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Interventionsmethoden/Prävention: Ressourcenorientierte

Interventionsmethoden und Behandlungsansätze bei


psychischen Erkrankungen

Fall F

Bergen, Krüger, Brunnhofer, Pappenheimer


Gliederung

1.Fallvorstellung
2.Hintergründe 3. Intervention
3.1 Problem- und Verhaltensanalyse
2.1 Klassifikation
3.2 Zielsetzung
2.2 Differentialdiagnose
3.3 Ressourcenaktivierung
2.3 Epidemiologie & Verlauf
3.4 Motivation fördern
3.5 Eiswassertest
3.6 Psychoedukation
3.7 Selbstbeobachtung
3.8 Entspannungsverfahren
3.9 Schmerzfokussierung
3.10 Tages-/Wochenplan
1. Fallvorstellung
Welche Ressourcen habt ihr bei Herrn J.
gefunden?

Welche Symptome zeigt Herr J?


Quiz zur Verdachtsdiagnose

Auf Kahoot.it gehen


Game Pin eingeben
Spielername eintragen
Los geht’s 
2.1 Klassifikation nach ICD-10

F45. Somatoforme Störungen

F45.0 Somatisierungsstörung
F45.1 Undifferenzierte Somatisierungsstörung
F45.2 Hypochondrische Störung
F45.3 Somatoforme autonome Funktionsstörung
F45.4 Anhaltende Schmerzstörung
F45.8 Sonstige somatoforme Störungen
F45.9 Somatoforme Störung, nicht näher bezeichnet
F45.41Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren

• seit mindestens 6 Monaten bestehende Schmerzen in einer oder mehreren anatomischen


Regionen (Ausgangspunkt in einem physiologischen Prozess oder einer körperlichen
Störung)
• Psychischen Faktoren sind wichtig für Schweregrad, Exazerbation oder
Aufrechterhaltung der Schmerzen, jedoch nicht die ursächliche Rolle für deren Begin
• Schmerz verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden und Beeinträchtigungen in
sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen
• Schmerz wird nicht absichtlich erzeugt oder vorgetäuscht
Kahoot Quiz

Auf Kahoot.it gehen


Game Pin eingeben
Spielername eintragen
Los geht’s 
2.2 Differentialdiagnose & Komorbiditäten

1. Depression 
 zusätzlich zur Schmerzsymptomatik Vollbild einer depressiven Erkrankung

2. Angststörung 
 generalisierte Angststörungen, Panikstörungen, soziale Phobie 
3. Psychotische Störung
 beunruhigende Körpersensationen
4. Persönlichkeitsstörungen
 Körperliche Klagen

Nilges, P. (2010). Elektronischer Sonderdruck für. Schmerz, 24, 209-212.


2.3 Epidemiologie und Verlauf

 weder monokausal somatisch


 noch monokausal psychologisch
 sondern multifaktoriell
Schmerz verstehen
 Frühere Definition von Schmerz: allein körperlich, ausgelöst durch Reiz und weiter geleitet an
Gehirn
 sehr einseitig und überholt
 Unterscheidung von akuten & chronischen Schmerzen
Akuter Schmerz Chronischer Schmerz
Kurz >6 Monate
Genaue Lokalisation Diffus, wandert
Hell, spitz Dumpf, anhaltend
Ursache klar Nicht sichtbar, „nichts zu finden“
Aktiv Resignation, Zermürbtheit
Aspirin, Paracetamol z.B. Antidepressiva; multimodal

-> Biologisch sinnvolles Warnsignal -> Kein Signal für Schaden sondern
eigenständige Erkrankung
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Psychische Risikofaktoren für eine
Chronifizierung der Schmerzkrankheit

• Anhaltende psychovegetative Spannung


• Gewalt- und Schmerzerfahrung in der Kindheit
• z.B. seelische und körperliche Misshandlung oder Vernachlässigung

• Angst und Depression in der Vorgeschichte


• Unzureichende analgetische Vorbehandlung
• Operation vor dem 6. Lebensjahr
• Primärer oder Sekundärer Krankheitsgewinn

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Psychische Risikofaktoren für eine
Chronifizierung der Schmerzkrankheit

• Ebenfalls Schmerzkranke Angehörige in der Familie


• Tendenz zum ‘Katastrophisieren’
• Schmerzverhalten bevorzugt nonverbal
• Anhaltende Konflikte, dysfunktionale Kommunikation
• Ungünstige Coping-Strategien
• Passivität, Hilflosigkeit, Selbstbeschuldigung, übersteigertes Leistungsideal

• Körperliche Fixierung durch einseitig somatisches Diagnostizieren und Behandeln


• Soziale Probleme
• z.B. Arbeitslosigkeit

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Protektive Faktoren – die vor einer Chronifizierung
der Schmerzkrankheit schützen

• Frühe und ausreichende Schmerzmedikation

• Angemessene Akzeptanz der Erkrankung und der bestehenden Leistungseinbußen


(balanced coping)

• Ressourcenaktivierung, aktive Schmerzbewältigung

• Annahme sozialer Unterstützung (Partner, Familie, Freunde, etc.)

• Vorherige konstruktive Krisenbewältigung (self efficacy)

• Tragfähige Arzt-Patient-Beziehung

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Chronischer Schmerz = komplexes Krankheitsbild
Behandlung daher mit einem ganzheitlichen Ansatz, der die verschiedenen Ebenen aufgreift
-> multimodale Therapie

Körperliche/Biolo-
gische Faktoren

Psychische
Soziales Umfeld
Konstellation
Teufelskreise
Teufelskreise

Schmerz
therapie
Kranken-
(Medikamente)
gymnastik

Schmerzbewältigungs-
training

Entspannung

Aktivierung

Psychotherapie
Schwierigkeiten mit dem Bereich der
Somatoformen Störungen

 Defizite der Arzt-Patienten-Beziehung (psychosoziale


Schwierigkeiten werden bereits früh kommuniziert)
 Unscharf gefasste Diagnose und im ICD relativ jung
 zu hoher Interpretationsspielraum bei Diagnostik
 mangelhaft operationalisierte diagnostische Kriterien
3. Intervention
Regeln für das Vorgehen

1. Verständliches individuelles Modell für die Entstehung, Auslösung


und Chronifizierung des Schmerzes erarbeiten

2. Transparente Therapieplanung

3. Subjektives Kontrollerleben fördern

4. Frühere Misserfolge thematisieren

5. Realistische Ziele setzen Glier, 2014


Therapieplan

1. Erstgespräch ✓ 7. Eiswassertest
2. Diagnostik ✓ 8. Psychoedukation
3. Problem- und Verhaltens- 9. Selbstbeobachtung
analyse 10. Entspannungsverfahren
4. Zielsetzung 11. Schmerzfokussierung
5. Ressourcenaktivierung 12. Tages-/Wochenplan
6. Motivation fördern
3.3 Problem-und Verhaltensanalyse-
Selbstregulationsmodell
Sα = stressige, fordernde Arbeit,
Überstunden, kritisierende Arbeitskollegen,
Unfall
Sβ = Schlafprobleme, negative Gedanken
wie „Meine Frau ist enttäuscht von mir.“
Sγ = chronische Schmerzen in Schlüsselbein,
Rücken, Bein.

Rα = Teilzeitjob
Rβ = sozialer Rückzug, meidet Blickkontakt,
unter Druck durch Kinderwunsch,
Gedanken wie: „Ich kann meine Familie
nicht unterstützen.“ (Selbstzweifel, Scham,
Schuldgefühle)
Rγ = Schonverhalten, kein Sport, fast keine
Bewegung
3.3 Problem-und Verhaltensanalyse-
Selbstregulationsmodell
C = GROßE SCHMERZEN (dadurch wenig
Lebensfreude),
Respektverlust bei Kollegen,
Geringer Selbstwert
Aber auch: mehr Zeit mit der Familie,
Zuwendung, weniger Überstunden (
sekundärer Krankheitsgewinn!)

Vergleich mit den Standards & korrigierendes


Feedback:

„Die anderen arbeiten Vollzeit. Wieso schaffe


ich das nicht?“
3.4 Zielsetzung

 Kurzfristiges Ziel: Stabilisierung


Allgemeines Wohlbefinden steigern
Körpergefühl, Selbstwert steigern
Werkzeuge in die Hand geben

 Langfristige Ziele:
Gedanken machen über: Rückkehr in Vollzeit-Tätigkeit sinnvoll/erwünscht?
Kinderwunsch und finanzielle Situation?  Paarberatung anbieten
3.4 Zielsetzung

1. Psychische Stressfaktoren verringern (Anforderungsreduktion)


2. Selbstwirksamkeit und schmerzbewältigende Kognitionen fördern
3. Ressourcen und Genussfähigkeit stärken
4. Entspannungsfähigkeit verbessern
5. Schonverhalten abbauen
6. „Positive“ Konsequenzen von Schmerz erkennen.
7. Verzicht auf kurzfristig positive Konsequenzen des Schmerzverhaltens (z.B.
Zuwendung)
8. Verringerung langfristig negativer Konsequenzen wie Mobilitätsverlust,
Einschränkung der Belastbarkeit
Glier, 2014
3.5 Ressourcenaktivierung

 „Was tue ich in der Regel, wenn ich Schmerzen habe?“

 Aufmerksamkeitslenkung nach innen oder außen


 Aufmerksamkeitslenkung in Aktion oder Ruhe
 Aufmerksamkeitslenkung allein oder gemeinsam mit anderen

Glier, 2014
3.5 Ressourcenaktivierung

Liste mit Ressourcen, die die


Aufmerksamkeit vom Schmerz
ablenken könnten.

Techniker-Krankenkasse, 1995
3.6 Motivationsförderung

Problematische PatientInnen
 Nehmen eine passive Rolle ein
 Hohe Erwartungen an ÄrztInnen und TherapeutInnen  zum
Scheitern verurteilt
 Vorurteile
 Misstrauen

 Blockaden aus dem Weg schaffen

Glier, 2014
Eiswassertest
3.7 Eiswassertest
 Gezielte Provokation des Problemverhaltens
 Nach kognitiven, emotionalen, physiologischen Reaktionen
fragen
 Wirkung von Aufmerksamkeitslenkung demonstrieren
 Durch Ablenkung steigt die Schmerztoleranz
 Guter Einstieg zur Psychoedukation und Motivationsförderung

Glier, 2014
3.8 Psychoedukation

 Schafft Transparenz
 Stärkt Vertrauen & Beziehung zu PatientIn
 Informationsbedürfnis
 Experte der eigenen Krankheit werden
 Entlastende Wirkung
 Krankheit akzeptieren

 https://www.youtube.com/watch?v=M4gVUdSBMfQ (ab 2:53min)

Glier, 2014
Die Tor-Theorie der Schmerzen

 Gehirn hat Einfluss auf Nachrichtenleitung


 Je weiter das Tor geöffnet ist, desto mehr Schmerzimpulse
können bewusst wahrgenommen warden
 Öffnung des Tores durch:
Innere Unruhe/Anspannung
Sorgen
Ständiges Nachdenken über Schmerz
Traurigkeit
Hoffnungslosigkeit
(…)

Glier, 2014
Therapieplan

1. Erstgespräch ✓ 7. Eiswassertest ✓
2. Diagnostik ✓ 8. Psychoedukation ✓
3. Problem- und Verhaltens 9. Selbstbeobachtung
-analyse ✓ 10. Entspannungsverfahren
4. Zielsetzung ✓ 11. Schmerzfokussierung
5. Ressourcenaktivierung ✓ 12. Tages-/Wochenplan
6. Motivation fördern ✓
3.9 Fähigkeit zur Erregungssteuerung

Regulierung von Spannungszuständen und ihren Auswirkungen

Lernprozess!

1. Schritt: Selbstbeobachtung
2. Schritt: Selbstbewertung
3. Schritt: Selbstveränderung

Glier, 2014
3.9 Selbstbeobachtung

 Schmerztagebücher
 Gemeinsam erarbeiten
 Bestandteil der Therapie
 Einbindung in den Alltag

 Zur Bewusstmachung von Auslösersituationen

Glier, 2014
Glier, 2014
3.9 Selbstbeobachtung

 Spannungstagebücher
 Skala von 0 – 100
 50 = mittlere Aktivierung = Ausgeglichenheit, körperliches und psychisches
Wohlbefinden, beste Lern- und Leistungsfähigkeit
 Zuerst zeitliche Beobachtung
 Dann situationsbezogene Beobachtung

Glier, 2014
Glier, 2014
3.9 Selbstbewertung

 Elaboration, ob Spannungszustände angemessen beurteilt werden


 Alternative Folgen bei unterschiedlicher Spannungslage in derselben Situation
 z.B. Ärger -> hohe Spannungslage -> erschwerte Konfliktlösung
 Vereinbarung von konkreten Lernzielen
 z.B. in vergleichbaren Situationen Spannungspegel auf „70“ einzustellen

Glier, 2014
3.10 Selbstveränderung -> Entspannungsmethoden

 Verringerung von Spannungszustand und Stress


 Unterbrechung des Teufelskreises
 Anregung von Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsprozessen

 v.a. Progressive Muskelrelaxation und Autogenes Training


 PMR: Verkürzung der Übung bis nurmehr der ganze Körper gleichzeitig
angespannt wird

Glier, 2014
3.10 Entspannungsübung
3.10 Entspannungsmethoden: Eutonie

 Konzentration auf Druck- und Kontaktflächen mit dem Körper


 Gesäß auf der Sitzfläche
 Hände auf Oberschenkel
 Fußsohlen auf Boden
 Lernziele:
 beim Hinsetzen eutonische Haltung einnehmen und schnelle
Aufmerksamkeitsfokussierung
 Eine Kontaktfläche -> Signalpunkt -> Aufmerksamkeitslenkung auf Fläche
 Finales Lernziel:
 Aufmerksmkeitsfokussierung in kritischen Situationen

Glier, 2014
3.10 Methoden der Aufmerksamkeitslenkung

Wahrnehmung als eingerosteter Scheinwerfer

Glier, 2014
3.10 Methoden der Aufmerksamkeitslenkung

 External
 Buch lesen
 Film schauen
 Internal
 Phantasiereisen
 Autogenes Training
 Schöne Erinnerungen
 Eutonie
 PMR
 Biofeedback
Glier, 2014
3.11 Schmerzfokussierung

 Bei starken oder momentanen Schmerzen


 Vorstellung des Schmerz als eingrenzbare Fläche
 Meistens Bericht von deutlicher Verkleinerung des Schmerzes
 Besondere Selbstregulations- bzw. Selbstkontrollkompetenz, die sich trainieren
lässt und zu wirksamer Schmerzbewältigungsmethode entwickeln kann

Glier, 2014
Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Samstag Sonntag
06:00 - 07:00 Aufstehen Aufstehen Aufstehen Aufstehen Aufstehen

07:00 - 08:00 Frühstück Frühstück Frühstück Frühstück Frühstück Aufstehen Aufstehen

08:00 - 09:00 Frühstück Frühstück

09:00 - 10:00
Natur (z.B.
10:00 - 11:00 Arbeit Arbeit Arbeit Arbeit Arbeit
Spazieren, Gärtnern)
11:00 - 12:00

12:00 - 13:00 Eutonie PMR

13:00 - 14:00 Mittagessen Mittagessen Mittagessen Mittagessen Mittagessen Mittagessen Mittagessen

14:00 - 15:00 Schmerztagebuch Schmerztagebuch Schmerztagebuch Schmerztagebuch Schmerztagebuch Schmerztagebuch Schmerztagebuch


Imaginations-
15:00 - 16:00 Massage Physiotherapie
übungen
Radfahren
Radfahren
16:00 - 17:00 Familie Familie Schwimmen/
Familie (z.B.
Spielenachmittag)
Familie Familie
(z.B. Park) (z.B. Kino) Therme
17:00 - 18:00
Film schauen
18:00 - 19:00 PMR Autogenes Training Eutonie PMR Autogenes Training

19:00 - 20:00 Abendessen Abendessen Abendessen Abendessen Abendessen Abendessen Abendessen

20:00 - 21:00 Schmerztagebuch Schmerztagebuch Schmerztagebuch Schmerztagebuch Schmerztagebuch Schmerztagebuch Schmerztagebuch

21:00 - 22:00 Schlafen gehen Schlafen gehen Schlafen gehen Schlafen gehen Schlafen gehen Schlafen gehen Schlafen gehen
Fragen an Plenum

 Welche Möglichkeiten gäbe es, um Personen mit Somatoformen Störungen


schneller in psychotherapeutische Richtung zu lenken?
Literatur

 World Health Organization. (1992). The ICD-10 classification of mental and behavioural disorders: Clinical
descriptions and diagnostic guidelines. Geneva: World Health Organization.
 Glier, B. (2014). Chronischen Schmerz bewältigen: Verhaltenstherapeutische Schmerzbehandlung (3. Aufl.).
Stuttgart: Klett-Cotta.
 Trösken, A. & Grawe,K. (2004). Inkongruenzerleben aufgrund brachliegender und fehlender Ressourcen: Die Rolle
von Ressourcenpotentialen und Ressourcenrealisierung für die Psychologische Therapie. Verhaltenstherapie &
psychosoziale Praxis, 36, 51-62.

 http://www.psychosomatik-aalen.de/ressourcen/audio.html
 http://www.schmerzedukation.de

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