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Erziehung ist Beziehung

Einflussfaktoren auf das Nähe-Distanz-Verhältnis in der Bezie-


hungsarbeit mit fremduntergebrachten Jugendlichen

Masterarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades

Master of Arts

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von

Bianca POGACNIK, Bakk.aphil.

am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft

Begutachterin: Univ.-Prof.in Dr.inphil. Wächter Natalia

Graz, 2015
Ehrenwörtliche Erklärung
Hiermit erkläre ich ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Masterarbeit selbständig und
ohne fremde Hilfe verfasst, keine anderen als die angegebenen Quellen benutzt und die
den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht
habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen Prü-
fungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung
entspricht der eingereichten elektronischen Version.

_______________________________ __________________________________
Datum Unterschrift
Inhaltsverzeichnis
Einleitung ....................................................................................................................... 1
I. Theoretische Grundlagen ........................................................................................ 4
1. Aktueller Stand der Forschung und Relevanz der Thematik .............................. 5
2. Theorien und Konzepte der Sozialpädagogik ........................................................ 7
2.1. Bindungstheorie nach Bowlby ............................................................................... 7
2.1.1. Grundlagen der Bindungstheorie ................................................................ 8
2.1.2. Bindungstypen nach Ainsworth ................................................................. 11
2.2. Konzept des Safe Place ........................................................................................ 14
2.2.1. Theoretische Grundlagen ..........................................................................14
2.2.2. Beziehungsangebote nach Katz-Bernstein................................................. 16
2.3. Lebensweltorientierung nach Thiersch ................................................................ 17
2.3.1. Ziel der Lebensweltorientierung................................................................ 18
2.3.2. Der Lebensraum bei Lewin .......................................................................19
2.3.3. Lebensbereiche bei Bronfenbrenner .......................................................... 20
3. Beziehungsarbeit in der Sozialen Arbeit .............................................................. 22
3.1. Erziehung und Beziehung .................................................................................... 22
3.2. Bedeutung der Beziehung im erzieherischen Alltag ............................................ 25
3.3. Beziehungsarbeit und Erziehung in der Fremdunterbringung ............................. 28
3.4. Die Neue Autorität nach Haim Omer ..................................................................30
4. Nähe und Distanz....................................................................................................36
4.1. Nähe und Distanz in der Sozialen Arbeit ............................................................. 36
4.2. Nähe und Distanz in der Lebenswelt ...................................................................37
4.3. Die pädagogische Beziehung aus neurobiologischer Sicht .................................39
4.4. Nähe und Distanz aus der Perspektive der Psychoanalytischen Pädagogik ........40
4.5. Nähe und Distanz in alltäglichen Beziehungen und körperliche Erfahrung ........42
4.6. Nähe und Distanz in pädagogischen Settings und im institutionellen Alltag ......43
5. Mögliche Einflussfaktoren auf die Bindungsqualität fremduntergebrachter
Jugendlicher ............................................................................................................ 45
5.1. Einflussfaktoren seitens des Herkunftssystems ................................................... 46
5.1.1. Gelegenheit, eine enge Beziehung einzugehen ..........................................46
5.1.2. Qualität der Fürsorge/Mütterliche Feinfühligkeit.....................................47
5.1.3. Familiärer Kontext .................................................................................... 48
5.2. Einflussfaktoren seitens der Kinder und Jugendlichen ........................................49
5.2.1. Persönlichkeitseigenschaften des Säuglings/Temperament des Kindes ....49
5.2.2. Alter und Geschlecht des Kindes ............................................................... 50
5.2.3. Lebensgeschichte der Kinder und Jugendlichen .......................................52
5.3. Einflussfaktoren seitens der PädagogIn ............................................................... 53
5.3.1. Persönlichkeitseigenschaften der PädagogIn ...........................................53
5.3.2. Umgang mit Nähe und Distanz..................................................................54
5.3.3. (Selbst-) Reflexion und persönliche Abgrenzung .......................................55
5.4. Weitere Einflussfaktoren ...................................................................................... 56
5.4.1. Einflüsse der Peer-Group ..........................................................................56
5.4.2. Rahmenorganisatorische Faktoren der Institution ....................................57
6. Fremdunterbringung ............................................................................................. 59
6.1. Gründe für eine Fremdunterbringung ..................................................................59
6.2. Formen der Fremdunterbringung .........................................................................61
6.3. Aufgaben und Ziele einer Fremdunterbringung .................................................. 62

II. Empirischer Teil......................................................................................................65


1. Ziele und Fragestellungen ...................................................................................... 66
1.1. Zielsetzungen .......................................................................................................66
1.2. Fragestellungen ....................................................................................................66
2. Methodisches Vorgehen ......................................................................................... 68
2.1. Institutionelle Darstellung ................................................................................... 68
2.2. Stichprobe und Überblick über teilnehmende Personen an der Erhebung ..........69
2.3. Beschreibung der angewandten Methoden .......................................................... 71
2.3.1. Problemzentriertes Interview.....................................................................72
2.3.2. Das Familienbrett nach Kurt Ludewig ...................................................... 73
2.3.3. Transkription ............................................................................................. 74
2.3.4. Kategoriensystem und Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring ............. 76
2.4. Untersuchungsablauf ........................................................................................... 84
3. Ergebnisse ............................................................................................................... 86
3.1. Bedeutung von Nähe und Distanz .......................................................................86
3.1.1. Bedeutung des Begriffes Nähe....................................................................86
3.1.2. Bedeutung des Begriffes Distanz ................................................................ 90
3.2. Familienbrettaufstellungen .................................................................................. 95
3.3. Situationen, wo Nähe und Distanz erlebt bzw. gewünscht wird .......................... 97
3.3.1. Situationen, in welchen Nähe erlebt wird .................................................. 97
3.3.2. Momente, wo mehr Nähe gewünscht wird.................................................. 99
3.3.3. Situationen, wo Distanz erlebt wird ......................................................... 101
3.3.4. Momente, wo mehr Distanz gewünscht wird ............................................ 103
3.3.5. Situationen, in welchen es schwer fällt, Distanz zu wahren ..................... 104
3.3.6. Momente, wo viel Nähe gebraucht wird ................................................... 107
3.4. Faktoren, welche das Nähe-Distanz-Verhältnis beeinflussen ............................ 109
3.4.1. Faktoren betreffend des Herkunftssystems ............................................... 109
3.4.2. Faktoren betreffend Kinder/Jugendliche .................................................. 110
3.4.3. Faktoren betreffend der PädagogInnen ................................................... 112
3.4.4. Weitere Einflussfaktoren ........................................................................... 115
3.5. Herausforderungen im Umgang mit Nähe und Distanz .................................... 117
3.5.1. Herausforderungen innerhalb der Wohngruppe ...................................... 117
3.5.2. Umgang mit Herausforderungen sowie Abgrenzung von Berufs- und
Privatleben……………………………………………………………...119
3.6. Interne Reflexionsmöglichkeiten und Diskussionsthemen ................................ 120
3.7. Zusammenfassung der Ergebnisse und Diskussion ........................................... 121
4. Resümee ................................................................................................................. 127
Abbildungsverzeichnis .............................................................................................. 133
Literaturverzeichnis ..................................................................................................134
Anhang ....................................................................................................................... 141
Aufstellungen mit dem Familienbrett nach Kurt Ludewig ..................................141
Interviewleitfaden Jugendliche ............................................................................ 145
Interviewleitfaden PädagogInnen.........................................................................147
Vorwort
Hiermit möchte ich mich bei all jenen Personen ganz herzlich bedanken, die
mich während der Zeit meines Studiums und der Entstehung dieser Masterarbeit
unterstützt und motiviert haben.

Mein besonderer Dank gilt:

Frau Univ.-Prof.in Dr.inphil. Natalia Wächter für ihre unterstützende, motivieren-


de und geduldige Begleitung als Betreuerin dieser Masterarbeit.

Meiner Familie, die mich mit ihren positiven Worten dazu motiviert hat, nie auf-
zugeben und meine Ziele niemals aus den Augen zu verlieren, stets voll und ganz
hinter mir stehen und immer an mich glauben.

Meinen FreundInnen, welche immer ein offenes Ohr für mich haben und mich
immer wieder dazu ermutigt haben, weiterzumachen und meine Ziele zu verfol-
gen.

Den Jugendlichen, den PädagogInnen sowie der Geschäftsleitung der Einrich-


tung, welche an meiner Untersuchung teilgenommen haben und maßgeblich dazu
beigetragen haben, dass diese Masterarbeit nun so vorliegt.

Vielen lieben dank euch allen!


Zitate
Menschen jedes Alters wirken am
glücklichsten und nutzen ihre
Begabungen auf die vorteilhafteste
Weise, wenn sie die Gewissheit haben,
dass mindestens eine Person hinter
ihnen steht, die ihr Vertrauen besitzt
und ihnen zu Hilfe kommt, falls sich
Schwierigkeiten ergeben.
(John Bowlby)

Wer uns seine Nähe spüren lässt,


schenkt uns seine Anerkennung.
(Ernst Ferstl)

Liebe mich dann am meisten, wenn ich es am wenigsten


verdient habe, denn dann brauche ich dich am nötigsten.
(Helen Keller)

Wer Nähe erleben will,


muss sich immer wieder entfernen.
(Anselm Vogt)

Alles, was wir lernen, erfahren und erleben


vollzieht sich im Zusammenhang mit
zwischenmenschlichen Beziehungen.
(Joachim Bauer)
Zusammenfassung
Die vorliegende Masterarbeit befasst sich sowohl theoretisch als auch empirisch mit
dem Thema Erziehung ist Beziehung - Einflussfaktoren auf das Nähe-Distanz-
Verhältnis in der Beziehungsarbeit mit fremduntergebrachten Jugendlichen.
Das Ziel dieser Arbeit war herauszufinden, was Nähe und Distanz in der Beziehungsar-
beit mit fremduntergebrachten Jugendlichen bedeuten, welche Faktoren das Nähe-
Distanz-Verhältnis beeinflussen, welche Herausforderungen entstehen und wie diese
bewältigt werden können. Die empirische Erhebung setzt sich einerseits aus problem-
zentrierten Interviews mit fünf PädagogInnen, welche in einer sozialpädagogischen
Wohngemeinschaft tätig sind sowie einem Skulpturverfahren aus der Familientherapie
in Kombination mit Interviews mit zehn Jugendlichen, welche ebenfalls in einer sozial-
pädagogischen Wohngruppe fremduntergebracht sind, zusammen. Dieses Thema wurde
von mir gewählt, da die Zahl an Fremdunterbringungen stetig steigt und ich zudem
selbst in einer sozialpädagogischen Wohngruppe tätig bin und die Beziehungsarbeit eine
zentrale Aufgabe in der Arbeit mit Jugendlichen darstellt. Anhand der empirischen Er-
hebung wurde deutlich, dass die Beziehungsarbeit eine zentrale Rolle in der Arbeit mit
fremduntergebrachten Jugendlichen einnimmt. In den Interviews wurde auch deutlich,
dass die richtige Balance zwischen Nähe und Distanz situationsabhängig ist, aber immer
wieder eine Herausforderung in der pädagogischen Arbeit darstellt. Zudem wurden di-
verse mögliche Einflussfaktoren auf das Nähe-Distanz-Verhältnis genannt, welche sich
zum Teil auch mit der Theorie decken.

Schlagwörter: Nähe, Distanz, Erziehung, Beziehung, Jugendliche, Einflussfaktoren,


Fremdunterbringung
Abstract
The present masterwork deals theoretically as well as empirically with the subject Edu-
cation is relationship- Influence factors on the nearness-distance relation in the rela-
tionship work with foreign -accommodated youngsters.
The aim of this work was, to found out what nearness and distance in the relationship
work with foreign -accommodated youngsters means, which factors influence the near-
ness-distance relation, which challenges arise and how these can be mastered. The em-
pirical survey consists on the one hand of problem-centered interviews with five peda-
gogues who work in a socio-pedagogical apartment-sharing community as well as a
sculpture procedure from the family therapy in combination with interviews with ten
youngsters, who are also in one social-educational housing group foreign accommodat-
ed. This subject was chosen by me, because the number in foreign accommodations
steadily rises and besides, I act even in a socio-pedagogical housing group and the rela-
tionship work shows a central task in the work with youngsters. Trough empirical sur-
vey became also clear, that the right balance depends on the situation between nearness
and distance, but over and over again represents a challenge in the educational work.
Besides, the various possible factors of influence on the nearness- distance relation were
called, which partly also coincide with the theory.

key words: Nearness, distance, education, relationship, youngsters, factors of influence,


foreign accommodation
Einleitung
Die vorliegende Masterarbeit befasst sich sowohl theoretisch als auch empirisch mit
dem Thema Erziehung ist Beziehung – Einflussfaktoren auf das Nähe-Distanz-
Verhältnis in der Beziehungsarbeit mit fremduntergebrachten Jugendlichen.
Folgende Forschungsfragen haben mich während des gesamten Schreibprozesses dieser
Arbeit begleitet:
 Was heißt Nähe und Distanz in der Beziehungsarbeit mit fremduntergebrachten
Jugendlichen?
 Welche Faktoren beeinflussen das Nähe-Distanz-Verhältnis in der Beziehungsarbeit
mit Jugendlichen?
 Wie gehen PädagogInnen in ihrer praktischen Tätigkeit am Beispiel sozialpädago-
gischer Wohngemeinschaften mit Nähe und Distanz in der Beziehungsarbeit mit
Jugendlichen um?
 Welche Herausforderungen können diesbezüglich entstehen?
 Wie werden die damit verbundenen Herausforderungen bewältigt?

Im Laufe meiner Literaturrecherchen zeigte sich schnell, dass es bereits zahlreiche For-
schungsergebnisse zur Beziehungsqualität zwischen Kindern und deren Müttern gibt,
jedoch findet sich kaum Literatur zur Bedeutung der Bindungsqualität in institutionellen
Settings, obwohl beispielsweise in Österreich rund 11.000 Kinder und Jugendliche
fremduntergebracht sind (vgl. Holz-Dahrenstaedt 2012, S. 9).
Das Ziel dieser Masterarbeit war herauszufinden, was Nähe und Distanz in der Bezie-
hungsarbeit mit fremduntergebrachten Jugendlichen bedeutet, welche Faktoren das Nä-
he-Distanz-Verhältnis beeinflussen, welche Herausforderungen entstehen und wie diese
bewältigt werden können.

Zu Beginn möchte ich noch anmerken, dass zum Schutz und Wohle der Jugendlichen
sowie aus ethischen, moralischen und juristischen Gründen alle Angaben der Jugendli-
chen und der Einrichtung anonymisiert wurden.

1|Seite
Im ersten Kapitel der Arbeit wird zunächst ein Überblick über den derzeitigen For-
schungsstand gegeben. Aufbauend auf theoretischen Konzepten wie der Bindungstheo-
rie von John Bowlby und Mary Ainsworth, dem Konzept des Safe Place von Nitza
Katz-Bernstein und der Lebensweltorientierung von Hans Thiersch, erfolgt im zweiten
Kapitel eine erste theoretische Annäherung an das Forschungsthema.
Im dritten Kapitel wird näher auf die Erziehung in der Fremdunterbringung sowie die
Beziehungsarbeit im pädagogischen Alltag mit fremduntergebrachten Jugendlichen ein-
gegangen. Zunächst werden die Begriffe Erziehung, Beziehung und Beziehungsarbeit
definiert. Anschließend wird die Bedeutung von Erziehung und Beziehung im pädago-
gischen Alltag beschrieben. Danach folgt ein theoretischer Einblick in die Erziehung
und Beziehungsarbeit mit schwierigen Jugendlichen, wobei auch der Frage nachgegan-
gen wird, ob Erziehung von Jugendlichen in der Fremdunterbringung prinzipiell über-
haupt (noch) möglich ist.
Das vierte Kapitel beschäftigt sich dem Thema Nähe und Distanz aus unterschiedli-
chen Perspektiven und wie sich diese gestaltet. Zu Beginn wird auf die Nähe und Dis-
tanz in der Sozialen Arbeit eingegangen. Danach wird erläutert, was Nähe und Distanz
innerhalb der Lebenswelt bedeutet. Anschließend wird näher auf die pädagogische Be-
ziehung aus neurobiologischer Sicht, die Nähe und Distanz aus der Perspektive der Psy-
choanalytischen Pädagogik, Nähe und Distanz in alltäglichen Beziehungen sowie Nähe
und Distanz als körperliche Erfahrung eingegangen. Abschließend wird in diesem Kapi-
tel die Nähe und Distanz in Internaten und Heimen beschrieben.
Mögliche Einflussfaktoren auf das Nähe-Distanz-Verhältnis in der Beziehungsarbeit mit
fremduntergebrachten Jugendlichen bilden das fünfte Kapitel. Diese Einflussfaktoren
sind in verschiedene Bereiche gegliedert: Faktoren seitens des Herkunftssystems, bei-
spielsweise die Qualität der Fürsorge oder der familiäre Kontext, Einflussfaktoren sei-
tens des Kindes, unter anderem die Persönlichkeitseigenschaften, das Alter und das Ge-
schlecht des Kindes sowie mögliche Faktoren seitens der PädagogInnen, zum Beispiel
die Persönlichkeitseigenschaften, das Alter oder die Berufserfahrung. Abschließend
werden Variablen beschrieben, welche sich nicht zu diesen drei Kategorien zuordnen
lassen, etwa rahmenorganisatorische Faktoren seitens der Institution oder Einflüsse von
der Peer-group. Im theoretischen Teil wird abschließend im sechsten Kapitel näher auf
die Fremdunterbringung eingegangen. Zunächst werden diverse Gründe, welche letzt-

2|Seite
endlich zu einer Herausnahme aus der Familie führen, beschrieben. Danach wird auf
drei bekannte Unterbringungsformen, die Sozialpädagogische Wohngruppe für Kinder
und Jugendliche (WG-SPÄD), die Kinder- und Jugendwohngruppe (WG-KIJU) und die
Krisenunterbringung (KRISE), eingegangen. Abschließend folgen Aufgaben und Ziele
einer Fremdunterbringung.

Im empirischen Teil werden mit Hilfe von problemzentrierten Interviews mit fünf Pä-
dagogInnen, welche in einer sozialpädagogischen Wohngemeinschaft tätig sind, sowie
einem Skulpturverfahren aus der Familientherapie in Kombination mit Interviews mit
zehn Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 17 Jahren, welche ebenfalls in einer sozi-
alpädagogischen Wohngruppe fremduntergebracht sind, die Forschungsfragen beant-
wortet. Anhand eines Skulpturverfahrens möchte ich herausfinden, welche Personen im
Leben der Jugendlichen eine zentrale Rolle spielen und wie sich die Nähe und Distanz
zu diesen Personen auswirkt.
Der empirische Teil beschreibt zunächst die Ziele und Fragestellungen dieser Arbeit.
Danach wird näher auf das methodische Vorgehen eingegangen. Hier wird zunächst die
Institution, in welcher ich die empirische Erhebung durchgeführt habe, vorgestellt. An-
schließend wird auf die Stichprobe der Untersuchung eingegangen und ein Überblick
über die teilnehmenden Personen gegeben. Des Weiteren werden die angewandten Me-
thoden, das Problemzentrierte Interview, das Familienbrett nach Ludewig, die Tran-
skription sowie das Kategoriensystem und die Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring
beschrieben. Zudem wird auch der Untersuchungsablauf, beginnend mit Entstehung des
Interviewleitfadens, Auswahl der Stichprobe, Datenerhebung und Datenauswertung,
dargestellt. Abschließend werden die Ergebnisse der empirischen Erhebung aufgezeigt,
diskutiert und Schlussfolgerungen daraus gezogen. Im Resümee wird die Arbeit dann
theoretisch und empirisch nochmals reflektiert und zusammengefasst.

3|Seite
I. Theoretische Grundlagen

4|Seite
1. Aktueller Stand der Forschung und Relevanz der Thematik
Kinder brauchen von Geburt an verlässliche Bezugspersonen, um eine sichere Bin-
dungsbeziehung aufbauen zu können. Durch eine sichere Bindungsbeziehung zu pri-
mären Bezugspersonen fällt es Kindern leichter, auch zu anderen Personen eine vertrau-
ensvolle Beziehung aufzubauen. Dabei spielen die Stabilität der Beziehungen sowie
Feinfühligkeit betreffend der kindlichen Bedürfnisse eine zentrale Rolle (vgl. Becker-
Stoll 2009, S. 166). Im Laufe meiner Literaturrecherche fand ich zahlreiche For-
schungsergebnisse zur Beziehungsqualität zwischen Kindern und ihren Müttern, jedoch
kaum Untersuchungen zur Bindungsqualität zwischen Kindern und PädagogInnen in der
Fremdunterbringung, obwohl rund 11.000 Kinder und Jugendliche in Österreich fremd-
untergebracht sind (vgl. Holz-Dahrenstaedt 2012, S. 9). Während es bereits unzählige
Forschungsergebnisse zur Bindungsbeziehung zwischen dem Kind und primären Be-
zugspersonen gibt, steht die Beziehungsqualitätsforschung zwischen Kind und sekundä-
ren Bezugspersonen noch vor der Herausforderung, die Bedeutung der Beziehungsqua-
lität in institutionellen Settings zu bestimmen. Die Bindungsqualitätsforschung im Ele-
mentarbereich rückte erst in den letzten 25 Jahren in den Blickwinkel der Forschung.
Untersuchungen zur Beziehungsqualität im Grundschulalter gewannen erst in den letz-
ten Jahren an Bedeutung (vgl. Glüer 2013, S. 28f.). In der deutschsprachigen Literatur
gibt es bislang kaum etwas zum Thema „Interaktion zwischen Erzieherinnen bzw. Er-
ziehern und Mädchen und Jungen“ und die Forschung steht diesbezüglich noch relativ
am Anfang (vgl. Bamler/Werner et al. 2010, S. 8). Zudem wird das Thema „Bindungs-
beziehungen zwischen PädagogInnen und Kindern“ nur selten erwähnt, obwohl Erzie-
hungs-, Betreuungs- und Bildungsprozesse abhängig sind von Bindungsbeziehungen. In
einigen Studien konnte aber nachgewiesen werden, dass Kinder außerhalb ihrer Her-
kunftsfamilie eine Bindung zu PädagogInnen in Betreuungseinrichtungen aufbauen
können (vgl. Textor 2007, o.S.). Lieselotte Ahnert (2007) stellte fest, dass stabil betreu-
ende ErzieherInnen zu Bindungspersonen werden können, deren Nähe von den Kindern
auch eingefordert wird. Da ErzieherInnen ebenfalls eine sicherheitsgebende Funktion
einnehmen können, können diese ErzieherIn-Kind-Beziehungen ebenfalls als Bin-
dungsbeziehungen gewertet werden (vgl. Ahnert 2007, S. 32). Schon John Bowlby stell-
te in seinen damaligen Forschungen zur Bindungsqualität bereits fest, dass die Hauptbe-
zugspersonen nicht die leiblichen Eltern sein müssen, da sich die Bindungsbeziehung

5|Seite
zwischen Kind und einer primären Bezugsperson durch feinfühlige Interaktionsprozesse
entwickelt (vgl. Veith 2008, S. 6). Grundsätzlich wird anhand der Literatur ersichtlich,
dass es PädagogInnen-Kind-Bindungen gibt und sich diese Beziehungen unterschiedlich
gestalten. Welche Faktoren die Beziehung zwischen PädagogIn und Jugendlichen beein-
flussen könnten, fand in der Forschung bislang jedoch kaum Beachtung. Zudem erlang-
te die Thematik von Nähe und Distanz in sozialen Settings bislang kaum Interesse in der
Fachliteratur der Sozialen Arbeit, obwohl dies auch in Hinsicht auf die Zusammenarbeit
mit Kindern und Jugendlichen eine tagtäglich zu bewältigende Herausforderung für
PädagogInnen bedeutet und für die professionelle Arbeit von großer Relevanz ist. Diese
Beobachtungen thematisieren Werner Thole und Peter Cloos (2006). Sie sprechen von
einer Irritation, welche durch "die ambivalente Ausbalancierung des Verhältnisses von
Nähe und Distanz in der Erziehungswissenschaft keine, seiner praktischen Relevanz
und dem in der pädagogischen Praxis zu beobachtenden komplexen Ausdifferenzie-
rungsgrad entsprechende theoretische und reflexive Beachtung erfährt" (Thole/Cloos
2006, S. 123). Dies gilt aus der Sicht von Werner Thole und Peter Cloos sowohl für die
klassischen, allgemein erziehungswissenschaftlichen Hand- und Wörterbücher, als auch
für entsprechende Überblickspublikationen der Sozialpädagogik. In den Disziplinen
Medizin, Psychotherapie oder auch der Theologie findet diese Thematik durchaus grö-
ßere Beachtung als in der Pädagogik. Wenn überhaupt von einer Auseinandersetzung
mit dieser Problematik von Nähe und Distanz gesprochen werden kann, dann vor allem
im personalen Kontext (vgl. Thole/Cloos 2006, S. 123f.).

Da diese Thematik einen relevanten Stellenwert in der Sozialpädagogik einnimmt und


bislang wenig Beachtung in der deutschsprachigen Literatur fand und ich zudem selbst
in einer sozialpädagogischen Wohngruppe tätig bin, möchte ich mich mit diesem Thema
sowohl theoretisch als auch empirisch intensiver auseinandersetzen.

6|Seite
2. Theorien und Konzepte der Sozialpädagogik
Aufbauend auf theoretischen Konzepten der Sozialpädagogik soll eine erste theoretische
Annäherung an das Forschungsthema erfolgen. Zu Beginn wird näher auf die Grundla-
gen der Bindungstheorie nach John Bowlby sowie die Bindungstypen von Mary Ains-
worth eingegangen. Die Bindungstheorie befasst sich mit den frühen Auswirkungen der
Bindungsqualität auf die emotionale Entwicklung eines Menschen, woraus sich vier
Bindungstypen ableiten lassen. Anschließend werde ich einen Überblick über das Kon-
zept des „Safe Place“ von Nitza Katz-Bernstein geben. Das Konzept dient dazu, Rah-
menbedingungen und Hilfestellungen für einen verinnerlichten „Safe Place“ und somit
Freiraum für individuelle Weiterentwicklung zu schaffen. Auch Formen von Bezie-
hungsangeboten werden kurz erläutert. Abschließend werde ich kurz auf das Konzept
der Lebensweltorientierung von Hans Thiersch eingehen. Dieses Konzept geht von all-
täglichen Erfahrungen der Menschen in ihrer gesellschaftlichen Situation aus. Dabei
wird vor allem der Erfahrungsraum betrachtet, strukturiert durch den Einfluss von Zeit,
Raum und Beziehung sowie den Ressourcen und Problemen innerhalb des Feldes. Auch
der Erfahrungsraum nach Kurt Lewin sowie die Lebensbereiche nach Urie Bronfen-
brenner werden beschrieben.

2.1. Bindungstheorie nach Bowlby


Die Bindungstheorie wurde vom englischen Psychiater John Bowlby Ende der 60er
Jahre und Anfang der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts entwickelt. Zusammen mit empi-
rischen Forschungen der kanadischen Entwicklungspsychologin Mary Ainsworth stellt
dies die Grundlage der Bindungsforschung dar. Mit dem Begriff Bindung weist Bowlby
auf ein affektives Band zwischen Kind und Bindungsperson hin, welches das Vertrauen
und die Gefühle des Kindes hinsichtlich Vertrautheit und Nähe mit der Bezugsperson
kennzeichnet. Bei ihren Beobachtungen stellte Mary Ainsworth fest, dass bei Mutter-
Kind-Interaktionen nicht alle Kinder in gleicher Weise das erwartete Bindungs- und
Explorationsverhalten zeigten. Zunächst unterschied Mary Ainsworth. drei verschiedene
Arten von Bindungsverhalten. Kinder mit sicherer Bindung, Kinder mit unsicher-
vermeidender Bindung und Kinder mit unsicher-ambivalenter Bindung. Später wurde
noch eine vierte Kategorie hinzugenommen: die unsicher-desorganisiert/desorientierte
Bindung (vgl. Zweyer 2008, S. 90ff.).

7|Seite
Nach Grossmann (2009) beschäftigt sich die Bindungsforschung mit folgenden The-
menbereichen:
„Die Bindungsforschung widmet sich einerseits der Kontinuität der
Kind-Eltern-Bindungsqualitäten unter Berücksichtigung der Reifung,
der wachsenden interaktiven Kompetenz des Kindes und seines erwei-
terten sozialen Horizonts, und andererseits prüft sie, welche Bereiche
des täglichen Lebens eines Kindes von seinen Bindungsqualitäten zu
seinen Eltern beeinflusst werden“ (Grossmann 2009, S. 192).

Grundsätzlich ist anzumerken, dass der Aufbau von Beziehungen eine wichtige
Entwicklungsaufgabe im Leben eines Menschen darstellt, welche auch als Grund-
lage der weiteren Entwicklung einer Person dient (vgl. Grossmann 2009, S. 191).
Nachfolgend wird nun auf die Grundlagen der Bindungstheorie nach John Bowlby
näher eingegangen.

2.1.1. Grundlagen der Bindungstheorie


John Bowlby (1982) betonte in seinen Ausführungen die lebenslange Bedeutung von
Bindungsbeziehungen, worauf auch nachfolgendes Zitat von ihm hinweist:
„Unter Bindungsverhalten wird, kurz gesagt, jede Form des Verhal-
tens verstanden, das dazu führt, dass eine Person die Nähe eines ande-
ren differenzierteren oder bevorzugten Individuums, das gewöhnlich
als stärker und/oder klüger empfunden wird, aufsucht oder beizubehal-
ten versucht. Wenngleich das Bindungsverhalten während der Kind-
heit besonders deutlich sichtbar wird, wird angenommen, dass es für
den Menschen von der Wiege bis zum Grab charakteristisch ist“
(Bowlby 1982, zit.n. Schleiffer 2014, S. 55).

Somit befasst sich die Bindungstheorie mit den frühen Auswirkungen auf die emotiona-
le Entwicklung von Kindern und Jugendlichen im Hinblick auf die Nähe und Distanz
zwischen Kindern und ihren Bindungspersonen. Ihre Grundannahme ist es, dass Bin-
dung von der Geburt bis zum Tod eine entscheidende Rolle im Leben eines Menschen
spielt (vgl. Brisch 2010, S. 35). Primär verfolgte Bowlby das Ziel, psychoanalytische
mit ethologischen, systemtheoretischen sowie kognitiven Ansätzen zu verbinden und
somit eine zusammenhängende Theorie zu entwickeln. John Bowlby sah in der emotio-
nalen Bindung eines Säuglings zu seiner Bezugsperson eine in der Evolution entstande-
ne Reaktion, die dem Überleben eines Individuums diente (vgl. Berk 2011, S. 253).

8|Seite
Von Geburt an verfügt ein Säugling über eine Reihe angeborener Signale, welche die
Bezugsperson an die Seite eines Neugeborenen rufen. Bowlby geht davon aus, dass die
Bindung zwischen Säugling und der primären Bezugsperson in vier Phasen entsteht:
a) Vorphase (Geburt bis zur sechsten Lebenswoche): Von Geburt an sind Säuglinge
soziale und kommunikative Lebewesen. Neugeborene senden Signale an ihre Be-
zugspersonen, wie beispielsweise Weinen, Lächeln oder ein Blick in die Augen des
Erwachsenen, um sich deren Nähe zu sichern. Grundsätzlich reagieren Eltern intui-
tiv auf diese Signale mit ihrem Fürsorgeverhalten. Babys erkennen in diesem Alter
bereits die eigene Mutter am Geruch und ihrer Stimme. Da die Neugeborenen in
diesem Alter jedoch noch keine Präferenz für eine bestimmte Bezugsperson (bei-
spielsweise die Mutter) zeigen, wird dies als „Vorphase der Bindung“ bezeichnet
(vgl. Berk 2011, S. 260).
b) Beginnende Bindungsphase (sechste Lebenswoche bis zum sechsten bis achten
Lebensmonat): In diesem Lebensabschnitt sind bereits Unterschiede in den Verhal-
tensreaktionen des Säuglings zwischen bekannten und unbekannten Personen sowie
ein intentionales, soziales Lächeln zu beobachten. Zudem beschränkt sich das Ori-
entierungsverhalten des Kindes zunehmend auf ihm/ihr bekannte Bezugspersonen
und es lässt sich von vertrauten Menschen schneller beruhigen als von fremden Per-
sonen. Gefühle wie Vertrauen und Zuverlässigkeit in seine/ihre Bezugsperson wer-
den in dieser Phase entwickelt (vgl. Berk 2011, S. 260).
c) Eindeutige Bindung (sechster bis achter Lebensmonat bis zum 18.bis 24. Lebens-
monat): In diesem Entwicklungszeitraum wird erstmals von einer „richtigen“ Bin-
dung zwischen dem Kleinkind und deren Bezugsperson gesprochen. Es können ei-
ne Reihe von Verhaltensmustern beobachtet werden, welche charakteristisch für ei-
ne Bindung zwischen Kind und Bezugsperson sind, beispielsweise „differenziertes
Weinen bzw. Lächeln und Vokalisieren“. Dieses Verhalten dient dazu, die Nähe zur
Mutter bzw. einer anderen primären Bezugsperson herzustellen. Dies bedeutet, dass
das Kind beispielsweise zu weinen beginnt, wenn eine andere, fremde Person das
Kind hält, aber sofort aufhört, wenn eine primäre Bezugsperson das Kind im Arm
hält. Interaktionen zwischen Kleinkindern und vertrauten Personen sind grundsätz-
lich intensiver und das Kind ist bereits in der Lage, aktiv den Kontakt zu vertrauten
Bezugspersonen zu suchen. In diesem Entwicklungsstadium wird demnach die

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Spezifität der Bindung zu vertrauten Personen deutlich und ein Aufbau weiterer
Bindungen erschwert, was auch als „Acht-Monats-Angst“ oder „Fremdeln“ be-
zeichnet wird. Hinzu kommt auch, dass das Kind in dieser Phase vielfältige Formen
der Nähe-Distanz-Regulierung ausprobiert und verinnerlicht (vgl. Berk 2011, S.
260f.).
d) Reziproke Beziehung (18. Lebensmonat bis zum zweiten Lebensjahr und darüber
hinaus): In dieser Phase finden bereits deutliche Entwicklungsfortschritte, insbe-
sondere in den kognitiven und sprachlichen Bereichen, statt. Es ist dem Kind mög-
lich, Gründe für das Kommen und das Gehen primärer Bezugspersonen zu verste-
hen und kurze Trennungsphasen zu Bindungspersonen zu tolerieren. Das Kind
nimmt eine deutlich aktivere Rolle in der Beziehungsgestaltung ein und die Tren-
nungsangst geht insgesamt zurück (vgl. Berk 2011, S. 261).

Nach John Bowlby (1980) entwickeln Kinder aus ihren Erfahrungen heraus während
dieser vier Phasen eine emotionale Bindung an primäre Bezugspersonen, wobei die
Kinder Bindungen zu mehreren Personen aufbauen können. Die Vorstellung, dass auch
andere Personen bei Abwesenheit der primären Bezugspersonen als sichere Ausgangs-
basis genutzt werden können, dient als inneres Arbeitsmodell und gibt dem Kind die
Sicherheit, dass es in belastenden Situationen Unterstützung bekommt (vgl. Berk 2011,
S. 261). Auch wenn ein Kind innerhalb einer Familie aufwächst und bis zum zweiten
Lebensjahr eine Bindung zu einer vertrauten Bezugsperson aufgebaut hat, so zeigen sich
doch Unterschiede in der Beziehungsqualität. Um die Bindungssicherheit erfassen zu
können, hat Mary Ainsworth ein entwicklungspsychologisches Verfahren, den Fremde-
Situations-Test, entwickelt. Mary Ainsworth und ihre MitarbeiterInnen gingen davon
aus, dass sicher gebundene Kinder in ihnen unbekannten Situationen ihre primäre Be-
zugsperson als sichere Ausgangsbasis nutzen und sich zudem von fremden Personen bei
Abwesenheit ihrer vertrauten Bezugsperson nur schwer beruhigen lassen würden (vgl.
Berk 2011, S. 261f.). Mary Ainsworth und ihr Team haben bei diesen Beobachtungen
vier Bindungstypen erkannt, welche nachfolgend näher erläutert werden.

10 | S e i t e
2.1.2. Bindungstypen nach Ainsworth
Mary Ainsworth und ihr Team (1978) führten mit Hilfe des Fremden-Situations-Tests
eine Untersuchung durch, welche es ermöglichte, einerseits das Bindungsverhalten und
andererseits das Explorationsverhalten bei 12 bis 18 Monate alten Kindern zu aktivieren
und demnach beobachten zu können. Bei dem Untersuchungsdesign wird davon ausge-
gangen, dass durch die kurze Abwesenheit der Bezugsperson und zusätzlich einer frem-
den Situation, in dem Kind das Bindungsverhaltenssystem aktiviert wird und dadurch
die Qualität der Mutter-Kind-Beziehung beobachtet werden kann. Solange die primäre
Bezugsperson anwesend ist, sollten die Kinder sich sicher fühlen und aktiv ihre Umge-
bung erkunden (=Explorationsverhalten) und bei Abwesenheit Reaktionen, wie bei-
spielsweise Weinen, Rufen, Suchen, Nachfolgen, Anklammern, usw. zeigen. Jedoch
konnte dieses Bindungs- und Explorationsverhalten vom Forschungsteam rund um Ma-
ry Ainsworth nicht bei allen Kindern beobachtet werden. Aufgrund der unterschiedli-
chen Reaktionen der Kinder wurden zunächst drei verschiedene Typen erkannt. Der
vierte Typ, Kinder mit unsicher-desorganisiertem/desorientiertem Verhaltensmuster,
wurde erst später von Main und Solomon (1986) definiert (vgl. Bolten 2009, S. 61f.).

Abbildung 1: Bindungstypen (Eckerle 2011, o.S.)

Sichere Bindung: Kinder mit einer sicheren Bindung können ihre Bezugsperson als
sichere Ausgangsbasis nutzen. Bei Abwesenheit vertrauter Personen sowie in fremden
11 | S e i t e
Situationen kann dies Reaktionen, wie beispielsweise Weinen, bei den Kindern hervor-
rufen. Sobald die Bezugsperson wieder da ist, sucht das Kind aktiv den Körperkontakt
und will getröstet werden (vgl. Berk 2011, S. 262). Kinder mit einer sicheren Bindung
sind aber zumeist in der Lage, sich auch von einer fremden Person trösten zu lassen.
Kinder mit diesem Bindungsstil reagieren auf die Rückkehr der primären Bezugsperson
mit Freude und können nach kurzer Zeit sich wieder anderen Dingen zuwenden (vgl.
Bolten 2009, S. 62).

Unsicher-vermeidende Bindung: Zumeist reagieren Kinder mit unsicher-vermeidender


Bindung nicht auf die Anwesenheit ihrer primären Bezugsperson und reagieren häufig
ähnlich wie einer fremden Person gegenüber (vgl. Berk 2011, S. 262). Kinder dieses
Bindungstypen reagieren auf die Trennung von ihrer primären Bezugsperson meist nur
wenig. Sie lassen sich nicht ablenken, protestieren kaum und folgen bei Abwesenheit
der Bezugsperson auch nicht. Zudem zeigte sich in Untersuchungen, dass diese Kinder
kaum bzw. eher mit Ablehnung auf die Rückkehr ihrer Mutter reagieren und auch nicht
getröstet werden wollen (vlg. Bolten 2009, S. 62).

Unsicher-ambivalente Bindung: Bei Abwesenheit ihrer primären Bezugsperson zeigen


Kinder dieses Bindungsstils ein extrem ausgeprägtes Bindungsverhalten. Heftiges Wei-
nen sowie vermehrte Stresssymptome sind als Reaktion dieser Kinder beobachtbar.
Auch nach der Rückkehr ihrer Bindungsperson lassen sich die Kinder nur schwer beru-
higen und sie brauchen längere Zeit, um wieder in einen emotional stabilen Zustand zu
gelangen. Zudem zeigen sich diese Kinder in Bezug auf das Suchen nach körperlicher
Nähe zur Bezugsperson sehr ambivalent. Einerseits wird der Köperkontakt gesucht,
andererseits zeigt sich bei diesem Bindungstyp eine Abwehrhaltung der Bindungsperson
gegenüber, beispielsweise durch Strampeln, Abwenden, Schlagen oder Stoßen (vgl. Bol-
ten 2009, S. 62). Charakteristisch ist auch, dass die Kinder vor der Trennungsepisode
vermehrt die Nähe zu ihrer primären Bezugsperson suchen und nur wenig Explorations-
verhalten zeigen (vgl. Berk 2011, S. 262).

Unsicher-desorganisierte/desorientierte Bindung: Da sich aufgrund weiterer Untersu-


chungen herausstellte, dass es eine Vielzahl von Kindern gab, welche sich aufgrund
ihres Verhaltens keinen der drei zuvor beschriebenen Bindungstypen zuordnen ließen,
wurde von Main und Solomon (1990) ein weiterer Bindungsstil entwickelt (vgl. Schleif-
12 | S e i t e
fer 2014, S. 45). Bei Kindern dieses Bindungsstils zeigen sich zumeist bei Abwesenheit
ihrer primären Bezugsperson kurzzeitig weder ein Bindungs- noch ein Explorationsver-
halten. Die Kinder wirken meist wie erstarrt. Zudem kommt es häufig zu stereotypen
Verhaltens- und Bewegungsmustern, beispielsweise wenden Kinder den Blick von der
Bezugsperson ab, wenn diese das Kind in den Arm nimmt und haben meist einen be-
nommenen Gesichtsausdruck (vgl. Berk 2011, S. 262). Grundsätzlich scheinen die Kin-
der ängstlich und verwirrt zu sein. Aus entwicklungspsychopathologischer Sicht gese-
hen erwies sich dieser Bindungstyp als besonders bedeutsam. Das beschriebene Bin-
dungsverhalten weisen vor allem misshandelte Kinder sowie traumatisierte Kinder,
Kinder depressiver Mütter oder Müttern, die selbst in ihrer Kindheit ein Trauma erlitten
haben und dieses noch nicht verarbeiten konnten, auf (vgl. Schleiffer 2014, S. 45).

Main und Goldwyn (1994) führten eine Studie unter Einsatz des Erwachsenenbindungs-
interviews (AAI= Adult Attachment Interview) mit 72 fremduntergebrachten Jugendli-
chen durch. Mit diesem Verfahren wird die gegenwärtige Bindungsrepräsentation von
Jugendlichen und Erwachsenen rekonstruiert und erfasst. Nach kurzen „Warming-
up“ Fragen wurden den Jugendlichen Fragen betreffend Beziehung zur Mutter als auch
zum Vater gestellt. Mit fünf Adjektiven sollten die Jugendlichen die Beziehung zu ihren
Eltern im Alter von fünf bis 12 Jahren beschreiben. Des Weiteren wurden die Untersu-
chungsteilnehmerInnen nach Erinnerungen aus ihrer Kindheit sowie nach gegenwärti-
gen Beziehungen zu ihren Bezugspersonen gefragt. Zudem wurde den Jugendlichen die
Frage gestellt, welchem Elternteil sie sich damals näher gefühlt haben und wie sich ihre
Kindheits- und Jugenderlebnisse auf ihre Persönlichkeit ausgewirkt haben (vgl. Schleif-
fer 2014, S. 115f.). Die Auswertung dieser Untersuchung zeigte ein überraschendes Er-
gebnis. Aufgrund der Antworten der UntersuchungsteilnehmerInnen konnte nur bei zwei
von insgesamt 72 Jugendlichen eine sichere Bindungsrepräsentanz nachgewiesen wer-
den. Demnach müssten die restlichen 70 Jugendlichen als unsicher-gebunden eingestuft
werden. Das Ergebnis, dass fast alle fremduntergebrachten Jugendlichen als unsicher-
gebunden eingestuft wurden, warf allerdings forschungstechnische Probleme auf und
wurde somit in zwei Gruppen, organisiert-unsichere Bindungsrepräsentation und desor-
ganisiert-unsichere Bindung, zusammengefasst. Diese Zusammenfassung galt als äu-
ßerst sinnvoll und zeigte folgendes Bild: Ausgehend von 72 untersuchten Jugendlichen

13 | S e i t e
wurden zwei Jugendliche als sicher gebunden, 30 UntersuchungsteilnehmerInnen als
organisiert-unsicher und 40 Jugendliche als desorganisiert-unsicher eingestuft (vgl.
Schleiffer 2014, S. 117ff.). Erwähnenswert ist auch, dass beim Vergleich von Burschen
und Mädchen, die Mädchen eher eine desorganisierte Bindungsrepräsentation und die
Jungen eine eher organisierte Bindungsrepräsentation aufwiesen. Zusammengefasst
kann gesagt werden, dass die Ergebnisse dieser Untersuchung darauf schließen lassen,
dass eine hohe Anzahl fremduntergebrachter Jugendlicher eine unsichere Bindung auf-
weisen und mehr als die Hälfte davon als desorganisiert-unsicher einzuschätzen sind
(vgl. Schleiffer 2014, S. 119).

2.2. Konzept des Safe Place


Das Konzept des Safe Place wurde aufbauend auf Erkenntnissen der Säuglingsfor-
schung von Nitza Katz-Bernstein entwickelt. Basierend auf Winnicotts „potenziellem
Raum“ sowie Oaklanders gemaltem „Safe-Place“ entwickelte Katz-Bernstein ein Inter-
ventionskonzept für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Es wird ein „geschützter
Raum im Therapieraum“ geschaffen, welcher den symbolischen Aspekt der Arbeit wie-
derspiegelt. Die Idee eines Safe Place“ entstand während der Arbeit mit Kindern mit
Angststörungen. Grundsätzlich geht es bei diesem Konzept darum, die Bedingungen
junger Menschen aufzuzeigen, um kommunizieren, explorieren und somit Raum für
Veränderung gewinnen zu können. Dabei spielt auch die Nähe-Distanz-Regulierung
eine wesentliche Rolle, da ein Safe Place auch bedeutet, Grenzen zu ziehen. Da die
Grenzen des Kindes von dem/der TherapeutIn respektiert werden, kann das Kind Erfah-
rungen in Bezug auf Angenommenheit und Eigenständigkeit sammeln. Das Ziel dieses
Konzeptes ist die Verinnerlichung eines Safe Place und damit die Fähigkeit zu erlangen,
seine/ihre Gefühle selbst zu regulieren, das Bindungs- und Erkundungsstreben zu ver-
ändern sowie mit Trennungen adäquat umgehen zu können. Vor allem in der Arbeit mit
traumatisierten Kindern und Jugendlichen hat dieses Konzept in den letzten Jahren zu-
nehmend an Bedeutung gewonnen (vgl. Gahleitner/Katz-Bernstein et al. 2013,
S.165ff.).

2.2.1. Theoretische Grundlagen


In der integrativen Kinderpsychotherapie gibt es das Konzept des „Safe Place“. Der/Die
TherapeutIn soll dem Kind mögliche Rahmenbedingungen und Hilfestellungen für ei-
14 | S e i t e
nen verinnerlichten „Safe Place“ anbieten, in welchen es zu Symbolhandlungen kom-
men kann. Es geht darum, die reale Eigenständigkeit, Getrenntheit und Unabhängigkeit
symbolisch darzustellen, damit das Kind die Eigenregulierung der Beziehung neu erle-
ben kann. Die therapeutische Beziehung beginnt dort, wo die realen Grenzen auch exis-
tieren und das Kind die Abgegrenztheit seiner/ihrer Existenz erleben darf. Der realitäts-
adäquate „Safe Place“ mit Grenzen und in Sicherheit stellt die „Ur-Lernsituation“ dar,
in welcher es „low-tension-Erfahrungen“ machen kann, zur Symbolisierung und Dar-
stellung seines/ihres inneren Erlebens kommen und dabei starr gewordene Konzepte
aufweichen kann. Dieser innere Dialograum bildet den Kern der persönlichen Identität
(vgl. Katz-Bernstein 1996, S. 111f.).
„Das Konzept des Safe Place versteht Kinder als aktive, schöpferisch-
kreative Wesen. Der Safe Place kann somit entwicklungspsycholo-
gisch als intrapsychischer Ort betrachtet werden, an dem das Kind sei-
ne private Eigenrealität mit der Hauptrealität seiner Bezugspersonen
kurzzuschließen beginnt, wodurch der Safe Place zu einem ‚Freiraum
der individuellen Weiterentwicklung‘, zum ‚intermediären Raum‘, zur
gemeinsamen geteilten Wirklichkeit wird – und von hier aus zum kul-
turellen Erleben. So kann es gelingen, auch Kindern, denen es bisher
an Möglichkeiten dazu gefehlt hat, auf diese Weise gelungene psycho-
soziale Erfahrung als ‚positive Gegenhorizonte‘ bereitzustellen“
(Katz-Bernstein, 2010, S. 71).
Dieses Konzept macht deutlich, welche Rahmenbedingungen ein Kind braucht um
kommunizieren, explorieren und Raum für Veränderung gewinnen zu können. Mittler-
weile gibt es vielfache Publikationen zu diesem Konzept. Dabei rücken vor allem junge
Menschen, welche kaum positive und beschützende Erfahrungen in ihrem bisherigen
Leben gemacht haben, in den Mittelpunkt der Forschung. Vor allem in der Arbeit mit
traumatisierten Kindern und Jugendlichen wird dem Konzept des „Safe Place“ eine be-
sondere Bedeutung zugeschrieben. Besonders in der Traumatherapie wird auf die Not-
wendigkeit eines geschützten Handlungsraumes bzw. eines Raumes stabiler sozialer
Beziehungen hingewiesen. Wenn es keine klaren Orientierungs- und Strukturvorgaben
gibt, fehlt es Kindern häufig an einem geschützten Ort, um ihre Entwicklungsaufgaben
dementsprechend bewältigen zu können. Studien zeigen, dass Menschen, welche frühe
Traumata oder Bindungsbeeinträchtigungen erlebten, häufiger eine negative Entwick-
lung in ihrem Lebensverlauf verzeichnen. Schon Bowlby erkannte, dass vermehrt bei

15 | S e i t e
sozial benachteiligten Kindern Traumata und frühkindliche Entbehrungen eine zentrale
Rolle spielten (vgl. Gahleitner/Katz-Bernstein et al. 2013, S. 166f.).

2.2.2. Beziehungsangebote nach Katz-Bernstein


Die Bindungsforschung, die relationale Psychoanalyse, die sozial-konstituierende, inter-
aktive Position der kindlichen Entwicklung sowie die Handlungstheorie des kindlichen
Spiels bilden die Grundlage, auf welcher von Nitza Katz-Bernstein (2008) vier thera-
peutische Entwicklungsaufgaben und daraus abgeleitet vier Beziehungsangebote in der
Kinder- und Jugendpsychotherapie entwickelte:
 Das responsive (spiegelnde) Beziehungsangebot: Zu den responsiven Beziehungsan-
geboten zählt beispielsweise die Vermittlung von Sicherheit, das Einstimmen auf die
emotionale Lage, der Austausch sowie das Benennen von Gefühlszuständen sowie
die Förderung der Kommunikationsvielfalt. Das aktive Vermittlungsgeschehen unter
Wahrung einer professionellen Distanz steht dabei im Mittelpunkt der Arbeit;
 das triangulierende, bedeutungsgebende Beziehungsangebot: Hierbei handelt es sich
um eine kognitive ko-konstruktive Leistung – die mentale Ebene wird zum kommu-
nikativen Gegenstand, welche gemeinsam erweitert und verändert werden kann. Bei
diesem Beziehungsangebot gibt es zwei Unterkategorien:
o das verstehende, deutende Beziehungsangebot – das Verhalten des Kindes rückt
in Blickwinkel der Arbeit und wird als Lösungsversuch verstanden;
o das handelnde, symbolisierende Angebot – hier rückt das Symbolspiel in Mittel-
punkt der Arbeit. Dem Kind wird eine kommunikative Triangulierung, welche
sich aus Beobachtung, gezielten Fragestellungen und erzählten Sequenzen zu-
sammensetzt, geboten;
 das konfrontierende, strukturgebende Beziehungsangebot: Einerseits wird hier das
Setzen von Grenzen sowie das Einhalten von Regeln erarbeitet. Zusätzlich dazu bil-
den die Arbeit mit dem Symptom, demnach die Konfrontation mit sozialen Anforde-
rungen sowie die damit verbundene Überwindung und das Durchhaltevermögen ei-
nen weiteren Teil der Arbeit;
 das unterstellende (ressourcen- und) entwicklungsorientierte Beziehungsangebot:
Dieses Beziehungsangebot setzt sich aus den drei zuvor beschriebenen Beziehungs-
angeboten zusammen. Charakteristisch ist ein zukunfts- und entwicklungsorientierter

16 | S e i t e
Blick auf die Arbeit mit dem Kind. Hier werden Ressourcen, positive Erwartungen
sowie Entwicklungsfortschritte angesprochen (vgl. Katz-Bernstein 2008, S. 1551ff.).
Ziel dieser eben beschriebenen Beziehungsangebote ist die Vermittlung eines „Sich-
Einlassens“ sowie der Steuerung zuvor angestrebter Therapieinhalte (vgl. Katz-
Bernstein 2008, S. 1583).
Für die vorliegende Arbeit ist dieses Konzept deshalb relevant, da das Konzept des Safe
Place vor allem in der Arbeit mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen in den letz-
ten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat (vgl. Gahleitner/Katz-Bernstein et
al. 2013, S. 165).
„Komplex traumatisierte Kinder und Jugendliche sind in ihren vielfäl-
tigen emotionalen Beeinträchtigungen, Schwierigkeiten der Selbst-
steuerung und daraus resultierenden Verhaltensauffälligkeiten eine
große Herausforderung für die Ausgestaltung des pädagogischen All-
tages mit diesen Kindern. Nicht selten sind die Herkunftsfamilien
schon über mehrere Generationen hinweg traumatisierenden Verhält-
nissen ausgesetzt gewesen und mit ihren Erziehungsaufgaben derart
überfordert, dass stationäre Jugendhilfemaßnahmen notwendig wer-
den, um dem pädagogischen Bedarf der Kinder begegnen zu kön-
nen“ (Höfer 2014, S. 210).

Aufgabe stationärer Jugendhilfeeinrichtungen ist es, den betroffenen Kindern und Ju-
gendlichen ein stabiles Umfeld zu bieten, in welchen sie sich sicher fühlen können und
vor erneuten Misshandlungen geschützt werden. Zudem soll ein Raum geschaffen wer-
den, wo auf ihre Bedürfnisse angemessen eingegangen werden kann und sich die Kinder
und Jugendlichen innerhalb dieses pädagogischen Rahmens adäquat entwickeln können
(vgl. Höfer 2014, S. 210).

2.3. Lebensweltorientierung nach Thiersch


Der Begriff der Lebensweltorientierung entstand in den 1970er Jahren in Hans
Thierschs Konzept der „Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit“. Das Konzept der Le-
bensweltorientierung beruht einerseits auf dem „hermeneutisch-pragmatischen“ Para-
digma, in welchem der Alltag bzw. die subjektiv interpretierte Lebenswirklichkeit im
Mittelpunkt steht. Zudem fließt auch das „phänomenologisch-interaktionistische“ Para-
digma hinein, bei welchem davon ausgegangen wird, dass die alltägliche Lebenswelt
von der zeitlichen, räumlichen und sozialen Dimension beeinflusst wird (vgl.

17 | S e i t e
Thiersch/Grunwald et al. 2011, S. 175ff.). Der Leitgedanke der Lebensweltorientierten
Sozialen Arbeit ist, dass der Mensch als Mittelpunkt der Arbeit gesehen wird. Prinzipiell
geht es um die Person an sich, mit seinen/ihren Erfahrungen und darum, wie er/sie die
Welt von seinem/ihrem Standpunkt aus sieht (vgl. Pantucek 2005, S. 35). Demnach be-
schäftigt sie sich mit alltäglichen Handlungen ihrer AdressatInnen und es wird speziell
auf Ressourcen, Probleme sowie unterschiedliche Bedingungen des Alltags eingegan-
gen. Das Ziel dabei ist es, die KlientInnen in ihrem Alltag zu unterstützen, damit dieser
gelingen kann (vgl. Grunwald/Thiersch 2011, S. 854).

2.3.1. Ziel der Lebensweltorientierung


Das Konzept der Lebensweltorientierung geht grundsätzlich von den alltäglichen Erfah-
rungen einer Person in ihrer gesellschaftlichen Situation aus. Ein gelingenderer Alltag
der Person soll ermöglicht werden, indem die professionellen Kompetenzen zur Reor-
ganisation gegebener Lebensverhältnisse genutzt werden. Einerseits ist damit der Alltag
in seiner gesellschaftlichen Bedingtheit gemeint, andererseits die eigensinnigen Struktu-
ren im Alltag, wie die praktischen Bewältigungsversuche und das Selbstverständnis der
Beteiligten. Dabei betrachtet die Lebensweltorientierung vor allem den Erfahrungsraum,
das Alltägliche, strukturiert durch den Einfluss von Zeit, Raum und Beziehungen und
die Lage von Ressourcen und Problemen innerhalb des Feldes (vgl. Thiersch/Grunwald
et al. 2011, S. 178f.).
„Dabei sind die Räume der lebensweltlichen Erfahrungen keineswegs
nur reale soziale Räume. Denn tatsächlich verlängert bzw. verlagert
sich der Raum, von dem im Begriffspaar Nähe und Distanz implizit
die Rede ist, immer auch ins Virtuelle. Was uns nahe und vertraut ist
muss uns nicht physisch nahe sein“ (Schütz 1971, zit.n. Dörr/Müller
2012, S. 7f.).

Karl August Chassé (1999) macht zudem darauf aufmerksam, dass Jugendliche bei einer
Fremdunterbringung aktiv bei der Gestaltung ihres neuen Lebensraumes eingebunden
werden sowie ihre sozialen Beziehungen selber bestimmen können sollen (vgl. Chassé
1999, S. 174). Eine weitere Kerndimension der Lebensweltorientierung ist die Zeit,
welche maßgebend den Lebenslauf eines Menschen strukturiert. Das Handeln einer Per-
son sowie die Formulierung von Zielen werden in der Gegenwart vollzogen, welche
sich aber nachhaltig auf die Zukunft auswirken. Die Herausforderung dabei ist, sich

18 | S e i t e
Kompetenzen anzueignen, welche sich in verschiedenen Lebensphasen zukünftig be-
währen (vgl. Heimgartner 2009, S. 32).

„Lebensweltorientierte Soziale Arbeit zielt auf eine Soziale Arbeit, die


Menschen in ihren Verhältnissen, in ihren Ressourcen, ihren vorent-
haltenen Partizipationschancen und ihren Schwierigkeiten des Alltags
sieht. Sie sucht den Menschen im Medium ihrer erlebten Erfahrungen,
Deutungs- und Handlungsmustern durch Unterstützung, Provokation
und die Arbeit an Alternativen zu besseren Verhältnissen und tragfähi-
geren Kompetenzen zu verhelfen“ (Grunwald/Thiersch 2004, S. 5).
Der Begriff der Lebenswelt steht in engem Zusammenhang mit dem Begriff des Alltags.
Jede Person steht tagtäglich vor der Herausforderung, seinen/ihren Alltag zu bewältigen.
Wenn Personen Hilfe bei professionell ausgebildetem Personal suchen, haben sie meist
Probleme mit dem Gelingen des Alltags. Für die Soziale Arbeit ist es eine zentrale Auf-
gabe, den Menschen dabei zu helfen, diesen Alltag so gut es geht zu bewältigen (vgl.
Pantucek 2005, S. 36f.).

2.3.2. Der Lebensraum bei Lewin


Der Begriff Lebensraum kommt aus der gestalttheoretischen Psychotherapie und geht
auf Kurt Lewin zurück. Der Begriff des Lebensraumes wird auch synonym für einen
psychologischen Raum und ein psychologisches Feld verwendet. Der Lebensraum eines
Menschen setzt sich nach Lewin aus dem Verhalten, der Entwicklung sowie der Umwelt
und der Person an sich zusammen. Das Verhalten sowie die Entwicklung sind Funktio-
nen einer Person und auch der Umwelt, welche als abwechselnd beeinflussende Variab-
len gesehen werden (vgl. Stemberger 2007, S. 398). Das Verhalten ist demnach einer-
seits eine Funktion psychischer Dispositionen einer Person sowie andererseits die Be-
dingung der Umwelt, in welche das Individuum integriert ist (vgl. Gröschke 2005, S.
32).
„In diesem so bezeichneten Lebensraum bewegt sich das Individuum,
wobei seine Bewegungen (‚Lokomotionen‘) motorischer, kognitiver,
emotionaler oder motivationaler Art sein können. Bei seinen Bewe-
gungen hin zu Regionen mit einem positiven Aufforderungscharakter
oder weg von solchen mit einem negativen Aufforderungscharakter
stößt das Individuum ständig auf ‚Barrieren‘, Hindernisse jeglicher
Art, die es umgehen oder sonst wie zu bewältigen hat“ (Gröschke
2005, S. 33).
19 | S e i t e
Beispielsweise eröffnen sich im Jugendalter Bereiche des individuellen Lebensraumes,
welche zuvor nicht möglich waren, zum Beispiel das Rauchen in der Öffentlichkeit.
Andere Lebensräume hingegen, beispielsweise das Spielen mit Puppen, Lego, usw. ver-
schließen sich. Die Veränderung bzw. Umstrukturierung des Lebensraumes eines/einer
Jugendlichen kann jedoch zu erheblichen Unsicherheiten und Konflikten führen (vgl.
Lück 2009, S. 86).

2.3.3. Lebensbereiche bei Bronfenbrenner


Der amerikanische Sozialisationsforscher Urie Bronfenbrenner entwickelte beginnend
in den 1970er Jahren den ökologisch-systemischen Ansatz, welcher stetig in den nach-
folgenden Jahren erweitert und modifiziert wurde. Dabei rückt die menschliche Ent-
wicklung in den Mittelpunkt des Ansatzes. Seiner Meinung nach hängt ein günstiger
Entwicklungsverlauf vom Dasein sowie der Art sozialer Beziehungen innerhalb der Le-
bensbereiche ab. Dabei spielt auch die Kommunikation sowie Information eine wesent-
liche Rolle (vgl. Esslinger-Hinz 2010, S. 284). Bronfenbrenner legte seinen For-
schungsgegenstand auf die kindliche Entwicklung und betrachtet dabei mögliche Um-
welteinflüsse, weshalb auch der Umweltbegriff bei diesem Ansatz eine zentrale Rolle
spielt. Bronfenbrenner definiert vier Lebensbereiche, in welchen sich das Kind als sich
entwickelnde Person befindet. Als Mikrosystem wird die unmittelbare Umgebung eines
Kindes bezeichnet, in welchen Aktivitäten und zwischenmenschliche Beziehungen er-
lebt werden. Das Kind nimmt hierbei eine aktive Rolle bei der Erkundung der Umwelt
ein. Mit dem Begriff Mesosystem werden mehrere Mikrosysteme zusammengefasst,
welche die Wechselwirkungen innerhalb der Lebensbereiche beschreibt. Auch hier
nimmt das Kind eine aktive Rolle ein. Das Exosystem beschreibt Einflüsse aus den
Mikro- und Mesosystem. Bronfenbrenner bezeichnet damit die Lebensbereiche eines
Kindes, an welchem sich das Kind zwar nicht aktiv beteiligt, in welchem sich jedoch
Ereignisse vollziehen, welche Einfluss auf die Lebensbereiche nehmen. Das Makrosys-
tem umfasst letztlich alle anderen Systeme, welche die formalen und inhaltlichen Ähn-
lichkeiten aller Systeme, beispielsweise Kulturen und Subkulturen, sicherstellt (vgl.
Engelbert/Herlth 2010, S. 105f.). Auch in der Fremdunterbringung spielt das Konzept
der Lebensweltorientierung eine wesentliche Rolle. Nachfolgendes Zitat von Pantucek
(2005) soll dies verdeutlichen:

20 | S e i t e
„Lebensweltorientierte Soziale Arbeit ist immer auch subjektorientier-
te Soziale Arbeit, versteht ihre KlientInnen als GestalterInnen ihres
Lebens – allerdings immer wieder auch unter schwierigen, schwer
durchschaubaren, hindernden Bedingungen“ (Pantucek 2005, S. 36).
Die Lebensweltorientierte Soziale Arbeit geht dabei immer von einer gewissen Unwis-
senheit bei den Professionellen aus, was bedeutet, dass (Sozial-) PädagogInnen, Sozial-
arbeiterInnen, usw. zumeist eine andere Weltanschauung vertreten als die Zielgruppe,
also die Kinder und Jugendlichen. Zentrale Aufgabe daher ist es, Kinder und Jugendli-
che als ExpertInnen ihrer Lebenswelt zu verstehen und zu erkennen, was mit bzw. von
den Kindern und Jugendlichen machbar ist, um ihren Alltag angemessen bewältigen zu
können (vgl. Pantucek 2005, S.37 f.).

21 | S e i t e
3. Beziehungsarbeit in der Sozialen Arbeit
Wir Menschen stehen sowohl in privater als auch in beruflicher Hinsicht mit anderen
Menschen in Kontakt und Beziehung. Diese Verbindungen sind dadurch gekennzeich-
net, wie sie durch eigene und fremde emotionale Vorgänge wahrgenommen und gesteu-
ert werden. In solchen Prozessen ist das Zusammenspiel emotionaler und kognitiver
Aspekte sehr wichtig. Durch diverse Forschungsergebnisse wurde festgestellt, dass dem
emotionalen Aspekt insgesamt eine größere Bedeutung zugeschrieben wird. Aus der
Sicht der Entwicklungs- und Neuropsychologie ist das Denken nicht so alt wie das Füh-
len, weil die gesamten Denkprozesse durch Emotionen gelenkt werden. Wir können
nicht denken ohne zu fühlen, wir können aber fühlen, ohne zu denken. Emotionale Er-
eignisse werden auch durch das Denken mitbeeinflusst, aber die Existenz des Men-
schen, seine Entscheidungen, Handlungen und das Erleben werden stets von Emotionen
begleitet (vgl. Oberdieck 2011, S. 257).
„Pädagogische Beziehungsarbeit meint (…) eine meist institutionell
eingebundene Interaktion zwischen mindestens zwei Personen, bei der
die Personen eine besondere Beziehung aufnehmen“ (Wedekind 1986,
zit.n. Szczyrba 2003, S. 16).

Die Beziehungsaufnahme mit den KlientInnen geht nach Wendekind (1986) zumeist
von den PädagogInnen aus. Erst wenn eine stabile Vertrauensbeziehung aufgebaut wer-
den konnte ist ein Gestaltungs-oder Hilfeprozess möglich (vgl. Wedekind 1986, zit.n.
Szczybra 2003, S. 16). Beziehung bildet nach Wartenweiler (2003) die Grundlage sozi-
alpädagogischer Arbeit. Innerhalb der Beziehungsarbeit wird immer versucht, sich nicht
auf einen bestimmten Aspekt zu konzentrieren, sondern das gesamte Spektrum von
Problemlagen eines Individuums zu erfassen und nötige Hilfestellungen zu geben (vgl.
Wartenweiler 2003, S. 126).

3.1. Erziehung und Beziehung


Erziehung ist Beziehung. Diese Aussage dürfte heute in diversen Disziplinen als Kon-
sens angesehen werden. In der Regel wird damit gemeint, dass Beziehung die Grundla-
ge für Erziehung ist. Jede zwischenmenschliche Begegnung geht mit einer Form von
Beziehung einher, egal ob es sich um eine distanzierte oder enge Beziehung, eine wert-
schätzende oder eine abwertende Beziehung handelt. Menschen treten immer in Bezie-

22 | S e i t e
hung. Die Vorstellungen von Beziehungen unterliegen einem ständigen Wandel, welche
sich auch auf die Erziehung auswirken (vgl. Rotthaus 2011, S. 109).
Zunächst werden zum besseren Verständnis der nachfolgenden Ausführungen die
Grundbegriffe Erziehung und Beziehung kurz erläutert.
„Erziehung ist die soziale Interaktion zwischen Menschen, bei der ein
Erwachsener planvoll und zielgerichtet versucht, bei einem Kind unter
Berücksichtigung der Bedürfnisse und der persönlichen Eigenart des
Kindes erwünschtes Verhalten zu entfalten oder zu stärken. Erziehung
ist ein Bestandteil des umfassenden Sozialisationsprozesses; der Be-
standteil nämlich, bei dem von Erwachsenen versucht wird, bewusst in
den Prozess der Persönlichkeitsentwicklung von Kindern einzugreifen
- mit dem Ziel, sie zu selbstständigen, leistungsfähigen und verant-
wortungsvollen Menschen zu bilden“ (Hurrelmann 1994, zit.n.
Walg/Lauth 2014, S. 20).
Anzumerken ist, dass bei Erziehung immer eine soziale Beziehung hergestellt wird.
Eine pädagogische Beziehung entsteht nach Prange (2005), wenn sich die erzieheri-
schen Bemühungen auf das Lernen der Kinder und Jugendlichen konzentrieren. Wer
erzieht, zeigt in jedem Fall auch Grenzen auf, beispielsweise durch Regeln und Vorga-
ben (vgl. Strobel-Eisele/Roth 2013, S. 17).

„Erziehung ist dasjenige Handeln, in dem die Älteren (Erzieher) den


Jüngeren (Edukanden) im Rahmen gewisser Lebensvorstellungen (Er-
ziehungsnormen) und unter konkreten Umständen (Erziehungsbedin-
gungen) sowie mit bestimmten Aufgaben (Erziehungsgehalten) und
Maßnahmen (Erziehungsmethoden) in der Absicht einer Veränderung
(Erziehungswirkungen) zu eigenen Lebensführung verhelfen, und
zwar so, daß [sic!] die Jüngeren das erzieherische Handeln der Älteren
als notwendigen Beistand für ihr eigenes Dasein erfahren, kritisch zu
beurteilen und selbst fortzuführen lernen“ (Bokelmann 1970, zit.n.
Raithel/Dollinger et al. 2009, S. 21).
Den meisten Definitionen zum Begriff der Erziehung liegt der Gedanke zugrunde, Er-
ziehung als Maßnahme äußerer Einwirkungen auf die Entwicklung eines Kindes und
Jugendlichen aufzuzeigen, gleichzeitig wird aber auch auf die Selbstbestimmung eines
Kindes und Jugendlichen hingewiesen. Demnach wird deutlich, dass durch Erzie-
hungsmaßnahmen Situationen geschaffen werden sollen, in welchen Kindern und Ju-
gendliche Erfahrungen im Hinblick auf die Selbstentfaltung und Persönlichkeitsent-
wicklung sammeln können (vgl. Schröder 2001, S. 96).
23 | S e i t e
In der pädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen nimmt die Beziehungsarbeit
einen zentralen Stellenwert ein. Lernen wird erst möglich, wenn ein Umfeld geschaffen
wird und es PädagogInnen gelingt, eine Beziehung zu Kindern und Jugendlichen aufzu-
bauen. Diese ist gekennzeichnet durch eine wechselseitige Relation von Handeln und
Beziehung (vgl. Giesecke 2013, S. 68ff.).

„Wer erzieht, stellt in jedem Falle eine soziale Beziehung her, weil er
mit dem Erziehenden kommunizieren muss“ (Strobel-Eisele/Roth
2013, S. 17).

Herman Nohl (1988) charakterisiert die pädagogische Beziehung auch als eine Bezie-
hung auf Zeit. Damit ist gemeint, dass persönliche Beziehungen zwischen den Pädago-
gInnen und den Kindern und Jugendlichen zwar eingegangen werden, diese jedoch zeit-
lich begrenzt sind (vgl. Klika 2013, S. 41).
„In der zwischenmenschlichen Beziehung treffen nicht einfach Perso-
nen aufeinander, die aufeinander einwirken, ohne sich zu verändern.
Personen prägen Beziehungen, aber es gilt auch umgekehrt, dass Be-
ziehungen die Persönlichkeit bilden“ (Küchenhoff 2009, S. 5).

Beziehungen entstehen aber nicht einfach so, sondern setzen viel Geduld und Zeit vo-
raus. PädagogInnen müssen sich das Vertrauen der Kinder und Jugendlichen erst erar-
beiten, beispielsweise durch Gespräche oder anderen Beschäftigungsmöglichkeiten für
einen Beziehungsaufbau, etwa Spielenachmittage oder Gruppenaktivitäten. Die Gestal-
tung pädagogischer Beziehungen benötigt demnach viel Zeit, in welche investiert wer-
den muss. Beziehungsarbeit stellt somit ein wichtiges Qualitätsmerkmal für Einrichtun-
gen dar (vgl. Küchenhoff 2009, S. 4).
„Pädagogische Erfolge hängen von der Qualität einer menschlichen
Beziehung zu den Kindern ab, die definiert wird durch das Maß, in
welchem der Erwachsene Authentizität, Akzeptanz und Empathie
zeigt. Diese Verhaltensmerkmale können und sollen gelernt bzw. trai-
niert werden“ (Behr u.a. 1997, zit.n. Hockel 2011, S. 28).

Herman Nohl befasste sich in den 1920er Jahren bereits mit dem Phänomen zwischen-
menschlicher Beziehungen im Erziehungs- und Bildungsprozess und bezeichnete dieses
Konzept als Pädagogischen Bezug. Mit Beginn der Kindheits- und Jugendforschung
veränderte sich auch der pädagogische Blick und es wurde die Notwendigkeit erzieheri-

24 | S e i t e
scher Maßnahmen in den Mittelpunkt gerückt. Prinzipiell beschreibt das Konzept
des >>pädagogischen Bezugs<< die Struktur der ErzieherIn-Zögling-Beziehung und un-
tersuchte dabei die Bedingungen, unter welchen Bildungs- und Erziehungsprozesse
überhaupt möglich sind. Als Basis jeder pädagogischen Beziehung beschreibt Nohl das
gegenseitige Vertrauen. Ohne Vertrauen ist keine Erziehung möglich (vgl. Nohl 1988,
zit.n. Klika 2013, S. 37ff.).

3.2. Bedeutung der Beziehung im erzieherischen Alltag


Die Bindungstheorie von John Bowlby beruht auf der Annahme, dass frühkindliche Be-
ziehungen einen erheblichen Einfluss auf die spätere Persönlichkeitsentwicklung, dem-
nach auf die psychosoziale, kognitive und emotionale Entwicklung eines Kindes haben.
In klassischen Studien über Bindungsverhalten eines Kindes wird normalerweise die
Kindesmutter als primäre Bezugsperson herangezogen. Neuere Studienergebnisse zei-
gen, dass intensive Beziehungen aber auch zu anderen Bezugspersonen, wie etwa dem
Kindesvater, Großvater, Großmutter oder anderen Dritten Personen sowie Mehrfachbin-
dungen zu unterschiedlichen Personen möglich sind (vgl. Schweer/Schulte-Pelkum
2013, S. 70).
„Im Zuge des Bindungsprozesses entwickeln Kinder interne Arbeits-
modelle, die kognitive und affektive Komponenten, bewusstes und
unbewusstes Wissen über Bindungserfahrungen sowie schließlich Vor-
stellungen und Erwartungen über die Vertrauenswürdigkeit der Um-
welt und über die Liebenswürdigkeit der eigenen Person
ten“ (Schweer/Schulte-Pelkum 2013, S. 70).

Im erzieherischen Alltag bildet Vertrauen die Grundlage jeder pädagogischen Bezie-


hung. Auch Nohl (1988) beschreibt, dass Vertrauen das notwendige Fundament einer
Erziehungsgemeinschaft darstellt. Anzumerken ist auch, dass der Beziehungsaufbau
grundsätzlich auf das Arrangement der Fachkräfte angewiesen ist. Demnach liegt es in
der Verantwortung sowie der Initiative der PädagogInnen, das Vertrauen der Kinder und
Jugendlichen zu gewinnen und somit die Grundlage der pädagogischen Beziehungsar-
beit zu schaffen (vgl. Klika 2013, S. 42ff.). Der persönliche Einsatz seitens der Pädago-
gInnen spielt in der Beziehungsarbeit mit fremduntergebrachten Kindern und Jugendli-
chen eine große Rolle. Für die beziehungsorientierte, pädagogische Arbeit ist viel Ener-
gie und Aufmerksamkeit notwendig. Auch die eigenen Beziehungserfahrungen spielen

25 | S e i t e
eine wesentliche Rolle in der Beziehungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen, da die
Fachkräfte bereit sein müssen, sich auf neue Beziehungen einzulassen, auch wenn diese
zeitlich begrenzt sind (vgl. Küchenhoff 2009, S. 4). Der Aufbau einer Beziehung beruht
auf einem Prozess, in dessen Verlauf es wiederholt zu Interaktionen zwischen den Per-
sonen kommt. Zudem spielen die Dauerhaftigkeit der Beziehung sowie Ausprägung der
Nähe eine wichtige Rolle. Eine professionelle Beziehung in der Sozialen Arbeit ist ab-
hängig von der zeitlichen Spanne der Zusammenarbeit, der Häufigkeit sowie der Inten-
sität der Zusammenarbeit, der Auseinandersetzung mit konkreten Themen und der indi-
viduellen Gestaltung der Beziehungsarbeit (vgl. Schäfter 2010, S. 23ff.). Cornelia
Schäfter (2010) beschreibt fünf bedeutsame Merkmale einer professionellen Beziehung
in der Sozialen Arbeit: die spezifische Verteilung der Rollen zwischen Fachkraft und
KlientIn, die funktionale Asymmetrie als Voraussetzung und Konsequenz, die Zweck-
gebundenheit und zeitliche Begrenzung als Rahmen, die Freiwilligkeit als Aufgabe so-
wie die begrenzte emotionale Nähe als Chance und Gefahr. Auf diese Merkmale wird
im Folgenden näher eingegangen.
a) Spezifische Verteilung der Rollen zwischen Fachkraft und KlientIn
Der Begriff Rolle stammt aus dem symbolischen Interaktionismus und spielt eine
wichtige Rolle in sozialen Beziehungen. Bei einer sozialen Rolle wird von einem
normativen Rollenkonzept ausgegangen, bei welcher das Verhalten bzw. spezifische
Vorstellungen im Vordergrund stehen. Demnach erfüllen Rollen eine soziale Orien-
tierungsfunktion, in welchen Interaktionsprozessen strukturiert werden und sich das
Verhalten einzelner Personen besser vorhersehen lässt. Eine Rolle ist immer an Er-
wartungen geknüpft, welche sich sowohl auf die Eigenschaften als auch auf das Ver-
halten einer Person beziehen, wobei Rollen größtenteils individuell gestaltet sind und
durch eigene Einstellungen, Erfahrungen, Präferenzen sowie aktuell situative Bedin-
gungen beeinflusst werden. PädagogInnen stehen zudem vor der Herausforderung,
einerseits für das Wohl der Kinder und Jugendlichen zu sorgen und andererseits den
gesellschaftlichen Normen nachzugehen (vgl. Schäfter 2010, S. 47ff.).

b) Funktionale Asymmetrie als Voraussetzung und Konsequenz


Schäfter (2010) nennt als weiteres Merkmal einer professionellen Beziehung die
Asymmetrie zwischen einer Fachkraft und den KlientInnen. Diese Asymmetrie ergibt
sich einerseits daraus, dass Professionelle für die Arbeit bezahlt werden und anderer-
26 | S e i t e
seits dadurch, dass Fachkräfte in bestimmten Bereichen den KlientInnen überlegen
sind aufgrund ihrer Ausbildung. Im Vergleich zu den KlientInnen verfügen Fachkräf-
te über mehr Fachwissen, Rollensicherheit, über mehr Distanz und damit verbunden
über weniger Betroffenheit zum Problem und demnach über ein größeres Handlungs-
und Lösungsrepertoire. Hinzu kommt auch häufig eine gewisse Abhängigkeit der
KlientInnen gegenüber der Fachkraft, welche vor allem aus einer Notsituation heraus
entstehen kann. Zumeist handelt es sich um eine einseitige Abhängigkeit, welche
ebenfalls zu einer Asymmetrie der Beziehung und demnach zu einem Machtgefälle
führen kann (vgl. Schäfter 2010, S. 54ff.).

c) Zweckgebundenheit und zeitliche Begrenzung als Rahmen


Im Gegensatz zu alltäglichen Beziehungen ist eine professionelle Beziehung zwi-
schen Fachkraft und KlientIn zweckgebunden und an einen zeitlichen Rahmen ge-
bunden. Das primäre Ziel einer professionellen Beziehung ist es, Hilfe zu leisten in
bestimmten Notsituationen, wobei meist mehrere Faktoren zusammenspielen, welche
erst während des Arbeitsprozesses sichtbar werden. Es wird die Meinung vertreten,
dass ein zeitlich vorgegebener Rahmen die Autonomie sowie die Motivation der Kli-
entInnen stärken kann, vor allem in Beratungssettings der Sozialen Arbeit. Zudem
soll durch den zeitlichen Rahmen verhindert werden, dass die Fachkräfte zu viel
Macht und Einfluss auf die KlientInnen ausüben, sodass auf lange Sicht eine Abhän-
gigkeit entstehen könnte (vgl. Schäfter 2010, S. 57f.).

d) Freiwilligkeit als Aufgabe


In der Sozialen Arbeit und vor allem in Beratungssettings gilt der Grundsatz der
Freiwilligkeit. Einerseits soll dadurch eine erfolgreiche Zusammenarbeit gegeben
und andererseits eine stabile Vertrauensbasis zwischen Fachkraft und KlientIn ge-
schaffen werden, da sich eine Beziehung zwischen Personen nicht erzwingen lässt.
Anzumerken ist jedoch, dass es in der Sozialen Arbeit Bereiche gibt, beispielsweise
der Kinder- und Jugendschutz, bei welchen die KlientInnen zu einer Zusammenarbeit
verpflichtet werden und es sich demnach weniger um Freiwilligkeit als um eine
Zwangsbeziehung handelt, was unter Umständen eine Zusammenarbeit zwischen
Fachkraft und KlientIn unmöglich macht (vgl. Schäfter 2010, S. 59f.).

27 | S e i t e
e) Begrenzte emotionale Nähe als Chance und Gefahr
Ein weiteres Merkmal für eine professionelle Beziehung in der Sozialen Arbeit ist
die Wahrung der Balance zwischen Nähe und Distanz. Schäfter (2010) schreibt, dass
vor allem die Nähe zu den KlientInnen als großes Risiko gesehen wird, beispielswei-
se, wenn sich die Fachkraft zu viel mit den Sorgen der KlientInnen identifiziert. Vor
allem BerufsanfängerInnen tendieren meist zu mehr Nähe, während Fachkräfte mit
langjähriger Berufserfahrung zu den KlientInnen eher auf Distanz gehen. Aufgabe
der Fachkräfte ist es, eine Balance zwischen Nähe und Distanz zu finden, wobei die-
se auch abhängig ist von situationsspezifischen Rahmenbedingungen, beispielsweise
institutionellen Vorschriften oder der Persönlichkeit der KlientInnen (vgl. Schäfter
2010, S. 61ff.).

Grundsätzlich rückt die Gestaltung eines gelungenen Alltags gemeinsam mit den Kin-
dern und Jugendlichen, welche in einer sozialpädagogischen Institution fremdunterge-
bracht sind, in den Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit. Dabei spielt auch der Bezie-
hungsaufbau zwischen PädagogInnen und den Kindern und Jugendlichen eine wesentli-
che Rolle. Eine Erziehung im pädagogischen Alltag kann demnach nur dann gelingen,
wenn eine grundlegende Vertrauensbasis und somit eine Beziehungsebene geschaffen
werden kann, welche abhängig ist von interpersonalen Prozessen zwischen den Pädago-
gInnen und den Kindern und Jugendlichen. Die Beziehungsarbeit stellt demnach in der
pädagogischen und der Sozialen Arbeit einen zentralen Stellenwert dar, welcher nicht
unterschätzt werden darf, da diese einen positiven Einfluss auf die Interaktionen zwi-
schen PädagogIn und den Kindern und Jugendlichen ausübt (vgl. Schäfter 2010, S.
39ff.).

3.3. Beziehungsarbeit und Erziehung in der Fremdunterbringung


Prinzipiell wird davon ausgegangen, dass Erziehung grundsätzlich schwierig ist, unab-
hängig davon, ob die Kinder und Jugendlichen bereits als erziehungsschwierig bzw.
schwer erziehbar eingeschätzt werden oder nicht. Demnach stellt sich die Frage, ob Er-
ziehung in der Fremdunterbringung überhaupt (noch) möglich ist, wenn die Kinder und
Jugendlichen durch die Jugendwohlfahrt als so erziehungsschwierig eingeschätzt wer-
den, dass sie von Amts wegen letztendlich fremduntergebracht werden. Oder ob sich

28 | S e i t e
Institutionen darauf beschränken sollten, den Kindern und Jugendlichen, welche fremd-
untergebracht werden, lediglich einen Ort zum Leben bereitzustellen, wo sich die Kin-
der und Jugendlichen selbst sozialisieren können, sofern keine Erziehung (mehr) mög-
lich ist. Die Gesetzgebung hat jedoch den Anspruch an die pädagogische Arbeit in
Wohngruppen, dass die Kinder und Jugendlichen zu gemeinschaftsfähigen Personen
heranerzogen werden. Die Frage, ob Erziehung in der Fremdunterbringung überhaupt
möglich ist, soll in diesem Kapitel geklärt werden. Anzumerken ist auch, dass der Erfolg
von Erziehung in der Fremdunterbringung abhängig ist von der Erziehungstoleranz der
zu erziehenden Kinder und Jugendlichen (vgl. Schleiffer 2014, S. 207ff.). Durch die
Maßnahme einer Fremdunterbringung durch die Jugendwohlfahrt sollen die Kinder und
Jugendlichen das Recht auf Erziehung erhalten, wenn ihnen das Recht auf Erziehung in
der Herkunftsfamilie vorenthalten wird (vgl. Schleiffer 2014, S. 229). Als Ziel von Er-
ziehung nennt Schleiffer (2014) die Veränderung des psychischen Systems sowie die
Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen, autonomen und gemeinschaftsfähigen Per-
sönlichkeit. Aber lässt sich ein psychisches System verändern? Erziehung lässt sich als
ein Vorgang beschreiben, bei welchem eine Koppelung des kommunikativen und des
psychischen Systems erfolgt. Anzumerken ist, dass so ein Vorgang nicht einseitig voll-
zogen werden kann. Psychische Systeme und die damit verbundenen Reaktionen sind
auch immer abhängig von ihren jeweiligen inneren Zuständen und demnach ihrem
Selbstkonzept, welches sich im Laufe des Lebens entwickelt. Wenn das psychische Sys-
tem aber nun abhängig ist von der eigenen Struktur, bedeutet dies, dass sich das psychi-
sche System nur selbst verändern kann, was in weiterer Folge darauf schließen lässt,
dass sich dieses System von äußeren Einwirkungen nicht beeinflussen lässt. Nun ist es
aber so, dass PädagogInnen das Ziel verfolgen, durch erzieherische Kommunikation das
psychische System der Kinder und Jugendlichen zu verändern. Somit stehen diese vor
einer besonders schwierigen Herausforderung, welche aufgrund vorangegangener Aus-
führungen scheinbar unlösbar ist, da wie bereits beschrieben, die Entwicklung von Kin-
dern und Jugendlichen von außen nicht beeinflussbar sei (vgl. Schleiffer 2014, S.
176ff.). So einfach ist dies dann aber doch nicht. Auch wenn das psychische System von
Kindern und Jugendlichen sich nicht verändern lässt so bleibt dennoch genügend Raum
für Erziehung. Anzumerken ist aber, dass die Erwartungen der PädagogInnen meist zu
hoch gegriffen sind. Ob sich ein Kind oder JugendlicheR erziehen bzw. nacherziehen

29 | S e i t e
lässt, ist zwar wie bereits erwähnt, abhängig vom psychischen System des Kindes bzw.
Jugendlichen, aber nicht unmöglich. PädagogInnen sind aber angewiesen auf die Erzie-
hungstoleranz der Kinder und Jugendlichen, was bedeutet, dass Erziehung nur funktio-
nieren kann, wenn die zu Erziehenden dies auch zulassen. Demnach hat sich Erziehung
an die psychischen Strukturen anzupassen, um eine Grundlage für erzieherische Bemü-
hungen zu schaffen. Gerade wenn Erziehung sich schwierig gestaltet, ist dies meist ein
Ausdruck von Aneignungsschwierigkeiten seitens des psychischen Systems der Kinder
und Jugendlichen (vgl. Schleiffer 2014, S. 177f.). Grundsätzlich kann davon ausgegan-
gen werden, dass vor allem die Bindungsbeziehung und somit auch die Beziehungsar-
beit die Kinder und Jugendlichen dazu motiviert, sich aktiv am Erziehungsprozess zu
beteiligen und sich erziehen zu lassen. Wenn eine sichere Bindungsbeziehung aufgebaut
und somit eine grundlegende Vertrauensbasis geschaffen werden kann, werden die zu
Erziehenden erkennen, dass ihnen Erziehung letztlich gut bekommt. Somit bildet Ver-
trauen die Grundlage aller erzieherischen Bemühungen im pädagogischen Setting, wel-
che eine Koppelung zwischen dem psychischen System der Kinder und Jugendlichen
und seinem Erziehungssystem ermöglicht (vgl. Schleiffer 2014, S. 182f.). Kinder und
Jugendliche, welche frühe traumatische Trennungserfahrungen erleben, entwickeln je-
doch häufig ein Bindungsmisstrauen gegenüber anderen Personen. Dieses Bindungs-
misstrauen dient meist als Schutzmechanismus vor erneuten Enttäuschungen. Bevor
Kinder und Jugendliche sich wieder auf eine Beziehung mit beispielsweise PädgogIn-
nen, Adoptiv- oder Pflegeltern einlassen, werden diese zunächst gründlichen Härtetests
unterzogen, denen mögliche Bindungspersonen aber häufig jedoch kaum standhalten
(vgl. Schweitzer/Schlippe 2009, S.318f.). Zusammenfassend kann festgehalten werden,
dass die Beziehungsarbeit sowie der Aufbau einer stabilen Vertrauensbasis die Grundla-
ge für Erziehung bilden. Ohne Beziehung ist keine Erziehung möglich (vgl. Simmen,
1990, S. 24).

3.4. Die Neue Autorität nach Haim Omer


Der Begriff der „Neuen Autorität“ wurde in den 1980er Jahren durch den Klinischen
Psychologen Haim Omer geprägt. Durch die Entwicklung dieses Konzeptes wurde die
Notwendigkeit aufgezeigt, den Begriff Autorität neu zu definieren und somit ein Um-
denken in der Erziehungs- und Beratungsarbeit zu bewirken. Anders als noch vor weni-

30 | S e i t e
gen Jahrzehnten, wo Gehorsamkeit eines der primären Ziele der Kindererziehung dar-
stellte, rückt in dem Konzept der „Neuen Autorität“ die Beziehung in den Mittelpunkt,
es geht sozusagen um „Stärke statt Macht“. Durch die Präsenz und somit der Überwin-
dung von Distanz sollen zudem erzieherische, pädagogische Handlungskompetenzen
gesteigert werden (vgl. Omer/Schlippe 2015, S. 28ff.). Hans Steinkellner und Stefan
Ofner arbeiten am Institut für neue Autorität in Linz und beschreiben in Anlehnung an
Haim Omer die Sieben Säulen der Neuen Autorität, welche nachfolgend kurz beschrie-
ben werden. Das Institut bietet Seminare über den systemischen Ansatz der Neuen Au-
torität für Schulen, Sozial- und Gesundheitseinrichtungen, Familien, Gemeinden und
Unternehmen an.

Abbildung 2: Übersicht - Die 7 Säulen der Neuen Autorität (Ofner 2013, S. 6)

Säule 1: Präsenz & Wachsame Sorge


Diese Säule basiert auf der Ideologie des gewaltlosen Widerstandes von Mahatma
Gandhi. Ursprünglich war es für Familien angedacht, bei denen die elterliche Präsenz
aufgrund häufiger Konflikte verloren ging. Damit ist gemeint, dass die Kinder über das
Geschehen innerhalb der Familie bestimmen und die Eltern kaum noch handlungsfähig
und demnach Einfluss auf das Verhalten der Kinder haben. Durch die Haltung der Prä-
senz sowie der Interventionen aus dem gewaltlosen Widerstand sollen die Eltern wieder
mehr Handlungskompetenz erlangen, in ihrer Autorität gestärkt und demnach die Be-
ziehungsdynamik zu den Kindern verbessert werden. Die Präsenz sowie die Wachsame
Sorge fordern die Bereitschaft der Erwachsenen, gewaltlosen Widerstand gegen ein be-
stimmtes Verhalten der Kinder zu leisten (vgl. Steinkellner/Ofner 2011, S. 61ff.).

31 | S e i t e
Säule 2: Selbstkontrolle & Eskalationsvorbeugung
Im Konzept der Neuen Autorität wird immer wieder auf das Thema Machtkämpfe hin-
gewiesen. Vor allem in Konfliktsituationen tendieren viele Erwachsene häufig dazu, im
Sinne der traditionellen Autorität zu handeln und sind der Überzeugung, bei Auseinan-
dersetzungen mit dem Kind bzw. Jugendlichen „gewinnen“ zu müssen. Somit gibt sich
der/die Erwachsene in einen Machtkampf, um sozusagen die Autorität zu wahren. Wich-
tig ist aber, die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen zu erkennen und ihnen Raum
zu geben, ihre eigenen Grenzen, Möglichkeiten und Erfahrungen austesten und sam-
meln zu können. Erziehende sind somit gefordert, einerseits die Autonomie der zu Er-
ziehenden zu fördern und andererseits sich entgegenzustellen bei gefährdenden Verhal-
tensweisen und sie an der Hand zu nehmen und gegebenenfalls zu führen. In Bezug auf
die Selbstkontrolle und Eskalationsvorbeugung spielt auch die Beharrlichkeit der Er-
wachsenen eine zentrale Rolle. Es geht nicht um die Unmittelbarkeit oder Dringlichkeit
in Konfliktsituationen, sondern es ist ein Prozess, welcher oft Zeit und Geduld voraus-
setzt im Umgang mit schwierigen Situationen (vgl. Steinkellner/Ofner 2011, S. 64ff.).

Säule 3: Unterstützungsnetzwerk & Bündnisse


Die Stärke sowie Lösungskompetenz entstehen aus einer Überzeugung heraus, dass
Veränderungen immer durch mehrere Personen eines Netzwerkes initiiert und getragen
werden. Somit liegt die Verantwortung nicht auf einer Person, sondern das Unterstüt-
zungsnetzwerk vertritt die gleichen Ansichten, wenn beispielsweise eine positive Verän-
derung im Verhalten des Kindes bzw. Jugendlichen eintreten soll. Das Netzwerk ist
demnach gemeinsam an konstruktiven Lösungsansätzen in schwierigen Situationen inte-
ressiert. Transparenz (Säule 6) sowie eine WIR-Haltung spielen eine zentrale Rolle, um
tragfähige Bündnisse und Unterstützungsnetzwerke eingehen zu können. Wichtig ist
aber auch, beispielsweise dem Kind bzw. Jugendlichen die Botschaft zu vermitteln, dass
die einzelnen Personen aus dem Unterstützungsnetzwerk der Überzeugung sind, dass
der/die zu Erziehende dazu in der Lage ist, sein/ihr negatives Verhalten zu korrigieren,
was auch zur Förderung der Autonomie sowie zur Lösungskompetenz beiträgt (vgl.
Steinkellner/Ofner 2011, S. 66ff.).

Säule 4: Protest & Gewaltloser Widerstand


Wie bereits erwähnt, beruht der gewaltlose Widerstand auf der Ideologie von Mahatma

32 | S e i t e
Ghandi. Die Erziehenden begegnen der destruktiven Haltung des Kindes bzw. Jugendli-
chen mit der Nachricht: „Wir können dein Verhalten nicht länger akzeptieren und wir
werden alles uns mögliche unternehmen, um es zu stoppen. Wir werden dich dabei nicht
bedrohen und wir werden nicht mit Gewalt reagieren“ (Steinkellner/Ofner 2011, S. 72).
Das Konzept der Neuen Autorität baut auf Entschlossenheit und Präsenz der Erwachse-
nen auf und nicht wie in der traditionellen Autorität auf Macht, es geht sozusagen da-
rum, um das Kind bzw. den Jugendlichen und nicht gegen ihn/sie zu kämpfen. Wichtig
dabei ist auch die Formulierung des Beziehungsaspektes, sozusagen die Botschaft zu
vermitteln, dass der/die zu Erziehende den Erwachsenen wichtig ist und sie um das
Wohlergehen der Kinder bzw. Jugendlichen bemüht sind (vgl. Steinkellner/Ofner 2011,
S. 72). „Wir wissen nicht was du tun wirst, aber wir wissen, was wir tun werden und wir
sagen es dir auch, damit du dich darauf einstellen kannst“ (Steinkellner/Ofner 2011, S.
72). Grundsätzlich geht es bei dieser Haltung darum, dass die Erwachsenen ihr Verhal-
ten nicht von dem der Kinder bzw. Jugendlichen abhängig machen. Das Ziel dabei ist
nicht einfach nur Gehorsam zu erreichen, sondern den/die zu ErziehendeN aktiv in den
Prozess einzubeziehen, um so das Verhalten positiv verändern und geeignete Konflikt-
bewältigungsstrategien internalisieren zu können (vgl. Steinkellner/Ofner 2011, S.
72ff.).

Säule 5: Versöhnung, Beziehung


Die traditionelle Autorität beruht darauf, auf ein Fehlverhalten meist mit Konsequenzen,
sozusagen Sanktionen und Strafen, zu reagieren. Klassische Beispiele hierfür sind der
Hausarrest oder Fernsehverbot. Freundliche Gesten wurden oftmals als Zeichen von
Schwäche gesehen, was unter anderem auch auf die Prinzipien des Herrschaftsdenkens
zurückzuführen ist. In der Neuen Autorität geht es um Gesten der Versöhnung, also dass
die Erwachsenen trotz problematischen Verhaltens der Kinder bzw. Jugendlichen zei-
gen, weiterhin an einer guten Beziehung interessiert zu sein. Somit erfährt der/die zu
Erziehende weiterhin Wertschätzung und Zuwendung seitens der Erwachsenen. Es geht
darum, den Prozess gemeinsam zu gestalten und ein beziehungsförderndes Miteinander
zu schaffen. Vor allem in schwierigen Zeiten sollen beziehungsfördernde Aspekte ver-
stärkt werden. Die Beziehung gilt somit als wichtigster Baustein für die Erziehungs-
kompetenz der Erziehenden (vgl. Steinkellner/Ofner 2011, S. 74f.).

33 | S e i t e
Säule 6: Transparenz
Wenn ein gewaltloser Widerstand gegen ein bestimmtes Verhalten geplant wird, ist es
auch wichtig, dieses transparent zu machen, dass sozusagen zusätzlich involvierte Per-
sonen über geplante Interventionen informiert werden. Die Mitteilung soll jedoch so
erfolgen, dass es zu keinem Bloßstellen und keiner Demütigung einer Person kommt.
Durch die Transparenz geplanter und umgesetzter Schritte wird einerseits die Autorität
der Erwachsenen gestärkt und andererseits sollen die Kinder und Jugendlichen dadurch
Sicherheit erfahren, dass heikle Themen von den Erwachsenen auch ernst genommen
und behandelt werden (vgl. Steinkellner/Ofner 2011, S. 75f.).

Säule 7: Wiedergutmachungen
Wiedergutmachungen sind eines der jüngsten Entwicklungen des Konzeptes der Neuen
Autorität. Das Ziel einer Wiedergutmachung ist es, demjenigen/derjenigen, der/die ei-
nen Schaden angerichtet hat die Möglichkeit zu geben, sich wieder zu „re-integrieren“,
sozusagen den zuvor entstandenen Schaden wieder gut zu machen. Wiedergutmachun-
gen bestehen aus zwei Schritten:
 Verantwortungsübernahme: diese erfolgt meist in Form eines Briefes und soll
unter anderem dazu dienen, dass sich das Kind bzw. der/die Jugendliche noch-
mals mit seinem/ihrem Verhalten auseinandersetzt und zudem geeignetere Lö-
sungsstrategien zur Konfliktbewältigung entwickeln und internalisieren kann.
 Geste des guten Willens: Diese orientiert sich immer an den Fähigkeiten der
Kinder und Jugendlichen. Beispielsweise könnte als Geste des guten Willens ein
Kuchen gebacken werden, wenn das Kind bzw. der/die Jugendliche dies gerne
macht.
Anzumerken ist auch, dass sich bei Wiedergutmachungsprozessen die Erziehenden auf
die Seite des Kindes bzw. der/des Jugendlichen stellen und dass dieser Vorgang nicht
unmittelbar erfolgen muss („Schmiede das Eisen, wenn es kalt ist“). Wenn die Wieder-
gutmachung abgeschlossen ist wird dies auch den Beteiligten mitgeteilt und die Sache
somit bereinigt. Wichtig ist zudem, dass nachträglich nicht kritisiert oder Sachen nach-
getragen werden, da sich dies negativ auf die Beziehung auswirken könnte (vgl. Stein-
kellner/Ofner 2011, S. 77ff.).
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Autorität früher gleichgesetzt wurde mit
Kontrolle und Dominanz. Zudem war das Ziel der traditionellen Autorität Kinder und
34 | S e i t e
Jugendliche zum Gehorsam zu erziehen. Die Beziehung war in den meisten Fällen ge-
prägt von Distanz sowie Furcht und Angst vor Strafen. Die traditionelle Autorität hat
sich aber einem Wandel vollzogen und entspricht heutzutage nicht mehr den Vorstellun-
gen zwischenmenschlichen Kontakts und Beziehung, weshalb Haim Omer und sein
Team das Konzept der Neuen Autorität entwickelten. Durch die Präsenz und Wachsame
Sorge der Erziehenden wird die Beziehung in den Mittelpunkt der Arbeit gerückt. Ziel
der Neuen Autorität ist eine konstruktive Beziehungsgestaltung durch eine wertschät-
zende und respektvolle Grundhaltung den zu Erziehenden gegenüber. Die Erwachsenen
werden weniger leicht in Machtkämpfe hineingezogen, was zudem eskalationsvorbeu-
gend wirkt („Schmiede das Eisen, wenn es kalt ist“). Problematisches Verhalten wird
nicht mehr mit Strafen und Sanktionen, sondern durch Beharrlichkeit, gewaltlosen Wi-
derstand und Entschlossenheit begegnet. Zudem wird ein Unterstützungsnetzwerk (El-
tern, LehrerInnen, SozialarbeiterInnen usw. ) in den Prozess eingebunden und Bündnis-
se geschlossen, welche gemeinsame Ziele verfolgen. Die Transparenz und Gewaltfrei-
heit bieten zudem Klarheit für die beteiligten Personen und stärken die Autorität der
Erwachsenen. Zudem gewinnt das Konzept von Haim Omer und seinem Team immer
mehr an Bedeutung und erleichtert die pädagogische Arbeit, wie bereits mehrere Institu-
tionen, welche nach diesem Konzept arbeiten, berichten (vgl. Steinkellner/Ofner 2011,
S. 80f.; Homepage Institut für Neue Autorität Steinkellner & Ofner OG).

35 | S e i t e
4. Nähe und Distanz
Mit den Begriffen Nähe und Distanz wird ein Begriffspaar in den folgenden Ausführun-
gen betrachtet, welches beeinflusst wird von Raum und Zeit und aus den unterschiedli-
chen Perspektiven heraus beschrieben wird. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass es
sich einerseits um Prozesse der Annäherung und andererseits um Distanzierungsvorgän-
ge handelt, welche die Interaktionsabläufe zwischen den Menschen steuern und beein-
flussen. Dabei geht es nicht um die Nähe oder Distanz an sich, sondern um die Balance
zwischen den beiden Phänomenen, welche individuell gestaltet wird. Dies wird auch als
subjektive und intersubjektive Raum- und Zeiterfahrung verstanden, da Nähe und Dis-
tanz je nach Ort und Zeit interpretiert und konstruiert werden und demnach auch verän-
derbar sind (vgl. Dörr/Müller 2012, S. 7). Nachfolgend wird auf das Phänomen Nähe
und Distanz in der Sozialen Arbeit und innerhalb der Lebenswelt eingegangen. Auch die
pädagogische Beziehung aus neurobiologischer Sicht sowie die Nähe und Distanz aus
der Perspektive der Psychoanalytischen Pädagogik wird in den Fokus genommen. Des
Weiteren wird auf die Nähe und Distanz in alltäglichen Beziehungen und als körperliche
Erfahrung Bezug genommen. Abschließend wird die Nähe und Distanz in pädagogi-
schen Settings sowie im institutionellen Alltag näher erläutert.

4.1. Nähe und Distanz in der Sozialen Arbeit


In der Sozialen Arbeit wird das Phänomen von Nähe und Distanz unterschiedlich inter-
pretiert und gelebt. Einerseits wird davon ausgegangen, dass das sozialpädagogische
Handeln bestimmt ist durch die Qualität der Beziehungsarbeit sowie auf das Sich-
Einlassen einer Beziehung mit den KlientInnen verbunden mit dem Aufbau von Ver-
trauen und demnach der Fokus auf der Nähe zu den Menschen liegt. Andererseits ist
eine professionelle Arbeitsbeziehung gekennzeichnet durch die Distanz zu anderen Per-
sonen. Anzumerken ist auch, dass eine gelingende pädagogische Beziehung abhängig ist
von dem richtigen Maß an Nähe und Distanz. Der pädagogische Hintergedanke dabei
ist, dass den KlientInnen einerseits Bindungserfahrungen möglich gemacht werden und
andererseits aber auch die Selbstständigkeit nicht außer Acht gelassen wird (vgl.
Thiersch 2012, S.32 ff.). Vor allem in diesem Zusammenhang wird das Phänomen von
Nähe und Distanz deutlich, weil dies bedeutet, dass die Menschen in ihrem Entwick-
lungsprozess zum einen darauf angewiesen sind, dass sie als Person, so wie sie sind, das

36 | S e i t e
Gefühl des angenommen seins, der Akzeptanz und des geliebt seins erfahren können,
um das nötige Vertrauen in sich und die Umwelt aufbauen zu können. Zum anderen ist
es aber auch so, dass ihnen der nötige Freiraum für ihre individuelle Lebensgestaltung
eingeräumt wird, in welchem es ermöglicht wird, Erfahrungen sammeln zu können und
somit auch die Neugier zur Entfaltung sowie die Offenheit zu fördern und neue Wege
auszuprobieren. Das Phänomen von Nähe und Distanz in der Sozialen Arbeit und der
Umgang damit werden häufig als prekär gesehen, da die Kinder und Jugendlichen zwar
einerseits auf die PädagogInnen angewiesen sind, aber andererseits auch durch sie ge-
fährdet sind, da je nach Haltung der PädagogInnen gegenüber den Zöglingen ein
Machtgefühl entstehen kann, welches zu Unsicherheit, Einengung und Unterdrückung
führen kann. Demnach spielt die pädagogische Haltung in Bezug auf das Nähe-Distanz-
Verhältnis eine wichtige Rolle. Die MitarbeiterInnen in pädagogischen Settings sind
somit angehalten, Kompromisse zwischen dem Gegebenen und dem Möglichen zu
schließen, welcher jedoch geprägt ist durch Angst vor einengender Nähe sowie zu viel
Distanz in der professionellen Arbeitsbeziehung. Wichtig ist deshalb, die richtige Balan-
ce zwischen Nähe und Distanz zu finden, was eine schwer zu bewältigende Herausfor-
derung im pädagogischen Alltag darstellt. Zu viel Nähe kann einengend wirken, anders-
rum kann durch zu viel Distanz aber ein Gefühl von Gleichgültigkeit entstehen (vgl.
Thiersch 2012, S. 37ff). Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die kritische Selbstrefle-
xion, die Konstruktion von lebensweltnahen Deutungs- und Handlungsprozessen sowie
die Auseinandersetzung mit der Eigenheit und Fremdheit des jeweiligen Gegenübers.
Bereits Freud hat bildhaft beschrieben, dass ihm PädagogInnen vorkämen, wie Men-
schen, welche versuchen wollen, mit Turnschuhen einen Gletscher zu erklimmen. Damit
wird deutlich, welche schwierigen Herausforderungen die Soziale Arbeit zu bewältigen
hat. Die Arbeit in pädagogischen Settings bedeutet demnach, die richtige Balance zwi-
schen Nähe und Distanz zu finden, welche gekennzeichnet ist durch die Reflexivität der
PädagogInnen, der methodischen Transparenz sowie vertraglichen Verbindlichkeiten.
Das richtige Maß an Nähe und Distanz in pädagogischen Settings ist somit ein Balance-
akt und stellt eine zentrale Aufgabe für eine gelingende Bindungsbeziehung zwischen
PädagogInnen und den Kindern und Jugendlichen dar (vgl. Thiersch 2012, S. 45ff.).

4.2. Nähe und Distanz in der Lebenswelt


Der Alltag ist eine subjektiv wahrgenommene Wirklichkeit, welche abhängig ist von
37 | S e i t e
Raum, Zeit, sozialen Beziehungen und den damit verbunden Bewältigungsaufgaben.
Wie bereits in Kapitel 2 beschrieben, steht der Begriff der Lebenswelt in engem Zu-
sammenhang mit dem Begriff Alltag. Das Konzept der Lebensweltorientierung beschäf-
tigt sich mit den alltäglichen Handlungen von Personen und geht dabei speziell auf die
Ressourcen, Probleme sowie verschiedenen Bedingungen im Alltag ein (vgl. Grun-
wald/Thiersch 2011, S. 854). Der Raum, die Zeit sowie die sozialen Beziehungen stel-
len die Kerndimensionen der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit dar, welche kurz
erläutert werden.
 Der Raum: In dem Konzept der Lebensweltorientierung werden darunter unter ande-
rem die Wohnsituation, das städtische Milieu oder auch regionale Strukturen zusam-
mengefasst. Der Raum bietet Lebens- und Entfaltungsmöglichkeiten und dient als
Erfahrungs- und Aneignungsraum für eine Person. In diesen Räumen werden Anreize
für eine gelingende Alltagsbewältigung gegeben (vgl. Heimgartner 2009, S. 32).
 Die Zeit: Der Lebenslauf einer Person wird grundsätzlich über die Zeit strukturiert.
In den einzelnen Lebensphasen werden Erlebnisse und Erfahrungen gesammelt und
diverse Aufgaben bewältigt. Die Handlungen werden in der Gegenwart gesetzt und
wirken sich auf zukünftige Ereignisse aus. Wichtig dabei ist, die Herausforderungen
im Sinne einer unvorhersehbaren Zukunft zu bewältigen und sich dabei Kompeten-
zen anzueignen, welche sich in den einzelnen Lebensphasen konstant bewähren (vgl.
Heimgartner 2009, S. 32).
 Soziale Beziehungen: Im Laufe des Lebens werden immer wieder Beziehungen mit
anderen Personen eingegangen, welche auch einen Einfluss auf die Lebenswelt ha-
ben. Einerseits bieten soziale Beziehungen einen lebensnotwendigen Zusammenhalt,
andererseits sind diese aber auch der Auslöser für Spannungen und Zerwürfnisse. Die
Familie, die Schule oder die Peergroup stellen beispielsweise das Spektrum sozialer
Beziehungen dar. Aber auch in der Freizeit, beispielsweise in Vereinen werden Mög-
lichkeiten für einen Beziehungsaufbau geschaffen. Auch mediale, soziale Netzwerke
werden in der Lebenswelt einer Person immer präsenter (vgl. Heimgartner 2009, S.
33).
Grundsätzlich kann zusammengefasst werden, dass sich das Phänomen von Nähe und
Distanz unter Einbeziehung der eben beschriebenen Kerndimensionen auf die Lebens-
welt einzelner Personen auswirkt. Die Nähe, die beispielsweise eine Person empfindet,

38 | S e i t e
kann für die andere Person als aufdringlich oder peinlich erlebt werden. Menschen kön-
nen Nähe als Verlässlichkeit und Geborgenheit empfinden und zugleich aber auch Dis-
tanz als Freiraum und als Chance zur individuellen Entfaltung erfahren. Die Balance
von Nähe und Distanz im Alltag ist aber nicht als selbstverständlich anzusehen. Nähe
kann zu einem Gefühl von Einengung und Beschränktheit führen. Distanz hingegen
kann Gefühle wie Gleichgültigkeit und Unachtsamkeit hervorrufen. Abschließend kann
festgehalten werden, dass die Lebenswelten von Personen immer unübersichtlicher und
somit komplizierter werden. Wichtig dabei ist, dass Nähe nur gelingen kann, wenn auch
genügend Distanz eingeräumt wird und andersrum Distanz funktioniert, wenn die Mög-
lichkeit für Nähe gegeben ist (vgl. Thiersch 2012, S. 33ff.).

4.3. Die pädagogische Beziehung aus neurobiologischer Sicht


Aus neurobiologischer Sicht lässt sich sagen, dass Beziehungen in pädagogischen Set-
tings in einer Wechselwirkung von Spiegelungs- und Resonanzvorgängen stehen. Dar-
aus lassen sich zwei Komponenten ableiten, welche für das Nähe-Distanz-Verhältnis
relevant sind – Einfühlung und Führung (vgl. Bauer 2010, S. 3). Der amerikanische
Hirnforscher Thomas Insel zeigt anhand diverser Studien, dass das menschliche Gehirn
auf gute zwischenmenschliche Beziehungen angewiesen ist, weshalb in diesem Zusam-
menhang auch von „Social Brain“ gesprochen wird. Das Gefühl der Wertschätzung ist
unter anderem die Voraussetzung für die biologische Aktivierung der sogenannten Mo-
tivationssysteme im menschlichen Gehirn, welches die Inputs in Bezug auf Beziehun-
gen in neurobiologische Reaktionen umwandelt. Auch die Erkenntnis, dass Kinder und
Jugendliche auf Erfahrungen der persönlichen Wahrnehmung und demnach auf Bezie-
hung angewiesen sind, um Motivation zu entwickeln, ist allgemein eine pädagogisch
wertvolle Feststellung. Zentrale Faktoren für zwischenmenschliche Beziehungen, insbe-
sondere für pädagogische Beziehungen sind die Phänomene Spiegelung und Resonanz.
Als Beispiel ist hier das Konzept des „Lernens am Modell“ von Albert Bandura zu nen-
nen. In diesem Konzept geht es darum, dass die Spiegelzellen im Gehirn arbeiten, ohne
dass wir dies bewusst wahrnehmen müssen. Zudem sind diese Spiegelzellen nicht nur
aktiv, wenn andere Personen handeln, sondern lassen uns auch fühlen, was andere füh-
len (vgl. Bauer 2010, S. 4). Anzumerken ist auch, dass die Phänomene der Spiegelung
und der Resonanz das Geschehen in pädagogischen Settings beeinflussen. Drei wesent-

39 | S e i t e
liche, von Kindern und Jugendlichen unbewusst an PädagogInnen gerichtete Aufträge
lauten:
 1. „Lass mich spüren, dass ich da bin, dass ich für dich existiere!“
 2. „Zeige mir durch Deine Resonanzen, was meine starken und schwachen Seiten
sind!“
 3. „Lass mich spüren, ob Du – bei aller Kritik – an mich und meine Entwicklungs-
potenziale glaubst!“ (Bauer 2010, S. 4f.).
Abschließend ist anzumerken, dass das zentrale Merkmal pädagogischer Beziehungen
die richtige Balance zwischen verstehender Einfühlung und Führung zu finden ist, was
sich auch auf das Phänomen Nähe und Distanz auswirkt. Einerseits können durch zu
große Distanz, die Motivation und ein belebter pädagogischer Alltag auf der Strecke
bleiben. Andererseits kann aber zu viel Nähe zum Kind bzw. Jugendlichen die Führung
beeinflussen und gegebenenfalls auch zu grenzüberschreitenden Handlungen führen,
beispielsweise Handlungen, welche darauf angelegt sind, dass bei den beteiligten Perso-
nen sexuelle Gefühle angeregt werden. Somit ist eine professionelle Balance zwischen
Nähe und Distanz zu finden ein zentraler Aspekt für eine gelingende pädagogische Ar-
beit (vgl. Bauer 2010, S. 5).

4.4. Nähe und Distanz aus der Perspektive der Psychoanalytischen Pädagogik
Eines der zentralen Themen der Psychoanalyse ist das Phänomen von Nähe und Dis-
tanz. In diesem Zusammenhang spielt auch das Konzept der Übertragung von Sigmund
Freud eine wesentliche Rolle. Wichtig dabei ist, dass die Nähe und Distanz sich wech-
selseitig beeinflussen und dynamisch miteinander verbunden sind. Die Übertragung in
pädagogischen Beziehungen ist abhängig von spezifischen Rahmenbedingungen und
Arbeitsweisen in pädagogischen Settings. Dabei geht es um die spontane Übertragung,
was bedeutet, dass die Beziehungsgestaltung der Individuen auch immer durch subjek-
tive Erfahrungen aus der Vergangenheit, sozusagen der inneren Realität, beeinflusst
wird. Die Übertragung in pädagogischen Beziehungen wirkt umso stärker, je konflikt-
reicher und belasteter das bisherige Leben der Kinder und Jugendlichen verlaufen ist
(vgl. Schmid 2012, S. 50ff.). Vor allem bei „schwierigen“ Kindern und Jugendlichen
gestaltet sich der Beziehungsaufbau unter Einbeziehung der inneren Realität dieser Zög-
linge als schwierig und zudem verwickeln diese die PädagogInnen in eine oftmals müh-

40 | S e i t e
sam auszuhaltende und schwer zu entziffernde Übertragungs- und Gegenübertragungs-
Dynamik. Die innere Realität wird somit als Wirkungshintergrund der Übertragung ge-
sehen (vgl. Dörr/Müller 2012, S. 20). Für Bowlby spielten ebenfalls die realen Erfah-
rungen in der Kindheit eine zentrale Rolle. Einflüsse wie beispielsweise innerpsychi-
sche Konflikte, welche zu späteren psychischen Störungen führen können, bestritt Bow-
lby nicht. Er sah den Ausgangspunkt im realen Leben eines Menschen, andere AutorIn-
nen sehen dies aber teilweise anders. Die mütterliche Deprivation, also die mangelnde,
mütterliche Zuwendung gegenüber ihrem Kind stellt für Bowlby ebenfalls eine zentrale
Rolle dar, welche zudem auch die Bindungstheorie maßgeblich beeinflusste. Wobei
auch anzumerken ist, dass das Verhältnis zwischen der Bindungstheorie und der Psy-
choanalyse nicht immer positiv war. Erst in jüngerer Zeit scheint die Psychoanalyse
erkannt zu haben, was die Bindungsforschung für die Wissenschaft leisten kann
(Schleiffer 2014, S. 20f.). Wie bereits erwähnt, spielt die Übertragung und Gegenüber-
tragung in Bezug auf das Nähe-Distanz-Verhältnis aus Sicht der Psychoanalytischen
Pädagogik eine zentrale Rolle. Hans-Georg Trescher (2001) hebt anlehnend an Green-
son und Muck sieben Merkmale von Übertragungsreaktionen hervor, welche auch einen
Einfluss auf das Beziehungsgeschehen zwischen den Personen haben:
1) Es handelt sich um ein intrapsychisches Geschehen (Anm. der Verfasserin: Über-
tragungsvorgänge, die innerhalb einer Person ablaufen und sich auf das Bezie-
hungsgeschehen auswirken).
2) Die Übertragung ist eine wiederbelebte Objektbeziehung zu einem frühen und
wichtigen Objekt, die mittels eines Stellvertreters aktualisiert wird.
3) Übertragungsreaktionen sind deshalb an Regression gekoppelt.
4) Sie folgen unbewussten infantilen Beziehungsmustern.
5) Die zugrunde liegende Erfahrung bzw. das zugrundeliegende Erleben wird nicht
bewusst erinnert, sondern unbewusst in Haltungen und Handlungen umgesetzt.
6) Übertragungsreaktionen basieren im Wesentlichen auf Verschiebungen, auf Erset-
zungen des früheren Objekts durch Stellvertreterinnen bzw. ‚Platzhalter‘ im Hier
und Jetzt.
7) Weil die Übertragungsreaktion eine Wiederholung (Wiederbelebung) früherer Be-
ziehungsmuster darstellt, ist sie der Realität des aktuellen Beziehungskontextes ge-
genüber unangemessen (Trescher 2001, S. 174).

41 | S e i t e
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es sich bei Übertragungs- und Gegenüber-
tragungsphänomenen im Wesentlichen um unbewusste Beziehungsmuster handelt, wel-
che sich im Laufe der Zeit entwickeln und manifestieren. Trescher (2001) beschreibt
zudem, dass es sich bei diesen Phänomenen um „unverarbeitete, nicht angeeignete Er-
fahrungen der Vergangenheit [handelt, die] mit Stellvertreterinnen und Stellvertretern
im Hier und Jetzt unbewusst neu belebt [werden]. Es handelt sich also um eine Wahr-
nehmungseinschränkung- und verzerrung, die dazu führt, dass die PädagogInnen so
erlebt werden, als ob sie z.B. unzuverlässige Eltern, verführende Väter, kontrollierende
Mütter, rivalisierende Geschwister etc. wären“ (Trescher 2001, S. 173f.). Daraus lässt
sich folglich sagen, dass PädagogInnen häufig mit für Kinder und Jugendlichen wichti-
gen Bezugspersonen verwechselt werden, was auch als innerpsychischer Prozess be-
zeichnet wird. Somit kennzeichnen die Übertragungs- und Gegenübertragungsphäno-
mene intrapsychische Vorgänge eines Menschen (vgl. Trescher 2001, S. 174).

4.5. Nähe und Distanz in alltäglichen Beziehungen und körperliche Erfahrung


Wie bereits zu Beginn erwähnt stellt der Aufbau von Beziehungen eine wichtige Ent-
wicklungsaufgabe im Leben eines Menschen dar, welche die Grundlage für die weitere
Entwicklung eines Individuums bildet (vgl. Grossmann 2009, S. 191). Der Aufbau emo-
tionaler Beziehungen wurde bereits bei Bowlby als eine in der Revolution entstandene
Reaktion gesehen, welche dem Überleben eines Menschen diente (vgl. Berk 2011, S.
253). Somit spielen Bindungen von der Geburt bis zum Tod eines Menschen eine ent-
scheidende Rolle (vgl. Brisch 2010, S. 35). Auch in alltäglichen Beziehungen spielt die
richtige Balance von Nähe und Distanz eine zentrale Rolle. Thiersch (2012) schreibt,
dass beispielsweise die Nähe, die ein Mensch für eine andere Person empfindet als un-
angenehm empfunden werden kann. Umgekehrt kann aber zu viel Distanz als verletzend
empfunden werden. Durch die Nähe erfahren Menschen meist Gefühle wie Verlässlich-
keit und Geborgenheit. Andersrum kann Distanz als Freiraum gesehen werden, in wel-
chen Chancen auf individuelle Entfaltung ermöglicht werden. Zu viel Nähe kann dem-
nach Einschränkungen in der persönlichen Entfaltung mit sich bringen, was dann auch
als klammernd und erdrückend vom Gegenüber erlebt wird. Wobei zu große Distanz
auch zu einer gegenseitigen Gleichgültigkeit führen kann (vgl. Thiersch 2012, S. 33ff.).
Ob Interaktionsprozesse zwischen den Menschen gelingen oder misslingen, ist nach

42 | S e i t e
Magret Dörr und Burkhard Müller (2012) von den Prozessen der Annäherung sowie der
Distanzierung abhängig. Dabei geht es nicht um die Phänomene von Nähe und Distanz
an sich, sondern um die Balance und demnach dem individuell richtig empfunden Maß
von Nähe und Distanz. Zudem verweist sie anhand der Phänomene von Nähe und Dis-
tanz im sozialen Kontext zunächst auf den Leib, da Menschen die Welt zuallererst über
den Körper erfahren. Mit zunehmendem Alter lernen wir, unseren Körper und die damit
verbundene körperliche Lust als Mittel einzusetzen, welche auch das Selbstverständnis
sowie die Selbstwahrnehmung beeinflusst. Der Körper gibt uns zudem Auskunft dar-
über, ob die Nähe oder Distanz zu anderen Menschen als angenehm und/oder unange-
nehm empfunden wird. Der Leib verkörpert somit das Wissen von räumlichen An- und
Abgrenzungen, was einen wesentlichen Faktor in Bezug auf das Phänomen von Nähe
und Distanz darstellt. Nähe und Distanz spielt somit sowohl in alltäglichen Beziehungs-
erfahrungen als auch als körperliche Erfahrung eine wesentliche Rolle. Bereits Kinder
lernen mit zunehmendem Alter, was Intimität und Abgrenzung oder Abhängigkeit und
Autonomie in unterschiedlichen Settings bedeutet, abhängig jedoch von den Reifungs-
prozessen, Entwicklungsstadien sowie gesellschaftlichen Erwartungen. Somit sind Be-
ziehungen gekennzeichnet von der individuellen Selbstbehauptung einerseits sowie der
gegenseitigen Anerkennung andererseits (vgl. Dörr/Müller 2012, S. 7f.).

4.6. Nähe und Distanz in pädagogischen Settings und im institutionellen Alltag


Volle Erziehung im Rahmen der Jugendwohlfahrt und demnach in pädagogischen Set-
tings hat idealerweise den Anspruch einer förderlichen Entwicklung von den ihnen an-
vertrauten Kindern und Jugendlichen in einer neuen, aber dennoch zeitlich begrenzten
Lebenswelt (vgl. Schleiffer 2014, S. 230). Dörr und Müller (2012) beschreiben, dass das
Phänomen von Nähe und Distanz eine unausweichliche Herausforderung, insbesondere
in sozialen und pädagogischen Settings, darstellt und somit auch wesentlicher Bestand-
teil professionellen Handelns ist. Vor allem in diesem Bereich stehen PädagogInnen vor
der Herausforderung, einerseits seiner/ihrer Berufsrolle gerecht zu werden und anderer-
seits sich auf Beziehungen einzulassen, welche geprägt sind von persönlichen und emo-
tionalen Erfahrungen und demnach kaum steuerbaren Ereignissen. Die Bewältigung
dieser Aufgaben wird als zentrale Aufgabe professionellen Handelns gesehen (vgl.
Dörr/Müller 2012, S. 9). Seifert und Sujbert (2013) sprechen auch von Phänomenen der

43 | S e i t e
pädagogischen Entgrenzung, vor allem im Zusammenhang mit Nähe und Distanz. Vor
allem die regelmäßige (Selbst-) Reflexion stellt einen zentralen Bereich dar, um Nähe
und Distanz in ihren räumlichen, zeitlichen sowie sozialen Dimensionen verstehen, deu-
ten und demnach professionell handeln zu können. Dabei geht es um die bewusste Aus-
einandersetzung von Erziehungszielen, vorhandener Werte sowie der Überzeugung im
Umgang mit den anvertrauten Kindern und Jugendlichen. Im Mittelpunkt der pädagogi-
schen Arbeit steht das Kind bzw. der/die Jugendliche, welche sich in ihrem Denken und
Handeln von den Erwachsenen unterscheiden, weshalb eine zentrale Aufgabe der päda-
gogischen Arbeit darin liegt, die Kinder und Jugendlichen zu verstehen und somit eine
Akzeptanz der Mehrdeutigkeit ihrer Gesten, Auffassungen, Denkweisen sowie Aus-
drucksformen voraussetzt. Hinzu kommt auch das explizite Wissen der PädagogInnen in
Bezug auf Erziehung (vgl. Seifert/Sujbert 2013, S. 166ff.). Burkhard (2012) schreibt
hierzu auch, dass sich das professionelle Handeln in pädagogischen Settings vom laien-
haften Alltagshandeln darin unterscheidet, dass das Phänomen von Nähe und Distanz
professionell in kunstvoller Weise verschränkt und miteinander vermittelt wird in Bezug
auf die Kinder und Jugendlichen sowie deren Problemlagen, was bedeutet, dass profes-
sionelle Arbeitsbeziehungen nahe und distanziert zugleich sind. Die professionelle so-
wie die private Nähe unterscheiden sich demnach in der Art und Weise, wie einerseits
Nähe kontrolliert und andererseits aber eine Distanz ermöglicht werden kann, ohne da-
bei die persönlichen Probleme auszuklammern, sondern einen geschützten Rahmen zur
Aufarbeitung zu schaffen (vgl. Müller 2012, S. 145f.). Abschließend ist noch anzumer-
ken, dass das Phänomen von Nähe und Distanz in pädagogischen Settings und im insti-
tutionellen Alltag häufig als konträr angesehen wird. Auf der einen Seite wird professi-
onelles, pädagogisches Handeln bestimmt durch die Qualität der Beziehung, also dem-
nach auf das Sich-Einlassen einer Beziehung mit dem Kind bzw. Jugendlichen, welche
gekennzeichnet ist von Vertrauen und Nähe. Und auf der anderen Seite soll eine profes-
sionelle Distanz zu den Zöglingen gewahrt werden. Eine pädagogische Beziehung kann
jedoch nur gelingen, wenn eine Balance und demnach ein richtiges Maß an Nähe und
Distanz gegeben ist (vgl. Thiersch 2012, S. 33ff.). Nach Dörr und Müller (2012) bedeu-
tet dies, dass PädagogInnen in der Lage sind, den Kindern und Jugendlichen ein Verste-
hensangebot zur Verfügung zu stellen, dieses gleichzeitig aber durch eine reflexive Dis-
tanz begrenzt ist (vgl. Dörr/Müller 2012, S. 10).

44 | S e i t e
5. Mögliche Einflussfaktoren auf die Bindungsqualität
fremduntergebrachter Jugendlicher
Wie bereits erwähnt, brauchen Kinder von Geburt an verlässliche Bezugspersonen, um
eine sichere Bindungsbeziehung aufbauen zu können (vgl. Becker-Stoll 2009, S. 166).
Der Beziehungsaufbau sowie eine stabile Vertrauensbasis bilden die Grundlage einer
erfolgreichen Erziehungsgemeinschaft (vgl. Klika 2013, S. 42). Welche Faktoren die
Beziehung zwischen PädagogIn und Jugendlichen beeinflussen könnten, fand in der
Forschung bislang jedoch noch wenig Beachtung. Berk (2011) beschreibt vier relevante
Einflüsse, welche sich auf die Bindungssicherheit auswirken:
 die Gelegenheit, eine enge Beziehung einzugehen,
 die Qualität der Fürsorge,
 die Persönlichkeitseigenschaften des Säuglings sowie
 den familiären Kontext (Berk 2011, S. 265).
Das Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg hat ebenfalls im
Jahr 2001 eine empirische Erhebung durchgeführt zu dem Thema Pfllege- und Adoptiv-
kinder in Heimen und dabei folgende Einflussfaktoren, welche sich auf die Bindungs-
qualität in der Fremdunterbringung auswirken, ermittelt:
 Alter und Geschlecht der Kinder und Jugendlichen,
 Die Zahl an vorangegangenen Platzierungen,
 Sozialer Status der Herkunftsfamilie,
 Elterliche Einstellungen und Fähigkeiten,
 Vorbereitung der Platzierung, usw. (Kasten/Kunze et al. 2001, S. 24f.).

Im folgenden Kapitel wird nun näher auf einige Faktoren eingegangen, welche einen
Einfluss auf die Bindungsqualität fremduntergebrachter Jugendlicher haben könnten.
Diese gliedern sich in Einflussfaktoren
 seitens des Herkunftssystems, beispielsweise der familiäre Kontext;
 seitens der Kinder und Jugendlichen, zum Beispiel das Alter und das Geschlecht
der Kinder und Jugendlichen;
 seitens der PädagogInnen, unter anderem die Balance von Nähe und Distanz sowie
 sonstigen Faktoren, etwa die rahmenorganisatorischen Faktoren der Institution.

45 | S e i t e
5.1. Einflussfaktoren seitens des Herkunftssystems
Zunächst werden die Einflussfaktoren seitens des Herkunftssystems näher erläutert.
Dazu zählen die Gelegenheit, eine enge Beziehung eingehen zu können, die Qualität der
Fürsorge und die mütterliche Feinfühligkeit sowie der familiäre Kontext.
Eine wichtige Rolle für Kinder und Jugendliche spielen die Stabilität der Beziehungen
sowie die Feinfühligkeit der Bezugspersonen betreffend der kindlichen Bedürfnisse
(vgl. Becker-Stoll 2009, S. 166).

5.1.1. Gelegenheit, eine enge Beziehung einzugehen


In einer Vielzahl von Studien erkannte René Spitz (1946) bereits sehr früh, welche Fol-
gen es für Kinder mit sich brachte, wenn keine enge Bindung zu einer Bezugsperson
aufgebaut werden konnte. So beobachtete er Säuglinge in Waisenhäusern, welche von
ihrer primären Bezugsperson einige Wochen bis zu einem Jahr nach der Geburt dort
hingebracht wurden. Eine Kinderschwester betreute dort noch mindestens sieben weite-
re Kinder. Es konnte beobachtet werden, dass die Kinder abnahmen, vermehrt weinten
und sich von ihrer Umgebung zurückzogen. Hospitalisierte Kinder wiesen emotionale
Probleme auf, weil es ihnen nicht möglich war, eine Bindung zu einer oder mehreren
Bezugspersonen aufzubauen. Eine weitere Studie bestätigte dieses Ergebnis. Wissen-
schaftlerInnen beobachteten die Entwicklung von Kindern in einer Institution mit einer
guten Kind-Bezugsperson-Beziehung sowie vielen Büchern und Spielzeug. Jedoch
wechselte das Betreuungspersonal so oft, dass beispielsweise Kinder bis zum Alter von
viereinhalb Jahren, mehr als 50 Bezugspersonen hatten. Einige dieser Kinder wurden
erst nach ihrem vierten Lebensjahr in einer Pflegefamilie untergebracht. Es konnten
zwar viele dieser Kinder eine innige Beziehung zu ihren Pflegefamilien aufbauen, was
daraus schließen lässt, dass eine erste Bindung auch noch später entstehen kann, jedoch
wiesen viele dieser Kinder Bindungsschwierigkeiten auf. Dies äußerte sich beispiels-
weise durch ein übersteigertes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit von Erwachsenen, we-
nig Freundschaften oder fehlender Suche nach elterlichem Rückhalt bei Unsicherheit
seitens des Kindes sowie in beängstigenden Situationen. Diese Symptome sind meist
sehr beständig und stehen in Zusammenhang mit einem breiten Spektrum an Störungen
der psychischen Gesundheit, beispielsweise Aufmerksamkeitsdefiziten, Hyperaktivität
oder störendem Verhalten (vgl. Berk 2011, S. 265).

46 | S e i t e
Zudem fällt es vielen dieser Kinder schwer, Emotionen richtig zu deuten. Insgesamt
kann anhand der Forschungsergebnisse festgehalten werden, dass eine unproblemati-
sche Entwicklung eines Kindes nur dann stattfinden kann, wenn enge Bindungen zu
einer oder mehrerer Bezugspersonen bereits sehr früh aufgebaut werden können (vgl.
Berk 2011, S. 266). Wie bereits zu Beginn erwähnt, stellt der Aufbau von Beziehungen
eine wichtige Entwicklungsaufgabe im Leben eines Menschen dar, welche auch als
Grundlage für den weiteren Entwicklungsverlauf dient (vgl. Grossmann 2009, S. 191).
Zudem dient die emotionale Bindung zu einer Bezugsperson dem Überleben eines Indi-
viduums, wie bereits aus den Studien von René Spitz (1946) hervorgeht (vgl. Berk
2011, S. 253). Um eine sichere Bindungsbeziehung zu den Kindern und Jugendlichen
aufbauen zu können, müssen unter anderem die Qualität der Fürsorge sowie die mütter-
liche Feinfühligkeit gegeben sein, welche nun näher beschrieben werden.

5.1.2. Qualität der Fürsorge/Mütterliche Feinfühligkeit


In diversen Studien konnte belegt werden, dass eine einfühlsame Fürsorge (rasches,
passendes und verlässliches Handeln) seitens der Bezugspersonen in Zusammenhang
mit der Bindungssicherheit steht. Bereits Mary Ainsworth (1978) stellte fest, dass unsi-
cher gebundene Kinder häufig Mütter haben, welche nur wenig Körperkontakt zulassen,
unbeholfen und teilweise mit Ablehnung reagieren. Zudem konnte ein Unterschied hin-
sichtlich einer besonderen Form der Kommunikation, welche auch als synchrone Inter-
aktion (zeitliche und angemessene Reaktion auf kindliche Bedürfnisse) bezeichnet wird,
aufgezeigt werden. Anhand diverser Studien wird ersichtlich, dass ein einfühlsames,
direktes Interagieren von Bezugspersonen, welches mit synchroner Interaktion einher-
geht, Kindern dabei hilft, seine/ihre Emotionen angemessen zu regulieren. Dies bedeutet
auch, dass Bindungssicherheit nicht zwingend von einer ständigen, kontingenten Inter-
aktion zwischen Kind und Bezugsperson abhängt, als vielmehr von einer fürsorglichen
Haltung gegenüber dem Kind (vgl. Berk 2011, S. 266). Dies bedeutet auch, dass Kinder,
welche eine sichere Bindungsbeziehung zur Bezugsperson aufbauen konnten, gelernt
haben, dass sie sich auf ihre Mutter verlassen können, da diese aufmerksam und fein-
fühlig sowohl auf die Bindungs- als auch auf die Explorationsbedürfnisse des Kindes
angemessen reagiert. Somit kann das Kind aufgrund der Interaktionserfahrungen mit der
Mutter eine sichere Bindung zu dieser aufbauen (vgl. Schleiffer 2014, S. 42).

47 | S e i t e
Mary Ainsworth (1978) und ihr Team nennen vier Merkmale, welche eine feinfühlige
Bezugsperson kennzeichnen:
 Sie kann die Signale des Säuglings wahrnehmen, weil sie sich in seiner Nähe befin-
det und zugänglich ist.
 Sie weiß diese Signale auch richtig zu deuten, weil sie empathisch die Wünsche des
Säuglings aus dessen Perspektive anzuerkennen und sie von den eigenen Bedürfnis-
sen zu unterscheiden vermag.
 Sie kann prompt auf die Bedürfnisse des Kleinkindes reagieren, da entwicklungs-
bedingt das Kind in diesem Alter nur Ereignisse als kontingent, d.h. als regelhaft
miteinander zusammenhängend, begreifen kann, wenn diese in einen zeitlich engen
Abstand aufeinander folgen.
 Sie reagiert angemessen insofern, als sie dem kleinen Kind das gibt, was es wirk-
lich nötig hat, also nicht zu viel und nicht zu wenig (Schleiffer 2014, S. 43).
Je nachdem, wie die primäre Bezugsperson auf die kindlichen Bedürfnisse reagiert,
entwickelt das Kind internale (innere) Arbeitsmodelle und dementsprechend lassen sich
auch die vier Bindungstypen von Mary Ainsworth (1978), wie bereits zu Anfang er-
wähnt, ableiten. Das Bindungsverhalten ist somit abhängig von den alltäglichen Bin-
dungserfahrungen, welche das Kind mit seiner/ihrer Bezugsperson sammelt, wobei die
Feinfühligkeit der Mutter bzw. einer anderen primären Bindungsperson maßgeblich zur
Qualität der Bindungsbeziehung beiträgt (vgl. Schleiffer 2014, S. 42).

5.1.3. Familiärer Kontext


Vielfach konnte in Untersuchungen beobachtet werden, dass beispielsweise der Verlust
des Arbeitsplatzes, finanzielle Probleme oder Scheidung sich auf die elterliche Zuwen-
dung und Einfühlsamkeit auswirken und somit die Bindungsqualität beeinflussen kön-
nen. Familiäre Bedingungen können demnach dazu führen, dass beim Kind ein Gefühl
von Unsicherheit entsteht, was Bindungsunsicherheiten hervorrufen kann. Unterstüt-
zung aus dem sozialen Umfeld könnte sich demnach positiv auf die Bindungsqualität
auswirken (vgl. Berk 2011, S. 267f.). Wie bereits erwähnt spielt eine stabile und verläss-
liche Bezugsperson, welche angemessen und feinfühlig auf die kindlichen Bedürfnisse
reagiert, eine wichtige Rolle für die spätere Bindungsqualität. Eine grundlegende Ver-
trauensbasis sowie eine emotionale Sicherheit zur primären Bezugsperson sind förder-

48 | S e i t e
lich für eine sichere Bindungsbeziehung (sicher gebundener Bindungstyp nach Ains-
worth). Bei Kindern und Jugendlichen, welche fremduntergebracht sind, ist häufig keine
stabile Bezugsperson vorhanden bzw. ist die Beziehung zwischen primärer Bezugsper-
son und dem Kind bzw. Jugendlichen häufig gekennzeichnet von Zurückweisung, feh-
lender Feinfühligkeit bis hin zu hochgradig inkonsistenter Beziehungserfahrungen, wie
beispielsweise Formen von Misshandlung und/oder Missbrauch. Die Entstehung der
unterschiedlichen Bindungstypen geht demnach auf die Unterschiede und Erfahrungen
in der Qualität der elterlichen Interaktion zurück. Vor allem bei Kindern und Jugendli-
chen aus desolaten Familienverhältnissen verbunden mit traumatischen Erlebnissen
und/oder unverarbeiteten Geschehnissen kommt es häufig zu einem zeitweisen Zusam-
menbruch von Bindungsstrategien, weshalb fremduntergebrachte Kinder und Jugendli-
che meist dem Bindungstyp unsicher-desorganisiert zugeordnet werden. Seitens der
Jugendwohlfahrt kommt es in einigen Fällen fremduntergebrachter Kinder und Jugend-
licher zu einem Abbruch der Bindungsbeziehungen zum Herkunftssystem, was aber
wiederum zu enormen Auswirkungen der Beziehungsfähigkeit und in weiterer Folge zu
Bindungsstörungen aufgrund traumatischer Trennungserfahrungen führen kann (vgl.
Schleiffer 2014, S. 43ff.).

5.2. Einflussfaktoren seitens der Kinder und Jugendlichen


Mögliche Einflussfaktoren seitens des Kindes sind die Persönlichkeitseigenschaften in
Verbindung mit dem Temperament der Kinder und Jugendlichen, das Alter und Ge-
schlecht sowie kritische Lebensereignisse, auf welche nun näher eingegangen wird.

5.2.1. Persönlichkeitseigenschaften des Säuglings/Temperament des Kindes


In Studien konnte nachgewiesen werden, dass beispielsweise Komplikationen bei der
Geburt oder eine Frühgeburt das Fürsorgeverhalten der primären Bezugsperson er-
schweren und Bindungsunsicherheit hervorrufen können. Besonders bei Kindern, wel-
che ein emotional reaktives und schwieriges Temperament aufweisen, ist die Wahr-
scheinlichkeit einer unsicheren Bindung häufiger. Jedoch konnte auch beobachtet wer-
den, dass durch einfühlsames Verhalten seitens der Bezugsperson gegenüber dem Kind
Bindungsunsicherheiten entgegengewirkt werden konnte (vgl. Berk 2011, S. 267).

49 | S e i t e
„Da eine Bindung aus einer Beziehung zwischen zwei Partnern ent-
steht, ist zu erwarten, dass die Persönlichkeitseigenschaften des Säug-
lings sich darauf auswirken, wie leicht oder schwer sich eine Bindung
herausbildet“ (Berk 2011, S. 267).

Demnach trägt das Temperament des Kindes zwar maßgeblich zur Gestaltung der Bin-
dungsbeziehung bei, wobei dies kaum einen Einfluss auf den Erfolg der Bindungsquali-
tät hat. Kinder, welche warmherzig, freundlich und responsiv gegenüber Erwachsenen
reagieren, machen es den Bindungspersonen leichter, eine stabile Bindungsbeziehung
zum Kind aufzubauen. Im Vergleich dazu erschweren Kinder welche eher gereizt, leicht
irritierbar und schwerer zu trösten sind, demnach eher den Beziehungsaufbau zu den
Bezugspersonen, wobei die Qualität der Fürsorge sowie feinfühlige Reaktionen auf
kindliche Bedürfnisse eine wichtige Rolle spielen, wie sich die Bindungsqualität entwi-
ckelt (vgl. Brisch 2010, S. 55). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Persön-
lichkeitseigenschaften des Kindes grundsätzlich kaum einen Einfluss auf die Bindungs-
qualität haben. Vielmehr hängt der Erfolg einer stabilen Bindungsbeziehung maßgeblich
davon ab, wie die Bezugspersonen auf das Temperament der Kinder reagieren, ob diese
auch in schwierigen, unvorhergesehenen Situationen angemessen auf die kindlichen
Bedürfnisse reagieren und wie belastbar die Eltern zudem sind (vgl. Berk 2011, S. 267).

5.2.2. Alter und Geschlecht des Kindes


Zu Beginn ist anzumerken, dass aus dem Kinder- und Jugendhilfebericht 2014 hervor-
geht, dass insgesamt mehr Burschen als Mädchen in Österreich im Rahmen der Vollen
Erziehung fremduntergebracht sind, was folgende Statistik vom Bundesministerium für
Familie und Jugend (2014) veranschaulicht:

Aufgrund einer Aufgrund einer gericht-


Vereinbarung lichen Verfügung

Abbildung 3: Statistik 2014 (Bundesministerium für Familie und Jugend 2014, S. 3)

50 | S e i t e
Aus der Statistik geht hervor, dass die Zahl an Fremdunterbringungen auf freiwilliger
Basis bei Mädchen mit zunehmendem Alter steigt. Bei gerichtlich veranlassten Fremd-
unterbringungen hingegen nehmen Fremdunterbringungen bei Mädchen ab dem 14.
Lebensjahr wieder ab. Bei den Burschen finden die meisten Fremdunterbringungen auf-
grund einer Vereinbarung zwischen dem sechsten und 13. Lebensjahr statt und gehen
danach wieder zurück. Bei Fremdunterbringungen von Burschen mit gerichtlichem Be-
schluss zeigt sich ein ähnliches Bild. Aus der Statistik ist auch ersichtlich, dass die
meisten Fremdunterbringungen allgemein ohne gerichtliche Veranlassung erfolgen.
Claudia Wallner (2010) spricht auf einer Tagung zudem ein alltägliches Phänomen der
Sozialen Arbeit in Deutschland an, wobei dies auch auf Österreich zutrifft. In der Kin-
der- und Jugendhilfe arbeiten mehrheitlich Frauen, wobei die meisten KlientInnen
männlichen Geschlechts sind. Sie spricht davon, dass es in vielen Fällen häufig zu einer
geschlechterunbewussten Arbeit kommt, welche in der Regel dazu führt, dass die Ge-
schlechtsstereotypen verstärkt werden. Damit ist gemeint, dass Frauen weniger oft mit
Burschen in Konfrontation gehen und Regeln durchsetzen. Wenn Frauen den Burschen
Grenzen aufzeigen, wird häufiger aggressives Verhalten beobachtet als wenn Frauen mit
Mädchen arbeiten. Umso wichtiger ist es, dass Frauen geschlechtsbewusst und gleichbe-
rechtigungsfördernd mit den männlichen Kindern und Jugendlichen arbeiten. Dies be-
deutet, dass PädagogInnen in ihrer Arbeit ihre Grenzen und Möglichkeiten kennen und
sich ihrer Ziele bewusst sind. Außerdem spielen die eigene Haltung, das Wissen über
die Geschlechterhierarchien, die Geschlechterverhältnisse und ihre Folgen für die Indi-
viduen sowie die Bereitschaft, die Geschlechtergrenzen zu erweitern, eine zentrale Rolle
in der Beziehungsarbeit (vgl. Wallner 2010, S. 1ff.).

Das Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg hat im Jahr 2001
in seiner empirischen Erhebung festgestellt, dass das Alter und das Geschlecht der Kin-
der und Jugendlichen einen Einfluss auf die Bindungsqualität in der Fremdunterbrin-
gung haben. Es wird deutlich, dass mit zunehmendem Alter der Kinder und Jugendli-
chen die Wahrscheinlichkeit sinkt, eine sichere Bindung zu anderen Personen aufzubau-
en, wobei es auch Ausnahmefälle gibt, in welchen eine sichere Bindungsbeziehung auch
in höherem Alter aufgebaut werden kann. Zudem konnten die Erkenntnisse von Rosent-
hal (1988) in Bezug auf das Geschlecht bestätigt werden (vgl. Kasten/Kunze et al. 2001,
S. 11).
51 | S e i t e
Rosenthal (1988) fand heraus, dass eine Fremdunterbringung von Burschen in der frü-
hen bis mittleren Kindheit, also vom vierten bis zum zehnten Lebensjahr häufig schwie-
riger verläuft als bei Mädchen. Andererseits ist eine Fremdunterbringung von Mädchen
in der späten Kindheit und Pubertät/frühen Adoleszenz, demnach vom elften bis zum
vierzehnten Lebensjahr eher zum Scheitern verurteilt als bei Burschen (Rosenthal et al.
1988, zit.n. Kasten/Kunze et al. 2001, S. 11). Strobel-Eisele und Roth (2013) schreiben
ebenfalls, dass das Alter des Kindes einen Einfluss auf die Gestaltung der pädagogi-
schen Beziehung hat (vgl. Strobel-Eisele/Roth 2013, S. 16). Andere AutorInnen haben
bestätigt, dass auch das Geschlecht die Bindungsbeziehung beeinflusst. Ahnert (2006)
schreibt, dass das Geschlecht der Kinder keinen Einfluss auf die Eltern-Kind-Beziehung
hat, schon aber bei PädagogInnen-Kind-Beziehungen in der Fremdunterbringung. In
Studien zeigte sich, dass Pädagogin-Mädchen-Beziehungen leichter aufgebaut werden
können als Pädagogin-Jungen-Beziehungen. Zudem kommt es häufiger vor, dass Mäd-
chen sichere Bindungsbeziehungen zu den Pädagoginnen aufbauen können als Burschen
(Ahnert et al. 2006, zit.n. Huber 2010, S. 64). Zusammenfassend kann gesagt werden,
dass sowohl das Alter als auch das Geschlecht der Kinder und Jugendlichen einen Ein-
fluss auf die Bindungsqualität in der Fremdunterbringung haben.

5.2.3. Lebensgeschichte der Kinder und Jugendlichen


Auch die Lebensgeschichte der Kinder und Jugendlichen hat einen Einfluss auf die Be-
ziehungsarbeit in der stationären Unterbringung. Wenn diese aufgrund chaotischer Le-
bensumstände kein organisiertes Bindungskonzept aufbauen und entwickeln konnten,
hat dies Auswirkungen auf die Beziehungsqualität zwischen PädagogIn und dem Kind
bzw. Jugendlichen, da das Verhalten der Zöglinge dadurch auch meist unvorhersehbar
ist. Schleiffer (2014) beschreibt, dass in seiner Untersuchung seitens der PädagogInnen
auch häufig erwähnt wurde, dass diese sich mit der Lebensgeschichte der Jugendlichen
kaum befassen. Begründet wurde dies damit, dass einerseits kaum Informationen vor-
handen seien und andererseits damit auch vermieden werden sollte, voreingenommen an
die pädagogische Arbeit heranzugehen (vgl. Schleiffer 2014, S. 254). Die Ergebnisse
einer Studie von Walter Gehres (1997) sorgten für eine Neuorientierung und Neubewer-
tung der pädagogischen Arbeit in Fremderziehungsprozessen. Dieser stellte fest, dass
der Erfolg von Beziehungsarbeit in der Fremdunterbringung auch in Zusammenhang

52 | S e i t e
mit einem Verständnis der Lebensgeschichte der Kinder und Jugendlichen steht, wobei
auch die Thematisierung der Gründe für eine Fremdunterbringung eine wichtige Rolle
einnimmt. Eine gemeinsame Rekonstruktion und Aufarbeitung vergangener, häufig
traumatischer Erlebnisse und Erfahrungen innerhalb des Herkunftssystems verbunden
mit Trennungserfahrungen und Enttäuschungen stellt einen Teil der pädagogischen Ar-
beit dar, welche sich häufig auch positiv auf den weiteren Verlauf sowie deren Persön-
lichkeitsentwicklung auswirkt (vgl. Gehres 1997, S. 196). Rosenthal (1988) sieht in den
Pubertäts- und frühen Adoleszenzjahren eine besonders kritische Entwicklungsphase, da
in dieser Zeit vor allem auch ungelöste Identitätsprobleme sowie die erwachende Sexua-
lität bei Jugendlichen hinzukommen, welche sich ebenfalls auf die Bindungsqualität
zwischen PädagogIn und Jugendlichen auswirken (Rosenthal et al. 1988, zit.n. Kas-
ten/Kunze et al. 2001, S. 12). Grundsätzlich wird in Fachkreisen davon ausgegangen,
dass diverse Faktoren zusammenspielen und diese einen Einfluss auf die Bindungsquali-
tät zwischen PädagogIn und Zögling in der Fremdunterbringung haben. Wenn Fremdun-
terbringungsprozesse jedoch scheitern und sich die Einrichtung letztendlich von dem
Kind bzw. Jugendlichen trennt, werden in erster Linie häufig die kindbezogenen Ein-
flussfaktoren für das Scheitern verantwortlich gemacht, obwohl wie bereits erwähnt,
mehrere Bedingungen zusammenspielen (vgl. Kasten/Kunze et al. 2001, S. 13).

5.3. Einflussfaktoren seitens der PädagogIn


Nachfolgend wird nun näher auf mögliche Faktoren seitens der PädagogInnen einge-
gangen, welche einen Einfluss auf die Bindungsqualität zwischen BetreuerIn und Ju-
gendlichen haben könnten. Zunächst wird auf die Persönlichkeitseigenschaften, danach
auf den Umgang zwischen Nähe und Distanz und abschließend auf die (Selbst-) Refle-
xion sowie die persönliche Abgrenzung, auch als Work-Life-Balance bezeichnet, einge-
gangen.

5.3.1. Persönlichkeitseigenschaften der PädagogIn


Die Persönlichkeit der PädagogInnen hat ebenfalls einen Einfluss auf den Beziehungs-
aufbau und die Bindungsqualität in der stationären Unterbringung. Die MitarbeiterInnen
nehmen unter anderem eine Vorbildfunktion für die Kinder und Jugendlichen ein und
leisten dementsprechend einen wesentlichen Beitrag zur Sozialisation der Zöglinge (vgl.
Schleiffer 2014, S. 272). Hölzl (1988) schreibt diesbezüglich, dass die PädagogInnen
53 | S e i t e
„Liebe und ‚Berufung‘ mitbringen [sollten], denn die Arbeit im Heim muss mehr sein
als nur ein Job“ (Hölzl/Dörnfeld 1988, S. 46). Gehres (1997) beschreibt auch, dass vor
allem in der Beziehungsarbeit in pädagogischen Settings Empathiefähigkeit, Akzeptanz
sowie Rollendistanz eine primäre Grundlage darstellen, welche es einfacher macht, den
Kindern und Jugendlichen einen sicheren Lebensort bieten zu können (vgl. Gehres
1997, S. 15). Zudem beschreibt Gehres (1997) einige Anforderungen, welche die Päda-
gogInnen in der Fremdunterbringung aufweisen sollten:
 Aufgeschlossenheit, Verständnis und Einfühlungsvermögen besitzen;
 Interesse an der Lebensgeschichte und der Entwicklung der von ihm bzw. ihr be-
treuten Kindern und Jugendlichen haben;
 Bereit sein, sich mit dem Herkunftskontext der Kinder und Jugendlichen auseinan-
dersetzen;
 Über die Fähigkeiten und den Mut verfügen, in berechtigten Fällen konflikt- und
durchsetzungsfähig zu sein („handeln statt labern“);
 Eine offene und ehrliche Beziehung zu den von Heimunterbringung Betroffenen
aufbauen und auch viel Raum für eigenständige Entwicklungsprozesse der Kinder
und Jugendlichen einräumen (Gehres 1997, S. 127).

Kutter (1989) fordert in Bezug auf die Heimerziehung, dass der Erzieher (Anm. der Ver-
fasserin: das Zitat wird nicht gegendert) „alle möglichen zwischenmenschlichen Kon-
fliktkonstellationen wenigstens in Ansätzen erlebt haben: Trennungsprozesse, lieben
[sic!] und Hassen, Herrschen und Beherrscht-Werden, Geben und Nehmen. Er sollte
ebenso Eifersucht und Neid gefühlt haben wie Erfolg und Misserfolg, Freude und Trau-
er“ (Kutter 1989, zit.n. Schleiffer 2014, S. 272f.). Zusammenfassend kann gesagt wer-
den, dass die Persönlichkeit sich ebenfalls auf die Gestaltung der Bindungsbeziehung
zwischen PädagogInnen und Kindern bzw. Jugendlichen auswirkt. Je mehr Erfahrungen
die PädagogInnen gesammelt haben, desto besser können diese sich in die Kinder und
Jugendlichen hineinversetzen und werden authentischer dadurch wahrgenommen, was
sich positiv auf die Beziehungsgestaltung auswirken kann (vgl. Schleiffer 2014, S. 273).

5.3.2. Umgang mit Nähe und Distanz


Beziehungsarbeit in der Fremdunterbringung bedeutet unter anderem, dass die Pädago-
gInnen durch ihre unaufdringliche Präsenz Möglichkeiten für einen sicheren Bezie-
54 | S e i t e
hungsaufbau mit dem Kind bzw. Jugendlichen schaffen müssen. Somit hängt die Bin-
dungsqualität maßgeblich von dem Einsatz der PädagogInnen ab (vgl. Küchenhoff
2009, S. 4). Thiersch (2012) schreibt diesbezüglich, dass unaufdringliches Verhalten
seitens der BetreuerInnen im pädagogischen Alltag bedeutet, eine Balance zwischen
Nähe und Distanz zu finden. Dies bedeutet einerseits, dass die Kinder und Jugendlichen
darauf angewiesen sind, dass sie als Person, so wie sie sind akzeptiert, angenommen
und geliebt werden und demnach die Nähe der PädagogInnen erfahren dürfen. Anderer-
seits bedeutet dies aber auch, ihnen die Möglichkeit einzuräumen, Freiräume zu schaf-
fen, um ihr Leben auch eigenständig gestalten und Erfahrungen sammeln zu können.
Für die pädagogische Arbeit in der Fremdunterbringung bedeutet dies aber auch, dass
der volle Einsatz der BetreuerInnen gefordert ist, um gemeinsam mit den Kindern bzw.
Jugendlichen den Alltag zu gestalten, zu leben und zu arbeiten (vgl. Thiersch 2012, S.
37f.). Simmen (1990) betont diesbezüglich, dass ein unausgewogenes Verhältnis von
Nähe und Distanz nicht nur zu Machtüberschreitungen, sondern bei den PädagogInnen
auch ein Ohnmachtsgefühl auslösen kann. Dies kann unter Umständen zu einem über-
mäßigen Kräfteverschleiß führen und zusätzlich Überforderung und Enttäuschung bei
den BetreuerInnen auslösen, wenn sie dem Beziehungsgeschehen teilweise ohnmächtig
gegenüberstehen und sich ausgelaugt fühlen vom ständigen Geben (vgl. Simmen 1990,
S. 25). Zusammenfassend kann davon ausgegangen werden, dass die richtige Balance
von Nähe und Distanz sich auch auf die Bindungsqualität zwischen PädagogIn und Zög-
ling auswirkt. Müller (2012) schreibt für die Fremdunterbringung, dass die Mitarbeite-
rInnen die Aufgabe haben, für die Kinder bzw. Jugendlichen einen Ort zu schaffen, wo
diese sich einerseits angenommen, geborgen und sicher fühlen können und andererseits
ihnen der nötige Freiraum gegeben wird, um Erfahrungen außerhalb der Institution ma-
chen zu können. Dabei ist es wichtig, die richtige Balance von Nähe und Distanz finden,
um gemeinsam die Bindungsbeziehung gestalten zu können (vgl. Müller 2012, S. 154).

5.3.3. (Selbst-) Reflexion und persönliche Abgrenzung


Eine professionelle Beziehung zwischen PädagogIn und Kind bzw. dem/der Jugendli-
chen ist durch eine reflexive Haltung seitens der PädagogInnen gekennzeichnet. Damit
ist gemeint, sich selbst in Frage zu stellen und sich auch in Frage stellen zu lassen von
den Jugendlichen, was wiederrum eines ausreichend guten Selbstwertgefühls bedarf.

55 | S e i t e
Somit ist es für PädagogInnen wichtig, ein hohes Maß an Bereitschaft zur Selbstreflexi-
on im pädagogischen Setting mitzubringen. Wobei auch anzumerken ist, dass dies leich-
ter umzusetzen ist, wenn die Institution selbst von den PädagogInnen als ausreichend
sicher bindend wahrgenommen wird, sozusagen ein Grundvertrauen in die Einrichtung
in Bezug auf Verlässlichkeit besteht (vgl. Schleiffer 2014, S. 267f.).
Zudem spielt auch die persönliche Abgrenzung eine wichtige Rolle, welche auch als
Work-Life-Balance bezeichnet wird. Darunter wird die Vereinbarkeit zwischen Berufs-
und Privatleben verstanden. Dies meint die individuelle Gestaltung der beiden Bereiche
je nach Bedarf und Wertevorstellungen, um eine zufriedene, leistungsfähige, gesunde
und sinnerfüllende Lebenseinstellung sowie Vereinbarkeit der Bereiche sicherstellen zu
können. Wenn im Gegensatz eine Unvereinbarkeit in der Gestaltung der Lebensbereiche
wahrgenommen wird, wird von einer Work-Life-Inbalance gesprochen. Anzumerken ist
jedoch, dass die beiden Bereiche nicht unabhängig voneinander betrachtet werden kön-
nen, da sich das Berufs- sowie Privatleben gegenseitig beeinflussen. Demnach ist eine
richtige Balance der beiden Bereiche zu finden für die pädagogische Arbeit wesentlich
(vgl. Spatz 2014, S. 14ff.).

5.4. Weitere Einflussfaktoren


Zunächst wird näher auf die Einflüsse der Peer-Group sowie die Beziehung zu anderen
Bezugspersonen eingegangen. Auch rahmenorganisatorische Faktoren, etwa eine hohe
MitarbeiterInnen- und BewohnerInnenfluktuation sowie der Schichtdienst können die
Bindungsqualität zwischen PädagogInnen und Jugendlichen beeinflussen, auf welche
nun näher eingegangen wird.

5.4.1. Einflüsse der Peer-Group


Der Aufbau von Freundschaftsbeziehungen ist vor allem in der mittleren Kindheit eine
wichtige Entwicklungsaufgabe im Leben eines Menschen, welche unter anderem auch
einen Teil dazu beiträgt, wie sich spätere Beziehungen zu anderen Personen gestalten.
Zudem stellen Peerbeziehungen eine wichtige soziale Ressource dar, welche auch Aus-
wirkungen auf die soziale Entwicklung sowie die Soziale Kompetenz hat, wobei der
Einfluss von Gleichaltrigen nach wie vor immer noch unterschätzt wird. Neben dem
Erwerb neuer Erfahrungen außerhalb des Herkunftssystems kommt auch hinzu, dass
Freundschaftsbeziehungen sozialen Halt und emotionale Unterstützung bieten (vgl.
56 | S e i t e
Brandl 2010, S. 51f.). Petermann (2000) beschreibt auch, dass mit zunehmendem Alter
der Kinder und Jugendlichen der Einfluss der Peer-Group grundsätzlich steigt, während
der familiäre Einfluss dementsprechend abnimmt (vgl. Petermann 2000, S. 26). Dem-
nach kann davon ausgegangen werden, dass mit zunehmendem Alter auch der Einfluss
von Gleichaltrigen immer bedeutender wird und sich positiv wie negativ auf die Bezie-
hungsqualität in der Fremdunterbringung auswirken kann.

5.4.2. Rahmenorganisatorische Faktoren der Institution


Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass eine hohe MitarbeiterInnen- und Bewoh-
nerInnenfluktuation einen Einfluss auf die Bindungsqualität zwischen PädagogInnen
und den Kindern und Jugendlichen hat. Ein MitarbeiterInnenwechsel kann für eine Ein-
richtung einerseits bedeuten, dass die neuen MitarbeiterInnen Elan und Ideenpotential
mitbringen und dies sich positiv auf die anderen Teammitglieder auswirkt. Andererseits
kann ein Wegfall eines/einer MitarbeiterIn aber auch Verlust an Erfahrung und Kontinu-
ität bedeuten und einen Einarbeitungsaufwand mit sich bringen (vgl. Heimgartner 2009,
S. 292). Jürg Schoch (1989) geht davon aus, dass das Verlassen eines/einer Mitarbeite-
rIn in der Regel meist mit Beziehungsabbrüchen einhergeht. Es kann angenommen wer-
den, dass der Wegfall eines/einer PädagogIn bei Kindern und Jugendlichen Verunsiche-
rung und verstärktes Misstrauen gegenüber den restlichen Teammitgliedern hervorruft
(vgl. Schoch 1989, S. 14). Aber nicht nur ein MitarbeiterInnenwechsel, sondern auch
die Fluktuation von Kindern und Jugendlichen kann ein Gefühl von personeller Instabi-
lität in Wohngruppen hervorrufen, was mit Verunsicherung einhergeht (vgl. Frei-
gang/Wolf 2001, S. 66). Auch das Schichtdienstmodell könnte sich nach Müller (2012)
negativ auf die Bindungsqualität auswirken. Er schreibt:
„Wenn demnach der Mangel an Bewältigungskompetenz nicht einfach
nur beim Erzieher selbst zu suchen ist, so muss er auch in den Rah-
menbedingungen liegen. In beiden Szenen haben die ‚Entgleisun-
gen‘ offenbar auch mit den Bedingungen des Schichtdienstes zu tun.
Dieser ist kontraproduktiv, sofern er das Dilemma von Nähe und Dis-
tanz vergrößert: Er erschwert die tragfähigen ‚Beziehungen’ innerer
Nähe, welche die zugemutete Intimität des Zusammenlebens als wohl-
tuend und beschützend und nicht als ein Übergriff eines Fremden erle-
ben lässt“ (Müller 2012, S. 153).
Meist werden die Kinder und Jugendlichen jedoch durch den Schichtdienst schnell in

57 | S e i t e
ihren Erfahrungen bestätigt, da durch das Schichtdienstmodell die PädagogInnen keine
beständigen Beziehungen anbieten können. Aufgrund dieser Organisationskultur ver-
meiden es Kinder und Jugendliche häufig, eine engere Beziehung einzugehen, um sich
vor erneuten schmerzhaften Erfahrungen zu schützen (vgl. Freigang/Wolf 2001, S. 71f.).
Freigang und Wolf (2001) vermuten demnach ebenfalls, dass sich der Schichtdienst
bezüglich fehlender Stabilität und Kontinuität negativ auf die Bindungsqualität der Kin-
der und Jugendlichen zu den PädagogInnen auswirkt (vgl. Freigang/Wolf 2001, S. 76).
Der Schichtdienst wird auch häufig seitens der PädagogInnen als negativ empfunden,
denn Handlungsabläufe innerhalb der Wohngruppe müssen durch das Dienstende häufig
abgebrochen werden und bleiben dadurch entweder unerledigt oder wird dem/der nächs-
ten diensthabenden PädagogIn übergeben. Daraus resultiert, dass PädagogInnen von
dem, was sich innerhalb der Einrichtung auftut und während des Alltags bei den Kin-
dern und Jugendlichen passiert, nur bedingt wahrgenommen werden kann bzw. nur Aus-
schnitte aus dem Wohngruppenalltag miterlebt werden können (vgl. Freigang/Wolf
2001, S. 65ff.). Auch in österreichischen sozialen Einrichtungen wird grundsätzlich
nach dem Schichtdienstmodell gearbeitet, welches auch in der steiermärkischen Kinder-
und Jugendhilfegesetz-Durchführungsverordnung (StKJHG-DVO) sowie im Kollektiv-
vertrag der Sozialwirtschaft Österreich (BAGS-KV) beschrieben wird. Zudem gelten
der Kollektivvertrag sowie die Durchführungsverordnung als gesetzliche Grundlage für
soziale Berufe. Allgemein kann festgehalten werden, dass die tägliche Normalarbeitszeit
für ArbeitnehmerInnen, welche in Kinder- und Jugendwohngruppen tätig sind, maximal
zehn Stunden beträgt, bei Bedarf jedoch auf maximal zwölf Stunden verlängert werden
kann. Wobei auch anzumerken ist, dass die Dienstzeiten zwar je nach Einrichtung unter-
schiedlich gestaltet sein können, aber diese sich an den gesetzlichen Grundlagen zu ori-
entieren hat (vgl. StKJHG-DVO 2014, S. 8f.; vgl. Sozialwirtschaft Österreich 2015, S.
13).

58 | S e i t e
6. Fremdunterbringung
In Österreich sind rund 11.000 Kinder und Jugendliche fremduntergebracht, wobei die
Zahlen stetig steigen (vgl. Holz-Dahrenstaedt 2012, S. 9). Birtsch (2008) versteht unter
Fremdunterbringung die „Unterbringung, Versorgung und Erziehung von Kindern und
Jugendlichen außerhalb der eigenen Familie. Sie bietet Hilfen bei Erziehungsproblemen
und Schwierigkeiten in der Lebensbewältigung, sie ermöglicht einen neuen Lebensort
und beinhaltet bei älteren Jugendlichen und jungen Volljährigen v.a. eine Begleitung in
die Selbstständigkeit“ (Birtsch 2008, S. 332). Die Gründe für eine Fremdunterbringung
können sehr vielfältig sein. Primär kann aber gesagt werden, dass die Herkunftsfamilie
nicht (mehr) in der Lage ist, eine angemessene Erziehung zu leisten und demnach das
Kindeswohl gefährdet wird. Mögliche Gründe für eine Erziehungsunfähigkeit seitens
der Eltern können psychische Probleme, Alkohol- und/oder Drogenprobleme, Überfor-
derung, gravierende Partnerschaftsprobleme, Haftstrafen, schlechte Wohnverhältnisse
oder dergleichen sein (vgl. Ebel 2011, S. 193). Die Formen der Fremdunterbringung
differenzieren sich hinsichtlich Ort, Dauer und Zielgruppe (vgl. Birtsch 2008, S. 332f.).
Im Folgenden werden drei bekannte Unterbringungsformen näher beschrieben. Ab-
schließend wird noch auf die Aufgaben und Ziele einer Fremdunterbringung näher ein-
gegangen. Grundsätzlich kann aber gesagt werden, dass primäres Ziel einer Fremdun-
terbringung die Rückführung in die Herkunftsfamilie ist, sofern dies möglich ist (vgl.
Freigang/Wolf 2001, S. 21).

6.1. Gründe für eine Fremdunterbringung


Prinzipiell kann gesagt werden, dass die Trennung der Kinder und Jugendlichen von
ihren Eltern als letzte mögliche Instanz seitens der Jugendwohlfahrt vollzogen wird
(vgl. Birtsch 2008, S. 333). Wie bereits erwähnt, können die Gründe für eine Fremdun-
terbringung sehr vielfältig sein, wobei grundsätzlich gesagt werden kann, dass die El-
tern nicht (mehr) in der Lage sind, eine adäquate Erziehung zu leisten und demnach das
Kindeswohl gefährdet ist (vgl. Ebel 2011, S. 193). Unter Kindeswohlgefährdung wird
„die begründete Besorgnis verstanden (...), dass bei Nichteingreifen das Wohl des Kin-
des entschieden beeinträchtigt würde, oder dass gegenwärtig eine Gefahr solchermaßen
besteht, dass sich eine erhebliche Schädigung hinsichtlich der Entwicklung des Kindes
mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt“ (Fieseler/Herborth 2005, S. 79f).

59 | S e i t e
Peter Wienerroither (2008) fasst die Arten von Kindeswohlgefährdungen, welche von
der Judikatur als solche definiert wurden, in folgenden Gruppen zusammen:
 Fehlende Erziehungsfähigkeit: Dies bedeutet, dass die Erziehungsberechtigten auf-
grund psychischer Probleme nicht in der Lage sind, sich ausreichend und adäquat
um ihr Kind zu kümmern. Wenn ein Elternteil kompensierend eingreifen und dem
Kind somit Stabilität und Sicherheit bieten kann, ist die Wahrscheinlichkeit einer
Fremdunterbringung geringer. Weitere Gründe können aber auch Alkohol und/oder
Drogenprobleme der Eltern sein;
 Grobe Vernachlässigung der elterlichen Pflichten: Wenn die körperlichen, psychi-
schen und/oder emotionalen Grundbedürfnisse eines Kindes nicht gestillt werden,
wird in der Judikatur von einer groben Vernachlässigung der elterlichen Pflichten
gesprochen. Mangelnde Versorgung (medizinisch, Ernährung, usw.) sowie Verlet-
zung der Aufsichtspflicht und demnach Vernachlässigung der Erziehungspflichten,
mangelnde Feinfühligkeit sowie Förderung der kindlichen Bedürfnisse;
 Missbrauch der Erziehungsrechte: Gewalt sowie Formen von Missbrauch, bei-
spielsweise sexueller Missbrauch, Misshandlung, körperliche Züchtigung sowie
Gewaltanwendung zählen zum Missbrauch der Erziehungsrechte. In der Judikatur
wird in der Regel unterschieden zwischen einer einmaligen Verfehlung und wieder-
holten Gewalteinwirkungen und/oder Formen von Missbrauch. Wenn davon ausge-
gangen werden kann, dass sich zumindest ein Elternteil regelmäßig an dem Kind
vergeht, wird in der Judikatur von einer Kindeswohlgefährdung gesprochen;
 Bindungs- und Beziehungsprobleme: In der Judikatur wird in diesem Zusammen-
hang davon gesprochen, wenn das mündige Kind selbst den Wunsch äußert, wo an-
ders leben zu wollen und die Erziehungsberechtigten ablehnt (vgl. Wienerroither
2008, S. 6).
Eine repräsentative Evaluationsstudie unter der Leitung von Hans Thiersch aus dem
Jahr 1998 zu stationären und teilstationären Erziehungshilfen zeigt folgendes Bild:
 In 67% besteht eine starke Störung der Eltern-Kind-Beziehung,
 in ca. 54% der Fälle sind die Kinder/Jugendlichen das Opfer familiärer Kämpfe,
 in ca. 43% erleben sie Gewalt- und/oder Missbrauchserfahrungen,
 in ca. 48% Vernachlässigung,
 in ca. 27% Verwahrlosung (Baur et al. 1998, S. 208ff. zit.n. Schleiffer 2014, S. 91).
60 | S e i t e
Hinzu kamen auch belastende sozioökonomische Faktoren, wie beispielsweise geringes
materielles Einkommen und/oder problematische Wohnverhältnisse sowie psychische
Probleme der Eltern, Alkoholprobleme, chaotische Beziehungsverhältnisse, welche zu
einer stationären Unterbringung von Kindern und Jugendlichen führten. Zusammenfas-
send kann gesagt werden, dass anhand der eben erwähnten Faktoren von einer elemen-
taren Kindeswohlgefährdung auszugehen und demnach eine stationäre Fremdunterbrin-
gung als letzte Möglichkeit meist unumgänglich ist (vgl. Schleiffer 2014, S. 91f.).

6.2. Formen der Fremdunterbringung


In der steiermärkischen Kinder- und Jugendhilfegesetz-Durchführungsverordnung
(StKJHG-DVO) vom Jahr 2014 werden im Bereich der Vollen Erziehung insgesamt
zwölf stationäre Leistungsangebote beschrieben. Nachfolgend wird näher auf drei be-
kannte Formen der Fremdunterbringung – die sozialpädagogische Wohngemeinschaft
für Kinder und Jugendliche, die Kinder- und Jugendwohngruppe sowie die Kriseninter-
ventionsstelle/Krisenunterbringung – eingegangen.
a) Sozialpädagogische Wohngemeinschaft für Kinder und Jugendliche
Eine sozialpädagogische Wohngemeinschaft (WG-SPÄD) für Kinder und Jugendliche
ist eine Einrichtung, welche neun Kinder im Alter zwischen zehn und achtzehn Jahren
aufnimmt. Ein professionell ausgebildetes BetreuerInnenteam übernimmt die ganzjähri-
ge Betreuung der fremduntergebrachten Kinder und Jugendlichen. In Ausnahmerege-
lungen kann die Unterbringung von Jugendlichen bis zum einundzwanzigsten Lebens-
jahr verlängert werden. In einer WG-SPÄD wird das Ziel verfolgt, durch den Erwerb
von Ressourcen Handlungskompetenzen zu vermitteln, welche später ein selbstbe-
stimmtes, autonomes Leben ermöglichen. Zudem soll durch ressourcenorientiertes Ar-
beiten in der neuen Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen optimal auf die individuel-
len, körperlichen, emotionalen, sozialen und entwicklungsbedingten Bedürfnisse einge-
gangen werden, um emotionale und soziale Defizite aufzuarbeiten und auszugleichen
(vgl. StKJHG-DVO 2014, Anlage 1, S. 7ff.).

b) Kinder- und Jugendwohngruppe


Bei einer Kinder- und Jugendwohngruppe (WG-KIJU) handelt es sich um eine Einrich-
tung, in welcher maximal dreizehn Kinder und Jugendliche im Alter von fünf bis fünf-
zehn Jahren aufgenommen werden und rund um die Uhr von einem professionell ausge-
61 | S e i t e
bildeten Personal betreut werden. Ausnahmen beim Alter eines Kindes/Jugendlichen
bilden beispielsweise Geschwisterunterbringungen. Das Ziel einer Fremdunterbringung
in einer WG-KIJU ist die Aufarbeitung sozialer und emotionaler Defizite durch ressour-
cenorientiertes Arbeiten. Es soll ein Lebensraum für die Kinder und Jugendlichen au-
ßerhalb der Herkunftsfamilie geboten werden, in welchem adäquat auf die individuel-
len, emotionalen, körperlichen, sozialen und entwicklungsbedingten Bedürfnisse einge-
gangen wird. Primäre Aufgabe einer WG-KIJU ist die individuelle Förderung der Kin-
der und Jugendlichen sowie der Erwerb von Ressourcen, welche später ein eigenständi-
ges, autonomes Leben ermöglichen (vgl. StKJHG-DVO 2014, Anlage 1, S. 2ff.).

c) Kriseninterventionsstelle/Krisenunterbringung
Eine Krisenunterbringung (KRISE) ist eine Beratungs- und Zufluchtsstelle für maximal
acht Kinder und Jugendliche im Alter zwischen dreizehn und achtzehn Jahren, welche
sich in einer akuten Krisensituation befinden und professionelle Unterstützung brau-
chen. Die Unterbringung ist auf höchstens zwölf Wochen beschränkt, wobei bei Bedarf
eine ambulante Nachbetreuung in Anspruch genommen werden kann. Das Ziel einer
Krisenunterbringung ist einen vorübergehend sicheren Raum zu schaffen, um einer Ver-
schlimmerung der aktuellen Situation entgegenzuwirken und gemeinsam annehmbare
Zukunftsperspektiven zu erarbeiten. Zudem soll die psychische Stabilität der Kinder
und Jugendlichen in der Zeit der Unterbringung gefördert sowie ihre Ressourcen ge-
stärkt werden (vgl. StKJHG-DVO 2014, Anlage 1, S. 22ff.).

6.3. Aufgaben und Ziele einer Fremdunterbringung


Wenn es im Rahmen der Jugendwohlfahrt zu einer Fremdunterbringung eines Kin-
des/Jugendlichen kommt, ist zunächst anzumerken, dass es sich hierbei um einen Pro-
zess handelt, an dem viele Personen und Faktoren zusammenspielen, welche letztend-
lich zu einer Maßnahme der Vollen Erziehung führen. Da es sich um ein Feld komplexer
Wirkungszusammenhänge handelt, beispielsweise die Lebensgeschichte, Familienstruk-
turen sowie aktuelle Probleme und Krisen, ist es wichtig, diese zunächst genauer in den
Blick zu nehmen und diese zu verstehen. Eine Fremdunterbringung wird demnach als
letzte Instanz im Rahmen der Jugendwohlfahrt gesehen, welche kurz-, mittel- oder lang-
fristig eine neue Lebenswelt bietet, in welchem sich das Kind bzw. der/die Jugendliche
optimal entwickeln kann (vgl. Wolff 2000, S. 122f.).
62 | S e i t e
Primär werden die Ziele, welche innerhalb einer Fremdunterbringung angestrebt wer-
den, individuell festgelegt und sind abhängig vom jeweiligen Entwicklungsstand sowie
der Vorgeschichte eines Kindes oder Jugendlichen. Freigang und Wolf (2001) haben
bezüglich einer Fremdunterbringung typische Zielkonstellationen entwickelt:
 Beheimatung: Ziel dabei ist es, den Kindern und Jugendlichen einen neuen Lebens-
raum außerhalb der Herkunftsfamilie zu bieten, in welchem sich die Kinder und Ju-
gendlichen sicher und geborgen fühlen können;

 Zwischenlösung: Damit ist eine zeitlich begrenzte Fremdunterbringung gemeint,


beispielsweise, wenn die Eltern längere Zeit ihren Erziehungspflichten nicht nach-
kommen können, etwa aufgrund von Krankheit. Grundsätzlich steht hier die ange-
messene Versorgung der Kinder und Jugendlichen während dieser Zeit im Vorder-
grund und nicht die Erziehung;

 „Besserung“ der Kinder und Jugendlichen: Meist erhofft man sich von einer Fremd-
unterbringung, dass sich die Kinder und Jugendlichen dort optimal entwickeln und
demnach Fehlentwicklungen sowie Störungen abbauen und in eine positive Zukunft
blicken und sich an die gesellschaftlichen Gegebenheiten anpassen können. Heutzu-
tage wird weniger von einer Besserung als eher von einer Förderung und Weiterent-
wicklung der Kinder und Jugendlichen gesprochen;

 Bestrafung und Disziplinierung von Kindern und Jugendlichen: In der Geschichte


der Heimerziehung war eine Fremdunterbringung gleichzusetzen mit einer Straf-
maßnahme. Wenngleich heutzutage eine Fremdunterbringung als letzte Möglichkeit
der Jugendwohlfahrt in Betracht kommt, wird eine Fremdunterbringung in vielen
Fällen als Strafe empfunden, wobei eine Fremdunterbringung einen anderen Zweck
erfüllen solle (vgl. Freigang/Wolf 2001, S. 21f.).
Das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) formulierte folgende Grundsätze für die
pädagogische Arbeit:
(1) Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erzie-
hung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zu-
vörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Ge-
meinschaft.
63 | S e i t e
(3) Jugendhilfe soll zur Verwirklichung dieses Rechts nach Absatz 1 insbesondere
1. junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und
dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen,
2. Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Erziehung beraten und unter-
stützen,
3. Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl schützen,
4. dazu beitragen, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Fami-
lien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu
schaffen (Schleiffer 2014, S. 207).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es primäre Aufgabe der Fremdunterbringung


ist, eine neue Lebenswelt für Kinder und Jugendliche zu schaffen, in welcher sie sich
sicher und geborgen fühlen können. Dies bedeutet auch, den Heranwachsenden Schutz
und eine adäquate Versorgung zu bieten und falsch erlernte Verhaltensweisen zu korri-
gieren und die individuelle und soziale Entwicklung zu fördern, sofern eine Rückfüh-
rung in die Herkunftsfamilie nicht möglich ist (vgl. Freigang/Wolf 2001, S. 21).

64 | S e i t e
II. Empirischer Teil

65 | S e i t e
1. Ziele und Fragestellungen
1.1. Zielsetzungen
Da die Frage nach möglichen Einflussfaktoren auf das Nähe-Distanz-Verhältnis in der
Beziehungsarbeit einen relevanten Stellenwert in der Sozialen Arbeit einnimmt und bis-
lang wenig Beachtung in der deutschsprachigen Literatur fand und ich zudem selbst in
einer sozialpädagogischen Wohngruppe tätig bin, habe ich mich mit dem Thema „Er-
ziehung ist Beziehung“ – Einflussfaktoren auf das Nähe-Distanz-Verhältnis in der Be-
ziehungsarbeit mit fremduntergebrachten Jugendlichen sowohl theoretisch als auch em-
pirisch intensiver auseinandergesetzt.
Einerseits wird mit der vorliegenden Masterarbeit das Ziel verfolgt, einen kompakten
theoretischen Überblick über diese Thematik zu geben. Andererseits ist das Ziel der
empirischen Erhebung, anhand der nachfolgenden Forschungsfragen aufzuzeigen, was
Nähe und Distanz in der Beziehungsarbeit mit fremduntergebrachten Jugendlichen be-
deuten, wie die PädagogInnen in ihrer praktischen Tätigkeit am Beispiel sozialpädago-
gischer Wohngruppen mit Nähe und Distanz in der Beziehungsarbeit mit fremdunterge-
brachten Jugendlichen umgehen, welche Faktoren das Nähe-Distanz-Verhältnis zwi-
schen Jugendlichen und PädagogInnen beeinflussen, welche Herausforderungen diesbe-
züglich entstehen und wie diese bewältigt werden können. Zur Datenerhebung wurden
problemzentrierte Interviews herangezogen und mit fünf PädagogInnen sowie zehn
Jugendlichen durchgeführt. Zusätzlich zu den Interviews wurde ein Skulpturverfahren
aus der systemischen Familientherapie, dem Familienbrett von Kurt Ludewig bei den
Jugendlichen angewandt, um herauszufinden, welche Personen eine zentrale Rolle im
Leben der Jugendlichen einnehmen und wie diese miteinander in Beziehung stehen.

1.2. Fragestellungen
Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich mit möglichen Einflussfaktoren auf das
Nähe-Distanz-Verhältnis in der Beziehungsarbeit mit fremduntergebrachten Jugendli-
chen. Folgende Fragestellungen sollen beantwortet werden:
 Was heißt Nähe und Distanz in der Beziehungsarbeit mit fremduntergebrachten Ju-
gendlichen?
 Welche Faktoren beeinflussen das Nähe-Distanz-Verhältnis in der Beziehungsarbeit
mit Jugendlichen?

66 | S e i t e
 Wie gehen PädagogInnen in ihrer praktischen Tätigkeit am Beispiel sozialpädagogi-
scher Wohngemeinschaften mit Nähe und Distanz in der Beziehungsarbeit mit Ju-
gendlichen um?
 Welche Herausforderungen können diesbezüglich entstehen?
 Wie werden die damit verbundenen Herausforderungen bewältigt?

67 | S e i t e
2. Methodisches Vorgehen
In diesem Kapitel wird zunächst die Institution vorgestellt, in welcher die empirische
Erhebung durchgeführt wurde. Anzumerken ist, dass zum Schutz und Wohle der Ju-
gendlichen und aufgrund von Datenschutzgründen die Angaben vertraulich behandelt
und deshalb anonymisiert wurden. Anschließend wird die Stichprobe näher erläutert
sowie ein Überblick über die teilnehmenden UntersuchungsprobandInnen gegeben. Des
Weiteren werden die Erhebungs- und Auswertungsmethoden kurz vorgestellt. Als Erhe-
bungsmethoden werden das Problemzentrierte Interview sowie ein Skulpturverfahren
aus der Familientherapie, das sogenannte Familienbrett, herangezogen. Bei der Auswer-
tung werden die Transkription, das Kodiersystem sowie die Qualitative Inhaltsanalyse
nach Philipp Mayring näher erläutert.

2.1. Institutionelle Darstellung


Die empirische Erhebung fand in zwei sozialpädagogischen Wohngruppen der Instituti-
on statt, welche sich jeweils in einer mittleren Bezirkshauptstadt in Österreich befinden.
Durch Gespräche mit der Geschäftsleitung, den PädagogInnen sowie den Jugendlichen
bekam ich einen Einblick in die Arbeits- und Aufgabenbereiche sowie Informationen
über die Institution, welche nachfolgend beschrieben werden. Die primäre Aufgabe der
PädagogInnen ist die qualitativ hochwertige Betreuung von Kindern und Jugendlichen
im Auftrag der Jugendwohlfahrt. Die Einrichtung bietet den Kindern und Jugendlichen,
welche im Rahmen des Jugendamtes ihrem häuslichen Umfeld entzogen werden, ein
Zuhause und schafft damit eine Chance auf eine gesunde und positive Entwicklung je-
der/jedes Einzelnen. Die Wohngemeinschaft übernimmt die Betreuung von Kindern und
Jugendlichen, welche meist durch Vernachlässigung und/oder Gewalt im Elternhaus
ihrem gewohnten Umfeld entzogen und fremduntergebracht werden. In einem familiä-
ren Umfeld werden die Aufgaben der Eltern durch ein fachlich qualifiziertes Personal
übernommen. Die Kinder und Jugendlichen werden hier in ihrer Entwicklung gefördert
und es werden gemeinsam zukunftsorientierte Perspektiven erarbeitet. Ziel dabei ist ein
eigenverantwortliches, autonomes Leben zum Wohle der Kinder und Jugendlichen so-
wie der Gesellschaft führen zu können. Im Sinne der Aufsichtspflicht haben die Mitar-
beiterInnen sicherzustellen, dass die ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen kei-
nerlei Gefahrensituationen ausgesetzt werden. Zudem sind jegliche Formen von Gewalt,

68 | S e i t e
grenzüberschreitenden Übergriffigkeiten sowie die Verletzung der persönlichen Integri-
tät der Kinder und Jugendlichen ausnahmslos untersagt. Organisatorische und administ-
rative Tätigkeiten bilden neben der Betreuung der Kinder und Jugendlichen einen weite-
ren Bereich der pädagogischen Arbeit. Hierzu zählt die Erstellung der täglichen, voll-
ständigen und korrekten Einzeldokumentation sowie ein halbjährlich verfasster Ent-
wicklungsbericht der Kinder und Jugendlichen, ein verantwortungsbewusster Umgang
mit dem Gruppenbudget, Informationspflicht bei außerordentlichen Vorkommnissen
(etwa Abgängigkeiten, Unfälle, etc.) an die pädagogische Leitung sowie die Einhaltung
und Umsetzung von Dienstanweisungen. Aus Gesprächen mit der Geschäftsleitung so-
wie den PädagogInnen konnte ich zudem herausfinden, dass das fachlich ausgebildete
Personal der Wohngruppen stets darum bemüht ist, den Kindern und Jugendlichen das
Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln, welche die zu Erziehenden von
ihrer Herkunftsfamilie meist nie erfahren haben. Aufgrund problematischer und zumeist
traumatischer Lebensereignisse benötigen die Kinder und Jugendlichen oftmals einen
erhöhten Betreuungs- und Förderbedarf. Zudem fand ich im Laufe meiner Recherchen
heraus, dass die Wohngruppen unter Einbeziehung der Lebensumstände darum bemüht
sind, den Kindern und Jugendlichen ein möglichst lebensweltnahes Umfeld zu bieten,
um sich in der Wohngruppe sicher und geborgen fühlen zu können. Ziel pädagogischer
Arbeit ist es, den Kindern und Jugendlichen ein Höchstmaß an Autonomie und Eigen-
verantwortung zu vermitteln, die es ihnen ermöglicht, sich in der Welt zurechtzufinden
und später ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Darüber hinaus ist das Ziel
der Betreuung der Kinder und Jugendlichen, sie bei ihrer individuelle Entfaltung ihrer
Persönlichkeit zu unterstützen und zu fördern. Das Team versteht sich demnach als As-
sistenz und Lebensbegleitung für die Kinder und Jugendlichen.

2.2. Stichprobe und Überblick über teilnehmende Personen an der Erhebung


Im Rahmen der empirischen Erhebung wurden problemzentrierte Interviews mit fünf
PädagogInnen, welche in einer sozialpädagogischen Wohngemeinschaft tätig sind, ge-
führt. Drei Pädagoginnen (Alter: Mitte 20, Anfang 40 und Ende 40) und zwei Pädago-
gen (Alter: Mitte 20 und Ende 30) bilden einen Teil der Stichprobe. Zudem wurde ein
Skulpturverfahren aus der Familientherapie, das sogenannte Familienbrett von Kurt
Ludewig, in Kombination mit Interviews mit zehn Jugendlichen, im Alter von 12 bis 17

69 | S e i t e
Jahren, welche in einer sozialpädagogischen Wohngemeinschaft fremduntergebracht
sind, angewandt. Die Altersspanne wurde deshalb so gewählt, da meines Erachtens mit
zunehmendem Alter bereits ein besseres Verständnis in Bezug auf dieses Thema gege-
ben ist und zudem die Jugendlichen meiner Meinung nach besser in der Lage sind, so-
wohl ihre Vergangenheit als auch die gegebenen Umstände besser reflektieren und zum
Ausdruck bringen zu können. Zwei Mädchen und acht Burschen nahmen an dieser Er-
hebung teil. Schade war, dass nur zwei Mädchen an der Untersuchung teilgenommen
haben. Für mich war jedoch wichtig, dass die Teilnahme absolut freiwillig erfolgt. An-
zumerken ist auch, dass nicht alle Mädchen der Zielgruppe entsprachen aufgrund ihres
Alters. Die Erhebung fand in zwei sozialpädagogischen Wohngemeinschaften statt. Die
Institution wurde deshalb von mir gewählt, da ich bereits Kontakte zu diesen Wohn-
gruppen hatte und dieses Thema großes Interesse bei der Geschäftsführung und den
PädagogInnen weckte. Die endgültige Stichprobe setzt sich folglich aus insgesamt 15
Personen zusammen. Nachfolgend wurde eine Tabelle erstellt über die teilnehmenden
Personen, welche sich bereit erklärt haben, an der empirischen Erhebung teilzunehmen.

Ge- Alter Schule Seit wann fremdunterge-


schlecht bracht?
J1 männlich 15 Höherbildende Schule seit ca. 8 Jahren;

J2 männlich 13 Neue Mittelschule seit ca. 8 Monaten;

J3 männlich 17 Lehre seit ca. 13,5 Jahren;

J4 männlich 12 Neue Mittelschule seit ca. 2 Jahren;

J5 männlich 14 Sonderschule seit ca. 3 Jahren;

J6 männlich 16 Lehre seit ca. 8. Jahren;

J7 männlich 17 Lehre seit ca. 4 Jahren;

70 | S e i t e
Ge- Alter Schule Seit wann fremdunterge-
schlecht bracht?
J8 männlich 13 Neue Mittelschule seit ca. 6 Jahren;

J9 weiblich 16 Höherbildende Schule seit ca. 1 Jahr;

J10 weiblich 12 Neue Mittelschule seit ca. 2,5 Jahren;

Geschlecht Ausbildung Seit wann im Beruf?


P1 weiblich Diplomierte Sozialpädagogin seit ca. 10 Jahren im Sozial-
bereich tätig;
P2 weiblich Bachelor Psychologie; seit 2,5 Jahren im Sozialbe-
reich tätig;

P3 weiblich Pädagogin, Lebens- und Fami- Seit etwa 30 Jahren im So-


lienberaterin; zialbereich tätig;
P4 männlich Diplomierter Sozialpädagoge; seit ca.7 Jahren im Sozialbe-
reich tätig;
P5 männlich Diplomierter Sozialpädagoge; seit 16 Jahren im Sozialbe-
reich tätig;

2.3. Beschreibung der angewandten Methoden


In diesem Kapitel wird näher auf die angewandten Erhebungs- sowie Auswertungsme-
thoden der empirischen Untersuchung eingegangen. Die Datenerhebung erfolgte mit
Hilfe eines Problemzentrierten Interviews sowohl mit den PädagogInnen als auch mit
den Jugendlichen, welche in einer sozialpädagogischen Wohngruppe tätig beziehungs-
weise dort fremduntergebracht sind. Zudem wurde ein Skulpturverfahren aus der Fami-
lientherapie, dem sogenannten Familienbrett von Kurt Ludewig, mit den Jugendlichen
durchgeführt, welches zusätzlich einen Einblick in die Lebenswelt und die Beziehungs-

71 | S e i t e
geflechte der Jugendlichen geben soll. Nach Erhebung der Daten wurden diese zunächst
transkribiert. Anhand eines Kategoriensystems von Philipp Mayring wurden die Inter-
views anschließend kodiert und abschließend die qualitative Inhaltsanalyse angewandt.

2.3.1. Problemzentriertes Interview


Anhand eines Leitfadens wurde mit fünf PädagogInnen und zehn Jugendlichen zweier
sozialpädagogischer Wohngruppen ein problemzentriertes Interview durchgeführt. Ein
vorab gefertigter Interviewleitfaden diente unter anderem zur Sicherung der Vergleich-
barkeit aller geführten Interviews. Zudem diente der Leitfaden als Gedächtnisstütze,
Orientierungsrahmen in der Interviewsituation und als Kontrolle, inwieweit die Fragen
abgehandelt wurden. Mit Hilfe einer Audioaufnahme konnte einerseits eine authentische
und präzise Erfassung des Kommunikationsprozesses sichergestellt werden sowie Be-
obachtungen situativer Bedingungen und nonverbaler Kommunikation erfolgen (vgl.
Witzel 2000, S. 4). Drei Grundpositionen, welche nachfolgend beschrieben werden, sind
für ein Problemzentriertes Interview bedeutend:
 Problemzentrierung: dies meint, dass eine gesellschaftlich relevante Problemstel-
lung als Grundlage für ein Interview dient. Durch die vorherige Auseinanderset-
zung mit theoretischen Grundlagen kann der/die InterviewerIn einerseits gezielte
Fragen stellen und bei Bedarf auch nachfragen. Hinzu kommt auch, dass der/die In-
terviewerIn das Interview in eine bestimmte Richtung lenken kann und somit ge-
zielt forschungsrelevante Problemstellungen abgefragt werden können (vgl. Witzel
2000, S. 2f.).

 Gegenstandsorientierung: mit Hilfe der Gegenstandsorientierung wird die Flexibili-


tät der Methode bezüglich unterschiedlicher Gegebenheiten des Interviewprozesses
gewährleistet. Zudem kann auch die Gesprächstechnik flexibel eingesetzt werden.
Der Interviewleitfaden dient lediglich als Gedächtnisstütze und die Fragestellungen
können je nach Kommunikationssituation variiert werden, beispielsweise hat
der/die InterviewerIn die Möglichkeit, die Befragungsperson erzählen zu lassen und
bei Bedarf nachzufragen (vgl. Witzel 2000, S. 3).

 Prozessorientierung: dieser bezieht sich vorwiegend auf die Vorinterpretation der


InterviewerInnen, aber erstreckt sich auch auf den gesamten Forschungsablauf. Der

72 | S e i t e
Schwerpunkt dabei liegt auf der Erschließung sowie der Darstellung von Orientie-
rungen und Handlungen der UntersuchungsprobandInnen. Durch die Sensibilität
sowie die Akzeptanz im Kommunikationsprozess soll eine Vertrauensbasis geschaf-
fen werden, welche die Erinnerungsfähigkeit ermöglichen sowie Anreiz zur Selbs-
treflexion liefern soll (vgl. Witzel 2000, S. 3).

2.3.2. Das Familienbrett nach Kurt Ludewig


Kurt Ludewig entwickelte im Jahre 1983 das Familienbrett, welches sozusagen als
Kommunikationsmittel über Beziehungen in der beratenden oder therapeutischen Arbeit
dient. Ein Holzbrett sowie ein Satz von Figuren ermöglichen es, die Relation von Nähe
und Distanz zwischen einzelnen Personen symbolisch sichtbar darzustellen (vgl.
Schlippe/Schweitzer 2007, S. 168).
Ein Bild, wie eine Aufstellung mit dem Familienbrett aussehen könnte, soll dies veran-
schaulichen:

Abbildung 4: Beispiel für Familienbrettaufstellung

Für meine empirische Erhebung mit dem Familienbrett wurden Holzfiguren sowie
Knöpfe zur Veranschaulichung der Beziehungsgeflechte sowie dem Phänomen von Nä-
he und Distanz zu einzelnen Personen herangezogen. Die Holzfiguren wurden für alle
Personen verwendet, welche eine Rolle im Leben der Jugendlichen spielen. Die Knöpfe
wurden für Haustiere beziehungsweise Personen, welche bereits verstorben sind, jedoch
trotzdem eine wichtige Rolle im Leben der UntersuchungsteilnehmerInnen einnehmen,
verwendet. Wichtig dabei ist auch, dass sich die Person selbst ebenfalls auf dem Brett
positioniert. Im Anhang befinden sich die Aufstellungen aller Jugendlichen.

73 | S e i t e
Abbildung 5: Arbeit mit dem Familienbrett (Sengmüller o.J., o.S.)

Ziele: Wenn man mit dem Familienbrett arbeitet, ist es notwendig, ein klares Ziel vor
Augen zu haben. Allgemein geht es darum, einen Überblick über das Familiensystem
bei Einzelnen, Paaren, Familien zu gewinnen (Welche Mitglieder dieses Systems gibt
es?/Wer ist vielleicht noch wichtig - Verwandte, Außenstehende,.../Wie stehen die Fami-
lienmitglieder zueinander/Beziehungen der Mitglieder untereinander – zB. Nähe und
Ferne). Die Arbeit mit dem Familienbrett ist keine eigene therapeutische Methode, son-
dern dient als Hilfsmittel, um Beziehungen zwischen einzelnen Personen bildhaft sicht-
bar zu machen (vgl. Sengmüller o.J.).

2.3.3. Transkription
Transkription (lat. trans-scribere = umschreiben) bedeutet die Verschriftlichung einer
Audiodatei bzw. Videoaufnahme. Durch das Abtippen der Audioaufnahmen entstehen
sogenannte Transkripte, welche für anschließende Analysen relevant sind. Ziel dabei ist
es, Gespräche detailgetreu wiedergeben und als Basis für die Rekonstruktion der Inter-
viewsituation nutzen zu können. Der/Die InterviewerIn muss sich aber im Vorfeld auch
bewusst sein, dass Transkriptionen niemals die gesamte Gesprächssituation vollständig
festhalten kann, da äußere, nonverbale Gegebenheiten, beispielsweise Gestik, Mimik,
Raumsituation, zeitliche Momente, niemals zur Gänze erfasst werden können. Demnach
muss eine Fokussierung auf bestimmte Faktoren vorab überlegt werden (vgl.
Dresing/Pehl 2013, S. 17f.). In Anlehnung an Kuckartz (2010) definieren Dresing und
Pehl (2013) einige Transkriptionsregeln, welche die weitere Auswertung des Datenma-
terials erleichtern soll:
 Es wird wörtlich transkribiert, also nicht lautsprachlich oder zusammenfassend.
Vorhandene Dialekte werden möglichst wortgenau ins Hochdeutsche übersetzt.
74 | S e i t e
Wenn keine eindeutige Übersetzung möglich ist, wird der Dialekt beibehalten;
 Wortverschleifungen werden nicht transkribiert, sondern an das Schriftdeutsch an-
genähert. Die Satzform wird beibehalten, auch wenn sie syntaktische Fehler bein-
haltet;
 Wort- und Satzabbrüche sowie Stottern werden geglättet bzw. ausgelassen, Wort-
doppelungen nur erfasst, wenn sie als Stilmittel zur Betonung genutzt werden.
„Ganze“ Halbsätze, denen nur die Vollendung fehlt, werden jedoch erfasst und mit
dem Abbruchzeichen / gekennzeichnet;
 Interpunktion wird zu Gunsten der Lesbarkeit geglättet, das heißt bei kurzem Sen-
ken der Stimme oder uneindeutiger Betonung wird eher ein Punkt als ein Komma
gesetzt. Dabei sollen Sinneinheiten beibehalten werden;
 Pausen werden durch drei Auslassungspunkte in Klammern (…) markiert;
 Verständnissignale des gerade nicht Sprechenden wie „mhm, aha, ja, genau,
ähm“ etc. werden nicht transkribiert. AUSNAHME: Eine Antwort besteht NUR aus
„mhm“ ohne jegliche weitere Ausführung. Dies wird als „mhm (bejahend)“, oder
„mhm (verneinend)“ erfasst, je nach Interpretation;
 Besonders betonte Wörter oder Äußerungen werden durch GROSSSCHREIBUNG
gekennzeichnet;
 Emotionale nonverbale Äußerungen der befragten Person und des Interviewers, die
die Aussage unterstützen oder verdeutlichen (etwa wie lachen oder seufzen), wer-
den beim Einsatz in Klammern notiert;
 Unverständliche Wörter werden mit (unv.) gekennzeichnet. Längere unverständli-
che Passagen sollen möglichst mit der Ursache versehen werden (unv. Handystör-
geräusch) oder (unv. Mikrofon rauscht). Vermutet man einen Wortlaut, ist sich aber
nicht sicher, wird das Wort bzw. der Satzteil mit einem Fragezeichen in Klammern
gesetzt;
 Die interviewende Person wird durch ein „I.“, die befragte Person durch ein
„B.“ gekennzeichnet. Bei mehreren Interviewpartnern (z.B. Gruppendiskussion)
wird dem Kürzel „B“ eine entsprechende Kennnummer oder ein Name zugeordnet
(z.B. „B1.“, „Peter.“).
 Für die Anonymität und Vertraulichkeit der erhobenen Daten ist zu sorgen
(Dresing/Pehl 2013, S. 12ff.).
75 | S e i t e
2.3.4. Kategoriensystem und Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring
Nach erfolgreicher Transkription des Datenrohmaterials wird ein Kategoriensystem auf-
gestellt, welches für die Fragestellung relevante Inhalte herausfiltert. Ausgehend von
diesen vorab definierten Kategorien werden die Transkripte bearbeitet. Alle relevanten
Textstellen können dann den entsprechenden Kategorien zugewiesen werden. Durch
vorformulierte Kodierregeln wird eine eindeutige Zuordnung zu den entsprechenden
Kategorien gewährleistet. Der Kodierleitfaden bildet die Grundlage zur weiteren Mate-
rialbearbeitung (vgl. Mayring 2002, S. 114ff.).

Mayring (2002) hat drei wichtige Schritte definiert, welche es bei der Erstellung eines
Kategoriensystems zu beachten gilt:
 Eine genaue Definition der Kategorien ermöglicht, welche Teile der Interviews in
die vorab formulierten Kategorien fallen oder nicht;
 Die Angabe von Ankerbeispielen dient exemplarisch als Beispiel für eine dieser
Kategorien;
 Die Entwicklung von Kodierregeln dient dazu, möglichen Abgrenzungsproblemen
vorzubeugen (vgl. Mayring 2002, S. 122).

Nachfolgend wird nun das erarbeitete Kategoriensystem, welches aus insgesamt 17 Ka-
tegorien (bei Jugendlichen aus 14 Kategorien) besteht, dargestellt.

Variable Kategorie Definition Ankerbeispiel Kodierregel

Bedeu- K1: Bedeutung Was verbinden die Ich denke, dass Es werden
tung von von Nähe PädagogInnen und Beziehungsauf- nur Aussagen
Nähe und Jugendlichen mit bau ganz wich- herangezo-
Distanz dem Begriff Nähe tig ist, weil man gen, in wel-
dann besser ar- chen es um
beiten kann mit den Begriff
den Kindern (P Nähe geht.
1, Z. 17f)

76 | S e i t e
Variable Kategorie Definition Ankerbeispiel Kodierregel

Bedeu- K2: Bedeutung Was verbinden die Distanz bedeutet Es werden


tung von von Distanz PädagogInnen und für mich, wenn nur Aussagen
Nähe und Jugendlichen mit ich mich zu- erfasst, in
Distanz dem Begriff Dis- rückziehen welchen es
tanz kann. Wenn ich um den Be-
meine eigene griff Distanz
Ruhe habe (J 7, geht.
Z. 23f)
Situatio- K3: Situationen, In welchen Situati- Wenn ich zu Es werden
nen, wo wo Nähe erlebt onen wird Nähe Hause bin bei nur Textstel-
Nähe und wird erlebt meiner Mama. len berück-
Distanz Da fühlt man sichtigt, wel-
erlebt sich geborgen. che in Zu-
bzw. ge- So bei Freun- sammenhang
wünscht den, da fühlt mit dem Be-
wird man sich auch griff Nähe
wohl. Wenn man stehen.
mit denen was
macht oder so (J
3, Z. 37f)
K4: Situationen, In welchen Situati- Also wenn ich Erfassung
wo mehr Nähe onen wird mehr zum Beispiel, der Aussa-
gewünscht Nähe gewünscht wenn ich krank gen, welche
bin, in den Arm in Verbin-
genommen wer- dung mit den
de, oder so (J Wünschen
10, Z. 177f) nach mehr
Nähe stehen.

77 | S e i t e
Variable Kategorie Definition Ankerbeispiel Kodierregel

Situatio- K5: Situationen, In welchen Situati- Wenn jetzt ir- Darunter


nen, wo wo Distanz erlebt onen wird Distanz gendwas nicht fallen nur
Nähe und wird erlebt passt, sei es auf- Situationen,
Distanz grund einer in welchen
erlebt Streitigkeit oder Distanz er-
bzw. ge- Meinungsver- lebt wird.
wünscht schiedenheit
wird oder ähnliches
(P 4, Z. 33f)
K6: Situationen, In welchen Situati- Am meisten Es werden
wo mehr Distanz onen ist mehr Dis- würde ich es mir nur Aussagen
gewünscht tanz erwünscht wünschen, wenn erfasst, in
ich in den denen es um
Dienst komme, Situationen
dann überfallen geht, in wel-
mich gleich alle chen mehr
auf einmal. (...) Distanz er-
Da würde ich wünscht ist.
mir schon wün-
schen, 10 Minu-
ten für mich.
Das ich mal
ankomme, mir
alles vorbereite
und da würde
ich mir das
schon wünschen
(P 2, Z. 68ff)

78 | S e i t e
Variable Kategorie Definition Ankerbeispiel Kodierregel

Situatio- K7: Situationen, In welchen Situati- Also wenn man Alle Aussa-
nen, wo in welchen Dis- onen fällt es gerade auf je- gen, in wel-
Nähe und tanz schwer fällt schwer, Distanz zu manden böse ist chen es um
Distanz wahren zum Beispiel, Situationen
erlebt dann will man ja geht, wo es
bzw. ge- Distanz halten, schwer fällt,
wünscht aber ab und zu Distanz zu
wird ist man dann wahren.
doch nicht so
böse, dass man
dann doch nach-
gibt (J 3, Z.
33ff)
K8: Situationen, In welchen Situati- Oft einmal mer- Erfassung
wo viel Nähe ge- onen wird beson- ke ich speziell aller Situati-
braucht wird ders viel Nähe ge- zum Beispiel onen, in wel-
braucht nach Verlaufs- chen beson-
gesprächen, Kri- ders viel Nä-
senplangesprä- he gebraucht
chen, dass von wird.
den Jugendli-
chen das einge-
fordert wird,
vielleicht einmal
nur in den Arm
genommen zu
werden (P 5, Z.
65ff)

79 | S e i t e
Variable Kategorie Definition Ankerbeispiel Kodierregel

Faktoren, K9: Herkunftsys- Faktoren, die das Ich denke, so Herangezo-


welche tem betreffend Herkunftssystem wie sie aufge- gen werden
das Nähe- betreffen wachsen sind, alle Fakto-
Distanz- was sie erlebt ren, welche
Verhältnis haben. das Her-
beeinflus- Das auf alle kunftssystem
sen Fälle. Ob sie es betreffen.
gelernt haben,
die Nähe spüren
zu dürfen (P 1,
Z. 99ff)
K10: Kind betref- Faktoren, die das Ja, natürlich Es werden
fend Kind betreffen einmal das Alter nur Faktoren
der Jugendli- erfasst, wel-
chen. Und das, che das Kind
was sie hinter betreffen.
sich haben. Ich
sehe schon jeden
Jugendlichen
mit diesem rie-
sen Rucksack,
den sie schultern
müssen (P 3, Z.
96 ff)
K11: PädagogIn- Faktoren, die die Das ist einfach Erfassung
nen betreffend PädagogInnen be- die Persönlich- aller Fakto-
treffen keit von jedem, ren, welche
der hier herin- die Pädago-
nen arbeitet (J 3, gInnen be-
Z. 55f) treffen.

80 | S e i t e
Variable Kategorie Definition Ankerbeispiel Kodierregel

Faktoren, K12: Weitere Faktoren, welche In der Bezie- Faktoren


welche Faktoren nicht in K9 bis K11 hungsarbeit auf werden be-
das Nähe- passen jeden Fall, weil rücksichtigt,
Distanz- die Jugendlichen welche nicht
Verhältnis zum Beispiel in den Katego-
beeinflus- grundverschie- rien 9-11
sen dene Schulen zuzuordnen
gehen und durch sind.
die Schulen ent-
stehen immer
wieder ganz
andere Peer-
groups (P 5, Z.
181ff)
Heraus- K13: Herausfor- Herausforderungen Das hängt auch Erfassung
forderun- derungen inner- in Bezug auf Nähe mit der Strenge aller Aussa-
gen im halb der WG und Distanz in der glaube ich viel gen über
Umgang WG zusammen. Das Herausforde-
mit Nähe ist viel die Art. rung inner-
und Dis- Es gibt einfach halb der WG
tanz Erzieher, die in Bezug auf
halten sich strikt das Nähe-
an genau die Distanz-
Regeln (…). Verhältnis.
Und dann gibt
es wieder ande-
re, die sind da
etwas lockerer (J
3, Z. 105ff)

81 | S e i t e
Variable Kategorie Definition Ankerbeispiel Kodierregel

Heraus- K14: Umgang mit Umgang mit Her- Mir ist das egal, Es werden
forderun- Herausforderun- ausforderungen solange es mich alle Aussa-
gen im gen betreffend Nähe nicht betrifft. gen berück-
Umgang und Distanz Ich denke mir sichtigt, wel-
mit Nähe meinen Teil dar- che in Ver-
und Dis- über, aber im bindung mit
tanz Prinzip ist es dem Umgang
mir egal (J 2, Z. von Heraus-
109f) forderungen
betreffend
Nähe und
Distanz ste-
hen.
Abgren- K15 (nur Päd.): Wie funktioniert Ich tapse sehr Es werden
zung von Abgrenzung Be- die Abgrenzung oft hinein. (lä- nur Textstel-
Berufs- ruf- und Privatle- von Berufs- und cheln) Ich muss len berück-
und Pri- ben Privatleben mich einfach sichtigt, in
vatleben auch immer welchen es
wieder selbst um die Ab-
rausholen. Wenn grenzung
ich dann ir- von Berufs-
gendwie merke und Privatle-
oder fühle, dass ben geht.
da jetzt was
nicht stimmt
jetzt, dann muss
ich mich einfach
wieder distan-
zieren (P 1, Z.
151ff)

82 | S e i t e
Variable Kategorie Definition Ankerbeispiel Kodierregel
Team- K16 (nur Päd.): Interne Reflexi- Ja wir haben Erfassung
Reflexion Interne Team- onsmöglichkeiten auch Supervisi- aller Aussa-
Reflexionsmög- in Bezug auf Nähe onen. Die finden gen über
lichkeiten und Distanz inner- 6-wöchentlich interne Re-
halb des Teams statt, wo wir flexionsmög-
sehr gut unter- lichkeiten
stützt werden innerhalb des
noch zusätzlich Teams.
und eben auch
viele dieser
Themen auch
behandeln (P 4,
Z. 306ff)
K17: (nur Päd.): Diskussionsthemen Ich meine, wir Es werden
Diskussionsthe- in Bezug auf Nähe haben eine Aus- alle Textstel-
men innerhalb des und Distanz inner- bildung nach len berück-
Teams zu diesem halb des Teams Haim Omer sichtigt, in
Thema (Anmerkung: welchen es
Neue Autorität) um Diskus-
gemacht und sionsthemen
sonst wird die- in Bezug auf
ses Thema auch das Nähe-
in unseren Distanz-
Teamsitzungen Verhältnisses
sehr oft bespro- innerhalb des
chen, wie sich Teams geht.
die Beziehung
zum positiven
oder negativen
verändert hat (P
2, Z. 181ff)

83 | S e i t e
Werner Früh (2007) definiert das Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse folgender-
maßen: „Die Inhaltsanalyse ist eine empirische Methode zur systematischen, intersub-
jektiv nachvollziehbaren Beschreibung inhaltlicher und formaler Merkmale von Mittei-
lungen“ (Früh 2007, S. 27). Mayring (2002) hat für die systematische, qualitative In-
haltsanalyse ein Ablaufmodell in acht Schritten entwickelt, welches nun kurz beschrie-
ben wird.
 Schritt 1: Bestimmung der Analyseeinheiten,
 Schritt 2: Festlegung der Strukturierungsdimensionen (theoriegeleitet),
 Schritt 3: Bestimmung der Ausprägungen (theoriegeleitet) sowie Zusammenstel-
lung des Kategoriensystems,
 Schritt 4: Formulierung von Definitionen, Ankerbeispielen und Kodierregeln zu den
einzelnen Kategorien,
 Schritt 5: Materialdurchlauf: Fundstellenbezeichnung,
 Schritt 6: Materialdurchlauf: Bearbeitung und Extraktion der Fundstellen,
 Schritt 7: Überarbeitung, gegebenenfalls Revision von Kategoriensystem und Kate-
goriendefinition,
 Schritt 8: Ergebnisaufbereitung (Mayring 2002, S. 120).
Im Gegensatz zu anderen Verfahren verfolgt die Inhaltsanalyse das Ziel einer systemati-
schen Beschreibung eines vorliegenden Textes, wobei auf ausgewählte Aspekte näher
eingegangen wird. Andere Verfahren versuchen hingegen den gesamten Sinn vorliegen-
der Daten zu erfassen. Bei der Inhaltsanalyse werden relevante Aspekte in ein Katego-
riensystem eingetragen, um sich einen ersten Überblick zu verschaffen. Anschließend
wird der Text in Analyseeinheiten unterteilt. Wie auch andere Verfahren, kann die In-
haltsanalyse ebenfalls bei anderen Arten von Datenmaterial, zum Beispiel verbales Ma-
terial, angewandt werden (vgl. Schreier 2002 S. 291f.).

2.4. Untersuchungsablauf
Im Laufe des Sommersemesters 2014 wurde im Seminar „Masterseminar zur Sozialpä-
dagogik“ der Interviewleitfaden erarbeitet. In den Seminareinheiten hatten die Studen-
tInnen die Möglichkeit, ihren Leitfaden vorzustellen und von den KollegInnen auf in-
haltliche Aspekte und Verständlichkeit überprüfen zu lassen. Zudem wurden nach Vor-
stellung einzelner Interviewleitfaden diese gemeinsam diskutiert und Anregungen gege-

84 | S e i t e
ben. Mitte Mai 2014 wurden meine beiden Interviewleitfaden (ein Leitfaden für Päda-
gogInnen und ein Leitfaden für die Jugendlichen) fertiggestellt und anschließend jeweils
einem Pretest unterzogen, um diese auf die Verständlichkeit hin zu prüfen. Auch eine
Einrichtung, in welcher ich die empirische Erhebung durchführen kann, wurde in dieser
Zeit gesucht. Die Einrichtung wurde deshalb von mir gewählt, da ich bereits Kontakte
zu diesen Wohngruppen hatte und dieses Thema bei der Geschäftsführung und den Pä-
dagogInnen großen Zuspruch fand.
Zunächst habe ich das Thema und mein Vorhaben mit der Geschäftsleitung besprochen.
Nach einer mündlichen Zusage, die Erhebung innerhalb der Institution durchführen zu
dürfen, wurde anschließend Kontakt mit den Wohngruppen aufgenommen, um das wei-
tere Vorgehen zu besprechen. Mein Vorhaben wurde äußerst positiv angenommen, da
die Beziehungsarbeit innerhalb der Wohngruppen eine zentrale Rolle in der pädagogi-
schen Arbeit mit fremduntergebrachten Jugendlichen einnimmt.
Nachdem eine passende Einrichtung gefunden wurde und die Vortestung der Interview-
leitfaden erfolgreich war, konnte die empirische Erhebung in den Wohngruppen gestar-
tet werden. Wichtig war für mich bei der empirischen Erhebung, dass die Teilnahme an
der Untersuchung absolut freiwillig erfolgt und auch der Zeitpunkt auf die Jugendlichen
und die PädagogInnen abgestimmt wird, weshalb sich der Zeitrahmen der Erhebung
sowie die Datentranskription von August bis Dezember 2014 erstreckt. Schade war, dass
an der empirischen Erhebung nur zwei Mädchen teilgenommen haben. Für mich war
jedoch wichtig, dass die Teilnahme absolut freiwillig erfolgt. Hinzu kam auch, dass
nicht alle Mädchen der Zielgruppe entsprachen aufgrund ihres Alters. Auch nach der
empirischen Erhebung ergaben sich immer wieder viele interessante Gespräche in Be-
zug auf dieses Thema, in welchen Meinungen und Erfahren ausgetauscht wurden.
In den Monaten Dezember 2014 bis März 2015 erfolgte dann die Datenauswertung.
Zunächst wurde ein Kategoriensystem entwickelt und anschließend die Ergebnisse an-
hand der Qualitativen Inhaltsanalyse von Philipp Mayring aufbereitet. In einem weite-
ren Schritt wurden die Daten analysiert und mit den theoretischen Grundlagen in Ver-
bindung gesetzt.

85 | S e i t e
3. Ergebnisse
Da sich die vorliegende Masterarbeit mit mehreren Forschungsfragen auseinandersetzt,
erscheint es für mich sinnvoll, die einzelnen Kategorien, welche anhand der erhobenen
Ergebnisse aus den Interviews entwickelt wurden, zunächst getrennt zu beantworten
und mit der vorhandenen Theorie zu verknüpfen. Anschließend werden die Erkenntnisse
aus der empirischen Erhebung sowie der Literaturrecherche zusammengefasst und ab-
schließend ein Resümee daraus gezogen.

3.1. Bedeutung von Nähe und Distanz


Zu Beginn der Interviews wurde einleitend die Frage gestellt, was die Jugendlichen
bzw. PädagogInnen unter den Begriffen Nähe und Distanz verstehen, um eine erste An-
näherung an das Thema zu ermöglichen. Mit den Jugendlichen wurde vorab eine Fami-
lienbrettaufstellung durchgeführt, auf welche ich später noch zurückkommen werde.

3.1.1. Bedeutung des Begriffes Nähe


Einleitend wurde die Frage gestellt, was denn Nähe für die Jugendlichen und die Päda-
gogInnen bedeutet und was sie mit diesem Begriff verbinden. Als Antwort seitens der
Jugendlichen wurde einerseits Nähe als körperliche Erfahrung, beispielsweise in Form
von Umarmungen genannt. Auch die Nähe zur Familie und zu FreundInnen, regelmäßi-
ger Kontakt sowie Vertrauen und Ehrlichkeit wurden in den Interviews genannt. In den
folgenden Ausschnitten werden die wichtigsten Aussagen nochmals aufgezeigt.

„Dass ich mit dem Menschen, der mir nahe geht, also dass ich mit dem viel zu tun ge-
habt habe und noch immer viel zu tun habe“ (J 2, Z. 22-23).

Einerseits wird in diesem Zitat die Häufigkeit an Kontakten zu den jeweiligen Personen
angesprochen. Der Junge fühlt sich eher Menschen nahe, mit welchen er häufiger Kon-
takt hatte und noch immer viel Kontakt hat. Walper und Gödde (2005) beschreiben,
dass sich mangelnder Kontakt auf die Qualität der Beziehung auswirkt, da dies einen
enormen Belastungsfaktor darstellt. Dadurch könnte eine größere Distanz zum Gegen-
über aufgebaut werden einhergehend mit einem Rückzug aus der Beziehung sowie ei-
nem Gefühl von Unsicherheit (vgl. Walper/Gödde 2005, S. 82f.). Zudem wird in diesem
Zitat auf eine emotionale Nähe hingewiesen. Diese beruht zumeist auf dem Gefühl von

86 | S e i t e
Vertrautheit, sozusagen auf der Summe positiver wie auch negativer Erfahrungen mit
einer anderen Person. Steinberg (1988) kam in seiner Untersuchung mit Jugendlichen
und deren Eltern zu dem Ergebnis, dass das zunehmende Alter und die damit verbunde-
ne körperliche Reifung der Jugendlichen vermehrt zu emotionaler Distanz zu den Eltern
führen. Zudem erwähnten die Jugendlichen in der Studie von Steinberg, dass je mehr
Konflikte es innerhalb der Familie gibt, desto weniger emotionale Nähe sie zu den El-
tern verspüren. Die Distanzierungshypothese in Verbindung mit Veränderungen der
Interaktionen sowie der Beziehungen konnten auch in anderen Studien, beispielsweise
von Flannery et al. 1993, bestätigt werden (vgl. Schuster 2005, S. 19).

„Vertrauen, Freundschaft, Ehrlichkeit und ja“ (J 3, Z. 12).


Vertrauen und Ehrlichkeit sowie Freundschaft werden ebenfalls mit dem Begriff Nähe
assoziiert. Auch andere Jugendliche bringen mit dem Wort Nähe Vertrauen in Verbin-
dung. Bereits Selman (1984) beschreibt, dass sowohl das Vertrauen als auch die gegen-
seitige Unterstützung bereits am Ende der mittleren Kindheit und noch deutlicher im
Jugendalter zu den Vorstellungen einer gut funktionierenden Freundschaftsbeziehung
gehören. Oswald et al. (1994) stellten zudem fest, dass es vor allem abhängig ist vom
Vertrauen, ob eine engere Beziehung mit anderen Kindern und Jugendlichen eingegan-
gen wird oder ob diese nur als Spielkameraden oder Bekannte gesehen werden (vgl.
Uhlendorff 2005, S. 131).

„Meine Familie ist mir sehr wichtig, weil es halt meine Familie ist und weil ich mich
mit den meisten verstehe. Und meine Freunde sind mir halt wichtig, weil sonst wären es
nicht meine Freunde“ (J 5, Z. 10-12).

Auch die Familie nimmt einen zentralen Stellenwert ein, wenn es um die Frage nach
Nähe geht. Aus den Interviews geht zudem hervor, dass sich einige der befragten Ju-
gendlichen mehr Nähe zum Herkunftssystem wünschen würden. Wintersperger (2008)
beschreibt, dass auch wenn Kinder bzw. Jugendliche fremduntergebracht werden, meist
eine starke Verbundenheit zum Herkunftssystem bestehen bleibt, was er als „Bindungs-
liebe“ bezeichnet. Diese würde auch aufrechterhalten bleiben, obwohl die Beziehung
zum Herkunftssystem nicht ausgelebt werden kann. Wintersperger spricht in diesem
Zusammenhang auch von einer Loyalität gegenüber der Herkunftsfamilie, da sich Kin-
der bzw. Jugendliche den Eltern gegenüber verpflichtet fühlen, sie trotz Abwesenheit
87 | S e i t e
verteidigen zu müssen, unabhängig davon, ob diese die Beziehung überhaupt wünschen
oder nicht (vgl. Wintersperger 2008, S. 49ff.).

„Wenn einer zu mir herkommt und mich umarmt und wenn ich mit einem sprechen kann
in meiner Nähe“ (J 7, Z. 18-19).

Mit dem Begriff Nähe werden körperliche Kontakte in Form von Umarmungen genannt.
Bereits im Theorieteil wurde näher auf die Nähe und Distanz als körperliche Erfahrung
eingegangen. Dörr und Müller (2012) beschreiben, dass unser Körper uns Auskunft dar-
über gibt, ob uns die Nähe oder Distanz zu einer anderen Person angenehm oder unan-
genehm ist. Zudem erfahren Menschen schon von Geburt an Nähe und Distanz in sozia-
len Beziehungen durch körperlicher Erfahrungen (vgl. Dörr/Müller 2012, S. 7). Auch
die Präsenz der PädagogInnen im Sinne der Neuen Autorität nach Haim Omer spielt in
diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle, also die Anwesenheit und Erreichbarkeit
der diensthabenden BetreuerInnen. Im Gegensatz zur traditionellen Autorität, welche
geprägt war von Distanz und Gehorsam, beruht das Konzept der Neuen Autorität auf
Präsenz und Nähe. Die Präsenz der Erwachsenen stärkt die Autorität, der/die zudem
seiner/ihrer Sorge- und Aufsichtspflicht gegenüber dem Kind bzw. dem/der Jugendli-
chen nachkommt und zugleich Nähe vermitteln kann, was auch in Zusammenhang mit
der Anwesenheit und Erreichbarkeit der Erwachsenen einhergeht (vgl. Omer/Schlippe
2015, S. 29).

Aus den Interviews mit den PädagogInnen geht hervor, dass der Beziehungsaufbau zu
den Jugendlichen eine primäre Aufgabe in pädagogischen Settings darstellt. Auch Ver-
trauen, das Austesten von Grenzen, die Begegnung zweier Persönlichkeiten, welche auf
Respekt beruht, sowie professionelles Handeln und diverse Rollenerwartungen werden
mit dem Begriff Nähe in Verbindung gebracht. Folgendes Zitat aus einem Interview soll
dies verdeutlichen.

„B: Ich denke, dass Beziehungsaufbau ganz wichtig ist, weil man dann besser arbeiten
kann mit den Kindern.
I: Gibt es da auch so Beispiele aus der Praxis?
B: Ja. Ich meine…
I: Also, Beispiele für Nähe in der Beziehungsarbeit mit Jugendlichen?
88 | S e i t e
B: Ich denke einfach, dass es schon sehr wichtig ist, dass das passt. Dass der Klient
oder Jugendliche einfach auch Vertrauen in einen Betreuer hat. Ein Beispiel ist sicher,
dass sehr oft die Betreuer oder mich jetzt vor allem ausprobieren, wie weit können sie
gehen und wie stehe ich noch zu ihm. Halte ich das aus oder sage ich den Jugendlichen
dann: ‚Nein ich will jetzt nichts mehr mit ihm zu tun haben‘. Also das testen sie sicher
aus“ (P 1, Z. 17-27).

Die anderen PädagogInnen äußern in den Interviews ebenfalls, dass der Beziehungsauf-
bau eine zentrale Aufgabe im pädagogischen Setting darstellt und die Arbeit mit dem
Jugendlichen erst beginnen kann, wenn eine grundlegende Vertrauensbasis geschaffen
wurde und demnach der Beziehungsaufbau gelungen ist. Die PädagogInnen berichten
auch, dass die Jugendlichen immer wieder die Grenzen „austesten“, also wie weit sie
bei BetreuerInnen gehen können und ob diese dem auch Stand halten können.

„Das bedeutet für mich, dass einander zwei Persönlichkeiten begegnen in unterschied-
lichen Entwicklungsstadien, aber beide in sich voll wertvoll und fertig. Also es ist sozu-
sagen eine Respektsebene, wo beide zueinander finden“ (P 3, Z. 17-19).

Anhand dieses Interviewausschnitts wird deutlich, dass Beziehung zwischen zwei Per-
sönlichkeiten stattfindet, welche in unterschiedlichen Stadien der Entwicklung stehen.
Wichtig dabei ist aber, dass JedeR unabhängig des Alters und des Entwicklungsstadiums
als vollwertige und wertgeschätzte Persönlichkeit gesehen wird, also Begegnungen zwi-
schen den Individuen auf einer Respektsebene stattfinden.

„Man hat verschiedene Funktionen und Rollen, wo man schauen muss, dass man eben
diese Nähe schon gewährleistet, aber dass diese trotzdem auf einer professionellen
Ebene bleibt, wo man sich selber genug distanzieren kann, damit man nicht, wie soll
man sagen, damit man sich nicht schwer tut, mit der Situation umzugehen und damit
man sich auch abgrenzen kann. Aber eben auch gleichzeitig sagt, wer Nähe anbietet,
dass sich die Kinder wirklich ernst genommen fühlen und das sie einfach auch das emp-
finden können, dass sie geliebt sind einfach und dass sie angenommen sind und dass sie
gewollt sind da“ (P 4, Z. 15-22).

Erwähnenswert ist auch, dass die PädagogInnen in ihrer Arbeit verschiedene Rollen
einnehmen und Funktionen erfüllen müssen, was in Zusammenhang mit professionel-
89 | S e i t e
lem Handeln gesehen wird. Auch die Balance zwischen Nähe und Distanz wird ange-
sprochen, da die Abgrenzung ebenso wichtig ist wie das Sich-Einlassen auf die Jugend-
lichen, damit diese sich auch ernst genommen fühlen und merken, dass sie in der
Wohngruppe angenommen sind und von den BetreuerInnen geliebt werden.

3.1.2. Bedeutung des Begriffes Distanz


Mit dem Begriff Distanz assoziieren die Jugendlichen einerseits mit der räumlichen Dis-
tanz, also der Entfernung zu anderen Personen und andererseits mit schlechten Erfah-
rungen, Fehlern oder Abstand halten. Auch Rückzugsmöglichkeiten werden von den
Jugendlichen genannt.

„B: Also dass ich meistens schlechte Erfahrungen gemacht habe.


I: Also dann distanzierst du dich von dem Menschen?
B: Ja genau“ (J 2, Z. 27-29).

Der Jugendliche spricht während des Interviews an, dass er sich von Menschen, mit
welchen er in seinem Leben schlechte Erfahrungen gemacht hat, distanziert. Diese ne-
gativen Erfahrungen könnten sich möglicherweise auch auf andere Menschen übertra-
gen, beispielsweise, wenn eine Person eine Ähnlichkeit mit einem Menschen aus der
Vergangenheit hat. Zudem könnte sich dies auch auf die Bereitschaft auswirken, neue
Beziehungen mit anderen Personen einzugehen, da es durch die Summe negativer Er-
fahrungen schwerer fallen könnte, Vertrauen zu anderen Personen aufzubauen. Dies
würde demnach auch einen Einfluss auf die pädagogische Arbeit haben, da ein gelin-
gender Beziehungsaufbau auf die Bereitschaft und das Vertrauen der Jugendlichen an-
gewiesen ist. Der Beziehungsaufbau zu diesen Jugendlichen wird durch solche Ereig-
nisse demnach zusätzlich erschwert und setzt viel Geduld und Einfühlungsvermögen
voraus (vgl. Küchenhoff 2009, S. 4).

„Abstand halten oder so. Und man sollte nicht zu nahe gehen. Also für mich ist es so,
wenn einer zu nahe geht, dann mag ich das überhaupt nicht. Deshalb sage ich auch:
‚Stopp! Weg da!‘ Das mag ich nicht“ (J 5, Z. 29-31).

Der Jugendliche spricht im Interview die persönliche Distanzzone an. Wenn ihm jemand
zu nahe kommt, ist ihm das unangenehm, vielleicht fühlt er sich auch bedrängt oder

90 | S e i t e
sogar bedroht. Dabei spielt es aber auch eine Rolle, in welcher Beziehung wir zu unse-
rem Gegenüber stehen. Je intimer die Beziehung ist, desto geringer wird der Raum, den
wir um uns herum brauchen und umso geringer wird auch die persönliche Distanzzone
sein. Der Raum, den wir für uns beanspruchen ist aber auch abhängig vom kulturellen
und sozialen Hintergrund, der Erziehung sowie der persönlichen Angewohnheiten (vgl.
Lassen 2014, S. 84).

„Distanz bedeutet für mich, wenn ich mich zurückziehen kann. Wenn ich meine eigene
Ruhe habe“ (J 7, Z. 23-24).

Ein anderer Jugendlicher spricht in dem Interview die Möglichkeiten des Rückzugs an.
Diese sind aus meiner praktischen Erfahrung in der Fremdunterbringung kaum gegeben.
Die Jugendlichen verfügen zwar über ein eigenes Zimmer, in welches sie sich zurück-
ziehen können, jedoch gibt es sonst kaum einen Raum, um zur Ruhe kommen zu kön-
nen. Günder (2011) führte eine Untersuchung mit vierzehn Jugendlichen durch. Unter
anderem ging es um die individuelle Privatsphäre, welche von allen Jugendlichen als
sehr bedeutsam bewertet wurde. Vor allem wurde in diesem Zusammenhang das eigene
Zimmer genannt. Wichtig war den Jugendlichen auch, dass Absperrmöglichkeiten des
Zimmers gegeben waren. Genannt wurde auch, dass das Anklopfen bei einem anderen
Zimmer als Symbol des Respekts und der Wertschätzung gesehen wird (vgl. Günder
2011, S. 307ff.). Günder (2011) schreibt zudem: „Der Raum, in dem eine Selbstverwirk-
lichung beginnen sollte und mit dem eine Identifikation wahrscheinlich am ehesten
stattfinden kann, stellt das eigene Zimmer dar“ (Günder 2011, S. 307). Somit stellt das
eigene Zimmer einen essentiellen Rückzugsort für viele Jugendliche dar.

Da ich auch in einer sozialpädagogischen Wohngruppe tätig bin und auch ein regelmä-
ßiger Austausch mit KollegInnen stattfindet, kann gesagt werden, dass es vielen Jugend-
lichen schwer fällt, die Nähe der PädagogInnen zuzulassen. In Gesprächen mit Jugend-
lichen wird in diesem Zusammenhang oftmals erwähnt, dass durch die Summe an nega-
tiven Erfahrungen, welche sie im Laufe ihres Lebens mit anderen Personen erlebt ha-
ben, meist eine bestimmte Distanz zu anderen Personen gewahrt wird, um sich vor er-
neuten Enttäuschungen zu schützen. Zudem werden sie durch negative Erfahrungen
meist misstrauischer und es dauert länger, um zu einer Person Vertrauen zu fassen.

91 | S e i t e
Schweitzer und Schlippe (2009) schreiben ebenfalls, dass Kinder und Jugendliche häu-
figer ein Bindungsmisstrauen gegenüber anderen Personen entwickeln, welche bereits
frühe traumatische Trennungserfahrungen erlebt haben. Dies dient meist als Schutzme-
chanismus vor erneuten Enttäuschungen sowie möglichen Beziehungsabbrüchen. Zu-
dem werden beispielsweise PädagogInnen gründlichen Härtetests unterzogen, bevor
sich die Jugendlichen wieder auf eine Beziehung einlassen (vgl. Schweitzer/Schlippe
2009, S.318f.). Dieses Bindungsmisstrauen lässt sich meines Erachtens auf den familiä-
ren Hintergrund, die Kindheitserfahrungen sowie die frühen Auswirkungen auf die emo-
tionale Entwicklung, beispielsweise die fehlende Stabilität der Beziehung oder die man-
gelnde mütterliche Feinfühligkeit, zurückführen.

Die PädagogInnen sprechen in den Interviews in Bezug auf den Begriff Distanz die per-
sönliche Abgrenzung der PädagogInnen, das Alter der Jugendlichen, distanzloses Ver-
halten sowie Respekt an.

„Abgrenzung. Dass es für Sozialpädagogen ganz wichtig ist, dass man sich selbst im-
mer ganz gut erdet und sich selber abgrenzt oder abgrenzen kann“ (P 1, Z. 13-14).
„Distanz bedeutet für mich, dass ich mich von den ganzen Problemen oder was alles mit
den Jugendlichen anfällt, dass ich mich da abgrenzen kann. Dass ich die Arbeit da lasse
und nicht mit nach Hause nehme“ (P 2, Z. 28-30).

Die PädagogInnen betonen in den Interviews immer wieder die persönliche Abgren-
zung, welche einen zentralen Stellenwert einnimmt. Es ist wichtig, einen Ausgleich zum
beruflichen Alltag zu haben und sich nicht in der Freizeit mit der Arbeit auseinanderzu-
setzen.

„I: Und andersrum dann Distanz?


B: Ja ist eine gute Frage. Ich glaube, dass es ab einem gewissen Alter wichtig ist, dass
man sich distanziert.
I: Gibt es da auch so Beispiele aus der Praxis?
B: Zum Beispiel nehme ich jetzt auch wieder einen Jugendlichen her. Der hat glaub ich
uns oder vor allem mich ausgetestet bei der Arbeitssuche. Da habe ich mich schon stark
distanzieren müssen, damit er dann auch wirklich seinen Weg gehen kann. Und er das

92 | S e i t e
nicht für mich tut, sondern auch merkt, er tut das eigentlich für sich und für seinen spä-
teren Lebensweg“ (P 1, Z. 28-36).

Anhand dieses Interviewaussschnitts wird deutlich, dass mit zunehmendem Alter der
Jugendlichen auch die Eigenverantwortung immer präsenter und wichtiger wird, da die
Jugendlichen auch zu autonomen und selbstständigen Individuen herangezogen werden
sollen. Auch hier spielt die Abgrenzung und Distanzierung seitens der PädagogInnen
eine wesentliche Rolle, wenn es um die Eigenverantwortung der Jugendlichen geht.

„Distanz. Vor allem in meinem Sinne. Wenn jetzt irgendwas nicht passt, sei es aufgrund
einer Streitigkeit oder Meinungsverschiedenheit oder ähnliches. Oder einfach eine Dis-
tanzlosigkeit, wo die Kinder einfach herkommen und spontane Umarmung einfordern,
wo ich jetzt aber nicht bereit bin, dann muss ich das eben ganz klar sagen, da ist jetzt
Stopp, das möchte ich jetzt nicht oder irgendwas ist da nicht okay. Da muss ich auch
meine Distanz einfach hüten und genau schauen, dass das in Ordnung bleibt“ (P 4, Z.
33-39).

Auch hier geht es einerseits wieder um die persönliche Abgrenzung, aber auch um eine
gewisse „Distanzlosigkeit“ seitens der Jugendlichen, in welcher die Grenzen der Päda-
gogInnen zum Teil überschritten und demnach nicht geachtet werden. Im Speziellen
wird in diesem Zitat die körperliche Nähe angesprochen, welche verletzt wird. Wenn
der Zeitpunkt für eine Umarmung für den Pädagogen nicht stimmt, ein „Nein“ jedoch
nicht akzeptiert wird von dem/der Jugendlichen, kommt es zu einer körperlichen Grenz-
überschreitung. Es kann aber auch zu verbalen Grenzüberschreitungen kommen, bei-
spielsweise durch Beschimpfungen. Auch hier ist professionelles Handeln seitens der
BetreuerInnen gefordert, um handlungsfähig bleiben zu können. Schmalenbach (2014)
spricht in diesem Zusammenhang davon, dass die soziale Entwicklung ein Prozess ist,
der geprägt ist von Abstandnahme und Wiederverbindung (vgl. Schmalenbach 2014, S.
47).

„Distanz ist für mich auch eine Form von Respekt. Ja, dass ich zum Beispiel nicht un-
aufgefordert in ein Zimmer gehe“ (P 3, Z. 30-31).

In diesem Zitat wird angesprochen, dass es wichtig ist die Grenzen der Jugendlichen zu
wahren und dies zudem auch mit Respekt und Wertschätzung zu tun hat. Wie bereits

93 | S e i t e
erwähnt, dient das Zimmer als Rückzugsort zur individuellen Selbstentfaltung der Ju-
gendlichen, welcher von den PädagogInnen auch als solcher gesehen werden soll.

Zusammenfassend werden seitens der Jugendlichen mit dem Begriff Nähe die Häufig-
keit an Kontakten, emotionale Nähe mit einem Gefühl von Vertrautheit, Vertrauen, Ehr-
lichkeit, körperliche Nähe, beispielsweise in Form von Umarmungen, die Präsenz und
Erreichbarkeit der PädagogInnen sowie die Familie und Freunde genannt. Mit dem Be-
griff Distanz verbinden die Jugendlichen schlechte Erfahrungen, persönliche Distanzzo-
nen sowie Möglichkeiten des Rückzugs.
Aus den Interviews mit den PädagogInnen geht hervor, dass sie mit den Begriffen Nähe
und Distanz einen gelingenden Beziehungsaufbau, Vertrauen, das Austesten von Gren-
zen, die Begegnung zweier Persönlichkeiten, Respekt, professionelles Handeln, diverse
Rollenerwartungen sowie das Sich-Einlassen auf die Jugendlichen in Verbindung brin-
gen. Die PädagogInnen erwähnen in den Interviews zum Begriff Distanz die persönliche
Abgrenzung, das Alter der Jugendlichen und die damit verbundene Eigenverantwortung,
Autonomie und Selbstständigkeit, distanzloses Verhalten in Verbindung mit Grenzüber-
schreitungen sowie Respekt.
Grundsätzlich kann gesagt werden, dass der Beziehungsaufbau sowie eine grundlegende
Vertrauensbasis die Voraussetzungen für eine gelingende, wenn auch zeitlich begrenzte
Bindungsbeziehung zwischen den PädagogInnen und den Jugendlichen sind. Hier wird
die zeitliche Dimension des Phänomens von Nähe und Distanz angesprochen. Es ist die
respektvolle Begegnung zweier Persönlichkeiten, welche sowohl auf Nähe, beispiels-
weise in Form von Umarmungen als auch Distanz und Abgrenzung angewiesen ist. Es
geht sozusagen auch um eine körperliche Nähe und Distanz zwischen PädagogInnen
und den Jugendlichen. Geduld, Präsenz und Empathie sind Voraussetzungen dafür, in-
wiefern sich die Beziehungsarbeit mit fremduntergebrachten Jugendlichen gestaltet. Es
wird also auch die emotionale Nähe und Distanz, welche in der Arbeit mit fremdunter-
gebrachten Jugendlichen eine Rolle spielt, angesprochen. Wichtig ist aber auch die per-
sönliche Abgrenzung der PädagogInnen, um professionell handlungsfähig bleiben zu
können. Für die Jugendlichen sind auch Rückzugsmöglichkeiten sehr wichtig, um sich
beispielsweise bei Streitigkeiten distanzieren zu können. Demnach wird hier auch die
räumliche Nähe und Distanz angesprochen.

94 | S e i t e
3.2. Familienbrettaufstellungen
Spannend war für mich die Familienbrettaufstellung, welche ich mit den Jugendlichen
vor den Interviews gemacht habe. Ich habe diese darum gebeten, dass sie alle wichtigen
Personen aus ihrem Leben auf einem geeigneten Brett aufstellen, welche für die Jugend-
lichen eine zentrale Rolle spielen, wobei ich zu keiner Zeit erwähnt habe, dass dieses
Verfahren aus der systemischen Familientherapie stammt und auch als Familienbrett-
Aufstellung bezeichnet wird. Umso aufschlussreicher war für mich dann zu sehen, dass
etwa die Hälfte der Jugendlichen, welche an der Untersuchung teilgenommen haben,
keine Personen aus der Wohngruppe aufgestellt hat. Diesbezüglich habe ich in den In-
terviews dann auch nachgefragt. Die meisten der teilnehmenden Jugendlichen geben an,
dass die Personen aus der Wohngruppe zwar wichtig sind, aber bei etwa der Hälfte der
Jugendlichen nicht so relevant sind, dass sie diese auf dem Brett positioniert hätten.
Zwei Beispiele sollen die Familienbrettaufstellung nun verdeutlichen.

J3: männlich, 17 Jah-


re alt, absolviert eine
Lehre, seit ca. 13,5
Jahren fremdunterge-
bracht;

Der Jugendliche ist siebzehn Jahre alt und seit etwa dreizehneinhalb Jahren fremdunter-
gebracht. Aus dem Gespräch mit dem Jugendlichen geht hervor, dass er nur sehr unre-
gelmäßig nach Hause fährt, wobei regelmäßig telefonischer Kontakt besteht.

95 | S e i t e
J7: männlich, 17
Jahre alt, absol-
viert eine Lehre,
seit ca. 4 Jahren
fremdunterge-
bracht;

Dieser Jugendliche ist ebenfalls siebzehn Jahre alt und seit etwa vier Jahren fremdunter-
gebracht. In dem Gespräch mit dem Jugendlichen erzählt er mir, dass er regelmäßig an
den Wochenenden nach Hause fährt und zudem auch telefonischer Kontakt zu der Fami-
lie besteht.

Aus den Aufstellungen mit den Jugendlichen geht hervor, dass alle Untersuchungsteil-
nehmerInnen die Familie und Freunde zentral auf dem Brett positioniert haben. Sechs
der zehn Jugendlichen haben zudem Menschen aus der Wohngruppe aufgestellt, wobei
eher die BewohnerInnen der Wohngruppe bei den Aufstellungen aufgestellt wurden.
Drei der Jugendlichen haben auch PädagogInnen bei der Aufstellung berücksichtigt.
Aus Erzählungen mit den PädagogInnen habe ich erfahren, dass in den letzten zwei Jah-
ren eine hohe MitarbeiterInnen- wie auch BewohnerInnenfluktuation zu verzeichnen
war, was sich auf die PädagogInnen-Jugendlichen-Beziehungen ausgewirkt haben könn-
te. Zudem könnten auch die Kontakte zum Herkunftssystem eine Rolle bei der Aufstel-
lung spielen. Vor allem die Jugendlichen, welche nur sehr unregelmäßig nach Hause
fahren bzw. kaum Kontakt zu den Eltern haben, positionierten die PädagogInnen der
Wohngruppen auf dem Familienbrett. Die Dauer der Fremdunterbringung könnte eben-
falls einen Einfluss bei der Aufstellung haben. Je länger der/die Jugendliche bereits in
dieser Wohngruppe lebte, desto eher wurden auch BetreuerInnen bei der Aufstellung
96 | S e i t e
berücksichtigt. Ich habe auch den PädagogInnen die Frage gestellt, woran es liegen
könnte, dass nur drei der teilnehmenden Jugendlichen BetreuerInnen bei der Aufstellung
auf dem Familienbrett positioniert haben. Hierüber konnten nur Hypothesen seitens der
PädagogInnen gebildet werden. Eine Möglichkeit wäre, dass die Jugendlichen der Mei-
nung sind, dass die BetreuerInnen sowieso da sein müssen, weil es muss sich ja jemand
um die Jugendlichen kümmern. Zudem könnte es auch sein, dass die Jugendlichen die
PädagogInnen nicht als Person an sich, sondern eher die Institution als Ganzes sehen.
Vielleicht ist es auch so, dass sich die Jugendlichen teilweise in einem Zwiespalt befin-
den, da einerseits die Familie als Beziehungssystem bereits besteht und eventuell
dadurch hintergangen wird, wenn beispielsweise ein neues Beziehungssystem innerhalb
der Wohngruppe aufgebaut wird. Häufig wird eine Wohngruppe seitens der Jugendli-
chen auch als Übergangsphase gesehen, weshalb der Aufbau von Beziehungen automa-
tisch dann auch zu erneuten Beziehungsabbrüchen führen würde und die Jugendlichen
sich davor schützen wollen. Um genauere Antworten auf diese Frage zu bekommen,
bedürfte es jedoch weiterer empirischer Untersuchungen. Grundsätzlich kann aber ge-
sagt werden, dass die Aufstellungen bei den meisten Jugendlichen darauf schließen
lassen, dass bereits ein gelungener Beziehungsaufbau zwischen ihnen und den Pädago-
gInnen stattgefunden hat.
Die restlichen Aufstellungen mit den Jugendlichen können im Anhang eingesehen wer-
den.

3.3. Situationen, wo Nähe und Distanz erlebt bzw. gewünscht wird


Nachfolgend wird auf Situationen und Momente eingegangen, in welchen sowohl die
Jugendlichen als auch die PädagogInnen Nähe und Distanz erleben bzw. wann sie sich
mehr Nähe und Distanz wünschen.

3.3.1. Situationen, in welchen Nähe erlebt wird


Einige der befragten Jugendlichen erwähnen vor allem Situationen mit der Familie oder
mit Freunden, wo Nähe erlebt wird.
„Wenn ich zu Hause bin bei meiner Mama. Da fühlt man sich geborgen. So bei Freun-
den, da fühlt man sich auch wohl. Wenn man mit denen was macht oder so“ (J 3, Z. 37-
38).

97 | S e i t e
Der Jugendliche spricht an, dass er Nähe vor allem in Situationen erlebt, in welchen er
sich wohl fühlt, beispielsweise innerhalb der Familie oder mit Freunden. Zudem bringt
er Situationen, in welchen er Nähe erlebt mit einem Gefühl von Geborgenheit in Ver-
bindung.

Aus den Interviews mit den Jugendlichen wird auch deutlich, dass Nähe teilweise in
Situationen erfahren wird, wenn es ihnen nicht gut geht. Beispielsweise erzählt ein
Mädchen, wenn sie Liebeskummer hat, sucht sie vermehrt den Kontakt zu den Pädago-
gInnen, vor allem zu weiblichen BetreuerInnen und sucht auch die Nähe zu anderen
Bewohnerinnen. Vor allem in Krisenmomenten wünschen sich einige Jugendliche mehr
die Nähe zu anderen Personen. Auch bei Besuchskontakten, Heimfahrten oder Treffen
mit Familienmitgliedern erlebt ein Teil der befragten Jugendlichen Nähe. Häufig wurde
auch erwähnt, dass im Zusammensein mit FreundInnen Nähe erlebt wird, weshalb der
Freundeskreis eine wichtige Rolle einnimmt, wenn es um das Thema Nähe geht.

„B: Wenn ich mit jemanden reden kann.


I: Also wenn du einfach die Zeit mit jemanden verbringen kannst?
B: Genau. Wenn ich mit einem Betreuer die Zeit habe zu reden“ (J 7, Z. 27-29).

Auch Gespräche mit den PädagogInnen stellen für die Jugendlichen einen wichtigen
Teil dar, wenn es um das Thema Nähe geht. Dies lässt sich auch in der praktischen Tä-
tigkeit beobachten, dass Gespräche, vor allem mit zunehmendem Alter der Jugendlichen
immer wichtiger werden und von den Jugendlichen auch eingefordert werden, wenn
Redebedarf besteht.

Im nachfolgenden Interviewausschnitt wird auch die Nähe als körperliche Erfahrung


angesprochen. Vor allem bei Umarmungen erleben die Jugendlichen die Nähe zu ande-
ren Personen. Zudem gibt ein Jugendlicher an, dass er auch beim Sex die Nähe zu einer
anderen Person erfährt.

„Ja, wenn ich sie umarme“ (J 4, Z. 32).

„I: Wann oder in welchen Situationen erlebst du Nähe zu anderen Personen?


B: Sex (lachen). Darf ich sowas sagen oder ist das eher…
I: Ja wenn du das so möchtest“ (J 8, Z. 27-29).

98 | S e i t e
In beiden Zitaten wird auf die körperliche Nähe zu einer anderen Person hingewiesen.
Die Jugendlichen beschreiben Nähe vor allem in Situationen, in welchen sie sich gebor-
gen und wohl fühlen, beispielsweise innerhalb der Familie, mit den PädagogInnen oder
mit FreundInnen.

Auch bei den PädagogInnen wurde in den Interviews immer wieder erwähnt, dass Nähe
vor allem in Gesprächen mit den Jugendlichen erlebt wird. Vermehrte Nähe wird aber
auch erfahren, wenn zwischen den einzelnen Diensten mehrere freie Tage dazwischen
liegen.

„Eines von den schönsten Sachen ist oft, wenn die Kinder schlafen gehen und wenn sie
sich ins Bett legen und sie einfach zuzudecken. Das ist ein sehr intimer Moment einfach
auch, wenn man diese Decke einfach drüber gibt und wo sie sich einfach ins Bett rein-
kuscheln und sich einfach ans Bett setzt und mit ihnen nochmal den Tag reflektiert. Wo
man einfach viel darüber sprechen kann, was gewesen ist“ (P 4, Z. 44-49).

„Die Nähe spüre ich speziell in Situationen, wenn du heute ein paar Tage nicht im
Dienst bist, dass die Jugendlichen auf dich sofort zukommen, wenn es persönliche Ge-
schichten gegeben hat wie Erlebnisse im Urlaub oder zum Beispiel, wenn unsere Ju-
gendlichen krank werden. Oder am Abend oder wenn einfach der Bedarf zum Reden da
ist. Da ist einfach dieses dann da, wo du sofort spürst, da wird jetzt was eingefordert,
was du ihnen dann auch gern gibst“ (P 5, Z. 56-61).

Aus meiner praktischen Erfahrung kann ich ebenfalls bestätigen, dass in Gesprächen die
Nähe besonders deutlich wird. Vor allem in Vier-Augen-Gesprächen am Abend werden
viele Dinge angesprochen und zudem der Tag nochmals reflektiert. Dies ist meines Er-
achtens auch für die Jugendlichen sehr wichtig und wird auch immer wieder von denen
eingefordert.

3.3.2. Momente, wo mehr Nähe gewünscht wird


Grundsätzlich wird anhand der Interviews mit den Jugendlichen deutlich, dass es für
jeden Einzelnen innerhalb der Wohngruppe passt und kaum mehr Nähe gewünscht wird
innerhalb der Wohngruppe.

„Nein. Außer wenn ich halt, also wenn ich zum Beispiel, wenn ich krank bin, in den Arm

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genommen werde, oder so. Oder wenn es mir schlecht geht, dass ich dann in den Arm
genommen werde und dass ich mit dem halt einfach, mit dem frei reden kann“ (J 10, Z.
177-180).

Eine Jugendliche spricht an, wenn es ihr gesundheitlich nicht so gut geht oder wenn sie
Probleme hat, dass sie sich mehr körperliche Nähe in Form von Umarmungen wünschen
würde.

Zudem wurde in den Interviews immer wieder erwähnt, dass sich einige Jugendliche
mehr Nähe und Kontakt zu ihrer Familie wünschen würden. In den Gesprächen stellte
sich heraus, dass der Wunsch nach mehr Nähe zu den Herkunftsfamilien vor allem von
den Jugendlichen angesprochen wurde, welche nur sehr unregelmäßig nach Hause fah-
ren dürfen bzw. keine Heimfahrten stattfinden.

„Ja zur Familie schon. Wenn ich sie öfters sehen dürfte. Aber zur WG nicht, dass ich
jetzt sage, zu nahe, nein. Zur Familie eben, weil oft sehe ich die auch nicht meine Fami-
lie, deswegen“ (J 5, Z. 49-51).

Von einem Jugendlichen wurde auch angesprochen, dass es keine Situationen gibt, in
welchem er sich mehr Nähe wünschen würde. Er sagt aber auch, dass die Nähe zu einer
Person abhängig ist davon, wie viel Nähe der/die Gegenüber bereit ist zu geben und
diese Nähe sich nicht erzwingen lässt.

„I: Und gibt es auch so Situationen, wo du dir vielleicht mehr Nähe wünschen würdest?
B: Nein. Das ist auch wieder so, wenn dir die Person die Nähe nicht gibt, kannst du
daran nichts ändern“ (J 3, Z. 39-42).

Auf die Frage, was die PädagogInnen glauben, in welchen Situationen sich die Jugend-
lichen mehr Nähe wünschen würden, wurden Momente nach einem Verlaufs- bzw. Kri-
senplangespräch sowie Liebeskummer genannt.

„Ja das gibt es sicher. Das ist bei jedem wahrscheinlich verschieden. Aber allgemein. In
der Pubertät würden die… Das fängt schon bei Liebeskummer an. Da würden sie ganz
viel Nähe brauchen. Schwierigkeiten in der Schule und auch familiären Problemen“ (P
2, Z. 50-53).

„Oft einmal merke ich speziell zum Beispiel nach Verlaufsgesprächen, Krisenplange-

100 | S e i t e
sprächen, dass von den Jugendlichen das eingefordert wird, vielleicht einmal nur in den
Arm genommen zu werden“ (P 5, Z. 65-67).

In den Interviews wird auch immer angesprochen, dass die PädagogInnen den aktiven
Part in der Beziehungsarbeit mit den Jugendlichen einnehmen und es wichtig ist, dass
die BetreuerInnen offen sind für eine Beziehungsanbahnung seitens der Jugendlichen,
wobei auch der Zeitpunkt eine zentrale Rolle spielt und auch die Bereitschaft von bei-
den Seiten gegeben ist.

„Sie sind in unterschiedlicher Ausformung fähig, die Nähe zu empfinden und Nähe zu
empfangen. Ja. Das heißt, ich denke, ich muss aktiv auf sie zugehen und auch sehr
wahrnehmend sein, was ihnen heute gut tut und was sie heute nehmen können“ (P 3, Z.
42-45).
„Wenn die Kinder eine Zeit lang da sind und sich eingewöhnt haben und mich auch
kennengelernt haben, dann ist auch die Möglichkeit erst, dass das entstehen kann. Das
heißt, es hängt viel von den Kindern ab. Wichtig ist, dass ich offen bin dafür und bereit
bin, wenn es so sein sollte und wenn es für mich auch in Ordnung ist. Und wenn die
Kinder dann einfach den Zeitpunkt erreicht haben, wo sie das einfach auch annehmen
können oder eben auch leben können“ (P 4, Z. 57-63).

Wichtig ist anzumerken, dass die PädagogInnen den aktiven Part in der Beziehungsar-
beit mit den Jugendlichen einnehmen. Nähe wird von den PädagogInnen vorwiegend in
Gesprächen deutlich. Vor allem am Abend genießen die Jugendlichen meist die „Zeit zu
zweit“ mit den PädagogInnen, wenn es beispielsweise darum geht, die Jugendlichen ins
Bett zu bringen und den Tag nochmals zu reflektieren. Aus den Interviews wird grund-
sätzlich deutlich, dass eine gute Balance zwischen Nähe und Distanz innerhalb der
Wohngruppe besteht, da sowohl die Jugendlichen als auch die PädagogInnen sich kaum
mehr Nähe zu ihrem Gegenüber wünschen, außer wenn die Jugendlichen zum Beispiel
krank sind oder nach Verlaufsgesprächen. Was aber deutlich wird, vor allem bei Jugend-
lichen, welche weniger Kontakt zum Herkunftssystem haben, dass diese sich mehr Nähe
zu ihren Familien wünschen würden.

3.3.3. Situationen, wo Distanz erlebt wird


Distanz wird seitens der Jugendlichen häufig in Streit- und Krisensituationen erlebt, also
101 | S e i t e
wenn es beispielsweise Streit mit anderen BewohnerInnen gibt, aber auch bei Eskalatio-
nen wird Distanz erlebt bzw. ziehen sich die Jugendlichen eher zurück und distanzieren
sich. Auch die räumliche Distanz zum Herkunftssystem wurde von einigen Jugendli-
chen genannt.

„Ja, wenn man mit wem streitet oder so, dann zieht man sich auch eher zurück, das ist
klar“ (J 3, Z. 22-23).

Hier wird angesprochen, dass Distanz in Streitsituationen aufgebaut wird, beispielswei-


se mit Rückzug reagiert wird.

„B: Distanz. Wenn jetzt zum Beispiel irgendein Kind ‚auszuckt‘ oder so, dann möchte
ich schon ein wenig wegbleiben und Distanz haben.
I: Also so in Krisensituationen oder Streitsituationen oder so ziehst du dich dann eher
zurück.
B: Ja genau“ (J 6, Z. 73-77).

Auch die Gruppendynamik sowie die Lautstärke innerhalb der Wohngruppe führen
teilweise zum Rückzug und zur Distanzierung der Jugendlichen.

„Ja, wenn es mir zu viel wird. Wenn es zum Beispiel so laut ist in der WG oder so“ (J 7,
Z. 38-39).

Genannt wurde auch, dass vor allem in unbekannten Situationen oder bei neuen Be-
wohnerInnen oder PädagogInnen zunächst noch eher Distanz gehalten wird.

„Meistens, wenn es neu ist, sie zu kennen. Ich bin nicht so einer, der sofort hingeht und
sagt: ‚Ja, was geht?‘ Sondern bleibe eher so auf Abstand und rede nicht so viel mit de-
nen“ (J 8, Z. 45-47).

Die PädagogInnen erleben Distanz in der Wohngruppe vor allem, wenn diese den Ju-
gendlichen Regeln und Grenzen setzen, aber auch in Krisensituationen.
„Ja. Eher wenn man die Jugendlichen auf etwas aufmerksam macht. Dann erlebe ich
schon die Distanz. Unterschiedlich natürlich auch, vom Jugendlichen abhängig natür-
lich. Bei einem Jugendlichen habe ich stark die Distanz erlebt, wie ich ihn darauf auf-
merksam gemacht habe, dass dieses Verhalten einfach nicht geht“ (P 1, Z. 52-55).
102 | S e i t e
Der Pädagoge weist zudem darauf hin, dass es abhängig ist vom Verhalten des/der Ju-
gendlichen, wie er/sie beispielsweise auf Beanstandungen seitens der PädagogInnen
reagiert.

„Das ist genau das interessante an der Sache. Diese Distanz erlebe ich genau in diesen
Krisenzeiten auch immer wieder, weil die Kinder irgendwie einen gewissen Vorbehalt
haben, sich dann eben einzulassen auf diese Nähe, ja. Eben in diesen Krisenzeiten
schaffen sie selber viel Distanz, ja. Wobei es für mich immer ein wenig unklar ist und es
kommt auf die Person drauf an, warum das jetzt so ist und warum die Kinder genau in
diesen Zeiten diese Distanz aufbauen, ja“ (P 4, Z. 100-105).

Auch in Krisenzeiten erleben die PädagogInnen häufig Distanz zu den Jugendlichen, da


diese bei Problemen sich häufig zurückziehen und keine Hilfe in Anspruch nehmen
möchten, wobei dies auch wieder auf den/die jeweiligeN JugendlicheN ankommt.

„Distanz erlebe ich meistens, wenn sich die Jugendlichen nicht öffnen können dem Be-
treuer gegenüber oder wenn sie für nichts zu begeistern sind. Wenn sie einfach in ihrem
Zimmer sind und nichts unternehmen wollen und zu keinem Gespräch bereit sind“ (P 2,
Z. 62-65).

Anzumerken ist auch, dass die Jugendlichen vor allem in Krisenzeiten von sich aus Dis-
tanz zu den PädagogInnen oder anderen Personen aufbauen. Es gibt auch Situationen, in
welchen die BetreuerInnen Distanz erleben, wenn die Jugendlichen sich nicht öffnen
können und diese auch nicht zu einem Gespräch bereit sind bzw. für keine Freizeitakti-
vitäten zu begeistern sind. Aber auch bei Streitigkeiten oder wenn die Jugendlichen auf
ihr Verhalten aufmerksam gemacht werden, ziehen sich die meisten Jugendlichen eher
zurück.

3.3.4. Momente, wo mehr Distanz gewünscht wird


Seitens der Jugendlichen gibt es kaum Momente oder Situationen, in welchen mehr Dis-
tanz gewünscht wird. Wenn dies gewünscht wird, dann meist aufgrund von Differenzen
mit dem Gegenüber oder weil ein Jugendlicher beispielsweise mit jemanden nicht so gut
zusammenkommt bzw. diesen nicht leiden kann. Grundsätzlich betont der Großteil der
befragten Jugendlichen aber, dass das Nähe-Distanz-Verhältnis zumindest in der Wohn-
gruppe sehr ausgeglichen ist.

103 | S e i t e
„Manchmal. Also in den älteren Zeiten war das so. Mit einem Burschen (Anmerkung:
Name wurde weggelassen – anonymisiert) war das so, weil der hat mich oft genervt.
Aber jetzt ist er weg und ja. Jetzt ist eigentlich wieder alles okay. Aber sonst hat der
immer genervt“ (J 5, Z. 38-41).

Auf die Frage, in welchen Situationen sich die PädagogInnen mehr Distanz wünschen
würden, wurde einerseits der Dienstbeginn genannt, also dass sie zunächst die Zeit ha-
ben, in der Wohngruppe anzukommen, sich in Ruhe vorbereiten und beispielsweise In-
formationen einholen können, ob Termine oder dergleichen anstehen. Erwähnt wurde
auch, dass die eigene Haltung immer wieder überprüft und reflektiert werden soll, um
eine Balance zwischen Nähe und Distanz schaffen zu können. Es wurde auch die Frage
in den Raum gestellt, in welchen Situationen die PädagogInnen der Meinung sind, dass
die Jugendlichen sich mehr Distanz wünschen würden.

„Ihre Privatsphäre. Wahrscheinlich Abendsituationen. Denk auch Thema Freundschaft


und wenn sie eine Beziehung haben, da haben sie keine Rückzugsmöglichkeiten in der
WG. Da würden sie sich glaube ich öfters was wünschen (P 1, Z. 69-72).

„Die Jugendlichen brauchen sicher mehr Distanz, speziell in pubertären Phasen. Wenn
es darum geht, wenn sie eigene Sexualität erfahren, wenn es darum geht, wenn sie sich
echt mal zurückziehen wollen und sich selber spüren wollen. Dann ist die Distanz in der
WG oft schwierig, weil einfach das räumliche Auseinandersein nicht da ist“ (P 5, Z. 97-
101).

Anhand dieser Interviewausschnitte wird deutlich, dass die Jugendlichen innerhalb der
Wohngruppe zwar Rückzugsmöglichkeiten haben, innerhalb der Wohngruppe jedoch
vor allem in der Pubertät und somit beispielsweise für Erfahrungen von Sexualität keine
Möglichkeiten gegeben sind, um diese auszuleben, auch weil eine räumliche Trennung
kaum gegeben bzw. durchführbar ist. Grundsätzlich kann aber festgehalten werden, dass
sowohl die Jugendlichen als auch die PädagogInnen finden, dass innerhalb der Wohn-
gruppe ein sehr ausgeglichenes Nähe-Distanz-Verhältnis gegeben ist.

3.3.5. Situationen, in welchen es schwer fällt, Distanz zu wahren


Einige der befragten Jugendlichen erzählen, dass es ihnen vor allem in Streitsituationen

104 | S e i t e
schwer fällt, Distanz zu anderen Personen zu wahren. Als Grund dafür geben sie an,
dass sie die Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten sofort klären wollen, wes-
halb es oft schwer fällt, die Distanz aufrechtzuerhalten.

„Also wenn man gerade auf jemanden böse ist zum Beispiel, dann will man ja Distanz
halten, aber ab und zu ist man dann doch nicht so böse, dass man dann doch nach-
gibt“ (J 3, Z. 33-35).

„Wenn ich wütend bin auf einen, dann kann ich keine Distanz haben. Da ist es halt so,
dass es da ‚aufbrodelt‘ und ich ihm eine reinhauen will, ja. Also da will ich dann keine
Distanz, sondern dass ich, ja“ (J 5, Z. 59-61).
Eine Jugendliche erwähnt in dem Interview auch, dass sie sich schwer tut, Nein zu sa-
gen, weshalb es ihr teilweise sehr schwer fällt, Distanz zu einer anderen Person zu wah-
ren.

„Ja, also ich habe das von meiner Mama, weil meine Mama kann nicht Nein sagen und
jetzt ja, habe ich das auch… kann ich auch nicht Nein sagen“ (J 10, Z. 214-215).

Seitens der PädagogInnen wurden Situationen, in welchen es schwer fällt, die Distanz
zu den Jugendlichen zu wahren, einerseits als Momente, in welchen es um die Selbst-
ständigkeit der Jugendlichen geht und andererseits als Krisensituationen sowie spontane
Beziehungsabbrüche seitens der Jugendlichen, beschrieben.

„I: Gibt es auch so Bereiche, wo du dir persönlich schwer tust, Distanz zu Jugendlichen
zu bewahren?
B: Ja ganz sicher. In Form von, wenn es um die Selbstständigkeit geht. Ich glaube, dass
man da viel früher beginnen sollte, ihnen das zu übertragen.
I: So die Eigeninitiative und Eigenverantwortung?
B: Ja genau, die Eigenverantwortung“ (P 1, Z. 73-78).

Hier rücken die Selbstständigkeit und die Eigenverantwortung der Jugendlichen in den
Vordergrund. Wichtig ist hier auch anzumerken, dass die PädagogInnen der Institution
sich als WegbegleiterInnen verstehen und demnach den Jugendlichen ein Höchstmaß an
Autonomie und Eigenverantwortung vermittelt wird, welche es den Jugendlichen er-
möglichen soll, sich in der Welt zurechtzufinden und später ein selbstbestimmtes Leben

105 | S e i t e
führen zu können. Zudem werden die Jugendlichen in ihrer individuellen Entfaltung und
ihrer Persönlichkeit unterstützt und gefördert, wie aus den Gesprächen mit den Pädago-
gInnen und der Geschäftsleitung deutlich wurde.

„Also wo ich mir extrem schwer tue, Distanz zu halten, das ist das, wenn ich merke, zu
einem Jugendlichen ist die Beziehung schon einigermaßen aufgebaut und dann kommt
es von seiner Seite aber zum Beziehungsabbruch, da kann ich das einfach nicht einord-
nen oder damit umgehen“ (P 2, Z. 80-83).

„Gerade in diesen Krisenzeiten eben, wie gesagt, da nimmt es mich persönlich auch oft
sehr mit, die Schicksale der Kinder und wo ich ganz aktiv schauen muss, damit ich mich
etwas distanzieren kann oder auf die Art und Weise distanzieren kann, wie es für mich
passt, weil es natürlich für mich auch psychisch sehr belastend ist und emotional auch
sehr belastend ist, wenn ich sehe, dass sie gewisse Dinge nicht annehmen oder nicht
ändern können. Und dann ist es für mich wichtig, einfach zu schauen. Ich muss mich da
abgrenzen, ich brauche da jetzt meinen Platz für mich selber“ (P 4, Z. 121-128).

Aber gerade in diesen Krisenzeiten ist es besonders wichtig, Nähe von anderen Perso-
nen zu erfahren, weshalb es wichtig ist, dass die PädagogInnen Beziehungsangebote
setzen, beispielsweise in Form von Gesprächen oder Spaziergängen. Die Jugendlichen
sollen das Gefühl vermittelt bekommen, dass sich die PädagogInnen jederzeit den An-
liegen der Jugendlichen annehmen und diese unterstützen werden. Angesprochen wird
auch die Abgrenzung zwischen Berufs- und Privatleben. Wichtig ist, dass sich Pädago-
gInnen während der Dienstzeit vollkommen den Jugendlichen und ihrer Arbeit widmen,
wobei es auch essentiell ist, in der Freizeit abzuschalten und nicht ständig an die Arbeit
zu denken. Anhand der beiden Interviewausschnitte wird ersichtlich, dass die persönli-
che Abgrenzung zwischen Berufs- und Privatleben aber nicht immer ganz gelingt, vor
allem in Krisenzeiten oder bei spontanen Beziehungsabbrüchen seitens der Jugendli-
chen. Aus meiner praktischen Erfahrung heraus kann ich ebenfalls bestätigen, dass die
Abgrenzung in bestimmten Situationen teilweise sehr schwer fällt, was ich vor allem
darauf zurückführe, dass durch diese Tätigkeit Beziehungen aufgebaut werden, Pädago-
gInnen um das Wohlergehen bemüht sind und die Kinder und Jugendlichen einem nicht
egal sind.

106 | S e i t e
3.3.6. Momente, wo viel Nähe gebraucht wird
Situationen und Momente, in welchen die Jugendlichen besonders viel Nähe brauchen
sind, wenn es ihnen nicht gut geht und sie einfach jemanden brauchen, der da ist, um zu
reden.
„Ja, wenn man zum Beispiel traurig ist oder jemanden zum Reden braucht, dann
braucht man auch viel Nähe. Wenn es mir nicht gut geht“ (J 3, Z. 45-46).

„Zum Beispiel, wenn es mir schlecht geht oder so, dann bin ich nicht gerne alleine. Da
habe ich gern jemanden, der mit mir redet und so“ (J 9, Z. 58-59).

Hier ist auch anzumerken, dass es immer auf die Jugendlichen ankommt, ob sie sich
beispielsweise bei Traurigkeit eher zurückziehen und alleine sein wollen oder eben be-
sonders die Nähe brauchen, weil sie gerade in solchen Situationen eben nicht alleine
sein wollen. Dies soll auch folgender Interviewausschnitt einer Pädagogin verdeutli-
chen:

„Ist auch wieder abhängig von Burschen und Mädchen und auch von der jeweiligen
Person. Manche brauchen es, wenn sie traurig sind, besonders die Nähe. Andere brau-
chen es weniger und ziehen sich eher zurück. Das ist oft schwierig abzuschätzen“ (P 1,
Z. 81-84).

Es wird auch erwähnt, dass vor allem mit zunehmenden Alter und Beginn der Pubertät
die Gespräche rund um das Thema Sexualität immer präsenter werden und die Jugendli-
chen auch auf die PädagogInnen zukommen, um sich beispielsweise Rat zu holen oder
einfach über persönliche Erlebnisse und Erfahrungen zu sprechen. Dies kann ich aus
meiner praktischen Tätigkeit bestätigen, da ich vor allem mit Bewohnerinnen häufig
über Beziehungen und Sexualität spreche, wenn diese das Gespräch mit mir suchen.

„Ja, finde ich ist bei uns in einer Burschen-WG sehr viel jetzt im Zeitraum der Pubertät.
Also die ersten Kennenlernphasen von Mädchen, speziell von Außenkontakt in die Stadt,
ist dann, wo sie das einfach suchen. Wo sie, zeitweise kommt mir vor vom väterlichen
Rat, Rat eines älteren, erfahrenen Mannes einfach bitten“ (P 5, Z. 113-117).

Besonders viel Nähe brauchen die Jugendlichen aber vor allem auch in Krisensituatio-
nen bzw. Krisenzeiten, wobei es vor allem in diesen Situationen den Jugendlichen oft
schwer fällt, ein Gespräch mit den PädagogInnen anzubahnen und um Hilfe zu bitten.
107 | S e i t e
Erwähnenswert ist, dass den BetreuerInnen diesbezüglich eine besondere Aufgabe zu-
kommt, da Beziehungsarbeit immer auch Erwachsenenarbeit ist und demnach durch
Empathie solche Situationen erkannt und adäquat gehandelt werden soll.

„Ganz sicher in Krisensituationen und Krisenzeiten. Also in Krisensituationen vielleicht


weniger, aber in Krisenzeiten definitiv, weil sie einfach diesen Rückhalt brauchen und
einfach, da ist jemand, der mich mag und gerne hat, so wie ich bin und egal was jetzt
ist, ja. Genau in diesen Momenten brauchen sie es am allermeisten und der Erfahrung
nach ist, dass in diesen Momenten aber am schwersten für sie selbst ist, das auszuspre-
chen und anzubahnen. Deswegen ist es einfach auch ganz wichtig, dass man da als So-
zialpädagoge sehr hohe Aufmerksamkeit hinlenkt und einfach auch Bereitschaft symbo-
lisiert, ja“ (P 4, Z. 87-94).

Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass die Jugendlichen vor allem in Krisen-
zeiten oder wenn es ihnen nicht gut geht besonders viel Nähe seitens der PädagogInnen
brauchen. Wobei es vielen Jugendlichen genau in solchen Situationen häufig schwer
fällt, von sich aus um Hilfe und Zuwendung zu bitten, weshalb es besonders wichtig ist,
dass die BetreuerInnen vor allem durch Empathie diese Situationen erkennen und an-
gemessen darauf reagieren, da Beziehungsarbeit auch immer Erwachsenenarbeit ist.
Zudem ist es wichtig, dass die PädagogInnen offen sind für eine Beziehungsanbahnung
seitens der Jugendlichen, wobei in diesem Zusammenhang auch der Zeitpunkt eine
wichtige Rolle spielt sowie die Bereitschaft von beiden Seiten gegeben sein muss. Pä-
dagogInnen erwähnen in den Interviews auch, dass sich die Jugendlichen vor allem in
Einzelsettings besser öffnen können, beispielsweise am Abend, wenn die Jugendlichen
zu Bett gebracht werden und der Tag mit ihnen nochmals reflektiert wird.
Zudem lässt sich aus den Interviews mit den befragten Jugendlichen als auch den teil-
nehmenden PädagogInnen schließen, dass grundsätzlich eine gute Balance von Nähe
und Distanz im Wohngruppenalltag gegeben ist. Anzumerken ist aber auch, dass sich
einige Jugendliche mehr Nähe zur Herkunftsfamilie wünschen würden, was vielleicht
im Zusammenhang damit steht, dass manche Jugendliche nur sehr unregelmäßigen
Kontakt zu ihren Eltern haben.
Distanz innerhalb der Wohngruppe wird meist in Streit- und Krisensituationen erlebt.
Einige der befragten Jugendlichen erzählen während des Interviews, dass sie sich in
Streitsituationen als auch bei Eskalationen eher zurückziehen und Distanz wahren. Zu-
108 | S e i t e
dem führt auch die Gruppendynamik innerhalb der Wohngruppe bei manchen Jugendli-
chen zum Rückzug und zur Distanzierung. Auch die räumliche Distanz zum Herkunfts-
system wurde von einigen Jugendlichen genannt.
Die PädagogInnen erleben Distanz im Wohngruppenalltag vor allem dann, wenn diese
den Jugendlichen Regeln und Grenzen setzen, wobei dies abhängig davon ist, wie
der/die Jugendliche darauf reagiert. Auch in Krisenzeiten erleben PädagogInnen häufig
Distanz, welche zumeist von den Jugendlichen selbst geschaffen wird und auch keine
Hilfe in Anspruch nehmen möchte, wobei es auch hier wieder auf den/die jeweiligeN
JugendlicheN ankommt. Andersrum erwähnt eine Pädagogin, dass sie sich manchmal
mehr Distanz wünschen würde, vor allem zu Dienstbeginn, um zunächst in der Wohn-
gruppe ankommen und sich dann in Ruhe vorbereiten zu können.
Auf die Frage, ob es Situationen gibt, wo sich die Jugendlichen mehr Distanz wünschen
würden, wird erwähnt, dass sie innerhalb der Wohngruppe zwar Rückzugsmöglichkeiten
haben, innerhalb der Wohngruppe jedoch vor allem in der Pubertät und somit beispiels-
weise für Erfahrungen von Sexualität keine Möglichkeiten gegeben sind, um diese aus-
zuleben, auch weil eine räumliche Trennung kaum gegeben bzw. durchführbar ist.
Grundsätzlich betonen aber sowohl die befragten Jugendlichen als auch die PädagogIn-
nen, dass innerhalb der Wohngruppe ein sehr ausgeglichenes Nähe-Distanz-Verhältnis
gegeben ist.

3.4. Faktoren, welche das Nähe-Distanz-Verhältnis beeinflussen


Sowohl den PädagogInnen als auch den Jugendlichen wurde in Bezug auf das Nähe-
Distanz-Verhältnis zunächst allgemein die Frage gestellt, was sie glauben, welche Fak-
toren dieses beeinflussen könnten. Die Jugendlichen wurden auch gefragt, was für sie
eine gute Betreuungsperson ausmacht. Vor allem für die Jugendlichen spielen die Per-
sönlichkeitseigenschaften der PädagogInnen eine primäre Rolle, welche maßgeblich die
Beziehungsarbeit beeinflusst. Zudem wurden diverse weitere Einflussfaktoren genannt.

3.4.1. Faktoren betreffend des Herkunftssystems


 Familiärer Kontext
Als möglicher Einflussfaktor auf das Nähe-Distanz-Verhältnis in der Beziehungsarbeit
mit fremduntergebrachten Jugendlichen seitens des Herkunftssystems wurde der famili-

109 | S e i t e
äre Kontext genannt. Dieser Begriff ist zwar sehr weit gefasst, wobei grundsätzlich aber
sowohl familiäre Prädispositionen, also innerhalb der Familie angelernte Verhaltenswei-
sen als auch die Umgebung, in welcher die Jugendlichen aufgewachsen sind mit diesem
Begriff zusammengefasst werden können. Folgendes Zitat aus einem Interview mit ei-
ner PädagogInnen sollen dies verdeutlichen.

„Ich würde sagen, dass sind die familiären Prädispositionen ist ganz wichtig. Aus was
für einem Haus kommt der Jugendliche, das spielt eine extrem große Rolle und auch wie
weit er mit seiner/ihrer Entwicklung auch schon ist“ (P 2, Z. 102-104).

Hier wird deutlich, dass sich das Umfeld, in welchem die Jugendlichen und vor allem
wie sie dort aufgewachsen sind und was sie dort erlebt haben, sich auf die Beziehungs-
arbeit in der Fremdunterbringung auswirkt. Auch das Entwicklungsstadium der Jugend-
lichen sowie familiäre Prädispositionen werden hier angesprochen, welche sich auch
meiner Meinung nach maßgeblich auf die Beziehungsarbeit in der Fremdunterbringung
auswirken, da die Jugendlichen im Laufe ihres Lebens interne Arbeitsmodelle (Ains-
worth) entwickeln, welche nur schwer zu durchbrechen sind.

3.4.2. Faktoren betreffend Kinder/Jugendliche


 Lebensereignisse in der Kindheit
 Beziehungsabbrüche
 Alter und Geschlecht
 Persönlichkeitseigenschaften
 Natürliche sowie genetische Veranlagungen des Kindes

Betreffend der Kinder und Jugendlichen wurden als mögliche Einflussfaktoren unter
anderem die Lebensereignisse in der Kindheit sowie auch Beziehungsabbrüche genannt.

„Und das, was sie hinter sich haben. Ich sehe schon jeden Jugendlichen mit diesem
riesen Rucksack, den sie schultern müssen. Ich sehe sie prinzipiell als unschuldig“ (P 3,
Z. 96-98).

„Es ist natürlich so, dass die vielen Beziehungsabbrüche, die Beziehung an sich nicht
mehr so hoch bewertet wird. Sie sind entwertet worden, eben durch das“ (P 5, Z. 244-
246).

110 | S e i t e
Aus den beiden Interviews geht hervor, dass fremduntergebrachte Jugendliche meist
eine schwere Last auf ihren Schultern tragen müssen, was nicht selten auch zu Trauma-
tisierungen führt. Auch durch teilweise mehrfache Beziehungsabbrüche fällt es Jugend-
lichen häufig schwer, sich wieder auf Beziehungen einzulassen, da meiner Meinung
nach die Angst vor erneuten Beziehungsabbrüchen sehr ausgeprägt ist. Wichtig ist aber,
dass den Jugendlichen vermittelt wird, dass sie keinerlei Schuld haben, warum sie letzt-
endlich aus der Familie herausgenommen und fremduntergebracht werden. Als weitere
Einflussfaktoren, welche sich betreffend der Jugendlichen auf die Beziehungsarbeit
auswirken könnten, wurden das Alter, das Geschlecht, die Persönlichkeitseigenschaften
sowie die natürlichen und genetischen Veranlagungen genannt.
„Ja, ich merke, dass mir als Frau die weiblichen Jugendlichen mehr Nähe schenken als
die Männlichen. Und auch mit gleichgeschlechtlich gesellt sich einfach besser würde
ich sagen. Das ist schon wichtig und auch mit einem gewissen Alter. Ich meine, die ganz
Kleinen, die Kinder 10, 12 Jahre, die brauchen ganz viel Zuwendung und ich glaube,
die können noch nicht so ganz genau zwischen Nähe und Distanz unterscheiden. Die
Lehrlinge ab 16, die aber schon. Da ist dann wieder ganz anders Nähe und Distanz“ (P
2, Z. 107-113).

„Die verschiedenen Alterskategorisierungen würd ich jetzt mal sagen. Die jüngeren
Kinder vielleicht bis zehn oder zwölf, die haben noch mehr von diesem Kind in sich, das
was auch diese natürlichen Veranlagungen hat, einfach diese Nähe zu suchen und ein-
fach Schutz zu suchen, Geborgenheit zu suchen. Natürlich, wenn sie dann älter werden,
in der Pubertät und ähnliches, da ist auch ein klarer Fall. Diese Abnabelung, da wird
dann wieder mehr Distanz aufgebaut, weil ja dann jeder irgendwann erwachsen wird
und seinen eigenen Weg geht. Wo einfach die Distanz wächst, aber auch natürlich
ist“ (P 4, Z. 193-200).

Anhand dieser Ausschnitte wird deutlich, dass sowohl das Alter als auch das Geschlecht
der Jugendlichen einen Einfluss auf die Beziehungsarbeit in der Fremdunterbringung
haben und zudem wurde in einem Interview erwähnt, dass sich diese unter anderem
auch auf die Gruppendynamik innerhalb der Wohngruppe auswirken. Auch die Persön-
lichkeitseigenschaften der Jugendlichen haben einen Einfluss auf die Beziehungsarbeit
in der Fremdunterbringung, da diese zumeist auch individuelle Ziele verfolgen und zum
Teil andere Vorstellungen haben als die PädgogInnen.
111 | S e i t e
3.4.3. Faktoren betreffend der PädagogInnen
 Persönlichkeitseigenschaften
 Alter und Geschlecht der PädagogInnen
 Berufserfahrung
 Abgrenzung und (Selbst-) Reflexion
 Belastbarkeit
 Rollenerwartungen

Auf die Frage, was für die Jugendlichen einen guten PädagogIn ausmacht, wurden vor
allem die Persönlichkeitseigenschaften genannt, also dass diese beispielsweise nett und
freundlich sein sollen.

„Das ist einfach die Persönlichkeit von jedem, der hier herinnen arbeitet. Jeder bringt
da eine andere Persönlichkeit herein und jeder ist anders. Und das kommt dann immer
darauf an, wie ein Mensch auf diese Person reagiert“ (J 3, Z. 55-58).

„Freundlich sein. Er soll freundlich sein und ja. Nett, also halt nett und auch Kinder
verstehen und das ist so. Nicht nerven oder so“ (J 5, Z. 74-75).

„Wenn man ihm vertrauen kann. Wenn man mit ihm Spaß haben kann. Aber nicht, dass
er zum Beispiel zu lässig ist und dass er zum Beispiel alles durchgehen lässt und die
Kinder keinen Respekt haben vor ihm. Und dass er auch weiß, was er macht als Betreu-
er“ (J 6, Z. 98-101).

Hier wird ersichtlich, dass die Persönlichkeit der PädagogInnen für die Jugendlichen
eine zentrale Rolle spielt. Den Jugendlichen ist wichtig, dass ihre BetreuerInnen nett
und freundlich sind und dass sie ihnen auch vertrauen können und gute Gespräche mög-
lich sind. Die Jugendlichen fordern aber auch Regeln und Strukturen ein, um ein friedli-
ches Miteinander zu ermöglichen. Auch das Alter sowie das Geschlecht und die Berufs-
erfahrung werden von den Jugendlichen als Einflussfaktoren genannt.

„Weil die jüngere Generation glaube ich besser zusammenkommt als Ältere mit jünge-
ren Leuten. Und vor allem hängt es auch damit zusammen, ob die schon Kinder haben,
Erfahrung. Das hängt alles mit zusammen“ (J 3, Z. 74-76).

Der Jugendliche spricht hier an, dass er der Meinung ist, dass jüngere PädagogInnen
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besser mit den Jugendlichen zusammenkommen als die älteren BetreuerInnen, wobei er
auch sagt, dass dies auch abhängig ist, ob diese selbst schon Kinder haben und wieviel
Erfahrung sie in der Kindererziehung haben. Anzumerken ist aber, dass die Wahrschein-
lichkeit höher ist, dass ältere PädagogInnen bereits selber Kinder haben.

„Ja das schon. Das liegt einfach in der Natur, weil Jüngere halt in der Zeit aufgewach-
sen sind, wo wir jetzt auch aufwachsen und die Älteren sind halt ein paar Generationen
weiter zurück und sind nicht mehr so aufgewachsen. Die sind mit den Medien, also mit
den neuen, Konsolen oder so einfach nicht so vertraut“ (J 1, Z. 71-74).

„I: So das Geschlecht oder so, spielt das für dich auch eine Rolle? Gehst du lieber zu
einem männlichen Betreuer als wie zu einer weiblichen Betreuerin?
B: Zu einer weiblichen Betreuerin.
I: Also gehst du lieber zu einer weiblichen Betreuerin?
B: Ja“ (J 7, Z. 71-75).

Ein Bursche erwähnt im Interview, dass er lieber zu einer weiblichen Betreuerin geht,
wenn es ihm beispielsweise nicht gut geht oder er einfach jemanden zum Reden
braucht. Für die Jugendlichen spielt auch das Alter eine Rolle, da sich die jüngeren Pä-
dagogInnen beispielsweise meistens besser mit den Neuen Medien auskennen. Ein Jun-
ge sagt, dass er sich besser mit den älteren BetreuerInnen versteht, da diese seiner Mei-
nung nach häufig gelassener reagieren in gewissen Situationen.

Die PädagogInnen beschreiben zudem, dass ein gut funktionierendes Team, also sozu-
sagen Einheitlichkeit des gesamten Teams von primärer Bedeutung ist und sich auch auf
die Arbeit innerhalb der Wohngruppe maßgeblich auswirkt. Durch regelmäßige Super-
visionen werden zudem in regelmäßigen Abständen die Arbeit des Teams reflektiert,
Lob und Anerkennung für geleistete Arbeit nochmals ausgesprochen sowie Problemati-
ken des Arbeitsalltages aufgearbeitet. Dies sorgt zusätzlich für ein positives Arbeitskli-
ma.

„Da spielt speziell ein gut funktionierendes Team, das auf sich gut miteinander abge-
stimmt ist, offen und ehrlich miteinander umgeht und sich Supervisionen leistet und die
Problematiken oder auch mal Lob weitergibt, dass ist eines der Grundvoraussetzungen,
dass das im positiven Sinn funktioniert“ (P 5, Z. 168-172).

113 | S e i t e
Hinzu kommt auch, dass die PädagogInnen sehr belastbar sein müssen, weshalb auch
die persönliche Abgrenzung von enormer Wichtigkeit ist. Die persönliche Abgrenzung
sowie die (Selbst-) Reflexion werden in den Interviews der PädagogInnen auch immer
wieder betont. In den Wohngruppen der Institution finden auch regelmäßige Supervisio-
nen statt, welche die Möglichkeiten bieten, die Arbeit innerhalb des Teams zu reflektie-
ren. Zudem besteht auch die Möglichkeit, bei Bedarf Einzelsupervisionen in Anspruch
zu nehmen.

„Ja, ich mein für uns Pädagogen ist es extrem wichtig, dass wir extrem belastbar sind
und ich denk mir immer, derjenige, der die Arbeit als Pädagoge macht, hat sich bewusst
dafür entschieden und ich glaube, der kann schon zwischen Nähe und Distanz unter-
scheiden“ (P 2, Z. 119-122).

„Ja da kommt e immer darauf an, wie bereit man ist von sich aus. Wie bereit man ist
und wieviel man bereit ist zu geben von sich selber und zu zeigen von sich selber. Das
wiederrum erfordert natürlich eine große, wie soll man sagen, Selbstreflexion. Man
muss einfach wissen, wer man ist und um was es in einem Leben, in einem persönlichen
Leben einfach geht, damit man einfach sagen kann: „Das bin ich und dazu stehe ich
und das kann ich einfach vertreten“ (P 4, Z. 158-163).

„Selber wahrnehmen, was geschieht gerade mit mir. Was reflektiere ich oder was ist
mein Anteil. Auch wir haben alle Schicksale und ich bin überzeugt, dass das Schicksal
der Jugendlichen treffen, das hat Priorität bei uns. Und da ist es sehr wichtig, sich
selbst optimal zu kennen, um da nicht in so eine Übertragungsgeschichte zu fallen“ (P
3, Z. 127-131).

Einerseits wird anhand dieser beiden Interviewausschnitte deutlich, dass es darum geht,
wie viel jemand bereit ist von sich zu geben und demnach sozusagen auch auf das Sich-
Einlassen einer Beziehung mit den Jugendlichen. Andererseits ist es aber auch wichtig,
empathisch und authentisch den Jugendlichen gegenüberzutreten. Im zweiten Interview
wird auch betont, dass wir alle Schicksale haben, welche sich auch auf die Arbeit mit
den Jugendlichen auswirken. Hinzu kommen auch die verschiedenen Rollenzuschrei-
bungen, welche die PädagogInnen in ihrer praktischen Tätigkeit und demnach in der
Beziehungsarbeit mit den Jugendlichen einnehmen. Anzumerken ist, dass bei den Rol-
lenzuschreibungen aber auch das Alter mitspielt, was folgendes Zitat verdeutlicht:
114 | S e i t e
„Ältere Mitarbeiter haben viel mehr Muttercharakter oder Vatercharakter. Manche viel-
leicht auch Großvater- oder Großmuttercharakter. Einfach die Rollenzuschreibungen,
die von Haus aus schon mit viel Vertrauen und Nähe zusammenhängen. Und bei mir als
jüngeren Mitarbeiter, sage ich jetzt mal, ist es noch nicht so ausgeprägt“ (P 4, Z. 173-
177).

3.4.4. Weitere Einflussfaktoren


 Struktur und Einheitlichkeit innerhalb des Teams
 Gelegenheit, eine Beziehung einzugehen
 Freundeskreis/Peergroup der Jugendlichen
 Andere Personen im Umfeld der Jugendlichen
 Elternarbeit
 Qualität der Institution

Ein Jugendlicher erwähnt auch den Faktor, dass die Gelegenheit, eine Beziehung einzu-
gehen ebenfalls eine Rolle spielt. Er meint diesbezüglich:

„Also das ist, wenn man eine Person oft sieht, dann mag man die Person einfach mehr.
Das ist einfach von Grund auf so, da kann man selber nichts dran tun“ (J 3, Z. 90-92).

Deutlich wird anhand dieses Ausschnittes, dass je öfters beispielsweise eine Person im
Dienst ist, auch eine andere Beziehung aufgebaut wird. Demnach hat das Schicht-
dienstmodell ebenfalls einen Einfluss auf die Beziehungsarbeit mit fremduntergebrach-
ten Jugendlichen. Zudem wird auch die Erziehung angesprochen.

„Die Erziehung. Also jeder erzieht anders. Und das ist glaube ich für die Leute in der
WG auch nicht so einfach, wenn dann 5 Leute sind und jeder seine eigene Art hat und
dann erzieht. Das ist glaube ich nicht so einfach“ (J 3, Z. 79-81).

Daraus lässt sich schließen, dass die Struktur und Einheitlichkeit von enormer Wichtig-
keit sind, wenn es um die Arbeit mit den Jugendlichen geht und diese die Beziehungsar-
beit maßgeblich steuern und beeinflussen. Als weitere Einflussfaktoren auf das Nähe-
Distanz-Verhältnis werden einerseits die Peergroup und andererseits auch andere Perso-
nen genannt, letztere sowohl von den PädagogInnen als auch von den Jugendlichen.
Nachfolgende Beispiele sollen dies veranschaulichen.

115 | S e i t e
„Wenn ich jetzt zum Beispiel mit falschen Freunden herumgehe zum Beispiel. Wie ich
das früher gehabt habe, so wie ich mit falschen Freunden gekommen bin und da waren
die Betreuer auch nicht so cool, weil ich mich auch aufgeführt habe, wenn ich mit fal-
schen Freunden unterwegs bin“ (J 6, Z. 122-125).

„Ja auch andere Bezugspersonen können das beeinflussen. Zum Beispiel wenn die El-
tern gegen die WG arbeiten oder auch externe Personen, die die Jugendlichen so ken-
nen, gegen die Beziehung arbeiten“ (P 2, Z. 143-145).

Zusätzlich zu anderen wichtigen Bezugspersonen spielt auch die Elternarbeit eine zent-
rale Rolle im pädagogischen Setting.

„Ein großes Thema ist da sicher einmal Elternarbeit beziehungsweise Elternteile oder
wichtige Bezugspersonen. Dass die Kinder sehen, dass wir mit denen zusammenarbei-
ten, in eine gemeinsame Richtung gehen, weil das ermöglicht den Kindern dann auch,
Ja zu einer Beziehung zu uns zu sagen. Weil es gibt Situationen, wo die Eltern sich dann
sehr negativ auf das auswirken und wo eine Art Opposition steht, wo die Kinder sich
dann entscheiden müssen, halte ich jetzt eher zu die Eltern oder die Betreuer. Das ist oft
auch so ein, das erschwert das Ganze. Das ist ein Faktor, der das unheimlich erschwert,
weil es einfach gegen die Beziehungsarbeit ist (P 4, Z. 148-156).

Ein Pädagoge spricht hier unter anderem auch eine Herausforderung in Bezug auf die
Arbeit innerhalb der Wohngruppe an, da die Elternarbeit bzw. die Eltern einen wesentli-
chen Einfluss auf die Beziehungsarbeit mit den Jugendlichen haben, wobei wie in den
vorangegangenen Ausschnitten auch auf andere Bezugspersonen sowie die Peergroup
als Einflussfaktor hingewiesen wird. Wenn die Jugendlichen sozusagen die „Erlaub-
nis“ von den Eltern bekommen, sich auf eine Beziehung mit den PädagogInnen einzu-
lassen, wird die Arbeit innerhalb der Wohngruppe meist erleichtert. Anzumerken ist
auch, dass es sich in der Fremdunterbringung auch immer um eine zeitlich begrenzte
Form von Beziehung handelt und die PädagogInnen um eine konstruktive Zusammen-
arbeit mit den Eltern bemüht sind und dabei das Wohl der Kinder und Jugendlichen als
gemeinsames Ziel im Mittelpunkt der Arbeit steht.

Zudem wurde auch die Qualität der Institution als Einflussfaktor erwähnt sowie die
Ausbildung der PädagogInnen.

116 | S e i t e
„Also ich finde generell, dass die Erzieher- oder Pädagogenausbildung nicht immer
dem Anspruch in den Jugend-WGs gerecht wird. Mir fehlt bei sehr vielen Persönlichkei-
ten die Selbstreflexion. Und die gewisse Selbstdistanziertheit, die finde ich nötig ist, um
sich sozusagen von den Bedürfnissen seiner Person zu lösen. Damit man frei ist für die
Bedürfnisse des vis-a-vis“ (P 3, Z. 116-121).

Auch hier wird wieder Bezug auf die (Selbst-) Reflexion sowie die persönliche Abgren-
zung genommen, welche während der Interviews mit den PädagogInnen immer wieder
angesprochen wird. Erwähnt wird auch, dass eine firmeninterne Fortbildung zum The-
ma „Neue Autorität in der Sozialpädagogik“ stattgefunden hat. Dieser systemische An-
satz geht auf den Klinischen Psychologen Haim Omer zurück, welcher sich seit Mitte
der 80er-Jahre damit beschäftigte, wie ein Umdenken in der Erziehungs- und Bera-
tungsarbeit gelingen kann. Grundsätzlich geht es darum, dass Macht und Kontrolle er-
setzt werden durch Präsenz, Beharrlichkeit und Standhaftigkeit der PädagogInnen (vgl.
Omer/Schlippe 2015, S. 23ff.).

Angesprochen wird auch die Partizipation innerhalb der Wohngruppe, beispielsweise in


Bezug darauf, ob das Team mitentscheiden kann, wenn es um die Einstellung neuer Pä-
dagogInnen geht. Angesprochen wird auch, dass eine gute Kommunikationsbasis inner-
halb der Institution die Arbeit in den Wohngruppen positiv beeinflusst.

3.5. Herausforderungen im Umgang mit Nähe und Distanz


Anhand der Interviews mit den PädagogInnen und den Jugendlichen geht hervor, dass
die Faktoren, welche zuvor genannt wurden, teilweise auch als Herausforderungen in
der Beziehungsarbeit gesehen werden. Bei den Jugendlichen wurden vor allem die Per-
sönlichkeitseigenschaften der BetreuerInnen als Herausforderung genannt. Die Pädago-
gInnen weisen immer wieder auf die (Selbst-) Reflexion hin, welche während der ge-
samten Interviews des Öfteren betont wurde, gleichzeitig aber auch als eine enorme
Herausforderung beschrieben wird.

3.5.1. Herausforderungen innerhalb der Wohngruppe


Grundsätzlich wird anhand dieser Frage deutlich, dass einige zuvor erwähnte Einfluss-
faktoren auch gleichzeitig als Herausforderungen gesehen werden im pädagogischen
Alltag. Einerseits werden als Herausforderung die Persönlichkeitseigenschaften der Ju-
117 | S e i t e
gendlichen sowie die der PädagogInnen genannt. Von einem Burschen wurde auch er-
wähnt, dass die Einhaltung von Regeln und die Strenge von BetreuerInnen eine Heraus-
forderung darstellt, wobei dies auch auf die Persönlichkeit zurückzuführen ist.

„Ja, wenn mich ein Betreuer zum Beispiel nicht gut versteht und der sucht immer die
Nähe, weißt du wie ich meine, zwischen Kind und ihm eine Beziehung aufzubauen, da-
mit das Verhältnis ein wenig besser ist und ein Kind will das nicht, dann gibt es sicher
Auseinandersetzungen“ (J 6, Z. 135-138).

Auch hier wird die Persönlichkeit der PädagogInnen angesprochen. Für die Kinder und
Jugendlichen ist es wichtig, dass eine grundlegende Vertrauensbasis zwischen ihnen und
den BetreuerInnen besteht, um Auseinandersetzungen und Differenzen vorzubeugen.
Seitens der PädagogInnen wird bei dieser Frage erneut die (Selbst-) Reflexion betont,
welche enorm wichtig ist, aber auch gleichzeitig eine der größten Herausforderungen
darstellt.

„Naja, einfach die Selbstreflexion ist einfach ganz wichtig. Ich glaube, dass ist die
größte Herausforderung“ (P 1, Z. 148-149).

Zudem wird auch die Vorgeschichte der Jugendlichen, welche auch als Einflussfaktor in
der Beziehungsarbeit genannt wurde, als Herausforderung gesehen. Hinzu kommt auch
das Phänomen der Übertragung und Gegenübertragung, welche ebenfalls als Herausfor-
derung genannt wird. Schmid (2012) schreibt diesbezüglich, dass die Übertragung in
pädagogischen Beziehungen umso stärker wirkt, je konfliktreicher und belasteter das
bisherige Leben der Jugendlichen verlaufen ist. Zudem ist das Übertragungsphänomen
in Beziehungen abhängig von spezifischen Rahmenbedingungen und Arbeitsweisen im
pädagogischen Setting (vgl. Schmid 2012, S. 50ff.). Dörr und Müller (2012) gehen da-
von aus, dass sich vor allem bei „schwierigen“ Kindern und Jugendlichen der Bezie-
hungsaufbau unter Rücksichtnahme der inneren Realität der Zöglinge oft als schwierig
gestaltet und die PädagogInnen sich häufig in mühsam aushaltende und schwer zu ent-
ziffernde Übertragungs- und Gegenübertragungs-Dynamiken verstricken. Die innere
Realität wird somit als Wirkungshintergrund der Übertragung gesehen (vgl. Dörr/Müller
2012, S. 20).

Auch die zeitliche Begrenzung könnte in diesem Sinne eine Herausforderung darstellen,
wie folgendes Zitat zeigt:
118 | S e i t e
„Weil ich glaube, die Jugendlichen sehen die WG als eine Umgangsphase und bedenken
das gar nicht, dass sie vielleicht viele Monate, Jahre in einer WG verbringen werden
und sehen das oder nehmen das gar nicht wahr“ (P 2, Z. 157-159).

Da die Jugendlichen auch teilweise der Meinung sind, dass ihr Aufenthalt beispielswei-
se in einer Wohngruppe nur von kurzer Dauer sein wird, halten diese automatisch eine
Distanz aufrecht, welche es schwer macht, eine Beziehung zu diesen Jugendlichen auf-
zubauen, wobei es auch darauf zurückzuführen sein könnte, dass viele Fremdunterbrin-
gungen seitens der Jugendlichen nicht freiwillig erfolgen und demnach sozusagen die
Zöglinge von einer Art Zwangsbeziehung ausgehen. Demnach ist vor allem auch die
Bereitschaft der Jugendlichen wichtig, sich auf eine Beziehung auf Zeit mit den Päda-
gogInnen einzulassen, damit Beziehungsarbeit in der Fremdunterbringung gelingen
kann.

3.5.2. Umgang mit Herausforderungen sowie Abgrenzung von Berufs- und Privatle-
ben
Auf die Frage, wie die Jugendlichen mit den Herausforderungen in Bezug auf das Nähe-
Distanz-Verhältnis innerhalb der Wohngruppe umgehen, wurden Gespräche und Rück-
zugsorte genannt, wobei einige Jugendliche in den Interviews auch sagten, dass es keine
Probleme in Bezug auf die Nähe und Distanz zwischen ihnen und den PädagogInnen
gibt. Andere wiederrum geben in Interviews an, dass bei auftretenden Problemen Ge-
spräche gesucht werden, um beispielsweise Meinungsverschiedenheiten oder Streitig-
keiten durch Gespräche zu bereinigen. Andere wiederrum ziehen sich zurück, wenn es
innerhalb der Wohngruppe zu Problemen kommt.

Im Umgang mit Herausforderungen äußern die PädagogInnen, dass sie sich einerseits
distanzieren und demnach auch hier wieder die persönliche Abgrenzung eine zentrale
Rolle einnimmt. Innerhalb des Teams finden zudem regelmäßige Supervisionen statt
und auch die interkollegialen Gespräche sowie die wöchentlichen Teamsitzungen wer-
den von den PädagogInnen als sehr wichtige Ressource im Umgang mit Herausforde-
rungen gesehen. Auch Spaziergänge in der Natur, tägliche Rituale, aber auch die Musik,
Fußball oder andere Vereinstätigkeiten werden als Ausgleich zum Berufsalltag gesehen.
Diesbezüglich wurde in den Interviews mit den PädagogInnen auch geäußert, dass die
Abgrenzung zwischen Berufs- und Privatleben grundsätzlich sehr gut funktioniert, wo-
119 | S e i t e
bei es immer wieder Situationen gibt, in welchen es schwer fällt, sich abzugrenzen und
zu distanzieren, beispielsweise in Krisensituationen. Oder ein anderes Beispiel hierfür
wäre, wenn die PädagogInnen in der Freizeit den Jugendlichen in der Stadt begegnen
und sehen, dass etwas nicht in Ordnung ist, dann werden sie sich wahrscheinlich auch in
ihrer Freizeit den Jugendlichen widmen. Eine PädagogIn sagt im Interview auch, dass
dies ihrer Meinung nach auch daran liegt, dass die Jugendlichen ihr einfach am Herzen
liegen und ihr deshalb die Abgrenzung zwischen Berufs- und Privatleben teilweise
schwer fällt.

„Im Team sind wir uns alle einig, dass es ganz wichtig ist, den Kindern zu zeigen, dass
wir sie sehr gerne haben, um einfach auch ihre Persönlichkeit fördern zu können und
das positiv einfach zu ummanteln. Dass wir ihnen einfach die schönsten Voraussetzun-
gen mitgeben können, die sie brauchen. Und dass es wichtig ist, da zu sein, aber auch
Stopp zu sagen, wenn etwas nicht passt“ (P 4, Z. 300-304).

Aufgrund persönlicher Berufserfahrung kann ich dem nur zustimmen, dass die Abgren-
zung in bestimmten Situationen wahrscheinlich deshalb schwer fällt, weil auch wenn
die Beziehung zu den Jugendlichen zeitlich begrenzt ist, diese einem dennoch am Her-
zen liegen und wir PädagogInnen somit auch um das Wohlergehen der uns anvertrauten
Jugendlichen bemüht sind. Wichtig ist aber auch, dies den Jugendlichen zu sagen und
auch zu zeigen, dass sie uns als Person sehr wichtig sind und wir sie sehr gerne haben.
Dennoch spielt die persönliche Abgrenzung eine zentrale Rolle, welche es zudem er-
möglicht, in der Arbeit professionell handeln zu können und auch handlungsfähig zu
bleiben.

3.6. Interne Reflexionsmöglichkeiten und Diskussionsthemen


Wie bereits erwähnt, werden interkollegiale Gespräche, wöchentliche Teamsitzungen
sowie regelmäßige Supervisionen als wichtige Ressource im beruflichen Setting gese-
hen. Auch MitarbeiterInnengespräche sowie Klausuren bieten Raum zur Reflexion und
Diskussion in Bezug auf die Beziehungsarbeit mit fremduntergebrachten Jugendlichen.
Zudem finden auch regelmäßig Fortbildungen statt, beispielsweise „Die Neue Autorität
in der Sozialpädagogik“ nach Haim Omer. Dieser Ansatz fließt auch in die tägliche,
pädagogische Arbeit der Institution ein. Dabei handelt es sich um einen systemischen
Ansatz, welcher ein Umdenken in der Erziehungs- und Beratungsarbeit bewirkte. Erzie-
120 | S e i t e
hungsmethoden, wie beispielsweise Kontrolle, Bestrafung oder Distanz werden ersetzt
durch die Präsenz, Beharrlichkeit sowie Standhaftigkeit und Selbstkontrolle der Päda-
gogInnen. Es geht sozusagen um Stärke statt Macht in der Arbeit mit Kindern und Ju-
gendlichen in diversen pädagogischen Settings und beruht auf den sieben Säulen der
Neuen Autorität (Omer/Schlippe 2015, S. 23ff.).

3.7. Zusammenfassung der Ergebnisse und Diskussion


Zusammenfassend kann ich sagen, dass sich die erhobenen Ergebnisse größtenteils mit
der bestehenden Literatur decken. Nachfolgend werden die Erkenntnisse aus der empiri-
schen Erhebung gemeinsam mit der vorangegangenen Theorie anhand der Forschungs-
fragen verknüpft und diskutiert. Um einen besseren Überblick zu schaffen, erscheint es
für mich sinnvoll, die Fragen nacheinander zu beantworten.

Was heißt Nähe und Distanz in der Beziehungsarbeit mit fremduntergebrachten Ju-
gendlichen?
Aus der Literatur wird ersichtlich, dass das Phänomen von Nähe und Distanz in unter-
schiedlichen Bereichen eine zentrale Rolle spielt. Dabei geht es aber nicht um die Nähe
und Distanz an sich, sondern zum einen um Prozesse der Annäherung und andererseits
um Distanzierungsvorgänge, welche aber immer einen Einfluss auf die Interaktionspro-
zesse zwischen den Menschen haben und diese auch maßgeblich steuern. Zudem wird
dieses Phänomen beeinflusst durch Raum, Zeit und soziale Beziehungen, weshalb Nähe
und Distanz diesbezüglich interpretiert, konstruiert aber auch verändert werden können
(vgl. Dörr/Müller 2012, S. 12). Aus den Interviews mit den PädagogInnen und den Ju-
gendlichen geht hervor, dass der Beziehungsaufbau sowie eine grundlegende Vertrau-
ensbasis Voraussetzung für eine gelingende, wenn auch zeitlich begrenzte Bindungsbe-
ziehung zwischen den PädagogInnen und den Jugendlichen sind. Es handelt sich dabei
um eine Begegnung zweier Persönlichkeiten, welche sowohl auf die Nähe, beispiels-
weise in Form von Umarmungen als auch auf die Distanz sowie persönliche Abgren-
zung angewiesen ist. In diesem Zusammenhang spielen auch Geduld, Präsenz und Em-
pathie seitens der PädagogInnen eine Rolle, da Beziehungen nicht einfach so entstehen.
Das Vertrauen zwischen den Jugendlichen und den PädagogInnen muss zunächst erar-
beitet werden, beispielsweise durch Gespräche oder gemeinsame Aktivitäten. Anzumer-
ken ist jedoch, dass die Gestaltung pädagogischer Beziehungen viel Zeit in Anspruch
121 | S e i t e
nimmt, in welche investiert werden soll und muss. Die Beziehungsarbeit stellt demnach
ein wichtiges Qualitätsmerkmal für Einrichtungen dar (vgl. Küchenhoff 2009, S. 4).
Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch, dass die PädagogInnen meist den aktiven
Part in der Beziehungsarbeit mit fremduntergebrachten Jugendlichen einnehmen. Mit
dem Begriff Distanz werden häufig die persönliche Abgrenzung sowie die Selbstdistan-
ziertheit in Verbindung gebracht, welche für die PädagogInnen essentiell sind, aber zu-
gleich eine der größten Herausforderungen darstellen. Die Jugendlichen assoziieren mit
dem Begriff Distanz meist eine räumliche Trennung, beispielsweise in Bezug auf das
Herkunftssystem. Aber auch Rückzugsorte werden mit dem Begriff Distanz in Verbin-
dung gebracht. Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass sowohl Nähe als auch
Distanz eine zentrale Rolle in der Beziehungsarbeit mit fremduntergebrachten Jugendli-
chen einnehmen, wobei es wichtig ist, die richtige Balance zu finden.

Welche Faktoren beeinflussen das Nähe-Distanz-Verhältnis in der Beziehungsarbeit


mit Jugendlichen?
Im Laufe dieser Arbeit wurde immer wieder auf die Wichtigkeit des Beziehungsaufbaus
sowie einer grundlegenden Vertrauensbasis zwischen den PädagogInnen und den Ju-
gendlichen hingewiesen, welche einen maßgeblichen Einfluss auf die Beziehungsgestal-
tung in pädagogischen Settings haben (vgl. Klika 2013, S. 42). Bereits im theoretischen
Teil der Arbeit wurden Einflussfaktoren seitens des Herkunftssystems, beispielweise der
familiäre Kontext, seitens der Kinder und Jugendlichen wie etwa das Alter und das Ge-
schlecht, Faktoren seitens der PädagogInnen, zum Beispiel die Balance von Nähe und
Distanz sowie weitere Einflussfaktoren, etwa rahmenorganisatorische Faktoren wie das
Schichtdienstmodell, näher erläutert, welche sich auf die Beziehungsarbeit mit den
fremduntergebrachten Jugendlichen auswirken. Für die interviewten Jugendlichen spie-
len vor allem die Persönlichkeitseigenschaften der PädagogInnen eine primäre Rolle.
Wichtig sind den Jugendlichen aber auch Vertrauen sowie die Einhaltung von Regeln
und Strukturen. Seitens der Jugendlichen wurden auch das Alter sowie Geschlecht der
PädagogInnen als mögliche Einflussfaktoren genannt. Seitens der PädagogInnen wurde
der familiäre Hintergrund genannt. Dieser Begriff ist zwar sehr weit gefasst, aber grund-
sätzlich werden damit sowohl die familiären Prädispositionen als auch die Umgebung,
in welcher die Jugendlichen aufwachsen und vor allem wie diese dort aufwachsen zu-

122 | S e i t e
sammengefasst. In den Interviews mit den PädagogInnen wurde auch erwähnt, dass die
Jugendlichen in der Fremdunterbringung nicht selten durch ihre Vorgeschichte traumati-
siert sind und teilweise bereits mehrfache Beziehungsabbrüche hinter sich haben, was
die Beziehungsarbeit im pädagogischen Setting zusätzlich erschwert. Auch die natürli-
chen sowie genetischen Veranlagungen wurden genannt, beispielsweise, die die Jugend-
lichen mit Konflikten umgehen. Betreffend der Jugendlichen werden aber auch Fakto-
ren wie beispielsweise das Alter, Geschlecht sowie Persönlichkeitseigenschaften ge-
nannt. Zudem wurde auch die persönliche Abgrenzung als Einflussfaktor genannt, wel-
cher essentiell für die pädagogische Arbeit ist, gleichzeitig aber auch eine der größten
Herausforderungen für die PädagogInnen darstellt. In Bezug auf mögliche Einflussfak-
toren PädagogInnen betreffend wurden aber auch die Berufserfahrung, das Alter und
Geschlecht, die Rollenerwartungen sowie die Belastbarkeit genannt. Als weitere Ein-
flussfaktoren wurden die Struktur und Einheitlichkeit des Teams, die Peergroup und
weitere Personen im Umfeld des Jugendlichen, die Elternarbeit sowie die Qualität der
Institution genannt. Zusammenfassend kann demnach gesagt werden, dass eine Vielzahl
an Faktoren das Nähe-Distanz-Verhältnis zwischen PädagogInnen und Jugendlichen
beeinflussen kann.

Wie gehen PädagogInnen in ihrer praktischen Tätigkeit am Beispiel sozialpädagogi-


scher Wohngemeinschaften mit Nähe und Distanz in der Beziehungsarbeit mit Ju-
gendlichen um?
Zu Beginn kann festgehalten werden, dass das Phänomen von Nähe und Distanz in der
Sozialen Arbeit häufig als prekär gesehen wird, da die Jugendlichen zwar zum einen auf
die PädagogInnen angewiesen sind, zugleich aber auch durch sie gefährdet sein können,
da je nach Haltung der PädagogInnen gegenüber den ihnen anvertrauten Jugendlichen
ein Machtgefühl entstehen kann, welches zu Unsicherheit, Einengung und Unterdrü-
ckung führen kann. Die pädagogische Haltung spielt demnach in Bezug auf das Nähe-
Distanz-Verhältnis eine zentrale Rolle. Wichtig ist deshalb, die richtige Balance zwi-
schen Nähe und Distanz zu finden, was eine schwer zu bewältigende Herausforderung
im pädagogischen Alltag darstellt (vgl. Thiersch 2012, S. 37ff.). Aus den Interviews mit
den PädagogInnen und den Jugendlichen geht aber hervor, dass es innerhalb der Wohn-
gruppen grundsätzlich eine ausgeglichene Balance des Nähe-Distanz-Verhältnis gege-
ben ist. Es gibt aber auch Situationen, wo es den PädagogInnen schwer fällt, die Distanz
123 | S e i t e
zu den Jugendlichen zu wahren, beispielsweise vor allem in Krisensituationen sowie
spontanen Beziehungsabbrüchen seitens der Jugendlichen. Seitens der PädagogInnen
wurden auch immer wieder die persönliche Abgrenzung und die Selbstdistanziertheit
betont. Eine professionelle Arbeitsbeziehung ist gekennzeichnet durch eine reflexive
Haltung seitens der PädagogInnen. Gemeint wird damit, dass sich die PädagogInnen in
ihrer praktischen Tätigkeit selbst in Frage stellen und sich auch in Frage stellen zu las-
sen von den Jugendlichen (vgl. Schleiffer 2014, S. 267f.). Hinzu kommt auch die per-
sönliche Abgrenzung, welche eine zentrale Rolle in der Beziehungsarbeit mit fremdun-
tergebrachten Jugendlichen einnimmt. Diese wird auch als Work-Life-Balance bezeich-
net. Darunter wird die Vereinbarkeit zwischen Berufs- und Privatleben verstanden, was
bedeutet, dass die individuelle Gestaltung der beiden Bereiche je nach Bedarf und Wer-
tevorstellungen erfolgt. Anzumerken ist auch, dass das Berufs- und Privatleben nicht
unabhängig voneinander betrachtet werden kann, da sich diese gegenseitig beeinflussen.
Demnach ist es wichtig, eine Balance zwischen den beiden Bereichen zu finden, welche
sich auch maßgeblich auf die pädagogische Arbeit auswirkt (vgl. Spatz 2014, S. 14ff.).
Aus den Interviews mit den PädagogInnen kann entnommen werden, dass die Abgren-
zung zwischen Berufs- und Privatleben grundsätzlich gelingt, wobei es immer wieder zu
Situationen kommt, wo die Abgrenzung vom Berufsleben schwerer fällt.

Welche Herausforderungen können diesbezüglich entstehen?

In Bezug auf das Nähe-Distanz-Verhältnis in der Beziehungsarbeit mit fremdunterge-


brachten Jugendlichen wurde eine Reihe an Herausforderungen in den Interviews ge-
nannt, wobei diese meist in Zusammenhang mit den möglichen Einflussfaktoren stehen.
So wurden in den Interviews mit den Jugendlichen die Persönlichkeitseigenschaften der
BetreuerInnen als Herausforderung genannt, da es die Beziehungsarbeit erschwert,
wenn sich die Jugendlichen beispielsweise mit einem/einer PädagogIn nicht verstehen.
Zudem wird eine grundlegende Vertrauensbasis zwischen PädagogIn und Jugendlichen
genannt, welche für die Jugendlichen wichtig ist und zudem Auseinandersetzungen und
Differenzen vorbeugt, wie ein Jugendlicher sagt. Für die PädagogInnen spielen die
Selbstdistanziertheit und die persönliche Abgrenzung eine zentrale Rolle, da diese es-
sentiell sind und wichtige Ressourcen für die pädagogische Arbeit darstellen, wobei
diese gleichzeitig auch als eine der größten Herausforderungen in der Beziehungsarbeit

124 | S e i t e
mit Jugendlichen gesehen werden. Auch die Vorgeschichte der Jugendlichen wird in
diesem Zusammenhang als Herausforderung erwähnt. Wenn diese beispielsweise unter
chaotischen Lebensbedingungen kein organisiertes Bindungskonzept entwickeln konn-
ten, hat dies Auswirkungen auf die Beziehungsqualität zwischen den PädagogInnen und
den Jugendlichen, da das Verhalten dadurch meist auch unvorhersehbar wird (vgl.
Schleiffer 2014, S. 254). Eine Pädagogin erwähnt im Interview zudem das Phänomen
der Übertragung und Gegenübertragung, welche ihrer Meinung nach ebenfalls als Her-
ausforderung zu sehen ist. Wichtig dabei ist, dass die Nähe und Distanz sich gegenseitig
beeinflussen und dynamisch miteinander zusammenhängen. Übertragung in pädagogi-
schen Arbeitsbeziehungen ist demnach abhängig von spezifischen Rahmenbedingungen
und Arbeitsweisen im pädagogischen Setting. Einerseits geht es um spontane Übertra-
gungen, was bedeutet, dass die Beziehungsgestaltung der Individuen auch immer durch
subjektive Erfahrungen aus der Vergangenheit, sozusagen der inneren Realität, beein-
flusst wird (vgl. Schmid 2012, S. 50ff.). Andererseits werden in der Beziehungsarbeit
mit den Jugendlichen die PädagogInnen oftmals in eine mühsam anzuhaltende und
schwer zu entziffernde Übertragungs- und Gegenübertragungs-Dynamik verwickelt
(vgl. Dörr/Müller 2012, S. 20). Auch die Bereitschaft der Jugendlichen, sich auf eine
Beziehung mit den PädagogInnen einzulassen, wird als Herausforderung gesehen, da
dies die Voraussetzung für eine gelingende Beziehungsarbeit in der Fremdunterbringung
darstellt.

Wie werden die damit verbundenen Herausforderungen bewältigt?

Abschließend bleibt noch die Frage zu klären, wie die Herausforderungen, welche in
Bezug auf das Nähe-Distanz-Verhältnis in der Fremdunterbringung genannt wurden,
bewältigt werden. Bei auftretenden Problemen innerhalb der Wohngruppe suchen die
Jugendlichen einerseits Gespräche, in welchem eine gemeinsame Aussprache stattfinden
kann. Andererseits werden aber auch Rückzugsmöglichkeiten gesucht, wenn es den Ju-
gendlichen zu viel wird. Die PädagogInnen äußern in den Interviews, dass sie sich teil-
weise bei Herausforderungen kurzfristig distanzieren, weshalb demnach auch die per-
sönliche Abgrenzung und Selbstdistanziertheit als mögliche Bewältigungsstrategien
gesehen werden. Zudem finden innerhalb der Wohngruppen regelmäßige Supervisionen
statt, aber auch interkollegiale Gespräche sowie die wöchentlichen Teamsitzungen wer-

125 | S e i t e
den als wichtige Ressourcen im Umgang mit auftretenden Herausforderungen gesehen.
Auch MitarbeiterInnengespräche sowie Klausuren werden als Raum zur Reflexion und
Diskussion in Bezug auf die Beziehungsarbeit mit den fremduntergbrachten Jugendli-
chen genutzt. Die PädagogInnen nutzen zudem ihre Freizeit beispielsweise um Spazier-
gänge in der Natur zu machen. Tägliche Rituale, aber auch das musizieren bzw. die Mu-
sik an sich, Fußball oder andere Vereinstätigkeiten werden als Ausgleich zum pädagogi-
schen Alltag gesehen. Das Schichtdienst-Modell bringt demnach auch positive Seiten
mit sich, da dieser den PädagogInnen Möglichkeiten zur Entlastung und Distanzierung
vom pädagogischen Alltag, also der persönlichen Abgrenzung, schafft. Für die einzel-
nen Teammitglieder bedeutet das demnach, dass sie nach einem Dienst verbunden mit
ständigem Beziehungsgeflecht, eine Ruhephase einlegen und nutzen können, um für den
nächsten Dienst wieder neue Kräfte zu tanken. Auch im Sinne der Psychohygiene und
dem psychischen Wohlbefinden der Teammitglieder erscheinen regelmäßige Distanzie-
rungsmöglichkeiten deshalb als sinnvoll (vgl. Freigang/Wolf 2001, S. 77).

126 | S e i t e
4. Resümee
Für mich persönlich bleibt das Nähe-Distanz-Verhältnis in der Arbeit mit fremdunterge-
brachten Jugendlichen ein sehr spannendes Thema und ich habe für mich persönlich
durch die Verfassung dieser Arbeit viele neue Erkenntnisse gewonnen, welche in meiner
praktischen Tätigkeit sehr hilfreich sind.
Wie bereits zu Beginn erwähnt, sind Menschen von Geburt an auf verlässliche Bezugs-
personen angewiesen, um eine sichere Bindungsbeziehung aufbauen zu können (vgl.
Becker-Stoll 2009, S. 166). Die Bindungstheorie beschreibt die frühen Auswirkungen
auf die emotionale Entwicklung eines Individuums in Hinblick auf das Nähe-Distanz-
Verhältnis zwischen den Kindern und ihren Bezugspersonen. Zudem spielen Bindungs-
erfahrungen von der Geburt an bis hin zum Tod eines Menschen eine entscheidende
Rolle und beeinflussen den Lebensverlauf einer Person maßgeblich (vgl. Brisch 2010,
S. 35). Die Tatsache, dass heutzutage bereits mehr als 11.000 Kinder und Jugendliche
außerhalb ihrer Herkunftsfamilien fremduntergebracht sind (vgl. Holz-Dahrenstaedt
2012, S. 9) bestätigt die Wichtigkeit einer gut funktionierenden Beziehungsarbeit in
pädagogischen Settings.
In dieser Arbeit wurden mögliche Einflussfaktoren sowie Herausforderungen in Bezug
auf das Nähe-Distanz-Verhältnis aufgezeigt, welche die Beziehungsarbeit mit fremdun-
tergebrachten Kindern und Jugendlichen maßgeblich steuern und welche die Bezie-
hungsqualität zwischen den PädagogInnen sowie den Kindern und Jugendlichen prägen.
Vor allem für die befragten Jugendlichen spielen die Persönlichkeitseigenschaften der
PädagogInnen eine zentrale Rolle, welche sich maßgeblich auf das Nähe-Distanz-
Verhältnis in der Beziehungsarbeit auswirken. Ihnen ist wichtig, dass ihre BetreuerInnen
nett und freundlich sind und dass sie ihnen auch vertrauen können und gute Gespräche
möglich sind. Die Jugendlichen fordern aber auch Regeln und Strukturen ein, um ein
friedliches Miteinander zu ermöglichen. Auch das Alter sowie das Geschlecht und die
Berufserfahrung wurden von den Jugendlichen als mögliche Einflussfaktoren genannt,
beispielsweise geben einige der befragten Jugendlichen an, besser mit jüngeren Pädago-
gInnen auszukommen. Zudem stellte sich heraus, dass bei Problemen von manchen der
Befragten die weiblichen BetreuerInnen bevorzugt werden. Von einem Jugendlichen
wurde auch erwähnt, dass die Gelegenheit, eine Beziehung einzugehen, also die Er-
reichbarkeit und Präsenz von PädagogInnen das Nähe-Distanz-Verhältnis in der Bezie-

127 | S e i t e
hungsarbeit beeinflusst. Zudem wurde seitens der Jugendlichen auch die Peergroup als
möglicher Einflussfaktor genannt. Auch das Schichtdienstmodell wird von den Jugend-
lichen indirekt in den Interviews angesprochen. Ein Jugendlicher sagt während des In-
terviews, dass es einen Einfluss auf die Beziehungsarbeit hat, wie oft beispielsweise
einE BetreuerIn im Dienst ist.
Seitens der PädagogInnen wurden ebenfalls eine Reihe an Faktoren genannt, welche
ihres Erachtens einen Einfluss auf das Nähe-Distanz-Verhältnis in der Beziehungsarbeit
mit fremduntergebrachten Jugendlichen haben. Seitens des Herkunftssystems wurde der
familiäre Kontext genannt. Dieser Begriff ist zwar sehr weit gefasst, wobei grundsätz-
lich aber sowohl familiäre Prädispositionen, also innerhalb der Familie angelernte Ver-
haltensweisen und den daraus resultierenden internen Arbeitsmodellen (Ainsworth) als
auch die Umgebung, in welcher und vor allem wie die Jugendlichen aufgewachsen sind
sowie deren Erfahrungen mit diesem Begriff zusammengefasst werden können. Erwähnt
wird von den PädagogInnen auch, dass die internen Arbeitsmodelle, welche die Jugend-
lichen im Laufe ihres Lebens entwickeln, nur schwer zu durchbrechen sind. Als mögli-
che Faktoren betreffend der Kinder und Jugendlichen wurden von den PädagogInnen
die Lebensereignisse in der Kindheit sowie Beziehungsabbrüche und dem daraus resul-
tierenden Bindungsmisstrauen gegenüber Erwachsenen genannt. Zudem geht aus den
Interviews mit den befragten PädagogInnen hervor, dass fremduntergebrachte Jugendli-
che meist eine schwere Last auf ihren Schultern tragen müssen, welche nicht selten auch
zu Traumatisierungen führen. Auch das aufgebaute Bindungsmisstrauen spielt in diesem
Zusammenhang eine primäre Rolle, da meiner Meinung nach die Angst vor erneuten
Beziehungsabbrüchen teilweise bei den Jugendlichen sehr ausgeprägt ist. Auch das Al-
ter, das Geschlecht, die Persönlichkeitseigenschaften der Jugendlichen sowie natürliche
und genetische Veranlagungen wurden als mögliche Faktoren genannt, welche sowohl
die Beziehungsarbeit in der Fremdunterbringung als auch die Gruppendynamik im pä-
dagogischen Alltag beeinflussen. Die PädagogInnen beschreiben zudem, dass ein gut
funktionierendes Team, also sozusagen Einheitlichkeit des gesamten Teams von primä-
rer Bedeutung ist. Hinzu kommt auch, dass die PädagogInnen sehr belastbar sein müs-
sen, weshalb auch die persönliche Abgrenzung von enormer Wichtigkeit ist. Die persön-
liche Abgrenzung sowie die (Selbst-) Reflexion werden in den Interviews der Pädago-
gInnen auch immer wieder betont. In den Wohngruppen der Institution finden auch re-

128 | S e i t e
gelmäßige Supervisionen statt, welche die Möglichkeiten bieten, die Arbeit innerhalb
des Teams zu reflektieren. Zudem besteht auch die Möglichkeit, bei Bedarf Einzelsup-
ervisionen in Anspruch zu nehmen. Angesprochen wird auch die Partizipation innerhalb
der Wohngruppe, beispielsweise in Bezug darauf, ob das Team mitentscheiden kann,
wenn es um die Einstellung neuer PädagogInnen geht. Angesprochen wird auch, dass
eine gute Kommunikationsbasis innerhalb der Institution die Arbeit in den Wohngrup-
pen positiv beeinflusst. Wichtig ist den PädagogInnen auch, empathisch und authentisch
den Jugendlichen gegenüberzutreten. Hinzu kommen auch die verschiedenen Rollenzu-
schreibungen, welche die PädagogInnen in ihrer praktischen Tätigkeit und demnach in
der Beziehungsarbeit mit den Jugendlichen einnehmen. Anzumerken ist, dass bei den
Rollenzuschreibungen aber auch das Alter mitspielt, also dass beispielsweise ältere Pä-
dagogInnen eher einen Muttercharakter verkörpern. Zudem wurden auch die Peergroup
sowie weitere wichtige Bezugspersonen aus dem Leben der Jugendlichen als mögliche
Einflussfaktoren genannt. Zusätzlich zu anderen wichtigen Bezugspersonen spielt auch
die Elternarbeit eine zentrale Rolle im pädagogischen Setting. Ein Pädagoge spricht
unter anderem auch eine Herausforderung in Bezug auf die Arbeit innerhalb der Wohn-
gruppe an, da die Elternarbeit bzw. die Eltern einen wesentlichen Einfluss auf die Be-
ziehungsarbeit mit den Jugendlichen haben. Wenn die Jugendlichen sozusagen die „Er-
laubnis“ von den Eltern bekommen, sich auf eine Beziehung mit den PädagogInnen
einzulassen, wird die Arbeit innerhalb der Wohngruppe meist erleichtert. Anzumerken
ist auch, dass es sich in der Fremdunterbringung auch immer um eine zeitlich begrenzte
Form von Beziehung handelt und die PädagogInnen um eine konstruktive Zusammen-
arbeit mit den Eltern bemüht sind und dabei das Wohl der Kinder und Jugendlichen als
gemeinsames Ziel im Mittelpunkt der Arbeit steht. Auch die Qualität der Institution so-
wie die Ausbildungen der PädagogInnen wurden als mögliche Einflussfaktoren genannt.
Erwähnt wurde auch, dass eine firmeninterne Fortbildung zum Thema „Neue Autorität
in der Sozialpädagogik“ stattgefunden hat. Dieser systemische Ansatz geht auf den Kli-
nischen Psychologen Haim Omer zurück, welcher sich seit Mitte der 80er-Jahre damit
beschäftigte, wie ein Umdenken in der Erziehungs- und Beratungsarbeit gelingen kann.
Grundsätzlich geht es darum, dass Macht und Kontrolle ersetzt werden durch Präsenz,
Beharrlichkeit und Standhaftigkeit der PädagogInnen (vgl. Omer/Schlippe 2015, S.
23ff.). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich die Einflussfaktoren,

129 | S e i t e
welche im Laufe der Erhebung mit den Jugendlichen und den PädagogInnen genannt
wurden, sich größtenteils mit denen aus der Theorie decken, wobei der Einfluss der El-
ternarbeit im Theorieteil nicht erwähnt wurde. Meiner Meinung nach nimmt diese aber
einen zentralen Stellenwert in der pädagogischen Arbeit ein, dessen Einfluss nicht un-
terschätzt werden sollte. Ein Pädagoge weist in seinem Interview mehrfach auf die El-
ternarbeit hin. Wenn die Jugendlichen sozusagen die „Erlaubnis“ von den Eltern be-
kommen, sich auf eine Beziehung mit den PädagogInnen einzulassen, hat dies bestimmt
einen positiven Einfluss auf Beziehungsarbeit mit fremduntergebrachten Jugendlichen
im pädagogischen Setting. Anhand der Interviews mit den PädagogInnen und den Ju-
gendlichen geht hervor, dass die Faktoren, welche zuvor genannt wurden, teilweise auch
als Herausforderungen in der Beziehungsarbeit gesehen werden. Bei den Jugendlichen
wurden vor allem die Persönlichkeitseigenschaften der BetreuerInnen als Herausforde-
rung genannt. Eine grundlegende Vertrauensbasis ist für die befragten Jugendlichen von
essentieller Bedeutung in der Beziehungsarbeit. Auf die Frage, wie die Jugendlichen mit
den Herausforderungen in Bezug auf das Nähe-Distanz-Verhältnis innerhalb der Wohn-
gruppe umgehen, wurden Gespräche und Rückzugsorte genannt, wobei einige Jugendli-
che in den Interviews auch sagten, dass es keine Probleme in Bezug auf die Nähe und
Distanz zwischen ihnen und den PädagogInnen gibt.
Die befragten PädagogInnen weisen während der Interviews immer wieder auf die
(Selbst-) Reflexion hin, welche während der gesamten Interviews des Öfteren betont
wurde, gleichzeitig aber auch als eine enorme Herausforderung beschrieben wird. Zu-
dem wird auch die Vorgeschichte der Jugendlichen als Herausforderung gesehen. Hinzu
kommt auch das Phänomen der Übertragung und Gegenübertragung, welche ebenfalls
als Herausforderung genannt wird. Schmid (2012) schreibt diesbezüglich, dass die
Übertragung in pädagogischen Beziehungen umso stärker wirkt, je konfliktreicher und
belasteter das bisherige Leben der Jugendlichen verlaufen ist. Zudem ist das Übertra-
gungsphänomen in Beziehungen abhängig von spezifischen Rahmenbedingungen und
Arbeitsweisen im pädagogischen Setting (vgl. Schmid 2012, S. 50ff.). Dörr und Müller
(2012) gehen davon aus, dass sich vor allem bei „schwierigen“ Kindern und Jugendli-
chen der Beziehungsaufbau unter Rücksichtnahme der inneren Realität der Zöglinge oft
als schwierig gestaltet und die PädagogInnen sich häufig in mühsam aushaltende und
schwer zu entziffernde Übertragungs- und Gegenübertragungs-Dynamiken verstricken.

130 | S e i t e
Die innere Realität wird somit als Wirkungshintergrund der Übertragung gesehen (vgl.
Dörr/Müller 2012, S. 20). Auch die zeitliche Begrenzung könnte in diesem Sinne eine
Herausforderung darstellen, da die Jugendlichen auch teilweise vielleicht der Meinung
sind, dass ihr Aufenthalt beispielsweise in einer Wohngruppe nur begrenzt sein wird,
halten diese automatisch eine Distanz aufrecht, welche es schwer macht, eine Bezie-
hung zu diesen Jugendlichen aufzubauen, wobei es auch darauf zurückzuführen sein
könnte, dass viele Fremdunterbringungen seitens der Jugendlichen nicht freiwillig er-
folgen und demnach sozusagen die Zöglinge von einer Art Zwangsbeziehung ausgehen.
Im Umgang mit Herausforderungen äußerten die PädagogInnen, dass sie sich einerseits
vom beruflichen Alltag distanzieren und demnach auch hier wieder die persönliche Ab-
grenzung eine zentrale Rolle einnimmt. Innerhalb des Teams finden zudem regelmäßige
Supervisionen statt und auch die interkollegialen Gespräche sowie die wöchentlichen
Teamsitzungen werden von den PädagogInnen als sehr wichtige Ressource im Umgang
mit Herausforderungen gesehen. Auch Spaziergänge in der Natur, tägliche Rituale, aber
auch die Musik, Fußball oder andere Vereinstätigkeiten werden als Ausgleich zum Be-
rufsalltag gesehen. Zudem finden auch regelmäßig Fortbildungen statt, beispielsweise
„Die Neue Autorität in der Sozialpädagogik“ nach Haim Omer. Dieser Ansatz fließt
auch in die tägliche, pädagogische Arbeit der Institution ein. Erziehungsmethoden, wie
beispielsweise Kontrolle, Bestrafung oder Distanz werden ersetzt durch die Präsenz,
Beharrlichkeit sowie Standhaftigkeit und Selbstkontrolle der PädagogInnen. Es geht
sozusagen um Stärke statt Macht in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in diver-
sen pädagogischen Settings und beruht auf den sieben Säulen der Neuen Autorität (O-
mer/Schlippe 2015, S. 23ff.). Vor allem die Familienbrettaufstellungen mit den Jugend-
lichen waren für mich sehr aufschlussreich. Ich kam dadurch zu der Erkenntnis, dass
den meisten Jugendlichen zwar die PädagogInnen wichtig sind, aber diese nicht so be-
deutsam waren, um sie auf dem Familienbrett zu positionieren. Grundsätzlich schließe
ich aber aus den Aufstellungen mit den Jugendlichen, dass ein gelungener Beziehungs-
aufbau innerhalb der Wohngruppen stattgefunden hat.
Abschließend ist noch zu betonen, dass sich die Arbeit in pädagogischen Settings und
vor allem mit fremduntergebrachten Kindern und Jugendlichen sehr facettenreich ge-
staltet und mit vielen Herausforderungen verbunden ist. Zudem wird die Beziehungsar-
beit durch eine Reihe von Einflussfaktoren, welche im Laufe der Arbeit beschrieben

131 | S e i t e
wurden, beeinflusst. Die Grundvoraussetzung für die Beziehungsarbeit mit fremdunter-
gebrachten Jugendlichen ist aber die Bereitschaft der Jugendlichen, sich auf eine „Be-
ziehung auf Zeit“ mit den PädagogInnen einzulassen. Wichtig ist auch, den Jugendli-
chen zu vermitteln, dass sie als Person sehr wichtig sind und sie keinerlei Schuld haben,
warum sie letztendlich aus der Familie herausgenommen und fremduntergebracht wur-
den.

132 | S e i t e
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Bindungstypen (Eckerle 2011) ..................................................................11
Abbildung 2: Übersicht - Die 7 Säulen der Neuen Autorität (Ofner 2013).................... 31
Abbildung 3: Statistik 2014 (Bundesministerium für Familie und Jugend 2014).......... 50
Abbildung 4: Beispiel für Familienbrettaufstellung ....................................................... 73
Abbildung 5: Arbeit mit dem Familienbrett (Sengmüller o.J.)....................................... 74

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tern. Informationen und Übungen für gestresste Eltern. Göttingen: Hogrefe Verlag
GmbH & Co. KG.

Wallner, Claudia (2010): Cross Work: Frauen in der Arbeit mit Jungen. In:
http://www.claudia-wallner.de/vortraege/Cross%20Work.pdf [26.05.2015].
Walper, Sabine/Grödde, Mechthild (2005): Jugendliche und ihre Beziehung zum Vater:
Ein Vergleich von Kern-, Trennungs- und Stieffamilien. In: Schuster, Bea-
te/Kuhn, Hans-Peter/Uhlendorff, Harald (Hrsg.): Entwicklung in sozialen Bezie-
hungen: Heranwachsende in ihrer Auseinandersetzung mit Familie, Freunden
und Gesellschaft. Stuttgart: Lucius & Lucius Verlag, S. 65-90.

Wartenweiler, Frank (2003): Provozieren erwünscht – aber bitte mit Feingefühl: Instu-
mente der “Provocative therapy” in der Arbeit mit Eltern und Kindern. Paderborn:
Junfermann Verlag.

Wienerroither, Peter (2008): Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung. In:


http://www.kinder-jugendhilfe-ooe.at/Mediendateien/dl_fachinfo_handbuchsd.pdf
[26.05.2015].

Wintersperger, Regina (2008): Mein neues Zuhause. Vom Glück oder/und Unglück, in
unterschiedlichen Systemen aufzuwachsen. In: Hilweg, Werner/Posch, Christian
(Hrsg.): Fremd und doch zu Hause: Qualitätsentwicklung in der Fremdunterbrin-
gung. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren Verlag, S. 49-62.
Witzel, Andreas (2000): Das problemzentrierte Interview. In: http://www.qualitative-
research.net/index.php/fqs/article/view/1132/2520 [26.05.2015].

Wolff, Reinhart (2000): Qualitätskatalog der Grazer Jugendwohlfahrt. In:


http://www.graz.at/cms/dokumente/10028006_739049/7b1b771d/Qualitaetskatalog
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Zweyer, Karen (2008): Eltern-Kind-Bindung – Auswirkungen auf die psychische Ge-


sundheit. In: Klein, Michael (Hrsg.): Kinder und Suchtgefahren – Risiken, Präven-
tion, Hilfen. Stuttgart: Schattauer Verlag, S. 90-102.

140 | S e i t e
Anhang
Aufstellungen mit dem Familienbrett nach Kurt Ludewig
Farbe Bedeutung
gelb der/die Jugendliche
blau Familie
blau Haustiere
grün Arbeit/Schule
rot Freundeskreis
lila WG (BewohnerInnen,
PädagogInnen)
gelbbraun Spielfiguren

J1: männlich, 15 Jah-


re alt, besucht eine
Höherbildende Schu-
le, seit ca. 8 Jahren
fremduntergebracht;
(Anmerkung: KM=
Kindesmutter)

J2: männlich, 13 Jah-


re alt, besucht die
Neue Mittelschule,
seit ca. 8 Monaten
fremduntergebracht;

141 | S e i t e
J4: männlich,
12 Jahre alt,
besucht die
Neue Mittel-
schule, seit
ca. 2 Jahren
fremdunter-
gebracht;

J5: männlich,
14 Jahre alt,
besucht die
Sonderschu-
le, seit ca. 3
Jahren
fremdunter-
gebracht;

142 | S e i t e
J6: männlich, 16
Jahre alt, absol-
viert eine Lehre,
seit ca. 8. Le-
bensjahr fremd-
untergebracht;

J8: männlich, 13
Jahre alt, besucht
die Neue Mittel-
schule, seit ca. 6.
Jahren fremdun-
tergebracht;

143 | S e i t e
J9: weiblich, 16
Jahre alt, besucht
eine Höherbil-
dende Schule,
seit ca. 1 Jahr
fremdunterge-
bracht;

J10: weiblich, 12
Jahre alt, besucht
die Neue Mittel-
schule, seit ca. 2,5
Jahren fremdunter-
gebracht;

144 | S e i t e
Interviewleitfaden Jugendliche

Fragestellungen:
 Was heißt Nähe und Distanz in der Beziehungsarbeit mit fremduntergebrachten Ju-
gendlichen?
 Welche Faktoren beeinflussen das Nähe-Distanz-Verhältnis in der Beziehungsarbeit
mit Jugendlichen?
 Wie gehen PädagogInnen in ihrer praktischen Tätigkeit am Beispiel sozialpädagogi-
scher Wohngemeinschaften mit Nähe und Distanz in der Beziehungsarbeit mit Ju-
gendlichen um?
 Welche Herausforderungen können diesbezüglich entstehen?
 Wie werden die damit verbundenen Herausforderungen bewältigt?

Kategorien Fragestellungen
Bedeutung von Nähe  Was fällt Dir spontan zu diesen Begriffen ein?
und Distanz  Was bedeutet für Dich Nähe? (Beispiele)
 Was bedeutet für Dich Distanz? (Beispiele)
Situationen, wo Nähe  Wann/in welchen Situationen erlebst Du Nähe?
und Distanz erlebt  Wann/in welchen Situationen wünschst Du dir mehr Nä-
bzw. gewünscht wird he?
 Wann/in welchen Situationen erlebst Du Distanz?
 Wann/in welchen Situationen wünschst Du dir mehr Dis-
tanz?
 Gibt es Momente, wo Du dir schwer tust, Distanz zu
anderen Personen zu bewahren? (Beispiele)
 Gibt es Momente, wo Du besonders viel Nähe brauchst?
(Beispiele)
Faktoren  Welche Faktoren spielen deiner Meinung nach in Bezug
(PädagogInnen be- auf Nähe und Distanz zu den BetreuerInnen eine Rolle?
treffend, Jugendliche (zB Geschlecht, Alter, Qualität der Fürsorge, der familiä-
betreffend, Sonstige re Kontext, Persönlichkeitseigenschaften der BetreuerIn-
Faktoren) nen, Stabilität der Beziehung, Freundeskreis, Anderen

145 | S e i t e
Bezugspersonen) auch eine Rolle? Wenn ja, welche?
Herausforderungen  Welche Herausforderungen in Bezug auf das Nähe-
im Umgang mit Nähe Distanz-Verhältnis zwischen PädagogInnen und Jugend-
und Distanz lichen gibt es Deiner Meinung nach? (Beispiele)
 Wie gehst Du damit um? (Beispiele)
Abschlussfrage  Gibt es noch etwas, das du sagen möchtest?
Soziodemographische  Alter, Geschlecht
Daten  Wie lange bist du schon in dieser WG?
 Welche Schule/Klasse besuchst du?

146 | S e i t e
Interviewleitfaden PädagogInnen
Im Rahmen meiner Masterarbeit beschäftige ich mich mit dem Thema „Erziehung ist
Beziehung“ – Einflussfaktoren auf das Nähe-Distanz-Verhältnis in der Beziehungsarbeit
mit fremduntergebrachten Jugendlichen. Folgende Fragestellungen sollen im Zuge mei-
ner Masterarbeit beantwortet werden:

Fragestellungen:
 Was heißt Nähe und Distanz in der Beziehungsarbeit mit fremduntergebrachten Ju-
gendlichen?
 Welche Faktoren beeinflussen das Nähe-Distanz-Verhältnis in der Beziehungsarbeit
mit Jugendlichen?
 Wie gehen PädagogInnen in ihrer praktischen Tätigkeit am Beispiel sozialpädagogi-
scher Wohngemeinschaften mit Nähe und Distanz in der Beziehungsarbeit mit Ju-
gendlichen um?
 Welche Herausforderungen können diesbezüglich entstehen?
 Wie werden die damit verbundenen Herausforderungen bewältigt?

Kategorien Fragestellungen
Bedeutung von  Was fällt Ihnen spontan zu diesem Thema ein?
Nähe und Distanz  Was bedeutet für Sie Nähe in der Beziehungsarbeit mit
fremduntergebrachten Jugendlichen? (Beispiele)
 Was bedeutet für Sie Distanz in der Beziehungsarbeit mit
fremduntergebrachten Jugendlichen? (Beispiele)
Situationen, wo  Wann/in welchen Zusammenhängen erleben Sie Nähe?
Nähe und Distanz  Wann/in welchen Zusammenhängen wünschen Sie sich
erlebt bzw. ge- mehr Nähe?
wünscht wird  Wann/in welchen Zusammenhängen glauben Sie, dass die
Jugendlichen mehr Nähe brauchen?
 Wann/in welchen Zusammenhängen erleben Sie Distanz?
 Wann/in welchen Zusammenhängen wünschen Sie sich
mehr Distanz?

147 | S e i t e
 Wann/in welchen Zusammenhängen glauben Sie, dass die
Jugendlichen mehr Distanz brauchen?
 Gibt es Bereiche, wo Sie sich schwer tun, Distanz zu Ju-
gendlichen zu bewahren? (Beispiele)
 Gibt es Momente, wo Jugendliche besonders viel Nähe
brauchen? (Beispiele)
 Wie gehen Sie mit Nähe und Distanz zu Jugendlichen um?
(Beispiele)
 Nähe-Distanz: Hat sich der Umgang seit Berufseinstieg ver-
ändert? (zu Beginn bis Jetzt) – Inwiefern? (Beispiele)
Faktoren  Welche Faktoren spielen in der Beziehungsarbeit mit fremd-
(PädagogInnen untergebrachten Jugendlichen in Bezug auf Nähe und Dis-
betreffend, Ju- tanz eine Rolle?
gendliche betref-  Welche Faktoren beeinflussen Ihrer Meinung nach das Nä-
fend, Sonstige he-Distanz-Verhältnis in der Fremdunterbringung? (Beispie-
Faktoren) le)
 Spielt Ihrer Meinung nach (Qualität der Fürsorge, der fami-
liäre Kontext, Persönlichkeitseigenschaften des Jugendli-
chen, Alter und Geschlecht des Jugendlichen, Lebensereig-
nisse, Persönlichkeitseigenschaften der PädagogInnen, Per-
sönliche Abgrenzung und SelbstReflexion, Alter, Geschlecht
und Berufserfahrung der PädagogIn, Stabilität der Bezie-
hung, Einflüsse der Peer-Group, Anderen Bezugspersonen,
Qualität der Institution)auch eine Rolle? Wenn ja, welche?
Herausforderun-  Welche Herausforderungen in Bezug auf das Nähe-Distanz-
gen im Umgang Verhältnis zwischen PädagogInnen und Jugendlichen gibt es
mit Nähe und Dis- Ihrer Meinung nach? (Beispiele)
tanz  Wie gehen Sie damit um? (Beispiele)
 Wie gelingt Ihnen die Abgrenzung zwischen Berufs- und
Privatleben? (zB Sind Sie auch außerhalb ihrer Dienstzeit
für Jugendliche erreichbar? – Warum?/Beispiele)

148 | S e i t e
Team-Reflexion  Welche interne Reflexion und Diskussionen gibt es zum
Thema?
Abschlussfrage  Gibt es noch etwas, das Ihnen dazu einfällt?
Soziodemographi-  Alter, Geschlecht
sche Daten  Wie lange arbeiten Sie schon in diesem Beruf?
 Welche Ausbildung haben Sie absolviert?

149 | S e i t e

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