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Oskar Lafontaine: Guten Tag!

Kolkmann: Sind Sie der Angstgegner der SPD geworden?

Lafontaine: Das weiß ich nicht. Das muss auch die SPD beantworten. Wir
möchten Politik verändern. Wir möchten den Sozialabbau der letzten Jahre
teilweise wieder zurücknehmen. Da sind wir jetzt langsam erfolgreich, weil
die anderen Parteien darüber nachdenken, ihre falsche Politik zu
korrigieren. Das beginnt bei CDU und SPD beim Arbeitslosengeld I bis hin
zu den Grünen, die wissen, dass Hartz IV ein Fehler war und jetzt einen
höheren Satz fordern für die Hartz-IV-Empfänger. Dass wir diese Wirkung
erzielen, freut uns, aber bisher wird nur darüber geredet. Wir haben noch
kein Ergebnis.

Kolkmann: Sie haben jetzt einen idealen Bündnispartner: Kurt Beck.


Würden Sie mit ihm ein Bündnis eingehen?

Lafontaine: Dass Kurt Beck jetzt einen Schritt macht, der vernünftig ist,
begrüßen wir, aber natürlich ist damit die Politik der SPD noch nicht
korrigiert. Bei dem Arbeitslosengeld II haben wir viel zu niedrige Sätze.
Dort haben wir ein Schonvermögen, das viel zu gering ist. Das heißt, die
ganzen Ersparnisse älterer Arbeitnehmer werden angegriffen, wenn sie
Hartz IV beziehen müssen. Und wir haben immer noch eine viel zu
demütigende Zumutbarkeitsregelung. Eine demokratische Gesellschaft
sollte nicht demütigen und Hartz IV ist nicht nur Armut per Gesetz,
sondern auch Demütigung per Gesetz.

Kolkmann: Was Sie da fordern, das fordern nicht wenige Linke in der SPD
auch. Wäre zum Beispiel Ottmar Schreiner für Sie auch einer, mit dem Sie
gemeinsam eine Rolle rückwärts machen können. Da können Sie ja einen
Turnverein aufmachen!

Lafontaine: Das ist keine Rolle rückwärts. Das ist eine Rolle vorwärts, denn
das, was in den letzten Jahren in Deutschland unter dem Stichwort
Modernisierung verkauft wurde, war eine gewaltige Rolle rückwärts. Am
schlimmsten war das bei den Renten. Dort haben wir wieder Altersarmut
programmiert. Also wir haben eine Rolle rückwärts gemacht ins vorletzte
Jahrhundert und diese Rolle rückwärts müssen wir wieder wenn man so
will nach vorne verändern.

Kolkmann: Nun wird ja von nicht wenigen, auch Wirtschaftsexperten


gesagt, dass die Agenda-Politik von Rot-Grün durchaus etwas gebracht
hat, zum Teil eben auch für den Aufschwung, und dass man das nicht so
einfach zurückdrehen darf, wenn man auf die Reformen auch weiter zählen
möchte.

Lafontaine: Die Behauptung einiger Wirtschaftler, dass die Kürzung


sozialer Leistungen die Grundlage für den ökonomischen Aufschwung ist,
den wir jetzt erleben, ist schlicht falsch. Die Grundlage für den
ökonomischen Aufschwung, den wir haben, ist die Weltkonjunktur. Das
wird auch weltweit von denen, die qualifiziert sind als Ökonomen, so
gesehen. Mit den Kürzungen hier in Deutschland hat das nichts zu tun.

Kolkmann: Nun haben die großen Konzerne ja doch enorme Gewinne


gemacht. Braucht die Gesellschaft auch mehr Steuerabgaben, um den
Sozialstaat, den Sie wollen - und das klingt nach dem Sozialstaat der 70er
Jahre -, zu finanzieren?

Lafontaine: Ja und nein. Ja, wenn es um die Vermögenden, um die Reichen,


um diejenigen geht, die große Erbschaften haben. Nein, wenn es um die
kleinen Leute geht, die tüchtig sind. Deshalb haben wir hier eine
differenzierte Politik. Wir befürworten die Einführung der Vermögenssteuer.
Wir befürworten die Einführung einer Börsenumsatzsteuer, um die
Spekulation zu dämmen. Auf der anderen Seite wollen wir Steuersenkung
für Facharbeiter und Kleinbetriebe. Wir haben das im Bundestag
beantragt, aber die anderen Parteien haben das abgelehnt.

Kolkmann: Gerechte Löhne, wie sehen die für Sie aus und geht das nur mit
Mindestlöhnen?

Lafontaine: Der gerechte Lohn ist ja auch eine Forderung der Kirchen-
Soziallehre. Deshalb ist es verwunderlich, dass Frau Merkel eben die
Mindestlöhne ablehnt mit ihrer Partei. Wir haben hier noch Leute, die
arbeiten wie eben vor mehreren hundert Jahren, also zu
Ausbeutungslöhnen. Es gibt Reinemachefrauen, etwa Migrantinnen und
Migranten, die für 2,x Euro beschäftigt werden, und dass man hier nicht
einen gesetzlichen Mindestlohn wie in den meisten europäischen Ländern
verabschiedet, ist ein Skandal. Wir sind für einen gesetzlichen Mindestlohn
wie in Frankreich. Dort sind es 8,44 Euro. Der Vorschlag kam von dem
konservativen Präsidenten Sarkozy.

Kolkmann: Ich will mit Ihnen gerne noch über die SPD sprechen. Wir
stiegen ein ins Gespräch über die Frage, ob Sie der Angstgegner sind.
Viele sprechen davon, dass die SPD gerade ihr letztes Gefecht kämpft,
oder der "Spiegel" hat diese Woche aufgemacht mit "wir schwimmen Seit
an Seit einer Partei in Seenot". Interessanterweise sind Sie im kleinen
Außenborder mit Gregor Gysi daneben auf dem Titelbild zu sehen. Ist das
für Sie auch schmerzlich, was im Augenblick mit der SPD passiert?

Lafontaine: Ja, insbesondere im Hinblick auf die Mitgliedschaft, denn die


Mitgliedschaft will die Politik nicht, die die Führung macht. Das ist ja ein
Problem der SPD, dass im Zuge der Basta-Politik eben praktisch über die
Köpfe der Bürgerinnen und Bürger hinweg, aber auch der Parteimitglieder
entschieden worden ist. Die SPD wird erst dann wieder zu sich selbst
finden, wenn sie auf ihre Mitglieder hört. Zurzeit ist das nicht der Fall.

Kolkmann: Können Sie sich vorstellen, dass sich die Linke in Deutschland -
und das linke Lager ist ja nicht klein in Deutschland - irgendwann wieder in
einer gewissen Form zusammenfindet, dass also die, die jetzt zur Linken
rübergegangen sind, vielleicht wieder in die Sozialdemokratie gehen oder
sich da irgendwann eine neue Partei bildet?

Lafontaine: Links definiert sich nicht in erster Linie über Organisationen,


sondern über Inhalte.

Kolkmann: Soziale Gerechtigkeit?

Lafontaine: Ja. Der grundlegende Wert ist der der sozialen Gerechtigkeit,
weil er im Grunde genommen die Gesellschaft überhaupt zusammenhält.
Wenn eine Gesellschaft den Eindruck hat, es geht in der Gesellschaft nicht
mehr gerecht zu, dann fällt sie auseinander. Insofern ist die soziale
Gerechtigkeit der Grundwert jeder Demokratie.

Kolkmann: Es gibt ja die ersten Politiker, die sagen, ein Bündnis auch auf
Bundesebene zwischen der Linken und den Sozialdemokraten ist denkbar,
wir hätten das gerne, aber nicht mit Oskar Lafontaine.

Lafontaine: Zurzeit ist die SPD für die Linke nicht koalitionsfähig. Sie hat
eine Außenpolitik, die wir für nicht akzeptabel hinnehmbar halten, weil sie
auf dem Bruch des Völkerrechts basiert. Die SPD hat in den letzten Jahren
Sozialabbau in großem Stil betrieben. Jetzt hat sie eine kleine Korrektur
angekündigt, noch nicht vollzogen. Solange sie also diese Politik nicht
ändert, ist sie für uns nicht koalitionsfähig. Wenn sie diese Politik ändert,
ist sie natürlich koalitionsfähig. Und an meiner Person scheitert keine
Verbesserung der Politik.

Kolkmann: Das heißt, Oskar Lafontaine muss nicht um jeden Preis


mitmachen?

Lafontaine: Oskar Lafontaine ist in seinem Alter nicht mehr darauf aus,
irgendwelche Ämter zu bekleiden.

Kolkmann: Außer das des Ministerpräsidenten vom Saarland?

Lafontaine: Das ist eine besondere Situation an der Saar. Ich habe an der
Saar viele Jahre das Amt des Ministerpräsidenten bekleidet. Wir haben dort
den Ehrgeiz, mit einem guten Ergebnis in den nächsten Landtag
einzuziehen. Zurzeit sind wir nach Umfragen bei 18 Prozent. Wir setzen
uns zurzeit noch etwas höher an, aber wir müssen noch arbeiten, damit
das noch besser wird. Deshalb werde ich eben im Jahre 2009, sofern ich
gesund bleibe und so weiter, kandidieren als Spitzenkandidat. Dann sehen
wir, was dabei heraus kommt.

Kolkmann: Und Sie würden gerne wieder Ministerpräsident werden?

Lafontaine: Wenn die Möglichkeit besteht, eine Regierung zu bilden, werde


ich sie bilden.

Kolkmann: Wissen Sie, was Lafontainesk heißt?


Lafontaine: Erklären Sie es mir!

Kolkmann: Amt hinschmeißen.

Lafontaine: Das ist eine Entwicklung, die ich deshalb bedauere, weil mein
politisch bedingter Rücktritt dazu geführt hat, dass danach niemand mehr
zurückgetreten ist, obwohl es hundertfach Anlass gegeben hätte, das heißt
mit einigen Ausnahmen. Denn wenn man zurücktritt, gibt man
Verantwortung ab.

Kolkmann: Es geht jetzt um Verantwortung wahrnehmen.

Lafontaine: Ja.

Kolkmann: Wie lange, wie zuverlässig?

Lafontaine: Ich musste meine Verantwortung dadurch wahrnehmen, dass


ich eben einen großen Betrug nicht mitmache. Der Betrug bestand darin,
dass wir versprochen hatten, Krieg ist kein Mittel der Politik.

Kolkmann: Sie brauchen sich jetzt nachträglich nicht für das zu


rechtfertigen. Das Thema wollte ich nicht. Ich frage: wenn der Fall einträte,
dass Sie wieder Ministerpräsident vom Saarland werden würden, können
die Saarländer darauf zählen, der bleibt auch da sitzen und macht es?

Lafontaine: Ich habe länger politische Verantwortung getragen als die


gesamte politische Klasse in Deutschland. Insofern ist die Frage bei mir an
der völlig falschen Adresse.

Kolkmann: Vielen Dank Herr Lafontaine.

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