(1650 - GEGENWART)
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
G. Wolff legt der Periodisierung der nhd. Zeit geistige und
soziokulturelle Bedingungen zugrunde:
1. Deutsche Sprache zwischen 1650 und 1770: Barock und
Aufklärung;
2. Deutsche Sprache von ca. 1770 bis ca. 1830: Klassik
und Romantik;
3. Deutsche Sprache von ca. 1830 bis ca. 1920:
Bürgerkultur und Realismus;
4. Deutsche Sprache von ca. 1920 bis zur Gegenwart.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
DEUTSCHE SPRACHE ZWISCHEN 1650 UND
1770: BAROCK UND AUFKLÄRUNG
TENDENZEN DER SPRACHENTWICKLUNG
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Während der Alamodezeit drangen eine Unmenge französische
Lehnwörter ins Deutsche. Fast die Hälfte davon konnte sich u. a.
auf den Gebieten Mode, Küche, Wohnkultur, Gesellschaftsleben
und Heerwesen durchsetzen. In spezifischen Schwerpunkten
machen sich griechisch-lateinische und italienische Einflüsse
bemerkbar. Das lateinische und griechische Lehngut findet sich
vor allem in den Bereichen Rechtswesen, Verwaltung,
Philosophie, Mathematik und Naturwissenschaften. Wörter
italienischer Herkunft bereichern vorrangig die Fachwortschätze
in Musik und Heerwesen.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Sprachpflege und Purismus.
Die Voraussetzungen für eine Pflege und Normierung der
deutschen Sprache sind zu Beginn der nhd. Zeit nicht sehr
günstig. Das von den Humanisten erweckte Interesse für die
deutsche Sprache vertieft sich jedoch im 17. Jh. Im 17. und 18.
Jh. entstehen in Deutschland zahlreiche Sprachgesellschaften,
die sich um die Sprachreinheit bemühen und der
überhandnehmenden Fremdwörterei und „Verwelschung“ den
Kampf ansagen.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Ihr Prototyp ist die „Fruchtbringende Gesellschaft“, die Fürst
Ludwig von Anhalt-Köthen 1617 in Weimar nach französisch-
italienischen Vorbildern begründet. Der „Fruchtbringenden
Gesellschaft“ gehörten bekannte Zeitgenossen wie Opitz,
Buchner, Schottelius, Gryphius u. a. an. Es folgten die
„Aufrichtige Gesellschaft von der Tannen“ (1633), die
„Deutschgesinnte Genossenschaft“ (1643), der „Elbschwanorden“
(1659) u. a. Sprachgesellschaften. Die Gründungen des 18. Jh.
waren kurzlebiger.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Ziel der Sprachpfleger war es, eine deutsche
Literatursprache zu schaffen, diese Sprache zu normieren
und sie von Fremdwörtern zu reinigen. Als Resultat ihrer Arbeit
erschienen Übersetzungen und Poetiken.
Der Schlesier Martin Opitz gilt mit seinem „Buch von der
deutschen Poeterey“ (1624) als Begründer der deutschen
Literatursprache.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Von Puristen stammen auch Grammatiken und Wörterbücher.
Großes Ansehen als Grammatiker hatte Justus Georg Schottel
(Schottelius). Seine „Ausführliche Arbeit von der Teutschen
Haubt Sprache“ (1663) umfasst u. a. Regeln für Wortbildung,
Orthografie, Flexion und Syntax.
Den Sprachpflegern hat Deutsch viele neue Wörter zu
verdanken.
Am eifrigsten setzten sich die Sprachgesellschaften gegen die
sprachliche Überfremdung ein. Von ihren Verdeutschungen
haben sich u. a. folgende behauptet:
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Verdeu- Verdeu-
Fremdwort Fremdwort
tschung tschung
? Dialekt ? Liberey
? Komma ? spazieren
? Numerale ? Passion
? Verbum ? Conventio
? Moment ? Epigramm
? Projekt ? Korrespondenz
? Autor ? observieren
? Tragödie ? Gusto
? Distanz ? Chronographikon
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Normierung der Schriftsprache und ihre Verwirklichung in
der Literatur.
Die Bemühungen um die Normierung der Schriftsprache hatten
erst im Zeitalter der Aufklärung einen größeren Erfolg. Einen
bedeutenden Einfluss gewann Johann Christoph Gottsched mit
seiner „Grundlegung einer Deutschen Sprachkunst“ (1748).
Im Sinne der Aufklärung befürwortet er einen einfachen, klaren
Stil im Gegensatz zum barocken „Schwulst“ und stellt die
ostmitteldeutsche Schreibsprache in ihrer literarischen Form als
Vorbild und Norm auf. Er versucht auch diese Literatursprache zu
systematisieren und zu normieren.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Johann Christoph Adelung wertete Gottscheds Theorien in
seinem fünfbändigen Wörterbuch (1774 - 1781), in seiner
„Deutschen Sprachlehre“ (1781) für die Schule und seiner
Rechtschreibungslehre (1788) konkret aus. Adelung wurde das
„Orakel“ für das 18. Jh. und die erste Hälfte des 19. Jh.
bezeichnet. In sprachlichen Zweifelsfällen wurden seine Werke
allgemein benutzt, auch von den großen Dichtern dieser Zeit.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Verbreitung der gemeinsprachlichen Norm durch Literatur.
In der zweiten Hälfte des 18. Jh. spielte die Dichtung eine
entscheidende Rolle für die Entwicklung der deutschen Sprache.
Dichter der Aufklärung, des Sturm und Drang und der Klassik
haben zur Weiterentwicklung und Bereicherung des Deutschen
beigetragen. Ihr Stil und ihre Wortwahl galten als
hochsprachliches Vorbild. Ende des 18. Jh. hat die deutsche
Literatur europäische Bedeutung erlangt.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Die Literatursprache wird allmählich zur Nationalsprache und
dringt in andere Kommunikationsbereiche ein, Zeitschriften,
wissenschaftliche Publikationen usw. Auch in der
Gebrauchsprosa überwiegt jetzt endgültig das Deutsche. Die
Literatursprache wird ein Zeichen für Bildung und somit die
ideale Sprachform der bürgerlichen Gesellschaft.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Mitte des 18. Jh. ist auch eine Umstellung der
Lesegewohnheiten festzustellen, von in erster Linie
Wiederholungslektüren (Bibel, Erbauungsschriften) zum
hauptsächlich extensiven Lesen aller Arten von Literatur.
Gleichzeitig wird auch viel mehr gelesen. Leihbibliotheken und
Lesevereine kommen auf und zahllose Wochenschriften
verbreiten Bildung und Unterhaltung. Die Zeitungen beginnen
allmählich die Rolle eines Massenmediums zu spielen. Der
Schulunterricht trägt ebenfalls zur Verbreitung der
gemeinsprachlichen Norm bei.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
DEUTSCHE SPRACHE VON CA. 1770 BIS CA.
1830: KLASSIK UND ROMANTIK
TENDENZEN DER SPRACHENTWICKLUNG
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Neues Interesse für Purismus.
Kurz vor dem Ende des 18. Jh. kommt eine neue Welle der
Fremdwortbekämpfung. Am erfolgreichsten ist Johann
Heinrich Campe mit seinen Wörterbüchern, bes. dem
„Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer
Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke“ (1801). Viele
seiner Verdeutschungsvorschläge haben sich durchgesetzt:
Bittsteller für Supplikant, Minderheit für Minorität, verwirklichen für
realisieren, Zartgefühl für Delikatesse, Zerrbild für Karikatur.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Englischer Einfluss.
Schon im 18. Jh. waren mehrere englische Wörter und
Wortbildungen ins Deutsche gekommen, v. a. durch die
Übersetzungen englischer Literatur (Humor, Blankvers, Pudding)
und durch das Einwirken englischer Politik (Opposition,
Parlament) und Wirtschaft (Budget, Banknote). Im 19. Jh. nahm
dieser Einfluss zu und ersetzte den französischen auf dem Gebiet
der Mode und des Gesellschaftslebens (Ulster, Smoking, Klub,
toasten, Roastbeef). Durch direkte Kontakte über Politik,
Wissenschaft und Handel vermehrten sich die Wortübernahmen
auch auf diesen Gebieten (Streik, Lokomotive, Partner).
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Entwicklung der historisch-vergleichenden
Sprachwissenschaft.
Die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm werden nicht selten als
Begründer der wissenschaftlichen deutschen Germanistik
betrachtet. Jacob Grimm stellte in seiner „Deutschen
Grammatik“ (1819 - 1837) fest, dass nur ein grundlegendes
Studium der Vergangenheit zum Verständnis der Gegenwart
führe. Beim Vergleich von Texten aus verschiedenen Perioden
bemerkte er gewisse regelmäßige Lautveränderungen, für die er
Regeln formulierte, z. B. die I. und die II. Lautverschiebung,
Ablaut und Umlaut.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Jacob Grimm schuf auch die Bezeichnungen althochdeutsch,
mittelhochdeutsch, starke und schwache Flexion usw. Diese
historisch-vergleichende Arbeitsmethode war eine große
wissenschaftliche Errungenschaft des 19. Jh., aber sie hat auf
lange Zeit die Sprachforschung einseitig auf Lautwandel,
Morphologie und Geschichte der einzelnen Wörter festgelegt.
Syntax und Stilistik sowie die Pflege der lebenden Sprache
wurden von der Universitätsgermanistik vernachlässigt. Das letzte
große Werk der Brüder Grimm ist ihr „Deutsches Wörterbuch“,
an dem Generationen arbeiteten.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Normierung der Orthografie.
Erst im 18. Jh. hatte man durch Adelung und Gottsched einen
gewissen Erfolg in der Normierung der Rechtschreibung erlangt.
Gottsched hatte die Großschreibung der Substantive zur
orthografischen Norm erhoben. Man folgte nun hauptsächlich
den Richtlinien der Gebildetenaussprache, der Unterscheidung
von Homonymen (wider - wieder, Weise - Waise) und der
etymologischen Zusammengehörigkeit.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
DEUTSCHE SPRACHE VON CA. 1830 BIS CA.
1920: BÜRGERKULTUR UND REALISMUS
TENDENZEN DER SPRACHENTWICKLUNG
Die Ausbildung einer Standardsprache mit hohem sozialem
Ansehen (daher „Hochsprache“).
Diese Entwicklung wurde durch die Festlegung einheitlicher
Normen und Regeln besiegelt: in der Rechtschreibung und im
Wortgebrauch endgültig durch Konrad Dudens
„Orthographisches Wörterbuch“ (1880) sowie die
Orthografische Konferenz von 1901. Ein weiterer Schritt wurde
die Festlegung der aussprachlichen Norm (Orthoepie) durch
die „Deutsche Bühnenaussprache“ (1898) von Theodor
Siebs.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Entstehung großräumiger Umgangssprachen unterhalb der
normierten und stabilisierten „Hochsprache“ (z. B. das
Rheinische, das Schwäbische, das Sächsische, das
Ruhrpottdeutsch).
Die Umgangssprachen werden in der Alltagskommunikation v. a.
der mittleren Schichten benutzt. Sie unterscheiden sich durch
landschaftliche Besonderheiten der Lautung, der Grammatik und
der Lexik. Bekannte Sonderformen wurden in den Duden
aufgenommen.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Schwer abzugrenzen von Umgangssprachen sind Mundarten.
Mundarten erhalten sich auch im 19. Jh. als gesprochenes
„geografisch und soziologisch relativ begrenztes
Kommunikationsmittel“ (Schmidt, 1984). Ein besonderes Problem
für den sprachlich-sozialen Wandel im 19. Jh. stellen die
mundartnahen Stadtdialekte dar. Unter der Wirkung von
Modernisierungsprozessen entstehen in den Großstädten
ortstypische Mischungen aus Elementen verschiedener
Mundarten, der Umgangssprache und Fachwortschätzen.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Die Stadtdialekte werden von den unteren Schichten getragen
und sind als eine Art Alltagssprache im heutigen Sinne
anzusehen. Der Gebrauch von Gemeinsprache,
Umgangssprache und Mundart ist an bestimmte standardisierte
Situationen mit schicht- und tätigkeitsspezifischen Kontakten
gebunden. Für die meisten Deutschen ergibt sich daher seit dem
19. Jh. eine Zweisprachigkeit (Diglossie). Sie beherrschen
sowohl die Hochsprache als auch die Umgangssprache oder die
Umgangssprache und den Dialekt.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Eine enorme Ausweitung des Wortschatzes,
die hauptsächlich aus drei Quellen gespeist wird:
1. Übernahme aus Fachwortschätzen,
2. Entlehnung aus anderen Sprachen,
3. Verdeutschung fremdsprachiger Wörter nach der
Reichsgründung 1871.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Das Lehngut ist meist englischer Herkunft und betrifft die
Bereiche Technik, Verkehrswesen, Sport, Presse, Kultur, Mode
sowie Bank- und Geschäftswesen.
Französisch tritt als Quelle der Entlehnungen in den Hintergrund,
aber es dient neben Englisch oft als eine Mittlersprache, über die
zahlreiche griechisch-lateinische Internationalismen ins
Deutsche eindringen. Die Internationalismen setzen sich
vorrangig auf dem Gebiet der Wissenschaft (Chemie, Physik,
Medizin) und Technik durch. Manche Lehnwörter englischer
Abstammung werden mit französischer Aussprache ins Deutsche
übernommen.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Der Austausch zwischen Fachsprachen und Standardsprache
läuft vielfach über Metaphern und bildhafte Redewendungen.
Besonders technische Sachverhalte werden dabei zunächst
durch Analogie verdeutlicht und später ins Alltagsbewusstsein
integriert:
Eisenbahnschwelle, Schiffsschraube, Zahnradbahn, Kurbelwelle;
Dampf machen, Dampf ablassen, die Notbremse ziehen,
unter Hochdruck arbeiten, unter Spannung stehen,
unter Strom stehen, auf Draht sein, eine lange Leitung haben
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Die gegen Ende des 19. Jh. scharf bekämpfte
Engländerei und Frankomanie findet sich besonders
im pathetischen Konversationsstil der adligen
Gesellschaft:
shocking, all right, last not least, standard of life,
komfortabel, fashionabel;
dispensieren, etablieren, explizieren, eminent, enorm,
grandios, kapriziös, kolossal, sublim, subtil.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Schlag- und Modewörter des „feuilletonistischen Zeitalters“
stammen oft aus der politischen Polemik und werden durch die
Presse (mit meist negativen Konnotationen) allgemein verbreitet:
Pauperismus, Proletariat, Kommunismus, Sozialismus,
Antisemit; Agitation, Propaganda, Demonstration,
Klassenkampf, Barrikadenkampf; Emanzipation der Frauen
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Eine neue Welle der Sprachkritik.
Sie wendet sich einmal gegen Anglomanie und Frankomanie,
also gegen den Fremdwortgebrauch und die dadurch
entstehende Mischsprache. Zum anderen richtet sie sich gegen
das „Sprachverderbnis“ durch das „Zeitungsdeutsch“
(A. Schopenhauer).
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Ende des 19. Jh. setzte sich „Der Allgemeine Deutsche
Sprachverein“ (gegr. 1885) für Sprachreinigung ein und
beeinflusste besonders die Sprache der Verwaltung und der
Behörden.
Die Terminologie der Eisenbahn und des Postwesens wurde
schon früh planmäßig verdeutscht, während Österreich und die
Schweiz die ursprünglichen Fremdwörter behielten: Bahnsteig für
Perron, Fahrkarte für Billet, Briefumschlag für Kuvert.
In der Zeit um den 1. Weltkrieg wurde die Sprachpflege in den
Dienst des Nationalismus gestellt und der Fremdwortgebrauch als
geistiger Landesverrat bezeichnet.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
DEUTSCHE SPRACHE VON CA. 1920
BIS ZUR GEGENWART
Nach dem 2. Weltkrieg haben sich die Grenzen des deutschen
Sprachgebietes im Osten stark verschoben.
Durch die Vertreibung, Auswanderung und Umsiedlung von 14
Mio. Deutschen 1941 – 1945 sind auch – mit Ausnahme einiger
Sprachinseln – die ostdeutschen Dialekte wie Preußisch,
Ostpommerisch, Schlesisch, Böhmisch u. a. allmählich im
Verklingen.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Das deutsche Sprachgebiet besteht heute aus der
Bundesrepublik Deutschland, Österreich, Liechtenstein und
der deutschsprachigen Schweiz. Hauptsächlich zweisprachige
Gebiete sind Luxemburg, Südtirol (Italien), Elsaß/Lothringen
(Frankreich), Eupen/Malmédy (Belgien), Teile von Südjütland
(Dänemark) und einige Sprachinseln in Polen (im ehemaligen
Ostpreußen, Pommern und Oberschlesien), in Tschechien und
Rumänien (Siebenbürgen), in GUS-Ländern, in Namibia, in den
USA und in Kanada.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
DIE MUNDARTENGLIEDERUNG
Bei der Einteilung der Dialekte stützt man sich v. a. auf lautliche
Kriterien (2. Lautverschiebung, Diphthongierung,
Monophthongierung usw.), aber auch auf die Wortgeografie.
Die 2. Lautverschiebung hat einst das deutsche Sprachgebiet in
Niederdeutsch und Hochdeutsch geteilt. Nur im
Hochalemannischen ist sie ganz durchgeführt (d. h. auch die
Affrikatenverschiebung des k). Das Mitteldeutsche hat nur zum
Teil die Affrikatenverschiebung von p.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
OBERDEUTSCH
(2. LAUTVERSCHIEBUNG DURCHGEFÜHRT)
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
MITTELDEUTSCH
(KEINE VERSCHIEBUNG VON -PP-: APPEL)
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
NIEDERDEUTSCH
(KEINE 2. LAUTVERSCHIEBUNG)
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
TENDENZEN DER SPRACHENTWICKLUNG
Vereinfachung der Schriftsprache nach dem I. Weltkrieg.
Die Sprache wurde zum Mittel der politischen Auseinandersetzung,
der Propaganda und der Manipulation. Einen Höhepunkt erreichte
diese Entwicklung in der Zeit der Weimarer Republik.
In den 30er und der ersten Hälfte der 40er Jahre wurde die Medien-,
z.T. auch die Alltagssprache vom Nationalsozialismus geprägt.
Die Entstehung der beiden deutschen Staaten, der BRD und der
DDR, im Jahre 1949 führte zu einer 40-jährigen Trennung der
Deutschen in zwei unterschiedliche
Kommunikationsgemeinschaften. Den Differenzierungen zwischen
den beiden deutschen Staaten und den Varianten des Deutschen in
Österreich und der Schweiz wirkten zugleich eine Reihe gemeinsamer
sprachlicher Prozesse entgegen, die das Deutsche in seiner Gesamtheit
beeinflussten und zu Veränderungen im Sprachgebrauch führten.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Vor allem die Mobilität der Bevölkerung und der Sog der
Massenmedien haben die sozialen und kommunikativen
Verhältnisse im 20. Jh. entscheidend verändert.
Die Standardsprache als durchschnittliche Sprech- und
Schreibsprache des „Normalverbrauchers“ ist heute geprägt
von zahlreichen, oft divergierenden Einflüssen aus
regionalen, sozialen und funktionalen Sondersprachen.
Heute kann trotz landschaftlicher Besonderheiten von einer
Entregionalisierung der Umgangssprache gesprochen
werden. Dieser Prozess betrifft ebenfalls die Dialekte, die an
die Stelle der früheren großräumigen Umgangssprachen
getreten sind.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Das Deutsch der 1960 – 80er Jahre wurde v. a.
lexikalisch-semantisch angereichert
1. aus der Gruppensprache der „Neuen Linken“ (Establishment,
Systemveränderung, Monopolkapitalismus, US-
Imperialismus, Sit-in),
2. aus der Gruppensprache der Alternativbewegung (Demo,
instandbesetzen, Realo, Öko-Freak, Öko-Trip, Fundi, Sponti),
3. aus der Arbeitersprache (Maloche, Kumpel, klarkommen,
krankfeiern),
4. aus der Jugend- und Szenensprachen (geil, fetzig, cool,
ätzend, beknackt, abgewichst, geldmäßig, checken, raffen,
anpowern, rummotzen, Tussi, Disco-Torte, Grufti, Stino,
Oliba).
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Wissenschaftssprachen nehmen in unterschiedlicher Weise auf und
terminologisieren Elemente der Standardsprache. Umgekehrt findet
bei der Rückführung von Fachausdrücken in die Gemeinsprache eine
Determinologisierung statt.
Der Blick auf die sondersprachlichen Einflüsse in der deutschen
Gegenwartssprache verdeutlicht einige auffallende Tendenzen:
1. die Tendenz zum Abbau schriftsprachlicher Normen (Vorrang der
mündlichen Rede und umgangssprachlicher Wendungen);
2. die Tendenz zur Aufhebung von Sprachgrenzen (regional, funktional,
national);
3. die Tendenz zur Veränderung von Bedeutungen (denotativ, konnotativ);
4. die Tendenz zur Sprachmischung und Sprachmobilität (Jargonisierung,
Adhoc-Bildungen, Neologismen).
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Die oben dargestellten Tendenzen verdanken sich zu einem nicht
geringen Teil dem Einfluss der heutigen Massenmedien.
Darunter fallen Printmedien (Massenpresse) und elektronische
Medien (Film, Funk, Fernsehen, Internet). Gemeinsam ist ihnen
die veränderte Kommunikationssituation:
Massenkommunikation vollzieht sich in einer Richtung und
ohne unmittelbares Feed-back (Einwegkommunikation).
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Die Massenpresse nahm recht früh die allgemeinen
Nominalisierungstendenzen (Großkomposita, Blockbildung,
„Kompaktbauweise“ durch Präpositionalattribute) auf und
verstärkte sie, entwickelte ein System der optisch-appelativen
Leseanreize (Schlagzeilenbildung) und Textgliederung
(Zwischentitel) und verbreitete Mode- und Jargonwörter,
Formeln und Klischees der Umgangssprache.
Der Hörfunk ist ein „Medium der gesprochenen Sprache“. Er
bildete neue Text- und Vermittlungsformen aus: zur Unterhaltung
und Belehrung die kommentierte Musiksendung und das
Hörspiel, zur Information die Nachrichtensendung, zur
aktuellen Berichterstattung das Interview, die Gesprächsrunde
und die Reportage.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
In diesen Formen lässt sich der Trend zum
„Wörterbäckerdeutsch“, zu modischen Abkürzungen
(Initialwörter wie Bafög, Azubi, SDI) und zu Kurzsätzen oder
Satzverkürzungen beobachten.
Der Rundfunk hat dazu beigetragen, die gemäßigte Hochlautung
der Standardsprache allgemein durchzusetzen und zugleich die
„Kenntnis regionaler Sprechcharakteristika“ zu verbreiten.
Das Fernsehen dominiert heute weitgehend die
Medienlandschaft sowie das Freizeitverhalten der Bevölkerung.
Seine Faszination beruht auf der Doppelkodierung von Text
und Bild, die Inhalte zugleich ikonisch, symbolisch und aktional
präsentiert.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
Bei der Wechselwirkung von Standard- und Literatursprache
sind drei Entwicklungstendenzen zu beobachten:
1.Aufgabe einer normierten Literatursprache;
2.Demokratisierung des literarischen Lebens;
3.Relativierung der literarischen Kultur.
Der direkte Einfluss der Literaten- und Literatursprache auf
die Standardsprache verschwindet zunehmend. Heute
verdrängt ihn der Trivialverbund von elektronischen Medien und
Massenliteratur, die dem Rezipienten die immer gleichen
stereotypen Formeln und Klischees servieren. Indirekt wirkt
Literatursprache sich aus bei der Fixierung des
Sprachstandards in Sprachlexika.
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.
?
?
?
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D. Koroljow. Geschichte der deutschen Sprache.