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WINKLER

WELTLITERATUR
DÜNNDRUCK
AUSGABE
DAS NIBELUNGENLIED

Nach der Handschrift C


der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe

Mittelhochdeutsch und Neuhochdeutsch

Herausgegeben und übersetzt


von Ursula Schulze

Artemis & Winkler


Das Frontispiz zeigt die Anfangsseite der Handschrift C.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung
der Badischen Landesbibliothek, Karlsruhe.
Foto: Beate Ehlig und Kathrin Ullrich.

Abdruck der doppelseitigen Karte »Schauplätze des


Nibelungenlieds« (8 4 4 / 8 4 5 ) mit freundlicher
Genehmigung der Philipp Reclam Jun. Verlag GmbH, Stuttgart.
Kartenzeichnung: Theodor Schwarz, Urbach.

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation


Éer DegitscterLJhtiflnaflnbfrijw dpi » ^ l fetaillierte bibliographische
Dafcn siW im Internet irf» r htB>://chib.ddb.de abrufbar.

©BOO* Patmos Verlag GmbH & Co. KG


Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf und Zürich
Alfa Reckfcemrlwhatten.
Druck und Bindung: Friedrich Pilstet, Regensburg
ISBN 3 -5 3 8 -0 5 4 3 9 -8 leinen
ISBN 3 - 5 3 8 -0 5 9 3 9 -X Leder
www.patmos.de
DAS N IB E L U N G E N L IE D
1. AVENTI URE
AVENTIURE VON DEN NIBELUNGEN

1 Uns ist in alten maeren Wunders vil geseit:


von heleden lobebaeren, von grozer arebeit,
von freude und hochgeciten, von weinen unde klagen,
von küener recken striten muget ir nu wunder hoeren sagen.

2 Ez wuohs in Buregonden ein vil edel magedin,


daz in allen landen niht schoeners mohte sin,
Chriemhilt geheizen. diu wart ein schoene wip;
darumbe muosin degene vil Verliesen den lip.

3 Ir pflagen dri kunige edel unde rieh:


Gunther unde Gernot, die recken lobelich,
und Giselher der junge, ein waetlicher degen.
diu frowe was ir swester, die helde hetens in ir pflegen.

4 Ein richiu chuniginne frou Uote ir muoter hiez.


ir vater der hiez Danchrat, der in diu erbe liez
sit nach sime lebene, ein ellens richer man,
der ouch in siner jugende grozer eren vil gewan.

5 Die herren waren milte, von ardej hoh erborn,


mit kraft unmazen chüene, die recken uzerchorn,
da zen Burgonden, so was ir lant genant.
si frumten starchiu wunder sit in Ezelen lant.

6 Ze Wormze bi dem Rine si wonten mit ir chraft.


in dienten von ir landen vil stolziu ritterschaft
mit lobelichen eren unz an ir endes zit.
si stürben jaemerliche sit von zweier frowen nit.
1. AVENTIURE
VON DEN NIBELUNGEN

1 In alten Sagen wird uns viel Wunderbares erzählt: von berühm­


ten Helden, von großer Mühsal, von Freude und Festen, von
Weinen und Klagen, vom Kampf tapferer Recken - von all dem
könnt ihr jetzt Erstaunliches hören.

2 Es wuchs im Burgundenland ein hochadliges Mädchen heran,


schöner als alle anderen auf der Welt, sie hieß Kriemhild. Später
wurde sie eine schöne Frau; ihretwegen mußten viele Kämpfer
ihr Leben verlieren.

3 Für ihren Schutz sorgten drei edle und mächtige Könige:


Gunther und Gernot, zwei ruhmreiche Recken, und der junge
Giselher, auch er ein hervorragender Kämpfer. Kriemhild war
ihre Schwester, die Helden hatten sie in ihrer Obhut.

4 Ute, eine mächtige Königin, war ihre Mutter. Ihr Vater hieß
Dankrat, nach seinem Tode hatte er den Söhnen das Land ver­
erbt; er war ein mächtiger Mann, der in seiner Jugend ebenfalls
großes Ansehen errungen hatte.

5 Diese Herren aus hochadligem Geschlecht waren freigebig,


voller Tatkraft und ungeheuer kühn, also außerordentliche Für­
sten dort in Burgund - so hieß ihr Land. Später vollbrachten sie
geradezu Wunder im Reich Etzels.

6 In Worms am Rhein hielten sie machtvoll Hof. Ihnen diente die


stattliche Ritterschaft ihres Landes mit Ruhm und Ehre bis an
ihr Ende. Durch die Feindschaft zweier Königinnen kamen sie
später elend ums Leben.
10 1. AVENTIURE

7 Die dri kunige waren, als ich gesaget han,


von vil hohem eilen, in waren undertan
ouch die besten recken, von den man hat gesaget,
starch und vil chüene, in scharpfen striten unverzaget.

8 Daz was von Tronege Hagene und ouch der bruoder sin,
Danchwart der snelle, von Metzen Ortwin,
die zwene marcgraven Gere unde Eckewart,
Volker von Alzeye, mit ganzem eilen wol bewart.

9 Rumolt der chuchenmeister, ein uzerweiter degen,


Sindolt unde Hunolt, dise herren muosin pflegen
des hoves und der eren, der drier kunige man.
si heten noch manigen recken, des ich genennen nienen kan.

10 Danchwart der was marschalch, do was der nefe sin


truhsetze des kuniges, von Metzen Ortwin.
Sindolt der was schenche, ein waetlicher degen,
Hunolt was chameraere. si chunden hoher eren pflegen.

11 Von des hofes ere und von ir witen dirait,


von ir vil hohen werdekeit und von ir ritterschaft,
der die herren pflagen mit freuden al ir leben,
des enchunde iu ze ware niemen gar ein ende geben.

12 In disen hohen eren troumte Chriemhilde,


wie si züge einen valchen, starch, schoen und wilde,
den ir zwene am erchrummen. daz si daz muoste sehen,
ir enkunde in dirre werlde leider nimmer geschehen.

13 Den troum si do sagete ir muoter Uoten,


sine chundes niht beschaiden baz der guoten:
»der valche, den du ziuhest, daz ist ein edel man.
in welle got behüeten, du muost in schier vloren han.«
K R IE M H IL D U N D DER H O F IN WORMS 11

7 Die drei Könige besaßen, wie ich bereits erwähnt habe, unge­
wöhnlich große Kampfkraft. Zu ihrem Gefolge gehörten die
besten Recken, die man als stark, tapfer und in harten Kämpfen
als unerschrocken kannte.

« Das waren Hagen von Tronje und sein Bruder, der gewandte
Dankwart, dann Ortwin von Metz und die beiden Markgrafen
Gere und Eckewart sowie Völker von Alzey, im Vollbesitz seiner
Kräfte.

9 Rumold, der Küchenmeister, ein hervorragender Kämpfer, wie


auch Sindold und Hunold waren als Dienstleute der drei Kö­
nige für den Hof und dessen Ehre verantwortlich. Außerdem
hatten die Fürsten noch viele andere Recken, die ich nicht alle
namentlich nennen kann.

10 Dankwart diente als Marschall, sein Verwandter Ortwin von


Metz als Truchseß des Königs. Der stattliche Sindold war
Mundschenk, und Hunold war Kämmerer. Sie sorgten gemein­
sam für das hohe königliche Ansehen.

11 Vom Glanz des Hofes und von seiner Machtfülle, von der
großen Würde und von dem ritterlichen Leben, das die Herren
lange Zeit mit Freuden führten, könnte euch bestimmt nie­
mand alles vollständig erzählen.

12 In diesem ehrenvollen Lebenskreis träumte Kriemhild, wie sie


einen starken, schönen und wilden Falken heranzog, den ihr
zwei Adler zerfleischten. Auf der ganzen Welt hätte sie kein
größeres Leid treffen können, als dies mit ansehen zu müssen.

13 Sie erzählte den Traum ihrer Mutter Ute, die ihrer Tochter keine
angenehmere Deutung geben konnte als die: »Der Falke, den
du aufziehst, ist ein adliger junger Mann. Wenn Gott ihn nicht
beschützt, wirst du ihn bald wieder verlieren.«
12 1. AVENTIURE

14 »Waz saget ir m ir von m ann e, vil liebiu m u oter m in?


ane recken m in n e so w il ich im m er sin,
sus schoen ich w il beliben un z an m in en tot,
daz ich von recken m in n e soi gew in n en n im m er not.«

15 »N une versprich ez niht ze sere«, sprach ir m u oter do;


»soltu im m er hercenliche zer w erlde w erden vro,
daz chum t von m ann es m in n e. d u w irst ein schoen e w ip,
ob d ir got gefüeget eins rehte guoten ritters lip.«

16 »D ie rede lat beliben, vil liebiu frow e m in.


ez ist an m anigen w iben vil dicke w orden schin,
w ie liebe m it leide ze ju n gest Ionen chan.
ich sol si m iden beide, sone chan m ir n im m er m issegan.«

17 C h riem h ilt in ir m uote sich m in n e gar bew ac.


sit lebete diu vil guote vil m anigen lieben tac,
daz sine w esse niem en, den m in n en w olde ir lip.
sit w art si m it eren eines vil w erden recken w ip.

18 D er was der selbe valche, den si in ir troum e sach,


den ir beschiet ir m uoter, w ie sere si daz rach
an ir naehsten m agen, die in sluogen sint!
durch sin eines sterben starp vil m anich m uoter kint.
K R IE M H IL D UND DER HO F IN WORMS 13

14 »Was redet ihr da von einem Mann, liebste Mutter? Auf Liebe
zu einem Recken will ich für immer verzichten, dann lebe ich
zufrieden bis an meinen Tod und werde niemals durch die
Liebe in Leid gestürzt.«

is »Das beteure nur nicht zu sehr«, antwortete ihre Mutter; »denn


solltest du jemals im Leben von Herzen glücklich werden, so
kann das nur durch die Liebe eines Mannes geschehen. Erst
dann kommt deine weibliche Schönheit voll zur Entfaltung,
wenn Gott dir einen ausgezeichneten Ritter zum Mann gibt.«

16 »Sprecht nicht weiter, meine liebste Mutter. An vielen Frauen


hat sich oft genug gezeigt, wie Liebesffeude schließlich in Leid
endet. Ich werde mich vor beidem hüten, dann kann ich nicht
unglücklich werden.«

17 Kriemhild entsagte in ihren Gedanken ganz der Liebe. Darauf


lebte sie einige Zeit, ohne überhaupt jemanden zu treffen, den
sie hätte lieben können. Später wurde sie jedoch standesgemäß
die Frau eines hochadligen Recken.

is Er war jener Falke, den sie im Traum gesehen und den ihre
Mutter ihr gedeutet hatte. Wie furchtbar rächte es Kriemhild an
ihren nächsten Verwandten, daß sie ihn umbrachten! Wegen
des Todes dieses einen starben vieler Mütter Söhne.
2. A V EN T IU R E
A V EN T IU R E VON S IV R ID E , W IE DER E RZO G EN WART

19 Do wuohs in Niderlanden eins edeln kuniges chint,


des vater der hiez Sigemunt, sin muoter Sigelint,
in einer riehen burge, witen wol bêchant,
nidene bi dem Rine, diu was ze Santen genant.

20 Sivrit was geheizen der snelle degen guot.


er versuochte vil der riche durch ellenthaften muot;
durch sines libes sterche suochter fremidiu lant.
hey, waz er sneller degene sit ze Buregonden vant!

21 E daz der degen chüene vol wuohse ze man,


do het er solhiu wunder mit siner hant getan,
da von man immer mere mac singen unde sagen,
des wir in disen stunden müezen vil von im gedagen

22 In sinen besten ziten, bi sinen jungen tagen,


man mohte michel wunder von Sivriden sagen:
waz eren an im wuohse und wie schoene was sin lip.
des heten in ze minne diu vil waetlichen wip.

23 Man zoh in mit dem vlize, als im daz wol gezam.


von sin selbes fügenden waz zuht er an sich nam!
des wurden sit gezieret sines vater lant,
daz man in zallen dingen so rehte herlichen vant.

24 Vil selten ane huote man riten lie daz kint.


in hiez mit waete zieren sin muoter Sigelint.
sin pflagen ouch die wisen, den ere was bekant.
des moht er wol gewinnen beidiu Hut unde lant.
2. A V EN T IU R E
W IE S IE G F R IE D ERZOGEN W U R D E

19 Zu jener Zeit wuchs in Niederland der Sohn eines edlen Königs


heran, Siegmund und Sieglinde waren die Namen seiner Eltern,
sie lebten in Xanten, einer mächtigen, weithin bekannten Stadt
am Niederrhein.

20 Siegfried hieß der gewandte Kämpfer. Er war in kühner Absicht


durch zahlreiche fremde Länder geritten, um seine Kraft zu
erproben. Ach, wie viele tapfere Männer traf er später im Bur-
gundenland!

21 Schon bevor der mutige Königssohn zum Mann herangewach­


sen war, hatte er mit eigener Hand derart bewundernswerte
Taten vollbracht, daß man sie immer wieder in Liedern besin­
gen kann. Das müssen wir jetzt aber auf sich beruhen lassen.

22 Über Siegfried gab es viel Wunderbares zu berichten: welch


großes Ansehen er in den besten Jahren seiner Jugend errungen
hatte und wie gut er aussah. Darum fanden ihn auch die schön­
sten Frauen begehrenswert.

23 Man erzog ihn mit der Sorgfalt, die seinem Stand geziemte.
Doch welche vornehme Lebensart entwickelte er aus eigenem
Antrieb! Die Länder seines Vaters gewannen später dadurch
Ruhm, daß er sich in jeder Hinsicht ausgezeichnet hervortat.

24 Niemals durfte der junge Mann ohne Aufsicht ausreiten. Seine


Mutter Sieglinde ließ ihn prächtig kleiden. Kluge Lehrer, die mit
den höfischen Sitten vertraut waren, erzogen ihn. Dadurch
konnte Siegfried Land und Leute für sich einnehmen.
16 2 . AVENTIURE

25 Nu was er in der sterche, daz er wol waffen truoch;


swes er da zuo bedorfte, des lag an im genuoch.
do begunder sinnen werben schoeniu wip;
die truten wol mit eren den sinen waetlichen lip.

26 Do hiez sin vater Sigemunt chunden sinen man,


er wolde hochgecite mit lieben friunden han.
diu maere man do fuorte in vremder kunige lant.
den gesten und den chunden gap man rosse und ouch gewant.

27 Swa man vant deheinen, der ritter solde sin


von art der sinen mage, diu edeln kindelin
diu ladet man zuo dem lande durch die hochgecit.
mit samt dem jungen kunige swert genamen si sit.

28 Von der hochgecite man mohte wunder sagen.


Sigemunt und Sigelint die chunden wol bejagen
mit guote michel ere; des teilte vil ir hant.
des sah man vil der fremden zuo zin riten in daz lant.

29 Vier hundert swertdegene die solden tragen chleit


mit dem jungen kunige. vil manic schoeniu meit
mit werche was unmüezich; wände si in waren holt,
vil der edeln steine die frowen leiten in daz golt,

30 Die si mit porten wolden wurchen uf ir wat


den stolzen swertdegenen; des enwas niht rat.
der wirt der hiez do sidelen vil manigem chüenen man,
zeinen sunewenden, da er die hochgecite wolde han.

31 Do gie zeinem munster vil manic richer kneht


und vil der edeln ritter. die wisen heten reht,
daz si den tumben dienten, als in was e getan.
si heten kurzwile und ouch vil maniger vröuden wan.
SIEGFRIED UND DER HO F IN XANTEN 17

25 Bald war er so kräftig, daß er gut mit Waffen umgehen konnte.


Was er dazu brauchte, besaß er reichlich. Dann wollte er auch
um schöne Frauen werben, die sich ihm in Ehren liebevoll zu­
wandten.

26 Zu dieser Zeit ließ sein Vater Siegmund seinen Lehnsleuten


kundtun, er wolle mit seinen lieben Freunden ein Fest feiern.
Die Nachricht verbreitete man auch in den Ländern anderer
Könige. Den bekannten und unbekannten Gästen schenkte er
Pferde und auch Rüstungen.

27 Überall, wo man jemanden fand, den seine Herkunft dazu


bestimmte, Ritter zu werden, lud man ihn zu dem Fest nach
Niederland ein. Zusammen mit dem Königssohn empfingen
die jungen Adligen dann das Schwert.

28 Von diesem Fest könnte man Wunderbares erzählen. Siegmund


und Sieglinde verstanden es gut, mit Geschenken ihr Ansehen
zu vergrößern; und sie verteilten ihre Gaben reichlich. Deshalb
sah man viele Fiemde zu ihnen ins Land reiten.

29 Vierhundert Knappen sollten zusammen mit dem jungen


König als Ritter eingekleidet werden. Viele schöne Mädchen
wirkten eifrig dabei mit; denn sie hatten sie gern. Die Damen
nähten eine Menge Edelsteine auf goldene Borten,

30 die sie den stolzen Knappen an ihre Gewänder heften wollten;


das mußte sein. Der Herr des Hofes ließ für die vielen kühnen
Männer Sitze aufstellen, und zwar zur Sonnenwende, zu der er
das Fest anberaumt hatte.

31 Eine große Schar vornehmer Knappen und edler Ritter ging


dann zum Münster. Es war Sitte, daß die Erfahrenen den Uner­
fahrenen so dienten, wie sie es selbst früher erlebt hatten. Sie
unterhielten sich gut und hofften auf vielfältige Freuden.
18 2. AV EN TIURE

32 Got man zen eren ein messe sane.


do wart von den liuten vil michel der gedranc,
da si ze ritter wurden nach ritterlicher e
mit also grozzen eren, daz waetlich immer me erge.

33 Si liefen, da si funden gesatelt manic march,


in hofe Sigemundes der buhurt wart so starch,
daz man erdiezen horte palas unde sal.
die hochgemuoten degene heten vrolichen seal.

34 Von wisen und von tumben man horte manigen stoz,


daz der schefte brechen gein dem lüfte doz.
trunzune sach man vliegen fur den palas dan.
da sahen churzewile beidiu wip und ouch die man.

35 Der chunich bat iz lazen; do zoch man dan diu march,


man sach ouch da zebrochen vil manige bukkel starch,
vil der edeln steine gevellet uf daz gras
an liehten Schildes Spangen; von hurten daz geschehen was.

36 Do giengens wirtes geste, da man in sitzen riet,


vil der edeln spise si von der muode schiet
und win der aller beste, den man mit vollen truoch.
den vremden und den künden bot man eren da genuoch.

37 Solcher kureewile si pflagen al den tac.


vil der varnder diete ruowe sich bewac;
si dienten nach der gäbe, die man da riche vant.
des wart mit lobe gezieret allez Sigemundes lant.
SIEGFRIED UND DER HOF IN XANTEN 19

32 Zur Ehre Gottes feierte man eine Messe. Dann entstand unter
den Leuten dichtes Gedränge, als die Knappen nach altem
Brauch mit so großer Pracht zu Rittern geschlagen wurden, daß
es kaum übertroffen werden konnte.

33 Sie liefen zu den vielen bereits gesattelten Pferden. In Sieg­


munds Hof prallten beim Reiterspiel die Scharen derart heftig
gegeneinander, daß man die ganze Burg davon widerhallen
hörte. Die freudig gestimmten Kämpfer machten fröhlich
Lärm.

34 Man hörte viele Lanzen der Erfahrenen und Unerfahrenen auf


die Schilde prallen, so daß das Getöse vom Zerbersten der
Schäfte die Luft erfüllte. Speersplitter sah man am Palas vor­
beifliegen. Daran hatten Frauen und Männer Vergnügen.

35 Der König setzte schließlich dem Turnier ein Ende; und die
Pferde wurden weggefiihrt. Man sah auf dem Kampfplatz viele
feste Schildbuckel zerbrochen liegen und zahlreiche Edelsteine
aus den glänzenden Schildspangen ins Gras herabgeschlagen;
das war beim Zusammenprall geschehen.

36 Dann gingen die Gäste des Hofherrn dorthin, wo man ihnen


Platz anwies. Viele auserlesene Speisen und der allerbeste Wein,
den man ihnen reichlich einschenkte, vertrieben die Müdigkeit.
Fremde wie Einheimische überhäufte man mit Ehren.

37 Solchem Vergnügen gaben sie sich den ganzen Tag lang hin.
Viele Fahrende sorgten unermüdlich für Unterhaltung; sie
strengten sich an, da sie großzügig belohnt wurden. Davon
strahlte Ruhm auf Siegmunds ganzes Land aus.
20 2. AV EN TIURE

38 Der herre hiez do lihen sinen sun, den jungen man,


lant unde purge, als er e het getan.
den sinen swertgenozen gap do vil sine hant.
do liebt in do diu reise, daz si chomen in daz lant.

39 Diu hochgecite do werte unz an den sibenden tac.


Sigelint diu riche nach alten siten pflac
durch ir kindes liebe geben rotez golt.
si kundez wol gedienen, daz si ir sune warn holt.

40 Lutzei deheinen varnden armen man da vant.


rosse unde kleider daz stoup in von der hant,
sam si ze lebene heten mer deheinen tac.
ich waene, ie ingesinde so grozzer milte gepflac.

41 Mit lobelichen eren schiet sich diu hochgecit.


von des landes herren hört man wol sit,
daz si den jungen wolden zeime vogete han;
des enwolde in do niht volgen Sivrit der waetlich man.

42 Sit daz noch beide lebten, Sigemunt und Sigelint,


niht wolde tragen krone noch ir liebez kint.
doch wolder wesen herre für allen den gewalt,
des in den landen vorhte der degen küen unde bait.

43 In dorfte niemen schelten, sit do er wafen genam,


ja geruowete vil selten der recke lobesam
suochte niwan striten. sin ellenthaftiu hant
tet in zallen ziten in vremeden riehen wol bekant.
SIE GFRIED UN D DER HO F IN XA NTEN 21

38 Der König ließ seinen jungen Sohn Länder und Burgen als Le­
hen vergeben, wie er selbst es einst getan hatte. Siegfried verlieh
denen besonders viel, die mit ihm Ritter geworden waren. Da
freuten sie sich, daß sie in dieses Land gereist waren.

39 Das Fest dauerte sieben Tage. Die mächtige Sieglinde verteilte


aus Liebe zu ihrem Kind nach altem Brauch rotes Gold. Da­
durch machte sie die Leute ihrem Sohn geneigt.

40 Kein einziger Fahrender blieb ohne Geschenk. Pferde und


Kleider verteilten die Gastgeber so verschwenderisch, als hätten
sie selbst keinen Tag länger zu leben. Ich glaube, so große Frei­
gebigkeit hatte es nie zuvor an einem Hof gegeben.

41 In gegenseitiger Hochachtung ging die Festgesellschaft ausein­


ander. Von den adligen Herren des Landes hörte man dann,
daß sie den jungen Mann zum Herrn haben wollten; aber das
lehnte der bewunderte Siegfried ab.

42 Solange Siegmund und Sieglinde noch lebten, wollte ihr lieber


Sohn die Krone nicht tragen. Doch wollte der kühne und
mutige Kämpfer wie ein Herrscher alle Gewalt abwehren, von
der eine Bedrohung des Landes zu befurchten war.

43 Seit er Waffen trug, mußte ihn jeder anerkennen. Der ruhmrei­


che Recke gönnte sich kaum Ruhe und suchte jede Gelegenheit
zum Kampf. Seine kraftvolle Hand machte ihn für alle Zeiten in
fremden Ländern bekannt.
3- AVENTIURE
AVENTIURE WIE SIVRIT ZE WORMZE CHOME

44 Den herren muoten selten deheiniu hercenleit.


er horte sagen maere, wie ein schoeniu meit
in Burgonden waere, ze wünsche wolgetan.
davon er sit vil arebeit und ouch freuden gewan.

45 Diu ir unmazen schoene was vil witen chunt,


und ir vil hochgemüete zuo der selben stunt
an der junchfrowen so manic heit ervant.
ez ladete vil der geste in daz Guntheres lant.

46 Swaz man nach ir minne der werbenden sach,


Chriemhilt in ir sinne ir selber nie verjach,
daz si deheinen wolde zeime trute han.
er was ir noch vil vremde, dem si wart sider undertan.

47 Do gedaht uf hohe minne daz Sigelinde chint.


ez was ir aller werben wider in ein wint.
er mohte wol verdienen schoener frowen lip.
sit wart diu edel Chriemhilt des starchen Sivrides wip.

48 Im rieten sine mage und genuoge sine man,


sit daz er uf minne vlizzen sich began,
daz er eine naeme, diu im mohte zemen.
do sprach der herre Sivrit: »so wil ich Chriemhilde nemen,
3- AVENTIURE
WIE SIEGFRIED NACH WORMS KAM

44 Siegfrieds Herz bedrückte zunächst kein Leid. Eines Tages hörte


er, daß in Burgund ein Mädchen von vollkommener Schönheit
aufwuchs. Durch sie erlebte er später großes Leid und auch
Freude.

45 Ihre unbeschreibliche Schönheit war weit und breit bekannt,


und viele andere Helden hörten zur gleichen Zeit von der
großen Liebenswürdigkeit der adligen jungen Frau. Das zog
zahlreiche Fremde in Gunthers Land.

46 Doch wie viele Männer auch um ihre Liebe warben, Kriemhild


wies innerlich den Gedanken zurück, daß einer von ihnen ihr
Geliebter werden könnte. Den, der später ihr Mann wurde,
kannte sie noch nicht.

47 Zu dieser Zeit beschloß Sieglindes Sohn, um die Liebe einer


Frau zu werben. Gegen ihn war das Bemühen aller anderen
aussichtslos. Er konnte mit seinem Minnedienst leicht die
Gunst schöner Damen gewinnen. Später wurde die edle Kriem­
hild die Frau des starken Siegfried.

48 Als er eine Liebesbeziehung suchte, rieten ihm seine Verwand­


ten und viele seiner Leute zu einer standesgemäßen Heirat.
Darauf antwortete Herr Siegfried: »Dann will ich Kriemhild
nehmen,
24 3. AVENTIURE

49 Die edeln juncfrowen uz Burgonden lant,


durch ir vil grozen schoene, von sage ist mir bêchant,
nie keiser wart so riche, der wolde haben wip,
im enzaeme wol ze minnen der jungen kuniginne lip.«

so Disiu selben maere vernam do Sigemunt,


ez reite sin gesinde. da von wart im chunt
der wille sines kindes was im grimme leit,
daz er werben wolde die vil herlichen meit.

51 Ez gefriesch ouch Sigelint, des edeln kuniges wip.


si hete grozze sorge umbe ir kindes lip;
den vorhte si Verliesen von Guntheres man.
den gewerp man do dem degene sere leiden began.

52 Do sprach der starche Sivrit; »vil lieber vater min,


ane edeler frowen minne wolde ich immer sin,
ich enwürbe, dar min herce vil groze liebe hat.
swaz ieman reden chunde, des ist deheiner slahte rat.«

53 »Sit du niht wil erwinden«, sprach der kunic do,


»so bin ich dines willen inneklichen vro,
und wil dirz helfen füegen, so ich beste chan.
doch hat der chunic Gunther vil manigen ubermuoten man.

54 Ob ez ander niemen waere wan Hagene der degen,


der chan mit ubermuote der hochverte pflegen,
daz ich vil sere furhte, deiz uns werde leit.
ja ist mir solher maere dicke vil von in geseit.«
SIEGFRIEDS A N KUN FT IN WORMS 25

49 die adlige junge Frau aus Burgund, wegen ihrer großen Schön­
heit. Vom Hörensagen weiß ich, daß es selbst für den mächti­
gen Kaiser, wenn er sich vermählen wollte, eine Ehre wäre, um
die junge Königstochter anzuhalten.«

50 Das kam auch Siegmund zu Ohren, weil die Angehörigen


seines Hofes darüber sprachen. Als er von der Absicht seines
Sohnes erfuhr, betrübte es ihn sehr, daß Siegfried gerade dieses
vornehme Mädchen heiraten wollte.

51 Sieglinde, die Gemahlin des edlen Königs, hörte ebenfalls da­


von. Sie geriet in große Sorge um ihren Sohn, weil sie fürch­
tete, ihn durch Günthers Kämpfer zu verlieren. Deshalb ver­
suchte man, ihn von seiner Werbung abzubringen.

52 Doch der starke Siegfried sagte: »Mein lieber Vater, wenn ich
nicht um die werben kann, zu der mich mein Herz hinzieht,
würde ich eher auf die Liebe adliger Frauen überhaupt verzich­
ten. Nichts, was jemand dagegen einwenden könnte, brächte
mich von meinem Vorhaben ab.«

53 »Da du also deinen Plan nicht aufgeben willst«, erwiderte der


König, »freue ich mich über deine Entschiedenheit, und ich
werde dir bei der Ausführung helfen, so gut ich kann. Aller­
dings hat König Gunther viele verwegene Männer in seinem
Gefolge.

54 Selbst wenn es dort nur den Kämpfer Hagen gäbe, könnte sich
der so übermütig und herausfordernd verhalten, daß ich ernst­
haft fürchte, wir kommen in Bedrängnis. Jedenfalls habe ich
öfter derartiges über die Burgunden gehört.«
26 3- AVEN TIURE

55 »Was mag uns daz gewerren?« sprach do Sivrit.


»swaz ich friwentliche niht ab in erbit,
daz mac doch mit eilen erwerben wol min hant.
ich trow im an ertwingen bediu Hut unde lant.«

56 Do sprach der fürste Sigemunt: »din rede diu ist m ir leit;


wan wurden disiu maere ze Rine geseit,
dune dorftes nimmer geriten in daz lant.
Gunther unde Gernot sint mir lange wol bekant.

57 Mit gewalt niemen erwerben mac die meit«,


so sprach der kunic Sigemunt, »daz ist mir wol geseit.
wellen aber wir mit recken riten in daz lant,
unsern besten friwenden soi diu reise sin bechant.«

58 »Des enist mir niht ze muote«, sprach do Sivrit,


»daz mir suln recken ze Rine volgen mit
durch deheine hervart, daz waere mir leit,
da mit ich solde ertwingen die vil herlichen meit.

59 Si mac sus wol erwerben da min eines hant.


ich wil mit zwelf gesellen in Guntheres lant;
dar suit ir mir helfen, vater Sigemunt.«
do gap man sinen degenen ze kleiden gra unde punt.

60 Do vernam ouch disiu maere sin muoter Sigelint.


si begunde truren umbe ir liebez kint;
ja vorhte si vil sere die Guntheres man.
diu edele kuniginne darumbe weinen began.

61 Do chom der herre Sivrit da er die ffowen sach.


wider sine muoter güetlich er sprach:
»im suit niht weinen durch den willen min.
ja wil ich ane sorge vor allen wiganden sin.
SIEGFRIEDS AN K U N FT IN WORMS 27

55 »Was kann uns das ausmachen?« sagte Siegfried darauf. »Alles,


was ich bei ihnen im guten nicht erreiche, das werde ich mit
Gewalt durchsetzen. Ich traue mir wohl zu, Gunther Land und
Leute abzuzwingen.«

56 Da antwortete der Fürst Siegmund: »Was du da sagst, gefällt


mir nicht; denn wenn das am Rhein bekannt würde, dürftest
du niemals in jenes Land reiten. Dafür kenne ich Gunther und
Gernot lange genug.

57 Mit Gewalt kann niemand das Mädchen erringen«, sagte König


Siegmund, »das weiß ich genau. Wenn wir aber mit einer Schar
von Recken dort hinreiten wollen, dann sollten wir unsere be­
sten Freunde von der bevorstehenden Reise unterrichten.«

58 »Es ist nicht meine Absicht«, erwiderte Siegfried, »daß mich


Recken wie auf einem Heereszug an den Rhein begleiten;
auf solche Art möchte ich das wunderbare Mädchen nicht er­
obern.

59 Ich allein will sie gewinnen. Zwölf Gefährten sollen mit mir in
Gunthers Land ziehen. Helft mir dabei, Vater Siegmund.« Da
stattete man seine Begleiter mit grauen, pelzbesetzten Gewän­
dern aus.

60 Das erfuhr auch seine Mutter Sieglinde. Sie machte sich Sorgen
um ihren lieben Sohn; denn sie fürchtete Gunthers Kämpfer
sehr. Deshalb begann die edle Königin zu weinen.

61 Siegfried ging zu seiner Mutter und sagte liebevoll zu ihr:


»Weint nicht meinetwegen. Glaubt mir, ich werde allen Krie­
gern furchtlos entgegentreten.
28 3- AVEN TIURE

62 Nu helfet mir der reise in Burgonden lant,


daz ich und mine recken haben solch gewant,
daz so stolze degene mit eren mugen tragen,
des wil ich genade iu mit triwen immer sagen.«

63 »Sit du niht wil erwinden«, sprach do Sigelint,


»so hilf ich dir der reise, min einigez kint,
mit der besten waete, die ritter ie getruoch,
dir und den dinen degenen, ir suit ir füeren genuoch.«

64 Des neig ir mit zuhten der vil chüene man.


er sprach: »ich wil zer verte niemen mere han
niwan zwelf gesellen; den soi man prüefen wat.
ich wil versuochen gerne, wie ez umbe Chriemhilde stat.«

65 Da sazen schoene frowen naht unde tac;


luzzil deheiner muoze ir deheiniu pflac,
unze si geworhten die Sivrides wat,
er wolde siner verte han deheiner slahte rat.

66 Sin vater hiez im zieren sin ritterlich gewant,


da mit er varn wolde in Burgonden lant.
die ir vil liehten brünne die wurden ouch bereit,
und ir vil guoten helme, ir Schilde schoen unde breit.

67 Do nahet in ir reise zen Burgonden dan.


si heten umbe ir sorge, wiez im solde ergan,
ob si immer wider solden chomen in daz lant.
do soumte man den degenen von dannen wafifen und gewant.

6« Ir rosse diu warn schoene, ir gereite goldes rot.


lebt iemen ubermuoter, des enwas niht not,
denne waere Sivrit und die sine man.
wie schone er urloubes gerte zen Burgonden dan!
SIEGFRIEDS AN K U N FT IN WORMS 29

62 Nun helft mir bei der Vorbereitung zur Reise nach Burgund,
damit ich und meine Recken solche Gewänder bekommen, die
stolze Kämpfer ehrenvoll tragen können. Dafür will ich euch
immer aufrichtig dankbar sein.«

63 »Da du deinen Plan nicht aufgeben willst«, sagte Sieglinde, »so


besorge ich dir, mein einziges Kind, für diese Reise die besten
Gewänder, die je ein Ritter getragen hat. Du und deine Kämp­
fer, ihr sollt davon reichlich mitnehmen.«

64 Darauf verneigte sich der kühne Mann mit Anstand vor ihr und
sprach: »Ich werde auf der Fahrt nur zwölf Begleiter bei mir
haben, denen soll man die Kleidung zurechtmachen. Ich freue
mich zu erkunden, wie Kriemhild wirklich ist.«

65 Tag und Nacht saßen nun schöne adlige Frauen an der Arbeit;
keine gönnte sich die geringste Ruhe, bis sie die Gewänder für
Siegfried vollendet hatten. Er wollte seine Reiseabsicht keines­
falls aufgeben.

66 Sein Vater ließ die ritterliche Ausrüstung, mit der Siegfried ins
Burgundenland ziehen wollte, bestens herrichten. Ihre glänzen­
den Brustpanzer, die festen Helme und die schönen, großen
Schilde wurden bereitgelegt.

67 Dann kam der Tag ihrer Abreise nach Burgund. Alle waren
voller Sorge, wie es Siegfried ergehen werde, ob er und seine
Gefährten jemals wieder in ihr Land zurückkehren würden.
Schließlich lud man die Waffen und Gewänder für die Helden
auf die Lasttiere.

68 Ihre Pferde sahen prächtig aus, an ihrem Sattelzeug funkelte


rotes Gold. Siegfried und seine Begleiter waren die selbst­
sichersten Männer, die man sich vorstellen konnte. Mit wieviel
Anstand nahm er Abschied, um nach Burgund zu ziehen!
30 3. AV EN TIURE

69 In werte trurechliche der kunic und ouch sin wip.


er tröste minneklichen do ir beider lip,
er sprach: »ir suit niht weinen durch den willen min;
immer ane sorge muget ir wol mines libes sin.«

70 Ez was leit den recken, ez weint ouch manic meit.


ich waen, in hete rehte ir herce daz geseit,
daz in so vil ir friwende da von gelege tot.
von schulden si do klageten; des gie in endeliche not.

71 An dem sehsten morgen ze Wormze uf den sant


riten die vil chüenen. allez ir gewant
was von rotem golde, ir gereite wol getan.
ir ross diu giengen ebene, des herren Sivrides man.

72 Ir Schilde warn niwe, stare unde breit,


unde lieht ir helme, da ze hove reit
Sivrit der vil chüene in Guntheres lant.
man gesach an heleden nie so herlich gewant.

73 Diu ort der swerte giengen nider uf die sporn,


ez fuorten scharpfe geren die ritter uzerchorn;
Sivrit der fuort ir einen wol zweier spannen breit,
der ze sinen ekken harte vreislichen sneit.

74 Die goldes roten zeume fuortens an der hant;


von siden furgebüege. sus chomens in daz lant.
daz volch si allenthalben kapfen an began,
do liefen in engegene des kunic Guntheres man,

75 Die hochgemuoten recken, ritter unde kneht,


die Sprüngen in begegene, daz was michel reht,
und enpfiengen dise geste in ir herren lant.
si namen in die moere und ir Schilde von der hant.
SIEGFRIEDS A N KUN FT IN WORMS 31

69 Traurig gingen der König und seine Gemahlin darauf ein. Sieg­
fried tröstete beide liebevoll und sagte: »Ihr sollt meinetwegen
nicht weinen: um mein Leben braucht ihr keine Angst zu ha­
ben.«

70 Für die Recken war der Abschied schmerzlich, auch viele Mäd­
chen weinten. Ich glaube, ihr Herz sagte ihnen wohl, daß man­
che ihrer Freunde durch dieses Unternehmen umkommen
würden. Sie klagten zu Recht; denn schließlich ergab sich wirk­
lich Grund dazu.

71 Am sechsten Morgen erreichten die Kühnen das Ufer bei


Worms. Ihre Ausrüstung glänzte rotgolden, ihr Sattelzeug war
prächtig. Die Pferde von Siegfrieds Begleitern gingen in gleich­
mäßigem Schritt.

72 Ihre Schilde waren neu, stark und breit, ihre Helme hell, als der
kühne Siegfried in Gunthers Land einritt. Noch nie hatte man
Helden in so herrlicher Ausstattung gesehen.

73 Die Schwertspitzen reichten bis zu den Sporen. Scharfe Wurf­


speere hatten die auserwählten Ritter bei sich. Siegfried trug
einen, der wohl zwei Spannen breit und an den Schneiden
schrecklich scharf war.

74 Das goldfarbene Zaumzeug hielten sie in der Hand; aus Seide


waren die Brustriemen der Pferde. So kamen sie nach Worms.
Das Volk bestaunte sie überall, und König Gunthers Leute lie­
fen ihnen entgegen.

75 Die freudig gestimmten Recken, Ritter und Knappen, eilten auf


die Ankommenden zu, wie es sich gehörte, und empfingen sie
als Gäste im Land ihres Herrn. Sie nahmen ihnen ihre Pferde
und Schilde ab.
32 3- AV EN TIURE

76 Diu ross si wolden dannen ziehen an ir gemach,


Sivrit der starche zuo den helden sprach:
»lat uns noch die moere eine wile stan.
wir wellen schiere hinnen; des ich guoten willen han.

77 Man sol ouch unser Schilde ninder von uns tragen,


wa ich den kunic vinde, kan mir daz iemen sagen,
Günthern den riehen uz Burgonden lant?«
do sagetez im ir einer, dem iz rehte was bekant:

78 »Welt ir den kunic vinden, daz mac vil wol geschehen,


uf jenem sal witen han ich in gesehen
bi den sinen degenen. weit ir zuo zim gan,
ir muget da vor im vinden manigen uzerwelten man.«

79 Do waren ouch dem kunige diu maere nu geseit,


daz uf sinem hofe waeren ritter vil gemeit,
die fuorten liehte brünne und herlich gewant.
si enkande niemen in der Burgonden lant.

80 Den wirt des hete wunder, von wanne koemen dar


die herlichen recken in waete lieht gevar
und mit so schoenen Schilden, niwe unde breit,
daz im daz niemen sagete, daz was im groezliche leit.

81 Des antwurte ein recke, der hiez Ortwin,


starch und chüene mohter wol sin:
»sit wir ir niht erchennen, so suit ir heizen gan
nach mime oheim Hagene, den sul wir si sehen lan.

82 Dem sint kunt diu riche und ouch diu fremden lant.
mager si bekennen, daz tuot er uns bêchant. «
in hiez der chunic bringen, mit den sinen man
sach man in zuhtekliche ze hofe fur den chunic gan.
SIEGFRIEDS AN K U N FT IN WORMS 33

76 Als sie die Pferde wegfiihren und versorgen wollten, sagte der
starke Siegfried zu den Helden: »Laßt die Pferde noch eine
Weile für uns stehen. Wir wollen bald wieder fortreiten; das ist
jedenfalls meine Absicht.

77 Man soll auch unsere Schilde nicht forttragen. Kann mir je­
mand sagen, wo ich den König finde, den mächtigen Gunther
aus dem Burgundenland?« Da gab ihm einer von ihnen, der
Bescheid wußte, Auskunft:

7« »Wollt ihr zum König, so ist das leicht möglich. In jenem


großen Saal habe ich ihn bei seinen Kämpfern gesehen. Wenn
ihr zu ihm geht, werdet ihr dort viele hervorragende Männer
treffen.«

79 Auch dem König wurde die Nachricht überbracht, daß in sei­


nem Burghof äußerst stattliche Ritter mit glänzenden Brust­
panzern und prächtiger Kleidung angekommen seien. Nie­
mand aus dem Burgundenland kannte sie.

so Der König wunderte sich, woher die vornehmen Recken in den


glänzenden Gewändern mit so schönen, neuen und großen
Schilden kämen. Es verdroß ihn, daß ihm niemand Auskunft
geben konnte.

81 Daraufhin schlug Ortwin von Metz, ein anerkannt starker und


mutiger Recke, vor: »Da uns die Angekommenen fremd sind,
laßt Hagen, meinen Oheim, holen, der soll sie sich ansehen.

82 Der kennt die Welt und fremde Länder. Wenn ihm diese Herren
bekannt sind, dann wird er uns das sagen.« Der König ließ
Hagen und seine Leute rufen. Man sah ihn alsbald in ein­
drucksvollem Zug mit seinen Begleitern am Hofe vor den
König hintreten.
34 3- AVENTIURE

83 Waz sin der kunic wolde, des vragete Hagene.


»ez sint in mime huse vremde degene,
die niemen hie bekennet; ob ir si e gesehen
habt in vremden landen, des suit ir Hagene mir verjehen.«

84 »Das tuon ich sicherlichen.« zeinem venster er do gie,


sin ouge er do wenchen zuo den gesten lie.
wol behagete im ir geverte und ouch ir gewant.
si warn im vil vremde in der Burgonden lant.

85 Er sprach: »von swannen fuoren die recken an den Rin,


ez mohten selbe fürsten oder fürsten boten sin.
ir ross diu sint so schoene, ir chleider harte guot.
swannen si joch riten, si sint vil hohe gemuot.«

86 Also sprach do Hagene: »als ich mich kan verstan:


swie ich Sivriden noh nie gesehen han,
so wil ich wol getrowen, swie ez sich gefuoget hat,
so ist ez der recke, der dort so herlichen stat.

87 Er bringet niwe maere her in dizze lant.


die chüenen Nibelunge sluoch des heldes hant,
Schilbunc und Nibelunc, diu riehen kuniges chint.
er frumte starchiu wunder mit siner grozen chrefte sint.

88 Da der heit aleine an alle helfe reit,


er vant vor einem berge, daz ist mir wol geseit,
bi Nibelunges horde vil manigen küenen man.
die warn im e fremde, unz er ir chunde da gewan.

89 Hort der Nibelunges , der was gar getragen


uz einem holn berge, nu hoeret wunder sagen,
wie in teilen wolden der Nibelunge man.
daz sach der degen Sivrit, den heit es wundern began.
SIEGFRIEDS A N KUN FT IN WORMS 35

83 Hagen erkundigte sich nach dem Anliegen des Königs. Der


sagte: »In meiner Burg sind fremde Kämpfer angekommen, die
keiner hier kennt. Wenn ihr sie in anderen Ländern schon gese­
hen habt, so gebt mir Auskunft.«

84 »Selbstverständlich«, antwortete Hagen. Er trat an ein Fenster


und nahm die Fremden in Augenschein. Zwar gefielen ihm ihre
Erscheinung und ihre Kleidung sehr, aber sie waren auch ihm
vollkommen fremd im Land der Burgunden.

85 Er sagte: »Woher die Recken auch an den Rhein gekommen


sind, es könnten Fürsten oder Abgesandte von Fürsten sein.
Ihre Pferde sind so schön, ihre Gewänder äußerst prächtig.
Ganz gleich, von wo sie hergeritten kommen, sie sind sehr
selbstbewußte Leute.«

86 Dann sprach Hagen weiter: »Ich nehme folgendes an: Obwohl


ich Siegfried noch nie gesehen habe, glaube ich, daß er der
Recke ist, der dort so großartig steht - wer weiß, was ihn
herführt.

87 Sicher bringt er Neuigkeiten in unser Land. Der Held hat mit


eigener Hand die tapferen Nibelungen erschlagen, Schilbung
und Nibelung, die mächtigen Königssöhne. Später vollbrachte
er mit seiner großen Kraft wunderbare Taten.

88 Als der Held einst allein, ohne jede Begleitung, ausgeritten war,
fand er vor einem Berg, wie ich gehört habe, viele tapfere Män­
ner bei dem Schatz der Nibelungen. Vor dieser Begegnung hatte
er sie nicht gekannt.

89 Der Nibelungenschatz war vollständig aus einer Berghöhle her­


ausgetragen worden. Nun vernehmt die seltsame Geschichte,
wie ihn die Nibelungen teilen wollten. Das beobachtete der
Kämpfer Siegfried und wunderte sich darüber.
36 3- AVEN TIURE

90 Er chom zuo zin so nahen, daz er die recken sach


und ouch in die degene, ir einer drunder sprach:
>hie chumt der starche Sivrit, der helt von Niderlant.<
vil seltsaeniu maere er an den Nibelungen vant:

91 Den recken wol enpfiengen Schilbunc und Nibelunc.


mit gemeinem site die edeln fürsten junc
den schaz in baten teilen, den vil chüenen man,
und batens in so lange, unz er inz loben began.

92 Er sach so vil gesteines, als wir hoeren sagen,


hundert chantzwägene ez mohten niht getragen,
noch me des roten goldes von Nibelunge lant.
daz solde in allez teilen des chüenen Sivrides hant.

93 Do gaben si im ze miete daz Nibelunges swert.


si wurden mit dem dienste vil ubele gewert,
den in da leisten solde der vil chüene man.
ern kundes niht verenden, do wart der heit von in bestan.

94 Den schätz er ungeteilet beliben muose lan.


do begunden mit im striten der zweier kunige man.
mit ir vater swerte, daz Palmunch was genant,
ez streit ab in der chüene den hört und Nibelunge lant.

95 Si heten da ir friunde zwelf chüene man,


die starch als risen warn, waz chundez si vervan?
die sluoch sit mit zorne diu Sivrides hant,
und recken sibenhundert dwanger von Nibelunge lant.

96 Dar zuo die riehen kunige die sluoger beide tot.


er chom von Albriche sit in groze not.
der wände sine herren rechen da zehant,
unz er die grozen sterche sit an Sivride vant.
SIEGFRIEDS A N KUN FT IN WORMS 37

90 Er ging so nahe heran, daß er die Recken sehen konnte und sie
ihn auch. Einer von ihnen sagte: >Hier kommt der starke Sieg­
fried, der Held aus Niederlande Höchst merkwürdige Dinge
erlebte er bei den Nibelungen:

91 Schilbung und Nibelung empfingen den Recken freundlich.


Nach gemeinsamer Beratung baten die edlen jungen Fürsten
den tapferen Siegfried, den Schatz für sie zu teilen, und sie
drängten ihn solange, bis er es ihnen zusagte.

92 Wie erzählt wird, sah er so viele Edelsteine, daß hundert Wagen


sie nicht hätten fassen können, und noch größer war die Menge
roten Goldes aus dem Nibelungenland. Das alles sollte der
kühne Siegfried für sie aufteilen.

93 Zum Lohn gaben sie ihm das Schwert Nibelungs. Doch mit
dem Dienst, den ihnen der tapfere Mann erweisen sollte, waren
sie schlecht bedient. Als er die Teilung nicht zu Ende bringen
konnte, wurde der Held von ihnen bedrängt.

94 Trotzdem ließ er den Schatz ungeteilt liegen. Daraufhin griffen


ihn die Begleiter der beiden Könige an. Doch mit ihres Vaters
Schwert, das Balmung hieß, erkämpfte der tapfere Siegfried den
Schatz und das Nibelungenland für sich.

95 Sie hatten unter ihren Freunden zwölf tapfere Männer, die so


stark wie Riesen waren. Doch was half ihnen das? Siegfried
erschlug sie alsbald voller Zorn mit eigener Hand, und er be­
zwang noch weitere siebenhundert Recken aus dem Nibelun­
genland.

96 Außerdem erschlug er die beiden mächtigen Könige. Danach


geriet er selbst durch Alberich in große Bedrängnis. Der hatte
zunächst gehofft, seine Herren schnell rächen zu können, bis er
schließlich merkte, wie groß Siegfrieds Kraft war.
38 3- AVEN TIURE

97 Done chunde im gestriten daz starche getwerch.


alsam die lewen wilde si liefen an den berch.
da er die tarnkappen Albriche ane gewan,
do wart des hordes herre Sivrit der vil chüene man.

98 Die da getorsten striten, die lagen alle erslagen.


den schätz hiez er do balde ftieren unde tragen
da in e da namen die Nibelunges man.
Albrich der vil starche do die kameren gewan.

99 Er muos im swern eide, er dient im so sin kneht.


aller hande dienste was er im gereht.«
so sprach von Tronege Hagene: »daz hat er getan,
also grozer chrefte nimere recke gewan.

100 Noch weiz ich an im mere, daz mir ist bekant.


einen lintrachen sluoch des heledes hant.
do badet er in dem bluote; des ist der heit gemeit
von also vester hüte, daz in nie wafen sit versneit.

101 Nu suln wir den recken enpfahen deste baz,


daz wir iht verdienen den sinen starchen haz.
sin lip der ist so chüene, man soi in holden han.
er hat mit sinen eilen so mänigiu wunder getan.«

102 Do sprach der chunich riche: »du mäht wol haben war.
nu sich wie degenliche er stet gein strites var,
er unt die sine degene, der wunderchüene man.
wir suln im begegene hin nider zuo dem recken gan.«

103 »Daz mugt ir«, sprach do Hagene, »wol mit eren tuon.
er ist von hohem chunne, eines riehen kuniges suon,
er stet in der gebaere, mich dunchet, wizze Christ,
ez ensin niht kleiniu maere, darumbe er her geriten ist.«
SIEGFRIED S A N K U N FT IN WORMS 39

97 Der starke Zwerg konnte sich nicht gegen Siegfried behaupten.


Wie zwei wilde Löwen rannten sie auf den Berg zu. Nachdem er
Alberich die Tarnkappe entrissen hatte, war der kühne Siegfried
Herr des Schatzes.

98 Alle, die zu kämpfen gewagt hatten, lagen erschlagen am Bo­


den. Den Schatz ließ er dann dorthin zurückbringen, wo ihn
die Nibelungen zuvor hergeholt hatten. Der besonders starke
Alberich wurde als Hüter des Schatzes eingesetzt.

99 Er mußte Siegfried einen Eid schwören, ihm als sein Knecht zu


dienen. Alberich war zu allen Diensten bereit.« So lautete der
Bericht Hagens von Tronje: »Das sind Siegfrieds Taten. Nie
wieder hat es einen so kraftvollen Recken gegeben.

100 Ich weiß noch mehr von ihm, was ich gehört habe. Einen Dra­
chen hat Siegfried getötet. Dann badete er in dessen Blut; da­
durch hat der großartige Held eine so feste Haut bekommen,
daß ihn seitdem nie wieder eine Waffe verletzen konnte.

101 Wir sollten den Recken so freundlich wie möglich empfangen,


damit wir uns nicht seine Feindschaft zuziehen. Er ist so
kampfbegierig, daß man ihn zum Freund gewinnen sollte. Mit
seiner Stärke hat er schon viele wunderbare Taten vollbracht.«

102 Der mächtige König antwortete: »Du hast sicher recht. Sieh
nur, wie verwegen und kampfbereit der außerordentlich kühne
Mann und seine Kämpfer dastehen. Wir werden dem Recken
entgegengehen.«

103 »Das könnt ihr tun«, sagte Hagen, »ohne eure Ehre zu beschä­
digen. Er stammt aus edlem Geschlecht als Sohn eines mächti­
gen Königs. Nach der Art seines Auftretens zu urteilen, scheint
mir, bei Gott, es handelt sich um eine wichtige Sache, deret-
wegen er hierhergeritten ist.«
40 3. AV EN TIURE

104 Do sprach der wirt des landes: »nu si uns willechomen.


er ist edel unde chüene, daz han ich wol vernomen.
des sol ouch er geniezen in Burgonden lant.«
do gie der chunic Gunther, da er Sivriden vant.

105 Der wirt und sine recken enpfiengen so den gast,


daz in an ir zuhten wenich iht gebrast.
des begunde in nigen der vil chüene man.
man sah in zuhtekliche mit den sinen recken stan.

106 »Mich wundert dirre maere«, sprach der wirt zehant,


»von wanne ir, edel Sivrit, sit chomen in daz lant,
oder waz ir werbet ze Wormez an den Rin.«
do sprach der gast zem kunige: »daz soi iuch unverdaget sin.

107 Mir wart gesaget maere in mins vater lant,


daz hie bi iu waeren, daz het ich gern erkant,
die chüensten recken, des han ich vil vernomen,
die ie kunic gewunne. dar umbe bin ich her bechomen.

108 Ouch hört ich iu selben der degenheite jehen,


daz man kunic deheinen chüener habe gesehen,
des giht iu vil der liute über elliu disiu lant.
nune wil ich niht erwinden, unz ez mir werde bêchant.

109 Ich bin ouch ein recke und solde chrone tragen,
ich wil daz gern fliegen, daz si von mir sagen,
daz ich habe von rehte liute unde lant.
darumbe sol min ere und min houbt wesen pfant.

i io Nu ir sit so chüene, als mir ist geseit,


jane ruoche ich, ist iemen liep oder leit,
ich wil an iu ertwingen, swaz ir mugt han.
lant unde burge, daz soi mir wesen allez undertan.«
SIEGFRIEDS A N K U N FT IN WORMS 41

104 Darauf antwortete der Landesherr: »Nun soll er uns willkom­


men sein. Daß er von adliger Herkunft und kühn ist, höre
ich gern. Darum verdient er auch im Land der Burgunden
gebührende Achtung.« Dann ging König Gunther zu Siegfried
hin.

los Der Landesherr und sein Gefolge empfingen den Gast so, wie es
dem höfischen Anstand entsprach. Siegfried, der kühne Mann,
verneigte sich. Man sah ihn mit seinen Recken in formvollen­
deter Haltung dastehen.

106 »Ich bin gespannt«, sagte der König sogleich, »weshalb ihr,
edler Siegfried, in dieses Land gekommen seid oder was ihr
in Worms am Rhein vorhabt.« Da antwortete der Gast dem
König: »Das soll euch nicht verborgen bleiben.

107 Mir wurde im Land meines Vaters berichtet, daß es hier bei
euch die tapfersten Recken gäbe, die je ein König um sich ver­
sammelte. Ich bin hergekommen, um mich von dem zu über­
zeugen, was ich gehört habe.

io« Auch wurdet ihr selbst solcher Kühnheit gerühmt, daß es kei­
nen mutigeren König geben soll. Von eurem Ruhm spricht man
viel in allen Ländern. Nun will ich auf jeden Fall feststellen, ob
das zutrifit.

109 Ich bin selbst ein Fürst und sollte bereits die Königskrone
tragen. Aber ich möchte erreichen, daß man von mir sagt, ich
besäße die Herrschaft über Land und Leute zu Recht. Dafür
will ich mein Ansehen und meinen Kopf einsetzen.

i io Auch wenn ihr so tapfer seid, wie mir berichtet wurde, habe ich
die Absicht, ganz gleich, ob es jemandem paßt oder nicht, euch
alles, was ihr besitzt, mit Gewalt abzuringen. Euer Land und
eure Burgen sollen mir untertan sein.«
42 3- AV EN TIU RE

111 Den chunic hete wunder und sine man allesam


umbe disiu maere, die er hie vernam,
daz er des hete willen, er naeme im siniu lant.
daz horten sine degene, do wart in zürnen bêchant.

1 12 »Wie hete ich daz verdienet«, sprach Gunther der degen,


»des min vater lange mit eren hat gepflegen,
daz wir daz solden vliesen von iemannes kraft?
wir liezen übel schinen, daz ouch wir pflegen ritterschaft.«

113 »Ich enwil es niht erwinden«, sprach aber der chüene man.
»ez enmuge von dinem eilen din lant den vride han,
ich wils alles walten, und ouch diu erbe min,
erwirbestuz mit eilen, die suln von rehte wesen din.

i U Din lant und ouch daz mine suln geliche ligen:


sweder unser einer am andern mac gesigen,
dem soi ez allez dienen, die liute und ouch diu lant.«
da widerredet aleine der herre Gernot zehant.

ns »Wir han des niht gedingen«, sprach do Gernot,


»daz wir iht lande irtwingen, daz iemen drumbe tot
gelige vor recken handen. wir haben richiu lant,
diu dienent uns von rehte, ze nieman sint si baz bewant.«

116 In vil grimmem muote da stuonden die friunde sin.


do was ouch dar under der herre Ortwin,
der sprach: »disiu suone ist mir von hercen leit.
iu hat der starche Sivrit unverdienet widerseit.

117 Ob ir und iwer bruoder hetet niht die wer,


und ob er danne fuorte ein michil kuniges her,
ich trowte wol erstriten, daz der chüene man
die grozen ubermuote von warn schulden muose lan.«
SIEGFRIEDS A N KUN FT IN WORMS 43

111 Den König und alle seine Leute versetzte die Rede, die sie ver­
nahmen, in höchste Verwunderung, daß nämlich Siegfried dar­
auf aus war, Gunther seine Länder streitig zu machen. Als seine
Kämpfer das hörten, gerieten sie in Zorn.

112 »Womit hätte ich es verschuldet«, fragte Gunther, der Kämpfer,


»das, was mein Vater lange ehrenvoll beherrscht hat, an einen
Herausforderer zu verlieren? Wenn wir dies zuließen, würden
wir uns als schlechte Ritter erweisen.«

in »Ich werde mein Vorhaben nicht aufgeben«, erwiderte der


kühne Mann. »Wenn du durch deine Kraft deinem Land den
Frieden nicht sichern kannst, will ich über alles herrschen. Das­
selbe gilt umgekehrt auch für meine Erblande, wenn du sie im
Zweikampf erringst, sollen sie dir rechtmäßig gehören.

114 Dein Land und das meine bilden den gleichen Einsatz: Wer von
uns beiden den anderen besiegen kann, dem soll alles untertan
sein, Leute und Land.« Da widersprach als einziger Gernot
sofort.

ns »Wir haben nicht die Absicht«, sagte Gernot, »irgendwelche


Länder gewaltsam zu erringen und irgend jemanden deshalb zu
töten. Wir besitzen selbst reiche Länder, die wir rechtmäßig
beherrschen, niemandem stehen sie mehr zu.«

116 In großer Erregung standen neben Gernot seine Freunde. Unter


ihnen war auch Herr Ortwin, der sagte: »Dieser Befriedungs­
versuch ist mir zuwider. Der starke Siegfried hat euch grundlos
herausgefordert.

ii? Wenn ihr und eure Brüder keine Gegenwehr aufbringt und
selbst wenn Siegfried dann ein großes königliches Heer aufböte,
traute ich mir zu, so gut zu kämpfen, daß der kühne Mann
seine große Überheblichkeit unbedingt aufgeben müßte.«
44 3- AVENTIURE

1is Daz zurnde harte sere der helt von Niderlant:


»sich ensol niht vermezzen wider mich din hant.
ich bin ein kunic riche, so bistu kuniges man.
ja enzimt dir niht mit strite deheinen minen genoz bestan.«

119 Nach swerten rief do sere von Metzen Ortwin;


er mohte Hagenen swester sun von Tronege vil wol sin.
daz der so lange dagete, daz was dem kunige leit.
do understuondez Gemot, der ritter chüene und gemeit.

120 Er sprach ze Ortwine: »lat iwer zürnen stan!


uns enhat herre Sivrit solhes niht getan,
wir mugen ez noch wol scheiden mit zuhten; dest min rat,
und haben in ze friunde, daz uns lobelicher stat.«

121 Des antwurte Hagene: »uns mac wol wesen leit,


allen iwern degenen, daz er ie gereit
durch striten her ze Rine. er soldez haben lan.
im heten min herren solher leide niht getan.«

122 Do sprach aber Sivrit, der chreftige man:


»muote iuch daz, her Hagene, daz ich gesprochen han,
so sol ich lazen chiesen, daz die hende min
wellent vil gewaldech hie zen Burgonden sin.«

123 »Daz sol ich eine wenden«, sprach do Gernot.


allen sinen degenen reden er verbot
iht mit ubermüete, des im waere leit.
do gedaht ouch Sivrit an die vil herlichen meit.
SIEGFRIEDS. A N KUN FT IN WORMS 45

ns Das brachte den Helden aus Niederland in heftigen Zorn. Er


rief: »Wage es nicht, deine Hand gegen mich zu erheben. Ich
bin ein mächtiger König, du aber bist nur der Lehnsmann eines
Königs. Es steht dir wirklich nicht zu, im Kampf gegen meines­
gleichen anzutreten.«

119 Da rief Ortwin von Metz laut nach Schwertern; damit erwies er
sich als Neffe Hagens von Tronje. Daß dieser so lange schwieg,
ärgerte den König. Da trat Gernot, der kühne und stolze Ritter,
vermittelnd dazwischen.

120 »Haltet euren Zorn zurück!« sagte er zu Ortwin. »Herr Sieg­


fried hat uns nichts getan, was wir nicht noch auf höfische Art
schlichten könnten; das ist jedenfalls mein Rat, und außerdem
ist es besser für uns, ihn zum Freund zu haben.«

121 Darauf antwortete Hagen: »Wir, und zwar alle eure Kämpfer,
sind zu Recht betroffen, daß Siegfried hierher an den Rhein ge­
kommen ist, um uns zum Kampf herauszufordern. Das hätte
er besser unterlassen sollen. Meine Herren hätten ihm niemals
eine solche Beleidigung zugefugt.«

122 Doch Siegfried, der starke Mann, entgegnete: »Wenn euch das
kränkt, Herr Hagen, was ich gesagt habe, dann werde ich deut­
lich machen, daß ich mich hier im Burgundenland mit Gewalt
durchsetzen kann.«

123 »Das werde ich auf jeden Fall verhindern«, erwiderte Gernot. Er
verbot allen seinen Kämpfern, irgend etwas Herausforderndes
zu sagen, was den Gast beleidigen könnte. Da fiel Siegfried das
wunderbare Mädchen wieder ein.
46 3- AV EN TIURE

124 »Wie zaeme uns mit iu striten?« sprach aber Gernot.


»swaz helde nu dar under muosen ligen tot,
wir hetens luzzil ere, ob wir ez wolden tuon.«
des antwurt Sivrit, des kunic Sigemundes suon:

125 »Warumbe bitet Hagene und ouch Ortwin,


daz er niht gahet striten mit den friunden sin,
der er also manigen hie ze lande hat?«
si muosin rede vermiden; daz was Gernotes rat.

126 »Ir suit uns wesen willechomen«, sprach Giselher daz kint,
»und iwer hergesellen, die hie mit iu sint.
wir suln iu gerne dienen, ich und die mage min.«
do hiez man den gesten schenchen Guntheres win.

127 Do sprach der wirt des landes: »allez daz wir han,
geruochet irs nach eren, daz si iu undertan,
und si mit iu geteilet, lip unde guot.«
do wart der herre Sivrit ein luzzel senfter gemuot.

128 Do hiez man in behalten alliz ir gewant.


man gab in herberge, die besten die man vant,
Sivrides knappen man schuof in guot gemach,
den gast man sit vil gerne da zen Buregonden sach.

129 Man bot im michel ere darnach ze manigen tagen,


tusint stunden mere, danne ich iu künde gesagen.
daz hete verscholt sin eilen, ir suit wol wizzen daz,
in sach vil luzzil iemen, der im waere gehaz.

130 Sich vlizzen kurzewile die kunige und ouch ir man.


so was er ie der beste, swes man da began.
des chunde im volgen niemen, so michel was sin kraft,
so si den stein würfen oder schuzzen den schaft.
SIEGFRIEDS A N KUN FT IN WORMS 47

124 »Es ziemt sich nicht für uns, mit euch zu kämpfen«, sagte wie­
derum Gernot. »Da viele Helden dabei den Tod finden müßten,
hätten wir wenig Ehre davon, darauf einzugehen.« Da antwor­
tete Siegfried, König Siegmunds Sohn:

125 »Warum zögert Hagen wie auch Ortwin, zusammen mit seinen
Freunden, von denen er so viele im Burgundenland hat, sofort
den Kampf aufzunehmen?« Sie mußten auf eine Antwort ver­
zichten; das entsprach Gernots Anweisung.

126 »Seid uns mit euren Kampfgefährten, die euch begleiten, will­
kommen«, sagte der junge Giselher. »Wir werden euch gern zu
Diensten stehen, ich und meine Verwandten.« Daraufhin ließ
man den Gästen Gunthers Wein einschenken.

127 Dann sprach der Landesherr: »Wenn ihr es ehrenvoll in An­


spruch nehmt, steht euch alles, was wir haben, zur Verfügung,
und wir teilen Leben und Gut mit euch.« Das stimmte Siegfried
etwas freundlicher.

128 Ihre Rüstungen ließ man in Verwahrung nehmen. Man gab ih­
nen die bestmögliche Unterkunft und sorgte für die Bequem­
lichkeit von Siegfrieds Knappen. Er selbst war seitdem bei den
Burgunden ein gerngesehener Gast.

129 Danach erwies man ihm viele Tage lang große Ehre, tausend­
mal mehr, als ich euch sagen könnte. Das verdankte er seiner
Kraft. Ihr könnt glauben, niemand betrachtete ihn mit feind­
lichen Gedanken.

no Die Könige und ihr Gefolge vertrieben sich die Zeit mit höfi­
schen Spielen. Siegfried war bei allem, was man unternahm,
immer der Beste. Seine Kraft war so groß, daß keiner ihm
gleichkam, wenn sie den Stein oder den Speer warfen.
48 3. AV EN TIURE

131 Swa so vor den frowen durch ir hofscheit


churzewile pflagen die ritter vil gemeit,
da sah man ie vil gern den helt uz Niderlant.
er het uf hohe minne sine sinne gewant.

132 Ze hofe die schoenen frowen vrageten maere,


wer der stolze vremde recke waere.
»sin lip der ist so schoene, vil riche sin gewant!«
do sprachen ir genuoge: »ez ist der chunic von Niderlant.«

133 Swes iemen da begunde, des was sin lip bereit,


er truoch in sinem muote ein minnekliche meit,
und ouch in ein diu frowe, die er noch niene gesach,
diu im in heinliche vil dicke guotliche sprach.

134 Swenne ufem hofe wolden spilen da diu kint,


ritter unde knappen, daz sach vil dicke sint
Chriemhilt durch diu venster, diu kuniginne her.
deheiner kurzewile bedorfte diu kuniginne mer.

ns Und wesser, daz in saehe die er in hercen truoch,


da het er kurcewile immer ane genuoch.
soit ouch er si sehen, ir suit gelouben daz,
daz im in dirre werlde chunde nimmer werden baz.

136 Swenner bi den recken uf dem hofe stuont,


also noch die liute durch kurzewile tuont,
so stuont so minnekliche daz Sigelinde chint,
daz in durch hercenliebe trute manic frowe sint

137 Er daht ouch manige zite: »wie soi daz geschehen,


daz ich die maget edele mit ougen muge gesehen,
die ich von hercen minne und lange han getan?
diu ist mir vil vremde, des muoz ich dicke truric stan.«
SIEGFRIEDS A N KUN FT IN WORMS 49

131 Überall, wo die stattlichen Ritter nach höfischer Sitte den Da­
men des Hofes ihre Spiele vorfiihrten, sah man den Helden aus
Niederland stets gern. Sein Herz aber war von Liebessehnsucht
erfüllt.

132 Die schönen Damen des Hofes fragten, wer denn der stolze
fremde Recke wäre. »Seine Gestalt ist so schön, seine Kleidung
so prächtig!« Da erhielten sie von vielen Seiten die Antwort: »Es
ist der König von Niederland.«

133 An allem, was man unternahm, beteiligte er sich. In seinen Ge­


danken beschäftigte ihn das liebenswerte Mädchen, und auch
Kriemhild, die er noch nie zu Gesicht bekommen hatte, dachte
an ihn, und sie sprach insgeheim sehr oft freundlich von ihm.

134 Immer, wenn auf dem Hof die jungen Leute, Ritter und Knap­
pen, ihre Kampfspiele begannen, sah Kriemhild, die stolze
Königin, von den Fenstern aus zu. Eine andere Unterhaltung
brauchte sie nicht mehr.

135 Wenn Siegfried gewußt hätte, daß sie, die er in sein Herz ge­
schlossen hatte, ihn beobachtete, dann wäre seine Freude groß
gewesen. Sie endlich sehen zu können, glaubt mir, nichts auf
der Welt hätte ihm mehr bedeutet.

136 Immer, wenn er neben den Recken auf dem Hof stand, so wie
es die Leute noch heute bei den Kampfspielen tun, wirkte
Sieglindes Sohn derart liebenswert, daß ihm die Herzen vieler
Damen zuflogen.

137 Er aber dachte die ganze Zeit: »Wie wird es möglich sein, daß
ich die junge Fürstin, die ich schon so lange herzlich liebe, end­
lich mit eigenen Augen sehe? Ich habe sie immer noch nicht
kennengelernt, und das macht mich oft traurig.«
50 3- AV EN TIURE

138 Swenne die kunige riche riten in ir lant,


so muosin ie die recken mit in al zehant.
da mit reit ouch Sivrit, daz was den frowen leit.
er het durch hohe minne dicke michel arebeit.

139 Sus wonter bi den herren, daz ist al war,


in Guntheres lande volleklich ein jar.
daz er die minneklichen die zite niene gesach,
von der im sit vil liebe und ouch vil leide geschach.
SIEGFRIEDS ANKUN FT IN WORMS 51

138 Jedesmal, wenn die mächtigen Könige in ihr Land ausritten,


mußten die Recken sie begleiten. Daß Siegfried mit fortritt,
betrübte die Damen. Ihn selbst erfüllte seine große Liebe mit
tiefer Sehnsucht.

139 Auf diese Weise verbrachte Siegfried bei den Herren in


Gunthers Land tatsächlich ein ganzes Jahr. In dieser Zeit kam es
nicht dazu, daß er die Geliebte, durch die er später viel Freude
und Leid erleben sollte, auch nur ein einziges Mal sah.
4. AVENTIURE
AVENTIURE WIE SIVRIT MIT DEN SAHSEN STREIT

140 Do chomen vremdiu maere in Guntheres lant


von boten, die im verre warn dar gesant
von unchunden recken, die in truogen haz.
do si die rede vernamen, leit was in innekliche daz.

hi Die wil ich iu nennen: ez was Liudeger


uzer Sahsen lande, ein richer furste her,
und ouch von Tenemarche der kunic Liudegast,
an dem sinen vriunden ganzer helfe nie gebrast.

142 Ir boten chomen warn in Buregonden lant,


die ir widerwinnen heten dar gesant.
do vragte man der maere die unchunden man.
do braht man si balde ze hofe fur den kunic stan.

143 Do sprach der kunic Gunther: »nu sit willekomen.


wer iuch her habe gesendet, des enhan ich niht ver nomen;
daz suit ir lazen hoeren«, sprach der ritter guot.
do vorhten si vil sere den grimmen Guntheres muot.

144 »Welt ir uns, kunic, erlouben, daz wir iu maere sagen,


diu wir iu da bringen, sone suln wir niht verdagen,
wir nennen iu die herren, die uns here habent gesant:
Liudegast und Liudeger. die wellent suochen iwer lant.
4- AVENTIURE
WIE SIEGFRIED GEGEN DIE SACHSEN KÄMPFTE

140 Eines Tages brachten Boten befremdliche Nachrichten in


Gunthers Land; unbekannte Recken, die Feindschaft gegen die
Könige hegten, hatten sie von weither gesandt. Als die Burgun-
den die Botschaft hörten, war das für sie eine schwere Belei­
digung.

ui Ich will euch die Auftraggeber nennen: Es waren Liudeger, ein


mächtiger und stolzer Fürst aus dem Sachsenland, und außer­
dem König Liudegast von Dänemark, der seinen Verwandten
und Freunden niemals großzügige Hilfe versagte.

142 Ihre Boten waren in feindlichem Auftrag ins Land der Bur-
gunden gekommen. Man fragte die unbekannten Männer nach
ihrer Botschaft und führte sie sogleich zum Hof vor den
König.

143 Da sprach König Gunther: »Seid willkommen. Wer euch herge­


schickt hat, habe ich noch nicht erfahren; laßt es mich hören.«
Das waren die Worte des edlen Ritters. Die Boten fürchteten
einen Zornausbruch Gunthers.

144 »Wenn ihr, Herr König, uns gestattet, euch die Botschaft vorzu­
tragen, die wir bringen, dann werden wir nicht schweigen, son­
dern euch die Herren nennen, die uns hergesandt haben: Es
sind Liudegast und Liudeger. Sie wollen gegen euer Land Krieg
führen.
54 4- AVEN TIURE

145 Ir habt ir haz verdienet, ir suit gelouben daz,


daz iu die recken beide tragent grozen haz.
si wellent herverten ze Wormze an den Rin.
in hilfet vil der degene, des suit ir ane zwifel sin.

146 Inre zwelf wochen ir reise soi geschehen,


habt ir iemen vriunde, daz lat vil balde sehen,
die iu vriden helfen die burge und iwer lant.
hie wirt von in verhowen vil manic herlicher rant.

147 Oder weit ir mit in dingen, so enbietet ez in dar;


sone ritent iu so nahen niht die starchen schar
ze Wormez zuo dem Rine uf hercenlichiu leit,
da von verderben müezen die guoten ritter gemeit.«

148 »Nu bitet eine wile«, sprach der kunic guot,


»unz ich mih baz versinne, ich kund iu minen muot.
han ich getriwer iemen, die soi ich niht verdagen
disiu starchen maere sol ich minen friwenden sagen.«

149 Dem kunige disiu maere warn leide genuoc;


die rede er tougenliche in sime hercen truoc.
er hiez gewinnen Hagenen und ander sine man
und bat ouch harte balde ze hofe nach Gernote gan.

iso Do chomen im die besten, swaz man der da vant.


er sprach: »man wil uns suochen her in unser lant
mit starchen herverten. daz lat iu wesen leit.
ez ist gar ane schulde, daz si uns habent widerseit.«

151 »Daz wem wir mit swerten«, sprach do Gernot.


»da sterbent wan die veigen, die müezen ligen tot.
dar umbe ich niht vergezzen mac der eren min.
die unser widerwinnen suln uns willechomen sin.«
DER SA CHSEN- UN D DÄ NENKRIEG 55

us Ihr habt ihre Feindschaft auf euch gezogen und könnt glauben,
daß beide Recken von großem Haß gegen euch erfüllt sind. Sie
wollen mit ihrem Heer nach Worms an den Rhein reiten. Viele
Kämpfer unterstützen sie, daran solltet ihr nicht zweifeln.

146 Der Kriegszug wird innerhalb von zwölf Wochen erfolgen. Habt
ihr Freunde, die eure Burgen und euer Land beschützen helfen,
bietet sie schnell auf. Unsere Herren werden hier viele stattliche
Schilde im Kampf zerschlagen.

147 Doch wenn ihr verhandeln wollt, teilt ihnen das mit; dann
reiten die großen Heerscharen nicht so weit bis nach Worms
an den Rhein, um euch hart anzugreifen, was vielen tapferen
Rittern das Leben kosten würde.«

148 »Nun gebt mir etwas Bedenkzeit«, sagte der edle König, »ich
teile euch dann meine Absicht mit. Ich habe treue Verbündete,
denen werde ich die unerhörten Nachrichten nicht verschwei­
gen, ich will sie meinen Freunden kundtun.«

149 Den König bedrängten diese Angelegenheiten sehr; doch er be­


hielt sie zunächst für sich. Er ließ Hagen und andere von seinen
Leuten holen und bat auch alsbald Gernot an den Hof.

iso Da versammelten sich die Besten, die zu finden waren. König


Gunther sagte: »Man will uns mit einem großen Heer angrei­
fen. Das wird euch empören. Grundlos haben uns die Dänen
und Sachsen den Krieg erklärt.«

151 »Dagegen werden wir uns mit unseren Schwertern zur Wehr
setzen«, entgegnete Gernot. »Sterben werden nur die, denen es
bestimmt ist, sie bleiben tot auf dem Kampfplatz zurück. Des­
halb kann ich meine Ehre nicht vergessen. Unsere Angreifer
sollen uns willkommen sein.«
56 4- AVEN TIURE

152 Do sprach der starche Hagene: »daz endunchet mich niht guot.
Liudegast und Liudeger die tragent ubermuot.
wir mugen uns niht besenden in so churzen tagen«,
so sprach der chüene recke: »wan muget irz Sivride sagen?«

153 Die boten herbergen hiez man in die stat.


swie vient man in waere, doch schone ir pflegen bat
Gunther der riche, daz was wolgetan,
unz er ervant an vriunden, wer im wolde gestan.

154 Dem kunige in sinen sorgen was iedoch vil leit.


do sach in trurende ein degen vil gemeit,
der niht wizzen künde, waz im was geschehen,
do bat er im der maere den kunic Gunther verjehen.

155 »Mich wundert harte sere«, sprach do Sivrit,


»wie habt ir so verkeret die vroliche sit,
der ir nu mit uns lange habt alher gepflegen.«
des antwurt im do Gunther, der vil zierlich degen:

156 »Jane mag ich allen liuten die swaere niht gesagen,
die ich muoz tougenliche in mime hercen tragen,
man soi staeten friunden chlagen hercen not.«
diu Sivrides varwe wart beidiu bleich unde rot.

157 Er sprach zuo dem kunige: »habt uf minen eit,


ich soi iu helfen wenden elliu iweriu leit.
weit ir vriunde suochen, der soi ich einer sin,
und trowe ez wol mit eren Volbringen an daz ende min.«
DER SA CHSEN- UND DÄNENKRIEG 57

152 Darauf sagte der starke Hagen: »Das scheint mir unklug. Liu-
degast und Liudeger sind sehr verwegen. In so kurzer Zeit kön­
nen wir unsere Truppen nicht versammeln«, dann fügte der
kühne Recke hinzu: »Warum könnt ihr Siegfried nicht Bescheid
sagen?«

153 Die Boten ließ man in der Stadt unterbringen. Der mächtige
Gunther hatte Anweisung gegeben, sie trotz allem gut zu ver­
sorgen, auch wenn man sie als Feinde betrachtete. Und das war
klug so, bis er gehört hatte, wer von seinen Freunden ihn unter­
stützen würde.

154 Den König bedrückten seine Sorgen schwer. In dieser Nieder­


geschlagenheit traf ihn der unerschrockene Kämpfer Siegfried,
der nichts von der Kriegserklärung wissen konnte. Deshalb bat
er König Gunther, ihm zu sagen, was vorgefallen war.

155 »Ich verstehe nicht«, fragte Siegfried, »wieso ihr die fröhliche
Art, in der ihr bisher mit uns umgegangen seid, plötzlich ins
Gegenteil verkehrt habt.« Darauf antwortete ihm Gunther, der
angesehene Kämpfer:

iss »Ach, ich kann über meine Sorgen nicht öffentlich sprechen,
ich muß sie in meinem Herzen verborgen halten. Nur verläßli­
chen Freunden soll man seine inneren Bedrängnisse klagen.«
Siegfried wurde blaß und gleich danach rot.

157 Er entgegnete dem König: »Nehmt meinen Eid, ich werde euch
helfen, alle Bedrohung abzuwehren. Wenn ihr Freunde sucht,
werde ich einer sein, und sicher halte ich dieses Versprechen bis
an mein Lebensende.«
58 4. AV EN TIURE

158 »Nu lone iu got, her Sivrit, diu rede mich dunchet guot,
und ob mir nimmer helfe iwer eilen getuot,
ich frewe mich doch der maere, daz ir mir sit so holt,
lebe ich deheine wile, ez soi werden wol verscholt.

159 Ich wil iuch lazen hoeren, warumbe ich trurich stan:
von boten miner viende ich daz vernomen han,
daz si mich suochen wellen mit herverten hie.
daz getaten uns noch degene her zuo disen landen nie.«

160 »Daz lat iuch ahten ringe«, sprach do Sivrit,


»und senftet iwerm muote. tuot des ich iuch bit:
lat mich iu erwerben ere und ouch den frumen,
e daz iwer viende her ze disen landen chumen.

161 Swenne iwer starche viende zir helfe mohten han


drizzech tusint degene, so wolt ich si bestan,
het ich niwan tusint; des lat iuch an mich.«
do sprach der kunic Gunther: »daz dien ich immer umbe dich.«

162 »So heizet mir gewinnen tusint iwer man,


sit daz ich der minen bi mir niht enhan
niwan zwelf degene, so wer ich iwer lant.
iu soi immer dienen mit triwen Sivrides hant.

163 Des soi uns helfen Hagene und ouch Ortwin,


Danchwart unde Sindolt, die lieben recken din.
ouch soi da mit riten Volker der küene man.
der soi den vanen füeren; baz ihs nieman engan.

164 Nu lat die boten riten wider in ir lant.


daz si uns da sehen schiere, daz tuo man in bekant,
so daz unser burge vride müezen han.«
do hiez der kunic besenden beidiu mage unde man.
DER SA C H SEN - UND DÄ NENKRIEG 59

15« »Das lohne euch Gott, Herr Siegfried, eure Rede gefällt mir,
und selbst wenn ihr eure Kraft nicht für mich einsetzt, freue ich
mich doch darüber, daß ihr mir so zugetan seid. Bleibe ich
noch einige Zeit am Leben, soll euch das vergolten werden.

159 Ich will euch sagen, warum ich so bedrückt bin: Von Boten
meiner Feinde habe ich erfahren, daß mich ihre Herren mit
Heeresmacht angreifen wollen. Das wagten uns in diesem Land
bisher noch nie irgendwelche Kämpfer anzutun.«

160 »Nehmt das nicht so schwer«, erwiderte Siegfried, »und beru­


higt euch. Tut, worum ich euch bitte: Laßt mich zu eurer Ehre
und eurem Nutzen kämpfen, noch bevor eure Feinde in das
Land einfallen.

161 Selbst wenn eure starken Gegner dreißigtausend Kämpfer zu


ihrer Unterstützung hätten, würde ich ihnen mit nur tausend
Widerstand leisten; verlaßt euch auf mich.« Da antwortete
König Gunther: »Dafür will ich dir immer dankbar sein.«

162 »So stellt mir tausend eurer Leute zur Verfügung, da ich selbst
nur zwölf Kämpfer bei mir habe, dann schütze ich euer Land.
Siegfried wird euch immer treu zu Diensten stehen.

163 Hagen soll dabei helfen und auch Ortwin sowie Dankwart und
Sindold, deine treuen Recken. Außerdem soll der kühne Völker
mitreiten. Er muß die Fahne tragen; das kommt, meine ich,
niemandem eher zu.

164 Nun schickt die Boten in ihr Land zurück. Laßt ihren Herren
mitteilen, daß sie uns dort bald sehen werden, damit unsere
Burgen Frieden haben.« Da ließ der König seine Verwandten
und Lehnsleute zusammenrufen.
60 4- AVEN TIURE

165 Die boten Liudegeres ze hove giengen do.


daz si ze lande solden, des warn si vil vro.
do bot in riche gäbe Gunther der kunic guot
und schuof in sin geleite; des stuont in hohe der muot.

166 »Nu saget«, sprach do Gunther, »den vianden min,


si mugin mit ir reise wol da heime sin.
wellent aber si mich suochen her in miniu lant,
mirn zerinne miner friunden, in wirdet arbeit erchant.«

167 Den boten riche gäbe man do fur truoch,


der het in ze gebene der riche chunic genuoch.
dine torsten niht versprechen die Liudegeres man.
urloup si do namen und fuoren vrolichen dan.

168 Do die boten waren ze Tenemarchen komen


und der kunich Liudegast hete daz vernomen,
waz si ze Rine redeten, als im daz wart geseit,
ir starchez ubermuoten was im ane maze leit.

169 Man saget im, daz si heten manigen chüenen man;


dar under sach man einen vor Gunthere stan,
der was geheizen Sivrit, ein heit uz Niderlant.
ez leidete Liudegaste, do er diu maere reht ervant.

170 Do die von Tenemarche dizze horten sagen,


do ilten si der helfe deste me bejagen,
so daz der kunic Liudegast siner mage unde man
wol zweinzich tusint degene zuo der reise gewan.

171 Do besande ouch sich von Sahsen der chüene Liudeger,


unz si vierzech tusint heten unde mer,
mit den si wolden riten in Guntheres lant.
do heten ouch sich hie heime die drie kunige besant
DER SA CHSEN- UND DÄ NENKRIEG 61

165 Die Boten Liudegers kamen an den Hof. Sie waren sehr froh,
daß sie in ihr Land zurückziehen sollten. Der edle König
Gunther machte ihnen sogar wertvolle Geschenke und ge­
währte ihnen sein Geleit; dadurch fühlten sie sich geehrt.

166 Gunther sprach: »Sagt meinen Feinden, sie können ihren


Kriegszug unterlassen und zu Hause bleiben. Wollen sie mich
aber durchaus in meinem Land angreifen, dann werden sie,
wenn meine Freunde mich nicht im Stich lassen, in Bedrängnis
geraten.«

167 Den Boten brachte man kostbare Gaben, von denen der mäch­
tige König reichlich verteilen ließ. Liudegers Leute wagten
nicht, sie zurückzuweisen. Dann verabschiedeten sie sich und
zogen erleichtert von dannen.

168 Als die Gesandten in Dänemark angekommen waren und Kö­


nig Liudegast vernommen hatte, was ihm vom Rhein gemeldet
wurde, kränkte ihn das starke Überlegenheitsgefühl der Bur-
gunden maßlos.

169 Man berichtete ihm, sie hätten viele tapfere Männer, und unter
ihnen hätte man einen vor Gunther stehen sehen, der heiße
Siegfried, ein Held aus Niederland. Liudegast war betroffen, als
er die Nachricht richtig begriff.

170 Sobald die Dänen davon erfuhren, bemühten sie sich, so viel
Unterstützung zusammenzubringen, daß König Liudegast etwa
zwanzigtausend Verwandte und Verbündete als Kämpfer für
den Feldzug bereitstanden.

171 Dann rüstete sich auch der kühne Liudeger von Sachsen, bis
beide zusammen über mehr als vierzigtausend Mann verfügten,
mit denen sie in Gunthers Land einreiten wollten. Inzwischen
hatten sich auch am Rhein die drei Könige vorbereitet
62 4. AVEN TIURE

172 Mit den Buregonden und ander ir hohen man,


die si durch urliuge füeren wolden dan.
si ilten sich bereiten, des gie den helden not.
dar under muosin degene sider chiesen den tot.

173 Si vlizzen sich zer reise, do si wolden dane.


Volker dem chüenen bevolhen wart der vane,
do si varen wolden ze Wormze über Rin.
Hagene der starche der muos scharmeister sin.

174 Da mit reit ouch Sindolt unde Hunolt,


die wol gedienen chunden richer kunige golt;
Danchwart der snelle und ouch Ortewin,
die mohten wol mit eren in der herverte sin.

175 »Her kunic, sit hie heime«, sprach do Sivrit,


»sit daz iwer recken mir wellen volgen mit,
belibet bi den frowen und habet hohen muot.
ich trowe iu wol beherten beidiu ere unde guot.

176 Die iuch da wolden suochen ze Wormze an den Rin,


daz soi ich wol behüeten, daz si iu iht schade sin.
wir sulen in geriten so nahen in ir lant,
daz in ir ubermüeten werde in sorgen erwant.«

177 Von Rine si durch Hessen mit ir helden riten


gegen der Sahsen lande; da wart sit gestriten.
mit roube und ouch mit brande wuosten si daz lant,
daz iz den fürsten beiden wart mit arbeit bêchant.

178 Si körnen uf die marche, die knehte zogeten dan.


Sivrit der vil starche vragen do began:
»wer sol des gesindes uns nu hüeten hie?«
jane wart den Sahsen geriten schedelicher nie.
DER SA CHSEN- UND DÄNENKRIEG 63

172 mit den Burgunden und anderen starken Verbündeten, die sie
zum Kampf aufbieten wollten. Eilig besorgten sie alles, was für
die Helden notwendig war. Trotzdem konnten einige Kämpfer
später dem Tod nicht entgehen.

173 Sie bemühten sich um schnellen Aufbruch, weil sie fortkom-


men wollten. Dem kühnen Volker wurde die Fahne anvertraut,
als sie bei Worms den Rhein überquerten. Der starke Hagen
sollte Anführer des Heerzuges sein.

174 Mit ihnen ritten auch Sindold und Hunold, die das Gold mäch­
tiger Könige wohl verdienten; der gewandte Dankwart und
Ortwin nahmen ebenfalls ehrenvoll an dem Kriegszug teil.

175 »Herr König, bleibt ruhig hier zu Hause«, sagte Siegfried


schließlich, »da eure Recken meinem Befehl folgen wollen,
könnt ihr frohgestimmt den Damen Gesellschaft leisten. Ich
traue mir zu, Ansehen und Besitz für euch zu verteidigen.

176 Ich werde dafür sorgen, daß diejenigen, die euch hier in Worms
am Rhein heimsuchen wollten, euch keinen Schaden zufügen
können. Wir werden so weit in ihr Land eindringen, daß ihr
Übermut in Furcht umschlägt.«

177 Vom Rhein aus ritten sie mit ihren Helden durch Hessen Rich­
tung Sachsen; dort wurde später gekämpft. Zuerst verwüsteten
sie das Land mit Raub und Brand, so daß die Nachricht die
beiden Fürsten schwer traf.

178 Sie gelangten an die Grenze, wo die Troßknechte zurückblie­


ben. Der starke Siegfried fragte: »Wer soll hier für uns nun die
Nachhut bewachen?« Niemals gab es einen Kriegszug, in dem
die Sachsen größere Verluste erlitten.
64 4- AV ENTIURE

179 Si sprachen: »lat der tumben hüeten uf den wegen


den vil chüenen marschalch, der ist ein sneller degen,
wir Verliesen deste minre von Liudegeres man.
lat in und Ortwinen hie die nachhuote han.«

iso »So wil ich selbe riten«, sprach Sivrit der degen,
»unde wil der warte gein den vienden pflegen,
unz ich vil rehte ervinde, wa die recken sint.«
do wart gewafent balde der schoenen Sigelinde kint.

181 Daz volch bevalh er Hagene, da er wolde dan,


und ouch Gernote, dem vil küenem man.
do reit er eine dannen in der Sahsen lant,
da er diu rehten maere wol mit eren sit ervant.

182 Do sah er here daz grozze, daz uf dem velde lac;


daz wider siner helfe mit unfuoge wac;
des was wol vierzech tusint oder dannoch baz.
der heit in hohem muote sach vil frolichen daz.

183 Do het ouch sich ein recke von den vienden dar
erhaben uf die warte, der was ze vlize gar.
den sach der herre Sivrit, und in der chüene man.
ietweder do des andern mit nide goumen began.

184 Ich sage iu, wer der waere, der hie der warte pflach.
ein liehter schilt von golde im vor der hende lach,
ez was der kunich Liudegast, der huote siner schar;
dirre gast vil edele ernante vil herlichen dar.
DER SA CHSEN- UN D DÄNENKRIEG 65

179 Die Burgunder! sprachen: »Laßt den tapferen Marschall Dank­


wart die unerfahrenen Leute unterwegs in seinen Schutz neh­
men, denn er ist ein gewandter Kämpfer, um so weniger Ver­
luste werden uns Liudegers Leute zufugen können. Er und
Ortwin sollen die Nachhut übernehmen.«

iso »Ich selbst will losreiten«, sagte Siegfried der Kämpfer, »und
nach den Feinden Ausschau halten, bis ich genau feststelle, wo
sich die Recken aufhalten.« Sogleich wurde der Sohn der schö­
nen Sieglinde ausgerüstet.

181 Bevor er aufbrach, übergab er Hagen und dem tapferen Gernot


das Kriegsvolk. Dann ritt er allein fort ins Land der Sachsen,
wo er die genaue Lage geschickt erkundete.

182 Dort sah er das mächtige Heer auf dem Feld lagern; im Ver­
gleich zu seinen Truppen war es übermäßig groß, wohl vierzig­
tausend Mann oder noch mehr. Der selbstbewußte Held ver­
stand das aber durchaus als Herausforderung.

183 Auch ein Recke von der feindlichen Seite befand sich höchst
wachsam auf Beobachtungsposten. Den erblickte Siegfried, und
der tapfere Mann sah ihn. Feindselig schaute einer zum ande­
ren hinüber.

184 Ich sage euch, wer der Späher auf der Gegenseite war. Einen
goldglänzenden Schild trug er vor sich in der Hand. Es war der
König Liudegast, der selbst für sein Heer als Vorposten ausge­
ritten war. Siegfried, der hochadlige Fremde, fühlte sich kampf­
bereit.
66 4- AVENTIURE

185 N u hete o u ch in her Liudegast vientlich erchorn .


ir ross si n am en beide zen siten m it den sp o rn ,
si neigten u f die Schilde die schefte m it ir kraft,
des w art der ku n ic here m it grozen sorgen behaft.

186 D iu ross nach Stiche truogen diu riehen kuniges kint


m it hurte fu r ein ander, sam si w aete ein w int.
mit zoumen wart gewendet vil ritterlichen dan;
mit swerten ez ersuohten die zwen grimme starche man.

187 Do sluoch der herre Sivrit, daz al daz velt erdoz.


do stoup im uz dem helme sam von brenden groz
die heizen fiures vunchen von des recken hant.
da streit vil mähteklichen der voget uz Niderlant.

188 D o sluoc ouch im her Liudegast vil m anigen g rim m en slach.


ir ietwederes eilen u f Schilden vaste lach.
do heten dar gehuotet wol drizzech siner man;
e im der helfe chôme, den sich doch Sivrit gewan

189 Mit drin starchen wunden, die er dem kunige sluoch


durch eine liehte brünne, diu was guot genuoch.
daz swert an sinen ekken braht uz wunden bluot.
des gewan der kunic Liudegast einen trurigen muot.

190 Er bat sich leben lazen und bot im siniu lant


und sagt im, daz er waere Liudegast genant,
do chomen sine recken, die heten wol gesehen,
waz da von in beiden uf der warte was geschehen.
DER SA CHSEN- UN D DÄNENKRIEG 67

iss Jetzt hatte Herr Liudegast auch ihn als Feind erkannt. Beide ga­
ben ihren Pferden die Sporen, sie richteten ihre Lanzen kraft­
voll auf den Schild des Gegners aus. Dadurch geriet der stolze
König in große Bedrängnis.

186 Nach dem Lanzenstechen trugen die Pferde die beiden mächti­
gen Königssöhne wie ein Sturmwind aneinander vorbei. Dann
wurden in ritterlicher Kampfart die Zügel herumgerissen; und
die beiden zornerfüllten starken Männer ritten mit den Schwer­
tern aufeinander los.

187 Herr Siegfried schlug zu, daß es über das ganze Feld dröhnte.
Aus dem Helm des Gegners ließ er heiße Feuerfunken hervor­
sprühen wie bei einem großen Brand. Der König aus Nieder­
land kämpfte mit ungeheurer Kraft.

188 Auch Herr Liudegast traf Siegfried mit vielen heftigen Schlä­
gen. Die Kraft eines jeden lastete schwer auf den Schilden. In­
zwischen waren etwa dreißig Männer als Beobachter herbei­
geritten; doch bevor sie ihrem Herrn Hilfe leisten konnten,
hatte Siegfried den Sieg schon errungen

189 mit drei schweren Wunden, die er dem König durch seinen
glänzenden, festen Brustpanzer geschlagen hatte. Die Schnei­
den des Schwertes ließen Blut aus den Wunden fließen. Das
entmutigte Herrn Liudegast.

190 Er bat, ihn am Leben zu lassen, und bot Siegfried seine Länder,
indem er sich als Liudegast zu erkennen gab. Dann kamen seine
Recken heran, sie konnten genau sehen, was sich zwischen den
beiden auf dem Vorposten abgespielt hatte.
68 4- AVEN TIURE

191 Do er in danne fuorte, do ward er an gerant


von drizzech sinen mannen, do wert des heledes hant
sinen riehen gisel mit ungefuogen siegen.
sit tet schaden mere Sivrit der uz erwelte degen.

192 Die drizzech er ze tode vil werliche sluoch,


er liez ir leben einen, balde er reit genuoch
und sagt hin diu maere, waz hie was geschehn.
ouch moht mans die warheit an sinem rotem helme sehn.

193 Den von Tenemarche was vil grimme leit,


ir herre was gevangen, do in daz wart geseit.
man seit ez Liudegere; toben er began
von ungefuogem zorne, wand im was leide getan.

194 Liudegast der riche was gefuoret dan


von Sivrides gewalte zuo Guntheres man.
er bevalh in Hagene. der chüene recke guot,
do er vernam diu maere, do ward er frolich gemuot.

195 Er hiez der Burgonden ir vanen binden an.


»wol uf«, so sprach Sivrit, »hie wirt noch me getan,
e sich der tac verende, soi ich habn den lip.
daz müet in Sahsen lande etliches guoten recken wip.

196 Ir helde von dem Rine, ir suit min nemen war:


ich kan iuch wol geleiten in Liudegeres schar,
da seht helme howen von guoter helede hant,
e daz wir wider wenden in der Burgonden lant.«
D ER S A C H S E N - U N D D Ä N E N K R IE G 69

191 A ls S iegfried den Besiegten w egfü h ren w ollte, w u rd e er von


d reiß ig Leuten Liu degasts an gegriffen . D och d er H eld vertei­
digte seine v orn eh m e G eisel m it heftigen Schlägen. Später fugte
Siegfried , d er auß erord entliche K äm pfer, den Feinden w eitere
Verluste zu.

192 In heftiger G egen w eh r ersch lug er die dreiß ig A n greifer bis a u f


einen. D er ritt so schnell er konnte, u m im Lager zu m elden,
w as geschehen war. Sein b lutiger H elm bezeugte die W ahrheit.

193 D ie D än en w aren tie f b etroffen , als sie h örten, daß ih r H err


gefangen war. M an benachrichtigte seinen B ru d er Liudeger; der
geriet in w ild em Z o rn auß er sich, d en n er em p fan d es als
Schm ach.

194 D en m äch tigen L iu degast brachte Siegfried zu G un thers L eu ­


ten. E r ü b ergab ihn H agen. A ls d er tapfere R ecke hörte, w as
geschehen war, erfreute ihn das.

195 Er befahl den B u rg u n d en , ihre Fahnen aufzurichten . »Vor­


w ärts«, r ie f Siegfried, »hier w ird noch m eh r geleistet, b evor der
Tag zu E n d e geht, vorausgesetzt, ich bleibe am Leben. D as w ird
im Sach sen lan d die Frau en vieler tapferer Recken in Leid
stürzen.

196 Ihr H elden vom R h ein , folgt m ir: Ich kann euch geradew egs zu
Liu degers H eer h in fu hren . Seht zu, daß ihr d o rt die H elm e der
tapferen H elden zerschlagt, b evor w ir w ied er ins B u rgu n d en -
land zurückkehren .«
70 4- AVENTIURE

197 Zen rossen gahte Gernot und ouch sine man.


Volker der chüene den vanen züchte dan,
der starche videlaere, do reit er vor der schar,
do was ouch daz gesinde ze strite herlichen gar.

198 Sine fuorten doch niht mere niwan tusint man,


darüber zwelf recken, stieben do began
diu moite von den strazen, si riten über lant.
do sach man von in schinen vil manigen herlichen rant.

199 Do waren ouch die Sahsen mit ir scharn chomen,


mit swerten wol gewahsen, als wir han sit vernomen.
diu swert diu sniten sere den recken an der hant.
do wolden si den gesten wem burge unde lant.

200 Der herren scharmeister daz volch do fuorten dan.


da was ouch chomen Sivrit mit den sinen man,
die er da mit im brahte uzer Niderlant.
des tages wart in sturme vil manic bluotiger rant.

201 Sindolt unde Hunolt und ouch Gernot,


die vrumten in dem strite vil manigen heit tot,
e si daz reht erfunden, wie chüene was ir lip.
daz muose sit beweinen vil manic waetlichez wip.

202 Volker unde Hagene und ouch Ortwin,


die laschten im strite vil maniges helmes schin
mit vliezendem bluote; ez warn chüene man.
da wart von Danchwarte vil michel wunder getan.

203 Die von Tenemarche versuohten wol ir hant.


do horte man von hurte erdiezen manigen rant
und ouch von scharpfen swerten, der man da vil gesluoch.
die stritchüenen Sahsen taten scaden ouch genuoch.
DER SA CHSEN- UN D DÄNENKRIEG 71

197 Gernot und seine Leute eilten zu ihren Pferden. Der kühne
Volker, der starke Fiedler, ergriff die Fahne und ritt dem Hee­
reszug voran. Das Gefolge war trefflich zum Kampf gerüstet.

198 Sie führten nicht mehr als tausend Mann mit sich und außer­
dem zwölf ausgewählte Recken. Als sie durch das Land ritten,
wirbelte der Staub von den Straßen auf. Man sah bei ihnen eine
Menge prächtiger Schilde funkeln.

199 Inzwischen waren auch die Sachsen mit ihren Truppen ange­
langt, sie trugen scharfe Schwerter, wie wir später erfahren
haben. Damit schlugen die Recken tiefe Wunden. Auf diese
Weise wollten sie ihre Burgen und ihr Land gegen die Fremden
verteidigen.

200 Die Anführer der Dänen und Sachsen zogen mit ihrem Kriegs­
volk auf. Inzwischen war auch Siegfried mit den Begleitern, die
er aus Niederland mitgebracht hatte, dort hingekommen. An
diesem Tage wurden im Sturm viele Schilde blutig.

201 Sindold, Hunold und ebenso Gernot töteten im Kampf zahl­


reiche Helden, bevor noch deren Tapferkeit recht zur Geltung
gekommen war. Das mußten später viele schöne Frauen be­
weinen.

202 Volker, Hagen und Ortwin löschten kämpfend den Glanz zahl­
loser Helme mit fließendem Blut; sie waren tapfere Männer.
Auch Dankwart vollbrachte bewundernswerte Taten.

203 Die Dänen hielten sich gut. Man hörte die Schilde im Zu­
sammenprall dröhnen und ebenso die scharfen Schwerter, die
überall gegeneinanderschlugen. Die kampftüchtigen Sachsen
schwächten die Gegner erheblich.
72 4- AVENTI URE

204 Do die von Burgonden drungen in den strit,


von in wart verhowen vil manic wunde wit.
do sah man uber sätele vliezen daz bluot.
sus würben nach den eren die ritter chüen unde guot.

205 Man horte da lut erhellen den helden an der hant


diu vil scharpfen wafen, da die von Niderlant
drungen nach ir herren in die herten schar.
si chomen degenliche mit samt Sivride dar.

206 Volgen der von Rine niemen man im sach.


man mohte chiesen vliezen den bluotigen bach
durch die vil liehten helme von Sivrides hant,
unz er Liudegeren von sinen hergesellen vant.

207 Drie widerchere het er nu genomen


des hers an ein ende, nu was ouch Hagene chomen,
der half im wol ervollen in strite sinen muot.
des tages muose ersterben von in vil manic ritter guot.

208 Do der starche Liudeger Sivriden vant


und daz er so hohe truog an siner hant
daz vil scharpfe wafen und ir so manigen sluoc,
dar umbe wart der chüene vor leide zornich genuoc.

209 Do wart ein michel dringen und groz der swerte klanch,
do ir ingesinde zuo zein ander dranch.
do versuohten sich die recken beidenthalben baz.
die schar begunden wichen; sich huop da grozlicher haz.

2io Dem vogete von den Sahsen was daz wol geseit,
sin bruoder was gevangen; daz was im harte leit.
wol wesser, daz iz tete daz Sigelinde kint.
man zeh is Gernoten, vil wol ervant er iz sint.
DER SA CHSEN- UND DÄ NENKRIEG 73

204 Als die Burgunden zum Angriff vordrangen, schlugen sie viele
tiefe Wunden. Man sah das Blut von den Sätteln herabfließen.
So stritten die kühnen, ausgezeichneten Ritter um ihr Ansehen.

205 Man hörte die scharfen Waffen in der Hand der Helden laut
aufklingen, als die Kämpfer aus Niederland hinter ihrem Herrn
in die gegnerischen Truppenscharen eindrangen. Tapfer stürm­
ten sie mit Siegfried voran.

206 Niemand vom Rhein vermochte Siegfried zu folgen. Man sah,


wie durch seine Schläge Ströme von Blut aus den glänzenden
Helmen rannen, bis er zu Liudeger und seinen Leuten vor­
drang.

207 Dreimal hatte sich Siegfried schon von Anfang bis Ende durch
das feindliche Heer geschlagen, als Hagen zu ihm stieß und ihm
half, seinen Kampfesmut in die Tat umzusetzen. An diesem
Tage fanden viele tapfere Ritter von ihrer Hand den Tod.

208 Als der starke Liudeger Siegfried erkannte und sah, daß er das
scharfe Schwert erhoben in der Hand hielt und damit so viele
von ihnen erschlug, erfaßten den kühnen Mann Leid und hefti­
ger Zorn.

209 Dann entstand ein großes Kampfgedränge und Schwerterklir­


ren, als ihr Gefolge aufeinander stieß. Die Recken auf beiden
Seiten gaben ihr Bestes. Die Truppen wichen schließlich zurück;
doch die Feindseligkeit verstärkte sich noch.

210 Dem Herrn der Sachsen hatte man sicher berichtet, daß sein
Bruder in Gefangenschaft geraten war; das traf ihn hart. Er
wußte sehr wohl, daß Sieglindes Sohn das getan hatte. Zwar
schrieb man die Tat zuerst Gernot zu, aber später wurde das
richtiggestellt.
74 4- AVENTIURE

211 Die siege Liudegeres die warn also starch,


daz im under satele struchte daz march,
do sich daz ross erholte, der chüene Sivrit
gewan in dem sturme einen vreiselichen sit.

212 Des half im wol Hagene und ouch Gernot,


Ortwin unde Volker; des lag ir vil da tot.
Sindolt und Hunolt, die zwene chüene man,
von den vil manic frowe schaden grozzen da gewan.

213 In sturme ungescheiden warn die kunige her.


do sah man über helme vliegen manigen ger
durch die liehten Schilde von der degene hant;
man sach da var nach bluote manigen herlichen rant.

214 In dem starchen sturme erheizte manic man


nider von den rossen, ein ander liefen an
Sivrit der chüene und ouch Liudeger.
da striten wol nach eren die helede chüen unde her.

215 Do flouch daz schiltgespenge von Sivrides hant.


den sige gedaht erwerben der heit von Niderlant
an den küenen Sahsen, die dolten ungemach.
hei, waz da liehter ringe der snelle Danchwart zebrach!

216 Do het der herre Liudeger uf eime Schilde erkant


gemalet eine chrone vor Sivrides hant,
wol wesser, daz iz waere der ubermüete man.
der heit zuo sinen friunden starche ruofen began:

217 »Geloubet iuch des sturmes, mage unde man!


sun den Sigemundes ich hie gesehn han,
von Niderlant den starchen han ich hie bêchant,
in hat der ubil dufel her zen Sahsen gesant.«
DER SA CHSEN- UN D DÄNENKRIEG 75

211 Liudegers Schläge waren so kräftig, daß Siegfrieds Pferd unter


seinem Sattel strauchelte. Kaum aber hatte es sich erholt, da ge­
wann der kühne Mann seine schreckenerregende Kampfweise
im Sturm zurück.

212 Hagen und Gernot, Ortwin und Volker unterstützten ihn


dabei; da fanden viele den Tod. Auch Sindold und Hunold, die
beiden tapferen Männer, waren für den schweren Verlust ver-
antworüich, den viele adlige Frauen erlitten.

213 Die vornehmen Könige kämpften in engem Verbund. Unzäh­


lige Speere sah man dort aus der Hand der Kämpfer über die
Helme hinwegfliegen und die glänzenden Schilde durchbohren;
und man sah, wie sie blutig wurden.

214 ln dem heftigen Kampfsturm sprangen viele von ihren Pferden


ab. Auch der kühne Siegfried und Liudeger gingen zu Fuß auf­
einander los. Die tapferen, vornehmen Helden kämpften um
ihr Ansehen.

215 Dann schlug Siegfried dem Gegner den Schild aus der Halte­
rung. Der Held von Niederland war sich des Sieges über die
kühnen Sachsen, die sehr bedrängt wurden, sicher. Welch glän­
zende Kettenpanzer zerbrach der gewandte Dankwart!

216 Als Herr Liudeger die Krone entdeckte, die auf Siegfrieds Schild
gemalt war, wußte er, wer der übermütige Mann war. Laut rief
der Held seinen Freunden zu:

217 »Laßt ab vom Kampf, Verwandte und alle meine Leute! Ich
habe hier Siegmunds Sohn, den starken Helden von Niederland
erkannt. Ihn hat der böse Teufel zu uns nach Sachsen ge­
schickt.«
76 4- AVENTI URE

218 Die vanen wurden lazen in dem sturme nider.


frides er do gerte, des wert man sider;
doch muoser werden gisel in Guntheres lant.
daz het an im ertwungen des chüenen Sivrides hant.

219 Mit gemeinen rate so liezen si den strit.


durchel vil der helme und ouch der Schilde wit
si leiten von den handen. swaz so man der vant,
die truogen bluotes varwe von der Buregonden lant.

220 Si viengen, swen si wolden; des heten si gewalt.


Gernot der herre und Hagene, ein degen halt,
die wunden hiezen baren, si fuorten mit in dan
zu den Buregonden fünf hundert waetlicher man.

221 Die sigelosen recken ze Tenemarchen riten.


do enheten ouch die Sahsen so hohe niht gestriten,
daz man in lobes jaehe. daz was den heleden leit.
do wurden ouch die veigen von friunden sere gekleit.

222 Si hiezen daz gewaefen wider soumen an den Rin.


ez hete wol geworben mit den recken sin
Sivrit der starche het ez guot getan.
dez im do jehen muosen alle Guntheres man.

223 Gegen Wormez sande der herre Gernot.


heime zuo sime lande den friunden er enbot,
wie im gelungen waere unt den sinen man:
ez heten die vil chüenen wol nach eren getan.

224 Die garzune liefen, von den wart ez geseit.


do freuten sich die schoenen, die e heten leit,
der vil lieben maere, die in waren chomen.
da wart von edeln frowen vil michel fragen vernomen,
DER SA CHSEN- UN D DÄNENKRIEG 77

218 Die Fahnen wurden im Kampf gesenkt. Liudeger bat um


Frieden, der ihm dann auch gewährt wurde; doch mußte er als
Geisel in Gunthers Land mitziehen. Dazu zwang ihn der tapfere
Siegfried.

219 Nach allgemeiner Beratung beendeten sie den Kampf. Viele


durchlöcherte Helme und auch breite Schilde legten sie aus der
Hand. Auf allem, was man dort sah, hatten die Burgunden
Blutspuren hinterlassen.

220 Willkürlich machten sie Gefangene; denn das stand in ihrer


Macht. Herr Gemot und Hagen, ein mutiger Kämpfer, ließen
die Verwundeten auf Tragen legen. Sie nahmen fünfhundert
ansehnliche Männer als Gefangene mit nach Burgund.

221 Die besiegten Recken ritten nach Dänemark zurück. Auch die
Sachsen hatten nicht so tüchtig gekämpft, daß sie Lob verdien­
ten. Das empfanden die Helden als Schmach. Außerdem wur­
den die Gefallenen von ihren Freunden sehr beklagt.

222 Die Burgunden ließen die Waffen wieder auf Lasttiere laden
und an den Rhein zurückbringen. Der starke Siegfried und
seine Recken hatten sich bestens bewährt, es war ein großer Er­
folg. Das mußten alle Leute Gunthers bestätigen.

223 Herr Gernot sandte Boten nach Worms voraus. Er ließ den
Freunden zu Hause in seinem Land kundtun, wie der Kampf
für ihn und seine Leute ausgegangen war: Die kühnen Männer
hätten großen Ruhm erworben.

224 Die Knappen eilten fort und überbrachten die Nachricht. Da


freuten sich die schönen Damen, die vorher besorgt gewesen
waren, über die angenehmen Neuigkeiten, die sie erfuhren. Die
Edelfrauen stellten immer wieder Fragen,
78 4- AVENTI URE

225 Wie gelungen waere des riehen chuniges man.


man hiez der boten einen zuo Chriemhilt gan,
daz geschach vil tougen. jane torstes uberlut,
wan si hete dar under ir vil liebez hercen trut.

226 Do si den boten kumenden zir kemenaten sach,


Chriemhilt diu vil schoene guotlichen sprach:
»sag an liebiu maere; ja gib ich dir min golt.
tuostuz ane triegen, ih wil dir immer wesn holt.

227 Wie schiet uz dem strite min bruoder Gernot


und ander mine friwende? ist mir iht maniger tot?
wer tet da daz beste? daz soltu mir sagen.«
do sprach der bote biderbe: »wir heten ninder deheinen zagen.

228 Ze vorderst am striten reit niemen alse wol,


vil edeliu kuniginne, sit manz iu sagen soi,
so der gast vil chüene uzer Niderlant.
da worhte michel wunder des herren Sivrides hant.

229 Swaz die recken alle in strite hant getan,


Danchwart und Hagene und ander des kuniges man,
swaz iemen streit nach eren, daz ist gar ein wint
wider Sivriden, des kunic Sigemundes kint.

230 Si frumten in dem sturme der helde vil erslagen,


doch enkund iu daz wunder niemen wol gesagen,
waz da worhte Sivrit, swenner ze sturme reit.
den vrowen an ir magen frumet er diu groezlichen leit.
DER SA CHSEN- UN D DÄ NENKRIEG 79

225 wie die Leute des mächtigen Königs den Sieg errungen hätten.
Einen der Boten ließ Kriemhild zu sich kommen, und zwar
ganz geheim, öffentlich vor der Hofgesellschaft wagte sie es
nicht, denn unter den Kämpfern war der, den sie von Herzen
liebte.

226 Als sie den Boten in ihre Kemenate treten sah, bat die schöne
Kriemhild freundlich: »Bring mir eine erfreuliche Botschaft; ich
will dich dafür mit meinem Gold belohnen. Wenn du die
Wahrheit berichtest, werde ich dir immer gnädig sein.

227 Wie haben mein Bruder Gernot und meine anderen Freunde
den Kampf überstanden? Sind etwa viele zu Tode gekommen?
Wer hat sich als der Beste hervorgetan? Das sollst du mir sa­
gen.« Darauf antwortete der redliche Bote: »Wir hatten in unse­
ren Reihen keinen einzigen Feigling.

228 Aber ganz vorn im Kampf bewährte sich niemand so gut,


hochadlige Königin, da ich es euch sagen soll, wie der kühne
Gast aus Niederland. Geradezu Wundertaten hat Herr Siegfried
vollbracht.

229 Was alle übrigen Recken im Kampf geleistet haben, Dankwart


und Hagen und andere Leute des Königs, auch was sonst je­
mand Rühmliches erreichte, ist alles nicht der Rede wert ge­
genüber dem, was Siegfried, König Siegmunds Sohn, getan hat.

230 Die anderen haben im Kampf durchaus viele Helden erschla­


gen, doch niemand vermag euch das Außerordentliche zu be­
richten, das Siegfried vollbracht hat, als er im Kampfsturm
voranritt. Den adligen Frauen hat er durch den Tod ihrer Ver­
wandten großes Leid zugefügt.
80 4- AVEN TIURE

231 Ouch muoste da beliben vil maniges wibes trut.


sine siege man horte uf helmen aise lut,
daz si von wunden brahten daz vliezende bluot.
er ist in allen tugenden ein ritter ktien unde guot.

232 Da hat ouch vil begangen von Metzen Ortewin.


swaz er ir mohte erlangen mit den handen sin,
die muosen wunt beliben oder meistich tot.
da tet iwer bruoder die aller grozisten not,

233 Diu immer in den sturmen chunde sin geschehn.


man muoz der warheite den uzerwelten jehn:
die stolzen Burgonden die habent so gevarn,
daz si vor allen schänden ir ere chunnen wol bewarn.

234 Man sach da vor ir handen vil manigen satel bloz.


da von den liehten swerten daz velt vil lut erdoz.
die recken von dem Rine die habent so gestriten,
daz ez ir vianden waere bezzer vermiten.

235 Die chüenen Tronegaere die taten groziu leit,


da man mit volches chreften zuo zein ander reit.
da vrumte manigen toten des chüenen Hagenen hant.
des vil ze sagene waere her zer Burgonden lant.

236 Sindolt unde Hunolt, die Gemotes man,


und Rumolt der vil chüene, die hantz so guot getan,
daz ez Liudegere mac immer wesn leit,
daz er den minen herren het ze Rine widerseit

237 Strit den aller hohsten, der inder da geschach


ze jungest und zem ersten, den ieman gesach,
den tet vil willekliche diu Sivrides hant.
er bringet riche gisel in daz Guntheres lant.
DER SA CHSEN- UND DÄNENKRIEG 81

231 Auch die Geliebten vieler Frauen sind im Kampf gefallen. Sieg­
frieds Schwertschläge hörte man laut auf den Helmen dröhnen,
als sie blutige Wunden schlugen. Er ist in jeder Hinsicht ein
kühner, tüchtiger Ritter.

232 Ortwin von Metz hat ebenfalls viel geleistet. Alle, die er zu fas­
sen bekam, blieben verwundet oder meistens tot auf dem
Kampfplatz liegen. Euer Bruder Gernot brachte die Feinde in
die allergrößte Bedrängnis,

233 die in den Kampfstürmen überhaupt entstehen konnte. Man


muß wahrhaftig über die ausgezeichneten Männer sagen: Die
stolzen Burgunden haben sich so geschlagen, daß sie ihre Ehre
vor jedem Makel bewahren konnten.

234 Man sah, wie sie viele Reiter vom Sattel stießen. Über das ganze
Kampffeld war das Klirren ihrer blitzenden Schwerter zu hören.
Die Recken vom Rhein haben so gekämpft, daß ihre Feinde das
Zusammentreffen lieber hätten vermeiden sollen.

235 Auch die mutigen Leute Hagens von Tronje haben den Gegnern
viel Leid zugefügt, als die Kriegsscharen aufeinanderstießen.
Der kühne Hagen selbst hat viele Feinde tödlich getroffen. Dar­
über gäbe es hier im Burgundenland noch mehr zu berichten.

236 Sindold und Hunold, die Dienstleute Gernots, und der tapfere
Rumold haben so gut gekämpft, daß es Liudeger ewig leid tun
wird, meinen Herren am Rhein den Krieg erklärt zu haben.

237 Doch die Kriegstaten, die alles übertrafen, was man dort vom
Anfang bis zum Ende des Kampfes sehen konnte, hat Siegfried
ganz allein vollbracht. Und er bringt angesehene Geiseln mit in
Gunthers Land.
82 4- AV EN TIURE

238 Die twanc mit sinen eilen der waetlich man.


des ouch der kunic Liudegast schaden vil gewan
und ouch von den Sahsen der chiiene Liudeger.
nu hoeret miniu maere, vil edeliu kuniginne her.

239 Si hat gevangen beide diu Sivrides hant.


ez enwart nie meniger gisel braht in dizze lant,
so nu von sinen schulden chumet an den Rin.«
ir enchunden disiu maere nimmer lieber gesin.

240 »Man bringet der gesunden fünf hundert oder baz,


und der verchwunden, frowe, wizzet daz,
wol ahzech rossebaere in Burgonden lant.
die meistech hat verhowen des chüenen Sivrides hant.

241 Die durch ir ubermüeten widersageten an den Rin,


die müezen nu gevangen die Guntheres sin.
die bringet man mit ffeuden her in dizze lant.«
do erblüet ir liehtiu varwe, do si diu maere reht ervant.

242 Ez wart ir lieht antluzze vor liebe rosenrot,


do mit liebe was gescheiden uz der grozen not
der minneklich recke, Sivrit der junge man.
si vreut ouch sich ir friunde. daz was von schulden getan.

243 Do sprach diu minnekliche: »du hast mir wol geseit.


du soit haben dar umbe ze miete richiu kleit,
und zehn march von golde heiz ich dir tragen.«
des mag man solchiu maere riehen frowen gern sagen.

244 Man gab im sine miete, daz golt und ouch diu chleit.
do gie an diu venster vil manic schoeniu meit.
si warten uf die straze, riten man do vant
vil der hochgemuoten in der Burgonden lant.
DER SACHSEN- UND DÄNENKRIEG 83

238 Die hat der außergewöhnliche Mann mit seiner Kraft überwäl­
tigt. König Liudegast erlitt durch ihn schwere Verluste ebenso
wie der kühne Liudeger von Sachsen. Nun hört aber noch wei­
ter, erhabene Königin, was ich zu berichten habe.

239 Siegfried hat beide gefangengenommen. Noch nie wurden der­


art viele Geiseln in unser Land gebracht, wie jetzt durch ihn an
den Rhein kommen.« Kriemhild hätte keine erfreulicheren
Nachrichten hören können.

240 »Man bringt fünfhundert oder mehr unverletzte Gefangene,


Herrin, das sollt ihr wissen, und achtzig schwerverwundete,
aufgebahrt auf Pferden, ins Burgundenland. Die meisten hat
der tapfere Siegfried überwältigt.

241 Die uns aus Überheblichkeit am Rhein den Krieg erklärt ha­
ben, müssen nun Gunthers Gefangene sein. Jetzt bringt man sie
zu unserer Genugtuung hierher in dieses Land.« Als Kriemhild
die Nachricht ganz erfaßt hatte, strahlte sie.

242 Ihr schönes Antlitz errötete vor Freude wie eine Rose, weil der
liebenswerte Recke, der junge Siegfried, aus dem bedrohlichen
Kampf glücklich zurückgekehrt war. Sie freute sich auch über
ihre Verwandten. Dazu gab es guten Grund.

243 Daraufhin sprach die Liebenswerte: »Du hast mir wunderbare


Dinge berichtet. Darum sollst du als Lohn kostbare Gewänder
erhalten, und ich lasse dir zehn Goldmark geben.« Für der­
artige Gaben überbringt man gern Nachrichten an vornehme
Damen.

244 Er erhielt seinen Lohn, das Gold und auch die Gewänder. Dann
traten viele schöne Mädchen an die Fenster. Sie blickten erwar­
tungsvoll auf die Straße, bis eine große Schar siegesbewußter
Kämpfer ins Burgundenland ritt.
84 4 - AVENTIURE

245 Da chomen die gesunden, die wunden taten sam.


si mohten grüezen hoeren von vriunden ane schäm.
der wirt gein sinen gesten vil vrolichen reit.
mit vreuden was verendet daz sin vil grozliche leit.

246 Do enpfie er wol die sine, die vremden tet er sam;


wan dem riehen kunige anders niht enzam
wan danchen güetliche, die im warn chomen,
daz si den sige nach eren in sturme heten genomen.

247 Gunther bat im maere von sinen friunden sagen,


wer im an der reise ze tode waer irslagen.
do het er vlorn niemen niwan sehzech man.
verklagen man die muose, so sit nach heleden ist getan.

248 Di gesunden brahten verhowen manigen rant


und helme vil verschroten in Guntheres lant.
si stuonden von den rossen nider fur den sal;
ze liebem antpfange man horte vrolichen schal.

249 Do hiez man herbergen die wegemüeden man.


der kunic sinen gesten danchen vil began.
er hiez der wunden hüeten und schaffen in gemach,
wol man sine tugende an sinen vianden sach.

250 Er sprach ze Liudegere: »nu sit mir willechomen.


ich han von iwern schulden schaden vil genomen;
der wirt mir nu gebuozet, ob ich gelucke han.
got lone minen friunden, si hant mir liebe getan.«

251 »Ir mugt in gerne danchen«, sprach do Liudegere,


»also hoher gisel gewan nie kunic mere.
umbe schoene huote wir bieten michel guot,
daz ir genaedechliche an mir und minen friunden tuot.«
DER SA CH S EN - U N D DÄ NENKRIEG 85

245 Da kamen die Unverletzten und die Verwundeten gleicher­


maßen. Ohne Vorbehalt wurden sie von den Freunden begrüßt.
Der Landesherr ritt seinen Gästen freudig entgegen. Zum
Glück war die große Bedrohung vorüber.

246 Gunther empfing seine Leute ebenso wie die Fremden; denn
für den mächtigen König geziemte sich nichts anderes, als all
denen gebührend zu danken', die dazu beigetragen hatten, den
ehrenvollen Sieg im Kampf zu erringen.

247 Er bat, ihm von seinen Freunden zu berichten, wer auf dem
Kriegszug umgekommen war. Nur sechzig Mann hatte er verlo­
ren. Sie mußte man verschmerzen, wie es bis heute bei Helden
üblich ist, wenn sie im Kampf fallen.

24 « Die unverletzt geblieben waren, brachten zahllose zerschlagene


Schilde und zerbeulte Helme in Gunthers Land zurück. Sie
stiegen vor dem Palas von den Pferden ab; und man hörte zu
ihrem Empfang freudige Stimmen.

249 Dann ließ man die vom Kriegszug Erschöpften unterbringen.


Der König dankte seinen Gästen nachdrücklich. Die Verwun­
deten ließ er versorgen und ihnen Bequemlichkeit schaffen.
Auch seinen Feinden gegenüber zeigte er sich vorbildlich.

250 Zu Liudeger sagte er: »Nun seid mir willkommen. Durch euch
habe ich erheblichen Schaden erlitten; aber dafür erhalte ich
jetzt Genugtuung, wenn mir das Glück hold bleibt. Gott möge
meine Freunde belohnen, die mich unterstützt haben.«

251 »Ihr könnt ihnen wirklich dankbar sein«, antwortete Liudeger


darauf, »denn noch nie hat ein König so hochadlige Geiseln
gefangengenommen. Für gute Behandlung, wenn ihr mit mir
und meinen Freunden gnädig umgeht, bieten wir eine ansehn­
liche Entschädigung.«
86 4- AVEN TIURE

252 »Ich wil iuch ledech lazen«, sprach der kunic, »gen.
daz mine viande hie bi mir besten,
des wil ich haben bürgen, daz si miniu lant
iht rumen ane hulde.« des sichert do ir beder hant.

253 Man brahte si ze ruowe und schuof in guot gemach,


den wunden man gebettet vil guotlichen sach.
man schancte den gesunden met und guoten win.
do chunde daz gesinde nimmer vrolicher sin.

254 Ir z e r h o w e n S c h ild e m a n b e h a lte n t r u o c h .


b lu o ti g e r s ä te le d e r w as d a g en u o c h ,
die hiez man ouch verbergen, daz weinten niht diu wip.
do chom hermüede vil maniges chüenen ritters lip.

255 Der wirt pflac siner geste vil grozliche wol.


der vremden und der chunden was daz lant so vol.
man hiez der sere wunden vil guotliche pflegn.
do was ir ubermüeten vil harte ringe gelegn.

256 Die ercznie chunden, den bot man grozen scholt,


silber ane wage, dar zuo daz liehte golt,
daz si die helde nerten nach des strites not.
dar zuo der kunic den gesten gäbe grozlich bot.

257 Die wider heim ze huse der reise heten muot,


die bat man noch beliben, also man friunde tuot.
der kunic gie ze rate, wier lonte sinen man.
si heten sinen willen nach grozen eren getan.
DER SA CHSEN- UN D DÄNENKRIEG 87

252 »Ich will euch freie Bewegung lassen«, sprach der König. »Doch
brauche ich Bürgen dafür, daß meine Feinde hier bei mir blei­
ben und mein Land nicht ohne Erlaubnis verlassen.« Das versi­
cherten beide mit Handschlag.

253 Man brachte sie in Unterkünfte und sorgte für ihre Bequem­
lichkeit. Die Verwundeten bettete man besonders angenehm.
Die Gesunden erhielten Met und guten Wein. Fröhlicher hätte
die Stimmung des Gefolges kaum sein können.

254 Ihre beschädigten Schilde wurden aufbewahrt. Viele Sättel wa­


ren von Blut bespritzt, die ließ man wegbringen, damit die
Frauen bei ihrem Anblick nicht in Tränen ausbrachen. Inzwi­
schen kamen immer mehr vom Kampf ermüdete, tapfere Ritter
nach Hause.

255 Der Landesherr kümmerte sich außerordentlich großzügig um


seine Gäste. Das Land war übervoll von Fremden und Einhei­
mischen. Man ließ die Schwerverwundeten besonders gut pfle­
gen. Die einstige Überheblichkeit der Feinde war ins Gegenteil
umgeschlagen.

256 Denen, die etwas von ärztlicher Kunst verstanden, bot man
großen Lohn, Silber in ungewogener Menge und sogar glän­
zendes Gold, damit sie die Helden von den Kampfverletzungen
heilten. Auch an die Gäste verteilte der König reichlich Ge­
schenke.

257 Die wieder nach Hause ziehen wollten, bat man, noch zu
bleiben, wie man das bei Freunden tut. Nun suchte der König
Rat, in welcher Weise er seine eigenen Leute belohnen sollte. Sie
hatten seinen Auftrag höchst ehrenvoll ausgeführt.
88 4- AVENTIURE

258 Do sprach der herre Gernot: »man sol si riten lan,


uber sehs wochen si in daz chunt getan,
daz si chomen widere zeiner hochgecit.
so ist maniger geheilet, der nu vil sere wund lit.«

259 Do gert ouch urloubes der heit von Niderlant.


do der kunic Gunther den willen sin ervant,
er bat in minnekliche noch bi im bestan.
wan durch Chriemhilde, so waer ez nimmer getan.

260 Dar zuo was er ze riche, daz er iht naeme soit,


er het daz wol verdienet, der kunic was im holt,
sam waren sine mage, die heten daz gesehn,
waz von sinem eilen in dem sturme was geschehn.

261 Durch der schoenen willen gedahter noch bestan,


die er vil gern saehe. sit wart ez getan
al nach sinem muote, si wart im wol bêchant,
sit reit er vroliche heim in sines vater lant.

262 Der wirt hiez zallen eiten ritterschefte pflegn;


daz tet do willechliche vil manic junger degn.
die wil hiez er sidelen vor Wormze an den sant
den die im chomen solden zuo den Burgonden lant.

263 In den selben eiten, do si nu solden chomen,


do het diu vrowe Chriemhilt diu maere wol vernomen,
er wolde hochgeciten mit magen unde man.
do wart vil michil vlizen von schoenen vrowen getan

264 Mit waete und mit gebende, daz si solden tragen.


Uote diu vil riche diu maere horte sagen
von den stolzen degenen, die da solden chomen,
do wart uz der valde guoter waete vil genomen.
DER SA CHSEN- UN D DÄNENKRIEG 89

258 Herr Gernot sagte daraufhin: »Man soll sie zunächst fortreiten
lassen und nach sechs Wochen einladen, zu einem Fest zurück­
zukommen. Dann sind die meisten wieder gesund, die jetzt
schwerverwundet daniederliegen.«

259 Da wollte auch der Held aus Niederland Abschied nehmen. Als
König Gunther seine Absicht bemerkte, bat er ihn freund­
schaftlich, noch bei ihm zu bleiben. Nur aus Liebe zu Kriemhild
ging Siegfried darauf ein.

260 Er war selbst zu mächtig, als daß er hätte Lohn annehmen kön­
nen. Verdient hatte er allerdings die Zuneigung des Königs wie
auch die seiner Verwandten. Sie hatten gesehen, was durch
Siegfrieds Kraft im Kampfsturm geleistet worden war.

261 Um der schönen Kriemhild willen, die er sehr gern sehen


wollte, beschloß er, noch zu bleiben. Bald wurde sein Wunsch
erfüllt, und er begegnete ihr. Erst später ritt er froh in das Land
seines Vaters zurück.

262 Der Landesherr veranstaltete immer wieder ritterliche Turniere;


und viele junge Männer beteiligten sich gern daran. Während­
dessen ließ Gunther vor Worms am Ufer des Rheins einen Fest­
platz herrichten für alle, die er im Burgundenland erwartete.

263 Zu eben der Zeit, als die Gäste eintreffen sollten, hatte auch
Kriemhild erfahren, daß König Gunther mit den Verwandten
und seinen Leuten ein Fest feiern wollte. Da bereiteten sich die
schönen Damen des Hofes eifrig darauf vor

264 mit Kleidern und Kopfputz, die sie tragen wollten. Die mäch­
tige Ute hörte ebenfalls, daß viele stolze Kämpfer kommen
würden, und befahl, eine Menge schöner Stoffe aus den Truhen
hervorzuholen.
90 4- AVENTIURE

265 Durch ir kinde liebe hiez si do sniden kleit,


da mit wart gezieret vil frowen und manic meit
und vil der jungen recken uz Burgonden lant.
da wart ouch vil der vremden bereitet herlich gewant.
DER SA C H SEN - UND DÄNENKRIEG 91

265 Ihren Kindern zuliebe ließ sie Gewänder anfertigen, mit denen
adlige Frauen und Mädchen sowie viele junge Recken aus dem
Burgundenland eingekleidet wurden. Auch zahlreiche Gäste be­
kamen prächtige Kleider.
5- A V EN T IU R E
A V EN TIU R E W IE S IV R IT C H R IE M H IL T A LRESTE ERSA CH

266 Man sach si tägeliche nu riten an den Rin,


di zer hochgecite gerne wolden sin,
die durch der chunige liebe chomen in daz lant.
man gap da genuogen bediu ross und ouch gewant.

267 In was ir gesidele allen wol bereit,


den hohsten und den besten, als uns daz ist geseit,
zwein und drizzech fürsten da zer hohgecit.
da zierte sich engegene vil manic juncfrowe sit.

268 Ez was vil unmüezzich Giselher daz chint.


die vremden und ir mage vil güetliche sint
enpfienger unde Gernot und ouch ir beider man.
ja gruozten si die degene, als ez nach eren was getan.

269 Die goltvarwen sätele si brahten in daz lant,


die zierlichen Schilde und herlich gewant
durch des wirtes liebe zuo der hohgecit.
vil manigen ungesunden sach man vrolichen sit.

270 Die in den peyen lagen und heten wunden not,


die muosin des vergezzen, wie herte was der tot.
die siechen ungesunden, die muosin si verklagen,
si freuten sich der maere gein der hohgecite tagen,

271 Wie si lebn wolden da zer Wirtschaft,


wunne ane maze mit freuden uberchraft
heten al die liute, swaz man ir da vant.
des huop sich michil wunne über al daz Guntheres lant.
5. A V EN T IU R E
W IE S IE G F R IE D K R IE M H IL D ZU M ERSTEN MAL ERBLICKTE

266 Täglich sah man nun Leute an den Rhein reiten, die gern bei
dem Fest dabeisein wollten und den Königen zuliebe ins Land
reisten. Man beschenkte sie reichlich mit Pferden und Gewän­
dern.

267 Die Plätze waren für alle, die Vornehmsten und Besten, aus­
gezeichnet vorbereitet. Wie wir gehört haben, kamen zwei­
unddreißig Fürsten zu dem Fest. Für sie schmückten sich viele
adlige junge Frauen.

268 Auch der junge Giselher beteiligte sich eifrig. Er, Gemot und
das Gefolge der beiden empfingen die Fremden und Verwand­
ten in angemessener Weise. Sie begrüßten die Kämpfer, wie es
der Rangordnung entsprach.

269 König Gunther zuliebe brachten sie goldglänzende Sättel,


kunstvoll verzierte Schilde und prächtige Gewänder zu dem
Fest mit ins Land. Den meisten Verwundeten ging es inzwi­
schen wieder besser.

270 Selbst diejenigen, die in den Fensternischen lagen und noch an


ihren Verwundungen litten, vergaßen, an den Tod zu denken.
Alle mußten jetzt aufhören, die Schwerverletzten zu beklagen.
Sie freuten sich auf die Festtage und darauf,

271 wie sie bewirtet würden. Unermeßlich frohe Erwartung und


übergroße Freude ergriffen alle, die dort waren. Und so verbrei­
tete sich freudige Stimmung über Gunthers ganzes Land.
94 5- AVENTIURE

272 An einem pfienstmorgen sach man fur gan


gekleidet wunnekliche vil manigen chiienen man,
fünf tusint oder mere, da zer hohgecit.
der lop vil vollekliche an den Burgonden lit.

273 Der wirt, der het die sinne: im was wol bekant,
wie rehte hercenliche der helt von Niderlant
sine swester trute, swier si niene gesach,
der man so grozer schoene vor allen juncfrowen jach.

274 Er sprach: »nu ratet alle, mage und mine man,


wie wir die hochgecite so lobeliche han,
daz man uns drumbe iht schelte her nach dirre cit.
ein ieslich lop vil staete ze jungest an den werchen lit.«

275 Do sprach uzer Metzen der degen Ortewin:


»weit ir mit vollen eren zer hochgecite sin,
so suit ir lazen schowen diu wunneklichen kint,
die mit so vollen eren hie zen Burgonden sint.

276 Waz waere mannes wunne, des freute sich ir lip,


ez entaeten schoene meide und herlichiu wip?
ir lazet iwer swester fur iwer geste gan.«
der rat was ze liebe vil manigem degene getan.

277 »Des wil ich gern volgen«, sprach der kunic do.
alle, die ez erfunden, die warns harte vro.
man saget ouch daz froun Uoten und ir tohter wolgetan,
daz si mit ir mägeden hin ze hove solde gan.

278 Do wart uz den chisten gesuochet guot gewant,


swaz man in der valde der liehten waete vant,
porten unde pouge, des was in vil bereit.
sich ziert minnekliche vil manich waetlichiu meit.
SIEGFRIEDS BE GEGNUNG M IT KRIEM H ILD 95

272 Am Morgen des Pfingsttages sah man tapfere, schön gekleidete


Männer in großer Zahl zu dem Fest ziehen, es waren fünftau­
send oder mehr. Der Ruhm der Burgunden wuchs zusehends.

273 Der Landesherr hatte folgende Absicht: Er wußte, wie herzlich


der Held aus Niederland seine Schwester, die alle anderen adli­
gen jungen Frauen an Schönheit übertraf, liebte, obwohl er sie
noch nie gesehen hatte.

274 Er sprach: »Verwandte und Getreue, ratet mir, wie wir das Fest
so ehrenvoll gestalten, daß uns später niemand tadeln kann.
Jedes beständige Lob ergibt sich letztlich aus den vollbrachten
Taten.«

275 Da antwortete der Kämpfer Ortwin von Metz: »Wollt ihr bei
dem Fest alle Ehre einlegen, so sollt ihr die schönen Mädchen
daran teilnehmen lassen, die hier in Burgund in höchstem An­
sehen stehen.

276 Was gibt es, das einen Mann erfreut und glücklich macht, wenn
nicht schöne Mädchen und anmutige Frauen? Laßt eure
Schwester vor den Gästen erscheinen.« Das war ein Rat, der vie­
len Kämpfern gefiel.

277 »Dem will ich gern folgen«, sagte der König. Alle, die es hörten,
freuten sich darüber sehr. Man benachrichtigte auch Frau Ute
und ihre schöne Tochter, daß sie mit ihren Begleiterinnen bei
Hof erscheinen sollten.

278 Prächtige Gewänder wurden aus den Truhen hervorgesucht,


alles, was an glänzender Kleidung vorhanden war, auch Bänder
und Armreife lagen für sie bereit. Eine große Schar schöner
Mädchen schmückte sich auf liebenswürdige Weise.
96 5- AV ENTIURE

279 Vil manic recke tumber des tages hete muot,


daz er an ze sehene den frowen waere guot,
daz er da fur naeme niht eines kuniges lant.
si sahen die vil gerne, die si heten nie bekant.

280 Do hiez der kunic riche mit siner swester gan


die ir dienen solden, wol hundert siner man,
ir und siner mage, die truogen swert enhant.
daz was daz hofgesinde uzer Burgonden lant.

281 Uoten, die vil riehen, die sah man mit ir chomen;
diu hete frowen schoene gesellechlich genomen
wol hundert oder mere, die truogen richiu kleit.
nu gie mit Chriemhilde vil manic waetlichiu meit.

282 Von einer kemenaten sach man si alle gan,


da wart vil michel schowen von recken gar getan,
die des gedingen heten, ob künde daz geschehen,
daz si Chriemhilde solden vrolichen sehen.

283 Nu gie diu minnekliche, also der morgenrot


tuot uz den trüeben wolchen. da schiet von maniger not
der si da truog in hercen und lange het getan;
er sach die minneklichen nu vil herlichen stan.

284 Ja luht ir von ir waete vil manic edel stein,


ir rosenrotiu varwe vil minnekliche schein.
swer so wünschen solde, der enkunde niht gejehn,
daz er in dirre werlde haete schoeners iht gesehn.

285 Sam der liehte mane vor den stern stat,


des schin so luterliche ab den wolchen gat,
dem stuont si vil geliche vor maniger frowen guot.
des wart vil wol gehoehet den zieren heleden der muot.
SIEGFRIEDS BE GEGNUNG MIT KRIEM H ILD 97

279 Manch junger Recke hatte an diesem Tag die Hoffnung, daß er
den adligen Damen gefallen würde, und das schien ihm mehr
wert als der Besitz eines Königreichs. Sie alle wollten die gern
sehen, die sie noch nie zuvor erblickt hatten.

280 Da ließ der mächtige König etwa einhundert von seinen Leu­
ten, die zum Kreis ihrer Verwandten gehörten, mit dem Schwert
in der Hand seine Schwester begleiten. Das war der Hofstaat
der Burgunden.

281 Die vornehme Ute sah man zusammen mit Kriemhild heran­
schreiten; sie hatte wohl einhundert oder mehr prachtvoll ge­
kleidete Damen zur Gesellschaft bei sich. Auch Kriemhild folgte
eine große Zahl hübscher Mädchen.

282 Sie traten aus dem Frauengemach der Burg heraus und zogen
die Blicke der Recken auf sich, die alle auf die Möglichkeit hoff­
ten, zu ihrer Freude Kriemhild endlich einmal zu sehen.

283 Jetzt erschien die Liebenswerte, wie das Morgenrot aus den trü­
ben Wolken auftaucht. Da schwand alle Sehnsucht bei dem, der
sie schon lange in seinem Herzen trug; denn nun sah er die
Geliebte herrlich dastehen.

284 An ihrem Gewand glänzten zahllose Edelsteine, ihr Antlitz


strahlte ganz liebenswürdig in rosenroter Farbe. Sie übertraf an
Schönheit alles, was sich irgend jemand auf der Welt in seiner
Phantasie nur vorstellen konnte.

285 Wie der helle Mond die Sterne überstrahlt, wenn sein Schein
klar aus den Wolken hervortritt, so stand sie vor allen anderen
schönen Damen. Das versetzte die stattlichen Helden in Begei­
sterung.
98 5- AVENTIURE

286 Die riehen kameraere die sach vor in gan.


die hochgemuoten degene dine wolden daz niht lan,
sine drangen, da si sahen die minneklichen meit.
Sivride dem edelen was beidiu lieb unde leit.

287 Er daht in sinem muote: »wie künde daz ergan,


daz ich dich minnen solde, als ich gedingen han?
soi aber ih dich vremden, so waer ich sanfter tot.«
er het von ir schulden tougen lieb unde not.

288 Do stuont so minnekliche daz Sigemundes leint,


sam er entworfen waere an ein permint
von guoter meister listen, als man im do jach,
daz man heit deheinen so waetlichen nie gesach.

289 Die mit Chriemhilde giengen, die hiezen von den wegen
wichen allenthalben, daz leiste manic degen.
diu hohe tragenden hercen freuten manigen lip.
man sach in grozen zuhten vil manic herlichez wip.

290 Do sprach von Burgonden der herre Gernot:


»der iu sinen dienest so minnekliche bot,
Gunther, lieber bruoder, dem suit ir tuon alsam
vor allen disen degenen. des rats ich nimmer mich gescham.

291 Ir heizet Sivriden, den Sigemundes suon,


gen zuo Chriemhilde, ob ir wol wellet tuon.
diu nie gegruozte recken, diu soi in grüezen pflegn,
da mit wir zeinem vriunde habn den zierlichen degn.«

292 Do giengens wirtes mage, da man den recken vant,


si sprachen zuo dem kunige uzer Niderlant:
der wirt hat iu erloubet, ir suit ze hove gan,
sin swester soi iuch grüezen. daz ist zen eren iu getan.«
SIEGFRIEDS BE GEGNUNG M IT K RIEM H ILD 99

286 Die vornehmen Kämmerer sah man vorangehen. Die freudig


erregten Kämpfer versuchten, sich nach vorn zu drängen, wo
sie das liebenswerte Mädchen sehen konnten. Der edle Siegfried
war von Freude und Traurigkeit gleichermaßen bewegt.

287 Er dachte bei sich: »Wie könnte das geschehen, daß ich deine
Liebe gewinne, so wie ich es hoffe? Wenn mir das nicht gelingt,
möchte ich lieber sterben.« Ihretwegen war er insgeheim glück­
lich und voller Angst.

288 Als er so liebenswürdig dastand, glich Siegmunds Sohn einem


Bild, das ein kunstfertiger Meister auf Pergament gemalt hat,
und man mußte gestehen, noch nie einen so schönen Helden
gesehen zu haben.

289 Die Begleiter Kriemhilds ließen überall den Weg freimachen,


und die vielen Kämpfer traten sogleich zurück. Die Erregung
ihrer Herzen machte sie froh. Man sah zahllose anmutige
Frauen in höfischer Haltung auftreten.

290 Da sprach Herr Gernot aus dem Burgundenland: »Günther,


lieber Bruder, ihr müßt euch gegen den, der euch so liebens­
würdig unterstützt hat, vor allen diesen Kämpfern erkenntlich
zeigen. Das ist ein Rat, für den ich mich nicht zu schämen
brauche.

291 Laßt Siegfried, Siegmunds Sohn, zu Kriemhild gehen, wenn ihr


etwas Gutes tun wollt. Sie, die noch nie einen Recken begrüßt
hat, soll ihn mit ihrem Gruß auszeichnen, damit wir den her­
vorragenden Kämpfer zum Verbündeten gewinnen.«

292 Darauf gingen die Verwandten des Landesherrn zu Siegfried


und sagten zu dem König aus Niederland: »Der Herr des Hofes
bittet euch zu sich, seine Schwester wird euch begrüßen. Das
geschieht, um euch zu ehren.«
100 5. AVEN TIURE

293 Do wart der degen guote der maere vil gemeit.


ja truoger in dem muote lieb ane leit,
daz er sehn solde daz wunnekliche kint.
mit minneklichen tugenden si gruozte Sivriden sint.

294 Do si den hochgemuoten vor ir stende sach,


do enzunde sich ir varwe. diu schoene magt sprach:
»sit willekomen, herre Sivrit, ein edel ritter guot.«
do wart im von dem gruoze vil wol gehoehet der muot.

295 Er neigir vlizzekliche; bi henden si in vie.


wie rehte minnekliche der recke bi ir gie!
mit lieben ougenblicken ein ander sahen an
der herre und ouch diu frowe. daz wart tougenlich getan.

296 Wart iht da friuntliche getwungen wiziu hant


von hercenlieber minne, daz ist mir unbekant,
doch enmac ich niht gelouben, daz ez wurde lan.
si het im holden willen harte schiere kunt getan.

297 Bi der sumercite und gein des meyen tagen


chunder in sinem hercen nimmer me getragen
minneklicher freuden, denner ir do gewan,
do im diu gie so nahen, die er ze trute wolde han.

298 Do gedahte manic recke: »und waer mir sam geschehen,


daz ich ir gienge in hende, sam ich in han gesehen,
oder bi ze ligene, daz liez ich ane haz.«
ez gediente noch nie recke nach einer kuniginne baz.

299 Von swelher kunige landen die geste chomen dar,


die namen al gemeine niwan ir zweier war.
ir wart erloubet küssen den waetlichen man;
im wart bi sinem lebene nie so liebe getan.
SIEGFRIEDS BEGEGNUNG M IT KRIE M H ILD 101

293 Den edlen Kämpfer machte die Nachricht überglücklich, ln


diesem Augenblick fühlte er in seinem Herzen ungetrübte
Freude darüber, daß er das wunderschöne Mädchen sehen
sollte. Sie grüßte wenig später Siegfried auf liebenswürdige
Weise.

294 Als sie den hocherfreuten Mann vor sich stehen sah, errötete
sie. Das schöne Mädchen sagte: »Seid willkommen, Herr Sieg­
fried, edler, tüchtiger Ritter.« Der Gruß steigerte seine freudige
Stimmung.

295 Er verneigte sich mit höfischem Anstand vor ihr; sie nahm seine
Hand. Wie liebenswürdig ging der Recke neben ihr! Sie sahen
sich mit verliebten Blicken an, der Herr und die Dame. Aller­
dings geschah das heimlich.

296 Ob auch zärtlich weiße Hände in herzlicher Liebe gedrückt


wurden, weiß ich nicht, doch kann ich mir kaum vorstellen,
daß es unterblieb. Sie hat ihm sehr bald ihre Zuneigung gezeigt.

297 Weder Frühling noch Sommer hätten in seinem Herzen solche


Liebesfreude auslösen können, wie er sie in dem Augenblick
empfand, als die so nahe neben ihm ging, die er sich zur Ge­
liebten wünschte.

298 Da dachten viele Recken bei sich: »Dürfte ich an ihrer Hand ge­
hen wie er oder gar bei ihr liegen, das ließe ich mir gefallen.«
Noch nie hat ein Recke angemessener um eine Königin gewor­
ben.

299 Ganz gleich aus welchem Königreich die Gäste dorthin gekom­
men waren, alle blickten nur auf die beiden. Sie durfte den
schönen Mann küssen; er hatte in seinem Leben noch nie sol­
ches Glück gefühlt.
102 5- AVENTIURE

300 Der kunic von Tenemarche, der sprach sa zestunt:


»dis vil hohen gruozes lit maniger ungesunt,
des ich vil wol enpfinde, von Sivrides hant.
got enlaze in nimmer mere körnen in miniu fürsten lant.«

301 Do hiez man allenthalben wichen von den wegen


den minneklichen frowen. vil manigen chüenen degen
sach man gezogenlichen ze hofe mit ir gan.
sit wart von ir gescheiden der vil waetlich man.

302 Do gie si zuo dem munster, ir volgete manic wip.


do was ouch so gezieret der Chriemhilde lip,
daz da hoher wünsche maniger wart verlorn.
si was da zougenweide vil manigem recken geborn.

303 Vil chume erbeit Sivrit, daz man da gesanc.


er mohte sinen saelden immer sagen danc,
daz im diu was so waege, die er in hercen truoch.
ouch was er der schoenen holt von schulden genuoch.

304 Do si chom fur daz munster, sam er e hete getan,


man sah in ffiuntliche zuo Chriemhilde gan.
do begunde im danchen diu vil schoeniu meit,
daz er vor ir magen so rehte herlichen streit.

305 »Nu Ion iu got, her Sivrit«, sprach daz schoene kint,
»daz ir daz habt verdienet, daz iu die recken sint
so holt von warn schulden, als ich si hoere jehn.«
do begunder minnekliche an vron Chriemhilden sehn.

306 »Ich soi in immer dienen«, also sprach der degen,


»und enwil min houbet nimmer e gelegen,
ich engedien ir hulde, als ich des willen han.
des ist ein teil, frow Chriemhilt, nach iwem hulden ergan.«
SIEGFRIEDS BEGEGNUNG M IT KRIEM H ILD 103

300 In dem Moment sagte der König von Dänemark: »Um diesen
besonderen Gruß zu ermöglichen, mußten viele von Siegfrieds
Hand sterben, was mir große Schmerzen bereitet. Gott halte
ihn für immer aus meinem Königreich fern.«

301 Dann ließ man überall für die liebenswerten Damen Platz ma­
chen. Viele tapfere Kämpfer sah man formvollendet in dem
höfischen Festzug mitgehen. Später wurde der schöne Mann
wieder von Kriemhild getrennt.

302 Während sie zum Münster ging, folgten ihr viele andere
Frauen. Auch dort wirkte Kriemhild so anziehend, daß sie weit­
reichende, aber unerfüllbare Wünsche weckte. Sie schien dazu
geboren, zahllose Kämpfer durch ihren Anblick zu erfreuen.

303 Kaum konnte Siegfried das Ende der Messe erwarten. Er dankte
seinem glücklichen Geschick, daß ihm die Frau, die er in sein
Herz geschlossen hatte, so gewogen war. Er hatte auch allen
Grund, die Schöne zu lieben.

304 Als Kriemhild aus dem Münster heraustrat wie Siegfried zuvor,
sah man ihn freundlich auf sie zugehen. Da dankte ihm das
schöne Mädchen, daß er an der Spitze ihrer Verwandten so
großartig gekämpft hatte.

305 »Gott lohne es euch, Herr Siegfried«, sagte die schöne Kriem­
hild, »ihr habt es rechtmäßig verdient, daß euch die Recken so
dankbar sind, wie ich es von ihnen höre.« Da blickte er Kriem­
hild liebevoll an.

306 »Ich werde ihnen immer zu Diensten stehen«, sprach der


Kämpfer, »und ich will nicht ruhen, bevor ich ihre Huld ver­
dient habe, wie ich es gern möchte. Dabei geht es mir, edle
Kriemhild, eigentlich um eure Gunst.«
104 5. AVEN TIURE

307 Inre tage zwelfen, der tage al ieselich,


sach man bi dem recken die maget lobelich,
so si ze hofe solde vor den fürsten gan.
diu ere wart dem degene durch groze liebe getan.

308 Vreude unde wunne, vil grozlichen schal


sach man da tägeliche vor Guntheres sal,
dar uz und ouch dar inne von manigem chüenem man.
Ortwin unde Hagene grozer wunder da began.

309 Swes iemen pflegen solde, des warn si bereit


mit volleklicher maze, die helde vil gemeit.
des wurden von den gesten die recken wol bekant,
da von was gezieret allez Guntheres lant.

310 Die e da wunde lagen, die sach man fur gan;


si wolden churzwilen mit des chuniges man,
schirmen mit den Schilden und schiezen manigen schaft.
des hülfen in genuoge si heten grozliche kraft.

311 In der hochgecite der wirt der hiez ir pflegn


mit der besten spise, er hete sich bewegn
aller hande schände, die ie kunic gewan.
man sach in minnekliche zuo den sinen gesten gan.

312 Er sprach: »ir guoten degene, e daz ir scheidet hin,


so nemt die mine gäbe, also stet min sin,
daz ich es immer diene, versmaeht niht min guot,
daz wil ich mit iu teilen, des han ich willigen muot.«

313 Die von Tenemarche sprachen sa zehant:


»e daz wir wider riten heim in unser lant,
wir gern staeter suone und gehn michel guot
und sezzen iu des Sicherheit, swie iuch des selben dunchet guot.«
SIEGFRIEDS BE GEGNUNG MIT KRIEM H ILD 105

307 In den folgenden zwölf Tagen sah man das vielgerühmte Mäd­
chen täglich neben dem Recken, wenn sie in die Hofgesellschaft
zu den Fürsten kam. Diese Ehre erwies sie Siegfried aus großer
Zuneigung.

308 Freude und Vergnügen hörte man jeden Tag mit lautem Schall
vor Gunthers Palas, draußen und drinnen, von vielen mutigen
Männern. Ortwin und Hagen taten sich außerordentlich
hervor.

309 Zu allen Unternehmungen waren die frohgestimmten Helden


in jeder Weise bereit. Dadurch wurden alle Gäste auf sie auf­
merksam, und das trug zum Ruhm von Gunthers Land bei.

310 Die anfangs noch verwundet daniederlagen, sah man jetzt auf­
stehen; denn sie wollten sich an den Spielen mit den Leuten des
Königs beteiligen, im Kampf ihre Schilde zum Schutz hoch-
halten und Speere werfen. Viele standen ihnen mit großer Kraft
zur Seite.

311 Auf dem Fest ließ der Landesherr alle mit den besten Speisen
bewirten, so daß ihn kein Vorwurf treffen konnte, den sich
sonst ein König vielleicht zugezogen hätte. Man sah, wie er sei­
nen Gästen liebenswürdig begegnete.

312 Er sprach: »Gute Kämpfer, ehe ihr von hier abreist, nehmt
meine Geschenke entgegen. Ich habe die Absicht, euch damit
nachdrücklich zu danken. Verschmäht mein Gut nicht, das ich
gern mit euch teilen möchte.«

313 Die Dänen antworteten sogleich: »Bevor wir wieder nach


Hause in unser Land reiten, wollen wir auf Dauer Frieden
schließen und euch zur Sicherheit soviel an Gut geben, wie es
euch angemessen erscheint.«
106 5- AVEN TIURE

314 Liudegast geheilet siner wunden was;


der vogt von den Sahsen nach strite wol genas.
ettesliche toten si liezen dar enlant.
do gie der kunich Gunther, da er Sivriden vant.

315 Er sprach zuo dem degene: »nu rate, wie ich tuo.
die unser widerwinnen wellent riten fruo
und gernt staeter suone an mich und mine man.
nu rata, degen chüene, waz dich des guot dunche getan.

316 Waz mir die helde bieten, daz wil ich dir sagen,
swaz fünfhundert moere goldes mugen tragen,
daz gaeben si mir gerne, wold ich si ledich lan.«
do sprach der herre Sivrit: »daz waere vil ubele getan.

317 Ir suit si ledeklichen hinnen lazen varn,


und daz die recken beide mere wol bewarn,
daz si immer mer geriten mit here in iwer lant.
des lat iu sicherheite tuon der beider herren hant.«

318 »Des rates wil ich volgen.« da mite si giengen dan.


den sinen widerwinnen wart daz kunt getan,
ir goldes gerte niemen, daz si da buten e.
da heime ir lieben friunden was nach den hermüeden we.

319 Vil manige Schilde volle man dar schazzes truoch.


er teiltes ane wage den friunden sin genuoch
bi fünfhundert marchen und eteslichen baz.
Gernot der vil chüene, der riet Gunthere daz.
SIEGFRIEDS BEGEGNUNG M IT KRIEM H ILD 107

314 Liudegast hatte sich von seiner Verwundung erholt; und der
Herr der Sachsen war nach dem Kampf wieder genesen. Aller­
dings mußten sie etliche Tote dort im Land zurücklassen.
Schließlich ging König Gunther zu Siegfried.

315 Er sprach zu dem Kämpfer: »Nun ratet mir, was ich tun soll.
Unsere Gegner beabsichtigen, morgen früh fortzureiten, und
wollen mit mir und meinen Leuten auf Dauer Frieden
schließen. Empfiehl mir, tapferer Kämpfer, was dir in dieser
Lage angemessen erscheint.

316 Ich will dir auch sagen, was mir die Helden von sich aus anbie­
ten. Soviel Gold, wie fünfhundert Pferde zu tragen vermögen,
geben sie mir bereitwillig, wenn ich sie freilasse.« Da antwortete
Herr Siegfried: »Das halte ich für unangebracht.

317 Ihr sollt sie ohne Gegenleistung fortziehen lassen, doch die bei­
den Recken müssen sich verpflichten, nie wieder mit Heeres­
macht in euer Land einzudringen. Das laßt euch von beiden
Herren mit Handschlag versichern.«

318 »Diesen Rat will ich befolgen.« Damit gingen sie auseinander.
Gunthers Widersachern wurde kundgetan, daß niemand das
Gold, das sie zuvor angeboten hatten, annehmen wollte. Zu
Hause sehnten sich ihre lieben Freunde nach den vom Krieg
erschöpften Kämpfern.

319 Viele Schilde, gefüllt mit Schätzen, brachte man herbei.


Gunther verteilte, ohne es zu wiegen, mehr als fünfhundert
Mark an seine Freunde. Das hatte der kühne Gernot Gunther
geraten.
108 5- AVEN TIURE

320 Urloup si alle namen, also si wolden dan.


do sach man die recken fur Chriemhilde gan,
und ouch da frou Uote, diu kuniginne, saz.
ez enwart noch nie degenen mere geurloubet baz.

321 Herberge wurden laere, do si von dannen riten.


noch bestuont da heime mit ritterlichen siten
der kunich mit sinen magen, vil manie edel man.
die sach man nu tägeliche fur frown Chriemhilde gan.

322 Urloup ouch nemen wolde Sivrit der helet guot.


ern troute niht verenden, des er da hete muot.
der kunic daz sagen horte, daz er wolde dan,
Giselher der junge den degn vlegen do began:

323 »War woldet ir nu riten, vil edel Sivrit?


belibet bi den degenen, tuot des ich iuch bit,
bi Gunthere dem kunige und ouch bi sinen man.
hie ist vil schoener frowen, die soi man gerne iuch sehen lan.«

324 Do sprach der starche Sivrit: »diu ross diu lazet stan;
ich wolde hinnen riten, des wil ich abe gan,
und traget ouch hin die Schilde, ja wolde ich in min lant,
des hat mich her Giselher mit grozen triwen erwant.«

325 Sus beleip der küene recke durch friwende liebe da.
ja waer er in den landen ninder anderswa
gewesen also sanfte, da von nu daz geschach,
daz er nu, swenner wolde, die schoenen Chriemhilde sach.
SIEGFRIEDS BEGEGNUNG M IT KRIEM H ILD 109

320 Als sie fortziehen wollten, verabschiedeten sich alle. Man sah,
wie die Recken zu Kriemhild gingen, neben der auch die Köni­
gin Ute saß. Noch nie wurden Kämpfer so ehrenvoll verab­
schiedet.

321 Die Herbergen leerten sich, als sie fortritten. Der König aber,
seine Verwandten und viele adlige Herren setzten das ritterli­
che Treiben fort. Man sah sie täglich Kriemhild einen Besuch
abstatten.

322 Auch Siegfried, der ausgezeichnete Held, wollte Abschied neh­


men. Er hatte bisher nicht gewagt, endlich vorzubringen, was
ihm am Herzen lag. Als der König hörte, daß Siegfried abreisen
wollte, da begann der junge Giselher den Kämpfer inständig zu
bitten:

323 »Wo wollt ihr denn hinreiten, edler Siegfried? Bleibt hier bei
den Kämpfern, bei König Gunther und seinen Leuten, darum
bitte ich euch. Hier gibt es viele schöne Damen, die ihr gern be­
suchen dürft.«

324 Da sagte der starke Siegfried: »Laßt die Pferde stehen; meine
Absicht fortzureiten, gebe ich auf, und tragt auch die Schilde
wieder weg. Ich wollte in mein Land ziehen, doch Giselher hat
mich mit seiner aufrichtigen Bitte umgestimmt.«

325 So blieb der tapfere Recke den Freunden zuliebe dort. Sicher
hätte er sich in keinem anderen Land so wohl gefühlt. Das kam
daher, daß er jetzt, wann immer er wollte, die schöne Kriemhild
sehen konnte.
110 5. AVEN TIURE

326 Durch ir unmazen schoene der herre do beleip.


mit maniger kurcewile man im die zit vertreip,
wan daz in twanch ir minne, diu gab im dicke not.
dar umbe sit der chüene lach vil jaemerliche tot.

327 Iteniwe maere sich huoben umben Rin.


ez sprachen zuo dem kunige die hosten mage sin,
warumbe er niht ennaeme ein wip zuo siner e.
do sprach der chunic riche: »ine wil niht langer biten me.

328 Des wil ich beraten, wa ich die muge nemen,


diu mir und mime riche ze frowen muge zemen
an edel und ouch an schoene, der gib ich miniu lant.
als ich die reht ervinde, si sol iu werden wol bekant.«
SIEGFRIEDS BEGEGNUNG MIT K RIEM H ILD 111

326 Wegen ihrer unbeschreiblichen Schönheit blieb Siegfried in


Worms. Man vertrieb ihm mit vielfältiger Unterhaltung die
Zeit, doch versetzte ihn die Liebe zu Kriemhild oft in quälende
Unruhe. Durch sie fand der kühne Mann später auf beklagens­
werte Weise den Tod.

327 Zunächst aber wurde dort am Rhein etwas ganz anderes be­
sprochen. Seine vornehmsten Verwandten fragten den König,
ob er nicht heiraten wollte. Da antwortete der mächtige König:
»Ich will nicht länger warten.

32 « Darum werde ich mich beraten lassen, wo ich die finden kann,
die für mich und mein Reich als Herrin aufgrund ihres Adels
und ihrer Schönheit angemessen ist. Ihr will ich meine Länder
zueignen. Sobald ich die Richtige gefunden habe, sollt ihr es
erfahren.«
6. A V EN T IU R E
A V EN T IU R E W IE SIC H G U N T H E R G E IN ISL A N D E
H IN ZE P R U N H I L T BE R E IT E

329 Ez was ein kuniginne gesezzen uber se,


ir geliche enheine man wesse ninder me.
diu was unmazen schoene, vil michel was ir chraft.
si schoz mit snellen degenen umbe minne den schaft.

330 Den stein den warf si verre, darnach si wite spranch.


swer an si wenden wolde sinen gedanch,
driu spil muoser an behaben der frowen wol geborn.
gebrast im an dem einen, er het daz houbet sin verlorn.

331 Des het diu kuniginne unmazen vil getan.


do gevriesch ez bi dem Rine ein ritter wolgetan,
der wände sine sinne an daz herliche wip.
darumbe muosin helede sit Verliesen den lip.

332 Do si eines tages sazen, der kunic und sine man,


manigen ende si ez mazen beidiu wider und dan,
weihe ir herre mohte zeinem wibe nemen,
diu in ze frowen tohte und ouch dem lande mohte zemen.

333 Do sprach der vogt von Rine: »ich wil nider an den se
hin ze Prunhilde, swie ez mir erge.
durch ir unmazen schoene so wage ich minen lip.
den wil ich Verliesen, sine werde min wip.«
6 . A V EN T IU R E
W IE SIC H G U N T H E R AUF D IE F A H R T N A C H ISLAND
ZU B R Ü N H IL D V O R B E R EIT E T E

329 Es lebte eine Königin jenseits des Meeres, der man keine andere
hätte vergleichen können. Sie war über alle Maßen schön und
besaß große Kraft. Wer ihre Liebe gewinnen wollte, mußte sich
mit ihr im Speerwerfen messen.

330 Sie warf den Stein außerordendich weit und erreichte ihn mit
einem Sprung. Jeder, der die hochgeborene Herrin zu erringen
hoffte, mußte sich in drei Wettkämpfen mit ihr messen. Wenn
er auch nur in einem unterlag, verlor er seinen Kopf.

331 So hatte es die Königin schon in zahllosen Fällen gemacht. Da­


von erfuhr auch ein schöner Ritter am Rhein, der seine Gedan­
ken ganz der außerordentlichen Frau zuwandte. Deshalb muß­
ten später viele Helden ihr Leben lassen.

332 Als eines Tages der König und seine Leute beisammen saßen,
erwogen sie das Für und Wider, welche Frau ihr Herr zur Ehe
nehmen könnte, die als Herrin für sie und das Land angemes­
sen wäre.

333 Da sagte der Herr vom Rhein: »Ich will flußabwärts ans Meer
zu Brünhild fahren, ganz gleich, wie es für mich ausgeht. Um
ihrer unglaublichen Schönheit willen setze ich mein Leben ein.
Ich bin bereit, es zu verlieren, wenn sie nicht meine Frau wird.«
114 6 . AVEN TIURE

334 »Daz wil ich widerraten«, sprach do Sivrit,


»ja hat diu kuniginne so vreisliche sit:
swer umb ir minne wirbet, daz ez im hohe stat.
des muget ir der reise haben waerlichen rat.«

335 Do sprach der kunich Gunther: »nie geborn wart ein wip
so starch und ouch so chüene, ine wolde wol ir lip
in strite betwingen mit min selbes hant.«
»swiget«, sprach do Sivrit, »iu ist ir eilen unbekant.

336 Und waern iwer viere, dine künden niht genesn


von ir vil grimmen zorne. ir lat den willen wesn,
daz rat ich iu mit triwen. weit ir niht ligen tot,
sone lat iuch nach ir minne niht ze sere wesn not.«

337 »So wil ich iu wol raten«, sprach do Hagene,


»ir bitet Sivride mit iu ze tragene
die vil starchen sorge, daz ist nu min rat,
sit im daz ist so kundich, wiez umbe Prunhilde stat.«

338 Er sprach: »wiltu mir helfen, degen Sivrit,


die minnekliche erwerben? tuostu des ich dih bit,
und wirt mir zeinem trute daz herliche wip,
ich wil durch dinen willen wagen ere unde lip.«

339 Des antwurte Sivrit: »swie mir min dinch da chum,


gistu mir din swester, so bin ich dir frum,
die schoenen Chriemhilde, ein kuniginne her.
ine ger deheiner miete nach minen arebeiten mer.«

340 »Daz lobe ich«, sprach do Gunther, »Sivrit, an dine hant.


und kumt diu schoene Prunhilt her in dizze lant,
so wil ich dir ze wibe die mine swester gebn.
so mahtu mit der schoenen immer vroliche lebn.«
G U N T H E R S HEIRATSENTSCHLUSS 115

334 »Davon rate ich ab«, wandte Siegfried ein, »denn die Königin
stellt schreckliche Bedingungen: Jeder, der um ihre Liebe wirbt,
muß einen hohen Einsatz bringen. Deshalb solltet ihr die Fahrt
auf jeden Fall unterlassen.«

335 Doch König Gunther antwortete: »Es gibt keine Frau, die so
stark und kühn ist, daß ich sie nicht im Kampf überwältigen
könnte.« »Schweigt«, widersprach Siegfried, »ihr kennt ihre
Kraft nicht.

336 Selbst vier Männer von eurer Art könnten vor ihrer Kampfwut
nicht bestehen. Gebt die Absicht auf, das rate ich euch bei mei­
ner Treue. Wenn ihr nicht den Tod finden wollt, steigert euch
nicht zu sehr in Liebe zu ihr hinein.«

337 »Dann gebe ich euch einen anderen Rat«, sagte Hagen, »bittet
Siegfried, die schwierigen Gefahren mit euch gemeinsam auf
sich zu nehmen. Ich schlage das vor, weil er genau weiß, was bei
Brünhild vorgeht.«

338 Da fragte Gunther: »Willst du mir helfen, kampferprobter Sieg­


fried, die Liebenswerte zu gewinnen? Wenn du erfüllst, worum
ich dich bitte, und wenn die herrliche Frau sich mir in Liebe
zuwendet, dann will ich auch für dich mein Leben und meine
Ehre einsetzen.«

339 Siegfried antwortete darauf: »Wie immer es ausgehen mag,


wenn du mir deine Schwester gibst, die schöne Kriemhild, die
edle Königin, dann will ich dir helfen. Eine andere Gegenlei­
stung erwarte ich nicht für meinen Einsatz.«

340 »Das verspreche ich dir, Siegfried, mit Handschlag«, sagte


Gunther. »Sobald die schöne Brünhild in dieses Land kommt,
will ich dir meine Schwester zur Frau geben. Dann kannst du
mit der Schönen für immer in Freuden leben.«
116 6 . AVENTIURE

341 Des swuoren si do eide, die recken vil her.


des wart ir arebeiten verre deste mer,
e si die wolgetanen brachten an den Rin.
des muosen die vil chüenen starche sorgende sin.

342 Von wilden getwergen han ich gehoeret sagen,


si sin in holn bergen und daz si ze scherme tragen
einez, heizet tarnkappen, von wunderlicher art.
swerz hat an sime libe, der sol vil gar wol sin bewart

343 Vor siegen und vor Stichen, in muge ouch niemen sehen,
swenner si darinne, beide hoern und spehen
mag er nach sinem willen, daz in doch niemen siht.
er si ouch verre stercher, als uns diu aventiure giht.

344 Mit im fuort Sivrit die tarnkappen dan,


die der heit vil küene mit sorgen gewan
ab einem getwerge, daz hiez Albrich.
sich bereiten zuo der verte die degn chüene unde rieh.

345 Also der starche Sivrit die tarnkappen truoch,


so het er dar inne chrefte genuoch,
zwelf ander manne sterche, als uns ist geseit.
er gewan mit grozen listen die vil herlichen meit.

346 Ouch was diu selbe tarnhut also getan,


daz dar inne worhte ein ieslicher man,
swaz er selbe wolde, daz in doch niemen sach.
so gewan er Prunhilde. da von im leide sit geschach.

347 »Du soit mir sagen Sivrit, e unser vart erge,


daz wir mit vollen eren chomen an den se,
suln wir iht ritter füeren in Prunhilt lant?
zwei tusint degene die werdent schiere besant.«
G U N T H E R S H EIRATSENTSCH LU SS 117

341 Zur Bekräftigung schworen die hochadligen Recken Eide. Aber


sie hatten noch sehr große Aufgaben vor sich, ehe sie die
schöne Frau an den Rhein brachten. Durch dieses Unterneh­
men kamen die tapferen Männer in große Bedrängnis.

342 Ich habe erzählen hören, daß eigenartige Zwerge, die in Berg­
höhlen leben, etwas Wunderbares besitzen, um sich zu schüt­
zen, es wird Tarnkappe genannt. Wer sie trägt, der soll vollstän­
dig sicher sein

343 vor Schlägen und Stichen. Wenn jemand hineinschlüpft, ver­


mag ihn niemand zu sehen. Er selbst kann hören und sehen,
wie er will, aber keiner sieht ihn. Außerdem gewinnt er an
Stärke, wie uns die Sage berichtet.

344 Siegfried hatte die Tarnkappe in großer Anstrengung einem


Zwerg mit Namen Alberich abgerungen, jetzt nahm er sie mit.
Das gehörte zur Vorbereitung der kühnen und mächtigen
Kämpfer.

345 Wenn der starke Siegfried die Tarnkappe trug, hatte er, wie uns
erzählt wird, zusätzlich die Kraft von zwölf Männern. Mit Hilfe
dieser magischen Künste eroberte er die außerordentliche Frau.

346 Außerdem bewirkte die Tarnhaut, daß jeder, der sie trug, darin
tun konnte, was er wollte, ohne gesehen zu werden. Auf diese
Weise gewann Siegfried Brünhild. Daraus erwuchs ihm später
Leid.

347 »Siegfried, sag mir, ehe unsere Reise beginnt, sollen wir nicht
ein ritterliches Gefolge mit in Brünhilds Land nehmen, um
ehrenvoll am Meer aufzutreten? Zweitausend Kämpfer sind
schnell zusammengerufen.«
118 6 . AV EN TIURE

348 »Swie vil wir volches fuorten«, sprach do Sivrit,


»ez pfliget diu kuniginne so eyslicher sit,
die muosen alle ersterben von ir ubermuot.
ich wil iuch baz bewisen, degen chüene unde guot.

349 Wir suln in recken wise varn zetal den Rin.


die wil ich iu nennen, die daz suln sin:
zuo uns zwein noch zwene unde niemen me.
so erwerben wir die frowen, swiez uns dar nach erge.

350 Der gesellen sit ir einer, der ander soi ich wesn.
Hagene si der dritte, wir mugen wol genesn,
Danchwart si der vierde, der vil chüene man.
uns endurfen ander tusint mit strite nimmer bestan.«

351 »Diu maere ich wiste gerne«, sprach der kunic do,
»e daz wir hinne schieden, des waere ich harte vro,
waz wir kleider solden vor Prunhilde tragen,
diu uns da wol gezaemen; daz suit ir mir bi zite sagen.«

352 »Wat die aller besten, die ieman bevant,


die treit man zallen eiten in Prunhilde lant.
des suln wir richiu chleider vor der frowen tragen,
daz wirs iht habn scande, so man diu maere hoere sagen.«

353 Do sprach der degn guoter: »so wil ich selbe gan
zu miner lieben muoter, ob ich erwerben chan,
daz uns ir schoene mägede helfen prüeven chleit,
die wir tragen mit eren fur die herlichen meit.«

354 Do sprach von Tronege Hagene mit herlichen siten:


»wes weit ir iwer muoter solher dienste biten?
lat iwer swester hoeren, wes wir habn muot.
si ist so chunstriche, daz diu chleider werdent guot.«
G U N T H E R S HEIRATSENTSCHLUSS 119

348 »Wie viele Männer wir auch mitnehmen«, antwortete Siegfried,


»der Brauch der Königin ist so schrecklich, daß unter Umstän­
den alle ihrem Übermut zum Opfer fallen. Ich will euch, tapfe­
rer, edler Kämpfer, einen besseren Vorschlag machen.

349 Wir werden als kleine Gruppe, so wie Recken von jeher, rhein-
abwärts fahren. Ich will euch sagen, wer dabeisein soll: außer
uns beiden noch zwei andere und niemand weiter. Dann errin­
gen wir die Herrin, was auch kommen mag.

350 Ihr seid einer der Gefährten, der andere bin ich selbst. Hagen
soll der dritte sein, dann bleiben wir am Leben, der tapfere
Dankwart sei der vierte. Uns werden tausend andere im Kampf
niemals besiegen.«

35 1 Der König antwortete: »Bevor wir von hier losziehen, wüßte ich
gern und wäre froh, zu hören, was wir für Gewänder bei Brün-
hild tragen sollen, damit wir in geziemender Ausstattung er­
scheinen; das müßt ihr mir rechtzeitig sagen.«

352 »Die allerbesten Kleider, die es überhaupt gibt, trägt man stän­
dig in Brünhilds Land. Deshalb sollen auch wir vor der Herrin
in prächtiger Kleidung erscheinen, damit uns kein Tadel trifft,
wenn man über uns spricht.«

353 Da sagte der edle Gunther: »Dann will ich selbst zu meiner lie­
ben Mutter gehen und sie dazu bewegen, daß uns ihre schönen
Mädchen helfen, die Kleider zurechtzumachen, die wir in Eh­
ren vor der herrlichen Frau tragen können.«

354 Hagen von Tronje entgegnete in vornehmer Art: »Warum wollt


ihr eure Mutter um derartige Dienste bitten? 'Fragt eurer Schwe­
ster vor, was wir beabsichtigen. Sie hat soviel Geschmack, daß
die Kleider auf jeden Fall gut werden.«
120 6. AVEN TIURE

355 Do enbot er siner swester, daz er si wolde sehn


und ouch der herre Sivrit. e daz daz was geschehn,
do hete sich diu schoene ze wünsche wol gechleit;
daz si sie sehn wolden, des was si vro und ouch gemeit.

356 Do was ouch ir gesinde gezieret, als ir gezam.


die fürsten chomen beide, do si daz vernam,
do stuont si von dem sidele, mit zuhten si do gie,
do si den gast vil edelen und ouch ir bruoder enpfie.

357 »Willechomen si min bruoder und der geselle sin.


diu maere wist ich gerne«, so sprach daz magedin,
»was ir werben woldet, sit ir ze hofe gat.
daz lat mich beide hoeren, wiez iu hochgemuoten stat.«

358 Do sprach der chunic riche: »frowe, ich wilz iu sagn.


wir müezin michel sorgen bi hohem muote tragn.
wir wellen hobeschen riten verre in vremdiu lant.
wir solden zuo der reise haben zierlich gewant.«

359 »Nu sizzet, lieber bruoder«, sprach daz kuniges kint,


»lat mich diu maere hoeren, wer die frowen sint,
der ir da gert mit minnen in ander fürsten lant.«
die uz erwelten beide nam diu frowe bi der hant.

360 Do gie si mit den degenen, da si selbe saz.


matraz diu riehen, ir suit gelouben daz,
lagen allenthalben an dem vlezze nider.
si heten bi den frowen guot kurzwile sider.

361 Vil lieplicher blicke und minneklichez sehn,


des mohte da in beiden harte vil geschehn.
er truoch si imme hercen, si was im so der lip.
er erwarp mit starchem dienste, daz si doch sider wart sin wip.
G U N T H E R S H E IRAT SE NT SCH LU SS 121

355 Gunther ließ seiner Schwester mitteilen, daß er und auch Herr
Siegfried sie aufsuchen wollten. Bevor sie kamen, hatte sich die
Schöne selbst so prächtig wie möglich gekleidet; denn sie war
hocherfreut über den angekündigten Besuch.

356 Auch ihr Gefolge war schön zurechtgemacht, wie es sich


gehörte. Als Kriemhild erfuhr, daß beide Fürsten kämen, erhob
sie sich von ihrem Sitz und ging mit Anstand, den edlen Gast
und auch ihren Bruder zu empfangen.

357 »Mein Bruder und sein Gefährte sollen mir willkommen sein.
Doch wüßte ich gern«, sprach die junge Frau, »was euch zu mir
führt. Laßt mich hören, edel gesinnte Herren, wie es euch bei­
den geht.«

358 Der mächtige König antwortete: »Herrin, ich will es euch sa­
gen. Wir sind zugleich von großen Sorgen und freudiger Er­
wartung bewegt. Wir wollen an einen Hof weit weg in fremde
Länder reiten. Zu dieser Reise brauchen wir schöne Gewänder.«

359 »Nun setzt euch, lieber Bruder«, sprach die Königstochter, »laßt
mich hören, wer die Damen sind, um deren Liebe ihr im Land
anderer Fürsten werben wollt.« Die Herrin nahm die beiden
hervorragenden Männer an die Hand.

360 Sie führte die Kämpfer zu ihrem eigenen Platz. Prächtige Ruhe­
kissen lagen dort, das könnt ihr glauben, überall auf dem Bo­
den. Dann fanden sie bei den Damen gute Unterhaltung.

361 Viele liebevolle Blicke konnten Siegfried und Kriemhild mitein­


ander wechseln. Er trug sie in seinem Herzen, sie war ihm so
lieb wie sein Leben. Durch seinen außerordentlichen Dienst
erreichte er, daß sie später seine Frau wurde.
122 6 . AVEN TIURE

362 Do sprach der kunic Gunther: »vil edel swester min,


ane dine helfe sone kundez niht gesin.
wir wellen kurcewilen in Prunhilde lant.
da bedorften wir ze tragene vor frowen herlich gewant.«

363 Do sprach diu kuniginne: »vil lieber bruoder min,


swaz der minen helfe daran kan gesin,
des bringe ich iuch wol innen, daz ich iu bin bereit,
versagt iu ander iemen, daz waere Chriemhilde leit.

364 Irn suit mich, ritter edele, niht sorgende biten.


ja suit ir mir gebieten mit herlichen siten.
swaz so iu gevalle, des bin ich bereit
und tuon ez willekliche«, sprach diu herliche meit.

365 »Wir wellen, liebiu swester, tragen guot gewant.


daz soi helfen prüeven iwer wiziu hant.
des volziehen iwer mägede, daz ez uns rehte stat;
wände ich dirre verte han deheiner slahte rat.«

366 Do sprach diu juncfrowe: »ine wil iu niht versagen,


ich han selbe siden; nu heizet uns her tragen
gestein uf den Schilden, so machen wir diu kleit,
daz ir si traget mit eren fur die herlichen meit.

367 Wer sint die gesellen«, sprach diu kunigin,


»die mit iu gekleidet ze hofe suln sin?«
»daz bin ich und Sivrit und zwene miner man,
Danchwart und Hagene, die suln mit uns ze hofe gan.

368 Nu merchet, liebiu swester, rehte waz wir sagen:


daz wir vier gesellen ze vier tagen tragen
ie drier hande kleider und also guot gewant,
daz wir ane scande rumen Prunhilde lant.«
GU N T H E R S HEIRATSENTSCHLUSS 123

362 Dann sagte König Günther: »Meine edle Schwester, ohne deine
Hilfe können wir nichts ausrichten. Wir wollen in Brünhilds
Land reisen, um uns umzuschauen. Dort müssen wir vor den
Damen prächtige Kleider tragen.«

363 Die Königin antwortete: »Mein lieber Bruder, was meine Hilfe
dazu beitragen kann, seid sicher, dazu bin ich gern bereit. Wenn
euch jemand anders etwas abschlägt, würde mir, Kriemhild, das
leid tun.

364 Ihr braucht mich, edler Ritter, nicht vorsichtig zu bitten. Ihr
könnt mir durchaus in herrscherlicher Weise einen Auftrag
erteilen. Was ihr wollt, führe ich bereitwillig aus«, sagte das
schöne Mädchen.

365 »Liebe Schwester, wir möchten ansehnliche Gewänder tragen.


Eure weiße Hand soll sie entwerfen helfen. Eure Mädchen sol­
len dann alles so fertigstellen, daß es uns paßt; denn unsere
Reise steht unverrückbar fest.«

366 Darauf sagte die junge adlige Frau: »Ich will euch nichts ver­
sagen. Seide habe ich selbst; nun laßt Edelsteine auf Schilden
herbeibringen. Dann fertigen wir solche Kleider an, daß ihr sie
ehrenvoll vor den vornehmen jungen Frauen tragen könnt.

367 Wer sind eigentlich die Gefährten, die mit euch für den Auftritt
am Hof ausgestattet werden sollen?« fragte die Königin. »Ich
bin es selbst, außerdem Siegfried und zwei meiner Leute, Dank­
wart und Hagen, sie werden mit uns an jenen Hof reisen.

36 « Nun beachtet genau, liebe Schwester, was wir sagen: Wir sind
vier Reisende und wollen an vier Tagen jeweils drei verschie­
dene Gewänder von gleicher Qualität tragen, so daß wir Brün­
hilds Land mit unbeschädigtem Ansehen wieder verlassen
können.«
124 6 . AVEN TIURE

369 Daz lobte si den recken, die herren schieden dan.


do hiez ir juncfrowen drizzech meide gan
uz ir kemenaten Chriemhilt diu chunigin,
die vil werchspaehen ze chunste heten grozen sin.

370 Aller hande siden und wiz so der sne


von Zazamanc dem lande grüen also der kle,
dar in si leiten steine, des wurden guotiu kleit.
selbe sneit si Chriemhilt, diu vil minnekliche meit.

371 Von vremder vische hüten bezoch wolgetan,


ze sehn werden liuten, swaz man der gewan,
die dachte man mit siden, golt dar in getragen.
man mohte michel wunder von der liehten waete sagen.

372 Von Marroch uz dem lande und ouch von Libyan


die aller besten siden, die ie mer gewan
deheines kuniges chunne, der heten si genuoch.
diu frowe lie wol schinen, daz si in holden willen truoch.

373 Wände sis zer hovereise heten so gegert,


die herminen vedere duhten si unwert,
pfelle dar obe lagen swarz alsam der chol.
daz noch snellen degenen stüende in hochgeciten wol.

374 Uz arabischem golde vil gesteines schein,


der frowen unmuoze diu enwas niht klein,
inre sehs wochen bereiten si diu kleit.
do was ouch ir gewaefen den guoten degenen bereit.
GU N T H E R S HEIRATSENTSCHLUSS 125

369 Das versprach sie den Recken, und die Herren verabschiedeten
sich. Darauf ließ die Königin Kriemhild dreißig von ihren Hof­
damen, welche die erforderlichen Fertigkeiten besonders gut
beherrschten, aus ihrer Kemenate kommen.

370 Verschiedene schneeweiße Seiden und Stoffe, grün wie Klee aus
dem Land Zazamanc, besetzten sie mit Edelsteinen. Daraus
entstanden herrliche Gewänder. Kriemhild, das liebenswerte
Mädchen, schnitt sie selbst zu.

371 Was man an schönem Unterfutter aus fremdländischen See-


tierfellen bekommen konnte, überzog man außen zur Ansicht
vornehmer Leute mit Seide und stickte Gold hinein. Viel
Wunderbares könnte man von der glänzenden Kleidung er­
zählen.

372 Allerbeste Seide aus dem Land Marokko und aus Libyen be­
saßen sie im Überfluß, mehr als jemals ein Königsgeschlecht
erworben hatte. Die Herrin machte deutlich, daß große Zu­
neigung zu den Männern sie erfüllte.

373 Da sie die Kleidung für die Reise an den fremden Hof erbeten
hatten, schienen ihr Hermelinpelze allein nicht wertvoll genug.
Kohlschwarzer kostbarer Seidenstoff lag darüber. Das würde ge­
wandten Kämpfern bei fesdichen Gelegenheiten auch heute
noch wohl anstehen.

374 Viele Edelsteine glänzten aus arabischem Gold hervor. Die


Mühe der Damen war nicht gering. In sechs Wochen hatten sie
die Gewänder fertig. Zur gleichen Zeit waren auch die Waffen
für die bewährten Kämpfer bereit.
126 6 . AV EN TIURE

375 Do si bereitet waren, do was in uf den Rin


bereitet vlizekliche ein starchez schiffelin,
daz si tragen solde vol nider uf den se.
den schoenen juncfrowen tet ir arebeiten we.

376 Do sagt man den recken, in waern nu bereit,


diu si da frieren solden, ir zierlichen kleit.
also die helde gerten, daz was nu getan.
done wolden si niht langer bi dem Rine bestan.

377 Nach den hergesellen wart balde do gesant,


ob si schowen wolden niwez ir gewant,
ob iz den helden waere ze rehte kurz und lanch.
des sageten si den frowen von schulden grozlichen danch.

378 Fur alle die si chomen, die muosen in des jehen,


daz si ze der werlde haeten schoeners niht gesehen,
des mohten si sie gerne da ze hove tragen.
von bezzer helde waete chunde iu nieman niht gesagen.

379 Vlizekliche danchen wart da niht verdeit.


urloubes von in gerten die recken vil gemeit,
in ritterlichen zuhten die herren taten daz.
des wurden liehtiu ougen weinens trüebe unde naz.

380 Si sprach: »vil lieber bruoder, ir mohtet noch bestan


und würbet ander frowen, daz hiez ich wol getan,
da iu so sere enwage stuonde niht der lip.
ir mugt hie naher vinden ein also hochgeborn wip.«

381 Ich waen, in saget ir herce, daz in da von geschach.


si weinten al gemeine, swaz ieman drumbe sprach,
ir golt in vor den brüsten wart von trähenen sal,
die vielen in genote von den ougen hin zetal.
GU N T H E R S HEIRATSENTSCHLUSS 127

375 Als sie ausgestattet waren, lag für sie, sorgfältig hergerichtet, ein
seetüchtiges kleines Schiff am Rhein, das sie flußabwärts zum
Meer bringen sollte. Die schönen jungen Damen fühlten sich
von den Mühen erschöpft.

376 Man teilte den Recken mit, daß die kostbaren Gewänder, die
sie mitnehmen sollten, jetzt fertig wären. Alles war nach dem
Wunsch der Helden ausgeführt. Da wollten sie nicht länger am
Rhein bleiben.

377 Sogleich wurde nach den Reisegefährten geschickt, damit sie


ihre neuen Gewänder betrachteten, ob diese nicht zu kurz oder
zu lang wären. Sie hatten allen Grund, sich herzlich bei den
Damen zu bedanken.

378 Alle, denen sie sich zeigten, mußten ihnen zugestehen, daß sie
auf der ganzen Welt nichts Schöneres gesehen hatten. Deshalb
konnten sie sich darauf freuen, die Kleider an Brünhilds Hof zu
tragen. Niemand hätte sich bessere Gewänder für Helden vor­
stellen können.

379 An aufrichtigem Dank wurde nicht gespart. Die stattlichen


Recken wollten von ihnen Abschied nehmen, das taten die Her­
ren in ritterlicher Weise. Da trübten sich leuchtende Augen von
Tränen.

380 »Mein lieber Bruder«, sagte Kriemhild, »noch könnt ihr hier­
bleiben und um eine andere Frau werben, ohne euer Leben so
sehr in Gefahr zu bringen, das wäre mir lieb. Ihr könnt hier in
der Nähe eine ebenso hochadlige Gemahlin finden.«

381 Ich glaube, ihr Herz sagte ihnen, daß am Ende Unheil drohte.
Sie weinten alle, niemand vermochte sie zu trösten. Den Gold­
schmuck auf ihrer Brust benetzten sie mit Tränen, die unabläs­
sig aus ihren Augen flössen.
128 6 . AVENTI URE

382 Si sprach: »herre Sivrit, lat iu bevolhen sin


uf triwe und ufgenade den lieben bruoder min,
daz im iht gewerre in Prunhilde lant.«
daz lobt ir der herre mit guotem willen in die hant.

383 Do sprach der degen chüene: »ob mir min lip bestat,
so suit ir aller sorgen, frowe haben rat.
ich bringen iu gesunden her wider an den Rin.
daz habt uf mime libe.« im neich daz schoene magedin.

384 Ir goltroten Schilde, die truog man uf den sant


und braht in zuo dem schiffe allez ir gewant.
ir ross hiez man in ziehen; si wolden vam dan.
do wart von schoenen frowen vil michel weinen getan.

385 Do stuonden in den venstern diu minneklichen kint.


ir sciff mit dem segele daz ruort ein hoher wint,
die stolzen hergesellen vluzzen zetal den Rin.
do sprach der kunich Gunther: »wer sol nu schififmeister sin?«

386 Do sprach der starche Sivrit: »ich kan iuch uf der fluot
hinnen wol gefueren, daz wizzet, helede guot.
die rehte wazzerstrazen die sint mir wol bekant.«
mit ffeuden si do schieden uz der Buregonden lant.

387 Der kunich von Niderlanden eine schalten genam,


von stade begunde schieben der heit vil lobesam.
Gunther der chüene selbe ein ruoder truoch.
si huoben sich von lande und warn vrolich genuoch.

388 Si fuorten riche spise, dar zuo den besten win,


den man inder chunde vinden umben Rin.
Danchwart, Hagenen bruoder, der saz unde zoch
an eime starchen ruoder. er truoch den muot unmazen hoch.
GU N T H E R S HEIRATSENTSCHLUSS 129

382 Dann sprach Kriemhild: »Herr Siegfried, eurer Treue und


Gnade übergebe ich meinen lieben Bruder, damit ihm in Brün-
hilds Land nichts zustößt.« Das gelobte ihr der Herr gutwillig
mit Handschlag.

383 Der tapfere Kämpfer sagte: »Wenn ich am Leben bleibe, braucht
ihr, Herrin, keine Sorgen zu haben. Ich bringe ihn euch gesund
wieder an den Rhein zurück. Das verspreche ich euch bei mei­
nem Leben.« Da verneigte sich das schöne Mädchen vor ihm.

384 Ihre rotgoldenen Schilde trug man ans Ufer und brachte die
gesamte Ausstattung zum Schiff. Auch ihre Pferde ließ man
ihnen holen; denn sie wollten losfahren. Die schönen Damen
weinten sehr.

385 An den Fenstern standen die liebenswerten Mädchen. Ein


starker Wind setzte ihr Segelschiff in Bewegung, und die
stolzen Kampfgefährten fuhren rheinabwärts. Da fragte König
Gunther: »Wier soll jetzt unser Steuermann sein?«

386 Der starke Siegfried antwortete: »Ich lenke euch gut durch die
Strömung, edle Helden, darauf könnt ihr vertrauen. Mir sind
die richtigen Wasserstraßen wohlbekannt.« In freudiger Stim­
mung verließen sie dann das Burgundenland.

387 Der König von Niederland ergriff ein Ruder, und der rühmens­
werte Held stieß das Schiff vom Ufer ab. Der kühne Gunther
ruderte ebenfalls. So fuhren sie zuversichtlich von dannen.

388 Sie hatten reichlich Verpflegung mitgenommen und den besten


Wein, den es am Rhein überhaupt gab. Dankwart, Hagens
Bruder, saß und ruderte genauso kräftig. Auch er war in bester
Stimmung.
130 6 . AV EN TIURE

389 Ir vil starchen segelseil wurden in gestraht.


si fiioren manige mile, e daz ez wurde naht,
mit freuden si do chomen vol nider an den se.
ir starchez arebeiten tet sit den hochgemuoten we.

390 Inre tage zwelven, so wir hoern sagen,


heten si die winde verre dan getragen
gein Isensteine in Prunhilde lant.
daz het von Tronege Hagene e vil selten bekant.
GU N T H E R S HEIRATSENTSCHLUSS 131

389 Ihre starken Segeltaue strafften sich. Sie fuhren viele Meilen, be­
vor es Nacht wurde. Freudig erreichten sie das Meer. Aber ihr
mühevoller Einsatz führte die selbstbewußten Männer schließ­
lich ins Unglück.

390 In zwölf Tagen, so haben wir erzählen hören, hatten die Winde
sie weit weg nach Isenstein in Brünhilds Land gebracht. Das
kannte selbst Hagen von Tronje nicht von früher.
7. A V EN T IU R E
A V EN T IU R E W IE G U N T H E R ZE ISL A N D E M IT
S IN E N GESELLEN C H O M

391 Do der chunic Gunther so vil der burge sach


und ouch die witen marche, wie balder do sprach:
»sagt mir, friunt Sivrit, ist iu daz bêchant,
wes sint dise burge und ouch daz herliche lant?

392 Ine han bi minen ziten, ine wolde luge jehen,


so wol erbowen burge mere nie gesehen
in deheinem lande, als ir hie vor uns stat.
er mach wol wesen riche, der si hie gebowen hat.«

393 Des antwurt Sivrit: »ez ist mir wol bekant.


ez ist frown Prunhilt liut unde lant
und Isenstein diu veste, als ir mich hortet jehen.
da muget ir noch hiute schoener ffowen vil gesehen.

394 Und wil iu helden raten, ir habt einen muot,


daz wir jehn geliche, ja dunchet ez mich guot.
swenne wir noh hiute fur Prunhilde gan,
so müezen wir mit sorgen vor der kuniginne stan.

395 So wir die minneklichen bi ir gesinde sehen,


so suit ir, helede guote, wan einer rede jehen,
Gunther si min herre, ich si sin eigen man.
so mag unser wille harte wol an ir ergan.«
7- A V EN T IU R E
W IE G U N T H E R M IT S EIN E N G E F Ä H R T E N
N A C H ISLAND KAM

391 Als König Günther so viele Burgen und die weiten Ländereien
erblickte, fragte er alsbald: »Sagt mir, Freund Siegfried, wißt ihr,
wem diese Burgen und das herrliche Land gehören?

392 Ich habe in meinem Leben, wenn ich ehrlich sein soll, niemals
in irgendeinem Land so gut gebaute Burgen gesehen, wie sie
hier vor uns stehen. Wer sie hat errichten lassen, muß sehr
mächtig sein.«

393 Darauf antwortete Siegfried: »Darüber weiß ich Bescheid. Es


handelt sich um Brünhilds Land und Leute und um die Burg
Isenstein, von der ich euch erzählt habe. Dort werdet ihr noch
heute viele schöne Damen sehen.

394 Und ich will euch, ihr Helden, raten, daß ihr einmütig alle das
gleiche sagt, was mir sinnvoll erscheint. Wenn wir heute noch
vor Brünhild hintreten, müssen wir der Königin gegenüber vor­
sichtig sein.

395 Sobald wir die Liebenswerte mit ihrem Gefolge sehen, sollt ihr,
edle Helden, übereinstimmend sagen, Gunther sei mein Herr
und ich sein Eigenmann. Dann wird unsere Absicht bei ihr
Erfolg haben.«
134 7- AVENTIURE

396 Des waren si bereite, swaz er si loben hiez.


durch ir ubermüete deheiner ez niht liez.
si jähen, swes er wolde. da von in wol geschach,
do der kunic Gunther die schoenen Prunhilde sach.

397 »Ich enlob ez niht so verre durch den willen din


so durch Chriemhilde, daz schoene magedin.
diu ist mir sam min sele und so min eigen lip.
ich wil daz gerne dienen, daz si werde min wip.«

398 In den selben eiten do was ir schiff gegan


der burge also nahen, do sach der kunic stan
oben in den venstern vil manige schoene meit.
do begunde vragen der recke küene und gemeit:

399 »Saget mir, friunt Sivrit, durch den willen min,


bekennet ir die frowen und ouch diu magedin,
di dort her nider schowent zuo zuns uf die fluot?
si gebarent dem geliche, daz si hohe sint gemuot.«

400 Do sprach der chüene Sivrit: »ir suit von hinnen spehn
tougen in dem muote und suit mir danne jehn,
weihe ir nemen woldet, hetet irs gewalt.«
»daz tuon ich«, sprach do Gunther, der ritter chüen unde bait.

401 »So sihe ih under in eine in jenem venster stan


in snewizer waete. diu ist so wolgetan,
die wellent miniu ougen. vil schoen ist ir der lip.
ob ich gewalt des haete, si muose werden min wip.«

402 »Dir hat erwelt vil rehte diner ougen schin.


ez ist diu starche Prunhilt, daz schoene magedin,
die din herce minnet, der lip und ouch der muot.«
elliu ir geberde diu duhte Guntheren guot.
DER W ERBUNGSBETRUG AN BRÜ N H IL D 135

3% Sie waren bereit, das zu versprechen. Keiner verhielt sich aus


Übermut anders. Alle sagten, was er vorgeschlagen hatte. Da­
durch verlief die erste Begegnung König Günthers mit der
schönen Brünhild gut für die Werbenden.

397 »Ich gelobe meine Hilfe aber nicht deinetwegen, sondern um


der schönen Kriemhild willen. Ich liebe sie wie meine eigene
Seele und meinen eigenen Leib. Gern will ich dafür Dienst lei­
sten, daß sie meine Frau wird.«

398 Zu eben dieser Zeit war ihr Schiff so nahe an die Burg heran­
gekommen, daß der König oben an den Fenstern viele schöne
Mädchen stehen sah. Daraufhin fragte der kühne und stattliche
Recke:

399 »Sagt mir, Freund Siegfried, in meinem Interesse, kennt ihr die
Damen und Mädchen, die dort zu uns auf das Wasser herab­
schauen? Sie benehmen sich, als seien sie sehr selbstbewußt.«

400 Darauf antwortete der tapfere Siegfried: »Schaut hin, überlegt


ruhig und sagt mir dann, welche ihr wählen würdet, wenn ihr
könntet.« Gunther, der kühne, tapfere Ritter, sagte: »Das will
ich tun.

401 Ich sehe dort eine von ihnen in schneeweißem Kleid am Fenster
stehen. Sie wirkt so herrlich, daß sie meine Augen anzieht. Ihre
Gestalt ist von außerordentlicher Schönheit. Wenn es in meiner
Macht stünde, müßte sie meine Frau werden.«

402 »Deine Augen haben die Richtige ausersehen. Es ist die starke
Brünhild, das schöne Mädchen, das du mit Herz, Leib und
Seele liebst.« Ihre ganze Erscheinung gefiel Gunther sehr.
136 7. AV EN TIURE

403 Do hiez diu kuniginne uz den venstem stan


ir minneklichen meide, sine solden niht da stan,
den vremden an ze sehene; des waren si bereit
waz do die frowen taeten, daz ist uns sider ouch geseit.

404 Gegen den unchunden strichen si ir lip,


des ie site habeten diu waetlichen wip.
an diu engen venster chomen si gegan,
da si die recken sahen, daz wart durch schowen getan.

405 Ir waren niwan viere, di da chomen in daz lant.


Sivrit der starche ein ross zoch an der hant;
daz sahen durch diu venster diu minneklichen wip.
des wart sit getiuret des kunic Guntheres lip.

406 Er habt im da bi zoume daz zierliche march,


guot unde schoene, vil michel unde starch,
unze der kunic Gunther in den satel gesaz.
also dient im Sivrit, des er doch sit vil gar vergaz.

407 Do zoh er ouch daz sine von dem schiffe dan.


er hete solhen dienest selten e getan,
daz er den stegereif gehabt ie helede mer.
daz sahen durch diu venster die frowen schoen unde her.

408 Reht in einer maze den rittern vil gemeit


von sneblancher varwe ir ross und ouch ir kleit
e z w a r e n v il g e lic h e . ir S c h ild e w o lg e ta n ,
die luhten von den handen den vil waetlichen man.

409 Ir sätele wol gesteinet, ir furbüege smal,


si riten herlichen fur Prunhilde sal,
dar an so hiengen schellen von liehtem golde rot.
si chomen zuo dem lande, als ez ir eilen in gebot.
DER W ERBU NGSBETRUG AN BR Ü N H IL D 137

403 Da ließ die Königin die liebenswerten Mädchen von den Fen­
stern wegtreten. Sie sollten sich dort nicht den Fremden zur
Schau stellen; und sie gehorchten. Was die Damen danach ta­
ten, ist uns ebenfalls berichtet worden.

404 Für die Fremden putzten sie sich besonders heraus, wie es
schöne Frauen immer zu tun pflegen. Dann gingen sie zu den
schmalen Fenstern, wo sie die Recken sehen konnten, und woll­
ten Ausschau halten.

405 Es waren nur vier in das Land gekommen. Der starke Siegfried
führte ein Pferd am Zügel; das sahen die liebenswerten Frauen
vom Fenster aus. Darum wurde König Günther später als der
Ranghöchste eingeschätzt.

406 Siegfried hielt das stattliche, besonders schöne, große und


starke Pferd am Zaum, bis König Gunther im Sattel saß. Auf
diese Weise diente ihm Siegfried, was Gunther aber später völlig
vergaß.

407 Dann führte er auch sein eigenes Pferd vom Schiff herunter. Er
hatte noch nie solchen Dienst geleistet, einem anderen Helden
den Steigbügel zu halten. Gerade das beobachteten die schönen,
edlen Damen durch die Fenster.

408 Pferde und Gewänder der beiden stattlichen Ritter waren ganz
gleichartig, schneeweiß. Ihre prächtigen Schilde glänzten in den
Händen der stattlichen Männer.

409 Ihre Sättel waren mit Edelsteinen besetzt, an den schmalen


Brustriemen der Pferde hingen kleine Glocken von leuchten­
dem roten Gold, so ritten sie in vornehmer Haltung vor Brün-
hilds Saal. Ihr Aufzug in dem fremden Land entsprach ihrer
Tapferkeit.
138 7- AVEN TIURE

410 Mit spern niwe stiffen, mit swerten wol getan,


diu uf die sporn giengen den waetlichen man,
diu fiiorten die vil chüenen, scharpf und dar zuo breit,
daz sach allez Prunhilt, diu vil minnekliche meit.

411 Mit in chom ouch Danchwart unde Hagene.


nu hoeret disiu maere, wie die degene
v o n ra b e n s w a rz e r v arw e t r u o g e n r ic h i u k le it.
ir S ch ild e w a r e n s c h o e n e , v il g u o t, m ic h e l u n d e b r e it.

412 Von India dem lande man sach si steine tragen,


die chos man an ir waete vil herliche wagen,
sie liezen ane huote ir schiffel bi der fluot.
sus riten zuo der burge die helde chüen unde guot.

413 Sehs und ahzech türne si sahen drinne stan,


dri palas wite und einen sal wolgetan
von edelm marmelsteine grüen alsam ein gras,
dar inne diu kuniginne mit ir ingesinde was.

414 Diu porte stuont entslozzen, diu burch uf getan,


do liefen in engegene die Prunhilde man
u n d e n p f ie n g e n w o l d ie c h ü e n e n in ir f fo w e n la n t.
ir ro s s m a n h ie z b e h a lte n u n d ir S c h ild e v o n d e r h a n t .

415 Do sprach ein kameraere: »ir suit uns geben diu swert
und ouch die liehten brünne.« »des sit ir ungewert«,
sprach Hagene der chüene, »wir selbe wellens tragen.«
do begunde in Sivrit da von diu rehten maere sagen:

416 »Man pfligt in dirre burge, daz wil ich iu sagen,


daz decheine geste hie Waffen suln tragen.
ir suit si lan behalten, daz ist wolgetan.«
daz tet do vil ungerne Hagen der Guntheres man.
DER W ERBU NGSBETRUG AN BR Ü N H IL D 139

410 Neu geschliffene Speere und ausgezeichnete Schwerter, die den


stattlichen Männern bis an die Sporen reichten und die scharf
und breit waren, führten die Tapferen bei sich. All das beobach­
tete Brünhild, das liebenswerte Mädchen.

4i i Mit Gunther und Siegfried kamen Dankwart und Hagen. Nun


hört, daß diese beiden Kämpfer prächtige, rabenschwarze Ge­
wänder trugen. Ihre Schilde waren schön, sehr gut, groß und
breit.

412 Edelsteine aus Indien sah man, die prächtig auf ihren Gewän­
dern funkelten. Ihr kleines Schiff ließen sie unbeaufsichtigt am
Meer zurück. Dann ritten die kühnen, edlen Männer zu der
Burg.

413 Innerhalb der Burgmauern erblickten sie sechsundachtzig


Türme, drei weitläufige Palasgebäude und einen schönen Saal
aus grasgrünem Marmor, darin hielt sich die Königin mit
ihrem Gefolge auf.

414 Das Tor war nicht verschlossen, die Burg stand offen. Brünhilds
Leute liefen ihnen entgegen und empfingen die Kühnen im
Land ihrer Herrin. Die Pferde ließ man versorgen und bat die
Männer, ihre Schilde aus der Hand zu legen.

415 Dann sagte ein Kämmerer: »Gebt uns die Schwerter und auch
die glänzenden Brustpanzer.« »Den Gefallen tun wir euch
nicht«, entgegnete der kühne Hagen, »wir wollen sie selbst tra­
gen.« Da erklärte Siegfried, wie sie sich verhalten sollten:

416 »Es ist in dieser Burg nicht üblich, dies muß ich euch sagen,
daß Gäste Waffen tragen. Laßt sie fortbringen, es ist so in Ord­
nung.« Hagen, Gunthers Begleiter, ließ das höchst ungern ge­
schehen.
140 7- AV EN TIURE

417 Den gesten hiez man schenchen und schaffen ir gemach,


vil manigen snellen recken man da ze hove sach
in furstenlicher waete allenthalben gan.
da wart michel schowen an die vil chüenen getan.

418 Do tet man Prunhilde chunt mit maeren,


daz da vremde recken chomen waeren
in vil richer waete gevlozzen uf der fluot.
da von begunde vragen diu magt schoen unde guot.

419 »Ir suit mich lazen hoeren«, sprach diu kunigin,


»wer die vil unchunden recken mugin sin,
die in miner bürge so herliche stan,
und durch weihe schulde die helde her gevarn han.«

420 Do sprach ein ir gesinde: »frowe, ich mach wol jehn,


daz ich ir deheinen nimere habe gesehn,
wan geliche Sivride einer drunder stat.
den suit ir wol enpfahen, daz ist mit triwen min rat.

421 Der ander der gesellen, der ist so lobelich,


ob er gewalt des hete, wol waer er kunic rieh
ob witen fürsten landen, ob er diu mohte han.
man siht in bi den andern so rehte herliche stan.

422 Der dritte der gesellen, der ist vil gremlich


und doch mit schoeme libe, kuniginne rieh,
von swinden sinen blicken, der er so vil getuot.
er ist in sinen sinnen, ich waen, vil grimme gemuot.

423 Der der jungest ist darunder, der ist so lobelich.


in magtlichen zuhten sihe ich den degen rieh
mit guotem gelaeze so minnekliche stan.
wir mohtenz furhten alle, het im hie iemen iht getan.
DER W ERBUNGSBETRUG AN BRÜ N H IL D 141

417 Man ließ den Gästen einen Begrüßungstrunk reichen und für
ihre Bequemlichkeit sorgen. Überall am Hof gingen viele
gewandte Recken in fürsdichen Gewändern umher. Doch die
kühnen Fremden zogen alle Blicke auf sich.

418 Man benachrichtigte Brünhild, daß fremde, kostbar gekleidete


Recken auf dem Seeweg angekommen seien. Da begann das
schöne, edle Mädchen zu fragen:

419 »Sagt mir«, sprach die Königin, »wer sind die völlig unbekann­
ten Recken, die so stattlich in meiner Burg stehen, und weshalb
sind sie hergekommen?«

420 Einer aus ihrem Gefolge antwortete: »Herrin, ich kann wohl
sagen, daß ich keinen von ihnen je gesehen habe bis auf einen,
der Siegfried ähnlich scheint. Den sollt ihr angemessen emp­
fangen, das rate ich euch in aller Treue.

421 Der andere Gefährte ist so rühmenswert, daß er wohl, wenn er


Macht hat, als gewaltiger König in großen fürstlichen Ländern
herrschen dürfte, falls er sie besitzt. Neben den anderen er­
scheint er besonders hoheitsvoll.

422 Der dritte Gefährte, mächtige Königin, wirkt trotz seiner schö­
nen Gestalt sehr furchterregend wegen der feindseligen Blicke,
die er nach allen Seiten wirft. Ich glaube, seine Gedanken sind
grimmig.

423 Auch der jüngste unter ihnen verdient Lob. In jugendlicher An­
mut sehe ich den vornehmen Kämpfer wohlerzogen und lie­
benswürdig dastehen. Aber, wenn ihm jemand zu nahe träte,
müßten wir ihn wohl alle fürchten.
142 7. AVEN TIURE

424 Swie blide er pflege der zuhte und swie schoen im si der lip,
er möhte wol erweinen vil waetlichiu wip,
swenner begunde zürnen, sin lip ist so gestalt,
er ist in allen tugenden ein degn chüene unde bait.«

425 Do sprach diu kuniginne: »nu brinch mir min gewant.


und ist der starche Sivrit chomen in daz lant
durch willen miner minne, ez gat im an den lip.
ine furht in niht so sere, daz ich werde sin wip.«

426 Do wart diu chuniginne schiere wol gekleit.


do gie mit ir dannen vil manic schoeniu meit,
wol hundert unde mere, gezieret was ir lip;
ez wolden sehen die geste diu vil minneklichen wip.

427 Da mit giengen recken uzer Islant,


die Prunhilde degene. die truogen swert enhant
fünf hundert oder mere, daz was den gesten leit.
do stuonden von dem sedele die helde chüen und gemeit.

428 Do diu kuniginne Sivriden sach,


diu magt zuhtekliche zuo dem recken sprach:
»sit willechomen, Sivrit, her in dizze lant.
waz iwer reise meine, gern het ich daz erkant.«

429 »Vil michel iwer genade, min vrou Prunhilt,


daz ir mich ruochet grüezen, fürsten tohter milt,
vor disem chüenen recken, der hie vor mir stat,
wander ist min herre. der eren het ich gerne rat.

430 Er ist geborn von Rine, daz tuot er dir bêchant,


er hat durch dinen willen gesuochet dizze lant,
der wil dich gerne minnen, swaz im da von geschiht.
nu bedenche dihs bezite, min herre erlaet dihs niht.
DER W ERBUNGSBETRUG AN BRÜ N H IL D 143

424 Wie freundlich er sich gibt und wie schön er auch ist, er könnte
viele hübsche Frauen zum Weinen bringen, wenn er zornig
würde. Er ist in jeder Hinsicht ein äußerst kühner Kämpfer.«

425 Da entgegnete die Königin: »Nun bringt mir mein Kampfge­


wand. Wenn der starke Siegfried ins Land gekommen ist, um
meine Liebe zu gewinnen, muß er sterben. Ich furchte ihn nicht
so sehr, daß ich ohne weiteres seine Frau werde.«

426 Schnell wurde die Königin angemessen gekleidet. Mit ihr traten
viele schöne Mädchen heraus, wohl mehr als hundert, alle
bestens geschmückt; die liebenswürdigen Frauen wollten die
Gäste sehen.

427 Zur Begleitung gingen neben ihnen Recken aus Island, Brün-
hilds Kämpfer. Sie trugen ihre Schwerter in der Hand, es waren
fünfhundert oder mehr. Das beunruhigte die Gäste. Dann er­
hoben sich die tapferen, stattlichen Helden von ihren Sitzen.

428 Als die Königin Siegfried erblickte, sagte sie anstandsvoll zu


dem Recken: »Seid hier in diesem Land willkommen, Siegfried.
Gern wüßte ich, was eure Reise zu bedeuten hat.«

429 »Ihr seid zu gütig, Frau Brünhild, großzügige Fürstentochter,


daß ihr mich vor diesem kühnen Recken begrüßt, der hier vor
mir steht, denn er ist mein Herr. Darum gebührt mir die Ehre
nicht.

430 Er stammt vom Rhein, das läßt er dir sagen. Deinetwegen hat er
dies Land aufgesucht und möchte, daß du seine Frau wirst,
koste es, was es wolle. Nun bedenkt seine Werbung sofort, mein
Herr ist fest entschlossen.
144 7- AVENTIURE

431 Er ist geheizen Gunther und ist ein kunic her.


erwurber dine minne, sone engert er nihtes mer.
ja gebot mir her ze varne der recke wolgetan.
wan daz ich entorste, ich hietez gerne verlan. «

432 Si sprach: »ist er din herre und bistu sin man,


diu spil, diu ich im teile, und tarrer diu bestan,
behabt er des die maisterschaft, so minne ich sinen lip.
anders muoz er sterben, e ich werde sin wip.«

433 Do sprach von Tronege Hagene: »frow, nu lat uns sehen


iwer spil diu starchen. e daz iu muose jehen
Gunther min herre, da muosez herte sin.
er mach noch wol gewinnen ein also schoene magedin.«

434 »Den stein, den soi er werfen und springen dar nach,
den ger mit mir schiezen. lat iu niht sin ze gach!
des bedenchet iuch vil ebene«, sprach daz vil schoene wip,
»gebristet im an dem einen, ez get iu allen an den lip.«

435 Sivrit der starche zuo dem kunige trat,


allen sinen willen er in reden bat
mit der kuniginne; ez künde im geschaden niht:
»ez wirt al anders gendet, des sich ir ubermuot versiht.«

436 Do sprach der kunich Gunther: »kuniginnne her,


nu teilt, swaz ir gebietet, und waere is dannoch mer,
daz bestuonde ich alliz gerne durch iwern schoenen lip.
min houbet wil ich wagen, irn werdet min wip.«

437 Do diu kuniginne sine rede vernam,


der spile bat si gahen, als ir do daz gezam.
si hiez ir dar gewinnen balde ir stritgewant,
eine veste brünne und einen guoten Schildes rant.
DER W ERBU NGSBETRUG AN BRÜ N H IL D 145

431 Er heißt Gunther und ist ein edler König. Er wünscht sich
nichts weiter, als deine Liebe zu gewinnen. Mir befahl der statt­
liche Recke, mit hierher zu reisen. Hätte ich es gewagt, wäre ich
gern zu Hause geblieben.«

432 Brünhild sprach: »Wenn er dein Herr ist und du sein Mann
bist, dann werde ich ihn lieben, falls er sich den Wettkämpfen,
die ich für ihn bestimme, zu stellen wagt und darin siegt. Sonst
werde ich nicht seine Frau, und er muß sterben.«

433 »Herrin«, sagte da Hagen von Tronje, »zeigt uns, worum es sich
bei euren außerordentlichen Spielen handelt. Bevor mein Herr
Gunther euch unterliegt, müßte es hart hergehen. Er ist wohl in
der Lage, ein so schönes Mädchen zu gewinnen.«

434 »Er soll einen Stein werfen, ihn dann im Weitsprung erreichen
und sich mit mir im Speerwerfen messen. Doch übereilt euch
nicht! Überlegt ganz ruhig«, sagte die schöne Frau, »denn wenn
er in einem der Spiele unterliegt, verliert ihr alle euer Leben.«

435 Der starke Siegfried trat an den König heran und bat ihn, an
seiner Absicht gegenüber der Königin festzuhalten; es könnte
ihm nichts zustoßen: »Alles wird anders ausgehen, als sie. in
ihrer Überheblichkeit glaubt.«

436 Jetzt sagte König Gunther: »Erhabene Königin, nun setzt fest,
was ihr wollt; selbst wenn es noch mehr wäre, würde ich gern
auf alles eingehen, um euch in eurer Schönheit zu gewinnen.
Dafür, daß ihr meine Frau werdet, wage ich meinen Kopf.«

437 Als die Königin seine Worte vernommen hatte, bat sie, schnell
mit den Spielen zu beginnen, wie es bei ihr üblich war. Sie ließ
sich sogleich ihre Rüstung bringen, einen festen Brustpanzer
und einen guten Schild.
146 7- AV EN TIURE

438 Ein wafenhemde sidin, daz leit an sich diu meit,


daz in deheime strite wafen nie versneit,
von pfelle uzer Libia, ez was vil wolgetan.
von porten lieht gewerhte daz sach man schinen daran.

439 Die zit wart disen recken harte vil gedreut,


Danchwart unde Hagene die waren ungefreut.
wiez dem kunige ergienge, des sorget in der muot.
si dahten: »unser reise ist uns recken niht ze guot.«

440 Die wile was ouch Sivrit, der listige man,


e iz iemen erfunde, in daz schiff gegan,
da er die tarnkappen verborgen ligen vant.
dar in slauf er vil schiere, do was er niemen bêchant.

441 Er ilte hin widere, do vant er recken vil,


da diu kuniginne teilte ir hohen spil.
dar gie er tougenliche, von listen daz geschach,
alle, die da waren, daz in da niemen gesach.

442 Der rinch der was bezeiget, da soldez spil geschehn


vor manigem chüenem recken, die daz solden sehn,
mer danne sibenhundert die sah man waffen tragen,
swer daz spil gewunne, daz ez die helde solden sagen.

443 Do was nu körnen Prunhilt. gewaffent man die vant,


sam ob si striten solde umbe elliu kuniges lant.
ja truoch si ob den siden vil manigen stahelzein.
ir minneklichiu varwe dar under herlichen schein.
DER W ERBUNGSBETRUG AN BRÜN HIL D 147

438 Ein seidenes Waffenhemd legte sie an, das bisher noch keine
Waffe im Kampf zerschnitten hatte, es war aus kostbarem liby­
schen Stoff genäht. Eine helle, gewirkte Borte sah man darauf
schimmern.

439 Währenddessen wurden die burgundischen Recken von den


Isländern sehr gereizt, worüber sich Dankwart und Hagen er­
regten. Innerlich waren sie besorgt, wie es dem König ergehen
werde. Sie dachten: »Unsere Reise führt für uns Recken zu
nichts Gutem.«

440 Siegfried, der kluge Mann, war inzwischen, ehe es jemand


merkte, zum Schiff gegangen, wo er die Tarnkappe versteckt
hielt. Ganz schnell schlüpfte er hinein, so daß ihn niemand
mehr sehen konnte.

441 Er eilte wieder zurück. Wo die Königin ihre gefährlichen


Kampfspiele anberaumt hatte, fand er viele Recken versammelt.
Unerkannt ging er dorthin, niemand von den Anwesen­
den nahm ihn wahr, das kam durch die Zauberkraft der Tarn­
kappe.

442 Der Ring, in dem das Kampfspiel vor zahlreichen tapferen


Recken, die zuschauten, stattfinden sollte, war bereits bezeich­
net. Mehr als siebenhundert Helden sah man in Waffen da­
stehen. Sie sollten bezeugen, wer das Spiel gewonnen hatte.

443 Nun kam Brünhild. Sie war so gerüstet, als müßte sie um alle
Königreiche der Welt kämpfen. In der Tat trug sie über ihren
Seidengewändern viele stählerne Panzerringe. Darunter leuch­
tete die liebreizende Farbe ihrer Haut herrlich hervor.
148 7- AVEN TIURE

444 Do chom ouch ir gesinde; die truogen dar zehant


von vil rotem golde einen liehten Schildes rant
mit stahel herten Spangen, vil michel unde breit,
dar under spilen wolde diu vil herliche meit.

445 Der frowen schiltvezzel ein edel porte was,


dar uffe lagen steine, grüener denne ein gras,
die luhten maniger hande mit schine wider daz golt.
der si solde minnen, der het iz hohe verscolt.

446 Der schilt was under bukelen, als uns daz ist geseit,
wol drier hende dicke, den tragen solde diu meit.
von stale und ouch von golde rieh er was genuoch,
den ir kameraere selbe vierder kume truoch.

447 Also der starche Hagene den schilt dar tragen sach,
in vil grozem unmuote der heit von Tronege sprach:
»wie nu, kunic Günther? wie vliesen wir den lip!
der ir da gert ze minnen, diu ist des valandes wip.«

448 Vernemt noch von ir waete, der hete si genuoch:


von Azagouch der siden einen waffenroch si truoch,
vil edel und vil riche, ab des varwe schein
von der kuniginne vil manic herlicher stein.

449 Do truoch man dar der frowen, swaere und dar zuo groz,
einen ger vil starchen, den si alle zite schoz,
scarpf und ungefuoge, michel unde breit,
der ze sinen ecken harte vreislichen sneit.

450 Von des geres swaere hoeret wunder sagen,


wol vierdehalbiu mässe was der zuo geslagen.
in truogen chume drie Prunhilde man.
Gunther der vil chüene harte sorgen began.
DER W ERBUNGSBETRUG AN BRÜN HIL D 149

444 Danach erschien auch Brünhilds Gefolge; sie brachten einen


sehr großen und breiten, rotgoldenen, glänzenden Schild mit
stahlharten Spangen herbei, den das bewundernswerte Mäd­
chen bei den Spielen tragen wollte.

445 Der Tragriemen des Schildes war ein kostbares Band, verziert
mit Steinen, grüner als Gras, die überall aus dem Gold glänzten.
Wer Brünhild zur Frau bekommen wollte, mußte einen hohen
Einsatz bringen.

446 Der Schild, den Brünhild tragen sollte, war, wie uns erzählt
wird, unter den Buckeln drei Handspannen dick. Stahl und
Gold machten ihn so schwer, daß ihn ihr Kämmerer zusammen
mit drei anderen kaum bewältigen konnte.

447 Als der starke Hagen sah, wie der Schild herbeigebracht wurde,
sagte der Held aus Tronje voller Unmut: »Was nun, König
Gunther? Unser Leben werden wir hier wohl verlieren! Die
Frau, die ihr lieben wollt, ist des Teufels Weib.«

44« Hört noch weiter von ihrer Kleidung, von der sie reichlich be­
saß: Sie trug einen edlen, kostbaren Waffenrock von Seide aus
Azagouc, auf seiner Oberfläche funkelten an der Gestalt der
Königin viele herrliche Edelsteine.

449 Dann brachte man für die Herrin einen schweren, großen und
sehr starken Speer herbei, den sie jederzeit werfen konnte, er
war scharf, schwer zu handhaben, übermäßig groß und besaß
schrecklich geschliffene Schneiden.

450 Vom Gewicht des Speeres sind Wunderdinge zu hören. Drei­


einhalb Maß an Metall waren darin verarbeitet. Drei von Brün­
hilds Leuten konnten ihn kaum tragen. Der durchaus tapfere
Gunther geriet zunehmend in große Furcht.
150 7. AVENTIURE

451 Er daht in sinem muote: »waz sol dizze wesen?


der tiufel von der helle, wie kunder da vor genesen?
und waer ich da ze Rine mit dem libe min,
si müeste hie vil lange vri von miner minne sin.«

452 Im was in sinen sorgen, daz wizzet, leit genuoch.


allez sin gewaefen man im einen truoch,
da wart der chunic riche wol gewaffent in.
vor leide het Hagene vil nach verwandelt den sin.

453 Do sprach von Burgonden der chüene Danchwart:


»mich muoz immer riwen disiu hovevart.
nu hiezen wir ie recken; wie Verliesen wir den lip,
sulen uns in disen landen nu verderben diu wip!

454 Mich müet daz harte sere, daz ich chom in daz lant.
und hete min bruoder Hagene sin waffen an der hant
und ouch ich daz mine, so mohten sanfte gan
durch ir ubermuote alle Prunhilde man.

455 Ich sage iu bi den triwen, si soldenz wol bewarn.


und het ich tusint eide zeinem fride geswarn,
e daz ich sterben saehe den lieben herren min,
ja müesen lip Verliesen daz vil schoene magedin.«

456 »Wir solden ungevangen wol rumen dizze lant,


ich und min bruoder Danchwart, heten wir daz gewant,
des wir ze not bedürfen, und unser swert vil guot,
so wurde wol gesenftet der frowen starchiu ubermuot.«

457 Wol hört diu kuniginne, waz der degen sprach,


mit smielendem munde si uber ahsel sach:
»nu er dunche sich so biderbe, so tragt in ir gewant,
und ir vil scharpfen waffen gebt den recken an die hant.
DER W ERBUNGSBETRUG AN BRÜN HIL D 151

451 Er dachte bei sich: »Was soll das werden? Nicht einmal der Teu­
fel aus der Hölle könnte vor dieser Frau mit dem Leben davon­
kommen. Wäre ich doch zu Hause am Rhein, dann würde sie
hier für immer von meiner Liebe verschont bleiben.«

452 Angst, das könnt ihr glauben, bedrängte ihn sehr. Man brachte
ihm seine ganze Ausrüstung herbei und stattete den mächtigen
König aus. Vor Schreck hätte Hagen beinahe die Besinnung ver­
loren.

453 Da sagte der kühne Dankwart aus Burgund: »Ich werde die
Reise an diesen Hof immer bedauern. Bisher galten wir als
tüchtige Recken; aber wie schändlich verlieren wir hier unser
Leben, wenn uns in diesem Kampf die Frauen umbringen!

454 Ich bedaure es zutiefst, daß ich in dieses Land gekommen bin.
Wenn mein Bruder Hagen und ich unsere Waffen zur Verfü­
gung hätten, so würden alle Leute Brünhilds in ihrer Überheb­
lichkeit zurückweichen.

455 Bei meiner Treue versichere ich euch, sie würden sich still ver­
halten. Selbst wenn ich tausend Eide geschworen hätte, Frieden
zu wahren, bevor ich meinen lieben Herrn sterben sähe, müßte
unbedingt die schöne Brünhild ihr Leben verlieren.«

456 Hagen fügte hinzu: »Hätten wir, ich und mein Bruder Dank­
wart, unsere Rüstungen, die wir nötig brauchen, und unsere
kampferprobten Schwerter, so würden wir als freie Männer das
Land verlassen und die große Überheblichkeit der Herrin
Brünhild würde gezähmt.«

457 Die Königin hörte genau, was der Kämpfer sprach. Lächelnd
blickte sie über ihre Schulter: »Wenn Hagen das zu seiner Beru­
higung braucht, gebt den Recken ihre scharfen Waffen und ihre
Rüstungen zurück.
152 7- AV ENTIURE

458 Mir ist als maere, daz si gewaffent sint,


als ob si bloze stuonden«, so sprach diu kunigin,
»ihen furhte niemens sterche, den ich noh habe bêchant;
ich getrowe wol gedingen in strite vor sin eines hant.«

459 Do si diu swert gewinnen, also diu magt gebot,


der vil chüene Danchwart wart von freuden rot.
»nu spilen, swes si wellen«, sprach der snelle man,
»Günther ist unbetwungen, sit daz wir unser wafen han.«

460 Diu Prunhilde sterche vil groezlichen schein.


man braht ir zuo dem ringe einen swaeren mermilstein,
groz und ungefuoge, michel unde wel.
in truogen chume zwelfe helde chüen unde snel.

461 Den warf si zallen eiten, so si den ger verschoz.


der Burgonden sorge wurden harte groz.
»wafen!« sprach do Hagene, »waz hat der kunic ze trut!
ja soldes in der helle sin des ubeln tiufels brut.«

462 An vil wizen armen si die ermil want,


si begunde sere vazzen den schilt an der hant.
den ger si hohe züchte; do giengez an den strit.
Gunther unde Sivrit die vorhten Prunhilde nit.

463 Waer im der starche Sivrit niht schiere ze helfe chomen,


so hete si dem kunige sinen lip benomen.
er gie dar tougenliche und ruort im sine hant.
Gunther sine liste vil harte sorckliche ervant.

464 »Waz hat mich gerüeret?« gedaht der chüene man.


do sah er allenthalben, er vant da niemen stan.
er sprach: »ich bin ez, Sivrit, der liebe ffiunt din.
vor der kuniginne soltu gar ane angest sin.
DER W ERBUNGSBETRUG AN BRÜN HILD 153

458 Mir ist es egal, ob sie bewaffnet oder unbewaffnet sind«, sagte
die Königin, »ich furchte die Stärke von niemandem, dem ich je
begegnet bin; denn ich traue mir zu, im Kampf gegen jeden zu
gewinnen.«

459 Als sie ihre Schwerter zurückbekamen, wie es die junge Frau
befohlen hatte, wurde der kühne Dankwart rot vor Freude.
»Jetzt mögen die Wettspiele verlaufen, wie sie wollen«, sagte der
tapfere Mann, »Günther kann nicht besiegt werden, solange wir
unsere Waffen in der Hand haben.«

460 Brünhilds Stärke kam nun voll zur Geltung. Man brachte ihr
einen schweren Marmorstein in den Ring, groß, unhandlich,
gewaltig und rund. Zwölf kühne, gewandte Helden konnten ihn
kaum tragen.

461 Den warf sie jedesmal genauso wie den Speer. Die Angst der
Burgunden wuchs immer mehr. »Hilfe!« rief Hagen, »was liebt
der König nur für eine Frau! Sie sollte wahrlich in der Hölle des
bösen Teufels Braut sein.«

462 Sie schlug die Ärmel an ihren weißen Armen hoch und nahm
den Schild fest in die Hand. Den Speer schwang sie in die
Höhe; dann ging der Kampf los. Gunther und Siegfried fürch­
teten Brünhilds Kampfwut.

463 Wäre ihm der starke Siegfried nicht sofort zu Hilfe gekommen,
hätte sie dem König das Leben genommen. Siegfried trat un­
sichtbar an ihn heran und berührte seine Hand. Die Zauber­
kunst erschreckte Gunther.

464 »Was hat mich da berührt?« dachte der kühne Mann. Er sah
sich überall um, aber niemand war da. Doch Siegfried sagte:
»Ich bin es, Siegfried, dein lieber Freund- Du brauchst vor der
Königin überhaupt keine Angst zu haben.
154 7- AV EN TIURE

465 Den schilt gib mir von hende, den la du mich tragen,
und merche mine lere, die du mich hoerest sagen,
nu habe du die gebaerde, diu werch wil ich began.«
do er vernam diu maere, der kunic trösten sich began.

466 »Nu hil du mine liste, daz ist uns beiden guot,
sone mach diu kuniginne ir starchen ubermuot
an dir niht verenden, des si doch willen hat.
nu sich, wie angestliche si gein dir amme ringe stat.«

467 Do schoz vil chreftichliche diu vil starche meit


den ger gein eime Schilde michel unde breit,
den truog an siner hende daz Sigelinde kint.
daz fiur spranch von stale, alsam ez waete der wint.

468 Des starchen geres snide so durch den schilt gebrach,


daz man daz fiur lougen uz den ringen sach.
des schuzzes beide struchten, die vil starchen man.
si ertwelte si so sere, daz si den lip nach heten lan.

469 Sivride dem vil chüenen vom munde brast daz bluot.
vil balde spranch er widere, do nam der helet guot
den ger, den si geschozzen im hete durch den rant,
den frumt ir do hin widere sin vil ellenthaftiu hant.

470 Er daht: »ich wil niht schiezen daz schoene magedin.«


er kert des geres snide hindern rucke sin.
mit der gerstangen schoz si der chüene man
also chreftikliche, daz si struchen began.

471 Daz fiur staub uz stale, sam iz tribe der wint.


den schuz schoz mit eilen daz Sigelinde kint.
sine mohte mit ir chreften des schuzzes niht gestan.
ez enhet der chunk Gunther entriwen nimmer getan.
DER W ERBUNGSBETRUG AN BRÜN HIL D 155

465 Gib mir den Schild aus deiner Hand, laß mich ihn tragen, und
beachte genau, was ich sage. Mach du die Gebärden, ich voll­
bringe die Taten.« Als der König das hörte, begann er, ruhiger
zu werden.

466 »Verrate niemandem meine Zauberkunst, das ist gut für uns
beide, dann kann dir die Königin in ihrem großen Übermut
nichts anhaben, auch wenn sie es gern möchte. Sieh nur, wie
furchterregend sie am Ring steht.«

467 Dann warf das starke junge Mädchen den Speer mit aller Kraft
gegen den großen, breiten Schild, den Sieglindes Sohn in der
Hand trug. Feuerfunken sprangen aus dem Stahl, als triebe sie
der Wind hervor.

468 Die scharfe Schneide des Speers drang derart durch den Schild,
daß man die Funken auch aus den Panzerringen aufblitzen sah.
Von diesem Schuß gerieten die beiden starken Männer ins
Wanken. Sie wurden so sehr betäubt, daß sie beinah ihr Leben
verloren hätten.

469 Dem kühnen Siegfried schoß das Blut aus dem Mund. Doch
bald erholte er sich wieder. Der starke Held ergriff den Speer,
den Brünhild durch seinen Schild geschleudert hatte. Mit kraft­
voller Hand warf er ihn zurück.

470 Er dachte: »Ich will das schöne Mädchen durch den Schuß
nicht töten.« Darum kehrte er die Speerspitze nach hinten. Der
kühne Mann warf den Speerschaft allerdings so heftig, daß
Brünhild wankte.

471 Die Funken stoben aus dem Stahl, wie vom Wind entfacht. Mit
aller Stärke hatte Sieglindes Sohn den Wurf vollführt. Trotz
ihrer großen Kraft konnte ihm Brünhild nicht standhalten. Kö­
nig Gunther hätte das wahrhaftig niemals geschafft.
156 7- AV EN TIURE

472 Prunhilt diu schoene, wie balde si uf spranch!


»Günther, ritter edele, des schuzzes habe danch.«
si wände, daz erz hete mit siner hant getan;
ir was dar nach geslichen ein verre kreftiger man.

473 Do gie si hin vil balde, zornich was ir muot.


den stein den huop si hohe, diu schoene maget guot,
si swanch in kreftekliche so verre von ir dan,
daz sin die chüene degene sere wundern began.

474 Der stein der was gevallen wol zwelf klafter dan.
den wurf prach do mit Sprunge diu maget wol getan,
dar gie der herre Sivrit, da der stein gelach.
Gunther in do wegete; der heit in werfene pflach.

475 Sivrit was vil chüene, dar zuo starch unde lanch.
den stein den warf er verrer, dar zuo er witer spranch.
daz was ein michel wunder und kunsteklich genuoch,
daz er mit dem Sprunge den kunic Gunther doch truoch.

476 Der sprunch, der was ergangen, der stein der was gelegen,
do sah man ander niemen wan Gunther den degen.
Prunhilt diu schoene wart in zorne rot.
Sivrit het geverret des kunich Guntheres tot.

477 Zuo zir ingesinde diu kuniginne sprach,


do si zent des ringes den heit gesunden sach:
»vil balde get her naher, ir mage und mine man,
ir suit dem kunech Gunther alle wesen undertan.«

47« Do leiten die vil chüenen diu wafen von der hant.
si buten sich ze fuozen uz Burgonden lant
Gunthere dem riehen, vil manic chüener man.
si wanden, daz er hete diu spil mit siner chraft getan.
DER W ERBU NGSBETRUG AN BR Ü N H IL D 157

472 Die schöne Brünhild sprang schnell auf. »Günther, edler Ritter,
hab Dank für diesen Wurf.« Sie glaubte, er hätte ihn eigenhän­
dig ausgeführt; doch ein weitaus stärkerer Mann hatte sie ins­
geheim getroffen.

473 Zornerfüllt eilte sie gleich weiter. Das wunderbare Mädchen


hob den Stein empor und warf ihn voller Kraft so weit in die
Ferne, daß die kühnen Kämpfer darüber nur staunen konnten.

474 Zwölf Klafter weit entfernt war der Stein niedergefallen. Diesen
Wurf übertraf die schöne junge Frau nun mit ihrem Sprung.
Herr Siegfried ging dorthin, wo der Stein lag. Gunther berührte
ihn dann; aber Siegfried, der Held, führte den Wurf aus.

475 Siegfried war sehr tapfer, stark und hochgewachsen. Er warf


den Stein noch weiter und sprang außerdem darüber hinaus.
Daß er beim Springen noch König Gunther trug, war ein gro­
ßes Wunder und nur durch Zauberkraft möglich.

476 Der Sprung war ausgeführt, der Stein lag am Boden. Man sah
niemand anderen als Gunther, den Kämpfer. Die schöne Brün­
hild war rot vor Zorn. Siegfried hatte König Gunther vor dem
Tode bewahrt.

477 Als sie den Helden unverletzt am Ende des Ringes sah, sagte die
Königin zu ihrem Gefolge: »Kommt schnell her, Verwandte und
alle meine Leute, ihr sollt jetzt König Gunther untertan sein.«

478 Daraufhin legten die tapferen Krieger die Waffen aus der Hand.
Viele kühne Männer beugten ihre Knie vor dem mächtigen
Gunther aus dem Burgundenland. Sie glaubten, er hätte die
Spiele aus eigener Kraft gewonnen.
158 7- AVEN TIURE

479 Er gruoztes minnekliche, wander was tugentrich.


do nam in bi der hende diu magt lobelich,
si erloubt im, daz er solde haben da gewalt.
des freute sich do Hagene, der recke chüen unde bait.

480 Si bat den ritter edele mit ir dannen gan


in einen palas witen, da was vil manic man.
durch vorhte manz dem degene deste baz erbot
von Sivrides eilen si waren chomen uzer not.

481 Sivrit der snelle wiser was genuoch,


die sinen tarnkappen er aber behalten truoch.
do gie er hin widere, da vil der frowen saz,
er sprach zuo dem chunige und tet vil chundekliche daz:

482 »Wes bitet ir min herre? wan beginnet ir der spil,


der iu diu kuniginne teilet also vil,
und lazet uns daz schowen, wie diu sin getan?«
sam ob er ir niht ensaehe, gebart der listige man.

483 Do sprach diu kuniginne: »wie ist daz geschehn,


daz ir habt, her Sivrit, der spil niht gesehn,
diu hie hat errungen diu Guntheres hant?«
des antwort ir Hagene uzer Burgonden lant:

484 »Da het ir also sere getrüebet uns den muot,


do was bi dem schiffe Sivrit der helet guot,
do der vogt von Rine daz spil an iu gewan.
des ist ez im unkundich«, sprach do der Guntheres man.

485 »So wol mich dirre maere«, sprach Sivrit der degn,
»daz iwer hochverten ist alsus gelegn,
daz iemen lebt so chüene, der iwer meister muge gesin!
nu suit ir, maget edele, uns volgen hinnen an den Rin.«
DER W ERBU NGSBETRUG AN BRÜN HIL D 159

479 Er grüßte Brünhild liebenswürdig, denn er besaß höfischen


Anstand. Dann nahm ihn die vielgerühmte junge Frau an die
Hand und übertrug ihm die Herrschaft über ihr Land. Darüber
freute sich insbesondere Hagen, der kühne und mutige Recke.

480 Sie bat den edlen Ritter, ihr in den weiträumigen Palas zu fol­
gen, wo viele Leute versammelt waren. Aus Ehrfurcht bot man
für den Kämpfer das Beste auf. Durch Siegfrieds Kraft waren
sie alle aus der Bedrängnis gerettet.

481 Der gewandte Siegfried war klug genug, seine Tarnkappe wieder
in das Versteck zu bringen. Danach kehrte er dorthin zurück,
wo die vielen Damen saßen, und sagte zu dem König mit klu­
ger Verstellung:

482 »Worauf wartet ihr, mein Herr? Wann fangt ihr mit den vielen
Kampfspielen an, zu denen die Königin euch auffordert, und
wann können wir sehen, wie sie ausgehen?« Der listige Sieg­
fried stellte sich so, als ob er nichts von allem gesehen hätte.

483 Da sagte die Königin: »Wie ist das möglich, daß ihr, Herr Sieg­
fried, die Spiele nicht gesehen habt, in denen Gunther eigen­
händig den Sieg errungen hat?« Darauf antwortete Hagen aus
dem Burgundenland:

484 »Als ihr uns in Furcht versetzt habt und der Herr vom Rhein
im Spiel über euch siegte, da war Siegfried, der vortreffliche
Held, bei unserem Schiff. Darum weiß er von nichts.« Das wa­
ren die Worte von Gunthers getreuem Mann.

485 »Was für eine Nachricht«, sagte Siegfried, der Kämpfer, »daß
euer Übermut so zu Fall gekommen ist und es jemanden von
solcher Tapferkeit gibt, daß er euer Meister sein kann! Nun
werdet ihr, edle Frau, uns wohl an den Rhein folgen müssen.«
160 7- AVEN TIURE

486 Do sprach diu chuniginne: »des enchan noch niht ergan.


ez müezen e bevinden mage und mine man.
jane mag ich also lihte gerumen miniu lant.
di mine hohsten friunde müezen werden e besant.«

487 Do hiez si boten riten allenthalben dan.


si besande alle ir friunde, mage unde man,
die bat si chomen balde ze hove in Islant
und hiez in gebn allen rieh und herlich gewant.

488 Si riten tägeliche, spate unde fruo,


der Prunhilde burge scharhafte zuo.
»jara ja!« sprach Hagene, »waz haben wir getan?
wir erbeiten hie vil ubele der schoenen Prunhilde man.

489 So si nu mit ir kreften chôment in daz lant,


der Prunhilde wille ist uns unbechant.
waz ob si also zürnet, daz wir sin verlorn?
so ist uns diu maget edele ze grozen sorgen geborn.«

490 Do sprach der herre Sivrit: »daz soi ich understen.


des ir da habet sorge, des enlaz ich niht ergen.
ich soi iu helfe bringen her in dizze lant
von uz erwelten degenen, di iu noch wurden ie bêchant.

491 Irn suit nach mir niht vragen, ich wil hinnen varn.
got muoz iwer ere di zite wol bewarn.
ich chum vil schiere widere und bringe iu tusint man
der aller besten degene, der iemen chunde gewan.«

492 »Sone sit et niht ze lange«, sprach der chunich do,


»wir sin iwer helfe vil pilliche vro.«
er sprach: »ich chum iu widere in vil kurcen tagen,
daz ir mich habt gesendet, daz suit ir Prunhilde sagen.«
DER W ERBUNGSBETRUG AN BRÜN HILD 161

486 Die Königin antwortete: »Das geht noch nicht. Zuerst müssen
meine Verwandten und Lehnsleute alles erfahren. Ich kann
doch nicht einfach meine Länder verlassen. Meine wichtigsten
Freunde müssen zuerst herbeigeholt werden.«

487 Dann schickte sie überallhin reitende Boten aus. Sie ließ alle
ihre Verwandten und Lehnsleute benachrichtigen und bat sie,
alsbald an den Hof nach Island zu kommen. Die Boten erhiel­
ten kostbare, schöne Gewänder geschenkt.

488 Täglich trafen nun von früh bis spät die Herbeigerufenen in
Scharen auf Brünhilds Burg ein. »Verflucht!« sagte Hagen.
»Worauf haben wir uns nur eingelassen? Wir warten hier zu
unserem Verderben auf die Leute der schönen Brünhild.

489 Wenn sich nun all ihre Streitkräfte hier im Land versammeln,
wissen wir nicht, was Brünhild vorhat. Vielleicht ist sie derart
aufgebracht gegen uns, daß wir verloren sind? Jedenfalls stellt
die edle junge Frau eine große Gefahr für uns dar.«

490 Da sprach Herr Siegfried: »Das werde ich verhindern. Was ihr
fürchtet, das lasse ich nicht zu. Ich werde euch auserwählte
Kämpfer, die ihr noch nicht kennt, zur Hilfe in dieses Land
bringen.

491 Fragt nicht nach mir, ich will fortreisen. Gott möge in der Zwi­
schenzeit eure Ehre wohl behüten. Ich kehre so schnell wie
möglich zurück und bringe tausend der allerbesten Kämpfer,
die jemals einem von euch begegnet sind.«

492 »Bleibt nur nicht zu lange fort«, sagte der König darauf, »wir
brauchen eure Hilfe äußerst dringend.« Siegfried erwiderte: »In
wenigen Tagen komme ich zurück. Sagt Brünhild, ihr hättet
mich weggeschickt.«
8. A V E N T IU R E
A V EN T IU R E W IE S IV R IT N A H D E N N IB E L U N G E N
S IN E N REC KEN F U O R

493 Sivrit der vil chüene dannen gie zehant


siner tarnkappen, da er daz schiffil vant.
dar an so stuont vil tougen daz Sigemundes chint.
er fuortez also balde, sam ob ez waete der wint.

494 Den vergen sach doch niemen, wie serez schiffel vloz
von Sivrides chreften, di warn also groz.
man wände, daz iz fuorte ein sunder starcher wint.
nein, ez fuorte Sivrit, der schoenen Sigelinde kint.

495 Bi des tages eite und in der einen naht


chom er zeinem lande mit groezlicher mäht,
daz hiez zen Nibelungen und waren sine man.
lant unde burge, daz was im allez undertan.

496 Der herre fuor aleine uf einen wert vil breit,


daz schiff gebant vil balde der ritter vil gemeit,
do gie er zeinem berge, da ein burch stuont.
er suohte herberge, so noch die reismüeden tuont.

497 Do chôme er für die porten, verslozzen im diu stuont.


ja huoten si ir eren, so noch die Hute tuont.
anz tor begunde bozen der unchunde man,
daz was vil wol behüetet, do vant er inrethalben dran
8 . A V EN T IU R E
W IE S IE G F R IE D INS N IB E L U N G E N L A N D ZU
S E IN E N REC KEN REISTE

493 Der kühne Siegfried eilte unter seiner Tarnkappe fort zu dem
kleinen Schiff. Dort stand Siegmunds Sohn, ohne daß ihn je­
mand sehen konnte. Er ruderte das Schiff so schnell fort, als
würde es vom Wind getrieben.

494 Niemand sah den Fährmann, und doch waren es Siegfrieds


große Kräfte, die das kleine Schiff forteilen ließen. Man glaubte,
ein besonders starker Wind trüge es voran. Nein, Siegfried, der
Sohn der schönen Sieglinde, ruderte es.

495 Nach einem Tag und der folgenden Nacht gelangte er unter
großer Kraftanstrengung in das Land der Nibelungen, die seine
Untergebenen waren. Land und Burgen, alles gehörte Siegfried.

496 Der Herr landete allein auf einer großen Insel. Das Schiff band
der stattliche Ritter schnell fest, dann eilte er zu einem Berg, auf
dem eine Burg stand. Er suchte Unterkunft, wie es von der
Reise Ermüdete zu tun pflegen.

497 Als er vor das Burgtor gelangte, war es verschlossen. Ja, die Be­
wohner waren auf der Hut, so wie die Leute heute noch. Der
Fremde klopfte ans Tor, das sehr gut bewacht war, und sah
drinnen
164 8. AVENTIURE

498 Einen ungefuogen, der der porten pflach,


bi dem sin gewaeffen zallen eiten lach.
der sprach: »wer ist, der bozet uzen an daz tor?«
do wandelt sine stimme der chüene Sivrit da vor.

499 Er sprach: »ich bin ein recke, entsliezet uf die tür.


mir muoz eteslicher volgen noch hiute der für,
der gerne sanfte laege unde hete sinen gemach.«
do zurnder portenaere, do daz Sivrit gesprach.

500 Nu het der rise chüene sin waefen an sich genomen,


sin heim uf sin houbet was im vil schiere chomen,
den schilt er balde züchte, daz tor er uf do swanch.
wie rehte gremliche er gegen Sivride spranch!

soi Wie er getorste wecken so manigen chüenen man!


da wurden siege swinde von siner hant getan,
do begunde im schirmen der herliche gast,
do schuof der portenaere, daz sin schiltgespenge brast

502 Von einer isenstangen. des gie dem helde not.


ein teil begunde fürhten Sivrit den tot,
do der portenaere so tobelichen sluoch.
dar umbe was im waege sin herre Sivrit genuoch.

503 Si striten also sere, daz al diu burch erdoz,


wände ir beider sterche was unmazen groz.
er twanc den portenaere, daz er sit in gebant.
do erschullen disiu maere uber al der Nibelunge lant.

504 Do hört daz grimme striten verre durch den berch


Albrich der vil starche, ein chüene getwerch.
er wart gewaffent balde; do lief er, da er vant
disen gast vil edelen. der was in beiden vil unbechant.
SIEGFRIEDS FA HRT INS NIBELUNGENLAND 165

498 einen Riesen, der an der Pforte Wache hielt und bei dem seine
Waffen jederzeit griffbereit lagen. Der fragte: »Wer klopft da
draußen ans Tor?« Da verstellte der kühne Siegfried seine
Stimme.

499 Er sagte: »Ich bin ein Recke, schließt die Tür auf. Mir folgen
heute noch viele, die sich gern bequem zur Ruhe legen wollen.«
Als Siegfried das sprach, geriet der Torwächter in Zorn.

500 Der tapfere Riese hatte sofort seine Waffen genommen, blitz­
schnell saß der Helm auf seinem Kopf, er ergriff den Schild und
stieß das Tor auf. Mit welchem Zorn stürmte er Siegfried ent­
gegen!

soi Wie habe er es wagen können, so viele kühne Männer aufzu­


wecken! Geschwind teilte er Schläge aus, doch der vornehme
Fremde schirmte sich dagegen ab. Da gelang es dem Wächter,
Siegfrieds Schildhalterung zu zerbrechen,

502 und zwar mit einer Eisenstange. Dadurch kam der Held in Be­
drängnis. Fast fürchtete er, getötet zu werden, als der Wächter
so wütend losschlug. Trotzdem gefiel seinem Herrn Siegfried
der wehrhafte Einsatz.

503 Sie kämpften so heftig, daß die ganze Burg dröhnte, denn sie
waren beide übermäßig stark. Siegfried bezwang schließlich
den Pförtner und fesselte ihn. Diese Nachrichten verbreiteten
sich über das ganze Nibelungenland.

504 Der starke Alberich, ein tapferer Zwerg, hörte den wütenden
Kampf in der Ferne durch den Berg. Schnell war er bewaffnet;
dann eilte er dorthin, wo er den edlen Fremden fand. Auch er
erkannte ihn nicht.
166 8. AV EN TIURE

505 Albrich was vil grimme, dar zuo starch genuoch.


helm unde ringe er an dem libe truoch
und eine geisel swaere von golde an siner hant.
do lief er harte sere, da er Sivriden vant.

506 Siben knöpfe swaere die hiengen vor daran,


da mit er von der hende den schilt dem küenen man
sluoch so bitterlichen, daz im des vil zebrast.
des chom in groze sorge do der waetlich gast.

507 Den scherm er von der hende gar zebrochen swanch,


do warfer von im balde sin wafen, daz was lanch;
den sinen kameraere wolder niht slahen tot.
er schonte siner zuhte, als im sin tugent gebot.

508 Mit starchen sinen handen lief er Albrichen an,


do vieng er bi dem parte den altgrisen man.
er zogeten ungefuoge, daz er vil lut erscre,
zuht des jungen recken diu tet Albriche we.

509 Lute rief der chüene: »nu lazzet mich genesen!


und moht ich iemens eigen an einen recken wesen,
dem swuor ich des eide, ich waere im undertan,
ich diende iu, e ich stürbe«, so sprach der listige man.

sio Do bant er Albrichen alsam den risen e.


die Sivrides chrefte taten im vil we,
daz twerch begunde vragen: »wie sint ir genant?«
er sprach: »ich bin ez, Sivrit; ich wände, ich waere iu wol bekant.«

5i i »So wol mich dirre maere«, sprach aber daz getwerch,


»nu han ich wol erfunden diu degenlichen werch,
daz ir von waren schulden muget landes herre wesn.
ich tuon, swaz ir gebietet, daz ir lazet mich genesn.«
SIEGFRIEDS FA HRT INS NIBELUNGENLAND 167

505 Alberich war von Kampfwut erfüllt und außerdem sehr stark.
Er trug einen Helm und ein Panzerhemd am Körper, eine
schwere goldene Geißel hielt er in der Hand. Er lief so schnell er
konnte, bis er auf Siegfried traf.

506 Sieben schwere Kugeln hingen vom an der Geißel, mit der er
dem kühnen Siegfried den Schild derart heftig aus der Hand
schlug, daß er in Stücke zerbrach. Dadurch kam der schöne
Fremde in arge Bedrängnis.

507 Den zerbrochenen Schild warf Siegfried aus der Hand, danach
ließ er auch sein langes Schwert fallen; denn er wollte seinen
Kämmerer nicht töten. Er folgte seiner ritterlichen Erziehung,
wie es ihm sein Anstand gebot.

508 Mit seinen starken Händen ging er auf Alberich los und packte
den alten, grauen Mann am Bart. Er zog ihn heftig, so daß er
laut aufschrie, denn das Zerren des jungen Recken tat Alberich
weh.

509 Laut rief der tapfere Zwerg: »Laßt mich am Leben! Wenn ich
nicht schon einem Recken gehörte, dem ich einen Untertanen­
eid geschworen habe, dann würde ich euch dienen, ehe ich jetzt
hier sterben müßte.« Das waren die Worte des klugen Mannes.

510 Siegfried fesselte Alberich wie vorher den Riesen. Seine Kräfte
fügten dem Zwerg Schmerzen zu, und dieser fragte: »Wie heißt
ihr?« Er bekam zur Antwort: »Ich bin es, Siegfried; ich dachte,
ihr kennt mich gut.«

su »Wie freue ich mich über diese Nachricht«, rief darauf der
Zwerg, »jetzt haben mir eure tapferen Taten bestätigt, daß ihr
mit gutem Grund der Herr dieses Landes seid. Ich tue alles, was
ihr befehlt, damit ihr mich am Leben laßt.«
168 8. AV EN TIURE

512 Do sprach der herre Sivrit: »ir suit balde gan


und bringet mir der recken, der besten der wir han,
tusint Nibelunge, daz mich die hie gesehn.«
was er der aller wolde, des hört in niemen verjehn.

513 Dem risen und Albrichen lost er do diu bant.


do lief er harte balde, da er die recken vant.
er wacht in grozen sorgen vil manigen chüenen man,
er sprach: »wol uf, ir helde, ir suit zuo Sivride gan!«

514 Si Sprüngen von dem bette und waren vil bereit,


tusint sneller degene wurden wol gekleit.
si chomen, da si funden Sivriden stan,
da wart ein schoene grüezen ein teil mit vorhten getan.

515 Vil kercen wart enzundet, man schancht im luttertranch.


daz si so balde chomen, des saget er in do danch.
er sprach: »ir müezet hinnen mit mir über fluot.«
des vant er vil bereit die helde chüen unde guot.

516 Wol drizech hundert recken die waren schiere körnen,


uz den wurden tusint der besten do genomen.
den braht man ir helme und ander ir gewant,
do er si füeren wolde in daz Prunhilde lant.

517 »Hoert, ir guoten ritter, waz ich iu welle sagen:


ir suit vil richiu chleider da ze hove tragen,
da wir sehen müezen vil minneklichiu wip.
dar umbe suit ir zieren mit guoter waete den lip.«
SIEGFRIEDS FA HRT INS NIBELUNG EN LAN D 169

512 Herr Siegfried sprach: »Geht sofort und bringt mir die besten
Recken, die wir haben, tausend Nibelungen, die sollen hier zu
mir kommen.« Was er mit ihnen vorhatte, verriet er nicht.

513 Er nahm dem Riesen und Alberich die Fesseln ab. Dieser eilte
gleich zu den Recken. In großer Sorge weckte er die vielen tap­
feren Männer und sagte: »Auf, ihr Helden, Siegfried erwartet
euch!«

514 Sie sprangen aus dem Bett und waren sofort bereit. Tausend ge­
wandte Kämpfer wurden gut ausgestattet. Sie kamen zu Sieg­
fried und begrüßten ihn höflich, zugleich aber auch von Furcht
erfüllt.

515 Viele Kerzen wurden angezündet und ein Begrüßungstrunk


ausgeschenkt. Siegfried dankte ihnen, daß sie so schnell ge­
kommen waren. Er sprach: »Ihr müßt mit mir fort übers Meer
fahren.« Dazu fand er die tapferen, tüchtigen Helden durchaus
bereit.

516 Etwa dreitausend Recken waren gekommen, aus denen wurden


die besten tausend ausgewählt. Man brachte ihnen ihre Helme
und die übrige Rüstung, dann wollte Siegfried sie in Brünhilds
Land mitnehmen.

517 »Hört, ihr tüchtigen Ritter, was ich euch sagen will: Ihr sollt
dort bei Hofe, wo wir liebenswerten Frauen begegnen werden,
prächtige Kleider tragen. Deshalb müßt ihr euch mit guten Ge­
wändern schmücken.«
170 8. AVENTIURE

518 Nu sprichet liht ein tumber: »ez mach wol luge wesen,
wie möhte so vil ritter bi ein ander sin genesen?
wa namen si die spise? wa namen si gewant?
sine chundenz niht verenden, und ob in dienten drizzech lant.«

519 Sivrit was so riche, als ir wol habt gehört.


im diente daz chunichriche und Nibelunge hört,
des gaber sinen degenen vil vollechlich genuoch,
wände sin wart doch niht minre, swie vil man von
dem Schatze truoch.

520 Vil fruo an einem morgen huoben sie sih dan.


waz sneller geverten Sivrit do gewan!
si fuorten ros diu guoten und herlich gewant,
si chomen ritterliche in daz Prunhilt lant.

521 Do stuonden in den venstern diu minneklichen kint.


do sprach diu kuniginne: »weiz iemen wer die sint,
die dort her gein uns vliezent so verre uf jenem se?
si fuerent segel riche, die sint noch wizzer danne ein sne.«

522 Do sprach der vogt von Rine: »ez sint mine man.
die het ich an der verte hie nahe bi verlan,
die han ich besendet. frowe, die sint chomen.«
der herlichen gesten wart vil groze war genomen.

523 Do sach man Sivride vor in eime scheffe stan


in vil herlicher waete, im volget manic man.
do sprach diu kuniginne: »her chunic ir suit mir sagen:
soi ich die geste enpfahen oder soi ich grüezen si verdagen?«
SIEGFRIEDS FA HRT INS NIBELUNGENLAND 171

51» Nun wendet vielleicht ein Unerfahrener ein: »Das muß gelogen
sein. Wie könnten so viele Ritter gleichzeitig ausgestattet wer­
den? Wo hätte man die Verpflegung und die Kleidung herneh­
men sollen? Sicher wäre das nicht möglich, selbst wenn dreißig
Länder dazu beigetragen hätten.«

519 Siegfried aber war, wie ihr wohl vernommen habt, unendlich
reich. Ihm standen das Königreich und der Nibelungenhort zur
Verfügung. Daraus gab er seinen Kämpfern mehr als genug,
denn wie viel man auch dem Schatz entnahm, er wurde da­
durch nicht geringer.

520 An einem Morgen brachen sie in aller Frühe auf. Was für
gewandte Gefährten hatte Siegfried da gewonnen! Mit guten
Pferden und herrlichen Gewändern erreichten sie ritterlich
Brünhilds Land.

521 Dort standen die liebenswerten Mädchen an den Fenstern. Die


Königin fragte: »Weiß jemand, wer die Leute sind, die von fern
auf dem Meer zu uns heranfahren? Sie haben prächtige schnee­
weiße Segel.«

522 Darauf antwortete der Herr vom Rhein: »Das sind meine Leute.
Ich habe sie auf der Reise in der Nähe zurückgelassen und jetzt
nach ihnen geschickt. Herrin, nun kommen sie.« Die vorneh­
men Fremden wurden außerordentlich bestaunt.

523 Man sah Siegfried prächtig gekleidet vorn in dem Schiff stehen,
hinter ihm viele andere Männer. Da sprach die Königin zu
Gunther: »Herr König, sagt mir: Soll ich die Fremden empfan­
gen, oder soll ich sie nicht begrüßen?«
172 8. AVEN TIURE

524 »Ir suit in begegene«, sprach er, »mit zuhten gan,


ob wir si sehen gerne, daz si wol daz verstan.«
do tet diu kuniginne, daz ir der kunic geriet.
Sivride mit dem gruoze von den andern si do schiet.

525 Man schuof in herberge mit willen al zehant.


do was so vil der geste chomen in daz lant,
daz si sich allenthalben drungen mit den schäm,
do wolden die vil chüenen zuo den Burgonden varn.

526 Do hiez diu kuniginne teilen sa zehant


golt unde Silber, ross und ouch gewant
den vremden und den chunden, vil manigem werden man,
des ir ir vater hete nach sime tode vil verlan.

527 Si hiez ouch sagen von Rine den recken also her,
daz si des schazzes naemen minre oder mer,
daz si daz mit ir brachten in Burgonden lant.
des antwurt ir Hagene in hohem muote sa zehant:

528 »Vil edeliu kuniginne, iu si fur war geseit:


ez hat der kunic von Rine golt unde kleit
also vil ze gebene, daz wir des habn rat,
daz wir iht hinnen füeren iwer golt oder iwer wat.«

529 »Nein durch mine liebe«, sprach daz magedin.


»ich wil mit mir hinnen frieren zweinzich schrin
von golde und ouch siden, daz gehn soi min hant,
so wir chomen über in daz Guntheres lant.«

530 Do sprach diu kuniginne: »wem laz ich miniu lant?


di sol nu hie bestiften unser beider hant.«
do sprach der kunic edele: »nu heizet her gan,
swer iu dar zuo gevalle, den suln wir vogt wesn lan.«
SIEGFRIEDS FAHRT INS NIBELUNGENLAND 173

524 »Ihr sollt ihnen in höfischer Art entgegengehen«, lautete seine


Antwort, »damit sie wohl merken, daß wir sie gerne sehen.«
Die Königin tat, was ihr der König geraten hatte. Sie begrüßte
Siegfried vor den anderen auf besondere Weise.

525 Man gab den Fremden gern und schnell Unterkunft. Allerdings
waren so viele ins Land gekommen, daß sie sich überall in
Scharen drängten. Dann aber wollten die tapferen Männer ins
Burgundenland zurückfahren.

526 Vorher ließ die Königin noch Gold und Silber, Pferde und auch
Gewänder, die ihr Vater ihr bei seinem Tod hinterlassen hatte,
an viele würdige Männer, bekannte und unbekannte, verteilen.

527 Sie wollte, daß auch die vornehmen Recken vom Rhein mehr
oder weniger von ihrem Schatz annähmen und ins Burgunden­
land brächten. Doch Hagen antwortete ihr sogleich voller Stolz:

528 »Hochadlige Königin, das muß ich euch wahrhaftig sagen: Der
König vom Rhein hat so viel Gold und Kleider zu verschenken,
daß wir darauf verzichten können, etwas von eurem Gold und
euren Gewändern mitzunehmen.«

529 Die junge Frau aber bat: »Doch mir zuliebe soll es geschehen.
Ich will zwanzig Truhen, gefüllt mit Gold und Seide, von hier
fortbringen, damit ich etwas zum Verschenken habe, wenn wir
in Gunthers Land kommen.«

530 Weiter sagte die Königin zu Gunther: »Wem überlasse ich


meine Länder? Wir beide müssen hier für die Regentschaft
sorgen.« Der edle König sprach: »Laßt den herkommen, der
euch dafür geeignet erscheint, ihn werden wir als Statthalter
einsetzen.«
174 8. AVEN TIURE

531 Ein ir hohsten mage diu frowe bi ir sach,


er was ir muoter bruoder. zuo dem diu maget sprach:
»nu lat iu sin bevolhen die burge und ouch daz lant,
unze daz hie rihte des kunich Guntheres hant.«

532 Do welt si ir gesindes tusint chüener man,


die mit ir ze Rine solden varn dan,
zuo jenen tusint recken von Nibelunge lant.
si rihten sich zer verte, man sach sie riten uf den sant.

533 Si fiiorten mit ir dannen sehs und ahzech wip,


dar zuo wol hundert mägede, vil schoene was ir lip.
sine sum ten sich niht langer, si ilten vaste dan.
die si da heime liezen, hey, waz der weinen began!

534 In tugentlichen zuhten si rumt ir eigen lant.


si chust ir friunt die naehsten, swaz si der bi ir vant.
mit guotem urloube si chomen uf den se.
zuo zir vater lande chom diu frowe nimmer me.

535 Do hört man uf der verte maniger hande spil,


aller kurzewile der heten si vil.
do chom in zuo zir reise ein rehter wazzerwint.
si fuoren von dem lande vil harte vrolichen sint.

536 Jane wolde si den herren niht minnen uf der vart.


er wart ir kurzwile unz in sin hus gespart
ze Wormez zuo der burge zeiner hochgecit.
dar si vil freuden riche chomen mit ir recken sit.
SIEGFRIEDS FAHRT INS NIBELUNGENLAND 175

531 Die Herrin erblickte neben sich einen ihrer vornehmsten Ver­
wandten, den Bruder ihrer Mutter. Zu ihm sprach sie: »Euch
seien die Burgen und das Land befohlen, bis König Gunther
selbst hier die Herrschaft übernimmt.«

532 Dann wählte sie tausend tapfere Männer aus ihrem Gefolge, die
sie zusammen mit den tausend Recken aus dem Nibelungen­
land an den Rhein begleiten sollten. Alle machten sich zur
Abfahrt bereit, und man sah sie zum Ufer reiten.

533 Sie nahm auch sechsundachtzig Frauen und außerdem etwa


hundert Mädchen mit, die alle sehr schön waren. Ohne noch
länger zu zögern, eilten sie fort. Die aber, die sie zu Hause
zurückließen, ach, wie sehr weinten die!

534 Mit höfischem Zeremoniell verließ Brünhild nun ihr eigenes


Land. Sie küßte ihre engsten Freunde, die neben ihr standen.
Nach einem angemessenen Abschied gelangten sie aufs Meer.
In ihr Vaterland kehrte die Herrin nie wieder zurück.

535 Unterwegs hörte man allerlei Musik und hatte gute Unter­
haltung. Dann stellte sich zu ihrer Reise auch der richtige
Fahrtwind ein. Überaus fröhlich gestimmt fuhren sie fort aus
Brünhilds Land.

536 Doch auf der Fahrt wollte Brünhild nicht mit Gunther schlafen.
Er mußte auf dieses Vergnügen verzichten, bis sie zu Hause in
Worms auf der Burg ankamen und das Hochzeitsfest feierten.
Dorthin gelangten sie nach einiger Zeit voller Freude mit ihren
Recken.
9. A V EN T IU R E
A V EN T IU R E W IE S IV R IT ZE W O R M E Z IN B O T S C H E F T E F U O R

537 Do si gevarn warn vollen niwen tage,


do sprach der chüene Hagene: »nu merchet, waz ih sage:
ir sumt iuch mit den maeren ze Wormeze an den Rin.
die iwern boten solden nu zen Burgonden sin.«

538 Do sprach der kunich Gunther: »ir habt mir reht geseit.
nu bereitet iuch zer verte, ritter vil gemeit,
wände wir in disen ziten ander niemen han,
der dar muge geriten.« do sprach der ubermüete man:

539 »Nu wizzet, lieber herre, ine bin niht bote guot.
ich wil iuch eins bewisen, der ez doch gerne tuot:
Sivrit den chüenen suit ir iz niht verdagen.
durch iwer swester liebe getarrer erz iu nimmer versagen.«

540 Er sande nach dem recken, der herre chom zehant,


er sprach: »sit daz wir nahen heim in miniu lant,
so solde ich boten senden der lieben swester min
und ouch miner muoter, daz wir nu nahen an den Rin.

541 Des bitte ich iuch, her Sivrit, daz ir die reise tuot,
daz ez mit mir verdiene diu edel maget guot
mit allen minen friunden, ritter vil gemeit.«
do sprach der degen chüene: »der reise bin ich iu bereit.
9- A V EN T IU R E
W I E S IE G F R IE D ALS BOTE N A C H W O RM S F U H R

537 Als sie neun Tage hintereinander gesegelt waren, sagte der
kühne Hagen: »Nun hört meinen Ratschlag: Ihr habt noch
keine Nachricht nach Worms an den Rhein geschickt. Eure
Boten sollten schon längst in Burgund sein.«

538 Darauf antwortete König Gunther: »Ihr habt recht. Tüchtiger


Ritter, bereitet euch auf diesen Auftrag vor, denn wir haben
zur Zeit niemand anderen, der dort hinreiten könnte.« Darauf
erwiderte der selbstbewußte Mann:

539 »Nehmt zur Kenntnis, lieber Herr, daß ich mich nicht zum Bo­
ten eigne. Ich will euch einen nennen, der die Aufgabe gern
übernimmt: Wendet euch an den kühnen Siegfried. Aus Liebe
zu eurer Schwester wagt er bestimmt nicht, euch die Bitte abzu­
schlagen.«

540 Gunther schickte nach dem Recken, der sofort kam, und sagte
zu ihm: »Da wir uns meinem Heimatland nähern, ist es ange­
bracht, meiner lieben Schwester und auch meiner Mutter einen
Boten zu senden, der meldet, daß wir nun bald wieder am
Rhein sind.

541 Darum bitte ich euch, Herr Siegfried, die Botenreise zu über­
nehmen, tüchtiger Ritter, dafür danken dir mit mir die edle
junge Frau und alle meine Freunde.« Der kühne Kämpfer ant­
wortete: »Ich bin zu der Reise für euch bereit.
178 9- AVEN TIURE

542 Nu enbietet, swaz ir wellet, des wirdet niht verdaget.


durch die vil minneklichen so wirt ez gar gesaget.
zwiu solde ih der verzihen, die ich in hercen han?
swaz ir durch si gebietet, daz ist allez getan.«

543 »So sagt miner muoter und ouch der swester min,
daz wir an dirre verte in hohem muote sin.
lat wizzen mine brüeder, wie wir geworben han,
und ander unser friunde soi man diu maere ouch hoeren lan.

544 Chriemhilde und mine muoter suit ir niht verdagen,


min und Prunhilde dienest suit ir in beiden sagen
und allem ir gesinde und allen minen man.
dar nach ie ranc min herce, wie wol ich daz erworben han.

545 Und sagt ouch minen brüedern und andern friunden min,
daz si mit grozem vlize dar zuo gewarnt sin.
und soi in unsern landen diu maere wizzen lan:
ich wil mit Prunhilde vil groze hochgecite han.

546 Und bitet mine swester, so si daz habe vernomen,


daz ich mit minen gesten si ze lande chomen,
daz si mit vlize enpfahe die trutinne min.
daz will ich immer mere mit triwen dienende sin.«

547 Do der vil chüene recke urloup von im genam


und ouch von Prunhilde, der ritter lobesam
reit in grozen freuden ze Wormeze an den Rin.
ez enchunde in allen landen ein bote bezzer niht gesin.

54« Mit vier und zweinzech recken ze Wormeze er do reit,


des chuniges chom er ane, do daz wart geseit,
allez daz gedigene vor jamer heten not;
si vorhten, daz ir herre dort beliben waere tot.
SIEGFRIEDS BERICHTERSTA TTUNG IN WORMS 179

542 Tragt mir auf, woran euch liegt, davon wird nichts ungesagt
bleiben. Um der liebenswerten Kriemhild willen werde ich alles
berichten. Warum sollte ich der Frau, die ich von Herzen liebe,
etwas vorenthalten? Was ihr um ihretwillen gebietet, das wird
alles ausgefiihrt.«

543 »So sagt meiner Mutter und auch meiner Schwester, daß wir
fröhlich von dieser Fahrt zurückkehren. Benachrichtigt meine
Brüder, daß unsere Werbung Erfolg hatte, und unsere anderen
Verwandten sollen es ebenfalls erfahren.

544 Kriemhild und meiner Mutter sollt ihr nichts verschweigen. Ih­
nen beiden, ihrem ganzen Gefolge und meinen Leuten über­
bringt meine und Brünhilds Grüße. Wonach mein Herz sich
sehnte, das habe ich erreicht.

545 Und beauftragt auch meine Brüder und meine anderen


Freunde, eifrig alles für die Ankunft vorzubereiten. In allen
unseren Ländern soll die Nachricht bekanntgemacht werden:
Ich will mit Brünhild ein großes Hochzeitsfest feiern.

546 Bittet meine Schwester, wenn sie gehört hat, daß ich mit
meinen Gästen ins Land komme, sie möge meine Geliebte
angemessen empfangen. Dafür will ich mich immer in Treue
erkenntlich zeigen.«

547 Als der tapfere Recke von Gunther und auch von Brünhild
Abschied genommen hatte, ritt der ruhmreiche Ritter voller
Freude nach Worms an den Rhein. Auf der ganzen Welt konnte
es keinen besseren Boten geben.

548 Vierundzwanzig Recken begleiteten ihn nach Worms. Als dort


gemeldet wurde, er käme ohne den König, überfiel die Diener­
schaft bedrückende Angst; denn alle fürchteten, daß ihr Herr in
dem fremden Land umgekommen wäre.
180 9- AVENTIURE

549 Die helde erbeizet waren, vil hohe stuont ir muot.


vil schier in chomen beide die junge kunige guot
und al daz hofegesinde. der herre Gernot sprach,
do er sinen bruoder niht bi Sivride ensach:

550 »Willechomen, ritter edele, ir suit uns hoeren lan,


wa ir minen bruoder, den kunic, habt verlan.
diu Prunhilde sterche in, waen, uns hat benomen;
so ist uns ir hohiu minne harte schedelich chomen.«

551 »Iu edeln recken beiden und al den magen sin


enbiutet sinen dienest der hergeselle min.
den liez ih wol gesunden; er hat mich her gesant
ze boten mit den maeren, daz ich iu diu taete bekant.

552 Ir suit daz ahten schiere, swie so daz geschehe,


daz ich iwer muoter und iwer swester sehe,
die soi ich lazen hoeren, waz in enboten hat
Gunther der chunic riche, des dinch in hohen eren stat.«

553 Do sprach der junge Giselher; »da suit ir dar gan.


da habt ir miner muoter vil liebe an getan;
diu hat doch michel sorge umbe den bruoder min.
si sehent iuch beide gerne; des suit ir gar ane angest sin.«

554 Do sprach der herre Sivrit: »swaz ich in dienen chan,


daz sol vil willechlichen mit triwen sin getan.
wer sagt nu den frowen, daz ich wil dar gan?«
»daz tuon ich«, sprach do Giselher, der vil waetlich man.

555 Der stolze chüene recke ze siner muoter sprach


und ouch zuo siner swester, da er si beide sach:
»uns ist chomen Sivrit, der heit uz Niderlant;
in hat min bruoder Gunther ze Rine her von im gesant.
SIEGFRIEDS BERICHTERSTATTUNG IN WORMS 181

549 Die Helden waren von ihren Pferden abgestiegen und standen
freudig gestimmt da. Sofort kamen die beiden jungen Könige
und das ganze Gefolge. Als er seinen Bruder Gunther nicht ne­
ben Siegfried erblickte, sprach Herr Gernot:

550 »Willkommen, edler Ritter, sagt uns, wo ihr meinen Bruder, den
König, gelassen habt. Ich fürchte, die starke Brünhild hat ihn
uns entrissen; dann hätte seine große Liebe zu ihr uns einen
schweren Verlust gebracht.«

551 »Euch beide, edle Recken, und alle seine Verwandten läßt mein
Kampfgefährte grüßen. Ich habe ihn ganz unversehrt zurück­
gelassen; er hat mich als Boten vorausgeschickt, damit ich euch
diese Nachricht überbringe.

552 Veranlaßt so schnell wie möglich, daß ich eure Mutter und eure
Schwester treffe. Sie sollen erfahren, was der mächtige König
Gunther, um dessen Glück und Ehre es bestens steht, ihnen
mitteilen läßt.«

553 Darauf antwortete der junge Giselher: »Geht gleich zu ihnen.


Damit bereitet ihr meiner Mutter viel Freude; denn sie hat sich
große Sorgen um meinen Bruder gemacht. Sie werden sich
beide freuen, euch zu sehen; ihr braucht euch überhaupt nicht
zu beunruhigen.«

554 Herr Siegfried erwiderte: »Womit ich ihnen dienen kann, das
will ich gern und in Treue ausführen. Wer meldet nun den
Damen, daß ich sie besuchen möchte?« »Ich werde es tun«,
sagte Giselher, der stattliche Mann.

555 Als der stolze, kühne Recke seine Mutter und seine Schwester
aufsuchte, sagte er zu ihnen beiden: »Siegfried, der Held aus
Niederland, ist zu uns gekommen; mein Bruder Gunther hat
ihn an den Rhein vorausgeschickt.
182 9 . AVENTIURE

556 Er bringet uns diu maere, wiez umben chunich ste.


nu suit ir im erlouben, daz er ze hove ge.
er bringet diu rehten maere her von Islant.«
noch was den edelen frowen vil michel sorgen bêchant.

557 Si Sprüngen nach ir waete, do leiten si sich an,


si baten Sivride, do hin ze hove gan.
daz tet er willechliche, wand er si gerne sach.
Chriemhilt diu vil schoene zuo zim do güetlichen sprach:

558 »Sit willechomen, herre Sivrit, ritter lobelich.


war ist chomen min bruoder, Gunther der kunic rieh?
von Prunhilde sterche den, waen, wir haben verlorn.
owe mir armen meide, daz ih danne ie wart geborn!«

559 Do sprach der ritter chüene: »nu gebt mir botenbrot,


ir edeln junefrowen; ir weinet ane not.
ich liez in wol gesunden, daz tuon ich iu bêchant.
er und diu schoene Prunhilt hant mich iu beiden her gesant.

560 Si enbietent iu ir dienest mit triwen in daz lant,


vil richiu kuniginne, daz tuon ih iu bêchant.
nu lazet iwer weinen; si wellent schiere chomen.«
sine het in langen eiten so lieber maere niht vernomen.

561 Mit sneblanchen geren ir ougen wolgetan


wischte si nah trähenen. danchen si began
dem boten dirre maere, diu ir da waren chomen;
do was ir michel truren und ouch ir weinen benomen.

562 Den boten bat man sizzen, des was er bereit.


do sprach diu junefrowe: »mir waere niht ze leit,
ob ich ze botenmiete iu solde gebn min golt,
dar zuo sit ir ze riche, ich wil iu sus immer wesn holt.«
SIEGFRIEDS BERICHTERSTA TTUNG IN WORMS 183

556 Er meldet uns, wie es dem König geht. Nun gestattet ihm, bei
Hof vor euch zu erscheinen. Er bringt uns genaue Nachrichten
aus Island.« Immer noch waren die edlen Damen von großen
Sorgen erfüllt.

557 Sie machten sich schnell für den Empfang zurecht und baten
Siegfried, bei Hofe zu erscheinen. Der tat das bereitwillig, denn
er wollte sie gern sehen. Die schöne Kriemhild sprach ihn
freundlich an:

55« »Seid willkommen, Herr Siegfried, ruhmreicher Ritter. Wo ist


mein Bruder, der mächtige König Gunther? Ich fürchte, wir
haben ihn durch Brünhilds Stärke verloren. O weh, ich Arme,
daß ich je geboren wurde!«

559 Darauf antwortete der tapfere Ritter: »Ihr edlen Damen könnt
meine Botschaft belohnen; denn ihr habt keinen Grund zu wei­
nen. Ich verließ Gunther völlig unverletzt, das versichere ich
euch. Er und die schöne Brünhild haben mich zu euch beiden
vorausgeschickt.

560 Sie lassen euch in diesem Land ehrerbietig grüßen, mächtige


Königin, das möchte ich euch melden. Nun weint nicht länger;
denn sie werden bald kommen.« Kriemhild hatte seit langem
keine angenehmere Nachricht gehört.

561 Mit den schneeweißen Spitzen ihres Kleides trocknete sie die
Tränen in ihren schönen Augen. Sie dankte dem Boten für seine
Nachricht; nun war sie nicht mehr traurig und hörte auch auf
zu weinen.

562 Man bat den Boten, Platz zu nehmen, was er bereitwillig tat.
Dann sagte die junge Frau: »Gern würde ich euch mein Gold
als Botenlohn geben, doch dazu seid ihr selbst zu mächtig. Aber
ich will euch immer herzlich zugeneigt bleiben.«
184 9- AV ENTIURE

563 »Ob ich nu eine hete«, sprach er, »drizzech lant,


so enpfienge ich doch vil gerne gäbe uz iwer hant.«
do sprach diu minneldiche: »nu soi ez sin getan.«
si hiez ir kameraere nach der botenmiete gan.

564 Vier und zweinzich pouge mit gesteine guot


die gab si im ze miete, do stuont also sin muot,
ern woldes niht behalden. er gab ez sa zehant
ir naehstem ingesinde, die er zer chemenaten vant.

565 Ir muoter bot ir dienest in guotlichen an.


»ich soi iu sagen mere«, sprach do der chüene man,
»wes iuch der kunich bitet, swenner nu chumet her.
daz weller immer dienen, daz ir leistet sinen ger.

566 Die sine riehen geste bitet er iuch wol enpfan,


des manter iwer vil sere, irn suit des ouch niht lan,
irn ritet im zegegene fur Wormez uf den sant.
des sit ir von dem kunige mit grozen triwen gemant. «

567 Do sprach diu minnekliche: »des bin ich vil bereit,


swaz ich im kan gedienen, daz ist im unverseit.
in vriuntlichen triwen so soi ez sin getan.«
do merte sich ir varwe, die si vor liebe do gewan.

568 Ez enwart nie bote enpfangen deheines fürsten baz.


getorste si in chussen, diu frowe taete daz.
wie rehte minnekliche er von den frowen schiet!
do taten die Burgonden, als in Sivrit do geriet.

569 Sindolt unde Hunolt und Rumolt der degen,


die muosen vil unmuoze zuo den eiten pflegen,
rihten daz gesidele, als in daz was bêchant.
des kuniges ambetliute man do mit arebeiten vant,
SIEGFRIEDS BERICHTERSTATTUNG IN WORMS 185

563 »Auch wenn ich selbst dreißig Länder besäße«, antwortete er,
»so nähme ich doch sehr gern eine Gabe aus eurer Hand entge­
gen.« Darauf erwiderte das liebenswerte Mädchen: »Dann soll
es geschehen.« Sie schickte den Kämmerer nach dem Boten­
lohn.

564 Vierundzwanzig Armreife, mit Edelsteinen verziert, gab sie ihm


als Belohnung. Doch er hatte nicht die Absicht, sie zu behalten.
Er verschenkte sie sofort weiter an Kriemhilds nächste Ver­
traute, die mit in der Kemenate waren.

565 Ihre Mutter dankte ihnen ebenfalls mit einer freundlichen Ge­
ste. Dann sprach der kühne Mann: »Ich soll euch außerdem
sagen, worum euch der König für seine Rückkehr bittet. Wenn
ihr seinen Wunsch erfüllt, wird er euch immer dankbar sein.

566 Er bittet euch, seine hohen Gäste angemessen zu empfangen,


das ist ihm ein besonderes Anliegen. Ihr sollt ihnen auf jeden
Fall an das Ufer vor Worms entgegenreiten. Darum ersucht
euch der König dringend.«

567 Darauf antwortete die liebenswerte Kriemhild: »Dazu bin ich


gern bereit. Alles, was in meinen Kräften steht, biete ich für ihn
auf. In herzlicher Zuneigung soll es geschehen.« Dabei errötete
sie vor Freude.

568 Niemals wurde der Bote eines Fürsten besser empfangen. Hätte
die Herrin wagen dürfen, ihn zu küssen, so hätte sie es getan.
Wie liebenswürdig verabschiedete er sich von den Damen! Die
Burgunden führten nun aus, was Siegfried ihnen geraten hatte.

569 Sindold, Hunold und der Kämpfer Rumold waren in diesen


Tagen sehr beschäftigt, sie richteten, wie sie es gewohnt waren,
den Festplatz her. Die Bediensteten des Königs gaben sich dort
alle Mühe.
186 9- AV ENTIURE

570 Ortwin unde Gere, des riehen kuniges man,


die sanden allenthalben nach den friunden dan
und chunten in die hochgecite, diu da solde sin.
da bereiten sich engegene diu vil schoenen magedin.

571 Der palas und die wende was allez uber al


gezieret gegen den gesten. der Gunthers sal
wart vil wol bezimbert durch manigen vremden man.
diu selbe groze hochgecite huop vil vrolichen an.

572 Do riten allenthalben die wege durch daz lant


der drier kunige mage, die het man besant,
daz si den solden warten, die in da wolden chomen.
do wart uz den chisten richer waete vil genomen.

573 Do sagt man diu maere, daz man nu riten sach


den chunich mit sinen gesten, do huop sich ungemach
von des volches chreften in Burgonden lant.
hey, waz man sneller degene bi frowen Prunhilde vant!

574 Do sprach diu schoene Chriemhilt: »ir miniu mägedin,


di an dem antpfange mit mir wellen sin,
die suochen uz den chisten diu aller besten chleit,
di si mugen vinden. daz si den frowen ouch geseit.«

575 Do chomen ouch die recken, die hiezen tragen dar


die herlichen sätele nach rotem golde var,
die frowen solden riten ze Wormeze an den Rin.
bezzir pferitgereite chunde ninder gesin.

576 Hey, was da liehtes goldes von den moeren schein!


ouch lagen an den zoumen vil manic edel stein,
die guldinen schemil ob liehten pfellen guot
braht man dar den frowen. si waren hohgemuot.
SIEGFRIEDS BERICHTERSTATTUNG IN WORMS 187

570 Ortwin und Gere, zwei Lehnsleute des mächtigen Königs,


schickten überallhin Einladungen an Freunde und Verwandte
und kündigten ihnen das bevorstehende Fest an. Viele schöne
Mädchen bereiteten sich auf diesen Tag vor.

571 Der Palas und die Wände der Burg wurden allenthalben für die
Gäste geschmückt. In Gunthers Saal stellte man wegen der vie­
len Fremden zusätzliche Stühle auf. Das große Fest begann sehr
fröhlich.

572 Von überall kamen die Verwandten der drei Könige, die man
eingeladen hatte, durch das Land herbeigeritten, um die An­
kommenden zu erwarten. Aus den Truhen wurden viele kost­
bare Gewänder hervorgeholt.

573 Als die Nachricht eintraf, daß man den König mit seinen frem­
den Gästen herannahen sähe, entstand unter dem Volk im Bur-
gundenland Aufregung. Wie viele gewandte Kämpfer sah man
neben Brünhild!

574 Die schöne Kriemhild sagte: »Meine Mädchen, wenn ihr mit
mir an dem Empfang teilnehmen wollt, sucht aus den Truhen
die allerbesten Kleider heraus, die ihr finden könnt. Das gilt für
alle anderen Damen genauso.«

575 Dann kamen auch die Recken und ließen herrliche goldfarbene
Sättel herbeibringen, auf denen die Damen bei Worms an den
Rhein reiten sollten. Besseres Pferdegeschirr konnte es nirgends
geben.

576 O, wie glänzte dort das strahlende Gold an den Pferden! Auch
waren in das Zaumzeug viele Edelsteine eingelegt. Goldene
Fußbänke stellte man über hellen, kostbaren Seidenstoffen für
die Frauen hin, damit sie aufs Pferd steigen konnten. Sie waren
in freudiger Stimmung.
188 9- AVENTIURE

577 Begurtet mit den siden vil schoen unde starch


braht man den frowen vil wunneklichiu march,
diu riehen furbüege sach man diu moere tragen
von den besten siden, da von iu iemen chunde sagen.

578 Sehs und ahzech frowen hiez man chomen dan,


die gebende truogen. zuo Chriemhilde stan
chomen di vil schoenen und heten liehtiu chleit.
do wart ouch wol gezieret vil manich minneklichiu meit:

579 Funfzech unde viere von Buregonden lant.


so waren ez die besten, die man ze hove vant,
di sah man valevahsen under liehten porten gan.
des Gunther an si gerte, daz wart mit vlize getan.

580 Von liehten riehen pfellen, verre uz heiden lant,


si truogen vor den gesten so manic guot gewant,
daz ir genuoge schoene ze rehte wol gezam.
er waere in swachem muote, der ir deheiner waere gram.

581 Von zobel und ouch von harme vil chleider man da vant.
da wart vil wol gezieret manich arm und hant
mit bougen ob den siden, die si da solden tragen,
iu enchunde dizze vlizen zende niemen gesagen.

582 Vil manigen gurtel spaehen guot unde lanch


über vil richiu kleider manic wiziu hant do swanch
über rocke ferrans und pfelle uz Arabin,
daz si in al der werlde bezzer nimmer chunden sin.
SIEG FRIED S BERICHTERSTATTUNG IN WORMS 189

577 Man brachte den Damen viele schöne, kräftige Pferde, die
üppig mit seidenem Zaumzeug ausgestattet waren. Sie hatten
die prächtigsten seidenen Brustriemen um, von denen euch
jemand berichten könnte.

578 Sechsundachtzig Damen, die ein Gebände trugen, ließ man


kommen. Die Schönen in ihren hellen Kleidern blieben vor
Kriemhild stehen. Auch viele andere liebenswürdige Mädchen
wurden bestens geschmückt:

579 Vierundfünfzig waren es aus dem Burgundenland. Man hatte


die schönsten ausgewählt, die sich am Hofe finden ließen, alle
mit blonden Haaren, in die helle Bänder geflochten waren. Was
Gunther von ihnen wünschte, führten sie mit Eifer aus.

580 Sie erschienen vor den fremden Gästen in so reichen Gewän­


dern aus kostbaren glänzenden Seidenstoffen, die von fernen
heidnischen Ländern eingeführt waren, daß ihre Schönheit
dadurch noch gesteigert wurde. Wer ihnen nicht zugetan war,
mußte von Sinnen sein.

581 Viele Kleider waren aus Zobel und Hermelin. Als Schmuck an
Armen und Händen trugen die meisten Armreife über dem
Seidenstoff. Niemand könnte euch vollständig erzählen, mit
welchem Eifer sie sich geschmückt hatten.

582 Manchen kunstvoll gemachten langen Gürtel hatten ihre


weißen Hände über die kostbaren Kleider und die Röcke aus
Ferran und arabischer Seide geschlungen, so daß ihr Aussehen
auf der ganzen Welt nicht übertroffen werden konnte.
190 9- AVENTIURE

583 Ez wart in furgespenge manic schoeniu meit


genaet vil minnekliche. ez moeht ir wesn leit,
der ir vil liehtiu varwe niht luhte gegen der wat.
so schoenes ingesindes nu niht kuniges chunne hat.

584 Do die vil minneklichen nu truogen ir gewant,


di si da fiieren solden, die chomen al zehant,
der hochgemuoten recken ein vil michel chraft.
man truog ouch dar mit Schilden vil manigen eschinen Schaft.
SIEG FRIED S BERICHTERSTATTUNG IN WORMS 191

583 Anmutig trugen viele schöne Mädchen eine Spange, die vorn
das Gewand zusammenhielt. Doch jede von ihnen wäre traurig
gewesen, wenn nicht das eigene helle Antlitz alle Kleider über­
strahlt hätte. Ein so schönes Gefolge hat heute kein Königs­
geschlecht mehr.

584 Als die liebenswerten Frauen ihre Gewänder angelegt hatten,


kam sogleich eine große Schar freudig gestimmter Recken, um
sie zu begleiten. Auch ihre Schilde und viele Lanzen mit einem
Schaft aus Eschenholz brachte man dorthin.
10. A V EN T IU R E
A V EN T IU R E W IE DER K U N E C G U N T H E R Z U O W O R M Z E
M IT FRO U P R U N H I L T P R U T E

585 Anderthalp des Rines sach man mit grozen schäm


den chunic mit sinen gesten zuo dem stade varn.
ouch sach man da bi zoumen leiten manige meit.
di si enpfahen solden, die waren alle bereit.

586 Do die von Islande zen schiffen chomen dan


und ouch von Nibelungen Sivrides man,
si gahten zuo dem lande, unmüezich wart ir hant,
da man des chuniges friunde des stades anderthalben vant.

587 Nu hoert ouch disiu maere von der chunegin,


Uoten der vil riehen, wie si diu mägedin
gefrumte von der burge, dar si do selbe reit.
da gewan ein ander chunde vil manic ritter unde meit.

588 Der margrave Gere Chriemhilde zoumte dan


niwan uz der burge, Sivrit der chüene man
dient ir do minnekliche, si was ein schoene kint.
des wart im wol gelonet von der junefrowen sint.

589 Ortwin der chüene bi froun Uoten reit


vil gesellechlichen manic ritter unde meit.
ze solhem antphange, des mach man wol verjehen,
wart nie so vil der frowen bi ein ander gesehen.
10. AVENTI URE
W IE K Ö N IG G U N T H E R IN W O RM S M IT B R Ü N H IL D
H O C H Z E I T FE IE R T E

585 Auf der anderen Seite des Rheins sah man, wie sich der König
mit großen Scharen von Fremden dem Ufer näherte. Viele
Mädchen saßen auf Pferden, die am Zaum geführt wurden.
Alle, die beim Empfang dabeisein sollten, waren bereit.

586 Als die Leute aus Island und auch Siegfrieds Männer aus dem
Nibelungenland mit den Schiffen angelangt waren, ruderten sie
eifrig ans Ufer, wo man die Verwandten des Königs überall an
der Anlegestelle stehen sah.

587 Nun hört auch von der mächtigen Königin Ute, wie sie die
Mädchen von der Burg herab an die Stelle führte, zu der sie
selbst hinritt. Dort begegneten sich zahlreiche Ritter und Mäd­
chen.

588 Der Markgraf Gere führte Kriemhild zu Pferde nur aus der
Burg heraus, dann stand Siegfried liebenswürdig dem wirklich
schönen Mädchen zu Diensten. Dafür wurde er später von der
jungen Frau belohnt.

589 Der tapfere Ortwin ritt neben Frau Ute, und hinter ihnen folg­
ten viele Ritter und Mädchen. Zu einem solchen Empfang, das
kann man wohl sagen, sah man nie wieder eine so große Zahl
von Damen versammelt.
194 10. AVENTIURE

590 Vil manic buhurt riehen sach man dan getriben


von helden löblichen, niht wol waer ez beliben,
vor Chriemhilde der schoenen al zuo den schiffen dan.
do huop man von den moeren manige frowen wolgetan.

591 Der chunich was chomen selbe und manic werder gast,
hey, was starcher schelte vor den frowen brast!
man hört da hurteklichen von Schilden manigen stoz.
hey, waz da richer buckelen von gedrange lut erdoz!

592 Die vil minneklichen die stunden an der habe.


Gunther mit sinen gesten gie von den schiffen abe.
er fuorte Prunhilde selbe an siner hant.
da luhten wider ein ander die edeln stein und ouch daz gewant.

593 In vil grozen zuhten frow Chriemhilt do gie,


da si Prunhilde mit ir gesinde enpfie.
da wart geruochet hoher mit wunneklicher hant
vil manie schapel riche, do si sie enpfiengen in daz lant.

594 Do sprach gezogenliche Chriemhilt diu chuniginne:


»ir suit zuo disen landen groz willechomen sin
mir und miner muoter unde allen, die wir han.«
dar nach wart von den vrowen mit truten chussen niht verlan.

595 Do Prunhilde frowen vol chomen uf den sant,


da wart vil minneklichen genomen bi der hant
von herlichen recken manich wip wol getan.
man sah die schoenen mägede vor den chuniginnen stan.

596 E daz ir gruoz ergienge, das was ein langiu stunt;


ja wart da gechusset manic rosen varwer munt.
noh stuonden bi ein ander die kuniges tohter rieh,
daz liebet an ze sehene vil manigen recken lobelich.
D O PPE L H O C H Z E IT IN WORMS 195

590 Wie bei derartigen Anlässen üblich, zeigten die lobenswerten


Helden auf dem Weg zu den Schiffen vor der schönen Kriem-
hild ansehnliche Ritterkunststücke. Dann hob man die schö­
nen Damen von ihren Pferden.

591 Der König selbst und eine große Zahl ehrwürdiger Gäste waren
inzwischen angekommen. Wie viele starke Lanzen zersplitter­
ten da vor den Damen! Man hörte, daß eine Menge Schilde hef­
tig aneinanderstieß. Wie laut dröhnte es vom Zusammenprall
der kostbaren Beschläge!

592 Die liebenswürdigen Damen warteten an der Anlegestelle. Nun


stieg Gunther mit seinen Gästen aus dem Schiff. Er selbst führte
Brünhild an der Hand. Da glänzten die Edelsteine und ihr Ge­
wand miteinander im Wettstreit.

593 In vollendet höfischer Haltung trat Kriemhild hervor, um


Brünhild und ihr Gefolge zu empfangen. Manch kostbarer
Kopfputz wurde von anmutiger Hand hochgerückt, als sie ein­
ander im Burgundenland begrüßten.

594 Die königliche Kriemhild sprach voll Anstand: »Seid herzlich


willkommen in diesen Landen, mir, meiner Mutter und all un­
serem Gefolge.« Danach hörten die adligen Frauen nicht auf,
sich liebevoll zu küssen.

595 Nachdem auch Brünhilds Damen am Ufer ausgestiegen waren,


nahmen vornehme Recken viele hübsche Frauen freundlich an
die Hand. Man sah die schönen Mädchen schließlich vor den
Königinnen stehen.

596 Bis ihre Begrüßung zu Ende war, dauerte es noch lange; denn
manch rosenroter Mund wurde geküßt. Noch standen die bei­
den mächtigen Königstöchter nebeneinander. Dieser Anblick
erfreute viele ruhmreiche Helden.
196 10. AVENTIURE

597 Do speheten mit-den ougen, die e horten jehn,


daz si so minnechliches heten niht gesehn
so die frowen beide, des jach da manic man,
daz si den pris an schoene in manigen landen muosen han.

598 Die frowen spehen chunden und herlichen lip,


die lobten durch ir schoene daz Guntheres wip.
doch sprachen da di wisen, die hetenz baz ersehn,
man mohte Chriemhilde wol fur Prunhilde jehn.

599 Wider ein ander giengen beide magt und wip,


man sach da wol gezieret vil manigen schoenen lip.
da warn sidin hütten und manich rieh gezelt,
der was da vil gespannen vor Wormez über al daz velt:

600 Von des chuniges magen wart dringen niht verlan,


man hiez die chuniginne beide dannen gan,
und mit in al die frowen, da man den scaten vant.
dar brahten si die degene uzer Burgonden lant.

601 Do waren ouch die geste zen rossen alle chomen;


vil manic richiu tjoste durch Schilde wart genomen.
daz velt begunde stouben, sam ob al daz lant
mit louge enbrunnen waere. da wurden degene bêchant.

602 Wes da die helde pflaegen, daz sach vil manic meit.
man sagt, daz der her Sivrit mit sinen helden reit
manige widerchere fur die hütten dan.
er fuort der Nibelunge tusint waetlicher man.

603 Do chom von Tronege Hagene, als im der wirt geriet,


den buhurt friundiche do der heit geschiet,
daz si ungestoubet liezen diu minneklichen kint.
des wart do von den gesten gevolget zuhtekliche sint.
D O PPE L H O C H Z E IT IN WORMS 197

597 Die vorher nur davon gehört hatten, konnten jetzt mit eigenen
Augen sehen, daß sie etwas so Liebenswertes wie diese beiden
adligen Frauen noch nie erblickt hatten. Die Männer bestätig­
ten, daß sie den Schönheitspreis in allen Ländern verdienten.

598 Wer etwas von Damen und ihren körperlichen Vorzügen ver­
stand, rühmte Gunthers Gemahlin um ihrer Schönheit willen.
Doch sagten die Klugen, die es besser wußten, man solle eher
Kriemhild vor Brünhild den Vorzug geben.

599 Mädchen und Frauen gingen aufeinander zu, alle schön ge­
schmückt. Seidene Unterstände und zahlreiche kostbare Zelte
waren über das ganze Feld vor Worms verteilt.

600 Die Verwandten des Königs drängten heran, und man forderte
die beiden Königinnen mit ihrem ganzen Gefolge auf, in den
Schatten zu gehen. Die Kämpfer aus dem Burgundenland führ­
ten sie dorthin.

601 Dann stiegen auch alle anderen Gäste aufs Pferd; und im ritter­
lichen Zweikampf prallten mächtige Speerstöße von den Schil­
den ab. In der Ebene wirbelte Staub auf, als wäre das Land in
Brand geraten. Dabei stellte sich heraus, wer ein guter Kämpfer
war.

602 Zahlreiche Mädchen schauten zu, was die Helden trieben. Man
sagt, Herr Siegfried sei mit seinen Begleitern sehr oft an den
Zelten vorbeigeritten. Er führte tausend stattliche Männer von
den Nibelungen mit sich.

603 Schließlich kam Hagen von Tronje, wie es ihm sein Herr befoh­
len hatte, und beendete mit freundlichen Worten das Ritter­
spiel, damit die anmutigen Damen vom Staub verschont blie­
ben. Höflich folgten die Gäste der Aufforderung.
198 10. AVENTIURE

604 Do sprach der herre Gemot: »diu ross nu lazet stan,


unz ez beginne chuolen; so sulen wir ane van
dienen schoenen wiben fur den palas wit.
so der chunic welle riten, daz ir bereite denne sit.«

60s Vor der vesperzite, do diu sunne nider gie


und ez begunde chuolen, niht langer man daz lie.
in die stat sich huoben man, magt und wip.
mit ougen wart getrutet vil maniger juncfrowen lip.

606 Da wart von guoten recken vil chleider ab geriten


von den hochgemuoten nach ir lande siten,
unz fur den palas witen der chunich da nider stuont.
da wart gedienet frowen, so helde hoch gemuote tuont.

607 Do wurden ouch gescheiden die riehen kunigin.


frou Uote und ouch ir tohter die giengen beide hin
und mit ir ingesinde in ein vil witez gadem.
do hört man allenthalben vil harte grozlichen chradem.

608 Gerihtet wart gesidele; der chunic wolde gan


ze tische mit den gesten. do sach man bi im stan
die schoenen Prunhilden, chrone si do truoch
in des chuniges lande, diu was spaehe und rieh genuoch.

609 Vil manic hergesidele mit guoten taveln breit


vol spise wart gesezzet, als uns daz ist geseit.
des si haben solden, wie wenich des gebrast!
do sach man bi dem kunige vil manigen herlichen gast.
D O PPE L H O C H Z E IT IN WORMS 199

604 Herr Gernot sagte: »Laßt die Pferde ausruhen, bis der kühle
Abend kommt; jetzt werden wir die schönen Frauen vor den
weiten Palas geleiten. Seid bereit, wenn der König losreitet.«

605 Gegen Abend, als die Sonne unterging und es kühler wurde,
wartete man nicht länger. Männer, Mädchen und Frauen mach­
ten sich zur Stadt auf. Mit zärtlichen Blicken wurden die vielen
jungen Damen betrachtet.

606 Bis der König vor dem weitläufigen Palas abstieg, ritten die
tüchtigen, stolzen Recken nach dem Brauch des Landes so oft
hin und her, daß zahlreiche Kleider durchgeritten wurden.
Dann stand man den Damen zu Diensten, wie es freudig ge­
stimmte Helden zu tun pflegen.

607 Anschließend mußten sich die mächtigen Königinnen trennen.


Frau Ute und ihre Tochter gingen beide mit ihrem Gefolge in
ein geräumiges Gemach. Dann hörte man überall großen
Lärm.

60« Tische und Bänke wurden aufgebaut; der König wollte mit sei­
nen Gästen speisen. Neben ihm stand die schöne Brünhild, die
jetzt die Krone in seinem Reich trug. Diese war überaus kunst­
voll und kostbar.

609 Wie uns berichtet wird, standen auch für das Gefolge viele
große, mit Speisen reich gedeckte Tafeln bereit. Was immer sie
sich wünschten, es fehlte ihnen an nichts. Bei dem König sah
man eine Menge vornehmer Gäste.
200 10. AVENTIURE

610 Des wirtes kameraere in pechen goldes rot


daz wazzer fur truogen. des waere luzzil not,
ob iu daz iemen seite, daz man diente baz
ze kuniges hochgeciten. ich geloube müeliche daz.

6i i E daz der vogt von Rine wazzer do genam,


do tet der herre Sivrit, als im do gezam.
er mant in siner triwe, wes er im verjach,
e daz er Prunhilde da heim in Islande sach.

612 Er sprach zuo dem chunege: »ja swuor mir iwer hant,
swenne daz frou Prunhilt chôme in dizze lant,
ir gaebt mir iwer swester. war sint die eide chomen?
ich han an iwer reise vil michel arebeit genomen.«

613 Do sprach der chunk riche: »ir habt mich reht ermant.
jane soi niht meineide werden des min hant.
ich wilz iu helfen fliegen, so ich beste chan.«
do hiez man Chriemhilde ze hove zuo dem chunige gan.

614 Mit ir schoenen meiden si chom fur den sal.


do spranch von einer stiegen Giselher zetal,
do hiez er wider wenden ir schoenen mägedin:
»niwan min swester eine diu soi mit uns ze hove sin.«

615 Do brahter sine swester, da man den chunk vant.


da stuonden ritter edele von maniger fürsten lant;
in dem sal enmitten hiez man si stille stan.
do was diu frowe Prunhilt an ir sedel nu gegan.
D O PPE L H O C H Z E IT IN WORMS 201

610 Die Kämmerer des Hofherrn brachten in rotgoldenen Becken


Wasser herbei. Es wäre ganz unzutreffend, wenn jemand euch
gegenüber behauptete, daß die Bewirtung auf irgendeinem
anderen königlichen Fest besser gewesen wäre. Ich jedenfalls
glaube das nicht.

611 Noch ehe der Herr vom Rhein zum Händewaschen kam, ver­
langte Siegfried, was ihm zustand. Er erinnerte Gunther an sein
Versprechen, das dieser ihm gegeben hatte, bevor er zu Brün-
hild nach Island gereist war.

612 Siegfried sagte zu dem König: »Mit eigener Hand habt ihr mir
geschworen, daß ihr mir eure Schwester gebt, wenn Frau Brün-
hild in dieses Land kommt. Wie steht es mit der Einlösung des
Eides? Ich habe auf eurer Reise große Mühe auf mich genom­
men.«

613 Darauf antwortete der mächtige König: »Ihr habt mich mit
Recht erinnert. Wahrhaftig, meine Hand soll nicht meineidig
werden. Ich will euch bei eurem Anliegen nach besten Kräften
helfen.« Dann ließ man Kriemhild an den Hof zum König
kommen.

614 Mit ihren schönen Mädchen trat sie vor den Saal. Giselher
sprang die Treppe hinunter und schickte ihr hübsches Gefolge
wieder fort: »Nur meine Schwester allein soll mit uns bei Hof
erscheinen.«

615 Dann führte er Kriemhild zum König. Dort standen edle Ritter
aus vielen Fürstentümern; und man bat sie, mitten im Saal
stehenzubleiben. Inzwischen war Frau Brünhild zu ihrem Sitz
gegangen.
202 10. AVENTIURE

616 Sine wesse niht der maere, waz man da wolde tuon.
do sprach zuo sinen magen der Danchrates suon:
»helfet mir, daz min swester Sivriden neme ze man.«
do sprachens al geliche: »si mag in wol mit eren han.«

617 Do sprach der chunic Gunther: »la dirz niht wesn leit,
min vil liebiu swester, und loese minen eit.
ich swuor dich eime recken, und wirdet er din man,
so hastu minen willen mit grozen triwen getan.«

618 Do sprach diu magt edele: »vil lieber bruoder min,


irn suit mich niht vlehen. ja wil ich immer sin,
swie ir mir gebietet, daz soi sin getan.
ich soi in loben gerne, den ir mir, herre, gebt ze man.«

619 Von lieber ougenweide wart Sivrides varwe rot.


ze dienest sich der meide do der recke bot.
man hiez si zuo ein ander in dem ringe stan
und vragtes, ob si wolde den vil waetlichen man.

620 In magtlichen zühten si schämte sich ein teil,


iedoch so was gelucke und Sivrides heil,
daz si in niht versprechen wolde da zehant.
ouch lobte si ze wibe der edel chunic von Niderlant.

621 Do si in gelobte und ouch er die meit,


güetlich umbevahen daz was da vil bereit
von Sivrides armen daz minnekliche chint.
nach siten wart gechusset diu schoene chuniginne sint.
D O P PE L H O C H Z E IT IN W ORMS 203

616 Sie hatte keine Ahnung, was man beabsichtigte. Da sprach


Dankrats Sohn zu seinen Verwandten: »Unterstützt mich, daß
meine Schwester Siegfried zum Mann nimmt.« Darauf ant­
worteten alle gleichermaßen: »Es ist eine Ehre für sie, ihn zu
nehmen.«

617 Gunther sagte zu Kriemhild: »Hoffentlich fällt es dir nicht


schwer, liebe Schwester, meinen Schwur einzulösen. Ich habe
dich eidlich einem Recken versprochen, wenn du ihn zum
Mann nimmst, dann erfüllst du treu meinen Willen.«

618 Da antwortete das adlige Mädchen: »Mein lieber Bruder, ihr


braucht mich nicht nachdrücklich zu bitten. Ich will ja erfül­
len, was ihr mir gebietet, das soll geschehen. Gern nehme ich
den zum Mann, den ihr, Herr, für mich bestimmt habt.«

619 Bei dem lieblichen Anblick errötete Siegfried. Der Recke bot
dem Mädchen seinen Dienst an. Man ließ beide nebeneinander
in den Ring treten und fragte Kriemhild, ob sie den stattlichen
Mann heiraten wolle.

620 In mädchenhafter Scheu schämte sie sich etwas. Doch das


Glücksgefühl und Siegfrieds Ausstrahlung bewirkten, daß sie
ihn keinen Augenblick lang zurückweisen wollte. Der edle Kö­
nig von Niederland gelobte nun auch seinerseits, sie zur Frau zu
nehmen.

621 Nachdem sie sich einander versprochen hatten, ließ sich das lie­
benswerte Mädchen gern von Siegfried umarmen. Dem Brauch
entsprechend küßte er dann die schöne Königin.
204 10. AVENTIURE

622 Sich teilte daz gesinde. als schiere daz geschach,


an daz gegensidele man Sivride sach
mit Chriemhilde sizzen. dar dient im manic man,
man sach die Nibelunge nach im an den sedel gan.

623 Ouch was der wirt gesezzen und Prunhilt diu meit.
do sach si Chriemhilde, do wart ir nie so leit,
bi Sivride sizzen. weinen si began,
ir vielen heize trähene über liehtiu wange dan.

624 Do sprach der wirt des landes: »waz ist iu, frowe min,
daz ir so lazet trüeben liehter ougen schin?
ir mohtet sanfter lachen, wan iu ist undertan
min lant unde riche burge und manic waetlicher man.«

625 »Ich mac wol balde weinen«, sprach diu schoene meit,
»umbe dine swester ist mir so grimme leit,
di sich ich sizzen nahn dem eigen holden din.
daz muoz mich immer riwen, und sol si also verstozen sin.«

626 Do sprach der chunich Gunther: »ir mugt wol stille dagn.
ich wil iu zandern eiten disiu maere sagn,
warumbe ich mine swester dem recken han gegebn.
ja mac si mit dem degene immer vroliche lebn.«

627 Si sprach: »mich jamert immer ir schoene und ouch ir zuht.


und wesse, ich war ich solde, ich hete gerne vluht,
daz ich iu nimmer wolde geligen nahen bi,
irn saget mir, wa von Chriemhilt diu wine Sivrides si.«

628 Do sprach der chunic riche: »ich tuonz iu wol bêchant:


er hat als wol burge als ich und witiu lant.
daz wizzet sicherlichen: er ist ein chunic rieh,
des gan ich im ze minnen die schoenen magt lobelich.«
D O PPE L H O C H Z E IT IN WORMS 205

622 Das Gefolge teilte sich. Sobald dies geschehen war, sah man
Siegfried und Kriemhild gegenüber von König Gunther Platz
nehmen. Dort verneigten sich viele, und die Nibelungen traten
huldigend an Siegfrieds Sitz heran.

623 Auch der Herr des Hofes und die jungfräuliche Brünhild nah­
men ihre Plätze ein. Als sie nun Kriemhild neben Siegfried
sitzen sah, empfand sie ein nie zuvor gefühltes Leid. Sie begann
so zu weinen, daß heiße Tränen über ihr helles Antlitz flössen.

624 Der Landesherr sagte zu ihr: »Was habt ihr, meine Herrin, daß
sich der Glanz eurer hellen Augen so trübt? Ihr solltet vielmehr
freundlich lachen, denn euch gehören nun mein Land, mäch­
tige Burgen und viele stattliche Männer.«

625 »Ich muß aber weinen«, antwortete das schöne junge Mädchen,
»deine Schwester tut mir so schrecklich leid, da ich sie neben
deinem Eigenmann sitzen sehe. Diesen Schmerz, daß sie so ent­
ehrt wird, werde ich nie verwinden.«

626 Da antwortete König Gunther: »Ihr könnt euch beruhigen. Ich


will euch später erklären, warum ich meine Schwester mit dem
Recken vermählt habe. Sie wird sicherlich mit diesem Kämpfer
immer glücklich leben.«

627 Doch Brünhild entgegnete: »Um ihre Schönheit und ihr


höfisches Wesen wird es mir immer leid tun. Wenn ich wüßte
wohin, würde ich am liebsten fliehen, um niemals mit euch
schlafen zu müssen, es sei denn, ihr sagt mir, warum Kriemhild
Siegfrieds Geliebte ist.«

628 Der mächtige König sprach: »Ich will es euch sagen: Wie ich
besitzt er Burgen und weite Länder. Dessen könnt ihr sicher
sein: Er ist ein mächtiger König, und darum habe ich ihm
meine schöne, verehrte Schwester zur Frau gegeben.«
206 10. AVENTIURE

629 Swaz ir der chunic sagete, si hete trüebïn muot.


do gahete von den tischen vil manic ritter guot;
ir buhurt wart so herte, daz al diu burch erdoz.
den wirt do bi den gesten da ze wesene verdroz.

630 Er daht, er laege sanfter der schoenen frowen bi;


do was er des gedingen niht in hercen vri,
im müeze von ir minne ein hohez liep geschehen,
er begunde vriuntliche an die magt dicke sehen.

631 Ir ritterschaft die geste hiez man do ab lan;


der chunic mit sime wibe ze bette wolde gan.
vor des sales stiegen die frowen schieden sich
in zuhten minnekliche, als ich wol verwaene mich.

632 Do chom ir ingesinde, die sumten sich des niht.


ir riehen chameraere, die brahten in diu lieht,
sich teilten do die recken, der zweier kunige man;
do sach man vil der degene dan mit Sivride gan.

633 Die herren chomen beide, al da si solden ligen.


do gedaht ir ieslicher mit minnen an gesigen
den minneklichen frowen; daz trost in wol den muot.
Sivrides kurzewile diu wart vil grozliche guot.

634 Do der herre Sivrit bi Chriemhilde lach,


und er so minnekliche der juneffowen pflach
mit sinen edeln minnen, si wart im so der lip.
daz chunde ouch si verdienen als ein tugende riche wip.

635 Ine sage iu niht mere, wie er der frowen pflach.


nu hoeret ouch disiu maere, wie Gunther gelach
bi der sinen brute, der vil maere degen
was vil dicke sanfter bi andern frowen gelegen.
D O PPE L H O C H Z E IT IN WORMS 207

62<j Was der König auch vorbrachte, Brünhilds Betroffenheit hielt


an. Inzwischen eilten viele edle Ritter von der Tafel weg; ihre
Kampfspiele wurden so heftig, daß der Waffenlärm in der
ganzen Burg widerhallte. Ungern blieb der Landesherr bei sei­
nen Gästen.

630 Er dachte, daß er lieber neben seiner schönen Frau läge; denn
im Herzen hoffte er, durch ihre Liebe große Freude zu erleben.
Er begann, Brünhild ständig liebevoll anzusehen.

631 Man bat die Gäste, die Ritterspiele zu beenden; denn der König
wollte mit seiner Frau zu Bett gehen. Vor dem Treppenaufgang
zum Saal verabschiedeten sich die Damen, den Anstandsregeln
entsprechend, freundlich, jedenfalls nehme ich das an.

632 Dann schloß sich ohne weitere Verzögerung ihr Gefolge an.
Ihre vornehmen Kämmerer brachten die Lichter. Die Recken
der beiden Könige teilten sich; und man sah viele Kämpfer mit
Siegfried fortgehcn.

633 Die beiden Herren gelangten nun zu ihrem Bett. Jeder von
ihnen stellte sich vor, wie er die Liebe seiner begehrenswerten
Frau erringen werde; das stimmte sie freudig. Siegfrieds Ver­
gnügen ließ denn auch nichts zu wünschen übrig.

634 Als Herr Siegfried bei Kriemhild lag und sich voller Liebe der
jungen Frau zuwandte, da wurde sie mit ihm eins. Wegen ihrer
großen Tugenden hatte sie dieses Glück verdient.

635 Ich erzähle euch nicht weiter, wie Siegfried mit Kriemhild die
Nacht verbrachte. Jetzt hört vielmehr davon, wie Gunther ne­
ben seiner Braut zu liegen kam. Der vielgerühmte Kämpfer
hatte schon oft angenehmer bei anderen Frauen gelegen.
208 10. AVENTIURE

636 Daz volch was im entwichen, frowen unde man,


do wart diu kemenate balde zuo getan.
er wände, er solde truten ir minneklichen lip.
ez was noch vil unnahen, e daz si wurde sin wip.

637 In sabenwizem hemede si an ein bette gie.


do daht der ritter edele: »nu han ihz allez hie,
des ich ie da gerte in allen minen tagn.«
si muos im durch ir schoene von grozen schulden wol behagn.

638 Diu lieht begunde bergen diu Guntheres hant.


do gie der chunic riche, da er die frowen vant.
er leite sich ir nahen, sin ffeude diu wart groz.
die vil minneklichen der heit mit armen umbesloz.

639 Minnekliche truten des chunder vil began,


ob im des diu frowe gegunnet wolde han.
do zurnde si so sere, daz in gemüete daz.
er wände vinden friunde; do vander vintlichen haz.

640 Si sprach: »ritter edele, ir sultez lazen stan;


des ir da habt gedingen, jane mages niht ergan.
ich wil noch magt beliben, ir suit wol wizzen daz,
unz ich diu rehten maere ervinde an allen dingen baz.«

641 Do rang er nach ir minne. daz was der frowen leit.


do greif nach eime gurtel diu herliche meit,
daz was ein starcher porte, den si alle eite truoch.
wie luzzil si dem kunige sines willen do vertruoch.

642 Die füeze und ouch die hende zesamne si im bant,


si truog in zeinem nagele und hieng in an die want,
daz enchunder niht erwenden; vil chreftich wart sin not.
ja het er von ir sterche vil nach gewunnen den tot.
D O PPE L H O C H Z E IT IN WORMS 209

636 Das Gefolge, Männer und Frauen, war hinausgegangen, alsbald


wurde die Kemenate verschlossen. Gunther hoffte, er könnte
nun die Liebenswerte umarmen. Doch es dauerte noch einige
Zeit, bis sie seine Frau wurde.

637 In einem Hemd aus feinem weißen Stoff trat sie an das Bett
heran. Da dachte der edle Ritter: »Nun habe ich alles, was ich
mir bisher in meinem ganzen Leben gewünscht habe.« Wegen
ihrer Schönheit mußte sie ihm unbedingt gefallen.

63» Gunther löschte eigenhändig alle Lichter. Dann ging der mäch­
tige König zu der Herrin. Er legte sich in höchst freudiger Er­
wartung nahe zu ihr. Der Held nahm die Liebenswerte in seine
Arme.

639 Jetzt hätte er ein Liebesspiel beginnen können, wenn die Herrin
es ihm gestattet hätte. Doch sie wurde so zornig, daß es ihn
erschreckte. Er hatte gehofft, eine Liebende zu finden; nun traf
er auf feindseligen Haß.

640 Sie sagte: »Edler Ritter, laßt das sein; worauf ihr hofft, dazu
wird es nicht kommen. Nehmt zur Kenntnis, daß ich meine
Jungfräulichkeit bewahren will, bis ich in jeder Hinsicht die
volle Wahrheit erfahre.«

641 Er aber wollte ihre Liebe erzwingen. Das verletzte die Herrin.
Die starke junge Frau griff nach einem Gürtel, einem kräftigen
Band, das sie ständig trug. Damit trieb sie dem König seinen
Willen aus.

642 Sie fesselte ihm Füße und Hände, dann trug sie ihn zu einem
Nagel und hängte ihn an die Wand. Er konnte es nicht verhin­
dern; seine Bedrängnis war groß. Tatsächlich wäre er durch ihre
Kraft beinahe zu Tode gekommen.
210 10. AVENTIURE

643 Do begunde vlegen der meister wande sin:


»nu loeset min gebende, vil edeliu kunigin.
ine trow iu, frowe, nimmer mit minnen an gesigen
und sol ouh harte selten iu so nahen mer geligen.«

644 Sine ruochte, wie im waere; wande si vil sanfte lach,


dort muoser allez hangen die naht unz an den tach,
unze daz der morgen durch diu venster schein.
des kuniges kurcewile was die wile harte chlein.

645 »Nu sagt mir, her Gunther, wer iu daz iht leit,
ob iuch gebunden funden«, so sprach diu schoene meit,
»die iwern kameraere von einer ffowen hant?«
do sprach der ritter edele: »daz wurde iu übel bewant.

646 Ouch hete ichs luzzel ere«, sprach der chüene man,
»durch iwer selber zuhte so lat mich zuo ziu gan.
sit daz iu min minne sint so grimme leit,
jane soi ich nimmer rüeren mit miner hant an iwer chleit.«

647 Do si daz gehörte, zehant si in verlie.


wider an daz bette er zuo der frowen gie,
er leite sich so verre, daz er ir schoene wat
niht mohte gereichen, des wolde ouch si do haben rat.

648 Do chom ir ingesinde und brahten in diu kleit,


der was in an dem morgen harte vil bereit,
swie man da gebarte, trurich was genuoch
der edel wirt des landes, swier des tages chrone truoch.

649 Nach siten, der si pflagen unde man durch reht begie,
der chunk mit siner frowen niht langer daz enlie,
si chomen zuo dem münster, da man die messe sanch.
ouch chom der herre Sivrit; sich huop da grozlich gedranch.
D O PPE L H O C H Z E IT IN WORMS 211

643 Daraufhin begann er, der ihr Meister hatte sein wollen, sie an­
zuflehen: »Nun löst meine Fesseln, hochedle Königin. Ich wage
es nicht mehr, Herrin, eure Liebe zu erringen, und ich werde
mich auch nicht mehr so dicht neben euch legen.«

644 Sie kümmerte sich nicht darum, wie es ihm ging: denn sie lag
sehr bequem. Er aber mußte die ganze Nacht dort hängen bis
zum nächsten Tag, als das Morgenlicht durch das Fenster
schien. Das Vergnügen des Königs in der Zwischenzeit war
nicht gerade groß.

645 »Nun sagt mir, Herr Günther«, sprach das schöne Mädchen,
»wäre es nicht eine Schmach für euch, wenn euch eure Käm­
merer gefesselt hier fänden und das von einer Frau?« Da ant­
wortete der edle Ritter: »Das würde euch schlecht bekommen.

646 Außerdem würde mein Ansehen dadurch geschädigt«, sagte der


kühne Mann, »laßt mich um eurer Ehre willen zu euch kom­
men. Da euch meine Liebe so sehr zuwider ist, werde ich mit
meiner Hand nie mehr auch nur euer Kleid berühren.«

647 Als sie das hörte, ließ sie ihn sofort frei. Er ging wieder zu der
Herrin ans Bett, legte sich aber so weit ab von ihr, daß er ihr
schönes Gewand nicht erreichen konnte. Genauso verlangte sie
es auch.

648 Dann kam ihre Dienerschaft und brachte die Kleider, die ihnen
für den Morgen bereitgelegt wurden. Wie fröhlich es sonst auch
zuging, der edle Landesherr war äußerst bedrückt, obwohl er
an diesem Tag in fesüichem Aufzug die Krone trug.

649 So wie es Brauch und Recht des Landes geboten, betrat der
König mit seiner Gemahlin unverzüglich das Münster, wo man
die Messe feierte. Auch Herr Siegfried kam dorthin, und es ent­
stand ein dichtes Gedränge.
212 10. AVENTIURE

650 Nach chunichlichen eren was in dar bereit,


swaz si habn solden, ir chrone und ouch ir gekleit.
do wurden si gewihet. do daz was getan,
do sah mans alle viere under chrone lobeliche stan.

651 Vil knappen swert da namen, vier hundert oder baz,


den kunigen zen eren, ir suit gelouben daz.
sich huop vil michel freude in des kuniges lant.
man horte schefte bresten an der swertdegene hant.

652 Do sazen in den venstern diu schoenen magedin.


si sahen vor in glesten vil maniges Schildes schin.
do het sich gesundert der chunic von sinen man.
swes anders iemen pflaege, man sah in trurende stan.

653 Im und Sivride ungeliche stuont der muot.


wol wesse sine swaere der chüene degn guot,
do gienger zuo dem kunige, vragen er began:
»wie ist iu hint gelungen? des wolt ich gerne chunde han.«

654 Do sprach der wirt zem gaste: »ich chlag iu minen schaden,
ich han den ubeln tiufel heim ze hus geladen.
do ich si wände minnen, vil sere si mich bant.
si truog mich zeime nagele und hie mich hohe an ein want.

655 Da hieng ich angestlichen die naht unz an den tac,


e daz si mich enbunde; unsanfte si min pflac.
daz soi iu friwentliche uf genade sin gechleit.«
do sprach der herre Sivrit: »daz ist mir grozliche leit.
D O PPE L H O C H Z E IT IN W ORMS 213

650 Was das königliche Zeremoniell vorschrieb, war vorbeibereitet,


ihre Krone und ihre Gewänder. Dann empfingen sie den kirch­
lichen Segen. Als das geschehen war, sah man sie alle vier
ruhmvoll unter ihrer Krone dastehen.

651 Viele Knappen, vierhundert oder mehr, feierten den Königen


zu Ehren ihre Schwertleite, das könnt ihr mir glauben. Große
Freude erfüllte das ganze Land des Königs. Von der Hand der
jungen Ritter hörte man Lanzenschäfte bersten.

652 In den Fensternischen saßen die schönen Mädchen. Sie sahen


vor sich viele glänzende Schilde funkeln. Der König aber hatte
sich von seinem Gefolge abgesondert. Ganz gleich, womit sich
die anderen unterhielten, er stand bedrückt da.

653 Ihm war ganz anders zumute als Siegfried. Sobald der kühne
Kämpfer Gunthers Niedergeschlagenheit bemerkte, ging er
zum König und fragte: »Wie ist es euch heute nacht ergangen?
Das wüßte ich gern.«

654 Der Herr des Hofes antwortete dem Gast: »Ich beklage meine
Niederlage vor euch. Ich habe mir den bösen Teufel ins Haus
geholt. Als ich mit ihr schlafen wollte, hat sie mich an Händen
und Füßen gefesselt. Brünhild trug mich zu einem Nagel und
hängte mich oben an die Wand.

655 Dort hing ich voller Angst die ganze Nacht bis zum Tagesan­
bruch, bevor sie mich wieder losband; schrecklich hat sie mich
behandelt. Das klage ich euch als meinem Freund im Ver­
trauen.« Darauf sagte der Herr Siegfried: »Das tut mir außer­
ordentlich leid.
214 IO. AVENTIURE

656 Des bringe ich iuch wol innen, und lat irz ane nit.
ich schaffe, daz si noch hint so nahen bi iu geht,
so daz si iuch ir minne gesumet nimmer mer.«
der rede was do Gunther nach sinen arebeiten her.

657 »Nu schowe mine hende, wie di geswollen sint;


die twanc si mir so sere, als ob ich waere ein kint,
daz mir bluot zen nagelen allenthalben dranch.
ich het ze mime lebene harte chleinen gedanch.«

658 Do sprach der starche Sivrit: »du mäht noch wol genesn.
uns zwein ist ungeliche hinte gewesn.
mir ist din swester Chriemhilt als min selbes lip.
ez muoz diu frowe Prunhilt noch hinte werden din wip.

659 Ich chum ze naht vil tougen zer kemenate din


in miner tarnkappen, des soltu sicher sin.
so daz sich miner liste mach niemen wol verstan,
so heiz die kameraere zuo zir herbergen gan.

660 So lesche ouch ich den kinden diu lieht an der hant.
bi disem Wortzeichen soi dir sin bêchant,
daz ich bi dir si nahen, ja twing ich dir din wip,
daz du si hint minnest, oder ich verliuse den lip.«

661 »Ane daz du iht trutest«, sprach der chunk do,


»die mine lieben frowen, anders bin ich vro,
so tuo ir swaz du wellest, und naemstu ir den lip,
daz solde ich wol verchiesen; si ist ein ungehiurez wip.«
D O PPE L H O C H Z E IT IN WORMS 215

656 Wenn ihr ohne Mißtrauen zustimmt, bringe ich das für euch in
Ordnung. Ich werde es schaffen, daß ihr noch heute nacht so
nahe bei ihr liegt, daß sie euch ihre Liebe nicht länger verwei­
gert.« Diese Rede tat Gunther nach seiner Demütigung gut.

657 »Sieh nur, wie geschwollen meine Hände sind; sie hat sie mir
derart zusammengedrückt, als ob ich ein hilfloses Kind wäre,
so daß mir überall Blut unter den Nägeln hervordrang. Ich
hatte wenig Hoffnung zu überleben.«

658 Da sprach der starke Siegfried: »Dir kann geholfen werden. Uns
beiden ist es letzte Nacht ganz unterschiedlich ergangen. Ich
liebe deine Schwester wie mein eigenes Leben. Noch heute
nacht muß Brünhild deine Frau werden.

659 Ich komme nachts heimlich mit meiner Tarnkappe in deine


Kemenate, darauf kannst du dich verlassen. Damit niemand
meine Zauberkunst beobachtet, laß die Kämmerer in ihre
Schlafräume gehen.

660 Dann lösche ich auch noch die Lichter in der Hand der jungen
Diener. An diesem Zeichen sollst du merken, daß ich in deiner
Nähe bin. Anschließend bezwinge ich deine Frau für dich, so
daß du heute nacht mit ihr schlafen kannst, andernfalls verliere
ich mein Leben.«

661 Der König antwortete: »Unter der Bedingung, daß du nicht


selbst meine Frau liebend umarmst, stimme ich gern zu, und
du kannst mit ihr machen, was du willst. Sogar wenn du ihr das
Leben nähmest, würde ich das verschmerzen; denn sie ist eine
furchtbare Frau.«
216 10. AVENTIURE

662 »Daz nim ich«, so sprach Sivrit, »uf die triwe min,
daz ich ir niht enminne. diu schoene swester din
diu ist mir vor in allen, die ich noch ie gesach.«
des frowete sich do Gunther, do daz Sivrit gesprach.

663 Da was von churzewile in gedrange not.


den buhurt unde schallen allez man verbot,
da die frowen solden in den palas gan;
do hiezen die kameraere die liute von dem wege stan.

664 Von rossen und von Hüten gerumet was der hofe.
der frowen iesliche fuort ein bisscofe,
do si vor den kunigen ze tische solden gan.
in volgte zuo dem sidele vil manic recke wolgetan.

665 Der chunk in guotem wane bi sime wibe saz.


daz im gelobte Sivrit, wol gedahter an daz.
der eine tac in duhte wol drizzech tage lanc.
an Prunhilde minne stunde im aller sin gedanc.

666 Wander erbeite chume, daz man ze naht von tische gie.
die schoenen Prunhilde man do chomen lie
und ouch Chriemhilde, si bede an ir gemach.
hey, waz man chüener degene bi den schoenen frowen sach!

667 Sivrit unde Chriemhilt ie baz unde baz


durch liebe ein ander truten, ir suit gelouben daz.
swaz si im gedienen chunde, wie luzzil si des liez,
do muos ouch leisten Sivrit, alser Gunther gehiez.

668 Er stal sich von den frowen. vil tougen chom er dan,
da er vil kameraere vant mit liehten stan,
diu begunder leschen den chinden an der hant.
daz ez Sivrit waere, daz wart do Gunther bêchant.
D O PPE L H O C H Z E IT IN WORMS 217

662 »Ich verspreche bei meiner Treue«, sagte Siegfried, »daß ich
nicht mit ihr schlafe. Deine schöne Schwester liebe ich mehr als
alle anderen, die ich jemals vorher gesehen habe.« Gunther
freute sich darüber, als Siegfried das sagte.

663 Da gerieten sie in das Gedränge, das durch die Ritterspiele ent­
standen war. Als die Damen in den Palas gehen sollten, unter­
sagte man das Spiel und den Lärm ganz; die Kämmerer forder­
ten die Leute auf, aus dem Weg zu gehen.

664 Auf dem Hof waren bald keine Pferde und keine Leute mehr.
Jede der beiden Damen wurde vor den Augen der Könige von
einem Bischof zu Tisch geführt. Viele stattliche Helden folgten
ihnen zu den Sitzen.

665 Der König saß in freudiger Hoffnung neben seiner Frau. Er


dachte an das, was Siegfried ihm versprochen hatte. Der eine
Tag kam ihm so lang vor wie ein ganzer Monat. Alle seine Ge­
danken richteten sich auf seinen Liebeserfolg bei Brünhild.

666 Kaum konnte er erwarten, daß man zur Nacht die Tafel aufhob.
Die schöne Brünhild und auch Kriemhild ließ man beide in
ihre Gemächer gehen. Wie viele kühne Kämpfer sah man bei
den schönen Damen!

667 Siegfried und Kriemhild umarmten sich in Liebesfreude immer


stärker, das sollt ihr glauben. Sie tat alles, was ihn erfreuen
konnte. Doch dann mußte Siegfried einlösen, was er Gunther
versprochen hatte.

668 Er stahl sich von seiner Frau weg. Ganz heimlich näherte er sich
den vielen Kämmerern mit den Lichtern, er löschte sie den
Knaben in der Hand aus. Daran merkte Gunther, daß Siegfried
da war.
218 10. AVENTIURE

669 Wol wesser waz er wolde. do hiez er dannen gan


mägede unde frowen. do daz wart getan,
er besloz mit vlize selbe do die tür.
starcher rigele zwene die warfer snelle der für.

670 Diu lieht verbarger schiere under die bettewat.


eines spils begunde, des was do niht rat,
Sivrit der vil starche und ouch diu schoene meit.
daz was do dem chunige beide lieb unde leit.

671 Der heit sich leite nahen der juncfrowen bi.


si sprach: »nu lat ez, Gunther, als liep als iu daz si,
daz ir niht arebeite lidet alsam e.«
sit getet diu frowe dem chunige Sivride we.

672 Do hal er sine stimme, daz er niht ensprach.


der kunic ez allez horte, swie er sin niht ensach,
daz heimlicher dinge von in da niht geschach.
si heten an dem bette harte kleinen gemach.

673 Er gebarte, sam ez waere Gunther der chunic rieh:


er umbesloz mit armen die magt lobelich.
si warfen uz dem bette dabi uf einen banch,
daz im sin houbet lute an eime scamel erchlanch.

674 Wider uf mit chreftin spranch der vil snelle man,


er woldez baz versuochen. do er des began,
daz ers im wolde twingin, dem erz gelobet e,
solch wer deheiner frowen, waen ich, immer mer erge.

675 Do er niht wolde erwinden, diu magt balde uf spranch.


»im suit mir niht zefüeren min hemede also blanch
mit iwer groz unfuoge, wandez ist mir leit.
des bringe ich iuch wol innen«, sprach do diu minneklichiu meit.
D O PPE L H O C H Z E IT IN WORMS 219

669 Er wußte wohl, was Siegfried wollte, und befahl den Mädchen
und Frauen sich zurückzuziehen. Als das geschehen war, ver­
schloß er selbst geflissentlich die Tür. Zwei starke Riegel schob
er eilig davor.

670 Die Lichter verbarg er schnell unter dem Bettzeug. Unaus­


weichlich begannen nun der starke Siegfried und das schöne
Mädchen ein Spiel. Der König war dabei zwischen Freude und
Angst hin- und hergerissen.

671 Der Held legte sich nahe neben die junge, unberührte Frau. Sie
sprach: »Nun laßt das, Gunther, wenn ihr nicht wollt, daß ihr
in solche Bedrängnis kommt wie gestern.« Danach fügte die
Herrin dem König Siegfried Schmerzen zu.

672 Der aber hielt seine Stimme zurück, so daß er kein Wort sprach.
Obwohl er Siegfried nicht sehen konnte, hörte König Gunther
genau, daß es zu keinen Vertraulichkeiten kam. Sie fanden im
Bett nur wenig Annehmlichkeit.

673 Siegfried benahm sich, als wäre er der mächtige König Gunther:
Er schloß das ruhmreiche junge Mädchen in die Arme. Sie warf
ihn aus dem Bett auf eine Bank, die daneben stand, so daß sein
Kopf laut auf einen Schemel schlug.

674 Kraftvoll sprang der gewandte Mann wieder auf, um es mit bes­
serem Erfolg noch einmal zu versuchen. Als er sie für den, dem
er es versprochen hatte, gefügig machen wollte, setzte sich
Brünhild derart zur Wehr, wie es, glaube ich, nie wieder eine
Frau tun wird.

675 Da er nicht daran dachte aufzugeben, sprang die junge Frau so­
fort wieder auf. »Laßt das, so gewaltsam an meinem weißen
Hemd zu zerren, denn es tut mir weh. Das werde ich euch
heimzahlen«, sagte das begehrenswerte junge Mädchen.
220 10. AVENTIURE

676 Mit ir vil starchen armen besloz si den degen.


do wolde si in gebunden alsam den kunic legen,
daz si an ir bette mohte habn gemach.
daz er ir wat zerftierte, diu frowe ez grozliche rach.

677 Waz half sine groziu sterche und ouch sin michel chraft?
si erzeigete wol dem degene ir libes meisterschaft.
si truog in mit gewalte, da wart ir eilen schin,
und truchtin ungefuege zwischen der wende und einen schrin.

678 »Owe«, gedaht der recke, »sol ich nu minen lip


von einer magt Verliesen? so mugen elliu wip
her nach immer mere hohe tragen den muot,
so versuochtet ez vil mänegiu, diu ez sus nimmer getuot.«

679 Do schämte sich vil sere der vil chüene man,


ob ir gelinge solde, zürnen er began.
mit ungefüeger chrefte sazter sich ir wider,
er versuochtez angestlichen an der chuniginne sider.

680 Swie vaste si uf im laege, sin zorn in do twanch


und ouch sin starchez eilen, daz er an ir danch
sich wider uf gerihte. sin angest diu was groz.
si taten in dem gademe her und dar vil manigen stoz.

681 Ouch was der chunk Gunther niht an angest gar.


er muose dicke wenchen vor in her und dar.
si rungen also starche, daz ez groz wunder was,
daz ir ieslichez vor dem andern ie genas.

682 Den kunich müete sere beidenthalp diu not,


doch vorhter michels mere den Sivrides tot;
wände si het dem degene den lip nach benomen.
wan daz er niht getorste, er waere ze helfe im gerne chomen.
D O PPE L H O C H Z E IT IN WORMS 221

676 Mit ihren starken Armen umklammerte sie den Kämpfer. Dann
wollte sie ihn fesseln wie in der Nacht zuvor den König, damit
sie in ihrem Bett Ruhe hätte. Daß er ihr Gewand zerriß, rächte
die Herrin gewaltsam.

677 Was halfen Siegfried seine große Stärke und seine ungeheure
Kraft? Sie erwies sich dem Kämpfer gegenüber körperlich über­
legen. Sie hob ihn mit Gewalt hoch, daran wurde ihre Kraft
offenbar, und preßte ihn heftig zwischen die Wand und einen
Schrank.

678 »O weh«, dachte der Recke, »wird mir jetzt ein junges Mädchen
mein Leben nehmen? Wenn das geschieht, können künftig alle
Frauen übermütig werden, und viele, die es sonst niemals ver­
sucht hätten, werden sich ebenso verhalten.«

679 Für den tapferen Mann war der Gedanke, daß sie ihn bezwin­
gen könnte, sehr beschämend. Er geriet in Zorn, Mit ungeheu­
rer Kraft setzte er sich gegen sie zur Wehr Dann versuchte er in
großer Bedrängnis, die Königin zu überwältigen.

680 Obwohl sie ganz fest auf ihm lag, gaben ihm sein Zorn und sein
großer Kampfeifer doch die Kraft, sich gegen ihren Willen wie­
der aufzurichten. Seine Bedrängnis war groß. Sie stießen sich
in dem Gemach viele Male hin und her.

681 Auch König Gunther geriet in Angst. Er mußte oft vor den
beiden hierhin und dorthin ausweichen. Sie rangen so heftig
miteinander, daß es geradezu ein Wunder war, daß einer vor
dem anderen mit dem Leben davonkam.

682 Der König ängstigte sich für beide Seiten, aber am meisten
fürchtete er Siegfrieds Tod; denn es war nahe daran, daß Brün-
hild ihm das Leben genommen hätte. Gern wäre Gunther ihm
zu Hilfe geeilt, doch er wagte es nicht.
222 10. AVENTIURE

683 Ja werte harte lange under in der strit.


doch braht er die frowen wider an daz bette sit,
swie vaste si sich werte, ir wer wart ze jungest chranch.
der chunic in sinen sorgen hete manigen gedanch.

684 Ez duhte in harte lenge, e daz er si betwanch.


si drucht im sine hende, daz uz den nageln spranch
daz bluot im von ir chreften. daz was dem helede leit.
sit brahter an ein lougen die vil herlichen meit

685 Ir ungefüeges willen, des si e da jach.


der chunich iz allez horte, swier doch niht ensprach.
er druchtes an daz bette, daz si vil lut erschre;
ir taten sine chrefte do vil grozlichen we.

686 Do greif si nach dem porten, da si den ligen vant,


und wold in da mit binden; do wert ez so sin hant,
daz ir diu lit erchrachten. do verzagt ir lip,
des wart der strit gescheiden. do wart si Guntheres wip.

687 Si sprach: »kunic edele, ir suit mich lebn lan.


ez wirt vil wol versüenet, swaz ich iu han getan,
ich gewer mich nimmer mere der edeln minne din,
wand ich han wol erfunden, daz du chanst frowen meister sin.«

688 Sivrit der stuont dannen, ligen liez er die meit,


sam er von sinem libe ziehen wolt diu chleit.
er nam ir e ein vingerlin von golde wol getan,
daz wolde got von himele, daz er daz hete verlan!
D O PPE L H O C H Z E IT IN WORMS 223

683 Wahrlich, der Kampf zwischen den beiden dauerte sehr lange.
Doch gelang es Siegfried, die Herrin schließlich wieder zum
Bett zurückzubringen. Wie heftig sie sich auch wehrte, so ließ
ihr Widerstreben zuletzt doch nach, ln seiner Bedrängnis ging
dem König vieles durch den Kopf.

684 Es kam ihm sehr lange vor, bis Siegfried sie bezwungen hatte.
Sie preßte seine Hände derart, daß ihm durch ihre Kraft das
Blut aus den Nägeln sprang. Das setzte dem Helden zu. Dann
aber brachte er das starke junge Mädchen dazu,

685 ihren ungeheuren Widerstand entgegen ihrer früheren Absicht


aufzugeben. Der König hörte das alles, sagte aber selbst kein
Wort. Siegfried preßte Brünhild auf das Bett, so daß sie laut
aufschrie; denn er fügte ihr mit seinen Kräften starke Schmer­
zen zu.

686 Sie griff nach dem Gürtel, der dort lag, und wollte Siegfried
binden; doch er wehrte sich derart, daß ihre Glieder fest bra­
chen. Da verzagte sie, deshalb fand der Kampf ein Ende. Dann
wurde Brünhild Gunthers Frau.

687 Sie sagte: »Edler König, laßt mich am Leben. Ich will wieder­
gutmachen, was ich euch angetan habe. Nie mehr werde ich
mich gegen dein Liebesbegehren wehren, denn ich habe sehr
wohl erkannt, daß du eine Frau bezwingen kannst.«

688 Siegfried ließ das junge Mädchen liegen, er stand abseits und
tat so, als wollte er sich ausziehen. Vorher streifte er ihr einen
schönen goldenen Ring vom Finger. Wollte Gott im Himmel, er
hätte das nicht getan!
224 10. AVENTIURE

689 Dar zuo nam er ir gurtel, daz was ein porte guot.
ine weiz, ob er daz taete durch sinen hohen muot.
er gab ez sime wibe; daz wart im sider leit.
do lagen bi ein ander Gunther und Prunhilt diu meit.

690 Er pflag ir minnekliche, als in daz beiden zam.


do muoste si verchiesen ir zorn und ouch ir schäm.
von siner heinliche si wart ein luzzil bleich.
hey, waz ir von der minne ir vil grozen chrefte entweich!

691 Done was ouch si niht stercher dann ein ander wip.
er trute vil minneldiche den ir vil schoenen lip.
ob siz versuochte mere, waz chunde daz vervan.
daz het ir der kunic Gunther mit sinen minnen getan.

692 Wie rehte minnekliche si im nahen lac


mit vriuntlicher liebe unze an den liehten tac!
ouch was der herre Sivrit nu hin wider gegan,
da warder wol enpfangen von einer frowen wolgetan.

693 Er understunt ir vrage, der si doch hete muot,


und hal siz harte lange, der chüene degn guot.
diz chleinoet er ir da heime doch ze jungest gap.
daz frumte vil der degene mit samt im selben in daz grap.

694 Der wirt wart an dem morgen verre baz gemuot,


denner da vor waere. des wart diu fröude guot
in allen sinen landen von manigem hohen man.
die er zuo huse ladete, den wart do dienste vil getan.

695 Diu hochgecite do werte unz an den zwelften tac,


daz in al der wile der seal da nie gelac
von aller hande vreuden, der iemen solde pflegen,
do wart des chuniges choste vil harte hohe gewegen.
D O PPE L H O C H Z E IT IN WORMS 225

689 Außerdem nahm er ihren Gürtel, ein besonders schönes Band.


Ich weiß nicht, ob er das aus Übermut tat. Beides schenkte er
seiner Frau; aber das wurde ihm später zum Verhängnis. Nun
lagen Gunther und die jungfräuliche Brünhild beieinander.

690 Er umarmte sie liebevoll, wie es für sie beide angemessen war.
Sie mußte nun ihren Zorn und ihre Scheu aufgeben. Von seiner
Liebeserfüllung wurde sie ganz blaß. Was für ein Triumph,
durch den Liebesakt verlor sie ihre große Kraft!

691 Daraufhin war sie nicht stärker als jede andere Frau. Er um ­
armte liebevoll ihren schönen Körper. Wenn sie noch weiter
versucht hätte, Widerstand zu leisten, hätte es ihr nichts
genützt. Das hatte Gunther mit seiner Liebe bewirkt.

692 Wie liebevoll lag sie nahe bei ihm bis zum Tagesanbruch! Sieg­
fried war inzwischen wieder weggegangen und wurde von sei­
ner schönen Frau freundlich empfangen.

693 Auf die Frage, die sie ihm zu stellen wagte, ging er nicht ein,
und seine Geschenke verbarg der kühne, edle Kämpfer lange
vor ihr. Zu Hause gab er ihr das Kleinod schließlich doch.
Dadurch brachte er viele Kämpfer und sich selbst ins Grab.

694 Der Landesherr war am Morgen wesentlich besser gestimmt als


am Vortag. Darüber freuten sich viele vornehme Männer in
allen seinen Ländern. Den Gästen, die er zu sich eingeladen
hatte, wurde viel Dienstbereitschaft entgegengebracht.

695 Das Fest dauerte zwölf Tage, und in der ganzen Zeit ver­
stummte der Lärm von allerlei fröhlicher Unterhaltung für
die Gäste nicht. Man muß annehmen, daß die Unkosten des
Königs außerordentlich hoch waren.
226 10. AVENTIURE

696 Des edeln wirtes mage, als ez der kunic gebot,


si gaben richiu chleider, dar zuo daz golt vil rot,
ross und dar zuo silber vil manigem varnden man.
die gäbe nemen wolden, die schieden vrolichen dan.

697 Sivrit der herre uzer Niderlant


mit tusint sinen recken allez daz gewant,
daz si ze Rine brahten, daz wart gar hin gegebn,
und ouch diu ross mit sätelen. si chunden miltekliche lebn.

698 E man die riehen gäbe alle da verswanch,


die wider ze lande wolden, die duhte des ze lanch.
ezn wart nie geste mere baz gepflegen.
sus endet sich diu hochgecit, daz wolde Gunther der degen.
D O PPE L H O C H Z E IT IN WORMS 227

696 Die Verwandten des edlen Landesherrn verschenkten auf Ge­


heiß des Königs kostbare Kleider, rotes Gold, Pferde und auch
Silber an das fahrende Volk. Wer auf Geschenke aus war, zog
fröhlich von dannen.

697 Siegfried, der Herr aus Niederland, und seine tausend Helden
gaben alle Gewänder aus der Hand, die sie an den Rhein mitge­
bracht hatten, außerdem die Pferde mit den Sätteln. Sie erwie­
sen sich als äußerst freigebig.

698 Denen, die wieder in ihr Land zurückkehren wollten, erschien


es zu lange, bis man alle kostbaren Gaben verteilt hatte. Nie­
mals wurden Gäste besser versorgt. So ging das Fest ganz nach
dem Willen Gunthers, des Kämpfers, zu Ende.
11. A V EN T IU R E
A V EN T IU R E W IE S IV R IT SIN W I P H E IM Z E L A N D E F U O R T E
U N D W IE SI D A H E IM E B R U T E N

699 Sun der Sigemundes mit guotlichem site


sprach zuo sinen heleden: »tuot des ich iuch bite:
nu bereit uns die moere; ja wil ich in min lant.«
liep was ez sime wibe, do si diu maere an im ervant.

700 Si sprach zuo dem herren: »sit wir von hinnen varn,
daz ich so harte gahe, daz heiz ich wol bewam.
mir suln e mine brüeder teilen mit diu lant.«
leit was ez Sivride, do erz an Chriemhilt ervant.

701 Die fürsten zuo zim giengen und sprachen alle dri:
»nu wizzet daz herre Sivrit, daz iu immer si
mit triwen unser dienest bereit unz in den tot.«
des neiger do den degenen, do manz im so wol erbot.

702 »Wir suln ouch mit iu teilen«, sprach Giselher daz kint,
»lant unde burge, die unser eigen sint.
swaz der witen erbe uns ist undertan,
der suit ir teil vil guoten mit samt Chriemhilde han.«

703 Zu sinen chonemagen do der recke sprach,


do er den guoten willen an den herren sach:
»got laze iu iwer erbe immer saelic sin
und ouch die liute drinne. ja tuot diu wine min
11. A V EN T IU R E
W I E S IE G F R IE D SEIN E FRAU IN SEIN R E IC H F Ü H R T E
U N D W I E SIE D O R T H O C H Z E I T F E IE R T E N

699 Siegmunds Sohn sagte mit höfischem Anstand zu seinen Hel­


den: »Tut, worum ich euch bitte: Stellt nun die Pferde bereit;
denn ich will in mein Land zurückkehren.« Seine Frau freute
sich, als sie das von ihm hörte.

700 Sie sprach zu dem Herrn: »Da wir nun von hier fortziehen,
möchte ich nichts übereilen. Vorher sollen meine Brüder mir
mein Erbteil an den Ländern geben.« Siegfried war Kriemhilds
Ansinnen nicht recht.

701 Die Fürsten traten alle drei an ihn heran und sagten: »Ihr sollt
wissen, Herr Siegfried, daß wir euch bis zum Tode immer treu
zu Diensten bereit sein werden.« Als sie dieses freundliche An­
gebot aussprachen, verneigte sich Siegfried vor den Kämpfern.

702 Der junge Giselher fügte hinzu: »Wir werden Land und Burgen,
die unser Eigen sind, mit euch teilen. Von dem, was wir an wei­
ten Erblanden besitzen, sollt ihr und Kriemhild einen beträcht­
lichen Teil erhalten.«

703 Als er die Absicht der Herren vernahm, sagte der Held zu den
Verwandten seiner Frau: »Gott möge euer Erbland und seine
Bewohner stets wohl beschützen. Wahrlich, meine liebe Frau
230 11. AVENTIURE

704 Des teiles wol ze rate, den ir ir woldet gebn.


da si da sol tragen chrone, und suln wir daz gelebn,
si muoz werden richer dann iemen lebender si.
swaz ir sus gebietet, sten ich iu dienstlichen bi.«

705 Do sprach diu frowe Chriemhilt: »habt ir der erbe rat,


umbe Buregonden degene ez so lihte niene stat;
sine muge ein chunich gerne füeren in sin lant.
ja sol si mit mir teilen miner lieben bruoder hant.«

706 Do sprach der herre Gernot: »nu nim dir, swen du wil.
die mit dir gerne riten, der vindestu vil.
von drizech hundert recken so habe dir tusint man,
die sin din heimgesinde.« daz was ir liebe getan.

707 Si bereite sich zir verte, als ir vil wol gezam.


ir edeln ingesindes frou Chriemhilt do nam
zwo und drizzech mägede, dar zuo fünfhundert man.
Eckewart der grave fuor mit siner ffowen dan.

708 Urloup si alle namen: beide ritter unde kneht,


mägede unde frowen, daz was vil michel reht.
mit chussen gescheiden wurden si zehant,
si rumten minnekliche do der Buregonden lant.

709 Do beleiten si ir mage vil verre uf den wegen,


man hiezin allenthalben ir nahtselde legen,
swa si si gerne namen, durch der chunige lant.
do wurden boten balde dem kunige Sigemunt gesant,
SIEG FR IED UN D K R IE M H ILD IN XANTEN 231

704 wird sicher auf den Teil verzichten, den ihr ihr geben wollt.
Dort, wo sie die Krone tragen wird, ist sie zu meinen Lebzeiten
reicher als irgend jemand sonst auf der Welt. Bei allem, was ihr
im übrigen tun wollt, unterstütze ich euch mit meinen Dien­
sten.«

705 Frau Kriemhild aber entgegnete: »Wenn ihr auf meine Erblande
verzichtet, könnt ihr das mit den burgundischen Kämpfern
nicht so ohne weiteres machen; die müßte ein König doch gern
mit in sein Land nehmen. Meine lieben Brüder sollen sie unbe­
dingt mit mir teilen.«

706 Darauf sagte Herr Gernot: »Nun nimm mit, wen du willst. Du
wirst viele finden, die dich gern begleiten. Von dreitausend
Recken kannst du tausend Mann haben, die sollen dein Hof­
staat sein.« Das sagte er aus Freundlichkeit zu ihr.

707 Wie es sich geziemte, bereitete sie sich auf ihre Reise vor. Von
ihrem adligen Gefolge nahm Frau Kriemhild zweiunddreißig
Mädchen und fünfhundert Mann mit. Graf Eckewart zog mit
seiner Herrin fort.

70« Alle verabschiedeten sich: Ritter und Knappen, Mädchen und


Frauen, das entsprach der Sitte. Mit Küssen trennten sie sich
schließlich und verließen in Freundschaft das Land der Bur­
gundern

709 Ihre Verwandten begleiteten sie noch weit auf dem Weg. Über­
all im Land des Königs, wo sie gern Halt machen wollten, ließ
man ihnen Unterkünfte für die Nacht vorbereiten. Dann wur­
den Boten zu König Siegmund geschickt,
232 11. AV EN TIU RE

710 Daz er daz wizzen solde und ouch Sigelint,


daz Sivrit chomen wolde und ouch frown Uoten kint,
Chriemhilt diu vil schoene, von Wormez über Rin.
done künden in diu maere nimmer lieber gesin.

711 »Nu wol mich«, sprach do Sigemunt, »daz ich gelebt han,
daz hie diu schoene Chriemhilt soi gechronet stan!
des müezen wol getiuret sin diu erbe min.
Sivrit der vil chüene sol hie nu selbe voget sin.«

712 Do gap diu frowe Sigelint vil manigen samit rot,


silber und golt daz swaere, daz was ir botenbrot;
si freute sich der maere und mit ir manic man.
allez ir gesinde mit vlize chleiden sich began.

713 Man seit ir, wer da choeme mit Sivride in daz lant.
do hiezen si gesidele rihten alzehant,
dar zuo er under chrone vor fürsten solde gan.
do riten im engegene des kunich Sigemundes man.

714 Ist iemen baz enpfangen, daz ist uns unbechant,


denne die helede wurden ze Sigemundes lant.
Sigelint sin muoter Chriemhilt engegen reit
mit maniger schoenen frowen. ir volgeten ritter gemeit.

715 In einer tageweide, da man die geste sach,


die vremeden und die chunden die dolten ungemach,
unz daz si chomen zer burge wol bêchant,
riche unde maere, diu was ze Santen genant.

716 Mit lachendem munde Sigelint und Sigemunt


chusten Chriemhilde mit vröuden sa zestunt,
darnach ir vil liebez kint. ir leit in was benomen.
allez ir gesinde was in groz willechomen.
SIEG FR IED UN D K R IE M H ILD IN XANTEN 233

710 damit er und Sieglinde erfuhren, daß Siegfried und die schöne
Kriemhild, Frau Utes Tochter, von Worms rheinabwärts unter­
wegs waren. Keine Nachricht hätte ihnen angenehmer sein
können.

711 »Wie wunderbar für mich zu erleben«, sagte Siegmund, »daß


die schöne Kriemhild hier gekrönt vor mir stehen wird! Das
bedeutet für meine Erblande eine große Ehre. Der tapfere Sieg­
fried soll jetzt hier selbst die Herrschaft übernehmen.«

712 Als Botenlohn gab Frau Sieglinde allerlei roten Samt, Silber und
reines Gold; denn sie und viele ihrer Leute freuten sich sehr
über die Nachricht. Das gesamte Gefolge kleidete sich sorgfältig
für den Empfang.

713 Man verkündete, wer mit Siegfried ins Land käme. Daraufhin
ließen sie sogleich Sitzbänke aufstellen für die Krönungsfeier in
Gegenwart der Fürsten. König Siegmunds Leute ritten ihm ent­
gegen.

714 Wurde je irgend jemand besser empfangen als die Helden, die
jetzt in Siegmunds Land kamen, so ist uns das nicht bekannt.
Siegfrieds Mutter Sieglinde ritt Kriemhild mit einer großen
Zahl schöner Damen entgegen. Ihr folgten stattliche Ritter

715 eine Tagesreise weit bis dorthin, wo sie den Gästen begegneten.
Fremde und Einheimische ertrugen einige Beschwerlichkeiten,
bis sie zu der bekannten, prächtigen und berühmten Stadt Xan­
ten gelangten.

716 Lachend und voll Freude küßten Sieglinde und Siegmund zu­
erst Kriemhild und dann ihren geliebten Sohn. Ihr Leid hatte
jetzt ein Ende. Auch das ganze Gefolge der beiden hießen sie
herzlich willkommen.
234 11. AVENTIURE

717 Do brahte man die geste fur Sigemundes sal.


die schoene juncffowen huob man da zetal
nider von den moeren. da was vil manic man,
do man den edeln frowen mit vlize dienen began.

718 Swie groz ir hochgeciten bi Rine was bêchant,


noch gab man hie den heleden richer gewant,
danne si ie getrüegen noh bi allen ir tagen,
man mohte michel wunder von ir richeite sagen,

719 Do si in ir wirde sazen und heten genuoch.


waz golt varwer geren ir ingesinde truoch
und vil der edeln steine verwieret wol dar in!
sus pflag ir vlizzekliche Sigelint diu kunigin.

720 Do sprach vor sinen magen der herre Sigemunt:


»allen minen ffiunden sol daz wesn chunt,
daz Sivrit mine chrone hinnen fur sol tragn.«
diu maere horten gerne die von Niderlanden sagn.

721 Do bevalh er im die chrone, geriht und ouch diu lant.


sit was er ir aller meister, die er inder vant.
und da er rihten solde, daz wart so getan,
daz man von schulden vorhte der schoenen Chriemhilde man.

722 In disen hohen eren lebt er, daz ist war,


und riht ouch under chrone unz in daz zwelfte jar,
daz diu schoene Chriemhilt einen sun gewan.
daz was des kuniges magen nach ir willen wol ergan.

723 Den ilte man do taufen und gab im den namen


Gunther nach sinem oheim; des dorfter sich niht schämen,
geriet er nach den magen, er wurde ein chüener man.
man zoh in wol mit vlize, daz wart von schulden getan.
SIE G FR IED UN D K R IE M H ILD IN XANTEN 235

717 Dann führte man die Gäste vor Siegmunds Saal. Den schönen
jungen Frauen half man von den Pferden abzusteigen. Viele
Männer waren zur Stelle, um den edlen Damen mit Eifer zu
dienen.

718 Wie großartig das Hochzeitsfest am Rhein auch gewesen war,


hier stattete man die Helden mit noch prächtigeren Gewändern
aus, als sie je in ihrem ganzen Leben getragen hatten. Man
könnte von ihrer Pracht geradezu Wunderdinge erzählen,

719 als sie würdig und reichlich versorgt zu Tisch saßen. Welch
goldfarbene, mit vielen Edelsteinen besetzte Borten hatten die
Gewänder ihres Gefolges! Die Königin Sieglinde hatte sie so
aufwendig ausgestattet.

720 Da sprach Herr Siegmund zu seinen Verwandten: »Allen mei­


nen Freunden tue ich hiermit kund, daß künftig Siegfried
meine Krone tragen wird.« Diese Entscheidung hörten die
Leute aus Niederland gern.

721 Dann übergab er die Krone, die Gerichtsbarkeit und auch die
Länder an Siegfried. Von da an herrschte dieser über all ihre
Bewohner und sprach Recht, wo es nötig war, so daß man den
Mann der schönen Kriemhild mit gutem Grund fürchtete.

722 In diesem hohen Ansehen, das kann ich beteuern, lebte und
herrschte der gekrönte König zwölf Jahre lang, bis die schöne
Kriemhild einen Sohn zur Welt brachte. Damit ging der
Wunsch der königlichen Verwandten in Erfüllung.

723 Sehr bald ließ man ihn taufen und nannte ihn nach seinem
Oheim Gunther; dieses Namens brauchte er sich nicht zu schä­
men. Wenn er nach den Verwandten seiner Mutter käme, würde
er ein tapferer Mann werden. Man erzog ihn mit großer Sorg­
falt, wie es sich gehörte.
236 11. AVENTIURE

724 In den selben citen do starp frou Sigelint.


do het den gewalt mit alle der edeln Uoten kint,
der so richer frowen ob landen wol gezam,
di mohten ir do dienen mit grozen eren ane schäm.

725 Nu het ouch dort bi Rine, so wir hoeren sagen,


bi Gunther dem riehen einen sun getragen
Prunhilt diu schoene in Burgonden lant.
durch des recken liebe so wart er Sivrit genant.

726 Wie rehte vlizekliche man sin hüeten hiez!


Gunther der vil riche im magtzogen liez,
diez chunden leren tugende, gewüohs ez zeinem man.
hey, waz im ungelucke sit der mage an gewan!

727 Maere zallen citen wart wider und dar geseit,


wie rehte wunnekliche die helde vil gemeit
lebten zallen stunden in Sigemundes lant.
daz selbe tet ouch Gunther mit sinen magen uz erchant.

728 Daz lant ze Nibelunge Sivride nu diente hie,


richer siner mage wart deheiner nie,
dar zuo sins vaters erbe, er was ein degn guot.
des truoch der vil chüene deste hoher den muot.

729 Hort den aller meisten, den ie kunic gewan,


ane die ez e pflagn, hete nu der chüene man,
den er vor einem berge mit siner hant erstreit,
dar umb er sluoc ze tode vil manigen ritter gemeit.
SIEG FR IED UND K R IE M H ILD IN XANTEN 237

724 Zu ebendieser Zeit starb Frau Sieglinde. Danach übernahm die


Tochter der edlen Ute alle Aufgaben, die einer so mächtigen
Herrin zukamen, die Länder dienten ihr ehrenvoll ohne Vor­
behalt.

725 Auch dort am Rhein hatte nun, wie wir erzählen hören, die
schöne Brünhild im Burgundenland dem mächtigen König
Gunther einen Sohn geboren. Dem Recken zuliebe wurde er
Siegfried genannt.

726 Wie sorgfältig ließ man ihn erziehen! Der mächtige Gunther
gab ihm Lehrer, die höfische Tugenden in ihm ausbildeten,
während er zum Mann heranwuchs. Ach, welches Unglück
raubte ihm später seine Verwandten!

727 Ständig wurde überall davon gesprochen, wie wunderbar die


tüchtigen Helden tagaus, tagein in Siegmunds Land lebten.
Dasselbe galt auch für Gunther und seine ausgezeichneten Ver­
wandten.

728 Siegfried war jetzt einerseits das Nibelungenland untertan und


andrerseits das Erbland seines Vaters, so daß keiner seiner Vor­
fahren je so viel Macht besessen hatte. Er war ein einzigartiger
Kämpfer. Darauf gründete sich das Selbstbewußtsein des tapfe­
ren Mannes.

729 Der allergrößte Schatz, den je ein König errungen hatte, sieht
man von den früheren Besitzern ab, gehörte jetzt dem kühnen
Siegfried, vor einem Berg hatte er ihn mit eigener Hand er­
kämpft und viele stattliche Ritter dabei erschlagen.
238 11. AVENTI URE

730 Er het den wünsch der eren, und waeres niht geschehn,
so muose man von schulden Sivride jehn,
er ware ein der beste, der ie uf ors gesaz.
man vorhte sine sterche und tet vil pilliche daz.
SIEG FR IED UND K R IEM H ILD IN XANTEN 239

730 Sein Ansehen war unübertrefflich, und selbst wenn er den


Schatz nicht errungen hätte, müßte man mit gutem Grund von
Siegfried sagen, daß er einer der besten war, die je auf einem
Pferd gesessen haben. Man fürchtete seine Stärke, und das war
recht und billig.
12. A V EN T IU R E
A V EN TIUR E W IE G U N T H E R S IV R ID E N U N D C H R I E M H I L T
ZE W O R M Z E M IT BETE B R A H T E , DA M A N IN O U C H SIT
E RSLUO C H

731 Nu daht ouch alle cite daz Guntheres wip:


»wie treit et also hohe Chriemhilt den lip,
nu ist doch unser eigen Sivrit ir man?
daz er uns niht endienet, des wolde ich gerne ein ende han.«

732 Diz truoch si in ir hercen und wart doch wol verdeit.


daz si ir so vremde warn, daz was der frowen leit.
daz si niht zinses hete von des fürsten lant,
wa von daz chomen waere, daz het si gerne bêchant.

733 Si versuochtez manigen ende, ob chunde daz geschehn,


daz si Chriemhilde mohte noch gesehn.
si reitez heinliche, des si da hete muot.
done duht den chunk riche der frowen bete niht ze guot.

734 »Wie chunden wir si bringen«, sprach der lobes rich,


»her zuo disen landen? daz waere unmugelich;
si sint uns gar ze verre, ich getar sis niht gebiten.«
des antwurt im Prunhilt in vil listigen siten:

735 »Swie hohe riche waere deheines kuniges man,


swaz im gebute sin herre, wie torster daz verlan?«
des ersmielte Gunther, do si daz gesprach.
ern jach sin niht ze dienste, swie dicker Sivriden sach.
12. AVENTI U RE
W IE G U N T H E R SIE G FR IE D U N D K R IE M H IL D
N A C H W O R M S E IN L U D , WO M A N I H N SPÄTER
E RSCH L A G E N HAT

731 In der Zwischenzeit dachte Gunthers Gemahlin immerzu: »Wie


kann eigentlich Kriemhild so stolz sein, obwohl doch Siegfried
unser Eigenmann ist? Daß er uns keine Dienste leistet, dem
würde ich gern ein Ende machen.«

732 Diese Gedanken bewegte sie in ihrem Herzen, aber sie sprach
sie nicht aus. Doch es setzte der Herrin zu, daß Kriemhild
und Siegfried so weit entfernt wohnten. Gern wollte sie wissen,
woher es kam, daß sie aus dem Land des Fürsten keinen Zins
erhielt.

733 Sie versuchte auf verschiedene Weise, ein Wiedersehen mit


Kriemhild zu erreichen. Im vertraulichen Gespräch trug sie vor,
was sie im Sinn hatte. Doch dem mächtigen König gefiel die
Bitte seiner Gemahlin gar nicht.

734 »Wie könnten wir sie dazu bewegen, in unser Land zu kom­
men?« sagte der ruhmreiche Fürst. »Das ist unmöglich; denn
sie leben so weit entfernt von uns. Ich wage nicht, sie darum zu
bitten.« Darauf antwortete Brünhild hinterlistig:

735 »Auch wenn der Dienstmann eines Königs noch so mächtig ist,
wie könnte er es wagen, zu verweigern, worum ihn sein Herr
bittet?« Als sie das sagte, lächelte Gunther. Obwohl er Siegfried
oft in seiner Nähe gesehen hatte, eine Dienstleistung war das
für ihn nie gewesen.
242 12. AVENTIURE

736 Si sprach: »vil lieber herre, durch den willen min


so hilf mir, daz noch Sivrit mit der swester din
chom zuo disem lande, daz wir si hie gesehn.
sone chunde mir zer werlde nimmer lieber geschehn.

737 Diner swester güete und ir vil zuhtich muot,


als ih daran gedenche, wie sanfte mir daz tuot,
und ir vil wert enpfahen, do ich chom in daz lant.
ez enwart nie antphanc richer zer weide niemen bêchant. «

738 Si gertes also lange, unz daz der chunic sprach:


»ir muget mich sanfte vlegen, wand ich gerner nie gesach
deheiner slahte geste in den landen min.
ich wil in boten senden, daz si zuns körnen an den Rin.«

739 Do sprach diu chuniginne: »nu suit ir mir sagn,


wenne ir si weit besenden, oder in weihen tagn
suln unser friunde chomen in daz lant,
die ir dar senden wellet, die lat werden mir bechant.«

740 »Daz tuon ich«, sprach do Gunther, »drizech miner man


wil ich dar lazen riten.« die hiezer für sich gan,
bi den enbot er maere in Sivrides lant.
ze liebe gab in Prunhilt vil harte zierlich gewant.

741 Do sprach do Gunther: »ir recken ir suit sagen,


swaz ich bi iu enbiete, des suit ir niht verdagen
Sivrit minen friunde und ouch die swester min,
daz enchan in der werlde niemen holder gesin.

742 Und bite si von uns beiden leisten ane strit,


daz si chomen ruochen zunser hochgecit.
gein disen sunewenden soi er mit sinen man
sehen hie vil manigen, der im vil grozer eren gan.
DIE H IN T E R L IS T IG E EINLADU NG NACH WORMS 243

736 »Mein lieber Herr«, bat Brünhild, »aus Liebe zu mir lade Sieg­
fried mit deiner Schwester in dieses Land ein, damit wir sie hier
Wiedersehen. Das wäre die größte Freude, die ich überhaupt
haben könnte.

737 Wie gern denke ich an die Güte deiner Schwester, an ihre
höfische Gesinnung und daran, wie überaus würdig sie mich
empfing, als ich in dieses Land kam. Auf der ganzen Welt hat
niemand je von einem prächtigeren Empfang gehört.«

738 Sie bemühte sich so lange, bis der König schließlich sprach:
»Ihr braucht mich nicht länger zu bitten, denn keine Gäste sehe
ich lieber in meinem Land. Ich will ihnen Boten schicken, da­
mit sie zu uns an den Rhein kommen.«

739 Die Königin fügte noch hinzu: »Sagt mir, wann ihr nach ihnen
schickt oder zu welcher Zeit unsere Verwandten in unser Land
kommen, nennt mir auch diejenigen, die ihr zu ihnen senden
wollt.«

740 »Das mache ich«, antwortete Gunther, »dreißig von meinen


Leuten sollen dort hinreiten.« Er ließ sie zu sich kommen und
schickte durch sie eine Nachricht in Siegfrieds Land. Um die
Boten zu erfreuen, schenkte Brünhild ihnen viele schöne Ge­
wänder.

741 Dann sprach Gunther: »Ihr Recken, sagt meinem Freund Sieg­
fried und auch meiner Schwester, ohne etwas zu verschweigen,
was ich euch auftrage, daß ihnen nämlich niemand auf der Welt
mehr zugetan ist als ich.

742 Bittet sie, uns beiden den Wunsch wohlwollend zu erfüllen und
zu unserem Fest zu kommen. Zur Sonnenwende wird Siegfried
mit seinen Leuten hier viele treffen, die ihn sehr hochschätzen.
244 12. AVENTIURE

743 Sim e vater Sigem un d e sagt ouch den dienest m in ,


daz ich m it m in en m agen im im m er w aege sin,
un d saget ouch m in er swester, daz si niht laze daz,
sine chom zir friu n d e; im gezam nie hochgeciten baz.«

744 Frou U ote un d al die frow en, die m an ze hove vant,


enbuten ouch ir dienest in Sivrid es lant
den m inn eklichen m eiden un d m anigem ch üen em m an.
G ere der vil chüene sich h u o p m it den m aeren dan.

745 Si fuoren reisliche, ir pfärit und ir gew ant,


daz w as in chom en allen, do rum ten si daz lant,
in zougte w ol der reise, d ar si da solden varn.
der ku n ic m it geleite bat die boten w ol bew arn.

746 Inre tagn zw elfen si chom en in daz lant


ze N ibelu nges burge, dar w arn si gesant.
da vu n d en si m it freuden den vil chüenen degn.
diu ross den boten w aren m üede von den langen w egn.

747 D em kun ige un d sim e w ib e w art zehant geseit,


in w aern chom en geste, die truogen solh iu chleit,
als m an zen B u rgon d en do der site pflach.
C h riem h ilt spran ch von dem bette, daran si bi ir liebe lach.

748 Si bat an ein venster ir m ägede eine gen;


d iu sach den chüenen G eren an dem hove sten
m it sinen hergesellen, die w arn dar gesant.
gein ir herceleide w ie liebiu m aere si bevant!

749 Si sprach zuo dem kunige: »ir suit u f sten.


ich sihe den starchen G eren her ze hove gen.
in hat m in b ru o d er G u n th er w aetlich her gesant.
w az der recke w erbe, daz het ich gerne bêchant. «
D IE H IN T E R L IS T IG E EINLADU NG NACH WORMS 245

743 Auch seinem Vater Siegmund versichert meine Ehrerbietung,


ich und meine Verwandten sind ihm stets gewogen, und sagt
meiner Schwester, sie möge auf jeden Fall zu ihren Freunden
mitkommen; denn ein solch schönes Fest hat sie noch nie er­
lebt.«

744 Frau Ute und alle Damen des Hofes schickten ebenfalls ihre
Grüße in Siegfrieds Land für die liebenswerten Mädchen und
für manch tapferen Mann. Der kühne Gere machte sich mit
den Nachrichten auf den Weg.

745 Gut gerüstet mit Pferden und Gewändern zogen sie los. Sie ver­
ließen das Land und wandten sich ihrem vorgesehenen Reise­
ziel zu. Der König sorgte mit Geleit für den Schutz der Boten.

746 Nach zwölf Tagen kamen sie in das Land zur Nibelungenburg,
wo sie hingeschickt worden waren. Dort trafen sie zu ihrer
Freude den tapferen Kämpfer. Die Pferde der Boten waren von
dem langen Weg ermüdet.

747 Dem König und seiner Frau wurde sogleich gemeldet, daß
Gäste für sie angekommen seien. Die trügen Kleider, wie sie im
Burgundenland Mode wären. Kriemhild sprang vom Bett auf,
wo sie bei ihrem Geliebten lag.

748 Sie bat eines ihrer Mädchen, an ein Fenster zu treten; es sah den
tapferen Gere mit seinen Gefährten, die ihn begleiteten, im Hof
stehen. Wie wohl tat Kriemhild die Nachricht gegen ihr Heim­
weh!

749 Sie sagte zum König: »Steht auf. Ich sehe den starken Gere zu
unserem Hof kommen. Wahrscheinlich hat ihn mein Bruder
Gunther hierher gesandt. Gern wüßte ich, was der Recke will.«
246 12. AVENTI URE

750 Allez daz gesinde dar lief unde gie.


in vil grozen vreuden man die geste enpfie,
und taten in daz beste, daz si chunden do,
wände si ir chunfte in ir hercen warn vro.

751 Gere wol enpfangen wart mit sinen man.


ir ross man hiez behalten, die helde braht man dan,
da der herre Sivrit bi Chriemhilde saz.
si sahen in vil gerne, daz suit ir wizzen ane haz.

752 Gegen den lieben gesten si stunden uf zehant.


wol wart enpfangen Gere von Buregonden lant
und sine hergesellen, bi der hende dan
Chriemhilt fuorte Geren; daz wart durch liebe getan.

753 Si bat in zuo zir sizzen. er sprach: »wir suln sten.


erloubet uns die boteschaft, e daz wir sizzen gen,
und hoeret disiu maere, waz iu enboten hat
Gunther unde Prunhilt, der dinc an eren hohe stat,

754 Und waz iu iwer muoter, min frowe, her enbot.


Giselher der junge und ouch Gernot
und iwer besten mage, die hant uns her gesant
und enbietent iu ir dienest uzer Burgonden lant.«

755 »Nu Ion in got«, sprach Sivrit, »ich getrow in allen wol
triwen unde guotes, also man friunden soi,
daz selbe tuot ir swester. wie si gehabn sich,
die unsern lieben ffiunde, daz suit ir lazen hoeren mich.

756 Sit daz wir von in schieden, hat ieman iht getan
den minen chonemagen. daz lazet mich verstan;
daz wil ich in mit triwen immer helfen tragen,
unze daz ir viende den minen dienest müezen klagen.«
D IE H IN T E R L IS T IG E EINLADU NG NACH WORMS 247

750 Die ganze Dienerschaft lief ihnen entgegen. Voll großer Freude
empfingen sie die Gäste und ließen ihnen das Bestmögliche
angedeihen, denn ihre Ankunft machte sie von Herzen froh.

751 Gere wurde mit seinen Leuten gut aufgenommen. Man sorgte
für ihre Pferde, dann wurden die Helden dorthin gebracht, wo
Herr Siegfried neben Kriemhild saß. Die Boten freuten sich, ihn
zu sehen, das könnt ihr gern glauben.

752 Siegfried und Kriemhild erhoben sich sogleich vor ihren Gä­
sten. Gere aus dem Burgundenland und seine Gefährten wur­
den angemessen begrüßt. Kriemhild führte Gere an der Hand;
sie war nämlich sehr froh über seinen Besuch.

753 Sie bat ihn, an ihrer Seite Platz zu nehmen. Er aber sagte: »Wir
möchten zunächst stehenbleiben. Erlaubt, daß wir unsere Bot­
schaft überbringen, ehe wir uns setzen, und hört, was Gunther
und Brünhild, denen es bestens geht, euch mitteilen wollen

754 und w as eure Mutter, meine Herrin, uns für euch aufgetragen
hat. Der junge Giselher, auch Gernot und eure nächsten Ver­
wandten haben uns geschickt und senden euch aus dem Bur­
gundenland ehrerbietige Grüße.«

755 »Gott vergelte es ihnen«, antwortete Siegfried, »ich verlasse


mich auf ihre Treue und ihr Wohlwollen, wie man es bei Ver­
wandten tun soll, das gleiche gilt für ihre Schwester Kriemhild.
Gern möchte ich hören, wie es unseren lieben Freunden geht.

756 Hat, seitdem wir uns von ihnen verabschiedet haben, irgend
jemand meinen Verwandten Leid zugefügt? Das laßt mich
wissen; denn dann will ich ihnen so lange treu beistehen, bis
ihre Feinde meinen Einsatz beklagen müssen.«
248 12. AVENTIURE

757 Do sprach der marcgrave Gere, ein recke guot:


»si sint in allen tugenden mit freuden wol gemuot.
si ladent iuch ze Rine zeiner hochgecit;
wände si iuch gerne saehen, daz ir des ane zwifel sit.

758 Und bitent mine frowen, si sul mit iu chomen.


swenne so der winder ein ende habe genomen
gein disen sunewenden, so wolden si iuch sehen.«
do sprach der herre Sivrit: »daz chunde müelich geschehen.«

759 Do sprach aber Gere uz Buregonden lant:


»iwer muoter Uote diu hat iuch gemant
und iwer brüeder beide, ir suit in niht versagen,
daz ir in sit so verre, daz hoere ich si vil dicke klagen.

760 Prunhilt, min vrowe, und alle ir magedin,


die fröwent sich der gegene, ob daz chunde sin,
daz si iuch noch gesehen, so si des habent muot.«
da duhten disiu maere die schoenen Chriemhilde guot.

761 Gere was ir sippe. der wirt in sizzen hiez.


den gesten hiez man schenchen; niht langer man daz liez,
do was ouch chomen Sigemunt. do er die boten sach,
der herre rfiinnekliche zuo den Burgonden sprach:

762 »Sit willechomen, ir recken, ir Guntheres man.


sit Chriemhilde ze man Sivrit, minen sun, gewan,
so solde man iuch degene dicker bi uns sehn,
ob ir uns mit triwen woldet friuntschefte jehn.«

763 Si sprachen, swenner wolde, si solden gerne chomen.


in wart ir michel müede mit freuden vil benomen.
die boten bat man sizzen, spise man in truoch,
der wart den lieben gesten gegebn volleklich genuoch.
D IE H IN T E R L IS T IG E EINLADU NG NACH WORMS 249

757 Darauf antwortete der Markgraf Gere, ein edler Recke: »Sie ste­
hen in hohem Ansehen und leben in Freuden. Sie laden euch zu
einem Fest an den Rhein; denn sie möchten euch gern sehen,
daran dürft ihr nicht zweifeln.

758 Und sie bitten meine Herrin Kriemhild mitzukommen. Wenn


der Winter zu Ende geht, zur Sonnenwende, erwarten sie euch.«
Da antwortete Herr Siegfried: »Das wird nur schwer möglich
sein.«

759 Aber Gere aus dem Burgundenland sprach zu Kriemhild: »So­


wohl eure Mutter Ute als auch eure beiden Brüder haben gebe­
ten, daß ihr ihnen den Wunsch nicht abschlagt. Ich höre sie oft
darüber klagen, daß ihr so weit entfernt wohnt.

760 Meine Herrin Brünhild und all ihre Mädchen freuen sich
schon, daß es mögüch wird, euch noch einmal zu sehen, darauf
hoffen sie.« Diese Nachrichten gefielen der schönen Kriemhild.

761 Gere war ihr Verwandter. Der Landesherr bat ihn, Platz zu neh­
men. Den Gästen sollte Wein eingeschenkt werden; das geschah
sogleich. Inzwischen war auch Siegmund hinzugekommen. Als
er die Boten erblickte, sprach der Herr freundlich zu den Bur­
gundern

762 »Seid willkommen, ihr Recken, Gunthers Männer. Da Kriem­


hild mit meinem Sohn Siegfried verheiratet ist, sollte man euch
Kämpfer eigentlich öfter bei uns sehen, wenn ihr treue Freund­
schaft mit uns halten wollt.«

763 Sie antworteten, daß sie gern kämen, wenn dies sein Wunsch sei.
Ihre große Müdigkeit verging durch vielfältige Unterhaltung.
Man bat die Boten, sich zu setzen, und bewirtete sie mit Speisen,
von denen den lieben Gästen mehr als genug aufgetragen wurde.
250 12. AVENTIURE

764 Man gab in herberge und schuof in guot gemach,


der herre zuo den gesten minneklichen sprach:
»lat iuch niht betragen, darumbe ir sit gesant
her von unsern friunden; wir sulenz iu schiere tuon bêchant.

765 Ich muoz mihs noch beraten mit den friunden min.«
er gie zeiner spräche mit den recken sin.
er sprach: »min friunt Gunther hat nach uns gesant
zeiner hochgecite. nu ist ze verre mir sin lant.

766 Und bitent mine frowen, daz si mit var.


nu ratent, liebe vriunde, wie sol si chomen dar.
und solde ich herverten durch si in drizech lant,
da muose in gerne dienen hin diu Sivrides hant.«

767 Do sprachen sine recken: »habt ir der reise muot,


so wellen wir iu raten, daz iu wirdet guot:
ir suit mit tusint recken riten an den Rin.
so mugt ir wol mit eren da zer hochgecite sin.«

768 Do sprach von Niderlanden der herre Sigemunt:


»weit ir zir hochgecite, wan tuot ir mir daz kunt.
ob ez iu niht versmahet, so rite ich mit iu dar
und bringe iu hundert degene; da mit mer ich iwer schar.«

769 »Sit ir weit mit uns riten, vil lieber vater min«,
sprach der herre Sivrit, »vro soi ich des sin.
inre tage zwelfen so rum ich miniu lant.«
die si do füeren wolden, den gap man ross und ouch gewant.

770 Do der chunk edele der reise hete muot,


do hiez man wider riten die snellen boten guot.
den sinen chonemagen enbot er an den Rin,
daz er gerne wolde da zir hochgecite sin.
D IE H IN T E R L IS T IG E EINLADU NG NACH WORMS 251

764 Man wies ihnen eine Unterkunft an und sorgte für ihre Be­
quemlichkeit. Der Landesherr sagte freundlich zu ihnen:
»Macht euch keine Sorgen wegen eures Auftrags, mit dem euch
unsere Freunde hergeschickt haben; wir geben euch bald Ant­
wort.

765 Ich muß mich noch mit meinen Vertrauten beraten.« Siegfried
traf mit seinen Recken zu einer Unterredung zusammen. Er
sagte: »Mein Freund Gunther lädt uns zu einem Fest ein. Nun
liegt sein Land aber zu weit entfernt.

766 Und sie bitten auch meine Herrin mitzukommen. Ratet mir,
liebe Freunde, wie wir mit ihr reisen sollen. Wenn es darum
ginge, für sie einen Kriegszug durch dreißig Länder zu unter­
nehmen, würde ich, Siegfried, ihre Bitte gern erfüllen.«

767 Da antworteten seine Leute: »Wenn ihr die Reise machen wollt,
dann raten wir, was euch wohl anstehen wird: Ihr sollt mit
tausend Recken an den Rhein reiten. Dann könnt ihr ehrenvoll
an dem Fest teilnehmen.«

768 Darauf sagte Herr Siegmund von Niederland: »Falls ihr zu dem
Fest reist, so gebt mir Bescheid, wann ihr loszieht. Wenn es
euch recht ist, reite ich mit euch zusammen dorthin und nehme
hundert Kämpfer mit; so vergrößere ich eure Schar.«

769 »Daß ihr mit uns reisen wollt, mein lieber Vater, freut mich«,
antwortete Herr Siegfried. »In zwölf Tagen verlasse ich mein
Land.« Alle, die sie mitnehmen wollten, erhielten Pferde und
Gewänder.

770 Nachdem sich der edle König zu der Reise entschlossen hatte,
ließ man die gewandten, edlen Boten wieder nach Hause reiten.
Seinen Verwandten am Rhein teilte Siegfried mit, daß er gern
bei dem Fest dabeisein wolle.
252 12. AVENTIURE

771 Sivrit unde Chriemhilt, als wir hoeren sagen,


so vil den boten gaben, daz ez niht mohten tragen
ir moere heime ze lande, er was ein richer man.
ir starchen soumaere si triben vrolichen dan.

772 Ir volche daz kleite Sivrit und ouch Sigemunt.


Eckewart der grave der hiez do an der stunt
frowen chleider suochen, die besten, die man vant
oder iemen vinden chunde über allez Sivrides lant.

773 Sätil un d e Schilde bereiten m an began,


rittern unde frow en, die m it im w old en dan,
den gab man, swaz si wolden. wie wenich in gebrast!
do brahter sinen friunden manigen herlichen gast.

774 Den boten zogete sere wider uf den wegen,


do chom wol ze lande Gere der degen,
er wart vil wol enpfangen. do stuonden si zetal
nider von den moeren fur den Guntheres sal.

775 Der chunk durch groze liebe von dem sedele spranch.
daz si so snelle chomen, des bat si haben danch
Prunhilt diu schoene, der kunich zen boten sprach:
»wie vert min ffiunt Sivrit, von dem mir liebes vil geschach?«

776 Do sprach der chüene Gere: »da wart er freuden rot,


er und iwer swester. nie friunden baz enbot
so friuntlicher maere deheiner slahte man,
als iu der herre Sivrit und ouch sin vater hat getan.«

777 Do sprach zem marcgraven des edeln kuniges wip:


»nu sagt mir, chumet Chriemhilt? hat noch ir schoener lip
behalten iht der zühte, der si wol chunde pflegen?«
er sprach: »si ch ôm en t beide u n d m it in m an ic k ü en er degen.«
DIE H IN T E R L IS T IG E EIN LADU NG NACH WORMS 253

771 Wie wir berichten hören, beschenkten Siegfried und Kriemhild


die Boten so großzügig, daß ihre Pferde die Gaben nicht nach
Hause zu tragen vermochten. Siegfried war eben ein reicher
Mann, Frohgestimmt trieben die Burgunden ihre kräftigen
Lasttiere von dannen.

772 Nun kleideten Siegfried und Siegmund ihr Gefolge ein. Graf
Eckewart befahl sogleich, die besten Damenkleider, die es gab
oder die man in Siegfrieds Land auftreiben konnte, herbeizu­
schaffen.

773 Sättel und Schilde wurden vorbereitet. Rittern und Damen, die
mitreisen wollten, gab man alles, was sie wünschten. Es fehlte
ihnen an nichts. Auf diese Weise brachte Siegfried viele prächtig
ausgestattete Gäste zu seinen Verwandten.

774 Inzwischen zogen die Boten eilig auf den Straßen nach Hause
zurück. Als Gere, der Kämpfer, wieder im Burgundenland an­
kam, wurde er erwartungsvoll empfangen. Vor Gunthers Saal
stiegen sie von den Pferden.

775 Freudig sprang der König von seinem Sitz auf. Die schöne
Brünhild dankte ihnen, daß sie so schnell zurückgekehrt wa­
ren. Gunther fragte die Boten: »Wie geht es meinem Freund
Siegfried, der mir so viel Gutes getan hat?«

776 Da antwortete der tapfere Gere: »Siegfried errötete vor Freude


und eure Schwester ebenfalls. Nie hat irgend jemand seine Ver­
wandten so freundlich grüßen lassen wie euch der Herr Sieg­
fried und auch sein Vater.«

777 Die Frau des edlen Königs Gunther wandte sich darauf an den
Markgrafen: »Nun sagt mir, kommt Kriemhild auch? Tritt die
schöne Frau immer noch so hoheitsvoll auf wie früher?« Er
antwortete: »Sie kommen beide und mit ihnen viele Kämpfer;«
254 12. AVEN TIURE

778 Frou Uote bat do drate die boten zuo zir gen.
daz mac man an ir vrage harte wol versten,
daz si vil gerne horte, was Chriemhilt noch gesunt.
er sagete, wie er si funde und daz si chôme in churzer stunt.

779 Ouch wart von in diu gäbe ze hove niht verdeit,


die in dort gab Sivrit. golt, silber unde kleit
daz brahte man ze sehene der drier kunige man.
der ir vil grozen milte wart in do danches vil getan.

780 »Er mac wol gebn ringe«, sprach Hagene der degn,
»ern chundez niht verswenden, und soit er immer lebn;
hört der Nibelunge beslozzen hat sin hant.
hey, solden wir den teilen noch in Buregonden lant!«

781 Allez daz gedigene freute sich der zuo,


daz si chomen solden. spate unde ffuo
warn vil unmüezich des fürsten ambtman.
waz richer hergesidele man da rihten began!

782 Ortwin unde Sindolt, die zwene chüene degn,


die warn vil unmüezich. die zit si muosin pflegn,
der truhsezze und der schenche, rihten manigen banch.
des hülfen ir undertanen. des sagete in Gunther do danch.

783 Rumolt der chuchenmeister vil wol berihte sit


die sinen undertanen: vil manigen kezzil wit,
häfene unde pfannen, hey, waz man der da vant!
do bereite man den spise, die da chomen in daz lant.

784 Der frowen arebeiten was ouch niht kleine,


da si bereiten ir chleider. die edeln steine
mit glanze verre glesten, verwieret in daz golt,
do si sie ane leiten, daz in die Hute wurden holt.
DIE H IN TE R L IS T IG E EINLADUNG NACH WORMS 255

778 Frau Ute bat dann sofort die Boten, zu ihr zu kommen. Aus
ihren Fragen konnte man genau erkennen, daß sie gern wissen
wollte, ob Kriemhild gesund war. Gere sagte ihr, wie er sie an-
getrofifen hatte und daß sie in Kürze kommen werde.

779 Auch verschwiegen die Boten nicht, welche Geschenke ihnen


Siegfried dort gemacht hatte. Gold, Silber und Gewänder zeig­
ten sie den Leuten der drei Könige. Für ihre außerordentliche
Freigebigkeit waren die Boten Siegfried und Kriemhild dank­
bar.

780 »Siegfried kann leicht schenken«, sprach Hagen, der Kämpfer,


»selbst wenn er ewig lebte, könnte er seinen Besitz nicht er­
schöpfen; denn er verfügt über den Nibelungenhort. Wie wäre
es, wenn wir den später einmal im Burgundenland aufteilten!«

781 Auch der gesamte Hofstaat freute sich auf die Gäste. Von früh
bis spät war die Dienerschaft des Königs unermüdlich tätig.
Welch prächtiges Gestühl wurde dort hergerichtet!

782 Ortwin und Sindold, die beiden tapferen Kämpfer, waren viel­
beschäftigt. Zu jener Zeit mußten sie sich als Truchseß und
Mundschenk um die Aufstellung der Bänke kümmern. Ihre
Bediensteten halfen dabei. Gunther dankte ihnen für alles.

783 Rumold, der Küchenmeister, gab seinen Dienstleuten dann


umsichtig Anweisungen: Ach, was fand man da an Kesseln,
Töpfen und Pfannen! Darin bereitete man die Speisen für die
erwarteten Gäste.

784 Auch die Mühen der Damen waren nicht gering, als sie ihre
Kleider zurechtmachten. In Gold gefaßte Edelsteine mit weit­
strahlendem Glanz legten sie an, um bei den Leuten Eindruck
zu machen.
13- A V EN T IU R E
A V EN T IU R E W IE C H R IE M H I L T M IT IR M A N
ZER H O C H G E C IT E F U O R

785 Alle ir unmuoze die lazen wir nu sin


und sagen iu, wie Chriemhilt und ouch ir magedin
zer hochgecite fuoren von Nibelunge lant.
nie getruogen moere so manic herlich gewant.

786 Vil der leitschrine man schicte zuo den wegen,


do reit mit sinen friundin Sivrit der degen
und ouch diu kuniginne uf hoher ffeuden wan.
ir freude muose leider mit grozem jamer sit zergan.

787 Da heime si do liezen ir beider kindelin


beliben in ir landen; daz muos et also sin.
von ir hovereise erstuonden starchiu ser:
vater unde muoter gesach daz kindel nimmer mer.

788 Da mite reit der herre, der kunic Sigemunt.


solder des getrowen, wie ez im nach der stunt
zer hochgecite ergienge, ern het ir niht gesehen.
ja chunde im in der werlde leider nimmer geschehen.

789 Boten man fur sande, die diu maere sagten dar.
do reit ouch in engegene mit maniger lieh ten schar
vil der guoten degene der Guntheres man.
der wirt sich gegen den gesten sere vlizen began.
13- A V EN T IU R E
W IE K R IE M H IL D M IT IH R E M M A N N
Z U M FEST R EISTE

785 Mit all ihren Vorbereitungen wollen wir uns nun nicht weiter
befassen, sondern erzählen, wie Kriemhild und ihre Mädchen
aus dem Nibelungenland zu dem Fest reisten. Niemals zuvor
hatten Pferde so viele prächtige Gewänder getragen.

786 Viele Reisetruhen nahm man mit auf die Fahrt. Der Kämpfer
Siegfried, seine Freunde und auch die Königin ritten in der trü­
gerischen Hoffnung auf große Freude los. Doch diese schlug
später in bitteres Leid um.

787 Ihren kleinen Sohn ließen sie zu Hause in ihrem Land zurück;
das ging nicht anders. Aus ihrer Reise an den Hof der Verwand­
ten ergab sich großes Unglück: Das Kind hat Vater und Mutter
nie wiedergesehen.

788 Mit ihnen ritt König Siegmund. Hätte er sich vorstellen kön­
nen, wie es ihm nach dem Fest ergehen würde, so hätte er es
nicht besucht. Wahrhaftig, ihn konnte auf der Welt kein größe­
res Leid treffen.

789 Man schickte Boten voraus, um die baldige Ankunft in Worms


zu melden. Daraufhin ritten ihnen viele tüchtige Kämpfer von
Gunthers Leuten mit großem, herrlichen Gefolge entgegen. Der
Landesherr bemühte sich sehr um seine Gäste.
258 13- AVEN TIURE

790 Er gie zuo Prunhilde, da er si sizzen vant.


»wie enpfie et iuch min swester, do ir chomet in daz lant,
sam suit ouch ir enpfahen daz Sivrides wip.«
»daz tuon ih«, sprach diu frowe, »daz hat verschuldet wol ir lip.«

791 Do sprach aber Gunther: »si chôment uns morgen fruo.


nu ir si weit enpfahen, da grifet balde zuo,
daz wir ir in der burge niht erbiten hie.
mir chom in manigen ziten so rehte lieber geste nie.«

792 Ir meide und ouch ir frowen, die hiez si do zehant


suochen guotiu chleider, die besten, die man vant,
die si wol mit eren vor gesten mohten tragen,
wie gern si daz taeten, daz mac man lihte gesagen.

793 Ouch ilten in do dienen die Guntheres man.


alle sine degene der wirt zuo sich gewan.
da reit diu kuniginne mit ir frowen mite
gegen den lieben gesten al nach friuntlichem site.

794 Mit wie getanen eren man die geste enpfie!


si duhte, daz frou Chriemhilt Prunhilde nie
so rehte wol enpfienge in Burgonden lant.
die si e niene gesahen, den wart vil hoher muot erchant.

795 Nu was ouch körnen Sivrit mit den sinen man.


man sach die helde wenden wider unde dan
des veldes allenthalben mit ungefüegen schäm,
dringen unde stouben chunde niemen da bewarn.

796 Do der wirt des landes Sivriden sach


und ouch Sigemunden, wie guotlich er sprach:
»nu sit mir groze willechomen und al den vriunden min.
der iwer hovereise suln wir hochgemuote sin.«
SIEGFRIEDS UN D KRIE M H ILD S REISE NACH WORMS 259

790 Er ging zu Brünhild. »Genauso wie euch einst meine Schwester


empfangen hat, als ihr in dieses Land gekommen seid, so sollt
ihr Siegfrieds Frau jetzt aufnehmen.« »Das werde ich tun«, ant­
wortete die Herrin, »denn sie hat es wohl verdient.«

791 Da sagte wiederum Gunther: »Sie treffen morgen früh ein.


Wenn ihr sie begrüßen wollt, dann beeilt euch, damit wir sie
nicht hier in der Burg erwarten. Seit vielen Jahren sind keine so
lieben Gäste zu mir gekommen.«

792 Brünhild ließ ihre Mädchen und Damen sofort gute Kleider
heraussuchen, die besten, die man fand, die sie dann in Ehren
vor den Gästen tragen konnten. Daß sie das gern taten, ist leicht
zu verstehen.

793 Gunthers Leute bemühten sich, ihnen Dienstbereitschaft zu zei­


gen. Der Landesherr rief all seine Kämpfer zu sich. Dann ritt
die Königin mit ihren Damen, ganz nach höfischem Brauch,
den lieben Gästen entgegen.

794 Mit welchen Ehren empfing man sie! Es kam ihnen so vor, als
hätte Frau Kriemhild Brünhild damals nicht ganz so gut im
Burgundenland aufgenommen. Wer Kriemhild zuvor noch nie
gesehen hatte, dem schlug das Herz höher.

795 Jetzt war auch Siegfried mit seinem Gefolge angelangt. Man sah
die Helden in ungeheuren Scharen überall auf dem Feld hin-
und herreiten. Niemand konnte dabei Gedränge und aufwir­
belnden Staub vermeiden.

796 Als der Landesherr Siegfried und Siegmund erblickte, sagte er


freundlich: »Nun seid mir und allen meinen Verwandten herz­
lich willkommen. Eure Reise an unseren Hof macht uns alle
froh.«
260 13- AVENTIURE

797 »Nu lone iu got«, sprach Sigemunt, der ere gernder man,
»sit daz iuch min sun Sivrit ze friunde gewan,
do rieten mine sinne, daz ich iuch solde sehn.«
do sprach der wirt zem gaste: »nu ist mir liebe dran geschehn.«

798 Sivrit wart enpfangen, als im daz wol gezam,


mit vil grozen eren. im was da niemen gram,
des half mit grozen zuhten Giselher und Gernot.
ich waene, man ez gesten nie so minneklich erbot.

799 Do nahten zuo zein ander der zweier kunige wip.


da wart vil sätil laere; maniger schoenen frowen lip
wart von recken handen erhaben uf daz gras.
die frowen gerne dienten, waz der mit unmuozen was!

800 Do giengen zuo zein ander diu minneklichen wip.


des was in grozen ffeuden vil maniges recken lip,
daz ir beider grüezen so schoene wart getan.
do sähe man vil der degene mit zuhten bi den frowen stan.

soi Daz herrenlich gesinde sich viengen bi der hant.


in zuhten groze nigen, des man vil da vant,
und chussen minnekliche von frowen wolgetan.
daz was liep ze sehene den kunigen und ir beider man.

802 Sine biten da niht langer, si riten zuo der stat.


der wirt den sinen gesten daz wol erzeigen bat,
daz man si gerne saehe in Buregonden lant.
vil manigen puneyz riehen man vor den junefirowen vant.

803 UzerTronege Hagene und ouch Ortewin,


daz si gewaltich waeren, daz wart da vil wol schin.
swaz si gebieten wolden, daz torste niemen lan.
von in wart michel dienest den edeln gesten getan.
SIEGFRIEDS UND KRIEM H ILD S REISE NACH WORMS 261

797 »Das vergelte euch Gott«, sprach Siegmund, der auf Ehre be­
dacht war, »seitdem mein Sohn mit euch verwandt ist, riet mir
mein Herz, euch zu besuchen.« Da sprach der Wirt zu dem
Gast: »Darüber freue ich mich sehr.«

798 Siegfried wurde mit großen Ehren begrüßt, wie es ihm ge­
bührte. Alle waren ihm zugetan. Giselher und Gernot trugen in
großem Anstand ihren Teil bei. Ich glaube, einen derart freund­
lichen Empfang hatte man Gästen nie zuvor bereitet.

799 Die Frauen der beiden Könige schritten aufeinander zu. Viele
schöne Damen wurden von Recken aus dem Sattel auf das Gras
gehoben. Die den Damen gern dienten, welch einen Eifer
wandten die auf!

800 Dann trafen die liebenswürdigen Frauen zusammen. So man­


cher Recke freute sich daran, wie formvollendet sich die beiden
begrüßten. Viele Kämpfer sah man dort mit Anstand bei den
Damen stehen.

soi Auch die Angehörigen des herrschaftlichen Gefolges gaben


sich die Hand. Höflich verneigten sich viele, und die schönen
Damen küßten sich liebevoll. Den beiden Königen und ihren
Leuten gefiel dieser Anblick sehr.

802 Sie warteten nicht länger und ritten zur Stadt. Der Landesherr
hatte dafür gesorgt, daß seine Gäste merkten, wie gern sie im
Burgundenland gesehen waren. Viele bemerkenswerte Ritter­
kämpfe wurden den jungen Damen vorgeführt.

803 Hagen von Tronje und Ortwin machten deutlich, daß sie eine
führende Rolle spielten. Niemand wagte, sich dem zu widerset­
zen, was sie anordneten. Sie erwiesen den edlen Gästen große
Dienstbereitschaft.
262 13. AVEN TIURE

804 Vil Schilde hört man schellen da zem burgetor


von Stichen und von stozen. vil lange habt der vor
der wirt mit sinen gesten, e daz si körnen drin.
ja gie in diu stunde mit vil grozen vreuden hin.

805 Fur den palas riehen mit freuden si do riten.


vil manigen pfellel spaehen, rieh und wol gesniten,
sach man über sätele den frowen wolgetan
allenthalben hangen, do chomen Guntheres man.

806 Die hiezen si do füeren balde an ir gemach,


under wilen blicken man Prunhilde sach
an frowen Chriemhilde, diu schoene was genuoch.
ir varwe gegen dem glanze den schin vil herlichen truoch.

807 Allenthalben schallen ze Wormez in der stat


hört manz gesinde. der wirt den marschalch bat,
Danchwart, Hagenen bruoder, er solde ir selbe pflegen,
do begunder daz gesinde harte guotliche legen.

808 Da uze und ouch dar inne spisen man si lie.


ez enwart deheiner geste baz gepflegen nie.
allez daz si wolden, des was man in bereit.
der chunich was so riche, daz da wart niemen niht verseit.

809 Man dient in friuntliche und ane allen haz.


der wirt do ze tische mit sinen gesten saz.
do muose sizzen Sivrit, als er e het getan,
mit im gie ze tische vil manic waetlicher man.

810 Einlife hundert recken an dem ringe sin


mit im zem ezzen sazen. Prunhilt diu kunigin
gedaht, daz eigen holde niht richer chunden wesen,
si was im noch so waege, daz si in gerne lie genesen.
SIEGFRIEDS UN D KRIEM H ILD S REISE NACH WORMS 263

804 Am Burgtor hörte man zahlreiche Schilde vom Aufprall der


Lanzen erklingen. Der Landesherr stand mit seinen Gästen
recht lange vor der Burg, ehe sie eintraten. Wirklich, ihnen ver­
ging die Zeit mit großem Vergnügen.

805 Freudig ritten sie vor den prächtigen Palas. Vielerlei schöne,
kostbare und gut zugeschnittene Decken hingen überall von
den Sätteln der hübschen Damen herab. Dann kamen Gunthers
Leute herbei.

806 Sie brachten die Gäste alsbald zu ihrer Unterkunft. Unterdessen


sah Brünhild immer wieder Kriemhild an, die sehr schön war.
Die Farbe ihres Gesichts überstrahlte ganz herrlich allen ande­
ren Glanz.

807 In der Stadt Worms hörte man überall den Lärm des Gefolges.
Der Landesherr beauftragte den Marschall Dankwart, Hagens
Bruder, selbst für sie zu sorgen. Der brachte die Begleitung
bestens unter.

808 Im Freien und auch im Burginneren servierte man Speisen. Es


war die beste Bewirtung, die man sich denken konnte. Was sie
nur wollten, stand für sie bereit. Der König verfügte über sol­
chen Reichtum, daß niemandem etwas versagt werden mußte.

809 Freundlich und ohne jede Abneigung wurden die Gäste be­
dient. Der Landesherr saß mit ihnen zu Tisch. Siegfried ließ
man dort Platz nehmen, wo er früher gesessen hatte. Viele statt­
liche Männer begleiteten ihn an die Tafel.

810 Elfhundert Recken saßen im Kreis mit ihm beim Essen. Die
Königin Brünhild dachte, daß Eigenleute so mächtig doch gar
nicht sein könnten. Noch war sie Siegfried so geneigt, daß sie
ihn gern am Leben sah.
264 13- AV EN TIURE

8i i Alda der wirt mit freuden mit sinen gesten saz,


vil der riehen chleider wart von wine naz,
da die schenchen solden zuo den tischen gan.
da wart vil voller dienest mit grozem willen getan,

812 So man ze hochgeciten lange hat gepflegen.


frowen unde meide hiez man schoene legen.
von swannen si dar chomen, der wirt in willen truoch,
mit vil grozen zuhten man gab in allen genuoch.

813 Do diu naht het ende und daz der tac erschein,
uz den leitschrinen vil manic edel stein
erluht in guoter waete, die ruorte frowen hant.
do wart dar fur gesuochet vil manic herlich gewant.

814 E daz ez vol ertagete, do chomen fur den sal


vil ritter unde knehte. do huop sich aber schal
vor einer fruomesse, die man dem kunige sanch.
da riten junge degene, daz mans in muose sagen danch.

815 Lut und ane maze manic pusun erdoz;


von trumben unde floyten wart der schal so groz,
daz Wormez, diu vil wite, dar nach vil lute erschal.
die hochgemuoten degene zen rossen chomen über al.

816 Do huop sich in dem lande harte hoh ein spil


von manigem guoten degene, der was da harte vil,
den ir tumbiu hercen rieten hohen muot.
der sah man under Schilde manigen zieren recken guot.
SIEGFRIEDS UND KRIEM H ILD S REISE NACH WORMS 265

sii Als der Landesherr mit seinen Gästen froh beim Mahl weilte
und die Mundschenken oft an die Tafel treten mußten, wurden
viele prächtige Kleider von verschüttetem Wein naß. Reichlich
und großzügig war die Bewirtung,

812 wie es bei Festen seit langem üblich ist. Den Damen und Mäd­
chen gab man schöne Unterkünfte. Ganz gleich, woher sie ka­
men, der Landesherr war ihnen zugetan und ließ sie reichlich
und mit hohem Anstand versorgen.

813 Sobald die Nacht zu Ende ging und der Tag anbrach, leuchtete
aus den Reisetruhen so mancher Edelstein auf den schönen Ge­
wändern, welche die Frauen herausnahmen. Sie suchten beson­
ders prächtige Kleider hervor.

sh Noch ehe es ganz hell geworden war, hatte sich eine große Zahl
von Rittern und Knappen vor dem Saal versammelt. Dort er­
hob sich bereits vor der Frühmesse, die für den König gesungen
wurde, einiger Trubel. Junge Kämpfer zeigten ihre Reiterkün­
ste, so daß man sie bewundern mußte.

815 Überlaut ertönten viele Posaunen; Trompeten und Flöten


steigerten den Klang derart, daß die weitläufige Stadt Worms
gewaltig davon widerhallte. Allerorten stiegen die freudig ge­
stimmten Ritter auf ihre Pferde.

816 Viele bewährte Kämpfer begannen dort mit einem sehenswer­


ten Turnier, es gab eine Menge, die in ihren jungen Herzen rit­
terlichen Mut faßte. Von ihnen sah man manch stattlichen
Recken mit seinem Schild anreiten.
266 13- AV EN TIURE

817 In diu venster sazen diu herlichen wip


und vil der schoenen mägede, gezieret was ir lip.
si sahen kurcewile von manigem chüenem man.
der wirt mit sinen degenen selbe riten da began.

818 Also vergie ir wile, diu duhte si niht lane.


do horte man zem tuome vil maniger glocken chlanc.
do chomen in die moere, die frowen riten dan.
den edeln kuniginnen volget vil manic chüene man.

819 Si stuonden vor dem munster nider uf daz gras.


Prunhilt ir gesten dannoch vil waege was.
si giengen under chrone in daz munster wit.
diu liebe wart sit gescheiden, daz frumte groezlicher nit.

820 Do si gehörten messe, si fuoren wider dan


mit vil grozen zuhten; man sach si sider gan
ze tische minnekliche. ir freude nie gelach
da zer hochgecite unz an den einliften tach.

821 Do gedaht diu kuniginne: »ine mac niht langer dagen.


swie ich daz gefüege, Chriemhilt muoz mir sagen,
warumbe uns also lange den zins versezzen hat
ir man, derst unser eigen, der vrage han ich cheinen rat.«

822 Sus warte si der wile, als ez der tiufel riet.


die fröude und ouch die hohgecit mit jamer si do schiet.
daz ir lach amme hercen, ze lieht ez muose chomen.
des wart in manigen landen von ir jamers vil vernomen.
SIEGFRIEDS UND KRIEMHILDS REISE NACH WORMS 267

817 In den Fensternischen saßen die anmutigen Frauen und viele


hübsche Mädchen, alle geschmückt. Sie beobachteten die
Kunststücke, welche die kühnen Männer vorführten. Auch der
Landesherr selbst beteiligte sich mit seinen Kämpfern an den
Ritterspielen.

818 Auf diese Weise verging die Zeit, ohne ihnen lang zu werden.
Dann hörte man vom Dom den Klang vieler Glocken. Schließ­
lich wurden den Damen die Pferde gebracht, und sie ritten fort.
Den edlen Königinnen folgten tapfere Männer in großer Zahl.

819 Vor dem Münster stiegen sie vom Pferd. Zu diesem Zeitpunkt
war Brünhild ihren Gästen noch ganz gewogen. Mit der Krone
auf dem Haupt zogen sie in das große Münster ein. Erst später
ging dieses freundliche Einvernehmen verloren, es wurde von
ungeheurem Haß zerstört.

820 Nachdem sie die Messe gehört hatten, ritten sie wieder zurück,
wie es die höfische Sitte vorschrieb; später sah man sie freund­
schaftlich miteinander zu Tisch gehen. Ihre Freude auf dem
Fest blieb ungebrochen bis zum elften Tag.

821 Da dachte die Königin Brünhild: »Ich kann nicht länger


schweigen. Ganz gleich, wie ich es zuwege bringe, Kriemhild
muß mir sagen, warum Siegfried, der doch unser Eigenmann
ist, uns so lange den Zins vorenthalten hat. Diese Frage muß
ich unbedingt stellen.«

822 Sie wartete noch eine Weile, wie es ihr der Teufel riet. Dann ver­
wandelte sie die Festfreude in Leid. Was sie im Herzen bewegte,
drängte ans Licht. Dadurch wurde ihr Leid in vielen Ländern
bekannt.
14- AVENTIURE
A V E N T IU R E W IE DIE C H U N I G IN N E M IT A N D E R Z E R W Ü R F E N

823 Vor einer vespercite man ufem hove sach


ze rossen manigen recken, husir unde dach
was allez vol durch schowen von Hüten über al.
do warn ouch die frowen zen venstern chomen in den sal.

824 Zesamene do gesazen die kuniginne rieh.


si reiten von zwein recken, die waeren lobelich.
do sprach diu frowe Chriemhilt: »ich han einen man,
daz elliu disiu riche zuo sinen henden solden stan.«

825 Des antwurt ir Prunhilt: »daz mohte vil wol sin,


ob niemen mere enlebte wan sin unde din,
so mohten im diu riche wol wesn undertan.
die wile aber lebt Gunther, so chundez nimmer ergan.«

826 Do sprach aber Chriemhilt: »nu sihstu, wier stat,


wie rehte herrenliche er vor den recken gat,
alsam der liehte mane vor den Sternen tuot!
des muoz ich wol von schulden tragen vrolichen muot.«

827 Do sprach diu husfrowe: »swie waetlich si din man,


swie schoene und swie biderbe, so muostu vor im lan
Günthern den recken, den edeln pruoder din.
der muoz vor allen kunigen mit lobe waerliche sin.«
14- AVENTIURE
W I E D IE K Ö N I G I N N E N M I T E I N A N D E R IN S T R E IT G E R IE T E N

823 An einem Nachmittag sah man viele Recken zu Pferde auf dem
Burghof. Überall schauten von den dichtbesetzten Dächern die
Leute zu. Auch die Damen waren im Saal an die Fenster getre­
ten.

824 Die beiden mächtigen Königinnen saßen beieinander. Sie spra­


chen über zwei ruhmreiche Recken. Plötzlich sagte Kriemhild:
»Mein Mann ist so überragend, daß ihm eigentlich die Herr­
schaft über alle diese Reiche zustünde.«

825 »Das wäre durchaus möglich«, entgegnete ihr darauf Brünhild,


»wenn niemand weiter lebte als er und du, dann könnte er die
Reiche beherrschen. Solange aber Gunther lebt, kann das nie­
mals geschehen.«

826 Da sagte Kriemhild: »Siehst du, wie er dasteht, wie herrschaft­


lich er den Recken vorangeht, wie der helle Mond vor den Ster­
nen! Ich habe allen Grund, darüber glücklich zu sein.«

827 Die Herrin des Hofes erwiderte jedoch: »Wie stattlich dein
Mann auch sein mag, wie schön und tüchtig, so mußt du doch
dem Recken Gunther, deinem edlen Bruder, den Vorrang zu­
gestehen. Ohne Zweifel ist er vor allen anderen Königen zu
rühmen.«
270 14- AVEN TIURE

828 Des antwurt ir Chriemhilt: »so tiwer ist wol min man,
daz ich in ane schulde niht gelobet han.
an vil manigen tugenden ist sin ere groz.
geloubestu des, Prunhilt, er ist wol Gunthers genoz.«

829 »Jane soltu mir ez, Chriemhilt, zarge niht vervan,


wände ich doch ane schulde die rede niht han getan,
ich hört si jehn beide, do ihs alrerste sach
und da des kuniges wille an mime libe geschach

830 Und da er mine minne so ritterlich gewan.


do jach des selbe Sivrit, er waere skuniges man.
des han ich in fur eigen, sit ihs in horte jehn.«
do sprach diu frowe Chriemhilt: »so waer mir übel geschehn.

831 Wie heten so geworben die edeln brüeder min,


daz ich eigenmannes wine solde sin?
des wil ich dich, Prunhilt, vil vriuntlichen biten,
daz du die rede lazest mit vil minneklichen siten.«

832 »Ine mag ir niht gelazen«, sprach do des kuniges wip,


»zwiu sold ich verchiesen so maniges recken lip,
der uns mit dem kunige ist dienstlich undertan?
mich müete, daz ich so lange niht zinsse von im gehabt han.«

833 »Du muost in von im verchiesen, daz er dir nimmer bi


wone deheiner dienste. er ist tiurrer danne si
Gunther, min bruoder. du soit nimmer daz gelebn,
daz er dir zinss deheinen von sinen landen muoze gebn.«

834 »Du ziuhest dich ze hohe«, sprach aber des kuniges wip,
»nu wil ich sehn gerne, ob man den dinen lip
habe ze solhen eren, als man den minen tuot.«
die frowen waren beide harte zornich gemuot.
DER FRAUENSTREIT UND DER MORDRAT 271

828 Darauf antwortete ihr Kriemhild: »Mein Mann ist so herausra­


gend, daß ich ihn nicht ohne Grund gerühmt habe. Seine Ehre
gründet sich auf viele ritterliche Tugenden. Darum glaub mir,
Brünhild, er ist Gunther mindestens ebenbürtig.«

829 »Ach, Kriemhild, du darfst mir nicht übelnehmen, was ich ge­
sagt habe, denn meine Worte sind nicht aus der Luft gegriffen.
Ich erinnere mich, was die beiden sprachen, als ich sie zum er­
sten Mal sah, als der König mich besiegte

830 und als er meine Liebe im ritterlichen Kampf gewann. Damals


sagte Siegfried selbst, er sei des Königs Eigenmann. Deshalb
halte ich ihn für einen Untergebenen; denn ich hörte, wie er es
sagte.« Darauf entgegnete Frau Kriemhild: »Dann wäre mir
übel mitgespielt worden.

831 Wie hätten meine edlen Brüder dem zustimmen können, daß
ich die Geliebte eines Eigenmannes würde? Darum bitte ich
dich, Brünhild, in aller Freundschaft, solches Gerede gefälligst
zu unterlassen.«

832 »Das kann ich nicht«, sagte darauf die Frau König Gunthers.
»Weshalb sollte ich auf so viele Recken verzichten, die uns mit
ihrem Herrn zum Dienst verpflichtet sind? Es ärgert mich, daß
ich so lange keinen Zins von ihm erhalten habe.«

833 »Du mußt aber darauf verzichten, daß er dir jemals irgendwel­
che Dienste leistet. Er ist von höherem Rang als mein Bruder
Gunther. Niemals wirst du erleben, daß er dir aus seinen Län­
dern Zins zahlt.«

834 »Du gehst wirklich zu weit«, rief König Gunthers Frau. »Nun
will ich doch einmal sehen, ob man dir die gleiche Ehre zu­
gesteht wie mir.« Die beiden adligen Frauen waren mächtig in
Zorn geraten.
272 14- AV EN TIURE

835 Do sprach diu frowe Chriemhilt: »daz muoz et nu geschehn.


sit du mines mannes fur eigen hast verjehn,
nu müezen hiute chiesen der zweier kunige man,
ob ich vor kuniges wibe turre zuo der kirchen gan.

836 Ich laze dich wol schowen, daz ich bin adel vri.
min man ist verre tiwere, danne der dine si.
da mite wil ich selbe niht bescholten sin.
du muost daz hinte chiesen, wie diu eigene diu din

837 Ze hove ge vor recken in Buregonde lant.


ich wil selbe wesn edeler danne iemen habe bêchant
deheine kuniginne, diu chrone ie her getruoch.«
do huop sich under den frowen grozes nides genuoch.

838 Do sprach aber Prunhilt: »wiltu niht eigen sin,


so muostu dich scheiden von den frowen min
mit dinem ingesinde, da wir zem munster gan.«
»entriwen«, sprach do Chriemhilt, »daz soi werden getan.«

839 »Nu kleidet iuch, min mägede«, sprach Sivrides wip.


»ez muoz ane schände beliben hie min lip.
ir suit daz lazen schowen, und habt ir riche wat.
si mac sin lougen gerne, des Prunhilt verjehn hat.«

840 Man moht in lihte raten, si suochten richiu chleit.


da wart vil wol gezieret manic frowe unde meit.
do gie mit ir gesinde des edeln wirtes wip.
ze wünsche wart gechleidet der schoenen Chriemhilden lip,

841 Mit drin und vierzech meiden, di brahtes an den Rin,


die truogen liehte pfellel, geworht in Arabin.
sus chomen zuo dem munster die meide wolgetan,
in warten vor dem huse alle Sivrides man.
DER FRAUENSTREIT UND DER MORDRAT 273

835 Die Herrin Kriemhild sagte: »Das wird gleich geschehen. Da du


meinen Mann als unfrei beschimpft hast, soll heute das gesamte
Gefolge der beiden Könige Klarheit gewinnen, wenn ich es
wage, vor der Frau des Königs die Kirche zu betreten.

836 Ich werde dir zeigen, daß ich frei und adlig bin. Mein Mann
genießt ein viel höheres Ansehen als der deine. Deshalb lasse
ich mich auch nicht beschimpfen. Du wirst noch heute sehen,
wie deine unfreie Dienerin

837 am Hof vor den Recken im Burgundenland auftritt. Ich selbst


werde alle Königinnen, die bisher eine Krone getragen haben,
an Vornehmheit übertreffen.« Damit war unversöhnliche Feind­
schaft zwischen den beiden adligen Frauen ausgebrochen.

838 Doch Brünhild sprach weiter: »Wenn du nicht unfrei sein willst,
mußt du dich mit deinem Gefolge von meinen Damen tren­
nen, sobald wir zum Münster gehen.« »In der Tat«, antwortete
Kriemhild, »das soll geschehen«.

839 »Zieht sofort eure Prunkkleider an, meine Mädchen«, befahl


Siegfrieds Gemahlin. »Meine Person muß hier ohne jede
Schmach bleiben. Ihr sollt zur Schau stellen, daß ihr kostbare
Gewänder besitzt. Brünhild wird noch bedauern, was sie gesagt
hat.«

840 Sie waren sofort dabei, die prächtigen Gewänder herauszusu­


chen. Viele Damen und Mädchen schmückten sich bestens.
Dann zog Kriemhild, die Frau des adligen Mannes, mit ihrem
Gefolge los. Auch die Schöne selbst war vollkommen gekleidet,

841 ebenso trugen dreiundvierzig Mädchen, die sie mit an den


Rhein gebracht hatte, glänzende, in Arabien gewebte Seiden­
stoffe. So erreichten die schönen Mädchen das Münster, wo
Siegfrieds Männer sie erwarteten.
274 14- AV EN TIURE

842 Die Hute nam des wunder, wa von daz geschach,


daz man die kuniginne nu gescheiden sach.
daz si niht bi ein ander giengen alsam e,
da von wart manigem degene sit vil sorchlichen we.

843 Hie stuont vor dem munster daz Guntheres wip.


do hete kurcewile vil maniges recken lip
mit den schoenen frowen, der si da namen war.
do chôme diu edel Chriemhilt mit maniger herlichen schar.

844 Swaz kleider ie getruogen edeler ritter kint,


wider ir gesinde was iz gar ein wint.
si was so rieh des guotes, daz drizech kunige wip
niht mohten wol erziugen, daz tet der Chriemhilde lip.

845 Ob iemen wünschen solde, der chunde niht gesagn,


daz man so richer chleider gesaehe ie mer getragn,
als in der wile truogen ir meide wolgetan.
wan ze leide Prunhilde ez hete Chriemhilt verlan.

846 Zesamne si do chomen vor dem munster wit.


ez tet diu husfrowe durch einen grozen nit,
die edeln Chriemhilde hiez si stille stan:
»ja soi vor kuniges wibe nimmer eigen diu gegan!«

847 Do sprach diu frowe Chriemhilt, zornic was ir muot:


»chundest noch geswigen, daz waere dir guot.
du hast geschendet selbe den dinen schoenen lip.
wie mac immer chebse mit rehte werden chuniges wip?«

848 »Wen hastu hie verchebset?« sprach des kuniges wip.


»daz tuon ich dich«, sprach Chriemhilt, »den dinen schoenen lip
minnet erste Sivrit, min vil lieber man.
ja enwas ez niht min bruoder, der dir den magetuom an gewan.
DER FRAUENSTREIT UN D DER MORDRAT 275

842 Die Leute wunderten sich, weshalb man die Königinnen jetzt
getrennt auftreten sah. Daß sie nicht wie früher nebeneinander
gingen, daraus entstand später für viele Kämpfer großes Leid.

843 Gunthers Gemahlin stand bereits vor der Kirche. Zahlreiche


Recken hatten ihre Freude an den schönen Damen, die sie dort
erblickten. Dann kam die adlige Kriemhild mit einem großen,
stattlichen Gefolge.

844 Was sonst die Töchter edler Ritter an Gewändern trugen, ver­
blaßte gegenüber der Pracht ihres Hofstaats. Kriemhild war so
reich, daß wohl dreißig Königinnen zusammen sie nicht hätten
ausstechen können.

845 Auch wer Phantasie hat, könnte sich keine prächtigeren Klei­
der vorstellen, als Kriemhilds Mädchen in diesem Augenblick
trugen. Nur um Brünhild zu beleidigen, hatte Kriemhild diesen
Prunk eingesetzt.

846 Vor dem breiten Münster trafen sie zusammen. Bewegt von
tiefem Haß, befahl die Landesherrin der edlen Kriemhild ste­
henzubleiben: »Halt! Niemals darf die unfreie Dienerin vor der
Gemahlin des Königs den Vortritt haben.«

847 Voller Zorn entgegnete die Herrin Kriemhild: »Es wäre gut für
dich gewesen zu schweigen. Nun hast du selbst deine Schönheit
mit Schande bedeckt. Wie kann denn eine Kebse rechtmäßig
die Frau eines Königs werden?«

848 »Wen hast du hier als Kebse beschimpft?«, fragte des Königs
Gemahlin. »Dich«, antwortete Kriemhild, »deinen schönen
Körper hat Siegfried, mein lieber Mann, als erster besessen. Es
war jedenfalls nicht mein Bruder, der dir deine Jungfräulichkeit
genommen hat.
276 14- AVEN TIURE

849 War chomen dine sinne? ez was ein arger list,


zwiu lieze du in minnen, sit er din eigen ist?
ich hoere dich«, sprach Chriemhilt, »ane alle schulde klagn.«
»entriwen«, sprach do Prunhilt, »daz wil ich Gunthere sagn.«

850 »Dich hat din ubermuote«, sprach Chriemhilt, »betrogen,


du hast mich ze dienste mit rede dich an gezogen.
daz wizze in rehten triwen, ez ist mir immer leit.
getriwer heinliche wirde ich dir nimmer mer bereit.«

851 Prunhilt do weinde. Chriemhilt niht langer lie;


vor des kuniges wibe inz munster si do gie
mit ir ingesinde. do huop sich grozer haz,
des wurden liehtiu ougen vil starche trüebe unde naz.

852 Swaz man gote gediente oder iemen da gesanch,


des duhte Prunhilde diu wile gar ze lanch;
wände ir was vil trüebe der lip und al der muot.
des muosin sit engelten recken chüene unde guot.

853 Prunhilt mit ir frowen gie fur daz munster stan.


si gedahte: »mich muoz Chriemhilt mere hoeren lan,
des mich so lute zihet daz wortraeze wip;
und hat er sichs gerüemet, ez gat Sivride an den lip.«

854 Nu chom diu vrou Chriemhilt mit manigem chüenen man,


do sprach diu husvrowe: »ir suit mich ez lan verstan.
ir jahet min ze chebsen, daz suit ir lazen sehen
und suit ez hie bewaeren, wa mir daz laster si geschehen.«
DER FRAUENSTREIT UND DER MORDRAT 277

849 Warst du nicht bei Sinnen? Es geschah ein böser Betrug.


Warum ließest du Siegfried mit dir schlafen, wo er doch dein
Eigenmann ist? Du klagst also ohne jeden Grund.« »Unbe­
dingt«, sprach Brünhild, »will ich das Gunther sagen.«

850 »Deine Überheblichkeit hat dich verblendet«, fuhr Kriemhild


fort, »du hast behauptet, ich sei dir zu Dienst verpflichtet. Doch
ich versichere dir, daß ich diese Beleidigung niemals ver­
schmerzen werde. Nie wieder werde ich vertrauensvoll mit dir
Zusammensein.«

851 Da weinte Brünhild. Kriemhild wartete nicht länger; sie betrat


mit ihrem Gefolge vor der Gemahlin des Königs das Münster.
Große Feindschaft entstand daraus, und helle Augen trübten
sich deshalb von Tränen.

852 Der Gottesdienst und der Gesang erschienen Brünhild unend­


lich lang; denn ihr Körper und Sinn waren völlig erschüttert.
Dafür mußten später tapfere, edle Recken büßen..

853 Brünhild und ihre Damen warteten vor dem Münster. Sie
dachte bei sich: »Kriemhild muß mir mehr darüber sagen, was
sie mir scharfzüngig vorwirft; und wenn Siegfried sich mit einer
solchen Tat gebrüstet hat, kostet es ihn sein Leben.«

854 Als nun Kriemhild mit vielen kühnen Männern wieder heraus­
kam, sprach die Herrin des Hofes: »Ihr seid mir eine Erklärung
schuldig. Warum ihr mich Kebse genannt habt, sollt ihr offen
darlegen und beweisen, wo mir die Schande widerfahren ist.«
278 14- AV ENTIURE

855 Do sprach diu schoene Chriemhilt: »ir möht mich lazen gan;
ich erziugez mit dem golde, daz ich an der hende han.
daz brahte mir min vriedel, do er erste bi dir gelach.«
nie gelebte Prunhilt deheinen leidem tach.

856 »Diz golt ich wol erchenne, ez wart mir verstoln«,


sprach diu kuniginne, »und ist lange mich verholn.
ich chum es an ein ende, wer mirz habe genomen.«
die frowen beide waren in groz ungemuote chomen.

857 Do sprach aber Chriemhilt: »ine wils niht wesn diep.


du mohtes wol gedaget han, und waere dir ere liep.
ich erziugez mit dem gurtel, den ich hie umbe han.
daz ich ez niht enliuge. ja wart min Sivrit din man.«

858 Von Ninnive der siden si den porten truoch,


von edelem gesteine guot was er genuoch.
do den Prunhilt gesach, weinen si began.
daz muose vreischen Gunther und alle Buregonde man.

859 Do sprach diu kuniginne: »heizet her gan


den fürsten vom Rine. ich wil in hoeren lan,
wie mich hat gehoenet siner swester lip.
si sagt hie offenliche, ich si Sivrides wip.«

860 Der kunic chom mit recken, weinen er do sach


die sinen trutinne. wie guotlich er sprach:
»saget mir, liebiu frowe, waz ist iu getan?«
si sprach: »vil lieber herre, von schulden muoz ich trurich stan.
DER FRAUENSTREIT UND DER MORDRAT 279

855 Darauf antwortete die schöne Kriemhild: »Ihr hättet mich lie­
ber gehen lassen sollen; denn ich beweise es mit dem Goldring,
den ich an der Hand trage. Den brachte mir mein Geliebter,
nachdem er als erster mit dir geschlafen hatte.« Das war der
leidvollste Tag in Brünhilds Leben.

856 »Den goldenen Ring erkenne ich sehr wohl, er wurde mir ge­
stohlen«, sagte die Königin, »und lange vor mir verborgen. Ich
finde noch heraus, wer ihn mir genommen hat.« Die beiden
adligen Damen waren sehr aufgebracht.

857 Da sprach wiederum Kriemhild: »Ich lasse mich nicht als Die­
bin beschuldigen. Wäre dir an deiner Ehre gelegen, so hättest
du lieber geschwiegen. Ich beweise mit dem Gürtel, den ich hier
umhabe, daß ich nicht lüge. Wahrhaftig, mein Siegfried hat mit
dir geschlafen.«

85« Sie trug den Gürtel von Seide aus Ninive, er war mit Edelstei­
nen besetzt und besonders wertvoll. Als Brünhild ihn erblickte,
brach sie in Tränen aus. Das mußten nun Günther und alle
Burgunden erfahren.

859 Die Königin sagte: »Laßt den Fürsten vom Rhein herkommen.
Ich will ihm kundtun, wie mich seine Schwester beleidigt hat.
Sie behauptet hier öffentlich, ich hätte mit Siegfried geschla­
fen.«

860 Der König kam mit seinen Recken und sah seine Geliebte wei­
nen. »Sagt mir, liebe Herrin«, fragte er freundlich, »was ist euch
angetan worden?« Sie antwortete: »Mein lieber Herr, ich habe
wirklich Grund, traurig zu sein.
280 14. AVENTIURE

861 Von allen minen eren mich diu swester din


gerne wolde scheiden, dir soi geklaget sin:
si giht, mich habe gechebset Sivrit, ir man.«
do sprach der kunic Gunther: »so hetes ubele getan.«

862 »Si treit hie minen gurtil, den ich lange han verlorn,
und ouch min guldin vingerlin. daz ich ie wart geborn,
daz muoz mich immer riwen, dune beredest mich,
kunic, der grozen schänden, daz diene ich immer umbe dich.«

863 Do sprach der kunic Gunther: »nu lat in her gan.


hat er sichs gerüemet, daz soi er hoeren lan,
oder sin muoz lougen der heit uz Niderlant.«
den Chriemhilde vriedel hiez man bringen sa zehant.

864 Do der herre Sivrit die ungemuoten sach,


ern wiste niht der maere, wie balde er do sprach:
»waz weinent dise frowen? daz het ich gerne erchant,
oder von weihen schulden der kunic habe nach mir gesant.«

865 Do sprach der chunk Gunther: »daz ist mir durch dich leit.
mir hat min frowe Prunhilt ein maere hie geseit,
du habst dich des gerüemet, daz du ir schoenen lip
erste habest geminnet. daz seit frowe Chriemhilt, din wip.«

866 Do sprach der herre Sivrit: »und hat si daz geseit,


e daz ich erwinde, ez soi ir werden leit,
und wil dir daz enpfüeren vor allen dinen man
mit minen hohen eiden, daz ichs ir niht gesaget han.«

867 Do sprach der kunich von Rine: »daz soltu lazen sehen,
daz gerihte, daz du biutest, und mac daz hie geschehen,
aller valscen dinge wil ich dich ledic lan.«
man hiez zuo zeime ringe die stolzen Buregonde gan.
DER FRAUENSTREIT UND DER MORDRAT 281

861 Deine Schwester wollte mir all meine Ehre nehmen. Es sei dir
geklagt: Sie behauptet, Siegfried, ihr Mann, habe mich zu seiner
Kebse gemacht.« Darauf antwortete König Gunther: »Das ist
ein böser Vorwurf.«

862 »Sie trägt hier meinen Gürtel, den ich vor langer Zeit verloren
habe, und außerdem meinen goldenen Ring. Daß ich über­
haupt geboren wurde, wird mir immer leid tun, wenn du, Kö­
nig, mich nicht von der großen Schande befreist. Das erwarte
ich, und ich werde dir immer dafür dankbar sein.«

863 König Gunther sagte: »Nun laßt Siegfried herkommen. Wenn


sich der Held aus Niederland damit gebrüstet hat, soll er es zu­
geben, oder er muß dem widersprechen.« Sogleich ließ man
Kriemhilds Geliebten holen.

864 Als Herr Siegfried die Aufgebrachten sah, wußte er zunächst


nicht, worum es ging. Sofort fragte er: »Warum weinen diese
Damen? Das wüßte ich gern und auch den Grund, weshalb der
König nach mir gesandt hat.«

865 Darauf antwortete König Gunther: »Du hast mich beleidigt.


Brünhild, meine Frau, sagte mir hier, du hättest dich gerühmt,
als erster mit der Schönen geschlafen zu haben. Das behauptet
jedenfalls deine Frau Kriemhild.«

866 Da entgegnete Siegfried: »Wenn sie das behauptet hat, wird es


ihr noch leid tun, ich werde es nicht auf sich beruhen lassen
und will vor allen deinen Leuten mit heiligen Eiden schwören,
daß ich ihr nichts Derartiges berichtet habe.«

867 Der König vom Rhein sprach: »Das sollst du öffentlich bezeu­
gen. Wenn der Eid, den du anbietest, hier vollzogen wird, dann
will ich dich von allen falschen Anwürfen freisprechen.« Man
ließ die stolzen Burgunden einen Ring bilden.
282 14- AVENTIURE

868 Sivrit gein dem eide hohe bot die hant.


do sprach der kunic riche: »mir ist so wol erchant
iwer groz unschulde, ich wil iuch ledic lan,
des iuch min swester zihet, daz ir des nine habt getan.«

869 Do sprach aber Sivrit: »geniuzet es min wip,


daz si so hat betruobet den Prunhilde lip,
daz ist mir sicherlichen ane maze leit.«
do sahen zuo zein ander die guoten ritter gemeit.

870 »Man soi so frowen ziehen«, sprach Sivrit, der degen,


»daz si uppekliche Spruche lazen under wegen,
verbiut ez dime wibe, der minen tuon ich sam.
ir grozen unfuoge ich mih waerlichen scam.«

871 Mit rede was gescheiden manic schoene wip.


do truret also sere der Prunhilde lip,
daz ez erbarmen muose die Guntheres man.
do chom von Tronege Hagene zuo siner frowen gegan.

872 Er vragte, waz ir waere, weinende er si vant.


do sagtes im diu maere, er lobt ir sa zehant,
daz ez erarnen muose der Chriemhilde man,
oder ern wolde nimmer dar umbe vrolich gestan.

873 Zu der rede chom Ortwin und ouch Gernot,


da die helde rieten den Sivrides tot.
dar zuo chom ouch Giselher, der edeln Uoten kint.
do er ir rede gehörte, er sprach vil guotlichen sint:

874 »Owe, ir guoten knehte, warumbe tuot ir daz?


jane gediente Sivrit nie alsolhen haz,
daz er darumbe solde Verliesen sinen lip.
ja ist es harte lihte, darumbe zurnent diu wip.«
DER FRAUENSTREIT UND DER MORDRAT 283

868 Siegfried erhob die Hand zum Eid. Darauf sagte der mächtige
König: »Ich erkenne eure völlige Unschuld an und spreche euch
frei. Was meine Schwester euch vorwirft, das habt ihr niemals
getan.«

869 Seinerseits fügte Siegfried hinzu: »Käme meine Frau für die
schwere Beleidigung Brünhilds ohne Strafe davon, hätte ich
bestimmt keine Ruhe mehr.« Die edlen, stattlichen Ritter sahen
einander in stillem Einvernehmen an.

870 »Man soll Frauen so erziehen«, sprach Siegfried, der Kämpfer,


»daß sie unnützes Gerede unterlassen. Verbiete es deiner Frau,
wie ich es bei meiner tue. Ich schäme mich wirklich wegen ihrer
Ungehörigkeit.«

871 Nach diesem Übereinkommen redeten viele schöne Frauen


nicht mehr miteinander. Brünhild verfiel in solche Traurig­
keit, daß Gunthers Leute Mitleid empfinden mußten. Da ging
Hagen von Tronje zu seiner Herrin.

872 Als er sie weinen sah, fragte er, was sie bewegte. Sie berichtete
ihm von den Vorgängen. Sofort versprach er ihr, daß Kriem-
hilds Mann dafür büßen müsse, sonst könne er selbst seines
Lebens nicht mehr froh werden.

873 Zu diesem Gespräch kamen Ortwin und Gernot hinzu, und die
Helden beschlossen Siegfrieds Tod. Auch Giselher, der jüngste
Sohn der edlen Ute, trat zu ihnen. Als er ihre Entscheidung
hörte, sagte er beschwichtigend:

874 »O weh, ihr edlen Männer, weshalb tut ihr das? Auf keinen Fall
hat Siegfried solche Feindschaft verdient, daß er sein Leben ver­
lieren sollte. Ja, es ist doch im Grunde belanglos, worum die
Frauen sich streiten.«
284 14- AV ENTIURE

875 »Suln wir gouche ziehen?« sprach aber Hagene.


»des habent luzzil ere so guote degene.
daz er sich hat gerüemet der lieben frowen min,
darumbe wil ich sterben, ez enge im an daz leben sin.«

876 Do sprach der kunic Gunther: »ern hat uns niht getan
wan getriwer dienste; man soi in lebn lan.
waz toug, ob wir dem degene waern nu gehaz?
er was uns ie getriwe und tet vil willechliche daz.«

877 Do sprach uzer Metzen der degen Ortwin:


»jane kan in niht gehelfen diu groze sterche sin.
erloubt mirz min herre, ez muoz im werden leit.«
do heten im die degene ane schulde widerseit.

878 Do liezen siz beliben. spilen man do sach.


hey, waz man starcher schelte vor dem munster brach
vor Sivrides wibe al zuo dem sale dan!
do wurden in unmuote genuoge Guntheres man.

879 Sin gevolgete niemen, niwan daz Hagene


riet alle cite Gunther dem degene,
ob Sivrit niht enlebte, so wurde in undertan
vil der kunige lande, der heit do truren began.

880 Er sprach: »nu lat beliben den mortlichen zorn.


er ist uns ze saelden und zen eren geborn.
ouch ist so grimme chüene der vil starche man.
ob er sin innen wurde, sone torst in niemen bestan.«

881 »Nein, ich«, sprach do Hagene. »ir mugt wol stille dagen.
ich kanz heinliche wol also an getragen.
daz Prunhilde weinen soi im werden leit.
ja muoz im von Hagene immer wesn widerseit.«
DER FRAUENSTREIT UND DER MORDRAT 285

875 »Sollen wir hier Bastarde aufziehen?«, entgegnete Hagen. »Das


bringt so tüchtigen Kämpfern wenig Ehre. Weil Siegfried sich
mit meiner lieben Herrin gebrüstet hat, muß er sterben, oder
ich selbst will nicht weiterleben.«

876 König Gunther aber sagte: »Er hat uns stets treue Dienste gelei­
stet; man soll ihn am Leben lassen. Was nützt es, wenn wir den
Kämpfer jetzt mit Feindschaft verfolgen? Er war uns gegenüber
immer treu und hat uns vollkommen freiwillig geholfen.«

877 Der Kämpfer Ortwin von Metz erwiderte jedoch: »In der Tat,
seine große Stärke kann ihm hier nichts nützen. Wenn mein
Herr es mir erlaubt, muß er es büßen.« Nun hatten die Kämp­
fer Siegfried grundlos zu ihrem Feind erklärt.

878 Zunächst ließen sie die Sache ruhen. Man schaute den Ritter­
spielen zu. Ach, wie viele starke Lanzen zerbrachen auf dem
Vorplatz zwischen dem Münster und dem Saal vor den Augen
von Siegfrieds Frau! Das erregte bei Gunthers Leuten großen
Unmut.

879 Niemand außer Hagen verfolgte den Vorfall weiter, er redete


Gunther, dem Kämpfer, immer wieder ein, daß ihnen viele
Königreiche untertan sein würden, wenn Siegfried nicht mehr
lebte. Darüber fiel der Held in trübe Gedanken.

880 »Gebt eure Mordgier auf«, sagte er, »Siegfried lebt zu unserem
Glück und zu unserer Ehre. Zudem ist dieser außerordentlich
starke Mann furchtbar kühn. Wenn er etwas merkt, dann wird
es niemand wagen, gegen ihn anzutreten.«

881 »Doch, ich«, entgegnete Hagen. »Ihr müßt auf jeden Fall
Schweigen bewahren. Ich kann es heimlich vorbereiten. Briin-
hilds Tränen werden ihm noch leid tun. Ich, Hagen, erkläre ihn
für immer zu meinem Feind.«
286 14. AVEN TIURE

882 Do sprach der kunic Gunther: »wie mohte daz ergan?«


des antwurt im Hagene: »ich wilz iuch hoeren lan:
wir heizen boten riten zuo zuns in daz lant
widersagen offenliche, die hie niemen sin bêchant.

883 So jehet vor den gesten, daz ir und iwer man


wellet herverten. also daz ist getan,
so lobt er iu die reise, des vliuset er den lip.
da man in mac verhowen, diu maere saget mir sin wip.«

884 Der kunic gevolget ubele Hagene, sinem man.


vil michel untriwe begunden tragen an,
e iemen daz erfunde, die recken uz erchorn.
von zweier frowen bagen wart vil der degene verlorn.
DER FRAUENSTREIT UND DER MORDRAT 287

882 Darauf fragte der König Gunther: »Wie soll das vor sich ge­
hen?« Hagen antwortete ihm: »Ich will es euch erläutern: Wir
lassen Boten, die hier niemand kennt, in unser Land einreiten
und uns öffentlich Fehde ansagen.

883 Dann tut euren Gästen kund, daß ihr mit euren Leuten in den
Krieg ziehen wollt. Sobald das geschehen ist, wird Siegfried
euch versprechen, an der Heerfahrt teilzunehmen. Dabei soll er
sein Leben verlieren. Seine Frau wird mir verraten, wo man ihn
verwunden kann.«

884 Es war eine böse Sache, daß der König dem Rat seines Lehns­
mannes folgte. Bevor jemand etwas merkte, begannen die aus­
erwählten Recken ihre ungeheure Treulosigkeit in die Tat um­
zusetzen. Durch den Streit zweier Frauen kamen viele Kämpfer
ums Leben.
15- AVENTIURE
A V E N T IU R E W IE ZE W O R M Z E W ID E R S A G E T W A RT

885 An dem vierden morgen zwen und drizzech man


sach man ze hove riten. do wart ez kunt getan
Gunther dem vil riehen, im waere widerseit.
von lüge erstuonden frowen diu aller grozisten leit.

886 Urloup si gewunnen, si solden für gan,


und jähen, daz si waeren die Liudegers man,
den e da het betwungen diu Sivrides hant
und in ze gisel brahte in daz Guntheres lant.

887 Die boten er do gruozte und hiez si sizzen gan.


ir einer sprach dar under: »herre, lat uns stan,
unz wir sagn diu maere, di iu enboten sint.
ja habt ir ze vinde, daz wizzet, manich muoter kint.

888 Iu widersagt Liudegast unde Liudeger,


den ir da wilen tatent diu gremlichen ser.
die wellent zuo ziu riten mit her in dizze lant.«
do begunde zürnen Gunther, als ob ez waere im unbechant.

889 Man hiez die trugenaere zen herbergen varn.


wie chunde sich Sivrit do da vor bewarn,
er oder ander iemen, daz si truogen an?
daz wart sider in selben ze grozem leide getan.
15- AVENTIURE
W IE IN W O R M S F E H D E A N G E S A G T W U R D E

885 Am vierten Morgen sah man zweiunddreißig Männer zum Hof


reiten. Dann wurde dem mächtigen Gunther gemeldet, ihm sei
Fehde angesagt worden. Aus dieser Lüge erwuchs den Frauen
ungeheures Leid.

886 Die Boten erhielten die Erlaubnis, näher zu treten, und sie er­
klärten, daß sie Leute von Liudeger wären, den Siegfried einst
mit eigener Hand besiegt und als Geisel in Günthers Land ge­
bracht hatte.

887 Gunther begrüßte die Boten und forderte sie auf, Platz zu neh­
men. Einer von ihnen sagte: »Herr, laßt uns stehenbleiben, bis
wir die Nachrichten vorgetragen haben, die wir euch melden
sollen. Wahrhaftig, ihr habt, das m üßt ihr wissen, die Söhne
vieler Mütter zu Feinden.

888 Liudegast und Liudeger, denen ihr einst großes Leid zugefügt
habt, sagen euch Fehde an. Sie wollen mit ihrem Heer zu euch
in dieses Land einreiten.« Da wurde Gunther zornig, als wäre
ihm die Sache unbekannt.

889 Man ließ den betrügerischen Boten eine Unterkunft anweisen.


Wie hätte Siegfried oder sonst jemand das durchschauen kön­
nen, was sie planten? Das fiel später als großes Leid auf sie
selbst zurück.
290 15- AV ENTIURE

890 Der kunic mit sinen friunden runende gie.


Hagene von Tronege in nie geruowen lie.
noch heten ez gescheiden gnuoge skuniges man;
done wolde Hagene nie des rates abe gan.

891 Eines tages Sivrit si runende vant.


do begunde vragen der helt von Niderlant:
»wie get so trurekliche der kunic und sine man?
daz sol ich immer rechen, hat im iemen iht getan.«

892 Do sprach der kunic Gunther: »mir ist von schulden leit.
Liudegast und Liudeger di hant mir widerseit.
si wellent nu offenliche riten in min lant.«
do sprach der degen chüene: »daz soi diu Sivrides hant

893 Wol nach iwern eren mit vlize understan.


ja getuon ich den degenen, als ich han e getan,
ich gelege in wuoste ir burge und ouch ir lant,
e daz ich erwinde. des si min houbet iwer pfant.

894 Ir und iwer recken, ir suit hie bestan,


und lat mich zuo zin riten mit den und ich hie han.
daz ich iu gerne diene, daz laz ich iuch gesehn.«
do begunde im Gunther darumbe groz genade jehn.

895 Do schicten si die reise mit den knehten dan.


Sivride und sinen degenen ze sehn ez was getan,
do hiez er sich bereiten die von Niderlant,
die uzerwelten degene die suohten stridich gewant.
VORBEREITUNG ZU SIEGFRIEDS ERMORDUNG 291

890 Der König traf sich mit seinen Freunden zu heimlicher Bera­
tung. Hagen von Tronje ließ ihm keine Ruhe. Viele Leute des
Königs hätten gern eine friedliche Lösung gesucht; doch Hagen
wollte seinen Mordplan durchaus nicht aufgeben.

891 Eines Tages fand Siegfried sie bei einer heimlichen Beratung.
Da fragte der Held von Niederland; »Warum sind der König
und seine Männer so bedrückt? Wenn jemand ihm etwas ange­
tan hat, werde ich es auf jeden Fall rächen.«

892 König Gunther antwortete darauf: »Aus gutem Grund bin ich
in Sorge. Liudegast und Liudeger haben mir Fehde angesagt.
Sie wollen jetzt unverhohlen in mein Land eindringen.« Da
sagte der tapfere Kämpfer: »Das werde ich, Siegfried, eigen­
händig

893 zu eurer Ehre mit allem Eifer verhindern. Ja, ich trete den
Kämpfern wieder genauso entgegen, wie ich es damals getan
habe. Ich ruhe nicht eher, als bis ich ihre Burgen und ihr Land
in Schutt und Asche gelegt habe. Dafür setze ich meinen Kopf
zu eurem Pfand.

894 Ihr und eure Recken könnt hierbleiben, laßt mich mit meinen
Leuten zu ihnen reiten. Daß ich euch gern zu Diensten bereit
bin, will ich damit beweisen.« Dafür dankte ihm Gunther sehr.

895 Sie bereiteten den Kriegszug mit den Knappen vor. Absichtlich
geschah das unübersehbar für Siegfried und seine Kämpfer.
Siegfried befahl den Leuten von Niederland, sich zurechtzuma­
chen, und die auserwählten Kämpfer holten ihre Rüstungen
herbei.
292 15- AV EN TIURE

896 Do sprach der herre Sivrit: »min vater Sigemunt,


ir suit hie beliben. ich chum in kurcer stunt,
git uns got gelucke, her wider an den Rin.
ir suit bi dem kunige hie vil vroliche sin.«

897 Diu Zeichen si an bunden, also si wolden dan.


do waren da genuoge Guntheres man,
dine wessen niht der maere, wa von ez was geschehn.
man mohte groz gesinde do bi Sivride sehn.

898 Ir helm und ouch ir priinne si bunden uf diu march,


do wolde von dem lande vil manich recke starch.
do gie von Tronege Hagene, da er Chriemhilde vant,
und bat im gebn urloup, si wolden rumen daz lant.

899 »So wol mich«, sprach do Chriemhilt, »daz ich ie gewan den man,
der minen lieben friunden so tar vor gestan,
also min herre Sivrit tuot den friunden min.
des muoz ich hohes muotes«, sprach diu kuniginne, »sin.

900 Vil lieber friunt Hagene, nu gedenchet an daz,


daz ich iu gerne diene und nie noch wart gehaz.
des lazet mich geniezen an minen lieben man.
ern soi des niht engelten, hab ich Prunhilde iht getan.

901 Daz hat mih sit gerowen«, sprach daz edel wip,
»ouch hat er so zerblowen dar umbe minen lip.
daz ich ie beswarte ir mit rede den muot,
daz hat vil wol errochen der heit chüene unde guot.«

902 »Ir werdet wol geffiunde her nach disen tagen.


Chriemhilt, liebiu frowe, ja suit ir mir sagen,
wie ich iu muge gedienen an Sivride, iwerm man.
daz tuon ich, frowe, gerne, baz ihs niemen gan.«
VORBEREITUNG ZU SIEGFRIEDS ERMORDUNG 293

896 Dann sagte Herr Siegfried: »Mein Vater Siegmund, ihr sollt
hierbleiben. Wenn Gott uns das Kriegsglück beschert, kehre ich
in Kürze an den Rhein zurück. Wartet zuversichtlich hier beim
König.«

897 Als sie fortwollten, banden sie die Fahnen fest. Viele von
Gunthers Leuten wußten überhaupt nicht, weshalb das alles
geschah. Bei Siegfried sah man ein großes Gefolge.

898 Ihre Helme und Brustpanzer banden sie zunächst auf die
Pferde. Eine große Schar starker Recken wollte aus dem Lande
ziehen. Hagen von Tronje ging zu Kriemhild, um sich zu ver­
abschieden, weil der Aufbruch bevorstehe.

899 »Wie gut für mich«, sagte Kriemhild, »daß ich einen Mann
habe, der meinen lieben Verwandten so beizustehen wagt, wie
mein Herr Siegfried es tut. Darauf muß ich stolz sein.« So lau­
teten die Worte der Königin.

900 »Lieber Freund Hagen, denkt daran, daß ich euch gern gefällig
bin und nie feindlich gesonnen war. Haltet mir das für meinen
lieben Mann zugute. Er soll nicht dafür büßen, wenn ich Brün-
hild beleidigt habe.

901 Ich bereue das längst«, sprach die adlige Frau, »außerdem hat
mich Siegfried deswegen mit Schlägen bestraft. Daß ich ihr
Herz mit meinen Worten beschwert habe, hat der tapfere, tüch­
tige Held zur Genüge gerächt.«

902 »Sicher werdet ihr euch in nächster Zeit wieder vertragen.


Kriemhild, liebe Herrin, ihr müßt mir sagen, wie ich Siegfried,
eurem Mann, beistehen kann. Herrin, ich werde es gern tun,
lieber als für irgend jemand sonst.«
294 15. AV EN TIURE

903 »Ich waer an alle sorge«, sprach daz edel wip,


»daz im niemen naeme in sturme sinen lip,
ob er niht volgen wolde siner ubermuot.
so waer ouch immer sicher der heit chüene unde guot.«

904 Do sprach aber Hagene: »frowe, habt ir wan,


ob man in muge versniden, ir suit mich wizzen lan,
mit wie getanen listen ich daz sül understan.
ich wil im ze huote immer riten unde gan.«

905 Si sprach: »du bist min mag, sam bin ich der din.
ich bevilhe dir mit triwen den holden wine min,
daz du mir behüetest den minen lieben man.«
si seit im kundiu maere, daz bezzer waere verlan.

906 Si sprach: »min man ist chüene, dar zuo starch genuoch.
do er den lintrachen an dem berge sluoch,
do batte sich in dem bluote der recke vil gemeit.
da von in sit in stürmen nie dehein wafen versneit.

907 Idoch so han ich sorge, swenner in sturme stat


und vil der gereschuzze von recken handen gat,
daz ich da Verliese den minen lieben man.
hey, waz ich grozzer leide dicke umbe minen friunt han!

908 Ich meldez uf genade, vil lieber friunt, dir,


daz du dine triwe behaldest ane mir.
da man da mach verhowen den minen lieben man,
daz laz ich dich wol hoeren; dest uf genade getan.

909 Do von des trachen wunden vloz daz heize bluot


und sich dar inne badete der chüene recke guot,
do gehafte im zwischen herten ein lindenblat vil breit,
da mac man in verhowen; des ist mir sorgen vil bereit.«
VORBEREITUNG ZU SIEGFRIEDS ERMORDUNG 295

903 »Ich hätte keine Sorge«, sagte die adlige Frau, »daß ihm jemand
im Kampf das Leben nehmen könnte, wenn nicht manchmal
sein Übermut mit ihm durchginge. Sonst wäre der tapfere,
tüchtige Held immer sicher.«

904 Da erwiderte Hagen: »Herrin, wenn ihr fürchtet, man könnte


ihn verwunden, sagt mir, wie ich das abwehren soll. Ich will zu
seinem Schutz stets neben ihm reiten und gehen.«

905 Sie antwortete: »Du bist mein Verwandter, wie ich deine Ver­
wandte bin. Ich vertraue dir auf Treu und Glauben meinen
Geliebten an, damit du mir meinen lieben Mann beschützt.«
Sie erzählte ihm, was nur sie wußte und was sie besser für sich
behalten hätte.

906 »Mein Mann ist tapfer und dazu außerordentlich stark«, sagte
sie. »Als er den Drachen an jenem Berg erschlagen hatte, da
badete der stattliche Recke im Drachenblut. Seither konnte ihn
keine Waffe in den Kämpfen verletzen.

907 Trotzdem bin ich in Sorge, immer wenn er im Kampf steht und
die Wurfspeere aus den Händen der Recken fliegen, daß ich
meinen lieben Mann verliere. Ach, welch eine große Angst habe
ich oft um meinen Geliebten!

908 Ich sage dir etwas, lieber Freund, im Vertrauen darauf, daß du
mir gegenüber deine Treue hältst. Du sollst wissen, wo man
meinen lieben Mann verwunden kann; dabei verlasse ich mich
ganz auf deine aufrichtige Zuneigung.

909 Als das heiße Blut aus den Wunden des Drachen floß und der
tapfere, tüchtige Recke darin badete, da blieb ein breites Lin­
denblatt zwischen seinen Schultern kleben. Dort kann man ihn
verletzen; und deshalb mache ich mir solche Sorgen.«
296 15- AV EN TIURE

910 Do sprach der ungetriwe: »uf daz sin gewant


naet ir ein kleinez Zeichen mit iwer selbes hant,
wa ich in sule behüeten, daz ich daz muge verstan.«
si wanden heit do vristen, ez was uf sinen tot getan.

9i i Si sprach: »mit kleinen siden nae ich uf sin gewant


ein tougenlichez cruce, da sol, heit, din hant
den minen man behüeten, soz an die herte gat
und er in starchen sturmen vor sinen vianden stat.«

912 »Daz tuon ich«, sprach do Hagene, »vil liebiu frowe min.«
do wände ouch des diu frowe, ez solde ir frum sin;
da mite was verraten der vil chüene man.
urloup nam do Hagene, do gie er vroliche dan.

913 Daz er revarn hete, bat im sin herre sagen.


»muget ir die reise wenden, so suln wir riten jagen,
ich han nu gar diu maere, wie ich in gewinnen soi.
muget ir nu daz gefüegen?« »daz tuon ich«, sprach der kunic,
»wol.«

914 Des kuniges ingesinde was allez wol gemuot.


ich waen, immer recken deheiner mer getuot
so grozer meinraete, so von im ergie,
do sich an sine triwe Chriemhilt diu kuniginne verlie.

915 An dem dritten morgen mit tusint siner man


reit der herre Sivrit vroeliche dan.
er wände, er solde rechen siner ffiunde leit.
Hagene im reit so nahen, daz er geschowet diu kleit.
VORBEREITUNG ZU SIEGFRIEDS ERMORDUNG 297

910 Darauf antwortete der Treulose: »Näht doch mit eigener Hand
ein kleines Zeichen auf sein Gewand, so daß ich weiß, an wel­
cher Stelle ich ihn beschützen soll.« Sie glaubte, dadurch das
Leben des Helden zu bewahren, doch es führte zu seinem Tod.

911 Sie sprach: »Mit feiner Seide nähe ich auf sein Gewand ein un­
auffälliges Kreuz. An dieser Stelle soll, edler Held, deine Hand
meinen Mann beschützen, sobald zwischen Siegfrieds Schul­
tern gezielt wird, wenn er in heftigen Kämpfen vor seinen Fein­
den steht.«

912 »Das will ich tun, meine liebe Herrin«, sagte Hagen. Da glaubte
Kriemhild, sie hätte etwas Nützliches getan; aber damit war der
tapfere Mann verraten. Hagen verabschiedete sich und ging
froh von dannen.

913 Sein Herr wollte wissen, was er erfahren hatte. »Wenn ihr die
Heerfahrt absagen könnt, dann wollen wir auf die Jagd reiten.
Ich weiß nun genau, wie ich ihn treffen werde. Könnt ihr jetzt
die Gelegenheit dazu schaffen?« »Das will ich in die Wege lei­
ten«, sagte der König.

914 Das königliche Gefolge war in guter Stimmung. Ich glaube, nie
wieder werden Recken einen so großen Verrat begehen, wie ihn
Hagen beging, als sich die Königin Kriemhild auf seine Treue
verließ.

915 Am dritten Morgen ritt Herr Siegfried mit tausend von seinen
Leuten fröhlich fort. Er glaubte immer noch, er solle die Belei­
digung seiner Freunde rächen. Hagen ritt so nahe neben ihm,
daß er sein Gewand genau betrachten konnte.
298 15. AVENTI URE

916 Als er gesach daz pilde, do schicter tougen dan,


die sagten ander maere, zwene siner man,
daz vride habn solde Guntheres lant.
si het der herre Liudeger zuo dem kunige gesant.

917 Wie ungerne Sivrit do hin wider reit,


ern getaetes kuniges vinden eteslichiu leit!
wände in vil chume erwanden die Guntheres man.
do reit er zuo dem kunige, der wirt im danchen began.

918 »Nu Ion iu got des willen, friunt Sivrit,


daz ir so willechlichen tuot des ich iuch bit.
daz sol ich immer dienen, als ich von rehte soi.
vor allen minen friunden so getrowe ich iu wol.

919 Nu wir der hereverte ledic worden sin,


so wil ich jagen riten von Wormez über den Rin
und wil kurcewile zem Otenwalde han,
jagen mit den hunden, als ich vil dicke han getan.

920 Allen minen gesten den soi man daz sagen,


daz ich vil fruo rite, die mit mir wellen jagen,
daz si sich bereiten; die hie wellen bestan
hofschen mit den frowen, daz si mir liebe getan.«

921 Do sprach der herre Sivrit in herlichem site:


»swenne ir jagen ritet, da wil ich gerne mite,
so suit ir mir lihen einen suochman
und eteslichen bracken, so rite ich mit iu in den tan.«

922 »Bedürfet ir niht eines?« sprach der kunic zehant,


»ich lihiu, weit ir, viere, den wol ist bêchant
der wait und ouch die stige, swa diu tiere hine gant,
die iuch urwise nach uns riten niht enlant.«
VORBEREITUNG ZU SIEGFRIEDS ERMORDUNG 299

916 Als er das Zeichen entdeckt hatte, schickte er insgeheim zwei


seiner Leute fort, die eine neue Botschaft überbringen sollten,
daß nämlich Gunthers Land in Frieden gelassen würde. Angeb­
lich hatte Herr Liudeger diese Nachricht zu König Gunther
gesandt.

917 Wie ungern kehrte Siegfried um, ohne den Feinden des Königs
gehörig Leid zugefugt zu haben! Gunthers Leute konnten ihn
kaum zur Rückkehr bewegen. Dann ritt er zum König, und der
dankte ihm.

918 »Nun lohne euch Gott eure Absicht, Freund Siegfried, daß ihr
so bereitwillig ausfuhrt, worum ich euch bitte. Dafür will ich
mich immer dankbar erweisen, wie es sich gehört. Auf euch
vertraue ich mehr als auf alle meine Freunde sonst.

919 Da wir nun keinen Krieg führen müssen, will ich von Worms
über den Rhein auf die Jagd reiten und Unterhaltung im Oden­
wald suchen, ich will mit Hunden jagen, wie ich es schon oft
getan habe.

920 Allen meinen Gästen soll man kundtun, daß ich ganz früh los­
reite. Wer mit mir jagen will, soll sich vorbereiten; wenn andere
hierbleiben wollen, um sich mit den Damen zu unterhalten, ist
mir das auch recht.«

921 Darauf sagte Herr Siegfried höchst herrscherlich: »Wenn ihr auf
die Jagd geht, will ich gern dabeisein. Stellt mir einen Jäger zur
Verfügung, der das Wild aufsucht, und einige Spürhunde, dann
reite ich mit euch in den Wald.«

922 »Braucht ihr nur einen?«, fragte der König gleich, »wenn ihr
wollt, gebe ich euch vier, die den Wald und die Fährten, wo das
Wild wechselt, gut kennen und euch nicht ohne Führung hinter
uns reiten lassen.«
300 15- AV ENTIURE

923 Do die vil ungetriwen uf geleiten sinen tot,


si wistenz al gemeine. Giselher und Gemot
wolden niht jagen riten. ine weiz durch weihen nit,
daz si in niht en warnden; idoch erarneten siz sit.
VORBEREITUNG ZU SIEGFRIEDS ERMORDUNG 301

923 Als die Treulosen Siegfrieds Tod beschlossen hatten, wußte die
ganze Familie Bescheid. Giselher und Gernot wollten nicht mit
auf die Jagd gehen. Ich weiß nicht, welches feindselige Gefühl
sie abhielt, Siegfried zu warnen; doch sie mußten es später ent­
gelten.
l6 . A V E N T IU R E
A V E N T IU R E W IE S IV R IT E R M O R T W A RT

924 Gunther unde Hagene, die recken vil bait,


lobten mit untriwen ein pirsen in den wait,
mit ir scharpfen geren si wolden jagn swin,
pern unde wisende. waz mohte küeners gesin?

925 Da mite reit ouch Sivrit in vrolichem site,


herrenliche spise die fuorte man in mite,
zeinem kalten brunnen namens im den lip.
daz het geraten Prunhilt, des kunic Guntheres wip.

926 Do gie der degene chüene, da er Chriemhilde vant.


ez was nu uf gesoumet sin edel pirsgewant
und ander der gesellen; si wolden uber Rin.
done dorfte Chriemhilde leider nimmer gesin.

927 Die sinen trutinne die chuster an den munt.


»got laze mich dich, frowe, gesehn noch gesunt
und mich diu dinen ougen. mit holden magen din
soltu kurcewilen. ine mac hie heime niht gesin.«

92« Do gedahtes an diu maere, sine torst ir niht gesagen,


da von si Hagen e vragte, do begunde klagen
diu edele kuniginne, daz si ie gewan den lip.
do weinte ane maze des küenen Sivrides wip.
l6 . AVENTI URE
W IE S IE G F R IE D E R M O R D E T W U R D E

924 Gunther und Hagen, die verwegenen Recken, kündigten in bö­


ser Absicht eine Jagd im Wald an. Mit scharfen Speeren wollten
sie Wildschweine, Bären und Wisente jagen. Was konnte es
Kühneres geben?

925 Auch Siegfried ritt fröhlich mit. Man hatte köstliche Speisen
dabei. An einer kühlen Quelle nahmen sie ihm später das Le­
ben. Dazu hatte Brünhild, König Gunthers Frau, sie angestiftet.

926 Vor dem Aufbruch ging der tapfere Kämpfer noch einmal zu
Kriemhild. Sein prächtiges Jagdgewand und das der anderen
Gefährten war bereits auf die Saumtiere geladen; sie wollten
den Rhein überqueren. Kriemhild hätte nichts Schlimmeres ge­
schehen können.

927 Er küßte seine Geliebte auf den Mund. »Herrin, Gott lasse mich
dich gesund Wiedersehen und deine Augen mich. Vertreib dir
mit deinen lieben Verwandten die Zeit. Ich kann nicht hier zu
Hause bleiben.«

92« Plötzlich fiel ihr ein, ohne daß sie davon zu sprechen wagte,
wonach Hagen sie zuvor gefragt hatte, und die edle Königin
begann innerlich zu beklagen, daß sie jemals geboren wurde.
Die Frau des tapferen Siegfried weinte maßlos.
304 l 6 . AVHNTIURE

929 Si sprach zuo dem recken: »lat iwer jagen sin.


mir troumte hinte leide, wie iuch zwei wildiu swin
jagent über heide. da wurden bluomen rot.
daz ich so sere weine, daz tuot mir armem wibe not.

930 Ja furhte ich, herre Sivrit, eteslichen rat.


ob man der deheinen missedienet hat,
die uns gefiiegen chunnen eteslichen haz.
belibet, herre Sivrit, mit triwen rate ich iu daz.«

931 Er sprach: »liebiu frowe, ich chum in kurcen tagen,


ine weiz hie niht der vinde, die uns iht hazzes tragen,
alle dine mage sint mir gemeine holt.
ouch enhan ich an den degenen hie niht anders verschob. «

932 »Neyna, herre Sivrit, ja vurht ich dinen val.


mir troumte hinte leide, wie ob dir zetal
vielen zwene berge, ich ensach dich nimmer me.
wiltu nu von mir scheiden, daz tuot mir inneklichen we.«

933 Er umbevie mit armen daz tugende riche wip,


mit minneklichem chussen trut er ir schoenen lip.
mit urloube er dannen schiet in churcer stunt,
sine gesach in leider darnach nimmer mer gesunt.

934 Do riten si von dannen in einen wait,


durch kurcewile willen vil manic degen bait
riten mit dem wirte, man fuort ouch mit in dan
vil der edeln spise, die di helede solden han.

935 Geladen vil der rosse chom vor in über Rin,


die den jägeren truogen brot unde win,
vleisc unde vische und anders manigen rat,
den ein kunic so riche harte billechin hat.
DIE JAGD UND SIEGFRIEDS E RMORDUNG 305

929 »Zieht nicht mit auf die Jagd«, sagte sie zu dem Recken. »Ich
hatte heute nacht schlimme Träume, wie euch zwei Wild­
schweine über das freie Feld jagten. Da wurden die Blumen
blutrot. Daß ich arme Frau so sehr weine, hat seinen Grund.

930 Wirklich, Herr Siegfried, ich furchte irgendeinen Rachean­


schlag gegen euch. Wenn wir jemanden verletzt haben, könnte
er uns jetzt mit Haß verfolgen. Bleibt hier, Herr Siegfried, das
bitte ich euch in treuer Liebe.«

931 Er antwortete: »Liebe Herrin, schon in wenigen Tagen komme


ich doch zurück. Ich weiß hier von keinen Feinden, die uns has­
sen. Alle deine Verwandten sind mir wohlgesonnen. Und ich
habe es bei den Kämpfern hier auch nicht anders verdient.«

932 »Ach nein, Herr Siegfried, ich fürchte um dein Leben. Heute
nacht hatte ich einen beängstigenden Traum, wie zwei Berge
über dir zusammenstürzten, so daß ich dich nicht mehr sehen
konnte. Wenn du jetzt von mir fortgehst, bricht es mir das
Herz.«

933 Er schloß die edle Frau in seine Arme und liebkoste die Schöne
mit zärtlichen Küssen. Als er Abschied genommen hatte, brach
er sofort auf. Danach hat sie ihn zu ihrem Schmerz nie mehr
lebend wiedergesehen.

934 Dann ritten sie fort in einen Wald. Viele tapfere Kämpfer be­
gleiteten den Landesherrn zum Vergnügen. Man hatte auch
eine Menge guter Verpflegung mitgenommen, die für die Hel­
den bestimmt war.

935 Viele schwerbeladene Pferde hatten vor ihnen den Rhein über­
quert, die für die Jäger Brot und Wein, Fleisch und Fisch sowie
andere Vorräte trugen, über die ein so mächtiger König billi­
gerweise verfügt.
306 16. AVENTIURE

936 Si hiezen herbergen fur den grüenen wait


gen des wildes abeloufe, die stolzen jägere bait,
da si da jagn solden, uf einen wert vil breit,
do chom der herre Sivrit. daz wart dem kunige geseit.

937 Von dem jagtgesellen wurden gar bestan


die warte an allen enden, do sprach der chüene man,
Sivrit der starche: »wer soi uns durch den wait
wisen vor den bergen, ir recken chüen unde balt?«

938 »Ja müezen wir uns scheiden«, sprach do Hagene,


»e daz wir beginnen hie ze jagene.
da bi wir bechennen, ich und der herre min,
wer die besten jägere an dirre waltreise sin.

939 Liut und ouch gehünde wir suln teilen gar.


so eher ieslicher, swar er gerne var.
der danne jage daz beste, des sage man im danch.«
do wart ir biten niht zen herbergen lanch.

940 Do sprach der herre Sivrit: »ich han der hunde rat
niwan einen bracken, der so genozzen hat,
daz er die verte erchenne der tyere durch den tan.«
do schuof der kunic Gunther zuo zim, den er wolde han.

941 Do nam er einen jägermeister, einen guoten spurhunt,


er brahte den herren in einer kurcen stunt,
da si vil tyere funden. swaz der von legere stuont,
die erjageten die gesellen, so noh guote jägere tuont.

942 Swaz ir der bracke ersprancte, die sluoc mit siner hant
Sivrit der vil chüene, der heit uz Niderlant.
sin ross daz lief so sere, daz ir im niht entran.
daz lop an dem gejägede er vor in allen da gewan.
DIE JAGD U N D SIEGFRIEDS ERMORDUNG 307

936 Vor dem grünen Wald, wo das Wild wechselte, ließen die stol­
zen, kühnen Jäger haltmachen, denn da wollten sie auf einer
großen Halbinsel jagen. Dort war auch Herr Siegfried ange­
langt. Das wurde dem König gemeldet.

937 Die Jagdgesellen nahmen überall die Hochsitze ein. Da fragte


der tapfere Mann, der starke Siegfried: »Wer soll uns durch
den Wald an den Bergen entlangführen, ihr kühnen, stolzen
Recken?«

93» »Wir müssen uns trennen«, sagte Hagen darauf, »bevor wir hier
mit der Jagd beginnen. Auf diese Weise können wir, mein Herr
und ich, erkennen, wer die besten Jäger auf diesem Pirschgang
durch den Wald sind.

939 Die Leute und die Hunde wollen wir genau teilen. Dann wende
sich jeder, wohin er gern möchte. Wer das Beste von der Jagd
mitbringt, dem wird man danken.« Darauf blieben sie nicht
mehr lange auf dem Rastplatz.

940 »Ich brauche weiter keine Hunde«, sagte Siegfried, »bis auf
einen Bracken, der so abgerichtet ist, daß er die Fährte der Tiere
im Wald aufspürt.« König Gunther gab ihm, was er haben
wollte.

941 Siegfried wählte einen Jägermeister und einen guten Spürhund,


der brachte den Herrn in kurzer Zeit an eine Stelle, wo sie auf
viele Tiere trafen. Alle, die von ihrer Lagerstatt aufsprangen und
sich zur Flucht wandten, wurden von den Gefährten erlegt, wie
es gute Jäger noch heute tun.

942 Was der Bracke aufscheuchte, erschlug der tapfere Siegfried,


der Held aus Niederland, mit eigener Hand. Sein Pferd lief
so schnell, daß ihm kein Tier entkam. Dadurch errang er vor
ihnen allen auf der Jagd den höchsten Ruhm.
308 l 6 . AVEN TIURE

943 Er was an allen dingen biderbe genuoch.


sin tyer was daz erste, daz er ze tode sluoch,
ein vil starchez halpswuol, mit der sinen hant.
dar nach er harte schiere einen grimmen lewen vant.

944 Do der wart ersprenget, den schoz er mit dem bogen,


eine scharpfe stralen het er dar in gezogen.
der lewe lief nach dem schuzze wan drier Sprunge lanch.
die sinen jagtgesellen die sagten Sivride danch.

945 Darnach sluoger schiere einen wisent unde eich,


starcher ure viere und einen grimmen schelch.
sin ross truog in so balde, daz ir im niht entran.
hirz oder hinden chund im wenic iht engan.

946 Einen ebyr grozen den sach der spurehunt.


als er begunde vliehen, do chom an der stunt
des selben gejägedes meister, der bestuont in uf der sla.
daz swin vil zornikliche lief an den chüenen recken sa.

947 Do sluog in mit dem swerte der Chriemhilde man.


ez hete ein ander jägere so sanfte niht getan.
do er in het ervellet, man vie den spurehunt.
do wart sin jagt daz riche wol den Buregonden kunt.

948 Do sprachen sine jägere: »magez mit hulden wesn,


so lat uns, herre Sivrit, der tyer ein teil genesn.
ir tuot uns hiute laere den berch und ouch den wait.«
des begunde smielen der degn chüene unde bait.

949 Do hortens allenthalben ludern unde doz


von liuten und ouch von hunden. der schal was so groz,
daz in da von antwurte berge und ouch der tan.
vier und drizzech ruore die jägere heten verlan.
DIE JAGD UN D SIEGFRIEDS ERMORDUNG 309

943 Er war in jeder Hinsicht gewandt. Ein großes Wildschwein, das


er eigenhändig erlegte, war die erste Jagdbeute des Tages. Bald
danach stieß er auf einen grimmigen Löwen.

944 Als der aufgeschreckt wurde, schoß Siegfried auf ihn mit dem
Bogen, in den er einen scharfen Pfeil eingespannt hatte. Der
Löwe machte nach dem Schuß nur noch drei Sprünge. Seine
Jagdgefährten priesen Siegfried deswegen.

945 Danach jagte er sogleich einen Wisent, einen Elch, vier starke
Auerochsen und einen grimmigen Hirsch. Sein Pferd war so
geschwind, daß ihm nichts entkam. Kein Hirsch und keine
Hirschkuh konnte sich vor ihm retten.

946 Der Spürhund entdeckte einen großen Eber. Als der sich zur
Flucht wandte, kam sofort der Meister dieser Jagd und trat dem
Tier entgegen. Das wütende Wildschwein rannte gleich auf den
kühnen Recken zu.

947 Da tötete es Kriemhilds Gemahl mit dem Schwert. Kein anderer


Jäger hätte das so leicht geschafft. Als Siegfried den Eber erlegt
hatte, fing man den Spürhund ein. Alsbald erfuhren die Bur-
gunden von seiner erfolgreichen Jagd.

948 Seine Jäger sagten: »Mit Verlaub, Herr Siegfried, wenn es mög­
lich ist, laßt noch ein paar Tiere am Leben. Sonst entvölkert ihr
heute den Berg und den Wald noch ganz und gar.« Darüber
lächelte der kühne, tapfere Kämpfer.

949 Überall hörten sie Rufen und Getöse von Menschen und auch
von Hunden. Der Schall war so stark, daß ihn die bewaldeten
Berge als Echo zurückwarfen. Vierunddreißig Hunde hatten die
Jäger losgeschickt.
310 l6 . A V E N TIU R E

950 Do muose vil der tyere Verliesen da daz leben.


do wanden si daz fliegen, daz man in muoste geben
den pris an dem gejägede. des enchunde niht geschehn,
do der starche Sivrit wart zer viwerstete gesehn.

951 Daz pirsen was ergangen und idoch niht gar.


die zem viwer wolden, di brahten mit in dar
vil maniger hande tyere und wildes genuoch.
hey, waz man des zer chuchen des kuniges ingesinde truoch!

952 Do hiez der kunic künden den jägern uzerchorn,


daz er enbizen wolde. do wart vil lut ein horn
zeiner stunt geblasen, da mit in wart erchant,
daz man den fürsten edele da zen herbergen vant.

953 Ein Sivrides jägere sprach: »ich han vernomen


von eines homes duzze, daz wir nu suln chomen
zuo den herbergen. antwurten ich des wil.«
do wart nach den jägeren gevraget blasende vil.

954 Do sprach der herre Sivrit: »nu rumen ouch wir den tan.«
sin ros daz truogin ebene, si ilten mit im dan.
si ersprancten mit ir scalle ein tyer vil gremilich,
daz was ein ber wilde, do sprach der degn hinder sich:

955 »Welt ir uns hergesellen kurcewile wem,


den bracken suit ir lazen. ja sih ich einen bern,
der sol zen herbergen mit uns hinnen varn.
swie übel er gebäre, ern chan sihs nimmer bewarn.«

956 Der bracke wart verlazen, der ber spranch von dan,
do wolde in erriten der Chriemhilde man;
er chom in ein gevelle, done chundes niht wesn.
daz starche tyer do wände vor dem jägere genesn.
DIE JAGD UN D SIEGFRIEDS E RMORDUNG 311

950 Viele Tiere verloren ihr Leben. Die Jäger glaubten daraufhin,
ihnen würde der Jagdpreis zugesprochen. Daran war aber nicht
zu denken, als der starke Siegfried an der Feuerstelle auf dem
Lagerplatz erschien.

951 Die Jagd war zu Ende und doch noch nicht ganz. Die zur
Feuerstelle kamen, brachten mancherlei Tiere und viel Wild
mit. Ach, wieviel trug das Gefolge des Königs davon in die
Küche!

952 Jetzt ließ der König den auserwählten Jägern kundtun, daß er
speisen wollte. Laut schallend wurde ein Horn geblasen, damit
alle wußten, daß der edle König am Lagerplatz zu finden war.

953 Einer von Siegfrieds Jägern sprach: »Ich habe einen Hornruf
gehört, der uns verkündet, daß wir jetzt zum Lagerplatz kom­
men sollen. Darauf will ich antworten.« Nach den Jägern wur­
den viele Bläsersignale ausgesandt.

954 Dann sagte Herr Siegfried: »Nun wollen auch wir den Wald
verlassen.« Sein Pferd trug ihn in gleichmäßigem Schritt. Seine
Begleiter eilten mit ihm fort. Durch ihren Lärm störten sie ein
grimmiges Tier auf, einen wilden Bären. Da rief der Kämpfer
nach hinten:

955 »Wollt ihr zur Unterhaltung für uns Jagdgefährten beitragen, so


laßt den Hund los. Ich sehe einen Bären, der soll mit uns zum
Lagerplatz ziehen. Wie heftig er sich auch wehrt, er kann nicht
mehr entkommen.«

956 Der Bracke wurde losgelassen, und der Bär sprang davon.
Kriemhilds Gemahl wollte ihn einholen: doch er kam in ein
abschüssiges Gelände, wo das unmöglich war. Das starke Tier
nahm wohl an, vor dem Jäger sicher zu sein.
312 l 6 . AVEN TIURE

957 Do spranch von sinem rosse der stolze ritter guot,


er begunde laufen sere, daz tyer was unbehuot;
ez enchunde im niht entrinnen, do vienger ez zehant.
ane aller slahte wunden der heit ez schiere gebant.

958 Chrazzen noch gebizen chundez niht den man,


er bandez zuo dem satele. gewalteklichen dan
braht erz an die fiurstat durch sinen hohen muot
zeiner kurcewile, der recke küene unde guot.

959 Wie rehte weigerliche er zen herbergen reit!


sin gere was vil michel, starch unde breit.
im hieng ein starchez waffen nider an den sporn,
von vil rotem golde fuorter ein herlichez horn.

960 Von bezzerm birsgewaete gehört ir nie gesagen.


einen roch von swarzem pfellel den sah man in tragen,
und einen huot von zobele, der riche was genuoch.
hey, waz er guoter porten an sinem chochaere truoch!

961 Ein hut von einem pantel dar über was gezogn
durch richeite und durch süeze. ouch fuorter einen bogn,
den man ziehen muose mit antwerche dan,
der in spannen solde, ern hete iz selbe getan.

962 Von einer ludemes hüte was allez sin gewant.


von houpte unz an daz ende gestreut man drufe vant,
uz der liehten ruhe vil manic goldes zein
ze beiden sinen siten dem küenin Jägermeister schein.

963 Ouch fuorter Palmungen, ein ziere wafen breit,


so starch und ouch so scherpfe. wie vreislich ez sneit,
swa man ez sluoch uf helme, sin ecke warn guot!
der hereliche jägere, der was vil hohgemuot.
D IE JA G D U N D S IE G F R IE D S E R M O R D U N G 31 3

957 Der stolze, tüchtige Ritter aber sprang von seinem Pferd und
lief schnell hinterher.. Das Tier hatte keine Rückzugsmöglich­
keit; es konnte ihm nicht ausweichen. Da fing Siegfried es auf
der Stelle. Ohne selbst verletzt zu werden, fesselte der Held den
Bären sofort.

958 Das Tier konnte ihn weder kratzen noch beißen, und Siegfried
band es am Sattel fest. Mit Gewalt brachte der tapfere, tüchtige
Recke in froher Stimmung den Bären zum Vergnügen an die
Feuerstelle.

959 Wie überaus stolz ritt er zum Lager! Sein Speer war groß, stark
und breit. Ein mächtiges Schwert hing ihm bis zu den Sporen
herab. Er hatte ein herrliches Horn aus rotem Gold.

960 Von besserer Jagdausstattung könnte euch niemand berichten.


Er trug einen Rock aus schwarzem Seidenstoff und einen Hut
aus Zobelpelz, der ausgesprochen prächtig war. Ach, welch
schöne Borten schmückten seinen Köcher!

961 Dieser war mit einer kostbaren, duftenden Pantherhaut bezo­


gen. Außerdem hatte er einen Bogen bei sich, den jeder andere
nur mit einer Hilfsvorrichtung spannen konnte, doch Siegfried
schaffte es mit bloßen Händen.

962 Sein ganzes Gewand war aus einer fremdartigen Tierhaut ge­
macht. Von Kopf bis Fuß war es verziert, aus dem hellen Pelz
leuchteten dem kühnen Jägermeister auf beiden Seiten viele
kleine Goldspangen hervor.

963 Außerdem hatte er Balmung bei sich, ein kunstvolles, großes


Schwert, das stark und scharf war. Wie schrecklich schnitt es,
wenn es auf Helme traf, mit seinen außerordentlichen Schnei­
den! Der herrliche Jäger war in bester Stimmung.
314 l 6 . AVENTI URE

964 Sit daz ich iuch der maere gar bescheiden sol:
im was sin guot chocher vil guoter stralen vol,
mit guldinnen tullen, diu sahs wol spannen breit.
ez muose bald ersterbn, swaz er mit schiezen versneit.

965 Do reit der ritter edele vil weidenlichen dan.


in sahen zuo zin chumende die Guntheres man.
si liefen im engegene und enpfiengen im daz march,
do fuorter bi dem satele einen bern groz unde starch.

966 Als er gestuont von rosse, do loster im diu bant


von fiiezen unt von munde, do erlutte da zehant
vil groze daz gehunde, swaz des den bern sach.
daz tyer ze walde wolde, die liute heten ungemach.

967 Der ber von dem schalle durch die chuchen geriet,
hey, waz er chuchenknehte von dem fiure schiet!
vil chezzil wart geruoret, zerfuoret manic brant,
hey, waz man guoter spise in der aschen ligen vant!

968 Do Sprüngen von dem sedele die herren und ir man.


der ber begunde zumen. der kunic hiez do lan
allez daz gehunde, daz an seilen lach.
waer iz wol verendet, si heten vrolichen tach.

969 Mit bogen und mit spiezen, niht langer man daz lie,
do liefen dar die snellen, da der ber gie.
so vil was der hunde, daz da niemen schoz.
von dem grozen schalle beidiu berch und wait erdoz.
DIE JAGD UND SIEGFRIEDS E RMORDUNG 315

%4 Da ich euch die Geschichte vollständig erzählen soll, muß ich


noch erwähnen: In seinem Köcher steckten gute Pfeile, die
hatten goldene Röhren, an denen handspannenbreite Spitzen
befestigt waren. Alles, was er mit seinen Schüssen traf, war dem
Tode geweiht.

965 So ritt der edle Ritter in der vollendeten Haltung eines Jägers
heran. Gunthers Leute sahen ihn kommen. Sie liefen ihm ent­
gegen und nahmen ihm das Pferd ab. An seinem Sattel führte
er den großen, starken Bären.

966 Kaum war er vom Pferd gestiegen, da löste er dem Tier die
Fesseln von den Tatzen und vom Maul. Alle Hunde, die den
Bären wahrnahmen, fingen auf der Stelle laut zu bellen an. Das
Tier wollte wieder in den Wald zurück. Den Leuten war das
unheimlich.

967 Vom Lärm getrieben, gelangte der Bär in die Küche. O, wie er
die Küchenjungen vom Feuer wegscheuchte! Viele Kessel wur­
den umgestürzt, und die Glut stob auseinander. Ach, welch
gutes Essen sah man in der Asche liegen!

968 Die Herren und ihre Leute sprangen von ihren Sitzen auf. Der
Bär wurde wütend. Der König ließ alle Hunde von ihren Leinen
losmachen. Wäre es so unbeschwert weitergegangen, hätten sie
einen fröhlichen Tag erlebt.

969 Man wartete nicht länger, mit Bogen und Spießen rannten die
gewandten Männer dem Bären hinterher. Da dort aber so viele
Hunde herumliefen, wagte niemand zu schießen. Die Berge
und der Wald erschallten von dem großen Lärm.
316 l6 . A V E N TIU R E

970 Der ber begunde vliehen vor den hunden dan.


im enchunde niht gevolgen wan Chriemhilde man.
der erliefen mit dem swerte, ze tode er in do sluoch.
hin wider zuo der chuchen man den bern sider truoch.

971 Do sprachen die daz sahen, er waer ein chreftic man.


die stolzen jagtgesellen hiez man zen tischen gan.
uf einen schoenen anger saz ir da genuoc.
waz man do richer spise den jagtgesellen dar truoc!

972 Die schenchen chomen seine, die tragen solden win.


ez enchunde baz gedienet nimmer heleden sin.
heten si dar under niht so valschen muot,
so waeren wol die degene vor allen schänden behuot.

973 Done hete niht der sinne der chüene veige man,
daz er sich ir untriwe chunde han verstan.
er was in ganzen tugenden alles valsches bloz.
sins sterbes muose engelten sit, der sin nie niht genoz.

974 Do sprach der herre Sivrit: »wunder mich des hat,


sit man uns von der chuchen git so manigen rat,
durch waz uns die schenchen bringen niht den win.
man enpflege baz der jägere, ine wil niht jagtgeselle sin.

975 Ich hete wol gedienet, daz man min naeme war.«
der chunic ob dem tische sprach in valsche dar:
»man solz iu gerne büezen, swes wir gebresten han.
wir sin von Hagene schulde hiut ane trinchen bestan.«
DIE JAGD UN D SIEGFRIEDS ERMORDUNG 317

970 D er B är floh v o r den H un d en. N u r K riem h ild s G em ah l ver­


m och te ihm zu folgen . E r erreichte ihn schließlich m it dem
Schw ert un d ersch lug ihn. A n schließ end trug m an den Bären
w ied er in die K ü ch e zurück.

971 W er dies m it an gesehen hatte, bezeugte, daß Siegfried ein


starker M an n wäre. D ie stolzen Jagdgefahrten ließ m an an den
T isch en Platz n ehm en. Es w aren viele, die d o rt a u f einer sch ö ­
nen W iese b eiein an d ersaß en . W elch köstliche Speisen setzte
m an d er Jagdgesellschaft vor!

972 N u r die Schenken, d ie den W ein brin gen sollten, kam en nicht.
Son st hätten die H elden n icht besser bedien t w erden können.
O h n e den verräterisch en Plan in ihrem H erzen w ären die
K äm p fer von aller Sch an d e frei geblieben.

973 D er tapfere, todgew eihte M an n ahnte nichts von ihrer Untreue.


E r w a r o h n e jed e Falschheit gan z von höfisch en T ugenden
erfüllt. F ü r seine E rm o rd u n g m uß ten später auch die büß en ,
die nicht d aran beteiligt w aren.

974 D a sagte d er H err Siegfried: »Es w u n d ert m ich, w aru m uns die
Sch en ken keinen W ein brin gen , w o m an uns d o ch aus d er
K ü ch e so viele Speisen aufträgt. W enn m an die Jäger nicht b es­
ser versorgt, dann gefällt m ir die Jagdgesellschaft nicht.

975 Ich hätte w oh l verdient, daß m an sich besser um m ich k ü m ­


m ert.« D er K ö n ig antw ortete d a ra u f voller Falschheit über den
T isch hinw eg: »M an w ird euch gern Ersatz schaffen fü r das, w as
uns fehlt. Es ist H agens Schuld , daß w ir heute nichts zu trinken
haben.«
318 l 6 . AV EN TIURE

976 D o sprach der von Tronege: »vil lieber herre m in ,


ich w ände, daz diz pirsen hiute sold e sin
da zem Spehtsharte. den w in den sande ich dar.
sin w ir hie un getrun chen, w ie w ol ihz im m er m er bew ar!«

977 D o sprach der herre Sivrit: »ir lip d er habe un danc!


m an solde m ir siben säum e w in u n d lu ttertranc
habn her gefüeret. do des niht m ohte sin,
do solde m an uns n aher han gesidelt an den R in.«

978 D o sprach aber H agene: »ir edeln ritter bait,


ich w eiz hie vil nahen einen bru n n en , der ist chalt.
daz ir niht enzurnet, da suln w ir hine gan.«
der rat w art m an igem degene ze grozen sorgen getan.

979 D en heit von N id erlan d en dw anch des durstes not.


den tische er deste ziter rucken dan gebot.
er w olde fu r die berge zuo dem b ru n n en gan.
do w as der rat m it m ein e von den d egenen getan.

980 D iu tyer m an hiez u f w ägenen füeren in daz lant,


diu da verhow en hete diu Sivrid es hant.
m an jah im grozer eren, sw er ez ie gesach.
G u n th er sine triw e vaste an Sivrid e brach.

981 D o si dannen w olden zuo der linden breit,


do sprach aber H agene: »m ir ist dicke daz geseit,
daz niht gevolgen ch u n n e dem C h riem h ild e m an,
sw en ner w old e gahen. hey, w o ld er uns daz sehn lan!«

982 D o sprach von N id erlan d en der herre Sivrit:


»ir m ugt ez w ol versuochen , weit ir m ir loufen m it
ze wette zuo dem b runn en . so daz si getan,
der soi han gew unn en , den m an siht ze vorderst stan.«
D IE JA G D U N D S IE G F R IE D S E R M O R D U N G 319

976 Hagen von Tronje sagte dazu: »Mein lieber Herr, ich glaubte,
unsere Jagd fände heute im Spessart statt. Dorthin habe ich den
Wein geschickt. Daß wir wie jetzt ohne Getränke hier sitzen,
das soll nicht wieder Vorkommen.«

977 »Seid verwünscht!« erwiderte Siegfried. »Man hätte mir sieben


Saumtiere mit Weißwein und gewürztem Rotwein herbringen
sollen. Wenn das schon nicht möglich war, hätte man den La­
gerplatz wenigstens näher an den Rhein legen sollen.«

978 Hagen aber antwortete: »Ihr edlen, tapferen Ritter, ich kenne
hier ganz in der Nähe eine kühle Quelle. Damit ihr nicht weiter
in Zorn geratet, werden wir dort hingehen.« Dieser Rat brachte
vielen Kämpfern großen Kummer.

979 Dem Helden aus Niederland setzte der Durst zu. Deshalb stand
er früher vom Tisch auf. Er wollte zu der Quelle an den Bergen
eilen. Den Rat dazu hatten ihm die Kämpfer jedoch mit Hin­
terlist gegeben.

980 Die Tiere, die Siegfried erlegt hatte, ließ man auf Wagen nach
Hause bringen. Wer die Jagdbeute sah, rühmte ihn über alle
Maßen. Gunther aber beging schweren Treuebruch an Sieg­
fried.

981 Als sie zu der großen Linde eilen wollten, sagte Hagen: »Ich
habe oft sagen hören, daß niemand Kriemhilds Gemahl folgen
kann, wenn er schnell läuft. Das soll er uns einmal vorführen!«

982 Herr Siegfried von Niederland antwortete ihm: »Ihr könnt es


gern ausprobieren, wenn ihr mit mir um die Wette zu der
Quelle laufen wollt. Wer zuerst ankommt, hat gewonnen.«
320 l 6 . AV ENTIURE

983 »N u w elle o u ch w irz versuochen «, sp rach H agen e der degn.


d o sprach der starche Sivrit: »so w il ich m ich legn
fu r die iw ern füeze n id er an daz gras.«
do G u n th er daz gehörte, hey, w ie lieb im daz w as!

984 D o sprach der degn chüene: »ich w il iu m aere sagn,


allez m in gew aete w il ich an m ir tragn,
den ger zuo dem schilte u n d al m in pirsgew ant.«
den chocher zuo dem sw erte vil schier er um b e gebant.

985 D o zugen si diu chleider von dem libe dan.


in zw ein w izen hem eden sach m an si beide stan.
sam zwei w ild iu pantel si liefen d u rch den kle.
d och sah m an bi dem bru n n en den snellen Sivriden e.

986 D en p ris an allen dingen tru oger v o r m an igem m an.


daz sw ert er loste balde, den chocher leit er dan.
sinen ger den starchen leinter an der linden ast.
b i des p ru n n en vluzze stuont der herliche gast.

987 D i Sivrid es tugende w arn harte groz:


den schilt leit er nidere, al da d er b ru n n e vloz,
sw ie harte so in durste, der heit d och niene tran ch,
e daz der ku n ic choem e. daz duhte Sivriden lanch.

988 D er b ru n n e w as vil chüele, lutter u n d e guot.


G u n th er sich d o legete nider zuo der fluot,
daz w azzer m it dem m u n d e er von der fluote nam .
si gedahten, daz ouch Sivrit nach im m üese tu on alsam .

989 D o engalt er siner zühte. den bogen u n d daz sw ert


daz tru og allez H agene von im danew ert.
do spran ger hin w idere, da er den ger da vant.
er sach nach eim e cruce an des kuniges gew ant.
DIE JAGD UN D SIEGFRIEDS E RMORDUNG 321

983 »D an n w ollen w ir es jetzt versuchen«, sagte H agen, d er K ä m p ­


fer. D er starke Siegfried aber sprach: »So w ill ich m ich vor eure
Fü ß e ins G ra s legen u n d euch einen V o rsp ru n g lassen.« A ls
G u n th er das hörte, ach, w ie recht w ar ihm das!

984 D an n fügte d er k ü h n e K äm p fer n och hinzu: »Ich w ill euch


auß erd em sagen, daß ich m ein e gesam te R ü stu n g am K ö rp er
tragen w erde, d en Speer, den Schild und m eine ganze Jagd au s­
stattung.« Sogleich ban d er sich den K ö ch er u n d das Schw ert
um .

985 G u n th er un d H agen legten ihre O b ergew än d er ab. Beide stan ­


den in w eiß en H em d en da. W ie zwei w ilde Panther liefen sie
ü b er das G ras. D o c h an d er Q uelle sah m an den gew andten
Siegfried zuerst.

986 E r tru g in jed er H in sicht v o r vielen M än n ern den Preis davon.


Sogleich b an d er das Schw ert ab un d legte den K ö ch er nieder.
Seinen starken Speer lehnte er an einen A st der Linde. So stand
d er h errlich e G ast an der sprud eln d en Q uelle.

987 Siegfried s h ö fisch e T ugenden w aren b em erkensw ert: E r legte


den Sch ild ab, w o die Q uelle hervorsprudelte, aber obw ohl er
sehr d urstig war, tran k der H eld nicht, b evor der K ö n ig ankam .
D as schien ihm allerdings lange zu d auern.

988 D ie Q uelle w ar sehr kühl, rein un d klar. G u n th er legte sich zu


dem fließ enden W asser nieder un d tran k direkt m it dem M u n d
aus der Q uelle. Sie hofften, daß es Siegfried genauso n ach m a­
chen w ürd e.

989 F ü r sein h öfisches B en ehm en m ußte er büßen. Den Bogen und


das Schw ert trug H agen außer Reichweite. D ann eilte er dorthin
zurück, w o er den Speer fand. Seine A ugen suchten nach einem
K reuz a u f dem G ew an d des K önigs.
322 l 6 . AV EN TIURE

990 D a der herre Sivrit ob dem b ru n n en tranch,


er schoz in d urch daz chruce, daz uz d er w u n d en spran c
daz bluot im von dem hercen an die H agen en wat.
so groze m issew ende ein heit n u n im m er m er begat.

991 D en ger gegen dem hercen stecken er im lie.


also angestlichen ze fluhten H agene nie
gelief noch in d er w erld e v o r d echeinem m an.
do sich der herre Sivrit der starchen w u n d en versan,

992 D er recke tobliche von dem b ru n n en spranch.


im ragete von dem hercen ein gerstange lanch.
der fürste w än d e vin d en bogen od er swert,
so m u ose w esn H agene nach sim e dienste gew ert.

993 D o der sere wunde des swertes niht envant,


done het et er niht mere wan des Schildes rant.
den zuhter von dem b ru n n en , d o lie f er H agenen an.
d on e chun de im niht en trin nen der vil un getriw e m an.

994 Sw ie w u n t er w as zem tode, so chrefteklich er sluoc,


daz uzer dem Schilde draete gen uoc
des edeln gesteines. der schilt vil gar zebrast.
sich hete gerne errochen der vil herlich gast.

995 H agen e m u ose vallen von siner hant zetal.


von des slages chrefte der w ert vil lute erhal.
het er daz sw ert enhende, so w aer ez H agenen tot.
der heit entran vil ch u m e uz d er angestlichen not.
DIE JAGD UN D SIEGFRIEDS E RMORDUNG 323

990 W äh ren d sich H err Siegfried über d ie Q uelle beugte un d trank,


tr a f er ihn durch das K reuz h in durch, daß sein H erzblut aus der
W unde an H agens G ew an d spritzte. Eine derart schändliche Tat
w ird n iem als w ied er ein H eld begehen.

991 D en Speer ließ er in Siegfrieds H erz stecken. H agen hatte noch


nie so angstvoll v o r irgen d ein em M an n a u f der Welt die Flucht
ergriffen . A ls H err S iegfried die furch tbare W unde spürte,

992 sp ran g der R ecke w üten d von der Q uelle auf. A us seinem H er­
zen ragte d er lange Speersch aft im R ü cken heraus. D er Fürst
w ollte nach seinem Bogen o d er seinem Schw ert greifen, durch
sie hätte H agen fü r seinen D ienst den en tsprech enden L oh n
em pfan gen .

993 Weil der T od w un d e sein Schw ert aber nicht fand, hatte er nichts
w eiter als seinen Schild. D en riß er von der Q uelle hoch und
ran n te d am it a u f H agen los. D er treu lose M an n kon nte ihm
nicht en tkom m en .

994 O b w oh l er töd lich getroffen w ar, sch lug Siegfried so kraftvoll


zu, daß viele Edelsteine aus d em Sch ild herau ssp ran gen . D er
Sch ild b rach in Stücke. G ern hätte d er herrliche G ast R ach e
g en o m m en .

995 H agen w ar d urch Siegfried s H and niedergestürzt. Von der G e ­


w alt des Schlages hörte m an die H albinsel laut erbeben. Hätte
S iegfried sein Schw ert in Reichw eite gehabt, hätte das H agens
Tod bedeutet. S o ab er en tgin g der H eld um H aaresbreite der
töd lich en Rache.
324 l 6 . AVENTIURE

996 Sin chraft w as im gesw ichen; ern k u n d e niht gestan.


sines libes sterche d iu m u ose gar zergan,
wander des todes Zeichen bi liehter varwe truoc.
sit wart er beweinet von schoenen vrowen genuoc.

997 D o viel in die b lu o m en der C h riem h ild e m an,


daz blu ot von sinen w u n d en sach m an vaste gan.
do begu n d er schelten, des tw an ch in m ichel not,
die ufm geraten heten den ungetriw en tot.

998 D o sprach der sere w un de: »ja ir vil böse zagn,


w az hilfet m ich m in dienest, daz ir m ich habt erslagn?
ich w as iu ie getriw e; des ich engolten han!
ir habt an iw ern m agen leider übel getan.

999 D ie sint da von bescholten, sw az ir w irt geborn


her nach disen ziten. ja habt ir iw ern zorn
vil ubele gerochen an dem libe m in.
m it laster ir gescheiden suit von guoten recken sin.«

1000 D ie liute liefen alle, d a er reslagen lac.


ez w as ir gen uogen ein freud eloser tac.
die iht triw e heten, von den w art er bekleit.
daz het w ol gedienet der ritter chüen un d gem eit.

1001 D er ku n ic von B u rgo n d en klagete sinen tot.


d o sprach der verchw unde: »daz ist ane not,
daz d er nach schaden w einet, d er in da hat getan,
der dienit m ichel schelten; ez w aere bezzer verlan.«
DIE JAGD UND SIEGFRIEDS ERMORDUNG 325

996 Siegfried s K räfte verließen ihn; er konnte sich nicht m ehr a u f


den B ein en halten. D ie Stärke seines K ö rp ers schw and ganz
u n d gar, sein strah len d es G esich t w ar vom Tod gezeichnet.
Später w u rd e er v o n vielen schön en D am en bew eint.

997 K riem h ild s M an n stürzte in die Blu m en , un d das Blut ström te


aus seinen W unden. D a begann er in seiner Todesnot diejenigen
zu verfluch en , die treulos seine E rm o rd u n g geplant hatten.

998 D er Sch w erverw un d ete sprach: »O, ihr elenden Feiglinge, was
nützt m ir n u n , d a ihr m ich erschlagen habt, m ein Einsatz für
euch? Ich w a r eu ch im m er treu u n d w erde n un a u f solche
W eise b eloh n t! D ie b ö se Tat fällt auch a u f eure Verw andten
zurück.

999 A ll eure N ach geboren en w erd en h iervon m it Sch an de bedeckt


sein. Ja, ihr habt eu ren Z o rn böse an m ir gerächt. D iese
Sch m ach schließt euch fü r im m er aus der Schar der edlen
Recken aus.«

1000 D ie M än n er kam en alle an den O rt gelaufen, w o er erschlagen


lag. F ü r die m eisten w ar dies ein freud loser Tag. W er einen Fu n ­
ken Treue in sich bew ahrt hatte, bew einte Siegfried. D as hatte
d er tapfere und stolze R itter d u rch au s verdient.

1001 A uch der K ö n ig der B u rgu n d en beklagte seinen Tod. D och der
töd lich V erw undete sprach: »Es ist u n nötig, daß derjen ige über
den Sch ad en klagt, d er ihn selbst veru rsach t hat. E r verdien t
vielm ehr, aufs Ä uß erste geschm äht zu w erden; er hätte die Tat
unterlassen sollen.«
326 l 6 . AVENTIURE

1002 D o sprach d er grim m e H agene: »jane w eiz ich, w az ir kleit.


ez hat nu allez ende unser sorge un d u n ser leit.
w ir vin d en ir vil kleine, die turren uns bestan.
w ol m ich deich siner herschaft han ze rate getan.«

1003 »Ir m ugt iuch lihte rüem en«, sprach do Sivrit,


»het ich an iu erchennet den m ortlichen sit,
ich hete w ol behalten vor iu m in en lip.
m ich enriw et niht so sere so frou C h riem h ilt m in w ip.

1004 N u m üeze got erbarm en , deich ie gew an den su on ,


dem m an solch itewizen soi nach den ziten tu on ,
d az siner m age iem en m it m ord e habn erslagn.
m oh t ich«, so sprach Sivrit, »daz soit ich billiche klagn.

1005 Z e r w erlde w art nie m ere grozer m o rt began«,


sprach er zuo dem kunige, »denne an m ir ist getan,
ich behielt iu lib un d ere in angestlicher not.
ich hans engolten sere, daz ihz iu ie so w ol erbot.«

1006 D o sprach vil seneliche der verchw u nd e m an:


»weit ir, kunic riche, triw en iht began
in der w erlt an iem en, lat iu bevolhen sin
u f triw e und u f genade di lieben truttinne m in ,

1007 U nd lat si des geniezen, daz si iu sw ester si.


durch aller fürsten tugende w on t ir m it triw en bi.
m ir m üezen w arten lange m in vater und m ine m an.
ez enw art nie frow en m ere an friu nd e leider getan.«
DIE JAGD UND SIEGFRIEDS E RMORDUNG 327

1002 D a erw id erte d er schreckliche H agen: »Ich w eiß ü b erh aup t


n icht, w aru m ih r klagt. U nsere So rg e u n d un ser Leid haben
jetzt ein E n d e. Es gibt n u r noch w en ige, die es w agen, un s
an zu greifen . Ich bin stolz, daß ich uns von seiner H errschaft
befreit habe.«

1003 »Ih r kön n t euch leicht rüh m en «, sagte Siegfried d arauf, »hätte
ich eu re M o rd ab sich t frü h er erkann t, d an n hätte ich m ein
Leben v o r euch zu schützen gew ußt. A m m eisten bedaure ich
K riem h ild , m ein e Frau.

1004 G o tt m öge sich erb arm en , w en n d er S o h n , der m ir geboren


w u rd e, k ü n ftig die Sch m ach ertragen m uß , daß seine V erw an d ­
ten einen M o rd begangen haben. K ön nte ich es noch«, w aren
Siegfried s W orte, »so w ü rd e ich das zu Recht beklagen.

1005 N ie w u rd e a u f d er W elt ein niederträchtigerer M o rd begangen


als an m ir«, sagte Siegfried zu d em K ön ig, »ich habe euer Leben
u n d eure Ehre in sch lim m er B ed rän gn is gerettet. Einen üblen
L ohn habe ich d afü r erhalten, daß ich m ich so sehr fü r euch
eingesetzt habe.«

1006 E in d rin glich sprach der tödlich verw undete M an n: »Wenn ihr,
m äch tiger K ö n ig, a u f dieser W elt noch irgend jem an d em Treue
erw eisen w ollt, d an n soll euch m ein e G eliebte a u f Treue und
G n ad e befoh len sein.

1007 Laßt ihr zugute k om m en , daß sie eure Schw ester ist. Erin nert
euch an eure Fü rstentugenden und steht ihr in Treue bei. M ein
Vater und m ein e Leute w erden lange a u f m ich w arten m üssen.
N iem als w u rd e ein er adligen Frau größ eres Leid angetan als
K riem h ild d urch den M o rd an ihrem G eliebten.«
328 l 6 . AV ENTIURE

1008 E r ra m p f sich bitterliche, als im d iu not gebot,


und sprach do jaem irlich e: »der m ortlich tot
m ag iuch w ol geriw en her nach disen tagen.
geloubt an rehten triw en, daz ir iuch selben habt erslagen.«

1009 D ie b lu om en allenthalben von bluote w arn naz.


do ran ger m it dem tode, un lan ge tet er daz;
w än de in des todes w afen al ze sere sneit.
d o m ohte reden niht m ere der recke chüen un d gem eit.

1010 D o die herren sahen, daz d er heit w as tot,


si leiten in u f einen schilt, der w as von golde rot,
un d w u rd en des ze rate, w ie daz sold e ergan,
daz m an iz verhaele, daz iz het H agene getan.

ion D o sprachen ir gen uoge: »uns ist ubele geschehn.


ir suit ez heln alle u n d suit geliche jeh n ,
da er rite jagn eine, der C h riem h ild e m an,
in sluogen schachaere, da er fiiere d urch den tan.«

1012 D o sprach der ungetriw e: »ich frieren in daz lant.


m ir ist vil un m aere, un d w irt ez ir bêchant,
d iu so hat getruobet m in er frow en m uot.
ez ahtet m ih vil ringe, sw az si w einen s getuot.«

1013 Von dem selben b ru n n en , da Sivrit w art erslagen,


suit ir d iu rehten m aere von m ir hoern sagen:
vor dem O tenw alde ein d o r f lit O tenh aim ,
da vliuzet noch der b ru n n e, des ist zw ifel dehein.
DIE JAGD UND SIEGFRIEDS ERMORDUNG 329

1008 E r w an d sich schm erzlich in seiner T odesn ot und stam m elte


erb arm u n g sw ü rd ig : »D iesen M o rd w erdet ihr eines Tages noch
bereuen. Bei m ein er Treue kön n t ihr m ir glauben, daß ihr euch
selbst um gebrach t habt.«

1009 R in g su m h er w u rd en die B lu m en naß von Siegfrieds Blut. Er


ran g nicht lange m it dem Tode; d enn der hatte ihm m it seiner
W affe eine allzu tiefe W unde geschlagen. D er kühne un d stolze
Recke kon nte nicht w eitersprechen.

1010 A ls die H erren sahen, daß der H eld tot w ar, legten sie ihn a u f
einen rotgold en en Schild un d berieten darüber, w ie m an ver­
schw eigen kön nte, daß H agen die Tat begangen hatte.

loi l V iele von ihnen sagten zuein an der: »D ies ist sch lim m fü r uns.
Ihr alle sollt die Tat verh eim lich en un d ü b erein stim m en d
erklären, daß R äu b er K riem h ild s M an n erschlagen haben , als
er allein a u f d er Jagd d u rch den W ald ritt.«

1012 D er treulose H agen aber sprach: »Ich brin ge ihn nach W orm s.
M ir ist es vö llig gleichgültig, ob K riem h ild, die m eine H errin so
seh r beleidigt hat, die W ahrheit erfährt. M ich kü m m ert es nicht
im gerin gsten , w ie seh r sie w eint.«

1013 Ü b er die Q uelle, an der Siegfried erschlagen w urde, k an n ich


euch w ahrheitsgetreu berichten: A m O denw ald liegt ein D o rf
m it N am en O tten heim , d ort fließt sie im m er noch, daran b e­
steht kein Zw eifel.
17- A V EN T IU R E
A V EN T IU R E W IE C H R I E M H I L T IR M A N KLAGTE
U N D W IE MA N IN B E G R U O P

1014 D o erbiten si der nahte un d fuoren uber Rin.


von heleden chun de n im m er w irs gejaget sin.
ein tyer, daz si da sluogen, daz w einten edeliu kint.
ja m u osin sin engelten vil gu ote w igan d e sint.

lois Von grozer uberm üete m u gt ir n u hoeren sagn,


un d von starcher rache, do hiez H agen tragn
Sivrid e den herren von N ibelu n ge lant
fu r eine kem enaten, da m an C h riem h ild e vant.

1016 E r hiez in also toten legn an die tür,


daz si in da solde vind en , so si d er gienge fü r
hin zer m ettine, e daz ez w urd e tac,
der d iu frow e C h riem h ilt d eheine selten verlac.

1017 M an lute da zem m unster nach gew onheit.


do w achte diu frow e v o r ir m anige m eit,
si bat ir balde brin gen lieht un d ir gew ant.
do chom ein kam eraere, da er Sivrid en vant.

lois E r sach in bluotes roten, sin w at w as elliu naz.


daz ez sin herre w aere, niht enw esser daz.
hin zer kem enaten daz lieht tru og an der hant.
von dem vil leider m aere sit vrou C h riem h ilt ervant.
17- A V EN T IU R E
W IE K R IE M H IL D U M IH R E N M A N N TRA U ERTE
U N D W IE M A N I H N BEGRUB

1014 Sie w arteten a u f die N acht un d überquerten dann den Rhein.


Sch recklich er hätten H elden nicht jagen kön nen . Ein Tier, das
sie d o rt erlegt hatten, bew einten adlige Frauen. D afü r m ußten
später viele gute K äm p fer büßen.

lois Jetzt k ö n n t ih r von gro ß er Ü b erh eb lich keit u n d u n geh eu rer


R ach e erzählen hören . H agen ließ Siegfried, den H erren des
N ib elu n gen lan d es, v o r die Kem enate tragen, in der K riem h ild
schlief.

1016 E r ließ den Toten einfach v o r die T ü r legen, so daß sie ihn fin ­
den m uß te, w en n sie herau skam , um n och vo r Tagesanbruch
zur Früh m esse zu gehen, die Frau K riem h ild selten versäum te.

1017 W ie gew öhn lich läutete m an im M ü n ster die G locken . D ie H er­


rin w eckte viele von ihren M äd ch en und bat sie, ihr schnell ein
Licht un d ihr G ew an d zu bringen. D a fand ein K äm m erer Sieg­
fried.

lois E r sah ihn von rotem Blut überström t liegen, sein G ew an d w ar


vö llig d urchnäß t. A b er er erkannte nicht, daß es sein H err war.
So tru g er das Licht in der H an d zu r Kem enate. Erst später
erfu h r Frau K riem h ild von ihm die erschütternde N achricht.
332 17- A V E N T I U R E

1019 Do si mit ir frowen zem munster wolde gan,


do sprach der kameraere: »ja suit ir stille stan,
ez lit vor dem gademe ein ritter tot erslagn.«
da begunde Chriemhilt harte unmaezliche klagn.

1020 E daz si reht erfunde, daz ez waere ir man,


an die Hagenen vrage denchen si began,
wier in wolde vristen, do wart ir erste leit.
ir was alle ir freuden mit sime tode widerseit.

1021 Do seich si zuo der erden, daz si niht ensprach.


die schoenen freudelosen ligen man do sach.
der edeln frowen jamer wart unmazen groz.
do erschre si nach unchrefte, daz al diu kemenate erdoz.

1022 Do sprach ir gesinde: »waz ob ez ist ein gast?«


daz bluot ir uzem munde von hercen jamer brast.
si sprach: »ez ist Sivrit, der min vil lieber man.
ez hat geraten Prunhilt, daz ez hat Hagene getan.«

1023 Diu frowe bat sich wisen, da si den recken vant.


si huop sin schoene houbet mit ir wizen hant.
swie rot er was von bluote, si het in schier bêchant,
do was missevarwe des chüenen degenes gewant.

1024 Do rief vil jaemerliche diu kuniginne milt:


»owe mir miner leide! nune ist dir din schilt
mit swerten niht verhowen, du list ermorderot!
und wesse ich, wer daz taete, ich riet im immer sinen tot.«
KRIE M H ILD S TRAUER UN D SIEGFRIEDS BEGRÄBNIS 333

1019 A ls sie m it ihren D am en zum M ü n ster aufbrechen wollte, sagte


der K äm m erer: »Bitte, bleibt stehen, v o r dem G em ach liegt ein
ersch lagener Ritter.« D a b rach K riem h ild in m aßloses Klagen
aus.

1020 B evo r sie ü b erh au p t gen au gesehen hatte, daß es ih r M an n war,


m uß te sie an H agens Frage denken, w ie er Siegfried angeblich
beschützen w ollte. D a überw ältigte sie das Leid. M it Siegfrieds
Tod w aren alle ihre Freud en zerstört.

1021 Sie san k a u f den B od en nied er u n d konnte kein W ort sprechen.


M an sah die Sch ön e verzw eifelt daliegen. D er Schm erz der ed ­
len H errin w a r un erm eß lich . N ach d em sie die Schw äche ü b er­
w u n d en hatte, schrie sie so laut, daß die ganze Kem enate davon
erbebte.

1022 D a sagte ihr G efolge: »Vielleicht ist es n u r ein Frem der.« D urch
den S ch m erz ihres H erzens b rach K riem h ild Blut aus dem
M u n d . Sie entgegnete: »Es ist Siegfried, m ein lieber M an n .
B rü n h ild hat den M o rd gew ollt, und H agen hat ihn au sg e­
führt.«

1023 D ie H errin ließ sich an die Stelle führen , w o der H eld lag. Sie
n ahm seinen schön en K o p f in ihre w eißen H ände. O bw oh l er
b lu tü berströ m t w ar, erkann te sie ihn sofort. D as G ew an d des
tapferen K äm p fers hatte eine ganz frem de Farbe.

1024 E rb arm en sw ü rd ig r ie f die gü tige K ö n ig in : »O w eh, w elches


Leid trifft m ich! D ein Sch ild ist nicht von Schw ertern zerschla­
gen, d u bist erm ord et w orden. W enn ich sicher w äre, w er das
getan hat, d an n hätte ich nichts als seinen Tod im Sinn.«
334 17- AV ENTIURE

1025 Allez ir gesinde chlagt unde schre


mit ir vil lieben ffowen, wande in was starche we
umbe ir vil edeln herren, den si da heten verlorn.
do het gerochen Hagene harte Prunhilde zorn.

1026 Do sprach diu jamerhafte: »man sol hin gan


und wecken die Sivrides man
und sol ouch Sigemunde disiu maere sagen,
ob er mir helfen welle den herren Sivriden chlagen.«

1027 Do lief ein bote balde, da er ligen vant


die Sivrides helede von Nibelunge lant.
mit disen leiden maeren wachter manigen man,
die Sprüngen ane sinne vil balde von ir betten dan.

1028 Ouch kom der bote schiere, da der kunic lac;


Sigemunt der herre, der slafes niht enpflac,
ich waen, sin herce im sagete, daz im da was geschehn:
ern mohte sinen lieben suon lebnden nimmer me gesehn.

1029 »Wachet, herre Sigemunt, wande ir suit balde gan


ze Chriemhilt miner frowen, der ist ein leit getan,
daz ir vor allen leiden an ir herce gat.
daz suit ir klagen helfen, wandez iuch sere bestat.«

1030 Uf rihte sich do Sigemunt, er sprach: »waz sint diu leit


der schoenen Chriemhilde, di du mir hast geseit?«
der bote sprach mit jamer: »si muoz von schulden chlagen.
ja ist von Niderlanden der chüene Sivrit erslagen.«

1031 Do sprach der herre Sigemunt: »lat daz schimpfen sin


und also bosiu maere von dem sune min,
daz ir daz saget iemen, daz er si erslagn,
wande ich en chunde in nimmer unz an min ende verklagn.«
K R IE M H IL D S T R A U E R U N D SIE G F R IE D S B E G R Ä B N IS 335

1025 D as ganze G e fo lg e klagte u n d w einte zu sam m en m it seiner


lieben H errin , d en n sie trauerten m aß los über den Verlust ihres
edlen H errn . N u n hatte H agen B rü n h ild s Z o rn furch tbar
gerächt.

1026 D ie leiderfüllte F rau sprach: »G eht un d w eckt Siegfrieds Leute


un d ben ach rich tigt auch Siegm u n d , fragt, ob er m ir helfen w ill,
H errn Siegfried zu beklagen.«

1027 Sogleich lie f ein Bote zu Siegfrieds H elden aus dem N ib elu n ­
gen land. M it seiner traurigen Botschaft w eckte er viele M änner,
so fo rt sp ran gen sie, n och gan z b en o m m en , von ihren Betten
auf.

1028 G leich d an ach trat der Bote auch zu K ö n ig Siegm u n d ; doch der
H err sc h lie f nicht. Ich glaube, sein H erz sagte ihm , w as gesche­
hen w ar: E r w ü rd e seinen lieben Sohn nie w ied er lebend sehen.

1029 »Wacht au f, H err S iegm u n d , d enn ihr sollt schnell zu m ein er


H errin K riem h ild k om m en . Ih r ist ein L eid angetan w orden ,
das ihr w ie kein anderes das H erz zerreißt. D as sollt ihr bekla­
gen helfen, d enn es betrifft eu ch ebensosehr.«

1030 S ieg m u n d richtete sich a u f un d fragte: »Was sin d das für


Sch m erzen K riem h ild s, von d en en du gesp roch en hast?« D er
B ote an tw ortete, selbst von Leid erfüllt: »Sie hat allen G ru n d
zu klagen. W ahrhaftig, der kü h n e Siegfried aus N iederlan d ist
erschlagen w orden .«

1031 D a sp rach H err Siegm u n d : »Treibt keinen Scherz m it einer so


grau sigen N ach rich t über m ein en So h n , indem ihr behauptet,
er sei ersch lagen w o rd en , d en n seinen Tod kön n te ich bis an
m ein Leben sen de n icht verw in d en.«
336 17- AVEN TIURE

1032 »Und welt ir niht gelouben, daz ir mich hoeret sagn,


ir mügt wol selbe hoeren Chriemhilde klagn
und allez ir gesinde den Sivrides tot.«
vil sere erschrach do Sigemunt, des gie im groezliche not.

1033 Mit hundert sinen mannen er von den betten spranch.


si züchten zuo den handen diu scharpfen wafen lanch,
si liefen zuo dem wuofe vil seneliche dan.
do chomen tusint recken des chüenen Sivrides man.

1034 Do si so jamerliche die ffowen horten chlagn,


do wände sumeliche, si solden chleider tragn.
jane mohten si der sinne vor leide niht gehabn.
in was vil starchiu swaere in ir hercen begrabn.

1035 Do chom der kunic Sigemunt, da er Chriemhilt vant,


er sprach: »owe der reise her in ditze lant!
wer hat mich mines kindes und iuch iwers man
bi so guoten friunden vergebne ane getan?«

1036 »Hey, solde ich den bechennen«, sprach daz edel wip,
»holt enwurde im nimmer min herce und ouch der lip.
ich getaet im als leide, daz die mage sin
mit jamer müezen weinen, daz wizzet, von den schulden min.«

1037 Sigemunt mit armen den fiarsten umbesloz.


do wart von sinen friunden der jamer also groz,
daz von dem starchen wuofe palas unde sal
und ouch diu stat ze Wormz von ir weinen erschal.

1038 Done chunde niemen trösten daz Sivrides wip.


man zoch uz den chleidern den sinen schoenen lip,
den edeln kunich riche si leiten uf den re.
do was von grozem jamer sinen Hüten allen we.
KRIE M H ILD S TRAUER UN D SIEGFRIEDS BEGRÄBNIS 337

1032 »Wenn ihr mir nicht glauben wollt, was ich gesagt habe, dann
hört selbst, wie Kriemhild und ihr gesamtes Gefolge über Sieg­
frieds Tod klagen.« Da erschrak Siegmund heftig und war von
Leid überwältigt.

1033 Er und hundert seiner Leute sprangen von ihren Betten auf. Sie
griffen zu ihren scharfen, langen Schwertern und eilten leid­
erfüllt an den Ort, von dem lautes Wehklagen ertönte. Auch
tausend Recken, getreue Leute des kühnen Siegfried, trafen
dort ein.

1034 Als sie die Damen so verzweifelt klagen hörten, fiel einigen ein,
sie sollten doch lieber vorher ihr Obergewand anlegen. Sie wa­
ren vor Leid besinnungslos geworden. Eine schwere Last lag auf
ihren Herzen.

1035 Dann trat Siegmund zu Kriemhild und rief: »O weh, warum


sind wir in dieses Land gereist! Wer hat mir mein Kind und
euch den Mann am Hof so guter Freunde sinnlos entrissen?«

1036 »Ach, wüßte ich genau, wer es war«, sagte die edle Frau, »mein
Herz und mein Leib würden ihm niemals verzeihen. Ich würde
ihm das gleiche Leid an tun, so daß seine Verwandten ebenso
schmerzerfüllt weinen müßten wie ich.«

1037 Siegmund schloß den Fürsten Siegfried in die Arme. Da wurde


das Leid seiner Freunde so groß, daß von ihrem lauten Wehkla­
gen der Palas, der Saal und sogar die Stadt Worms widerhallten.

1038 Niemand vermochte Siegfrieds Frau zu trösten. Man zog dem


schönen Toten die Kleider aus und legte den edlen, mächtigen
König auf eine Bahre. Die Trauer bereitete seinen Leuten
großen Schmerz.
338 1J . AVENTIURE

1039 D o sprachen sine recken von N ib elu n ge lant:


»in sol im m er rechen m it w illen u n ser hant.
er ist in d irre burge, der iz d a hat getan.«
d o ilten nach gew aefen alle Sivrid es m an.

1040 D ie uzerw elten recken m it Schilden chom en dar,


ein lief h un d ert recken, die het an sin er schar
Sigem u n t der herre. den Sivrid es tot
den w old e er gerne rechen; des gie im w aerliche not.

1041 Sine w essen, w en si solden m it strite bestan,


sine taetenz G u n th er un d e sine m an,
m it den der herre Sivrit an daz gejägede reit.
C h riem h ilt si sach gew afent, do w as ir grozliche leit.

1042 Sw ie starch ir ja m e r w aere und sw ie groz ir not,


do vorhte si so sere der N ibelu ngen tot
von G un thers m ann en , daz si ez un derstu on t.
si w arn t si guotliche, so friu n t n och liebe friu n d e tuont.

1043 D o r ie f diu jam ers riche: »m in her Sigem unt,


w es w eit ir beginnen? iu enist niht rehte chunt,
ez hat der chun ich G u n th er so m anigen chüen en m an,
ir sit verlorn alle, w eit ir m it strite si bestan.«

1044 M it u f erburten Schilden ze strite w as in not;


C h riem h ilt, diu frow e, bat un d ouch gebot,
daz siz m iden solden, die recken vil gem eit.
ob siz niht w enden chunde, daz w aere ir bedenthalben leit.

1045 Si sprach: »herre Sigem unt, ir suit iz lazen stan,


unz iz sich baz gefiiege, so w il ich m in en m an
im m er m it iu rechen, der m ir in hat ben om en ,
w irde ich des bew iset, ich soi im schädeliche körnen.
K R IE M H ILD S TRAUER UND SIEGFRIEDS BEGRÄBNIS 339

1039 Da sagten seine Recken aus dem Nibelungenland: »Wir wollen


ihn auf jeden Fall rächen. Der ihn getötet hat, hält sich hier in
der Burg auf.« Sofort eilten alle Leute Siegfrieds zu den Waffen.

1040 Die auserwählten Recken versammelten sich mit ihren Schil­


den, es waren elfhundert, die zu Herrn Siegmunds Gefolge
gehörten. Er wollte unbedingt Siegfrieds Tod rächen; das schien
ihm eine unausweichliche Notwendigkeit.

1041 Sie wußten nicht, gegen wen sie kämpfen sollten, wenn nicht
gegen Gunther und seine Leute, mit denen Herr Siegfried zur
Jagd geritten war. Als Kriemhild sie bewaffnet sah, traf sie neues
Leid.

1042 Wie überwältigend ihr Schmerz und wie groß ihr eigener Ra­
chewunsch auch waren, sie fürchtete andrerseits den Tod der
Nibelungen durch Gunthers Leute so sehr, daß sie sich gegen
den Kampf aussprach. Sie warnte sie in Güte, wie ein Freund
seine lieben Freunde.

1043 »Mein Herr Siegmund«, rief die Leiderfüllte, »was habt ihr vor?
Vielleicht wißt ihr es nicht, aber Gunther hat so viele kühne
Leute, daß ihr alle verloren wäret, wenn ihr gegen sie kämpft.«

1044 Mit erhobenen Schilden drängte es sie zum Kampf; aber die
Herrin Kriemhild bat und befahl, daß die stolzen Recken ihn
aufgeben sollten. Wenn sie es nicht abwenden könnte, wäre das
für sie ein zusätzliches Unglück.

1045 »Herr Siegmund«, sagte sie, »verschiebt den Kampf, bis die Gele­
genheit günstiger ist, dann will ich meinen Mann auf jeden Fall
an eurer Seite rächen. Wenn ich Beweise gegen den habe, der ihn
mir genommen hat, werde ich gegen den Mörder vorgehen.
340 17- AVEN TIURE

1046 Ez ist der ubermüeten hie bi Rine vil,


da von ich iu des strites raten niene wil.
si habent wider einen ie wol drizzech man.
nu laz in got gelingen, als si an uns gedienet han.

1047 Ir suit hie beliben und doit mit mir diu leit.
so ez tagen beginne, ir helde vil gemeit,
so helfet mir besarchen den minen lieben man.«
do sprachen die degene: »daz soi werden getan.«

1048 Nune chundiu niemen daz wunder wol gesagn


von rittern unde frowen, wie man die horte klagn.
do wart man des wuofes in der stete gewar.
vil der burgaere die chomen gahende dar.

1049 Si klagten mit den gesten, wände in was starche leit.


die Sivrides schulde in niemen het geseit,
wa von der edele recke verlur den sinen lip.
do weinten mit den frowen der guoten chaufliute wip.

1050 Smide hiez man gahen bewurchen einen sarch


von edelm mermelsteine, vil michel unde starch,
man hiez in vaste binden mit gespenge guot.
do was al den liuten harte trurich der muot.

1051 Diu naht diu was zergangen, man sagt, iz wolde tagen,
do bat diu edele frowe zuo dem munster tragen
den vil edeln toten, ir vil lieben man.
swaz er da friunde hete, die sah man weinende gan.

1052 Do man in zem munster brahte, vil der glocken chlanc,


man horte von den pfaffen vil michel gesanc.
do chom der chunic Gunther mit den sinen man,
mit im der grimme Hagene, zuo dem wuofe gegan.
K R IE M H IL D S T R A U E R U N D SIE G F R IE D S B E G R Ä B N IS 341

1046 Es gibt hier am Rhein viele aufbrausende Leute, deshalb rate ich
von dem Kampf ab. Gegen einen von euch bieten sie jeweils
wohl dreißig Mann auf. Gott gebe ihnen, was sie durch ihre
Untat gegen uns verdient haben.

1047 Bleibt hier und trauert mit mir. Sobald es Tag wird, helft mir,
ihr stolzen Helden, meinen lieben Mann in einen Sarg zu
legen.« Da sprachen die Kämpfer: »Das wollen wir tun.«

1048 Niemand könnte angemessen in Worte fassen, wie unvorstell­


bar Ritter und Damen klagten. Das Wehgeschrei drang bis in
die Stadt. Viele ihrer Bewohner kamen eilends zur Burg.

1049 Sie klagten zusammen mit den Fremden, denn sie nahmen
großen Anteil an dem Leid. Niemand konnte ihnen sagen, was
Siegfried sich hatte zuschulden kommen lassen und weshalb
der edle Recke sein Leben verloren hatte. Da weinten mit den
adligen Damen auch die Frauen der Kaufleute.

1050 Man beauftragte Steinmetze, möglichst schnell einen großen


und prächtigen Sarg aus edlem Marmor anzufertigen, den man
mit kräftigen Spangen fest umschließen ließ. Alle wurden von
tiefer Trauer ergriffen.

1051 Die Nacht war vorüber, und der Tag brach an. Da bat die
Herrin, man solle den edlen Toten, ihren lieben Mann, zum
Münster tragen. Alle seine Freunde folgten weinend.

1052 Als man ihn zur Kirche brachte, läuteten viele Glocken, und
die Geistlichen sangen feierliche Gesänge. Dann kam König
Gunther mit seinen Leuten zu der Totenklage, auch Hagen war
dabei.
342 17. A V E N T I U R E

1053 E r sprach: »vil liebiu swester, ow e der laide din,


daz w ir d er starchen leide niht m oh ten ü b er sin!
w ir m üezen klagn im m er den sinen schoen en lip.«
»daz tuot ir ane schulde«, sprach do daz jam erh afte w ip.

1054 »Waer iu d ar um b e leide, son e w aer es n iht geschehn.


ir hetet m in vergezzen, des m ag ich w ol n u jeh n,
da ich da w art gescheiden von m im e lieben m an.
daz w olde got von him ele, w aer ez m ir selber getan.«

1055 »D ir ist von m in en liuten leides niht geschehn«,


sprach der ku n ic G unther, »des w il ich d ir verjehn.«
»die w ellen sin u n schu ld ich, die heizet naher gen«,
sprach si, »zuo der bare, daz w ir die w arheit versten.«

1056 D az ist ein m ichel w u n d er: vil d icke ez n och geschiht,


swa m an den m ortm eilen bi dem toten siht,
so bluotent im die w u n d en , als o u ch da geschach.
da von m an die sculde da ze H agene gesach.

1057 D ie w un d en vluzzen sere, also si taten e.


die e d a sere chlageten, des w art nu m ichel m e.
d o sprach der kunich G u n th er: »ich w ilz iuch w izzen lan:
in sluogen schachaere, H agene hat es n iht getan.«

loss Si sprach: »die selben schachm an sint m ir w ol bêchant,


got laz iz n och errechen siner friu n d e hant.
G u n th er un d e H agene, ja habt ir ez getan.«
die Sivrides recken heten d o ze strite w an.

1059 D o sprach aber C h riem h ilt: »nu doit m it m ir die not.«


do chom en dise beide, da si in fun den tot,
G ern ot, ir bruoder, und G iselh er daz kint,
in triw en si in chlageten m it den anderen sint.
KRIE M H ILD S TRAUER UN D SIEGFRIEDS BEGRÄBNIS 343

1053 »Liebe Schwester«, sprach Gunther, »o weh, welches Leid hat


dich getroffen! Hätten wir dieses große Unglück doch nur
abwenden können! Wir werden den schönen Siegfried immer
beklagen.« »Dazu habt ihr keinen Grund«, sagte die erbar­
menswürdige Frau.

1054 »Täte euch Siegfrieds Tod leid, wäre die Tat nicht geschehen. Ich
bin mir sicher, daß ihr überhaupt nicht an mich gedacht habt,
als mir mein lieber Mann entrissen wurde. Wollte Gott im
Himmel, ihr hättet mich selbst umgebracht.«

loss »Dir ist von meinen Leuten kein Leid zugefügt worden«, wider­
sprach König Gunther, »das versichere ich dir.« Sie entgegnete:
»Dann laßt die näher an die Bahre herantreten, die behaupten,
unschuldig zu sein, damit wir die Wahrheit erfahren.«

1056 Das ist nämlich ein großes Wunder: Noch heute geschieht es
oft, daß die Wunden des Toten bluten, wenn der Mordbefleckte
ihm nahekommt. So geschah es auch hier. Auf diese Weise
wurde Hagens Schuld offenbar.

1057 Die Wunden bluteten so stark wie bei der Ermordung. Da


wurde das Wehgeschrei derer, die schon zuvor laut geklagt hat­
ten, noch größer. König Gunther aber sprach: »Ihr sollt wissen:
Räuber haben Siegfried erschlagen, Hagen hat es nicht getan.«

1058 »Die Räuber kenne ich gut«, entgegnete Kriemhild. »Gott möge
dafür sorgen, daß Siegfrieds Verwandte die Tat rächen. Gunther
und Hagen, ja, ihr habt es getan.« Daraufhin wollten sich Sieg­
frieds Recken sofort in den Kampf stürzen.

1059 Kriemhild aber sagte: »Ertragt mit mir den furchtbaren


Schmerz.« Dann traten ihre beiden Brüder, Gernot und der
junge Giselher, an den Aufgebahrten heran und trauerten auf­
richtig mit den anderen um ihn.
344 17- A V E N T I U R E

1060 Si w einten innekliche den C h riem h ild e m an.


m an sold e m esse singin, zuo d em m u n ster dan
gien gen allenthalben m an, w ip un d e kint.
die sin doch lihte enbaren, die w einten Sivrid en sint.

loot G ern o t und G iselh er sprachen: »sw ester m in,


nu tröste dich nach tode, als ez d och m u o z nu sin.
w ir w ellens dich ergezzen, die w il unt w ir gelebn.«
d one chun de ir trost dech ein en zer w erlde niem en gegebn.

1062 Sin sarch der w as bereitet u m ben m itten tac.


m an h u ob in von der bare, da er u f lac.
noch enw olde si den recken lazen niht begraben,
des m uosen al die Hute vil m ichel arebeite haben.

1063 In einen riehen pfellel m an den toten w ant,


ich w aene, m an da iem en ane w einen vant.
do chlagete hercenliche U ote, ein edel w ip,
und allez ir gesinde den sinen w aetlichen lip.

1064 D o m an daz gehörte, daz m an zem m un ster sane


und in gesarchet hete, vil groz w art d er gedranc.
durch w illen siner sele w az opfers m an do truoch.
er hete bi den vin d en guoter friu n d e d och gen uoch.

1065 D o m an da gote gediente, daz volch h u o p sich von dan.


do sprach diu kunigin n e: »im suit niht eine lan
m ich hinte bew achen den uzerw elten degn.
ist an sim e libe al m in freude gelegn.
KRIE M H ILD S TRAUER U N D SIEGFRIEDS BEGRÄBNIS 345

1060 Sie bew einten K riem h ild s G em ah l m it herzlicher A nteiln ahm e.


A ls die Z eit h eran gek o m m en w ar, die M esse zu singen, strö m ­
ten von ü b erallh er M än ner, Frauen und K in der zum M ünster.
Selbst d iejen igen , die S iegfried w en iger nahestanden, b ew ein ­
ten ihn jetzt.

1061 »Liebe Schw ester«, sagten G ern o t u n d Giselher, »nun fasse dich
nach Siegfrieds Tod, das m u ß d och sein. W ir w ollen d ir beiste­
hen, solan ge w ir leben.« A b er n iem an d a u f der W elt verm ochte
sie zu trösten.

1062 Siegfried s S arg w ar u m d ie M ittagszeit fertiggestellt. M an hob


den Toten von der Bahre, a u f d er er lag. D och K riem h ild w ollte
den H elden n och n ich t b egraben lassen. D as em p fan den alle
Leute als sehr bed rü cken d.

1063 M an w ickelte den Toten in eine kostbare D ecke. Ich glaube, es


gab n iem an d en , d er nicht w einte. D ie edle Frau Ute un d ih r
ganzes G efo lge beklagten von H erzen den stattlichen M an n .

1064 A ls m an hörte, daß die M esse im M ü n ster begon nen hatte und
S iegfried in den S arg gelegt w ar, en tstand ein m äch tiges G e ­
d ränge. Z ah lreich e O p fer w u rd en fü r sein Seelenheil d a r­
geb rach t. S iegfried hatte im L an d sein er Fein de viele gute
Freunde.

1065 N ach d em G o ttesd ien st zerstreute sich das Volk. D a sagte


K riem h ild : »Laßt m ich heute nacht nicht allein die Totenw ache
fü r den ausgezeich neten K äm p fer halten. M it ihm sinkt all
m ein e Freude ins G rab.
346 17- AV EN TIURE

1066 Dri tage und dri nahte wil ich in lazen stan,
unz ich mich wol geniete mins vil lieben man.
waz ob daz got gebiutet, daz mich ouch nimt der tot!
so waere wol verendet min armer Chriemhilde not.«

1067 Zen herbergen giengen die Hute von der stat,


pfaffen unde müniche si beliben bat
und allez sin gesinde, daz sin von rehte pflac.
si heten naht vil arge und ouch vil müelichen tac.

1068 Ane ezzen und ane trinchen beleip da manic man.


die ez nemen wolden, den wart daz chunt getan,
man gaeb es in den vollen; daz schuof Sigemunt.
do was den Nibelungen michel arebeiten chunt.

1069 Die drie tagecite, so wir hoern sagen,


di da singen chunden, da si muosn tragen
vil michel arebeite durch ir hercen ser.
si baten umbe die sele des recken chüen unde her.

1070 Urbor uf der erden diu teiltes in diu lant,


swa so man diu chloster und guote liute vant.
ouch hiez si gehn den armen der sinen habe genuoch.
si tet dem wol geliche, daz si im holden willen truoch.

1071 An dem dritten morgen ze rehter messecit,


so was bi dem munster der chirchof also wit
von den lantliuten weinens harte vol.
si dienten im nach tode, als man lieben friunden soi.

1072 In den tagen vieren, ist uns gesagt daz,


ze drizzech tusint marchen oder dannoch baz
wart durch sine sele den armen da gegebn.
do was gelegn ringe sin groziu schoene und ouch sin lebn.
KRIE M H ILD S TRAUER UN D SIEGFRIEDS BEGRÄBNIS 347

1066 Drei Tage und drei Nächte will ich meinen lieben Mann aufge­
bahrt lassen, bevor ich mich von ihm trenne. Vielleicht be­
stimmt Gott, daß auch mich der Tod dahinrafft! Dann nähme
die Not von mir armer Kriemhild ein Ende.«

1067 Die Leute aus der Stadt kehrten nach Hause zurück. Geistliche,
Mönche und Siegfrieds ganzes Gefolge bat Kriemhild zu blei­
ben, um bei dem Toten zu wachen, wie es sich ziemt. Sie ver­
brachten eine sehr traurige Nacht und einen beschwerlichen
Tag.

1068 Ohne Essen und Trinken harrten viele im Münster aus. Denen
jedoch, die etwas zu sich nehmen wollten, wurde gesagt, daß es
reichlich gäbe; dafür hatte Siegmund gesorgt. Da kam viel
Mühe auf die Nibelungen zu.

1069 Drei Tage lang, so hören wir, mußten die Geistlichen, die dort
die Messe sangen, um Kriemhilds Herzeleid willen große An­
strengung auf sich nehmen. Sie beteten für die Seele des tap­
feren und erhabenen Recken.

1070 Erträge aus Ländereien verteilte Kriemhild an die Klöster und


Aussätzigen im Land. Außerdem ließ sie viel von Siegfrieds
Besitz an die Armen verschenken. Damit brachte sie zum
Ausdruck, daß sie Siegfried sehr liebte.

1071 Am dritten Morgen zur Zeit der Messe war der Kirchhof neben
dem Münster voll von weinenden Leuten. Sie erwiesen Sieg­
fried nach seinem Tod die letzte Ehre, wie man es bei lieben
Freunden tun soll.

1072 In diesen vier Tagen, so haben wir erzählen hören, wurden


dreißigtausend Mark oder mehr für Siegfrieds Seelenheil an
die Armen verschenkt. Doch seine große Schönheit und sein
Leben waren unwiederbringlich vergangen.
348 17- AV ENTIURE

1073 Do gote wart da gedienet und daz man da gesanch,


mit ungefüegem leide vil des volches ranch.
man hiez in uz dem munster zuo dem grabe tragn.
die sin doch liht enbaren, die sah man weinen unde klagn.

1074 Vil lute schriende daz volch gie mit im dan,


vro enwas da niemen, weder wip noch man.
e er begrabn wurde, man sanch unde las.
hey, waz der wisen pfaffen bi siner bivilde was!

1075 E daz zem grabe choeme daz Sivrides wip,


do ranch mit solhem jamer der ir getriwer lip,
daz man si mit wazzer vil dicke da begoz.
ez was ir ungemüete hart unmaezlich groz.

1076 Ez was ein michel wunder, daz si ie genas,


mit klage ir helfende vil manic frowe was.
do sprach diu kuniginne: »ir Sivrides man,
ir suit durch iwer triwe dise genade an mir began:

1077 Lat mir nach mime leide daz chleine liep geschehn,
daz ich sin schoene houbt noch eines müeze sehn.«
do bat sis also lange mit jamers siten starch,
daz man wider uf brechen muose den herlichen sarch.

1078 Do brahte man die frowen, da si in ligen vant.


si huop sin schoene houbet mit ir wizen hant,
do chustes also toten den edeln ritter guot.
ir vil liehten ougen vor leide weinten do bluot.

1079 Ein jaemerlichez scheiden wart do da getan.


man truoch die frowen dannen; sine mohte niht gegan.
do lac in unsinne daz herliche wip.
vor leide moht ersterben der ir vil wunnekliche lip.
K R IE M H ILD S TRAUER UND SIEG FRIED S BEGRÄBNIS 349

1073 Nachdem man zur Ehre Gottes die Messe gesungen hatte, über­
wältigte viele Leute maßloser Schmerz. Der Leichnam wurde
aus dem Münster zum Grab getragen. Auch diejenigen, die
Siegfried nicht so eng verbunden waren, sah man weinen und
klagen.

1074 Laut schreiend folgten die Leute dem Sarg, alle trauerten,
Frauen und Männer. Bevor man ihn begrub, wurde gesungen
und gebetet. Ach, wie viele weise Geistliche nahmen an Sieg­
frieds Begräbnis teil!

1075 Bevor Siegfrieds Frau an das Grab trat, war ihr Körper vom
Schmerz derart erschöpft, daß man sie immer wieder mit Was­
ser erfrischen mußte. Ihre innere Qual überstieg jedes Maß.

1076 Es war ein großes Wunder, daß sie überhaupt am Leben blieb.
Viele adlige Frauen klagten an ihrer Seite. Da sagte die Königin:
»Ihr Männer Siegfrieds, bei eurer Treue, tut mir einen Gefallen:

1077 Gönnt mir nach meiner Trauer die kleine Freude, sein schönes
Antlitz noch einmal zu sehen.« Von ihrem großen Schmerz
bewegt, bat sie so lange, daß man den prächtigen Sarg wieder
aufbrechen mußte.

1078 Man brachte die Herrin dorthin, wo Siegfried lag. Sie nahm sei­
nen schönen Kopf in ihre weißen Hände und küßte den toten,
edlen, außerordentlichen Ritter. Vor Leid weinten ihre strahlen­
den Augen blutige Tränen.

1079 Erbarmungswürdig nahm sie Abschied. Man mußte die Herrin


von dem Sarg forttragen; denn sie konnte sich nicht mehr auf
den Beinen halten. Dann fiel die anmutige Frau in Ohnmacht.
Vor Leid wäre sie beinahe gestorben.
350 17- AVENTIURE

1080 Do man den edeln herren hete nu begrabn,


leit ane maze sah man die alle habn,
die mit im chomen waren von Nibelunge lant.
vil selten wol gemuoten man do Sigemunden vant.

1081 Do was der etelicher, der drier tage lane


vor dem starchen leide niht az noch entranch.
doch enmohten si dem libe so gar geswichen niht,
si nerten sich nach jamer, so noch genuogen geschiht.

1082 Chriemhilt unversunnen in unchreften lac


den tac und den abent unz an den andern tac.
swaz iemen sprechen chunde, daz was ir gar unchunt.
in den selben noeten lag ouch der kunich Sigemunt.

1083 Vil chume wart der herre wider ze sinnen braht.


von dem starchen leide chranch was gar sin mäht,
daz enwas niht wunder, do sprachen sine man:
»herre, ir suit ze lande, wir mugen niht langer hie bestan.«
K R IE M H ILD S TRAUER UND SIEGFRIEDS BEGRÄBNIS 351

1080 Als man den edlen Herrn begraben hatte, sah man maßlosen
Schmerz in den Gesichtern derer, die mit ihm aus dem Nibe­
lungenland gekommen waren. Auch Siegmund hatte keinen
frohen Augenblick mehr.

1081 Einige gab es, die drei Tage lang vor lauter Kummer weder aßen
noch tranken. Doch wollten sie schließlich am Leben bleiben,
und so erholten sie sich von ihrem Schmerz, wie es auch heute
noch oft geschieht.

1082 Kriemhild aber lag den ganzen Tag und die Nacht bis zum
nächsten Morgen in Ohnmacht. Sie hörte nichts von dem, was
gesprochen wurde. Genauso erging es König Siegmund.

1083 Beinahe wäre der Herr nicht wieder zur Besinnung gekommen.
Das heftige Leid hatte ihn ganz geschwächt, und das verwun­
derte nicht. Da sagten seine Leute: »Herr, zieht nach Hause, wir
können nicht länger hierbleiben.«
l8 . A V E N T IU R E
A V EN T IU R E W IE C H R I E M H I L T DA B E S T U O N T
U N D IR S W E H E R D A N N E N R E IT

1084 Do brahte man den herren, da er Chriemhilt vant.


er sprach zer kuniginne: »wir suln in unser lant.
wir waen, unmaere geste hie ze Rine sin.
min vil liebiu frowe, nu vart ir zuo den landen min.

loss Sit daz uns untriwe ane hat getan


hie in disen landen des iuren edeln man,
des ensult ir niht engelten. ich wil iu waege sin
durch mins suns liebe, des suit ir gar ane angest sin.

1086 Ir suit ouch haben, frowe, allen den gewalt,


den iu e tet künde der chüene degn bait.
daz lant und ouch die chrone, daz si iu undertan,
iu suln gerne dienen alle Sivrides man.«

1087 Do sagte man den knehten, si solden riten dan,


do wart ein michel gahen nah rossen getan.
bi ir starchen vinden was in ze wesen leit.
der frowen und ir mägeden hiez man suochen diu kleit.

1088 Do der kunic Sigemunt wolde sin geriten,


do begunden Chriemhilt ir besten friunde biten,
daz si bi ir friunden solde da bestan.
do sprach diu kuniginne: »daz chunde müelich ergan.
l 8 . A V EN T IU R E
W I E K R IE M H IL D IN W O R M S BLIEB U N D IH R
SCH W IEGER VA TER F O R T R IT T

1084 Man brachte Herrn Siegmund zu Kriemhild. Er sagte zu der


Königin: »Wir werden in unser Land zurückreisen. Hier am
Rhein sind wir, glaube ich, unwillkommene Gäste. Meine liebe
Herrin, nun kommt mit in meine Länder.

loss Nachdem uns Treulosigkeit hier in diesem Land euren edlen


Mann geraubt hat, sollt ihr dadurch nicht auch noch in Gefahr
kommen. Aus Liebe zu meinem Sohn werde ich euch immer
gewogen sein, darauf könnt ihr euch verlassen.

1086 Herrin, ihr sollt über all die Macht verfugen, die euch früher
der tapfere, stolze Kämpfer übertragen hat. Land und Krone
bleiben in eurer Hand, und alle Lehnsleute Siegfrieds werden
euch gern dienen.«

1087 Sobald man den jungen Knappen gesagt hatte, daß die Abreise
bevorstünde, eilten sie zu den Pferden. Sie wollten nicht länger
bei ihren mächtigen Feinden verweilen. Für die Herrin und ihre
Mädchen ließ man die Kleider zurechtmachen.

1088 Als nun König Siegmund zum Aufbruch bereit war, begannen
Kriemhilds nächste Verwandte zu bitten, sie sollte doch bei
ihnen bleiben. Die Königin aber sprach: »Das ist schwer mög­
lich.
354 l8 . AVENTI URE

1089 Wie moht ich den mit ougen immer an gesehn,


von dem mir armem wibe so leide ist geschehn?«
do sprach ir bruoder Giselher: »vil liebiu swester min,
du soit durch dine triwe hie bi diner muoter sin.

1090 Die dir da hant betruobet den lip und ouch den muot,
der bedarfstu vil chleine; zer min eines guot.«
si sprach zuo dem degene: »wie chunde daz geschehn?
vor leide mües ich sterben, swenne ich Hagenen solde sehn.«

1091 »Des tuon ich dir ze rate, vil liebiu swester min.
du soit bi dinem bruoder Giselhere sin.
ich wil dich ergezzen dines mannes tot.«
do sprach diu kuniginne: »des waer mir armen wibe not.«

1092 Do ez ir der junge so guotlich erbot,


si begunden vlegen Uote und Gernot
und ir getriwen mage si baten da bestan;
si hete luzzil ffiunde bi den Sivrides man.

1093 »Si sint iu alle fremede«, so sprach Gernot,


»niemen lebt so starcher, ern müeze ligen tot,
daz bedenchet, swester, und getröstet iuren muot.
belibet bi den friunden, ez wirt iu waerlichen guot.«

1094 Do lobte si ir magen, si wolde da bestan.


diu ross bereitet warn den Sigemundes man,
also si wolden riten heim in Niderlant;
si heten uf gesoumet al der recken gewant.

1095 Do gie der herre Sigemunt zuo Chriemhilde stan,


er sprach zuo der frowen: »die Sivrides man
iu wartent bi den rossen, wir suln riten hin,
wände ich vil ungerne bi den Buregonden bin.«
A BSCH IED VON SIEG M U N D 355

1089 Wie könnte ich es ertragen, den immer vor Augen zu haben,
der mir armen Frau solches Leid angetan hat?« Da sagte ihr
Bruder Giselher: »Meine liebe Schwester, bleib doch hier aus
Treue zu deiner Mutter.

1090 Auf diejenigen, die dich so tief in Betrübnis gestürzt haben, bist
du nicht angewiesen; du kannst von meinem Gut leben.« Sie
antwortete dem Kämpfer: »Wie soll das gehen? Ich müßte vor
Schmerz sterben, sobald ich Hagen sehe.«

1091 »Davor werde ich dich bewahren, meine liebe Schwester. Du


sollst bei deinem Bruder Giselher bleiben. Ich will dir über den
Tod deines Mannes hinweghelfen.« Da antwortete die Königin:
»Das täte mir armen Frau wohl not.«

1092 Als der junge Giselher sie so voller Güte aufgefordert hatte,
flehten Ute, Gernot und ihre treuen Verwandten sie an und
baten, sie möge dableiben; sie hätte doch kaum Freunde unter
Siegfrieds Leuten.

1093 »Dort sind euch alle fremd«, sagte Gernot. »Bedenkt, Schwe­
ster, daß auch der Stärkste einmal sterben muß, und tröstet
euch damit. Bleibt bei euren Verwandten, das wird wirklich gut
für euch sein.«

1094 Daraufhin versprach sie ihren Blutsverwandten zu bleiben. Die


Pferde für Siegmunds Leute standen bereit, denn sie wollten
endlich heim nach Niederland reiten; die gesamte Ausrüstung
der Recken war schon auf Saumtiere geladen.

1095 Da trat Herr Siegmund vor Kriemhild hin und sagte zu der
Herrin: »Siegfrieds Männer erwarten euch bei den Pferden. Wir
wollen fortreiten, denn ungern verweile ich länger bei den Bur­
gundern«
356 l 8 . AVENTIURE

1096 Do sprach diu frowe Chriemhilt: »mir ratent friunde min,


swaz ich han der getriwen, ich suie hie bi in sin.
ich habe luzzel mage in Nibelunge lant.«
leit was ez Sigemunde, do er diu maere an ir ervant.

1097 Do sprach der kunic Sigemunt: »daz eniat iu niemen sagen,


vor allen minen magen suit ir chrone tragen
alsam gewaltekliche, als ir e habt getan.
irn suit des niht engelten, daz wir den heit verlorn han.

1098 Und vart ouch mit uns widere durch iwer kindelin;
daz ensult ir so niht, frowe, verweiset lazen sin.
swenne iwer suon gewähset, der tröstet iu den muot.
die wile sol iu dienen von recken manic heit guot.«

1099 Si sprach: »herre Sigemunt, ine mac geriten niht.


ich muoz hie beliben, swaz halt mir geschiht,
bi den minen magen, daz si mir helfen klagn.«
do begunde disiu maere den guoten recken missehagn.

i loo Si sprachen al geliche: »so mohten wir wol jehn,


daz uns allererste waere leit geschehn,
ob ir beliben woldet bi unsern vinden hie.
so geriten hovereise noch helde sorchlicher nie.«

i loi »Ir suit ane alle sorge gote bevolhen varn.


ich schaffe iu guot geleite und heiz iuch wol bewarn
zu Sigemundes lande, min liebez kindelin,
daz soi uf genade iu recken wol bevolhen sin.«

1 102 Do si daz vernamen, daz si niht wolde dan,


do weinten al gemeine die Sivrides man.
wie rehte jaemerliche sich schiet Sigemunt
von der kuniginne! do was im ungemüete chunt.
A BSCH IED VON SIEGM UND 357

1096 Doch Frau Kriemhild antwortete: »Meine Verwandten raten


mir, hier bei denen zu bleiben, die mir in Treue zugetan sind.
Im Nibelungenland habe ich wenige Verwandte.« Es war für
Siegmund schmerzlich, dies von ihr zu hören.

1097 König Siegmund sagte: »Laßt euch nicht darauf ein. Vor allen
meinen Verwandten sollt ihr die Krone so machtvoll tragen wie
zuvor. Ihr werdet nicht dafür büßen, daß wir den Helden verlo­
ren haben.

1098 Reist auch wegen eures kleinen Kindes mit uns zurück; Herrin,
ihr dürft es nicht zur Waise werden lassen. Wenn euer Sohn
heranwächst, wird er euer Herz trösten. In der Zwischenzeit
stehen euch viele gute Recken zu Diensten.«

1099 Sie antwortete: »Herr Siegmund, ich kann nicht mitreiten. Was
mir auch geschieht, ich muß hier bei meinen Verwandten
bleiben, damit sie mit mir trauern.« Diese Worte mißfielen den
edlen Recken.

i loo Sie sprachen einmütig: »Dann können wir wohl sagen, daß uns
nun erst recht Leid trifft, wenn ihr hier bei unseren Feinden
bleiben wollt. Noch nie sind Helden sorgenvoller an ihren Hof
geritten.«

1101 »Ihr sollt ohne Sorgen reisen und Gott befohlen sein. Ich setze
mich dafür ein, daß ihr gutes Geleit und Schutz bekommt bis in
Siegfrieds Land. Mein liebes Kind übergebe ich euch Helden,
damit ihr es gnädig beschützt.«

1 102 Als sie begriffen hatten, daß Kriemhild nicht mitreisen wollte,
weinten alle getreuen Männer Siegfrieds. Wie traurig verab­
schiedete sich Siegmund von der Königin! Ihm war nun sein
ganzer Kummer bewußt.
358 l8 . AVENTIURE

1103 »We geschehe der hochgecite«, sprach der kunic her.


»ez geschiht von churcewile leider nimmer mer
deheinen kuniges magen, danne uns ist geschehn.
man soi uns nimmer mere hie zen Buregonden sehn.«

1 104 Do sprachen offenliche die Sivrides man:


»ez mohte noch ein reise in dizze lant ergan,
so wir den reht erfunden, der uns den herren ersluoch.
si hant von sinen magen der starchen vinde genuoch.«

i los Er chuste Chriemhilde. wie jaemerlich er sprach,


do si niht riten wolde, und er daz reht ersach:
»nu riten vreuden ane heim in unser lant.
alle mine sorge sint mir erste nu bêchant. «

1106 Si riten ungeleitet von Wormez zetal den Rin.


si mohten sicherlichen wol des muotes sin,
ob si in vintschefte wurden an gerant,
daz sich wem wolde der chüenen Nibelunge hant.

1 107 Sine gerten urloubes da ze cheinem man;


do sah man Gernoten und Giselhern gan
zuo zim minneklichen. in was sin schade leit,
des brahten in wol innen die helde küen und gemeit.

i tos Do sprach gezogenliche der kunic Gernot:


»got weiz daz wol von himele, an Sivrides tot
gewan ich nie die schulde, daz ich daz horte sagen,
wer im hie vint waere. ich soi in pilliche klagen.«

1 109 Do gab in sin geleite Giselher daz kint.


er brahte sorgende uz dem lande sint
den kunic mit sinen recken heim ze Niderlant.
wie luzzil man der mage dar inne vroliche vant.
A BSCH IED VON SIEG M U N D 359

1103 »Verflucht sei das Fest«, rief der erhabene König. »Nie wieder
wird für die Verwandten eines Königs das, was als Vergnügen
begann, ein schlimmeres Ende nehmen. Hier in Burgund sieht
man uns nie wieder.«

1 104 Da sagten Siegfrieds Leute offen vor allen: »Es könnte sich doch
noch eine Reise in dieses Land ergeben, wenn sicher feststeht,
wer unseren Herrn erschlagen hat. Die Burgunden haben unter
Siegfrieds Verwandten viele erbitterte Feinde.«

nos Siegmund küßte Kriemhild. Schmerzerfüllt sprach er, da sie


nicht mitreisen wollte und er ihren unumstößlichen Entschluß
erkannt hatte: »Nun ziehen wir freudlos zurück in unser Land.
Erst jetzt erkenne ich das ganze Ausmaß meiner Sorgen.«

1106 Sie ritten ohne Geleit von Worms rheinabwärts. Die tapferen
Nibelungen waren zuversichtlich, daß sie sich selbst zur Wehr
setzen könnten, wenn sie feindlich angegriffen würden.

1107 Von niemandem wollten sie sich verabschieden; doch Gernot


und Giselher kamen freundlich zu Siegmund. Sie nahmen an
seinem Schmerz Anteil, und die beiden tapferen, stolzen Hel­
den konnten ihn schließlich von ihrer Aufrichtigkeit überzeu­
gen.

nos König Gernot sagte voll Anstand: »Gott im Himmel weiß, daß
ich an Siegfrieds Tod nicht mitschuldig bin, indem ich etwas
gehört und verschwiegen hätte, wer hier sein Feind war. Mit
vollem Recht beklage ich ihn.«

1109 Dann gab ihnen der junge Giselher sein Geleit. Fürsorgend
brachte er den König und dessen Recken aus dem Land heim
nach Niederland. Dort fand man unter den Verwandten kein
fröhliches Gesicht.
360 l8 . AVENTI URE

11 io Wie si nu gefuoren, des enkan ich niht gesagn.


man horte zallen eiten hie Chriemhilde klagn,
daz ir niemen tröste daz herce und ouch den muot,
ez entaet ir bruoder Giselher; der was getriwe unde guot.

im Prunhilt diu schoene mit ubermuote saz.


swaz Chriemhilt geweinte, unmaere was ir daz.
sine wart ir rehter triwen nimmer me bereit.
sit geriet ouch ir vrou Chriemhilt, ich waen, als ungefüegiu leit.
A BSCH IED VON SIEGM UND 361

mo Wie die Reise verlief, darüber kann ich nichts berichten. Doch
gewiß ist, daß man Kriemhild in Worms immerfort klagen
hörte, und niemand konnte ihr Herz und Sinn trösten bis auf
ihren Bruder Giselher; der war treu und aufrichtig.

1111 Die schöne Brünhild aber saß voll Hochmut auf dem Thron.
Wie sehr Kriemhild weinte, das war ihr gleichgültig. Sie fand
sich niemals zu einer Versöhnung bereit. Doch später, glaube
ich, fügte Kriemhild auch ihr ebenso ungeheures Leid zu.
19- A V EN T IU R E
A V EN T IU R E W IE DER N IB E L U N G E H O R T ZE W O R M Z E
B R A H T WART

1112 Do diu minnekliche also verwitewet wart,


bi ir ime lande der grave Eckewart
beleip mit sinen mannen; sin triwe im daz gebot,
er diente siner frowen mit willen unz an sinen tot.

no Ze Wormze bi dem munster ein gezimber man ir sloz


von holze harte michel, wit unde groz,
da si mit ir gesinde sit ane freude saz.
si was zer chirchen gerne und tet vil willechliche daz.

nu Da man begruop ir vriedel, wie selten si daz lie,


mit trurigem muote si alle eite dar gie.
si bat got den riehen, der sinen sele pflegn.
vil dicke wart beweinet mit grozen triwen der degn.

11 is Uote und ir gesinde si trösten zaller stunt,


do was ir daz herce so grozliche wunt,
ez chunde niht vervahen, swaz man ir trostes bot.
si hete nach ir friunde die allergrozisten not,

1116 Die nach liebem manne ie mere wip gewan.


man moht ir starche tugende chiesen wol dar an.
si chlaget unz an ir ende, die wile wert ir lip.
sit rach sich harte swinde in grozen triwen daz wip.
19- A V EN T IU R E
W IE DER N IB E L U N G E N H O R T N A C H W ORMS
GEBRACHT WURDE

1112 Nachdem die liebenswürdige Kriemhild Witwe geworden war,


blieb Graf Eckewart mit seinen Leuten bei ihr im Land; das ge­
bot ihm seine Treue. Bis zu seinem Tod stand er seiner Herrin
bereitwillig zu Diensten.

m3 In Worms errichtete man neben dem Münster für Kriemhild


ein großes, weiträumiges Wohnhaus aus Holz, wo sie mit ihrer
Dienerschaft fortan ohne alle Freude lebte. Nur zur Kirche ging
sie gern, erfüllt von besonderer Andacht.

nu Keinen Tag unterließ sie es, das Grab ihres Geliebten trauernd
zu besuchen. Sie bat Gott den Allmächtigen, Siegfrieds Seele zu
bewahren. Immer wieder weinte sie in großer Treue um den
Kämpfer.

ms Ute und ihr Gefolge versuchten ständig, Kriemhild zu trösten.


Doch ihr Herz war so tief verletzt, daß aller Trost wenig Wir­
kung haben konnte. Sie sehnte sich unendlich nach ihrem
Geliebten,

1116 wie niemals wieder eine Frau nach ihrem lieben Mann. Daran
wurde ihre innere Kraft offenbar. Sie klagte bis an ihr Lebens­
ende. Später aber übte die Frau aus großer Treue gewaltige
Rache.
364 19- AVENTIURE

1117 Sus saz si in ir leiden, daz ist al war,


nach ir mannes tode unz in daz vierde jar,
daz si zir bruoder Gunther dehein wort nie gesprach
und ouch ir vint Hagenen in der zite niene gesach.

ms Hagene sprach zem chunige: »mohten wir daz tragen an,


daz ir iwer swester hulde mohtet han,
so choem zuo disen landen daz Nibelunges golt.
des wurde uns vil ze teile, waer uns diu kuniginne holt.«

11 19 »Daz schuln wir versuochen«, sprach der kunic san,


»ich wil ez mine brüeder hin ze ir werbn lan,
daz si mir daz fliegen, daz si uns gerne sehe.«
»ine trowes niht«, sprach Hagene, »daz ez immer geschehe.«

1120 Do hiez er Ortwinen hin ze hove gan


und den marchgravin Geren, do daz was getan,
man braht ouch Gernoten und Giselher daz kint.
si versuohtenz vriuntliche an frowen Chriemhilde sint.

1121 Do sprach von Buregonden der chüene Gernot:


»frowe, ir chlaget ze lange den Sivrides tot.
nu wil der kunich iu rihten, daz ers niht hat erslagen.
man hoert iuch zallen ziten so rehte groezliche klagen.«

1 122 Si sprach: »des zihet niemen in, in sluoch diu Hagenen hant.
wa man in verhowen möhte, do er daz an mir ervant,
soit ich des getrowen, daz er im trüege haz,
ich hete wol behüetet«, sprach diu kuniginne, »daz,
DER HORTRAUB 365

1117 So lebte sie in ihrem Leid, das ist wirklich wahr, nach dem Tod
ihres Mannes drei Jahre lang, ohne mit ihrem Bruder Gunther
nur ein einziges Wort zu sprechen und auch ohne ihren Feind
Hagen in dieser Zeit zu sehen.

ms Eines Tages aber sprach Hagen zum König: »Könnten wir errei­
chen, daß ihr euch mit eurer Schwester versöhnt, dann käme
das Nibelungengold in dieses Land. Wir hätten also großen
Vorteil davon, wenn uns die Königin wieder freundlich geson­
nen wäre.«

1119 Sogleich antwortete Gunther: »Das werden wir versuchen.


Meine Brüder sollen ein gutes Wort bei ihr einlegen, daß sie uns
wieder gern sieht.« »Was mich betrifft«, antwortete Hagen,
»glaube ich nicht, daß es je möglich sein wird.«

1120 Dann schickte Gunther Ortwin und den Markgrafen Gere an


den Hof zu Kriemhild. Als sie dort waren, brachte man auch
Gernot und den jungen Giselher hinzu. Sie versuchten freund­
lich auf Frau Kriemhild einzuwirken.

1 121 Der tapfere Gernot aus dem Burgundenland sagte: »Herrin, ihr
betrauert Siegfrieds Tod schon zu lange. Der König will euch
jetzt vor Gericht versichern, daß er ihn nicht erschlagen hat.
Man hört euch fortwährend so schmerzerfullt klagen.«

1122 »Niemand beschuldigt König Günther«, antwortete Kriemhild,


»Hagen hat Siegfried erschlagen. Hätte ich ihm damals, als er
mich aushorchte, wo Siegfrieds verwundbare Stelle liegt, zuge­
traut, daß er ihn haßte, dann hätte ich das Geheimnis wohl
bewahrt.« Die Königin sagte weiter:
366 19. AV ENTIURE

1 123 Daz ich niht vermeldet hete sinen lip,


so liez ich nu min weinen, ich vil armez wip.
holt wirde ich in nimmer, die ez da habent getan.«
do begunde vlegen Giselher, der vil waetlich man.

1 124 Si sprach: »ich muoz in grüezen, irn welts mich niht erlan,
der habe groze sunde. der kunic hat mir getan
so vil der hercen swaere gar ane mine scholt,
min munt im giht der suone, im wirt daz herce nimmer holt.«

1125 »Dar nach wirt ez bezzer«, sprachen ir mage do.


»waz ob er ir an verdienet, daz si noch wirdet vro?«
»er mac si wol ergezzen«, sprach Gernot der heit.
do sprach diu jamersriche: »seht, nu tuon ich, swaz ir weit.«

1126 Si wolden kunic grüezen. do si in des verjach,


mit sinen besten friunden ers in ir huse sach.
done torste Hagene fur si niht gegan.
wol wesser sine schulde; er het ir leide getan.

1 127 Do si verchiesen wolde uf in den grozen haz,


Gunther gezogenliche gie gegen ir dar naher baz.
durch des hordes liebe was der rat getan;
dar umbe riet die suone der vil ungetriwe man.

ins Ez enwart nie suone mit so vil trähenen me


mit valsche gefuoget. ir tet ir schade we;
si verchos uf si alle wan uf den einen man.
in het erslagen niemen, het ez niht Hagene getan.
DER HORTRAUB 367

1123 »Hätte ich Siegfried nicht selbst verraten, dann könnte ich auf­
hören zu weinen, ich arme Frau. Denen aber, die Siegfried getö­
tet haben, werde ich mich nie wieder freundlich zuwenden.« Da
begann Giselher, der stattliche Mann, sie anzuflehen.

1124 Schließlich gab sie nach: »Ich werde Gunther begrüßen, da ihr
darauf besteht, doch ihn belastet große Sünde. Der König hat
mir so tiefes Leid ganz ohne meine Schuld angetan, daß mein
Mund ihm zwar Verzeihung zuspricht, mein Herz aber wird
sich ihm nie wieder zuneigen.«

1 125 »Von nun an wird alles besser«, sagten ihre Verwandten darauf.
»Vielleicht kann sie wieder froh werden, wenn Gunther sich
darum bemüht?« »Er kann sie sicher besänftigen«, meinte
Gernot, der Held. Die von Schmerz erfüllte Frau antwortete
darauf: »Seht, ich tue, was ihr wollt.«

1126 Kriemhild war bereit, den König zu empfangen. Als sie ihnen
das zugesagt hatte, besuchte Gunther sie mit seinen besten
Freunden in ihrem Haus. Hagen aber wagte nicht, ihr unter die
Augen zu treten. Er war sich seiner Schuld wohl bewußt: denn
er hatte sie tief verletzt.

1127 Da sie ihre Feindschaft gegenüber Gunther aufgeben wollte,


näherte er sich ihr voll Anstand. Das geschah jedoch um des
Hortes willen; denn nur aus diesem Grund hatte der treulose
Hagen zu der Versöhnung geraten.

1128 Niemals war eine so tränenreiche Versöhnung mit solcher


Falschheit vergiftet. Weiterhin empfand Kriemhild ihren Verlust
schmerzlich; doch sie verzieh ihnen allen bis auf einen. Sieg­
fried wäre noch am Leben, hätte Hagen ihn nicht ermordet.
368 19- AVENTI URE

1129 Dar nach vil unlange do truogen si daz an,


daz diu kuniginne den grozen hört gewan
von Nibelunge lande und fiiort in an den Rin.
ez was ir morgengabe, er soit ir wol von rehte sin.

ibo Dar nach si beide fuoren, Giselher und Gernot.


zwelf hundert mannen Chriemhilt do gebot,
die in da holn solden, da er verborgen lac,
da sin der degn Albrich mit sinen besten friunden pflac.

im Do die von Rine chomen in Nibelunge lant,


do sprach zuo sinen magen Albrich al zehant:
»wir mugn ir des hordes vor gehabn niht,
sit sin ze morgengabe diu edele kuniginne giht.

1 132 Doch enwurde ez nimmer«, sprach Albrich, »getan,


niwan daz wir ubele da verlorn han
mit dem vil edeln recken die guoten tarnhut.
die truoch von allem rehten der schoenen Chriemhilde trut.

1133 Nu ist ez leider ubele Sivride chomen,


daz uns die tarnkappen het der heit benomen
und daz im muose dienen mit vorhten dizze lant.«
do gie der chameraere, da er des hordes sluzzel vant.

1134 Ez stuonden vor dem berge die Chriemhilde man


und ouch ein teil ir mage, den schazze man truog dan
nider zuo den unden an diu schiffeiin,
den fuort man uf dem sewe uf ze berge unz in den Rin.

1 135 Nu mugt ir von dem horde wunder hoern sagen:


swaz zwelf kanzwägene meiste mohten tragen
viere tage lange von dem berge dan,
ouch muos ir ieslicher des tages niun stunden gan.
DER HORTRAUB 369

1129 Bald danach schlugen sie vor, die Königin möge den großen
Hort vom Nibelungenland an den Rhein bringen lassen. Er war
ihre Morgengabe und sollte ihr von Rechts wegen zur Verfü­
gung stehen.

mo Giselher und Gernot machten sich zu dem Hort auf. Zwölf­


hundert Leuten befahl Kriemhild dort, ihn aus seinem Versteck
hervorzuholen, wo ihn der Kämpfer Alberich mit seinen eng­
sten Freunden bewachte.

ib i Als die Leute vom Rhein im Nibelungenland ankamen, sagte


Alberich sogleich zu seinen Verwandten: »Wir können ihr den
Schatz nicht vorenthalten, da er der edlen Königin als Morgen­
gabe zusteht.

1132 Allerdings wäre es etwas anders«, fügte Alberich hinzu, »hätten


wir nicht auf schlimme Weise mit Siegfried, dem edlen Recken,
auch unsere kostbare Tarnkappe verloren. Die trug Kriemhilds
schöner Geliebter mit vollem Recht.

1133 Doch ist es Siegfried leider schlecht bekommen, daß der Held
uns die Tarnkappe abgenommen hat und daß ihm dieses Land
aus Furcht dienen mußte.« Dann holte der Kämmerer den
Schlüssel für den Hort.

1134 Kriemhilds Leute und auch einige ihrer Verwandten standen


vor dem Berg. Sie trugen den Schatz ans Wasser zu den kleinen
Schiffen hinab, brachten ihn dann auf den Seeweg und schließ­
lich stromaufwärts bis an den Rhein.

1135 Wunderdinge könnt ihr von dem Hort erzählen hören: Er


umfaßte, was zwölf vollbeladene Lastwagen vier Tage lang aus
dem Berg wegschaffen konnten, wenn jeder von ihnen pro lag
neunmal fuhr.
370 19- AVENTIURE

1136 Ez enwas niht anders wan gesteine und golt;


und ob man die werlt alle het da von gesolt,
sine wurde nimmer minre einer marche wert,
jane hete is Hagene ane schulde niht gegert.

1 137 Der wünsch der lac dar under, von golde ein rüetelin.
der daz het erchunnen, der mohte meister sin
wol in aller werlde über ieslichen man.
der Albriches mage chom mit Gernote vil dan.

ins Do sich der herre Gernot und Giselher daz chint


des hordes underwunden, do underwunden si sich sint
des landes und der burge und maniges recken bait,
daz muos in sider dienen bediu durch vorht und gewalt.

1 139 Do si den hört behielten in Guntheres lant


und sihs diu kuniginne alles underwant,
kamern unde turne sin wurden vol getragn.
man gehört daz wunder von guote mere nie gesagn.

1 140 Und waer sin tusint stunden noch also vil gewesn,
und soit der herre Sivrit gesunder sin gewesn,
bi im waere Chriemhilt hende bloz bestan.
getriwer wibes kunne ein heit nie mere noch gewan.

i hi Do si den hört nu hete, do brahtes in daz lant


vil der vremden recken, ja gab der frowen hant,
daz man so grozer milte mere nie gesach.
si pflac vil grozer tugende, des man der kuniginne jach.

1 142 Den armen und den riehen begunde si do geben,


daz daz reite Hagene, ob si solde leben
noch deheine wile, daz si so manigen man
ze dienste ir gewunne, daz si des angest muosen han.
DER HORTRAUB 371

1136 Der Hort bestand nur aus Edelsteinen und Gold; und wenn
man allen Menschen auf der Welt etwas davon abgegeben hätte,
dann wäre sein Wert kaum um eine einzige Mark verringert
worden. Wahrhaftig, nicht ohne Grund hatte Hagen ihn haben
wollen.

1137 Bei dem Schatz lag auch ein begehrenswertes Kleinod: eine
kleine goldene Rute. Wer sie zu benutzen verstand, der konnte
wohl auf der ganzen Welt Meister über alle Menschen werden.
Mit Gernot zogen viele Verwandte Alberichs von dannen.

1138 Als Herr Gernot und der junge Giselher sich des Schatzes
bemächtigt hatten, übernahmen sie auch das Land, die Burgen
und viele tapfere Helden. Diese mußten ihnen dann Dienste
leisten, da sie ihre Macht fürchteten.

1139 Nachdem der Hort in Gunthers Land überführt war und die
Königin ihn in Besitz genommen hatte, wurden Kammern und
Türme damit gefüllt. Nie wieder hörte man von einem solchen
Wunder an Reichtum.

1140 Doch wäre er auch noch tausendmal größer gewesen, Kriem-


hild hätte gern mit leeren Händen dagestanden, wenn dafür
Siegfried noch gelebt hätte. Niemals besaß ein Held eine treuere
Frau.

in i Als sie nun über den Schatz verfügte, zog sie zahlreiche fremde
Recken ins Land. Ja, die Herrin verteilte so viel, daß ihre Freige­
bigkeit unübertroffen blieb. Die Königin besaß viele Herrscher­
tugenden, die man an ihr pries.

1142 Sie beschenkte Arme und Reiche, so daß Hagen zu bedenken


gab, wenn Kriemhild noch lange am Leben bliebe und so viele
Leute zu ihrem Dienst gewänne, dann müßte den Burgunden
angst werden.
372 19- AV EN TIU RE

1 143 Do sprach der chunic Gunther: »ir ist lip unde guot.
zwiu solde ich daz wenden, swaz si da mit getuot?
ich erwarbez vil chume, daz si mir wart sider holt,
nune ruochen, war si teile bediu ir silber und ir golt.«

1144 Hagene sprach zem chunige: »ez ensolde ein frumer man
deheinem einem wibe niht des hordes lan.
si bringet ez mit gäbe noch unz uf den tac,
daz vil wol geriwen die chiienen Burgonden mac.«

i us Des antwurt im Gunther: »ich swuor ir einen eit,


daz ich ir getaete nimmer mere leit,
und wil es furbaz hiieten; si ist diu swester min.«
do sprach aber Hagene: »lat mich der schuldige sin.«

1 146 Ir sumelicher eide waren unbehuot.


do namen si der witewen daz vil groze guot.
Hagen sich der sluzzel aller underwant.
vil sere ez zurnde Gernot, daz er daz rehte ervant.

1147 Do sprach der herre Giselher: »miner swester hat getan


Hagene so vil der leide; ich soldez understan.
und waer er mir niht sippe, ez gienge im an den lip.«
iteniwez weinen tet do Sivrides wip.

1 148 Do sprach der herre Gernot: »e daz wir immer sin


gemüet mit disem golde, wir soldenz in den Rin
allez heizen senchen, daz ez immer wurde man.«
si gie vil klageliche für Giselher, ir bruoder, stan.

1 149 Si sprach: »vil lieber bruoder, du soit gedenchen min.


des libes und des guotes soltu min vogt sin.«
er sprach: »vil liebiu swester, daz soi sin getan,
als wir chomen widere; wir han ze riten wan.«
DER HORTRAUB 373

1 143 »Leben und Besitz gehören ihr«, entgegnete da König Gunther.


»Wie sollte ich verhindern, was sie damit tut? Ich habe doch
gerade erst ihre Gunst wiedergewonnen. Deshalb wollen wir
uns nun nicht darum kümmern, an wen sie ihr Silber und Gold
verteilt.«

1144 Hagen aber sagte zum König: »Ein verständiger Mann sollte
einen Schatz keiner Frau überlassen. Sie führt mit ihren Ge­
schenken noch den Tag herbei, an dem es für die tapferen Bur-
gunden gefährlich wird.«

1 145 »Ich habe ihr einen Eid geschworen«, antwortete Günther, »daß
ich ihr nie wieder Leid zufüge, und den will ich weiterhin hal­
ten; sie ist doch meine Schwester.« Da erwiderte Hagen: »Dann
laßt mich als Schuldigen dastehen.«

1146 Einige von ihnen brachen die Eide. Sie raubten der Witwe ihren
ungeheuren Besitz. Hagen bemächtigte sich aller Schlüssel. Als
Gernot das erfuhr, wurde er sehr zornig.

1147 Herr Giselher sprach: »Hagen hat meiner Schwester so viel Leid
angetan; ich hätte das eigentlich verhindern müssen. Wäre er
nicht mit mir verwandt, dann würde es sein Leben kosten.« Von
neuem mußte Siegfrieds Frau weinen.

ins Da sagte Herr Gernot: »Ehe uns das Gold zur ständigen Last
wird, sollten wir es alles im Rhein versenken lassen, damit nie
wieder ein Mensch darüber verfügen kann.« Kriemhild trat mit
heftigem Klagen vor ihren Bruder Giselher hin.

1149 Sie sagte: »Mein lieber Bruder, du solltest an mich denken,


mein Leben und meinen Besitz solltest du beschützen.« Er ant­
wortete: »Liebe Schwester, das will ich tun, wenn wir wieder­
kommen; jetzt müssen wir fortreiten.«
374 19. AVENTIURE

1150 Der chunic unt sine mage rumten do daz lant


mit in die besten drunder, die man inder vant,
niwan aleine Hagene. der beleip da durch den haz,
den er truoch der frowen, und tet vil willechliche daz.

1151 Die herren swuoren eide, unz si möhten leben,


daz si den schätz niht zeigen noch niemen solden geben
wan mit gemeinem rate, so si des duhte guot.
des muosen si in vliesen durch ir giteklichen muot.

1 152 E daz die chunige widere ze Rine waeren chomen,


die wile hete Hagene den grozen hört genomen.
er sancten da zem Loche allen in den Rin.
er wände in niezen eine; des enchunde sider niht gesin.

1153 Erne mohte des hordes sit gewinnen niht,


daz den ungetriwen vil dicke noch geschiht.
er wände in niezen eine, die wil er möhte lebn.
sit moht ers im selben noch ander nieman gegebn.

1 154 Die fürsten chomen widere, mit in vil manic man,


Chriemhilt ir schaden grozen chlagen do began
mit meiden und mit frowen; in was harte leit.
do gebarten die degene, sam si im heten widerseit.

1 155 Do sprachen si gemeine: »er hat ubele getan.«


er entweich der fürsten zorne also lange dan,
unz er gewan ir hulde. si liezen in genesn,
doch enchunde im Chriemhilt nimmer vinder gewesn.
DER HORTRAUB 375

1150 Der König und seine Verwandten verließen das Land mit den
Besten aus ihrem Gefolge bis auf Hagen. Der blieb aus Haß ge­
gen Kriemhild zurück, und er handelte ganz bewußt.

1151 Die Herren schworen sich gegenseitig, daß sie zu ihren Leb­
zeiten nur nach gemeinsamer Beratung jemandem den Schatz
zeigen oder etwas davon abgeben sollten, wenn ihnen das
gut schien. Doch ihre Habgier hat ihnen nichts eingebracht, sie
haben ihn schließlich verloren.

1152 Bevor die Könige nach Worms zurückkehrten, hatte Hagen den
großen Schatz geraubt. Bei Lochheim versenkte er ihn vollstän­
dig in den Rhein. Er hatte die trügerische Hoffnung, irgend­
wann ganz allein über ihn zu verfugen; doch dazu kam es nicht.

1153 Später konnte er den Hort nicht in Besitz nehmen, wie auch
heute noch oft den Treulosen der Erfolg versagt bleibt. Vergeb­
lich hoffte er, zu seinen Lebzeiten allein Nutzen daraus zu zie­
hen. Doch weder er selbst noch irgend jemand anders hatte
später etwas davon.

1154 Als die Fürsten mit großem Gefolge zurückkehrten, beklagte


Kriemhild mit ihren Mädchen und Frauen ihren großen Scha­
den; die Könige bedauerten das sehr. Die Kämpfer taten so, als
hätten sie Hagen die Tat verboten.

1155 Übereinstimmend sagten sie: »Hagen hat verwerflich gehan­


delt.« Dieser zog sich so lange vor dem Zorn der Fürsten
zurück, bis er ihre Gunst wiedergewann. Sie bestraften ihn
nicht, doch Kriemhilds Feindschaft gegen ihn hätte nicht
größer sein können.
376 19- AVENTIURE

1156 Mit iteniwem leide beswaeret was ir muot


umbe ir mannes ende und do si ir daz guot
also gar genamen. do gestuont ir jamers chlage
des libes immer mere unz an ir jungeste tage.

1 157 Nach Sivrides tode, daz ist al war,


was si in manigen leiden unz in daz zwelfte jar,
daz si des recken todes mit chlage nie vergaz.
si was in triwen staete und tet vil willechliche daz.

usa Eine riche fürsten aptey stifte vrou Uote


nach Danchrates tode von ir guote
mit starchen riehen urbom, als ez noch hiute hat
daz kloster da ze Lorse, des dinch vil hohe an eren stat.

1 159 Dar zuo gab ouch Chriemhilt sit ein michel teil,
durch Sivrides sele und umb aller sele heil,
golt und edel steine mit williger hant.
getriwer wip decheine ist uns selten e bêchant.

1 160 Sit daz diu frowe Chriemhilt uf Gunther verchos


und doch von sinen schulden den grozen hört verlos,
do wart ir hercen leide tusint stunde mer,
do waere gerne dannen diu frowe edel unde her.

1161 Do was der frowen Uoten ein sedelhof bereit


ze Lorse bi ir chloster mit grozer richeit.
dar zoch sich diu witewe von ir chinden sit,
da noch diu frowe here begrabn in eime sarche lit.

1162 Do sprach diu kuniginne: »vil liebiu tohter min,


sit du hie niht mäht beliben, so soltu bi mir sin
ze Lorse in mime huse und soit din weinen lan.«
des antwurt ir Chriemhilt: »wem liez ich danne minen man?«
DER HORTRAUB 377

1156 Neues Leid beschwerte nun ihr Herz, denn zu dem Tod ihres
Mannes war der Raub ihres gesamten Besitzes gekommen. Ihr
Schmerz und ihre Klage hielten bis zu ihrem Lebensende an.

1157 Nach Siegfrieds Tod, das ist die Wahrheit, verbrachte sie zwölf
Jahre in tiefem Leid und hörte nicht auf, den Tod des Helden
zu beklagen. Sie hielt ihm beständig die Treue, und in diesem
Bewußtsein lebte sie fort.

ns» Frau Ute hatte nach Dankrats Tod aus eigenen Mitteln eine
reiche fürstliche Abtei gegründet, die mit ertragreichen Zins­
gütern ausgestattet war, wie sie das angesehene Kloster Lorsch
noch heute besitzt.

1159 Hierzu trug später auch Kriemhild bereitwillig für Siegfrieds


Seelenheil und für alle anderen Seelen mit einer großen Stif­
tung an Gold und Edelsteinen bei. Eine treuere Frau ist uns aus
keiner Zeit bekannt.

1 160 Nachdem Kriemhild sich mit Gunther versöhnt hatte und doch
durch seine Mitschuld den unermeßlichen Schatz verlor, da
vergrößerte sich ihr inneres Leid tausendfach, und die edle,
erhabene Herrin hätte Worms gern verlassen.

1161 Nun besaß Frau Ute in Lorsch bei ihrem Kloster einen reich
ausgestatteten Wohnsitz. Dorthin hatte sich Dankrats Witwe
von ihren Kindern zurückgezogen, und dort liegt die edle Frau
noch heute in einem Sarg begraben.

1162 Damals sagte die Königin: »Meine liebste Tochter, da du nicht


in Worms bleiben möchtest, sollst du bei mir in Lorsch in mei­
nem Haus wohnen, und dort sollst du aufhören zu weinen.«
Darauf antwortete Kriemhild: »Was wird dann aus dem Grab
meines Mannes?«
378 19- AV EN TIU RE

1 163 »Den laz et hie beliben«, sprach frou Uote.


»nune welle got von himele«, sprach aber diu guote.
»min vil liebiu muoter, daz soi ich wol bewarn;
wander muoz von hinnen mit mir waerliche varn.«

1 164 Do schuof diu jamers riche, daz er wart uf erhabn.


sin edelez gebeine wart ander stunt begrabn
ze Lorse bi dem munster vil werdechlichen sit,
da der heit vil chüene in eime langen sarche lit.

1165 In den selben ziten, do Chriemhilt solde


varn mit ir muoter, dar si doch wolde,
do muoste si beliben, als ez solde sin.
daz understuonden maere, vil verre chomen uber Rin.
DER HORTRAUB 379

1163 »Den laß getrost hier ruhen«, sagte Frau Ute. »Davor bewahre
mich Gott im Himmel«, erwiderte die gute Kriemhild. »Meine
liebste Mutter, das kann ich nicht tun; er müßte auf jeden Fall
mit mir fortgebracht werden.«

1164 So ließ die leiderfullte Frau ihn aus dem Grab erheben. Seine
edlen Gebeine wurden in Lorsch beim Münster würdevoll an
der Stelle begraben, wo der kühne Held noch heute in einem
großen Sarg ruht.

1 165 Gerade, als Kriemhild mit ihrer Mutter fortziehen sollte, wie es
ihrem Wunsch entsprach, mußte sie schließlich doch bleiben.
Das bewirkten Nachrichten, die von weither an den Rhein ka­
men.
2 0 . A V EN T IU R E
A V EN T IU R E W IE DER C H U N IC EZELE N A H F R O U N
C H R IE M H I L T ZE W O R M Z E S IN E N B O T E N SAN D E

1166 Daz geschach in den geeiten, do frou Helche erstarp,


und daz der chunic Ezele ein ander wip warp.
do rieten sine friunde in Buregonden lant
zeiner werden witewen, diu frou was Chriemhilt genant.

1 167 Sit daz erstorben waere der schoenen Helchen lip,


si sprachen: »weit ir immer gewinnen edel wip,
die hoehsten und die besten, die ie kunich gewan,
so nemt die selben witewen. der starche Sivrit was ir man.«

1168 Do sprach der chunich riche: »wie chunde daz ergan,


sit ich bin ein heiden unt toufes nine han?
so ist diu frowe christen und tuot es lihte niht.
ez muoz sin ein wunder, ob ez immer geschiht.«

1 169 Do sprachen aber die snellen: »waz ob siz lihte tuot


durch iwern namen den hohen und iwer michel guot?
so soi manz doch versuochen an daz vil edel wip.
so mugt ir gerne minnen den ir vil wunneklichen lip.«

1170 Do sprach der kunic Ezele: »wem ist under iu bêchant


bi Rine aller beste liute und ouch daz lant?«
do sprach von Bechelaren der guote Rüedeger:
»ich han irkant von kinde die edeln kuniginne her,
2 0 . A V EN T IU R E
W IE K Ö N IG ETZEL S E IN E N B O TEN ZU K R IE M H IL D
N A C H W O R M S S C H IC K T E

1 166 Z u jen er Z eit w ar n äm lich Frau H elche gestorben, u n d K ön ig


Etzel suchte eine neue G em ah lin . Seine Freun de rieten ihm zu
ein er v o rn eh m en W itw e im B u rgu n d en lan d , die K riem h ild
hieß.

1167 N ach dem Tod d er sch ön en H elche sagten sie: »Wollt ihr eine
edle Frau heiraten, die vorn eh m ste un d beste, die je ein K ön ig
gefu n d en hat, d an n n ehm t diese W itw e. D er starke Siegfried
w ar ihr M an n .«

ns« D er m äch tige K ö n ig entgegnete: »Wie sollte das m öglich sein,


da ich ein H eide u n d un getauft bin? D ie H errin hingegen ist
eine C h ristin un d w ird w ahrscheinlich den A n trag ablehnen. Es
w äre ein W under, w en n sie ihn an nim m t.«

1169 D ie gew an d ten M ä n n e r aber m einten: »V ielleicht stim m t sie


w egen eures berü h m ten N am en s un d w egen eures groß en B e­
sitzes zu. A u f jed en Fall sollte m an versuchen, um die edle Frau
zu w erben. Ihr w erdet sie in ihrer w un d erbaren Schön heit lieb­
gew in n en.«

1170 K ö n ig Etzel fragte: »Wem von euch sin d Land un d Leute am


R hein beson ders vertraut?« D a antw ortete der edle R üdiger von
B echelarn: »Ich kenn e die vorn eh m e, erhaben e K ö n igin von
K in d h eit an
382 2 0 . AV ENTIURE

1171 G ü n th ern und G ern oten , die chüen en ritter guot,


G iselh er der ju nge, ir ieslicher tuot,
sw az er der h ohen eren m it tugenden m ac began,
ouch hant ir alten m age al daz selbe h er getan.«

1172 D o sprach der ku n ich riche: »friunt, d u soit m ir sagn,


ob si ob m inen landen chron e sold e tragn.
ist ir lip so schoene, so m an m ir hat geseit?«
des an tw urt im R üedeger, der recke chüen e u n d gem eit:

1173 »Si gelichet sich m it schoene w ol der frow en m in ,


H elchen der vil riehen, und chun de niht gesin
in dirre w erlde schoen er deheines kuniges w ip.
den si lobt ze friu nd e, der m ac w ol trösten den lip.«

1174 E r sprach: »so w irbez, Rüedeger, so lieb als ich d ir si.


und soi ich C h riem h ild e im m er geligen bi,
des w il ich d ir Ionen, so ich beste chan;
so hastu m in en w illen m it grozen triw en getan.

1175 U zer m in er cham eren so heiz ich d ir gebn,


daz du un d dine geverten vrolich e m ugt lebn.
von chleidern, von rossen des nim e, sw az d u w il,
des gib ich d ir zw are zuo der boteschefte vil.«

1176 Des antw urte Rüedeger, der m aregrave rieh:


»gert ich dines guotes, daz w aere unlobelich.
ich w il din bote gerne w esn an den Rin
m it m in selbes guote. des soltu gar an e angest sin.«

1177 D o sprach der kunic Ezele: »nu w en ne w eit ir varn


nach der vil m inneklichen? got sol iuch bew arn
der reise an allen eren und ouch die frow en m in.
des helfe m ir gelucke, daz si uns genaedic m üeze sin.«
ETZELS W ERBU NG UM KRIE M H ILD 383

1171 w ie auch G u n th er u n d G ern ot, die tapferen, edlen Ritter, und


den ju n g en G iselher. Sie alle zeichnen sich durch hohe Ehre
u n d ritterliche T ugen d en aus. Ihre V orfahren w aren von der
gleichen A rt.«

1172 D er m ächtige K ö n ig fragte w eiter: »Freund, sage mir, ob K riem -


hild in m ein em L an d die K ro n e tragen sollte. Ist sie w irklich so
sch ön , w ie m an m ir berichtet hat?« D a ra u f antw ortete ihm
R üdiger, d er tapfere, stattliche Recke:

1173 »Sie gleicht in ihrer Sch ön h eit w ohl m ein er H errin, der m äch ti­
gen H elche, un d a u f d er ganzen W elt hat kein K ö n ig eine sch ö ­
nere G em ah lin . W em sie sich verlobt, der kann sich glücklich
schätzen.«

1174 Etzel sagte: »D an n w irb u m sie, Rüdiger, w en n ich d ir lieb bin.


U n d sollte ich jem als m it K riem h ild schlafen, w ill ich dich dafür
so gut b elo h n en , w ie ich n u r kan n ; d an n hast d u m einen
W unsch in gro ß er Treue erfüllt.

1175 A u s m ein er Sch atzkam m er lasse ich d ir so viel geben, daß du


m it d einen Reisegefährten unterw egs gut leben kannst. A n G e ­
w än d ern un d Pferd en n im m , w as d u willst, ich stelle d ir davon
fü r deine W erbungsreise reichlich zu r V erfügung.«

1176 R üd iger, d er m äch tige M a rk g ra f antw ortete: »Wenn ich von


d ein em G u t etw as an n äh m e, w äre das u n rü h m lich . Ich w ill
gern d ein Bote an den R hein sein, aber a u f eigene Kosten. D u
brau ch st d ir d arü b er keine Sorgen zu m achen.«

1177 »Wann w ollt ihr euch zu d er liebensw erten Frau aufm achen?«
fragte K ö n ig Etzel. »G o tt m öge euch a u f d er Reise in allen
E h ren schützen u n d m ein e H errin auch. D as G lü ck helfe mir,
d aß sie unsere W erbu ng gn äd ig au fn im m t.«
384 2 0 . AVENTIURE

1178 D o sprach aber R üedeger: »e ich ru m e dizze lant,


w ir m üezin e bereiten w affen u n d gew ant,
Schilde unde sätele, des wir ere han.
ich w il ze R in e füeren fü n f hu n d ert m in er chüen en m an.

1 179 Sw a m an in vrem d en landen m ih un d die m in e sehe,


daz ir ieslicher derm e d ir des jehe,
daz nie ku n ic deheiner also m an igen m an
so verre baz gesande d an ne d u ze R in e habst getan.

1 180 O b duz, kunich riche, dar um be n iht w ellest lan,


si w as ir edeln m in n e Sivrid e u n d ertan,
dem Sigem un d es kinde, den hastu hie gesehn?
m an m u ose im grozer eren m it rehter w arheite jeh n.«

n si »D ar um b e ich si niht vrem d e, w as si des recken w ip.


ja w as w ol also tiure sin vil edel lip,
daz ich niht versm ahen die ku n igin n e soi.
durch ir grozen schoene so gevellet si m ir w ol.«

1 182 »So w il ich iu die w arheit«, sprach R ü ed eger do, »sagen,


daz w ir hin nen riten in v ier u n d zw einzich tagen.
ich enbiut ez G otelin de, der vil lieben frow en m in,
daz ich nach C h riem h ild e selbe bote w elle sin.«

1183 H in ze Bechelaren sande R üed eger


boten sim e w ibe, der m arcgravin n e her,
und enbot ir, daz er sold e dem kun ige w erb n w ip.
si gedahte friuntliche an der guoten H elchen lip.

1184 D o d iu m arcgravin n e die boteschaft vern am ,


d er m aere si sich freute, d och w ein en s si gezam ,
ob si gew innen solde noch frow en alsam e.
so si gedaht an H elchen, daz tet G o tlin d e we.
ETZELS W ERBU NG UM KRIEM H ILD 385

1178 W ied eru m sprach R ü d iger: »Ehe ich dieses Land verlasse, m ü s­
sen w ir W affen u n d G ew änder, Schilde un d Sättel zurechtm a­
chen, d am it w ir ehrenvoll ausgestattet sind. Ich w ill fü n fh u n ­
d ert m ein er tapferen M än n er m it an den R hein nehm en.

1179 Ü b erall, w o m an m ich u n d d ie m ein en in frem den Ländern


sieht, soll m an zu deinem R u h m sagen, daß nie zuvor ein K ön ig
besser gerüstete M än n er so w eit aussandte, w ie du sie an den
R h ein geschickt hast.

uso M äch tiger K ö n ig, sich er w illst d u n icht deshalb a u f deine W er­
b u n g verzichten, w eil K riem h ild in Liebe m it Siegfried verb u n ­
den w ar, d em S o h n S iegm u n d s, den du h ier kennengelernt
hast? Ihm geb ü h rte w ah rh aftig groß e Ehre.«

n si »D aß sie die F rau des Recken war, ist fü r m ich kein G ru n d , sie
abzulehnen «, sagte Etzel. »Ja, der hoch adlige M an n stand in so
h o h em A n seh en , d aß ich die K ö n igin seinetw egen nicht ver­
sch m äh en w erde. W egen ihrer großen Schön heit gefällt sie m ir
sehr.«

1182 D a an tw ortete R ü d iger: »So w ill ich euch versichern, daß w ir in


v ieru n d zw an zig Tagen fortreiten. Ich benachrichtige G otelin d,
m ein e liebe Frau , daß ich selbst als G esan d ter zu K riem h ild
reise.«

1 183 R ü d ig er schickte Boten nach Bechelarn zu seiner Frau* der v o r­


nehm en M ark g räfin , und ließ ihr sagen, daß er fü r den K ön ig
u m eine G em ah lin w erben sollte. Sie hatte die gute H elche in
liebevoller E rin n eru n g.

1184 A ls die M ark gräfin d ie N ach rich t hörte, freute sie sich darüber,
ab er sie m uß te auch w einen bei dem sorgenvollen G edan ken ,
o b sie n och ein m al eine solche H errin bekäm e w ie früher. D ie
E rin n eru n g an H elche m achte G otelin d traurig.
386 2 0 . AVENTIURE

1 185 U zer H un in lande der m arcgrave reit,


des w as der kunich Ezele vro u n d o u ch gem eit.
da zer stat ze W iene bereite m an in w at,
die er frieren solde, als m an un s gesagt hat.

1186 D a ze Bechelaren im w arte G otelint.


diu ju n ge m arcgravin n e, daz R üed egeres kint,
sah ir vater gerne u n d o u ch sine m an.
do w art ein liebez biten von schoen en kin den getan.

1187 D o der m arcgrave ze Bechelaren reit,


do w as in m it vlize ir gew aefen u n d ir kleit
bereitet gar ze w ünsche, im un d sinen m an.
ir sou m er u f der straze sah m an m it in zogen dan.

1188 D o si ze Bechelaren ch om en in die stat,


di sinen reisgesellen herebergen bat
der w irt vil m inn eklichen un d sc h u o f in gu ot gem ach.
G otelin t diu riche, den w irt si niht zun gern e sach.

1 189 Sam tet sin liebiu tohter, diu ju n g e m arcgravin ;


d iu en chu nde ir vater chun fte niht h ohers m uotes sin.
die von H ün en landen w ie gerne si die sach!
m it lachendem m u n d e d iu süeze ju n ch frow e sprach:

1190 »N u si uns groze w illech om en , m in vater un d sine m an.«


do w art vil groze danchen m it vlize getan
des m arcgraven kin d e von m an igem recken guot.
vil w ol erchande G otelin t des guoten R ü edegeres m uot.

1191 D o si des nahtes nahen bi R üedegere lach,


vil m in n eklich e vragen in d iu frow e pflach,
w ar in gesendet hete der ku n ic von H u n in lant.
er sprach: »m in liebiu frow e, daz soi w erden dir bêchant:
ETZELS W ERBU NG UM KRIE M H ILD 387

nas D er M a rk g ra f ritt aus d em H un n en lan d fort. Das freute K ön ig


Etzel auß erordentlich. In der Stadt W ien fertigte m an für R ü d i­
ger un d sein G efo lge G ew än d er an, die er a u f die Reise m itn eh ­
m en sollte, w ie m an un s erzählt hat.

1186 In B ech elarn erw artete ihn G o telin d . D ie ju n g e M ark gräfin ,


R ü d igers Tochter, freute sich , ihren Vater un d seine Begleiter
zu sehen. D ie sch ön en M äd ch en w aren alle in freudiger S p an ­
n ung.

1187 A ls der M a rk g ra f nach Bechelarn ritt, hatte m an ihm und sei­


nen Leuten R ü stu n gen u n d G ew än d er m it Sorgfalt un d ganz
nach W unsch vorbereitet. Ihre Lasttiere sah m an m it ihnen a u f
d er Straße ziehen.

1188 Bei ihrer A n k u n ft in der Stadt Bechelarn bat der L an desh err
freu n d lich u m U n terku nft fü r seine Reisegefährten un d sorgte
fü r ihre B eq u em lich keit. D ie m äch tige G o telin d freute sich,
ihren G em ah l zu sehen.

1189 D as gleiche galt auch fü r seine liebe Tochter, die ju n g e M a rk ­


gräfin ; sie hätte über d ie A n k u n ft ihres Vaters nicht begeisterter
sein kön n en . W ie gern sah sie die M än n er aus dem H u n n en ­
land! Strah len d sagte das reizende M äd chen;

1190 »N un seid uns herzlich w illko m m en , m ein lieber Vater, und ihr,
seine Leute.« D a w etteiferten viele tüchtige Recken d arum , der
T ochter des M ark grafen beson d ers zu danken. G o telin d erfuhr
die A bsicht des guten R ü d iger genau.

1 191 A ls sie nachts nahe bei R ü d iger lag, fing sie an, ihn liebevoll zu
fragen , w o h in ihn d er K ö n ig des H un n enlandes gesandt hätte.
E r sagte: »M eine liebe H errin , das sollst du w issen:
388 2 0 . AVEN TIURE

1 192 Ich sol m im e her ren w erben um b e ein w ip,


sit daz ist erstorben m in er frow en lip.
ich w il nach C h riem h ild e riten an den R in,
diu sol hie zen H ünen gew altech k u n igin n e sin.«

1193 »D az w olde got«, sprach G otelint, »m oht uns daz heil geschehen,
sit daz w ir ir hoeren so grozer eren jehen,
si ergazt uns m in er frow en liht in alten tagen
m it ir hohen tugenden, daz w ir m u osin si verchlagen.«

1194 D o sprach der m arcgrave: »trutinne m in,


di m it m ir suln riten hin nen an den R in ,
den suit ir friuntliche bieten iw er guot.
so helde varent riche, so sint si vroelich gem uot.«

1 195 Si sprach: »ez ist deheiner, derz von m ir gerne nim t,


ine geb ir ieselichem , sw az im w ol gezim t,
e daz ir hin nen scheidet m it den iw ern m an.«
daz si dem w irte lobte, daz w art m it vlize getan.

1 196 Hey, w az m an do von kam ere der riehen pfellil truoch !


der w art m it den recken geteilet do gen uoch,
erfüllet vlizekliche von halse unz u f den sp o rn .
die im da zuo behageten, die het im R ü ed eger erchorn .

1 197 A n dem sibnden m orgen von Bechelaren reit


der w irt m it sinen degenen, w afen un d e chleit
fuorten si den vollen d urch der Baier lant;
si w urden u f der strazen durch rouben selten an gerant.

1 19« D a die helede fuoren, niem en niht in nam .


m an m öht in dan nen dienen, als in w ol gezam .
ritter unde knehte, die w aren w ol gechleit.
der guote m arcgrave alsus von Bechelaren reit.
ETZELS W ERBU NG UM KRIEM H ILD 389

1 192 Ich w erde fü r m ein en H errn um eine Frau w erben, da m eine


frü h ere H errin gesto rb en ist. Ich w ill zu K riem h ild an den
R h ein reiten, sie soll h ier bei den H u n n en zu einer m achtvollen
K ö n ig in w erden.«

1193 »Wollte G o tt«, sagte G o telin d , »daß un s dieses G lü ck w id e r­


fährt. D a w ir viel E h ren volles von ihr hören, kann sie uns
vielleicht im L au fe d er Z e it m it ihren h ohen Tugenden
m ein e frühere H errin ersetzen, so daß w ir aufhören, um sie zu
trauern .«

1 194 D er M a rk g ra f antw ortete: »M eine Liebe, beschenkt diejenigen,


die m it m ir an d en R h ein reiten sollen, groß zügig. W enn H el­
den reich ausgestattet a u f die Reise gehen, d an n stim m t sie das
froh.«

1195 Sie bestätigte das: »B evor ihr m it euren Leuten von hier fo rt­
zieht, gebe ich jed em , der es gern von m ir an n im m t, w as ihm
gebührt.« W as sie dem H errn des H ofes versprach, w urde m it
Eifer ausgeführt.

1 196 A ch, w as brachte m an da fü r kostbare Stoffe aus d e r K am m er!


D avon erhielten die Recken reichlich, um sich von K o p f bis Fuß
sorgfältig einzukleiden . R ü d iger hatte sich die Begleiter au sge­
w ählt, die ihm für die Reise beson ders zusagten.

1197 A m siebenten M o rgen ritt der H err des H ofes m it seinen


K äm p fern von Bechelarn los. W affen und G ew än d er führten sie
in Fülle m it sich d urch das L an d d er B ayern ; doch w urden sie
a u f der Straße nicht von R äubern überfallen.

1 198 W äh ren d d er Reise hat den H elden niem an d etw as gen om m en .


Ü berall w ar m an bereit, ihn en zu dienen , w ie es ihnen zukam .
R itter u n d K n ap p en trugen sch ön e G ew änder. So ritt der gute
M a rk g ra f aus Bechelarn fort.
390 2 0 . AVEN TIURE

1 199 Inre tagen zw elfen si ch om en an den Rin.


d one ch un den d isiu m aere niht verholn sin.
m an sagte dem chun ige un d o u ch sinen m an,
da chom en hohe geste, der w irt d o vragen began,

1200 O b iem en si bechande, daz m anz im solde sagn.


m an sah ir soum ere, so rehte sw aere tragn;
daz si vil riche w aeren , daz w art da w ol bêchant,
m an hiez si herbergen da ze W orm ez al zehant.

1201 D o die geste w aren zen herebergen ch om en ,


do w art ir gevertes vaste w ar gen om en .
si w un d ert, w an n en fueren die recken an den Rin.
der w irt nach H agene sande, ob ez im ch u n dich m oh te sin.

1202 D o sprach der von Tronege: »nu lat m ich si sehn,


als ich si nu geschow e, ich chan iu w ol verjehn,
von sw an nen si gesendet sin in dizze lant.
si suln sin vil vrem d en , ine habe si schiere bekant.«

1203 Inlende heten die geste nu gen om en .


in vil richiu chleider w as der bote ch om en
m it sinen hergesellen, ze hove si do riten,
si fuorten gu otiu chleider w ol un d spaehe gesniten.

1204 Do sprach der snelle H agene: »als ich m ich chan verstan,
w än d e ich die helde lange niht gesehn han,
si varn t dem geliche, als ez si R üed eger
von hun ischen riehen, der degn chüen e un de her.«

1205 »Wie solde ich des getrow en«, sprach der ch u n ich zehant,
»daz der von Bechelaren choem e in dizze lant?«
e daz der chunich riche die rede vol sprach,
H agene der chüene den guoten R üedegern sach.
ETZELS W ERBUNG UM KRIE M H ILD 391

1199 N ach z w ö lf Tagen gelangten sie an den R hein. D ort verbreitete


sich die N achricht schnell. D em K ö n ig und auch seinen Leuten
m eldete m an , daß h oh e G äste an gek o m m en seien. D a fragte
der Landesherr,

1200 o b jem an d sie kenn e, der sollte es ihm sagen. M an sah ihre
sch w erbelad en en Lasttiere; d arau s ließ sich sich er schließen,
daß sie sehr reich w aren. Sogleich w ies m an ihnen U nterkünfte
in W orm s an.

1201 A ls die G äste untergebracht w aren , w ollte m an den Z w eck ihrer


Reise gen au erfahren. D ie B u rgun d en w aren neugierig, von w o
d ie R ecken an den R h ein gek o m m en w ären. D er Landesherr
schickte nach H agen, um zu hören, ob er es wüßte.

1202 D er von T ron je sprach: »N un laßt sie m ich in Augenschein n eh­


m en. W enn ich sie sehe, kan n ich euch w ahrscheinlich sagen,
w o h er sie in dieses L an d gesandt sind. Sie m üßten schon sehr
frem d sein, w en n ich sie nicht kenne.«

1203 D ie G äste hatten inzw ischen ihre H erberge bezogen. D er Bote


R ü d ig er un d seine Begleiter w aren bereits in höchst kostbaren
G ew än d ern an gereist, u n d auch n u n , als sie zum H o f ritten,
trugen sie schön e, m od isch geschnittene Kleider.

1204 D a sagte d er gew an d te H agen: »Wenn ich m ich nicht irre -


denn ich habe die H elden lange nicht gesehen - , dann hat es
den A n sch ein , als sei R üd iger, d er tapfere un d angesehene
K äm pfer, aus den hun nischen R eichen hierhergekom m en.«

1205 »Wie soll ich das glauben «, erw id erte der K ö n ig sogleich, »daß
der von B echelarn in dieses Land käm e?« Ehe der m ächtige
K ö n ig seine W orte ganz ausgesprochen hatte, erkannte H agen
den edlen R ü d ig er genau.
392 2 0 . AVENTIURE

1206 M it sinen besten friu n d en lie f er zuo zim dan.


m an sach fü n fh u n d ert degene von den rossen stan.
d o w urd en w ol enpfan gen die von H u n in lant.
boten nie getruogen also herlich gew ant.

1207 D o sprach in h oh er stim m e der h erre H agene:


»nu sin groze w illechom en dise degene,
der vogt von Bechelaren un d alle sine m an.«
daz grüezen w art m it eren den snellen H un in getan.

1208 D es kuniges naehsten m age ch om en , da m an si sach.


O rtw in von M etzin zuo R üed egere sprach:
»w ir habn in aller w ile m ere nie gesehn
geste hie so gerne, des w il ich w aerliche jehn.«

1209 D es gruozes si d o danchten den helden über al.


m it dem hergesinde si giengen in den sal,
da si den kunich fan d en bi m an igem chüen en m an.
der w irt do von dem sedele gie gegen R üedegere dan.

mo W ie rehte ffiu n tlich e er den gast en pfie


un d alle sine degene! G ern o t do n iht enlie,
ern enpfienge in ouch m it eren un d alle sine m an.
der chun ic R üedegere fuorte bi der hende dan.

1211 Er braht in zuo dem sedele, da er selbe saz.


den gesten hiez m an schenchen, m it w illen tet m an daz,
m ete den vil guoten un d den besten w in ,
den iem en vin d en chun de in dem lande al um ben R in.

1212 G iselh er un d G ere die bede w arn körnen;


D anchw art unde Volker, die heten w ol vern om en
von den w erden gesten, si w aeren h och gem uot.
si enpfiengen v o r dem kunige die ritter edel un de guot.
ETZELS W ERBUNG UM K RIEM H ILD 393

1206 E r eilte m it seinen besten Freun d en zu ihm hin. M an sah fü n f­


h u n d ert K äm p fer v o n ihren Pferden absteigen. D ie Leute aus
d em H u n n en lan d w u rd en an gem essen em pfan gen . N iem als
haben Boten so h errlich e G ew än d er getragen.

1207 D an n sp rach H agen m it lauter Stim m e: »H erzlich w illkom m en


seien uns diese K äm pfer, der H err von B ech elam un d all seine
Leute.« Ehrenvoll w u rd en d ie stattlichen H un n en begrüßt.

1208 D ie nächsten V erw and ten des K ö n igs gin gen ihnen entgegen.
O rtw in von M etz sagte zu R ü d iger: »Wir haben seit langer ,Zeit
keine G äste so gern hier bei uns gesehen w ie euch, das kann ich
euch versichern.«

1209 Sie dan kten den H elden rin gsu m fü r den G ru ß . M it den R eise­
gefäh rten zogen sie in den Saal, w o sie den K ö n ig , um geben
von vielen k ü h n en M än n ern , fan den . D er L an d esh err erh ob
sich von seinem Sitz un d gin g R ü d iger entgegen.

1210 W ie au ß erord en tlich freu n d lich em p fin g er den G ast un d all


seine K äm p fer! G ern o t ließ es sich nicht nehm en, R ü d iger und
seine Leute ebenfalls ehrenvoll zu begrüßen. D er K ö n ig führte
den M ark grafen an der H an d fort.

1211 E r brachte ihn zu dem Platz, a u f dem er selbst gesessen hatte.


D an n ließ m an den G ästen bereitw illig viel guten M et un d den
besten W ein einschen ken , den es im ganzen R heinlan d gab.

1212 G iselh er u n d G ere traten beide hin zu; auch D an kw art und
V olker hatten von den G ästen geh ört und w aren bester S tim ­
m u n g. Sie begrüßten die edlen, tüchtigen R itter in G egenw art
des K ön igs.
394 2 0 . AVEN TIURE

1213 Do sprach zuo sime herren der degen Hagene:


»ez soldent immer dienen alle iwer degene,
daz uns der marcgrave ze liebe hat getan,
des solde man enpfahen wol den Gotelinde man.«

1214 Do sprach der kunic Gunther: »ine chan niht langer dagn.
wie si sich gehaben beide, daz suit ir mir sagn,
Ezele unde Helche uzer Hunin lant.«
do sprach der marcgrave: »ich solz iu sagn hie zehant.«

1215 Do stuont er von dem sedele mit allen sinen man,


er sprach zuo dem chunige: »lat mih urloup han
ze sagene solhiu maere, dar umbe ich bin gesant
von deme chunic Ezele her zuo der Buregonden lant.«

1216 Er sprach: »swaz man uns maere bi iu enboten hat,


diu erloub ich iu ze sagene ane friunde rat.
ir suit si lazen hoeren mich und mine man;
wände ich iu aller eren hie ze werbene gan.«

1217 Do sprach der bote here: »iu enbiutet an den Rin


getriwelichen dienest der groze voget min
und allen iwern friunden, die ir muget han,
unde wizzet, disiu boteschaft ist in triwen gar getan.

1218 Iu bat der chunic edele chlagen sine not.


siniu lant sint verweiset, min frowe diu ist tot,
Helche diu vil riche, ein kuniginne her,
nach der min herre lidet, daz wizzet, ungefüegiu ser.

1219 Kint der edeln fürsten, diu si gezogen hat,


dar an ez inme lande vil jaemerlichen stat;
die enhant nu leider niemen, der ir mit triwen pflege,
des, waen, ouch sich vil chleine des kuniges sorge gelege.«
ETZELS W ERBUNG UM KRIEM H ILD 395

1213 Dann sprach Hagen zu seinem Herrn: »All eure Kämpfer soll­
ten dem Markgrafen mit Dienst vergelten, was er für uns getan
hat. Um seiner Freundschaft willen sollte man Gotelinds Mann
ehrenvoll begrüßen.«

1214 Darauf sprach König Gunther: »Ich kann nicht länger schwei­
gen. Ihr müßt mir sagen, wie es Etzel und Helche im Hunnen­
land geht.« Der Markgraf antwortete: »Ich werde es euch gleich
berichten.«

1215 Er erhob sich dabei mit allen seinen Leuten von seinem Sitz
und sprach zum König: »Erlaubt mir kundzutun, warum ich
von König Etzel hierher ins Land der Burgunden gesandt wor­
den bin.«

1216 Gunther antwortete: »Ohne vorherige Beratung mit meinen


Freunden erlaube ich euch auszuführen, was man euch für uns
aufgetragen hat. Laßt es mich und meine Leute hören; denn ich
hoffe, ihr erwerbt höchste Ehre damit.«

1217 Da begann der angesehene Bote: »Mein hoher Herr sendet


euch am Rhein und allen euren Freunden ergebene Grüße, und
ihr sollt wissen, daß diese Botschaft von beständiger Verbun­
denheit zeugt.

1218 Der edle König Etzel läßt euch seine Not klagen. Seine Länder
sind verwaist; denn meine Herrin, die mächtige und erhabene
Königin Helche, ist tot. Um sie trauert mein Herr in ungeheu­
rem Schmerz, das soll ich euch berichten.

1219 Es steht jetzt sehr schlecht im Lande um die Töchter der edlen
Fürsten, die sie erzogen hat; denn sie haben leider niemanden
mehr, der sich treu um sie kümmert. Auch deshalb, glaube ich,
vergeht der Kummer des Königs nur schwer.«
396 2 0 . AVEN TIURE

1220 »Nu Ion im got«, sprach Gunther, »daz er den dienest sin
so willechlich enbutet mir und den friunden min.
sinen gruoz ich gerne hie vernomen han,
den mir enbiutet Ezele; des soi er groz genade han.«

1221 Do sprach von Burgonden der herre Gernot:


»die werlt mac wol riwen der schoenen Helchen tot
durch ir manige tugende, der si wol chunde pflegn.«
der rede gestuont im Hagene, der vil zierliche degn.

1222 Do sprach aber Rüedeger, der edel bote her:


»sit ir mir, chunic, erloubet, ich soi iu sagen mer,
waz iu min lieber herre her enboten hat,
sit im nach miner frowen sin dinch so chumberlichen stat.

1223 Man sagt mime herren, iwer swester si ane man,


Sivrit si erstorben, ist daz also getan,
so soi min frou Chriemhilt die riehen chrone tragn
vor den Ezelen recken, diz bat iu der chunic sagn.«

1224 Do sprach der chunic riche, wol gezogen was sin muot:
»so hoeret minen willen, ob siz gerne tuot,
den wil ich iu chunden in disen siben tagen,
e ihz an ir erfüere, zwiu solde ich Ezelen versagen?«

1225 Die wile man den gesten hiez schaffen guot gemach,
in wart da so gedienet, daz Rüedeger des jach,
daz er da friunde haete bi Guntheres man.
Hagene im diente gerne, er hete im alsam getan.

1226 Alsus beleip do Rüedeger unz an den vierden tac.


der kunich nach rate sande, wie wiselich er pflac,
vragen sine mage, ob si duhte guot getan,
daz Chriemhilt nemen solde den chunich Ezelen ze man.
ETZELS W ERBUNG UM KRIEM H ILD 397

1220 »G o tt lo h n e es ih m «, an tw ortete G un ther, »daß er m ir und


m einen Verw andten seine Ergebenheit so w illig entbietet. Den
G ru ß , den m ir Etzel sendet, habe ich gern gehört; un d er soll
b eson d eren D an k d afü r em pfangen.«

1221 H err G e rn o t vom B u rgu n d en lan d fügte hinzu: »D ie W elt b e­


trauert den Tod der schön en H elche zu R echt w egen der vielen
T u gen d en , d ie sie besaß.« Sein er Rede stim m te H agen, der
stattliche K äm pfer, zu.

1222 R üdiger, der edle, vorn eh m e Bote, erw id erte darauf: »Wenn ihr
es m ir erlaubt, K ö n ig G un ther, soll ich euch noch m e h r aus-
richten, w as m ein H err m ir fü r euch aufgetragen hat, da er nach
dem Tod m ein er H errin so tie f bed rü ckt ist.

1223 M an hat m ein em H errn berichtet, eure Schw ester sei verw itw et,
w eil S iegfried gestorben sei. W enn das der Fall ist, d an n soll
Frau K riem h ild die prächtige K ro n e v o r Etzels Recken tragen.
D as bat m ich d ° r K ön ig, euch zu sagen.«

1224 D a an tw ortete der m ächtige K ö n ig G un ther, w ie es seinem h ö ­


fischen A n stan d entsprach: »Ich w ill euch m eine En tscheidun g
b in n en sieben Tagen k u n d tu n , w en n ich w eiß , ob K riem h ild
dem zu stim m t. W arum sollte ich Etzel die Bitte abschlagen,
b evor ich ihre M ein u n g kenne?«

1225 In d er Z w ischen zeit sorgte m an fü r die Bequem lichkeit der G ä ­


ste. Sie w u rd en so bedient, daß R ü d iger sagte, er habe w ahrlich
Freun d e bei G u n th ers Leuten. H agen kü m m erte sich gern um
ihn, w ie R ü d iger es frü h er seinerseits getan hatte.

1226 So blieb R ü d iger d o rt bis zum vierten Tag. A ls w eiser K ö n ig ließ


G u n th er seine Berater holen, um seine Verw andten zu fragen,
o b sie es fü r gu t hielten, w en n K riem h ild K ö n ig Etzel zum
M an n nähm e.
398 2 0 . AVEN TIURE

1227 Si rietenz al gemeine wan eine Hagene.


der sprach ze Gunthere dem degene:
»habt ir rehte sinne, so wirt ez wol behuot.
ob sis joch volgen wolde, daz irz nimmer getuot.«

1228 »Warumbe«, sprach do Gunther, »solde ihs volgen niht?


swaz der kuniginne liebes geschiht,
des soi ich ir wol gunnen, si ist diu swester min.
wir soldenz selbe werben, ob ez ir ere mohte sin.«

1229 Do sprach aber Hagene: »nu lat die rede stan!


und het ir Ezelen chunde, als ich sin chunde han!
solte si in danne minnen, als ich iuch hoere jehn,
so waere iu aller erste von schulden sorgen geschehn.«

1230 »Warumbe?« sprach do Gunther, »ich behüete wol immer daz,


daz ich im chôme so nahen, daz ich deheinen haz
von im müese dulden, und wurde si sin wip.«
do sprach aber Hagene: »ez geraetet nimmer min lip.«

1231 Man hiez nah Gernote und Giselhere gan,


ob der frowen brüeder duhte guote getan,
daz Chriemhilt nemen solde den riehen chunic her.
noch widerreit ez Hagene unde ander niemen mer.

1232 Do sprach von Burgonden Giselher der degn:


»nu mugt ir, friunt Hagene, noch der triwen pflegn.
ergetzet si der leide, und ir ir habt getan.
swar an ir wol gelunge, daz soit ir ungevehet lan.

1233 Ja habt ir miner swester getan so starchiu leit«,


so sprach aber Giselher, der degn vil gemeit,
»daz si des hete schulde, ob si iu waere gram.
nie man deheiner frowen mere freuden noch genam.«
ETZELS W ERBU NG UM K RIEM H ILD 399

1227 Sie rieten alle dazu au ß er H agen. D er sagte zu G unther, dem


K äm p fer: »Wenn ihr vern ü n ftig seid, dann unterbleibt es. Falls
K riem h ild d a ra u f eingeht, d ürft ihr niem als zustim m en.«

1228 »W arum «, fragte G unther, »sollte ich dagegen sein? Alles, w as


d er K ö n igin Freude bereitet, das gön ne ich ihr gern, sie ist doch
m ein e Schwester. W ir selbst sollten ihr Zureden, denn die H eirat
erh öh t ihr A n sehen.«

1229 H agen erw id erte jed och : »H ört au f! W äre euch doch Etzel so
b ekan n t w ie m ir! W enn K riem h ild ihn heiraten sollte, w ie ihr
sagt, d an n w äre das fü r euch zuallererst ein G ru n d zur B eu n ru ­
higung.«

12jo »Weshalb?« fragte G unther. »Ich w erde im m er d afü r sorgen ,


daß ich ihm nicht zu nahe kom m e un d m ir nicht seine Feind­
schaft zuziehe, selbst w en n K riem h ild seine Frau w ürde.« H a­
gen sagte aber: »Ich stim m e n iem als zu.«

1231 M an ließ G ern o t u n d G iselh er holen, um zu fragen, ob es den


B rü d ern d er H errin gut erschiene, daß K riem h ild den m äch ­
tigen, vorn eh m en K ö n ig zum M an n n ähm e. H agen redete w ei­
terhin d agegen, sonst aber niem and.

1232 D a sagte G iselher, d er K äm p fer aus dem B u rgu n d en lan d :


»Freund H agen, jetzt kön nt ihr K riem h ild noch Treue erweisen.
E n tschäd igt sie fü r das Leid, das ihr ihr angetan habt. W as sie
glü cklich m ach en könnte, das solltet ihr nicht verhindern.

1233 Ihr habt d och w irklich m ein e Schw ester so tie f verletzt«, fügte
G iselher, d er stattliche K äm pfer, hin zu, »daß sie allen G ru n d
hätte, euch zu hassen. N o ch nie hat ein M an n eine Frau in so l­
cher W eise aller Freude beraubt.«
400 2 0 . AV EN TIURE

1234 »Daz ich da wol bechenne, daz tuon ich iu chunt:


sol si nemen Ezele, gelebt si an die stunt,
si getuot uns leide, swie siz getraget an.
ja gewinnet si ze dienste, daz wizzet, manigen chüenen man.«

1235 Des antwurt Hagene der herre Gernot:


»ez mag also beliben unz an ir beider tot,
daz wir geriten immer in Ezelen lant.
wir suln ir leisten triwe, daz ist zen eren uns gewant.«

1236 Do sprach aber Hagene: »mir chan niemen widersagn.


und soi diu frowe Chriemhilt Helchen chrone tragn,
si getuot uns leide, swie si gefüeget daz.
ir suit ez lan beliben, daz chumt iu recken michel baz.«

1237 Mit zorne sprach do Giselher, der edeln Uoten suon:


»wir ensulen niht alle meinliche tuon.
swaz liebes ir geschaehe, vro solten wir des sin.
swaz ir geredet, Hagne, ich diene ir durch die triwe min.«

1238 Do daz Hagene horte, do wart er ungemuot.


Gernot unde Giselher, die stolzen ritter guot,
und Gunther der riche, gerieten sider daz,
ob siz loben wolde, daz siz liezen ane haz.

1239 Do sprach der chüene Gere: »so wil ich hine gan
und wil mine frowen die rede wizzen lan,
waz ir der kunich Ezele her enboten hat,
ob si in nemen welle, daz si mit triwen unser rat.«
ETZELS W ERBUNG UM KRIE M H ILD 401

1234 »Ich sage euch nur, was ich mit Sicherheit erkenne: Wenn sie
Etzel heiratet und bis zum rechten Zeitpunkt am Leben bleibt,
dann fügt sie uns Leid zu, wie immer sie das zuwege bringt. Ja,
dann werden ihr, bedenkt das gut, viele tapfere Männer zu
Diensten stehen.«

1235 Darauf entgegnete Herr Gernot Hagen: »Es kann dabei bleiben,
daß wir bis zu ihrer beider Tod niemals in Etzels Land reiten.
Wir sollten uns jedoch ihr gegenüber treu erweisen, das dient
auch unserem eigenen Ansehen.«

1236 Hagen aber sagte wiederum: »Niemand kann mir das Gegenteil
beweisen. Wenn Kriemhild Helches Krone trägt, dann übt sie
Rache an uns, ganz gleich, wie sie das zuwege bringt. Ihr solltet
die Heirat verhindern, das wäre für euch, ihr Helden, viel bes­
ser.«

1237 Zornig erwiderte Giselher, der Sohn der edlen Ute: »Wir wer­
den nicht alle Verrat üben. Wenn sie Freude hat, sollten wir
darüber froh sein. Ganz gleich, was ihr sagt, Hagen, ich halte
ihr meine Treue.«

1238 Als Hagen das hörte, wurde er ungehalten. Gernot und Gisel­
her, die stolzen, edlen Ritter, und der mächtige Gunther einig­
ten sich endlich darauf, daß sie keinen Vorbehalt hätten, wenn
Kriemhild der Heirat zustimmte.

1239 Da sagte der tapfere Gere: »So will ich hingehen und meiner
Herrin mitteilen, welches Angebot ihr König Etzel gemacht hat,
und daß wir ihr in Treue zuraten, wenn sie ihn nehmen will.«
402 2 0 . AVEN TIURE

1240 Do gie der snelle recke, da er Chriemhilde sach.


si enpfie in minnekliche, wie balde er do sprach:
»ir mugt mich gerne grüezen und gehn botenprot.
iuch wil gelucke scheiden uzir aller iwer not.

1241 Ez hat durch iwer minne, frowe, her gesant


ein der aller beste, der ie kuniges lant
besaz mit vollen eren oder chrone solde tragn,
ez werbent boten edele. daz hiezen iu die kunige sagn.«

1242 Do sprach diu jamers riche: »iu soi verbieten got


und andern minen friunden, daz si deheinen spot
an mir armen üeben. waz soldich einem man,
der ie hercen liebe von guotem wibe gewan?«

1243 Si widerreit iz sere, do chomen aber sint


Gernot, ir bruoder, und Giselher daz kint,
di baten minnekliche trösten si den muot:
ob si den chunic naeme, ez waer ir waerlichen guot

1244 Uberwinden niemen chunde do daz wip,


daz si minnen wolde deheines mannes lip.
do baten si die recken: »nu lazet doch geschehn,
ob ir niht anders wellet tuon, so suit ir Rüedegeren sehn.«

1245 »Daz enwil ich niht versprechen, ine welle in gerne sehn,
den guoten Rüedegeren, daz laz ich wol geschehn
durch sine manige tugende, waer er niht her gesant,
swerz ander boten waeren, den waer ich immer unbechant.«

1246 Si sprach: »ir suit in morgen heizen her gan


zu miner chemenaten, ich wil in hoeren lan,
wes ich mich habe beraten, wil ich im denne sagn.«
ir wart eriteniwet daz ir vil groezlich chlagn.
ETZELS W ERBU NG UM K RIEM H ILD 403

1240 Dann ging der gewandte Recke zu Kriemhild. Sie empfing ihn
liebenswürdig, und er sagte sogleich: »Ihr könnt mich freund­
lich begrüßen und mir reichlich Botenlohn geben. Das Glück
wird euch von all eurer Not befreien.

1241 Um eure Liebe zu gewinnen, Herrin, hat einer der angesehen­


sten Männer, die je ehrenvoll ein Königreich beherrschten oder
künftig eine Krone tragen werden, edle Boten hergesandt, da­
mit sie um euch werben. Das lassen euch die Könige sagen.«

1242 Die Leidgebeugte antwortete: »Gott verbiete euch und meinen


anderen Verwandten, Spott mit mir armer Frau zu treiben. Was
sollte ich einem Mann bedeuten, der immer an die herzliche
Liebe einer guten Frau gewöhnt war?«

1243 Entschieden wies sie den Vorschlag zurück. Später kamen noch
ihr Bruder Gernot und der junge Giselher, die baten sie liebe­
voll und sprachen ihr Trost zu: Wenn sie den König zum Mann
nähme, wäre das wirklich gut für sie.

1244 Aber niemand konnte den Widerstand der Frau, sich irgend­
einem Mann in Liebe zuzuwenden, überwinden. Da schlugen
die Recken vor: »Nun stimmt wenigstens zu, auch wenn ihr
nichts anderes tun wollt, Rüdiger zu begrüßen.«

1245 »Das will ich nicht ablehnen. Ich möchte den edlen Rüdiger
gern sehen und gestatte es um seiner vielfältigen Tugenden
willen. Nur weil er es ist, bin ich einverstanden, jedem anderen
Boten würde ich eine Begegnung verweigern.«

1246 Sie sagte: »Laßt ihn morgen zu meiner Kemenate kommen, ich
will ihm dann kundtun, wie ich mich entschieden habe.« Von
neuem brach sie in großes Klagen aus.
404 2 0 . AVEN TIURE

1247 Do engert ouch nihtes mere der edel Rüedegere,


niwan daz er gesaehe die kuniginne here.
er wiste sich so wisen, daz er wol an getragen
mohte, swaz er wolde, ir rede im muose wol behagen.

1248 Des andern morgens, do man friiemesse sanch,


die edeln boten chomen, do wart da groz gedranch.
die mit Rüedegere ze hofe solden gan,
der sach man wol gekleidet manigen waetlichen man.

1249 Chriemhilt diu vil arme, diu trurich gemuot,


si warte Rüedegere, dem edeln boten guot.
der vant si in der waete, die si alle cite truoch,
da bi het ir gesinde richer chleider genuoch.

1250 Si gie im hin begegene zuo der türe stan


und empfie vil liepliche den Ezelen man.
niwan mit zwelf gesellen man in dar in verlie.
man bot im michel ere, ir chom ein hoher bote nie.

1251 Man bat den herren sizzen unde sine man,


die zwene marcgraven sach man vor in stan,
Gern und Eckewarten, daz schuof diu kunigin.
die selben boten chunden nimmer baz gewirdet sin.

1252 Do si da wol gesazen und sahn manich wip,


do pflach niwan weinens der Chriemhilde lip,
ir wat was vor den brüsten der heizen trähene naz.
daz sach der marcgrave, der heit niht langer do da saz.

1253 Er sprach in grozen zuhten: »vil edel kuniges chint,


mir und minen geverten, di mit mir chomen sint,
suit ir, frow, erlouben, daz wir fur iuch stan
und sagen iu diu maere, durch waz wir her geriten han.«
ETZELS W ERBUNG UM K RIEM H ILD 405

1247 Auch der edle Rüdiger wünschte nichts mehr, als die erhabene
Königin zu sehen. Er meinte, so geschickt zu sein, daß er sie zu
einer zustimmenden Antwort auf seinen Antrag bewegen
könnte.

1248 Am anderen Morgen, als man die Frühmesse gesungen hatte,


fanden sich die edlen Boten ein, und es entstand ein großes
Gedränge. Man sah viele stattliche, gutgekleidete Männer, die
mit Rüdiger bei Hof erscheinen sollten.

1249 Die arme Kriemhild wartete mit traurigem Herzen auf Rüdi­
ger, den edlen, aufrichtigen Boten. Er fand sie in dem Trauer­
gewand, das sie ständig anhatte, während ihr Hofstaat viele
prächtige Kleider trug.

1250 Sie ging Etzels Lehnsmann zur Tür entgegen und empfing ihn
sehr freundlich. Nur mit zwölf Gefährten ließ man ihn eintre-
ten. Ihm wurde große Ehre erwiesen, denn ein so vornehmer
Gesandter kam sonst nie zu ihr.

1251 Man bat den Herrn und seine Leute, Platz zu nehmen, während
die beiden Markgrafen Gere und Eckewart auf Veranlassung
der Königin vor ihnen stehen blieben. Würdevoller hätten die
Boten nicht empfangen werden können.

1252 Als sie sich gesetzt hatten und die vielen Frauen betrachteten,
da weinte Kriemhild fortwährend, ihr Gewand war über der
Brust von ihren heißen Tränen ganz naß. Das sah der Markgraf,
und der Held blieb nicht länger sitzen.

1253 Er begann mit großem Anstand: »Hochadlige Königstochter,


erlaubt mir und meinen Gefährten, die mit mir gekommen
sind, daß wir vor euch hintreten und euch kundtun, weshalb
wir hierher geritten sind.«
406 2 0 . AVEN TIURE

1254 »Nu si iu erloubet«, sprach diu kunigin,


»ze sagen iwer maere, also stat min sin.
sprechet, swaz ir wellet, des iuch dunche guot.«
di boten an ir wol sahen ir vil trurigen muot.

1255 Do sprach von Bechelaren der fürste Rüedeger:


»dienst unde triwe Ezel, ein kunic her,
hat iu enboten, frowe, her in dizze lant.
er hat nach iwer minne vil guote degene gesant.

1256 Und enbiutet iu innekliche ffeude ane leit.


der staeten friuntschefte si er iu bereit
als Helchen, miner frowen, diu im ze hercen lach,
ir suit nu tragen chrone, der min frowe wilen pflach.«

1257 Do sprach diu kuniginne: »vil edel Rüedeger,


waer ieman, der bechande diu minen scharpfen ser,
der riete mir niht truten noch deheinen man,
wan ich vlos ein den besten, den ie frowe mer gewan.«

1258 »Waz mag ergezzen leides«, sprach do der chüene man,


»wan vriuntliche liebe? swer die chan began
und dann der einen chiuset, der im ze rehte chumet,
fur hercenliche swaere niht so grozliche frumet.

1259 Und ruochet ir ze minnen den hohen voget min,


zwelf richer chrone suit ir frowe sin,
dar zuo git iu min herre wol drizech fürsten lant,
diu hat er betwungen mit siner ellenthaften hant.

1260 Ir suit ouch werden frowe über manigen chüenen man,


die ouch miner frowen waren undertan,
und vil der schoenen mägede, der si hete gewalt,
und hoher recken magen edel, chüen unde bait.
ETZELS W ERBU NG UM KRIE M H ILD 407

1254 »Nun sei es euch erlaubt«, sagte die Königin, »eure Botschaft
vorzutragen, ich bin bereit zu hören. Sprecht, was ihr wollt und
was euch angemessen erscheint.« Die Boten sahen ihr an, wie
überaus traurig sie war.

1255 Da führte der Fürst Rüdiger von Bechelarn aus: »Etzel, ein vor­
nehmer König, läßt euch, Herrin, in diesem Land seine Ehr­
erbietung und Treue zusichern. Er hat viele edle Kämpfer her­
gesandt, die sollen um eure Liebe werben.

1256 Aufrichtig verspricht er euch Freude ohne Leid. Er will sich mit
euch in beständiger Freundschaft verbinden wie mit Helche,
meiner Herrin, die ihm sehr nahestand. Jetzt sollt ihr die Krone
tragen, die einst meiner früheren Herrin gehörte.«

1257 Die Königin antwortete: »Hochedler Rüdiger, wer meinen tie­


fen Schmerz kennt, der würde mir nicht Zureden, nochmals
einen Mann zu lieben, denn ich habe den besten verloren, den
eine Frau überhaupt haben konnte.«

1258 »Was hilft besser, Leid zu vergessen, als aufrichtige Liebe?« sagte
der kühne Mann. »Wer selbst fähig ist zu lieben und dann einen
wählt, der zu ihm paßt, der erfährt, daß gegen herzzerreißenden
Schmerz nichts heilsamer ist.

1259 Und wenn ihr euch entschließt, meinen hohen Herrn zu lieben,
dann werdet ihr über zwölf mächtige Königreiche herrschen,
zudem gibt euch mein Herr das Land von dreißig Fürsten, die
er mit seiner kraftvollen Hand besiegt hat.

1260 Außerdem werdet ihr als Herrscherin über viele tapfere Männer
gebieten, die auch meiner früheren Herrin untertan waren, und
über viele schöne Mädchen, die ihr unterstanden, sowie über
die edlen, kühnen und stolzen Verwandten vornehmer Recken.
408 2 0 . AVENTI URE

1261 Darzuo iu min herre git, daz heizet er iu sagen,


ob ir geruochet chrone bi dem chunige tragen,
gewalt den aller hohsten, den Helche ie gewan,
den suit ir gewaldechliche han ob allen sinen man.«

1262 Do sprach diu kuniginne: »wie mohte minen lip


immer des gelüsten, deich wurde heledes wip?
mir hat der tot an einem so rehte leit getan,
des ich unz an min ende muoz in riwen immer stan.«

1263 Do sprachen aber die Hunin: »kuniginne rieh,


iwer leben wirt bi Ezele so rehte lobelich,
daz ir des wol vergezzet, ist daz ez ergat;
wan der kunic riche vil manigen zieren degen hat.

1264 Die miner frowen mägede und iwer mägedin


suln die bi ein ander ein gesinde sin,
da bi so mohten recken werden wol gemuot.
lat ez iu, frowe, raten, ez wirt iu waerlichen guot.«

1265 Si sprach in ir zühten: »nu lat die rede stan


unze morgen früeje, so suit ir her gan,
so wil ich iu antwurten, des ir da habet muot.«
des muosen do gevolgen die recken chüene unde guot.

1266 Do si zen herbergen alle chomen dan,


do hiez diu frowe Chriemhilt nach Giselhere gan
und ouch nach ir muoter. si saget in beiden daz,
daz si gezaeme weinen und niht anders baz.

1267 Do sprach ir bruoder Giselher: »swester mir ist geseit


und wilz ouch gelouben wol, daz elliu diniu leit
Ezel der chunic swende, und nimstu in ze man.
swaz ander iemen rate, so dunchet ez mich guot getan.
ETZELS W ERBUNG UM KRIE M H ILD 409

1261 Darüber hinaus gibt euch mein Herr, das läßt er euch zu-
sichem, wenn ihr die Krone neben dem König tragen wollt, die
allerhöchste Macht, die Helche je innehatte, die sollt ihr über
alle seine Lehnsleute besitzen.«

1262 Da antwortete die Königin: »Wie könnte ich jemals wieder


eines Helden Frau werden wollen? Mir hat der Tod meines
Mannes so viel Leid zugefügt, daß ich darüber bis an mein
Ende trauern muß.«

1263 Doch die Hunnen erwiderten: »Mächtige Königin, euer Leben


wird bei Etzel so ruhmvoll sein, daß ihr das Vergangene leicht
vergeßt, wenn ihr auf die Werbung eingeht; denn der mächtige
König verfügt über viele stattliche Kämpfer.

1264 Die Mädchen meiner früheren Herrin und die euren werden
zusammen ein Gefolge bilden, das die Herzen der Recken er­
freut. Laßt euch, Herrin, zuraten, es wird wahrhaftig gut für
euch sein.«

1265 Sie aber sagte mit Anstand: »Nun wartet bis morgen früh auf
meine Entscheidung, dann könnt ihr herkommen, und ich
will euch auf euer Anliegen antworten.« Dem mußten sich die
tapferen und edlen Recken fugen.

1266 Als sie sich in ihre Herbergen zurückgezogen hatten, ließ Frau
Kriemhild Giselher und auch ihre Mutter holen. Sie erklärte
ihnen beiden, daß es sich für sie zieme zu weinen und weiter
nichts.

1267 Da entgegnete ihr Bruder Giselher: »Schwester, ich habe gehört


und möchte es auch glauben, daß König Etzel dich von all dei­
nem Leid befreien würde, wenn du ihn zum Mann nimmst.
Ganz gleich, was ein anderer rät, mir scheint es gut, darauf ein­
zugehen.
410 2 0 . AV ENTIURE

1268 Er mac dich wol ergezzen«, sprach aber Giselher,


»vonme Roten zuo dem Rine uf bi Elbe unz an daz mer
so ist ir deheiner also gewaltich niht.
du mäht dich freun balde, sor din ze kuniginne giht.«

1269 Si sprach zuo zir bruoder: »zwiu raetestu mir daz?


chlagen unde weinen mir immer zaeme baz.
wie solde ich vor recken da ze hove gan?
wart min lip ie schoene, des bin ich ane getan.«

1270 Uote, ir beider muoter, sprach ir tohter zuo:


»swaz dine brüeder raten, vil liebez chint daz tuo.
nu volge dinen friunden, so mach dir wol geschehen,
ich han dich doch so lange in grozem leide gesehen.«

1271 Do bat si got den riehen füegen ir den rat,


daz si ze gebene hete golt, Silber unde wat
sam bi ir ersten manne, do der noch was gesunt.
si gelebte doch nimmer mere sit so vroliche stunt.

1272 Do gedahtes in ir sinne: »sol ich minen lip


gehn einem heiden, ich bin ein christen wip,
des muose ich von der werlde groz itewize han.
gaeb er mir elliu riche, so ist ez immer ungetan.«

1273 Da mite siz lie beliben. die naht unz an den tac
diu frowe in vil gedanchen an ir bette lac.
diu ir vil liehten ougen wurden trucken nie,
unze si aber den morgen hin zer mettine gie.

1274 Ze rehter messecite die herren waren chomen.


si heten aber ir swester under hende genomen,
ja rieten si ir minnen den chunk uz Hünen lant.
die frowen ir deheiner vil luzzil vroliche vant.
ETZELS W ERBUNG UM KRIEM H ILD 411

1268 Er kann dich wohl entschädigen«, sagte Giselher weiter. »Von


der Rhone bis zum Rhein, von der Elbe bis zum Meer besitzt
niemand so viel Macht wie König Etzel. Du kannst dich alsbald
darüber freuen, wenn er dich zur Königin macht.«

1269 Sie sprach zu ihrem Bruder: »Weshalb rätst du mir das? Klagen
und Weinen ziemen sich besser für mich. Wie sollte ich dort bei
Hofe vor den Recken auftreten? Wenn ich jemals schön war,
jetzt bin ich es nicht mehr.«

1270 Ute, die Mutter der beiden, sagte zu ihrer Tochter: »Mein liebes
Kind, geh auf das ein, was deine Brüder dir raten. Folge deinen
Verwandten, dann wird es dir wohl ergehen. Ich habe dich
schon allzu lange in deinem großen Leid gesehen.«

1271 Da bat Kriemhild Gott den Allmächtigen, es so zu fügen, daß


sie Gold, Silber und Gewänder zum Verschenken hätte wie
damals, als ihr erster Mann noch am Leben war. Später erlebte
sie nie wieder eine so fröhliche Zeit.

1272 Sie dachte bei sich: »Heirate ich einen Heiden, obwohl ich eine
Christin bin, wird mich die ganze Welt verachten. Selbst wenn
er mir alle Reiche gäbe, so kann ich darauf niemals eingehen.«

1273 Dabei ließ sie es bewenden. Die ganze Nacht bis zum nächsten
Tag lag die Herrin von mancherlei Gedanken bewegt in ihrem
Bett. Ihre strahlenden Augen wurden nicht trocken, bis sie am
Morgen zur Frühmesse ging.

1274 Genau zur Zeit der Messe waren auch die Herren gekommen.
Sie nahmen ihre Schwester an die Hand und rieten ihr zu, den
König aus dem Hunnenland zu heiraten. Keiner von ihnen
hatte den Eindruck, die Herrin sei auch nur ein wenig heiterer.
412 2 0 . AV EN TIURE

1275 Si baten dar gewinnen die Ezelen man.


Rüedeger der riche biten do began
die frowen minnekliche, waz si nu wolde tuon,
ob si ze manne wolde des kunic Botelunges suon.

1276 Si jach, daz si geminnen nimmer mere wolde man.


do sprach der marcgrave: »daz waere missetan.
zwiu woldet ir verderben also scoenen lip?
ir muget noch mit eren werden hohes recken wip.«.

1277 Niht half, daz si gebaten, unze Rüedeger


sprach in heinliche die kuniginne her,
er wolde si ergezzen, swaz ir ie geschach.
ein teil begundir senften ir vil unsenftez ungemach.

1278 Er sprach; »frowe here, lat iwer weinen sin.


ob ir zen Hunin hetent niemens danne min,
getriwer miner friunde und ouch der minen man,
er müeses sere engelten, und het iu iemen iht getan.«

1279 Da von ein teil geringet wart do der frowen muot.


si sprach: »so swert mir, Rüedeger, swaz mir iemen tuot,
daz ir mir sit der naehste, der reche miniu leit.«
do sprach der marcgrave: »des bin ich, frowe, bereit.«

1280 Mit allen sinen mannen swuor ir do Rüedeger


mit triwen immer dienen, und daz die recken her
ir nimmer niht versageten uz Ezelen lant,
des si ere habn solde, des sichert ir Rüedegeres hant.

1281 Do gedahte diu getriwe: »sit daz ich friunde han


also vil gewunnen, nu soi ich reden lan
die liute, swaz si wellen, ich jamerhaftez wip.
waz ob noch wirt errochen mins vil lieben mannes lip!«
ETZELS W ERBU NG UM KRIEM H ILD 413

1275 Sie ließen Etzels Leute holen. Liebenswürdig bat der mächtige
Rüdiger die Herrin, ihre Entscheidung mitzuteilen, ob sie Kö­
nig Botelungs Sohn zum Mann nehmen wolle.

1276 Sie aber erklärte, daß sie nie wieder einen Mann lieben werde.
Darauf entgegnete der Markgraf: »Das wäre falsch. Weshalb wollt
ihr euren so schönen Körper zugrunde gehen lassen? Ihr könnt
noch in Ehren die Frau eines vornehmen Recken werden.«

1277 Alles Bitten half nichts, bis Rüdiger der erhabenen Königin in
einer geheimen Unterredung zusicherte, er wolle ihr beistehen,
was immer geschehen möge. Da begann sich ihr großer
Schmerz etwas zu lindern.

1278 Er sagte: »Hohe Herrin, hört auf zu weinen. Selbst wenn ihr
bei den Hunnen nur mich und meine Leute als treue Freunde
hättet, so müßte jeder schwer büßen, der euch etwas antut.«

1279 Das erleichterte das Herz der Herrin ein wenig. Sie sprach:
»Dann schwört mir, Rüdiger, daß ihr für mich der engste Ver­
traute sein werdet, der mein Leid rächt, ganz gleich, was mir je­
mand zufügt.« Der Markgraf antwortete ihr: »Herrin, dazu bin
ich bereit.«

1280 Mit all seinen Leuten schwor Rüdiger, daß die vornehmen
Recken aus Etzels Land ihr immer in Treue dienen und nichts
unterlassen wollten, was zu ihrem Ansehen beitrüge. Das be­
kräftigte ihr Rüdiger mit Handschlag.

1281 Da dachte die treue Frau: »Wenn ich nun so viele Freunde habe,
werde ich Leidgeprüfte die Leute reden lassen, was sie wollen.
Vielleicht wird der Tod meines lieben Mannes eines Tages doch
noch gerächt!«
414 2 0 . AVEN TIURE

1282 Si gedahte: »sit daz Ezele der recken hat so vil,


sol ich den gebieten, so tuon ich, swaz ich wil.
er ist ouch wol so riche, daz ich ze gebene han.
mich hat der mordaer Hagene des minen ane gar getan.«

1283 Si sprach ze Rüedegere: »het ich daz vernomen,


daz er niht waere ein heiden, so wolde ich gerne chomen,
swar er hete willen, und naeme in zeinem man.«
do sprach der marcgrave: »die rede suit ir, frowe, lan.

1284 Ern ist niht gar ein heiden, des suit ir sicher sin.
ja was vil wol becheret der liebe herre min,
wan daz er sich widere vernogieret hat.
wolt ir in, frowe, minnen, so mohte sin noch werden rat.

1285 Ouch hat er so vil recken in christenlicher e,


daz iu bi dem kunige nimmer wirdet we.
ir mügt ouch lihte erwerben, daz der fürste guot
wider ze gote wendet beide sele unde muot.«

1286 Do sprachen aber ir brüeder: »lobt iz swester min,


iwer ungemüete suit ir nu lazen sin.«
si gertens also lange, daz ir vil trurich lip
lobte vor den degenen, si würde Ezelen wip.

1287 Si sprach: »ich muoz iu volgen, ich armiu kunigin.


daz ih var zen Hunin, so daz nu mac gesin,
swenne ich die ffiunt gewinne, die mich füeren in sin lant.«
des bot diu kuniginne vor den degn ir hant.

1288 Do sprach der marcgrave: »habt ir zwene man,


dar zuo han ich ir mere, ez wirdet wol getan,
daz wir iuch mit den eren bringen über Rin.
ine laze iuch nu niht langer hie zen Buregonden sin.
ETZELS W ERBUNG UM K R IE M H ILD 415

1282 Sie überlegte weiter: »Da Etzel über so viele Helden verfügt,
werde ich, wenn ich über sie gebiete, tun, was ich will. Außer­
dem ist er so reich, daß ich genug zum Verschenken habe. Der
Mörder Hagen hat mir all meinen Besitz geraubt.«

1283 »Wäre Etzel kein Heide«, sprach sie zu Rüdiger, »würde ich
gern auf seine Werbung eingehen und ihn zum Mann neh­
men.« Da sagte der Markgraf: »Ihr könnt euch beruhigen.

1284 Er ist nicht wirklich ein Heide, das versichere ich euch. Ja, mein
lieber Herr war einmal bekehrt, allerdings hat er sich später
wieder vom christlichen Glauben abgewandt. Herrin, wenn ihr
ihn liebt, dann könnte ihm geholfen werden.

1285 Außerdem gehören zu ihm so viele Recken, die Christen sind,


daß ihr euch am Hof des Königs nie verlassen fühlen werdet.
Vielleicht könnt ihr auch erreichen, daß der edle Fürst seine
Seele und seine Gedanken wieder Gott zuwendet.«

1286 Dann baten wiederum ihre Brüder: »Stimmt zu, Schwester, laßt
nun eure Bedenken fallen.« Sie drängten sie so lange, bis die
trauernde Frau vor den Kämpfern gelobte, Etzels Gemahlin zu
werden.

1287 Sie sprach: »Ich muß euch folgen, ich arme Königin. Daß ich zu
den Hunnen reise, das soll nun geschehen, sobald ich weiß,
welche Freunde mich in Etzels Land begleiten.« Zur Bestäti­
gung gab die Königin Rüdiger vor den Kämpfern ihre Hand.

1288 Da antwortete der Markgraf: »Benennt zwei Begleiter, die übri­


gen stelle ich zur Verfügung. Es wird dafür gesorgt, daß wir
euch ehrenvoll über den Rhein bringen. Ich lasse euch nicht
länger hier bei den Burgunden bleiben.
416 2 0 . AVEN TIURE

1289 Fünf hundert miner manne und öuch der mage min,
die suln iu hie dienen und euch da heime sin,
swie ir in gebietet, ich selbe tuon alsam,
so ir mich ermant der maere, daz ihs nimmer mich gescham.

1290 Nu heizet iu bereiten iwer pferitchleit.


die Rüedegeres raete iu nimmer werdent leit.
und sagetez iwern mägeden, die ir da fiieren weit,
ja chumet uns begegene vil manic uzerweiter heit.«

1291 Si heten noch gesmide, daz man da vor reit


bi Sivrides ziten, daz si vil manige meit
mit eren mohten füeren, so si wolden dan.
hey, waz man guoter sätele den schoenen frowen gewan!

1292 Ob si da vor getruogen deheiniu riehen chleit,


der wart in zuo der verte vil manigez nu bereit;
wände in von dem chunige so vil gesaget wart.
si sluzzen uf die leisten, die e stuonden wol bespart.

1293 Si heten groz unmuoze unz an den zwelften tac;


si suochten uz den valden, des vil dar inné lac.
Chriemhilt hiez entsliezen balde ir chameren dan,
si wolde machen riche alle Rüedegeres man.

1294 Si hete noch des goldes von Nibelunge lant,


si wände, ez da zen Hunin teilen solde ir hant,
daz iz sehs hundert moere ninder chunden tragen,
diu maere horte Hagene da von Chriemhilde sagen.
ETZELS W ERBU NG UM K RIEM H ILD 417

1289 Fünfhundert Männer aus meinem Gefolge und von meinen


Verwandten stehen euch hier und daheim im Hunnenland
zu Diensten, immer wenn ihr ihnen Befehle erteilt. Ich werde
jedenfalls für euch da sein, sobald ihr mich an meine Zusage
erinnert, wenn es sich nicht um etwas handelt, das meine Ehre
verletzt.

1290 Nun laßt eure Pferde für die Reise herrichten. Es wird euch nie­
mals leid tun, Rüdigers Ratschlägen gefolgt zu sein. Sagt euren
Mädchen Bescheid, die ihr mitnehmen wollt. Ja, viele aus­
erwählte Helden werden uns zur Begrüßung entgegenreiten.«

1291 Sie besaßen noch Sattelzeug aus Siegfrieds Zeit, so daß.sie die
Pferde vieler Mädchen damit ansehnlich ausstatten konnten, als
sie aufbrechen wollten. Ach, welch gute Sättel standen für die
schönen Frauen zur Verfügung!

1292 Obwohl sie schon früher kostbare Kleider getragen hatten,


wurde für die Reise noch manches bereitgelegt; denn sie hatten
von der Pracht bei König Etzel viel erzählen hören. Sie öffneten
die Truhen, die so lange wohlverschlossen dagestanden hatten.

1293 Bis zum zwölften Tag waren sie sehr beschäftigt; sie nahmen aus
den Einschlagtüchern alles, was darin lag. Anschließend ließ
Kriemhild schnell ihre Schatzkammer öffnen» um alle Leute
Rüdigers reich zu beschenken.

1294 Sie besaß noch von dem Gold aus dem Nibelungenland, das
hoffte sie, bei den Hunnen verteilen zu können, es war immer­
hin so viel, daß sechshundert Pferde es nicht hätten tragen
können. Hagen erfuhr von Kriemhilds Absichten.
418 2 0 . AVENTIURE

1295 Er sprach: »sit mir Chriemhilt doch nimmer wirdet holt,


so muoz ouch hie beliben daz Sivrides golt.
zwiu solde ich minen vinden lan so michel guot?
ich weiz wol, daz diu frowe wunder mit dem schazze getuot.

1296 Und braehte si in zen Hunin, ich wil gelouben daz,


er wurde doch zerteilet niwan uf minen haz.
sine habent ouch niht der rosse, die in solden tragen,
in wil behalten Hagene, daz soi man Chriemhilde sagen.«

1297 Do si vernam diu maere, do wart ir grimme leit.


ez wart ouch den kunigen allen drin geseit,
si woldenz gerne wenden, do des niht geschach,
Rüedeger der edele dar zuo herliche sprach:

1298 »Vil richiu kuniginne, zwiu chlaget ir daz golt?


iu ist der chunic Ezele in der maze holt,
gesehent iuch siniu ougen, er git iu also vil,
daz irz zerteilet nimmer, des ich iu eide swern wil.«

1299 Do sprach diu chuniginne: »vil edel Rüedeger,


ez gewan nie kuniges tohter die richeite mer,
denne der mich Hagene ane hat getan.«
do chom der starche Gernot hin zer chameren gegan.

1300 Mit gewalt des chuniges sluzzil stiez er an die tür.


golt daz Chriemhilde reichte man derfiir;
ze drizzech tusint marchen oder dannoch baz
hiez er nemen die geste, liep was Gunthere daz.

1301 Do sprach von Bechelaren der Gotelinde man:


»ob ez min frowe Chriemhilt allez möhte han,
swaz sin ie wart gefüeret von Nibelunge lant,
sin gerüeret nimmer marche min noch der kuniginne hant.
ETZELS W ERBUNG UM KRIE M H ILD 419

12 9 5 Er sagte: »Da sich Kriemhild doch niemals mit mir versöhnt,


muß auch Siegfrieds Gold hierbleiben. Weshalb sollte ich mei­
nen Feinden so reiches Gut überlassen? Ich weiß wohl, daß die
Herrin mit dem Schatz Erstaunliches bewirken könnte.

1296 Wenn sie ihn zu den Hunnen mitnähme, glaube ich, würde er
doch nur verteilt, um Feindschaft gegen mich zu säen. Außer­
dem fehlen ihnen Pferde, die ihn tragen könnten. Hagen wird
den Schatz hierbehalten, das soll man Kriemhild mitteilen.«

1297 Als Kriemhild das erfuhr, ergriff sie schmerzlicher Zorn. Auch
die drei Könige hörten davon und hätten es gern verhindert.
Als das aber unterblieb, sagte der edle Rüdiger hoheitsvoll:

1298 »Mächtige Königin, warum klagt ihr über das verlorene Gold?
König Etzel ist euch in solchem Maße zugetan, daß er euch,
wenn seine Augen euch erblicken, so viel geben wird, daß ihr
das niemals alles aufbrauchen könnt. Darauf schwöre ich euch
jeden Eid.«

1299 Die Königin antwortete: »Edler Rüdiger, nie hat eine Königs­
tochter mehr Reichtum besessen, als Hagen mir geraubt hat.«
Da kam der starke Gernot zu der Schatzkammer.

1300 Mit königlicher Vollmacht stieß er den Schlüssel in die Tür.


Man holte Kriemhilds Gold heraus und ließ die Gäste an
dreißigtausend Mark oder noch mehr mitnehmen. Das war
Gunther sehr recht.

1301 Dann sagte der von Bechelarn, Gotelinds Mann: »Auch wenn
meine Herrin Kriemhild alles bekäme, was aus dem Nibelun­
genland hierher überführt wurde, sollten weder ich noch die
Königin das geringste davon anrühren.
420 2 0 . AV ENTIURE

1302 Lat ez nemen, frowe, swerz gerne haben wil.


ich brahte uz mime lande des minen also vil,
daz wir es uf der straze habn guoten rat,
und unser choste hinnen mit vollen herlichen stat.«

1303 Da vor in aller wile erfüllet zwelf schrin


des aller besten goldes, daz inder mohte sin,
heten noch ir meide, daz fuorte man von dan
mit der chuniginne; daz ander muosin si da lan.

1304 Gewalt des ubelen Hagenen der duhte si ze starch,


si het ir opfer goldes noch wol tusint march.
daz teilte si der sele irs vil lieben man.
daz duhte Rüedegere in grozen triwen getan.

1305 Do sprach diu ffowe Chriemhilt: »wa nu ffiunde min,


die durch mich eilende zen Hunin wellen sin
und mit mir suln riten in Ezelen lant?
die nemen golt daz mine und chauffen rosse und ouch gewant.«

1306 Des antwurte ir schiere der marcgrave Eckewart:


»sit ich iwer gesinde ie von erste wart,
so entweich ich iu nie triwen«, sprach der chüene degn,
»und wil iu immer dienen, die wile wir beide lebn megn.

1307 Ich wil ouch mit mir füeren hundert miner man,
der ich iu ze dienste wol mit triwen gan.
wir sin ungescheiden, ez entuo der tot.«
der rede neig im Chriemhilt, daz irz der heit so wol erbot.

1308 Do zoh man dar die moere, si wolden varn dan.


da wart vil michel weinen von friunden getan,
frou Uote diu guote und manic schoene meit,
die zeigeten, daz in waere nach der kuniginne leit.
ETZELS W ERBU NG UM KRIE M H ILD 421

1302 Herrin, laßt es nehmen, wer es nehmen will. Ich habe aus
meinem Land so viel mitgebracht, daß wir auf der Fahrt genug
haben werden und daß unsere Reisekosten voll und ganz ge­
deckt sind.«

1303 Zuvor hatten bereits Kriemhilds Mädchen zwölf Truhen mit


dem allerfeinsten Gold, das es überhaupt gab, gefüllt. Das nahm
die Königin mit; alles andere mußten sie in Worms zurück­
lassen.

1304 Die Macht des bösen Hagen schien ihr zu stark, um sich ihm zu
widersetzen. Sie besaß noch etwa tausend Mark an Gold für
Opfergaben. Das spendete sie für das Seelenheil ihres lieben
Mannes. Rüdiger sah dies als ein Zeichen ihrer großen Treue.

1305 Dann fragte die Herrin Kriemhild: »Wo sind nun meine
Freunde, die um meinetwillen in der Fremde bei den Hunnen
leben und mit mir in Etzels Land reiten wollen? Sie sollen mein
Gold nehmen und davon Pferde und Gewänder kaufen.«

1306 Sogleich antwortete Markgraf Eckewart: »Da ich von Anfang an


zu eurem Gefolge gehört habe, so will ich euch stets treu blei­
ben und immer dienen, solange wir beide leben.« Das waren
die Worte des kühnen Kämpfers.

1307 »Ich will auch hundert von meinen Leuten mitnehmen, die ich
euch in Treue zum Dienst übergebe. Nur der Tod kann uns
trennen.« Kriemhild verneigte sich dankend für das, was ihr der
Held so freundlich anbot.

1308 Man brachte die Pferde, denn sie wollten abreisen. Da began­
nen die Verwandten und Freunde sehr zu weinen. Die edle Frau
Ute und viele schöne Mädchen zeigten, wie leid es ihnen tat,
sich von der Königin zu trennen.
422 2 0 . AV EN TIURE

1309 Hundert schoener mägede diu frowe mit ir nam,


die wurden so gechleidet, als in daz wol gezam.
uf ir vil liehten bouge die trähene vielen nider.
si gelebten vil der freude dort bi Ezelen sider.

1310 Ir brüeder chomen beide, Giselher und Gernot,


mit ir ingesinde, als in ir zuht gebot.
do wolden si beleiten ir liebe swester dan,
ouch fuorten si ir degene mit in wol tusint chüene man.

bu Do chom der snelle Gere und ouch Ortewin;


Rumolt der chuchenmeister da mite muose sin.
si schuofen die nahtselde der frowen uf den wegen.
Volker was ir marschalch, der solde ir herberge pflegen.

1312 Nach chussen michel weinen wart da vil vemomen,


e daz si von der burge ze velde waern chomen.
uz riten unde giengen, die sis niene gebat.
do reit der chunic Gunther mit ir ein wenich für die stat.

1313 E si von huse füeren, si heten für gesant


ir boten harte snelle in der Hunin lant,
die dem chunige sageten, daz im Rüedeger
ze wibe hete gewunnen die edeln chuniginne her.

1314 Di boten strichen sere, in was der reise not


durch die grozen ere und durch richiu potenbrot.
do si ze lande waren mit den maeren chomen,
do het der chunic Ezele nie so liebes niht vemomen.

bis Durch disiu lieben maere hiez der chunich gebn


den boten solhe gäbe, daz si wol mohten lebn
mit freuden immer mere dar nach unze an ir tot.
mit liebe was verswunden des chuniges chumber unde not.
ETZELS W ERBU NG UM KRIEM H ILD 423

1309 Hundert schöne Mädchen nahm die Herrin mit, die so einge­
kleidet wurden, wie es sich ziemte. Auf ihre glänzenden Hals­
ketten fielen Tränen herab. Doch später erlebten sie bei Etzel
große Freude.

1310 Kriemhilds Brüder Giselher und Gernot kamen beide mit


ihrem Gefolge, wie es ihr höfischer Anstand gebot. Sie wollten
ihrer lieben Schwester Geleit geben und hatten etwa tausend
tapfere Männer aus den Reihen ihrer Kämpfer bei sich.

1311 Auch der gewandte Gere und Ortwin kamen; Rumold, der
Küchenmeister, war ebenfalls dabei. Sie kümmerten sich unter­
wegs um das Nachdager der Herrin. Volker war ihr Marschall,
der sollte sie in der Herberge betreuen.

1312 Nach den Abschiedsküssen folgten eine Menge Tränen, ehe sie
von der Burg auf das Feld gelangten. Viele waren herausgekom­
men, obwohl Kriemhild sie nicht darum gebeten hatte. Auch
König Gunther ritt mit ihr noch ein Stück vor die Stadt.

1313 Bevor sie von zu Hause wegzogen, schickten sie ihre schnellen
Boten ins Hunnenland voraus, die dem König melden sollten,
daß Rüdiger die edle, erhabene Königin für ihn zur Gemahlin
geworben hatte.

1314 Die Boten eilten sehr, denn die Reise war für sie überaus wich­
tig wegen der erhofften Ehre und wegen des zu erwartenden
reichen Lohns. Als sie mit ihrer Nachricht im Land eintrafen,
war König Etzel von Freude überwältigt.

1315 Um dieser frohen Kunde willen ließ der König den Boten Ge­
schenke überreichen, daß sie davon angenehm bis an ihren Tod
leben konnten. Des Königs Kummer und Bedrängnis waren in
Freude verwandelt.
21. A V E N T IU R E
A V EN T IU R E W IE C H R I E M H I L T VON W O R M Z E S C H IE T ,
DO SI G E IN D E N H Ü N E N F U O R

1316 Die boten lazen riten, und tuon iu daz erchant,


wie diu kuniginne fuore durch daz lant,
oder wa von ir cherten ir brüeder beide wider,
si heten ir so gedienet, daz sis in muose danchen sider.

1317 Urloubes von ir gerte do vil manic degen.


si muosin sich ze Vergen der reise hine bewegen,
do si wider wolden riten an den Rin.
done mohtez ane weinen von lieben friunden niht gesin.

bis Giselher der snelle sprach zer swester sin:


»swenne daz du, frowe, bedürfen wellest min,
ob dir iht gewerre, daz tuo mir bêchant;
so rite ich dir ze dienste in daz Ezelen lant.«

1319 Die ir sippe waren, die chustes an den munt.


vil minneklichez scheiden chos man an der stunt
die snellen Burgonden von Rüedegeres man.
do fuort diu kuniginne manige magt wolgetan.

1320 Hundert unde viere, die truogen pfawen chleit


von genagelten riehen pfellen; vil der Schilde breit
man fuorte bi den frowen nahen uf den wegn.
do nam ouch urloup Volker, der vil zierliche degn.
21. A V EN T IU R E
W IE K R IE M H IL D VON W O RM S A B S C H IE D N A H M
U N D ZU D E N H U N N E N REISTE

016 Kümmern wir uns nicht weiter um die Boten, wir wollen euch
berichten, wie die Königin durch das Land reiste und wo ihre
beiden Brüder wieder umkehrten. Sie hatten sich ihr so dienst­
bereit gezeigt, daß sie ihnen später noch dafür dankbar war.

1317 Viele Kämpfer nahmen Abschied von ihr. In Pförring an der


Donau mußten sie umkehren, da sie nun an den Rhein
zurückreiten wollten. Ohne Weinen war die Trennung von den
lieben Verwandten nicht denkbar.

1318 Der tapfere Giselher sagte zu seiner Schwester: »Herrin, wann


immer du mich brauchst, falls dich etwas bedrängt, gib mir
Bescheid; dann reite ich zu deiner Hilfe in Etzels Land.«

1319 Sie küßte ihre Verwandten auf den Mund. Auch die stattlichen
Burgunden und Rüdigers Leute sah man in diesem Augenblick
liebevoll voneinander Abschied nehmen. Die Königin hatte
viele schöne Mädchen in ihrem Gefolge.

1320 Es waren hundertundvier, und sie trugen Kleider aus kostbaren


Stoffen mit Pfauenmuster; viele breite Schilde wurden dicht ne­
ben den Damen auf dem Weg mitgeführt. Dann verabschiedete
sich auch Volker, der herrliche Kämpfer.
426 21. AVEN TIURE

1321 Do si uber Tuonowe chomen in Beyerlant,


do wurden disiu maere witen bêchant,
daz zen Hunin fiiere Chriemhilt diu kunigin.
des freut sich ir oeheim, ein bischof, der hiez Pilgerin.

1322 In der stat ze Pazzowe was er bisschof.


die herberge wurden laere und ouch des fürsten hof,
si ilten gegen den gesten uf in Bayerlant,
da der bisscof Pilgerin die schoenen Chriemhilde vant.

1323 Sinem ingesinde was daz niht ze leit,


daz si ir volgen sahen so manige schoene meit.
da trute man mit ougen der edeln ritter chint.
vil riche herberge gap man den edeln gesten sint.

1324 Da ze Pledelingen schuof man in gemach,


daz volch man allenthalben zuo zin riten sach.
man gab in willechliche, des si bedürften da,
si namenz wol mit eren, als tet man sider anderswa.

1325 Diu frowe mit ir oeheim ze Pazzowe reit,


ez was den burgaeren darinne niht ze leit,
daz dar chomen solde des fürsten swesterchint.
si wart vil wol enpfangen von den koufliuten sint.

1326 Daz si beliben solden, der bisscof hetes wan.


do sprach der marcgrave: »es enmac niht ergan.
wir müezin nider riten in der Hunin lant.
uns wartet vil der degene, wände ez in allen ist bêchant. «

1327 Disiu maere ouch wiste diu schoene Gotelint.


si bereite sich mit vlize gein ir frowen sint.
ir het enboten Rüedeger, daz in daz duhte guot,
daz si der kuniginne da mite tröste den muot,
KRIE M H ILD S REISE ZU ETZEL 427

1321 Als sie über die Donau nach Bayern kamen, wurde weithin
bekannt, daß die Königin Kriemhild zu den Hunnen reiste.
Darüber freute sich ihr Oheim, der Bischof Pilgrim.

1322 Er war Bischof in der Stadt Passau. Dort leerten sich die Her­
bergen und auch der Hof des Fürsten, weil alle in Bayern den
Gästen dorthin entgegeneilten, wo Bischof Pilgrim die schöne
Kriemhild traf.

1323 Sein Gefolge freute sich, daß Kriemhild so viele schöne Mäd­
chen bei sich hatte. Liebevolle Blicke ließ man über die Töchter
der edlen Ritter schweifen. Danach gab man den Gästen bestens
ausgestattete Unterkünfte.

1324 In Plattling sorgte man für ihre Bequemlichkeit. Das Volk ritt
ihnen von überall entgegen. Gern bot man ihnen, was sie
benötigten, und sie nahmen es in Ehren entgegen, wie es später
auch woanders geschah.

1325 Die Herrin ritt neben ihrem Oheim nach Passau. Die Bürger in
der Stadt freuten sich, daß die Nichte des Fürsten kommen
sollte. Sie wurde dann auch von den Kaufleuten wohlwollend
empfangen.

1326 Der Bischof hoffte, daß sie länger bleiben würden. Doch der
Markgraf sagte: »Das ist nicht möglich. Wir müssen ins Hun­
nenland weiterreiten. Uns erwarten viele Kämpfer, denn unsere
Ankunft ist ihnen angekündigt worden.«

1327 Die Nachricht hatte auch die schöne Gotelind erreicht. Sie be­
reitete sich eilig darauf vor, ihre Herrin zu empfangen. Rüdiger
hatte sie wissen lassen, er hielte es für gut, wenn sie der Königin
dadurch eine Freude machte,
428 21. AV EN TIURE

1328 Daz si ir rite engegene mit den sinen man


uf zuo der Ense, do daz wart getan,
do sah man allenthalben vil unmuoze pflegn;
durch der geste liebe si muosin ruowe sich bewegn.

1329 Si was der naehsten nahte ze Everdingen chomen.


gnuoge uz Bayerlande, solden si han genomen
den roup uf der straze nach ir gewonheit,
so heten si den gesten erboten eteslichiu leit.

1330 Daz hete wol behüetet der edel Rüedeger.


er fuorte tusint ritter unde dannoch mer.
do was ouch chomen Gotelint, des marcgraven wip,
mit ir hior herrenliche vil maniges chüenen recken lip.

1331 Do si über die Troune chomen bi Ense uf daz velt,


do sah man uf gespannen hütten und gezelt,
da die geste solden die nahtselde han.
von Rüedegeres friunden wart in dienste vil getan.

1332 Gotelint diu schoene die herberge lie


hinder ir beliben. uf den wegn gie
mit chlingenden zöumen die moere wolgetan.
der antfanch wart vil schoene, liep was iz Rüedegere, ir man.

1333 Di in ze beden siten chomen uf den wegen,


die riten vroliche. der was vil manic degen;
si pflagen ritterschefte, daz sach vil manic meit.
ouch was der helede dienest den schoenen frowen niht ze leit.

1334 Do zuo den gesten chomen die Rüedegeres man,


vil der trunzune sach man ze berge gan
von den recken handen mit ritterlichen siten.
da wart wol ze prise vor den frowen geriten.
KRIE M H ILD S REISE ZU ETZEL 429

1328 daß sie ihr mit seinen Leuten bis zur Enns entgegenritte. So
geschah es, und man sah überall viel unruhiges Treiben; um der
Gäste willen mußten sie sich auf den Weg machen.

1329 Zur nächsten Nacht war sie bis Eferding gekommen. Wenn viele
aus Bayern ihrer Gewohnheit nach Straßenraub begangen
hätten, so wäre den Gästen viel Leid zugefügt worden.

1330 Das aber hatte der edle Rüdiger verhindert. Er führte tausend
Ritter und mehr mit sich. Dann war auch Gotelind, die Frau
des Markgrafen, angekommen, ebenfalls von vielen tapferen
Recken begleitet.

1331 Als sie über die Traun auf das Feld an der Enns gekommen
waren, sah man Hütten und Zelte aufgeschlagen, wo die Gäste
zur Nacht ruhen sollten. Rüdigers Freunde dienten ihnen in je­
der Hinsicht.

1332 Die schöne Gotelind verließ ihre Herberge. Mit klingendem


Zaumzeug zogen die stattlichen Pferde die Straße entlang. Es
wurde ein schöner Empfang, was Rüdiger, ihren Mann, sehr
freute.

1333 Die ihnen auf dem Weg von beiden Seiten entgegenkamen, rit­
ten in fröhlicher Stimmung. Groß war die Zahl der Kämpfer;
sie führten Ritterspiele vor, denen viele Mädchen zuschauten.
Überhaupt war den schönen Damen der Dienst der Helden
alles andere als unangenehm.

1334 Als Rüdigers Leute mit den Gästen zusammentrafen, sah man
nach ritterlichem Brauch eine Menge Speere aus den Händen
der Recken in die Höhe fliegen. Sie ritten kunstvoll vor den
Damen, um deren Lob zu erringen.
430 21. AVEN TIURE

1335 Daz liezen si beliben, do gruozte manic man


vil guotlich ein ander, do fuorten si von dan
die schoenen Gotelinde, da si Chriemhilde sach.
die frowen dienen chunden, die muosin liden ungemach.

1336 Der voget von Bechelaren zuo sime wibe reit,


der edelen marcgravinne was daz niht ze leit,
daz er so wol gesunder was von Rine chomen.
ja was ir vil ir sorgen mit grozen vreuden benomen.

1337 Do si in het enpfangen, er si hiez uf daz gras


erbeizen mit den frowen, swaz ir da mit ir was.
mit dienste was unmüezich da vil manic man,
der wart den schoenen frowen mit grozem vlize getan.

1338 Do sach diu kuniginne hie Gotelinde sten


mit ir ingesinde. si lie niht naher gen,
daz pferit mit dem zoume zucken si began,
si bat sich heben balde nider von dem satel dan.

1339 Den bisscof sach man wisen siner swester chint,


in und Eckewarten, zuo Gotelinde sint.
da wart vil michel wichen an der selben stunt,
do chuste diu eilende an der marcgravinne munt.

1340 Do sprach vil minnekliche daz Rüedegeres wip:


»nu wol mich, liebiu frowe, deich iwern schoenen lip
han in disen landen mit ffeuden hie gesehen.
mir enchunde in disen eiten nimmer lieber geschehen.«

1341 »Nu Ion iu got«, sprach Chriemhilt, »vil edel Gotelint.


soi ich gesunt beliben und Botelunges chint,
ez mag iu chomen ze liebe, daz ir mich habt gesehn.«
in beiden was unchunde, daz sider muose geschehn.
KRIE M H ILD S REISE ZU ETZEL 431

1335 Nachdem sie damit aufgehört hatten, grüßten viele Männer


einander sehr freundlich. Dann führten sie die schöne Gotelind
dorthin, wo sie Kriemhild treffen konnte. Wer den Damen zu
dienen verstand, mußte einige Mühe auf sich nehmen.

1336 Der Herr von Bechelarn ritt zu seiner Frau. Die edle Markgräfin
war glücklich, daß er unversehrt vom Rhein zurückgekehrt war.
Ja, ihre vielen Sorgen waren in große Freude verwandelt.

1337 Als sie ihn begrüßt hatte, ließ er sie zusammen mit den Damen,
die sie begleiteten, vom Pferd auf den grünen Rasen absteigen.
So mancher Mann bemühte sich mit großem Eifer um die
schönen Damen.

1338 Die Königin sah Gotelind mit ihrem Gefolge in der Nähe
stehen. Sie ritt nicht näher heran, sondern hielt das Pferd mit
dem Zügel an und bat, man möge sie sogleich aus dem Sattel
heben.

1339 Der Bischof führte zusammen mit Eckewart seine Nichte zu


Gotelind. Sofort traten viele aus dem Weg, und die Fremde
küßte die Markgräfin auf den Mund.

1340 Rüdigers Frau sagte liebenswürdig: »Ich bin glücklich, liebe


Herrin, euch in all eurer Schönheit hier im Land mit Freude se­
hen zu dürfen. Mir hätte in diesen Tagen nichts Angenehmeres
geschehen können.«

1341 »Gott lohne es euch, edle Gotelind«, antwortete Kriemhild.


»Wenn ich und Botelungs Sohn gesund bleiben, soll es euch
zugute kommen, daß ihr mich begrüßt habt.« Beide wußten
nicht, was später geschehen würde.
432 21. AV ENTIURE

1342 Mit zuhten zuo zein ander si sazen uf den chie,


die gerne frowen sahen, den was da niht ze we.
ir süeziu ougenweide braht in hohen muot,
den wiben sam den mannen, als ez noch vil dicke tuot.

1343 Man hiez den gesten schenchen, ez was wol mitter tac.
daz edel ingesinde da niht langer lac.
si riten, da si funden vil manige hütten breit,
da was den werden gesten vil groziu Wirtschaft bereit.

1344 Die naht si heten ruowe unz an den morgen ffuo.


die von Bechelaren bereiten sich dar zuo,
wie si behalten solden vil manigen werden gast.
wol het geschaffen Rüedeger, daz in vil wenich iht gebrast.

1345 Diu venster an den muren sah man offen stan,


diu guote Bechelaren diu was uf getan.
dar ine riten geste, die man vil gerne sach.
den het der wirt vil edele schaffen riehen gemach.

1346 Diu Rüedegeres tohter mit ir gesinde gie,


da si die kuniginne vil minneklich enpfie.
da bi was ouch ir muoter, des maregraven wip.
mit liebe wart gegrüezet vil maniger junefrowen lip.

1347 Si viengen sich bi henden unde giengen dan


in einen palas witen, der was vil wolgetan,
da diu Tuonowe unden hine vloz.
si sazen gegen dem lüfte und heten churcewile groz.

1348 Wes si nu mere pflaegen, des enchan ich nicht gesagen.


daz in so ubele zogete, daz horte man do chlagen
die Chriemhilde recken; wandez was in leit.
hey, waz guoter degene mit ir von Bechelaren reit!
KRIE M H ILD S REISE ZU ETZEL 433

1342 Mit höfischem Anstand saßen sie nebeneinander auf dem Klee.
Die Bewunderer der Damen hatten Freude daran. Ihr anmuti­
ger Anblick versetzte sie in gute Stimmung, und zwar Frauen
und Männer, wie es auch heute noch oft der Fall ist.

1343 Man ließ den Gästen Getränke einschenken; denn es war um


die Mittagszeit. Das edle Gefolge lagerte nicht länger. Sie ritten
zu den vielen großen Zelten. Dort stand für die vornehmen
Gäste ein reichliches Festmahl bereit.

1344 Die Nacht über ruhten sie bis zum frühen Morgen. Die Leute
aus Bechelarn hatten sich darauf vorbereitet, die vielen vorneh­
men Gäste zu beherbergen. Rüdiger sorgte dafür, daß es ihnen
an nichts fehlte.

1345 Die Fenster in den Mauern waren geöffnet, und die Tore der
schönen Burg Bechelarn standen offen. Dort ritten die Gäste,
die man herzlich willkommen hieß, hinein. Der edle Hofherr
hatte alles zu ihrer großen Bequemlichkeit hergerichtet.

1346 Rüdigers Tochter kam mit ihrem Gefolge, die Königin liebens­
würdig zu empfangen. Auch ihre Mutter, die Frau des Mark­
grafen, war dabei. Freudig wurden die vielen jungen, adligen
Damen begrüßt.

1347 Sie faßten sich bei der Hand und gingen dann in einen weit­
räumigen Palas, der sehr schön gebaut war; unter ihm floß die
Donau dahin. Sie hatten dort Platz genommen, wo die Luft
hereinwehte, und unterhielten sich bestens.

1348 Was sie außerdem taten, das weiß ich nicht. Kriemhilds Recken
hörte man allerdings darüber klagen, daß sich die Reise für sie
unangenehm in die Länge zog; denn das paßte ihnen nicht.
Ach, wie viele gute Kämpfer ritten mit Kriemhild aus Bechelarn
fort.
434 21. AVENTIURE

1349 Vil minneklichen dienest der marcgrave in bot.


do gab diu kuniginne zwelf pouge rot
der Gotlinde tohter und also guot gewant,
daz si niht bezzers brahte in daz Ezelen lant.

1350 Swie ir genomen waere der Nibelunge golt,


alle die si gesahen, die machte si ir holt
noch mit dem chleinem guote, daz si da mohte han.
des wirtes ingesinde wart michel gäbe getan.

1351 Da widere bot do ere diu frowe Gotelint


den gesten von dem Rine so minnekliche sint,
daz man do der fremden harte wenich vant,
sine truogen ir gesteine oder ir vil herlich gewant.

1352 Do si enbizzen waren und daz si solden dan,


von der husfrowen wart geboten an
getriwelicher dienest daz Ezelen wip.
do wart ouch vil getrutet der schoenen juncfrowen lip.

1353 Si sprach zer kuniginne: »swenne iuch nu dunchet guot,


ich weiz wol, daz iz gerne min lieber vater tuot,
daz er mich zuo ziu sendet in der Hunin lant.«
daz si ir getriwe waere, vil wol daz Chriemhilt ervant.

1354 Diu ros bereitet waren für Bechelaren chomen.


ouch het diu kuniginne urloup nu genomen
von Rüedegeres wibe und von der tohter sin.
do schiet ouch sich mit gruoze vil manic schoene magedin.

1355 Ein ander si vil selten gesahen nach den tagen,


uzer Medeliche uf handen wart getragen
manie goltvaz riche, dar inne braht man win
den gesten uf die straze, und bat si willechomen sin.
K R IE M H ILD S REISE ZU ETZEL 435

1349 Der Markgraf bot ihnen liebenswürdig seine Dienste an. Die
Königin schenkte Gotelinds Tochter zwölf rotgoldene Armreife
und das beste Kleid, das sie auf die Reise in Etzels Land mit­
genommen hatte.

1350 Zwar war ihr das Nibelungengold geraubt, doch mit dem weni­
gen, was sie besaß, erwarb sie sich die Zuneigung aller, die ihr
begegneten. Das Gefolge des Hofherrn wurde reich beschenkt.

1351 Als Gegengabe überreichte dann Frau Gotelind den Gästen


vom Rhein liebenswürdig ehrenvolle Geschenke, so daß man
kaum einen Fremden traf, der nicht von ihr Edelsteine oder ein
prächtiges Gewand bekommen hatte.

1352 Als sie gegessen hatten und abreisen wollten, bot die Hausher­
rin der Gemahlin Etzels ihren treuen Dienst an. Schließlich
wurde auch Gotelinds schöne junge Tochter zärtlich umarmt.

1353 Sie sagte zu der Königin: »Wenn es euch recht ist, wird mich
mein lieber Vater gerne, das weiß ich wohl, eines Tages zu euch
ins Hunnenland schicken.« Kriemhild erkannte deutlich, daß
das Mädchen sie wirklich gern hatte.

1354 Die Pferde standen vor der Burg Bechelarn bereit. Die Königin
hatte sich von Rüdigers Frau und deren Tochter verabschiedet.
Auch viele schöne Mädchen trennten sich mit einem Gruß.

1355 Nach diesen Tagen haben sie sich nie wiedergesehen. Aus Melk,
der nächsten Reisestation, wurden viele kostbare Goldgefäße
mit Wein zu den Gästen auf die Straße gebracht, um sie will­
kommen zu heißen.
436 21. AVENTIURE

1356 Ein wirt was da gesezzen, Astolt was der nant,


der wiste si die straze nider in Osterlant
gegen Mutaren die Tuonowe nider.
da wart vil wol gedienet der riehen kuniginne sider.

1357 Der bisschof minnekliche von siner nifteln schiet.


daz si den kunic becherte, wie vast er ir daz riet,
und daz si ir ere choufte sam Hèlche het getan,
hey, waz si grozer eren sit da zen Hunin gewan!

1358 Zuo der Treysem brahte man die geste dan.


ir pflagen vlizzekliche die Rüedegeres man,
unze daz die Hunin riten über lant.
do wart der chuniginne vil michel ere bêchant.

1359 Bi der Treysem hete der kunic von Hunin lant


eine burch vil riche, diu was wol bêchant,
geheizen Treysenmoure. frou Helche saz da e
und pflach so grozer tugende, deiz waetlich nimmer mer erge,

1360 Ezen taete danne Chriemhilt, diu also chunde gebn.


si mohte nach ir leide daz liep vil wol gelebn.
daz ir jahen ere die Ezelen man,
der si sit grozen vollen bi den helden gewan.

1361 Diu Ezelen herschaft was so wit erchant,


daz man zallen citen in sime hofe vant
die aller besten recken, von den ie wart vernomen
under kristen und under heiden. die waren gein der brute chomen.

1362 Bi im was zallen citen, daz waetlich mer erge,


kristenlicher orden und ouch der heiden e.
in swie getanem lebene sich ieslicher truoc,
daz schuof des kuniges milte, daz man allen gap genuoc.
KRIEM H ILD S REISE ZU ETZEL 437

1356 Dort wohnte ein Burgherr, der Astolt hieß. Er zeigte ihnen
weiter den Weg durch Österreich donauabwärts Richtung
Mautern. Der mächtigen Königin wurden da später viele
Dienste geleistet.

1357 Der Bischof verabschiedete sich liebevoll von seiner Nichte. In­
ständig ermahnte er sie, den König zu bekehren und durch
Freigebigkeit Ehre zu gewinnen, wie Helche es getan hatte. Ach,
welch großes Ansehen erwarb sie später bei den Hunnen!

1358 Man brachte die Gäste zur Traisen. Rüdigers Leute kümmerten
sich eifrig um Kriemhild, bis sie auf die entgegenreitenden
Hunnen trafen. Da wurde der Königin große Ehre erwiesen.

1359 An der Traisen besaß der König des Hunnenlandes eine mäch­
tige, weithin bekannte Burg mit Namen Traismauer. Dort hatte
Frau Helche früher in höfischer Vollkommenheit residiert, die
kaum jemals zu übertreffen war,

1360 es sei denn durch Kriemhild, die ebenso verstand, Geschenke


zu verteilen. Nach ihrem Leid tat ihr die Freude sehr gut. Die
Ehrerbietung, die ihr Etzels Leute entgegenbrachten, steigerte
sich später bei den Helden noch viel mehr.

1361 Etzels Herrschaft war weithin so anerkannt, daß sich an seinem


Hof stets die besten Helden versammelten, von denen man
unter Christen und Heiden gehört hatte. Sie waren nun der
Braut entgegengekommen.

1362 Bei Etzel lebten ständig, was wahrscheinlich nie wieder möglich
sein wird, Christen und Heiden beieinander. Ganz gleich zu
welchem Glauben sich jemand bekannte, der König war so frei­
gebig, daß er allen genug gab.
2 2 . A V EN T IU R E
A V EN T IU R E W IE C H R I E M H I L T U N D EZELE B R U T E N
IN D ER STAT ZE W I E N N E

1363 Si was ze Treysenmoure unz an den vierden tac.


diu moite uf der straze die wile nie gelac,
sine stube, sam iz brunne, allenthalben dan.
da riten durch Osterriche des kunic Ezelen man.

1364 Do waren ouch dem kunige diu maere nu geseit.


des im von gedanchen swunden siniu leit,
wie herrenlichen Chriemhilt da chôme durch diu lant.
er begunde vaste gahen, da er die minneklichen vant.

1365 Von vil maniger spräche sah man uf den wegen


vor Ezelen riten vil manigen chüenen degen,
kristen unde heiden, vil manic witiu schar.
da si ir frowen funden, si fuoren vrolichen dar.

1366 Von Ruzzen und von Chriechen reit da vil manic man.
Polanen unde Vlachen den sah man ebene gan
ir pferit und ros diu guoten, da si mit chreftin riten.
swaz si site habeten, der wart vil wenich iht vermiten.

1367 Von dem lande uz Chyewen reit ouch da manic man


und die wilden Pescenaere; da wart des vil getan,
mit den bogen schiezen zen vogelen, die da flugen.
ir ptile si vil sere mit chraft unz an die wende zugen.
2 2 . A V EN T IU R E
W IE K R IE M H IL D U N D ETZEL IN W IE N
H O C H Z E I T H IE L T E N

1363 Kriemhild blieb bis zum vierten Tag in Traismauer. Der Staub
auf der Straße legte sich in dieser Zeit nicht, er wirbelte auf, als
ob es überall brannte. So ritten König Etzels Leute durch Öster­
reich.

1364 Inzwischen hatte auch der König die Nachricht erhalten. Bei
dem Gedanken, wie herrlich Kriemhild zu ihm durch das Land
reiste, verschwand sein Leid. Er machte sich eilig auf, um die
liebenswerte Frau zu treffen.

1365 Viele kühne Kämpfer mit unterschiedlichen Muttersprachen


sah man auf dem Weg vor Etzel reiten, Christen und Heiden,
eine riesige Schar. Sie zogen fröhlich dorthin, wo sie ihrer Her­
rin begegneten.

1366 Eine Menge Leute aus Rußland und Griechenland zog mit.
Auch Polen und Walachen ritten kraftvoll heran, ihre edlen
Pferde gingen dabei in gleichmäßigem Schritt. Sie verhielten
sich ganz ihrem Brauch gemäß.

1367 Aus dem Land von Kiew ritten ebenfalls viele herbei und die
wilden Petschenegen; sie schossen immer wieder mit dem
Bogen auf vorbeifliegende Vögel. Mit aller Kraft zogen sie die
Pfeile in der Sehne bis zum Äußersten zurück.
440 22. AVENTI URE

1368 Ein stat bi Tuonowe lit in Osterlant,


diu ist geheizen Tulme; da wart ir sit bêchant
vil manic site vremde, den si nie da vor gesach.
si enpfiengen da genuoge, den leide sit von ir geschach.

1369 Vor Ezele dem riehen ein gesinde reit


vro in hohem muote, hobesch und ouch gemeit,
wol vier und zweinzech fürsten, rich unde her,
daz si ir frowen sehen, da von negerten si niht mer.

1370 Der herzoge Ramunch uzer Vlachen lant


mit sibenhundert mannen chom er fur si gerant.
sam die wilden vögele so sah man si varn.
do chôme der fürste Gibeche mit vil herlichen scharn.

1371 Hornboge der snelle wol mit tusint man


kerte vonme kunige gein siner frowen dan.
vil lute wart geschallet nach des landes siten.
von den Hunin magen wart ouch da sere geriten.

1372 Do chom von Tenemarche der chüene Hawart


und Irinch der starche, vor valsche wol bewart,
und Irnfrit von Duringen, ein fürste lobesam.
die enpfiengen Chriemhilde, als ez ir eren wol gezam,

1373 Mit zwelf hundert mannen, die hetens in ir schar,


ouch chom der herre Bloedelin mit tusint helden dar,
der Ezelen bruoder, uz der Hunin lant.
der ilte mit den sinen, da er die kuniginne vant.

1374 Do chom der kunic Ezele und ouch herre Dietrich


mit allen sinen degenen. da was vil lobelich
manic ritter edele, biderb unde guot.
des wart der chuniginne ein teil gesenftet der muot.
DIE H O C H Z E IT IN W IEN 441

1368 Es liegt in Österreich eine Stadt an der Donau, die heißt Tulln;
dort lernte Kriemhild allerhand fremde Bräuche kennen, die sie
vorher noch nie gesehen hatte. Viele begrüßten sie da, denen
sie später Leid zufügte.

1369 Vor dem mächtigen Etzel ritt das Gefolge in bester Stimmung,
höfisch und vergnügt, es waren etwa vierundzwanzig mächtige,
vornehme Fürsten, die keinen anderen Wunsch hatten, als ihre
Herrin zu sehen.

1370 Der Herzog Ramung aus dem Land der Walachen eilte mit sie­
benhundert Leuten herbei. Wie wilde Vögel sah man sie heran­
ziehen. Dann kam der Fürst Gibeche mit prächtigen Scharen.

1371 Der tapfere Hornboge entfernte sich mit tausend Leuten vom
König und ritt seiner Herrin entgegen. Der Landessitte entspre­
chend erhob sich ein lautes Getöse. Die Verwandten der Hun­
nen ritten besonders schnell.

1372 Es folgten der kühne Hawart aus Dänemark und der starke,
aufrichtige Iring sowie Irnffied von Thüringen, ein rühmens­
werter Fürst. Sie begrüßten Kriemhild, wie es ihnen ihre Ehre
gebot,

1373 mit zwölfhundert Männern, die zu ihrer Schar gehörten.


Außerdem ritt Herr Blödel, Etzels Bruder, mit tausend Helden
aus dem Hunnenland heran. Er eilte mit den Seinen dorthin,
wo er die Königin traf.

1374 Dann kamen König Etzel und auch Herr Dietrich mit allen sei­
nen Kämpfern. Viele rühmenswerte, edle, tüchtige und zuver­
lässige Ritter versammelten sich. Der Anblick erheiterte den
Sinn der Königin ein wenig.
442 22. AV EN TIURE

1375 Do sprach von Bechelaren der herre Rüedeger:


»frowe, iuch wil enpfahen hie der kunic her.
swen ich iu rate chussen, daz soi sin getan;
jane mugt ir niht geliche grüezen alle skuniges man.«

1376 Do huop man von dem moere die kuniginne her.


Ezele der riche enbeite ouch do niht mer.
er stuont von sinem rosse mit manigem chüenen man,
man sah in vroliche gein Chriemhilde gan.

1377 Zwen fürsten riche, als uns daz ist geseit,


bi der frowen giengen und habten ir diu kleit,
do ir der kunic Ezele hin begegene gie,
da si den fürsten edele mit chusse guotlich enpfie.

1378 Uf rihte si ir gebende, ir varwe wolgetan


diu luhte ir uzem golde. da stuont vil manic man,
die jähen, daz frou Helche niht schoener chunde sin.
da bi stuont vil nahen des wirtes bruoder Bloedelin.

1379 Den hiez si chussen Rüedeger, der marcgrave rieh,


unt den kunic Gibechen. da stuont ouch her Dietrich;
der recken chuste zwelfe daz Ezelen wip.
do enpfie si sus mit gruoze vil maniges chüenen recken lip.

1380 In der selben wile und Ezele bi ir stuont,


do gebarten da die tumben, so noch die Hute tuont:
vil manigen puneyz langen sah man da geriten,
daz taten kristen degene und ouch die heiden nach ir siten.

1381 Wie rehte hurteklichen die Dietriches man


die schefte liezen vliegen mit trunzunen dan
vil hohe über Schilde von guoter ritter hant!
die si da gerne sahen, die wurden schiere bêchant.
DIE H O C H Z E IT IN W IEN 443

1375 Da sagte der Markgraf Rüdiger von Bechelarn: »Herrin, der er­
habene König will euch hier empfangen. Ihr solltet nur diejeni­
gen küssen, bei denen ich euch dazu auffordere; denn ihr könnt
ja nicht alle Leute des Königs in gleicher Weise begrüßen.«

1376 Man hob die vornehme Königin vom Pferd. Der mächtige Etzel
wartete nun auch nicht länger. Er stieg mit vielen kühnen Män­
nern vom Sattel, und man sah ihn frohgestimmt auf Kriemhild
zugehen.

1377 Zwei mächtige Fürsten schritten, so haben wir erzählen hören,


hinter der Herrin und trugen ihre Schleppe, als ihr König Etzel
entgegenkam und sie den edlen Herrscher mit einem Kuß
freundlich begrüßte.

1378 Sie rückte ihren Kopfputz höher, ihre anmutige Gesichtsfarbe


leuchtete aus dem Gold hervor. Viele Männer standen dabei,
die sagten, daß Frau Helche nicht schöner gewesen sein konnte.
Ganz in der Nähe stand auch Blödel, der Bruder des Königs.

1379 Ihn küßte sie auf Rüdigers, des mächtigen Markgrafen, Geheiß
und ebenso König Gibeche. Außerdem stand dort Herr Diet­
rich; von seinen Recken küßte Etzels Frau zwölf. Viele andere
kühne Helden empfing sie mit einem einfachen Gruß.

1380 Während Etzel neben ihr stand, vertrieben sich die Knappen
die Zeit, wie sie es auch heute noch tun: Sie beschäftigten sich
mit allerlei ritterlichen Spielen, wobei christliche Kämpfer und
Heiden jeweils ihrem eigenen Brauch folgten.

1381 Wie schnell ließen Dietrichs Männer ihre Lanzen fliegen, so


daß Splitter von der Hand tüchtiger Ritter hoch über die
Schilde aufwirbelten! Bald stellte sich heraus, wer ihnen gerne
zusah.
444 2 2 . AV ENTIURE

1382 Da wart von schefte brechen vil michel chrach vernomen.


do waren von dem lande die recken alle chomen
und ouch des chuniges geste, vil manic edel man.
do gie der kunic riche mit der kuniginne dan.

1383 Si sahen bi in stende ein vil herlich gezelt.


von hütten was erfüllet alumbe gar daz velt,
da si under solden ruowen nach ir arebeit.
von helden wart gewiset vil manic waetlichiu meit

1384 Mit Chriemhilde dannen, da si sit gesaz


uf riche gesidele. der marcgrave daz
hete so geschaffen, daz man ez vant vil guot.
do stuont dem kunige Ezelen harte hohe der muot.

1385 Waz si zesamne redeten, daz ist mir unbechant,


wan zwisschen sinen handen was ir wiziu hant.
si gesazen minnekliche, da Rüedeger der degen,
den kunic niht lazen wolde der frowen heinliche pflegen.

1386 Do hiez man lan beliben den buhurt über al.


mit eren wart verendet da der groze schal,
do giengen zuo den hütten die Ezelen man,
man gab in herberge vil witen allenthalben dan.

1387 Den abent zuo der nahte si heten guot gemach,


unz man den liehten morgen aber schinen sach.
do was gesatelet Ezelen und allen sinen man.
vil maniger churcewile man im zen eren da began.

1388 Der chunic ez lobeliche die Hunin scafifen bat.


do riten si von Tulme ze Wiene zuo der stat,
da was vil wol gezieret vil maniger frowen lip,
si enpfiengen wol mit eren des kunic Ezelen wip.
DIE H O C H Z E IT IN W IEN 445

1382 Vom Zerbrechen der Lanzen hörte man großen Lärm. Aus dem
Land waren alle Recken mitgekommen und auch die Gäste des
Königs, insgesamt eine große Schar edler Männer. Dann ging
der mächtige König mit der Königin fort.

1383 Sie erblickten neben sich ein äußerst prächtiges Zelt. Ringsum
standen überall kleine Zelte auf dem Feld, wo sie nach der
Anstrengung ruhen sollten. Viele schöne Mädchen wurden von
Helden

1384 zusammen mit Kriemhild dort hingeführt, wo sie später auf


einem kostbaren Sessel Platz nahm. Der Markgraf hatte für al­
les in einer Weise gesorgt, die jedermann zufrieden stellte. Auch
König Etzel war in äußerst freudiger Stimmung.

1385 Was sie miteinander redeten, das weiß ich nicht, nur daß ihre
weiße Hand zwischen seinen Händen lag, ist mir bekannt. Sie
saßen liebevoll nebeneinander, aber Rüdiger, der Kämpfer,
wollte nicht zulassen, daß sich der König der Dame noch ver­
traulicher näherte.

1386 Dann ließ man allerorten das Ritterspiel einstellen. Der große
Lärm nahm in Ehren ein Ende. Etzels Leute gingen zu den klei­
nen Zelten, und man beherbergte sie überall in der weiteren
Umgebung.

1387 Am Abend und in der Nacht ruhten sie bequem, bis man den
hellen Morgen aufleuchten sah. Da waren für Etzel und all seine
Leute die Pferde gesattelt. Ihm zu Ehren wurden viele Spiele
veranstaltet.

1388 Der König ermahnte die Hunnen, auf ihr höfisches Benehmen
zu achten. Dann ritten sie von Tulln weiter zur Stadt Wien, wo
eine Menge prächtig gekleideter Damen König Etzels Gemahlin
ehrenvoll empfing.
446 22. A V E N T IU R E

1389 Mit vil grozem vollen so was in bereit,


swaz si haben solden. vil manic heit gemeit
entrüsten riche sätele, die Ezelen man.
sich huop mit grozen eren des kuniges hochgeciten an.

1390 Sine mohten niht beliben ze Wiene in der stat.


die niht geste waren, Rüedeger die bat
von der burege dannen herbergen in daz lant.
ich waen, man alle eite bi frowen Chriemhilde vant

1391 Den herren Dietrichen und anders manigen degn.


si heten sich der ruowe mit arebeite bewegn,
durch daz si den gesten getrosten wol den muot.
der kunic mit sinen friunden hete churcewile guot.

1392 Diu hochgecite was gevallen an einen pfinxtach,


do der kunic Ezele bi Chriemhilt lach
in der stat ze Wiene. si, waen, so manigen man
bi ir ersten vriedel nie ze dienste gewan.

1393 Si chunte sich mit gäbe dem, der si nie gesach.


vil maniger darunder zuo den gesten sprach:
»wir wanden, daz frou Chriemhilt niht guotes mohte han,
nu ist hie michel wunder von ir gäbe getan.«

1394 Diu hochgecit do werte wol sibenzehn tage.


ob chunic ie deheiner, mit warheit oder nach sage,
deheine grozer gewunne, daz ist uns gar verdeit.
alle, di da waren, die truogen iteniwe chleit.

1395 Si, waen, in Niderlanden da vor nie gesaz


mit so manigem recken, da von geloube ich daz,
was Sivrit rieh des guotes, daz er doch nie gewan
so manigen recken edelen, als si zen Hunin mohte han.
DIE H O C H Z E IT IN W IEN 447

1389 In aller Fülle stand dort für sie bereit, was sie nur haben woll­
ten. Viele stattliche Helden, Etzels Leute, nahmen den Pferden
die prächtigen Sättel ab. Mit großem Prunk begann das Fest des
Königs.

1390 Nicht alle konnten in Wien Unterkommen. Rüdiger bat diejeni­


gen, die nicht fremd waren, außerhalb der Stadt auf dem Land
Herberge zu nehmen. Ich glaube, in Kriemhilds ständiger Be­
gleitung fand man

1391 den Herren Dietrich und viele andere Kämpfer. Sie hatten auf
jede Ruhe verzichtet und bemühten sich, die Gäste zu erheitern.
Für den König und seine Freunde gab es gute Unterhaltung.

1392 Das Fest, an dem sich König Etzel mit Kriemhild in der Stadt
Wien vermählte, war auf Pfingsten gefallen. Sie hatte, glaube
ich, bei ihrem ersten Geliebten nie so viele Leute zu ihren Dien­
sten gehabt.

1393 Mit Geschenken machte sie sich bei denen bekannt, die sie bis­
her nie gesehen hatten. Viele unter ihnen sagten zu den Gästen:
»Wir hatten angenommen, daß Frau Kriemhild nichts mehr be­
säße, doch nun erregt sie durch ihre Gaben großes Staunen.«

1394 Das Fest dauerte siebzehn Tage. Ob jemals ein König, in Wirk­
lichkeit oder der Sage nach, ein größeres feierte, das wissen wir
nicht. Alle, die daran teilnahmen, trugen ganz neue Kleider.

1395 Ich glaube, in Niederland hatte Kriemhild nicht im Kreis so vie­


ler Recken gesessen. Außerdem nehme ich an, daß Siegfried
trotz seines reichen Besitzes sich niemals mit so vielen Helden
umgeben hat, wie sie Kriemhild im Hunnenland zur Verfügung
standen.
448 22. AVENTIURE

1396 Ouch gab ir nie deheiner zuo sin selbes hochgezit


so manigen riehen mantel, lanch, tief und wit,
noch so richer chleider, der si vil mohten han,
so si durch Chriemhilde alle heten hie getan.

1397 Die chunden und die geste die heten einen muot,
daz si da niht sparten deheiner slahte guot;
swes ieman an si gerte, daz gaben si bereit.
des stuont da vil der degene von milte bloz ane chleit.

1398 Wie si ze Rine saeze, si gedaht an daz,


bi ir vil edelem manne; ir ougen wurden naz.
si hetes vaste haele, deiz iemen chunde sehen,
ir was nach manigem leide so vil der eren hie geschehen.

1399 Swaz iemen tet mit milte, daz was gar ein wint
unz an Dietrichen, swaz Botelunges chint
im gegebn hete, daz was gar verswant.
ouch tet da michel wunder des mitten Rüedegeres hant.

1400 Uzer Ungerlande der fürste Bloedelin


der hiez da machen laere vil manigiu leitschrin
von silber und von golde; daz wart gar hin gegebn.
man gesach nie kuniges degene so rehte vroliche lebn.

hoi Swämmel unde Wärbel, die Ezelen spileman,


ich waen, ir ieslicher zer hochgecite da gewan
wol ze tusint marchen oder dannoch baz,
da diu frowe Chriemhilt bi Ezelen under chronen saz.

1402 An dem ahtzehenden morgen von Wiene si do riten.


da wart in ritterschefte Schilde vil versniten
von spern, die da fuorten die recken an der hant.
sus chom der kunic Ezele mit freuden in der Hunin lant.
DIE H O C H Z E IT IN W IEN 449

1396 Auch verschenkte nie jemand auf seiner eigenen Hochzeit so


viele lange, weite Mäntel und so kostbare Kleider, von denen es
jede Menge gab, wie es hier alle um Kriemhilds willen taten.

1397 Die Einheimischen und die Fremden waren gleichermaßen


großzügig und hielten nichts von dem zurück, was sie besaßen.
Alles, was jemand haben wollte, das gaben sie bereitwillig.
Durch ihre Freigebigkeit standen schließlich viele Kämpfer bis
aufs Hemd entblößt da.

1398 Kriemhild dachte daran zurück, wie sie am Rhein neben ihrem
fürstlichen Mann geherrscht hatte; und ihre Augen wurden
feucht. Das verbarg sie so geschickt, daß es niemand sehen
konnte. Nach großem Leid wurde sie hier mit Ehren überhäuft.

1399 Wie freigebig jemand auch sein mochte, das war eine Kleinig­
keit im Vergleich zu Dietrich. Was er selbst von Botelungs Sohn
erhalten hatte, das verschenkte er nun alles wieder. Auch der
großzügige Rüdiger vollbrachte Bewundernswertes.

1400 Fürst Blödel aus Ungarn ließ aus zahlreichen Reisetruhen Silber
und Gold herausnehmen; das wurde alles verteilt. Nie zuvor
hatte man die Kämpfer eines Königs in solcher Freude gesehen.

moi Schwämmel und Wärbel, Etzels Spielleute, erhielten jeder,


glaube ich, etwa tausend Mark oder noch mehr auf dem Fest,
als Kriemhild neben Etzel die Krone trug.

1402 Am achtzehnten Morgen ritten sie aus Wien fort. Da wurden in


Ritterspielen zahlreiche Schilde von den Speeren durchbohrt,
welche die Recken in der Hand hielten. Auf diese Weise ge­
langte König Etzel voller Freude ins Land der Hunnen zurück.
450 22. AVEN TIURE

1403 Ze Heimburch der alten si waren uber naht,


done chunde niemen wizzen wol des volches aht,
mit wie getaner chrefte si riten durch daz lant.
hey, waz man schoener frowen in ir heymüete vant!

1404 Ze Misenburch der riehen da schiften si sich an.


daz wazzer wart verdecket von ross und ouch von man,
sam ez erde waere, swaz man sin ubersach.
die wegemüeden frowen heten senfte und ouch gemach.

1405 Zesamne was gebunden manie schif vil guot,


daz in niht schaden chunde die ünden noch diu fluot.
dar über was gespannen vil manic guot gezelt,
sam ob si noch heten bediu lant unde velt.

1406 Ze Ezelen burge diu maere chomen dan,


do freuten sich dar inne wibe unde man.
daz Helchen ingesinde, des e diu frowe pflach,
gelebte bi Chriemhilde sit manigen froelichen tach.

1407 Do stuont in lieber warte vil manic edel meit,


die von Helchen tode heten manigiu leit.
siben chunige tohter Chriemhilt noch da vant,
von den was wol gezieret allez Ezelen lant.

1408 Diu junefrowe Herrat noch des gesindes pflac,


diu Helchen swestertohter, an der vil tugende lac.
diu gemahle Dietriches, eins riehen chuniges chint,
diu tohter Näntwines, diu hete vil der eren sint.

1409 Von der geste chunfte so tröste sich ir muot.


ouch was dar zuo bereitet vil chreftechlichez guot.
wer chunde iu daz bescheiden, wie sit der kunic saz?
sine gelebten da zen Hunin mit deheiner chuniginne baz.
DIE H O C H Z E IT IN W IEN 451

1403 Sie übernachteten in der alten Stadt Hainburg. Niemand


konnte die Menge des Volkes schätzen und wissen, mit welcher
Stärke sie durch das Land ritten. O, welch schöne Frauen gab es
in ihrer Heimat!

1404 In der prächtigen Stadt Meisenburg schifften sie sich ein. Der
Fluß war, soweit man sehen konnte, von Pferden und Männern
dicht besetzt, als ob es Land wäre. Die von der Reise ermüdeten
Damen fanden nun Ruhe und Bequemlichkeit.

1405 Viele taugliche Schiffe waren miteinander verbunden, so daß


die Wellen und die Strömung sie nicht beschädigen konnten.
Darauf waren zahlreiche Zelte aufgeschlagen, als befänden sich
die Reisenden noch auf dem Land oder Feld.

1406 Als die Nachricht von den Ankommenden nach Etzelnburg


vorausgeeilt war, freuten sich dort Frauen und Männer. Helches
Gefolge, das früher für die Herrin gesorgt hatte, erlebte später
bei Kriemhild viele fröhliche Tage.

1407 Eine große Zahl adliger Mädchen, die Helches Tod traurig
gemacht hatte, wartete jetzt voller Freude. Kriemhild traf dort
sieben Königstöchter, die eine Zierde für Etzels Land darstell­
ten.

1408 Die junge adlige Herrat, Helches tugendreiche Nichte, führte


die Aufsicht über das Gefolge. Sie war Dietrichs Gemahlin,
Tochter des mächtigen Königs Näntwin, und hat später großes
Ansehen erlangt.

1409 Durch die Ankunft der Gäste schwand ihre Traurigkeit. Für
ihren Empfang waren umfassende Vorbereitungen getroffen
worden. Wer könnte euch berichten, wie der König dann resi­
dierte? Im Hunnenland hatte man unter keiner Königin besser
gelebt.
452 22. AV ENTIURE

1410 Do der wirt mit sime wibe von dem stade reit,
wer ieslichiu waere, daz wart zehant geseit
der edeln kuniginne, si gruoztes deste baz.
hey, wie gewaltekliche si sit an Helchen stat gesaz!

hu Mit triwen hoher dienste wart ir vil bêchant.


do teilte diu frowe Chriemhilt golt und ouch gewant,
silber und gesteine; swaz si des über Rin
mit ir zen Hunin brahte, daz muose gar zerteilet sin.

1412 Ouch wurden ir mit dienste sider undertan


al des chuniges mage und alle sine man,
daz nie diu frowe Helche so gewaldechlich gebot,
so si nu muosin dienen unz an den Chriemhilde tot.

1413 Do stuont mit solhen eren der hof und ouch daz lant,
daz man da zallen ziten die churzewile vant,
swar nach ieslichem daz herce truoch den muot,
durch des kuniges liebe und ouch die kuniginne guot.
DIE H O C H Z E IT IN W IEN 453

hio Als der Landesherr mit seiner Frau vom Ufer heranritt, wurde
der edlen Königin sogleich erklärt, wer jedes Mädchen war, so
daß sie diese persönlich begrüßen konnte. Wie machtvoll trat
sie dann an Helches Stelle!

nil In Treue erwies man ihr hohe Ehren. Dann verteilte Frau
Kriemhild Gold und Gewänder, Silber und Edelsteine; alles, was
sie über den Rhein mit zu den Hunnen gebracht hatte, ver­
schenkte sie ganz und gar.

1412 Außerdem stellten sich alle Verwandten des Königs und all
seine Männer in ihren Dienst, so daß Frau Helche nie eine der­
artige Befehlsgewalt besessen hatte wie jetzt Kriemhild, der sie
nun alle bis zu ihrem Tod dienen mußten.

1413 Der Hof und das ganze Land lebten in einem so ehrenvollen
Zustand, daß jeder zu allen Zeiten die Unterhaltung fand, die
sein Herz begehrte - das alles war nur möglich durch die
Freundlichkeit des Königs und die edle Königin.
23. A V EN T IU R E
A V EN T IU R E W IE DER K U N E C EZELE
U N D D IU F RO W E C H R I E M H I L T N A C H IR F R I U N D E N
ZE W O R M E Z SAN D E

1414 In also hohen eren, daz ist alwar,


si wonte bi dem kunige unz in daz sibende jar.
di zit diu kuniginne eines sunes was genesen,
des chunde der chunic Ezele nimmer vrolicher gewesen.

1415 Sine wolde niht erwinden, sine würbe sint,


daz getoufet wurde daz Ezelen chint
nach christenlichem rehte. Ortliep wart ez genant,
si woldenz han ze herren über elliu Ezelen lant.

1416 Swaz ie guoter tugende an froun Helchen lac,


des vleiz sich frou Chriemhilt dar nach vil mannigen tac.
die site si lerte Herrat, diu eilende meit.
diu hete tougenliche nach ir frowen groziu leit.

mu Die fremden und die chunden die jähen da zehant,


daz nie milter frowe besaeze ein kuniges lant,
noch deheiniu tiurr lebte, des jach man ir fur war.
si erwarp ir lop vil grozen zen Hunin in daz zwelfte jar.

1418 Si hete nu wol erchunnen, daz ir niemen widerstunt,


als iz noch fürsten wibe kuniges recken tuont,
und daz si alle eite zwelf kunige vor ir sach.
do gedahtes maniger leide, der ir da heime geschach.
23. A V EN T IU R E
W IE K Ö N IG ETZEL U N D D IE H E R R IN K R IE M H IL D
I H R E N V E R W A N D T E N IN W O RM S E IN E
E IN L A D U N G S C H IC K T E N

1414 In so großem Ansehen herrschte Kriemhild, das ist wahr, sieben


Jahre bei Etzel. Während dieser Zeit brachte die Königin einen
Sohn zur Welt, worüber der König nicht glücklicher hätte sein
können.

1415 Kriemhild hörte nicht auf zu drängen, bis Etzels Sohn chrisdich
getauft wurde. Er bekam den Namen Ortlieb. Sie wollten ihm
später die Herrschaft über Etzels gesamtes Reich übertragen.

1416 Alle guten Eigenschaften, die Frau Helche besessen hatte,


brachte auch Kriemhild tagtäglich zur Geltung. Herrat, ur­
sprünglich wie sie eine Fremde, machte Kriemhild mit den
Landesbräuchen vertraut. Insgeheim trauerte sie sehr um ihre
frühere Herrin.

1417 Bald bekundeten Fremde und Einheimische, daß niemals eine


freigebigere Herrin in einem Königreich geherrscht hätte und
daß es wahrhaftig keine würdigere gäbe als Kriemhild. Sie er­
rang in den ersten zwölf Jahren bei den Hunnen unermeß­
lichen Ruhm.

1418 Inzwischen war Kriemhild sicher, daß sich ihr niemand wider­
setzte - anders als heute, da die Recken von der Gemahlin eines
Königs ungern Befehle annehmen - , und sie sah, daß sie jeder­
zeit zwölf Könige in ihrer Nähe hatte. Da kam ihr das ganze
Leid in den Sinn, das ihr zu Hause angetan worden war.
456 23- AVEN TIURE

1419 Si gedaht ouch maniger eren von Nibelunge lant,


der si da was gewaltech und die ir Hagenen hant
mit Sivrides tode hete gar benomen.
si gedaht, ob im daz immer noch ze leide möhte chomen.

1420 Si wünschte, daz ir muoter waere in Hunin lant;


ir troumte, daz ir Giselher gienge an der hant
bi Ezele dem chunige. si chusten zaller stunt
vil dicke in senftem slafe. sit wart in arebeiten chunt.

1421 Sine chunde ouch nie vergezzen, swie wol ir anders was,
ir starchen hercen leide, in ir hercen si ez las
mit jamer zallen stunden, daz man sit wol bevant.
do begunde ir aber salwen von heizen trahen ir gewant.

1422 Ez lac ir an dem hercen spat unde fruo,


wie man si ane schulde brahte der zuo,
daz si muose minnen einen heidenman.
daz het ir friunt Hagene und ouch Gunther getan.

1423 Daz si daz rechen möhte, des wunschtes alle tage;


»ich bin nu wol so riche, swem iz ouch missehage,
daz ich wol minen vinden mac gefüegen leit.
des waer et ich von Tronege Hagene gerne bereit.

1424 Nach den getriwen jamert dickez herce min;


die mir da leide taten, möht ich bi den gesin,
so wurde noch errochen mines mannes lip.
des ich vil chume erbite«, sprach daz jamerhafte wip.

1425 Ze liebe si do heten alle skuniges man,


die Chriemhilde recken, daz was wol getan.
der kamern der pflac Eckewart, da von er friunt gewan.
den Chriemhilde willen mohte niemen verstan.
KRIE M H ILD S RACHEABSICHTEN 457

1419 Auch dachte sie an das große Ansehen, das sie im Nibelungen­
land genossen und das ihr Hagen durch die Ermordung Sieg­
frieds geraubt hatte. Sie überlegte, ob ihm das jemals durch
Leid heimgezahlt werden könnte.

1420 Sie wünschte sich, daß ihre Mutter ins Hunnenland käme; und
sie träumte, daß Giselher an ihrer Hand neben König Etzel
ginge. Immer wieder küßte sie ihn innig im sanften Schlaf.
Später kamen sie in große Bedrängnis.

1421 Nie konnte sie ihr schweres Leid vergessen, auch wenn sie es
nicht zeigte. In ihrem Herzen fühlte sie es schmerzvoll die ganze
Zeit, wie man später erfuhr. Heiße Tränen benetzten immer
wieder ihr Gewand.

1422 Früh und spät lag es ihr auf der Seele, wie man sie ohne Grund
dazu gebracht hatte, einen Heiden zu heiraten. Das hatten
Freund Hagen und Gunther ihr angetan.

1423 Dies zu rächen war ihr täglicher Wunsch: »Ich bin jetzt so
mächtig, daß ich meinen Feinden, ganz gleich, wem das gefällt,
Leid antun kann. Vor allem möchte ich gern Hagen von Tronje
mit meiner Vergeltung treffen.

1424 Nach denen, die mir treu geblieben sind, sehnt sich mein Herz
oft; könnte ich aber die erreichen, die mich dort tief verletzt ha­
ben, dann würde das Leben meines Mannes doch noch gerächt.
Das kann ich kaum erwarten«, sagte die von Schmerz erfüllte
Frau.

1425 Alle Leute König Etzels, Kriemhilds Recken, brachten ihr


Zuneigung entgegen. Das war auch angemessen. Eckewart
betreute die Schatzkammer und gewann dadurch Freunde.
Niemand aber konnte Kriemhilds Pläne ahnen.
458 23- AV ENTIURE

1426 Si gedahte zallen citen, si wolden kunic biten,


daz er ir des gunde mit güetlichen siten,
daz man ir friunde braehte in der Hunin lant.
den argen willen niemen an frown Chriemhilt ervant.

1427 Do si eines nahtes bi dem kunige lac,


mit armen umbevangen, als er vil dicke pflac
die edelen frowen triuten, si was im so der lip,
do gedahte an ir vinde daz vil herliche wip.

1428 Si sprach zuo dem kunige: »vil lieber herre min,


ich wolde iuch biten gerne, möht ez mit fuoge sin,
daz ir mich sehn liezet, wie ich hete daz versolt,
ob ir minen friunden waeret innechlichen holt.«

1429 Do sprach der kunich riche, getriwe was sin muot:


»ich bringe iuch des wol innen, swa lieb unde guot
den helden widerfiiere, des mües ich freude han;
wände ich von wibes minne bezzer friunde nie gewan.«

1430 Do sprach diu kuniginne: »iu ist daz wol geseit,


ich han vil hoher mage, darumbe ist mir so leit,
daz mich die so selten ruochent hie gesehn,
ich hoere min die Hute niwan fur eilende jehn.«

1431 Do sprach der kunic Ezele: »vil liebiu frowe min,


duhtez si niht ze verre, so ladet ich über Rin
swelh ir da gerne saehit her in miniu lant.«
diu rede ir wol behagete, da si den willen sin ervant.

1432 Si sprach: »weit ir mir triwe leisten, herre min,


so suit ir boten senden von uns über Rin.
so enbiute ich minen magen, des ich da habe muot.
so chumt uns her ze lande vil manic edel ritter guot.«
KRIE M H ILD S RACHEABSICHTEN 459

1426 Ständig sann sie darauf, den König zu bitten, er möge ihr
freundlich gestatten, ihre Verwandten ins Hunnenland einzu­
laden. Die böse Absicht erkannte niemand bei Frau Kriemhild.

1427 Als sie eines Nachts neben dem König lag und er sie umarmte,
wie er es oft tat, um mit der edlen Herrin zu schlafen, die ihm
lieb war wie sein eigenes Leben, da dachte die stolze Frau an
ihre Feinde.

1428 Sie sagte zu dem König: »Mein lieber Herr, ich möchte euch
gern mit allem Anstand bitten, mir zu zeigen, ob ihr meinen
Verwandten herzlich zugetan seid, wie ich es wohl verdient
habe.«

1429 Der mächtige König antwortete ohne Argwohn: »Ich zeige euch
gern, daß ich mich freue, wenn den Helden Angenehmes und
Gutes begegnet; denn durch eine Heirat konnte ich überhaupt
keine besseren Verwandten gewinnen.«

1430 »Ihr wißt wohl«, sagte die Königin darauf, »daß ich sehr vor­
nehme Verwandte habe. Darum bin ich traurig, daß sie mich
hier nie besucht haben, zumal ich höre, wie mich die Leute nur
die Ausländerin nennen.«

1431 Der König Etzel entgegnete: »Meine liebe Frau, wenn ihnen der
Weg nicht zu weit ist, würde ich alle, die ihr gern sehen möch­
tet, vom Rhein in unser Land einladen.« Diese Antwort gefiel
ihr gut, nachdem sie nun seinen Willen erkundet hatte.

1432 Sie sagte: »Wenn ihr, mein Herr, mir eure Treue beweisen wollt,
so schickt Boten von uns an den Rhein. Dann teile ich meinen
Verwandten mit, was ich im Sinn habe. Dann werden viele edle
und tüchtige Ritter zu uns ins Land kommen.«
460 23- AV EN TIURE

1433 Er sprach: »swenne ir gebietet, so lazet ez geschehn.


im dürftet iwer friunde nie so gerne sehn,
als ich hie gesaehe der edeln Uoten chint.
mich müet daz harte sere, daz si uns so lange fremde sint.«

1434 Er sprach: »ob du ez ratest, vil liebiu frowe min,


di mine videlaere nach den friunden din
wil ich ze boten senden in Burgonden lant.«
die Ezelen videlaere hiez man bringen sa zehant.

1435 Die knappen chomen beide, da ir herre saz


bi der kuniginne. der kunic in sagte daz,
si solden boten werden in siner friunde lant.
do hiez man in bereiten harte schiere guot gewant

1436 Und ir vartgesellen, vier unt zweinzech man,


di mit in varn solden zen Burgonden dan,
in tet der chunich Ezele chunt den willen sin,
wie si laden solden Günthern mit den friunden sin.

1437 Do sprach der kunich riche: »ich chundiu minen muot:


ich enbiut minen friunden lieb und allez guot,
daz si geruochen riten her in miniu lant.
ich han so lieber geste harte selten noch bêchant.

1438 Und ob si mines willen wellen iht began,


die mine chonemage, daz si des niht lan,
sine chomen mir ze liebe zuo miner hochgecit;
wände vil der minen wunne an miner frowen magen lit.«

1439 Do sprach der knappen einer, der hiez Swämmelin:


»benennet uns die hochgecit, wenne soi diu sin,
daz miner frowen friunde dar zuo mugen chomen.«
des wart der kuniginne ir leides harte vil benomen.
KRIE M H ILD S RACH EA BSICHTEN 461

1433 Er antwortete: »Laßt sie einladen, wenn ihr dazu entschlossen


seid. Ihr dürftet eure Verwandten wohl kaum lieber sehen, als
ich mich auf den Besuch der Söhne der edlen Ute freue. Es tut
mir sehr leid, daß sie nicht schon längst gekommen sind.«

1434 »Wenn es dir recht ist, meine hebe Gemahlin«, fügte er hinzu,
»so will ich meine Spielleute als Boten zu deinen Verwandten
ins Burgundenland senden.« Alsbald schickte man nach Etzels
Fiedlern.

1435 Die beiden Knappen kamen dorthin, wo ihr Herr neben der
Königin saß. Der König sagte ihnen, daß sie als Boten ins Land
seiner Verwandten ziehen sollten. Dann ließ man sofort gute
Gewänder für sie vorbereiten

1436 und auch für ihre Weggefährten, vierundzwanzig Männer, die


mit zu den Burgunden reisen sollten. Ihnen allen erteilte König
Etzel den Auftrag, Gunther und seine Verwandten einzuladen.

1437 Der mächtige König sprach: »Ich verkünde euch meine Ab­
sicht: Ich wünsche meinen Verwandten alles Liebe und Gute,
und hoffe, daß sie bereit sind, hierher in mein Reich zu reiten.
Noch nie habe ich so liebe Gäste erwartet.

143H Und wenn sie meinen Wunsch erfüllen wollen, möchten sie
nicht zögern, mir zuliebe zu meinem Fest zu kommen; denn
die Verwandten meiner Frau tragen viel zu meiner Freude bei.«

1439 Da fragte einer der Knappen mit Namen Schwämmel: »Sagt


uns, wann das Fest stattfinden soll, damit die Angehörigen
meiner Herrin rechtzeitig dazu kommen können.« Diese Aus­
sichten linderten das Leid der Königin sehr.
462 23- A V E N TI U R E

1440 Do sprach der kunic here: »die minen hochgecit


suit ir ze Rine chunden, daz ir gewis des sit,
ze naehsten sunewenden so wil ich si han.
die uns mit triwen minnen, daz si die reise niht enlan.«

1441 »Wir tuon, swaz ir gebietet«, sprach do Wärbelin.


in ir kemenaten bat si diu kunigin
bringen tougenlichen, da si die boten sprach,
da von sit manigem degene harte leide geschach.

1442 Si sprach zen boten beiden: »ir dienet michel guot,


ob ir minen willen tougenlichen tuot,
so sagt, swaz ich enbiete heim in unser lant.
ich mache iuch guotes riche und gibe iu herlich gewant.

1443 Swaz ir der minen friunde immer muget gesehn


ze Wormze bi dem Rine, den suit ir niht verjehn,
daz ir noch ie gesaehet betrüebet minen muot,
und saget minen dienest den heleden chüen unde guot.

1444 Bitet, daz si leisten, daz in der kunic enbot,


und mich da mite scheiden von aller miner not.
die Hünen mugen waenen, deich ane friunde si.
ob ich ein ritter hieze, ich waer in eteswenne bi.

1445 Ir saget ouch Gernote, dem lieben bruoder min,


daz im zer werlde niemen holder müge sin,
und bitte in, daz er fuere mit im in dizze lant
die unser besten friunde, deiz uns zen eren si gewant.

1446 Und sagt ouch Giselhere, er denche wol dar an,


daz er von minen schulden nie leides niht gewan.
des sehen in vil gerne hie diu ougen min,
daz wolde ich immer mere hinz im diende sin.
KRIEM H ILD S RACH EA BSICHTEN 463

1440 Der erhabene König antwortete: »Damit ihr Bescheid wißt:


Kündigt am Rhein mein Fest an, das zur nächsten Sonnen­
wende stattfinden soll. Ich hoffe, die uns aufrichtig lieben, wer­
den sich zu uns auf die Reise begeben.«

1441 »Alles, was ihr uns auftragt, führen wir aus«, sagte Wärbel. Die
Königin ließ die Boten heimlich in ihre Kemenate rufen, um sie
zu sprechen. Dadurch geschah später vielen Kämpfern großes
Leid.

1442 Kriemhild sprach zu den beiden Boten: »Ihr verdient euch eine
große Belohnung, wenn ihr verschwiegen meinen Wunsch
ausführt und zu Hause in unserem Land sagt, was ich euch
auftrage. Ich mache euch dann reich an Gut und gebe euch
vornehme Gewänder.

1443 Keinem meiner Verwandten, die ihr in Worms am Rhein an­


trefft, dürft ihr verraten, daß ihr mich jemals innerlich betrübt
gesehen habt, und überbringt den kühnen und edlen Helden
meine Grüße.

1444 Bittet sie, den Wunsch des Königs zu erfüllen, damit ich von
allem Kummer befreit werde. Die Hunnen könnten glauben,
ich hätte keine Verwandten. Wenn ich ein Ritter wäre, würde
ich selbst sie ab und zu besuchen.

1445 Sagt auch Gernot, meinem lieben Bruder, daß ihn niemand auf
der Welt mehr liebt und daß ich ihn bitte, unsere besten
Freunde mit in dieses Land zu bringen, damit es auch für uns
ehrenvoll ist.

1446 Und sagt Giselher, er möge sich erinnern, daß er nie durch
meine Schuld Leid erfahren hat. Deshalb würden ihn meine
Augen hier besonders gern sehen, und dafür wäre ich ihm im­
mer dankbar.
464 23- AV ENTIURE

1447 Nu sagt ouch miner muoter die ere, die ich han.
und ob von Tronege Hagene welle dort bestan,
wer si danne solde wisen durch diu lant,
dem sint die wege von kinde her zen Hunin wol bekant.«

1448 Die boten niene wessen, wa von daz was getan,


daz Hagene der chüene solde niht bestan
hinder in ze Rine. daz wart in sider leit.
mit im was manigem degene zem grimmem tode widerseit.

1449 Boteschaft und brieve daz was nu gegebn,


si fuoren guotes riche und mohten schone lebn.
urloup gab in Ezele und ouch des kuniges wip.
in was mit richer waete vil wol gezieret der lip.

1450 Do der kunic Ezele von im gesande


sine boten zuo dem Rine, von manigem lande
braht er vil der recken zuo siner hochgecit.
der deheiner nimmer mere chom zuo sime lande sit.
KRIE M H ILD S RACHEABSICHTEN 465

1447 Berichtet auch meiner Mutter von dem Ansehen, das ich hier
besitze. Und wenn Hagen von Tronje dortbleiben will, fragt,
wer sie an seiner Stelle durch die Länder führen soll, da nur ihm
von Kindheit an die Wege hierher zu den Hunnen vertraut
sind.«

1448 Die Boten wußten nicht, weshalb der kühne Hagen auf keinen
Fall am Rhein bleiben sollte. Das tat ihnen später leid. Mit
Hagen war vielen Helden der Kampf bis zum bitteren Tod an­
gesagt.

1449 Als Nachricht und Briefe den Boten nun übergeben waren, bra­
chen sie reich beschenkt auf und konnten es sich Wohlergehen
lassen. Etzel und die Gemahlin des Königs verabschiedeten sich
von ihnen. Sie waren herrlich mit kostbarer Kleidung ausge­
stattet.

1450 Sobald König Etzel seine Boten an den Rhein geschickt hatte,
ließ er Recken aus zahlreichen Ländern zu seinem Fest laden.
Keiner von ihnen kehrte später wieder in sein Land zurück.
2 4 . A V EN T IU R E
A V EN T IU R E W IE D IE B O T E N ZE R IN E Q U A M E N
U N D W IE SI D A N N E S C H IE D E N

1451 Die boten dannen fuoren uber Hunin lant


zuo den Burgonden. dar waren si gesant
nach drin edeln kunigen und ouch nach ir man,
die solden chomen Ezelen. des man gahen do began.

1452 Hin ze Bechelaren chomen si geriten,


da diente man in gerne, daz wart niht vermiten.
sin dienst enbot do Rüedeger und ouch Gotelint
bi in hin ze Rine, und ouch des marcgraven kint.

1453 Sine liezens ane gäbe von in niht scheiden dan,


daz deste baz gefrieren die Ezelen man.
Uoten und ir kinden enbot do Rüedeger,
sine heten in so waege deheinen marcgraven mer.

1454 Si enbuten ouch Prunhilde dienste unde guot,


triwe unde minne unde willigen muot.
do si die rede gehörte, die boten muosin varn,
si bat diu marcgravinne got von himele bewarn.

1455 E daz di boten chomen vol durch Bayerlant,


Wärbel der vil snelle den guoten bisschof vant.
waz der do sinen friunden hin ze Rine enbot,
daz ist mir ungewizzen. niwan sin golt also rot
24- A V EN T IU R E
W I E D IE B O TEN AN DEN R H E IN K AM EN
U N D W I E SIE W IE D E R A B R EIS TE N

1451 Die Boten zogen durch das Land der Hunnen zu den Burgun­
d e r Sie waren dorthin gesandt worden, um die drei Könige
und ihre Leute zu Etzel einzuladen. Eilig wollten sie ihren Auf­
trag ausführen.

1452 Als sie nach Bechelarn geritten kamen, zögerte man nicht, sie
dort freundlich zu empfangen. Rüdiger, Gotelind und auch des
Markgrafen Tochter sandten ihre Grüße mit ihnen an den
Rhein.

1453 Sie ließen Etzels Leute nicht ohne Geschenke weiterziehen, da­
mit sie um so besser reisen konnten. Ute und ihren Söhnen ließ
Rüdiger ausrichten, daß kein Markgraf ihnen so zugetan wäre
wie er.

1454 Auch an Brünhild trugen sie Grüße auf: Ehrerbietung und alles
Gute, Treue, Freundschaft und wohlwollende Unterstützung
sicherten sie ihr zu. Nachdem die Boten die Worte vernommen
hatten, mußten sie weiterziehen, und die Markgräfin bat Gott
im Himmel, sie zu behüten.

1455 Bevor sie Bayern vollends durchquert hatten, besuchte der ge­
wandte Wärbel den edlen Bischof von Passau. Was der für seine
Verwandten am Rhein auftrug, ist mir unbekannt. Allerdings
weiß ich von rotem Gold,
468 24- AV ENTIURE

1456 Daz gab er in ze minne, riten er si lie.


do sprach der bisschof Pilgerim: »solde ich si sehen hie,
mir waere wol ze muote, die swester sune min,
ich mach leider selten zuo zin chomen an den Rin.«

1457 Weihe wege si fuoren ze Rine durch diu lant,


desen chan ich niht bescheiden, ir golt und ir gewant,
daz ennam in niemen, man vorht ir herren haz;
Ezel was vil gewaltich, man erchande in allen landen daz.

1458 Inre tagen zehenen si chomen an den Rin


ze Wormze zuo der veste, Wärbel und Swämmelin.
do sagte man diu maere den kunigen und ir man,
da choemen boten vremde. Gunther vragen do began.

1459 Do sprach der vogt von Rine: »wer tuot uns bêchant
von disen vremden recken, die chôment in daz lant?«
daz enwesse nieman, unze si gesach
Hagene der chüene. der heit zuo Gunthere sprach:

1460 »Uns chôment niwe maere, des wil ich iu verjehn.


die Ezeln videlaere die han ich hie gesehn.
si hat iwer swester gesendet an den Rin.
durch die Ezelen liebe si suln uns willechomen sin.«

1461 Si riten vil bereite für den palas dan.


ez gefuoren herrenlicher nie fürsten spileman.
des chuniges ingesinde enpfie si sa zehant,
ir ros man herbergen und hiez behalten ir gewant.

1462 Ir reisechleider waren rieh und so getan,


daz si mit eren mohten fur den kunic gan.
der enwolden si niht mere da ze hove tragn,
obs iemen nemen wolde, die boten hiezen daz sagn.
DIE H IN TE R L IS T IG E EINLADUNG DER BURGUNDEN 469

1456 das er ihnen freundschaftlich schenkte, bevor er sie weiterreiten


ließ. Dabei sagte der Bischof Pilgrim: »Ich würde mich freuen,
die Söhne meiner Schwester hier zu begrüßen, leider kann ich
sie nicht am Rhein besuchen.«

1457 Welche Wege sie durch die Länder an den Rhein nahmen, ver­
mag ich nicht zu berichten. Niemand raubte ihnen ihr Gold
und ihre Gewänder, weil man fürchtete, die Feindschaft ihres
Herrn auf sich zu ziehen; denn Etzel war sehr mächtig, und das
wußte man überall.

1458 Nach zehn Tagen erreichten Wärbel und Schwämmel die Burg
in Worms am Rhein. Da benachrichtigte man die Könige und
ihre Leute, daß fremde Boten angekommen wären. Gunther be­
gann, sich nach ihnen zu erkundigen.

1459 Der Herr vom Rhein fragte: »Wer kann uns etwas über diese
fremden Recken sagen, die in unser Land gekommen sind?«
Niemand wußte etwas, bis der tapfere Hagen sie sah. Der Held
sagte zu Gunther:

1460 »Es gibt Neuigkeiten für uns, das kann ich euch versichern. Ich
habe hier Etzels Spielleute gesehen. Die hat bestimmt eure
Schwester an den Rhein geschickt. Um Etzels willen sollen sie
uns willkommen sein.«

1461 Die Boten waren soeben vor den Palas geritten. Niemals traten
Spielleute eines Fürsten vornehmer auf. Die Dienerschaft des
Königs empfing sie sogleich, ließ ihre Pferde unterbringen und
ihre Gewänder verwahren.

1462 Ihre Reisekleider waren kostbar und von der Art, daß sie darin
durchaus ehrenvoll vor den König hätten treten können. Den­
noch wollten sie diese nicht länger bei Hofe tragen und ließen
fragen, ob sie jemand haben wollte.
470 2 4 . AV EN TIURE

1463 In der selben maze man ouch liute vant,


die ez vil gerne namen; den wart ez gesant.
do leiten an die geste verre richer wat,
als ez boten kuniges ze tragen herlichen stat.

1464 Do gie mit urloube, da der kunic saz,


daz Ezelen gesinde. vil gerne sah man daz.
Hagene von den sedele gein den boten spranch
und lief in engegene. des sagten im die chnappen danch.

1465 Durch diu chunden maere vragen er began,


wie sich gehabte Ezele und ouch sine man.
do sprach der videlaere: »daz lant gestuont nie baz,
noch wurden vro die liute, ich sag iu endechliche daz.«

1466 Er brahtes zuo dem wirte, der palas der was vol,
do enpfie man die geste, so man von rehte soi
minnechliche grüezen in ander kunige lant.
Swämmil vil der degene da bi Gunthere vant.

1467 Der chunic gezogenliche grüezen si began:


»sit willechomen beide, ir Ezelen spileman
und iwer hergesellen, hat iuch her gesant
der kunic von den Hunin zuo der Burgonden lant?«

1468 Mit zuht si nigen beide, do sprach Wärbelin:


»iu enbiutet sinen dienest der liebe herre min
und Chriemhilt, iwer swester, her in dizze lant.
si habent uns iu heleden in grozen triwen her gesant.«

1469 Do sprach der fürste riche: »der maere bin ich vro.
wie gehabt sich Ezele«, so sprach der chunic do,
»und Chriemhilt, min swester, uzer Hünen lant?«
do sprach der videlaere: »diu maere tuon ich iu bêchant.
DIE H IN TE R L IS T IG E EINLADUNG DER BURGUNDEN 471

1463 Man fand auch Leute, denen sie paßten und die sie gern nah­
men; ihnen wurden sie geschenkt. Dann legten die Fremden
noch weit kostbarere Gewänder an, wie es für königliche Boten
angemessen war.

1464 Etzels Leute traten nun mit ausdrücklicher Erlaubnis vor den
Thron des Königs. Das nahmen alle wohlwollend auf. Hagen
erhob sich schnell von seinem Platz und eilte den Boten entge­
gen. Dafür dankten ihm die Knappen.

1465 Um sich zu unterrichten, fragte er, wie es Etzel und seinen Leu­
ten ginge. Da sagte der Spielmann: »Das Land war nie in einem
besseren Zustand, und die Leute lebten nie so zufrieden, das
versichere ich euch.«

1466 Hagen geleitete sie zu dem Landesherrn. Der Palas war voller
Menschen, dort empfing man sie so, wie es sich gebührt, Gäste
im Land anderer Könige freundlich zu begrüßen. Schwämmel
erblickte viele Kämpfer an Gunthers Seite.

1467 Der König wandte sich ihnen höflich zu: »Seid mir beide will­
kommen, ihr Spielleute Etzels, mit euren Reisegefährten. Hat
euch der König von den Hunnen ins Land der Burgunden ge­
sandt?«

1468 Voll Anstand verneigten sich beide, dann sprach Wärbel: »Mein
lieber Herr und Kriemhild, eure Schwester, schicken euch in
dieses Land ihre ergebenen Grüße. Sie haben uns in treuer
Verbundenheit zu euch Helden gesandt.«

1469 Da antwortete der mächtige Fürst: »Ich freue mich über die
Nachricht«, und dann fragte er: »Wie geht es Etzel und meiner
Schwester Kriemhild im Hunnenland?« Darauf erwiderte der
Spielmann: »Das sage ich euch gern.
472 24- AVEN TIURE

1470 Sich gehabten chunige, ir suit wol wizzen daz,


in deheinem lande vrolicher noch baz,
und allez ir gedigene, die mage und ouch ir man,
si freuten sich der reise, do wir schieden von in dan.«

1471 »Gnade siner dienste, die er mir enboten hat,


und ouch miner swester! mir ist liep, daz also stat,
daz si so lebnt mit vreuden, der chunic unt sine man;
wände ich doch der maere gevraget sorgende han.«

1472 Die zwene jungen chunige waren ouch nu chomen;


wände si diu maere heten erst vernomen.
durch ir swester liebe die boten gerne sach
Giselher der junge, der zuo zin güetlichen sprach:

1473 »Ir boten soldet groze uns willechomen sin.


ob ir dicker woldet zuns riten an den Rin,
ich waen, ir friunde fundet, die ir gerne möhtet sehen,
iu solde von uns degenen luzzil leides geschehen.«

1474 »Wir getrowen iu aller eren«, sprach do Swämmelin.


»ine chund iu niht bewaeren mit den sinnen min,
wie minneklich iu Ezele her enboten hat
und iwer edeliu swester, der dinch in hoher wirde stat.

1475 Gnade unde triwe mant iuch des kuniges wip,


und daz ir ie was waege iwer herce und iwer lip.
und ze vorderst dem kunige sin wir her gesant,
daz ir geruochet riten zuo zin in der Hunin lant.

1476 Ez soi ouch mit iu riten der her re Gernot.


Ezele der riche iu allen daz enbot:
ob ir iuch iwer swester niht sehn woldet lan,
so wolde er gerne wizzen, waz er iu recken hete getan,
DIE H IN TE R L IS T IG E EINLADUNG DER BURGUNDEN 473

1470 In keinem Land, das sollt ihr wissen, haben Könige jemals zu­
friedener und besser gelebt, und ihr ganzer Hof, die Verwand­
ten und alle Leute ihres Gefolges, freuten sich über unsere
Reise, als wir Abschied nahmen.«

1471 »Dank für Etzels Grüße, die er mir geschickt hat, und Dank
auch meiner Schwester! Es ist mir lieb, daß alles so gut steht,
daß der König und seine Leute in Freuden leben; denn ich habe
voll Sorge danach gefragt.«

1472 Nun waren auch die beiden jungen Könige dazugekommen; sie
hatten die Nachricht erst jetzt gehört. Aus Liebe zu seiner
Schwester freute sich der junge Giselher, die Boten zu sehen,
und er sagte freundlich zu ihnen:

1473 »Ihr Boten seid uns herzlich willkommen. Wenn ihr öfter zu
uns an den Rhein geritten kämt, könntet ihr, glaube ich,
Freunde finden, die euch gefallen würden. Euch wird durch
unsere Hand kein Leid geschehen.«

1474 »Wir vertrauen euch ehrenvoll«, sagte Schwämmel. »Mit mei­


nen Möglichkeiten kann ich euch gar nicht genug beteuern, wie
liebevoll Etzel und eure edle Schwester, die in hohem Ansehen
steht, euch grüßen.

1475 Die Gemahlin des Königs erinnert euch an Huld und Treue
und daß ihr sie immer von ganzem Herzen geliebt habt. Vor
allem sind wir zum König hierher gesandt, um ihn zu bitten,
daß ihr zu ihnen ins Hunnenland reitet.

1476 Auch Herr Gernot soll mitkommen. Der mächtige Etzel läßt
euch allen ausrichten: Wenn ihr eure Schwester nicht besuchen
wolltet, so wüßte er doch gern, was er euch Recken zuleide
getan hat,
474 24- AVENTIURE

1477 Daz ir also vremdet in und siniu lant.


ob iu diu kuniginne waere nie bêchant,
so möht er doch verdienen, daz in ir ruochet sehn,
swenne daz geschaehe, so waer im liebe geschehn.«

1478 Do sprach der kunic Gunther: »nu lat die rede stan
und vart ze herbergen. ich wil iuch hoeren lan
in disen siben nachten, w il ich in sein lant.
sw es ich m ich berate, d ie m aere tun ich ew bêchant. «

1479 D o sprach d er bote W ärbel: »chünde d a z geschehen,


d a s w ir m ein e fra w n m ochten e gesehen,
V oten die v il reichen, e w ir schufen uns gem ach?«
G eyseiher d er edel do v il zuchticleich sprach:

1480 »D as ensol e w n ie m a n t w en den , w e it ir f u r si gan.


da h a b t ir m ein er m u o ter w illen an getan,
w ä n d e si sich t ew gern durch d ie sw ester m ein
u n d durch den chünig Etzin, des su it ir an zw e iv e l sein.«

1481 G eyseiher si prach t, d a sein m u te r sas.


sy sach d ie boten gerne, m it trew en te t si das.
si g r ü z t si m it tugent; w a n si w as w ol g em u t.
j a d a u ch t si d ie m aere von d e r ch ü nigin ne gut.

1482 »M ein fr a w e w here en biu tet«, so sprach S w äm m elein ,


»ir d ie n st in grossen trew en, des su it ir sicher sein,
das ir seit ir so frö m d e, d a z h a izze t si e w sagen,
m u z si traw ekliche im m e r in ir m u te tragen.«

1483 D a sprach d ie chünigin: »das m a g n ich t laider gesein.


sw ie gern e ich dikch saech d ie liebe tochter m ein,
j a ist m ir ze verre des edln chunigs weip.
nu sein im m e r saelich baide, si u n d Etzin leip.
DIE HIN TE RL IS T IG E EINLADUNG DER BURGUNDEN 475

1477 daß ihr euch von ihm und seinem Land so fernhaltet. Selbst
wenn euch die Königin unbekannt wäre, verdiente er seinerseits
doch einen Besuch. Es wäre für ihn eine große Freude, wenn
ihr kämt.«

1478 Da antwortete König Gunther: »Genug der Worte, geht in eure


Unterkunft. Nach sieben Nächten will ich euch Bescheid geben,
ob ich in Etzels Land reise. Das Ergebnis der Beratung werdet
ihr erfahren.«

1479 Dann fragte der Bote Wärbel: »Wäre es möglich, daß wir die
mächtige Herrin Ute noch sehen könnten, bevor wir uns zur
Ruhe begeben?« Der edle Giselher antwortete höflich:

uso »Das soll euch niemand verwehren, wenn ihr zu ihr gehen
wollt. Ihr kommt dem Wunsch meiner Mutter entgegen, denn
um meiner Schwester und um König Etzels willen wird sie euch
gern empfangen, dessen könnt ihr sicher sein.«

nsi Giselher brachte sie dann zu seiner Mutter. Sie empfing die
Boten aufrichtig und gern. Sie begrüßte sie mit höfischem
Anstand; denn sie war erleichtert. Ihr erschien die Nachricht
von Königin Kriemhild erfreulich.

1482 Schwämmel sprach: »Meine Herrin sendet euch höchst ehr­


erbietige Grüße, das versichere ich. Sie läßt euch sagen, es
bedrücke sie ständig, daß ihr so weit entfernt wohnt.«

1483 Darauf antwortete die Königin: »Ein Besuch ist leider unmög­
lich. So gern ich meine liebe Tochter auch öfter sehen würde, so
ist doch die Entfernung zu der Gemahlin des edlen Königs für
mich zu weit. Beiden, Kriemhild und Etzel, möge es immer gut­
gehen.
476 24- A V E N TIU R E

1484 Ir soit mich lazzen wissen, e daz ir räumet hie,


wenne ir reiten wellet, in gesach so gern nie
boten in langen zelten danne ich ew han gesehen.«
die boten ir do lobten, daz si das liezzen geschehen.

1485 Zen herbergen do furen die von Heunen lannt.


da het der chünig reiche nach den friunden sein gesant.
Gunther der vil edel fragt sein man,
wie in die rede behagte. vil manger raten do began,

1486 Er rite wol mit ern in chünig Etzeln lant.


das rieten im die pesten, die er dar under vant,
newer Hagen alaine, dem waz ez grimme lait.
er sprach zu dem chünig taugen: »ir habt ew selben widersait.

1487 Nu ist ew wol gewissen, was wir han getan.


des müg wir immer sorge auf Chrimhilden han.
auch slug ich ze tode ir man mit meiner hant,
wie getorsten wir gereiten in des chünigs Etzin lant?«

1488 Do sprach der chünig reiche: »meine swester lie den czorn.
mit chüsse minnicleich si hat auf uns verchorn,
daz wir ir ie getaten, e daz si hinnen rait.
ez ensey et, Hagen, danne ew ainer von ir widerseit.«

1489 »Nu lat ew nicht betrigen«, sprach Hagen, »swes sijehen,


die boten von den Heunen. und weit ir Chrimhilden sehen,
ir mugt do wol Verliesen ewer ere und ewrn leip.
ez ist vil lanchraeche des reichen chünig Etzeln weip.«
DIE H IN T E R L IS T IG E E INLADU NG DER BURGUNDEN 477

1484 Laßt m ich w issen , b ev o r ih r abreist, w an n ihr losreitet. Seit


langem habe ich n iem an d en so gern em pfan gen w ie euch.« D ie
Boten versprachen, ih r den W unsch zu erfüllen.

1485 D ie Leute aus dem H u n n en lan d zogen sich in ihre H erbergen


zurück. Inzw ischen hatte der m äch tige K ö n ig nach seinen Ver­
w an d ten un d Freun d en geschickt. D er edle G u n th er fragte
seine Leute, w as sie von der E in lad u n g hielten. V iele gaben d ar­
aufhin Ratschläge,

14 8 6 er m öge ru h ig ehrenvoll in K ö n ig Etzels Lan d reiten. D as rieten


ihm d ie besten un ter seinen Leuten auß er H agen, den erfüllte
d er V orsch lag m it Z o rn un d Schm erz. E r sagte insgeheim zu
dem K ön ig: »Ihr brin gt euch selbst in G efahr.

1487 Ih r w iß t seh r w oh l, w as w ir getan haben. D eshalb m üssen w ir


im m er v o r K riem h ild a u f d er H u t sein. Ich habe m it eigen er
H an d ihren M an n getötet, w ie kön n ten w ir es da w agen, in
K ö n ig Etzels L an d zu reiten?«

1488 D er m äch tige K ö n ig antw ortete ihm : »D er Z o rn m ein er Schw e­


ster hat sich gelegt. M it einem liebevollen Kuß hat sie uns, ehe
sie w eggeritten ist, verziehen, w as w ir ihr angetan haben. Es ist
allerd in gs m öglich, H agen , daß sie euch allein zu ihrem Feind
erklärt hat.«

1489 »Laßt euch nicht d avon täuschen«, w andte H agen ein, »was die
Boten d er H u n n en sagen. W enn ihr K riem h ild besuchen wollt,
k ö n n t ih r leicht eure Ehre un d euer Leben verlieren. D ie Rache
d er G em ah lin des m äch tigen K ö n ig s Etzel hat einen langen
A tem .«
478 24- AVEN TIURE

1490 D o sprach zu d em rate d er fü rste G ernot:


»ob ir nu von schulden fo rc h tet den to d
in heunischen reichen, solden w ir e z d a r durch lan?
w ir ensaehen unser swester, d a z w a er zägleich getan. «

1491 D o sprach d er herre G eyseiher zu d em degen:


»seit ir e w schuldig w izze t, f r iu n t her H agen,
so su it ir hie beleihen u n d vil w o l bew aren;
u n d la zze t d ie getürren m it uns z u den H eu nen varen. «

1492 D o begunde zü rn en von Tronge d er degen:


»ich w il, d a z ir ie m a n t fu r e t a u f den wegen,
d er m it ew türre reiten hin z e hove pas.
seit ir n ich t w e it erw in den , ich la zze e w w o l versuchen das.«

1493 D o sprach d er chüchenm aister, R u m o lt d er degen:


»der geste u n d ew er selber m ü g t ir h a izzen phiegen
nach ew ers selben w illen; ir h a b t v il g u ten rat.
u n d w izzet, d a z e w H agen d a z w a eg ist noch geraten hat.

1494 U n d w o lt ir im n ich t volgen, e w ra tet R u m o lt -


ich p in ew m it trew en vil dienstleichen h o lt —,
d a z ir hie beleihet durch den w illen m ein,
u n d la t den chünig E tzel d o r t p e i C h rim h ild en sein.

1495 W ie chunde ew in d er w erlde im m e r p a s gew esen ?


ir m ü g t vor ew rn vein den h ie h a im e w o l genesen,
ir su it m it reicher w a ete ziren w ol den leip,
trin ch et w ein den pesten u n d m in n e t w aetleich iu w eip.

1496 D a r zu g e it m an ew speise, d ie pesten, d ie m an h a t


in d e rt in d er w erlde. ew er la n t vil schon stat.
ir m ü g t euch w ol Etzin hochczeit m it ern w ol bewegen,
u n d m ü g t m it ew rn fre w n d en vil g u te r ch ü rczw eile pflegen.
D IE H IN T E R L IS T IG E E IN L A D U N G DER B U R G U N D E N 479

1490 Der Fürst Gernot wandte gegen Hagens Rat ein: »Wenn ihr
Gründe habt, den Tod in den hunnischen Reichen zu fürchten,
warum sollten wir dann hierbleiben? Unsere Schwester nicht zu
besuchen wäre feige.«

1491 Auch Herr Giselher sagte zu dem Kämpfer: »Da ihr euch schul­
dig fühlt, Freund Hagen, bleibt hier und hütet euch vor Gefahr;
aber laßt diejenigen, die keine Angst haben, mit uns zu den
Hunnen ziehen.«

1492 Das brachte den Kämpfer von Tronje in Zorn: »Ich glaube
kaum, daß ihr irgend jemanden auf die Reise mitnehmen
könntet, der mutiger mit euch an den hunnischen Hof zu reiten
wagte als ich. Da ihr die Absicht nicht aufgeben wollt, lasse ich
euch eben diese Erfahrung machen.«

1493 Dazu sagte der Küchenmeister Rumold: »Gäste und euch selbst
könnt ihr hier bewirten lassen, wie es euch gefällt; schließlich
habt ihr Mengen an guten Vorräten. Bedenkt, daß euch Hagen
noch immer das Vorteilhafteste geraten hat.

1494 Und wenn ihr ihm nicht folgen wollt, so rät euch Rumold -
denn ich bin euch in treuem Dienst ergeben - , daß ihr meinet­
wegen hierbleibt und König Etzel dort bei Kriemhild laßt.

1495 Wo könnte es euch auf der Welt jemals besser gehen? Hier zu
Hause lebt ihr sicher vor euren Feinden. Schmückt euch mit
kostbaren Kleidern, trinkt den besten Wein und liebt schöne
Frauen.

1496 Dazu serviert man euch die erlesensten Speisen, die es über­
haupt auf der Welt gibt, ln eurem Land steht alles bestens. Ihr
könnt in allen Ehren auf Etzels Fest verzichten und euch mit
euren Verwandten und Freunden vergnügen.
480 2 4 . AVEN TIURE

1497 O b ir n ich t an ders hiete, d a z ir m öch te geleben,


ich w olde ew ain sp eizze den volln im m e r geben,
sieden in öl gepraw en. d a z ist R u m oldes rat.
so ist ez su st an gistleichen erhebn da zen H eu nen stat.

1498 Ich w a iz, d a z m ein e fra w e C h rim h ild e ew n im m e r w ird e t holt;


auch h a b t ir u n d H agen zu ir an d ers n ich t versolt.
des su it ir beleihen, ez m a g ew w erden leit.
ir ch o m et ez an ain ende, d a z ich e w n ich t han m issesait.

1499 D es ra t ich ew beleihen, reich s in t ew er lant,


m a n m a g m ichel san fte lösen h ie d ie p h a n t
d a n n e d a zen H eunen. ich w ais, w ie ez d a gestat,
ir su it beleihen, herre! d a z ist trew en m ein rat.«

1500 »W ir enw ellen n ich t beleihen«, sprach d o G ernot.


»seit das uns m ein e sw ester so friu n tlich en b o t
u n d E tzel d er reiche, zw e u solde w ir d a s lan?
d e r d a r nicht welle, d e r m a g h ie h eim e b esta n .«

1501 »Entrewen«, sprach do R u m olt, »ich s o k d er a in e sein,


d er durch E tzel hoch czeit c h u m p t n im m e r über den Rein,
zw e u sold ich d a z wagen, d a z ich w aegers h a n ?
d ie w eil ich m a g im m er, ich w il m ich selben leben lan.«

1502 »D es selben w il ich volgen«, sprach O r tw in d er degen,


»ich w il des geschaftes hie h a im e m it e w phiegen. «
do sprach ir genuog, si w olden s auch bew aren.
»got la zz ew, lieben herrn, zen H eu nen w ol bewaren!«
DIE H IN TE R L IS T IG E EINLADUNG DER BURGUNDEN 481

1497 W enn ihr n ichts an d eres hättet, um eu ch zu beschäftigen,


w ü rd e ich euch o h n e U n terlaß Speisen in Fü lle auftragen ,
gesotten o d er in ö l gebraten . D as ist R u m o ld s Rat. Bei den
H u n n en ist es äuß erst gefährlich.

1498 Ich w eiß, daß m ein e H errin K riem h ild euch nie w ieder w oh lge­
son n en sein w ird ; au ch habt ihr un d H agen es aus ihrer Sicht
nicht an d ers verdient. D aru m bleibt hier, denn es kann fü r euch
n ur Leid d arau s entstehen. Ih r w erdet erkennen, daß ich euch
n ichts Falsches gesagt habe.

1499 D eshalb rate ich euch, h ier zu bleiben. E ure Länder sind reich,
hier kann m an euch viel leichter w ied er auslösen, w as ihr ver­
pfän d et habt, als d o rt bei den H un n en . Ich w eiß, w ie es d o rt
ausgeht. Bleibt hier, H err! D as ist m ein treuer Rat.«

1500 »Wir w erd en n ich t h ierbleiben «, entgegnete G ern o t. »D a un s


m ein e Schw ester so freundlich eingeladen hat u n d d er m ächtige
Etzel auch, w eshalb sollten w ir den B esu ch unterlassen? W er
nicht d o rth in m itk o m m en w ill, d er kann ja hier zu H ause b lei­
ben.«

1501 »In d er Tat«, sagte R u m old d arau f, »ich w erde w o h l d er einzige


sein, d er a u f kein en Fall w egen Etzels Fest den R hein überquert.
W eshalb sollte ich d as aufs Spiel setzen, w as ich hier sicher b e­
sitze? Solan ge es irgend geht, w ill ich am Leben bleiben.«

1502 »D as gilt auch fü r m ich «, sp rach der K äm p fer O rtw in , »ich w ill
m ich hier zu H au se fü r euch u m den H o f k ü m m ern .« D a sag­
ten n och etliche, sie w ollten d asselbe tun. »G o tt m öge euch,
liebe H erren, bei den H un n en w ohl behüten!«
482 24- A V E N T IU R E

1503 Der chünig begunde zürnen, do er daz gesach,


daz die hie haime wolden schaffen ir gemach.
»darumb wir ez nicht lazzen. wir müezen an die vart.
ez waldet guoter sinne, der sich alle zite bewart.«

1504 »Nu lat iuch Unbilden«, sprach do Hagene, »niht


mine rede darumbe, swie halt iu geschiht.
ich rat iu an den triwen, weit ir iuch wol bewarn,
so suit ir zuo den Hünen vil gewaerliche varn.

1505 Sit ir niht weit erwinden, so besendet iwer man,


die besten, die ir vinden oder inder muget han.
so wel ich uz in allen tusent ritter guot;
sone chan uns niht gewerren der argen Chriemhilde muot.«

1506 »Des wil ich gerne volgen«, sprach der kunic zehant.
do hiez er boten riten witen in sin lant.
do brahte man der helde driu tusint unde mer.
si wanden niht erwerben also gremelichiu ser.

1507 Si riten willechliche in Gunthers lant.


man hiez in gehn allen rosse und ouch gewant,
die mit in varn wolden zuo den Hünen dan.
der kunic in guotem willen der vil manigen gewan.

1508 Do hiez von Tronege Hagene Danchwart den bruoder sin


ir beider recken sehzich bringen an den Rin.
die chomen ritterliche, harnasch und gewant,
des brahten vil die degene in daz Gunthers lant.

1509 Do chom der herre Volker, ein küene spileman,


hin ze hove nach eren mit drizzech siner man,
die heten solch gewaete, ez möht ein kunic tragen.
daz er zen Hunin wolde, daz hiez er dem chunige sagen.
DIE H IN T E R L IS T IG E EINLADUNG DER BU RGUNDEN 483

1503 D er K ö n ig w u rd e zornig, als er m erkte, daß die, die zu H ause


bleiben w ollten, n u r a u f ih r W ohlergehen aus w aren. »D as ist
fü r un s kein G ru n d , d ie Reise zu unterlassen. W ir m üssen fort.
Sicher handelt der beson n en, der im m er a u f der Hut ist.«

1504 D azu sagte H agen: »N un laßt euch d u rch m ein e W orte nicht
w eiter aufhalten , ganz gleich w as euch geschieht. Ich rate euch
aus Treue, w en n ihr am Leben bleiben w ollt, d an n sollt ihr voll
bew affnet zu d en H u n n en reisen.

1505 D a ihr die Reiseabsicht nicht aufgeben w ollt, ruft eure Leute zu ­
sam m en , und zw ar d ie besten, die ihr finden od er überhaup t
haben könnt. A us ihrer Schar w ähle ich tausen d tüchtige Ritter
aus; d an n k an n uns das V orhaben d er arglistigen K riem h ild
nicht schaden.«

1506 »D em w ill ich gern folgen«, antw ortete der K ö n ig sogleich. Er


ließ Boten in sein w eites L an d reiten. M a n brachte über d rei­
tausen d H elden heran. Sie hatten keine A h n u n g, w elch schreck­
liches Leid sie treffen w ürde.

iso? Sie ritten gern in G u n th ers L and . A lle, die m it ihnen zu den
H u n n en reisen w ollten, erhielten Pferde un d auch G ew änder.
D er K ö n ig fan d viele Bereitw illige.

isos H agen von T ron je ließ seinen B ru d er D an k w art sechzig ihrer


eigenen Recken an den R hein holen. Sie kam en ritterlich au s­
gestattet. Ein e M en ge H arn isch e u n d W affenkleider brachten
die K äm p fer m it in G u n th ers Land.

1509 A u ch H err Volker, ein kü h n er Sp ielm an n , kam m it dreiß ig sei­


n er Leute u m der Ehre w illen an den H of. Sie trugen G ew änder,
die eigentlich einem K ö n ig angem essen gew esen w ären. Volker
ließ G u n th er m elden, daß er zu den H unnen m itreisen wollte.
484 24- AVEN TIURE

1510 W er d er V olker w aere, daz w il ich w izzen lan.


er w as ein edel herre, im w as ou ch un dertan
vil der guoten recken in B u rgo n d en lant;
durch daz er videln künd e, w as er d er spilem an genant.

1511 Tusent w eit H agene; die hete er w ol bêchant,


un d sw az in starchen stürm en hete gefrü m t ir hant,
un d sw az si ie begiengen, des het er vil gesehn.
in chun de ouch an ders n iem en niw an früm cheite jeh n.

1512 D ie boten von den H ün en vil sere da verdroz;


w än de ir vorh t zir herren diu w as harte groz.
si gerten tägeliche urlou b es von dan,
des en gun d e niht H agene. daz w as d urch liste getan.

1513 E r sprach zuo sim e herren: »w ir suln daz w ol bew arn ,


daz w ir si iht lazen riten, e daz w ir selbe v a m
dar nach in tagen sibenen, w id er in ir lant.
treit uns iem en argen m u ot, daz w irt uns deste baz bêchant.

1514 Sone chan ouch sich v ro u C h riem h ilt bereiten niht d ar zuo,
daz uns durch ir raete iem en schaden tuo.
hat aber si den w illen, ez m ag ir leide ergan,
w än de w ir fueren hin nen m anigen uz erw elten m an.«

1515 Sätil unde Schilde und ander ir gewant,


daz si fueren solden in Ezelen lant,
daz w as nu gar bereitet vil m anigem chüen em m an.
die Ezelen videlaere hiez m an d o ze hove gan.

1516 D o si die fürsten sahen, do sprach G ern ot:


»der ch un ic wil nu leisten, daz Ezel uns enbot.
w ir w ellen chom en gerne zuo siner hochgezit
un d sehn un ser swester. daz ir des ane zw ivel sit.«
DIE H IN T E R L IS T IG E EINLADUNG DER BURGUNDEN 485

1510 W er d ieser V olker w ar, das w ill ich euch erklären: E r w ar ein ad ­
liger H err, der zahlreiche tüchtige Recken im B u rgu n d en lan d
befehligte; Sp ielm an n w u rd e er genannt, w eil er Fiedel spielen
konnte.

1511 H agen w ählte tausen d M an n aus; diese kannte er beson ders


gut, un d er hatte gen au gesehen, w as sie in heftigen G efechten
geleistet un d w as sie sonst vollbrach t hatten. N iem an d konnte
ihnen etw as anderes als ihre T ü ch tigkeit nachsagen.

1512 D ie Boten d er H u n n en w u rd en äußerst un geduldig; denn die


Furcht v o r ihrem H errn w ar groß. T äglich baten sie, abreisen
zu d ü rfen , d o ch H agen versagte ihnen die E rlaubn is dazu. D as
geschah in k lu ger A bsicht.

1513 E r erklärte seinem H errn : »W ir w o llen aufpassen, daß w ir sie


erst sieben Tage, b evor w ir selbst aufbrechen, w ieder in ihr Land
reiten lassen. W enn jem an d etwas Böses gegen uns plant, erken­
nen w ir das um so besser.

1514 So kan n auch K riem h ild keine V orb ereitu n gen d afü r treffen,
daß uns jem an d a u f ihr G eh eiß überfällt. Fü h rt sie aber d e n ­
noch etw as im Schilde, w ird es ihr schlecht bekom m en , denn
uns begleiten viele auserw äh lte M änner.«

1515 Sättel, S ch ild e un d ihre w eitere A u srü stu n g, die sie in Etzels
L an d m itn eh m en sollten, w aren nun fü r viele tapfere M än n er
vollstän d ig bereitgestellt. N u n ließ m an Etzels Spielleute bei
H o f erscheinen.

1516 A ls die Fürsten sie v o r sich sahen, sagte G ern ot: »D er K ö n ig


n im m t Etzels E in lad u n g an. W ir kom m en gern zu seinem Fest
u n d w ollen unsere Schw ester besuchen. D essen kön nt ihr sicher
sein.«
486 24- AV EN TIURE

1517 D o sprach der k u n ic G u n th er: »ir suit uns w izzen lan,


w enne si die hochgezit zen H ün en w ellen han.«
des an tw urtem kun ige der bote Sw äm m elin :
»ze naehsten sun ew enden so sol si sicherlichen sin.«

1518 D er chun ich in erloubte, des w as n och n iht geschehn,


ob si gerne w old en , P run hild e sehn,
daz si fu r si solden m it sim e w illen gan.
daz un d erstu on t d o Volker, daz w as ir liebe getan.

1519 »Jan ist«, so sprach Volker, ein edel ritter guot,


»Prunhilt m in frow e nu niht w ol gem uot.
bitet unze m orgen, so laet m ans iuch sehen.«
do si sie w anden schow en, d o n e chun des n iht geschehen.

1520 D o hiez der chun ic riche, der w as den boten holt,


d urch sines hercen tugende tragen d ar sin golt
u f den breiten Schilden, des er vil m ohte han.
ouch w art in richiu gäbe von sinen friu n d en getan.

1521 G ern ot unde Giselher, G ere u n d O rtw in ,


daz o u ch si m ilte w aeren, daz w art da vil w ol schin.
also riche gäbe si sie buten an,
daz si ir v o r ir herren deheine torsten enpfan.

1522 D o sprach zuo dem chun ige der bote W ärbelin:


»her chun ic, lat iw er gäbe in iurem lande sin.
w ir m ugen ir niht gefüeren. m in herre ez uns verbot,
daz w ir iht gäbe enpfiengen. ou ch ist es d ech ein er slahte not.«

1523 D es w art der chun ic here sere u n gem u ot,


daz si versprechen w old en so riches kuniges guot,
d och m uosten si en pfahen sin golt un d sin gew ant,
daz si m it in brahten sit in Ezelen lant.
DIE H IN TE R L IS T IG E EINLADUNG DER BURGUNDEN 487

1517 D an n fragte K ö n ig G u n th er: »Sagt uns, w ann das Fest im H u n ­


n enland stattfinden soll.« D a ra u f antw ortete der Bote Schw äm -
m el d em K ön ig: »Z u r nächsten Sonn enw en de, das steht fest.«

Isis D er K ö n ig gestattete den Boten, w as bislan g noch nicht gesche­


hen w ar, B rü n h ild zu sehen, w en n sie es gern w ollten; seine
Z u stim m u n g hätten sie dazu. V olker aber verhinderte es, und
das w ar ihr d u rch au s recht.

1519 »W ahrhaftig«, sagte Volker, ein edler, tüchtiger Ritter, »m einer


H errin B rü n h ild geht es n icht gut. W artet bis m orgen , dan n
k ön n t ihr sie sehen.« A ls sie d an n m einten, sie sprechen zu d ü r­
fen, da w a r es w ied eru m nicht m öglich.

1520 D an n ließ d er m äch tige K ö n ig , d er den Boten zugetan w ar, aus


herzlicher G ü te G o ld a u f groß en Schilden herbeibrin gen , w o ­
von er viel besaß. D arü b er hin aus erhielten sie n och kostbare
G ab en von seinen V erw andten.

1521 D aß auch G ern o t un d G iselher, G ere un d O rtw in freigebig w a­


ren, w u rd e da offen bar. Sie boten ihnen kostbare G eschenke
an, d och w egen ihres H errn w agten die H un n en nichts an zu ­
n ehm en.

1522 D eshalb sagte der Bote W ärbel zum K ön ig: »H err K ön ig, b e­
haltet eu re G ab en in eurem Land. W ir k ön n en sie nicht
m itn eh m en . M ein H err hat uns verboten , irgendein G eschenk
en tgegen zu n eh m en . A u ß erd em besteht dazu keinerlei V eran ­
lassung.«

1523 D en erhaben en K ö n ig verstim m te es sehr, daß sie das G ut eines


so m ächtigen H errschers ablehnten, un d schließlich m ußten sie
d och sein G o ld un d seine G ew än d er behalten und m it in Etzels
L an d nehm en.
488 24- AV EN TIURE

1524 Si w olden sehen U oten , e daz si schieden dan.


G iselh er der snelle b raht die spilem an
ze hove fü r sine m uoter. d iu frow e enbot d o dan,
sw az si eren hete, daz w aere ir liebe getan.

1525 D o hiez d iu ku n igin n e ir p orten u n d ir golt


gebn durch C h riem h ild e, w an der w as si holt,
un d durch den kunec Ezelen den selben spilem an .
si m ohtenz w ol enpfahen , ez w as m it triw en getan.

1526 U rlo u p gen om en heten von w ibe un d von m an


die b oten C h riem h ild e, m it freuden si do dan
fuorn unz in Sw aben. d ar hiez si G ern o t
sine liute leiten, daz ez in niem en m issebot.

1527 D o sich die von in schieden, die ir solden pflegn,


d iu Ezelen herschaft si vrid et u f allen w egn.
des en nam in n iem en ir ros n och ir gew ant.
si begunden vaste gahen w id er in d er H ün en lant.

1528 Sw a si ir friu n d e iht w isten, daz taten si den chun t,


daz die B u rgo n d en in vil churcer stunt
zetal von R ine fiieren in der H ün en lant.
dem bisschofe Pilgerine diu m aere w u rd en o u ch bêchant.

1529 D o si m it solher ile fu r B echelaren riten,


si sagtenz Rüedeger, des w a r t n ich t verm iten ,
u n d auch G otlinde, des m argraffen w eip.
d a z si sew sehen solden, des w a r t v il vroleichen ir leip.

1530 G ahen m it den m aern sach m a n d ie p o ten dan.


Etzin si fu n d e n in d er s ta t z e Gran.
d ien st u b ir dien st, des m a n in v il enpot,
sagten si d em chünig. vo r liebe w a r t er freu den rot.
DIE H IN T E R L IS T IG E EIN LADU NG DER BURGUNDEN 489

1524 Ehe sie abreisten, w ollten sie U te noch einm al einen Besuch ab ­
statten. D er gew andte G iselh er brachte die Spielleute zum H o f
seiner M utter. D ie H errin ließ ausrichten, w en n K riem h ild in
h o h em A n seh en lebte, w äre ihr das eine Freude.

1525 D an n schenkte d ie K ö n ig in ihre B än d er u n d ih r G o ld an die


Spielleute, das geschah aus Liebe zu K riem h ild un d aus Z u n e i­
g u n g zu Etzel. Sie kon nten es ru h ig an n eh m en , denn es w ar
eine au frich tige G abe.

1526 N ach d em K riem h ild s Boten von Frau en und M än n ern


A b sch ied g en o m m en hatten, zogen sie fröh lich bis nach
Sch w aben . D o rth in gaben ihnen G ern o ts Leute G eleit, d am it
sie n iem an d an zugreifen wagte.

1527 A ls diese Begleiter sich von ihnen trennten, sicherte ihnen


Etzels h errsch erlich es A n seh en a u f allen W egen den Frieden.
D eshalb raubte n iem an d ihre P ferd e u n d ihre G ew änder. Sie
beeilten sich, ins H u n n en lan d zurückzukehren.

1528 Ü berall, w o sie a u f Verbündete trafen, verkündeten sie, daß die


B u rgu n d en in K ürze den R hein en tlang ins Land der H un n en
zögen. D er B isc h o f P ilgrim erfuh r es auch.

1529 O bw oh l sie in groß er Eile vor die Tore von Bechelarn kam en,
unterließen sie es nicht, R ü d iger und auch G o telin d, die Frau
des M ark grafen , zu benachrichtigen . D ie freuten sich, daß sie
die B u rg u n d en bald sehen sollten.

1530 D ie Boten eilten m it den N achrichten weiter, ln der Stadt G ran


trafen sie Etzel. Sie ü b erb rach ten d em K ö n ig G rü ß e über
G rü ß e, die m an ihnen aufgetragen hatte. D ie Freude d arüber
ließ ihn erröten.
490 24- AVENTIURE

1531 D o d ie ch u nigin ne d ie m aere recht en ph ant,


d a z ir brü d er solden chom en in d a s lant,
do w as ir w ol z e m uote. si g a b den sp ilm a n
also reiche gäbe, si m och ten s im m e r fru m e n han.

1532 Si sprach: »nu sagt m ir p a id e, vil lieben p o ten m ein,


w elcher m ein er fre w n d e hie p e i uns w elle sein,
d er höchsten, d ie w ir lodeten her in d ic z lant?«
si sprach: »w as redet H agen, do er d ie m aere bêchant?«

1533 Er sprach: »er ch ôm e ze frage an a in em m orgen fru ,


n ich t gu otleicher spräche red t er do zu .
do si d ie raise lobten von W ü rm c z u b ir Rein,
d a z w yzzet, chüniginne, ez ch u nde im laider n icht gesein.

1534 E z chom en e w r brüder, d ie ch ü n ig aldrey,


in herleichem m ute, w er rekchen m it in sei,
der m a er ich endleiche w izze n n in e chan.
ez lobte m it im reiten Volker, d er chüne spilm an .«

1535 »D es en baer ich leichte«, sprach des chunigs weip,


» d a z ich im m e r hie gesaehe den Volkers leip.
H agen p in ich waege, d er ist ein rekche gut;
d a z er c h u m p t zen H eunen, des s ta t m ir hoch d er m u t. «

1536 D a g ie d ie chüniginne, d a si den ch ü nig sach.


w ie rechte m inicleichen fra w e C h rim h ild d o sprach:
»w ie z a e m e n t e w d ie m aer, vil lieber herre m ein?
des ie m ein h erczegerte, d a z sol nu w o l veren det sein.«

1537 »D ein wille, d er ist m ein freude«, sprach d er chünig do.


»ich e n w a rt m ein selbes m age n ie so rechte vro,
so ich si w este ch om en de her in d icze lant;
durch liebe dein er fre w n d e ist m ein e sorge g a r versw ant. «
DIE H IN T E R L IS T IG E EINLADUNG DER BURGUNDEN 491

1531 A ls die K ö n ig in die N ach rich t v ern o m m en hatte, daß ihre


B rü d er ins L an d kom m en w ürd en , da w ar sie hocherfreut. Sie
besch enkte die Spielleute so reich, daß sie davon lange leben
konnten.

1532 Sie fragte: »N un sagt m ir, ihr lieben Boten, w elche m einer
v orn eh m sten V erw and ten , die w ir in dieses Land eingeladen
haben, w erden zu uns kom m en?« W eiter fragte sie: »Was sagte
H agen, als er von der E in lad u n g erfuhr?«

1533 Ein er der Boten antw ortete: »Er kam an einem frühen M orgen
zu r allgem ein en Beratu n g, un d er stim m te nicht zu. A ls die
an d eren sich fü r die R eise von W orm s über den R hein en t­
sch ieden , K ö n ig in , das sollt ihr w issen , w ar H agen aufs
schm erzlichste betroffen.

1534 E ure Brüder, die K ön ige, k o m m en alle drei in stolzem H err­


scherbew u ß tsein . W elche Recken sie begleiten, kann ich letzt­
lich n icht gen au sagen. Z u m in d est Volker, d er tapfere S p iel­
m an n , versprach, m it ihnen zu reiten.«

1535 »Volker hier einm al zu sehen, d a ra u f kön nte ich durch aus ver­
zichten«, sagte die G em ah lin des K ön igs. »H agen besitzt m eine
Z u n e ig u n g , er ist ein tüchtiger H eld; daß er ins H un n en lan d
kom m t, freut m ich sehr.«

1536 D an n g in g die K ö n igin zum K ön ig. Liebevoll sprach die H errin


K riem h ild zu ihm : »Wie gefallen euch die N achrichten, m ein
lieber H err? W as m ein H erz im m er gew ünscht hat, w ird nun
w oh l in E rfü llu n g gehen.«

1537 »D arü b er freue ich m ich auch«, sagte d a ra u f der König. »Wenn
m ein e eigenen V erw andten m ich in diesem Land besuchen
w ollten, hielt sich m ein e Freude in G renzen; doch in Erw artun g
d ein er V erw andten sind m ein e Sorgen ganz verschw unden.«
492 24- AVEN TIURE

1538 D es chünigs a m p tle u t d ie h iezzen ubiral


m it gesidel richten p a la s u n d sal
gen den lieben gesten, d ie in d a solden chom en.
seit w a r t von d em chunige vil m ich el w u n n e benom en.
DIE H IN T E R L IS T IG E EINLADUNG DER BURGUNDEN 493

1538 Die Dienstleute des Königs ließen Palas und Saal überall mit
Tischen und Bänken herrichten für die lieben Gäste, die kom­
men sollten. Später wurde dem König die ganze große Freude
zerstört.
25- A V EN T IU R E
A B E N TE W E R W IE SIC H DIE CH Ü NIG ZE D EN
H E W N E N N H U O BEN

1539 N u lazzen das belaiben, w ie si gebaren hie.


hochgem uter rekchen d ie gefuoren nie
so rechte herleichen in dh ain es chiinigs lant.
si hetten, w as si w olden, d a r zu w affen u n d g ew an t.

1540 D e r vogt von d em R ein ch la id et sein e m a n ,


sechczig u n d taw sent, als ich vern om en han,
u n d n ew n e ta w se n t chnechte gen d er hochczeit.
d ie si d a h a im e liezzen, d ie bew a in ten e z seit.

1541 D o tru o g m a n d ie g e r a ite z e W iirm c z u bir den hof.


d a sprach do von S peier ain alter bisch off
z u d er alten chüniginne: »unser f r e w n t d ie w ellen t varen
hin ze r hochczeite, g o t m u zze ir er w o l bew aren.«

1542 D o sprach zu ir kinden du edel Uote:


»ir m ö ch tet noch beleihen, h olde guote,
ich sach h ein t in treu m e vil angestliche not,
w ie alles d a z gefügel in disem la n d e la it tot. «

1543 »Swer g ela w b et traw m en «, sprach do H agene,


»d er en w ais d er rechten m aere n ich t zu sagene,
w en n e ez im nach den ern vollichen ste.
j a w il ich, d a z m ein herre ze hove nach urlaup ge.
25. A V EN T IU R E
W IE D IE K Ö N IG E
ZU D EN H U N N E N REISTEN

1539 N u n lassen w ir erst einm al beiseite, w ie sich die Leute hier in


Etzels Land verhielten. N iem als zogen Recken so hochgestim m t
und stolz in irgendeines K ö n igs Land. N eben ihren W affen und
G ew än d ern verfügten sie auch sonst über alles, w as sie wollten.

1540 D er H err vom R hein hatte, w ie ich vern o m m en habe, tausend-


un d sechzig R itter u n d neuntausend K n app en fü r das Fest au s­
gestattet. D iejen igen , die sie zu H au se zurückließ en, w einten
später darüber.

1541 In W orm s trug m an das R eitzeug über den H of. D a sagte ein
betagter B isc h o f von Speyer zu d er alten K ö n igin : »U nsere Ver­
w an dten u n d Freun d e w ollen zu dem Fest reisen, G o tt m öge
ihre Ehre beschützen.«

1542 D ie edle Ute sprach zu ihren K in dern : »Ih r solltet lieber noch
hierbleiben, edle H elden , d en n ich habe heute nacht im Traum
ein furch tbares U n glü ck gesehen, w ie näm lich alle Vögel in
diesem L and tot am B od en lagen.«

1543 »Wer an T räu m e glaubt«, entgegnete H agen , »der w eiß nicht,


w o r a u f es an ko m m t, w en n es w irklich um seine Ehre geht. Ja,
ich m öchte jetzt, daß m ein H err sich am H o f verabschiedet.
496 25- AV ENTIURE

1544 W ir sullen gern reiten in E tzin lant.


so m a g w ol chünigen dien en g u te r helde hant,
d a w ir do m ü zze n schaw en C h rim h ild en hochczeit.«
H agen riet d ie raise, iedoch geraw e e z in seit.

1545 Er h et ez w id er raten, n ew r das G ern o t


m it ungefügem sprechen im sere m issebot.
er m a n t in Seifrides, fra w n C h rim h ild en m an,
er sprach: »do von w il H agen die grozzen hoveraisen lan .«

1546 D o sprach d er von Tronge: »durch vo rch t ez n iem an tu.


sw en ne ir, helde, wellet, so su it ir greiffen zu,
j a reite ich m it ew gern e in E tzin lant. «
se it w a r t von im verhaw en m a n ig h eim u n d rant.

1547 D e w sch effb era itet w aren z e varen u b ir Rein,


sw as si ch laider heten, d ie tru g m an d a r ein.
si w aren vil u n m ü ssig vor aben des zeit.
doch chom en si von haus v il h a rte fröleich seit.

1548 G ezelt u n d h ü tten si spinen an d a z gras


an derh alb des Reines, do d a z geschehen was,
den ch ü nig p a t noch beleihen sein v il schoenes w eip.
si tra u te noch des nachcz seinen w a etlichen leip.

1549 Floiten u n de videln h u p sich des m orgens fru ,


da si da hin m usten, do griffen si do zu .
sw er hete lieb an arm e, d er tra u te fre w n d es leip.
des schiet seit m it laide des ch ü nig Etzin weip.

1550 R u m o lt d e r chüchenm aister, ein vil chüne m an,


d er n a m sein herrn h aim leich dan.
do sagt er d em chünig taugen seinen m uot.
er sprach: »des m u o zz ich traw ren, d a z ir d ie hove reizze tuot!
ABREISE UN D DO NAUÜBERGANG DER BURGUNDEN 497

1544 W ir w erd en gern in Etzels L and reiten. D ort, w o w ir K riem hilds


Fest besuch en m üssen, k ön n en tüchtige H elden ihren K ön igen
angem essen dienen.« H agen riet jetzt zu der Reise, doch später
tat es ihm leid.

1545 E r hätte au ch w eiterhin davon abgeraten, w en n G ern o t ihn


n icht m it Sch m äh red en veru n glim p ft hätte. D er erinn erte ihn
an S iegfried , K riem h ild s G em ah l, u n d sagte: »D eshalb w ill
H agen die groß e R eise an Etzels H o f unterlassen.«

1546 D a erw id erte der von Tronje: »Aus Furcht handelt hier n ie­
m an d . W enn ihr H elden die Reise antreten w ollt, dann brecht
auf, un d ich reite selbstverständlich m it euch in Etzels Land.«
Später hat er zahlreiche H elm e u n d Schilde zerschlagen.

1547 D ie S ch iffe lagen bereit, u m über den R hein zu fahren. D ie


K leider, die sie m itn eh m en w ollten, lud m an ein. Bis zum
A b en d w aren sie vollen d s beschäftigt. D an n reisten sie sehr
froh gem u t von zu H au se ab.

1548 A m anderen U fer des R h ein s schlugen sie im G ras große und
kleine Zelte auf. A ls das geschehen war, bat die schöne Brün hild
den K ö n ig, n och zu bleiben. Sie sc h lief in der N acht noch ein ­
m al zärtlich m it ihrem schönen M an n.

1549 Flöten un d Fiedeln w eckten sie früh am nächsten M orgen , als


sie fo rt m ußten. D ann m achten sie sich auf. W er eine G eliebte
in den A rm en hielt, der drückte sie n och einm al liebevoll. S p ä­
ter trennte K ö n ig Etzels G em ah lin sie schm erzlich für im m er.

1550 R u m o ld , der K üch en m eister, ein d u rch au s tapferer M an n ,


nahm seinen H errn heim lich beiseite. Im verborgen en sagte er
d em K ö n ig seine M ein u n g. E r sprach: »Es m acht m ich traurig,
daß ihr diese H ofreise un ternehm t!
498 25. AV EN TIURE

1551 Ich han ewch vil g e w a rn e t u n d auch gen u g g em a n t.«


er sprach: »w em w eit ir la zzen leu te u n d lant?
d a z n ie m a n t chan erw en den , e w rekchen, tu m b en m ut!
d e w C h rim h ild e m aere nie gedau ch ten si m ich gu t. «

1552 » D a z la n t sei d ir enpholhen u n d a n d ern m ein en m an,


d ie ich h a im e lazze, u n d alles, d a z ich han:
m ein ch in t u n d m ein gesin de u n d m ein er fra w en leip.
j a g e tu t uns n im m e r laide d e z ch ü nig E tzin w eip.«

1553 E d a z si schieden danne, d er ch u nig z u rate gie


m it seinen höchsten m ann en , u n b erich tet er n icht lie
la n t u n d burge, d ie d er solden pflegen,
den liez er ze h u ote vil m angen a u zerw elten degen.

1554 D ie ros b era itet w aren den chunigen u n d ir m an.


m it m inicleichen chüssen schiede v il m a n ger dan,
d em in h ohem m u o te lep t do d er leip.
d a z m u st seit bew ain en vil m anich w aetleich weip.

1555 W uoffen u n d w ain en des h ö rt m a n genug.


ir ch in t d ie ch ü nigin ne zu d em ch ü nig a u ff arm en trug:
»w ie w eit ir im verw aisen unser p a id e r leip?
ir so it durch uns belaiben«, so s a it d a z ja m erh a fte weip.

1556 »Ir su it nicht, fla w , w ain en durch den w illen m ein,


ir su it in h ohem m u o te hie h a im e an a n gst sein,
w ir chom en schir w id e r m itfr e w d e n w o lg esu n t.«
si schieden m innicleichen von ir fr iu n d e n sa ze stunt.

1557 D o m an d ie snellen rekchen sach zu den rossen gan,


do chos m a n w arn en de vil m an ge fra w en stan.
d a z ir vil langes scheiden sagt in w ol ir m u t
a u ff grozzen schaden ze chom ene, d a z herczen niene sanfte tut.
ABREISE UN D DO NAUÜBERGANG DER BURGUNDEN 499

1551 Ich habe euch eindringlich gewarnt und außerdem inständig


gebeten.« Dann fragte er: »Wem wollt ihr Leute und Land an­
vertrauen? Daß euch niemand, ihr Recken, von eurer törichten
Absicht abbringen kann! Kriemhilds Einladung hat mir von
Anfang an nicht gefallen.«

1552 »Dir und meinen anderen Leuten, die ich zu Hause lasse, über­
gebe ich das Land und alles, was ich habe: meinen Sohn, meine
Dienerschaft und meine Gemahlin. Glaub mir, König Etzels
Frau wird uns niemals Leid antun.«

1553 Bevor sie aufbrachen, beriet sich der König mit seinen vor­
nehmsten Leuten. Er ließ sein Land und seine Burgen nicht un­
versorgt zurück. Denen, die sich darum kümmern sollten,
stellte er zum Schutz viele auserwählte Kämpfer zur Verfügung.

1554 Die Pferde standen für die Könige und ihre Begleiter bereit. Mit
liebevollen Küssen nahmen alle Abschied, noch von freudiger
Erwartung erfüllt. Das mußten später viele schöne Frauen be­
weinen.

1555 Überall hörte man Klagen und Weinen. Die Königin trug ihren
Sohn auf dem Arm zum König: »Warum wollt ihr uns beide zu
Waisen machen? Um unsertwillen solltet ihr hierbleiben«, sagte
die unglückliche Frau.

1556 »Weint nicht, Herrin, mir zuliebe. Ihr sollt zuversichtlich und
ohne Angst hier zu Hause bleiben, wir kommen bald froh und
ganz gesund zurück.« Ohne langen Abschied trennten sie sich
liebevoll von ihren Verwandten.

1557 Als die tapferen Recken zu den Pferden gingen, blieben viele
Damen weinend zurück. Ihre innere Stimme sagte ihnen wohl,
daß es zu einer langen Trennung und großem Unglück kom­
men würde, und solche Vorahnung bedrängt das Herz.
500 25. AV EN TIURE

1558 D ie snellen B orgonden sich an hüben,


d a w a r t in d e m lan de ein m ich el üben,
p a id en th a lb en des R eines w a in ten w eip u n d m an.
sw ie d o r t ir volch getaete, si fu ren fröleich dann.

1559 In d e r selben czeiten w as d er gelau be noch chranch,


doch fru m te n s ain en capplan, d er in m esse sanch.
d e r chom g esu n der w ider, w a n d er v il ch au m e entran.
d ie a n dern m usten alle d a zen H eu n en bestan.

1560 D o schikchten si ir raise gen den M eu n en dan


a u f durch O sterfranken, d er dreier ch ü nig m an.
d a r la ite si do H agen, d e m w as e z w o l bêchant.
D a n ch w a rt w as m arsalch, d er h eit von B urgunden lant.

1561 D o si durch S w an velde von O sterfran ken riten,


do m och t m a n si chiesen an herleichen siten,
d i fü rsten u n d ir m age, d ie h elde lobesam .
an d em czw elften m orgen der chunig ze Tunaw e qu am .

1562 D o ra it von Tronge H agen ze aller foderost,


e z w as den N ybelun gen ein hilfleicher trost.
do s tu n t d er degen chüne n id er a u f den sant,
sein ros er h arte balde zu a in em p a w m gepant.

1563 D a z w a zzer w as engozzen, d ie scheff verporgen.


ez chom den N ybelun gen z e grozzen sorgen,
w ie si chom en u b ir den wach, d er w as g a r z e brait,
do erb a n t zu der erden m anich ritte r g em a it.

1564 »L a id er«, sprach so H agen, » m a g d ir w ol hie geschehen,


voget von d em Reine, nu m ö ch t d u selbe sehen:
d a z w a zze r ist engozzen, v il starche ist im sein flu t,
ich w aen, w ir hie Verliesen noch h e w te vil m a n g e n ritte r g u t.«
A B R EISE U N D D O N A U Ü B E R G A N G DER B U R G U N D E N 501

1558 Die tapferen Burgunden zogen los. Im Land entstand eine


große Unruhe. An beiden Ufern des Rheins weinten Frauen
und Männer. Aber ganz gleich, wie sich das Volk dort gebär­
dete, sie zogen frohgemut von dannen.

1559 Zu jener Zeit war der christliche Glaube noch nicht überall
anerkannt, doch sie hatten einen Kaplan bei sich, der für sie die
Messe las. Der kehrte gesund nach Hause zurück, wenn er sich
auch nur knapp retten konnte. Alle anderen mußten bei den
Hunnen ihr Leben lassen.

1560 Die Leute der drei Könige reisten den Main aufwärts durch
Ostfranken. Hagen führte sie dorthin, denn er kannte den Weg
gut. Dankwart, der Held aus dem Burgundenland, war der
Marschall.

1561 Als sie durch Schwalbfeld in Ostffanken ritten, konnte man die
Fürsten und ihre Verwandten, die rühmenswerten Helden, an
ihrer vornehmen Haltung erkennen. Am zwölften Morgen kam
der König an die Donau.

1562 Hagen von Tronje ritt ganz vorn. Er war den Nibelungen ein
hilfreicher Beschützer. Da stieg der kühne Kämpfer am Ufer
vom Pferd und band es alsbald an einen Baum.

1563 Das Wasser ergoß sich aufs Land, Schiffe waren nicht zu finden.
Die Nibelungen gerieten in große Sorge, wie sie den Strom, der
außerordentlich breit war, überqueren sollten. Viele tüchtige
Ritter sprangen vom Pferd.

1564 »Schlimmes kann dir hier zustoßen, Herr vom Rhein«, sagte
Hagen. »Sieh nun selbst: Das Wasser ist über die Ufer getreten,
die Strömung ist stark. Ich vermute, wir werden an diesem Ort
heute viele gute Ritter verlieren.«
502 25- AV ENTIURE

1565 » W a z w e iz z e t ir mir, H agen?« sprach do d er chünich her.


»durch e w r selbs tu g e n t u n tro st uns n ich t mer.
den f u r t su it ir uns suchen hin u b ir d a s laut,
d a z w ir hin n en bringen b a id e w ros u n d g e w a n t .«

1566 »Ja en ist m ir«, sprach d a H agen, »m ein leben n ich t so lait,
d a z ich m ich w elle ertrenkchen in d isem w age brait;
er soi von m ein en h anden ersterben m anich m an
in Etzin landen, des ich vil gu ten w illen han.

1567 B eleihet bei d em w azzer, ir stolczen ritte r gut,


ich w il d ie vergen suchen selbe p e i d e r flu t,
d ie uns u b ir bringen in d a s E tzin lan t.«
H agen der chüne n a m seinen sch ild a n d ie hant.

1568 D e r h eit v il g u t gew aeffen an sein em leip tru g


u n d ainen heim a u f sein em h a w p t, la u ter genug,
do tru g er ob d er p rü n n a in e w affen a b o p ra it,
d a z zu seinen eken h a rt pitterleich sn ait.

1569 Er suchte nach den vergen w id e r u n d dan.


er h orte w a zze r giezzen , lozzen er began,
in a in em schonen pru n n e. d a z taten w eisew w eip,
d ie chülten sich d a r y n n e u n d e b ed a w ten iren leip.

1570 H agen w a r t ir yn n e, er slaich in san fte nach,


do si den h eit ersahen, d o w a rd in von im gach.
d a z si im en tru n n en , des w aren si v il her.
da n a m er ir gew aete, d e r h eit d er sch a d et in n ich t mer.

1571 D a sprach d a s a in e m erw eip, d ie w as H ad eb u rg gen an t:


»her H agen, g e b t uns w id e r unser gew an t!
d o ir uns, edel rekche, g e b t w id er unser w at,
ich sag ew, w ie ew er raise hin zen H eu nen ergat. «
ABREISE U N D DONAUÜBERGANG DER BURGUNDEN 503

1565 »Wollt ihr etwa mir die Schuld daran geben, Hagen?« entgeg-
nete der erhabene König. »Um eurer eigenen Tüchtigkeit wil­
len, raubt uns nicht weiter die Zuversicht. Sucht für uns die
Furt zum anderen Ufer, damit wir Pferde und Ausrüstung von
hier fortbringen können.«

1566 »Wahrhaftig«, sagte Hagen, »mein Leben ist mir nicht so zuwi­
der, daß ich mich in diesem breiten Strom ertränken möchte;
vorher sollen in Etzels Land etliche Männer von meiner Hand
den Tod finden. Das habe ich jedenfalls fest vor.

1567 Bleibt hier am Wasser, ihr stolzen Ritter, ich selbst will die Fähr­
leute am Fluß suchen, die uns in Etzels Land übersetzen.« Der
kühne Hagen nahm seinen Schild in die Hand.

1568 Der Held hatte sehr gute Waffen bei sich und einen glänzenden
Helm auf seinem Kopf. Über dem Brustpanzer trug er ein brei­
tes Schwert, dessen Schneiden furchtbar scharf waren.

1569 Stromaufwärts und -abwärts hielt er nach den Fährleuten Aus­


schau. An einer schönen Quelle hörte er Wasser rauschen und
lauschte. Dort waren zukunftskundige Nixen, die Kühlung
suchten und ins Wasser tauchten.

1570 Hagen entdeckte sie und schlich sich vorsichtig an sie heran.
Als sie den Helden erblickten, wollten sie vor ihm fliehen. Sie
waren sehr erleichtert, ihm zu entkommen. Er nahm ihnen ihre
Kleider weg, sonst aber tat der Held ihnen nichts.

1571 Daraufhin rief eine der Meerfrauen, die Hadeburg hieß: »Herr
Hagen, gebt uns unsere Gewänder wieder! Edler Recke, wenn
ihr das tut, sage ich euch, wie eure Reise zu den Hunnen aus­
gehen wird.«
504 25- AVEN TIURE

1572 Si sw ebten so d ie vogle v o r im a u f d e r flu t.


des dau ch ten in ir list starkch u n d gu t,
sw a z si im sageten, er g e la w b t ins dester pas.
des er an si gerte, ir a in e w sa g t im daz.

1573 Si sprach: »ir m iig t w o l reiten in E tzln lant.


des sei m ein trew e bürg, m ein h a u b t sei e w r p h a n t,
d a z held nie gefüren in d h a in e reiche p a s
nach also grozzen ern. ir so it w o l gelau ben daz. «

1574 D ie rede w a z d a H agen in sein em herczen her.


er g a b ir w id e r ir chlaider, d e r h eit s a u m p t sich n ich t mer.
do si do an geleiten ir w underleich g ew a n t,
do sagten si im d ie raise in d a z E tzin lant.

1575 D o sagt d a z a n d er m erw eip, d ie h iez W inelint:


»ich w il dich w arn en , d a s A d ria n es chint.
durch d er w a ete liebe h a t m ein m u o m e d ir gelogen,
u n d c h u m p st z u den H eunen, so p is t d u sere betrogen.

1576 D o soit d u cheren w ider, d a z ist an d er czeit;


w ä n d e ir helde chüne also g ela d et seit,
d a z ir ersterben m ü se t in d e r H eu nen lant.
swelch d a r gereitent, d ie h a n t den to t an d er h a n t.«

1577 Des a n tw o r t H agen: »ir trieget an not.


w ie ch ü n de sich gefügen, d a z w ir alle to t
ze r hochczeit gelegen durch iem a n d es h as ?«
d o begunde si im d ie m a er sagen chundleich pas.

1578 Si sprach: »nu m erchet, H agen: ja m u o z ez also wesen,


d a z ew er d h a in er d a n ich t chan genesen
w an a in e des chünigs cappelan. d a bei sei ew bêchant,
d er c h u m p tg e su n d e r w id e r in des G u n th ers lant. «
A B R EISE U N D D O N A U Ü B E R G A N G DER B U R G U N D E N 505

1572 Sie schwebten wie Vögel vor ihm auf dem Wasser. Deshalb
schienen ihm ihre Künste verläßlich und gut, und er glaubte
ihnen um so eher, was sie ihm kundtaten. Eine von ihnen sagte
ihm, was er hören wollte.

1573 Sie sprach: »Ihr könnt getrost in Etzels Land reiten. Ich ver­
bürge mich, mein Kopf sei euer Pfand, daß Helden niemals
besser in irgendein Reich gezogen sind, um so große Ehre zu
erlangen. Das könnt ihr mir wohl glauben.«

1574 Diese Voraussage ließ Hagens Herz höher schlagen. Der Held
gab ihnen ihre Kleider zurück und wollte fort. Doch als sie ihre
seltsamen Gewänder angelegt hatten, sagten sie ihm die Wahr­
heit über die Reise in Etzels Land.

1575 Die zweite Meerfrau, die Winelind hieß, sprach: »Adrians Sohn,
ich will dich warnen. Wegen der Kleider hat meine Muhme
gelogen. Wenn du zu den Hunnen kommst, dann bist du ganz
und gar verraten.

1576 Du solltest umkehren, noch ist es Zeit; denn ihr kühnen Helden
seid eingeladen, um in Etzels Land zu sterben. Alle, die dorthin
reiten, haben die Hand des Todes schon ergriffen.«

1577 Da antwortete Hagen: »Es ist unnötig, mich zu belügen. Wie


könnte es möglich sein, daß wir alle auf dem Fest umkommen,
wenn nur ein einzelner uns feindlich gesonnen ist?« Da erklärte
sie ihm die Voraussage genauer.

1578 Sie sagte: »Nun hört, Hagen: Es ist wirklich unumstößlich, daß
keiner von euch mit dem Leben davonkommt, außer dem
Kaplan des Königs. Der kehrt, das sei euch gesagt, gesund wie­
der in Gunthers Land zurück.«
506 25. AVENTIURE

1579 D a sprach in g rim m e m m u te d er chüne H agen:


»d a z w a er m ein en herrn m üleich z e sagen,
d a z w ir zen H eu nen solden fliezzen alle den leip.
nu z a ig uns u bir d a z wasser, d a s aller w eisiste weip. «

1580 Si sprach: »seit ir d er verte n ich t w ellet haben rat:


sw a jen h a lb e p e i d em w a zze r ain herberge stat,
d a r in n e ist ein verg, u n d n ie n d e rt an dersw a.«
der m aere, d er erfra g t, d er g ela u b et er sich sa.

1581 D e m u ngem u ten rekchen sprach ir a in e nach:


»nu b a ite t nah, her H agen, la t e w n ich t sein ze gach.
ve rn e m p t p a s d iu m aere, w ie ir ch ö m t u bir sant.
d irr m archerre d er ist Else gen an t.

1582 D e m p rü d e r ist geheisen Gelpfrat,


ein vo g t in B aierlande. d e z ez e w m uoleich stat,
w e it ir durch sein m arche, ir so it e w w o l bew aren,
u n d su it auch m it d em vergen v il beschaidenleich varen.

1583 D e r ist so g rim m e s m utes, er la t e w n ich t genesen,


iren w eit m it gu ten sinnen bei d em h o lt wesen,
w eit ir, d a z er euch fuore, so g ib t im den soit.
er h ü te t d icz landes u n d ist G elpfrade holt.

1584 U n d ch am er n ich t v il schiere, so ruffet u b irflu t,


jech t, ir seit A m elreich, d a z w as ein recke gut,
d er durch veintscheft r a w m t dise lant.
so k u m p t euch der verge, als im d er n a m w ir t genant. «

1585 D er ü b erm u te H agen den fra w en d o n eyg


des rates u n d d er lere. d e r h eit v il still sweig.
d a g in g er b ey d er flu te hoher an den sant,
d o er a n d erh a lp ein herw erg vant.
ABREISE UN D DO NAUÜBERGANG DER BURGUNDEN 507

1579 Da sprach der kühne Hagen in düsterer Stimmung: »Das kann


ich meinen Herren nur schwer mitteilen, daß wir bei den Hun­
nen alle unser Leben verlieren. Allerweiseste Frau, zeig uns jetzt
einen Weg über das Wasser.«

1580 Sie antwortete: »Da ihr die Reise nicht aufgeben wollt, sage ich
euch: Wo auf der anderen Seite am Wasser ein Haus steht, dort
gibt es einen Fährmann, sonst nirgends.« Die Voraussage, die er
erfragt hatte, ließ Hagen sodann auf sich beruhen.

1581 Dem verdrossenen Recken rief eine der Meerffauen nach: »Nun
wartet doch, Herr Hagen, habt es nicht so eilig. Hört, wie
ihr besser zum anderen Ufer gelangt. Der Herr dieser Mark ist
Else.

1582 Sein Bruder heißt Gelffat, ein Herr im Land Bayern. Es wird für
euch schwierig sein, wenn ihr durch seine Mark ziehen wollt.
Ihr müßt euch in acht nehmen, und auch mit dem Fährmann
solltet ihr sehr vorsichtig umgehen.

1583 Der ist so jähzornig, daß er euch nur am Leben läßt, wenn ihr
ihm freundlich entgegenkommt. Wollt ihr, daß er euch über­
setzt, so gebt ihm den Lohn, den er fordert. Er bewacht dieses
Land und ist Gelfrat untertan.

1584 Wenn er nicht gleich kommt, ruft über den Strom hinüber,
sagt, ihr seid Amelrich, das war ein tüchtiger Recke, der wegen
eines Streits das Land verließ. Der Fährmann wird zu euch
kommen, sobald er den Namen hört.«

1585 Der stolze Hagen bedankte sich bei den Frauen für den Rat und
die Auskunft. Der Held schwieg ganz still. Dann ging er am
Fluß zum Ufer hinauf, bis er auf der anderen Seite ein Haus
erblickte.
508 25- AVEN TIURE

1586 Er begond ruffeti vaste ü b erflu te.


»hol m ich hy, verge«, sprach d er degen gute,
»so g ib ich d ir z e m ite von g o ld einen p a u ch v il rot.
j a ist m ir d irr verte, d a z w iß , w erlichen not.«

1587 D e r verig w as so reich, d a z im n ich t dien en za m .


d a von er Ion v il selten von y m a n t d a gen am ,
auch w aren sein e knecht v il hochgem ut.
noch stu n d a llz H agen dish alb d e r flu t.

1588 D a ru ft er m it d er krefte, d a z aller w a g erdoz;


w a n n des beides stercke w as m ichel u n d groz:
»nu hol m ich, A m eireichen, des herrn Elsen m an,
d er von disen landen durch g ro ß vein tscheft entran. «

1589 V il hoch an sein em sw erte er im den p a u ch k do p o t,


v il licht u n d v il schon w as er von g olde rot,
d a z er in ü berfü rte in des Elsen lant.
d er ü b erm u te verge n a m d a z ru der selb in d y hant.

1590 Auch w as d e r selb verg v il m ülich gesit.


z u g ird e nach gro ß em g u t v il bösez en d e git.
da w ä n t er verdin en d a z H agen g o lt so rot.
des leid er von d em degen sin t den g rim m ig en tot.

1 591 D e r verg zo g gen ote hin über an d a z lant.


den er d a nennen hört, d o er des n ich t envant,
e z m ü e t in h a rt ser. als er H agen sach,
d er helde w id e r den recken in vil g ro ß em czorn e sprach:

1592 »Ir m ü g t w ol sein geh eißen b en a m en A m elreich,


des ich m ich h y verw en, d em se it ir ungleich,
von vo ter u n d von m u te r w as er d e r b ru d er m ein.
nu ir m ich su st betrogen habt, ir m u o ß t dishalben sein.«
ABREISE UN D DO NAUÜBERGANG DER BURGUNDEN 509

1586 Er begann, laut über den Strom zu rufen. »Hol mich herüber,
Fährmann«, bat der tüchtige Kämpfer, »dann gebe ich dir einen
Armreif aus rotem Gold als Lohn. Wirklich, das sollst du wis­
sen, die Überfahrt ist für mich dringend notwendig.«

1587 Der Fährmann war so reich, daß er es nicht nötig hatte, Dienste
zu leisten. Deshalb nahm er auch nur selten von jemandem
Lohn an. Seine Knechte waren ebenfalls sehr stolz. Hagen stand
noch immer diesseits des Stroms.

1588 Da rief er mit solcher Kraft, daß das wogende Wasser wider­
hallte; denn die Stärke des Helden war ungeheuer groß; »Nun
hole mich, ich bin Amelrich, Herrn Elses Mann, der wegen
großer Feindseligkeit aus diesem Land geflohen ist.«

1589 An der Spitze seines Schwerts zeigte Hagen ihm den Armreif,
der sehr glänzend und schön aus rotem Gold war, er tat es, da­
mit der Ferge ihn in Elses Land übersetzte. Da ergriff der stolze
Fährmann selbst das Ruder.

1590 Er war von recht roher Art. Besitzgier nimmt oft ein sehr böses
Ende. Nun glaubte er, Hagens rotes Gold verdienen zu können.
Statt dessen erlitt er durch den Kämpfer später den bitteren
Tod.

1591 Der Fährmann ruderte eilig zum anderen Ufer hinüber. Daß er
dort denjenigen nicht fand, dessen Namen er hatte nennen
hören, ärgerte ihn sehr. Als er Hagen erblickte, sprach der Held
zu dem Recken in großem Zorn:

1592 »Ihr mögt wohl mit Namen Amelrich heißen, doch dem, den
ich hier erhoffte, seid ihr überhaupt nicht ähnlich. Der war
mein Bruder, wir hatten beide den gleichen Vater und die
gleiche Mutter. Da ihr mich derart betrogen habt, müßt ihr an
diesem Ufer bleiben.«
510 25- AV ENTIURE

1593 »N ein, durch g o t den reichen«, sprach d o H agen,


»ich p in ein fr ö m d e r recke u n d sorg a u ffd eg en .
nu n e m p t hin m innicklich m ein eilendes soit.
d a z ir m ich fü r e t über, ich w il euch y m e r w esen holt.«

1594 D es a n tw o r t d er verg: »ja kan e z nichte gesein.


ez haben via n d e d i liben heren m ein,
d a ru m b ich n ew r ir fr iu n d e f u r in d iß lant.
als lip d ir sey z e leben, so tr it b a ld a u ß an d a z lant.«

1595 »Des e n tu t ir nicht«, sprach H agen, » m ir ist d er reyse not,


u n d n e m p t von m ir ze Ion disen pou ch von golde rot,
u n d f ü r t m ir über ta u sen t ros u n d also m anchen m an .«
»entrew en«, sprach d er verg, » d a z w ir t n y m m e r g e ta n .«

1596 Er h ub ein starckez ruder, m ichel u n d breyt,


u n d slug ez a u jf H agen, des w a s er ungem eit,
d a z er in d em sch iff stra u ch t a u ff seine knie.
so rechte g rim m e r verge k om e d em h elde von Tronge nie.

1597 Er w o ld b a z erczürnen den u n gem u ten gast,


do slug er ein schalten, d a z d a g a r zerprast,
H agen über d a z heupt, er w a s ein starcker m an.
d a von der Elsen verg großen schaden gew an.

1598 M it g ry m m ig e m m u te des künen H agen h a n t


g re iff zu einer scheiden, d o er seine w affen vant.
er slug im ab d a z h e w p t u n d w a r ff e z an den gru nt,
d y m er w urden schir den B urgunden kunt.

1599 A n den selben stu n den , do er d en vergen slug,


d a z sch iffflo z hinnaw , d a z w a s im leit genug,
e ers g erich t w ider, m ü d en er began.
da czoch vil krefticklich zu des G u n th ers m an.
ABREISE UN D DONAUÜBERGANG DER BURGUNDEN 511

1593 »Nein, beim allmächtigen Gott«, rief Hagen, »ich bin ein frem­
der Recke und in Sorge um meine Gefährten. Nun nehmt lie­
benswürdigerweise meinen bescheidenen Lohn. Wenn ihr mich
übersetzt, will ich euch immer dankbar sein.«

1594 Darauf antwortete der Fährmann: »Das kommt nicht in Frage.


Meine lieben Herren haben Feinde, darum bringe ich nur ihre
Freunde in dieses Land. Wenn dir dein Leben lieb ist, geh sofort
wieder aus dem Schiff ans Ufer.«

1595 »Fordert das nicht«, sagte Hagen, »ich muß hinüber, nehmt von
mir als Lohn diesen Reif aus rotem Gold und setzt für mich
tausend Pferde und ebenso viele Leute über.« Der Fährmann
entgegnete: »Bei meiner Treue, das mache ich niemals.«

1596 Er hob ein kräftiges, großes, breites Ruder und schlug damit auf
Hagen ein, so daß er auf dem Schiff in die Knie sank, darüber
geriet er außer sich. Ein so zorniger Fährmann war dem Helden
von Tronje nie zuvor begegnet.

1597 Der Ferge wollte den wütenden Fremden noch mehr reizen,
deshalb schlug er Hagen mit einer Ruderstange auf den Kopf,
so daß diese völlig zersplitterte, er war nämlich ein starker
Mann. Letztlich aber trug Elses Fährmann großen Schaden
davon.

1598 Zornig griff der tapfere Hagen zu der Scheide, in der sein
Schwert steckte. Er schlug dem Fährmann den Kopf ab und
warf ihn auf den Grund des Flusses. Das erfuhren alsbald die
Burgunden.

1599 Während er mit dem Fährmann gekämpft hatte, war das Schiff
zu seinem Leidwesen stromabwärts getrieben. Ehe er es wieder
zurückbrachte, wurde er allmählich müde. Doch er zog es mit
aller Kraft zu Gunthers Leuten hin.
512 25. AV ENTIURE

1600 H agen w as vil rin g des starcken vergen val.


da kert er h a rt b a ld d a z w a ß e r hin zetal,
da v a n d ex seinen herren an d em sta d e stan,
da g in g im engegen m a n ig w eydlich m an.

1601 M it g rü ß in w ol enpfin gen d y selben ritte r gut.


do sahen sy in d e m sch iff noch riehen d a z b lu t
von einer starcken w u n den , d y er d e m vergen slug,
da von so m u ß H agen hören fragen genug.

1602 D o d er kü nig G u n th er d a z h eiß b lu t ersach


sw eben de in d em schiff, w y b a ld er d o sprach:
»w an saget ir mir, H agen, w a r ist d e r verge nu körnen?
ew er starcken eilen y m d a z leben h a t ben om en .«

1603 D o sprach er lawgenlichen: »do ich d a z sch iff d a v a n t


bey ein er w ilden w id en , d a lost e z m ein hant.
ich han keinen vergen n in d e rt h y gesehen.
ez ist auch n im a n t laide von m ein en schulden h y geschehen. «

1604 D o sprach von B urgunden d e r starcke G ernot:


» h ew t m u ß ich sorgen a u ff Uber fre w n d e tot.
sin t w ir d er schifflew t z u d em s c h e ffn y m a n t han:
w y w ir nu körnen über d a z w aßer? d a rü m b m u ß ich fr e w d lan. «

1605 Vil la u t r iff do H agen: »legt n id er a u ff d a z gras,


ir knechte, d a z gereit. j a gedenck ich,, d a z ich w as
d er allerbeste verge, den m a n b ey d e m R ein vant.
ich g etra w euch w ol fü ren über in des G elpfrades lant.«

1606 D o sy gew ärlich körnen ü ber flu t,


d y ros sy g a r an slugen, d er s w im m e n d a z w a r t gut,
w an in d er starcken unden keines d a benam .
etlich z ran verren, als ez ir m ü d e gezam .
ABREISE UN D DO NAUÜBERGANG DER BURGUNDEN 513

1600 Hagen bekümmerte der Tod des starken Fährmanns nicht im


geringsten. Er brachte das Schiff möglichst schnell an die Stelle,
wo er seinen Herrn am Ufer stehen sah, und viele stattliche
Männer gingen ihm entgegen.

1601 Die tüchtigen Ritter begrüßten ihn freundlich. Dann sahen sie
in dem Schiff noch das Blut dampfen, das aus der großen
Wunde geflossen war, die Hagen dem Fährmann geschlagen
hatte. Nun mußte er eine Menge Fragen beantworten.

1602 Als König Gunther das heiße Blut in dem Schiff schwimmen
sah, fragte er sogleich: »Hagen, sagt mir, wo ist der Fährmann
geblieben? Mit eurer Kraft habt ihr ihm offenbar das Leben ge­
nommen.«

1603 Doch Hagen leugnete es: »Als ich das Schiff dort bei einer ab­
gestorbenen Weide fand, habe ich es losgebunden. Einen Fähr­
mann habe ich hier nirgends gesehen. Es ist auch niemandem
hier durch meine Schuld Leid geschehen.«

1604 Alsbald sprach der starke Gernot aus Burgund: »Heute muß ich
in Sorge sein, daß liebe Verwandte und Freunde zu Tode kom­
men. Da wir keine Fährleute für das Schiff haben, frage ich: Wie
gelangen wir nun über das Wasser? Bei dem Gedanken vergeht
mir alle Freude.«

1605 Ganz laut rief da Hagen: »Ihr Knappen, legt das Sattelzeug nie­
der ins Gras. Ich finde, ich bin der allerbeste Fährmann, den es
je am Rhein gab. Ich traue mir durchaus zu, euch in Gelfrats
Land überzusetzen.«

1606 Bevor sie vorsichtig den Strom überquerten, versetzten sie den
Pferden Schläge, damit sie zügig schwammen, und so hat ihnen
die starke Strömung keines genommen. Einige trieben aller­
dings vor Erschöpfung weit ab.
514 25. AVEN TIURE

1607 D a trugen sy zu d em sch iff ir g o ld u n d auch ir w at,


sin d d a z sy d er verte n ich t m öch ten haben rat.
H agen w as da m eister, des f u r t er ü ber sa n t
v il m anchen künen recken in d a z u n k u n de lant.

1608 Z u d em ersten brach t er ü ber ta w se n t ritte r her


u n d sechczig seiner degen, dennoch w a s ir mer.
n ew n ta w se n t knechte f u r t er a n den sant.
des tages w as v il u n m ü ß ig des v il künen H agen hant.

1609 D a z sch iff zu sein er leng w as starck, w e it u n d groz,


des in d em gedreng m a n ig h eit genoz.
ez tru g w o l m it ein a n d er v ir h u n d ert ü ber flu t,
an rim en m usten czihen des tages m a n ig recken gut.

1610 D o er sy w o l gesu n t brach t ü ber d y flu t,


do g ed a ch t frö m d e r m ere d er snell degen gut,
d y im e da sagten d y w ild en m erw eip.
des h ett des künigs capplan v il nach verloren den leip.

1 611 B ey d em cappelsau m er den p riester van t.


h eiligtu m gen u g lag u n ter seiner h ant,
des m o ch t er n ich t gen ißen . do in H agen ersach,
d er v il a rm e capplan m u st leiden ungem ach.

1612 Er sw a n g in a u ß d em schiff, darczu w as im gach.


d a riffen ir genug: »vach, herr, vach!«
G eyseiher d e r ju n g czü rn en do began.
d a ru m b er ez n ich t laßen w olde, d a z w as im leyd getan.

1613 D o sprach von B urgunden d er starcke G ernot:


» w a z h iljft euch nu, H agen, des capplan s tot?
te t ez an ders y m a n d , ez schold euch wesen leyt.
u m b welch schuld h a b t ir d em p riste r w iderseyt?«
ABREISE UN D DONAUÜBERGANG DER BURGUNDEN 515

1607 Dann trugen sie ihr Gold und ihre Kleider zum Schiff, da sie
die Reise nun nicht mehr abbrechen konnten. Hagen war dort
der Schiffsmeister, und er führte viele tapfere Recken ans an­
dere Ufer und weiter in das unbekannte Land.

1608 Fürs erste setzte er tausend Ritter und sechzig von seinen
Kämpfern über, doch insgesamt waren es weit mehr. Neuntau­
send Knappen brachte er ans jenseitige Ufer. Den ganzen Tag
lang war der kühne Hagen unermüdlich tätig.

1609 Das Schiff war fest gebaut, weit und groß, so daß dichtgedrängt
zahlreiche Helden Platz darin fanden. Es trug etwa vierhundert
Mann auf einmal über den Strom. Viele tüchtige Recken m uß­
ten an diesem Tag die Ruder ergreifen.

1610 Nachdem Hagen sie unversehrt über den Strom gebracht hatte,
dachte der gewandte, tüchtige Kämpfer an die sonderbare
Voraussage, die ihm die wundersamen Meerfrauen gemacht
hatten. Deshalb hätte des Königs Kaplan beinahe sein Leben
verloren.

1611 Hagen fand den Priester bei dem kirchlichen Gepäck. Viele ge­
weihte Gegenstände hielt er in seiner Obhut, aber das half ihm
nichts. Als Hagen ihn sah, kam der arme Kaplan in Bedrängnis.

1612 Hagen warf ihn im Handumdrehen aus dem Schiff. Da riefen


viele: »Rette ihn, Herr, rette ihn!« Der junge Giselher wurde
zornig. Doch dadurch ließ sich Hagen nicht beirren, dem
Kaplan Leid anzutun.

1613 Da sprach der starke Gernot aus Burgund: »Hagen, was nützt
euch der Tod des Kaplans? Hätte jemand anders so gehandelt,
würdet ihr das nicht billigen. Aus welchem Grund wollt ihr den
Priester umbringen?«
516 25- AV ENTIURE

1614 D e r p fa f f sw a m genote, er w o ld sein genesen,


ob y m y m a n d hülff. des m o c h t d a n ich t gewesen;
w an n d e r g rim m e H agen czorn ig w as genug,
er s tiß in zu d em gru nd. d a z d a u c h t sy m ichel ungefug.

1615 D o der a rm e p riester d er h ilff n ich t ensach,


d a k ert er w id e r über, des leid er ungem ach,
w y er do n ich t sw im m en konde, im h a lffd y gotes hant,
d a z er kam w ol gesu n der h in ü ber an d a z lant.

1616 D a stu n d d e r a rm e p riste r u n d sch a w et sein gew an t.


d a bey sach w o l H agen, d a z e z w a r u ngew ant,
d a z im e d a sagten d y w eisen m erw eip.
er gedacht: »dise degen m üsen verlisen den leip. «

1617 D o sy d a z sch iff en tlu den u n d g a r g etragen dan,


w a z sy d a ra u ff h etten, d er d reier k ü n ig m an,
H agen ez sch rit z u stücken u n d s tiß ez an d y flu t,
des h etten m ichel w u n d e r d y recken gut.

1618 »W a ru m b tu t ir d az, brader?« sprach d o D an ch w art.


»w ye schüll w ir ku m en über, so w ir d y w id e rv a rt
riten von den H ew n en w id e r a n den Rein?«
seht, d o sagt im H agen, d a z des n ich t k on d gesein.

1619 D o sprach d er h eit von Tronge: »ich tu n ez a u ff den wan:


ob w ir an diser ve rt keinen czagen han,
d er uns en trin n en w öll durch czaglich not,
d er m u ß an d isem w age doch ligen schem lichen tot.«

1620 Sy fu rte n m it in einen von B urgunden lant,


d e r w as ein h eit zen h anden, Volker w as er gen an t.
d er redet spehlich allen seinen m ut.
w a z y begond H agen, d a z d a u ch t den vid ier gut.
ABREISE UN D DONAUÜBERGANG DER BURGUNDEN 517

1614 Der Geistliche versuchte zu schwimmen, er hoffte, am Leben zu


bleiben, wenn ihm jemand zu Hilfe käme. Aber das war
nicht möglich; denn in äußerstem Zorn stieß ihn der grimmige
Hagen sogar auf den Grund. Das hielten alle für eine schreck­
liche Untat.

1615 Als der arme Priester sah, daß die Hilfe ausblieb, wandte er sich
wieder dem anderen Ufer zu. Dabei mußte er sich ziemlich
quälen, doch obwohl er nicht schwimmen konnte, half ihm
Gottes Hand, daß er ganz unversehrt das Land erreichte.

1616 Dort stand der arme Kaplan und schüttelte sein Gewand.
Daran erkannte Hagen, daß wirklich zutraf, was ihm die weisen
Meerfrauen prophezeit hatten. Er dachte: »Diese Kämpfer wer­
den alle ihr Leben verlieren.«

1617 Nachdem das Schiff entladen und alles fortgetragen war, was
die Leute der drei Könige hineingelegt hatten, schlug Hagen es
in Stücke und stieß es in den Strom. Die tüchtigen Recken
wunderten sich darüber sehr.

1618 »Warum tut ihr das, Bruder?« fragte Dankwart. »Wie sollen wir
ans andere Ufer kommen, wenn wir von den Hunnen wieder
an den Rhein zurückreiten?« Da sagte ihm Hagen, daß es dazu
nicht kommen werde.

1619 Der Held von Tronje erklärte: »Ich tue das mit folgender
Überlegung: Wenn wir auf dieser Fahrt einen Feigling unter
uns haben, der uns aus Furcht verlassen will, dann muß er in
der Flut schmählich umkommen.«

1620 Sie hatten einen Mann aus dem Burgundenland bei sich, der
war ein tatkräftiger Held und hieß Volker. Er konnte seine
Gedanken in gewandter Rede vortragen. Alles, was Hagen tat,
das schien dem Spielmann gut.
518 25- AVENTIURE

1621 D o des küniges capplan d a z sch iff zu h a w en sach,


hin w id er ü ber d a z w a ß e r er z u H agen sprach:
»ir m ö rd er ungetrewer, w a z h e tt ich euch getan ,
d a z ir m ich on sch u ld ertren ckt w o llt han?«

1622 D es a n tw o r t im H agen: »nu la ß t d y red wesen,


m ir ist leit a u ff m ein trew, d a z ir se y t genesen
h y vor m ein en h anden. d a z w iß t su n d er an spot. «
d o sprach d er a rm capplan: »des w il ich y m m e r loben got.

1623 Ich fu rch t euch nu v il kleine, des sch ü llet ir sicher sein,
nu v a r t ir zu den H ew n en , so w il ich a n den Rein,
g o t en la ß euch n y m m e r zu d e m R ein w id e r körnen.
des w ünschen ich euch v il ser, ir h e tt m ir nahen den leip benom en. «

1624 D o sprach d e r kü n ig G u n th er z u sein em capplan:


»ez w ir t euch w ol gebü ßt, w a z euch h a t g eta n
H agen in sein em czorn. u n d k u m ich an den R ein
w id e r m it m ein em leben, des sch ü llt ir on an gst sein.

1625 Vart w id e r h eim ze lande, w a n d ez m u ß nu sein,


ich e n p e w t m ein en d ien st d er lib e n fra w e n m ein
u n d anderen m ein en m agen, als ich von rechte schol.
ir sagt in libe mere, d a z w ir noch alle varen w ol.«
ABREISE UND DONAUÜBERGANG DER BURGUNDEN 519

1621 Als der Kaplan des Königs sah, daß das Schiff zerschlagen war,
rief er zu Hagen über den Fluß hinüber: »Ihr treuloser Mörder,
was habe ich euch getan, daß ihr mich ohne jeden Grund er­
tränken wolltet?«

1622 Da antwortete ihm Hagen: »Seid still, für mich ist es wahrhaftig
ein Unglück, daß ihr trotz meiner Anstrengung am Leben ge­
blieben seid. Das sollt ihr im Ernst wissen.« Da sagte der arme
Kaplan: »Dafür will ich Gott immer danken.

1623 Jetzt fürchte ich euch nicht mehr, dessen könnt ihr sicher sein.
Reist ihr nun zu den Hunnen, so will ich an den Rhein zurück.
Euch möge Gott nicht wieder nach Hause kommen lassen. Das
wünsche ich inständig, denn ihr hättet mir beinahe das Leben
genommen.«

1624 König Gunther rief zu seinem Kaplan hinüber: »Ihr werdet für
das, was Hagen euch in seinem Zorn angetan hat, entschädigt.
Wenn ich wieder an den Rhein komme, dann braucht ihr keine
Angst zu haben.

1625 Zieht zurück nach Hause, denn jetzt muß alles seinen Lauf
nehmen. Ich grüße meine liebe Frau und meine anderen Ver­
wandten, wie es sich gebührt. Sagt ihnen die erfreuliche Nach­
richt, daß es uns allen noch gutgeht.«
2 6 . A V EN T IU R E
A B EN T E W E R W Y S Y M I T ELSEN UND GELPFRATEN S T R I T E N
UND W YE I N GELANG

1626 D o sy nu w ol g esu n t k am en a u ffd e n sant,


d er kü nig begonde fragen: »w er schol uns durch d a z ta n t
d y rechten w eg weisen, d a z w ir n ich t vervaren ?«
d o sprach d er kün Volker: » d a z schol ich ein w o l bew aren.«

1627 »N u e n th a ltet euch«, sprach H agen, » ritter u n d knecht,


u n d en gah et n ich t z e sere, d a z d ü n c k t m ich recht,
v il ungefüge m ä r tun ich euch bekant:
w ir ku m en n y m m e r h eym in unser lant.

1628 D a z sagten m ir czw ey m e rw e ip h e w t m orgen fru :


w ir en kem en n y m m e r w ider, nu ra t ich, w a z m an tu:
d a z ir euch w affent, helde, u n d zu stre it euch w o l bew art;
w ir haben h y starcke veinde, d a z ir gew erlichen vart.

1629 Ich w ände, an lugen fu n d e d y w eisen w aßerw eip.


sy jä h e n d a z besunder, d a z unser keines leip
w id e r z e la n d kerne n ew r d er capplan,
d a rü m b ich in gern h e w t ertren ckt w o lt han. «

1630 D a flu gen dise m er von scharen b a z zu schar,


des w u rden snelle helde vor leid m issvar,
do sy begonden sorgen a u ff den g rim m ig en to t
an d er hoffreys. des g in g sy w erlichen not.
26 . A V EN TIUR E
W IE SIE M IT ELSE U N D GELFRAT K Ä M PF T E N
U N D S IE G T EN

1626 Als sie nun wohlbehalten am anderen Ufer angelangt waren,


fragte der König: »Wer wird uns die rechten Wege durch das
Land weisen, damit wir uns nicht verirren?« Da antwortete der
kühne Volker: »Davor werde ich allein euch bewahren.«

1627 »Ritter und Knappen, haltet noch einen Moment inne«, rief
Hagen, »und eilt nicht zu sehr. Es scheint mir notwendig, euch
etwas Schreckliches kundzutun: Wir werden nie wieder in un­
ser Land heimkehren.

1628 Das haben mir heute früh zwei Meerfrauen geweissagt: Es gibt
keinen Weg zurück. Nun rate ich euch, was ihr tun sollt: Tragt
immer eure Waffen bei euch, Helden, und seid auf Kampf wohl
gefaßt: wir haben hier starke Feinde, so daß ihr vorsichtig sein
müßt.

1629 Ich hatte gehofft, die hellsichtigen Wasserfrauen würden lügen.


Sie sagten im besonderen, daß keiner von uns wieder nach
Hause käme bis auf den Kaplan. Um das zu erproben, wollte
ich ihn heute ertränken.«

1630 Diese Nachrichten flogen von einer Schar zur anderen. Die
tapferen Helden wurden vor Schreck blaß, als sie den bitteren
Tod auf der Hofreise zu fürchten begannen. Das bedrängte sie
wirklich sehr.
522 26. A V EN T IU R E

1631 D a ze M orin ge si w aren überkom en,


do d em Else vergen w a s d er leip benom en.
do sprach a b er H a g en :
»seint daz ich vinde han
an dirre vart erworben, wir werden sicherlich bestan.

1632 Ich sluoch der herren vergen hiute morgen fruo.


si wizen wol diu maere, nu grifet balde zuo,
ob Else unde Gelpfrat noch hiute hie beste
unser ingesinde, daz ez in schedelich erge.

1633 Ich erchenne si so chüene, ez wirdet niht verlan,


diu ros diu suit ir lazen deste sanfter gan.
daz des iemen waene, wir vliehen uf den wegen.«
»des rates suln wir volgen«, sprach da vil maniger chüener degen.

1634 »Wer sol nu daz gesinde wisen über lant?«


si sprachen: »daz tuo Volker, dem sint hie wol bêchant
stige unde straze, der chüene spileman.«
e daz manz gespraeche, do sah man wol gewafent stan

1635 Den snellen videlaere. den heim er uf gebant,


in herlicher varwe was al sin wichgewant.
er bant ouch zeime scafte ein Zeichen, daz was rot.
sit chom er mit den chunigen in eine grozliche not.

1636 Do was tot des vergen nu Gelpffate chomen


mit eime waren maere, do het iz ouch vernomen
sin bruoder Else, ez was in beiden leit.
si sanden nach ir degenen, die waren schiere bereit.

1637 In vil churcen eiten, als wir vernomen han,


sah man zuo zin riten, die heten scaden getan
in starchem urliuge vil ungefüegiu ser.
der chomen Gelpfrate wol siben hundert oder mer.
KAMPF M IT DEN BAYRISCHEN MARKGRAFEN 523

1631 Bei Mehring waren sie über den Fluß gekommen, dort hatte
Elses Fährmann sein Leben verloren. Wiederum sagte Hagen:
»Da ich uns auf dieser Fahrt Feinde geschaffen habe, werden
wir sicherlich noch überfallen.

1632 Heute am frühen Morgen habe ich den Fährmann der Landes­
herrn erschlagen. Wahrscheinlich ist das inzwischen bekannt­
geworden. Nun haltet euch kampfbereit, damit Else und Gelf-
rat, wenn sie hier heute noch unser Gefolge angreifen, keinen
Erfolg haben.

1633 Ich weiß, sie sind so mutig, daß sie keinesfalls auf eine Verfol­
gung verzichten. Laßt die Pferde gemächlicher gehen, damit
niemand meint, wir ergreifen die Flucht.« »Diesen Rat werden
wir befolgen«, sagten da viele tapfere Kämpfer.

1634 »Wer wird nun das Gefolge durch das Land führen?« Sie ant­
worteten: »Das soll Volker tun, der kühne Spielmann, dem sind
hier Weg und Steg vertraut.« Noch bevor man zu Ende gespro­
chen hatte, sah man in voller Rüstung

1635 den gewandten Fiedler dastehen. Er setzte den Helm auf, sein
Kriegsgewand war von herrlicher Farbe. An seinen Speerschaft
band er ein rotes Zeichen. Später geriet er mit den Königen in
große Bedrängnis.

1636 Inzwischen war die sichere Kunde vom Tod des Fährmanns
zu Gelfrat gelangt. Anschließend hatte auch sein Bruder Else
davon erfahren. Beide empfanden es als eine Beleidigung. Sie
schickten nach ihren Kämpfern, die im Nu gerüstet waren.

1637 Binnen kürzester Zeit sah man, wie wir gehört haben, Männer
zu ihnen heranreiten, die in heftigen Kämpfen ihren Gegnern
Verluste und schreckliche Wunden beigebracht hatten. Etwa
siebenhundert oder mehr von ihnen eilten Gelfrat zu Hilfe.
524 2 6 . AV EN TIURE

1638 Do si ir grimmen vinden begunden riten nach,


ja leiten si ir herren. den was ein teil ze gach
nach den chüenen gesten, si wolden anden zorn.
des wart der herren friunde sider mere verlorn.

1639 Do het der wise Hagene wol gefuoget daz,


wie mohte siner friunde ein heit gehüeten baz,
er pflac der nachhuote mit sehzech siner man
und Danchwart, sin bruoder. daz was vil wislich getan.

1640 In was des tages zerunnen, des heten si niht mer.


er vorht an sinen friunden leit und ser.
si riten under Schilden durch der Beyer lant.
dar nach in churcen stunden die helde wurden an gerant.

1641 Beidenthalp der strazen und hinden vaste nach


huofslege si horten, dem volche was ze gach.
do sprach der chüene Danchwart: »man wil hie uns bestan.
nu binden uf die helme, daz ist ratlich getan.«

1642 Si hielten ab ir verte, als ez do muose sin.


si sahen in der vinster der liehten helme schin.
done wolde Hagene niht langer si verdagen:
»wer jagt uns uf der straze?« daz muos im Gelpfrat do sagen.

1643 Do sprach der marcgrave uzer Beyerlant:


»wir haben unsern vinden da her nach gerant,
ine weiz niht, wer mir hiute minen vergen sluoc,
der was ein heit zen handen. daz ist mir leide genuoc.«

1644 Do sprach von Tronege Hagene: »was der verge din,


der enwolde uns niht fueren? des ist diu schulde min,
do sluog ich dinen vergen. deiswar, des gie mir not,
ich hete von dem degene vil nach gewunnen den tot.
KAMPF M IT DEN BAYRISCHEN MARKGRAFEN 525

1638 Ihre Herren führten sie, als sie die Verfolgung der grimmigen
Feinde aufnahmen. Sie hatten es überaus eilig, die kühnen
Fremden zu erreichen, um ihren Zorn an ihnen zu rächen. Spä­
ter jedoch kamen viele Freunde der Landesherren ums Leben.

1639 Der kluge Hagen hatte dafür gesorgt - wie hätte ein Held seine
Verwandten besser beschützen können - , daß er mit sechzig
seiner Leute und seinem Bruder Dankwart die Nachhut stellte.
Das war sehr wohlbedacht.

1640 Der Tag ging zu Ende, und sie sahen nichts mehr. Hagen fürch­
tete für seine Freunde und Verwandten schmerzliches Leid. Un­
ter der Deckung ihrer Schilde ritten sie durch Bayern. Wenige
Stunden später wurden die Helden angegriffen.

1641 Auf beiden Seiten der Straße und dicht hinter sich hörten sie
Hufschläge von Reitern, die eilig näher kamen. Da sagte der
tapfere Dankwart: »Man will uns hier angreifen. Nun setzt eure
Helme auf, das ist unbedingt ratsam.«

1642 Sie hielten an, wie es notwendig war. In der Dunkelheit sahen
sie den Schein der glänzenden Helme. Dann wollte Hagen ge­
genüber den Verfolgern nicht länger schweigen und fragte:
»Wer jagt uns auf der Straße?« Darauf mußte ihm Gelfrat Ant­
wort geben.

1643 Der Markgraf aus Bayern sprach: »Wir haben unsere Feinde bis
hierher verfolgt, aber ich weiß nicht, wer heute meinen Fähr­
mann erschlagen hat, der ein tatkräftiger Held war. Das ist für
mich eine große Beleidigung.«

1644 Da antwortete Hagen von Tronje: »War das dein Fährmann, der
uns nicht übersetzen wollte? Aus diesem Grund habe ich ihn
erschlagen. Wahrhaftig, ich handelte in Notwehr, denn beinahe
wäre ich selbst von dem Kämpfer getötet worden.
526 2 6 . AV ENTIURE

1645 Ich bot im mine miete: golt, Silber und gewant,


daz er uns über fuorte her in iwer lant.
daz muote in harte sere, in zorne er mich do sluoc
mit einer starchen schalten, vil wenic ich im do vertruoc.

1646 Do kom ich zuo dem swerte und wert im sinen zorn
mit einer starchen wunden, des wart der heit verlorn.
daz bringe ich iu ze suone, swie iuch nu dunchet guot.«
do giengez an ein striten, si wurden zornic gemuot.

1647 »Ich wistez wol«, sprach Gelpfrat, »do hie für gereit
Gunther mit den sinen, daz uns geschehe leit
von Hagen ubermüete. nu ensol er niht genesen,
fur des vergen ende soi er pfant hie wesen.«

1648 Si neigten über Schilde ze Stiche diu starchen sper,


Gelpfrat und Hagene, in was zein ander ger.
Else und Danchwart ouch zesamne riten
in vil hohem muote. da wart grimme do gestriten.

1649 Wie chunden sich versuochen immer helde baz!


von eime starchen schäfte hinder ors gesaz
Hagene der chüene vor Gelpfrates hant.
im brast daz fürbüege. do wart im vallen bêchant.

1650 Von ir ingesinde der chrach der schelte schal.


do erholt ouch sich dort Hagene, der e des was zetal
chomen von der tjoste nider an daz gras.
er, waen, unsenftes muotes wider Gelpfrate was.

1651 Wer in diu ros behielte, daz ist mir unbechant.


si warn von den sätelen chomen uf den sant,
Gelpfrat und Hagene ein ander liefen an.
des hülfen ir gesellen, da wart striten getan.
KAMPF M IT DEN BAYRISCHEN MARKGRAFEN 527

1645 Ich habe ihm Lohn angeboten: Gold, Silber und Gewänder, da­
mit er uns hierher in dein Land übersetzt. Aber das machte ihn
nur ungehalten, so daß er mich im Zorn mit einer mächtigen
Ruderstange schlug. Das habe ich ihm nicht verziehen.

1646 Ich ergriff das Schwert und setzte mich gegen seine Wut zur
Wehr, so verwundete ich ihn schwer. Dadurch verlor der Held
sein Leben. Ich werde euch dafür Sühne leisten, wie es euch
angemessen erscheint.« Daraufhin begann ein Kampf, und sie
gerieten in Zorn.

1647 »Ich wußte wohl«, sagte Gelfrat, »als Gunther und seine Leute
vorbeiritten, daß uns durch Hagens Überheblichkeit Leid zu­
stoßen würde. Jetzt soll er nicht mit dem Leben davonkommen.
Für den Tod des Fährmanns wird er selbst das Pfand sein.«

1648 Gelfrat und Hagen senkten ihre starken Speere zum Stich über
die Schilde und gingen aufeinander los. Auch Else und Dank­
wart ritten siegessicher gegeneinander. Dann wurde heftig
gekämpft.

1649 Wie konnten Helden jemals besser ihre Kräfte messen! Durch
einen starken Speerstoß warf Gelfrat den tapferen Hagen vom
Pferd. Diesem riß der Brustriemen. Da erfuhr Hagen, was es
bedeutet, zu stürzen.

1650 Aus ihrem Gefolge erklang das Krachen der Speerschäfte. Da


richtete sich Hagen, der von dem Speerstoß hinab ins Gras
gefallen war, wieder auf. Ich bin sicher, ihn hatte Wut gegen
Gelfrat erfaßt.

1651 Wer für sie die Pferde festhielt, weiß ich nicht. Gelfrat und
Hagen waren jedenfalls aus ihren Sätteln auf die Erde gelangt
und rannten aufeinander los. Dabei halfen ihre Gefährten.
Überall tobte der Kampf.
528 2 6 . AV EN TIURE

1652 Swie chreftechlichen Hagene zuo Gelpfrate spranch,


der edel marcgrave des schiltes hin im swanch
wol gegen einer eilen, daz fiure draete dan.
des was vil nach erstorben des kunich Gunthers man.

1653 Do begunder rüefen Danchwarten an :


»hilfa, lieber bruoder, ja hat mich bestan
ein rehter heit zen handen. ern laet mich niht genesn.«
do sprach der chüene Danchwart: »des schol ich scheidere wesn.«

1654 Do spranger dar vil balde und sluog im einen slac,


da von der herre Gelpfrat vor im tot gelac.
Else wolde gerne rechen do den man,
sit muoser schedeliche mit den sinen cheren dan.

1655 Im was erslagen der bruoder, selbe was er wunt,


wol ahzech siner degene beliben an der stunt
mit dem vil grimme tode. Else muose dan
fluhtechliche wenden, daz heten geste getan.

1656 Do die von Bayerlanden wichen uf dem wege,


do horte man noch hellen die vreislichen siege,
do jageten die von Tronege ir vianden nach.
die ez niht engelten wanden, den was allen ze gach.

1657 Do sprach an ir vlühte Danchwarf d er degen:


» w ir schallen w iderkeren balde a u ff disen wegen
u n d la ß w ir sy reiten, sy sin t von blu te naz.
gahen w ir zu den frew n d en . an trew en ra t ich daz. «

1658 D o sy h in w id er kam en, do d er streit w as geschehen,


do sprach d er kü ne H agen: »heit, ir sch a llt besehen,
w es uns h y geprest oder w en w ir haben verloren
in disem herten streite durch disen G elpfrades czoren.«
KAM PF M IT DEN BAYRISCHEN MARKGRAFEN 529

1652 Wie gewaltig Hagen auch auf Gelffat zusprang, der edle Mark­
graf schlug ihm von seinem Schild etwa eine Elle ab, so daß
Feuerfunken davon aufstoben. Beinahe wäre König Gunthers
Lehnsmann ums Leben gekommen.

1653 Da rief er nach Dankwart: »Hilf mir, lieber Bruder, ein wirk­
licher Held hat mich angegriffen. Er wird mich nicht am Leben
lassen.« Der tapfere Dankwart antwortete: »Diesen Kampf
werde ich entscheiden.«

1654 Sofort sprang er dorthin und versetzte Gelfrat einen solchen


Schlag, daß dieser tot vor ihm niederfiel. Else hätte seinen Bru­
der gern gerächt, doch mußte er schwer getroffen alsbald mit
seinen Leuten umkehren.

1655 Sein Bruder war erschlagen, er selbst verwundet, etwa achtzig


seiner Kämpfer fielen in diesen Stunden dem schrecklichen Tod
zum Opfer. Else selbst mußte von dort fliehen. Das hatten die
Fremden erreicht.

1656 Als die Leute aus Bayern den Rückzug antraten, hörte man
noch immer die schrecklichen Schläge nachhallen. Dann jagten
die Tronjer ihren Feinden hinterher. Alle, die hofften, ihr Leben
zu behalten, hatten größte Eile.

1657 Bei der Verfolgung der Fliehenden sagte Dankwart, der Kämp­
fer: »Wir sollten alsbald auf diesem Weg umkehren und sie
reiten lassen. Sie sind naß vom Blut. Kehren wir schnell zu
unseren Freunden zurück. Das rate ich in Treue.«

1658 Als sie wieder dorthin kamen, wo der Kampf stattgefunden


hatte, sagte der tapfere Hagen: »Helden, seht nach, wo in unse­
ren Reihen eine Lücke ist und wen wir in diesem harten Kampf
durch Gelfrats Zorn verloren haben.«
530 2 6 . AVEN TIURE

1659 Sy heften verloren vir, d a z lißen sy also sein,


e z w as w ol vergolten m it w u n d en u n ter in
den von B aierlanden, sy h u n d ert lißen tod.
des w aren den von Trongen ir schild trü b u n d rot.

1660 Ein teil schein a u ß den w olcken des lichten m an en brehen.


do sprach a b er H agen: » n y m a n t schol verjehen
d em m ein en liben herren, d a z w ir h y haben getan,
m an schol sy an sorgen u n cz m orgen reiten lan.«

1661 D o sy d a nach in kam en, d y d o r t d a striten ee,


d a te t d em ingesind d y m ü d e starcke we.
» w y lang schüll w ir reiten?« des fra g e t m anich m an.
do sprach der küne D an ch w art: » w ir m ügen n ich t h erw erggeh an .

1662 Ir m ü ß t alle reiten, u ncz d a z e z w erd tag.«


Volker d er küne, d er d e r p h a n e n pfhlag,
b a t den m arschalck vragen: »w o schüll w ir h ein t sein,
d a gern unser m ere u n d auch d y liben herren m ein?«

1663 D o sprach d er kü ne D an ch w art: »ich kan euch ez n ich t gesagen.


w ir m ügen n ich t geruen, e ez b eg in n et tagen.
w o w ir e z d a n n fin d en , so ligen in ein em gras. «
d o sy d a z vernam en , w y leid in etlichen was.

1664 Si bliben u n verm a ilet des heißen blutes rot,


u ncz d a z d y su n n e ir lich tez scheinen b o t
den m orgen über berge, d o d a z d er kü n ig gesach,
d a z sy gestriten hetten, d er kü n ig v il czörnicklichen sprach:
KAMPF M IT DEN BAYRISCHEN MARKGRAFEN 531

1659 Sie hatten vier Mann verloren, das mußten sie verschmerzen.
Denen aus Bayern aber hatten sie im Gegenzug viele Wunden
geschlagen. Etwa hundert blieben tot zurück. Davon waren die
Schilde der Tronjer mit Blut rot befleckt.

1660 Bisweilen leuchtete der Schein des hellen Mondes aus den Wol­
ken. Da sagte Hagen wiederum: »Niemand soll meinen lieben
Herren etwas von dem berichten, was wir hier getan haben.
Man soll sie bis morgen ohne Beunruhigung weiterreiten
lassen.«

1661 Als nun diejenigen, die vorher gekämpft hatten, die anderen
einholten, setzte dem Gefolge die Müdigkeit zu. »Wie lange
sollen wir noch reiten?« fragten viele Männer. Der kühne
Dankwart antwortete: »Hier können wir unser Lager nicht auf-
schlagen.

1662 Ihr müßt alle weiterreiten, bis es Tag wird.« Der tapfere Volker,
der die Fahne trug, ließ den Marschall fragen: »Wo sollen wir
heute nacht noch hin? Unsere Pferde und meine lieben Herren
brauchen Ruhe.«

1663 Darauf antwortete der kühne Dankwart: »Ich kann es nicht


sagen. Auf jeden Fall können wir nicht ruhen, bevor es hell
wird. Wo es dann möglich ist, werden wir im Gras lagern.« Als
sie das hörten, waren nicht wenige unzufrieden.

1664 Niemand sah das Rot des heißen Blutes an den Rüstungen der
Tronjer, bis die Sonne am Morgen ihren hellen Schein über die
Berge warf. Als der König dann entdeckte, daß sie gekämpft
hatten, sagte er sehr zornig:
532 2 6 . AVEN TIURE

1665 » W y nu, fr e w n t H agen? ich w aen , ve rsm a h t daz,


d a z ich hey euch wäre, d a euch d y ringe n a z
su st w u rden von d em blute, w er h a t euch d a z getan?«
er sprach: » da z te t Gelpfrat, d e r h e tt uns nahen bestan.

1666 D urch den seinen vergen w ir w u rd en angerant.


do slug G elpfraden m ein es b ru d er hant.
se in t en tran uns Else, des tw a n g in m ichel not.
y n h u n d ert u n d uns v ir bliben in d em streite tot.«

1667 W ir enkonden n ich t bescheiden, w a r sy sich legten nider.


all d y la n tle w t erfunden e z w o l sider,
d a z z e h o ffü ren d er edelen U oten kint.
sy w u rden w ol enpfangen d a ze P a ß a w sint.

1668 D e r edelen fü rsten öhem , bisch off Pilgrein,


d em w a rd vil w o l z u m ute, do er d y neven sein
sah m it so v il d er recken ku m en in d a z lant.
d a z er s y gern säh, d a z w a rd im schir bekant.

1669 Sy w urden w ol enpfangen v o n fre w n d e n a u ff den wegen,


da zu P a ß a w k o n d er sy n ich t gelegen.
sy m usten über d a z w aßer, d a sy fu n d e n velt.
d a slugen a u ff d y knechte m a n ig h a t u n d geczelt.

1670 Sy m usten d a bleiben allen einen ta g


u n d auch d y n ach t m it vollen, w y schon m an ir pfhlag!
darn ach sy m u sten reiten in R üdigers lant.
d em ka m en auch d y mere, d a z w a s in libe bekant.

1671 D o d y w egem ü den rue gen am en ,


u n d sy d em lan de n aher bekam en,
sy fu n d e n a u ff der v a rt slaffend einen m an,
d em von Tronge H agen sein starckez w affen an gew an.
KAMPF M IT DEN BAYRISCHEN MARKGRAFEN 533

1665 »Was ist los, Freund Hagen? Ich glaube, ihr wolltet mich nicht
dabeihaben, als eure Rüstung von Blut so naß wurde. Wer hat
euch das angetan?« Hagen antwortete: »Gelfrat war es, er hat
uns in der Nähe angegriffen.

1666 Wegen seines Fährmanns wurden wir überfallen. Mein Bruder


hat Gelfrat erschlagen. Später entkam Else, seine verzweifelte
Lage zwang ihn zur Flucht. Hundert von ihnen und vier von
uns blieben nach dem Kampf tot zurück.«

1667 Wir konnten nicht feststellen, wo sie endlich ihr Lager auf­
schlugen. Alle Leute des Landes erfuhren wohl später, daß die
Kinder der edlen Ute auf einer Hoffeise waren. Dann wurden
sie in Passau gut aufgenommen.

166 « Bischof Pilgrim, der Oheim der edlen Fürsten, freute sich sehr,
als er seine Neffen mit so vielen Recken in sein Land kommen
sah. Daß er sie gern empfing, erkannten sie sofort.

1669 Schon unterwegs wurden sie von Freunden herzlich begrüßt. In


Passau konnte ihr Oheim sie nicht alle beherbergen. Sie muß­
ten über den Fluß übersetzen, wo ein freies Feld lag. Dort
schlugen die Knappen viele kleine und große Zelte auf.

1670 Einen ganzen Tag und auch die Nacht lang mußten sie dort­
bleiben. Wie gut versorgte man sie! Danach ritten sie weiter in
Rüdigers Land. Der nahm die Nachricht freudig auf.

1671 Als die von der Reise ermüdeten Männer ausgeruht hatten und
sich dem Land Rüdigers näherten, trafen sie auf ihrem Zug
einen schlafenden Mann, dem Hagen von Tronje sein starkes
Schwert abnahm.
534 2 6 . A V E N TIU R E

1672 Eckewart was geheißen der selb ritter gut.


er gewan darümb vil trawrigen mut,
daz er verlos sein waffen von der beide vart,
dy march Rüdigers fundens übel bewart.

1673 »Awe mir diser schaden«, sprach do Eckewart.


»ja rewet mich sere der Burgunden vart.
sint ichs in friden verlos, do was mein frewd ergan.
awe, herr Rüdiger, wy ich wider dich geworben han.«

1674 Hagen vil wol hört sein clagen, sorg im klagen gepot.
er gab im wider sein wappen und sechs pauche rot.
»dy hab dir, heit, ze minnen, daz du meinfrewnt seyst.
du bist ein degen küne, wy ein du auff der march seist.«

1675 »Got Ion euch ewer gäbe«, sprach da Eckewart.


»doch rewet mich vil sere zu den Hewnen ewer vart,
ir sluget Seifriden, man ist euch gehaz.
daz ir euch wol behütet, in trewen rate ich euch daz.«

1676 »Nu müß uns got behüten«, sprach do Hagen.


»wir haben an disen czeiten nicht mer ze tragen,
nur wo mein hern noch heinte mügen han
nachtseid in disem lande, da sy geruen und ir man.

1677 Dy ros sind uns vermüdet auff den verren wegen,


und der speis zerunnen«, sprach Hagen der degen.
»wir findens nindertfeyl, uns wär wirtes not,
der uns noch heintegeb durch sein mild sein brot.«

1678 Des antwort im da Eckewart: »ich czeig euch einen wirt,


daz ir zehaws selten so wol bekomen pirt
in keinem frömden lande, als euch wol mag geschehen,
ob ir vil snelle degen wollet Rüdigeren sehen.
KAMPF M IT DEN BAYRISCHEN MARKGRAFEN 535

1672 Eckewart hieß der tüchtige Ritter. Er war erschüttert, daß er


sein Schwert beim Vorbeiziehen der Helden verloren hatte und
daß sie die Grenze von Rüdigers Land schlecht bewacht fanden.

1673 »O weh, welch ein Verlust für mich«, rief Eckewart. »Wahrhaf­
tig, mich bekümmert die Reise der Burgunden sehr. Da ich es
kampflos verloren habe, ist meine Freude dahin. O weh, Herr
Rüdiger, wie habe ich dir gegenüber meine Pflicht versäumt.«

1674 Hagen hörte sehr genau, wie Eckewarts Sorge ihn zwang zu kla­
gen. Er gab ihm sein Schwert zurück und schenkte ihm sechs
rotgoldene Armreife. »Nimm sie, Held, zur Erinnerung, daß du
mein Freund bleibst. Du bist ein tapferer Kämpfer, wie du hier
so ganz allein an der Grenze stehst.«

1675 »Gott vergelte euch eure Gabe«, sagte Eckewart. »Doch beun­
ruhigt mich eure Reise zu den Hunnen sehr. Ihr habt Siegfried
erschlagen, und deshalb haßt man euch. In Treue rate ich euch,
wohl auf der Hut zu sein.«

1676 »Nun, möge uns Gott behüten«, entgegnete Hagen darauf. »Im
Augenblick haben wir uns allein darum zu kümmern, wo
meine Herren heute nacht in diesem Land eine Lagerstatt fin­
den, damit sie und ihre Leute ruhen können.

1677 Unsere Pferde sind von den weiten Wegen übermüdet, und die
Verpflegung ist aufgebraucht«, sagte Hagen, der Kämpfer. »Wir
finden nirgends etwas zu kaufen, wir brauchten einen Wirt, der
uns heute nacht aus Freigebigkeit sein Brot gibt.«

1678 Darauf antwortete ihm Eckewart: »Ich zeige euch einen solchen
Wirt, daß ihr wohl in keinem fremden Land so gut aufgenom­
men werdet wie hier, wenn ihr den gewandten Kämpfer Rüdi­
ger besucht.
536 2 6 . AVENTIURE

1679 D e r siezet b ey d e r s tra zz u n d ist d e r beste w irt,


der y k a m zehaw s. sein hercz tu g en t birt,
als d e r lichte m eye d a z gras m it blu m en tut.
so er schol beiden dienen, so ist er frölich g em u t.«

1680 D o sprach d er k ü n ig G unthher: » w o llt ir m ein b o t sein,


ob uns w öll en th alten durch den w illen m ein
der m a rk g ra ff R ü diger unser m a g u n d unser m an?
d a z w il ich y m m e r din en m it trew en, so ich beste kan.«

1681 »D er b o t p in ich gerne«, sprach d a E ckewart,


in v il g u te m w illen h u b er sich a n d y v a rt
u n d sagte Rüdiger, w en er h e tt gesehen,
u n d auch G otlinde. do w as in lib geschehen.

1682 M a n sah ze B echlarn g a b en einen degen.


selbe erk a n t in Rüdiger, er sprach: » a u ff disen wegen
d o r t her g ä b e t E ckewart, man.«
ein C h rim h ild en
er wände, daz die viende im heten etewaz getan.

1683 Do gie er fur die porte, da er den boten vant.


daz swert er von im gurte und leit ez von der hant.
er sprach zuo dem degene: »waz habt ir vernomen,
daz ir gahet also sere? hat uns iemen iht genomen?«

1684 »Uns hat geschadet niemen«, sprach Eckewart zehant.


»mich habent dri kunige her zuo ziu gesant:
Gunther von Burgonden, Giselher und Gernot.
der recken ieslicher iu sinen dienest her enbot.

1685 Daz selbe tuot her Hagene und ouch Volker


ir dienest willechliche; noch sage ich iu mer,
daz iu des kuniges marschalch Danchwart daz enbot,
daz den guoten degenen waer iwer herberge not.«
KAMPF M IT DEN BAYRISCHEN MARKGRAFEN 537

1679 Sein Wohnsitz liegt an der Straße, und er ist der beste Wirt, der
je eine Burg besaß. Sein Herz ist derart von höfischen Tugenden
erfüllt, wie im hellen Mai das Gras mit Blumen geziert ist.
Wenn er Helden einen Dienst erweisen kann, dann stimmt ihn
das fröhlich.«

1680 Da sprach König Gunther: »Wollt ihr mein Bote sein und
fragen, ob der Markgraf mir zuliebe unsere Verwandten und
unsere Leute aufnimmt? Ich will mich dafür in Treue stets
dankbar erweisen, so gut ich kann.«

1681 »Gern diene ich als Bote«, antwortete Eckewart. Bereitwillig


machte er sich auf und berichtete Rüdiger und auch Gotelind,
wen er getroffen hatte. Das war für sie eine große Freude.

1682 Man sah einen Kämpfer schnell nach Bechelarn gehen. Rüdiger
selbst erkannte ihn und sagte: »Dort auf der Straße eilt
Eckewart herbei einer von Kriemhilds Leuten.« Er glaubte, daß
Feinde ihm etwas angetan hätten.

1683 Rüdiger trat vor das Tor, wo er den Boten traf. Dieser gürtete
das Schwert ab und legte es aus der Hand. Der Markgraf sprach
zu dem Helden: »Was habt ihr erfahren, daß ihr so eilig herbei­
kommt? Hat uns jemand etwas geraubt?«

1684 »Niemand hat uns Schaden zugefügt«, antwortete Eckewart


sofort. »Mich haben drei Könige zu euch gesandt: Gunther aus
Burgund, Giselher und Gernot. Jeder der drei Recken läßt euch
grüßen.

1685 Auch Hagen und Volker grüßen euch freundlich: ich muß noch
hinzufügen, des Königs Marschall Dankwart läßt euch mittei-
len, daß die guten Kämpfer Unterkunft bei euch brauchen.«
538 2 6 . AVEN TIURE

1686 Mit lachendem munde sprach do Rüedeger:


»nu wol mich dirre maere, daz die kunige her
miner herberge ruochent. diu wirt in niht verseit.
chôment si mir ze huse, mit dienste bin ich in bereit.«

1687 »Iuch hat des kuniges marschalch heizen wizzen lan,


wen ir ze herbergen noch hinte müezet han:
sehzech chüener recken und tusent ritter guot
und niun tusent knehte.« do wart er vroelich gemuot.

1688 »So wol mich dirre geste«, sprach do Rüedeger,


»daz mir chôment ze huse die recken also her,
den ich noch vil selten iht gedienet han.
nu riten in begegene, mine mage unde man.«

1689 Von gahen zuo den rossen huop sich da michel not
von rittern und von knehten. der wirt do gebot
den sinen ambtliuten, si schuoffenz deste baz.
noch enwistes niht frou Gotelint, diu in ir kemenaten saz.

1690 Do gie der marcgrave, da er die frowen vant,


sin wip und sine tohter, do sagter in zehant
diu vil lieben maere, diu er hete vernomen,
daz ir frowen brüeder ir ze huse solden chomen.

1691 »Vil liebiu trutinne«, sprach do Rüedeger,


»ir suit vil wol enpfahen die edeln kunige her,
so si mit ir gesinde fur iuch ze hove gan.
ir suit ouch schone grüezen Hagenen, Guntheres man.

1692 Mit in chumt ouch einer, der heizet Danchwart,


der ander heizet Volker, an zuhten wol bewart.
die sehse suit ir chussen, ir unt diu tohter min,
und suit ouch bi den degenen in zühten groezliche sin.«
KAMPF M IT DEN BAYRISCHEN MARKGRAFEN 539

1686 Lachend antwortete Rüdiger darauf: »Wie glücklich bin ich


über diese Nachricht, daß die angesehenen Könige bei mir Her­
berge nehmen wollen. Sie wird ihnen nicht versagt. Wenn sie in
meine Burg kommen, empfange ich sie bereitwillig.«

1687 »Des Königs Marschall läßt euch auch ausrichten, wen ihr
heute nacht unterbringen möchtet: sechzig tapfere Recken und
tausend tüchtige Ritter sowie neuntausend Knappen.« Das
nahm Rüdiger wohlwollend auf.

1688 »Ich freue mich sehr auf die Gäste«, sagte er, »und daß die
hochangesehenen Recken, denen ich noch nie einen Dienst er­
weisen konnte, auf meine Burg kommen. Meine Verwandten
und alle meine Leute, reitet ihnen entgegen.«

1689 Es entstand ein Gedränge von Rittern und Knappen, die zu den
Pferden eilten. Was der Burgherr seinen Bediensteten auftrug,
führten sie aufs beste aus. Nur Frau Gotelind, die in ihrer
Kemenate saß, wußte noch nicht Bescheid.

1690 Da ging der Markgraf zu den Damen, zu seiner Frau und seiner
Tochter, und überbrachte ihnen sofort die freudigen Neuigkei­
ten, die er gehört hatte, daß nämlich die Brüder ihrer Herrin in
ihre Burg kommen würden.

1691 »Geliebte Frau«, sagte Rüdiger, »empfangt die edlen und an­
gesehenen Könige gut, wenn sie mit ihrem Gefolge zu euch
an den Hof kommen. Auch Hagen, Gunthers Mann, sollt ihr
freundlich begrüßen.

1692 Mit ihnen kommt einer, der Dankwart heißt, ein anderer heißt
Volker, den zeichnet besonders gutes Benehmen aus. Diese
sechs Männer sollt ihr und meine Tochter mit einem Kuß
begrüßen, und zu diesen Kämpfern sollt ihr besonders zu­
vorkommend sein.«
540 2 6 . AVENTIURE

1693 Daz lobten do die frowen und warens vil bereit.


si suohten uz den kisten diu maniger handen chleit,
dar inné si begegene den recken wolden gan.
da wart vil michel vlizen von schoenen frowen getan.
KAMPF M IT DEN BAYRISCHEN MARKGRAFEN 541

1693 D as versprachen die D am en und taten es gern. Sie suchten aus


den Truhen vielerlei G ew än d er, in denen sie den Recken en t­
gegen gehen w ollten. D ie sch ön en Frau en m achten sich m it
groß em Eifer zurecht.
27. A V EN T IU R E
A V EN T IU R E W IE DER M A RC H G R A V E D IE
K U N IG E M IT IR REC KEN IN SIN H U S E N P F IE U N D W I E R
IR SIT PFL A CH

1694 In solhen u n m u ozen suln w ir die frow en lan.


hie w art vil m ichel gahen über velt getan
von R üedegeres friu n d en , da m an die geste vant.
si w u rd en w ol enpfan gen in des m arcgraven lant.

1695 D o si der m arcgrave zuo zim ch om en sach,


R üed eger der snelle, w ie vrolich er sprach:
»sit w illechom en, ir herren un d ou ch iw er m an,
hie in disem lande, w ie gern ih iuch gesehn han!«

1696 D o danchten im die recken m it triw en ane haz.


daz si im w illechom en w aeren, vil w ol erzeichter daz.
sun der gruozter H agenen, den het er e bêchant,
sam tet er Volkeren, den heit von B u rgo n d en lant.

1697 D o sprach zem m arcgraven D anchw art der degen:


»sit ir uns weit beruochen , w er soi uns d an ne pflegen
des unsern ingesindes von W orm ez über Rin?«
do sprach der m arcgrave: »die angest suit ir lazen sin.

1698 Ez w irdet w ol behalden, sw az ir in daz lant


habt m it iu gefuoret, ros, silber und gew ant;
dem schaffe ich solhe huote, daz sin w irt niht verlorn ,
daz iu ze schaden brin ge gegen einem halben sporn.
27- A V EN T IU R E
W I E DER M A RK G RA F D IE K Ö N IG E M IT IH R E N
REC KEN AUF S E IN E R BU R G E M P F IN G U N D W I E ER SIE
A N S C H L IE S S E N D B E W IR T E T E

1694 Die Damen wollen wir bei ihren Bemühungen sich selbst über­
lassen. Rüdigers Freunde und Verwandte eilten über das Feld
zu den Gästen. Sie wurden im Land des Markgrafen herzlich
empfangen.

1695 Als er sie kommen sah, sagte der gewandte Rüdiger fröhlich:
»Seid willkommen, ihr Herren und eure Leute, hier in diesem
Land. Wie freue ich mich, euch zu sehen!«

1696 Da dankten ihm die Recken vertrauensvoll und ohne jede


Feindschaft. Er erwies ihnen deutlich seine Gastfreundschaft.
Hagen begrüßte er in besondererWeise, denn ihn kannte er von
früher ebenso wie Volker, den Helden aus dem Burgundenland.

1697 Dankwart, der Kämpfer, sagte dann zu dem Markgrafen:


»Während ihr euch um uns kümmert, wer wird unser Gefolge
versorgen, das mit aus Worms über den Rhein gekommen ist?«
Der Markgraf antwortete: »Macht euch darum keine Sorgen.

1698 Alles, was ihr mit euch in dieses Land gebracht habt, Pferde, Sil­
ber und Gewänder, das wird gut verwahrt; ich sorge für solchen
Schutz, damit nichts verlorengeht und auch nicht ein halber
Sporn zu Schaden kommt.
544 T J. A V E N T I U R E

1699 Spannet uf, ir knehte, die hütten an daz velt.


swaz ir hie verlieset, des wil ich wesen gelt.
und ziehet abe die zoume, diu ros diu lazet gan.«
daz het in wirt deheiner da vor vil selten getan.

1700 Des freuten sich die geste, do daz geschaffen was,


die herren riten dannen, sich leiten in daz gras
über al die knehte. si heten guot gemach.
ich waen, in an der verte nie so sanfte geschach.

1701 Nu was diu marcgravinne fur daz tor gegan


mit ir vil schoenen tohter. do sah man bi ir stan
die minneklichen frowen und manige schoene meit,
die truogen vil der bouge und ouch die herlichen chleit.

1702 Daz edele gesteine verre luhte von in dan


uz ir vil riehen waete. die warn wol getan.
do chomen ouch die recken und erheizten sa zehant.
hey, waz man grozer zühte an den Burgonden vant!

1703 Sehs und drizzech meide und ander manic wip,


den was ze wünsche schoene und minneklich der lip,
die giengen in engegene und wolden si enpfan.
da wart ein schoene grüezen von den frowen getan.

1704 Diu junge marcgravinne chuste die kunige dri,


alsam tet ir muoter. da stuont ouch Hagen bi,
den bat ir vater chussen. do blicte si in an,
er duhte si so gremlich, daz siz gerne hete lan.

1705 Doch muoste si da leisten, daz ir der wirt gebot,


gemisschet wart ir varwe bleich unde rot.
si chuste ouch Danchwarten, dar nach den spileman.
durch sines libes eilen wart im daz grüezen getan.
E INKE HR BEI RÜDIGER VON BECHELARN 545

1699 Ihr K n app en , schlagt die Z elte im Feld auf. Alles, w as ihr hier
verliert, das w ill ich euch ersetzen. N ehm t den Pferden das
Z au m zeu g ab un d laßt sie frei laufen.« So w ar ihnen n och kein
B u rg h err jem als begegnet.

1700 D arü b er freuten sich die G äste. A ls das ausgeführt war, ritten
die H erren fort, un d die K n app en legten sich überall ins G ras.
Sie hatten es bequem . Ich glaube, so angen ehm ergin g es ihnen
n irgen d w o sonst a u f d ieser Reise.

1701 N u n w ar die M ark gräfin m it ihrer schön en Tochter vor das Tor
getreten. N eben ihr sah m an lieben sw erte D am en u n d viele
h ü b sch e M äd ch en stehen, sie trugen reichlich S ch m u ck und
prächtige Kleider.

1702 S ch on von w eitem leuchteten die Edelsteine an ihren überaus


prächtigen G ew än d ern . D ie Frau en sahen sehr schön aus. D a
kam en auch die Recken u n d stiegen eilig vom Pferd. A ch, w ie
außerordentlich höfisch b enahm en sich die B u rgu n d en !

1703 S ech su n d d reiß ig M äd ch en un d viele an dere Frau en , alle von


b ild sch ö n er un d liebensw erter Gestalt, gingen ihnen entgegen,
um sie zu em p fan gen . D ie D am en begrüß ten sie fo rm vo ll­
endet.

1704 D ie ju n g e M ark g räfin küßte d ie drei K ön ige, das gleiche tat


auch ihre M utter. H agen stand daneben, un d ihr Vater bat sie,
ihn ebenfalls zu küssen. A ls sie ihn anblickte, erschien er ihr so
furch terregend, daß sie es lieber gelassen hätte.

1705 D och m uß te sie tun , w as d er H o fh err ihr gebot. Ihr G esicht


w u rd e dabei abw echselnd blaß un d rot. Sie küßte auch D an k ­
w art und danach den Spielm an n Volker. W egen seiner T apfer­
keit hatte er den G ru ß verdient.
546 27- AVENTI URE

1706 D iu ju n g e m arcgravin n e nam do bi d er hant


G iselh em den recken von B u rgo n d en lant,
alsam tet ir m u oter G ü n th ern den chüen en m an,
G ern oten fu orte R üed eger m it in m in n ech lich en dan.

1707 In der schoenen bu rge stuon t ein w iter sal,


ritter unde frow en gesazen da zetal.
do hiez m an balde schenchen den gesten guoten w in .
ez endorften n im m er helede gehandelt güetlicher sin.

1708 M it lieben ougen blicken w art vil gesehn an


d iu Rüedegeres tohter, d iu w as so w olgetan.
ja trutes in dem hercen vil m anic ritter guot.
daz chun de ouch si verdienen: si w as vil hohe gem uot.

1709 Si gedahten, swes si w old en , es en m oh t aber niht geschehn.


an m ägede un d ouch an frow en w art da vil gesehn
fu r un d e w idere, w än d e ir saz da gen uoc.
der edel videlaere dem w irte h old en w illen truoc.

1710 N ach gew onheite do schieden si sich da


ritter un d e frow en , die giengen andersw a.
d o rihte m an die tische in dem sale w it,
den vil lieben gesten m an diente w illekliche sit.

1711 D u rch der geste liebe hin ze tische gie


niw an d iu m arcgravin n e, ir tohter si d o lie
beliben bi den kin den, da si von rehte saz.
daz si ir niht ensahen, die geste m üete sere daz.

1712 D o si m i t f r e u d e n h e t e n g e g e z z e n ü b e r al,
d o w iste m a n d ie s c h o e n e n w i d e r in d e n sal.
g äm elich er S prüche d e r w a r t d a n ih t verdeit,
der reit vil da Volker, ein degen chüen un d gem eit.
E INKEHR BEI RÜDIGER VON BECHELARN 547

1706 D ie ju n g e M ark g räfin n ahm G iselher, den b u rgu n d isch en


R ecken, an d ie H an d , ihre M utter geleitete den kühnen
G un ther, un d R ü d iger führte G ern o t freundlich m it den an d e­
ren von d annen.

1707 A u f der prächtigen B u rg gab es einen groß en Saal, d o rt n ah ­


m en R itter u n d D am en Platz. So gleich ließ m an den G ästen
guten W ein einschenken. N iem als d ürften H elden besser e m p ­
fan gen w ord en sein.

1 708 Z ah lreich e freun d lich e Blicke richteten sich a u f R ü d igers T och­


ter, sie w ar auch w irklich schön . V iele R itter gew ann en sie von
H erzen lieb. Verdient hatte sie das: Sie trat m it höfischem A n ­
stand auf.

1709 D ie R itter w ün sch ten sich m anches, jed o ch konnte das nicht in
E rfü llu n g gehen. Z w isch en den M äd ch en un d den Frauen, die
d o rt in groß er Z ah l saßen, schw eiften ihre Blicke h in un d her.
D er edle Sp ielm an n w ar dem B u rgh errn beson ders zugetan.

1710 G an z der Sitte entsprechend trennten sich schließlich die Ritter


un d die D am en , sie gingen in verschiedene R äum e. M an deckte
die T isch e in dem groß en Saal, und die gerngesehenen G äste
w u rd en alsbald bereitw illig bew irtet.

1711 D en Frem den zuliebe setzte sich die M arkgräfin an deren Tisch,
w äh ren d sie ihre Tochter bei den ju n gen M äd ch en ließ, w o sie
altersgem äß ihren Platz hatte. D aß sie sie nicht sehen konnten,
betrübte die G äste sehr.

1712 A ls alle m it Freuden gespeist hatten, w urden die Schönen w ie ­


d er in den Saal geschickt. M an unterhielt sich m it scherzhaften
Sp rü ch en , von d enen Volker, ein kühner un d fröhlicher K ä m p ­
fer, so m anche vortrug.
548 2 J . AV ENTIURE

1713 D o sprach offen liche der tiure spilem an:


»vil richer m arcgrave, got hat an iu getan
vil genaedekliche, daz er iu hat gegeben
ein w ip so rehte schoene, d ar zuo ein w u n n eklich ez leben.

1714 O b ich ein fürste w aere«, sprach aber d er spilem an ,


»und solde ich tragen chron e, ze w ib e w olde ich han
die iw ern schoenen tohter. des w u n n et m ir der m uot.
d iu ist m in n eklich ze sehene, d ar zuo edel un de guot.«

1715 D o sprach der m arcgrave: »w ie m öhte daz gesin,


daz im m er ku n ic gegerte der lieben tohter m in?
w ir sin beide eilende, ich un d ouch m in w ip,
un d haben niht ze gebene, w az hilfet d an ne ir sch oen er lip?«

1716 D o sprach der herre G ern ot: »ir suit die rede lan,
und solde ich truttinne nach m im e w illen han,
ane gu ot ze w ibe, w aer ich ir im m er vro.«
des antw urte H agene vil harte m in n eklich en do:

1717 »N u soi d och her Giselher, m in herre, n em en w ip.


ez ist so hoh er m age der m arcgravin n e lip,
daz w ir ir dienten gerne, ich un d an d er iw er m an,
und soldes un d er chron e da zen B u rgo n d en gan.«

1718 D iu rede R üedegeren von in duhte guot


un d o u ch die m arcgravin n e, ja freutez in den m uot.
sit truogen an die helde, daz si ze w ib e nam
G iselh er der edele, w andez in beiden w ol gezam .

1719 Sw az sich soi gefüegen, w er m ac daz understen?


m an bat die ju n cfrow en hin ze hove gen.
do sw u o r m an im ze gebene daz w u n n eklich e kint,
ouch lobt er ze nem ene die vil m in n eklich en sint.
E INKEHR BEI RÜDIGER VON BECHELARN 549

1713 Sch ließ lich sagte d er edle Sp ielm an n vo r allen: »M ächtiger


M ark graf, G o tt ist euch sehr gn äd ig gew esen, daß er euch eine
so schön e Frau un d auß erd em ein freudenreiches Leben gege­
ben hat.

1714 W äre ich ein Fürst«, fu h r d er Spielm an n fort, »und hätte ich
A n sp ru ch a u f eine K rone, so w ürd e ich eure schöne Tochter zur
F rau n eh m en . A llein d er G ed an ke erfreut m ich. Sie sieht lie­
b en sw ü rd ig aus, ist von A del un d voller Tugend.«

1715 D a r a u f an tw ortete der M ark graf: »Wie kön n te das m öglich


sein, daß jem als ein K ö n ig m ein e liebe Tochter heiraten wollte?
Ich u n d m ein e Frau, w ir sind beide aus unserem Land vertrie­
ben un d haben kein e M itgift zu vergeben , w as hilft d a ihre
Schönheit?«

1716 G e rn o t en tgegnete ihm : »Sagt das nicht, ich w ü rd e eine


lieben sw erte Frau , die m ein em W u n sch bild en tspricht, auch
h eiraten , w enn sie nichts besäße, u n d w äre d an n allezeit
glücklich.« D a antw ortete H agen auß erordentlich freundlich:

1717 »N un soll d o ch m ein H err G iselh er eine F rau nehm en . D ie


M ark g räfin ist von so h oh er A b stam m u n g , daß ich un d eure
anderen Lehnsleute ih r gern dienen w ürden , w en n sie in B u r­
gu n d die K rone trüge.«

1718 D ieser V orschlag gefiel R ü d iger und seiner Frau sehr, sie freuten
sich w irklich darüber. A lsbald schlugen die H elden vor, daß der
edle G iselh er sie zu r F rau n ehm en sollte, denn es w ar für beide
eine d urch au s stan d esgem äß e H eirat.

1719 W er kann aufhalten, w as sich zusam m enfügen soll? M an bat die


ju n g e D am e, v o r d ie H ofgesellsch aft zu treten. D ann schw or
m an, G iselher das sch ön e M äd ch en zur Frau zu geben, und er
gelobte, die L iebensw erte zu seiner G em ah lin zu nehm en.
550 27. AV EN TIURE

1720 M an beschiet der ju n cfro w en bu rge un de lant.


des sichert da m it eiden des riehen chun iges hant
und G ern o t der herre, däz w u rd e daz getan.
do sprach der m aregrave: »sit ich der lande niht enhan,

1721 Son e lat iu niht versm ahen m in eilendes soit,


ich gibe zuo m in er tohter silber un d e golt,
sw az zwei hun d ert m oere m eiste m ugen getragen.«
d iu rede m uoste den degenen beidenthalben w ol behagen.

1722 N ach gew onheite m an hiez an einen rinch


sten die m in n eklichen . m anec sneller ju n gelin ch
in gezw eietem m uote ir ze gegene stuont.
si gedahten in ir sinne, so noch die tum ben dicke tuont.

1723 D o m an begu nd e vragen die m in n eklich en m eit,


ob si den recken w olde, ein teil w as ez ir leit,
un d dahte d och ze n em ene d en w aetlichen m an.
si schäm te sich der vrage, so m an ic m aget hat getan.

1724 Ir runte ir vater Rüedeger, daz si spraeche ja


un d in vil gerne naem e. vil schiere w as d o da
m it sinen w izen handen, der si do um besloz,
G iselh er der junge, sw ie luzzil si des sit genoz!

1725 D o sprach der m aregrave: »ir edeln kun ige rieh,


als ir nu w id er w endet, daz ist gew onlich,
heim zuo ziuren landen, so gib ich iu m in kint,
daz ir si m it iu füeret.« daz gelobten si sint.
E INKE HR BEI RÜDIGER VON BECHELARN 551

1720 M an bestim m te B u rgen un d L än d er als M o rgen gab e fü r die


ju n g e Frau. D er m ächtige K ö n ig un d H err G ern o t bekräftigten
die A b m ach u n g eidlich. D er M a rk g ra f sagte: »D a ich keine L än ­
dereien besitze,

1721 so verschm äht nicht die G ab e, über die ich als V ertriebener ver­
füge. A ls M itgift gebe ich m ein er T ochter soviel G o ld und S il­
ber, w ie zw eih u n d ert vollb elad en e Lasttiere tragen kön nen .«
D ieses V ersprechen hielten die K äm p fer beider Seiten fü r an ge­
m essen.

1722 D er R echtsgew ohn heit entsprechend ließ m an das liebensw erte


Paar in einen Kreis treten. V iele gew andte ju n g e M än n er b eo b ­
achteten sie m it zw iespältigen G efü h len . Sie hingen G edan ken
nach, w ie sie ju n g e Leute heute noch oft bew egen.

1723 A ls m an das lieben sw ürdige M äd ch en fragte, ob sie den Recken


heiraten w ollte, w a r sie einerseits betrübt u n d doch andrerseits
en tsch lossen , den stattlichen M an n zu nehm en . Sie schäm te
sich bei der Frage w ie viele an d ere M äd ch en v o r ihr auch.

1724 Ihr Vater R ü d iger flüsterte ihr zu, daß sie ja sagen und ihn ohne
V o rb eh alt heiraten solle. Sogleich stand d er ju n g e G iselh er
n eben ihr u n d u m arm te sie m it seinen w eißen H än d en . W ie
w en ig kon nte sie ihr G lü ck später genießen!

1725 D an n sagte d er M ark graf: »Ih r edlen und m ächtigen K ön ige,


w en n ihr bald w ied er h eim kehrt in euer Land, gebe ich euch,
w ie es d em Brau ch entspricht, m ein e Tochter, dam it ihr sie m it­
nehm t.« D em stim m ten sie alsbald zu.
552 T J. A V E N T I U R E

1726 Swaz man da Schalles horte, den muosen si doch lan.


man hiez die juncfrowen zir kemenaten gan
und ouch die geste slafen. si erbiten an den tac.
do bereite man die spise. der wirt ir minneklichen pflac.

1727 Do si nu gezzen heten und wolden dannen varn


gein der Hünen landen, »daz heiz ich wol bewarn«,
sprach der wirt vil edele, »ir suit noch hie bestan,
wände ich so lieber geste selten her gewunnen han.«

1728 Des antwurte Danchwart: »jane mages niht gesin.


wa naemet ir die spise, daz brot und ouch den win,
daz so manigem manne waere hie bereit?«
do daz der wirt gehörte, ez was im ane maze leit.

1729 Do sprach der marcgrave: »diu rede ist ane not.


ze vierzehen nähten win unde brot
gaebe ich iu volleklichen mit den, die ir noch hie hat.
ir müezet hie beliben, des ist deheiner slahte rat.«

1730 Swie vil si dannen gerten, si muosen da bestan


unz an den vierden morgen, do wart ouch da getan
von des wirtes milte, daz verre wart geseit.
er gap den sinen gesten beidiu wafen unde kleit.

1731 Ez mohte wem niht langer, si muosen dannen varn.


Rüedeger der chunde vil wenic iht gesparn
von der sinen milte. swes iemen gerte nemen,
daz versagt er niemen. ez muose in allen gezemen.

1732 Daz edel ingesinde brahte fur daz tor


gesatelt vil der rosse, do warte ouch in da vor
vil der guoten recken, die truogen Schilde enhant,
wände si riten wolden nider in der Hünen lant.
E INKE HR BEI RÜDIGER VON BECHELARN 553

1726 A ller Festlärm , den m an d o rt hörte, m ußte schließlich beendet


w erd en . M an fo rd erte die ju n g en D am en auf, sich in ihre
K em enate zurückzuzieh en , un d d ie G äste, schlafen zu gehen.
Sie erw arteten den nächsten Tag. D an n bereitete m an ihnen das
Essen. D er W irt k ü m m erte sich liebevoll um sie.

1727 N ach d em sie gespeist hatten un d ins H un n en lan d w eiterziehen


w ollten, sagte d er edle B u rgh err: »D as kann ich nicht zulassen,
ihr sollt n och hierbleiben, d en n so liebe G äste haben m ich sel­
ten besucht.«

1728 D a r a u f an tw ortete D ankw art: »D as ist w irklich nicht m öglich.


W o w ollt ihr d en n d ie V erp flegun g, das B ro t un d den W ein,
h ern ehm en , d ie so G ele Leute benötigen?« A ls der B u rgh err das
hörte, w ar er außerordentlich betrübt.

1 729 »D iese Bedenken sind ganz unnötig«, w an dte d er M a rk g ra f ein.


»F ür vierzehn Tage kön n te ich euch un d alle, die ih r n och bei
euch habt, reichlich m it B ro t u n d W ein versorgen. Ih r m üßt
hierbleiben, da gibt es keine W iderrede.«

1730 O b w oh l sie u n b ed in gt w eiterziehen w ollten, blieben sie doch


bis zum vierten M o rgen dort. D a zeigte sich der B u rgh err so
groß zü gig, daß m an w eithin d avon sprach. E r schenkte seinen
G ästen W affen und Kleider.

1731 L än ger durfte die Reise nun aber nicht un terbrochen w erden,
sie m ußten fortziehen. R ü d iger verm ochte seiner Freigebigkeit
keine G ren zen zu setzen. N ichts, w as jem an d haben wollte, ver­
sagte er ihm . Es sollte einfach allen bei ihm gefallen.

1732 D ie edle D ien ersch aft führte die vielen Pferde gesattelt vor das
Tor. D o rt erw arteten sie zahlreiche tüchtige Recken. Sie trugen
ihre Sch ild e in d er H an d , denn sie w ollten n un hin u n ter ins
H u n n en lan d reiten.
554 T J . AVENTI URE

1733 D er w irt d o sine gäbe bot uber al,


e daz die edeln geste ch oem en fü r den sal,
er chun de m iltekliche m it grozen eren lebn.
die sine schoen en tohter die het er G iselh er gegebn.

1734 D o gab er G un th ere, dem helde lobelich,


daz w ol truoc m it eren d er edel k u n ic rieh,
sw ier nie gäbe enpfienge, ein w affen lich gew ant.
d o neich d er fürste here des m ilten R ü edegers hant.

1735 D o gab er G ern ote ein w afen gu ot gen uoc,


daz er sit in sturm en vil herlichen truoc.
der gäbe im vil w ol gu n d e des m aregraven w ip.
da von der guote R ü ed eger m u ose vliesen sit den lip.

1736 D o bot diu m aregravinn e H agen ir gäbe alsam


m it bete m in nekliche. sit si d er kunec nam ,
daz er ane ir stiure zuo der hoch gecit
varn niene solde, der heit gelobt ez an e strit.

1737 »Alles des ich ie gesach«, sprach do H agene,


»sone gerte ich niht m ere nu ze habene
niwan jenes Schildes, der dort hanget an der want,
den wolde ich gerne fueren mit mir in der Hünen lant.«

1738 D o diu m aregravinn e H agen bete vernam ,


ez m ante si ir leide, w einen si gezam .
do gedahte si vil tiure an N u o d u n ges tot,
den het erslagen W itege. des tw anc si jaem erlich iu not.

1739 Si sprach zuo dem degene: »den schilt w il ich iu geben,


daz w olde got von him ele, daz er n oh solde leben,
der in da tru o g enhende, der lag in stu rm e tot.
den m u oz ich im m er w einen, des gat m ir arm en w ibe not.«
E INKE HR BEI RÜDIGER VON BECHELARN 555

1733 B evo r die edlen G äste den Saal verließen, verteilte der Bu rgh err
allenthalben G esch en ke. E r verstand es w irklich , sich durch
Freigebigkeit groß es A n sehen zu erw erben. Seine schön e T och ­
ter hatte er G iselh er zu r F rau gegeben.

1734 G u n th er, d er ru h m reich e H eld, erhielt eine R ü stu n g, die der


edle K ö n ig m it Ehren trug, obw oh l er sonst niem als G eschenke
an n ah m . D a r a u f verneigte sich d er erhabene Fürst vor dem
freigebigen Rüdiger.

1735 G e rn o t schenkte er ein ausgezeichnetes Schw ert, das dieser


später in den K äm p fen ganz groß artig einsetzte. D ie Frau des
M ark grafen gö n n te ih m die G ab e beson ders. D u rch dieses
Schw ert verlor der edle R ü d iger später sein Leben.

1736 D an n b ot d ie M ark g räfin H agen ebenfalls m it freu n d lich er


Bitte ein G esch en k an. D a so gar d er K ö n ig eine G ab e an ge­
n o m m en hatte, sollte au ch er nicht o h n e eine solche zu dem
Fest ziehen. D er H eld stim m te oh n e W iderspruch zu.

1737 »Von allem , w as ich jem als gesehen habe«, sagte H agen,
»m öchte ich nichts w eiter haben als jenen Schild, der d ort an
der W and hängt. D en w ü rd e ich gern ins H un n en lan d m itn eh ­
m en.«

1738 A ls die M arkgräfin H agens Bitte hörte, w urde sie an alten K u m ­


m er erin n ert, u n d sie m uß te w einen. Sie dachte ganz inständig
an N u d u n gs Tod, den W ittich einst erschlagen hatte. D as hatte
ihr groß es Leid gebracht.

1739 Sie sagte zu dem K äm p fer: »D en Schild w ill ich euch geben.
W ollte G o tt im H im m el, d aß d er noch lebte, d er ihn einst
getragen hat! E r ist im K a m p f gefallen. Ich w erde ihn im m er
bew ein en , die E rin n eru n g b ek ü m m ert m ich arm e Frau noch
sehr.«
556 T J . AVENTI U RE

1740 D iu edel m arcgravin n e von ir sedele gie,


bi dem schiltvezzil si den schilt gevie,
do brahte si in H agene, si selbe m it ir hant.
diu gäbe w as m it eren an den recken gew ant.

1741 Ein hulft von liehtem pfelle ob siner varw e lac,


bezzer schilt deheinen beluhte nie der tac,
von edelm gesteine. sw ers ze ch ou fen hete gegert
od er in veil hete, er w as w ol tusint m arche wert.

1742 D en schilt hiez d o H agene von im tragen dan.


do ch om sin b ru o d er D an ch w art hin ze hove gegan,
dem gap vil richiu chleider des m arcgraven kint,
die er da zen H ünen tru oc vil herlichen sint.

1743 Allez daz der gäbe von in da w art gen o m en ,


in ir deheines hen de w aer ir niht b ech om en ,
w an durch des w irtes liebe, derz in so sch on e erbot,
sit w u rd en s im so vin t, daz si in m u osen slahen tot.

1744 Volker der snelle m it siner videlen dan


chom gezogenliche fu r G o telin d e stan.
er videlt süeze d one un d san g ir siniu liet.
da m ite nam er urloup , d o er von Bechelaren seiet.

1745 Ir hiez diu. m arcgravin n e eine lade tragen.


von ffiu n tlich er gäbe m üget ir nu hoeren sagen:
dar uz si n am sehs p o u g e und spiens im an die hant.
»die suit ir füren, Volker, von m ir in d er H ün en lant,

1746 U nd suit durch m in en w illen si da ze hove tragen,


sw enne ir w id er w endet, daz m an m ir m ü ge sagen,
w ie ir m ir habt gedienet da zer hochgecit.«
des si zem recken gerte, vil w ol gew ert er sis sit.
E IN K E H R BEI RÜDIGER VON BECHELARN 557

1740 D ie edle M ark gräfm erh ob sich von ihrem Platz, sie e rg riff den
Schild am T ragriem en un d brachte ihn eigen hän dig zu H agen.
E r w ar eine ehrenvolle G ab e fü r den Recken.

1741 Eine H ülle aus glän zend er Seide bedeckte seine O berfläche, die
m it Ed elstein en besetzt war, einen besseren Schild hat die
S on n e nie beschienen. Hätte ihn jem an d kaufen oder verkaufen
w ollen , w äre er w oh l tausend M ark w ert gew esen.

1742 H agen ließ den Sch ild fo rtb rin g en . D an n trat sein B ru d er
D an k w art v o r die H ofgesellsch aft, dem gab die Tochter des
M ark g rafen viele präch tige Kleider, die ihm später bei den
H u n n en herrlich standen.

1743 A lle G eschenke, die sie an gen om m en hatten, w aren n u r deshalb


in ihre H än d e gelangt, w eil der Bu rgherr, d er sie so groß zügig
an geboten hatte, ihn en freu n d sch aftlich zugetan war. Später
w u rd en sie so bittere Feinde, daß sie ihn erschlagen m ußten.

1744 D an n trat Volker voll A n stan d m it seiner Fiedel zu G otelin d. Er


spielte liebliche M elo d ien u n d san g seine Lieder fü r sie. D am it
n ahm er A bsch ied , als er v o n Bechelarn aufbrach.

1745 D ie M ark g räfin ließ ein e T ru he brin gen . Jetzt k ön n t ihr von
ein er liebevollen G ab e hören: Sie n ahm sechs A rm reife heraus
u n d streifte sie ih m über die H and. »D ie sollt ihr won m ir als
G esch en k m it ins H u n n en lan d n ehm en,

1746 u n d ihr sollt sie im G ed en ken an m ich bei H ofe tragen. W enn
ih r dann zurückkehrt, soll m an m ir berichten, w ie ihr m ir dort
a u f d em Fest ged ien t habt.« W orum sie den K äm p fer bat, das
hat er später sehr w ohl erfüllt.
558 27- A V E N T IU R E

1747 Do sprach der wirt zen gesten: »ir suit dest sanfter varn,
ich wil iuch selbe leiten und heizen wol bewarn,
daz man iu uf der strazen naem deheiniu pfant.
ich soi iuch selbe leiten in daz Ezelen lant.«

1748 Der wirt wart wol bereit mit fünf hundert man
ze rossen und ze chleidern. die fuort er mit im dan
in vrolichem muote zuo der hochgecit.
der deheiner nimmer mere chom ze Bechelaren sit.

1749 Mit chusse minnekliche der wirt do dannen schiet,


also tet ouch Giselher, als im diu liebe riet.
mit umbeslozzen armen si truten schoeniu wip.
daz muose sit beweinen vil maniger juncffowen lip.

1750 Vil venster wart entslozzen und wit uf getan,


der wirt mit sinen mannen zen rossen wolde gan.
in, waen, ir hercen sageten diu chrefteklichen ser,
daz si der lieben friunde dar nach gesahen nimmer mer.

1751 Nach ir lieben friunden heten genuoge leit,


do weinten ane maze vil frowen und manic meit.
doch riten si mit freuden nider über sant
zetal bi Tuonowe unz in daz hunische lant.

1752 Do sprach zen Burgonden der ritter unverzaget,


Rüedeger der edele: »ja suln niht sin verdaget
Ezeln disiu maere, daz wir zen Hünen chomen,
und ouch mine frowen, sine hant so liebes niht vernomen.«

1753 Ze tal durch Oestiriche vil manec bote reit,


den liuten allenthalben wart daz wol geseit,
daz die herren choemen von Wormez über Rin.
dem Ezeln ingesinde chunde niht lieber gesin.
E IN K E H R BEI RÜDIGER VON BECHELARN 559

1747 Schließ lich sp rach d er B u rg h err zu den G ästen : »D am it ihr


an gen eh m er reist, w erde ich euch selbst das G eleit geben und
d afü r sorgen, daß m an euch a u f der Straße nicht beraubt. Ich
w erde euch persönlich in Etzels Land bringen.«

1748 D er B u rg h err w ar m it fü n fh u n d ert berittenen und gerüsteten


Leuten gut ausgestattet. D ie fü h rte er froh gestim m t m it sich
fort zu dem Fest. K einer von ihnen kam später nach Bechelarn
zurück.

1749 M it einem Kuß n ahm d er B u rg h err liebevoll A bschied, das glei­


che tat G iselher, d azu bew egte ihn die Liebe. Sie u m arm ten die
sch ön en Frau en zärtlich. D ieser A b sch ied brachte später fü r
viele ju n g e D am en Leid un d Tränen.

1750 Alle Fenster wurden weit geöffnet. Der Burgherr wollte mit sei­
nen Leuten losreiten. Ich glaube, sie ahnten in ihren Herzen
den tiefen Schmerz, daß sie ihre lieben Freunde nie mehr Wie­
dersehen würden.

1751 V iele w u rd en von leidvollen A h n u n gen erfaßt, Frau en und


M äd ch en w einten m aßlos. N och aber ritten die M än n er freudig
am U fer der D o n au strom abw ärts bis ins H un n enland.

1752 D a sprach der un erschrocken e Ritter, der edle Rüdiger, zu den


Burgundern »W ahrhaftig, Etzel und m ein e H errin sollen sofort
erfah ren , daß w ir zu den H un n en unterw egs sind, etw as so
Erfreuliches haben sie sich er lange nicht gehört.«

1753 Eine groß e Schar von Boten ritt durch Ö sterreich. Überall taten
sie den Leuten kund , daß die H erren aus W orm s am Rhein bald
einträfen. N ichts hätte Etzels Leuten lieber sein können.
560 27- AV EN TIURE

1754 D ie boten fur strichen m it disen m aeren,


daz die N ibelu nge zen H ün en w aeren:
»du soit si w ol enpfahen , C h riem h ilt, frow e m in !
d ir ch ôm en t nach grozen eren her die stolzen brü ed er din.«

1755 D o d iu k u n igin n e vernam d iu m aere,


ir begunde entw ichen ein teil ir sw aere.
von ir vater lande chom ir vil m an ic m an.
da von der kunic Ezele vil m anigen ja m e r sit gew an.

1756 Si gedahte tougenliche: »noch m ohte is w erd en rat.


der m ich an m in en freuden also gepfendet hat,
m ag ich daz gefüegen, ez soi im leide ergan
ze dirre hochgecite. des ich vil guoten w illen han.

1757 Ich solz also schaffen, daz m in rache erge


in d irre hochgecite. sw iez d ar nach geste
an sinem argen libe, d er m ir hat ben om en
vil der m inen w un ne, des soi ich nu ze gelte ch om en .«
E IN K E H R BEI RÜDIGER VON BECHELARN 561

1754 D ie Boten eilten vorau s m it der N achricht, daß die N ibelungen


a u f dem W eg zu den H u n n en seien: »K riem hild, m eine H errin,
em p fan ge sie gut! D ein e stolzen B rü d er erw arten hier groß e
Ehren.«

1755 A ls die K ö n ig in d ie N ach rich t vern ah m , h o b sich ihre S tim ­


m u n g ein w en ig. A us ihrem Vaterland kam en zahlreiche Leute
zu ihr. D arau s ergab sich fü r K ö n ig Etzel später ganz u n geh eu ­
res Leid.

1756 In sgeh eim d achte sie: »N och kön nte m ein Plan gelingen. D em ,
d er m ir all m ein e Freude geraubt hat, soll es a u f diesem Fest
schlecht ergehen, sow eit es in m ein er M ach t liegt. D azu bin ich
fest entschlossen.

1757 Ich w erde es schaffen, daß m ein e R ache a u f diesem Fest ihren
L a u f n im m t. W as danach geschieht, k ü m m ert m ich nicht, den
N ich tsw ü rd igen , der m ein ganzes G lü ck zerstört hat, soll jetzt
m ein e V ergeltung treffen.«
2 8 . A V EN T IU R E
A V EN TIUR E W IE D IE N IB E L U N G E ZE EZELN BU R G E C H O M E N
U N D W IE SI DA E N P F A N G E N W U R D E N

1758 D o die N ibelu n ge ch om en in daz lant,


do vrieschez von Bern e m eister H ild ebran t,
er sagtez sim e herren, ez was im grim m e leit.
er bat in w ol enpfahen die chüen en ritter gem eit.

1759 D o hiez der starche W olfhart brin gen in d iu m arch,


do reit m it D ietriche vil m anic recke starch,
da si se enpfahen w olden zuo zin an daz velt.
da hetens u f gebu nd en vil m an ie herlich gezelt.

1760 D o si von Tronege H agene verrest ch om en sach,


zu den sinen herren d er helt vil bald e sprach:
»nu suit ir snellen degene von dem sedele stan
un d get in hin begegene, die iuch hie w ellent enpfan.

1761 D ort ch u m t her ein gesinde, daz ist m ir w ol bêchant,


ez sint vil snelle degene von A m elu n ge lant,
die füeret der von Berne, si sint vil hoch gem uot.
ir sultz in w ol erbieten, daz rat ich«, sprach d er degen guot.

1762 D o stuonden von den rossen, daz w as vil m ichel reht,


nider m it D ietriche m anic ritter un d e kneht.
si giengen zuo den gesten, da m an die helede vant,
si gruozten m in n ekliche die von Bu regon den lant.
2 8 . A V EN T IU R E
W IE D IE N IB E L U N G E N IN E TZELN BU R G E IN T R A F E N
U N D W I E SIE E M P F A N G E N W U R D E N

175« Als die Nibelungen ins Land gekommen waren, erfuhr es Mei­
ster Hildebrand von Bern, er benachrichtigte seinen Herrn, der
war tief betroffen. Er bat Hildebrand, die tapferen, tüchtigen
Ritter angemessen zu empfangen.

1759 Der starke Wolfhart ließ ihnen die Pferde bringen. Mit Dietrich
ritten viele kraftvolle Recken zu ihnen auf das Feld, wo sie die
Burgunden begrüßen wollten. Sie hatten dort bereits zahlreiche
prächtige Zelte aufgeschlagen.

176« Als Hagen von Iron je Dietrich und seine Leute von weitem
kommen sah, sagte der Held sogleich zu seinen Herren: »Ihr
gewandten Kämpfer, nun erhebt euch von euren Sitzen und
geht denen entgegen, die euch hier begrüßen wollen.

1761 Dort kommt ein Gefolge, das mir wohlbekannt ist. Es sind viele
tapfere Kämpfer aus dem Amelungenland, die der von Bern
führt, sehr kampfbereite Männer. Ich rate euch, ihnen ange­
messen zu begegnen.« So sprach der tüchtige Kämpfer.

1762 Wie es recht und billig war, stiegen viele Ritter und Knappen
mit Dietrich von den Pferden. Sie gingen den Gästen dorthin
entgegen, wo die Helden versammelt waren, und begrüßten die
Burgunden herzlich.
564 2 8 . AVENTIURE

1763 Do si der herre Dietrich zuo zin chomen sach,


beide liebe unde leide im dar an geschach;
er weste wol diu maere, ir reise was im leit.
er wände, ez weste Rüedeger, daz erz het in geseit.

1764 »Sit willechomen, her Gunther, Gernot und Giselher,


Hagen unde Danchwart, sam si ouch Volker
und allez iwr gedigene. den Sivrides tot
weinet min frou Chriemhilt noch dicke in angestlicher not.«

1765 »Si mac vil geweinen«, sprach do Hagene,


»er lit vor manigem jare ze tode erslagene.
den kunech von den Hünen, den si genomen hat,
den sol si nu minnen. Sivrit so gahes niht erstat.«

1766 »Tot des chüenen recken lazen wir nu sten.


soi lebn min frou Chriemhilt, noch mac schade ergen«,
so redete von Berne, der herre Dieterich.
»trost der Nibelunge, da vor behüet du dich.«

1767 »Wie soi ich mich behüeten?« sprach der kunic her.
»Ezel uns boten sande, wes soi ich vragen mer,
daz wir zuo zim chomen her in siniu lant.
ouch hat uns unser swester aller triwen gemant. «

1768 »So wil ich iu wol raten«, sprach do Hagene:


»nu bitet iu diu maere baz ze sagene
den herren Dietrichen und sine helde guot,
daz si iuch lazen wizzen der ffowen Chriemhilde muot.«

1769 Do giengen sundersprachen die dri kunige rieh,


Gunther unde Gernot und ouch her Dietrich.
»nu sage uns, von Berne vil edel ritter guot,
wie dir si gewizzen der frowen Chriemhilde muot.«
AN K U N FT DER NIBELUNGEN BEI ETZEL 565

1763 Während Herr Dietrich sie auf sich zukommen sah, empfand
er Freude und Leid; denn er durchschaute Kriemhilds Pläne
und betrachtete ihre Reise voll Sorge. Er glaubte, auch Rüdiger
wüßte Bescheid und hätte sie vor der Gefahr gewarnt.

1764 »Seid willkommen, Herr Gunther, Gernot und Giselher, Hagen


und Dankwart ebenso wie Volker und euer ganzes Gefolge.
Meine Herrin Kriemhild weint noch oft in großer Traurigkeit
über Siegfrieds Tod.«

1765 »Sie mag noch soviel weinen«, sagte Hagen, »er ist seit vielen
Jahren tot. Jetzt soll sie den König der Hunnen lieben, den sie
zum Mann genommen hat. Siegfried ersteht so schnell nicht
wieder auf.«

1766 »Den Tod des tapferen Kämpfers wollen wir auf sich beruhen
lassen. Doch solange meine Herrin Kriemhild lebt, kann sie
euch schaden«, mahnte Herr Dietrich von Bern. »Du Beschüt­
zer der Nibelungen, sei auf der Hut.«

1767 »Warum soll ich mich in acht nehmen?« sprach der erhabene
König Gunther. »Etzel hat uns Boten gesandt, damit wir zu ihm
in sein Land kommen, weshalb soll ich da weiter nachfragen?
Auch unsere Schwester hat uns in aller Treue eingeladen.«

176« »Dann will ich euch folgendes raten«, sagte Hagen: »Bittet
Herrn Dietrich und seine Helden, euch die Sache genauer zu
erklären, damit ihr von ihnen Kriemhilds Absicht erfahrt«

1769 Daraufhin zogen sich die drei Könige, Gunther, Gernot und
auch Herr Dietrich, zu einer geheimen Besprechung zurück.
»Nun berichte uns, edler, tüchtiger Ritter von Bern, was du
über Kriemhilds Vorhaben weißt.«
566 2 8 . AVENTIURE

1770 Do sprach der vogt von Berne: »waz sol ich iu mere sagen,
wan alle morgen früeje weinen unde klagen
hoere ich vil jaemerliche daz Ezeln wip
dem riehen got von himele des starchen Sivrides lip?«

1771 »Ez ist et unerwendet«, sprach do der spileman,


Volker der vil chüene, »daz wir vernomen han.
wir suln ze hove riten und suln daz besehn,
waz uns snellen degenen muge zen Hünen geschehn.«

1772 Die chüenin Burgonden hin ze hove riten;


si chomen herrenliche nach ir landes siten.
do wundert da zen Hunin vil manigen chüenen man
umbe Hagenen von Tronege, wie der waere getan;

1773 Durch daz man saget maere, des was im genuoc,


daz er von Niderlanden Sivriden sluoc,
sterchist aller recken, den Chriemhilde man.
des wart michel vragen ze hove nach Hagenen getan.

1774 Der heit was wol gewahsen, daz ist al war.


groz was er zen brüsten, gemischet was sin har
mit einer grisen varwe, diu bein im warn lanc
und eyslich sin gesihene, er het herlichen ganc.

1775 Do hiez man herbergen vil manigen chüenen man.


daz gesinde von dem Rine wart gesundert dan.
daz riet diu kuniginne, diu in argen willen truoch.
da von man sit die knehte an der herberge sluoch.

1776 Danchwart, Hagenen bruoder, der was marschalch.


der kunec im sin gesinde vil vlizeklich bevalch,
daz er ir vollechliche mit spise solde pflegen.
daz tet do willechliche mit triwen der vil chüene degen.
A N KUN FT DER NIBELUNG EN BEI ETZEL 567

1770 Der Herr von Bern antwortete: »Was soll ich euch weiter sagen,
als daß ich jeden Morgen in aller Frühe Etzels Gemahlin ganz
schmerzerfiillt vor dem allmächtigen Gott im Himmel über den
Tod des starken Siegfried weinen und klagen höre?«

1771 »Es ist leider nicht zu ändern, was wir gerade gehört haben«,
sagte der kühne Spielmann Volker. »Wir wollen an den Hof rei­
ten und sehen, was uns gewandten Kämpfern bei den Hunnen
zustoßen kann.«

1772 Die tapferen Burgunden ritten an den Hof; sie kamen in herr­
lichem Aufzug nach der Sitte ihres Landes. So manch kühner
Mann bei den Hunnen war gespannt, wie Hagen von Tronje
wohl aussähe;

1773 denn überall hatte sich die Kunde verbreitet, daß er Siegfried
aus Niederland, den stärksten aller Recken, Kriemhilds Mann,
erschlagen hatte. Darum fragten viele am Hof nach Hagen.

1774 Der Held war gutgewachsen, das ist wirklich wahr. Breit war
seine Brust, sein Haar war graumeliert, er hatte lange Beine und
einen stolzen Gang, sein Blick war furchterregend.

1775 Nun ließ man die vielen tapferen Männer Herberge nehmen.
Der Troß vom Rhein wurde gesondert untergebracht. Das hatte
die Königin angeordnet, die böse Absichten gegen sie hegte.
Deshalb konnte man später die Knappen in ihrer Unterkunft
erschlagen.

1 776 Dankwart, Hagens Bruder, war der Marschall. Der König hatte
ihn ausdrücklich beauftragt, das Gesinde reichlich mit Verpfle­
gung zu versorgen. Das führte der kühne Kämpfer treu und
bereitwillig aus.
568 2 8 . AV EN TIU RE

1777 Chriemhilt, diu kuniginne, mit ir gesinde gie,


da si die Nibelunge in valschem muote enpfie.
si chuste Giselhere und nam in bi der hant.
do daz gesach Hagene, den helm er vaster gebant.

1778 »Nach sus getanem gruoze«, sprach do Hagene,


»mugen sich bedenchen wol snelle degene,.
man grüezet sunderlingen die fürsten und ir man.
wir han niht guoter reise zuo dirre hochgecite getan.«

1779 »Nu sit«, sprach si, »willechomen, swer iuch gerne siht.
durch iwer selbes friuntschaft engrüez ich iuch niht.
nu sagt, waz ir mir bringet von Wormez über Rin,
dar umbe ir mir so groze soldet willechomen sin.«

1780 »Het ich gewist diu maere«, sprach do Hagene,


»daz iu gäbe bringen solden degene,
ich waere wol so riche, het ich mihs baz verdaht,
daz ich iu mine gäbe her zen Hünen hete braht.«

1781 »Nu suit ir mich der maere mere wizzen lan.


hört der Nibelunge, wa habt ir den getan?
der was idoch min eigen, daz ist iu wol bêchant,
den soit ir mir gefüeret han her in Ezelen lant.«

1782 »Entriwen, min frou Chriemhilt, des ist vil manie tac,
deich hört der Nibelunge niene gepflac.
den hiezen mine herren senchen in den Rin.
da muoz er waetliche unz an daz jungeste sin.«

1783 Do sprach diu kuneginne: »ich hans ouch e gedaht,


mir ist sin harte chleine noch her ze lande braht,
swier min eigen waere und ich sin wilen pflac.
nach im und sime herren han ich vil manigen leiden tac.«
AN KUN FT DER NIBELUNG EN BEI ETZEL 569

1777 Die Königin Kriemhild trat mit ihrem Gefolge auf und empfing
die Nibelungen mit Hintergedanken. Sie küßte nur Giselher
und nahm seine Hand. Als Hagen das sah, band er den Helm
fester.

1778 »Nach diesem Gruß«, sagte Hagen, »müssen sich einige ge­
wandte Kämpfer in acht nehmen, man begrüßt hier die Fürsten
und ihr Gefolge auf unterschiedliche Weise. Es war nicht gut,
daß wir zu diesem Fest gereist sind.«

1779 Dann sprach Kriemhild: »Seid all denen willkommen, die euch
gerne sehen. In freundschaftlicher Verbundenheit begrüße ich
euch jedenfalls nicht. Nun sagt, was ihr mir aus Worms am
Rhein mitbringt, weshalb ihr mir besonders willkommen sein
solltet.«

1780 »Hätte ich das gewußt«, antwortete Hagen, »daß ihr von
Kämpfern ein Geschenk erwartet, so wäre ich durchaus in der
Lage gewesen - vorausgesetzt, ich hätte es rechtzeitig bedacht - ,
euch meine Gabe ins Hunnenland mitzubringen.«

1781 »Nun gebt mir genauer Bescheid. Wo habt ihr den Nibelungen­
hort gelassen? Er war doch mein Eigentum, das wißt ihr wohl.
Den hättet ihr mir in Etzels Land mitbringen sollen.«

1782 »Wahrhaftig, Kriemhild, meine Herrin, es ist lange her, seit ich
mich zum letzten Mal mit dem Nibelungenhort befaßt habe.
Meine Herren haben ihn in den Rhein versenken lassen. Dort
wird er vermutlich bis zum Jüngsten Tag ruhen.«

1783 Da sprach die Königin: »Ich hatte es mir schon gedacht, daß
ihr mir nicht das geringste davon in dieses Land mitgebracht
habt, obwohl er mir gehörte und ich einst über ihn verfügte.
Um ihn und seinen Herrn trauere ich alle Tage.«
570 2 8 . AVENTIURE

1784 »Daz ist verlorn arebeit«, sprach aber Hagene,


»wie mohte ich iu iht bringen? ich han vil ze tragene
an halsperge und an schilte, an mime helme lieht,
diz swert an miner hende, des enbringe ich iu nieht.«

1785 »Jane rede ihz niht darumbe, deich mere goldes welle gern,
ich hans so vil ze gebene, deich iwer gäbe mac enbern.
ein mort und zwene roube die mir sint genomen;
des mohte ich vil arme noch ze liebem gelte chomen.«

1786 Diu frowe hiez do chunden den recken über al,


daz niemen tragen solde dehein wafen in den sal.
»ir helde, ir suit mirs uf geben, ich sol si behalten lan.«
»entriwen«, sprach do Hagene, »daz wirdet nimmer getan.

1787 Jane ger ich niht der eren, fürsten wine milt,
daz ir zen herbergen trüeget minen schilt
und ander min gewaefen; ir sit ein kunigin.
daz enlerte mich min vater niht. ich wil selbe kameraere sin.«

1788 »Owe mir der leide«, sprach do Chriemhilt,


»warumbe wil min bruoder und Hagen sinen schilt
von in niht tragen lazen? si sint gewarnot.
und wesse ich, wer iz taete, ich riet im immer sinen tot.«

1789 Des antwort in zorne der herre Dietrich:


»ich binz, der hat gewarnet die edeln fürsten rieh
und Hagenen den starchen, den Buregonden man.
nu zuo, valendinne, du soit mihs niht geniezen lan.«
A N KUN FT DER NIBELUNGEN BEI ETZEL 571

1784 »Das ist verlorene Liebesmüh«, entgegnete Hagen, »wie hätte


ich euch etwas mitbringen können? Ich habe genug zu tragen
an meinem Brustpanzer, dem Schild und meinem glänzenden
Helm. Auch das Schwert in meiner Hand bringe ich euch
nicht.«

1785 »Ich sage das keineswegs, weil ich mehr Gold besitzen möchte.
Ich habe so viel zu verschenken, daß ich eure Gabe durchaus
entbehren kann. Aber ein Mord und zwei Raubüberfälle haben
mich getroffen; für die suche ich Arme noch wohltuende Ver­
geltung.«

1786 Die Herrin ließ den Kämpfern überall bekanntmachen, daß


niemand eine Waffe mit in den Saal nehmen dürfe. »Ihr Hel­
den, übergebt sie mir, ich werde sie aufbewahren lassen.«
»Bei meiner Treue«, entgegnete Hagen, »das wird niemals ge­
schehen.

1787 Wirklich, großzügige Fürstengattin, solche Ehrerweisung ver­


lange ich nicht, daß ihr meinen Schild und meine anderen
Waffen zur Herberge tragt; ihr seid eine Königin. Mein Vater
hat mir nicht beigebracht, so etwas anzunehmen. Ich will mein
eigener Kämmerer sein.«

1788 »Weh mir«, rief Kriemhild, »warum wollen mein Bruder und
Hagen ihre Schilde nicht von mir forttragen lassen? Sie sind
gewarnt worden. Wüßte ich, wer es getan hat, dann müßte er
sterben.«

1789 Da antwortete Herr Dietrich voll Zorn: »Ich bin es gewesen, der
die edlen, mächtigen Fürsten und Hagen, den starken Kämpfer
der Burgunden, gewarnt hat. Nur zu, Teufelin, du kannst mich
ruhig dafür bestrafen.«
572 2 8 . AVENTIURE

1790 Des schämte sich vil sere daz Ezelen wip.


si vorhte bitterliche den Dietriches lip.
do gie si von in dannen, daz si niht mere ensprach,
wan daz si swinde blicke an ir viande sach.

1791 Bi henden sich do viengen zwene degene,


daz eine was her Dietrich, daz ander Hagene.
do sprach gezogenliche der recke vil gemeit:
»daz iwer chomen zen Hünen, daz ist mir grozelichen leit.«

1792 Do stuonden bi ein ander die recken lobelich,


Hagene von Tronege und ouch her Dietrich,
in grozen zuhten manigen, die ritter wolgetan.
daz sach der kunec Ezele, darumbe er vragen do began:

1793 »Diu maere ich wiste gerne«, sprach der kunic rieh,
»wer jener recke waere, den dort her Dietrich
so friuntlich enpfaehet. er treit vil hohen muot.
swer sin vater waere, er mach wol sin ein heit guot.«

1794 Des antwurtem kunige ein Chriemhilde man:


»er ist geborn von Tronege, sin vater hiez Adrian,
swie blider hie gebarte, er ist ein grimmer man.
ich laze iuch daz wol schowen, daz ich gelogen niene han.«

1795 »Wie soi ich daz erchennen, daz er so grimmech ist?«


noch dann er niht enwiste vil manigen argen list,
den diu kuniginne an ir friunden begie,
daz si ir mit dem lebene niht einen dannen chomen lie.

1796 »Wol erchande ich Adrianen, der was min man,


lob und michel ere er hie bi mir gewan.
ich machet in ze ritter und gab im min golt.
Helche diu getriwe was im inneklichen holt.
A N KUN FT DER NIBELUNG EN BEI ETZEL 573

1790 Das beschämte Etzels Gemahlin sehr. Sie fürchtete Dietrich


über alle Maßen. Wortlos ging sie davon, doch sie sah ihre
Feinde mit rachsüchtigen Blicken an.

1791 Zwei Kämpfer faßten sich bei den Händen, der eine war
Dietrich, der andere Hagen. Da sagte der tüchtige Recke voll
Anstand: »Daß ihr zu den Hunnen gekommen seid, bereitet
mir große Sorge.«

1792 So standen die ruhmvollen Recken Hagen von Tronje und Herr
Dietrich, zwei stattliche Ritter, hoheitsvoll nebeneinander. Das
sah König Etzel, und er erkundigte sich:

1793 »Ich wüßte gern«, fragte der mächtige König, »wer jener Recke
ist, den Herr Dietrich so freundlich begrüßt. Er wirkt sehr
selbstbewußt. Ganz gleich wer sein Vater war, er dürfte ein
tüchtiger Held sein.«

1794 Darauf antwortete ihm einer von Kriemhilds Leuten: »Er ist
in Tronje geboren, sein Vater hieß Adrian. Wie freundlich er
sich hier auch gibt, er ist ein grimmiger Mann. Ihr werdet noch
erfahren, daß ich in keiner Weise gelogen habe.«

1795 »Woran soll ich erkennen, daß er so grimmig ist?« Noch wußte
Etzel nichts von den bösen Absichten, welche die Königin ge­
gen ihre Verwandten und Freunde hegte, und daß sie nicht
einen mit dem Leben davonkommen lassen wollte.

1796 »Ich kannte Adrian gut. Er war mein Lehnsmann und hat
Ruhm und große Ehre in meinen Diensten erworben. Ich
schlug ihn zum Ritter und gab ihm mein Gold. Die treue
Helche war ihm sehr zugetan.
574 2 8 . AVENTIURE

1797 Da von ich wol erchenne allez Hagenen sint,


ez wurden mine gisel zwei waetlichiu kint,
er und von Spane Walther, die wuohsen hie ze man.
Hagenen sande ich widere. Walther mit Hiltegunde entran.«

1798 Er gedahte langer maere, diu warn e geschehn.


sinen friunt von Tronege, den het er reht ersehn,
der im in siner jugende vil starchen dienest bot.
sit frumter im in alter vil manigen friunt tot.
A N KUN FT DER NIBELUNGEN BEI ETZEL 575

1797 Deshalb lernte ich auch Hagen später gut kennen. Zwei stattli­
che Kinder wurden meine Geiseln, er und Walther von Spanien,
die hier herangewachsen sind. Hagen habe ich in seine Heimat
zurückgeschickt. Walther floh mit Hildegund.«

1798 Er dachte an Ereignisse, die vor langer Zeit geschehen waren.


Seinen Freund von Tronje, der ihm in seiner Jugend treue Dien­
ste geleistet hatte, erkannte er wieder. Doch nun im Alter sollte
er ihm viele Freunde töten.
2 9 . A V EN T IU R E
AVENTIURE WIE HAGENE UND VOLKER
VOR CHRIEMHILDEN SAL SAZEN

1799 Do schieden sich die zwene recken lobelich,


Hagen von Tronege und ouch her Dietrich,
do blicht über ahsel der Guntheres man
nach einem hergesellen, den er vil schiere do gewan.

1800 Er sach den videlaere bi Giselhere sten,


Völkern den vil chüenen, den bat er mit im gen;
wander vil wol erchande den sinen grimmen muot.
er was an allen tugenden ein ritter chüen unde guot.

1801 Noch liezen si die herren ufem hove sten.


niwan si einen zwene di sach man dannen gen
über den hof vil verre fur ein palas wit.
die uzerwelten beide vorhten niemannes nit.

1802 Si gesazen vor dem huse gegen eime sal,


der was Chriemhilde, uf eine banch zetal.
do luhte in vor ir libe ir herlich gewant.
gnuoge die si sahen, si heten gerne bêchant.

1803 Alsam tyer diu wilden wurden gekapfet an


die ubermüeten helde von manigem Hünen man.
do ersach si durch ein venster daz Ezeln wip,
des wart do vil trüebe der frowen Chriemhilde lip.
2 9 - A V EN T IU R E
WIE HAGEN UND VOLKER VOR KRIEMHILDS
SAAL SASSEN

1799 Dann trennten sich die beiden ruhmvollen Helden Hagen von
Tronje und Herr Dietrich. Gunthers Mann blickte sich nach
einem Kampfgefährten um, den er auch bald entdeckte.

1800 Er sah den Fiedler neben Giselher stehen und bat den mutigen
Volker mitzukommen; denn er kannte seinen unerschrockenen
Sinn ganz genau. In jeder Hinsicht war er ein tapferer, tüchtiger
Ritter.

1801 Die übrigen Herren ließen sie auf dem Hof zurück. Nur die
beiden allein sah man über den weiten Platz zu dem mächtigen
Palas gehen. Die zwei Auserwählten fürchteten niemandes
Feindschaft.

1802 Sie setzten sich gegenüber dem Saal, der Kriemhild gehörte, auf
eine Bank. Ihre herrlichen Rüstungen glänzten an ihren Kör­
pern. Viele, die sie sahen, hätten sie gerne näher kennengelernt.

1803 Wie fremdartige Tiere wurden die selbstbewußten Helden


von zahlreichen Hunnen angestarrt. Da entdeckte auch Etzels
Gemahlin sie durch ein Fenster, und Frau Kriemhild wurde
sehr betrübt.
578 2 9 . AVEN TIURE

1804 Ez mante si ir leide, weinen si began,


des hete michel wunder die Ezeln man.
waz ir so snelle ertruobet het ir hohen muot.
si sprach: »daz hat Hagene, ir helde chüene unde guot.«

isos Si sprachen: »frowe here, wie ist daz geschehn?


wir habn iuch niwliche so fro gemuot gesehn.
niemen ist so chüene, swerz iu hat getan,
heizet irz uns rechen, ez soi im an sin lehn gan.«

1806 »Daz wolde ich immer dienen; swer reche miniu leit,
allez daz er wolde, des waer ich im bereit.
ich biut mich iu ze fuezen«, sprach des kuniges wip,
»rechet mich an Hagene, daz er Verliese den lip.«

1807 Do garten sich ze handen wol sehzech chüener man;


durch der frowen liebe si wolden hin gan
und wolden slahen Hagenen, den vil chüenen man,
und ouch den videlaere. daz wart mit rate getan.

1808 Do diu kuniginne ir schar so kleine sach,


in eime grimmen muote si zen helden sprach:
»des ir da habt gedingen, des suit ir ab gan.
jane dürfet ir so ringe nimmer Hagenen bestan.

1809 Swie starche und swie chüene der von Tronege si,
noch ist verre chüener, der im da sizzet bi,
Volker der videlaere, der ist ein übel man.
jane suit ir die degene niht so lihte bestan.«

1810 Do si daz gehörten, do garte sich ir mer,


driu hundert sneller recken, diu kuneginne her
was des vil genoete, daz si geraeche ir leit.
da von wart sit den degenen vil michel arebeit bereit.
KONFRONTATION VON HA GEN UND KRIEMH1LD 579

1804 Der Anblick erinnerte sie an ihr Leid, und sie begann zu wei­
nen. Etzels Leute wunderten sich sehr, was ihre gute Stimmung
so plötzlich getrübt hatte. Sie sagte: »Ihr mutigen, guten Hel­
den, das hat Hagen getan.«

isos Sie fragten weiter: »Edle Herrin, wie ist das gekommen? Wir ha­
ben euch vor kurzem noch so frohgemut gesehen. Wer euch
Leid zugefugt hat, wie kühn er auch sein mag, wenn ihr uns
auffordert, Rache zu nehmen, soll er sterben.«

1806 »Dafür würde ich mich immer dankbar erweisen; wer mein
Leid rächt, der könnte alles von mir haben, was er wollte. Ich
flehe euch auf Knien an«, sagte die Gemahlin des Königs,
»rächt mich an Hagen, er soll sein Leben verlieren.«

1807 Sogleich machten sich etwa sechzig tapfere Männer bereit; ihrer
Herrin zuliebe wollten sie hingehen und Hagen, den äußerst
kühnen Mann, und auch den Fiedler erschlagen. Dazu waren
sie angestiftet worden.

1808 Doch als die Königin sah, wie klein die Schar war, sagte sie
voller Grimm zu den Helden: »Laßt ab von dem, was ihr hoff­
nungsvoll beginnen wolltet. Wirklich, mit so wenigen könnt ihr
Hagen niemals angreifen.

1809 Ist Hagen von Tronje schon stark und tapfer, so ist der noch
weit tapferer, der neben ihm sitzt, Völker, der Spielmann, er ist
ein furchtbarer Mann. Leider werdet ihr die Kämpfer so leicht
nicht überwinden.«

Isio Nachdem sie das gehört hatten, rüsteten sich noch mehr von
ihnen, insgesamt dreihundert erfahrene Recken. Die erhabene
Königin war davon besessen, ihr Leid zu rächen. Das brachte
die Kämpfer später in größte Bedrängnis.
580 29- AV ENTIURE

1811 Do si nu wol gewafent ir gesinde sach,


zu den snellen degenen diu kuniginne sprach:
»nu bitet eine wile, ir suit noch stille stan.
ja wil ich under chrone mit iu zuo minen vinden gan.

1812 Und hoeret itewizze, waz mir hat getan


Hagen von Tronege, der Guntherés man.
ich weiz in wol so chüenen, daz er mir lougent niht.
so ist ouch mir unmaere, swaz im darumbe geschiht.«

1813 Do sach der videlaere, ein vil chüene man,


die edeln kuniginne ab einer stiegen gan
nider uz eime huse. als er daz gesach,
der vil wise recke zuo sime hergesellen sprach:

1814 »Nu schowet, friunt Hagene, wa si her gat,


diu uns in untriwen inz lant geladet hat.
ich gesach mit kuniginne nie so manigen man,
die swert enhende trüegen, also striteklichen gan.

1815 Wizzet ir, friunt Hagene, daz si iu sin gehaz?


so rat ich iu mit triwen, ir hüetet deste baz
des libes und der eren. ja dunchet ez mich guot.
als ich mich versinne, si sint vil ubele gemuot.

1816 Und sint ouch sumeliche zen brüsten also wit,


swer sin selbes hüete, der tuo daz encit.
ich waen, si under siden die vesten prünne tragen,
waz si da mite meinen, daz kan ich niemen gesagen.«
KONFRONTATION VON HA GEN UN D K RIEM H ILD 581

1811 Als sie ihr Gefolge wohlbewaffnet erblickte, sprach die Königin
zu den gewandten Männern: »Nun verhaltet euch noch eine
Weile ruhig und wartet. Ich will mit der Krone auf dem Haupt
meinen Feinden gegenübertreten.

1812 Hört, welche Schmach mir Hagen von Tronje, Gunthers Lehns­
mann, angetan hat. Ich weiß, daß er dreist genug ist, die Tat mir
gegenüber nicht abzustreiten. Darum kümmert es mich auch
nicht, wenn er wegen seines Verbrechens sterben muß.«

1813 Der tapfere Spielmann sah die edle Königin aus dem Palas her­
austreten und eine Treppe hinabsteigen. Als er das bemerkte,
sprach der kluge Recke zu seinem Kampfgefährten:

1814 »Nun seht, Freund Hagen, dort geht sie, die uns hinterlistig in
dieses Land eingeladen hat. Noch nie habe ich eine Königin mit
so vielen Männern, die ihr Schwert in der Hand trugen, derart
kampfbereit herankommen sehen.

1815 Könnt ihr sicher sein, Freund Hagen, daß sie euch nicht feind­
lich gesonnen sind? Deshalb rate ich euch in Treue, euer Leben
und euer Ansehen um so besser in acht zu nehmen. Wirklich,
das scheint mir wichtig. Wenn ich es recht verstehe, so führen
sie Böses im Sinn.

1816 Auch scheinen einige von ihnen sehr breite Oberkörper zu


haben, wer sich selbst verteidigen muß, tue es beizeiten. Ich
glaube, sie tragen unter ihren Seidengewändern feste Brustpan­
zer. Was sie damit bezwecken, wage ich niemandem gegenüber
auszusprechen.«
582 29- AVENTIURE

1817 Do sprach in zornes muote der vil chüene man:


»ich weiz wol, daz iz allez ist uf mich getan,
daz si diu liehten waffen tragent an der hant.
vor den möhte ich geriten noch in der Burgonden lant.

1818 Nu saget mir, friunt Volker, weit ir mir gestan,


ob mit mir striten wellent die Chriemhilde man?
daz lazet ir mich hoeren, als liebe als ich iu si.
ich won iu immer mere mit triwen dienstlichen bi.«

1819 »Ich hilf iu sicherlichen«, sprach do der spileman.


»ob ich uns hie begegene saehe enkunic gan
mit allen sinen recken, die wile ich leben muoz,
so entwiche ich iu durch vorhte uz helfe nimmer einen fuoz.«

1820 »Nu lone iu got von himele, vil edel Volker!


ob si mit mir striten, wes bedorft ich danne mer?
sit ir mir helfen wellet, als ich vernomen han,
so suln dise degene vil gewärlichen gan.«

1821 »Nu sten wir von dem sedele«, sprach do der spileman,
»si ist ein kuniginne, und lan si fur gan.
bieten ir die ere, si ist ein edel wip.
da mit ist ouch getiuret an zuhten unser beider lip.«

1822 »Nein, durch mine liebe«, sprach aber Hagene.


»so wolden lihte waenen dise degene,
daz ihz durch vorhte taete, und solde ich hin gan.
ine wil durch ir deheinen nimmer von dem sedel stan.

1823 Ja zimt ez uns beiden zware lazen baz.


zwiu solde ich den eren, der mir ist gehaz?
daz entuon ich nimmer, die wil ich han den lip.
Jane ruoche ich, waz mich hazzet des kunic Ezeln wip.«
KONFRO NTATION VON HAGEN UND KRIEMHILD 583

1817 Da antwortete Hagen, der äußerst tapfere Mann, voll Zorn: »Ich
weiß wohl, daß sich dies alles gegen mich richtet, wenn sie die
glänzenden Waffen in der Hand halten. Aber ihnen zum Trotz
werde ich doch wieder ins Burgundenland zurückkehren.

1818 Nun sagt mir, Freund Volker, wollt ihr mir beistehen, wenn
Kriemhilds Leute mich angreifen? Laßt mich hören, was ich
euch bedeute. Ich jedenfalls werde immer treu an eurer Seite
bleiben.«

1819 »Ich helfe euch mit Sicherheit«, sagte der Spielmann darauf.
»Selbst wenn ich sähe, daß uns der König mit allen seinen
Recken hier entgegenträte, würde ich mein Leben lang niemals
einen Fußbreit aus Furcht von eurer Seite weichen.«

1820 »Das lohne euch Gott im Himmel, edler Volker! Wenn sie mich
angreifen, was brauchte ich dann mehr? Da ihr mir helfen
wollt, wie ich vernommen habe, so mögen diese Kämpfer ruhig
in böser Absicht anrücken.«

1821 »Jetzt wollen wir uns von unseren Plätzen erheben«, sagte der
Spielmann, »sie ist schließlich eine Königin, lassen wir sie vor­
übergehen. Wir wollen ihr Ehre erweisen, denn sie ist eine
adlige Frau. Dadurch wird auch unser Ansehen erhöht.«

1822 »Nein, bleibt mir zuliebe sitzen«, erwiderte Hagen. »Ginge ich
hin, sie zu begrüßen, könnten diese Kämpfer vielleicht auf den
Gedanken kommen, daß ich es aus Furcht täte. Um niemandes
willen werde ich mich jemals von meinem Platz erheben.

1823 Wirklich, es ist für uns beide auf jeden Fall besser. Warum sollte
ich denjenigen ehren, der mir feindlich gesonnen ist? Das tue
ich niemals, solange ich lebe. Ja, ich kümmere mich nicht
darum, wie sehr mich die Gemahlin des Königs haßt.«
584 29- AVENTIURE

1824 Hagene der starche, der leit uber bein


ein vil liehtez wafen. uz des knöpfe erschein
ein vil liehter jaspes, grüener danne ein gras,
wol erchandez Chriemhilt, daz ez e Sivrides was.

1825 Do si daz swert erchande, des gie si michel not.


sin gehilze daz was guldin, diu Scheideporten rot.
ez mante si ir leide, weinen si began.
ich waen, iz hete Hagene ir ze reizen getan.

1826 Volker der vil chüene zoch naher uf der banch


einen videlbogen starchen, michel unde lanch,
gelich eime scharpfen swerte, vil lieht unde breit,
do sazen unervorhten die zwene degene gemeit.

1827 Nu duhten sich so here die zwene chüene man,


daz si niht enwolden von dem sedele stan
durch deheine vorhte. des gie in an den fuoz
diu edel kuniginne und bot in vintlichen gruoz.

1828 Si sprach: »nu sagt mir, Hagene, wer hat nach iu gesant,
daz ir getorstet riten her in dizze lant,
zuo also starchen leiden, und ich von iu han?
het ir rehte sinne, so het irz pilliche lan.«

1829 »Nach mir ensande niemen«, sprach do Hagene.


»man ladet her ze lande drie degene,
die heizent mine herren, so bin ich ir man,
deheiner hovereise bin ich vil selten ir bestan.«

1830 Si sprach: »nu saget mir mere: warumbe tat ir daz,


daz ir daz habt verdienet, daz ich iu bin gehaz?
ir sluoget Sivride, den minen lieben man.
des ich unz an min ende immer gnuoc ze weinen han.«
KONFRONTATION VON HAGEN UND KRIEM H ILD 585

1824 Der starke Hagen legte ein hell glänzendes Schwert über seine
Knie. Auf dessen Knauf leuchtete ein strahlender Jaspis, grüner
als Gras. Kriemhild erkannte genau, daß es einst Siegfried
gehört hatte.

1825 Als sie das Schwert erblickte, überwältigte sie großer Schmerz.
Der Griff war golden, die Scheideneinfassung rot. Das erinnerte
sie an ihr Leid, und sie begann zu weinen. Ich vermute, Hagen
hatte das nur gemacht, um sie zu reizen.

1826 Der kühne Volker zog einen kräftigen, großen und langen
Fiedelbogen auf der Bank näher an sich heran, es war ein schar­
fes Schwert, glänzend und breit. So saßen die beiden Kämpfer
unerschrocken da.

1827 Die zwei tapferen Männer fühlten sich so erhaben, daß keiner­
lei Ehrfurcht sie bewegte, sich von ihrem Platz zu erheben. Die
edle Königin ging unmittelbar an ihnen vorüber und grüßte sie
feindselig.

1828 Sie sprach: »Nun sagt mir, Hagen, wer hat euch eingeladen, daß
ihr gewagt habt, in dieses Land zu reiten, nachdem ihr mir so
großes Leid zugefügt habt? Wäret ihr recht bei Verstand gewe­
sen, dann hättet ihr es billigerweise unterlassen.«

1829 »Nach mir hat niemand geschickt«, antwortete Hagen darauf.


»Man hat drei Helden in dieses Land eingeladen, die meine
Herren sind, und als ihr Lehnsmann habe ich sie bei allen ihren
Hofreisen immer begleitet.«

1830 Kriemhild fuhr fort: »Nun sagt mir weiter: Warum habt ihr die
Tat begangen, um deretwillen ihr meine Feindschaft verdient?
Ihr habt Siegfried, meinen lieben Mann, erschlagen. Deshalb
muß ich bis an meinen Tod ohne Unterlaß weinen.«
586 29- AVEN TIURE

1831 »Waz sol der rede mere?« sprach er, »ir ist genuoc:
ich binz et aber Hagene, der Sivriden sluoc,
einen heit ze sinen handen. wie sere er des engalt,
daz diu frowe Chriemhilt die schoenen Prunhilde schalt!

1832 Ez ist et ane lougen, kuniginne rieh:


ich han is alles schulde des schaden schedelich.
nu rechez, swer der welle, ez si wip oder man.
ihn wolde danne liegen: ich han iu leides vil getan.«

1833 Si sprach: »nu hoert, ir recken, wa er mir lougent niht


aller miner leide, swaz im da von geschiht,
daz soi mir sin unmaere, ir Ezeln man.«
die ubermüeten degene sahen vaste ein ander an.

1834 Swer den strit da hüebe, so were da geschehn,


daz man den zwein gesellen der eren müese jehn;
wan siz in sturmen heten vil dicke wol getan.
des sich jene vermazen, durch vorhte muosen si daz lan.

1835 Do sprach ein der recke: »wes seht ir mich an?


daz ich e da lobte, des wil ich ab gan.
durch niemannes gäbe, Verliesen minen lip.
ja wil uns verleiten des kunic Ezeln wip.«

1836 Do sprach aber ein ander: »des selben han ich muot.
der mir gaebe türne von rotem golde guot,
disen videlaere woldeich niht bestan
durch sine swinde blicke, die ich an im gesehn han.
KONFRONTATION VON HAGEN UN D KRIE M H ILD 587

1831 »Was soll das lange Herumreden?« entgegnete Hagen, »damit


ist jetzt Schluß: Ich bin immer noch derselbe Hagen, der Sieg­
fried, den tapferen Helden, tötete. Er mußte dafür büßen, daß
Frau Kriemhild die schöne Brünhild beleidigt hat.

1832 Ich leugne es nicht, mächtige Königin: Ich trage die ganze
Schuld an eurem Verlust. Mir ist egal, wer die Tat rächt, Frau
oder Mann. Ich will es nicht abstreiten: Ich habe euch großes
Leid angetan.«

1833 Daraufhin sagte sie: »Jetzt hört, ihr Recken, er leugnet es nicht,
für all mein Leid verantwortlich zu sein. Wenn er deshalb
umkommt, kümmert mich das wenig, ihr Leute Etzels.« Die
stolzen Kämpfer sahen sich entschlossen an.

1834 Hätte in diesem Augenblick einer mit dem Kampf begonnen,


wäre es sicher dazu gekommen, daß man den beiden Kampfge­
fährten die Siegerehre hätte zusprechen müssen; denn sie hat­
ten sich in Kampfstürmen sehr oft bewährt. Was jene sich ver­
messen vorgenommen hatten, mußten sie aus Furcht aufgeben.

1835 Zunächst sprach einer der Recken: »Weshalb seht ihr mich so
an? Was ich vorher versprochen habe, nehme ich zurück. Für
niemandes Gabe bin ich bereit, mein Leben zu verlieren. Wahr­
haftig, die Gemahlin des Königs will uns ins Verderben stür­
zen.«

1836 Dann sagte ein anderer: »Ich bin der gleichen Meinung. Und
wenn mir jemand Türme aus reinem roten Gold gäbe, so wollte
ich doch diesen Spielmann schon wegen der grimmigen Blicke,
die er um sich wirft, nicht angreifen.
588 29- AVEN TIURE

1837 Ouch erchenne ich Hagenen von sinen jungen tagen,


des mach man von dem recken lihte mir gesagen,
in zwein und zweinzech sturmen han ich in gesehn,
da vil maniger frowen ist hercenleide geschehn.

1838 Er unt der von Spane die traten manigen Stic,


do si hie bi Ezelen vahten manigen wie
zen eren dem kunige. des ist von im vil geschehn.
dar umbe muoz man Hagene der eren wol von schulden jehn.

1839 Dannoch was der recke siner jar ein kint.


daz do tumben waren, wie grise die nu sint!
nu ist er chomen ze wizzen und ist ein grimmech man.
ouch treit er Palmungen, da vor enchunde niht gestan.«

1840 Da mite was gescheiden, daz da niemen streit,


do wart der chuniginne vil hercenliche leit.
die helde cherten dannen, ja vorhten si den tot
von dem videlaere; des gie in waerliche not.

1841 Do sprach der chüene Volker: »wir han daz wol ersehn,
daz wir hie viende vinden, als wir e horten jehn.
wir suln zuo den kunigen hin ze hove gan,
sone tar unser herren mit strite niemen bestan.

1842 Wie dicke man durch vorhte manigiu dinch verlat!


swa so friunt friunde friuntlich gestat,
und hat er guote sinne, daz erz wisliche tuot,
schade vil maniges mannes wirt von sinnen wol behuot.«

1843 »Nu wil ich iu volgen«, sprach do Hagene.


si giengen, da si funden vil der degene
in grozem antpfange noch an dem hove stan.
Volker der vil chüene lute rüefen began.
KONFRO NTATION VON HA GEN UND K RIEM H ILD 589

1837 Außerdem kenne ich Hagen noch aus seiner Jugendzeit. Des­
halb braucht man mir über den Kämpfer nichts zu sagen, ich
habe ihn in zweiundzwanzig Kampfstürmen gesehen, die vielen
Frauen bitteres Leid gebracht haben.

1838 Er und Walther von Spanien zogen oftmals zusammen aus, als
sie hier dem König Etzel zu Ehren manchen Kampf ausfoch­
ten. Er hat viel geleistet. Deshalb muß man Hagen zu Recht
große Ehre zugestehen.

1839 In jener Zeit ist der Recke an Jahren noch ein Kind gewesen.
Die damals unerfahren waren, wie alt sind sie jetzt! Nun hat
er Erfahrung gesammelt und ist ein furchterregender Mann
geworden. Außerdem trägt er das Schwert Balmung, vor dem
keiner bestehen kann.«

1840 Damit war entschieden, daß niemand dort zu kämpfen wagte,


was die Königin wiederum tief im Herzen traf. Die Helden
kehrten um. Ja, sie fürchteten den Tod von der Hand des Spiel­
manns; und dazu bestand auch aller Anlaß.

1841 Da sprach der kühne Volker; »Wir haben nun gesehen, daß wir
hier tatsächlich auf Feinde treffen, wie man es uns vorhergesagt
hat. Wir sollten zu den Königen an den Hof gehen, dann wagt
es niemand, unsere Herren im Kampf anzugreifen.

1842 Wie oft unterläßt ein Mann etwas aus Furcht! Wo aber ein
Freund dem Freunde freundschaftlich beisteht und so erfahren
ist, daß er klug handelt, da wird durch Besonnenheit Schaden
von vielen Männern abgewendet.«

1843 »Jetzt will ich euch folgen«, sagte Hagen. Sie gingen dorthin, wo
viele Kämpfer noch bei der festlichen Begrüßung auf dem
Burghof standen. Der kühne Volker begann, laut zu rufen.
590 29- AV EN TIURE

1844 Er sprach zuo sinen herren: »wie lange weit ir sten,


daz ir iuch lazet dringen? ir suit ze hove gen
und hoeret an dem kunige, wi der si gemuot.«
do sah man gesellen sich die helde chüen unde guot.

1845 Der fürste von Berne der nam an die hant


Günthern den riehen von Burgonden lant,
Irenvrit Gernoten, einen chüenen man.
do sah man Giselheren ze hove mit sinem sweher gan.

1846 Swie iemen sich gesellete und ouch ze hove gie,


Volker unde Hagene geschieden sich nie,
niwan in eime sturme an ir endes zit.
daz muosen beweinen vil schoene juneffowen sit.

1847 Do sach man mit den kunigen hin ze hove gan


ir edeln ingesindes tusent chüener man,
dar über sehzech recken mit in warn chomen.
die het in sime lande der chüene Hagen genomen.

1848 Hawart und ouch Irinch, zwene uz erwelte man,


die sah man friuntliche bi den kunigen gan.
Danchwart unde Wolfhart die heten sich bewegen,
man sach si grozer tugende in ir ubermuote pflegen.

1849 Do der vogt von Rine in den palas gie,


Ezele der riche daz niht langer lie.
er spranch von sime sedele, als er si chomen sach.
ein gruoz so rehte schoene von kunige nie mer geschach.

1850 »Sit willechomen, her Gunther und ouch her Gernot


und iwer bruoder Giselher, dem ich min dienst enbot
mit triwen vlizzechliche ze Wormez über Rin.
und allez daz gedigene soi mir willechomen sin.
KONFRO NTATION VON HA GEN UND KRIEMHILD 591

1844 Er wandte sich an seine Herren: »Wie lange wollt ihr hier stehen
und euch bedrängen lassen? Ihr solltet zum König gehen und
von ihm hören, wie er uns gesonnen ist.« Da sah man die tap­
feren und edlen Helden freundschaftlich nebeneinander.

1845 Der Fürst von Bern nahm den mächtigen Gunther aus dem
Burgundenland an die Hand, Irnfried führte den tapferen
Gernot. Giselher sah man mit seinem Schwiegervater zum Hof
gehen.

1846 Wem sich die anderen auch anschlossen und mit wem sie zum
Hof gingen, Volker und Hagen trennten sich niemals, bis auf
den letzten Kampf am Ende ihres Lebens. Das mußten viele
schöne, adlige junge Frauen später beweinen.

1847 Zusammen mit den Königen sah man ihr vornehmes Gefolge
zum Königspalast ziehen, tausend tapfere Männer und außer­
dem sechzig Recken, die sie begleiteten. Der tapfere Hagen
hatte sie in seinem Land ausgewählt.

1848 Hawart und Iring, zwei ausgezeichnete Männer, gingen freund­


schaftlich an der Seite der Könige. Dankwart und Wolfhart
machten sich gemeinsam auf, man sah, wie sie ihre hervorra­
genden Fähigkeiten selbstbewußt zur Schau stellten.

1849 Als der Herr vom Rhein in den Palas eintrat, hielt es den mäch­
tigen Etzel nicht länger auf seinem Platz. Er sprang auf, als er
sie kommen sah. Einen so schönen Begrüßungsempfang hat
kein König jemals wieder gegeben.

1850 »Seid willkommen, Herr Gunther und auch Herr Gernot und
euer Bruder Giselher, ich habe euch meine Grüße in Treue
wohlbedacht nach Worms am Rhein gesandt. Euer gesamtes
Gefolge soll mir ebenfalls willkommen sein.
592 29- AV ENTIURE

1851 Nu sit uns groz willechomen, ir zwene degene,


Volker der chüene und ouch her Hagene,
mir und miner frowen her in dizze lant.
si hat in grozen triwen vil dicke mich umbe iuch gemant. «

1852 Do sprach der starche Hagene: »daz haben wir wol vernomen.
waer ich durch mine herren zen Hünen niht bechomen,
so waer ich iu zen eren geriten in daz lant.«
do nam der wirt vil edele die lieben geste zehant

1853 Und brahte si zem sedele, da er selbe saz.


do schancte man den gesten, mit vlize tet man daz,
in witen goldes schalen moraz unde win
und bat die eilenden groze willechomen sin.

1854 Do sprach der kunic der Hunin: »des wil ich iu verjehn,
mim enchunde in disen eiten lieber niht geschehn,
denne ouch an iu recken, daz ir uns her sit chomen.
des ist miner frowen michel truren benomen.

1855 Mich nimt des michel wunder, waz ich iu habe getan,
so manigen gast vil edelen den ich gewunnen han,
daz ir nie chomen ruochet her in miniu lant.
daz ich iuch nu gesehn han, daz ist zen vreuden mir gewant.«

1856 Des antwurt Rüedeger, ein ritter hoch gemuot:


»ir müget si sehn gerne, ir triwe diu ist guot,
der miner frowen mage so schoene chunnen pflegen,
si bringent iu ze huse vil manigen waetlichen degen.«

1857 An sunewenden abent, als wir han vernomen,


waren si ze Ezelen bürge dem chunige ze huse chomen.
ein wirt nie sine geste so minneklich enpfie.
dar nach er zuo den tischen mit in vil vroliche gie.
KONFRONTATION VON HA GEN UND K RIEM H ILD 593

1851 Auch ihr beiden Kämpfer, tapferer Volker und Hagen, seid mir
und meiner Gemahlin hier in diesem Land herzlich willkom­
men. In großer Treue hat sie mich oft aufgefordert, euch einzu­
laden.«

1852 Da sagte der starke Hagen: »Das haben wir wohl gehört. Wäre
ich nicht meinen Herren zuliebe zu den Hunnen gezogen, dann
wäre ich euch zu Ehren in dieses Land geritten.« Darauf nahm
der edle Landesherr seine lieben Gäste an die Hand

1853 und führte sie zu dem Platz, auf dem er selbst gesessen hatte.
Dort schenkte man ihnen mit besonderem Eifer in großen
goldenen Schalen Maulbeerwein und anderen Wein ein und
bat die Fremden, sich wohl zu fühlen.

1854 Dann sprach der König der Hunnen: »Ich will euch versichern,
mir konnte in meinem Leben nichts Angenehmeres geschehen,
als daß ihr Helden zu uns zu Besuch gekommen seid. Das hat
meine Gemahlin von großer Traurigkeit befreit.

1855 Ich fragte mich oft, was ich euch getan hätte, daß ihr bisher
nicht in meine Länder kommen wolltet, während ich doch
sonst so viele edle Gäste empfangen habe. Daß ihr nun hier
seid, ist eine Freude für mich.«

1856 Darauf antwortete Rüdiger, ein stolzer Ritter: »Ihr könnt froh
sein, sie zu sehen, denn die Treue, welche die Verwandten mei­
ner Herrin halten, ist unverbrüchlich, und sie bringen viele
stattliche Kämpfer mit an euren Hof.«

1857 Am Abend der Sonnenwende waren sie, wie wir gehört haben,
in Etzelnburg am Hof des Königs angekommen. Nie hat ein
Hausherr seine Gäste so liebevoll empfangen. Danach ging er
mit ihnen fröhlich zu Tisch.
594 29- AVENTIURE

1858 Ein kunec bi sinen gesten schoener nie gesaz.


man gab in vollechliche trinchen unde maz,
und allez, daz si wolden, des was man in bereit,
man hete von den degenen vil michel wunder geseit.

1859 Ezele der riche het an bou geleit


sinen vliz kostenliche mit grozer arebeit.
palas unde türne, kemenaten ane zal
in einer witen burge, und einen herlichen sal,

1860 Den het er heizen bowen lanch, hoch und wit,


durch daz so vil der recken in suohte zaller cit.
an ander sin gesinde, zwelf riche kunige her
und vil der werden degene het er zallen eiten mer,

1861 Denne ir kunic ie gewunne, als ich vernomen han.


er lebt in hoher wunne von magen unde man.
schallen unde dringen het der fürste guot
von manigem snellem degene. des stuont im hohe der muot.
KONFRO NTATION VON HA GEN UND K RIEM H ILD 595

1858 Auch hat nie ein König in festlicherem Rahmen bei seinen Gä-
sten gesessen. Man gab ihnen reichlich zu trinken und zu essen,
und alles, was ihr Herz begehrte, brachte man ihnen bereitwil­
lig. Von den Kämpfern erzählte man viele wunderbare Taten.

1859 Der mächtige Etzel hatte für den Bau der Burg weder Kosten
noch Mühe gescheut. In der weiträumigen Anlage gab es einen
Palas, Türme, zahllose Kemenaten und einen prächtigen Saal,

18 6 0 den hatte er lang, hoch und breit bauen lassen, weil ihn jeder­
zeit Recken in großer Zahl besuchten. Abgesehen von seinem
Gefolge, zwölf mächtigen edlen Königen und vielen vorneh­
men Kämpfern, hatte er ständig mehr Gäste bei sich,

1861 als sonst ein König empfing, wie ich gehört habe. Er lebte in
großer Freude mit seinen Verwandten und seinen anderen Leu­
ten. Festlärm und Gedränge von vielen gewandten Kämpfern
umgaben den edlen Fürsten jederzeit. Das stärkte sein herr-
scherliches Selbstbewußtsein.
3 0 . A V EN T IU R E
A V EN TIUR E W IE D IE K U N IG E M IT IR REC KEN SLAFEN
G IE N G E N U N D W I E IN DO G E S C H A C H

1862 Der tac der het nu ende, und nahet in diu naht,
den wegemüeden degenen ir Sorgens an vaht,
die herren solden ruowen und an ir bette gan.
daz bereite Hagene, ez wart in schiere chunt getan.

1863 Gunther sprach zem wirte: »got laze iuch mit freuden lebn!
wir wellen varn slafen, ir suit uns urloup gebn.
als ir uns gebietet, wir chomen morgen fruo.«
er schiet von sinen gesten vil harte minneklichen duo.

1864 Dringen allenthalben die geste man do sach.


Volker der chüene zuo den Hünen sprach:
»wie geturret ir den recken uf die fiieze gan?
und weit irs niht iuch mazen, so wirt iu leide getan.

1865 So slah ich eteslichem so swaeren gigenslac,


hat er getriwen iemen, daz erz beweinen mac.
wan wichet ir uns recken? ja dunchet ez mich guot.
ez heizent alle degene, und sint geliche niht gemuot.«

1866 Do der videlaere so zornechliche sprach,


Hagen der chüene über ahsel sach,
er saget: »iu raetet rehte der chüene spileman,
ir Chriemhilde degene, ir suit zen herbergen gan.
3 0 . A V EN T IU R E
W I E D IE K Ö N IG E M IT I H R E N RECKEN SCH L A FE N G IN G E N
U N D WAS SIE D A NN ERLEBTEN

1862 Der Tag ging zu Ende, und die Nacht kam heran. Die von der
Reise müden Kämpfer machten sich Gedanken, wann und wo
die Herren zu Bett gehen und ausruhen könnten. Hagen sprach
das an, und es wurde sogleich den Gastgebern kundgetan.

1863 Gunther sagte zu dem Landesherrn: »Gott lasse euch in Freu­


den leben! Wir wollen jetzt schlafen gehen,, gestattet uns das.
Wenn es euch recht ist, kommen wir morgen früh wieder.«
Etzel verabschiedete sich sehr liebevoll von seinen Gästen.

1864 Überall wurden die Burgunden umdrängt. Der kühne Volker


sagte zu den Hunnen: »Wie könnt ihr es wagen, den Recken so
auf den Leib zu rücken? Wenn ihr euch nicht mäßigt, werdet
ihr mit Gewalt zurückgehalten.

1865 Dann versetze ich manchem mit meinem Fiedelbogen einen so


schweren Schlag, daß jeder Freund, den er hat, darüber weinen
wird. Warum geht ihr uns Recken nicht aus dem Weg? Wirk­
lich, das schiene mir angemessen. Es nennen sich zwar alle
Kämpfer, aber sie haben nicht das gleiche im Sinn.«

1866 Als der Fiedler so zornig gesprochen hatte, drehte sich der
kühne Hagen nach hinten um und sagte: »Der tapfere Spiel­
mann hat euch das Rechte geraten, ihr Kämpfer Kriemhilds,
geht in eure Unterkünfte.
598 3 0 . AVEN TIURE

1867 Des ir da habet willen, ich waen, ez iemen tuo.


weit ir sin beginnen, so chomt uns morgen fruo,
und lat uns wegemüeden hint haben gemach.
ja waen, ez von heleden mit solchem willen ie geschach.«

1868 Do brahte man die geste in einen witen sal,


dar inne si sit namen den totlichen val.
da fanden si gerihtet vil manigiu bette breit,
in riet diu kuneginne diu aller groezisten leit.

1869 Vil manigen kulter spaehe von Arraz man da sach


von vil liehten pfellen und manige bettedach
von arabischen siden, so si beste chunden sin.
ouch lag in uf den enden von golde herlicher schin.

1870 Diu deckelachen härmin vil mänegiu man da sach


und ouch von swarcem zobele. dar under si ir gemach
des nahtes solden schaffen unz an den liehten tac.
ein kunec mit sinen friunden nie so herlich gelac.

1871 »Owe der nahtselde«, sprach Giselher daz kint,


»und owe miner friunde, die mit mir chomen sint!
swie et ez min swester mir güetlich erbot,
ich farhte, daz wir müezen von ir schulden ligen tot.«

1872 »Nu lazet iwer sorgen«, sprach Hagen der degen.


»ich wil der schiitwache noch hinte selbe pflegen,
ich behüete iuch wol mit triwen, unz uns chumt der tac.
daz wizzet snelle degene, so genese, swer der mac.«

1873 Do nigen si im alle und sagten im des danc.


si giengen zuo den betten, diu wile was niht lanc,
daz sich engestet heten die eilenden man.
Hagene der starche sich do wafen began.
MISSGLÜCKTER ÜBERFALL AUF DIE NIBELUNGEN 599

1867 Was ihr vorhabt, glaube ich, wird niemand ausführen. Wenn ihr
Streit anfangen wollt, dann kommt morgen früh zu uns und
laßt uns, die wir von der Reise müde sind, heute nacht unsere
Ruhe. Ich glaube wirklich, Helden haben es immer so gehal­
ten.«

1868 Daraufhin brachte man die Gäste in einen weiten Saal, in dem
sie später zu Tode kamen. Dort fanden sie viele große Betten
hergerichtet. Die Königin hatte das allergrößte Leid für sie er­
sonnen.

1869 Zahlreiche wunderbare Steppdecken aus Arras sah man dort,


sie waren aus glänzendem Wollstoff, und Bettdecken aus arabi­
scher Seide, und zwar die besten, die es gab. Ihre Ränder schim­
merten herrlich golden.

1870 Man sah auch viele Decken aus Hermelin und aus schwarzem
Zobel. Darunter sollten sie bis zum hellen Tag ihre Bequem­
lichkeit finden. Nie hat ein König mit seinen Freunden so reich
ausgestattet geruht.

1871 »Weh über dieses Nachtquartier«, rief der junge Giselher, »und
weh für meine Freunde, die mit mir hierhergekommen sind!
Auch wenn meine Schwester mich freundlich begrüßt hat,
fürchte ich, daß wir durch sie den Tod finden werden.«

1872 »Laßt eure Sorgen ruhen«, erwiderte Hagen, der Kämpfer. »Ich
werde heute nacht die Schildwache halten. Ich behüte euch gut
in aller Treue, bis der Tag anbricht. Darauf könnt ihr gewandten
Kämpfer euch verlassen, dann rette sich, wer kann.«

1873 Alle verneigten sich vor ihm und sagten ihm Dank. Sie gingen
zu ihren Betten, und es dauerte nicht lange, bis sie sich entklei­
det hatten. Der starke Hagen jedoch nahm seine Waffen an sich.
600 3 0 . AVENTIÜRE

1874 Do sprach der videlaere, Volker der degen:


»versmahtez iu niht, Hagene, so wolde ich mit iu pflegen
der schiitwache hinte unze morgen fruo.«
der heit vil minnekliche danchte Volkere duo.

1875 »Nu lone iu got von himele, vil edel Volker,


zallen minen sorgen sone gert ich niemens mer
niwan iuch aleine, swa ich hete not.
ich soi ez wol verdienen, mich enwendes der tot.«

1876 Do garten si sich beide in liehtez ir gewant,


do nam ir ietewedere den schilt an sine hant,
und giengen uz dem huse fur die tür do stan.
do huoten si der degene. daz was mit triwen getan.

1877 Volker der vil snelle zuo des sales want


sinen schilt den guoten leinte von der hant.
do gie er hin widere, die videln er genam.
do dienter sinen friunden, als ez dem degene gezam.

1878 Under die tür des huses saz er uf den stein,


chüener videlaere diu sunne nie beschein.
do im der seiten doenen so suozlich erchlanch,
die stolzen eilenden sagten im des grozen danc.

1879 Do chlungen sine seiten, daz al daz hus erdoz;


sin eilen zuo der fuoge diu beide warn groz.
senfter unde süezer videln er began.
do enswebter an dem bette vil manigen sorgenden man.

1880 Do si wol entslafen waren, unde er daz ervant,


do nam der degen widere den schilt an sine hant.
do gie er uz dem huse fur die türe stan
und huote siner friunde vor den Chriemhilde man.
MISSGLÜCKTER ÜBERFALL AUF DIE NIBELUNGEN 601

1874 Alsbald sagte der Fiedler, Volker der Kämpfer: »Wenn ihr nichts
dagegen habt, Hagen, so will ich heute nacht bis morgen früh
die Schildwache mit euch gemeinsam halten.« Der Held dankte
Volker ganz liebenswürdig dafür.

1875 »Gott im Himmel lohne es euch, edler Volker. In all meinen


Sorgen möchte ich niemanden weiter bei mir haben als euch
allein, ganz gleich wo ich in Bedrängnis gerate. Ich werde mich
dafür erkenntlich zeigen, wenn der Tod mich nicht daran hin­
dert.«

1876 Beide legten ihr glänzendes Kampfgewand an, jeder von ihnen
nahm den Schild in seine Hand, sie gingen aus dem Haus und
stellten sich vor die Tür. Sie bewachten die Kämpfer. Das ge­
schah aus Treue.

1877 Der gewandte Volker lehnte seinen ausgezeichneten Schild an


die Wand. Dann ging er zurück und nahm seine Fiedel. Damit
leistete er seinen Freunden angenehme Dienste, wie es dem
Kämpfer besonders zukam.

1878 Unterhalb der Saaltür setzte er sich auf einen Stein. Einen küh­
neren Fiedler hat es unter der Sonne nie gegeben. Als die Töne
so lieblich von den Saiten erklangen, dankten ihm die stolzen
Fremden sehr dafür.

1879 Die Saiten ertönten so, daß der Klang das ganze Gebäude er­
füllte: denn seine Kraft und Kunstfertigkeit waren groß. Dann
fiedelte er immer leiser und lieblicher. Damit spielte er viele
sorgenvolle Männer in ihren Betten in den Schlaf.

1880 Als er bemerkte, daß sie eingeschlafen waren, nahm der Kämp­
fer wieder seinen Schild in die Hand. Er ging aus dem Haus,
stellte sich vor die Tür und bewachte seine Freunde vor Kriem-
hilds Leuten.
602 3 0 . AVEN TIURE

1881 Nach dem ersten slafe, ich waen, ez e geschach,


Volker der vil chüene einen heim schinen sach
verre uz einer vinster. die Chriemhilde man
wolden an den gesten schaden gerne han getan.

1882 E Chriemhilt dise recken hete dan gesant,


si sprach: »ob irs also vindet, durch got so sit gemant,
daz ir da slahet niemen wan den einen man,
den ungetriwen Hagenen, die andern suit ir lebn lan.«

1883 Do sprach der videlaere: »nu seht, her Hagene,


jane zimt mir diz maere niht ze dagene.
ja sih ich mit gewaefen dort her Hute gan.
als ich mich versinne, ich waen, si wellent uns bestan.«

1884 »Nu swiget«, sprach do Hagene, »lats uns her naher baz.
e si unser werden innen, so wirt hie helmevaz
mit swerten verrücket von der minen hant.
si werdent hint ir frowen hin wider ubele gesant.«

1885 Ein der Hünen recken vil schiere daz gesach,


daz diu türe was behüetet. wie balde er do sprach:
»des wir da heten willen, jane mag es niht engan;
ich sihe den videlaere an der schiitwache stan.

1886 Der treit uf sime houbte einen heim glanz,


lutter unde herte, veste unde ganz;
ouch lohent sine ringe, sam daz fiure tuot.
bi im stet ouch Hagene. des sint die geste wol behuot.«

1887 Zehant si widercherten. do Volker daz ersach,


zu sime hergesellen er zorneklichen sprach:
»lat mich zuo den recken von dem huse gan;
ich wil vragen der maere der froun Chriemhilde man.«
MISSGLÜCKTER ÜBERFALL AUF DIE NIBELUNGEN 603

1881 Nachdem sie ein paar Stunden geschlafen hatten, vielleicht


auch schon etwas früher, sah der tapfere Volker von fern aus
dem Dunkeln einen Helm schimmern. Die Leute Kriemhilds
wollten die Gäste überfallen.

1882 Bevor Kriemhild diese Recken losgeschickt hatte, lautete ihre


Mahnung: »Wenn ihr sie trefft, denkt um Gottes willen daran,
daß ihr dort nur einen Mann, den treulosen Hagen tötet, die
anderen sollt ihr am Leben lassen.«

1883 Da sprach der Fiedler: »Nun paßt auf, Hagen, wahrhaftig, ich
darf es nicht verschweigen. Ich sehe dort Leute mit Waffen, die
sich uns nähern. Wenn ich mich nicht täusche, wollen sie uns,
glaube ich, angreifen.«

1884 »Seid still«, sagte Hagen darauf, »laßt sie lieber noch näher an
uns herankommen. Ehe sie uns bemerken, werde ich ihnen mit
dem Schwert den Helm vom Kopf stoßen. Sie werden heute
nacht ihrer Herrin in schlimmer Verfassung zurückgeschickt.«

1885 Einer der hunnischen Recken merkte sehr bald, daß die Tür
bewacht war. Sofort sagte er: »Was wir vorhatten, das kann
keinesfalls ausgeführt werden; ich sehe den Fiedler Schildwache
halten.

1886 Er trägt auf seinem Kopf einen glänzenden Helm, hell und hart,
stark und unbeschädigt; außerdem leuchten die Ringe seiner
Rüstung wie Feuer. Neben ihm steht auch noch Hagen. So sind
die Gäste nur allzu gut bewacht.«

1887 Sie kehrten sofort um. Als Volker das sah, sagte er voller Zorn
zu seinem Kampfgefährten: »Laßt mich vom Haus zu den
Recken gehen; ich will Frau Kriemhilds Leute nach ihrem Vor­
haben fragen.«
604 3 0 . AV ENTIURE

1888 »Nein, durch mine liebe«, sprach Hagene der degen.


»weit ir deheines strites mit den helden pflegen,
so bestent si iuch mit swerten und bringent iuch in not.
so müese ich iu helfen, waerz aller miner mage tot.

1889 So wir danne beide körnen in den strit,


zwene oder viere in einer kurzen zit
die Sprüngen zuo dem huse und taeten uns diu leit
an den slafenden, diu nimmer wurden verkleit.«

1890 Do sprach aber Volker: »so lat doch daz geschehn,


daz wir si innen bringen, daz ich si habe gesehn,
daz des niht haben lougen die Chriemhilde man,
daz si vil mortliche gerne heten getan.«

1891 Do sprach der videlaere den Hünen vaste nach:


»wie get ir sus gewafent? war ist iu so gach?
weit ir schaden riten, ir Chriemhilde man?
dar suit ir mih ze helfe und minen hergesellen han.«

1892 Des antwurte im niemen. zornic was sin muot.


»pfi, ir zagen boese«, sprach der degen guot,
»wolt ir slafende uns ermordet han?
daz ist so guoten degenen her vil selten noch getan.«

1893 Do wart der kuniginne rehte daz geseit,


daz ir boten niht enwurben. von schulden was ir leit.
do fuogte siz sit anders; vil grimmech was ir muot.
des muosen sit engelten degene chüene unde guot.
MISSGLÜCKTER ÜBERFALL AUF DIE NIBELUNGEN 605

1888 »Nein, mir zuliebe, bleibt hier«, erwiderte Hagen, der Kämpfer.
»Wenn ihr mit den Helden Streit anfangt, dann greifen sie euch
mit ihren Schwertern an und bringen euch in Bedrängnis.
Dann müßte ich euch helfen, auch wenn das zum Tod aller
meiner Verwandten führte.

1889 Wenn wir dann beide in den Kampf verwickelt wären, würden
zwei oder vier in kurzer Zeit zum Haus eilen und unter den
Schlafenden solches Unheil anrichten, daß es niemals genug
beklagt werden könnte.«

1890 Doch Volker entgegnete: »So laßt uns wenigstens deutlich ma­
chen, daß ich sie gesehen habe, damit Kriemhilds Leute nicht
abstreiten können, daß sie uns gern hätten töten wollen.«

1891 Der Fiedler rief den Hunnen laut nach: »Warum geht ihr so
bewaffnet umher? Wohin eilt ihr? Wollt ihr zu einem Rachezug
ausreiten, ihr Männer Kriemhilds? Dabei werden ich und mein
Kampfgefährte euch unterstützen.«

1892 Darauf antwortete ihm niemand. Er war sehr zornig. »Pfui, ihr
elenden Feiglinge«, rief der tüchtige Kämpfer, »wolltet ihr uns
im Schlaf ermorden? Das ist so tapferen Männern bisher selten
angetan worden.«

1893 Der Königin wurde dann genau berichtet, daß ihre Leute nichts
erreicht hatten. Mit Grund enttäuschte die Nachricht sie sehr.
Doch sie faßte danach einen anderen Entschluß; denn sie war
von grimmiger Rachbegierde erfüllt. Das mußten später tap­
fere, tüchtige Kämpfer mit dem Leben bezahlen.
31. AVENTI URE
A V EN TIU RE W IE D IE H E R R E N ZE K IR C H E N G IE N G E N

1894 »Mir chuolint so die ringe«, so sprach Volker,


»ja waen, diu naht uns welle nu niht wern mer.
ich chiusez von dem lüfte, ez ist vil schiere tac.«
do wachten si der manigen, der noch slafende lach.

1895 Do erschein der liehte morgen den gesten in den sal.


Hagen begunde vragen die recken über al,
ob si zem munster wolden zuo der messe gan.
nach siten kristenlichen man vil liuten began.

1896 Si sungen ungeliche. daz da vil wol schein,


kristen unde heiden, die zugen niht enein.
do wolden zuo den chirchen die Guntheres man.
si warn von den betten al geliche nu gestan.

1897 Do naeten sich die recken in also guot gewant,


daz nie helde mere in deheines kuniges lant
bezzer kleider brahten. daz was Hagene leit.
er sprach: »ja suit ir degene hie tragen anderiu kleit.

1898 Nu sint iu doch genuogen diu maere wol bêchant,


nu traget für die rosen diu wafen an der hant,
fur schapel wol gesteinet die liehten helme guot,
sit wir so wol erchennen der argen Chriemhilde muot.

1899 Wir müezen hiute striten, daz wil ich iu sagen.


ir s u it f u r s id e n h e m d e d ie lie h te n p r ü n n e tr a g e n
u n d f u r d ie tie f e n m ä n til d ie v e s te n S c h ild e w it,
o b ie m e n m it iu z ü r n e , d a z ir vil w e r lic h e sit.
31. A V EN T IU R E
WIE DIE BURGUNDEN ZUR KIRCHE GINGEN

1894 »Mir wird der Ringpanzer so kalt«, sagte Volker, »ja, ich glaube,
die Nacht ist bald vorbei. Ich merke es an der Luft, es wird
gleich Tag.« Da weckten sie alle, die noch schliefen.

1895 Schon leuchtete der helle Morgen zu den Gästen in den Saal.
Hagen fragte die Recken ringsum, ob sie ins Münster zur Messe
gehen wollten. Nach chrisüichem Brauch läuteten laut die
Glocken.

1896 Man hielt auf unterschiedliche Weise Gottesdienst. Das zeigte


sich schon daran, daß Christen und Heiden nicht den gleichen
Weg nahmen. Gunthers Leute wollten zur Kirche gehen. Sie
hatten sich sofort aus den Betten erhoben.

1897 Dann kleideten sich die Recken in so gute Gewänder, wie sie
niemals wieder Helden in eines Königs Land mitbrachten. Das
gefiel Hagen gar nicht. Er sagte: »Wirklich, ihr Kämpfer sollt
hier andere Kleider tragen.

1898 Nun wißt ihr doch wohl alle, was vor sich geht. Statt der Rosen
nehmt die Waffen in die Hand, statt des Stirnreifs mit den Edel­
steinen setzt die glänzenden, festen Helme auf, da wir doch die
böse Absicht Kriemhilds genau kennen.

1899 Wir müssen heute kämpfen, das will ich euch sagen. Ihr sollt
statt seidener Hemden die glänzenden Brustpanzer tragen und
statt der weiten Mäntel die festen, breiten Schilde, damit ihr
gerüstet seid, wenn euch jemand angreift.
608 31. AV EN TIURE

1900 Mine vil lieben herren, darzuo mage unde man,


ir suit vil willechliche zuo der chirchen gan,
und chlaget got dem riehen sorge und iwer not,
und wizzet sicherlichen, daz uns nahet der tot.

1901 Irn suit ouch niht vergezzen, swaz ir habt getan,


und suit vil vlegeliche da gegen gote stan.
ir suit sin gewarnet, recken also her:
ez enwelle got von himele, ir vernemt messe nimmer mer.«

1902 Sus giengen zuo dem munster die fürsten und ir man.
uf den vronen chirchof do hiez si stille stan
Hagene der chüene, daz si sich schieden niht.
er sprach: »jane weiz noch niemen, waz von den Hünen uns
geschiht.

1903 Leget, m ine ffiu n d e, die Schilde fu r den fiioz,


un d geltet, ob iu iem en biete sw achen gruoz,
m it tiefen verchw unden. daz ist H agen en rat,
daz ir so werdet funden, daz ez iu lobelichen stat.«

1904 Volker unde Hagene, die zwene giengen dan


fur daz munster, daz wart durch daz getan,
daz si daz wolden wizzen, daz des kuniges wip
mit in da müese dringen, ja was vil grimmech ir lip.

1905 Do chom der wirt des landes unt ouch sin schoene wip.
mit vil richem gewande gezieret was ir lip,
der recken genuoge die man sach mit ir varn.
do chos man hohe stouben von der kuniginne schäm.

1906 Do der kunic Ezele alsus gewaffent sach


die recken von dem Rine, wie balde er do sprach:
»wie sihe ich friunde min under helmen gan?
mirst leit uf mine triwe, und hat in iemen iht getan.
KIRCHGANG UN D HERAUSFORDERUNG ZUM KAMPF 609

1900 Meine lieben Herren, Verwandte und alle anderen Kämpfer,


geht bereitwillig zur Kirche, klagt dem allmächtigen Gott eure
Sorge und Not, und seid gewiß, daß uns der Tod naht.

1901 Ihr dürft auch nichts vergessen von dem, was ihr getan habt,
und sollt in andächtigem Gebet vor Gott hintreten. Ihr ausge­
zeichneten Recken, seid vorbereitet: Wenn Gott im Himmel es
nicht anders will, werdet ihr nie wieder eine Messe hören.«

1902 So zogen die Fürsten und ihr Gefolge zum Münster. Auf dem
gottgeweihten Kirchplatz ließ der tapfere Hagen sie anhalten,
damit sie sich nicht voneinander trennten. Er sagte: »Niemand
weiß wirklich, was die Hunnen mit uns Vorhaben.

1903 Meine Freunde, legt die Schilde vor eure Füße, und wenn euch
jemand unfreundlich grüßt, vergeltet es mit einer tiefen, töd­
lichen Wunde. Das ist Hagens Rat, damit euch euer Verhalten
Ruhm einbringt.«

1904 Volker und Hagen stellten sich beide vor das Münster. Sie taten
das, weil sie glaubten, die Gemahlin des Königs würde die
Burgunden dort in ein feindliches Gedränge verwickeln, denn
sie war wirklich voller Grimm.

1905 Dann kamen der Landesherr und seine schöne Frau. Sie trug
prächtige Kleider, und viele Recken begleiteten sie. Man sah
von den Scharen, die der Königin folgten, Staub aufwirbeln.

1906 Als König Etzel die Recken vom Rhein derart bewaffnet er­
blickte, fragte er sogleich: »Warum haben meine Freunde ihre
Helme aufgesetzt? Wenn ihnen jemand etwas angetan hat, wäre
das ein Treuebruch gegen mich.
610 31. AVEN TIURE

1907 Ich sol in gerne büezen, swie si dunchet guot,


hat iemen in beswaeret daz herce und ouch den muot.
des bringe ich si wol innen, daz ez mir ist vil leit.
swie si mir gebietent, des bin ich alles in bereit.«

1908 Do sprach von Tronege Hagene: »uns hat niemen niht getan,
ez ist site miner herren, daz si wafent gan
zallen hochgeciten ze vollen drien tagen.
het uns iemen iht getan, wir soldenz iu billiche sagen.«

1909 Wol hört diu kuniginne, waz Hagene sprach,


wie rehte vintliche si im under dougen sach!
sine wolde doch niht melden die site von ir lant,
swie lange si sie da heime mit freuden hete bêchant.

1910 Swie grimme und ouch swie starche si in vient waere,


het iemen gesaget Ezelen diu rehten maere,
er het iz understanden, daz niht da waere geschehn.
si liezenz durch ir ubermuot, daz sis im wolden niht verjehn.

1911 Do gie diu kuniginne mit grozer menege dan,


done wolden dise zwene idoch niht hoher stan
drier trite breiter, daz was den Hünen leit.
ja muose si sich dringen mit den degenen gemeit.

1912 Die Ezeln kameraere duhte daz niht guot.


ja heten si den recken erzürnet do den muot,
wan daz sine torsten vor dem kunige her.
da was vil michel dringen und doch niht anders mer.

1913 Do man da gote gediente unt da si wolden dan,


do chomen da zen rossen vil manic Hünen man.
ouch was bi Chriemhilde vil manic schoeniu meit,
wol siben tusent degene bi der kuneginne reit.
KIRCHGANG UN D HERAUSFORDERUNG ZUM KAMPF 611

1907 Ich werde ihnen gern, so wie sie es wünschen, Genugtuung


leisten, sollte ihnen jemand Herz und Sinn gekränkt haben.
Ich versichere, daß es mir sehr leid tut. Was sie auch von mir
verlangen, ich bin bereit, alles zu erfüllen.«

1908 Da antwortete Hagen von Tronje: »Uns hat niemand etwas ge­
tan. Es ist der Brauch meiner Herren, daß sie zu allen Festen
drei Tage lang ihre Waffen tragen. Hätte uns jemand verletzt,
würden wir es euch selbstverständlich mitteilen.«

1909 Die Königin hörte genau, was Hagen sprach. Feindselig blickte
sie ihm in die Augen. Doch sie wollte nichts über die Bräuche
ihres Landes richtigstellen, obwohl sie diese zu Hause in freud­
volleren Zeiten anders kennengelernt hatte.

1910 Wie überaus feindliche Absichten Kriemhild gegen die Bur-


gunden auch hegte, hätte jemand Etzel die Wahrheit offenbart,
dann hätte er dafür gesorgt, daß dort nichts geschehen wäre.
Doch aus Stolz unterließen sie es, ihm etwas zu sagen.

1911 Als die Königin mit großem Gefolge vorbeizog, da weigerten


sich die beiden, Volker und Hagen, drei Schritte zur Seite zu
treten. Das beleidigte die Hunnen. In der Tat mußte sich
Kriemhild mit ihren stattlichen Kämpfern an ihnen vorbei­
drängen.

1912 Etzels Kämmerern schien dieses Benehmen ungebührlich. Sie


hätten die Recken gern zum Zorn gereizt, aber vor dem erha­
benen König wagten sie es nicht. So entstand bloß ein großes
Gedränge und doch weiter nichts.

1913 Als der Gottesdienst beendet war und sie fortgehen wollten,
eilten viele Hunnen zu ihren Pferden. Eine Menge schöner
Mädchen begleitete Kriemhild, und etwa siebentausend Kämp­
fer ritten neben der Königin.
612 31. AV ENTIURE

1914 In des sales venster Chriemhilt gesaz


mit maniger schoenen frowen mit freuden ane haz.
Ezele der riche gesaz ouch zuo zir nider,
und sahen kurcewile von den guoten recken sider.

1915 Nu was ouch in der marschalch mit den rossen chomen.


Danchwart der snelle er het zuo zim genomen
sins herren ingesinde von Buregonden lant.
diu ros man wol gesatelet den eilenden recken vant.

1916 Do si zen rossen chomen, die kunige und ir man,


Volker der chüene raten do began,
si solden buhurdieren nach ir landes siten.
des wart von degenen sit vil herlich geriten.

1917 Uf den hof vil witen chom do manic man.


Ezele unde Chriemhilt ez sahen allez an.
der buhurt unde schallen, diu beidiu wurden groz.
von kristen und von heiden wie luzzil iemen da verdroz.

1918 Uf den buhurt chomen al zehant geriten


die Dietriches recken in hochverteklichen siten.
si wolden kurcewile mit den gesten han.
do enwolde ers in niht gunnen, ir herre hiez siz balde lan.

1919 Mit Guntheres mannen daz spil er in verbot,


er vorhte siner degene, des gie im groziu not.
do chomen von Bechelaren die Rüedegeres man.
dar umbe do der edele starche zürnen began.

1920 Er chom zuo zin vil balde gedrungen durch die schar
und sagete sinen degenen, si waeren des gewar,
daz in unmuote waeren die Gunthers man.
ob si den buhurt liezen, daz waere im liebe getan.
KIRCHGANG UND HERAUSFORDERUNG ZUM KAMPF 613

1914 Kriemhild setzte sich ans Fenster des Saales, umgeben von einer
Schar schöner Damen, die nur von Freude, nicht von Feind­
seligkeit erfüllt waren. Auch der mächtige Etzel nahm neben ihr
Platz, und sie sahen beide der Unterhaltung der tüchtigen
Recken zu.

1915 Nun war auch der Marschall mit den Pferden angelangt. Der
gewandte Dankwart hatte die Knappen seines Herrn aus dem
Burgundenland um sich versammelt. Man fand die Pferde für
die fremden Recken gut gesattelt.

1916 Nachdem die Könige und ihr Gefolge zu den Pferden gekom­
men waren, riet der kühne Volker, sie sollten ein Ritterspiel vor­
führen, wie es in ihrem eigenen Land Brauch war. Daraufhin
zeigten die Kämpfer ihr Können als Reiter.

1917 Auf dem weiten Hof trafen viele Leute zusammen. Etzel und
Kriemhild sahen bei allem zu. Das Ritterspiel und der Lärm
wurden groß. Christen und Heiden hatten ihre Freude daran.

1918 Zu dem Reiterkampf kamen alsbald auch Dietrichs Recken


voller Stolz herangeritten. Sie wollten sich mit den Gästen die
Zeit vertreiben. Doch ihr Herr gestattete es ihnen nicht und
befahl, damit aufzuhören.

1919 Er verbot ihnen, mit Gunthers Männern Ritterspiele zu treiben,


denn er sorgte sich um seine Kämpfer, und er war bedrückt.
Dann kamen auch noch die Leute Rüdigers von Bechelarn.
Darüber geriet der edle Dietrich in großen Zorn.

1920 Durch das Gedränge ging er alsbald zu seinen Kämpfern und


sagte zu ihnen, sie müßten doch merken, daß Gunthers Leute
mißgestimmt seien. Es wäre ihm lieb, wenn sie sich nicht an
dem Reiterkampf beteiligten.
614 31. AV ENTIURE

1921 Do sich die von in schieden, als uns ist geseit,


do chomen da von Duringen helde vil gemeit,
und die von Tenemarchen wol tusent chüener man.
von Stichen sah man vliegen vil der trunzune dan.

1922 H aw art unt ouch Irn frit gesellechliche riten.


des waren die von Rine in hochvertiklichen siten.
si buten manige tjoste den von Duringen lant.
des wart von Stichen durchel vil manic herlicher rant.

1923 D o chom ouch zuo dem schalle der herre Bloedelin


m it tusent siner recken, die taten da w ol schin,
wie si riten chunden, sich huop groz ungemach.
C h riem h ilt ez vil gerne durch leit der B u reg o n d e sach.

1924 Si gedaht in ir m uote, als ez w as nach geschehn:


»geschaehe iemen von in leide, so möhte ich mich versehn,
daz ez erhaben wurde an den vienden min.
wurde ich wol errochen, des wolde ich gar an angest sin.«

1925 Schrutan un d e G ibech e u f den b u h u rt riten,


H o rn b o ge un d R am u n ch nach hun ischen siten,
si hielten gein den helden uz B u regon d en lant.
die schelte draeten hohe mit ch reften fur des sales want.

1926 Swes da iemen pflege, so was ez niwan schal,


man horte von Schilde stozen palas unde sal
harte lut erdiezen von Gunthers man.
den lop daz sin gesinde mit grozen eren da gewan.
KIRCHGANG UN D HERAUSFORDERUNG ZUM KAMPF 615

1921 Als Dietrichs Leute sich von den Burgunden zurückgezogen


hatten, da kamen, wie wir gehört haben, viele tüchtige Helden
aus Thüringen und etwa tausend tapfere Männer aus Däne­
mark. Von ihren Lanzenstichen sah man viele Splitter aufwir­
beln.

1922 Hawart und Irnfried ritten freundschaftlich nebeneinander. Die


vom Rhein zeigten sich in prachtvoller Form. Sie boten den
Thüringern zahlreiche ritterliche Zweikämpfe. So wurden viele
herrliche Schilde von Stichen durchlöchert.

1923 Zu dem Kampfgetöse kam auch Herr Blödel mit tausend seiner
Recken. Die zeigten, wie sie reiten konnten, und es entstand
große Unruhe. Kriemhild sah das gern in der Hoffnung, den
Burgunden könnte Schaden angetan werden.

1924 Sie dachte bei sich, was später auch eintraf: »Wenn einem von
ihnen Leid geschieht, so kann ich darauf rechnen, daß der
Kampf gegen meine Feinde losbricht. Würde ich endlich
gerächt, dann könnte ich ganz ohne Angst leben.«

1925 Schrutan und Gibech, Hornboge und Ramung beteiligten sich


an dem Reiterkampf nach hunnischem Brauch und postierten
sich gegenüber den Helden aus dem Burgundenland. Die
Schäfte der Lanzen wirbelten vor der Saalwand mit Wucht in
die Höhe.

1926 Was sie dort auch unternahmen, es entstand nichts als Getöse.
Man hörte, wie Gunthers Leute durch das Zusammenstößen
der Schilde den Palas und den Saal laut widerhallen ließen. Sein
Gefolge erwarb Ruhm und große Ehre.
616 31. AV EN TIURE

1927 Do was ir churcewile so lane und ouch so groz,


daz durch die chovertiure der blanche sweiz do vloz
von den vil guoten marchen, die di helde riten.
si suohtenz an den Hunen in vil hochvertlichen siten.

1928 Do sprach der videlaere, Volker der chüene man:


»ich wen, uns dise recken turren niht bestan.
ich hört ie sagen maere, daz si uns trüegen haz,
nune chundez sich zer werlde zware nimmer füegen baz.«

1929 »Zen herbergen füeren«, sprach der kunec her,


»sol man nu di moere unde riten danne mer
gegen abende, so des wirdet cit.
waz ob diu kuniginne lop den unchunden git?«

1930 Do sahens einen riten so waigerlichen hie,


daz ez al der Hunen tet deheiner nie.
ja mohter in den venstern wol haben hercen trut.
er was so wol gechleidet sam eins vil werden ritters brut.

1931 Do sprach aber Volker: »wie möhte ich daz verlan?


jener trut der ffowen muoz eine gebiuze han.
daz chunde niemen wenden, ez get im an den lip.
jane ruoche ich, ob ez zürne des kunic Ezeln wip.«

1932 »Nein durch mine liebe«, sprach der kunec san,


»ez wizent uns die Hute, ob wir si bestan.
ir lat ez heben die Hunen, daz flieget sich noch baz.«
dannoch der kunec Ezele bi der kuniginne saz.
KIRCHGANG UND HERAUSFORDERUNG ZUM KAMPF 617

1927 Das Turnier dauerte so lange und war so anstrengend, daß den
stattlichen Pferden, auf denen die Helden ritten, durch die
Decken der blanke Schweiß herabfloß. Sie erprobten an den
Hunnen selbstbewußt ihre Kräfte.

1928 Da sagte der Fiedler, Volker der verwegene Mann: »Ich glaube,
diese Recken wagen nicht, uns anzugreifen. Ich hörte immer
davon, daß sie uns feindlich gesonnen wären, nun könnte sich
ihnen wahrhaftig keine bessere Kampfgelegenheit bieten.«

1929 »Man soll jetzt die Pferde zu den Unterkünften bringen«, befahl
der erhabene König, »und die Reiterspiele dann gegen Abend
fortsetzen, wenn Zeit dazu ist. Wie wäre es, wenn die Königin
den Fremden den Kampfpreis zubilligt?«

1930 Plötzlich sahen sie einen so aufreizend einherreiten wie sonst


keinen aus der Schar der Hunnen. Vielleicht schaute vom Fen­
ster seines Herzens Geliebte zu. Er war so schön herausgeputzt
wie die Braut eines edlen Ritters.

1931 Wiederum sagte Volker: »Wie könnte ich dem widerstehen?


Dieser Liebling der Damen muß einen Schlag versetzt bekom­
men. Niemand kann verhindern, daß es sein Leben kostet. Es
ist mir vollkommen egal, ob die Gemahlin des Königs dadurch
in Zorn gerät.«

1932 »Nein, unterlaßt das, mir zuliebe«, wandte König Gunther


sofort ein, »die Leute werden zu Recht Schuldvorwürfe gegen
uns erheben, wenn wir sie zuerst angreifen. Die Hunnen sollen
anfangen, das ist besser.« Immer noch saß König Etzel neben
der Königin.
618 31. AVEN TIURE

1933 »Ine mag es niht gelazen«, sprach do Volker,


den buhurt reit er widere, mit vollechlicher ger
stach er dem riehen heiden daz sper durch sinen lip.
daz sah man sit beweinen beide maget unde wip.

1934 Do mochte hurtekliche Hagene nach im dan


mit sehzich siner degene riten er began
nach dem videlaere, da diu tjost geschach.
Ezel unde Chriemhilt ez bescheidenliche sach.

1935 Done wolden ouch die kunige den ir spileman


bi den vianden niht ane helfe lan.
da wart von tusent heleden vil chunsteklich geriten.
si taten, daz si wolden in vil hochvertlichen siten.

1936 Da der riche Hune ze tode was erslagen,


man horte sine mage weinen unde klagen,
do vragt al daz gesinde: »wer hat ez getan?«
do sprachen, die daz sahen: »daz hat der starche spileman.«

1937 N ach swerten un d nach Schilden riefen da zehant


des m aregraven m age von der H ün en lant.
do wolden si den spileman ze tode erslagen han.
der wirt uz eime venster sere gahen do began.

1938 Do huop sich von den liuten allenthalben schal,


die Guntheres recken erbeizten über al,
diu ros ze rucke stiezen die kunige und al ir man.
do chom der kunic Ezele, der heit ez schaiden began.

1939 Ein des Hünen mage, den er da bi im vant,


ein vil starchez wafen brach er im uz der hant.
do sluogers alle widere; wan im was vil zorn.
»wie het ich minen dienest an disen heleden verlorn,
KIRCHGANG UN D HERAUSFORDERUNG ZUM KAMPF 619

1933 »Ich kann es nicht lassen«, entgegnete Volker. Er ritt wieder


zum Kampf und stieß dem mächtigen Heiden mit voller Ab­
sicht den Speer in den Leib. Frauen und Mädchen sah man
später die Tat beweinen.

1934 Schnell ritt Hagen mit sechzig von seinen Kämpfern dem Fied­
ler nach, dorthin wo der Speerstoß erfolgt war. Etzel und
Kriemhild hatten es genau gesehen.

1935 Auch die Könige wollten ihren Spielmann mitten unter den
Feinden nicht ohne Beistand lassen. Tausend Helden ritten in
geschicktem Manöver heran. Sie bewegten sich absichtsvoll in
bedrohlicher Selbstsicherheit.

1936 Als der mächtige Hunne dort erschlagen lag, hörte man seine
Verwandten weinen und klagen. »Wer hat das getan?« fragte
da das ganze Gefolge. Darauf antworteten die, die es gesehen
hatten: »Es war der starke Spielmann.«

1937 Sofort riefen die Verwandten des Markgrafen aus dem Hun­
nenland nach Schwertern und Schilden. Sie wollten den Spiel­
mann totschlagen. Der Landesherr eilte von seinem Fenster
weg.

193« Überall entstand Geschrei unter den Leuten. Gunthers Recken


sprangen vom Sattel, die Könige und ihre Leute drängten die
Pferde zurück. Dann trat König Etzel, der Held, heran, um den
Kampf zu verhindern.

1939 Einem Verwandten des erschlagenen Hunnen, den er dort sah,


riß er ein starkes Schwert aus der Hand. Dann stieß er alle
zurück; denn er war sehr zornig. »Wie hätte ich meine Schutz­
pflicht gegenüber diesen Helden versäumt,
620 31. AV EN TIURE

1940 Ob ir nu disen spileman het darumbe erslagen.


ich hiez iuch alle hahen, daz wil ich iu sagen,
ich sah vil wol sin riten, do er den Hünen stach,
deiz ane sinen willen von eime struche geschach.

1941 Ir müezet mine geste vride lazen han!«


do wart er ir geleite, diu ros diu zoch man dan
zu den herbergen. si heten manigen kneht,
die in ze dienste waren mit allem vlize gereht.

1942 Der wirt mit sinen friunden in den palas gie.


zorn er mer deheinen da niht werden lie.
do rihte man die tische, daz wazzer man in truoc.
do heten die von Rine viende da genuoc.

1943 Swie leit ez Ezeln waere, gewafent manige schar


sach man nach fürsten dringen und wol ze vlizze gar,
da si zen tischen giengen, durch der geste haz.
ir mach si rechen wolden, ob sich gefuegen chunde daz.

1944 »Sit ir gewafent gemer ezzet danne bloz«,


sprach der wirt des landes, »diu unzuht ist cze groz.
swer aber minen gesten hie tuot deheiniu leit,
ez get im an sin houbet, daz sie iu Hünen geseit.«

1945 E die herren gesezzen, daz was harte lanch.


diu Chriemhilde sorge si al ze sere twanc.
si sprach: »herre Dietrich, ich suoches dinen rat,
helfe und genade, min dinch mir angestlichen stat.«
KIRCHGANG UN D HERAUSFORDERUNG ZUM KAMPF 621

1940 wenn ihr jetzt den Spielmann erschlagen hättet. Ich würde euch
alle hängen lassen, das will ich euch sagen. Ich sah recht gut,
wie er ritt, als er den Hunnen erstach, es geschah ohne Absicht,
als sein Pferd strauchelte.

1941 Ihr müßt meine Gäste in Frieden lassen!« Damit gab er ihnen
das Geleit. Die Pferde führte man weg zu den Unterkünften. Sie
hatten viele Knappen, die ihnen mit allem Eifer zu Diensten
standen.

1942 Der Landesherr ging mit seinen Verwandten in den Palas. Er


sorgte dafür, daß der Zorn nicht weiter um sich griff. Dann
deckte man die Tische und brachte ihnen Wasser. Die vom
Rhein hatten nun viele Feinde am Hunnenhof.

1943 Wie sehr Etzel ein solches Gebaren auch verurteilte, so sah man
doch viele bewaffnete Gruppen, von Feindseligkeit gegen die
Gäste bewegt, mit großem Ungestüm auf die Fürsten zudrän­
gen, als sie zu Tisch gingen. Die Hunnen wollten ihren Ver­
wandten rächen, wenn es irgend möglich wäre.

1944 Der Landesherr sagte: »Offenbar speist ihr lieber bewaffnet als
unbewaffnet, das ist eine grobe Ungehörigkeit. Wer immer mei­
nen Gästen hier Leid zufügt, der verliert den Kopf, das sei euch
Hunnen gesagt.«

1945 Es dauerte eine Weile, bis die Herren sich gesetzt hatten. Kriem-
hild bedrückte übermäßige Sorge. Sie sagte: »Herr Dietrich, bei
dir suche ich Rat und gnädige Hilfe, denn ich bin von großer
Angst erfüllt.«
622 31. AVENTIURE

1946 Do sprach fur sinen herren Hildebrant der ellens rich:


»swer sieht die Nibelunge, der tuot ez ane mich,
durch deheines schazzes liebe, ez mag im werden leit,
si sint noch unbetwungen, die snellen degene gemeit.«

1947 Si sprach: »ja hat mir Hagene also vil getan,


er morte Sivriden, den minen lieben man.
der in uz den andern schiede, dem waer min golt bereit,
engultes ander iemen, daz waer mir inneklichen leit.«

1948 Do sprach meister Hildebrant: »wie chunde daz geschehn,


daz man in bi in slüege? ich lieze iuch daz gesehn:
ob man den heit bestüende, sich hüebe liht ein not,
daz arme unde riche dar umbe müesen ligen tot.«

1949 Do sprach in sinen zühten dar zuo her Dietrich:


»die bete la beliben, kuniginne rieh.
mir habent dine mage der leide niht getan,
daz ich die edeln degene mit strite welle bestan.

1950 Diu bet dich luzzel eret, vil edeles fürsten wip,
daz du dinen magen raetest an den lip,
si chomen uf genade her in dizze lant.
Sivrit ist unerrochen von der Dietriches hant.«

1951 Do si an dem Bernaere den willen niht envant,


do lobtes also balde an Bloedelines hant
eine wite marche, die Nuodunch e besaz.
sit do sluog in Danchwart, daz er der gäbe gar vergaz.
KIRCHGANG UND HERAUSFORDERUNG ZUM KA MPF 623

1946 Darauf antwortete, anstelle seines Herrn, der kampfmächtige


Hildebrand: »Wer die Nibelungen angreift, für welchen Lohn
auch immer, der muß ohne mich Vorgehen. Es wird ihm übri­
gens leid tun, denn die gewandten, tüchtigen Kämpfer sind
noch nie besiegt worden.«

1947 Kriemhild sagte dazu: »Aber Hagen hat mir so viel angetan, er
hat Siegfried, meinen lieben Mann, ermordet. Wer Hagen von
den anderen trennt, der bekommt mein Gold. Wenn jemand
anders in Mitleidenschaft gezogen würde, täte mir das herzlich
leid.«

1948 Da erwiderte Meister Hildebrand: »Wie sollte das möglich sein,


daß man ihn inmitten der anderen erschlüge? Ich könnte euch
das vorführen: Wenn man den Helden angriffe, entstünde
schnell ein allgemeiner Kampf, so daß alle, Machtlose und
Mächtige, dabei zu Tode kämen.«

1949 Dazu sagte Herr Dietrich voller Anstand: »Gebt dieses Ansin­
nen auf, mächtige Königin. Mir haben deine Verwandten nichts
zuleide getan, um dessentwillen ich die edlen Kämpfer angrei­
fen sollte.

1950 Die Bitte, deinen Verwandten das Leben zu nehmen, bringt dir
keine Ehre ein, Gemahlin des edlen Fürsten, sie sind im Ver­
trauen auf Gastfreundschaft in dieses Land gekommen. Durch
Dietrichs Hand wird Siegfried nicht gerächt.«

1951 Als sie bei dem Berner auf Ablehnung stieß, da versprach sie
alsbald Blödel ein großes Grenzland, das früher Nudung beses­
sen hatte. Doch später erschlug ihn Dankwart, so daß ihm die
Gabe nichts nützte.
624 31. AV ENTIURE

1952 Si sprach: »du soit mir helfen, herre Bloedelin.


ez sint in disem huse die viande min,
die Sivriden sluogen, den minen lieben man.
der mir daz hilfet rechen, dem bin ih immer undertan.«

1953 Des anwurt ir Bloedel, da er bi ir saz:


»ja ne getarre ich dinen magen geraten cheinen haz,
wände si min bruoder bi im gerne siht,
ob ich si bestüende, der kunec vertrüege mir sin niht.«

1954 »Neyna, herre Bloedel, ich bin dir immer holt,


ja gib ich dir dar umbe min Silber und min golt
und eine schoene ffowen, daz Nuodunges wip,
so mahtu gerne truten den ir vil minneldichen lip.

1955 Daz lant zuo den bürgen soltu haben dir,


vil tiurlicher recke, du soit gelouben mir,
daz ich dich sicherlichen alles des gewer,
daz ich dir hie benennet han, ob du leistes mine ger.«

1956 Do der herre Bloedel die miete vernam,


und daz im durch ir schoene diu frowe wol gezam,
mit strite wander dienen daz minnekliche wip.
dar umbe muosen recken mit im Verliesen den lip.

1957 Er sprach: »man soi geswigen der rede über al.


e man is werde inne, so heb ich einen schal,
ez muoz amen Hagene, swaz er iu hat getan,
oder ich wil dar umbe minen lip verlorn han.«

1958 »Nu wafent iuch«, sprach Bloedel, »alle mine man,


wir suln den vianden in ir herberge gan.
des wil mich niht erlazen daz Ezeln wip.
dar umbe suln wir degene alle wagen den lip.«
KIRCHGANG UND HERAUSFORDERUNG ZUM KAMPF 625

1952 Kriemhild sprach: »Herr Blödel, du mußt mir helfen. Meine


Feinde, die Siegfried, meinen lieben Mann, erschlagen haben,
sind hier im Haus. Dem, der mir das rächen hilft, werde ich im­
mer dankbar sein.«

1953 Darauf antwortete ihr Blödel, nachdem er sich neben sie gesetzt
hatte: »Wirklich, ich wage nicht, deinen Verwandten feindlich
entgegenzutreten, denn mein Bruder Etzel sieht sie gern bei
sich. Wenn ich sie angriffe, würde mir der König das niemals
verzeihen.«

1954 »Nein, Herr Blödel, ich bleibe dir immer gnädig. Ja, ich gebe
dir dafür mein Silber und mein Gold und eine schöne adlige
Frau, Nudungs Witwe, dann kannst du die Liebenswerte um­
armen.

1955 Das ganze Land mit den Burgen sollst du für dich bekommen,
würdiger Recke, du kannst mir glauben, daß ich dir mit Sicher­
heit alles geben werde, was ich dir hier versprochen habe, wenn
du meinen Wunsch erfüllst.«

1956 Als Herr Blödel von dem Lohn hörte und weil ihm die Frau
wegen ihrer Schönheit sehr gefiel, hoffte er, die Liebenswerte
im Kampf zu verdienen. Deshalb mußten viele Recken mit ihm
zusammen sterben.

1957 Er sagte: »Man soll über die Sache Stillschweigen bewahren.


Ehe es jemand merkt, werde ich losschlagen. Hagen muß
büßen, was er euch angetan hat, oder ich will selbst mein Leben
verlieren.«

195« »Nun bewaffnet euch, alle meine Leute«, rief Blödel, »wir wer­
den die Feinde in ihrer Unterkunft angreifen. Etzels Gemahlin
hat mich dazu verpflichtet. Dafür sollen wir Kämpfer alle unser
Leben wagen.«
626 31. AV EN TIURE

1959 Do diu kuniginne Bloedelinen lie


in des strites willen, ze tische si do gie
mit Ezele dem kunige und ouch mit sinen man.
si hete swinde raete an die geste getan.

1960 Wie si ze tische gienge, daz wil ich iu sagen:


man sach da kunige riche chrone vor ir tragen;
vil manigen hohen fürsten und manigen werden degen,
die sah man grozer zuhte vor der kuniginne pflegen.

1961 Der wirt der schuof den gesten den sedel über al,
den hohsten und den besten, zuo zim in den sal.
den christen und den heiden ir spise er underschiet.
man gab genuoc in beiden, als ez der wise kunec beriet.

1962 Ir ander ingesinde zen herbergen azen.


den warn truhsaezen ze dienste lazen.
die muosen ir spise wol ze vlize pflegen.
ir W irtsc h a ft u n d ir f f e u d e w a r t sit m it j a m e r w id e r w e g e n .

1963 Do die fürsten gesezzen warn über al


und nu begunden ezzen, do wart in den sal
getragen zuo den fürsten daz Ezeln kint.
da von der kunec riche gewan vil starchen jamer sint.

1964 Dar giengen an der stunde vier Ezeln man,


si truogen Ortlieben, den jungen kunec, dan
zu der fürsten tische, da ouch Hagene saz.
des muosiz kint ersterben durch sinen mortlichen haz.

1965 Do der kunich riche sinen sun ersach,


zuo sinen chonemagen er güetliche sprach:
»nu seht ir, friunde mine, daz ist min einech suon
und ouch iwer swester. der magiu noh vil dienste tuon.
KIRCHGANG UND HERAUSFORDERUNG ZUM KAMPF 627

1959 Nachdem die Königin Blödel in Kampfbereitschaft versetzt


hatte, ging sie mit König Etzel und seinen Leuten zu Tisch. Sie
hatte zu einem hinterhältigen Anschlag gegen die Gäste gera­
ten.

1960 Wie es an der Tafel aussah, will ich euch erzählen: Man sah dort
mächtige Könige mit einer Krone auf dem Haupt; zahlreiche
vornehme Fürsten und viele würdige Kämpfer bewegten sich
mit großem Anstand vor der Königin.

1961 Der Landesherr sorgte dafür, daß seine vornehmsten und höch­
sten Gäste überall bei ihm im Saal Platz fanden. Christen und
Heiden ließ er unterschiedliche Speisen auftragen. Beiden gab
man reichlich, wie es der kluge König vorgesehen hatte.

1962 Das übrige Gefolge wurde in den Unterkünften bewirtet.


Truchsesse standen zu ihren Diensten. Die versorgten sie eifrig
mit Speise. Ihre Freude beim Gastmahl wurde später mit Leid
vollkommen aufgewogen.

1963 Als die Fürsten sich alle gesetzt und zu essen begonnen hatten,
wurde Etzels Sohn zu ihnen in den Saal getragen. Daraus ent­
stand für den mächtigen König bald großes Leid.

1964 Vier Männer Etzels kamen und brachten Ortlieb, den jungen
König, zum Tisch der Fürsten, wo auch Hagen saß. Durch
dessen tödlichen Haß mußte das Kind später sterben.

1965 Sobald der mächtige König seinen Sohn erblickte, sagte er


freundlich zu den Verwandten seiner Frau: »Nun seht, liebe
Freunde, dies ist mein einziger Sohn und das Kind eurer
Schwester. Der kann euch noch gute Dienste leisten.
628 31. AVENTI URE

1966 Gevaehter nach dem chunne, er wirt ein küene man,


rich und ouch vil edele, starch und wolgetan.
leb ich deheine wile, ich gib im drizzech lant.
so magiu wol gedienen des jungen Ortliebes hant.

1967 Dar umbe ich bite gerne iuch, lieben friunde min:
swenne ir ze lande widere ritet an den Rin,
so suit ir mit iu fueren den iwern swester suon,
und suit ouch an dem kinde vil genaedekliche tuon.

1968 Ziehet in zen eren, unz er werde ze man.


hat iu in den landen iemen iht getan,
daz hilfet er iu rechen, daz habt uf minen lip.«
die rede hört ouch Chriemhilt, des kunec Ezeln wip.

1969 »Im solden wol getrowen dise degene,


gewüehser zeinem manne«, so sprach Hagene,
»doch ist der kunec junge so veicklich getan,
man soi mich sehen selten ze hove nach Ortliebe gan.«

1970 Der kunich Hagenen an blichte; im was diu rede leit.


swie niht dar umbe en redete der fürste vil gemeit,
ez betrüebte im sin herce und beswart im den muot.
do was der Hagenen wille niht ze kurcewile guot.

1971 Ez tet den fürsten allen mit dem kunige we,


daz Hagen von sime kinde het gesprochen e.
daz siz versizzen solden, daz was in ungemach.
sine wessen niht der maere waz von dem recken sit geschach.

1972 Gnuoge di ez horten und im doch warn gram, .


in heten gerne bestanden, ouch het der kunec alsam,
getorster von sinen eren, so waer ers chomen in not.
sit tet im Hagene mere, er sluögen vor sinen ougen tot.
KIRCHGANG UND HERAUSFORDERUNG ZUM KAMPF 629

1966 Wenn er nach seinen Verwandten gerät, wird er ein tapferer


Mann, mächtig und sehr edel, stark und schön. Sollte ich noch
eine Weile am Leben bleiben, gebe ich ihm dreißig Länder.
Dann kann euch der junge Ortlieb zu Diensten stehen.

1967 Darum bitte ich euch inständig, meine lieben Freunde: Wenn
ihr wieder zurück in euer Land an den Rhein reitet, sollt ihr den
Sohn eurer Schwester mitnehmen und dem Kind eure Gunst
erweisen.

1968 Erzieht ihn ehrenvoll, bis er erwachsen ist. Wenn euch irgend
jemand im Land etwas antun sollte, so wird er euch helfen, das
zu rächen, bei meinem Leben.« Diese Rede hatte auch Kriem-
hild, des Königs Gemahlin, gehört.

1969 »Ihm könnten diese Kämpfer sicher vertrauen, wenn er zum


Mann heranwüchse«, sagte Hagen darauf, »doch ist der junge
König so vom Tode gezeichnet, daß man mich kaum jemals an
Ortliebs Hof sehen wird.«

1970 Der König blickte Hagen an; die Rede verletzte ihn. Obwohl der
edle Fürst kein Wort darüber verlor, war sein Herz tief getrof­
fen, und seine Gedanken wurden betrübt. Aber auch Hagen
stand der Sinn nicht nach angenehmer Unterhaltung.

1971 Was Hagen soeben über das Kind gesagt hatte, war für alle Für­
sten wie für den König eine Beleidigung. Es fiel ihnen schwer,
das einfach hinzunehmen. Noch ahnten sie nicht, was der
Recke später tun würde.

1972 Viele, die es gehört hatten und die erbost über ihn waren, hät­
ten Hagen gern angegriffen, genauso wie der König selbst. Seine
Ehre hielt ihn aber zurück, sonst wäre es zum Kampf gekom­
men. Später tat ihm Hagen ein noch größeres Leid an, er tötete
das Kind vor seinen Augen.
3 2 . A V EN T IU R E
A V EN T IU R E W IE BLO ED EL M IT D A N C H W A R T
AN D ER H E R B E R G E S T R E IT

1973 Die Bloedeiines recken die warn alle gar.


mit tusent halspergen huoben si sich dar,
da Danchwart mit den knehten ob den tischen saz.
do huop sich under degenen mort und nitlicher haz.

1974 Also der herre Bloedel für die tische gie,


Danchwart, der marschalch, in güetlich enpfie:
»willechomen her ze huse, min her Bloedelin.
waz iwer reise meine, des wundert gar die sinne min.«

1975 »Jane darftu mih niht grüezen«, sprach do Bloedelin,


»wan dizze chomen daz mine daz sol din ende sin.
durch Hagenen, dinen bruoder, der Sivriden sluoc,
des engiltestu zen Hünen und ander degene genuoc.«

1976 »Neina, herre Bloedel«, sprach do Danchwart,


»so möhte uns balde riwen disiu hovevart.
ich was ein vil kleiner kneht, do Sivrit vlos den lip.
jane weiz ich, waz mir wizet des kunec Ezeln wip.«

1977 »Jane weiz ich dir der maere nimer ze sagene.


ez taten dine mage, Gunther und Hagene.
nu wert iuch vil eilenden, ir chunnet niht genesen,
ir müezet mit dem tode pfant daz Chriemhilde wesen.«
3 2 . A V EN T IU R E
W IE BLÖDEL M IT D A NK W ART VOR DER H ER B ER G E
K Ä M PFT E

1973 Blödels Recken waren allesamt kampfbereit. Tausend Mann


zogen in ihren Rüstungen dorthin, wo Dankwart mit den
Knappen zu Tisch saß. Dann nahmen zwischen den Kämpfern
feindlicher Haß und Mord ihren Gang.

1974 Als Herr Blödel vor die Tische trat, empfing ihn Dankwart, der
Marschall, freundlich: »Willkommen hier im Hause, mein Herr
Blödel. Daß ihr uns besucht, erstaunt mich doch sehr.«

1975 »Wahrlich, du brauchst mich nicht zu grüßen«, sagte Blödel,


»denn mein Kommen bedeutet dein Ende. Daß dein Bruder
Hagen Siegfried erschlagen hat, dafür müssen du und viele an­
dere Kämpfer hier bei den Hunnen büßen.«

1976 »Nein, Herr Blödel«, sagte Dankwart, »sonst könnte uns diese
Hofreise jetzt leid tun. Ich war noch ein ganz junger Knappe,
als Siegfried das Leben verlor. Ich weiß wirklich nicht, was mir
König Etzels Gemahlin vorwirft.«

1977 »Ja, darüber kann ich dir auch nicht mehr sagen. Deine Ver­
wandten, Gunther und Hagen, haben die Tat begangen. Nun
wehrt euch, ihr Fremden, ihr könnt nicht mit dem Leben
davonkommen. Euer Tod muß das Pfand für Kriemhild sein.«
632 32. AVEN TIURE

1978 »So enwelt ir niht erwinden?« sprach do Danchwart.


»so riwet mich min vlehen, daz waere baz verspart.«
der snelle degen chüene von dem tische spranch,
er zoch ein scharpfez wafen, daz was michel unde lanch.

1979 Do sluoger Bloedeline einen swinden swertes slac,


daz imz houbet mit helme vor den füezen lac.
»daz si din morgengabe«, sprach Danchwart der heit,
»zuo Nuodunges brute, die du ze freuden hast erwelt.

1980 Si mac sich morgen mähelen einem andern man.


wil er die brutemiete, ez mac im sam ergan.«
ein getriwer Hüne het im daz geseit,
daz in diu kuniginne riet so groezlichiu leit.

1981 Do sahen Bloedelines man, ir herre lac erslagen,


daz enwolden si den gesten langer niht vertragen,
mit uf erburten swerten si Sprüngen fur diu kint
in eime grimme muote. ja gerowez si sint.

1982 Vil lute rief der marschalch al die knappen an:


»ir seht wol, edeln knehte, wie ez wil umbe gan.
nu wert iuch eilenden, als iuch des twinget not,
daz ir frumechliche ane schände liget tot.«

1983 Die swerte niht enheten, die reichten fur die banch,
si huoben uz den fiiezen vil manigen schamel lanch.
der Buregonden knehte in wolden niht vertragen.
da wart von swaeren stüelen durch helme biulen vil geslagen.
DER ÜBERFALL AUF DIE KNAPPEN 633

1978 »So wollt ihr nicht aufgeben?« fragte Dankwart. »Dann tut es
mir leid, daß ich euch überhaupt gebeten habe, das hätte ich
besser unterlassen.« Der gewandte, tapfere Kämpfer sprang
vom Tisch auf und zog ein scharfes Schwert, das groß und lang
war.

1979 Dann versetzte er Blödel einen so heftigen Schlag, daß ihm der
Kopf mitsamt dem Helm vor die Füße fiel. »Das soll deine
Morgengabe sein für Nudungs Braut, auf die du dich gefreut
hast«, sagte Dankwart, der Held.

1980 »Sie kann sich morgen mit einem anderen Mann vermählen.
Wenn der auf die gleiche Mitgift aus ist, wird es ihm ebenso er­
gehen.« Von einem aufrichtigen Hunnen hatte Dankwart erfah­
ren, daß die Königin Blödel zu der hinterhältigen Tat angestiftet
hatte.

1981 Sobald Blödels Leute sahen, daß ihr Herr erschlagen dalag,
wollten sie das den Gästen keinen Augenblick länger hingehen
lassen. Mit erhobenen Schwertern sprangen sie grimmig auf die
Knappen los. Das mußten sie später bereuen.

1982 Ganz laut rief der Marschall allen jungen Männern zu: »Ihr seht
wohl, edle Knappen, wie es enden wird. Nun wehrt euch, auch
wenn ihr Gäste aus einem fremden Land seid, denn die Not
zwingt euch dazu, damit ihr tapfer und ohne Schande sterbt.«

1983 Die kein Schwert hatten, griffen unter die Tische und hoben
viele lange Schemel an den Stuhlbeinen hoch. Die Knappen der
Burgunden wollten sich nun nichts mehr von den Gegnern
gefallen lassen. Mit schweren Stühlen schlugen sie durch die
Helme hindurch so manche Beule.
634 32. AVENTI URE

1984 Wie grimme sich do werten diu eilenden kint!


si triben uzem huse die gewafenden sint,
doch beleih ir tot dar inne fünf hundert oder baz.
do was daz ingesinde von bluote rot unde naz.

1985 Disiu starchen maere wurden dan geseit


den Ezeln recken, ez was in grimme leit,
daz erslagen waere der herre und sine man.
daz het der Hagen bruoder mit den knehten getan.

1986 E manz ze hove erfunde, die Hünen durch ir haz


der garte sich zwei tusent oder dannoch baz.
si giengen zuo den knehten, daz muos et also wesen,
und liezen des gesindes ninder einen genesen.

1987 Do die vil ungetriwen drungen in daz gadem,


do huop sich zwischen den recken vil ungefuoger kradem.
waz half ir baldez eilen? si muosen ligen tot.
dar nach in churcen stunden huop sich engestlichiu not.

1988 Hie mugt ir hoeren wunder bi unfuoge sagen:


niwan tusent knehte die lagen tot erslagen,
dar über ritter zwelfe der Danchwartes man.
man sach in alterseine noch bi den vianden stan.

1989 Der schal der was geswiftet, der doz der was gelegen,
do blichte über ahsel Danchwart der degen,
er sprach: »owe der ffiunde, die ich verlorn han!
nu muoz ich leider eine bi minen vianden stan.«
DER ÜBERFALL AUF DIE KNAPPEN 635

1984 Wie heftig setzten sich die fremden Knappen zur Wehr! Sie trie­
ben die Bewaffneten schließlich sogar ganz aus dem Haus, doch
blieben fünfhundert oder mehr von ihnen drinnen tot liegen.
Nun war das Gefolge der Burgunden vom Blut rot und naß.

1985 Die schreckliche Nachricht wurde dann Etzels Recken über­


bracht. Es traf sie schwer, daß Herr Blödel und seine Leute
erschlagen waren. Das hatte Hagens Bruder mit den Knappen
getan.

1986 Ehe man aber am Hof davon erfuhr, rüsteten sich zweitausend
oder noch mehr Hunnen, von Feindschaft getrieben. Sie eilten
zu den Knappen, das war unabwendbar, und sie ließen vom
Gefolge der Burgunden nicht einen am Leben.

1987 Als die Treulosen in das Gebäude eindrangen, entstand unter


den Recken wildes Getöse. Was half ihnen ihre Kampfkraft? Sie
mußten doch alle sterben. Kurze Zeit danach entbrannte ein
fürchterlicher Kampf.

1988 Hört nun von einem unglaublichen Frevel: Neuntausend


Knappen lagen erschlagen da, außerdem zwölf Ritter von
Dankwarts Leuten. Nur noch ihn selbst sah man den Feinden
gegenüberstehen.

1989 Der Kampflärm war verstummt, das Getöse hatte sich gelegt.
Da blickte Dankwart, der Kämpfer, über seine Schulter zurück
und sagte: »O weh, wie viele Freunde habe ich verloren! Jetzt
muß ich Leidgeprüfter ganz allein gegen meine Feinde kämp­
fen.«
636 32. AVENTI URE

1990 Diu swert genote vielen uf sin eines lip.


daz muose sit beweinen vil maniges heldes wip.
den schilt er ruchte hoher, den vezzel nider baz.
do frumt er vil der ringe mit bluote vliezende naz.

1991 »Owe mir dirre leide«, sprach Adrians kint,


»nu wichent, Hünen recken, ir lat mich an den wint,
daz der luft erchüele mih sturmemüeden man.«
do begunder an ir willen in strite gegen der türe gan.

1992 Der heit in grozem zorne zuo dem huse spranch.


waz iteniwer swerte uf sime libe erchlanch!
die niht gesehen heten, waz Wunders tet sin hant,
die muosen da beliben von dem uz Burgonden lant.

1993 »Nu wolde got«, sprach Danchwart, »mohte ich den boten han,
der minen bruoder Hagenen chunde wizzen lan,
daz ich vor disen recken sten in solher not,
er hülfe mir von hinnen, oder er gelege bi mir tot.«

1994 Do sprachen Hünen recken: »der bote muostu sin!


so wir dich tragen toten fur den bruoder din,
so siht im erste leide der Gunthers man.
du hast dem kunege Ezelen so grozen schaden hie getan.«

1995 »Nu lat die dro beliben und stet uf hoher baz!
ja getuon ich eteslichem noch die ringe naz.
nu wer mirz, swer der welle, ich wil ze hove gan,
und wil selbe disiu maere minen herren wizzen lan.«
DER ÜBERFALL AUF DIE KN APPEN 637

1990 Die Schwerter schlugen unablässig auf ihn ein. Das mußten
später die Frauen so mancher Helden beweinen. Den Schild
rückte er höher, indem er den Griftfiemen weiter nach unten
zog. Dann kämpfte er so, daß von vielen Rüstungen Blut her­
abfloß.

1991 »Weh über dieses Leid«, rief Adrians Sohn, »nun weicht zurück,
hunnische Recken, laßt mich ins Freie, damit die Luft mich
kampfmüden Mann erfrischen kann.« Dann drang er gegen
ihren Willen kämpfend zur Tür vor.

1992 Von großem Zorn erfüllt sprang der Held aus dem Haus. Wie
viele neue Schwerter schlugen wiederum auf ihn einl Diejeni­
gen, die noch nicht gesehen hatten, welche Wundertaten seine
Hand vollbracht hatte, mußten jetzt durch den Burgunden
fallen.

1993 »Bei Gott«, sagte Dankwart, »hätte ich einen Boten, der mei­
nem Bruder Hagen mitteilen könnte, daß ich vor diesen Recken
in solcher Bedrängnis bin, so würde er mir hier heraushelfen,
oder er käme mit mir um.«

1994 Da antworteten die hunnischen Recken: »Du mußt dein eige­


ner Bote sein! Wenn wir dich tot zu deinem Bruder hintragen,
dann trifft diesen Lehnsmann Gunthers zum ersten Mal selbst
Leid. Du hast König Etzel hier große Verluste zugefügt.«

1995 »Laßt jetzt die Drohungen und tretet lieber beiseite! Ja, ich
werde noch einigen die Ringpanzer blutig schlagen. Wer kann,
der halte mich auf, ich will zum Hof gehen und selbst meinen
Herrn wissen lassen, was geschehen ist.«
638 32. AV ENTIURE

1996 Er leidete sich so sere den Ezeln man,


daz si in mit den swerten nu torsten niht bestan.
do schuzzen si der gere so vil in sinen rant,
daz er in durch die swaere muose lazen von der hant.

1997 Si wanden in betwingen, do er niht Schildes truoc.


hey, waz er tiefer wunden sit durch helme sluoc!
des muose vor im struchen vil manic küener man.
darumbe lop vil grozen der chüene Danchwart gewan.

1998 Ze beiden sinen siten si im Sprüngen zuo.


ja chom ir eteslicher in den strit ze fruo.
er gie vor sinen vienden alsam ein eberswin
ze walde tuot vor hunden. wie möhter küener gesin?

1999 Sin vart diu wart erniwet von heizem bluote naz.
jane chunde ein einer recke gestriten nimmer baz
mit also vil der viende, denner hete getan.
do muosen si in lazen ane ir danc ze hove gan.

2000 Truhsaezzen unde schenchen die horten swerte chlanc.


vil maniger do daz trinchen von der hende swanch
und sumeliche spise, die man ze hove truoc.
do chom im vor der stiegen der starchen viende genuoc.

2001 »Wie nu, ir guoten knehte?« sprach der müede degen.


»ja soldet ir der geste güetliche pflegen,
und soldet nu den herren die edeln spise tragen,
und liezet mich diu maere ze hove minen herren sagen.«

2002 Swelher durch sin eilen im für die stiegen spranch,


der sluoger eteslichem so swaeren swertes swanc,
daz si durch die vorhte uf hoher muosen stan.
ja het sin starchez eilen vil maniges ende getan.
DER ÜBERFALL AUF DIE KN APPEN 639

1996 Er schüchterte Etzels Leute so sehr ein, daß sie ihn nicht mit
den Schwertern anzugreifen wagten. Aber sie schossen so viele
Speere in seinen Schild, daß er ihn wegen des großen Gewichts
aus der Hand fallenlassen mußte.

1997 Als er den Schild nicht mehr trug, glaubten sie, ihn bezwingen
zu können. Doch wie viele tiefe Wunden schlug er nun durch
ihre Helme! Zahlreiche tapfere Männer brachen vor ihm zu­
sammen. Dadurch erwarb sich der tapfere Dankwart großen
Ruhm.

1998 Von beiden Seiten sprangen ihn die Feinde an. Ja, einige von
ihnen griffen zu früh in den Kampf ein. Er lief vor seinen
Gegnern her wie ein wilder Eber im Wald vor den Hunden.
Wie hätte er tapferer sein können?

1999 Seine Fährte wurde immer wieder naß von heißem Blut. Wirk­
lich, niemals vermochte ein einzelner Recke besser gegen so
viele Feinde zu kämpfen, wie er es getan hat. Schließlich m uß­
ten sie ihn gegen ihren Willen zum Hof ziehen lassen.

200 0 Truchsesse und Mundschenke hörten den Klang der Schwerter.


Viele ließen die Getränke und Speisen, die sie bei Hof auftragen
wollten, aus der Hand fallen. Dann traten Dankwart vor der
Treppe viele starke Feinde entgegen.

2001 »Was nun, ihr guten Leute?« fragte der erschöpfte Kämpfer. »Ihr
solltet doch die Gäste freundlich bewirten und jetzt den Herren
die köstlichen Speisen auftragen, mich hingegen laßt am Hof
meinen Herren sagen, was geschehen ist.«

2002 Jedem, der sich ihm in Kampfeifer auf der Treppe entgegen­
stellte, versetzte er einen kräftigen Schwerthieb, bis alle aus
Furcht den Weg räumten. Wahrlich, durch seine große Tapfer­
keit brachte er vielen ihr Ende.
640 32. AVENTIURE

2003 Also der chüene Danchwart under die türe getrat,


daz Ezeln gesinde er hoher wichen bat.
mit bluote berunnen was allez sin gewant.
ein vil starchez wafen daz truoger bloz an siner hant.

2004 Ez was reht in der wile, do Danchwart chom für die tür,
daz man Ortlieben truoc wider unde für
von tische ze tischen, den fürsten wol geborn.
von disen starchen maeren wart daz kindelin verlorn.
DER ÜBERFALL AUF DIE KNAPPEN 641

2003 Als der kühne Dankwart in der Tür erschien, forderte er Etzels
Dienerschaft auf zurückzutreten. Seine ganze Rüstung war von
Blut überströmt. In der Hand hielt er ein starkes, blankes
Schwert.

2004 Gerade in diesem Augenblick, als Dankwart zur Tür herein­


kam, trug man Ortlieb bei den wohlgeborenen Fürsten von
Tisch zu Tisch hin und her. Die schrecklichen Nachrichten be­
deuteten für das kleine Kind den Tod.
33- A V EN T IU R E
A V EN T IU R E W IE D A N C H W A R T D IU M A ER ZE H OVE
S IN E N H E R R E N B R A H T

2005 Vil lute rief do Danchwart eime degene:


»ir sizzet al ze lange, bruoder Hagene.
iu und got von himele chlage ich unser not:
ritter unde knehte sint in der herberge tot.«

2006 Er rief im engegene: »wer hat daz getan?«


»daz hat der herre Bloedel unde sine man.
ouch hat ers niht genozzen, daz wil ich iu sagen:
ich han im sin houbet mit minen handen abe geslagen.«

2007 »Daz ist ein schade kleine«, sprach aber Hagene,


»swa man solhiu maere saget von degene,
ob er von recken handen verliuset sinen lip.
in suln deste ringer klagen waetlichiu wip.

2008 Nu saget mir, lieber bruoder, wie sit ir so rot?


ich waen, ir von wunden lidet groze not.
ist er inder inme lande, derz iu hat getan,
in erner der übel tiufel, ez muoz im an sin leben gan.«

2009 »Ir seht mich wol gesunden, min wat ist bluotes naz,
von ander mannen wunden ist mir geschehn daz,
der ich also manigen hiute han erslahen,
ob ich des swern solde, ine chundez nimmer gesagen.«
33- A V EN T IU R E
W IE D A NK W AR T S EIN E N H E R R E N AM H O F
B E S C H E ID GAB

2005 Durchdringend rief Dankwart einem Kämpfer zu: »Bruder


Hagen, ihr sitzt hier schon viel zu lange. Euch und Gott im
Himmel klage ich unsere Not: Ritter und Knappen sind in ihrer
Unterkunft getötet worden.«

20 0 6 Hagen rief ihm entgegen: »Wer hat das getan?« »Herr Blödel
und seine Leute. Doch kann er den Lohn nicht genießen, das
will ich euch sagen: Ich habe ihm eigenhändig den Kopf abge­
schlagen.«

2007 »Das schadet dem Ruf eines Kämpfers nicht«, erwiderte Hagen,
»wenn man von ihm erzählt, er habe sein Leben durch die
Hand eines wahren Recken verloren. Ihn werden die schönen
Frauen um so weniger beklagen.

2008 Nun sagt mir, lieber Bruder, warum seid ihr so blutüberströmt?
Mir scheint, eure Wunden sind sehr schmerzhaft. Wenn derje­
nige noch hier ist, der euch das angetan hat, so muß er sterben,
es sei denn, der Teufel beschützt ihn.«

2009 »Ihr seht mich unversehrt, nur meine Rüstung ist blutig, aber
von den Wunden anderer Männer, von denen ich heute so viele
erschlagen habe, daß ich ihre Zahl selbst dann nicht nennen
könnte, wenn ich sie beschwören müßte.«
644 33- AVEN TIURE

2010 Er sprach: »bruoder Danchwart, so hüetet uns der tür


und enlat der Hünen einen chomen niht derfür.
ich wil reden mit den recken, des uns nu dwinget not.
unser ingesinde lit unverdienet hie tot.«

2011 »Sol ich sin kameraere«, sprach do der küene man,


»also riehen kunegen ich wol gedienen chan.
so hüet ich der stiegen nach den eren min.«
den Chriemhilde degenen chunde leider niht gesin.

2012 »Mich nimt des michel wunder«, sprach do Hagene,


»waz nu die Hiunen runen in disem gademe.
si, waen, des lihte enbem, der an der tür dort stat
und ouch diu hovemaere gesaget den Burgonden hat.

2013 Ich han gehört vil lange von Chriemhilde sagen,


daz si ir hercenleide wolde niht vertragen.
nu trinchen wir die minne und gelten skuniges win.
der junge vogt der Hünen der muoz hie der erste sin.«

2014 Do sluoc daz kint Ortlieben Hagen der heit guot,


daz im an dem swerte zer hende vloz daz bluot
unt daz des kindes houbet spranch Chriemhilt in ir schoz.
do huop sich under degenen ein mort vil grimmech unde groz.

2015 Ouch sluoger den magetzogen einen swinden slac


mit beiden sinen handen, der Ortliebes pflac,
daz im daz houbet schiere vor tischen nider lac.
ez was ein jaemerlicher Ion, den er dem magtzogen wac.

2016 Er sach vor Ezeln tische einen spileman.


Hagen in sime zorne gahen dar began;
er sluog im uf der videlen ab die einen hant:
»daz habe der boteschefte in der Burgonden lant.«
DER KAMPF IM SAAL 645

2010 Hagen rief: »Bruder Dankwart, bewacht für uns die Tür und
laßt keinen von den Hunnen hinaus. Ich will mit den Recken
reden, wie es die Notlage erfordert. Unsere Knappen sind
grundlos erschlagen worden.«

2011 »Wenn ich Türhüter sein soll«, sprach der tapfere Mann, »kann
ich so mächtigen Königen gut dienen. Bei meiner Ehre, ich be­
wache die Treppe.« Den Kämpfern Kriemhilds konnte nichts
Schlimmeres passieren.

2012 »Ich wundere mich sehr«, meinte Hagen dann, »was die Hun­
nen hier im Raum heimlich miteinander flüstern. Ich glaube,
sie wollen den, der dort an der Tür steht und den Burgunden
die Nachricht aus der Herberge gebracht hat, gern loswerden.

2013 Ich habe schon lange über Kriemhild sagen hören, daß sie ihr
Herzeleid nicht verwinden kann. Nun wollen wir zum Totenge­
dächtnis trinken und den Wein des Königs zum Opfer darbrin­
gen. Der junge Herr der Hunnen kommt als erster dran.«

2014 Dann erschlug Hagen, der tüchtige Held, den jungen Ortlieb,
so daß ihm das Blut von dem Schwert auf die Hand herabfloß
und der Kopf des Kindes in Kriemhilds Schoß flog. Darauf
brach unter den Kämpfern ein schreckliches, ungeheures Mor­
den aus.

2015 Auch dem Erzieher, der sich um Ortlieb gekümmert hatte, ver­
setzte er mit beiden Händen einen heftigen Schlag, daß der
Kopf sogleich vor dem Tisch niederfiel. Es war ein kläglicher
Lohn, den er dem Erzieher zahlte.

2016 Vor Etzels Tafel sah Hagen einen Spielmann. Voller Zorn eilte er
dorthin und schlug ihm auf der Fiedel eine Hand ab: »Das ist
für die Einladung, die du ins Burgundenland gebracht hast.«
646 33- AV ENTIURE

2017 »Owe mir«, sprach Wärbel, der Ezeln spileman,


»her Hagen von Tronege, waz het ich iu getan?
ich kom uf groze triwe in iwer herren lant.
wie chlenche ich nu die doene, sit ih nu verlorn han die hant?«

2018 Hagenen ahte ringe, gevidelter nimmer mer.


do frumt er in dem huse diu werch grimmen ser
an den Ezelen recken, der er so manigen sluoc.
er braht ir in dem gademe zuo dem tode genuoc.

2019 Volker, sin geselle, von dem tische spranch.


sin videlboge im lute an siner hende erchlanc.
do videlte ungefüege der kunige spileman.
hey, waz er im ze vienden der chüenen Hünen gewan!

2020 Do Sprüngen von den tischen die drie kunige her.


si woldenz gerne scheiden, e des schaden wurde mer.
sine chundenz mit ir sinnen do niht understan,
do Volker unde Hagene so sere wüeten began.

2021 Do sach der vogt von Rine ungescheiden den strit,


do sluoc der fürste selbe vil manige wunden wit
durch die liehten ringe den vianden sin.
er was ein heit zen handen, daz wart da grozlichen schin.

2022 Do chom ouch zuo dem strite der starche Gernot.


ja frumt er den Hünen vil manigen heit tot
mit dem scharpfen swerte, daz im gap Rüedeger.
den Ezeln magen frumter diu grozlichen ser.

2023 Der junge sun froun Uoten zuo dem strite spranch.
sin wafen herrenliche durch die helme erchlanc
den Ezeln recken uzer Hünen lant.
da tet vil michel wunder diu Giselheres hant.
DER KA MPF IM SAAL 647

2017 »O weh«, rief Wärbel, Etzels Spielmann, »Herr Hagen von


Tronje, was habe ich euch getan? Ich kam ganz aufrichtig in das
Land eurer Herren. Wie bringe ich nun die Töne zum Klingen,
da ich meine Hand verloren habe?«

2018 Hagen war es egal, daß er nicht mehr fiedeln konnte. Er fügte
vielen von Etzels Recken lebensgefährliche, schmerzende Wun­
den zu, als er auf sie einschlug. In dem Saal fand eine große
Menge durch ihn den Tod.

2019 Sein Gefährte Volker sprang vom Tisch auf. Der Fiedelbogen
in seiner Hand brachte laute Töne hervor. Der Spielmann der
Könige fiedelte ungestüm. O, wie viele kühne Hunnen machte
er sich zu Feinden!

2020 Dann sprangen auch die drei erhabenen Könige von der Tafel
auf. Sie wollten den Kampf gern beenden, bevor der Schaden
noch größer wurde. Doch mit ihrer Besonnenheit konnten sie
nichts mehr ausrichten, nachdem Volker und Hagen so sehr zu
wüten angefangen hatten.

2021 Als der Herr vom Rhein sah, daß sich der Kampf nicht mehr
aufhalten ließ, da schlug der Fürst selbst seinen Feinden durch
die hellen Ringpanzer zahllose tiefe Wunden. Es wurde offen­
bar, daß er ein schlaggewandter Held war.

2022 Nun griff auch der starke Gernot in den Kampf ein. Er tötete
viele hunnische Helden mit seinem scharfen Schwert, das ihm
Rüdiger geschenkt hatte. Den Verwandten Etzels fügte er große
Schmerzen zu.

2023 Der junge Sohn von Frau Ute stürmte ebenfalls zum Kampf.
Sein herrliches Schwert durchschlug klingend die Helme der
Recken Etzels aus dem Hunnenland. Giselher vollbrachte wahre
Wundertaten.
648 33- AVEN TIURE

2024 Swie frum si alle waeren, die kunige und ouch ir man,
doch sah man Giselhere ze vorderest stan
bi den vianden. er was ein helt guot,
er schuof da mit den wunden vil manigen nider in daz bluot.

2025 Ouch werten sich vil sere die Ezeln man.


do sah man die geste howende gan
mit den liehten swerten durch des kuniges sal.
do hört man allenthalben von strite grozlichen schal.

2026 Do wolden die dar uzen mit friunden sin dar in.
si namen an der stiegen vil kleinen gewin.
do wolden si dar inné vil gerne fur die tür.
done lie der portenaere ir deheinen dar für.

2027 Do huop sich in der porte vil grozer gedranc,


und ouch von den swerten uf helme luter klanc.
des chom der küene Danchwart in vil starche not.
daz bedahte Hagene, als im sin triwe gebot.

2028 Vil lute rief do Hagene Völkern an:


»seht ir dort, geselle, minen bruoder stan
vor hunischen recken under starchen siegen?
friunt, nert mir den bruoder, e wir vliesen den degen.«

2029 »Daz tuon ich sicherlichen«, sprach der man.


er begunde vil videlende durch den palas gan.
ein scharpfez swert im dicke an siner hende erchlanc.
die recken bi dem Rine sagten im des grozen danch.

2030 Volker der vil chüene zuo Danchwarte sprach:


»ir habt erbten hiute grozen ungemach.
mich bat iwer bruoder durch helfe zuo ziu gan.
welt ir nu sit dar uze, so wil ich inrethalben stan.«
DER KA MPF IM SAAL 649

2024 Obwohl alle, die Könige und ihre Kämpfer, tüchtig waren, sah
man Giselher in vorderster Reihe den Feinden gegenüberste­
hen. Er war ein ausgezeichneter Held, und er verwundete viele,
die dann in ihr Blut niederstürzten.

2025 Auch Etzels Leute wehrten sich heftig. Man sah, wie sich die
Gäste mit ihren glänzenden Schwertern um sich schlagend
durch den Saal des Königs bewegten. Überall hörte man
schrecklichen Kampflärm.

2026 Da wollten diejenigen, die draußen standen, drinnen bei ihren


Freunden sein. Sie hatten an der Treppe wenig Erfolg. Die drin­
nen im Saal waren, wollten gern vor die Tür. Doch der Pförtner
Dankwart ließ keinen von ihnen durch.

2027 An der Tür entstand ein dichtes Gedränge, und von den
Schwertschlägen erklangen die Helme laut. Dadurch kam der
tapfere Dankwart in große Gefahr. Diese wollte Hagen abwen­
den, wie es ihm seine Treue gebot.

2028 Ganz laut rief Hagen Volker zu: »Gefährte, seht ihr dort meinen
Bruder stehen, wie er von den starken Schlägen der hunnischen
Recken in die Enge getrieben wird? Freund, rettet meinen Bru­
der, sonst verlieren wir den Kämpfer.«

2029 »Das tue ich gewiß«, antwortete Volker. Er bewegte sich gleich­
sam fiedelnd durch den Palas. Doch was immer wieder in sei­
ner Hand erklang war ein scharfes Schwert. Die Recken vom
Rhein dankten ihm dafür sehr.

2030 Der tapfere Volker sagte zu Dankwart: »Ihr habt heute großes
Leid erfahren. Euer Bruder hat mich gebeten, euch zu Hilfe
zu kommen. Wenn ihr nun draußen bleiben wollt, werde ich
drinnen stehen.«
650 33- AVEN TIURE

2031 Danchwart der vil snelle stuont uzerhalp der tür,


do wert er in die stiegen, swaz ir chom der für.
des hört man waffen hellen an der helede hant.
sam tet ouch inrethalben Volker von Buregonden lant.

2032 Der chüene videlaere rief zuo dem degene:


»daz hus ist wol beslozen, friunt Hagene,
ez ist also verschranchet diu Ezeln tür.
von zweier recken handen da gent wol tusent rigel für.«

2033 Do der starche Hagene die tür so sach behuot,


den schilt warf do zerucke der chüene degen guot.
do erst begunder rechen siner friunde leit.
sines Zornes muose engelten vil manic ritter gemeit.

2034 Do der voget von Berne daz wunder reht ersach,


daz Hagene der starche so manigen heim brach,
der kunic der Amelunge spranch uf einen banch,
er sprach: »hie schenchet Hagene daz aller wirsiste tranch.«

2035 Der wirt het groze sorge, sin wip diu het alsam,
waz man im lieber friunde vor sinen ougen nam!
wander von sinen vinden vil chume da genas.
er saz vil angestliche. waz half in, daz er kunec was?

2036 Chriemhilt diu frowe rief Dietrichen an:


»nu hilf mir von dem sedele, ritter, von in dan
durch aller fürsten tugende uz Amelunge lant.
und erreichet mich dort Hagene, ich han den tot an der hant.«

2037 »Wie soi ich iu gehelfen«, sprach do Dietrich,


»vil edeliu kuneginne? nu sorge ich umbe mich,
ez sint so sere erzürnet die Guntheres man,
daz ich an disen eiten gevriden niemen enchan.«
DER KAMPF IM SAAL 651

2031 Der gewandte Dankwart stand draußen vor der Tür, dort
wehrte er auf der Treppe alle ab, die heraufkamen. Davon hörte
man die Waffen in der Hand der Helden klingen. Das gleiche
tat Volker aus dem Burgundenland drinnen.

2032 Der tapfere Fiedler rief zu dem Kämpfer hinüber: »Das Haus ist
gut verschlossen, Freund Hagen, Etzels Tür ist fest versperrt.
Von den Händen zweier Recken liegen tausend Riegel davor.«

2033 Als der starke Hagen die Tür derart bewacht sah, warf der
kühne Kämpfer seinen Schild auf den Rücken. Dann rächte er
das Leid seiner Freunde. Viele tüchtige Ritter bekamen seinen
Zorn zu spüren.

2034 Sobald der Herr von Bern die bewundernswerten Schläge sah,
mit denen der starke Hagen so viele Helme zerschlug, sprang
der König der Amelungen auf eine Bank und rief: »Hier
schenkt Hagen den allerschrecklichsten Trank aus.«

2035 Der Landesherr und seine Frau waren in großer Sorge. Wie
viele liebe Freunde hatte man ihm vor seinen Augen umge­
bracht! Außerdem konnte er sich selbst vor seinen Feinden
kaum retten. Er saß voller Angst da. Was half es ihm, daß er
König war?

2036 Kriemhild, die Herrin, rief Dietrich zu: »Nun hilf mir, Ritter,
bei der Tugend aller Fürsten aus dem Amelungenland, daß ich
von meinem Platz vor ihnen entkomme. Wenn Hagen mich
hier erreicht, ist mir der Tod gewiß.«

2037 »Wie soll ich euch helfen, edle Königin?« fragte Dietrich. »Ich
bin um mich selbst in Sorge. Gunthers Leute sind derart er­
zürnt, daß zu diesem Zeitpunkt niemand Frieden stiften kann.«
652 33- AV ENTIURE

2038 »Neina, herre Dietrich, vil edel ritter guot,


laza hiute schinen den tugentlichen muot,
daz du mir helfest hinnen, oder ich belibe tot.
nu hilf mir und dem kunige uz dirre angestlicher not!«

2039 »Daz wil ich versuochen, ob ich iu helfen chan;


wände ich in langen eiten niht gesehn han
so pitterlich erzürnet manigen ritter guot.
ja sihe ich durch die helme von swerten vliezen daz bluot.«

2040 Mit chraft begunde ruofen der degen uz erchorn,


daz im sin stimme erlute alsam ein wisentshorn
und daz der palas wite von siner chraft erdoz.
diu sterche Dietriches was vil unmaezliche groz.

2041 Do gehörte Gunther ruofen disen man.


in dem starchen sturme losen er began,
er sprach: »Dietriches stimme ist in min ore chomen.
ich waen, im unser degene haben etewen hie benomen.

2042 Ich sihe in uf dem tische, er winchet mit der hant.


ir friunt unde mage von Burgonden lant,
gehabt uf des strites, lat hoeren unde sehn,
waz hie Dietriche von uns ze schaden si geschehn.«

2043 Do der kunic Gunther bat und ouch gebot,


si habten uf mit swerten in des sturmes not.
daz was gewalt vil grozer, daz do niemen streit,
do reiten mit ein ander die küenen recken gemeit.

2044 Er sprach: »vil edel Dietrich, waz ist iu hie getan


von den minen magen? willen ich des han,
suone unde buoze bin ich iu bereit.
swaz iu iemen taete, daz waer mir inneklichen leit.«
DER KAMPF IM SAAL 653

2038 »Nein, Herr Dietrich, edler, tüchtiger Ritter, beweise mir heute
deine vorbildliche Treue, indem du mich von hier fortbringst,
sonst muß ich sterben. Hilf mir und dem König aus dieser be­
drängenden Not!«

2039 »Ich will versuchen, ob ich euch helfen kann; doch seit langem
habe ich nicht derart viele Ritter in so fürchterlichem Zorn
erlebt. Wahrhaftig, ich sehe unter ihren Schwertschlägen das
Blut aus den Helmen herabfließen.«

2040 Mit großer Anstrengung fing der auserwählte Kämpfer laut an


zu rufen, so daß seine Stimme wie ein Wisenthorn ertönte und
der weite Palas von seiner Stimmgewalt erzitterte. Dietrichs
Stärke war unermeßlich groß.

2041 Auch Gunther hörte den Mann rufen. Mitten im heftigen


Kampfgetümmel horchte er auf und sagte: »Dietrichs Stimme
ist an mein Ohr gedrungen. Ich glaube, unsere Kämpfer haben
ihm einen von seinen Leuten genommen.

2042 Ich sehe ihn auf dem Tisch stehen, er winkt mit der Hand. Ihr
Freunde und Verwandte aus dem Burgundenland, haltet ein im
Kampf und laßt uns hören, was für ein Schaden Dietrich hier
von uns angetan wurde.«

2043 Als König Gunther dies erbeten und auch befohlen hatte, ließen
sie die Schwerter im Kampfgedränge sinken. Es zeugte von
großer Selbstbeherrschung, daß einen Augenblick lang nie­
mand kämpfte. Die kühnen, tüchtigen Recken sprachen m it­
einander.

2044 Gunther sagte: »Edler Dietrich, was haben euch meine Ver­
wandten hier angetan? Ich bin entschlossen, euch bereitwillig
Sühne und Buße zu leisten. Wenn euch irgend jemand Leid
zugefügt hat, bedaure ich das von Herzen.«
654 33- AVENTI URE

2045 Do sprach der herre Dietrich: »mir ist noch niht getan,
des ich schaden deheinen von iu muge han,
wan lat mih von dem strite mit dem gesinde min.
daz wil ich umbe iuch degene immer dienende sin.«

2046 »Wie vleget ir so sere?« sprach do Wolfhart.


»jane hat der videlaere die tür nie so verspart,
wir entsliezen si so wite, daz wir dar fure gan.«
»nu swiget«, sprach her Dietrich, »ir habt den tiufel getan!«

2047 Do sprach der kunic Gunther: »erlouben ich iu wil.


füeret uz dem huse luzzil oder vil,
ane mine vinde, die suln hie bestan.
si habent mir zen Hünen leides vil getan.«

2048 Der herre von Berne under einen arm besloz


die edeln kuniginne, der angest diu was groz;
do fuort er anderthalben Ezeln mit im dan.
ouch giengen mit im dannen sehs hundert siner chüener man.

2049 Do sprach der marcgrave, der edel Rüedeger:


»sol aber uzem huse iemen chomen mer,
die iu doch dienen gerne, daz lazet uns vernemen.
so sol ouch fride der staete guoten friunden immer zemen.«

2050 Des antwurte Giselher sime sweher zehant:


»vride unde suone si iu von uns bêchant,
sit ir sit triwen staete, beide ir und iwer man
suit gemeinliche mit iwern friunden hinnen gan.«

2051 Do der marcgrave gerumte den sal,


fünf hundert unde mere im volgten zetal,
die stiegen von dem huse. daz warn sine man,
von den der kunec Gunther vil grozen schaden sit gewan.
DER KAMPF IM SAAL 655

2045 Da antwortete Herr Dietrich: »Mir ist bisher noch nichts ange­
tan worden, wodurch ich von eurer Seite irgendeinen Schaden
erlitten hätte, doch zieht mich und mein Gefolge nicht in den
Streit mit hinein. Dafür werde ich euch Kämpfern immer dank­
bar sein.«

2046 »Warum fleht ihr so sehr?« sagte da Wolfhart. »Der Fiedler hat
die Tür schließlich nicht derart versperrt, daß wir sie nicht weit
genug öffnen könnten, um hinauszugehen.« »Schweigt jetzt«,
sprach Dietrich, »ihr werdet den Teufel tun.«

2047 Darauf rief König Gunther: »Ich will es euch gestatten. Führt so
viele aus dem Haus heraus, wie ihr wollt, nur nicht meine
Feinde, die sollen hierbleiben. Sie haben mir hier im Hunnen­
land zu viel Leid angetan.«

2048 Mit einem Arm umschloß der Herr von Bern die edle Königin,
deren Angst groß war; auf seiner anderen Seite führte er Etzel
mit sich fort. Außerdem zogen sechshundert seiner tapferen
Männer mit ihm hinaus.

2049 Gleich danach rief der Markgraf Rüdiger: »Wenn aber von
denen, die euch gewogen sind, sonst noch jemand das Haus
verlassen darf, sagt uns Bescheid. Für gute Freunde ist es ange­
messen, beständigen Frieden zu gewähren.«

2050 Darauf antwortete Giselher seinem Schwiegervater sogleich:


»Euch gewähren wir Frieden und Freundschaft. Da ihr uns in
steter Treue verbunden seid, könnt ihr und eure Leute gemein­
sam mit euren Freunden hinausgehen.«

2051 Mit dem Markgrafen verließen mehr als fünfhundert Ritter den
Saal und stiegen die Treppe hinab. Es waren Rüdigers Leute, die
König Gunther später schweren Schaden zufügten.
656 33- AV EN TIURE

2052 Do sach ein Hünen recke Ezelen gan


bidem Bernaere, genozzen wolders han.
dem gap der videlaere einen swern slac,
daz im vor Ezeln ftiezen daz houbet schiere gelac.

2053 Do der wirt des landes chom von dem huse dan,
do cherte er sich hin widere und sach Volkeren an:
»owe mir dirre geste! daz ist ein grimmiu not,
daz alle mine friunde suln vor in ligen tot.

2054 Ach we der hochgecite«, sprach der kunec her.


»da vihtet einer inne, der heizet Volker,
alsam ein eber wilde, und ist ein spileman.
ich danches mime heile, daz ich dem valande entran.

2055 Sine leyche lutent ubele, sine züge die sint rot.
ja vellent sine doene vil manigen heit tot.
ine weiz niht, waz uns wize der selbe spileman,
wan ich gast neheinen nie so leiden gewan.«

2056 Zir herbergen giengen die recken also her,


der herre von Berne und ouch Rüedeger.
sine wolden mit dem strite niht ze schaffen han,
und gebuten ouch ir degenen, daz sis mit fride solden lan.

2057 Und heten si getrowet alsolher swaere,


daz in diu von in beiden so chunftich waere,
sine waern von dem huse niht so sanfte chomen.
si heten eine stroufe an den vil chüenen e genomen.

2058 Si heten, die si wolden, lazen uz dem sal.


do huop sich inrethalben ein grozlicher schal,
die geste sere rachen, daz in e geschach.
Volker der vil chüene, hey, waz er liehter helme brach!
DER KAMPF IM SAAL 657

2052 Als ein hunnischer Recke König Etzel neben dem Berner gehen
sah, wollte er die Gelegenheit für sich nutzen. Dem aber ver­
setzte der Fiedler einen so heftigen Schlag, daß sein Kopf als­
bald vor Etzels Füße fiel.

2053 Nachdem der Landesherr aus dem Haus herausgelangt war,


drehte er sich um, sah Volker an und sagte: »Weh über diese
Gäste! Es ist ein schreckliches Leid, daß alle meine Freunde von
ihnen getötet werden.

2054 Ach, welch ein furchtbares Fest«, fügte der erhabene König
hinzu. »Dort drinnen kämpft einer wie ein wilder Eber, der
heißt Volker und ist ein Spielmann. Ich danke meinem Ge­
schick, daß ich diesem Teufel entkommen bin.

2055 Seine Lieder klingen schrecklich, seine Bogenstriche sind blut­


rot. Seine Töne bringen viele Helden um. Ich weiß nicht, was
uns der Spielmann vorwirft, denn einen so fürchterlichen Gast
habe ich noch nie gehabt.«

2056 Die vornehmen Recken, der Herr von Bern und Rüdiger, gin­
gen zu ihren Unterkünften. Sie wollten mit dem Streit nichts
zu tun haben, und sie geboten auch ihren Kämpfern, Frieden
zu halten.

2057 Hätten die Burgunden geahnt, welches Leid ihnen die beiden
später antun würden, dann wären sie nicht so friedlich aus dem
Palas herausgekommen. Sie hätten die beiden Kühnen dann
schon früher angegriffen.

2058 Die Burgunden hatten alle, denen sie es zugestanden, aus dem
Saal hinausgelassen. Dann erhob sich drinnen mächtiger
Kampflärm. Die Gäste nahmen entsetzlich Rache für das, was
ihnen vorher angetan worden war. Ach, wie viele glänzende
Helme zerschlug der tapfere Volker!
658 33- AVENTIURE

2059 Sich cherte gein dem schalle Gunther der kunec her:
»hört ir die doene, Hagene, die dort Volker
mit den Hünen videlet, swer gegen der tür gat?
ez ist ein roter anstrich, den er zem videlbogen hat.«

2060 »Mich riwet ane maze«, sprach do Hagene,


»daz ich vor Volkere ie gesaz dem degene.
ich was sin geselle und ouch er der min,
und chom wir immer widere, daz suln wir noch mit triwen sin

2061 Nu schowe, kunec Gunther, Volker ist dir holt,


er dienet willechliche din Silber und din golt.
sin videlboge im snidet durch den herten stal.
er brichet uf den helmen diu liehten schinende mal.

2062 Man gesach nie videlaere so herlichen stan,


also der degen Volker hiute hat getan.
die sinen leyche hellent durch heim und durch den rant,
ja soi er riten guotiu ros und tragen herlich gewant.«

2063 Swaz der Hünen mage in dem huse was gewesen,


der enwas nu deheiner dar inne genesen.
des was der schal geswiftet, daz niemen mit in streit,
diu swert von handen legeten die küenen degene gemeit.

2064 Die herren nach ir müede gesazen do zetal.


Volker und Hagene die giengen für den sal.
sich leinten uf die Schilde die ubermuoten man.
da wart rede genuoge von in beiden getan.

2065 Do sprach von Burgonden Giselher der degen:


»jane mügt ir lieben friunde niht ruowe noch gepflegen:
ir suit die toten liute uz dem huse tragen.
wir werden noch bestanden, ich wilz iu waerliche sagen.«
D E R K A M P F IM SAAL 659

20 5 9 Günther, der erhabene König, wandte sich dem Kampfgetöse


zu: »Hagen, hört ihr die Töne, die Volker dort für die Hunnen
spielt, und zwar für jeden, der sich der Tür nähert? Blutrot ist
der Strich seines Fiedelbogens.«

20 6 0 »Es tut mir maßlos leid«, sagte Hagen darauf, »daß ich jemals
an der Tafel weiter vorn gesessen habe als Volker. Ich war sein
Gefährte und er der meine, und sollten wir je wieder nach
Hause zurückkehren, werden wir immer in Treue verbunden
bleiben.

2061 Nun sieh, König Gunther, Völker ist dir treu ergeben. Er leistet
bereitwillig Dienste für dein Silber und dein Gold. Sein Fiedel­
bogen schneidet durch harten Stahl. Er zerschlägt auf den
Helmen den glänzenden Zierat.

206 2 Noch nie hat sich ein Fiedler so herrlich bewährt wie heute der
Kämpfer Volker. Seine Lieder klingen durch Helm und Schild.
Wirklich, er sollte gute Pferde reiten und prächtige Gewänder
tragen.«

2063 Wie viele Hunnen auch in dem Saal gewesen waren, keiner von
ihnen kam mit dem Leben davon. Der Lärm war verklungen,
weil niemand übrig war, um mit ihnen zu kämpfen. Die küh­
nen, tüchtigen Männer legten die Schwerter aus der Hand.

2064 Ermattet setzten sich die Herren nieder. Volker und Hagen
traten vor den Saal. Die selbstbewußten Männer lehnten sich
auf ihre Schilde. Beide hatten genug miteinander zu reden.

2065 Da mahnte Giselher, der Kämpfer aus dem Burgundenland:


»Liebe Freunde, ihr könnt euch wirklich noch nicht ausruhen:
Ihr müßt die Toten aus dem Saal tragen. Wir werden noch wei­
ter angegriffen, das kann ich euch sicher Voraussagen.«
660 33- AVEN TIURE

2066 »So wol mich solhes herren!« sprach do Hagene.


»der rat enzaeme niemen wan eime degene,
den uns min junger herre hiute hat getan.
des mugt ir Burgonden alle vroeliche stan.«

2067 Do volgeten si dem kinde, und truogen für die tür


wol zwei tusent toten würfen si derfür,
vor des sales stiegen vielen si zetal.
do huop sich von ir magen ein vil klagelicher schal.

2068 Ez was ir etelicher so maezliche wunt,


der sin mit helfe pflaege, er wurde noch gesunt,
der von dem hohem valle muose ligen tot.
die klagten do ir friunde, des twanch si jamerhaftiu not.

2069 Do sprach der videlaere, ein recke vil gemeit:


»nu chiuse ich des die wareheit, als man mir hat geseit,
die Hünen sint vil boese. si chlagent sam diu wip,
nu solden si beruochen der vil sere wunder lip.«

2070 Do wände ein marcgrave, er reit ez durch guot.


er sach einen sinen mach gevallen in daz bluot,
er besloz in mit den armen und wolde in tragen dan,
den schoz ob im ze tode der vil chüene spileman.

2071 Do dandern daz gesahen, diu fluht huop sich von dan.
si begunden alle fluochen dem selben spileman.
noh huob er under fiiezen einen ger vil hart,
der von eime Hünen in daz hus geschozzen wart.

2072 Den schoz er do hin widere durch die burch dan


mit siner chraft so verre, den Ezelen man
gaber herberge uf hoher von dem sal.
daz sin vil starchez eilen die liute vorhten über al.
D E R K A M P E IM SAAL 661

2066 »Was habe ich für einen Herrn!« sprach Hagen da. »Der Rat,
den uns mein junger Herr soeben gegeben hat, paßt nur zu
einem wahren Kämpfer. Darüber könnt ihr Burgunden alle
froh sein.«

2067 Sie befolgten den Rat des jungen Königs, trugen etwa zweitau­
send Tote vor die Tür und warfen sie hinaus, so daß sie die
Treppe, die zum Saal führte, hinabfielen. Da erhoben ihre Ver­
wandten ein lautes Wehklagen.

2068 Manch einer war so leicht verwundet, daß er mit Pflege noch
gesund geworden wäre, doch durch den Sturz aus großer Höhe
mußte er sterben. Bewegt durch tiefes Leid, beklagten ihre
Freunde die Toten.

2069 Zu ihnen sprach der Fiedler, ein tüchtiger Recke: »Nun erkenne
ich, daß es die Wahrheit war, als man mir gesagt hat, die Hun­
nen seien schwach. Sie jammern wie die Frauen, statt sich lieber
um die Schwerverwundeten zu kümmern.«

2070 Da glaubte ein Markgraf, Volker hätte das wohlmeinend gesagt.


Er sah einen seiner Verwandten im Blut liegen, nahm ihn in
seine Arme und wollte ihn forttragen, doch der kühne Spiel­
mann schoß ihn über dem Verwundeten nieder.

2071 Als die anderen das sahen, ergriffen sie die Flucht. Sie verfluch­
ten alle den Spielmann. Dieser hob einen scharfen Speer vom
Boden auf, welcher von einem Hunnen in das Haus geworfen
worden war.

2072 Den schleuderte er mit großer Kraft durch den Burghof wieder
zurück. Etzels Leute schlugen daraufhin weiter entfernt von
dem Saal ihr Lager auf. Überall fürchteten sie Volkers unge­
heure Stärke.
662 33- AV EN TIURE

2073 Do stunden vor dem huse Ezel und sine man.


Volker unde Hagene reden do began
mit der Hünen kunige ir willen unde muot.
des chomen sit in sorgen die helede chüen unde guot.

2074 »Ez zaeme so«, sprach Hagene, »vil wol volches trost,
daz die herren vaehten zaller vorderost,
also der kunec Gunther unde Gernot hie tuot.
die howent durch die helme, nach swerten vliuzet daz bluot.«

2075 Ezele was so chüene, er vazzete sinen schilt.


»nu vart gewärliche«, sprach min frou Chriemhilt,
»und bietet ir den recken daz golt über rant;
wan erreichet iuch dort Hagene, ir habt den tot an der hant.«

2076 Done wolde der kunec here des strites erwinden niht,
daz von so riehen fürsten selten nu geschiht.
man muos in bi dem vezzil wider ziehen dan.
Hagene der grimme sin spotten aber began.

2077 »Ez was ein nahiu sippe«, sprach do Hagene,


»die Sivrit und Ezele heten zesamene!
er minnete Chriemhilt, e si ie gesaehe dich,
kunic vil boese, warumbe raetest an mich?«

2078 Dise rede horte wol des kuniges wip.


des wart vil unmuotes der Chriemhilde lip,
daz er si torste schelten vor Ezelen man.
dar umbe si aber raten an die geste began.

2079 Si sprach: »der mir von Tronegen Hagenen slüege


unde mir sin houbet ze gibe trüege,
dem fuit ich rotes goldes den Ezeln rant,
ouch gaeb ich im ze miete vil guote burge unde lant.«
D E R K A M P F IM SAAL 663

2073 Vor dem Haus standen Etzel und seine Leute. Volker und
Hagen sagten dem König der Hunnen offen, was sie von ihm
hielten. Das brachte die kühnen und tüchtigen Helden später in
Bedrängnis.

2074 Hagen rief: »Für den Schutzherrn eines Volkes gehört es sich, in
vorderster Reihe zu kämpfen, so wie es König Gunther und
Gernot hier tun. Sie durchschlagen die Helme, und Blut fließt
an ihren Schwertern herab.«

2075 Etzel war durchaus tapfer, er griff nach seinem Schild. »Nehmt
euch in acht«, sagte Frau Kriemhild, »bietet lieber euren Recken
Schilde voller Gold zum Lohn; denn wenn Hagen euch trifft,
ist euch der Tod gewiß.«

2076 Aber der erhabene König wollte nicht davon ablassen, in den
Kampf einzugreifen, was bei so mächtigen Fürsten heute nur
noch selten vorkommt. Man mußte ihn am Schildriemen
zurückhalten. Der grimmige Hagen begann abermals, ihn zu
verspotten.

2077 »Es war offenbar eine nahe Verwandtschaft«, rief Hagen, »die
Siegfried und Etzel verband! Er liebte Kriemhild, bevor sie dich
je gesehen hatte. Boshafter König, warum richtet sich deine
Feindschaft ausgerechnet gegen mich?«

2078 Diese Rede hörte die Gemahlin des Königs genau. Kriemhild
geriet in Wut, weil Hagen es gewagt hatte, sie vor Etzels Leuten
zu beleidigen. Deshalb schmiedete sie neue feindliche Pläne
gegen die Gäste.

2079 »Wer Hagen von Tronje für mich erschlägt«, sagte sie, »und mir
seinen Kopf als Geschenk bringt, dem würde ich Etzels Schild
mit rotem Gold füllen, außerdem gäbe ich ihm viele prächtige
Burgen und Länder zum Lohn.«
664 33- A V E N T I U R E

208 0 »Nune weiz ich, wes si bitent«, sprach der spileman.


»ine gesach nie helde mere so zageliche stan,
da man horte bieten so rehte riehen soit.
si mohten gerne dienen die burge und ouch daz rote golt.«

2081 Ezele der vil riche hete jamer unde not.


er klagte pitterliche mage unde manne tot.
da stuont von manigen landen vil recken gemeit,
die weinten mit dem kunige siniu chreftigen leit.

2082 Des begunde spotten der küene Volker:


»ich sihe hie sere weinen vil manigen recken her.
si gestent ir herren ubele in siner starchen not,
ja ezzent si mit schänden nu vil lange hie sin brot.«

2083 Do gedahten in die besten: »er hat uns war geseit.«


doch enwas ez da niemen so hercenliche leit
als ouch Iringe, dem helede uz Tendant.
daz man in churcen eiten mit der wareheite wol bevant.
D E R K A M P F IM SAAL 665

208 0 »Nun weiß ich nicht, worauf sie warten«, rief der Spielmann.
»Noch nie habe ich Helden so feige herumstehen sehen, wo sie
so reichen Lohn versprochen bekamen. Sie könnten sich doch
die Burgen und das rote Gold verdienen.«

2081 Den mächtigen Etzel bedrückten Trauer und Schmerz. Bitter


beklagte er den Tod seiner Verwandten und seiner Leute. Viele
tüchtige Recken aus mancherlei Ländern standen bei ihm und
beweinten zusammen mit dem König sein schweres Leid.

2082 Darüber spottete der tapfere Volker: »Ich sehe hier viele vor­
nehme Kämpfer eine Menge Tränen vergießen. Sie stehen
ihrem Herrn in seiner großen Not schlecht bei. Wahrlich, sie
essen hier schon viel zu lange in Schande sein Brot.«

2083 Da dachten die Besten von ihnen: »Es ist wahr, was er über
uns sagt.« Doch war es für niemanden so schmerzlich wie für
Iring, den Helden aus Dänemark. Das offenbarte sich in kurzer
Zeit.
AVENTIURE
34-
AVENTIURE WIE IRINCH MIT HAGENEN STREIT
UND WIE IM SIT AN IM GELANCH

2084 Do rief von Tenemarche der marcgrave Irinch:


»ich han uf ere lazen nu lange miniu dinch
und han in volches stürmen des besten vil getan.
nu brinch mir min gewaefen. ja wil ich Hagenen bestan.«

2085 »Daz wil ich widerraten«, sprach do Hagene,


»so gewinnent iwer mage mer ze klagene.
gespringent iwer zwene oder dri zuo mir her in,
ist daz si min erbitent, si scheident schedeliche hin.«

2086 »Darumbe ihz niht enlaze«, sprach aber Irinch.


»ich han ouch e versuochet sam sorchlichiu dinc.
ja wil ich mit dem swerte aleine dich bestan,
ob du mit strite hetest mer danne iemen getan.«

2087 Do wart gewafent Irinch nach ritterlichem sit,


alsam wart von Durigen der lantgrave Irnfrit
und Hawart der starche, wol mit tusent man.
swes Irinch begunde, si woldens alle im gestan.

2088 Do sach der videlaere eine groze schar,


die mit Iringe gewafent chomen dar.
si truogen uf gebunden vil manigen heim guot.
des wart der chüene Volker ein teil vil zornic gemuot.
3 4 - AVENTIURE
WIE IRING GEGEN HAGEN KÄMPFTE UND WIE DIESER
DANN ERFOLG HATTE

2084 Markgraf Iring von Dänemark rief: »Ich habe schon seit lan­
gem nach dem Grundsatz der Ehre gehandelt und in Völker­
schlachten Bestes vollbracht. Nun bring mir meine Waffen. Ich
will gegen Hagen kämpfen.«

2085 »Davon rate ich ab«, antwortete Hagen darauf, »sonst bekom­
men eure Verwandten noch mehr Grund zum Klagen. Selbst
wenn zwei oder drei euresgleichen zu mir herstürmten und
mich als Gegner erwarteten, würden sie elend umkommen.«

2086 »Trotzdem gebe ich meine Absicht nicht auf«, erwiderte Iring.
»Ich habe auch schon früher in ähnÜch gefährlichen Lagen
standgehalten. Ja, mit dem Schwert will ich allein gegen dich
antreten, auch wenn du im Kampf mehr als jeder andere gelei­
stet hast.«

2087 Da wurde Iring nach ritterlichem Brauch bewaffnet, ebenso der


Landgraf Irnfried von Thüringen und der starke Hawart mit
etwa tausend Mann. Alle wollten Iring in seinem Vorhaben bei­
stehen.

2088 Dann sah der Fiedler eine große Schar gerüstet mit Iring her­
ankommen. Sie alle hatten feste Helme aufgesetzt. Darüber
geriet der tapfere Volker in Zorn.
668 34- A V E N T I U R E

2089 Er sprach: »seht ir, Hagene, dort Iringen gan,


der iuch hie mit dem swerte lobt eine bestan?
wie zimt helede lugene? ich wil unprisen daz.
ez gent mit im gewafent wol tusent recken oder baz.«

2090 »Nu heizet mich niht liegen«, sprach Hawartes man.


»ich wil ez leisten gerne, swaz ich gelobet han.
durch deheine vorhte wil ihs abe gan.
wie vreislich nu si Hagene, ich wil in eine bestan.«

2091 Ze fuozen bot sich Irinch magenundman,


daz si in eine liezen den recken bestan.
daz taten sie ungerne, wan in was wol bekant
der ubermuote Hagene uzer Burgonden lant.

2092 Doch bat er si so lange, daz ez sit geschach.


do daz ingesinde den willen sin ersach,
daz er warp nach eren, do liezen si in gan.
do wart ein grimmez striten von in beiden da getan.

2093 Irinch der vil starche hohe erburt den ger,


den schilt er fur sich züchte, der tiur degen her
do lief uz zuo Hagene vaste fur den sal.
do huop sich von den degenen ein vil grozlicher schal.

2094 Do schuzzen si die gere mit chreften von der hant


durch die vil vesten Schilde uf liehtez ir gewant,
daz die gerstangen vil hohe draeten dan.
do griffen zuo den swerten die vil grimme chüenen man.

2095 Des starchen Hagenen eilen was in unmazen groz.


ouch sluog uf in Irinch, daz al diu burch erdoz.
palas unde türne erhullen nach ir siegen.
done chunde niht verenden des sinen willen der degen.
IRINGS KAMPF UN D TOD 669

2089 Er rief: »Hagen, seht ihr dort Iring kommen, der sich vorge­
nommen hatte, allein mit dem Schwert gegen euch anzutreten?
Gehört es sich etwa für einen Helden zu lügen? Das ist eine
Schande. Mit ihm kommen über tausend Recken.«

2090 »Nun macht mich nicht zum Lügner«, erwiderte Hawarts


Lehnsmann. »Ich will bereitwillig ausführen, was ich gelobt
habe. Niemals würde ich aus Furcht aufgeben. Wie gefährlich
Hagen auch sein mag, ich werde allein gegen ihn kämpfen.«

2091 Iring bat seine Verwandten und seine Leute auf Knien, ihn
allein gegen den Kämpfer antreten zu lassen. Das taten sie
ungern, denn sie kannten den verwegenen Hagen aus dem Bur-
gundenland ganz genau.

2092 Doch Iring bat so lange, bis sie schließlich einwilligten. Als das
Gefolge verstanden hatte, daß es ihm um seine Ehre ging,
ließen sie ihn ziehen. Dann begann ein heftiger Kampf zwi­
schen den beiden.

2093 Der starke Iring hob den Speer in die Höhe, den Schild hielt
der tapfere, vortreffliche Kämpfer vor sich. Er lief Hagen bis
dicht vor den Saal entgegen. Der Kampf zwischen den Helden
begann mit mächtigem Lärm.

2094 Sie stießen kraftvoll ihre Speere durch die festen Schilde bis auf
die glänzenden Rüstungen, so daß die Speerschäfte hoch über
ihnen wegflogen. Dann griffen die grimmigen, mutigen Män­
ner zu ihren Schwertern.

20 9 5 Der Kampfeifer des starken Hagen war übermäßig groß. Doch


auch Iring schlug auf ihn ein, so daß die ganze Burg davon
erdröhnte. Im Palas und in den Türmen hallten die Schläge
wider. Aber sein Ziel konnte der Kämpfer nicht erreichen.
670 34- AV ENTIURE

2096 Irinch lie do Hagenen unverwundet stan,


zuo dem videlaere gahen er began.
er wände, in solde twingen mit den grimmen siegen,
sich chunde wol beschirmen der vil zierliche degen.

2097 Do sluoc der videlaere, daz über Schildes rant


draete daz gespenge von Volkers hant.
den liez er do beliben, er was ein übel man.
er lief den kunic Gunther da von Buregonden an.

2098 Do was ir ietwedere ze strite starch genuoc.


swaz Gunther unde Irinch uf ein ander sluoc,
daz enbrahte niht von wunden daz vliezende bluot.
daz behuote ir gewaefen, daz was veste unde guot.

2099 Günthern er lie beliben, Gernoten lief er an.


daz fiur uzen ringen er howen im began,
do hete von Buregonden der starche Gernot
den chüenen Iringin vil nach gesendet in den tot.

210 0 Do spranger von dem fürsten, snel er was genuoc,


der Burgonden viere der heit vil schiere sluoc
des edeln ingesindes von Wormez über Rin.
done chunde Giselhere zorner nimmer gesin.

2101 »Gote weiz, her Irinch«, sprach Giselher daz kint,


»ir müezet mir die gelten, die veige vor iu sint
gelegen hie ze stunden.« do lief er in an,
er sluoc den Tenemarche, daz er struchen began.

2102 Er schoz vor sinen füezen nider in daz bluot,


daz si alle wolden waenen, daz der heit guot
ze strite nimmer mere geslüege cheinen slac.
Irinch noch ane wunden hie vor Giselhere lac.
IRINGS KA MPF UND TOD 671

2096 Iring ließ Hagen stehen, ohne ihn verwundet zu haben, und
eilte zu dem Fiedler. Er glaubte, ihn könnte er mit heftigen
Schwertschlägen überwinden. Doch der stattliche Kämpfer ver­
stand sich gut zu schützen.

2097 Da schlug der Fiedler seinerseits so heftig zu, daß sich von sei­
nem Schlag die Metallspangen über den Schildrand drehten.
Von ihm ließ Iring ebenfalls ab, denn Volker war ein schreck­
licher Mann. Nun griff er König Gunther an.

2098 Beide waren stark im Kampf. Wie sehr Gunther und Iring
auch aufeinander einschlugen, sie brachten sich keine blutigen
Wunden bei. Das verhinderten ihre Rüstungen, die fest und gut
waren.

2099 Iring ließ auch Gunther stehen und griff statt dessen Gernot an.
Er schlug Funken aus den Panzerringen hervor. Beinahe hätte
der starke Gernot den tapferen Iring in den Tod geschickt.

2100 Doch dieser sprang, gewandt wie er war, vor dem Fürsten zur
Seite, und alsbald erschlug der Held vier Burgunden aus dem
edlen Gefolge von Worms am Rhein. Niemals war Giselher zor­
niger gewesen.

2101 »Weiß Gott, Herr Iring«, rief der junge Giselher, »jetzt müßt ihr
für die büßen, die ihr hier in diesem Augenblick getötet habt.«
Dann stürmte er auf ihn los und schlug den Dänen derart, daß
er zu schwanken begann.

2102 Er stürzte vor Giselhers Füßen nieder in das Blut, so daß alle
glaubten, der Held könnte im Kampf nie mehr einen Schwert­
schlag ausführen. Aber noch lag Iring unverwundet hier vor
Giselher.
672 34- AV ENTIURE

2103 Von des helmes doze und von des swertes chlanc
waren sine wizze worden also chranc,
daz sich der degen Irinch des lebenes niht versan.
daz het mit siner sterche der chüene Giselher getan.

2104 Do im begunde wichen von houbte der doz


von heim und ouch von swerte, der was gewesen groz,
er dahte: »ih bin noch lebnde, min lip ist ninder wunt.
nu ist mir aller erste daz eilen Giselhers kunt.«

2105 Do horter beidenhalben die viande stan.


heten siz gewisset, im waere mer getan,
ouch het er Giselhere da bi im vemomen,
er dahte, wie er solde mit dem libe dannen chomen.

2106 Wie rehte tobeliche er uzem bluote spranch.


der siner snelheite er mohte haben danch,
do lief er uzem huse, da er aber Hagenen vant,
und sluog im siege swinde mit siner ellenthafter hant.

2107 Do gedaht ouch Hagene: »du soit der mine wesen.


dich enner der übel tiufel, du enchanst nu niht genesen.«
doch wundet Irinch Hagenen durch sinen helmhuot.
daz tet der heit mit Wasechen, daz was ein wafen also guot.

2108 Do der grimme Hagene der wunden enpfant,


do erwäget im ungefüege daz swert an siner hant.
al da muose im entwichen der Hawartes man.
zetal von dem huse Hagen volgen im began.

2109 Irinch über houbet den schilt vil balde swanc.


und waer diu selbe stiege drier stiegen lanch,
done liez in Hagene slahen deheinen slac.
hey, waz roter vanchen ob sime helme gelac!
IRINGS KAMPF UND TOD 673

2103 Vom Dröhnen des Helms und vom Klirren des Schwertes wa­
ren seine Sinne so betäubt, daß der Kämpfer Iring das Bewußt­
sein verlor. Das hatte der tapfere Giselher durch seine Stärke
erreicht.

2104 Als die Betäubung, die der Schwertschlag auf seinen Helm be­
wirkt hatte, allmählich aus seinem Kopf wich, dachte er: »Ich
bin noch am Leben, mein Körper ist nirgends verwundet. Nun
habe ich zum ersten Mal Giselhers Kraft kennengelernt.«

2105 Er hörte, daß zu beiden Seiten die Feinde standen. Hätten sie
bemerkt, daß er nur betäubt war, dann hätten sie ihn getötet.
Auch Giselher hörte er neben sich, und er überlegte, wie er mit
dem Leben davonkommen könnte.

2106 Wie ein Rasender sprang er aus dem Blut auf. Dank seiner
Schnelligkeit lief er aus dem Haus, traf dort aber wiederum auf
Hagen und versetzte ihm mit starker Hand gefährliche Schläge.

2107 Nun dachte Hagen seinerseits: »Du gehörst mir. Wenn dich der
böse Teufel nicht rettet, kannst du nicht mit dem Leben davon­
kommen.« Doch Iring verwundete Hagen durch seinen Helm
hindurch. Der Held hatte mit Waske zugeschlagen, das war ein
wirklich gutes Schwert.

2108 Als der finstere Hagen die Wunde spürte, zuckte das Schwert in
seiner Hand schrecklich. Sofort mußte Hawarts Lehnsmann
vor ihm fliehen. Hagen verfolgte ihn vom Saal auf die Treppen­
stufen.

2109 Iring schwang schnell den Schild über seinen Kopf. Und wäre
die Treppe noch dreimal so lang gewesen, Hagen hätte Iring
keinen einzigen Schlag mehr ausführen lassen. Ach, wie viele
feurige Funken stoben aus seinem Helm!
674 34- AV EN TIURE

2110 Do sahen sine friunde Iringen noch gesunt.


do wurden disiu maere Chriemhilde chunt,
waz er dem von Tronege mit strite hete getan,
des im diu chuniginne hohe danchen began.

2111 »Nu lone dir got, Irinch, vil maerer heit guot!
du hast mir wol getröstet daz herce und ouch den muot
nu sihe ich Hagene rotez von bluote sin gewant.«
do nam si im selbe den schilt vor liebe von der hant.

i
2 12 »Ir mugt im maze danchen«, sprach do Hagene.
»ja ist noch harte chleine da von ze sagene.
und wolt erz noch versuochen, so waer er chüen ein man.
diu wunde frumt iuch chleine, die ich von im gewunnen han.

2113 Daz ir von miner wunden die ringe sehet rot,


daz hat mich erreizet uf maniges mannes tot.
ich bin alrerste erzürnet uf in und manigen man.
mir hat der degen Irinch schaden chleinen noch getan.«

2114 Do stuont gegen dem winde Irinch von Tendant,


er chuolte sich in ringen, den heim er abe gebant.
do sprachen al die liute, sin eilen waere guot.
des het der marcgrave von schulden hohen muot.

2115 Irinch der vil chüene sinen ffiunden sagte daz:


»nu wafent mich vil balde, ich wilz versuchen baz,
ob ich noch muge betwingen den ubermüeten man.«
sin schilt der was verhowen, einen bezzern er gewan.

2116 Vil schiere wart der recke aber gewafent baz.


und einen ger vil starchen den nam er uf den haz,
daz er da mite Hagenen wolde noch bestan.
ez waer im frum und ere, ob erz hete nu verlan.
IRINGS KAMPF UN D TOD 675

21 1 0 Seine Freunde sahen Iring in diesem Augenblick noch unver­


sehrt. Als Kriemhild erfuhr, was er Hagen im Kampf angetan
hatte, dankte ihm die Königin dafür sehr.

2111 »Gott lohne es dir, Iring, ruhmvoller, tüchtiger Held! Du hast


mir Herz und Sinn getröstet. Ich sehe jetzt, wie Hagens Rü­
stung von Blut rot gefärbt ist.« Dann nahm sie ihm selbst den
Schild freundschaftlich aus der Hand.

2112 »Dankt ihm nicht zu überschwenglich«, rief Hagen darauf.


»Wahrlich, das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Wenn er
es noch einmal versuchen würde, wäre er ein tapferer Mann.
Die Wunde, die er mir geschlagen hat, nützt euch wenig.

2113 Daß ihr von dieser Wunde die Panzerringe rot gefärbt seht, das
hat mich auf den Tod vieler Männer lüstern gemacht. Mein
Zorn richtet sich besonders auf ihn und die anderen aus
seinem Gefolge. Mir hat der Kämpfer Iring bisher nur wenig
Schaden zugefügt.«

2114 Da stand Iring von Dänemark im frischen Wind, kühlte sich in


seinem Ringpanzer und band den Helm ab. Alle umstehenden
Leute sagten, seine Tapferkeit sei groß. Das erfüllte den Mark­
grafen zu Recht mit Stolz.

2115 Der kühne Iring sprach zu seinen Freunden: »Nun wafifnet


mich sofort wieder. Ich will noch einmal versuchen, ob ich
den verwegenen Mann nicht bezwingen kann.« Da sein Schild
zerschlagen war, bekam er einen neuen.

2116 Im Nu wurde der Recke wieder ausgerüstet, sogar besser als


vorher. Haßerfüllt nahm er einen starken Speer, um Hagen
damit anzugreifen. Es wäre zu seinem Nutzen und zu seiner
Ehre gewesen, wenn er jetzt seine Absicht aufgegeben hätte.
676 34- AVENTI U RE

211 7 Sin mohte niht erbiten Hagene der degen;


do lief er im engegene mit Stichen und mit siegen
der stiege unze an ein ende, sin zürnen daz was groz.
Irinch siner sterche harte wenic do genoz.

2118 Si sluogen durch die Schilde, deiz lougen began


von viur roten winden, der Hawartes man
wart von Hagenen swerte vil kreftiklichen wunt
durch schilt und durch die brünne, des er wart nimmer hier
gesunt.

2119 Do der degen Irinch der wunden enpfant,


den schilt er baz bedachte über diu helmbant.
des schaden in duht der volle, den er da gewan.
sit tet im noch mere der vil ubermüete man.

2120 Hagen vor sinen fuezen einen ger er ligen vant.


do schoz er Iringen, den heit von Tendant,
daz im von dem houbte der gere ragete dan.
im het der ubermüete den grimmen ende getan.

2121 Irinch muose wichen zuo den von Tendant.


e daz man do dem degene den heim ab gebant,
den ger man brach von houbet. do nahet im der tot.
daz weinten sine mage, des gie in waerliche not.

2122 Chriemhilt, diu ffowe, chlagen ouch began


den chüenen Iringen, den schadehaften man.
si weinte sine wunden, wände ez was ir leit.
do sprach vor sinen magen der snelle recke gemeit;

2123 »Lat iwer klage beliben, vil herlichez wip.


waz hilfet iwer weinen? ja muoz ich minen lip
Verliesen von den wunden, die ich enpfangen han.
der tot wil mich niht dienen iu unde Ezeln lan.«
IRINGS KAM PF UND TOD 677

2117 Hagen, der Kämpfer, wollte nicht auf ihn warten; er lief .ihm
mit Stichen und Schlägen bis an den Fuß der Treppe entgegen.
Sein Zorn war groß. Nun half Iring seine Stärke wenig.

2118 Sie schlugen durch die Schilde hindurch, daß feuerrote Funken
aufblitzten. Der Lehnsmann Hawarts wurde von Hagens
Schwert durch Schild und Brustpanzer hindurch so schwer ver­
wundet, daß er sich davon nie mehr erholte.

2119 Als der Kämpfer Iring die Wunde spürte, hob er den Schild
schützend über den Helm. Die Verletzung, die er erlitten hatte,
schien ihm reichlich genug. Doch danach tat ihm der über­
mütige Mann noch mehr an.

212 0 Hagen fand vor seinen Füßen einen Speer liegen. Er schleuderte
ihn gegen Iring, den Helden aus Dänemark, so daß er in dessen
Kopf steckenblieb. Der verwegene Hagen bereitete dem Gegner
ein schreckliches Ende.

2121 Iring mußte zu den Dänen zurückweichen. Bevor man dem


Kämpfer den Helm abband, zog man den Speer aus seinem
Kopf. Da nahte ihm der Tod. Das beweinten seine Verwandten,
und dazu hatten sie wirklich Grund.

21 2 2 Auch die Herrin Kriemhild beklagte den tapferen Iring, den


tödlich getroffenen Mann. Sie beweinte seine Wunden, denn
der Anblick war schmerzlich für sie. Da sprach der gewandte,
tüchtige Recke vor seinen Verwandten:

21 2 3 »Laßt eure Klage, herrliche Frau. Was nützt euer Weinen? Ich
verliere mein Leben durch die Wunden, die ich empfangen
habe. Der Tod verbietet mir, euch und Etzel länger zu dienen.«
678 3 4 . AV EN TIURE

2124 Er sprach zuo den von Durigen unt den von Tenelant:
»die gäbe soi enpfahen iwer deheines hant
von der kuniginne, ir liehtez golt so rot.
und bestet ir Hagenen, ir müezet liden den tot.«

2125 Sin varwe was erblichen, des todes Zeichen truoc


Irinch der chüene; daz was in leit genuoc.
genesen niht enchunde der Hawartes man.
do muos ez an ein striten von den sinen friunden gan.

2126 Irnfrit unde Hawart die Sprüngen fur daz gadem


wol mit tusent heleden. vil ungefuogen chradem
hört man allenthalben vil chreftechlichen groz.
hey, waz man starcher gere uf die Burgonden schoz!

2127 Irnvrit der herre lief an den spileman,


des er schaden grozen von siner hant gewan.
der chüene videlaere den lantgraven sluoc
durch einen heim vesten. ja was er grimme genuoc.

2128 Do sluoc der lantgrave den chüenen spileman,


daz im muosen bresten ringes gespan,
und daz sich beschütte diu prünne fiurrot.
do viel der lantgrave vor dem videlaere tot.

2129 Hawart unde Hagene zesamne warn chomen.


er mohte wunder chiesen, ders hete war genomen.
diu swert genote vielen den recken an der hant.
Hawart muose ersterben von dem uz Burgonde lant.

2130 Die Durigen und die Tenen ir herren sahen tot,


do huop sich vor dem huse ein vil grimmiu not,
e si die tür gewunnen mit ellenthafter hant.
des wart da verhowen vil manic helm unde rant.
1RINGS KAMPF UND TOD 679

2124 Zu den Thüringern und den Dänen sagte er: »Keiner von
euch wird die Gabe der Königin, ihr glänzendes, rotes Gold,
empfangen. Greift ihr Hagen an, so werdet ihr sterben.«

2125 Alle Farbe in seinem Gesicht verblaßte, der kühne Iring


war vom Tod gezeichnet; das bedeutete für alle großes Leid.
Hawarts Lehnsmann konnte sich nicht mehr erholen. Nun
mußten seine Freunde zum Kampf antreten.

2126 Irnfried und Hawart stürmten mit etwa tausend Helden vor
den Saal. Ungeheurer Lärm war von allen Seiten zu hören,
dröhnend und laut. Ach, wie viele starke Speere warfen sie auf
die Burgunden!

2127 Herr Irnfried griff den Spielmann an, das mußte er schwer
büßen. Der kühne Fiedler traf den Landgrafen durch seinen
festen Helm hindurch. Ja, er war ein grimmiger Mann.

2128 Nun versetzte der Landgraf dem kühnen Spielmann seinerseits


einen Schlag, daß ihm die Ringe der Rüstung zerbrachen und
der Brustpanzer sich feuerrot färbte. Dann fiel der Landgraf
dem Fiedler tot vor die Füße.

2129 Hawart und Hagen traten zum Kampf an. Wer sie hätte
beobachten können, hätte geradezu Wundertaten zu sehen be­
kommen. Unablässig ließen die Recken ihre Schwerter nieder­
sausen. Schließlich starb Hawart durch Hagen aus dem Bur-
gundenland.

2130 Als die Thüringer und die Dänen ihre Herren tot liegen sahen,
da erhob sich vor dem Saal ein heftiges Kampfgetümmel, bis sie
mit Tapferkeit die Tür erreichten. Dabei wurden viele Helme
und Schilde zerschlagen.
680 34- AVEN TIURE

2131 »Wichet«, sprach do Volker, »lat si her in gan!


ez ist sus unverendet, des si da habent wan.
si müezen drinne ersterben in vil churcer zit.
si arnent mit dem tode, daz in diu kuniginne git.«

2132 Do die ubermüeten chomen in den sal,


manigem wart daz houbet geneiget so zetal,
daz er muose ersterben von ir grimmen siegen.
wol streit der chüene Gernot, sam tet ouch Giselher der degen.

2133 Tusent unde viere die chomen dar in.


die erzeigten drinne schiere ir degenlichen sin.
si wurden von den gesten alle zehant erslagen.
man mohte michel wunder von den Burgonden sagen.

2134 Dar nach wart ein stille, daz der schal verdoz.
daz bluot do allenthalben durch diu locher vloz
und da zen rigelsteinen von den chüenen man.
daz heten die von Rine mit grozem eilen getan.

2135 Do sazen a b e r ru o w e n , d ie c h o m e n in d a z la n t.
ir S c h ild e u n t w a f e n si le ite n v o n d e r h a n t .
do stuont noch vor dem huse der chüene spileman,
ob iemen zuo zin wolde mit strite zuo dem sale gan.

2136 Der chunk klagte sere sam tet ouch sin wip.
mägde unde frowen die quelten ouch den lip.
ich waene des, daz hete der tot uf si gesworn.
des wart noch vil der degene von den gesten verlorn.
IRINGS KAMPF UN D TOD 681

2131 »Weicht zurück«, rief Volker, »laßt sie hereinkommen! Sie


erreichen das Ziel nicht, das sie erhoffen. Sie müssen in Kür­
ze hier drinnen sterben. Die versprochene Gabe der Königin
bezahlen sie mit ihrem Leben.«

2132 Sobald die stolzen Kämpfer in den Saal drangen, wurde vielen
der Kopf so tief herabgedrückt, daß sie von den wütenden
Schlägen der Gegner sterben mußten. Der kühne Gernot
kämpfte tapfer und ebenso Giselher, der Held.

2133 Tausendundvier Männer waren in den Saal gestürmt. Sie be­


wiesen dort sogleich ihren Kampfgeist. Doch wurden sie alle
von den Gästen sofort erschlagen. Man konnte bewunderns­
werte Taten von den Burgunden berichten.

2134 Dann wurde es totenstill, der Kampflärm verhallte. Überall floß


das Blut der tapferen Männer durch die Abflußlöcher in die
Rinnsteine. Dazu hatten es die Helden vom Rhein mit ihrer
großen Kampfkraft gebracht.

2135 Danach setzten sich die Fremden, die ins Land gekommen wa­
ren, und ruhten sich aus. Ihre Schilde und Waffen legten sie aus
der Hand. Noch stand der kühne Spielmann vor dem Haus für
den Fall, daß jemand zu ihnen in den Saal dringen wollte, um
zu kämpfen.

2136 Der König klagte sehr, ebenso seine Gemahlin. Mädchen und
Frauen marterten sich zum Ausdruck ihrer Trauer. Ich glaube,
der Tod hatte sich gegen sie verschworen. Darum kamen noch
viele weitere Kämpfer durch die Gäste um.
35- AVENTIURE
AVENTIURE WIE DRIE KUNIGE MIT EZELE UND MIT IR
SWESTER UMBE DIE SUONE REITEN

2137 »Nu bindet abe die helme«, sprach do Hagene,


»ja lazen wir den Hünen so vil ze chlagene,
daz si der hochgecite vergezzent nimmer hie.
waz hilfet nu Chriemhilde, daz si uns ze Rine niht enlie?«

2138 Do entwaffent da daz ho übet manic ritter guot.


si sazen uf den veigen, die vor in in daz bluot
waren in dem strite mit dem tode chomen.
sit wart der Ezeln geste vil übel goume genomen.

2139 Vor abendes zite geschuof der kunic daz,


und ouch diu kuniginne, daz iz versuochten baz
die hunischen recken durch der geste leit.
des man an si gerte, die helde warens bereit.

2140 Sich huob ein sturm herte hier uz und ouch dar in.
Danchwart, Hagenen bruoder, durch degenlichen sin
spranch vor sinen herren zen vinden uz der tür.
sich versahen sines todes, er chom gesunder wol dar für.

2141 Der herte strit do werte, unz iz diu naht benam.


do werten sich die geste, als iz in wol gezam,
den Ezeln degenen den sumerlangen tac.
hey, waz noch der helede vor in veige gelac!
35-
AVENTIURE
WIE DIE DREI KÖNIGE MIT ETZEL UND IHRER SCHWESTER
ÜBER FRIEDEN VERHANDELTEN

2137 »Nun bindet die Helme ab«, sagte Hagen, »wir geben den Hun­
nen wirklich so viel Grund zu klagen, daß sie das Fest nie mehr
vergessen werden. Was hilft es Kriemhild jetzt, daß sie uns nicht
in Frieden am Rhein gelassen hat?«

213 8 Da nahmen viele tüchtige Ritter ihre Helme vom Kopf. Sie setz­
ten sich auf die Toten, die vor ihnen beim Kampf in das Blut ge­
sunken waren. Später wurden Etzels Gäste furchtbar bedrängt.

2139 Bevor der Abend kam, befahlen der König und die Königin,
daß die hunnischen Recken zu einem weiteren Angriff gegen
die Burgunden antreten sollten. Die Helden nahmen die Her­
ausforderung bereitwillig an.

2140 Draußen und drinnen brach ein heftiger Kampf los. Dankwart,
Hagens Bruder, sprang in kühnem Eifer an seinen Herren vor­
bei zu den Feinden vor die Tür. Die Hunnen glaubten, er wäre
tot, doch er trat unversehrt heraus.

2141 Der harte Streit dauerte an, bis die Nacht ihm ein Ende setzte.
Die Gäste wehrten sich den ganzen langen Sommertag gegen
Etzels Kämpfer, wie es sich für sie gehörte. Ach, wie viele Hel­
den lagen schließlich tot vor ihnen!
684 35- AV EN TIURE

2142 Zeinen sunewenden der groze mort geschach,


daz diu kuniginne ir hercenleit errach
an ir naehsten magen und sus an manigem man.
da von der kunec Ezele vil manigen siechen gewan.

2143 Sine het der grozen slahte also niht gedaht.


si het ez in ir ahte vil gerne dar zuo braht,
daz niwan Hagene aleine den lip da hete lan.
do geschuof der übel tiufel, deiz über si alle muose ergan.

2144 In was des tages zerrunnen, do gie in sorgen not.


si gedahten, daz in bezzer waer ein kurcer tot
denne lange da ze quelne uf ungefuegiu leit.
eins vrides si do gerten, die stolzen ritter gemeit.

2145 Si baten, daz man braehte Ezelen dar.


die bluotvarwen degene und schone harnasch var
traten uz dem huse, die drie kunige her.
sine wessen, wem ze klagene diu ir vil grozlichen ser.

2146 Ezel unde Chriemhilt die chomen beide dar.


daz lant daz was ir eigen, des merte sich ir schar,
er sprach zuo den kunigen: »sagt waz welt ir min.
ir waenet vride gewinnen, daz chunde müelich gesin.

2147 Uf schaden also grozen, als ir mir habt getan,


irn suites niht geniezen, sol ich min lebn han.
min kint, daz ir mir sluoget, unde vil der mage min.
des ensol mit sime lebene iwer deheiner chomen hin.«
NIBE L U N G EN TRE U E UND SAALBRAND 685

2142 Das ungeheure Morden, als die Königin ihr tiefes Leid an ihren
nächsten Verwandten und an vielen anderen Männern rächte,
geschah zur Sonnenwende. Auch für König Etzel brachte der
Kampf große Verluste.

2143 Kriemhild hatte nicht erwartet, daß es zu solch einer großen


Schlacht kommen würde. Sie hätte es gern so eingerichtet, daß
nur Hagen allein das Leben verlor. Doch der böse Teufel be­
wirkte, daß es sie alle traf.

2144 Der Tag war vorüber, aber die bedrängenden Sorgen hörten
nicht auf. Sie dachten, ein schneller Tod wäre besser für sie, als
lange ungeheure Qualen zu leiden. Da suchten die stolzen,
tüchtigen Ritter Frieden.

2145 Sie baten, daß man Etzel herbeiholen möge. Blutbeschmiert


und vom Schmutz der Rüstungen bedeckt, traten die Kämpfer,
die drei erhabenen Könige, aus dem Saal. Sie wußten nicht,
wem sie ihr übergroßes Leid klagen sollten.

2146 Etzel und Kriemhild kamen beide dorthin. Da sie sich in ihrem
eigenen Land befanden, wurde die Schar ihrer Kämpfer immer
größer. Etzel fragte die Könige: »Sagt, was ihr von mir wollt.
Wenn ihr auf Frieden hofft, so kann ich diesen unmöglich ge­
währen.

2147 Nachdem ihr mir so großen Schaden zugefügt habt, werde ich
euch, solange ich lebe, keinerlei Zugeständnisse machen. Ihr
habt mir meinen Sohn und viele meiner Verwandten erschla­
gen. Darum soll keiner von euch mit dem Leben davonkom­
men.«
686 35- AV ENTIURE

214 8 Des antwurte Gunther: »des twanch uns starchiu not,


allez min gesinde lac von den dinen tot
an den herbergen. wie het ich daz versolt?
ich chom zuo dir uf triwe und wände, daz du mir waerest holt.«

2149 Do sprach von Burgonden Giselher daz kint:


»ir Ezeln recken, die noch hie lebende sint,
waz wizet ir mir degene? waz han ich iu getan?
wände ich vil minnekliche in dizze lant geriten han.«

2150 Si sprachen: »diner güete ist al diu burch vol


mit jamer zuo dem lande, ja gunden wir dir wol,
daz du nie chomen waerest von Wormez über Rin.
diz lant ist gar verweiset von dir und ouch den magen din.«

2151 Do sprach in zomes muote Günther der degen:


»weit ir dizze starchez hazzen zeiner suone legen
mit uns vil eilenden, deist beidenthalben guot.
ez ist gar ane schulde, swaz uns Ezele getuot.«

2152 Do sprach der wirt zen gesten: »min und iwer leit
diu sint vil ungeliche. diu michel arebeit,
des scaden zuo den schänden, die ich han genomen,
des soi iu deheiner mit dem libe hinnen chomen.«

2153 Do sprach zuo dem kunige Gernot der hochgemuot:


»so sol iu got gebieten, daz ir wol tuot.
wichet von dem huse und lat uns zuo ziu gan,
sit wir zuo dem lebene haben also chleinen wan.
N IB E L U N G EN TR E U E UND SAALBRAND 687

2148 Darauf antwortete Gunther: »Wir mußten notgedrungen so


handeln. Deine Leute haben mein gesamtes Gefolge in den
Unterkünften getötet. Womit habe ich das verschuldet? Ich bin
voll Vertrauen zu dir gereist und glaubte, du seist mir wohlge­
sonnen.«

2149 Der junge Giselher von den Burgunden fügte hinzu: »Ihr
Recken Etzels, die ihr noch am Leben seid, was werft ihr mir
vor? Was habe ich euch getan? Ich bin doch mit aufrichtiger
Zuneigung in dieses Land geritten.«

215 0 Sie antworteten: »Dann sind die Burg und das Land wohl durch
deine Güte von Wehklagen erfüllt. Wir wünschten wirklich
sehr, daß du nie von Worms über den Rhein hier hergekom­
men wärst. Das Land ist durch dich und deine Verwandten
völlig verwaist.«

2151 »Es wäre für beide Seiten gut«, sagte Gunther, der Kämpfer, zor­
nig, »wenn ihr die ungeheure Feindschaft mit uns, die wir aus
einem fremden Land kommen, friedlich beilegen würdet. Es
gibt überhaupt keinen Grund für das, was Etzel uns antut.«

2152 Der Landesherr entgegnete den Gästen: »Mein Leid und euer
Leid sind nicht vergleichbar. Wegen der gewaltigen Anstren­
gung, wegen der Verluste und der Schmach, die ich erlitten
habe, soll keiner von euch mit dem Leben davonkommen.«

21 5 3 Darauf sagte der stolze Gernot zu dem König: »So möge euch
Gott gebieten, wohltätig zu sein. Gebt den Weg frei, damit wir
uns euch ausliefern, da wir keine Hoffnung mehr haben zu
überleben.
688 35- AV EN TIURE

2154 Swaz uns geschehn chünne, daz lazet churz ergan.


ir habt so vil gesunder; und turrens uns bestan,
daz si uns sturmen müede lazent niht genesen.
sit daz ist unwendech, wir müezen hie verderbet wesen.«

2155 Die Ezeln recken die heten ez nach getan,


daz si se uz dem huse wolden lazen gan,
do daz gehörte Chriemhilt, ez was ir grimme leit.
des wart den eilenden do der vride widerseit.

2156 »Neina, Hünen recken, des ir da habet muot,


ich rat an rehten triwen, daz ir des niene tuot,
daz ir die mortraechen iht lazet fur den sal,
so muosen iwer friunde liden totlichen val.

2157 Ob ir nu niemen lebte niwan diu Uoten kint,


die minen edeln brüeder, und chomens an den wint,
erchuolten in die ringe, so sit ir alle verlorn.
ez enwurden chüener degene nie zer werlde geborn.«

2158 Do sprach der herre Giselher: »vil liebiu swester min,


wie mohte ich des getrowen, do du mich über Rin
so minneklichen ladetes her in dizze lant,
daz mir so grozer chumber solde werden hie bêchant.

2159 Ich was dir ie getriwe, nie getet ich dir leit.
uf solhen gedingen ich her ze hove reit,
daz du min friunt waerest, vil edeliu swester min.
begench an uns genade, sit ez niht anders kan gesin.«

2160 »Ine mag iu niht genaden, ungenade ich han.


mir hat von Tronege Hagene so leide getan
da heime, und hie ze lande sluoger mir min kint.
des müezen sere engelten, die mit iu da her chomen sint.
NIBE L U N G EN TRE U E UND SAALBRAND 689

2154 Was uns bestimmt ist, laßt schnell geschehen. Ihr habt so viele
frische Kämpfer; wenn sie es wagen, uns anzugreifen, lassen sie
uns, die wir vom Kampf ermattet sind, nicht mit dem Leben
davonkommen. Da das unabwendbar ist, müssen wir hier un­
tergehen.«

2155 Beinahe wären Etzels Recken darauf eingegangen, sie aus dem
Saal heraustreten zu lassen, doch als Kriemhild das hörte, war
sie überaus erbost. Darum wurde den Fremden der Friede
versagt.

215 6 »Nein, Recken der Hunnen, was ihr da im Sinn habt, davon rate
ich in aller Treue ab, laßt die Mordgierigen nicht aus dem Saal,
sonst müssen eure Freunde den Tod erleiden.

2 157 Wenn von den Burgunden niemand mehr lebte als Utes Söhne,
meine edlen Brüder, und wenn sie ins Freie kämen und ihre
Rüstungen abkühlten, dann wäret ihr alle verloren. Auf der
ganzen Welt hat es niemals kühnere Kämpfer gegeben.«

2158 »Meine liebe Schwester«, sprach da Giselher, »als du mich


freundlich vom Rhein in dieses Land eingeladen hast, hätte ich
dir nie zugetraut, daß ich hier in so große Bedrängnis kommen
würde.

2159 Ich war dir immer treu, nie habe ich dir Leid zugefügt. Im Ver­
trauen auf deine Freundschaft, meine edle Schwester, bin ich an
diesen Hof geritten. Erweise uns Gnade, denn anders darf es
doch nicht sein.«

2160 »Ich kann euch keine Gnade gewähren, Ungnade erfüllt mich.
Hagen von Tronje hat mir zu Hause so schweres Leid zugefügt,
und hier hat er meinen Sohn erschlagen. Dafür müssen alle
schwer büßen, die mit ihm hergekommen sind.
690 35- AV ENTIURE

2161 Welt aber ir mir ze gisel den minen vint geben,


sone wil ichz niht versprechen, ichn welle iuch lazen leben,
wan ir sit mine brüeder und einer muoter chint.
so rede ihz zeiner suone mit disen recken, die hie sint.«

2162 »Nune welle got von himele«, sprach do Gernot.


»ob unser tusent waeren, wir legen alle tot,
der Sippen diner mage, e wir dir einen man
gaeben hie ze gisel. ez wirdet nimmer getan.«

2163 »Wir müezen doch ersterben«, sprach do Giselher.


»uns enscheidet niemen von ritterlicher wer.
swer gerne mit uns strite, wir sin et aber hie;
wände ich der minen friunde an triwen nie deheinen lie.«

2164 Do sprach der chüene Danchwart fur die degene:


»jane stet noh niht eine min bruoder Hagene.
die hie den vride versprechent, ez mag in werden leit.
des bringen wir iuch innen, daz si iu waerlich geseit.«

2165 Do sprach diu kuniginne: »ir helde vil gemeit,


nu get der stiegen naher und rechet unser leit.
daz wil ich immer dienen, als ich von rehte soi.
der Hagenen ubermüete der gelon ich im wol.

216 6 Springet zuo dem huse, ir recken über al.


so heiz ich vieren enden zünden an den sal.
so werdent wol errochen elliu unser leit.«
die Ezelen degene die wurden schiere bereit.

2167 Die noch hier uzen stuonden, die triben si dar in


mit siegen und mit schuzzen wider in den palas hin.
sich wolden nie gescheiden die fürsten und ir man.
sine mohten von ir triwen niht ein ander verlan.
N IB E L U N G E N T R E U E U N D SAALBRAND 691

2161 Wollt ihr mir aber meinen Feind als Geisel ausliefern, so will
ich nicht ausschließen, daß ich euch am Leben lasse, denn ihr
seid meine Brüder, und wir sind Kinder derselben Mutter.
Dann bewege ich diese Recken hier zum Frieden.«

216 2 »Davor bewahre uns Gott im Himmel«, rief Gernot. »Auch


wenn wir tausend aus der Familie deiner Verwandten wären,
würden wir eher alle sterben, als dir hier einen Mann als Geisel
auszuliefern. Das wird niemals geschehen.«

216 3 »Wir müssen doch alle sterben«, sagte dann Giselher. »Nie­
mand schafft es, daß wir unseren ritterlichen Schutz fürein­
ander aufgeben. Wer gegen uns kämpfen will, der findet uns
hier gemeinsam; denn niemals habe ich einen meiner Freunde
treulos im Stich gelassen.«

2164 Auch der kühne Dankwart sagte zu den Kämpfern: »Wahrhaf­


tig, mein Bruder Hagen steht noch nicht allein. Es wird denen
leid tun, die hier einen solchen Frieden anbieten. Wir werden es
euch zeigen, das laßt euch wirklich gesagt sein.«

2165 Darauf befahl die Königin: »Ihr tüchtigen Helden, nun riegelt
die Treppe ab und rächt unser Leid. Dafür werde ich immer
dankbar sein, wie ich es euch schuldig bin. Hagens Überheb­
lichkeit zahle ich ihm heim.

2166 Ihr Recken, umzingelt das Gebäude. Dann lasse ich den Saal an
allen vier Ecken anzünden. So wird all unser Leid gerächt.« Die
Kämpfer Etzels waren sofort dazu bereit.

2167 Die noch draußen standen, die trieben sie mit Schwertschlägen
und fliegenden Speeren wieder in den Palas zurück. Die Fürsten
und ihre Begleiter wollten sich niemals trennen. Sie konnten
ihre Treue zueinander nicht aufgeben.
692 35- A V E N T IU R E

2168 Den sal hiez do zünden daz Ezeln wip.


do quelte man den recken mit fiure da den lip.
daz hus von einem winde mit chraft vil hohe enbran.
ich waen, ie volch deheinez grozer angest mer gewan.

2169 Genuoge ruoften drinne: »owe dirre not!


wir möhten michel gerner sin in sturme tot.
daz müeze got erbarmen, wie vliesen wir den lip!
nu richet ungefuoge ir zorn an uns des kuniges wip.«

2170 Ir einer sprach dar inne: »wir müezen ligen tot


vor rouche und ouch vor hizze. deist ein grimmiu not.
mir tuot vor starcher hizze der durst so rehte we.
des, waen, min leben schiere in disen sorgen zerge.«

2171 Do sprach von Tronege Hagene: »ir edeln ritter guot,


swen der durste nu twinge, der trinche hie daz bluot.
daz ist in solhen noten noch bezzer danne win.
fur trinchen und für spise kan niht anders nu gesin.«

2172 Do gie der recken einer, do er einen toten vant.


er kniet im zuo der wunden, den heim er abe gebant.
do begunder trinchen daz vliezende bluot.
swie ungewon er des waere, ez duhte in groezlichen guot.

2173 »Nu Ion iu got von himele«, sprach der müede man,
»daz ich von iurem rate so wol getrunchen han.
mir ist geschenchet selten dehein bezzer win.
leb ich deheine wile, ich soi ez dienende sin.«

2174 Do dandern daz gehörten, daz ez in duhte guot,


do wart ir michel mere, die trunchen ouch daz bluot.
da von begunde chreften der guoten recken lip.
des engalt an lieben friunden sit vil manic schoene wip.
N IB E LU N G E N T R EU E U N D SAALBRAND 693

2168 Dann befahl Etzels Gemahlin, den Saal anzuzünden. Man lie­
ferte das Leben der Recken qualvoll dem Feuer aus. Das Haus
loderte durch den Wind kräftig auf. Ich glaube, niemals ist ein
Heer in größere Bedrängnis geraten.

2169 »Weh, welche Not!« riefen viele drinnen. »Wir wären viel lieber
im Kampf gefallen. Es muß Gott erbarmen, wie wir das Leben
verlieren! Jetzt rächt die Gemahlin des Königs ihren Zorn an
uns ungeheuerlich.«

2170 Einer von denen im Saal rief: »Wir müssen alle vor Rauch und
vor Hitze umkommen. Das ist eine schreckliche Lage. In der
starken Hitze setzt mir der Durst furchtbar zu. Ich glaube, mein
Leben nimmt in dieser Bedrängnis schnell ein Ende.«

2171 Da sagte Hagen von Tronje: »Ihr edlen, tüchtigen Ritter, wen
der Durst quält, der trinke hier das Blut. Das ist in solcher Not
besser als Wein. Zum Trinken und zum Essen gibt es jetzt nichts
anderes.«

2172 Darauf ging einer der Recken zu einem Toten. Er kniete sich
an seine Wunde und band den Helm ab. Dann trank er das
fließende Blut. Auch wenn es ganz ungewohnt für ihn war,
erschien es ihm doch äußerst wohltuend.

2173 »Gott im Himmel möge es euch lohnen«, sagte der erschöpfte


Mann, »daß ich auf euren Rat hin so gut getrunken habe. Mir
ist niemals besserer Wein eingeschenkt worden. Wenn ich noch
einige Zeit lebe, werde ich euch dafür immer dankbar sein.«

2174 Als die anderen hörten, daß es ihm gut tat, tranken viele von ih­
nen ebenfalls das Blut. Dadurch wurden die tüchtigen Recken
wieder gestärkt. Das mußte eine Menge schöner Frauen später
mit dem Leben ihrer lieben Freunde bezahlen.
694 35- A V E N T I U R E

2175 Daz fiur viel genote zuo zin in den sal.


do leitten siz mit Schilden von in hin zetal.
der rouch und ouch diu hizze in beidiu taten we.
ja waen, ez an heleden der jamer immer mer erge.

2176 Do sprach von Tronege Hagene: »stet zuo des sales want,
lat niht die brende vallen uf iwer helmbant
und tret si mit den fiiezen tiefer in daz bluot.
ez ist ein übel hochgecit, die uns diu kuneginne tuot.«

2177 In sus getanen leiden in iedoch der naht zerran.


noch stuonden vor dem huse die zwene chüene man,
Volker und Hagene, geleinet über rant.
si huoten ir gesindes uzer Burgonden lant.

2178 Die geste half daz sere, daz der sal gewelbet was,
da von ir deste mere in der not genas,
wan daz si zen venstern von fiure liten not.
do nerten sich die degene, als in ir eilen daz gebot.

2179 Do sprach der videlaere: »nu ge wir in den sal.


so wellent die Hünen waenen über al,
wir sin in not erstorben, diu an uns ist getan,
si sehent uns begegene noch ir eteslichen gan.«

2180 Do sprach von Burgonden Giselher daz kint:


»ich waen, ez tagen welle, sich hebt ein chüeler wint.
nu laze uns got von himele noch lieber cit geleben.
uns hat min swester Chriemhilt ein arge hochgecite gegeben.«

2181 Do sprach aber einer: »ich chiuse nu den tac.


sit daz ez uns bezzer wesn nine mac,
so bereitet ir iuch, recken, ze strite, deist uns not.
wir chomen doch nimmer hinnen, daz wir mit eren ligen tot.«
N IB E L U N G E N T R E U E U N D SAALBRAN D 695

2175 Unablässig fiel das Feuer zu ihnen in den Saal hinab. Sie lenkten
es mit den Schilden von sich weg. Der Rauch und die Hitze
setzten ihnen zu. Ja, ich glaube, die Bedrängnis wurde für die
Helden immer größer.

2176 Da rief Hagen von Tronje: »Stellt euch an die Saalwand, laßt die
brennenden Teile nicht auf eure Helme fallen und tretet sie mit
den Füßen tiefer in das Blut. Es ist ein schlimmes Fest, das uns
die Königin hier bietet.«

2177 In derartiger Qual verging die Nacht. Noch standen zwei tap­
fere Männer, Volker und Hagen, vor dem Saal auf ihre Schilde
gelehnt. Sie bewachten ihre Leute aus dem Burgundenland.

2178 Den Gästen half es sehr, daß der Saal gewölbt war, denn da­
durch konnte eine große Zahl von ihnen in der Not überleben,
obwohl die Flammen an den Fenstern für sie bedrängend auf­
loderten. Die Kämpfer bewahrten ihr Leben, wie es ihnen ihre
Kraft erlaubte.

2179 Dann rief der Fiedler: »Nun wollen wir uns im Saal verbergen.
Die Hunnen werden alle annehmen, wir seien an den Qualen,
die uns angetan wurden, umgekommen. Sie werden noch se­
hen, daß einige von uns ihnen im Kampf wiederbegegnen.«

2180 »Ich glaube, es wird Tag«, sagte der junge Giselher aus Bur­
gund, »ein kühler Wind kommt auf. Gott im Himmel, laß uns
noch eine angenehmere Zeit erleben. Meine Schwester hat uns
ein furchtbares Fest bereitet.«

2181 Darauf sprach wiederum einer: »Ich sehe nun den Tag. Da uns
nichts Besseres mehr erwartet, müssen wir uns, ihr Recken,
zum Kampf rüsten. Wenn wir schon nicht lebend entkommen,
so wollen wir wenigstens in Ehren sterben.«
696 35- A V E N T I U R E

2182 Der chunich wolde waenen, die geste waeren tot,


und ouch diu kuniginne, von des fiures not,
do lebt ir noch dar inne sehs hundert chüener man.
daz nie kunec deheiner bezzer degene gewan.

2183 Der eilenden huote hete wol ersehen,


daz noch die geste lebten, swie vil in was geschehen
ze schaden und ze leide, den kunigen und ir man,
man sah ir noch genuoge vil wol gesunt dort inne stan.

2184 Man sagt der kuniginne, ir waere vil genesen.


do sprach diu frowe here: »daz enchunde nimmer wesen,
daz ir deheiner lebte in des fiures not.
ich wil des baz getrowen, daz si alle ligen tot.«

2185 Noch genaesen gerne die fürsten und ir man,


ob in iemen haete genade da getan.
den künden si niht vinden an den von Hünen lant.
do rachen si ir sterben mit vil willechlicher hant.

2186 Vil fruo wider morgen grüezen man in bot


mit starchem urliuge. des chomen helde in not.
do wart zuo zin geschozzin vil manic scharpfer ger.
noch funden si dar inne ze wer die recken also her.

2187 Dem Ezeln gesinde erwegt was der muot,


si wolden vaste dienen daz Chriemhilde guot.
dar zuo si wolden leisten, daz in der kunec gebot,
des chomen aber die degene in vil angestliche not.

2188 Von g e h e iz e und ouch von gäbe m an m o h te w u n d e r sagen,

si g o l t d a z r o t e in d e n S c h i l d e n t r a g e n .
d a r h ie z

si gab ez, swer sin ruochte unde ez wolde enpfan.


jane wart nie grozer solden mer uf vinde getan.
N IB E L U N G E N T R E U E U N D SAALBRAND 697

21 8 2 Der König und die Königin glaubten, die Gäste wären durch
die Feuersnot umgekommen, doch sechshundert tapfere Män­
ner waren da drinnen noch am Leben geblieben. Nie verfugte
ein König über bessere Kämpfer.

2183 Die Bewacher der Fremden hatten aber sehr wohl entdeckt, daß
die Gäste noch lebten. Wieviel Schaden und Leid den Königen
und ihren Leuten auch zugestoßen war, eine große Zahl von
ihnen stand noch völlig unversehrt dort im Saal.

2184 Man berichtete der Königin, daß viele am Leben geblieben


seien. Da sprach die vornehme Frau: »Das kann nicht sein, daß
einer von ihnen die Feuersnot überlebt hat. Ich will eher glau­
ben, daß sie alle tot sind.«

2185 Die Fürsten und alle ihre Männer wären gern mit dem Leben
davongekommen, wenn jemand ihnen diese Gnade gewährt
hätte. Doch den konnten sie im Hunnenland nicht finden. Da
rächten sie kampfbereit ihren eigenen Tod.

2186 Ganz früh gegen Morgen begrüßte man sie mit heftigem An­
griff. Dadurch gerieten die Helden wieder in Bedrängnis. Viele
scharfe Speere wurden auf sie geschleudert. Aber noch trafen
die Hunnen auf die Gegenwehr der erhabenen Recken im Saal.

2187 Bei Etzels Gefolge war der Mut angestachelt, sie wollten unbe­
dingt Kriemhilds Belohnung verdienen. Außerdem wollten sie
dem Folge leisten, was der König ihnen befahl. Das brachte die
Kämpfer abermals in bedrängende Not.

2188 Von Befehlen und auch von Belohnungen könnte man wunder
was berichten. Die Königin ließ rotes Gold auf Schilden herbei­
bringen. Sie gab es jedem, der sich darum bemühte und es
annehmen wollte. Wahrhaftig, nie wurden größere Summen
auf die Köpfe von Feinden ausgesetzt.
698 35- A V E N T IU R E

2189 Ein michel chraft der recken dar zuo gewafent gie.
do sprach der videlaere: »wir sin et aber hie.
ine gesach zem tode nie helde gerner chomen,
die daz golt des kuniges uns ze vare hant genomen.«

2190 Do riefen ir genuoge: »naher, helede, baz,


daz wir da sulen enden, und tuon bezite daz.
hie belibet niemen wan doch der sterben sol.«
do sah man schiere ir Schilde stecken gerschuzze vol.

219) Waz mag ich sagen mere? wol zwelf hundert man
versuohten ez vil sere wider unde dan.
do chuolten an den vinden die geste wol ir muot.
ez enmohte niemen scheiden; des sah man vliezen daz bluot.

2192 Von verchtiefen wunden der wart da vil geslagen.


do horte man genuoge nach ir ffiunden chlagen.
die frumen stürben alle dem riehen kunige her.
des heten holde mage nach in jamer unde ser.
N IB E L U N G E N T R E U E U N D SAALBRAND 699

2189 Eine große Schar von Recken zog bewaffnet los. Da rief der
Fiedler: »Wir sind immer noch hier. Ich habe niemals Helden
freudiger in den Tod gehen sehen, die das Gold des Königs ge­
nommen haben, um mit uns zu kämpfen.«

2190 Viele von ihnen antworteten: »Kommt näher, ihr Helden, damit
wir schnell tun können, was wir zu Ende bringen sollen. Hier
fällt nur der, dem der Tod bestimmt ist.« Alsbald sah man ihre
Schilde voller Speere stecken.

2191 Was kann ich weiter erzählen? Etwa zwölfhundert Mann griffen
wieder und wieder heftig an. Die Gäste kühlten an den Feinden
ihren Mut. Niemand vermochte den Kampf einzudämmen;
darum floß viel Blut.

2192 Zahllose tödliche Wunden wurden geschlagen. Man hörte viele


um ihre Freunde klagen. Alle Tüchtigen auf seiten des mächti­
gen Königs starben. Das erfüllte ihre treuen Verwandten mit
Trauer und Schmerz.
3 6 . A V EN T IU R E
A V EN TIU R E W IE R Ü ED EG ER ERSLAGEN WART

2193 Ez heten die eilenden wider morgen guot getan,


wine der Gotelinde chom ze hove gegan,
do sah er beidenthalben diu ungefuegen ser.
daz weinte innechliche der getriwe Rüedeger.

2194 »Owe«, sprach der recke, »deich ie den lip gewan!


daz disen starchen jamer chan niemen understan?
swie gern ihz vriden wolde, der kunic entuot es niht,
wander der sinen leide ie mere und mere geschiht.«

2195 Do sande an Dietrichen der guote Rüedeger,


ob siz noch chunden wenden an den kunigen her.
do enbot im der von Berne: »wer moht ez understan?
ezn wil der kunic Ezele scheiden niemen lan.«

2196 Do sah ein Hünen recke Rüedegeren stan


mit weinenden ougen, und het des vil getan,
der sprach zer kuniginne: »nu seht ir wie er stat,
der doch gewalt den meisten bi iu und Ezeln hat

2197 Und dem ez allez dienet, Hut und ouch diu lant!
wie ist so vil der burge und der erbe an in gewant,
der er von dem kunige so vil gehaben mac,
er gesluoc in disen sturmen noch nie lobelichen slac?
36. AVENTIURE
W IE RÜDIGER ERSCHLAGEN W U RD E

2193 Bis gegen Morgen hatten die Fremden tapfer gekämpft. Als der
Gemahl Gotelinds zum Hof kam, sah er auf beiden Seiten den
ungeheuren Schmerz. Darüber weinte der treue Rüdiger tief
bewegt.

2194 »O weh«, rief der Recke, »daß ich überhaupt geboren wurde!
Warum kann niemand dieses bittere Leid aufhalten? Wie gern
würde ich Frieden stiften, aber der König geht nicht darauf ein,
auch wenn sein Schmerz immer größer und größer wird.«

2195 Der edle Rüdiger schickte zu Dietrich, um zu erkunden, ob sie


für die burgundischen Könige noch eine Wendung her­
beiführen könnten. Doch der Berner ließ ihm antworten: »Wer
wäre imstande, den Kampf aufzuhalten? König Etzel will ihn
von niemandem befrieden lassen.«

2196 Als ein hunnischer Recke Rüdiger so heftig weinen sah, sagte er
zu der Königin: »Nun seht doch, wie er dasteht, der bei euch
und Etzel die größte Macht besitzt

2197 und über Leute und Land verfügt! Wie kann es sein, daß ihm so
zahlreiche Burgen und Erblande verliehen sind und daß er von
dem König derart viel bekommen kann, aber in diesen Kämp­
fen noch keinen rühmenswerten Schwertstreich ausgeführt hat?
702 3 6 . AV EN TIURE

2198 Mich dunchet, ern ruoche, wie ez hie umbe gat,


daz et er den vollen nach sime willen hat.
man giht im, er si chüener danne iemen muge sin,
daz ist in disen sorgen worden boeseliche schin.«

2199 Mit trurigem muote der vil getriwer man,


den er daz reden horte, der heit der blicht in an.
er daht: »du soit ez arnen, du gihest ich si verzaget,
du hast diu dinen maere ze hove ze lute gesaget.«

2200 Die fust begunder twingen, do lief er in an,


er sluoc so chreftechliche den hunischen man,
daz er im vor den füezen lac vil schiere tot.
do was aber gemeret des kunic Ezeln not.

2201 »Fürder, zage böse«, sprach do Rüedeger.


»ich han doch genuoge leit unde ser.
daz ich hie niht enstrite, zwiu wizestu mir daz?
ja waer ih den gesten grozlichen haz,

2202 Und allez daz ich mohte, daz het ich in getan,
niwan daz ich die degene her gefuoret han,
ich was ir geleitte in mines herren lant.
des ensol mit in niht striten min vil eilendes hant.«

2203 Do sprach zem marcgraven Ezel der kunec her:


»wie habt ir uns geholfen, vil edel Rüedeger?
wan wir so vil der veigen hie ze lande han,
wir bedürften ir niht mere, ir habt vil ubele getan.«

2204 Do sprach der ritter edele: »da beswart er mir den muot
und hat mir verwizzen ere unde guot,
des ich von dinen handen habe so vil genomen.
daz ist dem lugenaere ein teil unstaetelichen chomen.«
RÜDIGERS KAMPF UND TOD 703

2198 Mir scheint, es ist ihm egal, was hier vor sich geht, er hat ja alles,
was er will. Man sagt über ihn, er sei tapferer als irgend jemand
sonst, das ist aber in dieser sorgenvollen Lage bisher schlecht
deutlich geworden.«

2199 Traurig blickte der getreue Held den an, der ihn so herabgesetzt
hatte. Er dachte: »Das sollst du büßen, daß du mich einen Feig­
ling nennst. Du hast das am Hof zu laut gesagt.«

2200 Er ballte die Faust, dann lief er auf ihn zu und schlug den
Hunnen so gewaltig, daß er sofort tot vor seine Füße stürzte.
Dadurch wurden König Etzels Verluste noch vergrößert.

2201 »Weg, du übler Feigling«, rief Rüdiger. »Ich habe wahrlich ge­
nug schmerzliches Leid. Wie kannst du mir vorwerfen, daß ich
hier nicht kämpfe? Ja, wäre ich mit den Gästen verfeindet,

2202 hätte ich ihnen alles angetan, was in meiner Macht stünde,
doch ich habe die Kämpfer hierher geführt und habe ihnen
in das Land meines Herrn Geleit gegeben. Deshalb werde ich,
selbst ein Fremder, nicht die Hand zum Kampf gegen sie erhe­
ben.«

2203 Der mächtige König Etzel entgegnete dem Markgrafen: »Edler


Rüdiger, soll das eure Hilfe sein? Da wir schon so viele Tote hier
im Land haben, brauchten wir nicht noch mehr. Ihr habt übel
gehandelt.«

2204 Doch der edle Ritter antwortete: »Er hat mich beleidigt, meine
Ehre angegriffen und mir Undank für mein Gut, das ich reich­
lich von dir empfangen habe, zum Vorwurf gemacht. Das ist
dem Lügner schlecht bekommen.«
704 36. A V EN T IU R E

2205 Chriemhilt saz bi Ezelen, diu het ez ouch gesehen,


daz von des recken zorne dem Hünen was geschehen,
si chleit iz ungefuoge, ir ougen warn naz.
si sprach zuo Rüedegere: »wie haben wir verdienet daz,

2206 Daz ir mir und dem kunige meret unser leit?


nu habt ir uns doch, Rüedeger, allez her geseit,
ir woldet durch uns wagen die ere und ouch daz leben,
ich hört iu vil der recken den pris vil grozlichen geben.

2207 Ich man iuch der genaden, und ir mir habt geswam,
do ir mir zuo Ezelen her ze lande rietet varn.
daz ir mir woldet dienen an unser eines tot
des enwart mir armen wibe nie so grozliche not.«

2208 »Daz ist ane lougen, ich swuor iu, edel wip,
ich wolde durch iuch wagen die ere und ouch den lip.
daz ich die sele vliese, des enhan ich niht gesworn.
ja braht ich her ze lande die iwern brüeder wol geborn.«

2209 Si sprach: »gedenche, Rüedeger, der grozen triwen din,


der staete und ouch der eide, daz du den schaden min
immer woldest rechen, und elliu miniu leit.
des man ich dich hiute, degen chüene und gemeit.«

2210 Ezele der riche vlegen ouch began.


do buten si sich beide ze fuezen für den man.
den guoten marcgraven truren man do sach.
der vil getriwe recke harte jaemerlichen sprach:

2211 »Owe mir gotes armen!« sprach der getriwe man.


»aller miner eren der muoz ich ab stan,
triwen unde zuhte, der got an mir gebot.
vil richer got von himele, daz mihs wendet niht der tot!
RÜDIGERS KAMPF UN D TOD 705

2205 Kriemhild saß neben Etzel und hatte auch gesehen, was dem
Hunnen durch des Recken Zorn zugestoßen war. Sie klagte un­
mäßig darüber, ihre Augen waren voller Tränen. Dann sagte sie
zu Rüdiger: »Womit haben wir das verdient,

2206 daß ihr mir und dem König unser Leid noch vergrößert? Nun
habt ihr, Rüdiger, doch bisher immer versichert, ihr wolltet
Ehre und Leben für uns wagen. Ich habe gehört, daß euch viele
von den Recken in den höchsten Tönen loben.

2207 Jetzt erinnere ich euch an die Hilfe, die ihr geschworen habt, als
ihr mir rietet, hierher in Etzels Land zu ziehen. Der Schwur be­
sagte, daß ihr mir dienen wolltet, bis einer von uns stirbt. Noch
nie habe ich arme Frau diese Hilfe so dringend gebraucht.«

2208 »Ich leugne nicht, edle Frau, geschworen zu haben, daß ich
Ehre und Leben für euch wagen wollte. Daß ich aber bereit bin,
mein Seelenheil dabei zu verlieren, habe ich nicht geschworen.
Euren wohlgeborenen Brüdern habe ich in dieses Land das
Geleit gegeben.«

2209 Sie entgegnete: »Rüdiger, denke an deine große Treue, an die


Beständigkeit und an den Eid, daß du immer Schaden, den
man mir zufügt, und all mein Leid rächen wolltest. Daran erin­
nere ich dich heute, tapferer, tüchtiger Kämpfer.«

2210 Auch der mächtige Etzel begann jetzt flehentlich zu bitten.


Schließlich fielen beide vor ihrem Lehnsmann auf die Knie.
Man sah, daß den edlen Markgrafen Traurigkeit erfaßte. Von
Schmerz erfüllt sagte der treue Recke:

2211 »O weh, ich armer, gottverlassener Mann! All meine Ehre,


meine Treue und höfische Tugend, die mir Gott zuteil werden
ließ, verliere ich heute. Allmächtiger Gott im Himmel, davor
bewahre mich der Tod!
706 3 6 . AVENTIURE

2212 Sw elhez ich n u laze u n d daz an d er began,


so han ich bösliche un d übel getan.
laz aber ih si beide, m ich schiltet elliu diet,
nu ruoche m ich bew isen, der m ir ze lebene geriet.«

2213 D o b a t e n si g e n o te , d e r k u n i c u n d o u c h s in w ip .
d e s m u o s e n s id e r d e g e n e V erlie sen d e n lip
vor Rüedegeres handen, da ou ch der heit erstarp.
ir m uget daz balde hoeren, daz er v il jaem erlich en w arp.

2214 E r w iste schaden gew in n en u n d u n gefüegiu leit.


er het dem kun ige vil gerne verseit
un d ouch der kunigin n e. vil ser vorh t er daz,
ob er ir einen slüege, daz im diu w erlt trüege haz.

2215 D o sprach der m arcgrave Rüedeger, der chüen e m an:


»her chun ic, nu nem t hin w id ere, al daz ich von iu han,
lant unde burge, des soi m ir niht besten.
ich w il u f m in en fuezen in daz eilende gen.

22 1 6 A lles guotes ane so rum ich iu d iu lant.


m in w ip un d m ine tohter n im ich an m ine hant.
e daz ich ane triw e beliben m u ose tot,
ich het gen om en ubele iw er golt also rot.«

2217 D o sprach der kunic Ezele: »wer hülfe dan ne m ir?


daz lant zuo den bürgen , daz gib ich allez dir,
daz du m ich rechest, Rüedeger, an den vin d en m in.
du soit ein kunic gew altech benebn m im e libe sin.«

2218 D o sprach aber Rüedeger: »wie sol ihz ane van?


heim ze m im e huse ich si geladet han,
trinchen unde spise ich in m it triw en bot
un d gab in m in e gäbe, soi ich si dar zuo slahen tot?
RÜDIGERS K A M PF UN D TOD 707

2212 Was ich auch tue oder lasse, in jedem Fall habe ich schlecht und
falsch gehandelt. Lasse ich aber beides, dann wird mich alle
Welt beschimpfen. Nun möge mir der einen Weg zeigen, der
mir das Leben gegeben hat.«

2213 Der König und auch seine Gemahlin baten ihn ganz eindring­
lich. Deshalb mußten später viele Kämpfer von Rüdigers Hand
das Leben verlieren, bevor der Held selbst umkam. Ihr könnt
nun hören, wie bewegend er um Verständnis warb.

2214 Er wußte, daß ihm Schaden und ungeheures Leid bevorstan­


den. Gern hätte er dem König und auch der Königin die Unter­
stützung versagt. Er fürchtete, daß ihn der Haß der ganzen Welt
träfe, wenn er einen von den Burgunden erschlüge.

2215 Dann sagte der Markgraf Rüdiger, der tapfere Mann: »Herr Kö­
nig, nehmt alles zurück, was ich von euch zu Lehen habe, Land
und Burgen, davon will ich nichts behalten. Ich will zu Fuß in
die Fremde gehen.

2216 Besitzlos verlasse ich eure Länder. Nur meine Frau und meine
Tochter nehme ich an der Hand mit. Bevor ich als Treuloser
sterbe, verzichte ich lieber auf euer rotes Gold.«

2217 Da antwortete König Etzel: »Wer würde mir dann helfen? Das
Land und die Burgen, alles schenke ich dir, damit du, Rüdiger,
mich an meinen Feinden rächst. Du sollst neben mir ein mäch­
tiger König werden.«

221 8 Doch Rüdiger entgegnete: »Wie könnte ich das tun? Ich habe
die Burgunden in mein Haus eingeladen, ihnen in Treue Speise
und Trank und meine Geschenke gegeben. Soll ich sie nun tot­
schlagen?
708 3 6 . AVEN TIURE

2219 Die Hute waenent lihte, daz ich si verzaget


deheinen minen dienest han ich in widersaget,
solde ich nu mit in striten, daz waere missetan.
so rowe mich diu friuntschaft, die ich mit in geworben han.

2220 Giselher dem degene gab ich die tohter min.


sine chunde in dirre werlde niht baz verwendet sin,
uf zuht und ouch uf ere, uf triwe und ouch uf guot.
ine gesach nie kunec so jungen so rehte tugentlich gemuot.«

2221 Do sprach aber Chriemhilt: »vil edel Rüedeger,


nu la dich erbarmen unser beider ser,
min und ouch des kuniges! gedenche wol dar an,
daz nie wirt deheiner so leide geste gewan.«

2222 Do sprach der marcgrave wider daz edel wip:


»ez muoz noch hiute gelten der Rüedegeres lip,
swaz ir und ouch min herre mir liebes habt getan.
dar umbe muoz ich sterben, ez mac niht langer nu gestan.

2223 Ich weiz wol, daz noch hiute mine burge und miniu lant
iu ledech müezen werden von ir etesliches hant.
ich bevilhe iu uf genade min wip und min chint
und die vil eilenden, die da zen Bechelaren sint.«

2224 »Nu Ion dir got, Rüedeger«, sprach der kunic do.
er und diu kuniginne si wurden beidiu vro.
»uns suln dine Hute vil wol bevolhen wesen.
ouch getrowe ich mime heile, daz du mäht selbe wol genesen.«
RÜDIGERS KA MPF UND TOD 709

2219 D ie Leute glauben vielleicht, ich sei feige. D och ich habe den
B u rgu n d en m einen D ienst zugesichert. W enn ich jetzt gegen sie
käm p fe, w äre das eine schw ere V erfehlung. A uch steht die ver­
w an d tschaftliche B in d u n g , d ie ich m it ihnen eingegangen bin,
dem entgegen.

2220 D em K ä m p fe r G iselh er habe ich m ein e T ochter gegeben. Sie


kon nte a u f d ieser W elt m it kein em besseren M an n verheiratet
w erd en, w as höfisch e Lebensart, Ehre, Treue und Besitz betrifft.
N ie habe ich einen so ju n gen , derart vollkom m en en K ö n ig g e ­
sehen.«

2221 D a r a u f sagte w ied eru m K riem h ild : »E dler R üdiger, nun er­
b arm e d ich über un ser beid er L eid, m ein es u n d auch das des
K ön igs! Beden ke dabei, daß n iem als ein Landesherr so fu rch t­
bare G äste hatte.«

2222 D er M a rk g ra f erw id erte d er edlen Frau: »Ich, R üdiger, m u ß


heute fü r alle W ohltaten bezahlen, die ihr un d m ein H err m ir
erw iesen habt. M ein Tod ist die G egen leistu n g. Es kan n jetzt
nicht länger h in ausgezögert w erden.

2223 Ich w eiß gen au, daß m ein e B u rgen und L än der noch heute an
euch zu rückfallen , w en n ich von der H an d irgendeines G egners
sterbe. E urer G n ad e befehle ich m eine Frau und m ein Kind und
alle Frem d en , die in Bechelarn sind.«

2224 »G ott m ö g e es d ir loh n en , R ü d iger«, sagte der K ö n ig darauf.


E r u n d d ie K ö n ig in w aren erleichtert. »D eine Leute w erden in
un serer O b h u t stehen. A uß erdem vertraue ich a u f m ein Heil,
daß d u selbst am Leben bleibst.«
710 36. AV EN TIURE

2225 Do liez er an die wage die sele und ouch den lip.
do begunde weinen daz Ezeln wip.
er sprach: »ich wil iu leisten, als ich gelobet han.
owe der minen friunde, die ich leider muoz bestan!«

2226 Man sah in von dem kunige in starchen riwen gen.


do sah er siner recken ein teil da nahen sten,
er sprach: »ir suit iuch wafen, alle mine man.
die chüenen Burgonden muoz ich nu leider bestan.«

2227 Do brahte man den recken ir gewaefen al zehant,


ez der heim waere und ouch des Schildes rant,
von ir ingesinde wart ez in dar getragen.
sit horten leidiu maere die chüenen eilenden sagen.

2228 Gewafent wart do Rüedeger mit fünfhundert man.


dar über zwelf recken ze helf er ouch gewan,
die wolden pris erwerben in des sturmes not.
sine wisten niht der maere, daz so nahte der tot.

2229 Do sah man Rüedegere under helme gan.


ez truogen swert diu scharpfen des marcgraven man
und dar zuo vor ir handen die liehten Schilde breit,
daz sach der videlaere, ez was im ane maze leit.

2230 Ouch sach der junge Giselher sinen sweher gen


mit uf gebundem helme. wie mohter do versten,
waz er da mite meinte niwan allez guot?
des wart der kunic edele von hercen vrolich gemuot.

2231 »Nu wol mich solher friunde«, sprach Giselher der degn,
»die wir han gewunnen her uf disen wegn.
wir suln mines wibes vil wol geniezen hie.
mir ist liep uf mine triwe, daz ie der hyrat ergie.«
RÜDIGERS KAM PF UN D TOD 711

2225 Nun setzte Rüdiger Leib und Seele aufs Spiel. Etzels Gemahlin
fing an zu weinen. Er sagte: »Ich werde euch jetzt leisten, was
ich versprochen habe. O weh über meine Freunde, daß ich sie
nun gegen meinen Willen angreifen muß!«

2226 Schm erzerfüllt sah m an ihn von dem K ö n ig Weggehen. Ein Teil
seiner Recken stand in d er N ähe, un d er befahl ihnen: »B ew aff­
net euch, alle m ein e Leute. Z u m ein em Leidw esen m üssen w ir
die tapferen B u rgu n d en angreifen.«

2227 Sofort brachte man den Kriegern ihre Waffen. Helm und Schild
wurden ihnen von ihrer Dienerschaft dorthin getragen. Dann
hörten die kühnen Fremden die schmerzliche Nachricht.

2228 Rüdiger und fünfhundert Leute wurden gerüstet. Außerdem


hatte er noch zwölf Recken zu seiner Unterstützung, die im
harten Kampf Ruhm erwerben wollten. Sie wußten nicht, daß
ihnen der Tod so nahe bevorstand.

2229 Alsbald sah man Rüdiger mit dem Helm auf dem Kopf heran­
kommen. Die Männer im Gefolge des Markgrafen trugen
scharfe Schwerter und glänzende Schilde in den Händen. Das
beobachtete der Fiedler, und es erschreckte ihn maßlos.

2230 Auch der junge Giselher erblickte seinen Schwiegervater mit


dem Helm auf dem Kopf. Wie hätte er es anders verstehen kön­
nen, als daß er in guter Absicht kam? Das stimmte den edlen
König von Herzen froh.

2231 »Wie gut, daß mir solche Freunde beistehen, die wir auf dieser
Reise gewonnen haben«, sagte Giselher, der Kämpfer. »Die Ver­
wandtschaft, die sich durch meine Heirat ergeben hat, bringt
uns hier großen Vorteil. Ich bin wirklich froh, daß die Ehe
geschlossen wurde.«
712 3 6 . AVEN TIURE

2232 »Ine w eiz, w es ir iuh troestet«, sprach d o d er spilem an .


»wa gesahet ir ie durch suon e so m anigen recken gan
m it ufgebunden helm en, die triiegen sw ert enhant?
an uns w il dienen R ü ed eger sine bu rge un d sin iu lant.«

2233 Bedaz der videlaere die rede vol sprach,


den guoten m arcgraven m an v o r dem huse sach.
sinen schilt den guoten sazter fu r den fiioz.
do m u oser den gesten versagen dienest unde gruoz.

2234 D er edel m arcgrave r ie f hin u f zehant:


»nu w ert iuch, edeln recken von B u rg o n d en lant.
ir soldet m in geniezen, ir engeltet leider m in.
e do w aren w ir gefriun d e, nu m u oz ich iw er vien t sin.«

2235 D o erschracten dirre m aere die nothaften m an.


in w as der trost enpfallen, den si da w an d en han.
d o m it in w old e striten, dem si da w arn holt.
si heten d oh von vien d en vil m ichel arebeit gedolt.

2236 »N une w elle got von him ele«, sprach G u n th er der degen,
»daz ir iuch suit genaden n och an uns bew egen
und der vil grozen triw e, der w ir doch heten m uot!
ich w il iu des baz getrow en, daz ir ez n im m er getuot.«

2237 »Ine m ages niht gelazen«, sprach d o der chüen e m an.


»ich m uoz m it iu striten, w än d e ihz gelobet han.
nu w ert iuch chüenen degene, so lieb iu si d er lip.
m ich enw oldes niht erlazen des kunec Ezeln w ip.«
RÜDIGERS KA MPF UND TOD 713

2232 »Ich w eiß nicht, w o h er ihr die Zuversicht nehm t«, w andte der
Sp ielm an n ein. »Wo habt ihr jem als im Z eich en des Friedens so
viele Recken m it H elm en a u f dem K o p f gesehen, die Schw erter
in d er H an d trugen? R ü d iger w ill sich seine Burgen un d Länder
im K a m p f gegen uns verdienen.«

2233 B evo r der Fied ler ausgeredet hatte, sah m an auch sch on den
edlen M ark grafen v o r d em H aus. E r stellte seinen prächtigen
Sch ild v o r seine Füße. D an n m uß te er den G ästen D ienst und
G ru ß versagen.

2234 D er edle M a rk g ra f r ie f sogleich: »N un w eh rt euch, tüchtige


Recken aus dem B u rgun d enland . Eigentlich solltet ihr H ilfe von
m ir erhalten, d o ch b ek o m m t ihr das G egenteil. B ish er w aren
w ir Freunde, jetzt m uß ich euer Feind sein.«

2235 Ü b er diese N ach rich t ersch raken die bedrängten M än ner. Sie
hatten den H elfer verloren , den sie im H un n enland zu haben
glaubten . D er n un gegen sie käm p fen w ollte, dem w aren sie
freu n d sch aftlich verbu n d en . Feinde hatten ihnen doch schon
m eh r als gen u g zugesetzt.

2236 »D as verhüte G o tt im H im m el«, r ie f G un ther, d er K äm pfer,


»daß ihr eure Z u n eig u n g zu uns und d ie groß e Treue, a u f die
w ir geh offt hatten, aufgebt! Ich vertraue euch zu sehr und weiß,
daß ihr das n iem als tun w ürdet.«

2237 »Ich kann m ich nicht anders verhalten«, sagte der kühne M ann.
»Ich m u ß m it eu ch käm p fen , denn ich habe es gelobt. N un
w eh rt euch , tapfere K äm pfer, w enn euch euer Leben lieb ist.
K ö n ig Etzels G em ah lin w ar nicht bereit, m ich von m einen
Pflichten zu entbinden.«
714 36. AVEN TIURE

2238 »Ir w id ersaget uns nu ze spate«, sp rach d o d er ch u n ic her.


»nu m üez iu got vergelten, vil edel Rüedeger,
triw e unde m in n e, die ir uns habt getan,
ob irz an dem ende w old et m in n eklich er lan.

2239 W ir soldenz im m er dienen, daz ir uns habt gegeben,


ich un d m ine m age, ob ir uns liezet leben,
die herlichen gäbe, do ir un d iw er m an
uns fuortet friu ntliche zuo dirre hochgezite dan.«

2240 »Wie w ol ich iu des gunde«, sprach R ü ed eger d er degen,


»daz ich iu m in e gäbe noch dicke solde w egen
m it vollen w illechliche, als ich des hete w an.
sone w u rd e m ir dar um b e n im m er schelten getan.«

2241 »Erw indet, edel Rüedeger«, sprach d o G ern ot,


»w andez w irt deheiner gesten n ie erbot
so rehte m in n ekliche, als ir un s habt getan,
des suit ir w ol geniezen, ob w ir bi lebene bestan.«

2242 »D az w old e got«, sprach Rüedeger, »vil edel G ern ot,


daz ir ze R ine waeret, und ich w aere tot
m it etelichen eren! sit ich iuch soi bestan,
ez enw art noch nie an degenen w irs von friu n d en getan.«

2243 »N u Ion iu got, her Rüedeger«, sprach aber G ern o t,


»die vil riehen gäbe! m ich riwet iw er tot,
soi an iu verterben so tugentlicher m uot.
ich trage hie iw er w afen , daz ir m ir gäbet, helet guot.

2244 D az ist m ir nie gesw ichen in aller d irre not,


under sinen ecken lit m anic ritter tot.
ez ist luter unde staete, herlich un d e guot.
ich w aen, so riche gäbe ein recke n im m er m er getuot.
RÜDIGERS KAMPF UND TOD 715

2238 »Ih r sagt un s zu spät den K a m p f an«, sprach der erhaben e


K ö n ig . »N u n m ö g e euch G o tt, edler R üdiger, die Treue und
Liebe, die ihr uns erw iesen habt, lohn en, w enn ihr aus Z u n e i­
g u n g zu uns d och n och das V orhaben aufgebt.

2239 Falls ihr uns am Leben laßt, w erden ich un d m eine Verw andten
euch ew ig für alles d an kb ar sein, beson ders fü r die herrlichen
A bschied sgeschen ke, die ihr uns gegeben habt, b evor ihr und
eure Leute un s freund lich zu diesem Fest führtet.«

2240 »Wie seh r w ün sch te ich«, sagte R üdiger, der K äm pfer, »daß ich
euch m ein e G ab en noch oft reichlich un d bereitw illig anbieten
kön n te, w ie ich es geh offt hatte. D an n w ü rd e ich d afü r auch
n icht geschm äht w erden.«

2241 » H ö rt auf, edler R ü d iger«, sagte G e rn o t d arauf, »denn kein


W irt hat jem als seine G äste so liebevoll au fgen o m m en w ie ihr
uns. A u ch euch selbst w ird es nützen, w en n w ir am Leben
bleiben.«

2242 »W ollte G o tt, edler G ern ot« , sprach R üdiger, »ihr w äret am
R h ein un d ich w äre ehrenvoll um s Leben gekom m en ! D a ich
ab er n un gegen euch k äm p fen soll, m uß ich sagen, daß noch
nie K äm p fern von Freun d en Schlim m eres angetan w urde.«

2243 »D an n beloh n e euch G ott, H err Rüdiger, fü r die w ertvollen G e ­


schenke!« entgegnete w ied eru m G ern ot. »M ir w ürde euer Tod
w eh tun, da m it euch ein so ausgezeichneter M an n um käm e.
Ich trage hier euer Schw ert, das ihr, tüchtiger H eld, m ir gegeben
habt.

2244 In der B ed rän gn is dieser K äm p fe hat es m ich nie im Stich ge­


lassen, durch seine scharfen Schneiden haben viele Ritter den
Tod gefun d en. Es ist rein un d zuverlässig, herrlich und gut. Ich
glaube, ein so w ertvolles G esch en k m acht nie w ied er ein Recke.
716 3 6 . AVEN TIURE

2245 U n d w elt ir niht erw ind en , im w ellet zuo zuns gan,


slaht ir m ir iht d er friu n d e, die ich n och h in ne han,
m it iw er selbes sw erte nim ich iu den lip.
so riwet ir m ich, Rüedeger, u n d iuw er herlichez w ip.«

2246 »D az w old e got, her G ern ot, u n d m öh te daz ergan,


daz aller iw er w ille w aere hie getan,
und daz genesn w aere iw er friu n d e lip.
iu sol vil w ol getrow en bed iu m in tohter u n d m in w ip.«

2247 D es antw urt im Giselher, der edeln U oten kint:


»wie tuot ir so, her Rüedeger? die m it m ir ch om en sint,
si sint iu alle w aege, ir grifet ubel zuo.
die iw ern schoenen tohter weit ir verw itew en ze ffu o ?

2248 Sw enne ir un d iw er recken m it strite m ich bestat,


w ie rehte u n friun tliche ir daz schinen lat,
daz ich iu w ol getrow e fü r an d er alle m an,
da von ich zeinem w ibe iw er tohter m ir gew an.«

2249 »G edenchet iw er triw e, vil edel k u n ich her,


gesende iuch got von hinnen«, so sprach Rüedeger.
»lat die ju n cfrow en n iht engelten m in.
d urch aller fürsten tugende so ruoch et ir gen aedich sin.«

2250 »D az taet ich w ol von schulden«, sprach G iselh er daz kint.


»die edeln m in e m age, die noch hier inne sint,
suln die von iu ersterben, so m u oz gescheiden sin
d iu v il staete ffiu n tsch aft zuo ziu un d ou ch dem w ib e m in .«

2251 »N u m üez uns got genaden!« sprach d o der chüen e m an.


d o h u oben si die Schilde, also si w old en dan
striten zuo den gesten in C h riem h ild e sal.
d o rie f vil lute H agene von d er stiegen hin zetal:
R Ü D IG E R S K A M P F U N D T O D 717

2245 Wenn ihr nicht aufgebt, uns anzugreifen, und auch nur einen
meiner Freunde erschlagt, die ich hier drinnen noch habe,
nehme ich euch das Leben mit eurem eigenen Schwert. Dann
tut ihr mir leid und eure wunderbare Gemahlin auch.«

2246 »Bei G ott, H err G e m o t, m öge euer W unsch in Erfü llu n g gehen,
d aß alle eure Freu n d e m it d em Leben d avon k om m en . Euch
kön n ten sich m ein e Tochter un d m ein e Frau d an n sehr w ohl
an vertrau en.«

2247 Nun antwortete Giselher, der edlen Ute Sohn: »Weshalb tut ihr
das, Herr Rüdiger? Alle, die mit mir gekommen sind, die sind
euch gewogen, ihr führt euch schlimm auf. Wollt ihr eure Toch­
ter so früh zur Witwe machen?

2248 W enn ihr u n d eure R ecken m ich angreift, d an n vergeltet ih r


höchst u n freu n d lich , daß ich euch v o r allen anderen vertraute,
in d em ich eure T ochter zur Frau nahm .«

2249 »Denkt an eure Treue, edler und erhabener König, wenn Gott
euch wieder fortziehen läßt«, sagte Rüdiger. »Laßt eure junge
Frau nicht für mich büßen. Um der Tugend aller Fürsten willen,
seid ihr gnädig.«

2250 »Das würde ich mit gutem Grund tun«, antwortete der junge
Giselher. »Doch wenn meine edlen Verwandten, die noch hier
im Saal sind, durch euch umkommen, dann muß die feste
verwandtschaftliche Bindung zu euch und meiner Frau gelöst
werden.«

2251 »Jetzt sei Gott uns gnädig!« sprach der tapfere Mann. Dann
hoben sie die Schilde, um in Kriemhilds Saal gegen die Gäste
zu kämpfen. Da rief Hagen mit lauter Stimme von der Treppe
herab:
718 3 6. AV ENTIURE

2252 »Belibet eine w ile, vil edel R üed eger!«


also sprach do H agene. »w ir w old en reden m er,
ich und m ine herren, des uns tw in get not.
w az m ac gefrum en Ezeln unser eilenden tot?

2253 Ich stan in grozen sorgen, vil edel fürste m ilt:


m ir gab diu m arcgravin n e disen riehen schilt;
den habent m ir die H ün en zerhow en vo r der hant.
ich fu ort in m inn eklichen h er in Ezelen lant.

2254 D az w old e got von him ele«, sprach aber H agene,


»unt het ich schilt so guoten hie ze tragene,
also d u hast vor hende, vil edel Rüedeger,
sone gerte ich hie zen H ün en d eheiner halsperge mer.«

2255 »Vil gern w aer ich d ir gu ot m it m im e Schilde,


torst ich diren gebieten v o r C h riem h ild e.
d och nim du in hin, H agene, un d trag in v o r d er hant.
hey, soldestu in füeren in der B u rgo n d en lant!«

2256 D o er im so w illechliche den schilt ze gebne bot,


do w art gen uoger ougen von w einen harte rot.
ez w as d iu leste gäbe, die sid er im m er m er
gebot d eheim e degene von Bechelaren Rüedeger.

2257 Sw ie grim m e H agene w aere un d sw ie herte gem u o t,


d och erb arm et in d iu gäbe, d ie der heit guot
bi sinen lesten eiten so nahe hete getan,
vil m anic ritter edele m it im truren began.

2258 »N u Ion iu got von him ele, vil edel R üedeger!


ez w irt iw er geliche deheiner n im m er m er,
der eilenden recken so m iltechlichen gebe.
got sol daz gebieten, daz iw er tugent im m er lebe!
RÜDIGERS KAMPF UND TOD 719

2252 »W artet n och einen M o m en t, edler R ü d iger!« D as w aren


H agen s W orte. »Wir w ollen noch länger m it dir reden, ich und
m ein e H erren , w eil uns unsere N otlage dazu zwingt. W as kann
Etzel der Tod von uns Frem d en nützen?

2253 Ich habe eine groß e Sorge, edler, freigebiger Fürst: D ie M ark-
gräfin gab m ir diesen w ertvollen Schild; den haben m ir die
H u n n en am A rm zerschlagen. Ich hatte ihn in freundschaftli­
ch er A bsicht h ierher in Etzels L an d gebracht.

2254 W ollte G o tt im H im m el«, sprach H agen weiter, »daß ich einen


so guten Sch ild tragen dürfte, w ie du ihn in d er H an d hältst,
edler R üdiger, d an n brauchte ich hier bei den H un n en keinen
B ru stp an zer m ehr.«

2255 »Sehr gern w ü rd e ich d ir m ein en Sch ild geben, w en n ich es


w agte, ihn d ir vor K riem h ild s A u gen zu überreichen . D och
n im m ihn, H agen, un d trag ihn in der H an d. A ch, könntest du
ihn n u r w ied er nach H au se ins B u rgu n d en lan d brin gen!«

2256 A ls er ihm so bereitw illig den Schild gegeben hatte, da w urden


viele A ugen v o m W einen rot. Es w a r die letzte G ab e, die R ü d i­
ger von Bechelarn einem K äm p fer n och bieten konnte.

2257 W ie g rim m ig H agen so n st auch sein m och te un d w ie u n er­


sch ütterlich , das G esch en k , das ihm d er edle H eld kurz vor
seinem Leben sen de m achte, bew egte ihn tief. V iele edle Ritter
w aren w ie er von Trauer ergriffen.

2258 »N un beloh n e euch G o tt im H im m el, edler R üdiger! N ie w ie­


d er w ird ein M an n frem d e Recken so groß zü gig beschenken,
w ie ihr es getan habt. G o tt gebe, daß eure ritterliche V o llko m ­
m enheit n ie vergessen w erde!
720 36. AVENTI URE

2259 Nu Ion ich iu der gäbe«, sprach Hagene der degen,


»daz ich mich alles ubeles wil gein iu bewegen,
daz nimmer iuch geriieret in strite hie min hant,
ob ir si alle slüeget, die von Burgonden lant.«

2260 Des neig im do mit zühten der marcgrave her.


die liute weinten alle, daz disiu starchen ser
niemen scheiden chunde, daz was ein michel not.
vater aller tugende lag an Rüedegere tot.

2261 Do sprach ouch von dem huse Volker der spileman:


»sit min geselle Hagene den vride hat getan,
den suit ir also staete han von miner hant.
daz habt ir wol verdienet, do wir chomen in daz lant.

2262 Vil edeler marcgrave, ir suit min bote sin.


dise roten bouge gab mir diu marcgravin,
daz ih si tragen solde hie zer hochgecit.
daz han ich geleisten, daz ir min ziuch des sit.«

2263 »Daz wolde got von himele«, sprach do Rüedeger,


»daz iu diu marcgravinne noch solde gebn mer!
diu maere sage ich gerne der trutinne min,
und gesihe ich si gesunde, des suit ir ane zwivel sin.«

2264 Als er im daz gelobte, den schilt huop Rüedeger,


des muotes er irtobete. dane beit er da niht mer,
er lief uf zuo den gesten eime recken gelich.
manigen slac vil swinden sluoc der marcgrave rieh.

2265 Die zwene wichen hoher, Volker und Hagene,


wandez im e gelobten die snellen degene.
noch vant er also chüenen bi dem turne stan,
daz Rüedeger des strites mit grozen sorgen began.
RÜDIGERS KAMPF UND TOD 721

2259 Ich jedenfalls zeige mich für das Geschenk erkenntlich«, sagte
Hagen, der Kämpfer, »indem ich euch nichts Böses zufüge und
niemals im Kampf meine Hand gegen euch erhebe, selbst wenn
ihr alle Burgunden erschlagen solltet.«

2260 Daraufhin verneigte sich der erhabene Markgraf mit Anstand.


Die Umstehenden weinten alle. Daß niemand diesen tiefen
Schmerz lindern konnte, war ein schreckliches Verhängnis. Mit
Rüdiger starb der Vater aller ritterlichen Tugenden.

2261 Auch der Spielmann Volker rief aus dem Haus herab: »Da mein
Kampfgefährte Hagen euch Frieden gelobt hat, sollt ihr diesen
genauso unverbrüchlich von meiner Hand zugesichert bekom­
men. Das habt ihr wohl verdient, als wir in dieses Land gekom­
men sind.

2262 Edler Markgraf, ihr sollt mein Bote sein. Diese rotgoldenen
Armreife hat mir die Markgräfin geschenkt, damit ich sie hier
auf dem Fest trage. Das habe ich getan, ihr könnt es bezeugen.«

2263 »Wollte Gott im Himmel«, antwortete Rüdiger, »daß euch die


Markgräfm noch mehr solche Geschenke machen könnte! Die
Nachricht überbringe ich meiner lieben Frau gern, wenn ich sie
gesund wiedersehe, daran braucht ihr nicht zu zweifeln.«

2264 Als er ihm das versprochen hatte, hob Rüdiger seinen Schild, er
geriet in höchste Erregung. Dann wartete er nicht länger, er
rannte gegen die Gäste an, wie es ein Recke zu tun pflegt. Viele
gewandte Schwertschläge teilte der mächtige Markgraf aus.

2265 Volker und Hagen wichen beide zurück, denn die tapferen
Kämpfer hatten es ihm gerade gelobt. Doch fand Rüdiger einen
ebenso kühnen am Turm stehen, so daß er den Kampf mit
großer Besorgnis begann.
722 3 6 . AVEN TIURE

2266 D u rch m ortraech en w illen so liezen si in d ar in,


Gunther unde Gemot, si heten helede sin.
Giselher stuont uf hoher, ze ware ez was im leit.
er versach sich noch des lebenes, dar umbe er Rüedegeren meit.

2267 Do Sprüngen zuo den vinden des marcgraven man.


man sah si degenliche nach ir herren gan.
diu vil scharpfen wafen si truogen an der hant.
des brast da vil der helme und manic herlicher rant.

2268 Do sluogen die vil müeden manigen swinden slac


den von Bechelaren, der ebene gelac
durch die liehten ringe vaste unz uf daz verch.
si frumten in dem sturme diu vil herlichen werch.

2269 Daz edel ingesinde was chomen gar dar in.


Volker un d e H agene die Sprüngen balde hin.
sine gaben vrid e n iem en w an dem einem m an.
von ir beider hande daz bluot durch helme nider ran.

2270 Wie rehte gremliche vil swerte drinne erchlanc!


vil der Schildes Spangen uz den siegen spranch.
des reis ir schiltgesteine verhowen in daz bluot.
si vahten also grimme, daz man ez nimmer mer getuot.

2271 Der vogt von Bechelaren gie wider unde dan,


also der mit eilen in sturme werben chan.
dem tet des tages Rüedeger mit strite wol gelich,
daz er ein degn waere vil chüen und ouch vil lobelich.

2272 Hie stuonden dise zwene, Gunther und Gernot.


si sluogen in dem strite vil manigen heit tot.
Giselher und Danchwart die bede ez ringe wach,
des frumten si vil manigen unz uf ir jungesten tach.
RÜDIGERS KAMPF UND TOD 723

2266 In E rw artu n g eines töd lich en K am pfes ließen ihn G u n th er und


G e rn o t in den Saal, beide hatten helden haften M ut. G iselh er
stand etw as abseits, er litt w irklich an der erzw ungenen Fein d ­
schaft. N o ch hoffte er, m it dem Leben d avon zukom m en, darum
hielt er sich von R ü d iger fern.

2267 D an n stü rm ten die Leute des M ark grafen a u f die Feinde los.
M an sah sie k äm p fen d ihrem H errn folgen. Sie trugen ihre
sch arfen Sch w erter in d er H an d . D am it zerschlugen sie viele
H elm e un d herrliche Schilde.

2268 D ie erm atteten B u rgu n d en setzten n un den Leuten von Beche-


larn m it vielen gew and ten Sch lägen zu, die gen au durch die
hellen P an zerrin ge tie f b is ins M ark trafen. In diesem K a m p f
vollbrach ten sie groß artige Taten.

2269 D as edle G efo lge w ar inzw ischen vollstän dig in den Saal einge­
d ru n gen . V olker u n d H agen spran gen eilig herbei. Sie gew äh r­
ten n iem an d em Fried en bis a u f den einen M an n . V on ihren
Schlägen rann das Blut durch die H elm e hinab.

2270 W ie schrecklich klangen die vielen Schw erter da drinnen! Z a h l­


reiche Sch ild sp an gen brachen aus den H alterungen. D adurch
fielen die schm ückend en Edelsteine zerschlagen in das Blut. Sie
käm p ften so grim m ig , w ie es nie w ied er geschehen w ird.

2271 D er H err von Bechelarn lie f vor un d zu rü ck w ie einer, der sich


m u tig im S tu rm zu bew egen versteht. A n diesem Tag zeigte
R ü d iger im G efech t überdeutlich, daß er ein kühner, rü h m en s­
w erter K äm p fer war.

2272 Ih m standen G u n th er un d G ern o t gegenüber. Sie erschlugen in


diesem K a m p f viele H eldén. G iselh er un d D an kw art rührte das
w en ig, sie bereiteten etlichen ihre letzte Stunde.
724 36. AVEN TIURE

2273 W ol zeigte der m arcgrave, daz er w as starch gen uoc,


chüene un d w ol gew afent. hey, w az er helde sluoc!
daz sach ein B u rgon d e, do d w an g in zorn es n ot,
da von begu n d e nahen des gu oten R üedegeres tot.

2274 Ez w as der starche G ern ot, den heit den rie f er an,
er sprach zem m arcgraven: »ir w elt m ir m in er m an
niht genesen lazen, vil edel Riiedeger,
daz m üet m ich ane m aze, ine chans niht an gesehn mer.

2275 N u m ag iu iw er gäbe w ol ze schaden ch om en ,


sit ir m in er friu n d e m ir habt so v il gen om en .
n u w en det iuch her um be, vil edel chüen e m an,
iw er gäbe w irt verdienet, so ich aller hohste kan.«

2276 E daz der m arcgrave vol zuo zim ch ôm e dar,


des m u osen liehte ringe w erden m issevar;
do Sprüngen zuo zeinander die ere gernde man.
ir ieteweder schirmen fur starche wunden im began.

2277 Ir sw ert so scherpfe w arn , ez en chu nd e niht gew egen.


do sluoc G ern oten R ü ed eger d er degen
durch heim vlinsh erten , daz n id er vlo z daz bluot.
daz vergalt im w ol m it eilen d er ritter ch ü en u n d e guot.

2278 D ie R üed egers gäbe an hende er hohe erw ach.


sw ie w u n t er zem tode w aere, er slu o g im einen slach
durch sinen schilt guoten un z u f d iu heim gespan.
da von ersterben m u ose d er schoen en G o telin d e m an.

2279 Jane w art nie w irs gelonet so richer gäbe mer.


d o vielen bede erslagene die recken also her,
gelich in dem sturm e von ir selber hant.
alrerst erzurnede H agene, d o er den grozen schaden vant.
RÜDIGERS KAMPF UND TOD 725

2273 D er M a r k g r a f zeigte, daß er außerordentlich stark, kühn und


gut bew affn et war. A ch , w ie viele H elden ersch lu g er! D as sah
ein B u rg u n d e u n d geriet in großen Z o rn , dadurch rückte der
Tod des edlen R ü d ig er näher.

2274 Es w ar der starke G ern ot, der rie f zu dem H elden h in über und
sagte zu d em M ark grafen : »Ihr w ollt m ir m ein e M än n er nicht
am Leben lassen, ed ler R ü d iger, das trifft m ich m aßlos. Ich
kan n es n icht län ger m it ansehen.

2275 N u n w ird euer G esch en k euch zum V erhängnis w erden, da ihr


m ir so viele von m ein en Freunden geraubt habt. W endet euch
hierher, edler, tap ferer M an n , fü r eure G ab e zahle ich jetzt den
h ö ch stm öglich en Preis.«

2276 B e v o r d er M a r k g r a f G e rn o t erreichte, m uß ten n och etliche


helle R in g p an zer glanzlos w erden; dann aber sprangen die eh r­
begierigen M än n er au fein an d er los. Jeder von ihnen schirm te
sich gegen gefährliche W unden ab.

2277 D och ihre Schw erter w aren so scharf, daß es nichts nützte. D a
tra f R üdiger, der K äm pfer, G ern ot durch den steinharten H elm ,
daß das Blut herabfloß . D ies vergalt ih m der kühne un d tü ch ­
tige R itter voller Kam pfeifer.

227« R ü d igers G ab e hob er in der H an d h och em por. O bw oh l er


töd lich verw u n d et war, versetzte er R ü d iger einen Schlag durch
seinen guten Sch ild bis a u f die H elm spange. D avon m ußte der
M an n der schön en G o telin d sterben.

2279 W ahrhaftig, nie w ied er w u rd e eine w ertvolle G ab e sch lim m er


vergolten . D ie beiden herrlichen Recken fielen zugleich im
K am p f, einer von der H an d des anderen erschlagen. Als erster
geriet H agen in Z o rn , als er den großen Verlust erblickte.
726 36. AVENTIURE

2280 D o sprach der heit von Tronege: »ez ist uns übel chom en .
w ir haben an in beiden so starchen schaden gen om en ,
den n im m er ub erw in d en t ir liute un d ouch ir lant.
die Rüedegeres degene die m üezen nu sin un ser pfant.«

2281 D ane w o ld e ir deheiner dem andern n iht vertragen ,


vil m an iger ane w u n d en d ar nider w art geslagen,
der w ol genesen w aere, ob im w art solch gedranch.
sw ie gesunt er anders w aere, der in dem bluot doch ertran ch.

2282 »O w e m in es bruoder, der tot ist hie gefrum t!


w az m ir der leiden m aere zallen eiten chum t.
ouch m u oz m ich im m er riw en m in sw eher Rüedeger.
der schade ist beidenthalben un d d iu vil groezlichen ser.«

2283 D o die recken sahen, daz si beide w aren tot,


die da d an n och lebeten, di m u osen liden not.
der tot der suochte sere, da sin gesin de w as.
der von Bechelaren einer langer niht genas.

2284 G u n th er un d e G iselh er un d ou ch H agene,


D anchw art unde Volker, die guoten degene,
die giengen, da si fan d en ligen zw ene m an.
da w art von den heleden m it ja m er w einen s vil getan.

2285 »D er tot uns sere roubet«, sprach G iselh er daz chint.


»lazet iw er w einen, und gen w ir an den w int,
daz die ringe erchüelen uns sturm em üeden m an.
ja w aen, uns got niht langer nu daz lebn w elle lan.«
RÜDIGERS KAMPF UN D TOD 727

2280 D a sagte d er H eld von Tronje: »D as ist ein sch lim m er Schlag
fü r uns. W ir haben d urch ihrer beider Tod so schweren Schaden
erlitten, daß ihn ihre Leute un d ihre L än der niem als verw inden
w erden. W er von R üd igers K äm p fern noch lebt, m uß nun unser
P fan d sein.«

2281 Jetzt w ollte kein er d em anderen Sch o n u n g gew ähren. M an ch


einer w u rd e n iedergeschlagen, ohne verw undet zu sein, u n d er
hätte w o h l überleben kön nen , w enn nicht ein solches G edrän ge
en tstand en w äre. A uch w er sonst unversehrt war, der m ußte
d och im Blut ertrinken.

2282 »O w eh, m ein B ru d er ist hier u m gek o m m en ! Im m erzu erfahre


ich neues Leid. A uch an m ein en Schw iegervater R ü d iger w erde
ich stets voller M itleid denken. D er Verlust und der ungeheure
Sch m erz betreffen beide Seiten.«

2283 A ls die R ecken sahen, d aß beide tot w aren , m uß ten alle, die
n och lebten, d a fü r b üß en . D er Tod suchte sich begierig sein
G efolge. N icht einer aus Bechelarn blieb am Leben.

2284 G un ther, G iselh er un d auch H agen, D an k w art und Volker, die


ausgezeichneten K äm pfer, gin gen dorth in , w o die beiden M ä n ­
ner lagen. D ie H elden w einten, von Schm erz tiefb ew eg t.

2285 »D er Tod beraubt uns sehr«, sagte der ju n g e G iselher. »H ört a u f


zu w einen , laßt uns ins Freie gehen, d am it uns k am p fm ü d en
M ä n n e rn die R in g p an zer abkühlen . W ahrhaftig, ich glaube,
G o tt w ird uns jetzt nicht m ehr lange am Leben lassen.«
728 3 6 . AVEN TIURE

2286 D en sizzen, disen leinen sah m an d a m anigen degen,


si w aren aber m üezich. d a w aren tot gelegen
die R üedegers helde. vergan gen w as d er doz.
so lange w ert d iu stille, daz sin die k u n ig in n e erdroz.

2287 »O we m ir d irre sw aere!« sprach des ku n iges w ip.


»si sprachent al ze lange, un ser vien d e lip
m ac nu w ol vri beliben v o r R üedegeres hant.
er w il si w id er brin gen heim in d er B u rgo n d en lant.

2288 W az hilfet ch un ic Ezele, daz w ir geteilet han


m it im , sw az er w olde? d er heit hat m issetan.
der uns da solde rechen, der w il der su o n e pflegn.«
des an tw urt ir Volker, der vil zierliche degn :

2289 »Jane zim t niht reden ubele deheines ku n iges w ip!


und torst ich heizen liegen alsus edel w ip,
so het ir R üed egere vil vreislich an gelogen.
er unt die sinen degene sint an d er su o n e gar betrogen.

2290 E r tet so w illechliche, daz im der ku n ic gebot,


daz er un d sin gesinde ist hie gelegen tot.
nu seht alum be, C h riem h ilt, w em ir n u gebieten weit,
iu hat unz u f den ende gedienet R üed eger d er heit.

2291 Welt ir des niht gelouben, m an solz iuch sehn lan.«


durch ir hercenleide so w art daz getan.
m an truoch den heit verhow en , da in der ku n ic ersach.
den Ezeln degenen so rehte leide nie geschach.

2292 D o si den m arcgraven sahen toten tragen,


ezn chun de ein schribaere geprieven noch gesagen
die m anigen ungebaere, der w ib unde m an
von ir hercen sw aere al da bezeigen began.
RÜDIGERS KAMPF UND TOD 729

2286 M an sah d o rt den einen K äm p fer sitzen, den anderen sich a n ­


lehnen, sie ruhten sich aus. R ü d igers H elden lagen tot da. D er
K am p flärm w ar vorüber. D ie Stille hielt so lange an, daß es die
K ö n ig in verdroß.

2287 »O w eh, w elche B ed rän gn is für m ich!« rie f die G em ah lin des
K ö n igs. »Sie haben viel zu lange m itein an der gesprochen .
U nsere Feinde w ird R ü d igers H an d w ohl nicht treffen. Er w ird
sie w ied er heim ins L and der B u rgu n d en bringen.

2288 W as hilft es K ö n ig Etzel n un, daß w ir m it ihm alles geteilt


haben , w as er n u r wollte? D er H eld hat seine Pflicht verletzt.
Er, d er uns rächen sollte, w ill Frieden schließen.« D a ra u f an t­
w ortete Volker, der stattliche K äm p fer:

2289 »W irklich, es ziem t sich nicht fü r die G em ah lin eines K önigs,


d erart böse zu reden! W enn ich es wagte, eine so edle Frau der
Lüge zu bezichtigen , d an n sagte ich, ihr habt R ü d iger ganz
sch recklich verleum d et. E r un d seine K äm p fer sind um den
Fried en betrogen .

2290 E r hat w illig ausgeführt, w as ihm d er K ö n ig befahl, so daß er


u n d sein ganzes G efo lge jetzt h ier tot am B od en liegen. N un
seht euch u m , K riem h ild , w em ihr jetzt Befehle erteilen wollt.
D er H eld R ü d iger hat euch bis an sein Ende gedient.

2291 W enn ihr das nicht glauben w ollt, soll m an es euch zeigen.«
D as taten sie, um K riem h ild tie f zu verletzen. M an trug den er­
schlagenen H elden d o rth in , w o ihn der K ö n ig sehen konnte.
Solches Leid hatte Etzels K äm p fer noch nie getroffen.

2292 Kein D ich ter hätte sch riftlich o d er m ü n d lich in W orte fassen
k ön n en , m it w elchen G ebärd en Frauen und M än n er die Q ual
ihres H erzens d ort zum A u sd ru ck brachten, als sie den L eich ­
nam des M ark grafen erblickten.
730 3 6 . AVENTIURE

2293 D o w art der Ezeln ja m e r so starch un d also groz,


als eins lewen stim m e der riche ku n ic erdoz
m it hercen leidem w uofe. alsam tet ou ch sin w ip.
si chlageten un gefuoge des guoten R üedegers lip.
RÜDIGERS KAMPF UND TOD 731

2293 D a w u rd e Etzels Schm erz so heftig und so groß, daß der m äch ­
tige K ö n ig seine herzzerreiß ende K lage gleichsam m it der
S tim m e eines Löw en herausbrüllte. D as gleiche tat seine Frau.
Sie klagten u n m äß ig u m den edlen Rüdiger.
37- AVENTIURE
AVENTIURE WIE DES HERREN DIETRICHES RECKEN
ALLE WURDEN ERSLAGEN

2294 D o h ö rt m an allenthalben ja m er also groz,


daz palas unde türn e von dem w u o fe erdoz.
do hört ez ouch von Bern e ein D ietriches m an.
durch disiu starchen m aere w ie bald er gahen began.

2295 D o sprach er zuo dem fürsten: »hoert, m in her D ietrich,


sw az ich her gelebt han, so reht u n m u gelich
geh ört ich klage nie m ere, als ich nu han vern om en .
ich w aen, der kunic Ezele ist selbe zuo dem schaden ch om en .

2296 W ie m öhtens anders alle haben solhe not?


der chun ic od er C h riem h ilt, ir einez daz ist tot
von den chüenen gesten durch ir nit gelegen.
ez w einet harte sere vil m anic uz erw elter degen.«

2297 D o sprach der heit von Berne: »m ine lieben m an,


n une gahet niht ze sere, sw az hie hant getan
die eilenden recken, des get in m ichel not.
un d lat si des geniezen, daz ich in m in en vrid e bot.«

2298 D o sprach der chüene W olfhart: »ich w il d ar gan


und w il der m aere vragen , w az si haben getan,
und w ilz iu sagen dem ie, vil lieber herre m in,
als ich ez rehte ervin d e, w az d iu rede m ü ge sin.«
37- A V EN T IU R E
W IE H E R R N D IE T R IC H S RECKEN ALLE
ER S C H L A G E N W U R D E N

2294 Überall hörte man so lautes Klagen, daß Palas und Türme von
dem Geschrei widerhallten. Das vernahm auch ein Gefährte
Dietrichs von Bern. Eilig machte er sich auf, die schreckliche
Nachricht zu melden.

2295 Er sprach zu dem Fürsten: »Mein Herr Dietrich, auch wenn ich
bereits viel erlebt habe, eine solche Klage wie diese habe ich
noch nie gehört. Ich glaube, König Etzel selbst ist tödlich ge­
troffen.

2296 Wie könnten sonst alle derart von Schmerz erfüllt sein? Der
König oder Kriemhild, einer von beiden ist durch die Feind­
schaft der kühnen Gäste getötet worden. All die vortrefflichen
Kämpfer weinen so heftig.«

2297 Da antwortete der Held von Bern: »Meine lieben Kampfgefähr­


ten, nun übereilt nichts. Was die fremden Recken hier auch ge­
tan haben, das bringt sie selbst in große Bedrängnis. Laßt ihnen
zugute kommen, daß ich ihnen meinerseits Frieden zugesagt
habe.«

2298 Der kühne Wolfhart entgegnete darauf: »Ich will hingehen und
fragen, was sie getan haben, und dann, mein lieber Herr, wenn
ich es recht herausfinde, will ich euch berichten, was geschehen
ist.«
734 37- A V E N T I U R E

2299 Do sprach der herre Dietrich: »swa man zornes sich versiht,
ob ungefüegiu vrage denne da geschiht,
daz betrüebet recken vil lihte danne ir muot.
jane wil ich niht, Wolfhart, daz ir die vrage da zin tuot.«

2300 Do hiez er Helpfrichen vil balde dar gan


und bat in daz ervinden an Ezelen man
oder an den gesten selben, waz waere da geschehen,
done het er nie von liuten so grozer jamer mer gesehen.

2301 Der bote vragte balde: »waz ist hie getan?«


do seit man im diu maere: »da ist vil gar zergan,
swaz wir freuden heten in der Hünen lant.
hie lit erslagen Rüedeger von der Burgonden hant.

2302 Die mit im dar in chomen, der ist einer niht genesen.«
done chunde Helpfriche leider nimmer wesen.
jane sagt er siniu maere so reht ungerne nie.
der bote do hin widere vil sere weinende gie.

2303 »Waz habt ir uns erfunden?« sprach do Dietrich,


»wie weinet ir so sere, degen Helpfrich?«
do sprach der chüene recke: »ich mac wol balde chlagen.
den guoten Rüedegere hat uns her Gernot erslagen.«

2304 Do sprach der heit von Berne: »daz ensol niht wellen got.
daz waer ein starchiu rache und ouch des tiufels spot,
wa mite hete Rüedeger an in daz verschob?
ja ist mir daz wol chünde, er ist den Burgonden holt.«
KAM PF UND TOD VON DIETRICHS GETREUEN 735

22 9 9 Herr Dietrich aber antwortete: »Wenn die Gemüter voller Zorn


sind und dann eine ungeschickte Frage gestellt wird, reizt sie
vielleicht die Recken noch mehr. Wirklich, Wolfhart, ich will
nicht, daß ihr die Frage stellt.«

2300 Dann bat er Helfrich, schnell hinzugehen und bei Etzels Leuten
oder bei den Gästen selbst herauszufinden, was vorgefallen war.
Der hatte noch nie Menschen in so großem Leid gesehen.

2301 Alsbald fragte der Bote: »Was ist hier geschehen?« Da sagte man
ihm: »Alle Freude, die wir im Land der Hunnen hatten, ist ganz
und gar zerstört. Hier liegt Rüdiger von der Hand der Burgun-
den erschlagen.

2302 Von denen, die mit ihm den Saal betreten hatten, ist keiner mit
dem Leben davongekommen.« Helfrich hätte nicht schmerz­
licher getroffen werden können. Wirklich, nie überbrachte er
eine Nachricht so widerwillig. Heftig weinend ging der Bote
wieder fort.

2303 »Was habt ihr für uns herausgefunden?« fragte Dietrich.


»Warum weint ihr so sehr, Helfrich?« Der tapfere Recke ant­
wortete ihm: »Ich habe allen Grund zu klagen. Herr Gernot hat
uns den edlen Rüdiger erschlagen.«

230 4 Da sprach der Held von Bern: »Das darf Gott nicht wollen. Es
wäre eine ungeheure Rache und zugleich des Teufels Spott.
Womit sollte Rüdiger das an den Burgunden verschuldet ha­
ben? Ich weiß doch genau, daß er mit ihnen freundschaftlich
verbunden war.«
736 37- A V E N T I U R E

2305 D o sprach der chüene W olfhart: »und heten siz getan,


so soit ez in allen an ir lehn gan.
ob w irz in vertrüegen, des w aeren w ir geschant.
ja hat uns vil gedienet des guoten R üedegeres hant.«

2306 D er vogt von A m elu n ge bat iz ervarn baz.


vil harte seneliche er in venster saz,
do hiez er H ild ebran d e zuo den gesten dan,
daz er an in erfunde, w az da w aere getan.

2307 D er sturm echü ene recke m eister H ild eb ran t


w eder schilt noch w afen truoger an der hant.
er w olde in sinen zuhten zuo den gesten gan.
von siner sw ester chind e w art im ein strafen getan.

2308 D o sprach der grim m e W olfhart: »weit ir dar blozer gan,


sone m ag ez ane ein schelten n im m er w ol gestan,
so m üezet ir lästerliche tuon die w id ervart.
ob ir dar chom et gew afent, daz eteslicher w o l bew art.«

2309 D o garte sich der w ise durch des tum ben rat.
e iz erfiin d e H ildebran t, do w aren in ir w at
alle D ietriches recken un d truogen sw ert enhant.
dem helde w as iz leide, vil gerne het erz erw ant.

2310 E r vragte, w ar si w olden. »w ir w ellen m it iu dar.


w az ob von Tronege H agen e dest w irs getar
gein iu m it spotte sprechen, des er chan w ol gepflegen.«
do er die rede gehörte, da von gestattes in d er degen.

2311 D o sach der chüene Volker w ol gew afent gan


die recken von Berne, die D ietriches m an,
begurtet m it den sw erten, ir Schilde v o r der hant,
er sagtez sinen herren uzer B u rgo n d en lant.
K A M PF U N D T O D VON D IE T R IC H S G ETR EU EN 737

2305 »Wenn sie es wirklich getan haben«, rief da der kühne Wolfhart,
»dann sollen sie alle ihr Leben verlieren. Ließen wir das auf sich
beruhen, wäre es für uns eine Schande. Wahrhaftig, der edle
Rüdiger hat uns treue Dienste geleistet.«

2306 Der Herr der Amelungen bat, Genaueres in Erfahrung zu brin­


gen. Tief beunruhigt setzte er sich in ein Fenster und ließ Hilde­
brand zu den Gästen gehen, um bei ihnen herauszufinden, was
geschehen war.

2307 Meister Hildebrand, der kampftüchtige Recke, trug weder


Schild noch Schwert in der Hand. Er wollte voll Zurückhaltung
zu den Gästen gehen. Von seinem Neffen wurde er deshalb ge­
scholten.

2308 Der erzürnte Wolfhart sagte: »Geht ihr unbewaffnet dorthin,


so werden ihre Schmähungen nicht ausbleiben, und ihr müßt
in Schande wieder umkehren. Wenn ihr aber bewaffnet dort
hinkommt, hält sich mancher wohl zurück.«

2309 Da rüstete sich der kluge Alte auf den Rat des unbesonnenen
jungen Mannes. Bevor Hildebrand es merkte, waren alle
Recken Dietrichs in ihren Rüstungen und hielten ihr Schwert
in der Hand. Der Held bedauerte das, sehr gern hätte er es ver­
hindert.

2310 Er fragte, wo sie hinwollten. »Wir wollen euch begleiten. Dann


wird es Hagen von Tronje nicht so leicht wagen, euch zu ver­
spotten, wie er es sonst zu tun pflegt.« Nachdem Hildebrand
das gehört hatte, erlaubte ihnen der Kämpfer mitzugehen.

2311 Als der kühne Volker die Recken von Bern, Dietrichs Leute, voll
gerüstet mit umgegürteten Schwertern und den Schilden in der
Hand näherkommen sah, meldete er es seinen Herren aus dem
Burgundenland.
738 37- A V E N T I U R E

2312 Do sprach der videlaere: »ich sihe dort her gan


so rehte vientliche die Dietriches man,
gewafent under helme. si wellent uns bestan.
mich nimt des michel wunder, waz wir den recken haben getan.«

2313 In den selben ziten chom ouch Hildebrant.


do sazter fur die fueze sinen schildesrant,
er begunde vragen die Guntheres man:
»owe, ir guoten degene, waz het iu Rüedeger getan?

2314 Mich hat min herre Dietrich her zuo ziu gesant,
ob erslagen hete iwer deheines hant
den edeln marcgraven, als uns ist geseit.
wir enchunden uberwinden niht diu groezlichen leit.«

2315 Do sprach der grimme Hagene: »daz maere ist ungelogen,


wie wol ich iu des gunde, het iuch der bot betrogen,
durch Rüedegeres liebe, daz lebte noch sin lip,
den immer mugen weinen bediu man und ouch diu wip.«

2316 Do si daz rehte erhörten, daz er waere tot,


do chlagten in die degene, ir triwe in daz gebot,
den Dietriches mannen sah man trähene gan
über berte und über chinne. in was vil leide getan.

2317 Der herzoge uzer Berne Sigestap do sprach:


»nu hat gar ein ende genomen der gemach,
den uns ie fuogte Rüedeger nach unser leide tagen,
freude eilender diete lit von iu degenen erslagen.«

2318 Do sprach von Amelungen der degen Wolfwin:


»und ob ich hiute saehe tot den vater min,
mir en wurde nimmer leider denne umbe sinen lip.
owe, wer sol nu troesten des guoten marcgraven wip?«
K A M PF U N D TO D VON D IET R IC H S G ETR EU EN 739

2312 Der Fiedler sagte: »Ich sehe dort Dietrichs Leute feindlich her­
annahen, sie sind bewaffnet und tragen ihre Helme. Sie wollen
uns angreifen. Ich frage mich, was wir den Recken getan ha­
ben.«

2313 In diesem Moment kam auch Hildebrand. Er setzte den Schild


vor seinen Füßen ab und fragte Gunthers Leute: »O weh, ihr
guten Kämpfer, was hat euch Rüdiger getan?

2314 Mein Herr Dietrich hat mich zu euch geschickt, um zu erkun­


den, ob einer von euch den edlen Markgrafen erschlagen hat,
wie uns berichtet worden ist. Wir könnten ein so großes Leid
nicht verschmerzen.«

2315 Darauf antwortete der trutzige Hagen: »Die Nachricht ist wahr,
obwohl ich Rüdiger zuliebe wünschte, der Bote hätte gelogen
und der Markgraf, den Männer und Frauen immer betrauern
werden, wäre noch am Leben.«

2316 Als sie vollständig begriffen hatten, daß er tot war, da beklag­
ten ihn die Kämpfer, wie es ihnen ihre Treue gebot. Man sah,
daß Dietrichs Leuten die Tränen über Bart und Kinn liefen.
Schreckliches Leid hatte sie getroffen.

2317 Schließlich sagte der Herzog Siegestab aus Bern: »Nun hat die
Ruhe ein Ende, die uns Rüdiger nach unseren leidvollen Tagen
verschafft hat. Ihr Kämpfer habt die Freude aller vertriebenen
Völker zerstört.«

2318 Wolfwin, der Kämpfer der Amelungen, sprach: »Und wenn ich
heute meinen Vater tot vor mir sähe, wäre ich nicht tiefer
betroffen als durch Rüdigers Tod. O weh, wer wird nun die
Gemahlin des guten Markgrafen trösten?«
740 37- A V E N T I U R E

2319 Do sprach in zornes muote der chüene Wolfhart:


»wer wiset nu die recken so manige hervart,
also der marcgrave vil dicke hat getan?
owe, vil edel Rüedeger, deich dinen tot gelebt han!«

2320 Wolfprant unde Helpfrich unde Helmnot,


mit allen ir friunden si weinten sinen tot.
vor suften mohte vragen niht mer Hildebrant.
er sprach: »nu tuot, ir degene, dar nach min herre hat gesant.

2321 Gebt uns Rüedegeren so toten uz dem sal,


an dem gar mit jamer lit unser vreuden val.
und lat uns an im dienen, daz er ie hat began
an uns vil grozer triwen und ouch an manigem vremden man.

2322 Wir sin ouch eilende als Rüedeger der degen.


wes lazet ir uns biten? lat in uns after wegen
tragen, daz wir nach tode Ionen noch dem man.
wir hetenz pillicher bi sime lebene getan.«

2323 Do sprach der kunec Gunther: »nie dienest wart so guot,


den ein friunt ffiunde so nach tode tuot.
daz heiz ich staete triwe, swer die chan began,
ir lonet im von schulden, wander iu liebe hat getan.«

2324 »Wie lange suln wir vlegen?« sprach Wolfhart der degen.
»sit unser trost der beste ist von iu tot belegen
und wir sin leider mere mugen niht gehaben,
lat in uns tragen hinnen, da wir den recken begraben.«

2325 Des antwurt Volker: »niemen in iu git.


nemt in in dem huse, da der degen lit
mit sinen tiefen wunden gevallen in daz bluot.
so ist ez ein voller dienest, den ir hie Rüedegere tuot.«
K A M PF U N D T O D VON D IET R IC H S G ETR EU EN 741

2319 Der kühne Wolfhart fugte voller Zorn hinzu: »Wer führt jetzt
die Kämpfer in den Kriegszügen, wie es der Markgraf so oft
getan hat? O weh, edler Rüdiger, daß ich deinen Tod erleben
muß!«

2320 Auch Wolfbrand, Helfrich und Helmnot beweinten mit allen


ihren Freunden Rüdigers Tod. Vor Schluchzen konnte Hilde­
brand nicht weiterfragen. Er sagte: »Ihr Kämpfer, nun erfüllt,
wozu mein Herr mich geschickt hat.

2321 Gebt uns Rüdigers Leichnam aus dem Saal, sein Tod hat unsere
Freude ganz und gar in Leid verwandelt. Nun laßt uns den
begraben, der uns und vielen Fremden stets in großer Treue
begegnet ist.

2322 Auch wir sind Vertriebene wie der Kämpfer Rüdiger. Warum
laßt ihr uns warten? Wir möchten ihn forttragen, damit wir
dem Mann nach seinem Tode noch Dank abstatten können.
Wir hätten es lieber zu seinen Lebzeiten getan.«

2323 König Gunther sagte: »Es gibt keinen besseren Dienst als den,
den ein Freund seinem Freunde nach dessen Tod erweist. Das
nenne ich unverbrüchliche Treue, wenn einer so handelt. Ihr
dankt ihm zu Recht, denn er hat euch stets Wohlwollen ent­
gegengebracht.«

2324 »Wie lange sollen wir noch bitten?« rief Wolfhart, der Kämpfer.
»Da unser höchster Trost von euch erschlagen wurde und er
traurigerweise nicht mehr bei uns sein kann, laßt uns den Toten
forttragen, damit wir den Recken begraben.«

2325 Darauf antwortete Volker: »Niemand bringt ihn euch heraus.


Holt ihn doch selbst aus dem Saal, wo der Kämpfer mit seinen
tiefen Wunden im Blut liegt. Dann ist es ein wirklicher Dienst,
den ihr Rüdiger hier erweist.«
742 37- A V E N T I U R E

2326 Do sprach der chüene Wolfhart: »lat sin, her spileman,


irn dürfet uns niht reizen, ir habt uns leit getan.
törst ich vor mime herren, so chomt irs in not.
des müezen wir ez lazen, wan er uns strit mit iu verbot.«

2327 Do sprach der videlaere: »der vorht ist gar ze vil,


swaz man im verbiutet, derz allez lazen wil.
daz enchan ich niht geheizen rehten heldes muot.«
diu rede duhte Hagenen von sime hergesellen guot.

2328 »Welt ir den spot niht lazen«, sprach aber Wolfhart.


»ich entrihtiu liht die seiten, swenne ir die widervart
ritet gegen Rine, daz irz wol mugt gesagen.
iwer ubermüeten mag ich langer niht vertragen.«

2329 Do sprach der videlaere: »swenn ir die seiten min


verirret guoter done, der iwer helmes schin
mac wol trüebe werden von der miner hant,
swie ich halte geriten in der Burgonden lant.«

2330 Do wolder zuo zim springen, wan daz in niht enlie


Hildebrant, sin oehaim, in vaste zim gevie.
»ich waen, du woldest wuoten durch dinen tumben zorn.
mines herren hulde wir heten immer mer verlorn.«

2331 »Lat ab den lewen, meister, er ist so grimme gemuot!


chumt er mir zen handen«, sprach Volker, der heit guot,
»het er die werlde alle mit siner hant erslagen,
ich slah in, daz erz widerspei nimmer mere darf gesagen.«
K A M PF UN D TO D VON D IET R IC H S GETREU EN 743

2326 »Laßt das, Herr Spielmann«, erwiderte der kühne Wolfhart,


»ihr solltet uns nicht reizen, ihr habt uns Leid angetan. Wenn
ich es gegen das Verbot meines Herrn wagte, dann kämt ihr
deshalb in Bedrängnis. Das müssen wir jedoch lassen, denn er
hat uns untersagt, gegen euch zu kämpfen.«

2327 Der Fiedler entgegnete darauf: »Das ist übertriebene Angst,


wenn einer alles, was man ihm verbietet, unterläßt. Als wahren
Heldenmut kann ich das nicht bezeichnen.« Diese Rede seines
Kampfgefährten gefiel Hagen gut.

232« »Hört auf zu spotten«, sagte wiederum Wolfhart. »Ich bringe


mit Leichtigkeit eure Saiten durcheinander, so daß ihr davon
berichten könnt, falls ihr wieder zum Rhein zurückreitet. Eure
Überheblichkeit kann ich nicht länger ertragen.«

2329 Da antwortete der Fiedler: »Wenn ihr meine Saiten verstimmt,


so daß keine angenehmen Töne mehr erklingen, dann kann der
Glanz eures Helms von meiner Hand durchaus trübe werden,
ganz gleich wie ich in das Land der Burgunden zurückreite.«

2330 Da wollte Wolfhart auf ihn losspringen, doch Hildebrand, sein


Oheim, ließ ihn nicht und hielt ihn fest. »Ich glaube, du wolltest
in sinnlosem Zorn loswüten. Wir hätten dann die Huld meines
Herrn für immer verloren.«

2331 »Laßt doch den Löwen los, Meister, er ist ja so grimmig! Wenn
er mir in die Hände fällt«, rief Volker, der tüchtige Held, »werde
ich ihn, selbst wenn er alle Welt eigenhändig erschlagen könnte,
so treffen, daß er nicht mehr dazu kommt, von einem Gegen­
schlag zu berichten.«
744 37- A V E N T I U R E

2332 Des wart vil harte erzürnet der Bernaere muot.


den schilt gezuchte Wolfhart, ein sneller degen guot.
alsam ein lewe wilder lief er vor in dan.
im wart ein gaehez volgen von sinen friunden getan.

2333 Swie witer Sprunge er pflaege fur des sales want,


doch ergahet in vor der stiegen der aide Hildebrant.
er wolde in vor im lazen niht chomen in den strit.
si fanden, daz si suochten an den eilenden sit.

2334 Do gespranch zuo Hagene maister Hildebrant.


diu swert man hört erchlingen an ir beider hant.
si waren harte erzürnet, vil wol erchos manz sint,
von ir beider wafen gie der viurroter wint.

2335 Di wurden do gescheiden in des strites not.


daz taten die von Berne, als in ir chraft gebot,
zehant do wände Hildebrant von Hagene balde dan.
do lief der starche Wolfhart den chüenen Volkeren an.

2336 Er sluoc den videlaere uf den heim guot,


daz des swertes ecke unz an die Spangen wuot.
daz vergalt mit eilen der chüene spileman.
do sluoger Wolfharten, daz er struchen began.

2337 Fiur uz den ringen des hiwen si genuoc.


haz ir ieslicher dem andern vaste truoc.
do schiet do von Berne der degen Wolfwin.
ob er ein heit niht waere, des enchunde niht gesin.

2338 Gunther der vil chüene mit williger hant


enpfie die helde maere von Amelunge lant.
Giselher der starche, diu liehten helmvaz,
der frumt er da vil manigez von bluote rot unde naz.
K A M PF U N D T O D VON D IE T R IC H S G ETR EU EN 745

2332 Das stachelte den Zorn der Berner heftig an. Wolfhart, ein ge­
wandter, tüchtiger Kämpfer, riß den Schild hoch. Wie ein wilder
Löwe lief er vor ihnen her. Seine Freunde folgten ihm schnell.

2333 Obwohl er in weiten Sprüngen die Saalwand erreichte, vor der


Treppe holte ihn doch der alte Hildebrand ein. Er wollte nicht,
daß der Kampf ohne ihn losbrach. Später fanden sie, was sie bei
den Fremden suchten.

2334 Meister Hildebrand sprang zu Hagen. Man hörte die Schwer­


ter in ihren Händen klirren. Beide waren von heftigem Zorn
erfüllt. Deutlich sah man dann von ihren Waffen feuerrote
Funken aufsprühen.

2335 Danach wurden sie im Kampfgedränge getrennt. Das erreichten


die Berner durch ihre Stärke. Sofort wandte sich Hildebrand
von Hagen ab. Da aber stürzte der starke Wolfhart auf den
kühnen Volker los.

2336 Er schlug dem Fiedler derart auf den festen Helm, daß die
Schwertschneide bis zu den Spangen drang. Das vergalt ihm der
kühne Spielmann mit aller Kraft. Er traf Wolfhart so hart, daß
er anfing zu wanken.

2337 Feuerfunken trieben sie aus den Panzerringen hervor. Jeder


brachte dem anderen tiefe Feindschaft entgegen. Dann trennte
der Berner Kämpfer Wolfwin die beiden. Wäre er kein Held
gewesen, hätte er das nicht geschafft.

2338 Der tapfere Gunther empfing die berühmten Helden aus dem
Amelungenland mit kampfbereiter Hand. Der starke Giselher
sorgte dafür, daß viele helle Helme von Blut rot und naß wur­
den.
746 37- A V E N T I U R E

2339 Danchwart, Hagenen bruoder, was ein grimmech man.


swaz er da vor hete in strite getan
den Ezeln recken, daz was gar ein wint.
alrest vaht tobeliche des küenen Adrianes kint.

2340 Gerbart unde Wichart, Helpfrich und Rischart,


die heten in manigen sturmen vil selten sih gespart,
des brahten si wol innen die Guntheres man.
do sach man Wolfpranden in sturme herliche gan.

2341 Da streit er, als er wuote, der aide Hildebrant.


vil manic küener recke vor Wolfhartes hant
mit tode muose vallen von swerten in daz bluot.
sus rachen Rüedegere die recken küene unde guot.

2342 Sigestap von Berne, als im sin eilen riet,


hey, waz er in dem sturme der herten heim schriet
den sinen vianden! Dietriches swester suon,
der chunde in dem sturme bezzers nimmer niht getuon.

2343 Volker der vil starche, do er daz ersach,


daz Sigestap der chüene den bluotigen bach
hiw uz herten ringen, daz was dem degene zorn.
do spranger im begegene, do hete Sigestap verlorn

2344 Von dem videlaere vil schiere al da daz lebn.


er begunde in siner chunste al solhen teil da gebn,
daz er von sime swerte muose ligen tot.
daz rach der aide Hildebrant, als im sin eilen daz gebot.

2345 »Owe vil liebes herren«, sprach meister Hildebrant,


»der hie lit erstorben von Volkeres hant!
nune soi der videlaere langer niht genesen.«
zorn der Hildebrandes chunde grimmer niht gewesen.
KAM PF UN D TOD VON D IE T R IC H S GETREUEN 747

2339 D an k w art, H agen s Bruder, w ar ein grim m ig er M an n. W as im ­


m er er vorh er im K a m p f Etzels Recken angetan hatte, das w ar
geradezu nichts. Jetzt erst käm pfte des kühnen A d rian Sohn wie
rasend.

2340 G erb art u n d W ichart, H elfrich und R ischart hatten sich in v ie ­


len K äm p fen nie zurückgehalten. D as ließen sie G ün thers Leute
spüren . M a n sah dort, w ie W olfbran d sich herrlich im K a m p f
bew egte.

2341 D er alte H ild eb ran d käm p fte w u ten tbrann t. V iele tapfere
R ecken fielen d u rch W olfharts Schw erthiebe in das Blut. So
rächten die kü h n en , tüchtigen Recken R ü d igers Tod.

2342 Siegestab von B ern , ach, w ie spaltete der im K am pf, durch seine
K raft getrieben, die harten H elm e seiner Feinde! Besser hätte
sich D ietrich s N effe in d em stürm ischen G efech t nicht schla­
gen kön n en .

2343 S o b ald d er starke V olker sah, daß d er kü h n e Siegestab einen


blutigen Bach aus den harten Panzerringen herausström en ließ,
geriet er in Z o rn . A ls er ihm entgegensprang, verlor Siegestab

2344 d u rch den Fied ler a u f d er Stelle sein Leben. D er verstand es,
seine K am p fk u n st d erart einzusetzen, daß Siegestab von seinem
Schw erthieb tot niederfiel. D as rächte der alte H ildebran d, w ie
es ihm seine K raft gebot.

2345 »O w eh, w elch lieber H err liegt hier von Volkers H and ersch la­
gen!« r ie f M eister H ild ebran d . »N un soll der Fiedler nicht län ­
ger am Leben bleiben.« H ild eb ran d s Z o rn konnte nicht größ er
sein.
748 37- AVEN TIURE

2346 D o sluoger Volkere, daz im d iu h elm ban t


Stuben allenthalben zuo des sales w an t
von helm e un d ouch von Schilde, d em chüen en spilem an .
da von der videlaere do den ende da gew an.

2347 D o d rungen zuo dem strite die D ietriches m an.


si sluogen, daz die ringe vil hohe w aeten dan
un d daz m an ort der sw erte in m e gew elbe stecken sach.
si hiw en uz den helm en den heize vliezenden bach.

2348 D o sach von Tronege H agene V olkeren tot.


daz w as zer hochgecite sin aller m eistiu not,
die er da hete gew unn en an m agen u n d an m an.
owe w ie grim m e H agene den heit rechen began!

2349 »N une soi es niht geniezen d er aide H ildebran t.


m in helfe lit erslagene hie von des heldes hant,
der beste hergeselle, den iem an gew an.«
den schilt den ruchter hoher, d o gie er h ow ende dan.

2350 H elpfrich der vil starche D anchw arten sluoc.


G u n th er un d e G iselh er den w as ez leit gen uoc,
d o si in sahen vallen in der starchen not.
er het w ol vergolten m it sinen han d en sinen tot.

2351 Sw ie vil von m anigen landen gesam n et w aere dar,


vil fürsten chreftekliche gegen ir chleinen schar,
w aeren die kristen liute w id er si n ih t gew esen,
si w aeren m it ir eilen v o r allen heiden w ol genesen.

2352 D ie w ile gie do W olfhart beide w id er u n d e dan


allez how end e die G un th eres m an.
er was die dritten chere den palas zende chom en ,
ja het er den chunigen so vil der recken da gen om en .
KAMPF UN D TOD VON DIE T RICH S GETREU EN 749

2346 D an n versetzte er V olker einen solchen Schlag, daß dem k ü h ­


nen Sp ielm an n seine B efestigungsriem en rissen un d von H elm
un d Sch ild rin gsu m gegen d ie Saalw an d flogen. D as bedeutete
das E n d e fü r den Fiedler.

2347 D ietrichs Leute drängten zum K a m p f heran. Sie schlugen so ge­


w altig zu, daß die P an zerrin ge in die H ö h e w irbelten u n d daß
m an Schw ertspitzen im G ew ö lb e stecken sah. A us den H elm en
trieben sie einen Bach von heißem , fließendem Blut hervor.

2348 D a erblickte H agen von T ron je den toten Volker. D as w ar fü r


ihn der schw erste Verlust, den er an V erw andten und allen an ­
deren Begleitern a u f dem Fest erlitten hatte. O w eh, w ie w ütend
rächte H agen den H elden!

2349 »D as soll d er alte H ild eb ran d n un büßen. M ein H elfer liegt hier
von der H an d des H elden erschlagen, er w ar der beste K am p f­
gefährte, den überh au p t jem an d haben konnte.« D an n rückte
er den Sch ild höh er u n d stürzte w ild u m sich schlagend davon.

2350 D er starke H elfrich ersch lug D ankw art. G u n th er un d G iselher


w u rd en von Schm erz ergriffen, als sie ihn im dichten K am p f­
ged rän ge fallen sahen . E r ab er hatte seinen Tod schon eigen ­
h än d ig gerächt.

2351 O b w oh l viele H elden aus verschiedenen Ländern d ort zu sam ­


m en geko m m en w aren und zahlreiche starke Fürsten gegen eine
kleine Sch ar stan d en , w ären sie durch ihren K am p feifer w ohl
vor allen H eiden m it dem Leben d avon gekom m en , w enn nicht
auch die C h risten gegen sie gekäm pft hätten.

2352 W äh ren d d essen gin g W olfhart vor und zu rü ck und schlug


G u n th ers Leute nieder. E r hatte bereits die dritte R unde durch
den Palas gem ach t un d den K ö n igen dabei w ah rh aftig viele
Recken gen o m m en .
750 37- AVEN TIURE

2353 D o rie f der starche G iselh er W olfharten an:


»owe, daz ich so grim m en vien t ie gew an.
edel ritter chüene, nu w endet gegen m ir.«
si chom en zuo ein an d er sit m it ellenthafter gir.

2354 W olfhart gein G iselhere chert in den strit,


do sluog ir ietw edere vil m anige w u n d en w it.
so rehte chreftechliche er zuo dem kun ige dranch,
daz im daz bluot von fuezen al über daz h oubet sin gespranch.

2355 M it grim m en siegen sw ind en der edeln U oten chint


enpfie vil pitterliche den chüen en recken sint.
sw ie chüene W olfhart w aere, er m ohte niht genesen
v o r dem ju n gen kunige. n iem en dorfte ch ü en er w esen.

2356 D o slu o g er W olfharte d urch eine p rü n n e guot,


daz im von der w u n d en vil sere vlo z daz bluot.
er w unte zuo dem tode den D ietriches m an.
ez enhet an einen recken an d er n iem en getan.

2357 A lso der chüene W olfhart der w u n d en enpfant,


den schilt liez er d o vallen. h o h er an d er hant
h u o b er daz starchez w afen , daz w as sc h a rp f gen uoc,
durch heim un d durch ringe der heit do G iselh ern sluoc.

2358 Si heten beide ein an d er den g rim m en tot getan,


d o n e lebt ou ch nu niht m ere der D ietriches m an
w an H ild ebran t aleine. d o er den neven vallen sach,
im , w aen, v o r sim e tode so rehte leide nie geschach.

2359 O uch w arn gar gevallen G un theres degene,


niw an si einen zwene, er un d H agene.
si stuonden in dem bluote tie f unz an diu knie.
H ildebran t harte balde hin über sinen neven gie.
KAMPF UND T O D VON D IE T R IC H S GETREUEN 751

2353 D a r ie f der starke G iselh er W olfhart zu: »O w eh, daß ich einen
so grim m ig en Fein d habe. Edler, tap ferer Ritter, nun w endet
eu ch m ir zu.« Sie prallten m it ungeheu rer K am pfbegierde a u f­
einander.

2354 W olfh art n ah m den K a m p f gegen G iselh er au f, un d ein er


sch lu g d em an d eren viele tiefe W unden. E r rannte so kräftig
gegen den K ö n ig an, daß ih m das Blut von den Füßen bis über
den K o p f spritzte.

2355 M it heftigen, gew andten Schlägen em p fin g der So h n der edlen


U te erbittert den k ü h n en Recken. W ie tapfer W olfhart auch war,
er kon nte vor dem ju n gen K ö n ig nicht m it dem Leben davon ­
k o m m en . N iem an d dürfte ihn an T apferkeit übertroffen haben.

2356 E r versetzte W olfhart einen Schlag d urch den festen B ru stp an ­


zer hin d u rch , daß ihm das Blut au s d er W unde ström te. G isel­
her hatte D ietrich s M an n tödlich getroffen. Ein an derer Recke
hätte das n iem als geschafft.

2357 A ls d er tapfere W olfhart die W unde spürte, ließ er den Schild


fallen. H o ch erh o b er das starke Schw ert in seiner H an d, das
seh r s c h a rf war, u n d d er H eld sch lu g es G iselh er d u rch den
H elm un d die Panzerringe.

2358 Sie hatten sich gegenseitig a u f schreckliche W eise getötet. N un


lebte von D ietrich s Leuten n u r noch H ild ebran d . A ls der
seinen N effen fallen sah, da tr a f ihn, glaube ich, das größte Leid
seines Lebens.

2359 A u ch G u n th ers K äm p fer w aren alle gefallen, bloß der K ö n ig


selbst un d H agen lebten noch. Sie standen bis an die K nie im
Blut. H ild eb ran d gin g so fo rt zu seinem N effen hinüber.
752 37- A V E N T I U R E

2360 E r besloz in m it arm en u n d w o ld e in tragen dan


m it im uzem huse. er m u o se in ligen lan,
er w as ein teil ze sw aere, w id er in daz bluot
enpfiel er im uz handen. do blicht u f d er degen guot.

2361 D o sprach der totw unde: »vil lieber oeheim m in ,


irn m uget an disen ziten m ir niht ff u m gesin.
nu hüetet iuch vor H agene. ja d un ch et ez m ich guot;
er treit in sim e hercen einen grim m igen m uot.

2362 U nde ob m ich m in e m age nach tode w ellen chlagen,


den naehsten un d den besten den suit ir daz sagen,
daz si nach m ir n iht w einen , daz ist ane not,
vor eines kuniges han d en lige ich hie herlichen tot.

2363 Ich han ouch so vergolten h ier in n e m in en lip,


daz ez w ol m ugen bew einen der gu oten ritter w ip.
ob iuch des iem en vrage, so m uget ir balde sagen,
vor m in eines handen ir lit w ol hun d ert erslagen.«

2364 D o gedaht ou ch H agen e an den spilem an ,


dem der aide H ild ebran t sin lebn an gew an.
do sprach er zuo dem küenen: »ir geltet m in iu leit.
ir habt uns hin ne erbunn en vil m aniges recken gem eit.«

2365 E r slu o g u f H ild ebran d en, daz m an w ol vernam


Balm u n gen diezen, daz Sivrid e nam
H agene der chüene, da er den recken sluoc.
do w iderstunt im H ildebrant, der im vil w en ic iht vertru oc.

2366 D er W olfhartes oeheim slu o g ein w afen breit


u f H agenen von Tronege, daz ouch vil sere sneit.
d on e ch u n d er niht verw u n d en den G un theres m an;
do sluog aber in H agene d urch eine p rü n n e w olgetan.
KAM PF UN D T OD VON D IE T RICH S GETREUEN 753

2360 E r sch loß ihn in d ie A rm e u n d w ollte ihn m it sich aus dem Saal
tragen. D o ch er m uß te ihn liegenlassen, denn W olfhart w ar zu
schwer, er fiel ih m au s den H än d en w ied er in das Blut. D a ö ff­
nete d er tüchtige K äm p fer n och einm al die A ugen.

2361 »M ein lieber O h eim «, sagte der tödlich Verw undete, »ihr könnt
m ir jetzt n ich t m eh r helfen. N u n n eh m t euch vo r H agen in
acht. W irklich, es scheint m ir w ichtig; denn sein H erz ist von
G rim m erfüllt.

2362 U n d w en n m ich m ein e V erw andten nach m einem Tod beklagen


w ollen , sagt den nächsten u n d den besten von ihnen, daß sie
n ich t u m m ich w ein en sollen. D as ist n ich t n otw en dig, denn
ich bin d urch die H an d eines K ö n igs hier ehrenvoll um s Leben
gekom m en .

2363 A uch habe ich m ein en Tod h ier d rin n en selbst gerächt, so daß
die Frau en d er tüchtigen R itter d arü b er w einen w erden. W enn
euch jem an d d an ach fragt, kön n t ihr stolz berichten, daß m eine
H an d w ohl hu n d ert M än n er erschlagen hat.«

2364 H agen s G ed an k en w aren bei dem S p ielm an n , dem der alte


H ild eb ran d das Leben gen o m m en hatte. E r sagte zu dem tap fe­
ren M an n : »Ih r w erd et fü r m ein e Schm erzen bezahlen. Ihr habt
uns viele tüchtige K rieger geraubt.«

2365 E r sch lu g a u f H ild eb ran d ein, daß m an B alm u n g dröh n en


hörte, das Schw ert, das der k ü h n e H agen Siegfried ab g en o m ­
m en hatte, als er den Recken ersch lug. T rotzdem w iderstand
ihm H ild eb ran d un d blieb ihm nichts schuldig.

2366 M it einem breiten Schw ert, das auch sehr sch a rf schnitt, hieb
W olfh arts O h eim a u f H agen von T ron je ein. A b er er konnte
G u n th ers M an n nicht verw u n d en ; doch H agen tra f ihn durch
den sch ön en B ru stp an zer hin durch.
754 37- AVEN TIURE

2367 A lso m eister H ild ebran t der w u n d en enpfant,


do vorht er schaden m ere v o n der H agenen hant.
den schilt w a r f er u b er rucke der D ietriches m an,
m it der starchen w u n d en d er heit vil ch u m e d an n e entran.

2368 D ar inn e w as niem en lebnde, als ich gesaget han,


niw an die einen zw ene, G u n th er u n d o u ch sin m an.
m it bluote gie b erunn en der aide H ild ebran t,
er brahte leidiu m aere, da er sinen herren vant.

2369 D o saher trurechliche sizzen hie den m an.


leides m ichel m ere der fürste do gew an,
als er H ild ebran d en ersach von bluote rot.
d o vragt er in der m aere, als im d iu sorge gebot.

2370 »Wan sagt ir mir, m eister, w ie sit ir so naz


w orden von dem bluote? od er w er tet iu daz?
ich w aen, ir m it den gesten zem huse habt gestriten.
ich verbot ez iu so sere, do w aer ez pillich verm iten.«

2371 »Sw ie übel disiu m aere m ir sten ze sagene«,


er sprach: »dise w u n d en sluoc m ir H agene,
do ich uz dem huse w old e w en den dan.
w ie ch u m ich m it d em lebene dem selben valan de entran.«

2372 D o sprach der Bernaere: »vil reht ist iu geschehn.


do ir m ich friuntschefte den helden hortet jeh n ,
daz ir den vrid e brächet, den ich in het gegeben.
hete ihs niht im m er schände, ir soldet vliésen daz leben.«

2373 »N une zürnet niht so sere, m in herre D ietrich.


an m ir und m inen friu nd en d er schade ist grem lich.
w ir w olden Rüedegeren getragen haben dan,
des enw olden uns niht gu nnen des kunec G un th eres m an.«
KAMPF UN D T OD VON D IE T RICH S GETREUEN 755

2367 A ls M eister H ild eb ran d die W unde spürte, fürchtete er, noch
S c h lim m eres von H agen s H an d zu erleiden. D ietrich s M an n
w a r f den Schild a u f den R ücken , un d m it der einen schweren
W und e kam d er H eld gerade noch davon.

2368 D rin n en im Saal w aren , w ie ich gesagt habe, n u r noch die b ei­
den, G u n th er u n d sein L ehnsm an n, am Leben. Blutüberström t
brachte d er alte H ild ebran d die schrecklichen N achrichten sei­
n em H errn .

2369 E r sah D ietrich trau rig dasitzen. D och n och viel un glücklicher
w u rd e d er Fü rst, als er H ild eb ran d in b lu tiger R ü stu n g er­
blickte. E r fragte ihn, w as geschehen w äre, w ie es ihm die Sorge
um seine Leute gebot.

2370 »Sagt m ir, M eister, w aru m seid ihr d erart v o n B lut überström t?
W er hat euch das angetan? Ich fürchte, ihr habt m it den Gästen
im Saal gekäm pft. Ich hatte es euch doch streng verboten , und
deshalb hätte es u n b ed in gt unterbleiben m üssen.«

2371 »Wie schw er es m ir auch fällt, das zu sagen«, antw ortete H ild e­
b ran d , »diese W unde hat m ir H agen geschlagen, als ich aus dem
Saal h in au sw ollte. K au m b in ich v o r diesem Teufel m it dem
Leben d avon gekom m en .«

2372 D a an tw ortete d er B ern er: »G anz recht ist euch geschehen. O b ­


w o h l ihr w uß tet, daß ich den H elden Freun dsch aft gelobte,
habt ihr d en Frieden gebrochen, den ich ihnen gew ährt hatte.
W enn es n icht fü r im m er als Sch an d e a u f m ich zurückfiele,
m üßtet ihr d afü r euer Leben verlieren.«

2373 »B eschw ichtigt euren Z o rn , m ein H err D ietrich. D er Schaden,


d er m ich un d m ein e Freun de getroffen hat, ist furchtbar. W ir
w ollten R ü d igers L eich n am forttragen , aber das gestatteten uns
K ö n ig G u n th ers Leute nicht.«
756 37- AVEN TIURE

2374 »So we m ir d irre leide, ist R ü ed eger d o ch tot!


daz m u o z m ir sin ein ja m e r v o r aller m in er not.
G otelin t d iu edele ist m in er basen chint.
ach w e der arm en w eisen, die da ze B echelaren sint!«

2375 R iw en u n d o u ch leides m ant in d o sin tot.


er begu nd e starche w einen , des gie dem helede not.
»ow e getriw er helfe, der ich verlorn han!
jan e u b erw in d e ich n im m er des ku n ic Ezeln m an.«

2376 E r sprach ze H ildebran de: »m uget ir m ir d o ch sagen,


w er der degen w aere, der in da hat erslagen?«
er sprach: »daz tet m it chreften der starche G ern ot.
vor R üedegers handen m u os ou ch der degn ligen tot.«

2377 E r sprach: »m eister H ild ebran t, n u saget m in en m an,


daz si sich balde w afen. ja w il ich dar gan,
und heizet m ir gew in n en m in liehtez w ichgew an t.
ich w il selbe vragen die helede uz B u rg o n d en lant.«

2378 D o sprach m eister H ildebran t: »wer soi zuo ziu gen?


sw az ir habt der lebenden, die seht ir bi iu sten.
daz bin ich alterseine, die an d ern die sint tot.«
do erschracter d irre m aere, des gie d em recken gro ziu not;

2379 W ander leit so grozez zer w erlde nie gew an.


er sprach: »unt sint erstorben alle m in e m an,
so hat m in got vergezzen. ich w as ein k u n ic rieh;
n u m ag ich w ol heizen der vil arm e D ietrich.

2380 W ie chun dez sich gefüegen«, sprach aber D ietrich,


»daz si alle sint erstorben, die helde lobelich,
von den stritm üed en , die d och heten not?
w an durch m in ungelucke, in w aere vrem d e n och der tot.
KAMPF UND TOD VON DIE T RICH S GETREUEN 757

2374 »Weh m ir, w elches L eid, R ü d iger ist w irklich tot! D ieser
Sch m erz üb ertrifït alles andere. D ie edle G otelin d ist die T och­
ter m ein er Base. A ch, w as w ird nun aus den arm en W aisen in
B echelarn!«

2375 R ü d igers T od stürzte ihn in Schm erz un d Leid. E r fing heftig an


zu w einen , der H eld kon nte sich der Tränen nicht erw ehren. »O
w eh, w elch getreuen H elfer habe ich verloren! Ja, den Tod dieses
L eh n sm an n s von K ö n ig Etzel w erde ich nie verschm erzen.«

2376 E r fragte H ild ebran d : »K ö n n t ihr m ir sagen, w er der K äm p fer


w ar, der R ü d iger erschlagen hat?« D er antw ortete: »D as hat m it
all sein er K raft d er starke G ern o t getan. D iesen K äm p fer hat
d an n R ü d ig er selbst n och getötet.«

2377 D ietrich sprach: »M eister H ild ebran d , nun sagt m einen Leuten,
sie sollen sich schnell b ew affnen . Ja, ich w ill d ort hineilen, laßt
m ir m ein e glänzende R ü stu n g brin gen. Ich w erde die H elden
aus dem B u rg u n d en lan d selbst zur Rede stellen.«

2378 D och M eister H ild eb ran d entgegnete: »Wer soll zu euch k o m ­


m en? A lle, die n och am Leben sind, die seht ihr vo r euch ste­
hen. Ich bin es ganz allein, die anderen sind tot.« Ü b er diese
N ach rich t ersch rak D ietrich. Es bestürzte ihn über alle M aßen;

2379 d en n so groß es Leid hatte ihn n och nie getroffen. Er sagte:


»Wenn alle m ein e Leute u m gek o m m en sind, d an n hat G ott
m ich vergessen. Ich w ar ein m ächtiger K önig; jetzt kann ich nur
n och der arm e D ietrich heißen.

2380 W ie kon nte das geschehen«, fragte D ietrich weiter, »daß all die
ru h m vollen H elden d urch die vom K a m p f Erm atteten u m ge­
k o m m en sind, ob w oh l sie d och selbst in B ed rän gn is w aren?
W enn m ein U n glü ck nicht auch sie verfolgte, w äre ihnen der
Tod erspart geblieben.
758 37- AVENTIURE

2381 O w e, vil lieber W olfhart, sol ich dich han verlorn !


so m ac m ich bald e riw en, daz ich ie w art geborn.
Sigestap un d W olfw in u n d ou ch W olfprant!
w er soi m ir d an ne helfen in der A m elu n ge lant?

2382 H elpfrich der vil chüene u n d ist m ir der erslagen?


G erb art unde W ichart, w ie solde ich die verklagen?
daz ist an m inen freuden m ir d er leste tac.
owe, daz v o r leide n iem en sterben ne m ac!«
KAMPF UND TOD VON DIE T RICH S GETREU EN 759

2381 O w eh, lieber W olfhart, daß ich dich verloren habe! Ich kann
n u r tie f b ed auern, daß ich je geboren w urde. Siegestab, W olfw in
u n d auch W olfbran d! W er soll m ir kü n ftig im A m elun gen lan d
beistehen?

2382 D er kü h n e H elfrich, ist m ir der auch erschlagen? G erb art und


W ich art, w ie kön nte ich aufh ören , um sie zu trauern? D am it ist
m ein e Freud e fü r im m er dahin . O w eh, daß n iem an d vor Leid
sterben kann !«
38. AVENTIURE
AVENTIURE WIE DER HERRE DIETRICH GÜNTHERN
UND HAGENEN BETWANCH

2383 D o suochte der herre D ietrich selbe sin gew ant.


do half, daz er sich w afent, m aister H ildebrant.
do chlaget also sere der chreftige m an,
daz im daz hus erdiezen gein siner stim m e began.

2384 D er helt gew an do w idere rehten m ann es m uot.


in grim m e w art gew afent do der degen guot.
einen schilt vil vesten den nam er an die hant.
nach schaden in do tröste der vil chüene H ildebran t.

2385 D o sprach von Tronege H agene: »ich sihe d o rt her gan


den herren D ietrichen , der w il uns bestan
nach sim e starchen leide, daz im ist hie geschehn.
m an soi daz hiute chiesen, w em m an des besten m uge jeh n.

2 386 Jane d un chet sich von Bern e der herre D ietrich


nie so starch des libes un d ouch so grem elich,
und w il erz an uns rechen, daz im ist getan.«
also reite H agene: »ich tarr in rehte w ol bestan.«

2387 D ie rede erhörte D ietrich unde H ildebrant.


er gie, da er die recken beide stende van t
uzen vor dem huse geleinet an den sal.
sinen schilt den guoten den sazte D ietrich zetal.
3 8 . A V EN T IU R E
WIE HERR DIETRICH GUNTHER UND
HAGEN BEZWANG

2383 D an n n ahm H err D ietrich selbst seine R ü stu n g. M eister H ild e­


b ran d h a lf ihm , sich zu w affnen . D er kraftvolle M an n klagte so
laut, daß das H aus von seiner Stim m e w iderhallte.

2384 Sch ließ lich gew an n d er H eld seinen w ahren M an n esm u t


zurück. K am p fzo rn stellte sich ein, als der bew ährte K äm p fer
sich rüstete. E r nahm einen festen Schild in die H and. N ach den
Verlusten w ar d er k ü h n e H ild eb ran d seine einzige H ilfe.

2385 D a sagte H agen von Tron je: »Ich sehe d o rt H errn D ietrich
k o m m en , sich er w ill er un s an greifen , n ach dem ihm hier
schw eres Leid zugefiigt w urde. M an w ird heute sehen, w er der
beste K äm p fer ist.

2386 W ahrhaftig, so stark u n d furch terregen d kan n sich H err


D ietrich von Bern d o ch gar n icht V orkom m en, daß er an uns
rächen w ill, w as ihm angetan w urde. Ich w age durchaus, ihm
entgegenzutreten.« So w aren H agens W orte.

2387 D ie R ed e h örten D ietrich u n d H ild ebran d . D ietrich gin g zu


den beiden Recken hin, w o sie drauß en vo r dem H aus an den
Saal gelehnt standen. E r setzte seinen festen Schild ab.
762 38. A V E N T IU R E

2388 In leitlichen sorgen sprach do D ietrich:


»w ie habt ir so gew orben , G un ther, ein ch u n ic rich?
ich eilender recke, w az ist an m ir getan?
alles m ines trostes des bin ich eine bestan.

2389 Iuch enduhte niht der volle an d er vil grozen not,


do ir uns R üedegeren den recken sluoget tot.
nu habt ir m ir erbunn en aller m in er m an.
ja het ich iu degenen so lh er leide niht getan.

2390 G ed en chet an iuch selben un d an iw er leit,


tot der iw er friu n d e und ouch d iu arebeit,
ob ez iu guoten degenen besw aeret iht den m uot.
ow e, w ie rehte unsanfte m ir tot d er R ü edegers tuot!

2391 Ez gescach in der w erld e nie m an n e leider m er.


ir gedahtet ubele an m in u n d an iw er ser.
sw az ich freuden hete, d iu lit von iu erslagen.
jan e chan ich n im m er m ere die m in e m age verchlagen.«

2392 »Jane sin w ir niht so schuldich«, sprach do H agene.


»ez chom en her zem huse die iw ern degene
ze vlize w ol gew afent m it ir schar so breit.
m ich dunchet, w ie iu diu m aere niht ze rehte sin geseit.«

2393 »Waz soi ich anders gelouben? m ir sagtez H ildebran t,


do m ine recken gerten von A m elu n ge lant,
daz ir in R üed egere gaebet uz dem sal,
do tat ir niw an spottens die chüenen helde her zetal.«

2394 D o sprach der kunec von Rine: »si jäh en w olden tragen
Rüedegeren hinnen, den hiez ich in versagen
Ezeln ze leide, und niht den dinen m an,
unze daz do W olfhart d ar um b e schelten began.«
G U N T H E R S , H A G EN S U N D K R IE M H ILD S TO D 763

2388 V on L eid u n d So rge bew egt, fragte er: »W arum habt ihr euch
so verhalten , m äch tiger K ö n ig G un ther? Ich bin ein frem der,
vertrieb en er Recke, w as habe ich euch getan? Ich bin jetzt, all
m ein er H ilfe b erau b t, a u f m ich allein gestellt.

2389 Euch schien w oh l das Elend noch nicht groß genug, als ihr den
Recken R ü d iger getötet hattet. N u n habt ihr auch m ir noch alle
m ein e getreuen Leute gen o m m en . W ahrhaftig, ich habe euch
d o ch kein d erartiges L eid zugefugt.

2390 D en kt an euch selbst un d euer eigenes Leid, an den Tod eurer


Freu n d e un d die A n stren gu n gen im K am pf, ob euch das alles,
ih r tüchtigen K äm p fer, nicht tie f bedrü ckt. O w eh, w ie
schm erzlich trifft m ich R ü d igers Tod!

2391 A u f dieser W elt ist n iem an d em größeres Leid angetan w orden.


Ihr habt euch über m ein en un d euren eigenen Schm erz keine
G ed an ken gem acht. M ein e ganze Freude liegt hier von euch
ersch lagen. Ja, ich w erd e n ie au fh ören , über den Tod m ein er
Verw andten zu klagen.«

2392 »W ahrhaftig, die Sch u ld trifft uns nicht allein«, sagte H agen
d arau f. »Eure K ä m p fe r kam en m it voller R ü stu n g in einer
groß en S ch ar zu d em SaaL Ich glaube, m an hat euch die Sache
nicht richtig dargestellt.«

2393 »Was soll ich anderes glauben? M ir hat H ildebran d berichtet,


als m ein e Recken v o m A m elu n gen lan d euch baten, ihnen R ü ­
d iger aus dem Saal zu geben, hättet ihr die tapferen H elden nur
von oben herab verspottet.«

2394 D a en tgegnete der K ö n ig vom R hein: »Sie sagten, sie wollten


R ü d iger von h ier forttragen . D as habe ich nicht gestattet, und
zw ar um Etzel, nicht um deine Leute zu verletzen, bis sich dann
W olfhart d arü b er em pörte.«
764 38. AVENTIURE

2395 D o sprach der heit von Berne: »ez m üese et also sin.
G ünther, kunec edele, d u rch die zuhte din
so ergezzet m ich der leide, die m ir sint getan,
und süenez, ritter chüene, so w il ich gar die sch ulde lan.

2396 E rgip dich m ir ze gisel, du un d o u ch d in m an,


so w il ich iuch behüeten, so ich beste chan,
daz iu hie zen H ün en niem en niht entuot.
ir suit an m ir niht vin d en niw an triw e un de guot.«

2397 »N un e welle got von him ele«, sprach do H agene,


»daz sich d ir ergeben zwen degene,
die du so w erliche sihest gew afent stan.
daz hiez ein m ichel schände un d w aer o u ch ubele getan.«

2398 »Irn suit ez niht versprechen«, sprach aber D ietrich.


»G ü n th er unde H agene, ja habt ir beide m ich
so sere besw aeret m in herce un d ou ch den m uot.
w eit ir m ich ergezzen, daz irz vil pillichen tuot.

2399 Ich gibs iu m ine triw e un d gihtes iu m in hant,


daz ich m it iu rite heim in iw er lant.
ich beleite iu nach den eren, o d er ich gelige tot.
ich w il durch iuch verchiesen d er m in en grozlichen not.«

2400 »N une gew ähent sin niht m ere«, sprach aber H agene,
»von uns enzim t daz m aere niht ze sagene,
daz sich iw er ergaeben zw ene also chüen e m an.
nu siht m an n iem en m ere bi iu w an H ild eb ran d e stan.«

2401 Des antw urt H ildebrant: »iuch m ohte w ol gezem en,


den fride m ines herren, ob ir den ruochet nem en.
ez chum t n och an die stunde vil liht in ch u rcer cit,
daz ir in gerne n aem et und in iu d an n e niem en git.«
G U N T H E R S, HAGENS UND KRIEMHILDS TOD 765

2395 D e r H e ld v o n B e rn a n tw o rte te : » S o m u ß es also sein . G u n th e r,


e d le r K ö n ig , b e i d e in e m h ö fisc h e n A n s ta n d , e n tsch ä d ig e m ich
fü r d a s L e id , d a s m ir a n g e ta n w u rd e , u n d s ü h n e es, k ü h n e r
R itter, so w e rd e ich w e itere A n s c h u ld ig u n g e n u n terlassen .

2396 E rg ib d ic h m ir als G e is e l, d u u n d a u c h d e in L e h n sm a n n , d a n n
w e rd e ich e u c h b e sc h ü tz e n , so g u t ich k a n n , d a m it e u c h h ie r
b e i d e n H u n n e n n ie m a n d m e h r etw as an tu t. Ih r w e rd e t e rk e n ­
n e n , d a ß ich tre u u n d a u fric h tig b in .«

2397 » G o tt im H im m e l m ö g e v e rh ü te n « , sagte H a g e n , » d aß sich


d ir z w e i K ä m p fe r e rg e b e n , d ie w a h rh a ftig so g e rü ste t v o r d ir
ste h e n . D a s w ä re e in e g ro ß e S c h a n d e u n d ein v e rw e rflic h e s
V erh a lten .«

2398 » Ih r so llte t m e in A n g e b o t n ic h t a b le h n e n « , e n tg e g n e te w ie ­
d e ru m D ie tric h . » G ü n th e r u n d H a g e n , ih r b e id e h a b t m ir H erz
u n d S in n t ie f verletzt. W en n ih r m ic h e n tsch ä d ig e n w o llt, geh t
b illig e rw e ise a u f m e in e n V o rsc h la g ein .

2399 Ich v e rs ic h e re e u c h m e in e T re u e u n d g eb e e u c h m e in e H a n d
d a ra u f, d a ß ich m it e u c h n a ch H a u se in e u e r L a n d reiten w erd e.
Ich b e g le ite e u c h e h re n vo ll, o d e r ich sterb e. U m eu re tw ille n w ill
ich m e in e ig e n e s u n g e h e u re s L e id a u ß e r ac h t lassen .«

2400 » N u n h ö r t a u f d a m it« , e n tg e g n e te H a g e n a b e rm a ls. » E s d a r f


n ic h t se in , d a ß v o n u n s g e sa g t w ird , zw ei s o ta p fe re M ä n n e r
h ä tte n sic h e u c h e rg e b e n . A u ß e r H ild e b r a n d steh t n ie m a n d
m e h r n e b e n e u c h .«

2401 D a r a u f a n tw o rte te H ild e b ra n d : »E s ist k ein e S c h a n d e , a u f d en


F rie d e n e in z u g e h e n , d e n m e in H e r r e u c h a n b ietet. V ie lle ic h t
k o m m t s c h o n in k u rz e r Z e it d ie S tu n d e , in d e r ih r ihn g ern e
a n n e h m e n w ü rd e t, a b e r n ie m a n d g e w ä h rt ih n eu ch d a n n .«
766 38. AVEN TIURE

2402 »Ja n a e m e ic h e d ie su o n e « , s p ra c h d o H a g e n e ,
»e ih so lä ste rlich e v o n e im e d e g e n e
flu h e , m e iste r H ild e b ra n t, als ir h a b t h ie getan ,
ich w ä n d e , d a r ir k ü n d e t b a z g e in v ia n d e stan .«

2403 D o sp ra c h m e iste r H ild e b ra n t: » z w iu v e rw iz z e t ir m ir daz?


n u w e r w as, d e r u f e im e Sch ild e v o r d e m W a sch e n ste in saz,
d o im v o n S p a n W alth er so v il d e r friu n d e slu o c?
o u c h h ab t ir n o c h ze zeig en an iu se lb e n g e n u o c .«

2404 D o sp ra c h d e r fü rste D ie tric h : » w ie z im t d a z h eled e lip,


d a z si su ln sch elten sa m d iu alten w ip ?
ich v e rb iu t iu , H ild e b ra n t, d a z ir ih t sp re c h e t m er.
m ic h e ile n d e n reck en tw in g e n t g ro z lic h iu ser.

2405 L at h o e re n , friu n t H a g e n e « , sp ra c h d o D ie tric h ,


»w az ir e red etet ir reck en lo b e lic h ,
d o ir m ih g e w a fe n t z u o ziu säh et gan .
ir ja h et, d a z ir ein e m it strite w o ld e t m ic h b e sta n .«

2406 » Ja n e lo u g e n t iu d es n ie m e n « , sp ra c h H a g e n e d e r d e g e n ,
»in e w e lle ez h ie v e rsu o c h e n m it Stich en u n d m it siegen ,
ez en si, d az m ir zeb reste d az N ib e lu n g e s sw ert.
m ich m ü et, d a z m in e s h e rre n u n d m in ze g isel ist g eg ert.«

2407 D o d e r recke e rh ö rte d en g r im m e n H a g e n e n m u o t,


d en sch ilt vil b a ld e zü ch te d e r sn e lle d e g e n g u o t.
w ie b a ld e g e in im H a g e n e v o n d e r stiegen sp ra n c h .
N ib e lu n g e s sw e rt d a z g u o te vil lu t u f D ie tric h e e rc h la n ch .

2408 D o w esse w o l h e r D ie tric h , daz d er ch ü en e m an


v il g rim m e s m u o te s w a ere, sc h e rm e n im b e g a n
d e r vo g e t v o n B e rn e v o r a n g e stlic h e n siegen .
w o l e rc h a n d e r H a g e n e n , e r w a s ein u z e rw e lte r d eg en .
G U N T H E R S , HAGENS UN D KRIEMHILDS TOD 767

24 0 2 » In d e r T at n ä h m e ic h d e n F r ie d e n s v o rs c h la g e h e r a n « , sagte
H a g e n , »als s o s c h ä n d lic h v o r e in e m K ä m p fe r zu flieh en , M e i­
ste r H ild e b ra n d , w ie ih r es h ie r getan h ab t. Ich hatte g eg la u b t,
ih r k ö n n te t F e in d e n b e sse r stan d h alten .«

24 0 3 M e iste r H ild e b r a n d e rw id e rte : »W as so ll d ie se r V o rw u rf? W er


w a r es d e n n , d e r a u f e in e m S c h ild v o r d e m W ask en stein saß ,
n a c h d e m W a lth e r v o n S p a n ie n ih m so v ie le F re u n d e ersch lag en
hatte? Ih r h a b t selb st n o c h g e n u g zu e rk lären .«

2404 D a r ie f d e r F ü rst D ie tric h : » Z ie m t es sich fü r H e ld e n , sich w ie


alte W eib er zu b e sc h im p fe n ? Ich v e rb iete e u ch , H ild e b ra n d , d aß
ih r in d ie s e r W eise w e ite rsp re c h t. M ic h h e im a tlo se n R e c k e n
q u ä le n w ic h tig e re S o rg e n .

2405 L a ß t h ö re n , F re u n d H a g e n « , sa g te D ie tric h w eiter, » w as ih r


ru h m v o lle n R e c k e n g e sp ro c h e n h ab t, als ih r m ic h in W affen zu
e u c h k o m m e n sah t. Ih r h a b t b e h a u p te t, d a ß ih r allein im Z w e i­
k a m p f g e g e n m ic h an tre te n w o lltet.«

2406 »Ja, d a s le u g n e t n ie m a n d « , an tw o rte te d e r K ä m p fe r H ag en . »Ich


w ill es h ie r m it S tic h e n u n d S c h lä g e n v e rsu c h e n , es sei d e n n ,
d a s N ib e lu n g e n s c h w e r t z e rb ric h t. E s b e le id ig t m ic h , d a ß ih r
m e in e n H e rrn u n d m ic h als G e ise l n e h m e n w o llt.«

24 0 7 A ls d e r R e c k e H a g e n s w ild e E n tsc h lo sse n h e it w a h rn a h m , h o b


d e r g e w a n d te , tü c h tig e K ä m p fe r b litz sc h n e ll d en S c h ild . E ilig
s p r a n g H a g e n v o n d e r T re p p e h e ra b a u f ih n zu. D a s g u te N ib e ­
lu n g e n s c h w e rt k la n g la u t a u f D ie tric h s R ü stu n g .

240« H e r r D ie tric h e rk a n n te g e n a u , d a ß d e r k ü h n e M a n n vo n
fu rc h tb a re m K a m p fe ife r g e p a c k t w ar, u n d d e r H e rr v o n B ern
s c h irm te sic h g e g e n d ie b e d rä n g e n d e n S c h lä g e ab. E r w u ß te
w o h l, d a ß H a g e n ein a u sg e z e ic h n e te r K ä m p fe r w ar.
768 38. AVENTI URE

2409 O u c h v o rh t er B a lm u n g e n , ein w a fe n sta rch g e n u o c .


u n d e r w ile n D ie tric h m it listen w id e r slu o c ,
unze d az er H agen en m it strite d o c h b e tw a n c h .
e r s lu o g im e in e w u n d e n , d iu w a s t ie f u n d e la n c h .

2410 D o d a h t d e r h e rre D ie tric h : »d u b ist in n o t e rw ig e n .


ih h a n es lu zzil ere, so ltu n u to t g eligen .
ich w il ez su s v e rsu o c h e n , o b ich e rtw in g e n c h a n
d ich m ir ze in e m gisel.« d a z w a rt m it s o rg e n getan .

2411 D e n sch ilt lie v a lle n D ie tric h , sin sterch e d iu w a s gro z .


m it b e id e n sin e n a rm e n e r H a g e n e n u m b e slo z .
d o w a rt v o n im b e tw u n g e n d e r v il c h ü e n e m a n .
G u n th e r d e r vil ed ele d a r u m b e tru rin b e g a n .

2412 H a g e n e n b a n t d o D ie tric h u n d fu o rt in , d a e r v a n t
d ie ed eln C h rie m h ild e , u n d g a b ir b i d e r h a n t
d en c h ü e n iste n reck en , d e r ie s w e rt g e tru o c .
n a ch ir v il sta rc h e m le id e d o w a rt ir lie b e g e n u o c .

2413 V o r fre u d e n n e ic h d e m reck en d a z E z e ln w ip :


» im m e r si d ir saelic d in h erce u n d o u c h d in lip.
d u h ast m ic h w o l ergezzet n a c h a lle r m in e r n o t.
ich soi ez im m e r d ie n e n , m ic h e n w e n d e s d e r to t.«

2414 D o sp ra c h d e r h e rre D ie tric h : » ir su it in la n g e n e se n ,


v il e d e liu k u n ig in n e ! ez m a c v il w o l n o c h w e se n ,
d az iu c h sin d ie n st ergezzet, des e r iu h at getan .
e r soi d es n ih t en gelten , d a z m a n in sih t g e b u n d e n stan .«

2415 D o h iez si frieren H a g e n e n an sin u n g e m a c h ,


d a er lac b e slo zzen u n d d a in n ie m e n sach .
G u n th e r, d e r k u n e c ed ele, ru o fe n d o b e g a n :
» w ar c h o m d e r heit v o n B ern e? e r h at m ir le id e g etan .«
G U N T H E R S, HAGENS UND KRIEMH ILD S TOD 769

2409 A u c h fü rch te te er B a lm u n g , d as ü b e ra u s stark e S ch w ert. Im m e r


w ie d e r s c h lu g D ie tric h m it k lu g e r Ü b e rle g u n g z u rü c k , b is er
H a g e n im K a m p f s c h lie ß lic h d o c h b e z w a n g . E r b ra c h te ih m
e in e tiefe, la n g e W u n d e b ei.

241 0 D a n n d a c h te H e rr D ie tric h : » D u b ist v o n d e r A n s tre n g u n g d es


K a m p fe s g e sc h w ä c h t. Es b rin g t m ir w e n ig E h re e in , d ich zu
tö te n . Ich w ill v e rs u c h e n , o b ich es e rz w in g e n k a n n , d ich z u r
G e ise l zu m a c h e n .« D a s w a r g e fä h rlich .

2411 D e n S c h ild ließ D ie tric h fallen . S e in e S tä rk e w a r g ro ß . M it se i­


n e n b e id e n A r m e n u m s c h lo ß e r H a g e n . S o w u rd e d e r k ü h n e
M a n n v o n ih m b e z w u n g e n . D e n e d le n G u n th e r erfaß te d e s w e ­
g e n tie fe T ra u rig k e it.

2412 D ie tric h b a n d H a g e n u n d fü h rte ih n zu d e r ed len K rie m h ild , er


ü b e rg a b ih r d e n ta p fe rste n R e c k e n , d e r je ein S c h w e rt g etra gen
h at. N a c h ih re m u n e rm e ß lic h e n L e id e m p fa n d sie n u n en d lich
g ro ß e G e n u g tu u n g .

2413 V o lle r F re u d e v e rn e ig te sich E tzels G e m a h lin v o r d e m R eck en :


»Ich w ü n s c h e d ir fü r L e ib u n d S e e le im m e r G lü c k . N a ch all
m e in e m L e id h a st d u m ic h e n tsc h ä d ig t. Ich w e rd e d ir d a fü r
d a n k b a r sein b is a n m e in e n T od .«

2414 H e r r D ie tric h a b e r sa g te : » L a ß t ih n a m L e b e n , e d le K ö n ig in !
D a n n ist es n o c h m ö g lic h , d a ß e r a u c h m it se in e m D ie n st fü r
d a s G e n u g tu u n g leistet, w a s e r e u c h a n g e ta n hat. E r so ll n ich t
d a fü r m it s e in e m L e b e n b e z a h le n , d a ß e r jetz t g e b u n d e n v o r
e u c h steh t.«

2415 N u n ließ sie H a g e n in ein e n K e rk e r fü h re n , w o er ge fa n g e n lag


u n d n ie m a n d ih n zu G e s ic h t b e k a m . G u n th e r, d e r ed le K ö n ig ,
rie f: »W o ist d e r H e ld v o n B e rn ge b lie b e n ? E r h at m ir L eid
a n g e ta n .«
770 38. AVENTIURE

2416 D o gie im h in b e g e g e n e d e r h e rre D ie tric h ,


d a z G u n th e rs eilen d a z w a s so lo b e lic h .
ern b eite d o n ih t m e re , e r lie f h e r fu r d e n sal.
v o n ir b e id e r sw erten h u o p sich ein u n g e fü e g e r sch al.

2417 S w ie vil d e r h e rre D ie tric h la n g e w a s g e lo b t,


G u n th e r w a s so sere e rz ü rn e t u n d e rto b t,
w a n d e r n ach starch en le id e n sin h e rc e v ie n t w as,
m an sagtez n o c h fu r w u n d e r, d a z d o D ie tric h ie gen as.

2418 Ir eilen u n d ir sterch e b e id e w a rn gro z.


p a la s u n d e tü rn e v o n d en siegen d o z,
d o si m it sw e rte n h ie w e n u f d ie h e lm e gu o t.
ez het d e r k u n ic G u n th e r ein e n h e rlic h e n m u o t.

2419 S it tw a n g in d e r v o n B e rn e , sa m H a g e n e n e g e sc h a c h .
d a z b lu o t m a n d u rc h d ie rin g e d e m h e ld e v lie z e n sach .
v o n e im e sc h a rp fe n sw erte, d a z tru o c h e r D ie tric h ,
d o c h h et g e w e rt G u n th e r n ach m ü e d e lo b e lic h e sich .

2420 D e r h e rre w a rt g e b u n d e n v o n D ie tric h e s h an t,


sw ie k u n ig e n ie n e so ld e n lid e n s o lh iu b a n t.
e r d ah t, o b er si lieze u n g e b u n d e n w e se n ,
d a z si zw en e in m e la n d e n ie m e n liezen gen esen .

2421 D e r v o g t v o n B e rn e d e r n a m in b i d e r h an t,
d o b ra h te r in g e b u n d e n , d a er C h r ie m h ilt van t.
d o w a s m it sim e leid e ir so rg e ein teil b e n o m e n .
si sp ra c h : »c h u n ic G u n th e r, sit m ir g ro z e w ille c h o m e n .«
G U N T H E R S, HAGENS UN D KRIEMHILDS TOD 771

2416 H e r r D ie tric h g in g ih m e n tg e g e n . G u n th e r s K a m p fk ra ft w a r
w e ith in se h r b e rü h m t. E r w artete n ich t länger, s o n d e rn er lie f
v o r d e n Saal. V o n ih re n b e id e n S c h w e rte rn e rh o b sich ein u n g e ­
h e u re r K a m p flä rm .

241 7 O b w o h l H e rr D ie tric h seit la n g e m als h o c h g e lo b te r K ä m p fe r


galt, w a r G u n th e r d e ra rt ra se n d v o r Z o r n , d a ß m a n n o c h h eu te
v o n e in e m W u n d e r sp ric h t, d a ß D ie tric h d o rt m it d e m L eb en
d a v o n k a m , d e n n n a ch sc h w e re m L eid w a r G u n th e r sein T o d ­
fe in d g e w o rd e n .

2418 D ie K ra ft u n d S tä rk e b e id e r w a re n g ro ß . P a la s u n d T ü r m e
d rö h n te n v o n d e n S c h lä g e n , als sie m it ih ren S ch w ertern a u f d ie
festen H e lm e e in s c h lu g e n . K ö n ig G u n th e r b e sa ß e in e n u n g e ­
b ro c h e n e n K a m p fm u t.

241 9 S c h lie ß lic h a b e r b e z w a n g ih n d e r B e r n e r w ie v o rh e r H a g e n .


B lu t sah m a n a u s d e n P a n z e rrin g e n d e s H e ld e n d rin g e n v o n
d e m s c h a rfe n S c h w e rt, d a s H e r r D ie tric h fü h rte . D o c h h atte
sich G u n th e r n a c h d e m e rm ü d e n d e n K a m p f lo b e n s w e rt v e r­
teid ig t.

2420 D e r H e r r w u r d e v o n D ie tric h g e b u n d e n , a u c h w e n n K ö n ig e
n ie m a ls so g e fe sse lt w e rd e n so llten . D ie tric h fü rch tete, w e n n er
es u n te rlie ß e , w ü rd e n d ie b e id e n alle ü b rig e n im L a n d u m ­
b rin g e n .

2421 D e r H e rr v o n B e r n n a h m G u n th e r an d ie H a n d u n d b ra c h te
ih n g e b u n d e n zu K rie m h ild . S e in e S c h m a c h lin d e rte ih re
S c h m e rz e n ein w e n ig . S ie s p ra c h : » K ö n ig G u n th e r, seid m ir
w illk o m m e n .«
772 38. A V E N TIU R E

2422 E r sprach: »ich soltiu nigen, vil edel sw ester m in ,


ob iw er grüezen m öhte genaedichlicher sin.
ich w eiz iuch, k u n igin n e, so zornic gem uot,
daz ir m ir un d H agenen vil sw achez grüezen getuot.«

2423 D o sprach der heit von Berne: »vil edel kuniges w ip,
ez enw art nie gisel m ere so gu oter ritter lip,
als ich iu, frow e here, an in gegeben han.
nu suit ir die eilenden m in vil w ol geniezen lan.«

2424 Si jach, si taet iz gerne, do gie der chüene m an


m it w einen d en ougen von in balde dan.
si rach sich grem liche, daz Ezeln w ip.
den uzerw elten degenen nam si beiden den lip.

2425 Si lie si ligen sun der durch ir ungem ach,


daz ir sit dew edere den an dern nie gesach,
sw ie ez verlobt hete daz vil edele w ip.
si daht: »ich geriche hiute m in s vil lieben m an n es lip.«

2426 D o gie diu kunigin n e, da si H agen en sach.


w ie reht erbolgenliche si zuo dem recken sprach:
»weit ir m ir geben w idere, daz ir m ir habt gen o m en ,
so m uget ir m it dem lebene w id er zen B u rg o n d en ch om en .«

2427 D o sprach der grim m e H agene: »diu rede ist gar verlorn ,
vil edeliu kunigin n e. ja han ich des gesw orn,
daz ich den h ö rt iht zeige, die w ile d eheiner lebe
der m inen edelen herren, un d in n iem an n e gebe.«

2428 E r w iste w ol d iu m aere, sine liezen in n iht genesen,


w ie m ohte ein untriw e im m er stercher wesen?
er vorhte, so si hete im sinen lip gen om en ,
daz si d an ne ir b ru o d er lieze heim ze lande chom en .
G U N T H E R S, HAGENS UND KRIEMHILDS TOD 773

2422 E r a n tw o rte te : »Ich so llte m ic h v o r e u c h v e rn e ig e n , m e in e ed le


S ch w e ste r, w e n n e u e r G r u ß a u fric h tig e r w ä re . Ich w e iß aber,
K ö n ig in , d a ß ih r zu z o rn ig seid , u m m ic h u n d H a g e n fre u n d ­
lic h zu b e g rü ß e n .«

242 3 » E d le G e m a h lin d e s K ö n ig s « , s p ra c h d e r H e ld v o n B e rn , »es


w u rd e n n ie z u v o r so tü c h tig e R itte r als G e is e ln g e n o m m e n , w ie
ich sie e u c h , e rh a b e n e H e rrin , ü b e rg e b e n h ab e. N u n g e w ä h rt
u m m e in e tw ille n d e n F re m d e n S c h o n u n g .«

2424 K r ie m h ild sagte, d a s w ä re ih r b e im b esten W ille n n ic h t m ö g ­


lic h . D a r a u f g in g d e r ta p fe re M a n n w e in e n d e ilig fo rt. E tzels
G e m a h lin rä ch te sich fu rch tb a r. D e n a u se rw ä h lte n K ä m p fe rn
n a h m sie b e id e n d a s L e b e n .

2425 S ie ließ sie g e tre n n t e in k e rk e rn , u m ih r L e id zu v e rg rö ß e rn , k e i­


n e r v o n ih n e n b e k a m d en a n d e re n n o c h e in m a l zu se h e n , w ie
es sich d ie ed le F ra u g e sc h w o re n hatte. S ie d ach te: » H eu te räch e
ich d a s L e b e n m e in e s lieb en M a n n e s.«

2426 D a n n g in g d ie K ö n ig in zu H a g e n . W ie z o rn ig sp rach sie zu d em


R e c k e n : »W enn ih r m ir z u rü c k g e b t, w a s ih r m ir g e n o m m e n
h a b t, d a n n k ö n n t ih r le b e n d w ie d e r n ach B u rg u n d z u rü c k ­
k eh ren .«

242 7 D a r a u f a n tw o rte te d e r g r im m ig e H ag en : » D ie R ed e ist v e rg e b ­


lic h , e d le K ö n ig in . Ich h a b e g e sc h w o re n , d a ß n ie m a n d d en
H o r t zu G e s ic h t b e k o m m t, s o la n g e e in e r v o n m e in e n ed len
H e rre n leb t, u n d d a ß ich a u c h n ie m a n d e m etw as d a v o n geb e.«

2428 H a g e n w u ß te g e n a u , d a ß sie ih n n ic h t a m L eb en lassen w ü rd e.


K o n n te es e in e g rö ß e re T re u lo sig k e it geb en ? E r fü rch tete, hätte
sie ih m erst d a s L eb en g e n o m m e n , d a n n ließ e sie ih ren B ru d e r
n a ch H a u se z u rü c k z ie h e n .
774 38. AVEN TIURE

2429 »Ich b rin g e z an ein e n d e « , g e d a h t d a z e d e l w ip .


d o h iez si ir b ru o d e r n e m e n d en lip.
m a n s lu o g im ab e d a z h o u b e t. b i h a re si ez tru o c
fu r d en heit v o n T ro n eg e. d o w a rd im leid e g e n u o c .

2430 A ls o d e r u n g e m u o te sin s h e rre n h o u b e t sach ,


w id e r C h rie m h ild e d o d e r recke sp ra c h :
»d u h ast ez z e im e e n d e n a ch d im e w ille n b ra h t,
u n d ist o u c h reh te e rg a n g e n , als ich m ir h ete ged ah t.

2431 N u ist v o n B u rg o n d e n d e r ed el k u n e c to t,
G is e lh e r u n d V olker, D a n c h w a rt u n d G e rn o t.
d en h ö rt d e n w eiz n u n ie m e n , w a n g o t u n d e m in .
d e r so i d ich , v a le n d in n e , im m e r w o l v e rh o ln sin .«

2432 Si sp ra c h : »so h a b t ir u b ele geltes m ic h g e w e rt.


so w il d o c h ich b e h a lte n d a z S iv rid e s sw ert.
d az tru o c m in h o ld e r v rie d e l, d o ir im n a m e t d e n lip
m o rtlic h m it u n triw e n « , sp ra c h d o d a z ja m e rh a fte w ip .

2433 S i z o ch ez v o n d e r sc h e id e n , d a z e n c h u n d e r n ih t g e w e rn .
d o d ah te si d e n recken d es lib es vo l b e h e rn .
si h u o b e z m it ir h a n d e n , d a z h o u p t si im a b e slu o c .
d a z sach d e r k u n ic E zele, d o w a s im leid e g e n u o c .

2434 »W afen«, sp ra c h d e r fü rste, »w ie ist n u to t gelegen


v o n ein es w ib e s h a n d e n d e r a lle r b este d eg en ,
d e r ie c h o m ze stu rm e n o d e r ie sch ilt g e tru o c!
sw ie v ie n t ich im w aere, ez ist m ir leid e g e n u o c .«
G U N T H E R S, HAGENS UND KRIEMHILDS TOD 775

24 2 9 »Ich b r in g e es zu E n d e « , d a c h te d ie e d le F ra u . S ie ließ ih ren


B ru d e r töten . M a n sc h lu g ih m d en K o p f ab. D en tru g sie an den
H a a re n zu d e m H e ld e n v o n T ro n je . D a e rfa ß te ih n h e ftig e r
S c h m e rz .

2430 A ls d e r e rsc h ü tte rte M a n n d a s H a u p t sein es H e rrn erb lic k te ,


sa g te d e r R e c k e z u K rie m h ild : » D u h ast alles n a ch d e in e r
R a c h e a b s ic h t zu E n d e g e fü h rt, u n d es ist a u c h g a n z so a u s g e ­
g a n g e n , w ie ich es m ir g e d a c h t hatte.

2431 N u n ist d e r e d le K ö n ig d e r B u rg u n d e n tot, e b e n so G ise lh e r u n d


V o lk e r, D a n k w a r t u n d G e r n o t. W o d e r H o rt liegt, w e iß n u n
n ie m a n d m e h r als G o tt u n d ich . D ir, T eu felin , w ird e r im m e r
v e rb o rg e n b le ib e n .«

2432 S ie e rw id e rte : »In d ie se m Fall h a b t ih r sch lech t zu rü ck g e z a h lt,


w a s ih r m ir s c h u ld e t. S o w ill ich d o c h w e n ig ste n s S ie g frie d s
S c h w e rt b e h a lte n . D a s tr u g m e in g e lie b te r M a n n , als ih r ihn
tre u lo s u m g e b ra c h t h ab t.« D a s w a re n d ie W o rte d e r v o n K u m ­
m e r g e p e in ig te n F rau .

2433 S ie z o g d a s S c h w e rt a u s d e r S c h e id e , o h n e d a ß H a g e n es
v e rh in d e rn k o n n te . Jetzt w o llte sie d e m R e c k e n e n d g ü ltig d as
L e b e n n e h m e n . S ie e r g r if f d a s S c h w e rt m it b e id e n H ä n d e n
u n d s c h lu g ih m d en K o p f ab. K ö n ig Etzel sah d a s m it an u n d
w a r v o n S c h m e rz ü b erw ältig t.

2434 »W ehe«, r ie f d e r F ü rst, »w ie liegt n u n d e r allerb este K ä m p fe r,


d e r je in K a m p fs tü rm e n sta n d o d e r ein en S c h ild tru g , v o n d er
H a n d e in e r F ra u e rsch la g e n v o r u n s! A u c h w e n n er m ein g r ö ß ­
ter F e in d w ar, se in e n T o d e m p fin d e ich d o c h als b itteres Leid.«
776 38. AVEN TIURE

2435 D o sp ra c h m e iste r H ild e b ra n t: » ja n e g e n iu z e t si es n ih t,


d az si in slah en torste, sw a z h alt m ir g e sc h ih t.
sw ie e r m ic h selb en b ra e h te in a n g e stlic h e n o t,
id o c h so w il ich rech en d es v il c h ü e n e n reck en tot.«

2436 H ild e b ra n t m it z o rn e z u o C h r ie m h ild e sp ra n c h .


er s lu o c d e r c h u n ig in n e ein e n g r im m e n sw a n c h ,
ja tet ir d iu so rg e v o n d e m d e g e n e w e.
si m o h te lu zzil h elfen , d az si so a n g e stlic h e n scre.

2437 D o w a s gelegen a lle r d a d e r v e ig e n lip.


ze stu ck en lac v e rh o w e n d o d a z ed el w ip .
Ezel u n d e D ie tric h w e in e n d o b e g a n ,
si ch lag eten ja e m e rlic h e alle ir m a g e u n d e m a n .

2438 D iu v il m ic h e l ere w a s d a g elegen tot.


d ie liu te h eten alle ja m e r u n d e n ot.
m it leid e w a s v e re n d e t d es k u n ig e s h o c h g e c it,
als ie d iu lieb e leid e an d e m e n d e g e rn e git.

2439 In e c h a n iu c h n ih t b e sc h e id e n , w a z s id e r d a g e sc h a c h ,
w a n ch riste n u n d e h e id e n w e in e n m a n d o sach .
w ib e u n d e k n e h te u n d m a n ig e s c h o e n e m eit,
d ie h eten n a ch ir friu n d e n d iu a lle r g ro z iste n leit.

24 4 0 In e sage iu n u n ih t m e re v o n d e r g ro z e n n o t,
d ie d a erslag en w a re n , d ie lazen lig en tot,
w ie ir d in c h an g e v ie n g e n sit d e r H ü n e n diet.
h ie h at d az m a e re ein en d e, d a z ist d e r N ib e lu n g e liet.
G U N T H E R S , H A G EN S U N D K R IE M H ILD S TO D 111

2435 »W ah rh aftig«, sp ra c h M e iste r H ild e b ra n d , »sie w ird n ich t d a r ­


ü b e r tr iu m p h ie r e n , d a ß sie ih n zu e rsch la g e n w ag te, ga n z
g le ich , w a s m ir n u n g esch ieh t. A u c h w e n n er m ich selb st in b e ­
d rä n g e n d e N o t g e b ra c h t h at, w ill ich d o c h d en T o d des a u ß e r­
o rd e n tlic h ta p fe re n R eck en räch en .«

24 3 6 H ild e b r a n d s p r a n g v o lle r Z o r n a u f K rie m h ild zu. E r versetzte


d e r K ö n ig in e in e n so h eftigen S c h la g m it d e m S ch w ert, d aß sie
tö d lic h g e tro ffe n w ar. E s h a lf ih r n ich ts m eh r, d a ß sie so fu rc h t­
b a r sc h rie .

2437 D a la gen n u n alle, d ie h atten sterb en m ü ssen . D ie ed le F ra u w a r


in S tü c k e z e rh a u e n . E tzel u n d D ie tric h w e in te n , sie k lagten
tro stlo s u m ih re V e rw a n d te n u n d all ih re K ä m p fe r.

2438 D ie g ro ß e E h re w a r a u sg e lö sch t. T ie fe T ra u e r h atte alle Ü b e r ­


le b e n d e n erfaß t. L e id v o ll w a r d a s Fest d es K ö n ig s zu E n d e g e ­
g a n g e n , w ie F re u d e zu letzt im m e r in L e id u m sch läg t.

2439 Ich k a n n e u c h n ic h t b e ric h te n , w a s sp ä te r d o rt g e sc h a h , n u r


d a ß m a n C h riste n u n d H e id e n w e in e n sah. F ra u e n , K n a p p e n
u n d v ie le sc h ö n e M ä d c h e n tra u e rte n u n e rm e ß lic h u m ih re V er­
w a n d te n u n d F re u n d e .

244 0 N u n e rz ä h le ich e u c h n ich t w e ite r v o n d e m fu rch tb a re n U n te r­


g a n g d e r B u rg u n d e n u n d a u c h n ic h t, w ie es d en H u n n e n
d a n a c h e rg in g ; d ie E rsc h la g e n e n so lle n d e m T o d ü b erlassen
b le ib e n . - H ie r ist d ie G e s c h ic h te zu E n d e. D a s ist das N ib e lu n ­
g e n lie d .
ANHANG
NACHW ORT

Zur Entstehung des Nibelungenliedes

D a s u m 12 0 0 v o n e in e m u n b e k a n n te n D ic h te r v e rfa ß te Nibe­
lungenlied b e ru h t a u f e in e r ja h rh u n d e rte a lte n m ü n d lic h e n H e l­
d e n s a g e n tra d itio n . D ie s e g e h t v o n h is to ris c h e n E r fa h ru n g e n
d e r V ö lk e rw a n d e ru n g s z e it ( 4 .- 6 . Ja h rh u n d e rt) a u s, a ls d ie g e r ­
m a n is c h e n S tä m m e ih re g e s c h ic h tlic h e Id e n titä t u n d B e d e u ­
t u n g e rla n g te n .
F ü r d en B u rg u n d e n u n te rg a n g , d e r im z w e ite n Teil d e s Nibe­
lungenliedes e rz ä h lt w ird , b ild e t d ie v e rn ic h te n d e N ie d e rla g e ,
d ie d e r o s tg e rm a n is c h e S ta m m d e r B u rg u n d e n im K am pf
g e g e n d ie R ö m e r u n d H u n n e n im Ja h re 4 36 e rfa h re n h at, d e n
h is to ris c h e n K ern . D e r K ö n ig u n d e in g r o ß e r T eil d e s V o lk e s
k a m e n u m . D it R ö m e r sie d e lte n d ie Ü b e rle b e n d e n in S a v o y e n ,
im R h o n e g e b ie t, an . D ie se E re ig n isse w u rd e n in d e r E rin n e ru n g
d e s g e rm a n is c h e n S ta m m e s d u rc h u m fo r m e n d e E rz ä h lu n g b e ­
w ä ltig t u n d b e w a h rt. H ie r - w ie a u c h so n s t in H e ld e n sa g e n -
d ie n e n m e n s c h lic h e A ffe k te (B e sitz - u n d M a c h tg ie r, R a c h e ,
E ife rs u c h t) z u r n a c h trä g lic h e n E r k lä r u n g d e r h is t o r is c h - p o li­
tisc h e n V o rg ä n g e . M it H ilfe in te rn a tio n a le r E rz ä h ls c h e m a ta
( B ra u tw e r b u n g , b e trü g e ris c h e E in la d u n g , V e rra t) w ir d ein
H a n d lu n g s a b la u f k o n s tru ie rt. D a b e i rü c k e n im k u ltu re lle n G e ­
d ä c h tn is u n g le ic h z e itig e F a k te n u n d P e rso n e n z eitlich z u s a m ­
m e n , z. B . steh t d e r 4 36 u m g e k o m m e n e B u rg u n d e n k ö n ig G u n -
d a h a r iu s / G u n t h e r d e m H u n n e n k ö n ig A ttila /E tz e l g e g e n ü b e r,
d e r erst seit 4 4 1 A lle in h e rrs c h e r w a r u n d 453 sta rb ; b e id e b e g e g ­
n e n T h e o d e r ic h d . G r./D ie tric h v o n B e rn , d e r 4 9 3 - 5 2 6 als o s t ­
g o tis c h e r K ö n ig u n d S te llve rtre te r d e s o s trö m is c h e n K a ise rs in
Italien h e rrsch te . D ie H e ld e n sa g e n w a n d e rn v o n ih re m E n tste-
782 ANHANG

h u n g s r a u m in w e ite re G e g e n d e n u n d w e rd e n m it a n d e re n E r ­
z ä h lu n g e n zu Z y k le n v e rk n ü p ft.
Im Nibelungenlied ist d e r B u rg u n d e n u n te r g a n g m it d e r S a g e
v o n S ie g frie d s Ju g e n d u n d T o d v e rb u n d e n . A n d e rs als b e i d e r
B u rg u n d e n s a g e läß t sich d e r h isto risc h e K ern d e r S ie g frie d s a g e
n ich t g e n a u b e s tim m e n . W a h rsc h e in lic h lieg t d e r A n s to ß z u m
E rz ä h le n in d e r m e ro w in g is c h e n G e s c h ic h te d e s 6. Ja h r h u n ­
d e rts. D o r t ta u c h e n d e r N a m e B r u n ic h ild u n d V e r w a n d te n ­
m o rd e au f. A u ß e rd e m sin d m it S ie g frie d in d en S a g e n u n d im
Nibelungenlied m y th isc h e , a n d e rw e ltlic h e M o tiv e v e rb u n d e n .
D e r H e ld e rsc h e in t als D ra c h e n tö te r, er b esitzt e in e n u n e r m e ß ­
lich e n Sch atz, e in e T a rn k a p p e , u n d ist fast u n v e rw u n d b a r d u rc h
d as B a d im D ra c h e n b lu t. D e n n o c h g e lin g t es, ih n zu e rm o rd e n .
D e r B u rg u n d e n u n te rg a n g w ird als R a c h e a k t fü r d ie se M o rd ta t
erk lä rt: K rie m h ild rä c h t d e n T o d ih re s ersten M a n n e s a n ih ren
V e rw a n d te n , d ie fü r d en M o r d v e ra n tw o rtlic h sin d . D ie H a n d ­
lu n g sb e d in g u n g e n e rg e b e n sich d u rc h ih re zw eite E h e m it K ö ­
n ig Etzel. H in te rh ä ltig lädt sie ih re B r ü d e r in s H u n n e n re ic h ein ,
w o sie ü b e r g ro ß e M a c h t v e rfü g t.
D ie se n B e g rü n d u n g s z u s a m m e n h a n g h at w o h l d e r Nibelun­
genlied-Dichter a m E n d e d es 12 . Ja h rh u n d e rts g e sc h a ffe n . In
e in e r älteren F a s su n g d e r B u rg u n d e n u n te rg a n g s s a g e , d ie d as
AlteAtlilied d e r Edda erzäh lt (im 9. Ja h rh u n d e rt e n tsta n d e n , im
13. Ja h rh u n d e rt ü b e rlie fe rt), tö tet A tli/E tz e l d ie B u rg u n d e n -
k ö n ig e , u m in d en B esitz ih res S ch a tz e s z u k o m m e n . A tlis G e ­
m a h lin , d ie S c h w e ste r d e r B u rg u n d e n , räch t d en T o d ih re r V e r­
w a n d te n an d e m H u n n e n k ö n ig . A u c h fü r d ie se S a g e n fa s s u n g
ist ein h is to ris c h e r K ern zu e rk e n n e n : A ttila sta rb 453 in d e r
H o c h z e itsn a ch t an d e r Seite e in e r G e rm a n in H ild ic o . D ie h isto ­
risch e E r k lä r u n g se in e s T o d es d u rc h e in e n B lu ts tu rz w ir d als
M o rd u m g e d e u te t. E n tsta n d e n d e n k t m a n sich d ie U n te rg a n g s ­
sag e im sa v o y isc h e n B u rg u n d e n re ic h . V o n d o rt w a n d e rte sie
n ach D e u ts c h la n d , S k a n d in a v ie n , Ita lie n , w ie b ild lic h e Z e u g ­
n isse u n d b e z u g n e h m e n d e sc h riftlic h e W e n d u n g e n b e le g e n , d ie
a u f m ü n d lic h e r T ra d itio n b e ru h e n .
ANHANG 783

D ie F u n k tio n s o lc h e r S a g e n b ild u n g b esteh t in d e r E r in n e ­


ru n g a n d ie V o rfa h re n u n d d ie e ig e n e H e rk u n ft. D a s E rzä h lte
träg t z u r Id e n titä ts b ild u n g b ei u n d b ie te t v o rb ild h a fte H a n d ­
lu n g s n o r m e n . B e i d e r W a n d e ru n g d e r S a g e n ü b e r d e n u r ­
s p rü n g lic h e n E n tste h u n g sk re is h in a u s w e rd e n d ie F u n k tio n e n
in m e h r o d e r w e n ig e r m o d ifiz ie rte r F o rm a u f a n d e re S ta m m e s ­
u n d V ö lk e rg ru p p e n ü b e rtra g e n . D ie a k tu a lisie re n d e A n e ig n u n g
ist e in e V o ra u s s e tz u n g fü r d a s F o rtle b e n d e r S a g e n , d e n n a lle
E r in n e r u n g e rfo lg t in teressen g esteu ert. S o w ird d a s E rz ä h lte a u f
im m e r n e u e B e d in g u n g e n a b g e stim m t. D a s g ilt b is in d ie jü n ­
g ere u n d jü n g s te G e sc h ic h te : Im 19. Ja h rh u n d e rt, n a c h d e r N ie ­
d e rla g e im K rie g geg en N a p o le o n , d ie n te d a s Nibelungenlied z u r
E n tw ic k lu n g e in e s d e u tsc h e n N a tio n a lg e fü h ls a ls v e r m e in tli­
c h e s In b ild d e u tsc h e n W esen s. 19 0 9 p rä g te d e r R e ic h sk a n z le r
F ü rst v o n B ü lo w d a s S c h la g w o rt v o n d e r N ib e lu n g e n tre u e , u m
d ie U n v e rb rü c h lic h k e it d e r B e z ie h u n g z w isc h e n d e m D e u t ­
sc h e n R e ic h u n d Ö ste rre ic h z u m A u s d r u c k zu b rin g e n . D ie
N ie d e rla g e im E rste n W eltk rie g w u r d e als h in te rh ä ltig e r V errat
m it S ie g fr ie d s E r m o r d u n g v e rg lic h e n . U n d H e r m a n n G ö r in g
h at d ie fatale P a ra lle le z w isc h e n d e m K a m p f d e r E in g e k e sse lte n
in S ta lin g ra d u n d d e m S a a lb ra n d im H u n n e n la n d b e sch w o re n .
D ie m ü n d lic h e S a g e n tra d itio n ist k e in e d iffu s e E rin n e ru n g ,
als so lc h e h ätte sie k a u m Ja h rh u n d e rte ü b e rd a u e rt. S ie w u rd e
von p ro fe s sio n e lle n S ä n g e rn le b e n d ig g e h a lte n , d ie in d e r
A d e ls g e s e lls c h a ft in s titu tio n e ll v e ra n k e rt w a re n , w ie a u s v e r ­
sc h ie d e n e n h isto risc h e n B e ric h te n h e rv o rg e h t. D ie S ä n g e r t r u ­
g e n k e in e fe stg e fü g te n , a u s w e n d ig ge le rn te n E rz ä h lu n g e n vor,
s o n d e rn sie im p ro v is ie rte n b ei je d e m A u ftritt e in e n e u e V e r­
sio n . D a s w a r m ö g lic h , in d e m sie e in e rse its a u f ein H a n d lu n g s ­
g e rü s t u n d z e n tra le G e d a n k e n z u r ü c k g r iffe n u n d a n d re rs e its
fo rm e lh a fte W e n d u n g e n u n d s te re o ty p e H a n d lu n g s e le m e n te
b e n u tz te n , m it d e n e n sie d a s G e r ü s t im m e r n e u fü llte n . D a s
V e rfa h re n d e r a r tig e r m ü n d lic h e r D ic h te r lä ß t sich a n a lo g zu
se rb o k ro a tis c h e n e rz ä h le n d e n S ä n g e rn , d e re n V o rtra g sk u n st in
d e n 3 0 e r Ja h re n d e s 20. Ja h rh u n d e rts e rfo rsc h t w u rd e , r e k o n ­
784 ANHANG

struieren. O b es d an eben auch festgefügte, m ü n d lich tradierte


H elden lieder gab, ist um stritten.
E rst a m E n d e d es 12. Ja h rh u n d e rts w a re n in d e r d e u tsc h e n
A d e lsg e se llsc h a ft d ie k u ltu re lle n B e d in g u n g e n v o rh a n d e n , u m
a u fg r u n d d e r m ü n d lic h e n Ü b e rlie fe ru n g e in e s c h riftlite ra risc h e
G r o ß fo r m zu sc h a ffe n . D e r D ic h te r d es Nibelungenliedes h a t d ie
S a g e z u r g le ich e n Z e it v e rsc h riftlic h t, als d ie d u rc h fra n z ö sisc h e
V o rla g e n a n g e re g te n h ö fis c h e n R o m a n e v e rfa ß t w o rd e n s in d
(d e r Eneasroman H e in ric h s v o n V eld eke, d ie A r tu s r o m a n e Erec
u n d Iwein H a r tm a n n s v o n A u e , d e r Parzival W o lfra m s v o n
E sc h e n b a c h u n d d e r Tristan G o ttfrie d s v o n S tra ß b u rg ). D a s Ni­
belungenlied e n tsta n d in K o rre s p o n d e n z z u d e r h ö fisc h e n L ite ­
r a tu r d es a u s g e h e n d e n 12. Ja h rh u n d e rts , a u c h w e n n sich d ie
G a ttu n g d e r H e ld e n d ic h tu n g in F o rm u n d H e rk u n ft d e s S to ffe s
d e u tlic h v o m h ö fisc h e n R o m a n u n te rsch e id e t. D a ß d e r V e rfa s ­
ser a n o n y m b le ib t, g e h ö rt zu d e n M e rk m a le n d es h e ro isc h e n
E p o s. D e r D ic h te r b e g re ift sich als W ie d e r-E rz ä h le r, d e r in e in e r
la n g en T ra d itio n steht. E r n im m t Ü b e rlie fe rte s a u f u n d gestaltet
es n eu . D ie se F e stste llu n g sc h m ä le rt se in e L e is tu n g n ic h t. E s
ist v ie lm e h r b e w u n d e rn s w e rt, w ie d e r Nibelungenlied-Dichter
e in e rse its d ie D ik tio n m ü n d lic h e n E rz ä h le n s k u ltiv ie rt u n d
a n d re rse its s c h riftlite ra ris c h e T e ch n ik e n b e h e rrsc h t. E r v e r ­
k n ü p ft m o tiv ie re n d z w e i S a g e n zu e in e r G e sc h ic h te , er sch afft
m e h rsc h ic h tig e , z. T. ra tio n a lisie re n d e B e g rü n d u n g s z u s a m m e n ­
h än g e, er e n tw irft S zen en v o n e in d rin g lic h e r P rä g n a n z u n d gib t
d e m G e sc h e h e n e in e e m o tio n a l v e rtie fe n d e D im e n s io n .
A u c h w e n n w ir d e n N a m e n d es D ic h te rs n ich t k e n n e n , sin d
d ie K o n tu re n se in e r P e rsö n lich k e it d u rc h a u s d e u tlich . E s h a n ­
d elt sich u m ein e n geb ild eten K lerik er, d e r m it d e r n e u e n d e u t­
sch en L ite ra tu r d e r 2. H ä lfte d es 12. Ja h rh u n d e rts v e rtra u t w ar.
W a h rsc h e in lic h h at e r d e n A u ftr a g z u r V e rs c h riftlic h u n g d e r
N ib e lu n g e n sa g e a m H o f d es lite ra risch in teressierten P a ssa u e r
B is c h o fs W o lfg e r v o n E rla ( 1 19 1- 12 0 4 ) erh alten . D a fü r sp re c h e n
e in e R e ih e v o n In d iz ie n im T ext, b e s o n d e rs d ie O rtsk e n n tn is in
d e r P a ssa u e r G e g e n d un d dann d ie e rfu n d e n e F ig u r d es
ANHANG 785

B is c h o fs P ilg rim v o n P a ssau . E r ist d e r O h e im K rie m h ild s u n d


d e r B u rg u n d e n k ö n ig e , sie b e s u c h e n ih n a u f ih re m W eg in s
H u n n e n la n d . D a d ie H a n d lu n g s s c h w e rp u n k te d es Nibelungen­
liedes w o a n d e rs liegen u n d d e r B is c h o f k ein e m a ß g e b lic h e R o lle
im G e s c h e h e n sp ie lt, m a c h e n d ie P ilg rim - S z e n e n v o r a lle m
S in n als H u ld ig u n g an d en M ä z e n d e r D ic h tu n g u n d w e n n P a s­
sa u E n ts te h u n g s o rt u n d erste r V o rtra g s o rt d e r D ic h tu n g w ar.
D e r N a m e P ilg rim ist fü r e in e n A m ts v o r g ä n g e r W o lfg e rs im 10 .
Ja h rh u n d e rt b e z e u g t, d ie s e r w u rd e a m E n d e d e s 12 . Ja h r h u n ­
d e rts - a lso z. Z . W o lfg e rs - k u ltisc h v e re h rt. A u f W o lfg e r selb st
p a ß t d e r N a m e »P ilger« in s o fe rn , als e r 119 7 a n e in e m K re u z z u g
n a c h Je ru sa le m te ilg e n o m m e n hat.
D a rü b e r, o b d e m D ic h te r b e re its e in e ältere sc h riftlic h e F a s ­
s u n g d es S to ffe s v o rla g , streitet m a n sich . A u f k ein e n Fall ist es
ein g ro ß e p is c h e r T ext g e w e se n , in d e m S ie g frie d - u n d B u rg u n -
d e n sa g e b e re its v e rb u n d e n w a re n . U n s ic h e r ist a u c h , o b d e r
D ic h te r d ie F o rm d e r ty p is c h e n N ib e lu n g e n s tro p h e a u s d e r
m ü n d lic h e n S a g e n tra d itio n k a n n te o d e r o b e r sie a u s d e m M in ­
n e sa n g fü r d a s Nibelungenlied ü b e rn o m m e n hat. S ie b esteh t a u s
v ie r in A n - u n d A b v e rs g e g lie d e rte n L a n g z e ile n m it e in e m v e r ­
lä n g e rte n letzten H a lb v e rs, d e r d e n A b s c h lu ß d e r S tro p h e m a r ­
k iert.
D ie M a k ro s tru k tu r d e r erzäh lten G e sch ich te ist in allen F a s­
su n g e n gleich : ein erster Teil, d e r v o n S ie g frie d u n d sein er E r ­
m o rd u n g h an d elt, u n d ein zw eiter Teil, d e r d en U n terg an g d er
B u rg u n d e n k ö n ig e u n d ih res G e fo lg e s am H o f d es H u n n e n ­
k ö n ig s Etzel erzäh lt. In d e r H a n d sc h rift C sin d b e id e Teile in
jew eils 19 A ven tiu ren (k ap itelartige A b sch n itte) geglied ert. In den
F a ssu n g e n A u n d B b eträgt d e r G e s a m tu m fa n g 39 A ven tiu ren .
D ie K rie m h ild -F ig u r u n d d as R a c h e m o tiv b ild en d as S c h a rn ie r
zw isch en b e id e n Teilen. K rie m h ild s b e so n d e re F u n k tio n k o m m t
b ereits a m A n fa n g d es E p o s zu m A u s d ru c k , d en n d e r D ich te r
stellt sie als erste F ig u r vor, d ie d en A n la ß zu späteren tö d lich en
K ä m p fe n b ild et. D ie zw eite A v e n tiu re h a n d e lt d a n n vo n S ie g ­
fried , d e r eigen tlich en H a u p tfig u r d es ersten Nibelungenlied-Teils.
786 ANHANG

D ie b e id e n A n fa n g sa v e n tiu re n b e n u tz t d e r D ich ter, u m h ö fi­


sch e H e rrsc h a ftsstru k tu re n u n d L e b e n s fo rm e n zu en tfa lten . B e i
d e m S c h w e rtle ite fe st zeigt e r S ie g frie d als m u ste rh a fte n R itte r
u n d R e p rä se n ta n te n d e r h ö fisc h e n G e se llsch a ft. In d e r d ritte n
A v e n tiu re w e rd e n S ie g frie d s a n d e rw e ltlic h e D im e n s io n e n
d u rc h e in e E rz ä h lu n g in d e r E rz ä h lu n g n a c h g e tra g e n : H a g e n
b e ric h te t v o m D r a c h e n k a m p f, v o m E r w e r b d es N ib e lu n g e n ­
h o rts u n d v o n d e r T a rn k a p p e . D u r c h d ie se s E rz ä h lv e rfa h re n
rü c k e n d ie Ju g e n d a b e n te u e r in D ista n z zu d e n ze n tra le n H a n d ­
lu n g sv o rg ä n g e n .
D e n N a m e n N ib e lu n g e n g e b ra u c h t d e r D ic h te r fü r d ie
w e c h se ln d e n B esitz e r d es H o rte s. S ie g frie d tö tet d ie K ö n ig e d es
N ib e lu n g e n re ic h e s, e in e r v o n ih n en h eiß t w ie sein V a ter N ib e ­
lu n g , ih r G e fo lg e sin d d ie N ib e lu n g e n . S ie g frie d g e w in n t d e n
S c h a tz d e r N ib e lu n g e n u n d ih r L a n d . N a c h s e in e m T o d w ird
d e r H o rt als K rie m h ild s B esitz a u s d e m N ib e lu n g e n la n d n a ch
B u rg u n d ü b e rfü h rt. H a g e n ra u b t ih n K r ie m h ild im E in v e r ­
stä n d n is m it d en B u rg u n d e n k ö n ig e n u n d v e rs e n k t ih n im
R h e in . D u rc h d en R a u b sin d d ie B u rg u n d e n d ie B esitz e r (w e n n
a u c h n ich t d ie N u tz e r) d es H o rte s. V o n d e m Z e it p u n k t an , als
sie a u f K r ie m h ild s b e trü g e ris c h e E in la d u n g h in in s H u n n e n ­
la n d zieh en , w e rd e n sie v o m D ic h te r N ib e lu n g e n g e n a n n t, der
Nibelunge lief h a n d e lt also v o n S ie g frie d u n d d e n B u rg u n d e n ,
u n d es sch ließ t e in e V o rg e sc h ic h te ü b e r d ie m y th isc h e n K ö n ig e
im N ib e lu n g e n la n d ein.
D ie K e rn sz e n e n d e r H a n d lu n g , in d e n e n d ie K o n flik te v o r ­
b ere ite t w e rd e n u n d z u m A u s b ru c h k o m m e n , n e h m e n n u r
ein en Teil d e r 38 A v e n tiu re n ein . D e r a n d e re Teil d e s g r o ß e p i­
sch en F o rm a ts w ird d u rc h d ie D a rste llu n g h ö fisc h e n Z e re m o -
n ia lh a n d e ln s a u sg e fü llt. F ü r d ie H a n d lu n g s k o n s titu tio n sin d
fo lg e n d e E rz ä h lk o m p le x e w ic h tig : d ie B ra u tw e rb u n g S ie g frie d s
u m K rie m h ild u n d G u n th e rs u m B rü n h ild , v o n d e n e n d ie le tz ­
tere m it m e h rfa c h e m B e tru g v e rb u n d e n ist; d e r F ra u e n stre it
z w isch en K rie m h ild u n d B rü n h ild in W o rm s u n d d ie d a ra u s re ­
su ltie re n d e E r m o r d u n g S ie g frie d s; K rie m h ild s V e rm ä h lu n g m it
ANHANG 787

E tzel; d e r Z u g d e r B u rg u n d e n in s H u n n e n la n d a u fg r u n d v o n
K r ie m h ild s h in te rlistig e r E in la d u n g ; d e r A u s b ru c h d e r K ä m p fe
z w isc h e n H u n n e n u n d N ib e lu n g e n , als a u f K rie m h ild s V e ra n ­
la ss u n g d ie b u r g u n d is c h e n K n a p p e n ü b e rfa lle n w e rd e n u n d
H a g e n z u r V e rg e ltu n g E tzels S o h n O rtlie b tötet; d ie u n a u fh a lt­
sa m e E s k a la tio n d e r K ä m p fe b is z u m T o d a lle r B u rg u n d e n u n d
u n z ä h lig e r an d erer.
D a s h ö fis c h e Z e re m o n ia lh a n d e ln u m fa ß t B e g rü ß u n g e n , A b ­
sc h ie d e , Feste, K irc h g ä n g e , R e ise n , K ä m p fe , e in e Ja g d u n d im ­
m e r w ie d e r d ie A u s s ta ttu n g m it K le id e rn u n d R ü s tu n g e n s o w ie
d ie M in n e b e z ie h u n g z w isc h e n S ie g frie d u n d K rie m h ild . D ie se
P a ssag en v e ra n k e rn d ie H a n d lu n g in d e r lite ra risch id e a lisie rte n
h ö fis c h e n L e b e n sw e lt.
K o n tra s tiv zu d e m G la n z d e r H ö fe u n d zu d e r H o c h s tim ­
m u n g ih re r A n g e h ö rig e n m a c h t d e r E rz ä h le r v o n A n fa n g an d ie
D e te rm in a tio n d e r v o rg e tra g e n e n G e s c h ic h te zu T o d u n d U n ­
te rg a n g d e u tlic h . Z u n e h m e n d s u m m ie re n sich M o tiv e , d ie zu
d e m fa ta le n V e r la u f b e itra g e n u n d d e n U n te rg a n g b e g rü n d e n .
A lle rd in g s w e rd e n an v e rsc h ie d e n e n S tellen A lte rn a tiv e n a n g e ­
s p ro c h e n , d ie d e m G e sc h e h e n e in e n a n d e re n V e r la u f g e g e b e n
h ä tte n : Z . B . h ä tte n d ie K ö n ig s b r ü d e r G e r n o t u n d G is e lh e r
ih re n S c h w a g e r S ie g frie d v o r d e r fü r ih n tö d lic h e n Ja g d w a rn e n
k ö n n e n , d e r E rz ä h le r ta d e lt ih r V e rh a lte n . - D ie B u rg u n d e n
h ä tte n d e n Ü b e rle g u n g e n H a g e n s, d e n W a rn u n g e n ih re s K ü ­
c h e n m e is te rs u n d d e n e n d e r z u k u n fts k u n d ig e n W a sse rfra u e n
fo lg e n u n d d e n Z u g in s H u n n e n la n d u n te rla sse n k ö n n e n . -
W ä re Etzel ü b e r K rie m h ild s R a c h e v o rh a b e n in fo rm ie rt w o rd e n ,
h ätte e r d ie K ä m p fe v e rh in d e rt, je d o c h a u s Ü b e rm u t k lä rt ihn
n ie m a n d a u f. Z w a r sin d d iese A lte rn a tiv e n g e g e n ü b e r d e m v o r ­
g e g e b e n e n V e r la u f d e r G e s c h ic h te le d ig lich G e d a n k e n s p ie le , sie
d e u te n a b e r a n , d a ß d ie U n te rg a n g sd e te rm in a tio n n ic h t u n a u s ­
w e ic h lic h g e w e se n ist. D o c h d ie u n m e n s c h lic h e E sk a la tio n vo n
G e w a lt, T ö tu n g s a k te n u n d V e rg e ltu n g setzt sich fo rt, u n d sie
w ir d im m e r w ie d e r b e w u ß t v o n d e n B e teilig ten v e ra n tw o rte t.
D e r E rz ä h le r k o m m e n tie r t d a s a u f L e id u n d g e w a ltsa m e n
788 ANHANG

T o d a u sg e ric h te te G e s c h e h e n als g ru n d s ä tz lic h e h is to ris c h e


E r fa h r u n g - als d e n L a u f d e r W elt. D a m it e rw e ist sich d ie
G e sc h ic h te v o n d e r E r m o r d u n g d e s stä rk sten H e ld e n u n d d e r
N ie d e rm e tz e lu n g z a h llo se r K ä m p fe r als lite ra risc h e s K o n tra s t­
m o d e ll zu d e n g lü c k lic h a u s g e h e n d e n A r tu s r o m a n e n . D ie se
z e ig en d ie m ö g lic h e H a r m o n ie v o n p e rs ö n lic h e n u n d g e s e ll­
sch a ftlic h e n In teressen . Im Nibelungenlied w ir d d e r T o d e in z e l­
n er u n d v ie le r im m e r w ie d e r m it g ro ß e m A u fw a n d b e tra u e rt,
u n d d a s L e id d e r F ra u e n w ird als K e h rseite d e r K ä m p fe h e r v o r ­
g e h o b e n , a b e r letztlich ist d ie B e w u n d e ru n g d e r K ä m p fe n d e n
u n v e rk e n n b a r, u n d sie b le ib t v o n c h ris tlic h h u m a n is ie re n d e n
V o rste llu n g e n u n b e rü h rt. D ie se s E th o s m a c h t d a s Nibelungen­
lied zu e in e m e r r a tis c h e n Block< in d e r h ö fisc h e n L iteratu r.

Zur Überlieferung des Nibelungenliedes - Die Handschrift C

D ie h e u te in d e r L a n d e s b ib lio th e k K a rls ru h e a u fb e w a h rte


H a n d s c h rift d e s Nibelungenliedes, d e re n T ext im v o rlie g e n d e n
B a n d e d ie rt u n d ü b e rse tz t w ird , gilt als älteste v o lls tä n d ig e r ­
h a lten e A u fz e ic h n u n g d e r u m 12 0 0 v e rfa ß te n D ic h tu n g . D ie se
ist in s g e s a m t in 3 7 H a n d s c h rifte n und H a n d s c h r ift b r u c h ­
stü c k e n ü b e rlie fe rt. Im W o rtla u t s tim m t d ie h a n d s c h riftlic h e
Ü b e rlie fe ru n g n ic h t g e n a u ü b e re in , u n d es la ssen sich v e rs c h ie ­
d e n e T e x tfa ssu n g e n e rk e n n e n . D ie n a ch ih re m g e g e n w ä rtig e n
A u fb e w a h r u n g s o r t b e n a n n te K a rls ru h e r H a n d s c h rift ist w o h l
z w isc h e n 12 2 5 u n d 12 5 0 in S ü d tiro l o d e r V o ra rlb e rg e n tsta n d e n .
Im S c h riftb ild u n d in d e r S c h re ib s p ra c h e steh t sie d e r St. G a lle r
H a n d sc h rift d es Nibelungenliedes se h r n ah e. D e r K a rls ru h e r C o ­
d e x re p rä se n tie rt e in e F a s su n g m it b e s o n d e re n E ig e n a rte n u n d
za h lre ich e n S tro p h e n , d ie in d e n a n d e re n H a n d s c h rifte n n ich t
V o rk o m m e n . Ih r S ig n u m ist d ie F o r m u lie r u n g d es letzten H a lb -
v e rse s daz ist der Nibelunge lief im U n te rsc h ie d zu d e m S c h lu ß
daz ist der Nibelunge not.
a n d e re r F a ssu n g e n D e r G e r m a n is t
K a rl L a c h m a n n ( 17 9 3 - 18 5 1) h at d e r H a n d s c h rift m it d e r liet-
ANHANG 789

V e rsio n d ie S ig le C g e g e b e n u n d sie in e in e r v o n ih m a u fg e s te ll­


ten H ie ra rc h ie an d ritte r S te lle p la z ie rt, n a c h d e r M ü n c h n e r
H a n d s c h rift A u n d d e r St. G a lle r H a n d s c h rift B. D ie F rag e, o b
d ie älteste A u fz e ic h n u n g d es Nibelungenliedes a u c h d ie älteste
F a s su n g d arstellt, w ir d in d e r F o rs c h u n g u n te rsc h ie d lic h b e a n t­
w o rte t. A u f je d e n F a ll b e g a n n d ie n e u z e itlic h e R e z e p tio n d es
Nibelungenliedes m it d e r W ie d e re n td e c k u n g d e r H a n d s c h rift C .
D e r L in d a u e r A rz t Ja c o b H e rm a n n O b e re it h at d e n C o d e x
1755 in d e r B ib lio th e k d e r G r a fe n v o n H o h e n e m s e n td e c k t, u n d
d e r Z ü r ic h e r G e le h rte Jo h a n n Ja c o b B o d m e r ( 16 9 8 - 17 8 3 ) h at
a u f das Nibelungenlied p u b liz istisc h a u fm e rk s a m g e m a c h t m it
d e r P e rsp e k tiv e , es sei ein H o m e rs Ilias v e rg le ic h b a re s W erk. Im
H e rb st 18 15 k a u fte Jo se p h F re ih e rr v o n L a ß b e rg d ie H a n d s c h rift
m it fin a n z ie lle r U n te rs tü tz u n g d e r F ü rs tin E lisa b e th zu F ü r ­
ste n b e rg in W ie n . N a c h L a ß b e rg s T o d k a m d e r C o d e x in d ie
F ü rstlic h F ü rs te n b e rg is c h e H o fb ib lio th e k in D o n a u e s c h in g e n .
2 0 0 1 w u r d e sie d u rc h M itte l d e r L a n d e s b a n k B a d e n -W ü rtte m ­
b e rg u n d d e r B u n d e s re p u b lik D e u ts c h la n d e rw o rb e n . M it d e n
B e sitz e rn u n d A u fb e w a h ru n g s o rte n h a b e n a u c h d ie N a m e n d e r
H a n d s c h rift C g e w e c h se lt: H o h e n e m s -L a ß b e r g s c h e , D o n a u -
e sc h in g e r, K a rls ru h e r H a n d sc h rift.
A uß er dem Nibelungenlied e n th ä lt d e r C o d e x n o c h d ie Nibe­
lungenklage, e in e in R e im p a a r e n a b g e fa ß te D ic h tu n g , d ie
h a u p ts ä c h lic h T ra u e rz e re m o n ie n fü r d ie T o ten u n d d e re n B e ­
s ta ttu n g in E tz els L a n d b e h a n d e lt. E in e in z ig e r S c h re ib e r h at
d e n g e sa m te n T ext v o n Lied u n d Klage a u f 12 0 P e rg a m e n tb lä tte r
g e b ra c h t u n d d u rc h k o rrig ie rt. S tro p h e n u n d V erse sin d fo rt la u ­
fe n d g e sc h rie b e n , d o c h g ra p h is c h e M itte l (P u n k te a m V e rse n d e
u n d In itia le n ) m a rk ie re n d ie v e rsc h ie d e n e n G lie d e r u n g s e in h e i­
ten (V erse, S tro p h e n , A v e n tiu re n ). B e re its im 18. Ja h rh u n d e rt,
als B o d m e r e in e n Teil d e s Nibelungenliedes h e ra u sg a b , feh lten
in d e r H a n d s c h rift sech s B lä tte r m it d en S tro p h e n 14 7 8 ,3 - 15 0 3 ,3 ;
15 2 9 ,2 - 16 3 1,3 ; 16 5 2 ,2 - 16 8 2 ,3 . D ie L ü c k e läß t sich d u rc h d ie im
15. Ja h rh u n d e rt e n tsta n d e n e H a n d s c h rift a (h eu te in d e r B ib lio ­
th e c a B o d m e ria n a , G e n f-C o lo g n y ) sch lie ß e n .
790 ANHANG

Im V e rg le ic h zu d en a n d e re n F a s su n g e n zeig t d e r C -T ext
e in e n a n d e re n , fo rtg e sc h ritte n e re n B e a rb e itu n g s g ra d der
sc h riftlic h e n D ic h tu n g . D ie V e rsio n d e r H a n d s c h rift C b esitzt
112 z u sä tz lic h e S tro p h e n (u m g e k e h rt h a b e n a u c h 45 in d e n
H a n d sc h rifte n A u n d B v o rh a n d e n e S tro p h e n in C k e in e E n t­
sp re c h u n g ). A u ß e rd e m sin d z a h lre ich e W ö r te r u n d S tr o p h e n ­
teile v e rä n d e rt. A ls A u s w irk u n g d e r B e a rb e itu n g läß t sich e rk e n ­
nen, daß U n s tim m ig k e ite n d e s T extes b e se itig t, fe h le n d e
M o tiv ie ru n g e n erg ä n zt, ra tio n a lisie re n d e E rlä u te ru n g e n e in g e ­
fu g t, n e u e B e w e rtu n g sa k z e n te gesetzt u n d d ie K o m m u n ik a t io n
z w isc h e n E rz ä h le r u n d an g e re d e te n H ö re rn in te n siv ie rt w o rd e n
sin d . Z . B. stellt sich S ie g frie d b ei B r ü n h ild als eigenmann (zu
D ie n s t v e rp flic h te te r U n fre ie r) v o r u n d n ic h t w ie in d e r F a ssu n g
d e r St. G a lle r H a n d s c h rift als man (w a s E ig e n m a n n , D ie n s t ­
m a n n o d e r fre ie r L e h n sm a n n , V asall b ed eu ten k a n n ). D u rc h d ie
P rä z isie ru n g k n ü p ft B r ü n h ild s sp ä te re D ie n s tfo rd e r u n g o h n e
w e itere H e ra b se tz u n g d ire k t an S ie g frie d s S ta n d e slü g e an . E in e
C -e ig e n e S tro p h e (Str. 2 1) v e rm e rk t, d a ß b ei d e r D a rs te llu n g
v o n S ie g frie d s Ju g e n d se in e A b e n te u e r im N ib e lu n g e n la n d
z u n ä c h st a u sg e sp a rt b le ib e n ; d a m it re a g ie rt d e r R e d a k to r o ffe n ­
b a r a u f E rw a rtu n g e n v o n H ö re rn , d ie d ie S ag e k e n n e n . F ü r d as
e rs ta u n lic h e Ü b e rle b e n d e r B u rg u n d e n b e im S a a lb ra n d w ird
e in e E r k lä r u n g d u rc h d ie g e w ö lb te R a u m fo r m g e g e b e n (Str.
2 17 8 ). N e u e c h ristlich ge tö n te B e w e rtu n g e n e rfo lg e n z u g u n ste n
v o n S ie g frie d u n d K rie m h ild u n d z u u n g u n ste n v o n H ag en : E in e
Z u s a tz s tro p h e (Str. 9 73) p re ist S ie g frie d als in allen T u g e n d e n
v o llk o m m e n , o h n e je d e F a lsc h h e it, im G e g e n s a tz zu d e r U n ­
tre u e d e r M ö rd e r. Im B lic k a u f K rie m h ild s R a c h e h a n d e ln w ird
m e h rm a ls e rk lä rt, d a ß sie n u r d e n T o d H a g e n s, a b e r n ic h t e in e
A u s w e itu n g d e r K ä m p fe g e w o llt h ab e. D e r T eu fel w ird fü r
d en a n d e rs a rtig e n V e r la u f v e ra n tw o rtlic h g e m a c h t (Str. 2 14 3 ).
K rie m h ild s u n v e rs ö h n lic h e R a c h e a b sic h t w ird n a c h d rü c k lic h
m it ih re m tiefen L e id u n d ih rer T re u e zu S ie g frie d b e g rü n d e t.
D e m g e g e n ü b e r e rsc h e in t H a g e n in v e rsc h ie d e n e r H in s ic h t als
treu lo s. E r ist b e sitz g ie rig u n d p ro v o z ie rt sc h ließ lich d ie T ö tu n g
ANHANG 791

G u n th e rs (»W ie k ö n n te es e in e g rö ß e re U n tre u e geben ?« lau tet


d e r E rz ä h le rk o m m e n ta r Str. 2 4 2 8 ,2 ). W ie d e rh o lt w ird e r im
zw eiten T eil d e s E p o s als M ö r d e r u n d als b ö se b e z e ic h n e t. S o
steh en - a n d e rs als in d e r A / B -F a s s u n g - d ie B ild e r v o n K rie m -
h ild u n d H a g e n im ge sa m te n Nibelungenlied k o n tra stie re n d e in ­
a n d e r g eg en ü b er. M it d ie se r S c h u ld z u w e isu n g sch ein t d e r C - R e -
d a k to r a u f zeitg e n ö ssisch e P u b lik u m s e rw a rtu n g e n zu reag ieren .
N e u ist in d e r C -F a s s u n g d ie P ro lo g stro p h e . D a rin stellt sich
ein S ä n g e r vor, d e r an alte G e sc h ic h te n e rin n e rt u n d sie w ie d e r ­
erz ä h lt, e r tritt d e m G e s c h e h e n in b e tra c h te n d e r D is ta n z g e ­
gen ü b er. D ie se H a ltu n g b rin g t a u c h d ie s ig n ifik a n te S ch lu ß z e ile
z u m A u s d r u c k , in d e r d a s E rz ä h lte als lite ra risc h e s P ro d u k t
( liet) b e z e ic h n e t w ird .
A u s d e r Ü b e rlie fe ru n g sg e sc h ic h te g e h t h e rv o r, d a ß d a s P u ­
b lik u m d ie a u f h ö h e re A n s p r ü c h e re a g ie re n d e L ite ra ris ie ru n g
d e r F a s su n g C b e s o n d e rs g e sch ätz t h at.

Zur Edition des mittelhochdeutschen Textes

W er e in e n m itte la lte rlich e n d e u tsc h e n T ext a u s e in e m M a n u ­


s k rip t w ie d e r K a r ls ru h e r Nibelungenlied-Handschrift C im
D r u c k z u g ä n g lic h m a c h e n m ö c h te , m u ß z u n ä c h st e n tsch e id e n ,
o b e r e in e z e ic h e n g e tre u e W ie d e rg a b e d e r h a n d s c h riftlic h e n
V o rla g e (e in e n d ip lo m a tis c h e n A b d r u c k ) p rä se n tie re n w ill o d e r
e in e b e a rb e ite te E d itio n m it L e se e rle ic h te ru n g e n . D ie E n ts c h e i­
d u n g fü r e in e > leserfreundliche< A u s g a b e , d ie h ie r v o rg e le g t
w ird , e rfo rd e rt R e c h e n sc h a ft ü b e r d ie A r t d e r B e a rb e itu n g .
In d e r E d itio n sw isse n sc h a ft h e rrsch t h eu te ten d en ziell Ü b e r ­
e in s tim m u n g d a rü b e r, d aß d e r ü b e rlie fe rte W o rtla u t m ö g lic h st
n ic h t a n g e ta ste t w e rd e n so llte. W ö r te r d ü r fe n n ic h t u m g e ­
stellt, a u s g e ta u s c h t, w e g g e la sse n o d e r h in z u g e fü g t w e rd e n ,
w e n n n ic h t e in d e u tig e F e h le r - etw a D o p p e ls c h re ib u n g e n , A u s ­
la ssu n g e n o d e r V e rw e c h slu n g e n - v o rlie g e n . D a g e g e n g eh en d ie
H e ra u sg e b e r m it d e r S c h re ib w e ise fre iz ü g ig e r u m . D ie V o ra u s-
792 ANHANG

Setzu n g d a z u lieg t in d e r T atsach e, d a ß m a n im M itte la lte r k ein e


re g u lie rte O r th o g r a p h ie k a n n te . E s g a b S c h re ib g e w o h n h e ite n
m it e rh e b lic h e n V a ria n z e n n ich t n u r v o n S c h re ib e r zu S c h re ib e r
u n d v o n W e rk sta tt zu W erk statt, s o n d e rn a u c h im V e rfa h re n
e in e s S c h re ib e rs in n e rh a lb e in u n d d e rs e lb e n H a n d s c h rift.
G le ic h e W ö rte r, a u c h N a m e n , sin d u n te rs c h ie d lic h g e s c h rie ­
Nibelungenlied-H a n d s c h rift C : mvter/mvter,
b e n , z. B . in d e r
hören!hören, burge/purge, kraft!chraft, Chriemhilt!Kriemhilt,
Sifrit/Sivrit.
D ie V a ria n z g e h ö rt z u m m itte la lte rlich e n E rsc h e in u n g sb ild .
D e r d a m a lig e B e n u tz e r w a r g e w ö h n t, d a s G e m e in te zu id e n tifi­
zieren u n d b e im V o rtra g la u tlic h u m z u se tz e n . U m fü r d e n n e u ­
z eitlich en L eser d as m ittelalterlich e S c h re ib b ild le ich te r z u g ä n g ­
lich z u m a c h e n , h a b e n d ie ric h tu n g w e is e n d e n E d ito re n d e r
k la ssisch e n m itte lh o c h d e u tsc h e n T exte im 19. Ja h rh u n d e rt d ie
G r a p h ie re g u lie rt u n d d as K o n stru k t d es > n o rm alisierten M it-
telh och d eu tsch < g e sc h a ffe n . Sie h a b e n n ic h t n u r V a ria n z e n v e r ­
ein h e itlich t, so n d e rn a u c h S c h re ib u n g e n e in g e fü h rt, d ie n u r in
e in g e sc h rä n k te m M a ß e m itte la lte rlich e n G e p flo g e n h e ite n e n t­
sp re c h e n o d e r in d e n H a n d s c h rifte n g a r n ic h t V o rk o m m e n .
D e m g e g e n ü b e r m u te t d e r h ie r v o rg eleg te T ext d e m h e u tig e n
L e se r ein h ö h e re s M a ß an V a ria n z zu , o h n e ih n m it e in e r g e ­
n a u e n W ie d e rg a b e d e r H a n d s c h rift zu k o n fro n tie re n . Z u e in e r
Z e it, in d e r A u s s te llu n g e n e in e m b re ite re n P u b lik u m m itte l­
a lte rlic h e H a n d s c h rifte n p rä se n tie re n u n d d a s In te rn e t F a k s i­
m ile s u n d d eren T ra n sk rip tio n e n z u g ä n g lic h m a ch t, ist es a n g e ­
m e sse n , d a s D r u c k b ild h a n d s c h r iffe n n ä h e r zu g esta lten . F ü r
ein en Leser, d e r e rstm a ls o d e r n u r selten e in e n m itte la lte rlich e n
d e u tsc h e n T ext b e tra c h te t, d ü rfte sich b e im B lic k a u f ein e k o n ­
se q u e n t n o rm a lisie rte o d e r w e n ig e r re g u lie rte S c h re ib w e ise d e r
E in d ru c k d e r F re m d h e it n ich t w e se n tlich u n te rsch e id e n .
A u c h b ei e in e r e in g e s c h rä n k te n R e g u lie r u n g d e r G r a p h ie
sin d d ie V e rä n d e ru n g e n d es m itte la lte rlich e n B e fu n d e s e r h e b ­
lich u n d In k o n se q u e n z e n sa c h b e d in g t n ich t g a n z zu v e rm e id e n .
Ich n e n n e d ie w ic h tig ste n P u n k te d e r T extg esta ltu n g :
ANHANG 793

- Im D ru ck b ild w ird das Nibelungenlied seiner form alen G e ­


staltung en tsprech en d in Strop h en abgesetzt, w ähren d der
Text von H an d sch rift C a u f dem Pergam ent fortlau fen d g e ­
sch rieb en ist. Ein e Z ä su r gliedert im D ru ck die Langzeilen
in A n vers und A bvers.
- M o d ern e In terp u n ktion , fü r die es im M ittelalter kein Ä q u i­
valen t gibt, glied ert den Text gem äß dem V erständnis, das
in d er Ü b ersetzu n g zum A u sd ru c k kom m t. D ie m o d ern e
Z eich en setzu n g w ird d er offen eren Satzstru ktu r des M ittel­
hoch d eu tsch en n u r z. T. gerecht. G erad e das Nibelungenlied
reiht o ft kurze A u ssageein h eiten an ein an der, w o im N e u ­
h o ch d eu tsch en U n terglied eru n gen n äh er liegen.
- A b k ü rzu n gen , die zum U sus d er m ittelalterlichen S ch reib ­
w eise geh ören , sin d aufgelöst. D abei gibt es z. T. alternative
M ö glich k eiten , z. B. vh = undlunde\ ChriemW — Chriem-
hilt/Chriemhilde. D ie eine o d er an d ere V arian te ist aus m e­
trischen G rü n d en gew ählt.
- G ro ß bu ch staben w erd en im D ru ck am S trop h en an fan g und
bei N am en verw en d et o h n e volle E n tsp rech u n g in d er V o r­
lage.
- D ie N am en sch reib u n g w ird nach d er d o m in ieren d en Form
egalisiert.
- D ie h an d sch riftlich u n regu liert gebrau ch ten Z eich en u und
v w erd en im D ru ck kon sequ en t differen zieren d verw endet:
u fü r V okal, v fü r K on son an t, v f = uf, tvgent = tugent; uinden
= vinden, marcgraue = marcgrave.
- In k o n son an tisch er Fu n k tion w ird i d u r c h ; ersetzt: iunge =
junge.
- D ie v ariieren d e S c h reib u n g ein zeln er K o n so n an ten w ird
w eitgeh en d beibeh alten . In sb eso n d ere die V erw en d u n g
von ch im W echsel m it k , c, ch, kk geh ört zu den C h a ra k te ri­
stika d er H an d sch rift: chint/kint, chomenlkomen, trinchen,
tranc/tranch u. ä. R egu lieren d ein g egriffen w ird n u r d o rt,
w o es zu r id en tifizieren d en U n tersch eid u n g b estim m ter
W ö rter beiträgt: D u rch g än g ig ist recken (R ecken , K äm p fer)
794 ANHANG

gegenüber rechen (rä c h e n , R a c h e ü b e n ) g e d ru c k t, e n ts p re ­


c h e n d stecken g e g e n ü b e r stechen u n d dicke (o ft) u . ä. D e r
v a r iie r e n d e G e b r a u c h v o n //v , plby c/z, ch/h, seht sc ist m it
w e n ig e n A u s n a h m e n (fon = von d r e im a l b e le g t, for = vor
e in m a l b e le g t) im D r u c k ü b e r n o m m e n .
- Im B e re ic h d e r V o k a le s in d fo lg e n d e R e g u lie r u n g e n v o r g e ­
n o m m e n : D ie in d e r H a n d s c h rift v e rw e n d e te n ü b e r g e ­
s c h rie b e n e n Z e ic h e n (ü, u, 6) u n d d ie L ig a tu r æ, d ie v e r ­
s c h ie d e n e L a u te b e tre ffe n u n d in ih re r F u n k t io n n ic h t
im m e r g e n a u b e s tim m b a r s in d , w e rd e n fü r D ip h t h o n g e
( D o p p e lla u te ) n e b e n e in a n d e rg e s e tz t (gvt - guot, trvm =
troum, brvder = brüeder), fü r U m la u te d e r K u rz v o k a le w e r ­
d e n sie als ü, ö, ä (munster = münster, mohten = möchten,
mægede = mägede, fvrste = fürste) u n d fü r U m la u te d e r
L a n g v o k a le als ae, oe (mære = maere, schöne = schoene) g e ­
d ru c k t. - D ie D ip h th o n g s c h re ib u n g w ir d b e i g le ic h e n u n d
la u tlic h e n ts p re c h e n d e n W ö r te r n im D r u c k k o n s e q u e n t
v e rw e n d e t (mvtlm vt muot). D a ß b e i e in e r R e ih e v o n
=
W ö r te r n n e b e n la n g e m u d e r n e u e D ip h t h o n g ü = o u a u f­
ta u c h t (lout neben lut, ouf n e b e n uf), ist in d e r T r a n s k r ip ­
tio n n ic h t b e rü c k s ic h tig t. D ie U m la u tb e z e ic h n u n g w ir d b e i
d e n je n ig e n W ö rte rn d u rc h g e h e n d g e d ru c k t, fü r d ie e n ts p re ­
c h e n d e S c h re ib u n g e n in d e r H a n d s c h rift z a h lre ic h b e le g t
s in d , a u c h w e n n sie n ic h t ü b e rw ie g e n (schone/schone =
schoene A d je k tiv u n d S u b sta n tiv , chune - chüene u. a .). B ei
chunk/kunic u n d über k o m m e n k e in e ü b e rg e s c h rie b e n e n
Z e ic h e n vor, b e i fur, fürsten, munster u. a. sin d sie s e h r s e l­
ten ; in b e id e n F ä llen fo lg t d e r D r u c k d e r H a n d s c h rift.
- D ie wnsch, wnne, wrde
S c h re ib u n g e n u. ä. w e rd e n als
wünsch, wunne, wurde tra n s k rib ie rt.
- D e r in d e r H a n d s c h rift g a n z selte n e Z ir k u m fle x w ir d im
D r u c k n ic h t z u r B e z e ic h n u n g v o n L a n g v o k a le n v e rw e n d e t.
- A u s m e trisc h e n G r ü n d e n w e rd e n k ein e V e rä n d e ru n g e n v o r ­
g e n o m m e n . D iffe rie re n d e F o rm e n d e r R e im w ö r te r w e rd e n
e in a n d e r a n g e g lic h e n : wesen!genesn = wesen!genesen.
ANHANG 795

D ie h ie r v o rg e le g te E d itio n d e r H a n d s c h rift C ist ein K o m ­


p r o m iß im In teresse, e in e rse its d a s E rk e n n e n g le ic h e r W ö rte r
zu fö rd e r n u n d a n d re rs e its e tw a s v o n d e m h a n d s c h riftlic h e n
E r s c h e in u n g s b ild zu v e rm itte ln . S e lb stv e rstä n d lic h k ö n n te n u r
e in d ip lo m a tis c h e r A b d r u c k d ie V a ria n z u n d U n e in d e u tig k e it
d e r h is to ris c h e n S c h re ib w e ise v e ra n sc h a u lic h e n .
D ie k u r s iv g e d ru c k te n S tro p h e n , d ie a u s d e r im 15. Ja h r h u n ­
d e rt e n tsta n d e n e n H a n d s c h rift a d ie L ü ck e in d e r H a n d s c h rift
C (se c h s B lä tte r fe h le n ) e rg ä n z e n , s in d n ic h t a n d ie S c h re ib ­
w e ise u n d L a u tu n g d e s 13. Ja h rh u n d e rts a n g e p a ß t. A b g e se h e n
v o n ü b e rg e s c h rie b e n e n Z e ic h e n , N a m e n s e g a lis ie ru n g e n u n d
o ffe n s ic h tlic h e n V e rse h e n w ir d d e r T ext h a n d s c h rifte n g e tre u
w ie d e rg e g e b e n , so d a ß d ie u n te rs c h ie d lic h e Z e it d e r N ie d e r ­
sc h rift d e u tlic h ist.
D ie S tro p h e 2 0 9 1 (e b e n fa lls k u r s iv g e d ru c k t) ist b is a u f d e n
letzten H a lb v e rs n a c h d e r M ü n c h n e r H a n d s c h rift A erg ä n z t.
E in T e x tv e rg le ic h m a c h t d e u d ic h , d a ß d e r S c h re ib e r o ffe n s ic h t­
lic h b e i S tr o p h e 2 0 9 0 ,4 in s e in e r V o rla g e v o n d e m N a m e n
Hagene a u f d e n g le ich e n N a m e n im S c h lu ß v e rs d e r fo lg e n d e n
S tro p h e g e sp ru n g e n ist u n d d e n d a z w isc h e n lie g e n d e n T ext a u s ­
g e la sse n h at. In H a n d s c h rift a, d ie s o n s t z u r E r g ä n z u n g d e r
H a n d s c h rift C h e ra n g e z o g e n w ird , feh lt d ie e n tsp re c h e n d e P a s ­
sage.

Zur Übersetzung

D ie Ü b e rse tz u n g d es m itte lh o c h d e u tsc h e n , u m 12 0 0 e n ts ta n d e ­


n en Nibelungenliedes in d ie S p ra c h e d e r G e g e n w a rt e rfo rd e rt in
v e rs c h ie d e n e r H in s ic h t e in e A n p a s s u n g an d e n n e u z e itlic h e n
V e rstä n d n ish o riz o n t. V e rä n d e ru n g e n d e r d e u tsc h e n S p ra c h e in
8 0 0 Ja h re n , d ie v o r a lle m d ie B e d e u tu n g d e r W ö rte r, d ie S y n ta x
u n d stilistisch e G e p flo g e n h e ite n b e tre ffe n , m ü sse n b e r ü c k s ic h ­
tigt w e rd e n , u n d d e r Ü b e rse tz e r o d e r d ie Ü b e rse tz e rin m u ß d a ­
b e i stä n d ig in te rp re tie re n d e n tsch e id e n . A u f d ie se W eise e rg ib t
796 ANHANG

sich , a u c h w e n n d ie m itte la lte rlich e V o rla g e g e n a u ü b e rtra g e n


u n d n ic h t fre i n a c h g e d ic h te t w e rd e n so ll, ein F ilte ru n g sp ro z e ß :
D e r T ext e rh ä lt e in n eu es G e sic h t.
S e lb s tv e rs tä n d lic h m u ß b e im Ü b e rse tz e n a u c h d e r k u lt u r ­
h is to ris c h e Z u s a m m e n h a n g , in d e m d a s W erk e n tsta n d e n ist,
e rfa ß t u n d v e rm itte lt w e rd e n , d a m it d a s Nibelungenlied als ein
A u s d r u c k d e r h ö fis c h e n K u ltu r u m 12 0 0 e rsc h e in t. Z u g le ic h
a b e r träg t g e ra d e d ie se s W erk d ie S p u re n se in e r E n ts te h u n g s ­
g e sch ich te: D e r V e rfa sse r h at m ü n d lic h ü b e rlie fe rte S a g e n v e r ­
sc h riftlic h t u n d b e w u ß t S tilfo rm e n d e r m ü n d lic h e n D ic h tu n g s ­
p ra x is v e rw e n d e t, u m d ie T ra d itio n , in d ie e r sich selb st als
A n o n y m u s stellt, zu v e rd e u tlich e n .
W ic h tig e In s ig n ie n d e r M ü n d lic h k e it s in d W o rtste re o ty p e n ,
fo rm e lh a fte W e n d u n g e n u n d W o rtw ie d e rh o lu n g e n a u f e n g e m
R a u m . S ie sin d d u rc h d ie I m p r o v is a tio n d e r D ic h tu n g b e im
V o rtra g b e d in g t u n d d ie n e n als o rie n tie re n d e V e rw e ise fü r d ie
A u fn a h m e b e im H ö re n . D a s m e tris c h e G e r ü s t d e r S t r o p h e n ­
fo rm h at im Nibelungenlied d e n E in sa tz g le ic h fö r m ig e r W e n ­
d u n g e n g e fö rd e rt. E in h e u tig e r Ü b e rse tz e r o d e r e in e Ü b e rse tz e ­
rin s c h rä n k t in d e r R e g e l g e m ä ß d e m G e b o t stilistisc h e r
V a ria tio n d en G e b r a u c h g le ic h e r W ö r te r u n d W e n d u n g e n ein .
D a d u rc h w ird d e r T ext h e u tig e m S tile m p fin d e n a n g e p a ß t, a b e r
a u c h m e h r o d e r w e n ig e r v o n d e r V o rla g e a b g e rü ck t.
In d e r v o rlie g e n d e n Ü b e rs e tz u n g so lle n a lle rd in g s d ie
fo rm e lh a fte n E le m e n te u n d c h a ra k te ris tis c h e n L e itw ö rte r d es
Nibelungenlied-Textes e rk e n n b a r b le ib e n . D ie ty p is c h e n B e ­
z e ic h n u n g e n d e r m ä n n lic h e n F ig u re n w e rd e n m it w e n ig e n A u s ­
n a h m e n im m e r m it d e n g le ich e n n e u h o c h d e u ts c h e n W ö rte rn
ü b e rtra g e n : recke : R ecke, degen : K ä m p fe r, heit : H e ld , ritter :
R itter, o b w o h l k e in e g e n a u e B e d e u tu n g s a b g r e n z u n g v o rlie g t.
Recke ist ein fü r d a s Nibelungenlied c h a ra k te ristisc h e s, in d e r L i­
te ra tu r u m 12 0 0 so n st selten g e b ra u c h te s W o rt. D a s g le ic h e gilt
fü r heit (in d e r H a n d s c h rift C ist d ie V e rw e n d u n g v o n heit im
V e rg le ic h zu A u n d B z u g u n ste n d e r a n d e re n B e z e ic h n u n g e n
e in g e sc h rä n k t). D a s b e s o n d e rs h ä u fig v o r k o m m e n d e W o rt man
ANHANG 797

(S in g u la r u n d P lu ra l) w ird in d e r v o rlie g e n d e n Ü b e rs e tz u n g je
n a c h K o n te x t v a r iie r e n d ü b e rtra g e n (M a n n , L e u te , B e g le ite r,
G e fä h r te u. a .). N u r an w e n ig e n S tellen läß t es sich als L e h n s ­
m a n n /L e h n s le u te o d e r D ie n s tm a n n / D ie n s tle u te p rä z isie re n .
O ft b e z e ic h n e t es z u s a m m e n fa s s e n d U n te rg e b e n e , K ä m p fe r,
A n g e h ö rig e o d e r d ie G e sa m th e it d es G e fo lg e s , b e s o n d e rs in d e r
mage unde man. V e rm ie d e n sin d b ei d e r Ü b e rse tz u n g
F o rm e l
von man d ie W ö r te r G e fo lg s m a n n / G e fo lg s le u te u n d a u c h G e ­
fo lg s c h a ft, d a d ie s e B e g r iffe h is to ris c h a u f d ie g e rm a n is c h e n
R e c h ts v e rh ä ltn is s e (d e n G e fo lg s c h a fts v e r b a n d ) b e z o g e n u n d
fü r d a s im Nibelungenlied e n tw o rfe n e G e se llsc h a ftsb ild u n a n ­
g e m e sse n sin d . - F ü r a n d e re o ft g e b ra u c h te W ö r t e r w e rd e n
d ie B e d e u tu n g s ä q u iv a le n te in d e r Ü b e rs e tz u n g v a riie rt, e tw a
küene : k ü h n , tap fer, m u tig u n d edel : a d lig , ed el (im ü b e r tr a ­
g e n e n S in n ), gu t. - S a c h b e z e ic h n u n g e n , d ie fü r d e n h ö fisc h e n
L e b e n s ra u m k e n n z e ic h n e n d sin d , w e rd e n als T e rm in i b e ib e h a l­
ten , z. B . palas : P a las fü r d a s H a u p tg e b ä u d e e in e s B u rg b e z irk s
und sal : S a a l fü r e in e n w ic h tig e n T eil d e s P alas, d e n m e ist im
ersten S to c k g e le g e n e n F estsaal.
D ie T ra n s p o s itio n d e r s tro p h is c h g e b ü n d e lte n , g e re im te n
L a n g v e rse in P ro sa ist d ie ge w ic h tig ste V e rä n d e ru n g g e g e n ü b e r
d e r m itte lh o c h d e u tsc h e n V o rla g e . D a d u rc h g e h t ein p rä g e n d e s
E le m e n t d e r k ü n stle risc h e n F o rm d e s m ittelalterlich en Nibelun­
genliedes v e rlo re n u n d k a n n n u r in d e r m itte lh o c h d e u tsc h e n
T extgestalt w a h rg e n o m m e n w e rd e n . W ä h re n d a n d e re h ö fisc h e
V e rsd ic h tu n g e n , w ie etw a d e r Tristanroman, im S p ä tm itte la lte r
in P ro sa tra n s p o n ie rt w u rd e n , e rfo lg te d iese U m fo r m u n g b e im
Nibelungenlied erst in n e u e re r Z e it. A lle rd in g s w o llte s c h o n
G o e th e d a s Nibelungenlied g e rn in P ro s a se h e n , u m es v o n
» u n n ö tig e m R e im g e k lin g e l« zu b e fre ie n u n d ih m »sein e N ä h e
z u r a n tik e n D ic h tu n g z u rü c k z u g e b e n « . M it d e m B e z u g a u f d ie
A n tik e fo rm u lie rte er ein fü r se in e Z e it ty p isc h e s In teresse an
d e m E p o s. H e u te w ird d ie Ü b e rtra g u n g in P ro sa als N o tw e n ­
d ig k e it g e se h e n , u m d en In h a lt m ö g lic h s t g e n a u w ie d e rz u g e b e n
u n d u m d u rc h R e im n o t en tste h e n d e u n fre iw illig e K o m ik so w ie
798 ANHANG

e in e k ü n s tlic h e P a tin a zu v e rm e id e n . B e im V e rz ic h t a u f d ie
V e rs s tru k tu r w e rd e n b e s tim m te fo rm e lh a fte W e n d u n g e n , d ie
w e n ig e r in h a ltlic h als v ie lm e h r im rh y th m is c h e n G e fü g e d es
m itte lh o ch d e u tsc h e n T extes re levan t sin d , p ro b le m a tisc h . D ie se
F o rm e ln sin d , z. T. m o d ifiz ie rt, in d ie P ro s a fa s s u n g ü b e r n o m ­
m en .
In d e m d ie n e u h o c h d e u tsc h e Ü b e rtra g u n g n ic h t als fo rt la u ­
fe n d e r P ro sa te x t, s o n d e rn in A b sä tz e n p a ra lle l zu d e n m itte l­
h o c h d e u tsc h e n S tro p h e n g e d ru c k t ist, b le ib t d ie F u n k tio n d e r
stro p h isc h e n G lie d e r u n g fü r d ie D a rs te llu n g d e r H a n d lu n g in
je d e m F all d e u tlic h . A ls k le in e B a u ste in e p rä g e n d ie P r o s a ­
a b sc h n itte w ie d ie S tro p h e n - o ft m it p o in tie re n d e n S c h lu ß ­
w e n d u n g e n - d ie M ik r o s tr u k tu r d e s E p o s.
D ie m u s ik a lis c h e D im e n s io n , d ie z u m g e su n g e n e n V o rtra g
d es Nibelungenliedes im M itte la lte r g e h ö rte , ist in d e n h a n d ­
s c h riftlic h e n F a ssu n g e n d e s 13. Ja h rh u n d e rts n ic h t b e r ü c k s ic h ­
tigt, sie e n th a lte n k e in e M e lo d ie n o ta tio n , so d a ß d ie m itt e l­
a lte rlich e s c h riftlic h e Ü b e r lie fe r u n g als e in e rste r S c h ritt a u f
d e m W eg zu d e r h e u te ü b lic h e n stillen L e k tü re g e se h e n w e rd e n
k a n n . A u c h im R a h m e n d e r o p tisc h e n R e z e p tio n s b e d in g u n g e n
so ll in d e r Ü b e rs e tz u n g s v e rs io n d es Nibelungenliedes e tw a s von
d e r D ik tio n d es T extes, d e r z u m V o rtra g u n d z u m H ö re n b e ­
s tim m t w a r, erh alten b le ib e n .

Kommentierende Inhaltsübersicht

A m B e g in n d e r H a n d s c h rift C d es N ib e lu n g e n lie d e s steh t e in e


P ro lo g stro p h e , d ie a u f d ie la n g e T ra d itio n d e r G e s c h ic h te n , d ie
alten maeren, h in w e ist u n d d ie V o rste llu n g e rw e c k t, es w ü rd e
m ü n d lic h erz ä h lt: E in S ä n g e r w e n d e t sich a n se in P u b lik u m
u n d k ü n d ig t a n , d a ß e r h ie r u n d jetz t b e w u n d e ru n g s w ü r d ig e
D in g e zu G e h ö r b r in g e n w ird . D ie se r S ä n g e r, d e r sic h selb st
u n d se in e H ö r e r g e m e in s a m als wir b e z e ic h n e t, ist e in e v o m
D ic h te r d e r m ü n d lic h e n V o rtra g sp ra x is n a ch g e b ild e te R o lle , in
ANHANG 799

d ie je d e r, d e r d a s N ib e lu n g e n lie d b ei H o fe v o rs in g t, h in e in ­
s c h lü p fe n k a n n . Im w e ite re n T ext w ir d d e r S ä n g e r d u rc h A n r e ­
d e n a n d ie Z u h ö re n d e n im m e r w ie d e r in E r in n e r u n g g e b ra c h t.
D a s erste S ig n a lw o rt z u r in h a ltlic h e n C h a r a k te r is ie r u n g d es
E p o s la u tet: r u h m r e ic h e H e ld e n , helde lobebaere; es g e h t u m
d e re n w e c h s e lh a fte s S c h ic k s a l u n d u m d a s M id e id e n ih re r
A n g e h ö rig e n . G e n a u e r b e n a n n t w ird d ie G e s c h ic h te z u n ä c h st
n ic h t. D e r h e u te v e r b in d lic h e T ite l steh t, m itte la lte rlic h e n
G e p flo g e n h e ite n e n tsp re c h e n d , n ic h t a m A n fa n g , s o n d e rn a m
S c h lu ß d e s W erkes:

daz ist der Nibelunge lief.

l. A v e n tiu re

D ie erste A v e n tiu re (k a p ite la rtig e r A b s c h n itt) stellt d e n b u r -


g u n d is c h e n H o f in W o rm s v o r, b e g in n e n d m it d e r w e ib lic h e n
H a u p tfig u r d e s E p o s : K rie m h ild . D ie H e rrs c h a ft in B u rg u n d
lie g t in d e n H ä n d e n ih re r d rei B rü d e r, d e r K ö n ig e G u n th e r,
G e r n o t u n d G is e ih e r (d u rc h d en g le ich e n A n la u t d e r N a m e n ist
d e r F a m ilie n z u s a m m e n h a n g m a r k ie r t). K r ie m h ild ( s k a n d in a ­
v isc h : G u d r u n ) steh t u n te r d e r V o r m u n d s c h a ft ih re r B rü d e r.
D e r V a te r D a n k r a t ist b e re its g e s to rb e n , ih re M u tte r U te leb t
noch.
W ä h re n d K rie m h ild , d e m h ö fis c h -lite ra ris c h e n F ig u r e n k o n ­
zep t e n tsp re c h e n d , h o h e n A d e l u n d S c h ö n h e it in sich v e re in t,
z e ic h n e n K a m p fk r a ft u n d T a p fe rk e it d ie M ä n n e r a u s. D u r c h
ein e R e ih e h e rv o rra g e n d e r R itte r u n d In h a b e r v o n H o fä m te rn
e rsch e in t d e r H o f als so z iales H e rrsc h a ftsg e fü g e a n a lo g z u r z e it­
g e n ö ssisc h e n W irk lic h k e it. D e r L e h n s m a n n H a g e n steh t an e r ­
ster Stelle, sp ä te r w ird e r z u m G e g e n s p ie le r K rie m h ild s.
In K u rz fo rm d eu tet d ie erste A v e n tiu re d ie fo lg e n d e H a n d ­
lu n g an , u n d z w a r z u n ä c h st d u rc h v e rsc h ie d e n e V o r a u s d e u tu n ­
gen : V ie le H e ld e n w e rd e n u m e in e r s c h ö n e n F ra u w ille n ste r­
b e n ; F e in d s c h a ft z w e ie r K ö n ig in n e n fü h rt z u m T o d z a h lre ich e r
800 ANHANG

R itte r; d e r a u fs e h e n e rre g e n d e K a m p f w ir d in E tzels R e ic h statt­


fin d e n . D a n n n im m t ein T ra u m d a s z u k ü n ftig e G e s c h e h e n v o r ­
w eg; K rie m h ild zieh t e in e n F a lk en h e ra n , d en z w e i A d le r z e r­
fle isch e n . D e r F a lk e b e z e ic h n e t - so d ie a u s d rü c k lic h e D e u tu n g
im T ext - K rie m h ild s G e lie b te n u n d sp ä te re n M a n n . Ih re V e r­
w a n d te n b rin g e n ih n u m , u n d sie ü b t g ra u s a m e R a c h e , d e r
v ie le H e ld e n z u m O p fe r fa lle n . A u f d iese W eise w ir d d ie V e r­
g ä n g lic h k e it d es g la n z v o lle n B u rg u n d e n h o fe s u n d se in e r r u h m ­
reich en A n g e h ö rig e n als T h e m a d e r fo lg e n d e n G e sc h ic h te a n ­
g e k ü n d ig t.

2. A v e n tiu re

K o rre s p o n d ie re n d zu K rie m h ild in d e r v o ra n g e h e n d e n A v e n ­


tiu re w ird S ie g frie d v o rg e ste llt. E r w ä c h st in X a n te n a m N ie ­
d e rrh e in als S o h n d es K ö n ig s p a a re s S ie g m u n d u n d S ie g lin d e
a u f. B e w ä h rte K a m p fk ra ft, h ö fisc h e Q u a litä te n u n d S c h ö n h e it
z e ic h n e n d en ju n g e n M a n n a u s, d a b e i w irk e n a d lig e V e ra n la ­
g u n g u n d E rz ie h u n g z u sa m m e n . E r n im m t L a n d u n d L eu te in
b e s o n d e re r W eise fü r sich ein .
E rz ä h le ris c h a u s g e fü h rt w ir d d a n n S ie g frie d s S c h w e rtle ite ,
ein Fest z u r B e stä tig u n g d e r W a ffe n fä h ig k e it d e s ju n g e n K ö n ig s
u n d w e ite re r 4 0 0 K n a p p e n . K irc h g a n g , R e ite rsp ie le , ein B a n ­
kett, U n te rh a ltu n g d u rc h F a h re n d e , V e rg a b e v o n L e h e n u n d
G e s c h e n k e n sin d h ie r z u m ersten M a l als A u s d r u c k h ö fis c h e r
R e p rä s e n ta tio n d a rg estellt. D ie Ü b e r n a h m e d e r H e rrs c h a ft in
N ie d e rla n d (n ic h t id e n tisc h m it d e n h e u tig e n N ie d e rla n d e n )
le h n t S ie g frie d z u L eb z eiten se in e r E ltern ab. D o c h v e rp flic h te t
e r sich , B e d ro h u n g e n v o n d e m v ä te rlic h e n R e ich a b z u w e n d e n .
K ä m p fe n d e rw irb t e r R u h m in fre m d e n L ä n d e rn .

3. A v e n tiu re

D ie A v e n tiu re sc h lä g t e in e B rü c k e v o n X a n te n n a c h W o rm s
u n d e rö ffn e t m y th is c h e D im e n s io n e n d e r S ie g fr ie d - F ig u r -
ANHANG 801

m y th is c h in d e m S in n e , d a ß V o rs te llu n g e n v o n M e n s c h u n d
N a tu r in e in e m v o r r a tio n a le n W e ltv e rstä n d n is z u m A u s d r u c k
kom m en.
H ö re n s a g e n v o n K rie m h ild s S c h ö n h e it e rw e c k t in S ie g frie d
L ie b e zu d e r b u r g u n d is c h e n K ö n ig sto c h te r. T ro tz sta rk e r V o r ­
b e h a lte s e in e r E lte rn b e sc h lie ß t er, u m sie zu w e r b e n , u n d e r
zieh t m it z w ö lf G e fä h rte n a n d e n R h e in . D e n fre m d e n R e c k e n
k e n n t d o rt n ie m a n d a u ß e r H a g e n . W ä h re n d S ie g frie d im B u r g ­
h o f zu se h e n ist, c h a ra k te ris ie rt H a g e n d e n H e ld e n d u rc h e in e
E r z ä h lu n g v o n d e sse n T aten im N ib e lu n g e n la n d . D o r t h a t e r
d e n u n e rm e ß lic h e n S c h a tz d es K ö n ig s N ib e lu n g , d a s S c h w e rt
B a lm u n g u n d d ie T a rn k a p p e in s e in e n B esitz g e b ra c h t, a u ß e r ­
d e m h at e r e in e n D ra c h e n getö te t u n d b e im B a d in d e sse n B lu t
e in e u n v e rle tz b a re H o r n h a u t b e k o m m e n . M it d ie s e m B e ric h t
w e rd e n H ö re re rw a rtu n g e n g e g e n ü b e r d e r S ie g fr ie d fig u r e rfü llt,
d ie a u f K e n n tn is m ü n d lic h ü b e rlie fe rte r S a g e n b e ru h e n , u n d es
w ird w ic h tig e s M o tiv p o te n tia l fü r d ie w e itere G e s c h ic h te b e re it­
gestellt. H a g e n selb st steh t d u rc h se in W isse n d e r v o n ih m g e ­
sc h ild e rte n m y th isc h e n W elt n ah e; a lle rd in g s w ir d d ie se d u rc h
d a s E rz ä h lv e rfa n re n in D ista n z g e rü c k t.
A m W o rm s e r H o f tritt S ie g frie d n u n w id e r E rw a rte n n ic h t
als W erb en d er, s o n d e rn als H e ra u sfo rd e re r a u f, d e r m it G u n th e r
u m d ie H e rrsc h a ft ü b e r d essen L a n d k ä m p fe n w ill. D ip lo m a ­
tisch k lu g e s V e rh a lten d e r B u rg u n d e n b e sch w ic h tig t S ie g frie d s
K a m p fw u t. D a s M o tiv d e r G e w a lta n d r o h u n g w ir d stillg eleg t, es
b le ib t a b e r a k tu a lisie rb a r, w e n n S ie g frie d s G e fä h rlic h k e it b e ­
h a u p te t w e rd e n so ll. Z u n ä c h s t g ib t er se in e F o rd e ru n g a u f u n d
w ir d ein g e rn g e s e h e n e r G a st, d e r ein Ja h r a m W o rm s e r H o f
ve rw e ilt. E r b e sc h ä ftig t sic h in G e d a n k e n m it K rie m h ild , o h n e
sie z u G e s ic h t zu b e k o m m e n .

4. A v e n tiu re

D ie n ä ch ste E rz ä h lse q u e n z h a n d e lt v o m A b w e h rk rie g d e r B u r ­


g u n d e n g eg en d ie S a c h se n u n d D ä n e n . S ic h e r en th ä lt sie k e i­
802 ANHANG

n en alten S a g e n sto ff, d o c h d e r D ic h te r fo rm u lie r t h ie r w ic h tig e ,


fü r d ie w e ite re G e s c h ic h te sig n ifik a n te M o tiv e . E s ist d ie e in z ig e
E p iso d e , in d e r S ie g frie d im Z u g e d e r fo rtla u fe n d e n H a n d lu n g
als ü b e rra g e n d e r K ä m p fe r a u ff ritt. M it e in e r k le in e n S c h a r zieh t
er fü r G u n th e r e rfo lg re ic h g eg en e in e Ü b e rm a c h t d e r S a c h se n
u n d D ä n e n , e r b e sie g t im E in z e lk a m p f d ie b e id e n K ö n ig e
L iu d e g e r u n d L iu d e g a st u n d b rin g t sie als G e ise ln n a ch W o rm s.
In d ie se m K rie g a g ie rt S ie g frie d - w ie sp ä te r b e i d e r B r a u tw e r ­
b u n g u m B r ü n h ild - a n ste lle v o n K ö n ig G u n th e r. E r b e w e ist
h a n d e ln d se in e T reu e zu d en B u rg u n d e n , w a s G u n th e r d a n k b a r
a n e rk e n n t. K o n tra s tie re n d zu d ie s e r e rw ie s e n e n L o y a litä t e r ­
sc h e in t G u n th e rs B e te ilig u n g an d e m sp ä te re n M o rd k o m p lo tt
als v e h e m e n te r T re u e b ru c h . V e rk n ü p ft m it d e r E r in n e r u n g an
S ie g frie d s h e ra u s fo rd e rn d e s erstes A u ftre te n in W o rm s ist sein
ste llv e rtre te n d e s H a n d e ln als p o te n tie lle B e d r o h u n g d e r b u r -
g u n d isc h e n M a c h t d eu tb ar.
D e r K rie g leitet a u ß e rd e m zu d e r S ie g fr ie d - K r ie m h ild -
H a n d lu n g ü b e r: K rie m h ild lä ß t sich v o n S ie g frie d s E rfo lg e n im
K a m p f b e rich te n . Ih r In teresse b rin g t ih re L ie b e z u m A u sd ru c k .
S ie g frie d s H e ld e n ta te n zeig en , d a ß er ih re r w ü rd ig ist.

5. A v e n tiu re

D ie fo lg e n d e S ie g e sfe ie r bietet, w ie alle g e sc h ild e rte n Feste, G e ­


le g e n h e it, h ö fis c h e R e p rä s e n ta tio n v o rz u fü h re n . Im H and­
lu n g s v e r la u f gestaltet d iese A v e n tiu re d ie erste B e g e g n u n g u n d
den B e g in n der L ie b e s b e z ie h u n g z w isc h e n S ie g frie d und
K rie m h ild . M o tiv e u n d S p r a c h fo rm e ln a u s d e m M in n e s a n g
w e rd e n d a b e i a u fg e n o m m e n u n d e p isc h u m g esetzt. A u f V e ra n ­
la ssu n g d es H o fh e rre n b e lo h n e n G r u ß u n d K u ß d e r D a m e d en
S ie g e r als D a n k fü r se in en k ä m p fe ris c h e n E in satz. D ie A n n ä h e ­
ru n g e n tsp ric h t d en W ü n s c h e n d e r L ie b e n d e n u n d g ib t ih n en
d ie M ö g lic h k e it, sich g e g e n se itig e r Z u n e ig u n g zu v e rg e w isse rn .
E in e fo rm e lle W e rb u n g v o n S e ite n S ie g frie d s w ir d a lle rd in g s
im m e r n o c h a u fg e s c h o b e n , o ffe n b a r u m sie m it d e r W e rb u n g
ANHANG 803

u m B rü n h ild , d e r d ie n äch sten A v e n tiu re n g e w id m e t sin d , zu


v e rk n ü p fe n . S ie g frie d b leib t u m d e r L ie b e zu K rie m h ild w illen
in W o rm s. D ie F a ta litä t d e r V e rs c h rä n k u n g v o n M in n e d ie n s t
fü r K rie m h ild u n d W e rb u n g sh ilfe fü r G u n th e r sc h a fft K o n flik t­
p o te n tia l.

6. A v e n tiu re

D ie A v e n tiu re e rz ä h lt v o n G u n th e r s H e ira ts a b s ic h t u n d d en
W e rb u n g sv o rb e re itu n g e n . Z u n ä c h s t w ird B rü n h ild , e in e K ö n i­
g in je n se its d e s M e e re s in Ise n ste in , v o rg e ste llt. A ls a u ß e r o r ­
d e n tlic h e F ra u v e re in t sie S c h ö n h e it u n d K ö r p e r k ra ft in sich .
W er sie z u r E h e g e w in n e n w ill, m u ß sie in d re i W e ttk ä m p fe n
b e sie g e n (S p e e rw e rfe n , S te in w e rfe n , W e itsp ru n g ), o d e r e r m u ß
sterb en . G u n th e r b e sch lie ß t, u m sie zu w e rb e n , ln K e n n tn is d e r
sc h w ie rig e n B e d in g u n g e n sp ric h t S ie g frie d zu e rst d a g e g e n , fin ­
d et sich d a n n a b e r z u r W e rb u n g sh ilfe b ereit, d a e r als G e g e n le i­
s tu n g fü r s e in e n D ie n s t K rie m h ild s H a n d e id lic h z u g e sic h e rt
b e k o m m t. D e n E r fo lg d e s U n te rn e h m e n s w ill e r d u rc h d en
E in sa tz se in e r T a rn k a p p e sich e rn , d ie u n sic h tb a r m a ch t u n d d ie
K ö rp e rk ra ft v e rz w ö lffa ch t. S ie g frie d rät, d a ß n u r v ie r M ä n n e r
a u sz ie h e n : n e b e n G u n th e r u n d S ie g frie d n o c h H a g e n u n d d e s ­
sen B r u d e r D a n k w a rt. E in e k o stb a re A u s s ta ttu n g so ll d ie a n g e ­
m e sse n e M a c h tp rä s e n ta tio n a u f Isen stein g e w ä h rle iste n . D u rc h
d a s A n fe rtig e n d e r G e w ä n d e r w ird K rie m h ild in d a s U n te rn e h ­
m e n e in b e z o g e n ; sie v e rtra u t ih ren B ru d e r S ie g frie d s S c h u tz an.
Per S c h if f e rre ic h e n d ie v ie r M ä n n e r u n ter S ie g frie d s F ü h ru n g
in z w ö lf T agen Isen stein .

7. A v e n tiu re

D ie F a h rt fü h rt ü b e r d as M e e r n ach N o rd e n in e in e fre m d e
W elt, w o e in e F rau , B rü n h ild , als K ö n ig in h errsch t. D u rc h h ö fi­
sch e K u ltu rz e ic h e n ist Isen stein z w a r W o rm s u n d X an ten v e r ­
g le ic h b a r, a b e r v e rfre m d e n d e Z ü g e e rg e b e n sich v o r a llem
804 ANHANG

d u rc h B rü n h ild s ü b e rm e n s c h lic h e S tärk e, d ie im R a h m e n d e r


K a m p fs p ie le v e ra n s c h a u lic h t w ird , z. B . k ö n n e n n u r d re i K ä m ­
m e re r g e m e in s a m ih re n S c h ild h e rb e ib rin g e n . D ie se r m y t h i­
sc h e n D im e n s io n steh t S ie g frie d n ah e; e r m u ß m a g isc h e M itte l,
d ie T a rn - u n d K ra ftk a p p e , ein se tz e n , u m B rü n h ild zu ü b e r w in ­
d en .
D ie W e rb u n g g e lin g t d u rc h B e tru g . D ie se r w ir d a u f zw ei
E b e n e n v e rü b t, in d e m sich S ie g frie d als G u n th e rs E ig e n m a n n
a u sg ib t u n d in d e m er u n s ic h tb a r an G u n th e rs S telle d ie W ett­
k a m p fa n fo r d e r u n g e n e rfü llt, w ä h re n d G u n t h e r le d ig lic h d ie
B e w e g u n g e n a u s fü h rt. S ie g frie d siegt, a b e r e r hat k ein leich tes
S p iel. D ie S ta n d e slü g e n eb en d e m E in sa tz d e r M a g ie zielt a u f
ein ra tio n a le s , an d ie h is to ris c h e P ra x is a n s c h lie ß e n d e s V e r­
stä n d n is. A ls u n fre ie r U n te rg e b e n e r v o n K ö n ig G u n th e r ist
S ie g frie d fü r e in e s ta n d e sg e m ä ß e E h e m it B r ü n h ild n ic h t e b e n ­
b ü rtig , o b w o h l sie ih n a u f d en ersten B lic k fü r d e n e ig e n tlic h e n
B e w e rb e r h ält. S ie g frie d s d ie n e n d e r S ta tu s k o m m t z e ic h e n h a ft
z u m A u s d r u c k , in d e m e r G u n th e r s P fe rd fü h rt; u n d e r w ir d
v e rb a l v e rd e u tlich t, in d e m S ie g frie d sich selb st als E ig e n m a n n
d e k la rie rt.
D ie B e tru g s m a n ö v e r tä u sc h e n B rü n h ild . S ie su c h t d e n in je ­
d e r H in sic h t ü b e rra g e n d e n M a n n , d o c h sie b e k o m m t ih n n ich t.
E ig e n tlic h q u a lifiz ie rt sich S ie g frie d u n e rk a n n t n a ch B rü n h ild s
B e d in g u n g e n , a b e r e r a g ie rt, u m K rie m h ild zu g e w in n e n . D ie
b e trü g e risc h e V e rs c h rä n k u n g u n d d ie V e rta u s c h u n g v o n S c h e in
u n d S ein b le ib e n n ic h t fo lg e n lo s, sie zieh en Irrita tio n u n d R a ­
ch e n a ch sich .
B rü n h ild ü b e rg ib t d ie H e rrsc h a ft ü b e r ih r L a n d an d e n v e r ­
m e in tlic h e n S ie g e r G u n th e r. A ls sie a lle rd in g s v o r d e r A b re ise
an d e n R h e in ih re S tre itk rä fte v e rs a m m e lt, en tsteh t n o c h e in ­
m a l e in e b e d ro h lic h e S itu a tio n . S ie g frie d w ill H ilfe a u s d e m
N ib e lu n g e n la n d h o le n .
ANHANG 805

8. A v e n tiu re

S ie g frie d s F a h rt in d a s N ib e lu n g e n re ic h so ll d em Z w e c k d ie n e n ,
ta u se n d K ä m p fe r zu re k ru tie re n . D e r V e r la u f d e s U n te r n e h ­
m e n s e rsch e in t je d o c h als D e m o n stra tio n v o n S ie g frie d s M a c h t
u n d H e rrsc h a ft in e in e r W elt, d ie V o rz e itm e rk m a le trägt: B e rg e ,
H ö h le n , R ie se n , Z w e rg e , ein u n e rs c h ö p flic h e r S c h a tz u n d t a p ­
fere K ä m p fe r k e n n z e ic h n e n sie. N ic h t z u fä llig liegt d e r m y th i­
sc h e H e rrsc h a ftsb e re ic h in re la tiv e r N ä h e zu Islan d . B ish e r w a r
d ie se a n d e re W elt n u r d u rc h H a g e n s e rin n e rn d e n B e ric h t a n g e ­
s p ro c h e n w o rd e n , jetz t e rsc h e in t sie als S c h a u p la tz e in e r E p i­
s o d e im H a n d lu n g s v e rla u f.
G u n th e r g ib t d ie a u f Isen stein a n k o m m e n d e n K ä m p fe r als
se in H e e r a u s, u n d d e m A u fb r u c h a n d e n R h e in steh t n ic h ts
m e h r im W ege. A u f d e r F a h rt v e rw e ig e rt B r ü n h ild d e n v o n
G u n th e r e rh o ffte n B e isc h la f. Ih re K ra ft ist n o c h n ic h t g e b r o ­
c h e n , sie v e rlie rt sie erst in W o rm s, fe rn a b v o n ih re m H e r r ­
sc h a ftsb e re ic h .

9. A v e n tiu re

D ie A v e n tiu re b e w e g t sich w e itg e h e n d im R a h m e n h ö fis c h e r


R e p rä se n ta tio n , in d e m ein B o te v o ra u sg e sc h ic k t w ird , u m d en
E r fo lg der R e ise und d ie b e v o rs te h e n d e A n k u n ft K ö n ig
G u n th e r s u n d s e in e r B ra u t in W o rm s zu m e ld e n . W ä h re n d
H a g e n sto lz d en B o te n d ie n st a b le h n t, ist S ie g frie d b ereit, ih n zu
ü b e rn e h m e n , d e n n e r e r m ö g lic h t ih m d ie B e g e g n u n g m it
K rie m h ild . D ie E r fü llu n g d e s A u ftra g s ist ein w eiterer, letzter
A k t se in e s M in n e d ie n s te s , d e r a u c h als u n sta n d e sg e m ä ß e E r ­
n ie d rig u n g v e rsta n d e n w e rd e n k a n n , d ie n egative F o lg e n h a b e n
m uß.

10 . A v e n tiu re

In W o rm s w ird d ie D o p p e lh o c h z e it d e r b e id e n P aare, G u n th e r
u n d B rü n h ild - S ie g frie d u n d K rie m h ild , gefe ie rt. Z u n ä c h s t b e-
806 ANHANG

g e g n e n sich d ie F ra u e n m it g ro ß e r F re u n d lic h k e it. S ie g frie d fo r ­


d e rt d en v e rs p ro c h e n e n L o h n fü r se in e W e rb u n g sh ilfe u n d e r ­
h ält K rie m h ild z u g e s p ro c h e n , d ie ih re rse its g e rn e in w illig t. D ie
E h e s c h lie ß u n g w ird als fe ie rlic h e r R e c h tsa k t g e sc h ild e rt. B r ü n -
h ild re a g ie rt h e ftig , als sie d as P a a r a n d e r T afel sieh t: S ie w e in t
u n d v e rw e ig e rt d en E h e v o llz u g in d e r B ra u tn a c h t. Ih re B e t r o f­
fe n h e it b e g r ü n d e t sie m it K r ie m h ild s e n te h re n d u n s ta n d e s ­
g e m ä ß e r H e ira t, d a d ie se in ih re n A u g e n e in e K ö n ig s to c h te r
u n d e in e n E ig e n m a n n v e rb in d e t. G u n th e rs B e te u e ru n g , S ie g ­
frie d sei ein b e sitz re ic h e r K ö n ig , s tim m t sie n ich t u m . D ie ih r
a u f Isen stein b e trü g e risc h v e rm itte lte n In fo r m a tio n e n u n d d ie
E re ig n is s e in W o rm s p a sse n n ic h t z u s a m m e n . O b h in te r d e r
v o n B r ü n h ild b e n a n n te n S ta n d e s p r o b le m a tik a n d e re , p s y c h i­
sc h e D im e n s io n e n a n g e d e u te t w e rd e n s o lle n , b le ib t im T ext
o ffe n u n d d en S p e k u la tio n e n d e r H ö r e r d es E p o s ü b e rla sse n .
In d e r N a c h t fo lg t n o c h e in m a l ein e K r a ftp r o b e z w isc h e n
M a n n u n d F ra u im B ra u tb e tt. W ä h re n d S ie g frie d u n d K r ie m ­
h ild sich g lü c k lic h ih rer L ieb e e rfre u e n , v e rh in d e rt B r ü n h ild g e ­
w a lts a m d e n B e isc h la f. E s k o m m t zu e in e m R in g k a m p f, u n d
G u n th e r u n te rlie g t B rü n h ild s ü b e rm ä ß ig e r Stärk e. E r m u ß d ie
N a ch t an e in e n N a g e l g e h ä n g t a n d e r W a n d v e rb rin g e n . W ie ­
d e ru m tritt S ie g frie d fü r G u n th e r ein : E r rin g t in d e r fo lg e n d e n
N a c h t m it H ilfe d e r T a rn k a p p e B rü n h ild n ied er. D ie V irg in itä t
ist d e r N e rv v o n B rü n h ild s k ö rp e rlic h e r Ü b e rle g e n h e it. In d e r
E r z ä h lu n g d e s Nibelungenliedes v o llz ie h t G u n t h e r se lb st d e n
G e sc h le c h tsa k t. D ie se A u fg a b e n te ilu n g als V e re in b a ru n g u n te r
F re u n d e n v e rz e rrt a lle rd in g s d a s M o tiv : B r ü n h ild w ir d im
R in g k a m p f v o n S ie g frie d g e b ä n d ig t, u n d G u n th e r v e rg e w a ltig t
sie. D a n a c h e rsch e in t B rü n h ild als d o m e stiz ie rte F ra u , sie h at
ih re a u ß e ro rd e n tlic h e n K rä fte v e rlo re n u n d v e rsa g t sic h d e r
e h e lic h e n L ie b e n ic h t län ger. D o c h d ie W u n d e n v o n B rü n h ild s
E rfa h ru n g e n v e rn a rb e n n ich t, u n d d ie F ra g e n , d ie zu ih re r V e r­
w e ig e ru n g g e fü h rt h atten , s in d n ic h t g e k lä rt.
ANHANG 807

11. A v e n tiu re

S ie g frie d w ill e n d lic h m it K rie m h ild in sein e ig en es R eich z ie ­


h en . B e im A b s c h ie d a u s W o rm s sich e rn ih m alle d rei F ü rsten
ih re le b e n sla n g e T re u e zu. E in e n E rb te il K rie m h ild s a m b u r -
g u n d isc h e n L a n d b e sitz w eist S ie g frie d z u rü c k .
N a c h e in e m p ra c h tv o lle n E m p fa n g in X a n te n ü b e r n im m t
d e r ju n g e K ö n ig d ie H e rrsc h a ft v o n se in e m V ater, u n d als w e n ig
s p ä te r d ie alte K ö n ig in S ie g lin d e stirb t, tritt d ie n e u e H e rrin
K rie m h ild an ih re Stelle. Es v e rg e h e n z w ö lf Jah re, u n d in d ieser
Z e it w ird in X a n te n u n d W o rm s je ein K ö n ig s s o h n g e b o re n . Je ­
d e r e rh ä lt d en N a m e n sein es O h e im s: S ie g frie d h eiß t d as K in d
in W o rm s, G u n th e r h eiß t es in X a n te n . D ie se n e u e G e n e ra tio n
sp ie lt in d e m k ü n ftig e n G e s c h e h e n k e in e R o lle , sie ist n ic h t
d ire k t in d e n U n te rg a n g e in b e z o g e n u n d m a c h t d a s F o rtle b e n
d e r R e ich e d en k b ar. D o c h so lc h e E rw ä g u n g e n lieg en a u ß e rh a lb
d e r im Nibelungenlied erz ä h lte n G e sc h ic h te . D ie Nibelungen­
klage n im m t etw as d a v o n au f.
A m E n d e d e r A v e n tiu re w e rd e n S ie g frie d s M a c h t als H e r r ­
sc h e r ü b e r sein E rb la n d u n d ü b e r d a s N ib e lu n g e n la n d , sein
R e ic h tu m u n d se in e S tä rk e n o c h e in m a l U m rissen . E r e rre g t
B e w u n d e r u n g u n d F u rch t.

12. A v e n tiu re

A ls S ie g frie d u n d K rie m h ild z w ö lf Ja h re in ih re m H e rrs c h a fts ­


b e re ich v e rb ra c h t h a b e n , lo c k t sie e in e h in te rlistig e E in la d u n g
n a c h W o rm s. B r ü n h ild b e w e g t im m e r n o c h d ie F ra g e n a ch
S ie g fr ie d s S ta tu s. S ie w ill e rm itte ln , w a r u m ein E ig e n m a n n
k e in e D ie n s te leistet. D ie w a h re n G r ü n d e v e rsc h w e ig e n d trägt
sie G u n th e r d en W u n sc h vor, d a ß sie ih re S c h w ä g e rin u n d ih ren
S c h w a g e r g e rn se h e n m ö c h te . N a c h a n fä n g lic h e m Z ö g ern
w illig t G u n th e r ein u n d sc h ic k t M a r k g r a f G e r e m it e in e r E in ­
la d u n g z u d e n V e rw a n d te n . S ie g frie d , K rie m h ild u n d K ö n ig
S ie g m u n d s in d b e re it z u k o m m e n . A ls d e r B o te e rfo lg re ic h
z u rü c k k e h rt, b e g in n e n d ie F e stv o rb e re itu n g e n in W o rm s.
808 ANHANG

13. A v e n tiu re

E rz ä h lt w ird v o n S ie g frie d s u n d K rie m h ild s R e ise u n d v o n ih re r


A n k u n ft in W o rm s. U n h e ils p ro g n o s e n b e re ite n a u f d a s b e v o r ­
ste h e n d e le id v o lle G e sc h e h e n vor, z. B . w e n n g e sa g t w ird , d aß
d e r z u rü c k g e la sse n e k le in e S o h n d ie E lte rn n ic h t w ie d e rsie h t.
V o n d ie se r d ü ste re n G r u n d ie r u n g h e b e n sich d e r g e sc h ild e rte
G la n z u n d d ie H e rz lic h k e it d e s e h re n v o lle n E m p fa n g s k o n t r a ­
stiv ab. D o c h in d e m B rü n h ild K rie m h ild s A u s s e h e n u n d G e b a ­
ren b e o b a c h te t u n d ü b e r S ie g frie d s E ig e n m a n n sta tu s sin n ie rt,
d e u te t sic h S p a n n u n g an . N o c h s p ie g e ln d e r g e m e in s a m e
K irc h g a n g u n d d a s N e b e n e in a n d e rsitz e n an d e r F e stta fel H a r ­
m o n ie vor, a b e r in G e d a n k e n b e w e g t B r ü n h ild d en Z ü n d s to ff:
S ie w ill fra g e n , w a r u m S ie g fr ie d a ls E ig e n m a n n k e in e n Z in s
zah le. A n g e s ic h ts d e r R e p rä se n ta tio n v o n M a c h t u n d R e ic h tu m
d e r G ä ste , d ie ein e K ro n e tra g e n , e rsch e in t d ie F ra g e a b su rd . S ie
ist ein e p isc h e s M itte l, u m d en K o n flik t a u sz u lö se n . D e r E p ik e r
m a c h t fü r B rü n h ild s V o rg e h e n d e n T eu fel als A n s tifte r v e r a n t ­
w o rtlic h u n d n im m t d a s E rg e b n is v o rw e g : D ie F e stfre u d e v e r ­
w a n d e lt sich in a n h a lte n d e s L e id .

14 . A v e n tiu re

D ie F ra u e n stre it-S z e n e - so w ird d ie 14. A v e n tiu re a llg e m e in g e ­


nannt - ist d e r B r e n n p u n k t d es erste n Nibelungenlied-Teils.
D a r in k o m m t d e r v o rb e re ite te K o n flik t z u m A u s b r u c h . D e r
W e rb u n g s b e tru g m it den m e h rs c h ic h tig e n M o tiv ie r u n g e n
(S ta n d e slü g e u n d T ä u s c h u n g ü b e r d e n w a h re n B e z w in g e r
B r ü n h ild s im W e ttk a m p f u n d im B e tt), S ie g frie d s M a c h t a n ­
s p ru c h b e im ersten A u ftre te n in W o rm s u n d se in e ü b e rra g e n d e
K a m p fk r a ft w irk e n z u s a m m e n . D e r T re u e sc h w u r u n te r d e n
M ä n n e r n h atte d a s K o n flik tp o te n tia l n u r stillg e le g t, d ie a n ­
sc h e in e n d e B e frie d u n g h ält e in e r B e la s tu n g s p ro b e n ic h t stan d .
D e r o ffe n e S treit d e r F ra u e n fü h rt zu d e m B e s c h lu ß d e r M ä n ­
ner, S ie g frie d zu e rm o rd e n .
ANHANG 809

D ie A u s e in a n d e rs e tz u n g z w isc h e n d e n F ra u e n b e g in n t im
R a h m e n ein e s T u rn ie rs. K rie m h ild b e w u n d e rt d ie ü b e r r a g e n ­
d e n Q u a litä te n ih res M a n n e s u n d v e rb in d e t d a m it h y p o th e tisch
e in e n ü b e rg re ife n d e n H e rrs c h a fts a n s p ru c h . B rü n h ild k o n s ta ­
tiert d e m g e g e n ü b e r G u n th e rs V o rra n g , u n d sie b e z e ic h n e t d a r ­
ü b e r h in a u s - u n te r B e r u fu n g a u f d ie W e rb u n g in Isen stein -
S ie g frie d als E ig e n m a n n u n d fo rd e rt se in e D ie n s tle is tu n g .
D u rc h d ie a n g e b lic h e U n fre ih e it S ie g frie d s w ird K rie m h ild g le i­
c h e rm a ß e n d e g ra d ie rt. D a r a u fh in w ill K rie m h ild ih re n ü b e r ­
ra g e n d e n A d e l ö ffe n d ic h d e m o n s trie re n , in d e m sie m it ih re m
G e fo lg e v o r B r ü n h ild in d a s M ü n s te r ein z ie h t. W ä h re n d d e r
E rz ä h le r v o n d e n » K ö n ig in n e n « s p ric h t, b e s c h im p fe n d ie K o n -
tra h e n tin n e n e in a n d e r als » u n fre ie D ie n e rin « ( a u f K rie m h ild
b e z o g e n ) u n d als »K eb se« ( a u f B rü n h ild b e z o g e n ). D e r K e b se n ­
v o r w u r f gib t d e m S treit e in e w e ite re D im e n s io n . K rie m h ild b e ­
h a u p te t, S ie g frie d h a b e als e rste r m it B r ü n h ild g e sc h la fe n . Ih re
A n n a h m e b e ru h t a u f d e r z e ic h e n h a fte n B e d e u t u n g v o n R in g
u n d G ü r te l, d ie S ie g frie d a u s G u n th e rs u n d B rü n h ild s B r a u t ­
g e m a c h m itg e n o m m e n u n d sp ä te r K rie m h ild g e sc h e n k t hatte.
D e r E rz ä h lu n g von d e r B ra u tn a c h t e n tsp ric h t K rie m h ild s D e u ­
tu n g n ich t.
D ie V ö rra n g d e m o n s tra tio n gelin g t: K rie m h ild b etritt v o r d e r
b u rg u n d is c h e n K ö n ig in d a s M ü n ste r. N a ch d e m G o tte sd ie n st
zeig t sie d ie v e rm e in tlic h e n B e w e isstü c k e , u n d d ie E s k a la tio n
steig ert sich z u r u n v e rsö h n b a re n B e le id ig u n g .
W e in e n d ru ft B r ü n h ild G u n th e r z u H ilfe . D e r K ö n ig läß t
S ie g frie d k o m m e n . M it e in e m E id w e ist d ie se r d ie B e h a u p tu n g
se in e r F ra u z u rü c k u n d k ü n d e t d eren B e s tra fu n g an . W ä h re n d
d e r K o n flik t z w isc h e n d en K ö n ig e n G u n th e r u n d S ie g frie d m it
d ie se m R e c h tsa k t b e ig e le g t sc h e in t, b leib t d a s Z e r w ü r fn is d e r
F ra u e n b esteh en , u n d d ie t ie f verletzte B rü n h ild fo rd e rt d ie R e ­
a k tio n d es H o fe s h e ra u s. H a g e n b e sch lie ß t S ie g frie d s T o d , O r t ­
w in v o n M e tz u n terstü tzt ih n . Z w a r e rin n e rt G u n th e r an S ie g ­
frie d s T reu e g e g e n ü b e r d en B u rg u n d e n , w id e rse tz t sich H a g e n s
P lan a b e r n ic h t e rn sth a ft, z u m a l d ie se r d en M a c h tg e w in n fü r
810 ANHANG

d ie B u rg u n d e n n a ch S ie g frie d s T o d b e to n t. G u n th e r u n d d e n
a n d e re n B e te ilig te n w irft d e r E rz ä h le r T re u lo sig k e it vor. D ie
F r a u e n s tre it-A v e n tiu re e n d e t m it d e m M o r d r a t u n d k ü n d ig t
d e n T o d v ie le r H e ld e n an .

15. A v e n tiu re

Z u n ä c h s t w ird d e r erste Teil d e r M o rd in trig e d argestellt. W ic h ­


tig ste r G e s ic h ts p u n k t ist d ie E r m ittlu n g d e r V e rw u n d b a rk e it
v o n S ie g frie d s K ö rp e r. W ie d e r a n tik e A c h ill g e h ö rt S ie g frie d zu
d en m y th is c h e n , fa st u n v e rw u n d b a re n H e ld e n . E in V o rb e h a lt
b e stä tig t d ie Z u g e h ö rig k e it zu d e r m e n sc h lic h -ste rb lic h e n S p e ­
zies. B e i S ie g frie d w ird e r z e ic h e n h a ft u n d ra tio n a l v e rd e u tlich t:
e in e v e rle tz b a re S telle u n d Ü b e rm u t. W ie A c h ill an d e r F e rse
k a n n S ie g frie d z w isc h e n d en S c h u lte rn tö d lic h g e tro ffe n w e r ­
d en , ein L in d e n b la tt v e rh in d e rte d o rt d ie H o rn h a u tb ild u n g , als
er im D ra c h e n b lu t b ad ete. D e r b is h e r n ich t e rw ä h n te V o rb e h a lt
w ir d je tz t e rz ä h le risc h n a c h g e tra g e n . H a g e n w e iß p rin z ip ie ll
d a v o n , k e n n t a b e r d ie S telle n ich t; er m u ß sie e rfa h re n , u m d e n
M o r d a u sfü h re n zu k ö n n e n .
A ls H a g e n K rie m h ild fa lsch e T atsach en v o rsp ie g e lt, v e rtra u t
sie ih m als V e rw a n d te n S ie g frie d s G e h e im n is an : Im R a h m e n
e in e r In trig e w e rd e n e in e F e h d e a n sa g e d e r D ä n e n u n d S a c h se n
fin g ie rt u n d ein K rie g sz u g v o rb e re ite t, d ab ei setzt H a g e n S ie g ­
frie d s H ilfsb e re itsc h a ft als sic h e r v o ra u s. D ie d ro h e n d e G e fa h r
v e ra n la ß t K rie m h ild zu fa lsc h e r F ü rso rg e . In d e m sie S ie g frie d
sc h ü tz e n w ill, lie fe rt sie ih n se in e m M ö r d e r au s. S ie fin d e t sich
so g a r b ereit, d ie v e rw u n d b a re Stelle m it e in e m Z e ic h e n a u f d e m
G e w a n d zu m a rk ie re n - ein e e rz ä h le risc h e Ü b e rs te ig e ru n g d es
Z e ic h e n sp ie ls.
N a c h d e m H a g e n d a s G e h e im n is e rk u n d e t hat, w ird d ie fin ­
gie rte F eh d e ab g esa g t u n d an d e ren statt ein e Ja gd im O d e n w a ld
a n b e ra u m t, an d e r S ie g frie d se lb stv e rstä n d lic h te iln im m t. E r
zieh t als Jä g e r a u s u n d w ird z u m G e ja g te n . G is e lh e r u n d G e r n o t
w irk e n b ei d e m M o rd u n te rn e h m e n n ic h t m it, a b e r - w ie d er
ANHANG 811

E rzähler verw u n d ert verm erkt - sie halten Siegfried auch nicht
zu rü ck.

16 . A v e n tiu re

D ie A v e n tiu re h a n d e lt v o n S ie g frie d s E r m o r d u n g . A u f d e r Ja g d
s o ll e r d ie e ig e n tlic h e Ja g d b e u te w e rd e n . K r ie m h ild , jetz t
s c h u ld b e w u ß t u n d v o n u n h e ilv o lle n T rä u m e n b e u n ru h ig t, v e r­
m a g ih n n ic h t v o n d e r T e iln a h m e a b z u b rin g e n . Z u n ä c h s t b e ­
w ä h r t e r sic h als d e r b e ste a lle r Jä g e r in e in e m A m b ie n te , in
d e m v e rsc h ie d e n ste T ie re a u fta u c h e n , d ie S ie g frie d alle e ig e n ­
h ä n d ig tö tet: ein W ild sc h w e in , ein L ö w e , ein W ise n t, e in E lc h ,
A u e ro c h s e n , H irs c h e u n d s c h lie ß lic h ein Bär. D a s G a n z e w ird
zu e in e r g ro te sk e n A ris tie v o n S ie g frie d s k ö r p e r lic h e r Ü b e rle ­
ge n h e it.
B e i d e m a n s c h lie ß e n d im W ald re ic h lic h se rv ie rte n E ssen
g ib t es k e in e G e trä n k e . D e r D u rs t s o ll an e in e r Q u e lle gestillt
w e rd e n . S ie g frie d , G u n th e r u n d H a g e n eile n d o rth in . G u n th e r,
d e m S ie g frie d d e n V o rtritt läß t, trin k t k n ie n d ü b e r d e m W asser.
W ä h re n d S ie g frie d d a n n d ie g le ic h e H a ltu n g e in n im m t, w irft
H a g e n v o n h in te n d e n S p e e r in d ie v e rw u n d b a re Stelle. D a
S ie g frie d se in e W affen a b g e le g t u n d H a g e n sie w e g g e tra g e n hat,
k a n n d e r G e tr o ffe n e a u c h n a c h trä g lic h k e in e V e rg e ltu n g ü b en .
W en n d e r e ig e n tlic h U n b e sie g b a re a u f d ie se W eise g etö tet w ird ,
ist d a s n u r d u rc h in fa m e H in te rlist m ö g lic h . D e r T o d e s w u r f
trifft S ie g frie d v ö llig a h n u n g s lo s , e r hatte sich a u f d ie ih m z u g e ­
sich e rte T re u e v e rla sse n . S te rb e n d v e rflu c h t e r d ie V erräter, d ie
se in e Z u v e rlä s s ig k e it m iß a ch te t h a b e n . In d e r B e u rte ilu n g d es
E rz ä h le rs b le ib t S ie g frie d o h n e je d e n V o rw u rf. D e r B e tru g
g e g e n ü b e r B r ü n h ild , a u s d e m S tre it u n d M o r d h e r v o r g e g a n ­
g e n sin d , w ir d n ic h t a u s d rü c k lic h als fo lg e n sc h w e re , b ö se Tat
v e rre c h n e t. B e v o r K rie m h ild s M a n n in d en B lu m e n verb lu te t,
ü b e ra n tw o rte t e r se in e E h e fra u - d en rech tlich en V erh ä ltn issen
a d ä q u a t - w ie d e r d e r F ü rs o rg e ih res B ru d e rs G u n th e r.
812 ANHANG

17 . A v e n tiu re

N a c h d e m S ie g frie d w ie ein g ejag tes T ie r im W ald , a u ß e rh a lb d e r


h ö fisc h e n S p h ä re , e rm o rd e t w o rd e n ist, w ird e r in d o p p e lte m
S in n e an d e n H o f z u rü c k g e fü h rt: D ie M ö r d e r leg en ih n v o r d ie
K e m e n a te d e r K ö n ig in , so d a ß e r a m M o r g e n e n td e c k t, v o n
K rie m h ild u n d d e m h e rb e ig e ru fe n e n V a ter S ie g m u n d b e tra u e rt
u n d sc h lie ß lic h b esta tte t w e rd e n k a n n . D ie R ü c k fü h r u n g an
d en H o f sc h a fft a u ß e rd e m d ie V o ra u sse tz u n g fü r K o n se q u e n z e n
a u s d e r M o rd ta t. E s g e lin g t n ic h t, d e n tre u e n H e lfe r g ä n z lic h
au sz u sto ß e n . O b w o h l K rie m h ild d ie Z u s a m m e n h ä n g e r ü c k w ir ­
k e n d d u rc h s c h a u t u n d d ie B a h r p r o b e d e n M ö r d e r b lo ß ste llt
(d ie W u n d e n a n S ie g frie d s L e ic h n a m b e g in n e n z u b lu te n , als
H a g e n h e ra n tritt), w e h rt sie s o fo rtig e R a c h e a k tio n e n v o n S eiten
S ie g m u n d s in E in sc h ä tz u n g d e r M a c h tv e rh ä ltn isse ab. D a s A u s ­
m a ß v o n K r ie m h ild s T ra u e r, ih re Z u w e n d u n g zu d e m L e ic h ­
n a m b e stä tig e n ih re e m o tio n a le B e z ie h u n g z u S ie g fr ie d ü b e r
d e n T o d h in a u s u n d b e g rü n d e n ih r z u k ü n ftig e s H a n d e ln .

18. A v e n tiu re

D ie v o n S ie g frie d g e k n ü p fte V e r b in d u n g d e r K ö n ig s fa m ilie n


a u s X a n te n u n d W o rm s w ir d e n d g ü ltig a u fg e h o b e n . K ö n ig
S ie g m u n d zie h t in se in L a n d z u rü c k , K r ie m h ild b le ib t in
W o rm s b ei ih re n B lu ts v e rw a n d te n tro tz d e s ih r z u g e fü g te n L e i­
d es u n d u n g e a c h te t d e r B itte n ih res S c h w ie g e rv a te rs, d e r ih r d ie
H e rrs c h a ft ü b e r S ie g frie d s L a n d an b ie te t. Ih re E n ts c h e id u n g ist
d u rc h d ie S a g e n tra d itio n b e d in g t u n d d u rc h m itte la lte rlic h e
R e c h tsv e rh ä ltn isse g e re c h tfe rtig t. G is e lh e r fu n g ie rt als V e rm itt­
ler. S e in e T ro stz u sa g e n w ir k e n e m o tio n a l w e ite r (K r ie m h ild
d e n k t a u c h sp ä te r in V e rb u n d e n h e it an ih n ), im H a n d lu n g s v e r ­
la u f b le ib t je d o c h d ie g e sc h w iste rlic h e B e z ie h u n g o h n e R e le ­
van z.
In d e m d ie tra u e rn d e K r ie m h ild n ic h t a u s W o rm s fo rtz ie h t,
leb t sie in d e r N ä h e d e r v e ra n tw o rtlic h e n V erräter. D ie A b ­
ANHANG 813

s c h lu ß s tro p h e d e r A v e n tiu re k o n fro n tie rt n o c h e in m a l B rü n -


h ild s H o c h m u t u n d U n v e rsö h n lic h k e it m it K rie m h ild s T rau er,
z u g le ic h w e ist sie a u f d ie R a c h e v o ra u s, d ie a u c h B rü n h ild in
u n g e h e u re s L e id stü rz e n w ird .

19. A v e n tiu re

Im Z e n tr u m d ie se r A v e n tiu re , d ie d e n ersten Teil d es Nibelun­


genliedes ab sc h lie ß t, steh t d e r H o rtra u b : D e r N ib e lu n g e n sc h a tz ,
K rie m h ild s M o rg e n g a b e , w ir d n a ch W o rm s g e h o lt, d a n n d e r
B e sitz e rin e n tw e n d e t u n d im R h e in ve rse n k t. M it a n d e re n M it ­
teln als b ei d e m M o r d gesta ltet d e r E p ik e r n o c h e in m a l e in e
tre u lo se V e rle tz u n g K rie m h ild s. M a c h t- u n d G o ld g ie r H a g e n s
u n d G u n th e rs m o tiv ie re n d as H a n d e ln .
Z u n ä c h s t v e rb rin g t K rie m h ild d re i Ja h re in T ra u e r u n d
bem üht sich um S ie g frie d s S e e le n h e il. S c h u ld g e fü h le b e ­
d rü c k e n sie, w eil sie S ie g frie d s v e rw u n d b a re S telle v e rra te n h at,
d o c h m a ch t K rie m h ild d e u tlich , d a ß ih r F eh ler u n d d ie M o rd ta t
u n v e rre c h e n b a r seien . A u f H a g e n s A n ra te n e rfo lg t e in e z w e c k ­
b e d in g te , b e trü g e ris c h e V e rs ö h n u n g z w isc h e n K r ie m h ild u n d
G u n th e r. D a ra u s e rg ib t sich d ie M ö g lic h k e it, d e n H o rt a u s d e m
N ib e lu n g e n la n d n a ch W o rm s zu ü b e rfü h re n . D e r E rz ä h le r
b e to n t d ie D is k re p a n z z w isc h e n K rie m h ild s fö rm lic h e r V e r­
s ö h n u n g m it G u n th e r u n d ih re r a n h a lte n d e n in n e re n D is ta n ­
z ie ru n g (V . 112 4 ,4 n u r in H s. C ) .
In d e m s a g e n h a fte n N ib e lu n g e n la n d g elten d ie g le ic h e n
re c h tlic h e n R e g e ln w ie in d e r h is to ris c h e n W elt: A lb e ric h
e rk e n n t K rie m h ild s B e sitz a n sp rü c h e an . D ie Ü b e r fü h r u n g d es
Sch atzes g ib t G e le g e n h e it, d essen U n e rm e ß lic h k e it zu sc h ild e rn
u n d n o c h e in m a l d ie m y th isc h e n D im e n s io n e n d e s N ib e lu n ­
g e n la n d e s a n z u le u ch te n . D e r T ra n sfe r d e r m a g isc h e n M ittel in
d ie h ö fisc h e W elt h at V e rd e rb e n g e b ra c h t. A lb e ric h leitet S ie g ­
frie d s S c h ic k sa l a u s d e r V e rfü g u n g ü b e r d ie T a rn k a p p e ab. E rs t­
m a ls w ir d als B e sta n d te il d e s S c h atzes ein e k le in e g o ld e n e R u te
e rw ä h n t, d ie H e rrsc h a ft ü b e r d ie ga n ze W elt e rm ö g lic h t fü r d en ,
814 ANHANG

d e r sich m it ih r a u sk e n n t. D e n je n ig e n a b e r g ib t es n ich t. O h n e
w e itere A u sg e sta ltu n g d e u te t d ie se s M o tiv d ie U n v e re in b a rk e it
d e r m y th is c h e n u n d d e r h is to ris c h -p ra g m a tis c h e n V o rs te l­
lu n g ssp h ä re an .
K rie m h ild n u tzt d ie M ö g lic h k e it, d u rc h d en S c h a tz d ie Z u ­
n e ig u n g v ie le r B e sc h e n k te r zu g e w in n e n . D ie G e fa h r, d ie d a r­
in fü r d ie B u rg u n d e n lieg t, so ll b e se itig t w e rd e n , in d e m m a n
K rie m h ild d en S c h a tz e n tw e n d e t u n d im R h e in v e rse n k t. D ie
k ö n ig lic h e n B r ü d e r w id e rse tz e n sich H a g e n s P lä n e n n ic h t, g e ­
b en ih n a b e r als alle in ig e n V e ra n tw o rtlic h e n au s.
Z w ö l f Ja h re d e r T ra u e r v e rg e h e n n a c h S ie g frie d s T o d . S e in e
G e b e in e w e rd e n in d a s v o n K ö n ig in U te gestifte te K lo s te r
L o rs c h ü b e rfü h rt. Z u m U m z u g d e r W itw e in d as K lo s te r
k o m m t es je d o c h n ich t.

20. A v e n tiu re

D e n A u fta k t z u m zw eiten Teil d es Nibelungenliedes b ild e t K ö n ig


E tz els W e rb u n g um K rie m h ild . D er H a n d lu n g s s c h a u p la tz
w e c h se lt in s H u n n e n re ic h .
N a ch d e m T o d v o n E tz els F ra u H e lc h e so ll d e r K ö n ig sich
w ie d e r v e rm ä h le n ; d ie F re u n d e ra te n zu d e r a n g e se h e n e n
W itw e K r ie m h ild im B u rg u n d e n la n d . E tzel z ö g e rt, d o c h d e r
G la u b e n s u n te rs c h ie d z w isc h e n d e m H e id e n u n d d e r C h ris t in
e rs c h e in t s e in e n R a tg e b e rn k e in H in d e rn is , d a s n ic h t d u rc h
E tzels R e ic h tu m a u fg e w o g e n w e rd e n k ö n n te . A u ssc h la g g e b e n d
ist d ie S tim m e d e s L e h n s m a n n e s R ü d ig e r v o n B e c h e la rn , d e r
d ie B u rg u n d e n p e rs ö n lic h k en n t. E r fin d e t sich b ereit, als W e r­
b e r n a c h W o rm s zu zieh en . M it Z w isc h e n s ta tio n in se in e r B u rg
B e c h e la rn a n d e r D o n a u reisen R ü d ig e r u n d sein G e fo lg e an
d e n R h e in , ln W o rm s w ir d E tz els A n tr a g z w ie s p ä ltig a u fg e ­
n o m m e n : K r ie m h ild s B r ü d e r b e fü r w o r te n d ie H e ira t. S ie e r ­
sc h e in t ih n en in V e rk e n n u n g v o n K rie m h ild s in n e re r H a ltu n g
als M ö g lic h k e it, ih re S c h w e ste r fü r d a s e rlitte n e L e id zu e n t­
s c h ä d ig e n . H a g e n s p ric h t v e h e m e n t d a g e g e n . E r sie h t in d e r
ANHANG 815

M a c h t, d ie K r ie m h ild a u f d ie se W eise g e w in n t, e in e G e fa h r.
K rie m h ild selb st le h n t d e n A n tr a g z u n ä c h st ab , sie v e rw e ist a u f
ih re a n h a lte n d e T ra u e r. D o c h als R ü d ig e r a u s fü h r t, w e lc h e
M a c h t sie g e w in n e n w ird ( z w ö lf m ä ch tig e R e ich e , d a s L a n d v o n
d re iß ig F ü rste n u n d v ie le L e h n sle u te ) e rk e n n t sie ih re C h a n c e
zu sp ä te r R a c h e (Str. 12 8 1). E s g e lin g t R ü d ig e r a u c h , d e n G la u ­
b e n su n te rsc h ie d zu re lativieren : Etzel w a r s c h o n e in m a l getau ft,
den v o m C h r is t e n tu m A b g e fa lle n e n k ö n n e K r ie m h ild z u m
c h ris tlic h e n G la u b e n z u rü c k fü h re n . E n ts c h e id e n d fü r K rie m -
h ild s Z u s tim m u n g ist sc h lie ß lic h R ü d ig e rs S c h w u r, ih r k ü n ftig
in je d e r B e d rä n g n is b e iz u ste h e n .
D e r A u fb ru c h in s H u n n e n la n d so ll sc h n e ll e rfo lg e n . Z u v o r
w ird n o c h e in e ü b e rra s c h e n d e V a ria n te d e s H o r tr a u b s erzäh lt:
E s g ib t o ffe n b a r e in e n n ic h t v e rse n k te n R est d e s S c h atzes, a u c h
e r w ir d K r ie m h ild g e n o m m e n . H a g e n s n e u e rlic h e T at v e rtie ft
K rie m h ild s F e in d s c h a ft ih m g e g e n ü b e r n o c h w eiter. D e r E r ­
z ä h le r b e z e ic h n e t ih n a ls b ö se ( übele, Str. 13 0 4 ).

2 1. A v e n tiu re

K rie m h ild s R eise v e ra n s c h a u lic h t e tw a s v o n d e m W eg, d e r v o m


R h e in z u r D o n a u u n d w e ite r flu ß a b w ä rts in s H u n n e n la n d
fü h rt. D ie B e g e g n u n g m it ih re m O h e im , B is c h o f P ilg rim v o n
P a ssau , s o w ie m it R ü d ig e rs F ra u u n d T o c h te r in B e c h e la rn zeigt
n o c h e in m a l K rie m h ild s h ö fis c h e L e b e n sa rt. O b w o h l V o r a u s ­
d e u tu n g e n d ie d ü ste re Z u k u n ft p ro g n o stiz ie re n , rich tet sich d ie
E rw a rtu n g a u f d ie W ie d e rh e rste llu n g v o n K rie m h ild s E h re, u n d
es en tsteh t d e r A n s c h e in , a u c h sie sä h e d a s k ü n ftig e G e sc h e h e n
n ic h t v o ra u s . K rie m h ild h at z w a r d ie A b s ic h t, R a c h e fü r d en
M o r d an S ie g frie d z u ü b e n , a b e r sie v e rfü g t n ic h t ü b e r ein en
k o n k re te n , v o rg e fa ß te n P lan . D e r E p ik e r läß t R a u m fü r d ie
S p a n n u n g d es zu e rz ä h le n d e n d e ta illie rte n A b la u fs. D ie A v e n ­
tiu re e n d e t m it d e m H in w e is a u f d ie k u ltu re lle K o e x iste n z vo n
C h riste n u n d H e id e n an Etzels H o f.
816 ANHANG

22. A y e n tiu re

D a s R e ise sz e n a rio w ir d w e ite rg e fü h rt, es sc h lie ß t d ie H o c h z e it


z w isc h e n K rie m h ild u n d d e m H u n n e n k ö n ig e in . In W ie n trifft
d e r Z u g v o m R h e in a u f E tzel, d e r m it e in e m G e fo lg e v o n 24
F ü rste n d e r n e u e n H e rrin e n tg e g e n g e ritte n ist. D e r E p ik e r b e ­
w e ist g ro ß e s c h o re o g ra p h is c h e s G e s c h ic k , ein B ild v o n d en h e r­
a n re ite n d e n S c h a re n u n d ih re n E ig e n a rte n z u g e b e n . K r ie m -
h ild s e ro tisc h e A ttra k tiv itä t sc h e in t im m e r n o c h u n v e rm in d e rt.
R ü d ig e r m u ß E tzel v o n s e x u e lle n V e rtra u lic h k e ite n z u r ü c k h a l­
ten , b is d ie H o c h z e it in W ie n s ta ttg e fu n d e n h at. D e n T e rm in
d e r F e ie r a m P fin g s tta g h at d a s Nibelungenlied m it d e n h ö fi­
sc h e n Festen im A rtu s re ic h g e m e in s a m .
W ie ü b lic h w ir d im E rz ä h lritu a l d a s G e g e n w ä rtig e z u m b is ­
h e r n ie d a g e w e se n e n B esten ge ste ig e rt, so d a ß d ie P ra c h t u n d
Z a h l d e r a u fg e b o te n e n H e ld e n a u c h d ie V e rh ä ltn isse in N ie d e r ­
la n d b e i S ie g frie d ü b e rtre ffe n . D ie B e re itsc h a ft z u m fre ig e b ig e n
S c h e n k e n geh t b is z u r E n tb lö ß u n g d e r H e ld e n . D ie se E in d rü c k e
lö sc h e n K rie m h ild s tra u rig e E r in n e r u n g n ic h t a u s, d o c h sie v e r­
m a g ih re T rä n e n z u v e rb e rg e n . D e r W eg fü h rt d a n n v o n W ie n
ü b e r H a in b u r g n a c h M e is e n b u rg , w o d ie R e ise p e r S c h if f n a ch
G r a n (E tz e ln b u rg ) fo rtg e se tz t w ird . D o r t n im m t K r ie m h ild
H e lch e s P latz e in , u n d ih re M a c h t w ir d g rö ß e r als d ie ih re r V o r ­
g ä n g e rin .

23. A v e n tiu re

D e r E p ik e r m a rk ie rt d ie v e rg e h e n d e Z e it: N a c h sie b e n Ja h ren


w ir d E tz el u n d K r ie m h ild e in S o h n g e b o re n . A ls in s g e s a m t
z w ö lf Ja h re v e rg a n g e n sin d , h a t K rie m h ild e in e u n a n g e fo c h te n e
S te llu n g b ei d e n H u n n e n . D o c h d a s alte L e id u n d d ie T ra u e r
u m S ie g fr ie d sin d in ih re r E r in n e r u n g le b e n d ig g e b lie b e n .
D e m n eu en E h e m a n n h a t sie ih re L ie b e n ic h t z u g e w a n d t. B ei
E tzels U m a r m u n g d e n k t sie an R a c h e p lä n e . A u c h fü r ih re E h e
m it e in e m H e id e n m a ch t sie in G e d a n k e n G u n th e r u n d H a g e n
ANHANG 817

v e ra n tw o rtlic h . Ih re G e fü h le b le ib e n ih re r U m g e b u n g v e r b o r ­
gen .
D ie A v e n tiu re h a n d e lt v o n K rie m h ild s b e trü g e ris c h e r E in la ­
d u n g . In b ö s e r A b s ic h t lo c k t sie ih re V e rw a n d te n in s H u n n e n ­
la n d , w ie B r ü n h ild Ja h re z u v o r S ie g frie d u n d K rie m h ild n a ch
W o rm s e in g e la d e n h atte. D ie R eise fü h rt, w ie d e r E rz ä h le r v o r ­
a u s s c h a u e n d b e to n t, zu e in e m B e su ch o h n e R ü c k k e h r. N ic h ts ­
a h n e n d m a c h t sich Etzel K rie m h ild s W u n sc h zu eig en , e r stattet
d ie B o te n m it e in e m m ü n d lic h e n u n d e in e m s c h riftlic h e n A u f­
tra g au s. In g e h e im e r U n te rre d u n g m it d e n G e sa n d te n b e to n t
K rie m h ild , d a ß H a g e n a u f je d e n F all m itk o m m e n so lle , u n d sie
n e n n t d a fü r ein e n u n v e rd ä c h tig e n G r u n d : N u r er k ö n n e ein a n ­
g e m e s s e n e r R e is e fü h re r se in , w e il e r alle L ä n d e r u n d S tra ß e n
k en n e.

24. A v e n tiu re

D ie E in la d u n g w ird d en B u rg u n d e n ü b e rb ra c h t, u n d d ie K ö ­
n ig e sin d b ereit, sie a n z u n e h m e n . V erg essen sc h e in t d ie frü h e re
Ü b e rle g u n g , sich le b e n sla n g v o n Etzel fe rn z u h a lte n . N u r H a g e n
w e n d e t sich e n tsc h ie d e n g e g e n e in e n Z u g in s H u n n e n la n d ,
d o c h se in e W a rn u n g e n b e w irk e n e b e n s o w e n ig w ie d ie d es
K ü c h e n m e is te rs R u m o ld , d e r se in e n H e rre n rät, zu H a u se zu
b le ib e n . W er n ic h t m itre ise n w ill, m a c h t sich v e rd ä c h tig , feige
zu se in , d a ra u fh in g ib t H a g e n se in en W id e rsta n d a u f. E r sieh t
w e ite rh in d ie G e fa h r, m e in t ab er, er k ö n n e sic h e rn d e V o rk e h ­
ru n g e n tre ffe n ; d a ru m sc h lä g t e r vor, m it e in e m ta u se n d M a n n
sta rk e n H e e r zu Etzels Fest zu reiten.

25. A v e n tiu re

D e r A b s c h ie d a u s W o rm s u n d d e r D o n a u ü b e r g a n g d e r B u r ­
g u n d e n m a rk ie re n , d a ß d ie G re n z e d e r sich e re n S p h ä re d es
e ig e n e n H o fe s in d ie W elt to d b rin g e n d e r G e fa h re n ü b e rs c h rit­
ten w ird . Z u B e g in n d e r R eise h ä u ft d e r E rz ä h le r d ie Z e ic h e n
818 ANHANG

d e s b e v o rs te h e n d e n U n h e ils. H a g e n als F ig u r m it m y th is c h e r
T ie fe n d im e n sio n ve rm itte lt G e w iß h e it ü b e r d ie Z u k u n ft: E r b e ­
g e g n e t an d e r D o n a u a n d e rw e ltlic h e n , h e llse h e risc h e n W a sse r­
fra u e n u n d e rfä h rt v o n ih n e n , d a ß n u r d e r b e g le ite n d e G e is t ­
lic h e d ie R e ise ü b e rle b e n w ird . U m d ie Z u v e rlä s s ig k e it d e r
V o ra u s s a g e zu e rp ro b e n , v e rs u c h t H a g e n , d en K a p la n u m z u ­
b rin g e n , d o c h G o tt rettet ih n . W ä h re n d d e r G e is tlic h e n a c h
W o rm s z u rü c k re ist, z ieh en d ie B u rg u n d e n o h n e k irc h lic h e B e ­
tre u u n g zu h e illo se n T aten in s h e id n isc h e H u n n e n la n d , b e g le i­
tet v o n Z e ic h e n d es T od es.
D ie D o n a u ü b e r q u e ru n g ist n u r d a d u rc h m ö g lic h , d a ß H a ­
gen d e n u n w illig e n F ä h rm a n n e rsch lä g t u n d ü b e r d essen S c h iff
v e rfü g t. E r setzt selb st se in e H e rre n u n d d a s g e sa m te G e fo lg e
über. A n s c h lie ß e n d z e rstö rt e r d a s S c h iff u n d a k z e p tie rt d a m it,
d a ß es k ein e n R ü c k w e g g e b e n w ird . D e r E p ik e r gesta ltet h ie r
d ie P a ra d o x ie , d a ß d e r e in z ig e, d e r d e n u n h e ilv o lle n A u s g a n g
d e r R eise k en n t, als F ä h rm a n n in d e n T o d fu n g ie rt.
W en n d ie B e re itsc h a ft, d e m d ro h e n d e n T o d tro tz ig e n tg e ­
g e n z u g e h e n , als h e ro isc h e H a ltu n g v e rsta n d e n w ird , d a n n v e r ­
a n s c h a u lic h t d ie se A v e n tiu re s o lc h e n H e ld e n m u t in e in d rü c k -
lic h e r W eise. D e r W a rn u n g v o n e in e r d e r W a s s e rfra u e n , » D u
so llte st u m k e h re n , es ist n o c h Z e it« (Str. 15 7 6 ,1) , fo lg t H a g e n
n ich t. S o w ir d e r als H e ld d e r fo lg e n d e n E re ig n isse p ro filie rt,
d o c h a u c h e r k en n t sie - w ie d ie H ö r e r d e s E p o s - im ein z e ln e n
n o c h n ich t.

26. A v e n tiu re

N a c h d e m D o n a u ü b e r g a n g g ib t H a g e n sein W isse n v o n d e m
b e v o rste h e n d e n U n te rg a n g an alle w eiter, u n d e r ru ft g le ic h z e i­
tig zu W a c h sa m k e it u n d G e g e n w e h r au f.
D ie A v e n tiu re gestaltet ein k ä m p fe ris c h e s P rä lu d iu m v o r d e r
A n k u n ft im H u n n e n la n d . F ü r H a g e n u n d se in e L eu te, d ie d ie
N a c h h u t d e s b u rg u n d is c h e n Z u g e s b ild e n , e rg ib t sich ein g e ­
fä h rlic h e r K a m p f a u f d e m n ä ch tlich e n W eg d u rc h B a y e rn . D ie
ANHANG 819

M a r k g r a fe n G e lfr a t u n d E lse w o lle n d e n T o d ih re s F erg en


rä c h e n . H a g e n ge rä t b ei d e m K a m p f in L e b e n sg e fa h r, u n d sein
B r u d e r D a n k w a rt rettet ih n , in d e m e r G e lfra t tötet. S c h lie ß lic h
w e rd e n d ie B a y e rn v o n H a g e n u n d se in e n L eu ten in d ie F lu ch t
g e sc h la g e n ; d e r S ie g fü h rt zu 10 0 T oten a u f d e r G e g e n se ite . D ie
G e fa h r, d e r b lu tig e K a m p f u n d d ie H ilfe le is tu n g n e h m e n M o ­
tiv e d e r k ü n ftig e n G e s c h ic h te v o rw e g . A u ß e rd e m w e rd e n b is ­
h e r u n b e k a n n te Z ü g e a n H a g e n a u fg e d e c k t: V e rs tä n d n is u n d
d ie F ä h ig k e it, F re u n d s c h a ft zu stifte n , z e ig e n sic h in se in e m
U m g a n g m it d e m sc h la fe n d e n G re n z w ä c h te r E c k e w a rt.

27. A v e n tiu re

E s k o m m t z u r Z w is c h e n e in k e h r d e r B u rg u n d e n b e i R ü d ig e r
v o n B e c h e la rn . N a c h d e m g e fä h rlic h e n , ra stlo se n Z u g d u rc h
B a y e rn b rin g t d e r A u fe n th a lt ein festlich es R ita rd a n d o . D ie D e ­
m o n s tr a tio n v o n G a s tfr e u n d s c h a ft u n d Z u n e ig u n g ist a lle r ­
d in g s v o n U n h e ilp ro g n o s e n d u rc h z o g e n , d ie z. T. s e h r k o n k re t
a u s fo rm u lie rt w e rd e n : k ein e R ü c k k e h r u n d R ü d ig e rs T o d d u rch
se in e ig e n e s S c h w e rt, d a s e r G e r n o t sc h e n k t. Ü b e rh a u p t setzt
d e r E p ik e r h ie r z a h lre ich e Z e ic h e n , d ie im sp ä te re n K a m p f b ei
d en H u n n e n z u e rst b e frie d e n d e , d a n n a b e r k o n flik tste ig e rn d e
B e d e u tu n g h ab en . Z w isc h e n d e n B u rg u n d e n u n d R ü d ig e r w e r ­
den fre u n d s c h a ftlic h e , v e rw a n d ts c h a ftlic h e und re c h ü ic h e
B a n d e g e k n ü p ft: G u n th e r n im m t e in e R ü s t u n g als G e s c h e n k
a n , G e r n o t ein S c h w e rt. G is e lh e r v e rm ä h lt sich m it d e r T o ch ter
d es M a rk g ra fe n . H a g e n w ä h lt fü r sich d en S c h ild , d e r d e m V ater
d e r M a r k g r ä fin g e h ö rt hatte. V o lk e r sin g t M in n e lie d e r fü r
G o te lin d , d ie H o fh e rrin ; sie b e lo h n t ih n m it e in e r G a b e , d ie ih n
z u m M in n e d ie n s t, zu v e re h re n d e m G e d e n k e n , an E tzels H o f
v e rp flic h te n so ll. S c h lie ß lic h g ib t R ü d ig e r d en B u rg u n d e n d as
G e le it an E tz els H o f; d ie s e r b e frie d e n d e S c h u tz v e rb ie te t es
re c h tlic h , a u c h n a c h d e r R eise g e g e n e in a n d e r zu k ä m p fe n .
820 ANHANG

28. A v e n tiu re

B e i d e r A n k u n ft d e r B u rg u n d e n , d ie v o n je tz t an N ib e lu n g e n
h e iß e n , w ird ein S z e n a rio d e r F e in d se lig k e it e n tw o rfe n . A b g e s e ­
h en v o n K rie m h ild u n d H a g e n b e u rte ilt n u r D ie tric h v o n B e rn
d ie L a g e ric h tig , u n d e r w a rn t d ie B u rg u n d e n v o r d e r d r o h e n ­
d e n G e fa h r. E r b e ric h te t G u n th e r v o n K rie m h ild s a n h a lte n d e r
T ra u e r u n d ih re n R a c h e a b s ic h te n . K ö n ig E tz el u n d M a r k g r a f
R ü d ig e r v o n B e c h e la rn sin d a h n u n g slo s.
K rie m h ild hält ih re F e in d sc h a ft g e g e n H a g e n u n d G ü n t h e r
n ic h t v e rb o rg e n . N a c h d e r B e g r ü ß u n g k o m m t es z u r ersten
o ffe n e n K o n fro n ta tio n m it H a g e n . In e in e m G e s p r ä c h vo ll
b e iß e n d e r Iro n ie fo rd e rt K rie m h ild d en H o rt als v e rm e in tlic h
e rw a rte te s G a stg e sc h e n k . D a ß d e r R a u b d e s S c h a tz e s g e n a u s o
u n re v id ie rb a r ist w ie S ie g frie d s E r m o r d u n g , e rsch e in t a lle rd in g s
als V e rs tä n d n is h in te rg ru n d se lb stv e rstä n d lic h . A n d e r W e ig e ­
ru n g d e r B u rg u n d e n , ih re W a ffe n a b z u le g e n , e rk e n n t K r ie m ­
h ild , d a ß d ie G ä s te g e w a rn t s in d , u n d D ie tric h v o n B e r n b e ­
k e n n t sich als d e r W arner.
E in B ild v o n H a g e n s k ö r p e r lic h e r E r s c h e in u n g , se in e H e r ­
k u n ft u n d e tw as v o n se in e r Ju g e n d g e sc h ic h te w e rd e n an d ie se r
Stelle e rz ä h le n d e in g e b le n d e t, d a d ie H u n n e n b e s o n d e re s In te r­
esse an ih m zeig en u n d K ö n ig Etzel ih n a u s frü h e re r Z e it k en n t.
A u f d ie se W eise w ir d K rie m h ild s G e g e n s p ie le r b e s o n d e rs e x p o ­
n ie rt, b e v o r d e r K a m p f b e g in n t.

29. A v e n tiu re

D ie zw eite K o n fro n ta tio n z w isc h e n H a g e n u n d K r ie m h ild w ird


m it W o rten u n d G e ste n a u sg e tra g e n . H a g e n u n d V ö lk er, e in im
fo lg e n d e n G e s c h e h e n u n z e rtre n n lic h e s K ä m p fe r p a a r , setzen
sic h K r ie m h ild s S a a l g e g e n ü b e r. H a g e n h at d a s S c h w e rt, d a s
ein st S ie g frie d g e h ö rte , a u f se in e K n ie gelegt. E r w ill d e m o ffe ­
n en H a ß d e r K ö n ig in tro tzen u n d sie verle tz e n . A ls sie m it d e r
K ro n e a u f d e m H a u p t v o r d ie b e id e n b u r g u n d is c h e n H e ld e n
ANHANG 821

h in tritt, v e rw e ig e rn sie ih r d ie E h re rb ie tu n g : S ie e rh e b e n sich


n ic h t v o r d e r K ö n ig in . K r ie m h ild e rk lä rt H a g e n fü r u n e r ­
w ü n s c h t a m H u n n e n h o f u n d w irft ih m d e n M o r d an S ie g frie d
vor. S a rk a s tis c h b e k e n n t e r sich d a z u u n d m o tiv ie r t ih n m it
B rü n h ild s B e le id ig u n g d u rc h K rie m h ild .
D e r V e rsu c h , d e n K r ie m h ild u n te rn im m t, H a g e n tö te n zu
la sse n , z u e rst m it 6 0 , d a n n m it 3 0 0 K ä m p fe rn , sc h eitert an d e r
F u rc h t, d ie d ie b e id e n b u rg u n d is c h e n H e ld e n d e n H u n n e n e in ­
flö ß e n . U n g e a c h te t d e r Z a h le n r e la tio n (d re ih u n d e rt g e g e n
zw e i) fü rc h te n d ie v ie le n u m ih r L e b e n . H a g e n h at e in e m a g i­
sc h e A u s s tra h lu n g , u n d K r ie m h ild s e rste r V e rg e ltu n g sv e rsu c h
e n d e t m it ih re r D e m ü tig u n g . Im K ö n ig s p a la s t w e rd e n d ie B u r-
g u n d e n d a n n g ro ß z ü g ig u n d fre u n d lic h v o n Etzel e m p fa n g e n
u n d b e w irte t. E r w e iß n ic h t, w a s g e sp ie lt w ird .

30 . A v e n tiu re

D e r E p ik e r e n tw ic k e lt m it m a rk a n te r D a rs te llu n g s k u n s t e in e
A tm o s p h ä r e b e d ro h lic h e r S p a n n u n g . E rz ä h lt w ir d v o n d e r
ersten N a ch t, d ie d ie B u rg u n d e n im H u n n e n la n d v e rb rin g e n ,
u n d v o n K rie m h ild s z w e ite m e rfo lg lo se n V e rsu c h , H a g e n tö ten
zu lassen .
Z u n ä c h s t b e z ie h e n d ie G ä s te e in e n fü r sie als N a c h tla g e r
k o s tb a r h e rg e ric h te te n S a a l, d ie se r w ird sp ä te r d e r O rt d es
K a m p fe s u n d d es S te rb e n s. A n d ie B u rg u n d e n h e ra n d rä n g e n d e
H u n n e n w irk e n g e fä h rlic h , a b e r V o lk e r u n d H a g e n w e h re n sie
ab. B e id e ü b e rn e h m e n d ie N a c h tw a c h e v o r d e m S a a l, u m ein en
Ü b e rfa ll zu v e rh in d e rn . F ü r d ie e in s c h la fe n d e n B u rg u n d e n
sp ie lt V o lk e r a u f se in e r F ied el; d a n n m u ß e r d as M u s ik in s tr u ­
m e n t m it d e m S c h w e rt v e rta u sc h e n , d e n n im D u n k e ln tau ch en
v o n K rie m h ild en tsa n d te K ä m p fe r au f. Sie h ab en d en A u ftra g ,
H a g e n zu tö ten . D o c h als sie d ie b e id e n W ä c h te r w a h rn e h m e n ,
k eh ren sie v o lle r F u rch t u m . In k lu g e m K alk ü l verm e id e t H agen
e in e n k ä m p fe ris c h e n Z u s a m m e n s to ß , u m e in e m Ü b e rfa ll d e r
H u n n e n a u f d ie S c h la fe n d e n k e in e C h a n c e zu geb en .
822 ANHANG

3 1. A v e n tiu re

D ie V o r a u s d e u tu n g e n a u f d e n A u s b r u c h v o n G e w a lt u n d d ie
T o d e s s ig n a le v e rd ic h te n sich . D ie fe in d s e lig e S p a n n u n g z w i­
sc h e n d en B u rg u n d e n u n d H u n n e n w ir d a u f d a s Ä u ß e rs te
gesteig ert.
H a g e n rät d e n B u rg u n d e n , im letzten G o tte s d ie n s t v o r
ih re m T o d G o tt alle S ü n d e n zu b e ich te n . Ü b e ra ll ta u c h e n W a f­
fen a u f: D ie B u rg u n d e n tra g e n sie in d e r K irc h e , e in e S c h a r v o n
H u n n e n b ei T isc h . D a s R itte rsp ie l d ro h t in e rn sth a fte n A n g r if f
a u sz u a rte n . O b w o h l d ie B u rg u n d e n ih re rse its e ig e n tlic h e in e n
K a m p fb e g in n v e rm e id e n w o llte n , p ro v o z ie re n V o lk e r u n d H a ­
g e n u n ter d e m D r u c k d e r e rk a n n te n A u sw e g lo sig k e it d ie F e in d ­
sc h a ft d e r H u n n e n , u n a b h ä n g ig v o n K rie m h ild s R a c h e a b s ic h ­
ten . S ie m a c h e n d e r K ö n ig in v o r d e m M ü n s te r k e in e n P latz.
V o lk e r e rsch lä g t e in e n a u fg e p u tz t h e ra n re ite n d e n H u n n e n u n d
zieh t d a m it d e n V e rg e ltu n g s d ra n g v o n d e sse n A n g e h ö r ig e n a u f
sich . K ö n ig Etzel gre ift b e frie d e n d ein . D o c h se in e a u fric h tig e
G a s tfre u n d sc h a ft u n d d ie Ü b e rle g u n g , se in e n S o h n O rtlie b z u r
h ö fisc h e n E rz ie h u n g m it n a ch W o rm s zu sc h ick e n , w e rd e n v o n
H a g e n d e sillu sio n ie rt. E r sagt, d as K in d sei v o m T o d g e z e ic h ­
n et. D a d u r c h m a c h t er Etzel z u m F e in d d e r B u rg u n d e n .
K r ie m h ild s A b s ic h te n s c h w a n k e n im L a u fe d e r E rz ä h lu n g
z w isc h e n d e m Z ie l, H a g e n a lle in zu tö te n u n d e in e n R a c h e ­
sc h la g geg en alle B u rg u n d e n zu fü h re n . D ie tric h v o n B e rn leh n t
es ab, im In teresse v o n K rie m h ild s R a c h e g e g e n d ie B u rg u n d e n
zu k ä m p fe n . In d e m d ie K ö n ig in in sg e h e im Etzels B ru d e r B lö d e l
m it V e rsp re c h u n g e n z u m Ü b e rfa ll a u f d ie G ä s te g e w in n t, e n t­
s c h e id e t sie sich fü r d a s e rw e ite rte Z ie l; d o c h w ü r d e d u rc h
H a g e n s T o d o h n e h in ein a llg e m e in e r K a m p f en tfa ch t.

32. A v e n tiu re

D e r o ffe n e K a m p f b e g in n t m it B lö d e ls Ü b e rfa ll a u f d ie b u r g u n -
d isc h e n K n a p p e n , als d iese u n te r d e r A u fsic h t v o n H a g e n s B ru -
ANHANG 823

d e r D a n k w a r t in e in e r g e s o n d e rte n H e rb e rg e sp e ise n . B lö d e l
g ib t se in e n A n g r if f als V e rg e ltu n g fü r H a g e n s M o rd an S ie g frie d
a u s. D a D a n k w a rt d e n G e g n e r n ich t v o n se in e m V o rh a b e n a b ­
b rin g e n k a n n , tö tet e r B lö d e l. D a s ist d e r A u fta k t zu e in e m b lu ­
tig e n K a m p f, b e i d e m alle M ä n n e r B lö d e ls, n e u n ta u s e n d b u r-
g u n d isc h e K n a p p e n u n d z w ö lf R itte r a u s D a n k w a rts G e fo lg e zu
T o d e k o m m e n . M it n a h e z u ü b e rm e n s c h lic h e r K ra ft setzt sich
D a n k w a rt g e g e n d ie h e ra n d rä n g e n d e n H u n n e n z u r W ehr, er e r ­
re ich t d e n K ö n ig s p a la s t u n d d ie F esttafel in b lu tü b e rs trö m te r
R ü s tu n g m it d e m S c h w e rt in d e r H a n d . D e r E rz ä h le r läß t
D a n k w a rts E rsc h e in e n m it d e m a llg e m e in e n B lic k a u f d e n K ö ­
n ig s s o h n O rtlie b b e im F e stm a h l Z u s a m m e n tre ffe n u n d w eist
d a m it a u f d ie v o ra u sg e sa g te n K o n se q u e n z e n h in .

33. A v e n tiu re

D e r K a m p f z w isc h e n d e n B u rg u n d e n u n d d e n H u n n e n erh ä lt
e in e o b je k tiv e M o tiv a tio n , d ie n e b e n K rie m h ild s R a c h e stre b e n
in e ig e n e r D y n a m ik fo rtw irk t: H a g e n tö tet O rtlie b als V e rg e l­
tu n g fü r d e n T o d d e r b u rg u n d is c h e n K n a p p e n . E in u n g e h e m m ­
tes M o rd e n b e g in n t: K ö p fe w e rd e n a b g e sc h la g e n , S tr ö m e v o n
B lu t fließ en . D ie G r a u s a m k e it d e s K a m p fe s ist m it e in e r tr a d i­
tio n e lle n M e ta p h o r ik (W ein b e z e ic h n e t B lu t u n d d e r F ie d e l­
b o g e n d a s S c h w e rt) in e in e m a rtifiz ie ll ü b e rste ig e rte n D is k u rs
d a rg e ste llt.
H a g e n u n d V o lk e r sin d d ie H a u p ta k te u re , a b e r d ie b u r g u n ­
d isc h e n K ö n ig e b e te ilig e n sich g le ic h fa lls a n d e m K a m p f, als sie
ih n n ic h t a u fh a lte n k ö n n e n . N u r Etzel gre ift n ich t z u m Sch w ert.
S e in e P a ssiv itä t b le ib t im G r u n d e u n e rk lä rt. D e r E p ik e r n im m t
o ffe n b a r e in v o rg e g e b e n e s B ild v o n K ö n ig Etzel a u f: E r ist d e r
ru h e n d e P o l, u m g e b e n v o n a g ie re n d e n K ä m p fe rn . B e g rü n d e t
w ir d d ie se s V e rh a lte n g e n a u s o w e n ig w ie d ie T a tsa c h e , d a ß
D ie tric h v o n B e rn , d e m d ie B u rg u n d e n N e u tra litä t z u b illig e n ,
K r ie m h ild u n d E tzel a u s d e m S a a l h in a u s fü h re n k a n n . N e u t ra ­
lität w ir d a u c h R ü d ig e r v o n B e c h e la rn u n d se in en L eu ten g e ­
824 ANHANG

w ä h rt. A lle H u n n e n im S aal k o m m e n u m . V o n 2 .0 0 0 T oten ist


d ie R e d e , sie w e rd e n a n sc h lie ß e n d a u f G is e lh e rs R a t a u s d e m
S aal g e w o rfe n .
D ie A b fo lg e d e r K ä m p fe ist in v e rsc h ie d e n e n E ta p p e n z w i­
sc h e n b e s tim m te n A k te u re n e rz ä h le risc h in sz e n ie rt, d ie d e r
e ig e n e n L o g ik e in e s e p isc h e n A rr a n g e m e n ts fo lg e n . Etzel b e o b ­
ac h te t d a s G e s c h e h e n v o n d ra u ß e n u n d w ird d a r a u fh in v o n
V o lk e r u n d H a g e n v e rsp o tte t, w e il e r n ic h t k ä m p ft. A u f d ie se
W eise g esta ltet d e r E p ik e r e in e te x tin te rn e R e a k tio n a u f d ie
sc h w e r v e rs tä n d lic h e P a ssiv itä t d e s H u n n e n k ö n ig s . K r ie m h ild
b ietet G o ld , B u rg e n u n d L ä n d e r fü r H a g e n s K o p f.

34. A v e n tiu re

A u f K rie m h ild s A u ffo rd e r u n g h in w ill d e r M a r k g r a f Irin g v o n


D ä n e m a rk , d e r an E tzels H o f w e ilt, allein geg en H a g e n a n treten
u n d d a m it sein en b ish e rig e n K a m p fru h m b e stätig en . E r v e rm a g
a b e r H a g e n n ic h t zu ü b e rw in d e n u n d w e n d e t sich n a c h e in a n ­
d e r e rfo lg lo s V o lker, G u n th e r u n d G e r n o t zu. A ls e r d a n n , ein e
R a n g s tu fe tie fe r k ä m p fe n d , v ie r b u rg u n d is c h e L e h n sle u te tö tet,
verse tz t G is e lh e r ih m e in e n s o lc h e n S c h la g , d a ß er d ie B e s in ­
n u n g v e rlie rt. W ie d e r b ei B e w u ß ts e in g e lin g t es ih m , H a g e n
e in e W u n d e z u z u fü g e n u n d zu e n tk o m m e n . V o n H a g e n , d e r
V e rg e ltu n g su ch t, h e ra u s g e fo rd e rt u n d v o n K rie m h ild a n g e s ta ­
ch elt, tritt Irin g ein zw eites M a l g eg en d en T ro n je r an u n d w ird
d ie s m a l tö d lic h g e tro ffe n . E in g r a u s a m e r V e rsto ß g e g e n alle
h ö fisc h e K a m p ffa irn e ß b e g le ite t Irin g s E n d e : H a g e n sc h le u d e rt
d e m s c h o n tö d lic h G e tr o ffe n e n e in e n S p e e r h in te rh e r, d e r in
se in e m K o p f stec k e n b le ib t. M it d e m S p e e r w e ic h t e r zu se in e n
V e rw a n d te n z u rü c k u n d stirb t. D ie D ä n e n u n d T h ü r in g e r d r in ­
gen z u r V e rg e ltu n g in d en S aal ein , w e rd e n a b e r tro tz m u tig e r
G e g e n w e h r alle 1.0 0 4 e rsc h la g e n . S tr ö m e v o n B lu t b e s c h re ib t
der E rz ä h le r als e rfo lg re ic h e W ir k u n g d e r b u r g u n d is c h e n
K a m p fk ra ft. A u f h u n n is c h e r Seite h e rrsc h t g ro ß e T rau er.
ANHANG 825

35. A v e n tiu re

N a c h e in e m w e ite re n A n g r if f d e r H u n n e n a u f d ie G ä s te zieh en
d ie B u rg u n d e n / N ib e lu n g e n B ila n z , u n d sie lau tet: D e r K a m p f
ist a u s s ic h ts lo s , d a a u f E tz els S e ite im m e r w e ite re T ru p p e n
n a c h rü c k e n . D ie N ib e lu n g e n s u c h e n F rie d e n , sie w o lle n v e r ­
h a n d e ln , d o c h w e g e n d e r Etzel z u g e fü g te n V e rlu ste ist d e r
H u n n e n k ö n ig zu k e in e m Z u g e s tä n d n is b ereit. A lle B u rg u n d e n
so lle n ste rb e n . S ie w o lle n a u s d e m S a a l h e ra u stre te n , u m sich
a u s z u lie fe m , a b e r d a s v e r h in d e r t K r ie m h ild a u s F u rc h t, sie
k ö n n te n d o c h ih re K a m p fk ra ft e in setz en . S ie b e k e n n t sic h z u r
G n a d e n lo s ig k e it.
E in letztes M a l v e rs u c h t sie, H a g e n zu iso lie re n . S e in e Ü b e r ­
g a b e w ä re d ie e in z ig e C h a n c e fü r d a s Ü b e rle b e n ih re r B rü d e r.
A n d ie s e r S te lle k o m m t n u n d ie v ie lz itie rte N ib e lu n g e n tre u e
z u r G e ltu n g : D ie b u r g u n d is c h e n K ö n ig e w e is e n d ie A u s lie fe ­
ru n g e in e s ih re r L e u te e m p ö rt z u rü c k . D a ra u fh in lä ß t K r ie m ­
h ild d e n S a a l u m z in g e ln u n d a n z ü n d e n .
D ie S te ig e ru n g d e s g ra u s a m e n V o rg e h e n s fü h rt zu a n im a li­
s c h e n R e a k tio n e n : A u f H a g e n s A n r a te n lö s c h e n d ie E in g e ­
sc h lo sse n e n d e n q u ä le n d e n D u rs t m it d e m B lu t d e r G e tö te te n .
D a b e i w ird in d e r D a rs te llu n g e rn e u t d ie W e in -B lu t- M e ta p h o -
rik ein g esetzt. D ie S tä r k u n g d u rc h d a s B lu t e rin n e rt a n d a s M y ­
s te riu m d e r E u c h a ris tie ; es e r m ö g lic h t d a s Ü b e rle b e n in d e m
In fe rn o . D o c h d a ß 6 0 0 B u rg u n d e n d e n B ra n d ü b e rle b e n , fü h rt
n u r zu n e u e m K a m p f u n d S te rb e n . K ö n ig Etzel u n d d ie K ö n i­
gin stellen g ro ß e B e lo h n u n g e n fü r w eiteren k ä m p fe risc h e n E in ­
satz in A u ssic h t. T ö d lic h e W u n d e n u n d K la g e n sin d d ie F o lge.

36. A v e n tiu re

D a s e rz w u n g e n e E in g re ife n R ü d ig e r s v o n B e c h e la rn in d en
K a m p f v e rstä rk t d ie D y n a m ik z u m U n te rg a n g d e r B u rg u n d e n .
G e z e ig t w ird d e r in n e re K o n flik t e in e s V a sallen , d e r a u s k o lli­
d ie re n d e n R e c h ts v e rp flic h tu n g e n en tsteh t. W ein en a u f a llen
826 ANHANG

S e ite n d rü c k t d ie in n e re E rs c h ü tte ru n g a u s, a b e r a u c h d ie
U n fä h ig k e it, d a s G e sc h e h e n zu b e w ä ltig e n u n d e in e A lte rn a tiv e
d u rch z u se tz e n .
R ü d ig e r s T ra u e r a n g e sic h ts d e r sc h w e re n K ä m p fe w ird als
F eig h e it au sg eleg t. D e r M a r k g r a f ersch lä g t ein e n H u n n e n , d e r
ih n e n tsp re c h e n d h erab setzt. R ü d ig e rs D ile m m a e rg ib t sich au s
u n v e re in b a re n re ch tlich e n B in d u n g e n : E r ist L e h n s m a n n E tzels
u n d als so lc h e r z u r U n te rstü tz u n g sein es H e rrn im K a m p f v e r ­
p flich tet, a u ß e rd e m h at er K rie m h ild e in e n E id zu u n b e d in g te r
H ilfe le is tu n g g e sc h w o re n . B e id e fo rd e rn jetz t d ie E in h a ltu n g
d e r T re u e ve rsp re c h e n . D a s L e h n sv e rh ä ltn is a u fz u k ü n d ig e n , w ie
es R ü d ig e r v e rsu c h t, ist in d e r N o ts itu a tio n n ic h t statth a ft.
A n d re rse its h at R ü d ig e r d u rc h d ie V e rh e ira tu n g se in e r T o c h te r
m it G is e lh e r ein v e rw a n d ts c h a ftlic h e s B a n d m it d en B u r g u n -
d en g e k n ü p ft; d u rc h d ie G a stg e sc h e n k e u n d d a s G e le it h a t er
ih n en S c h u tz u n d F rie d e n z u g e sich e rt. W enn er se in e V e rp flic h ­
tu n g g e g e n ü b e r d e r e in e n o d e r a n d e re n S eite v erletzt, sieh t e r
sein S e e le n h e il g e fä h rd e t, d .h . d ie re c h tlic h e n B in d u n g e n e r h a l­
ten ein e re lig iö se D im e n s io n . R ü d ig e r en tsch e id e t sich sc h lie ß ­
lich fü r d ie T re u e zu se in e m L e h n s h e rre n u n d tritt g e g e n d ie
B u rg u n d e n an. D e r d u rc h b e s tim m te K o n ste lla tio n e n e r z w u n ­
g e n e K a m p f geg en V e rw a n d te u n d F re u n d e ist ein altes M o tiv
h e ro isc h e r D ic h tu n g .
V e rstä n d n is fü r R ü d ig e rs S itu a tio n k o m m t z e ic h e n h a ft z u m
A u s d ru c k , in d e m d e r so n st g r im m ig e H a g e n , u n g e a c h te t alle r
sa c h lic h e n G e g e b e n h e ite n , R ü d ig e r u m d e sse n S c h ild b ittet;
u n d d e r M a r k g r a f e rfü llt d ie B itte. D a ra u fh in b ete ilig t sich H a ­
gen - u n d e b e n so V o lk e r - n ic h t an d e m K a m p f g e g e n R ü d ig e r.
E r zieh t sich in d ie N e u tra litä t z u rü c k , d ie fü r R ü d ig e r n ic h t
m ö g lic h ist. K o n se q u e n t im v o rb e re ite te n A b la u f d e r K ä m p fe
tö ten G e r n o t u n d R ü d ig e r sich g e g e n se itig ; G e r n o t k ä m p ft m it
d e m S c h w e rt, d a s ih m R ü d ig e r in B e c h e la rn g e s c h e n k t h atte.
V o n R ü d ig e rs G e fo lg e b le ib t n ie m a n d a m L e b e n .
D ie A v e n tiu re ist als m e iste rh a fte K o n s t ru k tio n in d ie
H a u p th a n d lu n g in te g rie rt, v o rb e re ite t d u rc h R ü d ig e r s F u n k ­
ANHANG 827

tion als Brautwerber, durch die Einkehr Kriemhilds und später


der Burgunden in Bechelarn; aus all diesen Begegnungen ha­
ben sich Verpflichtungen ergeben, die in Widerstreit mit der
Treue gegenüber dem Lehnsherren geraten.

37 . Aventiure
Nach Rüdiger wird Dietrich von Bern, der ebenfalls Neutralität
wahren wollte, in das Geschehen hineingezogen, doch zunächst
noch nicht als Kämpfer. Rüdigers Schicksal bildet das Hand­
lungsscharnier. Dietrichs Waffenmeister Hildebrand soll erkun­
den, ob die Nachricht von Rüdigers Tod zutrifft. Mit einer
Schar von Begleitern fordert er, daß die Burgunden Rüdigers
Leiche herausgeben, damit sie begraben werden kann. Ihre
Weigerung führt zum Kampf, und zwar gegen den Willen Diet­
richs in seiner Abwesenheit. Tödlicher Schlag und Gegenschlag
folgen aufeinander. Meister Hildebrand tötet Volker. Giselher
und Wolfhart, Hildebrands Neffe, erschlagen sich gegenseitig.
Hildebrand entkommt Hagens Vergeltung mit einer Wunde,
während alle seine Begleiter tot Zurückbleiben. Im Palas sind
nur mehr König Gunther und sein Gefolgsmann Hagen am
Leben.
Dietrich von Bern begreift das Geschehen erst allmählich.
Von Trauer und Leid bewegt, möchte er sterben.

38 . Aventiure
Als Leitfigur eines anderen Sagenkreises hat Dietrich von Bern
eine herausgehobene Funktion am Schluß. Er ist im Kampf der
Männer der letzte Sieger, aber der trauernde Held kann durch
seinen Befriedungsversuch den Tötungsmechanismus nicht
aufhalten.
Vor Gunther und Hagen bringt er die Sinnlosigkeit des
Kampfes gegen die Amelungen zum Ausdruck. Sie hatten die
Burgunden nicht angegriffen. Dietrichs Bemühen, den letzten
828 ANHANG

Waffengang zu vermeiden, bleibt erfolglos, denn Gunther und


Hagen sind nicht bereit, sich als Geiseln zu ergeben. Darauf
bezwingt Dietrich nacheinander Hagen und Gunther, aber er
tötet sie nicht. Mit der Bitte um Schonung übergibt er sie ge­
bunden an Kriemhild. Konzessionslos kerkert sie beide getrennt
ein.
In einer letzten Konfrontation mit Hagen kommt Kriem-
hilds Rache zum Ziel. Die Auseinandersetzung wird verbal über
die alte Hortforderung der Sage geführt. In einer früheren
Version vom Burgundenuntergang wollte Etzel tatsächlich
den Hort in seinen Besitz bringen; im N ib elu n g en lied fordert
Kriemhild »Unwiederbringliches«. Hagen soll zurückgeben,
was er ihr genommen hat: Siegfried und den Schatz.
Beides ist nicht leistbar, beides sind Zeichen für nicht wie­
dergutzumachendes Leid. Die Hortverweigerung liefert den
letzten Vorwand zur Tötung Günthers und Hagens. Kriemhild
enthauptet schließlich Hagen eigenhändig mit Siegfrieds
Schwert, das der Mörder noch bei sich trägt. Diese ungeheure
Tat einer Frau darf im mittelalterlichen Normhorizont nicht
ungestraft bleiben. Meister Hildebrand führt den Vergeltungs­
schlag aus. Er zerstückelt die Rächerin und vollzieht damit eine
Art Todesstrafe, die verhindern soll, daß Kriemhild als teufli­
sche Wiedergängerin weiterwirken kann. Etzel und Dietrich se­
hen schmerzerfüllt zu, sie selbst haben in dem großen Gemetzel
niemanden getötet. Das Bild des furchtbaren Untergangs läßt
den Erzähler verstummen. Das N ib elu n g en lied bewahrt die Ge­
schichte in literarischer Gestalt.
ANHANG 829

Z u r R e z e p t io n s g e s c h ic h te d e s Nibelungenliedes

D ie R e z e p tio n d e s Nibelungenliedes in d e r N e u z e it ist ein m e h r ­


te ilig es K a p ite l n ic h t a lle in d e r d e u tsc h e n L ite ra tu rg e sc h ic h te ,
s o n d e r n a u c h d e r p o litis c h e n G e s c h ic h te , d ie z u r M y t h e n b il­
d u n g u m d a s W erk w e se n tlic h b e ig e tra g e n hat. A m A n fa n g d es
16 . Ja h rh u n d e rts w u rd e d a s E p o s in d ie letzte g ro ß e S a m m e l­
h a n d s c h rift m itte la lte rlic h e r d e u tsc h e r L ite ra tu r, K a ise r M a x i­
m ilia n s A m b ra s e r H e ld e n b u c h , a u fg e n o m m e n . D a n a c h v e rsa n k
d a s W e rk 250 Ja h re in V e rg e sse n h e it, b is Jo h a n n Ja c o b B o d m e r,
d e r » W ied eren td eck er d es d e u tsc h e n M itte la lte rs« , d ie 1755 a u f­
g e fu n d e n e H a n d s c h rift C b e k a n n t m a ch te (s. o .). B o d m e r sah
das Nibelungenlied v o r d e m H in te rg ru n d d e r H o m e rb e g e iste ­
ru n g d e s 18. Ja h r h u n d e r ts u n d b e z e ic h n e te es als » e in e A r t
Ilias«. D ie se P a ra lle lisie ru n g m it d e m a n tik e n E p o s setzte sich
fo rt. A u g u s t W ilh e lm S c h le g e l ste ig e rte in e in e r V o rle s u n g an
d e r B e rlin e r U n ive rsitä t (18 0 2 ) d e n H o m e r-V e rg le ich , in d e m er
d ie k o lo ssa le tra g isc h e D im e n s io n d es Nibelungenliedes h e r v o r ­
h o b : »E s e n d ig t w ie d ie Ilias, n u r in w e it g rö ß e re m M a ß sta b e ,
m it d e m ü b e rw ä ltig e n d e n E in d ru c k a llg e m e in e r Z e rs tö ru n g .«
K a rl L a c h m a n n hat sich b ei se in e r w isse n sc h a ftlic h e n B e sc h ä fti­
g u n g m it d e m Nibelungenlied u n d b ei d e r E d itio n d es T extes an
d e r H o m e rfo r s c h u n g o rie n tie rt. Ü b e r v ie le o b so le te V o rste llu n ­
gen im e in z e ln e n h in w e g k a n n d e m V e rg le ic h m it H o m e r h eu te
in e in e r H in s ic h t B e re c h tig u n g z u g e b illig t w e rd e n : D ie a n tik en
Epen un d das Nibelungenlied re p rä se n tie re n je w e ils d as in te r­
e u ro p ä is c h e Phänom en der H e ld e n d ic h tu n g , d ie sich auf
H e ld e n sa g e n m it h isto risc h e m K ern g rü n d e t. In b e id e n F ällen
leb ten d ie S ag en ü b e r Ja h rh u n d e rte im k o lle k tiv e n G e d ä c h tn is
u n d w u rd e n d a n n u n te r b e stim m te n k u ltu re lle n B e d in g u n g e n
v e rsc h riftlic h t (s. o .).
B o d m e rs B e m ü h u n g e n u m d a s Nibelungenlied u n d d ie erste
v o llstä n d ig e A u sg a b e v o n C h risto p h M y lle r (178 2) fü h rten n ich t
zu b re ite r B e a c h tu n g d es W erkes. D ie se erla n g te es au ch n o ch
n ic h t d u rc h d ie B e g e is te ru n g d e r F rü h ro m a n t ik e r (u. a. d er
830 ANHANG

B r ü d e r S c h le g e l), d ie sich im Z u g e ih re r a llg e m e in e n H in w e n ­


d u n g z u m M itte la lte r u n d se in e r L ite ra tu r m it d e m Nibelungen­
lied b e sch ä ftig te n . Z u m d e u tsc h e n » N a tio n a le p o s« u n d z u m b is
h e u te b e k a n n te ste n W erk d e s d e u tsc h e n M itte la lte rs w u r d e d as
Nibelungenlied d u rc h d ie p o litis c h e n K o n ste lla tio n e n d e r ersten
b e id e n Ja h rz e h n te d e s 19 . Ja h rh u n d e rts . D ie A u flö s u n g d e s
D e u tsc h e n R e ich e s, d e r S ie g e sz u g N a p o le o n s d u rc h E u ro p a , d e r
D r u c k d e r fra n z ö s is c h e n B e s e tz u n g u n d d ie B e fr e iu n g s k r ie g e
sc h u fe n d a s K lim a fü r e in e b reite A u fn a h m e u n te r b e s tim m te n
V o rz e ic h e n . In d ie se r Z e it b ild e te sich ein g eg en d ie F r e m d h e r r ­
sc h a ft o p p o n ie re n d e s d e u tsc h e s N a tio n a lb e w u ß ts e in , u n d d a s
Nibelungenlied sta n d d azu in e in e m re z ip ro k e n V e rh ä ltn is. P o li­
tisch n a tio n a le , sp ä te r n a tio n a listisc h e V o rste llu n g e n u n d In te r­
essen fö rd e rte n e in e b e stim m te A u s le g u n g d es E p o s , d ie ih re r­
seits d a s d e u tsc h e N a tio n a lg e fü h l p räg te. E n tsc h e id e n d fü r d en
id e o lo g is c h e n P ro z e ß w a r F rie d ric h H e in ric h v o n d e r H a g e n s
Nibelungenlied-Übersetzung m it se in e r p ro g ra m m a tis c h e n E in ­
le itu n g . S ie ersch ie n 18 0 7 , ein Ja h r n a ch d e m E n d e d es H e ilig e n
R ö m is c h e n R e ich e s d e u tsc h e r N a tio n . D ie L e k tü re d e s L ie d e s
so llte d e r tro s tsp e n d e n d e n v a te rlä n d is c h e n E r b a u u n g d ie n e n .
M it e in e r k a u m g la u b lic h e n K a p rio le s c h lu g v o n d e r H a g e n a u s
d e r D ic h tu n g ü b e r d e n U n te rg a n g e in e s V o lk es H o ffn u n g a u f
n e u e n G la n z ; d e r » u n s te rb lic h e H e ld e n g e sa n g « so llte sie v e r ­
m itteln . A u ß e rd e m p rä p a rie rte e r a u s d e m Nibelungenlied e in e n
T u g e n d k a ta lo g d e s d e u tsc h e n N a tio n a lc h a ra k te rs h e ra u s , d e r
an g e b lic h fü r d ie F ig u re n d e r erzäh lten G e sc h ic h te g e n a u so galt
w ie fü r d ie g e g e n w ä rtig e n L ese r: » G a stlich k e it, B ie d e rk e it, R e d ­
lic h k e it, T re u e u n d F re u n d s c h a ft b is in d e n T o d , M e n s c h lic h ­
keit, M ild e u n d G r o ß m u t in K a m p fe s N o t.« A ls w e ib lic h e T u ­
g e n d p e n d a n ts w u rd e n d e n F ig u re n » h o ld e Z u c h t, e in fa c h e ,
fro m m e u n d fre u n d lic h e Sitte, zarte S c h e u u n d S c h a m « z u g e ­
sc h rie b e n , e b e n fa lls v e rm e in tlic h e C h a ra k te ris tik a fü r d ie d e u t ­
sch en F ra u e n ü b e rh a u p t. D a m it w a r d e r M y th o s v o m Nibelun­
genlied als d e u tsc h e m » N a tio n a le p o s« b e g rü n d e t. Es so llte z u m
» H a u p tb u c h b ei d e r E rz ie h u n g d e r d e u tsc h e n Ju g e n d « u n d zu r
ANHANG 831

a llg e m e in e n S c h u lle k tü re w e rd e n . D e r E rfo lg d e ra rtig e r B e fü r ­


w o r tu n g , d a s Nibelungenlied zu lesen , w a r in d e r d a m a lig e n p o ­
litisc h e n D e p re s s io n a u ß e ro rd e n tlic h . A u c h Jo h a n n W o lfg a n g
v o n G o e th e la s u n d k o m m e n tie r te 18 0 8 /0 9 in d e r » W eim a rer
M ittw o c h sg e se llsc h a ft« d a s E p o s u n d b e n u tz te d a z u z u n ä c h st
v o n d e r H a g e n s Ü b e r tr a g u n g , s p ä te r g r i f f e r z u m » O rig in a l«
u n d ü b e rse tz te selb st a u s d e m S tegreif.
In g a n z ä h n lic h e r W eise w ie v o n d e r H a g e n w irk te A u g u st
Z e u n e w ä h re n d d e r B e fre iu n g s k rie g e ( 18 13 - 18 15 ) als n a tio n a li­
stisc h e r P ro p a g a n d is t d es Nibelungenliedes. E r h ielt m it g ro ß e r
R e so n a n z an v e rsc h ie d e n e n O rte n D e u ts c h la n d s V o rträ g e ü b e r
d a s L ie d . 18 14 g a b e r e in e k le in fo rm a tig e P ro s a ü b e rs e tz u n g als
» F e ld - u n d Z e lta u s g a b e fü r d ie ta p fe re n v a te rlä n d isc h e n K r ie ­
ger« h e ra u s. E r b ra c h te z e itg e sc h ic h tlic h e E re ig n isse m it n ib e -
lu n g is c h e n M o tiv e n z u r D e c k u n g , z. B . d en in z w is c h e n s ie g ­
re ic h e n K a m p f D e u ts c h la n d s g e g e n N a p o le o n m it S ie g frie d s
D ra c h e n tö tu n g . D a s h ie r g e s c h a ffe n e G le ic h s e tz u n g s m o d e ll
w u rd e im L a u fe d e r d e u ts c h e n G e s c h ic h te w ie d e rh o lt a u fg e ­
n o m m e n u n d in sb e so n d e re im B e z u g a u f d ie b e id e n W eltk rieg e
d es 20. Ja h rh u n d e rts a k tu a lisie rt.
D ie w irk u n g sm ä c h tig e n Ü b e rse tz u n g e n v o n d e r H a g e n s u n d
Z e u n e s w u rd e n seit 18 27 d u rc h e in e n e u e Ü b e r t r a g u n g d es
Nibelungenliedes v o n K a rl S im r o c k v e rd rä n g t. D ie se m e is t­
g e le se n e F a s su n g in n e u h o c h d e u ts c h e n V e rse n b e s tim m te im
19 . Ja h r h u n d e r t u n d z u m in d e s t a u c h in d e r ersten H ä lfte d es
20 . Ja h r h u n d e r ts d ie V o rs te llu n g v o m Nibelungenlied und
m a ch te es z u m a llg e m e in e n B ild u n g sg u t. S ie v e rm itte lt ein b ie-
d e rm e ie rlic h v e rfä lsc h te s B ild v o m M itte la lte r u n d v o n d e r
H a n d lu n g d es L ied es. D e r W o rtsch atz d e r Ü b e rse tz u n g k o r r e ­
sp o n d ie rt m it d e m T u g e n d k a ta lo g in v o n d e r H a g e n s V o rw o rt;
a u f d ie se W eise fö rd e rte a u c h S im r o c k s V e rsio n d ie n a tio n a le
A n e ig n u n g d e s E p o s.
D ie Nibelungenlied-Rezeption h at n o c h w e ite re D im e n s io ­
n en : N ic h t n u r d e r m itte la lte rlich e d e u tsc h e T ext w u rd e ü b e r ­
setzt, z u r L e k tü re a u fb e re ite t u n d b en u tzt. D u rc h d a s In teresse
832 ANHANG

a m S t o ff u n d d ie a k tu a lisie re n d e n D e u tu n g s m ö g lic h k e ite n a n ­


gereg t, e n tsta n d e n z a h lre ich e n e u e W erke: D ra m e n , G e d ic h te ,
O p e rn , B ild er. D ie Q u e lle n g r u n d la g e d ie se r N e u s c h ö p fu n g e n
u n d N a c h b ild u n g e n w a r n ic h t n u r d a s d e u ts c h e E p o s , h in z u
k a m d ie s k a n d in a v is c h e N ib e lu n g e n tr a d itio n , v o r a lle m d ie
Edda u n d d ie V Ölsungensaga. B e re its Z e u n e s n a tio n a lis tis c h e
E rlä u te ru n g d e s Nibelungenliedes sta n d u n te r d e m E in flu ß d e r
frü h e n , 18 10 a b g e sc h lo sse n e n D ra m e n trilo g ie v o n F rie d ric h d e
la M o tte F o u q u é , Der Held des Nordens (1. T eil Sigurd der
Schlangentöter) - ein W erk, d a s u. a. R ic h a rd W a g n e r z u r B e ­
sc h ä ftig u n g m it d e m S t o ff an g e re g t hat.
Im a llg e m e in e n V o rs te llu n g s h o riz o n t v e rb a n d e n sich d a n n
M o tiv e v e rsc h ie d e n e r H e rk u n ft, u n d d ie F ig u re n d es Nibelun­
genliedes w u rd e n v o n n e u e re n B ild e rn ü b e rb le n d e t. D e r D r a ­
c h e n k a m p f u n d d e r G e w in n d es H o rte s, d ie in d e m E p o s e h e r
in d e n H in te r g r u n d g e rü c k t sin d , p rä g te n d a s p o p u lä r e S ie g ­
fr ie d -B ild . D e r D ra c h e w u rd e , s y m b o lis c h ged e u te t, a u f B e d r o ­
h u n g e n u n d F e in d e je d w e d e r A r t b e z o g e n , d e r H o rt sta n d fü r
v e rb o rg e n e , zu h e b e n d e S ch ä tz e u n d Z ie le d e r N a tio n . S o a v a n ­
cie rte S ie g frie d z u m m a rk a n te n B ild d e s d e u tsc h e n H e ld e n .
D ie id e o lo g is c h e V e r e in n a h m u n g d e s Nibelungenliedes er­
fo lg te v o n fo rts c h rittlic h e r w ie v o n k o n s e rv a tiv e r u n d sp ä te r
v o n n a tio n a ls o z ia lis tis c h e r S eite. V e rä n d e ru n g e n e rg a b e n sich
a u s d e m W a n d e l d e r p o litisc h e n V e rh ä ltn isse in D e u ts c h la n d .
Im 19 . Ja h rh u n d e rt sin d n u r w e n ig e S tim m e n zu fin d e n , d ie
dem Nibelungenlied e in e n a n g e m e s s e n e n P la tz in d e r L ite r a ­
tu rg e sc h ic h te z u w e ise n , o h n e es id e o lo g is c h zu b e fra c h te n .
G o e th e , H eg el u n d G e r v in u s sin d in d ie se m Z u s a m m e n h a n g
zu n e n n e n . R ic h a rd W a g n e r w a n d te sich fü r se in e n in d e n 4 0 e r
Ja h re n b e g o n n e n e n , 18 76 z u m ersten M a l a u fg e fü h rte n Ring des
Nibelungen g e g e n z e itg e sc h ic h tlic h e B e z ü g e u n d a u c h g e g e n
A n k lä n g e an b e s tim m te h is to ris c h e E p o c h e n . E r w o llte d e n
M e n sc h e n im W id e rstre it d e r E le m e n ta rk rä fte L ie b e u n d M a c h t
zeig en u n d d a c h te , er w ü rd e d u rc h d ie A n le h n u n g an d ie s k a n ­
d in a v is c h e T ra d itio n m it ih ren g e rm a n is c h e n G ö tte rn d e m m y ­
ANHANG 833

th isc h e n U r s p r u n g d e r G e s c h ic h te n ä h e rk o m m e n . W a g n e rs
Ring g e h ö rt in so fe rn z u r R e z e p tio n sg e sc h ich te d es Nibelungen­
liedes, als d ie Z ü g e d e r O p e rn g e sta lte n (in sb e so n d e re S ie g frie d s
u n d B rü n h ild s ) a u f d ie V o rste llu n g v o n d en F ig u re n d es E p o s
z u rü c k g e w irk t h a b e n . S ie g frie d , d e r s tra h le n d e H eld , » d e r d as
F ü rc h te n n ic h t g elern t« , w a r u n d b lie b d ie Id e n tifik a tio n s fig u r
d e s n e u e n K a ise rre ic h e s n a c h 18 7 1 u n d d a r ü b e r h in a u s b is in
d a s »D ritte R eich « A d o lf H itlers.
D a n e b e n w u rd e a lle rd in g s H a g e n als ein z w eiter H e ld e n ty ­
p u s, d e r E n tsc h lo sse n h e it u n d H ä rte im K a m p f b ew eist u n d d as
N o tw e n d ig e tu t, p o sitiv h erau sg estellt. F rie d ric h H e b b e l h at ih n
in se in e r D r a m e n tr ilo g ie Die Nibelungen (18 6 1 u r a u fg e fü h r t),
d ie e r m it a n tifra n z ö s is c h e m Im p e tu s als » d e u tsc h e s T ra u e r­
sp iel« a n p rie s , z u e rst e n ts p re c h e n d v o rg e fü h rt. In s b e s o n d e re
n ach d e m E rste n W eltk rie g p ro p a g ie rte n d ie n a tio n a lso z ia listi­
sc h e n w e h rh a fte n M ä n n e r b ü n d e d ie Q u a litä te n d es tre u e n G e ­
fo lg sm a n n e s b is zu d e r a b stru se n V o rste llu n g , d e r R e ic h sfü h re r
d e r S S , H e in ric h H im m le r, sei d e r w ie d e rg e b o re n e H a g e n .
D u rc h s e in e n K a m p f b is z u m letzten sc h ie n d ie se r H e ld z u r
A n im a tio n s fig u r im Z w e ite n W eltk rie g b e s o n d e rs gee ig n et.
B e s tim m te G r u n d z ü g e d e r Nibelungenlied-Rezeption w ie ­
d e rh o le n sich : A u s d e r e rz ä h lte n G e s c h ic h te m it ih re n k o m ­
p le x e n H a n d lu n g s s tru k tu re n w e rd e n E in z e lsz e n e n u n d T e il­
a n sich te n v o n F ig u re n h e ra u s g e g riffe n u n d id e o lo g isie re n d zu
b e stim m te n A u s s a g e n u n d O rie n tie ru n g s b e isp ie le n fu n k tio n a -
lisiert. W en n z. B . d ie v ie lb e ru fe n e » N ib e lu n g e n tre u e « als G e ­
s in n u n g s m u s te r a u s d e m L ied h e ra u sg e le se n w ird , so k a n n
d a fü r e ig e n tlic h n u r e in e S z e n e d e s 2. T eils als B e le g a n g e fü h rt
w e rd e n , in d e r sich d ie B u rg u n d e n w e ig e rn , H a g e n an K rie m -
h ild a u sz u lie fe rn , u n d d a m it a u f e in e F rie d e n s m ö g lic h k e it v e r ­
zich ten . V ö llig a u sg e b le n d e t w ird bei d e m P reis d e r T reu e, d aß
d a s L ie d v o n V e rra t u n d T re u lo sig k e it d e rse lb e n P e rso n e n an
S ie g frie d h an d elt. D ie » N ib e lu n g e n tre u e « d es D e u tsc h e n R e i­
c h es h at d e r R e ich sk a n z le r F ü rst v o n B ü lo w 19 0 9 Ö sterreich z u ­
g e sic h e rt. H e rm a n n G ö r in g h at 19 4 3 d a s Ü b e rle b e n d e r N ib e ­
834 ANHANG

lu n g e n in E tzels b re n n e n d e r H a lle als A p p e ll z u m D u rc h h a lte n


n a ch d e r K esse lsc h la ch t v o n S ta lin g ra d b e sc h w o re n , u n g e a c h te t
d e sse n , d a ß fü r d ie N ib e lu n g e n im E p o s d e r b a ld ig e U n te rg a n g
fo lgte.
A u c h im n e u e n M e d iu m d e s 20 . Ja h r h u n d e r ts , d e m F ilm ,
w u rd e d ie G e sc h ic h te d e r N ib e lu n g e n a u fg e g riffe n . F ritz L a n g s
Siegfried (19 2 3 ) und Kriemhilds Rache (19 2 4 ) steh en a m A n fa n g
u n d g elten b is h e u te als b e d e u te n d s te V e rfilm u n g e n . M it s e i­
n em P r o g ra m m , »d as g e istig e H e ilig tu m d e r N a tio n « zu v e r ­
film e n , stellte sich L a n g in d ie T ra d itio n d e r id e o lo g is ie re n d e n
Nibelungenlied-Rezeption. S e in e rz e it g in g es u m d ie B e w ä lti­
g u n g d e r N ie d e rla g e d es E rsten W eltk rieg s.
M it d e m Z u s a m m e n b ru c h d es N a tio n a lso z ia listisc h e n R e i­
c h es e n d e t im G r u n d e d ie p o sitiv e In a n s p ru c h n a h m e d e s Nibe­
lungenliedes. D e r M y th o s v o m d e u tsc h e n N a tio n a le p o s ist n ic h t
m e h r le b e n d ig , w a s w ie d e ru m a n d en p o litisc h e n V e rh ä ltn isse n
liegt: H e ld e n w ie S ie g frie d u n d g r im m ig e K ä m p fe r w ie H a g e n
sin d n ic h t m e h r gefrag t. Z u n e h m e n d s c h w in d e n a b e r a u c h d ie
K e n n tn is d e s T extes u n d d a s In te re sse an d e m S to ffk o m p le x
ü b e rh a u p t. T h e a tra lisc h e u n d film is c h e G e sta ltu n g e n d e s N ib e ­
lu n g e n sto ffe s sin d M ix tu re n a u s v e rsc h ie d e n e n Q u e lle n o h n e
a u sg e p rä g te P e rsp e k tiv e . Im n e u e n M itte la lte r -F a n ta s y -B o o m
seit d en 8 0 e r Ja h re n d es 20 . Ja h rh u n d e rts h a t d ie G e s c h ic h te
v o n K ö n ig A rtu s u n d se in en R itte rn S ie g frie d u n d H a g e n d en
R a n g a b g e la u fe n . V e rg n ü g e n a m K a le id o s k o p fa n ta stisc h e r B il­
d e r ist e in e M ö g lic h k e it, m it m itte la lte rlich e n G e sc h ic h te n u m ­
z u g eh en . D e r F e rn se h film Die Nibelungen v o n U li E d e l (2 0 0 4 )
m isc h t a u s M o tiv e n v e rsc h ie d e n e r H e rk u n ft ein F a n ta s y a b e n ­
teuer, d as n eb en a n d e re n V ertretern d es G e n re s, etw a Der Herr
der Ringe, k a u m e in e n a c h h a ltig e R e z e p tio n s z u k u n ft h a b e n
w ird .
Im K o n tra st zu d en va g e n R e m in isz e n z e n , d ie in d e r R e z e p ­
tio n sg e sc h ic h te v o n d e r D ic h tu n g d es Nibelungenliedes ge­
b lie b e n sin d , v e rm a g d e r v o rlie g e n d e B a n d m it d e m m itte l­
h o c h d e u ts c h e n T ext u n d d e r Ü b e rs e tz u n g d es E p o s g e n a u e
ANHANG 835

V o rste llu n g e n v o n d e m G a n g d e r H a n d lu n g d es u m 12 0 0 e n t­
sta n d e n e n W erkes u n d v o n d en k ü n stle risc h e n Q u a litä te n d es
E p ik e rs zu v e rm itte ln . E r erzäh lt vo n e in e r h ö fisc h e n W elt d er
S ta u fe rz e it m it id e a lisie rte n R ittern u n d D a m e n . S ie ersch e in e n
als A k te u re in e in e r alten G e sc h ic h te , d ie zu g ra u e n h a fte m M a s ­
s e n m o rd e sk a lie rt. B ew eg t v o n L ieb e, H a ß , B e tru g , M a c h t- u n d
B esitzg ier, T re u lo sig k e it u n d e r b a r m u n g s lo s e r K a m p fb e r e it­
sc h a ft w e rd e n d ie M e n sc h e n in ein en a n sc h e in e n d u n a u fh a lt­
b a re n P ro z e ß in d en U n te rg a n g h in e in g e z o g e n , w e il d ie e n t­
sc h e id e n d e n P e rso n e n n ich t b ereit o d e r n ich t in d e r L a g e sin d ,
e in e n S c h lu ß stric h u n ter d ie V e rg a n g e n h e it zu zieh en u n d n eu
a n z u fa n g e n .
S c h o n im M itte la lte r b e fre m d e te d ie h e illo se G e sc h ic h te in
e in e r W elt, in d e r c h ris ü ic h e W erte a u c h lite ra risch p ro p a g ie rt
w u rd e n . D ie Nibelungenklage, in e n g e r z e itlic h e r N ä h e zu m
E p o s e n tsta n d e n , ist d e r erste B e itra g z u r R e z e p tio n d e s Nibe­
lungenliedes im M itte la lte r selb st. S ie zeigt w e ite re rz ä h le n d
e in e n W eg in d ie Z u k u n ft: d ie B e w ä ltig u n g d es U n te rg a n g s
d u rc h T ra u e r u n d d ie F o r tfü h r u n g d e r H e rrs c h a ft in e in e r
n e u e n G e n e ra tio n .
836 ANHANG

S a c h e r k lä r u n g e n z u m V e r s tä n d n is d e s Nibelungenliedes

Amelungen
Männer des Gefolges Dietrichs von Bern, dessen Herkunftsland »Ame­
lungen« genannt wird. Der Name ist abgeleitet von dem ostgotischen
Königsgeschlecht der Amaler, zu dem Ermanarich und Theoderich d. Gr.
(= Dietrich von Bern) gehören.

Aventiure
l. Begegnung und Ereignis besonderer Art, in dem sich Helden und Rit­
ter bewähren; 2. Erzählung, Bericht über solche Ereignisse; 3. Abschnitt,
Kapitel einer größeren Erzählung, in diesem Sinn in den Zwischenüber­
schriften des N ibelungenliedes verwendet.

Bahrprobe
Rechtsbrauch zur Überführung eines Mörders, gegründet auf die An­
nahme, daß die Wunden des Ermordeten zu bluten beginnen, wenn der
Mörder an die Totenbahre herantritt.

Balmung
Siegfrieds Schwert, das er von den Nibelungenkönigen erhält, das Hagen
nach Siegfrieds Tod an sich nimmt und mit dem Kriemhild Hagen er­
schlägt.

Burg
Wohnanlage adliger Herren, seit dem 11. Jahrhundert aus Stein errichteter
befestigter Gebäudekomplex auf Anhöhen und im Flachland. Die Burgen
bestehen aus dem Palas (Hauptgebäude) mit dem Saal und heizbaren
Wohnräumen (Kemenaten), einem Burgturm (Bergfried), einer Kapelle,
einem Brunnen, Wirtschaftsgebäuden (Ställen, Lagerräumen, Werkstät­
ten) und verschiedenartigen Befestigungen (Mauern mit Toren, Gräben).

Burgunden
Westgermanisches Volk, um 400 am Rhein zwischen Mainz und Worms
ansässig. Unter König Gunther dringen die Burgunden nach Westen ins
Römische Reich vor und werden 436 von den Römern mit hunnischen
Hilfstruppen vernichtend geschlagen. Der Rest des Volkes wird von
Aetius im Rhonegebiet angesiedelt. - Im N ibelungenlied ist das Zentrum
des Burgundenreichs Worms, bestehend aus der königlichen Burg und
der naheliegenden Stadt mit dem Dom (Münster).
ANHANG 837

Dienstmann/Dienstleute (Ministerielle)
Ursprünglich Unfreier im Dienst eines adligen Herrn, mit bestimmten
Aufgaben (Hof-, Verwaltungs-, Kriegsdienst) betraut. Unterschiedliches
Ansehen und sozialer Status der Dienstleute ergeben sich aus der Stel­
lung der Herren (König, Herzoge, verschiedene Adlige) und aus der Art
der Dienste. Gegenleistung des Herren ist die Verleihung eines Dienst­
lehens mit verschiedenen Auflagen (z. B. Abgaben, Zinsleistung).

Drache
Im Mittelalter für real existierend gehaltenes schlangen- oder echsenarti­
ges Tier von unterschiedlichen Erscheinungsformen, u. a. mit Flügeln,
langem Schwanz und feuerspeiend.

Ehre
Ansehen, Würde eines Menschen in seiner gesellschaftlichen Umwelt.
Zentralbegriff in der mittelalterlichen Werteordnung, auf deren wechsel­
seitige Einhaltung die Angehörigen der Gesellschaft idealiter verpflichtet
sind.

Eid
Wahrheitsversicherung mit bestimmten Sprachformeln und rituellen Ge­
sten meist unter Berufung auf Gott, die Heiligen oder mit der Berührung
von heiligen Gegenständen (Reliquien) verbunden.

Eigenmann/Eigenleute
Unfreier Abhängiger eines Herrn mit geminderter Rechtsfähigkeit, ver­
pflichtet zu Diensten und Abgaben, nicht freizügig.

Etzelnburg
Herrschaftssitz des Hunnenkönigs Etzel, das heutige Esztergom = Gran
a. d. Donau, Schauplatz des Untergangs der Nibelungen.

Fahrende/Fahrendes Volk
Umherziehende Leute (mittelhochdeutsch varti = sich fortbewegen)
unterschiedlicher Herkunft, die an Höfen und in Städten als Spielleute,
Schausteller, Gaukler, Musikanten und Sänger zur Unterhaltung auf-
treten.

Fehde
Kriegerische Selbsthilfe des Adels gegen tatsächliche oder vermeintliche
838 ANHANG

Rechtsverletzungen. Die Gewaltanwendung erfolgt unter Berücksichti­


gung bestimmter Regeln: Fehdeansage (Kriegserklärung) und Schwören
von Urfehde (Friedenserklärung).

Fiedel
Wichtigstes Streichinstrument des Mittelalters. Vorform der Geige.

Fürst
Hoher adliger Herr eines Volkes oder Landes: Kaiser, König, Herzog,
Graf, auch Erzbischof oder Bischof als geisdicher Fürst.

Gebände
Kopfbedeckung für verheiratete Frauen, im 12. und 13. Jahrhundert aus
einem um Haare und Kinn gebundenen Schleier oder einem Leinentuch
bestehend.

Hof
1. Zentrum adliger Herrschaft (im N ibelungenlied überwiegend der Kö­
nigsherrschaft); 2. Unmittelbare Nähe des Herrschers, Ort der Begegnung
mit dem Hofherrn oder der Hofherrin, so in den Wendungen »bei Hofe«,
»zum Hof / an den Hof gehen«; 3. Öffentlicher Platz innerhalb der Burg
(Burghof), wo Begegnungen verschiedener Art (Begrüßungen, Turniere
u. a.) stattfinden, wo es zum Streit und zu kämpferischer Auseinander­
setzung kommt.

Hofämter
Vier wichtige Ämter zunächst am Königshof, später auch an anderen
Fürstenhöfen: Truchseß, Marschall, Kämmerer, Mundschenk. Am Ende
des 12. Jahrhunderts kommt der Küchenmeister hinzu. Die ursprünglich
tatsächlich ausgeführten Aufgaben werden zu symbolischen Handlungen
bei besonderen Anlässen, wie der Krönungsfeier; die Amtsbezeichnun­
gen werden zu Titeln für die Verwaltung von Ressortbereichen.

Hunnen
Aus Zentralasien stammendes Reiter- und Nomadenvolk, das im 4. Jahr­
hundert nach Osteuropa vordrang. Im 5. Jahrhundert dehnte sich das
Hunnenreich vom Kaukasus bis zur Donau und an den Rhein aus. Unter
Attila (= Etzel) wurden Kriegszüge nach Gallien unternommen. Nach
Attilas Tod (453) zerfiel das Reich.
ANHANG 839

Kämmerer
i. Inhaber eines der vier alten -» Hofämter, zuständig für die Hofhaltung,
Rechtswahrung und die Finanzen (Hunold im N ibelungenlied); 2. Diener
zur Aufsicht des Schlafgemaches und anderer Räume.

Kaplan
Hofgeistlicher, besonders am Königshof, der ursprünglich die Reliquien
der Hofkapelle betreute, in diesem Sinne im N ibelungenlied verwendet.
Die anderen Bedeutungen (Geistlicher mit besonderen Aufgaben und
Hilfsgeistlicher) kommen in dem Epos nicht vor.

Kebse
Nebenfrau, Bettgenossin. Die negative Bewertung verschiedener Spiel­
arten resultiert im Hochmittelalter aus der Festigung der christlichen
Ehedoktrin (Einverständnis der Braut zu der Ehe und deren Unauflös­
lichkeit).

Kemenate
Heizbarer Raum einer -» Burg, Frauengemach.

Knappe
Junger Mann, der sich zur Ausbildung besonders im Waffengebrauch an
einem Hof aufhalt und durch die Schwertleite zum Ritter wird.

Küchenmeister
Inhaber eines Ende des 12. Jahrhunderts neu geschaffenen königlichen
Hofamtes. (Rumold im N ibelungenlied). Die Nennung des Amtes im
Epos bietet u. a. einen Anhaltspunkt für die Datierung der Entstehung
des Textes.

Lehnsmann/Lehnsleute (Vasall)
Adliger, dem ein Herr ein Lehen (Ländereien oder ein Amt) verliehen
hat, für das er Dienste leisten muß: Rat (Beratung bei Hoftagen) und
Hilfe (Unterstützung im Krieg). Der Herr ist zu Schutz und Schirm des
Lehnsmannes verpflichtet. Beide sind rechtlich miteinander in wechsel­
seitiger Treue verbunden.

Markgraf
Königlicher Amtsträger in einem Grenzgebiet (Mark) mit militärischer
Befehlsgewalt bei Kriegszügen in Feindesland.
840 ANHANG

Marschall
Inhaber eines der vier alten -> Hofämter, das die Aufsicht über den Reit­
stall, das Verkehrswesen und die Führung des Heeres umfaßt (Dankwart
im Nibelungenlied).

Meerfrauen
Nach mittelalterlicher mythischer Vorstellung im Wasser lebende Wesen,
halb Mensch, halb Tier mit übernatürlichen Fähigkeiten: sie sehen die
Zukunft voraus.

Minne/Minnedienst
Allgemein: Liebe auf Gott, den Nächsten, Frau und Mann bezogen, im
religiösen, erotischen und sexuellen Sinn. Speziell: im 12./13. Jahrhundert
in der Literatur propagierter Wert und Handlungsantrieb der höfischen
Gesellschaft als Liebe zwischen Mann und Frau. Sie bewirkt die Vervoll­
kommnung des Mannes, Steigerung seiner Leistung und Glück. Minne
erfordert Dienst des Mannes für die Frau (Bewährung im Kampf, Treue
auch bei Ausbleiben der Liebeserfüllung, Preis der Frau durch Minnelie­
der). - In die heldenepische Welt des Nibelungenliedes ist Minne als wich­
tiges Motiv integriert, angeregt durch den zeitgenössischen Minnesang
und den höfischen Roman.

Morgengabe
Rechtlich festgelegtes Geschenk des Mannes an die Ehefrau am Morgen
nach der Hochzeitsnacht, u. a. als Sicherung für den Fall der Verwitwung.

Mundschenk
1. Inhaber eines der vier alten -» Hofämter. Von der ursprünglichen Ver­
sorgung der königlichen Tafel mit Getränken ist die Zuständigkeit auf di­
verse wichtige Aufgaben am Hof übertragen (Sindold im N ibelungenlied );
2. Untergeordneter Bediensteter, der Getränke einschenkt.

Nibelungen
Im ersten Teil des Nibelungenliedes : Name für die Hortbesitzer im Nibe­
lungenland (König Nibelung, seine Söhne Schilbung und Nibelung) so­
wie ihre und später Siegfrieds Untertanen. - Im zweiten Teil des N ibelu n ­
genliedes: Bezeichnung für die Burgundern die Besitzer des Schatzes
geworden sind.
ANHANG 841

Niederland
Gegend um Xanten am Niederrhein, Heimat und Reich König Sieg­
munds und seines Sohnes Siegfried.

Palas
Hauptgebäude einer Burg, herrschaftliches Wohngebäude.

Rache
Vergeltung erlittenen Unrechts, verübt an Leben, Gut und Ehre der
Schuldigen, von seiten der sich rächenden Familie als Recht und Pflicht
verstanden. Blutrache: Tötung des Schuldigen oder eines seiner Ver­
wandten.

Recke
Kampferprobter, kühner Krieger, Held. Das im Althochdeutschen und
Mittelhochdeutschen vorkommende Wort wurde im 18. Jahrhundert als
typische Bezeichnung der Heldendichtung wiederbelebt.

Reliquien
Überreste von Heiligen (Gebeine, Kleidung, Besitzgegenstände oder Teile
davon). Sie galten als wundertätig und wurden vornehmlich in Kirchen
aufbewahrt.

Ritter
Im Hochmittelalter, besonders in der Literatur, ein Berufsstand aus
Freien und Unfreien, die sich durch besondere Qualitäten (Tugenden) im
Kampf und in der Gesellschaft auszeichnen. Die Ritterwürde wurde
durch die Schwertleite verliehen. Im Spätmittelalter war Ritter ein
Geburtsstand.

Ritterliche Tugenden
Qualitäten, die, auf der christlichen Ethik und den antiken Kardinal­
tugenden basierend, einen -» Ritter auszeichnen sollen. Mit wechselnden
Kombinationen in der höfischen Literatur genannt: Treue und Bestän­
digkeit, Demut gegenüber Gott, Güte und Erbarmen gegenüber den Mit­
menschen, Freigebigkeit und Schutz gegenüber Bedürftigen, Achtung der
Frauen, Tapferkeit im Kampf, Besonnenheit und Maßhalten in allem,
Wahrung der Ehre.
842 ANHANG

Saal
Zentraler Raum im Palas, dem Hauptgebäude der -> Burg, meist im
ersten Stock gelegen.

Sachsen
Im Hochmittelalter Nordwestdeutschland von Hessen und Thüringen bis
zur dänischen Grenze umfassend, Herrschaftsbereich der Welfen im
12. Jahrhundert. - Im N ibelungenlied Name des Volkes und Landes, das
Liudeger beherrscht.

Schwertleite
Initiationsritus für einen Ritter zur Berechtigung, das Schwert zu führen,
Erwerb der Waffen- und Lehnsfähigkeit. Die Erhebung eines Knappen
zum Ritter war in der Regel mit einem kirchlichen Weiheakt verbunden.

Seelgerätsstiftung
Stiftung an die Kirche für das Seelenheil eines Verstorbenen, basierend
auf der Vorstellung, durch Gebete, Messen, Almosen u. a. die Bußzeit der
Seelen im Fegefeuer zu verkürzen und zum Heil im Jenseits beizutragen.

Sonnenwende
Die Zeit der Sommersonnenwende (21./22. Juni) mit den längsten Tagen
wurde bevorzugt zu Festen genutzt.

Spielmann
Umherziehender Musikant und Sänger, der mit dem Vortrag von Dich­
tungen seinen Lebensunterhalt verdient. - Im N ibelungenlied stehen
Wärbel und Schwämmet als Spielleute im Dienst König Etzels und wer­
den als Boten benutzt. Die Bezeichnung wird auf den fiedelspielenden
Volker, einen Lehnsmann der burgundischen Könige, übertragen.

Steigbügeldienst (Stratordienst)
Symbolischer Huldigungsakt eines Lehnsmannes gegenüber seinem
Lehnsherren: Er hält den Steigbügel zum Aufsteigen auf das Pferd und
führt dies am Zügel. Bei der Kaiserkrönung führt der Kaiser das Pferd
des Papstes, von dort auf die Huldigung anderer Vasallen übertragen.

Sühne
Versöhnung eines Rechtsbrechers mit seinem Gegner, um die Rache oder
Fehde zu beenden. Befriedung allgemein.
ANHANG 843

Treue
Rechtlich verbindliche, durch Eid oder Handschlag begründete Bezie­
hung zwischen zwei Personen (Lehnsherr und Lehnsmann, Dienstherr
und Dienstmann) mit der Verpflichtung zu bestimmten Schutz- und Hil­
feleistungen. Treuebruch ist ein Rechtsvergehen. Aus dem Rechtsbereich
wird die Vorstellung auf andere zwischenmenschliche Beziehungen über­
tragen, z. B. auf die Liebesbeziehung. Entsprechend ist im religiösen Be­
reich idealiter das Verhältnis des Menschen zu Gott durch ftdes (Glauben
und Vertrauen) begründet.

Tronje
Hagens Herkunftsort, nach dem er und seine Leute Tronjer genannt wer­
den.

Truchseß
l. Inhaber eines der vier alten -» Hofämter, Verantwortlicher für die
königliche Tafel und weitere Bereiche der Hofhaltung (Ortwin von Metz
im N ibelun gen lied ); 2. Untergeordneter Bediensteter, der bei Tisch ser­
viert.

Turnier
Kampfspiel zur Waffenübung und Akt höfisch-ritterlicher Repräsentation
und Unterhaltung.

Vasall
-> Lehnsmann

V ölkerwanderung
Allgemein: Wanderzüge der germanischen Stämme im 2.-6. Jahrhundert
n. Chr. von Nordeuropa bis Nordafrika. - Speziell: durch den Hunnen­
sturm 375 ausgelöste Bevölkerungsbewegung, die zum Ende des West­
römischen Reiches 476 führte.

Waske
Schwert des Dänen Iring, eines Vasallen des dänischen Fürsten Hawart,
der an Etzels Hof lebt.

Zins
Abgabe in Form von Naturalien oder Geld für Güter, die einem Unter­
gebenen von einem Herrn zur Nutzung überlassen sind.
846 ANHANG

A u s g e w ä h lt e L ite r a t u r h in w e is e

1. Textausgaben und Übersetzungen


Der Nibelunge Not mit der Klage. In der ältesten Gestalt mit den Abwei­
chungen der gemeinen Lesart. Hrsg, von Karl Lachmann. Berlin 1826.
2., erweiterte Aufl. 1841. 5. Aufl. 1878. 6. Aufl. besorgt durch Ulrich Pret­
zel. Berlin i960. [Ausgabe der Handschrift A].
Das Nibelungenlied. Nach der Ausgabe von Karl Bartsch. Hrsg, von Hel­
mut de Boor. 10. Aufl. Leipzig 1940. 22. Aufl. bearbeitet von Roswitha
Wisniewski. 1988. Nachdruck Wiesbaden 1996. [Ausgabe der Hand­
schrift B].
Das Nibelungenlied nach der Handschrift C. Hrsg, von Ursula Hennig.
Tübingen 1977. (Altdeutsche Textbibliothek 83). [Ausgabe der Hand­
schrift C].
Das Nibelungenlied. Paralleldruck der Handschriften A, B und C nebst
Lesarten der übrigen Handschriften. Hrsg, von Michael Stanley Batts.
Tübingen 1971.
Das Nibelungenlied. Mittelhochdeutscher Text und Übertragung (B).
Hrsg., übersetzt und mit einem Anhang versehen von Helmut
Brackert. Frankfurt a. M. 1970/71. 27. Aufl. Frankfurt a. M. 2001.
(Fischer Tb 6038-6039).
Das Nibelungenlied. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem
Text von Karl Bartsch und Helmut de Boor ins Neuhochdeutsche
übersetzt und kommentiert von Siegfried Grosse. Stuttgart 1997.
Durchgesehene und verb. Ausg. 2002. (Reclam Universal-Bibliothek
644).
Die Nibelungenklage. Synoptische Ausgabe aller vier Fassungen. Hrsg.
von Joachim Bumke. Berlin, New York 1999.
Die Nibelungenklage. Mittelhochdeutscher Text nach der Ausgabe von
Karl Bartsch. Einführung, neuhochdeutsche Übersetzung und Kom­
mentar von Elisabeth Lienert. Paderborn/München 2000. (Schöninghs
mediävistische Editionen 5).

2. Forschungsliteratur
2.1. Gesamtdarstellungen des N ibelungenliedes
Otfrid Ehrismann: N ibehm genlied. E p oche-W erk-W irkung. München
1987.
Joachim Heinzle: D as N ibelungenlied. Eine Einführung. M ünchen,
Zürich 1987. Überarb. Neuausg. Frankfurt a. M. 1994. (Fischer Tb.
11843).
ANHANG 847

Werner Hoffmann: Das Nibelungenlied. Stuttgart 1987. 6. Aufl. 1992.


(Sammlung Metzler 7).
Jan-Dirk Müller: Spielregeln für den Untergang. Die Welt des Nibelun­
genliedes. Tübingen 1998.
Jan-Dirk Müller: Das Nibelungenlied. Berlin 2002. (Klassiker-Lektüren 5).
Ursula Schulze: Das Nibelungenlied. Stuttgart 1997. Durchgesehene und
bibliograph. ergänzte Ausg. Stuttgart 2003 (Reclam Universal-Biblio-
thek 17604).

2.2 Sammelbände
Badisches Landesmuseum/Badische Landesbibliothek (Hrsg.): Uns ist in
alten Mären ... Das Nibelungenlied und seine Welt. Darmstadt 2003.
Joachim Heinzle/Klaus Klein/Ute Obhof (Hrsg.): Die Nibelungen. S age-
Epos - Mythos. Wiesbaden 2003.
Joachim Heinzle/Anneliese Waldschmidt (Hrsg.): Die Nibelungen. Ein
deutscher Wahn, ein deutscher Alptraum. Studien und Dokumente
zur Rezeption des Nibelungenstoffs im 19. und 20. Jahrhundert. Frank­
furt a. M. 1991.
Fritz Peter Knapp (Hrsg.): Nibelungenlied und Klage. Sage und Ge­
schichte, Struktur und Gattung. Passauer Nibelungengespräche von
1985. Heidelberg 1987.
Achim Masser (Hrsg.): Hohenemser Studien zum Nibelungenlied. Dorn­
birn 1981.
Klaus Zadoukal (Hrsg.): Pöchlarner Heldenliedgespräch. Das Nibelun­
genlied und der mittlere Donauraum. Wien 1990.
Klaus Zatloukal (Hrsg.): 6. Pöchlarner Heldenliedgespräch. 800 Jahre
Nibelungenlied. Rückblick - Einblick - Ausblick. Wien 2001.

2.3. Einzelbeiträge
Ingrid Bennewitz: Das Nibelungenlied - ein »Puech von Chrimhild«? Ein
geschlechtergeschichtlicher Versuch zum Nibelungenlied und seiner
Rezeption. In: Klaus Zatloukal (Hrsg.): 3. Pöchlarner Heldenlied­
gespräch. Die Rezeption des Nibelungenliedes. Wien 1995. S. 33-52.
Siegfried Beyschlag: Das Motiv der Macht bei Siegfrieds Tod. In: Germa­
nisch-Romanische Monatsschrift 33 (1951/52). S. 95-108. Wiederabge­
druckt in: Karl Hauck (Hrsg.): Zur germanisch-deutschen Heldensage.
Darmstadt 1965. S. 195-213.
Helmut Brackert: Nibelungenlied und Nationalgedanke. Zur Geschichte
einer deutschen Ideologie. In: Mediaevalia litteraria. Festschrift für
Helmut de Boor. München 1971. S. 343-364.
848 ANHANG

Michael Curschmann: Nibelungenlied und Klage. Über Mündlichkeit


und Schriftlichkeit im Prozeß der Episierung. In: Deutsche Literatur
im Mittelalter. Kontakte und Perspektiven. Hugo Kuhn zum Geden­
ken. Stuttgart 1979. S. 85-119.
Otfrid Ehrismann: Das N ibelungenlied in Deutschland. Studien zur Re­
zeption des Nibelungenlieds von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum
Ersten Weltkrieg. München 1975.
Hans Fromm: Der oder die Dichter des Nibelungenliedes? In: Colloquio
italo-germanico sui terna: I Nibelunghi. Rom 1974. S. 437-470. Wieder­
abgedruckt in: H.F.: Arbeiten zur deutschen Literatur des Mittelalters.
Tübingen 1989. S. 275-288.
Harald Haferland: Das Gedächtnis des Sängers. Zur Entstehung der Fas­
sung *C des N ibelungenliedes. In: Ulrich Ernst/Klaus Ridder: Kunst
und Erinnerung. Memoriale Konzepte der Erzählliteratur des Mittel­
alters. Köln, Weimar, Wien 2003. S. 87-195.
Walter Haug: Hat das N ibelungenlied eine Konzeption? In: John Green­
field (Hrsg.): Das N ibelungenlied. Actas do Simpösio Internacional 27
de Outubro de 2000. Porto 2001. S. 27-49.
Walter Haug: Höfische Idealität und heroische Tradition im N ibelungen­
lied. In: Colloquio italo-germanico sui terna: I Nibelunghi. Rom 1974.
S. 35-50. Wiederabgedruckt in: W.H.: Strukturen als Schlüssel zur Welt.
Tübingen 1989. S. 293-307.
Walter Haug: Montage und Individualität im N ibelungenlied. In: Fritz
Peter Knapp (Hrsg.): N ibelungenlied und Klage. Heidelberg 1987.
S. 277-293. Wiederabgedruckt in: W.H.: Strukturen als Schlüssel zur
Welt. Tübingen 1989. S. 326-338.
Joachim Heinzle: Mißerfolg oder Vulgata. Zur Bedeutung der *C-Version
in der Überlieferung des Nibelungenlieds. In: Blütezeit. Festschrift für
Peter Johnson zum 70. Geburtstag. Tübingen 2000. S. 207-220.
Joachim Heinzle: Die Handschriften des N ibelungenliedes und die Ent­
wicklung des Textes. In: Heinzle/KIein/Obhof (Hrsg.): Die Nibelun­
gen. Sage - Epos - Mythos. Wiesbaden 2003. S. 191-212.
Nikolaus Henkel: Die Nibelungenklage und die *C-Bearbeitung des N ib e ­
lungenliedes. In: Heinzle/Klein/Obhof (Hrsg.): Die Nibelungen. Sage -
Epos - Mythos. Wiesbaden 2003. S. 113-133.
Werner Hoffmann: Die Fassung C des N ibelungenliedes und die »Klage«.
In: Frankfurter Beiträge zur Germanistik. Bd. 1. Festschrift für Gott­
fried Weber zu seinem 70. Geburtstag. Bad Homburg v. d. H., Berlin,
Zürich 1967. S. 109-143.
Elisabeth Lienert: Perspektiven der Deutung des Nibelungenliedes. In:
ANHANG 849

Heinzle/Klein/Obhof (Hrsg.): Die Nibelungen. Sage - Kpos - Mythos.


Wiesbaden 2003. S. 91-112.
Volker Mertens: Hagens Wissen - Siegfrieds Tod. Zu Hagens Erzählung
von Jungsiegfrieds Abenteuern, ln: Harald Haferland/Michael Meck­
lenburg (Hrsg.): Erzählungen in Erzählungen. Phänomene der Narra­
tion in Mittelalter und Neuzeit. München 1996. S. 59-69.
Jan-Dirk Müller: Die »Vulgatfassung« des Nibelungenliedes , die Bearbei­
tung *C und das Problem der Kontamination, ln: John Greenfield
(Hrsg.): Das N ibelungenlied. Actas do Simpösio Internacional 27 de
Outubro de 2000. Porto 2001. S. 51-77.
Ulrich Müller: Überlegungen und Versuche zur Melodie des N ibelungen-
liedeSy zur Kürenberger-Strophe und zur sogenannten »Elegie«
Walthers von der Vogelweide. In: Zur gesellschaftlichen Funktionalität
mittelalterlicher deutscher Literatur. Hrsg, von der Ernst-Moritz-
Amdt-Universität. Greifswald 1984. S. 27-42 u. S. 136.
Ursula Schulze: Gunther si min herre, und ich si sin man. Bedeutung und
Deutung der Standeslüge und die Interpretierbarkeit des N ibelungen­
liedes. In: Zeitschrift für deutsches Altertum 126 (1997). S. 32-52.
Ursula Schulze: Das N ibelungenlied und Walther von der Vogelweide. Dis­
kursaktualisierung und konzeptuelle Qualitäten des Epos. In: Vom
Mittelalter zur Neuzeit. Festschrift für Horst Brunner. Wiesbaden
2000. S. 161-180.
Ursula Schulze: Brünhild - eine domestizierte Amazone. In: Gerold Bön-
nen/Volker Gallé (Hrsg.): Sagen- und Märchenmotive im N ibelungen­
lied. Dokumentation des dritten Symposiums von Stadt Worms und
Nibelungenlied-Gesellschaft Worms e.V. vom 21. bis 23. September
2001. Worms 2002. S. 121-141.
Ursula Schulze: Siegfried - ein Heldenleben? Zur Figurenkonstitution im
Nibelungenlied. In: Literarische Leben. Rollenentwürfe in der Literatur
des Hoch- und Spätmittelalters. Festschrift für Volker Mertens zum
65. Geburtstag. Tübingen 2002. S. 669-689.
Burghart Wachinger: Studien zum N ibelungenlied. Vorausdeutungen,
Aufbau, Motivierung. Tübingen i960.
Peter Wapnewski: Rüdigers Schild. Zur 37. Aventiure des N ibelungen­
liedes. In: Euphorion 54. i960. S. 380-410.
Alois Wolf: Heldensage und Epos. Zur Konstituierung einer mittelalter­
lichen volkssprachlichen Gattung im Spannungsfeld von Mündlichkeit
und Schriftlichkeit. Tübingen 1995.
DANKSAGUNG

F ü r v ie lfä ltig e U n te rstü tz u n g b ei d e r A b fa s s u n g d es v o r lie g e n ­


d en B u c h e s d a n k e ich h erzlich Stefan N ied u n d M onika Wolf,
d ie Ü b e rse tz u n g sv o rsc h lä g e e in g e b ra c h t h a b e n , Vera M ilde, d ie
b e i d e r E d itio n d es m itte lh o c h d e u tsc h e n T extes m itg e w irk t h at,
Ricarda Bauschke-Hartung, d ie d as G a n z e k ritisc h g elesen hat,
Irm traud Just u n d Theodor Schmidt, d ie b ei d e r K o rre k tu r d e r
D ru c k fa h n e n m itg e w irk t h a b e n , u n d Lothar Schulze, d e r d en
T ext fü r d en D ru c k v o rb e re ite t hat.
INHALT

Das Nibelungenlied

1. Aventiure:
Von den Nibelungen
(Kriemhild und der Hof in Worms) ............................................ 9

2. Aventiure:
Wie Siegfried erzogen wurde
(Siegfried und der Hof in Xanten) .............................................. 15

3. Aventiure:
Wie Siegfried nach Worms kam
(Siegfrieds Ankunft in Worms) .................................................... 23

4. Aventiure:
Wie Siegfried gegen die Sachsen kämpfte
(Der Sachsen- und Dänenkrieg) .................................................. 53

5. Aventiure:
Wie Siegfried Kriemhild zum ersten Mal erblickte
(Siegfrieds Begegnung mit K riem hild)........................................ 93

6. Aventiure:
Wie sich Gunther auf die Fahrt nach Island
zu Brünhild vorbereitete
(Gunthers H eiratsentschluß).................................................. 113

7. Aventiure:
Wie Gunther mit seinen Gefährten nach Island kam
(Der Werbungsbetrug an Brünhild) ............................................ 133

8. Aventiure:
Wie Siegfried ins Nibelungenland zu seinen Recken reiste
(Siegfrieds Fahrt ins Nibelungenland) .......................................... 163
852 ANHANG

9. Aventi ure:
Wie Siegfried als Bote nach Worms fuhr
(Siegfrieds Berichterstattung in W orm s)...................................... 177

10. Aventiure:
Wie König Gunther in Worms mit Brünhild Hochzeit feierte
(Doppelhochzeit in Worms) ......................................................... 193

11. Aventiure:
Wie Siegfried seine Frau in sein Reich führte
und wie sie dort Hochzeit feierten
(Siegfried und Kriemhild in Xanten) .......................................... 229

12. Aventiure:
Wie Gunther Siegfried und Kriemhild nach Worms einlud,
wo man ihn später erschlagen hat
(Die hinterlistige Einladung nach W orm s).................................. 241

13. Aventiure:
Wie Kriemhild mit ihrem Mann zum Fest reiste
(Siegfrieds und Kriemhilds Reise nach W orm s).......................... 257

14. Aventiure:
Wie die Königinnen miteinander in Streit gerieten
(Der Frauenstreit und der M o rd ra t)............................................ 269

15. Aventiure:
Wie in Worms Fehde angesagt wurde
(Vorbereitung zu Siegfrieds E rm ordung).................................... 289

16. Aventiure:
Wie Siegfried ermordet wurde
(Die Jagd und Siegfrieds Ermordung) ........................................ 303

17. Aventiure:
Wie Kriemhild um ihren Mann trauerte und
wie man ihn begrub
(KriemhildsTrauer und Siegfrieds Begräbnis)............................ 331
ANHANG 853

18. Aventiure:
Wie Kriemhild in Worms blieb und ihr Schwiegervater fortritt
(Abschied von Siegmund) ............................................................. 353

19. Aventiure:
Wie der Nibelungenhort nach Worms gebracht wurde
(Der Hortraub) ............................................................................... 363

20. Aventiure:
Wie König Etzel seinen Boten zu Kriemhild
nach Worms schickte
(Etzels Werbung um Kriemhild) ................................................... 381

21. Aventiure:
Wie Kriemhild von Worms Abschied nahm und
zu den Hunnen reiste
(Kriemhilds Reise zu Etzel) ........................................................... 425

22. Aventiure:
Wie Kriemhild und Etzel in Wien Hochzeit hielten
(Die Hochzeit in Wien) ................................................................... 439

23. Aventiure:
Wie König Etzel und die Herrin Kriemhild ihren Verwandten
in Worms eine Einladung schickten
(Kriemhilds Racheabsichten)......................................................... 455

24. Aventiure:
Wie die Boten an den Rhein kamen und wie sie wieder abreisten
(Die hinterlistige Einladung der Burgunden).................................467

25. Aventiure:
Wie die Könige zu den Hunnen reisten
(Abreise und Donauübergang der B urgunden).............................495

26. Aventiure:
Wie sie mit Else und Gelfrat kämpften und siegten
(Kampf mit den bayrischen M arkgrafen).................................... 521
854 ANHANG

27. Aventiure:
Wie der Markgraf die Könige mit ihren Recken auf seiner Burg
empfing und wie er sie anschließend bewirtete
(Einkehr bei Rüdiger von Bechelarn) .......................................... 543

28. Aventiure:
Wie die Nibelungen in Etzelnburg eintrafen und
wie sie empfangen wurden
(Ankunft der Nibelungen bei Etzel) ............................................ 563

29. Aventiure:
Wie Hagen und Volker vor Kriemhilds Saal saßen
(Konfrontation von Hagen und K riem hild)................................ 577

30. Aventiure:
Wie die Könige mit ihren Recken schlafen gingen
und was sie dann erlebten
(Mißglückter Überfall auf die Nibelungen) ................................ 597

31. Aventiure:
Wie die Burgunden zur Kirche gingen
(Kirchgang und Herausforderung zum Kampf) ...........................607

32. Aventiure:
Wie Blödel mit Dankwart vor der Herberge kämpfte
(Der Überfall auf die K nappen)..................................................... 631

33. Aventiure:
Wie Dankwart seinen Herren am Hof Bescheid gab
(Der Kampf im Saal)......................................................................... 643

34. Aventiure:
Wie Iring gegen Hagen kämpfte und wie dieser dann Erfolg hatte
(Irings Kampf und T o d ) ................................................................... 667

35. Aventiure:
Wie die drei Könige mit Etzel und ihrer Schwester
über Frieden verhandelten
(Nibelungentreue und Saalbrand)................................................. 683
ANHANG 855

36. Aventiure:
Wie Rüdiger erschlagen wurde
(Rüdigers Kampf und Tod) .......................................................... 701

37. Aventiure:
Wie Herrn Dietrichs Recken alle erschlagen wurden
(Kampf und Tod von Dietrichs G etreuen).................................. 733

38. Aventiure:
Wie Herr Dietrich Gunther und Hagen bezwang
(Günthers» Hagens und Kriemhilds T o d ) .................................... 761

Anhang
Nachwort
Zur Entstehung des Nibelungenliedes .......................................... 781
Zur Überlieferung des Nibelungenliedes -
Die Handschrift C .......................................................................... 788
Zur Edition des mittelhochdeutschen T extes.............................. 791
Zur Ü bersetzung............................................................................ 795
Kommentierende Inhaltsübersicht ................................................ 798
Zur Rezeptionsgeschichte des N ib elu n g en lied es ............................ 829
Sacherklärungen zum Verständnis des Nibelungenliedes .....................836
Schauplätze des N ibelu n g en lied es ............................................................844
Ausgewählte Literaturhinweise.............................................................. 846
Danksagung .............................................................................................850

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