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(Winkler Weltliteratur) Ursula Schulze (Hrsg., Übers.) - Das Nibelungenlied_ Nach der Handschrift C der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe. Mittelhochdeutsch und Neuhochdeutsch-Artemis & Winkler (20
(Winkler Weltliteratur) Ursula Schulze (Hrsg., Übers.) - Das Nibelungenlied_ Nach der Handschrift C der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe. Mittelhochdeutsch und Neuhochdeutsch-Artemis & Winkler (20
WELTLITERATUR
DÜNNDRUCK
AUSGABE
DAS NIBELUNGENLIED
4 Ute, eine mächtige Königin, war ihre Mutter. Ihr Vater hieß
Dankrat, nach seinem Tode hatte er den Söhnen das Land ver
erbt; er war ein mächtiger Mann, der in seiner Jugend ebenfalls
großes Ansehen errungen hatte.
8 Daz was von Tronege Hagene und ouch der bruoder sin,
Danchwart der snelle, von Metzen Ortwin,
die zwene marcgraven Gere unde Eckewart,
Volker von Alzeye, mit ganzem eilen wol bewart.
7 Die drei Könige besaßen, wie ich bereits erwähnt habe, unge
wöhnlich große Kampfkraft. Zu ihrem Gefolge gehörten die
besten Recken, die man als stark, tapfer und in harten Kämpfen
als unerschrocken kannte.
« Das waren Hagen von Tronje und sein Bruder, der gewandte
Dankwart, dann Ortwin von Metz und die beiden Markgrafen
Gere und Eckewart sowie Völker von Alzey, im Vollbesitz seiner
Kräfte.
11 Vom Glanz des Hofes und von seiner Machtfülle, von der
großen Würde und von dem ritterlichen Leben, das die Herren
lange Zeit mit Freuden führten, könnte euch bestimmt nie
mand alles vollständig erzählen.
13 Sie erzählte den Traum ihrer Mutter Ute, die ihrer Tochter keine
angenehmere Deutung geben konnte als die: »Der Falke, den
du aufziehst, ist ein adliger junger Mann. Wenn Gott ihn nicht
beschützt, wirst du ihn bald wieder verlieren.«
12 1. AVENTIURE
14 »Was redet ihr da von einem Mann, liebste Mutter? Auf Liebe
zu einem Recken will ich für immer verzichten, dann lebe ich
zufrieden bis an meinen Tod und werde niemals durch die
Liebe in Leid gestürzt.«
is Er war jener Falke, den sie im Traum gesehen und den ihre
Mutter ihr gedeutet hatte. Wie furchtbar rächte es Kriemhild an
ihren nächsten Verwandten, daß sie ihn umbrachten! Wegen
des Todes dieses einen starben vieler Mütter Söhne.
2. A V EN T IU R E
A V EN T IU R E VON S IV R ID E , W IE DER E RZO G EN WART
23 Man erzog ihn mit der Sorgfalt, die seinem Stand geziemte.
Doch welche vornehme Lebensart entwickelte er aus eigenem
Antrieb! Die Länder seines Vaters gewannen später dadurch
Ruhm, daß er sich in jeder Hinsicht ausgezeichnet hervortat.
32 Zur Ehre Gottes feierte man eine Messe. Dann entstand unter
den Leuten dichtes Gedränge, als die Knappen nach altem
Brauch mit so großer Pracht zu Rittern geschlagen wurden, daß
es kaum übertroffen werden konnte.
35 Der König setzte schließlich dem Turnier ein Ende; und die
Pferde wurden weggefiihrt. Man sah auf dem Kampfplatz viele
feste Schildbuckel zerbrochen liegen und zahlreiche Edelsteine
aus den glänzenden Schildspangen ins Gras herabgeschlagen;
das war beim Zusammenprall geschehen.
37 Solchem Vergnügen gaben sie sich den ganzen Tag lang hin.
Viele Fahrende sorgten unermüdlich für Unterhaltung; sie
strengten sich an, da sie großzügig belohnt wurden. Davon
strahlte Ruhm auf Siegmunds ganzes Land aus.
20 2. AV EN TIURE
38 Der König ließ seinen jungen Sohn Länder und Burgen als Le
hen vergeben, wie er selbst es einst getan hatte. Siegfried verlieh
denen besonders viel, die mit ihm Ritter geworden waren. Da
freuten sie sich, daß sie in dieses Land gereist waren.
49 die adlige junge Frau aus Burgund, wegen ihrer großen Schön
heit. Vom Hörensagen weiß ich, daß es selbst für den mächti
gen Kaiser, wenn er sich vermählen wollte, eine Ehre wäre, um
die junge Königstochter anzuhalten.«
52 Doch der starke Siegfried sagte: »Mein lieber Vater, wenn ich
nicht um die werben kann, zu der mich mein Herz hinzieht,
würde ich eher auf die Liebe adliger Frauen überhaupt verzich
ten. Nichts, was jemand dagegen einwenden könnte, brächte
mich von meinem Vorhaben ab.«
54 Selbst wenn es dort nur den Kämpfer Hagen gäbe, könnte sich
der so übermütig und herausfordernd verhalten, daß ich ernst
haft fürchte, wir kommen in Bedrängnis. Jedenfalls habe ich
öfter derartiges über die Burgunden gehört.«
26 3- AVEN TIURE
59 Ich allein will sie gewinnen. Zwölf Gefährten sollen mit mir in
Gunthers Land ziehen. Helft mir dabei, Vater Siegmund.« Da
stattete man seine Begleiter mit grauen, pelzbesetzten Gewän
dern aus.
60 Das erfuhr auch seine Mutter Sieglinde. Sie machte sich Sorgen
um ihren lieben Sohn; denn sie fürchtete Gunthers Kämpfer
sehr. Deshalb begann die edle Königin zu weinen.
62 Nun helft mir bei der Vorbereitung zur Reise nach Burgund,
damit ich und meine Recken solche Gewänder bekommen, die
stolze Kämpfer ehrenvoll tragen können. Dafür will ich euch
immer aufrichtig dankbar sein.«
64 Darauf verneigte sich der kühne Mann mit Anstand vor ihr und
sprach: »Ich werde auf der Fahrt nur zwölf Begleiter bei mir
haben, denen soll man die Kleidung zurechtmachen. Ich freue
mich zu erkunden, wie Kriemhild wirklich ist.«
65 Tag und Nacht saßen nun schöne adlige Frauen an der Arbeit;
keine gönnte sich die geringste Ruhe, bis sie die Gewänder für
Siegfried vollendet hatten. Er wollte seine Reiseabsicht keines
falls aufgeben.
66 Sein Vater ließ die ritterliche Ausrüstung, mit der Siegfried ins
Burgundenland ziehen wollte, bestens herrichten. Ihre glänzen
den Brustpanzer, die festen Helme und die schönen, großen
Schilde wurden bereitgelegt.
67 Dann kam der Tag ihrer Abreise nach Burgund. Alle waren
voller Sorge, wie es Siegfried ergehen werde, ob er und seine
Gefährten jemals wieder in ihr Land zurückkehren würden.
Schließlich lud man die Waffen und Gewänder für die Helden
auf die Lasttiere.
69 Traurig gingen der König und seine Gemahlin darauf ein. Sieg
fried tröstete beide liebevoll und sagte: »Ihr sollt meinetwegen
nicht weinen: um mein Leben braucht ihr keine Angst zu ha
ben.«
70 Für die Recken war der Abschied schmerzlich, auch viele Mäd
chen weinten. Ich glaube, ihr Herz sagte ihnen wohl, daß man
che ihrer Freunde durch dieses Unternehmen umkommen
würden. Sie klagten zu Recht; denn schließlich ergab sich wirk
lich Grund dazu.
72 Ihre Schilde waren neu, stark und breit, ihre Helme hell, als der
kühne Siegfried in Gunthers Land einritt. Noch nie hatte man
Helden in so herrlicher Ausstattung gesehen.
82 Dem sint kunt diu riche und ouch diu fremden lant.
mager si bekennen, daz tuot er uns bêchant. «
in hiez der chunic bringen, mit den sinen man
sach man in zuhtekliche ze hofe fur den chunic gan.
SIEGFRIEDS AN K U N FT IN WORMS 33
76 Als sie die Pferde wegfiihren und versorgen wollten, sagte der
starke Siegfried zu den Helden: »Laßt die Pferde noch eine
Weile für uns stehen. Wir wollen bald wieder fortreiten; das ist
jedenfalls meine Absicht.
77 Man soll auch unsere Schilde nicht forttragen. Kann mir je
mand sagen, wo ich den König finde, den mächtigen Gunther
aus dem Burgundenland?« Da gab ihm einer von ihnen, der
Bescheid wußte, Auskunft:
82 Der kennt die Welt und fremde Länder. Wenn ihm diese Herren
bekannt sind, dann wird er uns das sagen.« Der König ließ
Hagen und seine Leute rufen. Man sah ihn alsbald in ein
drucksvollem Zug mit seinen Begleitern am Hofe vor den
König hintreten.
34 3- AVENTIURE
88 Als der Held einst allein, ohne jede Begleitung, ausgeritten war,
fand er vor einem Berg, wie ich gehört habe, viele tapfere Män
ner bei dem Schatz der Nibelungen. Vor dieser Begegnung hatte
er sie nicht gekannt.
90 Er ging so nahe heran, daß er die Recken sehen konnte und sie
ihn auch. Einer von ihnen sagte: >Hier kommt der starke Sieg
fried, der Held aus Niederlande Höchst merkwürdige Dinge
erlebte er bei den Nibelungen:
93 Zum Lohn gaben sie ihm das Schwert Nibelungs. Doch mit
dem Dienst, den ihnen der tapfere Mann erweisen sollte, waren
sie schlecht bedient. Als er die Teilung nicht zu Ende bringen
konnte, wurde der Held von ihnen bedrängt.
102 Do sprach der chunich riche: »du mäht wol haben war.
nu sich wie degenliche er stet gein strites var,
er unt die sine degene, der wunderchüene man.
wir suln im begegene hin nider zuo dem recken gan.«
103 »Daz mugt ir«, sprach do Hagene, »wol mit eren tuon.
er ist von hohem chunne, eines riehen kuniges suon,
er stet in der gebaere, mich dunchet, wizze Christ,
ez ensin niht kleiniu maere, darumbe er her geriten ist.«
SIEGFRIED S A N K U N FT IN WORMS 39
100 Ich weiß noch mehr von ihm, was ich gehört habe. Einen Dra
chen hat Siegfried getötet. Dann badete er in dessen Blut; da
durch hat der großartige Held eine so feste Haut bekommen,
daß ihn seitdem nie wieder eine Waffe verletzen konnte.
102 Der mächtige König antwortete: »Du hast sicher recht. Sieh
nur, wie verwegen und kampfbereit der außerordentlich kühne
Mann und seine Kämpfer dastehen. Wir werden dem Recken
entgegengehen.«
103 »Das könnt ihr tun«, sagte Hagen, »ohne eure Ehre zu beschä
digen. Er stammt aus edlem Geschlecht als Sohn eines mächti
gen Königs. Nach der Art seines Auftretens zu urteilen, scheint
mir, bei Gott, es handelt sich um eine wichtige Sache, deret-
wegen er hierhergeritten ist.«
40 3. AV EN TIURE
109 Ich bin ouch ein recke und solde chrone tragen,
ich wil daz gern fliegen, daz si von mir sagen,
daz ich habe von rehte liute unde lant.
darumbe sol min ere und min houbt wesen pfant.
los Der Landesherr und sein Gefolge empfingen den Gast so, wie es
dem höfischen Anstand entsprach. Siegfried, der kühne Mann,
verneigte sich. Man sah ihn mit seinen Recken in formvollen
deter Haltung dastehen.
106 »Ich bin gespannt«, sagte der König sogleich, »weshalb ihr,
edler Siegfried, in dieses Land gekommen seid oder was ihr
in Worms am Rhein vorhabt.« Da antwortete der Gast dem
König: »Das soll euch nicht verborgen bleiben.
107 Mir wurde im Land meines Vaters berichtet, daß es hier bei
euch die tapfersten Recken gäbe, die je ein König um sich ver
sammelte. Ich bin hergekommen, um mich von dem zu über
zeugen, was ich gehört habe.
io« Auch wurdet ihr selbst solcher Kühnheit gerühmt, daß es kei
nen mutigeren König geben soll. Von eurem Ruhm spricht man
viel in allen Ländern. Nun will ich auf jeden Fall feststellen, ob
das zutrifit.
109 Ich bin selbst ein Fürst und sollte bereits die Königskrone
tragen. Aber ich möchte erreichen, daß man von mir sagt, ich
besäße die Herrschaft über Land und Leute zu Recht. Dafür
will ich mein Ansehen und meinen Kopf einsetzen.
i io Auch wenn ihr so tapfer seid, wie mir berichtet wurde, habe ich
die Absicht, ganz gleich, ob es jemandem paßt oder nicht, euch
alles, was ihr besitzt, mit Gewalt abzuringen. Euer Land und
eure Burgen sollen mir untertan sein.«
42 3- AV EN TIU RE
113 »Ich enwil es niht erwinden«, sprach aber der chüene man.
»ez enmuge von dinem eilen din lant den vride han,
ich wils alles walten, und ouch diu erbe min,
erwirbestuz mit eilen, die suln von rehte wesen din.
111 Den König und alle seine Leute versetzte die Rede, die sie ver
nahmen, in höchste Verwunderung, daß nämlich Siegfried dar
auf aus war, Gunther seine Länder streitig zu machen. Als seine
Kämpfer das hörten, gerieten sie in Zorn.
114 Dein Land und das meine bilden den gleichen Einsatz: Wer von
uns beiden den anderen besiegen kann, dem soll alles untertan
sein, Leute und Land.« Da widersprach als einziger Gernot
sofort.
ii? Wenn ihr und eure Brüder keine Gegenwehr aufbringt und
selbst wenn Siegfried dann ein großes königliches Heer aufböte,
traute ich mir zu, so gut zu kämpfen, daß der kühne Mann
seine große Überheblichkeit unbedingt aufgeben müßte.«
44 3- AVENTIURE
119 Da rief Ortwin von Metz laut nach Schwertern; damit erwies er
sich als Neffe Hagens von Tronje. Daß dieser so lange schwieg,
ärgerte den König. Da trat Gernot, der kühne und stolze Ritter,
vermittelnd dazwischen.
121 Darauf antwortete Hagen: »Wir, und zwar alle eure Kämpfer,
sind zu Recht betroffen, daß Siegfried hierher an den Rhein ge
kommen ist, um uns zum Kampf herauszufordern. Das hätte
er besser unterlassen sollen. Meine Herren hätten ihm niemals
eine solche Beleidigung zugefugt.«
122 Doch Siegfried, der starke Mann, entgegnete: »Wenn euch das
kränkt, Herr Hagen, was ich gesagt habe, dann werde ich deut
lich machen, daß ich mich hier im Burgundenland mit Gewalt
durchsetzen kann.«
123 »Das werde ich auf jeden Fall verhindern«, erwiderte Gernot. Er
verbot allen seinen Kämpfern, irgend etwas Herausforderndes
zu sagen, was den Gast beleidigen könnte. Da fiel Siegfried das
wunderbare Mädchen wieder ein.
46 3- AV EN TIURE
126 »Ir suit uns wesen willechomen«, sprach Giselher daz kint,
»und iwer hergesellen, die hie mit iu sint.
wir suln iu gerne dienen, ich und die mage min.«
do hiez man den gesten schenchen Guntheres win.
127 Do sprach der wirt des landes: »allez daz wir han,
geruochet irs nach eren, daz si iu undertan,
und si mit iu geteilet, lip unde guot.«
do wart der herre Sivrit ein luzzel senfter gemuot.
124 »Es ziemt sich nicht für uns, mit euch zu kämpfen«, sagte wie
derum Gernot. »Da viele Helden dabei den Tod finden müßten,
hätten wir wenig Ehre davon, darauf einzugehen.« Da antwor
tete Siegfried, König Siegmunds Sohn:
125 »Warum zögert Hagen wie auch Ortwin, zusammen mit seinen
Freunden, von denen er so viele im Burgundenland hat, sofort
den Kampf aufzunehmen?« Sie mußten auf eine Antwort ver
zichten; das entsprach Gernots Anweisung.
126 »Seid uns mit euren Kampfgefährten, die euch begleiten, will
kommen«, sagte der junge Giselher. »Wir werden euch gern zu
Diensten stehen, ich und meine Verwandten.« Daraufhin ließ
man den Gästen Gunthers Wein einschenken.
128 Ihre Rüstungen ließ man in Verwahrung nehmen. Man gab ih
nen die bestmögliche Unterkunft und sorgte für die Bequem
lichkeit von Siegfrieds Knappen. Er selbst war seitdem bei den
Burgunden ein gerngesehener Gast.
129 Danach erwies man ihm viele Tage lang große Ehre, tausend
mal mehr, als ich euch sagen könnte. Das verdankte er seiner
Kraft. Ihr könnt glauben, niemand betrachtete ihn mit feind
lichen Gedanken.
no Die Könige und ihr Gefolge vertrieben sich die Zeit mit höfi
schen Spielen. Siegfried war bei allem, was man unternahm,
immer der Beste. Seine Kraft war so groß, daß keiner ihm
gleichkam, wenn sie den Stein oder den Speer warfen.
48 3. AV EN TIURE
131 Überall, wo die stattlichen Ritter nach höfischer Sitte den Da
men des Hofes ihre Spiele vorfiihrten, sah man den Helden aus
Niederland stets gern. Sein Herz aber war von Liebessehnsucht
erfüllt.
132 Die schönen Damen des Hofes fragten, wer denn der stolze
fremde Recke wäre. »Seine Gestalt ist so schön, seine Kleidung
so prächtig!« Da erhielten sie von vielen Seiten die Antwort: »Es
ist der König von Niederland.«
134 Immer, wenn auf dem Hof die jungen Leute, Ritter und Knap
pen, ihre Kampfspiele begannen, sah Kriemhild, die stolze
Königin, von den Fenstern aus zu. Eine andere Unterhaltung
brauchte sie nicht mehr.
135 Wenn Siegfried gewußt hätte, daß sie, die er in sein Herz ge
schlossen hatte, ihn beobachtete, dann wäre seine Freude groß
gewesen. Sie endlich sehen zu können, glaubt mir, nichts auf
der Welt hätte ihm mehr bedeutet.
136 Immer, wenn er neben den Recken auf dem Hof stand, so wie
es die Leute noch heute bei den Kampfspielen tun, wirkte
Sieglindes Sohn derart liebenswert, daß ihm die Herzen vieler
Damen zuflogen.
137 Er aber dachte die ganze Zeit: »Wie wird es möglich sein, daß
ich die junge Fürstin, die ich schon so lange herzlich liebe, end
lich mit eigenen Augen sehe? Ich habe sie immer noch nicht
kennengelernt, und das macht mich oft traurig.«
50 3- AV EN TIURE
142 Ihre Boten waren in feindlichem Auftrag ins Land der Bur-
gunden gekommen. Man fragte die unbekannten Männer nach
ihrer Botschaft und führte sie sogleich zum Hof vor den
König.
144 »Wenn ihr, Herr König, uns gestattet, euch die Botschaft vorzu
tragen, die wir bringen, dann werden wir nicht schweigen, son
dern euch die Herren nennen, die uns hergesandt haben: Es
sind Liudegast und Liudeger. Sie wollen gegen euer Land Krieg
führen.
54 4- AVEN TIURE
us Ihr habt ihre Feindschaft auf euch gezogen und könnt glauben,
daß beide Recken von großem Haß gegen euch erfüllt sind. Sie
wollen mit ihrem Heer nach Worms an den Rhein reiten. Viele
Kämpfer unterstützen sie, daran solltet ihr nicht zweifeln.
146 Der Kriegszug wird innerhalb von zwölf Wochen erfolgen. Habt
ihr Freunde, die eure Burgen und euer Land beschützen helfen,
bietet sie schnell auf. Unsere Herren werden hier viele stattliche
Schilde im Kampf zerschlagen.
147 Doch wenn ihr verhandeln wollt, teilt ihnen das mit; dann
reiten die großen Heerscharen nicht so weit bis nach Worms
an den Rhein, um euch hart anzugreifen, was vielen tapferen
Rittern das Leben kosten würde.«
148 »Nun gebt mir etwas Bedenkzeit«, sagte der edle König, »ich
teile euch dann meine Absicht mit. Ich habe treue Verbündete,
denen werde ich die unerhörten Nachrichten nicht verschwei
gen, ich will sie meinen Freunden kundtun.«
151 »Dagegen werden wir uns mit unseren Schwertern zur Wehr
setzen«, entgegnete Gernot. »Sterben werden nur die, denen es
bestimmt ist, sie bleiben tot auf dem Kampfplatz zurück. Des
halb kann ich meine Ehre nicht vergessen. Unsere Angreifer
sollen uns willkommen sein.«
56 4- AVEN TIURE
152 Do sprach der starche Hagene: »daz endunchet mich niht guot.
Liudegast und Liudeger die tragent ubermuot.
wir mugen uns niht besenden in so churzen tagen«,
so sprach der chüene recke: »wan muget irz Sivride sagen?«
156 »Jane mag ich allen liuten die swaere niht gesagen,
die ich muoz tougenliche in mime hercen tragen,
man soi staeten friunden chlagen hercen not.«
diu Sivrides varwe wart beidiu bleich unde rot.
152 Darauf sagte der starke Hagen: »Das scheint mir unklug. Liu-
degast und Liudeger sind sehr verwegen. In so kurzer Zeit kön
nen wir unsere Truppen nicht versammeln«, dann fügte der
kühne Recke hinzu: »Warum könnt ihr Siegfried nicht Bescheid
sagen?«
153 Die Boten ließ man in der Stadt unterbringen. Der mächtige
Gunther hatte Anweisung gegeben, sie trotz allem gut zu ver
sorgen, auch wenn man sie als Feinde betrachtete. Und das war
klug so, bis er gehört hatte, wer von seinen Freunden ihn unter
stützen würde.
155 »Ich verstehe nicht«, fragte Siegfried, »wieso ihr die fröhliche
Art, in der ihr bisher mit uns umgegangen seid, plötzlich ins
Gegenteil verkehrt habt.« Darauf antwortete ihm Gunther, der
angesehene Kämpfer:
iss »Ach, ich kann über meine Sorgen nicht öffentlich sprechen,
ich muß sie in meinem Herzen verborgen halten. Nur verläßli
chen Freunden soll man seine inneren Bedrängnisse klagen.«
Siegfried wurde blaß und gleich danach rot.
157 Er entgegnete dem König: »Nehmt meinen Eid, ich werde euch
helfen, alle Bedrohung abzuwehren. Wenn ihr Freunde sucht,
werde ich einer sein, und sicher halte ich dieses Versprechen bis
an mein Lebensende.«
58 4. AV EN TIURE
158 »Nu lone iu got, her Sivrit, diu rede mich dunchet guot,
und ob mir nimmer helfe iwer eilen getuot,
ich frewe mich doch der maere, daz ir mir sit so holt,
lebe ich deheine wile, ez soi werden wol verscholt.
159 Ich wil iuch lazen hoeren, warumbe ich trurich stan:
von boten miner viende ich daz vernomen han,
daz si mich suochen wellen mit herverten hie.
daz getaten uns noch degene her zuo disen landen nie.«
15« »Das lohne euch Gott, Herr Siegfried, eure Rede gefällt mir,
und selbst wenn ihr eure Kraft nicht für mich einsetzt, freue ich
mich doch darüber, daß ihr mir so zugetan seid. Bleibe ich
noch einige Zeit am Leben, soll euch das vergolten werden.
159 Ich will euch sagen, warum ich so bedrückt bin: Von Boten
meiner Feinde habe ich erfahren, daß mich ihre Herren mit
Heeresmacht angreifen wollen. Das wagten uns in diesem Land
bisher noch nie irgendwelche Kämpfer anzutun.«
162 »So stellt mir tausend eurer Leute zur Verfügung, da ich selbst
nur zwölf Kämpfer bei mir habe, dann schütze ich euer Land.
Siegfried wird euch immer treu zu Diensten stehen.
163 Hagen soll dabei helfen und auch Ortwin sowie Dankwart und
Sindold, deine treuen Recken. Außerdem soll der kühne Völker
mitreiten. Er muß die Fahne tragen; das kommt, meine ich,
niemandem eher zu.
164 Nun schickt die Boten in ihr Land zurück. Laßt ihren Herren
mitteilen, daß sie uns dort bald sehen werden, damit unsere
Burgen Frieden haben.« Da ließ der König seine Verwandten
und Lehnsleute zusammenrufen.
60 4- AVEN TIURE
165 Die Boten Liudegers kamen an den Hof. Sie waren sehr froh,
daß sie in ihr Land zurückziehen sollten. Der edle König
Gunther machte ihnen sogar wertvolle Geschenke und ge
währte ihnen sein Geleit; dadurch fühlten sie sich geehrt.
167 Den Boten brachte man kostbare Gaben, von denen der mäch
tige König reichlich verteilen ließ. Liudegers Leute wagten
nicht, sie zurückzuweisen. Dann verabschiedeten sie sich und
zogen erleichtert von dannen.
169 Man berichtete ihm, sie hätten viele tapfere Männer, und unter
ihnen hätte man einen vor Gunther stehen sehen, der heiße
Siegfried, ein Held aus Niederland. Liudegast war betroffen, als
er die Nachricht richtig begriff.
170 Sobald die Dänen davon erfuhren, bemühten sie sich, so viel
Unterstützung zusammenzubringen, daß König Liudegast etwa
zwanzigtausend Verwandte und Verbündete als Kämpfer für
den Feldzug bereitstanden.
171 Dann rüstete sich auch der kühne Liudeger von Sachsen, bis
beide zusammen über mehr als vierzigtausend Mann verfügten,
mit denen sie in Gunthers Land einreiten wollten. Inzwischen
hatten sich auch am Rhein die drei Könige vorbereitet
62 4. AVEN TIURE
172 mit den Burgunden und anderen starken Verbündeten, die sie
zum Kampf aufbieten wollten. Eilig besorgten sie alles, was für
die Helden notwendig war. Trotzdem konnten einige Kämpfer
später dem Tod nicht entgehen.
174 Mit ihnen ritten auch Sindold und Hunold, die das Gold mäch
tiger Könige wohl verdienten; der gewandte Dankwart und
Ortwin nahmen ebenfalls ehrenvoll an dem Kriegszug teil.
176 Ich werde dafür sorgen, daß diejenigen, die euch hier in Worms
am Rhein heimsuchen wollten, euch keinen Schaden zufügen
können. Wir werden so weit in ihr Land eindringen, daß ihr
Übermut in Furcht umschlägt.«
177 Vom Rhein aus ritten sie mit ihren Helden durch Hessen Rich
tung Sachsen; dort wurde später gekämpft. Zuerst verwüsteten
sie das Land mit Raub und Brand, so daß die Nachricht die
beiden Fürsten schwer traf.
iso »So wil ich selbe riten«, sprach Sivrit der degen,
»unde wil der warte gein den vienden pflegen,
unz ich vil rehte ervinde, wa die recken sint.«
do wart gewafent balde der schoenen Sigelinde kint.
183 Do het ouch sich ein recke von den vienden dar
erhaben uf die warte, der was ze vlize gar.
den sach der herre Sivrit, und in der chüene man.
ietweder do des andern mit nide goumen began.
184 Ich sage iu, wer der waere, der hie der warte pflach.
ein liehter schilt von golde im vor der hende lach,
ez was der kunich Liudegast, der huote siner schar;
dirre gast vil edele ernante vil herlichen dar.
DER SA CHSEN- UN D DÄNENKRIEG 65
iso »Ich selbst will losreiten«, sagte Siegfried der Kämpfer, »und
nach den Feinden Ausschau halten, bis ich genau feststelle, wo
sich die Recken aufhalten.« Sogleich wurde der Sohn der schö
nen Sieglinde ausgerüstet.
182 Dort sah er das mächtige Heer auf dem Feld lagern; im Ver
gleich zu seinen Truppen war es übermäßig groß, wohl vierzig
tausend Mann oder noch mehr. Der selbstbewußte Held ver
stand das aber durchaus als Herausforderung.
183 Auch ein Recke von der feindlichen Seite befand sich höchst
wachsam auf Beobachtungsposten. Den erblickte Siegfried, und
der tapfere Mann sah ihn. Feindselig schaute einer zum ande
ren hinüber.
184 Ich sage euch, wer der Späher auf der Gegenseite war. Einen
goldglänzenden Schild trug er vor sich in der Hand. Es war der
König Liudegast, der selbst für sein Heer als Vorposten ausge
ritten war. Siegfried, der hochadlige Fremde, fühlte sich kampf
bereit.
66 4- AVENTIURE
iss Jetzt hatte Herr Liudegast auch ihn als Feind erkannt. Beide ga
ben ihren Pferden die Sporen, sie richteten ihre Lanzen kraft
voll auf den Schild des Gegners aus. Dadurch geriet der stolze
König in große Bedrängnis.
186 Nach dem Lanzenstechen trugen die Pferde die beiden mächti
gen Königssöhne wie ein Sturmwind aneinander vorbei. Dann
wurden in ritterlicher Kampfart die Zügel herumgerissen; und
die beiden zornerfüllten starken Männer ritten mit den Schwer
tern aufeinander los.
187 Herr Siegfried schlug zu, daß es über das ganze Feld dröhnte.
Aus dem Helm des Gegners ließ er heiße Feuerfunken hervor
sprühen wie bei einem großen Brand. Der König aus Nieder
land kämpfte mit ungeheurer Kraft.
188 Auch Herr Liudegast traf Siegfried mit vielen heftigen Schlä
gen. Die Kraft eines jeden lastete schwer auf den Schilden. In
zwischen waren etwa dreißig Männer als Beobachter herbei
geritten; doch bevor sie ihrem Herrn Hilfe leisten konnten,
hatte Siegfried den Sieg schon errungen
189 mit drei schweren Wunden, die er dem König durch seinen
glänzenden, festen Brustpanzer geschlagen hatte. Die Schnei
den des Schwertes ließen Blut aus den Wunden fließen. Das
entmutigte Herrn Liudegast.
190 Er bat, ihn am Leben zu lassen, und bot Siegfried seine Länder,
indem er sich als Liudegast zu erkennen gab. Dann kamen seine
Recken heran, sie konnten genau sehen, was sich zwischen den
beiden auf dem Vorposten abgespielt hatte.
68 4- AVEN TIURE
196 Ihr H elden vom R h ein , folgt m ir: Ich kann euch geradew egs zu
Liu degers H eer h in fu hren . Seht zu, daß ihr d o rt die H elm e der
tapferen H elden zerschlagt, b evor w ir w ied er ins B u rgu n d en -
land zurückkehren .«
70 4- AVENTIURE
197 Gernot und seine Leute eilten zu ihren Pferden. Der kühne
Volker, der starke Fiedler, ergriff die Fahne und ritt dem Hee
reszug voran. Das Gefolge war trefflich zum Kampf gerüstet.
198 Sie führten nicht mehr als tausend Mann mit sich und außer
dem zwölf ausgewählte Recken. Als sie durch das Land ritten,
wirbelte der Staub von den Straßen auf. Man sah bei ihnen eine
Menge prächtiger Schilde funkeln.
199 Inzwischen waren auch die Sachsen mit ihren Truppen ange
langt, sie trugen scharfe Schwerter, wie wir später erfahren
haben. Damit schlugen die Recken tiefe Wunden. Auf diese
Weise wollten sie ihre Burgen und ihr Land gegen die Fremden
verteidigen.
200 Die Anführer der Dänen und Sachsen zogen mit ihrem Kriegs
volk auf. Inzwischen war auch Siegfried mit den Begleitern, die
er aus Niederland mitgebracht hatte, dort hingekommen. An
diesem Tage wurden im Sturm viele Schilde blutig.
202 Volker, Hagen und Ortwin löschten kämpfend den Glanz zahl
loser Helme mit fließendem Blut; sie waren tapfere Männer.
Auch Dankwart vollbrachte bewundernswerte Taten.
203 Die Dänen hielten sich gut. Man hörte die Schilde im Zu
sammenprall dröhnen und ebenso die scharfen Schwerter, die
überall gegeneinanderschlugen. Die kampftüchtigen Sachsen
schwächten die Gegner erheblich.
72 4- AVENTI URE
209 Do wart ein michel dringen und groz der swerte klanch,
do ir ingesinde zuo zein ander dranch.
do versuohten sich die recken beidenthalben baz.
die schar begunden wichen; sich huop da grozlicher haz.
2io Dem vogete von den Sahsen was daz wol geseit,
sin bruoder was gevangen; daz was im harte leit.
wol wesser, daz iz tete daz Sigelinde kint.
man zeh is Gernoten, vil wol ervant er iz sint.
DER SA CHSEN- UND DÄ NENKRIEG 73
204 Als die Burgunden zum Angriff vordrangen, schlugen sie viele
tiefe Wunden. Man sah das Blut von den Sätteln herabfließen.
So stritten die kühnen, ausgezeichneten Ritter um ihr Ansehen.
205 Man hörte die scharfen Waffen in der Hand der Helden laut
aufklingen, als die Kämpfer aus Niederland hinter ihrem Herrn
in die gegnerischen Truppenscharen eindrangen. Tapfer stürm
ten sie mit Siegfried voran.
207 Dreimal hatte sich Siegfried schon von Anfang bis Ende durch
das feindliche Heer geschlagen, als Hagen zu ihm stieß und ihm
half, seinen Kampfesmut in die Tat umzusetzen. An diesem
Tage fanden viele tapfere Ritter von ihrer Hand den Tod.
208 Als der starke Liudeger Siegfried erkannte und sah, daß er das
scharfe Schwert erhoben in der Hand hielt und damit so viele
von ihnen erschlug, erfaßten den kühnen Mann Leid und hefti
ger Zorn.
210 Dem Herrn der Sachsen hatte man sicher berichtet, daß sein
Bruder in Gefangenschaft geraten war; das traf ihn hart. Er
wußte sehr wohl, daß Sieglindes Sohn das getan hatte. Zwar
schrieb man die Tat zuerst Gernot zu, aber später wurde das
richtiggestellt.
74 4- AVENTIURE
215 Dann schlug Siegfried dem Gegner den Schild aus der Halte
rung. Der Held von Niederland war sich des Sieges über die
kühnen Sachsen, die sehr bedrängt wurden, sicher. Welch glän
zende Kettenpanzer zerbrach der gewandte Dankwart!
216 Als Herr Liudeger die Krone entdeckte, die auf Siegfrieds Schild
gemalt war, wußte er, wer der übermütige Mann war. Laut rief
der Held seinen Freunden zu:
217 »Laßt ab vom Kampf, Verwandte und alle meine Leute! Ich
habe hier Siegmunds Sohn, den starken Helden von Niederland
erkannt. Ihn hat der böse Teufel zu uns nach Sachsen ge
schickt.«
76 4- AVENTI URE
221 Die besiegten Recken ritten nach Dänemark zurück. Auch die
Sachsen hatten nicht so tüchtig gekämpft, daß sie Lob verdien
ten. Das empfanden die Helden als Schmach. Außerdem wur
den die Gefallenen von ihren Freunden sehr beklagt.
222 Die Burgunden ließen die Waffen wieder auf Lasttiere laden
und an den Rhein zurückbringen. Der starke Siegfried und
seine Recken hatten sich bestens bewährt, es war ein großer Er
folg. Das mußten alle Leute Gunthers bestätigen.
223 Herr Gernot sandte Boten nach Worms voraus. Er ließ den
Freunden zu Hause in seinem Land kundtun, wie der Kampf
für ihn und seine Leute ausgegangen war: Die kühnen Männer
hätten großen Ruhm erworben.
225 wie die Leute des mächtigen Königs den Sieg errungen hätten.
Einen der Boten ließ Kriemhild zu sich kommen, und zwar
ganz geheim, öffentlich vor der Hofgesellschaft wagte sie es
nicht, denn unter den Kämpfern war der, den sie von Herzen
liebte.
226 Als sie den Boten in ihre Kemenate treten sah, bat die schöne
Kriemhild freundlich: »Bring mir eine erfreuliche Botschaft; ich
will dich dafür mit meinem Gold belohnen. Wenn du die
Wahrheit berichtest, werde ich dir immer gnädig sein.
227 Wie haben mein Bruder Gernot und meine anderen Freunde
den Kampf überstanden? Sind etwa viele zu Tode gekommen?
Wer hat sich als der Beste hervorgetan? Das sollst du mir sa
gen.« Darauf antwortete der redliche Bote: »Wir hatten in unse
ren Reihen keinen einzigen Feigling.
231 Auch die Geliebten vieler Frauen sind im Kampf gefallen. Sieg
frieds Schwertschläge hörte man laut auf den Helmen dröhnen,
als sie blutige Wunden schlugen. Er ist in jeder Hinsicht ein
kühner, tüchtiger Ritter.
232 Ortwin von Metz hat ebenfalls viel geleistet. Alle, die er zu fas
sen bekam, blieben verwundet oder meistens tot auf dem
Kampfplatz liegen. Euer Bruder Gernot brachte die Feinde in
die allergrößte Bedrängnis,
234 Man sah, wie sie viele Reiter vom Sattel stießen. Über das ganze
Kampffeld war das Klirren ihrer blitzenden Schwerter zu hören.
Die Recken vom Rhein haben so gekämpft, daß ihre Feinde das
Zusammentreffen lieber hätten vermeiden sollen.
235 Auch die mutigen Leute Hagens von Tronje haben den Gegnern
viel Leid zugefügt, als die Kriegsscharen aufeinanderstießen.
Der kühne Hagen selbst hat viele Feinde tödlich getroffen. Dar
über gäbe es hier im Burgundenland noch mehr zu berichten.
236 Sindold und Hunold, die Dienstleute Gernots, und der tapfere
Rumold haben so gut gekämpft, daß es Liudeger ewig leid tun
wird, meinen Herren am Rhein den Krieg erklärt zu haben.
237 Doch die Kriegstaten, die alles übertrafen, was man dort vom
Anfang bis zum Ende des Kampfes sehen konnte, hat Siegfried
ganz allein vollbracht. Und er bringt angesehene Geiseln mit in
Gunthers Land.
82 4- AV EN TIURE
244 Man gab im sine miete, daz golt und ouch diu chleit.
do gie an diu venster vil manic schoeniu meit.
si warten uf die straze, riten man do vant
vil der hochgemuoten in der Burgonden lant.
DER SACHSEN- UND DÄNENKRIEG 83
238 Die hat der außergewöhnliche Mann mit seiner Kraft überwäl
tigt. König Liudegast erlitt durch ihn schwere Verluste ebenso
wie der kühne Liudeger von Sachsen. Nun hört aber noch wei
ter, erhabene Königin, was ich zu berichten habe.
241 Die uns aus Überheblichkeit am Rhein den Krieg erklärt ha
ben, müssen nun Gunthers Gefangene sein. Jetzt bringt man sie
zu unserer Genugtuung hierher in dieses Land.« Als Kriemhild
die Nachricht ganz erfaßt hatte, strahlte sie.
242 Ihr schönes Antlitz errötete vor Freude wie eine Rose, weil der
liebenswerte Recke, der junge Siegfried, aus dem bedrohlichen
Kampf glücklich zurückgekehrt war. Sie freute sich auch über
ihre Verwandten. Dazu gab es guten Grund.
244 Er erhielt seinen Lohn, das Gold und auch die Gewänder. Dann
traten viele schöne Mädchen an die Fenster. Sie blickten erwar
tungsvoll auf die Straße, bis eine große Schar siegesbewußter
Kämpfer ins Burgundenland ritt.
84 4 - AVENTIURE
246 Gunther empfing seine Leute ebenso wie die Fremden; denn
für den mächtigen König geziemte sich nichts anderes, als all
denen gebührend zu danken', die dazu beigetragen hatten, den
ehrenvollen Sieg im Kampf zu erringen.
247 Er bat, ihm von seinen Freunden zu berichten, wer auf dem
Kriegszug umgekommen war. Nur sechzig Mann hatte er verlo
ren. Sie mußte man verschmerzen, wie es bis heute bei Helden
üblich ist, wenn sie im Kampf fallen.
250 Zu Liudeger sagte er: »Nun seid mir willkommen. Durch euch
habe ich erheblichen Schaden erlitten; aber dafür erhalte ich
jetzt Genugtuung, wenn mir das Glück hold bleibt. Gott möge
meine Freunde belohnen, die mich unterstützt haben.«
252 »Ich wil iuch ledech lazen«, sprach der kunic, »gen.
daz mine viande hie bi mir besten,
des wil ich haben bürgen, daz si miniu lant
iht rumen ane hulde.« des sichert do ir beder hant.
252 »Ich will euch freie Bewegung lassen«, sprach der König. »Doch
brauche ich Bürgen dafür, daß meine Feinde hier bei mir blei
ben und mein Land nicht ohne Erlaubnis verlassen.« Das versi
cherten beide mit Handschlag.
253 Man brachte sie in Unterkünfte und sorgte für ihre Bequem
lichkeit. Die Verwundeten bettete man besonders angenehm.
Die Gesunden erhielten Met und guten Wein. Fröhlicher hätte
die Stimmung des Gefolges kaum sein können.
256 Denen, die etwas von ärztlicher Kunst verstanden, bot man
großen Lohn, Silber in ungewogener Menge und sogar glän
zendes Gold, damit sie die Helden von den Kampfverletzungen
heilten. Auch an die Gäste verteilte der König reichlich Ge
schenke.
257 Die wieder nach Hause ziehen wollten, bat man, noch zu
bleiben, wie man das bei Freunden tut. Nun suchte der König
Rat, in welcher Weise er seine eigenen Leute belohnen sollte. Sie
hatten seinen Auftrag höchst ehrenvoll ausgeführt.
88 4- AVENTIURE
258 Herr Gernot sagte daraufhin: »Man soll sie zunächst fortreiten
lassen und nach sechs Wochen einladen, zu einem Fest zurück
zukommen. Dann sind die meisten wieder gesund, die jetzt
schwerverwundet daniederliegen.«
259 Da wollte auch der Held aus Niederland Abschied nehmen. Als
König Gunther seine Absicht bemerkte, bat er ihn freund
schaftlich, noch bei ihm zu bleiben. Nur aus Liebe zu Kriemhild
ging Siegfried darauf ein.
260 Er war selbst zu mächtig, als daß er hätte Lohn annehmen kön
nen. Verdient hatte er allerdings die Zuneigung des Königs wie
auch die seiner Verwandten. Sie hatten gesehen, was durch
Siegfrieds Kraft im Kampfsturm geleistet worden war.
263 Zu eben der Zeit, als die Gäste eintreffen sollten, hatte auch
Kriemhild erfahren, daß König Gunther mit den Verwandten
und seinen Leuten ein Fest feiern wollte. Da bereiteten sich die
schönen Damen des Hofes eifrig darauf vor
264 mit Kleidern und Kopfputz, die sie tragen wollten. Die mäch
tige Ute hörte ebenfalls, daß viele stolze Kämpfer kommen
würden, und befahl, eine Menge schöner Stoffe aus den Truhen
hervorzuholen.
90 4- AVENTIURE
265 Ihren Kindern zuliebe ließ sie Gewänder anfertigen, mit denen
adlige Frauen und Mädchen sowie viele junge Recken aus dem
Burgundenland eingekleidet wurden. Auch zahlreiche Gäste be
kamen prächtige Kleider.
5- A V EN T IU R E
A V EN TIU R E W IE S IV R IT C H R IE M H IL T A LRESTE ERSA CH
266 Täglich sah man nun Leute an den Rhein reiten, die gern bei
dem Fest dabeisein wollten und den Königen zuliebe ins Land
reisten. Man beschenkte sie reichlich mit Pferden und Gewän
dern.
267 Die Plätze waren für alle, die Vornehmsten und Besten, aus
gezeichnet vorbereitet. Wie wir gehört haben, kamen zwei
unddreißig Fürsten zu dem Fest. Für sie schmückten sich viele
adlige junge Frauen.
268 Auch der junge Giselher beteiligte sich eifrig. Er, Gemot und
das Gefolge der beiden empfingen die Fremden und Verwand
ten in angemessener Weise. Sie begrüßten die Kämpfer, wie es
der Rangordnung entsprach.
273 Der wirt, der het die sinne: im was wol bekant,
wie rehte hercenliche der helt von Niderlant
sine swester trute, swier si niene gesach,
der man so grozer schoene vor allen juncfrowen jach.
277 »Des wil ich gern volgen«, sprach der kunic do.
alle, die ez erfunden, die warns harte vro.
man saget ouch daz froun Uoten und ir tohter wolgetan,
daz si mit ir mägeden hin ze hove solde gan.
274 Er sprach: »Verwandte und Getreue, ratet mir, wie wir das Fest
so ehrenvoll gestalten, daß uns später niemand tadeln kann.
Jedes beständige Lob ergibt sich letztlich aus den vollbrachten
Taten.«
275 Da antwortete der Kämpfer Ortwin von Metz: »Wollt ihr bei
dem Fest alle Ehre einlegen, so sollt ihr die schönen Mädchen
daran teilnehmen lassen, die hier in Burgund in höchstem An
sehen stehen.
276 Was gibt es, das einen Mann erfreut und glücklich macht, wenn
nicht schöne Mädchen und anmutige Frauen? Laßt eure
Schwester vor den Gästen erscheinen.« Das war ein Rat, der vie
len Kämpfern gefiel.
277 »Dem will ich gern folgen«, sagte der König. Alle, die es hörten,
freuten sich darüber sehr. Man benachrichtigte auch Frau Ute
und ihre schöne Tochter, daß sie mit ihren Begleiterinnen bei
Hof erscheinen sollten.
281 Uoten, die vil riehen, die sah man mit ir chomen;
diu hete frowen schoene gesellechlich genomen
wol hundert oder mere, die truogen richiu kleit.
nu gie mit Chriemhilde vil manic waetlichiu meit.
279 Manch junger Recke hatte an diesem Tag die Hoffnung, daß er
den adligen Damen gefallen würde, und das schien ihm mehr
wert als der Besitz eines Königreichs. Sie alle wollten die gern
sehen, die sie noch nie zuvor erblickt hatten.
280 Da ließ der mächtige König etwa einhundert von seinen Leu
ten, die zum Kreis ihrer Verwandten gehörten, mit dem Schwert
in der Hand seine Schwester begleiten. Das war der Hofstaat
der Burgunden.
281 Die vornehme Ute sah man zusammen mit Kriemhild heran
schreiten; sie hatte wohl einhundert oder mehr prachtvoll ge
kleidete Damen zur Gesellschaft bei sich. Auch Kriemhild folgte
eine große Zahl hübscher Mädchen.
282 Sie traten aus dem Frauengemach der Burg heraus und zogen
die Blicke der Recken auf sich, die alle auf die Möglichkeit hoff
ten, zu ihrer Freude Kriemhild endlich einmal zu sehen.
283 Jetzt erschien die Liebenswerte, wie das Morgenrot aus den trü
ben Wolken auftaucht. Da schwand alle Sehnsucht bei dem, der
sie schon lange in seinem Herzen trug; denn nun sah er die
Geliebte herrlich dastehen.
285 Wie der helle Mond die Sterne überstrahlt, wenn sein Schein
klar aus den Wolken hervortritt, so stand sie vor allen anderen
schönen Damen. Das versetzte die stattlichen Helden in Begei
sterung.
98 5- AVENTIURE
289 Die mit Chriemhilde giengen, die hiezen von den wegen
wichen allenthalben, daz leiste manic degen.
diu hohe tragenden hercen freuten manigen lip.
man sach in grozen zuhten vil manic herlichez wip.
287 Er dachte bei sich: »Wie könnte das geschehen, daß ich deine
Liebe gewinne, so wie ich es hoffe? Wenn mir das nicht gelingt,
möchte ich lieber sterben.« Ihretwegen war er insgeheim glück
lich und voller Angst.
294 Als sie den hocherfreuten Mann vor sich stehen sah, errötete
sie. Das schöne Mädchen sagte: »Seid willkommen, Herr Sieg
fried, edler, tüchtiger Ritter.« Der Gruß steigerte seine freudige
Stimmung.
295 Er verneigte sich mit höfischem Anstand vor ihr; sie nahm seine
Hand. Wie liebenswürdig ging der Recke neben ihr! Sie sahen
sich mit verliebten Blicken an, der Herr und die Dame. Aller
dings geschah das heimlich.
298 Da dachten viele Recken bei sich: »Dürfte ich an ihrer Hand ge
hen wie er oder gar bei ihr liegen, das ließe ich mir gefallen.«
Noch nie hat ein Recke angemessener um eine Königin gewor
ben.
299 Ganz gleich aus welchem Königreich die Gäste dorthin gekom
men waren, alle blickten nur auf die beiden. Sie durfte den
schönen Mann küssen; er hatte in seinem Leben noch nie sol
ches Glück gefühlt.
102 5- AVENTIURE
305 »Nu Ion iu got, her Sivrit«, sprach daz schoene kint,
»daz ir daz habt verdienet, daz iu die recken sint
so holt von warn schulden, als ich si hoere jehn.«
do begunder minnekliche an vron Chriemhilden sehn.
300 In dem Moment sagte der König von Dänemark: »Um diesen
besonderen Gruß zu ermöglichen, mußten viele von Siegfrieds
Hand sterben, was mir große Schmerzen bereitet. Gott halte
ihn für immer aus meinem Königreich fern.«
301 Dann ließ man überall für die liebenswerten Damen Platz ma
chen. Viele tapfere Kämpfer sah man formvollendet in dem
höfischen Festzug mitgehen. Später wurde der schöne Mann
wieder von Kriemhild getrennt.
302 Während sie zum Münster ging, folgten ihr viele andere
Frauen. Auch dort wirkte Kriemhild so anziehend, daß sie weit
reichende, aber unerfüllbare Wünsche weckte. Sie schien dazu
geboren, zahllose Kämpfer durch ihren Anblick zu erfreuen.
303 Kaum konnte Siegfried das Ende der Messe erwarten. Er dankte
seinem glücklichen Geschick, daß ihm die Frau, die er in sein
Herz geschlossen hatte, so gewogen war. Er hatte auch allen
Grund, die Schöne zu lieben.
304 Als Kriemhild aus dem Münster heraustrat wie Siegfried zuvor,
sah man ihn freundlich auf sie zugehen. Da dankte ihm das
schöne Mädchen, daß er an der Spitze ihrer Verwandten so
großartig gekämpft hatte.
305 »Gott lohne es euch, Herr Siegfried«, sagte die schöne Kriem
hild, »ihr habt es rechtmäßig verdient, daß euch die Recken so
dankbar sind, wie ich es von ihnen höre.« Da blickte er Kriem
hild liebevoll an.
307 In den folgenden zwölf Tagen sah man das vielgerühmte Mäd
chen täglich neben dem Recken, wenn sie in die Hofgesellschaft
zu den Fürsten kam. Diese Ehre erwies sie Siegfried aus großer
Zuneigung.
308 Freude und Vergnügen hörte man jeden Tag mit lautem Schall
vor Gunthers Palas, draußen und drinnen, von vielen mutigen
Männern. Ortwin und Hagen taten sich außerordentlich
hervor.
310 Die anfangs noch verwundet daniederlagen, sah man jetzt auf
stehen; denn sie wollten sich an den Spielen mit den Leuten des
Königs beteiligen, im Kampf ihre Schilde zum Schutz hoch-
halten und Speere werfen. Viele standen ihnen mit großer Kraft
zur Seite.
311 Auf dem Fest ließ der Landesherr alle mit den besten Speisen
bewirten, so daß ihn kein Vorwurf treffen konnte, den sich
sonst ein König vielleicht zugezogen hätte. Man sah, wie er sei
nen Gästen liebenswürdig begegnete.
312 Er sprach: »Gute Kämpfer, ehe ihr von hier abreist, nehmt
meine Geschenke entgegen. Ich habe die Absicht, euch damit
nachdrücklich zu danken. Verschmäht mein Gut nicht, das ich
gern mit euch teilen möchte.«
315 Er sprach zuo dem degene: »nu rate, wie ich tuo.
die unser widerwinnen wellent riten fruo
und gernt staeter suone an mich und mine man.
nu rata, degen chüene, waz dich des guot dunche getan.
316 Waz mir die helde bieten, daz wil ich dir sagen,
swaz fünfhundert moere goldes mugen tragen,
daz gaeben si mir gerne, wold ich si ledich lan.«
do sprach der herre Sivrit: »daz waere vil ubele getan.
314 Liudegast hatte sich von seiner Verwundung erholt; und der
Herr der Sachsen war nach dem Kampf wieder genesen. Aller
dings mußten sie etliche Tote dort im Land zurücklassen.
Schließlich ging König Gunther zu Siegfried.
315 Er sprach zu dem Kämpfer: »Nun ratet mir, was ich tun soll.
Unsere Gegner beabsichtigen, morgen früh fortzureiten, und
wollen mit mir und meinen Leuten auf Dauer Frieden
schließen. Empfiehl mir, tapferer Kämpfer, was dir in dieser
Lage angemessen erscheint.
316 Ich will dir auch sagen, was mir die Helden von sich aus anbie
ten. Soviel Gold, wie fünfhundert Pferde zu tragen vermögen,
geben sie mir bereitwillig, wenn ich sie freilasse.« Da antwortete
Herr Siegfried: »Das halte ich für unangebracht.
317 Ihr sollt sie ohne Gegenleistung fortziehen lassen, doch die bei
den Recken müssen sich verpflichten, nie wieder mit Heeres
macht in euer Land einzudringen. Das laßt euch von beiden
Herren mit Handschlag versichern.«
318 »Diesen Rat will ich befolgen.« Damit gingen sie auseinander.
Gunthers Widersachern wurde kundgetan, daß niemand das
Gold, das sie zuvor angeboten hatten, annehmen wollte. Zu
Hause sehnten sich ihre lieben Freunde nach den vom Krieg
erschöpften Kämpfern.
324 Do sprach der starche Sivrit: »diu ross diu lazet stan;
ich wolde hinnen riten, des wil ich abe gan,
und traget ouch hin die Schilde, ja wolde ich in min lant,
des hat mich her Giselher mit grozen triwen erwant.«
325 Sus beleip der küene recke durch friwende liebe da.
ja waer er in den landen ninder anderswa
gewesen also sanfte, da von nu daz geschach,
daz er nu, swenner wolde, die schoenen Chriemhilde sach.
SIEGFRIEDS BEGEGNUNG M IT KRIEM H ILD 109
320 Als sie fortziehen wollten, verabschiedeten sich alle. Man sah,
wie die Recken zu Kriemhild gingen, neben der auch die Köni
gin Ute saß. Noch nie wurden Kämpfer so ehrenvoll verab
schiedet.
321 Die Herbergen leerten sich, als sie fortritten. Der König aber,
seine Verwandten und viele adlige Herren setzten das ritterli
che Treiben fort. Man sah sie täglich Kriemhild einen Besuch
abstatten.
323 »Wo wollt ihr denn hinreiten, edler Siegfried? Bleibt hier bei
den Kämpfern, bei König Gunther und seinen Leuten, darum
bitte ich euch. Hier gibt es viele schöne Damen, die ihr gern be
suchen dürft.«
324 Da sagte der starke Siegfried: »Laßt die Pferde stehen; meine
Absicht fortzureiten, gebe ich auf, und tragt auch die Schilde
wieder weg. Ich wollte in mein Land ziehen, doch Giselher hat
mich mit seiner aufrichtigen Bitte umgestimmt.«
325 So blieb der tapfere Recke den Freunden zuliebe dort. Sicher
hätte er sich in keinem anderen Land so wohl gefühlt. Das kam
daher, daß er jetzt, wann immer er wollte, die schöne Kriemhild
sehen konnte.
110 5. AVEN TIURE
327 Zunächst aber wurde dort am Rhein etwas ganz anderes be
sprochen. Seine vornehmsten Verwandten fragten den König,
ob er nicht heiraten wollte. Da antwortete der mächtige König:
»Ich will nicht länger warten.
32 « Darum werde ich mich beraten lassen, wo ich die finden kann,
die für mich und mein Reich als Herrin aufgrund ihres Adels
und ihrer Schönheit angemessen ist. Ihr will ich meine Länder
zueignen. Sobald ich die Richtige gefunden habe, sollt ihr es
erfahren.«
6. A V EN T IU R E
A V EN T IU R E W IE SIC H G U N T H E R G E IN ISL A N D E
H IN ZE P R U N H I L T BE R E IT E
333 Do sprach der vogt von Rine: »ich wil nider an den se
hin ze Prunhilde, swie ez mir erge.
durch ir unmazen schoene so wage ich minen lip.
den wil ich Verliesen, sine werde min wip.«
6 . A V EN T IU R E
W IE SIC H G U N T H E R AUF D IE F A H R T N A C H ISLAND
ZU B R Ü N H IL D V O R B E R EIT E T E
329 Es lebte eine Königin jenseits des Meeres, der man keine andere
hätte vergleichen können. Sie war über alle Maßen schön und
besaß große Kraft. Wer ihre Liebe gewinnen wollte, mußte sich
mit ihr im Speerwerfen messen.
330 Sie warf den Stein außerordendich weit und erreichte ihn mit
einem Sprung. Jeder, der die hochgeborene Herrin zu erringen
hoffte, mußte sich in drei Wettkämpfen mit ihr messen. Wenn
er auch nur in einem unterlag, verlor er seinen Kopf.
332 Als eines Tages der König und seine Leute beisammen saßen,
erwogen sie das Für und Wider, welche Frau ihr Herr zur Ehe
nehmen könnte, die als Herrin für sie und das Land angemes
sen wäre.
333 Da sagte der Herr vom Rhein: »Ich will flußabwärts ans Meer
zu Brünhild fahren, ganz gleich, wie es für mich ausgeht. Um
ihrer unglaublichen Schönheit willen setze ich mein Leben ein.
Ich bin bereit, es zu verlieren, wenn sie nicht meine Frau wird.«
114 6 . AVEN TIURE
335 Do sprach der kunich Gunther: »nie geborn wart ein wip
so starch und ouch so chüene, ine wolde wol ir lip
in strite betwingen mit min selbes hant.«
»swiget«, sprach do Sivrit, »iu ist ir eilen unbekant.
334 »Davon rate ich ab«, wandte Siegfried ein, »denn die Königin
stellt schreckliche Bedingungen: Jeder, der um ihre Liebe wirbt,
muß einen hohen Einsatz bringen. Deshalb solltet ihr die Fahrt
auf jeden Fall unterlassen.«
335 Doch König Gunther antwortete: »Es gibt keine Frau, die so
stark und kühn ist, daß ich sie nicht im Kampf überwältigen
könnte.« »Schweigt«, widersprach Siegfried, »ihr kennt ihre
Kraft nicht.
336 Selbst vier Männer von eurer Art könnten vor ihrer Kampfwut
nicht bestehen. Gebt die Absicht auf, das rate ich euch bei mei
ner Treue. Wenn ihr nicht den Tod finden wollt, steigert euch
nicht zu sehr in Liebe zu ihr hinein.«
337 »Dann gebe ich euch einen anderen Rat«, sagte Hagen, »bittet
Siegfried, die schwierigen Gefahren mit euch gemeinsam auf
sich zu nehmen. Ich schlage das vor, weil er genau weiß, was bei
Brünhild vorgeht.«
343 Vor siegen und vor Stichen, in muge ouch niemen sehen,
swenner si darinne, beide hoern und spehen
mag er nach sinem willen, daz in doch niemen siht.
er si ouch verre stercher, als uns diu aventiure giht.
342 Ich habe erzählen hören, daß eigenartige Zwerge, die in Berg
höhlen leben, etwas Wunderbares besitzen, um sich zu schüt
zen, es wird Tarnkappe genannt. Wer sie trägt, der soll vollstän
dig sicher sein
345 Wenn der starke Siegfried die Tarnkappe trug, hatte er, wie uns
erzählt wird, zusätzlich die Kraft von zwölf Männern. Mit Hilfe
dieser magischen Künste eroberte er die außerordentliche Frau.
346 Außerdem bewirkte die Tarnhaut, daß jeder, der sie trug, darin
tun konnte, was er wollte, ohne gesehen zu werden. Auf diese
Weise gewann Siegfried Brünhild. Daraus erwuchs ihm später
Leid.
347 »Siegfried, sag mir, ehe unsere Reise beginnt, sollen wir nicht
ein ritterliches Gefolge mit in Brünhilds Land nehmen, um
ehrenvoll am Meer aufzutreten? Zweitausend Kämpfer sind
schnell zusammengerufen.«
118 6 . AV EN TIURE
350 Der gesellen sit ir einer, der ander soi ich wesn.
Hagene si der dritte, wir mugen wol genesn,
Danchwart si der vierde, der vil chüene man.
uns endurfen ander tusint mit strite nimmer bestan.«
351 »Diu maere ich wiste gerne«, sprach der kunic do,
»e daz wir hinne schieden, des waere ich harte vro,
waz wir kleider solden vor Prunhilde tragen,
diu uns da wol gezaemen; daz suit ir mir bi zite sagen.«
353 Do sprach der degn guoter: »so wil ich selbe gan
zu miner lieben muoter, ob ich erwerben chan,
daz uns ir schoene mägede helfen prüeven chleit,
die wir tragen mit eren fur die herlichen meit.«
349 Wir werden als kleine Gruppe, so wie Recken von jeher, rhein-
abwärts fahren. Ich will euch sagen, wer dabeisein soll: außer
uns beiden noch zwei andere und niemand weiter. Dann errin
gen wir die Herrin, was auch kommen mag.
350 Ihr seid einer der Gefährten, der andere bin ich selbst. Hagen
soll der dritte sein, dann bleiben wir am Leben, der tapfere
Dankwart sei der vierte. Uns werden tausend andere im Kampf
niemals besiegen.«
35 1 Der König antwortete: »Bevor wir von hier losziehen, wüßte ich
gern und wäre froh, zu hören, was wir für Gewänder bei Brün-
hild tragen sollen, damit wir in geziemender Ausstattung er
scheinen; das müßt ihr mir rechtzeitig sagen.«
352 »Die allerbesten Kleider, die es überhaupt gibt, trägt man stän
dig in Brünhilds Land. Deshalb sollen auch wir vor der Herrin
in prächtiger Kleidung erscheinen, damit uns kein Tadel trifft,
wenn man über uns spricht.«
353 Da sagte der edle Gunther: »Dann will ich selbst zu meiner lie
ben Mutter gehen und sie dazu bewegen, daß uns ihre schönen
Mädchen helfen, die Kleider zurechtzumachen, die wir in Eh
ren vor der herrlichen Frau tragen können.«
355 Gunther ließ seiner Schwester mitteilen, daß er und auch Herr
Siegfried sie aufsuchen wollten. Bevor sie kamen, hatte sich die
Schöne selbst so prächtig wie möglich gekleidet; denn sie war
hocherfreut über den angekündigten Besuch.
357 »Mein Bruder und sein Gefährte sollen mir willkommen sein.
Doch wüßte ich gern«, sprach die junge Frau, »was euch zu mir
führt. Laßt mich hören, edel gesinnte Herren, wie es euch bei
den geht.«
358 Der mächtige König antwortete: »Herrin, ich will es euch sa
gen. Wir sind zugleich von großen Sorgen und freudiger Er
wartung bewegt. Wir wollen an einen Hof weit weg in fremde
Länder reiten. Zu dieser Reise brauchen wir schöne Gewänder.«
359 »Nun setzt euch, lieber Bruder«, sprach die Königstochter, »laßt
mich hören, wer die Damen sind, um deren Liebe ihr im Land
anderer Fürsten werben wollt.« Die Herrin nahm die beiden
hervorragenden Männer an die Hand.
360 Sie führte die Kämpfer zu ihrem eigenen Platz. Prächtige Ruhe
kissen lagen dort, das könnt ihr glauben, überall auf dem Bo
den. Dann fanden sie bei den Damen gute Unterhaltung.
362 Dann sagte König Günther: »Meine edle Schwester, ohne deine
Hilfe können wir nichts ausrichten. Wir wollen in Brünhilds
Land reisen, um uns umzuschauen. Dort müssen wir vor den
Damen prächtige Kleider tragen.«
363 Die Königin antwortete: »Mein lieber Bruder, was meine Hilfe
dazu beitragen kann, seid sicher, dazu bin ich gern bereit. Wenn
euch jemand anders etwas abschlägt, würde mir, Kriemhild, das
leid tun.
364 Ihr braucht mich, edler Ritter, nicht vorsichtig zu bitten. Ihr
könnt mir durchaus in herrscherlicher Weise einen Auftrag
erteilen. Was ihr wollt, führe ich bereitwillig aus«, sagte das
schöne Mädchen.
366 Darauf sagte die junge adlige Frau: »Ich will euch nichts ver
sagen. Seide habe ich selbst; nun laßt Edelsteine auf Schilden
herbeibringen. Dann fertigen wir solche Kleider an, daß ihr sie
ehrenvoll vor den vornehmen jungen Frauen tragen könnt.
367 Wer sind eigentlich die Gefährten, die mit euch für den Auftritt
am Hof ausgestattet werden sollen?« fragte die Königin. »Ich
bin es selbst, außerdem Siegfried und zwei meiner Leute, Dank
wart und Hagen, sie werden mit uns an jenen Hof reisen.
36 « Nun beachtet genau, liebe Schwester, was wir sagen: Wir sind
vier Reisende und wollen an vier Tagen jeweils drei verschie
dene Gewänder von gleicher Qualität tragen, so daß wir Brün
hilds Land mit unbeschädigtem Ansehen wieder verlassen
können.«
124 6 . AVEN TIURE
369 Das versprach sie den Recken, und die Herren verabschiedeten
sich. Darauf ließ die Königin Kriemhild dreißig von ihren Hof
damen, welche die erforderlichen Fertigkeiten besonders gut
beherrschten, aus ihrer Kemenate kommen.
370 Verschiedene schneeweiße Seiden und Stoffe, grün wie Klee aus
dem Land Zazamanc, besetzten sie mit Edelsteinen. Daraus
entstanden herrliche Gewänder. Kriemhild, das liebenswerte
Mädchen, schnitt sie selbst zu.
372 Allerbeste Seide aus dem Land Marokko und aus Libyen be
saßen sie im Überfluß, mehr als jemals ein Königsgeschlecht
erworben hatte. Die Herrin machte deutlich, daß große Zu
neigung zu den Männern sie erfüllte.
373 Da sie die Kleidung für die Reise an den fremden Hof erbeten
hatten, schienen ihr Hermelinpelze allein nicht wertvoll genug.
Kohlschwarzer kostbarer Seidenstoff lag darüber. Das würde ge
wandten Kämpfern bei fesdichen Gelegenheiten auch heute
noch wohl anstehen.
375 Als sie ausgestattet waren, lag für sie, sorgfältig hergerichtet, ein
seetüchtiges kleines Schiff am Rhein, das sie flußabwärts zum
Meer bringen sollte. Die schönen jungen Damen fühlten sich
von den Mühen erschöpft.
376 Man teilte den Recken mit, daß die kostbaren Gewänder, die
sie mitnehmen sollten, jetzt fertig wären. Alles war nach dem
Wunsch der Helden ausgeführt. Da wollten sie nicht länger am
Rhein bleiben.
378 Alle, denen sie sich zeigten, mußten ihnen zugestehen, daß sie
auf der ganzen Welt nichts Schöneres gesehen hatten. Deshalb
konnten sie sich darauf freuen, die Kleider an Brünhilds Hof zu
tragen. Niemand hätte sich bessere Gewänder für Helden vor
stellen können.
380 »Mein lieber Bruder«, sagte Kriemhild, »noch könnt ihr hier
bleiben und um eine andere Frau werben, ohne euer Leben so
sehr in Gefahr zu bringen, das wäre mir lieb. Ihr könnt hier in
der Nähe eine ebenso hochadlige Gemahlin finden.«
381 Ich glaube, ihr Herz sagte ihnen, daß am Ende Unheil drohte.
Sie weinten alle, niemand vermochte sie zu trösten. Den Gold
schmuck auf ihrer Brust benetzten sie mit Tränen, die unabläs
sig aus ihren Augen flössen.
128 6 . AVENTI URE
383 Do sprach der degen chüene: »ob mir min lip bestat,
so suit ir aller sorgen, frowe haben rat.
ich bringen iu gesunden her wider an den Rin.
daz habt uf mime libe.« im neich daz schoene magedin.
386 Do sprach der starche Sivrit: »ich kan iuch uf der fluot
hinnen wol gefueren, daz wizzet, helede guot.
die rehte wazzerstrazen die sint mir wol bekant.«
mit ffeuden si do schieden uz der Buregonden lant.
383 Der tapfere Kämpfer sagte: »Wenn ich am Leben bleibe, braucht
ihr, Herrin, keine Sorgen zu haben. Ich bringe ihn euch gesund
wieder an den Rhein zurück. Das verspreche ich euch bei mei
nem Leben.« Da verneigte sich das schöne Mädchen vor ihm.
384 Ihre rotgoldenen Schilde trug man ans Ufer und brachte die
gesamte Ausstattung zum Schiff. Auch ihre Pferde ließ man
ihnen holen; denn sie wollten losfahren. Die schönen Damen
weinten sehr.
386 Der starke Siegfried antwortete: »Ich lenke euch gut durch die
Strömung, edle Helden, darauf könnt ihr vertrauen. Mir sind
die richtigen Wasserstraßen wohlbekannt.« In freudiger Stim
mung verließen sie dann das Burgundenland.
387 Der König von Niederland ergriff ein Ruder, und der rühmens
werte Held stieß das Schiff vom Ufer ab. Der kühne Gunther
ruderte ebenfalls. So fuhren sie zuversichtlich von dannen.
389 Ihre starken Segeltaue strafften sich. Sie fuhren viele Meilen, be
vor es Nacht wurde. Freudig erreichten sie das Meer. Aber ihr
mühevoller Einsatz führte die selbstbewußten Männer schließ
lich ins Unglück.
390 In zwölf Tagen, so haben wir erzählen hören, hatten die Winde
sie weit weg nach Isenstein in Brünhilds Land gebracht. Das
kannte selbst Hagen von Tronje nicht von früher.
7. A V EN T IU R E
A V EN T IU R E W IE G U N T H E R ZE ISL A N D E M IT
S IN E N GESELLEN C H O M
391 Als König Günther so viele Burgen und die weiten Ländereien
erblickte, fragte er alsbald: »Sagt mir, Freund Siegfried, wißt ihr,
wem diese Burgen und das herrliche Land gehören?
392 Ich habe in meinem Leben, wenn ich ehrlich sein soll, niemals
in irgendeinem Land so gut gebaute Burgen gesehen, wie sie
hier vor uns stehen. Wer sie hat errichten lassen, muß sehr
mächtig sein.«
394 Und ich will euch, ihr Helden, raten, daß ihr einmütig alle das
gleiche sagt, was mir sinnvoll erscheint. Wenn wir heute noch
vor Brünhild hintreten, müssen wir der Königin gegenüber vor
sichtig sein.
395 Sobald wir die Liebenswerte mit ihrem Gefolge sehen, sollt ihr,
edle Helden, übereinstimmend sagen, Gunther sei mein Herr
und ich sein Eigenmann. Dann wird unsere Absicht bei ihr
Erfolg haben.«
134 7- AVENTIURE
400 Do sprach der chüene Sivrit: »ir suit von hinnen spehn
tougen in dem muote und suit mir danne jehn,
weihe ir nemen woldet, hetet irs gewalt.«
»daz tuon ich«, sprach do Gunther, der ritter chüen unde bait.
398 Zu eben dieser Zeit war ihr Schiff so nahe an die Burg heran
gekommen, daß der König oben an den Fenstern viele schöne
Mädchen stehen sah. Daraufhin fragte der kühne und stattliche
Recke:
399 »Sagt mir, Freund Siegfried, in meinem Interesse, kennt ihr die
Damen und Mädchen, die dort zu uns auf das Wasser herab
schauen? Sie benehmen sich, als seien sie sehr selbstbewußt.«
401 Ich sehe dort eine von ihnen in schneeweißem Kleid am Fenster
stehen. Sie wirkt so herrlich, daß sie meine Augen anzieht. Ihre
Gestalt ist von außerordentlicher Schönheit. Wenn es in meiner
Macht stünde, müßte sie meine Frau werden.«
402 »Deine Augen haben die Richtige ausersehen. Es ist die starke
Brünhild, das schöne Mädchen, das du mit Herz, Leib und
Seele liebst.« Ihre ganze Erscheinung gefiel Gunther sehr.
136 7. AV EN TIURE
403 Da ließ die Königin die liebenswerten Mädchen von den Fen
stern wegtreten. Sie sollten sich dort nicht den Fremden zur
Schau stellen; und sie gehorchten. Was die Damen danach ta
ten, ist uns ebenfalls berichtet worden.
404 Für die Fremden putzten sie sich besonders heraus, wie es
schöne Frauen immer zu tun pflegen. Dann gingen sie zu den
schmalen Fenstern, wo sie die Recken sehen konnten, und woll
ten Ausschau halten.
405 Es waren nur vier in das Land gekommen. Der starke Siegfried
führte ein Pferd am Zügel; das sahen die liebenswerten Frauen
vom Fenster aus. Darum wurde König Günther später als der
Ranghöchste eingeschätzt.
407 Dann führte er auch sein eigenes Pferd vom Schiff herunter. Er
hatte noch nie solchen Dienst geleistet, einem anderen Helden
den Steigbügel zu halten. Gerade das beobachteten die schönen,
edlen Damen durch die Fenster.
408 Pferde und Gewänder der beiden stattlichen Ritter waren ganz
gleichartig, schneeweiß. Ihre prächtigen Schilde glänzten in den
Händen der stattlichen Männer.
415 Do sprach ein kameraere: »ir suit uns geben diu swert
und ouch die liehten brünne.« »des sit ir ungewert«,
sprach Hagene der chüene, »wir selbe wellens tragen.«
do begunde in Sivrit da von diu rehten maere sagen:
412 Edelsteine aus Indien sah man, die prächtig auf ihren Gewän
dern funkelten. Ihr kleines Schiff ließen sie unbeaufsichtigt am
Meer zurück. Dann ritten die kühnen, edlen Männer zu der
Burg.
414 Das Tor war nicht verschlossen, die Burg stand offen. Brünhilds
Leute liefen ihnen entgegen und empfingen die Kühnen im
Land ihrer Herrin. Die Pferde ließ man versorgen und bat die
Männer, ihre Schilde aus der Hand zu legen.
415 Dann sagte ein Kämmerer: »Gebt uns die Schwerter und auch
die glänzenden Brustpanzer.« »Den Gefallen tun wir euch
nicht«, entgegnete der kühne Hagen, »wir wollen sie selbst tra
gen.« Da erklärte Siegfried, wie sie sich verhalten sollten:
416 »Es ist in dieser Burg nicht üblich, dies muß ich euch sagen,
daß Gäste Waffen tragen. Laßt sie fortbringen, es ist so in Ord
nung.« Hagen, Gunthers Begleiter, ließ das höchst ungern ge
schehen.
140 7- AV EN TIURE
417 Man ließ den Gästen einen Begrüßungstrunk reichen und für
ihre Bequemlichkeit sorgen. Überall am Hof gingen viele
gewandte Recken in fürsdichen Gewändern umher. Doch die
kühnen Fremden zogen alle Blicke auf sich.
419 »Sagt mir«, sprach die Königin, »wer sind die völlig unbekann
ten Recken, die so stattlich in meiner Burg stehen, und weshalb
sind sie hergekommen?«
420 Einer aus ihrem Gefolge antwortete: »Herrin, ich kann wohl
sagen, daß ich keinen von ihnen je gesehen habe bis auf einen,
der Siegfried ähnlich scheint. Den sollt ihr angemessen emp
fangen, das rate ich euch in aller Treue.
422 Der dritte Gefährte, mächtige Königin, wirkt trotz seiner schö
nen Gestalt sehr furchterregend wegen der feindseligen Blicke,
die er nach allen Seiten wirft. Ich glaube, seine Gedanken sind
grimmig.
423 Auch der jüngste unter ihnen verdient Lob. In jugendlicher An
mut sehe ich den vornehmen Kämpfer wohlerzogen und lie
benswürdig dastehen. Aber, wenn ihm jemand zu nahe träte,
müßten wir ihn wohl alle fürchten.
142 7. AVEN TIURE
424 Swie blide er pflege der zuhte und swie schoen im si der lip,
er möhte wol erweinen vil waetlichiu wip,
swenner begunde zürnen, sin lip ist so gestalt,
er ist in allen tugenden ein degn chüene unde bait.«
424 Wie freundlich er sich gibt und wie schön er auch ist, er könnte
viele hübsche Frauen zum Weinen bringen, wenn er zornig
würde. Er ist in jeder Hinsicht ein äußerst kühner Kämpfer.«
426 Schnell wurde die Königin angemessen gekleidet. Mit ihr traten
viele schöne Mädchen heraus, wohl mehr als hundert, alle
bestens geschmückt; die liebenswürdigen Frauen wollten die
Gäste sehen.
427 Zur Begleitung gingen neben ihnen Recken aus Island, Brün-
hilds Kämpfer. Sie trugen ihre Schwerter in der Hand, es waren
fünfhundert oder mehr. Das beunruhigte die Gäste. Dann er
hoben sich die tapferen, stattlichen Helden von ihren Sitzen.
430 Er stammt vom Rhein, das läßt er dir sagen. Deinetwegen hat er
dies Land aufgesucht und möchte, daß du seine Frau wirst,
koste es, was es wolle. Nun bedenkt seine Werbung sofort, mein
Herr ist fest entschlossen.
144 7- AVENTIURE
434 »Den stein, den soi er werfen und springen dar nach,
den ger mit mir schiezen. lat iu niht sin ze gach!
des bedenchet iuch vil ebene«, sprach daz vil schoene wip,
»gebristet im an dem einen, ez get iu allen an den lip.«
431 Er heißt Gunther und ist ein edler König. Er wünscht sich
nichts weiter, als deine Liebe zu gewinnen. Mir befahl der statt
liche Recke, mit hierher zu reisen. Hätte ich es gewagt, wäre ich
gern zu Hause geblieben.«
432 Brünhild sprach: »Wenn er dein Herr ist und du sein Mann
bist, dann werde ich ihn lieben, falls er sich den Wettkämpfen,
die ich für ihn bestimme, zu stellen wagt und darin siegt. Sonst
werde ich nicht seine Frau, und er muß sterben.«
433 »Herrin«, sagte da Hagen von Tronje, »zeigt uns, worum es sich
bei euren außerordentlichen Spielen handelt. Bevor mein Herr
Gunther euch unterliegt, müßte es hart hergehen. Er ist wohl in
der Lage, ein so schönes Mädchen zu gewinnen.«
434 »Er soll einen Stein werfen, ihn dann im Weitsprung erreichen
und sich mit mir im Speerwerfen messen. Doch übereilt euch
nicht! Überlegt ganz ruhig«, sagte die schöne Frau, »denn wenn
er in einem der Spiele unterliegt, verliert ihr alle euer Leben.«
435 Der starke Siegfried trat an den König heran und bat ihn, an
seiner Absicht gegenüber der Königin festzuhalten; es könnte
ihm nichts zustoßen: »Alles wird anders ausgehen, als sie. in
ihrer Überheblichkeit glaubt.«
436 Jetzt sagte König Gunther: »Erhabene Königin, nun setzt fest,
was ihr wollt; selbst wenn es noch mehr wäre, würde ich gern
auf alles eingehen, um euch in eurer Schönheit zu gewinnen.
Dafür, daß ihr meine Frau werdet, wage ich meinen Kopf.«
437 Als die Königin seine Worte vernommen hatte, bat sie, schnell
mit den Spielen zu beginnen, wie es bei ihr üblich war. Sie ließ
sich sogleich ihre Rüstung bringen, einen festen Brustpanzer
und einen guten Schild.
146 7- AV EN TIURE
438 Ein seidenes Waffenhemd legte sie an, das bisher noch keine
Waffe im Kampf zerschnitten hatte, es war aus kostbarem liby
schen Stoff genäht. Eine helle, gewirkte Borte sah man darauf
schimmern.
443 Nun kam Brünhild. Sie war so gerüstet, als müßte sie um alle
Königreiche der Welt kämpfen. In der Tat trug sie über ihren
Seidengewändern viele stählerne Panzerringe. Darunter leuch
tete die liebreizende Farbe ihrer Haut herrlich hervor.
148 7- AVEN TIURE
446 Der schilt was under bukelen, als uns daz ist geseit,
wol drier hende dicke, den tragen solde diu meit.
von stale und ouch von golde rieh er was genuoch,
den ir kameraere selbe vierder kume truoch.
447 Also der starche Hagene den schilt dar tragen sach,
in vil grozem unmuote der heit von Tronege sprach:
»wie nu, kunic Günther? wie vliesen wir den lip!
der ir da gert ze minnen, diu ist des valandes wip.«
449 Do truoch man dar der frowen, swaere und dar zuo groz,
einen ger vil starchen, den si alle zite schoz,
scarpf und ungefuoge, michel unde breit,
der ze sinen ecken harte vreislichen sneit.
445 Der Tragriemen des Schildes war ein kostbares Band, verziert
mit Steinen, grüner als Gras, die überall aus dem Gold glänzten.
Wer Brünhild zur Frau bekommen wollte, mußte einen hohen
Einsatz bringen.
446 Der Schild, den Brünhild tragen sollte, war, wie uns erzählt
wird, unter den Buckeln drei Handspannen dick. Stahl und
Gold machten ihn so schwer, daß ihn ihr Kämmerer zusammen
mit drei anderen kaum bewältigen konnte.
447 Als der starke Hagen sah, wie der Schild herbeigebracht wurde,
sagte der Held aus Tronje voller Unmut: »Was nun, König
Gunther? Unser Leben werden wir hier wohl verlieren! Die
Frau, die ihr lieben wollt, ist des Teufels Weib.«
44« Hört noch weiter von ihrer Kleidung, von der sie reichlich be
saß: Sie trug einen edlen, kostbaren Waffenrock von Seide aus
Azagouc, auf seiner Oberfläche funkelten an der Gestalt der
Königin viele herrliche Edelsteine.
449 Dann brachte man für die Herrin einen schweren, großen und
sehr starken Speer herbei, den sie jederzeit werfen konnte, er
war scharf, schwer zu handhaben, übermäßig groß und besaß
schrecklich geschliffene Schneiden.
454 Mich müet daz harte sere, daz ich chom in daz lant.
und hete min bruoder Hagene sin waffen an der hant
und ouch ich daz mine, so mohten sanfte gan
durch ir ubermuote alle Prunhilde man.
451 Er dachte bei sich: »Was soll das werden? Nicht einmal der Teu
fel aus der Hölle könnte vor dieser Frau mit dem Leben davon
kommen. Wäre ich doch zu Hause am Rhein, dann würde sie
hier für immer von meiner Liebe verschont bleiben.«
452 Angst, das könnt ihr glauben, bedrängte ihn sehr. Man brachte
ihm seine ganze Ausrüstung herbei und stattete den mächtigen
König aus. Vor Schreck hätte Hagen beinahe die Besinnung ver
loren.
453 Da sagte der kühne Dankwart aus Burgund: »Ich werde die
Reise an diesen Hof immer bedauern. Bisher galten wir als
tüchtige Recken; aber wie schändlich verlieren wir hier unser
Leben, wenn uns in diesem Kampf die Frauen umbringen!
454 Ich bedaure es zutiefst, daß ich in dieses Land gekommen bin.
Wenn mein Bruder Hagen und ich unsere Waffen zur Verfü
gung hätten, so würden alle Leute Brünhilds in ihrer Überheb
lichkeit zurückweichen.
455 Bei meiner Treue versichere ich euch, sie würden sich still ver
halten. Selbst wenn ich tausend Eide geschworen hätte, Frieden
zu wahren, bevor ich meinen lieben Herrn sterben sähe, müßte
unbedingt die schöne Brünhild ihr Leben verlieren.«
456 Hagen fügte hinzu: »Hätten wir, ich und mein Bruder Dank
wart, unsere Rüstungen, die wir nötig brauchen, und unsere
kampferprobten Schwerter, so würden wir als freie Männer das
Land verlassen und die große Überheblichkeit der Herrin
Brünhild würde gezähmt.«
457 Die Königin hörte genau, was der Kämpfer sprach. Lächelnd
blickte sie über ihre Schulter: »Wenn Hagen das zu seiner Beru
higung braucht, gebt den Recken ihre scharfen Waffen und ihre
Rüstungen zurück.
152 7- AV ENTIURE
458 Mir ist es egal, ob sie bewaffnet oder unbewaffnet sind«, sagte
die Königin, »ich furchte die Stärke von niemandem, dem ich je
begegnet bin; denn ich traue mir zu, im Kampf gegen jeden zu
gewinnen.«
459 Als sie ihre Schwerter zurückbekamen, wie es die junge Frau
befohlen hatte, wurde der kühne Dankwart rot vor Freude.
»Jetzt mögen die Wettspiele verlaufen, wie sie wollen«, sagte der
tapfere Mann, »Günther kann nicht besiegt werden, solange wir
unsere Waffen in der Hand haben.«
460 Brünhilds Stärke kam nun voll zur Geltung. Man brachte ihr
einen schweren Marmorstein in den Ring, groß, unhandlich,
gewaltig und rund. Zwölf kühne, gewandte Helden konnten ihn
kaum tragen.
461 Den warf sie jedesmal genauso wie den Speer. Die Angst der
Burgunden wuchs immer mehr. »Hilfe!« rief Hagen, »was liebt
der König nur für eine Frau! Sie sollte wahrlich in der Hölle des
bösen Teufels Braut sein.«
462 Sie schlug die Ärmel an ihren weißen Armen hoch und nahm
den Schild fest in die Hand. Den Speer schwang sie in die
Höhe; dann ging der Kampf los. Gunther und Siegfried fürch
teten Brünhilds Kampfwut.
463 Wäre ihm der starke Siegfried nicht sofort zu Hilfe gekommen,
hätte sie dem König das Leben genommen. Siegfried trat un
sichtbar an ihn heran und berührte seine Hand. Die Zauber
kunst erschreckte Gunther.
464 »Was hat mich da berührt?« dachte der kühne Mann. Er sah
sich überall um, aber niemand war da. Doch Siegfried sagte:
»Ich bin es, Siegfried, dein lieber Freund- Du brauchst vor der
Königin überhaupt keine Angst zu haben.
154 7- AV EN TIURE
465 Den schilt gib mir von hende, den la du mich tragen,
und merche mine lere, die du mich hoerest sagen,
nu habe du die gebaerde, diu werch wil ich began.«
do er vernam diu maere, der kunic trösten sich began.
466 »Nu hil du mine liste, daz ist uns beiden guot,
sone mach diu kuniginne ir starchen ubermuot
an dir niht verenden, des si doch willen hat.
nu sich, wie angestliche si gein dir amme ringe stat.«
469 Sivride dem vil chüenen vom munde brast daz bluot.
vil balde spranch er widere, do nam der helet guot
den ger, den si geschozzen im hete durch den rant,
den frumt ir do hin widere sin vil ellenthaftiu hant.
465 Gib mir den Schild aus deiner Hand, laß mich ihn tragen, und
beachte genau, was ich sage. Mach du die Gebärden, ich voll
bringe die Taten.« Als der König das hörte, begann er, ruhiger
zu werden.
466 »Verrate niemandem meine Zauberkunst, das ist gut für uns
beide, dann kann dir die Königin in ihrem großen Übermut
nichts anhaben, auch wenn sie es gern möchte. Sieh nur, wie
furchterregend sie am Ring steht.«
467 Dann warf das starke junge Mädchen den Speer mit aller Kraft
gegen den großen, breiten Schild, den Sieglindes Sohn in der
Hand trug. Feuerfunken sprangen aus dem Stahl, als triebe sie
der Wind hervor.
468 Die scharfe Schneide des Speers drang derart durch den Schild,
daß man die Funken auch aus den Panzerringen aufblitzen sah.
Von diesem Schuß gerieten die beiden starken Männer ins
Wanken. Sie wurden so sehr betäubt, daß sie beinah ihr Leben
verloren hätten.
469 Dem kühnen Siegfried schoß das Blut aus dem Mund. Doch
bald erholte er sich wieder. Der starke Held ergriff den Speer,
den Brünhild durch seinen Schild geschleudert hatte. Mit kraft
voller Hand warf er ihn zurück.
470 Er dachte: »Ich will das schöne Mädchen durch den Schuß
nicht töten.« Darum kehrte er die Speerspitze nach hinten. Der
kühne Mann warf den Speerschaft allerdings so heftig, daß
Brünhild wankte.
471 Die Funken stoben aus dem Stahl, wie vom Wind entfacht. Mit
aller Stärke hatte Sieglindes Sohn den Wurf vollführt. Trotz
ihrer großen Kraft konnte ihm Brünhild nicht standhalten. Kö
nig Gunther hätte das wahrhaftig niemals geschafft.
156 7- AV EN TIURE
474 Der stein der was gevallen wol zwelf klafter dan.
den wurf prach do mit Sprunge diu maget wol getan,
dar gie der herre Sivrit, da der stein gelach.
Gunther in do wegete; der heit in werfene pflach.
475 Sivrit was vil chüene, dar zuo starch unde lanch.
den stein den warf er verrer, dar zuo er witer spranch.
daz was ein michel wunder und kunsteklich genuoch,
daz er mit dem Sprunge den kunic Gunther doch truoch.
476 Der sprunch, der was ergangen, der stein der was gelegen,
do sah man ander niemen wan Gunther den degen.
Prunhilt diu schoene wart in zorne rot.
Sivrit het geverret des kunich Guntheres tot.
47« Do leiten die vil chüenen diu wafen von der hant.
si buten sich ze fuozen uz Burgonden lant
Gunthere dem riehen, vil manic chüener man.
si wanden, daz er hete diu spil mit siner chraft getan.
DER W ERBU NGSBETRUG AN BR Ü N H IL D 157
472 Die schöne Brünhild sprang schnell auf. »Günther, edler Ritter,
hab Dank für diesen Wurf.« Sie glaubte, er hätte ihn eigenhän
dig ausgeführt; doch ein weitaus stärkerer Mann hatte sie ins
geheim getroffen.
474 Zwölf Klafter weit entfernt war der Stein niedergefallen. Diesen
Wurf übertraf die schöne junge Frau nun mit ihrem Sprung.
Herr Siegfried ging dorthin, wo der Stein lag. Gunther berührte
ihn dann; aber Siegfried, der Held, führte den Wurf aus.
476 Der Sprung war ausgeführt, der Stein lag am Boden. Man sah
niemand anderen als Gunther, den Kämpfer. Die schöne Brün
hild war rot vor Zorn. Siegfried hatte König Gunther vor dem
Tode bewahrt.
477 Als sie den Helden unverletzt am Ende des Ringes sah, sagte die
Königin zu ihrem Gefolge: »Kommt schnell her, Verwandte und
alle meine Leute, ihr sollt jetzt König Gunther untertan sein.«
478 Daraufhin legten die tapferen Krieger die Waffen aus der Hand.
Viele kühne Männer beugten ihre Knie vor dem mächtigen
Gunther aus dem Burgundenland. Sie glaubten, er hätte die
Spiele aus eigener Kraft gewonnen.
158 7- AVEN TIURE
485 »So wol mich dirre maere«, sprach Sivrit der degn,
»daz iwer hochverten ist alsus gelegn,
daz iemen lebt so chüene, der iwer meister muge gesin!
nu suit ir, maget edele, uns volgen hinnen an den Rin.«
DER W ERBU NGSBETRUG AN BRÜN HIL D 159
480 Sie bat den edlen Ritter, ihr in den weiträumigen Palas zu fol
gen, wo viele Leute versammelt waren. Aus Ehrfurcht bot man
für den Kämpfer das Beste auf. Durch Siegfrieds Kraft waren
sie alle aus der Bedrängnis gerettet.
481 Der gewandte Siegfried war klug genug, seine Tarnkappe wieder
in das Versteck zu bringen. Danach kehrte er dorthin zurück,
wo die vielen Damen saßen, und sagte zu dem König mit klu
ger Verstellung:
482 »Worauf wartet ihr, mein Herr? Wann fangt ihr mit den vielen
Kampfspielen an, zu denen die Königin euch auffordert, und
wann können wir sehen, wie sie ausgehen?« Der listige Sieg
fried stellte sich so, als ob er nichts von allem gesehen hätte.
483 Da sagte die Königin: »Wie ist das möglich, daß ihr, Herr Sieg
fried, die Spiele nicht gesehen habt, in denen Gunther eigen
händig den Sieg errungen hat?« Darauf antwortete Hagen aus
dem Burgundenland:
484 »Als ihr uns in Furcht versetzt habt und der Herr vom Rhein
im Spiel über euch siegte, da war Siegfried, der vortreffliche
Held, bei unserem Schiff. Darum weiß er von nichts.« Das wa
ren die Worte von Gunthers getreuem Mann.
485 »Was für eine Nachricht«, sagte Siegfried, der Kämpfer, »daß
euer Übermut so zu Fall gekommen ist und es jemanden von
solcher Tapferkeit gibt, daß er euer Meister sein kann! Nun
werdet ihr, edle Frau, uns wohl an den Rhein folgen müssen.«
160 7- AVEN TIURE
491 Irn suit nach mir niht vragen, ich wil hinnen varn.
got muoz iwer ere di zite wol bewarn.
ich chum vil schiere widere und bringe iu tusint man
der aller besten degene, der iemen chunde gewan.«
486 Die Königin antwortete: »Das geht noch nicht. Zuerst müssen
meine Verwandten und Lehnsleute alles erfahren. Ich kann
doch nicht einfach meine Länder verlassen. Meine wichtigsten
Freunde müssen zuerst herbeigeholt werden.«
487 Dann schickte sie überallhin reitende Boten aus. Sie ließ alle
ihre Verwandten und Lehnsleute benachrichtigen und bat sie,
alsbald an den Hof nach Island zu kommen. Die Boten erhiel
ten kostbare, schöne Gewänder geschenkt.
488 Täglich trafen nun von früh bis spät die Herbeigerufenen in
Scharen auf Brünhilds Burg ein. »Verflucht!« sagte Hagen.
»Worauf haben wir uns nur eingelassen? Wir warten hier zu
unserem Verderben auf die Leute der schönen Brünhild.
489 Wenn sich nun all ihre Streitkräfte hier im Land versammeln,
wissen wir nicht, was Brünhild vorhat. Vielleicht ist sie derart
aufgebracht gegen uns, daß wir verloren sind? Jedenfalls stellt
die edle junge Frau eine große Gefahr für uns dar.«
490 Da sprach Herr Siegfried: »Das werde ich verhindern. Was ihr
fürchtet, das lasse ich nicht zu. Ich werde euch auserwählte
Kämpfer, die ihr noch nicht kennt, zur Hilfe in dieses Land
bringen.
491 Fragt nicht nach mir, ich will fortreisen. Gott möge in der Zwi
schenzeit eure Ehre wohl behüten. Ich kehre so schnell wie
möglich zurück und bringe tausend der allerbesten Kämpfer,
die jemals einem von euch begegnet sind.«
492 »Bleibt nur nicht zu lange fort«, sagte der König darauf, »wir
brauchen eure Hilfe äußerst dringend.« Siegfried erwiderte: »In
wenigen Tagen komme ich zurück. Sagt Brünhild, ihr hättet
mich weggeschickt.«
8. A V E N T IU R E
A V EN T IU R E W IE S IV R IT N A H D E N N IB E L U N G E N
S IN E N REC KEN F U O R
494 Den vergen sach doch niemen, wie serez schiffel vloz
von Sivrides chreften, di warn also groz.
man wände, daz iz fuorte ein sunder starcher wint.
nein, ez fuorte Sivrit, der schoenen Sigelinde kint.
493 Der kühne Siegfried eilte unter seiner Tarnkappe fort zu dem
kleinen Schiff. Dort stand Siegmunds Sohn, ohne daß ihn je
mand sehen konnte. Er ruderte das Schiff so schnell fort, als
würde es vom Wind getrieben.
495 Nach einem Tag und der folgenden Nacht gelangte er unter
großer Kraftanstrengung in das Land der Nibelungen, die seine
Untergebenen waren. Land und Burgen, alles gehörte Siegfried.
496 Der Herr landete allein auf einer großen Insel. Das Schiff band
der stattliche Ritter schnell fest, dann eilte er zu einem Berg, auf
dem eine Burg stand. Er suchte Unterkunft, wie es von der
Reise Ermüdete zu tun pflegen.
497 Als er vor das Burgtor gelangte, war es verschlossen. Ja, die Be
wohner waren auf der Hut, so wie die Leute heute noch. Der
Fremde klopfte ans Tor, das sehr gut bewacht war, und sah
drinnen
164 8. AVENTIURE
498 einen Riesen, der an der Pforte Wache hielt und bei dem seine
Waffen jederzeit griffbereit lagen. Der fragte: »Wer klopft da
draußen ans Tor?« Da verstellte der kühne Siegfried seine
Stimme.
499 Er sagte: »Ich bin ein Recke, schließt die Tür auf. Mir folgen
heute noch viele, die sich gern bequem zur Ruhe legen wollen.«
Als Siegfried das sprach, geriet der Torwächter in Zorn.
500 Der tapfere Riese hatte sofort seine Waffen genommen, blitz
schnell saß der Helm auf seinem Kopf, er ergriff den Schild und
stieß das Tor auf. Mit welchem Zorn stürmte er Siegfried ent
gegen!
502 und zwar mit einer Eisenstange. Dadurch kam der Held in Be
drängnis. Fast fürchtete er, getötet zu werden, als der Wächter
so wütend losschlug. Trotzdem gefiel seinem Herrn Siegfried
der wehrhafte Einsatz.
503 Sie kämpften so heftig, daß die ganze Burg dröhnte, denn sie
waren beide übermäßig stark. Siegfried bezwang schließlich
den Pförtner und fesselte ihn. Diese Nachrichten verbreiteten
sich über das ganze Nibelungenland.
504 Der starke Alberich, ein tapferer Zwerg, hörte den wütenden
Kampf in der Ferne durch den Berg. Schnell war er bewaffnet;
dann eilte er dorthin, wo er den edlen Fremden fand. Auch er
erkannte ihn nicht.
166 8. AV EN TIURE
505 Alberich war von Kampfwut erfüllt und außerdem sehr stark.
Er trug einen Helm und ein Panzerhemd am Körper, eine
schwere goldene Geißel hielt er in der Hand. Er lief so schnell er
konnte, bis er auf Siegfried traf.
506 Sieben schwere Kugeln hingen vom an der Geißel, mit der er
dem kühnen Siegfried den Schild derart heftig aus der Hand
schlug, daß er in Stücke zerbrach. Dadurch kam der schöne
Fremde in arge Bedrängnis.
507 Den zerbrochenen Schild warf Siegfried aus der Hand, danach
ließ er auch sein langes Schwert fallen; denn er wollte seinen
Kämmerer nicht töten. Er folgte seiner ritterlichen Erziehung,
wie es ihm sein Anstand gebot.
508 Mit seinen starken Händen ging er auf Alberich los und packte
den alten, grauen Mann am Bart. Er zog ihn heftig, so daß er
laut aufschrie, denn das Zerren des jungen Recken tat Alberich
weh.
509 Laut rief der tapfere Zwerg: »Laßt mich am Leben! Wenn ich
nicht schon einem Recken gehörte, dem ich einen Untertanen
eid geschworen habe, dann würde ich euch dienen, ehe ich jetzt
hier sterben müßte.« Das waren die Worte des klugen Mannes.
510 Siegfried fesselte Alberich wie vorher den Riesen. Seine Kräfte
fügten dem Zwerg Schmerzen zu, und dieser fragte: »Wie heißt
ihr?« Er bekam zur Antwort: »Ich bin es, Siegfried; ich dachte,
ihr kennt mich gut.«
su »Wie freue ich mich über diese Nachricht«, rief darauf der
Zwerg, »jetzt haben mir eure tapferen Taten bestätigt, daß ihr
mit gutem Grund der Herr dieses Landes seid. Ich tue alles, was
ihr befehlt, damit ihr mich am Leben laßt.«
168 8. AV EN TIURE
512 Herr Siegfried sprach: »Geht sofort und bringt mir die besten
Recken, die wir haben, tausend Nibelungen, die sollen hier zu
mir kommen.« Was er mit ihnen vorhatte, verriet er nicht.
513 Er nahm dem Riesen und Alberich die Fesseln ab. Dieser eilte
gleich zu den Recken. In großer Sorge weckte er die vielen tap
feren Männer und sagte: »Auf, ihr Helden, Siegfried erwartet
euch!«
514 Sie sprangen aus dem Bett und waren sofort bereit. Tausend ge
wandte Kämpfer wurden gut ausgestattet. Sie kamen zu Sieg
fried und begrüßten ihn höflich, zugleich aber auch von Furcht
erfüllt.
517 »Hört, ihr tüchtigen Ritter, was ich euch sagen will: Ihr sollt
dort bei Hofe, wo wir liebenswerten Frauen begegnen werden,
prächtige Kleider tragen. Deshalb müßt ihr euch mit guten Ge
wändern schmücken.«
170 8. AVENTIURE
518 Nu sprichet liht ein tumber: »ez mach wol luge wesen,
wie möhte so vil ritter bi ein ander sin genesen?
wa namen si die spise? wa namen si gewant?
sine chundenz niht verenden, und ob in dienten drizzech lant.«
522 Do sprach der vogt von Rine: »ez sint mine man.
die het ich an der verte hie nahe bi verlan,
die han ich besendet. frowe, die sint chomen.«
der herlichen gesten wart vil groze war genomen.
51» Nun wendet vielleicht ein Unerfahrener ein: »Das muß gelogen
sein. Wie könnten so viele Ritter gleichzeitig ausgestattet wer
den? Wo hätte man die Verpflegung und die Kleidung herneh
men sollen? Sicher wäre das nicht möglich, selbst wenn dreißig
Länder dazu beigetragen hätten.«
519 Siegfried aber war, wie ihr wohl vernommen habt, unendlich
reich. Ihm standen das Königreich und der Nibelungenhort zur
Verfügung. Daraus gab er seinen Kämpfern mehr als genug,
denn wie viel man auch dem Schatz entnahm, er wurde da
durch nicht geringer.
520 An einem Morgen brachen sie in aller Frühe auf. Was für
gewandte Gefährten hatte Siegfried da gewonnen! Mit guten
Pferden und herrlichen Gewändern erreichten sie ritterlich
Brünhilds Land.
522 Darauf antwortete der Herr vom Rhein: »Das sind meine Leute.
Ich habe sie auf der Reise in der Nähe zurückgelassen und jetzt
nach ihnen geschickt. Herrin, nun kommen sie.« Die vorneh
men Fremden wurden außerordentlich bestaunt.
523 Man sah Siegfried prächtig gekleidet vorn in dem Schiff stehen,
hinter ihm viele andere Männer. Da sprach die Königin zu
Gunther: »Herr König, sagt mir: Soll ich die Fremden empfan
gen, oder soll ich sie nicht begrüßen?«
172 8. AVEN TIURE
527 Si hiez ouch sagen von Rine den recken also her,
daz si des schazzes naemen minre oder mer,
daz si daz mit ir brachten in Burgonden lant.
des antwurt ir Hagene in hohem muote sa zehant:
525 Man gab den Fremden gern und schnell Unterkunft. Allerdings
waren so viele ins Land gekommen, daß sie sich überall in
Scharen drängten. Dann aber wollten die tapferen Männer ins
Burgundenland zurückfahren.
526 Vorher ließ die Königin noch Gold und Silber, Pferde und auch
Gewänder, die ihr Vater ihr bei seinem Tod hinterlassen hatte,
an viele würdige Männer, bekannte und unbekannte, verteilen.
527 Sie wollte, daß auch die vornehmen Recken vom Rhein mehr
oder weniger von ihrem Schatz annähmen und ins Burgunden
land brächten. Doch Hagen antwortete ihr sogleich voller Stolz:
528 »Hochadlige Königin, das muß ich euch wahrhaftig sagen: Der
König vom Rhein hat so viel Gold und Kleider zu verschenken,
daß wir darauf verzichten können, etwas von eurem Gold und
euren Gewändern mitzunehmen.«
529 Die junge Frau aber bat: »Doch mir zuliebe soll es geschehen.
Ich will zwanzig Truhen, gefüllt mit Gold und Seide, von hier
fortbringen, damit ich etwas zum Verschenken habe, wenn wir
in Gunthers Land kommen.«
531 Die Herrin erblickte neben sich einen ihrer vornehmsten Ver
wandten, den Bruder ihrer Mutter. Zu ihm sprach sie: »Euch
seien die Burgen und das Land befohlen, bis König Gunther
selbst hier die Herrschaft übernimmt.«
532 Dann wählte sie tausend tapfere Männer aus ihrem Gefolge, die
sie zusammen mit den tausend Recken aus dem Nibelungen
land an den Rhein begleiten sollten. Alle machten sich zur
Abfahrt bereit, und man sah sie zum Ufer reiten.
535 Unterwegs hörte man allerlei Musik und hatte gute Unter
haltung. Dann stellte sich zu ihrer Reise auch der richtige
Fahrtwind ein. Überaus fröhlich gestimmt fuhren sie fort aus
Brünhilds Land.
536 Doch auf der Fahrt wollte Brünhild nicht mit Gunther schlafen.
Er mußte auf dieses Vergnügen verzichten, bis sie zu Hause in
Worms auf der Burg ankamen und das Hochzeitsfest feierten.
Dorthin gelangten sie nach einiger Zeit voller Freude mit ihren
Recken.
9. A V EN T IU R E
A V EN T IU R E W IE S IV R IT ZE W O R M E Z IN B O T S C H E F T E F U O R
538 Do sprach der kunich Gunther: »ir habt mir reht geseit.
nu bereitet iuch zer verte, ritter vil gemeit,
wände wir in disen ziten ander niemen han,
der dar muge geriten.« do sprach der ubermüete man:
539 »Nu wizzet, lieber herre, ine bin niht bote guot.
ich wil iuch eins bewisen, der ez doch gerne tuot:
Sivrit den chüenen suit ir iz niht verdagen.
durch iwer swester liebe getarrer erz iu nimmer versagen.«
541 Des bitte ich iuch, her Sivrit, daz ir die reise tuot,
daz ez mit mir verdiene diu edel maget guot
mit allen minen friunden, ritter vil gemeit.«
do sprach der degen chüene: »der reise bin ich iu bereit.
9- A V EN T IU R E
W I E S IE G F R IE D ALS BOTE N A C H W O RM S F U H R
537 Als sie neun Tage hintereinander gesegelt waren, sagte der
kühne Hagen: »Nun hört meinen Ratschlag: Ihr habt noch
keine Nachricht nach Worms an den Rhein geschickt. Eure
Boten sollten schon längst in Burgund sein.«
539 »Nehmt zur Kenntnis, lieber Herr, daß ich mich nicht zum Bo
ten eigne. Ich will euch einen nennen, der die Aufgabe gern
übernimmt: Wendet euch an den kühnen Siegfried. Aus Liebe
zu eurer Schwester wagt er bestimmt nicht, euch die Bitte abzu
schlagen.«
540 Gunther schickte nach dem Recken, der sofort kam, und sagte
zu ihm: »Da wir uns meinem Heimatland nähern, ist es ange
bracht, meiner lieben Schwester und auch meiner Mutter einen
Boten zu senden, der meldet, daß wir nun bald wieder am
Rhein sind.
541 Darum bitte ich euch, Herr Siegfried, die Botenreise zu über
nehmen, tüchtiger Ritter, dafür danken dir mit mir die edle
junge Frau und alle meine Freunde.« Der kühne Kämpfer ant
wortete: »Ich bin zu der Reise für euch bereit.
178 9- AVEN TIURE
543 »So sagt miner muoter und ouch der swester min,
daz wir an dirre verte in hohem muote sin.
lat wizzen mine brüeder, wie wir geworben han,
und ander unser friunde soi man diu maere ouch hoeren lan.
545 Und sagt ouch minen brüedern und andern friunden min,
daz si mit grozem vlize dar zuo gewarnt sin.
und soi in unsern landen diu maere wizzen lan:
ich wil mit Prunhilde vil groze hochgecite han.
542 Tragt mir auf, woran euch liegt, davon wird nichts ungesagt
bleiben. Um der liebenswerten Kriemhild willen werde ich alles
berichten. Warum sollte ich der Frau, die ich von Herzen liebe,
etwas vorenthalten? Was ihr um ihretwillen gebietet, das wird
alles ausgefiihrt.«
543 »So sagt meiner Mutter und auch meiner Schwester, daß wir
fröhlich von dieser Fahrt zurückkehren. Benachrichtigt meine
Brüder, daß unsere Werbung Erfolg hatte, und unsere anderen
Verwandten sollen es ebenfalls erfahren.
544 Kriemhild und meiner Mutter sollt ihr nichts verschweigen. Ih
nen beiden, ihrem ganzen Gefolge und meinen Leuten über
bringt meine und Brünhilds Grüße. Wonach mein Herz sich
sehnte, das habe ich erreicht.
546 Bittet meine Schwester, wenn sie gehört hat, daß ich mit
meinen Gästen ins Land komme, sie möge meine Geliebte
angemessen empfangen. Dafür will ich mich immer in Treue
erkenntlich zeigen.«
547 Als der tapfere Recke von Gunther und auch von Brünhild
Abschied genommen hatte, ritt der ruhmreiche Ritter voller
Freude nach Worms an den Rhein. Auf der ganzen Welt konnte
es keinen besseren Boten geben.
549 Die Helden waren von ihren Pferden abgestiegen und standen
freudig gestimmt da. Sofort kamen die beiden jungen Könige
und das ganze Gefolge. Als er seinen Bruder Gunther nicht ne
ben Siegfried erblickte, sprach Herr Gernot:
550 »Willkommen, edler Ritter, sagt uns, wo ihr meinen Bruder, den
König, gelassen habt. Ich fürchte, die starke Brünhild hat ihn
uns entrissen; dann hätte seine große Liebe zu ihr uns einen
schweren Verlust gebracht.«
551 »Euch beide, edle Recken, und alle seine Verwandten läßt mein
Kampfgefährte grüßen. Ich habe ihn ganz unversehrt zurück
gelassen; er hat mich als Boten vorausgeschickt, damit ich euch
diese Nachricht überbringe.
552 Veranlaßt so schnell wie möglich, daß ich eure Mutter und eure
Schwester treffe. Sie sollen erfahren, was der mächtige König
Gunther, um dessen Glück und Ehre es bestens steht, ihnen
mitteilen läßt.«
554 Herr Siegfried erwiderte: »Womit ich ihnen dienen kann, das
will ich gern und in Treue ausführen. Wer meldet nun den
Damen, daß ich sie besuchen möchte?« »Ich werde es tun«,
sagte Giselher, der stattliche Mann.
555 Als der stolze, kühne Recke seine Mutter und seine Schwester
aufsuchte, sagte er zu ihnen beiden: »Siegfried, der Held aus
Niederland, ist zu uns gekommen; mein Bruder Gunther hat
ihn an den Rhein vorausgeschickt.
182 9 . AVENTIURE
556 Er meldet uns, wie es dem König geht. Nun gestattet ihm, bei
Hof vor euch zu erscheinen. Er bringt uns genaue Nachrichten
aus Island.« Immer noch waren die edlen Damen von großen
Sorgen erfüllt.
557 Sie machten sich schnell für den Empfang zurecht und baten
Siegfried, bei Hofe zu erscheinen. Der tat das bereitwillig, denn
er wollte sie gern sehen. Die schöne Kriemhild sprach ihn
freundlich an:
559 Darauf antwortete der tapfere Ritter: »Ihr edlen Damen könnt
meine Botschaft belohnen; denn ihr habt keinen Grund zu wei
nen. Ich verließ Gunther völlig unverletzt, das versichere ich
euch. Er und die schöne Brünhild haben mich zu euch beiden
vorausgeschickt.
561 Mit den schneeweißen Spitzen ihres Kleides trocknete sie die
Tränen in ihren schönen Augen. Sie dankte dem Boten für seine
Nachricht; nun war sie nicht mehr traurig und hörte auch auf
zu weinen.
562 Man bat den Boten, Platz zu nehmen, was er bereitwillig tat.
Dann sagte die junge Frau: »Gern würde ich euch mein Gold
als Botenlohn geben, doch dazu seid ihr selbst zu mächtig. Aber
ich will euch immer herzlich zugeneigt bleiben.«
184 9- AV ENTIURE
563 »Auch wenn ich selbst dreißig Länder besäße«, antwortete er,
»so nähme ich doch sehr gern eine Gabe aus eurer Hand entge
gen.« Darauf erwiderte das liebenswerte Mädchen: »Dann soll
es geschehen.« Sie schickte den Kämmerer nach dem Boten
lohn.
565 Ihre Mutter dankte ihnen ebenfalls mit einer freundlichen Ge
ste. Dann sprach der kühne Mann: »Ich soll euch außerdem
sagen, worum euch der König für seine Rückkehr bittet. Wenn
ihr seinen Wunsch erfüllt, wird er euch immer dankbar sein.
568 Niemals wurde der Bote eines Fürsten besser empfangen. Hätte
die Herrin wagen dürfen, ihn zu küssen, so hätte sie es getan.
Wie liebenswürdig verabschiedete er sich von den Damen! Die
Burgunden führten nun aus, was Siegfried ihnen geraten hatte.
571 Der Palas und die Wände der Burg wurden allenthalben für die
Gäste geschmückt. In Gunthers Saal stellte man wegen der vie
len Fremden zusätzliche Stühle auf. Das große Fest begann sehr
fröhlich.
572 Von überall kamen die Verwandten der drei Könige, die man
eingeladen hatte, durch das Land herbeigeritten, um die An
kommenden zu erwarten. Aus den Truhen wurden viele kost
bare Gewänder hervorgeholt.
573 Als die Nachricht eintraf, daß man den König mit seinen frem
den Gästen herannahen sähe, entstand unter dem Volk im Bur-
gundenland Aufregung. Wie viele gewandte Kämpfer sah man
neben Brünhild!
574 Die schöne Kriemhild sagte: »Meine Mädchen, wenn ihr mit
mir an dem Empfang teilnehmen wollt, sucht aus den Truhen
die allerbesten Kleider heraus, die ihr finden könnt. Das gilt für
alle anderen Damen genauso.«
575 Dann kamen auch die Recken und ließen herrliche goldfarbene
Sättel herbeibringen, auf denen die Damen bei Worms an den
Rhein reiten sollten. Besseres Pferdegeschirr konnte es nirgends
geben.
576 O, wie glänzte dort das strahlende Gold an den Pferden! Auch
waren in das Zaumzeug viele Edelsteine eingelegt. Goldene
Fußbänke stellte man über hellen, kostbaren Seidenstoffen für
die Frauen hin, damit sie aufs Pferd steigen konnten. Sie waren
in freudiger Stimmung.
188 9- AVENTIURE
581 Von zobel und ouch von harme vil chleider man da vant.
da wart vil wol gezieret manich arm und hant
mit bougen ob den siden, die si da solden tragen,
iu enchunde dizze vlizen zende niemen gesagen.
577 Man brachte den Damen viele schöne, kräftige Pferde, die
üppig mit seidenem Zaumzeug ausgestattet waren. Sie hatten
die prächtigsten seidenen Brustriemen um, von denen euch
jemand berichten könnte.
581 Viele Kleider waren aus Zobel und Hermelin. Als Schmuck an
Armen und Händen trugen die meisten Armreife über dem
Seidenstoff. Niemand könnte euch vollständig erzählen, mit
welchem Eifer sie sich geschmückt hatten.
583 Anmutig trugen viele schöne Mädchen eine Spange, die vorn
das Gewand zusammenhielt. Doch jede von ihnen wäre traurig
gewesen, wenn nicht das eigene helle Antlitz alle Kleider über
strahlt hätte. Ein so schönes Gefolge hat heute kein Königs
geschlecht mehr.
585 Auf der anderen Seite des Rheins sah man, wie sich der König
mit großen Scharen von Fremden dem Ufer näherte. Viele
Mädchen saßen auf Pferden, die am Zaum geführt wurden.
Alle, die beim Empfang dabeisein sollten, waren bereit.
586 Als die Leute aus Island und auch Siegfrieds Männer aus dem
Nibelungenland mit den Schiffen angelangt waren, ruderten sie
eifrig ans Ufer, wo man die Verwandten des Königs überall an
der Anlegestelle stehen sah.
587 Nun hört auch von der mächtigen Königin Ute, wie sie die
Mädchen von der Burg herab an die Stelle führte, zu der sie
selbst hinritt. Dort begegneten sich zahlreiche Ritter und Mäd
chen.
588 Der Markgraf Gere führte Kriemhild zu Pferde nur aus der
Burg heraus, dann stand Siegfried liebenswürdig dem wirklich
schönen Mädchen zu Diensten. Dafür wurde er später von der
jungen Frau belohnt.
589 Der tapfere Ortwin ritt neben Frau Ute, und hinter ihnen folg
ten viele Ritter und Mädchen. Zu einem solchen Empfang, das
kann man wohl sagen, sah man nie wieder eine so große Zahl
von Damen versammelt.
194 10. AVENTIURE
591 Der chunich was chomen selbe und manic werder gast,
hey, was starcher schelte vor den frowen brast!
man hört da hurteklichen von Schilden manigen stoz.
hey, waz da richer buckelen von gedrange lut erdoz!
591 Der König selbst und eine große Zahl ehrwürdiger Gäste waren
inzwischen angekommen. Wie viele starke Lanzen zersplitter
ten da vor den Damen! Man hörte, daß eine Menge Schilde hef
tig aneinanderstieß. Wie laut dröhnte es vom Zusammenprall
der kostbaren Beschläge!
596 Bis ihre Begrüßung zu Ende war, dauerte es noch lange; denn
manch rosenroter Mund wurde geküßt. Noch standen die bei
den mächtigen Königstöchter nebeneinander. Dieser Anblick
erfreute viele ruhmreiche Helden.
196 10. AVENTIURE
602 Wes da die helde pflaegen, daz sach vil manic meit.
man sagt, daz der her Sivrit mit sinen helden reit
manige widerchere fur die hütten dan.
er fuort der Nibelunge tusint waetlicher man.
597 Die vorher nur davon gehört hatten, konnten jetzt mit eigenen
Augen sehen, daß sie etwas so Liebenswertes wie diese beiden
adligen Frauen noch nie erblickt hatten. Die Männer bestätig
ten, daß sie den Schönheitspreis in allen Ländern verdienten.
598 Wer etwas von Damen und ihren körperlichen Vorzügen ver
stand, rühmte Gunthers Gemahlin um ihrer Schönheit willen.
Doch sagten die Klugen, die es besser wußten, man solle eher
Kriemhild vor Brünhild den Vorzug geben.
599 Mädchen und Frauen gingen aufeinander zu, alle schön ge
schmückt. Seidene Unterstände und zahlreiche kostbare Zelte
waren über das ganze Feld vor Worms verteilt.
600 Die Verwandten des Königs drängten heran, und man forderte
die beiden Königinnen mit ihrem ganzen Gefolge auf, in den
Schatten zu gehen. Die Kämpfer aus dem Burgundenland führ
ten sie dorthin.
601 Dann stiegen auch alle anderen Gäste aufs Pferd; und im ritter
lichen Zweikampf prallten mächtige Speerstöße von den Schil
den ab. In der Ebene wirbelte Staub auf, als wäre das Land in
Brand geraten. Dabei stellte sich heraus, wer ein guter Kämpfer
war.
602 Zahlreiche Mädchen schauten zu, was die Helden trieben. Man
sagt, Herr Siegfried sei mit seinen Begleitern sehr oft an den
Zelten vorbeigeritten. Er führte tausend stattliche Männer von
den Nibelungen mit sich.
603 Schließlich kam Hagen von Tronje, wie es ihm sein Herr befoh
len hatte, und beendete mit freundlichen Worten das Ritter
spiel, damit die anmutigen Damen vom Staub verschont blie
ben. Höflich folgten die Gäste der Aufforderung.
198 10. AVENTIURE
604 Herr Gernot sagte: »Laßt die Pferde ausruhen, bis der kühle
Abend kommt; jetzt werden wir die schönen Frauen vor den
weiten Palas geleiten. Seid bereit, wenn der König losreitet.«
605 Gegen Abend, als die Sonne unterging und es kühler wurde,
wartete man nicht länger. Männer, Mädchen und Frauen mach
ten sich zur Stadt auf. Mit zärtlichen Blicken wurden die vielen
jungen Damen betrachtet.
606 Bis der König vor dem weitläufigen Palas abstieg, ritten die
tüchtigen, stolzen Recken nach dem Brauch des Landes so oft
hin und her, daß zahlreiche Kleider durchgeritten wurden.
Dann stand man den Damen zu Diensten, wie es freudig ge
stimmte Helden zu tun pflegen.
60« Tische und Bänke wurden aufgebaut; der König wollte mit sei
nen Gästen speisen. Neben ihm stand die schöne Brünhild, die
jetzt die Krone in seinem Reich trug. Diese war überaus kunst
voll und kostbar.
609 Wie uns berichtet wird, standen auch für das Gefolge viele
große, mit Speisen reich gedeckte Tafeln bereit. Was immer sie
sich wünschten, es fehlte ihnen an nichts. Bei dem König sah
man eine Menge vornehmer Gäste.
200 10. AVENTIURE
612 Er sprach zuo dem chunege: »ja swuor mir iwer hant,
swenne daz frou Prunhilt chôme in dizze lant,
ir gaebt mir iwer swester. war sint die eide chomen?
ich han an iwer reise vil michel arebeit genomen.«
613 Do sprach der chunk riche: »ir habt mich reht ermant.
jane soi niht meineide werden des min hant.
ich wilz iu helfen fliegen, so ich beste chan.«
do hiez man Chriemhilde ze hove zuo dem chunige gan.
611 Noch ehe der Herr vom Rhein zum Händewaschen kam, ver
langte Siegfried, was ihm zustand. Er erinnerte Gunther an sein
Versprechen, das dieser ihm gegeben hatte, bevor er zu Brün-
hild nach Island gereist war.
612 Siegfried sagte zu dem König: »Mit eigener Hand habt ihr mir
geschworen, daß ihr mir eure Schwester gebt, wenn Frau Brün-
hild in dieses Land kommt. Wie steht es mit der Einlösung des
Eides? Ich habe auf eurer Reise große Mühe auf mich genom
men.«
613 Darauf antwortete der mächtige König: »Ihr habt mich mit
Recht erinnert. Wahrhaftig, meine Hand soll nicht meineidig
werden. Ich will euch bei eurem Anliegen nach besten Kräften
helfen.« Dann ließ man Kriemhild an den Hof zum König
kommen.
614 Mit ihren schönen Mädchen trat sie vor den Saal. Giselher
sprang die Treppe hinunter und schickte ihr hübsches Gefolge
wieder fort: »Nur meine Schwester allein soll mit uns bei Hof
erscheinen.«
615 Dann führte er Kriemhild zum König. Dort standen edle Ritter
aus vielen Fürstentümern; und man bat sie, mitten im Saal
stehenzubleiben. Inzwischen war Frau Brünhild zu ihrem Sitz
gegangen.
202 10. AVENTIURE
616 Sine wesse niht der maere, waz man da wolde tuon.
do sprach zuo sinen magen der Danchrates suon:
»helfet mir, daz min swester Sivriden neme ze man.«
do sprachens al geliche: »si mag in wol mit eren han.«
617 Do sprach der chunic Gunther: »la dirz niht wesn leit,
min vil liebiu swester, und loese minen eit.
ich swuor dich eime recken, und wirdet er din man,
so hastu minen willen mit grozen triwen getan.«
619 Bei dem lieblichen Anblick errötete Siegfried. Der Recke bot
dem Mädchen seinen Dienst an. Man ließ beide nebeneinander
in den Ring treten und fragte Kriemhild, ob sie den stattlichen
Mann heiraten wolle.
621 Nachdem sie sich einander versprochen hatten, ließ sich das lie
benswerte Mädchen gern von Siegfried umarmen. Dem Brauch
entsprechend küßte er dann die schöne Königin.
204 10. AVENTIURE
623 Ouch was der wirt gesezzen und Prunhilt diu meit.
do sach si Chriemhilde, do wart ir nie so leit,
bi Sivride sizzen. weinen si began,
ir vielen heize trähene über liehtiu wange dan.
624 Do sprach der wirt des landes: »waz ist iu, frowe min,
daz ir so lazet trüeben liehter ougen schin?
ir mohtet sanfter lachen, wan iu ist undertan
min lant unde riche burge und manic waetlicher man.«
625 »Ich mac wol balde weinen«, sprach diu schoene meit,
»umbe dine swester ist mir so grimme leit,
di sich ich sizzen nahn dem eigen holden din.
daz muoz mich immer riwen, und sol si also verstozen sin.«
626 Do sprach der chunich Gunther: »ir mugt wol stille dagn.
ich wil iu zandern eiten disiu maere sagn,
warumbe ich mine swester dem recken han gegebn.
ja mac si mit dem degene immer vroliche lebn.«
622 Das Gefolge teilte sich. Sobald dies geschehen war, sah man
Siegfried und Kriemhild gegenüber von König Gunther Platz
nehmen. Dort verneigten sich viele, und die Nibelungen traten
huldigend an Siegfrieds Sitz heran.
623 Auch der Herr des Hofes und die jungfräuliche Brünhild nah
men ihre Plätze ein. Als sie nun Kriemhild neben Siegfried
sitzen sah, empfand sie ein nie zuvor gefühltes Leid. Sie begann
so zu weinen, daß heiße Tränen über ihr helles Antlitz flössen.
624 Der Landesherr sagte zu ihr: »Was habt ihr, meine Herrin, daß
sich der Glanz eurer hellen Augen so trübt? Ihr solltet vielmehr
freundlich lachen, denn euch gehören nun mein Land, mäch
tige Burgen und viele stattliche Männer.«
625 »Ich muß aber weinen«, antwortete das schöne junge Mädchen,
»deine Schwester tut mir so schrecklich leid, da ich sie neben
deinem Eigenmann sitzen sehe. Diesen Schmerz, daß sie so ent
ehrt wird, werde ich nie verwinden.«
628 Der mächtige König sprach: »Ich will es euch sagen: Wie ich
besitzt er Burgen und weite Länder. Dessen könnt ihr sicher
sein: Er ist ein mächtiger König, und darum habe ich ihm
meine schöne, verehrte Schwester zur Frau gegeben.«
206 10. AVENTIURE
630 Er dachte, daß er lieber neben seiner schönen Frau läge; denn
im Herzen hoffte er, durch ihre Liebe große Freude zu erleben.
Er begann, Brünhild ständig liebevoll anzusehen.
631 Man bat die Gäste, die Ritterspiele zu beenden; denn der König
wollte mit seiner Frau zu Bett gehen. Vor dem Treppenaufgang
zum Saal verabschiedeten sich die Damen, den Anstandsregeln
entsprechend, freundlich, jedenfalls nehme ich das an.
632 Dann schloß sich ohne weitere Verzögerung ihr Gefolge an.
Ihre vornehmen Kämmerer brachten die Lichter. Die Recken
der beiden Könige teilten sich; und man sah viele Kämpfer mit
Siegfried fortgehcn.
633 Die beiden Herren gelangten nun zu ihrem Bett. Jeder von
ihnen stellte sich vor, wie er die Liebe seiner begehrenswerten
Frau erringen werde; das stimmte sie freudig. Siegfrieds Ver
gnügen ließ denn auch nichts zu wünschen übrig.
634 Als Herr Siegfried bei Kriemhild lag und sich voller Liebe der
jungen Frau zuwandte, da wurde sie mit ihm eins. Wegen ihrer
großen Tugenden hatte sie dieses Glück verdient.
635 Ich erzähle euch nicht weiter, wie Siegfried mit Kriemhild die
Nacht verbrachte. Jetzt hört vielmehr davon, wie Gunther ne
ben seiner Braut zu liegen kam. Der vielgerühmte Kämpfer
hatte schon oft angenehmer bei anderen Frauen gelegen.
208 10. AVENTIURE
637 In einem Hemd aus feinem weißen Stoff trat sie an das Bett
heran. Da dachte der edle Ritter: »Nun habe ich alles, was ich
mir bisher in meinem ganzen Leben gewünscht habe.« Wegen
ihrer Schönheit mußte sie ihm unbedingt gefallen.
63» Gunther löschte eigenhändig alle Lichter. Dann ging der mäch
tige König zu der Herrin. Er legte sich in höchst freudiger Er
wartung nahe zu ihr. Der Held nahm die Liebenswerte in seine
Arme.
639 Jetzt hätte er ein Liebesspiel beginnen können, wenn die Herrin
es ihm gestattet hätte. Doch sie wurde so zornig, daß es ihn
erschreckte. Er hatte gehofft, eine Liebende zu finden; nun traf
er auf feindseligen Haß.
640 Sie sagte: »Edler Ritter, laßt das sein; worauf ihr hofft, dazu
wird es nicht kommen. Nehmt zur Kenntnis, daß ich meine
Jungfräulichkeit bewahren will, bis ich in jeder Hinsicht die
volle Wahrheit erfahre.«
641 Er aber wollte ihre Liebe erzwingen. Das verletzte die Herrin.
Die starke junge Frau griff nach einem Gürtel, einem kräftigen
Band, das sie ständig trug. Damit trieb sie dem König seinen
Willen aus.
642 Sie fesselte ihm Füße und Hände, dann trug sie ihn zu einem
Nagel und hängte ihn an die Wand. Er konnte es nicht verhin
dern; seine Bedrängnis war groß. Tatsächlich wäre er durch ihre
Kraft beinahe zu Tode gekommen.
210 10. AVENTIURE
645 »Nu sagt mir, her Gunther, wer iu daz iht leit,
ob iuch gebunden funden«, so sprach diu schoene meit,
»die iwern kameraere von einer ffowen hant?«
do sprach der ritter edele: »daz wurde iu übel bewant.
646 Ouch hete ichs luzzel ere«, sprach der chüene man,
»durch iwer selber zuhte so lat mich zuo ziu gan.
sit daz iu min minne sint so grimme leit,
jane soi ich nimmer rüeren mit miner hant an iwer chleit.«
649 Nach siten, der si pflagen unde man durch reht begie,
der chunk mit siner frowen niht langer daz enlie,
si chomen zuo dem münster, da man die messe sanch.
ouch chom der herre Sivrit; sich huop da grozlich gedranch.
D O PPE L H O C H Z E IT IN WORMS 211
643 Daraufhin begann er, der ihr Meister hatte sein wollen, sie an
zuflehen: »Nun löst meine Fesseln, hochedle Königin. Ich wage
es nicht mehr, Herrin, eure Liebe zu erringen, und ich werde
mich auch nicht mehr so dicht neben euch legen.«
644 Sie kümmerte sich nicht darum, wie es ihm ging: denn sie lag
sehr bequem. Er aber mußte die ganze Nacht dort hängen bis
zum nächsten Tag, als das Morgenlicht durch das Fenster
schien. Das Vergnügen des Königs in der Zwischenzeit war
nicht gerade groß.
645 »Nun sagt mir, Herr Günther«, sprach das schöne Mädchen,
»wäre es nicht eine Schmach für euch, wenn euch eure Käm
merer gefesselt hier fänden und das von einer Frau?« Da ant
wortete der edle Ritter: »Das würde euch schlecht bekommen.
647 Als sie das hörte, ließ sie ihn sofort frei. Er ging wieder zu der
Herrin ans Bett, legte sich aber so weit ab von ihr, daß er ihr
schönes Gewand nicht erreichen konnte. Genauso verlangte sie
es auch.
648 Dann kam ihre Dienerschaft und brachte die Kleider, die ihnen
für den Morgen bereitgelegt wurden. Wie fröhlich es sonst auch
zuging, der edle Landesherr war äußerst bedrückt, obwohl er
an diesem Tag in fesüichem Aufzug die Krone trug.
649 So wie es Brauch und Recht des Landes geboten, betrat der
König mit seiner Gemahlin unverzüglich das Münster, wo man
die Messe feierte. Auch Herr Siegfried kam dorthin, und es ent
stand ein dichtes Gedränge.
212 10. AVENTIURE
654 Do sprach der wirt zem gaste: »ich chlag iu minen schaden,
ich han den ubeln tiufel heim ze hus geladen.
do ich si wände minnen, vil sere si mich bant.
si truog mich zeime nagele und hie mich hohe an ein want.
653 Ihm war ganz anders zumute als Siegfried. Sobald der kühne
Kämpfer Gunthers Niedergeschlagenheit bemerkte, ging er
zum König und fragte: »Wie ist es euch heute nacht ergangen?
Das wüßte ich gern.«
654 Der Herr des Hofes antwortete dem Gast: »Ich beklage meine
Niederlage vor euch. Ich habe mir den bösen Teufel ins Haus
geholt. Als ich mit ihr schlafen wollte, hat sie mich an Händen
und Füßen gefesselt. Brünhild trug mich zu einem Nagel und
hängte mich oben an die Wand.
655 Dort hing ich voller Angst die ganze Nacht bis zum Tagesan
bruch, bevor sie mich wieder losband; schrecklich hat sie mich
behandelt. Das klage ich euch als meinem Freund im Ver
trauen.« Darauf sagte der Herr Siegfried: »Das tut mir außer
ordentlich leid.
214 IO. AVENTIURE
656 Des bringe ich iuch wol innen, und lat irz ane nit.
ich schaffe, daz si noch hint so nahen bi iu geht,
so daz si iuch ir minne gesumet nimmer mer.«
der rede was do Gunther nach sinen arebeiten her.
658 Do sprach der starche Sivrit: »du mäht noch wol genesn.
uns zwein ist ungeliche hinte gewesn.
mir ist din swester Chriemhilt als min selbes lip.
ez muoz diu frowe Prunhilt noch hinte werden din wip.
660 So lesche ouch ich den kinden diu lieht an der hant.
bi disem Wortzeichen soi dir sin bêchant,
daz ich bi dir si nahen, ja twing ich dir din wip,
daz du si hint minnest, oder ich verliuse den lip.«
656 Wenn ihr ohne Mißtrauen zustimmt, bringe ich das für euch in
Ordnung. Ich werde es schaffen, daß ihr noch heute nacht so
nahe bei ihr liegt, daß sie euch ihre Liebe nicht länger verwei
gert.« Diese Rede tat Gunther nach seiner Demütigung gut.
657 »Sieh nur, wie geschwollen meine Hände sind; sie hat sie mir
derart zusammengedrückt, als ob ich ein hilfloses Kind wäre,
so daß mir überall Blut unter den Nägeln hervordrang. Ich
hatte wenig Hoffnung zu überleben.«
658 Da sprach der starke Siegfried: »Dir kann geholfen werden. Uns
beiden ist es letzte Nacht ganz unterschiedlich ergangen. Ich
liebe deine Schwester wie mein eigenes Leben. Noch heute
nacht muß Brünhild deine Frau werden.
660 Dann lösche ich auch noch die Lichter in der Hand der jungen
Diener. An diesem Zeichen sollst du merken, daß ich in deiner
Nähe bin. Anschließend bezwinge ich deine Frau für dich, so
daß du heute nacht mit ihr schlafen kannst, andernfalls verliere
ich mein Leben.«
662 »Daz nim ich«, so sprach Sivrit, »uf die triwe min,
daz ich ir niht enminne. diu schoene swester din
diu ist mir vor in allen, die ich noch ie gesach.«
des frowete sich do Gunther, do daz Sivrit gesprach.
664 Von rossen und von Hüten gerumet was der hofe.
der frowen iesliche fuort ein bisscofe,
do si vor den kunigen ze tische solden gan.
in volgte zuo dem sidele vil manic recke wolgetan.
666 Wander erbeite chume, daz man ze naht von tische gie.
die schoenen Prunhilde man do chomen lie
und ouch Chriemhilde, si bede an ir gemach.
hey, waz man chüener degene bi den schoenen frowen sach!
668 Er stal sich von den frowen. vil tougen chom er dan,
da er vil kameraere vant mit liehten stan,
diu begunder leschen den chinden an der hant.
daz ez Sivrit waere, daz wart do Gunther bêchant.
D O PPE L H O C H Z E IT IN WORMS 217
662 »Ich verspreche bei meiner Treue«, sagte Siegfried, »daß ich
nicht mit ihr schlafe. Deine schöne Schwester liebe ich mehr als
alle anderen, die ich jemals vorher gesehen habe.« Gunther
freute sich darüber, als Siegfried das sagte.
663 Da gerieten sie in das Gedränge, das durch die Ritterspiele ent
standen war. Als die Damen in den Palas gehen sollten, unter
sagte man das Spiel und den Lärm ganz; die Kämmerer forder
ten die Leute auf, aus dem Weg zu gehen.
664 Auf dem Hof waren bald keine Pferde und keine Leute mehr.
Jede der beiden Damen wurde vor den Augen der Könige von
einem Bischof zu Tisch geführt. Viele stattliche Helden folgten
ihnen zu den Sitzen.
666 Kaum konnte er erwarten, daß man zur Nacht die Tafel aufhob.
Die schöne Brünhild und auch Kriemhild ließ man beide in
ihre Gemächer gehen. Wie viele kühne Kämpfer sah man bei
den schönen Damen!
668 Er stahl sich von seiner Frau weg. Ganz heimlich näherte er sich
den vielen Kämmerern mit den Lichtern, er löschte sie den
Knaben in der Hand aus. Daran merkte Gunther, daß Siegfried
da war.
218 10. AVENTIURE
669 Er wußte wohl, was Siegfried wollte, und befahl den Mädchen
und Frauen sich zurückzuziehen. Als das geschehen war, ver
schloß er selbst geflissentlich die Tür. Zwei starke Riegel schob
er eilig davor.
671 Der Held legte sich nahe neben die junge, unberührte Frau. Sie
sprach: »Nun laßt das, Gunther, wenn ihr nicht wollt, daß ihr
in solche Bedrängnis kommt wie gestern.« Danach fügte die
Herrin dem König Siegfried Schmerzen zu.
672 Der aber hielt seine Stimme zurück, so daß er kein Wort sprach.
Obwohl er Siegfried nicht sehen konnte, hörte König Gunther
genau, daß es zu keinen Vertraulichkeiten kam. Sie fanden im
Bett nur wenig Annehmlichkeit.
673 Siegfried benahm sich, als wäre er der mächtige König Gunther:
Er schloß das ruhmreiche junge Mädchen in die Arme. Sie warf
ihn aus dem Bett auf eine Bank, die daneben stand, so daß sein
Kopf laut auf einen Schemel schlug.
674 Kraftvoll sprang der gewandte Mann wieder auf, um es mit bes
serem Erfolg noch einmal zu versuchen. Als er sie für den, dem
er es versprochen hatte, gefügig machen wollte, setzte sich
Brünhild derart zur Wehr, wie es, glaube ich, nie wieder eine
Frau tun wird.
675 Da er nicht daran dachte aufzugeben, sprang die junge Frau so
fort wieder auf. »Laßt das, so gewaltsam an meinem weißen
Hemd zu zerren, denn es tut mir weh. Das werde ich euch
heimzahlen«, sagte das begehrenswerte junge Mädchen.
220 10. AVENTIURE
677 Waz half sine groziu sterche und ouch sin michel chraft?
si erzeigete wol dem degene ir libes meisterschaft.
si truog in mit gewalte, da wart ir eilen schin,
und truchtin ungefuege zwischen der wende und einen schrin.
676 Mit ihren starken Armen umklammerte sie den Kämpfer. Dann
wollte sie ihn fesseln wie in der Nacht zuvor den König, damit
sie in ihrem Bett Ruhe hätte. Daß er ihr Gewand zerriß, rächte
die Herrin gewaltsam.
677 Was halfen Siegfried seine große Stärke und seine ungeheure
Kraft? Sie erwies sich dem Kämpfer gegenüber körperlich über
legen. Sie hob ihn mit Gewalt hoch, daran wurde ihre Kraft
offenbar, und preßte ihn heftig zwischen die Wand und einen
Schrank.
678 »O weh«, dachte der Recke, »wird mir jetzt ein junges Mädchen
mein Leben nehmen? Wenn das geschieht, können künftig alle
Frauen übermütig werden, und viele, die es sonst niemals ver
sucht hätten, werden sich ebenso verhalten.«
679 Für den tapferen Mann war der Gedanke, daß sie ihn bezwin
gen könnte, sehr beschämend. Er geriet in Zorn, Mit ungeheu
rer Kraft setzte er sich gegen sie zur Wehr Dann versuchte er in
großer Bedrängnis, die Königin zu überwältigen.
680 Obwohl sie ganz fest auf ihm lag, gaben ihm sein Zorn und sein
großer Kampfeifer doch die Kraft, sich gegen ihren Willen wie
der aufzurichten. Seine Bedrängnis war groß. Sie stießen sich
in dem Gemach viele Male hin und her.
681 Auch König Gunther geriet in Angst. Er mußte oft vor den
beiden hierhin und dorthin ausweichen. Sie rangen so heftig
miteinander, daß es geradezu ein Wunder war, daß einer vor
dem anderen mit dem Leben davonkam.
682 Der König ängstigte sich für beide Seiten, aber am meisten
fürchtete er Siegfrieds Tod; denn es war nahe daran, daß Brün-
hild ihm das Leben genommen hätte. Gern wäre Gunther ihm
zu Hilfe geeilt, doch er wagte es nicht.
222 10. AVENTIURE
683 Wahrlich, der Kampf zwischen den beiden dauerte sehr lange.
Doch gelang es Siegfried, die Herrin schließlich wieder zum
Bett zurückzubringen. Wie heftig sie sich auch wehrte, so ließ
ihr Widerstreben zuletzt doch nach, ln seiner Bedrängnis ging
dem König vieles durch den Kopf.
684 Es kam ihm sehr lange vor, bis Siegfried sie bezwungen hatte.
Sie preßte seine Hände derart, daß ihm durch ihre Kraft das
Blut aus den Nägeln sprang. Das setzte dem Helden zu. Dann
aber brachte er das starke junge Mädchen dazu,
686 Sie griff nach dem Gürtel, der dort lag, und wollte Siegfried
binden; doch er wehrte sich derart, daß ihre Glieder fest bra
chen. Da verzagte sie, deshalb fand der Kampf ein Ende. Dann
wurde Brünhild Gunthers Frau.
687 Sie sagte: »Edler König, laßt mich am Leben. Ich will wieder
gutmachen, was ich euch angetan habe. Nie mehr werde ich
mich gegen dein Liebesbegehren wehren, denn ich habe sehr
wohl erkannt, daß du eine Frau bezwingen kannst.«
688 Siegfried ließ das junge Mädchen liegen, er stand abseits und
tat so, als wollte er sich ausziehen. Vorher streifte er ihr einen
schönen goldenen Ring vom Finger. Wollte Gott im Himmel, er
hätte das nicht getan!
224 10. AVENTIURE
689 Dar zuo nam er ir gurtel, daz was ein porte guot.
ine weiz, ob er daz taete durch sinen hohen muot.
er gab ez sime wibe; daz wart im sider leit.
do lagen bi ein ander Gunther und Prunhilt diu meit.
691 Done was ouch si niht stercher dann ein ander wip.
er trute vil minneldiche den ir vil schoenen lip.
ob siz versuochte mere, waz chunde daz vervan.
daz het ir der kunic Gunther mit sinen minnen getan.
690 Er umarmte sie liebevoll, wie es für sie beide angemessen war.
Sie mußte nun ihren Zorn und ihre Scheu aufgeben. Von seiner
Liebeserfüllung wurde sie ganz blaß. Was für ein Triumph,
durch den Liebesakt verlor sie ihre große Kraft!
691 Daraufhin war sie nicht stärker als jede andere Frau. Er um
armte liebevoll ihren schönen Körper. Wenn sie noch weiter
versucht hätte, Widerstand zu leisten, hätte es ihr nichts
genützt. Das hatte Gunther mit seiner Liebe bewirkt.
692 Wie liebevoll lag sie nahe bei ihm bis zum Tagesanbruch! Sieg
fried war inzwischen wieder weggegangen und wurde von sei
ner schönen Frau freundlich empfangen.
693 Auf die Frage, die sie ihm zu stellen wagte, ging er nicht ein,
und seine Geschenke verbarg der kühne, edle Kämpfer lange
vor ihr. Zu Hause gab er ihr das Kleinod schließlich doch.
Dadurch brachte er viele Kämpfer und sich selbst ins Grab.
695 Das Fest dauerte zwölf Tage, und in der ganzen Zeit ver
stummte der Lärm von allerlei fröhlicher Unterhaltung für
die Gäste nicht. Man muß annehmen, daß die Unkosten des
Königs außerordentlich hoch waren.
226 10. AVENTIURE
697 Siegfried, der Herr aus Niederland, und seine tausend Helden
gaben alle Gewänder aus der Hand, die sie an den Rhein mitge
bracht hatten, außerdem die Pferde mit den Sätteln. Sie erwie
sen sich als äußerst freigebig.
700 Si sprach zuo dem herren: »sit wir von hinnen varn,
daz ich so harte gahe, daz heiz ich wol bewam.
mir suln e mine brüeder teilen mit diu lant.«
leit was ez Sivride, do erz an Chriemhilt ervant.
701 Die fürsten zuo zim giengen und sprachen alle dri:
»nu wizzet daz herre Sivrit, daz iu immer si
mit triwen unser dienest bereit unz in den tot.«
des neiger do den degenen, do manz im so wol erbot.
702 »Wir suln ouch mit iu teilen«, sprach Giselher daz kint,
»lant unde burge, die unser eigen sint.
swaz der witen erbe uns ist undertan,
der suit ir teil vil guoten mit samt Chriemhilde han.«
700 Sie sprach zu dem Herrn: »Da wir nun von hier fortziehen,
möchte ich nichts übereilen. Vorher sollen meine Brüder mir
mein Erbteil an den Ländern geben.« Siegfried war Kriemhilds
Ansinnen nicht recht.
701 Die Fürsten traten alle drei an ihn heran und sagten: »Ihr sollt
wissen, Herr Siegfried, daß wir euch bis zum Tode immer treu
zu Diensten bereit sein werden.« Als sie dieses freundliche An
gebot aussprachen, verneigte sich Siegfried vor den Kämpfern.
702 Der junge Giselher fügte hinzu: »Wir werden Land und Burgen,
die unser Eigen sind, mit euch teilen. Von dem, was wir an wei
ten Erblanden besitzen, sollt ihr und Kriemhild einen beträcht
lichen Teil erhalten.«
703 Als er die Absicht der Herren vernahm, sagte der Held zu den
Verwandten seiner Frau: »Gott möge euer Erbland und seine
Bewohner stets wohl beschützen. Wahrlich, meine liebe Frau
230 11. AVENTIURE
706 Do sprach der herre Gernot: »nu nim dir, swen du wil.
die mit dir gerne riten, der vindestu vil.
von drizech hundert recken so habe dir tusint man,
die sin din heimgesinde.« daz was ir liebe getan.
704 wird sicher auf den Teil verzichten, den ihr ihr geben wollt.
Dort, wo sie die Krone tragen wird, ist sie zu meinen Lebzeiten
reicher als irgend jemand sonst auf der Welt. Bei allem, was ihr
im übrigen tun wollt, unterstütze ich euch mit meinen Dien
sten.«
705 Frau Kriemhild aber entgegnete: »Wenn ihr auf meine Erblande
verzichtet, könnt ihr das mit den burgundischen Kämpfern
nicht so ohne weiteres machen; die müßte ein König doch gern
mit in sein Land nehmen. Meine lieben Brüder sollen sie unbe
dingt mit mir teilen.«
706 Darauf sagte Herr Gernot: »Nun nimm mit, wen du willst. Du
wirst viele finden, die dich gern begleiten. Von dreitausend
Recken kannst du tausend Mann haben, die sollen dein Hof
staat sein.« Das sagte er aus Freundlichkeit zu ihr.
707 Wie es sich geziemte, bereitete sie sich auf ihre Reise vor. Von
ihrem adligen Gefolge nahm Frau Kriemhild zweiunddreißig
Mädchen und fünfhundert Mann mit. Graf Eckewart zog mit
seiner Herrin fort.
709 Ihre Verwandten begleiteten sie noch weit auf dem Weg. Über
all im Land des Königs, wo sie gern Halt machen wollten, ließ
man ihnen Unterkünfte für die Nacht vorbereiten. Dann wur
den Boten zu König Siegmund geschickt,
232 11. AV EN TIU RE
711 »Nu wol mich«, sprach do Sigemunt, »daz ich gelebt han,
daz hie diu schoene Chriemhilt soi gechronet stan!
des müezen wol getiuret sin diu erbe min.
Sivrit der vil chüene sol hie nu selbe voget sin.«
713 Man seit ir, wer da choeme mit Sivride in daz lant.
do hiezen si gesidele rihten alzehant,
dar zuo er under chrone vor fürsten solde gan.
do riten im engegene des kunich Sigemundes man.
710 damit er und Sieglinde erfuhren, daß Siegfried und die schöne
Kriemhild, Frau Utes Tochter, von Worms rheinabwärts unter
wegs waren. Keine Nachricht hätte ihnen angenehmer sein
können.
712 Als Botenlohn gab Frau Sieglinde allerlei roten Samt, Silber und
reines Gold; denn sie und viele ihrer Leute freuten sich sehr
über die Nachricht. Das gesamte Gefolge kleidete sich sorgfältig
für den Empfang.
713 Man verkündete, wer mit Siegfried ins Land käme. Daraufhin
ließen sie sogleich Sitzbänke aufstellen für die Krönungsfeier in
Gegenwart der Fürsten. König Siegmunds Leute ritten ihm ent
gegen.
714 Wurde je irgend jemand besser empfangen als die Helden, die
jetzt in Siegmunds Land kamen, so ist uns das nicht bekannt.
Siegfrieds Mutter Sieglinde ritt Kriemhild mit einer großen
Zahl schöner Damen entgegen. Ihr folgten stattliche Ritter
715 eine Tagesreise weit bis dorthin, wo sie den Gästen begegneten.
Fremde und Einheimische ertrugen einige Beschwerlichkeiten,
bis sie zu der bekannten, prächtigen und berühmten Stadt Xan
ten gelangten.
716 Lachend und voll Freude küßten Sieglinde und Siegmund zu
erst Kriemhild und dann ihren geliebten Sohn. Ihr Leid hatte
jetzt ein Ende. Auch das ganze Gefolge der beiden hießen sie
herzlich willkommen.
234 11. AVENTIURE
717 Dann führte man die Gäste vor Siegmunds Saal. Den schönen
jungen Frauen half man von den Pferden abzusteigen. Viele
Männer waren zur Stelle, um den edlen Damen mit Eifer zu
dienen.
719 als sie würdig und reichlich versorgt zu Tisch saßen. Welch
goldfarbene, mit vielen Edelsteinen besetzte Borten hatten die
Gewänder ihres Gefolges! Die Königin Sieglinde hatte sie so
aufwendig ausgestattet.
721 Dann übergab er die Krone, die Gerichtsbarkeit und auch die
Länder an Siegfried. Von da an herrschte dieser über all ihre
Bewohner und sprach Recht, wo es nötig war, so daß man den
Mann der schönen Kriemhild mit gutem Grund fürchtete.
722 In diesem hohen Ansehen, das kann ich beteuern, lebte und
herrschte der gekrönte König zwölf Jahre lang, bis die schöne
Kriemhild einen Sohn zur Welt brachte. Damit ging der
Wunsch der königlichen Verwandten in Erfüllung.
723 Sehr bald ließ man ihn taufen und nannte ihn nach seinem
Oheim Gunther; dieses Namens brauchte er sich nicht zu schä
men. Wenn er nach den Verwandten seiner Mutter käme, würde
er ein tapferer Mann werden. Man erzog ihn mit großer Sorg
falt, wie es sich gehörte.
236 11. AVENTIURE
725 Auch dort am Rhein hatte nun, wie wir erzählen hören, die
schöne Brünhild im Burgundenland dem mächtigen König
Gunther einen Sohn geboren. Dem Recken zuliebe wurde er
Siegfried genannt.
726 Wie sorgfältig ließ man ihn erziehen! Der mächtige Gunther
gab ihm Lehrer, die höfische Tugenden in ihm ausbildeten,
während er zum Mann heranwuchs. Ach, welches Unglück
raubte ihm später seine Verwandten!
729 Der allergrößte Schatz, den je ein König errungen hatte, sieht
man von den früheren Besitzern ab, gehörte jetzt dem kühnen
Siegfried, vor einem Berg hatte er ihn mit eigener Hand er
kämpft und viele stattliche Ritter dabei erschlagen.
238 11. AVENTI URE
730 Er het den wünsch der eren, und waeres niht geschehn,
so muose man von schulden Sivride jehn,
er ware ein der beste, der ie uf ors gesaz.
man vorhte sine sterche und tet vil pilliche daz.
SIEG FR IED UND K R IEM H ILD IN XANTEN 239
732 Diese Gedanken bewegte sie in ihrem Herzen, aber sie sprach
sie nicht aus. Doch es setzte der Herrin zu, daß Kriemhild
und Siegfried so weit entfernt wohnten. Gern wollte sie wissen,
woher es kam, daß sie aus dem Land des Fürsten keinen Zins
erhielt.
734 »Wie könnten wir sie dazu bewegen, in unser Land zu kom
men?« sagte der ruhmreiche Fürst. »Das ist unmöglich; denn
sie leben so weit entfernt von uns. Ich wage nicht, sie darum zu
bitten.« Darauf antwortete Brünhild hinterlistig:
735 »Auch wenn der Dienstmann eines Königs noch so mächtig ist,
wie könnte er es wagen, zu verweigern, worum ihn sein Herr
bittet?« Als sie das sagte, lächelte Gunther. Obwohl er Siegfried
oft in seiner Nähe gesehen hatte, eine Dienstleistung war das
für ihn nie gewesen.
242 12. AVENTIURE
736 »Mein lieber Herr«, bat Brünhild, »aus Liebe zu mir lade Sieg
fried mit deiner Schwester in dieses Land ein, damit wir sie hier
Wiedersehen. Das wäre die größte Freude, die ich überhaupt
haben könnte.
737 Wie gern denke ich an die Güte deiner Schwester, an ihre
höfische Gesinnung und daran, wie überaus würdig sie mich
empfing, als ich in dieses Land kam. Auf der ganzen Welt hat
niemand je von einem prächtigeren Empfang gehört.«
738 Sie bemühte sich so lange, bis der König schließlich sprach:
»Ihr braucht mich nicht länger zu bitten, denn keine Gäste sehe
ich lieber in meinem Land. Ich will ihnen Boten schicken, da
mit sie zu uns an den Rhein kommen.«
739 Die Königin fügte noch hinzu: »Sagt mir, wann ihr nach ihnen
schickt oder zu welcher Zeit unsere Verwandten in unser Land
kommen, nennt mir auch diejenigen, die ihr zu ihnen senden
wollt.«
741 Dann sprach Gunther: »Ihr Recken, sagt meinem Freund Sieg
fried und auch meiner Schwester, ohne etwas zu verschweigen,
was ich euch auftrage, daß ihnen nämlich niemand auf der Welt
mehr zugetan ist als ich.
742 Bittet sie, uns beiden den Wunsch wohlwollend zu erfüllen und
zu unserem Fest zu kommen. Zur Sonnenwende wird Siegfried
mit seinen Leuten hier viele treffen, die ihn sehr hochschätzen.
244 12. AVENTIURE
744 Frau Ute und alle Damen des Hofes schickten ebenfalls ihre
Grüße in Siegfrieds Land für die liebenswerten Mädchen und
für manch tapferen Mann. Der kühne Gere machte sich mit
den Nachrichten auf den Weg.
745 Gut gerüstet mit Pferden und Gewändern zogen sie los. Sie ver
ließen das Land und wandten sich ihrem vorgesehenen Reise
ziel zu. Der König sorgte mit Geleit für den Schutz der Boten.
746 Nach zwölf Tagen kamen sie in das Land zur Nibelungenburg,
wo sie hingeschickt worden waren. Dort trafen sie zu ihrer
Freude den tapferen Kämpfer. Die Pferde der Boten waren von
dem langen Weg ermüdet.
747 Dem König und seiner Frau wurde sogleich gemeldet, daß
Gäste für sie angekommen seien. Die trügen Kleider, wie sie im
Burgundenland Mode wären. Kriemhild sprang vom Bett auf,
wo sie bei ihrem Geliebten lag.
748 Sie bat eines ihrer Mädchen, an ein Fenster zu treten; es sah den
tapferen Gere mit seinen Gefährten, die ihn begleiteten, im Hof
stehen. Wie wohl tat Kriemhild die Nachricht gegen ihr Heim
weh!
749 Sie sagte zum König: »Steht auf. Ich sehe den starken Gere zu
unserem Hof kommen. Wahrscheinlich hat ihn mein Bruder
Gunther hierher gesandt. Gern wüßte ich, was der Recke will.«
246 12. AVENTI URE
755 »Nu Ion in got«, sprach Sivrit, »ich getrow in allen wol
triwen unde guotes, also man friunden soi,
daz selbe tuot ir swester. wie si gehabn sich,
die unsern lieben ffiunde, daz suit ir lazen hoeren mich.
756 Sit daz wir von in schieden, hat ieman iht getan
den minen chonemagen. daz lazet mich verstan;
daz wil ich in mit triwen immer helfen tragen,
unze daz ir viende den minen dienest müezen klagen.«
D IE H IN T E R L IS T IG E EINLADU NG NACH WORMS 247
750 Die ganze Dienerschaft lief ihnen entgegen. Voll großer Freude
empfingen sie die Gäste und ließen ihnen das Bestmögliche
angedeihen, denn ihre Ankunft machte sie von Herzen froh.
751 Gere wurde mit seinen Leuten gut aufgenommen. Man sorgte
für ihre Pferde, dann wurden die Helden dorthin gebracht, wo
Herr Siegfried neben Kriemhild saß. Die Boten freuten sich, ihn
zu sehen, das könnt ihr gern glauben.
752 Siegfried und Kriemhild erhoben sich sogleich vor ihren Gä
sten. Gere aus dem Burgundenland und seine Gefährten wur
den angemessen begrüßt. Kriemhild führte Gere an der Hand;
sie war nämlich sehr froh über seinen Besuch.
753 Sie bat ihn, an ihrer Seite Platz zu nehmen. Er aber sagte: »Wir
möchten zunächst stehenbleiben. Erlaubt, daß wir unsere Bot
schaft überbringen, ehe wir uns setzen, und hört, was Gunther
und Brünhild, denen es bestens geht, euch mitteilen wollen
754 und w as eure Mutter, meine Herrin, uns für euch aufgetragen
hat. Der junge Giselher, auch Gernot und eure nächsten Ver
wandten haben uns geschickt und senden euch aus dem Bur
gundenland ehrerbietige Grüße.«
756 Hat, seitdem wir uns von ihnen verabschiedet haben, irgend
jemand meinen Verwandten Leid zugefügt? Das laßt mich
wissen; denn dann will ich ihnen so lange treu beistehen, bis
ihre Feinde meinen Einsatz beklagen müssen.«
248 12. AVENTIURE
757 Darauf antwortete der Markgraf Gere, ein edler Recke: »Sie ste
hen in hohem Ansehen und leben in Freuden. Sie laden euch zu
einem Fest an den Rhein; denn sie möchten euch gern sehen,
daran dürft ihr nicht zweifeln.
760 Meine Herrin Brünhild und all ihre Mädchen freuen sich
schon, daß es mögüch wird, euch noch einmal zu sehen, darauf
hoffen sie.« Diese Nachrichten gefielen der schönen Kriemhild.
761 Gere war ihr Verwandter. Der Landesherr bat ihn, Platz zu neh
men. Den Gästen sollte Wein eingeschenkt werden; das geschah
sogleich. Inzwischen war auch Siegmund hinzugekommen. Als
er die Boten erblickte, sprach der Herr freundlich zu den Bur
gundern
763 Sie antworteten, daß sie gern kämen, wenn dies sein Wunsch sei.
Ihre große Müdigkeit verging durch vielfältige Unterhaltung.
Man bat die Boten, sich zu setzen, und bewirtete sie mit Speisen,
von denen den lieben Gästen mehr als genug aufgetragen wurde.
250 12. AVENTIURE
765 Ich muoz mihs noch beraten mit den friunden min.«
er gie zeiner spräche mit den recken sin.
er sprach: »min friunt Gunther hat nach uns gesant
zeiner hochgecite. nu ist ze verre mir sin lant.
769 »Sit ir weit mit uns riten, vil lieber vater min«,
sprach der herre Sivrit, »vro soi ich des sin.
inre tage zwelfen so rum ich miniu lant.«
die si do füeren wolden, den gap man ross und ouch gewant.
764 Man wies ihnen eine Unterkunft an und sorgte für ihre Be
quemlichkeit. Der Landesherr sagte freundlich zu ihnen:
»Macht euch keine Sorgen wegen eures Auftrags, mit dem euch
unsere Freunde hergeschickt haben; wir geben euch bald Ant
wort.
765 Ich muß mich noch mit meinen Vertrauten beraten.« Siegfried
traf mit seinen Recken zu einer Unterredung zusammen. Er
sagte: »Mein Freund Gunther lädt uns zu einem Fest ein. Nun
liegt sein Land aber zu weit entfernt.
766 Und sie bitten auch meine Herrin mitzukommen. Ratet mir,
liebe Freunde, wie wir mit ihr reisen sollen. Wenn es darum
ginge, für sie einen Kriegszug durch dreißig Länder zu unter
nehmen, würde ich, Siegfried, ihre Bitte gern erfüllen.«
767 Da antworteten seine Leute: »Wenn ihr die Reise machen wollt,
dann raten wir, was euch wohl anstehen wird: Ihr sollt mit
tausend Recken an den Rhein reiten. Dann könnt ihr ehrenvoll
an dem Fest teilnehmen.«
768 Darauf sagte Herr Siegmund von Niederland: »Falls ihr zu dem
Fest reist, so gebt mir Bescheid, wann ihr loszieht. Wenn es
euch recht ist, reite ich mit euch zusammen dorthin und nehme
hundert Kämpfer mit; so vergrößere ich eure Schar.«
769 »Daß ihr mit uns reisen wollt, mein lieber Vater, freut mich«,
antwortete Herr Siegfried. »In zwölf Tagen verlasse ich mein
Land.« Alle, die sie mitnehmen wollten, erhielten Pferde und
Gewänder.
770 Nachdem sich der edle König zu der Reise entschlossen hatte,
ließ man die gewandten, edlen Boten wieder nach Hause reiten.
Seinen Verwandten am Rhein teilte Siegfried mit, daß er gern
bei dem Fest dabeisein wolle.
252 12. AVENTIURE
775 Der chunk durch groze liebe von dem sedele spranch.
daz si so snelle chomen, des bat si haben danch
Prunhilt diu schoene, der kunich zen boten sprach:
»wie vert min ffiunt Sivrit, von dem mir liebes vil geschach?«
772 Nun kleideten Siegfried und Siegmund ihr Gefolge ein. Graf
Eckewart befahl sogleich, die besten Damenkleider, die es gab
oder die man in Siegfrieds Land auftreiben konnte, herbeizu
schaffen.
773 Sättel und Schilde wurden vorbereitet. Rittern und Damen, die
mitreisen wollten, gab man alles, was sie wünschten. Es fehlte
ihnen an nichts. Auf diese Weise brachte Siegfried viele prächtig
ausgestattete Gäste zu seinen Verwandten.
774 Inzwischen zogen die Boten eilig auf den Straßen nach Hause
zurück. Als Gere, der Kämpfer, wieder im Burgundenland an
kam, wurde er erwartungsvoll empfangen. Vor Gunthers Saal
stiegen sie von den Pferden.
775 Freudig sprang der König von seinem Sitz auf. Die schöne
Brünhild dankte ihnen, daß sie so schnell zurückgekehrt wa
ren. Gunther fragte die Boten: »Wie geht es meinem Freund
Siegfried, der mir so viel Gutes getan hat?«
777 Die Frau des edlen Königs Gunther wandte sich darauf an den
Markgrafen: »Nun sagt mir, kommt Kriemhild auch? Tritt die
schöne Frau immer noch so hoheitsvoll auf wie früher?« Er
antwortete: »Sie kommen beide und mit ihnen viele Kämpfer;«
254 12. AVEN TIURE
778 Frou Uote bat do drate die boten zuo zir gen.
daz mac man an ir vrage harte wol versten,
daz si vil gerne horte, was Chriemhilt noch gesunt.
er sagete, wie er si funde und daz si chôme in churzer stunt.
780 »Er mac wol gebn ringe«, sprach Hagene der degn,
»ern chundez niht verswenden, und soit er immer lebn;
hört der Nibelunge beslozzen hat sin hant.
hey, solden wir den teilen noch in Buregonden lant!«
778 Frau Ute bat dann sofort die Boten, zu ihr zu kommen. Aus
ihren Fragen konnte man genau erkennen, daß sie gern wissen
wollte, ob Kriemhild gesund war. Gere sagte ihr, wie er sie an-
getrofifen hatte und daß sie in Kürze kommen werde.
781 Auch der gesamte Hofstaat freute sich auf die Gäste. Von früh
bis spät war die Dienerschaft des Königs unermüdlich tätig.
Welch prächtiges Gestühl wurde dort hergerichtet!
782 Ortwin und Sindold, die beiden tapferen Kämpfer, waren viel
beschäftigt. Zu jener Zeit mußten sie sich als Truchseß und
Mundschenk um die Aufstellung der Bänke kümmern. Ihre
Bediensteten halfen dabei. Gunther dankte ihnen für alles.
784 Auch die Mühen der Damen waren nicht gering, als sie ihre
Kleider zurechtmachten. In Gold gefaßte Edelsteine mit weit
strahlendem Glanz legten sie an, um bei den Leuten Eindruck
zu machen.
13- A V EN T IU R E
A V EN T IU R E W IE C H R IE M H I L T M IT IR M A N
ZER H O C H G E C IT E F U O R
789 Boten man fur sande, die diu maere sagten dar.
do reit ouch in engegene mit maniger lieh ten schar
vil der guoten degene der Guntheres man.
der wirt sich gegen den gesten sere vlizen began.
13- A V EN T IU R E
W IE K R IE M H IL D M IT IH R E M M A N N
Z U M FEST R EISTE
785 Mit all ihren Vorbereitungen wollen wir uns nun nicht weiter
befassen, sondern erzählen, wie Kriemhild und ihre Mädchen
aus dem Nibelungenland zu dem Fest reisten. Niemals zuvor
hatten Pferde so viele prächtige Gewänder getragen.
786 Viele Reisetruhen nahm man mit auf die Fahrt. Der Kämpfer
Siegfried, seine Freunde und auch die Königin ritten in der trü
gerischen Hoffnung auf große Freude los. Doch diese schlug
später in bitteres Leid um.
787 Ihren kleinen Sohn ließen sie zu Hause in ihrem Land zurück;
das ging nicht anders. Aus ihrer Reise an den Hof der Verwand
ten ergab sich großes Unglück: Das Kind hat Vater und Mutter
nie wiedergesehen.
788 Mit ihnen ritt König Siegmund. Hätte er sich vorstellen kön
nen, wie es ihm nach dem Fest ergehen würde, so hätte er es
nicht besucht. Wahrhaftig, ihn konnte auf der Welt kein größe
res Leid treffen.
792 Brünhild ließ ihre Mädchen und Damen sofort gute Kleider
heraussuchen, die besten, die man fand, die sie dann in Ehren
vor den Gästen tragen konnten. Daß sie das gern taten, ist leicht
zu verstehen.
794 Mit welchen Ehren empfing man sie! Es kam ihnen so vor, als
hätte Frau Kriemhild Brünhild damals nicht ganz so gut im
Burgundenland aufgenommen. Wer Kriemhild zuvor noch nie
gesehen hatte, dem schlug das Herz höher.
795 Jetzt war auch Siegfried mit seinem Gefolge angelangt. Man sah
die Helden in ungeheuren Scharen überall auf dem Feld hin-
und herreiten. Niemand konnte dabei Gedränge und aufwir
belnden Staub vermeiden.
797 »Nu lone iu got«, sprach Sigemunt, der ere gernder man,
»sit daz iuch min sun Sivrit ze friunde gewan,
do rieten mine sinne, daz ich iuch solde sehn.«
do sprach der wirt zem gaste: »nu ist mir liebe dran geschehn.«
797 »Das vergelte euch Gott«, sprach Siegmund, der auf Ehre be
dacht war, »seitdem mein Sohn mit euch verwandt ist, riet mir
mein Herz, euch zu besuchen.« Da sprach der Wirt zu dem
Gast: »Darüber freue ich mich sehr.«
798 Siegfried wurde mit großen Ehren begrüßt, wie es ihm ge
bührte. Alle waren ihm zugetan. Giselher und Gernot trugen in
großem Anstand ihren Teil bei. Ich glaube, einen derart freund
lichen Empfang hatte man Gästen nie zuvor bereitet.
799 Die Frauen der beiden Könige schritten aufeinander zu. Viele
schöne Damen wurden von Recken aus dem Sattel auf das Gras
gehoben. Die den Damen gern dienten, welch einen Eifer
wandten die auf!
802 Sie warteten nicht länger und ritten zur Stadt. Der Landesherr
hatte dafür gesorgt, daß seine Gäste merkten, wie gern sie im
Burgundenland gesehen waren. Viele bemerkenswerte Ritter
kämpfe wurden den jungen Damen vorgeführt.
803 Hagen von Tronje und Ortwin machten deutlich, daß sie eine
führende Rolle spielten. Niemand wagte, sich dem zu widerset
zen, was sie anordneten. Sie erwiesen den edlen Gästen große
Dienstbereitschaft.
262 13. AVEN TIURE
805 Freudig ritten sie vor den prächtigen Palas. Vielerlei schöne,
kostbare und gut zugeschnittene Decken hingen überall von
den Sätteln der hübschen Damen herab. Dann kamen Gunthers
Leute herbei.
807 In der Stadt Worms hörte man überall den Lärm des Gefolges.
Der Landesherr beauftragte den Marschall Dankwart, Hagens
Bruder, selbst für sie zu sorgen. Der brachte die Begleitung
bestens unter.
809 Freundlich und ohne jede Abneigung wurden die Gäste be
dient. Der Landesherr saß mit ihnen zu Tisch. Siegfried ließ
man dort Platz nehmen, wo er früher gesessen hatte. Viele statt
liche Männer begleiteten ihn an die Tafel.
810 Elfhundert Recken saßen im Kreis mit ihm beim Essen. Die
Königin Brünhild dachte, daß Eigenleute so mächtig doch gar
nicht sein könnten. Noch war sie Siegfried so geneigt, daß sie
ihn gern am Leben sah.
264 13- AV EN TIURE
813 Do diu naht het ende und daz der tac erschein,
uz den leitschrinen vil manic edel stein
erluht in guoter waete, die ruorte frowen hant.
do wart dar fur gesuochet vil manic herlich gewant.
sii Als der Landesherr mit seinen Gästen froh beim Mahl weilte
und die Mundschenken oft an die Tafel treten mußten, wurden
viele prächtige Kleider von verschüttetem Wein naß. Reichlich
und großzügig war die Bewirtung,
812 wie es bei Festen seit langem üblich ist. Den Damen und Mäd
chen gab man schöne Unterkünfte. Ganz gleich, woher sie ka
men, der Landesherr war ihnen zugetan und ließ sie reichlich
und mit hohem Anstand versorgen.
813 Sobald die Nacht zu Ende ging und der Tag anbrach, leuchtete
aus den Reisetruhen so mancher Edelstein auf den schönen Ge
wändern, welche die Frauen herausnahmen. Sie suchten beson
ders prächtige Kleider hervor.
sh Noch ehe es ganz hell geworden war, hatte sich eine große Zahl
von Rittern und Knappen vor dem Saal versammelt. Dort er
hob sich bereits vor der Frühmesse, die für den König gesungen
wurde, einiger Trubel. Junge Kämpfer zeigten ihre Reiterkün
ste, so daß man sie bewundern mußte.
818 Auf diese Weise verging die Zeit, ohne ihnen lang zu werden.
Dann hörte man vom Dom den Klang vieler Glocken. Schließ
lich wurden den Damen die Pferde gebracht, und sie ritten fort.
Den edlen Königinnen folgten tapfere Männer in großer Zahl.
819 Vor dem Münster stiegen sie vom Pferd. Zu diesem Zeitpunkt
war Brünhild ihren Gästen noch ganz gewogen. Mit der Krone
auf dem Haupt zogen sie in das große Münster ein. Erst später
ging dieses freundliche Einvernehmen verloren, es wurde von
ungeheurem Haß zerstört.
820 Nachdem sie die Messe gehört hatten, ritten sie wieder zurück,
wie es die höfische Sitte vorschrieb; später sah man sie freund
schaftlich miteinander zu Tisch gehen. Ihre Freude auf dem
Fest blieb ungebrochen bis zum elften Tag.
822 Sie wartete noch eine Weile, wie es ihr der Teufel riet. Dann ver
wandelte sie die Festfreude in Leid. Was sie im Herzen bewegte,
drängte ans Licht. Dadurch wurde ihr Leid in vielen Ländern
bekannt.
14- AVENTIURE
A V E N T IU R E W IE DIE C H U N I G IN N E M IT A N D E R Z E R W Ü R F E N
823 An einem Nachmittag sah man viele Recken zu Pferde auf dem
Burghof. Überall schauten von den dichtbesetzten Dächern die
Leute zu. Auch die Damen waren im Saal an die Fenster getre
ten.
827 Die Herrin des Hofes erwiderte jedoch: »Wie stattlich dein
Mann auch sein mag, wie schön und tüchtig, so mußt du doch
dem Recken Gunther, deinem edlen Bruder, den Vorrang zu
gestehen. Ohne Zweifel ist er vor allen anderen Königen zu
rühmen.«
270 14- AVEN TIURE
828 Des antwurt ir Chriemhilt: »so tiwer ist wol min man,
daz ich in ane schulde niht gelobet han.
an vil manigen tugenden ist sin ere groz.
geloubestu des, Prunhilt, er ist wol Gunthers genoz.«
834 »Du ziuhest dich ze hohe«, sprach aber des kuniges wip,
»nu wil ich sehn gerne, ob man den dinen lip
habe ze solhen eren, als man den minen tuot.«
die frowen waren beide harte zornich gemuot.
DER FRAUENSTREIT UND DER MORDRAT 271
829 »Ach, Kriemhild, du darfst mir nicht übelnehmen, was ich ge
sagt habe, denn meine Worte sind nicht aus der Luft gegriffen.
Ich erinnere mich, was die beiden sprachen, als ich sie zum er
sten Mal sah, als der König mich besiegte
831 Wie hätten meine edlen Brüder dem zustimmen können, daß
ich die Geliebte eines Eigenmannes würde? Darum bitte ich
dich, Brünhild, in aller Freundschaft, solches Gerede gefälligst
zu unterlassen.«
832 »Das kann ich nicht«, sagte darauf die Frau König Gunthers.
»Weshalb sollte ich auf so viele Recken verzichten, die uns mit
ihrem Herrn zum Dienst verpflichtet sind? Es ärgert mich, daß
ich so lange keinen Zins von ihm erhalten habe.«
833 »Du mußt aber darauf verzichten, daß er dir jemals irgendwel
che Dienste leistet. Er ist von höherem Rang als mein Bruder
Gunther. Niemals wirst du erleben, daß er dir aus seinen Län
dern Zins zahlt.«
834 »Du gehst wirklich zu weit«, rief König Gunthers Frau. »Nun
will ich doch einmal sehen, ob man dir die gleiche Ehre zu
gesteht wie mir.« Die beiden adligen Frauen waren mächtig in
Zorn geraten.
272 14- AV EN TIURE
836 Ich laze dich wol schowen, daz ich bin adel vri.
min man ist verre tiwere, danne der dine si.
da mite wil ich selbe niht bescholten sin.
du muost daz hinte chiesen, wie diu eigene diu din
836 Ich werde dir zeigen, daß ich frei und adlig bin. Mein Mann
genießt ein viel höheres Ansehen als der deine. Deshalb lasse
ich mich auch nicht beschimpfen. Du wirst noch heute sehen,
wie deine unfreie Dienerin
838 Doch Brünhild sprach weiter: »Wenn du nicht unfrei sein willst,
mußt du dich mit deinem Gefolge von meinen Damen tren
nen, sobald wir zum Münster gehen.« »In der Tat«, antwortete
Kriemhild, »das soll geschehen«.
842 Die Leute wunderten sich, weshalb man die Königinnen jetzt
getrennt auftreten sah. Daß sie nicht wie früher nebeneinander
gingen, daraus entstand später für viele Kämpfer großes Leid.
844 Was sonst die Töchter edler Ritter an Gewändern trugen, ver
blaßte gegenüber der Pracht ihres Hofstaats. Kriemhild war so
reich, daß wohl dreißig Königinnen zusammen sie nicht hätten
ausstechen können.
845 Auch wer Phantasie hat, könnte sich keine prächtigeren Klei
der vorstellen, als Kriemhilds Mädchen in diesem Augenblick
trugen. Nur um Brünhild zu beleidigen, hatte Kriemhild diesen
Prunk eingesetzt.
846 Vor dem breiten Münster trafen sie zusammen. Bewegt von
tiefem Haß, befahl die Landesherrin der edlen Kriemhild ste
henzubleiben: »Halt! Niemals darf die unfreie Dienerin vor der
Gemahlin des Königs den Vortritt haben.«
847 Voller Zorn entgegnete die Herrin Kriemhild: »Es wäre gut für
dich gewesen zu schweigen. Nun hast du selbst deine Schönheit
mit Schande bedeckt. Wie kann denn eine Kebse rechtmäßig
die Frau eines Königs werden?«
848 »Wen hast du hier als Kebse beschimpft?«, fragte des Königs
Gemahlin. »Dich«, antwortete Kriemhild, »deinen schönen
Körper hat Siegfried, mein lieber Mann, als erster besessen. Es
war jedenfalls nicht mein Bruder, der dir deine Jungfräulichkeit
genommen hat.
276 14- AVEN TIURE
853 Brünhild und ihre Damen warteten vor dem Münster. Sie
dachte bei sich: »Kriemhild muß mir mehr darüber sagen, was
sie mir scharfzüngig vorwirft; und wenn Siegfried sich mit einer
solchen Tat gebrüstet hat, kostet es ihn sein Leben.«
854 Als nun Kriemhild mit vielen kühnen Männern wieder heraus
kam, sprach die Herrin des Hofes: »Ihr seid mir eine Erklärung
schuldig. Warum ihr mich Kebse genannt habt, sollt ihr offen
darlegen und beweisen, wo mir die Schande widerfahren ist.«
278 14- AV ENTIURE
855 Do sprach diu schoene Chriemhilt: »ir möht mich lazen gan;
ich erziugez mit dem golde, daz ich an der hende han.
daz brahte mir min vriedel, do er erste bi dir gelach.«
nie gelebte Prunhilt deheinen leidem tach.
855 Darauf antwortete die schöne Kriemhild: »Ihr hättet mich lie
ber gehen lassen sollen; denn ich beweise es mit dem Goldring,
den ich an der Hand trage. Den brachte mir mein Geliebter,
nachdem er als erster mit dir geschlafen hatte.« Das war der
leidvollste Tag in Brünhilds Leben.
856 »Den goldenen Ring erkenne ich sehr wohl, er wurde mir ge
stohlen«, sagte die Königin, »und lange vor mir verborgen. Ich
finde noch heraus, wer ihn mir genommen hat.« Die beiden
adligen Damen waren sehr aufgebracht.
857 Da sprach wiederum Kriemhild: »Ich lasse mich nicht als Die
bin beschuldigen. Wäre dir an deiner Ehre gelegen, so hättest
du lieber geschwiegen. Ich beweise mit dem Gürtel, den ich hier
umhabe, daß ich nicht lüge. Wahrhaftig, mein Siegfried hat mit
dir geschlafen.«
85« Sie trug den Gürtel von Seide aus Ninive, er war mit Edelstei
nen besetzt und besonders wertvoll. Als Brünhild ihn erblickte,
brach sie in Tränen aus. Das mußten nun Günther und alle
Burgunden erfahren.
859 Die Königin sagte: »Laßt den Fürsten vom Rhein herkommen.
Ich will ihm kundtun, wie mich seine Schwester beleidigt hat.
Sie behauptet hier öffentlich, ich hätte mit Siegfried geschla
fen.«
860 Der König kam mit seinen Recken und sah seine Geliebte wei
nen. »Sagt mir, liebe Herrin«, fragte er freundlich, »was ist euch
angetan worden?« Sie antwortete: »Mein lieber Herr, ich habe
wirklich Grund, traurig zu sein.
280 14. AVENTIURE
862 »Si treit hie minen gurtil, den ich lange han verlorn,
und ouch min guldin vingerlin. daz ich ie wart geborn,
daz muoz mich immer riwen, dune beredest mich,
kunic, der grozen schänden, daz diene ich immer umbe dich.«
865 Do sprach der chunk Gunther: »daz ist mir durch dich leit.
mir hat min frowe Prunhilt ein maere hie geseit,
du habst dich des gerüemet, daz du ir schoenen lip
erste habest geminnet. daz seit frowe Chriemhilt, din wip.«
867 Do sprach der kunich von Rine: »daz soltu lazen sehen,
daz gerihte, daz du biutest, und mac daz hie geschehen,
aller valscen dinge wil ich dich ledic lan.«
man hiez zuo zeime ringe die stolzen Buregonde gan.
DER FRAUENSTREIT UND DER MORDRAT 281
861 Deine Schwester wollte mir all meine Ehre nehmen. Es sei dir
geklagt: Sie behauptet, Siegfried, ihr Mann, habe mich zu seiner
Kebse gemacht.« Darauf antwortete König Gunther: »Das ist
ein böser Vorwurf.«
862 »Sie trägt hier meinen Gürtel, den ich vor langer Zeit verloren
habe, und außerdem meinen goldenen Ring. Daß ich über
haupt geboren wurde, wird mir immer leid tun, wenn du, Kö
nig, mich nicht von der großen Schande befreist. Das erwarte
ich, und ich werde dir immer dafür dankbar sein.«
867 Der König vom Rhein sprach: »Das sollst du öffentlich bezeu
gen. Wenn der Eid, den du anbietest, hier vollzogen wird, dann
will ich dich von allen falschen Anwürfen freisprechen.« Man
ließ die stolzen Burgunden einen Ring bilden.
282 14- AVENTIURE
868 Siegfried erhob die Hand zum Eid. Darauf sagte der mächtige
König: »Ich erkenne eure völlige Unschuld an und spreche euch
frei. Was meine Schwester euch vorwirft, das habt ihr niemals
getan.«
869 Seinerseits fügte Siegfried hinzu: »Käme meine Frau für die
schwere Beleidigung Brünhilds ohne Strafe davon, hätte ich
bestimmt keine Ruhe mehr.« Die edlen, stattlichen Ritter sahen
einander in stillem Einvernehmen an.
872 Als er sie weinen sah, fragte er, was sie bewegte. Sie berichtete
ihm von den Vorgängen. Sofort versprach er ihr, daß Kriem-
hilds Mann dafür büßen müsse, sonst könne er selbst seines
Lebens nicht mehr froh werden.
873 Zu diesem Gespräch kamen Ortwin und Gernot hinzu, und die
Helden beschlossen Siegfrieds Tod. Auch Giselher, der jüngste
Sohn der edlen Ute, trat zu ihnen. Als er ihre Entscheidung
hörte, sagte er beschwichtigend:
874 »O weh, ihr edlen Männer, weshalb tut ihr das? Auf keinen Fall
hat Siegfried solche Feindschaft verdient, daß er sein Leben ver
lieren sollte. Ja, es ist doch im Grunde belanglos, worum die
Frauen sich streiten.«
284 14- AV ENTIURE
876 Do sprach der kunic Gunther: »ern hat uns niht getan
wan getriwer dienste; man soi in lebn lan.
waz toug, ob wir dem degene waern nu gehaz?
er was uns ie getriwe und tet vil willechliche daz.«
881 »Nein, ich«, sprach do Hagene. »ir mugt wol stille dagen.
ich kanz heinliche wol also an getragen.
daz Prunhilde weinen soi im werden leit.
ja muoz im von Hagene immer wesn widerseit.«
DER FRAUENSTREIT UND DER MORDRAT 285
876 König Gunther aber sagte: »Er hat uns stets treue Dienste gelei
stet; man soll ihn am Leben lassen. Was nützt es, wenn wir den
Kämpfer jetzt mit Feindschaft verfolgen? Er war uns gegenüber
immer treu und hat uns vollkommen freiwillig geholfen.«
877 Der Kämpfer Ortwin von Metz erwiderte jedoch: »In der Tat,
seine große Stärke kann ihm hier nichts nützen. Wenn mein
Herr es mir erlaubt, muß er es büßen.« Nun hatten die Kämp
fer Siegfried grundlos zu ihrem Feind erklärt.
878 Zunächst ließen sie die Sache ruhen. Man schaute den Ritter
spielen zu. Ach, wie viele starke Lanzen zerbrachen auf dem
Vorplatz zwischen dem Münster und dem Saal vor den Augen
von Siegfrieds Frau! Das erregte bei Gunthers Leuten großen
Unmut.
880 »Gebt eure Mordgier auf«, sagte er, »Siegfried lebt zu unserem
Glück und zu unserer Ehre. Zudem ist dieser außerordentlich
starke Mann furchtbar kühn. Wenn er etwas merkt, dann wird
es niemand wagen, gegen ihn anzutreten.«
881 »Doch, ich«, entgegnete Hagen. »Ihr müßt auf jeden Fall
Schweigen bewahren. Ich kann es heimlich vorbereiten. Briin-
hilds Tränen werden ihm noch leid tun. Ich, Hagen, erkläre ihn
für immer zu meinem Feind.«
286 14. AVEN TIURE
882 Darauf fragte der König Gunther: »Wie soll das vor sich ge
hen?« Hagen antwortete ihm: »Ich will es euch erläutern: Wir
lassen Boten, die hier niemand kennt, in unser Land einreiten
und uns öffentlich Fehde ansagen.
883 Dann tut euren Gästen kund, daß ihr mit euren Leuten in den
Krieg ziehen wollt. Sobald das geschehen ist, wird Siegfried
euch versprechen, an der Heerfahrt teilzunehmen. Dabei soll er
sein Leben verlieren. Seine Frau wird mir verraten, wo man ihn
verwunden kann.«
884 Es war eine böse Sache, daß der König dem Rat seines Lehns
mannes folgte. Bevor jemand etwas merkte, begannen die aus
erwählten Recken ihre ungeheure Treulosigkeit in die Tat um
zusetzen. Durch den Streit zweier Frauen kamen viele Kämpfer
ums Leben.
15- AVENTIURE
A V E N T IU R E W IE ZE W O R M Z E W ID E R S A G E T W A RT
886 Die Boten erhielten die Erlaubnis, näher zu treten, und sie er
klärten, daß sie Leute von Liudeger wären, den Siegfried einst
mit eigener Hand besiegt und als Geisel in Günthers Land ge
bracht hatte.
887 Gunther begrüßte die Boten und forderte sie auf, Platz zu neh
men. Einer von ihnen sagte: »Herr, laßt uns stehenbleiben, bis
wir die Nachrichten vorgetragen haben, die wir euch melden
sollen. Wahrhaftig, ihr habt, das m üßt ihr wissen, die Söhne
vieler Mütter zu Feinden.
888 Liudegast und Liudeger, denen ihr einst großes Leid zugefügt
habt, sagen euch Fehde an. Sie wollen mit ihrem Heer zu euch
in dieses Land einreiten.« Da wurde Gunther zornig, als wäre
ihm die Sache unbekannt.
892 Do sprach der kunic Gunther: »mir ist von schulden leit.
Liudegast und Liudeger di hant mir widerseit.
si wellent nu offenliche riten in min lant.«
do sprach der degen chüene: »daz soi diu Sivrides hant
890 Der König traf sich mit seinen Freunden zu heimlicher Bera
tung. Hagen von Tronje ließ ihm keine Ruhe. Viele Leute des
Königs hätten gern eine friedliche Lösung gesucht; doch Hagen
wollte seinen Mordplan durchaus nicht aufgeben.
891 Eines Tages fand Siegfried sie bei einer heimlichen Beratung.
Da fragte der Held von Niederland; »Warum sind der König
und seine Männer so bedrückt? Wenn jemand ihm etwas ange
tan hat, werde ich es auf jeden Fall rächen.«
892 König Gunther antwortete darauf: »Aus gutem Grund bin ich
in Sorge. Liudegast und Liudeger haben mir Fehde angesagt.
Sie wollen jetzt unverhohlen in mein Land eindringen.« Da
sagte der tapfere Kämpfer: »Das werde ich, Siegfried, eigen
händig
893 zu eurer Ehre mit allem Eifer verhindern. Ja, ich trete den
Kämpfern wieder genauso entgegen, wie ich es damals getan
habe. Ich ruhe nicht eher, als bis ich ihre Burgen und ihr Land
in Schutt und Asche gelegt habe. Dafür setze ich meinen Kopf
zu eurem Pfand.
894 Ihr und eure Recken könnt hierbleiben, laßt mich mit meinen
Leuten zu ihnen reiten. Daß ich euch gern zu Diensten bereit
bin, will ich damit beweisen.« Dafür dankte ihm Gunther sehr.
895 Sie bereiteten den Kriegszug mit den Knappen vor. Absichtlich
geschah das unübersehbar für Siegfried und seine Kämpfer.
Siegfried befahl den Leuten von Niederland, sich zurechtzuma
chen, und die auserwählten Kämpfer holten ihre Rüstungen
herbei.
292 15- AV EN TIURE
899 »So wol mich«, sprach do Chriemhilt, »daz ich ie gewan den man,
der minen lieben friunden so tar vor gestan,
also min herre Sivrit tuot den friunden min.
des muoz ich hohes muotes«, sprach diu kuniginne, »sin.
901 Daz hat mih sit gerowen«, sprach daz edel wip,
»ouch hat er so zerblowen dar umbe minen lip.
daz ich ie beswarte ir mit rede den muot,
daz hat vil wol errochen der heit chüene unde guot.«
896 Dann sagte Herr Siegfried: »Mein Vater Siegmund, ihr sollt
hierbleiben. Wenn Gott uns das Kriegsglück beschert, kehre ich
in Kürze an den Rhein zurück. Wartet zuversichtlich hier beim
König.«
897 Als sie fortwollten, banden sie die Fahnen fest. Viele von
Gunthers Leuten wußten überhaupt nicht, weshalb das alles
geschah. Bei Siegfried sah man ein großes Gefolge.
898 Ihre Helme und Brustpanzer banden sie zunächst auf die
Pferde. Eine große Schar starker Recken wollte aus dem Lande
ziehen. Hagen von Tronje ging zu Kriemhild, um sich zu ver
abschieden, weil der Aufbruch bevorstehe.
899 »Wie gut für mich«, sagte Kriemhild, »daß ich einen Mann
habe, der meinen lieben Verwandten so beizustehen wagt, wie
mein Herr Siegfried es tut. Darauf muß ich stolz sein.« So lau
teten die Worte der Königin.
900 »Lieber Freund Hagen, denkt daran, daß ich euch gern gefällig
bin und nie feindlich gesonnen war. Haltet mir das für meinen
lieben Mann zugute. Er soll nicht dafür büßen, wenn ich Brün-
hild beleidigt habe.
901 Ich bereue das längst«, sprach die adlige Frau, »außerdem hat
mich Siegfried deswegen mit Schlägen bestraft. Daß ich ihr
Herz mit meinen Worten beschwert habe, hat der tapfere, tüch
tige Held zur Genüge gerächt.«
905 Si sprach: »du bist min mag, sam bin ich der din.
ich bevilhe dir mit triwen den holden wine min,
daz du mir behüetest den minen lieben man.«
si seit im kundiu maere, daz bezzer waere verlan.
906 Si sprach: »min man ist chüene, dar zuo starch genuoch.
do er den lintrachen an dem berge sluoch,
do batte sich in dem bluote der recke vil gemeit.
da von in sit in stürmen nie dehein wafen versneit.
903 »Ich hätte keine Sorge«, sagte die adlige Frau, »daß ihm jemand
im Kampf das Leben nehmen könnte, wenn nicht manchmal
sein Übermut mit ihm durchginge. Sonst wäre der tapfere,
tüchtige Held immer sicher.«
905 Sie antwortete: »Du bist mein Verwandter, wie ich deine Ver
wandte bin. Ich vertraue dir auf Treu und Glauben meinen
Geliebten an, damit du mir meinen lieben Mann beschützt.«
Sie erzählte ihm, was nur sie wußte und was sie besser für sich
behalten hätte.
906 »Mein Mann ist tapfer und dazu außerordentlich stark«, sagte
sie. »Als er den Drachen an jenem Berg erschlagen hatte, da
badete der stattliche Recke im Drachenblut. Seither konnte ihn
keine Waffe in den Kämpfen verletzen.
907 Trotzdem bin ich in Sorge, immer wenn er im Kampf steht und
die Wurfspeere aus den Händen der Recken fliegen, daß ich
meinen lieben Mann verliere. Ach, welch eine große Angst habe
ich oft um meinen Geliebten!
908 Ich sage dir etwas, lieber Freund, im Vertrauen darauf, daß du
mir gegenüber deine Treue hältst. Du sollst wissen, wo man
meinen lieben Mann verwunden kann; dabei verlasse ich mich
ganz auf deine aufrichtige Zuneigung.
909 Als das heiße Blut aus den Wunden des Drachen floß und der
tapfere, tüchtige Recke darin badete, da blieb ein breites Lin
denblatt zwischen seinen Schultern kleben. Dort kann man ihn
verletzen; und deshalb mache ich mir solche Sorgen.«
296 15- AV EN TIURE
912 »Daz tuon ich«, sprach do Hagene, »vil liebiu frowe min.«
do wände ouch des diu frowe, ez solde ir frum sin;
da mite was verraten der vil chüene man.
urloup nam do Hagene, do gie er vroliche dan.
910 Darauf antwortete der Treulose: »Näht doch mit eigener Hand
ein kleines Zeichen auf sein Gewand, so daß ich weiß, an wel
cher Stelle ich ihn beschützen soll.« Sie glaubte, dadurch das
Leben des Helden zu bewahren, doch es führte zu seinem Tod.
911 Sie sprach: »Mit feiner Seide nähe ich auf sein Gewand ein un
auffälliges Kreuz. An dieser Stelle soll, edler Held, deine Hand
meinen Mann beschützen, sobald zwischen Siegfrieds Schul
tern gezielt wird, wenn er in heftigen Kämpfen vor seinen Fein
den steht.«
912 »Das will ich tun, meine liebe Herrin«, sagte Hagen. Da glaubte
Kriemhild, sie hätte etwas Nützliches getan; aber damit war der
tapfere Mann verraten. Hagen verabschiedete sich und ging
froh von dannen.
913 Sein Herr wollte wissen, was er erfahren hatte. »Wenn ihr die
Heerfahrt absagen könnt, dann wollen wir auf die Jagd reiten.
Ich weiß nun genau, wie ich ihn treffen werde. Könnt ihr jetzt
die Gelegenheit dazu schaffen?« »Das will ich in die Wege lei
ten«, sagte der König.
914 Das königliche Gefolge war in guter Stimmung. Ich glaube, nie
wieder werden Recken einen so großen Verrat begehen, wie ihn
Hagen beging, als sich die Königin Kriemhild auf seine Treue
verließ.
915 Am dritten Morgen ritt Herr Siegfried mit tausend von seinen
Leuten fröhlich fort. Er glaubte immer noch, er solle die Belei
digung seiner Freunde rächen. Hagen ritt so nahe neben ihm,
daß er sein Gewand genau betrachten konnte.
298 15. AVENTI URE
917 Wie ungern kehrte Siegfried um, ohne den Feinden des Königs
gehörig Leid zugefugt zu haben! Gunthers Leute konnten ihn
kaum zur Rückkehr bewegen. Dann ritt er zum König, und der
dankte ihm.
918 »Nun lohne euch Gott eure Absicht, Freund Siegfried, daß ihr
so bereitwillig ausfuhrt, worum ich euch bitte. Dafür will ich
mich immer dankbar erweisen, wie es sich gehört. Auf euch
vertraue ich mehr als auf alle meine Freunde sonst.
919 Da wir nun keinen Krieg führen müssen, will ich von Worms
über den Rhein auf die Jagd reiten und Unterhaltung im Oden
wald suchen, ich will mit Hunden jagen, wie ich es schon oft
getan habe.
920 Allen meinen Gästen soll man kundtun, daß ich ganz früh los
reite. Wer mit mir jagen will, soll sich vorbereiten; wenn andere
hierbleiben wollen, um sich mit den Damen zu unterhalten, ist
mir das auch recht.«
921 Darauf sagte Herr Siegfried höchst herrscherlich: »Wenn ihr auf
die Jagd geht, will ich gern dabeisein. Stellt mir einen Jäger zur
Verfügung, der das Wild aufsucht, und einige Spürhunde, dann
reite ich mit euch in den Wald.«
922 »Braucht ihr nur einen?«, fragte der König gleich, »wenn ihr
wollt, gebe ich euch vier, die den Wald und die Fährten, wo das
Wild wechselt, gut kennen und euch nicht ohne Führung hinter
uns reiten lassen.«
300 15- AV ENTIURE
923 Als die Treulosen Siegfrieds Tod beschlossen hatten, wußte die
ganze Familie Bescheid. Giselher und Gernot wollten nicht mit
auf die Jagd gehen. Ich weiß nicht, welches feindselige Gefühl
sie abhielt, Siegfried zu warnen; doch sie mußten es später ent
gelten.
l6 . A V E N T IU R E
A V E N T IU R E W IE S IV R IT E R M O R T W A RT
925 Auch Siegfried ritt fröhlich mit. Man hatte köstliche Speisen
dabei. An einer kühlen Quelle nahmen sie ihm später das Le
ben. Dazu hatte Brünhild, König Gunthers Frau, sie angestiftet.
926 Vor dem Aufbruch ging der tapfere Kämpfer noch einmal zu
Kriemhild. Sein prächtiges Jagdgewand und das der anderen
Gefährten war bereits auf die Saumtiere geladen; sie wollten
den Rhein überqueren. Kriemhild hätte nichts Schlimmeres ge
schehen können.
927 Er küßte seine Geliebte auf den Mund. »Herrin, Gott lasse mich
dich gesund Wiedersehen und deine Augen mich. Vertreib dir
mit deinen lieben Verwandten die Zeit. Ich kann nicht hier zu
Hause bleiben.«
92« Plötzlich fiel ihr ein, ohne daß sie davon zu sprechen wagte,
wonach Hagen sie zuvor gefragt hatte, und die edle Königin
begann innerlich zu beklagen, daß sie jemals geboren wurde.
Die Frau des tapferen Siegfried weinte maßlos.
304 l 6 . AVHNTIURE
929 »Zieht nicht mit auf die Jagd«, sagte sie zu dem Recken. »Ich
hatte heute nacht schlimme Träume, wie euch zwei Wild
schweine über das freie Feld jagten. Da wurden die Blumen
blutrot. Daß ich arme Frau so sehr weine, hat seinen Grund.
932 »Ach nein, Herr Siegfried, ich fürchte um dein Leben. Heute
nacht hatte ich einen beängstigenden Traum, wie zwei Berge
über dir zusammenstürzten, so daß ich dich nicht mehr sehen
konnte. Wenn du jetzt von mir fortgehst, bricht es mir das
Herz.«
933 Er schloß die edle Frau in seine Arme und liebkoste die Schöne
mit zärtlichen Küssen. Als er Abschied genommen hatte, brach
er sofort auf. Danach hat sie ihn zu ihrem Schmerz nie mehr
lebend wiedergesehen.
934 Dann ritten sie fort in einen Wald. Viele tapfere Kämpfer be
gleiteten den Landesherrn zum Vergnügen. Man hatte auch
eine Menge guter Verpflegung mitgenommen, die für die Hel
den bestimmt war.
935 Viele schwerbeladene Pferde hatten vor ihnen den Rhein über
quert, die für die Jäger Brot und Wein, Fleisch und Fisch sowie
andere Vorräte trugen, über die ein so mächtiger König billi
gerweise verfügt.
306 16. AVENTIURE
940 Do sprach der herre Sivrit: »ich han der hunde rat
niwan einen bracken, der so genozzen hat,
daz er die verte erchenne der tyere durch den tan.«
do schuof der kunic Gunther zuo zim, den er wolde han.
942 Swaz ir der bracke ersprancte, die sluoc mit siner hant
Sivrit der vil chüene, der heit uz Niderlant.
sin ross daz lief so sere, daz ir im niht entran.
daz lop an dem gejägede er vor in allen da gewan.
DIE JAGD U N D SIEGFRIEDS ERMORDUNG 307
936 Vor dem grünen Wald, wo das Wild wechselte, ließen die stol
zen, kühnen Jäger haltmachen, denn da wollten sie auf einer
großen Halbinsel jagen. Dort war auch Herr Siegfried ange
langt. Das wurde dem König gemeldet.
93» »Wir müssen uns trennen«, sagte Hagen darauf, »bevor wir hier
mit der Jagd beginnen. Auf diese Weise können wir, mein Herr
und ich, erkennen, wer die besten Jäger auf diesem Pirschgang
durch den Wald sind.
939 Die Leute und die Hunde wollen wir genau teilen. Dann wende
sich jeder, wohin er gern möchte. Wer das Beste von der Jagd
mitbringt, dem wird man danken.« Darauf blieben sie nicht
mehr lange auf dem Rastplatz.
940 »Ich brauche weiter keine Hunde«, sagte Siegfried, »bis auf
einen Bracken, der so abgerichtet ist, daß er die Fährte der Tiere
im Wald aufspürt.« König Gunther gab ihm, was er haben
wollte.
944 Als der aufgeschreckt wurde, schoß Siegfried auf ihn mit dem
Bogen, in den er einen scharfen Pfeil eingespannt hatte. Der
Löwe machte nach dem Schuß nur noch drei Sprünge. Seine
Jagdgefährten priesen Siegfried deswegen.
945 Danach jagte er sogleich einen Wisent, einen Elch, vier starke
Auerochsen und einen grimmigen Hirsch. Sein Pferd war so
geschwind, daß ihm nichts entkam. Kein Hirsch und keine
Hirschkuh konnte sich vor ihm retten.
946 Der Spürhund entdeckte einen großen Eber. Als der sich zur
Flucht wandte, kam sofort der Meister dieser Jagd und trat dem
Tier entgegen. Das wütende Wildschwein rannte gleich auf den
kühnen Recken zu.
948 Seine Jäger sagten: »Mit Verlaub, Herr Siegfried, wenn es mög
lich ist, laßt noch ein paar Tiere am Leben. Sonst entvölkert ihr
heute den Berg und den Wald noch ganz und gar.« Darüber
lächelte der kühne, tapfere Kämpfer.
949 Überall hörten sie Rufen und Getöse von Menschen und auch
von Hunden. Der Schall war so stark, daß ihn die bewaldeten
Berge als Echo zurückwarfen. Vierunddreißig Hunde hatten die
Jäger losgeschickt.
310 l6 . A V E N TIU R E
954 Do sprach der herre Sivrit: »nu rumen ouch wir den tan.«
sin ros daz truogin ebene, si ilten mit im dan.
si ersprancten mit ir scalle ein tyer vil gremilich,
daz was ein ber wilde, do sprach der degn hinder sich:
956 Der bracke wart verlazen, der ber spranch von dan,
do wolde in erriten der Chriemhilde man;
er chom in ein gevelle, done chundes niht wesn.
daz starche tyer do wände vor dem jägere genesn.
DIE JAGD UN D SIEGFRIEDS E RMORDUNG 311
950 Viele Tiere verloren ihr Leben. Die Jäger glaubten daraufhin,
ihnen würde der Jagdpreis zugesprochen. Daran war aber nicht
zu denken, als der starke Siegfried an der Feuerstelle auf dem
Lagerplatz erschien.
951 Die Jagd war zu Ende und doch noch nicht ganz. Die zur
Feuerstelle kamen, brachten mancherlei Tiere und viel Wild
mit. Ach, wieviel trug das Gefolge des Königs davon in die
Küche!
952 Jetzt ließ der König den auserwählten Jägern kundtun, daß er
speisen wollte. Laut schallend wurde ein Horn geblasen, damit
alle wußten, daß der edle König am Lagerplatz zu finden war.
953 Einer von Siegfrieds Jägern sprach: »Ich habe einen Hornruf
gehört, der uns verkündet, daß wir jetzt zum Lagerplatz kom
men sollen. Darauf will ich antworten.« Nach den Jägern wur
den viele Bläsersignale ausgesandt.
954 Dann sagte Herr Siegfried: »Nun wollen auch wir den Wald
verlassen.« Sein Pferd trug ihn in gleichmäßigem Schritt. Seine
Begleiter eilten mit ihm fort. Durch ihren Lärm störten sie ein
grimmiges Tier auf, einen wilden Bären. Da rief der Kämpfer
nach hinten:
956 Der Bracke wurde losgelassen, und der Bär sprang davon.
Kriemhilds Gemahl wollte ihn einholen: doch er kam in ein
abschüssiges Gelände, wo das unmöglich war. Das starke Tier
nahm wohl an, vor dem Jäger sicher zu sein.
312 l 6 . AVEN TIURE
961 Ein hut von einem pantel dar über was gezogn
durch richeite und durch süeze. ouch fuorter einen bogn,
den man ziehen muose mit antwerche dan,
der in spannen solde, ern hete iz selbe getan.
957 Der stolze, tüchtige Ritter aber sprang von seinem Pferd und
lief schnell hinterher.. Das Tier hatte keine Rückzugsmöglich
keit; es konnte ihm nicht ausweichen. Da fing Siegfried es auf
der Stelle. Ohne selbst verletzt zu werden, fesselte der Held den
Bären sofort.
958 Das Tier konnte ihn weder kratzen noch beißen, und Siegfried
band es am Sattel fest. Mit Gewalt brachte der tapfere, tüchtige
Recke in froher Stimmung den Bären zum Vergnügen an die
Feuerstelle.
959 Wie überaus stolz ritt er zum Lager! Sein Speer war groß, stark
und breit. Ein mächtiges Schwert hing ihm bis zu den Sporen
herab. Er hatte ein herrliches Horn aus rotem Gold.
962 Sein ganzes Gewand war aus einer fremdartigen Tierhaut ge
macht. Von Kopf bis Fuß war es verziert, aus dem hellen Pelz
leuchteten dem kühnen Jägermeister auf beiden Seiten viele
kleine Goldspangen hervor.
964 Sit daz ich iuch der maere gar bescheiden sol:
im was sin guot chocher vil guoter stralen vol,
mit guldinnen tullen, diu sahs wol spannen breit.
ez muose bald ersterbn, swaz er mit schiezen versneit.
967 Der ber von dem schalle durch die chuchen geriet,
hey, waz er chuchenknehte von dem fiure schiet!
vil chezzil wart geruoret, zerfuoret manic brant,
hey, waz man guoter spise in der aschen ligen vant!
969 Mit bogen und mit spiezen, niht langer man daz lie,
do liefen dar die snellen, da der ber gie.
so vil was der hunde, daz da niemen schoz.
von dem grozen schalle beidiu berch und wait erdoz.
DIE JAGD UND SIEGFRIEDS E RMORDUNG 315
965 So ritt der edle Ritter in der vollendeten Haltung eines Jägers
heran. Gunthers Leute sahen ihn kommen. Sie liefen ihm ent
gegen und nahmen ihm das Pferd ab. An seinem Sattel führte
er den großen, starken Bären.
966 Kaum war er vom Pferd gestiegen, da löste er dem Tier die
Fesseln von den Tatzen und vom Maul. Alle Hunde, die den
Bären wahrnahmen, fingen auf der Stelle laut zu bellen an. Das
Tier wollte wieder in den Wald zurück. Den Leuten war das
unheimlich.
967 Vom Lärm getrieben, gelangte der Bär in die Küche. O, wie er
die Küchenjungen vom Feuer wegscheuchte! Viele Kessel wur
den umgestürzt, und die Glut stob auseinander. Ach, welch
gutes Essen sah man in der Asche liegen!
968 Die Herren und ihre Leute sprangen von ihren Sitzen auf. Der
Bär wurde wütend. Der König ließ alle Hunde von ihren Leinen
losmachen. Wäre es so unbeschwert weitergegangen, hätten sie
einen fröhlichen Tag erlebt.
969 Man wartete nicht länger, mit Bogen und Spießen rannten die
gewandten Männer dem Bären hinterher. Da dort aber so viele
Hunde herumliefen, wagte niemand zu schießen. Die Berge
und der Wald erschallten von dem großen Lärm.
316 l6 . A V E N TIU R E
973 Done hete niht der sinne der chüene veige man,
daz er sich ir untriwe chunde han verstan.
er was in ganzen tugenden alles valsches bloz.
sins sterbes muose engelten sit, der sin nie niht genoz.
975 Ich hete wol gedienet, daz man min naeme war.«
der chunic ob dem tische sprach in valsche dar:
»man solz iu gerne büezen, swes wir gebresten han.
wir sin von Hagene schulde hiut ane trinchen bestan.«
DIE JAGD UN D SIEGFRIEDS ERMORDUNG 317
972 N u r die Schenken, d ie den W ein brin gen sollten, kam en nicht.
Son st hätten die H elden n icht besser bedien t w erden können.
O h n e den verräterisch en Plan in ihrem H erzen w ären die
K äm p fer von aller Sch an d e frei geblieben.
974 D a sagte d er H err Siegfried: »Es w u n d ert m ich, w aru m uns die
Sch en ken keinen W ein brin gen , w o m an uns d o ch aus d er
K ü ch e so viele Speisen aufträgt. W enn m an die Jäger nicht b es
ser versorgt, dann gefällt m ir die Jagdgesellschaft nicht.
976 Hagen von Tronje sagte dazu: »Mein lieber Herr, ich glaubte,
unsere Jagd fände heute im Spessart statt. Dorthin habe ich den
Wein geschickt. Daß wir wie jetzt ohne Getränke hier sitzen,
das soll nicht wieder Vorkommen.«
978 Hagen aber antwortete: »Ihr edlen, tapferen Ritter, ich kenne
hier ganz in der Nähe eine kühle Quelle. Damit ihr nicht weiter
in Zorn geratet, werden wir dort hingehen.« Dieser Rat brachte
vielen Kämpfern großen Kummer.
979 Dem Helden aus Niederland setzte der Durst zu. Deshalb stand
er früher vom Tisch auf. Er wollte zu der Quelle an den Bergen
eilen. Den Rat dazu hatten ihm die Kämpfer jedoch mit Hin
terlist gegeben.
980 Die Tiere, die Siegfried erlegt hatte, ließ man auf Wagen nach
Hause bringen. Wer die Jagdbeute sah, rühmte ihn über alle
Maßen. Gunther aber beging schweren Treuebruch an Sieg
fried.
981 Als sie zu der großen Linde eilen wollten, sagte Hagen: »Ich
habe oft sagen hören, daß niemand Kriemhilds Gemahl folgen
kann, wenn er schnell läuft. Das soll er uns einmal vorführen!«
992 sp ran g der R ecke w üten d von der Q uelle auf. A us seinem H er
zen ragte d er lange Speersch aft im R ü cken heraus. D er Fürst
w ollte nach seinem Bogen o d er seinem Schw ert greifen, durch
sie hätte H agen fü r seinen D ienst den en tsprech enden L oh n
em pfan gen .
993 Weil der T od w un d e sein Schw ert aber nicht fand, hatte er nichts
w eiter als seinen Schild. D en riß er von der Q uelle hoch und
ran n te d am it a u f H agen los. D er treu lose M an n kon nte ihm
nicht en tkom m en .
998 D er Sch w erverw un d ete sprach: »O, ihr elenden Feiglinge, was
nützt m ir n u n , d a ihr m ich erschlagen habt, m ein Einsatz für
euch? Ich w a r eu ch im m er treu u n d w erde n un a u f solche
W eise b eloh n t! D ie b ö se Tat fällt auch a u f eure Verw andten
zurück.
1001 A uch der K ö n ig der B u rgu n d en beklagte seinen Tod. D och der
töd lich V erw undete sprach: »Es ist u n nötig, daß derjen ige über
den Sch ad en klagt, d er ihn selbst veru rsach t hat. E r verdien t
vielm ehr, aufs Ä uß erste geschm äht zu w erden; er hätte die Tat
unterlassen sollen.«
326 l 6 . AVENTIURE
1003 »Ih r kön n t euch leicht rüh m en «, sagte Siegfried d arauf, »hätte
ich eu re M o rd ab sich t frü h er erkann t, d an n hätte ich m ein
Leben v o r euch zu schützen gew ußt. A m m eisten bedaure ich
K riem h ild , m ein e Frau.
1006 E in d rin glich sprach der tödlich verw undete M an n: »Wenn ihr,
m äch tiger K ö n ig, a u f dieser W elt noch irgend jem an d em Treue
erw eisen w ollt, d an n soll euch m ein e G eliebte a u f Treue und
G n ad e befoh len sein.
1007 Laßt ihr zugute k om m en , daß sie eure Schw ester ist. Erin nert
euch an eure Fü rstentugenden und steht ihr in Treue bei. M ein
Vater und m ein e Leute w erden lange a u f m ich w arten m üssen.
N iem als w u rd e ein er adligen Frau größ eres Leid angetan als
K riem h ild d urch den M o rd an ihrem G eliebten.«
328 l 6 . AV ENTIURE
1010 A ls die H erren sahen, daß der H eld tot w ar, legten sie ihn a u f
einen rotgold en en Schild un d berieten darüber, w ie m an ver
schw eigen kön nte, daß H agen die Tat begangen hatte.
loi l V iele von ihnen sagten zuein an der: »D ies ist sch lim m fü r uns.
Ihr alle sollt die Tat verh eim lich en un d ü b erein stim m en d
erklären, daß R äu b er K riem h ild s M an n erschlagen haben , als
er allein a u f d er Jagd d u rch den W ald ritt.«
1012 D er treulose H agen aber sprach: »Ich brin ge ihn nach W orm s.
M ir ist es vö llig gleichgültig, ob K riem h ild, die m eine H errin so
seh r beleidigt hat, die W ahrheit erfährt. M ich kü m m ert es nicht
im gerin gsten , w ie seh r sie w eint.«
1016 E r ließ den Toten einfach v o r die T ü r legen, so daß sie ihn fin
den m uß te, w en n sie herau skam , um n och vo r Tagesanbruch
zur Früh m esse zu gehen, die Frau K riem h ild selten versäum te.
1022 D a sagte ihr G efolge: »Vielleicht ist es n u r ein Frem der.« D urch
den S ch m erz ihres H erzens b rach K riem h ild Blut aus dem
M u n d . Sie entgegnete: »Es ist Siegfried, m ein lieber M an n .
B rü n h ild hat den M o rd gew ollt, und H agen hat ihn au sg e
führt.«
1023 D ie H errin ließ sich an die Stelle führen , w o der H eld lag. Sie
n ahm seinen schön en K o p f in ihre w eißen H ände. O bw oh l er
b lu tü berströ m t w ar, erkann te sie ihn sofort. D as G ew an d des
tapferen K äm p fers hatte eine ganz frem de Farbe.
1027 Sogleich lie f ein Bote zu Siegfrieds H elden aus dem N ib elu n
gen land. M it seiner traurigen Botschaft w eckte er viele M änner,
so fo rt sp ran gen sie, n och gan z b en o m m en , von ihren Betten
auf.
1028 G leich d an ach trat der Bote auch zu K ö n ig Siegm u n d ; doch der
H err sc h lie f nicht. Ich glaube, sein H erz sagte ihm , w as gesche
hen w ar: E r w ü rd e seinen lieben Sohn nie w ied er lebend sehen.
1036 »Hey, solde ich den bechennen«, sprach daz edel wip,
»holt enwurde im nimmer min herce und ouch der lip.
ich getaet im als leide, daz die mage sin
mit jamer müezen weinen, daz wizzet, von den schulden min.«
1032 »Wenn ihr mir nicht glauben wollt, was ich gesagt habe, dann
hört selbst, wie Kriemhild und ihr gesamtes Gefolge über Sieg
frieds Tod klagen.« Da erschrak Siegmund heftig und war von
Leid überwältigt.
1033 Er und hundert seiner Leute sprangen von ihren Betten auf. Sie
griffen zu ihren scharfen, langen Schwertern und eilten leid
erfüllt an den Ort, von dem lautes Wehklagen ertönte. Auch
tausend Recken, getreue Leute des kühnen Siegfried, trafen
dort ein.
1034 Als sie die Damen so verzweifelt klagen hörten, fiel einigen ein,
sie sollten doch lieber vorher ihr Obergewand anlegen. Sie wa
ren vor Leid besinnungslos geworden. Eine schwere Last lag auf
ihren Herzen.
1036 »Ach, wüßte ich genau, wer es war«, sagte die edle Frau, »mein
Herz und mein Leib würden ihm niemals verzeihen. Ich würde
ihm das gleiche Leid an tun, so daß seine Verwandten ebenso
schmerzerfüllt weinen müßten wie ich.«
1041 Sie wußten nicht, gegen wen sie kämpfen sollten, wenn nicht
gegen Gunther und seine Leute, mit denen Herr Siegfried zur
Jagd geritten war. Als Kriemhild sie bewaffnet sah, traf sie neues
Leid.
1042 Wie überwältigend ihr Schmerz und wie groß ihr eigener Ra
chewunsch auch waren, sie fürchtete andrerseits den Tod der
Nibelungen durch Gunthers Leute so sehr, daß sie sich gegen
den Kampf aussprach. Sie warnte sie in Güte, wie ein Freund
seine lieben Freunde.
1043 »Mein Herr Siegmund«, rief die Leiderfüllte, »was habt ihr vor?
Vielleicht wißt ihr es nicht, aber Gunther hat so viele kühne
Leute, daß ihr alle verloren wäret, wenn ihr gegen sie kämpft.«
1044 Mit erhobenen Schilden drängte es sie zum Kampf; aber die
Herrin Kriemhild bat und befahl, daß die stolzen Recken ihn
aufgeben sollten. Wenn sie es nicht abwenden könnte, wäre das
für sie ein zusätzliches Unglück.
1045 »Herr Siegmund«, sagte sie, »verschiebt den Kampf, bis die Gele
genheit günstiger ist, dann will ich meinen Mann auf jeden Fall
an eurer Seite rächen. Wenn ich Beweise gegen den habe, der ihn
mir genommen hat, werde ich gegen den Mörder vorgehen.
340 17- AVEN TIURE
1047 Ir suit hie beliben und doit mit mir diu leit.
so ez tagen beginne, ir helde vil gemeit,
so helfet mir besarchen den minen lieben man.«
do sprachen die degene: »daz soi werden getan.«
1051 Diu naht diu was zergangen, man sagt, iz wolde tagen,
do bat diu edele frowe zuo dem munster tragen
den vil edeln toten, ir vil lieben man.
swaz er da friunde hete, die sah man weinende gan.
1046 Es gibt hier am Rhein viele aufbrausende Leute, deshalb rate ich
von dem Kampf ab. Gegen einen von euch bieten sie jeweils
wohl dreißig Mann auf. Gott gebe ihnen, was sie durch ihre
Untat gegen uns verdient haben.
1047 Bleibt hier und trauert mit mir. Sobald es Tag wird, helft mir,
ihr stolzen Helden, meinen lieben Mann in einen Sarg zu
legen.« Da sprachen die Kämpfer: »Das wollen wir tun.«
1049 Sie klagten zusammen mit den Fremden, denn sie nahmen
großen Anteil an dem Leid. Niemand konnte ihnen sagen, was
Siegfried sich hatte zuschulden kommen lassen und weshalb
der edle Recke sein Leben verloren hatte. Da weinten mit den
adligen Damen auch die Frauen der Kaufleute.
1051 Die Nacht war vorüber, und der Tag brach an. Da bat die
Herrin, man solle den edlen Toten, ihren lieben Mann, zum
Münster tragen. Alle seine Freunde folgten weinend.
1052 Als man ihn zur Kirche brachte, läuteten viele Glocken, und
die Geistlichen sangen feierliche Gesänge. Dann kam König
Gunther mit seinen Leuten zu der Totenklage, auch Hagen war
dabei.
342 17. A V E N T I U R E
1054 »Täte euch Siegfrieds Tod leid, wäre die Tat nicht geschehen. Ich
bin mir sicher, daß ihr überhaupt nicht an mich gedacht habt,
als mir mein lieber Mann entrissen wurde. Wollte Gott im
Himmel, ihr hättet mich selbst umgebracht.«
loss »Dir ist von meinen Leuten kein Leid zugefügt worden«, wider
sprach König Gunther, »das versichere ich dir.« Sie entgegnete:
»Dann laßt die näher an die Bahre herantreten, die behaupten,
unschuldig zu sein, damit wir die Wahrheit erfahren.«
1056 Das ist nämlich ein großes Wunder: Noch heute geschieht es
oft, daß die Wunden des Toten bluten, wenn der Mordbefleckte
ihm nahekommt. So geschah es auch hier. Auf diese Weise
wurde Hagens Schuld offenbar.
1058 »Die Räuber kenne ich gut«, entgegnete Kriemhild. »Gott möge
dafür sorgen, daß Siegfrieds Verwandte die Tat rächen. Gunther
und Hagen, ja, ihr habt es getan.« Daraufhin wollten sich Sieg
frieds Recken sofort in den Kampf stürzen.
1061 »Liebe Schw ester«, sagten G ern o t u n d Giselher, »nun fasse dich
nach Siegfrieds Tod, das m u ß d och sein. W ir w ollen d ir beiste
hen, solan ge w ir leben.« A b er n iem an d a u f der W elt verm ochte
sie zu trösten.
1064 A ls m an hörte, daß die M esse im M ü n ster begon nen hatte und
S iegfried in den S arg gelegt w ar, en tstand ein m äch tiges G e
d ränge. Z ah lreich e O p fer w u rd en fü r sein Seelenheil d a r
geb rach t. S iegfried hatte im L an d sein er Fein de viele gute
Freunde.
1066 Dri tage und dri nahte wil ich in lazen stan,
unz ich mich wol geniete mins vil lieben man.
waz ob daz got gebiutet, daz mich ouch nimt der tot!
so waere wol verendet min armer Chriemhilde not.«
1066 Drei Tage und drei Nächte will ich meinen lieben Mann aufge
bahrt lassen, bevor ich mich von ihm trenne. Vielleicht be
stimmt Gott, daß auch mich der Tod dahinrafft! Dann nähme
die Not von mir armer Kriemhild ein Ende.«
1067 Die Leute aus der Stadt kehrten nach Hause zurück. Geistliche,
Mönche und Siegfrieds ganzes Gefolge bat Kriemhild zu blei
ben, um bei dem Toten zu wachen, wie es sich ziemt. Sie ver
brachten eine sehr traurige Nacht und einen beschwerlichen
Tag.
1068 Ohne Essen und Trinken harrten viele im Münster aus. Denen
jedoch, die etwas zu sich nehmen wollten, wurde gesagt, daß es
reichlich gäbe; dafür hatte Siegmund gesorgt. Da kam viel
Mühe auf die Nibelungen zu.
1069 Drei Tage lang, so hören wir, mußten die Geistlichen, die dort
die Messe sangen, um Kriemhilds Herzeleid willen große An
strengung auf sich nehmen. Sie beteten für die Seele des tap
feren und erhabenen Recken.
1071 Am dritten Morgen zur Zeit der Messe war der Kirchhof neben
dem Münster voll von weinenden Leuten. Sie erwiesen Sieg
fried nach seinem Tod die letzte Ehre, wie man es bei lieben
Freunden tun soll.
1077 Lat mir nach mime leide daz chleine liep geschehn,
daz ich sin schoene houbt noch eines müeze sehn.«
do bat sis also lange mit jamers siten starch,
daz man wider uf brechen muose den herlichen sarch.
1073 Nachdem man zur Ehre Gottes die Messe gesungen hatte, über
wältigte viele Leute maßloser Schmerz. Der Leichnam wurde
aus dem Münster zum Grab getragen. Auch diejenigen, die
Siegfried nicht so eng verbunden waren, sah man weinen und
klagen.
1074 Laut schreiend folgten die Leute dem Sarg, alle trauerten,
Frauen und Männer. Bevor man ihn begrub, wurde gesungen
und gebetet. Ach, wie viele weise Geistliche nahmen an Sieg
frieds Begräbnis teil!
1075 Bevor Siegfrieds Frau an das Grab trat, war ihr Körper vom
Schmerz derart erschöpft, daß man sie immer wieder mit Was
ser erfrischen mußte. Ihre innere Qual überstieg jedes Maß.
1076 Es war ein großes Wunder, daß sie überhaupt am Leben blieb.
Viele adlige Frauen klagten an ihrer Seite. Da sagte die Königin:
»Ihr Männer Siegfrieds, bei eurer Treue, tut mir einen Gefallen:
1077 Gönnt mir nach meiner Trauer die kleine Freude, sein schönes
Antlitz noch einmal zu sehen.« Von ihrem großen Schmerz
bewegt, bat sie so lange, daß man den prächtigen Sarg wieder
aufbrechen mußte.
1078 Man brachte die Herrin dorthin, wo Siegfried lag. Sie nahm sei
nen schönen Kopf in ihre weißen Hände und küßte den toten,
edlen, außerordentlichen Ritter. Vor Leid weinten ihre strahlen
den Augen blutige Tränen.
1080 Als man den edlen Herrn begraben hatte, sah man maßlosen
Schmerz in den Gesichtern derer, die mit ihm aus dem Nibe
lungenland gekommen waren. Auch Siegmund hatte keinen
frohen Augenblick mehr.
1081 Einige gab es, die drei Tage lang vor lauter Kummer weder aßen
noch tranken. Doch wollten sie schließlich am Leben bleiben,
und so erholten sie sich von ihrem Schmerz, wie es auch heute
noch oft geschieht.
1082 Kriemhild aber lag den ganzen Tag und die Nacht bis zum
nächsten Morgen in Ohnmacht. Sie hörte nichts von dem, was
gesprochen wurde. Genauso erging es König Siegmund.
1083 Beinahe wäre der Herr nicht wieder zur Besinnung gekommen.
Das heftige Leid hatte ihn ganz geschwächt, und das verwun
derte nicht. Da sagten seine Leute: »Herr, zieht nach Hause, wir
können nicht länger hierbleiben.«
l8 . A V E N T IU R E
A V EN T IU R E W IE C H R I E M H I L T DA B E S T U O N T
U N D IR S W E H E R D A N N E N R E IT
1086 Herrin, ihr sollt über all die Macht verfugen, die euch früher
der tapfere, stolze Kämpfer übertragen hat. Land und Krone
bleiben in eurer Hand, und alle Lehnsleute Siegfrieds werden
euch gern dienen.«
1087 Sobald man den jungen Knappen gesagt hatte, daß die Abreise
bevorstünde, eilten sie zu den Pferden. Sie wollten nicht länger
bei ihren mächtigen Feinden verweilen. Für die Herrin und ihre
Mädchen ließ man die Kleider zurechtmachen.
1088 Als nun König Siegmund zum Aufbruch bereit war, begannen
Kriemhilds nächste Verwandte zu bitten, sie sollte doch bei
ihnen bleiben. Die Königin aber sprach: »Das ist schwer mög
lich.
354 l8 . AVENTI URE
1090 Die dir da hant betruobet den lip und ouch den muot,
der bedarfstu vil chleine; zer min eines guot.«
si sprach zuo dem degene: »wie chunde daz geschehn?
vor leide mües ich sterben, swenne ich Hagenen solde sehn.«
1091 »Des tuon ich dir ze rate, vil liebiu swester min.
du soit bi dinem bruoder Giselhere sin.
ich wil dich ergezzen dines mannes tot.«
do sprach diu kuniginne: »des waer mir armen wibe not.«
1089 Wie könnte ich es ertragen, den immer vor Augen zu haben,
der mir armen Frau solches Leid angetan hat?« Da sagte ihr
Bruder Giselher: »Meine liebe Schwester, bleib doch hier aus
Treue zu deiner Mutter.
1090 Auf diejenigen, die dich so tief in Betrübnis gestürzt haben, bist
du nicht angewiesen; du kannst von meinem Gut leben.« Sie
antwortete dem Kämpfer: »Wie soll das gehen? Ich müßte vor
Schmerz sterben, sobald ich Hagen sehe.«
1092 Als der junge Giselher sie so voller Güte aufgefordert hatte,
flehten Ute, Gernot und ihre treuen Verwandten sie an und
baten, sie möge dableiben; sie hätte doch kaum Freunde unter
Siegfrieds Leuten.
1093 »Dort sind euch alle fremd«, sagte Gernot. »Bedenkt, Schwe
ster, daß auch der Stärkste einmal sterben muß, und tröstet
euch damit. Bleibt bei euren Verwandten, das wird wirklich gut
für euch sein.«
1095 Da trat Herr Siegmund vor Kriemhild hin und sagte zu der
Herrin: »Siegfrieds Männer erwarten euch bei den Pferden. Wir
wollen fortreiten, denn ungern verweile ich länger bei den Bur
gundern«
356 l 8 . AVENTIURE
1098 Und vart ouch mit uns widere durch iwer kindelin;
daz ensult ir so niht, frowe, verweiset lazen sin.
swenne iwer suon gewähset, der tröstet iu den muot.
die wile sol iu dienen von recken manic heit guot.«
1097 König Siegmund sagte: »Laßt euch nicht darauf ein. Vor allen
meinen Verwandten sollt ihr die Krone so machtvoll tragen wie
zuvor. Ihr werdet nicht dafür büßen, daß wir den Helden verlo
ren haben.
1098 Reist auch wegen eures kleinen Kindes mit uns zurück; Herrin,
ihr dürft es nicht zur Waise werden lassen. Wenn euer Sohn
heranwächst, wird er euer Herz trösten. In der Zwischenzeit
stehen euch viele gute Recken zu Diensten.«
1099 Sie antwortete: »Herr Siegmund, ich kann nicht mitreiten. Was
mir auch geschieht, ich muß hier bei meinen Verwandten
bleiben, damit sie mit mir trauern.« Diese Worte mißfielen den
edlen Recken.
i loo Sie sprachen einmütig: »Dann können wir wohl sagen, daß uns
nun erst recht Leid trifft, wenn ihr hier bei unseren Feinden
bleiben wollt. Noch nie sind Helden sorgenvoller an ihren Hof
geritten.«
1101 »Ihr sollt ohne Sorgen reisen und Gott befohlen sein. Ich setze
mich dafür ein, daß ihr gutes Geleit und Schutz bekommt bis in
Siegfrieds Land. Mein liebes Kind übergebe ich euch Helden,
damit ihr es gnädig beschützt.«
1 102 Als sie begriffen hatten, daß Kriemhild nicht mitreisen wollte,
weinten alle getreuen Männer Siegfrieds. Wie traurig verab
schiedete sich Siegmund von der Königin! Ihm war nun sein
ganzer Kummer bewußt.
358 l8 . AVENTIURE
1103 »Verflucht sei das Fest«, rief der erhabene König. »Nie wieder
wird für die Verwandten eines Königs das, was als Vergnügen
begann, ein schlimmeres Ende nehmen. Hier in Burgund sieht
man uns nie wieder.«
1 104 Da sagten Siegfrieds Leute offen vor allen: »Es könnte sich doch
noch eine Reise in dieses Land ergeben, wenn sicher feststeht,
wer unseren Herrn erschlagen hat. Die Burgunden haben unter
Siegfrieds Verwandten viele erbitterte Feinde.«
1106 Sie ritten ohne Geleit von Worms rheinabwärts. Die tapferen
Nibelungen waren zuversichtlich, daß sie sich selbst zur Wehr
setzen könnten, wenn sie feindlich angegriffen würden.
nos König Gernot sagte voll Anstand: »Gott im Himmel weiß, daß
ich an Siegfrieds Tod nicht mitschuldig bin, indem ich etwas
gehört und verschwiegen hätte, wer hier sein Feind war. Mit
vollem Recht beklage ich ihn.«
1109 Dann gab ihnen der junge Giselher sein Geleit. Fürsorgend
brachte er den König und dessen Recken aus dem Land heim
nach Niederland. Dort fand man unter den Verwandten kein
fröhliches Gesicht.
360 l8 . AVENTI URE
mo Wie die Reise verlief, darüber kann ich nichts berichten. Doch
gewiß ist, daß man Kriemhild in Worms immerfort klagen
hörte, und niemand konnte ihr Herz und Sinn trösten bis auf
ihren Bruder Giselher; der war treu und aufrichtig.
1111 Die schöne Brünhild aber saß voll Hochmut auf dem Thron.
Wie sehr Kriemhild weinte, das war ihr gleichgültig. Sie fand
sich niemals zu einer Versöhnung bereit. Doch später, glaube
ich, fügte Kriemhild auch ihr ebenso ungeheures Leid zu.
19- A V EN T IU R E
A V EN T IU R E W IE DER N IB E L U N G E H O R T ZE W O R M Z E
B R A H T WART
nu Keinen Tag unterließ sie es, das Grab ihres Geliebten trauernd
zu besuchen. Sie bat Gott den Allmächtigen, Siegfrieds Seele zu
bewahren. Immer wieder weinte sie in großer Treue um den
Kämpfer.
1116 wie niemals wieder eine Frau nach ihrem lieben Mann. Daran
wurde ihre innere Kraft offenbar. Sie klagte bis an ihr Lebens
ende. Später aber übte die Frau aus großer Treue gewaltige
Rache.
364 19- AVENTIURE
1 122 Si sprach: »des zihet niemen in, in sluoch diu Hagenen hant.
wa man in verhowen möhte, do er daz an mir ervant,
soit ich des getrowen, daz er im trüege haz,
ich hete wol behüetet«, sprach diu kuniginne, »daz,
DER HORTRAUB 365
1117 So lebte sie in ihrem Leid, das ist wirklich wahr, nach dem Tod
ihres Mannes drei Jahre lang, ohne mit ihrem Bruder Gunther
nur ein einziges Wort zu sprechen und auch ohne ihren Feind
Hagen in dieser Zeit zu sehen.
ms Eines Tages aber sprach Hagen zum König: »Könnten wir errei
chen, daß ihr euch mit eurer Schwester versöhnt, dann käme
das Nibelungengold in dieses Land. Wir hätten also großen
Vorteil davon, wenn uns die Königin wieder freundlich geson
nen wäre.«
1 121 Der tapfere Gernot aus dem Burgundenland sagte: »Herrin, ihr
betrauert Siegfrieds Tod schon zu lange. Der König will euch
jetzt vor Gericht versichern, daß er ihn nicht erschlagen hat.
Man hört euch fortwährend so schmerzerfullt klagen.«
1 124 Si sprach: »ich muoz in grüezen, irn welts mich niht erlan,
der habe groze sunde. der kunic hat mir getan
so vil der hercen swaere gar ane mine scholt,
min munt im giht der suone, im wirt daz herce nimmer holt.«
1123 »Hätte ich Siegfried nicht selbst verraten, dann könnte ich auf
hören zu weinen, ich arme Frau. Denen aber, die Siegfried getö
tet haben, werde ich mich nie wieder freundlich zuwenden.« Da
begann Giselher, der stattliche Mann, sie anzuflehen.
1124 Schließlich gab sie nach: »Ich werde Gunther begrüßen, da ihr
darauf besteht, doch ihn belastet große Sünde. Der König hat
mir so tiefes Leid ganz ohne meine Schuld angetan, daß mein
Mund ihm zwar Verzeihung zuspricht, mein Herz aber wird
sich ihm nie wieder zuneigen.«
1 125 »Von nun an wird alles besser«, sagten ihre Verwandten darauf.
»Vielleicht kann sie wieder froh werden, wenn Gunther sich
darum bemüht?« »Er kann sie sicher besänftigen«, meinte
Gernot, der Held. Die von Schmerz erfüllte Frau antwortete
darauf: »Seht, ich tue, was ihr wollt.«
1126 Kriemhild war bereit, den König zu empfangen. Als sie ihnen
das zugesagt hatte, besuchte Gunther sie mit seinen besten
Freunden in ihrem Haus. Hagen aber wagte nicht, ihr unter die
Augen zu treten. Er war sich seiner Schuld wohl bewußt: denn
er hatte sie tief verletzt.
1129 Bald danach schlugen sie vor, die Königin möge den großen
Hort vom Nibelungenland an den Rhein bringen lassen. Er war
ihre Morgengabe und sollte ihr von Rechts wegen zur Verfü
gung stehen.
1133 Doch ist es Siegfried leider schlecht bekommen, daß der Held
uns die Tarnkappe abgenommen hat und daß ihm dieses Land
aus Furcht dienen mußte.« Dann holte der Kämmerer den
Schlüssel für den Hort.
1 137 Der wünsch der lac dar under, von golde ein rüetelin.
der daz het erchunnen, der mohte meister sin
wol in aller werlde über ieslichen man.
der Albriches mage chom mit Gernote vil dan.
1 140 Und waer sin tusint stunden noch also vil gewesn,
und soit der herre Sivrit gesunder sin gewesn,
bi im waere Chriemhilt hende bloz bestan.
getriwer wibes kunne ein heit nie mere noch gewan.
1136 Der Hort bestand nur aus Edelsteinen und Gold; und wenn
man allen Menschen auf der Welt etwas davon abgegeben hätte,
dann wäre sein Wert kaum um eine einzige Mark verringert
worden. Wahrhaftig, nicht ohne Grund hatte Hagen ihn haben
wollen.
1137 Bei dem Schatz lag auch ein begehrenswertes Kleinod: eine
kleine goldene Rute. Wer sie zu benutzen verstand, der konnte
wohl auf der ganzen Welt Meister über alle Menschen werden.
Mit Gernot zogen viele Verwandte Alberichs von dannen.
1138 Als Herr Gernot und der junge Giselher sich des Schatzes
bemächtigt hatten, übernahmen sie auch das Land, die Burgen
und viele tapfere Helden. Diese mußten ihnen dann Dienste
leisten, da sie ihre Macht fürchteten.
1139 Nachdem der Hort in Gunthers Land überführt war und die
Königin ihn in Besitz genommen hatte, wurden Kammern und
Türme damit gefüllt. Nie wieder hörte man von einem solchen
Wunder an Reichtum.
in i Als sie nun über den Schatz verfügte, zog sie zahlreiche fremde
Recken ins Land. Ja, die Herrin verteilte so viel, daß ihre Freige
bigkeit unübertroffen blieb. Die Königin besaß viele Herrscher
tugenden, die man an ihr pries.
1 143 Do sprach der chunic Gunther: »ir ist lip unde guot.
zwiu solde ich daz wenden, swaz si da mit getuot?
ich erwarbez vil chume, daz si mir wart sider holt,
nune ruochen, war si teile bediu ir silber und ir golt.«
1144 Hagene sprach zem chunige: »ez ensolde ein frumer man
deheinem einem wibe niht des hordes lan.
si bringet ez mit gäbe noch unz uf den tac,
daz vil wol geriwen die chiienen Burgonden mac.«
1144 Hagen aber sagte zum König: »Ein verständiger Mann sollte
einen Schatz keiner Frau überlassen. Sie führt mit ihren Ge
schenken noch den Tag herbei, an dem es für die tapferen Bur-
gunden gefährlich wird.«
1 145 »Ich habe ihr einen Eid geschworen«, antwortete Günther, »daß
ich ihr nie wieder Leid zufüge, und den will ich weiterhin hal
ten; sie ist doch meine Schwester.« Da erwiderte Hagen: »Dann
laßt mich als Schuldigen dastehen.«
1146 Einige von ihnen brachen die Eide. Sie raubten der Witwe ihren
ungeheuren Besitz. Hagen bemächtigte sich aller Schlüssel. Als
Gernot das erfuhr, wurde er sehr zornig.
1147 Herr Giselher sprach: »Hagen hat meiner Schwester so viel Leid
angetan; ich hätte das eigentlich verhindern müssen. Wäre er
nicht mit mir verwandt, dann würde es sein Leben kosten.« Von
neuem mußte Siegfrieds Frau weinen.
ins Da sagte Herr Gernot: »Ehe uns das Gold zur ständigen Last
wird, sollten wir es alles im Rhein versenken lassen, damit nie
wieder ein Mensch darüber verfügen kann.« Kriemhild trat mit
heftigem Klagen vor ihren Bruder Giselher hin.
1150 Der König und seine Verwandten verließen das Land mit den
Besten aus ihrem Gefolge bis auf Hagen. Der blieb aus Haß ge
gen Kriemhild zurück, und er handelte ganz bewußt.
1151 Die Herren schworen sich gegenseitig, daß sie zu ihren Leb
zeiten nur nach gemeinsamer Beratung jemandem den Schatz
zeigen oder etwas davon abgeben sollten, wenn ihnen das
gut schien. Doch ihre Habgier hat ihnen nichts eingebracht, sie
haben ihn schließlich verloren.
1152 Bevor die Könige nach Worms zurückkehrten, hatte Hagen den
großen Schatz geraubt. Bei Lochheim versenkte er ihn vollstän
dig in den Rhein. Er hatte die trügerische Hoffnung, irgend
wann ganz allein über ihn zu verfugen; doch dazu kam es nicht.
1153 Später konnte er den Hort nicht in Besitz nehmen, wie auch
heute noch oft den Treulosen der Erfolg versagt bleibt. Vergeb
lich hoffte er, zu seinen Lebzeiten allein Nutzen daraus zu zie
hen. Doch weder er selbst noch irgend jemand anders hatte
später etwas davon.
1 159 Dar zuo gab ouch Chriemhilt sit ein michel teil,
durch Sivrides sele und umb aller sele heil,
golt und edel steine mit williger hant.
getriwer wip decheine ist uns selten e bêchant.
1156 Neues Leid beschwerte nun ihr Herz, denn zu dem Tod ihres
Mannes war der Raub ihres gesamten Besitzes gekommen. Ihr
Schmerz und ihre Klage hielten bis zu ihrem Lebensende an.
1157 Nach Siegfrieds Tod, das ist die Wahrheit, verbrachte sie zwölf
Jahre in tiefem Leid und hörte nicht auf, den Tod des Helden
zu beklagen. Sie hielt ihm beständig die Treue, und in diesem
Bewußtsein lebte sie fort.
ns» Frau Ute hatte nach Dankrats Tod aus eigenen Mitteln eine
reiche fürstliche Abtei gegründet, die mit ertragreichen Zins
gütern ausgestattet war, wie sie das angesehene Kloster Lorsch
noch heute besitzt.
1 160 Nachdem Kriemhild sich mit Gunther versöhnt hatte und doch
durch seine Mitschuld den unermeßlichen Schatz verlor, da
vergrößerte sich ihr inneres Leid tausendfach, und die edle,
erhabene Herrin hätte Worms gern verlassen.
1161 Nun besaß Frau Ute in Lorsch bei ihrem Kloster einen reich
ausgestatteten Wohnsitz. Dorthin hatte sich Dankrats Witwe
von ihren Kindern zurückgezogen, und dort liegt die edle Frau
noch heute in einem Sarg begraben.
1163 »Den laß getrost hier ruhen«, sagte Frau Ute. »Davor bewahre
mich Gott im Himmel«, erwiderte die gute Kriemhild. »Meine
liebste Mutter, das kann ich nicht tun; er müßte auf jeden Fall
mit mir fortgebracht werden.«
1164 So ließ die leiderfullte Frau ihn aus dem Grab erheben. Seine
edlen Gebeine wurden in Lorsch beim Münster würdevoll an
der Stelle begraben, wo der kühne Held noch heute in einem
großen Sarg ruht.
1 165 Gerade, als Kriemhild mit ihrer Mutter fortziehen sollte, wie es
ihrem Wunsch entsprach, mußte sie schließlich doch bleiben.
Das bewirkten Nachrichten, die von weither an den Rhein ka
men.
2 0 . A V EN T IU R E
A V EN T IU R E W IE DER C H U N IC EZELE N A H F R O U N
C H R IE M H I L T ZE W O R M Z E S IN E N B O T E N SAN D E
1167 N ach dem Tod d er sch ön en H elche sagten sie: »Wollt ihr eine
edle Frau heiraten, die vorn eh m ste un d beste, die je ein K ön ig
gefu n d en hat, d an n n ehm t diese W itw e. D er starke Siegfried
w ar ihr M an n .«
1173 »Sie gleicht in ihrer Sch ön h eit w ohl m ein er H errin, der m äch ti
gen H elche, un d a u f d er ganzen W elt hat kein K ö n ig eine sch ö
nere G em ah lin . W em sie sich verlobt, der kann sich glücklich
schätzen.«
1177 »Wann w ollt ihr euch zu d er liebensw erten Frau aufm achen?«
fragte K ö n ig Etzel. »G o tt m öge euch a u f d er Reise in allen
E h ren schützen u n d m ein e H errin auch. D as G lü ck helfe mir,
d aß sie unsere W erbu ng gn äd ig au fn im m t.«
384 2 0 . AVENTIURE
1178 W ied eru m sprach R ü d iger: »Ehe ich dieses Land verlasse, m ü s
sen w ir W affen u n d G ew änder, Schilde un d Sättel zurechtm a
chen, d am it w ir ehrenvoll ausgestattet sind. Ich w ill fü n fh u n
d ert m ein er tapferen M än n er m it an den R hein nehm en.
uso M äch tiger K ö n ig, sich er w illst d u n icht deshalb a u f deine W er
b u n g verzichten, w eil K riem h ild in Liebe m it Siegfried verb u n
den w ar, d em S o h n S iegm u n d s, den du h ier kennengelernt
hast? Ihm geb ü h rte w ah rh aftig groß e Ehre.«
n si »D aß sie die F rau des Recken war, ist fü r m ich kein G ru n d , sie
abzulehnen «, sagte Etzel. »Ja, der hoch adlige M an n stand in so
h o h em A n seh en , d aß ich die K ö n igin seinetw egen nicht ver
sch m äh en w erde. W egen ihrer großen Schön heit gefällt sie m ir
sehr.«
1184 A ls die M ark gräfin d ie N ach rich t hörte, freute sie sich darüber,
ab er sie m uß te auch w einen bei dem sorgenvollen G edan ken ,
o b sie n och ein m al eine solche H errin bekäm e w ie früher. D ie
E rin n eru n g an H elche m achte G otelin d traurig.
386 2 0 . AVENTIURE
1188 Bei ihrer A n k u n ft in der Stadt Bechelarn bat der L an desh err
freu n d lich u m U n terku nft fü r seine Reisegefährten un d sorgte
fü r ihre B eq u em lich keit. D ie m äch tige G o telin d freute sich,
ihren G em ah l zu sehen.
1190 »N un seid uns herzlich w illko m m en , m ein lieber Vater, und ihr,
seine Leute.« D a w etteiferten viele tüchtige Recken d arum , der
T ochter des M ark grafen beson d ers zu danken. G o telin d erfuhr
die A bsicht des guten R ü d iger genau.
1 191 A ls sie nachts nahe bei R ü d iger lag, fing sie an, ihn liebevoll zu
fragen , w o h in ihn d er K ö n ig des H un n enlandes gesandt hätte.
E r sagte: »M eine liebe H errin , das sollst du w issen:
388 2 0 . AVEN TIURE
1193 »D az w olde got«, sprach G otelint, »m oht uns daz heil geschehen,
sit daz w ir ir hoeren so grozer eren jehen,
si ergazt uns m in er frow en liht in alten tagen
m it ir hohen tugenden, daz w ir m u osin si verchlagen.«
1195 Sie bestätigte das: »B evor ihr m it euren Leuten von hier fo rt
zieht, gebe ich jed em , der es gern von m ir an n im m t, w as ihm
gebührt.« W as sie dem H errn des H ofes versprach, w urde m it
Eifer ausgeführt.
1204 Do sprach der snelle H agene: »als ich m ich chan verstan,
w än d e ich die helde lange niht gesehn han,
si varn t dem geliche, als ez si R üed eger
von hun ischen riehen, der degn chüen e un de her.«
1205 »Wie solde ich des getrow en«, sprach der ch u n ich zehant,
»daz der von Bechelaren choem e in dizze lant?«
e daz der chunich riche die rede vol sprach,
H agene der chüene den guoten R üedegern sach.
ETZELS W ERBUNG UM KRIE M H ILD 391
1200 o b jem an d sie kenn e, der sollte es ihm sagen. M an sah ihre
sch w erbelad en en Lasttiere; d arau s ließ sich sich er schließen,
daß sie sehr reich w aren. Sogleich w ies m an ihnen U nterkünfte
in W orm s an.
1205 »Wie soll ich das glauben «, erw id erte der K ö n ig sogleich, »daß
der von B echelarn in dieses Land käm e?« Ehe der m ächtige
K ö n ig seine W orte ganz ausgesprochen hatte, erkannte H agen
den edlen R ü d ig er genau.
392 2 0 . AVENTIURE
1208 D ie nächsten V erw and ten des K ö n igs gin gen ihnen entgegen.
O rtw in von M etz sagte zu R ü d iger: »Wir haben seit langer ,Zeit
keine G äste so gern hier bei uns gesehen w ie euch, das kann ich
euch versichern.«
1209 Sie dan kten den H elden rin gsu m fü r den G ru ß . M it den R eise
gefäh rten zogen sie in den Saal, w o sie den K ö n ig , um geben
von vielen k ü h n en M än n ern , fan den . D er L an d esh err erh ob
sich von seinem Sitz un d gin g R ü d iger entgegen.
1212 G iselh er u n d G ere traten beide hin zu; auch D an kw art und
V olker hatten von den G ästen geh ört und w aren bester S tim
m u n g. Sie begrüßten die edlen, tüchtigen R itter in G egenw art
des K ön igs.
394 2 0 . AVEN TIURE
1214 Do sprach der kunic Gunther: »ine chan niht langer dagn.
wie si sich gehaben beide, daz suit ir mir sagn,
Ezele unde Helche uzer Hunin lant.«
do sprach der marcgrave: »ich solz iu sagn hie zehant.«
1213 Dann sprach Hagen zu seinem Herrn: »All eure Kämpfer soll
ten dem Markgrafen mit Dienst vergelten, was er für uns getan
hat. Um seiner Freundschaft willen sollte man Gotelinds Mann
ehrenvoll begrüßen.«
1214 Darauf sprach König Gunther: »Ich kann nicht länger schwei
gen. Ihr müßt mir sagen, wie es Etzel und Helche im Hunnen
land geht.« Der Markgraf antwortete: »Ich werde es euch gleich
berichten.«
1215 Er erhob sich dabei mit allen seinen Leuten von seinem Sitz
und sprach zum König: »Erlaubt mir kundzutun, warum ich
von König Etzel hierher ins Land der Burgunden gesandt wor
den bin.«
1218 Der edle König Etzel läßt euch seine Not klagen. Seine Länder
sind verwaist; denn meine Herrin, die mächtige und erhabene
Königin Helche, ist tot. Um sie trauert mein Herr in ungeheu
rem Schmerz, das soll ich euch berichten.
1219 Es steht jetzt sehr schlecht im Lande um die Töchter der edlen
Fürsten, die sie erzogen hat; denn sie haben leider niemanden
mehr, der sich treu um sie kümmert. Auch deshalb, glaube ich,
vergeht der Kummer des Königs nur schwer.«
396 2 0 . AVEN TIURE
1220 »Nu Ion im got«, sprach Gunther, »daz er den dienest sin
so willechlich enbutet mir und den friunden min.
sinen gruoz ich gerne hie vernomen han,
den mir enbiutet Ezele; des soi er groz genade han.«
1224 Do sprach der chunic riche, wol gezogen was sin muot:
»so hoeret minen willen, ob siz gerne tuot,
den wil ich iu chunden in disen siben tagen,
e ihz an ir erfüere, zwiu solde ich Ezelen versagen?«
1225 Die wile man den gesten hiez schaffen guot gemach,
in wart da so gedienet, daz Rüedeger des jach,
daz er da friunde haete bi Guntheres man.
Hagene im diente gerne, er hete im alsam getan.
1222 R üdiger, der edle, vorn eh m e Bote, erw id erte darauf: »Wenn ihr
es m ir erlaubt, K ö n ig G un ther, soll ich euch noch m e h r aus-
richten, w as m ein H err m ir fü r euch aufgetragen hat, da er nach
dem Tod m ein er H errin so tie f bed rü ckt ist.
1223 M an hat m ein em H errn berichtet, eure Schw ester sei verw itw et,
w eil S iegfried gestorben sei. W enn das der Fall ist, d an n soll
Frau K riem h ild die prächtige K ro n e v o r Etzels Recken tragen.
D as bat m ich d ° r K ön ig, euch zu sagen.«
1229 H agen erw id erte jed och : »H ört au f! W äre euch doch Etzel so
b ekan n t w ie m ir! W enn K riem h ild ihn heiraten sollte, w ie ihr
sagt, d an n w äre das fü r euch zuallererst ein G ru n d zur B eu n ru
higung.«
1233 Ihr habt d och w irklich m ein e Schw ester so tie f verletzt«, fügte
G iselher, d er stattliche K äm pfer, hin zu, »daß sie allen G ru n d
hätte, euch zu hassen. N o ch nie hat ein M an n eine Frau in so l
cher W eise aller Freude beraubt.«
400 2 0 . AV EN TIURE
1239 Do sprach der chüene Gere: »so wil ich hine gan
und wil mine frowen die rede wizzen lan,
waz ir der kunich Ezele her enboten hat,
ob si in nemen welle, daz si mit triwen unser rat.«
ETZELS W ERBUNG UM KRIE M H ILD 401
1234 »Ich sage euch nur, was ich mit Sicherheit erkenne: Wenn sie
Etzel heiratet und bis zum rechten Zeitpunkt am Leben bleibt,
dann fügt sie uns Leid zu, wie immer sie das zuwege bringt. Ja,
dann werden ihr, bedenkt das gut, viele tapfere Männer zu
Diensten stehen.«
1235 Darauf entgegnete Herr Gernot Hagen: »Es kann dabei bleiben,
daß wir bis zu ihrer beider Tod niemals in Etzels Land reiten.
Wir sollten uns jedoch ihr gegenüber treu erweisen, das dient
auch unserem eigenen Ansehen.«
1236 Hagen aber sagte wiederum: »Niemand kann mir das Gegenteil
beweisen. Wenn Kriemhild Helches Krone trägt, dann übt sie
Rache an uns, ganz gleich, wie sie das zuwege bringt. Ihr solltet
die Heirat verhindern, das wäre für euch, ihr Helden, viel bes
ser.«
1237 Zornig erwiderte Giselher, der Sohn der edlen Ute: »Wir wer
den nicht alle Verrat üben. Wenn sie Freude hat, sollten wir
darüber froh sein. Ganz gleich, was ihr sagt, Hagen, ich halte
ihr meine Treue.«
1238 Als Hagen das hörte, wurde er ungehalten. Gernot und Gisel
her, die stolzen, edlen Ritter, und der mächtige Gunther einig
ten sich endlich darauf, daß sie keinen Vorbehalt hätten, wenn
Kriemhild der Heirat zustimmte.
1239 Da sagte der tapfere Gere: »So will ich hingehen und meiner
Herrin mitteilen, welches Angebot ihr König Etzel gemacht hat,
und daß wir ihr in Treue zuraten, wenn sie ihn nehmen will.«
402 2 0 . AVEN TIURE
1245 »Daz enwil ich niht versprechen, ine welle in gerne sehn,
den guoten Rüedegeren, daz laz ich wol geschehn
durch sine manige tugende, waer er niht her gesant,
swerz ander boten waeren, den waer ich immer unbechant.«
1240 Dann ging der gewandte Recke zu Kriemhild. Sie empfing ihn
liebenswürdig, und er sagte sogleich: »Ihr könnt mich freund
lich begrüßen und mir reichlich Botenlohn geben. Das Glück
wird euch von all eurer Not befreien.
1243 Entschieden wies sie den Vorschlag zurück. Später kamen noch
ihr Bruder Gernot und der junge Giselher, die baten sie liebe
voll und sprachen ihr Trost zu: Wenn sie den König zum Mann
nähme, wäre das wirklich gut für sie.
1244 Aber niemand konnte den Widerstand der Frau, sich irgend
einem Mann in Liebe zuzuwenden, überwinden. Da schlugen
die Recken vor: »Nun stimmt wenigstens zu, auch wenn ihr
nichts anderes tun wollt, Rüdiger zu begrüßen.«
1245 »Das will ich nicht ablehnen. Ich möchte den edlen Rüdiger
gern sehen und gestatte es um seiner vielfältigen Tugenden
willen. Nur weil er es ist, bin ich einverstanden, jedem anderen
Boten würde ich eine Begegnung verweigern.«
1246 Sie sagte: »Laßt ihn morgen zu meiner Kemenate kommen, ich
will ihm dann kundtun, wie ich mich entschieden habe.« Von
neuem brach sie in großes Klagen aus.
404 2 0 . AVEN TIURE
1247 Auch der edle Rüdiger wünschte nichts mehr, als die erhabene
Königin zu sehen. Er meinte, so geschickt zu sein, daß er sie zu
einer zustimmenden Antwort auf seinen Antrag bewegen
könnte.
1249 Die arme Kriemhild wartete mit traurigem Herzen auf Rüdi
ger, den edlen, aufrichtigen Boten. Er fand sie in dem Trauer
gewand, das sie ständig anhatte, während ihr Hofstaat viele
prächtige Kleider trug.
1250 Sie ging Etzels Lehnsmann zur Tür entgegen und empfing ihn
sehr freundlich. Nur mit zwölf Gefährten ließ man ihn eintre-
ten. Ihm wurde große Ehre erwiesen, denn ein so vornehmer
Gesandter kam sonst nie zu ihr.
1251 Man bat den Herrn und seine Leute, Platz zu nehmen, während
die beiden Markgrafen Gere und Eckewart auf Veranlassung
der Königin vor ihnen stehen blieben. Würdevoller hätten die
Boten nicht empfangen werden können.
1252 Als sie sich gesetzt hatten und die vielen Frauen betrachteten,
da weinte Kriemhild fortwährend, ihr Gewand war über der
Brust von ihren heißen Tränen ganz naß. Das sah der Markgraf,
und der Held blieb nicht länger sitzen.
1254 »Nun sei es euch erlaubt«, sagte die Königin, »eure Botschaft
vorzutragen, ich bin bereit zu hören. Sprecht, was ihr wollt und
was euch angemessen erscheint.« Die Boten sahen ihr an, wie
überaus traurig sie war.
1255 Da führte der Fürst Rüdiger von Bechelarn aus: »Etzel, ein vor
nehmer König, läßt euch, Herrin, in diesem Land seine Ehr
erbietung und Treue zusichern. Er hat viele edle Kämpfer her
gesandt, die sollen um eure Liebe werben.
1256 Aufrichtig verspricht er euch Freude ohne Leid. Er will sich mit
euch in beständiger Freundschaft verbinden wie mit Helche,
meiner Herrin, die ihm sehr nahestand. Jetzt sollt ihr die Krone
tragen, die einst meiner früheren Herrin gehörte.«
1258 »Was hilft besser, Leid zu vergessen, als aufrichtige Liebe?« sagte
der kühne Mann. »Wer selbst fähig ist zu lieben und dann einen
wählt, der zu ihm paßt, der erfährt, daß gegen herzzerreißenden
Schmerz nichts heilsamer ist.
1259 Und wenn ihr euch entschließt, meinen hohen Herrn zu lieben,
dann werdet ihr über zwölf mächtige Königreiche herrschen,
zudem gibt euch mein Herr das Land von dreißig Fürsten, die
er mit seiner kraftvollen Hand besiegt hat.
1260 Außerdem werdet ihr als Herrscherin über viele tapfere Männer
gebieten, die auch meiner früheren Herrin untertan waren, und
über viele schöne Mädchen, die ihr unterstanden, sowie über
die edlen, kühnen und stolzen Verwandten vornehmer Recken.
408 2 0 . AVENTI URE
1261 Darüber hinaus gibt euch mein Herr, das läßt er euch zu-
sichem, wenn ihr die Krone neben dem König tragen wollt, die
allerhöchste Macht, die Helche je innehatte, die sollt ihr über
alle seine Lehnsleute besitzen.«
1264 Die Mädchen meiner früheren Herrin und die euren werden
zusammen ein Gefolge bilden, das die Herzen der Recken er
freut. Laßt euch, Herrin, zuraten, es wird wahrhaftig gut für
euch sein.«
1265 Sie aber sagte mit Anstand: »Nun wartet bis morgen früh auf
meine Entscheidung, dann könnt ihr herkommen, und ich
will euch auf euer Anliegen antworten.« Dem mußten sich die
tapferen und edlen Recken fugen.
1266 Als sie sich in ihre Herbergen zurückgezogen hatten, ließ Frau
Kriemhild Giselher und auch ihre Mutter holen. Sie erklärte
ihnen beiden, daß es sich für sie zieme zu weinen und weiter
nichts.
1273 Da mite siz lie beliben. die naht unz an den tac
diu frowe in vil gedanchen an ir bette lac.
diu ir vil liehten ougen wurden trucken nie,
unze si aber den morgen hin zer mettine gie.
1269 Sie sprach zu ihrem Bruder: »Weshalb rätst du mir das? Klagen
und Weinen ziemen sich besser für mich. Wie sollte ich dort bei
Hofe vor den Recken auftreten? Wenn ich jemals schön war,
jetzt bin ich es nicht mehr.«
1270 Ute, die Mutter der beiden, sagte zu ihrer Tochter: »Mein liebes
Kind, geh auf das ein, was deine Brüder dir raten. Folge deinen
Verwandten, dann wird es dir wohl ergehen. Ich habe dich
schon allzu lange in deinem großen Leid gesehen.«
1272 Sie dachte bei sich: »Heirate ich einen Heiden, obwohl ich eine
Christin bin, wird mich die ganze Welt verachten. Selbst wenn
er mir alle Reiche gäbe, so kann ich darauf niemals eingehen.«
1273 Dabei ließ sie es bewenden. Die ganze Nacht bis zum nächsten
Tag lag die Herrin von mancherlei Gedanken bewegt in ihrem
Bett. Ihre strahlenden Augen wurden nicht trocken, bis sie am
Morgen zur Frühmesse ging.
1274 Genau zur Zeit der Messe waren auch die Herren gekommen.
Sie nahmen ihre Schwester an die Hand und rieten ihr zu, den
König aus dem Hunnenland zu heiraten. Keiner von ihnen
hatte den Eindruck, die Herrin sei auch nur ein wenig heiterer.
412 2 0 . AV EN TIURE
1275 Sie ließen Etzels Leute holen. Liebenswürdig bat der mächtige
Rüdiger die Herrin, ihre Entscheidung mitzuteilen, ob sie Kö
nig Botelungs Sohn zum Mann nehmen wolle.
1276 Sie aber erklärte, daß sie nie wieder einen Mann lieben werde.
Darauf entgegnete der Markgraf: »Das wäre falsch. Weshalb wollt
ihr euren so schönen Körper zugrunde gehen lassen? Ihr könnt
noch in Ehren die Frau eines vornehmen Recken werden.«
1277 Alles Bitten half nichts, bis Rüdiger der erhabenen Königin in
einer geheimen Unterredung zusicherte, er wolle ihr beistehen,
was immer geschehen möge. Da begann sich ihr großer
Schmerz etwas zu lindern.
1278 Er sagte: »Hohe Herrin, hört auf zu weinen. Selbst wenn ihr
bei den Hunnen nur mich und meine Leute als treue Freunde
hättet, so müßte jeder schwer büßen, der euch etwas antut.«
1279 Das erleichterte das Herz der Herrin ein wenig. Sie sprach:
»Dann schwört mir, Rüdiger, daß ihr für mich der engste Ver
traute sein werdet, der mein Leid rächt, ganz gleich, was mir je
mand zufügt.« Der Markgraf antwortete ihr: »Herrin, dazu bin
ich bereit.«
1280 Mit all seinen Leuten schwor Rüdiger, daß die vornehmen
Recken aus Etzels Land ihr immer in Treue dienen und nichts
unterlassen wollten, was zu ihrem Ansehen beitrüge. Das be
kräftigte ihr Rüdiger mit Handschlag.
1281 Da dachte die treue Frau: »Wenn ich nun so viele Freunde habe,
werde ich Leidgeprüfte die Leute reden lassen, was sie wollen.
Vielleicht wird der Tod meines lieben Mannes eines Tages doch
noch gerächt!«
414 2 0 . AVEN TIURE
1284 Ern ist niht gar ein heiden, des suit ir sicher sin.
ja was vil wol becheret der liebe herre min,
wan daz er sich widere vernogieret hat.
wolt ir in, frowe, minnen, so mohte sin noch werden rat.
1282 Sie überlegte weiter: »Da Etzel über so viele Helden verfügt,
werde ich, wenn ich über sie gebiete, tun, was ich will. Außer
dem ist er so reich, daß ich genug zum Verschenken habe. Der
Mörder Hagen hat mir all meinen Besitz geraubt.«
1283 »Wäre Etzel kein Heide«, sprach sie zu Rüdiger, »würde ich
gern auf seine Werbung eingehen und ihn zum Mann neh
men.« Da sagte der Markgraf: »Ihr könnt euch beruhigen.
1284 Er ist nicht wirklich ein Heide, das versichere ich euch. Ja, mein
lieber Herr war einmal bekehrt, allerdings hat er sich später
wieder vom christlichen Glauben abgewandt. Herrin, wenn ihr
ihn liebt, dann könnte ihm geholfen werden.
1286 Dann baten wiederum ihre Brüder: »Stimmt zu, Schwester, laßt
nun eure Bedenken fallen.« Sie drängten sie so lange, bis die
trauernde Frau vor den Kämpfern gelobte, Etzels Gemahlin zu
werden.
1287 Sie sprach: »Ich muß euch folgen, ich arme Königin. Daß ich zu
den Hunnen reise, das soll nun geschehen, sobald ich weiß,
welche Freunde mich in Etzels Land begleiten.« Zur Bestäti
gung gab die Königin Rüdiger vor den Kämpfern ihre Hand.
1289 Fünf hundert miner manne und öuch der mage min,
die suln iu hie dienen und euch da heime sin,
swie ir in gebietet, ich selbe tuon alsam,
so ir mich ermant der maere, daz ihs nimmer mich gescham.
1290 Nun laßt eure Pferde für die Reise herrichten. Es wird euch nie
mals leid tun, Rüdigers Ratschlägen gefolgt zu sein. Sagt euren
Mädchen Bescheid, die ihr mitnehmen wollt. Ja, viele aus
erwählte Helden werden uns zur Begrüßung entgegenreiten.«
1291 Sie besaßen noch Sattelzeug aus Siegfrieds Zeit, so daß.sie die
Pferde vieler Mädchen damit ansehnlich ausstatten konnten, als
sie aufbrechen wollten. Ach, welch gute Sättel standen für die
schönen Frauen zur Verfügung!
1293 Bis zum zwölften Tag waren sie sehr beschäftigt; sie nahmen aus
den Einschlagtüchern alles, was darin lag. Anschließend ließ
Kriemhild schnell ihre Schatzkammer öffnen» um alle Leute
Rüdigers reich zu beschenken.
1294 Sie besaß noch von dem Gold aus dem Nibelungenland, das
hoffte sie, bei den Hunnen verteilen zu können, es war immer
hin so viel, daß sechshundert Pferde es nicht hätten tragen
können. Hagen erfuhr von Kriemhilds Absichten.
418 2 0 . AVENTIURE
1296 Wenn sie ihn zu den Hunnen mitnähme, glaube ich, würde er
doch nur verteilt, um Feindschaft gegen mich zu säen. Außer
dem fehlen ihnen Pferde, die ihn tragen könnten. Hagen wird
den Schatz hierbehalten, das soll man Kriemhild mitteilen.«
1297 Als Kriemhild das erfuhr, ergriff sie schmerzlicher Zorn. Auch
die drei Könige hörten davon und hätten es gern verhindert.
Als das aber unterblieb, sagte der edle Rüdiger hoheitsvoll:
1298 »Mächtige Königin, warum klagt ihr über das verlorene Gold?
König Etzel ist euch in solchem Maße zugetan, daß er euch,
wenn seine Augen euch erblicken, so viel geben wird, daß ihr
das niemals alles aufbrauchen könnt. Darauf schwöre ich euch
jeden Eid.«
1299 Die Königin antwortete: »Edler Rüdiger, nie hat eine Königs
tochter mehr Reichtum besessen, als Hagen mir geraubt hat.«
Da kam der starke Gernot zu der Schatzkammer.
1301 Dann sagte der von Bechelarn, Gotelinds Mann: »Auch wenn
meine Herrin Kriemhild alles bekäme, was aus dem Nibelun
genland hierher überführt wurde, sollten weder ich noch die
Königin das geringste davon anrühren.
420 2 0 . AV ENTIURE
1307 Ich wil ouch mit mir füeren hundert miner man,
der ich iu ze dienste wol mit triwen gan.
wir sin ungescheiden, ez entuo der tot.«
der rede neig im Chriemhilt, daz irz der heit so wol erbot.
1302 Herrin, laßt es nehmen, wer es nehmen will. Ich habe aus
meinem Land so viel mitgebracht, daß wir auf der Fahrt genug
haben werden und daß unsere Reisekosten voll und ganz ge
deckt sind.«
1304 Die Macht des bösen Hagen schien ihr zu stark, um sich ihm zu
widersetzen. Sie besaß noch etwa tausend Mark an Gold für
Opfergaben. Das spendete sie für das Seelenheil ihres lieben
Mannes. Rüdiger sah dies als ein Zeichen ihrer großen Treue.
1305 Dann fragte die Herrin Kriemhild: »Wo sind nun meine
Freunde, die um meinetwillen in der Fremde bei den Hunnen
leben und mit mir in Etzels Land reiten wollen? Sie sollen mein
Gold nehmen und davon Pferde und Gewänder kaufen.«
1307 »Ich will auch hundert von meinen Leuten mitnehmen, die ich
euch in Treue zum Dienst übergebe. Nur der Tod kann uns
trennen.« Kriemhild verneigte sich dankend für das, was ihr der
Held so freundlich anbot.
1308 Man brachte die Pferde, denn sie wollten abreisen. Da began
nen die Verwandten und Freunde sehr zu weinen. Die edle Frau
Ute und viele schöne Mädchen zeigten, wie leid es ihnen tat,
sich von der Königin zu trennen.
422 2 0 . AV EN TIURE
1309 Hundert schöne Mädchen nahm die Herrin mit, die so einge
kleidet wurden, wie es sich ziemte. Auf ihre glänzenden Hals
ketten fielen Tränen herab. Doch später erlebten sie bei Etzel
große Freude.
1311 Auch der gewandte Gere und Ortwin kamen; Rumold, der
Küchenmeister, war ebenfalls dabei. Sie kümmerten sich unter
wegs um das Nachdager der Herrin. Volker war ihr Marschall,
der sollte sie in der Herberge betreuen.
1312 Nach den Abschiedsküssen folgten eine Menge Tränen, ehe sie
von der Burg auf das Feld gelangten. Viele waren herausgekom
men, obwohl Kriemhild sie nicht darum gebeten hatte. Auch
König Gunther ritt mit ihr noch ein Stück vor die Stadt.
1313 Bevor sie von zu Hause wegzogen, schickten sie ihre schnellen
Boten ins Hunnenland voraus, die dem König melden sollten,
daß Rüdiger die edle, erhabene Königin für ihn zur Gemahlin
geworben hatte.
1314 Die Boten eilten sehr, denn die Reise war für sie überaus wich
tig wegen der erhofften Ehre und wegen des zu erwartenden
reichen Lohns. Als sie mit ihrer Nachricht im Land eintrafen,
war König Etzel von Freude überwältigt.
1315 Um dieser frohen Kunde willen ließ der König den Boten Ge
schenke überreichen, daß sie davon angenehm bis an ihren Tod
leben konnten. Des Königs Kummer und Bedrängnis waren in
Freude verwandelt.
21. A V E N T IU R E
A V EN T IU R E W IE C H R I E M H I L T VON W O R M Z E S C H IE T ,
DO SI G E IN D E N H Ü N E N F U O R
016 Kümmern wir uns nicht weiter um die Boten, wir wollen euch
berichten, wie die Königin durch das Land reiste und wo ihre
beiden Brüder wieder umkehrten. Sie hatten sich ihr so dienst
bereit gezeigt, daß sie ihnen später noch dafür dankbar war.
1319 Sie küßte ihre Verwandten auf den Mund. Auch die stattlichen
Burgunden und Rüdigers Leute sah man in diesem Augenblick
liebevoll voneinander Abschied nehmen. Die Königin hatte
viele schöne Mädchen in ihrem Gefolge.
1321 Als sie über die Donau nach Bayern kamen, wurde weithin
bekannt, daß die Königin Kriemhild zu den Hunnen reiste.
Darüber freute sich ihr Oheim, der Bischof Pilgrim.
1322 Er war Bischof in der Stadt Passau. Dort leerten sich die Her
bergen und auch der Hof des Fürsten, weil alle in Bayern den
Gästen dorthin entgegeneilten, wo Bischof Pilgrim die schöne
Kriemhild traf.
1323 Sein Gefolge freute sich, daß Kriemhild so viele schöne Mäd
chen bei sich hatte. Liebevolle Blicke ließ man über die Töchter
der edlen Ritter schweifen. Danach gab man den Gästen bestens
ausgestattete Unterkünfte.
1324 In Plattling sorgte man für ihre Bequemlichkeit. Das Volk ritt
ihnen von überall entgegen. Gern bot man ihnen, was sie
benötigten, und sie nahmen es in Ehren entgegen, wie es später
auch woanders geschah.
1325 Die Herrin ritt neben ihrem Oheim nach Passau. Die Bürger in
der Stadt freuten sich, daß die Nichte des Fürsten kommen
sollte. Sie wurde dann auch von den Kaufleuten wohlwollend
empfangen.
1326 Der Bischof hoffte, daß sie länger bleiben würden. Doch der
Markgraf sagte: »Das ist nicht möglich. Wir müssen ins Hun
nenland weiterreiten. Uns erwarten viele Kämpfer, denn unsere
Ankunft ist ihnen angekündigt worden.«
1327 Die Nachricht hatte auch die schöne Gotelind erreicht. Sie be
reitete sich eilig darauf vor, ihre Herrin zu empfangen. Rüdiger
hatte sie wissen lassen, er hielte es für gut, wenn sie der Königin
dadurch eine Freude machte,
428 21. AV EN TIURE
1328 daß sie ihr mit seinen Leuten bis zur Enns entgegenritte. So
geschah es, und man sah überall viel unruhiges Treiben; um der
Gäste willen mußten sie sich auf den Weg machen.
1329 Zur nächsten Nacht war sie bis Eferding gekommen. Wenn viele
aus Bayern ihrer Gewohnheit nach Straßenraub begangen
hätten, so wäre den Gästen viel Leid zugefügt worden.
1330 Das aber hatte der edle Rüdiger verhindert. Er führte tausend
Ritter und mehr mit sich. Dann war auch Gotelind, die Frau
des Markgrafen, angekommen, ebenfalls von vielen tapferen
Recken begleitet.
1331 Als sie über die Traun auf das Feld an der Enns gekommen
waren, sah man Hütten und Zelte aufgeschlagen, wo die Gäste
zur Nacht ruhen sollten. Rüdigers Freunde dienten ihnen in je
der Hinsicht.
1333 Die ihnen auf dem Weg von beiden Seiten entgegenkamen, rit
ten in fröhlicher Stimmung. Groß war die Zahl der Kämpfer;
sie führten Ritterspiele vor, denen viele Mädchen zuschauten.
Überhaupt war den schönen Damen der Dienst der Helden
alles andere als unangenehm.
1334 Als Rüdigers Leute mit den Gästen zusammentrafen, sah man
nach ritterlichem Brauch eine Menge Speere aus den Händen
der Recken in die Höhe fliegen. Sie ritten kunstvoll vor den
Damen, um deren Lob zu erringen.
430 21. AVEN TIURE
1336 Der Herr von Bechelarn ritt zu seiner Frau. Die edle Markgräfin
war glücklich, daß er unversehrt vom Rhein zurückgekehrt war.
Ja, ihre vielen Sorgen waren in große Freude verwandelt.
1337 Als sie ihn begrüßt hatte, ließ er sie zusammen mit den Damen,
die sie begleiteten, vom Pferd auf den grünen Rasen absteigen.
So mancher Mann bemühte sich mit großem Eifer um die
schönen Damen.
1338 Die Königin sah Gotelind mit ihrem Gefolge in der Nähe
stehen. Sie ritt nicht näher heran, sondern hielt das Pferd mit
dem Zügel an und bat, man möge sie sogleich aus dem Sattel
heben.
1343 Man hiez den gesten schenchen, ez was wol mitter tac.
daz edel ingesinde da niht langer lac.
si riten, da si funden vil manige hütten breit,
da was den werden gesten vil groziu Wirtschaft bereit.
1342 Mit höfischem Anstand saßen sie nebeneinander auf dem Klee.
Die Bewunderer der Damen hatten Freude daran. Ihr anmuti
ger Anblick versetzte sie in gute Stimmung, und zwar Frauen
und Männer, wie es auch heute noch oft der Fall ist.
1344 Die Nacht über ruhten sie bis zum frühen Morgen. Die Leute
aus Bechelarn hatten sich darauf vorbereitet, die vielen vorneh
men Gäste zu beherbergen. Rüdiger sorgte dafür, daß es ihnen
an nichts fehlte.
1345 Die Fenster in den Mauern waren geöffnet, und die Tore der
schönen Burg Bechelarn standen offen. Dort ritten die Gäste,
die man herzlich willkommen hieß, hinein. Der edle Hofherr
hatte alles zu ihrer großen Bequemlichkeit hergerichtet.
1346 Rüdigers Tochter kam mit ihrem Gefolge, die Königin liebens
würdig zu empfangen. Auch ihre Mutter, die Frau des Mark
grafen, war dabei. Freudig wurden die vielen jungen, adligen
Damen begrüßt.
1347 Sie faßten sich bei der Hand und gingen dann in einen weit
räumigen Palas, der sehr schön gebaut war; unter ihm floß die
Donau dahin. Sie hatten dort Platz genommen, wo die Luft
hereinwehte, und unterhielten sich bestens.
1348 Was sie außerdem taten, das weiß ich nicht. Kriemhilds Recken
hörte man allerdings darüber klagen, daß sich die Reise für sie
unangenehm in die Länge zog; denn das paßte ihnen nicht.
Ach, wie viele gute Kämpfer ritten mit Kriemhild aus Bechelarn
fort.
434 21. AVENTIURE
1349 Der Markgraf bot ihnen liebenswürdig seine Dienste an. Die
Königin schenkte Gotelinds Tochter zwölf rotgoldene Armreife
und das beste Kleid, das sie auf die Reise in Etzels Land mit
genommen hatte.
1350 Zwar war ihr das Nibelungengold geraubt, doch mit dem weni
gen, was sie besaß, erwarb sie sich die Zuneigung aller, die ihr
begegneten. Das Gefolge des Hofherrn wurde reich beschenkt.
1352 Als sie gegessen hatten und abreisen wollten, bot die Hausher
rin der Gemahlin Etzels ihren treuen Dienst an. Schließlich
wurde auch Gotelinds schöne junge Tochter zärtlich umarmt.
1353 Sie sagte zu der Königin: »Wenn es euch recht ist, wird mich
mein lieber Vater gerne, das weiß ich wohl, eines Tages zu euch
ins Hunnenland schicken.« Kriemhild erkannte deutlich, daß
das Mädchen sie wirklich gern hatte.
1354 Die Pferde standen vor der Burg Bechelarn bereit. Die Königin
hatte sich von Rüdigers Frau und deren Tochter verabschiedet.
Auch viele schöne Mädchen trennten sich mit einem Gruß.
1355 Nach diesen Tagen haben sie sich nie wiedergesehen. Aus Melk,
der nächsten Reisestation, wurden viele kostbare Goldgefäße
mit Wein zu den Gästen auf die Straße gebracht, um sie will
kommen zu heißen.
436 21. AVENTIURE
1356 Dort wohnte ein Burgherr, der Astolt hieß. Er zeigte ihnen
weiter den Weg durch Österreich donauabwärts Richtung
Mautern. Der mächtigen Königin wurden da später viele
Dienste geleistet.
1357 Der Bischof verabschiedete sich liebevoll von seiner Nichte. In
ständig ermahnte er sie, den König zu bekehren und durch
Freigebigkeit Ehre zu gewinnen, wie Helche es getan hatte. Ach,
welch großes Ansehen erwarb sie später bei den Hunnen!
1358 Man brachte die Gäste zur Traisen. Rüdigers Leute kümmerten
sich eifrig um Kriemhild, bis sie auf die entgegenreitenden
Hunnen trafen. Da wurde der Königin große Ehre erwiesen.
1359 An der Traisen besaß der König des Hunnenlandes eine mäch
tige, weithin bekannte Burg mit Namen Traismauer. Dort hatte
Frau Helche früher in höfischer Vollkommenheit residiert, die
kaum jemals zu übertreffen war,
1362 Bei Etzel lebten ständig, was wahrscheinlich nie wieder möglich
sein wird, Christen und Heiden beieinander. Ganz gleich zu
welchem Glauben sich jemand bekannte, der König war so frei
gebig, daß er allen genug gab.
2 2 . A V EN T IU R E
A V EN T IU R E W IE C H R I E M H I L T U N D EZELE B R U T E N
IN D ER STAT ZE W I E N N E
1366 Von Ruzzen und von Chriechen reit da vil manic man.
Polanen unde Vlachen den sah man ebene gan
ir pferit und ros diu guoten, da si mit chreftin riten.
swaz si site habeten, der wart vil wenich iht vermiten.
1363 Kriemhild blieb bis zum vierten Tag in Traismauer. Der Staub
auf der Straße legte sich in dieser Zeit nicht, er wirbelte auf, als
ob es überall brannte. So ritten König Etzels Leute durch Öster
reich.
1364 Inzwischen hatte auch der König die Nachricht erhalten. Bei
dem Gedanken, wie herrlich Kriemhild zu ihm durch das Land
reiste, verschwand sein Leid. Er machte sich eilig auf, um die
liebenswerte Frau zu treffen.
1366 Eine Menge Leute aus Rußland und Griechenland zog mit.
Auch Polen und Walachen ritten kraftvoll heran, ihre edlen
Pferde gingen dabei in gleichmäßigem Schritt. Sie verhielten
sich ganz ihrem Brauch gemäß.
1367 Aus dem Land von Kiew ritten ebenfalls viele herbei und die
wilden Petschenegen; sie schossen immer wieder mit dem
Bogen auf vorbeifliegende Vögel. Mit aller Kraft zogen sie die
Pfeile in der Sehne bis zum Äußersten zurück.
440 22. AVENTI URE
1368 Es liegt in Österreich eine Stadt an der Donau, die heißt Tulln;
dort lernte Kriemhild allerhand fremde Bräuche kennen, die sie
vorher noch nie gesehen hatte. Viele begrüßten sie da, denen
sie später Leid zufügte.
1369 Vor dem mächtigen Etzel ritt das Gefolge in bester Stimmung,
höfisch und vergnügt, es waren etwa vierundzwanzig mächtige,
vornehme Fürsten, die keinen anderen Wunsch hatten, als ihre
Herrin zu sehen.
1370 Der Herzog Ramung aus dem Land der Walachen eilte mit sie
benhundert Leuten herbei. Wie wilde Vögel sah man sie heran
ziehen. Dann kam der Fürst Gibeche mit prächtigen Scharen.
1371 Der tapfere Hornboge entfernte sich mit tausend Leuten vom
König und ritt seiner Herrin entgegen. Der Landessitte entspre
chend erhob sich ein lautes Getöse. Die Verwandten der Hun
nen ritten besonders schnell.
1372 Es folgten der kühne Hawart aus Dänemark und der starke,
aufrichtige Iring sowie Irnffied von Thüringen, ein rühmens
werter Fürst. Sie begrüßten Kriemhild, wie es ihnen ihre Ehre
gebot,
1374 Dann kamen König Etzel und auch Herr Dietrich mit allen sei
nen Kämpfern. Viele rühmenswerte, edle, tüchtige und zuver
lässige Ritter versammelten sich. Der Anblick erheiterte den
Sinn der Königin ein wenig.
442 22. AV EN TIURE
1375 Da sagte der Markgraf Rüdiger von Bechelarn: »Herrin, der er
habene König will euch hier empfangen. Ihr solltet nur diejeni
gen küssen, bei denen ich euch dazu auffordere; denn ihr könnt
ja nicht alle Leute des Königs in gleicher Weise begrüßen.«
1376 Man hob die vornehme Königin vom Pferd. Der mächtige Etzel
wartete nun auch nicht länger. Er stieg mit vielen kühnen Män
nern vom Sattel, und man sah ihn frohgestimmt auf Kriemhild
zugehen.
1379 Ihn küßte sie auf Rüdigers, des mächtigen Markgrafen, Geheiß
und ebenso König Gibeche. Außerdem stand dort Herr Diet
rich; von seinen Recken küßte Etzels Frau zwölf. Viele andere
kühne Helden empfing sie mit einem einfachen Gruß.
1380 Während Etzel neben ihr stand, vertrieben sich die Knappen
die Zeit, wie sie es auch heute noch tun: Sie beschäftigten sich
mit allerlei ritterlichen Spielen, wobei christliche Kämpfer und
Heiden jeweils ihrem eigenen Brauch folgten.
1382 Vom Zerbrechen der Lanzen hörte man großen Lärm. Aus dem
Land waren alle Recken mitgekommen und auch die Gäste des
Königs, insgesamt eine große Schar edler Männer. Dann ging
der mächtige König mit der Königin fort.
1383 Sie erblickten neben sich ein äußerst prächtiges Zelt. Ringsum
standen überall kleine Zelte auf dem Feld, wo sie nach der
Anstrengung ruhen sollten. Viele schöne Mädchen wurden von
Helden
1385 Was sie miteinander redeten, das weiß ich nicht, nur daß ihre
weiße Hand zwischen seinen Händen lag, ist mir bekannt. Sie
saßen liebevoll nebeneinander, aber Rüdiger, der Kämpfer,
wollte nicht zulassen, daß sich der König der Dame noch ver
traulicher näherte.
1386 Dann ließ man allerorten das Ritterspiel einstellen. Der große
Lärm nahm in Ehren ein Ende. Etzels Leute gingen zu den klei
nen Zelten, und man beherbergte sie überall in der weiteren
Umgebung.
1387 Am Abend und in der Nacht ruhten sie bequem, bis man den
hellen Morgen aufleuchten sah. Da waren für Etzel und all seine
Leute die Pferde gesattelt. Ihm zu Ehren wurden viele Spiele
veranstaltet.
1388 Der König ermahnte die Hunnen, auf ihr höfisches Benehmen
zu achten. Dann ritten sie von Tulln weiter zur Stadt Wien, wo
eine Menge prächtig gekleideter Damen König Etzels Gemahlin
ehrenvoll empfing.
446 22. A V E N T IU R E
1389 In aller Fülle stand dort für sie bereit, was sie nur haben woll
ten. Viele stattliche Helden, Etzels Leute, nahmen den Pferden
die prächtigen Sättel ab. Mit großem Prunk begann das Fest des
Königs.
1391 den Herren Dietrich und viele andere Kämpfer. Sie hatten auf
jede Ruhe verzichtet und bemühten sich, die Gäste zu erheitern.
Für den König und seine Freunde gab es gute Unterhaltung.
1392 Das Fest, an dem sich König Etzel mit Kriemhild in der Stadt
Wien vermählte, war auf Pfingsten gefallen. Sie hatte, glaube
ich, bei ihrem ersten Geliebten nie so viele Leute zu ihren Dien
sten gehabt.
1393 Mit Geschenken machte sie sich bei denen bekannt, die sie bis
her nie gesehen hatten. Viele unter ihnen sagten zu den Gästen:
»Wir hatten angenommen, daß Frau Kriemhild nichts mehr be
säße, doch nun erregt sie durch ihre Gaben großes Staunen.«
1394 Das Fest dauerte siebzehn Tage. Ob jemals ein König, in Wirk
lichkeit oder der Sage nach, ein größeres feierte, das wissen wir
nicht. Alle, die daran teilnahmen, trugen ganz neue Kleider.
1397 Die chunden und die geste die heten einen muot,
daz si da niht sparten deheiner slahte guot;
swes ieman an si gerte, daz gaben si bereit.
des stuont da vil der degene von milte bloz ane chleit.
1399 Swaz iemen tet mit milte, daz was gar ein wint
unz an Dietrichen, swaz Botelunges chint
im gegebn hete, daz was gar verswant.
ouch tet da michel wunder des mitten Rüedegeres hant.
1398 Kriemhild dachte daran zurück, wie sie am Rhein neben ihrem
fürstlichen Mann geherrscht hatte; und ihre Augen wurden
feucht. Das verbarg sie so geschickt, daß es niemand sehen
konnte. Nach großem Leid wurde sie hier mit Ehren überhäuft.
1399 Wie freigebig jemand auch sein mochte, das war eine Kleinig
keit im Vergleich zu Dietrich. Was er selbst von Botelungs Sohn
erhalten hatte, das verschenkte er nun alles wieder. Auch der
großzügige Rüdiger vollbrachte Bewundernswertes.
1400 Fürst Blödel aus Ungarn ließ aus zahlreichen Reisetruhen Silber
und Gold herausnehmen; das wurde alles verteilt. Nie zuvor
hatte man die Kämpfer eines Königs in solcher Freude gesehen.
1404 In der prächtigen Stadt Meisenburg schifften sie sich ein. Der
Fluß war, soweit man sehen konnte, von Pferden und Männern
dicht besetzt, als ob es Land wäre. Die von der Reise ermüdeten
Damen fanden nun Ruhe und Bequemlichkeit.
1407 Eine große Zahl adliger Mädchen, die Helches Tod traurig
gemacht hatte, wartete jetzt voller Freude. Kriemhild traf dort
sieben Königstöchter, die eine Zierde für Etzels Land darstell
ten.
1409 Durch die Ankunft der Gäste schwand ihre Traurigkeit. Für
ihren Empfang waren umfassende Vorbereitungen getroffen
worden. Wer könnte euch berichten, wie der König dann resi
dierte? Im Hunnenland hatte man unter keiner Königin besser
gelebt.
452 22. AV ENTIURE
1410 Do der wirt mit sime wibe von dem stade reit,
wer ieslichiu waere, daz wart zehant geseit
der edeln kuniginne, si gruoztes deste baz.
hey, wie gewaltekliche si sit an Helchen stat gesaz!
1413 Do stuont mit solhen eren der hof und ouch daz lant,
daz man da zallen ziten die churzewile vant,
swar nach ieslichem daz herce truoch den muot,
durch des kuniges liebe und ouch die kuniginne guot.
DIE H O C H Z E IT IN W IEN 453
hio Als der Landesherr mit seiner Frau vom Ufer heranritt, wurde
der edlen Königin sogleich erklärt, wer jedes Mädchen war, so
daß sie diese persönlich begrüßen konnte. Wie machtvoll trat
sie dann an Helches Stelle!
nil In Treue erwies man ihr hohe Ehren. Dann verteilte Frau
Kriemhild Gold und Gewänder, Silber und Edelsteine; alles, was
sie über den Rhein mit zu den Hunnen gebracht hatte, ver
schenkte sie ganz und gar.
1412 Außerdem stellten sich alle Verwandten des Königs und all
seine Männer in ihren Dienst, so daß Frau Helche nie eine der
artige Befehlsgewalt besessen hatte wie jetzt Kriemhild, der sie
nun alle bis zu ihrem Tod dienen mußten.
1413 Der Hof und das ganze Land lebten in einem so ehrenvollen
Zustand, daß jeder zu allen Zeiten die Unterhaltung fand, die
sein Herz begehrte - das alles war nur möglich durch die
Freundlichkeit des Königs und die edle Königin.
23. A V EN T IU R E
A V EN T IU R E W IE DER K U N E C EZELE
U N D D IU F RO W E C H R I E M H I L T N A C H IR F R I U N D E N
ZE W O R M E Z SAN D E
1415 Kriemhild hörte nicht auf zu drängen, bis Etzels Sohn chrisdich
getauft wurde. Er bekam den Namen Ortlieb. Sie wollten ihm
später die Herrschaft über Etzels gesamtes Reich übertragen.
1418 Inzwischen war Kriemhild sicher, daß sich ihr niemand wider
setzte - anders als heute, da die Recken von der Gemahlin eines
Königs ungern Befehle annehmen - , und sie sah, daß sie jeder
zeit zwölf Könige in ihrer Nähe hatte. Da kam ihr das ganze
Leid in den Sinn, das ihr zu Hause angetan worden war.
456 23- AVEN TIURE
1421 Sine chunde ouch nie vergezzen, swie wol ir anders was,
ir starchen hercen leide, in ir hercen si ez las
mit jamer zallen stunden, daz man sit wol bevant.
do begunde ir aber salwen von heizen trahen ir gewant.
1419 Auch dachte sie an das große Ansehen, das sie im Nibelungen
land genossen und das ihr Hagen durch die Ermordung Sieg
frieds geraubt hatte. Sie überlegte, ob ihm das jemals durch
Leid heimgezahlt werden könnte.
1420 Sie wünschte sich, daß ihre Mutter ins Hunnenland käme; und
sie träumte, daß Giselher an ihrer Hand neben König Etzel
ginge. Immer wieder küßte sie ihn innig im sanften Schlaf.
Später kamen sie in große Bedrängnis.
1421 Nie konnte sie ihr schweres Leid vergessen, auch wenn sie es
nicht zeigte. In ihrem Herzen fühlte sie es schmerzvoll die ganze
Zeit, wie man später erfuhr. Heiße Tränen benetzten immer
wieder ihr Gewand.
1422 Früh und spät lag es ihr auf der Seele, wie man sie ohne Grund
dazu gebracht hatte, einen Heiden zu heiraten. Das hatten
Freund Hagen und Gunther ihr angetan.
1423 Dies zu rächen war ihr täglicher Wunsch: »Ich bin jetzt so
mächtig, daß ich meinen Feinden, ganz gleich, wem das gefällt,
Leid antun kann. Vor allem möchte ich gern Hagen von Tronje
mit meiner Vergeltung treffen.
1424 Nach denen, die mir treu geblieben sind, sehnt sich mein Herz
oft; könnte ich aber die erreichen, die mich dort tief verletzt ha
ben, dann würde das Leben meines Mannes doch noch gerächt.
Das kann ich kaum erwarten«, sagte die von Schmerz erfüllte
Frau.
1426 Ständig sann sie darauf, den König zu bitten, er möge ihr
freundlich gestatten, ihre Verwandten ins Hunnenland einzu
laden. Die böse Absicht erkannte niemand bei Frau Kriemhild.
1427 Als sie eines Nachts neben dem König lag und er sie umarmte,
wie er es oft tat, um mit der edlen Herrin zu schlafen, die ihm
lieb war wie sein eigenes Leben, da dachte die stolze Frau an
ihre Feinde.
1428 Sie sagte zu dem König: »Mein lieber Herr, ich möchte euch
gern mit allem Anstand bitten, mir zu zeigen, ob ihr meinen
Verwandten herzlich zugetan seid, wie ich es wohl verdient
habe.«
1429 Der mächtige König antwortete ohne Argwohn: »Ich zeige euch
gern, daß ich mich freue, wenn den Helden Angenehmes und
Gutes begegnet; denn durch eine Heirat konnte ich überhaupt
keine besseren Verwandten gewinnen.«
1430 »Ihr wißt wohl«, sagte die Königin darauf, »daß ich sehr vor
nehme Verwandte habe. Darum bin ich traurig, daß sie mich
hier nie besucht haben, zumal ich höre, wie mich die Leute nur
die Ausländerin nennen.«
1431 Der König Etzel entgegnete: »Meine liebe Frau, wenn ihnen der
Weg nicht zu weit ist, würde ich alle, die ihr gern sehen möch
tet, vom Rhein in unser Land einladen.« Diese Antwort gefiel
ihr gut, nachdem sie nun seinen Willen erkundet hatte.
1432 Sie sagte: »Wenn ihr, mein Herr, mir eure Treue beweisen wollt,
so schickt Boten von uns an den Rhein. Dann teile ich meinen
Verwandten mit, was ich im Sinn habe. Dann werden viele edle
und tüchtige Ritter zu uns ins Land kommen.«
460 23- AV EN TIURE
1434 »Wenn es dir recht ist, meine hebe Gemahlin«, fügte er hinzu,
»so will ich meine Spielleute als Boten zu deinen Verwandten
ins Burgundenland senden.« Alsbald schickte man nach Etzels
Fiedlern.
1435 Die beiden Knappen kamen dorthin, wo ihr Herr neben der
Königin saß. Der König sagte ihnen, daß sie als Boten ins Land
seiner Verwandten ziehen sollten. Dann ließ man sofort gute
Gewänder für sie vorbereiten
1437 Der mächtige König sprach: »Ich verkünde euch meine Ab
sicht: Ich wünsche meinen Verwandten alles Liebe und Gute,
und hoffe, daß sie bereit sind, hierher in mein Reich zu reiten.
Noch nie habe ich so liebe Gäste erwartet.
143H Und wenn sie meinen Wunsch erfüllen wollen, möchten sie
nicht zögern, mir zuliebe zu meinem Fest zu kommen; denn
die Verwandten meiner Frau tragen viel zu meiner Freude bei.«
1441 »Alles, was ihr uns auftragt, führen wir aus«, sagte Wärbel. Die
Königin ließ die Boten heimlich in ihre Kemenate rufen, um sie
zu sprechen. Dadurch geschah später vielen Kämpfern großes
Leid.
1442 Kriemhild sprach zu den beiden Boten: »Ihr verdient euch eine
große Belohnung, wenn ihr verschwiegen meinen Wunsch
ausführt und zu Hause in unserem Land sagt, was ich euch
auftrage. Ich mache euch dann reich an Gut und gebe euch
vornehme Gewänder.
1444 Bittet sie, den Wunsch des Königs zu erfüllen, damit ich von
allem Kummer befreit werde. Die Hunnen könnten glauben,
ich hätte keine Verwandten. Wenn ich ein Ritter wäre, würde
ich selbst sie ab und zu besuchen.
1445 Sagt auch Gernot, meinem lieben Bruder, daß ihn niemand auf
der Welt mehr liebt und daß ich ihn bitte, unsere besten
Freunde mit in dieses Land zu bringen, damit es auch für uns
ehrenvoll ist.
1446 Und sagt Giselher, er möge sich erinnern, daß er nie durch
meine Schuld Leid erfahren hat. Deshalb würden ihn meine
Augen hier besonders gern sehen, und dafür wäre ich ihm im
mer dankbar.
464 23- AV ENTIURE
1447 Nu sagt ouch miner muoter die ere, die ich han.
und ob von Tronege Hagene welle dort bestan,
wer si danne solde wisen durch diu lant,
dem sint die wege von kinde her zen Hunin wol bekant.«
1447 Berichtet auch meiner Mutter von dem Ansehen, das ich hier
besitze. Und wenn Hagen von Tronje dortbleiben will, fragt,
wer sie an seiner Stelle durch die Länder führen soll, da nur ihm
von Kindheit an die Wege hierher zu den Hunnen vertraut
sind.«
1448 Die Boten wußten nicht, weshalb der kühne Hagen auf keinen
Fall am Rhein bleiben sollte. Das tat ihnen später leid. Mit
Hagen war vielen Helden der Kampf bis zum bitteren Tod an
gesagt.
1449 Als Nachricht und Briefe den Boten nun übergeben waren, bra
chen sie reich beschenkt auf und konnten es sich Wohlergehen
lassen. Etzel und die Gemahlin des Königs verabschiedeten sich
von ihnen. Sie waren herrlich mit kostbarer Kleidung ausge
stattet.
1450 Sobald König Etzel seine Boten an den Rhein geschickt hatte,
ließ er Recken aus zahlreichen Ländern zu seinem Fest laden.
Keiner von ihnen kehrte später wieder in sein Land zurück.
2 4 . A V EN T IU R E
A V EN T IU R E W IE D IE B O T E N ZE R IN E Q U A M E N
U N D W IE SI D A N N E S C H IE D E N
1451 Die Boten zogen durch das Land der Hunnen zu den Burgun
d e r Sie waren dorthin gesandt worden, um die drei Könige
und ihre Leute zu Etzel einzuladen. Eilig wollten sie ihren Auf
trag ausführen.
1452 Als sie nach Bechelarn geritten kamen, zögerte man nicht, sie
dort freundlich zu empfangen. Rüdiger, Gotelind und auch des
Markgrafen Tochter sandten ihre Grüße mit ihnen an den
Rhein.
1453 Sie ließen Etzels Leute nicht ohne Geschenke weiterziehen, da
mit sie um so besser reisen konnten. Ute und ihren Söhnen ließ
Rüdiger ausrichten, daß kein Markgraf ihnen so zugetan wäre
wie er.
1454 Auch an Brünhild trugen sie Grüße auf: Ehrerbietung und alles
Gute, Treue, Freundschaft und wohlwollende Unterstützung
sicherten sie ihr zu. Nachdem die Boten die Worte vernommen
hatten, mußten sie weiterziehen, und die Markgräfin bat Gott
im Himmel, sie zu behüten.
1455 Bevor sie Bayern vollends durchquert hatten, besuchte der ge
wandte Wärbel den edlen Bischof von Passau. Was der für seine
Verwandten am Rhein auftrug, ist mir unbekannt. Allerdings
weiß ich von rotem Gold,
468 24- AV ENTIURE
1459 Do sprach der vogt von Rine: »wer tuot uns bêchant
von disen vremden recken, die chôment in daz lant?«
daz enwesse nieman, unze si gesach
Hagene der chüene. der heit zuo Gunthere sprach:
1457 Welche Wege sie durch die Länder an den Rhein nahmen, ver
mag ich nicht zu berichten. Niemand raubte ihnen ihr Gold
und ihre Gewänder, weil man fürchtete, die Feindschaft ihres
Herrn auf sich zu ziehen; denn Etzel war sehr mächtig, und das
wußte man überall.
1458 Nach zehn Tagen erreichten Wärbel und Schwämmel die Burg
in Worms am Rhein. Da benachrichtigte man die Könige und
ihre Leute, daß fremde Boten angekommen wären. Gunther be
gann, sich nach ihnen zu erkundigen.
1459 Der Herr vom Rhein fragte: »Wer kann uns etwas über diese
fremden Recken sagen, die in unser Land gekommen sind?«
Niemand wußte etwas, bis der tapfere Hagen sie sah. Der Held
sagte zu Gunther:
1460 »Es gibt Neuigkeiten für uns, das kann ich euch versichern. Ich
habe hier Etzels Spielleute gesehen. Die hat bestimmt eure
Schwester an den Rhein geschickt. Um Etzels willen sollen sie
uns willkommen sein.«
1461 Die Boten waren soeben vor den Palas geritten. Niemals traten
Spielleute eines Fürsten vornehmer auf. Die Dienerschaft des
Königs empfing sie sogleich, ließ ihre Pferde unterbringen und
ihre Gewänder verwahren.
1462 Ihre Reisekleider waren kostbar und von der Art, daß sie darin
durchaus ehrenvoll vor den König hätten treten können. Den
noch wollten sie diese nicht länger bei Hofe tragen und ließen
fragen, ob sie jemand haben wollte.
470 2 4 . AV EN TIURE
1466 Er brahtes zuo dem wirte, der palas der was vol,
do enpfie man die geste, so man von rehte soi
minnechliche grüezen in ander kunige lant.
Swämmil vil der degene da bi Gunthere vant.
1469 Do sprach der fürste riche: »der maere bin ich vro.
wie gehabt sich Ezele«, so sprach der chunic do,
»und Chriemhilt, min swester, uzer Hünen lant?«
do sprach der videlaere: »diu maere tuon ich iu bêchant.
DIE H IN TE R L IS T IG E EINLADUNG DER BURGUNDEN 471
1463 Man fand auch Leute, denen sie paßten und die sie gern nah
men; ihnen wurden sie geschenkt. Dann legten die Fremden
noch weit kostbarere Gewänder an, wie es für königliche Boten
angemessen war.
1464 Etzels Leute traten nun mit ausdrücklicher Erlaubnis vor den
Thron des Königs. Das nahmen alle wohlwollend auf. Hagen
erhob sich schnell von seinem Platz und eilte den Boten entge
gen. Dafür dankten ihm die Knappen.
1465 Um sich zu unterrichten, fragte er, wie es Etzel und seinen Leu
ten ginge. Da sagte der Spielmann: »Das Land war nie in einem
besseren Zustand, und die Leute lebten nie so zufrieden, das
versichere ich euch.«
1466 Hagen geleitete sie zu dem Landesherrn. Der Palas war voller
Menschen, dort empfing man sie so, wie es sich gebührt, Gäste
im Land anderer Könige freundlich zu begrüßen. Schwämmel
erblickte viele Kämpfer an Gunthers Seite.
1467 Der König wandte sich ihnen höflich zu: »Seid mir beide will
kommen, ihr Spielleute Etzels, mit euren Reisegefährten. Hat
euch der König von den Hunnen ins Land der Burgunden ge
sandt?«
1468 Voll Anstand verneigten sich beide, dann sprach Wärbel: »Mein
lieber Herr und Kriemhild, eure Schwester, schicken euch in
dieses Land ihre ergebenen Grüße. Sie haben uns in treuer
Verbundenheit zu euch Helden gesandt.«
1469 Da antwortete der mächtige Fürst: »Ich freue mich über die
Nachricht«, und dann fragte er: »Wie geht es Etzel und meiner
Schwester Kriemhild im Hunnenland?« Darauf erwiderte der
Spielmann: »Das sage ich euch gern.
472 24- AVEN TIURE
1470 In keinem Land, das sollt ihr wissen, haben Könige jemals zu
friedener und besser gelebt, und ihr ganzer Hof, die Verwand
ten und alle Leute ihres Gefolges, freuten sich über unsere
Reise, als wir Abschied nahmen.«
1471 »Dank für Etzels Grüße, die er mir geschickt hat, und Dank
auch meiner Schwester! Es ist mir lieb, daß alles so gut steht,
daß der König und seine Leute in Freuden leben; denn ich habe
voll Sorge danach gefragt.«
1472 Nun waren auch die beiden jungen Könige dazugekommen; sie
hatten die Nachricht erst jetzt gehört. Aus Liebe zu seiner
Schwester freute sich der junge Giselher, die Boten zu sehen,
und er sagte freundlich zu ihnen:
1473 »Ihr Boten seid uns herzlich willkommen. Wenn ihr öfter zu
uns an den Rhein geritten kämt, könntet ihr, glaube ich,
Freunde finden, die euch gefallen würden. Euch wird durch
unsere Hand kein Leid geschehen.«
1475 Die Gemahlin des Königs erinnert euch an Huld und Treue
und daß ihr sie immer von ganzem Herzen geliebt habt. Vor
allem sind wir zum König hierher gesandt, um ihn zu bitten,
daß ihr zu ihnen ins Hunnenland reitet.
1476 Auch Herr Gernot soll mitkommen. Der mächtige Etzel läßt
euch allen ausrichten: Wenn ihr eure Schwester nicht besuchen
wolltet, so wüßte er doch gern, was er euch Recken zuleide
getan hat,
474 24- AVENTIURE
1478 Do sprach der kunic Gunther: »nu lat die rede stan
und vart ze herbergen. ich wil iuch hoeren lan
in disen siben nachten, w il ich in sein lant.
sw es ich m ich berate, d ie m aere tun ich ew bêchant. «
1477 daß ihr euch von ihm und seinem Land so fernhaltet. Selbst
wenn euch die Königin unbekannt wäre, verdiente er seinerseits
doch einen Besuch. Es wäre für ihn eine große Freude, wenn
ihr kämt.«
1479 Dann fragte der Bote Wärbel: »Wäre es möglich, daß wir die
mächtige Herrin Ute noch sehen könnten, bevor wir uns zur
Ruhe begeben?« Der edle Giselher antwortete höflich:
uso »Das soll euch niemand verwehren, wenn ihr zu ihr gehen
wollt. Ihr kommt dem Wunsch meiner Mutter entgegen, denn
um meiner Schwester und um König Etzels willen wird sie euch
gern empfangen, dessen könnt ihr sicher sein.«
nsi Giselher brachte sie dann zu seiner Mutter. Sie empfing die
Boten aufrichtig und gern. Sie begrüßte sie mit höfischem
Anstand; denn sie war erleichtert. Ihr erschien die Nachricht
von Königin Kriemhild erfreulich.
1483 Darauf antwortete die Königin: »Ein Besuch ist leider unmög
lich. So gern ich meine liebe Tochter auch öfter sehen würde, so
ist doch die Entfernung zu der Gemahlin des edlen Königs für
mich zu weit. Beiden, Kriemhild und Etzel, möge es immer gut
gehen.
476 24- A V E N TIU R E
1488 Do sprach der chünig reiche: »meine swester lie den czorn.
mit chüsse minnicleich si hat auf uns verchorn,
daz wir ir ie getaten, e daz si hinnen rait.
ez ensey et, Hagen, danne ew ainer von ir widerseit.«
1489 »Laßt euch nicht d avon täuschen«, w andte H agen ein, »was die
Boten d er H u n n en sagen. W enn ihr K riem h ild besuchen wollt,
k ö n n t ih r leicht eure Ehre un d euer Leben verlieren. D ie Rache
d er G em ah lin des m äch tigen K ö n ig s Etzel hat einen langen
A tem .«
478 24- AVEN TIURE
1490 Der Fürst Gernot wandte gegen Hagens Rat ein: »Wenn ihr
Gründe habt, den Tod in den hunnischen Reichen zu fürchten,
warum sollten wir dann hierbleiben? Unsere Schwester nicht zu
besuchen wäre feige.«
1491 Auch Herr Giselher sagte zu dem Kämpfer: »Da ihr euch schul
dig fühlt, Freund Hagen, bleibt hier und hütet euch vor Gefahr;
aber laßt diejenigen, die keine Angst haben, mit uns zu den
Hunnen ziehen.«
1492 Das brachte den Kämpfer von Tronje in Zorn: »Ich glaube
kaum, daß ihr irgend jemanden auf die Reise mitnehmen
könntet, der mutiger mit euch an den hunnischen Hof zu reiten
wagte als ich. Da ihr die Absicht nicht aufgeben wollt, lasse ich
euch eben diese Erfahrung machen.«
1493 Dazu sagte der Küchenmeister Rumold: »Gäste und euch selbst
könnt ihr hier bewirten lassen, wie es euch gefällt; schließlich
habt ihr Mengen an guten Vorräten. Bedenkt, daß euch Hagen
noch immer das Vorteilhafteste geraten hat.
1494 Und wenn ihr ihm nicht folgen wollt, so rät euch Rumold -
denn ich bin euch in treuem Dienst ergeben - , daß ihr meinet
wegen hierbleibt und König Etzel dort bei Kriemhild laßt.
1495 Wo könnte es euch auf der Welt jemals besser gehen? Hier zu
Hause lebt ihr sicher vor euren Feinden. Schmückt euch mit
kostbaren Kleidern, trinkt den besten Wein und liebt schöne
Frauen.
1496 Dazu serviert man euch die erlesensten Speisen, die es über
haupt auf der Welt gibt, ln eurem Land steht alles bestens. Ihr
könnt in allen Ehren auf Etzels Fest verzichten und euch mit
euren Verwandten und Freunden vergnügen.
480 2 4 . AVEN TIURE
1498 Ich w eiß, daß m ein e H errin K riem h ild euch nie w ieder w oh lge
son n en sein w ird ; au ch habt ihr un d H agen es aus ihrer Sicht
nicht an d ers verdient. D aru m bleibt hier, denn es kann fü r euch
n ur Leid d arau s entstehen. Ih r w erdet erkennen, daß ich euch
n ichts Falsches gesagt habe.
1499 D eshalb rate ich euch, h ier zu bleiben. E ure Länder sind reich,
hier kann m an euch viel leichter w ied er auslösen, w as ihr ver
pfän d et habt, als d o rt bei den H un n en . Ich w eiß, w ie es d o rt
ausgeht. Bleibt hier, H err! D as ist m ein treuer Rat.«
1502 »D as gilt auch fü r m ich «, sp rach der K äm p fer O rtw in , »ich w ill
m ich hier zu H au se fü r euch u m den H o f k ü m m ern .« D a sag
ten n och etliche, sie w ollten d asselbe tun. »G o tt m öge euch,
liebe H erren, bei den H un n en w ohl behüten!«
482 24- A V E N T IU R E
1506 »Des wil ich gerne volgen«, sprach der kunic zehant.
do hiez er boten riten witen in sin lant.
do brahte man der helde driu tusint unde mer.
si wanden niht erwerben also gremelichiu ser.
1504 D azu sagte H agen: »N un laßt euch d u rch m ein e W orte nicht
w eiter aufhalten , ganz gleich w as euch geschieht. Ich rate euch
aus Treue, w en n ihr am Leben bleiben w ollt, d an n sollt ihr voll
bew affnet zu d en H u n n en reisen.
1505 D a ihr die Reiseabsicht nicht aufgeben w ollt, ruft eure Leute zu
sam m en , und zw ar d ie besten, die ihr finden od er überhaup t
haben könnt. A us ihrer Schar w ähle ich tausen d tüchtige Ritter
aus; d an n k an n uns das V orhaben d er arglistigen K riem h ild
nicht schaden.«
iso? Sie ritten gern in G u n th ers L and . A lle, die m it ihnen zu den
H u n n en reisen w ollten, erhielten Pferde un d auch G ew änder.
D er K ö n ig fan d viele Bereitw illige.
1514 Sone chan ouch sich v ro u C h riem h ilt bereiten niht d ar zuo,
daz uns durch ir raete iem en schaden tuo.
hat aber si den w illen, ez m ag ir leide ergan,
w än de w ir fueren hin nen m anigen uz erw elten m an.«
1510 W er d ieser V olker w ar, das w ill ich euch erklären: E r w ar ein ad
liger H err, der zahlreiche tüchtige Recken im B u rgu n d en lan d
befehligte; Sp ielm an n w u rd e er genannt, w eil er Fiedel spielen
konnte.
1514 So kan n auch K riem h ild keine V orb ereitu n gen d afü r treffen,
daß uns jem an d a u f ihr G eh eiß überfällt. Fü h rt sie aber d e n
noch etw as im Schilde, w ird es ihr schlecht bekom m en , denn
uns begleiten viele auserw äh lte M änner.«
1515 Sättel, S ch ild e un d ihre w eitere A u srü stu n g, die sie in Etzels
L an d m itn eh m en sollten, w aren nun fü r viele tapfere M än n er
vollstän d ig bereitgestellt. N u n ließ m an Etzels Spielleute bei
H o f erscheinen.
1522 D eshalb sagte der Bote W ärbel zum K ön ig: »H err K ön ig, b e
haltet eu re G ab en in eurem Land. W ir k ön n en sie nicht
m itn eh m en . M ein H err hat uns verboten , irgendein G eschenk
en tgegen zu n eh m en . A u ß erd em besteht dazu keinerlei V eran
lassung.«
1524 Ehe sie abreisten, w ollten sie U te noch einm al einen Besuch ab
statten. D er gew andte G iselh er brachte die Spielleute zum H o f
seiner M utter. D ie H errin ließ ausrichten, w en n K riem h ild in
h o h em A n seh en lebte, w äre ihr das eine Freude.
1529 O bw oh l sie in groß er Eile vor die Tore von Bechelarn kam en,
unterließen sie es nicht, R ü d iger und auch G o telin d, die Frau
des M ark grafen , zu benachrichtigen . D ie freuten sich, daß sie
die B u rg u n d en bald sehen sollten.
1532 Sie fragte: »N un sagt m ir, ihr lieben Boten, w elche m einer
v orn eh m sten V erw and ten , die w ir in dieses Land eingeladen
haben, w erden zu uns kom m en?« W eiter fragte sie: »Was sagte
H agen, als er von der E in lad u n g erfuhr?«
1533 Ein er der Boten antw ortete: »Er kam an einem frühen M orgen
zu r allgem ein en Beratu n g, un d er stim m te nicht zu. A ls die
an d eren sich fü r die R eise von W orm s über den R hein en t
sch ieden , K ö n ig in , das sollt ihr w issen , w ar H agen aufs
schm erzlichste betroffen.
1535 »Volker hier einm al zu sehen, d a ra u f kön nte ich durch aus ver
zichten«, sagte die G em ah lin des K ön igs. »H agen besitzt m eine
Z u n e ig u n g , er ist ein tüchtiger H eld; daß er ins H un n en lan d
kom m t, freut m ich sehr.«
1537 »D arü b er freue ich m ich auch«, sagte d a ra u f der König. »Wenn
m ein e eigenen V erw andten m ich in diesem Land besuchen
w ollten, hielt sich m ein e Freude in G renzen; doch in Erw artun g
d ein er V erw andten sind m ein e Sorgen ganz verschw unden.«
492 24- AVEN TIURE
1538 Die Dienstleute des Königs ließen Palas und Saal überall mit
Tischen und Bänken herrichten für die lieben Gäste, die kom
men sollten. Später wurde dem König die ganze große Freude
zerstört.
25- A V EN T IU R E
A B E N TE W E R W IE SIC H DIE CH Ü NIG ZE D EN
H E W N E N N H U O BEN
1541 In W orm s trug m an das R eitzeug über den H of. D a sagte ein
betagter B isc h o f von Speyer zu d er alten K ö n igin : »U nsere Ver
w an dten u n d Freun d e w ollen zu dem Fest reisen, G o tt m öge
ihre Ehre beschützen.«
1542 D ie edle Ute sprach zu ihren K in dern : »Ih r solltet lieber noch
hierbleiben, edle H elden , d en n ich habe heute nacht im Traum
ein furch tbares U n glü ck gesehen, w ie näm lich alle Vögel in
diesem L and tot am B od en lagen.«
1546 D a erw id erte der von Tronje: »Aus Furcht handelt hier n ie
m an d . W enn ihr H elden die Reise antreten w ollt, dann brecht
auf, un d ich reite selbstverständlich m it euch in Etzels Land.«
Später hat er zahlreiche H elm e u n d Schilde zerschlagen.
1548 A m anderen U fer des R h ein s schlugen sie im G ras große und
kleine Zelte auf. A ls das geschehen war, bat die schöne Brün hild
den K ö n ig, n och zu bleiben. Sie sc h lief in der N acht noch ein
m al zärtlich m it ihrem schönen M an n.
1552 »Dir und meinen anderen Leuten, die ich zu Hause lasse, über
gebe ich das Land und alles, was ich habe: meinen Sohn, meine
Dienerschaft und meine Gemahlin. Glaub mir, König Etzels
Frau wird uns niemals Leid antun.«
1553 Bevor sie aufbrachen, beriet sich der König mit seinen vor
nehmsten Leuten. Er ließ sein Land und seine Burgen nicht un
versorgt zurück. Denen, die sich darum kümmern sollten,
stellte er zum Schutz viele auserwählte Kämpfer zur Verfügung.
1554 Die Pferde standen für die Könige und ihre Begleiter bereit. Mit
liebevollen Küssen nahmen alle Abschied, noch von freudiger
Erwartung erfüllt. Das mußten später viele schöne Frauen be
weinen.
1555 Überall hörte man Klagen und Weinen. Die Königin trug ihren
Sohn auf dem Arm zum König: »Warum wollt ihr uns beide zu
Waisen machen? Um unsertwillen solltet ihr hierbleiben«, sagte
die unglückliche Frau.
1556 »Weint nicht, Herrin, mir zuliebe. Ihr sollt zuversichtlich und
ohne Angst hier zu Hause bleiben, wir kommen bald froh und
ganz gesund zurück.« Ohne langen Abschied trennten sie sich
liebevoll von ihren Verwandten.
1557 Als die tapferen Recken zu den Pferden gingen, blieben viele
Damen weinend zurück. Ihre innere Stimme sagte ihnen wohl,
daß es zu einer langen Trennung und großem Unglück kom
men würde, und solche Vorahnung bedrängt das Herz.
500 25. AV EN TIURE
1559 Zu jener Zeit war der christliche Glaube noch nicht überall
anerkannt, doch sie hatten einen Kaplan bei sich, der für sie die
Messe las. Der kehrte gesund nach Hause zurück, wenn er sich
auch nur knapp retten konnte. Alle anderen mußten bei den
Hunnen ihr Leben lassen.
1560 Die Leute der drei Könige reisten den Main aufwärts durch
Ostfranken. Hagen führte sie dorthin, denn er kannte den Weg
gut. Dankwart, der Held aus dem Burgundenland, war der
Marschall.
1561 Als sie durch Schwalbfeld in Ostffanken ritten, konnte man die
Fürsten und ihre Verwandten, die rühmenswerten Helden, an
ihrer vornehmen Haltung erkennen. Am zwölften Morgen kam
der König an die Donau.
1562 Hagen von Tronje ritt ganz vorn. Er war den Nibelungen ein
hilfreicher Beschützer. Da stieg der kühne Kämpfer am Ufer
vom Pferd und band es alsbald an einen Baum.
1563 Das Wasser ergoß sich aufs Land, Schiffe waren nicht zu finden.
Die Nibelungen gerieten in große Sorge, wie sie den Strom, der
außerordentlich breit war, überqueren sollten. Viele tüchtige
Ritter sprangen vom Pferd.
1564 »Schlimmes kann dir hier zustoßen, Herr vom Rhein«, sagte
Hagen. »Sieh nun selbst: Das Wasser ist über die Ufer getreten,
die Strömung ist stark. Ich vermute, wir werden an diesem Ort
heute viele gute Ritter verlieren.«
502 25- AV ENTIURE
1566 »Ja en ist m ir«, sprach d a H agen, »m ein leben n ich t so lait,
d a z ich m ich w elle ertrenkchen in d isem w age brait;
er soi von m ein en h anden ersterben m anich m an
in Etzin landen, des ich vil gu ten w illen han.
1565 »Wollt ihr etwa mir die Schuld daran geben, Hagen?« entgeg-
nete der erhabene König. »Um eurer eigenen Tüchtigkeit wil
len, raubt uns nicht weiter die Zuversicht. Sucht für uns die
Furt zum anderen Ufer, damit wir Pferde und Ausrüstung von
hier fortbringen können.«
1566 »Wahrhaftig«, sagte Hagen, »mein Leben ist mir nicht so zuwi
der, daß ich mich in diesem breiten Strom ertränken möchte;
vorher sollen in Etzels Land etliche Männer von meiner Hand
den Tod finden. Das habe ich jedenfalls fest vor.
1567 Bleibt hier am Wasser, ihr stolzen Ritter, ich selbst will die Fähr
leute am Fluß suchen, die uns in Etzels Land übersetzen.« Der
kühne Hagen nahm seinen Schild in die Hand.
1568 Der Held hatte sehr gute Waffen bei sich und einen glänzenden
Helm auf seinem Kopf. Über dem Brustpanzer trug er ein brei
tes Schwert, dessen Schneiden furchtbar scharf waren.
1570 Hagen entdeckte sie und schlich sich vorsichtig an sie heran.
Als sie den Helden erblickten, wollten sie vor ihm fliehen. Sie
waren sehr erleichtert, ihm zu entkommen. Er nahm ihnen ihre
Kleider weg, sonst aber tat der Held ihnen nichts.
1571 Daraufhin rief eine der Meerfrauen, die Hadeburg hieß: »Herr
Hagen, gebt uns unsere Gewänder wieder! Edler Recke, wenn
ihr das tut, sage ich euch, wie eure Reise zu den Hunnen aus
gehen wird.«
504 25- AVEN TIURE
1572 Sie schwebten wie Vögel vor ihm auf dem Wasser. Deshalb
schienen ihm ihre Künste verläßlich und gut, und er glaubte
ihnen um so eher, was sie ihm kundtaten. Eine von ihnen sagte
ihm, was er hören wollte.
1573 Sie sprach: »Ihr könnt getrost in Etzels Land reiten. Ich ver
bürge mich, mein Kopf sei euer Pfand, daß Helden niemals
besser in irgendein Reich gezogen sind, um so große Ehre zu
erlangen. Das könnt ihr mir wohl glauben.«
1574 Diese Voraussage ließ Hagens Herz höher schlagen. Der Held
gab ihnen ihre Kleider zurück und wollte fort. Doch als sie ihre
seltsamen Gewänder angelegt hatten, sagten sie ihm die Wahr
heit über die Reise in Etzels Land.
1575 Die zweite Meerfrau, die Winelind hieß, sprach: »Adrians Sohn,
ich will dich warnen. Wegen der Kleider hat meine Muhme
gelogen. Wenn du zu den Hunnen kommst, dann bist du ganz
und gar verraten.
1576 Du solltest umkehren, noch ist es Zeit; denn ihr kühnen Helden
seid eingeladen, um in Etzels Land zu sterben. Alle, die dorthin
reiten, haben die Hand des Todes schon ergriffen.«
1578 Sie sagte: »Nun hört, Hagen: Es ist wirklich unumstößlich, daß
keiner von euch mit dem Leben davonkommt, außer dem
Kaplan des Königs. Der kehrt, das sei euch gesagt, gesund wie
der in Gunthers Land zurück.«
506 25. AVENTIURE
1580 Sie antwortete: »Da ihr die Reise nicht aufgeben wollt, sage ich
euch: Wo auf der anderen Seite am Wasser ein Haus steht, dort
gibt es einen Fährmann, sonst nirgends.« Die Voraussage, die er
erfragt hatte, ließ Hagen sodann auf sich beruhen.
1581 Dem verdrossenen Recken rief eine der Meerffauen nach: »Nun
wartet doch, Herr Hagen, habt es nicht so eilig. Hört, wie
ihr besser zum anderen Ufer gelangt. Der Herr dieser Mark ist
Else.
1582 Sein Bruder heißt Gelffat, ein Herr im Land Bayern. Es wird für
euch schwierig sein, wenn ihr durch seine Mark ziehen wollt.
Ihr müßt euch in acht nehmen, und auch mit dem Fährmann
solltet ihr sehr vorsichtig umgehen.
1583 Der ist so jähzornig, daß er euch nur am Leben läßt, wenn ihr
ihm freundlich entgegenkommt. Wollt ihr, daß er euch über
setzt, so gebt ihm den Lohn, den er fordert. Er bewacht dieses
Land und ist Gelfrat untertan.
1584 Wenn er nicht gleich kommt, ruft über den Strom hinüber,
sagt, ihr seid Amelrich, das war ein tüchtiger Recke, der wegen
eines Streits das Land verließ. Der Fährmann wird zu euch
kommen, sobald er den Namen hört.«
1585 Der stolze Hagen bedankte sich bei den Frauen für den Rat und
die Auskunft. Der Held schwieg ganz still. Dann ging er am
Fluß zum Ufer hinauf, bis er auf der anderen Seite ein Haus
erblickte.
508 25- AVEN TIURE
1586 Er begann, laut über den Strom zu rufen. »Hol mich herüber,
Fährmann«, bat der tüchtige Kämpfer, »dann gebe ich dir einen
Armreif aus rotem Gold als Lohn. Wirklich, das sollst du wis
sen, die Überfahrt ist für mich dringend notwendig.«
1587 Der Fährmann war so reich, daß er es nicht nötig hatte, Dienste
zu leisten. Deshalb nahm er auch nur selten von jemandem
Lohn an. Seine Knechte waren ebenfalls sehr stolz. Hagen stand
noch immer diesseits des Stroms.
1588 Da rief er mit solcher Kraft, daß das wogende Wasser wider
hallte; denn die Stärke des Helden war ungeheuer groß; »Nun
hole mich, ich bin Amelrich, Herrn Elses Mann, der wegen
großer Feindseligkeit aus diesem Land geflohen ist.«
1589 An der Spitze seines Schwerts zeigte Hagen ihm den Armreif,
der sehr glänzend und schön aus rotem Gold war, er tat es, da
mit der Ferge ihn in Elses Land übersetzte. Da ergriff der stolze
Fährmann selbst das Ruder.
1590 Er war von recht roher Art. Besitzgier nimmt oft ein sehr böses
Ende. Nun glaubte er, Hagens rotes Gold verdienen zu können.
Statt dessen erlitt er durch den Kämpfer später den bitteren
Tod.
1591 Der Fährmann ruderte eilig zum anderen Ufer hinüber. Daß er
dort denjenigen nicht fand, dessen Namen er hatte nennen
hören, ärgerte ihn sehr. Als er Hagen erblickte, sprach der Held
zu dem Recken in großem Zorn:
1592 »Ihr mögt wohl mit Namen Amelrich heißen, doch dem, den
ich hier erhoffte, seid ihr überhaupt nicht ähnlich. Der war
mein Bruder, wir hatten beide den gleichen Vater und die
gleiche Mutter. Da ihr mich derart betrogen habt, müßt ihr an
diesem Ufer bleiben.«
510 25- AV ENTIURE
1593 »Nein, beim allmächtigen Gott«, rief Hagen, »ich bin ein frem
der Recke und in Sorge um meine Gefährten. Nun nehmt lie
benswürdigerweise meinen bescheidenen Lohn. Wenn ihr mich
übersetzt, will ich euch immer dankbar sein.«
1595 »Fordert das nicht«, sagte Hagen, »ich muß hinüber, nehmt von
mir als Lohn diesen Reif aus rotem Gold und setzt für mich
tausend Pferde und ebenso viele Leute über.« Der Fährmann
entgegnete: »Bei meiner Treue, das mache ich niemals.«
1596 Er hob ein kräftiges, großes, breites Ruder und schlug damit auf
Hagen ein, so daß er auf dem Schiff in die Knie sank, darüber
geriet er außer sich. Ein so zorniger Fährmann war dem Helden
von Tronje nie zuvor begegnet.
1597 Der Ferge wollte den wütenden Fremden noch mehr reizen,
deshalb schlug er Hagen mit einer Ruderstange auf den Kopf,
so daß diese völlig zersplitterte, er war nämlich ein starker
Mann. Letztlich aber trug Elses Fährmann großen Schaden
davon.
1598 Zornig griff der tapfere Hagen zu der Scheide, in der sein
Schwert steckte. Er schlug dem Fährmann den Kopf ab und
warf ihn auf den Grund des Flusses. Das erfuhren alsbald die
Burgunden.
1599 Während er mit dem Fährmann gekämpft hatte, war das Schiff
zu seinem Leidwesen stromabwärts getrieben. Ehe er es wieder
zurückbrachte, wurde er allmählich müde. Doch er zog es mit
aller Kraft zu Gunthers Leuten hin.
512 25. AV ENTIURE
1601 Die tüchtigen Ritter begrüßten ihn freundlich. Dann sahen sie
in dem Schiff noch das Blut dampfen, das aus der großen
Wunde geflossen war, die Hagen dem Fährmann geschlagen
hatte. Nun mußte er eine Menge Fragen beantworten.
1602 Als König Gunther das heiße Blut in dem Schiff schwimmen
sah, fragte er sogleich: »Hagen, sagt mir, wo ist der Fährmann
geblieben? Mit eurer Kraft habt ihr ihm offenbar das Leben ge
nommen.«
1603 Doch Hagen leugnete es: »Als ich das Schiff dort bei einer ab
gestorbenen Weide fand, habe ich es losgebunden. Einen Fähr
mann habe ich hier nirgends gesehen. Es ist auch niemandem
hier durch meine Schuld Leid geschehen.«
1604 Alsbald sprach der starke Gernot aus Burgund: »Heute muß ich
in Sorge sein, daß liebe Verwandte und Freunde zu Tode kom
men. Da wir keine Fährleute für das Schiff haben, frage ich: Wie
gelangen wir nun über das Wasser? Bei dem Gedanken vergeht
mir alle Freude.«
1605 Ganz laut rief da Hagen: »Ihr Knappen, legt das Sattelzeug nie
der ins Gras. Ich finde, ich bin der allerbeste Fährmann, den es
je am Rhein gab. Ich traue mir durchaus zu, euch in Gelfrats
Land überzusetzen.«
1606 Bevor sie vorsichtig den Strom überquerten, versetzten sie den
Pferden Schläge, damit sie zügig schwammen, und so hat ihnen
die starke Strömung keines genommen. Einige trieben aller
dings vor Erschöpfung weit ab.
514 25. AVEN TIURE
1607 Dann trugen sie ihr Gold und ihre Kleider zum Schiff, da sie
die Reise nun nicht mehr abbrechen konnten. Hagen war dort
der Schiffsmeister, und er führte viele tapfere Recken ans an
dere Ufer und weiter in das unbekannte Land.
1608 Fürs erste setzte er tausend Ritter und sechzig von seinen
Kämpfern über, doch insgesamt waren es weit mehr. Neuntau
send Knappen brachte er ans jenseitige Ufer. Den ganzen Tag
lang war der kühne Hagen unermüdlich tätig.
1609 Das Schiff war fest gebaut, weit und groß, so daß dichtgedrängt
zahlreiche Helden Platz darin fanden. Es trug etwa vierhundert
Mann auf einmal über den Strom. Viele tüchtige Recken m uß
ten an diesem Tag die Ruder ergreifen.
1610 Nachdem Hagen sie unversehrt über den Strom gebracht hatte,
dachte der gewandte, tüchtige Kämpfer an die sonderbare
Voraussage, die ihm die wundersamen Meerfrauen gemacht
hatten. Deshalb hätte des Königs Kaplan beinahe sein Leben
verloren.
1611 Hagen fand den Priester bei dem kirchlichen Gepäck. Viele ge
weihte Gegenstände hielt er in seiner Obhut, aber das half ihm
nichts. Als Hagen ihn sah, kam der arme Kaplan in Bedrängnis.
1613 Da sprach der starke Gernot aus Burgund: »Hagen, was nützt
euch der Tod des Kaplans? Hätte jemand anders so gehandelt,
würdet ihr das nicht billigen. Aus welchem Grund wollt ihr den
Priester umbringen?«
516 25- AV ENTIURE
1615 Als der arme Priester sah, daß die Hilfe ausblieb, wandte er sich
wieder dem anderen Ufer zu. Dabei mußte er sich ziemlich
quälen, doch obwohl er nicht schwimmen konnte, half ihm
Gottes Hand, daß er ganz unversehrt das Land erreichte.
1616 Dort stand der arme Kaplan und schüttelte sein Gewand.
Daran erkannte Hagen, daß wirklich zutraf, was ihm die weisen
Meerfrauen prophezeit hatten. Er dachte: »Diese Kämpfer wer
den alle ihr Leben verlieren.«
1617 Nachdem das Schiff entladen und alles fortgetragen war, was
die Leute der drei Könige hineingelegt hatten, schlug Hagen es
in Stücke und stieß es in den Strom. Die tüchtigen Recken
wunderten sich darüber sehr.
1618 »Warum tut ihr das, Bruder?« fragte Dankwart. »Wie sollen wir
ans andere Ufer kommen, wenn wir von den Hunnen wieder
an den Rhein zurückreiten?« Da sagte ihm Hagen, daß es dazu
nicht kommen werde.
1619 Der Held von Tronje erklärte: »Ich tue das mit folgender
Überlegung: Wenn wir auf dieser Fahrt einen Feigling unter
uns haben, der uns aus Furcht verlassen will, dann muß er in
der Flut schmählich umkommen.«
1620 Sie hatten einen Mann aus dem Burgundenland bei sich, der
war ein tatkräftiger Held und hieß Volker. Er konnte seine
Gedanken in gewandter Rede vortragen. Alles, was Hagen tat,
das schien dem Spielmann gut.
518 25- AVENTIURE
1623 Ich fu rch t euch nu v il kleine, des sch ü llet ir sicher sein,
nu v a r t ir zu den H ew n en , so w il ich a n den Rein,
g o t en la ß euch n y m m e r zu d e m R ein w id e r körnen.
des w ünschen ich euch v il ser, ir h e tt m ir nahen den leip benom en. «
1621 Als der Kaplan des Königs sah, daß das Schiff zerschlagen war,
rief er zu Hagen über den Fluß hinüber: »Ihr treuloser Mörder,
was habe ich euch getan, daß ihr mich ohne jeden Grund er
tränken wolltet?«
1622 Da antwortete ihm Hagen: »Seid still, für mich ist es wahrhaftig
ein Unglück, daß ihr trotz meiner Anstrengung am Leben ge
blieben seid. Das sollt ihr im Ernst wissen.« Da sagte der arme
Kaplan: »Dafür will ich Gott immer danken.
1623 Jetzt fürchte ich euch nicht mehr, dessen könnt ihr sicher sein.
Reist ihr nun zu den Hunnen, so will ich an den Rhein zurück.
Euch möge Gott nicht wieder nach Hause kommen lassen. Das
wünsche ich inständig, denn ihr hättet mir beinahe das Leben
genommen.«
1624 König Gunther rief zu seinem Kaplan hinüber: »Ihr werdet für
das, was Hagen euch in seinem Zorn angetan hat, entschädigt.
Wenn ich wieder an den Rhein komme, dann braucht ihr keine
Angst zu haben.
1625 Zieht zurück nach Hause, denn jetzt muß alles seinen Lauf
nehmen. Ich grüße meine liebe Frau und meine anderen Ver
wandten, wie es sich gebührt. Sagt ihnen die erfreuliche Nach
richt, daß es uns allen noch gutgeht.«
2 6 . A V EN T IU R E
A B EN T E W E R W Y S Y M I T ELSEN UND GELPFRATEN S T R I T E N
UND W YE I N GELANG
1627 »Ritter und Knappen, haltet noch einen Moment inne«, rief
Hagen, »und eilt nicht zu sehr. Es scheint mir notwendig, euch
etwas Schreckliches kundzutun: Wir werden nie wieder in un
ser Land heimkehren.
1628 Das haben mir heute früh zwei Meerfrauen geweissagt: Es gibt
keinen Weg zurück. Nun rate ich euch, was ihr tun sollt: Tragt
immer eure Waffen bei euch, Helden, und seid auf Kampf wohl
gefaßt: wir haben hier starke Feinde, so daß ihr vorsichtig sein
müßt.
1630 Diese Nachrichten flogen von einer Schar zur anderen. Die
tapferen Helden wurden vor Schreck blaß, als sie den bitteren
Tod auf der Hofreise zu fürchten begannen. Das bedrängte sie
wirklich sehr.
522 26. A V EN T IU R E
1631 Bei Mehring waren sie über den Fluß gekommen, dort hatte
Elses Fährmann sein Leben verloren. Wiederum sagte Hagen:
»Da ich uns auf dieser Fahrt Feinde geschaffen habe, werden
wir sicherlich noch überfallen.
1632 Heute am frühen Morgen habe ich den Fährmann der Landes
herrn erschlagen. Wahrscheinlich ist das inzwischen bekannt
geworden. Nun haltet euch kampfbereit, damit Else und Gelf-
rat, wenn sie hier heute noch unser Gefolge angreifen, keinen
Erfolg haben.
1633 Ich weiß, sie sind so mutig, daß sie keinesfalls auf eine Verfol
gung verzichten. Laßt die Pferde gemächlicher gehen, damit
niemand meint, wir ergreifen die Flucht.« »Diesen Rat werden
wir befolgen«, sagten da viele tapfere Kämpfer.
1634 »Wer wird nun das Gefolge durch das Land führen?« Sie ant
worteten: »Das soll Volker tun, der kühne Spielmann, dem sind
hier Weg und Steg vertraut.« Noch bevor man zu Ende gespro
chen hatte, sah man in voller Rüstung
1635 den gewandten Fiedler dastehen. Er setzte den Helm auf, sein
Kriegsgewand war von herrlicher Farbe. An seinen Speerschaft
band er ein rotes Zeichen. Später geriet er mit den Königen in
große Bedrängnis.
1636 Inzwischen war die sichere Kunde vom Tod des Fährmanns
zu Gelfrat gelangt. Anschließend hatte auch sein Bruder Else
davon erfahren. Beide empfanden es als eine Beleidigung. Sie
schickten nach ihren Kämpfern, die im Nu gerüstet waren.
1637 Binnen kürzester Zeit sah man, wie wir gehört haben, Männer
zu ihnen heranreiten, die in heftigen Kämpfen ihren Gegnern
Verluste und schreckliche Wunden beigebracht hatten. Etwa
siebenhundert oder mehr von ihnen eilten Gelfrat zu Hilfe.
524 2 6 . AV EN TIURE
1638 Ihre Herren führten sie, als sie die Verfolgung der grimmigen
Feinde aufnahmen. Sie hatten es überaus eilig, die kühnen
Fremden zu erreichen, um ihren Zorn an ihnen zu rächen. Spä
ter jedoch kamen viele Freunde der Landesherren ums Leben.
1639 Der kluge Hagen hatte dafür gesorgt - wie hätte ein Held seine
Verwandten besser beschützen können - , daß er mit sechzig
seiner Leute und seinem Bruder Dankwart die Nachhut stellte.
Das war sehr wohlbedacht.
1640 Der Tag ging zu Ende, und sie sahen nichts mehr. Hagen fürch
tete für seine Freunde und Verwandten schmerzliches Leid. Un
ter der Deckung ihrer Schilde ritten sie durch Bayern. Wenige
Stunden später wurden die Helden angegriffen.
1641 Auf beiden Seiten der Straße und dicht hinter sich hörten sie
Hufschläge von Reitern, die eilig näher kamen. Da sagte der
tapfere Dankwart: »Man will uns hier angreifen. Nun setzt eure
Helme auf, das ist unbedingt ratsam.«
1642 Sie hielten an, wie es notwendig war. In der Dunkelheit sahen
sie den Schein der glänzenden Helme. Dann wollte Hagen ge
genüber den Verfolgern nicht länger schweigen und fragte:
»Wer jagt uns auf der Straße?« Darauf mußte ihm Gelfrat Ant
wort geben.
1643 Der Markgraf aus Bayern sprach: »Wir haben unsere Feinde bis
hierher verfolgt, aber ich weiß nicht, wer heute meinen Fähr
mann erschlagen hat, der ein tatkräftiger Held war. Das ist für
mich eine große Beleidigung.«
1644 Da antwortete Hagen von Tronje: »War das dein Fährmann, der
uns nicht übersetzen wollte? Aus diesem Grund habe ich ihn
erschlagen. Wahrhaftig, ich handelte in Notwehr, denn beinahe
wäre ich selbst von dem Kämpfer getötet worden.
526 2 6 . AV ENTIURE
1646 Do kom ich zuo dem swerte und wert im sinen zorn
mit einer starchen wunden, des wart der heit verlorn.
daz bringe ich iu ze suone, swie iuch nu dunchet guot.«
do giengez an ein striten, si wurden zornic gemuot.
1647 »Ich wistez wol«, sprach Gelpfrat, »do hie für gereit
Gunther mit den sinen, daz uns geschehe leit
von Hagen ubermüete. nu ensol er niht genesen,
fur des vergen ende soi er pfant hie wesen.«
1645 Ich habe ihm Lohn angeboten: Gold, Silber und Gewänder, da
mit er uns hierher in dein Land übersetzt. Aber das machte ihn
nur ungehalten, so daß er mich im Zorn mit einer mächtigen
Ruderstange schlug. Das habe ich ihm nicht verziehen.
1646 Ich ergriff das Schwert und setzte mich gegen seine Wut zur
Wehr, so verwundete ich ihn schwer. Dadurch verlor der Held
sein Leben. Ich werde euch dafür Sühne leisten, wie es euch
angemessen erscheint.« Daraufhin begann ein Kampf, und sie
gerieten in Zorn.
1647 »Ich wußte wohl«, sagte Gelfrat, »als Gunther und seine Leute
vorbeiritten, daß uns durch Hagens Überheblichkeit Leid zu
stoßen würde. Jetzt soll er nicht mit dem Leben davonkommen.
Für den Tod des Fährmanns wird er selbst das Pfand sein.«
1648 Gelfrat und Hagen senkten ihre starken Speere zum Stich über
die Schilde und gingen aufeinander los. Auch Else und Dank
wart ritten siegessicher gegeneinander. Dann wurde heftig
gekämpft.
1649 Wie konnten Helden jemals besser ihre Kräfte messen! Durch
einen starken Speerstoß warf Gelfrat den tapferen Hagen vom
Pferd. Diesem riß der Brustriemen. Da erfuhr Hagen, was es
bedeutet, zu stürzen.
1651 Wer für sie die Pferde festhielt, weiß ich nicht. Gelfrat und
Hagen waren jedenfalls aus ihren Sätteln auf die Erde gelangt
und rannten aufeinander los. Dabei halfen ihre Gefährten.
Überall tobte der Kampf.
528 2 6 . AV EN TIURE
1652 Wie gewaltig Hagen auch auf Gelffat zusprang, der edle Mark
graf schlug ihm von seinem Schild etwa eine Elle ab, so daß
Feuerfunken davon aufstoben. Beinahe wäre König Gunthers
Lehnsmann ums Leben gekommen.
1653 Da rief er nach Dankwart: »Hilf mir, lieber Bruder, ein wirk
licher Held hat mich angegriffen. Er wird mich nicht am Leben
lassen.« Der tapfere Dankwart antwortete: »Diesen Kampf
werde ich entscheiden.«
1656 Als die Leute aus Bayern den Rückzug antraten, hörte man
noch immer die schrecklichen Schläge nachhallen. Dann jagten
die Tronjer ihren Feinden hinterher. Alle, die hofften, ihr Leben
zu behalten, hatten größte Eile.
1657 Bei der Verfolgung der Fliehenden sagte Dankwart, der Kämp
fer: »Wir sollten alsbald auf diesem Weg umkehren und sie
reiten lassen. Sie sind naß vom Blut. Kehren wir schnell zu
unseren Freunden zurück. Das rate ich in Treue.«
1659 Sie hatten vier Mann verloren, das mußten sie verschmerzen.
Denen aus Bayern aber hatten sie im Gegenzug viele Wunden
geschlagen. Etwa hundert blieben tot zurück. Davon waren die
Schilde der Tronjer mit Blut rot befleckt.
1660 Bisweilen leuchtete der Schein des hellen Mondes aus den Wol
ken. Da sagte Hagen wiederum: »Niemand soll meinen lieben
Herren etwas von dem berichten, was wir hier getan haben.
Man soll sie bis morgen ohne Beunruhigung weiterreiten
lassen.«
1661 Als nun diejenigen, die vorher gekämpft hatten, die anderen
einholten, setzte dem Gefolge die Müdigkeit zu. »Wie lange
sollen wir noch reiten?« fragten viele Männer. Der kühne
Dankwart antwortete: »Hier können wir unser Lager nicht auf-
schlagen.
1662 Ihr müßt alle weiterreiten, bis es Tag wird.« Der tapfere Volker,
der die Fahne trug, ließ den Marschall fragen: »Wo sollen wir
heute nacht noch hin? Unsere Pferde und meine lieben Herren
brauchen Ruhe.«
1664 Niemand sah das Rot des heißen Blutes an den Rüstungen der
Tronjer, bis die Sonne am Morgen ihren hellen Schein über die
Berge warf. Als der König dann entdeckte, daß sie gekämpft
hatten, sagte er sehr zornig:
532 2 6 . AVEN TIURE
1665 »Was ist los, Freund Hagen? Ich glaube, ihr wolltet mich nicht
dabeihaben, als eure Rüstung von Blut so naß wurde. Wer hat
euch das angetan?« Hagen antwortete: »Gelfrat war es, er hat
uns in der Nähe angegriffen.
1667 Wir konnten nicht feststellen, wo sie endlich ihr Lager auf
schlugen. Alle Leute des Landes erfuhren wohl später, daß die
Kinder der edlen Ute auf einer Hoffeise waren. Dann wurden
sie in Passau gut aufgenommen.
166 « Bischof Pilgrim, der Oheim der edlen Fürsten, freute sich sehr,
als er seine Neffen mit so vielen Recken in sein Land kommen
sah. Daß er sie gern empfing, erkannten sie sofort.
1670 Einen ganzen Tag und auch die Nacht lang mußten sie dort
bleiben. Wie gut versorgte man sie! Danach ritten sie weiter in
Rüdigers Land. Der nahm die Nachricht freudig auf.
1671 Als die von der Reise ermüdeten Männer ausgeruht hatten und
sich dem Land Rüdigers näherten, trafen sie auf ihrem Zug
einen schlafenden Mann, dem Hagen von Tronje sein starkes
Schwert abnahm.
534 2 6 . A V E N TIU R E
1674 Hagen vil wol hört sein clagen, sorg im klagen gepot.
er gab im wider sein wappen und sechs pauche rot.
»dy hab dir, heit, ze minnen, daz du meinfrewnt seyst.
du bist ein degen küne, wy ein du auff der march seist.«
1673 »O weh, welch ein Verlust für mich«, rief Eckewart. »Wahrhaf
tig, mich bekümmert die Reise der Burgunden sehr. Da ich es
kampflos verloren habe, ist meine Freude dahin. O weh, Herr
Rüdiger, wie habe ich dir gegenüber meine Pflicht versäumt.«
1674 Hagen hörte sehr genau, wie Eckewarts Sorge ihn zwang zu kla
gen. Er gab ihm sein Schwert zurück und schenkte ihm sechs
rotgoldene Armreife. »Nimm sie, Held, zur Erinnerung, daß du
mein Freund bleibst. Du bist ein tapferer Kämpfer, wie du hier
so ganz allein an der Grenze stehst.«
1675 »Gott vergelte euch eure Gabe«, sagte Eckewart. »Doch beun
ruhigt mich eure Reise zu den Hunnen sehr. Ihr habt Siegfried
erschlagen, und deshalb haßt man euch. In Treue rate ich euch,
wohl auf der Hut zu sein.«
1676 »Nun, möge uns Gott behüten«, entgegnete Hagen darauf. »Im
Augenblick haben wir uns allein darum zu kümmern, wo
meine Herren heute nacht in diesem Land eine Lagerstatt fin
den, damit sie und ihre Leute ruhen können.
1677 Unsere Pferde sind von den weiten Wegen übermüdet, und die
Verpflegung ist aufgebraucht«, sagte Hagen, der Kämpfer. »Wir
finden nirgends etwas zu kaufen, wir brauchten einen Wirt, der
uns heute nacht aus Freigebigkeit sein Brot gibt.«
1678 Darauf antwortete ihm Eckewart: »Ich zeige euch einen solchen
Wirt, daß ihr wohl in keinem fremden Land so gut aufgenom
men werdet wie hier, wenn ihr den gewandten Kämpfer Rüdi
ger besucht.
536 2 6 . AVENTIURE
1679 Sein Wohnsitz liegt an der Straße, und er ist der beste Wirt, der
je eine Burg besaß. Sein Herz ist derart von höfischen Tugenden
erfüllt, wie im hellen Mai das Gras mit Blumen geziert ist.
Wenn er Helden einen Dienst erweisen kann, dann stimmt ihn
das fröhlich.«
1680 Da sprach König Gunther: »Wollt ihr mein Bote sein und
fragen, ob der Markgraf mir zuliebe unsere Verwandten und
unsere Leute aufnimmt? Ich will mich dafür in Treue stets
dankbar erweisen, so gut ich kann.«
1682 Man sah einen Kämpfer schnell nach Bechelarn gehen. Rüdiger
selbst erkannte ihn und sagte: »Dort auf der Straße eilt
Eckewart herbei einer von Kriemhilds Leuten.« Er glaubte, daß
Feinde ihm etwas angetan hätten.
1683 Rüdiger trat vor das Tor, wo er den Boten traf. Dieser gürtete
das Schwert ab und legte es aus der Hand. Der Markgraf sprach
zu dem Helden: »Was habt ihr erfahren, daß ihr so eilig herbei
kommt? Hat uns jemand etwas geraubt?«
1685 Auch Hagen und Volker grüßen euch freundlich: ich muß noch
hinzufügen, des Königs Marschall Dankwart läßt euch mittei-
len, daß die guten Kämpfer Unterkunft bei euch brauchen.«
538 2 6 . AVEN TIURE
1689 Von gahen zuo den rossen huop sich da michel not
von rittern und von knehten. der wirt do gebot
den sinen ambtliuten, si schuoffenz deste baz.
noch enwistes niht frou Gotelint, diu in ir kemenaten saz.
1687 »Des Königs Marschall läßt euch auch ausrichten, wen ihr
heute nacht unterbringen möchtet: sechzig tapfere Recken und
tausend tüchtige Ritter sowie neuntausend Knappen.« Das
nahm Rüdiger wohlwollend auf.
1688 »Ich freue mich sehr auf die Gäste«, sagte er, »und daß die
hochangesehenen Recken, denen ich noch nie einen Dienst er
weisen konnte, auf meine Burg kommen. Meine Verwandten
und alle meine Leute, reitet ihnen entgegen.«
1689 Es entstand ein Gedränge von Rittern und Knappen, die zu den
Pferden eilten. Was der Burgherr seinen Bediensteten auftrug,
führten sie aufs beste aus. Nur Frau Gotelind, die in ihrer
Kemenate saß, wußte noch nicht Bescheid.
1690 Da ging der Markgraf zu den Damen, zu seiner Frau und seiner
Tochter, und überbrachte ihnen sofort die freudigen Neuigkei
ten, die er gehört hatte, daß nämlich die Brüder ihrer Herrin in
ihre Burg kommen würden.
1691 »Geliebte Frau«, sagte Rüdiger, »empfangt die edlen und an
gesehenen Könige gut, wenn sie mit ihrem Gefolge zu euch
an den Hof kommen. Auch Hagen, Gunthers Mann, sollt ihr
freundlich begrüßen.
1692 Mit ihnen kommt einer, der Dankwart heißt, ein anderer heißt
Volker, den zeichnet besonders gutes Benehmen aus. Diese
sechs Männer sollt ihr und meine Tochter mit einem Kuß
begrüßen, und zu diesen Kämpfern sollt ihr besonders zu
vorkommend sein.«
540 2 6 . AVENTIURE
1694 Die Damen wollen wir bei ihren Bemühungen sich selbst über
lassen. Rüdigers Freunde und Verwandte eilten über das Feld
zu den Gästen. Sie wurden im Land des Markgrafen herzlich
empfangen.
1695 Als er sie kommen sah, sagte der gewandte Rüdiger fröhlich:
»Seid willkommen, ihr Herren und eure Leute, hier in diesem
Land. Wie freue ich mich, euch zu sehen!«
1698 Alles, was ihr mit euch in dieses Land gebracht habt, Pferde, Sil
ber und Gewänder, das wird gut verwahrt; ich sorge für solchen
Schutz, damit nichts verlorengeht und auch nicht ein halber
Sporn zu Schaden kommt.
544 T J. A V E N T I U R E
1699 Ihr K n app en , schlagt die Z elte im Feld auf. Alles, w as ihr hier
verliert, das w ill ich euch ersetzen. N ehm t den Pferden das
Z au m zeu g ab un d laßt sie frei laufen.« So w ar ihnen n och kein
B u rg h err jem als begegnet.
1700 D arü b er freuten sich die G äste. A ls das ausgeführt war, ritten
die H erren fort, un d die K n app en legten sich überall ins G ras.
Sie hatten es bequem . Ich glaube, so angen ehm ergin g es ihnen
n irgen d w o sonst a u f d ieser Reise.
1701 N u n w ar die M ark gräfin m it ihrer schön en Tochter vor das Tor
getreten. N eben ihr sah m an lieben sw erte D am en u n d viele
h ü b sch e M äd ch en stehen, sie trugen reichlich S ch m u ck und
prächtige Kleider.
1712 D o si m i t f r e u d e n h e t e n g e g e z z e n ü b e r al,
d o w iste m a n d ie s c h o e n e n w i d e r in d e n sal.
g äm elich er S prüche d e r w a r t d a n ih t verdeit,
der reit vil da Volker, ein degen chüen un d gem eit.
E INKEHR BEI RÜDIGER VON BECHELARN 547
1709 D ie R itter w ün sch ten sich m anches, jed o ch konnte das nicht in
E rfü llu n g gehen. Z w isch en den M äd ch en un d den Frauen, die
d o rt in groß er Z ah l saßen, schw eiften ihre Blicke h in un d her.
D er edle Sp ielm an n w ar dem B u rgh errn beson ders zugetan.
1711 D en Frem den zuliebe setzte sich die M arkgräfin an deren Tisch,
w äh ren d sie ihre Tochter bei den ju n gen M äd ch en ließ, w o sie
altersgem äß ihren Platz hatte. D aß sie sie nicht sehen konnten,
betrübte die G äste sehr.
1716 D o sprach der herre G ern ot: »ir suit die rede lan,
und solde ich truttinne nach m im e w illen han,
ane gu ot ze w ibe, w aer ich ir im m er vro.«
des antw urte H agene vil harte m in n eklich en do:
1714 W äre ich ein Fürst«, fu h r d er Spielm an n fort, »und hätte ich
A n sp ru ch a u f eine K rone, so w ürd e ich eure schöne Tochter zur
F rau n eh m en . A llein d er G ed an ke erfreut m ich. Sie sieht lie
b en sw ü rd ig aus, ist von A del un d voller Tugend.«
1718 D ieser V orschlag gefiel R ü d iger und seiner Frau sehr, sie freuten
sich w irklich darüber. A lsbald schlugen die H elden vor, daß der
edle G iselh er sie zu r F rau n ehm en sollte, denn es w ar für beide
eine d urch au s stan d esgem äß e H eirat.
1721 so verschm äht nicht die G ab e, über die ich als V ertriebener ver
füge. A ls M itgift gebe ich m ein er T ochter soviel G o ld und S il
ber, w ie zw eih u n d ert vollb elad en e Lasttiere tragen kön nen .«
D ieses V ersprechen hielten die K äm p fer beider Seiten fü r an ge
m essen.
1724 Ihr Vater R ü d iger flüsterte ihr zu, daß sie ja sagen und ihn ohne
V o rb eh alt heiraten solle. Sogleich stand d er ju n g e G iselh er
n eben ihr u n d u m arm te sie m it seinen w eißen H än d en . W ie
w en ig kon nte sie ihr G lü ck später genießen!
1731 L än ger durfte die Reise nun aber nicht un terbrochen w erden,
sie m ußten fortziehen. R ü d iger verm ochte seiner Freigebigkeit
keine G ren zen zu setzen. N ichts, w as jem an d haben wollte, ver
sagte er ihm . Es sollte einfach allen bei ihm gefallen.
1732 D ie edle D ien ersch aft führte die vielen Pferde gesattelt vor das
Tor. D o rt erw arteten sie zahlreiche tüchtige Recken. Sie trugen
ihre Sch ild e in d er H an d , denn sie w ollten n un hin u n ter ins
H u n n en lan d reiten.
554 T J . AVENTI URE
1733 B evo r die edlen G äste den Saal verließen, verteilte der Bu rgh err
allenthalben G esch en ke. E r verstand es w irklich , sich durch
Freigebigkeit groß es A n sehen zu erw erben. Seine schön e T och
ter hatte er G iselh er zu r F rau gegeben.
1737 »Von allem , w as ich jem als gesehen habe«, sagte H agen,
»m öchte ich nichts w eiter haben als jenen Schild, der d ort an
der W and hängt. D en w ü rd e ich gern ins H un n en lan d m itn eh
m en.«
1739 Sie sagte zu dem K äm p fer: »D en Schild w ill ich euch geben.
W ollte G o tt im H im m el, d aß d er noch lebte, d er ihn einst
getragen hat! E r ist im K a m p f gefallen. Ich w erde ihn im m er
bew ein en , die E rin n eru n g b ek ü m m ert m ich arm e Frau noch
sehr.«
556 T J . AVENTI U RE
1740 D ie edle M ark gräfm erh ob sich von ihrem Platz, sie e rg riff den
Schild am T ragriem en un d brachte ihn eigen hän dig zu H agen.
E r w ar eine ehrenvolle G ab e fü r den Recken.
1741 Eine H ülle aus glän zend er Seide bedeckte seine O berfläche, die
m it Ed elstein en besetzt war, einen besseren Schild hat die
S on n e nie beschienen. Hätte ihn jem an d kaufen oder verkaufen
w ollen , w äre er w oh l tausend M ark w ert gew esen.
1742 H agen ließ den Sch ild fo rtb rin g en . D an n trat sein B ru d er
D an k w art v o r die H ofgesellsch aft, dem gab die Tochter des
M ark g rafen viele präch tige Kleider, die ihm später bei den
H u n n en herrlich standen.
1745 D ie M ark g räfin ließ ein e T ru he brin gen . Jetzt k ön n t ihr von
ein er liebevollen G ab e hören: Sie n ahm sechs A rm reife heraus
u n d streifte sie ih m über die H and. »D ie sollt ihr won m ir als
G esch en k m it ins H u n n en lan d n ehm en,
1746 u n d ihr sollt sie im G ed en ken an m ich bei H ofe tragen. W enn
ih r dann zurückkehrt, soll m an m ir berichten, w ie ihr m ir dort
a u f d em Fest ged ien t habt.« W orum sie den K äm p fer bat, das
hat er später sehr w ohl erfüllt.
558 27- A V E N T IU R E
1747 Do sprach der wirt zen gesten: »ir suit dest sanfter varn,
ich wil iuch selbe leiten und heizen wol bewarn,
daz man iu uf der strazen naem deheiniu pfant.
ich soi iuch selbe leiten in daz Ezelen lant.«
1748 Der wirt wart wol bereit mit fünf hundert man
ze rossen und ze chleidern. die fuort er mit im dan
in vrolichem muote zuo der hochgecit.
der deheiner nimmer mere chom ze Bechelaren sit.
1750 Alle Fenster wurden weit geöffnet. Der Burgherr wollte mit sei
nen Leuten losreiten. Ich glaube, sie ahnten in ihren Herzen
den tiefen Schmerz, daß sie ihre lieben Freunde nie mehr Wie
dersehen würden.
1753 Eine groß e Schar von Boten ritt durch Ö sterreich. Überall taten
sie den Leuten kund , daß die H erren aus W orm s am Rhein bald
einträfen. N ichts hätte Etzels Leuten lieber sein können.
560 27- AV EN TIURE
1756 In sgeh eim d achte sie: »N och kön nte m ein Plan gelingen. D em ,
d er m ir all m ein e Freude geraubt hat, soll es a u f diesem Fest
schlecht ergehen, sow eit es in m ein er M ach t liegt. D azu bin ich
fest entschlossen.
1757 Ich w erde es schaffen, daß m ein e R ache a u f diesem Fest ihren
L a u f n im m t. W as danach geschieht, k ü m m ert m ich nicht, den
N ich tsw ü rd igen , der m ein ganzes G lü ck zerstört hat, soll jetzt
m ein e V ergeltung treffen.«
2 8 . A V EN T IU R E
A V EN TIUR E W IE D IE N IB E L U N G E ZE EZELN BU R G E C H O M E N
U N D W IE SI DA E N P F A N G E N W U R D E N
175« Als die Nibelungen ins Land gekommen waren, erfuhr es Mei
ster Hildebrand von Bern, er benachrichtigte seinen Herrn, der
war tief betroffen. Er bat Hildebrand, die tapferen, tüchtigen
Ritter angemessen zu empfangen.
1759 Der starke Wolfhart ließ ihnen die Pferde bringen. Mit Dietrich
ritten viele kraftvolle Recken zu ihnen auf das Feld, wo sie die
Burgunden begrüßen wollten. Sie hatten dort bereits zahlreiche
prächtige Zelte aufgeschlagen.
176« Als Hagen von Iron je Dietrich und seine Leute von weitem
kommen sah, sagte der Held sogleich zu seinen Herren: »Ihr
gewandten Kämpfer, nun erhebt euch von euren Sitzen und
geht denen entgegen, die euch hier begrüßen wollen.
1761 Dort kommt ein Gefolge, das mir wohlbekannt ist. Es sind viele
tapfere Kämpfer aus dem Amelungenland, die der von Bern
führt, sehr kampfbereite Männer. Ich rate euch, ihnen ange
messen zu begegnen.« So sprach der tüchtige Kämpfer.
1762 Wie es recht und billig war, stiegen viele Ritter und Knappen
mit Dietrich von den Pferden. Sie gingen den Gästen dorthin
entgegen, wo die Helden versammelt waren, und begrüßten die
Burgunden herzlich.
564 2 8 . AVENTIURE
1767 »Wie soi ich mich behüeten?« sprach der kunic her.
»Ezel uns boten sande, wes soi ich vragen mer,
daz wir zuo zim chomen her in siniu lant.
ouch hat uns unser swester aller triwen gemant. «
1763 Während Herr Dietrich sie auf sich zukommen sah, empfand
er Freude und Leid; denn er durchschaute Kriemhilds Pläne
und betrachtete ihre Reise voll Sorge. Er glaubte, auch Rüdiger
wüßte Bescheid und hätte sie vor der Gefahr gewarnt.
1765 »Sie mag noch soviel weinen«, sagte Hagen, »er ist seit vielen
Jahren tot. Jetzt soll sie den König der Hunnen lieben, den sie
zum Mann genommen hat. Siegfried ersteht so schnell nicht
wieder auf.«
1766 »Den Tod des tapferen Kämpfers wollen wir auf sich beruhen
lassen. Doch solange meine Herrin Kriemhild lebt, kann sie
euch schaden«, mahnte Herr Dietrich von Bern. »Du Beschüt
zer der Nibelungen, sei auf der Hut.«
1767 »Warum soll ich mich in acht nehmen?« sprach der erhabene
König Gunther. »Etzel hat uns Boten gesandt, damit wir zu ihm
in sein Land kommen, weshalb soll ich da weiter nachfragen?
Auch unsere Schwester hat uns in aller Treue eingeladen.«
176« »Dann will ich euch folgendes raten«, sagte Hagen: »Bittet
Herrn Dietrich und seine Helden, euch die Sache genauer zu
erklären, damit ihr von ihnen Kriemhilds Absicht erfahrt«
1769 Daraufhin zogen sich die drei Könige, Gunther, Gernot und
auch Herr Dietrich, zu einer geheimen Besprechung zurück.
»Nun berichte uns, edler, tüchtiger Ritter von Bern, was du
über Kriemhilds Vorhaben weißt.«
566 2 8 . AVENTIURE
1770 Do sprach der vogt von Berne: »waz sol ich iu mere sagen,
wan alle morgen früeje weinen unde klagen
hoere ich vil jaemerliche daz Ezeln wip
dem riehen got von himele des starchen Sivrides lip?«
1770 Der Herr von Bern antwortete: »Was soll ich euch weiter sagen,
als daß ich jeden Morgen in aller Frühe Etzels Gemahlin ganz
schmerzerfiillt vor dem allmächtigen Gott im Himmel über den
Tod des starken Siegfried weinen und klagen höre?«
1771 »Es ist leider nicht zu ändern, was wir gerade gehört haben«,
sagte der kühne Spielmann Volker. »Wir wollen an den Hof rei
ten und sehen, was uns gewandten Kämpfern bei den Hunnen
zustoßen kann.«
1772 Die tapferen Burgunden ritten an den Hof; sie kamen in herr
lichem Aufzug nach der Sitte ihres Landes. So manch kühner
Mann bei den Hunnen war gespannt, wie Hagen von Tronje
wohl aussähe;
1773 denn überall hatte sich die Kunde verbreitet, daß er Siegfried
aus Niederland, den stärksten aller Recken, Kriemhilds Mann,
erschlagen hatte. Darum fragten viele am Hof nach Hagen.
1774 Der Held war gutgewachsen, das ist wirklich wahr. Breit war
seine Brust, sein Haar war graumeliert, er hatte lange Beine und
einen stolzen Gang, sein Blick war furchterregend.
1775 Nun ließ man die vielen tapferen Männer Herberge nehmen.
Der Troß vom Rhein wurde gesondert untergebracht. Das hatte
die Königin angeordnet, die böse Absichten gegen sie hegte.
Deshalb konnte man später die Knappen in ihrer Unterkunft
erschlagen.
1 776 Dankwart, Hagens Bruder, war der Marschall. Der König hatte
ihn ausdrücklich beauftragt, das Gesinde reichlich mit Verpfle
gung zu versorgen. Das führte der kühne Kämpfer treu und
bereitwillig aus.
568 2 8 . AV EN TIU RE
1779 »Nu sit«, sprach si, »willechomen, swer iuch gerne siht.
durch iwer selbes friuntschaft engrüez ich iuch niht.
nu sagt, waz ir mir bringet von Wormez über Rin,
dar umbe ir mir so groze soldet willechomen sin.«
1782 »Entriwen, min frou Chriemhilt, des ist vil manie tac,
deich hört der Nibelunge niene gepflac.
den hiezen mine herren senchen in den Rin.
da muoz er waetliche unz an daz jungeste sin.«
1777 Die Königin Kriemhild trat mit ihrem Gefolge auf und empfing
die Nibelungen mit Hintergedanken. Sie küßte nur Giselher
und nahm seine Hand. Als Hagen das sah, band er den Helm
fester.
1778 »Nach diesem Gruß«, sagte Hagen, »müssen sich einige ge
wandte Kämpfer in acht nehmen, man begrüßt hier die Fürsten
und ihr Gefolge auf unterschiedliche Weise. Es war nicht gut,
daß wir zu diesem Fest gereist sind.«
1779 Dann sprach Kriemhild: »Seid all denen willkommen, die euch
gerne sehen. In freundschaftlicher Verbundenheit begrüße ich
euch jedenfalls nicht. Nun sagt, was ihr mir aus Worms am
Rhein mitbringt, weshalb ihr mir besonders willkommen sein
solltet.«
1780 »Hätte ich das gewußt«, antwortete Hagen, »daß ihr von
Kämpfern ein Geschenk erwartet, so wäre ich durchaus in der
Lage gewesen - vorausgesetzt, ich hätte es rechtzeitig bedacht - ,
euch meine Gabe ins Hunnenland mitzubringen.«
1781 »Nun gebt mir genauer Bescheid. Wo habt ihr den Nibelungen
hort gelassen? Er war doch mein Eigentum, das wißt ihr wohl.
Den hättet ihr mir in Etzels Land mitbringen sollen.«
1782 »Wahrhaftig, Kriemhild, meine Herrin, es ist lange her, seit ich
mich zum letzten Mal mit dem Nibelungenhort befaßt habe.
Meine Herren haben ihn in den Rhein versenken lassen. Dort
wird er vermutlich bis zum Jüngsten Tag ruhen.«
1783 Da sprach die Königin: »Ich hatte es mir schon gedacht, daß
ihr mir nicht das geringste davon in dieses Land mitgebracht
habt, obwohl er mir gehörte und ich einst über ihn verfügte.
Um ihn und seinen Herrn trauere ich alle Tage.«
570 2 8 . AVENTIURE
1785 »Jane rede ihz niht darumbe, deich mere goldes welle gern,
ich hans so vil ze gebene, deich iwer gäbe mac enbern.
ein mort und zwene roube die mir sint genomen;
des mohte ich vil arme noch ze liebem gelte chomen.«
1787 Jane ger ich niht der eren, fürsten wine milt,
daz ir zen herbergen trüeget minen schilt
und ander min gewaefen; ir sit ein kunigin.
daz enlerte mich min vater niht. ich wil selbe kameraere sin.«
1785 »Ich sage das keineswegs, weil ich mehr Gold besitzen möchte.
Ich habe so viel zu verschenken, daß ich eure Gabe durchaus
entbehren kann. Aber ein Mord und zwei Raubüberfälle haben
mich getroffen; für die suche ich Arme noch wohltuende Ver
geltung.«
1788 »Weh mir«, rief Kriemhild, »warum wollen mein Bruder und
Hagen ihre Schilde nicht von mir forttragen lassen? Sie sind
gewarnt worden. Wüßte ich, wer es getan hat, dann müßte er
sterben.«
1789 Da antwortete Herr Dietrich voll Zorn: »Ich bin es gewesen, der
die edlen, mächtigen Fürsten und Hagen, den starken Kämpfer
der Burgunden, gewarnt hat. Nur zu, Teufelin, du kannst mich
ruhig dafür bestrafen.«
572 2 8 . AVENTIURE
1793 »Diu maere ich wiste gerne«, sprach der kunic rieh,
»wer jener recke waere, den dort her Dietrich
so friuntlich enpfaehet. er treit vil hohen muot.
swer sin vater waere, er mach wol sin ein heit guot.«
1791 Zwei Kämpfer faßten sich bei den Händen, der eine war
Dietrich, der andere Hagen. Da sagte der tüchtige Recke voll
Anstand: »Daß ihr zu den Hunnen gekommen seid, bereitet
mir große Sorge.«
1792 So standen die ruhmvollen Recken Hagen von Tronje und Herr
Dietrich, zwei stattliche Ritter, hoheitsvoll nebeneinander. Das
sah König Etzel, und er erkundigte sich:
1793 »Ich wüßte gern«, fragte der mächtige König, »wer jener Recke
ist, den Herr Dietrich so freundlich begrüßt. Er wirkt sehr
selbstbewußt. Ganz gleich wer sein Vater war, er dürfte ein
tüchtiger Held sein.«
1794 Darauf antwortete ihm einer von Kriemhilds Leuten: »Er ist
in Tronje geboren, sein Vater hieß Adrian. Wie freundlich er
sich hier auch gibt, er ist ein grimmiger Mann. Ihr werdet noch
erfahren, daß ich in keiner Weise gelogen habe.«
1795 »Woran soll ich erkennen, daß er so grimmig ist?« Noch wußte
Etzel nichts von den bösen Absichten, welche die Königin ge
gen ihre Verwandten und Freunde hegte, und daß sie nicht
einen mit dem Leben davonkommen lassen wollte.
1796 »Ich kannte Adrian gut. Er war mein Lehnsmann und hat
Ruhm und große Ehre in meinen Diensten erworben. Ich
schlug ihn zum Ritter und gab ihm mein Gold. Die treue
Helche war ihm sehr zugetan.
574 2 8 . AVENTIURE
1797 Deshalb lernte ich auch Hagen später gut kennen. Zwei stattli
che Kinder wurden meine Geiseln, er und Walther von Spanien,
die hier herangewachsen sind. Hagen habe ich in seine Heimat
zurückgeschickt. Walther floh mit Hildegund.«
1799 Dann trennten sich die beiden ruhmvollen Helden Hagen von
Tronje und Herr Dietrich. Gunthers Mann blickte sich nach
einem Kampfgefährten um, den er auch bald entdeckte.
1800 Er sah den Fiedler neben Giselher stehen und bat den mutigen
Volker mitzukommen; denn er kannte seinen unerschrockenen
Sinn ganz genau. In jeder Hinsicht war er ein tapferer, tüchtiger
Ritter.
1801 Die übrigen Herren ließen sie auf dem Hof zurück. Nur die
beiden allein sah man über den weiten Platz zu dem mächtigen
Palas gehen. Die zwei Auserwählten fürchteten niemandes
Feindschaft.
1802 Sie setzten sich gegenüber dem Saal, der Kriemhild gehörte, auf
eine Bank. Ihre herrlichen Rüstungen glänzten an ihren Kör
pern. Viele, die sie sahen, hätten sie gerne näher kennengelernt.
1806 »Daz wolde ich immer dienen; swer reche miniu leit,
allez daz er wolde, des waer ich im bereit.
ich biut mich iu ze fuezen«, sprach des kuniges wip,
»rechet mich an Hagene, daz er Verliese den lip.«
1809 Swie starche und swie chüene der von Tronege si,
noch ist verre chüener, der im da sizzet bi,
Volker der videlaere, der ist ein übel man.
jane suit ir die degene niht so lihte bestan.«
1804 Der Anblick erinnerte sie an ihr Leid, und sie begann zu wei
nen. Etzels Leute wunderten sich sehr, was ihre gute Stimmung
so plötzlich getrübt hatte. Sie sagte: »Ihr mutigen, guten Hel
den, das hat Hagen getan.«
isos Sie fragten weiter: »Edle Herrin, wie ist das gekommen? Wir ha
ben euch vor kurzem noch so frohgemut gesehen. Wer euch
Leid zugefugt hat, wie kühn er auch sein mag, wenn ihr uns
auffordert, Rache zu nehmen, soll er sterben.«
1806 »Dafür würde ich mich immer dankbar erweisen; wer mein
Leid rächt, der könnte alles von mir haben, was er wollte. Ich
flehe euch auf Knien an«, sagte die Gemahlin des Königs,
»rächt mich an Hagen, er soll sein Leben verlieren.«
1807 Sogleich machten sich etwa sechzig tapfere Männer bereit; ihrer
Herrin zuliebe wollten sie hingehen und Hagen, den äußerst
kühnen Mann, und auch den Fiedler erschlagen. Dazu waren
sie angestiftet worden.
1808 Doch als die Königin sah, wie klein die Schar war, sagte sie
voller Grimm zu den Helden: »Laßt ab von dem, was ihr hoff
nungsvoll beginnen wolltet. Wirklich, mit so wenigen könnt ihr
Hagen niemals angreifen.
1809 Ist Hagen von Tronje schon stark und tapfer, so ist der noch
weit tapferer, der neben ihm sitzt, Völker, der Spielmann, er ist
ein furchtbarer Mann. Leider werdet ihr die Kämpfer so leicht
nicht überwinden.«
Isio Nachdem sie das gehört hatten, rüsteten sich noch mehr von
ihnen, insgesamt dreihundert erfahrene Recken. Die erhabene
Königin war davon besessen, ihr Leid zu rächen. Das brachte
die Kämpfer später in größte Bedrängnis.
580 29- AV ENTIURE
1811 Als sie ihr Gefolge wohlbewaffnet erblickte, sprach die Königin
zu den gewandten Männern: »Nun verhaltet euch noch eine
Weile ruhig und wartet. Ich will mit der Krone auf dem Haupt
meinen Feinden gegenübertreten.
1812 Hört, welche Schmach mir Hagen von Tronje, Gunthers Lehns
mann, angetan hat. Ich weiß, daß er dreist genug ist, die Tat mir
gegenüber nicht abzustreiten. Darum kümmert es mich auch
nicht, wenn er wegen seines Verbrechens sterben muß.«
1813 Der tapfere Spielmann sah die edle Königin aus dem Palas her
austreten und eine Treppe hinabsteigen. Als er das bemerkte,
sprach der kluge Recke zu seinem Kampfgefährten:
1814 »Nun seht, Freund Hagen, dort geht sie, die uns hinterlistig in
dieses Land eingeladen hat. Noch nie habe ich eine Königin mit
so vielen Männern, die ihr Schwert in der Hand trugen, derart
kampfbereit herankommen sehen.
1815 Könnt ihr sicher sein, Freund Hagen, daß sie euch nicht feind
lich gesonnen sind? Deshalb rate ich euch in Treue, euer Leben
und euer Ansehen um so besser in acht zu nehmen. Wirklich,
das scheint mir wichtig. Wenn ich es recht verstehe, so führen
sie Böses im Sinn.
1821 »Nu sten wir von dem sedele«, sprach do der spileman,
»si ist ein kuniginne, und lan si fur gan.
bieten ir die ere, si ist ein edel wip.
da mit ist ouch getiuret an zuhten unser beider lip.«
1817 Da antwortete Hagen, der äußerst tapfere Mann, voll Zorn: »Ich
weiß wohl, daß sich dies alles gegen mich richtet, wenn sie die
glänzenden Waffen in der Hand halten. Aber ihnen zum Trotz
werde ich doch wieder ins Burgundenland zurückkehren.
1818 Nun sagt mir, Freund Volker, wollt ihr mir beistehen, wenn
Kriemhilds Leute mich angreifen? Laßt mich hören, was ich
euch bedeute. Ich jedenfalls werde immer treu an eurer Seite
bleiben.«
1819 »Ich helfe euch mit Sicherheit«, sagte der Spielmann darauf.
»Selbst wenn ich sähe, daß uns der König mit allen seinen
Recken hier entgegenträte, würde ich mein Leben lang niemals
einen Fußbreit aus Furcht von eurer Seite weichen.«
1820 »Das lohne euch Gott im Himmel, edler Volker! Wenn sie mich
angreifen, was brauchte ich dann mehr? Da ihr mir helfen
wollt, wie ich vernommen habe, so mögen diese Kämpfer ruhig
in böser Absicht anrücken.«
1821 »Jetzt wollen wir uns von unseren Plätzen erheben«, sagte der
Spielmann, »sie ist schließlich eine Königin, lassen wir sie vor
übergehen. Wir wollen ihr Ehre erweisen, denn sie ist eine
adlige Frau. Dadurch wird auch unser Ansehen erhöht.«
1822 »Nein, bleibt mir zuliebe sitzen«, erwiderte Hagen. »Ginge ich
hin, sie zu begrüßen, könnten diese Kämpfer vielleicht auf den
Gedanken kommen, daß ich es aus Furcht täte. Um niemandes
willen werde ich mich jemals von meinem Platz erheben.
1823 Wirklich, es ist für uns beide auf jeden Fall besser. Warum sollte
ich denjenigen ehren, der mir feindlich gesonnen ist? Das tue
ich niemals, solange ich lebe. Ja, ich kümmere mich nicht
darum, wie sehr mich die Gemahlin des Königs haßt.«
584 29- AVENTIURE
1828 Si sprach: »nu sagt mir, Hagene, wer hat nach iu gesant,
daz ir getorstet riten her in dizze lant,
zuo also starchen leiden, und ich von iu han?
het ir rehte sinne, so het irz pilliche lan.«
1824 Der starke Hagen legte ein hell glänzendes Schwert über seine
Knie. Auf dessen Knauf leuchtete ein strahlender Jaspis, grüner
als Gras. Kriemhild erkannte genau, daß es einst Siegfried
gehört hatte.
1825 Als sie das Schwert erblickte, überwältigte sie großer Schmerz.
Der Griff war golden, die Scheideneinfassung rot. Das erinnerte
sie an ihr Leid, und sie begann zu weinen. Ich vermute, Hagen
hatte das nur gemacht, um sie zu reizen.
1826 Der kühne Volker zog einen kräftigen, großen und langen
Fiedelbogen auf der Bank näher an sich heran, es war ein schar
fes Schwert, glänzend und breit. So saßen die beiden Kämpfer
unerschrocken da.
1827 Die zwei tapferen Männer fühlten sich so erhaben, daß keiner
lei Ehrfurcht sie bewegte, sich von ihrem Platz zu erheben. Die
edle Königin ging unmittelbar an ihnen vorüber und grüßte sie
feindselig.
1828 Sie sprach: »Nun sagt mir, Hagen, wer hat euch eingeladen, daß
ihr gewagt habt, in dieses Land zu reiten, nachdem ihr mir so
großes Leid zugefügt habt? Wäret ihr recht bei Verstand gewe
sen, dann hättet ihr es billigerweise unterlassen.«
1830 Kriemhild fuhr fort: »Nun sagt mir weiter: Warum habt ihr die
Tat begangen, um deretwillen ihr meine Feindschaft verdient?
Ihr habt Siegfried, meinen lieben Mann, erschlagen. Deshalb
muß ich bis an meinen Tod ohne Unterlaß weinen.«
586 29- AVEN TIURE
1831 »Waz sol der rede mere?« sprach er, »ir ist genuoc:
ich binz et aber Hagene, der Sivriden sluoc,
einen heit ze sinen handen. wie sere er des engalt,
daz diu frowe Chriemhilt die schoenen Prunhilde schalt!
1836 Do sprach aber ein ander: »des selben han ich muot.
der mir gaebe türne von rotem golde guot,
disen videlaere woldeich niht bestan
durch sine swinde blicke, die ich an im gesehn han.
KONFRONTATION VON HAGEN UN D KRIE M H ILD 587
1832 Ich leugne es nicht, mächtige Königin: Ich trage die ganze
Schuld an eurem Verlust. Mir ist egal, wer die Tat rächt, Frau
oder Mann. Ich will es nicht abstreiten: Ich habe euch großes
Leid angetan.«
1833 Daraufhin sagte sie: »Jetzt hört, ihr Recken, er leugnet es nicht,
für all mein Leid verantwortlich zu sein. Wenn er deshalb
umkommt, kümmert mich das wenig, ihr Leute Etzels.« Die
stolzen Kämpfer sahen sich entschlossen an.
1835 Zunächst sprach einer der Recken: »Weshalb seht ihr mich so
an? Was ich vorher versprochen habe, nehme ich zurück. Für
niemandes Gabe bin ich bereit, mein Leben zu verlieren. Wahr
haftig, die Gemahlin des Königs will uns ins Verderben stür
zen.«
1836 Dann sagte ein anderer: »Ich bin der gleichen Meinung. Und
wenn mir jemand Türme aus reinem roten Gold gäbe, so wollte
ich doch diesen Spielmann schon wegen der grimmigen Blicke,
die er um sich wirft, nicht angreifen.
588 29- AVEN TIURE
1841 Do sprach der chüene Volker: »wir han daz wol ersehn,
daz wir hie viende vinden, als wir e horten jehn.
wir suln zuo den kunigen hin ze hove gan,
sone tar unser herren mit strite niemen bestan.
1837 Außerdem kenne ich Hagen noch aus seiner Jugendzeit. Des
halb braucht man mir über den Kämpfer nichts zu sagen, ich
habe ihn in zweiundzwanzig Kampfstürmen gesehen, die vielen
Frauen bitteres Leid gebracht haben.
1838 Er und Walther von Spanien zogen oftmals zusammen aus, als
sie hier dem König Etzel zu Ehren manchen Kampf ausfoch
ten. Er hat viel geleistet. Deshalb muß man Hagen zu Recht
große Ehre zugestehen.
1839 In jener Zeit ist der Recke an Jahren noch ein Kind gewesen.
Die damals unerfahren waren, wie alt sind sie jetzt! Nun hat
er Erfahrung gesammelt und ist ein furchterregender Mann
geworden. Außerdem trägt er das Schwert Balmung, vor dem
keiner bestehen kann.«
1841 Da sprach der kühne Volker; »Wir haben nun gesehen, daß wir
hier tatsächlich auf Feinde treffen, wie man es uns vorhergesagt
hat. Wir sollten zu den Königen an den Hof gehen, dann wagt
es niemand, unsere Herren im Kampf anzugreifen.
1842 Wie oft unterläßt ein Mann etwas aus Furcht! Wo aber ein
Freund dem Freunde freundschaftlich beisteht und so erfahren
ist, daß er klug handelt, da wird durch Besonnenheit Schaden
von vielen Männern abgewendet.«
1843 »Jetzt will ich euch folgen«, sagte Hagen. Sie gingen dorthin, wo
viele Kämpfer noch bei der festlichen Begrüßung auf dem
Burghof standen. Der kühne Volker begann, laut zu rufen.
590 29- AV EN TIURE
1844 Er wandte sich an seine Herren: »Wie lange wollt ihr hier stehen
und euch bedrängen lassen? Ihr solltet zum König gehen und
von ihm hören, wie er uns gesonnen ist.« Da sah man die tap
feren und edlen Helden freundschaftlich nebeneinander.
1845 Der Fürst von Bern nahm den mächtigen Gunther aus dem
Burgundenland an die Hand, Irnfried führte den tapferen
Gernot. Giselher sah man mit seinem Schwiegervater zum Hof
gehen.
1846 Wem sich die anderen auch anschlossen und mit wem sie zum
Hof gingen, Volker und Hagen trennten sich niemals, bis auf
den letzten Kampf am Ende ihres Lebens. Das mußten viele
schöne, adlige junge Frauen später beweinen.
1847 Zusammen mit den Königen sah man ihr vornehmes Gefolge
zum Königspalast ziehen, tausend tapfere Männer und außer
dem sechzig Recken, die sie begleiteten. Der tapfere Hagen
hatte sie in seinem Land ausgewählt.
1849 Als der Herr vom Rhein in den Palas eintrat, hielt es den mäch
tigen Etzel nicht länger auf seinem Platz. Er sprang auf, als er
sie kommen sah. Einen so schönen Begrüßungsempfang hat
kein König jemals wieder gegeben.
1850 »Seid willkommen, Herr Gunther und auch Herr Gernot und
euer Bruder Giselher, ich habe euch meine Grüße in Treue
wohlbedacht nach Worms am Rhein gesandt. Euer gesamtes
Gefolge soll mir ebenfalls willkommen sein.
592 29- AV ENTIURE
1852 Do sprach der starche Hagene: »daz haben wir wol vernomen.
waer ich durch mine herren zen Hünen niht bechomen,
so waer ich iu zen eren geriten in daz lant.«
do nam der wirt vil edele die lieben geste zehant
1854 Do sprach der kunic der Hunin: »des wil ich iu verjehn,
mim enchunde in disen eiten lieber niht geschehn,
denne ouch an iu recken, daz ir uns her sit chomen.
des ist miner frowen michel truren benomen.
1855 Mich nimt des michel wunder, waz ich iu habe getan,
so manigen gast vil edelen den ich gewunnen han,
daz ir nie chomen ruochet her in miniu lant.
daz ich iuch nu gesehn han, daz ist zen vreuden mir gewant.«
1851 Auch ihr beiden Kämpfer, tapferer Volker und Hagen, seid mir
und meiner Gemahlin hier in diesem Land herzlich willkom
men. In großer Treue hat sie mich oft aufgefordert, euch einzu
laden.«
1852 Da sagte der starke Hagen: »Das haben wir wohl gehört. Wäre
ich nicht meinen Herren zuliebe zu den Hunnen gezogen, dann
wäre ich euch zu Ehren in dieses Land geritten.« Darauf nahm
der edle Landesherr seine lieben Gäste an die Hand
1853 und führte sie zu dem Platz, auf dem er selbst gesessen hatte.
Dort schenkte man ihnen mit besonderem Eifer in großen
goldenen Schalen Maulbeerwein und anderen Wein ein und
bat die Fremden, sich wohl zu fühlen.
1854 Dann sprach der König der Hunnen: »Ich will euch versichern,
mir konnte in meinem Leben nichts Angenehmeres geschehen,
als daß ihr Helden zu uns zu Besuch gekommen seid. Das hat
meine Gemahlin von großer Traurigkeit befreit.
1855 Ich fragte mich oft, was ich euch getan hätte, daß ihr bisher
nicht in meine Länder kommen wolltet, während ich doch
sonst so viele edle Gäste empfangen habe. Daß ihr nun hier
seid, ist eine Freude für mich.«
1856 Darauf antwortete Rüdiger, ein stolzer Ritter: »Ihr könnt froh
sein, sie zu sehen, denn die Treue, welche die Verwandten mei
ner Herrin halten, ist unverbrüchlich, und sie bringen viele
stattliche Kämpfer mit an euren Hof.«
1857 Am Abend der Sonnenwende waren sie, wie wir gehört haben,
in Etzelnburg am Hof des Königs angekommen. Nie hat ein
Hausherr seine Gäste so liebevoll empfangen. Danach ging er
mit ihnen fröhlich zu Tisch.
594 29- AVENTIURE
1858 Auch hat nie ein König in festlicherem Rahmen bei seinen Gä-
sten gesessen. Man gab ihnen reichlich zu trinken und zu essen,
und alles, was ihr Herz begehrte, brachte man ihnen bereitwil
lig. Von den Kämpfern erzählte man viele wunderbare Taten.
1859 Der mächtige Etzel hatte für den Bau der Burg weder Kosten
noch Mühe gescheut. In der weiträumigen Anlage gab es einen
Palas, Türme, zahllose Kemenaten und einen prächtigen Saal,
18 6 0 den hatte er lang, hoch und breit bauen lassen, weil ihn jeder
zeit Recken in großer Zahl besuchten. Abgesehen von seinem
Gefolge, zwölf mächtigen edlen Königen und vielen vorneh
men Kämpfern, hatte er ständig mehr Gäste bei sich,
1861 als sonst ein König empfing, wie ich gehört habe. Er lebte in
großer Freude mit seinen Verwandten und seinen anderen Leu
ten. Festlärm und Gedränge von vielen gewandten Kämpfern
umgaben den edlen Fürsten jederzeit. Das stärkte sein herr-
scherliches Selbstbewußtsein.
3 0 . A V EN T IU R E
A V EN TIUR E W IE D IE K U N IG E M IT IR REC KEN SLAFEN
G IE N G E N U N D W I E IN DO G E S C H A C H
1862 Der tac der het nu ende, und nahet in diu naht,
den wegemüeden degenen ir Sorgens an vaht,
die herren solden ruowen und an ir bette gan.
daz bereite Hagene, ez wart in schiere chunt getan.
1863 Gunther sprach zem wirte: »got laze iuch mit freuden lebn!
wir wellen varn slafen, ir suit uns urloup gebn.
als ir uns gebietet, wir chomen morgen fruo.«
er schiet von sinen gesten vil harte minneklichen duo.
1862 Der Tag ging zu Ende, und die Nacht kam heran. Die von der
Reise müden Kämpfer machten sich Gedanken, wann und wo
die Herren zu Bett gehen und ausruhen könnten. Hagen sprach
das an, und es wurde sogleich den Gastgebern kundgetan.
1866 Als der Fiedler so zornig gesprochen hatte, drehte sich der
kühne Hagen nach hinten um und sagte: »Der tapfere Spiel
mann hat euch das Rechte geraten, ihr Kämpfer Kriemhilds,
geht in eure Unterkünfte.
598 3 0 . AVEN TIURE
1867 Was ihr vorhabt, glaube ich, wird niemand ausführen. Wenn ihr
Streit anfangen wollt, dann kommt morgen früh zu uns und
laßt uns, die wir von der Reise müde sind, heute nacht unsere
Ruhe. Ich glaube wirklich, Helden haben es immer so gehal
ten.«
1868 Daraufhin brachte man die Gäste in einen weiten Saal, in dem
sie später zu Tode kamen. Dort fanden sie viele große Betten
hergerichtet. Die Königin hatte das allergrößte Leid für sie er
sonnen.
1870 Man sah auch viele Decken aus Hermelin und aus schwarzem
Zobel. Darunter sollten sie bis zum hellen Tag ihre Bequem
lichkeit finden. Nie hat ein König mit seinen Freunden so reich
ausgestattet geruht.
1871 »Weh über dieses Nachtquartier«, rief der junge Giselher, »und
weh für meine Freunde, die mit mir hierhergekommen sind!
Auch wenn meine Schwester mich freundlich begrüßt hat,
fürchte ich, daß wir durch sie den Tod finden werden.«
1872 »Laßt eure Sorgen ruhen«, erwiderte Hagen, der Kämpfer. »Ich
werde heute nacht die Schildwache halten. Ich behüte euch gut
in aller Treue, bis der Tag anbricht. Darauf könnt ihr gewandten
Kämpfer euch verlassen, dann rette sich, wer kann.«
1873 Alle verneigten sich vor ihm und sagten ihm Dank. Sie gingen
zu ihren Betten, und es dauerte nicht lange, bis sie sich entklei
det hatten. Der starke Hagen jedoch nahm seine Waffen an sich.
600 3 0 . AVENTIÜRE
1874 Alsbald sagte der Fiedler, Volker der Kämpfer: »Wenn ihr nichts
dagegen habt, Hagen, so will ich heute nacht bis morgen früh
die Schildwache mit euch gemeinsam halten.« Der Held dankte
Volker ganz liebenswürdig dafür.
1876 Beide legten ihr glänzendes Kampfgewand an, jeder von ihnen
nahm den Schild in seine Hand, sie gingen aus dem Haus und
stellten sich vor die Tür. Sie bewachten die Kämpfer. Das ge
schah aus Treue.
1878 Unterhalb der Saaltür setzte er sich auf einen Stein. Einen küh
neren Fiedler hat es unter der Sonne nie gegeben. Als die Töne
so lieblich von den Saiten erklangen, dankten ihm die stolzen
Fremden sehr dafür.
1879 Die Saiten ertönten so, daß der Klang das ganze Gebäude er
füllte: denn seine Kraft und Kunstfertigkeit waren groß. Dann
fiedelte er immer leiser und lieblicher. Damit spielte er viele
sorgenvolle Männer in ihren Betten in den Schlaf.
1880 Als er bemerkte, daß sie eingeschlafen waren, nahm der Kämp
fer wieder seinen Schild in die Hand. Er ging aus dem Haus,
stellte sich vor die Tür und bewachte seine Freunde vor Kriem-
hilds Leuten.
602 3 0 . AVEN TIURE
1884 »Nu swiget«, sprach do Hagene, »lats uns her naher baz.
e si unser werden innen, so wirt hie helmevaz
mit swerten verrücket von der minen hant.
si werdent hint ir frowen hin wider ubele gesant.«
1883 Da sprach der Fiedler: »Nun paßt auf, Hagen, wahrhaftig, ich
darf es nicht verschweigen. Ich sehe dort Leute mit Waffen, die
sich uns nähern. Wenn ich mich nicht täusche, wollen sie uns,
glaube ich, angreifen.«
1884 »Seid still«, sagte Hagen darauf, »laßt sie lieber noch näher an
uns herankommen. Ehe sie uns bemerken, werde ich ihnen mit
dem Schwert den Helm vom Kopf stoßen. Sie werden heute
nacht ihrer Herrin in schlimmer Verfassung zurückgeschickt.«
1885 Einer der hunnischen Recken merkte sehr bald, daß die Tür
bewacht war. Sofort sagte er: »Was wir vorhatten, das kann
keinesfalls ausgeführt werden; ich sehe den Fiedler Schildwache
halten.
1886 Er trägt auf seinem Kopf einen glänzenden Helm, hell und hart,
stark und unbeschädigt; außerdem leuchten die Ringe seiner
Rüstung wie Feuer. Neben ihm steht auch noch Hagen. So sind
die Gäste nur allzu gut bewacht.«
1887 Sie kehrten sofort um. Als Volker das sah, sagte er voller Zorn
zu seinem Kampfgefährten: »Laßt mich vom Haus zu den
Recken gehen; ich will Frau Kriemhilds Leute nach ihrem Vor
haben fragen.«
604 3 0 . AV ENTIURE
1888 »Nein, mir zuliebe, bleibt hier«, erwiderte Hagen, der Kämpfer.
»Wenn ihr mit den Helden Streit anfangt, dann greifen sie euch
mit ihren Schwertern an und bringen euch in Bedrängnis.
Dann müßte ich euch helfen, auch wenn das zum Tod aller
meiner Verwandten führte.
1889 Wenn wir dann beide in den Kampf verwickelt wären, würden
zwei oder vier in kurzer Zeit zum Haus eilen und unter den
Schlafenden solches Unheil anrichten, daß es niemals genug
beklagt werden könnte.«
1890 Doch Volker entgegnete: »So laßt uns wenigstens deutlich ma
chen, daß ich sie gesehen habe, damit Kriemhilds Leute nicht
abstreiten können, daß sie uns gern hätten töten wollen.«
1891 Der Fiedler rief den Hunnen laut nach: »Warum geht ihr so
bewaffnet umher? Wohin eilt ihr? Wollt ihr zu einem Rachezug
ausreiten, ihr Männer Kriemhilds? Dabei werden ich und mein
Kampfgefährte euch unterstützen.«
1892 Darauf antwortete ihm niemand. Er war sehr zornig. »Pfui, ihr
elenden Feiglinge«, rief der tüchtige Kämpfer, »wolltet ihr uns
im Schlaf ermorden? Das ist so tapferen Männern bisher selten
angetan worden.«
1893 Der Königin wurde dann genau berichtet, daß ihre Leute nichts
erreicht hatten. Mit Grund enttäuschte die Nachricht sie sehr.
Doch sie faßte danach einen anderen Entschluß; denn sie war
von grimmiger Rachbegierde erfüllt. Das mußten später tap
fere, tüchtige Kämpfer mit dem Leben bezahlen.
31. AVENTI URE
A V EN TIU RE W IE D IE H E R R E N ZE K IR C H E N G IE N G E N
1894 »Mir wird der Ringpanzer so kalt«, sagte Volker, »ja, ich glaube,
die Nacht ist bald vorbei. Ich merke es an der Luft, es wird
gleich Tag.« Da weckten sie alle, die noch schliefen.
1895 Schon leuchtete der helle Morgen zu den Gästen in den Saal.
Hagen fragte die Recken ringsum, ob sie ins Münster zur Messe
gehen wollten. Nach chrisüichem Brauch läuteten laut die
Glocken.
1897 Dann kleideten sich die Recken in so gute Gewänder, wie sie
niemals wieder Helden in eines Königs Land mitbrachten. Das
gefiel Hagen gar nicht. Er sagte: »Wirklich, ihr Kämpfer sollt
hier andere Kleider tragen.
1898 Nun wißt ihr doch wohl alle, was vor sich geht. Statt der Rosen
nehmt die Waffen in die Hand, statt des Stirnreifs mit den Edel
steinen setzt die glänzenden, festen Helme auf, da wir doch die
böse Absicht Kriemhilds genau kennen.
1899 Wir müssen heute kämpfen, das will ich euch sagen. Ihr sollt
statt seidener Hemden die glänzenden Brustpanzer tragen und
statt der weiten Mäntel die festen, breiten Schilde, damit ihr
gerüstet seid, wenn euch jemand angreift.
608 31. AV EN TIURE
1902 Sus giengen zuo dem munster die fürsten und ir man.
uf den vronen chirchof do hiez si stille stan
Hagene der chüene, daz si sich schieden niht.
er sprach: »jane weiz noch niemen, waz von den Hünen uns
geschiht.
1905 Do chom der wirt des landes unt ouch sin schoene wip.
mit vil richem gewande gezieret was ir lip,
der recken genuoge die man sach mit ir varn.
do chos man hohe stouben von der kuniginne schäm.
1901 Ihr dürft auch nichts vergessen von dem, was ihr getan habt,
und sollt in andächtigem Gebet vor Gott hintreten. Ihr ausge
zeichneten Recken, seid vorbereitet: Wenn Gott im Himmel es
nicht anders will, werdet ihr nie wieder eine Messe hören.«
1902 So zogen die Fürsten und ihr Gefolge zum Münster. Auf dem
gottgeweihten Kirchplatz ließ der tapfere Hagen sie anhalten,
damit sie sich nicht voneinander trennten. Er sagte: »Niemand
weiß wirklich, was die Hunnen mit uns Vorhaben.
1903 Meine Freunde, legt die Schilde vor eure Füße, und wenn euch
jemand unfreundlich grüßt, vergeltet es mit einer tiefen, töd
lichen Wunde. Das ist Hagens Rat, damit euch euer Verhalten
Ruhm einbringt.«
1904 Volker und Hagen stellten sich beide vor das Münster. Sie taten
das, weil sie glaubten, die Gemahlin des Königs würde die
Burgunden dort in ein feindliches Gedränge verwickeln, denn
sie war wirklich voller Grimm.
1905 Dann kamen der Landesherr und seine schöne Frau. Sie trug
prächtige Kleider, und viele Recken begleiteten sie. Man sah
von den Scharen, die der Königin folgten, Staub aufwirbeln.
1906 Als König Etzel die Recken vom Rhein derart bewaffnet er
blickte, fragte er sogleich: »Warum haben meine Freunde ihre
Helme aufgesetzt? Wenn ihnen jemand etwas angetan hat, wäre
das ein Treuebruch gegen mich.
610 31. AVEN TIURE
1908 Do sprach von Tronege Hagene: »uns hat niemen niht getan,
ez ist site miner herren, daz si wafent gan
zallen hochgeciten ze vollen drien tagen.
het uns iemen iht getan, wir soldenz iu billiche sagen.«
1908 Da antwortete Hagen von Tronje: »Uns hat niemand etwas ge
tan. Es ist der Brauch meiner Herren, daß sie zu allen Festen
drei Tage lang ihre Waffen tragen. Hätte uns jemand verletzt,
würden wir es euch selbstverständlich mitteilen.«
1909 Die Königin hörte genau, was Hagen sprach. Feindselig blickte
sie ihm in die Augen. Doch sie wollte nichts über die Bräuche
ihres Landes richtigstellen, obwohl sie diese zu Hause in freud
volleren Zeiten anders kennengelernt hatte.
1913 Als der Gottesdienst beendet war und sie fortgehen wollten,
eilten viele Hunnen zu ihren Pferden. Eine Menge schöner
Mädchen begleitete Kriemhild, und etwa siebentausend Kämp
fer ritten neben der Königin.
612 31. AV ENTIURE
1920 Er chom zuo zin vil balde gedrungen durch die schar
und sagete sinen degenen, si waeren des gewar,
daz in unmuote waeren die Gunthers man.
ob si den buhurt liezen, daz waere im liebe getan.
KIRCHGANG UND HERAUSFORDERUNG ZUM KAMPF 613
1914 Kriemhild setzte sich ans Fenster des Saales, umgeben von einer
Schar schöner Damen, die nur von Freude, nicht von Feind
seligkeit erfüllt waren. Auch der mächtige Etzel nahm neben ihr
Platz, und sie sahen beide der Unterhaltung der tüchtigen
Recken zu.
1915 Nun war auch der Marschall mit den Pferden angelangt. Der
gewandte Dankwart hatte die Knappen seines Herrn aus dem
Burgundenland um sich versammelt. Man fand die Pferde für
die fremden Recken gut gesattelt.
1916 Nachdem die Könige und ihr Gefolge zu den Pferden gekom
men waren, riet der kühne Volker, sie sollten ein Ritterspiel vor
führen, wie es in ihrem eigenen Land Brauch war. Daraufhin
zeigten die Kämpfer ihr Können als Reiter.
1917 Auf dem weiten Hof trafen viele Leute zusammen. Etzel und
Kriemhild sahen bei allem zu. Das Ritterspiel und der Lärm
wurden groß. Christen und Heiden hatten ihre Freude daran.
1923 Zu dem Kampfgetöse kam auch Herr Blödel mit tausend seiner
Recken. Die zeigten, wie sie reiten konnten, und es entstand
große Unruhe. Kriemhild sah das gern in der Hoffnung, den
Burgunden könnte Schaden angetan werden.
1924 Sie dachte bei sich, was später auch eintraf: »Wenn einem von
ihnen Leid geschieht, so kann ich darauf rechnen, daß der
Kampf gegen meine Feinde losbricht. Würde ich endlich
gerächt, dann könnte ich ganz ohne Angst leben.«
1926 Was sie dort auch unternahmen, es entstand nichts als Getöse.
Man hörte, wie Gunthers Leute durch das Zusammenstößen
der Schilde den Palas und den Saal laut widerhallen ließen. Sein
Gefolge erwarb Ruhm und große Ehre.
616 31. AV EN TIURE
1927 Das Turnier dauerte so lange und war so anstrengend, daß den
stattlichen Pferden, auf denen die Helden ritten, durch die
Decken der blanke Schweiß herabfloß. Sie erprobten an den
Hunnen selbstbewußt ihre Kräfte.
1928 Da sagte der Fiedler, Volker der verwegene Mann: »Ich glaube,
diese Recken wagen nicht, uns anzugreifen. Ich hörte immer
davon, daß sie uns feindlich gesonnen wären, nun könnte sich
ihnen wahrhaftig keine bessere Kampfgelegenheit bieten.«
1929 »Man soll jetzt die Pferde zu den Unterkünften bringen«, befahl
der erhabene König, »und die Reiterspiele dann gegen Abend
fortsetzen, wenn Zeit dazu ist. Wie wäre es, wenn die Königin
den Fremden den Kampfpreis zubilligt?«
1934 Schnell ritt Hagen mit sechzig von seinen Kämpfern dem Fied
ler nach, dorthin wo der Speerstoß erfolgt war. Etzel und
Kriemhild hatten es genau gesehen.
1935 Auch die Könige wollten ihren Spielmann mitten unter den
Feinden nicht ohne Beistand lassen. Tausend Helden ritten in
geschicktem Manöver heran. Sie bewegten sich absichtsvoll in
bedrohlicher Selbstsicherheit.
1936 Als der mächtige Hunne dort erschlagen lag, hörte man seine
Verwandten weinen und klagen. »Wer hat das getan?« fragte
da das ganze Gefolge. Darauf antworteten die, die es gesehen
hatten: »Es war der starke Spielmann.«
1937 Sofort riefen die Verwandten des Markgrafen aus dem Hun
nenland nach Schwertern und Schilden. Sie wollten den Spiel
mann totschlagen. Der Landesherr eilte von seinem Fenster
weg.
1940 wenn ihr jetzt den Spielmann erschlagen hättet. Ich würde euch
alle hängen lassen, das will ich euch sagen. Ich sah recht gut,
wie er ritt, als er den Hunnen erstach, es geschah ohne Absicht,
als sein Pferd strauchelte.
1941 Ihr müßt meine Gäste in Frieden lassen!« Damit gab er ihnen
das Geleit. Die Pferde führte man weg zu den Unterkünften. Sie
hatten viele Knappen, die ihnen mit allem Eifer zu Diensten
standen.
1943 Wie sehr Etzel ein solches Gebaren auch verurteilte, so sah man
doch viele bewaffnete Gruppen, von Feindseligkeit gegen die
Gäste bewegt, mit großem Ungestüm auf die Fürsten zudrän
gen, als sie zu Tisch gingen. Die Hunnen wollten ihren Ver
wandten rächen, wenn es irgend möglich wäre.
1944 Der Landesherr sagte: »Offenbar speist ihr lieber bewaffnet als
unbewaffnet, das ist eine grobe Ungehörigkeit. Wer immer mei
nen Gästen hier Leid zufügt, der verliert den Kopf, das sei euch
Hunnen gesagt.«
1945 Es dauerte eine Weile, bis die Herren sich gesetzt hatten. Kriem-
hild bedrückte übermäßige Sorge. Sie sagte: »Herr Dietrich, bei
dir suche ich Rat und gnädige Hilfe, denn ich bin von großer
Angst erfüllt.«
622 31. AVENTIURE
1950 Diu bet dich luzzel eret, vil edeles fürsten wip,
daz du dinen magen raetest an den lip,
si chomen uf genade her in dizze lant.
Sivrit ist unerrochen von der Dietriches hant.«
1947 Kriemhild sagte dazu: »Aber Hagen hat mir so viel angetan, er
hat Siegfried, meinen lieben Mann, ermordet. Wer Hagen von
den anderen trennt, der bekommt mein Gold. Wenn jemand
anders in Mitleidenschaft gezogen würde, täte mir das herzlich
leid.«
1949 Dazu sagte Herr Dietrich voller Anstand: »Gebt dieses Ansin
nen auf, mächtige Königin. Mir haben deine Verwandten nichts
zuleide getan, um dessentwillen ich die edlen Kämpfer angrei
fen sollte.
1950 Die Bitte, deinen Verwandten das Leben zu nehmen, bringt dir
keine Ehre ein, Gemahlin des edlen Fürsten, sie sind im Ver
trauen auf Gastfreundschaft in dieses Land gekommen. Durch
Dietrichs Hand wird Siegfried nicht gerächt.«
1951 Als sie bei dem Berner auf Ablehnung stieß, da versprach sie
alsbald Blödel ein großes Grenzland, das früher Nudung beses
sen hatte. Doch später erschlug ihn Dankwart, so daß ihm die
Gabe nichts nützte.
624 31. AV ENTIURE
1953 Darauf antwortete ihr Blödel, nachdem er sich neben sie gesetzt
hatte: »Wirklich, ich wage nicht, deinen Verwandten feindlich
entgegenzutreten, denn mein Bruder Etzel sieht sie gern bei
sich. Wenn ich sie angriffe, würde mir der König das niemals
verzeihen.«
1954 »Nein, Herr Blödel, ich bleibe dir immer gnädig. Ja, ich gebe
dir dafür mein Silber und mein Gold und eine schöne adlige
Frau, Nudungs Witwe, dann kannst du die Liebenswerte um
armen.
1955 Das ganze Land mit den Burgen sollst du für dich bekommen,
würdiger Recke, du kannst mir glauben, daß ich dir mit Sicher
heit alles geben werde, was ich dir hier versprochen habe, wenn
du meinen Wunsch erfüllst.«
1956 Als Herr Blödel von dem Lohn hörte und weil ihm die Frau
wegen ihrer Schönheit sehr gefiel, hoffte er, die Liebenswerte
im Kampf zu verdienen. Deshalb mußten viele Recken mit ihm
zusammen sterben.
195« »Nun bewaffnet euch, alle meine Leute«, rief Blödel, »wir wer
den die Feinde in ihrer Unterkunft angreifen. Etzels Gemahlin
hat mich dazu verpflichtet. Dafür sollen wir Kämpfer alle unser
Leben wagen.«
626 31. AV EN TIURE
1961 Der wirt der schuof den gesten den sedel über al,
den hohsten und den besten, zuo zim in den sal.
den christen und den heiden ir spise er underschiet.
man gab genuoc in beiden, als ez der wise kunec beriet.
1960 Wie es an der Tafel aussah, will ich euch erzählen: Man sah dort
mächtige Könige mit einer Krone auf dem Haupt; zahlreiche
vornehme Fürsten und viele würdige Kämpfer bewegten sich
mit großem Anstand vor der Königin.
1961 Der Landesherr sorgte dafür, daß seine vornehmsten und höch
sten Gäste überall bei ihm im Saal Platz fanden. Christen und
Heiden ließ er unterschiedliche Speisen auftragen. Beiden gab
man reichlich, wie es der kluge König vorgesehen hatte.
1963 Als die Fürsten sich alle gesetzt und zu essen begonnen hatten,
wurde Etzels Sohn zu ihnen in den Saal getragen. Daraus ent
stand für den mächtigen König bald großes Leid.
1964 Vier Männer Etzels kamen und brachten Ortlieb, den jungen
König, zum Tisch der Fürsten, wo auch Hagen saß. Durch
dessen tödlichen Haß mußte das Kind später sterben.
1967 Dar umbe ich bite gerne iuch, lieben friunde min:
swenne ir ze lande widere ritet an den Rin,
so suit ir mit iu fueren den iwern swester suon,
und suit ouch an dem kinde vil genaedekliche tuon.
1967 Darum bitte ich euch inständig, meine lieben Freunde: Wenn
ihr wieder zurück in euer Land an den Rhein reitet, sollt ihr den
Sohn eurer Schwester mitnehmen und dem Kind eure Gunst
erweisen.
1968 Erzieht ihn ehrenvoll, bis er erwachsen ist. Wenn euch irgend
jemand im Land etwas antun sollte, so wird er euch helfen, das
zu rächen, bei meinem Leben.« Diese Rede hatte auch Kriem-
hild, des Königs Gemahlin, gehört.
1970 Der König blickte Hagen an; die Rede verletzte ihn. Obwohl der
edle Fürst kein Wort darüber verlor, war sein Herz tief getrof
fen, und seine Gedanken wurden betrübt. Aber auch Hagen
stand der Sinn nicht nach angenehmer Unterhaltung.
1971 Was Hagen soeben über das Kind gesagt hatte, war für alle Für
sten wie für den König eine Beleidigung. Es fiel ihnen schwer,
das einfach hinzunehmen. Noch ahnten sie nicht, was der
Recke später tun würde.
1972 Viele, die es gehört hatten und die erbost über ihn waren, hät
ten Hagen gern angegriffen, genauso wie der König selbst. Seine
Ehre hielt ihn aber zurück, sonst wäre es zum Kampf gekom
men. Später tat ihm Hagen ein noch größeres Leid an, er tötete
das Kind vor seinen Augen.
3 2 . A V EN T IU R E
A V EN T IU R E W IE BLO ED EL M IT D A N C H W A R T
AN D ER H E R B E R G E S T R E IT
1974 Als Herr Blödel vor die Tische trat, empfing ihn Dankwart, der
Marschall, freundlich: »Willkommen hier im Hause, mein Herr
Blödel. Daß ihr uns besucht, erstaunt mich doch sehr.«
1976 »Nein, Herr Blödel«, sagte Dankwart, »sonst könnte uns diese
Hofreise jetzt leid tun. Ich war noch ein ganz junger Knappe,
als Siegfried das Leben verlor. Ich weiß wirklich nicht, was mir
König Etzels Gemahlin vorwirft.«
1977 »Ja, darüber kann ich dir auch nicht mehr sagen. Deine Ver
wandten, Gunther und Hagen, haben die Tat begangen. Nun
wehrt euch, ihr Fremden, ihr könnt nicht mit dem Leben
davonkommen. Euer Tod muß das Pfand für Kriemhild sein.«
632 32. AVEN TIURE
1983 Die swerte niht enheten, die reichten fur die banch,
si huoben uz den fiiezen vil manigen schamel lanch.
der Buregonden knehte in wolden niht vertragen.
da wart von swaeren stüelen durch helme biulen vil geslagen.
DER ÜBERFALL AUF DIE KNAPPEN 633
1978 »So wollt ihr nicht aufgeben?« fragte Dankwart. »Dann tut es
mir leid, daß ich euch überhaupt gebeten habe, das hätte ich
besser unterlassen.« Der gewandte, tapfere Kämpfer sprang
vom Tisch auf und zog ein scharfes Schwert, das groß und lang
war.
1979 Dann versetzte er Blödel einen so heftigen Schlag, daß ihm der
Kopf mitsamt dem Helm vor die Füße fiel. »Das soll deine
Morgengabe sein für Nudungs Braut, auf die du dich gefreut
hast«, sagte Dankwart, der Held.
1980 »Sie kann sich morgen mit einem anderen Mann vermählen.
Wenn der auf die gleiche Mitgift aus ist, wird es ihm ebenso er
gehen.« Von einem aufrichtigen Hunnen hatte Dankwart erfah
ren, daß die Königin Blödel zu der hinterhältigen Tat angestiftet
hatte.
1981 Sobald Blödels Leute sahen, daß ihr Herr erschlagen dalag,
wollten sie das den Gästen keinen Augenblick länger hingehen
lassen. Mit erhobenen Schwertern sprangen sie grimmig auf die
Knappen los. Das mußten sie später bereuen.
1982 Ganz laut rief der Marschall allen jungen Männern zu: »Ihr seht
wohl, edle Knappen, wie es enden wird. Nun wehrt euch, auch
wenn ihr Gäste aus einem fremden Land seid, denn die Not
zwingt euch dazu, damit ihr tapfer und ohne Schande sterbt.«
1983 Die kein Schwert hatten, griffen unter die Tische und hoben
viele lange Schemel an den Stuhlbeinen hoch. Die Knappen der
Burgunden wollten sich nun nichts mehr von den Gegnern
gefallen lassen. Mit schweren Stühlen schlugen sie durch die
Helme hindurch so manche Beule.
634 32. AVENTI URE
1989 Der schal der was geswiftet, der doz der was gelegen,
do blichte über ahsel Danchwart der degen,
er sprach: »owe der ffiunde, die ich verlorn han!
nu muoz ich leider eine bi minen vianden stan.«
DER ÜBERFALL AUF DIE KNAPPEN 635
1984 Wie heftig setzten sich die fremden Knappen zur Wehr! Sie trie
ben die Bewaffneten schließlich sogar ganz aus dem Haus, doch
blieben fünfhundert oder mehr von ihnen drinnen tot liegen.
Nun war das Gefolge der Burgunden vom Blut rot und naß.
1986 Ehe man aber am Hof davon erfuhr, rüsteten sich zweitausend
oder noch mehr Hunnen, von Feindschaft getrieben. Sie eilten
zu den Knappen, das war unabwendbar, und sie ließen vom
Gefolge der Burgunden nicht einen am Leben.
1989 Der Kampflärm war verstummt, das Getöse hatte sich gelegt.
Da blickte Dankwart, der Kämpfer, über seine Schulter zurück
und sagte: »O weh, wie viele Freunde habe ich verloren! Jetzt
muß ich Leidgeprüfter ganz allein gegen meine Feinde kämp
fen.«
636 32. AVENTI URE
1993 »Nu wolde got«, sprach Danchwart, »mohte ich den boten han,
der minen bruoder Hagenen chunde wizzen lan,
daz ich vor disen recken sten in solher not,
er hülfe mir von hinnen, oder er gelege bi mir tot.«
1995 »Nu lat die dro beliben und stet uf hoher baz!
ja getuon ich eteslichem noch die ringe naz.
nu wer mirz, swer der welle, ich wil ze hove gan,
und wil selbe disiu maere minen herren wizzen lan.«
DER ÜBERFALL AUF DIE KN APPEN 637
1990 Die Schwerter schlugen unablässig auf ihn ein. Das mußten
später die Frauen so mancher Helden beweinen. Den Schild
rückte er höher, indem er den Griftfiemen weiter nach unten
zog. Dann kämpfte er so, daß von vielen Rüstungen Blut her
abfloß.
1991 »Weh über dieses Leid«, rief Adrians Sohn, »nun weicht zurück,
hunnische Recken, laßt mich ins Freie, damit die Luft mich
kampfmüden Mann erfrischen kann.« Dann drang er gegen
ihren Willen kämpfend zur Tür vor.
1992 Von großem Zorn erfüllt sprang der Held aus dem Haus. Wie
viele neue Schwerter schlugen wiederum auf ihn einl Diejeni
gen, die noch nicht gesehen hatten, welche Wundertaten seine
Hand vollbracht hatte, mußten jetzt durch den Burgunden
fallen.
1993 »Bei Gott«, sagte Dankwart, »hätte ich einen Boten, der mei
nem Bruder Hagen mitteilen könnte, daß ich vor diesen Recken
in solcher Bedrängnis bin, so würde er mir hier heraushelfen,
oder er käme mit mir um.«
1995 »Laßt jetzt die Drohungen und tretet lieber beiseite! Ja, ich
werde noch einigen die Ringpanzer blutig schlagen. Wer kann,
der halte mich auf, ich will zum Hof gehen und selbst meinen
Herrn wissen lassen, was geschehen ist.«
638 32. AV ENTIURE
1999 Sin vart diu wart erniwet von heizem bluote naz.
jane chunde ein einer recke gestriten nimmer baz
mit also vil der viende, denner hete getan.
do muosen si in lazen ane ir danc ze hove gan.
1996 Er schüchterte Etzels Leute so sehr ein, daß sie ihn nicht mit
den Schwertern anzugreifen wagten. Aber sie schossen so viele
Speere in seinen Schild, daß er ihn wegen des großen Gewichts
aus der Hand fallenlassen mußte.
1997 Als er den Schild nicht mehr trug, glaubten sie, ihn bezwingen
zu können. Doch wie viele tiefe Wunden schlug er nun durch
ihre Helme! Zahlreiche tapfere Männer brachen vor ihm zu
sammen. Dadurch erwarb sich der tapfere Dankwart großen
Ruhm.
1998 Von beiden Seiten sprangen ihn die Feinde an. Ja, einige von
ihnen griffen zu früh in den Kampf ein. Er lief vor seinen
Gegnern her wie ein wilder Eber im Wald vor den Hunden.
Wie hätte er tapferer sein können?
1999 Seine Fährte wurde immer wieder naß von heißem Blut. Wirk
lich, niemals vermochte ein einzelner Recke besser gegen so
viele Feinde zu kämpfen, wie er es getan hat. Schließlich m uß
ten sie ihn gegen ihren Willen zum Hof ziehen lassen.
2001 »Was nun, ihr guten Leute?« fragte der erschöpfte Kämpfer. »Ihr
solltet doch die Gäste freundlich bewirten und jetzt den Herren
die köstlichen Speisen auftragen, mich hingegen laßt am Hof
meinen Herren sagen, was geschehen ist.«
2002 Jedem, der sich ihm in Kampfeifer auf der Treppe entgegen
stellte, versetzte er einen kräftigen Schwerthieb, bis alle aus
Furcht den Weg räumten. Wahrlich, durch seine große Tapfer
keit brachte er vielen ihr Ende.
640 32. AVENTIURE
2004 Ez was reht in der wile, do Danchwart chom für die tür,
daz man Ortlieben truoc wider unde für
von tische ze tischen, den fürsten wol geborn.
von disen starchen maeren wart daz kindelin verlorn.
DER ÜBERFALL AUF DIE KNAPPEN 641
2003 Als der kühne Dankwart in der Tür erschien, forderte er Etzels
Dienerschaft auf zurückzutreten. Seine ganze Rüstung war von
Blut überströmt. In der Hand hielt er ein starkes, blankes
Schwert.
2009 »Ir seht mich wol gesunden, min wat ist bluotes naz,
von ander mannen wunden ist mir geschehn daz,
der ich also manigen hiute han erslahen,
ob ich des swern solde, ine chundez nimmer gesagen.«
33- A V EN T IU R E
W IE D A NK W AR T S EIN E N H E R R E N AM H O F
B E S C H E ID GAB
20 0 6 Hagen rief ihm entgegen: »Wer hat das getan?« »Herr Blödel
und seine Leute. Doch kann er den Lohn nicht genießen, das
will ich euch sagen: Ich habe ihm eigenhändig den Kopf abge
schlagen.«
2007 »Das schadet dem Ruf eines Kämpfers nicht«, erwiderte Hagen,
»wenn man von ihm erzählt, er habe sein Leben durch die
Hand eines wahren Recken verloren. Ihn werden die schönen
Frauen um so weniger beklagen.
2008 Nun sagt mir, lieber Bruder, warum seid ihr so blutüberströmt?
Mir scheint, eure Wunden sind sehr schmerzhaft. Wenn derje
nige noch hier ist, der euch das angetan hat, so muß er sterben,
es sei denn, der Teufel beschützt ihn.«
2009 »Ihr seht mich unversehrt, nur meine Rüstung ist blutig, aber
von den Wunden anderer Männer, von denen ich heute so viele
erschlagen habe, daß ich ihre Zahl selbst dann nicht nennen
könnte, wenn ich sie beschwören müßte.«
644 33- AVEN TIURE
2010 Hagen rief: »Bruder Dankwart, bewacht für uns die Tür und
laßt keinen von den Hunnen hinaus. Ich will mit den Recken
reden, wie es die Notlage erfordert. Unsere Knappen sind
grundlos erschlagen worden.«
2011 »Wenn ich Türhüter sein soll«, sprach der tapfere Mann, »kann
ich so mächtigen Königen gut dienen. Bei meiner Ehre, ich be
wache die Treppe.« Den Kämpfern Kriemhilds konnte nichts
Schlimmeres passieren.
2012 »Ich wundere mich sehr«, meinte Hagen dann, »was die Hun
nen hier im Raum heimlich miteinander flüstern. Ich glaube,
sie wollen den, der dort an der Tür steht und den Burgunden
die Nachricht aus der Herberge gebracht hat, gern loswerden.
2013 Ich habe schon lange über Kriemhild sagen hören, daß sie ihr
Herzeleid nicht verwinden kann. Nun wollen wir zum Totenge
dächtnis trinken und den Wein des Königs zum Opfer darbrin
gen. Der junge Herr der Hunnen kommt als erster dran.«
2014 Dann erschlug Hagen, der tüchtige Held, den jungen Ortlieb,
so daß ihm das Blut von dem Schwert auf die Hand herabfloß
und der Kopf des Kindes in Kriemhilds Schoß flog. Darauf
brach unter den Kämpfern ein schreckliches, ungeheures Mor
den aus.
2015 Auch dem Erzieher, der sich um Ortlieb gekümmert hatte, ver
setzte er mit beiden Händen einen heftigen Schlag, daß der
Kopf sogleich vor dem Tisch niederfiel. Es war ein kläglicher
Lohn, den er dem Erzieher zahlte.
2016 Vor Etzels Tafel sah Hagen einen Spielmann. Voller Zorn eilte er
dorthin und schlug ihm auf der Fiedel eine Hand ab: »Das ist
für die Einladung, die du ins Burgundenland gebracht hast.«
646 33- AV ENTIURE
2023 Der junge sun froun Uoten zuo dem strite spranch.
sin wafen herrenliche durch die helme erchlanc
den Ezeln recken uzer Hünen lant.
da tet vil michel wunder diu Giselheres hant.
DER KA MPF IM SAAL 647
2018 Hagen war es egal, daß er nicht mehr fiedeln konnte. Er fügte
vielen von Etzels Recken lebensgefährliche, schmerzende Wun
den zu, als er auf sie einschlug. In dem Saal fand eine große
Menge durch ihn den Tod.
2019 Sein Gefährte Volker sprang vom Tisch auf. Der Fiedelbogen
in seiner Hand brachte laute Töne hervor. Der Spielmann der
Könige fiedelte ungestüm. O, wie viele kühne Hunnen machte
er sich zu Feinden!
2020 Dann sprangen auch die drei erhabenen Könige von der Tafel
auf. Sie wollten den Kampf gern beenden, bevor der Schaden
noch größer wurde. Doch mit ihrer Besonnenheit konnten sie
nichts mehr ausrichten, nachdem Volker und Hagen so sehr zu
wüten angefangen hatten.
2021 Als der Herr vom Rhein sah, daß sich der Kampf nicht mehr
aufhalten ließ, da schlug der Fürst selbst seinen Feinden durch
die hellen Ringpanzer zahllose tiefe Wunden. Es wurde offen
bar, daß er ein schlaggewandter Held war.
2022 Nun griff auch der starke Gernot in den Kampf ein. Er tötete
viele hunnische Helden mit seinem scharfen Schwert, das ihm
Rüdiger geschenkt hatte. Den Verwandten Etzels fügte er große
Schmerzen zu.
2023 Der junge Sohn von Frau Ute stürmte ebenfalls zum Kampf.
Sein herrliches Schwert durchschlug klingend die Helme der
Recken Etzels aus dem Hunnenland. Giselher vollbrachte wahre
Wundertaten.
648 33- AVEN TIURE
2024 Swie frum si alle waeren, die kunige und ouch ir man,
doch sah man Giselhere ze vorderest stan
bi den vianden. er was ein helt guot,
er schuof da mit den wunden vil manigen nider in daz bluot.
2026 Do wolden die dar uzen mit friunden sin dar in.
si namen an der stiegen vil kleinen gewin.
do wolden si dar inné vil gerne fur die tür.
done lie der portenaere ir deheinen dar für.
2024 Obwohl alle, die Könige und ihre Kämpfer, tüchtig waren, sah
man Giselher in vorderster Reihe den Feinden gegenüberste
hen. Er war ein ausgezeichneter Held, und er verwundete viele,
die dann in ihr Blut niederstürzten.
2025 Auch Etzels Leute wehrten sich heftig. Man sah, wie sich die
Gäste mit ihren glänzenden Schwertern um sich schlagend
durch den Saal des Königs bewegten. Überall hörte man
schrecklichen Kampflärm.
2027 An der Tür entstand ein dichtes Gedränge, und von den
Schwertschlägen erklangen die Helme laut. Dadurch kam der
tapfere Dankwart in große Gefahr. Diese wollte Hagen abwen
den, wie es ihm seine Treue gebot.
2028 Ganz laut rief Hagen Volker zu: »Gefährte, seht ihr dort meinen
Bruder stehen, wie er von den starken Schlägen der hunnischen
Recken in die Enge getrieben wird? Freund, rettet meinen Bru
der, sonst verlieren wir den Kämpfer.«
2029 »Das tue ich gewiß«, antwortete Volker. Er bewegte sich gleich
sam fiedelnd durch den Palas. Doch was immer wieder in sei
ner Hand erklang war ein scharfes Schwert. Die Recken vom
Rhein dankten ihm dafür sehr.
2030 Der tapfere Volker sagte zu Dankwart: »Ihr habt heute großes
Leid erfahren. Euer Bruder hat mich gebeten, euch zu Hilfe
zu kommen. Wenn ihr nun draußen bleiben wollt, werde ich
drinnen stehen.«
650 33- AVEN TIURE
2035 Der wirt het groze sorge, sin wip diu het alsam,
waz man im lieber friunde vor sinen ougen nam!
wander von sinen vinden vil chume da genas.
er saz vil angestliche. waz half in, daz er kunec was?
2031 Der gewandte Dankwart stand draußen vor der Tür, dort
wehrte er auf der Treppe alle ab, die heraufkamen. Davon hörte
man die Waffen in der Hand der Helden klingen. Das gleiche
tat Volker aus dem Burgundenland drinnen.
2032 Der tapfere Fiedler rief zu dem Kämpfer hinüber: »Das Haus ist
gut verschlossen, Freund Hagen, Etzels Tür ist fest versperrt.
Von den Händen zweier Recken liegen tausend Riegel davor.«
2033 Als der starke Hagen die Tür derart bewacht sah, warf der
kühne Kämpfer seinen Schild auf den Rücken. Dann rächte er
das Leid seiner Freunde. Viele tüchtige Ritter bekamen seinen
Zorn zu spüren.
2034 Sobald der Herr von Bern die bewundernswerten Schläge sah,
mit denen der starke Hagen so viele Helme zerschlug, sprang
der König der Amelungen auf eine Bank und rief: »Hier
schenkt Hagen den allerschrecklichsten Trank aus.«
2035 Der Landesherr und seine Frau waren in großer Sorge. Wie
viele liebe Freunde hatte man ihm vor seinen Augen umge
bracht! Außerdem konnte er sich selbst vor seinen Feinden
kaum retten. Er saß voller Angst da. Was half es ihm, daß er
König war?
2036 Kriemhild, die Herrin, rief Dietrich zu: »Nun hilf mir, Ritter,
bei der Tugend aller Fürsten aus dem Amelungenland, daß ich
von meinem Platz vor ihnen entkomme. Wenn Hagen mich
hier erreicht, ist mir der Tod gewiß.«
2037 »Wie soll ich euch helfen, edle Königin?« fragte Dietrich. »Ich
bin um mich selbst in Sorge. Gunthers Leute sind derart er
zürnt, daß zu diesem Zeitpunkt niemand Frieden stiften kann.«
652 33- AV ENTIURE
2038 »Nein, Herr Dietrich, edler, tüchtiger Ritter, beweise mir heute
deine vorbildliche Treue, indem du mich von hier fortbringst,
sonst muß ich sterben. Hilf mir und dem König aus dieser be
drängenden Not!«
2039 »Ich will versuchen, ob ich euch helfen kann; doch seit langem
habe ich nicht derart viele Ritter in so fürchterlichem Zorn
erlebt. Wahrhaftig, ich sehe unter ihren Schwertschlägen das
Blut aus den Helmen herabfließen.«
2042 Ich sehe ihn auf dem Tisch stehen, er winkt mit der Hand. Ihr
Freunde und Verwandte aus dem Burgundenland, haltet ein im
Kampf und laßt uns hören, was für ein Schaden Dietrich hier
von uns angetan wurde.«
2043 Als König Gunther dies erbeten und auch befohlen hatte, ließen
sie die Schwerter im Kampfgedränge sinken. Es zeugte von
großer Selbstbeherrschung, daß einen Augenblick lang nie
mand kämpfte. Die kühnen, tüchtigen Recken sprachen m it
einander.
2044 Gunther sagte: »Edler Dietrich, was haben euch meine Ver
wandten hier angetan? Ich bin entschlossen, euch bereitwillig
Sühne und Buße zu leisten. Wenn euch irgend jemand Leid
zugefügt hat, bedaure ich das von Herzen.«
654 33- AVENTI URE
2045 Do sprach der herre Dietrich: »mir ist noch niht getan,
des ich schaden deheinen von iu muge han,
wan lat mih von dem strite mit dem gesinde min.
daz wil ich umbe iuch degene immer dienende sin.«
2045 Da antwortete Herr Dietrich: »Mir ist bisher noch nichts ange
tan worden, wodurch ich von eurer Seite irgendeinen Schaden
erlitten hätte, doch zieht mich und mein Gefolge nicht in den
Streit mit hinein. Dafür werde ich euch Kämpfern immer dank
bar sein.«
2046 »Warum fleht ihr so sehr?« sagte da Wolfhart. »Der Fiedler hat
die Tür schließlich nicht derart versperrt, daß wir sie nicht weit
genug öffnen könnten, um hinauszugehen.« »Schweigt jetzt«,
sprach Dietrich, »ihr werdet den Teufel tun.«
2047 Darauf rief König Gunther: »Ich will es euch gestatten. Führt so
viele aus dem Haus heraus, wie ihr wollt, nur nicht meine
Feinde, die sollen hierbleiben. Sie haben mir hier im Hunnen
land zu viel Leid angetan.«
2048 Mit einem Arm umschloß der Herr von Bern die edle Königin,
deren Angst groß war; auf seiner anderen Seite führte er Etzel
mit sich fort. Außerdem zogen sechshundert seiner tapferen
Männer mit ihm hinaus.
2049 Gleich danach rief der Markgraf Rüdiger: »Wenn aber von
denen, die euch gewogen sind, sonst noch jemand das Haus
verlassen darf, sagt uns Bescheid. Für gute Freunde ist es ange
messen, beständigen Frieden zu gewähren.«
2051 Mit dem Markgrafen verließen mehr als fünfhundert Ritter den
Saal und stiegen die Treppe hinab. Es waren Rüdigers Leute, die
König Gunther später schweren Schaden zufügten.
656 33- AV EN TIURE
2053 Do der wirt des landes chom von dem huse dan,
do cherte er sich hin widere und sach Volkeren an:
»owe mir dirre geste! daz ist ein grimmiu not,
daz alle mine friunde suln vor in ligen tot.
2055 Sine leyche lutent ubele, sine züge die sint rot.
ja vellent sine doene vil manigen heit tot.
ine weiz niht, waz uns wize der selbe spileman,
wan ich gast neheinen nie so leiden gewan.«
2052 Als ein hunnischer Recke König Etzel neben dem Berner gehen
sah, wollte er die Gelegenheit für sich nutzen. Dem aber ver
setzte der Fiedler einen so heftigen Schlag, daß sein Kopf als
bald vor Etzels Füße fiel.
2054 Ach, welch ein furchtbares Fest«, fügte der erhabene König
hinzu. »Dort drinnen kämpft einer wie ein wilder Eber, der
heißt Volker und ist ein Spielmann. Ich danke meinem Ge
schick, daß ich diesem Teufel entkommen bin.
2056 Die vornehmen Recken, der Herr von Bern und Rüdiger, gin
gen zu ihren Unterkünften. Sie wollten mit dem Streit nichts
zu tun haben, und sie geboten auch ihren Kämpfern, Frieden
zu halten.
2057 Hätten die Burgunden geahnt, welches Leid ihnen die beiden
später antun würden, dann wären sie nicht so friedlich aus dem
Palas herausgekommen. Sie hätten die beiden Kühnen dann
schon früher angegriffen.
2058 Die Burgunden hatten alle, denen sie es zugestanden, aus dem
Saal hinausgelassen. Dann erhob sich drinnen mächtiger
Kampflärm. Die Gäste nahmen entsetzlich Rache für das, was
ihnen vorher angetan worden war. Ach, wie viele glänzende
Helme zerschlug der tapfere Volker!
658 33- AVENTIURE
2059 Sich cherte gein dem schalle Gunther der kunec her:
»hört ir die doene, Hagene, die dort Volker
mit den Hünen videlet, swer gegen der tür gat?
ez ist ein roter anstrich, den er zem videlbogen hat.«
20 6 0 »Es tut mir maßlos leid«, sagte Hagen darauf, »daß ich jemals
an der Tafel weiter vorn gesessen habe als Volker. Ich war sein
Gefährte und er der meine, und sollten wir je wieder nach
Hause zurückkehren, werden wir immer in Treue verbunden
bleiben.
2061 Nun sieh, König Gunther, Völker ist dir treu ergeben. Er leistet
bereitwillig Dienste für dein Silber und dein Gold. Sein Fiedel
bogen schneidet durch harten Stahl. Er zerschlägt auf den
Helmen den glänzenden Zierat.
206 2 Noch nie hat sich ein Fiedler so herrlich bewährt wie heute der
Kämpfer Volker. Seine Lieder klingen durch Helm und Schild.
Wirklich, er sollte gute Pferde reiten und prächtige Gewänder
tragen.«
2063 Wie viele Hunnen auch in dem Saal gewesen waren, keiner von
ihnen kam mit dem Leben davon. Der Lärm war verklungen,
weil niemand übrig war, um mit ihnen zu kämpfen. Die küh
nen, tüchtigen Männer legten die Schwerter aus der Hand.
2064 Ermattet setzten sich die Herren nieder. Volker und Hagen
traten vor den Saal. Die selbstbewußten Männer lehnten sich
auf ihre Schilde. Beide hatten genug miteinander zu reden.
2071 Do dandern daz gesahen, diu fluht huop sich von dan.
si begunden alle fluochen dem selben spileman.
noh huob er under fiiezen einen ger vil hart,
der von eime Hünen in daz hus geschozzen wart.
2066 »Was habe ich für einen Herrn!« sprach Hagen da. »Der Rat,
den uns mein junger Herr soeben gegeben hat, paßt nur zu
einem wahren Kämpfer. Darüber könnt ihr Burgunden alle
froh sein.«
2067 Sie befolgten den Rat des jungen Königs, trugen etwa zweitau
send Tote vor die Tür und warfen sie hinaus, so daß sie die
Treppe, die zum Saal führte, hinabfielen. Da erhoben ihre Ver
wandten ein lautes Wehklagen.
2068 Manch einer war so leicht verwundet, daß er mit Pflege noch
gesund geworden wäre, doch durch den Sturz aus großer Höhe
mußte er sterben. Bewegt durch tiefes Leid, beklagten ihre
Freunde die Toten.
2069 Zu ihnen sprach der Fiedler, ein tüchtiger Recke: »Nun erkenne
ich, daß es die Wahrheit war, als man mir gesagt hat, die Hun
nen seien schwach. Sie jammern wie die Frauen, statt sich lieber
um die Schwerverwundeten zu kümmern.«
2071 Als die anderen das sahen, ergriffen sie die Flucht. Sie verfluch
ten alle den Spielmann. Dieser hob einen scharfen Speer vom
Boden auf, welcher von einem Hunnen in das Haus geworfen
worden war.
2072 Den schleuderte er mit großer Kraft durch den Burghof wieder
zurück. Etzels Leute schlugen daraufhin weiter entfernt von
dem Saal ihr Lager auf. Überall fürchteten sie Volkers unge
heure Stärke.
662 33- AV EN TIURE
2074 »Ez zaeme so«, sprach Hagene, »vil wol volches trost,
daz die herren vaehten zaller vorderost,
also der kunec Gunther unde Gernot hie tuot.
die howent durch die helme, nach swerten vliuzet daz bluot.«
2076 Done wolde der kunec here des strites erwinden niht,
daz von so riehen fürsten selten nu geschiht.
man muos in bi dem vezzil wider ziehen dan.
Hagene der grimme sin spotten aber began.
2073 Vor dem Haus standen Etzel und seine Leute. Volker und
Hagen sagten dem König der Hunnen offen, was sie von ihm
hielten. Das brachte die kühnen und tüchtigen Helden später in
Bedrängnis.
2074 Hagen rief: »Für den Schutzherrn eines Volkes gehört es sich, in
vorderster Reihe zu kämpfen, so wie es König Gunther und
Gernot hier tun. Sie durchschlagen die Helme, und Blut fließt
an ihren Schwertern herab.«
2075 Etzel war durchaus tapfer, er griff nach seinem Schild. »Nehmt
euch in acht«, sagte Frau Kriemhild, »bietet lieber euren Recken
Schilde voller Gold zum Lohn; denn wenn Hagen euch trifft,
ist euch der Tod gewiß.«
2076 Aber der erhabene König wollte nicht davon ablassen, in den
Kampf einzugreifen, was bei so mächtigen Fürsten heute nur
noch selten vorkommt. Man mußte ihn am Schildriemen
zurückhalten. Der grimmige Hagen begann abermals, ihn zu
verspotten.
2077 »Es war offenbar eine nahe Verwandtschaft«, rief Hagen, »die
Siegfried und Etzel verband! Er liebte Kriemhild, bevor sie dich
je gesehen hatte. Boshafter König, warum richtet sich deine
Feindschaft ausgerechnet gegen mich?«
2078 Diese Rede hörte die Gemahlin des Königs genau. Kriemhild
geriet in Wut, weil Hagen es gewagt hatte, sie vor Etzels Leuten
zu beleidigen. Deshalb schmiedete sie neue feindliche Pläne
gegen die Gäste.
2079 »Wer Hagen von Tronje für mich erschlägt«, sagte sie, »und mir
seinen Kopf als Geschenk bringt, dem würde ich Etzels Schild
mit rotem Gold füllen, außerdem gäbe ich ihm viele prächtige
Burgen und Länder zum Lohn.«
664 33- A V E N T I U R E
208 0 »Nun weiß ich nicht, worauf sie warten«, rief der Spielmann.
»Noch nie habe ich Helden so feige herumstehen sehen, wo sie
so reichen Lohn versprochen bekamen. Sie könnten sich doch
die Burgen und das rote Gold verdienen.«
2082 Darüber spottete der tapfere Volker: »Ich sehe hier viele vor
nehme Kämpfer eine Menge Tränen vergießen. Sie stehen
ihrem Herrn in seiner großen Not schlecht bei. Wahrlich, sie
essen hier schon viel zu lange in Schande sein Brot.«
2083 Da dachten die Besten von ihnen: »Es ist wahr, was er über
uns sagt.« Doch war es für niemanden so schmerzlich wie für
Iring, den Helden aus Dänemark. Das offenbarte sich in kurzer
Zeit.
AVENTIURE
34-
AVENTIURE WIE IRINCH MIT HAGENEN STREIT
UND WIE IM SIT AN IM GELANCH
2084 Markgraf Iring von Dänemark rief: »Ich habe schon seit lan
gem nach dem Grundsatz der Ehre gehandelt und in Völker
schlachten Bestes vollbracht. Nun bring mir meine Waffen. Ich
will gegen Hagen kämpfen.«
2085 »Davon rate ich ab«, antwortete Hagen darauf, »sonst bekom
men eure Verwandten noch mehr Grund zum Klagen. Selbst
wenn zwei oder drei euresgleichen zu mir herstürmten und
mich als Gegner erwarteten, würden sie elend umkommen.«
2086 »Trotzdem gebe ich meine Absicht nicht auf«, erwiderte Iring.
»Ich habe auch schon früher in ähnÜch gefährlichen Lagen
standgehalten. Ja, mit dem Schwert will ich allein gegen dich
antreten, auch wenn du im Kampf mehr als jeder andere gelei
stet hast.«
2088 Dann sah der Fiedler eine große Schar gerüstet mit Iring her
ankommen. Sie alle hatten feste Helme aufgesetzt. Darüber
geriet der tapfere Volker in Zorn.
668 34- A V E N T I U R E
2089 Er rief: »Hagen, seht ihr dort Iring kommen, der sich vorge
nommen hatte, allein mit dem Schwert gegen euch anzutreten?
Gehört es sich etwa für einen Helden zu lügen? Das ist eine
Schande. Mit ihm kommen über tausend Recken.«
2091 Iring bat seine Verwandten und seine Leute auf Knien, ihn
allein gegen den Kämpfer antreten zu lassen. Das taten sie
ungern, denn sie kannten den verwegenen Hagen aus dem Bur-
gundenland ganz genau.
2092 Doch Iring bat so lange, bis sie schließlich einwilligten. Als das
Gefolge verstanden hatte, daß es ihm um seine Ehre ging,
ließen sie ihn ziehen. Dann begann ein heftiger Kampf zwi
schen den beiden.
2093 Der starke Iring hob den Speer in die Höhe, den Schild hielt
der tapfere, vortreffliche Kämpfer vor sich. Er lief Hagen bis
dicht vor den Saal entgegen. Der Kampf zwischen den Helden
begann mit mächtigem Lärm.
2094 Sie stießen kraftvoll ihre Speere durch die festen Schilde bis auf
die glänzenden Rüstungen, so daß die Speerschäfte hoch über
ihnen wegflogen. Dann griffen die grimmigen, mutigen Män
ner zu ihren Schwertern.
2096 Iring ließ Hagen stehen, ohne ihn verwundet zu haben, und
eilte zu dem Fiedler. Er glaubte, ihn könnte er mit heftigen
Schwertschlägen überwinden. Doch der stattliche Kämpfer ver
stand sich gut zu schützen.
2097 Da schlug der Fiedler seinerseits so heftig zu, daß sich von sei
nem Schlag die Metallspangen über den Schildrand drehten.
Von ihm ließ Iring ebenfalls ab, denn Volker war ein schreck
licher Mann. Nun griff er König Gunther an.
2098 Beide waren stark im Kampf. Wie sehr Gunther und Iring
auch aufeinander einschlugen, sie brachten sich keine blutigen
Wunden bei. Das verhinderten ihre Rüstungen, die fest und gut
waren.
2099 Iring ließ auch Gunther stehen und griff statt dessen Gernot an.
Er schlug Funken aus den Panzerringen hervor. Beinahe hätte
der starke Gernot den tapferen Iring in den Tod geschickt.
2100 Doch dieser sprang, gewandt wie er war, vor dem Fürsten zur
Seite, und alsbald erschlug der Held vier Burgunden aus dem
edlen Gefolge von Worms am Rhein. Niemals war Giselher zor
niger gewesen.
2101 »Weiß Gott, Herr Iring«, rief der junge Giselher, »jetzt müßt ihr
für die büßen, die ihr hier in diesem Augenblick getötet habt.«
Dann stürmte er auf ihn los und schlug den Dänen derart, daß
er zu schwanken begann.
2102 Er stürzte vor Giselhers Füßen nieder in das Blut, so daß alle
glaubten, der Held könnte im Kampf nie mehr einen Schwert
schlag ausführen. Aber noch lag Iring unverwundet hier vor
Giselher.
672 34- AV ENTIURE
2103 Von des helmes doze und von des swertes chlanc
waren sine wizze worden also chranc,
daz sich der degen Irinch des lebenes niht versan.
daz het mit siner sterche der chüene Giselher getan.
2103 Vom Dröhnen des Helms und vom Klirren des Schwertes wa
ren seine Sinne so betäubt, daß der Kämpfer Iring das Bewußt
sein verlor. Das hatte der tapfere Giselher durch seine Stärke
erreicht.
2104 Als die Betäubung, die der Schwertschlag auf seinen Helm be
wirkt hatte, allmählich aus seinem Kopf wich, dachte er: »Ich
bin noch am Leben, mein Körper ist nirgends verwundet. Nun
habe ich zum ersten Mal Giselhers Kraft kennengelernt.«
2105 Er hörte, daß zu beiden Seiten die Feinde standen. Hätten sie
bemerkt, daß er nur betäubt war, dann hätten sie ihn getötet.
Auch Giselher hörte er neben sich, und er überlegte, wie er mit
dem Leben davonkommen könnte.
2106 Wie ein Rasender sprang er aus dem Blut auf. Dank seiner
Schnelligkeit lief er aus dem Haus, traf dort aber wiederum auf
Hagen und versetzte ihm mit starker Hand gefährliche Schläge.
2107 Nun dachte Hagen seinerseits: »Du gehörst mir. Wenn dich der
böse Teufel nicht rettet, kannst du nicht mit dem Leben davon
kommen.« Doch Iring verwundete Hagen durch seinen Helm
hindurch. Der Held hatte mit Waske zugeschlagen, das war ein
wirklich gutes Schwert.
2108 Als der finstere Hagen die Wunde spürte, zuckte das Schwert in
seiner Hand schrecklich. Sofort mußte Hawarts Lehnsmann
vor ihm fliehen. Hagen verfolgte ihn vom Saal auf die Treppen
stufen.
2109 Iring schwang schnell den Schild über seinen Kopf. Und wäre
die Treppe noch dreimal so lang gewesen, Hagen hätte Iring
keinen einzigen Schlag mehr ausführen lassen. Ach, wie viele
feurige Funken stoben aus seinem Helm!
674 34- AV EN TIURE
2111 »Nu lone dir got, Irinch, vil maerer heit guot!
du hast mir wol getröstet daz herce und ouch den muot
nu sihe ich Hagene rotez von bluote sin gewant.«
do nam si im selbe den schilt vor liebe von der hant.
i
2 12 »Ir mugt im maze danchen«, sprach do Hagene.
»ja ist noch harte chleine da von ze sagene.
und wolt erz noch versuochen, so waer er chüen ein man.
diu wunde frumt iuch chleine, die ich von im gewunnen han.
2113 Daß ihr von dieser Wunde die Panzerringe rot gefärbt seht, das
hat mich auf den Tod vieler Männer lüstern gemacht. Mein
Zorn richtet sich besonders auf ihn und die anderen aus
seinem Gefolge. Mir hat der Kämpfer Iring bisher nur wenig
Schaden zugefügt.«
2117 Hagen, der Kämpfer, wollte nicht auf ihn warten; er lief .ihm
mit Stichen und Schlägen bis an den Fuß der Treppe entgegen.
Sein Zorn war groß. Nun half Iring seine Stärke wenig.
2118 Sie schlugen durch die Schilde hindurch, daß feuerrote Funken
aufblitzten. Der Lehnsmann Hawarts wurde von Hagens
Schwert durch Schild und Brustpanzer hindurch so schwer ver
wundet, daß er sich davon nie mehr erholte.
2119 Als der Kämpfer Iring die Wunde spürte, hob er den Schild
schützend über den Helm. Die Verletzung, die er erlitten hatte,
schien ihm reichlich genug. Doch danach tat ihm der über
mütige Mann noch mehr an.
212 0 Hagen fand vor seinen Füßen einen Speer liegen. Er schleuderte
ihn gegen Iring, den Helden aus Dänemark, so daß er in dessen
Kopf steckenblieb. Der verwegene Hagen bereitete dem Gegner
ein schreckliches Ende.
21 2 3 »Laßt eure Klage, herrliche Frau. Was nützt euer Weinen? Ich
verliere mein Leben durch die Wunden, die ich empfangen
habe. Der Tod verbietet mir, euch und Etzel länger zu dienen.«
678 3 4 . AV EN TIURE
2124 Er sprach zuo den von Durigen unt den von Tenelant:
»die gäbe soi enpfahen iwer deheines hant
von der kuniginne, ir liehtez golt so rot.
und bestet ir Hagenen, ir müezet liden den tot.«
2124 Zu den Thüringern und den Dänen sagte er: »Keiner von
euch wird die Gabe der Königin, ihr glänzendes, rotes Gold,
empfangen. Greift ihr Hagen an, so werdet ihr sterben.«
2126 Irnfried und Hawart stürmten mit etwa tausend Helden vor
den Saal. Ungeheurer Lärm war von allen Seiten zu hören,
dröhnend und laut. Ach, wie viele starke Speere warfen sie auf
die Burgunden!
2127 Herr Irnfried griff den Spielmann an, das mußte er schwer
büßen. Der kühne Fiedler traf den Landgrafen durch seinen
festen Helm hindurch. Ja, er war ein grimmiger Mann.
2129 Hawart und Hagen traten zum Kampf an. Wer sie hätte
beobachten können, hätte geradezu Wundertaten zu sehen be
kommen. Unablässig ließen die Recken ihre Schwerter nieder
sausen. Schließlich starb Hawart durch Hagen aus dem Bur-
gundenland.
2130 Als die Thüringer und die Dänen ihre Herren tot liegen sahen,
da erhob sich vor dem Saal ein heftiges Kampfgetümmel, bis sie
mit Tapferkeit die Tür erreichten. Dabei wurden viele Helme
und Schilde zerschlagen.
680 34- AVEN TIURE
2134 Dar nach wart ein stille, daz der schal verdoz.
daz bluot do allenthalben durch diu locher vloz
und da zen rigelsteinen von den chüenen man.
daz heten die von Rine mit grozem eilen getan.
2135 Do sazen a b e r ru o w e n , d ie c h o m e n in d a z la n t.
ir S c h ild e u n t w a f e n si le ite n v o n d e r h a n t .
do stuont noch vor dem huse der chüene spileman,
ob iemen zuo zin wolde mit strite zuo dem sale gan.
2136 Der chunk klagte sere sam tet ouch sin wip.
mägde unde frowen die quelten ouch den lip.
ich waene des, daz hete der tot uf si gesworn.
des wart noch vil der degene von den gesten verlorn.
IRINGS KAMPF UN D TOD 681
2132 Sobald die stolzen Kämpfer in den Saal drangen, wurde vielen
der Kopf so tief herabgedrückt, daß sie von den wütenden
Schlägen der Gegner sterben mußten. Der kühne Gernot
kämpfte tapfer und ebenso Giselher, der Held.
2135 Danach setzten sich die Fremden, die ins Land gekommen wa
ren, und ruhten sich aus. Ihre Schilde und Waffen legten sie aus
der Hand. Noch stand der kühne Spielmann vor dem Haus für
den Fall, daß jemand zu ihnen in den Saal dringen wollte, um
zu kämpfen.
2136 Der König klagte sehr, ebenso seine Gemahlin. Mädchen und
Frauen marterten sich zum Ausdruck ihrer Trauer. Ich glaube,
der Tod hatte sich gegen sie verschworen. Darum kamen noch
viele weitere Kämpfer durch die Gäste um.
35- AVENTIURE
AVENTIURE WIE DRIE KUNIGE MIT EZELE UND MIT IR
SWESTER UMBE DIE SUONE REITEN
2140 Sich huob ein sturm herte hier uz und ouch dar in.
Danchwart, Hagenen bruoder, durch degenlichen sin
spranch vor sinen herren zen vinden uz der tür.
sich versahen sines todes, er chom gesunder wol dar für.
2137 »Nun bindet die Helme ab«, sagte Hagen, »wir geben den Hun
nen wirklich so viel Grund zu klagen, daß sie das Fest nie mehr
vergessen werden. Was hilft es Kriemhild jetzt, daß sie uns nicht
in Frieden am Rhein gelassen hat?«
213 8 Da nahmen viele tüchtige Ritter ihre Helme vom Kopf. Sie setz
ten sich auf die Toten, die vor ihnen beim Kampf in das Blut ge
sunken waren. Später wurden Etzels Gäste furchtbar bedrängt.
2139 Bevor der Abend kam, befahlen der König und die Königin,
daß die hunnischen Recken zu einem weiteren Angriff gegen
die Burgunden antreten sollten. Die Helden nahmen die Her
ausforderung bereitwillig an.
2140 Draußen und drinnen brach ein heftiger Kampf los. Dankwart,
Hagens Bruder, sprang in kühnem Eifer an seinen Herren vor
bei zu den Feinden vor die Tür. Die Hunnen glaubten, er wäre
tot, doch er trat unversehrt heraus.
2141 Der harte Streit dauerte an, bis die Nacht ihm ein Ende setzte.
Die Gäste wehrten sich den ganzen langen Sommertag gegen
Etzels Kämpfer, wie es sich für sie gehörte. Ach, wie viele Hel
den lagen schließlich tot vor ihnen!
684 35- AV EN TIURE
2142 Das ungeheure Morden, als die Königin ihr tiefes Leid an ihren
nächsten Verwandten und an vielen anderen Männern rächte,
geschah zur Sonnenwende. Auch für König Etzel brachte der
Kampf große Verluste.
2144 Der Tag war vorüber, aber die bedrängenden Sorgen hörten
nicht auf. Sie dachten, ein schneller Tod wäre besser für sie, als
lange ungeheure Qualen zu leiden. Da suchten die stolzen,
tüchtigen Ritter Frieden.
2146 Etzel und Kriemhild kamen beide dorthin. Da sie sich in ihrem
eigenen Land befanden, wurde die Schar ihrer Kämpfer immer
größer. Etzel fragte die Könige: »Sagt, was ihr von mir wollt.
Wenn ihr auf Frieden hofft, so kann ich diesen unmöglich ge
währen.
2147 Nachdem ihr mir so großen Schaden zugefügt habt, werde ich
euch, solange ich lebe, keinerlei Zugeständnisse machen. Ihr
habt mir meinen Sohn und viele meiner Verwandten erschla
gen. Darum soll keiner von euch mit dem Leben davonkom
men.«
686 35- AV ENTIURE
2152 Do sprach der wirt zen gesten: »min und iwer leit
diu sint vil ungeliche. diu michel arebeit,
des scaden zuo den schänden, die ich han genomen,
des soi iu deheiner mit dem libe hinnen chomen.«
2149 Der junge Giselher von den Burgunden fügte hinzu: »Ihr
Recken Etzels, die ihr noch am Leben seid, was werft ihr mir
vor? Was habe ich euch getan? Ich bin doch mit aufrichtiger
Zuneigung in dieses Land geritten.«
215 0 Sie antworteten: »Dann sind die Burg und das Land wohl durch
deine Güte von Wehklagen erfüllt. Wir wünschten wirklich
sehr, daß du nie von Worms über den Rhein hier hergekom
men wärst. Das Land ist durch dich und deine Verwandten
völlig verwaist.«
2151 »Es wäre für beide Seiten gut«, sagte Gunther, der Kämpfer, zor
nig, »wenn ihr die ungeheure Feindschaft mit uns, die wir aus
einem fremden Land kommen, friedlich beilegen würdet. Es
gibt überhaupt keinen Grund für das, was Etzel uns antut.«
2152 Der Landesherr entgegnete den Gästen: »Mein Leid und euer
Leid sind nicht vergleichbar. Wegen der gewaltigen Anstren
gung, wegen der Verluste und der Schmach, die ich erlitten
habe, soll keiner von euch mit dem Leben davonkommen.«
21 5 3 Darauf sagte der stolze Gernot zu dem König: »So möge euch
Gott gebieten, wohltätig zu sein. Gebt den Weg frei, damit wir
uns euch ausliefern, da wir keine Hoffnung mehr haben zu
überleben.
688 35- AV EN TIURE
2159 Ich was dir ie getriwe, nie getet ich dir leit.
uf solhen gedingen ich her ze hove reit,
daz du min friunt waerest, vil edeliu swester min.
begench an uns genade, sit ez niht anders kan gesin.«
2154 Was uns bestimmt ist, laßt schnell geschehen. Ihr habt so viele
frische Kämpfer; wenn sie es wagen, uns anzugreifen, lassen sie
uns, die wir vom Kampf ermattet sind, nicht mit dem Leben
davonkommen. Da das unabwendbar ist, müssen wir hier un
tergehen.«
2155 Beinahe wären Etzels Recken darauf eingegangen, sie aus dem
Saal heraustreten zu lassen, doch als Kriemhild das hörte, war
sie überaus erbost. Darum wurde den Fremden der Friede
versagt.
215 6 »Nein, Recken der Hunnen, was ihr da im Sinn habt, davon rate
ich in aller Treue ab, laßt die Mordgierigen nicht aus dem Saal,
sonst müssen eure Freunde den Tod erleiden.
2 157 Wenn von den Burgunden niemand mehr lebte als Utes Söhne,
meine edlen Brüder, und wenn sie ins Freie kämen und ihre
Rüstungen abkühlten, dann wäret ihr alle verloren. Auf der
ganzen Welt hat es niemals kühnere Kämpfer gegeben.«
2159 Ich war dir immer treu, nie habe ich dir Leid zugefügt. Im Ver
trauen auf deine Freundschaft, meine edle Schwester, bin ich an
diesen Hof geritten. Erweise uns Gnade, denn anders darf es
doch nicht sein.«
2160 »Ich kann euch keine Gnade gewähren, Ungnade erfüllt mich.
Hagen von Tronje hat mir zu Hause so schweres Leid zugefügt,
und hier hat er meinen Sohn erschlagen. Dafür müssen alle
schwer büßen, die mit ihm hergekommen sind.
690 35- AV ENTIURE
2161 Wollt ihr mir aber meinen Feind als Geisel ausliefern, so will
ich nicht ausschließen, daß ich euch am Leben lasse, denn ihr
seid meine Brüder, und wir sind Kinder derselben Mutter.
Dann bewege ich diese Recken hier zum Frieden.«
216 3 »Wir müssen doch alle sterben«, sagte dann Giselher. »Nie
mand schafft es, daß wir unseren ritterlichen Schutz fürein
ander aufgeben. Wer gegen uns kämpfen will, der findet uns
hier gemeinsam; denn niemals habe ich einen meiner Freunde
treulos im Stich gelassen.«
2165 Darauf befahl die Königin: »Ihr tüchtigen Helden, nun riegelt
die Treppe ab und rächt unser Leid. Dafür werde ich immer
dankbar sein, wie ich es euch schuldig bin. Hagens Überheb
lichkeit zahle ich ihm heim.
2166 Ihr Recken, umzingelt das Gebäude. Dann lasse ich den Saal an
allen vier Ecken anzünden. So wird all unser Leid gerächt.« Die
Kämpfer Etzels waren sofort dazu bereit.
2167 Die noch draußen standen, die trieben sie mit Schwertschlägen
und fliegenden Speeren wieder in den Palas zurück. Die Fürsten
und ihre Begleiter wollten sich niemals trennen. Sie konnten
ihre Treue zueinander nicht aufgeben.
692 35- A V E N T IU R E
2173 »Nu Ion iu got von himele«, sprach der müede man,
»daz ich von iurem rate so wol getrunchen han.
mir ist geschenchet selten dehein bezzer win.
leb ich deheine wile, ich soi ez dienende sin.«
2168 Dann befahl Etzels Gemahlin, den Saal anzuzünden. Man lie
ferte das Leben der Recken qualvoll dem Feuer aus. Das Haus
loderte durch den Wind kräftig auf. Ich glaube, niemals ist ein
Heer in größere Bedrängnis geraten.
2169 »Weh, welche Not!« riefen viele drinnen. »Wir wären viel lieber
im Kampf gefallen. Es muß Gott erbarmen, wie wir das Leben
verlieren! Jetzt rächt die Gemahlin des Königs ihren Zorn an
uns ungeheuerlich.«
2170 Einer von denen im Saal rief: »Wir müssen alle vor Rauch und
vor Hitze umkommen. Das ist eine schreckliche Lage. In der
starken Hitze setzt mir der Durst furchtbar zu. Ich glaube, mein
Leben nimmt in dieser Bedrängnis schnell ein Ende.«
2171 Da sagte Hagen von Tronje: »Ihr edlen, tüchtigen Ritter, wen
der Durst quält, der trinke hier das Blut. Das ist in solcher Not
besser als Wein. Zum Trinken und zum Essen gibt es jetzt nichts
anderes.«
2172 Darauf ging einer der Recken zu einem Toten. Er kniete sich
an seine Wunde und band den Helm ab. Dann trank er das
fließende Blut. Auch wenn es ganz ungewohnt für ihn war,
erschien es ihm doch äußerst wohltuend.
2174 Als die anderen hörten, daß es ihm gut tat, tranken viele von ih
nen ebenfalls das Blut. Dadurch wurden die tüchtigen Recken
wieder gestärkt. Das mußte eine Menge schöner Frauen später
mit dem Leben ihrer lieben Freunde bezahlen.
694 35- A V E N T I U R E
2176 Do sprach von Tronege Hagene: »stet zuo des sales want,
lat niht die brende vallen uf iwer helmbant
und tret si mit den fiiezen tiefer in daz bluot.
ez ist ein übel hochgecit, die uns diu kuneginne tuot.«
2178 Die geste half daz sere, daz der sal gewelbet was,
da von ir deste mere in der not genas,
wan daz si zen venstern von fiure liten not.
do nerten sich die degene, als in ir eilen daz gebot.
2175 Unablässig fiel das Feuer zu ihnen in den Saal hinab. Sie lenkten
es mit den Schilden von sich weg. Der Rauch und die Hitze
setzten ihnen zu. Ja, ich glaube, die Bedrängnis wurde für die
Helden immer größer.
2176 Da rief Hagen von Tronje: »Stellt euch an die Saalwand, laßt die
brennenden Teile nicht auf eure Helme fallen und tretet sie mit
den Füßen tiefer in das Blut. Es ist ein schlimmes Fest, das uns
die Königin hier bietet.«
2177 In derartiger Qual verging die Nacht. Noch standen zwei tap
fere Männer, Volker und Hagen, vor dem Saal auf ihre Schilde
gelehnt. Sie bewachten ihre Leute aus dem Burgundenland.
2178 Den Gästen half es sehr, daß der Saal gewölbt war, denn da
durch konnte eine große Zahl von ihnen in der Not überleben,
obwohl die Flammen an den Fenstern für sie bedrängend auf
loderten. Die Kämpfer bewahrten ihr Leben, wie es ihnen ihre
Kraft erlaubte.
2179 Dann rief der Fiedler: »Nun wollen wir uns im Saal verbergen.
Die Hunnen werden alle annehmen, wir seien an den Qualen,
die uns angetan wurden, umgekommen. Sie werden noch se
hen, daß einige von uns ihnen im Kampf wiederbegegnen.«
2180 »Ich glaube, es wird Tag«, sagte der junge Giselher aus Bur
gund, »ein kühler Wind kommt auf. Gott im Himmel, laß uns
noch eine angenehmere Zeit erleben. Meine Schwester hat uns
ein furchtbares Fest bereitet.«
2181 Darauf sprach wiederum einer: »Ich sehe nun den Tag. Da uns
nichts Besseres mehr erwartet, müssen wir uns, ihr Recken,
zum Kampf rüsten. Wenn wir schon nicht lebend entkommen,
so wollen wir wenigstens in Ehren sterben.«
696 35- A V E N T I U R E
si g o l t d a z r o t e in d e n S c h i l d e n t r a g e n .
d a r h ie z
21 8 2 Der König und die Königin glaubten, die Gäste wären durch
die Feuersnot umgekommen, doch sechshundert tapfere Män
ner waren da drinnen noch am Leben geblieben. Nie verfugte
ein König über bessere Kämpfer.
2183 Die Bewacher der Fremden hatten aber sehr wohl entdeckt, daß
die Gäste noch lebten. Wieviel Schaden und Leid den Königen
und ihren Leuten auch zugestoßen war, eine große Zahl von
ihnen stand noch völlig unversehrt dort im Saal.
2185 Die Fürsten und alle ihre Männer wären gern mit dem Leben
davongekommen, wenn jemand ihnen diese Gnade gewährt
hätte. Doch den konnten sie im Hunnenland nicht finden. Da
rächten sie kampfbereit ihren eigenen Tod.
2186 Ganz früh gegen Morgen begrüßte man sie mit heftigem An
griff. Dadurch gerieten die Helden wieder in Bedrängnis. Viele
scharfe Speere wurden auf sie geschleudert. Aber noch trafen
die Hunnen auf die Gegenwehr der erhabenen Recken im Saal.
2187 Bei Etzels Gefolge war der Mut angestachelt, sie wollten unbe
dingt Kriemhilds Belohnung verdienen. Außerdem wollten sie
dem Folge leisten, was der König ihnen befahl. Das brachte die
Kämpfer abermals in bedrängende Not.
2188 Von Befehlen und auch von Belohnungen könnte man wunder
was berichten. Die Königin ließ rotes Gold auf Schilden herbei
bringen. Sie gab es jedem, der sich darum bemühte und es
annehmen wollte. Wahrhaftig, nie wurden größere Summen
auf die Köpfe von Feinden ausgesetzt.
698 35- A V E N T IU R E
2189 Ein michel chraft der recken dar zuo gewafent gie.
do sprach der videlaere: »wir sin et aber hie.
ine gesach zem tode nie helde gerner chomen,
die daz golt des kuniges uns ze vare hant genomen.«
219) Waz mag ich sagen mere? wol zwelf hundert man
versuohten ez vil sere wider unde dan.
do chuolten an den vinden die geste wol ir muot.
ez enmohte niemen scheiden; des sah man vliezen daz bluot.
2189 Eine große Schar von Recken zog bewaffnet los. Da rief der
Fiedler: »Wir sind immer noch hier. Ich habe niemals Helden
freudiger in den Tod gehen sehen, die das Gold des Königs ge
nommen haben, um mit uns zu kämpfen.«
2190 Viele von ihnen antworteten: »Kommt näher, ihr Helden, damit
wir schnell tun können, was wir zu Ende bringen sollen. Hier
fällt nur der, dem der Tod bestimmt ist.« Alsbald sah man ihre
Schilde voller Speere stecken.
2191 Was kann ich weiter erzählen? Etwa zwölfhundert Mann griffen
wieder und wieder heftig an. Die Gäste kühlten an den Feinden
ihren Mut. Niemand vermochte den Kampf einzudämmen;
darum floß viel Blut.
2197 Und dem ez allez dienet, Hut und ouch diu lant!
wie ist so vil der burge und der erbe an in gewant,
der er von dem kunige so vil gehaben mac,
er gesluoc in disen sturmen noch nie lobelichen slac?
36. AVENTIURE
W IE RÜDIGER ERSCHLAGEN W U RD E
2193 Bis gegen Morgen hatten die Fremden tapfer gekämpft. Als der
Gemahl Gotelinds zum Hof kam, sah er auf beiden Seiten den
ungeheuren Schmerz. Darüber weinte der treue Rüdiger tief
bewegt.
2194 »O weh«, rief der Recke, »daß ich überhaupt geboren wurde!
Warum kann niemand dieses bittere Leid aufhalten? Wie gern
würde ich Frieden stiften, aber der König geht nicht darauf ein,
auch wenn sein Schmerz immer größer und größer wird.«
2196 Als ein hunnischer Recke Rüdiger so heftig weinen sah, sagte er
zu der Königin: »Nun seht doch, wie er dasteht, der bei euch
und Etzel die größte Macht besitzt
2197 und über Leute und Land verfügt! Wie kann es sein, daß ihm so
zahlreiche Burgen und Erblande verliehen sind und daß er von
dem König derart viel bekommen kann, aber in diesen Kämp
fen noch keinen rühmenswerten Schwertstreich ausgeführt hat?
702 3 6 . AV EN TIURE
2202 Und allez daz ich mohte, daz het ich in getan,
niwan daz ich die degene her gefuoret han,
ich was ir geleitte in mines herren lant.
des ensol mit in niht striten min vil eilendes hant.«
2204 Do sprach der ritter edele: »da beswart er mir den muot
und hat mir verwizzen ere unde guot,
des ich von dinen handen habe so vil genomen.
daz ist dem lugenaere ein teil unstaetelichen chomen.«
RÜDIGERS KAMPF UND TOD 703
2198 Mir scheint, es ist ihm egal, was hier vor sich geht, er hat ja alles,
was er will. Man sagt über ihn, er sei tapferer als irgend jemand
sonst, das ist aber in dieser sorgenvollen Lage bisher schlecht
deutlich geworden.«
2199 Traurig blickte der getreue Held den an, der ihn so herabgesetzt
hatte. Er dachte: »Das sollst du büßen, daß du mich einen Feig
ling nennst. Du hast das am Hof zu laut gesagt.«
2200 Er ballte die Faust, dann lief er auf ihn zu und schlug den
Hunnen so gewaltig, daß er sofort tot vor seine Füße stürzte.
Dadurch wurden König Etzels Verluste noch vergrößert.
2201 »Weg, du übler Feigling«, rief Rüdiger. »Ich habe wahrlich ge
nug schmerzliches Leid. Wie kannst du mir vorwerfen, daß ich
hier nicht kämpfe? Ja, wäre ich mit den Gästen verfeindet,
2202 hätte ich ihnen alles angetan, was in meiner Macht stünde,
doch ich habe die Kämpfer hierher geführt und habe ihnen
in das Land meines Herrn Geleit gegeben. Deshalb werde ich,
selbst ein Fremder, nicht die Hand zum Kampf gegen sie erhe
ben.«
2204 Doch der edle Ritter antwortete: »Er hat mich beleidigt, meine
Ehre angegriffen und mir Undank für mein Gut, das ich reich
lich von dir empfangen habe, zum Vorwurf gemacht. Das ist
dem Lügner schlecht bekommen.«
704 36. A V EN T IU R E
2207 Ich man iuch der genaden, und ir mir habt geswam,
do ir mir zuo Ezelen her ze lande rietet varn.
daz ir mir woldet dienen an unser eines tot
des enwart mir armen wibe nie so grozliche not.«
2208 »Daz ist ane lougen, ich swuor iu, edel wip,
ich wolde durch iuch wagen die ere und ouch den lip.
daz ich die sele vliese, des enhan ich niht gesworn.
ja braht ich her ze lande die iwern brüeder wol geborn.«
2205 Kriemhild saß neben Etzel und hatte auch gesehen, was dem
Hunnen durch des Recken Zorn zugestoßen war. Sie klagte un
mäßig darüber, ihre Augen waren voller Tränen. Dann sagte sie
zu Rüdiger: »Womit haben wir das verdient,
2206 daß ihr mir und dem König unser Leid noch vergrößert? Nun
habt ihr, Rüdiger, doch bisher immer versichert, ihr wolltet
Ehre und Leben für uns wagen. Ich habe gehört, daß euch viele
von den Recken in den höchsten Tönen loben.
2207 Jetzt erinnere ich euch an die Hilfe, die ihr geschworen habt, als
ihr mir rietet, hierher in Etzels Land zu ziehen. Der Schwur be
sagte, daß ihr mir dienen wolltet, bis einer von uns stirbt. Noch
nie habe ich arme Frau diese Hilfe so dringend gebraucht.«
2208 »Ich leugne nicht, edle Frau, geschworen zu haben, daß ich
Ehre und Leben für euch wagen wollte. Daß ich aber bereit bin,
mein Seelenheil dabei zu verlieren, habe ich nicht geschworen.
Euren wohlgeborenen Brüdern habe ich in dieses Land das
Geleit gegeben.«
2213 D o b a t e n si g e n o te , d e r k u n i c u n d o u c h s in w ip .
d e s m u o s e n s id e r d e g e n e V erlie sen d e n lip
vor Rüedegeres handen, da ou ch der heit erstarp.
ir m uget daz balde hoeren, daz er v il jaem erlich en w arp.
2212 Was ich auch tue oder lasse, in jedem Fall habe ich schlecht und
falsch gehandelt. Lasse ich aber beides, dann wird mich alle
Welt beschimpfen. Nun möge mir der einen Weg zeigen, der
mir das Leben gegeben hat.«
2213 Der König und auch seine Gemahlin baten ihn ganz eindring
lich. Deshalb mußten später viele Kämpfer von Rüdigers Hand
das Leben verlieren, bevor der Held selbst umkam. Ihr könnt
nun hören, wie bewegend er um Verständnis warb.
2215 Dann sagte der Markgraf Rüdiger, der tapfere Mann: »Herr Kö
nig, nehmt alles zurück, was ich von euch zu Lehen habe, Land
und Burgen, davon will ich nichts behalten. Ich will zu Fuß in
die Fremde gehen.
2216 Besitzlos verlasse ich eure Länder. Nur meine Frau und meine
Tochter nehme ich an der Hand mit. Bevor ich als Treuloser
sterbe, verzichte ich lieber auf euer rotes Gold.«
2217 Da antwortete König Etzel: »Wer würde mir dann helfen? Das
Land und die Burgen, alles schenke ich dir, damit du, Rüdiger,
mich an meinen Feinden rächst. Du sollst neben mir ein mäch
tiger König werden.«
221 8 Doch Rüdiger entgegnete: »Wie könnte ich das tun? Ich habe
die Burgunden in mein Haus eingeladen, ihnen in Treue Speise
und Trank und meine Geschenke gegeben. Soll ich sie nun tot
schlagen?
708 3 6 . AVEN TIURE
2223 Ich weiz wol, daz noch hiute mine burge und miniu lant
iu ledech müezen werden von ir etesliches hant.
ich bevilhe iu uf genade min wip und min chint
und die vil eilenden, die da zen Bechelaren sint.«
2224 »Nu Ion dir got, Rüedeger«, sprach der kunic do.
er und diu kuniginne si wurden beidiu vro.
»uns suln dine Hute vil wol bevolhen wesen.
ouch getrowe ich mime heile, daz du mäht selbe wol genesen.«
RÜDIGERS KA MPF UND TOD 709
2219 D ie Leute glauben vielleicht, ich sei feige. D och ich habe den
B u rgu n d en m einen D ienst zugesichert. W enn ich jetzt gegen sie
käm p fe, w äre das eine schw ere V erfehlung. A uch steht die ver
w an d tschaftliche B in d u n g , d ie ich m it ihnen eingegangen bin,
dem entgegen.
2221 D a r a u f sagte w ied eru m K riem h ild : »E dler R üdiger, nun er
b arm e d ich über un ser beid er L eid, m ein es u n d auch das des
K ön igs! Beden ke dabei, daß n iem als ein Landesherr so fu rch t
bare G äste hatte.«
2223 Ich w eiß gen au, daß m ein e B u rgen und L än der noch heute an
euch zu rückfallen , w en n ich von der H an d irgendeines G egners
sterbe. E urer G n ad e befehle ich m eine Frau und m ein Kind und
alle Frem d en , die in Bechelarn sind.«
2225 Do liez er an die wage die sele und ouch den lip.
do begunde weinen daz Ezeln wip.
er sprach: »ich wil iu leisten, als ich gelobet han.
owe der minen friunde, die ich leider muoz bestan!«
2231 »Nu wol mich solher friunde«, sprach Giselher der degn,
»die wir han gewunnen her uf disen wegn.
wir suln mines wibes vil wol geniezen hie.
mir ist liep uf mine triwe, daz ie der hyrat ergie.«
RÜDIGERS KAM PF UN D TOD 711
2225 Nun setzte Rüdiger Leib und Seele aufs Spiel. Etzels Gemahlin
fing an zu weinen. Er sagte: »Ich werde euch jetzt leisten, was
ich versprochen habe. O weh über meine Freunde, daß ich sie
nun gegen meinen Willen angreifen muß!«
2226 Schm erzerfüllt sah m an ihn von dem K ö n ig Weggehen. Ein Teil
seiner Recken stand in d er N ähe, un d er befahl ihnen: »B ew aff
net euch, alle m ein e Leute. Z u m ein em Leidw esen m üssen w ir
die tapferen B u rgu n d en angreifen.«
2227 Sofort brachte man den Kriegern ihre Waffen. Helm und Schild
wurden ihnen von ihrer Dienerschaft dorthin getragen. Dann
hörten die kühnen Fremden die schmerzliche Nachricht.
2229 Alsbald sah man Rüdiger mit dem Helm auf dem Kopf heran
kommen. Die Männer im Gefolge des Markgrafen trugen
scharfe Schwerter und glänzende Schilde in den Händen. Das
beobachtete der Fiedler, und es erschreckte ihn maßlos.
2231 »Wie gut, daß mir solche Freunde beistehen, die wir auf dieser
Reise gewonnen haben«, sagte Giselher, der Kämpfer. »Die Ver
wandtschaft, die sich durch meine Heirat ergeben hat, bringt
uns hier großen Vorteil. Ich bin wirklich froh, daß die Ehe
geschlossen wurde.«
712 3 6 . AVEN TIURE
2236 »N une w elle got von him ele«, sprach G u n th er der degen,
»daz ir iuch suit genaden n och an uns bew egen
und der vil grozen triw e, der w ir doch heten m uot!
ich w il iu des baz getrow en, daz ir ez n im m er getuot.«
2232 »Ich w eiß nicht, w o h er ihr die Zuversicht nehm t«, w andte der
Sp ielm an n ein. »Wo habt ihr jem als im Z eich en des Friedens so
viele Recken m it H elm en a u f dem K o p f gesehen, die Schw erter
in d er H an d trugen? R ü d iger w ill sich seine Burgen un d Länder
im K a m p f gegen uns verdienen.«
2233 B evo r der Fied ler ausgeredet hatte, sah m an auch sch on den
edlen M ark grafen v o r d em H aus. E r stellte seinen prächtigen
Sch ild v o r seine Füße. D an n m uß te er den G ästen D ienst und
G ru ß versagen.
2235 Ü b er diese N ach rich t ersch raken die bedrängten M än ner. Sie
hatten den H elfer verloren , den sie im H un n enland zu haben
glaubten . D er n un gegen sie käm p fen w ollte, dem w aren sie
freu n d sch aftlich verbu n d en . Feinde hatten ihnen doch schon
m eh r als gen u g zugesetzt.
2237 »Ich kann m ich nicht anders verhalten«, sagte der kühne M ann.
»Ich m u ß m it eu ch käm p fen , denn ich habe es gelobt. N un
w eh rt euch , tapfere K äm pfer, w enn euch euer Leben lieb ist.
K ö n ig Etzels G em ah lin w ar nicht bereit, m ich von m einen
Pflichten zu entbinden.«
714 36. AVEN TIURE
2239 Falls ihr uns am Leben laßt, w erden ich un d m eine Verw andten
euch ew ig für alles d an kb ar sein, beson ders fü r die herrlichen
A bschied sgeschen ke, die ihr uns gegeben habt, b evor ihr und
eure Leute un s freund lich zu diesem Fest führtet.«
2240 »Wie seh r w ün sch te ich«, sagte R üdiger, der K äm pfer, »daß ich
euch m ein e G ab en noch oft reichlich un d bereitw illig anbieten
kön n te, w ie ich es geh offt hatte. D an n w ü rd e ich d afü r auch
n icht geschm äht w erden.«
2242 »W ollte G o tt, edler G ern ot« , sprach R üdiger, »ihr w äret am
R h ein un d ich w äre ehrenvoll um s Leben gekom m en ! D a ich
ab er n un gegen euch k äm p fen soll, m uß ich sagen, daß noch
nie K äm p fern von Freun d en Schlim m eres angetan w urde.«
2245 Wenn ihr nicht aufgebt, uns anzugreifen, und auch nur einen
meiner Freunde erschlagt, die ich hier drinnen noch habe,
nehme ich euch das Leben mit eurem eigenen Schwert. Dann
tut ihr mir leid und eure wunderbare Gemahlin auch.«
2246 »Bei G ott, H err G e m o t, m öge euer W unsch in Erfü llu n g gehen,
d aß alle eure Freu n d e m it d em Leben d avon k om m en . Euch
kön n ten sich m ein e Tochter un d m ein e Frau d an n sehr w ohl
an vertrau en.«
2247 Nun antwortete Giselher, der edlen Ute Sohn: »Weshalb tut ihr
das, Herr Rüdiger? Alle, die mit mir gekommen sind, die sind
euch gewogen, ihr führt euch schlimm auf. Wollt ihr eure Toch
ter so früh zur Witwe machen?
2249 »Denkt an eure Treue, edler und erhabener König, wenn Gott
euch wieder fortziehen läßt«, sagte Rüdiger. »Laßt eure junge
Frau nicht für mich büßen. Um der Tugend aller Fürsten willen,
seid ihr gnädig.«
2250 »Das würde ich mit gutem Grund tun«, antwortete der junge
Giselher. »Doch wenn meine edlen Verwandten, die noch hier
im Saal sind, durch euch umkommen, dann muß die feste
verwandtschaftliche Bindung zu euch und meiner Frau gelöst
werden.«
2251 »Jetzt sei Gott uns gnädig!« sprach der tapfere Mann. Dann
hoben sie die Schilde, um in Kriemhilds Saal gegen die Gäste
zu kämpfen. Da rief Hagen mit lauter Stimme von der Treppe
herab:
718 3 6. AV ENTIURE
2253 Ich habe eine groß e Sorge, edler, freigebiger Fürst: D ie M ark-
gräfin gab m ir diesen w ertvollen Schild; den haben m ir die
H u n n en am A rm zerschlagen. Ich hatte ihn in freundschaftli
ch er A bsicht h ierher in Etzels L an d gebracht.
2259 Ich jedenfalls zeige mich für das Geschenk erkenntlich«, sagte
Hagen, der Kämpfer, »indem ich euch nichts Böses zufüge und
niemals im Kampf meine Hand gegen euch erhebe, selbst wenn
ihr alle Burgunden erschlagen solltet.«
2261 Auch der Spielmann Volker rief aus dem Haus herab: »Da mein
Kampfgefährte Hagen euch Frieden gelobt hat, sollt ihr diesen
genauso unverbrüchlich von meiner Hand zugesichert bekom
men. Das habt ihr wohl verdient, als wir in dieses Land gekom
men sind.
2262 Edler Markgraf, ihr sollt mein Bote sein. Diese rotgoldenen
Armreife hat mir die Markgräfin geschenkt, damit ich sie hier
auf dem Fest trage. Das habe ich getan, ihr könnt es bezeugen.«
2264 Als er ihm das versprochen hatte, hob Rüdiger seinen Schild, er
geriet in höchste Erregung. Dann wartete er nicht länger, er
rannte gegen die Gäste an, wie es ein Recke zu tun pflegt. Viele
gewandte Schwertschläge teilte der mächtige Markgraf aus.
2265 Volker und Hagen wichen beide zurück, denn die tapferen
Kämpfer hatten es ihm gerade gelobt. Doch fand Rüdiger einen
ebenso kühnen am Turm stehen, so daß er den Kampf mit
großer Besorgnis begann.
722 3 6 . AVEN TIURE
2267 D an n stü rm ten die Leute des M ark grafen a u f die Feinde los.
M an sah sie k äm p fen d ihrem H errn folgen. Sie trugen ihre
sch arfen Sch w erter in d er H an d . D am it zerschlugen sie viele
H elm e un d herrliche Schilde.
2269 D as edle G efo lge w ar inzw ischen vollstän dig in den Saal einge
d ru n gen . V olker u n d H agen spran gen eilig herbei. Sie gew äh r
ten n iem an d em Fried en bis a u f den einen M an n . V on ihren
Schlägen rann das Blut durch die H elm e hinab.
2274 Ez w as der starche G ern ot, den heit den rie f er an,
er sprach zem m arcgraven: »ir w elt m ir m in er m an
niht genesen lazen, vil edel Riiedeger,
daz m üet m ich ane m aze, ine chans niht an gesehn mer.
2274 Es w ar der starke G ern ot, der rie f zu dem H elden h in über und
sagte zu d em M ark grafen : »Ihr w ollt m ir m ein e M än n er nicht
am Leben lassen, ed ler R ü d iger, das trifft m ich m aßlos. Ich
kan n es n icht län ger m it ansehen.
2277 D och ihre Schw erter w aren so scharf, daß es nichts nützte. D a
tra f R üdiger, der K äm pfer, G ern ot durch den steinharten H elm ,
daß das Blut herabfloß . D ies vergalt ih m der kühne un d tü ch
tige R itter voller Kam pfeifer.
2280 D o sprach der heit von Tronege: »ez ist uns übel chom en .
w ir haben an in beiden so starchen schaden gen om en ,
den n im m er ub erw in d en t ir liute un d ouch ir lant.
die Rüedegeres degene die m üezen nu sin un ser pfant.«
2280 D a sagte d er H eld von Tronje: »D as ist ein sch lim m er Schlag
fü r uns. W ir haben d urch ihrer beider Tod so schweren Schaden
erlitten, daß ihn ihre Leute un d ihre L än der niem als verw inden
w erden. W er von R üd igers K äm p fern noch lebt, m uß nun unser
P fan d sein.«
2283 A ls die R ecken sahen, d aß beide tot w aren , m uß ten alle, die
n och lebten, d a fü r b üß en . D er Tod suchte sich begierig sein
G efolge. N icht einer aus Bechelarn blieb am Leben.
2287 »O w eh, w elche B ed rän gn is für m ich!« rie f die G em ah lin des
K ö n igs. »Sie haben viel zu lange m itein an der gesprochen .
U nsere Feinde w ird R ü d igers H an d w ohl nicht treffen. Er w ird
sie w ied er heim ins L and der B u rgu n d en bringen.
2291 W enn ihr das nicht glauben w ollt, soll m an es euch zeigen.«
D as taten sie, um K riem h ild tie f zu verletzen. M an trug den er
schlagenen H elden d o rth in , w o ihn der K ö n ig sehen konnte.
Solches Leid hatte Etzels K äm p fer noch nie getroffen.
2292 Kein D ich ter hätte sch riftlich o d er m ü n d lich in W orte fassen
k ön n en , m it w elchen G ebärd en Frauen und M än n er die Q ual
ihres H erzens d ort zum A u sd ru ck brachten, als sie den L eich
nam des M ark grafen erblickten.
730 3 6 . AVENTIURE
2293 D a w u rd e Etzels Schm erz so heftig und so groß, daß der m äch
tige K ö n ig seine herzzerreiß ende K lage gleichsam m it der
S tim m e eines Löw en herausbrüllte. D as gleiche tat seine Frau.
Sie klagten u n m äß ig u m den edlen Rüdiger.
37- AVENTIURE
AVENTIURE WIE DES HERREN DIETRICHES RECKEN
ALLE WURDEN ERSLAGEN
2294 Überall hörte man so lautes Klagen, daß Palas und Türme von
dem Geschrei widerhallten. Das vernahm auch ein Gefährte
Dietrichs von Bern. Eilig machte er sich auf, die schreckliche
Nachricht zu melden.
2295 Er sprach zu dem Fürsten: »Mein Herr Dietrich, auch wenn ich
bereits viel erlebt habe, eine solche Klage wie diese habe ich
noch nie gehört. Ich glaube, König Etzel selbst ist tödlich ge
troffen.
2296 Wie könnten sonst alle derart von Schmerz erfüllt sein? Der
König oder Kriemhild, einer von beiden ist durch die Feind
schaft der kühnen Gäste getötet worden. All die vortrefflichen
Kämpfer weinen so heftig.«
2298 Der kühne Wolfhart entgegnete darauf: »Ich will hingehen und
fragen, was sie getan haben, und dann, mein lieber Herr, wenn
ich es recht herausfinde, will ich euch berichten, was geschehen
ist.«
734 37- A V E N T I U R E
2299 Do sprach der herre Dietrich: »swa man zornes sich versiht,
ob ungefüegiu vrage denne da geschiht,
daz betrüebet recken vil lihte danne ir muot.
jane wil ich niht, Wolfhart, daz ir die vrage da zin tuot.«
2302 Die mit im dar in chomen, der ist einer niht genesen.«
done chunde Helpfriche leider nimmer wesen.
jane sagt er siniu maere so reht ungerne nie.
der bote do hin widere vil sere weinende gie.
2304 Do sprach der heit von Berne: »daz ensol niht wellen got.
daz waer ein starchiu rache und ouch des tiufels spot,
wa mite hete Rüedeger an in daz verschob?
ja ist mir daz wol chünde, er ist den Burgonden holt.«
KAM PF UND TOD VON DIETRICHS GETREUEN 735
2300 Dann bat er Helfrich, schnell hinzugehen und bei Etzels Leuten
oder bei den Gästen selbst herauszufinden, was vorgefallen war.
Der hatte noch nie Menschen in so großem Leid gesehen.
2301 Alsbald fragte der Bote: »Was ist hier geschehen?« Da sagte man
ihm: »Alle Freude, die wir im Land der Hunnen hatten, ist ganz
und gar zerstört. Hier liegt Rüdiger von der Hand der Burgun-
den erschlagen.
2302 Von denen, die mit ihm den Saal betreten hatten, ist keiner mit
dem Leben davongekommen.« Helfrich hätte nicht schmerz
licher getroffen werden können. Wirklich, nie überbrachte er
eine Nachricht so widerwillig. Heftig weinend ging der Bote
wieder fort.
230 4 Da sprach der Held von Bern: »Das darf Gott nicht wollen. Es
wäre eine ungeheure Rache und zugleich des Teufels Spott.
Womit sollte Rüdiger das an den Burgunden verschuldet ha
ben? Ich weiß doch genau, daß er mit ihnen freundschaftlich
verbunden war.«
736 37- A V E N T I U R E
2309 D o garte sich der w ise durch des tum ben rat.
e iz erfiin d e H ildebran t, do w aren in ir w at
alle D ietriches recken un d truogen sw ert enhant.
dem helde w as iz leide, vil gerne het erz erw ant.
2305 »Wenn sie es wirklich getan haben«, rief da der kühne Wolfhart,
»dann sollen sie alle ihr Leben verlieren. Ließen wir das auf sich
beruhen, wäre es für uns eine Schande. Wahrhaftig, der edle
Rüdiger hat uns treue Dienste geleistet.«
2309 Da rüstete sich der kluge Alte auf den Rat des unbesonnenen
jungen Mannes. Bevor Hildebrand es merkte, waren alle
Recken Dietrichs in ihren Rüstungen und hielten ihr Schwert
in der Hand. Der Held bedauerte das, sehr gern hätte er es ver
hindert.
2311 Als der kühne Volker die Recken von Bern, Dietrichs Leute, voll
gerüstet mit umgegürteten Schwertern und den Schilden in der
Hand näherkommen sah, meldete er es seinen Herren aus dem
Burgundenland.
738 37- A V E N T I U R E
2314 Mich hat min herre Dietrich her zuo ziu gesant,
ob erslagen hete iwer deheines hant
den edeln marcgraven, als uns ist geseit.
wir enchunden uberwinden niht diu groezlichen leit.«
2312 Der Fiedler sagte: »Ich sehe dort Dietrichs Leute feindlich her
annahen, sie sind bewaffnet und tragen ihre Helme. Sie wollen
uns angreifen. Ich frage mich, was wir den Recken getan ha
ben.«
2315 Darauf antwortete der trutzige Hagen: »Die Nachricht ist wahr,
obwohl ich Rüdiger zuliebe wünschte, der Bote hätte gelogen
und der Markgraf, den Männer und Frauen immer betrauern
werden, wäre noch am Leben.«
2316 Als sie vollständig begriffen hatten, daß er tot war, da beklag
ten ihn die Kämpfer, wie es ihnen ihre Treue gebot. Man sah,
daß Dietrichs Leuten die Tränen über Bart und Kinn liefen.
Schreckliches Leid hatte sie getroffen.
2317 Schließlich sagte der Herzog Siegestab aus Bern: »Nun hat die
Ruhe ein Ende, die uns Rüdiger nach unseren leidvollen Tagen
verschafft hat. Ihr Kämpfer habt die Freude aller vertriebenen
Völker zerstört.«
2318 Wolfwin, der Kämpfer der Amelungen, sprach: »Und wenn ich
heute meinen Vater tot vor mir sähe, wäre ich nicht tiefer
betroffen als durch Rüdigers Tod. O weh, wer wird nun die
Gemahlin des guten Markgrafen trösten?«
740 37- A V E N T I U R E
2324 »Wie lange suln wir vlegen?« sprach Wolfhart der degen.
»sit unser trost der beste ist von iu tot belegen
und wir sin leider mere mugen niht gehaben,
lat in uns tragen hinnen, da wir den recken begraben.«
2319 Der kühne Wolfhart fugte voller Zorn hinzu: »Wer führt jetzt
die Kämpfer in den Kriegszügen, wie es der Markgraf so oft
getan hat? O weh, edler Rüdiger, daß ich deinen Tod erleben
muß!«
2321 Gebt uns Rüdigers Leichnam aus dem Saal, sein Tod hat unsere
Freude ganz und gar in Leid verwandelt. Nun laßt uns den
begraben, der uns und vielen Fremden stets in großer Treue
begegnet ist.
2322 Auch wir sind Vertriebene wie der Kämpfer Rüdiger. Warum
laßt ihr uns warten? Wir möchten ihn forttragen, damit wir
dem Mann nach seinem Tode noch Dank abstatten können.
Wir hätten es lieber zu seinen Lebzeiten getan.«
2323 König Gunther sagte: »Es gibt keinen besseren Dienst als den,
den ein Freund seinem Freunde nach dessen Tod erweist. Das
nenne ich unverbrüchliche Treue, wenn einer so handelt. Ihr
dankt ihm zu Recht, denn er hat euch stets Wohlwollen ent
gegengebracht.«
2324 »Wie lange sollen wir noch bitten?« rief Wolfhart, der Kämpfer.
»Da unser höchster Trost von euch erschlagen wurde und er
traurigerweise nicht mehr bei uns sein kann, laßt uns den Toten
forttragen, damit wir den Recken begraben.«
2331 »Laßt doch den Löwen los, Meister, er ist ja so grimmig! Wenn
er mir in die Hände fällt«, rief Volker, der tüchtige Held, »werde
ich ihn, selbst wenn er alle Welt eigenhändig erschlagen könnte,
so treffen, daß er nicht mehr dazu kommt, von einem Gegen
schlag zu berichten.«
744 37- A V E N T I U R E
2332 Das stachelte den Zorn der Berner heftig an. Wolfhart, ein ge
wandter, tüchtiger Kämpfer, riß den Schild hoch. Wie ein wilder
Löwe lief er vor ihnen her. Seine Freunde folgten ihm schnell.
2336 Er schlug dem Fiedler derart auf den festen Helm, daß die
Schwertschneide bis zu den Spangen drang. Das vergalt ihm der
kühne Spielmann mit aller Kraft. Er traf Wolfhart so hart, daß
er anfing zu wanken.
2338 Der tapfere Gunther empfing die berühmten Helden aus dem
Amelungenland mit kampfbereiter Hand. Der starke Giselher
sorgte dafür, daß viele helle Helme von Blut rot und naß wur
den.
746 37- A V E N T I U R E
2341 D er alte H ild eb ran d käm p fte w u ten tbrann t. V iele tapfere
R ecken fielen d u rch W olfharts Schw erthiebe in das Blut. So
rächten die kü h n en , tüchtigen Recken R ü d igers Tod.
2342 Siegestab von B ern , ach, w ie spaltete der im K am pf, durch seine
K raft getrieben, die harten H elm e seiner Feinde! Besser hätte
sich D ietrich s N effe in d em stürm ischen G efech t nicht schla
gen kön n en .
2344 d u rch den Fied ler a u f d er Stelle sein Leben. D er verstand es,
seine K am p fk u n st d erart einzusetzen, daß Siegestab von seinem
Schw erthieb tot niederfiel. D as rächte der alte H ildebran d, w ie
es ihm seine K raft gebot.
2345 »O w eh, w elch lieber H err liegt hier von Volkers H and ersch la
gen!« r ie f M eister H ild ebran d . »N un soll der Fiedler nicht län
ger am Leben bleiben.« H ild eb ran d s Z o rn konnte nicht größ er
sein.
748 37- AVEN TIURE
2349 »D as soll d er alte H ild eb ran d n un büßen. M ein H elfer liegt hier
von der H an d des H elden erschlagen, er w ar der beste K am p f
gefährte, den überh au p t jem an d haben konnte.« D an n rückte
er den Sch ild höh er u n d stürzte w ild u m sich schlagend davon.
2353 D a r ie f der starke G iselh er W olfhart zu: »O w eh, daß ich einen
so grim m ig en Fein d habe. Edler, tap ferer Ritter, nun w endet
eu ch m ir zu.« Sie prallten m it ungeheu rer K am pfbegierde a u f
einander.
2360 E r sch loß ihn in d ie A rm e u n d w ollte ihn m it sich aus dem Saal
tragen. D o ch er m uß te ihn liegenlassen, denn W olfhart w ar zu
schwer, er fiel ih m au s den H än d en w ied er in das Blut. D a ö ff
nete d er tüchtige K äm p fer n och einm al die A ugen.
2361 »M ein lieber O h eim «, sagte der tödlich Verw undete, »ihr könnt
m ir jetzt n ich t m eh r helfen. N u n n eh m t euch vo r H agen in
acht. W irklich, es scheint m ir w ichtig; denn sein H erz ist von
G rim m erfüllt.
2363 A uch habe ich m ein en Tod h ier d rin n en selbst gerächt, so daß
die Frau en d er tüchtigen R itter d arü b er w einen w erden. W enn
euch jem an d d an ach fragt, kön n t ihr stolz berichten, daß m eine
H an d w ohl hu n d ert M än n er erschlagen hat.«
2366 M it einem breiten Schw ert, das auch sehr sch a rf schnitt, hieb
W olfh arts O h eim a u f H agen von T ron je ein. A b er er konnte
G u n th ers M an n nicht verw u n d en ; doch H agen tra f ihn durch
den sch ön en B ru stp an zer hin durch.
754 37- AVEN TIURE
2367 A ls M eister H ild eb ran d die W unde spürte, fürchtete er, noch
S c h lim m eres von H agen s H an d zu erleiden. D ietrich s M an n
w a r f den Schild a u f den R ücken , un d m it der einen schweren
W und e kam d er H eld gerade noch davon.
2368 D rin n en im Saal w aren , w ie ich gesagt habe, n u r noch die b ei
den, G u n th er u n d sein L ehnsm an n, am Leben. Blutüberström t
brachte d er alte H ild ebran d die schrecklichen N achrichten sei
n em H errn .
2369 E r sah D ietrich trau rig dasitzen. D och n och viel un glücklicher
w u rd e d er Fü rst, als er H ild eb ran d in b lu tiger R ü stu n g er
blickte. E r fragte ihn, w as geschehen w äre, w ie es ihm die Sorge
um seine Leute gebot.
2370 »Sagt m ir, M eister, w aru m seid ihr d erart v o n B lut überström t?
W er hat euch das angetan? Ich fürchte, ihr habt m it den Gästen
im Saal gekäm pft. Ich hatte es euch doch streng verboten , und
deshalb hätte es u n b ed in gt unterbleiben m üssen.«
2371 »Wie schw er es m ir auch fällt, das zu sagen«, antw ortete H ild e
b ran d , »diese W unde hat m ir H agen geschlagen, als ich aus dem
Saal h in au sw ollte. K au m b in ich v o r diesem Teufel m it dem
Leben d avon gekom m en .«
2374 »Weh m ir, w elches L eid, R ü d iger ist w irklich tot! D ieser
Sch m erz üb ertrifït alles andere. D ie edle G otelin d ist die T och
ter m ein er Base. A ch, w as w ird nun aus den arm en W aisen in
B echelarn!«
2377 D ietrich sprach: »M eister H ild ebran d , nun sagt m einen Leuten,
sie sollen sich schnell b ew affnen . Ja, ich w ill d ort hineilen, laßt
m ir m ein e glänzende R ü stu n g brin gen. Ich w erde die H elden
aus dem B u rg u n d en lan d selbst zur Rede stellen.«
2380 W ie kon nte das geschehen«, fragte D ietrich weiter, »daß all die
ru h m vollen H elden d urch die vom K a m p f Erm atteten u m ge
k o m m en sind, ob w oh l sie d och selbst in B ed rän gn is w aren?
W enn m ein U n glü ck nicht auch sie verfolgte, w äre ihnen der
Tod erspart geblieben.
758 37- AVENTIURE
2381 O w eh, lieber W olfhart, daß ich dich verloren habe! Ich kann
n u r tie f b ed auern, daß ich je geboren w urde. Siegestab, W olfw in
u n d auch W olfbran d! W er soll m ir kü n ftig im A m elun gen lan d
beistehen?
2385 D a sagte H agen von Tron je: »Ich sehe d o rt H errn D ietrich
k o m m en , sich er w ill er un s an greifen , n ach dem ihm hier
schw eres Leid zugefiigt w urde. M an w ird heute sehen, w er der
beste K äm p fer ist.
2394 D o sprach der kunec von Rine: »si jäh en w olden tragen
Rüedegeren hinnen, den hiez ich in versagen
Ezeln ze leide, und niht den dinen m an,
unze daz do W olfhart d ar um b e schelten began.«
G U N T H E R S , H A G EN S U N D K R IE M H ILD S TO D 763
2388 V on L eid u n d So rge bew egt, fragte er: »W arum habt ihr euch
so verhalten , m äch tiger K ö n ig G un ther? Ich bin ein frem der,
vertrieb en er Recke, w as habe ich euch getan? Ich bin jetzt, all
m ein er H ilfe b erau b t, a u f m ich allein gestellt.
2389 Euch schien w oh l das Elend noch nicht groß genug, als ihr den
Recken R ü d iger getötet hattet. N u n habt ihr auch m ir noch alle
m ein e getreuen Leute gen o m m en . W ahrhaftig, ich habe euch
d o ch kein d erartiges L eid zugefugt.
2392 »W ahrhaftig, die Sch u ld trifft uns nicht allein«, sagte H agen
d arau f. »Eure K ä m p fe r kam en m it voller R ü stu n g in einer
groß en S ch ar zu d em SaaL Ich glaube, m an hat euch die Sache
nicht richtig dargestellt.«
2395 D o sprach der heit von Berne: »ez m üese et also sin.
G ünther, kunec edele, d u rch die zuhte din
so ergezzet m ich der leide, die m ir sint getan,
und süenez, ritter chüene, so w il ich gar die sch ulde lan.
2400 »N une gew ähent sin niht m ere«, sprach aber H agene,
»von uns enzim t daz m aere niht ze sagene,
daz sich iw er ergaeben zw ene also chüen e m an.
nu siht m an n iem en m ere bi iu w an H ild eb ran d e stan.«
2396 E rg ib d ic h m ir als G e is e l, d u u n d a u c h d e in L e h n sm a n n , d a n n
w e rd e ich e u c h b e sc h ü tz e n , so g u t ich k a n n , d a m it e u c h h ie r
b e i d e n H u n n e n n ie m a n d m e h r etw as an tu t. Ih r w e rd e t e rk e n
n e n , d a ß ich tre u u n d a u fric h tig b in .«
2398 » Ih r so llte t m e in A n g e b o t n ic h t a b le h n e n « , e n tg e g n e te w ie
d e ru m D ie tric h . » G ü n th e r u n d H a g e n , ih r b e id e h a b t m ir H erz
u n d S in n t ie f verletzt. W en n ih r m ic h e n tsch ä d ig e n w o llt, geh t
b illig e rw e ise a u f m e in e n V o rsc h la g ein .
2399 Ich v e rs ic h e re e u c h m e in e T re u e u n d g eb e e u c h m e in e H a n d
d a ra u f, d a ß ich m it e u c h n a ch H a u se in e u e r L a n d reiten w erd e.
Ich b e g le ite e u c h e h re n vo ll, o d e r ich sterb e. U m eu re tw ille n w ill
ich m e in e ig e n e s u n g e h e u re s L e id a u ß e r ac h t lassen .«
2402 »Ja n a e m e ic h e d ie su o n e « , s p ra c h d o H a g e n e ,
»e ih so lä ste rlich e v o n e im e d e g e n e
flu h e , m e iste r H ild e b ra n t, als ir h a b t h ie getan ,
ich w ä n d e , d a r ir k ü n d e t b a z g e in v ia n d e stan .«
2406 » Ja n e lo u g e n t iu d es n ie m e n « , sp ra c h H a g e n e d e r d e g e n ,
»in e w e lle ez h ie v e rsu o c h e n m it Stich en u n d m it siegen ,
ez en si, d az m ir zeb reste d az N ib e lu n g e s sw ert.
m ich m ü et, d a z m in e s h e rre n u n d m in ze g isel ist g eg ert.«
24 0 2 » In d e r T at n ä h m e ic h d e n F r ie d e n s v o rs c h la g e h e r a n « , sagte
H a g e n , »als s o s c h ä n d lic h v o r e in e m K ä m p fe r zu flieh en , M e i
ste r H ild e b ra n d , w ie ih r es h ie r getan h ab t. Ich hatte g eg la u b t,
ih r k ö n n te t F e in d e n b e sse r stan d h alten .«
240« H e r r D ie tric h e rk a n n te g e n a u , d a ß d e r k ü h n e M a n n vo n
fu rc h tb a re m K a m p fe ife r g e p a c k t w ar, u n d d e r H e rr v o n B ern
s c h irm te sic h g e g e n d ie b e d rä n g e n d e n S c h lä g e ab. E r w u ß te
w o h l, d a ß H a g e n ein a u sg e z e ic h n e te r K ä m p fe r w ar.
768 38. AVENTI URE
2412 H a g e n e n b a n t d o D ie tric h u n d fu o rt in , d a e r v a n t
d ie ed eln C h rie m h ild e , u n d g a b ir b i d e r h a n t
d en c h ü e n iste n reck en , d e r ie s w e rt g e tru o c .
n a ch ir v il sta rc h e m le id e d o w a rt ir lie b e g e n u o c .
2414 H e r r D ie tric h a b e r sa g te : » L a ß t ih n a m L e b e n , e d le K ö n ig in !
D a n n ist es n o c h m ö g lic h , d a ß e r a u c h m it se in e m D ie n st fü r
d a s G e n u g tu u n g leistet, w a s e r e u c h a n g e ta n hat. E r so ll n ich t
d a fü r m it s e in e m L e b e n b e z a h le n , d a ß e r jetz t g e b u n d e n v o r
e u c h steh t.«
2419 S it tw a n g in d e r v o n B e rn e , sa m H a g e n e n e g e sc h a c h .
d a z b lu o t m a n d u rc h d ie rin g e d e m h e ld e v lie z e n sach .
v o n e im e sc h a rp fe n sw erte, d a z tru o c h e r D ie tric h ,
d o c h h et g e w e rt G u n th e r n ach m ü e d e lo b e lic h e sich .
2421 D e r v o g t v o n B e rn e d e r n a m in b i d e r h an t,
d o b ra h te r in g e b u n d e n , d a er C h r ie m h ilt van t.
d o w a s m it sim e leid e ir so rg e ein teil b e n o m e n .
si sp ra c h : »c h u n ic G u n th e r, sit m ir g ro z e w ille c h o m e n .«
G U N T H E R S, HAGENS UN D KRIEMHILDS TOD 771
2416 H e r r D ie tric h g in g ih m e n tg e g e n . G u n th e r s K a m p fk ra ft w a r
w e ith in se h r b e rü h m t. E r w artete n ich t länger, s o n d e rn er lie f
v o r d e n Saal. V o n ih re n b e id e n S c h w e rte rn e rh o b sich ein u n g e
h e u re r K a m p flä rm .
2418 D ie K ra ft u n d S tä rk e b e id e r w a re n g ro ß . P a la s u n d T ü r m e
d rö h n te n v o n d e n S c h lä g e n , als sie m it ih ren S ch w ertern a u f d ie
festen H e lm e e in s c h lu g e n . K ö n ig G u n th e r b e sa ß e in e n u n g e
b ro c h e n e n K a m p fm u t.
2420 D e r H e r r w u r d e v o n D ie tric h g e b u n d e n , a u c h w e n n K ö n ig e
n ie m a ls so g e fe sse lt w e rd e n so llten . D ie tric h fü rch tete, w e n n er
es u n te rlie ß e , w ü rd e n d ie b e id e n alle ü b rig e n im L a n d u m
b rin g e n .
2421 D e r H e rr v o n B e r n n a h m G u n th e r an d ie H a n d u n d b ra c h te
ih n g e b u n d e n zu K rie m h ild . S e in e S c h m a c h lin d e rte ih re
S c h m e rz e n ein w e n ig . S ie s p ra c h : » K ö n ig G u n th e r, seid m ir
w illk o m m e n .«
772 38. A V E N TIU R E
2423 D o sprach der heit von Berne: »vil edel kuniges w ip,
ez enw art nie gisel m ere so gu oter ritter lip,
als ich iu, frow e here, an in gegeben han.
nu suit ir die eilenden m in vil w ol geniezen lan.«
2427 D o sprach der grim m e H agene: »diu rede ist gar verlorn ,
vil edeliu kunigin n e. ja han ich des gesw orn,
daz ich den h ö rt iht zeige, die w ile d eheiner lebe
der m inen edelen herren, un d in n iem an n e gebe.«
2431 N u ist v o n B u rg o n d e n d e r ed el k u n e c to t,
G is e lh e r u n d V olker, D a n c h w a rt u n d G e rn o t.
d en h ö rt d e n w eiz n u n ie m e n , w a n g o t u n d e m in .
d e r so i d ich , v a le n d in n e , im m e r w o l v e rh o ln sin .«
2433 S i z o ch ez v o n d e r sc h e id e n , d a z e n c h u n d e r n ih t g e w e rn .
d o d ah te si d e n recken d es lib es vo l b e h e rn .
si h u o b e z m it ir h a n d e n , d a z h o u p t si im a b e slu o c .
d a z sach d e r k u n ic E zele, d o w a s im leid e g e n u o c .
2433 S ie z o g d a s S c h w e rt a u s d e r S c h e id e , o h n e d a ß H a g e n es
v e rh in d e rn k o n n te . Jetzt w o llte sie d e m R e c k e n e n d g ü ltig d as
L e b e n n e h m e n . S ie e r g r if f d a s S c h w e rt m it b e id e n H ä n d e n
u n d s c h lu g ih m d en K o p f ab. K ö n ig Etzel sah d a s m it an u n d
w a r v o n S c h m e rz ü b erw ältig t.
2439 In e c h a n iu c h n ih t b e sc h e id e n , w a z s id e r d a g e sc h a c h ,
w a n ch riste n u n d e h e id e n w e in e n m a n d o sach .
w ib e u n d e k n e h te u n d m a n ig e s c h o e n e m eit,
d ie h eten n a ch ir friu n d e n d iu a lle r g ro z iste n leit.
24 4 0 In e sage iu n u n ih t m e re v o n d e r g ro z e n n o t,
d ie d a erslag en w a re n , d ie lazen lig en tot,
w ie ir d in c h an g e v ie n g e n sit d e r H ü n e n diet.
h ie h at d az m a e re ein en d e, d a z ist d e r N ib e lu n g e liet.
G U N T H E R S , H A G EN S U N D K R IE M H ILD S TO D 111
D a s u m 12 0 0 v o n e in e m u n b e k a n n te n D ic h te r v e rfa ß te Nibe
lungenlied b e ru h t a u f e in e r ja h rh u n d e rte a lte n m ü n d lic h e n H e l
d e n s a g e n tra d itio n . D ie s e g e h t v o n h is to ris c h e n E r fa h ru n g e n
d e r V ö lk e rw a n d e ru n g s z e it ( 4 .- 6 . Ja h rh u n d e rt) a u s, a ls d ie g e r
m a n is c h e n S tä m m e ih re g e s c h ic h tlic h e Id e n titä t u n d B e d e u
t u n g e rla n g te n .
F ü r d en B u rg u n d e n u n te rg a n g , d e r im z w e ite n Teil d e s Nibe
lungenliedes e rz ä h lt w ird , b ild e t d ie v e rn ic h te n d e N ie d e rla g e ,
d ie d e r o s tg e rm a n is c h e S ta m m d e r B u rg u n d e n im K am pf
g e g e n d ie R ö m e r u n d H u n n e n im Ja h re 4 36 e rfa h re n h at, d e n
h is to ris c h e n K ern . D e r K ö n ig u n d e in g r o ß e r T eil d e s V o lk e s
k a m e n u m . D it R ö m e r sie d e lte n d ie Ü b e rle b e n d e n in S a v o y e n ,
im R h o n e g e b ie t, an . D ie se E re ig n isse w u rd e n in d e r E rin n e ru n g
d e s g e rm a n is c h e n S ta m m e s d u rc h u m fo r m e n d e E rz ä h lu n g b e
w ä ltig t u n d b e w a h rt. H ie r - w ie a u c h so n s t in H e ld e n sa g e n -
d ie n e n m e n s c h lic h e A ffe k te (B e sitz - u n d M a c h tg ie r, R a c h e ,
E ife rs u c h t) z u r n a c h trä g lic h e n E r k lä r u n g d e r h is t o r is c h - p o li
tisc h e n V o rg ä n g e . M it H ilfe in te rn a tio n a le r E rz ä h ls c h e m a ta
( B ra u tw e r b u n g , b e trü g e ris c h e E in la d u n g , V e rra t) w ir d ein
H a n d lu n g s a b la u f k o n s tru ie rt. D a b e i rü c k e n im k u ltu re lle n G e
d ä c h tn is u n g le ic h z e itig e F a k te n u n d P e rso n e n z eitlich z u s a m
m e n , z. B . steh t d e r 4 36 u m g e k o m m e n e B u rg u n d e n k ö n ig G u n -
d a h a r iu s / G u n t h e r d e m H u n n e n k ö n ig A ttila /E tz e l g e g e n ü b e r,
d e r erst seit 4 4 1 A lle in h e rrs c h e r w a r u n d 453 sta rb ; b e id e b e g e g
n e n T h e o d e r ic h d . G r./D ie tric h v o n B e rn , d e r 4 9 3 - 5 2 6 als o s t
g o tis c h e r K ö n ig u n d S te llve rtre te r d e s o s trö m is c h e n K a ise rs in
Italien h e rrsch te . D ie H e ld e n sa g e n w a n d e rn v o n ih re m E n tste-
782 ANHANG
h u n g s r a u m in w e ite re G e g e n d e n u n d w e rd e n m it a n d e re n E r
z ä h lu n g e n zu Z y k le n v e rk n ü p ft.
Im Nibelungenlied ist d e r B u rg u n d e n u n te r g a n g m it d e r S a g e
v o n S ie g frie d s Ju g e n d u n d T o d v e rb u n d e n . A n d e rs als b e i d e r
B u rg u n d e n s a g e läß t sich d e r h isto risc h e K ern d e r S ie g frie d s a g e
n ich t g e n a u b e s tim m e n . W a h rsc h e in lic h lieg t d e r A n s to ß z u m
E rz ä h le n in d e r m e ro w in g is c h e n G e s c h ic h te d e s 6. Ja h r h u n
d e rts. D o r t ta u c h e n d e r N a m e B r u n ic h ild u n d V e r w a n d te n
m o rd e au f. A u ß e rd e m sin d m it S ie g frie d in d en S a g e n u n d im
Nibelungenlied m y th isc h e , a n d e rw e ltlic h e M o tiv e v e rb u n d e n .
D e r H e ld e rsc h e in t als D ra c h e n tö te r, er b esitzt e in e n u n e r m e ß
lich e n Sch atz, e in e T a rn k a p p e , u n d ist fast u n v e rw u n d b a r d u rc h
d as B a d im D ra c h e n b lu t. D e n n o c h g e lin g t es, ih n zu e rm o rd e n .
D e r B u rg u n d e n u n te rg a n g w ird als R a c h e a k t fü r d ie se M o rd ta t
erk lä rt: K rie m h ild rä c h t d e n T o d ih re s ersten M a n n e s a n ih ren
V e rw a n d te n , d ie fü r d en M o r d v e ra n tw o rtlic h sin d . D ie H a n d
lu n g sb e d in g u n g e n e rg e b e n sich d u rc h ih re zw eite E h e m it K ö
n ig Etzel. H in te rh ä ltig lädt sie ih re B r ü d e r in s H u n n e n re ic h ein ,
w o sie ü b e r g ro ß e M a c h t v e rfü g t.
D ie se n B e g rü n d u n g s z u s a m m e n h a n g h at w o h l d e r Nibelun
genlied-Dichter a m E n d e d es 12 . Ja h rh u n d e rts g e sc h a ffe n . In
e in e r älteren F a s su n g d e r B u rg u n d e n u n te rg a n g s s a g e , d ie d as
AlteAtlilied d e r Edda erzäh lt (im 9. Ja h rh u n d e rt e n tsta n d e n , im
13. Ja h rh u n d e rt ü b e rlie fe rt), tö tet A tli/E tz e l d ie B u rg u n d e n -
k ö n ig e , u m in d en B esitz ih res S ch a tz e s z u k o m m e n . A tlis G e
m a h lin , d ie S c h w e ste r d e r B u rg u n d e n , räch t d en T o d ih re r V e r
w a n d te n an d e m H u n n e n k ö n ig . A u c h fü r d ie se S a g e n fa s s u n g
ist ein h is to ris c h e r K ern zu e rk e n n e n : A ttila sta rb 453 in d e r
H o c h z e itsn a ch t an d e r Seite e in e r G e rm a n in H ild ic o . D ie h isto
risch e E r k lä r u n g se in e s T o d es d u rc h e in e n B lu ts tu rz w ir d als
M o rd u m g e d e u te t. E n tsta n d e n d e n k t m a n sich d ie U n te rg a n g s
sag e im sa v o y isc h e n B u rg u n d e n re ic h . V o n d o rt w a n d e rte sie
n ach D e u ts c h la n d , S k a n d in a v ie n , Ita lie n , w ie b ild lic h e Z e u g
n isse u n d b e z u g n e h m e n d e sc h riftlic h e W e n d u n g e n b e le g e n , d ie
a u f m ü n d lic h e r T ra d itio n b e ru h e n .
ANHANG 783
E tzel; d e r Z u g d e r B u rg u n d e n in s H u n n e n la n d a u fg r u n d v o n
K r ie m h ild s h in te rlistig e r E in la d u n g ; d e r A u s b ru c h d e r K ä m p fe
z w isc h e n H u n n e n u n d N ib e lu n g e n , als a u f K rie m h ild s V e ra n
la ss u n g d ie b u r g u n d is c h e n K n a p p e n ü b e rfa lle n w e rd e n u n d
H a g e n z u r V e rg e ltu n g E tzels S o h n O rtlie b tötet; d ie u n a u fh a lt
sa m e E s k a la tio n d e r K ä m p fe b is z u m T o d a lle r B u rg u n d e n u n d
u n z ä h lig e r an d erer.
D a s h ö fis c h e Z e re m o n ia lh a n d e ln u m fa ß t B e g rü ß u n g e n , A b
sc h ie d e , Feste, K irc h g ä n g e , R e ise n , K ä m p fe , e in e Ja g d u n d im
m e r w ie d e r d ie A u s s ta ttu n g m it K le id e rn u n d R ü s tu n g e n s o w ie
d ie M in n e b e z ie h u n g z w isc h e n S ie g frie d u n d K rie m h ild . D ie se
P a ssag en v e ra n k e rn d ie H a n d lu n g in d e r lite ra risch id e a lisie rte n
h ö fis c h e n L e b e n sw e lt.
K o n tra s tiv zu d e m G la n z d e r H ö fe u n d zu d e r H o c h s tim
m u n g ih re r A n g e h ö rig e n m a c h t d e r E rz ä h le r v o n A n fa n g an d ie
D e te rm in a tio n d e r v o rg e tra g e n e n G e s c h ic h te zu T o d u n d U n
te rg a n g d e u tlic h . Z u n e h m e n d s u m m ie re n sich M o tiv e , d ie zu
d e m fa ta le n V e r la u f b e itra g e n u n d d e n U n te rg a n g b e g rü n d e n .
A lle rd in g s w e rd e n an v e rsc h ie d e n e n S tellen A lte rn a tiv e n a n g e
s p ro c h e n , d ie d e m G e sc h e h e n e in e n a n d e re n V e r la u f g e g e b e n
h ä tte n : Z . B . h ä tte n d ie K ö n ig s b r ü d e r G e r n o t u n d G is e lh e r
ih re n S c h w a g e r S ie g frie d v o r d e r fü r ih n tö d lic h e n Ja g d w a rn e n
k ö n n e n , d e r E rz ä h le r ta d e lt ih r V e rh a lte n . - D ie B u rg u n d e n
h ä tte n d e n Ü b e rle g u n g e n H a g e n s, d e n W a rn u n g e n ih re s K ü
c h e n m e is te rs u n d d e n e n d e r z u k u n fts k u n d ig e n W a sse rfra u e n
fo lg e n u n d d e n Z u g in s H u n n e n la n d u n te rla sse n k ö n n e n . -
W ä re Etzel ü b e r K rie m h ild s R a c h e v o rh a b e n in fo rm ie rt w o rd e n ,
h ätte e r d ie K ä m p fe v e rh in d e rt, je d o c h a u s Ü b e rm u t k lä rt ihn
n ie m a n d a u f. Z w a r sin d d iese A lte rn a tiv e n g e g e n ü b e r d e m v o r
g e g e b e n e n V e r la u f d e r G e s c h ic h te le d ig lich G e d a n k e n s p ie le , sie
d e u te n a b e r a n , d a ß d ie U n te rg a n g sd e te rm in a tio n n ic h t u n a u s
w e ic h lic h g e w e se n ist. D o c h d ie u n m e n s c h lic h e E sk a la tio n vo n
G e w a lt, T ö tu n g s a k te n u n d V e rg e ltu n g setzt sich fo rt, u n d sie
w ir d im m e r w ie d e r b e w u ß t v o n d e n B e teilig ten v e ra n tw o rte t.
D e r E rz ä h le r k o m m e n tie r t d a s a u f L e id u n d g e w a ltsa m e n
788 ANHANG
Im V e rg le ic h zu d en a n d e re n F a s su n g e n zeig t d e r C -T ext
e in e n a n d e re n , fo rtg e sc h ritte n e re n B e a rb e itu n g s g ra d der
sc h riftlic h e n D ic h tu n g . D ie V e rsio n d e r H a n d s c h rift C b esitzt
112 z u sä tz lic h e S tro p h e n (u m g e k e h rt h a b e n a u c h 45 in d e n
H a n d sc h rifte n A u n d B v o rh a n d e n e S tro p h e n in C k e in e E n t
sp re c h u n g ). A u ß e rd e m sin d z a h lre ich e W ö r te r u n d S tr o p h e n
teile v e rä n d e rt. A ls A u s w irk u n g d e r B e a rb e itu n g läß t sich e rk e n
nen, daß U n s tim m ig k e ite n d e s T extes b e se itig t, fe h le n d e
M o tiv ie ru n g e n erg ä n zt, ra tio n a lisie re n d e E rlä u te ru n g e n e in g e
fu g t, n e u e B e w e rtu n g sa k z e n te gesetzt u n d d ie K o m m u n ik a t io n
z w isc h e n E rz ä h le r u n d an g e re d e te n H ö re rn in te n siv ie rt w o rd e n
sin d . Z . B. stellt sich S ie g frie d b ei B r ü n h ild als eigenmann (zu
D ie n s t v e rp flic h te te r U n fre ie r) v o r u n d n ic h t w ie in d e r F a ssu n g
d e r St. G a lle r H a n d s c h rift als man (w a s E ig e n m a n n , D ie n s t
m a n n o d e r fre ie r L e h n sm a n n , V asall b ed eu ten k a n n ). D u rc h d ie
P rä z isie ru n g k n ü p ft B r ü n h ild s sp ä te re D ie n s tfo rd e r u n g o h n e
w e itere H e ra b se tz u n g d ire k t an S ie g frie d s S ta n d e slü g e an . E in e
C -e ig e n e S tro p h e (Str. 2 1) v e rm e rk t, d a ß b ei d e r D a rs te llu n g
v o n S ie g frie d s Ju g e n d se in e A b e n te u e r im N ib e lu n g e n la n d
z u n ä c h st a u sg e sp a rt b le ib e n ; d a m it re a g ie rt d e r R e d a k to r o ffe n
b a r a u f E rw a rtu n g e n v o n H ö re rn , d ie d ie S ag e k e n n e n . F ü r d as
e rs ta u n lic h e Ü b e rle b e n d e r B u rg u n d e n b e im S a a lb ra n d w ird
e in e E r k lä r u n g d u rc h d ie g e w ö lb te R a u m fo r m g e g e b e n (Str.
2 17 8 ). N e u e c h ristlich ge tö n te B e w e rtu n g e n e rfo lg e n z u g u n ste n
v o n S ie g frie d u n d K rie m h ild u n d z u u n g u n ste n v o n H ag en : E in e
Z u s a tz s tro p h e (Str. 9 73) p re ist S ie g frie d als in allen T u g e n d e n
v o llk o m m e n , o h n e je d e F a lsc h h e it, im G e g e n s a tz zu d e r U n
tre u e d e r M ö rd e r. Im B lic k a u f K rie m h ild s R a c h e h a n d e ln w ird
m e h rm a ls e rk lä rt, d a ß sie n u r d e n T o d H a g e n s, a b e r n ic h t e in e
A u s w e itu n g d e r K ä m p fe g e w o llt h ab e. D e r T eu fel w ird fü r
d en a n d e rs a rtig e n V e r la u f v e ra n tw o rtlic h g e m a c h t (Str. 2 14 3 ).
K rie m h ild s u n v e rs ö h n lic h e R a c h e a b sic h t w ird n a c h d rü c k lic h
m it ih re m tiefen L e id u n d ih rer T re u e zu S ie g frie d b e g rü n d e t.
D e m g e g e n ü b e r e rsc h e in t H a g e n in v e rsc h ie d e n e r H in s ic h t als
treu lo s. E r ist b e sitz g ie rig u n d p ro v o z ie rt sc h ließ lich d ie T ö tu n g
ANHANG 791
Zur Übersetzung
(S in g u la r u n d P lu ra l) w ird in d e r v o rlie g e n d e n Ü b e rs e tz u n g je
n a c h K o n te x t v a r iie r e n d ü b e rtra g e n (M a n n , L e u te , B e g le ite r,
G e fä h r te u. a .). N u r an w e n ig e n S tellen läß t es sich als L e h n s
m a n n /L e h n s le u te o d e r D ie n s tm a n n / D ie n s tle u te p rä z isie re n .
O ft b e z e ic h n e t es z u s a m m e n fa s s e n d U n te rg e b e n e , K ä m p fe r,
A n g e h ö rig e o d e r d ie G e sa m th e it d es G e fo lg e s , b e s o n d e rs in d e r
mage unde man. V e rm ie d e n sin d b ei d e r Ü b e rse tz u n g
F o rm e l
von man d ie W ö r te r G e fo lg s m a n n / G e fo lg s le u te u n d a u c h G e
fo lg s c h a ft, d a d ie s e B e g r iffe h is to ris c h a u f d ie g e rm a n is c h e n
R e c h ts v e rh ä ltn is s e (d e n G e fo lg s c h a fts v e r b a n d ) b e z o g e n u n d
fü r d a s im Nibelungenlied e n tw o rfe n e G e se llsc h a ftsb ild u n a n
g e m e sse n sin d . - F ü r a n d e re o ft g e b ra u c h te W ö r t e r w e rd e n
d ie B e d e u tu n g s ä q u iv a le n te in d e r Ü b e rs e tz u n g v a riie rt, e tw a
küene : k ü h n , tap fer, m u tig u n d edel : a d lig , ed el (im ü b e r tr a
g e n e n S in n ), gu t. - S a c h b e z e ic h n u n g e n , d ie fü r d e n h ö fisc h e n
L e b e n s ra u m k e n n z e ic h n e n d sin d , w e rd e n als T e rm in i b e ib e h a l
ten , z. B . palas : P a las fü r d a s H a u p tg e b ä u d e e in e s B u rg b e z irk s
und sal : S a a l fü r e in e n w ic h tig e n T eil d e s P alas, d e n m e ist im
ersten S to c k g e le g e n e n F estsaal.
D ie T ra n s p o s itio n d e r s tro p h is c h g e b ü n d e lte n , g e re im te n
L a n g v e rse in P ro sa ist d ie ge w ic h tig ste V e rä n d e ru n g g e g e n ü b e r
d e r m itte lh o c h d e u tsc h e n V o rla g e . D a d u rc h g e h t ein p rä g e n d e s
E le m e n t d e r k ü n stle risc h e n F o rm d e s m ittelalterlich en Nibelun
genliedes v e rlo re n u n d k a n n n u r in d e r m itte lh o c h d e u tsc h e n
T extgestalt w a h rg e n o m m e n w e rd e n . W ä h re n d a n d e re h ö fisc h e
V e rsd ic h tu n g e n , w ie etw a d e r Tristanroman, im S p ä tm itte la lte r
in P ro sa tra n s p o n ie rt w u rd e n , e rfo lg te d iese U m fo r m u n g b e im
Nibelungenlied erst in n e u e re r Z e it. A lle rd in g s w o llte s c h o n
G o e th e d a s Nibelungenlied g e rn in P ro s a se h e n , u m es v o n
» u n n ö tig e m R e im g e k lin g e l« zu b e fre ie n u n d ih m »sein e N ä h e
z u r a n tik e n D ic h tu n g z u rü c k z u g e b e n « . M it d e m B e z u g a u f d ie
A n tik e fo rm u lie rte er ein fü r se in e Z e it ty p isc h e s In teresse an
d e m E p o s. H e u te w ird d ie Ü b e rtra g u n g in P ro sa als N o tw e n
d ig k e it g e se h e n , u m d en In h a lt m ö g lic h s t g e n a u w ie d e rz u g e b e n
u n d u m d u rc h R e im n o t en tste h e n d e u n fre iw illig e K o m ik so w ie
798 ANHANG
e in e k ü n s tlic h e P a tin a zu v e rm e id e n . B e im V e rz ic h t a u f d ie
V e rs s tru k tu r w e rd e n b e s tim m te fo rm e lh a fte W e n d u n g e n , d ie
w e n ig e r in h a ltlic h als v ie lm e h r im rh y th m is c h e n G e fü g e d es
m itte lh o ch d e u tsc h e n T extes re levan t sin d , p ro b le m a tisc h . D ie se
F o rm e ln sin d , z. T. m o d ifiz ie rt, in d ie P ro s a fa s s u n g ü b e r n o m
m en .
In d e m d ie n e u h o c h d e u tsc h e Ü b e rtra g u n g n ic h t als fo rt la u
fe n d e r P ro sa te x t, s o n d e rn in A b sä tz e n p a ra lle l zu d e n m itte l
h o c h d e u tsc h e n S tro p h e n g e d ru c k t ist, b le ib t d ie F u n k tio n d e r
stro p h isc h e n G lie d e r u n g fü r d ie D a rs te llu n g d e r H a n d lu n g in
je d e m F all d e u tlic h . A ls k le in e B a u ste in e p rä g e n d ie P r o s a
a b sc h n itte w ie d ie S tro p h e n - o ft m it p o in tie re n d e n S c h lu ß
w e n d u n g e n - d ie M ik r o s tr u k tu r d e s E p o s.
D ie m u s ik a lis c h e D im e n s io n , d ie z u m g e su n g e n e n V o rtra g
d es Nibelungenliedes im M itte la lte r g e h ö rte , ist in d e n h a n d
s c h riftlic h e n F a ssu n g e n d e s 13. Ja h rh u n d e rts n ic h t b e r ü c k s ic h
tigt, sie e n th a lte n k e in e M e lo d ie n o ta tio n , so d a ß d ie m itt e l
a lte rlich e s c h riftlic h e Ü b e r lie fe r u n g als e in e rste r S c h ritt a u f
d e m W eg zu d e r h e u te ü b lic h e n stillen L e k tü re g e se h e n w e rd e n
k a n n . A u c h im R a h m e n d e r o p tisc h e n R e z e p tio n s b e d in g u n g e n
so ll in d e r Ü b e rs e tz u n g s v e rs io n d es Nibelungenliedes e tw a s von
d e r D ik tio n d es T extes, d e r z u m V o rtra g u n d z u m H ö re n b e
s tim m t w a r, erh alten b le ib e n .
Kommentierende Inhaltsübersicht
d ie je d e r, d e r d a s N ib e lu n g e n lie d b ei H o fe v o rs in g t, h in e in
s c h lü p fe n k a n n . Im w e ite re n T ext w ir d d e r S ä n g e r d u rc h A n r e
d e n a n d ie Z u h ö re n d e n im m e r w ie d e r in E r in n e r u n g g e b ra c h t.
D a s erste S ig n a lw o rt z u r in h a ltlic h e n C h a r a k te r is ie r u n g d es
E p o s la u tet: r u h m r e ic h e H e ld e n , helde lobebaere; es g e h t u m
d e re n w e c h s e lh a fte s S c h ic k s a l u n d u m d a s M id e id e n ih re r
A n g e h ö rig e n . G e n a u e r b e n a n n t w ird d ie G e s c h ic h te z u n ä c h st
n ic h t. D e r h e u te v e r b in d lic h e T ite l steh t, m itte la lte rlic h e n
G e p flo g e n h e ite n e n tsp re c h e n d , n ic h t a m A n fa n g , s o n d e rn a m
S c h lu ß d e s W erkes:
l. A v e n tiu re
2. A v e n tiu re
3. A v e n tiu re
D ie A v e n tiu re sc h lä g t e in e B rü c k e v o n X a n te n n a c h W o rm s
u n d e rö ffn e t m y th is c h e D im e n s io n e n d e r S ie g fr ie d - F ig u r -
ANHANG 801
m y th is c h in d e m S in n e , d a ß V o rs te llu n g e n v o n M e n s c h u n d
N a tu r in e in e m v o r r a tio n a le n W e ltv e rstä n d n is z u m A u s d r u c k
kom m en.
H ö re n s a g e n v o n K rie m h ild s S c h ö n h e it e rw e c k t in S ie g frie d
L ie b e zu d e r b u r g u n d is c h e n K ö n ig sto c h te r. T ro tz sta rk e r V o r
b e h a lte s e in e r E lte rn b e sc h lie ß t er, u m sie zu w e r b e n , u n d e r
zieh t m it z w ö lf G e fä h rte n a n d e n R h e in . D e n fre m d e n R e c k e n
k e n n t d o rt n ie m a n d a u ß e r H a g e n . W ä h re n d S ie g frie d im B u r g
h o f zu se h e n ist, c h a ra k te ris ie rt H a g e n d e n H e ld e n d u rc h e in e
E r z ä h lu n g v o n d e sse n T aten im N ib e lu n g e n la n d . D o r t h a t e r
d e n u n e rm e ß lic h e n S c h a tz d es K ö n ig s N ib e lu n g , d a s S c h w e rt
B a lm u n g u n d d ie T a rn k a p p e in s e in e n B esitz g e b ra c h t, a u ß e r
d e m h at e r e in e n D ra c h e n getö te t u n d b e im B a d in d e sse n B lu t
e in e u n v e rle tz b a re H o r n h a u t b e k o m m e n . M it d ie s e m B e ric h t
w e rd e n H ö re re rw a rtu n g e n g e g e n ü b e r d e r S ie g fr ie d fig u r e rfü llt,
d ie a u f K e n n tn is m ü n d lic h ü b e rlie fe rte r S a g e n b e ru h e n , u n d es
w ird w ic h tig e s M o tiv p o te n tia l fü r d ie w e itere G e s c h ic h te b e re it
gestellt. H a g e n selb st steh t d u rc h se in W isse n d e r v o n ih m g e
sc h ild e rte n m y th isc h e n W elt n ah e; a lle rd in g s w ir d d ie se d u rc h
d a s E rz ä h lv e rfa n re n in D ista n z g e rü c k t.
A m W o rm s e r H o f tritt S ie g frie d n u n w id e r E rw a rte n n ic h t
als W erb en d er, s o n d e rn als H e ra u sfo rd e re r a u f, d e r m it G u n th e r
u m d ie H e rrsc h a ft ü b e r d essen L a n d k ä m p fe n w ill. D ip lo m a
tisch k lu g e s V e rh a lten d e r B u rg u n d e n b e sch w ic h tig t S ie g frie d s
K a m p fw u t. D a s M o tiv d e r G e w a lta n d r o h u n g w ir d stillg eleg t, es
b le ib t a b e r a k tu a lisie rb a r, w e n n S ie g frie d s G e fä h rlic h k e it b e
h a u p te t w e rd e n so ll. Z u n ä c h s t g ib t er se in e F o rd e ru n g a u f u n d
w ir d ein g e rn g e s e h e n e r G a st, d e r ein Ja h r a m W o rm s e r H o f
ve rw e ilt. E r b e sc h ä ftig t sic h in G e d a n k e n m it K rie m h ild , o h n e
sie z u G e s ic h t zu b e k o m m e n .
4. A v e n tiu re
5. A v e n tiu re
6. A v e n tiu re
D ie A v e n tiu re e rz ä h lt v o n G u n th e r s H e ira ts a b s ic h t u n d d en
W e rb u n g sv o rb e re itu n g e n . Z u n ä c h s t w ird B rü n h ild , e in e K ö n i
g in je n se its d e s M e e re s in Ise n ste in , v o rg e ste llt. A ls a u ß e r o r
d e n tlic h e F ra u v e re in t sie S c h ö n h e it u n d K ö r p e r k ra ft in sich .
W er sie z u r E h e g e w in n e n w ill, m u ß sie in d re i W e ttk ä m p fe n
b e sie g e n (S p e e rw e rfe n , S te in w e rfe n , W e itsp ru n g ), o d e r e r m u ß
sterb en . G u n th e r b e sch lie ß t, u m sie zu w e rb e n , ln K e n n tn is d e r
sc h w ie rig e n B e d in g u n g e n sp ric h t S ie g frie d zu e rst d a g e g e n , fin
d et sich d a n n a b e r z u r W e rb u n g sh ilfe b ereit, d a e r als G e g e n le i
s tu n g fü r s e in e n D ie n s t K rie m h ild s H a n d e id lic h z u g e sic h e rt
b e k o m m t. D e n E r fo lg d e s U n te rn e h m e n s w ill e r d u rc h d en
E in sa tz se in e r T a rn k a p p e sich e rn , d ie u n sic h tb a r m a ch t u n d d ie
K ö rp e rk ra ft v e rz w ö lffa ch t. S ie g frie d rät, d a ß n u r v ie r M ä n n e r
a u sz ie h e n : n e b e n G u n th e r u n d S ie g frie d n o c h H a g e n u n d d e s
sen B r u d e r D a n k w a rt. E in e k o stb a re A u s s ta ttu n g so ll d ie a n g e
m e sse n e M a c h tp rä s e n ta tio n a u f Isen stein g e w ä h rle iste n . D u rc h
d a s A n fe rtig e n d e r G e w ä n d e r w ird K rie m h ild in d a s U n te rn e h
m e n e in b e z o g e n ; sie v e rtra u t ih ren B ru d e r S ie g frie d s S c h u tz an.
Per S c h if f e rre ic h e n d ie v ie r M ä n n e r u n ter S ie g frie d s F ü h ru n g
in z w ö lf T agen Isen stein .
7. A v e n tiu re
D ie F a h rt fü h rt ü b e r d as M e e r n ach N o rd e n in e in e fre m d e
W elt, w o e in e F rau , B rü n h ild , als K ö n ig in h errsch t. D u rc h h ö fi
sch e K u ltu rz e ic h e n ist Isen stein z w a r W o rm s u n d X an ten v e r
g le ic h b a r, a b e r v e rfre m d e n d e Z ü g e e rg e b e n sich v o r a llem
804 ANHANG
8. A v e n tiu re
S ie g frie d s F a h rt in d a s N ib e lu n g e n re ic h so ll d em Z w e c k d ie n e n ,
ta u se n d K ä m p fe r zu re k ru tie re n . D e r V e r la u f d e s U n te r n e h
m e n s e rsch e in t je d o c h als D e m o n stra tio n v o n S ie g frie d s M a c h t
u n d H e rrsc h a ft in e in e r W elt, d ie V o rz e itm e rk m a le trägt: B e rg e ,
H ö h le n , R ie se n , Z w e rg e , ein u n e rs c h ö p flic h e r S c h a tz u n d t a p
fere K ä m p fe r k e n n z e ic h n e n sie. N ic h t z u fä llig liegt d e r m y th i
sc h e H e rrsc h a ftsb e re ic h in re la tiv e r N ä h e zu Islan d . B ish e r w a r
d ie se a n d e re W elt n u r d u rc h H a g e n s e rin n e rn d e n B e ric h t a n g e
s p ro c h e n w o rd e n , jetz t e rsc h e in t sie als S c h a u p la tz e in e r E p i
s o d e im H a n d lu n g s v e rla u f.
G u n th e r g ib t d ie a u f Isen stein a n k o m m e n d e n K ä m p fe r als
se in H e e r a u s, u n d d e m A u fb r u c h a n d e n R h e in steh t n ic h ts
m e h r im W ege. A u f d e r F a h rt v e rw e ig e rt B r ü n h ild d e n v o n
G u n th e r e rh o ffte n B e isc h la f. Ih re K ra ft ist n o c h n ic h t g e b r o
c h e n , sie v e rlie rt sie erst in W o rm s, fe rn a b v o n ih re m H e r r
sc h a ftsb e re ic h .
9. A v e n tiu re
10 . A v e n tiu re
In W o rm s w ird d ie D o p p e lh o c h z e it d e r b e id e n P aare, G u n th e r
u n d B rü n h ild - S ie g frie d u n d K rie m h ild , gefe ie rt. Z u n ä c h s t b e-
806 ANHANG
11. A v e n tiu re
12. A v e n tiu re
13. A v e n tiu re
14 . A v e n tiu re
D ie A u s e in a n d e rs e tz u n g z w isc h e n d e n F ra u e n b e g in n t im
R a h m e n ein e s T u rn ie rs. K rie m h ild b e w u n d e rt d ie ü b e r r a g e n
d e n Q u a litä te n ih res M a n n e s u n d v e rb in d e t d a m it h y p o th e tisch
e in e n ü b e rg re ife n d e n H e rrs c h a fts a n s p ru c h . B rü n h ild k o n s ta
tiert d e m g e g e n ü b e r G u n th e rs V o rra n g , u n d sie b e z e ic h n e t d a r
ü b e r h in a u s - u n te r B e r u fu n g a u f d ie W e rb u n g in Isen stein -
S ie g frie d als E ig e n m a n n u n d fo rd e rt se in e D ie n s tle is tu n g .
D u rc h d ie a n g e b lic h e U n fre ih e it S ie g frie d s w ird K rie m h ild g le i
c h e rm a ß e n d e g ra d ie rt. D a r a u fh in w ill K rie m h ild ih re n ü b e r
ra g e n d e n A d e l ö ffe n d ic h d e m o n s trie re n , in d e m sie m it ih re m
G e fo lg e v o r B r ü n h ild in d a s M ü n s te r ein z ie h t. W ä h re n d d e r
E rz ä h le r v o n d e n » K ö n ig in n e n « s p ric h t, b e s c h im p fe n d ie K o n -
tra h e n tin n e n e in a n d e r als » u n fre ie D ie n e rin « ( a u f K rie m h ild
b e z o g e n ) u n d als »K eb se« ( a u f B rü n h ild b e z o g e n ). D e r K e b se n
v o r w u r f gib t d e m S treit e in e w e ite re D im e n s io n . K rie m h ild b e
h a u p te t, S ie g frie d h a b e als e rste r m it B r ü n h ild g e sc h la fe n . Ih re
A n n a h m e b e ru h t a u f d e r z e ic h e n h a fte n B e d e u t u n g v o n R in g
u n d G ü r te l, d ie S ie g frie d a u s G u n th e rs u n d B rü n h ild s B r a u t
g e m a c h m itg e n o m m e n u n d sp ä te r K rie m h ild g e sc h e n k t hatte.
D e r E rz ä h lu n g von d e r B ra u tn a c h t e n tsp ric h t K rie m h ild s D e u
tu n g n ich t.
D ie V ö rra n g d e m o n s tra tio n gelin g t: K rie m h ild b etritt v o r d e r
b u rg u n d is c h e n K ö n ig in d a s M ü n ste r. N a ch d e m G o tte sd ie n st
zeig t sie d ie v e rm e in tlic h e n B e w e isstü c k e , u n d d ie E s k a la tio n
steig ert sich z u r u n v e rsö h n b a re n B e le id ig u n g .
W e in e n d ru ft B r ü n h ild G u n th e r z u H ilfe . D e r K ö n ig läß t
S ie g frie d k o m m e n . M it e in e m E id w e ist d ie se r d ie B e h a u p tu n g
se in e r F ra u z u rü c k u n d k ü n d e t d eren B e s tra fu n g an . W ä h re n d
d e r K o n flik t z w isc h e n d en K ö n ig e n G u n th e r u n d S ie g frie d m it
d ie se m R e c h tsa k t b e ig e le g t sc h e in t, b leib t d a s Z e r w ü r fn is d e r
F ra u e n b esteh en , u n d d ie t ie f verletzte B rü n h ild fo rd e rt d ie R e
a k tio n d es H o fe s h e ra u s. H a g e n b e sch lie ß t S ie g frie d s T o d , O r t
w in v o n M e tz u n terstü tzt ih n . Z w a r e rin n e rt G u n th e r an S ie g
frie d s T reu e g e g e n ü b e r d en B u rg u n d e n , w id e rse tz t sich H a g e n s
P lan a b e r n ic h t e rn sth a ft, z u m a l d ie se r d en M a c h tg e w in n fü r
810 ANHANG
d ie B u rg u n d e n n a ch S ie g frie d s T o d b e to n t. G u n th e r u n d d e n
a n d e re n B e te ilig te n w irft d e r E rz ä h le r T re u lo sig k e it vor. D ie
F r a u e n s tre it-A v e n tiu re e n d e t m it d e m M o r d r a t u n d k ü n d ig t
d e n T o d v ie le r H e ld e n an .
15. A v e n tiu re
E rzähler verw u n d ert verm erkt - sie halten Siegfried auch nicht
zu rü ck.
16 . A v e n tiu re
D ie A v e n tiu re h a n d e lt v o n S ie g frie d s E r m o r d u n g . A u f d e r Ja g d
s o ll e r d ie e ig e n tlic h e Ja g d b e u te w e rd e n . K r ie m h ild , jetz t
s c h u ld b e w u ß t u n d v o n u n h e ilv o lle n T rä u m e n b e u n ru h ig t, v e r
m a g ih n n ic h t v o n d e r T e iln a h m e a b z u b rin g e n . Z u n ä c h s t b e
w ä h r t e r sic h als d e r b e ste a lle r Jä g e r in e in e m A m b ie n te , in
d e m v e rsc h ie d e n ste T ie re a u fta u c h e n , d ie S ie g frie d alle e ig e n
h ä n d ig tö tet: ein W ild sc h w e in , ein L ö w e , ein W ise n t, e in E lc h ,
A u e ro c h s e n , H irs c h e u n d s c h lie ß lic h ein Bär. D a s G a n z e w ird
zu e in e r g ro te sk e n A ris tie v o n S ie g frie d s k ö r p e r lic h e r Ü b e rle
ge n h e it.
B e i d e m a n s c h lie ß e n d im W ald re ic h lic h se rv ie rte n E ssen
g ib t es k e in e G e trä n k e . D e r D u rs t s o ll an e in e r Q u e lle gestillt
w e rd e n . S ie g frie d , G u n th e r u n d H a g e n eile n d o rth in . G u n th e r,
d e m S ie g frie d d e n V o rtritt läß t, trin k t k n ie n d ü b e r d e m W asser.
W ä h re n d S ie g frie d d a n n d ie g le ic h e H a ltu n g e in n im m t, w irft
H a g e n v o n h in te n d e n S p e e r in d ie v e rw u n d b a re Stelle. D a
S ie g frie d se in e W affen a b g e le g t u n d H a g e n sie w e g g e tra g e n hat,
k a n n d e r G e tr o ffe n e a u c h n a c h trä g lic h k e in e V e rg e ltu n g ü b en .
W en n d e r e ig e n tlic h U n b e sie g b a re a u f d ie se W eise g etö tet w ird ,
ist d a s n u r d u rc h in fa m e H in te rlist m ö g lic h . D e r T o d e s w u r f
trifft S ie g frie d v ö llig a h n u n g s lo s , e r hatte sich a u f d ie ih m z u g e
sich e rte T re u e v e rla sse n . S te rb e n d v e rflu c h t e r d ie V erräter, d ie
se in e Z u v e rlä s s ig k e it m iß a ch te t h a b e n . In d e r B e u rte ilu n g d es
E rz ä h le rs b le ib t S ie g frie d o h n e je d e n V o rw u rf. D e r B e tru g
g e g e n ü b e r B r ü n h ild , a u s d e m S tre it u n d M o r d h e r v o r g e g a n
g e n sin d , w ir d n ic h t a u s d rü c k lic h als fo lg e n sc h w e re , b ö se Tat
v e rre c h n e t. B e v o r K rie m h ild s M a n n in d en B lu m e n verb lu te t,
ü b e ra n tw o rte t e r se in e E h e fra u - d en rech tlich en V erh ä ltn issen
a d ä q u a t - w ie d e r d e r F ü rs o rg e ih res B ru d e rs G u n th e r.
812 ANHANG
17 . A v e n tiu re
18. A v e n tiu re
19. A v e n tiu re
d e r sich m it ih r a u sk e n n t. D e n je n ig e n a b e r g ib t es n ich t. O h n e
w e itere A u sg e sta ltu n g d e u te t d ie se s M o tiv d ie U n v e re in b a rk e it
d e r m y th is c h e n u n d d e r h is to ris c h -p ra g m a tis c h e n V o rs te l
lu n g ssp h ä re an .
K rie m h ild n u tzt d ie M ö g lic h k e it, d u rc h d en S c h a tz d ie Z u
n e ig u n g v ie le r B e sc h e n k te r zu g e w in n e n . D ie G e fa h r, d ie d a r
in fü r d ie B u rg u n d e n lieg t, so ll b e se itig t w e rd e n , in d e m m a n
K rie m h ild d en S c h a tz e n tw e n d e t u n d im R h e in v e rse n k t. D ie
k ö n ig lic h e n B r ü d e r w id e rse tz e n sich H a g e n s P lä n e n n ic h t, g e
b en ih n a b e r als alle in ig e n V e ra n tw o rtlic h e n au s.
Z w ö l f Ja h re d e r T ra u e r v e rg e h e n n a c h S ie g frie d s T o d . S e in e
G e b e in e w e rd e n in d a s v o n K ö n ig in U te gestifte te K lo s te r
L o rs c h ü b e rfü h rt. Z u m U m z u g d e r W itw e in d as K lo s te r
k o m m t es je d o c h n ich t.
20. A v e n tiu re
M a c h t, d ie K r ie m h ild a u f d ie se W eise g e w in n t, e in e G e fa h r.
K rie m h ild selb st le h n t d e n A n tr a g z u n ä c h st ab , sie v e rw e ist a u f
ih re a n h a lte n d e T ra u e r. D o c h als R ü d ig e r a u s fü h r t, w e lc h e
M a c h t sie g e w in n e n w ird ( z w ö lf m ä ch tig e R e ich e , d a s L a n d v o n
d re iß ig F ü rste n u n d v ie le L e h n sle u te ) e rk e n n t sie ih re C h a n c e
zu sp ä te r R a c h e (Str. 12 8 1). E s g e lin g t R ü d ig e r a u c h , d e n G la u
b e n su n te rsc h ie d zu re lativieren : Etzel w a r s c h o n e in m a l getau ft,
den v o m C h r is t e n tu m A b g e fa lle n e n k ö n n e K r ie m h ild z u m
c h ris tlic h e n G la u b e n z u rü c k fü h re n . E n ts c h e id e n d fü r K rie m -
h ild s Z u s tim m u n g ist sc h lie ß lic h R ü d ig e rs S c h w u r, ih r k ü n ftig
in je d e r B e d rä n g n is b e iz u ste h e n .
D e r A u fb ru c h in s H u n n e n la n d so ll sc h n e ll e rfo lg e n . Z u v o r
w ird n o c h e in e ü b e rra s c h e n d e V a ria n te d e s H o r tr a u b s erzäh lt:
E s g ib t o ffe n b a r e in e n n ic h t v e rse n k te n R est d e s S c h atzes, a u c h
e r w ir d K r ie m h ild g e n o m m e n . H a g e n s n e u e rlic h e T at v e rtie ft
K rie m h ild s F e in d s c h a ft ih m g e g e n ü b e r n o c h w eiter. D e r E r
z ä h le r b e z e ic h n e t ih n a ls b ö se ( übele, Str. 13 0 4 ).
2 1. A v e n tiu re
22. A y e n tiu re
23. A v e n tiu re
v e ra n tw o rtlic h . Ih re G e fü h le b le ib e n ih re r U m g e b u n g v e r b o r
gen .
D ie A v e n tiu re h a n d e lt v o n K rie m h ild s b e trü g e ris c h e r E in la
d u n g . In b ö s e r A b s ic h t lo c k t sie ih re V e rw a n d te n in s H u n n e n
la n d , w ie B r ü n h ild Ja h re z u v o r S ie g frie d u n d K rie m h ild n a ch
W o rm s e in g e la d e n h atte. D ie R eise fü h rt, w ie d e r E rz ä h le r v o r
a u s s c h a u e n d b e to n t, zu e in e m B e su ch o h n e R ü c k k e h r. N ic h ts
a h n e n d m a c h t sich Etzel K rie m h ild s W u n sc h zu eig en , e r stattet
d ie B o te n m it e in e m m ü n d lic h e n u n d e in e m s c h riftlic h e n A u f
tra g au s. In g e h e im e r U n te rre d u n g m it d e n G e sa n d te n b e to n t
K rie m h ild , d a ß H a g e n a u f je d e n F all m itk o m m e n so lle , u n d sie
n e n n t d a fü r ein e n u n v e rd ä c h tig e n G r u n d : N u r er k ö n n e ein a n
g e m e s s e n e r R e is e fü h re r se in , w e il e r alle L ä n d e r u n d S tra ß e n
k en n e.
24. A v e n tiu re
D ie E in la d u n g w ird d en B u rg u n d e n ü b e rb ra c h t, u n d d ie K ö
n ig e sin d b ereit, sie a n z u n e h m e n . V erg essen sc h e in t d ie frü h e re
Ü b e rle g u n g , sich le b e n sla n g v o n Etzel fe rn z u h a lte n . N u r H a g e n
w e n d e t sich e n tsc h ie d e n g e g e n e in e n Z u g in s H u n n e n la n d ,
d o c h se in e W a rn u n g e n b e w irk e n e b e n s o w e n ig w ie d ie d es
K ü c h e n m e is te rs R u m o ld , d e r se in e n H e rre n rät, zu H a u se zu
b le ib e n . W er n ic h t m itre ise n w ill, m a c h t sich v e rd ä c h tig , feige
zu se in , d a ra u fh in g ib t H a g e n se in en W id e rsta n d a u f. E r sieh t
w e ite rh in d ie G e fa h r, m e in t ab er, er k ö n n e sic h e rn d e V o rk e h
ru n g e n tre ffe n ; d a ru m sc h lä g t e r vor, m it e in e m ta u se n d M a n n
sta rk e n H e e r zu Etzels Fest zu reiten.
25. A v e n tiu re
D e r A b s c h ie d a u s W o rm s u n d d e r D o n a u ü b e r g a n g d e r B u r
g u n d e n m a rk ie re n , d a ß d ie G re n z e d e r sich e re n S p h ä re d es
e ig e n e n H o fe s in d ie W elt to d b rin g e n d e r G e fa h re n ü b e rs c h rit
ten w ird . Z u B e g in n d e r R eise h ä u ft d e r E rz ä h le r d ie Z e ic h e n
818 ANHANG
d e s b e v o rs te h e n d e n U n h e ils. H a g e n als F ig u r m it m y th is c h e r
T ie fe n d im e n sio n ve rm itte lt G e w iß h e it ü b e r d ie Z u k u n ft: E r b e
g e g n e t an d e r D o n a u a n d e rw e ltlic h e n , h e llse h e risc h e n W a sse r
fra u e n u n d e rfä h rt v o n ih n e n , d a ß n u r d e r b e g le ite n d e G e is t
lic h e d ie R e ise ü b e rle b e n w ird . U m d ie Z u v e rlä s s ig k e it d e r
V o ra u s s a g e zu e rp ro b e n , v e rs u c h t H a g e n , d en K a p la n u m z u
b rin g e n , d o c h G o tt rettet ih n . W ä h re n d d e r G e is tlic h e n a c h
W o rm s z u rü c k re ist, z ieh en d ie B u rg u n d e n o h n e k irc h lic h e B e
tre u u n g zu h e illo se n T aten in s h e id n isc h e H u n n e n la n d , b e g le i
tet v o n Z e ic h e n d es T od es.
D ie D o n a u ü b e r q u e ru n g ist n u r d a d u rc h m ö g lic h , d a ß H a
gen d e n u n w illig e n F ä h rm a n n e rsch lä g t u n d ü b e r d essen S c h iff
v e rfü g t. E r setzt selb st se in e H e rre n u n d d a s g e sa m te G e fo lg e
über. A n s c h lie ß e n d z e rstö rt e r d a s S c h iff u n d a k z e p tie rt d a m it,
d a ß es k ein e n R ü c k w e g g e b e n w ird . D e r E p ik e r gesta ltet h ie r
d ie P a ra d o x ie , d a ß d e r e in z ig e, d e r d e n u n h e ilv o lle n A u s g a n g
d e r R eise k en n t, als F ä h rm a n n in d e n T o d fu n g ie rt.
W en n d ie B e re itsc h a ft, d e m d ro h e n d e n T o d tro tz ig e n tg e
g e n z u g e h e n , als h e ro isc h e H a ltu n g v e rsta n d e n w ird , d a n n v e r
a n s c h a u lic h t d ie se A v e n tiu re s o lc h e n H e ld e n m u t in e in d rü c k -
lic h e r W eise. D e r W a rn u n g v o n e in e r d e r W a s s e rfra u e n , » D u
so llte st u m k e h re n , es ist n o c h Z e it« (Str. 15 7 6 ,1) , fo lg t H a g e n
n ich t. S o w ir d e r als H e ld d e r fo lg e n d e n E re ig n isse p ro filie rt,
d o c h a u c h e r k en n t sie - w ie d ie H ö r e r d e s E p o s - im ein z e ln e n
n o c h n ich t.
26. A v e n tiu re
N a c h d e m D o n a u ü b e r g a n g g ib t H a g e n sein W isse n v o n d e m
b e v o rste h e n d e n U n te rg a n g an alle w eiter, u n d e r ru ft g le ic h z e i
tig zu W a c h sa m k e it u n d G e g e n w e h r au f.
D ie A v e n tiu re gestaltet ein k ä m p fe ris c h e s P rä lu d iu m v o r d e r
A n k u n ft im H u n n e n la n d . F ü r H a g e n u n d se in e L eu te, d ie d ie
N a c h h u t d e s b u rg u n d is c h e n Z u g e s b ild e n , e rg ib t sich ein g e
fä h rlic h e r K a m p f a u f d e m n ä ch tlich e n W eg d u rc h B a y e rn . D ie
ANHANG 819
27. A v e n tiu re
E s k o m m t z u r Z w is c h e n e in k e h r d e r B u rg u n d e n b e i R ü d ig e r
v o n B e c h e la rn . N a c h d e m g e fä h rlic h e n , ra stlo se n Z u g d u rc h
B a y e rn b rin g t d e r A u fe n th a lt ein festlich es R ita rd a n d o . D ie D e
m o n s tr a tio n v o n G a s tfr e u n d s c h a ft u n d Z u n e ig u n g ist a lle r
d in g s v o n U n h e ilp ro g n o s e n d u rc h z o g e n , d ie z. T. s e h r k o n k re t
a u s fo rm u lie rt w e rd e n : k ein e R ü c k k e h r u n d R ü d ig e rs T o d d u rch
se in e ig e n e s S c h w e rt, d a s e r G e r n o t sc h e n k t. Ü b e rh a u p t setzt
d e r E p ik e r h ie r z a h lre ich e Z e ic h e n , d ie im sp ä te re n K a m p f b ei
d en H u n n e n z u e rst b e frie d e n d e , d a n n a b e r k o n flik tste ig e rn d e
B e d e u tu n g h ab en . Z w isc h e n d e n B u rg u n d e n u n d R ü d ig e r w e r
den fre u n d s c h a ftlic h e , v e rw a n d ts c h a ftlic h e und re c h ü ic h e
B a n d e g e k n ü p ft: G u n th e r n im m t e in e R ü s t u n g als G e s c h e n k
a n , G e r n o t ein S c h w e rt. G is e lh e r v e rm ä h lt sich m it d e r T o ch ter
d es M a rk g ra fe n . H a g e n w ä h lt fü r sich d en S c h ild , d e r d e m V ater
d e r M a r k g r ä fin g e h ö rt hatte. V o lk e r sin g t M in n e lie d e r fü r
G o te lin d , d ie H o fh e rrin ; sie b e lo h n t ih n m it e in e r G a b e , d ie ih n
z u m M in n e d ie n s t, zu v e re h re n d e m G e d e n k e n , an E tzels H o f
v e rp flic h te n so ll. S c h lie ß lic h g ib t R ü d ig e r d en B u rg u n d e n d as
G e le it an E tz els H o f; d ie s e r b e frie d e n d e S c h u tz v e rb ie te t es
re c h tlic h , a u c h n a c h d e r R eise g e g e n e in a n d e r zu k ä m p fe n .
820 ANHANG
28. A v e n tiu re
B e i d e r A n k u n ft d e r B u rg u n d e n , d ie v o n je tz t an N ib e lu n g e n
h e iß e n , w ird ein S z e n a rio d e r F e in d se lig k e it e n tw o rfe n . A b g e s e
h en v o n K rie m h ild u n d H a g e n b e u rte ilt n u r D ie tric h v o n B e rn
d ie L a g e ric h tig , u n d e r w a rn t d ie B u rg u n d e n v o r d e r d r o h e n
d e n G e fa h r. E r b e ric h te t G u n th e r v o n K rie m h ild s a n h a lte n d e r
T ra u e r u n d ih re n R a c h e a b s ic h te n . K ö n ig E tz el u n d M a r k g r a f
R ü d ig e r v o n B e c h e la rn sin d a h n u n g slo s.
K rie m h ild hält ih re F e in d sc h a ft g e g e n H a g e n u n d G ü n t h e r
n ic h t v e rb o rg e n . N a c h d e r B e g r ü ß u n g k o m m t es z u r ersten
o ffe n e n K o n fro n ta tio n m it H a g e n . In e in e m G e s p r ä c h vo ll
b e iß e n d e r Iro n ie fo rd e rt K rie m h ild d en H o rt als v e rm e in tlic h
e rw a rte te s G a stg e sc h e n k . D a ß d e r R a u b d e s S c h a tz e s g e n a u s o
u n re v id ie rb a r ist w ie S ie g frie d s E r m o r d u n g , e rsch e in t a lle rd in g s
als V e rs tä n d n is h in te rg ru n d se lb stv e rstä n d lic h . A n d e r W e ig e
ru n g d e r B u rg u n d e n , ih re W a ffe n a b z u le g e n , e rk e n n t K r ie m
h ild , d a ß d ie G ä s te g e w a rn t s in d , u n d D ie tric h v o n B e r n b e
k e n n t sich als d e r W arner.
E in B ild v o n H a g e n s k ö r p e r lic h e r E r s c h e in u n g , se in e H e r
k u n ft u n d e tw as v o n se in e r Ju g e n d g e sc h ic h te w e rd e n an d ie se r
Stelle e rz ä h le n d e in g e b le n d e t, d a d ie H u n n e n b e s o n d e re s In te r
esse an ih m zeig en u n d K ö n ig Etzel ih n a u s frü h e re r Z e it k en n t.
A u f d ie se W eise w ir d K rie m h ild s G e g e n s p ie le r b e s o n d e rs e x p o
n ie rt, b e v o r d e r K a m p f b e g in n t.
29. A v e n tiu re
30 . A v e n tiu re
D e r E p ik e r e n tw ic k e lt m it m a rk a n te r D a rs te llu n g s k u n s t e in e
A tm o s p h ä r e b e d ro h lic h e r S p a n n u n g . E rz ä h lt w ir d v o n d e r
ersten N a ch t, d ie d ie B u rg u n d e n im H u n n e n la n d v e rb rin g e n ,
u n d v o n K rie m h ild s z w e ite m e rfo lg lo se n V e rsu c h , H a g e n tö ten
zu lassen .
Z u n ä c h s t b e z ie h e n d ie G ä s te e in e n fü r sie als N a c h tla g e r
k o s tb a r h e rg e ric h te te n S a a l, d ie se r w ird sp ä te r d e r O rt d es
K a m p fe s u n d d es S te rb e n s. A n d ie B u rg u n d e n h e ra n d rä n g e n d e
H u n n e n w irk e n g e fä h rlic h , a b e r V o lk e r u n d H a g e n w e h re n sie
ab. B e id e ü b e rn e h m e n d ie N a c h tw a c h e v o r d e m S a a l, u m ein en
Ü b e rfa ll zu v e rh in d e rn . F ü r d ie e in s c h la fe n d e n B u rg u n d e n
sp ie lt V o lk e r a u f se in e r F ied el; d a n n m u ß e r d as M u s ik in s tr u
m e n t m it d e m S c h w e rt v e rta u sc h e n , d e n n im D u n k e ln tau ch en
v o n K rie m h ild en tsa n d te K ä m p fe r au f. Sie h ab en d en A u ftra g ,
H a g e n zu tö ten . D o c h als sie d ie b e id e n W ä c h te r w a h rn e h m e n ,
k eh ren sie v o lle r F u rch t u m . In k lu g e m K alk ü l verm e id e t H agen
e in e n k ä m p fe ris c h e n Z u s a m m e n s to ß , u m e in e m Ü b e rfa ll d e r
H u n n e n a u f d ie S c h la fe n d e n k e in e C h a n c e zu geb en .
822 ANHANG
3 1. A v e n tiu re
D ie V o r a u s d e u tu n g e n a u f d e n A u s b r u c h v o n G e w a lt u n d d ie
T o d e s s ig n a le v e rd ic h te n sich . D ie fe in d s e lig e S p a n n u n g z w i
sc h e n d en B u rg u n d e n u n d H u n n e n w ir d a u f d a s Ä u ß e rs te
gesteig ert.
H a g e n rät d e n B u rg u n d e n , im letzten G o tte s d ie n s t v o r
ih re m T o d G o tt alle S ü n d e n zu b e ich te n . Ü b e ra ll ta u c h e n W a f
fen a u f: D ie B u rg u n d e n tra g e n sie in d e r K irc h e , e in e S c h a r v o n
H u n n e n b ei T isc h . D a s R itte rsp ie l d ro h t in e rn sth a fte n A n g r if f
a u sz u a rte n . O b w o h l d ie B u rg u n d e n ih re rse its e ig e n tlic h e in e n
K a m p fb e g in n v e rm e id e n w o llte n , p ro v o z ie re n V o lk e r u n d H a
g e n u n ter d e m D r u c k d e r e rk a n n te n A u sw e g lo sig k e it d ie F e in d
sc h a ft d e r H u n n e n , u n a b h ä n g ig v o n K rie m h ild s R a c h e a b s ic h
ten . S ie m a c h e n d e r K ö n ig in v o r d e m M ü n s te r k e in e n P latz.
V o lk e r e rsch lä g t e in e n a u fg e p u tz t h e ra n re ite n d e n H u n n e n u n d
zieh t d a m it d e n V e rg e ltu n g s d ra n g v o n d e sse n A n g e h ö r ig e n a u f
sich . K ö n ig Etzel gre ift b e frie d e n d ein . D o c h se in e a u fric h tig e
G a s tfre u n d sc h a ft u n d d ie Ü b e rle g u n g , se in e n S o h n O rtlie b z u r
h ö fisc h e n E rz ie h u n g m it n a ch W o rm s zu sc h ick e n , w e rd e n v o n
H a g e n d e sillu sio n ie rt. E r sagt, d as K in d sei v o m T o d g e z e ic h
n et. D a d u r c h m a c h t er Etzel z u m F e in d d e r B u rg u n d e n .
K r ie m h ild s A b s ic h te n s c h w a n k e n im L a u fe d e r E rz ä h lu n g
z w isc h e n d e m Z ie l, H a g e n a lle in zu tö te n u n d e in e n R a c h e
sc h la g geg en alle B u rg u n d e n zu fü h re n . D ie tric h v o n B e rn leh n t
es ab, im In teresse v o n K rie m h ild s R a c h e g e g e n d ie B u rg u n d e n
zu k ä m p fe n . In d e m d ie K ö n ig in in sg e h e im Etzels B ru d e r B lö d e l
m it V e rsp re c h u n g e n z u m Ü b e rfa ll a u f d ie G ä s te g e w in n t, e n t
s c h e id e t sie sich fü r d a s e rw e ite rte Z ie l; d o c h w ü r d e d u rc h
H a g e n s T o d o h n e h in ein a llg e m e in e r K a m p f en tfa ch t.
32. A v e n tiu re
D e r o ffe n e K a m p f b e g in n t m it B lö d e ls Ü b e rfa ll a u f d ie b u r g u n -
d isc h e n K n a p p e n , als d iese u n te r d e r A u fsic h t v o n H a g e n s B ru -
ANHANG 823
d e r D a n k w a r t in e in e r g e s o n d e rte n H e rb e rg e sp e ise n . B lö d e l
g ib t se in e n A n g r if f als V e rg e ltu n g fü r H a g e n s M o rd an S ie g frie d
a u s. D a D a n k w a rt d e n G e g n e r n ich t v o n se in e m V o rh a b e n a b
b rin g e n k a n n , tö tet e r B lö d e l. D a s ist d e r A u fta k t zu e in e m b lu
tig e n K a m p f, b e i d e m alle M ä n n e r B lö d e ls, n e u n ta u s e n d b u r-
g u n d isc h e K n a p p e n u n d z w ö lf R itte r a u s D a n k w a rts G e fo lg e zu
T o d e k o m m e n . M it n a h e z u ü b e rm e n s c h lic h e r K ra ft setzt sich
D a n k w a rt g e g e n d ie h e ra n d rä n g e n d e n H u n n e n z u r W ehr, er e r
re ich t d e n K ö n ig s p a la s t u n d d ie F esttafel in b lu tü b e rs trö m te r
R ü s tu n g m it d e m S c h w e rt in d e r H a n d . D e r E rz ä h le r läß t
D a n k w a rts E rsc h e in e n m it d e m a llg e m e in e n B lic k a u f d e n K ö
n ig s s o h n O rtlie b b e im F e stm a h l Z u s a m m e n tre ffe n u n d w eist
d a m it a u f d ie v o ra u sg e sa g te n K o n se q u e n z e n h in .
33. A v e n tiu re
D e r K a m p f z w isc h e n d e n B u rg u n d e n u n d d e n H u n n e n erh ä lt
e in e o b je k tiv e M o tiv a tio n , d ie n e b e n K rie m h ild s R a c h e stre b e n
in e ig e n e r D y n a m ik fo rtw irk t: H a g e n tö tet O rtlie b als V e rg e l
tu n g fü r d e n T o d d e r b u rg u n d is c h e n K n a p p e n . E in u n g e h e m m
tes M o rd e n b e g in n t: K ö p fe w e rd e n a b g e sc h la g e n , S tr ö m e v o n
B lu t fließ en . D ie G r a u s a m k e it d e s K a m p fe s ist m it e in e r tr a d i
tio n e lle n M e ta p h o r ik (W ein b e z e ic h n e t B lu t u n d d e r F ie d e l
b o g e n d a s S c h w e rt) in e in e m a rtifiz ie ll ü b e rste ig e rte n D is k u rs
d a rg e ste llt.
H a g e n u n d V o lk e r sin d d ie H a u p ta k te u re , a b e r d ie b u r g u n
d isc h e n K ö n ig e b e te ilig e n sich g le ic h fa lls a n d e m K a m p f, als sie
ih n n ic h t a u fh a lte n k ö n n e n . N u r Etzel gre ift n ich t z u m Sch w ert.
S e in e P a ssiv itä t b le ib t im G r u n d e u n e rk lä rt. D e r E p ik e r n im m t
o ffe n b a r e in v o rg e g e b e n e s B ild v o n K ö n ig Etzel a u f: E r ist d e r
ru h e n d e P o l, u m g e b e n v o n a g ie re n d e n K ä m p fe rn . B e g rü n d e t
w ir d d ie se s V e rh a lte n g e n a u s o w e n ig w ie d ie T a tsa c h e , d a ß
D ie tric h v o n B e rn , d e m d ie B u rg u n d e n N e u tra litä t z u b illig e n ,
K r ie m h ild u n d E tzel a u s d e m S a a l h in a u s fü h re n k a n n . N e u t ra
lität w ir d a u c h R ü d ig e r v o n B e c h e la rn u n d se in en L eu ten g e
824 ANHANG
34. A v e n tiu re
35. A v e n tiu re
N a c h e in e m w e ite re n A n g r if f d e r H u n n e n a u f d ie G ä s te zieh en
d ie B u rg u n d e n / N ib e lu n g e n B ila n z , u n d sie lau tet: D e r K a m p f
ist a u s s ic h ts lo s , d a a u f E tz els S e ite im m e r w e ite re T ru p p e n
n a c h rü c k e n . D ie N ib e lu n g e n s u c h e n F rie d e n , sie w o lle n v e r
h a n d e ln , d o c h w e g e n d e r Etzel z u g e fü g te n V e rlu ste ist d e r
H u n n e n k ö n ig zu k e in e m Z u g e s tä n d n is b ereit. A lle B u rg u n d e n
so lle n ste rb e n . S ie w o lle n a u s d e m S a a l h e ra u stre te n , u m sich
a u s z u lie fe m , a b e r d a s v e r h in d e r t K r ie m h ild a u s F u rc h t, sie
k ö n n te n d o c h ih re K a m p fk ra ft e in setz en . S ie b e k e n n t sic h z u r
G n a d e n lo s ig k e it.
E in letztes M a l v e rs u c h t sie, H a g e n zu iso lie re n . S e in e Ü b e r
g a b e w ä re d ie e in z ig e C h a n c e fü r d a s Ü b e rle b e n ih re r B rü d e r.
A n d ie s e r S te lle k o m m t n u n d ie v ie lz itie rte N ib e lu n g e n tre u e
z u r G e ltu n g : D ie b u r g u n d is c h e n K ö n ig e w e is e n d ie A u s lie fe
ru n g e in e s ih re r L e u te e m p ö rt z u rü c k . D a ra u fh in lä ß t K r ie m
h ild d e n S a a l u m z in g e ln u n d a n z ü n d e n .
D ie S te ig e ru n g d e s g ra u s a m e n V o rg e h e n s fü h rt zu a n im a li
s c h e n R e a k tio n e n : A u f H a g e n s A n r a te n lö s c h e n d ie E in g e
sc h lo sse n e n d e n q u ä le n d e n D u rs t m it d e m B lu t d e r G e tö te te n .
D a b e i w ird in d e r D a rs te llu n g e rn e u t d ie W e in -B lu t- M e ta p h o -
rik ein g esetzt. D ie S tä r k u n g d u rc h d a s B lu t e rin n e rt a n d a s M y
s te riu m d e r E u c h a ris tie ; es e r m ö g lic h t d a s Ü b e rle b e n in d e m
In fe rn o . D o c h d a ß 6 0 0 B u rg u n d e n d e n B ra n d ü b e rle b e n , fü h rt
n u r zu n e u e m K a m p f u n d S te rb e n . K ö n ig Etzel u n d d ie K ö n i
gin stellen g ro ß e B e lo h n u n g e n fü r w eiteren k ä m p fe risc h e n E in
satz in A u ssic h t. T ö d lic h e W u n d e n u n d K la g e n sin d d ie F o lge.
36. A v e n tiu re
D a s e rz w u n g e n e E in g re ife n R ü d ig e r s v o n B e c h e la rn in d en
K a m p f v e rstä rk t d ie D y n a m ik z u m U n te rg a n g d e r B u rg u n d e n .
G e z e ig t w ird d e r in n e re K o n flik t e in e s V a sallen , d e r a u s k o lli
d ie re n d e n R e c h ts v e rp flic h tu n g e n en tsteh t. W ein en a u f a llen
826 ANHANG
S e ite n d rü c k t d ie in n e re E rs c h ü tte ru n g a u s, a b e r a u c h d ie
U n fä h ig k e it, d a s G e sc h e h e n zu b e w ä ltig e n u n d e in e A lte rn a tiv e
d u rch z u se tz e n .
R ü d ig e r s T ra u e r a n g e sic h ts d e r sc h w e re n K ä m p fe w ird als
F eig h e it au sg eleg t. D e r M a r k g r a f ersch lä g t ein e n H u n n e n , d e r
ih n e n tsp re c h e n d h erab setzt. R ü d ig e rs D ile m m a e rg ib t sich au s
u n v e re in b a re n re ch tlich e n B in d u n g e n : E r ist L e h n s m a n n E tzels
u n d als so lc h e r z u r U n te rstü tz u n g sein es H e rrn im K a m p f v e r
p flich tet, a u ß e rd e m h at er K rie m h ild e in e n E id zu u n b e d in g te r
H ilfe le is tu n g g e sc h w o re n . B e id e fo rd e rn jetz t d ie E in h a ltu n g
d e r T re u e ve rsp re c h e n . D a s L e h n sv e rh ä ltn is a u fz u k ü n d ig e n , w ie
es R ü d ig e r v e rsu c h t, ist in d e r N o ts itu a tio n n ic h t statth a ft.
A n d re rse its h at R ü d ig e r d u rc h d ie V e rh e ira tu n g se in e r T o c h te r
m it G is e lh e r ein v e rw a n d ts c h a ftlic h e s B a n d m it d en B u r g u n -
d en g e k n ü p ft; d u rc h d ie G a stg e sc h e n k e u n d d a s G e le it h a t er
ih n en S c h u tz u n d F rie d e n z u g e sich e rt. W enn er se in e V e rp flic h
tu n g g e g e n ü b e r d e r e in e n o d e r a n d e re n S eite v erletzt, sieh t e r
sein S e e le n h e il g e fä h rd e t, d .h . d ie re c h tlic h e n B in d u n g e n e r h a l
ten ein e re lig iö se D im e n s io n . R ü d ig e r en tsch e id e t sich sc h lie ß
lich fü r d ie T re u e zu se in e m L e h n s h e rre n u n d tritt g e g e n d ie
B u rg u n d e n an. D e r d u rc h b e s tim m te K o n ste lla tio n e n e r z w u n
g e n e K a m p f geg en V e rw a n d te u n d F re u n d e ist ein altes M o tiv
h e ro isc h e r D ic h tu n g .
V e rstä n d n is fü r R ü d ig e rs S itu a tio n k o m m t z e ic h e n h a ft z u m
A u s d ru c k , in d e m d e r so n st g r im m ig e H a g e n , u n g e a c h te t alle r
sa c h lic h e n G e g e b e n h e ite n , R ü d ig e r u m d e sse n S c h ild b ittet;
u n d d e r M a r k g r a f e rfü llt d ie B itte. D a ra u fh in b ete ilig t sich H a
gen - u n d e b e n so V o lk e r - n ic h t an d e m K a m p f g e g e n R ü d ig e r.
E r zieh t sich in d ie N e u tra litä t z u rü c k , d ie fü r R ü d ig e r n ic h t
m ö g lic h ist. K o n se q u e n t im v o rb e re ite te n A b la u f d e r K ä m p fe
tö ten G e r n o t u n d R ü d ig e r sich g e g e n se itig ; G e r n o t k ä m p ft m it
d e m S c h w e rt, d a s ih m R ü d ig e r in B e c h e la rn g e s c h e n k t h atte.
V o n R ü d ig e rs G e fo lg e b le ib t n ie m a n d a m L e b e n .
D ie A v e n tiu re ist als m e iste rh a fte K o n s t ru k tio n in d ie
H a u p th a n d lu n g in te g rie rt, v o rb e re ite t d u rc h R ü d ig e r s F u n k
ANHANG 827
37 . Aventiure
Nach Rüdiger wird Dietrich von Bern, der ebenfalls Neutralität
wahren wollte, in das Geschehen hineingezogen, doch zunächst
noch nicht als Kämpfer. Rüdigers Schicksal bildet das Hand
lungsscharnier. Dietrichs Waffenmeister Hildebrand soll erkun
den, ob die Nachricht von Rüdigers Tod zutrifft. Mit einer
Schar von Begleitern fordert er, daß die Burgunden Rüdigers
Leiche herausgeben, damit sie begraben werden kann. Ihre
Weigerung führt zum Kampf, und zwar gegen den Willen Diet
richs in seiner Abwesenheit. Tödlicher Schlag und Gegenschlag
folgen aufeinander. Meister Hildebrand tötet Volker. Giselher
und Wolfhart, Hildebrands Neffe, erschlagen sich gegenseitig.
Hildebrand entkommt Hagens Vergeltung mit einer Wunde,
während alle seine Begleiter tot Zurückbleiben. Im Palas sind
nur mehr König Gunther und sein Gefolgsmann Hagen am
Leben.
Dietrich von Bern begreift das Geschehen erst allmählich.
Von Trauer und Leid bewegt, möchte er sterben.
38 . Aventiure
Als Leitfigur eines anderen Sagenkreises hat Dietrich von Bern
eine herausgehobene Funktion am Schluß. Er ist im Kampf der
Männer der letzte Sieger, aber der trauernde Held kann durch
seinen Befriedungsversuch den Tötungsmechanismus nicht
aufhalten.
Vor Gunther und Hagen bringt er die Sinnlosigkeit des
Kampfes gegen die Amelungen zum Ausdruck. Sie hatten die
Burgunden nicht angegriffen. Dietrichs Bemühen, den letzten
828 ANHANG
Z u r R e z e p t io n s g e s c h ic h te d e s Nibelungenliedes
th isc h e n U r s p r u n g d e r G e s c h ic h te n ä h e rk o m m e n . W a g n e rs
Ring g e h ö rt in so fe rn z u r R e z e p tio n sg e sc h ich te d es Nibelungen
liedes, als d ie Z ü g e d e r O p e rn g e sta lte n (in sb e so n d e re S ie g frie d s
u n d B rü n h ild s ) a u f d ie V o rste llu n g v o n d en F ig u re n d es E p o s
z u rü c k g e w irk t h a b e n . S ie g frie d , d e r s tra h le n d e H eld , » d e r d as
F ü rc h te n n ic h t g elern t« , w a r u n d b lie b d ie Id e n tifik a tio n s fig u r
d e s n e u e n K a ise rre ic h e s n a c h 18 7 1 u n d d a r ü b e r h in a u s b is in
d a s »D ritte R eich « A d o lf H itlers.
D a n e b e n w u rd e a lle rd in g s H a g e n als ein z w eiter H e ld e n ty
p u s, d e r E n tsc h lo sse n h e it u n d H ä rte im K a m p f b ew eist u n d d as
N o tw e n d ig e tu t, p o sitiv h erau sg estellt. F rie d ric h H e b b e l h at ih n
in se in e r D r a m e n tr ilo g ie Die Nibelungen (18 6 1 u r a u fg e fü h r t),
d ie e r m it a n tifra n z ö s is c h e m Im p e tu s als » d e u tsc h e s T ra u e r
sp iel« a n p rie s , z u e rst e n ts p re c h e n d v o rg e fü h rt. In s b e s o n d e re
n ach d e m E rste n W eltk rie g p ro p a g ie rte n d ie n a tio n a lso z ia listi
sc h e n w e h rh a fte n M ä n n e r b ü n d e d ie Q u a litä te n d es tre u e n G e
fo lg sm a n n e s b is zu d e r a b stru se n V o rste llu n g , d e r R e ic h sfü h re r
d e r S S , H e in ric h H im m le r, sei d e r w ie d e rg e b o re n e H a g e n .
D u rc h s e in e n K a m p f b is z u m letzten sc h ie n d ie se r H e ld z u r
A n im a tio n s fig u r im Z w e ite n W eltk rie g b e s o n d e rs gee ig n et.
B e s tim m te G r u n d z ü g e d e r Nibelungenlied-Rezeption w ie
d e rh o le n sich : A u s d e r e rz ä h lte n G e s c h ic h te m it ih re n k o m
p le x e n H a n d lu n g s s tru k tu re n w e rd e n E in z e lsz e n e n u n d T e il
a n sich te n v o n F ig u re n h e ra u s g e g riffe n u n d id e o lo g isie re n d zu
b e stim m te n A u s s a g e n u n d O rie n tie ru n g s b e isp ie le n fu n k tio n a -
lisiert. W en n z. B . d ie v ie lb e ru fe n e » N ib e lu n g e n tre u e « als G e
s in n u n g s m u s te r a u s d e m L ied h e ra u sg e le se n w ird , so k a n n
d a fü r e ig e n tlic h n u r e in e S z e n e d e s 2. T eils als B e le g a n g e fü h rt
w e rd e n , in d e r sich d ie B u rg u n d e n w e ig e rn , H a g e n an K rie m -
h ild a u sz u lie fe rn , u n d d a m it a u f e in e F rie d e n s m ö g lic h k e it v e r
zich ten . V ö llig a u sg e b le n d e t w ird bei d e m P reis d e r T reu e, d aß
d a s L ie d v o n V e rra t u n d T re u lo sig k e it d e rse lb e n P e rso n e n an
S ie g frie d h an d elt. D ie » N ib e lu n g e n tre u e « d es D e u tsc h e n R e i
c h es h at d e r R e ich sk a n z le r F ü rst v o n B ü lo w 19 0 9 Ö sterreich z u
g e sic h e rt. H e rm a n n G ö r in g h at 19 4 3 d a s Ü b e rle b e n d e r N ib e
834 ANHANG
V o rste llu n g e n v o n d e m G a n g d e r H a n d lu n g d es u m 12 0 0 e n t
sta n d e n e n W erkes u n d v o n d en k ü n stle risc h e n Q u a litä te n d es
E p ik e rs zu v e rm itte ln . E r erzäh lt vo n e in e r h ö fisc h e n W elt d er
S ta u fe rz e it m it id e a lisie rte n R ittern u n d D a m e n . S ie ersch e in e n
als A k te u re in e in e r alten G e sc h ic h te , d ie zu g ra u e n h a fte m M a s
s e n m o rd e sk a lie rt. B ew eg t v o n L ieb e, H a ß , B e tru g , M a c h t- u n d
B esitzg ier, T re u lo sig k e it u n d e r b a r m u n g s lo s e r K a m p fb e r e it
sc h a ft w e rd e n d ie M e n sc h e n in ein en a n sc h e in e n d u n a u fh a lt
b a re n P ro z e ß in d en U n te rg a n g h in e in g e z o g e n , w e il d ie e n t
sc h e id e n d e n P e rso n e n n ich t b ereit o d e r n ich t in d e r L a g e sin d ,
e in e n S c h lu ß stric h u n ter d ie V e rg a n g e n h e it zu zieh en u n d n eu
a n z u fa n g e n .
S c h o n im M itte la lte r b e fre m d e te d ie h e illo se G e sc h ic h te in
e in e r W elt, in d e r c h ris ü ic h e W erte a u c h lite ra risch p ro p a g ie rt
w u rd e n . D ie Nibelungenklage, in e n g e r z e itlic h e r N ä h e zu m
E p o s e n tsta n d e n , ist d e r erste B e itra g z u r R e z e p tio n d e s Nibe
lungenliedes im M itte la lte r selb st. S ie zeigt w e ite re rz ä h le n d
e in e n W eg in d ie Z u k u n ft: d ie B e w ä ltig u n g d es U n te rg a n g s
d u rc h T ra u e r u n d d ie F o r tfü h r u n g d e r H e rrs c h a ft in e in e r
n e u e n G e n e ra tio n .
836 ANHANG
S a c h e r k lä r u n g e n z u m V e r s tä n d n is d e s Nibelungenliedes
Amelungen
Männer des Gefolges Dietrichs von Bern, dessen Herkunftsland »Ame
lungen« genannt wird. Der Name ist abgeleitet von dem ostgotischen
Königsgeschlecht der Amaler, zu dem Ermanarich und Theoderich d. Gr.
(= Dietrich von Bern) gehören.
Aventiure
l. Begegnung und Ereignis besonderer Art, in dem sich Helden und Rit
ter bewähren; 2. Erzählung, Bericht über solche Ereignisse; 3. Abschnitt,
Kapitel einer größeren Erzählung, in diesem Sinn in den Zwischenüber
schriften des N ibelungenliedes verwendet.
Bahrprobe
Rechtsbrauch zur Überführung eines Mörders, gegründet auf die An
nahme, daß die Wunden des Ermordeten zu bluten beginnen, wenn der
Mörder an die Totenbahre herantritt.
Balmung
Siegfrieds Schwert, das er von den Nibelungenkönigen erhält, das Hagen
nach Siegfrieds Tod an sich nimmt und mit dem Kriemhild Hagen er
schlägt.
Burg
Wohnanlage adliger Herren, seit dem 11. Jahrhundert aus Stein errichteter
befestigter Gebäudekomplex auf Anhöhen und im Flachland. Die Burgen
bestehen aus dem Palas (Hauptgebäude) mit dem Saal und heizbaren
Wohnräumen (Kemenaten), einem Burgturm (Bergfried), einer Kapelle,
einem Brunnen, Wirtschaftsgebäuden (Ställen, Lagerräumen, Werkstät
ten) und verschiedenartigen Befestigungen (Mauern mit Toren, Gräben).
Burgunden
Westgermanisches Volk, um 400 am Rhein zwischen Mainz und Worms
ansässig. Unter König Gunther dringen die Burgunden nach Westen ins
Römische Reich vor und werden 436 von den Römern mit hunnischen
Hilfstruppen vernichtend geschlagen. Der Rest des Volkes wird von
Aetius im Rhonegebiet angesiedelt. - Im N ibelungenlied ist das Zentrum
des Burgundenreichs Worms, bestehend aus der königlichen Burg und
der naheliegenden Stadt mit dem Dom (Münster).
ANHANG 837
Dienstmann/Dienstleute (Ministerielle)
Ursprünglich Unfreier im Dienst eines adligen Herrn, mit bestimmten
Aufgaben (Hof-, Verwaltungs-, Kriegsdienst) betraut. Unterschiedliches
Ansehen und sozialer Status der Dienstleute ergeben sich aus der Stel
lung der Herren (König, Herzoge, verschiedene Adlige) und aus der Art
der Dienste. Gegenleistung des Herren ist die Verleihung eines Dienst
lehens mit verschiedenen Auflagen (z. B. Abgaben, Zinsleistung).
Drache
Im Mittelalter für real existierend gehaltenes schlangen- oder echsenarti
ges Tier von unterschiedlichen Erscheinungsformen, u. a. mit Flügeln,
langem Schwanz und feuerspeiend.
Ehre
Ansehen, Würde eines Menschen in seiner gesellschaftlichen Umwelt.
Zentralbegriff in der mittelalterlichen Werteordnung, auf deren wechsel
seitige Einhaltung die Angehörigen der Gesellschaft idealiter verpflichtet
sind.
Eid
Wahrheitsversicherung mit bestimmten Sprachformeln und rituellen Ge
sten meist unter Berufung auf Gott, die Heiligen oder mit der Berührung
von heiligen Gegenständen (Reliquien) verbunden.
Eigenmann/Eigenleute
Unfreier Abhängiger eines Herrn mit geminderter Rechtsfähigkeit, ver
pflichtet zu Diensten und Abgaben, nicht freizügig.
Etzelnburg
Herrschaftssitz des Hunnenkönigs Etzel, das heutige Esztergom = Gran
a. d. Donau, Schauplatz des Untergangs der Nibelungen.
Fahrende/Fahrendes Volk
Umherziehende Leute (mittelhochdeutsch varti = sich fortbewegen)
unterschiedlicher Herkunft, die an Höfen und in Städten als Spielleute,
Schausteller, Gaukler, Musikanten und Sänger zur Unterhaltung auf-
treten.
Fehde
Kriegerische Selbsthilfe des Adels gegen tatsächliche oder vermeintliche
838 ANHANG
Fiedel
Wichtigstes Streichinstrument des Mittelalters. Vorform der Geige.
Fürst
Hoher adliger Herr eines Volkes oder Landes: Kaiser, König, Herzog,
Graf, auch Erzbischof oder Bischof als geisdicher Fürst.
Gebände
Kopfbedeckung für verheiratete Frauen, im 12. und 13. Jahrhundert aus
einem um Haare und Kinn gebundenen Schleier oder einem Leinentuch
bestehend.
Hof
1. Zentrum adliger Herrschaft (im N ibelungenlied überwiegend der Kö
nigsherrschaft); 2. Unmittelbare Nähe des Herrschers, Ort der Begegnung
mit dem Hofherrn oder der Hofherrin, so in den Wendungen »bei Hofe«,
»zum Hof / an den Hof gehen«; 3. Öffentlicher Platz innerhalb der Burg
(Burghof), wo Begegnungen verschiedener Art (Begrüßungen, Turniere
u. a.) stattfinden, wo es zum Streit und zu kämpferischer Auseinander
setzung kommt.
Hofämter
Vier wichtige Ämter zunächst am Königshof, später auch an anderen
Fürstenhöfen: Truchseß, Marschall, Kämmerer, Mundschenk. Am Ende
des 12. Jahrhunderts kommt der Küchenmeister hinzu. Die ursprünglich
tatsächlich ausgeführten Aufgaben werden zu symbolischen Handlungen
bei besonderen Anlässen, wie der Krönungsfeier; die Amtsbezeichnun
gen werden zu Titeln für die Verwaltung von Ressortbereichen.
Hunnen
Aus Zentralasien stammendes Reiter- und Nomadenvolk, das im 4. Jahr
hundert nach Osteuropa vordrang. Im 5. Jahrhundert dehnte sich das
Hunnenreich vom Kaukasus bis zur Donau und an den Rhein aus. Unter
Attila (= Etzel) wurden Kriegszüge nach Gallien unternommen. Nach
Attilas Tod (453) zerfiel das Reich.
ANHANG 839
Kämmerer
i. Inhaber eines der vier alten -» Hofämter, zuständig für die Hofhaltung,
Rechtswahrung und die Finanzen (Hunold im N ibelungenlied); 2. Diener
zur Aufsicht des Schlafgemaches und anderer Räume.
Kaplan
Hofgeistlicher, besonders am Königshof, der ursprünglich die Reliquien
der Hofkapelle betreute, in diesem Sinne im N ibelungenlied verwendet.
Die anderen Bedeutungen (Geistlicher mit besonderen Aufgaben und
Hilfsgeistlicher) kommen in dem Epos nicht vor.
Kebse
Nebenfrau, Bettgenossin. Die negative Bewertung verschiedener Spiel
arten resultiert im Hochmittelalter aus der Festigung der christlichen
Ehedoktrin (Einverständnis der Braut zu der Ehe und deren Unauflös
lichkeit).
Kemenate
Heizbarer Raum einer -» Burg, Frauengemach.
Knappe
Junger Mann, der sich zur Ausbildung besonders im Waffengebrauch an
einem Hof aufhalt und durch die Schwertleite zum Ritter wird.
Küchenmeister
Inhaber eines Ende des 12. Jahrhunderts neu geschaffenen königlichen
Hofamtes. (Rumold im N ibelungenlied). Die Nennung des Amtes im
Epos bietet u. a. einen Anhaltspunkt für die Datierung der Entstehung
des Textes.
Lehnsmann/Lehnsleute (Vasall)
Adliger, dem ein Herr ein Lehen (Ländereien oder ein Amt) verliehen
hat, für das er Dienste leisten muß: Rat (Beratung bei Hoftagen) und
Hilfe (Unterstützung im Krieg). Der Herr ist zu Schutz und Schirm des
Lehnsmannes verpflichtet. Beide sind rechtlich miteinander in wechsel
seitiger Treue verbunden.
Markgraf
Königlicher Amtsträger in einem Grenzgebiet (Mark) mit militärischer
Befehlsgewalt bei Kriegszügen in Feindesland.
840 ANHANG
Marschall
Inhaber eines der vier alten -> Hofämter, das die Aufsicht über den Reit
stall, das Verkehrswesen und die Führung des Heeres umfaßt (Dankwart
im Nibelungenlied).
Meerfrauen
Nach mittelalterlicher mythischer Vorstellung im Wasser lebende Wesen,
halb Mensch, halb Tier mit übernatürlichen Fähigkeiten: sie sehen die
Zukunft voraus.
Minne/Minnedienst
Allgemein: Liebe auf Gott, den Nächsten, Frau und Mann bezogen, im
religiösen, erotischen und sexuellen Sinn. Speziell: im 12./13. Jahrhundert
in der Literatur propagierter Wert und Handlungsantrieb der höfischen
Gesellschaft als Liebe zwischen Mann und Frau. Sie bewirkt die Vervoll
kommnung des Mannes, Steigerung seiner Leistung und Glück. Minne
erfordert Dienst des Mannes für die Frau (Bewährung im Kampf, Treue
auch bei Ausbleiben der Liebeserfüllung, Preis der Frau durch Minnelie
der). - In die heldenepische Welt des Nibelungenliedes ist Minne als wich
tiges Motiv integriert, angeregt durch den zeitgenössischen Minnesang
und den höfischen Roman.
Morgengabe
Rechtlich festgelegtes Geschenk des Mannes an die Ehefrau am Morgen
nach der Hochzeitsnacht, u. a. als Sicherung für den Fall der Verwitwung.
Mundschenk
1. Inhaber eines der vier alten -» Hofämter. Von der ursprünglichen Ver
sorgung der königlichen Tafel mit Getränken ist die Zuständigkeit auf di
verse wichtige Aufgaben am Hof übertragen (Sindold im N ibelungenlied );
2. Untergeordneter Bediensteter, der Getränke einschenkt.
Nibelungen
Im ersten Teil des Nibelungenliedes : Name für die Hortbesitzer im Nibe
lungenland (König Nibelung, seine Söhne Schilbung und Nibelung) so
wie ihre und später Siegfrieds Untertanen. - Im zweiten Teil des N ibelu n
genliedes: Bezeichnung für die Burgundern die Besitzer des Schatzes
geworden sind.
ANHANG 841
Niederland
Gegend um Xanten am Niederrhein, Heimat und Reich König Sieg
munds und seines Sohnes Siegfried.
Palas
Hauptgebäude einer Burg, herrschaftliches Wohngebäude.
Rache
Vergeltung erlittenen Unrechts, verübt an Leben, Gut und Ehre der
Schuldigen, von seiten der sich rächenden Familie als Recht und Pflicht
verstanden. Blutrache: Tötung des Schuldigen oder eines seiner Ver
wandten.
Recke
Kampferprobter, kühner Krieger, Held. Das im Althochdeutschen und
Mittelhochdeutschen vorkommende Wort wurde im 18. Jahrhundert als
typische Bezeichnung der Heldendichtung wiederbelebt.
Reliquien
Überreste von Heiligen (Gebeine, Kleidung, Besitzgegenstände oder Teile
davon). Sie galten als wundertätig und wurden vornehmlich in Kirchen
aufbewahrt.
Ritter
Im Hochmittelalter, besonders in der Literatur, ein Berufsstand aus
Freien und Unfreien, die sich durch besondere Qualitäten (Tugenden) im
Kampf und in der Gesellschaft auszeichnen. Die Ritterwürde wurde
durch die Schwertleite verliehen. Im Spätmittelalter war Ritter ein
Geburtsstand.
Ritterliche Tugenden
Qualitäten, die, auf der christlichen Ethik und den antiken Kardinal
tugenden basierend, einen -» Ritter auszeichnen sollen. Mit wechselnden
Kombinationen in der höfischen Literatur genannt: Treue und Bestän
digkeit, Demut gegenüber Gott, Güte und Erbarmen gegenüber den Mit
menschen, Freigebigkeit und Schutz gegenüber Bedürftigen, Achtung der
Frauen, Tapferkeit im Kampf, Besonnenheit und Maßhalten in allem,
Wahrung der Ehre.
842 ANHANG
Saal
Zentraler Raum im Palas, dem Hauptgebäude der -> Burg, meist im
ersten Stock gelegen.
Sachsen
Im Hochmittelalter Nordwestdeutschland von Hessen und Thüringen bis
zur dänischen Grenze umfassend, Herrschaftsbereich der Welfen im
12. Jahrhundert. - Im N ibelungenlied Name des Volkes und Landes, das
Liudeger beherrscht.
Schwertleite
Initiationsritus für einen Ritter zur Berechtigung, das Schwert zu führen,
Erwerb der Waffen- und Lehnsfähigkeit. Die Erhebung eines Knappen
zum Ritter war in der Regel mit einem kirchlichen Weiheakt verbunden.
Seelgerätsstiftung
Stiftung an die Kirche für das Seelenheil eines Verstorbenen, basierend
auf der Vorstellung, durch Gebete, Messen, Almosen u. a. die Bußzeit der
Seelen im Fegefeuer zu verkürzen und zum Heil im Jenseits beizutragen.
Sonnenwende
Die Zeit der Sommersonnenwende (21./22. Juni) mit den längsten Tagen
wurde bevorzugt zu Festen genutzt.
Spielmann
Umherziehender Musikant und Sänger, der mit dem Vortrag von Dich
tungen seinen Lebensunterhalt verdient. - Im N ibelungenlied stehen
Wärbel und Schwämmet als Spielleute im Dienst König Etzels und wer
den als Boten benutzt. Die Bezeichnung wird auf den fiedelspielenden
Volker, einen Lehnsmann der burgundischen Könige, übertragen.
Steigbügeldienst (Stratordienst)
Symbolischer Huldigungsakt eines Lehnsmannes gegenüber seinem
Lehnsherren: Er hält den Steigbügel zum Aufsteigen auf das Pferd und
führt dies am Zügel. Bei der Kaiserkrönung führt der Kaiser das Pferd
des Papstes, von dort auf die Huldigung anderer Vasallen übertragen.
Sühne
Versöhnung eines Rechtsbrechers mit seinem Gegner, um die Rache oder
Fehde zu beenden. Befriedung allgemein.
ANHANG 843
Treue
Rechtlich verbindliche, durch Eid oder Handschlag begründete Bezie
hung zwischen zwei Personen (Lehnsherr und Lehnsmann, Dienstherr
und Dienstmann) mit der Verpflichtung zu bestimmten Schutz- und Hil
feleistungen. Treuebruch ist ein Rechtsvergehen. Aus dem Rechtsbereich
wird die Vorstellung auf andere zwischenmenschliche Beziehungen über
tragen, z. B. auf die Liebesbeziehung. Entsprechend ist im religiösen Be
reich idealiter das Verhältnis des Menschen zu Gott durch ftdes (Glauben
und Vertrauen) begründet.
Tronje
Hagens Herkunftsort, nach dem er und seine Leute Tronjer genannt wer
den.
Truchseß
l. Inhaber eines der vier alten -» Hofämter, Verantwortlicher für die
königliche Tafel und weitere Bereiche der Hofhaltung (Ortwin von Metz
im N ibelun gen lied ); 2. Untergeordneter Bediensteter, der bei Tisch ser
viert.
Turnier
Kampfspiel zur Waffenübung und Akt höfisch-ritterlicher Repräsentation
und Unterhaltung.
Vasall
-> Lehnsmann
V ölkerwanderung
Allgemein: Wanderzüge der germanischen Stämme im 2.-6. Jahrhundert
n. Chr. von Nordeuropa bis Nordafrika. - Speziell: durch den Hunnen
sturm 375 ausgelöste Bevölkerungsbewegung, die zum Ende des West
römischen Reiches 476 führte.
Waske
Schwert des Dänen Iring, eines Vasallen des dänischen Fürsten Hawart,
der an Etzels Hof lebt.
Zins
Abgabe in Form von Naturalien oder Geld für Güter, die einem Unter
gebenen von einem Herrn zur Nutzung überlassen sind.
846 ANHANG
A u s g e w ä h lt e L ite r a t u r h in w e is e
2. Forschungsliteratur
2.1. Gesamtdarstellungen des N ibelungenliedes
Otfrid Ehrismann: N ibehm genlied. E p oche-W erk-W irkung. München
1987.
Joachim Heinzle: D as N ibelungenlied. Eine Einführung. M ünchen,
Zürich 1987. Überarb. Neuausg. Frankfurt a. M. 1994. (Fischer Tb.
11843).
ANHANG 847
2.2 Sammelbände
Badisches Landesmuseum/Badische Landesbibliothek (Hrsg.): Uns ist in
alten Mären ... Das Nibelungenlied und seine Welt. Darmstadt 2003.
Joachim Heinzle/Klaus Klein/Ute Obhof (Hrsg.): Die Nibelungen. S age-
Epos - Mythos. Wiesbaden 2003.
Joachim Heinzle/Anneliese Waldschmidt (Hrsg.): Die Nibelungen. Ein
deutscher Wahn, ein deutscher Alptraum. Studien und Dokumente
zur Rezeption des Nibelungenstoffs im 19. und 20. Jahrhundert. Frank
furt a. M. 1991.
Fritz Peter Knapp (Hrsg.): Nibelungenlied und Klage. Sage und Ge
schichte, Struktur und Gattung. Passauer Nibelungengespräche von
1985. Heidelberg 1987.
Achim Masser (Hrsg.): Hohenemser Studien zum Nibelungenlied. Dorn
birn 1981.
Klaus Zadoukal (Hrsg.): Pöchlarner Heldenliedgespräch. Das Nibelun
genlied und der mittlere Donauraum. Wien 1990.
Klaus Zatloukal (Hrsg.): 6. Pöchlarner Heldenliedgespräch. 800 Jahre
Nibelungenlied. Rückblick - Einblick - Ausblick. Wien 2001.
2.3. Einzelbeiträge
Ingrid Bennewitz: Das Nibelungenlied - ein »Puech von Chrimhild«? Ein
geschlechtergeschichtlicher Versuch zum Nibelungenlied und seiner
Rezeption. In: Klaus Zatloukal (Hrsg.): 3. Pöchlarner Heldenlied
gespräch. Die Rezeption des Nibelungenliedes. Wien 1995. S. 33-52.
Siegfried Beyschlag: Das Motiv der Macht bei Siegfrieds Tod. In: Germa
nisch-Romanische Monatsschrift 33 (1951/52). S. 95-108. Wiederabge
druckt in: Karl Hauck (Hrsg.): Zur germanisch-deutschen Heldensage.
Darmstadt 1965. S. 195-213.
Helmut Brackert: Nibelungenlied und Nationalgedanke. Zur Geschichte
einer deutschen Ideologie. In: Mediaevalia litteraria. Festschrift für
Helmut de Boor. München 1971. S. 343-364.
848 ANHANG
Das Nibelungenlied
1. Aventiure:
Von den Nibelungen
(Kriemhild und der Hof in Worms) ............................................ 9
2. Aventiure:
Wie Siegfried erzogen wurde
(Siegfried und der Hof in Xanten) .............................................. 15
3. Aventiure:
Wie Siegfried nach Worms kam
(Siegfrieds Ankunft in Worms) .................................................... 23
4. Aventiure:
Wie Siegfried gegen die Sachsen kämpfte
(Der Sachsen- und Dänenkrieg) .................................................. 53
5. Aventiure:
Wie Siegfried Kriemhild zum ersten Mal erblickte
(Siegfrieds Begegnung mit K riem hild)........................................ 93
6. Aventiure:
Wie sich Gunther auf die Fahrt nach Island
zu Brünhild vorbereitete
(Gunthers H eiratsentschluß).................................................. 113
7. Aventiure:
Wie Gunther mit seinen Gefährten nach Island kam
(Der Werbungsbetrug an Brünhild) ............................................ 133
8. Aventiure:
Wie Siegfried ins Nibelungenland zu seinen Recken reiste
(Siegfrieds Fahrt ins Nibelungenland) .......................................... 163
852 ANHANG
9. Aventi ure:
Wie Siegfried als Bote nach Worms fuhr
(Siegfrieds Berichterstattung in W orm s)...................................... 177
10. Aventiure:
Wie König Gunther in Worms mit Brünhild Hochzeit feierte
(Doppelhochzeit in Worms) ......................................................... 193
11. Aventiure:
Wie Siegfried seine Frau in sein Reich führte
und wie sie dort Hochzeit feierten
(Siegfried und Kriemhild in Xanten) .......................................... 229
12. Aventiure:
Wie Gunther Siegfried und Kriemhild nach Worms einlud,
wo man ihn später erschlagen hat
(Die hinterlistige Einladung nach W orm s).................................. 241
13. Aventiure:
Wie Kriemhild mit ihrem Mann zum Fest reiste
(Siegfrieds und Kriemhilds Reise nach W orm s).......................... 257
14. Aventiure:
Wie die Königinnen miteinander in Streit gerieten
(Der Frauenstreit und der M o rd ra t)............................................ 269
15. Aventiure:
Wie in Worms Fehde angesagt wurde
(Vorbereitung zu Siegfrieds E rm ordung).................................... 289
16. Aventiure:
Wie Siegfried ermordet wurde
(Die Jagd und Siegfrieds Ermordung) ........................................ 303
17. Aventiure:
Wie Kriemhild um ihren Mann trauerte und
wie man ihn begrub
(KriemhildsTrauer und Siegfrieds Begräbnis)............................ 331
ANHANG 853
18. Aventiure:
Wie Kriemhild in Worms blieb und ihr Schwiegervater fortritt
(Abschied von Siegmund) ............................................................. 353
19. Aventiure:
Wie der Nibelungenhort nach Worms gebracht wurde
(Der Hortraub) ............................................................................... 363
20. Aventiure:
Wie König Etzel seinen Boten zu Kriemhild
nach Worms schickte
(Etzels Werbung um Kriemhild) ................................................... 381
21. Aventiure:
Wie Kriemhild von Worms Abschied nahm und
zu den Hunnen reiste
(Kriemhilds Reise zu Etzel) ........................................................... 425
22. Aventiure:
Wie Kriemhild und Etzel in Wien Hochzeit hielten
(Die Hochzeit in Wien) ................................................................... 439
23. Aventiure:
Wie König Etzel und die Herrin Kriemhild ihren Verwandten
in Worms eine Einladung schickten
(Kriemhilds Racheabsichten)......................................................... 455
24. Aventiure:
Wie die Boten an den Rhein kamen und wie sie wieder abreisten
(Die hinterlistige Einladung der Burgunden).................................467
25. Aventiure:
Wie die Könige zu den Hunnen reisten
(Abreise und Donauübergang der B urgunden).............................495
26. Aventiure:
Wie sie mit Else und Gelfrat kämpften und siegten
(Kampf mit den bayrischen M arkgrafen).................................... 521
854 ANHANG
27. Aventiure:
Wie der Markgraf die Könige mit ihren Recken auf seiner Burg
empfing und wie er sie anschließend bewirtete
(Einkehr bei Rüdiger von Bechelarn) .......................................... 543
28. Aventiure:
Wie die Nibelungen in Etzelnburg eintrafen und
wie sie empfangen wurden
(Ankunft der Nibelungen bei Etzel) ............................................ 563
29. Aventiure:
Wie Hagen und Volker vor Kriemhilds Saal saßen
(Konfrontation von Hagen und K riem hild)................................ 577
30. Aventiure:
Wie die Könige mit ihren Recken schlafen gingen
und was sie dann erlebten
(Mißglückter Überfall auf die Nibelungen) ................................ 597
31. Aventiure:
Wie die Burgunden zur Kirche gingen
(Kirchgang und Herausforderung zum Kampf) ...........................607
32. Aventiure:
Wie Blödel mit Dankwart vor der Herberge kämpfte
(Der Überfall auf die K nappen)..................................................... 631
33. Aventiure:
Wie Dankwart seinen Herren am Hof Bescheid gab
(Der Kampf im Saal)......................................................................... 643
34. Aventiure:
Wie Iring gegen Hagen kämpfte und wie dieser dann Erfolg hatte
(Irings Kampf und T o d ) ................................................................... 667
35. Aventiure:
Wie die drei Könige mit Etzel und ihrer Schwester
über Frieden verhandelten
(Nibelungentreue und Saalbrand)................................................. 683
ANHANG 855
36. Aventiure:
Wie Rüdiger erschlagen wurde
(Rüdigers Kampf und Tod) .......................................................... 701
37. Aventiure:
Wie Herrn Dietrichs Recken alle erschlagen wurden
(Kampf und Tod von Dietrichs G etreuen).................................. 733
38. Aventiure:
Wie Herr Dietrich Gunther und Hagen bezwang
(Günthers» Hagens und Kriemhilds T o d ) .................................... 761
Anhang
Nachwort
Zur Entstehung des Nibelungenliedes .......................................... 781
Zur Überlieferung des Nibelungenliedes -
Die Handschrift C .......................................................................... 788
Zur Edition des mittelhochdeutschen T extes.............................. 791
Zur Ü bersetzung............................................................................ 795
Kommentierende Inhaltsübersicht ................................................ 798
Zur Rezeptionsgeschichte des N ib elu n g en lied es ............................ 829
Sacherklärungen zum Verständnis des Nibelungenliedes .....................836
Schauplätze des N ibelu n g en lied es ............................................................844
Ausgewählte Literaturhinweise.............................................................. 846
Danksagung .............................................................................................850