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And, just like that, the world ended.

Ich erwache und erkenne sofort die weiße Decke meines Zimmers. Ich bin hellwach, es
fühlt sich merkwürdig an. Aus tiefstem Schlaf, ein harter Schnitt, und sofort stehen mir all
meine Sinne in ihrer Gänze zur Verfügung. Kein Schlaf trübt meinen Blick, kein Dämpfen
mein Gehör. Die Vögel zwitschern nicht. Es herrscht Totenstille. Es ist Freitag, der 25. Juli
2014, 9:24 Uhr. Mein Blick wendet sich nicht von der Decke ab, doch ich weiss die Uhrzeit,
ich weiss sie ganz genau. Ich stehe auf und verlasse im Schlafanzug meine Wohnung,
meine nackten Füße spüren keine Kälte auf dem Weg durch das Treppenhaus. Ich trete
hinaus in die Sonne, die Szenerie wirkt beinahe surreal. Die saubere, fast nur grüne und
weiße Stadt ist in ein ungewöhnlich helles Licht getaucht. Es fühlt sich gut an, ich fühle
mich davon umgeben. Kein Wind zieht durch die Straßen, kein Blatt bewegt sich, kein
Grashalm rührt sich. Kein Auto sieht man fahren, kein Fahrrad, ich höre keine Geräusche
und rieche keine Abgase. Ich weiss, dass ich nicht taub bin, doch ich höre nicht das
leiseste Geräusch. Ich lasse meinen Blick durch die Gegend schweifen, und sehe viele
andere Menschen neben mir auf der Straße stehen. Viele ebenfalls in Schlafanzügen,
andere halb oder vollständig angezogen, einige wenige tragen gar keine Kleidung. Ich
tausche nur kurze Blicke mit ihnen aus, bevor wir uns alle wieder einer Sache widmen.

Wir laufen umher.

Ich sehe mir die kleine Stadt an, kein Wort wird gesprochen. Kinderspielzeug liegt in
Auffahrten von Häusern als wäre es nie benutzt worden. Schaukeln stehen still, als hätte
nie ein Kind darauf gesessen. Brunnen sind ausgeschaltet und zu unspektakulären
Formen verkommen. Lange Schatten werden von Bäumen in verlassene Erdgeschosse
geworfen und verdecken so manche Dinge, die wohl nie wieder gesehen werden. Und
genau genommen will sie auch niemand sehen. Alle Fenster sind geschlossen, die
Vorhänge zugezogen. Ampelanlagen sind ausgeschaltet, Bankautomaten, Telefonzellen,
nichts funktioniert. Obwohl niemand versucht eines der Geräte zu benutzen, weiss ich,
dass sie nicht funktionieren. Ich habe keine Tür angefasst, aber ich weiss, sie ist
geschlossen. Es ist niemand im Haus, und das weiss ich, obwohl ich das Haus nicht
betreten habe. Ich gehe über die hellen Straßen und treffe Menschen, die ich kenne. Sie
sehen mich, sie nicken mir zu, ich nicke ihnen zu, sie wissen bescheid. Ich weiss
bescheid.

Langsam gehe ich in eine bestimmte Richtung. Ich durchquere kleinere Wohnviertel. Mein
Schritt wird ein wenig schneller, denn ich weiss genau wieviel Zeit mir bleibt, und ich
kenne mein Ziel ganz genau. Ich sehe viele bekannte Gesichter auf dem Weg, und noch
mehr Gesichter die ich noch nie sah. Sie alle haben einen zufriedenen Gesichtsausdruck.
Wenn sie mich sehen, nicken sie mir zu und lächeln. Ich lächle auch, doch ich habe keine
Zeit für ein Gespräch. Ich könnte mit ihnen sprechen, wenn ich es wollte, das weiss ich.
Doch ich möchte nicht. Ich habe noch keinen Menschen sprechen hören, seit ich das
Haus verlassen habe. Mein Weg führt mich die Hauptstraße entlang, durch einen
sonnigen Park, an einen Spielplatz, wo sie auf dem Klettergerüst sitzt. Ich habe es
gewusst, ich wusste, sie würde dort sitzen und auf mich warten.

Sie sieht mich an, sie lächelt, sie wusste, dass ich kommen würde, und doch freut sie sich
mich zu sehen. Ich lächle auch, ich freue mich, ich bin glücklich. 10:04 Uhr ist es jetzt. Ich
gehe über den Spielplatz und der Sand verteilt sich zwischen meinen Zehen. Ich nehme
sie an die Hand, und sie springt vom Gerüst herunter, und wir gehen zusammen. Wir
sprechen kein Wort, doch wissen wir beide, wohin wir gehen möchten.
Ich lasse ihre Hand nicht los, sie lässt meine Hand nicht los, doch wir sehen uns nicht an.
Wir gehen unseren Weg, und wir wissen, dass wir es schaffen werden. Wir gehen den
Hügel hinunter an dem so viele Erinnerungen haften, wir gehen die Straße entlang an der
wir uns so oft getroffen hatten, wir passieren ihr Haus, wir passieren das Restaurant in
dem wir so oft gegessen hatten, den Supermarkt in dem wir oft eingekauft hatten, das
Musikgeschäft in dem wir so viele CDs zusammen gehört hatten. All diese Orte haben nun
keine Bedeutung mehr, uns bleibt nicht viel Zeit, und doch kennen wir keine Eile. Wir
wissenn, wir werden es schaffen. Es ist 10:20 Uhr, als wir den Strand erreichen und auf
das Meer sehen können. Unsere Füße berühren den Sand, an diesem Ort, an dem wir uns
das erste Mal gesehen hatten, an dem wir uns das erste Mal geküsst hatten, an dem wir
das erste Mal miteinander geschlafen hatten. Welch magischer Ort. Das Meer scheint still
zu stehen, ebenso wie der Wind. Ich nehme ihre Hand fester und gehe mit ihr an die
Grenze des Wassers. Meine Arme umschliessen ihren Körper und sie drückt sich an mich,
wir beide starren auf das Meer hinaus.

Es wird kein Wort gesprochen.

Das alles ist gar nicht so übel, wenn man es bedenkt. Es könnte viel schlimmer sein, ich
verspüre keine Trauer, kein Leid, keinen Schmerz. Ich bereuhe nichts, ich habe keine
unerledigten Dinge vor mir, ich habe keine Pflichten, keine Erwartungen, keine unerfüllten
Träume, nur einen einzigen Wunsch. Dieser Wunsch trug mich durch diese erhellte Stadt,
zum Spielplatz und zum Strand. Meine letzten Momente in dieser Existenz wollte ich mit
ihr verbringen, ich brauche keinen Abschied, keine Dinge ich noch tun will bevor alles
zuende geht. Ich habe an sie gedacht, und sie hat mich gehört und auf mich gewartet. Ich
bin 28 Jahre alt, doch ich bin zufrieden mit meinem Leben. 10:23 Uhr ist es jetzt, und mir
bleibt nur noch eins zu tun. Ich senke meinen Blick und streiche ihr sanft durchs Haar, das
gleissende Licht betont die Züge, die in meiner subjektiven Einschätzung ihre ganze
Schönheit ausmachen. Ich lächle so ehrlich ich kann. Sie sieht mich an und erwiedert
mein Lächeln. Dann küssen wir uns, nur einen kurzen Moment. Während eine letzte Träne
ihren Weg meine Wange herunter findet, durchbreche ich die Stille der letzten Stunde des
Planeten Erde und sage die letzten Worte, die die Menschheit jemals sprechen sollte.

"Ich liebe dich. Danke."

Und ihr Kopf ruht auf meiner Schulter während alles weiß wird.

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