gegen
5 seinen Willen, seine Absicht mich in meinem Willen wende, aber er tut
doch, und ich kann es nicht hindern. Er verhindert mein Tun, mein
leibliches, indem er mich leiblich bindet oder mich mit dem Tod be­
droht, oder er zwingt mich, indem er mir geistig Böses zuzufügen
droht, das ich nicht verhindern könnte, als was über meinem Vermögen
10 wäre. Indem er so sich verhält, kann es sein, dass mein negativer Wille
als das verbleibt — als ohnmächtiger Wille. Es kann auch sein, dass
ich mich füge, meinem negativen Willen, meinem Willen wider ihn,
entsage. Ja, er kann mich evtl, zwingen, meinem gesamten Wollen als
selbsteigenem zu entsagen, um ihm zu Dienste zu sein. Ich werde zum
15 Sklaven, und dann kann ich es sein im entsagenden Willen, im mich
bloss Fügen und ihm in allem zu Willen Sein, ihn in meinem Wollen
wollen zu lassen, oder ich kann seinen Willen in der Weise ganz in mich
aufnehmen, dass ich nicht mehr bloss um des Zwanges willen ihm diene,
sondern der bezwungene Wille zum freien Willen wird, ohne noch gegen
20 ihn mich innerlich „aufzubäumen”.

BEILAGE X X XI
PERSONALES LEBEN. SOZIALE VERBINDUNG AUS .
WILLENTLICHER STIFTUNG — AUS INSTINKT — AUS
SYMPATHIE. DAS TEILNEHMEN („SYM PATHIE” )
25 (November 1932)

Ich bin entweder in privater Einstellung (in der asozialen Ich-Ein-


stellung) oder in einer sozialen, und so hat jede Person in ihrem per­
sonalen Dasein, und zwar in ihrem Bewusstseinsleben, Strecken eines
asozialen (nicht im gewöhnlichen Sinn „unsozialen”) Lebens und Strek-
30 ken sozialen Lebens.
Jede Person als personaler Mensch unter Menschen, im Horizont sei­
ner Mitmenschheit sich wissend, ist „Mitglied” (Genosse, socius) man­
nigfacher, durch soziale Akte zwischen ihm und seinen Genossen ge­
stifteter personaler menschlicher Verbände. Im Leben der Personen
35 werden immer neue gestiftet, evtl, flüchtig vorübergehend, z.B. auf
bestimmte nächstliegende Zwecke bezogen, oder auf fernerliegende,
aber in der Endlichkeit liegende Zwecke oder auch auf eine praktische
Allgemeinheit von Zwecken gewisser Art und evtl, mit begrenzter Zeit,
evtl, aber auch mit offen endlosem Zeithorizont in der Form des un-
40 bestimmten „von nun an wollen wir künftig etwa gemeinschaftlich
kaufmännisch, wissenschaftlich etc. Zusammenarbeiten”. Das ergibt
also bleibende Sozialitäten, in diesen Beispielen aus einer willentlichen
Stiftung durch soziale Akte der betreffenden, durch diese Akte in eine
BEILAGE XXXI 511

soziale Willensverbundenheit tretenden Personen. Aber dazu kommen


freilich andere Stiftungen, die n i c h t die Form haben: ich will mich
mit N N . . . verbinden, ihn durch Mitteilung motivieren, mit mir zu
einer Willensleistung sich <zu> verbinden, einen Zweck sich zu setzen
5 als denselben, den ich mir setze, also ihn zu bestimmen, dass er diesen
Zweck nicht nur will, sondern als von mir gewohten will, so wie ich
denselben als von ilnn gewohten wih. Dabei geht mein Wollen durch
sein Wollen, und seines durch mein Wollen hindurch, und der Zweck
ist Ge mei nzwec k für uns beide. Darin hegt implicite, jeder von uns
10 will zugleich und korrelativ die Verbindung zwischen uns, bzw. den
personalen Verband selbst. Allerdings hat die Stiftung dieses Typus
manche Sonderformen, gründend in der verschiedenen Modalität des
Wollens, in seinen Unmittelbarkeiten und Mittelbarkeiten, seinen
Horizonthaftigkeiten und damit unbestimmten Allgemeinheiten und
15 bestimmten Besonderheiten.
Aber vor dem Wülen und seinen Willenszielen liegen Vorformen des
Ichstrebens, des affiziert Hingezogenwerdens, des Sich-entscheidens,
die wir i n s t i n k t i v nennen. So das ursprüngliche Sich-stiften der
Geschlechtsgemeinschaft, wie es schon bei Tieren statthat, im Unter-
20 schied von der Ehe als einer durch willentliche Stiftung mit einem be­
stimmten Ziel, und hier mit dem Absehen auf den Zeithorizont des
ganzen Lebens. Ebenso aber steht es mit einer Freundschaft, die
durch „Sympathie” und ohne einen besonderen Willensentschluss und
das gedankliche Ziel, sich mit dem Anderen verbinden zu wollen, zu
25 einer Verbundenheit wird. Andererseits kommt es aber auch, dass man
a u f G r u n d der lebendig empfundenen Sympathie Wunsch und
Willen darauf richtet, mit der sympathischen Person zu einer Verbin­
dung der Freundschaft zu kommen. Also in Verbänden bin ich immer:
in Verbänden, die ich mit Beziehung auf besondere Absichten, die ich
30 gefasst habe, gestiftet bzw. mitgestiftet <habe>, und in Verbänden, in
die ich auf anderen Wegen, aber immer aus eigener Beteiligung, hin­
eingeraten bin. In meiner Familie bin ich erwachsen, und die Verbin­
dung mit meiner Mutter ist die ursprünglichste aller Verbindungen.
Später erwächst mir manche weitere Verbindung mit Geschwistern,
35 mit Kameraden, Freunden. Ich wachse aber hinein in die traditionalen
Gemeinschaften, in die meiner Familie im historischen Sinn (mein
„Geschlecht”), in die meiner Nation mit ihrer Sitte, ihrer Sprache usw.
Auch in diesem Hineinwachsen in der Übernahme der Tradition liegt
eine Mitstiftung durch Modi des Willens.
40 Das menschliche Leben ist nun von zweierlei Art, wie schon gesagt,
der Mensch lebt entweder asozial oder sozial. Was das erstere anbelangt,
so sind Beispiele: ich mache einen Spaziergang, ich hole mir eine Zi­
garre, ich esse — aber nicht als Mitglied einer Tischgesellschaft; so
habe ich in meinem Tun und Lassen eine Privatsphäre in einem weite-
45 sten, nicht bloss auf rechtliche Sozialität bezogenen Sinn. Sozial lebend
tritt der Mensch mit Anderen in aktuellen Konnex, sei es neu sich
sozial verbindend, oder in einem schon gestifteten sozialen Verband
512 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

sich betätigend als socius, als Funktionär. Hier ist wohl auch noch ein
Unterschied: Ich arbeite z.B. als Wissenschaftler für mich, ohne an
mein „wissenschaftliches Publikum” zu denken, an die Gemeinschaft,
in der ich arbeite, mit der ich zusammenarbeite, wozu die wechselseitige
5 Kritik gehört, das sich durch Ergebnisse der Anderen Bestimmtsein­
lassen, es kritisch anzunehmen oder abzuwandeln, sich an sie Richten
und sie zur Anerkennung Motivieren etc. Arbeite ich für mich allein,
so hat für mich diese Arbeit doch den sozialen wissenschaftlichen Sinn.
Anders ist es, wenn ich bewusst mich mit Anderen auseinandersetze,
10 evtl, auch unmittelbar in einem wissenschaftlichen Kongress vor An­
deren meine Ergebnisse vertrete etc. Es ist eine verschiedene soziale
Betätigung, „im Dienst” eines Vereins oder als Angestellter im Dienst
des Herrn zu arbeiten oder in einer Vereinssitzung bzw. in einer aktu­
ellen Besprechung oder sonstigen Zusammenarbeit mit dem Genossen
15 <zu>stehen. In solchen Fällen bin ich in der a k t u e l l e n Wir-Ein-
Stellung.
Es ist zu beachten, dass ich dabei nicht nur die Andern als mit da
erfahre oder von den Anderen als Mitseienden „weiss”, als mit in der
Welt seiende aktuell bewusst in der Form einer doxischen Gewissheit,
20 sondern ich bin als Ich, als Zentrum, als Vollzugssubjekt meiner Akti­
vität mit den Anderen als Subjekten ihrer Aktivität Vollzugs-
mäs s i g verbunden. Ich bin in ihm, er ist in mir aktiv, ich arbeite
in seinem Arbeiten, er in meinem. Als Liebender in der Liebesge-
meinschaft (Freundschaft), und zwar in meiner Aktualität, betrach-
25 te ich (ich, der liebend Betrachtende, der liebend auf ihn, in ihn Ein­
gehende) ihn nicht nur als so und so Lebenden, er ist nicht nur als das
in meinem Seinsfeld, sondern ich lebe in seinem Leben, ich lebe es mit,
und auch ich bin für ihn evtl. Mitlebender nicht nur von aussen, son­
dern sein Mitleben umfasst mein Mitleben.
30 Doch haben wir nicht von der verbundenen Sozialität in der Wech­
selseitigkeit der Vergemeinschaftung die einseitige zu unterscheiden ?
Nun gewiss, das ist die „Einfühlung” selbst: In der Motivation, durch
die der Andere mir bewusst wird, bin ich in Deckung mit ihm, mein
einfühlendes Leben ist quasi in ihm Leben, Mittun, Mitleiden, darunter
35 Mitwahrnehmen, Mitmeinen etc. Aber es gehört zur Einfühlung nur
eine Grundschichte wirklich aktiven Mitlebens, Mitaktivseins in ihm,
darunter die Schichte, wodurch wir eine gemeinsame Umwelt haben,
ich dieselbe wie er, und er wie ich (ohne sozialen Konnex).1 Aber ich
habe als praktisches Ich meine Ziele, er hat die seinen, ich will, was
40 ich will, und nicht das, was er will, und darin „verstehe” ich ihn, aber
ich übernehme nicht, wenn ich bloss Einfühlung vollziehe, ich lebe
nicht sein Leben (aktives Verhalten) als wertendes, als praktisches

1 Welt apperzipieren, aus der p a s s i v e n Leistung der Assoziation, die ein-


fühlende Vergegenwärtigung motiviert, mit Affektion von der gemeinsam apperzi-
pierten Umwelt. Dann aber meine A k t i v i t ä t stimmend oder nicht stimmend mit
der des Anderen.
BEILAGE XXXI 513

mit; auch nicht, wenn ich ihn als Denkenden nachverstehe, so ohne
weiteres sein Denkleben, sein urteilendes, schliessendes usw. Tue ich
das, so kann das geschehen in Form der Sympathie, aber auch des
liebenden und hassenden Mitgehens mit ihm in ihm.
5 Wie hinsichtlich des Mitwollens? Auch da kann es sein, dass ich
(während doch kein wechselseitiger Konnex hergestellt ist und er viel­
leicht von meinem Dasein gar nichts gemerkt hat) dazu komme, in
ihm und seinem Willen zu wollen. Ich werde dessen inne, dass er gerade
dabei ist, ein ihm widerwärtiges Tier zu töten. Ich übernehme seine
10 Abscheu, oder das Tier erblickend empfinde ich alsbald ebenfalls Ab­
scheu. Sein von dem Tier motiviertes Tun geht mir ein, damit sympa­
thisierend will ich mit, so wie ich mitfühle, so begehre und will ich mit.
Ich handle nicht selbst, ich müsste erst hingehen und zugreifen, er ist
schon im Zugreifen, im Handeln. Ich wünsche nicht nur, dass das Tier
15 tot wäre, und sehe zu, sondern, indem er so tut, realisiert sich mein
Wunsch als sein Wille, worin ich teilnehme mitwollend. Freilich ist
dieses Mitwollen nicht Wollen im gewöhnlichen Sinn. Es ist „Wil-
l e n s s y m p a t h i e ”. Fühlend, begehrend, wollend kann ich ,.teil­
n e h m e n ”. Mitgefühl, Mitbegehren, Mitwollen <ist> nicht einfach als
20 mein Fühlen etc., das mit dem des Anderen parallel läuft, und ebenso
nicht im blossen Innesein dieses Zusammentreffens in der Fühlens-
weise etc. Wenn ich im Gespräch dessen innewerde, dass mein Partner
sich gleich verhält wie ich, oder im Schauspiel meinem Nachbarn die
gleiche Gemütsbewegung ansehe, so ist das nicht diese „Teilnahme”,
25 nicht dieses Mitfühlen mit dem Fühlen des Anderen.
Im Mitfühlen bin ich als Ich versunken im Anderen und seinem Füh­
len, mitlebend, mitfühlend. Ich bin als Person nicht auf die andere
Person als Gegenstand gerichtet, gerichtet bin ich auf das, worauf sie
als sich so und so verhaltende Person gerichtet ist. Dabei bin ich in sie
30 versunken, in Deckung mit ihr in der Bewusstseinshabe derselben Um­
welt und in der ichlichen Richtung auf „dieselben” thematischen Ge­
genstände; aber als Teilnehmender bin ich mit dem einfühlungsmässig
vergegenwärtigten Ich in Deckung, d.i., in seinem Fühlen, Begehren,
Wollen Mitfühlender, Mitbegehrender, Mitwollender. Auf mich bin ich
35 dabei überhaupt nicht gerichtet, wie wenn ich reflexiv meine Teilnah­
me ausspreche. Ich verhalte mich im Modus der Einstimmigkeit des
Mitverhaltens, dessen Gegenmodus ist, dass ich, während er etwa vor
einer Blindschleiche mit Abscheu zurückweicht, ich diese niedlich
finde und sein Tun, das nach ihr Schlagen, nicht innerlich mittue (in
40 sympathischem Mittun), sondern mit „Widerwillen” begleite. Den
Mitgefühlen, den Mitakten, Mitstellungnahmen entspricht dann Ge­
gengefühl etc., ihr Negatives.
Daraus können Gefühle und Wollungen, Handeln erwachsen, die
von den Mitgefühlen zu unterscheiden sind. Das sympathische Mit-
45 leiden (die Teilnahme) ist nicht „den Anderen Bemitleiden” derart,
dass er einem leid tut. Dann hat man sein Leid darin, dass er leidet,
was nicht sagt, dass man in ihn versunken in Deckung mit ihm fühlt,
514 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

wobei man ihn im Fühlen, ja als „mit ihm Lebender” überhaupt nicht,
zum Gegenstand, zum „Thema” hat. Aber eins geht aus dem anderen
hervor, und das ursprüngliche Bemitleiden ist danach ein fundierter
Akt (ursprünglich, nämlich nicht intentionale Abwandlung der Art
5 z.B. der konventionellen Rede, obschon einer irreal gemeinten), fun­
diert im ursprünglichen und dann grundlegenden Mitfühlen.
Während all das zurecht besteht, ist andererseits auch dies richtig,
dass ständig, sowie Einfühlung am Werk ist, und dabei wie in den be­
schriebenen Grundfällen des in und mit Anderen Lebens, der Andere
10 für mich „objektiv” in der raumzeitlichen Welt da ist als Mensch, wie
auch ich ständig Bewusstsein meines Daseins als Mensch in der Raum­
zeitlichkeit habe, und ich wie jeder in subjektiven Modis der Orientie­
rung. Es ist aber ein fundamentaler Unterschied zwischen Weltbe­
wusstsein überhaupt und thematischem Bewusstsein.

15 BEILAGE XXXII
EINFÜHLUNG UND ERINNERUNG
(November-Dezember 1932)

Einfühlung und Objektivation des Anderen als Seiendes, Reales in


der raumzeitlichen Welt.
20 Im Vollzug der Einfühlung selbst, der eigentlichen Einfühlung,
vollzieht sich in mir eine Motivation, in der ich mich — es ist schwierig,
sich da korrekt auszudrücken — gleichsam erinnere, nicht meines
früher Erfahrenen, Gefühlten, Getanen erinnere, überhaupt mich
nicht im gewöhnlichen Sinn, also „meiner” erinnere, sondern mich
25 „seiner”, des Anderen Erfahrenen, Gefühlten, Gewollten „erinnere”
oder mich seiner erinnere in seinem Leben, das aber als mit dem
meinen simultan gegenwärtiges bewusst ist. Was soll diese paradoxe
Rede, da doch Einfühlung es überhaupt ist, durch die für mich der
Andere gegenwärtig ist und, wie es nicht ganz ohne Grund heisst,
30 wahmehmungsmässig ? In einer meiner gewöhnlichen Erinnerungen
heisst erinnert z.B. die Konzertsituation, in der ich hörte und genoss
oder mich ärgerte über die schlechte Aufführung oder im Gespräch
mit einem Kollegen war, mit ihm das und jenes verabredete usw. Sich-
erinnern ist (als anschauliches verstanden) im strömenden Jetzt-leben
35 vergegenwärtigend sein „früheres” Leben „wiederholen”. Aber
das Früher hat nur Sinn aus diesem Wiedervergegenwärtigen und tätig
„Wiederholen”, und es ist ein Wiederholen eines Ich-erfahre, Ich-
denke, Ich-tue, während ich jetzt nicht dies, sondern anderes erfahre,
tue usw.1 Ich als Ich der Gegenwart reproduziere ein Ich einer Um-

1 Das Auftauchen als quasi „wieder” gegenwärtig. Doppeldeutig, als ob ich jetzt
BEILAGE XXXII 515

weit und eines darin Tuns, eines Erfahrens etc., das nicht das jetzt
wirkliche Ich ist, und zwar als das Ich im Erfahren, im Tun, das repro­
duziertes Erfahren ist, im Charakter der Vergegenwärtigung, der das
ganze Reproduzierte durchdringt und der Aktivität den Charakter
5 der „wiederholenden” gibt.1
Ich als Ich der Gegenwart. Reproduzierend bin ich gerichtet auf das
Vergangene, auf das, was das reproduzierte Ich im Modus der Ver­
gegenwärtigung quasi erfährt und fühlt, tut etc., eben das, was ich,
der mich Erinnernde, bezeichne mit den Worten: „das habe ich
10 erfahren, das habe ich getan etc.”, vermöge der Identitätseinigung
des jetzt seienden und im Jetzt die und jene Bewusstseinsweisen voll­
ziehenden Ich mit dem reproduzierten. Als ersteres bin ich gerichtet,
bin tätig gerichtet auf bzw. affiziert von der gegenwärtigen Umwelt
in ihrer Erscheinungsweise, und in meiner Tätigkeit ist sie mir
15 originaliter bewusst als Umwelt im originalen subjektiven Modus
aus dieser Tätigkeit — im Modus des Wie im Worauf des Hinsehens,
Wie des Erfasstseins, des Expliziertseins, im Wie des Gewertetseins
(des Wertes), der Handlungsweise — und es steht gegenständlich vor
mir als praktisch Werdendes in seinen Handlungsstufen. Erinnere ich
20 mich, so bin ich als jetziges Ich in der Erinnerung gerichtet auf das,
worauf ich „damals” als Gegenwärtiges gerichtet war und was jetzt für
mich das Vergangene, das Erinnerte heisst.
In der Gegenwart lebend kann ich von dem, worauf ich gerichtet
bin, reflektieren auf mich selbst als Ich, wie wenn ich sage, ich erfahre,
25 ich denke usw. Ich kann auch in der Erinnerung reflektieren, also als
jetziges Ich mich richten auf mein vergangenes Ich, wobei ich aber
mittelbar und sekundär mitgerichtet bin (obschon nicht primär und
eigentlich gerichtet) auf mein gegenwärtiges Ich. Nicht übersehen
habe ich natürlich, dass, wenn ich reflexiv auf mich gerichtet bin als
30 Ich des vordem nicht reflexiven cogito, ich schon wieder ein cogito
vollziehe, auf das und dessen Ich reflektiert sein könnte usw. Das
geht natürlich auch in die Erinnerung ein.
Mich erinnernd bin ich unreflektiertes Vollzugs-Ich (auch wenn ich
eine Reflexion vollzogen habe), das vollzugsmässig gerichtet ist auf
35 das Vergangene, aber nicht auf das vergangene Vollzugs-Ich, das
nicht „thematisch” ist.
Ich bin in meiner strömenden konkreten j eweiligkeit, ich bin stän­
diges Ich, aber Ich eben im strömend Jetztsein. Ständig ist mir darin
eine strömende ontische Gegenwart bewusst und in einem Kern stän-
40 dig in der Ursprünglichkeit wahmehmungsmässiger Gegenwart. Also
ich, konkret in dem ständigen Urmodus Jetzt lebend, bin ständig on-

es gegenwärtig hätte, und das ^wasi-Gegenwärtig, das Vergangenheit als meine selbst
macht.
1 Wiederholende Aktivität: die Erinnerung sei kein blosser Einfall.
516 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

tisch „gegenwärtigend’ ständig in einem gegenwärtigenden Leben.


Aber ich, immer im strömend Jetztsein, bin evtl, auch vergegen­
wärtigendes Ich, wiedererinnerndes, vorerwartendes usw.
Halten wir uns an den Fall der Wiedererinnerung. In eins bin ich,
5 wenn sie eintritt, gegenwärtigend meiner ontischen Gegenwart und
vergegenwärtigend ontischer Vergangenheit bewusst. Wie das?
Ontische Vergangenheit ist bewusst als vergangene Gegenwart, als
Abwandlungsmodus der Gegenwart. Im ontisch Gegenwärtigen
Bewusstes ist Gegenwart schlechthin, im Urmodus, im Vergegen-
10 wärtigen Bewusstes ist nicht Gegenwart schlechthin, sondern im
Seinsmodus modifizierte, erinnerte Gegenwart, die dann Vergangen­
heit heisst. Es ist aber Gegenwart Gegenwart in der strömenden
Gegenwärtigung, und so ist modifizierte Gegenwart in der Modifi­
kation strömender Gegenwärtigung, d.h., Ich, das aktuelle des strö-
15 menden Jetzt, bin derart vergegenwärtigendes, dass ich eine modifi­
zierende Bewusstseinsweise jetzt durchlebe, in der ein modifiziertes
ontisches Gegenwärtigen mit seiner modifizierten ontischen Gegen­
wart strömend bewusst ist. Die Modifikation als die eines Gegen-
wärtigens ist in eins Modifikation eines „jetzt konkret lebenden,
20 jetzt gegenwärtigenden und in diesem Gegenwärtigen ontische
Gegenwart bewusst habenden Ich”. Ich, das ontisch vergegenwärti­
gende Ich, habe in verschiedener Weise, aber untrennbar einig be­
wusst: meine ontische Gegenwart, mein ontisches Vergegenwärtigen
als mich jetzt Erinnern, ferner mich in der Erinnerung, nämlich das
25 in ihr vergegenwärtigte Ich als quasi seine ontische [quasi-) Gegenwart
gegenwärtigendes, und somit diese quasi-Gegenwart, nämlich das
jetzt erinnerte Ontische.1
Ich als aktuelles Ich, das unmodlfizierte und alle Modifikation als
original eigene „in mir tragende”, bin in Deckung mit dem Ich in
30 der Modifikation; in der Vergegenwärtigung als Vergegenwärti­
gender lebe ich im Modus „als ob ich ‘ vergangene’ Gegenwart wieder
durchlebte”, als ob ich wieder das Ich wäre, das gegenwärtigend „war”,
und eben damit lebe ich jetzt aktuell in einem „als ob ich wieder lebte”,
als ob ich wieder das und jenes sehen würde, denken, fühlen würde
35 usw. Eben damit bin ich, das ontisch gegenwärtigende und das quasi
ontisch gegenwärtigende <Ich>, in Deckung, und zwar in Identitäts­
deckung: Ich bin derselbe, als der jetzt wahmimmt und „damals”
wahrgenommen hat, derselbe, der jetzt gegenwärtige ontische Um-

1 Es scheidet sich: das vergangene, erinnerte Ich, Ichbewusstsein als passive Welt­
habe in Tätigsein und Leiden, und das jetzige Ich als das sich des vergangenen er­
innernde, jetzt Erinnerung habende, jetzt auf das erinnerte Ich sich beziehende etc.
Ebenso scheidet sich das jetzige Ich, konkret als das für sich gegenwärtige (das
Weltgegenwart habende in Wahrnehmung und Weltvergangenheit in Erinnerung),
das nicht nur sich als jetzt gegenwärtiges Ich bewusst habende, sondern auch als
sein vergangenes Ich bewusst habende, gegenüber eben diesem vergangenen Ich und
ebenso dem Ich als dem des gegenwärtigen Leibes der gegenwärtigen Welt.
BEILAGE XXXII 517

weit hat, damals im damaligen Jetzt gegenwärtige Um welt gehabt hat,


welche aber vergangene s e l b e Welt ist als die gegenwärtige, wobei
einzelne Realien dieselben sind, teils unverändert noch verharrend,
teils verändert noch verharrend. Ich als Ich der gegenwärtigen Welt
5 bin gegenwärtiger Mensch, sofern ich im gegenwärtigen Leib walte
und durch ihn in der gegenwärtigen Welt tätig und praktisch bin. Ich
bin derselbe in derselben verharrenden Welt, sofern ich im selben
verharrenden Leib jetzt walte und früher gew altet habe und durch
das frühere Walten in die Welt hineingewirkt habe m it Wirkungen,
10 die in der jetzigen gegenwärtige sind und dem jetzigen Wirken zu­
grundeliegen.
Urmodal als wach jetzt seiendes Ich bin ich aber, und in jedem Jetzt,
in Aktivität; Ich-sein ist als Ich Affiziertsein von dem, was es ontisch
als Seiendes hat, und bald sich auf das oder jenes richtend Tätigsein.
15 Das Ich ist aktiv im gegenwärtigenden Bewusstseinsleben in Richtung
auf sein ontisch Gegenwärtiges, auf das und jenes aus seinem Gegen­
wartsfeld. „Taucht” eine ontische Vergangenheit auf, so kann die
Aktivität die Gegenwart oder auch die Vergangenheit oder in Ver­
bundenheit beides betreffen (und so für sonstige Vergegenwärti-
20 gungssphären). Indem ich aktiv in die betreffende Vergangenheit
eingehe, ist es genauer gesprochen so, dass sie vor dem „Eingehen” als
meiner Aktivität von der ontischen Gegenwart her „geweckt” schon
bewusst ist, aber „dunkel”, und dass sie erst in meinem aktiven
jetzt dahin mich Richten lebendig anschaulich wird, zur Lebendigkeit
25 des Wieder, und in ihr habe ich wieder ein Gegenwartsfeld, in dem ich
wieder auf das und jenes aktiv gerichtet bin, es wahrnehmend, es
bedenkend, mich irgendwie damit beschäftigend. Es kann auch
innerhalb dieses modifizierenden Wieder ein anderes Wieder oder
sogar ein Wieder von einem Wieder haben. Das Wieder ist wie in der
30 Mathematik ein modifizierendes Vorzeichen vor einer Klammer, alles
in der Klammer modifizierend, wobei in ihr selbst auch abermals das
Vorzeichen und eine Klammer, auf das es sich bezieht, auftreten
kann, und so beliebig wiederholt.
Ich habe also, aktiv in Wiedererinnerung eingehend, die jetzige ak-
35 tuelle, d.i. urmodale Aktivität als urmodales Bewusstseinsleben in
Aktivität und d a r i n die wiedererinnernde Aktivität; deren eigener
Seinssinn ist es, jetzt verlaufende Modifikation von Aktivität zu sein,
die in sich kontinuierlich Aktivität vergegenwärtigt, nicht ein jetziges
einheitliches Aktivsein, aber kontinuierlich darin Phase für Phase
40 Erinnerung an eine Aktivität, eine Modifikation von Aktivität, die
jetzt original auftretende Vergegenwärtigung von Aktivität ist.
Vergegenwärtigung so wie Gegenwärtigung ist ein ichzugehöriger,
aber nicht spezifisch ichlicher „Prozess”. Gegenwärtigung und Verge­
genwärtigung —■zu scheiden Gegenwärtigung der Weltgegenwart,
45 Vergegenwärtigung einer vergegenwärtigten Weltgegenwart, einer
Weltvergangenheit, andererseits das zum Urstrom meines „Be­
wusstseins”, in dem ich als Ich gegenwärtiges Sein habe, gehörige
518 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

Zeitigen von Gegenwart und Vergangenheit und Zukunft; Ich als


Ich des Urstromes mit allen meinen ontischen Gegenwärtigungen und
Vergegenwärtigungen, dieses Ganze und darin jedes einzelne sich
zeitigend als gegenwärtig, Vergangenheit etc., Ich als dieses urmodale
5 Ich bin Ich der Weltgegenwart, sofern ich in meinem urmodalen Jetzt
oder in einer jetzt konstituierten Dauer zu dem mir ontisch gegen­
wärtigen Leib gehöre als der in ihm Waltende und auf gegenwärtige
Welt bezogen, und eben als dieses weltliche Ich vergegenwärtige ich
zugleich als dasselbe jetzt im Leib waltende eine weltliche Vergangen-
10 heit und in ihr mein vergangenes im selben ontischen Leib Walten.
Als dieses Ich bin ich Ich für alles weltlich für mich Seiende, bin ich
das Ich, das ontisch den Leib hat, den jetzigen und den gewesenen
und künftigen. Und dieses Haben weist zurück auf das Sich-konsti-
tuieren in der ständigen Genesis der Weltzeitigung, auf das strömende
15 Bewusstsein mit seinen Gegenwärtigungen und Vergegenwärtigungen
in allen Stufen und Synthesen, auf das dabei synthetisch eingreifende
Verhalten des Ich, auf seine Affektionen und Aktionen, Identifika­
tionen, Durchstreichungen, Modalisierungen — die Weltschöpfung
für mich, dieses Ich, eine Weltschöpfung, die einschliesst, dass ich
20 mich selbst konstituiere als Ich der ständigen Habitualität und Ver­
möglichkeit des im Leib Waltenden und Welt Erfahrenden etc.
Aber hinsichtlich der Erinnerung jeder Stufe haben wir nun die
blosse Reproduktion (auch die Reproduktion von Aktivität) und das
Mittun, die „Sympathie”.

25 BEILAGE X X X III
<ZUR UMFINGIERUNG DES ICH UND DER WELT:
DAS PRIMAT DER WIRKLICHKEIT GEGENÜBER DER
MÖGLICHKEIT. DAS ICH IN DER SELBSTVERGEMEINSCHAFTUNG
UND SELBSTERHALTUNG >
30 (17. April 1933)

Ich bin Mensch. So finde ich mich in der natürlichen Reflexion. Als
das kann ich wesensmässig mich eidetisch abwandeln und mein mögli­
ches Anderssein, aber ein Anderssein als Ich-Mensch, entwerfen. Als
Mensch bin ich faktisch Mensch in der faktischen Welt, ein Mensch
35 unter anderen Menschen und Tieren und als das wie sie alle und jedes
in seiner Weise auf Welt bewusstseinsmässig und in Habitualitäten, in
Interessen etc. bezogen. In fortschreitender Selbstabwandlung wan­
delt sich die Welt in eine mögliche Welt mit möglichen Menschen und
Tieren. Jede Möglichkeitsabwandlung meiner Menschlichkeit ist ent-
40 weder mögliches Anderssein meiner als zeitlich gegenwärtig oder als
zeitlich vergangen oder künftig. Aber mich als vergangenes Menschen-
BEILAGE XXXIII 519

Ich fingieren, das heisst zugleich, mich als gegenwärtiges Ich umfin­
gieren, und ebenso hinsichtlich meines Künftigseins. Desgleichen, mich
statt hier woanders und mit anderem Seinssinn fingieren, impliziert
auch, mich in räumlicher Gegenwart umfingieren usw.
5 Kann ich Welt anders umfingieren, als die sie mir ursprünglich
gegeben ist, gegenwärtige Welt, die Vergangenheit und Zukunft hat
von meiner Gegenwart aus ? Kann ich es anders tun als von meinem
menschlichen gegenwärtigen Sein aus? Und ist dann nicht evident,
dass keine Welt denkbar ist, keine in Phantasiefreiheit fingierbare, in
10 der ich mit meiner Gegenwart, obschon einer umfingierten Gegenwart
(als gegenwärtiges Ich, wie wenn ich nicht so, sondern anders wäre),
<nicht> vorkäme? Und hegt darin nicht noch mehr? Nämlich, dass
keine erdenkliche Welt sein kann denn als erdenkliche niemes faktisch
gegenwärtigen Seins — und damit ohne die faktisch wirkliche Welt ?
15 Hinsichtlich meiner und der Welt geht die Wirklichkeit jeder Möglich­
keit vorher! Das überträgt sich dann auf jede mögliche Welt: Mein
darin quasi auftretendes, quasi gegenwärtiges Ich wandelt sich in
seinen möglichen Abwandlungen und geht diesen vorher, und so sind
alle möglichen Welten, die von dieser quasi faktischen aus Möglichkeiten
20 sind, gegenüber der quasi wirklichen nachkommende Möglichkeiten.
Aber alles hängt schliesslich doch an meiner und meiner Welt Fakti­
zität.
Die Welt als faktische ist aber Welt meiner Erfahrung, meiner Er­
fahrung mit ihren apperzeptiven Horizonten, ihren realen Möglich-
25 keiten, ihren Unbekanntheiten, unbestimmten Bestimmbarkeiten,
ihren Seinswirklichkeiten aus Antizipation vermöglicher Entschei­
dung — eigener und fremder.
Da ist nun verschiedenes zu bedenken: Ich in meiner Tradition;
wesensmässig bin ich als konkretes Ich in meiner konkreten Tradition.
30 Grundformen der Traditionen — Grundformen der Vergemeinschaf­
tung (in gewissem weitesten Sinn der Assoziation): 1) patente Tradi­
tion, Bewusstseinsleben in Wachheit, 2) latente Tradition. Welche
Wesensgestalten beiderseits ?
ad 1) Ic h in d er S e l b s t wi e d e r h o l u n g , in der Gemein-
35 s c h a f t mi t mi r selbst. Modi der Erinnerung und der — prim­
ordialen — Apperzeption: p r i m o r d i a l e p a t e n t e T r a d i t i o n .
Ich in der Gemeinschaft mit mir selbst konstituiere mich selbst als
mich identisch „selbsterhaltendes” Ich — Bewusstseinsleben als
Geltungsleben, Geltungen als habituelle Überzeugungen stiftend, in
40 deren Einstimmigkeit ich mich selbst erhalten würde.
Bewusstseinsleben als strebend intendierendes Leben auf Erwerbe
als bleibende gerichtet; Modalisierung, Zunichtewerden von Erwerben,
Bruch der Selbsterhaltung. Das Streben in höherer Stufe als Streben
nach Einstimmigkeit, nach „Überwindung” der Modalitäten, nach
45 Korrektur.
D ie Erwerbe — der Aufbau des ontischen Universums, des von mir
selbst erworbenen. Korrelation sich selbst erhaltendes Ich und meine
520 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

selbsteigen erworbene Welt, Korrelation zwischen Sein im Sinn der


Selbsterhaltung, der Gemeinschaft mit sich selbst, und Sein im Sinn
des für mich Seienden, Sein im Sinn des On und der (endlichen) Tota­
lität der Onta, strömend werdend aus meiner Aktivität und Affektivi-
5 tät. Meine primordiale Welt — abstraktive Welt meiner eigenen Tradi­
tion, der primordial reduzierten, in der ich mich als rein aus Selbstver­
gemeinschaftung und in ihr der intentionalen Strebung nach Einstim­
migkeit mit mir selbst selbsterhalte: immer im Kampf mit mir als
identisches Ich der Widersprüche, der Modalisierungen.

10 B E IL A G E X X X IV
<SUBSTRAT UND BESTIMMUNG IM ABSOLUTEN
UND RELATIVEN SINN>
(November-Dezember 1932)

<Inhalt:> Erfahren und Urteilen. Substrat und Bestimmung. Relatives


15 Substrat. Absolute Erfahrung auf letzte Substrate als schlicht geradehin.
Konfigurative oder Komplexbestimmungen. Die Natur, die Welt als ab­
solutes Substrat in einem neuen Sinn, i ) Endliches Substrat = in etwas
Sein, 2 ) unendliches Substrat = nicht in etwas, aber alles etwas um­
fassend = das All-etwas. Alles Endliche, alles weltlich Seiende 'ist un-
20 selbständig (bzw. relativ selbständig), die Welt ist das allein absolut
Selbständige.
Erfahren als Aktus ist auf etwas gerichtet (Aktus als Thesis hat ihr
Thema). So verschiedenerlei Akte, so verschiedenerlei Themen. Einer
der allgemeinsten Titel für Akte heisst Urteil. Urteilen in einem aller-
25 weitesten Sinne ist auf etwas bestimmend gerichtet sein, bzw. es ist
bestimmend tätig sein. Im urteilenden Tun verbleibt, solange es ein
Urteilen ist, sein Thema identisch eines, und es ist darin ständig be­
wusst als Seiendes. Die Leistung der niedersten Urteilstätigkeit, der
rein erfahrenden, besteht darin, das mannigfaltige Sosein, in dem das
30 Seiende Identisches ist, auszulegen. Jedes als seiend Bewusste „ist,
was es ist”, es ist in seinen Bestimmungen und in nichts anderem, als
das ist es, wenn es überhaupt bewusst wird, wenn also Seinsgewissheit
Erlebnis ist, mit diesem Sinne gemeint. Das Urteilen legt das Sein in
seine Soseinsmomente aus, jedes ist in Sonderheit Seiendes, aber es ist
35 im urteilenden Bestimmen nicht für sich Seiendes, sondern es ist in
Geltung als das, wor i n das thematische Seiende ist, worin es sein
Sein hat oder auch was es in Sonderheit ist. Jedes Urteil hat (wenn es
ein einfaches ist) seinen „Gegenstand worüber”, und dieser ist darin
„Substrat” für seine „Bestimmungen”.
40 Im erfahrenden Tun haben wir ein urteilend Bestimmen besonderer
BEILAGE XXXIV 521

Auszeichnung, nämlich es ist darin der Gegenstand-worüber im Modus


or i gi nal er Gegebenhei t , im Modus „er selbst” bewusst, und der
Urteilende ist daraui gerichtet, sein selbstgegebenes Sein in Sonderer­
fahrungen auszulegen, also die Bestimmungen, die sein originales Sein
5 original auslegen, zu verwirklichen.
Das erfahrende Bestimmen trägt in sich also unter allen Umständen
den Unterschied von Substrat und Bestimmungen. Aber es ist hier zu
unterscheiden zwischen Substraten und Bestimmungen in absolutem
und relativem Sinne. Was in einem Urteilen, und hier in einem erfah-
10 renden Tun, als Bestimmung auftritt, kann in einem neuen Erfahren
die neue Form und Dignität eines Substrates annehmen, es wird in
seinen Eigenschaften ausgelegt, bestimmt. In dieser Umwandlung
der Bestimmung in ein Substrat für neue, und nun seine Bestimmungen,
ist es als dasselbe, obschon in verschiedener logischer Funktion (Funk-
15 tion in urteilenden Tätigkeiten) bewusst, und zwar selbstgegeben. Ist
so öfters ein Substrat sozusagen durch S u b s t r a t i s i e r u n g („No­
m in a l i s i e r u n g ”) einer Bestimmung entsprungen, so zeigt sich
doch alsbald, dass nicht jedes Substrat so entsprungen sein kann. Das
Substratisierte hat in seinem Seinssinn eben diesen Ursprung aufbe-
20 wahrt, und ist es jetzt Erfahrungsthema, so ist doch evident, dass es
ursprünglich nur werden konnte dadurch, dass vorher ein anderes
Substrat bestimmt wurde, an dem es als seine Bestimmung erwuchs.
Wir kommen dabei schliesslich und notwendig auf Substrate, die nicht
aus Substratisierung entsprungen sind. Ihnen kommt also in diesem
25 Zusammenhang der Name absoluter Substrate zu. Sind ihre Bestim­
mungen schon ohne weiteres absolute Bestimmungen zu nennen ? Hier
kommen wir aber auf eine neue Relativität.
Auf relative Substrate der Erfahrungssphäre ist jeder Akt entspre­
chender relativer Erfahrung zwar gerichtet, aber dieses sich darauf
30 Richten, der Einsatz der erfahrenden Tat, ist vermittelt durch die er­
fahrenden Tätigkeiten, in denen das betreffende absolute Substrat be­
stimmt und schliesslich eine der betreffenden (unmittelbaren oder
schon mittelbaren) Bestimmungen „nominalisiert” worden ist. Ein
absolutes Substrat zeichnet sich also dadurch aus, dass es s c h l i c h t
35 g e r a d e h i n erfahrbar ist, unmittelbar erfassbar, und die es expli­
zierende Tätigkeit unmittelbar in Gang zu setzen.
Ein schlicht geradehin Erfahrbares (ein absolutes Substrat) ist nun
z.B. ein Körper, dessen körperliches Sein sich in seinen körperlichen
Eigenschaften auslegt. Die praktische Intention des Erfahrens, das
40 auf den seienden Körper schlicht Gerichtetsein, geht auseinander in
eine Vielheit von Sonderrichtungen, die vom Ichpol ausgehen, die aber
auf den Identitätspol hingehen und sozusagen durch ihn auf seine
Soseinsmomente gehen.
Ein schlicht Erfahrbares ist aber auch eine Mehrheit von Körpern
45 als eine raumzeitliche Konfiguration oder als ein erfahrbares kausales
Ganzes von Körpern, die durch das erfahrbare einander zusammen­
hängend einheitlich Bedingen erfahrbar einig sind: wie z.B. eine Ma-
522 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

schine. Das schlicht geradehin Erfassen, das hier möglich ist, geht in
der Auswirkung der erfahrenden Intention (der erfahrenden Vorhabe,
können wir auch sagen) über in die Bestimmungen der Mehrheit, in
ihre Washeiten (was es einzelweise ist). Da kommen wir unter dem
5 Titel Bestimmungen aber auf Teile, Teilmehrheiten und letztlich je­
denfalls auf einzelne Körper. Natürlich nicht bloss auf das, sondern in
weiterer Folge auch auf Bestimmungen, die nicht selbst Körper sind.
Wir stossen hier auf eine neuartige F u n k t i o n s v e r ä n d e r u n g .
Absolute Substrate, in unserem Beispiel Körper, können als Bestim-
10 mungen fungieren, die Funktion von Teilen, Gliedern in Ganzen, in
Substrateinheiten höherer Stufe annehmen. Das ändert aber nichts
daran, dass sie absolute Substrate sind, sofern sie schlicht geradehin
erfahrbar, explizierbar sind. Absolute Substrate zerfallen also in
solche, die „Einheiten” von Mehrheiten sind, und solche, die selbst
15 Mehrheiten sind. Zunächst ist diese Scheidung eine relative. Sie führt
aber — in der Erfahrung — auf absolute Einheiten und Mehrheiten,
wobei die Mehrheiten selbst wieder Mehrheiten von Mehrheiten sein
können. Rückschreitend führt aber jede Mehrheit auf ihre absoluten
Einheiten, eine körperliche auf letzte Körper, die nicht mehr eine Kon-
20 figuration sind. Nicht die Rede ist hier von einer kausalen Möglich­
keit, einen Körper zu zerstücken, wobei die Stücke durch kausale Ak­
tivität der Teilung erst hervorgehen und nur nachher als potentiell
enthaltene Teile dem Ganzen zugesprochen werden; und erst recht
nicht ist die Rede von der ideellen Möglichkeit einer Teilung in infini-
25 tum. In der wirklichen Erfahrung gibt es keine Teilung in infinitum
und vor allem keine erfahrbare Mehrheit, die in infinitum in der fort­
gehenden Erfahrung sich (etwa im Näherkommen) in immer neue
Mehrheiten auflöste.
Betrachten wir nun die Bestimmungen von absoluten Substraten,
30 so stossen wir zwar auf Bestimmungen, die selbst wieder absolute
Substrate sein können, also auf mehrheitliche Substrate (wirklich er-
erfahrbare Ganze mit Teilen, Einheiten der Mehrheiten), aber es ist
auch klar, dass j edes absolute Substrat Bestimmungen hat, die nicht
absolute Substrate sind. Die letzten Einheiten, in der Körperwelt die
35 letzten körperlichen Einheiten, haben durchaus Bestimmungen, die
nur als Bestimmungen ursprünglich erfahrbar sind, die also nur rela­
tive Substrate werden können. Aber auch die mehrheitlichen Substra­
te haben solche Bestimmungen, und zwar abgesehen von den Bestim­
mungen ihrer Einzelkörper, die mittelbar auch ihre Bestimmungen
40 sind. Das sind offenbar die Bestimmungen, welche der Mehrheit als
Mehrheit eine Einheit geben, die im weitesten Sinne gesprochen
k o n f i g u r a t i v e n oder K o m p l e x b e s t i m m u n g e n , und von
ihnen aus alle relativen Bestimmungen, die in einer einheitlich erfahr­
baren Mehrheit jedem Einzelgliede (ebenso jeder Teilmehrheit) zu-
45 wachsen als ihr In-Beziehung-sein, die adjektivischen Relativa.
So haben wir in der Erfahrungssphäre, in der Selbstgegebenheit von
Seienden als Gegenständen möglicher Erfahrung, als Grundscheidung
BEILAGE XXXIV 523

die zwischen absoluten Substraten, den schlicht geradehin erfahrbaren


und bestimmbaren, und den absoluten Bestimmungen, die als seiende
erfahrbar sind, und das heisst substrathaft, nur durch Nominalisierung.
Oder alles Erfahrbare ist charakterisiert entweder als etwas für sich
5 oder etwas, das nur an einem anderen, an einem für sich Seienden ist.
Wir wollen das noch anders ausdrücken: Letzte Substrate sind solche,
deren Sein nicht das bl osser Bestimmungen ist, also nicht so, dass
dessen Seinssinn ausschliesslich darin liegt, dass in seinem Sein ein
anderes Sein „so ist”, oder deren Sein prinzipiell nur als Sosein eines
10 anderen Seins charakterisiert ist; grammatisch ausgedrückt: das an
sich Adjektivische, Akzidentelle, das nur durch Substantivierung zum
„Nomen”, Nomen-Substantivum wird. Nun scheiden sich die absolu­
ten Substrate in Einheiten und Mehrheiten, und wenn wir Einheit ab­
solut verstehen, so haben wir die Scheidung von absoluten Substraten,
15 die „nur” durch absolute Akzidentien zu bestimmen sind, und solchen,
die selbst noch zu bestimmen sind durch absolute Substrate. So in der
Endlichkeit der Erfahrung.
Wie steht es nun aber mit der Allnatur und wie mit der Welt über­
haupt ? Kann man sich nicht erfahrend auf die Welt als Erfahrungs-
20 thema richten, und ist sie nicht auch „absolutes Substrat” im Sinne
der schlichten Erfahrung, das sich aber auslegend bestimmt in allen
und jeden absoluten Substraten, die Erfahrung geradehin schlicht er­
fassen und bestimmen kann. Hier kommen wir auf die Unendlichkeit
der Weltexplikation, bzw. darauf, dass ihr Sein sich auslegt in der
25 Unendlichkeit möglichen Fortgangs der Erfahrung von endlichen Sub­
straten zu immer neuen. Alle endlichen Substrate sind aber verbunden,
wenn wir innerhalb der Welt als Universum uns bewegen, ist keines
ohne „reale” Beziehung zu anderen und zu allen anderen, mittelbar
oder unmittelbar.
30 Hier kommen wir aber auf eine a b e r m a l s neue F a s s u n g des
Be g r i f f s a b s o l u t e s S u b s t r a t . Ein „endliches” Substrat kann
schlicht für sich erfahren werden und hat so sein Für-sich-sein. Aber
notwendig ist es zugleich Bestimmung, nämlich als Bestimmung er­
fahrbar, sowie wir ein umfassenderes Substrat, worin es ist, betrachten.
35 Jedes endhche Substrat hat die Bestimmbarkeit als In-etwas-sein, und
für dieses gilt das abermals, in infinitum. Die Welt aber ist in dieser
Hinsicht absolutes Substrat, nämlich in ihr ist alles, sie selbst aber ist
nicht ein In-etwas, sie ist nicht mehr relative Einheit in einer umfas­
senderen Mehrheit. Sie ist das All-seiende, nicht „in etwas”, sondern
40 All-etwas.
In Zusammenhang damit steht auch eine andere Absolutheit: Ein
real Seiendes, eine endliche reale Mehrheit, eine Mehrheit, die einheit­
lich ist als Realität, ist verharrend in der Kausalität ihrer Verände­
rungen, und alle kausal verbundenen und als das relativ verharrenden
45 mehrheitlichen Einheiten sind selbst wieder kausal verflochten. Darin
hegt: Alles Weltliche, ob reale Einheit oder reale Mehrheit, ist un-
524 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BTS 1935

selbständig. Selbständig ist nur die Welt, sie verharrt nicht wie ein
Endliches verharrt in Beziehung auf seine äusseren Umstände.

Zur Korrektur 1
Jedes Seiende hat Substratstruktur, weist also zurück auf ein abso-
5 lutes Substrat.
In der Selbstgegebenheit ist das Substrat früher gegeben als die
Bestimmungen, und die Bestimmungen nur, wenn (eine notwendige
Genesis) das Substrat vorher gegeben ist. Jedes Substrat ist, relativ
gesprochen, schlicht gegeben (in der Selbstgebung), jede seiner Be-
10 Stimmungen nicht schlicht, das ist auf dem Wege über das Substrat.
Seiendes hat als solches ursprünglichsten Seinssinn als „Thema”, als
Ziel einer darauf gerichteten erfüllbaren Intention, als Telos eines dar­
aufhin Strebens (Wollens), einer antizipierten Aktivität, die im Aktus
das Telos aktualisiert. Dazu Seiendes in Affektion, im Hintergrund,
15 im Horizont ...
Der Einheitsstrahl des auf ein Substrat gerichteten thematischen
Aktes geht auf das Substrat als in den Bestimmungen so seiend, es ist
eine e i n s t r a h l i g e I n t e n t i o n , sofern sie sich auf den Einheits­
punkt (Pol) richtet, aber vorweg als Intention in eine Vielheit von
20 Strahlen auseinandergehend. Die Erfüllung zeigt die Vielstrahligkeit
als Implikation mit ihren Implikaten. So haben wir E i n h e i t , die
als E i n h e i t Vi e l he i t in sich i mpl i zi er t . Die Intention auf
Seiendes erfüllt sich in dem einheitlichen Prozess, dem synthetischen
als Aktus der Explikation, und hat in den Bestimmungsstrahlen ihre
25 Sondererfüllungen. Die Explikate sind aber an sich nicht „Themen”, im
eigentlichen Sinn Themen sind Substrate. Nur sofern ein Explikat
selbst explizierbar ist oder sofern die Substratstrahlung in den unmit­
telbaren Bestimmungen nicht voll erfüllt ist, vielmehr durch die Ex-
plikatstrahlen hindurchgeht in eine zweite, höherstufige Strahlung,
30 sind die Explikate relative Themen.
Im Begriff des relativen Themas, bzw. der Nominalisierung, liegen
Schwierigkeiten: Kann nicht ein Substrat vorweg sich auslegen in
Explikate, die keine weitere Implikation in sich tragen (intentional
schon meinen), „letzte” Explikate oder absolute gegenüber „relativen
35 Explikaten” — in diesem Sinn ? Der explizierende Strahl hat im Ex­
plikat sein „Ende” oder nicht sein Ende.
Aber kommt es nicht durch Assoziation zu Abhebungen und dann
durch Apperzeption zu Bereicherungen der früher primitiveren In­
tentionalität, und zwar in der Weise, dass n a c h t r ä g l i c h das End-
40 explikat in eine Vielstrahligkeit übergeht, eine vielstrahlige Intention
in sich aufnimmt, zunächst als apperzeptiven Sinn ohne aktive Inten­
tion, aber auf aktive zurückweisend, und dann als aktive, wodurch
das Explikat zum Substrat wird, zum aktuellen Thema.

1 Wohl aus April 1933. — Anm. d. Hrsg.


BEILAGE XXXIV 525

Ferner: Me hr hei t en. Ich habe nicht Rücksicht darauf genom­


men, dass konfigurative Assoziation zu scheiden ist von Mehrheit als
mehrheitlich-einheitliches Substrat. Fine Konfiguration von Seienden:
Seiendes im Hintergrund, mehrere Seiende in eins affizierend, ein
5 Seiendes erfasst, dann ein anderes usw., im Nacheinander behalten,
und doch nicht in der Einheit einer Substratintention.
R E D U K T IO N A U F D IE P R IM O R D IA L IT Ä T .
<DAS V E R H Ä L T N IS VON P R IM O R D IA L E R U N D
T R A N S Z E N D E N T A L E R R E D U K T IO N .
5 D AS V E R H Ä L T N IS VON S E E L E U N D
T R A N S Z E N D E N T A L E M B E W U S S T S E IN >1
(26. und 28. Februar 1933)

26. Februar 1933

<§ 1 > D ie W e lt — d ie N a tu r in ih re n s u b je k tiv e n


10 G eg eb en h eitsw eisen . D e r W e g d e r in te r su b je k tiv e n
E r fa h r u n g a ls G ru n d la g e f ü r in te r su b je k tiv e E r k e n n tn is

1) D er Körper in m einer W ahrnehm ung, in m einer selb st­


eigenen wirklichen und m öglichen Erfahrung, als der sich m ir
o r ig in a lite r darstellt und in allem , worin er sich mir so darstellen
15 könnte, ebenso in dem er sich für m ich dargestellt h a t oder dar­
stellen wird, in allem auch, w as für m ich je original erschienen
wäre, w enn ich ihn w ahrgenom m en h ätte, w ahrnehm en würde
etc., also der Körper in seiner Prim ordialität als E inheit m einer,
und ausschliesslich m einer, selbstdarstellenden E rscheinungen
20 und ausschliesslich nach dem , w as da zu w irklicher und m öglicher
Selbstdarstellung für m ich kom m t und kom m en würde.
2) D er Körper der ob jek tiven W elt, der W elt für alle in der
N orm alität. D ie A ndern erfahren in ihrer Prim ordialität, und in
der K om m unikation m it ihnen bin ich gew iss, dass derselbe K ör-
25 per, der mir in m einer Prim ordialität als er selbst original ge­
geben ist und ausw eisbar ist in m einer Forterfahrung, w enn sie
in der E in stim m igk eit m eines System s prim ordialer Erscheinun-

1 Die folgenden Ausführungen wurden wohl durch die Lektüre der Notizen ver­
anlasst, die wir in der Beilage X X XV wiedergeben. — Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 31 527

gen von ihm sich hält, von den Andern in der je ihren en t­
sprechend erfahrbar ist. U n d zw ar decken sich die E rscheinungs­
system e in voller Kongruenz.
Identifiziert werden die Erscheinungssysteme in der Einfüh-
5 lung und korrelativ also die Einheiten derselben: also jeweils die­
selben Körper. Jeder hat denselben Körper in seiner Erscheinungs­
weise, so wie ich in verschiedenen subjektiven Zeiten, während
der Körper für mich dauernder ist, denselben in verschiedenen
Erscheinungsweisen erfahre. Bleibt der Körper fortdauernd un-
10 verändert, so sehe ich denselben in derselben Erscheinungsweise
als wie der Andere, wenn ich und er entsprechende kinästhetische
Wandlungen, die der Platzvertauschung, ausführen.
Schwieriger wird die Beschreibung, wenn die Anomalität her­
eingezogen wird und damit die Beziehungen der Erscheinungen
15 auf die je eigene Leiblichkeit. Aber auch da kann zunächst ge­
sagt werden, „normalerweise” haben wir alle gleiche Leiblichkeit,
und jeder seine Weisen zwar, wie er gelegentlich seine Leiblich­
keit anomal verändert, so dass die Systeme der Erscheinungen
Anomalien aufnehmen. Aber normalerweise wiederholt sich das
20 System mit den Möglichkeiten von Anomalien für alle gleich.
Homogeneität der Apperzeption: Auch wenn gewisse Anomalien
der Andern mir wirklich unverständlich sind, weil ich sie nie
erfahren habe, so liegt das an möglichen, aber bei meinem
Leib nicht jetzt Vorkommen den und nicht bekannten, ge-
25 schweige denn willkürlich herzustellenden „psychophysischen”
Kausalitäten, leiblichen Veränderungen, die die Erscheinungs­
verläufe beeinflussen.
Jedenfalls, Körper erscheinen in bezug auf fungierende Leib­
lichkeit und sind Einheiten von Erscheinungen, als diese Ein-
30 heiten, als was sie sind, nur erkennbar in Rücksicht auf das,
was wirkliche und induzierte Erscheinungen in Einstimmigkeit
ergeben würden oder ergeben. Und da kommen die Erscheinun­
gen der Andern ebenso in Betracht als meine eigenen.
Die Intention auf Sein und Sosein kann sich n i c h t in
35 s e l b s t e i g e n e n Erscheinungen, wie ich sie habe und frei ver-
möglich gestalten kann, befriedigen. Von vornherein lebe ich
mit Anderen und habe meine Lebensinteressen in bezug auf die
uns gemeinsam erfahrene Welt und auf sie selbst als darin objek­
tive und zugleich subjektiv mit mir im Weltleben fungierende.
528 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

Also kommt es immer schon darauf an, dass wir zu einstimmig


intersubjektiv für uns geltenden Dingen kommen, eine inter­
subjektiv Erkenntnis gewinnen, in der wir zu identischem Sein
und Sosein kommen als das, was für uns da ist und Material ist
5 für unsere gemeinsame Arbeit oder unsere Gemeinsamkeit von
Streben und Widerstreben etc.
Das Ding selbst ist Einheit meiner und aller möglichen Mit­
subjekte Erscheinungen, ist in seiner Wahrheit das, was von uns
in der Universalität der induktiven Vorzeichnung unserer je-
10 weiligen totalen Gemeinerfahrung fortschreitend zu Bewährung
gebracht werden kann in steter Korrektur, also Relativität.
Wir selbst finden uns und einander vor als weltliche Realitäten
und sind im Leben als Weltleben immer schon als Realitäten min­
destens horizontmässig in Seinsgeltung; die Welt in ihrer offenen
15 Unendlichkeit als immerfort vorgegebene enthält die offene Un­
endlichkeit von Andern. Ich, das jeweilige Ich, bin leiblich in
meinem wachen Leben notwendig Zentrum des Bewusstseins­
feldes, der weltüchen Unendlichkeit und darin Unendlichkeit der
Mitsubjekte als um mein Ich orientiert.
20 Im n a t ü r l i c h e n W e l t l e b e n s i n d w i r a l s R e a l i t ä ­
t e n s e l b s t „ o b j e k t i v e " W i r k l i c h k e i t e n . Also jeder­
mann und ich selbst ist seiend als Erfahrungseinheit einer Man­
nigfaltigkeit von Selbstdarstellungen für mich und für uns alle.
Also wieder müssen wir haben das System der Selbstdarstellun-
25 gen, das jeder Mensch von seinem realen Sein und dem aller an­
dern Menschen haben kann (also in einem vorzüglichen Sinn als
System möglicher Erfahrung von einem jeden), und zu jedem
objektiv seienden Menschen gehört ein solches System in so viel­
fältiger Weise, als es Menschen geben mag, nämlich gedacht als
30 erfahrend fungierende Subjekte.

<§ 2. Reduktion auf die Primordialität>


R e d u z i e r e n wi r a u f di e P r i m o r d i a l i t ä t . Ich be­
schränke also alle wirklichen und mögüchen Erfahrungen, die ich
von mir und Anderen habe, auf mein originaliter Eigenes. Damit
35 reduziere ich mich auf mein Ichliches in Aktivitäten und Affekti­
vitäten rein in dem Seinssinn, den mir meine reine Selbstreflexion
ergibt, meinen Ichpol inbegriffen, von dem die Akte ausstrahlen,
TEXT NR. 2 529

an dem sie zu Modis der N och-G eltung werden, auf den die A f­
fektionen hingehen, an dem die Stim m ungen gefühlt sind usw.
Ich gew inne m eine „reine” Erlebnissphäre, d ie des rein im m anen­
ten Zeitstrom es. Z unächst die ström ende Erlebnisgegenw art und
5 all die V ergegenw ärtigungen von Erlebnissen, durch die für m ich
eigene E rlebniszeitlichkeit bew usst wird. Im Erlebnisstrom liegt
in ten tion al alles, worauf ich in m einen A kten gerichtet bin oder
was m ich affiziert, obschon zugleich jedes Ichliche selbst seine
W eise hat, erlebnism ässig in diesem Strom aufzutreten. In diesem
10 Strom von Erlebnissen, intentionalen Erlebnissen, B ew u sstsein s­
w eisen in einem w eitesten Sinn, liegt nun auch, einzeln und in
synthetischer V erbundenheit, alles B ew u sstsein von W eltlichem
und universal v on der W elt, als w as und w ie sie für m ich —
ström end sich w andelnd in ihrem W as und W ie — i s t ; noch spe-
15 zieller gesprochen, das im w achen Leben nie abgebrochene W elt
w ahrnehm ende E rleben, b egleitet von Modis der Erinnerung (der
anschaulichen und unanschaulichen) usw ., im Erleben das darin
E rleb te als solches. D as alles (cogito und c o g ita tu m ) ist aber jetzt
ab strak tiv befreit von allen Sinnbeständen, die ich der K om m u-
20 nik ation m it A ndern „verdanke”. D iese K om m unikation b e­
ste h t, w as m ich selb st anbetrifft, darin, dass ich gew isse verge­
genw ärtigende E rlebnisse habe und in ihnen Seinsgeltungen v o ll­
ziehe, die sich auf A ndere beziehen, durch die für m ich überhaupt
erst Andere D asein haben. Verm öge der E infühlungen w ird das
25 B ezogensein Anderer auf G egenstände m einer eigenen originalen
Erfahrung, also ihr W ahrnehm en und dgl. dieser G egenstände
m ir bew usst, und es w ird in solchem E in versteh en in Anderer er­
fahrendes Leben ein Ü bernehm en ihrer G eltungen m öglich und
der dabei ihnen g elten d en Sinnbestände für m ein Erfahrungsob-
30 jek t, und zwar von B eständen, die für m ich selbst nicht bew usst
und in G eltung waren. E b en v on solchen Sinnbeständen aus der
M ittelbarkeit der einfühlenden V ergegenw ärtigung abstrahiere
ich und h alte m ich also ausschliesslich an solche, die ich entw eder
in eigentlicher Selbstdarstellung (etw a als d ie gerade „w irklich
35 w ahrgenom m ene” S eite eines D inges) h abe oder als zum G esam t­
sinn dieses D inges als Seinssinnes m einer konkreten W ahrneh­
m u n g so gehören, dass n ich t m it in R echnung gezogen wird, w as
n ich t für m ich zu originaler Selbstdarstellung und S elb stb estä ti­
gu n g kom m en k önnte, h ä tte kom m en können usw. D och ist n ich t
530 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

zu übersehen, dass die Einfühlungen als meine immanenten Er­


lebnisse zum konkreten Bestand meines reinen Bewusstseinsle­
bens gehören so wie alle Weisen der Sinnbüdung und meiner
Geltungen.

5 <§ 3 > Die Reduktion auf die Primordialität in natürlicher


Einstellung und in transzendentaler Einstellung1
Die Reduktion auf die Primordialität ist ein eigentümliches, auf
mein gesamtes natürliches Weltleben bezogenes methodisches
Verhalten. Im natürlichen Weltleben ist die Welt das universale
10 absolute Feld aller meiner Interessen, meiner habituellen und
im Fortgang des Lebens neu gestifteten Interessen. Sie ist es als
die im nie abgebrochenen Strom der Welterfahrung „schlechthin-
nige” 12 Seinsgewissheit. In dieser beschlossen ist das weltliche
Mitsein der anderen Menschen sowie das eigene Sein, das meiner
15 selbst als Menschen in der Welt. Damit ist auch fundiert die Ge­
meinschaft unseres menschlichen Lebens in vergemeinschafteten
Interessen, im vergemeinschafteten Wirken und Schaffen. Hier­
her gehört auch das theoretische Weltinteresse in seiner histori­
schen Vergemeinschaftung als Wissenschaft der wissenschaft-
20 liehen Arbeitsgemeinschaft, also ebenfalls fundiert bei jedem ein­
zelnen Wissenschaftler und so bei mir durch das naiv dahin­
strömende erfahrende Leben in seiner ständigen naiven Weltgel-

1 Einleitung zum weiteren: Im weiteren zunächst Betrachtungen über Reduktion


auf die Primordialität. Zunächst scheint es (ich verfalle vorerst selbst darauf), dass
sie vom natürlichen Boden aus als „reine" Reduktion möglich ist, und dass, sie schon
einen Durchgang durch die transzendentale, universale Reduktion erfordert, die nur
unvermerkt und untheoretisch bliebe. Aber es zeigt sich, dass es sich so verhält: Es
bedarf zwar einer universalen Einstellung auf das gesamte konstituierende Bewusst­
seinsleben und die darin konstituierte Welt. Aber diese Einstellung ist noch nicht
wirkliche phänomenologische Reduktion, deren Wesen es ist, dass die universale
Korrelation, also das ego zum E n d t h e m a wird. Bleibt es die Welt, so wird alles
Subjektive relativ zum Endthema Welt und ist psychologisch. Es bedarf einer Epoche
hinsichtlich der Endgeltung der Welt, d.i. hinsichtlich des Seins der Welt im gewöhn­
lichen, schlechthinnigen Sinn. So ist auch die primordiale Reduktion, solange nicht die
transzendental-universale Reduktion vollzogen ist, nur psychologisch-erkenntnis­
theoretisch, nur Abstraktion. Soll aber das primordiale Feld zum absoluten Seinsboden
werden, dann muss vorher die wirkliche phänomenologische und dabei universale
Reduktion — die Weltseins-Epoche — vollzogen sein; dann erwächst die Reinheit
der primordialen Thematik, von der im weiteren die Rede ist. Sie ist nichts anderes
als transzendental-primordiale Thematik innerhalb des transzendentalen ego. D a n n
ist es eine in diesem Rahmen vollzogene, also transzendentale Abstraktion.
2 Dieses „schlechthinnig” besagt, die Weltgeltung ist Endgeltung.
TEXT NR. 31 531

tung. Aus dieser Weise des Interessenlebens tritt die Reduktion


auf mein primordiales Geltungsleben in eigentümlicher Weise
heraus. Ich, der Reduzierende, stelle mich über mein gesamtes
Weltleben und alle seine Interessen und alle seine Betätigungen,
5 ich „abstrahiere” von allen meinen Seinsgeltungen, durch die
andere Ichsubjekte, andere erfahrende, denkende, fühlende, täti­
ge, interessierte für mich Wirklichkeiten sind, mir ob recht oder
schlecht gelten eben als wirkliche. Ich abstrahiere damit von al­
lem, was ich in der naiven Welthabe diesen Andern als Mitsub-
10 jekten verdanke, nämlich ihnen verdanke, als von denen ich E r­
fahrungsgewissheiten, Meinungen, Theorien wie sonstige Zweck­
gebilde übernommen habe, als das von mir selbst Erfahrene, Ge­
dachte, Bezweckte etc. selbst Mitbestimmende und nunmehr für
mich selbst Mitgeltende.
15 Die Abstraktion besteht nun offenbar darin, dass ich hinsicht­
lich aller in jenen Einfühlungen liegenden Seinsgeltungen von
Andern eine Epoche übe .1 Das betrifft nicht nur die in meiner
lebendigen Gegenwart gerade aktuellen Einfühlungen. Es lie­
gen ja im Horizontbewusstsein der jetzt aktuell in Erfahrung
20 stehenden Umwelt auch alle die mir bekannten, aber nicht ge­
genwärtigen Menschen, deren ich mich je entsinnen könnte, aber
auch alle die unbekannten Menschen, denen ich je begegnen
konnte oder werde begegnen können, ferner diejenigen, denen An­
dere begegnet sind oder je begegnen könnten. Das gibt ja ganz
25 wesentlich der Welt, die mir immerzu gilt, den Seinssinn einer
unendlichen Welt mit einer offen unendlichen Mannigfaltigkeit
miteinander personal verflochtener Menschen. Mein Weltbe­
wusstsein, meine Welthabe in der ständigen Weltgeltung gebe
ich damit natürlich nicht preis, in sich verbleibt es Welthabe
30 in Weltgeltung. Aber, wie gesagt worden, anstatt bloss in dieser
Universalgeltung zu leben, stelle ich mich über das Weltleben in
einer dieses ganz umspannenden theoretischen Haltung ,12 bzw.
im theoretischen Willen, vom Sein der Anderen und all dessen,

1 Zu beachten: Das ist aber eine „Epoche”, wie sie in jeder Abstraktion vorliegt,
und nicht die thematische Seinsepoche von der Welt: vgl. das Spätere. Daher sind
die Ausdxucksweisen gefährlich.
2 Aber zu beachten: Die Welt ist für mich immerfort das schlechthin seiende
Universum. Dieses ist weiter der Boden auch für meine theoretischen Absichten, also
etwa die, mein Weltbewusstsein, meine Welterkenntnis zum Erkenntnisthema zu
machen und darin abstraktiv beschränkt mein primordiales.
532 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

was ich diesem in meinem Weltbewusstsein verdanke, keinen


theoretischen Gebrauch zu machen und bloss (nämlich als das Ich
dieser universell theoretischen Haltung) das gelten zu lassen, was
ich selbst direkt erfahre, je erfahren konnte und könnte, hätte
5 erfahren können usw. Verbleibe ich konsequent und habituell
ausschliesslich in dieser Einstellung,1 so gelange ich zum ge­
schlossenen Zusammenhang von erfahrenden und prädikativen
Seinsgeltungen, oder wie wir mit anderen Worten sagen können,
zu einem geschlossenen Körper von Theorien, in denen von der
10 Welt im natürlichen Sinn, der Welt meines natürlichen Lebens
(die den Gemeinschaftssinn unserer aller Welt hat), nichts Vor­
kommen kann , 12 in denen mit keinem Laute davon die Rede sein
kann. Die Theorie steht also gänzlich ausserhalb aller weltwis­
senschaftlichen Theorien, d.i. der Theorien aller positiven Wis-
15 senschaften. Zwar kann ich alle meine Aussagen in die Form
bringen: Sie sprechen aus, ,,was ich von der Welt rein in der
Immanenz meines Bewusstseinslebens zur selbsteigenen, zu wirk­
lich originaler Selbstgebung (Wahrnehmung) bringe, hätte
bringen können etc.” Aber wenn ich so spreche, habe ich die
20 neue theoretische Einstellung nicht mehr rein innegehalten.
Ich habe ,,die Welt” gesagt, damit habe ich sie als seiende
in Anspruch genommen, wo doch ihr Sein für mich den Seins­
sinn hat, der die Existenz der Menschen und deren kommu­
nikative Mithilfe für die Seinsgeltung der Welt voraussetzt.
25 Ich bin, statt in der rein theoretischen Einstellung der Primor-
dialität zu verbleiben, in eine Einstellung übergegangen, in
welcher ich sowohl die natürliche Einstellung als die primordiale
betätige und beider Geltungen synthetisch verbinde; was in der
einen ist und in der anderen ist, wurde zu einem verbundenen
Sein, zu einer In-eins-Geltung gebracht.3
1 Leben und Denken in ausschliesslich, mit Konsequenz rein innegehaltener
primordialer Einstellung. Aber zu beachten: Hier wird verwechselt das Theoreti-
sieren rein in der Primordialität — auf dem natürlichen Seinsboden der Welt — mit
dem Theoretisieren, das das Primordiale zum a b s o l u t e n Thema macht. Das kann
es nur sein, wie das gesamte reine psychische Bewusstseinsleben, wenn ich phäno­
menologische Epoche übe, wodurch die psychologische Reinheit zur transzendentalen
wird.
2 Ja, wenn ich transzendentale Epoche geübt hätte, sonst stehe ich ja in der rein
psychologischen Sphäre.
3 Dazu ist vorweg also zu beachten: Wenn ich als P s y c h o l o g e primordiale
Abstraktion vollziehe, so „behalte” <ich> die Seinsgeltung der Welt, während ich sie
für den „Moment” durch primordiale Abstraktion und für den relativen Zweck primor­
dialer Feststellung allerdings verändere: um nachher jene behaltene Weltgeltung
TEXT NR. 31 533

Freilich, und hier liegt eine vorsichtig zu behandelnde Schwie­


rigkeit, setzt die neue Einstellung die natürliche voraus, und wir
haben betont, dass die Welt als das mir in natürlicher Einstel­
lung schlechthin geltende Universum nicht etwa für mich un-
5 gültig wird, nicht etwa im mindesten bezweifelt, im natürlichen
Wortsinn in Frage gestellt wird. Die Umstellung zur Primordiali-
tät und r e i n e Betätigung primordialen erfahrenden und urtei­
lend erkennenden Lebens ist Leistung, ist Tätigkeit meines, des­
selben Ich, das natürlich lebendes ist und in natürlicher Weise
10 Welt in Geltung hat, sich selbst und Andere als Menschen in die­
ser Welt hat. Aber was ist das in der Tat sehr Merkwürdige, was
da unter dem Titel „Abstraktion” vom Mitsein Anderer geschehen
ist? Anstatt naiv dahinlebend Welt in den jeweiligen subjektiven
Gegebenheitsmodis zu haben und mich praktisch oder theore-
15 tisch in der mir naiv geltenden Welt zu betätigen — naiv, also
ganz unreflektiert —, vollziehe ich eine universale Reflexion, von
der geltenden Welt, dem schlichten Da!, rückblickend auf das
Gelten, auf das strömende Erleben mit den strömenden Erschei­
nungsweisen, Meinungen, Ichtätigkeiten usw., in welchem Welt
20 für mich ist und so ist, wie sie für mich ist, in dem jeweiligen
„Inhalt”, „Sinn", den sie eben für mich hat. In dieser universalen
Überschau der Reflexion entdecke ich erst Welt als geltend mei­
ner Geltungen, Seinssinn meines diesen Sinn in sich habenden
und hi sich immer neu gestaltenden Bewusstseinslebens. Ich ent-
25 decke dabei auch, dass meine universale Weltgeltung in sich fasst

wieder normal zu aktivieren und beides synthetisch zu verbinden. Nur so ist das
Primordiale abstrakter psychologischer Bestand der faktischen Welt. H i e r aber wird
durchgeführt eine „reine” primordiale Einstellung. In diesem Gang dachten wir
„reine” primordiale Feststellungen voran und rein im theoretischen Interesse
für das absolut gesetzte Primordiale in sich. Nachher wird die positive Ein­
stellung auf die Welt betätigt, und das Primordiale wird zum abstrakten Moment in
der Welt, im konkreten Menschen, innerhalb meines psychischen Lebens: das, was
ich vom Seinssinn der Welt abstrakt „mir selbst verdanke'’ von meiner vollen „Welt­
vorstellung”. Als psychologischer Erkenntnistheoretiker sage ich vielleicht mehr im
gewöhnlichen Stil, was ich von der Welt rein aus meiner primordialen Erfahrung her
erfassen und wissen kann. Umgekehrt aber muss und wird im allgemeinen voran­
gehen eben dieses erkenntnistheoretische und psychologische Interesse: Ich bin und
bleibe positiv eingestellt in meinem theoretischen Interesse. Im Übergang in die
Primordialität verliere ich zeitweise die positive „Einstellung”, aber das sagt, ich
inhibiere die normale Aktivierung des konkreten positiven Interesses an meinem
menschlichen Sein und meiner Welterkenntnis, übe primordiale Aktivität allein.
Dann reaktiviere ich die anthropologische Positivität, und nun findet synthetische
Deckung statt: Das primordial Herausgestellte wird abstrakter <Teil>'an der Welt
das, was ich von ihr primordial erkennen kann.
534 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

meine anderen Subjekte, deren Sein ausschliesslich von mir in


Geltung gesetztes Sein ist, und dass, wenn Welt, wie ich anerken­
nen muss, den Seinssinn „Welt für alle" hat, erst auf dem Wege
über die in mir sich vollzogene Seinsgeltung Anderer die Seins-
5 geltung der Welt zustande kommt, die ich ständig in naiver
Weise habe .1 Meine universale Reflexion als Reflexion über
mein universales strömendes Leben betrifft also mein Weltgel­
tungsleben nicht etwa unterschieden als mein personales Be­
wusstseinsleben im Unterschied von dem der Anderen, eine Un-
10 terscheidung, die ja selbst eine zu der Welt gehörige ist, der Welt,
die im voraus mir gilt und auf deren Korrelat „Gelten” mit dem
ganzen konkreten Geltungserleben ich reflektiv zurückgehe. Es
ist also mein Leben als dasjenige, worin allererst Menschen,
menschlich gemeinschaftliches Erfahren, Denken usw. Geltung
15 hat und immer neue Geltung gewinnt.12
Diese universale Reflexion schafft also gegenüber der Naivität
einen neuen Seinsboden; nicht mehr die Welt, in welcher ich
alles vorfinde, mit dem ich, was immer, vorhabe, speziell in theo­
retischem Vorhaben die Thematik positiv-wissenschaftlicher Er-
20 kenntnis, vielmehr „Welt” a ls mir geltende, als Seinssinn meines
Geltungslebens, oder mich selbst rein als Subjekt dieses aktuellen
und habituellen Geltungslebens und in mir als Geltungskorrelat,
und zwar als sich darin konstituierende Einheit wirklicher und
möglicher Bewährung, die Welt — dieselbe, die für mich in Nai-
25 vität schlechthin seiende war und den Seinsboden meines Lebens
abgab. Jetzt aber ist der Seinsboden die Subjektivität mit allen
in ihr liegenden Bewusstseinsleistungen und deren Korrelationen
und somit die vordem schlechthin seiende Welt als die subjektiv
konstituierte.

1 Ja, das ist die Überlegung, um die Seinsvorgegebenheit der Welt als schlechthin
seiende einzuklammern. Aber universale Reflexion auf das Bewusstseinsleben, wäh­
rend ich Welt schlechthin habe, ist nicht transzendentale Reflexion.
2 Die universale Reflexion auf mein reines Bewusstseinsleben und reines Sein
ergibt aber nichts anderes als meine reine Seele. Zu ihrem Bestand gehört meine
strömende Welterfahrung, und sie primordial reduzierend, gewinne ich ein primor­
diales Gebiet in meiner Seele. Die Welt bleibt das Absolute, das schlechthin Seiende,
voran die Natur und in ihr mein Körper. Im universalen Durchlaufen meines Be­
wusstseinslebens wird jedes Bewusstseinserlebnis, jedes Subjektive auf den seienden
Leibkörper bezogen als damit real seiend, und so universal die Bewusstseinstotalität
als seelische. Erst wenn ich Weltepoche übe, mit einem Schlage das Schlechthin-sein
von Welt ausschalte, kann ich ebenso universal mein Bewusstseinsleben, mein ego
absolut setzen.
TEXT NR. 31 535

Nun wird man aber sagen, im Vollzug dieser universalen Re­


flexion liegt nichts anderes vor als die vielberedete phänomenolo­
gische Reduktion, und der neue Seinsboden ist die von mir so ge­
nannte transzendentale Subjektivität. In der Tat, wenn wir
5 gründlich zu Ende denken, was eigentlich das notwendige Ge­
schehen ist, um zur Primordialität zu kommen, so kommen wir
ganz richtig zur transzendental-phänomenologischen Reduk­
tion . 1 Wir wissen es nur nicht, wenn wir allzu eilig uns sagen:
Alles, was ich vom Sein und Sosein der Welt „weiss”, ist eben
10 mein „Wissen”, ist Bewusstes meines Bewusstseins, Erfahrenes
meines Erfahrens etc. Aber ich verdanke in meinem von der Welt
Wissen vieles, wo nicht das meiste, den Andern. — Ich stelle nun
die Frage, was verdanke ich rein mir selbst, was bleibt mir als
meine Welt, wenn ich vom Sein aller Anderen „abstrahiere” ?
15 Wir gewinnen so vorgehend das primordial Eigene und denken
am Ende, wir seien in dieser primordialen Einstellung selbst
noch wir Menschen, oder ich, der Denkende, ich sei noch der
Mensch, nämlich noch für mich in Seinsgeltung als Mensch. Wir
merken nicht, dass wir so die 12 Primordialität schon wieder über-
20 schritten haben. Sowie wir die Aufgabe einer Reduktion auf Prim­
ordialität stellen und uns die Forderung auf erlegen, rein in der
primordialen Sphäre uns theoretisch zu halten, ist es uns absolut
versagt, uns als Menschen in Mitgeltung zu halten, ebensowenig
als andere Menschen und Welt überhaupt.
25 O ffenbar 3 unterscheidet sich die prim ordiale theoretische E in-

1 Der Schluss des vorangehenden Satzes wurde von Husserl nachträglich wie folgt
verändert: „ ... so kommen wir ganz dicht an die transzendental-phänomenologische
Reduktion”. Die folgenden Sätze bis „ ... die Primordialität schon wieder über­
schritten haben” (Seite 535, Zeile 20) wurden von Husserl nachträglich gestrichen.
Dazu die Bemerkung: „In Wirklichkeit ist es also nicht schon die phänomenologische
Reduktion, weil das universale Bewusstseinsleben und Welt als Korrelat, das aller­
dings reflektiv zur Überschau kommt, damit noch nicht zum ausschliesslichen, selb­
ständigen, zum absoluten thematischen Feld geworden ist. Da erst setzt die eigent­
liche phänomenologische Epoche an. Die reine primordiale Theorie als absolute setzt
natürlich darin transzendentale EpocM hinsichtlich der Welt voraus”. — Anm. d.
Hrsg.
2 Nachträglich eingefügt: „reine”. — Anm. d. Hrsg.
3 Die folgenden Sätze bis „ ... auf das primordial reduzierte Ich als beschränktes
Thema” (Seite 536, Zeile 10) wurden von Husserl nachträglich gestrichen und
durch folgenden Text ersetzt: „Offenbar unterscheidet sich die reine primordiale
theoretische Einstellung ihrem thematischen Feld nach von der transzendental-
phänomenologischen Reduktion, aber nur, was den Umfang anbelangt. Die primor­
diale Einstellung in .Reinheit’: Die Reinheit besagt gerade das Inhibieren der natür­
lichen universalen Weltgeltung (Welthabe) als absoluten, letzten Geltungsboden für
536 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

Stellung von der transzendental-phänomenologischen Reduktion.


Nämlich, wo das theoretische Interesse ausschliesslich das prim­
ordiale ist, ist die universale phänomenologische Reduktion
eine bloss fundierende universale Einstellung auf die — univer-
5 sale — transzendentale Subjektivität ego (deren Korrelat <die>
seiende natürliche Welt ist). Wir verbleiben nicht in dieser u n i ­
v e r s a l e n Einstellung, bzw. alsbald schränken wir, ohne die
transzendentale Subjektivität zum universalen theoretischen
Thema zu machen, uns ein auf das primordial reduzierte Ich als_
10 beschränktes Thema. Aber wenn wir die klärenden radikalen Re­
flexionen durchgeführt haben, die soeben zum Abschluss kom­
men, ist es evident, dass die 1 primordiale Subjektivität eine ab­
strakte Schichte des konkreten transzendentalen ego ist, mit
einer in sich geschlossenen Seinsthematik, der rein primordialen. *12
15 Selbstverständlich erforderte eine transzendentale Universalwis­
senschaft, die vorweg das konkrete ego zum theoretischen Thema
macht (was nicht gerade sogleich geschehen muss), dass auch das
primordial reduzierte ego zum theoretischen Thema wird, und 3
das ist in der Tat ein Fundamentalthema. So ordnet sich also
20 die primordiale Einstellung als abstrakte in die konkrete der
Egologie ein, vortheoretisch und theoretisch.
Freilich, radikales zu Ende Denken in diesen Dingen ist für den
in der naiven Tradition der Philosophie und Psychologie Stehen­
den nahezu unmöglich, und erst die phänomenologische Reduk-
25 tion und Übung ihrer Methodik macht es eigentlich möglich, eine
primordiale Reduktion wirklich durchzuführen.4
E rst nachher kom m t also das Problem der M öglichkeit und
des transzendentalen Sinnes einer prim ordialen R eduktion des
P sych ologen innerhalb der seelischen Im m anenz und des Sinnes
30 dieser p sychologischen Im m anenz selbst. Gehe ich in die na-

alle Geltungen, sich ihm nur einfügend. Statt dessen wird das transzendental-subjek­
tive Universum zum endthematischen Feld und darin beschränkt das primordiale.
Korrekterweise müssen wir sagen, dass erst durch universale transzendentale Epoche
die Möglichkeit geschaffen ist für dies ,reine’ Primordiale und seine theoretische
Thematik”. — Anm. d. Hrsg.
1 Nachträglich eingefügt: „reine”. ■— Anm. d. Hrsg.
2 Die „Abstraktion” vollzieht das Ich der transzendentalen Reflexion, und zwar
in der transzendentalen Seinssphäre.
3 Die folgenden beiden Sätze, bis Ende des Absatzes, wurden von Husserl nach­
träglich gestrichen. — Anm. d. Hrsg.
4 Schon als psychologische und psychologisch-erkenntnistheoretische.
TEXT NR. 31 537

türliche Einstellung zurück, so finde ich, dasselbe Ich, mich als


menschliches unter Menschen in der Welt, und jedes andere Ich
könnte phänomenologische Reduktion üben, wie es mich auch
nachverstehen könnte als phänomenologische Reduktion faktisch
5 Übenden. Hier drängt sich die Frage auf: Kann ich die phänome­
nologische Reduktion eines anderen Menschen verstehen, ohne
selbst phänomenologische Reduktion zu üben oder mindestens in
eine Motivation hineinzugeraten, in der sie mir sich aufnötigt —
also ganz anders, als wie wenn ich sonst einen Zorn, ein Urteil des
10 Andern nachverstehe, ohne überhaupt fähig zu sein, dergleichen
jetzt wirklich zu vollziehen? Kann für mich also in der Welt eine
phänomenologische Reduktion Vorkommen, ohne dass ich selbst
sie wirklich geübt hätte?
Sowie ich aber Phänomenologe durch Reduktion geworden
15 bin, also mir selbst inne als transzendentales Ich und damit der
Welt gewiss werde als transzendentales Korrelat, bin ich hinfort
in der unverlierbaren Habitualität dieses Wissens, und Rück­
gang in die naive Einstellung heisst nie mehr, diejenige Weise der
Welthabe gewinnen, die die wirkliche Naivität ausmacht. Es ist
20 nun transzendental verstandene Naivität hinsichtlich meiner
vorphänomenologischen Welthabe, und transzendental verstan­
dene Naivität ist nicht Naivität schlechthin. In der lebendigen
Gegenwart aber zum Weltleben zurückkehren, das heisst jetzt,
innerhalb der universalen phänomenologischen Seinssphäre auf
25 das Korrelat „die Welt” zeitweise einseitig eingestellt sein und dies
Reich von Korrelatseienden zum Seinsboden für meine Aktivität
nehmen, und zwar in der geraden Vollzugsweise, die keine tran­
szendentale Reflexion aktiviert.
Aber in diesem Reich trete ich auf, ich unter den Anderen,
30 neben ihnen und mit ihnen in jeder Weise tätig, in jeder Weise auf
daseiende Welt intentional bezogen, mir selbst bewusst evtl, in
aktiven Selbstreflexionen — natürlichen Reflexionen.
Der Übergang in die transzendental-reflexive Einstellung be­
deutet ja für meine naive Welthabe, in natürlicher Weise be-
35 wusstseinsmässig in der Welt zu leben, nicht nur universale und
radikale Reflexion auf dieses Bewusstseinsleben als Daseinsgel­
tung und dessen Inhalte konstituierendes, sondern auch einen
neuen Modus der Vollzugsweise dieses Lebens.1
1 Noch mehr: Die universale psychologische Reflexion verwirklicht sich in expli-
538 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

28. Februar 1933

<§ 4> T h e m a u n d E p o c h e . D ie V o llzu g sw e ise der


tr a n s z e n d e n ta le n E in s te llu n g , a n d e re rse its d e r n a tü rlich en .
D ie V o llzu g sw e ise n d er a n o n y m e n K o n s titu tio n s s tu fe n

5 T ranszendentale E p och e hinsichtlich des „Seins” der W elt


h eisst den universalen unverbrüchlichen E n tschluss fassen, nicht
das W eltliche, das jew eils erfahren, jew eils irgendw ie bew usst
und in Seinsgew issheit ist, als T hem a <zu> haben, nicht im ein­
zelnen und nicht universal als W elt, was sie universal ist, was da
10 im einzelnen ist, zu erkennen, zu bew erten, zu behandeln. V iel­
m ehr soll d a s 1 Them a sein ausschliesslich m ein universales B e­
w usstsein sleb en und m ein verharrendes Sein als Ichpol dieses
B ew u sstsein sleb en s und alle W eisen, w ie in seinem passiven D a­
hinström en und vom Ich p ol her in A ffek tivität und A ktivität
15 „ W elt” als U niversum v o n O bjekten als Id en titätsp olen ständig
verlaufender B ew u sstsein ssynth esen zur Seinsgew issheit kom m t,
<wie es> in bew ährenden S ynthesen Seinsgew issheit bewährt, im
W andel der E in stim m igk eiten in U nstim m igkeiten (Modalisie-
rung) die U n stim m igkeiten korrigierend w ieder ausgleicht usw.
20 D ie W elt als universales them atisches F e ld 2 haben, das ist:
n atü rlich in der W elt leben. E b en das aber, w as eigentlich das
In-der-W elt-leben ausm acht als das B ew usstseinsleisten, worin
d ie W elt für m ich ist, worin ich selbst als M ensch in Tun und
L eiden bin, ist dabei u nthem atisch. E ben dieses L eben als inten-
25 tionales, als die intentionalen S yn thesen vollziehendes, wird, und
in radikaler U niversalität, th em atisch ,3 und dam it korrelativ als
darin kon stituiertes und sich fortlaufend w eiter konstituierendes
S y stem von G eltungspolen — Polen der einstim m igen Identifi-

ziter Anschauung so, dass jedes dabei anschaulich Werdende in Zuordnung zum Leib
in apperzeptiver Seinsgeltung ist, auch dann, wenn ich nicht psychophysische Fest­
stellungen mache. Transzendental aber ist die Natur eingeldammert, die psycho­
physische Apperzeption ist selbst mit zu absoluter Setzung gekommen, und so in
jeder Reflexion, sooft sie einsetzen mag, immer als transzendentales „Bewusstsein".
Freilich, wenn ich universale reine Psychologie durchführen würde, so müsste ich
schliesslich dessen innewerden, dass das Sein der Welt von mir aus konstituiertes
Sein ist und das Ich dieses <Sein> im universalen und rein psychologischen Leben
schon beschlossen hat. Ich käme zur Verwandlung der psychologischen in phäno­
menologische Reduktion und zum transzendentalen Idealismus.
1 Nachträglich eingefügt: „absolute". — Anm. d. Hrsg.
2 Nachträglich eingefügt: „schlechthin”. ■— Anm. d. Hrsg.
3 Es wird zum absoluten thematischen Universum.
TEXT NR. 31 539

zierung — die W elt. E s ist klar, dass m it der Ä nderung der naiv
natürlichen E instellung die V ollzugsw eise des W eltb ew u sst­
habens, einm al die anonym e und eben dadurch ursprünghch fun­
gierende, das andere Mal die them atische, reflektierte, w esentlich
5 verschieden ist, und dam it h at offenbar auch das Für-m ich-sein
der W elt und jede auf W elt bezogene T hem atik eine Änderung
erfahren.
N ich t zu übersehen ist, w as m it ah dem G esagten nahe zusam ­
m enhängt, dass, w as wir in der N a iv itä t „B ew u sstsein von der
10 W elt h ab en ” und „in der W elt leben ” nennen, n ich t dasselbe ist,
w as in der transzendentalen E instellung W eltbew usstseinsleben
heisst. E in m al ist es das Sein und Leben des M enschen innerhalb
<der> seienden W elt, der als seiend vorgegebenen, das Leben ist
selb st W elt Vorkommnis als psychisches des M enschen, und so
15 m einer, w en n ich von m ir spreche. D as transzendentale Leben
aber ist n ich t Leben des M enschen, sondern L eben des ego, worin
der M ensch und sein L eben in der W elt, und diese in ihrer U niver­
sa litä t selb st, sein Sein k onstituiert <hat >.
Im R ückgang von der transzendentalen E in stellu n g in die
20 natürliche w ird die V ollzugsw eise der letzteren also w iederher-
gestellt. H ier ist aber ergänzend zu sagen, dass es sich um U n ter­
schiede der Ich a k tiv itä t handelt, <um> die W eisen, w ie der ganze
universale B ew usstseinszusam m enhang sich w and elt und dabei
in d en A k ten , die das Ich vollzieh t, und zwar in solchen, die bei-
25 derseits auf denselben E in h eitsp ol bezogen sind, die V ollzugs­
w eisen sich ändern.1 D as natürliche Ich in seinen A k ten bew egt
sich in der B indung seiner ausgebildeten H a b itu a litä t, der sich
durch d ie neuen A k te kontinuierlich fortbildenden. E s hat
seine Interessen in jew eiliger W eckung, die neuen A k te sind die
30 W eisen, ih n en durch L eistung zu dienen.12 D ahin gehört auch das
F unk tion ieren der Erinnerungsanschauungen und A nschauungen
in allen M odifizierungen der W ahrnehm ung und dam it der V er­
m öglich keit, seiner selb st in seinen gew esenen und künftigen,

1 Das Ich lebt notwendig in seinen Interessen. Aber notwendig haben alle seine
Interessen in ihren Vermittlungen Einheit, und zwar die in der Beziehung auf ein für
das Ich absolutes, schlechthinniges Seinsfeld, in das alle Gebilde, verwirklichten Ziele
als seiende eingehen.
2 Das natürliche Ich, das Subjekt der natürlichen Interessen, der natürlichen Akte
und Aktleistungen, findet sich selbst im habituellen Interessenfeld als habituelle
Einheit Mensch unter Menschen. Das natürliche Leben ist Gegenwartsleben, aber
nicht das allein.
540 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

seinen w irklichen und m öglichen Akten anschaulich innezuw er­


den, sich als Ich seiner H abituahtäten auszulegen.
Aber da ist eine Grenze der W eckungen und V eranschauli­
chungen der natürlichen E instellung darin gelegen, dass jedem
5 R ealen und so der W elt als dem fortgeltenden U niversum von
R ealitäten eine habituell gewordene system atisch e K onstitution
zugehört, die in im m er neuen A kten zur F ortbildung kom m t, im ­
m erfort den system atisch festen Stil der K on stitu tion innehal­
ten d , w as selbst zur universalen K on stitu tion gehört, bzw. der
10 S til der H ab itu alität verharrt, indem er sich horizonthaft im m er
neu vorzeichnet. D ieser habituelle Stil als der, in w elchem die
Ic h a k tiv itä t fortläuft und das gesam te aktivierte B ew usstseins­
leben inhaltlichen Seinssinn geltend hat, ist aber in seinem kon­
s titu tiv e n A ufbau sehr kom pliziert und im m er nur gew eckt und
15 ak tiviert in seinen h öchststufigen Gebilden und in dem, w as von
ihnen aus neue L eistung ist. Ständig fungieren dienende L ei­
stun gen und fundierende H abitu ah täten in im m er gleicher W eise
als D urchgänge zu den E ndleistungen, auf die das Ich aus­
schliesslich gerichtet ist, auf die natürlich auch die Interessen des
20 en tw ick elten Ich ausschliesslich ausgerichtet sind. W as ständig
als D urchgang dient, n ich t als E nde interessieren kann, bleibt
an on ym . W ie erst recht die urassoziative P assivität, die der stän ­
dige E inheitsgrund für alles Leben ist.
E tab h ere ich m ich als phänom enologisierendes Ich, über-
25 schaue ich universal m ein B ew usstseinsleben und m eine H abitu-
a h tä t in ihrem A usgerichtetsein auf die W elt, m ache ic h 1 die
W elt zum P hänom en des Lebens, worin sie E inheitssinn sei, so
en td eck e ich erst m ein m enschliches D asein (unter anderem
w eltlich en D asein) als G ebilde von m einen intentionalen L eistun-
30 gen im universalen Zusam m enhang der vordem anonym en, u n ­
th em atisch en L eistungen, in denen ständig W elt für m ich k on sti­
tu iertes G eltungsgebilde ist als System v on Id en titätsp olen ein­
stim m iger B ew usstseinssynthesen. E s h eb t sich das universal
leisten d e ego in seinem leistenden universalen Leben, als w orin
35 W elt überhaupt und Ich als Mensch L eistungsgebilde ist, von
d em G ebilde Ich-M ensch ab. A ber in der K ontrastierung heisst
es d och Ich, ich bin derselbe als ego und als m enschliche Person.

1 Nachträglich eingefügt: „es zum absoluten Thema und". — Anm. d. Hrsg.


TEXT NR. 31 541

<§ 5. Ich-Mensch und transzendentales ego. Seele als


transzendentale Selbstapperzeption des absoluten
Bewusstseins >
Und doch wieder, ich bin nicht derselbe, weil mein mensch-
5 liches Ich-bin ein Titel für ein geschlossenes System von Aus­
sagen der Positivitat ist, und das transzendentale ego ein Titel für
ein ganz anderes System, worin nur als ein Teil all die Aussagen
der Positivitat und das Seinssubstrat derselben, das mensch­
liche personale Ich mit seinen Eigenschaften, in der Sinnänderung
10 der Anführungszeichen Vorkommen. In transzendentaler Ein­
stellung habe ich „mich” als Phänomen. — Hier ist zu bemerken,
dass diese transzendentale Reflexion auf das Universum der
„Phänomene” und auf das universale Bewusstseinsleben, worin
sie Phänomene sind, zugleich Reflexion auf das Ich dieses Lebens
15 ist und das Ich all der Habitualitäten, die zur Welt als dem uni­
versalen Phänomen gehören; einzeln und im universalen Ein-
heitszusammenhang.
Dieses zu jedem Einzelphänomen als Subjekt gehörige tran­
szendentale Ich ist auch transzendentales Ich für mich als
20 dieses Menschen-Ich. Als transzendentaler Betrachter meines
transzendentalen Seins und Lebens sehe ich, dass dieses mensch­
liche Ich und menschliche Ichleben in der Welt zwar mein tran­
szendentales Gebilde ist, aber so, dass darin dieses Gebilde den
Charakter der Selbstapperzeption des transzendentalen Ich hat,
25 das dadurch eingegangen ist in apperzeptive transzendentale
Leistungen, die ihm einen besonderen, den weltlichen Seinssinn
geben vermöge zugehöriger transzendentaler Habitualitäten.
Nicht der pure Ichpol, dieser ist etwas Abstraktes; er ist, was er
ist, in seinen Affektionen und Aktionen und in seinen entsprechen-
30 den Habitualitäten und dem ganzen konkreten Untergrund seines
Bewusstseinsstromes. Apperzipiert ist das totale transzendentale
Ich als menschliches Ich, d.i. es hat sich eine besondere relative
Konkretion konstituiert, eine in sich geschlossene Mannigfaltig­
keit von wirklichen und möglichen Selbstapperzeptionen in der
35 Einheit einer habituellen Gestalt, vermöge deren ständig Selbst-
wahmehmung, kontinuierliche Selbstapperzeption als Ich-Mensch
zustande kommt, im Wandel stetig und einstimmig mein iden­
tisches Menschensein bewusst machend. Das ist freilich keine
542 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

absolute K onkretion, sofern dies G anze im E inheitszusam m en­


h an g m einer universalen transzendentalen S u bjektivität und
ihrer universalen H ab itu alität sein M otivationsm ilieu hat und
nur darin Seinssinn haben und erhalten kann. Aber eben das ist
5 natürliche Selbstw ahrnehm ung, dass das transzendentale U n i­
versum anonym ist und ausschliesslich k onstituiert ist als Interes­
seneinheit Ich, der M ensch, und zw ar in einem w eiteren und
selb st universal geschlossenen Zusam m enhang der seienden W elt.
Man sieh t nun, dass das m enschliche Ich sich decken m uss m it
10 dem transzendentalen, nachdem dieses transzendental them atisch
gew orden i s t : E s ist derselbe Pol, nur in einer im transzendenta­
le n U niversum liegenden A pperzeption. Ä hnliches gilt von den
m enschlichen B ew usstseinsw eisen. M eine m enschliche In ten ­
tio n a litä t, m ein W ahrnehm en, F ühlen, W ollen etc. ist tran-
15 szen d en tale In ten tion alität, die eine gew isse transzendentale
A pperzeption angenom m en hat und in ihr E inheit einer strö­
m enden, aktuellen und potentiellen M annigfaltigkeit von Son­
derapperzeptionen, m einer und Anderer, ist oder werden kann,
h ab itu ell schon bereitliegend w ie bei allem W eltlichen. A lle m ei-
20 ne m enschlichen A pperzeptionen, alle, die als psychische Vor­
kom m nisse zur W elt gehören, sind transzendental apperzipierte
A pperzeptionen, haben durch transzendentale A pperzeption den
Seinssinn des Psychischen. Sie sind M om ente um fassender A p­
perzeptionen, sie gehören als M om ente zur E inheit der Apper-
25 zep tion „Ich als personal seelisches Ich in der E in h eit eines
seelischen L ebens lebend, das alle seelischen B ew usstseinser­
lebn isse ein igt”. D ieses konkrete seelische Ich (zu dessen K onkre­
tio n das B ew usstseinsleben und die H ab itu alitäten gehören) ist
M om ent der höheren, volleren K o n k retio n : es ist B eseelung m ei-
30 nes Leibes. M ittels dessen hat m ein seelisches Ich zur ausserleib-
lich en W elt B ezieh u ng: D as bezeichnet die Form der in der to ta ­
len W eltapperzeption apperzipierten W elt a l s apperzipierter,
bzw . es b ezeichnet die ständige Form des apperzipierenden B e­
w usstsein s, w orin diese W elt das A pperzipierte ist; näm lich
35 „ W elt für m ich M enschen” h at den eben bezeichneten apperzep-
tiv e n M odus einer ständig m ittels m eines seelischen W altens in
der L eiblichkeit sich m ir orientiert, innen-aussenw eltlich dar­
stellen den W elt. A ber diese m eine m enschliche W eltapperzep­
tio n u nd ihre apperzipierte W elt im Modus ström ender E rschei-
TEXT NR. 31 543

nungsweise ist selbst transzendentale Leistung, in transzenden­


taler Apperzeption apperzipiert, einer Apperzeption, die erst der
transzendentalen Reduktion zugänglich und die sehr schwer in
ihrer Struktur rein auszulegen ist. Der gesamte rein psychische
5 Bestand des menschlichen Ich, derjenige, der die Wahrnehmung
des eigenen Leibes ausmacht, die Wahrnehmung, jederlei Be­
wusstsein von Welthchem überhaupt und schliesslich auch das
selbstreflexive Bewusstsein, das ich als Mensch von meinem
seehschen Sein habe — also dieses gesamte Eigenseelische hat, wie
10 oben schon gesagt worden, die Wesenseigenschaft, in jedem
seehschen Bewusstseinserlebnis sich mit einem entsprechenden
transzendentalen Bewusstseinserlebnis zu decken. Nämlich es
ist <in> seinem anschaulichen (in wirklicher Orginahtät selbst
auszuweisenden) Kern identisch mit dem transzendentalen Be-
15 wusstsein, das ihm korrespondiert. Aber dieser Kern hat vom uni­
versalen Bewusstseinsleben her einen apperzeptiven Seinssinn
angenommen, in einer ständig wirksamen Habitualität. Das an
sich selbst absolute Bewusstsein hat nun den Sinn seehsches E r­
lebnis, seelisches Leben lokalisiert in meinem körperlichen Leib.

20 <§ 6 > Intentionale Modifikation als allgemeine „Reflexivität”


des Bewusstseins <und die Verweltlichung des
transzendentalen ego>
Das transzendentale Leben ist nicht unter dem äusserhchen
Bild eines Zusammenhanges, einer Miteinanderverflechtung von
25 Bewusstseinserlebnissen zu fassen, als ein Nebeneinander, Aus-
sereinander, sei es auch ein mehrdimensionales. Damit wäre der
Grundirrtum des Sensualismus, oder besser, des Naturalismus
(der „Naturalisierung des Bewusstseins”), der sich im Lockeschen
Bild des white fafier, des „dunklen Raumes” ausspricht, nicht
30 überwunden, auch wenn in Brentanoscher Art die Erlebnisdaten
als intentionale Erlebnisse („psychische Phänomene”) aufgezeigt
werden. Denn der entscheidende Schritt ist damit noch nicht
wirklich vollzogen, er bleibt im Ansatz stecken, wenn man nicht
die im Wesen der Intentionalität liegende, in unzähligen Gestal-
35 ten erwachsende, in Stufen und kontinuierlich sich iterierende
„ R e f l e x i v i t ä t ” d e s B e w u s s t s e i n s l e b e n s versteht. Sie
liegt schon in jeder kontinuierlichen retentionalen Abwandlung,
544 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

in höherer Stufe schon in der protentionalen Horizontbildung,


die mit dieser Hand in Hand geht. Sie liegt in jeder Wiedererin­
nerung und Vorerinnerung und in Vielfältigkeit in jeder Apper­
zeption, in fast schwindelnder Mannigfaltigkeit von intentiona-
5 len Implikationen und Aufeinanderbezogensein dieser Implika­
tionen in der Einheit einer Leistung in der universalen Weltap­
perzeption. Was wir mit <dem> allgemeinen Titel als i n t e n t i o ­
n a l e M o d i f i k a t i o n bezeichnen, ist Wandlung eines Urmodus
in einen neuen Modus, der in dem oben gebrauchten Wortsinn
10 ein reflexiver ist. Im modifizierten Bewusstsein liegt dann „Be­
ziehung” auf ein anderes Bewusstsein, auf den in ihm „impli­
zierten” Urmodus. Verweltlichung ist aber nicht eine einfache
intentionale Modifikation wie z.B. Wiedererinnerung. Es ist ein
höchst verwickelter Fundierungsbau von Intentionalitäten unter
15 steter intentionaler Modifikation alles schon „Gebauten” —
doch alle Worte als aus der Welt des Aussereinander abgenom­
men, wie Fundierung (Gründung), Bau usw., dürfen nicht beim
Wort genommen werden. Offenbar muss Natur schon konsti­
tuiert sein, damit Seele ihren Sinn haben kann, und für die
20 Natur geht die eigene Leiblichkeit voran, während sie doch den
Sinn „Körper wie alle Körper” annehmen muss. Geht man von
der natürlichen Einstellung aus, gehe ich, der Reflektierende,
davon aus, so habe ich Welt, sie ist „fertig” konstituierte, wobei
aber diese Fertigkeit eine stete strömende Lebendigkeit in der
25 immanenten Abfolge von Erscheinungsweisen ist, durch die hin­
durch Welt mit verschiedenem Was und Wie, und doch als die­
selbe, bewusst ist.
Reflektiere ich in einem Reflexionsakte (im normalen Sinn von
Ichreflexion, Sich-richten des Ich auf sich selbst und das Seine),
30 so finde ich mich als Menschen in der Raumzeitlichkeit der Welt
an meinem Orte, in meiner Zeitstelle leiblich und in eins mit dem
Leib seelisch. Alle Erscheinungsweisen, all mein spezifisch Ich-
liches, meine Akte, meine Affektionen, meine Stimmungen usw.
sind dann seelisch zugehörig zu diesem Leib. Also das Weltbe-
35 wusstsein in all seinem strömenden Gehalt, durch das ich, diese
menschliche Person, von der Welt weiss, was ich weiss, von der
Welt recht oder schlecht glaube, was ich glaube, ist seelisch, ist
Vorkommnis an dem realen Leib in der realen Welt. Dabei ist aber
Weltgewissheit und insbesondere darin die Gewissheit vom Sein
TEXT NR. 31 545

des körperlichen Leibes in der universalen Natur beständig selbst­


verständliche Voraussetzung, und genau als die Welt, als die
Natur, die aus dem jeweiligen Bewusstseinsleben für mich ist und
den Sinn hat, den sie darin erworben hat und hat.
5 Sowie ich das Bewusstseinsleben in der Tat universal nehme,
und, transzendentale Epoche übend, als das transzendentale,
durch das ich überhaupt Welt als Geltungseinheit habe, ver­
wandelt sich die Voraussetzung — die ständige, für das ent­
wickelte Ich als stilfeste Habitualität vollzogene Voraussetzung
10 — der Welt in die Voraussetzung des Bewusstseinslebens unter
„Epoche” der naiven Weltsetzung. Aber dann sehe ich auch, dass
mein universales Bewusstseinsleben, eben dasselbe, das ich vor­
hin als Annex eines selbstverständlich im voraus seienden Leibes
angenommen hatte, in sich erst den Leib, wie die Natur und Welt
15 überhaupt, konstituiert.
Also mein psychisches Leben in seiner eigenwesentlichen Rein­
heit ist selbst das transzendentale Leben — wenn ich soweit bin,
die transzendentale Umstellung zu vollziehen und die Welt­
epoche. Aber das ändert doch nichts daran, dass ich in meinem
20 Bewusstseinsleben Welt in Geltung habe, dass ich, natürlich ein­
gestellt oder wieder in die natürliche Einstellung zurückkehrend,
all das Bewusstsein, in dem mir Welt zur Geltung kommt, und in
allem und jedem, als Psychisches in der Welt vorfinde, obschon
doch die Welt ist, was sie ist, aus Leistungen dieses Bewusst-
25 seinslebens. Hört man allgemein die Rede: das subjektive Leben,
Bewusstseinsleben, wodurch Welt sich konstituiert, ist selbst
innerhalb der Welt erfahrbar und erfahren als psychisches Le­
ben, so erscheint das wie ein Widersinn. Diese Unverständlich­
keit muss in Verständlichkeit verwandelt werden.
30 Wir sagen wiederholend nur in anderer Form: Das Bewusst­
seinsleben ist nicht ein Geflecht von intentionalen Erlebnissen
oder ein Bewusstseinsstrom für sich, worin sich eine von ihm, von
allem Bewusstsein unterschiedene Transzendenz konstituierte:
nämlich als ob Ich und Bewusstsein, weil es weltkonstituierendes
35 ist, nicht selbst in die Welt, die da konstituiert wird, eingehen
könnte. Freilich, Subjektivität in ihrem Bewusstseinsleben kon­
stituiert physische Natur als Gebilde — Gebilde der Subjektivi­
tät, aber als Natur nichts von Bewusstsein, von allem konstitu­
ierenden Subjektiven in seinen Seinssinn aufnehmend. Aber so
546 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

ist Bewusstseinsleben, dass es auf dem Grunde von Einheiten des


Sinnes Natur eine weitere Konstitution vollzieht, in welcher das
Bewusstsein selbst objektiviert — naturalisiert wird. Die kon­
stituierte Welt hat den Seinssinn raumzeitliche Natur, in welcher
5 körperliche Leiber Stätten ichlichen Waltens sind, Stätten physio-
psychisch gebundenen und geregelten Bewusstseinslebens. Die
Welt ist nicht blosse Natur, aber psychophysische Natur.
Im transzendentalen ego, in der Universalität seines transzen­
dental fungierenden Bewusstseinslebens, konstituiert sich die
20 Welt als die für es seiende so, dass dieses gesamte Bewusstseins­
leben in der Welt selbst auftritt. Das konstituierende Bewusstsein
konstituiert sich selbst, das die Objektivierung leistende objekti­
viert sich selbst, und zwar derart, dass es objektive Natur schafft
mit der Form der Raumzeitlichkeit, in ihr meinen Leib und psy-
15 chophysisch eins mit ihm (dadurch also in der naturalen Raum­
zeitlichkeit lokalisiert nach Ort und Zeitstelle und Dauer) das ge­
samte konstituierende Leben, das gesamte ego, nach Bewusst­
seinsstrom, nach Ichpol und Habitualitäten. Aber nun kommen
Schwierigkeiten.

20 <§7> Paradoxien
Mich finde ich in natürlicher Einstellung als menschliches Ich,
als Ich, das in seinem Bewusstseinsleben der Welt bewusst ist,
in Erfahrung, in unanschaulichem Bewusstsein, in aktivem, pas­
sivem, hintergründlichem, horizonthaftem — der Welt, die für
25 mich ist, der einzigen, die für mich Sinn hat und haben kann.
Aber ist nicht die Welt, die für mich ist, die gemeinschaftliche
Welt für uns Menschen alle? Was von mir gilt, gilt doch für jeder­
mann, er hat sein Bewusstseinsleben und könnte von seiner
Menschlichkeit aus, in der er sich findet, phänomenologische
30 Reduktion üben und fände sein transzendentales ego. Ich für
mich lebe in meinem Bewusstseinsleben, aber gewinne ich, was
mir darin als weltlich bewusst wird, nicht mit Hilfe von Anderen,
durch Vergemeinschaftung meines Bewusstseins mit dem ihren,
was offenbar allgemein für jedermann gilt? Für niemand ist das,
35 was ihm als Welt gilt, ausschliesslich seine eigene Bewusstseins­
leistung. Wir sind nicht nebeneinander und gesondert Welter­
kenntnis gewinnend, sondern immer und notwendig im Mitein-
TEXT NR. 31 547

ander, in der Bewusstseinsvergemeinschaftung. Aber dann sage


ich mir wieder: Meine Erkenntnis von Andern (immer in einem
weitesten Sinn, der jede Weise der Bewusstseinsgeltung befasst)
ist es, durch die Andere für mich überhaupt da sind, durch sie
5 vermittelt kann ich allein mit Anderen eben als mir geltenden in
„Bezug” treten. — Wie werden wir mit all dem fertig?
Aber es ist noch nicht alles. Von der natürlichen Einstellung
anhebend, finde ich mich als Menschen in der Welt, und in der
Welt psychophysisch seiend, also in meinem gesamten Bewusst-
10 seinsleben als dem, worin ich subjektiv Welt überhaupt habe,
wie verschiedene subjektive Modi immer dabei fungieren. Ich
kann also sagen, in natürlicher Einstellung finde ich Welt als
sich für mich psychologisch, in meinem reinen psychischen
Bewusstseinsleben als geltende konstituierend. Gehe ich in
15 transzendentale Einstellung über, so muss ich demgegenüber
notwendig aussagen: Diese gesamte psychologische Konstitution
als menschliches Weltbewusstsein, Welterkenntnis ist selbst
transzendental konstituiert, wie die Welt überhaupt. Und von
der transzendentalen Einstellung aus muss ich weiter sagen:
20 Die Welt selbst in ihrer für mich idealiter erkennbaren W a h r ­
h e i t ist in natürlicher Einstellung ein psychisches Gebilde,
Ideengebilde. Jeder hat sein Ideengebilde Welt. Indem ich
aber in meiner Erkenntniswelt das Dasein des Andern in meinem
Bewusstseinsleben beschlossen habe und erkenne, ist sein
25 wahres Sein eine in meiner Weltidee beschlossene Idee, und
somit darin auch beschlossen seine Weltidee. Aber diese be-
schliesst auch meine Weltidee in sich, bzw. das Erkenntnisleben
des Andern und die darin konstituierte Weltidee beschliesst in
sich intentional mein Bewusstseinsleben mit meiner Weltidee.
30 Da mein und eines jeden Bewusstseinsleben das aller für ihn
wirklich und möglich seienden Mitsubjekte beschliesst oder da
jeder in seiner Welt als der einzigen, die ihm gelten kann, alle in
der Welt seienden Menschen beschliesst, so beschliesst seine Welt­
idee eine Unendlichkeit von Weltideen, deren jede selbst die
35 Unendlichkeit der anderen Weltideen einschliesst.1

1 So ist also t r a n s z e n d e n t a l mit solchem apperzeptivem Stil die Welt kon­


stituiert — Konstitution in ständiger Wiederholung in ständiger Reflexivität. In
Primordialität Erinnerungswiederholung, erste Selbstzeitigung; Einfühlung und
Wiederholung der Primordialität als fremde Ich und Wiederholung des in jedermann
548 TEXTE AUS DEN J AHREN 1932 BIS 1935

Ich überlege weiter: Ich habe ständig als waches Ich Bewusst­
sein von der Welt, in der ich lebe, in Seinsgeltung in ihrem wech­
selnden Erscheinungsgehalt. Die Welt selbst in ihrer Wahrheit
ist die in diesem Bewusstseinsleben ständig gemeinte, wirkliches
5 und mögliches Telos einer bewährenden Erkenntnis, als das Idee.
Aber wie sonderbar: in der strömenden Welterscheinung ist auch
meine Selbsterscheinung, die meines Leibes, die meiner Seele.
Unter dem letzteren Titel mein Bewusstseinsleben, als wie es
jetzt als strömendes sich zeigt, <als> Momentanerscheinung.
10 Schon da stocke ich: mein Bewusstseinsleben, als wie es sich jetzt
zeigt? Aber dieses ist es doch, das mir alles zeigt, was sich jetzt
zeigt, also die mir jetzt geltende Welt im Was ihres Bestimmungs­
gehaltes und im Wie ihrer Gegebenheitsweise. Also darin den mir
erscheinenden Leib, das mir im Modus des Jetzt-strömens sich
15 zeigende Bewusstseinsleben — mein psychisches Leben. Wie kann
das Bewusstsein, worin Welt, worin Psychisches zu seinem Seins­
sinn für mich kommt, selbst weltlich, selbst Psychisches sein,
selbst Einheit von Erscheinungsweisen? Demnach haben wir
auch die Frage: Die durch das Strömen meines Bewusstseins-
20 lebens hindurchgehende, sich darin als Bewährungseinheit und
evtl, theoretische Wahrheitseinheit konstituierende Idee, wie
kann sie mein eigenes Sein, das meines Bewusstseinslebens, in
seiner Wahrheit als Teilidee enthalten?
Sollen wir etwa in die naturwissenschaftliche Betrachtungs-
25 weise ausweichen und sagen: In der Welt herrscht die universale
kausale Gesetzlichkeit, der gemäss unter den betreffenden realen
Umständen mein körperlicher Leib seine physikalische Zuständ-
lichkeit hat, an die geregelt das jeweilige momentane Bewusst­
seinsleben gebunden ist? Als ob nicht in diesem Bewusstseins-
30 leben allein alle Naturerkenntnis, alle physikalische und weltlich
reale Gesetzlichkeit, eben und überhaupt Welt Sinn hätte und
Seinsgeltung erhielte.
W ie 1 nun, wenn wir in die transzendentale Einstellung über­
gehen? In ihr sagen wir: Ich bin transzendentales Ich eines

Konstituierten unter Identifikation und vergemeinschaftender Ergänzung; und so


Einheit einer Welt, die offene Unendlichkeit von Mitsubjekten enthält, jeder jeden
und Welt als Idee wiederholend, sie identifizierend, aber jeder auf sie als Pol hin­
lebend.
1 Der folgende Absatz (bis Seite 549, Zeile 6) wurde von Husserl nachträglich
gestrichen. — Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 31 549

transzendentalen Lebens, daraus entsprungener transzendentaler


Llabitualitäten, worin sich im transzendentalen Strömen Welt als
Seinssinn konstituiert, und so, dass in ihr zugleich dieses tran­
szendentale Leben selbst sich als verweltlicht konstituiert hat
5 und fortkonstituiert, in Form nämlich meines menschlichen Be­
wusstseins (im weitesten Sinn Erkenntnislebens).

<§ 8> N e u a n f a n g : <Seele u n d tra n sze n d e n ta le s B e w u s s ts e in .


D ie K o n s titu tio n d e r A n d e r n . D a s n a iv e E r k e n n tn is p ro b le m
u n d d ie M o tiv a tio n d er tr a n sze n d e n ta le n R e d u k tio n >

10 Während in der natürlichen Einstellung Welt immerzu vor­


gegeben, vorausgesetzt ist und das ganze für diese Voraussetzung
konstituierende Leben verhüllt bleibt (wozu auch all das im
Horizontsinn der momentanen Gegenwart implizierte frühere,
als künftig etc. antizipierte Leben gehört), ist jetzt dieses uni-
15 versale Leben in den Blick getreten. Nicht so aber geschieht das,
wie im Thematischmachen meines Bewusstseinslebens in der
natürlichen Einstellung, als ob ich auf dem Boden immerfort vor­
gegebener Welt, bei ständig vorgegebener Leiblichkeit und Natur
das im Leib objektivierte Seelenleben als menschliches Weltbe-
20 wusstsein und Welterkenntnis thematisch machte und fort­
schreitend enthüllte. Sondern in einem Schlage, in voller Uni­
versalität wird das Bewusstseinsleben thematisch und wird Welt
überhaupt letztlich als blosser Seinssinn dieses Lebens thematisch.
Ich habe nicht im voraus den seienden Leib, die seiende Umwelt,
25 mein Bewusstseinsleben als empirischen Annex des Leibes; ich
habe nicht im voraus, mit einem Worte, seiende Welt und darin
im Formrahmen ihrer Raumzeitlichkeit leiblich lokalisiert mein
Bewusstseinsleben, sondern Welt als Phänomen, universales Be­
wusstseinsleben als das, worin sie Seinssinn ist.1 Aber nun habe
30 ich es doch zweimal mit je seinem Ich. In doppelter Weise bin
ich, einmal als transzendentales, Welt als „Phänomen” be­
wusst habendes <Ich>, transzendental konstituierend, darin Welt
als transzendentale Einheit in Einstimmigkeit zusammengehen-

1 Der Schluss des vorangehenden Satzes wurde von Husserl nachträglich wie folgt
verändert: „ ... sondern Welt in EpocM, Welt als Phänomen, und durch diese Epoche
universales Bewusstseinsleben als absolutes Thema, als das, worin sie Seinssinn
ist”. — Anm. d. Hrsg.
550 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

der Erscheinungen, als vermögliches Telos zu leistender theore­


tischer Erkenntnis; das andere Mal als Ich und Bewusstseins­
leben im Phänomen, als innerhalb der Weltobjektivation in eins
mit dem Leib, also menschlich objektiviert. Es scheidet sich da-
5 bei also die t r a n s z e n d e n t a l e I m m a n e n z , darin das
transzendental immanente Bewusstseinsleben in seiner eigenen
immanenten Zeitlichkeit, und die s e e l i s c h e I m m a n e n z ,
im besonderen das seelische Bewusstseinsleben. Ferner scheidet
sich dieses in seiner Eigenwesentlichkeit, rein genommen unter
10 Abstraktion von allem, was diesem psychischen Leben Einheit
gibt mit dem körperlichen Leib (also von aller psychophysischen
Vereinheitlichung) und dann diesem Ganzen wieder Teilhaftig-
keit gibt an der übrigen Welt. In der Welt ist eine Seele in der Tat
abstrakt, also unselbständiges Moment in einer Konkretion, die
15 selbst nur relative Konkretion ist. Auch ein pures Ding, und
so ein Reales überhaupt, kann nicht als „solus” sein. Dieses ab­
strakte seelische Leben, überhaupt das abstrakte Ich mit seinem
immanenten Bewusstseinsstrom und seinen habituellen Eigen­
heiten und Vermögen deckt sich nun mit dem transzendentalen
20 Ich, dem transzendentalen Bewusstseinsstrom, den transzenden­
talen Habitualitäten.
In zunächst wundersamer Weise ist die absolut konkrete tran­
szendentale Subjektivität in voller Kongruenz mit dem mensch­
lichen seelischen Ich — mit mir, der ich die phänomenologische
25 Reduktion übe — als „reinem” Ich, dessen Reinheit aber in der
Welt abstrakt ist, gewonnen durch Abstraktion von allem Psy­
chophysischen. Also im Rückgang in die natürliche Einstellung
finde ich mein transzendentales Sein notwendig identisch mit
dem rein seelischen Eigensein. Was in der Welt ein nonsens ist,
30 ein Abstraktum, das doch zugleich konkret sein kann, verliert in
gewisser Weise die evidente Widersprüchlichkeit, in der Form:
das weltlich Abstrakte ist von der transzendental ihm zuge­
wachsenen psychophysischen Konkretion durch phänomenolo­
gische Reduktion zu befreien. Aber indem das transzendentale
35 Ich sich in ihr zur Seinsgeltung bringt, ist ein neues transzenden­
tales Geltungsbewusstsein erwachsen, das sich ohne weiteres wie­
der objektiviert, wieder ins Weltphänomen einordnet als ein
neues psychisches Tun meines menschlichen Ich. Also im Rück­
gang in die natürliche Einstellung kann ich sagen: Ich, der ich
TEXT NR. 31 551

hier sitze, habe vorhin phänomenologische Reduktion vollzogen,


in ihr transzendentale Selbsterkenntnis gewonnen, die ich noch
in habitueller Fortgeltung habe, ich bin in dieser Welt phänome­
nologischer Forscher usw.
5 Alles kommt nun natürlich darauf an, wirklich im einzehien
und systematisch aufzuzeigen, wie Weltkonstitution, in welchen
transzendentalen Funktionen und Vermögen, zustande kommt,
und in dieser „wunderbaren” Form der Selbstobjektivierung ihres
gesamten Seins, des gesamten transzendentalen ego als meine
10 reine Seele, als mein reines menschliches Ich.
In dieser Aufklärung muss aber auch das neue „Wunder”, das
Paradoxon der in mir sich vollziehenden K o n s t i t u t i o n d e r
A n d e r n aufgeklärt werden, die, obschon für mich konstituiert,
die Mitträger der Weltkonstitution sein müssen, da sie doch
15 für mich vorweg den Sinn der Welt hat, die ich ständig den
Mitteilungen Anderer mitverdanke. Darin liegt: Die Welt
soll in mir konstituierter Seinssinn sein, soll mir, diesem tran­
szendentalen ego, zugehören als mein Ideengebilde — also die
Andern Ideengebilde in mir, also mir in ihrer Weise auch „im-
20 manent”, nicht immanent als mein konstituierendes Bewusst­
seinsleben und Bewusstseinshabitualität, aber als „Gebilde”, als
Einheitspol, evtl, als immanentes Telos meiner theoretischen
Erkenntnis — so wie eben die ganze Welt als Universum solcher
Einheitspole und selbst als Universum Pol der Pole. Aber
25 sind die Anderen nicht andere Ich, liegt darin nicht, dass auch
sie phänomenologische Reduktion üben können, sich als tran­
szendentale ego’s entdecken? Ist mein transzendentales ego also
nicht ein ego im Universum der transzendentalen ego’s über­
haupt? Ist es also nicht so, dass dieses transzendentale Univer-
30 sum die totale konstituierende Subjektivität für die Welt ist und
dass sie sich nicht in meinem menschlichen Sein allein und voll­
ständig, sondern erst in der Allheit der Menschen, genauer, in der
Allgemeinschaft der menschlichen Seelen verweltlicht? Diese
Allgemeinschaft muss das weltliche Abstrakte sein, das rein ge-
35 nommen sich als nichts anderes enthüllt als die transzendentale
Intersubjektivität selbst, nur eingehüllt in eine transzendentale
Sinnesleistung, eben die verweltlichende oder eben die, durch
welche die Welt als psychophysisches Universum eine abstrakte
Schichte Psychisches enthält.
552 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

Hier muss wieder gezeigt werden, dass, was in der Welt, in


ihrer natürlichen Seinsgeltung genommen, widersinnig ist, ab­
surde Unverträglichkeit, mit dem Eintritt in die transzendentale
Einstellung sich in Möglichkeit und Notwendigkeit verwandelt.
5 Hier handelt es sich um die Unverträglichkeit von Innen und
Aussen, die vielfach ihre Rolle spielt. In der natürlichen Ein­
stellung bin ich in der Welt, mein psychisches Leben ein ab­
straktes Moment in der Konkretion meiner Menschlichkeit.
In der transzendentalen Einstellung soll die Welt, soll Raum,
10 Zeit, Allheit der in Raumzeitlichkeit verharrenden Realien „in”
mir sein, nämlich als konstituiertes Gebilde. In der natürlichen
Einstellung bezieht sich meine Seele, mein Bewusstsein, meine
Erkenntnis auf die Welt, auf den körperlichen Leib, der ausser
diesem Bewusstsein ist, auf die übrige Welt, die Aussenwelt ist,
15 ausser leiblich, ausserpsychisch. Die Welt ist psychologisch­
intentional „konstituiert” für mich als Einheitspol. Aber was da
zu meiner Seele als Pol gehört, wofern es als ihr realiter Zuge­
höriges bezeichnet <wird>, kann nicht die Welt selbst sein, es
kann nur, wie man sich ausdrückt, Welt Vorstellung sein. Diese
20 Rede wird zweideutig, wenn man die evidente Unterscheidung
macht, die keine Psychologie je ausgearbeitet hat: <zwi'schen>
Bewusstsein (cogitatio) und dem von ihm selbst unabtrennbaren
cogitatum qua cogitatum', und dann wieder universal: Bewusstsein
in der Universalität als Totaleinheit der strömenden cogitationes
25 und ihr universales cogitatum, darin als universale Einheit ein­
stimmiger und vermöglich herzustellender möglicher cogitationes
die wieder von diesen Universum unabtrennbaren cogitata — der
geltenden und sich bewährenden Welt als solchen. Dann ist Welt­
vorstellung bald das jeweilige strömende universale Bewusst -
30 sein, bald der gesamte Bewusstseinsstrom in allen seinen ver-
möglichen Wandlungen, und bald dieses cogitatum qua. Und eben
dieses ist jeder Seele immanent, in der Weise, wie überhaupt eine
Idee ihr immanent ist qua vermeinte, und in der subjektiven
Ideation als Ideenevidenz vermeinte — als evidente in der Evi-
35 denz selbst als von ihr unabtrennbar liegender Pol.
Nun dieser universale Pol, Einheit der vielen Pole, die die für
mich etwa erkannten Realitäten als solche sind in den jeweils
erkannten und ideell total erkannten Beschaffenheiten, kann
nicht die Welt selbst sein. Die Seele liegt in der Welt, ist ihr Be-
TEXT NR. 31 553

standstück, also auch meine Welt Vorstellungen und meine vor­


stellige Welt als solche. Aber sowie man Weltvorstellung, und
zwar im Sinn der vorgestellten als solchen, von der Welt selbst
trennt, steht man vor dem Rätsel, wie Erkenntnis der Welt über-
5 haupt, wie auch nur Erkenntnis des Seins einer Welt möglich
sein soll.
In der Naivität gilt die vorgestellte Welt als die seiende selbst,
und wenn der Naive der Relativität seiner alltäglichen Erkennt­
nis inne wird und zur wissenschaftlichen Erkenntnisweise über-
10 geht, so gilt ihm als positivem Wissenschaftler (wenn er nicht
unglücklicherweise sich von den Philosophen beraten lässt) ohne
weiteres die in der wissenschaftlichen Erkenntnis sich bestim­
mende Welt als die Welt selbst; evtl, merkt er, dass auch dies
nur Approximation ist für einen im Unendlichen liegenden Er-
15 kenntnispol, dann gilt eben dieser als die Welt, der sich seine Er­
kenntnis approximiert.
Wird aber der Philosoph (der psychologische Erkenntnis­
theoretiker, evtl, der intentionale Psychologe) dessen inne, dass
auch Erkenntnisgebilde, letztlich auch ein im Unendlichen
20 liegender Erkenntnispol, subjektiv psychische Gebilde sind
(mitsamt ihrer wieder nur subjektiven Charakteristik als „Not­
wendigkeit”, als „apodiktische Evidenz”), so taucht alsbald das
Rätsel, das Problem der Objektivität der Erkenntnis auf: Wie
kann der erkennende Mensch in seiner Erkenntnisimmanenz sich
25 selbst transzendieren, eines transzendenten Seins je innewerden?
Solange man die naive Welthabe als Boden der Fragestellungen
belässt, ist das Rätsel unlöslich. Das psychologische Innen und
das psychologische Aussen können nimmer wirklich identisch
sein. Aber welchen Sinn kann es haben, dass die Welt ein An-
30 deres ist, als welche ich sie, wir sie erkennen, und ideal gesprochen
in vollkommenster Weise erkennen? Welchen Sinn kann es ha­
ben, dass selbst der ideale Erkenntnispol, der doch ein imma­
nentes Erkenntnisgebilde ist, nicht die Welt selbst sein soll?
Welchen Sinn kann auch nur die Frage <haben>, ob jenseits der
35 psychischen Innerlichkeit mit all ihren Erkenntnissen und Wahr­
heiten eine Welt an sich sei, eine für uns nur unerkennbare,
eine Welt nie erkennbarer Eigenschaften, eine Welt, die
nur ein intellectus archetypus erkennen kann? Sind nicht all
diese Möglichkeiten und Fraglichkeiten selbst wieder psychi-
554 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

sehe Gebilde? Ist nicht jede andere Welt, jedes mögliche an­
dere An-sich, wenn überhaupt denkmöglich, unser Erkenntnis­
gebilde als Möglichkeit, wenn überhaupt rechtmässig sinnvoll,
so nur rechtmässig als eine in uns gestaltete Evidenzeinheit, eine
5 Abwandlung der Welt, die wir haben? Sagen wir uns aber, alles,
was wir von einer Welt nach Existenz und nach ihrem Was,
ihrer individuellen Essenz wissen, ist eben unser Wissen, ist
seiend und soseiend als in unserem Bewusstseinsleben Sinn und
Seinsbewährung erhaltend, so dürfen wir nicht vergessen, dass
10 mein und unser Menschsein und seelisches Sein mit allem Erken­
nen und Erkannten als weltlich nun universal fraglich wird, und
dass nun das Bewusstsein, worin dieses universale Fragen statt­
hat und worin unser seelisches Sein Seinssinn und Seinsrecht ge­
winnt, nicht das fragliche menschliche sein kann.
15 Das ist natürlich die Motivation, die zur transzendentalen
Reduktion und zur transzendentalen Forschung in ihr zwingt.
Und nur durch sie kann es verständlich werden und wird es ver­
ständlich, dass im transzendentalen Innen sich die Welt der
Äusserlichkeit konstituiert, dass im allgemeinen Wesen der tran-
20 szendentalen Intentionalität schon liegt, dass das Innen und
Aussen sich nicht ausschliessen, sondern fordern. Das intentio­
nale Leben in seinem Strömen ist ein ständiges Leisten durch
intentionale Modifikation mannigfaltiger Weisen. Jede inten­
tionale Modifikation konstituiert ein Aussen im Innen. Es wäre
25 sinnlos z.B. zu fragen, ob die in der Erinnerung vorstellige Er­
innerungsvergangenheit in Wahrheit nicht etwas ganz anderes
als Vergangenheit sei, man kann nur fragen, ob die in der vagen
Erinnerung erinnerte Vergangenheit die richtige, die durch Über­
gang in die bewährende Evidenz rechtmässige sei. Erinnerung
30 trägt in sich einen Seinspol des Sinnes Vergangenheit als mög­
lichen Bewährungspol. Fragen, ob dieser die Vergangenheit selbst
sei oder ob dahinter noch ein An-sich liegt, hat gar keinen Sinn.
Und so überhaupt. In der transzendentalen Aufklärung der Sy­
stematik der Leistungen, in denen Welt — Welt selbst — ihren
35 Seinssinn erhält, und das heisst ihre Weltwirklichkeit, hinter der
eine andere anzusetzen sinnwidrig, widersinnig wäre, wird nun
auch verständlich, warum die psychologische Immanenz des Er­
kennens und des Erkannten (sc. eines als real seiend, als mög­
lich, als in Seinsmodalitäten jeder Art Erkennbaren) kein sinn-
TEXT NR. 31 555

volles Fragen nach dem transzendenten An-sich gestattet, das


dem immanenten Erkannten entsprechen mag.1 Dazu muss man
zunächst freilich der naturalistischen Verkehrtheiten loswerden,
denen gemäss man den empirischen Menschen, die psychophysi-
5 sehe Realität naturalistisch als ein Reales ganz analog wie ein
blosses physisches Reales auffasst, ganz rücksichtslos gegen den
eigenwesentlichen Sinn des in der animalischen Realität ver­
leiblichten Psychischen. Die psychischen Komponenten, z.B.
irgendwelche Bewusstseinserlebnisse, psychische Akte, passive
10 intentionale Erlebnisse u. dgk, sind nicht Teilstücke der Seele,
wie Komponenten eines Körpers es sind, und so ist auch die ganze
Seele nicht mit dem körperlichen Leib in derselben Weise eins,
wie zwei physisch Reale physisch eins sind, dabei Stücke des
Ganzen ausmachend. Ist man im Gegensatz zu dem, was sich
15 zumeist als internationale Psychologie präsentiert, so weit, das
Psychische in seiner Eigenwesentlichkeit zu verstehen und Be­
wusstsein als intentionale Leistung vollziehend, so bringt freilich
die psychologisch rechtmässige Betrachtung des Seelischen als
solchen, in weltlicher Konkretion einig mit seiner Leiblichkeit,
20 die Tatsache zur Geltung, dass die Seelen in der Welt vermöge
ihrer sie in der Raumzeitlichkeit mitlokalisierenden Leiber ein
Aussereinander bilden, und demnach jedes intentionale Gebilde
der einen gesondert gegeben ist von jedem der andern, also auch
die in der Erkenntnis der einen erkannte Welt als solche — und
25 in Einzelheit jedes erkannte Reale als erkanntes (als Erkenntnis­
pol) der einen — gesondert von derjenigen der andern. Wie soll
verstanden werden, dass in diesem Aussereinander Identität
walten kann und sogar Identität evident werden kann?
Ist aber in transzendentaler Einstellung evident und voll ver-
30 ständlich geworden, dass wahres Sein der Welt, und in allen ihr
zugehörigen Realitäten in Einzelheit, nichts anderes sein kann
und ist als die intentionale Bewährungseinheit, und ist erkannt,
dass mein eigenes seelisches Sein Objektivierung des transzen­
dentalen konkreten ego ist, dann ist es auch aufgeklärt, dass sich

1 Man könnte freilich sagen, im prinzipiellen und systematischen Durchdenken des


Sinnes einer echten intention eilen Psychologie, und zwar als universaler Psychologie
der Intentioneilität, würde man zu demselben Verständnis kommen —■weil man dann
von selbst in die transzendenteile Umstellung gezwungen würde und erkennen müsste,
dass u n i v e r s a l e Psychologie als Wissenschaft in naiver Positivität nicht möglich
ist.
556 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

in psychologischer Form nur dasselbe wiederholt, was tran­


szendental erkannt worden ist: Das im seelisch verweltlichten
Erkennen erkannte Reale ist das Reale selbst, obschon es in der
Erkenntnis Erkenntnispol ist, obschon es als das ihr immanent
5 ist, in ihr, genauer, in der konkreten erkennenden Subjektivität
vermöge der Totalität ihrer intentionalen Leistung beschlossen,
nur natürlich in der eigenen Weise des intentionalen Objekts.
Das intentionale Innen (als Idee des erkenntnismässig Bewähr­
baren) i s t zugleich Aussen.

10 BEILAGE XXXV
<DER WEG ZUR ENTDECKUNG UND THEMATISIERUNG
MEINER UND UNSERER TRANSZENDENTALEN
SUBJEKTIVITÄT >
<wohl vor dem 26. Februar 1933>

15 Zeit als Form individuellen identischen Seins. Wir alle — wir Sub­
jekte — dieselbe Natur — Individualität der Körper in der körper­
lichen Raumzeitlichkeit — Individualität der Subjekte. Jedes Subjekt
als Subjekt, als Ich einzig (als Subjekt, als Ich individuell), bezogen
auf je ein natural Individuelles, auf seinen körperlichen Leib. Die
20 körperliche Zeit (Raumzeit) als Individualform, Einzigkeit der raum­
zeitlichen Stellen, Raum und Zeit als verbundene Form der körper­
lichen, der naturalen Individuation.
Wie steht das Ich und Wir in dieser Rede zur transzendentalen
Subjektivität? Sie wird für mich und uns entdeckt und fortdauernd
25 thematisch unter dem Titel transzendental-phänomenologische Er­
fahrung und Erkenntnis. Der Weg zur Entdeckung und Thematisie-
rung meiner und unserer transzendentalen Subjektivität. Der Weg der
universalen Reflexion:
Ich bin der Welt bewusst.
30 1) Ich erfahre sie; was ich als Welt in schlichtester Weise sinnlich
wahrnehme, Natur als wie ich sie wahmehme und fortdauernd wahr­
nehmen kann, sie zu vollkommenster Selbstgebung bringend — für
mich. Wie ich Andere erfahre. Natur meine ich doch als Natur für alle
und in möglicher allheitlicher Einstimmigkeit und Korrektur. Die von
35 mir original erfahrene Natur ist noch nicht die Natur selbst, die
objektive. R e d u k t i o n : Was ich da wirklich wahrnehme und was ich
im wirklichen Wahrnehmen für mich einstimmig bewähre, ist in sich
selbst nicht nichts. Ich kann es rein zur Geltung bringen und als Ein­
heit meiner Erscheinungen. Mich selbst rein als dieses Ich, als Ich
40 lebend, als das Erscheinungen hat, wahmehmend, mm aber auch mich
BEILAGE XXXVI 557

erinnernd, in verschiedenen Modis reproduktiver Wahrnehmung. Ich


als identisches Ich jetziger, wiedererinnerter, vermöglicher Wahrneh­
mungen — Erfahrungseinheit habend und bewährend — e r s t e Re­
dukt i on. Ich als dieses Ich, dieses Lebens, dieser Erscheinungen,
5 dieser Erscheinungseinheiten als Einheiten der Seinsgeltung und Mo-
dalisierung. Ich als absolut einziger Pol und bezogen auf Einheiten,
aber seiend in einem Lebensstrom, in einer ihm eigenen Zeit, diese
subjektive Zeit in subjektiven Zeitmodalitäten konstituierend. In
dieser Reduktion finde ich vor Ichpol, Erlebnis- oder Lebensstrom als
10 Zeitstrom, Ichakte, Vermöglichkeit, Erscheinungen von etc.
2) Dann aber Einfühlung als eine „Erinnerung” neuer Art und Stu­
fe, dadurch Ich als Pol bewusst habend Andere als Ichpole, mein im
eigenen Ich zentriertes Leben und meine Zeitlichkeit in Konnex mit
der der Andern, weiter im Konnex dieser vielen ichlichen Bewusst-
15 seinsströme oder Zeitlichkeiten gemeinschaftliche Zeitmodalitäten und
Zeit. Jedes Ich in solcher Erinnerung bewusstseinsmässig bezogen auf
andere Ich und primordiale Bewusstseinsströme. Gemeinschaft der
Ichsubjekte, das Wir und gemeinschaftliche Zeit dieser Ichsubjekte.
Alle bezogen auf dieselbe Natur als Gemeinschaftseinheit, als dieselbe
20 für jedes, für alle Ichsubjekte, sich in jedem individuellen Ichleben
darstellend durch seine primordiale individuelle Natur etc. Was
charakterisiert da diese „objektive”, intersubjektiv identische Natur?
Was für mich von der Welt Gegenstand möglicher primordial reiner
Erfahrung ist, in ständiger Erfahrungsbewährung ist, ist es für jeder-
25 mann als dasselbe. Es ist für jedermann in reiner Originalität als Eigenes
gegeben und doch intersubjektiv identifizierbar.

BEILAGE XXXVI
DIE PRIMORDIALE REDUKTION <AUFGRUND DER FRAGE
NACH DEM EIGENTLICH WAHRGENOMMENEN UND
30 WAHRNEHMBAREN >
<Anfang dreissiger Jahre >

Was ich von einem Körper in der Wahrnehmung desselben wirklich


und eigentlich wahmehme und wahrnehmen kann. Reflexion auf mein
Bewusstsein von dem Körper: als Wahrnehmung dieses Bewusstseins.
35 Reflexion auf das „ich sehe Farbe, Gestalt, Bewegung, ich höre den
Ton der angestrichenen Saite”. Das Subjektive als rein Subjektives.
Was ich da als apodiktisch erfassen kann, ich in meiner strömenden
Gegenwart.
Körperwahmehmung, Körper der Welt. Im Horizont die Andern als
40 Weltsubjekte. Also die Erfüllung der wahmehmenden Intention führt
auf transzendierende Einfühlung. Selbstwahmehmung als Wahrneh­
mung meiner als Menschen, mit objektivem, mit weltlichem Sinn: ich
als seiend für jedermann — also wieder transzendierender Seins-
558 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

sinn, so mundane Wahrnehmung, mundane Erfahrung überhaupt.


Alle mundane Erfahrung ist reduzierbar auf reine Selbsterfahrungs­
bestände. Mundanes Bewusstsein, in dem Welt in Geltung ist, als un-
anschauliche bewusst ist, fingierendes Bewusstsein, in dem Welt fin-
5 giert ist.
Bewusstsein und Bewährung, sie führt auf Erfahrung zurück. Mun­
danes Bewusstsein auf mundane Erfahrung in Zusammenhängen der
Bewährung. Ich als der Bewährende, ich als das Bewusstseinssubjekt,
als die Erfahrung vollziehend — selbst wieder ich für mich in Geltung
10 als Ich in der Welt, selbst wieder in meinem Sein und Sosein als welt­
lich auszuweisen, diese Geltung selbst wieder in der Welt. Kann mein
weltliches Sein in Frage gestellt werden? Die totale Welt in Frage
stellen als Auszuweisendes, Welt als universale Geltung, die Weise, wie
sie sich bewährt als meine totale apperzeptive Geltung, mich also mit
15 als weltlich. Ich aber der Fragende. Als das bin ich in Frage hinsicht­
lich meiner Weltlichkeit. Aber was bin ich als Fragender? Was heisst
hier „in Frage” ? Die Weltgeltung ist nicht die Erfüllung der Weltgel­
tung, ist nicht der Erfüllungszusammenhang —■oder Enttäuschungs­
zusammenhang. Ausweisung der Weltgeltung befragen, worin Welt als
20 seiend sich ausweist und schliesslich selbst gibt. Wenn aber die Welt
die Einheit der Ausweisung ist, kann diese Ausweisung selbst wieder
Einheit von Ausweisung sein ?
Die Rückfrage nach meiner Subjektivität, mein Sein als das vor dem
Weltsein und vor mir als Menschsein.
25 Die Primordialität das Eigenwesen meines Ich als das der Welthabe.
Die Welthabe — die Ausweisung der Erfahrung, Erfahrung im Gang
als Selbstgebung. Reflexion auf mich: Während ich Welt in Geltung
habe, reflektiere ich und erfahre mich als Menschen, als Ich, der diesen
Leib hat, in ihm waltet, das durch sinnliches Wahrnehmen sein Wahr-
30 nehmungsfeld hat, durch sein Vermögen zu gehen seine Welterfahrung
erweitert, durch die Vermöglichkeit, von Andern Mitteilungen zu ge­
winnen, mittelbare Welterkenntnis gewinnt, solches „erfährt”, was er
selbst erfahren, wirklich wahrnehmen kann etc. Natürliche Reflexion,
die gewöhnliche personale — die Reduktion auf das rein Subjektive.
35 Aber um sie vorzugeben, muss ich schon von ihr etwas wissen. Wie
komme ich darauf? Kann ich das durch die Frage nach dem eigentlich
Wahrgenommenen und Wahrnehmbaren, Erfahrenen und Erfahrbaren
von mir und den Sachen? Ich verfolge die Selbsterfahrung, Selbst-
wahmehmung und frage, was ist dabei wirklich als es selbst erfasst,
40 wirklich wahrgenommen. Ich frage, wie vervollkommne ich meine
Selbstwahmehmung, wie nach allen Bestimmungen, die mein eigenes
Sein auslegend bestimmen, zur Selbstdarstellung bringen.
Ich sage mir: Letztlich komme ich auf mein strömendes Leben als
dieses jetzt strömende und mein absolutes für mich Gegenwärtigsein als
45 Ich im strömenden Leben, dieses Ich absolut original seiend, und in
der Reflexion bewusst seiend: für mich das identische Ich, der iden­
tische Pol dieses absoluten Lebens. Dieses in sich Bewusstsein von,
BEILAGE XXXVII 559

Intentionalität, und ich finde das. Ich reflektiere, auch das ist Moment
des Lebens, als im Strömen verzeitigt — Reduktion auf Strömen und
im Strömen lebendig konstruierte Zeitlichkeit. Etc.
Konstitution von Einheit — Zeitigung. Selbstkonstitution von
5 Bewusstsein, Konstitution von Sein durch perspektivische Darstel­
lung, Konstitution von Raumzeitlichkeit.

BEILAGE XXXVII
<PRIMORDIALITÄT ALS ABSOLUTE URORIGINALITÄT AUCH
DIE EINFÜHLENDEN UND VERSTEHENDEN BEW USSTSEINS-
10 W EISEN UMGREIFEND >
<Anfang dreissiger Jahre >

Die P r i m o r d i a l i t ä t , in der ich und jedes Ich sein konkretes


eigenwesentliches Sein und Sosein hat, besagt also Sein als Für-sich-
selbst-in-absoluter-Uroriginalität-sein, oder Sein eines Ich in einer In-
15 tentionalität, die für dieses Ich durchaus in Uroriginalität erfüllbar ist.1
Die primordiale konkrete Subjektivität umgreift alle Bewusst­
seinsweisen, also auch die einfühlenden und die den Ausdruck von
Personen in Sachen verstehenden. Sie umfasst sie als original erfahren
und erfahrbar. Sie umfasst die Bewusstseinsweisen, in denen Natur,
20 Geist in jedem Sinn, menschlicher und tierischer Geist, objektiver
Geist als Kultur, geistiges Sein als Familie, Verein, Staat, Volk, Mensch­
heit, in Geltung ist; evtl, in mehr oder minder vollkommener Bewäh­
rung, in naiver wie in wissenschaftlicher Geltung, in Geltung in der
Praxis des jeweiligen Interessen hingegebenen Lebens, in Geltung in
25 der Praxis der Wissenschaft und in Form ihrer dokumentierten Theo­
rien. In allen Bewusstseinsweisen und ihren Modis der Geltung liegt,
dass sie irgend etwas zur Geltung bringen, und dieses als in ihnen
Geltendes gehört selbst untrennbar mit zu diesen Bewusstseinsweisen,
zum original erfahrenen und erfahrbaren Bestand. So für mich. Alle
30 meine wirklichen und möglichen Bewusstseinsweisen als „Erlebnisse”
von Erlebtem sind Modi meines wirklichen und möglichen Lebens,
sind zu mir eigenwesentlich zu rechnen als original erfahren und er­
fahrbar in den originalen Zeitmodalitäten, die meine Gegenwart,
Vergangenheit, Zukunft ausmachen. Wo das als seiend (oder in
35 Seinsmodalitäten der Möglichkeit, der Wahrscheinlichkeit, der Zwei­
felhaftigkeit, der Nichtigkeit) Geltende nicht in meiner uroriginalen
Selbsterfahrung gegeben ist und gegeben sein kann, gehört es als das
nicht zu meinem Eigenwesen. Zwar alles Seiende ist „original erfahr­
bar”. Evidenz ist doch Selbstgebung. Aber nicht jede meiner Eviden-
40 zen macht das Evidente als mein Eigenwesentliches evident im Ur-
modus der Evidenz, in der ich für mich selbst und alles mir Eigen­
wesentliche teils aktuell erfahren oder erfahrbar ist. Jede andere Evi-
1 „durchaus in Uroriginalität erfüllbar ist” im Ms. gestrichen. — Anm. d. Hrsg.
560 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

denz ist mein Eigenwesen „transzendierend”. Sie ist dann entweder


selbst eine Fremderfahrung und überhaupt ein Fremdbewusstsein, als
das von Anderen, oder sie impliziert Fremdbewusstsein und damit
. mögliche Fremderfahrung, letztlich Fremdwahrnehmung. Diese ist
5 aber transzendierend, also die Quelle aller Transzendenz. Fremdwahr-
nehmung als die des Fremdpersonalen ist zwar eine intentionale
Modifikation von Selbstwahrnehmung, eine Modifikation der ständi­
gen urwahrnehmungsmässigen Gegebenheit meiner für mich selbst,
aber eine Modifikation, deren Ich nicht ich selbst bin, sondern der
10 Andere ist. Fremdwahmehmung ist eine intentionale Modifikation
von Wahrnehmung, nämlich sie ist eine Vergegenwärtigung, aber
ungleich der Wiedererinnerung.

BEILAGE XXXVIII
< REDUKTION AUF DAS URORIGINALE IM SINNE
15 DESJENIGEN, DAS NICHT MEHR ERSCHEINUNG IST: DIE
ABSOLUTE PERZEPTION >
<Anfang dreissiger Jahre >

Wahrnehmung von etwas ist Perzeption eines Seinssinnes, von dem


nur ein Teilbestand wirklich perzipiert ist und ein Teil mitgemeint ist
20 als im Fortführen der perzipierenden Aktivität zu perzipieren.
Was ist da a b s o l u t e P e r z e p t i o n , absolut originale Selbster-
fassung? Ist jede Perzeption apperzipierend, so perzipiert sie in der
Weise, dass sie etwas wirklich zur Perzeption bringt, aber ihm die Be­
deutung gibt einer blossen Erscheinung in einem vermöglichen Er-
25 scheinungszusammenhang eines und desselben.
Apperzeptive Wahrnehmung ist Wahrnehmung durch Erscheinun­
gen. Insofern ist auch Selbstwahrnehmung Wahrnehmung durch Er­
scheinungen. Ich bin nicht, was ich von mir wahrnehme? Mein Tun,
mein Handeln? Jede Erscheinung von — reduzierbar auf einen Be-
30 stand, der nicht Erscheinung ist. Aber das ist selbst relativ. Erschei­
nung im Erscheinungszusammenhang, worin Einheit desselben er­
scheint. — Die Erscheinung ist unterschieden von dieser Einheit und
von jeder andern dieser Erscheinungen, mit denen sie verbrüdert ist.
Andererseits die Erscheinung selbst Einheit einer andern Gruppe ver-
35 brüderter Erscheinungen, auf die wieder zurückzufragen ist. —
Das Ding zunächst als Einheit meiner Wahmehmungserscheinun-
gen. Diese Einheit ist selbst Erscheinung im Zusammenhang der Ein­
heiten, verteilt auf meine Mitsubjekte. Ich kann auch zunächst neh­
men ein Mitsubjekt, mit dem ich in aktuellem Konnex bin. Die Ein-
40 heit unserer Einheiten <ist> das für uns Seiende. Diese Einheit hat
neben sich noch andere Einheiten in Form der anderen Subjekte und
Subjektgruppen und für die letzteren ihre Verständigungseinheiten.
Usw. Aber dieses Usw. ? Alle Erscheinungen führen ihr Usw. mit sich,
BEILAGE XXXIX 561

einmal „in mir”, das andere Mal in der Fremderfahrung — wie im


eigenen Bewusstseinszusammenhang, so bewege ich mich im univer­
salen intersubjektiven Bewusstsein.
Was meine eigenen Erscheinungen anbelangt, deren Einheit meine
5 primordialen Dinge sind, so sind sie selbst wieder Einheiten der inneren
Zeitigung und ihrer zeitigenden Erscheinungen.
Aber der Unterschied: Die Dingerscheinungen Gebilde aus meiner
und unserer Aktivität. Die urzeitigenden Erscheinungen — gehört das
auch zur Vorgegebenheit von Seienden? Reduktion auf das Urorigi-
10 nale, der Erscheinungen auf das, was nicht mehr Erscheinung ist.
Aber ist das nach der Reduktion nicht wahrgenommen? Wahrgenom­
men, aber nicht apperzipiert. Zeitigung betrifft aber alles. Es zeitigt
sich, sagt, es ist selbst Einheit von Erscheinungen. Aber wie ist das zu
verstehen ? Es ist nicht Erscheinung, nimmt aber notwendig den Sinn
15 von Erscheinung an für das Seiende, das es selbst ist. Es ist identifi­
zierbar dadurch, dass es sich zeitlich abwandelt und Erscheinendes der
abgewandelten Modi ist.

BEILAGE X X XIX
<ZWEIERLEI PROBLEME DES SOLIPSISMUS : >
20 1) IN MIR AUSSCHLIESSLICH KONSTITUIERTE WELT, BEDEUTET DAS
SOLIPSISMUS ? 2 ) ABSOLUT SEIENDE UND SOLITÄR .
SEIEN D E PRIMORDIALE „W ELT” . — HÖHLENWELT
(Februar oder März 1933)
Wir wissen noch nicht, was am Faktum der vorgegebenen Welt we-
25 sensmässig ist. Wenn wir dem Fundierungsaufbau nachgehen, so mö­
gen wir nachher apodiktisch einsehen, dass, wenn die faktische Welt
in ihrem faktischen Wesen, d.h. zu vollkommener Selbstgebung in
einer ihrer offenen Möglichkeiten gebracht, als Exempel für freie
Variation dient, wir eine ontologische Form als Eidos einer möglichen
30 Welt überhaupt gewinnen. Wobei wir auch apodiktisch einsehen, dass
diese Welt, die wir als die einer möglichen vollkommenen Erfahrung
konstruiert haben, in der Tat frei variierbar ist, dadurch dass wir die
subjektiven Gegebenheitsweisen in der Tat frei abwandeln können im
apodiktischen Bewusstsein der freien Beliebigkeit.
35 In dieser Welt sind wir als Menschen und sind Menschen in offener
Mittelbarkeit der Vergemeinschaftung. Gehen wir dem Fundierungs­
aufbau der erfahrenden Anschauung als einer systematisch zu vervoll­
kommnenden nach, so hatten wir am Anfang die eigene Primordialität.
Es kann nun aber die F r a g e gestellt werden, ob nicht die primordiale
40 „Welt” als solche und nicht als Gegebenheitsschichte der intersubjek-
tiv identischen Welt, der Welt, die wir vorgegeben haben, eine Wesens­
möglichkeit darstellt oder so abzuwandeln ist zu einer Wesensmöglich-
562 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

keit, die unabhängig von dem Sich-darstellen von anderen Subjekten


als eine solipsistische Welt denkbar wäre. Muss mein Leib als Organ
der möglichen naturalen Wahrnehmung auch eine besondere Struktur
haben, so ist doch zu fragen, ob er apperzipierbar sein muss als ein
5 physischer Organismus innerhalb einer umweltlichen Natur, die ihrer­
seits notwendig in einem gewohnheitsmässigen Stil Organismen ent­
halten muss. Kann es nicht überhaupt als möglich gedacht werden,
dass mein Leib in meiner durch ihn konstituierten Natur nie seines­
gleichen hätte, kein Analogon, das Einfühlung motivierte? In den
10 Ideen habe ich das als eine Möglichkeit erwogen und sie möglichst
weit zu führen versucht. Es ist also die Frage, ob es eine auszuden­
kende Möglichkeit ist, ich also von mir wirklich alles abtun könnte,
was den Konnex mit Anderen voraussetzt, bzw. aus der Welt alles
<abtun könnte» ,was sie zur kommunikativen Welt macht. Zweier-
15 lei Pr o bl e me des Sol i psi smus: a) Ein anderes ist also dieses
Problem der Möglichkeit einer solipsistischen Welt, also der Erdenk-
lichkeit eines allein seienden Ichsubjekts in einer Umwelt, die nicht das
Mindeste in ihrem Seinssinn hätte, das auf andere Ichsubjekte ver­
weist, b) und ein anderes das Problem, wie, wenn die Welt, die für mich
20 ist, ihren Seinssinn nur aus meinem Bewusstseinsleben schöpfen kann,
es möglich sei, den Solipsismus zu vermeiden.
Hierher gehört auch folgendes Problem: Könnte nicht meine prim­
ordiale oder auch schon eine kommunikative Welt konstituiert sein
als eine endliche Höhlen- oder Kastenwelt ? Ich oder wir also ständig
25 in einem starren Kasten, in den, damit auch optische Sinnlichkeit ihre
Rolle spielen kann, ein Fenster ein allgemeines Licht hineinbringt,
aber ohne dass eine Aussenwelt von Dingen erfahren wird (etwa in der
Weise eines Deckenfensters als eines Teils der hier erhellten festen
Wände). Was für <einen >Seinssinn würde eine solche Welt für den dar-
30 in in seinem ganzen Leben Gefangenen haben müssen ? Es wäre viel­
leicht denkbar, dass dieser Höhlenmensch doch die Vorstellung eines
möglichen Aussenseins erhielte, wie z.B., wenn er darin selbst einen
Kasten sich baute oder schon vorfände, innerhalb dessen er eine ana­
loge engere „Welt” hätte wie die totale seiner Höhle. Er könnte sich
35 dann evtl, iteriert vorstellen, dass zunächst seine Innenwand ein
Aussen hätte in der Weise, dass seine ganze Höhle in einer weiteren
Höhle wäre, diese wieder, usw. Dann hätte er eine mögliche Vorstel­
lung von Räumlichkeit in infinitum, erfüllt mit besonderem Realen in
einem universalen besonderen Stil. Aber die Möglichkeit wäre doch
40 nur mögliche Wirklichkeit, wenn ein induktiver Weg nach aussen im
Erfahrenen Realitätsgrund hätte, wenn induktive Vorzeichnungen
über den Kasten hinausführten, sich untereinander bewährten und
die induktive Setzung der äusseren Realitäten wieder zurücklaufend
in die Höhle hier kausale Vorgänge voraussehbar machte, die sich in
45 tatsächlicher Erfahrung bewährten. Durch Induktion und experimen­
telle Bewährung, und zwar einer Bewährung, die natürlich ausschliess­
lich innerhalb des Kastens verliefe, könnte eine Aussenwelt erkannt
BEILAGE XL 563

werden und, was leere Vorstellbarkeit sonst bliebe, in indirekte Erfah­


rung verwandelt werden.
Ist die Welt wie für uns als normale Welt — als was die Menschheit
eben Welt nannte, konstituiert, so gehört es zum normalen Menschen,
5 dass er diese Welt hat. Aber ergibt sich für uns Normale dann nicht
auch die Möglichkeit, dass anomalerweise ein Mensch oder eine Men­
schengruppe als in einem Kasten lebend und fortlebend vorgefunden
würde, also in einem anomal abgewandelten Menschentum, das nicht
mit uns „die Welt” gemeinsam hätte, sondern eben seine sonderliche
10 Kastenweit?
Natürlich, alle Anomalitäten, die erdenklich sind, erdenken wir auf
dem Boden unserer Welt als die Menschen, die wir normale Subjekte
dieser Welt sind. In unserer Welt kommen auch faktisch Anomale, so
alle Verrückten, vor. Die Verrückten sind nicht primär Subjekte für
15 die Welt, sowenig wie die Tiere.

BEILAGE XL
<DAS EIGENE (PRIMORDIALE) UND DAS ALLGEMEINE. ALLE
ORIGINALEN (PRIMORDIALEN) DINGE DURCH DEN LEIB
VERMITTELT >
20 <wohl 1935>
In h a lt: Meine Lebenswelt i ) als Feld, Welt meines praktischen Lebens
und 2 ) als nachkommendes Thema, Umstellung: universale Umschau,
Überschau.
Natürliche Einstellung: Dahinleben in der Lebenswelt. Mein jeweiliges
25 Thema im Sonderinteresse und mein Welthorizont. In ihm der Horizont
meiner Mitmenschen. Dieser zunächst als besonderer Horizont, der selbst
wieder in Horizonten ist. Der Menschheitshorizont und seine horizont­
haften Gliederungen. Dahinlebend reflektiere ich aber nicht auf mich als
Vollzieher meiner Akte, meiner Interessen, und auch nicht auf Andere als
30 Mitinteressenten, als wirkliche und mögliche Mitvollzieher. Handelnd
habe ich (und haben wir) mein Ding, mein Worin und Womit ich be­
schäftigt bin; wir haben unser Material, und als das unserer Vorhabe, unser
Werkstück. Ich das meine, durch Einfühlung und Mitteilung gemeinsame
„Dinge” als Womit, und so wird mein Ding Material für ihre Zwecke und
35 umgekehrt. Motivation zu gemeinschaftlichem Tun. Gemeinschaftliche
Dinge. Wir im Dahinleben haben immer schon ein Feld von Dingen =
Feld von wirklichen und möglichen Materialien, Gestaltungen, Umge­
staltungen. Wesensstruktur dieses Seins im Wandel.
Im Weltfeld: mein Feld ,,unmittelbare” Habe, meine unmittelbaren
40 Materialien, aktuell da, uroriginal da für mich und darüber hinaus mir in
meinen Akten zugänglich = mir selbsteigene Habe, mein selbsteigenes
Material, darauf bezüglich selbsteigene, ureigene Vorhabe und Handlung,
ureigenes Werden und Gewordensein durch mich selbst eines Werkgebildes.
So ein ganzes mir ureigenes Feld, das meiner direkten, selbsteigenen
564 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

Wahrnehmung mit selbsteigenem Horizont vermöglichen Zuganges.


Selbsteigen: primordial, ursprünglich wahrnehmungsmässig alles: ich
selbst, mein Vorhaben, Mich-beschäftigen, Material...
Was macht den Unterschied meiner selbsteigenen, primordialen Habe
5 und der allgemeinen nach all den Originalitäten? Me i n Leib in seiner
einzigen Selbsteigenheit, alle meine Dinge nur v er mi t t el s dieser
Selbsteigenheit mir selbst zugänglich als von mir selbst zu verwirklichen.
Dinge einmal meine (durch meinen selbsteigenen Leib als selbsteigene
Dinge), das andere Mal heisst es, dasselbe Ding für alle; und so für alle
10 dinglichen Beschaffenheiten. Also auch für die Welt. Dieselbe Welt für
alle. Aber alle Anderen sind doch für mich Dinge der Welt für alle, sie
sind für mich meine mögliche Habe und sind für alle anderen mögliche
Habe. Aber ist das richtig? Sind wirklich alle Anderen für alle, mir und
allen andern, zugänglich, und sind wirklich alle Dinge überhaupt für alle,
16 mir und uns allen überhaupt, zugänglich? Dann Rückfrage, korrelative
Betrachtung. Naturwissenschaft, Wissenschaft von der Äusserlichkeit.
Reine Innenpsychologie.
In der Reflexion in der natürlichen Einstellung auf den Stil des
natürlichen Weltlebens, in dem ich begriffen bin (und Umstellung zur
20 Thematik „Welt”), der Welt, die in natürlicher Einstellung imthema­
tischer Welthorizont ist, das Feld des natürlichen In-die-Welt-hinein-
lebens, die Welt der Menschen in praktischen Interessen, mit prakti­
schen Objekten, Objekten, die praktischen Sinn schon haben, Werk­
zeuge, Endwerke, Materialien für wirkliche und mögliche Werke und
25 Bedürfnisbefriedigungen sonst sind.
Die universale Überschau über die Welt, Überblick auf mein soeben
betätigtes Interessenleben und <auf die Weise >, wie ich Welt habe.
Bewusstsein des Ich-kann, ich kann von den Gegenständen, die ich
unter der Hand habe, zu anderen übergehen, nicht im Tagesinter-
30 esse, ich schalte es aus, ich blicke über das Gegebene, über das schon
als relevant für mein Interesse Geweckte hinaus; was für mich als rele­
vant, als bekannt schon bewusst ist, hat einen Horizont. Das gibt dem
„hinaus” den Sinn. Ich dringe in den Horizont ein — zunächst prak­
tisch, dann aus Neugier und „theoretischem” Interesse. „Ich dringe in
35 den Welthorizont” — was liegt darin?

Ich und mein Welthorizont: im Welthorizont mein Horizont


von Mitmenschen. Der Menschheitshorizont in seiner selbst
horizonthaften Gliederung
Ich bin doch immerzu derselbe, immerzu der in die Welt, meinen
40 Welthorizont Hineinlebende, immerfort in Interessen, immer neuen
Interessen, immerzu habe ich Menschen im Horizont, bald aktuell an­
wesend, bald nicht anwesend, bald in aktuellem Verkehr mit mir, bald
als anwesend, aber ausser Verkehr, ausser Beteiligung an meinen
Interessen und Tätigkeiten. Immerzu gehört aber die Potentialität des
BEILAGE XL 565

Verkehrs mit den Menschen des Horizonts zu meinem Dasein (und


vice versa). Der offene Horizont ist auch Horizont für künftige aktuelle
Vergemeinschaftung mit den Andern, in unbestimmter Allgemeinheit,
es ist offener Horizont von den einem Kern nach bestimmten und be-
5 kannten Andern und unbekannten, von Andern, die „meine persön­
lichen” Bekannten sind, und Andern, die, selbst mir unbekannt, Be­
kannte meiner bekannten Andern sind etc., aber schliesslich auch, wie
immer mittelbar und entfernt, mir und allen meinen Bekannten unbe­
kannt, aber unbestimmt allgemein als möglicherweise mir oder ihnen
10 oder den ihnen Begegnenden begegnend, als solchen, für die dasselbe
gilt, und somit mir auch in entsprechender Weise gilt. Sie sind für mich
seiend und sind dann in der notwendigen schon im voraus gestif­
teten Form des Miteinander und Ineinander von Wir-genossenschaften
(Heimatgenossenschaften und fremden). Dabei entspricht diesem In-
15 einander und Miteinander im Ineinander ein Miteinander und Inein­
ander gestifteter Seinsgeltungen. Engste Wir-Gemeinschaft als solche
des Miteinanderlebens und im Miteinanderleben Wirken und Schaf­
fen von Gemeinschaftsgebilden. In diesem Miteinanderleben mitein­
ander Welt schon Haben, von der Welt Anwesendes, Gegenwärtiges
20 in der aktuellen Erfahrung (Wahrnehmung) Haben, darunter Sub­
strate, Materialien der Arbeit, der Schöpfung von Zweckobjekten, der
Arbeit an Zweckobjekten, an ihren zweckmässigen Gestalten — gemäss
unseren Zwecken; aber im Horizont der Anderen auf ihre Zwecke Rück­
sicht nehmend oder sie missachtend, obschon ihrer mitbewusst etc.
25 Normal dahinlebend, in meinen jeweiligen besonderen Interessen
lebend, ist mir aktuell bewusst ein jeweilig lebendiger Wandel des
Gemeinschaftslebens, das mir strömend als das mei ne jetzige leben­
dig ist und wird. Da reflektiere ich nicht auf mich als Vollzieher meiner
Akte, als Akten, worin ich meine Interessen verfolge, und nicht auf die
30 Anderen als wirkliche und mögliche Subjekte von Akten, in denen ich
mit ihnen in wirklicher und möglicher Gemeinschaft tätig bin. Tätig
habe ich etwas in Händen, worin und womit ich zu schaffen habe, und
so jeder mit mir Vergemeinschaftete, nach Wirklichkeit und Möglich­
keit. Was ich und jeder dabei wirken mag, es wird aus meinem und
35 unserem Material wieder etwas, ein Neugestaltetes, das wieder Mate­
rial ist und werden kann für mich und jedermann. Was irgendeiner in
meinem Horizont von Mitsubjekten geschaffen haben mag aus seinem
Material, ist für mich auch da. In möglicher Vergemeinschaftung der
Mitteilung ist es für mich, sei es als mir unmittelbar zugänglich und
40 dann Material für meine Zwecke, alte oder neue, oder es kann für mich
Material werden durch die Andern hindurch, z.B. indem ich im Ver­
kehr mit ihnen sie motiviere, etwas damit zu tun. Dazu gehört vorerst,
dass sie es in meine Sphäre hineinbringen und es so zu einem unmittel­
baren Material für mich machen, sei es, dass sie es bearbeiten und als
45 Bearbeitetes in meine Sphäre bringen, und in einer Gestalt, die für
mich so zweckmässig ist, als ob ich es selbst für meine Zwecke gestaltet
hätte.
566 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

Im Dahinleben habe ich, so lehrt die Reflexion, immer schon als Ich,
der ich mich als Menschen weiss, ein Feld von Dingen, darin das und
jenes, das ich schon unmittelbar habe, das ich als Material meiner Akte
behandeln kann und behandle. Im Handeln ist es etwas im Anders-
5 werden, im Sowerden, wie ich es vorhabe, gelingend oder misslingend
Werden, und im eventuellen Sich-vollenden ist es, als was ich nun als
Erwerb habe, und mögliches Material für neue Wünsche, Vorhaben,
zwecktätige Arbeit. So erfahre ich auch jeden Andern hinsichtlich
seiner Habe, seiner Tätigkeiten. Jedermann ist nur als Subjekt seiner
10 schon erworbenen Habe und in der Aktualität oder Vermöglichkeit,
damit zu schalten und zu walten, gemäss Zwecken, die er entweder
schon hat oder <für> voraussichtlich kommende Bedürfnisse <als>
neue Zwecke haben wird. Aber in dem allem liegt zu Grunde eine
Wesensstruktur.

15 Feld unmittelbarer Habe, originale Materialien, Originales


handelnd erwerben, Habe im originalen Werden — ein
originales Feld mit originalem Aussenhorizont
Ich habe ein Feld unmittelbarer Habe, aktuell gegenwärtig (anwe­
send) oder abwesend, aber aktuell für mich zugänglich, so dass es mir
20 selbstgegeben ist, gegeben als originale Habe. Entsprechend habe ich
originales Material (aus der erworbenen Habe Materialien möglicher
Arbeit) für meine darin original geübte Tätigkeit, und im originalen
Handeln erwerbe <ich> neue Habe, diese im originalen Werden. Ich
habe ein originales Feld — Feld direkter, originaler Wahrnehmung —,
25 und ich habe ein ursprüngliches „ich kann wahrnehmend fortschrei­
ten”, ich habe das Wahrgenommene in einem originalen Aussenhori­
zont, in dem ich neues originales Material erreiche. Originales Ich-tue,
originales Werden, handelnd ins Dasein Treten, originales Werk —
original als mein Zweckgebilde, aus meinem Zweck in meinem origi-
30 nalen Bilden. Original, meine eigenen Absichten, Veränderungen an
originalen Haben als Veränderungen rein von mir aus in Originalität
des Ich-tue, Ich-verändere, darunter auch Ortsveränderungen. Origi­
nale Werkzeuge. Das im u r s p r ü n g l i c h e n Sinn Meinige.1
Aber worin hat das seinen Gegensatz? Wie umgrenzen wir <es>, die
35 wir im konkreten Leben immerfort Welt haben als unsere allgemein-
same Habe, als Feld u n s e r e r Aktivitäten, als Material all unseres
Wirkens von Werken, all unseres Verändems dessen, was da ist, darin
unserer Werke, ob sie bessernd, ob sie zerstörend?

1 „Original" ist ein unbrauchbarer Ausdruck, es ist eben Primordialität, und auch
Primordialität in relativem Sinn.
BEILAGE XL 567

Mein Leib — seine Originalität. Alle Dinge in originaler


Gegebenheit oder Habe sind vermittels meines Leibes in seiner
Originalität gegeben
Mein Leib, das ist dieses in seinen Beschaffenheiten original gege-
5 bene Ding, das ich original bewege, original verändere, das in allen
seinen solchen „Bewegungen” und sonstigen Veränderungen als origi­
nal für mich daseiende Einheit verharrt und für mich den Charakter
einer Selbstgegebenheit hat, eines Bestandes von original für mich
wirklich und möglicherweise (und vermöglicherweise) Gegebenem. Jedes
10 andere Ding meiner originalen Sphäre ist für mich so da, dass ich von
ihm einen originalen Bestand habe, aber v e r m i t t e l s meines Leibes
und seiner Originalität, vermittels seiner originalen Kinästhesen, die
ich ins Spiel setze im Sehen, Hören etc.
Aber nochmals, was macht den Gegensatz, und warum sagen wir:
15 Dinge haben Beschaffenheiten, als die sie selbst sind, Beschaffenheiten,
die uns, die jeweilig mir nicht original eigen, original zu verwirklichen
sind durch original eigene Aktivitäten ? Was ich von mir sage und von
der Welt, die ich erfahre und die aus meiner Erfahrung für mich auch
unerfahren da ist als mindestens in einem Bestand mir original zugäng-
20 lieh, sage ich ohne weiteres auch von jedem Anderen. Aber die Andern
sind doch auch für mich Dinge der Welt, und andererseits sind die
Dinge der Welt zwar Dinge für alle. Aber sind alle Dinge für mich und
für alle darum original zugängliche ? Und die es sind (mindestens für
mich und einen Andern oder eine Gemeinschaft von Andern), sind sie in
25 allen Bestimmungen, in denen sie dem einen original zugänglich sind,
es für die anderen ?
Da nehmen, wie wir merken, unter den Dingen des Welthorizonts
die Menschen eine besondere Stellung ein. Ich „sehe”, ich berühre und
taste einen anderen Menschen (ebenso auch ein Tier) und sage, dass ich
30 ih n wahmehme, ihn sehe. Natürlich, ganz sehe ich ihn nicht, so wird
man ergänzen, ich sehe nur seinen Leib und „erschliesse” sein psychi­
sches Sein und Leben. Aber sehe ich wirklich seinen Leib ? Sehen (mein
Sehen als original Erfahren) kann ich meinen körperlichen Leib und
kann ich den Körper dort, den ich zugleich freilich als Leib des Ande-
35 ren anspreche, als in meinem original erfahrbaren leiblichen Tun, also
durch meine original eigene Leiblichkeit mittelbar erfahren wie eben
jedes ausserleibliche Ding, das wirklich in meinem kinästhetischen Be­
rühren, evtl. Besehen, Hingehen etc. für mich original da ist oder wird.
Aber den Leib des Anderen, d.i. den Leib, den er original erfährt,
40 original Idnästhetisch bewegt, und die Dinge, als welche für ihn von
seinem Leib aus und durch dessen leibliche Funktion Aussendinge sind
und wie sie es für ihn sind, das erfahre ich nicht original. Original er­
fahre ich das, was ich rein aus meiner Aktivität in allem, was es für
mich ist, zur Selbstgegebenheit bringe oder bringen kann — wie weit
45 das reicht ?
568 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

Die primordiale Struktur der Welterfahrung.


Reduktion der Welt auf das primordiale Vor-sein
Das entdecke ich erst, wenn ich vom Anderen überhaupt abstrahiere,
also von der Welt als der für mich daseienden und als daseiend gel-
5 tenden alle Komponenten des Seinssinnes wegtue, ausser Betracht
lasse, die das für mich Wirklichsein des Andern schon voraussetzen.
Ich merke dabei, dass, wenn ich von demselben Ding spreche, das ich
und das als dasselbe der Andere sieht, hiermit von mir eine Identifi­
kation vollzogen ist und eine gewisse Sinnbildung, Apperzeption, die
10 das Sein des Anderen voraussetzt, so dass ich erst fragen muss, wie ich
diese als eine ganz andersartige gegenüber allem, was ich originaliter
erfahre und erfahren kann, zustande bringe. Ich entdecke also eine
fundamentale Struktur meiner vorgegebenen Welt, dass sie ei ner­
s e i t s den Sinn hat einer allgemeinsamen für alle Menschen meines
15 Wir-horizontes, und dass <sie> a n d e r e r s e i t s für mich notwendig
eine Struktur <hat >, in der zunächst erfahren ist, und zwar als Funda­
ment meiner wahmehmungsmässigen Welt, was ich im angedeuteten
Sinn mein original Eigenes von der Welt nenne oder, wie ich es deut­
licher bezeichne: meine p r i m o r d i a l e Ge ge b e n h e i t s s p h ä r e .
20 Die Reduktion auf Primordialität nimmt aber, wenn ich wirklich von
allen Andern abstrahiere, dem, was ich erfahre, den Sinn von Welt,
von Objekt, von allgemeinsam zugänglichem Ding. Weiter erkenne
ich, dass aus der Welt durch diese Reduktion alle Fremdleiber ver­
schwinden und sich auf blosse Aussenkörper reduzieren, die als solche
25 auf das ichliche Fungieren, auf die Leistung der Kinästhesen (die
keine körperlichen Vorkommnisse sind) zurückführen, wie auf all das,
was dem in der Primordialität einzigen, apriori unwiederholbaren Leib
zu eigen ist.
Diese reduzierte Welt ist nicht etwa unendlich in der Form eines
30 unendlichen Raumes einer unendlichen Zeit. Sie reicht so weit, als ich
allseitig originalen Zugang (leiblich-sinnlich) zu Dingen haben kann.
Dass meine Kraft, zu gehen und „immer wieder” zu gehen, sich er­
schöpft, das gibt dem „immer wieder” ein Ende, obschon meine Kraft in
verschiedenen Zeiten — Zeiten nicht eingetragen in eine oder herausge-
35 hoben aus einer unendlichen Zeit — nicht konstant ist und ich die
Erfahrung mache, dass ich, auch wenn ich sage, ich sei „am Ende
meiner Kraft”, doch noch, aber nur ein wenig mich noch weiter an­
spannen kann. Es ist hier ähnlich, wie eine Linie eine Breite hat, aber
wenn diese zu gross ist, nicht mehr als Linie, sondern als Fläche, als
40 Band erfahren wird, und wenn sie sehr dünn ist, doch auch noch eine
Breite hat, und wie wenig auch, so doch immer noch als feiner möglich
ist, aber wieder nicht in Infinitum im wirklichen Sinn. Wie macht nun
die natürliche volle Apperzeption Welt aus primordial erfahrbarer
„Welt” eine Welt natürlicher Erfahrbarkeit und zunächst Wahmehm-
45 barkeit? Sollten in ihr nicht verschiedene Geltungsstufen impliziert
und durch Befragung herauszuholen sein ?
BEILAGE XL 569

Die Abstraktion, welche zur Abgrenzung des Reichs meiner Prim-


ordialität führt, ändert nichts an meiner natürlichen Daseinsgeltung
der anderen Menschen wie auch der meiner selbst als Menschen und an
der Welt, die als natürliches reales Seinsall alle Menschen und alle
5 realen Dinge, als die allen Menschen gemeinsamen, als seiend oder
nicht seiend geltenden, befasst.
Natürlich kann ich mir „denken”, dass ein Anderer nicht gelebt
hätte oder irgendwo gelebt, wo er mit mir nie in Konnex getreten und
nie auf die Seinsgeltung der Welt, die ich habe und auf die er vermöge
10 dieses Konnexes mit einwirkte, einen Einfluss geübt hätte. Und ebenso
für jeden Nebenmenschen. Aber das heisst, die Welt, die ich als die
mir wirklich geltende habe, umfingieren. Da kann es sein, dass ich
erkenne, wie der Geltungsbeitrag, den ich Anderen verdanke, ein ver­
schiedener ist; meine Eltern bedeuten natürlich für mich unvergleich-
15 lieh mehr als andere Menschen, und <die> unter diesen Menschen, die
ich nur einmal flüchtig traf, wenig gegenüber anderen, die in meine
Weltsinnbildung mächtig eingriffen.
Auf dem Boden der für mich und uns (meines Wir) seienden Welt
kann ich meine und irgend jemandes psychische Entwicklung, die
20 Entwicklung seines Weltbewusstseins, seiner Weltvorstellung, der ihm
geltenden Welt als solchen, untersuchen. Kann ich also nicht auch
allgemein die Frage stellen nach der Entwicklung der menschlichen
Weltvorstellung überhaupt? Die Welt, das Universum des objektiv,
des für edle Menschen erfahrbar und erkennbar Seienden ist dabei vor-
25 ausgesetzt, jeder in ihr Vorausgesetztermassen Seiende hat sie in Gel­
tung in seiner subjektiven Weise, gemäss seiner Individualität, mit
der er in sie hineingeboren ist, als Kind seiner Eltern erzeugt und in
seiner Umgebung sich entwickelnd. Wie ist, das ist das hier bewegende
Problem, in universaler Allgemeinheit, für einen Menschen überhaupt,
30 die Entwicklung zu beschreiben, die allgemeine Gesetzlichkeit, die
sich für jeden faktischen Menschen, bzw. für die Menschen in einer
vorgegebenen Zeit, in einer jeweiligen historischen Kultur in besonde­
ren Allgemeinheiten besonders gestaltet ?
Haben wir es mit einer Seite des biologischen Menschenproblems zu
35 tun ? Der Mensch als psychophysisches Wesen in der Welt kann bio­
physisch — physikalisch-mechanisch, aber auch „organismisch”-phy-
sisch-biologisch — erforscht werden: in der „Äusserlichkeit” der „Na­
tur”. Andererseits, in der „Innerlichkeit” kann erforscht werden, wie
jeder Mensch als solcher in derselben, für ihn und alle seienden Lebens-
40 weit lebt — der in der Wissenschaft, in allen objektiven Weltwissen­
schaften nach ihren objektiven Wahrheiten erforschten <Welt>,
und evtl. <in> der gegenwärtigen, historisch gewordenen und für uns
lebensweltlich mitdaseienden und evtl, uns mitgeltenden Wissenschaft;
wie die Zueignung ihrer Art Kulturgebilde, die da wissenschaftliche
45 Wahrheiten heissen, von dem sonst Lebensweltlichen motiviert wird;
auch wie danach durch die wissenschaftliche Kultur alle andere Kultur
bestimmt wird etc. Eben hier ist die Frage, wie allgemein und dann in
570 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

besonderen Typen von UniWeltlichkeiten jedermann seiend geltende


Welt als Bereich hat und in seiner inneren Motivation sie wandelt, wie
er rein von innen gesehen in der Einheit einer intersubjektiv vermittel­
ten Entwicklung dieser Weltgeltung steht, wie sich in ihr die ihm
5 persönhch geltende Welt als solche in Erfahrung, in Denken entwik-
kelt, wie von innen gesehen andere Menschen lebensweltlich für ihn
da sind und wie in Konnex mit dieser Seinsgeltung, die er von Anderen
hat, von Anderen in Formen wie Familie, Volk etc., seine „Weltvor-
stellung” sich entwickelt; was hier allgemein menschlich ist und wie
10 in der sichtlich werdenden Allgemeinheit eines sich notwendig ent­
wickelnden und immer schon gewesenen historisch-gesellschaftlichen
Menschendaseins typische Sonderentwicklungen verlaufen müssen.1
Geburt und Tod. — Das alles von innen und nicht biologisch gesehen,
und doch das Ganze mit zur Biologie, der psychophysischen, der
15 zweiseitigen gehörig.
Aber die Welt als seiende ist für mich, der diese Erforschende, für
uns als die Psychologen solcher Fragestellungen vorausgesetzt, wenn
wir also als Psychologen uns auf jene universale und reine „Innerlich­
keit” einstellen. Kann die Methode anders sein als die der passend
20 eingeführten „Epoche”, in der ich als solcher Psychologe mich der
Lebenswelt von innen bemächtige, d.h. als Totalität meiner jeweiligen
Seinsgeltung (und rein betrachtet als die mir jeweils geltende), und
die Geltungsfragen als Fragen nach den Geltungsfundierungen
und nach dem Wandel der Motivation stelle, in der auf dem Grund
25 von Geltung Geltung wird, motiviert als meine und unsere Lei­
stungen und weiter Geltungswandlungen motivierend; r ü c k f r a ­
g e nd nach den Motiven der gewordenen Geltung — alles in der Ein­
heit einer universalen leistenden Subjektivität und ihrer Motivation.12
Ist das Ich dieses Geltungslebens nicht schon das transzendentale
30 Ich, das die Epochö vollziehende und Lebenswelt überschauende?
Freilich, Welt gilt mir ständig, aber in meiner Untersuchung ist nichts
von ihr schlechthin in Geltung als mögliche Prämisse, nichts vom Sei­
enden als Wirklichkeit wie im Leben, nichts von den Ergebnissen der
Wissenschaften. So, wenn ich auf mei ne Lebenswelt als meine Gel-
35 tung in und aus meiner Innerlichkeit mich einstelle. Nun wird man
sagen, das ist eben meine, ich kann mich auf die anderer Menschen
und auf die „irgendeines” Menschen überhaupt einstellen. Aber ic h
stelle mich ja ein auf das Universum meiner Seienden als Geltungen,

1 Aber dann auch die Frage, wie sich andererseits doch rein in mir die Seinsgeltung
der Welt als objektiv-intersubjektive Welt, also als Welt der Menschheit entwickelt,
und zwar als der Menschheit, in welcher ich im Verkehr mit Anderen, bzw. durch
Tradition, die Seinsgeltung entwickelt habe als Entwicklung meiner rein mir eigenen
Weltgeltung: in mir, rein in mir. Entwicklung der Seinsgeltung „Menschheit” und
ihre Entwicklung als meine Seinsgeltung entwickelt. Innerhalb der menschheitlichen
Entwicklung meine persönliche Entwicklung.
2 „Motivation” ist zweideutig: Geltung fundiert (motiviert) Geltung, aber ich bin
motiviert in meiner Aktivität des Leistens und die Geltung zustande bringend.
BEILAGE XL 571

auf Andere also als Andere in mir, aus mir haben sie Motivation. Der
Andere ist, wenn ich ihn als Anderen thematisch habe, in meiner
Lebenswelt da mit dem Charakter „Anderer” als meine Geltung, und
erst von daher hat er seine Entwicklung als die von mir Seinssinn
5 <und> -geltung habende. Gewiss. Andererseits, in der universalen
Wissenschaft vom Menschen ist seiende Welt, ist damit die ganze Ent­
wicklung, in der ich (transzendental) Welt als seinsgeltende gewonnen
hatte und habe, vorausgesetzt. Auf dem Boden dieser Weltgewissheit,
die ich ständig schon habe, stehend, sind alle Menschen in einer Ebene
10 und gleichberechtigt mit- und nebeneinander; jeder Bewusstseins­
subjekt für dieselbe Welt, jeder in seiner subjektiven Weise, jeder
seine Weltvorstellungen entwickelnd, die alle eben Vorstellungen von
d er Welt sind, der im voraus gesetzten, voraus-gesetzten. Danach
entdeckt der Historiker der Entwicklungen und der Geisteswissen-
15 schaftler jeder Art nur das, was schon im konstituierten Welthorizont
liegt: Die Andern, die Sozialitäten, sind schon, sei es aktuell bekannte,
sei es potentiell als unbekannte, doch bekannt als zum Welthorizont
gehörig. Auch der Psychologe entfaltet nur, was schon in der „mensch­
lichen Seele” im voraus weltlich konstituiert liegt.
20 £) Um „reine” Innenbetrachtung durchzuführen, übe ich zwar die
Methode der Epoché, zunächst bei mir, wo ich doch „Originalität”,
primordiale Selbstgegebenheit in der besinnlichen Aufweisung von
„Innerlichkeit” in Passivität und Aktivität, von Weltgegebenheit etc.
habe. Ohne weiteres übertrage ich das, was ich mir selbst primordial
25 erworben hatte, auf Andere, die eben für mich Andere sind und als
solche von mir als meine „Wiederholungen” (in Motivation) gesetzt
sind, als wirkliche oder mögliche Andere. Ich „versetze mich in sie”,
ich lebe in ihnen im Modus, „als ob” ich in der Abwandlung Anderheit
wäre, so wie ich auf mich als vergangenes Ich zurückgehend eben ich
30 es bin, welcher in diesem Modus Als-ob lebe. In der Verwandlung als
neue Geltung mit neuen Bewährungen, neuen Stimmigkeiten und Un­
stimmigkeiten sind wir in einer in der alten primordialen Geltung fun­
dierten Geltung, einer mittelbaren, welche ihrerseits wieder zu neuen
Mittelbarkeiten überleitet. Das Wie dieser als meine lebendig gestif-
35 teten und sich erweiternden Geltungsschichten aufzuklären, das Wie
der in dieser Weise fortschreitenden und <in >immer weiter vorzeich­
nender Intentionalität statthabenden Konstitution der Welt als Gel­
tungskorrelat zu verstehen, ist die Aufgabe einer universalen und
reinen Innenpsychologie. Man kann also ganz wohl die Seinsgewissheit
40 der Lebenswelt ständig haben, in ihr das Wissen vom Dasein der Men­
schen voraussetzen und Wissenschaft vom Menschen, und sowohl phy­
sikalisch-biologische als auch psychologische Wissenschaft, treiben.
Aber dann zwingt eine reine Psychologie von dem Menschen in seiner
reinen Innerlichkeit zur Einstellung der Epoché, und nun verschlingt
45 die Innenpsychologie die Naturwissenschaft und die Natur selbst: Das
Nebeneinander von Leib und reiner Innerlichkeit des Menschen oder
Seele in der vorausgesetzten Welt hebt sich auf, weil es ein dualisti-
572 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

sches Vorurteil ist. Die vorausgesetzte Lebenswelt birgt auch eigent­


lich kein Nebeneinander, keine Seele, die Stück im Raum ist, etc.
Ich bin in meiner Konkretion in strömender Lebendigkeit, rein eine
Einheit lebendig strömender Intentionalität, ständig fungierendes Ich
5 in einer abstraktiv zu verfolgenden Leistung meiner primordial redu­
zierten „Welt”, Welt meiner „Sinnlichkeit”, oder meine primordial
ursprüngliche Welterscheinung in eins mit dem Wegabstrahierten, der
fundierten Intentionalität, durch die das primordial Reduzierte einen
auf Andere bezogenen Sinn als objektiv weltlich erhält. Aber diese
10 ergänzende Leistung ist nicht eine einfache Sache: Innerhalb meiner
Primordialsphäre <sind> wirkliche (wenn auch nicht anwesende)
fremde „Leiber”, für mich Aussenkörper, Umschlagspunkte für eine
Vergegenwärtigungswiederholung meiner primordialen „Welt”. Was
wird bei der primordialen Reduktion der Welt aus meinem mensch-
15 liehen Ich? Mein Leib als Urleib verbleibt, und die Ichreflexion erfasst
mein Ich unter Abstraktion von dem, was es für Andere und für mich
als Ich unter Anderen auffassen und setzen muss. Wenn ich diese
Abstraktion vollziehe, scheide ich in der Selbstapperzeption, in der
ich, ob ich auf mich reflektiere oder nicht, für mich weltliches Men-
20 schen-Ich, bzw. psychophysischer Mensch bin, die in ihr von voraus­
gesetzten Anderen herstammende Seinsgeltung aus, also ich reduziere
sie auf einen „Kern” transzendentales Ich, der für alle Seinsgeltung
von Andern schon vorausgesetzt ist. Aber die Apperzeption ist nur
ausser Geltungsvollzug gesetzt und darum nicht etwa verschwunden.
25 So wie sie in der Epoche beschaffen ist, gehört sie mir auch weiter zu.
Diese Apperzeption gehört also dem Ich zu als dem von aller Mitgel­
tung von Anderen befreiten, das aber konkret das Ich ist, das im Voll­
zug der Einklammerung dieser Geltung lebt und so die Andern in
Klammem, also in der neuen Einstellung, selbst noch bewusst hat. Es
30 geht also über dasjenige Ich hinaus, das rein Korrelat ist der primordial
reduzierten Welt als das für sie konstitutiv fungierende Ich.
Aber nun ist die Frage nach der Struktur dieser Apperzeption, nach
dem, was in ihr intentional liegt.
Reduziere ich die Weltwahmehmung auf das für mich primordial
35 Wahrgenommene und Wahrnehmbare und damit die Welt auf das
Primordiale von der Welt, so gewinne ich eine Geltungsschichte, und
zwar Schichte originaler Selbstgegebenheit und vermöglicher origi­
naler Selbstgegebenheit im Wandel.1 Welt im gewöhnlichen Sinn als
1 Was ist der Zweck der Reduktion auf Primordialität, auf Urevidenz, uroriginale
Selbstgegebenheit? Das Stufensystem der Evidenzen zu gewinnen, die Rückfrage von
der Erfahrungswelt in ihrer jeweiligen Seinsgeltung als Menschenwelt und Welt für
alle Menschen nach den subjektiven Fundierungen der Seinsgeltungen all der Seien­
den, die wesensmässig vorgegebene Welt ausmachen und die zur Erfahrungswelt ge­
hören, wie dürftig auch diese in der „Sinnlichkeit”, in der schlichten Gesamtwahr­
nehmung, wirklich wahrnehmungsmässig vertreten ist. Dadurch erst gewinne ich
reine Psychologie und gewinne ich Wissenschaft von dem, was menschliches Sein in
der Welt wirklich ausmacht und was Natur ausmacht, also Natur nicht neben Ge­
schichte, etc.
BEILAGE XL 573

Feld von objektiv Seienden habe ich als Welt von identifizierbaren,
wiedererkennbaren in Veränderungen verharrenden Dingen, wiederer­
kennbar, ob sie anwesend oder abwesend sind, die Welt ist räumlich­
zeitliche Welt, und die Identifizierbarkeit betrifft alle Zeitmodi und
5 ihre Weisen, nach denen ich Vergangenes und Zukünftiges wiederer­
kennend identifiziere. Das alles reduziert sich auf ein Reich der Prim-
ordialität, in dem vermöge der Abstraktion von Andern doch auch eine
Wiedererkennbarkeit verbleibt, in dem reduzierte Dinge sind, und nur
sind in Kausalität. Natürlich reden wir von der Lebenswelt und nicht
10 von einer wissenschaftlich konstruierten objektiven Welt.
Nr. 32

<GEMEINSCHAFT MIT MIR SELBST UND


GEMEINSCHAFT MIT ANDEREN ALS ICHPOL-
EINIGUNG UND KORRELATIVE KONSTITUTION
5 EINER EINHEITLICHEN NATUR.
ICHPOL, PERSONALES ICH UND ZEIT>
(Mai 1933)

<Inhalt:> Die vorgegebene Welt mir vorgegeben als unsere gemein­


same Welt. Die Natur das weltlich Erste. Un s e r e — vorausliegt
10 die Vergemeinschaftung. Meine Natur — unser aller Natur, aus
Primordialität und Fremdapperzeption. Wras ist das für eine
Deckung?
1) Was macht Einheit meines Ich in meinen Erinnerungen,
Einheit meines Ich als Zentrum meiner Affektivitäten und Akti-
15 vitäten auf dem inaktiv strömenden, passiven Untergrund? Deckung
mit dem wiedererinnerten Ich. Gemeinschaft „mit mir selbst”. A uf
seiten der konstituierten Einheiten die primordiale Natur in Zeit­
modalitäten. Universum extensiver Einheiten in Raumzeitlich­
keit. Vermöglichkeit der Weckung, Horizont möglicher Weckung;
20 Horizont möglicher Kontinuierung der Erinnerungen bis zum ak­
tuellen Jetzt. Horizont in jeder Erinnerung gelegen und darin
„derselbe" Ichpol.
2 ) Gemeinschaft mit Anderen als meinen Anderen. Konstituiert
die gemeinschaftliche Natur. Aber keine Kontinuierung führt von
25 meinem Ichpol zum anderen, von meinem Untergrund, von meinen
Akten etc. zu denen des Anderen. Aber es ist doch Gemeinschaft,
ein Modus von „Deckung” der Ichpole in Diskontinuität des ge­
deckten Aktlebens etc. Unterschiede der dinglichen Extension und
Dauer (der des verharrenden Identischen) von der zum Ichpol als
30 gegenwärtigen und vergangenen gehörigen. Im realen Sinne hat das
Ich keine Dauer. Es hat „immanente Erstreckung” in der „Strom-
TEXT NR. 32 575

zeit”, aber eigentlich dauert es nicht. Auch mein Ich und mein
Leben und das andere Ich und Leben haben keine extensive Ab-
ständigkeit. Sekundäre Mitzeitigung des Ich und der Mit-Ich, se­
kundärer Sinn von ,,fortdauern’’ für Ich.
5 Wie dann mit der Habitualität des Ich ? Wie sind Überzeugungen
gezeitigt als seiende, Kenntnisse etc., fortdauerndes Gerichtetsein
auf einen Gegenstandspol als zeitliches in der ,,immanenten
Zeit”} Wie aber die dem identischen Ich eigene Gerichtetheit} Das
bleibende Ich im Wechsel dieser Überzeugungen etc. ist nicht Zeit-
10 liches wie ein sachlich Zeitliches (Verharrendes der Veränderungen
und Unveränderungen, Erscheinendes etc.), aber in einem neuen
Sinn Zeitliches, zeitlich relativ Bleibendes. Das verharrende, das
personale Ich als Ich der Habitualitäten konstituiert in spezifischer
Ichzeitigung, Ich-Verharren, Substratsein von Ich-,,Eigenschaften”,
15 der wechselnden Habitualitäten, als Parallele konstituiert zur Kon­
stitution der Sach-Zeit (der naturalen, weltlichen).

Eigene Seinserwerbe, aus eigenen Akten — Gemeinschaft mit


Anderen, gemeinsames Sein, gemeinsame vorgegebene Welt:
d ie Welt. In ihr der Urboden, der U r k e r n der gemeinsamen
20 identischen Welt, 1) die körperliche Natur, dann 2) korrelativ
die im Realen verweltlichten Ichsubjekte, psychophysisch als
menschliche (und tierische) körperliche Naturleiber. Das ist wie­
der Kern, die allgemeinsame Welt der puren und der verwelt­
lichten Realitäten, die für mich, für jeden in Sonderheit, für
25 besondere Gemeinschaften in ihrer Vergemeinschaftung und
Sonderheit, wechselnde „personale” Eigenheiten haben, geistige
Bedeutung.
Ich bin Person, als das bezogen auf meine Mitpersonen und
mit ihnen und durch sie auf die reale Welt, als die für uns und
30 für einen jeden in besonderer Weise und für eine jede Sozialität
wieder in besonderer Weise „Bedeutung” hat.
Doch genauer, die pure Natur, die physische, als Natur im
ersten und eigentlichen Sinne ist das w e l t l i c h Erste. Sie ist
Natur („objektive”) als unsere allgemeinsame. Also voraus liegt
35 die Vergemeinschaftung, und zwar von mir als Ich meiner Prim-
ordialität (und zwar meiner primordial konstituierten „Natur”)
vollzogene Fremdappräsentation, in der ich als Ich meiner Prim-
ordialität vergegenwärtigtes Bewusstsein vom Andern als Ich
576 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

seiner Primordialität habe und damit zu einer Gemeinschaft, zu


einer Deckung mit dem anderen Ich komme und zur gemein­
schaftlichen Naturerfahrung; m e i n e Natur dieselbe, die mir so
erscheinende, mit der ihm entsprechend anders erscheinenden.
5 Nur ist das nicht eigentliche Identität, sondern Einheit. Das
andere Ich — was ist das für eine Deckung?
Was macht die Einheit meines Ich aus in meinen Erinnerun­
gen? Einheit meines Ich als Zentrum meiner Affektivität und
Aktivität in der Kontinuität des inaktiv strömenden Unter-
10 grundes, aus dem die Affektionen kommen, andererseits in der
Kontinuität des Behaltens und Vorgerichtetseins im Erfassen.
Deckung mit dem in Wiedererinnerung Erinnerten in der Weise
der „Gemeinschaft” des Gegenwarts-Ichpols mit dem Pol der
erinnerten gegenständlichen Gegenwart. Vermöglicher Übergang
15 aufwärts zu neuen Erinnerungen. V e r m ö g l i c h e K o n t i n u i ­
t ä t der Erinnerung, die als Horizont in jeder Erinnerung be­
schlossen ist, bis zur lebendigen Gegenwart und ihrem sachlich
Gegenwärtigen. I n d e r S a c h l i c h k e i t konstituierte Einheit
als p r i m o r d i a l e N a t u r in i h r e n Z e i t m o d a l i t ä t e n ,
20 mit ihren verharrenden Einheiten der Unveränderung und Ver­
änderung, sich darstellend in erinnerungsmässig strömenden Er­
scheinungsweisen, in deren reproduziertem Strömen sie sich als
Einheiten geben — extensive Einheiten in der Raumzeit. Ver­
möglichkeit der Weckung von schon lebendigen Erinnerungen
25 aus, Weckung neuer Vergangenheiten, deren Horizont die „spä­
teren” Erinnerungen befasst, also Horizont möglicherWeckungen
für jede Erinnerung und in eins Horizont möglicher immanent­
extensiver Kontinuierung der Erinnerungen bis zur Gegenwart.
Jede Erinnerung führt, expliziert hinsichtlich ihres Zukunfts-
30 horizontes, zur aktuellen Gegenwart, und jede hat mit jeder
„dasselbe” Ich als Pol und dieselbe Zeitwelt (Natur), sofern jede
m it jeder nach Ich und Natur zu kontinuierlicher Einheit zu
bringen ist.
Für mich und den Anderen habe ich diese Einheit nicht. Jedes
35 Ich, das ich als anderes in originaler Vergegenwärtigung erfahre,
hat s e i n e Einheit und sein strömendes Leben, seinen imma­
nent-zeitlichen Strom sachlicher Zeitigung, seine primordiale
Natur. Während aber die Natur in der Vergemeinschaftung sich
als intersubjektive Einheit konstituiert, ist sie doch Einheit aus
TEXT NR. 32 577

Vergemeinschaftung mit meinem A n d e r e n . Darin liegt: Es


führt keine mögliche Kontinuierung von meinem Ichpol bzw. von
meinem kontinuierlichen Untergrund der inaktiven Intentiona­
lität und meinen Akten (deren äussere Kontinuität im Zeitstrom
5 als Korrelat die Gegenkontinuität des in Identitätsgemeinschaft
mit sich selbst stehenden Ichpols hat) zum „anderen” Ichpol.
Aber es ist doch Gemeinschaft („Deckung” weist leider auf Dek-
kung in Extension, auf Assoziation hin), so wie primordial bei
meinem, die strömend-konstituierende Zeitlichkeit tragenden,
10 nicht extensiv-zeitlichen einen und selben Ich: Mein Ich als jetzi­
ges und mein vergangenes Ich — der Pol — haben keinen
Abstand, zwischen ihnen ist keine Zeitstrecke in dem Sinne, wie
zwischen meinem gegenwärtigen Ding und meinem vergangenen,
auch real demselben, ein Zeitabstand, eine Zeitstrecke ist.1 Das-
15 selbe Ding als zeitlich verharrendes hat in seinem identischen
Sein seine Dauer, in sich eine extensive Zeithchkeit.1 D a s Ic h
h a t e i g e n t l i c h in d i e s e m S i n n e s c h l e c h t h i n k e i n e
D a u e r . Sein Leben, seine Erscheinungen, sein Zeitigen hat
„immanente” Erstreckung in der konstituierten Stromzeit, und
20 wieder das darin als sachhch-zeitlich Konstituierte. Alles Gezei­
tigte, alles durch strömende Erscheinungen in dem immänent-
zeithchen Strom und dann wieder durch „äussere” Erscheinungen
(raumzeitliche) Gezeitigte hat eben Erscheinungseinheit, zeit­
liche Einheit, Dauer; das Ich als Pol dauert nicht. So h a t
25 a u c h m e i n I c h u n d d a s a n d e r e I c h i n d e r G e m e i n ­
s c h a f t des M i t e i n a n d e r k e i n e e x t e n s i v e A b s t ä n -
d i g k e i t , aber auch mein Leben, mein Zeitigen nicht Abstän-
digkeit von dem fremden. Aber in der Gemeinschaft meiner und
meines Lebens mit dem (in meinem lebendigen Jetztsein und
30 jetzt ursprünglich Identischsein) zur appräsentativen Vergegen­
wärtigung kommenden Anderen und seines Lebens konstituiert
sich in objektiver Zeitigung <die> „objektive”, uns gemeinsame
Natur.
Das Ich ist in sich und mit sich in innerer „Kontinuität”, die
35 grundunterschieden ist von der äusseren, der Kontinuität einer
Extension: Aber als „stehendes und bleibendes” Ich der inneren

1 „Gemeiuschaft” — mit sich selbst uad Aaderea — bezieht sich auf Ichpol-
Einigung.
578 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

Kontinuität ist es in der extensiven Kontinuität seines Lebens


„dasselbe”, und sich beziehend in äusseren Erscheinungen auf
äussere Erscheinungseinheiten dasselbe, in diesen „Bezogen-
heiten” eins und in sekundärem Sinne fortdauerndes, m it gezei-
5 tigt. Was das Sich-richten und Gerichtetsein anlangt, den Aktus
als Prozess, ist er immanent zeitlich und dann auch objektiv ge­
zeitigt.

Ich als Person, verharrend im Wandel seiner Häbitualitäten


(bezogen auf Akte, in denen der Ichpol gerichtet ist auf
10 mundane Objekte der Raumzeit) — Zeitigung der Person
gegenüber der Zeitigung der raumzeitlichen Natur

Wie aber mit der Habitualität des Ich? Die Affektionsstrah­


len, die Aktionsstrahlen in ihren Modis des Behaltens, die Kin-
ästhesen mit ihren Nachsätzen — all dergleichen ist gezeitigt und
15 (äusserlich) gezeitigt. Ist nun das dem Ichpol zugehörige „Über-
zeugt”-sein, Gerichtetsein in ähnlichem Sinne konstituierte Einheit
wie eine zeitliche Einheit? Ist sie selbst zeitlich erstreckt? Das Ich
gewinnt Kenntnis, hat nunmehr Seiendes und streicht sie wieder
durch, es gewinnt nacheinander verschiedene Kenntnisse und hat
20 so neue und wieder neue Seinsgeltungen und im voraus seinen
Seinshorizont als Vermöglichkeit für solche und immer neue
Kenntnisse; ein antizipierter Richtungshorizont für Richtungen,
Gerichtetheiten, die das Ich mit explizitem Gehalt sich nach und
nach erwerben kann und erwirbt. Das ist doch ein Prozess in
25 Zeit. Das Sich-richten und fortdauernde Gerichtetsein auf einen
Gegenstandspol einer gezeitigten Einheit ist selbst ein Zeitliches,
verläuft in der immanenten Zeit, kann reflektiv in einem neuen
Sich-richten thematisch werden, zum Gegenstandspol werden.
Immanent sind die immer neuen Modi eines Richtungserlebnis-
30 ses; aber konstituiert sich in diesen Modis die dem identischen
Ich selbst eigene Gerichtetheit? Als Erscheinungseinheit? Aber
sie setzt doch ein, wandelt sich in Modalisierung etc. ? Und gleich­
wohl ist es so: Die Entschiedenheit, die Gerichtetheit des Ich als
Bestimmung des Ichpols ist n i c h t z e i t l i c h im Sinne eines
35 erscheinungsmässig konstituierten Dauernden; das Ich in seinen
wechselnden Habitualitäten ist nicht verharrend als Zeitliches
der Veränderung oder Unveränderung, als wie eine zeitliche Sache.
So will es mir scheinen. In der „intentionalen”, der eigentlich
TEXT NR. 32 579

ichlich aktiven Bezogenheit des Ich auf den immanenten Strom


bzw. durch ihn hindurch auf Gegenstandspole, gegenständliche
Einheiten, Vorgänge etc., treten (und sind) die intentionalen
Modi selbst in den immanenten Strom, sie breiten sich darin aus.
5 Aber im Ich, als dessen Bestimmung, haben sie eine besondere
Einheit, und die spezifisch ichliche Zeitlichkeit, das Simultane
des Ich selbst als Ich, das in seinen Habitualitäten Sosein hat,
und das Sukzessive, das hat parallele und eigentümhche Deckung
mit konstituiert Zeitlichem der Sachzeit, ebenso die „kontinuier-
10 liehe” Einheit eines Gerichtetseins mit der extensiv kontinuier­
lichen Einheit, die als extensive Dauereinheit zur Sphäre des (in
allen Stufen) erscheinungsmässig Konstituierten gehört.
Das sind alles sehr schwierige und immer neu zu überlegende
Dinge.
EIN NACHTGESPRÄCH:
<REDUKTION AUF DAS ABSOLUTE „ICH” DES
URTÜMLICHEN STRÖHENS, DAS DAS SEIN
5 DES EIGENEN UND DER ANDEREN ICH
ENTHÄLT. DIE UNENDLICHKEIT VON
URTÜMLICHEN E G O ’S. MONADOLOGIE. >
(22. Juni 1933)

Subjektives erfahrend, habe ich auch Erfahrung von mir als


10 intersubjektiv seiendem Menschen.
Soziale Vergemeinschaftung und soziale Sachkultur. Soziale
Akte.
„Eigene” Kinästhesen, unmittelbar von „meinem” Ich in Ak­
tion gesetzte, bedingen die Erscheinungsverläufe „meiner”, der
15 primordialen Sphäre und die mir gegebene Natur. Vermöge der
Einfühlung und der durch sie hindurchlaufenden Seinsgeltung
bedingt jede meiner Kinästhesen Aktivitäten, die aller anderen
Ich mit ihren Primordialitäten. Es scheidet sich bei mir: die bloss
wahrnehmende, bloss erfahrende Aktivität und die umändernde
20 Aktivität. Die bloss wahrnehmende verändert bloss meinen Leib,
wie jede Aktivität überhaupt in die Natur hinein jedenfalls mei­
nen Leib verändert, aber wenn sie von der handelnden Art ist,
verändert sie auch die ausserleibliche Natur. Aber das greift in
jede für mich geltende fremde Primordialität hinein. Jede Än-
25 derung meines primordialen Leibes ist für jeden Andern da, jede
aussendingliche Veränderung, die ich erwirke (wie auch jede von
selbst statthabende), ist intersubjektiv vorhanden.
Aber jedes aussendingliche ursprüngliche Verändern ist „Han­
tieren” meines Leibes an dem Aussending, ist ein mechanischer
30 Konnex des Körpers „mein Leib” und des äusseren Körpers.
Wenn der Andere mit demselben Ding hantiert und es zugleich
TEXT NR. 33 581

tun will, so müssten sein Leib, mein Leib und dasselbe Ding me­
chanisch in die Einheit einer Kausalität treten. Es ist konstituiert
Einheit einer intersubjektiven Natur als derselben, in welcher
jeder Leib in seiner eigenen Beweglichkeit und Veränderlichkeit
5 ungestört so verharrt, dass er dabei als wahrnehmender fungieren
kann und als verändernd in seine Aussenwelt eingreifender. Für
jeden ist der Leib jedes Anderen als Aussenkörper da, und in seiner
leiblichen und ungestörten Beweglichkeit. Aber jeder kann seinen
Leib gegen jedes andere Ding hinbewegen, in seiner originalen
10 Nahsphäre dabei jedes Ding berühren, betasten, aber auch Kraft
ansetzen, es zu stossen. Jeder Naturvorgang, jede Bewegung in
der Natur stellt sich für mich und für jeden als orientiert dar und
in möglichen Orientierungswandlungen. Aber in einer bestimm­
ten Harmonie dieser Orientierungswandlungen. Mein Handeln:
15 ich schiebe etwas im Raum — subjektiv, ich schiebe nach rechts,
nach oben, ich verändere in unmittelbarem Tun die Weise der
Orientierung. Wenn der Andere bei demselben Ding ist, sich hin­
bewegt hat zu ihm, so erfahre ich das in meiner orientierten Na­
tur, und wenn er nun dasselbe Ding schiebt, so kann er es in den-
20 selben Orientierungsrichtungen von sich fortschieben. Aber wenn
ich nach rechts und er nach links <schiebe>, so hemmen wir uns
wechselseitig. Wenn er genau meine Raumstelle haben will, so
muss sein Leib meinen Leib wegschieben etc. Das, was hier
möglich und unmöglich ist, muss aufgeklärt werden aus der
25 Weise, wie sich die Einheit der Natur in der Einheit der Raum­
zeitlichkeit durch Einfühlungskonnex konstituiert, wodurch die
psychophysischen Verhältnisse und Vermöglichkeiten sich auf­
klären müssen in ihrem naturalen Aussenaspekt und in ihrem in­
nerlichen Sinn.
30 Aufklärung der sozialen Akte. Das Erste: Aufklärung des Für-
mich-seins des Andern und der offenen Möglichkeit, einander zu
begegnen, ein Für-mich-dasein, in dem beschlossen ist der An­
dern Für-sie-dasein meiner und unser aller Dasein füreinander,
und hinsichtlich unserer Leiblichkeit Dasein in der uns gemein-
35 samen Natur und jeder Leib Leib seines Ich mit seinem primor­
dialen apperzeptiven Aktleben. Also in der konstitutiven Dek-
kung der raumzeitlichen Natur, als derselben sich jedem primor­
dialen Ich in orientierter Vorgegebenheit darstellenden, ist für
jedermann in derselben objektiven Natur jedes Ich als Mensch
582 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

psychophysisch erscheinend als Leib eines durch diesen Leib in


der Natur lokalisierten Subjekts und all seines Subjektiven.
Meine Veränderungsaktionen, meine natural sich vollziehen­
den Handlungen, die originalen, die in meiner Primordialität
5 sich für mich original wahrnehmungsmässig darstellenden, sind
für den Andern in seinem aktuellen Wahrnehmungsfeld, sofern
er in meiner Primordialsphäre sich ebenfalls als u n m i t t e l b a r
da wahrnehmungsmässig darstellt, und zwar (wie ich weiter vor­
aussetze) in einer räumlichen Stellung, in einer orientierten Dar-
10 stellungsweise, welche für eine direkte wechselseitige Einfühlung
erforderlich ist und in der ich ihn ohne weiteres apperzipiere.
Oder kürzer: Ist der Andere für mich wahrnehmungsmässig da
und als mich zugleich wahrnehmender, so ist, wie jede naturale
Veränderung in meinem Wahrnehmungsfeld, so auch jede, die
15 ich ursprünglich (stossend, schiebend, hebend etc.) erwirke, für
ihn zugleich in seinem Wahrnehmungsfeld und in einem Umkreis
für ihn wirklich gesehen usw. Nicht alles beachtet er, was er wirk­
lich „sieht”, so wie auch ich. Das hängt vom aktuell sich auswir­
kenden Interesse ab. So verstehe ich ihn von vornherein, eben als
20 anderes Ich. Sofern mir nun vertraut ist, dass sich stärker ab­
hebende sinnliche Geschehnisse der Wahrnehmungssphäre (Be­
wegungen, Töne etc.) mich aufmerksam machen, erzeuge ich nun
in der Gewissheit, dass sie in ihrem gemeinschaftlichen Seinssinn
sich den Andern darbieten und ebenso auf sie wirken, solche Ge-
2 5 schehnisse in Absicht, die Andern aufmerksam zu machen. Aber
das wäre noch keine eigentliche Mitteilung, zu der Wechselsei­
tigkeit des Verständnisses der mitteilenden Absicht gehört.
Mitteilung, Verkehr der Reifen, setzt voraus die Ausbildung der
Mitteilung und eines Wechselverkehrs vor der Reife — zwischen
3 0 Mutter und Kind. Ein ursprünglich instinktiv sich ausbildender
Konnex, freilich nicht so, als ob ein Anfang in der Form bestün­
de, dass die Mutter ihr Kind bekommt und noch nie ein Kind als
Kind verstanden hätte, es als das erst verstehen lernen müsste.
Die Mutter war Kind. Sie versteht von vornherein das Kindsein,
3 5 Kind-der-Mutter-sein aus ihrer eigenen Vergangenheit, in der für
sie das Zustandekommen dieses Verständnisses verborgen und
nicht durch irgendwelche Erinnerung wieder zu erwecken ist.
Nehmen wir das Sich-entwickeln des Kindes als das erste, so sind
doch wir <es>, ich, der Reife, der von der Seinsweise des Reifen
TEXT NR. 33 583

in der vorgegebenen Weit zurückfrage, wie ich zum Reifen gewor­


den bin, und damit, wie ich zum Menschen-Ich geworden bin, das
die reife vorgegebene Welt hat. Als Reifer erinnere ich mich an
5 meine Kinderzeit der Periode Menschenkind und apperzipiere
mich als dieses als Menschenkind in der reifen Welt, der Welt für
jedermann—„Reifen”. Ich apperzipiere mich von da aus aber auch
mit einem weiteren, nicht erinnerungsmässigen Vergangenheits­
horizont, als real weltlich gewesen in der Gestalt der Urkindlich-
10 keit in ihren Entwicklungsstadien, und zwar psychophysisch.
Die Vorstellungen, die ich dafür bilde, sind Analogisierungen,
deren Prototyp für mich liegt in den Kindern der frühkindlichen
Stufe, die ich in meiner reifen Welt kenne, wobei aber die Frage
ist, was der wirkliche Erfahrungssinn sowohl für das biophysische
15 als für das psychische Sein solcher Kinder ist. Die vorgegebene
Welt in ihrer offen endlosen Allzeitlichkeit enthält mich in der
Verkettung der Generationen als von Eltern erzeugt, in die Welt
hineingeboren und dereinst biophysisch sterbend, enthält mich
wie jedermann darin als von der Geburt an die kindliche Ent-
20 Wicklung zum reifen Menschen durchmachend, wobei Kind und
reifer Mensch biophysische Form ist, ebensogut wie bei jeder
Tier spezies.
Sage ich mir nun aber, dass dies Ganze der Apperzeption mit
allen Seinsgeltungen, in denen für mich Seiendes ist, in denen für
mich im strömenden Wandel seiende Welt mit allen für mich
25 Seienden ist, rein Sache meines subjektiven apperzeptiven Le­
bens und meines Seins als Ich dieses Lebens ist, sage ich mir, dass
darin beschlossen auch mein menschliches Sein mein apperzep-
tives Gebilde ist, mit allen Stadien der kindlichen Entwicklung
bis zur Reife und in den weiteren Stadien meines reifen mensch-
30 liehen Daseins, so zwingt mich das zur transzendental-phänome­
nologischen Einstellung und Methode. In ihr wandelt sich meine
seelische Immanenz in die transzendentale, und zwar meine see­
lisch immanente strömende Gegenwart in meine absolute, tran­
szendentale. Für meine innere seelische Entwicklung ebenso:
35 In meiner transzendentalen Gegenwart ist impliziert meine
transzendentale Vergangenheit und alle Stufen meines transzen­
dentalen „kindlichen” Seins mit meiner jeweils korrelativ kon­
stituierten „Welt”.
Aber spreche ich von Gegenwart, Vergangenheit — von Zeit-
584 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

modalitäten, so bin ich noch nicht im letzten Transzendentalen,


das ich nicht als strömend lebendige Gegenwart bezeichnen darf.
Es ist das urtümliche, das absolut urströmende Leben des ab­
solut transzendentalen Ich. Nicht einmal Strömen und Leben
5 darf hier im ernstlichen Sinn verstanden werden. Und die Akte?
Ursein im Zeitigen, Uraktivität in Zeitlichkeit hinein, selbst im
Strom der gezeitigten Zeit, schon als Vielheit, schon als Identifi­
kation Dieselbigkeit des Aktes, des einen und anderen. Das
Strömen ist Urzeitigung, und transzendentale Analyse ist Ent-
10 faltung der Implikationen, die als implizierte gezeitigte Zeitigung
und zeitigende Zeitigung, als implizierte Genesis Vorkommen, für
das reflektierend analysierende Ich, das im Strömen sein Vorsein
hat, sein vermögliches „ich kann, und kann immer wieder, iden­
tifizieren und wieder identifizieren, Seiendes verschiedener Stufen
15 als Impliziertes, schon Seiendes her ausstellen”. Der urtümliche
Strom als eine Vermöglichkeit und ein Tun, das sein Immer-
wieder hat, sein immer wieder Zeitigen, immer wieder Reflek­
tieren, das Reflektieren immer wieder gezeitigt Finden. Wie ist
das vernünftig auszusprechen, das ja selbst schon ein Leisten ist
20 im Urströmen, mit neuem Identifizieren festzustellen ?
Aber wie? Impliziert ist die vorgegebene Welt, ist meine welt­
liche Vergangenheit, meine weltliche Kindlichkeit, natürlich die
Mitmenschen und die Tiere mit ihren generativen Zusammen­
hängen, mit ihren Geburten, ihren kindlichen Entwicklungen,
25 ihrer Reifung, ihrem Altern und Sterben — psychophysisch, also
biophysisch und psychisch: Wie dürfte ich also die urtümliche
Gegenwart, die allerdings impliziert ihre Kontinuität urtüm­
licher Vergangenheiten als implizite Zeitlichkeit, stocken lassen
mit einer Geburt und enden lassen mit einem künftigen Tode.
30 Setzt nicht alles, was ich irgend feststelle, das Strömen voraus?
Ist es nicht das ego, das mit seinem absoluten „Leben” vor allem
Seienden hegt und, wenn es selbst als seiend in Anspruch genom­
men, bezeichnet, ausgesprochen ist, gar beschrieben, selbst schon
nicht das urtümliche ego ist, das hiefür nun wieder das Vorausge-
35 setzte ist? Reflektierend erhasche ich das Strömen, aber schon
identifiziere ich, schon folge ich der im strömenden Ursein sich
vollziehenden Einheitsbildung und Zeitigung, bzw. dem darin
Gezeitigten, schon wiederhole ich, identifizierend, schon lebe ich
das Leben der Wiedererinnerung, der wiederholenden Erinne-
TEXT NR. 33 585

rung, der Identifikation der wiedererinnerten Einheiten etc., und


wieder übe ich absolute Reflexion und schon wieder hineingezo­
gen in diese Aktivität. Ja, Leben ist aktives Leben, aber die letzt-
liche Überwindung der Naivität ist eben die Rückschau auf das
5 Strömen und Inhibieren aller Aktivität, die ihr Thema hat, ihr
identifizierendes Wiederholen etc., und so ein Lebensmilieu hin­
ter sich hat, das in ihr nicht zu Gesicht kommt. Die Akte liegen
im urtümlichen Leben des urtümlichen Ich, das in allen Stufen
der Zeitigung und der gezeitigten Ichlichkeit selbst das eine und
10 selbe, einfach das Ich ist, weil es das Ich der Urtümlichkeit ist,
des urtümlichen Lebens, in dem alles zeitigende Leisten „liegt”.
Die Methode der Überwindung der Naivität: die letzte Reduk­
tion, die den schauenden Blick richtet auf das absolute urtüm ­
liche Leben, auf das urtümliche Ich-bin, auf das Strömen, auf
15 das urpassive Strömen, auf das Ich-tue, Ich-identifiziere etc.,
aber als im Strömen verströmend — und von da aus auf das
Identische, auf die „Gebilde” in allen Stufen, als die im Strömen
implizierten Vermöglichkeiten identifizierenden Tuns etc. Aber
ständig halte ich im Auge das absolute urtümliche Vorsein des
20 Strömens, in dem ich bin, vermöglich tuend. Dies absolute Strö­
men wird zwar alsbald zum Zeitstrom mit Zeitmodalitäten, die
wieder den Titel Strömen haben: Strömen der Gegenwart, vor-
hinniges Strömen etc. Strömen ist Verströmen und Aufströmen,
im Verströmen Einheit in sich tragend, auf die ich mich hinrich-
25 ten kann. Aber das Sich-richten, das Festhalten, die verschiede­
nen Modi des Sich-richtens, das ist für mich seiend eben durch
nachkommende Akte der Identifikation, die selbst ihr Sein nur
haben durch wieder nachkommende Identifizierung, während
sie vordem Einheiten sind im Strömen.
30 Aber jetzt treibe ich dieses Reduzieren, jetzt vollziehe ich eine
phänomenologisierende Aktivität, stelle phänomenologisch das
und jenes fest und dann lasse ich die Sache liegen und morgen
treibe ich wieder Phänomenologie, setze sie fort und gewinne
aus Traditionalität eine einheitlich sich für mich forttradierende
35 Theorie. Und das tue ich für Andere und in Gemeinschaft mit An­
deren — die von mir her und für mich Andere sind.
Muss ich also nicht scheiden die gestrige und heutige urtüm­
liche Gegenwart, die gestrigen und heutigen Akte der ebenfalls zu
scheidenden Reduktionen etc.? Aber wo hat das Gestern und
586 T E X T E AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

Heute seine Stätte? Doch in der urtümlichen Lebensstätte des


urtümlichen Ich. Das urtümliche Strömen impliziert in sich Ver­
gangenheit als intentionale Modifikation von Gegenwart — ge­
wiss. Aber Vergangenheit ist nur, was sie ist, in dieser Implika-
5 tion. Und das Strömen, das, was, wenn ich expliziere, urtümlich
lebendige Gegenwart heisst, ist das nicht alles? Es trägt ja schon
die intentionale Modifikation in sich. Oder das Ich der Akte, durch
Aktivität erwirbt es seine Habitualitäten. Es ist, ,,was es ist”, im
Strömen; als das hat es alles, was es im Strömen hat, und es ist
10 nichts als das Ich dieses urtümlichen Strömens, mit allem, was
darin impliziert ist. Lege ich aus, so finde ich die Zeitigungen und
die gezeitigten Seinseinheiten, im Strömen ist es das Ich, das
seiner gewiss wird, das sich besinnen kann auf seine Vergangen­
heit, auf sein Erwerben. Es ist im Strömen das Ich, das Welt hat,
15 mit all den Vermöglichkeiten, die zu den Stufen von Identifi­
kationen etc. gehören. Als Welt habend hat es seine Genossen
wie seine eigene Vergangenheit als Ich für sich selbst in Eigenheit,
Ich der Erinnerung, und seiner Zukunft. So das Ich, das mit
Anderen in Gemeinschaft ist etc.
20 Es ist das Ich, das urtümliche des urtümlichen Lebens, das in
sich impliziert hat sein eigenes Sein als ego gegenüber den alten
und so in sich impliziert hat das einfühlungsmässige Sein der
Andern, nicht enthalten in seiner Eigenheit (sie sind ja die von
dem eigenen Ich verschiedenen Ich, jedes in seiner Eigenheit),
25 aber enthalten in seinem absoluten Sein als Ich der urtümlichen
Gegenwart. Wenn es zunächst in der Phänomenologie heisst,
ego cogito, als Ausdruck des Ich, worauf die Reduktion führt, so
ist das ein aequivocum, ein Anfang mit einer absolut notwendigen
Äquivokation. Denn erst später kann sichtlich werden, dass das
30 Ich des urtümlichen Strömens das absolute Ich ist, das in sich das
Ich als eigenes Ich trägt und die anderen Ich trägt als intentionale
Modifikationen des eigenen — ähnlich wie vergangene Ich in­
tentionale Modifikationen des gegenwärtigen Eigen-Ich sind. Das
absolute Ich, das in nie zerbrechlicher Ständigkeit vor allem
35 Seienden ist und alles Seiende in sich trägt, in seiner „Konkre­
tion” vor allen Konkretionen, das alles und jedes erdenkliche
Seiende in sich tragende, ist das erste „ego” der Reduktion —
ein ego, das fälschlich darum so heisst, weil für es ein alter ego
kehren Sinn gibt.
TEXT NR. 33 587

Und die Monadologie? Das urtümliche „ego”, das urtümliche


absolut konkrete „Ich”, ist es Monade und hat es eine Allheit von
Monaden in sich als seinesgleichen und so zugleich gar ausser
sich?
5 In sich trägt es die eigentlichen ego’s, die in bezug aufeinander
alteri sind. Und in sich trägt es das einzige Ich, das ich als prim­
ordiales bin (die Einfühlungen mitgerechnet). Von dem abso­
lut konkreten Ich aus gewinne ich feststehend die für mich seien­
den vielen Ich, als erstes und fundierendes mein „eigenes” Ich
10 und von da aus die anderen. Ich sagte, als transzendentale. Das
muss nun reinlich bestimmt werden in seinem Sinn.
Hier gewinne ich doch in der intentionalen Verflochtenheit der
Primordialitäten mit ihren Ich die Gemeinschaft der Monaden —
im absolut konkreten Ich. Während die Monaden seiend sind,
15 konstitutive Einheiten, in einer monadischen Zeit einer monadi-
schen Welt gezeitigt (obschon gegenüber den Menschensubjekten
und Tiersubjekten und gegenüber der Welt transzendental),
ist das absolute „ego" unzeitlich, Träger aller Zeitigungen und
Zeiten, aller Seinseinheiten, aller Welten, auch in einem zweiten
20 Sinn transzendentaler.
Aber kann es dabei sein Bewenden haben? Kann diese Art der
Monadologie Recht haben oder alles enthalten, was transzen­
dentale Enthüllung zugänghch macht? Muss ich nicht doch wie­
der scheiden die Reduktion auf meine urtümliche lebendige Ge-
25 genwart von der Reduktion der Anderen auf ihre lebendigen Ge­
genwarten, obschon ich, absolutes Ich meiner lebendigen Gegen­
wart, aus ihr auch die Andern durch Explikation erst heraushole?
Ist nicht auch impliziert, dass sie aus sich durch Reduktion zu
ihrer urtümlichen Egoität kommen können, dass ich für sie die
30 Reduktion durchführen und ihre Urtümlichkeit ihnen zuweisen
kann?
Dann komme ich also wieder darauf zurück, dass mein urtüm ­
liches ego eine „Unendlichkeit” von urtümlichen ego’s impliziert,
deren jedes jedes andere und von sich aus eben diese Unendlich-
35 keit impliziert, darunter auch mein ego, in dem alles das impliziert
ist, wie eben dieses auch wieder in jedem impliziert ist. Alles in
jedem erdenklichen Sinn Seiende liegt in mir — mit der teleologi­
schen Harmonie, die Allheit als All-Einheit möglich macht. Aber
alle Andern liegen in mir in ihrer Totalität der Unendlichkeit, und
588 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

liegen in mir als alles in jedem Sinn Seiende in sich implizierend


— jedes mir darin gleichwertig.

BEILAGE XLI
<ERINNERUNG UND EINFÜHLUNG ALS SICH SELBST
5 VERZEITLICHENDE VERGEGENWÄRTIGUNGEN
(MONADISIERUNG) DES ABSOLUT EINZIGEN, URTÜMLICHEN
ICH. MONADISCHE ZEITRÄUMLICHKEIT UND
NATÜRLICH-WELTLICHE ZEITRÄUMLICHKEIT >
<1932 oder 1933 >

10 Reduktion auf mich als ego in der vollen Konkretion des zu mir ge­
hörigen Geltungslebens (und des darin als seiend Geltenden, darunter
all des sich als „seiend” Bewährenden), das Geltende aber rein als Kor­
relat im konstituierenden Leben. Dieses Leben aber selbst ist enthal­
ten im Universum des für mich Geltenden. Was ich bin, das liegt darin,
15 es legt sich in meinem, mir selbst wieder zugehörigen phänomenologi-
sierenden Tun aus.
In dieser Selbstauslegung stosse ich auf verschiedene Vergegenwär­
tigungen und darin Vergegenwärtigtes als solches, darunter die Ein­
fühlungen. Genauer, es scheiden sich die Erinnerungen als Vergegen-
20 wärtigungen „schlechthin” und auf sie bezogen die einfühlenden Ver­
gegenwärtigungen. Durch Erinnerungen konstituiert sich mein suk­
zessiv zeitliches Sein in Modis der Vergangenheit, Gegenwart, Künf-
tigkeit. In mir als ego finde ich mein Ich (den Pol, auf den alles egolo­
gische Leben und Sein und alles darin Konstituierte bezogen ist) ver-
25 zeitlicht als vergangenes, gegenwärtiges, künftiges Ich und als zeitlich
kontinuierlich dasselbe, das ständig gegenwärtig in eins damit konti­
nuierlich früher war und sein wird in kontinuierlich verschiedenen
Modis. Zu jeder Zeitmodalität gehört das ihrem zeitmodalen Ich ent­
sprechende Leben — so alles zusammengenommen mein, desselben
30 Ich, im Lauf der Zeit eigen gewesenes, jetzt eigenes, künftiges Leben.
In der Einfühlung konstituiert sich und ist ständig konstituiert eine
Mitgegenwart von Fremdem, das seinen Seinssinn nur als einfühlungs-
mässig selbst sich darstellenden hat (ähnlich wie Erinnerungsmässiges).
Das Fremde ist fremdes Ich mit fremdem Ichleben, Ichakten, für das
35 Ich geltenden Seinseinheiten etc.
Das ego ist also in seinem transzendentalen Universalfeld ständig
für sich seiend in der Weise, dass es in dem stehend strömenden tran­
szendentalen Leben der eine, einzige Ichpol ist, der in diesem Leben
seine Geltungseinheiten hat und dabei auch sich selbst als dieses
40 Ich. Sein Leben ist so ständig Geltungseinheiten konstituierendes
Leben, dass es im Strömen Erinnerungen und Einfühlungen, beides
BEILAGE XLI 589

in gewisser Weise als sich selbst verzeitlichende Vergegenwärtigungen


hat. In ihnen findet sich das ego verzeitlicht vor (als Geltungseinheit)
als Ich, das seine Vergangenheit und Zukunft hat, und zugl ei ch
ein Reich (einen „Raum”) der Koexistenz von fremden Ich (sozusagen
5 in den Einfühlungen sich selbst verfremdend) derart, dass zur je­
weilig aktuellen Gegenwart, aber auch zu jeder früheren und künfti­
gen Gegenwart notwendig mitgehört der mitgeltende Horizont der
fremden Ich, also als mitvergangener und mitkünftiger in jedem
Sondermodus. Durch diese Selbstverzeitigung, d.i. durch diese
10 Monadisierung als Selbstauslegung des ego in eine monadische Vielheit,
und zwar endlos offene Allheit in einer monadischen Zeiträumlich­
keit, konstituiert das ego allererst die Welt der Natürlichkeit, und zwar
so, dass in ihr eine neue Zeiträumlichkeit konstituiert ist, in der die
Monaden mundanisiert sind als psychische Subjekte, psychisch bezo-
15 gen auf die ihnen allgemeinsame, für sie erkenntnismässig identische
Natur und ein jedes in fester Weise bezogen auf und dadurch untrenn­
bar einig mit je seinem Leib. In weiterer Folge die „Humanisierung”
<der> Natur und der Menschen selbst als Bedeutung, Vergeistigung
und Konstitution somit der geschichtlichen Welt.
20 Absolutes ego und mein Leben, als worin ich das Universum des für
mich Seienden habe, darin Ich und dieses Leben, für sich selbst als
seiend konstituiert, und zwar als primordial1 Seiendes, als im prim­
ordialen123Sein ein Universum von Fremdem konstituiert, und zwar
als Mitseiendes des Sinnes alter ego, und als in der gezeitigten Seins-
25 gestalt von primordialem 3 ego und alter ego monadisch seiend und mit
den Mitmonaden als Anderen in Konnex. Der konstituierte Konnex
ist selbst wieder fungierend für die Konstitution der Welt, in der die
Subjekte konstituierte Einheiten aus dieser Konstitution sind. In der
phänomenologisierenden Auslegung meines Seins als ego, das ich bin,
3 0 in dem mein konkretes Sein ausmachenden leistenden, konstituieren­
den Leben ist alles Seiende als konstituiert beschlossen, darin alle
Stufen von Seienden der Selbstkonstitution, der Selbstkonstitution
als gezeitigtes ego, und zwar als primordial4 gezeitigtes und als ge­
zeitigtes in einer Koexistenz (monadischer Raum), als in welcher ich
35 Monade im Monadenall bin, worin jede Monade jede intentional im­
pliziert und das ganze All impliziert, ein und dasselbe Monadenall für
alle, in dem alle als Glieder sind. Und doch ist nicht zu vergessen, dass
das alles, meine selbsteigene (primordiale) 5 Zeitlichkeit und meine zu
jeder Zeitstelle gehörige monadische Koexistenz, dass monadische
4 0 Raumzeitlichkeit und „Welt” selbst, die sich mir und jeder Monade
orientiert darstellt, in mir, im konkreten ego der Reduktion als dem ur­
tümlichen ego, impliziert ist. Di eses ego i st das im a b s o l u t e n
1 „primordial” später verändert in „immanent für sich”. — Anm. d. Hrsg.
2 „primordialen” später verändert in „immanenten”. — Anm. d. Hrsg.
3 „primordialem” später gestrichen. — Anm. d. Hrsg.
4 „primordial” später ersetzt durch „immanent”. — Anm. d. Hrsg.
5 „primordiale” später gestrichen. — Anm. d. Hrsg.
590 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

Si nn einzige, der keine s i nnvol l e V e r v i e l f ä l t i g u n g zu­


lässt, noch schärfer ausgedrückt, als s i nnl os ausschl i esst .
Die Implikation besagt: Das „Übersein” des ego ist selbst nichts an­
deres als ein ständiges urtümlich strömend Konstituieren, und Kon-
5 stituieren von verschiedenen Stufenuniversa von Seienden („Welten”),
zu jeder gehörig aktuelle und habituelle Seinsgeltung in Modis da­
zugehörigen Horizonthaftigkeit, die in der Aktualität der erfüllenden
Leistungen einstimmig individuierte, d.i. „raumzeitliche” Universa
zur Geltung bringen, und zwar durch Korrekturen in Modis der Moda-
10 lisierung.

BEILAGE XLII
<DER AUFBAU DES SEINS ALS GELTUNGSAUFBAU >
(1932)

Aus mir selbst, aus meinem Leben, das intentionales Leben ist
15 mit für mich seienden Anderen, gewinne ich alle Wandlung der Welt­
horizonte, alle Wandlung des Für-mich-seins und des Sinnes selbst
von „Seiendem” und seiender Welt und seienden Monaden etc. Aus
mir selbst habe ich mein Sein als Sein in Bewegung, als Sein mit
offenem Horizont meines Seinkönnens und Seinwerdens, das kein
20 starres Ding naiver Dingauffassung ist, nicht wie das ist, seine Stücke
und Momente hat und so fertig ein für allemal mindestens ideell unver­
ändert dauern könnte. Mein eigenes Sein in seiner Apodiktizität des
strömenden Jetzt-lebens (in welchem ich mich besinne) impliziert in­
tentional mein Sein als Monade in der transzendental-monadischen
25 offen-,,unendlichen”, allmonadischen Zeitlichkeit und alles zu dieser
horizonthaft mitgehörige Sein von Monaden. Jede dieser Monaden im­
pliziert wesensmässig dasselbe, darin mein Sein etc. Also mein tran­
szendentales Anfängen und Enden ist in mir, als jetzt im Modus
Gegenwart Seiendem, beschlossen; dieselbe Monade <ist> in Modis der
30 monadischen Zeitmodalitäten konstituierte Einheit und so jede, und
jede jede andere, und alle mit ihrem Geboren-<werden> und Ster­
ben implizierend. Seinsmässig, nach dem für mich und für jeden An­
deren, der für mich ist, Konstituierten: ein Aussereinander „reell"
und ein Ineinander bewusstseinsmässig, geistig. Beides <sind> zwei
35 Seiten, korrelativ; in sich eine universale Intentionalität, von mir aus
in meine Anderen verlaufend und von mir aus die Anderen als Zentren
einer universalen Intentionalität konstituierend, die sich auf mich
und alle Anderen ebenso bezieht. All das aber selbst in mir zur Seins­
geltung kommend und seinem Seinssinn.
40 So habe ich hinsichtlich des mir geltenden Seins die Welt, habe ich
transzendental das Monadenall im zeitlichen Aussereinander, „an
sich” seiend, seiend für „jedermann”, bewährbar im „ein für allemal”,
seiend in Erkenntnisbezogenheiten und praktischen Bezogenheiten
BEILAGE XLII 591

der füreinander Seienden, die da eben Monaden und monadische Ich-


subjekte eines monadischen Lebens sind. Die Erkenntnisbeziehung
selbst, das Erkennen jeder Monade, <ist> ein ihr zugehöriges Moment
ihres Seins, in dem sie sich intentional, erkennend über sich hinaus er-
5 streckt, meinend auf andere Monaden, die reell ausser ihr und an sich
sind (obschon transzendental das Aussen nicht zeiträumliches Aussen
ist) bezogen.
Andererseits, das ist die Wahrheit, wenn ich schon ausser mir Welt,
räumlich reale und monadisch reale, in Geltung habe. Ich sehe aber,
10 dass alles Sein nicht ist vor meinem Bewusstsein und Ich-sein, sondern
aus und in ihm selbst seinen Sinn und seine Geltung erhält, sich in mir
„konstituiert”.
Vergangenheit konstituiert sich in Gegenwart; Raum, Raumzeit­
lichkeit konstituiert sich primordial1 als konstitutives Gebilde in
15 meinem strömend-„monadischen” immanenten Sein („Monade” vor
der Welt der Monaden, Monade, die noch keinen Plural hat). Der für
mich Andere konstituiert sich auf diesem Grund als Wiederholung
meines schon in mir konstituierten psychophysischen primordialen
Seins. Meine Vergangenheit ist an sich und ist nicht Stück meiner
20 Gegenwart; mein Anderer ist an sich und nicht Stück meines ego.
Man fragt: Aber wie kann vor meiner Geburt, also vor meiner Mo­
nade Seiendes in mir konstituiert sein? — Ist das eine vernünftige
Frage? Ist das objektiv-zeitliche Gegenwärtig-und Vergangensein das­
selbe wie das immanente? Hat Immanenz ein zeitliches Vor? Ist es
25 nicht eine Apperzeption, durch die immanente Zeitlichkeit, Stromzeit­
lichkeit etc. apperzipiert ist als Weltzeit, die also ein Neues ist ? Das
urmonadische Strömen, das urtümliche Strömen, das noch nicht Mo­
nade in der Monadenzeit ist, ist nicht in der Weltzeit; in der Weltzeit
sind die weltlich verzeitlichten Monaden. Auch die transzendentale
30 Zeitlichkeit ist ein vom phänomenologisierenden Ich und Wir konsti­
tuiertes Gebilde. Was ist die Notwendigkeit, transzendentale Inter­
pretation durchzuführen, was hiess uns, eine transzendentale Über­
welt zu konstruieren als die der Welt im natürlichen Sinn zugrunde­
liegende ? Sie liegt eben zugrunde als an sich vorangehend im Geltungs-
35 aufbau. Dasselbe sagt, das Sein der Monaden,,weit” ist an sich früher,
aber das an sich Erste bin ich, diese jetzt lebendig strömende Gegen­
wart (das urtümliche Strömen).
Ein Geltungsaufbau, Aufbau meines Seins als Ich und korrelativ
meines Seienden als Nicht-Ich, als <des> für mich Verfügbaren, Vor-
40 handenen, bis hinauf zu meinem Sein als menschliche Person unter
Personen und des Universums Welt, Welt der Realitäten, der Vor-
handenheiten als Korrelat für das Universum der Personen und als
Welt, in der die Personen im Miteinander bald als Einzelpersonen von
Gemeinschaften fungieren, bald als Objekte füreinander, und für die
45 Gemeinschaften konstituiert sind eben aus diesem Fungieren. Der
1 .prim ordial” sp ä te r gestrichen. — Anm. d. H rsg.
592 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

Geltungsaufbau ist ein Aufbau universaler Geltung in Einstimmigkeit,


ein Aufbau <von> einstimmig Bewährtem und in Korrektur unter
Näher- und Andersbestimmung sich Bewährendem — von wahrhaft
Seiendem. Universum des Seins. Nicht als ob also die Überwelt die
5 allein wahre wäre, und die Welt im gewöhnlichen Sinn etwa bloss
Schein, von einer irgend schwächeren Geltung. Das Seiende ist,
das Nichtseiende ist nicht. Aber das Seiende ist nur voll erkannt im
Seinsuniversum, im universalen Aufbau alles Seins jedes Seinssinnes,
eines jeden an seiner Geltungsstelle, in der Einheit einer Geltungsord-
10 nung, in der Einheit einer im Strömen sich konstituierenden und in
jeder Stufe im Strömen „seienden”.
UNIVERSALE TELEOLOGIE.
DER INTERSUBJEKTIVE, ALLE UND
JEDE SUBJEKTE UMSPANNENDE TRIEB
5 TRANSZENDENTAL GESEHEN.
SEIN DER MONADISCHEN TOTALITÄT
(Schluchsee, September 1933)

<Inhaltsangaben Inter subjektiv er Trieb transzendental gesehen


(insbesondere Geschlechtstrieb). Das Miteinander und Ineinander
10 aller Monaden in der Einheit einer universalen Entwicklung, Ent­
wicklung in Form von relativen Monadenwelten. Jede solche Welt
hat in sich intentional konstituiert eine objektive Welt (Zeit-Welt)
mit Ichsubjekten, welche in sie hineinleben. Zuhöchst die immer
schon mit im Gang der Konstitution seiende monodische, bzw. welt-
15 liehe Humanität. Sein der Monadentotalität als strömend zu univer­
salem Selbstbewusstsein kommend und schon seiend, in unendlicher
Steigerung — universale Teleologie.

Das Interne der Zeugung. Trieb zum anderen Geschlecht. Der


Trieb in dem einen Individuum und der Wechseltrieb im anderen.
20 Der Trieb kann im Stadium des unbestimmten Hungers sein, das
seinen Gegenstand noch nicht als sein Worauf in sich trägt. Der
Hunger im gewöhnlichen Sinn ist bestimmter, wenn er triebhaft
auf die Speise geht — bestimmt gerichtet im Urmodus (selbst
bevor der Hunger sich an einer derartigen Speise gesättigt hat,
25 und sie schon den Wiedererkennungscharakter und gar den ty­
pischen einer „Speise”, eines Hunger befriedigenden vertrauten
Gegenstandes hat). Im Fall des Geschlechtshungers in bestimm­
ter Richtung auf sein affizierendes, reizendes Ziel ist dieses der
Andere. Dieser bestimmte Geschlechtshunger hat Erfüllungsge-
30 stalt im Modus der Kopulation. Im Trieb selbst liegt die Bezogen-
594 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

heit auf den Anderen als Anderen und auf seinen korrelativen
Trieb. Der eine und andere Trieb kann den Modus — Abwand­
lungsmodus — der Enthaltung, des Widerwillens haben. Im Ur-
modus ist er eben „hemmungslos” unmodalisierter Trieb, der je
5 in den Anderen hineinreicht und seine Triebintentionalität durch
die korrelative im Anderen hindurchreichen hat.
In der schlichten urmodalen Erfüllung haben wir nicht zwei zu
trennende Erfüllungen je in der einen und anderen Primordiali-
tät, sondern eine sich durch das Ineinander der Erfüllungen her-
10 stellende Einheit der beiden Primordialitäten. Wenn ich in meiner
Weltlichkeit das in grösster Ursprünglichkeit auslege, so kann ich
es nur als geschlechtlicher Mensch und damit von Mensch zu
Menschen in aktueller Einfühlung, von Mann zu Weib (das, so
allgemein gesprochen, natürlich schon mittelbar).
15 Von da weiter durch mittelbare Interpretation für die „höhe­
ren” Tiere, als welche ich noch ansehen kann und muss als mit­
einander durch Einfühlung verkehrende, im wesentlichen in der­
selben Motivation der „Fremdwahrnehmung” wie bei uns
Menschen und so in einer Weltvorstellung, in der das Tier sich
20 selbst als weltlich, als Tier seiner Spezies erfährt.
Indessen ist die Frage, ob nicht, und notwendig, Triebihtentio-
nalität, auch die auf Andere (geschlechtlich-sozial) gerichtete,
eine Vorstufe hat, die vor einer ausgebildeten Weltkonstitution
liegt — mag die Weltkonstitution auch nicht so weit reichen wie
25 für den Menschen als „Vernunftwesen”. Ich denke hier an die
Probleme Eltern, oder vor allem, Mutter und Kind, die aber auch
im Zusammenhang der Kopulationsproblematik erwachsen.
Die Primordialität ist ein Triebsystem. Wenn wir sie verstehen
als urtümlich stehendes Strömen, so liegt darin auch jeder in
30 andere Ströme, und mit evtl, anderen Ichsubjekten, hineinstre­
bende Trieb. Diese Intentionalität hat ihr transzendentes „Ziel”,
transzendent als eingeführtes Fremdes, und doch in der Prim­
ordialität als eigenes Ziel, also ständig ihren Kern urmodaler,
sich schlicht erhebender und erfüllender Intention. In meiner
35 alten Lehre vom inneren Zeitbewusstsein habe ich die hierbei
aufgewiesene Intentionalität eben als Intentionalität, als Pro-
tention vorgerichtet und als Retention sich modifizierend, aber
Einheit bewahrend, behandelt, aber nicht vom Ich gesprochen,
nicht sie als ichliche (im weitesten Sinn Willensintentionalität)
TEXT NR. 34 595

charakterisiert. Später habe ich die letztere als in einer ichlosen


(„Passivität”) fundierte eingeführt. Aber ist das Ich der Akte und
der daraus entspringenden Akthabitualitäten nicht selbst in Ent­
wicklung ? 1 Dürfen oder müssen wir nicht eine universale Trieb-
5 intentionalität voraussetzen, die jede urtümliche Gegenwart als
stehende Zeitigung einheitlich ausmacht und konkret von Gegen­
wart zu Gegenwart forttreibt derart, dass aller Inhalt Inhalt von
Trieberfüllung ist und vor dem Ziel intendiert ist, und dabei auch
so, dass in jeder primordialen Gegenwart transzendierende Triebe
10 höherer Stufe in jede andere Gegenwart hineinreichen und alle
miteinander als Monaden verbinden, während alle ineinander
impliziert sind — intentional ? Die Rückfrage und Rekonstruk­
tion führt auf die ständige Zentrierung durch den Ichpol jeder
Primordialität, der ständig Pol bleibt in ständigem Gang der
15 Objektivation, in der auf der weltlichen Seite das objektivierte
Ich mit seinem Leib steht.
Das würde zur Auffassung einer universalen Teleologie führen,
als einer universalen Intentionalität als sich einstimmig in der
Einheit eines totalen Erfüllungssystems erfüllenden.
20 Die Frage ist dann, wie die Ichzentrierung zu verstehen ist in
der Universalität der intentionalen Implikation in der ständig
konstituierten all-primordialen urtümlichen lebendigen Gegen­
wart, der absoluten „Simultaneität” aller Monaden, durch wech­
selseitiges unmittelbares und mittelbares Transzendieren von
25 Trieben vergemeinschafteten Monaden. Diese offene Unendlich­
keit als offene Unendlichkeit der Mittelbarkeit der Transzendenz
hat die wesensmässige Eigenheit, dass eine Unendlichkeit von
Monadenstufen zu ihr gehören — mit Stufen der Ich- und Welt­
entwicklung. Dabei die Unendlichkeit der Stufen von animali-
30 sehen Monaden, der tierischen, vortierischen, andererseits bis
hinauf zum Menschen, andererseits der kindlichen und vorkind­
lichen Monaden — in der Ständigkeit der „ontogenetischen”
•cund> phylogenetischen Entwicklung.
Das neue Erwachen von Ichen als eigentlichen, als Zentren von
35 Akten in bezug auf eine Umwelt, also Erwachen von Konstitu­
tionen von „Seienden”, schliesslich eines Welthorizontes — als in

1 Das Ich als Pol, indem es in der Zeitigung fungiert und sich ständig im Fort­
schreiten Objektivität konstituiert, zeitigt sich selbst, objektiviert sich in eins mit
seinesgleichen, in entsprechenden Stufen.
596 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

der universalen Teleologie mitbeschlossene Teleologie, als der


immerfort sich „steigernden” totalen Intentionalität in der fort­
wachsenden Lebendigkeit einer einheitlichen bewusstseinsmässi-
gen Monadengemeinschaft. Diese ist universal konstituierte
5 Triebgemeinschaft, ihr entspricht im Strömen jeweils horizont­
haft schon seiende Welt, wonach sie in sich immer wieder Mona­
den zur gesteigerten Ausbildung, zur „Entwicklung” bringt und
immer schon gebracht hat. In d i e s e r F o r m k o m m t di e
T o t a l i t ä t d e r M o n a d e n in Abschlagszahlungen zum
10 S e l b s t b e w u s s t s e i n , zuhöchst universal als Menschenge­
meinschaft.
Diese hat die eine universale Welt, worin sie sich als Welt er­
kennende findet und zum Willen der Welterkenntnis emporge­
stiegen ist in der europäischen Kulturmenschheit als universale
15 positive Wissenschaft schaffend. Und von da aus allein die
Möglichkeit der transzendentalen Reduktion, durch die die
Monaden zunächst als Menschenmonaden entdeckt werden,
dann in Form des generativen Zusammenhanges alle Monaden
der Monadenstufen, die höheren und niederen Tiere, die Pflanzen
20 und deren Unterstufen, und für all ihre ontogenetischen Entwick­
lungen. Jede Monade wesensmässig in solcher Entwicklung, alle
Monaden wesensmässig in generativen Entwicklungen.
Ich gehe von mir Menschen aus und auf meine menschliche
Monade, darin direkt impliziert meine menschliche Mitwelt.
25 Frage nach der Intentionalität der Kopulation. In der Trieber­
füllung liegt, unmittelbar gesehen, nichts von dem erzeugten
Kind, nichts davon, dass es im anderen Subjekt die bekannten
Folgen hat und schliesslich die Mutter das Kind gebärt. Aber die
Trieberfüllung als in die andere „Seele” hineinreichende ist nicht
30 Einfühlung in den Anderen und Forterfahrung des Lebens des
Anderen, der weltlichen Folgen des Zeugungsaktes als eines welt­
lichen Vorkommnisses, und so erst recht nicht ein auf den Ande­
ren bezogener, in ihn hineinreichender Ichakt, als dann eben Akt
im Weltleben.
35 Die Einheit meines konkreten Seins als ständigen Seins aus und
in Zeitigung ist auch eine Einheit der Intentionalität, aber inner­
lich genommen einer solchen, in der eben Welt sich urtümlich
konstituiert, aber nicht die selbst als weltliche und als in welt­
licher Erfahrung und Erkenntnis ausgelegt in Frage kommt.
BEILAGE XLIII 597

„Vor” der Welt liegt Weltkonstitution, liegt meine Selbstzeiti­


gung in der Vorzeit und liegt die intersubjektive Zeitigung in der
intersubjektiven Vorzeit. Der intersubjektive „Zeugungsakt”
„motiviert” in dem anderen Leben neue Prozesse, abgeänderte
5 der Selbstzeitigung, und in der Enthüllung von seiten der Welt­
lichkeit, als Mensch, erfahre ich, was da weltlich sich zeigt und
was in weiteren Induktionen in bezug auf die Physiologie der
Schwangerschaft zu sagen ist.
Die Teleologie umgreift alle Monaden, was in der mütterlichen
10 passiert, passiert nicht in ihr allein, es „spiegelt sich” in allen.
Aber dazu dringe ich eben nur vor als der ich mich als wissen­
schaftlicher Mensch im Weltleben vorfinde und zurückfrage nach
meinem und unserem monadischen Sein und von da aus syste­
matisch weiter.
15 Die Rückfrage geht aus von mir und der Welt, worin ich kon­
kret natürlich lebe, der Welt meiner und unserer Erfahrung, die
zugleich Welt ist für die Wissenschaften, die selbst zu meiner
Welt gehören, in ihrer Weise erfahrbar und erfahren als Seiendes
dieser Welt.

20 B E IL A G E X L III
NOTIZEN <ÜBER TRIEBGEMEINSCHAFT, LIEBE USW. >
(Schluchsee, September 1933)

Inhaltsangabe: > Vergemeinschaftung — innere Einigung jeder Art


25 von Personen, Einfühlung, Liebe (Freundschaft), Geschlechts­
liebe als Triebgemeinschaft. Triebleben überhaupt: vom niederen Trieb-
leben hinauf zum Willensleben, hinauf zum Leben in der Humanität.
Leben — Bedür f t i gsei n. „Primordiale B e f r i e d i g u n g ”
— frimordial realisierbarer Wert und Natur. Andere Werte. Entspre-
3 0 chende Scheidung des handelnden Lebens. Sel bs t erhal t ung und
Instinktleben.
Instinktiver „Hunger” (im erweiterten Sinn). Exzessive Hunger­
qual. Angst vor dieser Qual als eine Weise bedrohter Existenz. Leben in
der Angst überhaupt. Instinktive Angst vor fremdartigen Tieren und
35 Tieren überhaupt, auch Menschen. Reaktion: Flucht. Und andere Reak­
tion: Angriff in primordialer Gegebenheit des „Feindes”. Tod (Auffres­
sen). Herdeninstinkt — Geschlechtsinstinkt, geschlechtliche Annäherung
und instinktive Erfüllung. Dabei „körperliche Einigung”.
598 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

Die Strukturanalyse der urtümlichen Gegenwart idas stehend leben­


dige Strömen) führt uns auf die Ichstruktur und die sie fundierende
ständige Unterschichte des ichlosen Strömens, das durch eine konse­
quente Rückfrage auf das, was auch die sedimentierte Aktivität
5 möglich macht und voraussetzt, a u f d as r a d i k a l V o r-I c h 1i c h e
z u r ü c k lei t et .
Das Ich im Weltleben — in aktueller Einfühlung, im generativen,
dem Geschlechtsleben. Fremde Innerlichkeit — fremde urtümliche
Gegenwart mit fremder Weltvorstellung, fremder Weltapperzeption,
10 fremdem vor-ichlichem Untergrund, fremdem Ich — in einfühlender
Vergegenwärtigung.
Vergleich mit der Wiedererinnerung. Das Erinnerte wird wieder
anschaulich. Ist nicht der unerreichbare Limes der Erinnerungsan­
schauung eine Wahrnehmung? Dann wäre es aber Gegenwart. Erin-
15 nerungsvergangenheit kann nicht halluziniert werden. Ebenso, ein-
fühlungsmässige Gegebenheit fremder konkreter Gegenwart kann
nicht die volle Anschaulichkeit einer Selbstwahmehmung haben. Ein
fremdes Ich, eine fremde Seele kann nicht halluziniert werden. In der
Deckung hebt eins das andere auf, und zwar in seiner Geltung. Das
20 Fremde, in seiner <Geltung» beim Streben nach vollkommener
Anschauung stetig von meiner Primordialität her motiviert, ist fun­
diert in meiner apodiktischen Selbstgeltung. Diese ist, und zwar in
ihrer Konkretion als Welt Erfahrendes und sich selbst als Mensch ob­
jektiviert Erfahrendes, undurchstreichbar. Beides in eins? Dann wäre
25 der fremde Leib, so wie er dem Anderen innendinglich gegeben ist, für
mich wahrnehmungsmässig gegeben und zugleich auch für mich als
„draussen” — der Andere wäre nicht in der Welt als jemand, der An­
derer ist und dieselbe Welt und darin denselben Leib innen erfährt,
den ich aussen erfahre etc. Einfühlung kann nicht Wahrnehmung wer-
30 den. Eingefühltes Hyletisches kann nicht für mich Perzeption sein.
Kann das totale Hyletische als völlig gleich dem Anderen eingefühlt
werden, das totale, das für jeden von uns in die Weltapperzeption ein­
geht? Und dann wieder: Kann das andere Ich, kann die andere kon­
kret strömende Gegenwart der meinen völlig gleich sein? Aber jeder
35 muss notwendig, als dieselbe Welt apperzipierend, andere (und nur so
kann er Anderer sein), verschiedene Aspekte haben etc. Danach kann
er nicht dieselben Sinnesfelder mit denselben Sinnesdaten haben
etc.
Das innigste miteinander Einigwerden, liebend mit dem Anderen
40 „Verschmelzen”, „Person mit Person”, wie ist das zu beschreiben, und
wie steht es mit der geschlechtlichen Vereinigung, die auch liebende
heisst? Ist das auch personale Verschmelzung? Oder in der Einfüh­
lung Eingehen in den Anderen in der ausgezeichneten Weise, dass man,
die andere Person unbedingt, in ihrer totalen Personalität liebend (als
45 das andere Ich seines Lebenswillens, in allem, worauf es wollend letzt­
lich hinauswill), seinerseits diesen Lebenswillen in den eigenen voll
aufgenommen hat. In allem, was der Andere will (in der Richtung auf
BEILAGE XLIII 599

das, was er darin letztlich will), will ich als Liebender mit, in meinen
universalen Lebenswillen habe ich den des Anderen aufgenommen, in
dem aktuellen Zusammensein mit ihm verstehe ich nicht nur den
Gang der Verwirkhchung seines personalen und letztpersonalen Stre-
5 bens nach, dieses damit zugleich näher kennenlernend, sondern ich
eigne es mir ständig an und bin schon in der Willensrichtung von da an,
wo ich Freundschaft mit ihm begründet habe (wo die Urstiftung der
Liebe — in ihren verschiedenen Formen — eingesetzt hat). Persönlich­
keit bezogen auf die Totahtät des Willenslebens — so auf die Totahtät
10 des Ich in seinem Sein. In der Liebe einseitige oder in der Wechselhebe
wechselseitige „Deckung”, Verschmelzung der Personen, deren jede
doch von „ihrer Stelle aus” ihr Leben hat, ihr aktuelles erfahrendes,
denkendes, handelndes Leben, ihre eigenen Akterwerbe, ihre Habitua-
htäten, ihre Interessen. Aber hier die Probleme der konkreten Ermög-
15 lichung der personalen Liebeseinigung als dauernder, wie es ständig in
ihrem Sinn ist. Zweieinigkeit der Personen, Einheit des sich vergemein-
schaftenden totalen Lebens und Strebens.
Zunächst ein ganz a nder es i st die „ G e s c h l e c h t s l i e b e ”,
und sei es auch als über das gesamte Leben erstreckte Vereinigung
20 von Mann und Frau in der periodischen Befriedigung periodisch sich
wieder meldender Geschlechtstriebe. Instinktive Triebe, Triebe nie­
derer Stufe (allgemein tierische Triebe) — in der menschlichen perso­
nalen Sphäre. Der Trieb in schlichter Auswirkung ist keine Handlung,
das triebmässige Gerichtetsein kein personaler Akt, kein Willensakt.
25 Es muss natürlich gezeigt werden, wie fundiert in der Triebsinnlichkeit
Willensakte (Akte im prägnanten Sinn) erwachsen.

Vom niederen Triebleben hinauf zum Willensleben und


schliesslich zum Leben in der „Humanität"
Ferner, mit Rücksicht auf die Periodizität des Trieblebens, <muss
30 gezeigt werden>, wie für je einen sinnlichen Trieb ein offener Willens­
horizont mit einer Periodizität von Erzielungen als personaler Hori­
zont erwächst, eine offen endlose personale Lebenszukunft als habi­
tuelle Einheit eines Wollens, das durch eine Kette künftiger Wollungen
hindurchgeht und schon im jeweiligen Jetzt ihre Erfüllungen, hier
35 Trieberfüllungen, wollend erstrebt. Vorsorge für die Zukunft, Vor­
sorge für künftige „Güter”, dienlich zur Erfüllung künftiger Bedürf­
nisse, nicht jetzt von selbst daseiend und bereit sein werdend in Zu­
kunft. Das setzt voraus die Erfahrung des unbefriedigt bleibenden
Hungers, die Erfahrung der Hungersnot etc. Also es bedarf der Klä-
40 rung der Genesis der Vorsorge und von Gütern. Die Person ist nur
Person als vorsorgende. Verflechtung der verschiedenen Horizonte
der Vorsorge.
Wo setzt Rückblick auf das vergangene Leben ein und die Ausbil­
dung von Bedürfnissen und Gütern höherer Ordnung, und diese be-
45 zogen auf eine Einheit der Menschheit (in stufenweiser Konstitution
600 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

von Alleinheiten unter diesem Titel) ? Ausbildung eines höhermensch-


lichen Lebenswillens, Bewusstsein einer Lebensaufgabe, eines Lebens
einer absoluten Norm, in der die offene Unendlichkeit liegt mit Be­
ziehung auf die menschheitliche Gemeinschaft und wobei die „ewigen
5 Werte” erwachsen. Die Scheidung der niederen Güter, der Konsuma­
tionsgüter, von den höheren wahren objektiven Gütern, Einbeziehung
der niederen Güter in die höhere Menschlichkeit als fundierende Vor­
bedingungen für höheres menschliches Dasein, womit sie eine neue Sinn­
gebung, eine Vergeistigung gewinnen und nur in dieser ihr „ewiges
10 Recht” haben auch in ihrer Flüchtigkeit. Relativität der Humanisie­
rung des Menschen, Relativität der Menschheit, in der er eigentlich
menschliche Person wird, und der Idee seiner Wahrheit und Echtheit
mit Beziehung auf sie, Relativierung auch des Egoismus als des per­
sonal Bösen. Die Entwicklung der Idee der nationalen Humanität,
15 schliesslich der absoluten Ideen, von denen die relativen Ideen einen
absoluten Sinn gewinnen als fundierende Durchgangsstufen in der
Gesinnung des Durchgangs. Religion und Wissenschaft.
Das Leben unter der Idee der Menschheit, schliesslich der absoluten
Idee der Humanität, dazu gehörig in der Ständigkeit des humanen
20 Strebens die personale Zukunft als Idee einer echten Zukunft, aber in
Korrelation mit der durch sie hindurch oder in ihr erstrebten mensch-
heithchen Zukunft. Scheidung zwischen faktischem Zukunftsleben und
idealem, echtem. Menschliches Gemeinschaftsleben <ist> Leben aus
Tradition, historisches Leben. Notwendigkeit der Rückschau, der
25 Kritik der Vergangenheit. Notwendigkeit der Historie und Kritik der
Historie, die individuelle und nationale, menschheitliche Reue — als
echte, „ethische” Reue. Letzter Gang zur Universalität und universa­
len Kritik, Welt und Menschheit in der unendlichen Relativität; der
Wille zum Absoluten. Absolute Historizität und Teleologie.
30 Die Menschheit in der Endlichkeit und das Schicksal, Einzelschick-
sal im individuellen Horizont, Volksschicksal. Normales menschliches
Dasein in einer lebenswerten Welt, in einer endlosen hoffnungsvollen
Zukunft. Endliche Religion, nationale Götter. Zusammenbruch der
nationalen Grösse, Zusammenbruch der nationalen Religion. Immer
35 neue Gestalten des Schicksals. Die Wissenschaft als Menschheitsbe­
sinnung. Autonomes Menschentum und Herrschaft über die Welt und
das Schicksal. Der Zusammenbruch des Glaubens an die Wissenschaft
und die Entartung der Menschheit in der Folge der Technisierung,
Wissenschaft in Umwendung zum Skeptizismus.
40 Die letzte Besinnung im Unglauben, im Skeptizismus, autonome
Besinnung über die Möglichkeit der Autonomie und die Möglichkeit
eines rationalen Daseins und der Daseinsform absoluter Echtheit.

Primordial realisierbare Werte, primordiale Befriedigung


Leben, bedürftig sein, Bedürfnisse haben in natürlicher und künst-
45 lieh rationaler Periodizität, aber auch jeweilig besondere Bedürfnisse.
Auf Genuss hin als Bedürfnisbefriedigung leben.
BEILAGE XLIII 601

Primordiale Befriedigung — terminierend in primordialer Gegeben­


heit der „guten” Sache, und zwar so, dass mit der primordialen Ver­
wirklichung der Sache das Geniessen verwirklicht wird. Die Speise hat
einen objektiven Seinssinn, aber im Geniessen der Speise ist diese not-
5 wendig für mich wahrnehmungsmässig da, und zwar in der Nahding-
Gegebenheitsweise und haptisch in direkter Berührung durch die „Ge­
schmacks’’organe. Eine gewisse ausgezeichnete primordiale Erschei­
nungsweise realisiert den Speisegenuss, verwirklicht die begehrende
Intention, erfüllt sie. Ebenso die „Schönheit” einer Blume.
10 Die Speise hat, als Speise apperzipiert, auch wenn ich nicht ans
Essen gehe, also schon von vornherein, einen „Wert”, ich erkenne sie
ihrer Art nach etwa als Torte, als einen schönen Braten etc. In die
Apperzeption geht ein, dass (gesetzt, dass ich Hunger habe) ich bei
Näherbringen einen gewissen Geschmacksgenuss haben würde — ich
15 und jedermann meinesgleichen, meiner normalen Umwelt. Für mich
und für jedermann realisiert sich solch ein (relativer) Wert in der prim­
ordialen Sphäre von Selbstgebungen.
Sofern nun jedes Reale, jedes raumzeitlich Seiende nur direkt er­
fahren, wahrgenommen ist, wenn ein primordialer Kern davon —
20 sein naturaler Kem — wahrgenommen wird, und sofern „Wahrneh­
mung” eines Wertes oder vielmehr ursprüngliches Haben des Wertes
selbst im Genuss statthat und dieser in wahmehmungsmässiger Ge­
gebenheitsweise fundiert ist, s p i e l t P r i m o r d i a l i t ä t üb e r a l l
bei m Geni ess en eine we s e n t l i c h e Rolle. Aber n i c h t
25 alle W e r t e si nd in der P r i m o r d i a l i t ä t a l l ei n z u ' v e r ­
wi r k l i c he n, n i c h t alle m u n d a n e n O b j e k t e sind blosse
Naturobjekte.
Die Welterfahrung — Welthabe, die Weltbehandlung als zweck­
mässige Gestaltung. Handeln—Abwandeln der Apperzeption, in der das
30 apperzeptive System geändert wird; dann ist es für jeden Anderen ge­
ändert. Selbsterhaltung und Einheit des instinktiven und Zwecklebens.
Das Vorangehende: normale Befriedigung eines Instinktes: „Hun­
ger” in Befriedigung übergehend. Das Anomale: exzessive Unbefrie­
digung, „Hunger” als Qual.
35 Das Leben in der Angst. Die instinktive Angst vor unbekannten
Tieren: „bedrohte Existenz”. Reaktion der Flucht, Reaktion des An­
griffs, des Kampfes (Angriff auf das „Existenzbedrohende”: innerhalb
der primordialen Gegebenheit des „Feindes”), Angriff auf den fremden
Leibkörper, ihn anfassen, greifen, seine Bewegungen aufheben, die
40 fremden beweglichen Organe, die fremde Leibbewegung überhaupt,
soweit sie Nahbewegung ist, unmöglich machen, nachlassen nur, wenn
der fremde Leib sich „flüchtend” entfernt.
Der Tod Tod des Anderen — der Leib hört auf, Leib zu sein. Das
Auffressen eines lebendigen Körpers macht ihn tot. Der Mensch und
45 der Kampf, Furcht, Angst vor Anderen.
Geschlechtliche Annäherung und Instinkterfüllung — die k ö r p e r ­
l i c h e E i n i g u n g ü b e r h a u p t in der P r i m o r d i a l i t ä t . Schon
602 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

einen Körper in die Hand nehmen, handhaben macht ihn zu einem


Teil meines Leibes. Geschlechtliche körperliche Einigung — zwei Seelen
in einer Körperlichkeit, in der doch die einzelnen Leiber enthalten sind.
Die Herdeninstinkte, generativ. Liebesinstinkt, Liebe im weiteren
5 und engeren Sinn. Die Herde als Einheit in Abwehr und Angriff, in
Angst, in Leidenschaft. Die Menschen vom Tier aus gesehen. Die Tier­
welt vom Menschen her verstanden.
Wir wachsen in der Familie und durch sie in völkischer Gemein­
schaft. Wir wachsen in sie hinein, wir wachsen stufenweise in ihre
10 Umwelt hinein, und so in der Tierwelt. Unser Verständnis erweitert
sich, unsere Welterfahrung, unsere Weltapperzeption baut sich aus.
Sind wir reif geworden, so ist die reife Welt selbst nur einigermassen
fest in ihrer allgemeinen ontologischen Struktur und in einer besonde­
ren traditionalen Typik. Wir können nun Welterkenntnis zum Thema
15 machen, Historie, Naturhistorie. Menschliche generative Zusammen­
hänge, unsere historische Welt. Die Tierwelt, die Welt der Organis­
men, die Einheit der organischen Generation — in ihr als ein Zweig die
menschliche Generation.

BEILAGE XLIV
20 P E R S O N A L E S U N D K O N S T IT U IE R E N D E S IC H .
ICH IM PRIMORDIALEN INEINANDER DER ICHLICHEN
ZEITIGUNG, DES SELBSTGEWORDENSEINS UND
SELBSTWERDENS. ICH IM MITEINANDER, INEINANDER
DES WERDENS IM KONNEX
25 <wohl erste Hälfte Oktober 1933>

Ich — in der Ständigkeit des Selbstbewusstseins und in der jeweili­


gen Selbstwahmehmung (personalen Selbstwahrnehmung). Was ist das
Eigene der A p p e r z e p t i o n IchPW asist hier das eigentlich Perzi-
pierte und was ist Horizont als Potentialität erfüllender Perzeptionen ?
30 Haben wir in der kontinuierlich fortgehenden Selbstwahrnehmung
nicht auch so etwas wie Einheit in der Mannigfaltigkeit von Selbster­
scheinungsweisen ?
Aber jede erscheinende Einheit, jede als Einheit möglicher Wahr­
nehmung, möglichen Bewusstseins-von hat ihr Sein als Geltungsein-
35 heit einer Subjektivität, jedes für mich Seiende hat sein Korrelat in
mir. So hat auch mein Sein als Ich, als Identisches möglicher Selbst­
wahmehmung, der Mannigfaltigkeit möglicher und in einem Bestände
ständig wirklicher Selbsterscheinungen als Korrelat wieder mich, die
konstituierte Einheit — das lebendig konstituierende Ich.
40 Der Andere hat mich als konstituierendes Ich, aber ist er nicht für
mich auch konstituiert, so wie ich auf mein konstituierendes Ich zu­
rückgefragt habe, als für sich selbst, für sein konstituierendes Ich
konstituiertes Ich?
BEILAGE XLIV 603

Ich kenne mich immer schon, ich bin in personaler (menschlicher)


Selbstwahrnehmung als Ich, das sich ständig selbst wahrnimmt und
wahrgenommen hat. Ich bin, der ich bin, menschliches Ich mit einem
Horizont der Selbstgewesenheit, Gewesenheit als selbst-wahrgenom-
5 men gewesen — solange ich war.

Ich im primordialen Ineinander der ichlichen Zeitigung,


des Selbstgewordenseins und Selbstwerdens. Ich im
Miteinander, Ineinander des Werdens im Konnex
Ich als Ich in diesem natürlichen Sinn bin nicht nur mit meinem
10 Horizont der Selbsterinnerung, sondern auch der sozusagen Selbster-
äusserung (der einfühlenden); ich bin nicht nur für mich und bin nicht
nur jetzt wirkliches Ich, das strömend Zentrum in einer Kontinuität
anderer Ich ist, in denen es aber dasselbe Ich ist, dasselbe der nicht
mehr wirklichen, nicht mehr jetzigen, gewesenen, und noch nicht jetzt
15 seienden, sondern künftigen: es ist dasselbe in Andersheiten, die seine
Änderungen sind, dasselbe als geworden in Andersheiten, die jetzt
sind als seine Gewesenheiten, und in Andersheiten, die jetzt sind als
seine kommenden. Also nicht nur bin ich für mich geworden-werdend,
dauernd, verharrend in diesen Andersheiten, ich bin auch Ich, iden-
20 tische Person als Zentrum von Mitpersonen, deren jede eine Anders-
heit meiner <ist>, aber meiner als Zentrum jenes Seins im Werden, des
Seins im Selbstgewordensein und Selbstwerden: also der jeweils An­
dere als seinerseits geworden-werdender.
Ich in meinem Sein für mich (als Seinssinn meiner Selbstapperzep-
25 tion), gemäss dem apodiktischen Horizontsinn, der meine offenen
Möglichkeiten, aber als meine apodiktisch disjunktiven enthält, wäh­
rend ich überhaupt und apodiktisch wirklich bin — in diesem Sein
liegt meine Vergangenheit und Zukunft strömend und meine personale
Mitgegenwart, Mitsein von Anderen — mein Sein mit Anderen, als
30 <die> selbst ihre Vergangenheit und Zukunft haben und selbst wieder
ihr Mitsein mit Anderen haben usw. Aber beides nicht äusserlich, son­
dern in innerlicher Verflechtung. Mit Anderen bin ich in immittelbarem,
ursprünglichem Konnex und in mittelbarem, durch Vermittlung. Im
Konnex geht, was für den Anderen gilt, in mich als normale Mitgel-
35 tung ein, ähnlich wie meine primordiale eigene vergangene Geltung
(in mich als mir „verbliebene”); und so denn, was für den einen gilt,
gilt mit für den anderen, der mit ihm in Konnex der Einstimmigkeit
steht. Mein als Ich, als Person Sein ist nicht nur Sein aus meinem prim­
ordialen Werden, sondern aus der kommunikativen Verflechtung mit
40 dem Werden des Anderen. Was ich jetzt bin, erwächst nicht aus meiner
Vergangenheit und meiner darin jeweiligen Gerichtetheit auf künf­
tiges Werden, sondern in meiner jeweiligen Gegenwart nehme ich das
Sein des Anderen hinsichtlich gewisser seiner in ihm erwachsenen
Geltungen mit auf, die nun als die mir zugeeigneten in mir fortwirken
45 — dann hineinwirken in die Anderen, und so beständig.
604 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

Systematische Ordnung in der unmittelbaren Ursprünglichkeit und


der Mittelbarkeit des personalen Werdens und Gevvordenseins.
Unmittelbarer Konnex: einfühlende Wahrnehmung von mitdaseien-
den Anderen als Mitsubjekten. Aber diese Apperzeption von Anderen
5 setzt schon als meine gewordene personale Geltung frühere Apper­
zeption von Anderen voraus. Andere wahrnehmen, Andere kennen­
lernen als reife Personen setzt voraus ursprüngliches Kennenlernen
des Kindes, das ich war. Die ersten Anderen, die Mutter, der Vater,
von da aus weitere Familienglieder, Mittelbarkeit der Familienge-
10 meinschaften, Verwandte. Aber auch Freunde des Hauses und in
fortschreitender Assimiliation „Fremde”. Worin besteht die Kontinui­
tät im Fortgang der assimilierenden Apperzeptionen, in welchen das
Hineinwachsen und Hineinleben in die Einheit eines Volkes, aber auch
einer übernationalen Kulturmenschheit besteht ? Wie erhält sich diese
15 Kontinuität in der Relativität von Vertrautheit und Fremde oder von
verschiedenen Stufen von Heimat und Fremde, Dorf und fremdes
Dorf, Heimatland und fremdes Land mit fremder Heimgenossenschaft,
eigenes Volk und fremdes Volk, und doch „europäische” Menschheit?

BEILAGE XLV
20 <DAS KIND. DIE ERSTE EINFÜHLUNG>
(Juli 1935)

Der erste Aktus — was ist seine „Unterlage” ?


Das Ich hat schon den „Welthorizont” — den uranfänglichen Hori­
zont, in dem der menschliche Welthorizont implizit geboren wird, so
25 wie in dem Uranfang der Zeitigung der Zeitigungshorizont schon im­
pliziert ist, als Zeitigung, in der immer wieder neue Zeitigung impli­
ziert hegt, und so alles in allem an sich Früheren in seiner Stelle im­
pliziert ist.
Der Urhorizont, die E r b m a s s e ist in ihrem Ursinn Leerhorizont.
30 Die erste Hyle, das erst Affizierende wird zum erst Erfassten, in erster
Zuwendung ist es erstes Thema als erst Erfüllendes.
Das Ich vor diesem Erwachen, das Vor-Ich, das noch nicht leben­
dige, hat doch in seiner Weise schon Welt, in der Vor-Weise, seine in­
aktuelle Welt, „in” der es unlebendig ist, für die es nicht wach ist. Es
35 wird affiziert, es bekommt Hyle als erste Fülle, ersten Anteil an der
Welt der wachen, der lebendigen Ichsubjekte, die miteinander schon
in lebendigem Konnex sind und mit denen es damit in einen ersten
geburtlichen Konnex tritt: Es hat Eltern, und diese sind in einer All­
gemeinschaft von lebendigen Ich in der historischen Allzeitlichkeit, der
40 sie angehören. Die Lebendigen wecken den Unlebendigen.
Das U r k i n d — wie ist es als Ich, polar auf erste Daten gerichtet,
worin besteht seine „instinktive” Habitualität ? Das mutterleibliche
BEILAGE XLV 605

Kind hat schon Kinästhese und kinästhetisch beweglich seine „Dinge”


— schon eine Primordialität in Urstufe sich ausbildend.
Das Wi ckel ki nd, das neugeborene. Wie ist es als Ich seiner Daten
und von diesen als affizierenden und von den Ichakten für sich selbst
5 konstituiert? Es ist schon erfahrendes Ich einer höheren Stufe, es hat
schon Erfahrungserwerbe vom mutterleiblichen Dasein her, es hat
schon seine Wahrnehmungen mit Wahrnehmungshorizonten. Daneben
neuartige Daten, Abhebungen in den Sinnesfeldern, neue Akte, neue
Erwerbe auf dem Untergrund, der schon Vorerwerb ist, es ist schon Ich
10 der höheren Habitualitäten, aber ohne Reflexion auf sich, ohne ausge­
bildete Zeitlichkeit, ohne verfügbare Wiedererinnerungen, strömende
Gegenwart mit Retention und Protention. Aufbau primordialer
„Dinge", Aufbau des primordialen Leibes, je einzelner gesonderter Or­
gane, kinästhetisch beweglich. Die Mutter als primordiale körperliche
15 Einheit ? Aber das geht zu schnell. Ausbildung von einzelnen Einheiten
in kinästhetischer Motivierung. Späte Ausbildung eines ganzen Wahr­
nehmungsfeldes in beweglicher Identifizierung des Wiedererkennens,
obschon ohne ausgebildete Erinnerungswiederholung. Die Mutter als
visuelle und taktuelle Einheit — Wandel von „sinnlichen Bildern”
20 bezogen auf gewisse Hauptansichten —, aber nicht bloss kinästhetisch
motivierte Einheit. Das Kind begehrt nach der Mutter in der normalen
„Ansicht”, in der sich ursprüngliche Bedürfnisse des Kindes erfüllen,
es schreit unwillkürlich, öfters „wirkt” das. Erst sehr spät hat das
Kind Raum mit Raumkörpem und die Mutter als Körper in seinem
25 Raumfeld. Diese erste Mutter als Identisches, Wiedererkanntes und
als „Prämisse” für die Erfüllung des Begehrens; wenn sie kommt und
da ist, so tritt Erfüllung ein. Noch nichts von Einfühlung. Das Instink­
tive in der Beziehung des eigenen Leibes, der eigenen schon konstitu­
ierten Organe, der Lippen, in der Rede, der Augen und Augenbewe-
30 gungen etc. zu den Lippenbewegungen und dem Sprechen der Mutter
etc. Fremder Leib als Leib und Einfühlung.
Die erste Einfühlung — Schwierigkeiten, sie in ihrem Zustande­
kommen zu verstehen, selbst nachdem schon der Leib als Organ und
auch schon die Sinnesorganfunktion konstituiert ist für Aussendinge.
35 Der mütterliche Leib, die mütterlichen Hände, ihr Gehen und Sich-
entfernen von mir im gehend sich in ihrem Raum Betätigen etc. Das
erste Haben des eigenen Leibes, des Aussenraumes von Dingen als
ruhenden und bewegten, unter Kinästhesen des Leibes, unter Funk­
tionieren seiner Organe. Das Ich verborgen, sofern es nicht thematisch
40 ist als Ich. Aber es ist Zentrum der Affektion und Aktion, der Identifi­
kation, der Vermöglichkeit. Die Wiederholung im Andern, die Syn­
thesis — dasselbe Weltliche. Derselbe Leibkörper des Anderen in seiner
und meiner Primordialität. Der Ich-Du-Konnex. Sich in Akten Verbin­
den, die Synthesis der Ichzentren. Das Sprechen, das Nennen der ge-
45 meinsamen Dinge. Zeichen, erzeugt, d a m i t Andere sie erkennen,
damit sie von ihnen verstanden werden als Mitteilungen eigenen Tuns,
eigenen an sie gerichteten Wollens. Vorher Induktion, eins erinnert an
606 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

anderes in gewissen Umständen, dann willkürliche Herstellung solcher


Erinnerungsmale; insbesondere ursprünglich unwillkürliche Lautäus­
serungen als induktive Weckungen, Verweisungen auf Vorgänge, auf
ihre Bedeutung für die Subjekte, unter denen sie auftreten etc.
5 Verkehr — Konnex durch Mitteilung, die hinter sich und unter sich
hat ihre Voraussetzungen, Namen für gemeinsame Dinge — ohne Ein­
fühlung.
Namen für Menschen. Das Kind lernt von der Mutter gesprochene
Laute als Verweisungen, als Zeichen verstehen, die auf Bezeichnetes
10 hinlenken.
Vielleicht zu beachten: Das Kind äussert unwillkürlich Laute in
unwillkürlicher Kinästhese, es wiederholt sie, erzeugt die gleichen will­
kürlich, lernt alle seine (überhaupt in Allgemeinheit verwendeten)
Laute wiederholen wollen und willkürlich zu erzeugen. Zu seinen Lau-
15 ten gehören vermögliche Kinästhesen. Aber die Mutter äussert ihrer­
seits ähnliche Laute, zunächst Nachahmungen der kindlichen. Das
Kind hört sie, hat sie, aber ohne seine zugehörigen Kinästhesen, die
assoziativ geweckt, aber nicht mit da sind, statt dessen die Nullkinäs-
these, von der aus die Erzeugung anhebt. Das Kind wiederholt
20 selbst — die Mutter ebenso —, welche Rolle könnte das spielen ?
Namen haben1 zunächst <zur> Voraussetzung objektive Welt. Das
Kind lernt verstehen das Nennen von Mutter, von Vater etc., dessel­
ben, auf das sie verweisen; lernt verstehen, dass der eine den anderen
nennt; dass der eine den anderen ruft, wie das Kind die Mutter ruft,
25 von ihr etwas will und es erhält, von ihr Unwillen erfährt etc. Die An­
deren nennen einander nicht mit Namen im Miteinander, aber sie
nennen einander im Konnex mit dem Kind mit Namen „Mutter”,
„Vater” etc.
Das Kind lernt zuerst „Mutter”, „Papa” etc. als Namen. Die Mutter
30 sagt zum Kind nicht „ich komme sogleich”, „ich bringe das”, sondern
„Mama kommt”, „Mama bringt”. Wie kommt das Kind dazu, „ich”
zu sagen — wie, angesprochen, das „du” zu verstehen, das „er”, das
„wir”, das „ihr” — die Personalpronomina zu verstehen, wenn seine
umgebenden Menschen, nicht zu ihm, aber miteinander sprechend,
35 die Personalpronomina gebrauchen? Dazu alle Worte, die auf das
persönlich Orientierte nennend hinweisen, das „hier” und „jetzt”,
das „nah” und „fern”, „rechts” und „links” etc. (von mir aus, von
uns aus, von einer Vergangenheit aus etc.), das „gegenwärtig”, „ver­
gangen” und „künftig” — alle subjektiv-relativen Worte als solche,
40 in allen ihren Stufenbeziehungen, die zur Subjektivität gehören, also
das, was schliesslich die historische Umwelt, Umwelt als gegenwärtige
und unsere, Umwelt als vergangene etc., Umwelt als die fremder
Menschen etc. ausmacht.
Da muss die Phänomenologie des Subjektiven — des Objektiven

1 „haben” gleichzeitige Korrektur für „sind” ; zuerst stand also: „Namen sind
zunächst Voraussetzung objektiver Welt”. — Anm. d. Hrsg.
BEILAGE XLV 607

(relativ Objektiven) in seinen subjektiven Erscheinungsweisen, in den


Modis des für das Subjekt Sich-darstellens und für das andere sich
entsprechend anders Darstellens (wohin alle raumzeitlichen Orientie­
rungen gehören) — durchgeführt sein.
5 Ich in meinem strömenden Leben, im strömenden Weltbewusstsein,
in meiner fortgehenden Aktivität, in meiner Praxis, die für den Reifen
weltliche Praxis ist — Praxis in der ihm jeweils ständig, aber im Wech­
sel der Gegebenheitsweisen geltenden Welt. Mein Leben, Geltungs­
leben, Geltungen mit Sinn, aus Aktivität Erwerb, immer wieder in den
10 Sinn eingehend, Auslegung — Reaktivierung, Akte mit Akthorizont
etc. In meinem Leben Weltliches, in meinem Leben andere Menschen
und mich als Menschen weltzugehörig. Jedes Reale <ist> in meinem
Leben mir Geltendes in jeweiligen Modi im Geltungshorizont der Welt,
die für mich Horizont in Jeweiligkeit ist. Mein Handeln, meine gesamte
15 Aktivität auf Seiendes bezogen, aber sie verläuft im Intendieren und
Erwirken rein im subjektiven Zusammenhang.
Das Ontische als Einheit der ontisch-subjektiven Modi, von subjek­
tiven Gegebenheitsweisen mit dem Kern der erfahrenden, den Zusam­
menhängen möglicher Erfahrung, den aktiven Richtungen, Abzielun-
20 gen und Zielungsmodalitäten, abzielend auf Erfahrung, Selbstgebung,
Erfüllung, Einstimmigkeit. Die Anderen schon Menschen, schon ob­
jektiv. Aber Subjekte ihres Lebens, ihrer Aktivität, ihrer Geltungen
und Zielungen, durch die strömenden Erscheinungsweisen als solchen
von Objekten — denselben, die Andere in ihren Erscheinungsweisen in
25 Geltung haben, als Ziele haben, und die ich selbst habe.
Ich handle, ich denke, ich in meiner Aktivität —■meine Aktivität in
Konnex mit der Anderer. Grundkonnex der Erfahrung, in der dasselbe
Objekt <erfähren ist> als das meiner und der fremden Erscheinungs­
weisen, meiner und fremder Seinsgeltungen, die dabei im Miteinander
30 in Konnex stehen (ich in den Anderen, die Anderen in mir als Mit­
geltung vollziehend, Ich-Du-Konnex); Konnex im ändernden Han­
deln, praktische Einigung, praktischer Streit; praktische Hemmung
durch einander, praktische Durchführung, ein neues, verändertes Ob­
jekt erzeugend, das nun aber Objekt für alle ist. Bedeutungscharakter
35 für mich, Bedeutungscharakter für mehrere, für alle, aber mit Sub-
jektbezogenheiten. Innerhalb der Gemeinschaft.
Die Dingwelt, die Menschen (und Tiere), die Intersubjektivität als
Korrelat der Objektivität — vor der Objektivierung der Menschen.
Menschen als Objekte für jedermann. Menschen in Erscheinungswei-
40 sen — jeder hat von den Anderen seine jeweiligen. Jeder Mensch Ob­
jekt in der Weise, dass ihm auch objektiv zugehören seine Erschei­
nungsweisen von Menschen, wie von Dingen. Im Ineinander eine Un­
endlichkeit, Jiorizonthaft. Ich habe den Anderen in meiner Erschei­
nungsweise, mir erscheint sein Leib als Körper im Horizont der prim-
45 ordialen Erscheinungsweisen, als Substrat der Einfühlung, in der der­
selbe Körper dem Anderen erscheint in seinen besonderen Gegeben-
heitsweisen als Leib und als Organ. Weiter: Der Andere hat Umwelt in
608 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

seinen Erscheinungsweisen, darin ich als in seinem Feld, und erschei­


nend mit meinen Bewusstseinsweisen von ihm, in diesen Bewusst­
seinsweisen alles beschlossen, was ich von ihm sagte als in seinem Be­
wusstsein beschlossen. Eben das geht so weiter — eine unendliche
5 wechselseitige „Spiegelung”, die natürlich nur intentionale Implika­
tion ist, eine Iteration, die eine Potentialität von Einfühlungsstufen
ist.

BEILAGE XLVI
MONADOLOGIE
10 <Anfang dreissiger Jahre >

Waches Bewusstsein, Konstitution der Welt in der wachen kommu­


nizierenden Subjektivität. Die Welt fertig in der fertigen Zeitlichkeit,
immerzu konstituiert, aber doch in verschiedenen Stufen — am voll­
kommensten vom wissenschaftlich wach forschenden Menschen, der
15 als nächste Unterstufe hat den vorwissenschaftlichen Menschen mit
seinem schon erschlossenen Lebens- und Welthorizont.
Aber nun die Pausen eigentlichen Seins, d.i. in seiner Selbstheit er­
fahrbaren, eigentlich konstituierten und zu konstituierenden. Ist
Weltall, das All möglicher Erfahrung — alles? Das Unbewusste, der
20 sedimentierte Untergrund des Bewusstseins, der traumlose Schlaf, die
Geburtsgestalt der Subjektivität bzw. das problematische Sein-vor der
Geburt, der Tod und das „nach dem Tode”.
Das patente Sein in bezug auf Möglichkeit einstimmiger Erfahrung,
auf Wachkonstitution — das latente Sein als „intentionale Modifika-
25 tion” von patentem Sein, von daher für uns Sinn und wahres Sein ha­
bend. Wir haben dann unter dem Titel des latenten Seins nicht ein
Verdecktes, Verhülltes, das sich enthüllen lässt, das ein An-sich-selbst
hat, das als das erfahrbar ist und nach Merkmalen explizierbar in
Sondererfahrungen. Aber genau besehen heisst das, es ist eben kein
30 „ursprüngliches”, kein unmodifiziertes, kein im Urmodus konstitu­
iertes Sein, als das undenkbar, es ist, was es ist, als.intentionale Modifi­
kation, und nur als das. Es ist, und als das hat es seine „Merkmale”,
es bestimmt sich in Wahrheit, und die Wahrheit weist sich aus durch
Evidenz, in der die intentionale Modifikation als solche und nie anders
35 selbstgegeben ist. Diese ganze Seinssphäre ist eine solche der Rekon­
struktion — nämlich von der patenten zurückgehend auf das La­
tente, seiner Modifikation nachgehend. Aber es gibt Rekonstruktion
von solchem, was Bewusstsein, was in gewisser Weise Erfahrung ist,
von einer erfahrenden Subjektivität, die doch nicht aktiv erfahrende
40 ist in einer Weise, die eine wirkliche Kommunikation und Seinsaus­
weisung ermöglichte, und das prinzipiell. So für das urkindliche Seelen­
leben. Aber es ist und ist evident rekonstruierbar (in einer nur „vagen”
Bestimmtheit) und ist wirklich mit dem Seinssinn, den die Rekonstruk-
BEILAGE XLVI 609

tion ihm zuweist. Es ist als ein nur so intersubjektiv zugängliches Be­
wusstsein, Für-sich-sein. Aber wie weit reicht solche Rekonstruktion
hinsichtlich Geburt (bzw. evtl, vor <der> Geburt) und Tod (nach dem
Tod) ? Handelt es sich um Rekonstruktionen, die der Analogie mit
5 dem sedimentierten Sein folgen müssen (dem „Unbewussten” in unse­
rer Bewusstseinssphäre), und werden wir dann nicht zurückgetrieben
von den Menschen zu den Tieren, zu den Pflanzen, zu den niedersten
Lebewesen, zu der Atomkonstitution der neuen Physik — zu einer
Totalbetrachtung der wach konstituierten Welt und von ihr aus in
10 eine transzendental-subjektive Betrachtung, die rekonstruierend zu­
rückgeht auf Subjektwesen verschiedener Ordnungsstufe mit einem
Instinktbewusstsein und instinktiver Kommunikation, monadologi-
scher Kommunikation im Monadenwechsel ?
Kommt man also über Leibnizsche Rekonstruktionen hinaus, nur
15 wissenschafthch fundiert durch eine systematische intentionale Phä­
nomenologie ?
Können wir auf die wirkliche Unendlichkeit der Welt, der patent
konstituierten, nicht verzichten, und zwar hinsichtlich der Zeitfolge
als notwendiger Form der „Historizität”, während wir die Koexistenz
20 als endlich nehmen, die Mannigfaltigkeit der Monaden also als endliche
„Menge”, so hätten wir folgendes Bild und folgende Anwendung der
Idee der Sedimentierung.
1) Die Allheit der Monaden in ursprünglich instinktiver Kommuni­
kation, jede in ihrem individuellen Leben immerfort lebend, und somit
25 jede mit einem sedimentierten Leben, mit einer verborgenen Historie,
die zugleich die „Universalhistorie” impliziert. Schlafende Monaden.
2) Entwicklung der monadischen Historie; erwachende Monaden
und Entwicklung in der Wachheit mit einem Hintergrund schlafender
Monaden als ständiger Fundierung.
30 3) Entwicklung menschlicher Monaden als Welt konstituierend, als
worin das Monadenuniversum in orientierter Form zur Selbst Objekti­
vation durchdringt, Monaden zum vernünftigen Selbst- und Mensch­
heitsbewusstsein und zum Weltverständnis kommen etc.
Und der Tod ? Monaden können nicht anfangen und nicht aufhören.
35 Das transzendentale Monadenall ist mit sich selbst identisch. Der zeit­
lich-weltliche Prozess ist transzendental ein Lebensprozess der kom­
munizierenden Monaden, in denen dieselben Monaden verschieden
kommunizierend fungieren. Der ganze Prozess, der der phylogeneti­
schen Entwicklung entspricht, ist in jeder Keimzellenmonade, die zur
40 Geburt kommt, sedimentiert. Jede in diesem Zusammenhang fungie­
rende Monade hat an ihrer Stelle ihre Sedimentierung als Entwick­
lungserbschaft. Eine Monade, z.B. eine menschliche, die stirbt, verliert
nicht ihre Erbschaft, aber sie versinkt in absoluten Schlaf. Auch dann
fungiert sie irgendwie in dem Monadenall; aber dieser Schlaf kann
45 nicht zum Wachen werden wie der periodische Schlaf im menschlichen
Dasein. Er könnte es nur werden, wenn diese Monade im Funktions­
zusammenhang der menschlichen Leiblichkeit aufgetreten ist und die
610 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

betreffende besondere Monadenentwicklung ihm diese besondere Erb­


schaft, die dieses weltlichen Menschen, gegeben hätte.
Aber vielleicht kann man rekonstruktiv einmal einsehen, dass eben
durch die verborgene Sedimentierung jede Monade mit reicheren Mög-
5 lichkeiten beladen ist und dass der ganze aufsteigende Entwicklungs­
prozess gerade nur möglich ist durch diese in den Monaden selbst ver­
harrende Steigerung ihrer ursprünglichen Kraft. Das Monadenall, eine
monadische All-Einheit, ist im Prozess einer Steigerung in infinitum,
und dieser Prozess ist notwendig ein beständiger der Entwicklung von
10 schlafenden Monaden zu patenten Monaden und Entwicklung zu einer
sich in Monaden immer wieder konstituierenden Welt, wobei diese
Welt konstituierenden Monaden als patent konstituierende nicht alle
sind; aber das ganze All ist immer beteiligt als Fundierung. Und diese
Weltkonstitution ist Konstitution eines immer höheren Menschen-
15 und Übermenschentums, in dem das All seines eigenen wahren Seins
bewusst wird und die Gestalt eines frei sich selbst zur Vernunft oder
Vollkommenheitsgestalt konstituierenden annimmt.
Gott ist das Monadenall nicht selbst, sondern die in ihm liegende
Entelechie, als Idee des unendlichen Entwicklungstelos, des der
20 „Menschheit” aus absoluter Vernunft, als notwendig das monadische
Sein regelnd, und regelnd aus eigener freier Entscheidung. Diese als
intersubjektive ist ein sich notwendig ausbreitender Prozess, ohne den,
trotz der notwendig dazugehörigen VerfallsVorkommnisse, das uni­
versale Sein eben nicht sein kann etc.
25 Vom Tode kann niemand erweckt werden, in alle Weltewigkeit, die
Objektivation der monadischen zeitlichen Ewigkeit ist, nämlich nicht
in seinem menschlichen Sein, etwa als ein neuer Mensch, der die Wie­
dererinnerungen des alten und nur neue praktische Möglichkeiten
hätte — nicht anders, als wenn einer durch Jahre hindurch schliefe und
30 dann erwachend sich in einer anderen Gegenwart, einer anderen Um­
welt fände. Also Unsterblichkeit in gewöhnlichem Sinn ist unmöglich.
Aber unsterblich ist der Mensch wie jede Monade, unsterblich ist sein
Anteil an dem Selbstrealisierungsprozess der Gottheit, unsterblich ist
sein Fortwirken in allem Echten und Guten. Unsterblich ist er auch,
35 insofern als in seiner Monade die ganze „Erbschaft”, die er in sich
birgt, aller seelische Erwerb in ihm latent erhalten bleibt und besondere
Funktionen mitübt, obschon nicht in der vollen Weckung, die Selbst­
identifikation ermöglicht mit dem früher lebenden Menschen, in der
Harmonie der Gotteswelt.
BEILAGE XLVII 611

BEILAGE XLVII
MENSCHEN- UND TIERMONADEN. DAS MONADISCHE
UNIVERSALPROBLEM
<dreissiger Jahre >

5 Konnex der Monaden. — Monaden im Miteinander in der Rückfrage


von der Welt als meiner, als unserer menschlichen Welt — Weltkon­
stitution als Konstitution in der transzendentalen Subjektivität als
„unserer”.
Menschenmonaden, transzendentales Menschentum und transzen-
10 dental konstituierte humane Welt. In ihr sind konstituiert Tiere, und
die Rückfrage führt auf tierische Monaden. Was ist das für ein tran­
szendentales Verhältnis in der Monadenwelt, dass das menschliche
Monadenall ein tierisches Monadenall in sich schliesst ? Und wie weit
reicht das Einfühlen und die „Anomalität” ? Organische Wesen als
15 transzendentale Phänomene und reduziert auf Monaden. Ein Organis­
mus ein Monaden„konnex” ?
Eine simultane und sukzessive Tradition. In der menschlichen Stufe:
Tradition als fremde Erfahrung „nachverstehen, übernehmen von
Geltungen” — als Erfahrung; dazu Tradition durch Mitteilung, durch
20 habituelle praktische Apperzeption, gewohnheitsmässiges Mittun nach
dem „Vorbild” anderer (Sitte). Das „man macht es so”. In dieser
Weise auch Tradition von Generation zu Generation. Die Erwachsenen
sind schon in der Sitte, die Kinder „wachsen in sie hinein” durch
Nachahmung und Belehrung. Man weiss nur, das war früher schon so
25 (solange keine Geschichte und Geisteswissenschaft da ist). Aber ist so
nicht die Umwelt als humane Tradition? Aber dieser Art Tradition?
Ganz und gar? Oder nicht einem Kern nach eine andere Tradition —
Urinstinkt, Erbschaft?
Nachverstehen zunächst der höheren Tiere in ihrer tierischen Ge-
30meinschaft, in der sie allein verständlich sind. Nachverstehen ihrer
generativen Zusammenhänge. Nachverstehen der tierischen onto-
genetischen Entwicklung und Problem ihrer Instinkte, ihrer Geburt,
ihres psychischen Seins im Mutterleib. Unmöglichkeit, ihnen die sta­
tisch konstitutive Fundierung, die statischen Schichtungen, trotz-
35 dem sie nach der Geburt offene Genesis ist, letztlich wie ihre aufstei­
gende Umweltkonstitution als individuelle Genesis anzusehen. Ur-In-
stinkte, die schon sehr komplexe Konstitution in einem Schlage vor­
zeichnen und zur Erfüllung bringen. In der geübten Herrschaft nichts
auftretend, was nicht von vornherein schon in der Sondererfassung
40 „bekannt” ist — instinktive Bekanntschaft. Die „rationale” Tradi­
tion, die „rationale” Genesis, die rationalen „Instinkte” (erworbenen
und erklärlichen), nämlich dunkle Antizipation, erworbene Gewohn­
heiten, Apperzeptionen, das Vorstellen, Denken, Werten, Handeln be­
stimmend — und die „irrationalen” Instinkte, wie Instinkte im ge-
45 wohnlichen verstanden werden. Die tierischen Instinkte, Nahrung,
612 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

aber auch Gemeinschaft betreffend, Instinkte, die auf Nebentiere ge­


richtet sind, auf Spiel und Begattung, auf freundliches und feindliches
Miteinander, Instinkte, die Gemeingefährliches betreffen etc. Rück­
frage im Herabsteigen in das niedere tierische Dasein. Die niederen
5 Monaden im Miteinander, in einem „traditionalen” „irrationalen” Zu­
sammenhang ; aber sind nicht auch da Unterschiede zwischen „Offe­
nem” und „Verborgenem”, Verborgenes als Tradition, die ursprüng­
lich offene Aktivität war ?
In einer Gemeinschaft — Herrschende und Dienende, Führende und
10 Folgende, ein Organismus als Gemeinschaft mit höheren und niederen
Funktionen. Fundierung der Funktionen. Organismen nur seiend un­
ter Organismen und generativ. Vergemeinschaftung von Organismen,
Organismen verschiedener organischer Stufe.
Aber was soll das Letzte sein in diesem Aufbau der Monadenwelt ?
15 Ist die totale Welt transzendental betrachtet ein Monadenuniversum
als universale Gemeinschaft, ein teleologischer Bau von Gemeinschaf­
ten niederer und höherer Stufe, und doch eine Allgemeinschaft, in der
allein sich Menschen und Menschenwelt konstituieren kann? Aber Vor­
zug der Menschenmonaden und ihrer Menschenwelt, als welche alle
20 niederen Stufen als enthüllbare Tradition in sich fasst.
Nr. 35

STATISCHE UND GENETISCHE


PHÄNOMENOLOGIE. <DIE HEIMWELT
UND DAS VERSTEHEN DER FREMDE.
5 DAS VERSTEHEN DER TIERE >1
(Schluchsee, Ende August oder Anfang September 1933) 12

<Inhalt:> Unsere Welt als -menschlich-historische Welt, zunächst als


Heimwelt. Relativität der Heimat und Fremde, Relativität der Völker
und Rassen. Wir als reife Menschen. Die Kinder. Geburt. In unserer
10 Welt, der menschlichen Welt, die Tiere.

Die Welt — die mir, dem Besinnlichen, jetzt in der Besinnung


geltende Welt — ist die fertig konstituierte Welt; sie ist für mich
die objektive, die Welt für alle — die Welt für alle Menschen des
offen endlosen Mitmenschheitshorizontes, in dem sie mir geltende
15 ist. Dabei die Welt, die jeweils für jeden von uns ihren subjekti­
ven Geltungsaspekt hat, jeweilige und wechselnde Gewissheits­
bestände, eigene und fremde, in jedermann wechselnde, und doch
d ie eine seiende Welt, und das heisst hier nicht bloss, mit jewei­
ligem vermeinten Sondergehalt an Realem in Gewissheit geltende,
20 sondern in Wahrheit seiende: Jeder hat über das bestimmt Gel­
tend-Gewisse hinaus seinen offenen, unbestimmt-allgemeinen
Geltungshorizont, aber auch jeder seinen Modalitätenhorizont,
den Horizont der möglichen Korrekturen, und zwar der auch im

1 Vgl. die Scheidung der E r s t e n P h ä n o m e n o l o g i e als Aufwicklung der als


s e i e n d vorgegebenen Weltkonstitution, wobei das Vorseiende nicht in den Blick
tritt, und der t i e f e r e n S c h i c h t e d e r P h ä n o m e n o l o g i e , die die (nicht­
aktive) Konstitution des Vorseienden betrifft. Hier in diesen Blättern stehen wir in
der Ersten Phänomenologie. Aber freilich, in der Frage der Geburt etc., stossen wir
da nicht auf das Vorsein?
2 Die ersten beiden Blätter des Manuskriptes (in der nachfolgenden Wiedergabe
von Beginn der Ausführungen bis S.) 617, Zeile 15 wurden wohl kurz vor diesem
Datum geschrieben, aber 1933 in Schluchsee ergänzt. — Anm. d. Hrsg.
614 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

Miteinander zu vollziehenden als wechselseitiges Sich-berichtigen


mit Beziehung auf die Vergemeinschaftung der Geltungen und der
Modalisierung durch Unstimmigkeit der vergemeinschafteten.
Für jedermann ist es verständlich, dass durch den Wandel der
5 eigenen und wechselseitigen Unstimmigkeiten, die der Gang der
Welterfahrung mit sich bringt, eine Wahrheit an sich hindurch­
geht in dem Sinne, dass Einstimmigkeit herzustellen ist, wie sie
sich im allgemeinen faktisch herstellt in den aktuell miteinander
Streitenden, und dass im Wandel der hergestellten Einstimm ig-
10 keiten, als sich nachträglich doch möglicherweise in Widerspruch
auflösenden, immer wieder eine höhere korrigierende Einstim­
migkeit zu gewinnen ist etc. Die Welt an sich, die endgültig
wirkliche, ist nie gegeben; die erfahrene und auf Grund des erfah­
renden Lebens in Mittelbarkeiten induziert geltende Welt ist
15 immerzu und notwendig jeweilig vermeinte, ein blosser Geltungs­
aspekt der Welt, in Schwebe zwischen relativer Wahrheit und
relativer Unwahrheit, zwischen Sein und Schein.
Schon das ist ein Stück Rückbesinnung auf Geltungsfundie­
rungen. Jede Welt im Modus der Jeweiligkeit und Seinsgewiss-
20 heit, auch die aus absichtlicher Bewährung heraus korrigierte,
hat hinter sich frühere subjektiv gewisse „Welten”, deren Kor­
rektur in diesen Gewissheiten fundiert ist — als früheren und jetzt
durchstrichenen. Jede Modalisierung ist Abwandlung des Moda-
lisierten und weist darauf genetisch zurück. Aber auch jede der
25 offenen Möglichkeiten und der ganze Horizont mannigfaltiger
solcher Möglichkeiten für künftige Korrekturen verweist gene­
tisch zurück auf seine Motivation in dem Gang der immer wieder,
obschon gelegentlich einbrechenden Unstimmigkeiten, die doch
vermöglich und evtl, im Vernunftwillen auf klare Entscheidung
30 zu Einstimmigkeiten, aber als Korrekturen, wurden. Die Rück­
frage ist offenbar beständige Frage nach Geltungsfundierungen
und damit Rückfrage nach der Genesis. Aber freilich einer ver­
schiedenen.
Gehe ich auf mein letzt-urtümlich primordiales Leben zurück
35 als Weltgeltungsleben, so ist das zunächst das konkrete Leben der
urtümlichen Gegenwart. Reduziere ich auf meine „primordiale
W elt”, oder die Welt auf das, was sich von ihr in meinem urtüm­
lichen Leben originaliter in Wahrnehmung und Erinnerung dar­
stellt, so ist das in der voll geltenden Welt {im vollen Seinssinn)
TEXT NR. 35 615

eine Geltungsschichte, die fundierend ist für die Seinsgeltung von


Anderen, und diese ist wieder fundierend für das Sein von objek­
tiver Welt als Gemeinwelt, und für mein eigenes Sein als Mensch
unter Menschen. Ferner, wie steht es mit der intersubjektiven
5 Praxis und der Sachkultur als Gemeinkultur? Natürlich setzt sie
schon Menschen in der Welt als miteinander in sie hin­
einlebende voraus, aufeinander rechnende. Reduziere ich eine
menschliche Tat auf mein Primordiales, und insbesondere eine
Tat im Gemeinschaftsraum als Tat mit Anderen, in ihrem Dienst,
10 oder in Verabredung etc., so bleibt eine fundierende Schicht, z.B.
ein sinnliches Tun und Verwirklichen, das Unterschicht ist im
Dienste sozusagen des menschlichen und kulturellen Zweckes —
eine Durchgangsschichte, in der kein Endzweck lag.
Geltungsfundierungen, Geltungsschichten in konkret vollen
15 Geltungen. Diese haben ihr „Telos”, ihren Seinssinn, von dem
man sagen kann, er „motiviere” das Tun, das die untere Geltung
verwirklicht — also die Fundierung eine umgekehrte Motivation
(in der aktuellen, verwirklichenden Erfahrung). Es ist nicht die
Genesis des höheren Seinssinnes in Frage beim Nachweis der
20 Geltungsfundierung, nämlich als ob aus dem Fundierenden in
subjektiv-immanenter Zeitlichkeit das Fundierte erweckt worden
wäre.
I d e e d e r s t a t i s c h e n P h ä n o m e n o l o g i e : die univer­
sale Struktur der Weltgeltung, die Enthüllung der Geltungsstruk-
25 tur in Rückbeziehung auf die ontologische Struktur als die der
geltenden Welt selbst. Geltungsstruktur = das System der
Geltungsfundierungen. Aber erhält nicht schon die ontologische
universale Struktur ihre Ordnung nach Geltungsschichten? Die
Welt <als> das geltende Universum, ihr fundierender Kern Natur,
30 in ihr fundiert Animalität oder vielmehr animalische Subjektivi­
tät, in anderer Weise K u ltu r.. . Wie ist die ontologisch ausge­
legte Welt der Leitfaden für das Aufwickeln des Systems der
Geltungsfundierungen in dem transzendentalen ego ? Wie komme
ich als Erstes auf Abscheidung der Primordialität ?
35 Der Andere ist für mich, das setzt voraus seinen Körper, in
der Ursprünglichkeit: Der Andere wird „wahrgenommen” —
sein Körper, aber sein Seelisches ist dabei nicht ebenso wie sein
Körper wahrgenommen — originaliter.
Ein geistig Bedeutsames, ein Kulturding — Körper, Andere,
616 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

kulturschaffen.de Tätigkeit. Der Sinn Anderer setzt mich, setzt


meinen Körper als Leib, setzt mein körperliches Walten, Leih­
g a b e n ”, leiblich Wahrnehmen etc. voraus.1 Der Sinn „ent­
springt” als Sinn in Seinsgeltung in der Fundierung in Stiftung —
5 Genesis. Der voll konstituierte Seinssinn hat seinen Aufbau, er
hat Sinnesstufen, Sinnesfundierungen.
Der schon gestiftete Seinssinn — Apperzeption und Induktion,
Horizont von Seienden des Sinnes als zugänglichen.
Die schon gestiftete Welt, schon gestiftet die Typik ihrer mög-
10 liehen Objekte; ein Kern direkter Erfahrung, direkter Apper­
zeption, „Wahrnehmung”, Horizont möglicher Erfahrung —
Vergangenheit als Horizont von Seienden der Vergangenheit,
wahrgenommen gewesen und zugänglich gewesen für wahrgenom­
mene Andere und offen mögliche etc.
15 Aufbau der Geltungsfundierung, zunächst Fundierung der
Seinsgewissheit. Zu beachten: Fundierung der Seinsgewissheiten
von d e r Welt; korrelativ: die für mich s e i e n d e We l t , als
Seinssinn, der seine Sinnesfundierung hat. Das Fundierende muss
in der fertigen Welt erfahren sein, damit das Fundierte erfahren
20 werden kann. Der Gang der systematischen Welterfahrung, Welt
sich zur Anschauung Bringen, Anschaulichmachen einer mög­
lichen Welt, und zwar systematisch vollkommen, in einem Pro­
zess, der Vollkommenheit verbürgt in infinitum — Idee. Problem
der vollkommenen Weltanschauung, des vollkommenen Sich-
25 klarmachens der Welt als Welt möglicher Erfahrung ist also
äquivalent mit dem Problem der Universalität der Geltungs­
fundierung. Das ist also statische Phänomenologie. Ich ana­
lysiere ontologisch den Seinssinn Welt und korrelativ frage
ich nach den Seinsgewissheiten, und zwar konkret nach den Gege-
30 benheitsweisen. Die ontologische Analyse ist Leitfaden für die
Analyse der korrelativen Seinsgeltungen.
Wie führt sie auf die Phänomenologie der Genesis, wenn man
eben in der statischen Phänomenologie am Leitfaden der ontolo­
gischen Fundierungen nur Geltungsfundierungen auf weist —
35 Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrungen als Erfahrungen,
die schon gemacht sein müssen und ihre Erscheinungsstruktur
haben müssen, um Erfahrungen, die in Frage sind, zu ermög­
lichen ?
1 Aber „voraussetzen” ist nicht „entspringen” !
TEXT NR. 35 617

T h e m a u n d R e s u l t a t dieser beiden Blätter <S. 6 13—616>:


„Statische” Phänomenologie gegenüber genetischer Phänome­
nologie: 1) Ontologische Struktur = Struktur des Seinssinnes
Welt in ihren Sinnesfundierungen. Diese als 2) Leitfaden der
5 Rückfrage: den Sinnesfundierungen entsprechen korrelativ die
Fundierungen möglicher Erfahrung von Mundanem und von
Welt. 3) Der Aufbau der Möglichkeit der Welterfahrung ist aber
nur abstrakt erfasst an der blossen Umwendung der Sinnesfun­
dierungen in Seinsgeltungen. Diese blossen „Thesen”, wie ich
10 früher immer sagte, liegen in den Gegebenheitsweisen (Ontisches
im Wie der Gegebenheitsweise, ursprünglich der Erscheinungs­
weise). Also die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit der
Erfahrung führt auf das Problem der Mannigfaltigkeiten und
Einheiten — aber dann zu den Problemen der Originalität als
15 Primordialität etc., zuletzt auf die urtümliche Gegenwart.

Schluchsee, August/September 1933


Die „statische” Phänomenologie — die systematische Methode
der Herstellung einer vollkommenen Weltanschauung in eins mit
der apodiktischen Erkenntnis der Bedingungen ihrer Ermögli-
20 chung — die Aufsuchung derjenigen Wesensstruktur der welter­
fahrenden Subjektivität, welche die Bedingung der Möglichkeit
ist für eine Konstruktion einer vollkommenen Anschauung von
der Welt als einer überhaupt möglichen — nach ihrer ontologi­
schen Wesensform: das alles gehört zusammen und ist untrenn-
25 bar. Ich könnte auch sagen: die Geltungsstruktur, welche das
vollständige System der Geltungsfundierungen enthält, welche in
die ständig uns eigene Seinsgeltung der Welt gehören — voraus­
gesetzt, dass sie soll diese jeweilige Geltung forterhalten und in
einstimmiger Erfahrung konsequent bewähren können.
30 Das Doppelgesicht der Phänomenologie. Was ich in der stati­
schen auslege, ist die Subjektivität, meine, von mir aus unsere,
die menschliche Subjektivität in ihrer in infinitum fortschreiten­
den allmenschlichen Vergemeinschaftung. Anthropologie. Und
die Menschheit gehört selbst zur Welt, Welt ontologisch auslegen
35 ist Menschheit darin auslegen in ihrer gesamten und konkreten
Struktur. In dieser aber ist die Struktur, die Korrelat ist der
Möglichkeit der Welt als einer möglicherweise erfahrbaren, Welt
618 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

als Welt möglicher Erfahrung. Das beschliesst auch das mögliche


praktische Weltleben etc., alle Vermögen, Vermögen der Kennt­
nisnahme (der immer weiter fortschreitenden Anschauung),
Vermögen der Praxis und einer evtl, menschliches Streben nach
5 Humanität erfüllenden Praxis als Ideal.
Transzendentale Phänomenologie — die Welt als Phänomen
der transzendentalen Subjektivität, des transzendentalen ego, in
dem transzendentale Allheit von ego’s etc. beschlossen ist.
Die Welt ist Welt in ihrer ontischen Zeitlichkeit, und darin die
10 Menschheit, ich und jeder in seiner immanent seelischen Zeitlich­
keit, und jede Gemeinschaft, schliesslich die allmenschliche, so­
weit sie mit uns jeweilig über Welt Nach denkenden, von Welt
Redenden in noch so entfernten Mittelbarkeiten vergemein-
schaftet ist (als das Äusserste: wir Menschen), hat ihre „histo-
15 rische” Zeit, die zur Innerlichkeit der All-Persönlichkeit (all­
seelisch) gehörige. I n n e r l i c h , und rein innerlich gesehen (in
„rein personaler”, „rein psychologischer” Einstellung), herrscht
das universale „Gesetz” der Motivation. Das universale Wir ist
ein generativ (irdisch) abgeschlossener Menschenzusammenhang.
20 Freilich <ist> nicht zu vergessen, dass die Naturhistorie auf den
phylogenetischen Zusammenhang der Tierwelt und, als Rahdver-
mutung (auch ein Randproblem), der „organischen” Welt über­
haupt verweist. Alles menschliche und analog animalische Leben
in Wachheit und Schlaf gehört zur Einheit einer sich immer neu
25 konstituierenden universalen Wachheit. Alle Wachvorkomm­
nisse, nämlich alle Affektionen und Aktionen aller j eweils Wachen,
stehen in der Einheit eines einzigen innerzeitlichen (historisch­
zeitlichen) Motivationszusammenhanges, der teils Motivations­
verflechtung der Simultaneität ist (was nicht besagt, dass alle
30 simultanen Ichsubjekte simultan in Konnex stehen), teils der
Folge. In diesem Sinne ist die All-Personalität in einer u n i v e r ­
s a l e n Ge n e s i s . Aber wieviel dieser Rede zugemutet werden
kann, wie diese Genesis systematisch geklärt und in ihrer Struk­
tur herausgestellt werden kann, das ist das ungeheure Problem.
35 Zu bedenken, dass jedes Ichsubjekt seine eigene Historizität hat,
dabei seine „Geburt”, und innerlich gesehen seine besondere Ge­
burt als Welt habendes Menschenkind mit dem Randproblem der
anzunehmenden Geburt eines Wachseins als Ichsubjekt, obschon
noch nicht als Welt erfahrend.
TEXT NR. 35 619

Betrachten wir den Zusammenhang der Wach Vorkommnisse,


der Akte in ihren verschiedenen Modis, der Affektion, der füh­
lenden Verhaltungsweisen in der Einheit ihres Zeitstromes in
meinem eigenen Leben und in der Einheit der verbundenen (un-
5 mittelbar oder mittelbar verbundenen) Subjektivitäten und ihrer
für einen jeden zugänglichen intersubjektiven Zeit. Aber dann
ist die Frage nach dem, was die Aktivität, das spezifische Ich-
verhalten und Gemeinschaftsverhalten seinerseits schon voraus­
setzt. Anderei'seits, aus Akten gehen Erwerbe und auf seiten des
10 Ich die Stiftung von Vermögen hervor und die Horizonte als
Könnenshorizonte, als Horizonte vertrauten Seins und vertrau­
ten damit Könnens, vertrauter Normalformen von universalen
Werthaftigkeiten und Unwerthaftigkeiten.
Die Geltungsfundierung, die zur Welt als für uns geltenden
15 gehört, als die wir uns klarmachen können — als Welt möglicher
Erfahrung, dann als Welt möglicher Erkenntnis in ihrer korrela­
tiven ontologischen Struktur.1 Wie steht sie zur universalen
Struktur der Welt habenden Subjektivität, die in ihrer Genesis
des Wachlebens und Schlaflebens, im einzelnen ihres Entwickelns
20 von Vermögen, von Erwerben steht, in ihrer Genesis des Erwer-
bens für sie seiender Welt, wo jedes Ich selbst seine Geburt in
jenem doppelten Sinne hatte? Wir haben eine Auslegung der
Welt und des Für-uns-seins der Welt und einer möglichen Welt
überhaupt, wobei schon erworbene Welt mit den korrelativen
25 Vermögen und dem wesensnotwendig zugehörigen Gang faktisch
erfahrenden Weltlebens in ständiger Weltgewissheit ausgelegt
wird. Hier wird der Mensch, die Menschheit ausgelegt, ob onto­
logisch auf seiten der Welt oder als Funktionssubjektivität (Sub­
jektivität schon bestehender Vermögen, zu fungieren und ihr
30 Funktionieren zu dirigieren). Aber das System der Fundierungen,
ob der Akte, ob der Wiederverwirklichung der Erwerbe oder neu
zu bildender Welterwerbe und Vermögen, enthält zwar eine
ständige Genesis, aber setzt immerfort die geworden-werdende
und darin seiende Menschlichkeit und Welthabe voraus. Eine
35 volle Genesis ist Genesis des Menschen und der Menschheit und
eine Genesis der Welt für sie. In der ersteren Genesis bleibt alles,
was vor der Menschenkindlichkeit liegt, unbefragt.
1 Geltungsfundierung, die im geltenden Seinssinn Welt als Sinnesstruktur liegt —
Ontologie.
620 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

Freilich, ist das wirklich richtig? Habe ich, die mir geltende
Welt korrelativ auslegend, nicht auch die Aufgabe, mir das
Wickelkind in seinem Innenleben verständlich zu machen und
seine Entwicklung, bis es „Weltvorstellung” sich erworben hat?
5 „Psychologie der Frühkindheit”. Und abermals wird man fra­
gen: Es bedarf auch der Psychologie der Tiere aller Stufen. In
gewisser Weise ist das richtig. Und doch ist hier eben ein radika­
ler und wesensmässiger Schnitt. Welt als Welt wirklicher und
möglicher Erfahrung reicht so weit, als Erfahrung im eigentlichen
10 Sinne der Selbstgebung, Selbstausweisung, reicht. Oder, was
gleichwertig, so weit die Weltapperzeption ihren Horizont einer
Vorzeichnung hat von möglicher Perzeption, in einer möglichen
intersubjektiv zu vollziehenden Erfahrung, die das Vorgezeich­
nete, ob Neues oder Altbekanntes, zur Selbsterfassung bringen
15 würde. Unsere Welt ist Welt der Menschen, die sich selbst und
einander in der Welt wissen und als Welt Habende die ontologi­
sche Struktur der Welt in der Weise des vertrauten Stiles der von
jeder wirklichen Erfahrung aus antizipierten und vom Ich her zu
dirigierenden Wege möglicher Erfahrung ständig bewusst haben,
20 als ständigen subjektiven Welthorizont, in dem, wie das Alt ver­
traute im Wiedererkennen, so das Neue auftritt, und auftritt in
der lebendigen Motivation der Apperzeption als im Typus be­
kannt und sich fortgesetzt näher bestimmend.
Der ontologische Stil ist für mich bestimmt als das, was dem
25 Allgemeinen nach invarianter Korrelativhorizont möghcher Er­
fahrungen ist, die in sich einstimmig, bzw. unter Korrektur im­
merfort im Ablauf synthetisch einigend Identität des Seinssinnes
Welt in sich tragen; ein Horizont relativ seiender <Einheiten >, als
schon erworben aus Tätigkeiten, die vordem ähnliche Leistungen
30 vollzogen und nun vertraute, habituelle Gekonntheiten sind, sich
jeweils wieder aktualisierend etc. Ich bin das Ich eines bestimm­
ten Vermögens, eines Systems von Sondervermögen, immer schon
gestiftet; immerfort bin ich in der Bildung neuer Vermögen, aber
innerhalb des festen Stiles, der sich selbst immerfort in zweifel-
35 loser Gewissheit vorzeichnet. Alles Neue ist Besonderung, ist
konkret motivierte Vorzeichnung von Individuellem als Kennen­
zulernendem. Jede Erfahrung im gewöhnlichen Sinne einer Kennt­
nisnahme von dem, was da ist und wie beschaffen es ist, setzt
schon den ontologischen Welterfahrungsstil und Weltstil voraus.
TEXT NR. 35 621

Auch Erfahrung in dem Sinne, dass Reales für mich bzw. für uns
in „die Erfahrung tritt”, ehe wir es uns näher ansehen; schon für
uns im Wahrnehmungsfelde etwa oder auch als etwas induktiv
zu Erwartendes, jetzt voraussichtlich Kommendes, bereit zur
5 Kenntnisnahme und evtl. Korrektur, zur Erkenntnis, zu Be­
handlungen; sofern es als Reales auf tritt, setzt es schon den on­
tologischen Horizont voraus. In jedem Moment der Wachheit bin
ich schon, wie ich ständig schon vordem war, im Welthorizont,
ich habe orientierte Welt von meinem Hier und Jetzt aus — es
10 ist schon vorgezeichnet, was mir begegnen kann, ein Bestand von
Realien, die schon unmittelbar erscheinen, dies und jenes, womit
ich mich beschäftige etc. Darin hegt, dass ich auch das Vermögen
habe, die Korrelation von möglicher Erfahrung und möglicher
Welt zu aktualisieren in Form einer Weltanschauung. Welt be-
15 zeichnet ein Vermögen, systematisch erfahren und auf Wegen
des Erfahrens identischen Seinssinn bewähren zu können, dabei
Unstimmiges ausscheiden, statt dessen das Richtige einfügen. Es
ist, was es ist, als ein erworbenes Vermögen, und als das kann ich
vor seiner wirklichen Betätigung oder „stillhaltend” überlegen,
20 was ich jetzt kann. Dem Vermögen entsprechen die Vermöglich­
keiten als mögliche, von mir „zu” verwirklichende Tätigkeiten
und Tätigkeitserwerbe. Jedem Vermögen entspricht das Vermö­
gen der Auslegung seiner Vermöglichkeiten als Konstruktion der
vermöglichen Tätigkeiten im Als-ob. Mögliches Tun, „ich kann
25 das, ich kann das, ich kann von hier aus diese Vielheit, diese To­
talität”, ist ein Fundamentalmodus des Tuns, und nicht etwa eine
blosse Phantasieabwandlung des Tun-Erlebnisses.
Mein Vermögen der Welterfahrung und des gesamten darin
fundierten Weltbewusstseins ist auch Vermögen der Erfahrung
30 von Anderen und ihrer WcItcUahrung, aber auch der gemein­
schaftlichen Welterfahrung, des gemeinschaftlichen wie indivi­
duellen Weltverhaltens in und auf Grund von Erfahrung. Die
Welt ist Welt für uns alle, für die ganze um uns orientierte Mensch­
heit im Allheitsbegriff. Jeder ist mit Welterfahrungsvermögen
35 und Vermögen menschlichen Weltlebens, umfasst darin intentio­
nal aller Anderen Vermögen.
Aber die Welt ist für uns auch Welt, die neben und in einem
gewissen Mass (einem von Tierspezies zu Tierspezies wechseln­
den) auch im Miteinander mit uns Tiere enthält. Wie steht es mit
622 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

meinem, mit dem menschlichen Vermögen, Tiere zu erfahren, also


tierisches Seelenleben, und wie mit den Wickelkinden! und ihrem
Seelenleben? Endlich auch die Verrückten. Sie alle werden erfah­
ren als „seelische” Wesen, als Ichsubjekte, als solche doch auch in
5 der Welt — der einen Welt — lebend, in der wir Menschen leben,
in der wir in unseren menschlichen Tätigkeiten des Erfahrens, des
Denkens, des Werfens, des Handelns und auf Grund unserer
menschlichen Vermögen unser ichliches Dasein haben. Also sie
werden von uns erfahren — als selbst in der Welt lebende in
10 ihren Vermögen — in ihrer Weise des Daseins.
Aber da muss man zunächst fragen: Warum nenne ich sie
Tiere und unterscheide sie von Menschen ? Etwa wegen ihrer ty­
pisch ganz anderen Leiblichkeit ? Aber sind die Pferdewesen bei
Gulliver nicht eigentlich Menschen, und sind unsere Pferde nicht
15 wesentlich verschieden von diesen pferdeleiblichen „Vernunft­
wesen” ?
Jeder Mensch — meinesgleichen. Jeder ein „Anderer”, jeder
wird verstehend erfahren als Abwandlung meiner selbst. Der An­
dere ist anderer Deutscher — darin eine Sondertypik in typischer
20 Leiblichkeit, in typisch sich ausdrückender (in typischen Aus­
drucksweisen, deutschen). Jedes Volk hat seine Typen -— ver­
schiedene Völker, verschiedene Rassen: allgemeine Typen, leib­
lich und seelisch. Im Verstehen der Anderen liegt öfters: man er­
fährt sie vorweg entweder in ihrem Typus — oder man versteht
25 sie als bloss Fremde. Aber wenn darin ein Verstehen, und zugleich
in einem Nebel des Nichtverstehens, hegt odereine Schicht wirk­
lichen Verstehens, wie hinsichthch der Leiblichkeit (obschon die
typische Erscheinungsweise des Körpers „abweichend” ist von
der „normalen”), und ein Leerraum von Unverstandenem, so
30 gilt das doch in einigem Masse auch für jeden Anderen. Es ist
eine Normaltypik, zu der ständig diese Spannung des Verstehens
und Nichtverstehens gehört, in Kraft: der Typus heimatlicher
Menschen (mit ihren Sondertypen), Süddeutscher, Norddeutscher,
Schlesier etc., deutsche Menschen, europäische Menschen — Ja-
35 paner, Chinese, Inder, oder in vagster Allgemeinheit: ein völlig
Fremder, und doch Mensch, der allerallgemeinste Typus. Es wird
uns nicht einfallen, den so völlig Fremden als Tier anzusehen.
Haustiere, Tiere der Heimwelt, in Europa verbreitete Tiere etc.
In unserer engeren und weiteren und weitesten Heimat erfahren
TEXT NR. 35 623

wir Tiere nicht als fremde Lebewesen, sondern als solche in be­
kannter Typik, Ochsen, Pferde, Schwalben etc. Gegenüber den
heimatlichen Tieren dann wieder Tiere, die uns fremd sind und
die da, Tiere wie Menschen, als generative und in ihrer Weise so-
5 ziale Wesen aufgefasst werden; wie sie als Heimtiere vertraut
sind, so werden sie auch artmässig aufgefasst — jedes fremde Tier
als Tier einer fremden Art.
Die Tiere einer Art haben ihr eigenes Füreinander- und Mitein-
ander-sein, haben ihren eigenen generativen Zusammenhang, der
10 (innen gesehen) zwischen ihnen innere Einheit bedeutet. Sie sind
in Beziehungen der Einfühlung, sie verstehen sich artmässig, sie
sind füreinander bekannte und unbekannte durch Instinkt und
Erfahrung — so verstehen wir sie, erfahren wir sie, wenn es zum
mindesten „höhere” Tiere sind. Andererseits bestehen Verhält -
15 nisse, Verständnisbeziehungen zwischen Tieren verschiedener
Spezies — so beobachten wir, so können wir erfahrend auffassen
—, manchmal freundliche (oder nicht feindliche), manchmal und
öfters feindliche. So auch zwischen Menschen und Tieren in dieser
Hinsicht, als ob Menschen <eine> Tierspezies unter anderen wä-
20 ren. Wir als Menschen erfahren Tiere zunächst als mit uns da in
der vertrauten Umwelt und als gefährlich oder zeitweise gefähr­
lich, aufgeregt, boshaft etc. oder als ungefährlich, als freundlich.
Und danach verstehen wir Tiere im Miteinander. Selbstverständ­
lich, die generativen Instinkte und Erfahrungen haben wir zu-
25 nächst bei uns, und von da aus verstehen wir oder glauben wir zu
verstehen, wie Tiere miteinander generativ leben, und zwar in der
Zweiseitigkeit der Aussen- und Innenerfahrung. Aber wie immer
wir unsere Erfahrung erweitern, in der für uns seienden Welt sind
Menschen und Tiere, Menschen verschiedener Rassen, Tiere ver-
30 schiedener Spezies im voraus da und gehören zur Welt, die uns in
jeweiligen subjektiven Modis der Vertrautheit und Fremde gege­
ben ist, und darin ist also auch die Tierwelt immer schon vorge­
zeichnet, aber in ihrer genaueren Typik erst durch Erfahrung
kennenzulernen, so wie die Menschenwelt.
35 Zur Typik der Tiere wie der Menschen gehört eine Typik der
Gegebenheitsweise, des für uns Bekannt- und Unbekanntseins
mit Wegen des Bekanntwerdens. Das ist so zunächst für alles
Reale und die Welt im ganzen. Im Ganzen haben wir die Struktur
der Heimwelt und ihrer Stufen, des Horizontes der Fremde, die
624 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

Art, wie sich die Heim weit selbst durch Erfahrung immer er-
schliesst, sich aber auch erweitert durch Einbeziehung von Fremde,
die zunächst mit einem grossen Horizont der Unbekanntheit ver­
standen ist und dann immer bekannter und verstanden wird. Das
5 betrifft alle Dinge — in ihrer Typik der Auffassung als Heimdinge
und Fremddinge. Aber hier sind Unterschiede. Meine Heimgenos­
sen haben seelische Beziehung auf die ihnen gemeinsam geltende
Heim weit, jeder erfährt jeden mit der Allgemeinstruktur Ich-
subjekt, aber nicht nur <als> das, <sondern > als Mensch und als
10 Mensch der allvertrauten Heimwelt. Den Fremden versteht jeder
Heimgenosse eben als Fremden, das ist zwar in leerer Allgemein­
heit als Ichsubjekt, aber nicht mit der psychischen Eigenheit des
Heimmenschen, vielmehr als Menschen einer unbekannten Heim­
welt, der für seine Vermögen, für seine Interessenhabitualität, für
15 seine subjektive Struktur der Erfahrungsmöglichkeit, der prak­
tischen Möglichkeiten usw. In seinem psychischen Individual­
typus, aber auch in seinem völkischen und speziellen heimatlichen
Typus ist er mir und uns Heimgenossen allen völlig unbekannt,
und jenes ist gerade das, was ihm Konkretion des Seins verleiht.
20 Meine unbekannten Heimgenossen apperzipiere ich ohne weiteres
mit der ganzen Struktur des Heimgenossen, und aus seinem Ver­
halten in unserer vertrauten Heimsphäre bestimmt er sich mir
näher, wird er bekannt, wie alle Bekannten sonst mir bekannt
geworden sind, die ich als reifer Mensch der Heimsphäre je kennen-
25 lernte. Aber anders hinsichtlich des Fremden. Wie lerne ich ihn
anders kennen, als indem ich mir seine für ihn seiende Heimwelt,
das ist die ihm in seinem generativen Feben normal erwachsene
und als die seiner Heimgenossenschaft allvertraute, zueigne. Aber
jeder als Mensch Dahinlebende hat seine Welt als endliche Welt,
30 und notwendig zunächst als Heimwelt. Ihre Endlichkeit kann er
entschränken, er kann in die weite Welt hinausgehen, in die
Fremde, die im allgemeinen wieder Menschen enthält, für welche
diese neue Weltsphäre in entsprechender Endlichkeit Heimwelt
ist. Aber in die Fremde hinausgehend, mache ich mir zwar ein
35 Fremdes zu eigen, aber in der notwendigen Art, dass ich auf Grund
der apperzeptiven Typik, die mir als Heimat mit den heimischen
Dingen, heimischen Tieren und Pflanzen, mit der heimischen
Kultur usw. zu eigen geworden ist, das Ausserheimische apperzi­
piere. Dann finde ich mich zwar in derselben Welt und endlichen
TEXT NR. 35 625

Weltsphäre wie die fremden Menschen dieser Sphäre, aber keines­


wegs bin ich darum schon in dieser neuen Umwelt beheimatet,
und keineswegs kann ich die Menschen innerhalb derselben so
einfach kennenlernen wie die meiner Heimat, ihre Verhaltungs-
5 weisen zu dieser Weit und diese selbst so verstehen, wie sie sie
verstehen und wie diese Welt für sie ist, wie diese Menschen für­
einander sind usw. Und doch verstehe ich sie und verstehen wir
einander als Menschen, und im lebendigen Verkehr haben wir
eine entsprechende Schicht, die in der wechselseitigen Einfühlung
10 bestimmt und in einstimmiger Bewährung verstanden wird als
Sinneskern der Seinsgewissheit, aber als Kern der Unverstanden-
heiten, die Menschentum und Welt für das Menschentum erst
konkret machen in seiner natürlichen Relativität. Davon wissen
wir alle, wir merken es bald im Verkehr, und nun erwachsen die
15 Probleme der Methode, hier konkretes Verständnis und Wechsel­
verständnis herzustellen, also in der Relativität und von der ver­
trauten Welt und Menschheit her die Fremde zu erschliessen und
vertraut zu machen — also doch wohl es irgendwie zustande zu
bringen, dass wir die Fremde verheimatlichen oder so anschaulich
20 nachverstehen können, als ob sie Heimat wäre —, freilich auch
mit der Frage nach den Grenzen solcher Erkenntnis, nach den
Stufen ihrer eigenen Relativität und dem Recht der Idee eines
vollkommenen Verstehen, so vollkommen wie das in der
Heimsphäre.
25 Ziehen wir nun die Tiere herein. Sie gehören in einem gewissen
Umfang von vornherein mit zur heimatlichen Welt. Wir brauchen
also nicht über diese hinauszugehen, um diese Tiere als draussen
lebende zu apperzipieren. Aber wieder ist es so, dass, was wir in
uns tragen als unsere seelische Struktur, durch die für uns Heim-
30 weit Sinn hat und ihren Sinn gewonnen hat, nicht den Tieren ein­
verstanden werden kann. Auch da kommt nicht nur Einfühlung
zustande, sondern sie hat einen Bereich ständiger Bewährung, so
dass die Tiere für uns als psychische Wesen nicht nur leer gelten,
sondern für uns evident als das da sind, in evident verständlichem
35 ichlichen Sich-verhalten zu den Dingen, zueinander, zu uns. Dass
die Tiere (wir nehmen zunächst „höhere” Tiere) Augen haben,
zu sehen, dass sie Ohren haben, dass sie Beine haben, dass <sie>
stehen, liegen, laufen, heben und tragen, fressen und einander als
das verstehen, dass sie auch uns als das verstehen etc., und all das
626 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

in einer im Wechselverstehen und Sich-bestätigen liegenden Evi­


denz, für sie wie für uns — ist klar. Diese Schichte der verste­
henden, der einfühlenden Erfahrungsbewährung betrifft wie bei
fremden Menschen vor allem die Leiblichkeit als solche, das im
5 Leibe und durch ihn ausserleibliche Walten, das Typische des ur­
sprünglichen generativen Lebens etc.
Es ist eine Aufgabe, das wissenschaftlich auszulegen, was in
diesem Füreinandersein liegt, für noch so fremde Mitmenschen
wie für mitdaseiende Tiere. Dass in dieser Hinsicht Tiere unter-
10 schieden erscheinen von fremdrassigen Menschen, etwa für uns
Europäer die Neger, Melanesier etc., wäre nur ein gradueller Un­
terschied, sie könnten darum noch immer Menschen sein. Es ist
da das Problem, was Menschentum ausmacht in seinem allge­
meinsten regionalen Wesen und was von da etwa für die Form der
15 Leiblichkeit gefordert wird — wie verschieden sie auch gedacht
werden möge, in wie verschiedengeformten und fungierenden Or­
ganen, z.B. statt der tastenden Hände tastende Fühler, statt op­
tischer Organe als „Fern”-organe Geruchsorgane und dgl. Denn
all das sind evtl, untergeordnete Unterschiede, wo es auf eine
20 gewisse, durch psychische Funktionen und ein gewisses Zusam­
menspiel derselben bestimmte Typik in der Koordination von be­
weglichen Organen ankommt.
Offenbar heisst es hinsichtlich des Erfahrens, durch das wir
Tiere haben und als in ihrer ichlich-seelischen Art erfahren, wie-
25 der: Das Tier hat vermöge seiner psychischen Art, aus seiner
Weise zu apperzipieren, aus seinen konstitutiven Funktionen
seine endliche Umwelt, seine Weise des Welthorizontes, und seine
Weise ist nicht unsere Weise, unsere noch so eingeschränkt ge­
nommene Umwelt ist nicht die des Käfers, der Biene, der Taube,
30 auch des Haustieres (das freilich menschlich erzogen wirklich
Züge der Menschlichkeit angenommen hat). Wir verstehen, wir
erfahren sie doch, ein Gemeinsames der Erscheinungsweise der
Einheiten muss bestehen. Aber wie steht es mit der Aufgabe,
tierisches Seelenleben nachzuverstehen, zu fortschreitend voll-
35 kommenerer Erfahrung zu bringen, sich auch nur eine Anschau­
ung seiner Lebensmöglichkeiten und der für es seienden Welt als
solchen, der für es bestehenden Lebensinteressen, Zwecke, Ziele
etc. zu verschaffen ?
Wenn wir darin versagen — hat dann unsere Welt nicht, und
BEILAGE XLVIII 627

am Ende wesensmässige, Unbestimmtheiten? Ist die Welt für uns


nicht Welt aus wirklicher und möglicher Erfahrung, muss sie
also nicht in allem, was ihr zugehörig ist, als erfahrbar gedacht
werden können, also auch hinsichtlich des tierischen Seelenlebens
5 und der gesamten, einer tierischen Spezies zugehörigen Geltungs­
struktur der für sie seienden Welt ? Was sind die Bedingungen der
Möglichkeit dafür, dass das Tier eigenes Sein hat, als psychisches
Wesen Für-sich-sein, und in diesem Für-sich-sein wirklich seiend
in der Welt für uns ? Aber d ie Welt überhaupt, ist sie eine andere
10 als die Welt für uns?
Sollen wir uns damit begnügen zu sagen: Die Welt, von der wir
hier reden, das ist die Welt für uns Deutsche, für uns Europäer
günstigenfalls? Die Inder, die Primitiven etc. haben je ihre Welt,
und jede Tierspezies hat wieder ihre?
15 Aber sind nicht w ir es, die wir uns soeben als Deutsche in eine
Reihe mit den Tieren stellten, welche Inder, Tiere etc. als welt­
liche Realitäten apperzipierten, sind diese also nicht deutsche
apperzeptive Gebilde, uns Deutschen Geltendes nach Sein und
Sosein, und sind wir es nicht, die ihnen ihre subjektive, geänder-
20 ten Apperzeptionen und Geltungen zuschreiben ?

BEILAGE XLVIII
< HEIM WELT ALS WELT DER ALL-ZUGÄNGLICHKEIT.
FREMDHEIT ALS ZUGÄNGLICHKEIT IN DER EIGENTLICHEN
UNZUGÄNGLICHKEIT >
25 (Schluchsee, 10. September 1933)

R ü c k f r a g e n von der Wel t als der im Sinne der Wissenschaft


w a h r h a f t sei enden, also von den W i s s e n s c h a f t e n .
Wissenschaften von der Welt als Welt der Erfahrung. In der Rela­
tivität der Erfahrungsgegenständlichkeiten und Erfahrungswelten die
30 eine und selbige Welt zur „Erscheinung” kommend. Die deskriptiven
Wissenschaften als Wissenschaften innerhalb einer normalen Welt als
traditionaler Umwelt, bzw. als Zweige der totalen deskriptiven Wissen­
schaft als Wissenschaft von der Totalität dieser Welt als Welt mög­
licher Erfahrung. Diese Wissenschaft ist relativ zu mir, dem wissen-
35 schaftlichen Subjekt, zu meiner wissenschaftlichen Gemeinschaft, zu
der historischen Menschheit, der ich und diese Gemeinschaft angehört.
Zur Welt der Erfahrung gehören „wir” in unserer historischen
Tradition, die in ihr Beheimateten, in ihr hegt unsere Heimat und
628 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

unsere Geschichtlichkeit, unsere Kultur, unsere Wissenschaften wie


Religionen, unsere Weise, Welt zu erfahren und Erfahrungswelt zu
apperzipieren, zu bewahrheiten, zu beschreiben. Aber zu dieser Welt
gehören auch fremde Menschheiten mit fremden Weltanschauungen,
5 evtl, fremden Wissenschaften. Aber die fremden Erfahrungen sind
nicht unsere, die fremden Wissenschaften können wir nicht direkt
nachverstehen und nachprüfen, bewahrheiten, zur Einheit bringen
mit unserer Wissenschaft.
Wie charakterisiert sich hier Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit?
10 Ich und wir — zentriert im „lebendigen” generativen Zusammen­
hang meiner Familie, meiner Heimmenschlichkeit oder Heimat, mei­
nes Volkes in meinem so „historisch lebendigen” Weltleben, meiner in
lebendiger Fortbildung befindlichen und der noch verfügbaren Tra­
dition, der noch in ihren Denkmälern, Dokumentierungen zur Neu-
15 bekundung bereiten und gelegentlich wieder verlebendigten und in der
Erweckung neu wirkenden.
Im weltlich lebenden Ich — die Kontinuität des wachen Lebens,
Kontinuität in der Weltapperzeption (und Ichausbildung), Kontinui­
tät in der Bildung des Lebensinteresses etc. Diese Kontinuität ist in
20 ihrer Latenz. In jeder lebendigen Gegenwart die jeweilig jetzige Welt­
apperzeption, das Ich in seiner Jeweiligkeit in seiner jetzigen Aktivität,
in ihrem Stande jetzige Einfälle, Wiedererinnerung, Vorblick etc. Ak­
tuelle Einfühlung, aktuell mit Anderen in Beziehung sein, aktuell uns
gemeinsame Welt, aktuell personal verbunden, in Zweieinigkeit und
25 Mehreinigkeit Einheit eines weltlichen Interesses pflegen etc.
Ich habe einen aktuellen Horizont des Daseins, eine „aktuelle”
weltliche Gegenwart, heute vormittag, Tag in der gegenwärtigen Reihe
von Tagen, Gegenwart des in Verlauf befindlichen Sommeraufent­
haltes etc. Und das nicht als isoliertes Ich, sondern in Gemeinsamkeit
30 mit den zugehörigen Ichsubjekten dieser Gegenwart. Stehende stän­
dige Bewegung, strömender Wandel, ich darin aktiv, aber auch in
dem Vermögen, diesen Wandel, auch die Aktivität in ihrem Fortgehen
und Vorübergegangensein wieder zu überschauen, Erinnerung ver­
schiedener Modi zu vollziehen, der Anderen und ihres Lebens zu ge-
35 denken.
Also Charakteristik des strömenden Lebens, des ichlich wachen
Tätigkeit Übens, Weltapperzeption zu haben, und mit immer neuem
Sinn haben, mit der darin liegenden Einheit der Welt in ihrer wandel­
baren Horizonthaftigkeit mit dem Wandel der Affektionen auf das Ich,
40 die in neue Zuwendungen und Aktivitäten übergehen etc. Dieses strö­
mende Leben und Sein in sich implizierend den Horizont der Anderen,
aber als Andere ihres Lebens; aber dieses <ist> in seinen Mittelbarkei­
ten, in seinen Vergemeinschaftungen im allgemeinen im Moment der
wachen Gegenwart, im wachen Gegenwartsströmen, verborgen und
45 doch mit subjektiv mir eigenem Seinssinn mitgemeint etc.
1) Horizont des Daseins und Lebens als des primordialen (im pri­
vaten Sinne), was ich selbst wahmehmen kann, wessen ich mich selbst
BEILAGE XLVIII 629

erinnern kann etc. Endliche Zugangssphäre der räumlichen Gegen­


wart.
2) Beschreibung des Horizontes der Heimweltlichkeit. Ich in mei­
ner Heimat, territorial verstanden. Deutschland (und selbst Europa)
5 ist für mich primordial ein allseitig zugänglicher Raum, von „zufälli­
gen Hemmungen” abgesehen. Auf demselben Heimterritorium leben
meine Heimgenossen, in ihrem leiblich-leibhaften Dasein für mich zu­
gänglich. (Freilich, sie können sterben, ich kann sterben, sie können
sich der Begegnung entziehen, ich kann es — also all dergleichen
10 „Hemmungen” der wirklichen Möghchkeit des Zusammenkommens
müssen überlegt werden.) Die Menschen der Heimat sind, wie ich
weiss und durch Auslegung meines Lebenshorizontes bzw. meiner
„Welt”, in der ich zu Hause bin, mir klarmache, miteinander in un­
mittelbarem oder mittelbarem Konnex, ich verkehre in Zusammen-
15 arbeit etc. Jeder hat in dieser Heimwelt seine Zwecke und seine Er­
werbe, die über seine momentane Gegenwart hinaus ihre Zweckfunk­
tion üben und so dauernden Zwecksinn haben, solange er an seinem
Zweck festhalten will. Im Heimleben das Miteinander und Gegenein­
ander der Zwecke, der Interessen, der Erwerbe, der Güter.
20 Die H e i mw e l t als Wel t der A l l - Z u g ä n g l i c h k e i t , des
für alle Seienden, für alle Bewährbaren — cum grano salis! —, es gibt
da Klügere und Dümmere, Geschicktere und Ungeschicktere, Belehr­
bare und Unbelehrbare. Und kommt nicht auch in Frage, dass die
Heimwelt eine Welt des Herrschens und Dienens ist? Jedenfahs für
25 ahe eine weitreichende Grundschicht des Normalen, des Alltäglichen,
des Allverständlichen in Verharren und Wandel (alltäglich normale
Umwelt, alltägliches Menschentum, ,,Durchschnittsmenschlichkeit'’).
Darüber ein Horizont der Unterschiedenheit, der Menschen, die das
Überdurchschnittliche können, deren Leistungen in einer Art über-
30 durchschnittlich sein können, dass sie nicht ohne weiteres nachver­
standen werden können. Aber der Durchschnittsmensch kann lernen
und in einigen Grenzen nachverstehen lernen wie auch nachahmen
lernen, und dadurch auch lernen, dass er zunächst nur eine Strecke
weit versteht, einen Horizont des noch Unverstandenen und nur in
35 einer Unterstufe Verstandenen hat, wie auch, dass es „Sachverstän­
dige” gibt, dass man ihre Überlegenheit selbst erkennen und bewähren
kann, als überlegene Lehrer dessen, was sie schon erworben haben an
den für den Lernenden noch unverstandenen Leistungen. Im Lernen
gewinnt man von ihnen geleitet Verständnis und Evidenz der Möglich-
40 keit und Wirklichkeit, in der zugleich Evidenz der Überlegenheit des
Lehrers gegeben ist etc.
Bei all dem haben wir in jeder Gegenwart den fundierenden Boden
der Durchschnittlichkeit, der selbst im Wandel ist und der sich auch
als solcher durch Belehrung in Verbreitung, schliesslich durch Absicht
der Erhöhung dieses Bodens in Form der allgemeinen Schule erhöht.
630 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

Funktion der Nachahmung


In der Vergemeinschaftung, die schon ganz ursprünglich und in
jedem von der Kindlichkeit an menschliches Leben ausmacht, spielt
die Nachahmung eine ständige grosse Rolle. Wo immer man in der
5 Einfühlung, in der Deckung mit dem Anderen seine Wertungen, seine
Bestrebungen und Erfolge mit vollzieht (unmodalisiert), da lernt man
schon von ihm, man gewinnt selbst mit eine entsprechende Habituali-
tät, ähnlich sich zu verhalten, Ähnliches als bereite Vermöglichkeit zu
haben, ähnliche Möglichkeiten verwirklichen zu wollen etc. Nur dass
10 man das Vermögen nicht ursprünglich erworben hat und nun nicht
gleich als ein geübtes und sicheres Können hat, vielmehr, nur der All­
gemeinheit des Könnens gewiss, es in Verwirklichung setzt, die des
Versuchens, unter Verfehlen wieder neu zu versuchen, bessernd, durch
Übung zum Meister werdend.
15 Aber auch das in Konnex mit dem Anderen Nachmachen und im
Wechselspiel sich Vormachen-lassen, um es genauer in seinen Stadien
nachverstehend nachmachen zu können; ferner das absichtliche Ver­
halten des Belehrenwollens, wie z.B. der Eltern für ihre Kinder, sei es
aus ursprünglicher Liebe, in der Freude, Andere weiter zu bringen, in
20 dem, was sie an sich schon schätzen, sei es später aus Pflicht, aus
Beruf, als Lehrer.
So gehört zum Gemeinschaftsleben immerfort die Bewegung eines
allgemeinen Aufstieges. Die menschlichen Kinder wachsen und werden
zur Reife hin durch Nachahmung und durch Belehrung, die reifen
25 Menschen untereinander sind in Verhältnissen des überlegenen und
schwächeren Könnens, individuell kann der eine und erwirkt der eine,
was der andere nicht kann, und evtl, zugleich umgekehrt und in an­
deren Hinsichten. Man hat gemeinsam ein Reich gemeinsamer Schät­
zung und Leistung, jedermann ist im Miheu einer Menschheit von
30 durchschnittlichem Können und dabei doch in Unterschieden des
besser und minder gut Könnens, des Neues Schaffens und Neues
Könnens, was gerade dieser vorzüglich und evtl, erstmalig kann, und
des Strebens, dem nachzutun. Es hegt also darin eine notwendige
Tendenz des Aufstieges im durchschnittlichen Können und Leisten
35 und korrelativ des Niveaus der allgemeinen und durchschnittlichen
Güterwelt und des Lebens durchschnitthcher Befriedigung, solange es
normalen Stil innehält.
Ich in meiner lebendigen urtümlichen Gegenwart, in meinem ak­
tuellen und potentiellen Geltungsleben. Die „Potentiahtät” ist hier
40 das Problem, nämlich sofern sie selbst Modi hat. Ein anderes Wort
dafür ist offenbar unsere Rede von Horizonten, was eingeht in die
jeweihgen Apperzeptionen. Diese als solche haben ihre verschiedenen
Modi — ihre verschiedene Horizonthaftigkeit, ihre verschieden ge­
weckte Potentiahtät. Was im Horizont ist, hat „Zugänglichkeit”, es
45 ist ein Zugangshorizont und hat als praktischer seine vom Jetzt aus
vorgezeichnete praktische Möglichkeit und Unmöglichkeit. Ahe Ap-
BEILAGE IL 631

perzeptionen, alle Horizonte haben aber ihre universale Einheit in


einer universalen Apperzeption — in der Jeweiligkeit des Jetzt.
Wichtig ist das System der Schichtungen und Mittelbarkeiten in der
Horizonthaftigkeit und Zugänglichkeit, die Fundierung der mittel-
5 baren Horizonte des jeweiligen Jetzt — alle in gewisser Weise aktuell,
sofern eben die jetzt in Funktion stehende Apperzeption ist, was sie ist
in ihrer lebendigen Geltung, die lebendig — in gewisser Weise be-
wusstseinsmässig — den ganzen Horizont umfasst, ja den ganzen To­
talhorizont der totalen Apperzeption, in welche, was wir Sonderapper-
10 zeption nennen, eingeht. Das Eingehen selbst besagt ja nichts anderes,
dass sie zwar ihren Horizont hat, aber selbst in weiteren und schliess­
lich im Universalhorizont liegt. Aufzuweisen und zu klären ist also die
Mittelbarkeit der Intentionalität bzw. der Geltung, die Art, wie Ein­
heit einer Apperzeption sich abschliesst mit ihrem Zugangshorizont,
15 während doch mitbewusst ist ein weiterer Horizont von Zugänglich­
keiten, der zu einer höherstufigen Apperzeption gehört usw. Schliess-
Ech, jede Apperzeption von Weltlichem hat selbst schon in sich der­
artige Schichtungen, und dazu gehören mögliche Einstellungen.
Ich kann schon in der Einstellung auf französische Welt, Menschen-
20 tum, Kultur sein und nun irgend etwas Hineingehöriges, z.B. auf der
Reise das Dorf, die Strassen, die Menschen eben als französische be­
trachten. Oder ich bin im Schwarzwald und sehe das einzelne als
Schwarwäldisches in seiner typischen landschafthchen oder lands-
mannschafthchen Umgrenzung. Oder ich bin eingestellt auf meine
25 Wohnung, oder auf die Strasse und Freiburg oder die Freiburger
Landschaft etc. Indessen, auch wenn ich nicht im besonderen so ein­
gestellt bin, sind die Schichtungen des Aussenhorizontes da, während
ich speziell beschäftigt bin etwa mit der Ordnung meiner Bücher.
Ich meine nun: Wir leben normalerweise in unserer Heimwelt, oder
30 besser, in einer Umwelt, die für uns wirklich vertraute (obschon nicht
in allen individuellen Reahtäten vertraute) Welt ist, die für uns wirk­
lich durch Anschauung zu verwirklichen ist. Im mittelbaren Horizont
sind die fremdartigen Menschheiten und Kulturen; die gehören dazu
als fremde und fremdartige, aber Fremdheit besagt Zugänglichkeit in
35 der eigentlichen Unzugänglichkeit, im Modus der Unverständlichkeit.

BEILAGE IL
<UNVOLLKOMMENHEIT DER ERKENNTNIS DES ANDEREN
IN SEINER „HISTORIZITÄT” >
<wohl September oder Oktober 1933>

40 Eine vollkommene Kenntnis eines Anderen gibt es prinzipiell nicht,


er ist aus seiner individuellen „Historizität”, seiner genetischen Selbst­
konstitution, die ich nicht wirklich vollkommen, ja auch nur in Strek-
ken, enthüllen kann. Ich kann ja nicht einmal meine eigene enthüllen,
632 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

meine eigene transzendentale Konstitution erinnerungsmässig wieder­


herstellen, obschon ich doch entwickelter Mensch nur bin als der Er­
werb dieser Konstitution und mit dem „Vermögen”, mich zu erinnern.
Aber schon die natürliche Erinnerung ist nicht eine Sache blosser Will-
5 kür. Sie bedarf der Weckung. Die tiefere Konstitution, die hinter der
menschlichen Erinnerung liegt, kann ich nur durch Phänomenologie,
aber nicht in ihrem faktischen Gang in der Weise einer <zu> erinnern­
den Selbstvergangenheit, sondern nur durch Rekonstruktion ihres
allgemeinen Typus gewinnen.
10 Ich in meinem Individualtypus. Die Anderen in Individualtypik
apperzipiert, die allgemeine Form Ich — Person. Ich vorweg in meiner
Gewordenheit und meinem Werden aus „mir”, aber in Konnex mit
Anderen als in ihrer Gewordenheit und ihrem Werden aus sich.
Andere kennenlernen — der mitapperzipierte Horizont der Anderen,
15 ihr Gewordensein, ihr Werden, ihre Ziele, Interessen, in unbestimmter
Leere. Meine eigene Erinnerungssphäre in ihrer Zugänglichkeit immer
bevorzugt, zugänglich durch blosse Weckung etc. Wie weit reicht die
Assimilation, in der ich den Horizont der Anderen, ihre Erlebnisse,
ihre Absichten, ihre bleibenden Interessen in bestimmten Vorzeich-
20 nungen gewinne?
Grundstruktur im Individualtypus Ich, die von vornherein und
immer zur apperzeptiven Übertragung bereit ist, die sich in der Ap­
perzeption eines Anderen und wieder Anderen notwendig wiederholt
und das Allgemeinste, den allgemeinen Kern der Apperzeption Person
25 (Mensch) ergibt, Leib, Umgebung, fremde Gegenstände, fremde Um­
gebung, die man kennenlemen kann, deren allgemeinsten Typus man
schon durch assimilierende Apperzeption verstanden hat. Fremde
Dinge — aber die fremden, was sie den Personen bedeuten, wie Per­
sonen in fremder Dingumgebung leben. Fremde Umgebung als per-
30 sonal bedeutsame Umgebung, mit personal erwachsenem geistigen
Sinn nachverstehen. Analogisch apperzipiert ist schon, dass es mensch­
liche Umgebung ist, dass Menschen sich typisch, als in ihr lebend in
typischen Weisen — aber zunächst unbestimmt allgemeinen, unbe­
kannten Analoga der eigenen — verhalten. Die Sondertypik der Hei-
35 mat, die Individualtypik, ist das Fundament der Analogie, aber das
Fremde ist unbekannt in der analogischen Sondertypik. Die Analogie
ist eine „allgemeine”. Aber sie kann vorzeichnen Wege des näher Ken-
nenlernens: des quasi mit den Anderen Lebens im Nachverstehen unter
Näherbestimmung und Korrektur.
40 Aber fremde Rassen, fremdartige Kultur — eine so nicht nachzu­
verstehende, bis auf einen Kern. Es sind Menschen, sie bedürfen der
Nahrung, haben ihre täglichen Mahlzeiten etc. Da spielt schon eine
Rolle: Allgemeinstes der umgebenden Welt. Aber die völlig fremde
Kulturmenschheit lebt in einer völlig fremden Natur. Immerhin, wie
45 fremd sie ist, sie hat Gemeinsames, Erde und Himmel, Tag und Nacht,
Steine und Bäume, Berg und Tal, mannigfaltige Tiere — all das im
allgemeinsten Typus analogisch aufgefasst, obschon als Fremdes.
BEILAGE IL 633

Darauf bezogen und davon mitbestimmt allgemeinste typische Analo­


gien des Verhaltens, darunter des erfahrenden und fundiert des prak­
tischen, und Allgemeinstes der Ziele, bleibenden Zwecke, des Lebens­
stiles. Die naturale Umwelt muss entsprechend bekannter und bekannt
5 werden, damit man die besonderen praktischen Verhaltungsweisen und
die aus ihnen erwachsenden Kulturobjekte in ihrem Zwecksinn ver­
stehen kann, bzw. die vorhandenen als zweckmässige Gebilde. Aber
das nicht allein. Zu meinem heimatlichen und völkischen Leben gehört
auch historische Tradition verschiedener Stufe, als in der gegenwärti-
10 gen Umwelt auftretende Bedeutsamkeit, die nicht auf blosse Gegen­
wart Bezug hat, sondern auf die Gegenwart als die einer historischen
Vergangenheit. Familienandenken — ein Orden, ein Verdienstkreuz
eines Vorfahren, der unter Friedrich dem Grossen gefochten hat, ehren­
volle Zeugnisse, seine damaligen und fortgeerbten Waffen etc. Oder
15 das Kreuz als religiöses Symbol, aber auch mit als historischer Bezug
auf Leben und Leiden des Erlösers. So alle religiöse Symbolik und
religiösen Denkmäler, Reliquien etc. Das geht ins Leben, ins erbende
Leben, in das Leben der lebendigen Sitte ein.
Alle lebendige Tradition überschreitet dasjenige Gegenwartsleben,
20 das aus sich selbst heraus verständlich wird und näher kennengelernt
werden kann.
Nr. 36

MONADISCHE ZEITIGUNG UND


WELTZEITIGUNG. VON DER THEORIE
DER EINFÜHLUNG ZUR MONADISCHEN
5 SUBJEKTIVITÄT UND VON DA AUS ZU
LEIBLICHKEIT, NATUR, WELT.
NATÜRLICH ZUR MONADOLOGIE
(Mitte Januar 1934)

1) In der Lehre von der Einfühlung handelt es sich um Auf-


10 klärung der in der Seinsgeltung der Anderen beschlossenen Gel­
tungsfundierung. Danach ist Abscheidung des primordialen Fel­
des, Absehen von den Einfühlungen, die Methode, sichtbar zu
machen, dass die so reduzierte („primordiale”) Bewusstseins-
bzw. Seinssphäre fundierend ist, dass sie fungiert als Motivations-
15 träger für die Einfühlung.
2) Das Ergebnis der Einfühlung als Leistung ist eine Vergegen­
wärtigungsmodifikation der fundierenden Primordialsphäre als
„andere”, als fremde Primordialität. Dann ist mit dem „fremden
Leibkörper” m e i n e r Primordialsphäre ein modifiziertes Ich in
20 Seinsgeltung, waltend in s e i n e m „primordialen” Leib (dem
seiner Primordialität), und sein primordialer Leibkörper ist
synthetisch identisch mit dem Körper, den ich als Leib analo-
gisierend verstand: „als ob mein Leib dort wäre”. Die fremde
primordiale Sphäre überhaupt <ist> in synthetischer Deckung
25 mit der meinen, eine Abwandlung, die aus einer meiner frei
möglichen Abwandlungen meiner Primordialsphäre sozusagen
eine existente macht und zur Vorstellung derselben Seinssphäre
<macht>. ,,Selbstentfremdung” kann die Leistung der Einfüh­
lung genannt werden.
30 In weiterer Folge: In der Selbstentfremdung des primordialen
Ich und seiner Primordialsphäre (ein Reduktionsprodukt, ein
TEXT NR. 36 635

Abstraktes im konkreten ego) und somit in der Selbstvervielfälti­


gung zu einer koexistenten Mehrheit zunächst der Form: Prim-
ordial-Ich im Urmodus und Vielheit, Allheit der „fremden”, liegt,
dass sich Entfremdung in jedem fremden Ich wiederholt, jedes
5 hat ja in seiner Fremdheit primordiales Bewusstsein und identi­
sches Sein, seine „Welt”, hat all die „Leiber” als Körper, die
jedes andere fremde Ich hat als seinen Leib, in dem es waltet,
mit dem es von mir her (dem urmodalen Ich) eben als Fremder
erfahrbar geworden ist. Es wiederholt sich also in jedem verge-
10 genwärtigten-Ich die Scheidung urmodales und fremdes <Ich>,
und all das ist von mir, dem originalen urmodalen Ich, aus in
Seinsgeltung. Aber für die mir nun miteinander gleichstehenden
Fremden als nicht nur für mich, sondern füreinander Fremden bin
ich selbst notwendig Fremder, d.i. ich bin nicht nur Urmodus für
15 die Fremden, sondern bin für mich auch Fremder der für mich
seienden Fremden.
In dieser notwendig schon gestifteten Weise der Fundierung
liegt aber eine intentionale Rückproj ektion der Einfühlungen als
von der Primordialität aus gestifteten Fremdgeltungen. Ich bin
20 für mich, und jedes andere Ich ist für sich Subjekt seiner Prim­
ordialität und der von ihr motivierten Einfühlungen, und für
jedes Ich ist jeder Andere Subjekt seiner Einfühlung von Andern,
die selbst Subjekte von Einfühlungen sind, und so <sind> alle
Andern als Andere aller Andern vermöge der Einfühlung schon
25 implicite vorstellig, und ich selbst zwar im Urmodus, aber ein Ich
wie alle Ich, in denen allen wie in mir Selbstapperzeption auf
dem Wege über Selbstentfremdung liegt.

Doppeldeutigkeit der „Primordialität”

Danach erwächst eine wesensmässig begründete D o p p e l -


3 0 d e u t i g k e i t d e r R e d e v o n P r i m o r d i a l i t ä t . Im ur­
sprünglich methodischen Sinn bedeutet es die Abstraktion, die
ich, das ego der reduktiven Einstellungen, phänomenologisierend
vollziehe, indem ich abstraktiv ausscheide alle „Einfühlungen”.
Sage ich nachher „primordiales ego”, so nimmt es die Bedeutung
35 der urmodalen Monade an, in welche die urmodale Einfühlung
mitaufgenommen ist, so wie in der Selbstentfremdung, also in
den fremden Monaden.
636 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 MS 1935

Im absoluten ego als dem ego, das in strömender Ständigkeit


Welt konstituiert und konstituiert hat, liegt als Grundstück
dieser universalen konstituierenden Leistung die Selbstentfrem­
dung der Monadisierung, und damit die Konstitution eines mona-
5 dischen Universums gleichstehender und wesensgleicher Mona­
den, sich im absoluten Ich darstellend als eine eigens abzuhebende
Zeitsphäre oder als eine universale Koexistenz in strömenden
Zeitmodalitäten, und zwar sich darstellend in der subjektiv-
modalen Gestalt Ich-Monade und fremde Monade, deren jede in
10 sich selbst Ich-Monade ist, der alle andern Monaden als ihre
fremden sich darstellen.
Ich habe als Monade mein immanentes Leben in meiner im­
manenten Zeit als Seinsform, Koexistenzform dieses Lebens, und
als in dieser Form und in der Synthesis der Immanenz so verein-
15 heitlicht, dass es in immanenten Zeitmodalitäten identisches zeit­
liches Sein, identifizierbares konstituiert, eben das Sein der Mo­
nadenerlebnisse und Erlebnis verbände.
In der Vergemeinschaftung der Monaden zum monadischen
Universum in monadischer Zeitlichkeit haben wir eine neue Syn-
20 thesis, eben die, <die> Einheit der Mehrheit, Einheit der Koexi­
stenz, der einen Zeit zeitigend schafft, der also alle immanenten
Zeiten, bzw. immanenten Einheiten — die Erlebnisströme und
ihre zentrierenden Ichpole — zugehören, nicht als Teile dieser
Zeit, sondern als teils simultane, teils sukzessive, dabei disjunkte
25 oder sich überschiebende monadenzeitliche Vorgänge.
Es ist hier also nicht ebenso, wie jedes Ich in der Synthesis der
Erinnerungen die immanente Zeit konstituiert: alle Erinnerungs­
zeiten sind Strecken in der einen Zeit.
Die monadischen Erlebnisse und Ströme sind aber selbst kon-
30 stituierend, sind selbst zeitigend, und zwar ist jeder für sich zeiti­
gend, nämlich primordial (von der Welt rückschreitend und ab-
straktiv reduzierend, ist es die primordial reduzierte Welt und zu­
nächst Natur). Die Synthesis der monadischen Koexistenz ist in
weiterer Folge zugleich eine Synthesis, welche die allgemeinsame
35 Natur (und Welt) für alle ■ — für alle monadischen Ichsubjekte
konstituiert.
Ich als urmodale Monade (als Ichmonade schlechthin) habe in
Geltung meinen Horizont von Selbstentfremdungen, von andern
Monaden, und bin dabei konstituiert als singuläre Monade eines
TEXT NR. 36 637

„Wir” als eines Universums der Gleichgeltung von seienden, sich


wechselseitig geltungsmässig und nach ganzem Seinssinn impli­
zierenden Monaden. Aber diese universale Koexistenz ist eine
solche von konstituierenden Ereignissen in der allmonadischen
5 Zeit, jede <Monade> eine primordiale Natur gesondert konstitu­
ierend, aber in der Synthesis, die das Monadenall schafft, eine
identifizierende Synthesis, konstituierend die eine Natur, in bezug
auf welche jede primordiale <N atur> einzelmonadische Erschei­
nungsweise derselben Natur ist. So liegt sie konkret mitbeschlos-
10 sen in der monadischen „Intersubjektivität”.
Wir haben bisher 1) die im stehenden urtümlichen Strömen
konstituierte Zeitlichkeit des absoluten ego, 2) in der primordialen
Reduktion die reduzierte primordiale Zeitlichkeit, 3) dann in der
Selbstentfremdung des absoluten ego für jede einzelne Monade in
15 sich die immanente Zeit, welche konkret ihr Bewusstseinsstrom
ist, mit dem auch eine verzeitlichte Habitualität Hand in Hand
geht, 4) für das Monadenall die Zeit des monadischen Universums,
5) in der darin konstituierten Natur die Naturzeit, deren Ko­
existenzform den besonderen Einheitsgehalt Raum hat.
20 In der konstituierten Natur haben die Leiber durch ihren kon­
stitutiven Ursprung bzw. ihre konstitutive Funktion einen Vor­
rang. Alle Naturobjekte und auch die körperlichen Leiber unter
ihnen setzen voraus, dass (zunächst primordial) Leiber als Stätten
des Waltens der Ichsubjekte, monadisch, der monadischen Ich
25 sind. Jeder Leib ist fest „verbunden” mit seinem Ich und dessen
leiblichem Walten, schliesslich dem ganzen monadischen Leben
der betreffenden Monade.
Die so notwendige Verbundenheit von Naturleib und Monade
als Seele ist nicht eine Verbindung gleich wie in der puren Natur,
30 wie sie ja von einem ganz anderen konstitutiven Ursprung ist. Es
gründet in der Monadisierung (mit der Gleichstellung aller Mo­
naden, der Konstitution eines monadischen Universums, also
einer Allheit von Monaden in einer, in der monadischen Zeit) und
zugleich in der Konstitutionsform Ich-Monade und andere Mo-
35 naden als Gegebenheitsweise des monadischen Universums für
mich (der ich immer das eine einzige und selbe Ich bin und kon­
kret und letztlich das absolute ego) — es gründet, sage ich, darin,
dass alle Monaden eine Natur konstituierende Gemeinschaft sind,
dass sich jede monadische Immanenz und immanente Zeit mit
638 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

jeder synthetisch vergemeinschaften kann. Aber der Gehalt Na­


tur als synthetische Einheit setzt die Besonderheit der Konstitu­
tion einer primordialen Natur voraus (mit all dem, was dazu ge­
hört an Sinnesfeldern, Kinästhesen etc.), dann in der Primordiali-
5 ta t die besondere Konstitution der fungierenden Leiblichkeit in
Korrelation mit den ihr „äusseren” Objekten als Wahrnehmungs­
objekten und praktischen etc. Im Wesen der Einfühlung als
monadisierender Konstitution liegt, dass mein primordialer „Leib
des Andern” und sein für ihn primordial eigener Leib synthetisch
10 identifiziert sind, und von da aus meine „äusseren” Naturobjekte
und die seinen (Deckung in einem Kern da und dort wahmeh-
mungsmässig gegebener und Deckung im aussenweltlichen Hori­
zont hier und dort). Das geht dann natürlich in die „Gleichschal­
tung” ein. Und dabei gehört ohne weiteres zu jedem intersubjek-
15 tiven Leib sein waltendes Ichsubjekt als eines und einziges.
So ist es in der intersubjektiven Natur in ihrer universalen
Identitätsform Zeiträumlichkeit als Seele stellenmässig lokali­
siert. Jedes Naturobjekt, jeder Leib und jedes sonstige Reale ist
Identisches seiner Konstitution, das ist hier in dieser Stufe, seiner
20 monadischen Erscheinungsweisen. Aber hier fehlt etwas. Das
monadische Universum und die intersubjektive Natur ist als
endlos offen konstituiert; das identifizierte, das identifizierbare
= wiedererkennbare und auch unerfahren Seiende hat einen
Horizont von Seiendem, aber noch nicht erfahrenem, und doch
25 erkennbarem.1 Das eine und andere Universum ist konstituiert
als in jeder Gegenwart (in allen Zeitmodalitäten) unendliches.
Offenbar ist es der Raum, der das möglich macht. Nur durch
die Konstitution des Naturraumes als Zugangssystem, das itera­
tiv von jedem Erreichten und Erreichbaren <aus> seine Funk-
30 tionen üben kann, immer neu Nah-Fern-Räumlichkeit entwerfen
lässt, also des Naturraumes als Form identifizierbarer Koexistent-
seiender, wird faktisches Wiedererkennen von Unbekanntem
und doch an sich Seiendem möglich, oder es wird ins Unendliche
an sich Seiendes konstituierbar. Die offene Raumwelt (Welt
35 in der offenen unendlichen Seinsform der Raumzeitlichkeit)

1 Der erste Teil des vorangehenden Satzes wurde, wohl bei der Abfassung des Tex­
tes selbst, wie folgt verändert: „Das monadische Universum und die intersubjektive
Natur ist als endlos offenes Universum Natur konstituiert, <als> das identifiziert; das
identifizierbare . . . ”. — Anm. d. Hrsg.
TEXT NR. 36 639

lässt ins Unendliche seiende, obschon unbekannte Leiber


offen und damit als darin waltend mitzugehörige Ichsubjekte.
Man wird also sagen müssen, dass erst auf dem Wege über die mit
der Monadisierung in eins schon statthabende Naturalisierung
5 der Ichsubjekte (psychophysische Konstitution) und der Konsti­
tution der Raumzeitlichkeit der Natur in ihrer Unendlichkeit1
sich das offene Universum der Monaden konstituieren kann.
Zugleich ist es klar, dass eine Natur ohne Leiber, also ohne Men­
schen undenkbar ist.
10 Jedes monadische Ich ist eo ipso und notwendig konstituiert
als seelisches Ich und konkret mit monadischem Leben und Habi-
tualitäten. So konkret ist es Seele des einzigen Leibes dieser Seele.
Die Monadisierung, die monadische Konstitution ist wesensmäs-
sig so, dass sie impliziert die Naturalisierung jeder Monade, die
15 Verzeitlichung derselben in der Raumzeitlichkeit. Darin liegt
aber zugleich, dass die immanente Zeitlichkeit, in der ich als
absolutes ego für mich genommen meinen Erlebnisstrom und
mein gesamtes Sein ausgebreitet habe, mit der Selbstentfremdung
und Monadisierung zu immanenter Zeitlichkeit der monadischen
20 Subjekte und zu immanenter Zeitlichkeit der Seelen in der
psychophysischen Natur „werden”, bzw. immer schon sein'muss.
So nimmt die immanente Zeit den Sinn einer Vorgangszeit eines
weltlich realen Menschen und speziell seiner Seele an — eines Vor­
gangs in der Weltzeit.
25 Zu beachten: Die Einfühlung ist im absoluten ego eine Leistung,
die fundiert ist durch die abstraktiv herausgefasste Primordiali-
tät. Aber es „liegt” alsbald in dieser Leistung, durch die sie fremde
Subjektivität zur Seinsgeltung bringt, und fremde, die selbst
wieder fremde hat, dass hinterher die Einfühlung mit dem fun-
30 dierenden primordialen Bestand sich einigt zum monadischen
Bewusstseinsleben, und dass so in der Monadisierung zu jeder
Monade ihre primordiale Sphäre (primordiales Konstituieren und
primordial Konstituiertes) gehört und mitgehört ihre Einfühlung.
Das absolute ego mit seinem absoluten Ichpol, der selbstver-
35 stündlich identisch durch alle Selbstverzeitlichungen hindurch­
geht, ist es, das die Einfühlung, die Selbstentfremdung, die Mo-

1 Schon in der Primordialität als Endlosigkeit; doch liegt da nicht schon eine
Idealisierung, geht also nicht Naturunendlichkeit und monadische Unendlichkeit
Hand in Hand?
640 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

nadisierung, die Verweltlichung in seinen Akten und passiven


Untergründen vollzieht. Das absolute ego konstituiert in sich „Ich
selbst und andere Ich”, mein Leben und Anderer Leben, meine
und Anderer Habitualitäten, meine und Anderer Meinungen, Er-
5 scheinungsweisen etc. von der Welt — der immer schon konstitu­
ierten auf Grund der immer schon statthabenden Leistung der
Konstitution des Leibes als Stätte des Waltens, der Leistung der
Selbstentfremdung, der intersubjektiven Objektivierung des Lei­
bes etc.
10 Danach ist das absolut konkrete ego, das volle und ganze, als
monadisches ego monadisiert. Jede fremde Monade als entfrem­
dende Modifikation des absoluten bzw. des monadischen ego hat
im Seinssinn das konkret absolute ego mit allen ihm irgend zuge­
hörigen Seinsstrukturen, aber eben entfremdet — abgewandelt.
15 Indem das absolute ego sich selbstentfremdet ist, monadisiert ist,
ist selbst das Monadisieren monadisiert. In der Ichmonade ist
das absolute ego vermöge der „Gleichstellung” mit anderen Mo­
naden auch schon entfremdet. Seine Entfremdung als Anderer ist
Abwandlung, aber dann eine Abwandlung, in der monadisiert
20 auch die Selbstentfremdung als Ichmonade hegt. Der Andere ist
anderes Ich, ist für sich selbst Ich als die für sich selbst durch
Entfremdung gewordene Selbstapperzeption des absoluten ego. Zu
mir gehört die Möglichkeit der Selbst Variation, in Phantasiemo­
difikation hegt all das wieder, und jeder Phantasiemodifikation
25 entspricht ein möglicher seiender Anderer in der mitphantasier­
ten (als Horizont mitzugehörigen) Welt, in der dies Phantasie-Ich
vermenschlicht wäre.
Es ist ferner auch klar, dass alles, was die Selbstauslegung als
ego ergibt und ergeben kann, mit allen Konstitutionen und darin
30 konstituierten Seinsgeltungen, mundanisiert ist, bzw. sich alsbald
mundanisiert in Form von menschlichen Seelen, menschlichen
Erlebnissen, Akten, Leistungen, Seinsgeltungen. In der natürli­
chen Einstellung ist das ego ständig befangen in einer konstitu­
tiven Tendenz, in der das Ich einseitig sozusagen verschossen ist
35 auf die thematische Ebene ,,Welt des natürlichen Daseins”.
Zwar ist das Sein des ego Strömend-sein in einem Welt konsti­
tuierenden Leben, also, wie immer es im Strömen ist, welche Ak­
tivität es übt, was immer sein Sonderthema, das seines Akt-Ich
ist, welche universale Thematik in ihm schon ausgebildet wurde
BEILAGE L 641

und in Fortbildung begriffen ist, immer ist Welt konstituiert,


immer ist es schon durch Selbstentfremdung in Monadisierung
und schon als Ichmonade und als psychophysisches Ich in der
konstituierten Welt raumzeitlich verzeitlicht.
5 Aber doch besteht ein fundamentaler Unterschied, dem wir
durch die Unterscheidung zwischen „natürliche, Geradehin-Ein-
stellung” und transzendental reflektiver Einstellung genugtun.

BEILAGE L
EINFÜHLUNG UND WIEDERERINNERUNG <ALS TERTIÄRE
10 UND SEKUNDÄRE ORIGINALITÄT. DECKUNG IN DIFFERENZ.
MODIFIKATION MEINER ZENTRIERUNG >
(Januar 1934)

Das Für-mich-sein des Anderen in der Einfühlung, die als dessen


Wahrnehmung fungiert. Unmittelbar im Ausdruck seiner von mir
15 wahrgenommenen Körperlichkeit indiziert er, als wie ihm seine (die­
selbe) Körperlichkeit als sein Leib gegeben ist, und von da <ist> mit­
indiziert seine Umwelt mit meiner Umwelt in den verschiedenen Er­
scheinungsweisen synthetisch sich deckend und sein Verhalten in ihr
und horizonthaft sein unbestimmt offenes übriges Sein.
20 Mit der einfühlenden Vergegenwärtigung ist es ähnlich wie mit der
Erinnerung an meine eigene Lebensvergangenheit. Während ich jetzt
ein originales (uroriginales) Gegenwartsleben lebe, das als uroriginales
wahrnehmungsmässig so verläuft, dass ich darauf jederzeit einen
schlicht erfassenden Blick werfen kann, tritt in eins damit ein gegen-
25 wärtiges Erinnern einer vergangenen Lebensgegenwart auf.1 Offenbar
deckt sich hierbei das gegenwärtige und vergangene Ich als dasselbe,
in dem überhaupt „wirkliche” Gegenwart und vergegenwärtigte Ge­
genwart synthetisch sich decken in Differenz, und darin eben das Ich
als identisch dasselbe. Der Leib als derselbe verharrend, das Wahmeh-
30 mungsfeld als original gegebenes und das erinnert vergegenwärtigte
im Verhältnis des sich wechselseitig Verdrängens und abwechselnd
Verdeckens, so dass ich mich bald in dieses, bald in jenes versetzen
kann. Das Verdeckte bleibt dabei für mich doch gegenwärtige Erin­
nerung und ist bereit, sich durch meine Umstellung zu veranschau-
35 liehen. E b e n s o h i n s i c h t l i c h der E i n f ü h l u n g . Der Andere
ist in meiner konkreten Gegenwart in einer sekundären oder eigentlich
t e r t i ä r e n Originalität vergegenwärtigt, tertiär, weil jetzt zu meiner
Gegenwart wie andererseits zu dem als Anderer Vergegenwärtigten

1 Die Erinnerung ist „sekundäre” Originalität. Meine konkrete Gegenwart selbst


in ihrer Originalität gliedert sich in das Uroriginale und sekundär Originale.
642 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

alles Erinnerungsmässige (Wiedererinnerung, Miterinnerung, Vorer­


innerung) zuzurechnen ist. Wir haben wieder Synthesis der originalen
Gegenwart (im weiteren Sinn) mit der einfühlungsmässig vergegen­
wärtigten, Deckung in Differenz. Ausgelegt: Es ist, als ob ich von hier
5 dorthin leiblich versetzt wäre und dort leiblich walten würde in
meinen Möglichkeiten.
Mich irn Raum irgendwohin versetzt imaginieren ist eine Abwand­
lung der Erinnerung, ebenso jede Mitgegenwart eines Realen eine ver­
wandelte Erinnerung, die vermöglich in Vorerwartung und Handlung
10 übergehen kann als ein realisierendes Ich-kann-und-tue, damit in eine
Wahrnehmung, eine künftige Wahrnehmung.
In der Einfühlung: Der fremde Leib ist Gegenwart: Dort ist er in
original wahrnehmungsmässiger Gegebenheit für mich. Er indiziert
mir eine Modifikation von Erinnerung meiner selbst als konkreter
15 Gegenwart (mit meinem Uroriginalen und sekundär Originalen). Im
Als-ob der Modifikation bin ich durch die Indikation des fremdleib-
lichen Körpers gebunden, ich bin nicht frei Imaginierender, es ist
nicht eine blosse Phantasie, die sich als solche durch die Erlebniswirk-
lichkeit aufhebt. Mit jeder Veränderung, Bewegung des Körpers irn
20 Dort ist indiziert ein Als-ob-ich-dort-wäre, als ob ich dort meine
Hand bewegen würde etc., aber fest indiziert, und so, dass damit
Vorerwartung für neue Handbewegung, in Indikation, vorgezeichnet
ist und evtl, sich erfüllend. Als Modifikation der Erinnerung ist
es Geltungsmodus. Das indizierte, vergegenwärtigte Ich, Ich-als-
25 ob und seiend, ist a n d e r e s Ich; das Sein des Anderen, sein Leben,
seine Erinnerungsvergangenheit etc., ist mein eigenes im Als-ob ge­
wandelt, so wie eine Selbstverwandlung der Phantasie (oder Erin­
nerung) in ständiger Deckung mit mir.
Für die Einfühlung ist der fremde Leib „zunächst” bloss körper-
30 liches Ding, und damit kommt überhaupt in der Leibhchkeit der
dingliche Kern zur Abhebung und zur wirklichen Gleichstellung mit
allen anderen Körpern, die nicht Leiber sind. Der fremde Körper
wird als Leib verstanden und motiviert die Vergegenwärtigung einer
fremden Primordialität als Abwandlung meiner eigenen. Das sagt
35 doch eine Modifikation „meiner” Zentrierung aller „meiner” Affektion
und Aktion, aller meiner doppelseitigen Tätigkeiten, Wahrnehmungen,
Handlungen und ihrer früheren Modifikationen als meiner Erin­
nerungen. Dabei ist aber mein <Leib > als Körper so wie jeder andere
und so wie jeder der für mich anderen Menschen zur Abhebung ge-
40 bracht und nun Kern und Durchgang der einfühlenden Apperzeption
der Anderen, in der ich für sie da bin. Deckung der vergegenwärtigten
Primordialität mit meiner, der originalen, Deckung meiner primor­
dialen Umgebungsdinge mit denen, die da im Als-ob vergegenwärtigt
sind (als ob sie um meinen Leib orientierte wären, und ich dorthin
45 gegangen wäre etc.). Da rede ich ständig von mir. Worin besteht also
die vielgenannte Ich-Deckung, die des „Ichpols” ? Da versuche ich
jetzt zu sagen: Es ist nichts anderes als die Leibzentrierung aller
BEILAGE L 643

„Handlungen” im doppelseitigen Sinn. In der Erinnerung spreche


ich von Selbstidentifizierung oder von Identität des Ichpols, ebenso
in der Phantasie. Aber ist nicht zunächst die Retention (auf der
primordialen Stufe) eine kontinuierliche Modifikation, in der Leib
5 und Leibzentrierung in stetiger Abwandlung und dabei Deckung sind ?
Dabei erhält sich der Leib als derselbe, als identischer Beziehungs­
punkt der Akte, als Orientierungsnull. Was die Einfühlung anbelangt,
so gründet sie darin, dass ich ein primordiales Wahrnehmungsfeld
habe, also mit dem Vermögen (ausgebildete Herrschaft über die
10 Kinästhesen), alle einzelnen dinglichen Erscheinungen <bzw. die>
Dinge zu vollkommener Selbstgebung zu bringen, zunächst als Ober­
flächendinge in Ruhe — also überall hingehen zu können. Es ist schon
ein primordialer Dingraum konstituiert, ich kann mir denken, mir
imaginieren, dass ich an jedem Ort wäre, das heisst aber, an jeden
15 hingegangen wäre. Es handelt sich also um eine Kontinuität der
Abwandlung der Wahrnehmungsgegenwart, einer kontinuierlichen
Erinnerungsmodifikation, in welcher mein Leib derselbe ist und die
Identitätssynthesis auch durch die Umgebungserscheinungen durch­
läuft als hintergründliche, was Potentialitäten der leiblichen Funktio-
20 nen als diese Hintergrundgegenstände aktivierende besagt.
Wie kommt nun Einfühlung zustande? In der doppelseitigen
„Bewegung” meines Leibes dorthin, wo der fremde Leibkörper ist,
ergibt sich die Ähnlichkeitsdeckung als „kongruierend” ausgeführte,
in eins damit die apperzeptive Übertragung mit der antizipierenden
25 Seinsgeltung. Damit haben wir eine zweite Primordialität, aber als
um den andern Leib orientiert. Für meinen Leib kommt in Betracht,
dass <er> nicht von vornherein als Körper unter Körpern konstituiert
ist, sondern an sich früher sind Aussenkörper und der eigene Körper
als Innenkörper, der in der Gehkinästhese (den Fortbewegungs-
30 kinästhesen) noch nicht als bewegt im Raum, bewegt wie Aussen­
körper apperzipiert ist. Dieser Innenkörper hat schon Doppelseitig-
keit, ist Einheit von Organen, jedes kinästhetisch und sinnlich bewegt.
Kinästhetisch, d.i., die Bewegung ist zugleich Tätig-bewegen. Alles
äusserlich Daseiende ist Einheit von Erscheinungsverläufen und ver-
35 möglichen anderen systematisch zugehörigen ErscheinungsVerläufen.
Die Erscheinungsverläufe <sind> tätig nach festen Tätigkeitsrich­
tungen und vermöglich einzuschlagenden. Der Leib <ist> in eins
Körper, so und so gegliedert, und durch die in eigener Weise zuge­
hörigen aktuellen und potentiellen Kinästhesen eben Organ und
40 System von Organen.
Alle instinktiv entspringenden Interessen sind weltliche Interessen,
in allen gehen die leiblichen Kinästhesen voran und sind Bestand­
stücke jeder Aktrichtung. Wenn der Leib selbst Gegenstand wird
als Körper, irgendein Stück, das sonst als Organ fungiert, nun aber
45 gegenständlich ist, so geht wieder eine Kinästhese voran, die selbst
lokalisiert ist in dem Körperlichen des dabei um ihretwillen fungie­
rend heissenden Organs. So ist aller Wandel der Erscheinungsweisen
644 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

der Körper und ihre jeweilige Einheit, der erfahrene Körper selbst
und als solcher, auf Kinästhesen bezogen, und diese selbst in einziger
Weise einig mit dem Leibkörper.
Aber besagt das etwas anderes, als dass aller weltliche Erscheinungs-
5 wandel in besonderer Weise ständig bezogen ist auf den Leib bzw. auf
die in ihm lokalisierten Kinästhesen ?
Wenn dann Einfühlung dazugenommen wird, so gewinnen wir
intersubjektive Welt, und diese <ist> mir primordial erscheinend
und vermöge ihrer Erscheinungsweisen auf meinen Leib und meine
10 Kinästhesen bezogen und zugleich bezogen auf jedes andere mir
selbst möglicherweise erscheinende Subjekt, seine Kinästhesen, seine
Körperlichkeit. Ich habe körperliche Welt und darin Leiber.

BEILAGE LI
<VERWELTLICHUNG (LOKALISIERUNG) DES ICH UND
15 VERSACHLICHUNG DES FUNGIERENS IN DER EINFÜHLUNG >
<wohl Januar 1934>

Das Wahrnehmungsfeld, die totale Einheit des wirklich sich selbst


Darstellenden, das aktuell bewusste Gegenwartsfeld, m it befassend
das durch Behalten retentional und protentional als gegenwärtig
20 Gewisse.1
Das Wahrnehmungsfeld im Strömen und im Wandel seiner Gehalte.
Das welthche Leben als ständig im Strömen ein Wahrnehmungsfeld
habend. Das ständig aktive Ich von Akt zu Akt fortschreitend — der
Gegenwartswelt, der Zeitwelt überhaupt. Das Ich behaltend, wieder
25 aufnehmend, identifizierend, das Ich in der seienden Welt — an sich
seiend, sie kennenlernend, das Ich sie handelnd umgestaltend.
Der ständige Strom der Selbstdarstellung, Wahrnehmung als ein
Strom von Wahrnehmungserscheinungen. Das aktive Ich in ihnen ge­
richtet in der Linie seiner Kenntnisnahme und praktischen Beschäfti-
30 gung: der Hintergrund als Abwandlungsmodus von Aktivität,
mitgeltend, affizierend. Dazu gehörig stetig das ausgebildete Vermö­
gen, die Erscheinungshorizonte zu verwirklichen.1 2
Das Ich als aktiv, als affektiv, als vermöglich, als erfahrend, han­
delnd etc. in F u n k t i o n ist das Welt habende. Eben sie ist das
35 Feld seiner Seinshaben und Themen. Das Ich ist räumliches Hier
und Dort habend, Seiendes im Raum habend, nicht selbst im Raum,
nicht selbst in der Raumzeit, nicht selbst in der Welt. In der Welt
sind nicht die Selbstdarstellungen von der Welt und einzelnweise die
Einzelweltliches darstellenden. In der Welt ist nicht das „subjektive”
40 Leben, das wahrnehmende, erinnernde, überhaupt das erfahrende,

1 In der primordialen Abstraktion!


2 Alles in der primordialen Abstraktion!!
BEILAGE LI 645

das leer meinende, das Affiziert-sein, Sich-hinwenden etc. Der Leib


als Organ in seiner Bevorzugung, ständig ist der Leib da, ständig
Ansatz des Ichfungierens in Beziehung auf Weltliches.
In d er a b s t r a k t e n P r i m o r d i a l i t ä t ist das Ich kein
5 „Gegenstand”, nicht weltlich, nicht Komponente der psychophysi­
schen Einheit Mensch, obwohl das kinästhetische Gesamtsystem auf
ihn besonders bezogen ist und ihn zum Leib macht. In der Primor­
dialität ist die Gleichstellung des Leibes mit Aussendingen noch
nicht vollkommen so wie in der Welt, die Korrelat ist der Intersub-
10 jektivität. Erst für diese, also wenn Einfühlungsfunktion mitspielt,
kommt es zur Vergegenständlichung, Verweltlichung des Ich in eins
mit der der anderen Ich, und Verweltlichung überhaupt für alle
Dinge hat intersubjektive Bedeutung angenommen.
Einfühlung — Erfahrungsgemeinschaft mit dem für mich Anderen;
15 dieselbe, im Durchgang durch das Erfahren des Andern identifi­
zierte Umwelt. Aber ausgezeichnet nun die beiden Leiber, der eine
unvollkommen erfahrbar für mich, der andere für den Andern,
aber jeder von uns erfährt den Leib des Andern wie ein sonstiges Aus-
sending und zugleich, als womit der Andere als Organ wahrnimmt und
20 handelt. Und jeder auf dem Umweg über den Anderen versteht seinen
Leib als von dem Anderen und dann jedem Anderen erfahrbar als ein
Ding wie andere und zugleich als Organ meiner, der ich jetzt zugleich
den Sinn habe „Anderer des Anderen” und zugleich „Ich, das ur­
sprünglich fungierende in meinem Organ”. Mein Ich und jedes Ich
25 für mich und jedes Ich für jedes Ich — ist nun im universalen Seins­
geltungsfeld und praktischen Feld Welt. Im Konnex vollziehe ich die
Leistungen der thematisierenden und darin erwerbenden Aktivität,
und so fortschreitend entwickle ich mich als das fungierende, für
sich Vermögen erwerbende (in ganz anderem Sinn als Seiendes
30 erwerbende) Ich. Eben dadurch muss ich nicht nur den Körper des
Anderen erfahrend gewinnen, sondern Erfahrung vom Körper als
Organ aber des Anderen und seiner selbst als darin und dadurch
fungierend wie Ich, damit mich selbst als im Körper fungierend und
von dem Anderen als so erfahrbar. In diesem Wechselspiel erfolgt die
35 Objektivierung des Menschen als Objekt für „jedermann”, als wech­
selseitig Andere und Stelle habend in der objektiven Welt, durch die
intersubjektive Konstitution der Körperlichkeit mit Raumzeitlichkeit
in der körperlichen Natur, an Stellen derselben fungierend, das Fun­
gieren und sein Ich damit lokalisiert und ständig gebunden darin an
40 den einen Körper, der sein Organ ist, indem sein kinästhetisches Sy­
stem also lokalisiert ist mit allem vielfältig unterschieden charakteri­
sierten Subjektiven, dem jeweiligen Ich Eigenen.
Aber Ich bin doch Ich, bevorzugt als der Geltungsträger der für
mich seienden Welt. Sie ist zwar als Einheit wirklicher und möglicher
45 Erfahrung bezogen auf die Allheit der fungierenden Subjekte, aber
diese Allheit ist das All der aus meiner Primordialität her ihren
Seinssinn für mich gewinnenden mitfungierenden Subjekte, und nur
646 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

das bleibt übrig, dass sie notwendig von mir aus die Geltung und mit
dem Sinn erhalten als je ihr All von Subjekten zur Geltung bringend,
mich darin beschlossen, dass sie je von sich aus das Weltall konstitu­
ieren als Welt möglicher Erfahrung, wobei das Weltall und darin
5 das als Menschen verleiblichte und verweltlichte Ichall ein und
dasselbe sei für alle. So gehört zur Welt die Menschheit als weltliche,
als Universum psychophysischer Erfahrungseinheiten, auch dann ver­
bunden durch Sozialitäten, und andererseits ist es objektiviertes, ver­
weltlichtes Ichall als die fungierende Allsubjektivität, als die mög-
10 liehe Erfahrung, mögliche Handlung vollziehende, Welt erwerbende
und umgestaltende, und weiter zurück die Subjektivität, die die
immer schon im voraus seiende Welt in sich selbst erworben hat
— und das alles letztlich von mir selbst her, der ich für mich erst
Andere konstituieren muss, um sie haben zu können.

15 Die Konstitution des Gegenüber von Personen und Sachen — in der Welt

Die sachliche Einstellung, die Welt als Universum der Sachen (der
Realitäten). Die Menschen als Realitäten, psychophysische Reali­
täten. Das sachliche Universum als Thema der wissenschaftlichen
Menschheit und wieder als praktisches Thema — die Welt das Feld
20 der menschlichen Praxis; die handelnde Umgestaltung der zugäng­
lichen Natur, der Tiere, der Menschen, in der Sachenwelt beschlossen
als Realitäten.
Die Menschen, die da eingestellt sind als fungierende, leistende Sub­
jektivität, die Wissenschaftler, die Techniker.
25 Aber die Welt ist, wird man doch sagen, Kulturwelt. In ihr sind
nicht blosse Dinge, sondern Kulturdinge, daseiend mit Kultureigen­
schaften — das kommt auf Rechnung der Subjekte, der Personen,
ihres Zwecklebens —, den Beziehungseigenschaften, die blosse Dinge
annehmen als zu bestimmten Menschen und Menschengruppen in
30 Beziehung stehend. Dann aber auch Kulturdinge und auch Menschen.
Menschen als fungierende Subjekte, Menschen als Realitäten, als
Sachen. Aber Menschen sind immerfort fungierend; als Sachen sind
sie psychophysische Realitäten, das Psychische dabei ist fungierende
Person — aber dieses Fungieren ist zur Sache geworden. Was heisst
35 das? Im Fungieren einer Subjektivität ist für sie als Geltungseinheit
Sache, und so auch hinsichtlich der sachlich gewordenen Subjektivität.
Sie ist das im Fungieren einer im allgemeinen anderen Subjektivität.
Sind Personen Sachen, so sind sie es im Miteinander fungierender
Subjekte, wobei eine jede evtl, so fungierend sein kann, dass sie
40 d u r c h ander e, in ihrem Fungieren jene verstehend, hindurch sich
selbst versachlichen kann. So in der Psychologie, wo die menschlichen
Personen — die Seelen — als Realitäten in der Welt, und zwar als
Universum der Menschen überhaupt, und in Allgemeinheit empirische
oder Wesenseigenheiten einzelner Menschen überhaupt in diesem
BEILAGE LI 647

Universum , und U niversum selbst als T o ta litä t nach seinen allge­


m einen B eschaffenheiten Them a ist.
Wie ist es, wenn für mich, wie ständig Voraussetzung ist, Welt kon­
stituiert ist, und ich in natürlicher Einstellung mich als Menschen unter
5 Menschen finde, in der Welt mit ihnen lebend — wie ist es im alltäg­
lichen Leben und in der universalen Lebenskonkretion denn überhaupt,
zu der es gehören mag, dass ich Wissenschaftler bin oder Techniker bin
oder Pastor oder Politiker etc., all das in Ausschnitten der Berufszeit
aus meiner konkreten Lebenszeit in ihren Lebensfunktionen ? Welt ist
10 für mich konstituiert in und aus meinen Lebensfunktionen als offen
endlose Körperwelt, also psychophysische Tier- und Menschenwelt,
wobei die Menschen, als seelische, Subjekte möglicher Erfahrung der
Körper sind und als vermöglicherweise Körper einzeln und miteinan­
der behandelnd, und überhaupt auch in Beziehung aufeinander
15 erfahrend, in Konnex das Erfahrene identifizierend, wiedererkennend,
bewährend, einander in der Bewährung korrigierend etc. Die Welt,
für die Menschen Gemeinwelt, ist in Beziehung auf ihr wertendes und
praktisches Verhalten nicht nur Erfahrungswelt (doxisch daseiend),
sondern seinsollende und von dieser Seite her mit geistigem Sinn
20 ausgestattet und darin immerfort in Wandel.
Als Mensch unreflektiert dahinlebend habe ich Welt, Welt als Hori­
zont von Seienden in der universalen Form der offenen Raumzeitlich­
keit. Im Horizont ist unter den Menschen auch Ich als psychophy­
sischer Mensch — auf dem Wege über Andere als von ihnen psycho-
25 physisch objektiviert, wie sie für mich. Ich kann mich auf ihre 'Körper­
lichkeit richten, auf sie als Personen, als das leiblich fungierend, und
so überhaupt fungierend, haben sie Welt — mit sich selbst als Men­
schen.
Nr. 37

EINFÜHLUNGSPROBLEM: <DIE
APPERZEPTION MEINES LEIBES ALS
EINES KÖRPERLICHEN DINGES ALS
5 VORAUSSETZUNG DER EINFÜHLUNG —
DIE VERRÄUMLICHUNG DES LEIBES
DURCH DIE EINFÜHLUNG >
<wohl 1934>

Wie kommen wir ursprünglich zu fremden Leibern? Hier


10 kommt in Frage: der Körper dort ähnlich aussehend, wie mein
Leib von hier aus, wo ich jetzt bin, aussehen würde, wenn er von
mir oder von selbst (hieher gehörig: durch Andere, wenn ich sie
schon hätte) dorthin bewegt worden wäre. — Da liegt natürlich
die Schwierigkeit.
15 K a n n ü b e r h a u p t m e i n L e i b wi e e i n D i n g ü b e r ­
h a u p t w a h r g e n o m m e n , a u f g e f a s s t w e r d e n ? Also
hätte er dasselbe Korrelat an Subjektivem unter dem Titel sinn­
licher Wahrnehmung wie ein anderes Ding? In Wirklichkeit hat
er das nicht. Mein Leib und die Aussendinge sind nicht ganz
20 gleich „konstituiert”. Mein Leib perspektiviert sich nicht, als
ganzer genommen, als Nahding und Fernding. Als ganzer ist er
nicht konkret wahrnehmbar in aller Sinnlichkeit. W ie i s t
m e i n L e i b f ü r m i c h o r i g i n a l konstituiert — w a h r ­
n e h m b a r , rein wahrnehmungsmässig bewährbar ?

25 Optisch-haptische Konstitution von Körpern — demgegenüber Konstitution


des Leibes

D er Leib ist im m er direkt tak tu ell w ahrgenom m en. W as tak -


tu ell w ahrgenom m en ist, ist auch optisch, ist nach allem dem
O berflächending selbst eigenen Sinnlichen gegeben. O ptische
TEXT NR. 37 649

Ferndinge sind tak tu ell nicht gegeben und fortlaufend nach dem
von ihnen nicht G egebenen nicht kontinuierlich tastbar — solange
sie Ferndinge sind. — Ich m it m einer jew eiligen, aktu ellen hap­
tischen Sphäre. Mein Leib als h ap tisch k onstituiert. A ussendinge
5 in haptischer N ähe und Ferne, h ap tisch e B ew egung, B ew egungs­
lich tu n gen , N äherung, E ntfernung. So w eit m ein Leib, m eine
H and ausstreckbar ist, so w eit reicht die h aptische W ahm eh-
m ungssphäre. U n d D in ge sind auch n ich t w ahrgenom m en da —
ich kann w iederholt die H and ausstrecken und w iedererkennen,
10 und es ist aufzuklären, dass dabei unterschieden G leiches und
Identisches schon (relativ) k on stitu iert ist. N un ist H ap tisch es
auch optisch perspektiviert.
Ich kann m ich ausstrecken, m ein e Organe sich ausladen lassen
(und sehe sie, Sehen ist p ersp ek tivisch Sehen). Ich kann aber
15 auch g e h e n . D as ist etw as B esonderes. G ehen u n d die Organe
„ausladen”, „ausstrecken” im h ap tisch -kinästh etisch en R ich­
tu n gssystem . Im haptischen F eld B ew egu n g — im A usstrecken
die B ew egung verfolgen, kontinuierlich h ap tisch d a b eisein ; ohne
A usstrecken ev tl, das Objekt verlieren, durch nachträgliches
20 A usstrecken es w ieder, aber „ferner” finden. N ü tz t kein A us­
strecken, so sehe ich es noch sich perspektivieren, die Perspekti-
vierung indiziert das N achgehen- u nd dann N ach streck en k ön n en :
also die L eistu n g der kom binierten K inästhesen. In der kinästhe-
tisch-haptischen Sphäre: S tillsteh en , S itzen — Modi des N ich t-
25 gehens, des A m -P latz-bleibens. A ber ich kann auch gehen in
einem „kleinen M ass”, ein, zw ei S ch ritte m achen, um m ir ein „zu
stark es” m ich H instreck en vom P la tz aus zu ersparen. In dop­
pelter W eise ist also (m ittels der d op pelt k on stitu ierten kinästhe-
tisch en System e) id entische S ach e (als blosses Oberflächen-
30 phantom ) k on stitu iert, im Zusam m enfungieren von H ap tisch em
u n d O ptischem u n ter „A m -P latz-b leib en ” oder „F ortgehen ” , b ei­
des sich kom binierend und ergänzend. H ap tisch , berührbar, be­
tastbar und sichtbar ist alles S e ie n d e ; aber nur m ittels der op ti­
schen P ersp ek tiven in ihrem B ezu g zum G ehen ist ein offener
35 R aum v on D in gen als hap tisch „erreichbaren” m öglich. Jedes
A ussenobjekt ist bew eglich (wirklich u n d scheinbew eglich), es
kann in die h ap tisch nicht realisierte Ferne rücken oder v o n der
F erne in die N ähe. A lle B ew egu n g ist op tisch p erspektivisch
k on stitu iert, u n d nur in der jew eiligen rein h ap tisch en W ahr-
650 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

nehm ungssphäre kann beides parallel gehen: sehen und tasten,


ohne zu gehen.
A b e r d e r L e i b . Er ist ständ ig erfahren, sinnlich optisch und
haptisch in eigener W eise. D as Gehen übt für ihn nicht die Funk-
5 tion der N äherung und Fernung. W enn ich gehe, so erfahre
ich die G ehbewegung, w ie <ich> ähnlich eine H andbew egung er­
fahre, ich sehe sie, ich taste die gehenden Füsse even tu ell, aber
der Leib selbst als einheitlicher G egenstand kann sich nicht nähern
u nd entfernen, ich kann nicht von ihm Weggehen.
10 Aber kann m an nicht sagen: D as D ing selbst in seiner ersten
k on stitu tiv en G estalt ist das der hap tisch -optischen etc. Fülle,
das N ahding im N ahraum , zunächst das ruhende, bei dem ich
selbst bin und das ich allseitig b etasten kann, dann auch das be­
w egte ?
15 Als ein erstes, Urnorm ales, ruhende U m gebung (erst nachher
als bew eglich und nicht bew egt apperzipiert), das Zim m er m it
ruhenden D ingen etc., darin einzelnes bew eglich und bald b e ­
w egt, b ald nicht bew egt, von selbst oder verm öglich von m ir her.
Aussenkörper, von m ir geschoben, gestossen, „leisten W ider-
20 sta n d ”. — Mein Leib, wie verhält sich der in dieser H insicht?
N ehm e ich als erste Schichte ursprünglich „ruhende” U m gebung.
A ber habe ich da „D in ge”, auch nur, wns da allein in B etracht
k om m t, „O berflächendinge” ? Meine Leibesglieder als tasten de
H an d etc. <als> einzelne abgehobene Teile der U m gebung kann
25 ich fassen, heben, um drehen; sie „sind” O berflächendinge, sie
w iderstehen, erhalten die G estalt, ob ich stärker oder schwächer
drücke, andere w ieder ändern die G estalt. D ie Füsse in die H ände
gefasst — tasten ohne heben, drücken etc., und andererseits w i­
derstehen <sie> w ie andere D inge. Aber in m einem R aum ist
30 m ein totaler Leib n ich t kon stituiert als ein einheitliches Ober­
flächending, das ich stossen , heben, bew egen k önnte. Im allsei­
tigen B eta sten die E m pfindnisse. E s kom m t zur V orstellung
einer belastb aren E in h eit, indizierend eine S ichtbarkeit, die aber
n ich t ganz zustande kom m en kann, aber keiner E in h eit, die als
35 T o ta litä t w idersteht, und so, dass durch Ü berw indung, K raftan­
spannung der W iderstand aufgehoben, und er <sc. der Leib> so
b ew egt w erden kann. Er „w idersteht” nur, w enn ich nicht „m ich”
bew ege. — W as kann m it dergleichen Ü berlegungen angefangen
w erden ?
TEXT NR. 37 651

A n d e r e I c h — a n d e r e L e i b e r , Körper, die W alten aus-


drücken, aber nicht der eine und einzige Körper sind, „in d em ”
ich w alte, dessen E rscheinungsw eisen ich als Ich dirigiere, und so,
dass er nicht von sich selbst, sondern von mir her verändert gege-
5 ben ist. Er <sc. der andere Leib> „erinnert” in seinen V erände­
rungen an W alten, und das „erinnerte” W alten verläuft so, dass
es im m erfort w eiter an W alten erinnert und erinnertes oder zu
erinnerndes W alten vorzeichnet, im F ortgan g (normalerweise)
die E rw artung erfüllend. E s ist aber n ich t E rinnerung m eines
10 W altens, die Erinnerung an W alten in m einem , dem einen und
selben Leib wäre, der noch jetzt, nur in einem späteren M om ent
seines verharrenden Seins, m ein Leib ist, der, in dem ich je tzt
w ahrnehm ungsm ässig w alte. D ie A pperzeption des Körpers dort
als anderer Leib, oder gleichw ertig, eines andern Ich Leib ist
15 , , A u s d r u c k s ”- A p p e r z e p t i o n , ist einer E r i n n e r u n g inso­
fern a n a l o g , als sie eine V ergegenw ärtigung ist, aber in der A rt,
dass der Körper dort die „E rinnerung” w eck t, die etw a zu um ­
schreiben wäre m it den W orten, „als ob ein W alten seine Ver­
änderungen regierte”, ein W alten , das aber n ich t m ein W alten
20 ist und je sein kann.
A ber w ie ist die erste k o n stitu tiv e G estalt m eines Leibes in
bezug auf die K on stitu tion m einer A ussendinge, und w oherd as
G leichartige, was m einen Leib zu einem Körper m ach t, als ob ich
dort wäre?
25 O p t i s c h B ew egung eines A ussenkörpers v o n selbst. Ich kann
m itgeh en und habe keine P erspektivierung, w ie bei einer „R uhe”.
H a p t i s c h kann ich ih n stän d ig berühren, b eta sten , ohne zu
stossen. Ich kann aber auch die B ew egu n g m it K raft aufhalten,
zur R uhe bringen.
30 M ein L e i b , to ta l genom m en, kann n ich t op tisch perspekti-
viert sich „bew egen”. D a wäre ja als w irkliche B ew egung auch
h ap tisch das E ntsprechende des erst N achgehenm üssens, um ihn
dann erst b etasten zu können. H ap tisch ist der Leib im m erzu un­
m ittelbar hap tisch gegeben in seiner eigenen W eise. K an n ich also
35 k eine einheitliche A pperzeption m eines L eibes als körperlichen
D in ges gew innen ? Aber w ie k ön n te ich dann den Leib des Andern
als Leib apperzipieren ? E s ist zw eifellos, ich gew inne trotz all
dem rein optisch-haptisch (kontinuierlich m ögliche tasten d e B e ­
rührung) eine o b e r f l ä c h e n d i n g l i c h e V o r s t e l l u n g von
652 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

meinem Leib (freilich eine immer einseitige, die nicht in der op­
tischen Schicht zur Allseitigkeit zu bringen ist, aber doch in der
grundlegenden haptischen).1 Genug als Unterlage für die Mög­
lichkeit der Einfühlung. Aber wie das des näheren ? Wie kann ich,
5 was doch zur Körpervorstellung gehört, die Vorstellung seiner
Beweglichkeit, seiner möglichen und wirklichen Ruhe oder Be­
wegung, gewinnen?
Konstituiert ist die Bewegung von Aussendingen in verständ­
licher Weise. Korrelativ habe ich aber im Feld die Wahrneh-
10 mungsbewegung meiner tastenden Hand etc., auch das Gehen als
für Wahrnehmung fungierend. Als fungierende sind das ichliche
Bewegungen — zugleich auch wie dingliche, äusserlich konstitu­
ierte Bewegungen. Freilich nicht so ohne weiteres die Gehbewegung
als Lokomotion des ganzen Leibes. Aussenbewegungen können
15 „von selbst” verlaufende sein, sie können aber auch von mir her,
kinästhetisch stossend, erzeugte sein. So charakterisiert durch
Überwindung des W i d e r s t a n d e s des Körpers. Ich bewege
und setze Kraftanspannung ins Spiel, ihr entspricht Widerstand.
Ohne das bliebe der Körper von selbst ruhend oder von selbst
20 bewegt, wie er es vorher war. Die Bewegung meiner Leibesglieder
ist immerzu als ich-kinästhetische Bewegung wahrgehommen
(die Kinästhese ist niemals total starr), immerfort ist solche Be­
wegung im Spiel in der wahrnehmenden Funktion und als solche
ungehemmt, ohne eigene „Kraftanspannung” (Widerstand über-
25 windend). A u s s e n k ö r p e r können aber widerstehen, jeder
von ihnen, das gehört zu ihrer realen Beweglichkeit. S c h a t t e n
sind widerstandslos, aber ich kann keine Schatten direkt an­
packen und schieben, stossen etc. und auch nicht in der Weise
der Körper durch Fortpflanzung des Stosses mittelbar bewegen.
30 W i d e r s t a n d u n d k ö r p e r l i c h e B e w e g l i c h k e i t g e h ö ­
r e n a l s o k o n s t i t u t i v z u s a m m e n . Wie aber steht es nun
mit der Körperlichkeit, also körperlichen Beweglichkeit meines
Leibes? In seiner Bewegung findet er Widerstand, ja in seinem
kinästhetischen ichlichen Bewegen! Aber zu seiner Bewegung als
35 Körperbewegung fehlt doch der Widerstand. In gewisser Weise

1 Dieses Oberflächending ist (siehe unten) aber erst das P h a n t o m , noch nicht
der K ö r p e r , der seinen Grundcharakter gegenüber dem Phantom gewinnt als
W i d e r s t a n d . Sonst wäre er ein Schatten, ein Scheinbild, ein Spiegelbild, ein
Irreales. Körper haben „Widerstandskraft”, nur so sind sie reale in realer Kausalität.
TEXT NR. 37 653

ist er wohl möglich. Die Hand, die auf dem Tisch liegt, kann ich
durch die ichlich bewegte Hand fortschieben wie einen Aussen-
körper, da überwinde ich Widerstand — ja, weil ich sie ichlich in
Ruhe halte. Ich kann aber ausweichen, ich will es nun eben nicht,
5 genauer, ich unterlasse, ic h lasse m i c h ausser Spiel. Tue ich
das für ein Leibesglied, so können andere in kinästhetischer Funk­
tion des Wahrnehmens dieses Glied wie einen Aussenkörper zur
Wahrnehmung bringen, und zwar als je nachdem sich selbst be­
wegend oder körperlich bewegt. Dabei ist aber doch für sich kon-
10 stituiert das „ P h a n t o m ”, das Oberflächending, auch seine
„Bewegung” — wie die eines Schattens -—, und dazu erst seine
Widerständigkeit. Meine Leibesglieder, jedes für sich betrachtet
ist aber auch konstituiert, ist erfahrbar und erfahren auch als
widerständig, dadurch, dass ich von meiner Freiheit, es kinästhe-
15 tisch widerstandslos zu bewegen, keinen Gebrauch mache.1 Wie
steht es nun mit dem t o t a l e n Le i b? Konstituiert ist er als ein
totales Oberflächending (Phantom), aber mit T e i l e n , die wider­
stehende K ö r p e r sind.
D as w ird nicht als Sonderbarkeit em pfunden und führt n i c h t
20 dahin, dass ich auf den G edanken kom m e, dass m ein Leib kein
Körper sei, wie eben K örper sind, ein sich im R aum n ich t F o rt­
bew egendes und keinen W iderstand B ieten d es, während er aus
Stücken b esteh t, die K örper sind. D och hier feh lt noch einiges.
Ich m ü sste eigentlich sagen, A ussenraum ist k on stituiert, die
25 A ussenkörper haben ihren offenen endlosen R aum , können sich
darin nach verschiedenen R ichtungen bew egen, von selbst oder
durch m ich. Aber w ie ste h t es m it den L eibesgliedern, können sie
sich ebenso im R aum bew egen? U nd w ie m it m einem to ta len
Leib ? B each ten wir das Gehen. Durch G ehen w ird das optische
30 Fernding N ahding, es indiziert von vornherein zuerst optisch und
dann haptisch die N ahdinglichkeit. E s indiziert, dass ich es n ach
dieser W andlung berühren, allseitig b eta sten kann, und nur v o n
daher habe ich, also durch Gehen, in der Iteration , die in ihm
lieg t, m it den zugehörigen R ichtungsm öglichkeiten, deren jed e
35
1 Doch das ist noch nicht in Ordnung. Hände und Füsse heben fordert (in ver­
schiedenen Richtungen verschiedene) Kraftanspannungen. Es scheidet sich das nor­
male blosse Glieder Bewegen, das Funktion ist für blosse Wahrnehmung, und das
stossende etc. als Widerstand überwindende: das fordert Zuschuss von Anspannung,
Kraftsteigerung.
654 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

eine Iteration indiziert, einen freien R aum als R aum m öglicher


B ew egungen (zunächst der nicht deform ierten Oberflächendinge).
B in ich dabei, zu tasten und forttasten zu können, so ist nun m eine
tastende H and bei dem D ing, etw a dem Sessel dort, räum lich
5 neben ihm . Beide sind tastbar im M iteinander und N ebeneinan­
der, so wie Körper im N ebeneinander sind, darin die R ichtungen
in bezug aufeinander, die Lagenverhältnisse etc.
E s ist dem nach so, als ob m eine H and, die je tz t hier im K reis
ihrer jetzigen N ahdinge ist und in diesem Kreis unter und neben
10 ihnen ist ganz wie ein A ussending, von diesem K reis sich gelöst,
sich optisch perspektiviert, optisch entfernt h ä tte, dorthin sich
b ew egt h ätte. W enn ein D ing diese Erscheinungsw andlung zeigt,
so indiziert sie das m ögliche M itgehen, dadurch die Perspekti-
vierung A ufheben und unter M itgehen ständig N ahdinglichkeit
15 H aben. Meine H and perspektiviert sich nur in der N ahsphäre und
niem als in beliebiger F ernperspektive, da ich von vornherein
eben ständig m itgehe. Jeder Teil m eines Leibes kann beliebig
b ew egt vorgestellt werden, aber dann ist er abgelöst gedacht.
W irklich original vorsteilen kann ich mir trotz allem keine Fern-
20 bew egung m einer H and etc. und erst recht nicht eine B ew egung
m eines Leibes im ganzen als B ew egung im R aum , in dem selben,
der für A ussendinge kon stituiert ist. D ieser aber schliesst eigen t­
lich den R aum m eines Leibes insofern aus, als n ich ts in diesen ein-
treten kann, solange ich m ich nicht bewege. K örperliche B ew e-
25 gu n g ist auch nicht frei; wo ein Körper <ist>, kann nicht ein an ­
derer sein, jeder ist gegen jeden w iderständig (was von mir her
b esagt, dass ich einen K örper in den R aum des anderen nur schie­
ben kann, w enn ich m ehr leiste als den W iderstand des ersteren
<zu> überwinden, ich habe m ehr W iderstand, auch den des an-
30 deren m it zu überwinden). W o ich bin, kann kein anderer Körper
sein, aber d i e s e W iderständigkeit m eines Leibes ist doch a n ­
derer Art. „Ich” leiste einer B ew egung eines anderen W iderstand.
Ich bew ege ihn nicht. W ie kom m e ich zur Erfahrung, ich, m ein
L eib wird bew egt ?
35 All das ist zu überlegen, welcher eigentümlichen Art die Raum­
konstitution ist, solange ich ausschliesslich in der solipsistischen
Einstellung (der der primordialen Anschaulichkeit) verbleibe.
G anz anders wird es, w enn ich die E i n f ü h l u n g i n s S p i e l
setze. D er frem d e L eib ist für m ich A u sse n k ö r p e r .
TEXT NR. 37 655

Im voraus habe ich primordial: ich, leiblich, wie wenn ich dort
wäre. Meine Vorstellung des Dorthingehens und dann Dortseins
ergibt zwar nicht schon eine normale Bewegungsvorstellung mei­
nes Leibes dorthin und dann seiend als Körper im Raum. Aber
5 das genügt für die Einfühlung, und n u n ist es wohl verständlich,
dass, was für mich Ding dort ist und dasselbe ist, das als Innen­
leib des Anderen ist, eben dem Leib als Leib zur Räumlichkeit
verhilft. Der Andere erfährt mich aber umgekehrt hinsichtlich
meiner Leiblichkeit als Körper und durch Einfühlung als leiblich
10 waltendes Ich. So gewinnt mein Leib auch für mich die volle Be­
deutung des Körpers, und damit erst hätten wir die volle Kon­
stitution eines homogenen Raumes für uns alle.1
A n d e r e I c h sind für mich in meiner nicht-ichlichen Welt so
geltend, dass sie dieselbe Umwelt als die ihnen bewusstseinsmäs-
15 sige haben wie ich selbst, aber als Welt i h r e r Bewusstseinsmodi
und nicht der meinen. Sie sind für mich wahrnehmungsmässig da
in der Weise, dass ich in meiner wahmehmungsmässigen Aussen-
welt einen Aussenkörper als einen „anderen Leib” erkenne, als
einen Körper, in dem ich nicht unmittelbar walte (er ist ja für
20 mich Aussenkörper), aber in dem sich ein waltendes Ich (das ich
nicht bin, ein anderes Ich, ein Nicht-Ich, aber das Ich-Analogon
ist) in ähnlichen Modis des Waltens bekundet — a u s d r ü c k t ,
als welche ich waltend im eigenen Leib original erfahre. Die dem
fremden Ich zugemeinten sich erscheinungsmässig darstellenden
25 Aussenobjekte entsprechen in mir in bestimmter Weise in
einigem Umfang den in meinen Erscheinungsweisen wirklich oder
vermöglich erscheinenden. Me i ne Erscheinungsweisen sind m ir
o r i g i n a l g e g e b e n , di e des A n d e r e n d u r c h A u s d r u c k
als Vergegenwärtigung (durch Einfühlung), also nicht original
30 und a priori nicht für mich zur Originalität zu bringen (ähnlich
wie Erinnerung nicht Originales und prinzipiell nicht zu Origina­
lität zu Bringendes bietet), was ja hiesse, dass das andere Ich
ich selbst wäre.
Für das von mir her geltende andere Ich bin ich sein Anderer
35 und sind meine Erscheinungsweisen der Welt bloss einfühlungs-
mässig geltende, als die zum Bestand des ihm Fremden, der
ich für ihn bin, gehören. Der Andere ist für mich geltend und
1 Die volle Konstitution meines Leibes als Körper gleich allen Körpern ergibt
sich erst vermittels des Anderen: wie sein Leib für mich, so mein Leib für ihn.
656 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

ich für ihn. In m einer A ussenw elt sind andere M enschen, b e­


kan nte und unbekannte, im m er und notw endig so, dass in ihr
deren körperliche Leiber sind, als wodurch sich ihre Ichlichkeit
m it ihrem konkreten Ichleben ausdrückt für mich. E benso vice
5 versa für sie hinsichtlich ihrer A ussenw elt, in der dann m ein Leib
als Ausdruck für sie fungiert. Wir im M iteinander haben W elt als
eine uns allen gem einsam e Sachenw elt (Aussenwelt), in welcher
L eiber als Körper enth alten sind, die als Ausdruck zu fungieren
befähigt sind.
10 Die Welt, von der ich sinnvoll spreche, ist die aus meinem Ich-
bewusstsein als Weltbewusstsein g e l t e n d e , und als diese ist sie
meine Welt mit für mich seienden Leibern, darunter meinem ei­
genen, als worin ich original walte, und anderen, die ich durch
Ausdruck als Leiber und damit als andere Ichsubjekte und als
15 mit mir im Konnex verstehe, als Menschen-Ich wie ich selbst, als
ein Miteinander, als Füreinander Anderer, in dem alle allen gleich
sind in der Geltungsbeziehung aufeinander1und auf die ihnen ge­
meinsame Sachenwelt, in der die Leiber als Körper sind —• als
Körper nicht nur, sondern jeweils wechselseitig als Ausdrücke
20 für jedes ihnen in seiner Umwelt begegnende Ich. Aber alle diese
Ichsubjekte und ihr Konnex ist von mir aus, dem einzigen Ich,
das ich eben a ls Ich original erlebe, und das Andere als Andere,
als Wir usw. in der Welt gegeben <hat>. Nur als meine habe ich
Welt in Geltung und in jeder Bewährung, die nur in mir und aus
25 mir Bewährung ist, die mir Andere als meine und mein Wir er­
gibt und Welt ergibt als Welt für uns alle.12 In allem steckt das
einzige Ich, auf das alles Sein, von dem ich sprechen und das ich
bedenken kann, bezogen bleibt. Die Welt als meine Welt ist
ihrem Seinssinn nach Welt, die als identische für alle wirklichen
30 und möglichen Ich, die für mich einen erdenklichen Konnex ha­
ben können (einen Konnex, in dem die mir bekannten den Kern
bilden), erkennbar ist. Für mich, aus meiner Geltung hat jedes
der Subjekte sein Weltbewusstsein, darin beschlossen das ihm
als wirklich und vermöglich zugehörige Aktsystem und System
35 der Erscheinungsweisen, in denen es geltende Welt hat und als
sich für es bewährende.

1 Und in der Vermöglichkeit, im einander Verstehen einander wechselseitig als


identisch und identifizierbar zu erkennen.
2 Wir alle = ich und die Anderen.
BEILAGE LII 657

Dieses unendlich komplizierte „Weltbewusstsein'’ hat eine be­


sondere Zuordnung zum eigenen Leib, einer ausgezeichneten
Sache, einem ausgezeichneten Nicht-Ich der dem betreffenden
Ich geltenden Welt. Indem gemeinsame Sachenwelt als Grund-
5 weit, als Welt für alle konstituiert ist, als ahgemeinsame nicht-
ichhche Welt, enthält sie zugleich für alle das System der orga­
nischen Körper, die für jedes Ich A u s d r ü c k e für Ichsubjekte
sind, und damit ist die allgemeine Sachenwelt dahin charakteri­
siert, dass jedem Leib ein für jedes Ich verstehbares Ich als kon-
10 kretes Weltbewusstsein zugehört, das so in der gemeinsamen
Sachen weit versachlicht objektiviert erscheint, im Raum, in der
Raumzeit „lokalisiert”, nichts wirklich Räumhches, aber inter­
subjektiv erkennbar als zum Leib gehörig, als für jedermann
im Leib verstehbar ausgedrückt.

15 BEILAGE LII
DAS PROBLEM DER EINFÜHLUNG. <DER SINN DER
REDUKTION DER WELT AUF DAS PRIMORDIALE
IM ZUSAMMENHANG EINER UNIVERSALEN
GELTUNGSANALYSE DER WELT>
20 <wohl 1934 >

Mein Leib gilt mir als Körper, ganz so wie meine Aussenkörper. Alle
Körper, mein Leib einbezogen, sind Körper im universalen homogenen
Raum, oder konkreter, im Universum der Körper, zu welchen alle
Leiber eben als Körper gehören. Körper sind für uns selbst da durch
25 Wahrnehmung.
Ich nehme meinen Leib wahr und Aussenkörper wahr. Wie kann
aber meine Wahrnehmung des eigenen Leibes, die doch wesentüch
verschieden gebaut ist als die Wahrnehmung der Aussenkörper, eine
beiderseits gleiche Körperlichkeit zu ursprünglicher Erfahrung
30 bringen? Ferner, mein Leib ist in ganz anderem Wahrnehmungsmodus
(nämlich was die Struktur der Wahrnehmung als solcher anbelangt)
als ein fremder Leib. Dieser ist allerdings als Körper wirklich wahr­
nehmbar so wie meine aussereigenleiblichen Körper überhaupt; aber
wie kommt dieser Körper dazu, mir als Leib zu gelten und damit als
35 ein Ähnliches wie mein Leib? Als Leib ist er nicht Leib, Organ der
Wahrnehmung, des Handelns meines Ich; er ist das für das fremde
Ich, das in der Auffassung des Körpers dort als fremden Leib in
Geltung ist. Aber dieses ist nicht selbst wahrnehmbar, nicht so in der
658 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

E rfahrung des frem den K örpers m itgeltend wie dessen jeweils gerade
unsichtige Seite, als doch eben sichtbare, wahrnehm bare.
Wir gehen so vor, dass wir, dass jeder für sich, den Blick ausschliess­
lich auf das Reich der wirklichen Wahrnehmbarkeit richtet, oder auf
5 all das, was wirklich wahrgenommen war, wahrgenommen ist, mög­
licherweise hätte W'ahrgenommen werden können, möglicherweise von
dem, was ich jetzt wahrnehme, zur Wahrnehmung gebracht werden
könnte, und so <auf >alle modalen Abwandlungen von Wahrnehmung,
Erinnerung, vorschauender Erwartung, auch hypothetisch ansetzbare
10 Vorstellungen, die damit als durch aktuelle Wahrnehmung einzulösen-
de charakterisiert sind, wenn sie Hypothesen sind für gegenwärtiges
und künftig Seiendes oder entsprechenden Sinn haben für die hypothe­
tische Vergangenheit, also die Bedeutung von solchem, was hätte wahr­
genommen sein können und, wenn es das wäre, erinnerungsmässig be-
15 wusst würde. Kurzum, wir bilden die r e d u z i e r t e Idee einer p r i m­
o r d i a l e n Welt, Reduktion der Welt auf das or i gi nal An s c h a u ­
liche, das original Wahrnehmbare, Erinnerbare, Induzierbare, Phan­
tasierbare, in ihren Möglichkeiten original Vorstellbare. — Aber was
ist letztlich der Zweck dieses ganzen Vorgehens, was liegt schon im
20 Sinn der oben gestellten Ausgangsfragen ?
Die Welt ist für mich mit einem jeweiligen Sinn als seiend geltende
Welt. Sie ist u n i v e r s a l e Me i nung ei nes u n i v e r s a l e n Si n­
ne s in meinem Bewusstseinsleben, durch und durch einem Leben des
mit wechselndem Sinn und wechselnden Geltungsmodis Meinens; ein
25 Universum der Meinung in unaufhörlichem Wechsel von Sondermei-
nungen, doch zur Einheit einer Meinung und eines totalen Sinnes zu­
sammengehend. Dabei hat die universal-einheitliche Meinung ihren
Einheitssinn Welt immerzu im Modus zweifelloser Gewissheit, die in
dieser Zweifellosigkeit letztlich auf Bewährung aller Meinungen, die
30 nicht schon erfahrende sind, durch erfahrende verweist, und die er­
fahrenden <verweisen» selbst, sofern sie noch unerfüllte Meinungen
implizieren, auf Überführung in neue Erfahrungen und Erfahrungs­
zusammenhänge, in denen sich das Seiende in Selbstbewährung immer
vollkommener ausweist. Von hier aus erhebt sich die Frage nach dem
35 Aufbau dieses Weltmeinungslebens in Partialmeinungen, also die
Aufgabe der Sinnes-und Geltungsanalyse der Weltgeltung oder der
Welt rein als der mir geltenden. Und des näheren die Frage, wie
Welt mit dem ständigen Sinn „des” Universums von Seienden, d.i. in
Seinsgewissheit geltenden und zu bewährenden Einzelrealien, sich
40 als seiende bewährt, mit Rücksicht darauf, dass im einzelnen Seiendes
für uns in Schein sich wandeln kann etc. Voran geht also die Klärung
der Aufgabe einer universalen Geltungsanalyse und einer Bewährungs­
analyse, die das Sein der Welt für uns und letztlich für mich als sich in
ständiger Zweifellosigkeit durch Erfahrung, letztlich durch Wahrneh-
45 mung bewährende verständlich macht. Das Problem ist also das der
ständigen selbstverständlichen Gewissheit von dieser seienden Welt,
genau als der konkret für mich seienden, was ihre eigentümliche frag-
BEILAGE LIII 659

lose Apodiktizität macht, mir, dem darüber Reflektierenden, verständ­


lich macht. Die Welt ist der zweifellose Grund alles und jedes mensch­
lichen Weltlebens, aller und jeder wissenschaftlichen Theorie, aller und
jeder praktischen Vernunft oder Unvernunft — und diese Welt mit
5 allen Menschen als ihr selbst zugehörigen ist letztlich die in meinem
Leben Sinn und Seinsgeltung habende und immer neu gewinnende,
darunter die Menschen, deren Dasein für mich nur aus meinem Leben
Seinssinn hat.
Ich frage nun zunächst nach dem Allgemeinsten, dem ständigen
10 Sinngehalt der Welt, eben der, die mir gilt als die ständig „vorgegebene”
meines menschlichen Daseins. Ein Erstes <ist> also die Klärung der
vorgegebenen Welt, zu der ich, Mensch, selbst mich rechne.

BEILAGE LIII
<DAS PROBLEM DER KONSTITUTION DES HOMOGENEN
15 UND OBJEKTIVEN RAUMES IN DER PRIMORDIALITÄT
UND DURCH EINFÜ H LUN G >
<wohl M ärz/April 1934>

Scharf herausstellen die Fragen:


I. Ist unter Abblendung von Anderen überhaupt denkbar, dass sich
20 im vollen Sinn Ra u m als Form der Körperlichkeit konstituiert, und
zwar so, dass mein Leib die Eigenschaften der Körperlichkeit hat, die­
selben wie die Aussenkörper ? Ist nicht, was ohne schon fungierende
Einfühlung konstituiert ist, also die Schichte der primordialen Lei­
stung, von einer eigentümlichen Art ? Scheidung von Leib und Aussen-
25 körpern, und der Leib selbst in seiner Weise beweglich nach Drehung,
nach Gliederbewegung, die nur relativ Raumbewegung ist an dem un­
beweglichen Leib. Die „Unbeweglichkeit” <ist> aber nicht wie bei
Aussenkörpern eine „Ruhe", die in Bewegung als Ortsveränderung
übergehen kann.
30 Bei Aussenkörpem haben wir für jeden Körper (körperliches Sub­
strat) 1) einen jeweiligen Ort, der identisch ist bei denjenigen „Bewe­
gungen”, die wir seine Drehungen nennen, evtl, auch dazu seine De­
formationen und mit denjenigen räumlichen Wandlungen, die relative
Lagen (und evtl, noch Gestaltsveränderungen) seiner Teile, seiner
35 Glieder <heissen>. 2) Eben gegenüber diesen Bewegungen, die nicht
Ortsveränderungen sind, haben wir die Ortsveränderungen. Bewegung
eines Körpers hat also eine doppelte Bedeutung: a) die Bewegungen an
demselben Ort, b) „Fortbewegung”, Ortsveränderung des Körpers als
Substrat.
40 Mein Leibkörper in der Primordialität ist so konstituiert (und hat
danach so ausschliesslich Sinn), dass für ihn Ortsveränderung, also
auch Ort im Raum keinen Sinn hat.1
1 Diesen letzten Satz hat Husserl später mit einem Fragezeichen versehen. — Anm.
d. Hrsg.
660 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

II. Die zweite Frage wäre dann natürlich: Was leistet die Einfüh­
lung für die Konstitution der objektiven Natur und Welt bzw. der
weltlichen Raumzeitlichkeit ? Ist der schon angedeutete Ansatz der
Beantwortung der ersten Frage richtig? Oder ist schon in der primor-
5 dialen Schichte ein homogener Raum und eine Natur mit Gleichstel­
lung des Leibes und der Aussenkörper konstituiert (also im Erfahrungs­
sinn schon gelegen), während die Leistung der Einfühlung für die
Konstitution der Natur in einer anderen Weise Vollendung der Objek­
tivierung bedeutete, nämlich eigentlich erst das „an sich” Bestimmt-
10 sein der Körper und An-sich-sein gegenüber der wirklichen Erfahrung
möglich macht — das aber noch in Stufen der Relativität, mit grossen
Problemen? Danach hätte die Einfühlung auch jetzt, in dieser Mög­
lichkeit, nicht die blosse Funktion, „Objektivität” als intersubjektive,
oder Seiendes, Welt als Welt für jedermann zu konstituieren, sondern
15 in eins damit Weg für die Konstitution einer an sich b e s t i m m t e n
Welt zu sein.
Aber das primordiale Körperfeld ist darum doch ein Feld, eine
primordiale „Welt” (Natur) sozusagen, der Raum ein Raum, eine
Raumzeitlichkeit. Also liegt in dem Gesagten, dass „Raum” in der
20 Primordialität eine erste, noch nicht „objektive” Bedeutung hat? Da
gibt es nicht sehr bequem durchzuführende, für Exaktheit nicht leichte
Deskriptionen.

BEILAGE LIV
EINFÜHLUNG UND W IEDERERKENNEN. <PAARUNG.
25 DIE APPERZEPTION MEINES LEIBES ALS KÖRPERS
ALS ERSTE VORAUSSETZUNG DER EINFÜHLUNG >
<wohl März/April 1934>12

1) Analogisierende Verwirklichung einer Aktintention auf Grund


der Weckung einer Retention eines früheren (eben analogen Aktes,
30 analoges Ziel auf analogem Weg intendierenden) als Akt im Modus des
„original gebend” — wi e d e r e r k e n n e n d e Wa h r n e h mu n g .
2) In der Koexistenz eine Pa a r u n g . Im Übergang überträgt sich
die am einen Glied vollzogene Aktivität als vermöglich zu verwirkli­
chende auf das andere Glied, die Seiendes explizierende auf das andere
35 als Verähnlichung: Es wird in ihm das Frühere, aber „noch Daseiende”
wiedererkannt, so wie dieses noch da ist, sofern in der Rückkehr es
wiedererkannt ist als dasselbe. Identisch dasselbe: das immer wieder
als dasselbe Wiederzuerkennende, immer wieder in sich selbst zu Ver­
wirklichende, Wiederzuerkennende. Identisches und anderes Identi-
40 sches — sinnliche Konfiguration. Welche Rolle spielt das Durchlaufen,
wie kommt es zustande ? Instinktiv umlaufende Kinästhese — instink­
tive Reize der Konfiguration — wohl instinktive Antizipation der
Mehrheit von Einheiten — mehrheitliche Affektion — wilde Kinäs-
BEILAGE LV 661

thesen — die Felder mit ihren Optima, in welchen die Kinästhese halt­
macht — Verbindung, „Verähnlichung” der Kinästhesen etc. Erfolg:
für jede hyletische Konfiguration ein geübtes vertrautes kinästheti-
sches System, also schon System des Wiedererkennens, und, wo eins
5 die Aktivität schon beschäftigt, <sind> schon die anderen Daten als
optimalisierbare und als vermöglich gleich zu behandelnde antizipiert.
Also verähnlichende Übertragung in der Koexistenz, Übertragung von
einem sich selbst Gleichen, mit sich selbst vielmehr Identischen, als
identisch immer wiedererkennbar als dasselbe, auf ein anderes mit sich
10 selbst Identisches. Ähnlichkeit von Gegenständen, von Dingen als
wiedererkennend explizierbaren als Verähnlichung der Explikation je
~im anderen; Ähnlichkeit von Werkzeugen nicht nur als Dingen, sondern
als womit man Ähnliches machen kann.
3) Mein Leib und ein anderer Leib. Da ist die Sache nicht so ein-
15 fach. Hier liegt nicht wie bei Aussendingen eine simultane Konfigu­
ration vor, zuerst hyletisch und dann gegenständlich, zunächst nicht.
Zunächst ist überhaupt alle Konfiguration Konfiguration der ästhe­
tischen Erscheinungsweisen und dann erst <eine> solche der Gegen­
stände (Mehrheit). Hier ist die Frage, wie die ganz exzeptionelle Er-
20 scheinungsweise meines Leibes zu einer Apperzeption führen kann, in
der er als Körper im Raum so wie die Aussenkörper, also in Gleich­
stellung aller Körper, aufgefasst werden kann. Danach erst kann Gleich­
heit und Ähnlichkeit des Leibkörpers mit anderen Körpern erfahren
sein.
25 Das ist also die erste Voraussetzung der Einfühlung. Das zweite ist
das Verstehen des anderen Ich und der anderen gegenständlichen
Primordialität — des anderen Ich — als Verähnlichung meiner selbst
unter Identifikation der primordialen Umwelten unter Überschiebung.
Ich als Ich meiner Aktivität, meiner Affektivität, meiner Vermöglich-
30 keit der Wahrnehmung, der Erfahrung überhaupt, der instinktiven
Strebungen auf Gegenstände hin des Genusses, der praktischen Mög­
lichkeiten, der Handlungen.
Mein Leib ständig identifizierend erfahren (wiedererkannt) als Or­
gan, als Hand, als Fuss, als vermöglich und tuend in Funktion, als
35 Wahrnehmungsorgan, als praktisches Organ. Der fremde Körper ana-
logisierend wiedererkannt als anderer ähnlicher Körper, ähnlich ge­
baut und im einzelnen wie im ganzen wiedererkannt als anderer, aber
verähnlicht als Organ.

BEILAGE LV
40 <DIE IN DER FREMDLEIBWAHRNEHMUNG IMPLIZIERTE
APPERZEPTION MEINES LEIBES ALS KÖRPERS >
<wohl M ärz/April 1934>

Jetzt beziehen wir in die Auslegung des „Phänomens” Wahrneh­


mungsfeld das Mitfungieren der Anderen ein.
662 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

Was besagt nun das Verstehen des Anderen als Menschen? Die
fremde Hand ist als Körper und als „Hand", aber nicht wiedererkannt
als die ich bewegen kann greifend, tastend, schreibend etc., als wo­
durch ich wahrnehmen etc. kann. Ein Körper ist wiedererkannt, als
5 worauf ich die Augen hinwenden, als was ich optisch explizierend in
seinem Sosein zunächst von der Ferne auslegen, was ich herankommend
schliesslich in voller Nähe sehen, auslegen und ganz unmittelbar
berühren, ergreifen und nun unmittelbar auch behandeln kann. Ich
erkenne aber den Körper als „anderen” Leib, als fremde Hand, als
10 Verähnlichung „meines” Leibes. Jede meiner vermöglichen Bewegun­
gen und meiner vermöglichen leiblichen Tätigkeiten ist implicite mit
umphantasiert, wenn ich mich in der Phantasie versetze, als der <ich >
von hier dorthin gegangen wäre. Im Wiedererkennen des Körpers dort
als Analogon meines Leibes liegt Wiedererkennen desselben als eine
15 der Weisen, wie mein Leib als Körper für mich aussehen müsste, wenn
er eben Körper wie andere, wenn er, wie im einzelnen der Hand, des
Fusses etc. (in einigem Masse vertraut), so im ganzen perspektivierbar
wäre und in perspektivischer Erscheinungswandlung der Entfernung
genau in dem totalen Stil wandelbar gedacht würde so wie irgendein
20 Nahkörper der nächsten Nahsphäre. Alles perspektiviert sich frei in
seiner Totalsphäre (der Form), nur mein Leib nicht, abgesehen von
seinen Besonderheiten als Träger der Empfindlichkeiten etc. Aber
kann <ich> mir die Perspektivierung nicht sehr wohl vorstellen?
Freilich, jedes andere Ding, sich perspektivierend, hat in seiner Ap-
25 perzeption impliziert meine Vermöglichkeit in bestimmter Weiäe: Die
Perspektivierung ist entweder Entfernung-Näherung oder „ich bewege
mich”, deutlicher, die Perspektivierung, die statthat, kann gewandelt
werden in meiner Vermöglichkeit, und zwar so, dass hier eine Gezetz-
mässigkeit statthat, wonach Ruhe und Bewegung, damit in eins qua-
30 litative Wandlung des Körpers, ihren Sinn erhält. In der Vorstellung
meiner Hinbewegung als der meines körperlichen Leibes von hier dort­
hin, und zwar in einer Vorstellung ganz von der Art derjenigen eines
äusseren Körpers, hegt also ein Widerspruch gegen den einheitlichen
Sinn einer Körperlichkeit als meiner Leiblichkeit. Die perspektivieren-
35 de „Bewegung” meines Leibes, die ständig konstitutiv fungiert, um
Raumbewegung, Bewegung von Aussenkörpern zu konstituieren, ist
nicht selbst ursprünglich vorstellig als Raumbewegung, obschon die
Organe des Leibes und schliesslich der ganze Leib schliesslich räumlich
erfahren werden, also als das konstituiert sind. Das sagt aber: So wie
40 „Raum” in ursprünglicher Konstitutionsstufe befindlich ist, gehört ihm
zu Bewegung, eigentliche räumliche Bewegung nur für Aussenkörper,
nicht für den Leib, für Leibesglieder wohl, aber wesentlich beschränkt.
Wie kann eine solche Vorstellung <meiner Hinbewegung >motiviert
45 sein ? Sowie ich mich als Körper auffasse in Verähnlichung mit Aussen­
körpern als den erstkonstituierten1, ist mitaufgefasst das räumliche
1 „als den erstkonstituierten” hat Husserl nachträglich eingeklammert und mit
einem Fragezeichen versehen. — Anm. d. Hrsg.
BEILAGE LVI 663

Sein in Ruhe oder Bewegung, und darin liegt die Erfahrbarkeit durch
freie Perspektivierung, die nur faktisch gerade nicht statthat. Nun ist
die selbstleibliche Erfahrung ausgebildet von einer Art, dass sie in
Richtung auf den Leib als ihr Ontisches ein einheitliches Vorstellungs-
5 bild liefert von derselben Art wie ein Oberflächennahding. Ein Ober­
flächennahding, das ist eine eigene Konstitution in Perspektive und
Orientierung und fundierend für die Konstitution des Körpers als in
Entfernung-Näherung identisch seiend, im Identitätsmodus wiederer­
kennbar. Die Oberflächennahdingapperzeption meines Leibes kommt
10 freilich nicht ganz in der Weise zustande wie die eines Oberflächen-
aussennahdinges überhaupt, das mir gegenübersteht, das ich um­
drehen kann etc. Ich habe aber auch Nahdinge, die zum Teil in ähn­
licher Weise unsichtbar sind (durch meinen Leib verdeckt) wie mein
Leib selbst, die mit meinem Leib fest verbundenen, meine Kleider,
15 was ich in meinen Taschen habe. Das Ausziehen der Kleider ist nicht
eine blosse Wahrnehmung wie <diejenige>, die sonst Oberflächendinge
ergibt.

BEILAGE LVI
ZUR PHÄNOMENOLOGIE DES AUSDRUCKS. AUCH RELEVANT
20 FÜR DIE LEHRE VON DER EINFÜHLUNG. OBJEKTIVITÄT
DES KÖRPERS, OBJEKTIVITÄT DES „AUSDRUCKS” ,
DER AUSDRÜCKENDEN MOMENTE AM KÖRPER
(K appel, 9. Septem ber 1935)

Die „Oberflächen”-welt des Kindes. Die Handlung in dieser Welt,


25 durch welche die Dinge eine dritte Dimension im Seinssinn erhalten
und selbst zu realen Oberflächen werden für die dreidimensionalen
Dinge.
In der entwickelten Welt behalten die Oberflächendinge der frühe­
ren Stufe eine besondere Funktion wie schon eine besondere Stellung
30 in der intentionalen Struktur des Erfahrungsdinges. Die Oberflächen­
dinge sind die primordialen Wahrnehmungsdinge (im Sinn primordial
reduzierter), ontisch gesprochen, die Urdingwahrnehmungen, das im
eigentlichsten Sinn Wahrgenommene, schlechthin Gesehene, von einer
Perspektive und unter Antizipation des Systems der Perspektiven,
35 schon zugerechnet die Rückbeziehung der Ferndinge auf die vollkom­
menen Nahdinge, jedes Nah-Fern-Ding schon ein relatives Oberflächen-
ding. Das Ding der anschaulichen Umwelt, das Wahrnehmungsding
des gewöhnlichen Lebens wird apperzipiert mit einer unsichtigen
Innerlichkeit, eben unsichtigen, d.i. in jeder Körperwahmehmung
40 (sinnlichen Wahrnehmung) haben wir im doppelten Sinn eigentüch
und uneigentlich Gesehenes, in e i ne m Sinn die „Seite” des Dinges,
d.i. hinsichtlich des ganzen eigentlich Gesehenen die Seite des Ober­
flächendinges. In dem a n d e r e n Sinn haben wir als schlicht und
664 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

eigentlich gesehen das Oberflächending selbst, es indiziert aber eine


weitere Synthesis der Mannigfaltigkeit von Oberflächendingen, welche
in den vermöglichen und beliebig wiederholbaren Handlungen mit den
Oberflächendingen zur Synthesis kommen — zu der erzielbaren Ein-
5 heit des dreidimensionalen Körperdinges.
Nun ist aber weiter v o n g r o s s e r W i c h t i g k e i t , d a s s i n
a l l e m m e n s c h l i c h e n V e r k e h r (wie auch dem von Tieren) d a s
s c h l i c h t e W a h r n e h m u n g s d i n g in der s c h l i c h t e n W a h r -
n e h m u n g s w e l t d e r u n m i t t e l b a r e T r ä g e r d e s „A u s-
10 d r u c k s ” j e d e r A r t i s t .
Allerdings, die Umwelt ist immerfort volle Körperwelt, zu der aller
Ausdruck auch mitgehört. Die Oberflächen, die Träger des Ausdrucks
sind, sind Oberflächen von vohen Körperdingen, bzw. von irgendwel­
chen evtl, unsichtigen Teilen derselben. Sof er n diese schlichten
15 Wahrnehmbarkeiten von solchen Teilen den Körpern zugehören,
h a b e n die Au s d r ü c k e a uc h „ Das ei n” in und an den
Kö r p e r n . 1Aber darum ist doch ein Wesensunterschied zwischen den
p u r e n Kö r p e r n und ihren körperlichen Eigenschaften (den rein der
res extensa angehörigen, der res eben als realer Körperlichkeit) und den
20 K ö r p e r n als ge i s t i g b e d e u t s a me n , als durch ihr Aussehen in
gewissen Stellungen, Benützungen Sinn habend.
Für die Einfühlung ist der menschliche Körper nicht als Körper in
Frage nach seinen eigenwesentlichen und überhaupt rein körperlichen
Beschaffenheiten, sondern sofern er ein schlicht wahrnehmbares
25 A u s s e h e n hat. So ist alles behavior des Menschen, sein Mienenspiel,
dem schlicht und eigentlichst Gesehenen „ A n g e s e h e n e s ”. Aber
auch schon sein Aussehen als ein gegliedertes nach „Kopf” mit Augen,
nach „Händen”, „Füssen” etc. m it den zugehörigen sichtbaren Bewe­
gungen, Deformationen, Änderungen der Färbung u. dgl. fungiert be-
30 ständig als Ausdruck, ihm ist ständig angesehen, dass es dieser Mensch
ist, der mit den Augen blickt, die Hände bewegt etc. Das eigentlich Ge­
sehene ist dabei ständig zugleich als voller Körper Apperzipiert es. Zum
Körper gehört der Ausdruck und sein Ausgedrücktes, sofern er für
mich, für Andere, für jedermann (je nachdem) s e i n A u s s e h e n hat,
35 und dieses <sind> Momente, die für mich, den Sehenden (und die
sonstigen Subjekte, die ihn sehen), Ausdrücke für die Seinsart „Be­
deutung” sind. Aussehen ist ein subjektiver Begriff. Ausdruck, B e­
deutung, das bringt uns aus der Einstellung rein auf Objektivität und
zunächst Körperlichkeit heraus.12
40 Für Sehende, für Hörende, Sprechende sind die Wo r t e „Aus-

1 Diese Reden sind bedenklich: die Oberfläche ist real, die Aussenansicht des
Dinges ist nicht real, ist des Wahrnehmenden, sein eigentlich Wahrgenommenes als
solches.
2 In der Einstellung auf den realen Körper kann ich diesen auf wahrnehmende
Personen beziehen, und zwar hinsichtlich dessen, was sie von ihm eigentlich wahr­
nehmen und wie das eigentlich Wahrgenommene vom Körper sie m o t i v i e r e n
kann zur Einfühlung.
BEILAGE LVI 665

drücke”, sind die Le i b e r Ausdrücke, die einen für Mitteilungen an


andere Menschen, die anderen als Ausdrücke vom Dasein von Per­
sonen. Wortausdruck setzt im Ausgedrückten Menschen als angeredete
und nicht nur redende. Der erste und einfachste Ausdruck ist der des
5 leiblichen Aussehens als Menschenleib, er setzt natürlich „Sehende”
und Verstehende voraus. „Ich als Mensch” setze voraus die mich Ver­
stehenden — ich verstehe mich nicht direkt als Menschen, ich sehe
mich nicht als das in schlichter Einfühlung. Ich habe keine unmittel­
bare Erfahrung meiner, eine direkte Selbsterfahrung als menschliche
10 Person, wie ich Erfahrung von anderen Menschen direkt habe.
Nr. 38

Z E IT IG U N G — M O NA D E
(21./22. Septem ber 1934)

< In h a lt:> D a s A b s o lu te — d ie u r tü m lic h e steh en de „ G e g e n w a rt” des


5 ego — d a s M o n a d e n a ll in m o n a d is c h e r Z e itlic h k e it, d ie m o n a d isc h e n
Z e itm o d a litä te n , d a r in d ie U r m o d a litä t G eg en w a rt — d ie u rtü m lic h e
steh en d e „ G e g e n w a rt” d es in n e r lic h e in ig e n M o n a d e n a lls , in d er alle
Z e i t k o n s titu ie r t i s t u n d a lle W e lt, m o n a d isc h u n d m u n d a n . D a s
A b s o lu te i n s e in e r a b so lu te n S tr u k tu r a ls „ F a k tu m ” . W id e r s in n d er
10 R e d e v o n F a k tu m , v o n T a ts ä c h lic h k e it. U n e n d lic h k e it im A b s o lu te n
a ls P r o b le m .

Der Mensch und die Tiere im Ko s mo s . Die Spezies honlo unter


den Tierspezies. Die Tierspezies kommen und gehen in der Erd­
geschichte. Ihr Kampf ums „Dasein”, Hinsterben von Spezies —■
15 Neugeburt von Spezies, Abwandlung der Spezies in der „Anpas­
sung” an neue Lebensbedingungen. Geburt der menschlichen
Spezies. Die fortgesetzte Anpassung des Menschen, Kampf mit
den Tierspezies.
Die Welt des Menschen als Welt aus menschlicher Generativität
20 und Vergemeinschaftung. Die menschliche Welt in ihrer Ent­
wicklung — immer schon als menschliche vorausgesetzt und so
sich entwickelnd. Erhaltung der Form Natur als abstrakte Struk­
tur. Die humane Form: die Natur mit menschlichem Gesicht.
Darin die „Kultur”, korrelativ der Mensch als Vemunftwesen,
25 als Person in seiner personalen Entwicklung, die Kultur, das ist
die durch Vernunft vergeistigte Natur.
Der Mensch und die Erde — wir und unsere „Erde” — fremde
„Erden”. Das „menschliche” ego. In ihm impliziert die anderen
menschlichen ego, die „Menschheit” als Monadenall: diese als
30 meine Menschheit (mein Monadenall), die meiner Erde. Von ihr
TEXT NR. 38 667

aus, von m einer irdischen U m w elt und irdischen M enschheit aus,


im m er je tzt transzendental verstanden, die aussenkosm ische
U m w elt m it den m öglichen frem den Erden. In gew isser W eise
im pliziert der transzendentale Sinn Erde die frem den Erden, wie
5 eine jede derselben jede andere im pliziert.
Jed e M enschenw elt im pliziert T ierw elten, die jeder Spezies.
Aber die W elt jeder Spezies im pliziert nicht so die der anderen
Spezies, w ie die m enschliche alle im pliziert. Für m ich als ego:
D ie A rt, w ie m eine W ir-W elt die der Löw en, irgendw elcher Tier-
10 spezies im pliziert, hat nicht ihre U m kehr darin, dass jede tie ­
rische W elt andere tierische und m enschliche im pliziert, ver­
schiedenartige „Im plikation”. A nalog: A ngenom m en, jeder Stern
habe seine T ierw elt, so fallen in den H orizont jedes Sternes alle
anderen Sterne und ihre T ierw elten — horizonthaft, obschon
15 die H orizonte „stum m ” sind. A ber nur jede E r d e im pliziert im
ersten und eigentlichen S tem sin n andere Sterne, und zw ar wieder
E rden, und durch sie hindurch alles andere. D as sind n ich t ganz
spielerische A nalogien.
D ie W elt sei als K o s m o s b etrach tet: als ob jek tive raum-
20 zeitliche W elt, Sternenw elt m it den darunter seienden Erden.
A uf unserer E rde ist der Mensch ein „u nbedeutendes” Vor­
kom m nis. Ä hnlich ist unsere E rde ein geringfügiger H im m els­
körper, und so jede Erde im Sternenall. In der transzenden­
talen B etrachtu n g u m gek eh rt! E s h eisst nun a b er: D er Mensch
25 en tw ick elt sich auf der Erde, er ist als Spezies in der universalen
Speziesgenese auf seiner Erde gew orden, Speziesgeburt. D ie
m enschliche Spezies war einm al nich t. D ie Erde selb st war ein­
m al nicht, und jedw ede Erde. K an n m an nun sagen: D as Ster­
nenall, darin das E rdenall, w ar einm al nicht?
30 D as ist eine zeitliche R ede. W ir steh en in der T ranszendentali-
tä t. I c h b i n . V on m ir aus k on stituiert die Zeit. Transzenden­
tale S elb stzeitigu ng des ego in der stehend-urtüm lichen Vor-
G egenwart. In w eiterer F olge k on stitu iert W elt, besser, W elt ge­
zeitig t m it ihren E rden — auf dem W ege über die Z eitigung der
35 transzendental-m onadischen Zeit als Form des transzendentalen
M onadenalls, desselben, das ob jek tiviert „wir M enschen” er­
gib t — wir M enschen, zunächst die meiner, unserer Erde.
Jede Monade, jedes andere ego und dann „ich selb st”, h a t in der
m onadischen Z eit seine Z eitstelle. D ie Zeit h at ihre M odalitäten,
668 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

also gegenwärtiges Monadenall, vergangenes etc. Jede der Mo­


naden, von mir als absolutem Zentrum aller absoluten Setzungen,
als absolut gesetzt und als absolutes Zentrum, von dem aus alle
anderen Monaden „objektiv sind”. Jedes Absolute transzen-
5 dental-intersubjektiv identisch und identifizierbar, im absoluten
Sinn. Mein stehend-strömendes urtümliches Sein, dann meine
selbstgezeitigte Gegenwart in der gezeitigten Zeit meines ego,
als Gegenwart für meine Vergangenheit und Zukunft. Dann
Wiederholung in Einfühlung: fremde stehend-strömende Ur-
10 tümlichkeit, fremde selbstgezeitigte Gegenwart, Vergangenheit
etc. und Selbst-Zeit als in diesen Modalitäten identische. Weiter:
intersubjektive Synthesis, Konstitution der Simultangegenwart.
Urmodalität der zeitlichen Koexistenz, wir alle in Gemeinschaft
des Seins, im zeitlichen Aussereinander, im zeitigenden Inein-
15 ander. Darin liegt rückgewendet auch eine Zeitigung der Zeiti­
gungen, eine Zeitigung der urzeitigenden Urtümlichkeiten, bzw.
eine innere Vergemeinschaftung derselben. So ist auch zu spre­
chen von der e i n e n s t e h e n d e n u r t ü m l i c h e n L e b e n d i g ­
k e i t (der Urgegenwart, die k e i n e Z e i t m o d a l i t ä t ist) a ls
20 d e r d e s Mo n a d e n a l l s . Das Absolute selbst ist diese uni­
versale urtümliche Gegenwart, in ihr „liegt” alle Zeit und Welt
in jedem Sinn. Wirklichkeit im prägnanten weltlichen Sinn „Ge­
genwart”, selbst strömend: Im Vorzug der weltlichen Gegen­
wart als der „eigentlichen Wirklichkeit” drückt sich der Vorzug
25 der urtümlichen absoluten Allheit aus. Sie ist aber nur aus mei­
ner urtümlichen Gegenwart (selbst ein Gegebenes aus Rück­
frage) auf dem Wege der Rückfrage über Weltzeitlichkeit und
monadische Zeitlichkeit zu gewinnen, also nur explizit seiend
in dieser phänomenologischen Leistung •— doch auch eine Zeiti-
30 gung. Das nun aber nur seiend für mich und jede Monade hori­
zonthaft, und dieser Horizont (entsprechend eben dem der ir­
dischen und weltlichen Menschheiten) sich zeitigend in E nt­
wicklung.
Nun aber: allmonadische — Allmenschheit, unserer Erde, aller
35 Erden in eins — dazu jedoch die tierischen, die untertierischen!
Ja, das alles ist „faktisch” so. Ist es also „zufällig”, dass Men­
schen und Tiere sind? Diese Welt ist, wie sie ist. Aber es ist wi­
dersinnig zu sagen, zufällig, da Zufall in sich schliesst einen Ho­
rizont von Möglichkeiten, in dem selbst das Zufällige eine der
TEXT NR. 38 669

Möglichkeiten, eben die wirklich eingetretene, bedeutet. „Ab­


solutes ’Faktum’” — das Wort Faktum ist seinem Sinn nach
verkehrt hier angewendet, ebenso „Tatsache”, hier ist kein Täter.
Es ist eben das Absolute, das auch nicht als „notwendig” be-
5 zeichnet werden kann, das allen Möglichkeiten, allen Relativi­
täten, allen Bedingtheiten zugrunde hegend, ihnen Sinn und Sein
gebend ist.
Alles ist eins — das Absolute in seiner E i n h e i t : Einheit einer
absoluten Selbstzeitigung, das Absolute in s e i n e n Zeitmoda-
10 litäten sich zeitigend in dem absoluten Strömen, der „strömend
lebendigen”, der urtümlichen Gegenwart, der des Absoluten in
seiner Einheit, All-Einheit!, welche alles, was irgend ist, in sich
selbst zeitigt und gezeitigt hat. Darin die S t u f e n des Absolu­
ten: das Absolute als absolutes „menschliches” Monadenall.
15 D a s A b s o l u t e al s V e r n u n f t u n d i n d e r Z e i t i g u n g
d e r V e r n u n f t : E n t w i c k l u n g der vernunftmonadischen
Allheit: G e s c h i c h t e i m p r ä g n a n t e n Si nn. Dieses Ab­
solute trägt in sich gezeitigt das Absolute als „Unvernunft”, als
System des vernunftlosen absoluten Seins, ohne die Vernünftiges
20 „unmöglich ist”. Es sind Stufen des absoluten Systems des ab­
solut gezeitigten Seins.
In der „menschlichen” Zeitigung, als Entwicklung der Ver-
nunftmonade höherer Ordnung (= All der menschlichen Mona­
den) , Entwicklung als die von e i n z e l n e n V e r n u n f t t r ä -
25 g e r n und „Führern” — „archontische” Monaden und Mona­
densysteme — die Wissenschaftler, die Philosophen ■ — die phä­
nomenologische Gemeinschaft. So letztlich, denn auch in der
übrigen Kultur und ihren Korrelaten (Kunst — Künstler) haben
wir Führung, aber die Führung der Philosophie geht voran. Aber
30 die einzelne philosophisch menschliche und als das archontische
Monade hat schon gezeitigt — in ihrer individuellen lebendigen
Gegenwart ist Welt, ist menschliches Monadenall etc. „wirklich”
impliziert. Von da aus in jeder in anderer, mittelbarer Weise
ebenfalls — unter der Idee, dass j e d e Mensch ist, „vernünftig”
35 ist und ideale Möglichkeiten der Entwicklung in ihr eben als zu
Vernunft „angelegter” liegen. Die archontische Monade impli­
ziert alles wahre Sein nach dem, was sie erkannt hat, aktuell,
nach dem, was sie als vorgezeichneten Horizont hat, potentiell —
in Endlichkeit — als philosophische, als archontische Gemein-
670 TEXTE AUS DEN JAHREN 1932 BIS 1935

schaft in der monadischen Zeit in in f in itu m . Aber jede solche


Monade hat den Horizont der archontischen Gemeinschaft in
sich. Implikation wechselseitig — d i e s e Implikation. Ver­
schiedene Bedeutung von Implikation.
5 Das an sich Frühere im Absoluten — das an sich Frühersein
des archontischen Monadensystems, oder in Mehrheit, archon-
tischer, mit der offenen und notwendigen Entwicklungsmög­
lichkeit, zur Einheit zu kommen. I n i n f i n i t u m ? Was bedeutet
die Unendlichkeit? im Absoluten! Die Zeitigung der me n s c h -
10 l i e h e n Monadensysteme, der archontischen als an sich später
„auftretend”. Ja, in der Menschheit, in der Zei t . Aber Zeit
und Welt ist gezeitigt im Absoluten, das stehend-strömendes
Jetzt ist.
Das Absolute ist nichts anderes als absolute Zeitigung, und
15 schon ihre Auslegung als das Absolute, das ich direkt als meine
stehend-strömende Urtümlichkeit vorfinde, ist Zeitigung, dieses
zum Urseienden. Und so ist das absolute Monadenall bzw. die
allmonadische Urtümlichkeit nur aus Zeitigung. Kein Seiendes,
auch nicht das absolut Seiende, ist anders als in Horizonthaftig-
20 keit, und so ist das allmonadische Sein Sein in Horizonthaftig-
keit, und dazu gehört die Unendlichkeit — unendliche Poten-
tialität. Unendliches Strömen, Unendlichkeiten des Strömens
implizierend, Unendlichkeit, Iteration der Potentialitäten.
T E X T K R IT IS C H E R A N H A N G
ZU R TEX TG ESTA LTU N G

Die Prinzipien der Anordnung und Behandlung der Texte, die in der drei­
bändigen Edition von Husserls Nachlasstexten zur Phänomenologie der Inter­
subjektivität Aufnahme fanden (die Bände X I I I , X I V und X V dieser A u s­
gabe), wurden schon im ersten dieser drei Bände dargelegt: der Leser sei daher
auf den Abschnitt ,,Z u r Textgestaltung” in Husserliana X I I I , S. 487)).
verwiesen.
Die wichtigste Manuskriptunterlage des vorliegenden Bandes ist das K on­
volut E I 4. Dieses 1 8 3 Blätter zählende Konvolut hat Husserl in den dreissiger
Jah ren angelegt. Sein Gesamtumschlag enthält folgende Angaben: A ugust
1931 (auch Januar 1932 ?). Zur Lehre von der Einfühlung, auch auf Grund
genauer Leibanalysen. — Apodiktizität des ego —Apodiktizität der Inter­
subjektivität. Einiges zur besseren Klärung des Begriffs der Primordialität.
Monadologie. Einfühlung. Diese Angaben sind jedoch nicht vollständig,
sondern betreffen nur einen Teil des Konvolutinhaltes. Denn nicht bloss
enthält das Konvolut noch mehrere Texte bis zum Jahre 19 3 4 , sondern in ihm
befinden sich auch eine grosse Anzahl Blätter aus dem vorangehenden J a h r ­
zehnt (veröffentlicht in Husserliana X I I I und X I V ) . Wahrscheinlich hatte
H usserl in diesen Umschlag vorerst nur die besonders umfangreichen und
gewichtigen Texte über die Problematik der Einfühlung und die Apodiktizität
der Inter Subjektivität aus August) September 1 9 3 1 {vgl. oben die Texte N r. 1 5,
1 7 , 1 8 und Beilage X I X ) und aus dem Ja n u a r 19 3 2 (vgl. oben den Text N r.
2 8 und die Beilage X X V I I I ) gelegt und ihnen dann im Laufe der Zeit
weitere Manuskripte über das Thema des Inter Subjektivität beigefügt, seien
es neu geschriebene Texte, seien es solche älteren Datums, die ihn damals für
diese Problematik noch besonders interessierten. So entstand wohl dieses für
das Thema der Intersubjektivität weitaus wichtigste Konvolut aus den dreissi­
ger Jahren. Innerhalb des Konvolutes sind jedoch die verschiedenen M anus­
kripte nicht nach einem chronologischen oder sachlichen Prinzip geordnet,
sondern zufällig zusammengelegt.
Über die weiteren Manuskriptkonvolute, aus denen Texte in den vorliegen­
den B a n d aufgenommen wurden, wird jeweils bei den textkritischen Anm er­
kungen zu den betreffenden Texten Auskunft gegeben.
T E X T K R IT IS C H E AN M ERK U N G EN

Vorbemerkung

Wo in den folgenden Manuskriptbeschreibungen nichts anderes vermerkt


ist, handelt es sich immer um in Tinte geschriebene Stenogramme {Gabels­
berger System) auf Blättern im Oktavformat.
In den textkritischen Anmerkungen finden folgende Abkürzungen Ver­
wendung: B l. = Blatt; E in f. = Einfügung {Zusatz, für den vom Verf. die
Stelle der Einfügung in den Text bezeichnet ist); Erg. = Ergänzung [Zusatz,
bei dem die Stelle der Einfügung vom Verfasser nicht bezeichnet ist); Rb. =
Randbemerkung; V. = Veränderung.

N r . I (S. 3 - 21 )
Der Text dieser Nummer fusst auf den B l. 8 4 -9 7 des Konvoluts F I I 5. In
diesem Konvolut befindet sich das stenographische M anuskript der ^beiden
Vorträge, die Husserl am 23. und 23. Februar 19 29 an der Sorbonne in Paris
hielt, wie auch die erste, stenographische A usarbeitung dieser Vorträge zu den
, .Cartesianischen Meditationen” {die Pariser Vorträge und die ,,Cartesiani­
schen Meditationen” in der Fassung, in der sie der französischen Übersetzung
zugrunde lagen, sind in Husserliana I veröffentlicht; über das Verhältnis
zwischen den Pariser Vorträgen und den verschiedenen Umarbeitungsstufen
der ,,Cartesianische Meditationen” gibt der Abschnitt ,,Z u r Textgestaltung”
in Husserliana I, S. 2 2 iff. Auskunft; in diesem Abschnitt befindet sich auch
eine genaue Beschreibung des Konvolutes F I I 3). Die B l. 8 4 -9 7 tragen von
Husserls H and eine eigene Numerierung: B l. 84 ist als 1—3 bezeichnrt, und
die folgenden B l. sind kontinuierlich bis 16 beziffert. Der Text dieser 1 4 B l. ist
in Tinte geschrieben. E r weist ausserordentlich viele Korrekturen auf, die
schon bei der ersten Niederschrift selbst entstanden sein dürften und ein grosses
Zögern in der Formulierung verraten. Zudem ist er noch leicht m. Bleist.
überarbeitet. B l. 84 hebt mit einer genauen Abschrift des Textes der Pariser
Vorlesungen an, der im M s. auf B l. 22 des Konvolutes F I I 3 steht und in
Husserliana I auf S. 33, Zeile 39 bis S . 34, Zeile 6 abgedruckt ist. Auch der
erste in der vorliegenden N r. 1 wiedergegebene Satz stimmt noch weitgehend
mit dem Text der Pariser Vorträge überein {vgl. Husserliana I, S. 34, Zeilen
7 —8). Der Text dieser Nummer ist zwischen dem 1 3 . M ärz und 6. A p ril 19 29
geschrieben worden {vgl. die Einleitung des Herausgebers zum vorliegenden
Bande, S . X V I ff.).
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 675

3 , 8-10 im abgeschlossenen Bereich seiner transzendentalen Gegeben­


heiten V. für im Kreis seiner transzendentalen Erfahrungsgegebenheiten ||
3 , 11-12 und darin immanent sich konstituierenden Einheiten Einf . |! 5,2
anstatt erfahrend im Ms.: erfahren || 5,33 Vor dem Satz Zudem gehören . . .
steht am Anfang des Bl. 86 noch folgender m. Blaust, gestrichener Text: So­
lange die Konstitution des Für-mich-seins eines Anderen dunkel und
rätselhaft ist, ist auch die der W elt überhaupt, auch der blossen Natur,
noch mit Rätseln behaftet und damit ihr Seinssinn nicht in zureichender
Konkretion ausgelegt. In diesem liegt ja, wie oben schon berührt, die
Sinneskomponente des Für-jedermann-da, die wir bei aller natürlichen
Rede von O bjektivität mitmeinen. || 5,36 vor Fremdsubjekte m. Bleist. ge­
strichen: mitdaseiende ||- 6,5 vor Sinnesschichte m. Bleist. gestrichen: und
mehrfache || 6,7 nach dass wir m. Bleist. gestrichen: um jedes Präjudiz aus-
zuschliessen || 6,8ff. Der Text von eine A rt thematischer Epoche an ersetzt
folgende, m. Blaust, u. teilweise m. Tinte gestrichene Sätze: eine A rt beson­
derer Epoche durchführen. Nämlich wir abstrahieren zunächst von all
diesem Fraglichen, d.L, von den konstitutiven Leistungen der Frem d­
erfahrungen. M .a.W ., w ir „abstrahieren” zunächst von allem Seinsglauben
hinsichtlich Anderer, von allen Seinsbewährungen der Fremderfahrung,
mit ihrem bleibenden für mich Gelten, korrelativ abstrahieren wir an der
W elt von allem Fremdsubjektiven, also den vorhin angedeuteten Schichten
ihres Seinssinnes. || 7,2 zunächst aus methodischen Gründen Einf. |[ 7,3
thematisch Einf. || 9,2 nach kontinuierlichen im Ms. m. Bleist. gestrichen:
in der völlig originalen Weise, also sozusagen in leibhaftiger Selbstgegeben­
heit gegebenen ]| 9,3 mir originaliter gegebenen Einf. m. Bleist. ]| 12,37 nach
auszulegen im Ms. m. Tinte u. Blaust, gestrichen: als konstitutive für das
alter ego, in der m it der systematischen Aufschliessung der konstitutiven
Synthesen als solchen dieser besonderen A r t „sekundärer” Erfahrung der
in ihnen sich konstituierende Seinssinn sich klärt, „statisch ” wie genetisch.
D as Sekundäre der Fremderfahrung setzt als Untergrund ein Primäres
voraus, das noch nichts von Fremderfahrung enthält. Unter der Schichte
aller „Einfühlungen” liegt also eine beschränkte primordinale Sphäre, aus
der die Motivationen entspringen, die in die Transzendenz des Anderen und
von da aus zu der universalen Transzendenz (der die Eigensphäre wirklich
überschreitenden) der Weltlichkeiten und auch der auf diese bezogenen
Idealitäten führen. || 13,38 im Ms. übereinandergeschrieben eigenartige und
neuartige || 14,11 ff. Der folgende Satz ist im Ms. grammatisch nicht richtig
ausformuliert. Husserl vermerkte am Rande m. Bleist. Stil ?! und, versuchte
ihn m. Bleist. zu bessern, aber ohne Erfolg. Ohne Bleist.-Korrektur lautet der
Satz im Ms.: E s muss gezeigt werden, wie die sinnliche Ähnlichkeit des
Körpers „ d o r t” m it dem Körper, der als mein Leib die Sinnesschichte der
Beseelung, zunächst der spezifischen Leiblichkeit des darin ichlichen
W altens und Waltenkönnens trägt und Nullobjekt der „um ihn herum
orientierten” erscheinenden W elt ist, die Auffassung jenes Körpers mit
dem Sinn mitdaseiender Leib als Nullglied einer primordinal konstituier­
ten eigenheitlichen W elt mit dem zugehörigen Ich und Bewusstseinsleben,
aber das alles als mitseiend „appräsentiert” . . . Und mit der Bleist.-Korrek-
676 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

tur: Es muss gezeigt werden, wie die sinnliche Ähnlichkeit des Kör
,,dort” mit dem Körper, der als mein Leibkörper die Sinnesschichte^dIS
Beseelung, zunächst der spezifischen Leiblichkeit (des darin ichlicl
Waltens und Waltenkönnens) trägt, wie es Nullobjekt der ,,unt ihn herum
orientierten” erscheinenden Welt wird, also wie der Auffassung 'ene
Körpers der Sinn „mitdaseiender Leib als Nullglied einer primordinal hon
stituierten eigenheitlichen Welt mit dem zugehörigen Ich und Bewusst
seinsleben” zunächst, aber das alles als mitseiend „appräsentiert”
14,38 nach erste im M s. m. Bleist. gestrichen; sozusagen für es die Ur
15,7 gegenwärtig E in f. m. Bleist. || 15 , 11-13 die das als unterschieden bi
bringt E in f. |[ 16,33 anstatt in ihm im M s .: in ihr [| 17 , 1-2 in ursprünglich
ster Weise erfahren durch vergegenwärtigende „Bekundung” V. far .
spiegelt” || 17,14 nach andere im M s. gestrichen: (transzendentale) II

Nr. 2 (S. 22-39)


Der Text dieser Nummer gibt das M s. B I V 3 wieder. Die 1 4 B l. dieses M s
liegen in einem Umschlag, der folgende Aufschrift in Blaust, trägt: Gehört
dem Gibson-Konvolut für Ideen I. 12 Blätter, darin Einwand der Verrückt
heit. Zu den Pariser Vorlesungen. Die Seinsabhängigkeit alles Seienden
zunächst aller transzendentalen Subjekte von mir und dann meiner selbst
von ihnen. Die ersten zwei B l. (hier wiedergegeben als Abschnitt b, S jg ff )
sind mit Bleist. u. Blaust, als a und b bezeichnet, die folgenden i 2 B l {hier
wiedergegeben als Abschnitt a, S. 22ff.) sind m. Bleist. von 1 bis 12 numeriert •
die letzten drei dieser 1 2 B l. tragen zusätzlich noch die römischen Z iffern j ^
III. Diese 1 2 B L , evtl, auch die zwei ersten, lagen ursprünglich in einem Um
schlag, der sich jetzt im Husserl-Archiv im Konvolut B I I 4 befindet und fol
gende Aufschrift enthält: Epoche. 1926. Gibson-Einlagen in die , Ideen”
Bd. I. Fast durchaus wichtig. Entwürfte geeignet als Beilagen zu einer Neu'
auf läge der Ideen. E s folgt dann auf dem Umschlag die gestrichene Notiz-
Darin Idee der Normalität in ihrer transzendentalen Bedeutung _ her Ein"
wand der Verrücktheit, in den 12 Blättern. Herausgenommen in eigenem
Umschlag. Weiter, nicht mehr gestrichen: Darin auch ein Versuch der Um
arbeitung des Kapitels 3 Abschnitt 2 der Ideen für Gibson. Material zur Re
duktion. In diesem Umschlag im Konvolut B I I 4 liegen heute noch 3 1 B l
Das Gibson-Konvolut, genannt nach dem englischen Übersetzer der Ideen I
W . A . Boyce Gibson, wurde von Husserl wohl im Herbst 192g angelegi Wohl
auch im Hinblick auf diese Übersetzung (erschienen 1 9 3 1) verfasste Husserl
damals auch die Texte, die jetzt als Beilagen V I I I , I X , X , X I , X l I J u j ^ y
im 3 . B d . dieser Ausgabe veröffentlicht sind, und das Vorwort zur englischen
Übersetzung der Ideen I, das 19 3 0 leicht verändert auch in deutscher Sprache
als , .Nachwort zu meinen ‘Ideen zu einer Phänomenologie und phänomeno­
logischen Philosophie’ ” im Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische
Forschung {Bd. X I , S. 549ff.) erschien. Zum sog. Gibson-Konvolut gehörten
neben dem M s. der vorliegenden N r. 2 und den erwähnten 3 1 Bl. in B II ^
auch die B l. 1 1 5 - 1 3 3 des Konvolutes B I 9 I I , die in einem Sonderumschlaa
liegen, der durch einen B rief von Edith Stein vom 10 . September 192g gebildet
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 677

wird. Wohl der grössere Teil dieser im Herbst 1929 zu einem Konvolut zu-
sammengestellten Manuskripte wurde nicht erst damals geschrieben. So trifft
wohl für das erste Stück des als Nr. 2 hier abgedruckten Textes (bis S. 33,
Zeile 31) das Datum zu, das auf seinem ursprünglichen Umschlag (in B II 4)
steht: 1926 Demgegenüber ist wahrscheinlich die Fortsetzung (S. 33, Zeile 32
bis S. 38, Zeile 2), deren Ms.-Blätter sich im Charakter der Schrift und durch
eine eigene, zusätzliche Numerierung (von I bis I I I ) deutlich abheben, und der
Text des Abschnittes b (S. 38ff.) erst 1929 entstanden. Die Ms.-Blätter ent­
halten am Rande einige Ergänzungen m. Bleist., Inhaltsangaben in Blaust,
und zahlreiche Unterstreichungen in Blaust, u. Rotst.
2 2 ,2 -5 Titel auf dem Umschlag des M s. || 22,7—9 Randtitel m. Blaust. ||
2 2,13-18 von wie sie erkannt werden kann bis Zwecken geinäss Erg. m.
Bleist. || 23,4 anstatt diesen im M s.: diesem || 24,3 Dingwahrnehmung
Bleist. -V . für Wahrnehmung || 2 4 ,9 -1 0 kontinuierliche Wahrnehmungs­
richtung auf das wahrgenommene Objekt Rb. || 25,32 anstatt so mit im M s.:
somit || 26,1 Randtitel m. Blaust. || 26,23 anstatt in eins im M s.: in eins
eins || 26, Anm. Rb. m. Bleist. || 27,4 anstatt wie ein anderes im M s.: wie ich
anderes || 27,20-21 anstatt in meiner Erfahrungswelt im M s .: zu meiner Er­
fahrungswelt || 28,9 anstatt erfahren im M s.: zu erfahren || 28,13 Anführungs­
zeichen bei „Objektivität” m. Rotst. || 29,2 nach originale im M s. gestr.:
Alles erdenkliche erkenntnismässige Dasein fremder Subjekte muss sich
so erkenntnismässig vollziehen für mich und wie für mich (wenn ich schon
fremder Subjekte in dieser Art in konsequenter Bestätigung gewiss bin) in
ihnen selbst als Subjekten. || 29,8 „Vorstellungen” bzw. Vorstellungen
V. für Vergegenwärtigungen || 29,9 evtl, ein genetisches E in f. || 29,32 A n ­
führungszeichen bei „Theorie der Einfühlung” m. Blaust. || 30,37-38 nach
Andere gestr.: für sich selbst || 31,32 Randtitel m. Blaust. || 32,6 als E in f. m.
Bleist. |[ 32, Anm. Streichung m. Bleist. || 3 3 , 18 Anführungszeichen bei „vor”
m. Blaust. || 33 ,3 6 -3 7 Randtitel m. Blaust. || 34,37 anstatt das normal seiende
Ich im M s .: dem normal seienden Ich || 35,1 anstatt kann im M s .: könne ||
35,38 anstatt sein eigenes Sein im M s .: ihr eigenes Sein || 36,5 nach und m.
Bleist. gestr.: nur ich || 37,38 anstatt besteht im M s .: gehört || 3 8 ,6 -7 Titel
m. Blaust, auf dem ersten der beiden als a bzw. b bezeichneten B l.; darunter
noch die Bemerkung in Blaust.: gut || 38,8—11 Diese Sätze sind im M s. wohl
irrtümlicherweise zusammen mit seinem ganzen ersten Absatz m. Tinte u.
Blaust, gestrichen; andererseits sind sie durch einen senkrechten Doppelstrich
und durch Unterstreichung m. Rotst. vom übrigen Text des gestrichenen A b ­
satzes abgehoben. Der vorangehende Text dieses Absatzes lautet: Auf der
einen Seite hätten wir das äusserste Randproblem der Möglichkeit eines
Urschlafes, der zum Erwachen führt, also eines urschlafenden Ich, das
nichts kann, nichts hat, nichts als Seiendes zeitigt, auch für sich selbst
nicht als „irgend etwas”, als Seiendes gezeitigt ist, also „nichts” ist, und
doch als Limes der Enthüllung der Konstitution von Zeitigung und von
Mannigfaltigkeiten des gezeitigten Seienden und so auch <als> Limes der
Tuns- und Könnenssubjektivität nicht absolute axsp^aic; ist; ein Gegen­
wurf des Seins als Subjektseins und Subjektlebens und von Vermögen, der
durch den Gegenwurf der konstitutiven Genesis, durch die Antigenesis
678 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

(welche die transzendentale Genesis als gewesen seiende ursprünglich


transzendental entspringen lässt) gefordert sei. Wenn das eben wirklich
gesagt werden kann, gedacht werden muss, so haben wir die transzenden­
tale Geburt als Schöpfung aus dem,.Nichts” abernicht aus einem Nichtsein
in dem Sinn eines absoluten Anfangs ohne ,,Grund”, und doch ohne
„eigentlich seienden”, also Ungrund. || 38,18 anstatt in den im M s.: der |
39,11 das Triviale E in f. m. Bleist. u. Blaust. |j

N r . 3 (S. 40-50)
Der Text der Bl. 1 9 —2 5 aus dem Konvolut B I I I 1 , aus dem auch der Text
der Beilage I des vorliegenden Bandes stammt. Der Umschlag dieses 3 2 B l.
umfassenden Konvolutes enthält neben der Inhaltsangabe, die oben, S. 4 0 ,
Anm . wiedergegeben ist, das Datum Ende Oktober 1929 bis 4. November
und den Blaust. -V ermerk: 1—18 und A i— A 4 , wichtig. XRr. Dazu gehörig:
Seinsvorzug des Vernunftmenschen ist behandelt in wichtigen Ausführun­
gen in Konvolut XR. Das Konvolut B I I I 1 besteht aus drei zusammen­
hängenden Texten: 1 . einem Text, dessen B l. m. Blaust, von 1 bis 18 durch­
numeriert sind, dazu aber noch einige eingeschobene B l. enthält, so dass er im
ganzen 2 4 B l. umfasst; 2 . einem Text aus zwei B l., der in der Beilage I des
vorliegenden Bandes wiedergegeben ist; 3 . einem Text aus vier B l., die als Ai
bis A 4 bezeichnet sind. — Die N r. 3 des vorliegenden Bandes gibt die sechs
letzten B l. des ersten Textes wieder, die m. Blaust, von 13 bis 18 durchnume­
riert sind. Sie sind mit Tinte u. Bleist. überarbeitet.
40,9-11 meiner bis Modifikationen E in f. m. Bleist. || 40,15-16 Phantasie­
möglichkeiten von Könnensmöglichkeiten E in f. m. Bleist. || 41,15 möglich
V. für denkbar || 43,4—10 Apodiktisch ist auch bis Welt). Erg. ]| 43,7 anstatt
der Erfahrungen meines im M s .: der Erfahrungen meiner || 43,37 bzw.
mehrere E in f. m. Bleist. || 44,15—16 der beiden transzendentalen bis
Menschensubjekte Erg. || 44,24 anstatt ihm im M s .: ihr || 44,38-^15,5 ist
nicht nur bis intersnbj ektiv konstituiert V . für leistet seine wirklichen und
möglichen Beiträge, sie zu bestimmen, und zwar als intersubjektive, als
die für mich als intersubjektive Geltung hat. || 45,22 anstatt eine auf es
im M s. einen auf ihn || 45,23 Sinnesvorzeichung B le ist.-V . für Sinnesform ||
46,4 anstatt konstituierendem im M s .: konstituierender || 46,18 nach nicht
nur die m. Bleist. gestr.: schon fertigen |[ 46,36-^17,3 Einerseits bis Ende des
Absatzes E in f. || 46, Anm. Rb. m. Bleist. || 5 0 ,3 -4 1) Erwachen vom Schlaf
E in f. m. Bleist. || 50, 8 —lOKann ein niederstes bis Ende des Absatzes Erg. ||

B e ila g e I (S. 50-52)


D er Text der B l. 2 6 u. 27 des Konvolutes B I I I 1 , aus dem auch der Text
der voranstehenden N r. 3 stammt (vgl. die textkritischen Anmerkungen zu
dieser Nummer). Diese beiden B l. sind m. Blaust, als 1 u. 2 numeriert. Sie
dürften aus derselben Zeit stammen wie der Text der voranstehenden N r. 3 ,
dem sie beigelegt sind. Sie enthalten Unterstreichungen m. B lei- u. Blaust.
50,20 wir V. für er || 50,21 anstatt wir im M s .: er || 5 0 ,27-28 anstatt auf ihn
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 679

und der ihn im Ms.: auf es und der es ]] 51,47-52,6 Zu den Wesensmöglich-
keiten bis Ende des Absatzes Erg. ||

B eilage II (S. 52-53)


Der Text des Bl. 5 aus dem Konvolut A V II 3 1 . Der Umschlag dieses nur
sechs Bl. umfassenden Konvolutes enthält u. a. folgende Aufschrift: Mappe
Kappel. Anfang Juni 1934. Ende April und Ende Mai 1934. Dazu Anfang
Juni. ’Ema-urgi-f], 86!;a. Darin zum Schluss ein Blatt: Es ist zu unterscheiden
1) Modalisierung, 2) Unstimmigkeit zwischen Normalen und Abnormen im
Konnex. Dieses Schlussblatt ist das in dieser Beilage wiedergegebene. Es ist m.
Blaust, überschrieben: Unterscheidung von Modalisierung und Unstimmig­
keit zwischen normalen und anomalen Menschen im Konnex und trägt den
Vermerk: ein Blatt. Es dürfte auch ig 3 4 entstanden sein. Es enthält
Unterstreichungen m. Blaust.

Nr. 4 (S. 54-69)


Der Text der Bl. 4 3 - 5 4 aus dem Konvolut A V 5 , aus dem auch die Beilage
L in Husserliana X I I I , die Beilage IL in Husserliana X I V sowie der Text
Nr. 30 und die Beilagen V II, X X V II, X X X I I I u. X X X I V in Husserliana
X V stammen. Dieses 1 6 5 Bl. umfassende Konvolut, das die Aufschrift trägt
Anthropologie, Psychologie . . ., wurde wohl von Husserl angelegt, als er
Ende 1 9 2 g ein Werk über das Verhältnis von Anthropologie und transzenden­
taler Phänomenologie plante (siehe oben die Einleitung des Herausgebers, S.
X X V I /.); in den darauffolgenden Jahren wurde es aber auch mit jüngeren
Manuskripten bereichert. —Die Bl. 2 3 —5 9 , zu denen auch die in der vorliegen­
den Nummer wiedergegebenen gehören, liegen in einem Sonderumschlag m.
folgender Aufschrift: Anthropologie, personale Psychologie. Paradoxie
XVI. X X X Blätter über die universale Deskription der vorgegebenen
Welt als Welt der Erfahrung (die deskriptiven Wissenschaften) . . . - Die
in der vorliegenden Nummer wiedergegebenen Blätter sind von X X bis X X X
durchnumeriert, bilden also das Schlussstück der in jener A ufschrift auf dem
Sonderumschlag erwähnten X X X Blätter. Doch wurden sie erst nachträglich
in diesen Zusammenhang eingegliedert: Die ersten sechs Bl. (4 3 —4 8 ) tragen
neben der erwähnten römischen Numerierung auch die wohl frühere von 1°
bis 6°, und auch von den weiteren Bl. tragen noch drei (51—53) die spezielle
Bezifferung von 1 bis 3. Der Text dieser Nummer ist also nicht vollständig
homogen, sondern wurde in mehreren Ansätzen geschrieben. Doch gilt wohl
für alle diese römisch bezifferten Blätter das Datum, das auf jenem Sonder­
umschlag sowie auf dem ersten dieser 30 Blätter steht: 7.-9. März 1930. Die
in dieser Nummer wiedergegebenen Bl. (4 3 —5 4 ) sind durch einen kleinen Um­
schlag von den übrigen dieser Serie abgehoben. Sie sind teilweise m. Bleist.
leicht überarbeitet und enthalten Unterstreichungen in Blei-, Blau-, Rot- und
Grünstift.
54,2 Titel am Rande von Bl. 4 3 , m. Rotst. unterstrichen || 54,7—9 Inhalts­
angabe am Rande von Bl. 4 3 || 54,14 anstatt nach ich tue etc. <haben> steht
die Schlussklammer im Ms. nach Hintergrunderlebnisse; die Ziffer 1) steht
680 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

im Ms. anstatt vor in das U m w eltliche vor „A ffektionen . . . auf Zeile j j ||


54,16 anstatt sie im Ms. überall es || 55,2 anstatt c) im Ms.: 3) || 55, Anm. 1
u. 2 Erg. || 55, Anm. 3 der bezeichneten Stelle zugeordnete Rb. || 57,12 anstatt
hat im Ms.: ist || 59,5 ontisch im Ms. abgekürzt o u t . ; kann auch als ontolo­
gisch gelesen werden j| 61,28 anstatt der ich jetzt der mich Besinnende bin,
voraussetzt im Ms.: der ich jetzt, der sich Besinnende ist, voraussetzt |[
64,5 nach wenn das m. Bleist. gestr.: Äussere ]| 64,11 anstatt Sie im Ms.: Es ||
64,29-31 Randtitel am Anfang des Bl. g i |[ 64, Anm. kritische Rb. m. Bleist.
zu den Zeilen 4 —1 1 , die im Ms. zwischen eckigen Bleist.-Klammern stehen ||
6 6 ,8 -9 nur naiv bis beschrieben würde Einf. || 67,23ff. Beginn des Bl. 3 3
(von Husserl bezeichnet als 3 und als X X X ) ; Rb.: Zum A nfang II. M edita­
tion || 68,21—22 jede Einzelperson . . . welche Bleist.-V. für jedes . . . das ||
68,26-69,27 der Text eines Beilageblattes, das m. Bleist. als ad X X V III u. f.
(= oben S. 64, Zeile 2 gff.) bezeichnet ist ||

N r . 5 (S. 70-77)
Der Text der Bl. 3 - 7 des Konvolutes B I I 1 3 , aus dem auch die Beilage
X X X von Husserliana V III stammt. Der Umschlag dieses 1 9 Bl. umfassen­
den Konvolutes trägt die Aufschrift: B II 15. Ad I. M editation. Zur R eduk­
tion. Ausser den Bl. 1 3 - 1 7 , die etwas älteren Datums sein dürften, stammen
alle Blätter wohl aus der Zeit um 1 9 3 0 . Bei den in der vorliegenden Nummer
wiedergegebenen Bl. 3 - 7 handelt es sich nicht um einen einzigen kontinuier­
lichen Text, sondern um vier inhaltlich und chronologisch eng zusammenge­
hörige Texte, die in der vorliegenden Wiedergabe als a, b, c und d bezeichnet
wurden. Ihre Reihenfolge entspricht nicht ganz der Reihenfolge der Manu-
skriptbl. im Konvolut; hier hegen sie in der Ordnung a, d, b, c. Die Bl. sind m.
Tinte, Bleist. u. Blaust, überarbeitet. Die Texte a, b und c sind m. Blaust, als
gu t bezeichnet.
70,6 der zweite Teil des Titels m. Blaust, am Rande || 70,24 auch das
Transzendentale des alter ego E in f. m. Bleist. || 70, Anm . 2 Erg. || 71,2 am
Anfang des Absatzes m. Bleist. eingefügt: zu a) || 71,5 Ebenso seine pri­
mordial reduzierte ~WeltEinf.ni. Bleist. || 71,32 gegenüber anderen E in f. m.
Bleist. II 72,25 = habituell E in f. m. Bleist. || 72,29-30 Generalthesis Rb. m.
Blaust. II 72,35 vor die in der im M s. noch: die sich an || 72,37 unbedingt
E in f. m. Bleist. || 72,39 unbedingt universalen E in f. m. Bleist. || 73,1 nach
durchführenden eingefügt, aber m. Blaust, gestrichen: und doch noch er­
fahrenden und urteilenden || 73,1-3 Ich beanspruche bis zu können E in f. ||
73,12-16 Dieser Absatz ist eine Erg. m. Bleist. || 73,17 der erste Teil des Titels
m. Blaust, am Rande || T i,29 monadisch E in f. m. Bleist. || 73,30 phänomeno-
logisierenden B le is t-V . für phänomenologischen ; monadisch eigene E in f.
m. Bleist. || 73,33 primordial E in f. m. Bleist. || 73,34— 35 den Ichpol bis
Erlebens V. für in eins mit dem für es Subjektiven, in eins m it seinem un­
mittelbar einen Leben || 73,37 primordial E in f. m. Blaust. || 74,2 A n ­
führungszeichen bei „verbunden” m. Blaust. || 74,23 Anführungszeichen bei
„ in ” m. Blaust. || 74,34 Titel m. Blaust. || 74,36 als wirkliches ego —Monade
E in f. m. Blaust. || 75,8 (evtl, aber auch gelegentlich als das) E in f. m.
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 681

Blaust. || 7 5,15-17 darin bis primordialen Erfahrung Einf. || 75,27 und dann
auszuweisende Einf. m. Bleist. || 7 5,30-32 nur eben bis S ubjektivität Einf. ||
75,36 All V. für „ W e lt” ]] 76,1 8 -2 4 dieser Absatz ist eine Erg. |l 76,25 ad
Fünfte M editation m. Blaust. || 76,26 Anführungszeichen bei „konkrete”
m. Bleist. || 76,26—27 die durch Prim ordialität konstituierte M onade Einf.
m. Bleist. || 76,27 im. zw eiten Sinn konkrete Einf. m. Bleist. || 76,28 A n­
führungszeichen bei „verb u n d en e” m. Blaust. ||

B e ila g e III (S. 77-78)


Der Text des Bl. I I des Konvolutes E l i , aus dem auch die Nr. 3 7 und die
Beilage L II des vorliegenden Bandes stammen. Auf dem Umschlag dieses 1 6
Bl. umfassenden Konvolutes steht zu lesen: N ich t viel wert, eine schlechte
B esinnung über den Gang der E infühlung. A d : Wir als Korrelat der W elt
des Lebens. Jene kritische Bemerkung bezieht sich auf den Text der Bl. 4 - 1 0 ,
genauer, auf dessen Anfang (vgl. die textkritischen Anmerkungen zu Nr. 37).
Auf der Innenseite des Umschlages befindet sich ein Poststempel mit dem
Datum 4 . 1 2 . 1 9 3 4 . Alle Bl. des Konvoluts dürften in diesem Jahre geschrie­
ben worden sein. —Das in der Beilage I I I wiedergegebene Bl. 1 1 ist ein Einzel-
bl. Es trägt keinerlei besondere Bezeichnung und auch keine Spuren einer
späteren Lektüre.
77 ,3 0 -3 6 Vor der, wohl unmittelbaren, Korrektur lautete der erste Absatz
des Textes wie folgt: Ist es n ich t ein zw eifacher W eg, welcher zunächst naiv
anfängt als das Erfassen und Auslegen des transzendentalen ego, wie es sich
z u A n f a n g nach E in satz der transcendentalen E poche b ietet und
d an n 1) einerseits zu K on stitu tion der M onadenw elt führt durch M itsetz­
un g der alter ego’s und ihrer P rim ordialitäten, 2) andererseits zur R eflexion
au f das phänom enologisierende Ich und sein Tun ? || 78,7 anstatt das ego im
M s.: auf das ego ||

N r. 6 (S. 81-90)
Der Text der Bl. 3 0 —3 3 aus dem Konvolut E I 4 ( vgl. zu diesem Konvolut
den Abschnitt ,,Zur Textgestaltung”, oben S. 6 7 3 ). Diese sechs Blätter liegen
in einem kleinen Sonderumschlag, der in Tinte die Angabe trägt: Aus TT
(A ugust 1930). Zur Lehre von der Frem derfahrung; dazu m. Blaustift:
E infühlun g. Sie sind mit Bleistift von 15 bis 20 durchnumeriert. Sie stammen
aus einem Zusammenhang von ursprünglich 2 3 durchnumerierten Blättern,
die Husserl später in drei Gruppen aufgeteilt hat: Die ursprünglich von 1 bis
13 bezifferten Blätter befinden sich heute im Konvolut C 4 (Bl. 2 - 1 3 die
Blätter 14 und 21 bis 23 liegen im Konvolut C 6 (Bl. 2 - 3 ) und sind von einem
Sonderumschlag mit folgender A ufSchrift umschlossen: Aus TT (August 1930).
E rster A nfang eines m ethodischen Abbaus der urphänom enalen Gegenwart
zugleich als M ethode des Abbaus der vorgegebenen W elt als solcher und
der R ückfrage auf die su b jek tiven E rscheinungsw eisen an Stelle der M etho­
de einer O ntologie der E rfahrungsw elt und dieser als transzendentaler L eit­
faden. U rstrukturen der lebendigen G egenw art. H yle, ichliche Struktur.
P rim ordialität etc. Stufen der Z eitigung <:> Urzeitigung, N aturzeitigung,
682 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

Weltzeitigung. Stufen der Kerne. Die in der vorliegenden Nummer wieder­


gegebenen sechs Blätter sind m. Tinte u. Blaustift überarbeitet und enthalten
wenige Unterstreichungen in Blaustift.
82,6-17 Dieser Absatz steht im M s. zwischen runden Blaust.-Klammern ||
82,34 des Wirkens und Leidens E in f. || 83,34 anstatt meine Wahrnehmung
von M im M s.: meiner Wahrnehmung von M || 84,21 Das gilt für jede
Appräsentation Erg. ]| 84, Anm. Erg. || 85,26-29 Die beiden Schichten bis
Ende des Absatzes Erg. || 85, Anm. Erg. || 86,15-16 Randtitel || 86, Anm. der
angegebenen Stelle zugeordnete Rb. || 87,13-15 d.i. bis näher bestimmend
E in f. || 87,19 Randtitel || 87,24 Appräsentieren E in f. || 88, Anm. Rb. || 90,5-9
wobei bis durch den Horizont der neuen E in f. |

B eilage IV iS. 91-98)


Der Text des Konvolutes E I 2 . In diesem Konvolut liegen sechs Blätter, die
von einem Umschlag umschlossen sind. Neben der Inhaltsangabe, die oben S.
g i, Zeile 6- i g abgedruckt ist, enthält dieser Umschlag noch den Hinweis
etwa 1930 ?, der mit Blaustift zu etwa 1930/31 ? abgeändert ist, und zwischen
Klammern den Vermerk: bei Gelegenheit der Lektüre einer Schrift des
Dänen Harms. Dieser Vermerk erlaubt den Text genauer zu datieren, nämlich
auf die Jähreswende i g j o j j i . Im Husserl-Archiv sind zwei aus Kopenhagen
geschriebene Briefe von Ernst Harms erhalten, von denen der erste, vom 4 .
Dezember i g 3 o, die Zusendung einer Abhandlung ankündigt, während der
zweite, vom Ja n u a r 1 9 3 1 , zu Husserls brieflich mitgeteilten Kritik dieser
Abhandlung Stellung nimmt. Von Husserls Brief befindet sich im Husserl-
Archiv ein fragmentarischer Entwurf: Geehrter Herr Harms, ich habe Ihren
für Oxford vorbereiteten Vortrag gelesen und finde, dass im Gebrauch des
Wortes „Phänomenologie” zwischen uns eine Äquivokation waltet. Sie
sind, wie ich jetzt glaube, sehr weit entfernt davon, den Sinn dessen, was
ich mit diesem Worte erstrebte und für mich wenigstens zu völliger Klar­
heit gebracht habe, zu verstehen und somit auch den Sinn des „Idealismus’’,
den ich für immer begründet zu haben glaube. Das soll nicht ein Tadel sein,
denn der Zugang ist, als eine völlige Umwendung in der erfahrenden und
wissenschaftlichen Einstellung erfordernd, von aller bisherigen Philosophie
und Psychologie ausserordentlich schwer. Ich zweifle allerdings, dass Sie
in der inneren Sicherheit Ihrer Gesamtanschauung noch dazu kommen
werden, meinen mühsamen Wegen nachzugehen. Schon Ihre Haltung zu
der Mannigfaltigkeit der Philosophien ist der meinen total entgegengesetzt.
An ihr kann ich mich nicht freuen, das könnte ich nur im Unglauben an die
Möglichkeit einer Philosophie, wie sie alle grossen Philosophen erstrebten,
eine Philosophie, die in absolut vorurteilsloser Selbstbesinnung des Philo­
sophierenden über die für ihn als seiend geltende Welt zu einer universalen
Erkenntnis kommt, die (Ms. E I 4 , S. 1 5 b). E s ist nicht mit Sicherheit aus­
zumachen, um was für eine Schrift Harms’ es sich hier handelt. In der Privat­
bibliothek Husserls befinden sich keine Texte von Ernst Harms, so dass anzu­
nehmen ist, dass es um einen ungedruckten Text geht, den Husserl nach
Lektüre wieder zurückschickte. In den gedruckten ,,Proceedings” des V I I .
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 683

Philosophen-Kongresses in Oxford (1 .—6 . September 1 9 3 0 ), für den dieser


Text bestimmt war, ist kein Beitrag von Ernst Harms enthalten. Wenn Ernst
Harms überhaupt jemals diesen Text veröffentlichte, so muss es sich um den
Aufsatz ,,Die Variabilität der Individualpsyche’' handeln, der in der Zeit­
schrift für Religionspsychologie (4 . Jahrgang 1 9 3 1 , Heft gf6 ) erschienen ist.
Aus Fussnoten dieses Aufsatzes ist zu entnehmen, dass der laufende Text
bereits im Mai 1 9 3 0 abgeschlossen war und dass er im Februar 1 9 3 1 noch mit
Fussnoten versehen wurde. Möglicherweise verfügte Harms im Dezember oder
Januar 1 9 3 0 / 3 1 bereits über Druckproben, da er in einem kleineren Artikel in
der Psychologischen Rundschau (III/ 1 9 3 1 , Nr. 2 [Mai), S. 4 5 ) das Heft Nr.
2 des 4 . Jahrganges jener Zeitschrift als Ort der Publikation jenes Aufsatzes
angibt. - Die sechs Ms.-Blätter sind mit Blaustift von I bis V I durchnumeriert.
Sie tragen den Briefkopf ,,Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische
Forschung”. Der Text ist leicht mit Blei- und Blaustift überarbeitet und ent­
hält Unterstreichungen mit Blau- und Rotstift. Das erste Blatt ist überschrie­
ben mit T estpsychologie. B ehaviorism us und trägt in Blaustift den Vermerk
gut.
91,2-3 Titel m. Blaust, auf dem Umschlag || 91,4 Titel auf dem ersten Bl. |[
9 1 ,6 -1 9 Inhaltsangabe auf dem Umschlag ]| 92,44 Ferner Einf. m. Blaust. ||
94,20-21 abstrahiert Einf. m. Bleist. || 94,21 anstatt von dem im Ms.: von
ihrem || 97,34 überhaupt Einf. m. Bleist. ||

N r . 7 (S. 99-110)
Der Text der Bl. 1 0 - 1 6 aus dem Konvolut C 3 . Dieses 8 2 Bl. umfassende
Konvolut enthält sechs Sonderbündel mit je einem besonderen Umschlag. Der
Gesamtumschlag trägt die Aufschrift: I. U r s t r ö m e n d e G e g e n w a r t .
W eltzeitigung durch Z eitm odalitäten. Zeitigung III. C 3. Der Umschlag des
ersten Bündels, dessen Schlussblätter die in dieser Nummer wiedergegeben Bl.
1 0 —1 6 bilden, enthält, zuerst in Blaust, u. Bleist., folgende Angaben: (darin
auch Chiavari) . S t r ö m e n d e l e b e n d i g e G e g e n w a r t . 1930, Sommer
und H erbst. Durchsehen z. A. <zur A usarbeitung > I. Weiter in Tinte, aber
m. Blaust, gestrichen: 1) Zwei B lätter: E ine radikal durchgeführte R eduk­
tion auf die urström ende G egenw art ist äq uivalent m it transzendentaler
R eduktion. 2) E. In der transzendentalen R eduktion: A nalyse des Gehalts
der ström end lebendigen G egenwart. W ahrnehm ung und V ergegenwärti­
gung. H orizont. <Blatt> 6 | , A ussen- und Innenhorizont. <Blatt> 7, K on­
krete G egenwart und das U r-Jetzt („reine” Gegenwart). E igentliche W ahr­
nehm ungsgegenw art v o n der W elt. Innenhorizont des w eltlich Erfahrenen.
<Blatt> 8 , Seitengegebenheit. P hänom en der E inheit desselben der ver­
schiedenen Seiten. Perspektive. Seiende V ergegenwärtigungen. Seiender
E rlebnisstrom . Im m anente Zeit. <Blatt> 10, die G egebenheitsw eise der
W elt in der urphänom enalen G egenwart zw eischichtig, 1) primordiale
Schicht (als Schichte in der G egenwart), 2) die Anderen und Gegeben­
heitsw eise der W elt durch die A nderen. Die nach <Blatt> 10 folgende A n­
gabe ist durch eine geschweifte Klammer in Grünst, umfasst und mit der Be­
merkung, ebenfalls in Grünst., versehen: B egriff des transzendentalen ego
684 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

und der Primordialität. - Die in der vorliegenden Nummer wiedergegebenen


Bl. (10-16) tragen von Husserls Hand die Numerierung von 9 bis 15. Der
Text des von Husserl als 8 bezifferten Blattes schliesst mit einer grossen Bleist.-
Schleife, die eine Zäsur markieren soll. Die hier veröffentlichten Bl. bilden
also den zweiten Teil des von Husserl in der angeführten 1 nhaltsangabe als S
bezeichneten Ms. Die von Husserl vermerkte Zeitangabe 1930 , Sommer und
Herbst dürfte für dieses Ms. zutreffen. Diese Angabe stimmt mit der Orts­
angabe Chiavari überein, wo Husserl im Herbst 1930 weilte. Die sechs Bl.,
wie das ganze Ms. E , sind m. Bleist. u. Blaust, ziemlich stark überarbeitet.
99,2-4 Der Titel der Nummer ist folgendem Randtitel m. Bleist. auf Bl. 1 1
entnommen: Die transzendentale Gegebenheitsweise der Welt zweischich­
tig - primordialer Kern und Fremderfahrung als Schichten der transzen­
dentalen Gegenwart (und dann in der transzendentalen Zeitigung jeder
Gegenwart und jedes transzendentalen Ich) || 99,6 bisher E in f. m. Bleist. |[
99,13-16 Randtitel m. Bleist. |[ 99,17-18 von Anstatt bis überlegen wir
E in f. || 100,5 Vergegenwärtigungen V. für Wiedervergegenwärtigungen ||
100,14ff. Rb. m. Bleist.: Noetische Reflexion: transzendental-immanente
Zeit. Noetische Blickrichtung des transzendentalen Zuschauers || 100,20ff.
Rb. m. Bleist.: Noematische Blickrichtung des transzendentalen Zuschau­
ers || 100,29 Randtitel m. Blaust. || 100,30-101,7 dieser Absatz im Ms.
zwischen eckigen Blaust.-Klammern || 100, Anm. Rb. m. Bleist. || 101,6-7 und
alle sind transzendentale Vorkommnisse des transzendentalen Ich Bleist.-
V. für und alle sind transzendentale Vorkommnisse, im Reich des tran­
szendentalen Ich, im Bereich seines Erlebens oder Lebens, für es als tran­
szendentale aufweisbar und beurteilbar |[101,9 nach t r a n s z e n d e n t a l e n
noch m. Bleist. eingefügt: weltphänomenalen || 101,21 im Weltphänomen
E in f. m. Bleist. || 101 ,23 nach wie m. Bleist. gestr.: eigenwesentliche ||
101,31-33 am Rande des Textes ein wohl wieder ausradiertes Fragezeichen
in Bleist. || 101, Anm. 1 der angegebenen Stelle zugeordnete Rb. || 101, Anm. 2
E in f. m. Bleist. || 102,4 Menschen und Tiere E in f. || 102,7 des Wahrneh­
mungsfeldes E in f. m. Bleist. |l 102,27 direkten E in f. m. Bleist. || 102,30-32
Randtitel m. Blaust. |1102,37-38 von mundanen Merkmalen E in f. m. Bleist. ||
103,12 immanenten E in f. m. Bleist. || 103,16 simultan E in f. m. Bleist. ||
103,29 anstatt in Phantasien im M s .: von Phantasien || 104,3 nach der
m. Blaust, gestr.: nicht nur |i 104,11 anstatt unabtrennbar ist im M s.: un­
abtrennbar sind || 104,17 Anführungszeichen bei ,,mein” m. Blaust. || 104,19
dem transzendentalen Ich E in f. m. Bleist. || 104,27 des transzendentalen
ego bzw. E in f. m. Bleist. |l 104,37 transzendentale E in f. m. Bleist .|| 105,1
es ist meiner transzendentalen Gesamtgegenwart zugehörig Bleist.-V. für
es ist meine transzendentale Gegenwart || 105,3 nach usw. gestr.: So habe
ich das Weltphänomen, das, „worin” picht Erlebnisse meiner Erlebnis­
sphäre, sondern eben Dinge, Menschen, Tiere als transzendentale Phäno­
mene gegeben sind. || 105,4—5 Die Phänomene bis „Vermeintes” als solches
V . für Die Phänomene von Transzendentem sind selbst hier „Vermeint-
heiten” als solche |[ 105,13-30 Dieser Absatz ist eine Ergänzung am Rande ||
105,18-19 die Ursphäre der konstitutiven Zeitigung B leist.-V . für die
konstitutive Zeitigung || 105,19 meiner B leist.-V . fü r der || 105,22 A n fü h ­
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 685

rungszeichen bei „konstituiert” m. Bleist. |[ 1 0 5 ,3 3 - 3 4 auf die uns bis Ende


des Absatzes Einf. m. Bleist., m. Tinte nachgezogen || 1 0 5 ,3 6 - 3 7 und in
unmittelbarer Wahrnehmung Einf. m. Bleist. || 10 5 ,3 8 -3 9 nicht als bis
zur Erfassung kommt Bleist.-V. für nicht als Seiendes, sondern als „Seins­
sinn” zur Erfassung kommt || 106,6 Anführungszeichen bei „mitgegen­
wärtig” m. Bleist. || 1 0 6 ,8 -12 Also wir haben bis Gegebenheitsweisen
Bleist.-V. für Wir haben als Unterschichte, wo immer Weltliches eine
Sinnesseite hat, die menschlich-seelisch, überhaupt geistig ist, eine Sinnes­
schicht von Weltlichem, die direkt wahrnehmbar ist, und die synthetische
Einheit von wahrnehmungsmässigen Gegebenheitsweisen, die selbst in
höherer Stufe wahrnehmungsmässig ist. || 10 6,14 —16 als in ständiger bis
gegeben Einf. m. Bleist, m. Tinte nachgezogen |[ 1 0 6 ,1 6 - 1 7 meine Wahrneh­
mungen bis Bewussthaben Bleist.-V. für meine Wahmehmungserlebnisse ||
10 6 ,2 3 -2 4 jetzige bis gegebene) Einf. m. Bleist. || 106,24 mundan Einf. m.
Bleist. || 106,28 fundierte bis neuartigen Einf. m. Bleist. |[ 10 6 ,31 Einfühlung
Erg. m. Blaust. || 106,39 meines identischen Ich ist V. für meine || 10 7, Anm.
1 Rb. || 107, Anm. 2 Rb. m. Bleist. || 10 8 ,23 aus seiner eigenen Konstitution
Einf. m. Bleist. || 10 8 ,25 konstitutiv Einf. m. Bleist. || 1 0 8 ,3 2 -3 5 Der Andere
bis eigen ist. Erg. m. Bleist. || 108, Anm. Rb. || 10 9 ,5 nach Eigene m. Bleist.
gestr.: und noch ohne zu wissen, ob ich ein Mehr überhaupt fordern, ob ich
anders als solipsistisch überhaupt forschen kann || 10 9 ,2 0 -2 1 für mich not­
wendig geltend und ausweisbar Einf. m. Bleist. || 10 9 ,24 mein transzenden­
tales ego Bleist.-V. für das transzendentale Ich || 109, Anm. Rb. m. Bleist. ||
1 1 0 ,7 nach den m. Bleist. gestr.: natürlichen || 110 , Anm. Erg. m. Bleist. ||

N r . 8 (S. 1 1 1 - 1 1 6 )
Der Text der B l. i j —20 des Konvolutes B I I I n . A u f dem Umschlagblatt
{ i j2 i ) dieses 2 1 B l. zählenden Konvolutes steht der Vermerk: Anfang D ezem ­
ber 1930. 15 B lätter und B i - B 3. N ich t gut, unbrauchbar. Die hier wieder­
gegebenen B l. i j —20 tragen m. Blaust die Bezeichnungen B i bis B 4 . D a das
Blatt B 4 nicht später geschrieben ist als die vorangehenden Blätter B i bis B 3,
ist anzunehmen, dass Husserl bei der Angabe auf dem Umschlagblatt das
Blatt B 4 übersehen hat. A u f dem ersten jener 15 B lätter, die den hier wieder­
gegebenen Blätter B i—B 4 im Konvolut vorausliegen, steht als Inhaltsangabe:
In der schon transzendentalen E in stellu n g A uslegung des apodiktischen
ego hinsichtlich des Phänom ens „ W e lt” — der W elt als transzendentales
cogitatum. —Alle Blätter des Konvolutes sind m. Bleist. überarbeitet.
111,7 anstatt w as im M s .: wie || 1 1 1 , 8 - 9 erfasst, aber auch verw ertet V.
für: für m ich m itfungiert für m eine „W eltvorstellung” , für Sein und Sosein
der W elt, die für m ich zu beständiger G eltung kom m t || 1 1 1 , 1 0 dass ich
erfahre oder gew iss werde E in f. m. Bleist. || 1 1 1 , 1 3 anstatt sow eit im M s .:
solange || 1 1 1 , 1 9 für m ich zur G ew issheit kom m t, dass E in f. m. Bleist. ||
1 1 1 , 2 8 - 2 9 m einem E in f. m. Bleist. || 1 1 1 , 3 0 nach sind m. Bleist. gestr.: eben ||
1 1 2 ,5 - 6 Anführungszeichen bei „U nreinheit” und „ N a iv itä t” m. Bleist. ||
1 1 2 ,9 - 1 0 oder in ihm w altendes E in f. m. Bleist. || 1 1 2 ,1 6 —18 Ich habe bis
vorgegebenen) B leist.-V . für Ich habe als Zuschauer m ich selb st und die
686 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

m itseienden Anderen in der vorgegebenen W elt [| 112,20-21 nicht nur hat


bis sondern Einf. m. Bleist. || 112,32 einfühlungsm ässige Erfahrung der
Anderen Bleist.-V. für Einfühlung in Andere j| 112,33 vor ihrer m. Bleist.
gestr.: allein || 112,36-37 als der bis mir gilt Einf. m. Bleist. || 113,2-4 Aber
über bis nicht belehren kritisch angestrichelt || 113,8 der bestim m ten
Anderen und Einf. m. Bleist. || 113,9 Inhalte Einf. m. Bleist. ]! 113,13-15
W enn ich aber bis überhaupt? Bleist.-V. für B esagt das aber das Ausser-
Spiel-setzen der Anderen überhaupt? || 113,16-18 W enn ich die Anderen
bis und Einf. m. Bleist. || 113, Anm. 1 Erg. m. Bleist. |[

B e ila g e V (S. 116)


Der Text des Einzelblattes 1 7 6 aus dem Konvolut E I 4 (vgl. zu diesem
Konvolut den Abschnitt ,,Zur Textgestaltung”, oben S. 6 7 3 ). Dieses verein­
zelte Blatt dürfte aus der ersten Hälfte der dreissiger Jahre stammen. Es ist
nicht überarbeitet, aber enthält einige Unterstreichungen in Blaustift. Es ist
mit E infühlung überschrieben.

N r . 9 (S. 117-131)
Der Text der Bl. 4 - 1 3 aus dem Konvolut E I 4 (vgl. zu diesem Konvolut den
Abschnitt ,,Zur Textgestaltung”, oben S. 6 7 3 ). Diese zehn Blätter liegen zu­
sammen mit zwei weiteren, von denen das erste in der folgenden Beilage VI
abgedruckt ist, in einem Sonderumschlag, der folgende Angabe enthält: 10
B lätter, w ohl Dezem ber 1930. Phänom enologische Reduktion, p. 9/10
Zur b e sse r e n K lä ru n g des B e g r iffs der P r im o r d ia litä t.
Auf dem ersten dieser zehn Bl. steht nochmals in Bleistift und mit Tinte nach­
gezogen: w ohl D ezem ber 1930. Diese Blätter tragen den Briefkopf ,, Jahrbuch
für Philosophie und phänomenologische Forschung”, was Husserls Datierung
des M s. bestätigt, da er hauptsächlich Ende ig 3 o und Anfang ig 3 i solches
Briefpapier als Konzeptpapier für seine philosophischen Meditationen ver­
wendete. Sie sind mit Bleistift von 1- bis 10- durchnumeriert.
117,5-6 Titel auf dem Sonderumschlag |[ 117,25 nach vorausgesetzt ist
gestr.: Es ist nicht eine A bstraktion ]| 118,36 anstatt appräsentiert im Ms.:
appräs || 120,4 nach ist in gestr.: erster und || 120,18-121,5 Diese beiden Ab­
sätze stehen im Ms. zwischen eckigen Klammern || 124,27-29 Hierbei gilt
bis wieder Erg. || 125,32 am Anfang des Absatzes im Ms.: 1) || 127,29 anstatt
v o n der im Ms.: von den || 127, Anm . Erg. || 129,13 nach auf m eine gestr.:
prim ordiale || 129,16 Randtitel || 130,26-27 anstatt transzendent-im m anent
im Ms.: transzendent-Im m anenz. |l

B e ila g e V I (S. 131-132)


Der Text des vereinzelten Bl. 1 4 aus dem Konvolut E I 4 . Dieses Blatt liegt
im selben Sonderumschlag wie die Blätter des auch in dieser Ausgabe voran­
stehenden Textes Nr. g. Es dürfte gleichzeitig mit diesen entstanden sein. Die
Rückseite enthält einen in einen anderen Zusammenhang gehörigen gestriche­
nen Text.
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 687

Nr. 10 (S. 133-142)


Der Text der B l. 5 0 - 5 7 aus dem Konvolut B I I I 3 , aus dem auch der Text
N r. 1 4 und die Beilagen X I und X I I I des vorliegenden Bandes stammen. Der
Umschlag dieses 64 B l. zählenden Konvolutes enthält u.a. folgende auf den
vorliegenden Text bezügliche Angabe: Normalität. Normalität und Anoma­
lität. Die B l. 5 0 —5 7 sind mit Blaustift von 1 bis 7 durchnumeriert. Vor dem als
4 bezifferten B l. liegt ein kleineres, eingeschobenes B l., das als ad 4 bezeichnet
ist und dessen Text oben auf S. 1 3 7 in der Fussnote wiedergegeben ist. A u f
dem ersten B l. steht in Blaustift das Datum: 10. I. 3 1 . Der Text ist mit B lei­
stift und Blaustift stark überarbeitet. Der Herausgeber entsprach Husserls
Vermerk auf dem ersten Blatt: gleich 2 lesen! und Hess im vorliegenden Bande
den Text gleich mit den Ausführungen des zweiten Ms.-Blattes (Bl. 5 1 ) ein-
setzen; er stellte ihnen aber noch eine Randbemerkung voraus, die sich auf der
Rückseite des ersten Blattes befindet und die im Gegensatz zum übrigen Text
dieses Blattes an mehreren Stellen mit Rotstift unterstrichen ist (oben wieder­
gegeben S. 1 3 3 , Zeilen 6- 1 9 ). Das oben nicht wiedergegebene Anfangsstück des
Textes lautet folgendermassen: Analyse der Struktur des ego und alter.
Primordiale Reduktion —das primordial reduzierte ego —ausser Betracht
lassen der schon aus Einfühlung stammenden Sinnes- und Geltungs­
charaktere. Diese als höher fundierte kommen erst entsprechend später
zur Auslegung. Die Schichte des in der Einfühlung direkt Fundierten. Der
fremde Leib als Körper in meiner Primordialität und als Ausdruck des
eigenen Leibes des Anderen in seiner Primordialität. Identifizierung <des >
Körpers, der Leib für den Anderen in seiner Primordialität ist, und des
Körpers in meiner Primordialität. Der identische Körper ein fremder Leib,
Leib für einen Anderen, der mit diesem verbunden ist. Was macht den
Anderen ? Erste Schicht meinesgleichen: ich hier primordial reduziert.
Mein Verhalten im Gemüt zu meiner primordialen Umwelt. Mein habituel­
les Sein. Meine Instinkte vor meinem sie enthüllenden Tun. Ich, konkret
wie ich bin. Das andere Ich analog. Aufnahme des Anderen in meine Um­
welt, die nun gemeinsame ist. Verstehen seiner Praxis und ihrer Gebilde,
Verstehen seiner als mich und meine Umwelt verstehend. Die Welt, die
uns gemeinsam ist, für jeden von uns erweitert, eine gemeinsame prak­
tische Welt etc. Das Verstehen der vergeistigten Natur erschliesst zugleich
die vergangene gemeinsame praktische Welt und überhaupt geistige Welt,
und die Zukunft. Neue Andere und gemeinsame praktische Welt - die
Einfühlung nicht im Nebeneinander, sondern nun ist der neue Andere zu­
gleich solcher, der den ersten Anderen in seiner und unserer Umwelt hat.
Iteration in der eigentümlichen Erweiterung, mein Verhalten zu der jeweils
schon intersubjektiven Welt irgendeiner Fundierungsstufe. Mein Verhal­
ten zu blossen Dingen, zu Anderen, zu Dingen, die Zweckform für jeder­
mann haben. Wir Subjekte gleicher Instinkte, gleicher Urbedürfnisse; was
für Andere Wert ist, ist auch für mich und für jeden Wert, situations-
mässig. Konstitution von Werten für alle, von objektiven Wertprädikaten.
Die unterschiedene Art dieser Objektivität gegenüber derjenigen der
Naturprädikate und der Prädikate der Personen selbst. —Ausdruck der
Ichsubjekte hinsichtlich ihres leiblichen Daseins und ihres leiblich­
688 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

seelischen. Ausdruck der spezifischen Persönlichkeit - einerseits mittelbar


eindeutend im leiblichen Minenspiel, Geste etc., aber in Beziehung auf
die Situationen und was sie korrelativ ausdrücken. Verhalten in der Situ­
ation, verstanden als Bedürfnisverhalten, als Handeln etc. Das Verstehen
von Anderen in der Einfühlung ist also Vorschicht und das Verstehen der
Gemeinschaft und Gemeinschaftswelt. Nicht nur, dass wir unterscheiden
den Ausdruck, der unmittelbar den Leib als Leib anzeigt und damit das
darin waltende Ich, sondern der vermittelte Ausdruck verläuft nach sehr
vielfältigen Fundierungen, und entsprechend ist die Umwelt eine sehr viel­
fältig fundierte hinsichtlich des Aufbaues ihres Seinssinnes. Diese Fundie­
rung ist in einer lebendigen Genesis begriffen, also auch die Sinnbildung der
immer schon vorgegebenen Welt - die Näherbestimmung, die antizipieren­
de Vorzeichnung ihres Horizontes, aber auch der schon erfahrenen Objek­
te, wie insbesondere der schon erfahrenen Menschen und meiner selbst als
Menschen, speziell als Person, der erfahrenen personal-sachlichen Charak­
tere der Dinge, der personalen Funktionscharaktere in den personalen
Gemeinschaften und Gemeinschaftsumwelten. - Welt als Umwelt, Andere
als Andere, Menschen als Menschen Erfahren, das ist wie jedes objektive
Erfahren ein Erfahren durch Präsentation, die zugleich Appräsentation ist
und einen Horizont der unbestimmten Appräsentation mit sich führt. Das
fortgehende erfahrend Kennenlernen, und zunächst wahrnehmend, ver­
läuft wesensmässig bald in Form reiner Erfüllung, d.i. bestätigender
Präsentation, die aber zugleich Näherbestimmung sein wird, Momente der
unbestimmten Vorzeichnung in Präsentation verwandelnd, teils in Form
der Andersbestimmung usw. - Das betrifft hinsichtlich des Kennenlernens
von Menschen zwar alle Fundierungsstufen, aber natürlich im besonderen
Masse die höheren, zumal ja jede ihren eigenen Horizont haben muss.
133,6-19 Erg. am Rande || 134,11 in erster Ursprünglichkeit = Frem d­
w ahrnehm ung E in f. m. Bleist. || 134,12 Einfühlung E in f. m. Bleist. || 134,14
Anführungszeichen hei „FremdW ahrnehmung” m. Bleist. |[ 134,17 als
Frem dw ahrnehm ung E in f. m. Bleist. || 134,22 leistet E in f. m. Bleist. ||
134,30-35 Der Satz lautet im M s.: D er nächste, den ich mir ansehe, ist nun
schon der dritte, der, w as er seinerseits verm öge der ihm von mir —dem
Ich, das schon m it dem zweiten Ich gem einsam e W elt (als Schichte) hat
und das nun diese W elt des ersten „w ir beide” fortbilden h ilft zur W elt für
uns drei. || 135,2— 3 N atur nur nach einer Schichte E in f. m. Bleist.; diese
E in f. kann evtl, auch in folgenden Sinn gelesen werden: natürlich nur nach
einer Schichte || 135,7— 17 Dieser Absatz ist eine E in f. || 135,15 offenen E in f.
m. Bleist. || 135,28 oder nicht sind E in f. m. Blaust. || 135,34 und mir schon
als in tersubjektiv geltenden E in f. || 135,36 und In-K onnext-m it-A nderen-
seins E in f. || 135,39-136,1 als für m ich G em einw elt der M itm enschen seien­
de E in f. || 136,2-3 und eines jeden seiner und so unserer Interessen E in f. ||
136,3-5 und unserer überall eingefügt || 136,18 anstatt stim m t im M s .: stim ­
m end || 136,38-39 nur abgew andelt in korrelativen Perspektiven etc. E in f.
m. Bleist. || 137,3-8 M ein reduziertes bis Ende des Absatzes Erg. m. Bleist. ||
137,9-10 K onstruieren wir bis und ihrer W elt Bleist.-V. für F i n g i e r e n
w ir so eine G eschichte der Genesis || 137,16 und der universalen E in f. m.
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 689

Bleist. || 137,20 welche m. Bleist wohl irrtümlicherweise verändert in und


nicht vielmehr |[ 137, Anm. Text eines Einlageblattes || 138,2 der Punkt und
das anschliessende Ein Weiteres ist Bleist.-V. für und durch || 138,3 dauernd
Einf. in. Bleist. || 138,5-6 die zur bis wird Einf. m. Bleist. || 138,6 nach wobei
m. Bleist. gestr.: schon || 138,12 nach und m. Bleist. gestr.: ihrem Wandel ||
138,19 verbundenen Einf. m. Bleist. [| 138, Anm. 1 Vor der V. m. Bleist.
lautete diese der angegebenen Stelle zugeordnete Rb. wie folgt: Es ist also vor­
ausgesetzt, dass die Gemeinschaft des Füreinander-seins und Eine-gemein-
same-Welt-habens zum Konnex werden kann, und zwar zum dauernden,
also dauernd füreinander dasein, in derselben Nahwelt leben, miteinander
und gegeneinander in die Welt als aktuelle Umwelt leben. Ein Besonderes
ist also die Konstitution einer praktischen Lebensuniwelt. || 138, Anm. 2
der angegebenen Stelle zugeordnete Rb. || 139,11 historischer Einf. m. Bleist. ||
139,12—13 historisch und evtl, auf Grund dieser verborgenen Traditionali-
tät Einf. m. Bleist. || 139,16 und des Lebens in Tradition Einf. m. Bleist. ||
139,34—35 Verknüpfung zur totalen „irdischen” Menschheit Erg. || 139,37-
39 Von Wesensmässig bis Natur Bleist.-V. für Demgegenüber die Kon­
stitution einer unendlichen Natur |) 140,1 als immerzu vorlaufende Einf.
m. Bleist. || 140, Anm. Rb. m. Bleist. || 141,2 ihr Seinssinn Einf. m. Bleist. ]|
141,23 „meinesgleichen” Bleist.-V. für „gleich” || 141,26-27 meines nor­
malen „Wir” und dann jeder solchen Wirgemeinschaft Einf. m. Bleist. ||
141,32—33 als Handwerk bis zunächst Einf. m. Bleist. |[ 141,37 ernstlich
Einf. m. Bleist. || 142,3-4 bewusstseinsmässig-habituell bis die er Bleist.-V.
für verfügt und (Zeile i steht noch das zu dieser Wendung gehörige über) |[
142,8 dieser Bleist.-V. für der betreffenden || 142,9 sie ist nur die „ihrer
Zeit” Einf. nt. Bleist. || 142,18 Als Mensch Einf. m. Bleist. || 142,22 in und
Einf. m. Bleist. || 142, Anm. Rb. m. Bleist. ||

B e ila g e V II (S. 142-147)


Der Text der B l. 1 2 3 - 1 3 0 des Konvolutes A V 3 (vgl. zu diesem Konvolut
oben die textkritischen Anmerkungen zu N r. 4 ). Die B l. 1 1 8 - 1 4 2 dieses
Konvolutes, wozu auch die acht B l. dieser Beilage gehören, befinden sich in
einem Sonderumschlag, der u.a. die Angaben enthält, die oben S . 1 4 2 , Zeilen
2 3 - 3 6 abgedruckt sind. Während sich diese Angaben auf die in der vorliegen­
den Beilage wiedergegebenen Blätter beziehen, verweisen folgende Angaben des
Sonderumschlages auf andere in ihm erhaltene B l.: Strukturanalysen unserer
m enschlichen U m w elt - R ückgang au f das Instinktleben. U rinstinkte,
U m bildung, stufenw eise Fundierung der Instinktum bildungen. Periodizi­
tä t des Instinktlebens. D as A periodische. D as Leben im Ernst in seinen
V orstufen und höheren Stufen. K ind. K onstitution der m enschlichen Ver­
gangenheit und Zukunft gegenüber der „lebendigen G egenwart” . Grund­
unterschied: das Erledigte, im eigentlichen Sinn im voraus Seiende der
V ergangenheit, das N ichtsein —N och-nicht-sein der Zukunft. Weiter ent­
hält der Sonderumschlag in Blaustift die Signatur T x . —D ie acht hier wieder­
gegebenen B l. hat Husserl m. Blaustift von 1 + bis 8 + durchnumeriert. Die
drei als 4 + , 5+ bzw. 6+ bezeichneten B L , deren Text oben S . 1 4 4 , Zeile 3 3
690 TEX TK R ITISC H E A NM ERKU NG EN

beginnt, tragen auch die durchgestrichenen Bezeichnungen c, b bzw. a [in


dieser Reihenfolge!) und 2, 3 bzw. 1 . Aus inhaltlichen Gründen geben wir ihren
Text gemäss der Reihenfolge der zuletzt genannten Numerierung wieder {die
Reihenfolge gemäss der Numerierung 4+ , 5 + , 6 + , die sich mit der Folge
der Bl. im Konvolut deckt, ist aus dem ,,Nachweis der Originalseiten'’, unten
S. J40 zu ersehen). Die beiden letzten Bl. (bezeichnet als 7 + bzw. 8 + ) , deren
Text oben S. 146, Zeile 22 beginnt, tragen die gestrichene Numerierung
l o o bzw. 2 o o - Auf den Rückseiten der acht Bl. befinden sich Fragmente des
Schreibmaschinenmanuskriptes von Husserls N achw ort zu m einen „Ideen” ,
das i g 30 im ,,Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung”
(Bd. X I) veröffentlicht wurde. Husserls Datum auf dem Sonderumschlag
Juli-A ugust 1930 dürfte insbesondere für diese Bl. zutreffen. Sie enthalten
Unterstreichungen m. Blei- u. Blaustift.
142,25-36 Titel, Datum und Inhaltsangabe auf dem Sonderumschlag ||
143,1 Randtitel m. Blaust. || 144,35 Titel am Rande des als 6 + {bzw. als 1 und
a) bezeichneten Bl. || 145, 33 nach dem K athekon (zunächst) E in f. m.
Bleist. |[ 146, 22 eingefügter Titel auf dem als 7 + {bzw. als loo) bezeichneten
B l. |1

N r . 11 (S. 148-170)
D er Text der B l. 2 —1 6 aus dem Konvolut C 1 1 , aus dem auch die Beilage X
des vorliegenden Bandes stammt. Dieses 70 B l. umfassende Konvolut besteht
aus fünf Sonderbündeln, die alle aus den dreissiger Jahren stammen und
deren erstes in dieser N r. 1 1 wiedergegeben wird. Der Umschlag dieses Sdnder-
bündels trägt in Blaustift den Vermerk: 15 B lätter, 1 = ff. sowie den Titel und
die Inhaltsangabe, die oben S . 1 4 8 , Zeilen 5 - 6 bzw. 8 —1 1 abgedruckt sind. Die
l g B l. sind mit Blaust, von 1 = bis 1 5 = dxirchnumeriert. A u f dem ersten der
B l. steht mit Bleistift die Zeitangabe: 1933 ? Dieses von Husserl selbst nur als
fraglich angesetzte Datum dürfte nicht zutreffen. Nach Schrift, Stil und Inhalt
ist der Text etwas früher anzusetzen. Einen ziemlich genauen Hinweis dafür
gibt das benützte P apier: es enthält den Briefkopf ,, Jahrbuch für Philosophie
und phänomenologische Forschung” . Während Husserl 1 9 3 3 solches Papier
nicht mehr gebrauchte, benützte er es vor allem Ende 19 3 0 und Anfang 1 9 3 1
{vgl. die textkritischen Anmerkungen zur Beilage I V und zu N r. 9 ). A u f der
Rückseite des Umschlages befindet sich zwar ein Poststempel vom 2 3 .1 1 .3 3 ,
der vielleicht Husserl zu jener Datierung bewogen hat, aber die B l. dürften
wohl eher bei Gelegenheit einer späteren Lektüre in diesen Umschlag gelegt
worden sein. Sie weisen nämlich zahlreiche Spuren wiederholter Durchsicht
auf: eine starke Überarbeitung mit Bleistift und Unterstreichungen in Blei-,
B la u - G rün-und Rotstift.
148,18. dabei E in f. m. Bleist. || 148,22 Besondere E in f. m. Bleist. || 149,
6-8 Streben bis Ende des Absatzes E in f. || 149,11 anstatt P assivität im Ms.
nochmals: A k tiv itä t || 149,28 vor D as Sein der W elt im M s .: 1) ]| 151, Anm.
Rb. m. Bleist. || 152,1—2 des Ich Bleist.-V. für eines Ich || 152,5 anstatt des im
M s. m. Bleist. gestr.: eines || 152,16-17 des verschiedenen Sinnes und der
Sinnes Voraussetzungen E in f. m. Bleist. || 152,17—18 evidente, aber und
TEX T K R IT ISC H E ANM ERKU NG EN 691

evidente Einf. m. Blaist. |j 152, Anm. Rb. [| 153,20 anstatt das Sein im Ms.:
des Seins || 153,35 vor Menschen gestr.: transzendentalen ego || 154,12-13
Aber ist bis Ende des Absatzes Einf. || 154,22 Menschliche Einf. m. Bleist. ||
154, Anm . Rb. m. Bleist. || 155,27 vor auf raum zeitliche im Ms. evtl, gestr.:
und || 155,29 die transzendentale Bleist.-V . für eine transzendentale |
155,35 Anführungszeichen bei „ W e lt” m. Bleist. || 155, 3 6 -3 7 Aber das ist
keine W elt im eigentlichen Sinne. Einf. m. Bleist. || 155,38 konkretere Einf.
m. Bleist. || 156,5 ausgelegt, das wäre Einf. m. Bleist. || 156,13 anstatt sehen
im Ms.: sieht || 156,14 Randtitel || 156,25 der M itgegenwart Einf. m. Bleist. ||
157,7 Erscheinungsw eise Bleist.-V . für Erscheinung || 157, Anm . Erg. ||
158,11-12 anstatt erfahrend im Ms.: zu erfahren || 158,26-30 Das aber
bis Ende des Absatzes Einf. || 158,33—35 und welche bis verstellbar Einf. ||
1 6 0 .1 7 - 18 transzendentalen bzw. transzendentale Einf. m. Bleist. || 160,21-
22 konkrete transzendentale Logik Einf. m. Blaust. || 160, A nm . Erg. m.
Bleist. || 161,9 absolute Einf. |[ 161,24 W elchen Sinn das h at und haben
darf Einf. m. Bleist. || 161, Anm . Erg. m. Bleist. || 162,2 anstatt mir im Ms.:
ihm || 162,10 transzendental-m onadisch verstanden Bleist.-V. für tran­
szendentale || 162,14 transzendental reduziertBZeish-F./wr transzendentale,[
1 6 2 .1 8 — 21 die Klammern m. Bleist. eingefügt || 1 6 2 ,2 4 jeder E in f. m. Bleist. ||
162, Anm . Rb. m. Bleist. || 1 6 3 ,8 unserer M enschheit E in f. m. Bleist. |[ 1 6 3 ,1 8
sowie sie m. Bleist. gestr. || 1 6 3 ,2 1 - 2 6 und zunächst bis alles nicht gilt?
E in f. m. Bleist., m. Tinte nachgezogen || 1 6 3 ,3 7 anstatt h at im M s .: hatte ||
1 6 4 ,3 7 anstatt dazu im M s.: das || 1 6 4 , Anm . Rb. m. Bleist., m. Tinte nach­
gezogen || 165 , A nm . Rb. m. Bleist., m. Tinte nachgezogen || 1 6 6 ,6 - 7 anstatt
psychische W esen im M s . : psychisches W esen || 1 6 6 ,1 3 als m eine Bleist.-V.
für in || 1 6 6 ,1 4 als das E in f. m. Bleist.; Anführungszeichen bei „in ,der’
w irklichen W e lt” m. Bleist. || 1 6 6 ,1 8 Anführungszeichen bei „W elt” m.
Bleist. || 1 6 6 ,1 8 - 1 9 Anführungszeichen bei „Erscheinungsw eisen” und
„B ew usstseinsw eisen” m. Bleist. eingefügt || 1 6 6 ,2 1 Anführungszeichen bei
„E rscheinungsw eisen” m. Bleist. || 1 6 6 ,2 3 Erfahrung als E in f. ni. Bleist. ||
1 6 6 ,2 4 vor Seinssinn m. Bleist. gestr.: ganzen || 1 6 6 ,3 2 Anführungszeichen bei
„d er” E in f. m. Bleist. || 1 6 6 ,3 3 M enschen E in f. m. Bleist. || 1 6 6 ,3 4 —3 5 oder
erscheinungsm ässige E in f. m. Bleist. || 1 6 6 ,3 5 - 3 6 bzw. unseren W elter­
scheinungsw eisen E in f. m. Bleist. || 1 6 6 ,3 8 - 1 6 7 ,2 W elt schlechthin bis Ende
des Absatzes E in f. m. Bleist. || 1 6 7 ,6 nach fungieren können, m. Bleist. gestr.:
Zum indest doch die höheren Tiere w ie A ffen, Pferde, H unde usw. || 1 6 7 ,3 2
nach habe ich, im M s. noch: der ich || 1 6 8 ,9 - 2 9 Vor der Veränderung m.
Bleist. (z.T. m. Tinte nachgezogen) lautete dieser Absatz wie folgt: Besinne ich
m ich nun, w as da für m ich jew eils als seiende W elt in E instim m igkeit gilt,
so kom m e ich auf m eine W ahrnehm ungsfelder, auf m eine Felder der Er­
innerung als m eine früheren W ahm ehm ungsfelder und so für die Zukunft
auf künftige eigene W ahrnehm ungsfelder: das alles aber zur E inheit der
Erfahrung als m einer originalen sich verknüpfend und die W elt als von
mir erfahrene konstituierend. D ie W elt m einer originalen Erfahrung enthält
andere M enschen, deren körperliche Leiber ihr wirklich wahrnehm ungs-
m ässig zugehören, deren Seelenleben, deren personales Sein in einer sekun­
dären und n ich t m ehr originalen W eise erfahren und ausweisbar ist in der
692 T EX T K R IT IS C H E A NM ERKUNGEN

eigenen Zusam m enstim m ung dieser Erfahrungsweise. || 1 6 8 ,3 0 - 3 4 Vor der


Veränderung m. Bleist. lautete der Satz wie folgt: In dieser W elt meiner ori­
ginalen Erfahrung treten die Vorkom m nisse auf: Geburt, Altern, Krank­
heit, Tod, und danach verstehe ich m ich selbst als dereinst sterbend und
als dereinst geboren. || 1 6 9 ,1 8 - 1 9 meiner und ihrer M enschheit E in f. ni.
Bleist. || 1 6 9 ,2 4 meiner Bekannten E in f. m. Bleist. || 1 6 9 ,3 0 als Mitpersonen
meiner „M enschheit” E in f. m. Bleist. || 1 6 9 , Anm. 1 Erg. m. Bleist., m.
Tinte nachgezogen || 1 6 9 , Anm. 2 Rb. m. Bleist. || 1 7 0 ,8 naiv im Horizont
meiner M enschheit E in f. m. Bleist. || 1 7 0 , Anm. 1 Rb. m. Bleist. |[ 170,
Anm. 2 Anfügung m. Bleist. unten an der Seite und am Rande ||

B e ila g e V III (S. 171-172)


Der Text des einzelnen B l. 2 aus dem Konvolut E I 4 (vgl. zu diesem
Konvolut den Abschnitt ,,Zur Textgestaltung” oben S. 6 7 3 ). Dieses B L , das
am Rande den T itel trägt, der oben, S. 1 7 1 , Zeilen 2 —3 wieder gegeben ist, dürfte
nach Inhalt und Schrift aus dem Anfang der dreissiger Jahre-stammen. E s ist
nicht überarbeitet, enthält aber Unterstreichungen in B lau - und Rotstift.
1 7 1 ,1 1 - 1 2 anstatt gegenüber m einer primordial-originalen Erfahrung
im M s .: als m eine prim ordial-originale Erfahrung || 1 7 1 ,2 5 anstatt die
Erinnerungen im M s .: sie ||

B e ila g e IX (S. 172-173)


Der Text des B l. 3 7 aus dem Konvolut B I I I 4 . Dieses 46 B l. umfassende
Konvolut befindet sich in einem Umschlag, der folgende Aufschrift in Blaust,
trägt: Genesis. Transzendentale K on stitu tion erster Stufe - transzendentale
K on stitu tion höherer Stufe. Juni 1933. Über die Jahreszahl 1933 ist m.
Bleist. 1934 geschrieben. Doch enthält dieses Konvolut nicht nur B l. aus 1 9 3 3
und 1 9 3 4 , sondern auch solche aus 1 9 3 0 , 1 9 3 2 und 1 9 3 5 . Das einzelne B l. 3 7
liegt in einem Sonderumschlag, der auf der Rückseite den Poststempel 3 .1 . 1 9 3 1
trägt. A u f der Vorderseite enthält er die Angaben, die oben S. 1 7 2 , Zeilen 4—1 9
abgedruckt sind. A m Rande des B l. steht in Bleist. der Vermerk: 1933, Ein
B la tt. Der Poststempel auf der Innenseite des Umschlages dürfte wohl die
richtigere Datierung darstellen als Husserls Angabe. Der Text ist nicht
überarbeitet, enthält aber Unterstreichungen in Blei-, Rot- und Blaustift.
172,21-26 Der Text dieses Absatzes steht im M s. am Rande || 172,30
Anführungszeichen bei „G en esis” m. Bleist. || 173, Anm . Rb. ||

B e ila g e X (S. 174-185)


Der Text der B l. 3 3 —4 2 aus dem Konvolut C 1 1 , aus dem auch der Text N r.
j i des vorliegenden Bandes stammt (vgl. die textkritischen Anmerkungen
dazu). Diese zehn B l. hat Husserl m. Bleist. von 1 bis 10 durchnumeriert; die
letzten drei B l. tragen in Bleist. auch die Bezifferung von I bis III und sind
als B eilage zu 7 bezeichnet (der Text dieser drei letzten B l. ist oben von S. 1 8 2 ,
Zeile i an abgedruckt). Die zehn B l. befinden sich in einem Sonderumschlag,
der folgende A ufschrift enthält: Fortführung, V ertiefung der Problem e der
TEX T K R IT ISC H E A N M ERKU NG EN 693

15 Blätter. Auch als Vertiefung der Lehre von der Zeitigung von W elt, die
eben nur Menschenwelt ist und als das Sinn hat. Alles wichtig. 1934. B ei
den 15 Blättern handelt es sich um die B L , die am Anfang des Konvolutes
liegen und deren Text in der N r. n dieses Bandes wiedergegeben wurde. Die
zehn B l. sind stark m. Bleist. überarbeitet und enthalten Unterstreichungen
in Blau-, Rot- und Grünst.
17 4 ,5 - 6 des Menschen bis Lebenshorizont E in f. m. Bleist. || 1 7 4 ,2 2 -2 4
Das natürliche bis Ende des Absatzes Erg. m. Bleist., m. Tinte nachgezogen ||
174, Anm. 1 Angaben auf dem Sonderumschlag (siehe oben) || 174 , Anm . 2
Erg. m. Bleist. || 17 5 ,4 5 ^ 16 und das menschliche Weltleben E in f. m. Bleist. ||
176, Anm. Rb . m. Bleist. || 1 7 7 ,1 5 —16 in der Entwicklung oder Besinnung
E in f. m. Bleist. |[ 1 7 7 ,2 1 nach notwendige m. Bleist.- gestr.: rätselhaft blei­
bende || 17 7 ,2 4 anstatt in dem im M s.: in denen || 17 7 , Anm. 1 der angege­
benen Stelle zugeordnete Rb. nt. Bleist. || 17 7 , Anm. 2 Rb. m. Bleist. || 17 7 ,
Anm . 3 der angegebenen Stelle zugeordnete Rb. m. Bleist. || 178 ,6 und zwar
E in f. m. Bleist. || 1 7 8 ,1 4 Vorpersonen Bleist.-V . für Personen || 17 8 ,2 3 p sy-
chopatisch verstandenen E in f. m. Bleist. || 17 8 ,3 1 personalen E in f. m.
Bleist. || 17 8 ,3 5 Anführungszeichen bei ,,die” W eltm . Bleist. || 178,40—17 9 ,3 2
von W ie die für mich als Person bis Ende des dritten Absatzes von S. iy g
Bleistifttext || 17 9 ,2 4 anstatt in jedem im M s .: von jedem |[ 1 7 9 ,3 3 Mensch
bis subjektiv E in f. m. Bleist. || 17 9 ,4 2 -4 3 absichtlich und natürlich bzw.
natürliche E in f. m. Bleist. || 179 , Anm. Rb. m. Bleist. || 18 0 ,1 natürlicher
E in f. m. Bleist. || 18 0 ,2 Menschenvolk E in f. m. Bleist. || 18 0 ,5 Anführungs­
zeichen bei „U m w e lt” m. Bleist. || 18 0 ,22—2 3 anstatt ihre bzw. sie im M s .:
seine bzw. er || 180,28 anstatt das im M s .: die || 180, Anm. Rb. m. Bleist'. ||
1 8 1 ,6 —9 Die konkrete T yp ik bis Ende des Absatzes E in f. m. Bleist., m.
Tinte nachgezogen || 1 8 1 , 1 8 Anführungszeichen bei „In stin kte” m. Bleist. ||
1 8 1 , 3 3 in der es bewusstseinsmässig lebt E in f. m. Bleist. || 1 8 1 , 3 3 - 3 4 be-
wusstseinsmässiges E in f. m. Bleist. || 1 8 1 ,3 5 - 3 6 und korrelativ bis Ende des
Absatzes E in f. m. Bleist. |[ 1 8 1 , Anm. Erg. m. Bleist., zum Teil m. Tinte
;nachgezogen || 18 2, lff. Anfang des Textes, der auf den auch von I bis I I I
durchnumerierten B l. steht || 18 3,9 Problem des Tieres am Rande |[ 18 3 , Anm .
Rb. m. Bleist. II

N r . 1 2 (S. 18 9 -1 9 1 )
Der Text der B l. 3 4 - 3 6 aus dem Konvolut D 1 3 I I I . Dieses 2 8 1 B l. um­
fassende Konvolut, aus dem auch der Text N r. 1 0 und die Beilagen X X X I X ,
X L u. X L I von Husserliana X I I I stammen, enthält hauptsächlich Texte zur
R aum - und Dingkonstitution aus der Zeit vor i g i o bis ungefähr i g i 8 . Mitten
drin befinden sich aber auch noch ganz andersartige Texte, die wohl irrtüm­
licherweise in dieses Konvolut geraten sind: so der vorliegende und auch jene
in Husserliana X I I I aufgenommenen Texte. Die hier wiedergegebenen drei
B l. befinden sich in einem SonderUmschlag, der in Blaustift die Aufschrift
trägt: Fink. Wohl hatte Husserl diese drei B l. Eugen F in k überreichen wollen,
der seit im Frühjahr i g 3 i an der Umarbeitung der „Cartesianischen Medita­
tionen” beteiligt war. Die drei B l. sind mit Blaustift von 1 bis 3 durchnume-
694 T EX T K R IT ISC H E A N M ERKU NG EN

viert; doch beginnen sie mit einem mit Blaustift gestrichenen Text, der darauf
hinweist, dass sie ursprünglich in einem weiteren Zusammenhang entstanden
sind: Zum Horizont gehört mögliche Erfahrung, die selbst wieder in modi­
fizierter Weise Möglichkeiten der Erfahrung „einschliesst” , diese wieder —
die Iteration ist als ausdrückliche nachkomniende Konstruktion, das ,,ich
kann immer wieder” liegt hier in jedem Ich-kann <als> implizierte In ­
tentionalität. Die entsprechende Auslegung des Immer-wieder in der Ge­
stalt des „w ann immer, überhaupt kann ich von jeder aktuellen Erfahrung
in ihren Möglichkeitshorizont eingehen” ist logische Konstruktion und
gehört der Stufe des Logos an, die hier nicht unsere Sache ist. A m Rande
des ersten B l. steht am Rande in Grünstift: ad V . Meditation und in Blaustift
N B sowie der Text, der als Titel der N r. abgedruckt ist. Die drei B l. sind leicht
mit Bleistift überarbeitet und enthalten Unterstreichungen in Blaustift, B lei­
stift und Grünstift.
19 0 ,37 transzendente E in f . || 1 9 1 ,1 lff. Randtitel m. Blaust, zum folgenden:
Monadologie || 1 9 1 , 1 1 urphänomenale E in f. m. Bleist. || 1 9 1 ,3 1 Bewusst­
seinsstrom E in f. m. Bleist. [|

N r . 1 3 (S. 19 2 -19 5 )
Der Text der B l. 1 3 4 —1 3 6 aus dem Konvolut A I V 5 , aus dem auch die
Beilage X X I I des vorliegenden Bandes stammt. Dieses 1 4 8 B l. timfassende
Konvolut trägt auf seinem Gesamtumschlag die Angabe: ad Ontologie, Wesen
der Wissenschaft, Rationalität. Fast alle B l. dieses Konvoluts entsprechen
dieser Thematik und stammen aus den zwanziger Ja h ren ; nur am Ende des
Konvolutes liegen in einem besonderen Umschlag ein gutes Dutzend B L , die
in den dreissiger Jah ren geschrieben wurden. Dieser Sonderumschlag trägt
in Bleistift die Aufschrift: Zur transzendentalen Monadologie. Oktober
1 9 3 1 ; Einlagen auch aus späterer Zeit. Dem hier angegebenen Datum ent­
sprechen die sieben B l., die in Beilage X X I I veröffentlicht sind. D ie in dieser
N r. 1 3 veröffentlichten, mit Bleistift von 1 bis 3 durchnumerierten drei B l.
gehen jenen voran und liegen innerhalb jenes Sonderumschlages zusammen
mit einem vierten, vereinzelten B l. (1 3 7 ) nochmals in einem eigenen Um­
schlag. Das erste der drei B l. enthält in Bleistift und mit Tinte nachgezogen
das Datum: 16. V I I . 3 1 zudem den Vermerk: S t.M .III. Wahrscheinlich
bezieht sich Husserl mit diesem Vermerk auf bestimmte Manuskripte ,,aus
St. M ärgen” , d.h. auf Manuskripte aus der Zeit 1 9 2 1 f 2 2 , die er in Hinsicht
auf ein neues systematisches Werk schrieb und in denen die Problematik der
Monadologie eine zentrale Rolle spielt {vgl. den ersten Abschnitt vonHusserli-
ana X I V , S . 3 - 3 0 2 ). Der Text beginnt programmatisch mit den Sätzen: Der
konstitutive Aufbau der W elt und die konstituierende Intersubjektivität.
Die Selbstauslegung des ego führt im ego auf die alter ego’s, die wir in den
Titel des Textes setzten. —Die drei B l. sind kaum überarbeitet, enthalten aber
zahlreiche Unterstreichungen in Blau - und Grünstift.
19 4 ,2 1 anstatt Übergriffen sind im M s .: Übergriffen ist || 1 9 5 ,2 7 eines
Bleist.-V . für des ||
T EX T K R IT IS C H E ANM ERKU NG EN 695

N r . 14 (S. 196-214)
Der Text der Bl. 3-14 u. 23 des Konvolutes B I I I 3, aus dem auch der
Text Nr. 10 und die Beilagen X I und X I I I des vorliegenden Bandes stammen
{vgl. zu diesem Konvolut die textkritischen Anmerkungen zu Text Nr. 10).
Diese Bl. bilden einen einheitlichen Zusammenhang und sind von Husserl
mit Rotstift von 1 bis 11 durchnumeriert. Das Bl. 23 des Konvolutes, das von
Husserls Hand die Bezeichnung 9 trägt gehört auch in diesen Zusammenhang
und ist aus äusseren Gründen an die durch die offizielle Archiv-Paginierung
bezeichnete Stelle geraten. Die letzten vier Bl. (es sind zwei Doppelblätter
kleineren Formates, die in Rotstift die Numerierung 10 und 11 tragen (und
in Tinte die Numerierung j und II tragen) sind von Husserl als Ergänzung
bezeichnet und sind wohl etwas später geschrieben worden als der ihnen vor­
angehende Text (siehe oben S. 2ioff.). Nach dem als 7 bezeichnten Bl. ist ein
Bl. ad 7 eingeschoben, dessen Text oben S. 206, Zeile 16 bis S. 208, Zeile 2
wiedergegeben ist. Das erste Bl. trägt in Bleist. das Datum: M itte A ugust 19 31
und den Vermerk: D as alles ist stillschw eigend für „norm ale W elt” ausge-
fülirt, und in Rotstift: dazu Ergänzung 10/11 ( = oben S. 2ioff.). Die Bl.
liegen in einem Sonderumschlag, der die Angaben enthält, die oben S. 196 u.
197 im Titel und in der Inhaltsangabe der Nr. wiedergegeben sind. - Die Bl.
sind leicht mit Bleistift überarbeitet.
1 9 6 ,1 7 Das Rätsel des Urseins zwischen eckigen Bleist.-Klammern und
leicht m. Grünst. gestr.\\ 1 9 7 ,1 4 Randtitel m. Grünst. || 19 7,36 der Gegeben­
heitsstil Einf. m. Bleist., m. Tinte nachgezogen || 198,6 Randtitel m. Grünst,
u. Tinte ]| 19 8 ,7 -8 die endliche bis Bekanntheit Randtitel || 19 8 ,18ff. Rand­
titel: Erweiterung von selbst und Erweiterung aus meinen Vermöglich­
keiten. Erweiterung aus Tradition || 19 8 ,3 5 -3 7 anstatt wir hätten immer bis
kennenlemen können im Ms.: wir hätten immer können statt in der R ich­
tung in anderen Richtungen neue Dinge kennenzulernen |[ 19 9 ,1 l f i . Rand­
titel in Grünst.: wirklich erfahrene W elt als eine endliche Menge von R eali­
täten || 1 9 9 ,1 7fT. Randtitel in Grünst.: antizipierte Unendlichkeit [1199,25—
2 7 Randtitel in Grünst. || 200,1 lff. Randtitel in Grünst.: Ich letztlich j| 200,
19-21 wobei bis zu bestimmen ist Einf., die im Ms. folgendermassen lautet:
das schon für mich Seiende sich in immer neue Gehalte zeitigend und
neues Seiendes hervortretend und dann zu bestimmen || 2 0 1 ,1 8 - 1 9 als
Meinung, als Erscheinung Einf. || 2 0 1,2 8 als E xp lik at Einf. m. Bleist. ||
2 0 1,3 9 und dann als ein Seinssinn m. Bleist. verändert in: und dann evtl,
expliziert aus meiner Besinnung als explizierter Seinssinn || 20 2,5 E x p li­
kation Einf. m. Bleist. || 202,8 anstatt vorgehe im Ms.: vorgehend || 2 0 2 ,1 9 -
20 anstatt ihrer im Ms.: seiner || 20 2,28 implicite Einf. || 2 0 3 ,1 0 - 1 3 wobei
bis die alten Einf. || 20 4,23 auch Einf. m. Bleist. || 20 5,4 Randtitel: W ir ||
2 0 5,23 Randtitel ]| 206,9 auch Frem de der Fremden etc. Erg. || 2 0 6 ,11 anstatt
seinen Aussenbereich im M s.: ihren Aussenbereich || 2 0 6 ,16ff. Beginn des
Bl. ad 7 (bis S. 2 0 8 , Zeile 2 ) ]) 206,29 also Bewährung Einf. m. Bleist. || 206,
3 1 am Anfang des Absatzes im M s.: I |[ 20 7 ,3 3 also ausweisen Einf. m.
Bleist. || 20 8,3—4 Randtitel || 208, Anm . Notiz m. Rotst. || 2 1 0 ,1 8 - 2 1 E r ­
gänzung bis betrachtet ist nur Einf. || 2 1 1 ,2 4 —26 anstatt welche bis vertraut
sind im M s.: welche aus der erworbenen Kenntnis der Umwelt, die als
696 T EX T K R IT IS C H E A N M ERKU NG EN

Erwerbe des Lebens in einer Lebensgem einschaft schon vertraut sind ||


213,30 anstatt für mich selb st im M s.: ich selbst ||

B e ila g e X I (S. 214-218)


Der Text der Bl. 5 9 - 6 2 des Konvolutes B I I I 3 (vgl. zu diesem Konvolut die
textkritischen Anmerkungen zu N r. 1 0 ). Diesen vier B l. liegt ein kleines
Blättchen (5 8 ) mit folgender Aufschrift in Blaustift voran: Das W eitere
w ichtig zur Methode des k on stitu tiven korrelativen Aufbaus der transzen­
dentalen Ä sthetik - also korrelatives G eltungssystem der W elt als W elt der
Erfahrung. Genau nochm als studieren und zur einheitlichen D arstellung
bringen. Diese B l. folgen im Konvolut unmittelvar den B l., die im Text N r. 1 0
wiedergegeben sind. Die vier B l. sind von 1-9- bis 4-9- durchnumeriert. Das erste
B l. trägt in Rotstift die Signatur -9. Die B l. dürften aus derselben Zeit stam­
men wie die übrigen B l. des Konvolutes: aus 19 3 0 oder 1 9 3 1 . Sie sind mit
Bleistift leicht überarbeitet.
214,20-21 andere T raditionen E in f. m. Bleisi. || 214,33—34 m it seinem
unpraktischen H orizont E in f. m. Bleist. || 214, Anm . 1 Text des voranliegen­
den Blättchens 5 8 |] 214, A nm . 2 Rb., zum Teil in Bleist. || 215,23-25 aber
zunächst bis konkrete K ultur E in f. || 215,38—40 anstatt aber bis W elt im
M s .: aber für sie hat, für sie einstim m ig, aber auch in dem U niversalen der
R ea litä t nicht darum schon einstim m ig auch m it den anderen M ensch­
h eiten , bezogen auf ihre geltende W elt || 215, Anm . Text zwischen eckigen
Bleist.-Klammern auf der Rückseite von B l. 59 || 216,6 in der Art E in f. m.
Bleist. || 216,7 dass sie Bleist.-V . für die || 216,16—20 die, wenn M enschen
bis erfährt Bleist.-V. für die, wenn M enschen überhaupt, sie immer wieder
M enschen meiner V olksm enschenart und eine entsprechende um w eltliche
G estalt zeigen wird || 216, A nm . der angegebenen Stelle zugeordnete Rb., z.T.
m. Bleist. )| 216,44—217,1 in ihrer Schicht B le ist.-V . für in neuer Schicht )|
217,47 nach G eltung im M s. noch: auf |[

B e ila g e X II (S. 218-227)


Der Text der B l. 3 - 1 0 des Konvolutes A V 6 . Dieses 3 1 B l. umfassende
Konvolut besteht (abgesehen von zwei vereinzelten Bl.) aus zwei grösseren
Texten, von denen der eine in dieser Beilage, der andere in Text N r. 29 des
vorliegenden Bandes abgedruckt ist. Die Angaben auf dem Gesamtumschlag
des Konvolutes beziehen sich vor allem auf diesen zweiten Text; zuletzt wird
aber auch noch auf den als diese Beilage X I I veröffentlichten Bezug genommen:
Ferner voran das K on volu t Sp. Sprache, U rteilsw ahrheit, U m w elt (H eim ­
w elt). D ie F unktion der sprachlichen M itteilung für die K onstitution der
U m w elt. Einiges brauchbar, aber nichts ausreichend. Dieses von Husserl
als Sp bezeichnete Konvolut befand sich früher im Konvolut, das jetzt die
Signatur B I I I 3 trägt und aus dem auch der Text der vorangehenden N r. 1 4
entnommen ist, denn der Gesamtumschlag dieses Konvolutes enthält die mit
Blaustift gestrichene A ngabe: D arin S p : Sprache, prädikative W ahrheit und
H eim w elt. Dieser von Husserl als Sp bezeichnete Text dürfte wohl in derselben
Zeit entstanden sein wie derjenige der N r. 1 4 : im Sommer 1 9 3 1 . —Die acht B l.
T EX T K R IT ISC H E A N M ERKU NG EN 697

sind mit Blaustift von 1 bis 1 durchnumeriert; auf das als 6 bezeichnete Bl.
folgt noch ein Bl. ad 6 , dessen Text in der Anm. auf S. 225 abgedruckt ist. Sie
liegen in einem Sonderumschlag, der in Blaustift den Titel: Sprache, Urteil,
W ahrheit und U m w elt, H eim w elt und in Tinte und Bleistift die Angaben
enthält, die oben S. 218, Zeilen 13-21 abgedruckt sind. Der Text ist mit Blei-
und Blaustift überarbeitet.
218,23 nach Evidenz folgender rn. Blaust, u. Bleist. gestr. Text: Die ob­
jektive W elt selbstgegeben in der universalen intersubjektiven Erfahrung,
selbstgegeben in Seinsgewissheit in der durchgängigen Einstimmigkeit der
ungebrochen fortströmenden intersubjektiven universalen Erfahrung.
Meine einzelsubjektiv einstimmig erfahrene W elt als W elt meiner gegen­
wärtigen und vergangenen Wahrnehmung, deren Strom in jeder Phase
künftiges Fortströmen und fortdauerndes Sein der W elt vorzeichnet als
einer solchen, in die ich tätig, die Wahrnehmungsrichtung frei wählend,
eingreifen kann, die danach immerfort ihre unenthüllten (unbekannten),
jedoch enthüllbaren Seiten hat, wie sie das in jeder früheren subjektiven
Gegenwart hatte. - Meine Erfahrung von Mitmenschen, deren Leiber in
dieser W elt als Körper erscheinen, durch die mitmenschlichen Ich-
subjekte hindurch Synthesis meiner Gesamterfahrung mit der der Anderen
zu einer Gemeinschaftserfahrung, die von den Mitsubjekten original er­
fahrenen W elten werden synthetisch vereint zu derselben objektiven W elt,
zu unserer aller W elt, in den einzelsubjektiven „W e lten ” erscheinend. Usw.
2 1 8 ,2 6 - 2 7 in und auf Grund Einf. m. Bleist. [[ 2 1 8 ,2 9 verendlichte Einf. m.
Bleist. || 2 18 , Anm . 1 Einf. m. Bleist. || 2 1 8 , Anm . 2 Erg. m. Bleist. || 2 1 9 ,2 2
künftigen Einf. m. Bleist. || 2 19 ,2 6 vorzeichnen Bleist.-V. für auftreten ||
2 1 9 ,3 4 unserer Einf. m. Bleist. || 2 19 ,3 9 in uns zentrierten Einf. tn. Bleist. ||
2 2 0 ,18 letztlich Einf. m. Bleist. || 220 ,20 Randtitel m. Bleist. || 220 ,26—
2 7 als W erk Einf. m. Bleist. || 2 2 0 ,31ff. Randtitel m. Blaust, zum fol­
genden: Sprache, Mitteilung || 2 2 0 ,31 endlose Einf. m. Bleist. |l 2 2 0 ,32
nach und m. Bleist. gestr.: in orientierter W eise aufgebaut, aber auch ||
2 2 1 ,2 4 Randtitel m. Blaust. || 2 2 1 ,2 5 am Anfang des Absatzes m. Blaust.: 1) ||
2 2 1 ,2 8 - 3 4 Die Heim welt bis Identität erhält Erg. || 2 2 1 ,4 0 -4 5 Alle Heim­
dinge bis Ende des Absatzes Erg. m. Bleist., z.T. m. Tinte nachgezogen ||
2 2 2 ,9 -1 8 Dieser Absatz ist eine Erg. || 2 2 2 ,2 7 Randtitel m. Blaust. || 2 2 2 ,3 5
auch Einf. m. Blaust. || 2 2 3 ,5 - 1 8 Dieser Absatz ist eine Erg. || 2 2 3 ,2 3 ich und
Einf. m. Blaust. || 2 2 3 ,2 4 jederzeit Einf. m. Blaust. || 2 2 3 ,2 5 Wahrnehmung
und Erinnerung, originale Induktion Einf. m. Blaust. || 2 2 3 ,3 7 -3 9 Direkte
Erfahrung bis Ende des Absatzes Erg.; Einfühlung m. Blaust. || 2 2 3, Anm.
Rb. m. Bleist. || 2 2 3 ,4 2 —2 2 4 ,2 Durch das bis Ende des Absatzes Erg. || 2 2 4 ,16
Randtitel m. Blaust. || 2 2 4 ,1 7 über also steht im Ms. in Bleist. ein Frage­
zeichen || 2 2 4 ,1 8 - 1 9 unmittelbares und direkte Einf. m. Bleist. || 22 4 ,2 3
eines direkt Erfahrbaren Einf. m. Bleist. || 2 2 4 ,2 3 -4 0 Erg. m. Blaust. || 224,
Anm . Rb. m. Bleist. || 2 2 5 ,8 menschliche Einf. m. Blaust. || 225, Anm . Text
des Bl. ad 6 || 2 2 6 ,10 abgesehen von und die Klammern Einf. m. Blaust. ||
2 2 6 ,3 7 Diese Blaust.-V. für Die ||
698 TEX T K R IT ISC H E A NM ERKU NG EN

B e ila g e X III (S. 227-236)


Der Text der Bl. 17-24 des Konvolutes B I I I 3 (vgl. zu diesem Konvolut die
textkritischen Anmerkungen zu Nr. 10). Diese acht Bl. liegen in einem Sonder­
umschlag, der die Bemerkung enthält, die oben S. 227, Zeilen 13-16 wieder­
gegeben ist. Die ersten fünf Bl. sind mit Bleistift von 1 bis 5 durchnumeriert,
die letzten drei Bl. (deren 2 'ext in dieser Ausgabe S. 232, Zeile 36 beginnt) sind
als N oten ad 5 bezeichnet und von I 5 bis I I I 5 beziffert. Die acht Bl. dürften,
wie wohl alle Bl. des Konvolutes B I I I 3, aus 1931 stammen; sie sind evtl,
zur selben Zeit entstanden wie die ihnen im Konvolut unmittelbar vorangehen­
den Bl. (wiedergegeben in Nr. 14): Sommer 1931. Sie sind stark mit Bleistift
überarbeitet.
227,8 Normale Menschengemeinschaft Titel am Anfang des ersten Bl. ||
227,17-18 miteinander bis tätiger Einf. m. Bleist. J| 227,27-28 aktueller
Vorgegebenheit Einf. m. Bleist. [| 227,28 Aber nicht jeder hat wirklich
Zugang Bleist.-V. für Jeder hat Zugang || 227,30 nicht Einf. m. Bleist. [|
227,34 Wie in unserer W elt ? Einf. m. Bleist., m. Tinte nachgezogen || 227,35
N ich t Einf. To. Bleist. (| 227 , Anm. Bemerkung m. Bleist. || 228,20-38 Am An­
fang des Absatzes (Zeile 20) steht in Bleist.: von neuem A nfang; der folgende
Text bis mitzuerkennen etc. warm. Bleist. gestr., die Streichung wurde aber
wieder ausradiert |[ 228,38—42 Dem Begriff bis Ende des Absatzes Einf. 229,
21 und sie Einf Jm. Bleist. || 229,32-33 wie die W elt bis seiende Bleist.-V. für
wie die W elt als eine an sich bestimmte doch für jedermann seiende sein
kann || 229, Anm. 1 Rb. m. Bleist. || 229, Anm. 2 Rb. m. Bleist. [| 230,6 anstatt
als ein Bereich im Ms.: aber ein Bereich || 230,13 wirklich Einf. m. Bleist. ||
230,20-21 bleibt bis nicht stört Einf. || 230, Anm . Rb. m. Bleist. [| 230,44—
231,1 vorübergehend bis treffen kann Erg. || 231, Anm . 1 Einf. || 231, Anm.
2 Einf. || 231, Anm. 3 Einf. || 231, Anm. 4 Rb. || 231, Anm. 6 Einf. || 232,4
praktisch und erkenntnismässig Einf. m. Bleist. || 2 3 2 ,5 -6 alle und alle in
mittelbarer praktischer Gemeinschaft Einf. m. Bleist. || 232,11 „uns alle”
Bleist.- V . für uns || 232,14 für uns alle Einf. m. Bleist. || 2 3 3 ,1 -2 in der
lebendigen konstitutiven Genesis Einf. m. Bleist. || 2 33,7-8 und uns Einf.
m. Bleist. || 233,24 Natürlich Einf. m. Bleist. || 233,25-26 (in meiner kind­
lichen Genesis) Einf. m. Bleist. || 233, Anm. 1 Erg. || 233, Anm. 2 Erg., der
erste Teil bis Miteinander m. Bleist. || 234,2 nach Einstimmigkeit m. Blaust,
gestr.: und ebenso er, der Fremde seinerseits ][ 234,16 derselben H eim ­
menschheit angehören Einf. m. Bleist. || 2 3 4,26-29 Stellt sie sich bis
Bewegung Bleist.-V. für Nun stellt sie sich etwa her und evtl, sogar in
Synthesis immer neuer Menschheiten her, und es kann immer noch die
F rage der Endgültigkeit dieser Einstimmigkeit gestellt werden. || 234,40-41
verschiedener Stufen Einf. m. Bleist. || 235,7-13 und die ständige bis Ge­
meinschaften, etc. Einf. m. Bleist. || 235,21 ob und Einf. m. Bleist. || 235,24—
27 in dem angezeigten bis Ende des Absatzes Einf. m. Bleist. || 235,34 offen
endlos mögliche Einf. m. Bleist. || 235,37-38 im Horizont fremder Heim ­
welten Einf. m. Bleist. || 235, Anm. Erg. m. Bleist. || 236, Anm. 1 und 2
Rb. m. Bleist. ||
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 699

Beilage XIV (S. 236-242)


Der Text der Bl. 3 0 —3 4 aus dem Konvolut A V I I 1 1 . Der Gesamtumschlag
dieses 69 Bl. zählenden Konvolutes enthält folgende Aufschrift: X. 1932.
Problem der Weltanschauung. Möglichkeit einer Ontologie. Seiendes - in
der Welt als Universum, bezogen auf die Universalität fungierender Sub­
jekte. Überhaupt über Sein. Kritik der naiven „klassischen” Idee von
Seienden etc. Sein und adäquate Wahrnehmung. „Evidenz der inneren,
nicht Evidenz der äusseren Wahrnehmung” . Reine Erfahrung. Klassische
Idee des Seienden und Wissenschaft. A VII 11. —Die fünf Bl. 3 0 —3 4 sind
mit Bleist. von 1 bis 4 durchnumeriert; auf das erste Bl. folgt ein Bl. la. Das
erste Bl. trägt in Bleistift das Datum: 2.X. 1932 und den Verweis ad p
Blätter. Als p sind die Bl. 1 3 —2 7 des Konvolutes A V 6 aus dem April 1 9 3 2
bezeichnet, die in der Nr. 2 9 des vorliegenden Bandes veröffentlicht sind. Nach
dem Inhalt dieser Bl. ist es aber fraglich, ob mit jenem Verweis wirklich diese
Bl. gemeint sind; jedoch befinden sich im Konvolut A VII 1 1 keine Bl., die
ihrerseits dafür in Frage kämen.
237,29 die Ziffer 2) m. Blaust. || 237,33 vor primordialen gestr.: neuen ||
238,16-21 Dieser Absatz ist eine Erg. m. Blaust. j| 238,22ff. Rb. m. Bleist.
zum folgenden: sehr gut |i 241,10 vor Erscheinungssystem im Ms. wohl
irrtümlich: Erscheinen oder erschienene || 241,11 nach mit dem im Ms noch:
der || 241,17 intersubjektiven Einf. m. Bleist. || 241,25 nach überschreitende
im Ms. noch: und ihre || 242,13 am Ende des Textes Rb. m. Rotst.: Fortset­
zung unter Wiederaufnahme des Problems W. Die Signatur W bezeichnet die
vier folgenden Bl. (3 5 —3 8 ) im Konvolut, die das Datum 7.X. 1932 tragen und
■über Probleme der Weltanschauung, Welterkenntnis, ad Möglichkeit einer
Ontologie handeln .||

B eila g e XV (S. 242-244)


Der Text der Bl. 2 8 - 3 0 des Konvolutes A V I I 1 7 . Dieses 6 3 Bl. umfassende
Konvolut trägt auf dem Gesamtumschlag den Titel Weltanschauung. Die Bl.
2 4 - 4 1 , wozu auch die in dieser Beilage wiedergegebenen Bl. gehören, liegen in
einem Sonderumschlag, der folgende Aufschrift enthält: FF. IX. 1931. Darin
Na. Systematischer Gang, sich vorgegebene Welt zur Anschauung zu
bringen. Wichtig. Generativ konstituierte menschliche Zeitwelt - in der
Sphäre eigentlicher Erfahrbarkeit - als Fundamente für die naturhisto­
rische und exakt wissenschaftliche Konstitution zur vollen Welt als Welt
möglicher Erfahrung in erweitertem Sinn (wissenschaftliche „Weltan­
schauung”). -D a s Schlussblatt: die analogisierende Al-ob-Apperzeptionen,
durch die der Erfahrung unzugängliche Gebiete dieser äussersten Welt
vorgestellt werden, parallelisiert mit der einfühlenden Als-ob-Appräsen-
tation. —Hier ferner: das wichtige Ms. 1—8, 10.11.1932, tieferdringende Auf­
weisung der fortschreitenden apperzeptiven Erweiterung in der Enthül­
lung der Vorgegebenheit, also der statischen Konstitution; die apperzepti­
ven Horizonte jeder Stufe haben eine Schichte möglicher Erfahrung in
eigentlicher Bewährbarkeit und eine Schichte der Unbewährbarkeit. Die
drei Bl. 2 8 —3 0 sind von pi bis 93 durchnumeriert. Das erste, nur auf der
700 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

Vorderseite beschriebene Bl. ist von normalem Format, während die beiden
folgenden Bl. viel kleiner sind (1 6 , 4 X 1 0 , 5 cm). Der Text der kleinen
Blättchen beginnt mit Ich denke das Schmelzen in der Indikation so
{siehe oben S. 2 4 3 , Zeile 6 ff.). Für ihre Entstehung gilt wohl Flusserls Datum
auf dem Sonderumschlag: IX. (September) 1931. Evtl, wurden sie schon im
August dieses Jahres geschrieben, da sich Husserl hauptsächlich während
dieses Monats mit den Problemen der,, Weltsanschauung’’abgegeben hat. —Die
drei Bl. sind leicht mit Bleistift überarbeitet und enthalten zahlreiche Unter­
streichungen in Blau-, Rot- und Grünstift.
243, Anm. Rb. m. Bleist. || 244,3-4 sie appräsentiert erst Einf. m. Bleist. ||
244,7 oder früher wahrgenommen hätte Einf. m. Bleist. || 244,8-9 Wir
haben hier in neuer Mittelbarkeit appräsentierte Bleist.-V. für Die apprä-
sentierten ||

Nr. 15 (S. 245-258)


Der Text der Bl. 4 8 - 3 6 aus dem Konvolut E I 4 {vgl. zu diesem Konvolut
den Abschnitt ,,Zur Textgestaltung” oben S. 6 7 3 ). Diese neun Bl. sind mit
Bleist. von Ti bis Ts durchnumeriert; das letzte Bl. ist als ad Ts bezeichnet. Sie
gehören sachlich und nach ihrer Entstehung mit den ihnen im Konvolut un­
mittelbar folgenden Bl. 5 7 - 6 7 und 6 8 —7 g zusammen, die im September ig 3 i
entstanden und in der Nr. 1 7 und der Nr. 1 8 des vorliegenden Bandes ver­
öffentlicht sind. Auf diese drei Texte, und besonders auf den in dieser Nr.
wiedergegebenen ersten, bezieht sich die Angabe auf dem Gesamtumschlag des
Konvolutes: August 1931. Zur Lehre von der Einfühlung, auch auf Grund
genauer Leibanalysen. Auf dem ersten der neuen Bl. {4 8 ) steht in Bleistift der
Vermerk: nach Sö- Bei den Bl. S handelt es sich um sechs von Si bis S ödurch­
numerierte Bl. über haptische und optische Dingkonstitution, die sich heute
im Konvolut D 1 2 {Bl. 3 1 - 3 6 ) befinden. Das letzte dieser Bl. schliesst mit den
Sätzen: Ein Aussending ist konstituiert als Einheit von Nah- und Fem-
erscheinungen, durch Perspektive und Relief. Dabei evtl, so, dass ein
ganzes Ding in Ruhe und Bewegung erfahren werden kann, das Teile hat,
die in Beziehung auf das Ganze als relativ ruhend und bewegend erfahren
werden. Der L e i b aber hat seine Glieder, die als sich bewegend oder
nicht bewegend erfahrbar sind, aber als ganzer Leib kann er optisch nicht
durch die perspektivierende Konstitution (in Verbindung mit der Konsti­
tution durch das Relief) als bald ruhend, bald bewegt erfahren werden,
durch diejenige Konstitution, durch die wir Aussendinge erfahren als ur­
sprüngliche und eigentliche Realitäten in ihrer realen Welt. Rein optische
Weltkonstitution als Idee ergibt primordial keine Konstitution meines
Leibes als eines Naturkörpers, zu dessen Wesen Möglichkeit des Bewegt­
seins gehört. Kann da das optische „Aufspringen und Abspringen” auf
bewegte Objekte etwas helfen? Das erste der in dieser Nr. 1 5 veröffentlichten
Bl. aus E I 4 schliesst hier unmittelbar an. Es enthält auch die Angabe in
Blaustift: Darin die Klärung der Einfühlung. Die neun Bl. sind stark mit
Tinte {unmittelbar bei der Abfassung) und mit Bleistift überarbeitet.
245,7-8 Zur Aufklärung bis überlegen Einf. ]| 245,9 nach er m. Bleist.
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 701

gestr.: taktuell || 245,20 anstatt schon im Ms.: noch || 246,12—13 unter Um­
ständen möglichen Sehens Einf. m. Bleist. || 247,7-9 Verschiedene Sinne
bis und umgekehrt Erg. || 248,17-18 meines Leibes Bleist.-V. für des
Körpers || 248,33 Randtitel m. Grünst. || 248, Anm. Rb. [| 249,14 Anführungs­
zeichen bei „Gesehene” m. Blaust. || 250,11-12 im wirklichen bis ähnliche
Einf. II 253,24—25 Das ist der erste entscheidende Punkt Einf. || 253,29
zweite Einf. || 253, Amn. Rb. m. Bleist. || 254, Anm. Erg. m. Bleist. ||255,18—
19 in dieser Gliederung allerbekannteste und immer so apperzipierte Einf.
m. Bleist. || 255,22-23 als und apperzipierte Einf. m. Bleist. || 255,35 unab­
gesondert Einf. m. Bleist. || 255,39 vor Leib m. Bleist. gestr.: körperlichen ||
256,22 Seiendem Einf. m. Bleist. || 256,23 die schliessende Klammer fehlt im
Ms. || 257,10 nach fundierter Vergegenwärtigungen im Ms. noch: und als
das in ihnen || 257,22 Bemerkung m. Bleist. auf dem letzten Bl. ad Tg ||
258,4 treten Bleist.-V. für kommen || 258,4—6 derart bis bringen könnte
Einf. m. Bleist. || 258,10 Anführungszeichen bei „erinnert” m. Bleist. |[ 258,
Anm. 1 V. m. Bleist. || 258, Anm. 2 Rb. m. Bleist. ||

N r. 16 (S. 259-266)
Der Text der Bl. 6 9 - 7 3 des Konvolutes D 1 2 , aus dem auch die Beilage
X V I I I des vorliegenden Bandes stammt. Dieses 8 5 Bl. umfassende Konvolut
enthält mehrere Mss. über Ding- und Raumkonstitution, die wohl alle im
Sommer 1 9 3 1 entstanden sind. Die Bl. 6 9 - 7 3 liegen zusammen mit den Bl.
5 5 - 6 8 in einem Sonderumschlag, der folgende Aufschrift trägt: Zwei wichtige
Manuskripte: 1) Die konkrete Gegenwart als Einheit der Konfiguration
der Wahrnehmungsgegebenheiten, die „erste” Welt. 2) Konstitution der
Anderen, des Leibes als erstes Objekt, der ausserleiblichen Umwelt. Das
zweite Ms. ist in dieser Nr. 1 6 veröffentlicht. Seine fünf Bl. sind von 1° bis 5°
durchnumeriert. Es ist leicht mit Bleist. überarbeitet und enthält Randtitel und
Unterstreichungen in Blau- u. Bleist. Das erste Bl. (69) trägt am Rande in
Blaust, den Vermerk: Apperzeption.
260,13 anstatt solchen im M s.: solcher || 260,34—35 Randtitel m. Blaust. ||
263,35 anstatt der Ruhe im M s.: als ruhend |1265,10-14 Ich frage mich bis
Selbstgehen Einf. || 265,16 anstatt veränderlichen im M s.: verharrenden ||
265, Anm. Rb. m. Bleist. ||

B eilage XVI (S. 266-277)


Der Text der Bl. 2 —9 des Konvolutes D 1 0 , aus dem auch der Text der folgen­
den Beilage X V I I stammt. Dieses 6 8 Bl. umfassende Konvolut enthält ver­
schiedene Texte, wohl alle aus dem Jahre 1 9 3 2 , über Raum- und Dingkonsti­
tution, vor allem auch über die Problematik der Kinästhese. Die Bl. 2 —1 6 ,
wozu auch die hier veröffentlichten gehören, liegen in einem Sonderumschlag
mit folgender Aufschrift: Zur Konstitution der physischen Natur. Zuerst
Leib —Aussendinge, dann rückfragend auf Hyle und Kinästhese. Mai 1932.
—Die acht Bl. 2 - 9 sind m. Blaust, von 1 bis 7 durchnumeriert; auf das als 6
bezeichnete Bl. folgt ein Bl. ad 6, dessen Text in der Anm. auf S. 2 7 3 abge­
druckt ist. An die hier veröffentlichten acht Bl. schliessen sich noch vier weitere
702 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

an, die m. Blaust, als zu 6/7 und Fortsetzung bezeichnet und von 3 bis 11
numeriert sind. Diese Fortsetzungsbl., die kaum in einem Zuge mit den voran­
gehenden geschrieben wurden, handeln über Hyle und Kinästhese. Die acht Bl.
sind stark mit Tinte und Bleistift überarbeitet. Das erste Bl. enthält das Datum
Ende Mai 1932, die Angabe Zur systematischen Konstitution der untersten
physischen Natur. Leib und Aussending in Korrelation. Dann rückfragend
Hyle und Kinästhese sowie den Vermerk Das muss systematisch überarbei­
tet werden und ist brauchbar.
266,8 Anführungszeichen bei „vor” m. Bleist. || 266,10-11 aussending-
lichen Körper Bleist.-V. für Aussendinge || 266,22-27 So finde ich bis
meines Leibes Erg. m. Bleist. || 267,4—7 und diese vor aller bis noch aus
im Ms. zwischen eckigen Bleist.-Klammern || 267,7—16 Ich gewinne bis
Ende des Absatzes m. Bleist. gestr. || 267,26-27 Das erste bis desselben Erg.
ni. Bleist. || 267,27-30 Dann Betrachtung bis Wahrnehinungsorganen steht
in Bleist. am Rande und ersetzt folgenden m. Bleist. gestr. Text: Gehen wir so
den ontologischen Leitfäden nach und ihren Weisen, sich in Gegebenheits­
weisen darzustellen, ihren subjektiven Erscheinungsweisen, so bleibt zu­
nächst das Korrelat der Erscheinungen als in welchen Momente des Seien­
den zur Geltung kommen, nämlich die subjektiven motivierenden Leistun­
gen unter dem Titel der wahrnehmend fungierenden Leiblichkeit unaus-
gelegt. || 267, 31-32 der Leib bis gegeben Bleist.-V. für der Leib als erfahr­
bares und sogar ständig erfahrenes Ding gegeben || 267,39 Erscheinungs­
weise Einf. m. Bleist. |[ 267, Anm. Rb. m. Bleist. [| 268,7-11 Wahrnehmung
bis Ende des Absatzes Erg. m. Bleist. || 268,29 in reiner Erfahrung Einf. m.
Bleist. || 268,30-31 die „Ästhetik” bis hinaus Erg. m. Bleist. || 268,38
Oberflächenerfahrung Bleist.-V. für Phantomerfahrung || 268,39 kon­
krete Einf. m. Bleist. || 268, Anm. Einf. m. Bleist. || 269,1 Andererseits
Einf. m. Bleist. |[ 269,35 anstatt bin im Ms.: ist || 271,22-32 dieser
Absatz ist eine Einf. || 271,40 ursprünglich apperzipiert Einf. || 272,5-25
Lautet hier bis Vorteil nicht haben. Einf., die folgenden gestr. Text ersetzt:
Ich stelle mir doch auch anschaulich vor, wie mein Rücken aussieht, bzw.
wie mein Kleid am Rücken, das in seiner Verbundenheit mit dem Leib,
wie alle mit ihm „verbundenen” Dinge, an den Eigenheiten der Leibes­
erfahrung alsbald Anteil hat. |[ 272,27-29 wobei aber bis Schein Einf. ||
273, Anm. Erg. || 274,25-275,1 diese beiden Absätze sind Ergänzungen || 275,
Anm. Text des Bl. ad 6 || 276,45 vor wenn im Ms. noch: sich ||

B eilage XVII (S. 277-281)


Der Text der Bl. 5 0 - 5 3 des Konvolutes D 1 0 {vgl. zu diesem Konvolut die
textkritischen Anmerkungen zu Beilage X V I). Diese vier Bl. folgen im
Konvolut einer Serie von über 2 0 Bl. über Ding- und Leibkonstitution von
Anfang Juni i g 3 2 . Die hier veröffentlichten Bl. dürften aus derselben Zeit
stammen. Die ersten drei sind m. Bleist. von 1 bis 3 durchnumeriert; der Text
des vierten Bl. schliesst unmittelbar an denjenigen des dritten an. Am Rande
des ersten Bl. steht in Bleistift die Angabe, die wir in den Titel der Beilage {S.
277, Zeilen 6 -g) setzten. Die Bl. enthalten einige Unterstreichungen in Blau-,
Blei- und Rotstift.
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 703

277,31 anstatt bewegend und stillhaltend im Ms.: bewege und stillhalte ||


278,35 nach Leib int Ms. noch: dadurch || 279,34 anstatt erfolgt im Ms.: sich
ändert ||

Nr. 17 (S. 282-295)


Der Text der Bl. 57-67 des Konvolutes E I 4 {vgl. zu diesem Konvolut den
Abschnitt ,,Zur Textgestaltung” oben S. 6 7 3 ). Diese elf Bl. sind mit Grünstift
von 1 bis 11 durchnumeriert. Das erste Bl. trägt in Grünstift den Vermerk:
T 1-11; weiter enthält es die Überschrift: Die Assoziation in der „Einfüh­
lung”. Dieser Überschrift wird aber im folgenden Text nicht entsprochen; sie
weist vielmehr auf die im Konvolut vorangehenden, auch mit der Signatur T
bezeichneten Bl., die in der Nr. 1 3 dieses Bandes veröffentlicht sind. Auf dem
ersten Bl. steht auch die chronologische Angabe: aus dem Konvolut Anfang
September 1931. Die Bl. weisen keine spätere Überarbeitung auf, enthalten
aber einige Unterstreichungen in Bleistift.
285,2 anstatt bringen im Ms.: kommen || 285,37 anstatt nur beschränkt
ist im Ms.: nur beschränkt perspektivierbar sind || 286,15 anstatt bei ihnen
im M s.: bei ihm || 287, Anm. Rb. |[ 290,14 entsprechenden Einf. || 292,29
nach verflochten folgender gestrichene Text: Dadurch, dass alle Erfahrung
auf taktuelle zurückbezogen ist als der unmittelbarsten, und insbesondere
praktisch unmittelbarsten, und die leibkörperliche Oberfläche als Feld aller
berührenden Affektionen erfahren ist, hat jedes Ding möglicher Erfahrung
eine besondere Beziehung zum körperlichen Leib, als auf dem alle „Emp­
findung” lokalisiert ist. In diesem Sinn sind die Lichtempfindungen und
Tonempfindungen nicht „Empfindungen” , in dem Sinn, in dem es heisst,
dass der Leib l| 293,7 eines Aussenobjekts Einf. || 295,7 durch Abstraktion
gleichsam Einf. ]|

B eilage XVIII (S. 295-313)


Der Text der Bl. 3 7 —3 4 des Konvolutes D 1 2 , aus dem auch die Nr. 1 6 des
vorliegenden Bandes stammt {vgl. die textkritischen Anmerkungen dazu).
Diese 1 7 Bl. bestehen aus zwei zusammengehörigen Serien: Die zweite,
grössere Serie besteht aus den Bl. 4 2 —3 4 , die mit Grün- bzw. Blaustift von
l x bis 12x durchnumeriert sind; das erste dieser 1 2 Bl. beginnt mit dem Text,
der oben S. 3 0 0 , Zeile 2 off. abgedruckt ist. Dieser grösseren Serie geht eine
Serie von fünf Bl. voraus; das erste Bl. {3 7 ) trägt in Grünstift den Vermerk
vor 1xundist als l oXbezeichnet, das zweite dieser fünf Bl. {3 8 ) ist ein Einlage­
blatt und trägt keine besondere Bezeichnung {Text oben S. 2 g 6 , Zeilen 3 1 - 4 2 ),
das dritte und vierte {3 g u. 4 0 ) sind als 2oX bzw. 3oXbezeichnet, während das
fünfte {4 1 ) nochmals den Vermerk in Grünstift vor 1x trägt und selbst als 3oX
{wohl irrtümlicherweise anstatt 4oX) bezeichnet ist. Die 1 7 Bl. enthalten auch
ausradierte oder durchgestrichene Bezeichnungen: Die Bl. 3 7 , 3 g u. 4 0 waren
als Uß, U7 und Us gekennzeichnet, während die Bl. 4 1 und 4 3 —3 0 mit Grün­
stift von V bis X I durchnumeriert waren. Als U bezeichnete Husserl eine
Serie von über 3 0 Bl., die zeitlich nach den Bl. S ( = D 1 2 , Bl. 3 1 —3 6 ) und T
( = E I 4 , Bl. 4 8 - 6 7 ) im September i g 3 i entstanden sind. Alle hier veröffent­
704 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

lichten 1 7 Bl. dürften, wie überhaupt alle Bl. des Konvolutes D 1 2 , aus dem
September 1 9 3 1 stammen. Sie enthalten einige Einfügungen, Unterstreichun­
gen und Randbemerkungen in Bleistift.
295,13-16 Titel am Rande des ersten Bl. (3 7 ) || 296,6 Anführungszeichen
bei „lokalisiert” ot. Grünst. || 296,23-27 Zum Stück bis „aufgelegt” werden
kann. Einf. || 296,31-42 Text des Einlageblattes (3 8 ) || 297,1^4 Randtitel ||
297,35 Randtitel |[ 297,40 vor Ein Stück m. Bleist. gestr.: Genauer gespro­
chen |[297,42 Punkt für Punkt Einf. m. Bleist. || 298,15-16 warum bis lokali­
siert sind Erg. [| 299,22 anstatt sein Wesen im Ms.: ihr Wesen || 299, Anm.
Rb. || 300,32-33 kinästhetisch und dadurch örtlich Einf. || 300,34-37 Rand­
titel || 300, Anm. Rb; sie lautet im Ms.: cf. 9X; diese Bezeichnung entspricht
dem Bl. 50, das den Text befasst, der oben S. 3 0 9 , Zeile 1 3 bis S. 3 1 0 , Zeile 1 2
abgedruckt ist || 302,3 anstatt und der wahmehmungsmässigen Gegebenheit
im M s.: sondern auch die wahrnehmungsmässige Gegebenheit || 302,32-34
Diese im Berühren bis Tastempfindungssphäre. Erg. || 303, Anm. Erg. ||
304,21-23 wozu gehört bis wahrgenommen sein müssen zwischen eckigen
Grünst.-Klammern || 304, Anm. Erg. || 305,13 die Schlussklammer fehlt im
Ms. || 306,32-33 im Ms. steht anstatt „optimalen” nur „opt.” , was auch als
optisch gelesen werden könnte || 307,21 im Ms. anstatt optisch nur opt. ||
307,32 anstatt Vergrösserung im Ms.: Verkleinerung || 308,21 anstatt über­
geht im M s.: charakterisiert || 309, Anm. Rb., die im Ms. lautet cf. 2oX;
diese Bezeichnung entspricht dem Bl. 3 9 , das den Text befasst, der oben S. 2 9 7 ,
Zeile i bis S. 2 9 8 , Zeile 5 abgedruckt ist |[ 310,13 Rb. m. Bleist. zum folgenden:
Verbessern || 310, Anm. 1 Text zwischen Klammern, der ursprünglich lautete:
Ist eigentlich nicht denkbar ein Sich-strecken ins Unendliche ? und dann fol-
gendermassen iJgräwiieriiwMnfe.-Ist eigentlich nicht denkbarein Sich-strecken
ein Stück weiterreichend bis ich sehe ? Die Kraftgrenze ist doch nicht so
bestimmt, dass sie notwendig nicht Sehen sein müsste. |[ 310, Anm. 2 Rb. ||
312,20ff. Randtitel zum folgenden: Mein Leib und andere Dinge in Zu­
sammenbewegung und Zusammenruhe |[ 312, Anm. Rb. m. Bleist. ||

Nr. 18 (S. 314-328)


Der Text der Bl. 6 8 - 7 9 des Konvolutes E I 4 (vgl. zu diesem Konvolut den
Abschnitt ,,Zur Textgestaltung’‘ oben S. 6 7 3 ). Diese 1 2 Bl. folgen im Konvolut
den Bl., die in den vorangehenden Nummern 1 3 und 1 7 dieses Bandes ver­
öffentlicht sind. Die ersten beiden dieser 1 2 Bl. sind mit Grünstift als a bzw. b
bezeichnet; die folgenden zehn sind mit Blaust, von 1 bis 9 durchnumeriert; auf
das als 3 bezifferte Bl. folgt ein Bl. ad 3, dessen Text oben 3 2 1 , Anm. 3 abge­
druckt ist. Das erste, alsz.bezeichneteBl. trägt das Datum: 1. September 1931,
das dritte, als 1 bezeichnete das Datum: 2. September 1931 auf dem als 5
bezifferten Bl. steht schliesslich das Datum: 3. September 1931. Auf dem als
1 bezeichneten Bl. steht auch der Titel, der in die Überschrift der Nr. 1 8 (S.
3 1 4 , Zeilen 5 —8 ) aufgenommen wurde. Die 1 2 Bl. wurden kaum später über­
arbeitet, sie enthalten aber einige Unterstreichungen in Blau- und Bleistift.
314,18-22 seiende Wiederholung bis Denkbarkeiten V. für seiendes
zweites Ich || 316,8 der Text bricht hier mitten auf der Seite ab || 316,9 Datum
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 705

in. Bleist., in. Tinte nachgezogen || 317,8 nach Sukzessionszeit im Ms. noch:
als || 317,17 anstatt ist im Ms.: in || 318, Anm. Erg. || 319,24 Randtitel ||
319,27 anstatt dass sie im Ms.: dass die einen || 319, Anm. Erg. || 320,7
anstatt widerstehen im Ms.: widerstehend || 320,25 nach darin im Ms. noch:
voneinander || 320,30-35 Es scheidet sich bis Aussenwelt V. für Es scheidet
sich gemäss dem Sinn der Erfahrungswelt als solcher (vor aller Theorie) die
sich selbst überlassene Welt, in der die realen Veränderungen in kausaler
Abhängigkeit verlaufen, und die von mir her praktisch bestimmte Welt. ||
321, Anm. 1 der angegebenen Stelle zugeordnete Rb. || 321, Anm. 2 Rb. ||
321, Anm. 3 Text des Einlageblattes ad 3; anstatt Der vorangehende Text,
von S. 320, Zeile 30 an steht im Ms.: Die zweite Seite von 3, was genau dem
obigen Text S. 3 2 0 , Zeile 2 3 bis S. 3 2 1 , Zeile 1 9 entspricht || 322,5 im Ms.
Veränderungszustand und Veränderungsweise übereinandergeschrieben ||
323,34 anstatt Wahrnehmens im Ms.: wahrzunehmen || 324, Anm. 1 Erg. ||
324, Anm. 2 der angegebenen Stelle zugeordnete Rb. || 325,3 anstatt diesen
im Ms.: dieses || 327,29-32 Das ist also bis Reduktion Einf. (| 328,3 anstatt
der im M s.: die || 328,34-435 anstatt in die Wege und verwirklichbaren Ziele
im Ms.: in die Wege und Ziele verwirklichbarer [|

B eilage XIX (S. 329-330)


Der Text des Bl. 80 aus dem Konvolut E I 4 . Dieses vereinzelte Bl. folgt
im Konvolut unmittelbar den BL, deren Text in der vorangehenden Nr. 1 8
wiedergegeben ist. Es dürfte gleichzeitig mit ihnen geschrieben worden sein.
Es trägt keine Spuren einer späteren Durchsicht.
329,7 anstatt Aufmerken im M s.: aufmerkend || 329,18 anstatt prakti­
schem Ziel im M s.: auf ein praktisches Ziel || 329,45 nach z.B. im Ms. noch:
die Ruhelagen. ||

Nr. 19 (S. 331-336)


Der Text der Bl. 2 —6 aus dem Konvolut C i j , aus dem auch der Text der
folgenden Nr. 2 0 stammt. Dieses 97 Bl. zählende Konvolut enthält verschiedene
Texte aus dem Anfang der dreissiger Jahre über die Zeitproblematik. Die Bl.
2 - 2 J, wozu auch die in dieser und in der folgenden Nummer veröffentlichten
gehören, liegen in einen Sonderumschlag mit folgender Aufschrift: ZZ. Zeiti­
gung, September (Ende) 1931. Aus SS. Zeitigung durch Einfühlung, die
Vermenschlichung, Weltzeitigung, psychophysische Zeitigung. —Die hier
veröffentlichten Bl. 2 - 6 sind mit Blaustift von 1 bis 4 durchnumeriert; auf das
als 1 bezeichnete Bl. folgt ein Bl. la. Während die drei letzten Bl. das von
Husserl üblicherweise gebrauchte Format haben, sind die beiden ersten Bl.
kleiner (1 0 , 3 x 1 6 , 4 cm). Auf dem ersten Bl. steht als Überschrift der in
den Titel der Nr. gesetzte Text sowie in Blaustift das Datum Ende September
1931 .A u f dem als la bezeichneten BL, das den Text enthält, der oben S. 3 3 2 ,
Zeile 4 bis S. 3 3 3 , Zeile 5 abgedruckt ist, steht oben am Rande: alter Anfang,
wobei aber alter wiederum gestrichen ist. Dennoch haben wir die BL in der
Reihenfolge ihrer Numerierung und Anordnung im Konvolut wiedergegeben.
Die BL sind leicht mit Bleist. überarbeitet.
706 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

333,16 anstatt einer im Ms.: eine || 334,21 Anführungszeichen bei „Objek­


tiv ’' m. Bleist. || 334,26—29 Dieser Satz ist im Ms. am Rande mit einer Schlan­
genlinie in Bleist. versehen || 334,35 Anführungszeichen bei „getrennte” m.
Bleist. || 335,37 erfahren kann Einf. m. Bleist. || 336,13-14 d.i. im strömen­
den Fortwähren ist nicht eindeutig gelesen; anstatt d.i. könnte auch das ich
oder das in gelesen werden, und anstatt strömenden steht im Ms.: strömen­
dem II

Nr. 20 (S. 337-350}


Der Text der Bl. 18-27 des Konvolutes C 17 (vgl. zu diesem Konvolut
die textkritischen Anmerkungen zu Nr. 19). Diese zehn Bl. sind von I bis X
durchnumeriert. Das erste Bl. trägt das Datum 20./22. September 1931.
Der Text weist ziemlich viele Korrekturen auf, die aber wohl bei seiner Ab­
fassung selbst entstanden sind. Er enthält einige Unterstreichungen in
Bleistift.
337,22-25 Die Koexistenz bis zeitliche Folge Erg. || 337,29 anstatt hat der
Mensch im Ms.: der Mensch hat || 338,3 nach als einer im Ms. nochmals: als
einer || 338, Anm. Erg.; in der letzten Zeile anstatt zu Verbindendem und
schon Verbundenem im Ms.: zu Verbindenden und schon Verbundenen ||
339,13 nach meine Seele im Ms. noch: und || 339,17 nach die im Ms. noch:
sich || 340,34 anstatt Menschen im Ms.: menschliche; die Worte dem Sinn
der Welterfahrung gemäss als sind wohl eingeschoben || 342,24 anstatt sein
Leben im Ms.: ihr Leben || 343,7 Schlussklammer fehlt im Ms. || 343,25
Randtitel m. Bleist. || 345,35 anstatt mich an ein Gm, erinnernd gegeben sein
im M s.: mich erinnernd gegeben sein an ein Gm, || 346,21-26 oder, was
prinzipieller ist bis jeder Erinnerung kommen. Einf. || 346, Anm. Erg. ||
347, 15—16 ist bis andererseits Einf. || 347,18-32 der Text von Aber kann das
anderes besagen bis Gegenwart lautete vor der V.: Aber kann das anderes
besagen, als dass lebendige Gegenwart in sich selbst schon „strömend-ver­
strömend” in einen Modus der Dunkelheit, der Unanschaulichkeit, der
Abhebungslosigkeit versinkt. Doch ist es als das nicht nichts, sondern in
seinem konstitutiven Stil fortströmend - verdunkelt kann es „wieder” ge­
weckt werden, wieder anschaulich werden im Modus der im lebendig gegen­
wärtigen Jetzt als vergegenwärtigt modifizierten Gegenwart . . . || 347,20
anstatt Kontinuum ist im Ms.: Kontinuum des || 347,26 anstatt, dem Rah­
men im Ms.: den Rahmen || 347,29 anstatt im Modus und im Rahmen im
M s.: im Modus der im Rahmen || 347,36 anstatt ihrem im M s.: seinem ||
347,37 anstatt gehört im M s.: besteht |( 348,12 nach Die G e g e n w a r t
ist gestr.: das absolut Wirkliche und || 348,17 anstatt meiner im M s.: seiner ||
348,24-26 Es muss genauer bis Rechenschaft gegeben werden V. für Nun
ist das Ausgeführte unzureichend, da in Wahrheit nicht für die Kontinui­
tät der Zeit bzw. der konstituierten zeitlichen Subjektivität, der ursprüng­
lichst seienden, Rechenschaft gegeben ist. ||
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 707

B eilage XX (S. 350-357)


Der Text der Bl. 8 6 - 9 2 des Konvolutes C 1 6 , dem auch der Text der folgen­
den Beilage X X I und der Nr. 3 2 entnommen ist. Das i n Bl. zählende Kon­
volut C 1 6 enthält mehrere Texte aus dem Anfang der dreissiger Jahre, die
unter dem Gesichtspunkt der Zeitproblematik zusammengestellt sind. Die Bl.
7 6 - 9 8 , denen die beiden hier veröffentlichten Beilagen entnommen sind, liegen
in einem Sonderumschlag, der folgende Aufschrift enthält: Wichtig. Mai 1932
{Datum mit Blaustift). Phänomenologische Archäologie. R ü c k f r a g e
a u f d a s I c h u n d d a s S u b j e k t i v e i n der O r i g i n a l i t ä t . Ur-
originalität und Erinnerungen-Vergegenwärtigungen. Ich in meiner Eigen­
heit. Das Ich in seiner ichlichen Habitualität (Entschiedenheiten). Das
verharrende Subjekt (Person) für sein Universum von „Seienden”. Ich als
Person für Andere —die Mitfunktion der Einfühlungen. Objektive Zeiti­
gung gegenüber meiner Selbstzeitigung. —Dann folgt auf dem Sonderum­
schlag eine A ngabe, die sich auf Bl. bezieht, die nicht mehr vorliegen: 7 Blätter;
Personales Sein im Miteinandersein. 3§ (= Rückseite des dritten Bl.) das
„Unbewussf’-werden und die Grenze der lebendigen Gegenwart; auch
wichtig zur Lehre von den Akten und ihren verschiedenen Aktualitäts-
modis. Schliesslich in Blaustift: Zur Lehre von den Interessen, Interesse
und Person. —Die der Beilage X X zugrundeliegenden sieben Bl. sind mit
Bleistift von 1 bis 7 durchnumeriert. Auf dem ersten Bl. steht am Rande in
Blaustift die Angabe, die in den Titel der Beilage {S. 3 3 0 , Zeilen 1 3 —1 4 ) auf­
genommen wurde. Der Text dürfte, gemäss der Angabe auf dem Sonderum­
schlag, aus dem Monat Mai 1 9 3 2 stammen. Er wurde kaum später über­
arbeitet, enthält aber Unterstreichungen in Blau-, Blei- und Rotstift.
350,34 nach mit dem im Ms. nochmals: dem || 350,36 anstatt durch im Ms.:
das || 351,3-4 hinsichtlich bis fungierenden Ich Einf. || 351,41 Randtitel in
Blaust. || 352,20 Entschiedenheiten und Entscheidungen übereinander-
geschrieben; die Worte Wiederaufnahme von Einf. || 352, Anm. Rb. || 353,43
Randtitel m. Blaust. || 354,33 anstatt bei denen im Ms.: die || 354,34 nach
auf das im Ms. nochmals auf das || 355,13 nach dasselbe im Ms. nochmals:
dasselbe || 355,21 meine Selbstzeitigung Blaust.-V. für Zeitigung || 357,5
anstatt appräsentiert im M s.:apprent {in Kurrentschrift) || 357,28-29 an­
statt wobei das „ihm eigenes” Modifikation ist im Ms.: wobei das, das ihm
eigenes Modifikation ist ||

B eilage XXI (S. 357-361)


Text der Bl. 9 3 —9 8 des Konvolutes C 1 6 {vgl. die textkritischen Bemerkun­
gen zur vorangehenden Beilage X X ) . Die ersten beiden dieser sechs Bl. sind m.
Bleist. als 1 und 2 beziffert {die beiden Ziffern sind über die beiden kleineren
Bleistiftziffern 3 und 4 geschrieben); die restlichen vier Bl. {deren Text oben S.
3 3 9 , Zeile i i beginnt) sind kleine Blättchen aus einem Kalender mit den
Daten 1 3 ., 1 1 ., und 9 . April 1 9 3 2 und sind mit Bleistift als a, b, c und d
bezeichnet. Die Daten der Kalenderblättchen stimmen mit Husserls Datum auf
dem Sonderumschlag: Mai 1932 überein. Das erste der sechs Bl. trägt die mit
Blaustift mehrmals gestrichene Überschrift: Irrlichterei. Der Text weist zwei
708 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

Einfügungen in Blaustift und Unterstreichungen in Blau- und Rotstift auf.


358,40 einfiihlend Einf. m. Blaust. || 359,26 (das fremde) Einf. m. Blaust. |

N r . 21 (S, 362-371)
Der Text der Bl. 59- 6 7 des Konvolutes B I I 7, dem auch der Text Nr. 3 3
des vorliegenden Bandes entnommen ist. Dieses 1 6 0 Bl. zählende Konvolut, das
eine grosse Anzahl einzelner Texte von 1 9 2 9 an enthält, trägt auf dem Gesamt­
umschlag den Haupttitel: Problem der E p o c h 6 und „Inhibieren des
Weltinteresses’'. Innenerfahrung und ihre Welthaftigkeit. Die hier ver­
öffentlichten Bl. 5 9 - 6 7 liegen in einem Sonderumschlag mit folgender Auf­
schrift: Z.A.! ( = zur Ausarbeitung) N a c h de r R e d u k t i o n . Das
Weltphänomen in meiner transzendental-subjektiven usw., wie oben in der
Inhaltsangabe auf S. 3 6 2 , Zeilen 6—1 3 wiedergegeben, und am Ende wieder
doppelt unterstrichen: G a n g der s y s t e m a t i s c h e n B e s c h r e i b u n ­
g e n bi s z ur M o n a d e n l e h r e . Die neun Bl. sind kleinen Formates
(1 0 , 6 x 1 6 , 2 cm); die ersten sechs sind von Wi bis W6, die letzten drei mit
Bleistift von l x bis 3Xdurchnumeriert (der Text der letzten drei Bl. beginnt
in dieser Ausgabe S. 3 6 8 , Zeile 2 6 ). Das erste Bl. trägt in Bleistift das Datum
Oktober 1931 und in Blaustift den Vermerk: reif. Die Bl. sind mit Blei-
und Blaustift leicht überarbeitet und enthalten Unterstreichungen in Blau-,
Rot- und Grünstift.
362,16—17 So ist und war Einf. m. Bleist. || 362,24 Anführungszeichen bei
„transzendentale egologische Zeit” m. Blaust. |[ 364,36-37 aber bis be­
gründend Einf. |[ 366,14 nach „Transzendenz” m. Blaust, gestr.: immer ||
366,31-32 und als anderes Ich bis in sich Erg. || 367,28-31 vom Anfang des
Absatzes bis in mir ist auch (Ende das Textes des fünften Bl.) gestr. || 367,
Anm. Rb. m. Bleist. || 368,13 anstatt Menschheit ist im Ms.:Menschheit
gehört || 368,32 Meine Blaust.-V. für Eine || 369,10 Stufen: Einf. m. Bleist. ||
369,11-12 seiner Umwelt in der primordialen Verleiblichung im Ms.
zwischen eckigen Bleist.-Klammern |[ 370,3—4 Als mich universal Besinnen­
der muss ich sagen Einf. || 370,14 nach und gestr.: für mich konstituieren
kann und || 370,15 nach begriffen bin gestr.: Welt und Andere, und als
Andere; übereinandergeschrieben eines und ein; anstatt Universums im Ms.:
Universum || 370,28—29 Was nicht erkannt bis und Einf. m. Bleist. ||

B eilage XXII (S. 371-377)


Der Text der Bl. 1 3 9 - 1 4 5 des Konvolutes A IV 5. Diese sieben Bl. befinden
sich im selben Sonderumschlag des Konvolutes wie diejenigen, deren Text in
der Nr. 1 3 des vorliegenden Bandes veröffentlicht ist (vgl. die textkritischen
Anmerkungen dazu). Sie sind mit Bleistift von 1 bis 7 durchnumeriert. Das
erste Bl. trägt in Bleistift das Datum Zweite Hälfte Oktober 1931. Die Bl.
sind mit Bleistift überarbeitet und enthalten Unterstreichungen in Rot-, Grün-
und Blaustift.
372,1—2 Perzeption und Apperzeption Einf. m. Bleist. || 372,4 u. 7 ent­
deckte Bleist.-V. für entdecke || 372,21—22 meiner, des transzendentalen
Ich Einf. m. Bleist. || 372,27-28 Anführungszeichen bei „mit mir transzen-
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 709

dental koexistierend” m. Bleist. || 373,5 anstatt derselbe im Ms.: dessen


verändert m. Bleist. in desselben || 373,30 Anführungszeichen bei „Seelen”
m. Blaust. || 374,20 im Ms. öffnet sich am Anfang des Absatzes eine eckige
Klammer, die aber nicht mehr geschlossen wird || 375,2—11 von Indessen bis
Ende des Absatzes Text am Rande, der folgende gestrichene Sätze ersetzt:
R ech et rar." "Uerdings die kausale Zuständlichkeit eines Dinges als seine
momentane reale Relation zu anderen Dingen und, toLal genommen, zu
allen überhaupt und weiter dazu die kausale Gesetzlichkeit, die dem zeit­
lichen Wandel dieser Relation in jeder Phase den Charakter einer gesetz­
lich erfolgten und zu gesetzlich Erfolgenden überführenden verleiht, dann
wäre das Konkretum reduziert auf eine Zeitfülle, die sich so wiederholen
kann, als gleiche, nur in anderer kausaler „Funktion”. Man unterscheidet
dann für jeden Zeitpunkt und Zeitstrecke eines Dinges das Eigenwesent­
liche und die eigen wesentliche Veränderung, andererseits das zum Eigen-
wesentlichen Gehörige der realen Relationalität. || 376,21 anstatt Jeder im
Ms.: Jede || 376,22 nach aber auch im Ms. noch: in ||

INtr. 22 (S. 378-386)


Der Text der Bl. 4 2 —5 1 des Konvolutes E I I I 9 , aus dem auch die Beilage
X X I I I , die Texte Nr. 2 4 und Nr. 2 5 und die Beilage X L III des vorliegenden
Bandes stammen. Der Gesamtumschlag dieses 70 Bl. zählenden Konvolutes
enthält folgende Aufschrift: 1931. ad Instinkt, Wert, Gut. Ein Blatt über
Gebiet als instinktive Vorahnung. Urinstinkt. Weiteres über Instinkt in
„A kt”. - Daxin September 1933 Triebleben, Liebe, „Geschlechtsliebe”,
Triebgemeinschaft. Leben als Bedürftigsein, primordiale Befriedigung,
Selbsterhaltung und Instinktleben, Angst etc. {Diese Aufzeichungen aus
September 1 9 3 3 sind in der Beilage X L II I des vorliegenden Bandes ver­
öffentlicht). Eingeborenheit - Teleologie, überhaupt zur Teleologie. Norm­
struktur der Personalität. —Die in der vorliegenden Nummer veröffentlichten
zehn Bl. liegen zusammen mit einem kleineren Text, der in der Beilage X X I I I
dieses Bandes abgedruckt ist, in einem Sonderumschlag mit folgender Auf­
schrift: 5.XI.1931. Teleologie. Innerhalb dieses Sonderumschlags sind die
zehn Bl. nochmals von einem eigenen Umschlag mit der Aufschrift Teleologie
umfasst. Die zehn Bl. bestehen aus einer Serie von sieben, mit Blaustift von
1 bis 7 durchnumerierten Bl. [Bl. 4 2 - 4 6 und 5 0 - 5 1 ) sowie aus drei, zwischen
das fünfte und sechste dieser Bl. eingelegten Beilageblättern, die mit Rotstift
von 1 bis 3 durchnumeriert und als Beilage A bezeichnet sind. Der Text dieser
drei Einlageblätter, deren erste zwei von kleinem Formate sind (1 0 , 8 X 1 6 , 2
cm) und auf der Rückseite Buchanzeigen aus dem Jahre 1 9 3 1 enthalten, wurde
oben in der Anmerkung auf S. 3 8 4 abgedruckt. Die Stelle, der diese Beilage
zuzuordnen ist, ist im Ms. genau bezeichnet. Auf dem ersten der sieben Bl.
steht die Notiz: Kleine Zettel, Noten über Teleologie vom 5.XI.1931, auf
dem letzten: unveränderte Abschrift der beiden letzten Zettel. Wann genau
die Abschrift erfolgte, ist nicht auszumachen, vielleicht noch Ende 1 9 3 1 . Der
Text ist nicht überarbeitet, weist aber einige Unterstreichungen in Blaustift
auf.
710 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

381,9 nach der Klammer im Ms. noch: hat j| 382,19-35 der Absatz steht
im Ms. zwischen eckigen Klammern || 382,22 sei und ist übereinanderge-
schrieben || 383, Anm. Text auf der Rückseite des vierten Bl. (dessen Text auf
der Vorderseite mit dem Worten völlig unbekannten Anderen befasst, oben
S. 382, Zeile 25, endet) || 384, Anm . Text der drei Einlagebl. j

Nr. 23 (S. 387-403)


Der Text der Bl. 1 8 - 2 7 des Konvolutes A V 1 0 . Diesem Konvolut sind auch
die Beilagen X X I V und X X V des vorliegenden Bandes sowie die Beilagen
X I I I und X X V I I von Husserliana IX , ein Stück der Nr. 1 3 und die Beilage
L II von Husserliana X I I I und die Beilagen V, X L V II u. X L V III von
Husserliana X I V entnommen. - Der Gesamtumschlag dieses 1 3 1 Bl. zählen­
den Konvolutes trägt die Aufschrift: V i. 1) Beilagen zur Vorlesung 1928
(über intentionale Psychologie; vgl. Husserliana IX ). Um welt und Welt.
Strukturbetrachtungen, a) Objektstruktur der W elt, b) Realitätenstruk­
tur. Struktur bloss physischer N atu r etc. Naturalistische Psychologie,
Psychophysik, Geisteswissenschaft. Innenpsychologie etc. Kritik der P sy ­
chologie. 2) grundlegend: U + W ähnliche und gleiche Themen, haupt­
sächlich Umwelt, Person —Umwelt. Und (1925). —Die in dieser Nummer
veröffentlichten Bl. 1 8 - 2 7 liegen zusammen mit den Bl. 2 8 und 2 9 - 3 4 , die in
den Beilagen X X I V und X X V des vorliegenden Bandes wiedergegeben sind,
in einem Sonderumschlag, der die Aufschrift enthält die in den Titeln und
Inhaltsangaben der Nr. 2 3 (oben S. 3 8 7 ) und der Beilage X X I V (oben S. 4 0 7 ,
Zeilen 1 0 - 1 1 und 1 3 - 1 7 ) abgedruckt ist. Am Rande des ersten Bl. der vor­
liegenden Nummer steht nochmals der Titel: Die Geschichtlichkeit als Seins­
weise der transzendentalen Intersubjektivität und ihre verhüllte B e­
kundung in der Menschengeschichte und Naturgeschichte. Die zehn Bl.
1 8 - 2 7 sind von 1G bis 80 durchnumeriert; nach dem achten Bl. folgen zwei als
a bzw. b bezeichnte Bl. mit dem Vermerk zu 80. Der Text dieser beiden letzten
Bl. ist oben S. 4 0 1 , Zeile 2 6 bis S. 4 0 2 , Zeile 3 6 abgedruckt. Das erste der
zehn Bl. trägt das Datum 9.X I . 19 3 1, das als 80 bezeichnete (Bl. 2 5 ) auf der
Rückseite das Datum 12 .X I. Die Bl. sind stark mit Tinte (wohl gleichzeitig
mit der Abfassung des Textes) korrigiert und leicht mit Bleistift überarbeitet.
Sie enthalten auch Unterstreichungen in Blau-, Rot- und Grünstift.
387, Anm . Rb. || 388,5-8 der erste Absatz im Ms. zwischen doppelten
eckigen Klammern in Rotstift || 388,20-21 in gewisser W eise auch Einf. m.
Bleist., m. Tinte nachgezogen || 389,38-390,4 Man beachte auch bis Ende des
Absatzes Erg. || 390,14 nach sich im Ms. nochmals: sich || 390,37-38 anstatt
im plizierend im M s.: im pliziert || 391,1 anstatt im plizierend im Ms.:
im pliziert || 392,20-21 w eltlich und m ein und unser allm enschliches
P hänom en habend Bleist.-V. für m ein und unser allm enschliches W elt­
phänom en || 392, Anm . Rb. m. Bleist. || 393,9-11 Randtitel || 394,16—19 Hier
m uss bis die Frage Einf. m. Bleist. || 394,21-22 D ann bis Ende des Absatzes
Einf. m. Bleist. || 394,23-24 Randtitel || 395, Anm. Rb. || 396,5-6 Randiitel ||
396,31-397,9 Im besonderen G ehalt bis Ende des Absatzes Einf. || 397,10
Randtitel m. Grünstift || 397,15 gegenw ärtige Einf. m. Bleist. || 397,17 ein-
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 711

heitlich.es Interesseleben Bleist.-V. für Leben || 397,19 Anführungszeichen


bei „überschaubare” m. Bleist. || 397, 22 nach Gegenwart ist gestr.: mit ihrer
retentionalen und protentionalen Lebendigkeit und so einer strömend
engsten Vergangenheit und Zukunft || 397,23-34 vom Anfang des Absatzes
bis „Gegenwart” Einf. |l 398,16-17 Titel m. Blaust. || 398,21 nach selbst
Einheit ist folgt im Ms. der folgende m. Blaust, gestrichene Text: und so
durch die ganze historische Zeit. Das betrifft auch den Menschen. Was ein
gewisser Mensch ist, was Mensch überhaupt seinsinässig besagt, ist für
ihn und seine Zeitgenossen und ist in der Wiederweckung der Vergangen­
heit für die jeweils spätere Zeit immer wieder ein anderes, und notwendig
anderes. Der Mensch ist, was er für sich selbst und für Andere ist, und ist
derselbe als Einheit in der Mannigfaltigkeit der Selbstapperzeption und
Fremdapperzeption. Er ist eben in ständiger historischer Relativität, und
so kann auch die Geschichtswissenschaft ihn nur in dieser Relativität er­
kennen, indem der Historiker sich eben selbst als in Relativität seiend weiss
und wissen muss. || 398,21-399,9 Mein eigenes Leben bis als ihnen und mir
gemeinsame Einf. |[ 399, Anm. Rb. m. Bleist. || 400,16-17 Randtitel || 401,
27ff. Am Ende des vorangehenden Absatzes steht im Ms. die Bemerkung:
Dazu a, b, d.h. der Text der beiden letzten Bl. (2 6 —2 7 ), den wir an dieser
Stelle IS. 4 0 1 , Zeile 2 7 bis S. 4 0 2 , Zeile 3 6 ) eingeschoben haben || 401,35-36
anstatt deren Ansetzung als seiend oder nichtseiend uns im voraus frei­
gegeben ist im M s.: in deren Ansetzung als seiend oder nicht seiend uns im
voraus freigegeben sind || 403,5 empirische Bleist.-V. für im || 403, 9-11
Erg. m. Bleist. ||

B eilage XX III (S. 403-407)


Der Text der Bl. 3 8 - 4 0 des Konvolutes E I I I 9, die im selben Sonderum­
schlag liegen wie die in der vorangehenden Nr. 2 2 veröffentlichten Bl. (vgl. die
textkritischen Anmerkungen dazu). Die drei Bl. sind mit Blaustift von I bis
III durchnumeriert. Doch stehen am Anfang des ersten Bl. einige mit Blaustift
gestrichene Zeilen, die darauf hinweisen, dass der Text in einem weiteren Zu­
sammenhang entstanden ist: Einheit ist. Zu dieser strömenden Einheit
gehört eine Wesensstruktur, Einheitsstruktur, die nach diesen drei Rich­
tungen ihre Besonderheiten hat und doch eine übergreifende Gemeinsam­
keit, diejenige der Assoziation der Zeitigung, der Assoziation im prägnan­
ten Sinn. Aber Gefühle haben ihre besondere Weise sich zu einigen, ab­
gesehen davon, dass sie als Erlebnisse assoziiert sind und der allgemeinen
Zeitigung unterstehen. Und ebenso die Kinästhesen. Am Rande des ersten
Bl. steht in Bleistift das Datum etwa 13.XI.31, in Grünstift Teleologie und
in Blaust, nochmals cf. Teleologie. Die drei Bl. sind mit Bleistift überarbeitet
und enthalten Unterstreichungen in Grün-, Blau- und Rotstift.
403,18 nach Bestände m. Bleist. gestr.: eben Faktum und || 403,24-27
enthülle ich bis Konstitution zwischen eckigen Grünst.-Klammern || 403,31
Anführungszeichen bei „Weltphänomens” m. Grünst. || 403,32-39 in Form
bis Ende des Absatzes im Ms. zwischen eckigen Grünst.-Klammern || 404,38
anstatt eines im M s.: einer || 404, Anm. Rb. |l 405,4 Werte schaffendes und
712 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

Einf. m. Bleist. || 405,36 anstatt er übersteigert im Ms.: es übersteigert || 405,


Anm . 1 Rb. || 405, Anm. 2 Rb. m. Bleist. || 405, Anm. 3 Rb. || 406,5 Randtitel ||
406, Anm. Rb. m. Bleist. |

B eilage XXIV (S. 407-414)


Der Text der Bl. 2 9 - 3 4 des Konvolutes A V io, die sich im selben Sonder­
umschlag befinden wie die im vorangehenden Text Nr. 2 3 veröffentlichten Bl.
(vgl. die textkritische Anmerkungen dazu). Die sechs Bl. sind von l 0o bis 60o
durchnumeriert. Auf dem ersten Bl. steht das Datum 13.X I .31, auf dem
vierten das Datum 14.X I .31 (vgl. oben S. 4 1 1 , Zeile 1 1 ). Auf dem ersten Bl.
steht in Bleist. der Vermerk Material, noch tastend, unreif und die Über­
schrift: W issenschaft in der vorgegebenen („historischen” ) W elt. H istori­
sche W issenschaft, ontische W issenschaft. Die Bl. sind ziemlich stark mit
Tinte (wohl gleich bei ihrer Abfassung) korrigiert. Sie enthalten eine Ein­
fügung in Bleist., Randtitel in Rotstift und Unterstreichungen in Blei-, Rot-
und Grünstift.
4 0 7 ,1 0 - 1 7 Titel und Inhaltsangabe auf dem Sonder Umschlag |[ 408,3
2) Transzendentale Wissenschaft Einf. || 408,4 vor Historie im Ms.: a) ||
4 0 8 ,5-6 in der A ktualität seines strömend gegenwärtigen Daseins Erg. ||
409,9 und universalen Geisteswissenschaft Einf. m. Bleist. |[ 409,21 anstatt
im Dienst im Ms.: in Dienst || 409,42—4 10 ,2 dieser Absatz ist eine Erg. |]
4 10 ,7 anstatt mit der im Ms.: m it dem || 410, Anm. der angegebenen Stelle
zugeordnete Rb. |) 4 1 1 , 8 - 1 0 Aber in der Historie bis Ende des Absatzes Erg. ||
4 1 1 , 1 lff. Überschrift über dem folgenden: Umwelt —Einheit einer Mensch­
heit —Herrschaft - Staat sowie die Bemerkung Sonderüberlegungen im
Anschluss an l oo- 3 0o ( = vorangehender Text dieser Beilage) und l0-8 0
( = Text der vorangehenden Nr. 2 3 ) || 4 1 1 , 1 7 - 1 8 aussenweltliche Gegenwart
Einf. || 4 1 1 , 1 8 - 1 9 W elt bis Ende des Absatzes Erg. || 4 11,2 9 ff. Randtitel m.
Rotst.: Alltäglichkeit |l 4 1 2 , 14ff. Randtitel m. Rotst.: S taat || 4 12 ,2 3 nach
gegenwärtig im Ms. noch: als || 4 12 ,2 6 —2 7 neben derjenigen bis Alltäglich­
keiten Einf. || 4 1 2 ,3 1 —3 7 Aber über all diesen bis Ende des Absatzes Einf. ||
4 12 , Anm . der angegebenen Stelle zugeordnete Rb. || 4 1 3 ,3 - 7 die Mutter bis
Kinder zwischen eckigen Klammern || 4 1 4 ,1 0 - 2 3 diese drei Absätze Erg. ||
4 14 ,2 4 nach 3 Einf. ||

B eilage XXV (S. 414-415)


Der Text des Bl. 2 8 des Konvolutes A V 1 0 . Dieses Bl. befindet sich inner­
halb dieses Konvolutes im selben Sonderumschlag wie die in der Nr. 2 3 und
in der Beilage X X I V veröffentlichten Texte (vgl. die textkritischen An­
merkungen dazu). Dieses vereinzelte Bl. trägt den Vermerk mit Grünstift und
Tinte: N ähere Ausführung zu 6X von N ovem ber 31 (aus 13.X I I .31) N B .
Die Bezeichnung 6X bezieht sich wohl auf das sechste Bl. des in Nr. 2 3 ver­
öffentlichten T extes, das allerdings als 6Cbezeichnet ist (oben S. 3 9 J, Zeile ioff.).
Das Bl. ist nicht überarbeitet, enthält aber Unterstreichungen in Grün- und
Blaustift.
414,41-44 der Text des ersten Absatzes steht im Ms. am Rande || 415, Anm.
Rb. ||
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 713

N r. 24 (S. 416-420)
Der Text der Bl. 6 0 - 6 2 des Konvolutes E I I I 9 (vgl. zu diesem Konvolut die
textkritischen Anmerkungen zu Nr. 2 2 ). Die Bl. 6 0 - 6 2 liegen innerhalb des
Konvolutes zusammen mit fünf weiteren Bl. (von denen drei in der folgenden
K r. 2 5 wiedergegeben sind) in einem Sonderumschlag mit folgender A ufschrift:
22.X I.31. Normstruktur der Personalitäten. Konstitution der Personalität
im ausgezeichneten Sinn. Bis hier in Bleistift, das Weitere in Blaustift:
Selbsterhaltung, Interessenleben, Situation als Selbsterhaltungssituation
—Die drei Bl. 6 0 - 6 2 sind mit Bleistift von I bis III durchnunieriert. Das erste
Bl. trägt die Überschrift, die als Titel der Nr. 2 4 wiedergegeben ist, sowie in
Bleistift das Datum: 20.XI.31. Sie enthalten einige Unterstreichungen in
Blaust.
420,6-7 und vor allem historisch Einf. |[ 420,12 anstatt lernt im Ms.:
erwirbt ||

N r. 25 (S. 421-424)
Der Text der Bl. 55 und 5 8 - 3 9 des Konvolutes E I I I 9 (vgl. zu diesem
Konvolut die textkritischen Anmerkungen zur Nr. 2 2 ). Diese drei Bl. liegen
innerhalb des Konvolutes im selben Sonderumschlag wie die drei BL, auf
denen die Nr. 2 4 des vorliegenden Bandes fusst (siehe die textkritischen A n­
merkungen dazu). Die Bl. 5 8 und 59 (deren Text oben S. 4 2 2 , Zeile 1 bis Ende
der Nummer abgedruckt ist) sind als I und II numeriert; das erste dieser
beiden Bl. (5 8 ) trägt die Überschrift: Note sowie den Text, der S. 4 2 2 , Zeilen
1 —2 wiedergegeben ist. Das Bl. 55 trägt die Bleistiftziffer 1; auf der Rückseite
ist es nur zur Hälfte beschrieben. Das darauf folgende Bl. 56 trägt die Bleistift­
ziffer 2 und darübergeschrieben: IIi; Bl. 57 enthält die ausradierte Bleistift­
numerierung Ii. Diese beiden hier nicht wiedergegebenen Bl. 5 6 u. handeln
über Selbsterhaltung. Das in diese Ausgabe aufgenommene Bl. 55 trägt das
Datum 22.X I.31 (in Bleistift, mit Blaustift nachgezogen) und am Rande den
Titel: Normkonstitution der Personalitäten. Während dieses Bl. eine
Bleistiftunterstreichung enthält, weisen die Bl. 5 8 —59 keinerlei Spuren einer
späteren Durchsicht auf.
421,2 Titel auf dem Sonderumschlag || 423, Anm. Erg. ||

N r. 26 (S. 425-427)
Der Text der Bl. 1 3 2 —1 3 3 des Konvolutes B I 5, aus dem auch die letzte
A bhandlung sowie die Beilage X X I X von Husserliana V III entnommen sind.
Die 1 9 1 Bl. dieses Konvolutes stammen hauptsächlich aus der ersten Hälfte
der dreissiger Jahre; doch liegen darin auch mehrere Texte aus 1 9 2 2 und 1 9 2 3 .
Alle diese verschiedenen Texte gehören zur Problematik der Epoche und Re­
duktion. Die Bl. 1 2 2 —1 4 0 , wozu auch die beiden in dieser Nummer veröffent­
lichten gehören, befinden sich in einem Sonderumschlag mit folgender Auf­
schrift (in Grün-, Blei- und Blaustift): Ende November 1931. 25.XI.31.
Epoch6 und Reduktion. Darin auch die steckengebliebenen Blätter über
Reflexionsurteile, aber gut. —Die beiden Bl. 1 3 2 u. 1 3 3 sind mit 1 und 2
714 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

numeriert. Wie für die sie im Konvolut umgebenden Bl. dürfte für sie das
Datum auf ihrem Sonderumschlag: Ende November 19 31 zutreffen. Sie ent­
halten einen Randtitel in Blei- und Blaustift sowie Unterstreichungen und
Klammern in Blaustift.
4 2 5 ,2 7 anstatt aus im Ms.; auch || 426,6 Randtitel m. Blei- und Blaust. |j
4 2 7 ,2 9 -3 4 dieser Absatz steht im Ms. zwischen eckigen Blaust.-Klammern |j

Nr. 2 7 (S. 4 28 -4 37)


Der Text der Bl. j-c> des Konvolutes E I I 2 , aus dem auch der Text der
folgenden Beilage X X V I stammt. Dieses kleine Konvolut enthält nur zehn Bl.,
die sich in zwei Umschlägen befinden. Die ersten sechs Bl. (3 - 8 ) sind mit Blei­
stift von I bis V I durchnumeriert; auf sie folgt ein Bl. ad I - V I , dessen Text
am Ende dieser Nummer oben S. 4 3 7 , Zeilen 7 - 3 7 abgedruckt ist. Die fol­
genden zwei Bl. (1 0 - 1 1 ) bilden den Text der Beilage X X V I. Auf dem ersten
Sonderumschlag steht die Angabe und das Datum, die in den Titel der Num­
mer aufgenommen wurden (oben S. 4 2 8 , Zeilen 2 —7 ) sowie die folgende nähere
Inhaltsangabe: I - V I Nähere Analyse der Horizontstruktur der Umwelt.
Der Normalstil der Praxis (normale Lebensumwelt). Erste Stufe der E in ­
fühlungskonstitution. Zweite Stufe der Konstitution durch Einfühlung
- w ir Deutschen (deutsche Welt) und die fremdvölkische Aussen- (ausser-
deutsche) W elt. Auf dem zweiten Sonderumschlag stehen die Inhaltsangaben,
die oben S. 4 2 8 , Zeilen 1 3 - ig und S. 4 3 8 , Zeilen 6-9 wiedergegeben sind. —
Das erste der in dieser Nr. 2 7 wiedergegebenen sieben Bl. trägt die Überschrift:
Noten und Rekapitulationen sowie das Datum Weihnachtsferien 19 3 1/3 2
(das Datum in Bleistift, mit Tinte nachgezogen). Die Bl. sind mit Bleistift
überarbeitet und enthalten Unterstreichungen in Blau-, Rot- und Bleistift.
429,8 anstatt Hereinkommenden im Ms.: Hineinkommenden || 4 30 ,32
kugelschalenförmig Einf.; es könnte auch kegelschalenförniig gelesen
werden || 4 3 1, Anm . Rb. m. Bleist. || 432,30-^133,7 W as die N atur anbelangt
bis durch Erfahrung zugänglich Einf. )| 432, Anm . 1 Erg. m. Bleist. || 432,
Anm . 2 Erg. m. Bleist. || 4 3 3, Anm . Rb. m. Bleist. || 4 35, 1 1 - 1 3 Das fremde
Ich bis ,,wie wenn ich dort w äre” V. für W ir werden dabei noch beifügen,
was dabei von aktiven Ich als aufmerkend erfassend auslegenden ge­
schieht, eben im nach verstehenden ,,wie wenn ich dort w äre” . || 4 3 6 ,1 8 -
4 37,6 wohl spätere Zufügung am Ende des Bl. V I || 436, Anm. Rb., die im Ms.
folgendermassen lautet: cf. die voranliegenden B lätter £1, £2 ( = Text der
Beilage X X V I). 4 3 7 ,7 - 3 7 Text des wohl später beigefügten Bl. ad I - V I |[
4 3 7 ,2 4 anstatt zu den vorangehenden Ausführungen im Ms.: zu I - V I ||
4 3 7 ,3 5 nach von der im Ms. noch: der die ||

B eilage XXVI (S. 438-440)


Der Text der Bl. 1 0 - 1 1 des Konvolutes E I I 2 (vgl. die textkritischen A n­
merkungen zur vorangehenden Nr. 2 7 ). Die beiden Bl. tragen in Blaustift die
Bezeichnungen £1 bzw. £ 2- Das erste Bl. ist überschrieben mit An-sich-sein
und Einstimmigkeit, was zusammen mit dem Titel auf dem zweiten Sonder­
umschlag in den Titel der Beilage aufgenommen wurde. Wie die Bl. der vor­
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 715

angehenden Nr. 2 7 sind auch diese zwei mit Bleistift überarbeitet und enthal­
ten Unterstreichungen in Blau-, Rot- und Bleistift. Sie stammen wohl auch
aus den Weihnachtsferien 19 3 1/3 2 (Datum auf dem ersten Umschlag; auf
dem zweiten Umschlag sieht nochmals: 19 3 1/3 2); evtl, wurden sie erst später
hinzugefügt.
4 3 8 ,6 -9 Inhaltsangabe auf dem zweiten Sonderumschlag [| 438,24 als und
die Anführungszeichen bei ,, Anom alität” Einf. m. Bleist. || 438, 3 3 - 4 2 Alle
Erscheinungen bis reduziert werden k a n n Einf. || 439,23ff. Rb. m. Blaust,
zum folgenden: Flüchtige Noten |[ 4 39 ,23 vor Die Unendlichkeit im Ms. m.
Bleist. gestr.: Nur || 439,30 anstatt erworbene ist im Ms.: erworbene sind ||
440,1 Anführungszeichen bei „prim ordial” m. Bleist. ||

B eilage XXVII (S. 440-443)


Der Text der Bl. 1 0 0 u. 1 0 1 des Konvolutes A V 5 (vgl. zu diesem Konvolut
die textkritischen Anmerkungen zu Nr. 4 ). Diese beiden Bl. sind mit Rotstift
als 4 und 5 numeriert. Es gehen ihnen im Konvolut drei mit Rotstift von 1 bis
3 numerierte Bl. voraus; doch bildet das als 4 bezifferte Bl. einen neuen A n­
fang, auf den Husserl sowohl auf dem ersten dieser fünf BL: cf. den neuen
Anfang 4ff., als auch auf dem Sonderumschlag der Bl. g 6 - i o 6 hinweist: bei
4 neuer Anfang. Auf diesem Sonderumschlag stehen folgende Angaben:
Neujahr 19 3 1/3 2 . 7t 1 - 3 , bei 4 neuer Anfang. E r f a h r u n g u n d P r a x i s
— U m w e l t . Darin besonders wichtig; . . . Es folgt die Inhaltsangabe die
oben S. 4 4 0 , Zeile 3 6 - S. 4 4 1 , Zeile 7 abgedruckt ist. Diese Inhaltsangabe
bezieht sich nur auf die beiden in dieser Beilage veröffentlichten Bl. Auf dem
als 4 bezeichneten Bl. (1 0 0 ) steht nochmals die Überschrift: Erfahrung und
Praxis. Auf dem ersten der fünf Bl. ist als Datum um Neujahr 19 32 notiert.
Die Einfügungen und Ergänzungen, die die Bl. aufweisen, dürften bei der
Niederschrift des Textes selbst entstanden sein. Die Bl. enthalten Unterstrei­
chungen in Blau- und Rotstift.
442, Anm . Erg. |l 4 4 3 ,1 0 - 1 2 und auch durch gemeinschaftliche bis fort­
schreitenden Erfahrung Einf. ||

N r. 28 (S. 444-454)
Der Text der Bl. 3 7 - 4 3 des Konvolutes E I 4 (vgl. zu diesem Konvolut den
Abschnitt ,,Zur Textgestaltung” , oben S. 6 7 3 ). Diese sieben Bl. liegen zu­
sammen mit drei kleinen Blättchen, die in der folgenden Beilage X X V I I I
veröffentlicht sind, sowie mit den sechs ihnen vorausgehenden Bl. des Textes
Nr. 6 dieses Bandes in einem Sonderumschlag mit folgender Aufschrift:
1 7 .1 .1 9 3 2 . Einfühlung. Apodiktizität der immanenten Erfahrung, des
Seins meiner immanenten Zukunft. Apodiktizität für das Künftigsein der
W elt als intersubjektiver - und des Mitseins transzendentaler Subjekte -
Apodiktizität des ego —Apodiktizität meiner transzendentalen Intersub­
jektivität, also Apodiktizität des Für-mich-sein von Anderen. Dann noch
der Vermerk in Grünstift: aus TT (dieser Vermerk bezieht sich auf die in Text
Nr. 6 veröffentlichten Bl. aus dem Sommer ig 3 o). —Die in der vorliegenden
Nummer veröffentlichten sieben Bl. sind mit Bleistift von 1 bis 7 durchnu­
716 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

meriert. Auf dem ersten Bl. steht am Rande in Blaustift die Angabe, die als
Titel der Nummer gesetzt wurde (oben S. 4 4 4 , Zeilen 2 - 9 ). Auf dem ersten Bl.
steht das Datum 2 7 .1.3 2 , auf dem sechsten Bl. mit Bleistift das Datum
2 9 .1.32 . Die Bl. sind mit Bleistijt leicht überarbeitet und enthalten Unter­
streichungen in Blau- und Bleistift. Auf sie bezieht sich auch die Angabe auf
dem Gesamtumschlag des Konvolutes E I 4 : Apodiktizität des ego - Apodik-
tizität der Intersubjektivität.
4 4 4 ,22 die abschliessenden Anführungszeichen fehlen im Ms. || 445, 2 5 -2 6
Apperzeptionen der ,.objektiven” W elt und alle meine Einf. || 445, 2 6 -2 7
selbst als transzendierend apperzipiert und mit primordialem Kern V. für
selbst als primordiale || 445, Anm. im Ms. zwischen Klammern II 446,1
Randtitel m. Blaust. [| 4 4 7 ,2 in seiner organischen Individualität Einf. m.
Bleist. || 447 , 1 1 Teilhabe Einf. m. Bleist. || 4 47,30 Randtitel m. Blaust. ||
4 4 9 ,2 1 - 2 2 anstatt der der im Ms. beide Male: die der || 4 4 9 ,2 2-23 anstatt
„selbstverständlich” machen im Ms.: selbstverständlich sei || 4 4 9 ,3 0 -32
Randtitel m. Bleist. || 4 5 1 , 1 1 anstatt den ich im Ms.: die ich || 4 51,2 5ff.
Randtitel m. Bleist. zum folgenden: Apodiktizität des Seins und nicht
Soseins des ego || 4 5 1 ,3 6 Und die egologische Zukunft? Erg. || 4 52 ,2 7
Datum m. Bleist. am. Rande [|

B eilage XXVIII (S. 454-455)


Der Text der Bl. 4 4 —4 6 des Konvolutes E I 4 . Diese drei kleinen Blättchen
{1 0 ,9 X 1 6 , 4 cm), auf deren Rückseiten sich Anzeigen von Neuerscheinungen
aus den Jahren 1 9 3 1 oder 1 9 3 2 finden, folgen im Konvolut den sieben Bl. der
vorangehenden Nr. 2 8 und befinden sich mit ihnen innerhalb desselben
Sonderumschlages (vgl. die textkritischen Anmerkungen zu Nr. 2 8 ). Die drei
Blättchen tragen keine originale Numerierung oder besondere Bezeichnung.
Sie wurden hier in der Reihenfolge 4 3 (S. 4 5 4 , Zeile 2 3 —S. 4 3 3 , Zeile 4 ),
4 4 (S. 4 3 3 , Zeilen 5 - 2 2 ) und schliesslich 4 6 (S. 4 3 3 , Zeilen 2 3 - 3 7 ) abgedruckt.
Auf Bl. 4 3 steht die Überschrift Die Apodiktizität des ego in ihrer Fraglich­
keit, die in den Titel der Beilage gesetzt wurde. Der Text weist keinerlei
Spuren einer späteren Lektüre auf.
4 5 5 ,3 im Sich-decken V. für das Sich-decken ||

B eilage XXIX (S. 456-457)


Der Text der Bl. 8 - 9 des Konvolutes A VI 2 3 . Dieses nur 1 1 Bl. zählende
Konvolut besteht aus drei Texten, von denen der erste auf den 2 3 .1 1 .3 2 und
der zweite auf den 2 4 .1 1 .3 2 datiert ist. Der dritte Text, der in dieser Beilage
veröffentlichte, trägt kein Datum, wurde aber wohl zur selben Zeit wie die
beiden vorangehenden geschrieben. Die drei Texte liegen in einem Umschlag,
der folgende Aufschrift trägt: 2 3 .11.3 2 . Bewusstsein und Ichaktivität. D oxa
und Praxis. Doxische Einstellung auf Seiendes und Wahrheit an sich.
Handelnde A ktivität. Gedacht zum ersten Wege - der Selbstbesinnung. -
Die beiden hier veröffentlichten Bl. sind mit Bleistift als a i bzw. a 2 bezeichnet.
Sie sind nicht überarbeitet, enthalten aber Unterstreichungen in Blau- und
Bleistift.
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 717

Nr. 29 (S. 4 6 1 -4 7 9 )

Der Text der Bl. 13-2J des Konvolutes A V 6, aus dem auch die Beilage
X II des vorliegenden Bandes entnommen ist [vgl. die textkritischen An­
merkungen dazu). Diese 13 Bl. sind mit Bleistift von pi bis P 1 5 durchnume-
riert und befinden sich mit zwei weiteren Bl., die nicht besonders bezeichnet
sind, innerhalb des Konvolutes in einem Sonderumschlag. Auf dem Gesamt­
umschlag des Konvolutes finden sich neben den Hinweisen, die sich auf den
als Beilage X I I veröffentlichten Text beziehen, folgende Angaben in Blau­
stift: P 1 - P 1 5 . 1932 , April. Zur phänomenologischen Anthropologie. A d
Erfahrung (Doxa) und Praxis. Phänomenologie der Mitteilungsgemein-
schaft (Rede als Anrede und Aufnahme der Rede) gegenüber der blossen
Einfühlungsgemeinschaft (blosses Nebeneinander-sein). Es folgen dann
noch die Angaben, die oben S. 461, Zeilen 11-18 abgedruckt sind. Das erste
der 15 Bl. enthält am Rande folgenden Vermerk in Blaustift: ad Erfahrung
und Praxis. Erfahrung überhaupt in ihren auf Thematik bezogenen Ge­
stalten. Auf dem als P 3 bezeichneten Bl. steht oben am Rande: Beifügung,
Fortsetzung vom 13. 4.1932 (vgl. oben S. 464, Zeile ig). Am Ende des letzten
Bl. steht schliesslich in Bleistift: Abschluss 15. 4 . 1932 . Der Text ist mit Blau-,
Blei- und Grünstift überarbeitet.
461,21 die Ziffer 1) Einf. m. Grünst.; Zunächst ganz allgemein Einf. m.
Bleist. || 462,12 anstatt „angehend" im Ms.: „anzugehen" || 462,18 die
Ziffer 2) Einf. m. Grünst. || 462,34 Randtitel in Blaust., m. Tinte nachge­
zogen || 463,6 seil, nicht und nicht Einf. m. Bleist.; seil, nicht steht an Stelle
eines ausradierten, nicht mehr lesbaren Zeichens |[ 463,17 die Ziffer 3) Einf.
m. Grünst. || 463,25-35 dieser Absatz ist eine Erg. || 463, Anm. Rb. m. Bleist. ||
464,23 nach sozusagen m. Bleist. eingefügt, aber wieder ausradiert: praktisch||
465,32 Randtitel m. Blaust.: Resultante || 465,33ff. Randtitel m. Blaust, zum
folgenden: Veränderungen von selbst und von Subjekten her || 466,16 eige­
nen und fremden Einf. m. Bleist. || 468,10-14 Randtitel m. Blei- und Blaust.,
m. Tinte nachgezogen || 468,19-20 und Anderer Subjektsein Einf. m. Bleist.,
m. Tinte nachgezogen || 468,20 als welche Einf .m. Bleist. || 468,21 anstatt ha­
ben im Ms.: hat || 468, Anm. Erg. || 469,17 nach sie konnte im Ms. noch: nur
||469,26ff. Randtitel: die Welt als Rahmen der Induktionen || 469,34-35 Auf
dem Boden bis sagen Einf. || 470,26 anstatt Handeln im Ms.: handelnd || 471,
31, nach „wende ich mich an ihn" folgender m. Blaust, gestrichener Text: Als
anderes Ich verstanden, ist er für mich Vermögenssubjekt - er kann dahin
und dorthin sehen, er kann dahin und dorthin gehen, das und jenes tun,
zuunterst so schieben, so stossen etc. Ihn als Ich verstehen ist durch Aus­
druck auch schon in einigem Gefühlsreaktionen und auch als praktische
Tätigkeiten verstehen (insbesondere instinktive Tätigkeiten sind früh ver­
standen, wie Essen). Mich an den Anderen Wenden ist Wünschen, dass er
sich so und so verhält, dahin statt dorthin sehe oder gehe, dasselbe angreife
und stosse, das ich stosse, nachdem ich schon im Nebeneinander des zugleich
Stossens die erwünschte stärkere Wirkung bei Erleichterung eigenen
Krafanspannens erfahren habe. Aber nicht bloss Wünschen und auch nicht
bloss Erwarten, dass er entsprechend tue, sondern dass er in unserer Kon­
718 T E X T K R IT ISC H E A NM ERKU NG EN

n e x s itu a tio n in Folge m eines W unsches tu n w erde. || 472,39 Randtitel in


Blaust.: A k t d er M itte ilu n g || 473,3 Randtitel in Blaust. |[ 473,15 anstatt
da- im Als.: d o r t || 4 7 4 ,4 -6 u n d dieses bis Ende des Absatzes Bleist.-V. für
u n d dieses im m er v o ra u sg e se tz te A u sd rü ck en ist d as zum A llgem einen d er
E in fü h lu n g gehörige, d as n och n ic h t M itteilu n g is t || 474,11-12 oder ich
w ünsche bis in sich au fn e h m e n d Erg. |[ 475,13 nach dass er im Ms. noch:
a u f || 476,3 Randtitel m. Blaust. ]| 476,13ff. Randtitel: du, w ir || 4 7 6 ,18ff.
Randtitel in Blaust, zum folgenden: V erg em ein sch aftu n g in R ede un d A n t­
w o rt || 476,30 p rä d ik a tiv e Einf. m. Bleist. ]| 476,30ff. Randtitel m. Blaust.:
b e ja h e n d , v e rn ein en d , u n e n tsc h ie d e n || 477, 6 ff. Randtitel m. Blaust, zum
folgenden: In e in a n d e r a u c h in d e r A b le h n u n g || 477,10 über ich reiche ein
Kreuz m. Bleist., das evtl. Streichung bedeutet || 477,19ff. Randtitel m. Blaust,
zum folgenden: P rä d ik a tiv e U rte ilsv e rg e m ein sch aftu n g || 477,23 nach in ter-
s u b je k tiv e r gestr.: o d e r v ielm eh r so zialer |[ 477, A nm . Rb. m. Bleist. ||
478,22ff. Randtitel m. Blaust, zum folgenden: L üge || 478,36ff. Randtitel m.
Blaust, zu folgenden: S oziale V e rb in d u n g en |[ 478, A nm , Rb. m. Bleist. ||
4 7 9 ,7ff. Randtitel in Blaust, zum folgenden: Soziale H a b itu a litä t. H in e in ­
reich en einer H a b itu a litä t in die an d e re |( 479,22ff. Randtitel in Blaust, zum
folgenden: F o rm e n le h re d e r sozialen V e rb än d e —L eben der sozialen V e rb ä n ­
de. G eschichte |[ 479,34 Datum m. Bleist. am Rande ||

Nr. 30 (S. 480-508)


Der Text der Bl. 6 6 —7 3 , 7 6 - 8 4 und 8 9 - 9 0 des Konvolutes A V 5 (vgl. zu
diesem Konvolut die textkritischen Anmerkungen zu Text Nr. 4 ). Die B l . 6 6 —
9 0 befinden sich in einem Sonderumschlag mit folgender Aufschrift: N ovem ­
b e r-D e z e m b e r 1932. G u t, w ichtige A u sfü h ru n g en . 9-31 U n i v e r s a l e
G e i s t e s w i s s e n s c h a f t a l s A n t h r o p o l o g i e . 1-8 g rü n (vom 1 l.X I.
32), d a s w a r d e r frü h e re A nfang, h erau sg en o m m en . Die Bi. 6 6 - 7 2 und
7 6 - 9 0 sind mit Grünstift bzw. Bleistift von 9 bis 31 durchnumeriert. B. 7 3 ist
ein kleines Einlageblatt, dessen Text oben S. 4 8 9 in der Anm. abgedruckt ist.
Die Bl. 7 4 - 7 5 bilden eine Einlage, die von Husserl auf den 17. A p ril 1933
datiert ist und die oben als Beilage X X X I I I wiedergegeben wurde. Die Bl. 8 5 -
8 8 (von Husserl mit Grünstift durchnumeriert von 25 bis 29) stellen sachlich
einen Exkurs über Substrat und Bestimmung dar und wurden vom Heraus­
geber als Beilage X X X I V veröffentlicht. Mit einigen wenigen anderen Bl.
befindet sich der in dieser Nummer veröffentlichte Text in einem weiteren
Sonderumschlag mit folgender Aufschrift: A b 11.X I .32. U n i v e r s a l e
G e i s t e s w i s s e n s c h a f t a l s A n t h r o p o l o g i e . A uch P a ra d o x ie .
N a tu rw isse n sc h a ftlic h e u n d g eistesw issen sch aftlich -an th ro p o lo g isch e E in ­
stellu n g . W ich tig . - Wie Husserl auf dem inneren Sonderumschlag angibt,
hat er den ursprünglichen Anfang des Textes (die von 1 bis 8 durchnumerier­
ten Bl.) herausgenommen; diese acht Bl. befinden sich jetzt im Konvolut B 1 1 4
{Bl. 75ff.). Sie enthalten einleitende Ausführungen zur Idee der Geistes­
wissenschaft: über Person, Umwelt, intentionale Beziehung und Habe. Sie
sind dort mit einer Serie von anderen Bl. vom Dezember 1 9 3 2 über P a ra d o x ie n
vereinigt, offenbar unter dem Gesichtspunkt, den Husserl auf dem Umschlag
TEX T K R IT ISC H E A NM ERKU NG EN 719

angibt: g e d a c h t als W eg zu r R e d u k tio n . Das erste hier veröffentlichte Bl.


{von Husserl als 9 bezeichnet) beginnt mit folgendem m. Blau- und Bleistift
gestrichenen Text: A lle „ E rk e n n tn is ” u n d ih r Sein, b ew ährtes, w ahres Sein,
is t re la tiv u n d g e h t in dem E rk e n n tn isw illen den W eg d er V ervollkom m ­
n u n g , u n d die ü b erg reifen d h ö h eren V ervollkom m nungsw ege sind die der
v erg em ein sch afteten E rk e n n tn is. D as In te re sse fü r w ahres Sein is t im
p ra k tisc h e n L eben, dem k o n k re t m enschlichen, zw ar im gegebenen F all
v on d e r P ra x is h er b e stim m t, a b e r d a alle P ra x is in ihrem p ra k tisc h e n
In te re sse im p liz ie rt ein In te re sse an d em fü r diese P ra x is re la tiv W ah ren
u n d alle P ra x is zugleich im G em ein sch aftszu sam m en h an g P ra x is ist und
ih r S einsergebnis d a rin s ta n d h a lte n soll, so ist das allgem eine In teresse am
w a h re n Sein ein In te re sse aller u n d k a n n bew u sst w erden als ein solches
In te re sse u n d k a n n d a n n als alle b eso n d ere P ra x is u n d ih r Sein übergrei­
fend a u ch als ein allgem ein th e o re tisc h es In te re sse e rs tre b t w erden und
d a n n im In te re sse aller besonderen P ra x is aller u n d aller besonderen E in ­
z elp rax is u n d b eso n d eren sozial v e rb u n d e n e n P rax is. D as E rg eb n is der
W issen sch aft - in d e r offen u n d fo rtsc h re ite n d sich erw eitern d en zeitlich
g e n e ra tiv e n G em ein sch aft der W isse n sc h aftler — vollkom m enere relativ e
W a h rh e ite n , v o llk o m m en ere E rk e n n tn is im P rogressus der V ervollkom m ­
n u n g . D ie w issen sch aftlich v erb u n d e n e , forschende, w echselseitig sich b e ­
re ic h e rn d e M en sch h eit u n d die au sserw issenschaftlichen M enschen au sser­
h a lb . Nach diesem gestrichenen Text ist mit Blaustift ein Strich horizontal
über das Bl. gezogen, und es folgt der Text, der oben S. 4 8 0 , Zeile 6 ff. abge­
druckt ist. Am Rande steht doppelt unterstrichen in Bleist. der Titel: Sinn
ein er A n th ro p o lo g ie. Die Bl. sind mit Blei- und Blaustift stark überarbeitet
und enthalten Unterstreichungen in Blau-, Blei- und Rotstift.
480,5—6 a ls m ein e H a b e Einf. m. Bleist. || 480,16 nach E rk e n n tn is m.
Blau- u. Bleist. gestr.: (die allgem ein M enschen als M enschenpersonen er­
fo rsc h t, a b e r allh eitlich ) || 481,4 b esch affen Einf. m. Bleist. || 4 81,8-9 von
d e n M enschen bis G em ein sch aften e tc . Erg. m. Bleist. || 481,15 anstatt voll­
k o m m e n ste im Ms.: v o llk o m m en ster |[ 481,22 e n th a lte n d Einf. m. Bleist. ||
482,28 nach M enschen m. Bleist. gestr.: K a n n N a tu r, k a n n irgend etw as
ü b e rh a u p t (auch d e r M ensch) n a c h Sein u n d Sosein an d ers e rk a n n t sein,
<m. Bleist. eingefügt: th e o re tisc h > a n d e rs erfah ren , g ed ach t, ausgew iesen
sein a ls in d e n W eisen, d ie <m. Bleist. eingefügt: th eo retisch e > E rk e n n tn is
a ls solche w esensm ässig v o rsch reib t. G e h ö rt es n ic h t zum W esen jedes
<m. Bleist, eingefügt: th e o re tisc h e n N a tu r - > E rk en n en s, dass es u n d das
E r k e n n tn is s u b je k t <das E rk e n n tn is s u b je k t m. Bleist. verändert in: das
in d e r E rk e n n tn is fu n g ieren d e S u b je k t > im A k tu s des E rk e n n e n s a n o n y m
< anonym m. Bleist. verändert in u n th e o re tisc h > b le ib t u n d e rst n ach k o m ­
m e n d e r R eflex io n zu g än g lich ist? || 482,31 u n d erk en n en d F un g ieren s
Einf. m. Bleist. |[ 482,34—35 in d en th e m a tisc h e n , erk en n en d en G riff b e­
k o m m t Einf. m. Bleist. [| 482,37 fu n g ieren d e Einf. m. Bleist. || 482,38-39 in
d a s T h e m a bis F u n g ie re n Bleist.-V. für die A n o n y m itä t aufgehoben ||
4 8 3 ,1 -2 u n d d ie fu n g ieren d en M itsu b je k te sin d au ch m itb e w u sst Einf. m.
Bleist. || 483,2 n e u en Einf. m. Bleist. || 483,10-11 das alles ist p erso n al k o n ­
s titu ie r t Einf. m. Bleist. || 483,25-26 e in stim m ig n ic h t ist, so n d ern d a ra u f
720 TEX T K R IT ISC H E A NM ERKUNGEN

h in te n d ie rt Bleist.-V. für e in stim m ig ist || 483,28 Anführungszeichen bei


„S eien d es” m. Bleist. || 483,28-29 Ich , das jew eilige Ic h s u b je k t Einf. m.
Bleist. || 4 8 4 ,1 -2 D em n ach a u ch ich Bleist.-V. für So ich ]| 484,1 1-13 Rand­
titel in Blau- u. Bleist. || 484,19 Anführungszeichen bei „ ü b e rn e h m e ” m.
Bleist. || 484,27ff. Randtitel m. Blaust, zum folgenden: N ic h t au f Dinge,
so n d ern auf, w as sie bezeichnen, g e ric h te t sein || 485,8 Anführungszeichen
bei „ a n o n y m ” m. Bleist. || 485,31-33 D as ist bis Ende des Absatzes Einf. m.
Bleist. || 485,38-39 D as M ite in a n d e r bis Ende des Absatzes Einf. m. Bleist. ||
486,2 k o n tin u ie rlic h e n Einf. m. Bleist. j| 486,3 nach Ich leb en m. Bleist.
gestr.: ist an o n y m . D ie p rim o rd iale S p h äre ist es n ich t. || 486,20-21 anstatt
m eines Ich u n d des a n d e re n Ic h im Ms.: m ein Ic h u n d an d eres Ich ||
486,26 in S e lb std e c k u n g Erg. m. Bleist. || 486,34 nach des im Ms. nochmals:
des || 4 87,5-6 Randtitel m. Blaust. || 487,17 anstatt vom Ich im Ms.: zum
Ic h || 487,22 anstatt b in ich d e r im Ms.: zum Ich || 487,23 anstatt v o llzieht
im Ms.: vollziehe [| 489,21 m u n d a n Einf. m. Bleist. || 489,29^490,1 u n d
k o rre la tiv bis in d e r W e lt Erg. m. Bleist. || 489, A nm . Text des kleinen
Einlageblättchens (yj) |l 490,27-29 u n d w ir w echselw eise bis fü r uns beide
Erg. m. Bleist. |[ 490,30-31 im v ollen S inn m u n d a n und m u n d a n Einf. m.
Bleist. || 4 9 1 ,2 -3 im o b je k tiv e n k ö rp e rlich en L eib Bleist.-V. für leiblich ||
491,5 Ich-M ensch Einf. m. Bleist. || 491,19 z u n ä c h st Einf. m. Bleist. || 491,23
V erg eg en w ärtig u n g en Einf. m. Bleist. || 491,27 tra n sz e n d e n ta le n fak tisch en
Einf. m. Bleist. || 491,33ff. Diese Ausführungen ersetzen folgenden m. Blaust,
gestrichenen Text: D ie o b je k tiv e W e lt is t k o n s titu tiv N a tu r fü r jed erm an n ,
z u r N a tu r g eh ö ren o b je k tiv L eib er als L e ib e r fü r S u b jek te. Z u r W e lt ge­
h ö r t m e h r als N a tu r, ih r g ehören a u c h zu M enschen u n d d a n n in w eiterer
F olg e (als eine in te n tio n a le M o d ifik atio n von M enschen) T iere. A b er indem
ich die W e lt als „ o b je k tiv ” erfah re, m it diesem ih r w esen tlich sten Seins­
sinn, erfah re ich als o b je k tiv M enschen. A b er ist es n ic h t ih r in te n tio n a le s
F u n g ieren , d a d u rc h W e lt a lle re rst d e n o b je k tiv e n S einssinn g ew in n t ? H ier
m u ss m a n sich v o r V erw irru n g h ü te n . A lle E rk e n n tn is, die ich je von W e lt­
lichem , v o n D in g en , v o n M enschen g ew inne, v e rd a n k e ich d e r E rfa h ru n g
als erfassen d en , th e m a tisie re n d e n . A b e r E rfa h ru n g s e tz t die schon k o n sti­
tu ie rte W e lt v o ra u s u n d sch o n E rfa h ru n g im an d eren Sinn, d e r u n th e m a ­
tisc h e n E rfa h ru n g , des im m er sch o n v o ran g eh en d en W eltb ew u sstsein s. -
H ie r w ird w ic h tig d a s T h e m a R eflex io n bzw . das T h em a „ A k t” , „ T h em a-
tis ie ru n g ” , d u rc h die d as Ic h a u f e tw as als sein G egenüber g e ric h te t ist,
w ä h re n d dieses S ic h -ric h te n , d a s T h e m a tisie re n u n d d as Ic h se lb st an o n y m
ist. I n d e r k o n s titu tiv e n O rd n u n g t r i t t z u e rst m it d er E in fü h lu n g die re-
fle k tiv e T h e m a tisie ru n g au f, d u rc h die d as Ic h sich a u f sich selb st als Ich
r ic h te t u n d d a n n a u c h a u f sein w eltliches T h em atisieren . <Erg.: D as Ic h ­
s u b je k t d er E rfa h ru n g , d u rc h d ie W e lt b e k a n n t w ird, is t d e r M ensch. > In
d e r P rim o rd ia litä t b e sa g t W a lte n des Ic h im L eib n ic h t R eflex io n au f das
W a lte n . Im W a lte n is t u rsp rü n g lic h d a s Ic h ausschliesslich a u f den L eib
u n d d u rc h ih n n o rm alerw eise p rim ä r a u f ein äusseres O b je k t als (durch
W alten ) w ah rg en o m m en es o d e r p ra k tis c h e s g e rich tet. E in fü h lu n g b ed in g t
R eflex io n u n d die d a m it v o n s ta tte n g eh en d e T h e m a tisie ru n g des eigenen
u n d fre m d e n Ic h als leib lich w a lte n d e n . || 491, A nm . Erg. m. Bleist. ||
T E X T K R IT ISC H E ANM ERKU NG EN 721

492,20 fü r m ich Einf. m. Bleist. || 493,8—1 1 W elt ist fü r m ich bis Ende
des Absatzes Erg. m. Bleist. || 493,15 a k tu e lle r, e n d th e m a tisc h e r Einf. m.
Bleist. || 493,2 1 -2 2 ist bis Ende des Absatzes Einf. m. Bleist. [| 493,28-33
E s ist d er G an g bis „ e x p liz ie rb a r” Erg. m. Bleist. || 493,34 anstatt des im Ms.:
dieser || 493, A nm . Rb. m. Bleist. |J 494,3 1-33 von w a h rn e h m b a ren E in z e l­
re a litä te n zu w a h rn e h m b a re n E in z e lre a litä te n Einf. m. Bleist. || 494, A nm .
Rb. m. Bleist. || 495,13—24 vom Anfang des Absatzes bis Z usam m engehen
m üssen Einf. m. Bleist., m. Tinte nachgezogen || 495,38 a b e r sie k a n n Bleist.-
V. für das k ö n n te || 4 9 6 ,4 -5 In all d em bis „ E rsc h e in u n g e n ” Einf. m.
Bleist. || 4 96,7-13 von S olange ich bis zum N ah en w ird vorerst m. Bleist.
gestrichen, dann die Streichung wieder ausradiert || 496,7 re in Einf. m.
Bleist. || 496,9 fu n g iere ich und k in ä s th e tisc h Einf. m. Bleist. || 496,13-20
Also s tä n d ig bis Ende des Absatzes Einf. m. Bleist. || 496, A nm . Erg. m.
Bleist. || 497,3 k ö rp erlich e Einf. m. Bleist. || 497, A nm . Rb. m. Bleist.
(Seitenzahlen entsprechend angepasst) || 498,24 des A u sd ru ck s als d er M it­
te ilu n g Bleist.-V. für des A u sd ru ck s, d e r M itteilu n g || 498,30 vor D enn die
R ed e im Ms. noch m. Bleist. eingefügt: Z u n ä c h st || 498, A nm . Erg. || 499,8-9
A n d ererseits d ie B e k u n d u n g d u rc h A u sd ru c k von S u b je k te n a n d en Sa­
chen. Einf. m. Bleist., m. Tinte nachgezogen || 499,17-25 Dieser Absatz ist
eine Einf. || 499,26 So lern en w ir v e rste h e n die W e lt als U n iv ersu m Bleist-
V .für W elt, d a s U n iv e rs u m || 499,27 nach E n d lo sig k eit im Ms. noch: d u rc h ||
500,34 im m er Einf. m. Bleist. || 5 0 1 ,1 -2 Anführungszeichen bei „ B e w u sst­
sein sleb en ” m. Bleist.; m ein G eltu n g sleb en Einf. m. Bleist. || 501,16-21
n ä m lic h a u f d em W ege bis Ende des Absatzes Einf. m. Bleist., m. Tinte
nachgezogen || 501,25 u n d jed es Ic h is t Ic h Einf. m. Bleist. || 5 0 1 ,2 8 'fü r
m ich Einf. m. Bleist. || 501,28-29 b in ich m ein er b ew u sst, e rfa h re n d gewiss
als M ensch Einf. m. Bleist. || 501,31 b e w u sst Einf. m. Bleist. |[ 501, 33-502,1
anstatt des Seins fü r u n s M enschen im Ms.: des fü r u n s M enschen Seins;
diese Worte sind eine Bleist.-V. für des m en schlichen Seins |] 501, A nm . 1
Text zwischen eckigen Bleist.-Klammern || 501, A nm . 2 Rb. m. Bleist.
(Seitenzahlen entsprechend angepasst) || 502,27-28 als A k tu s d e r u rsp rü n g ­
lichen E rfa ssu n g un d Kenntn.isna.hme Einf. m. Bleist., m. Tinte nachgezogen ||
502,32-33 u rsp rü n g lic h se lb ste rfa sse n d e r Einf. m. Bleist. || 502,33 anstatt
seinen im Ms.: ih re n || 502,36 anstatt au szu legenden im Ms.: au slegenden ||
503,20—25 v o m A n fan g des A b sa tz bis sp rech en m üssen Einf. m. Bleist., m.
Tinte nachgezogen || 503, A nm . Rb. m. Blaust.: D azu die e x p lizite A us­
fü h ru n g p . 25; die von Husserl als 25, 26, 28 und 29 (die Nummer 27 fehlt)
bezifferten Bl. sind oben in Beilage X X X I V veröffentlicht || 505,2 Schluss des
Textes auf der Vorderseite des von Husserl als 24 bezifferten Bl. (die untere
Hälfte dieser Seite und die Rückseite sind leer; der Text der vier folgenden Bl.
(von Husserl m. Grünstift als 25, 26, 28 und 29 numeriert, die Nummer 27
fehlt) sind in Beilage X X X I V veröffentlicht || 505,20 A n d ererseits h a b e n w ir
Einf.zm.Bleist. || 505, A nm . Rb. m. Bleist., m. Tinte nachgezogen |l 506,34ff.
Randtitel hum folgenden: A u ssc h a ltu n g des A usdrucks, R e d u k tio n au f
p u re N a tu r || 508,2 der Text bricht so mitten auf der Rückseite des letzten Bl.
ab ||
722 TEX T K R IT ISC H E A N M ERKU NG EN

B eilage XXX (S. 508-510)


Der Text der Bl. g-io des Konvolutes A V 4 , aus dem auch die hier folgende
Beilage X X X I sowie die Beilagen X X V , X X V I , X X V I I und X X I X von
Husserliana X I V entnommen sind. Dieses 1 3 7 Bl. umfassende Konvolut,
dessen Gesamtumschlag die Aufschrift trägt: ad A nthropologie. N a tu rw issen ­
sch aft, G eistesw issenschaft ist durch besondere Umschläge in mehrere
Bündel aufgeteilt. Der Sonderumschlag, der die Texte dieser und der folgenden
Beilage sowie noch ein vereinzeltes, hier nicht veröffentlichtes Bl. umschliesst,
enthält folgende Aufschrift: N o v em b er 1932. P ersonales L eben. Soziale V er­
b in d u n g au s w illen tlich er S tiftu n g - au s I n s tin k t - aus S y m p ath ie. D as
T eilnehm en „ S y m p a th ie ” (diese erste Inhaltsangabe bezieht sich auf den in
der Beilage X X X I veröffentlichten Text). —B esch äftig u n g m it Sachen -
B esch äftig u n g m it M enschen (als wie m it S achen u n d als M enschen).
K o n n ex - H em m u n g , Zw ang, W illen sein stim m ig k eit, S tre it (diese zweite
Inhaltsangabe bezieht sich auf den in dieser Beilage veröffentlichten Text). —
Die hier veröffentlichten Bl. g- 1 0 sind m. Blaust, als 1 bzw. 2 numeriert. Sie
weisen keine spätere Überarbeitung auf, enthalten aber zahlreiche Unter­
streichungen in Blau- und Rotstift.
508,41 anstatt bew egen im Ms.: b ew eg t w erden || 509,34 anstatt n u n
d a ru m im Ms.: u n d n u n d a ru m || 509,44 anstatt als d as Ic h im Ms.: als
dem Ic h ||

B eilage XXXI (S. 510-514)


Der Text der Bl. 6 —8 der Konvolutes A V 4 . Diese drei Bl. befinden sich
innerhalb des Konvolutes in demselben Sonderumschlag wie die zwei Bl., auf
denen die vorangehende Beilage X X X fusst {vgl. die textkritischen Anmerkun­
gen dazu). Die drei Bl. sind m. Bleist. von 1 bis 3 durchnumeriert. Das erste
Bl. trägt in Bleist. das Datum N o v e m b e r 1932 und in Blaustift die Inhalts­
angabe: Soziale V erb in d u n g - gem eine Zw ecke - aus w illen tlich er S tiftu n g ,
soziale V erb in d u n g u rsp rü n g lic h e r au s In s tin k t, aus S y m p a th ie u n d w ieder
a u f G ru n d d a v o n ev tl, w illen tlich . —Die Bl. sind leicht m. Bleist. überarbeitet
und enthalten Unterstreichungen in Blau-, Blei- und Rotstift.
510,22-24 Titel nach der Aufschrift auf dem Sonderumschlag || 511,22 nach
die im Ms. noch: w ird || 512,36 a k tiv e n Einf. m. Bleist. [| 512,37 d a ru n te r
die S ch ich te Bleist.-V. für d ie ; nach U m w elt h a b e n m. Bleist. gestr.: oder
besser || 512,39 als p ra k tisc h e s Ic h Einf. m. Bleist. (| 512,41 w en n ich bloss
E in fü h lu n g vollziehe Einf. m. Bleist. || 512,42 a k tiv e s V e rh a lte n Einf. m.
Bleist. || 512, A nm . Rb. m. Bleist. || 513,3 a b e r a u ch Einf. m. Bleist. ||

B eilage XXXII (S. 514-518)


Der Text der Bl. 1 7 8 - 1 8 0 des Konvolutes E I 4 {vgl. zu diesem Konvolut
den Abschnitt ,,Zur Textgestaltung” , oben S. 6 7 j). Diese drei, mit Grünstift
von 1 bis 3 durchnumerierten Bl. befinden sich innerhalb des Konvolutes in
einem Sonderumschlag, der folgende Aufschrift trägt: N ov em b er-D ezem b er
1932. E in fü h lu n g u n d E rin n e ru n g . Am Rande des ersten Bl. steht nochmals:
T EX T K R IT IS C H E A NM ER K U N G EN 723

E in fü h lu n g u n d E rin n e ru n g . Der Text ist m. Bleist. überarbeitet und ent­


hält zahlreiche Unterstreichungen in Blau- und Bleistift.
514,28 anstatt d u rc h die im Ms.: d u rc h den || 514,35 nach L eb en gestr.:
q u asi 1| 514,36—37 W ied erv erg eg en w ärtig en un d tä tig „ W ie d e rh o len ” V. für
W iederholen || 514, A nm . Rb. j| 515,3 V erg eg en w ärtig u n g V. für W ieder­
h o lu n g || 515,41-516,1 o n tisc h Einf. m. Bleist. ]| 515, A nm . Rb. || 516,28-29
als o rig in al eigene Einf. m. Bleist. || 516,33 ak tu e ll Einf. m. Bleist. j| 516,38-
517,11 von d erselb e bis Ende des Absatzes Einf. m. Bleist., m. Tinte nach­
gezogen || 516, A nm . Erg. || 5 1 7 ,2 -4 anstatt w obei einzelne R ealien dieselben
sind, teils u n v e rä n d e rt n o ch v e rh a rre n d , teils v e rä n d e rt noch v e rh a rre n d
im Ms.: w obei einzelne R ealien teils dieselben sind u n v e rä n d e rt noch v e r­
h a rre n d , teils v e rä n d e rt n och v e rh a rre n d || 517,12 w ach Einf. m. Bleist. ||
517,40 vor eine M o d ifik atio n im Ms. noch: so n dern || 517,41 nach A k tiv itä t
ist gestr.: D as je tz t a k tiv e Ic h a k tiv ie r t d as verg an g en e a k tiv e Ic h als d as­
selbe Ic h , d as a k tiv w ar. ||

B eilage XXXIII (S. 518-520)


Text der beiden Bl. 7 4 - 7 5 des Konvolutes A V 5 . Diese beiden Bl. tragen
das Datum 17.4.33 und sind in den Text vom N o v em b er-D ezem b er 1932 ein­
geschoben, der in den vorangehenden Nr. 3 0 veröffentlicht ist [vgl. die text­
kritischen Anmerkungen zu dieser Nummer). Sie liegen im Ms. nach dem
von Husserl mit der Ziffer 15 bezeichneten Bl., dessen Text in dieser Ausgabe
oben S. 4 9 0 , Zeile 3 6 endet. Die beiden Bl. weisen keine Spuren einer späteren
Lektüre auf.

B eilage XXXIV (S. 520-525)


Der Text der Bl. 8 5 - 8 8 und 9 2 des Konvolutes A V 5 . Die Bl. 8 5 —8 8 sind
mit Grünstift als 25, 26, 28 und 29 [ein Bl. 27 war wohl nie vorhanden) be­
ziffert und gehören in den Zusammenhang der Bl., welche in der vorangehen­
den Nr. 3 0 veröffentlicht sind [vgl. die textkritischen Anmerkungen zu dieser
Nummer). Sie bilden in diesem Zusammenhang einen Exkurs, der im Ms.
dem Text vorangeht, der oben S. 5 0 5 , Zeile 3 ff. abgedruckt ist. Das Bl. 9 2 liegt
am Schlüsse des ganzen Ms. vom N o v e m b e r-D e ze m b e r 1932 und wurde wohl
gelegentlich derselben Durchsicht geschrieben, in der die beiden Bl. der voran­
gehenden Beilage X X X I I I entstanden sind [1 7 . April 1 9 3 3 ). Während dieses
letzte Bl. [abgedruckt oben S. 5 2 4 , Zeile 3 ff.) keinerlei Spuren einer späteren
Lektüre aufweist, sind die vier anderen Bl. mit Blei- und Blaustift über­
arbeitet und enthalten Unterstreichungen in Blau-, Blei- und Rotstift.
520,14—21 Zusammenstellung der verschiedenen Randtitel m. Blaust. ||
522,6-7 in w e ite re r F olge Einf. m. Bleist. || 522,31-32 also au f m e h rh e it­
liche bis M eh rh eiten ) Einf. m. Bleist. || 523,6 W ir w ollen d as noch anders
a u sd rü c k e n Bleist.-V., m. Tinte nachgezogen, für A b er w ir k ö n n en in der
A b so lu th e it d e r S u b s tra te n och ein en S c h ritt w eiter gehen || 523,11 A kzi­
d e n te lle Einf. m. Bleist. || 523,12 N o m e n -S u b sta n tiv u m Einf. m. Bleist. |[
523,17 nach E rfa h ru n g m. Blei- u. Blaust, gestr.: F reilich w ü rd e dieser
U n te rsc h ie d sich au fh eb en , w en n d ie E rfa h ru n g zu u n en d lich er E rfa h ru n g
724 T EX TK R ITISC H E A NM ERKU NG EN

zu erw eitern w äre u n d in d e r M öglichkeit u n en d lich er E rfa h ru n g von


K ö rp erlich k eit läge, dass je d e r einzelne K ö rp e r sich ,.a u flö ste ” in eine
M e h rh e it in in fin itu n i - w enn d a s eben d e n k b a r ist. ][ 523,41-42 anstatt
E in real Seiendes, eine endliche reale M ehrheit im Ms.: E in e endliche, ein
re a l Seiendes, reale M eh rh eit j| 523,43-44 anstatt ih rer V erän d eru n g en im
Ms.: seiner V erän d eru n g en || 524,24-25 anstatt ihre S ondererfüllungen im
Ms.: seine S o n d ererfü llu n g en || 524,39-40 anstatt E n d e x p lik a t im Ms.:
E n d e x p lik a tio n ||

Nr. 31 (S. 526-556)


Der Text der Bl. 4 -7 und 9 - 2 5 des Konvolutes E I 5 , dem auch die Beilagen
X X X V , X X X V I, X X X V I I und X X X V I I I des vorliegenden Bandes ent­
nommen sind. Dieses 3 J Bl. zählende Konvolut wird von einem doppelten
Gesamtumschlag umschlossen, dessen Aufschriften in Blaustift und Bleistift
laviten: F e b ru a r 1933. P rim o rd ia l. O riginal eigene W ah rn eh m u n g , eig en t­
liche W a h rn e h m u n g {auf der zweiten Seite des Doppelumschlages). E I 5,
P rim o rd ia litä t, R e d u k tio n a u f P rim o rd ia litä t {auf der ersten Seite des
Doppelumschlages). - Die Bl. 4 —y sind nochmals von einem besonderen
Umschlag {Bl. jf 8 ) umfasst, in dem sich ursprünglich wohl noch weitere Bl.
des Konvolutes befanden {der Text des Bl. 7 geht kontinuierlich auf Bl. 9 über)
und der in Bleistift die Aufschrift trägt: 26.11.33. R e d u k tio n a u f P rim ­
o rd ia litä t. Die Bl. 4—7 und 9 - 2 5 sind mit Blaustift kontinuierlich von 1 bis 21
durchnumeriert. Auf dem ersten dieser 2 1 Bl. steht in Bleistift das Datum
26.11.33, auf dem neunten Bl. {siehe oben S. 5 3 8 ) in Bleistift das Datum
28.11.33. Die Bl. sind zweifach überarbeitet: das erste Mal mit Tinte, das
zweite Mal mit Bleistift. Auf dem ersten Bl. findet sich die Bleistiftnotiz:
Z w eite Ü b e ra rb e itu n g , die auf diese zweite Bleistiftüberarbeitung hinweist.
Schon die erste {Tinten-) Überarbeitung die evtl, gleich nach der Abfassung
angebracht wurde, bringt einen wesentlich neuen Gedanken an den Text heran.
Dieser neue Gesichtspunkt wurde von Husserl auf der Rückseite des dritten
Bl. notiert {oben wiedergegeben in der Fussnote auf S. 5 3 0 ). In der vorliegen­
den Ausgabe wurden die Überarbeitungen vom ursprünglichen Text abgehoben
und in den Fussnoten wiedergegeben.
526,9-11 Randtitel || 526,14 anstatt w orin im Ms.: w as || 527,1 anstatt von
ih m im Ms.: von m ir [| 528,11 anstatt g e b ra c h t w erd en k a n n im Ms.:
b rin g e n k ö n n en || 529,17-18 im E rleb en d as d a rin E rle b te als solches und
cog ito u n d c o g ita tu m Einf. m. Bleist. || 530,2 nach z u m gestr.: p rim o rd ialen
u n d |[ 530,5-6 Randtitel |[ 530,10 a b so lu te Einf. m. Blaust. j| 530, A nm . 1
Notiz auf der Rückseite des als 3 bezifferten Bl. || 530, A nm . 2 Rb. || 531,
A nm . 1 u. 2 Rb. |[ 532,6 ausschliesslich Einf. m. Bleist. || 532,12 anstatt in
d en en im Ms.: in d e r || 532, A nm . 1-3 Rb. || 534,1-2 v o n m ir in G e ltu n g
gesetzes Sein m. Bleist. kritisch angestrichelt || 534,3-6 d en S einssinn bis
in n a iv e r W eise h a b e m. Bleist. verändert in: d en S einssinn „ W e lt fü r a lle ”
e rs t a u f d em W ege ü b e r d ie in m ir vollzogene S ein sg eltu n g A n d erer z u ­
s ta n d e k o m m t, als die W elt, d ie ic h s tä n d ig in n a iv e r W eise h ab e. || 534,13
als d asjen ig e Einf. m. Bleist. || 534, A nm . 1-2 Rb. m. Bleist. || 535,7 das
T EX T K R IT ISC H E A NM ERKUNGEN 725

Stenogramm f ür ric h tig zu ist im Ms. ausradiert, es ist nicht mehr eindeutig
lesbar; es könnte evtl, auch sich er zu gelesen werden [( 535, A nm . 1 Verände­
rung und Rb. m. Tinte, Streichung m. Blaust. || 535, A nm . 2 Einf. m. Bleist. ||
535, A nm . 3 Streichung m. Blaust. || 536,17 (was n ic h t gerade sogleich ge­
sch eh en muss) Einf. || 536,27 also Einf. || 536,28 tra n sz e n d e n ta le n Einf. ||
536, A nm . 2 Rb. || 536, A nm . 3 Streichung m. Blaust. |[ 536, A nm . 4 Einf. ||
537,23 anstatt zu riick k eh ren im Ms.: z u rü c k k e h ren d || 537,27-28 u n d zw ar
bis Ende des Absatzes Einf. || 537, A nm . Erg. m. Bleist. ]| 538,1 Datum m.
Bleist. II 538,2^1 Randtitel m. Blaust. || 538, A nm . 1-2 Einf. m. Bleist. ||
538, A nm . 3 Einf. m. Bleist., m. Tinte nachgezogen || 539, A nm . 1-2 Einf.
m. Bleist., m. Tinte nachgezogen || 540,30-31 v o rd em ano n y m en , u n th e m a -
tisc h e n Einf. m. Bleist. || 540, A nm . Einf. m. Bleist. |[ 541,23-25 dieses
G eb ild e bis d as d a d u rc h V. für d e r Ic h d erselb e wie d e r des tra n sz e n d e n ­
ta le n Seins ist, a b e r ]| 541,28 N ic h t d e r p u re Ich p o l, dieser ist etw as A b ­
s tr a k te s V. für D e r p u re Ic h p o l ist e tw as A b s tra k te s [[ 541,30-31 u n d d em
g an zen k o n k re te n U n te rg ru n d seines B ew u sstsein sstro m es Einf. m. Bleist.||
541,3 1 -3 5 A p p e rz ip ie rt bis G e s ta lt V. für A p p e rz ip ie rt ist er h ier als
m en schliches Ich , d .i., e r h a t eine b esondere re la tiv e K o n k re tio n als v e r­
h a rre n d e r P o l d e r p a ssiv e n u n d a k tiv e n B ew usstseinsw eisen u n d des ge­
schlossenen S y stem s v o n H a b itu a litä te n || 542,1 ab so lu te V. für volle ||
542,8 nach se lb st im Ms. m. Bleist. gestr.: in R e la tiv itä t |] 542,11-19 E s ist
d erselb e P o l bis wie bei allem W eltlich en im Ms. zwischen eckigen Bleist.-
Klammern und teilweise m. Bleist. leicht gestrichen || 542,28 nach ist im Ms.
m. Bleist. gestr.: se lb st || 542,31 nach D as im Ms. m. Bleist. gestr.:
eb en G esag te || 543,20-21 Randtitel m. Grünst. || 543,36 Anführungs­
zeichen bei ,,R e f le x iv itä t” m. Grünst.; anstatt Sie im Ms.: Sich || 545,6
tra n s z e n d e n ta le E p o c h e ü b e n d und tra n s z e n d e n ta le Einf. || 5 4 5,8-9 die
stä n d ig e bis V o ra u sse tz u n g Einf. || 545,25—28 H ö r t m a n bis W id ersin n
Einf. || 545,34 Ic h u n d Einf. m. Bleist. || 546,18—19 A ber n u n k o m m en
S chw ierig k eiten Einf. m. Blaust. || 546, 20 Randtitel m. Blaust. || 547,14 als
g elte n d e Einf. m. Bleist. || 547,1 8 -1 9 U n d von d er tra n sz e n d e n ta le n E in ­
ste llu n g aus m u ss ich w e ite r sag en Einf. m. Bleist. || 547,23 in m ein er E r ­
k e n n tn isw e lt Einf. m. Bleist. |[ 547, A nm . Erg. m. Bleist. || 548,9 M om en­
ta n e rsc h e in u n g Einf. m. Bleist. || 548, A nm . 1 Streichung m. Bleist. (Bleistift­
streichung wieder ausradiert) und Grünst. |[ 549,7 N e u a n fa n g Randtitel m.
Bleist. || 549,15-21 N ic h t so a b e r bis e n th ü llte ist eine V. für folgenden z.T.
ausradierten und daher nicht mehr sicher lesbaren Satz: u n d n ic h t is t (ist
nicht mehr deutlich lesbar) es a u f d en B o d en im m e rfo rt vorgegebener W elt,
bei s tä n d ig vo rg eg eb en er L e ib lic h k e it u n d N a tu r, als d as im L eib o b je k ­
tiv ie rte Seelenleben, als W e ltb e w u sstse in u n d W e lte rk e n n tn is speziellen
S innes e n th ü llte . || 551,22 nach m ein er im Ms. noch: e v tl. ]| 552,19 vor D iese
wird eine eckige Bleist.-Klammer geöffnet, die aber im weiteren nicht ge­
schlossen wird || 552,26 anstatt co g ita tio n e s im Ms.: cogit || 553,17-18 d er
p sy chologische E rk e n n tn is th e o re tik e r, e v tl, d er in te n tio n a le P sychologe
Einf. m. Bieist. || 553,24 M ensch Einf. m. Bleist. || 554,19 allgem einen Einf.
m. Bleist. || 554,25 z.B . Einf. m. Grünst. || 555,23 anstatt vo n jed em d er
a n d e re n im Ms.: v o n je d e m des einen || 555, A n m . der angegebenen Stelle
zugeordnete Rb. ||
726 T EX TK R ITISC H E A NM ERKU NG EN

B e ila g e X X X V (S. 556-557)


Der Text des Bl. 2 6 des Konvolutes E I 5 . Dieses einzelne Bl. folgt im
Konvolut unmittelbar den 2 1 BL, die i 7i der vorangehenden Nr. 3 1 veröffent­
licht sind {vgl. die textkritischen Anmerkungen dazu). Das Bl. beginnt mit
folgendem, m. Blaustift gestrichenen Text: D ie S u b je k tiv itä t - ich der W elt
b e w u sst: d er M itsu b je k te bew usst, ich d er von m ir sinnlich e rfa h rb a re n
N a tu r bew usst als d erselb en W elt, die die m ir bew ussten A n d eren in dem
m ir v e rstä n d lic h zug än g lich erfah ren d en L eb en au ch bew usst h ab en . Ich
m eines Leibes w ah rn eh n iu n g sm ässig als S einseinheit bew u sst; der A ndere
als d e r seines L eibes, dieser fü r m ich u n d fü r alle sonstigen A n d eren ein
id en tisch es individuelles N a tu ro b je k t. So wie je d e r Leib, so m ein L eib fü r
alle in d er g em einsam en N a tu r in ih re r N a tu rz e it. D ie S u b je k tiv itä t, wir
h a b e n die eine u n d selbe W elt bew usst, je d e r h a t seinen in d iv id u ellen
L eib, er ist fü r alle bew u sst, fü r alle in Seinsgeltung, so je d e r K ö rp er.
Dieses Bl. wurde wohl nicht lange vor den 2 1 BL, also vor dem 2 6 . Februar
I 933 verfasst. Es ist mit Tinte überarbeitet und enthält zahlreiche Unter­
streichungen mit Rot- und Blaustift.
556,16-17 I n d iv id u a litä t d er K ö rp er bis In d iv id u a litä t der S u b je k te
Einf. || 556,24 nach fü r m ich u n d u n s im Ms. gestr.: tra n s z e n d e n ta l ||
556,30 Ziffer 1) m. Rotst. || 556,40-557,3 n u n a b e r a u ch bis W a h rn e h m u n ­
gen Einf. || 557,1 1 Ziffer 2) m. Rotst. || 557,17 p rim o rd iale Einf. || 557,17-18
G em ein sch aft bis Ic h s u b je k te Erg. ||

B e ila g e X X X V I (S. 557-559)


Der Text der beiden BL 27 u. 2 8 des Konvolutes E I 5 . Diese beiden BL
folgen im Konvolut dem BL, das in der vorangehenden Beilage X X X V ver­
öffentlicht ist {vgl. die textkritischen Anmerkungen zu dieser Beilage sowie zu
Text Nr. 3 1 ). Sie tragen keine Numerierung oder besondere Bezeichnung,
enthalten aber einen kontinuierlichen Text. Das erste BL ist mit D ie p rim o rd i­
ale R e d u k tio n überschrieben. Sie dürften aus der ersten Hälfte der dreissiger
Jahre stammen. Ihr Text ist nicht überarbeitet, aber an einigen Stellen mit
Blei- und Rotstift unterstrichen.
558,4 anstatt b ew u sst is t im Ms.: b ew u sst h a t ||

B e ila g e X X X V II (S. 559-560)


Der Text des BL 2 g des Konvolutes E I 5 . Dieses vereinzelte BL folgt im
Konvolut den beiden BL, die in der vorangehenden Beilage X X X V I abge­
druckt sind {vgl. die textkritischen Anmerkungen zu dieser Beilage sowie zu
Text Nr. 3 1 ). Es trägt keinerlei Bezeichnung und dürfte zur selben Zeit ent­
standen sein wie die beiden vorangehenden BL: erste Hälfte der dreissiger
Jahre. Nur eine Bleistiftstreichung könnte darauf hinweisen, dass Husserl
das BL später nochmals gelesen hat.
559,15 auf diesen Absatz folgt ein zwischen eckigen Klammern stehender
und gestrichener Text: Ic h in d o p p eltem S in n : Ic h als k o n k re te s Ic h u n d Ic h
als Ich p o l, als a k tiv e s Ic h , als Ic h d er V erm ö g lich k eit u n d T ä tig k e it. D as
T E X T K R IT ISC H E A N M E R K U N G E N 727

k o n k re te Ich d a s spezifische Ic h d er A k te u n d V erm ögen m it allem , w as


von ih m u n tre n n b a r ist in sein er u ro rig in alen S elb sterfah ru n g . || 559,34
nach au sm ach en m. Bleist. gestr.: u n d in d en en sich m eine im m a n e n te Z eit
selb st k o n s titu ie rt || 559,40-560,10 im U rm o d u s d e r E v id en z bis d e r A n ­
d ere ist Einf. || 560,12 nach W ie d e re rin n e ru n g gestr.: d arin , dass d e r B e­
w ä h ru n g szu sam m en h an g dieser E v id e n z zw ar k o n tin u ierlich z u rü c k fü h rt
auf die stän d ig e u rm o d a le W a h rn c h m u n g sg eg en w art, in w elcher ich fü r
m ich selber in U ro rig in a litä t bin, a b e r |

B eilage XXXVIII (S. 560-561)


Der Text des Bl. 3 0 des Konvolutes E I 5 . Dieses Bl. folgt im Konvolut dem
Text der Beilage X X X V I I {vgl. die textkritischen Anmerkungen zu dieser
Beilage sowie zum Text Nr. 3 1 ). Dieses vereinzelte BL, dessen Rückseite nur
zur Hälfte beschrieben ist, trägt die Bleistiftbezeichnung A i. Es dürfte aus
derselben Zeit stammen wie die anderen Bl. des Konvolutes: erste Hälfte der
dreissiger Jahre. Der Text ist nicht überarbeitet, eine Stelle ist mit Rotstift
unterstrichen.

B eilage XXXIX (S. 561-563)


Der Text der Bl. 2 2 —2 3 des Konvolutes B I I 1 3 . Die verschiedenen kurzen
Texte dieses 2 6 Bl. zählenden Konvolutes stammen alle aus der ersten Hälfte
der dreissiger Jahre. Der Gesamtumschlag trägt folgende Aufschrift in Blei­
stift: T ra n sz e n d e n ta le R e d u k tio n , ego. Die beiden Bl. 2 2 u. 2 3 sind mit Blei­
stift als 1 und 2 beziffert und liegen zusammen in einem Sonderumschlag, der
in Blaustift folgende Angaben trägt: I n m ir ausschliesslich k o n s titu ie rte
W elt, b e d e u te t d as S olipsism us ? A n d e re r S o lip sism u s: a b so lu t seiende u n d
so litä r seiende p rim o rd ia le „ W e lt” . H ö h len w elt. Das erste Bl. trägt in
Bleistift das Datum: F e b ru a r o d er M ärz 1933, das zweite Bl. ebenfalls in
Bleistift das Datum: F e b r u a r 1933. Die beiden Bl. sind leicht mit Bleistift
überarbeitet und enthalten Unterstreichungen in Blei- und Rotstift.
561,24 a m F a k tu m Bleist.-V. für v o m F a k tu m |] 561,28 nach g e b ra c h t
m. Bleist eingefügt: u n d || 562,10 Rb. m. Bleist.; a d Id e e n || 562,14—15 Zwei­
erlei P ro b lem e des S olipsism us Randtitel ]| 563,10 nach K a ste n w e lt m.
Bleist. eingefügt: A b e r zu b e a c h te n is t ||

B eilage XL (S. 563-573)


Der Text der Bl. 3 4 - 4 0 des Konvolutes K I I I 1 6 , dem auch die Beilage
X I I I von Husserliana VI entnommen ist. Dieses yo Bl. zählende Konvolut
besteht aus drei Teilen: Der erste, wohl aus 1 9 3 6 stammende und die Bl. 1 —3 1
umfassende Teil handelt nach der Aufschrift auf seinem Umschlag über
G eo m etrie u n d L eb en sw elt, Id ealisieru n g . Der zweite Teil, dem der Text der
vorliegenden Beilage entnommen ist, wird durch die Bl. 3 2 —5 1 gebildet und
dürfte aus 1 9 3 5 stammen. Der dritte Teil schliesslich ist das V o rw o rt zu r
F o rts e tz u n g der Krisis {Husserliana VI, Beilage X III). Der zweite Teil
enthält zwei Texte, die durch Inhaltsangaben auf seinem Umschlag Charakteri­
728 T E X T K R IT IS C H E A N M E R K U N G E N

siert sind. Die auf den hier veröffentlichten Text bezügliche Inhaltsangabe ist
oben S. 56 3 f. abgedruckt; auf den anderen Text bezieht sich folgende Angabe:
D arin auch N otizen ü b e r arg u m en tieren d es D en k en . Diese, den hier ver­
öffentlichten Bl. folgenden N otizen sind von Husserl auf 1935 datiert; auch
ein unserem Text voranliegendes Bl. enthält auf seiner Rückseite bibliogra­
phische Neuerscheinungen aus den Jahren 1 9 3 4 und 1 9 3 5 , so dass der ganze
zweite Teil des Konvolutes, der hier veröffentlichte Text inbegriffen, auf 1 9 3 5
datiert werden darf. Die Bl. 3 4 - 4 0 sind m. Bleist. von I bis VI durchnumeriert;
auf das als III bezeichnete Bl. folgt ein Bl. l i l a . Die Bl. sind mit Bleistift
überarbeitet und enthalten Unterstreichungen in Blau- und Rotstift.
563,41-42 selbsteigene bzw. selbsteigenes V. für originale bzw. o rig in a le s;
das Wort ureigene ist eingefügt || 563,43-44 ureigenes bzw. m ir ureigenes bzw.
m ein er d ire k te n , selbsteigenen V. für originales bzw. originaler ]| 564,1
selbsteigenem V. für o riginalem || 564,1-3 S elbsteigen bis Ende des Ab­
satzes wohl eingefügt ]| 564,4 selbsteigenen, p rim o rd ialen V. für o riginalen ||
564,5 n a c h a ll d en O rig in a litä te n Einf. || 564,6 einzigen S elb steig en h eit
V. für einzig m ein en O rig in a litä t || 564,7 S elb steig en h eit bzw. selb st bzw. vo n
m ir se lb st V. für O rig in a litä t bzw. o rig in al || 564,8-9 D inge ein m al bis
selbsteigene D inge V. für D inge ein m al m ein e (durch m einen originalen
L eib als u ro rig in ale H abe) originale H a b e || 564,25 nach diesem Absatz folgt
ein m. Blei- u. Blaustift gestrichener Text: N o ch n ic h t die w eitere R eflexion
a u f die tra n sz e n d e n ta le S u b je k tiv itä t, au f d a s tra n sz e n d e n tale ego, ich in
le tz te r Ich reflex io n , u n d au f die v o n m ir, diesem Ic h aus erö ffneten
H o riz o n te d e r tra n sz e n d e n ta le n A nderen u n d d a n n w ieder die E in ste llu n g
a u f die tra n sz e n d e n ta le A lls u b je k tiv itä t |[ 564,33 nach Ic h dringe in den
H o riz o n t ein m. Bleist. u. Tinte gestr.: (ich d as dabei F u n g ieren d e u n d
A n o n y m e b in d as tra n sz e n d e n ta le Ich, a b e r n ic h t fü r m ich seiend g elten d
als das, solange ich n ic h t p h än o m en o lo gisch re d u k tiv e E in ste llu n g ge­
n o m m e n habe) || 564,33-34 z u n ä c h st p ra k tis c h bis In teresse Einf. m.
Bleist. |l 564,36-38 Randtitel || 565,20 W a h rn e h m u n g Einf. m. Bleist. ||
565,31ff. Randtitel m. Bleist.: I n d e r W e lt leb en d L ebensw elt h a b e n ||
565,42—47 D azu g e h ö rt bis Ende des Absatzes im Ms. zwischen eckigen
Bleist.-Klammern || 566,3 schon u n m itte lb a r Einf. m. Bleist. || 5 66,6-7 als
E rw e rb Einf. m. Bleist. || 566,9-10 sein er schon erw orbenen Einf. m.
Bleist., m. Tinte nachgezogen || 566,11-13 gem äss Zw ecken bis h a b e n w ird
Einf. m. Bleist., m. Tinte nachgezogen || 5 6 6,15-17 Randtitel || 566,21-22 aus
d e r erw orbenen H a b e M aterialien m ö g licher A rb e it Erg. m. Bleist., z.T.
mit Tinte nachgezogen; anstatt au s im Ms.: au sser || 566,26-27 A ussen-
h o riz o n t Bleist.-V. für H o riz o n t || 566,33 Rb. m. Bleist.: siehe u n te n m ein
o rig in a le r L eib || 566, A nm . Rb. || 567,1—3 Randtitel || 567,19 m in d esten s in
einem B e s ta n d Einf. m. Bleist., m. Tinte nachgezogen || 568,1-2 Randtitel ||
569,44 anstatt w ie die Z ueignung im Ms.: w ie v o n der Z ueignung || 5 6 9 ,4 6 -
47 a u c h wie d a n a c h bis b e stim m t w ird etc. Erg. || 5 7 0 ,3 -4 in te rs u b je k tiv
v e rm itte lte n Einf. m. Bleist., m. Tinte nachgezogen || 570,5 persö n lich Einf.
m. Bleist., m. Tinte nachgezogen || 570,17—19 w enn w ir bis einstellen Einf. ||
570,20 als so lch er P sychologe Einf. || 570,21 vo n in n en Einf. |l 570,28
le iste n d e n S u b je k tiv itä t u n d ih re r Einf. || 570, A nm . 1 Erg. m. Bleist., m.
TEX T K R IT ISC H E A NM ERKU NG EN 729

Tinte nachgezogen jj 571, A nm . 2 Rh. || 5 7 1,6-8 ist d a m it bis u n d h ab e im


Ms. zwischen eckigen Klammern || 571,1 3 -19 D an ach e n td e c k t bis Ende des
Absatzes Erg. m. Bleist., ni. Tinte nachgezogen || 571,20 Anführungszeichen
bei „ re in e ” m. Bleist. || 571,22 p rim o rd iale S elb stg eg eb en h eit in Einf. !|
571,24-25 w as ich m ir selb st p rim o rd ia l erw orben h a tte Einf. m. Bleist.,
m. Tinte nachgezogen || 571,38-572,2 einer u n iv ersalen bis Ende des Absatzes
Einf. || 572,21 anstatt aus im Ms.: a u f || 572,25 nach g e h ö rt sie m ir au ch
gestr.: u n d jen es rein e Ich , d as rein es K o rre la t der re d u z ie rten p rim o rd ialen
W elt is t || 572,29 also in d e r n eu en E in ste llu n g Einf. || 572, A nm . Erg. ||

N r. 32 (S. 574-579)
Der Text der Bl. 1 0 1 - 1 0 3 des Konvolutes C 1 6 , aus dem auch die Beilagen
X X und X X I des vorliegenden Bandes stammen (vgl. zu diesem Konvolut die
textkritischen Anmerkungen zu Beilage XX). Die drei Bl. 1 0 1 - 1 0 3 befinden
sich mit sechs weiteren (1 0 4 -iog) innerhalb des Konvolutes in einem Sonder­
umschlag mit folgender Aufschrift: 1933, R e p ro d u k tio n sz e it. M ai 1933, 3
B lä tte r u n d 1 einzelnes B la tt (der Vermerk 1 einzelnes B la tt wurde mit Blei­
stift verändert zu 3 einzelne B lä tte r). Es folgt dann die Inhaltsangabe, die
oben S. 5 7 4 , Zeile 8 bis S. 5 7 5 , Zeile 1 6 abgedruckt ist. Während sich diese
Inhaltsangabe auf die von Husserl vermerkten und in dieser Nummer wieder­
gegebenen 3 B lä tte r bezieht, folgt auf dem Sonderumschlag anschliessend noch
ein Inhaltshinweis auf jenes einzelne B l a t t (Bl. 1 0 6 ): 1 B la tt: E r s t k o n s titu ­
ierte - u n iv e rsa l v e rtra u te , all v e rstä n d lic h e W elt, d e r v e rtra u te n A ll­
p e rso n a litä t, e rste E in fü h lu n g . I n zw eiter S tu fe die F re m d e : je d e r A ndere
ü b e rh a u p t u n d A n d e re r ein er fre m d e n M enschheit. D o p p elte E in fü h lu n g
e n tsp re c h e n d d em D o p p elsin n v on „ fre m d ” u n d v o n „ je d e rm a n n ” als
K o rre la t zu „ W e lt” - versch ied en e S tu fe n der H o riz o n tb ild u n g u n d B il­
d u n g v o n A llh o rizo n ten . - Das erste der drei Bl. (1 0 1 — 1 0 3 ) trägt in Bleistift
das Datum M ai 1933. Die drei Bl. sind mit Tinte und Bleistift überarbeitet
und enthalten zahlreiche Unterstreichungen in Blei-, Blau- und Rotstift.
575,26-27 geistige B e d e u tu n g Einf. m. Bleist. || 575,38 v e rg eg en w ärtig ­
te s Bleist.- V. für v erg eg en w ärtig en d es || 577,19 in d er k o n s titu ie rte n S tro m ­
zeit Einf. || 5 7 7 ,2 0 -2 4 A lles G ezeitig te bis d a u e rt n ic h t Einf. || 577,36 nach
E x te n sio n gestr.: J e d e s Ic h is t zugleich - a k tu e ll in d er E in fü h lu n g - m it
seinem a n d e re n , a u c h „ i n ” ihm , a b e r n ic h t in ex ten siv em A u sserein an d er ||
577,36-578,7 A b er als ste h e n d e s bis Ende des Absatzes Einf. || 577, A nm .
Rb. m. Bleist. || 578,8-11 Randtitel || 578,38 Anführungszeichen bei „ in te n ­
tio n a le n ” m. Bleist. || 579,3 u n d sin d Einf. || 579,14 Es folgt ein m. Bleist.
gestrichener Text über Geburt und Tod, auf den sich auch der Bleist.-Vermerk
bezieht: U n sin n ||

N r . 33 (S. 580-588)
Der Text der Bl. 1 1 3 —1 2 1 des Konvolutes B I I 7 , aus dem auch der Text Nr.
21des vorliegenden Bandes stammt (vgl. die textkritischen A nmerkungen dazu).
Die Bl. 1 1 3 —1 2 1 befinden sich zusammen mit den Bl. 1 2 2 —1 3 8 in einem
Sonderumschlag mit folgender Aufschrift: R e p ro d u k tio n sz e it. Epoch. 6.
730 T E X T K R IT ISC H E ANMERKUNGEN

N o te n in d er ü b len Z eit, e tw a M ai 1933. - Die sieben Bl. 1 1 3 - 1 2 1 sind m.


Blaust, von 1 bis 7 durchnumeriert. Das erste Bl. trägt das Datum 22/6.33
und den Vermerk E in N a ch tg esp räch . Die Bl. enthalten keinerlei Spuren
einer späteren Durchsicht.

B eilage X L I (S. 588-590)


Der Text der Bl. 1 4 - 1 6 des Konvolutes B IV 5 . Der Gesamtumschlag dieses
32 Bl. zählenden Konvolutes enthält folgende Aufschrift m. Blaustift: Einige
B eilagen zu Finlcs V I. M ed itatio n , <S.> 97-163. Eugen Fink, Husserls
persönlicher Assistent während der dreissiger Jahre hatte die VI. Meditation
als Fortsetzung von Husserl ,,Cartesianischen Meditationen" (vgl. Husserl­
iana I) im Herbst 1 9 3 2 verfasst. Die B eilagen wurden also von Husserl nach
diesem Datum geschrieben. Die drei hier veröffentlichten Bl. 1 4 - 1 6 tragenden
Bleistiftvermerk ad 149ff. Sie sind m. Bleist. als 1 und 2 numeriert (das als 2
bezeichnete Bl. ist ein Doppelblatt (1 3 /1 6 ), das auf der Rückseite einen Brief
des Preussischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung
vom 8 . August 1 9 3 1 enthält). Der Text ist mit Bleistift überarbeitet und ist
z.T. mit Blei-, Blau- und Rotstift unterstrichen.
588,13 D ieses L eben Bleist.-V. für D as || 588,25-26 zeitlich kon tin u ierlich
Einf. m. Bleist. || 588,26-27 k o n tin u ie rlic h Bleist.-V. für ste ts |[ 588,39-40
u n d d a b e i a u c h sich selb st als dieses Ic h m. Bleist. gestrichen, aber Streichung
wieder ausradiert || 588,40 nach ist m. Bleist. gestr.: a b e r |[ 588,41-589,1
b eid es in gew isser W eise Einf. m. Bleist. || 589,12 das Zeichen für die ist im
Ms. undeutlich, kann auch als seine gelesen werden || 589,20 A bsolutes ego
Bleist.-V. für Ic h || 589,35 M onade vor im M onadenall Einf. m. Bleist. ||
589,36 nach A ll im p liziert m. Bleist. gestr.: m it sich selb st [[ 589,41-590,1
in m ir bis S in n einzige Bleist.-V. für im k o n k re te n ego d er R ed u k tio n , als
d em u rtü m lic h e n ego im p liz ie rt ist, d as einzig is t im ab so lu te n Sinn || 589,
A n m . 1-5 V. und Streichung m. Bleist. ||

B eilage X L I I (S. 590-592)


Der Text der Bl. 1 3 —1 4 des Konvolutes B II 4 , dem auch die Beilagen L III,
L I V und L V des vorliegenden Bandes entnommen sind. Dieses 1 1 5 Bl. zählen­
de Konvolut enthält zahlreiche kurze Texte aus dem Ende der zwanziger und
aus den dreissiger Jahren. Der Gesamtumschlag trägt folgenden Titel in
Grünstift: R e d u k tio n , E p o ch e. Die Bl. 3 - 1 7 , wozu auch die beiden in dieser
Beilage veröffentlichten gehören, liegen innerhalb des Konvolutes in einem
Sonderumschlag mit folgender Aufschrift in Blaustift und Bleistift: v:„ B I 5.
R e d u k tio n . W ir als S u b je k te fü r die W elt, w ir als O b jek te in d e r W elt. Das
BL. 1 3 ist ursprünglich mit Bleist. als 2, dann mit Rotstift als 1-2 beziffert;
das Bl. 1 4 trägt mit Blei- und Rotstift die Ziffer 3. Auf dem ersten Bl. steht
oben in Bleistift das Datum 1932. Die beiden Bl. sind mit Tinte, Bleistift und
Rotstift überarbeitet und enthalten zahlreiche Unterstreichungen in Blei- und
Rotstift.
590,23 (in w elchem ich m ic h besinne) Einf. m. Bleist., m. Tinte nach­
gezogen || 590,25 a llm o n ad isch en Einf. || 591,1 fü re in a n d e r Einf. |l 591,15
TEX T K R IT ISC H E A NM ERKU NG EN 731

Anführungszeichen bei „ m o n a d isc h e n ” und „M o n ad e” ni. Rotst. || 591,18


schon in m ir k o n stitu ie rte n Einf. m. Bleist. || 591,21 M an fra g t Einf. j|
591,27 u rm o n ad isch e Bleist.-V. für m o n ad isch e || 591,27-28 das u rtü m lic h e
S tröm en, das n o ch n ic h t M onade in d e r M onadenzeit ist Einf. m. Bleist. ||
591,32-35 w as hiess u ns bis G eltu n g sa u fb au . Bleist.-V. für w as hiess uns,
eine tra n sz e n d e n ta le Ü b erw elt zu k o n stitu ie re n als die d er W e lt im n a tü r ­
lichen Sinn an sich v o ran g eh en d e? - im G eltu n g sau fb au . || 591,37 (das
u rtü m lic h e S trö m en ) Einf. m. Rotst. || 591, A nm . Streichung m. Bleist. |]

Nr. 34 (S. 593-597)


Der Text des Konvolutes E I I I j . Dieses Konvolut besteht nur aus zwei m.
Blaust, als I bzw. I I bezeichneten Bl., die in einem Umschlag mit folgender
Aufschrift liegen: Schluchsee, S e p te m b e r 1933. U niversale Teleologie. D er
in te rsu b je k tiv e , alle u n d jed e S u b je k te u m sp an n en d e T rieb tra n s z e n d e n ta l
gesehen. R e la tiv e M onadenw elten, je d e fü r sich k o n stitu ie re n d eine o b je k ­
tiv e Z eitw elt, z u h ö ch st die h u m a n e M on adenw elt u n d Z eitw elt d e r M en­
schen. —Sein d e r m o n ad isch en T o ta litä t als strö m en d zu S elb stb ew u sstsein
k o m m en d u n d schon im S elb stb ew u sstsein seiend, S teig eru n g in infinitum.
- U niversale Teleologie. - Das erste der beiden Bl. trägt das Datum S ch lu ch ­
see, S e p te m b e r 1933, m. Blaustift den Vermerk: N B und am Rande m. Rot­
stift (mit Tinte nachgezogen) die Inhaltsangabe, die oben S. 5 9 3 , Zeilen 8 —1 7
abgedruckt ist. Die beiden Bl. sind mit Tinte und Bleistift überarbeitet.
593,23 b e s tim m t g e ric h te t Einf. m. Bleist. || 593,23-27 die Klammern m.
Bleist. || 594,12-13 anstatt M ensch zu M enschen im Ms.: M ensch u n d M en­
schen || 594,13 in a k tu e lle r E in fü h lu n g Einf. || 594,22 geschlechtlich-sozial
Einf. m. Bleist. || 595, A nm . der angegebenen Stelle zugeordnete Rb. || 5 9 6 ,3 2 -
34 u n d so e rs t re c h t bis Ende des Absatzes Einf. || 597,5-6 d er W e ltlich k eit
und m ein er W e ltlic h k e it im Ms. übereinandergeschrieben || 597,12 anstatt
n a c h im Ms.: zu ||

B eilage XLIII (S. 597-602)


Der Text der Bl. 6 5 - 6 8 des Konvolutes E I I I 9 (vgl. zu diesem Konvolut die
textkritischen Anmerkungen zu Text Nr. 2 2 ). Diese vier, m. Bleist. von 1 bis 4
durchnumerierten Bl. liegen innerhalb des Konvolutes in einem Sonderum­
schlag, der in Bleistift und Tinte die Angaben enthält, die oben S. 5 9 7 , Zeilen
2 1 - 3 8 abgedruckt sind. Die Bl. sind mit Tinte und Bleistift überarbeitet und
enthalten Unterstreichungen in Blei-, Rot- und Blaustift.
5 9 8 ,1 -4 Der Anfang des Absatzes bis d as d u rc h eine k o n se q u e n te m.
Bleist. leicht gestr. |[ 598,5 nach G esch lech tsleben m. Bleist. gestr.: D er G e­
sc h le c h tstrie b in E rfü llu n g , v o n in n en a u sg eleg t || 598,11—12 D a n n w äre es
a b e r G eg en w art. E rin n e ru n g sv e rg a n g en h e it k a n n n ic h t h a llu z in ie rt w erden
Einf. || 598,39ff. Randtitel m. Bleist. zum folgenden: L iebe — perso n ale
E in ig u n g u n d sin n lich g eschlechtliche, K o itu s || 599,25 nach fu n d ie rt im
Ms. m. Bleist. gestr.: n a tü rlic h u n d im m e r |[ 599,27—28 Randtitel m. Bleist. ||
599,3 5 -4 0 V orsorge fü r k ü n ftig e „ G ü te r ” bis v o n G ü te rn Einf. || 600,14
n a tio n a le n Einf. || 600,40-42 dieser Absatz ist eine Erg. || 600,43 Randtitel ||
732 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

600,44—45 und künstlich rationaler Einf. m. ßleist. |! 601,37-38 Angriff bis


„Feindes” Einf. || 601,46-602,3 dieser Absatz ist eine Einf. |l

B eilage XLIV (S. 602-604)


Der Text der Bl. i6 - iy des Konvolutes A I V 3, dem auch die Beilage IL
dieses Bandes entnommen ist. Der Gesamtumschlag dieses 32 Bl. zählenden
Konvolutes trägt folgende Aufschrift in Blaustift und Tinte: 1932/33. Ende
Dezember 1932. Nur das Problem behandelt. Positive Wissenschaft -
Selbstbesinnung. Vorwissenschaftliches Leben, darin das Urteilsleben, im
besonderen das in theoretischem Interesse auf Wahrheit gerichtete,
schliesslich auf Welt überhaupt, andererseits auf die Wahrheit der Selbst­
besinnung und ihre „Objektivität”, Einlenken in die geisteswissenschaft­
liche Einstellung und in die Frage des Unterschiedes der verschiedenen
„Objektivität” der naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen
Wahrheiten. - Das Konvolut besteht aus mehreren kleineren Texten. Die Bl.
10 —2 1, wozu auch die hier veröffentlichten gehören, scheinen zur selben Zeit
entstanden zu sein: Bl. 10 trägt das Datum 9.X.33 und auf der Rückseite der
Bl. 1 4 u. J5 findet sich ein Brief von Moritz Geiger vom 6.10.33. Die Bl. 16
u. i j sind als 1 und 2 numeriert. Auf der Vorderseite des ersten Bl. findet sich
der Randtitel: Personales und konstituierendes Ich, auf der Rückseite der
Randtitel: Ich im primordialen Ineinander der ichlichen Zeitigung, des
Selbstgewordenseins und Selbswerdens. Ich im Miteinander,- Ineinander
im Konnex, die wir als Überschrift der Beilage wiedergeben. Die Bl. weisen
keine Spuren einer späteren Durchsicht auf.
603,6-8 Randtitel. ||

B eilage XLV (S. 604-608)


Der Text der Bl. 8 und 5-6 des Konvolutes K I I I 1 1 . Dieses kleine Konvo­
lut besteht aus sieben Bl., die von einem Umschlag umschlossen sind. Die Auf­
schrift in Blaustift und Tinte auf diesem Umschlag bezieht sich auf die drei
ersten Bl. (2 - 4 ): Juli 1935. „Entwicklung”, Geburt (Geburt gestrichen) und
Urwachfeld. Urschöpferische Akte, die Urzeitigung von Einheiten, von
Mehrheiten, noch nicht von „Gegenständen”, Urfunktion der Erinnerung
und Identifizieren aus Erinnerung - Wiedererkennen. Grundüberlegung
für das „Ich” - das als Ausgang für die Frage nach der Geburt. Während
die ersten drei Bl. von 1 bis 3 durchnumeriert sind, tragen die restlichen vier
keine Numerierung. Die Bl. 5 (oben wiedergegeben S. 6 0 4 , Zeile 4 1 bis S.
6 0 6 , Zeile 2 8 ) und 6 (oben wiedergegeben ab S. 6 0 6 , Zeile 2 g bis zum Schluss
der Beilage) bilden einen kontinuierlichen Zusammenhang. Der Text des Bl. 8
(oben wiedergegeben S. 6 0 4 , Zeilen 2 2 - 4 0 ) bildet den Problemhintergrund
dieses Zusammenhanges und wurde deshalb an den Anfang der Beilage gestellt.
Das hier nicht abgedruckte Bl. 7 ist nur auf der Vorderseite beschrieben und
handelt über die Abwandlungsmodi der Wahrnehmung. Wahrscheinlich gilt
auch für all diese Bl. das Datum auf dem Umschlag: Juli 1935. Die Bl. weisen
zahlreiche Korrekturen auf, die aber wohl noch bei der Abfassung des Textes
angebracht wurden.
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 733

604,24 implizit Einf. m. Bleist. || 605,4 anstatt und von diesen im Ms.:
und der von diesen || 606 , 11-20 dieser Absatz steht im Ms. zwischen eckigen
Klammern ||

B eilage XLVI (S. 608-610)


Der Text der Bl. 2 4 - 2 6 des Konvolutes A V 2 2 . Die Aufschrift auf dem
Gesamtumschlag dieses 3 7 Bl., zählenden Konvolutes lautet: Wissenschaft
und Leben, Wissenschaft und E t h ik , Theorie und Praxis, mythische
und wissenschaftliche Weltbetrachtung, philosophisches Leben. Univer­
sale E t h ik . 1931, Januar. Zu L. - Die verschiedenen kleinen Texte dieses
Konvolutes dürften alle aus dem Anfang der dreissiger Jahre stammen. Die
Bl. 2 4 —2 6 sind mit Rotstift von I bis III durchnumeriert. Das erste Bl.
enthält die Bleistiftbemerkung: von wann? Auf dem zweiten Bl. steht am
Rande ein grosser Titel: Monadologie. Die drei Bl. weisen keinerlei Spuren
einer späteren Durchsicht auf.

B eilage XLVII (S. 611-612)


Der Text der Bl. 3 - 4 des Konvolutes E I 6 , dessen übrige Bl. in den Beila­
gen II, I I I und IV von Husserliana X IV veröffentlicht sind. Der Gesamt­
umschlag dieses 1 7 Bl. zählenden Konvolutes trägt den Titel Ich und Monade.
Während die übrigen Bl. des Konvolutes aus dem Anfang der zwanziger Jahre
stammen, wurden die beiden Bl. 3 und 4 , die kleinen Formates sind (1 0 , 6 X
1 6 , 4 cm) und in einem besonderen Umschlag liegen, in den dreissiger Jahren
geschrieben. Diese beiden Blättchen sind m. Blaustift als 1 und 2 numeriert.
Das erste Bl. ist mit dem Titel Menschen- und Tiermonaden. Das monadi-
sche Universalproblem überschrieben und enthält den Vermerk mit Rotstift:
NB. Die Bl. sind leicht mit Tinte und Bleistift überarbeitet und enthalten
Unterstreichungen in Blau-, Rot- und Grünstift.
611,17 am Anfang des Absatzes wird eine eckige Blaust.-Klammer ge­
öffnet, die aber nicht mehr geschlossen wird || 611,33-34 statische und stati­
schen Einf. || 611,36 individuelle Einf. || 612,10 mit Einf. m. Bleist. || 612,
11-12 Organismen nur seiend unter Organismen und generativ Einf. ||

Nr. 35 (S. 613-627)


Der Text des Konvolutes A V 3 . Dieses Konvolut besteht aus einem Ge­
samtumschlag in dem sich elf Bl. befinden. Auf dem Gesamtumschlag befinden
sich folgende Angaben, vorerst m. Bleistift: Schluchsee, Ende August oder
Anfang September 1933, dann mit Tinte: Schluchsee August-September.
Statische Phänomenologie und genetische. Es folgt dann noch die Inhalts­
angabe, die oben, S. 6 1 3 , Zeilen 7 - 1 0 , abgedruckt ist. Innerhalb des Um­
schlages liegt voran ein kleines Blättchen, dessen Notiz oben, S. 6 1 3 in der
Fussnote 1 wiedergegeben wurde. Dann folgen zwei, als 1Dund 20 numerierte
Bl. (3 —4 ), die wohl schon vor dem von Husserl auf dem Umschlag angegebenen
Datum geschrieben wurden und die den Anlass zur Abfassung der folgenden
acht Bl. gaben: Diese acht Bl. (5 - 1 2 ) sind mit Bleistift von l x bis 8X durch­
734 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

numeriert; das erste Bl. (5) enthält in Bleistift den Vermerk: 8 Blätter.
Schluchsee, August/September 1933. Alle Bl. sind mit Bleistift leicht über­
arbeitet und enthalten Unterstreichungen in Blau-, Rot- und Bleistift.
613, Anm. 1 Text des im Konvolut voranliegenden kleinen Blättchens ||
614,34 letzt-urtümlich Einf. m. Bleist. || 615,15 Anführungszeichen bei
„Telos” m. Bleist. || 615,18 in der aktuellen, verwirklichenden Erfahrung
Einf. m. Bleist. || 615,25-26 als die der geltenden Welt selbst Einf. m.
Bleist. || 616,5-6 Der voll konstituierte bis Ende des Absatzes Einf. || 616,
15-16 zunächst Fundierung der Seinsgewissheit Einf. m. Bleist. || 616, 16-
18 Zu beachten bis Sinnesfundierung hat Einf. |l 616,27-30 Ich analysiere
bis Gegebenheitsweisen Erg. || 616, Anm. der angegebenen Stelle zugeordnete
Rb. m. Bleist., m. Tinte nachgezogen || 617,1-15 Text am Rande des ersten Bl.
(Bl. 3 ) || 617,16 Datum m. Bleist. || 619 ,37 am Ende des Satzes ein Frage­
zeichen m. Bleist. || 619, Anm. Rb. m. Bleist. || 624,19 jenes Bleist.-V. für das||
625,38 heben und tragen, fressen Einf. m. Bleist. ||

B eilage XLVIII iS. 627-631)


Der Text der Bl. 4 3 - 4 6 des Konvolutes B I 1 0 . Diesem Konvolut ist auch
die siebente Abhandlung (,,Der Weg durch die Kritik der positiven Wissen­
schaften zur transzendentalen Phänomenologie, der Cartesianische Weg der
‘Ideen’ und das Problem der vorgegebenen Lebenswelt’’) von Husserliana VIII
(S. 2 ggff.) entnommen. Der Umschlag dieses 1 8 6 Bl. zählenden Konvolutes
trägt von Husserls Hand in Blaustift die Datierungen 1930/31 und 1932 sowie
in Tinte die Aufschriften: Anfangsbetrachtungen. Wissenschaft und Philo­
sophie, absolut begründete Wissenschaft. Darin: Wie bezeigt sich dem
positiven Wissenschaftler objektiv geltende Erfahrung. Gang zur (die
Zeichen für zur und der sind übereinandergeschrieben) phänomenologischen
Reduktion. Gutes zur I. und V. Meditation. Erkenntnistheorie. Rätsel,
Unverständlichkeit der Erkenntnis. Skepsis. Der - frühestens 1 9 3 5 ange­
legte Pappumschlag des Ganzen trägt von Husserls Hand die mit Bleistift
stenographierte Aufschrift; Wissenschaft und Philosophie. Absolute Wissen­
schaftsbegründung. Gang zur phänomenologischen Reduktion. - Die Bl.
43— 9 0 , wozu auch die hier veröffentlichten gehören, befinden sich in einem
Sonderumschlag mit folgender Aufschrift: 1930/33. Rückfrage von der
Wissenschaft. Dazu noch der Vermerk mit Blaustift: Darin (<p) Blätter. Die
in dieser Beilage veröffentlichten Bl. 4 3 - 4 6 sind m. Bleist. von 1 bis 4 durch­
numeriert. Das erste dieser Bl. trägt in Bleistift (mit Tinte nachgezogen) das
Datum Schluchsee, 10/9 1933. Die Bl. enthalten zwei Randtitel in Bleistift
und Unterstreichungen in Blei-, Blau- und Rotstift.
628,1 vor unserer Geschichtlichkeit im Ms. noch: in || 628,26 A nführungs-
zeichen bei ,.aktuelle” m. Blaust. || 629,8-11 Freilich bis überlegt werden
im Ms. zwischen eckigen Blaust.-Klammern || 629,26-27 alltäglich bis
„Durchschnittsmenschlichkeit” Randtitel m. Bleist. || 630,1 Randtitel m.
Bleist. ||
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 735

B eilage IL (S. 631-633)


Der Text der Bl. 1 2 - 1 3 des Konvolutes A IV 3 , dem auch die Beilage X L I V
des vorliegenden Bandes entnommen ist (vgl die textkritischen Anmerkungen
dazu). Diese beiden, keine Numerierung und keinen Titel tragenden, aber
einen kontinuierlichen Text enthaltenden Bl. dürften aus derselben Zeit
stammen wie die sie im Konvolut umgebenden Bl.: aus dem Herbst 1 9 3 3 . Sie
weisen keinerlei Spuren einer späteren Durchsicht auf.

N r. 36 (S. 634-641)
Der Text des Konvolutes E I I 1 . Dieses Konvolut besteht aus sechs BL, die
von einem Umschlag umfasst sind. Dieser Umschlag enthält den Titel und das
Datum, die oben, S. 6 3 4 , Zeilen 2 - 8 abgedruckt sind. Die sechs Bl. sind mit
Rotstift durchnumeriert; das erste Bl. trägt die Bezeichnung 1—3, das zweite
bis sechste Bl. sind von 4 bis 8 beziffert. Das erste Bl. enthält nochmals das
Datum Mitte Januar 1934 und in Rotstift die Überschrift: Schichten der
Zeitigung, monadische Zeitigung und mundane Zeitigung. Die Bl. sind mit
Tinte und Bleistift überarbeitet und enthalten Unterstreichungen in Blei-, Rot-
und Grünstift.
634,19 nach Ich gestr.: (ich sage nachher Modifikation „meines” Ich,
Selbstentfremdung) || 635,12 mir Einf. m. Bleist. || 635,14 Urmodus V. für
Original || 635,28 Randtitel m. Bleist. |[ 636,26-28 dieser Absatz ist eine Einf. ||
637,2 und nach ganzem Seinssinn Einf. || 637, 11-19 die Ziffern in diesem
Absatz sind Einfügungen m. Bleist. || 639, Anm. der angegebenen Stelle zu­
geordnete Rb. m. Bleist. || 640,21 anstatt als die im Ms.: als das |j

B eilage L (S. 641-644)


Der Text der Bl. 2 3 —2 3 des Konvolutes E I 4 (vgl. zu diesem Konvolut den
Abschnitt ,,Zur Textgestaltung” , oben, S. 6 3 3 ). Diese drei Bl. liegen zusammen
mit den fünf Blättchen (1 8 - 2 2 ), die in der folgenden Beilage LI veröffentlicht
sind, innerhalb des Konvolutes in einem Sonderumschlag, der folgende Auf­
schrift trägt: Januar 1934. Ad Einfühlung. Die Bl. 2 3 - 2 5 sind mit Bleistift
von I bis III durchnumeriert. Das erste dieser drei Bl. trägt in Bleistift die
Vermerke: Januar 1934. Einfühlung. Brauchbar und mit Tinte die Angabe:
Einfühlung und Wiedererinnerung. Die Bl. weisen keine Spuren einer
späteren Durchsicht auf.
642,7—11 dieser Absatz steht im Ms. zwischen eckigen Klammern || 642,35
im Ms. eine und die übereinandergeschrieben || 642,45 die Schlussklammer
fehlt im Ms. || 643,3 anstatt Phantasie im M s.: Phantasierung ||

B eilage LI (S. 644-647)


Der Text der Bl. 1 8 —2 2 des Konvolutes E I 4 , die innerhalb dieses Konvo­
lutes in demselben SonderUmschlag liegen wie die in der vorangehenden Bei­
lage veröffentlichtenBl. 2 3 - 2 5 (vgl. die textkritischen Anmerkungen zu
Beilage L). Die fünf Bl. 1 8 —2 2 sind mit Bleist. von P bis 5' durchnumeriert.
Sie sind von kleinem Format (j o ,6 X 1 4 , 8 cm). Auch für diese fünf Bl.
736 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

gilt wohl das Datum des Sonderumschlages: Januar 1934. Sie weisen keine
Spuren einer späteren Durchsicht auf.
644,18 nach Gegenwartsfeld irn Ms. kein Komma || 644, Anm. 1-2 Rb.
645,12 anstatt mit der im Ms.: mit denen |[ 646,15 Überschrift auf dem als
4' bezeichneten Bl. ]] 646,28 anstatt die im Ms.: den ||

Nr. 37 (S. 648-657)


Der Text der Bl. 4.-10 des Konvolutes E l i (vgl. zu diesem Konvolute die
textkritischen Anmerkungen zu Beilage III). Diese sieben Bl. sind nicht
numeriert, bilden aber einen kontinuierlichen Zusammenhang. Die beiden
ihnen im Konvolut vorangehenden Bl. sind in Beilage LII, das ihnen folgende
Bl. in Beilage I I I dieses Bandes publiziert. Das erste der sieben trägt die aus­
radierte Bleistiftziffer 3 sowie die B'laustiftziffer I. Das erste Viertel der ersten
Seite ist ausser einem Satz mit Blaustift gestrichen; darüber ist in Blaustift
geschrieben: Diese Blatt schlecht, kaum brauchbar (der Text dieses ersten
Bl. geht in dieser Ausgabe bis S. 650, Zeile 1 4 ). Alle Bl. des kleinen Konvolutes
E l i dürften im Jahre ig 3 4 entstanden sein (Poststempel auf der Rückseite
des Umschlages: 8 . i 2 .igJ 4 ). Alle in dieser Nummer veröffentlichten Bl. sind
mit Tinte überarbeitet; das erste enthalt auch Bleistiftkorrekturen und Unter­
streichungen in Blau-, Blei- und Rotstift. Das erste Bl. trägt in Blaustift die
Überschrift: Einfühlungsproblem.
648,9 vor Wie kommen m. Blaust, gestr.: Ich, als ob ich das gestaltet,
bewegt hätte, aber ich habe es nicht. Solange ich von Anderen keine Vor­
stellung habe, ist es unmöglich, dass eine Sache als Gebilde eines Anderen,
als Thema eines Anderen etc. erfahrbar wird. || 648,9-14 Hier kommt bis
Ende des Absatzes im Ms. m. Blaust, gestr. || 648,20-21 als ganzer genommen
Einf. m. Bleist. || 648,21-22 Als ganzer bis Sinnlichkeit Einf. m. Bleist. ||
648,25-26 Randtitel || 649,5-6 haptische Bewegung bis Entfernung Einf. m.
Bleist. || 649,10 unterschieden Einf. || 649,28-29 mittels der doppelt kon­
stituierten kinästhetischen Systeme Erg. || 649,29-30 als blosses Ober­
flächenphantom Einf. m. Bleist. || 649,36 wirklich und scheinbeweglich
Einf. m. Bleist. || 650,5-7 so erfahre ich bis erfahre V. für so fungiert die
Gehbewegung wie ähnlich eine Handbewegung || 651,1-24 diese beiden Ab­
sätze wurden m. Bleist. gestrichen, die Streichung aber wieder ausradiert; der
erste Absatz (Zeilen 1 —20) steht zwischen eckigen Bleist.-Klammern || 651,30
total genommen Einf. || 651,32 anstatt um ihn im Ms.: um es || 652, Anm.
Erg. || 653,14—15 anstatt es kinästhetisch im Ms.: ihn kinästhetisch II653,
Anm. Rb. || 654,37 der der primordialen Anschaulichkeit Erg. || 655,20-22
das ich nicht bin bis ist Einf. || 655,23 anstatt Die dem im Ms.: Den dem ||
655, Anm. Erg. || 656, Anm. 1 Erg. || 656, Anm. 2 Rb. ||

B eilage LII (S. 657-659)


Der Text der Bl. 2 —3 des Konvolutes E l i . Diese beiden Bl. gehen inner­
halb des Konvolutes unmittelbar den sieben Bl. voraus, die im voranstehenden
Text Nr. 3 J veröffentlicht sind. Die beiden Bl. enthalten einen kontinuier­
lichen Text. Das erste Bl. ist mit Das Problem der Einfühlung überschrieben
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 737

und trägt die Blaustiftziffer 1. Sie dürften wie die Bl. des Textes Nr. 3 7 [vgl.
die textkritischen Anmerkungen dazu) 1 9 3 4 geschrieben worden sein. Sie
weisen keine Spuren einer späteren Durchsicht auf.

B eilage LIII (S. 659-660)


Der Text der Bl. 70 u. 7 1 des Konvolutes B I I 4 (vgl. zu diesem Konvolut die
textkritischen Anmerkungen zu Beilage X L II). Zusammen mit den vier Bl., die
in den beiden folgenden Beilagen veröffentlicht sind (die Bl. 7 2 - 7 3 und 6 8 - 6 9 )
und 1 3 weiteren Bl. (5 8 - 6 7 , 6 9 u. 7 4 - 7 5 ) befinden sich diese Bl. innerhalb des
Konvolutes in einem Sonderumschlag, der folgende Aufschrift enthält: Anfang
April 1934. Inhalt: Als Anfang einer Auslegung des „Phänomens” Welt (als
„Noema”). Im Wie der bewusstseinsmässigen Gegebenheit die entsprechen­
de Auslegung des Wahrnehmungsfeldes in der puren Primordialität. Vor­
angestellt hätte werden sollen als Erstes die ontische Auslegung des Wahr­
genommenen als solchen, als Leitfaden für die Auslegung der „Apparenz”,
d.i. des Wahrgenommenen als solchen im Wie, oder was dasselbe, des Wahr­
genommenen in der primordialen konkreten Erscheinungsweise, womit
sich andeutet, dass hier Erscheinungsweise als Gegenstück korrelativ von
diesem Ontischen unterschieden ist, während Apparenz sonst auch ver­
ständlich ist als beides in eins: Das ist freilich noch immer nicht ganz kor­
rekt, da von der Ichseite her die Charaktere des Thema (Modi der Thema­
tik) auch in das Noema eingehen. Apparenz wird unter Ausschluss dieser
Modi betrachtet. Man kann dadurch die „ästhetische” Auslegung definie­
ren und ästhetische Ont. <= Onta?} und kinästhetische Apparenz scheiden.
- Das Thema dieser Blätter die Scheidung im Ästhetisch-Ontischen nach
ästhetischem Was oder Wesen einerseits und nach ästhetischer Räumlich­
keit, ästhetischer Örtlichkeit (und Zeitlichkeit) andererseits. Von da die
Rückfrage nach den Wesen ihres Apparierens. Das führt zunächst auf die
Scheidung von Aspekt und Lage (Orientierung im Wahrnehmungsfeld),
beide kontinuierlich wandelbar. Mit beiden in eins haben wir ein im präg­
nanten Sinn ästhetisches Phänomen des Ontischen. Hierbei ist in Frage
das totale ästhetische Feld und einzeln ein „Ding” des Feldes, Aussending
als blosser Aussenkörper und Leib. - Die beiden in dieser Beilage veröffent­
lichten Bl. 7 1 und 7 2 sind mit Bleistift als Ai bzw. A2 bezeichnet. Das zweite
Bl. ist nur ein kleiner Zettel. Der Text enthält Unterstreichungen mit Blei- und
Grünstift.
659, Anm. Fragezeichen m. Bleist. ||

B eilage LIV (S. 660-661)


Der Text der Bl. 7 2 u. 7 3 des Konvolutes B I I 4 . Diese beiden, mit Rotstift
und Bleistift als I bzw. II bezifferten Bl. liegen innerhalb des Konvolutes in
demselben Sonderumschlag wie die BL, die in den Beilagen L III und L V ver­
öffentlicht sind, und dürften wie diese im Frühjahr 1 9 3 4 entstanden sein (vgl.
die textkritischen Bemerkungen zu Beilage L III). Das erste der beiden Bl. ist
mit Einfühlung und Wiedererkennen überschrieben. Der Text enthält eine
Einfügung mit Bleistift und Blei- und Rotstiftunterstreichungen.
738 TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN

661,2 ,, Verähnlichung” ist nicht eindeutig gelesen 661,1 7-18 ästhetischen


Einf. m. Bleist. ||

B eilage LV (S. 661-663)


Der Text des Bl. 68 des Konvolutes B II 4 . Dieses vereinzelte Bl. liegt
innerhalb des Konvolutes in demselben Sonderumschlag wie die B l., die in den
Beilagen L11I und L IV dieses Bandes veröffentlicht sind, und dürfte wie
diese im Frühjahr 1 9 3 4 entstanden sein (vgl. die textkritischen Anmerkungen
zu Beilage L III). Es enthält keine Überschrift oder Bezeichnung. Es ist leicht
mit Bleistift überarbeitet.
662,34—42 Die perspektivierende bis Ende des Absatzes Erg. || 662,34
perspektivierende Einf. m. Bleist. || 662, Anm. Klammer und Fragezeichen
m. Bleist. || 663,6-7 in Perspektive und Orientierung Einf. m. Bleist. ||

B eilage LVI (S. 663-665)


Der Text des Bl. 2 des Konvolutes K I I I 1 4 . Der Umschlag dieses 1 3 Bl.
zählenden Konvolutes enthält von Husserls Hand in Blaustift folgende Auf­
schrift: Kappel, September 1935. Objektivität des Ausdrucks. Bedeutungs­
prädikate. „Lebenswelt'' in ihrer Typik, Wissenschaft von ihr. Alles Reale
„mit Ausdruck” gegeben. Verstehendes Erfahren. „Physiognomischer”
Ausdruck des Leibes. Leib als Ausdruck des Seelischen. Zur Physiologie,
Biologie. - Apr. 36 (?): „Geltung für”, Sinnesauflagen der Lebenswelt. -
Das Bl. 2 ist m. Rotstift als I bezeichnet, es folgen ihm aber in der Numerie­
rung keine weiteren Bl. Es trägt mit Tinte und Bleistift das Datum 9. IX. 1935,
Kappel. Es ist mit Nota. Auch relevant für die Lehre von der Einfühlung
überschrieben trägt am Rande m. Bleistift die Angabe: Objektivität des
Körpers, Objektivität des „Ausdrucks”, der ausdrückenden Momente am
Körper und auf der Rückseite den Titel in Rotstift Zur Phänomenologie des
Ausdrucks. Zudem enthält es den Vermerk in Rotstift: NB. Der Text ist mit
Tinte und Bleistift überarbeitet und ist an verschiedenen Orten mit Rot- und
Bleistift unterstrichen.
663,26—27 anstatt dreidimensionalen Dinge wäre nach dem Stenogramm
genau zu lesen: Dreidimension Dreidinge || 664,14 derselben Einf. m. Bleist.\\
664, Anm. 1 Rb. || 664, Anm. 2 Erg. ||

N r. 38 (S. 666-670)
Des Text des Konvolutes C 1 . Bei diesem Konvolut handelt es sich uni
fünf, mit Rotstift von 1 bis 5 durchnumerierte Blättchen (1 4 , 8 X 1 0 , 3 cm),
die sich in einem Umschlag befinden. Dieser Umschlag enthält in Blaustift
den Titel Zeitigung - Monade sowie in Tinte das Datum und die Inhalts­
angabe, die oben, S. 6 6 6 , Zeilen 3 - 1 1 wiedergegeben sind. Die Blättchen ent­
halten einige Einfügungen, die aber bei der Abfassung des Textes selbst ent­
standen zu sein scheinen.
667,10 anstatt ihre Umkehr im Ms.: seine Umkehr || 667,36 anstatt des­
selben im M s.: dasselbe ]| 668,9 anstatt fremde im Ms.: fremdes || 668,20-25
TEXTKRITISCHE ANMERKUNGEN 739

Das Absolute selbst bis Allheit aus Erg. || 669,29 aber die Führung der
Philosophie geht voran Einf. || 670,22-23 Der letzte Satz steht im Ms. am
Rande und hat folgende Zeichensetzung: Unendliches Strömen, Unendlich­
keiten des Strömens implizierend Unendlichkeit Iteration der Potentiali-
täten. II
N A C H W E IS D E R O R IG IN A L S E IT E N

In der linken Kolonne findet sich die Angabe von Seite und Zeile im
gedruckten Text, in der rechten die des Manuskriptkonvolutes und der
Blattzahlen im Manuskript nach der im Husserl-Archiv eingeführten
offiziellen Numerierung.

3-21 FII5/84—97 174-185 CI 1/32-42


22-38, 5 BIV3/4—16 189-191 D13III/34-36
38, 6-39 2-3 192-195 AIV5/134—136
40-50, 10 B III1/19-25 196-209, 17 BIII3/2-10
50, 14-52, 19 26-27 209, 18-210, 17 25
52, 21-53 AVII31/5 210, 18-214, 11 11-14
54-62, 14 AV5/43-48 214, 15-218, 7 58-62
62, 15-64, 28 49-50 218, 11-227, 6 AV6/2-10
64, 29-68, 25 51-53 227, 8-236, 31 B III3/17-24
68, 26-69 54 236, 35-242, 13 AVII11/30-34
70-73, 16 BII15/3-4 242, 17-244 AVIH7/28-30
73, 17-74, 33 7 245-258 EI4/48-56
74, 34-76, 24 5 259-266, 3 D12/69-73
76, 25-77, 26 6 266, 5-277, 4 D10/2-9
77, 30-78, 45 EI1/11 277, 6-281 50-53
81-90 EI4/30-35 282-295 EI4/57-67
91-98 EI2/1-7 295, 13-313 D 12/37-53
99-110 C3/10-16 314-328 EI4/68-79
111-116, 11 BIII11/17-20 328-329 80
116, 16-39 EI4/176 330-336 C17/2-6
117-131,17 4-13 337-350, 11 18-27
131, 22-132, 15 14 350, 13-357, 3 C16/86-92
133-142, 23 BIII3/50-57 357, 39-361 93-98
142, 25-36 AV5/117 362-371, 25 BII7/59-67
143-144, 34 123-125 371, 31-377 AIV5/139-145
144, 35-145, 16 128 376-386 EIII9/42-51
145, 17-146, 21 126-127 387-403, 11 AV10/18-27
146, 22-147 129-130 403, 13-407, 8 EIII9/38-40
148-170 C ll/1 -1 6 407, 10-414, 36 AV10/29-34
171-172, 2 EI4/2 414, 39-415 28
172, 4-173 BIII4/36-37 416-420 EIII9/60-62
NACHWEIS DER ORIGINALSEITEN 741

421 55 561, 20-563, 15 BII13/22-23


422-424 58-59 563, 22-573 KIII16/34-40
425-427 BI5/132-133 574-575, 16 C16/100
428-437 EII2/3-9 575, 17-579 101-103
438-440, 30 10-11 580-588, 2 B II7/115-121
440, 32^43 AV5/100-101 588, 10-590, 10 BIV5/14-16
444-454, 20 EI4/37-43 590, 13-592 BII4/13-14
454, 25^55, 4 45 593-597, 19 EIII5
455, 5^55, 22 44 597, 21-602, 18 EIII9/65-68
455, 23-455, 37 46 602, 20-604, 18 AIV3/16-17
456-457 AVI23/8-9 604, 22-40 KIII11/8
461-479 A V 6/13-27 604, 41-608, 7 5-6
480-490, 36 AV5/66-72 6 0 8 .9 - 610 AV22/24-26
489, Anm. 73 611-612 EI6/3-4
490, 37-505, 2 76-84 613-627, 20 AV3
505, 5-508, 2 89-90 627, 25-631, 35 B I10/43-46
508, 4-510, 20 AV4/9-10 631, 40-633 AIV3/12-13
510, 22-514, 14 6-8 634-641, 7 E in
514, 16-518, 24 EI4/178-180 641.9- 644, 12 EI4/23—25
518, 30-520, 9 AV5/74—75 644, 17-647 18-22
520, 13-524, 2 85-88 648-657, 14 EI1/4—10
524, 3-525 92 657, 16-659, 12 2-3
526-556, 9 EI5/4—7, 9-25 659, 18-660, 22 BII4/70-71
556, 15-557, 26 26 660, 24-661, 38 72-73
557, 28-559, 6 27-28 661, 43-663, 17 68
559, 12-560, 12 29 663,19-665 KIII14/2
560, 18-561, 17 30 666-670 CI
N A M E N R E G IS T E R

Brentano 406, 543 Köhler W. 478


Descartes 400 Leibniz 20, 609
Harms E. 682 Locke 543
Kant 402

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