Wiener Vorlesungen
By Dirk Baecker, Hans-Ulrich Wehler, Franz X. Eder and
4/5
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Titles in the series (36)
- Zäsuren und Krisen im Lebenslauf
66
Verena Kast analysiert und interpretiert den Umgang mit Angst und Krisen in der heutigen Gesellschaft sowie den Wandel von Lebensmustern aus der sozialpsychologischen Perspektive. Krisen sind emotionale Gleichgewichtsstörungen, die jedenfalls als schöpferischer Prozess verstanden werden können. Menschen sollen grundsätzlich krisengewohnter, krisenbewusster und krisenfreundlicher werden, die Autorin stellt auch Techniken bereit, die helfen sollen, mit diesen Lebenssituationen fertig zu werden.
- Menschen mit Demenz in der Familie: Ethische Prinzipien im täglichen Umgang
168
Ist die Demenz eine unheilbare Krankheit? Kann ein wirksames Medikament dagegen gefunden werden? Oder sollte man dieses Phänomen nicht viel eher als eine natürliche Entwicklung im Prozess des Alterns betrachten?Katharina Gröning und Katharina Heimerl, Demenz- und Palliative-Care-Forscherinnen, legen dar, wie hilflos die Medizin im Umgang mit Demenzerkrankten ist - ist doch die Demenz ein hirnorganisches Paradoxon und keinesfalls eine heilbare Erkrankung. Dies zwingt die Gesellschaft, neue Wege zu gehen. Die beiden Forscherinnen fordern darüber hinaus ein vertieftes Verständnis allen Betroffenen gegenüber - nicht bloß für die Erkrankten, sondern auch für die Pflegenden.
- Wenn der Sinn zur Frage wird …
93
Sinnlosigkeitsgefühle und Sinnzweifel sind psychologische Phänomene, die Menschen über Jahre hinweg begleiten, die aber auch ganz plötzlich auftreten und zur Frage werden können. Der Hintergrund ist in beiden Fällen der gleiche, nämlich eine existenzielle Orientierungskrise. Der Existenzanalytiker und Logotherapeut Alfried Längle geht dieser Krise und ihren Hintergründen nach. Er versteht die Sinnfragen als Aufforderungen, sich der Grundmotivationen der Existenz bewusst zu werden und durch Erkenntnis des Wesentlichen zu einer inneren Zustimmung dem eigenen Dasein gegenüber zu gelangen.
- Lebenswelten im Umbruch. Zwischen Chaos und Ordnung
106
Umbrüche sind immer auch Krisen, da sie vom Individuum nicht nur als Übergang erlebt werden, sondern ebenso eine langfristige Ungewissheit und Unsicherheit darstellen, die für manche schwer oder gar nicht zu ertragen ist. Der Psychologe und Psychotherapeut Jürgen Kriz beschäftigt sich mit Brüchen in individuellen Biografien und untersucht den Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Konstellationen und der persönlichen Betroffenheit Einzelner vor dem Hintergrund der Geschichte des 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts. Anhand von Beispielen aus der psychotherapeutischen Praxis zeigt er Möglichkeiten auf, wie erstarrte Dynamiken und Kontrollzwänge durch die Förderung von Selbstorganisationsprozessen abgebaut und Umbrüche auf diese Weise als lebensförderliche Transformationschancen erkannt werden können.
- Mythos, Traum, Realität
74
Rasante wirtschaftliche und technische Entwicklungen und die damit verbundene Wissenschaftsgläubigkeit unserer Zeit konfrontieren den modernen Menschen mit einer Wirklichkeit, die ständig komplexer und nüchterner zu werden scheint. Ein zunehmendes Interesse an Mythos und Traum - wie sich auch am boomenden Esoterikmarkt zeigt - ist die Folge. Die Psychotherapeutin und Jungianerin Verena Kast analysiert die Funktionen von Mythos und Traum früher und heute. Die Globalisierung sieht sie als mythisches Symbol der Ganzheit, als Versuch, die Fragmentierung der Welt zu überwinden.
- Umweltgeschichte: Ein Plädoyer für Rücksicht und Weitsicht
174
Umweltgeschichte untersucht die Ursachen und Folgen langfristiger Entwicklungen in der Vergangenheit. Aus diesem Wissen sind die Unsicherheiten, möglichen Nebenwirkungen und unerwarteten Synergien in der Zukunft abzuleiten. Einsicht, Umsicht, Voraussicht, Rücksicht auf Natur und Menschen aber auch Zuversicht sind nötig, um die umfassende gesellschaftliche Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft zu bewerkstelligen. Ein solches Denken erfordert neue Wege der Ausbildung, des Handelns und der Bewertung. Umweltgeschichte liefert Einsichten, etwa in die Geschwindigkeit natürlicher und gesellschaftlicher Prozesse, Einsicht in die Unumkehrbarkeit vieler Eingriffe, oder in die langfristigen negativen Folgen kurzfristig erfolgreicher Anpassung. Die Wandelbarkeit unserer Wahrnehmungen und Bewertungen ist ebenso Thema wie die Antriebskräfte des Wandels im Anthropozän. Das Futterhäuschen 'Kontraspatz', die sowjetischen Großbauten des Kommunismus, die Bewässerungsanlagen der Hohokam im Südwesten der heutigen USA und die Geschichte der Niederlande machen diese Einsichten praktisch greifbar.
- Freuds Ödipus im androgynen Rosenkavalier
163
Hugo von Hofmannsthals "Rosenkavalier" wurde 1911 in Dresden uraufgeführt. Freuds Hauptwerk, "Die Traumdeutung", erschien 1900 in Wien. Hofmannsthal gibt vor, eine Tradition fortzusetzen, die er in Wirklichkeit auf den Kopf gestellt hat und hinter sich lässt. Es ist die Tradition eines hochzivilisierten Europa, die zwar dekadent geworden war, aber in Hofmannsthals Kreisen war auch die Dekadenz modisch und willkommen. Das 18. Jahrhundert, das er sich erträumte, war eine Übergangszeit. Doch war sich Hofmannsthal wohl bewusst, dass historische Fiktionen keine Rekonstruktionen, sondern Interpretationen sind und sein müssen. In seinem "Ungeschriebenen Nachwort zum ›Rosenkavalier‹" heißt es: "Es könnte scheinen, als wäre hier mit Fleiß und Mühe das Bild einer vergangenen Zeit gemalt, doch ist dies nur Täuschung und hält nicht länger dran als auf den ersten flüchtigen Blick. Die Sprache ist in keinem Buch zu finden, sie liegt aber noch in der Luft, denn es ist mehr von der Vergangenheit in der Gegenwart, als man ahnt …" Dieser letzte Nebensatz könnte auch ein Leitsatz der zu seiner Zeit neuen Wiener Wissenschaft, der Psychoanalyse, sein …
- Ein alter Mann ist stets ein König Lear: Alte Menschen in der Dichtung
104
Vor dem Hintergrund der Forderung nach einem würdigen, am Dialog orientierten Umgang mit alten Menschen begibt sich Ruth Klüger auf die Suche nach deren Darstellungen in der Literatur. Und wird dabei vor allem dort fündig, wo die Alten entweder als gute Ratgeber und Seher oder als Hexen und Miesmacher fungieren, vor denen sich die Jugend hüten sollte. Ebenso präsent ist das Bild der alten Eltern, die abtreten und deren Kinder bereits gierig das Erbe beschlagnahmen.Zum Verlust der gesellschaftlichen Stellung kommt die fortschreitende Körper- und Geistesschwäche, was Klüger zu dem Schluss führt: 'Alte Leute, die nicht nur in der Vergangenheit leben und nicht nur für die Zukunft ihrer Kinder Sorge tragen wollen, sondern auch Gegenwart beanspruchen, sind, in der Literatur zumindest, in einer heiklen Situation und schlittern auf Glatteis.'
- Die Sache mit der Führung
142
Die moderne Gesellschaft ist es gewohnt, Führungsansprüche scharf zu begrenzen. Diese müssen sich entweder daran ausweisen, dass sie den Weg kennen, oder daran, dass ihre Macht mit den Verhältnissen auf eine nachvollziehbare Weise abgestimmt ist. Das vorliegende Buch beschäftigt sich mit dem zweiten Fall. Es geht um Führung als eine Form der Ausübung von Macht, der die Geführten zuzustimmen bereit sind, weil sie sehen und überprüfen können, an welche Verhältnisse sich die Führung ihrerseits gebunden sieht. Führung übernimmt das Risiko einer notwendigen, weil unvermeidbaren Willkür. Damit jedoch rückt die Frage in den Mittelpunkt, wie die Gesellschaft im Allgemeinen und ihre Organisationen im Besonderen sicherstellen, dass genug Willkürchancen für allfällige Entscheidungen bereitstehen. Die kritische Theorie der Macht und der Führung, die in den vergangenen Jahrzehnten vor allem die deutschsprachige Literatur dominiert hat, hat diese Frage nach der Fähigkeit zur Bereitstellung von positiven Willkürchancen in den blinden Fleck unserer Beschäftigung mit Fragen der Macht und der Führung rutschen lassen. Dieses Buch diskutiert einen Vorschlag, wie dieses Manko korrigiert werden kann.
- Generationsidentitäten und Vorurteilsstrukturen in der neuen deutschen Erinnerungsliteratur
117
Die Anglistin Aleida Assmann, Inhaberin der Sir-Peter-Ustinov-Professur der Stadt Wien zur Erforschung und Bekämpfung von Vorurteilen 2005, führt in ihrem Aufsatz ihr angestammtes Feld der Erinnerungsforschung mit dem der Vorurteilsforschung zusammen. Der Idee der Identität stellt sie das in monokulturellen Gesellschaften häufigere Konzept der Generation gegenüber und durchleuchtet mit diesem Blick die Wahrnehmungsmechanismen der eigenen Vergangenheit in der neueren deutschen Erinnerungsliteratur. Anhand der hybriden Gattung des Familienromans, wie sie bei Autoren wie Günter Grass oder Uwe Timm zu finden ist, skizziert Assmann Strategien für den literarischen Umgang mit dem Wissen um Holocaust und Zweiten Weltkrieg sechzig Jahre danach.
- Fünf Prinzipien für die Utopien von Morgen
196
Die gravierenden gesellschaftlichen Umbrüche im Zusammenhang mit Digitalisierung, Automatisierung und Klimawandel werfen die Frage nach der Gesellschaft der Zukunft auf. Utopien sind seit Jahrhunderten das Medium, in dessen Rahmen gefragt wird, wie die gerechte Verteilung von Gütern, Macht und Arbeit aussehen kann. Petra Schaper Rinkel stellt Utopien als Gedankenexperimente vor, die heute Designprinzipien der Welterfindung bieten können, wenn sie auf das Handeln statt das Wünschen gerichtet sind. Die politischen Utopien des 21. Jahrhunderts müssen die Wachstumsorientierung überwinden, damit sie angesichts der Klimakrise für alle gelten können, und sie müssen Konflikt und Veränderung als Treiber gesellschaftlicher Entwicklung angesichts von Komplexität und Unübersichtlichkeit der soziotechnologischen Globalisierung aufnehmen.
- Flucht in der Literatur – Flucht in die Literatur
184
Sowohl die antike als auch die moderne Literatur kennen das Thema Flucht in den Variationen des Exils, der Massenvertreibung und des Versuchs, aus einer psychischen oder materiellen Notsituation zu entkommen. Demgegenüber steht die Idealisierung einer Welt, in der Zuflucht gefunden werden kann und die dem Bereich der Kunst angehört. In einem weit gespannten Bogen von Vergil über Hölderlin bis hin zu Paul Celan zeigt Luigi Reitani eine kulturelle Dialektik auf, die für das Verständnis unserer Gegenwart von wesentlicher Bedeutung ist.
- Auf dem Weg zu einer europäischen Gedächtniskultur
161
Haben die Nationen Europas eine Chance auf Fortbestand? Oder werden sie, wie der Philosoph Ernest Renan einst meinte, in einer europäischen Konföderation aufgehen? Was hält Europa im Innersten zusammen?Aleida Assmann stellt sich diesen Fragen und begibt sich vor allem auf die Spur einer gemeinsamen europäischen Erinnerungskultur. Dabei macht sie als gemeinsamen europäischen Bezugspunkt den Holocaust und dessen Überwindung aus - seit 2005 beispielsweise ist der Eintritt in die europäische Holocaust-Erinnerungsgemeinschaft eine Beitrittsauflage der EU. Auch der Stalinismus und der Kalte Krieg und deren Aufarbeitung beziehungsweise Nicht-Aufarbeitung sind Bausteine auf einem Weg hin zur dialogischen Erinnerung, in der das dem Nachbarn zugefügte Leid ins eigene Gedächtnis mitaufgenommen wird. Somit entsteht ein gemeinsames historisches Wissen. Aleida Assmann tritt für die dialogische Erinnerung als Instrument zur Überwindung der Geschichte der Gewalt und zur Zusammenführung der europäischen Nationen ein.
- Die alte und die neue Euthanasiediskussion: Tötung auf wessen Verlangen?
169
Die Medizin des 18. und 19. Jahrhunderts verstand Euthanasie im Wortsinne des guten Sterbens - der Sterbebegleitung, wie wir heute sagen würden. Der Sterbende sollte gut und leicht und vor allem begleitet aus dem Leben gehen. Erst am Ende des 19. Jahrhunderts setzte die moderne Debatte zur Euthanasie an, die die Tötung Schwerkranker auf ihr eigenes persönliches Verlangen ebenso einforderte wie die Tötung von Bewusstlosen, Behinderten oder anderen Personen, die nicht oder nicht mehr für sich sprechen könnten, deren Leben aber nicht wert sei, gelebt zu werden. Zwar wird in den heutigen Forderungen zur Legalisierung der Tötung auf Verlangen und auch in den Staaten, die die Euthanasie legalisiert haben, das Tötungsverlangen stets an die individuelle Willensäußerung der Betroffenen gebunden. Ein genauer Blick auf die Praxis zeigt aber, dass diese Bindung oft fraglich ist und die Tötung von Menschen, die sich nicht oder nicht mehr äußern können, untrennbar mit dem Freiheitsversprechen für diejenigen, die ihren Sterbewunsch selbstbestimmt äußern können, verbunden ist.
- Kollektiver Freizeitpark oder Burnout-Gesellschaft: Wie überlastet ist der moderne Mensch?
185
Als der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl 1993 davor warnte, eine Nation "mit Zukunft" lasse "sich nicht als kollektiver Freizeitpark organisieren", erntete er nicht nur Zustimmung, sondern auch helle Empörung. Denn auf der anderen Seite des Extrems steht der Burnout als ständige Bedrohung der durch ein Übermaß an Arbeit bedrohten Leistungsgesellschaft. Wie sehr diese beiden Extreme zusammenhängen, analysiert Andreas Wirsching und weist dabei auf die Expansion des Freizeitsektors und ihre kulturellen Folgen sowie die Tendenzen zu einer neuen Spaltung der Gesellschaft hin.
- Sekundäre Religionen: Fundamentalismus und Medien
183
Ein Rückblick auf die Entstehung des Monotheismus zeigt, wie eng dieser selbst mit dem neuen alphabetischen Schreibsystem der Antike zusammenhing. Die modernen Fundamentalismen beziehen sich zwar auf transzendente Glaubensinhalte, aber es sind "sekundäre Religionen": ein Glaube, der durch Aufklärung hindurchgegangen ist und von deren weltlichen Ansprüchen geprägt ist. Außerdem wird an einem konkreten Beispiel dargestellt, mit welchen medialen Techniken die Rekrutierung junger Dschihadisten aus der westlichen Welt stattfindet.
- Ruth Klüger und Wien
182
Ruth Klüger, 1931 in Wien geboren, wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert, von dort nach Auschwitz und in weitere Lager. 1945 Ausbruch aus dem Lager, 1947 Emigration in die USA. Sie war Professorin für deutsche Sprache und Literatur in Cleveland, Kansas, Virginia, Princeton und Irvine. 1992 erschien ihr vielfach preisgekröntes Buch "weiter leben - Eine Jugend". Für ihre Leistungen als Literaturwissenschaftlerin und Literatin wurde sie 2015 mit zwei großen Auszeichnungen geehrt: Dem Paul-Waztlawick-Ehrenring der Ärztekammer Wien sowie dem Ehrendoktorat der Universität Wien. Der Kulturhistoriker Hubert Christian Ehalt und die Literaturwissenschaftlerinnen Daniela Strigl und Konstanze Fliedl würdigen in diesem Band die Geehrte.
- Höflichkeit heute. Zwischen Manieren, Korrektheit und Respekt
175
Die Beschleunigung der Geschichte und die Globalisierung haben zu einem gewissen Untergang der ›guten Sitten‹ beigetragen. Es bleibt aber weiterhin notwendig, Personen als solche anzuerkennen und mit Rücksicht und Respekt zu behandeln. Wer heute Respekt einfordert, muss der ständigen gesellschaftlichen Organisation von Respektlosigkeit - etwa einer Radikalisierung des ökonomischen Denkens oder Wirtschaftskriege, in denen Rassismus einen Nebeneffekt darstellt, Rechnung tragen.
- Wir haben nichts zu fürchten als die Furcht selbst: Europa und die Flüchtlinge
186
Eine irreale Angst wird in Europa immer wieder mit dem Thema Flüchtlinge verbunden. Solidarität wird zwar heraufbeschworen, aber nicht gelebt. Ist Europa also überfordert mit den Migrationsbewegungen der letzten Jahre?Nein, meinen Heinz Fassmann und Anton Pelinka. Zahlen und Fakten belegen, dass die Anzahl der Zugewanderten problemlos in Europa integriert werden könnte. Was Europa dafür aber braucht, ist eine Kombination von nüchterner Planung und vertiefter Solidarität. Dafür ist es notwendig, Kompetenzen von den Mitgliedstaaten in Richtung Union zu verschieben.Europa kann an dieser Herausforderung nicht scheitern. Europa kann nur an sich selbst scheitern.
- Zu den historischen Wurzeln der Kontrollgesellschaft
177
Was heute Geheimdiensten Backdoor zum Zugriff auf die Server der Internetkonzerne ist, waren in der Frühen Neuzeit die auf Papier basierenden Aufschreibesysteme sowie klassische Formen der persönlichen Kontrolle. Jana Herwig und Anton Tantner enthüllen die Daten als neu entdeckten Rohstoff der digitalen Ära, dessen Ausbeutung im 21. Jahrhundert allmählich Fahrt aufnimmt.
- Begräbnis der Aufklärung?: Zur Umcodierung von Demokratie und Freiheit im Zeitalter der digitalen Nicht-Nachhaltigkeit
195
Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot erkennt die veränderten globalen anthropologischen Umstände – Klimakatastrophe und Digitalisierung – und konstatiert ein Spannungsfeld zwischen Aufklärung und (Klima-)Apokalypse. Die (individuelle) Freiheit, die die Menschen in Anbetracht der notwendigen Regulierungen glauben fordern zu müssen, ist überholt. Es braucht, so Guérot, eine anspruchsvolle Art von Freiheit, eine, die ein Ziel hat, nämlich ein würdevolles Leben für die gesamte Menschheit, selbst wenn dies mit Einschränkungen für den Einzelnen verbunden ist.
- Der Wiener Kongress 1814/15: Restauration, Rekonstruktion oder imperiale Neuordnung Europas?
187
Der Wiener Kongress war ein politisch und gesellschaftliches Großereignis ersten Ranges.Er markiert den Beginn der modernen europäischen Staatenwelt nach dem Sieg über Napoleon. 1814/15 versammelten sich die führenden Monarchen, Staatsmänner und Diplomaten in Wien. Die im Zuge der Verhandlungen vereinbarte politische und territoriale Neuordnung Europas war die bedeutendste Friedensordnung des 19. Jahrhunderts.Wolfram Siemann wirft einen ungewöhnlichen Blick auf diese Resolutionen und zeigt auf, dass nicht wenige aktuelle Problematiken ihren Ursprung in den nationalen Konstruktionen des Kongresses haben.
- Was ist Leben?: Die Geschichte des vielseitigen Moleküls RNA
201
Über die RNA, den Ursprung allen Lebens, die in diesen Zeiten in aller Munde ist: Die Biochemikerin Renée Schroeder erklärt, was man über das Molekül wissen muss und welche Chancen die einschlägige Forschung eröffnet. Leben ist ein Prozess, der von einer starken Energiequelle getrieben wird. Einige Atome und Moleküle sind besonders gut geeignet, diese Energie umzusetzen, um ihre eigene Komplexität zu erhöhen und um Strukturen aufzubauen, die in der Lage sind, sich selbst zu vermehren. Sie können diese komplexe Organisation auch aufrechterhalten, indem sie Information generieren und vermitteln. Die Ribonukleinsäure, kurz RNA genannt, konnte diesen Prozess in Gang setzen. Mit ihrer Hilfe wird nun auch der Kampf gegen Covid-19 gefochten: Als mRNA findet sie sich in einigen neuen Impfstoffen. Ihr Einsatz im Vakzin bedeutet einen Quantensprung in der Immunologie.
- Wer war Ludwig van?: Drei Denkanstöße
197
Über kaum einen anderen Komponisten ist so viel geforscht worden wie über Beethoven. Fest ins kulturelle Gedächtnis haben sich Vorstellungen des Komponisten als "grollender Titan", als Genie oder als übernationale Größe eingeschrieben. Dabei hat jede Zeit ihre eigene Imagination von Beethoven: Die Gegenwart stößt sich kaum mehr an popkulturell-bunten Beethoven-Vorstellungen, während Beethoven um 1900 als Überwinder und Held Identifikationsfigur für Militarismus und Nationalismus war. Doch wie hängen diese Bilder mit jenem Pianisten und Komponisten zusammen, der 1792 nach Wien kam, in der Wiener Aristokratie bestens vernetzt war und gefördert wurde, und der im kulturellen Soziotop Wiens zur Zeit von Belagerung, Krieg und politischen Umbrüchen künstlerisch neue Wege suchte?
- Die nachhaltige Stadt: Städte als Laboratorien des Wandels
202
Die Klimakrise zeigt deutlich: Städte spüren sie früh und werden zu Laboren des Wandels. Entsprechend dringend stellen sich Fragen zur nachhaltigen, klimafitten Stadt. Zukunftsperspektiven sind häufig geprägt von Bildern der Gegenwart. Um den Blick auf die urbanen Zentren der Zukunft freizugeben, müssen aber gegenwärtige Vorstellungen von Stadt hinterfragt werden. Welche Mythen und Vorurteile haften Städten an? Welche Lösungsskizzen für aktuelle Probleme sind bereits erprobt? Wie wird Veränderung wünschenswert? Und wie werden Bewohnerinnen und Bewohner von Betroffenen zu Beteiligten? Mit diesen Fragen im Angesicht der Klimakrise, mit den Trends und Herausforderungen, mit denen Städte wie Wien aktuell konfrontiert sind, beschäftigen sich die Autoren des Bandes als Wiener Stadtplaner. Ihre Erkenntnis ist eindeutig: Nur eine Stadt, die ihre urbanen Kernkompetenzen einsetzen kann, wird ökologisch nachhaltig sein.
- Psyche und Stigma: Psychische Erkrankungen und Vorurteile
200
Wir alle sind irgendwann von psychischen Erkrankungen betroffen – entweder unmittelbar oder über eine uns nahestehende Person. Alle Prognosen gehen davon aus, dass die Zahl der Betroffenen weltweit weiter ansteigen wird – nicht nur durch Krisen wie die aktuelle. Doch im alltäglichen Gespräch sind diese Erkrankungen selten Thema. Wir ignorieren sie und wissen oft wenig über sie. Das muss sich ändern, fordert der Psychiater Georg Psota, die Vorurteile gegenüber psychischen Erkrankungen, ihrer Behandlung und den Behandelnden müssen abgebaut werden. Denn sie sind das größte Hindernis für Betroffene und Angehörige, rechtzeitig Hilfe zu suchen und zu erhalten.
- Warum Krieg?: Zur Aktualität des Briefwechsels von Einstein und Freud
209
Im Juli 1932 fragt Einstein in einem offenen Brief an Freud, wie man die Menschheit »den Psychosen des Hasses und des Vernichtens gegenüber widerstandsfähiger« machen könnte. In seiner Antwort zieht Freud die Bilanz seiner Kulturanalyse. Nur durch Hemmung des Aggressions- und Destruktionstriebs könne Friede gestiftet werden, kein »ewiger« allerdings, da die erreichte Triebumbildung so leicht außer Kraft gesetzt werden könne. In diesem Dialog zwischen Freud und Einstein werden Fragen gestellt, die heute aktueller denn je sind. Kann der Pazifismus in Krisenzeiten den Krieg verhüten? Freud geht davon aus, dass der Kulturprozess »gegen den Krieg arbeitet«. Galt aber die Kriegstüchtigkeit nicht immer wieder als hoher Kulturwert? Und warum gehen Einstein und Freud über die Frage des »gerechten« Verteidigungskriegs so rasch hinweg?
- Protokolle der Krise: Wie Corona unser Leben verändert
198
Was macht eine Krise wie die Corona-Pandemie mit uns? Bringt sie das Beste im Menschen – Solidarität, Mitgefühl und Zusammenhalt – zum Vorschein? Wie managt die europäische Politik die Krise? Fragen, denen Ulrike Guérot nachgeht. Was bedeuten die Beschneidungen im Alltag für Österreicherinnen und Österreicher? Können sie daraus vielleicht sogar Nutzen ziehen? Barbara Prainsacks umfassende Befragung gibt Einblick in das Leben in der Krise. Georg Psota liefert dazu Empfehlungen, wie Gemeinschaft dabei helfen kann, eine derartige Krise zu meistern. Und Christian Korunka widmet sich dem Home Office, einem Arbeitssetting, das durch die Corona-Krise neue Relevanz erhalten hat.
- Die Einbildungen. Das Zwiespältige. Die Geselligkeit
199
Alles, was Menschen große Freude macht, ist rund um ein "als ob" gebaut: Wir laden andere ein, als ob wir unendlich reich wären; wir tanzen, als ob es kein Morgen gäbe. Solchen Einbildungen glauben wir natürlich nicht, aber wir praktizieren sie augenzwinkernd. Allerdings haben sie immer etwas Zwiespältiges an sich. Gegen dieses Zwiespältige wendet sich unter aktuellen Verhältnissen eine Stimmung, die behauptet, die Individuen wären glücklicher und freier, wenn sie immer nur bekämen, was sie ganz von sich aus glauben oder wollen. Diese Propaganda, der zufolge Menschen Fremdes, Zwiespältiges oder Unbequemes grundsätzlich nicht ertragen können, basiert genau auf der Sorte von Einbildungen, gegen die Paul Watzlawick heiter spottend angekämpft hat. Würde man jedoch die nicht geglaubten Einbildungen berücksichtigen, wäre eine andere Sicht der Dinge möglich: Menschen können ihre Herkünfte und Empfindlichkeiten hinter sich lassen. Denn sie können – gerade mithilfe von durchschauten Fiktionen und durch gemeinsames Feiern rund um zwiespältige Dinge – einander gesellig und solidarisch begegnen.
- Welche Wissenschaft für welche Gesellschaft?: Gedanken zur Zukunft der Wissenschaft
204
Corona hat uns die Unverzichtbarkeit der wissenschaftlichen Forschung verdeutlicht. Doch welche Stellung hat Wissenschaft in unserer Gesellschaft? Wissenschaft und technologische Entwicklungen spielen heute mehr denn je eine zentrale Rolle für die Zukunft unserer Gesellschaften. Deutlich wird das bei der Bewältigung der großen Herausforderungen wie Umweltverschmutzung, Klimawandel oder in der COVID-19 Pandemie. Diese fordern nicht nur rasches und zielgerichtetes politisches und zivilgesellschaftliches Handeln, sondern auch solides Wissen als Basis dieses Handelns, ebenso wie neue Lösungsansätze. Es ist also unvermeidlich, über die Zukunft der Wissenschaft nachzudenken und gute Bedingungen für diese zu schaffen. Nur so kann auch in Zukunft sichergestellt werden, dass wir Antworten auf Probleme entwickeln können. Die Frage »Welche Wissenschaft für welche Gesellschaft?« steht daher im Zentrum;sie fordert auf, Wissenschaftsentwicklung und Gesellschaftsentwicklung gemeinsam zu denken.
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