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NZZ, 04.12.

23 Adrian Lobe

Google war einmal, was kommt als Nächstes? – Die


KI killt das alte Internet, vor unseren Augen entsteht
gerade ein neues Web
Künstliche Intelligenz verändert die Art und Weise, wie Information produziert wird, radikal. Weil
immer mehr Information im Netz von KI erzeugt wird.

Im Jahr 2004 wurde das Verb «googeln» in den Duden aufgenommen, zusammen mit Begriffen
wie «Dialer» und «Antivirenprogramm». In der 23. Auflage des Wörterbuchs stand dann:
«goo|geln (im Internet, bes. in Google suchen).» Normalerweise wäre es für jedes Unternehmen
ein Ritterschlag, mit seinem Firmennamen im Duden aufgenommen zu werden. Doch die Google-
Führung sorgte sich mehr um Markenschutz als um Kulturpflege – und setzte eine Änderung
durch. In der 24. Auflage hiess es dann: «Mit Google im Internet suchen.»

Nun ist es wohl leichter, einen Duden- als einen Google-Eintrag zu ändern, aber das Beispiel
zeigt, wie der Tech-Konzern die Wissensarchitektur verändert hat. Dass man nicht «yahooen»
oder «altavistan» sagt, hängt damit zusammen, dass Googles Page-Rank-Algorithmus, der
Websites indexiert und nach Relevanz sortiert, der Konkurrenz überlegen war. Doch der
hochleistungsfähige Google-Motor, der noch immer die Daten von 8,5 Milliarden Suchanfragen
am Tag verarbeitet, ist jüngst merkwürdig ins Stottern geraten.

Schon seit einiger Zeit beklagen Nutzer die nachlassende Qualität der Suchmaschine. Die
Ergebnisliste sei mit Anzeigen und suchmaschinenoptimiertem Müll vollgepflastert, heisst es.
Die Gen Z nutzt längst Tiktok als Suchmaschine. Dass die Qualität von Google nachgelassen habe,
könnte auch daran liegen, dass die Qualität des Internets nachgelassen habe, mutmasste die
frühere Yahoo-Chefin und Google-Managerin Marissa Mayer. Sie muss es wissen.

Warum suchen, wenn KI alles weiss?

Google war gut, solange es darum ging, lexikalisches Wissen abzufragen: Wie heisst die
Hauptstadt von Botswana? Wer war bei der WM 1982 Bundestrainer? Wer wissen wollte, wie
man einen Heiratsantrag macht, wurde eher im Online-Forum Reddit fündig. Dass die
Suchmaschine als Faktencheck-Tool genutzt wurde, lag auch daran, dass ihre Webcrawler den
Wissensschatz von Wikipedia anzapften, deren Artikel prominent in der Trefferliste platziert
wurden.

Der Online-Enzyklopädie brachte das Traffic, Google Werbeeinnahmen. Ein Zusammenwirken,


das man aufgrund des wirtschaftlichen Ungleichgewichts wohl eher als parasitär denn als
symbiotisch bezeichnen muss. Doch jetzt, wo einem Chat-GPT die Funktionsweise des
Ottomotors erklären kann, wirkt das Prinzip der Web-Suche obsolet. Warum im Internet
mühsam nach Artikeln recherchieren, wenn die KI schon die Antwort parat hat?

KI könnte die Art, wie in der Wissenschaftsgesellschaft Informationen produziert und rezipiert
werden, radikal verändern. Die Idee der KI-Vordenker ist es grob gesagt, das Internet in eine Box
zu packen und einen neuen Hypertext zu weben. Statt Websites zu indexieren und nach
Relevanz zu sortieren, wie es Google tut, werden die Texte von Wikipedia, Reddit und anderen
Quellen, mit denen KI-Systeme wie Chat-GPT trainiert werden, nach einem
Wahrscheinlichkeitsmodell neu arrangiert.

Chat-GPT nennt keine Quellen

Sobald die KI-Modelle die Texte verdaut haben, braucht man das Internet nur noch als digitales
Umspannwerk, um eine Verbindung zu den Servern herzustellen. Das Internet wird also auf eine
rein technische Funktion reduziert. Und genau da liegt die Pointe: Das Internet ist kaputt, also
repariert man es zu Tode.

Klar, die digitale Monokultur der blauen Links, die irgendwo auf Seite 35 der Ergebnisliste
aufhören, ist der Preis dafür, dass Google einem den ganzen Spam vom Leibe hält. Doch das, was
jetzt mit der Entwicklung von Sprachmodellen passiert, ist nicht bloss eine technische
Einstellung im Maschinenraum einer Tech-Plattform, sondern ein Frontalangriff auf die
Hyperlinkstruktur des World Wide Web. Chat-GPT weist ja schon gar keine Quellen mehr aus.

Der erste Kollateralschaden: Stack Overflow, eine Website für Softwareentwickler. Der Traffic
der bei Programmierern beliebten Frage-und-Antwort-Plattform fiel um fünfzig Prozent. Statt
gemeinsam an Codierproblemen zu tüfteln, behilft man sich mit Musterlösungen von Chat-GPT.
Das ist einfacher und geht schneller, aber wenn diese Reservoirs des Wissens austrocknen, weil
sie weniger genutzt werden, ist das für die KI ein Problem.

Zäune im Internet

Die immer leistungsfähigeren KI-Systeme brauchten immer mehr Daten, um verlässliche


Ergebnisse zu produzieren. Doch die Plattformen drehen die Daten-Pipeline zu. X (vormals
Twitter) hat ein Lese-Limit für Kurznachrichten eingeführt, Reddit seine Benutzerschnittstelle
kostenpflichtig gemacht, und BBC hat wie der «Guardian» die Entwicklerorganisation Open AI
sogar ganz blockiert. Das freie Internet errichtet überall Zäune, um zu verhindern, dass die
digitale Allmende weiter abgeweidet und der Commons-Gedanken pervertiert wird.

Der Flurschaden, der durch die Grenzziehungen entsteht, könnte weitaus grösser sein als der
einer kontrollierten Öffnung. Denn die Verknappung von qualitativ hochwertigen Daten zwingt
die Entwickler dazu, auf Billigfutter zu setzen. Schon jetzt gibt es Befürchtungen, dass KI-
Systeme mit KI-generierten Inhalten gefüttert werden und sich gegenseitig kannibalisieren: also
nur noch das wiederkäuen, was andere Maschinen vorher ausgespuckt haben.

Das Internet implodiert vor unseren Augen. Amazon wird mit KI-generierter Ramschliteratur
geflutet, KI-generierte Websites schiessen ins Kraut, die vollautomatisiert Fake-News-Storys
raushauen. Aus allen Poren quillt der digitale Müll. Vor kurzem hat Google in seiner Bildersuche
anstatt des «Tank Man», jenes mutigen Manns, der sich im Juni 1989 am Tiananmen-Platz in
Peking einer Panzerkolonne entgegenstellte, ein KI-generiertes Fake-Selfie gezeigt. Auch bei der
Suche nach «Melania Trump Bikini» bekommt man KI-Fakes zu Gesicht, die irgendwelche
Amateure mit einem Bildgenerator erstellt haben.

Die Schleusenwärter sind überfordert

Googles algorithmische Schleusenwärter wirken heillos überfordert – und plötzlich gar nicht
mehr so mächtig, wie es einmal schien. Braucht es eine Bad Bank, in die man all den KI-
generierten Müll ablädt, damit die Suchroboter wieder navigieren können? Wer organisiert das
Wissen der Welt, wenn man sich eines Tages im Metaversum bewegt, wo 3-D-Objekte
katalogisiert werden müssen?

Der Journalist James Vincent hat in einem Essay für das Online-Magazin «The Verge»
geschrieben, dass wir gerade die Geburtswehen eines neuen Informationskosmos erlebten: «Die
KI killt das alte Web, und das neue Web kämpft darum, geboren zu werden.» Vielleicht erleben
wir mit der KI auch die Geburt eines neuen Hypertexts und die Renaissance des Autors als
Prompt Writer. Und vielleicht wird man in Zukunft auch prompten statt googeln. Nur Chat-GPT
als Verb wird wohl nicht Eingang in den Duden finden.

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