Querschnitt
Die Errichtung der riesigen Halle mit einer Länge von 564,18 m (= 1851 Fuß; vgl. dazu das Jahr der
Weltausstellung!) und einer Breite von 137,16 m (450 Fuß) war ein reiner Montagevorgang fertiger,
standardisierter, vorfabrizierter Bauteile aus Eisen, Glas und Holz: 3300 gusseiserne Säulen, 2224
Träger, 1128 Konsolen für die Seitengalerien, 24000 Rohre für 34 Meilen Abflussleitung, 900000
Quadratfuß (= nahezu 84 000 m2) Glas (mit einem Gewicht von 400 Tonnen) in einzelnen Scheiben
(etwa 270000 an der Zahl), 205000 Rahmenhölzer. „In jahrelanger Vorarbeit, durch dauernde Ver
suche und Verbesserungen der Methoden und Details, die schon bei den Glashäusern zehn Jahre
vorher angewendet worden waren, wurde schließlich ein Zustand der Perfektion erreicht, der
erlaubte, das Gebäude in weniger als 4 Monaten zu errichten." (Wachsmann, K.: Wendepunkt im
Bauen, Hamburg 1962).
Ein zeitgenössischer Kritiker schrieb 1851 in einer Architekturzeitschrift über den Crystal Palace,
den „Kristallpalast": „Die Forderungen, die an das Bauwerk gestellt wurden, konnten zweifellos in
keiner anderen Weise so gut erfüllt werden als in der, welche Paxton in seinem
bewunderungswürdigen Entwurf anwandte. Und wir gestehen gern, dass die beispiellosen inneren
Wirkungen einer derartigen Struktur uns zu Bewunderung hinreißen: eine Wirkung des Raumes, wie
sie bisher noch nicht erreicht worden ist... und darüber hinaus nach unserer Meinung eine der
befriedigendsten Eigenschaften eine offene Wahrhaftigkeit der Konstruktion, die über alles Lob
erhaben ist... es ist Ingenieurswerk von höchstem Wert und Rang aber nicht Architektur [= Kunst].
Dem Werk fehlt völlig die Form, und es fehlt ihm die Idee der Stabilität und Solidität."
Länge: 564 m (entspricht 1851 Fuß) , Breite: 137 m, Höhe: 33 m, 73 000 qm,
vorfabrizierte gusseiserne, gläserne und hölzerne Elemente
Etwa lOO Jahre später schreibt Konrad Wachsmann: „Der .Kristallpalast' kann
in der Tat als der nun sichtbar gewordene Wendepunkt angesehen werden,
durch den die Entwicklung der Baugeschichte in eine andere Richtung gelenkt
wurde. Faszinierend dabei ist, dass das Ganze nur aus einfachen, kleinen
Teilen besteht; es gibt keine gewaltigen, kolossalen Baukörper. Nichts ist da,
was nicht bis in das kleinste Detail sofort verstanden werden kann ... Aus
Vernunft und Logik, den Gedanken des neuen technischen Zeitalters intuitiv
erfassend, entstand eine neue Schönheit, wie sie nie vorher erkannt, gewertet
und empfunden wurde. Der Kristallpalast war ein Kunstwerk."
Nach der Weltausstellung wurde das Gebäude demontiert und zwischen 1852
und 1854 in Sydenham, einem Vorort Londons, in etwas veränderter Form
wieder aufgebaut und zu einem luxuriösen Vergnügungszentrum, einem
„Volkspalast", umfunktioniert.
Wichtige Veränderungen waren: Durch neue, größere Dimensionen ergaben sich
50% mehr Rauminhalt;
das Längsschiff, ursprünglich flach gedeckt, wurde jetzt eingewölbt
(Scheitelpunkt 36,5 m); das mittlere Querschiff erreichte eine Höhe von 51 m;
das Gebäude erhielt eine Heizung; statt ursprünglich 900000 Quadratfuß
Glasfläche waren es jetzt 1650000 Quadratfuß (= 153285 m2). „Das eigentliche
Gebäude lieferte die großzügige Raumhülle (490m lang), den Bewegungsraum
... Das mittlere Querschiff beherbergte eine riesige Orgel und Raum für
Orchester und 4000 Zuhörer, außerdem ein Opern und VarieteTheater für 2
000 Besucher und eine Konzerthalle für weitere 4 000 Gäste. Ausstellungs und
Erfrischungsräume schlössen sich an, Statuen (vorwiegend als Gipsabgüsse),
Pflanzengruppen und Springbrunnen belebten das Hauptschiff... Ein ganzes
Spektrum von Möglichkeiten und Attraktionen, von jedem etwas, aus aller Herren
Länder etwas eine Welt im Kleinen war nach bildungsbürgerlichen
Gesichtspunkten zusammengestellt und verfügbar gemacht." (Henning
Schefold/SchmidtThomsen).
Bereits 1866 brannte das nördliche Querschiff ab und 1936 wurde der gesamte
Bau durch einen Großbrand zerstört. Viele andere Städte, wie Dublin, New York,
Kopenhagen, Amsterdam, Breslau erhielten ähnliche Anlagen. Der Münchener
Glaspalast im Alten Botanischen Garten, 18531854 von August von Voit (1801
1870) errichtet, fiel 1931 den Flammen zum Opfer.
Die »Maßlosigkeit« des Raumeindrucks. Erst allmählich wurde
die Ästhetik der neuen Raumhülle ihr aus wenigen Elementen
zusammengesetzt Grundmuster, ihre radikale Abkehr von
bekannt« Stiltraditionen erkannt und bewundert. Überwältigend
allerdings empfand man von Anfang an die Lichtfülle, die
scheinbare Schwerelosigkeit der Konstruktion, die
»Unendlichkeit« des räumlichen Eindrucks. »Wir sehen ein feines
Netzwerk symmetrischer Linien, aber ohne irgendeinen Anhalt,
um ein Urteil über die Entfernung desselben von dem Auge und
über die wirkliche Größe seiner Maschen zu gewinnen. Die
Seitenwände stehen zu weit ab, um sie mit demselben Blick
erfassen zu können, und , anstatt über eine gegenüberstehende
Wand streift das Auge an einer unendlichen Perspektive hinauf,
deren Ende in einem blauen Duft verschwindet. Wir wissen nicht,
ob das Gewebe hundert oder tausend Fuß über uns schwebt, ob
die Decke flach oder durch eine Menge kleiner paralleler Dächer
gebildet ist; denn es fehlt ganz an dem Schattenwurf, der sonst die
Seele den Eindruck des Sehnervs verstehen hilft. Lassen wir den
Blick langsam wieder herabgleiten, so begegnet er den
durchbrochenen blaugemalten Trägern, anfangs in weiten
Zwischenräumen, dann immer näherrückend, dann sich deckend,
dann unterbrochen durch einen glänzenden Lichtstreif, endlich in
einem fernen Hintergrund verfließend, in dem alles Körperhafte,
selbst die Linie verschwindet und nur noch die Farbe übrig bleibt ...
Es ist nüchterne Ökonomie der Sprache, wenn ich den Anblick des
gewölbten Querschiffes unvergleichlich, märchenhaft nenne. Es ist
ein Stück Sommernachtstraum in heller Mittagssonne. Gleichzeitig
aber erfassten die Beschauer, die zum ersten Mal einen Bau von
solcher Größe sahen, der nicht aus Masse, aus massivem
Mauerwerk bestand, dass hier Begriffe, mit denen Architektur bis
dahin beurteilt wurde, plötzlich zu versagen begannen« (L. Bucher,
S. 174).
Die Konstruktion des Kristallpalastes
Der ganze Bau war auf einem einheitlichen Raster von Achsenmaßen der Stützen geplant.
Das Rahmenwerk bestand aus standardisierten, gusseisernen, hohlen Säulen von immer
gleichem Außendurchmesser, die aber, entsprechend auftretenden Belastungsvariationen,
mit verschiedenen innere Wandstärken ausgeführt wurden. Auf diese Weise war es möglich,
die dazugehörigen Binder1 und Balken in einheitlichen Standardmaßen ebenso wie die
Säulen in Massenproduktion herzustellen. Die Binder wurden in drei Ausführungen
verwendet: in Gusseisen, genietetem Schmiedeeisen und Holz. Diese Binder hatten die
ungewöhnliche Höhe von etwa einem Meter. Die Anschlüsse an die schlanken gusseisernen
Säulen erfolgten in Form standardisierter Auflagepunkte, die immer die gleichen waren, und
.. dem Zweck dienten, dem Gebäude, das keinerlei massive Wandflächen aufwies, die
genügende Quersteifigkeit zu geben. Die Art der Entwicklung der Unterzüge2, ihre Quer
schnitte, ihr Schlankerwerden an den Auflagepunkten, ihre geometrische Ordnung zeigten
den Verlauf der Kräfte des Konstruktionssystems und bestimmten ausschließlich den
ganzen Charakter des Baues. Die Dachdeckung beruhte auf einem Standardmaß von
Glasplatten. Auch das gehörte zu den wesentlichen Entscheidungen Paxtons. Diese
Glasplatten wurden über die ganze Dachfläche in Form eines gefalteten Sägedaches verlegt.
K. Wachsmann, 1959
Modul: 1,22 m