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N I EDERSAC HSEN
F E B R UA R 2 0 1 0 | W W W. S P D - N I E D E R S A C H S E N . D E
EDITORIAL
WIR MÜSSEN DEN PULS
DER MENSCHEN FÜHLEN
Was 2010 für die SPD auf der Agenda steht: Partei öffnen, Urwahlen und eine soziale Wirtschaftspolitik
Von Garrelt Duin
Wir Sozialdemokraten quälen uns noch
mit den Mühen der Ebene. Aber wir
haben den Berg wieder nahe vor Augen,
der vor uns liegt. Wohl wissend, dass der
Sturm auf den Gipfel nur Schritt für
Schritt klappt und viel Puste verlangt.
Aber wir sind auf gutem Weg.
Als Mann von der Küste weiß ich, wie
LIEBE GENOSSINNEN, wichtig ein fester Anker ist, damit ein
Schiff selbst bei Sturm nicht ziellos her-
LIEBE GENOSSEN, umtreibt. Unsere SPD war immer im Volk
es gibt Leute, die nichts aus der verankert wie keine zweite Organisati-
Finanz- und Wirtschaftskrise lernen – on. Sportvereine, Taubenzüchter, Kirche,
oder verdrängen, dass sie und ihre Gewerkschaften, Arbeiterwohlfahrt oder
Brüder im Geiste die Hauptschuld daran Reichsbund – überall warfen Sozialde-
tragen. »Der Staat ist ein teurer mokraten stabile Anker. Die Zeiten haben
Schwächling«, posaunte neulich FDP- sich gewandelt, und die Einstellungen
Generalsekretär Lindner. Und beleidigte vieler Menschen auch. Aber eines bleibt
gleich im nächsten Satz Millionen für uns immer eine vorrangige Aufgabe:
arbeitende Menschen: »Zu viele erwar- Wir müssen verankert bleiben, den Puls
ten immer mehr vom Staat und immer der Menschen fühlen.
weniger von sich.« Die FDP, die in Berlin Ich gebe zu: Das haben wir etwas
als Schwanz mit dem Hund wedelt, will verlernt. Wir kommen aus dem Tief nur
den Staat immer nur schwächen. In heraus, wenn wir unsere Partei wieder
ihrer verbohrten Ideologie kann die Pri- öffnen, mit den Menschen reden und
vatwirtschaft grundsätzlich alles ihnen zuhören. In Expertenrunden, auf
besser als der Staat. Natürlich erledigt der Straße und überall, wo sich die Leu-
der Staat nicht alles. Aber gerade jetzt te treffen. Auf Bundes- und Landesebe-
in der Krise muss er investieren – in ne richten wir Foren zu verschiedenen Unsere Aufgabe für 2010:
Forschung, Bildung, Sicherheit und in Themen ein. Aber auch jeder Unterbe- große Rolle. Leider wird sie in Berlin und Mitmischen und Einfluss
das Gesundheitswesen. Und Banken zirk und jeder Ortsverein kann und Hannover von Politikern gemacht, die nehmen, auf der Straße, an
zähmen, dass diese nicht noch einmal muss direkt auf die Menschen zugehen, wenig zustande bringen. Die Regierung Stammtischen, in Vereinen
fast komplette Volkswirtschaften zum Beispiel regelmäßige Stammti- in Berlin wirkt seit dem Ausscheiden von und Verbänden.
verzocken. Doch weder mit der Regie- sche einrichten, mit Meinungsführern Steinmeier, Steinbrück, Gabriel, Scholz Foto: Lopo
rung in Berlin noch mit der Regierung in Vereinen und Institutionen in Kon- und anderen wie eine Laienspielschar.
Wulff ist Staat zu machen. Mit 383 Euro takt kommen und in öffentlichen Treffs Umso mehr werden wir in Berlin und
pro Einwohner investiert Niedersachsen über brennende Themen informieren Hannover deutlich machen, was wir
so wenig wie kein anderes Bundesland, und diskutieren. unter einer Wirtschaftspolitik verstehen,
fand die Bertelsmann-Stiftung heraus. Unsere Mitglieder müssen mehr als die den Menschen nützt. Wir brauchen
bisher wieder am politischen Leben teil- Wachstum, das dem gesellschaftlichen
Euer nehmen, Einfluss nehmen und über den Zusammenhalt dient.
Kurs der Partei mitreden. Ein Mittel dazu Dazu gehören ordentlich bezahlte
sind Mitgliederbefragungen und Urwah- Arbeitsplätze und keine Nullrunden bei
len. Ich gehe davon aus, dass beispiels- Tarifverhandlungen, um so bei schwä-
weise auch unser nächster Spitzenkan- chelndem Export die Binnennachfrage Im Niedersachsen-vorwärts:
didat in Niedersachsen von der gesam- anzukurbeln; Verlängerung des Kurzar- »TiL – Themen im Landtag«
Garrelt Duin ten Partei aufgestellt wird. Wirtschafts- (Mittelteil Seiten 1–4)
Landesvorsitzender politik spielt in diesem Jahr wieder eine Fortsetzung auf Seite 2
II NIEDERSACHSEN 02/2010 vorwärts
Fortsetzung von Seite 1 und Kredithilfen; schließlich die Konzen- Die Landesregierung Wulff investiert viel
beitergeldes; Weiterbildung und Qualifi- tration der Forschungsausgaben auf zu wenig in Forschung und Infrastruktur.
zierung – gerade bei Kurzarbeit; gute Zukunftsmärkte. Das sind in Niedersach- Sie trägt bei Investitionen pro Kopf der
Ausbildung und ein Studium ohne sen die Autoindustrie, Erneuerbare Ener- Bevölkerung in Deutschland sogar die
Gebühren; Hilfe für kleine und mittlere gien, Logistik, Gesundheitswirtschaft Rote Laterne. Wir werden den Menschen
Unternehmen durch gezielte Förderung und maritime Wirtschaft. klar machen: Die SPD kann es besser. ■
»
Gesellschaftliches
und nimmt seine Aufgabe sehr ernst.
Holger Ortel ist der Überzeugung die
zenden der Unterbezirke der »weißen Flek-
ken« während einer Klausurtagung in Ver-
Bundestag. »Alle Bundesministerien, die
Geld an die Länder zu verteilen haben, lie-
SPD-Bundestagsfraktion müsse auch auf den zusammen. Dann wird abschließend gen in der Hand von süddeutschen Uni-
Leben vor Empfängen und wichtigen Veranstal- darüber beraten, wie die betroffenen ons- oder FDP-Politikern«, empört sich der
Ort nicht der CDU
überlassen. «
Holger Ortel
tungen in den »weißen Flecken« vor Ort
sein: »Das dürfen wir nicht den Schwar-
Regionen unterstützt werden. Dabei arbei-
ten die Niedersachsen mit den beiden Bre-
leidenschaftliche Niedersachse Holger
Ortel. Deshalb müssen jetzt norddeutsche
zen überlassen«, ist seine feste Überzeu- mern Uwe Beckmeyer und Carsten Sieling Interessen gebündelt werden, damit der
gung. Die Landesgruppe hat nach regio- zusammen. Gemeinsam bilden sie seit »Norden nicht abgehängt
g g wird«. ■
nalen Gesichtspunkten jeweils einen
Hauptansprechpartner für jeden Betreu-
ungswahlkreis. Es gibt aber auch Abge-
ordnete, die neben ihrem eigenen zwei
NEUE AUFGABE FÜR MATTHIAS MIERSCH
weitere Wahlkreise betreuen. Im Elbe- Matthias Miersch, Bundestagsabgeordneter aus Laat-
Weser-Raum ist Lars Klingbeil als einzi- zen, ist ins Kuratorium der Deutschen Bundesstiftung
ger Abgeordneter verblieben. Auch er Umwelt (DBU) berufen worden.
weiß um seine Verantwortung. »Wir Mit einem Stiftungskapital von 1,3 Milliarden Euro
dürfen nicht zulassen, dass sozialdemo- ist die DBU eine der größten Umweltstiftungen der
kratische Interessen von ganzen Regio- Welt. Seit Bestehen der Stiftung 1990 sind mehr als
nen nicht mehr in Berlin vertreten sein 7.500 Projekte unterstützt worden. Schwerpunkt ist
werden«, so sein Fazit. die Förderung von umweltfreundlichen Ideen und
Die politische Öffentlichkeitsarbeit Projekten im Mittelstand.
der Landesgruppe wird zur Zeit vom Vor- »Ich werde die neue Aufgabe nutzen, um den
stand umgestaltet. Klar ist: Die Landes- Gedanken der Nachhaltigkeit noch stärker in unserer Gesellschaft zu verankern.
gruppe wird auch »weiterhin Fachkonfe- Unsere Umwelt steht vor dem Abgrund und wir dürfen keine Chance auslassen,
renzen der SPD-Bundestagsfraktion in gegenzusteuern«, so Miersch, der in dieser Wahlperiode zum umweltpolitischen
den Betreuungswahlkreisen veranstal- Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion gewählt worden ist. ■ eb.
ten«, sagt Holger Ortel.
02/2010 vorwärts NIEDERSACHSEN III
Michael Rüter,
In Niedersachsen – einer der Herzkam- 2. Die strategische Dimension: Dem ges Mitgliedermanagement, dass Mit- Landesgeschäftsführer der
mern der Sozialdemokratie – erzielte die SPD-Bundestagswahlkampf hat es glieder nicht als Vorgang und Nummer SPD Niedersachsen
SPD mit 29,3% das schlechteste Ergebnis 2009 an einer klar erkennbaren und begreift, sondern als Gewinn für neue
der Wahlgeschichte. Wir können und wir vermittelbaren Machtoption gefehlt. Handlungsfähigkeit und Potenzierung
dürfen mit unserem Abschneiden abso- Für die SPD gilt, dass wir nur dann als unserer Kreativität ist ein MUSS.
lut nicht zufrieden sein. Partei und Frak- ernst zu nehmende politische Kraft
Organizing – Weiterentwicklung
tion verlieren politische Gestaltungs- wahrgenommen werden, wenn wir
der Kampagnenstrategie?
kraft und auch die Personal-, Finanz- und glaubhaft die Chance auf die Füh-
Organisationskraft sind eingeschränkt. rung und die Gestaltung der Regie- Vor etlichen Jahren war es noch Glau-
Innerparteiliche Reformen sind unum- rung beanspruchen können. bensfrage, ob mit der Methodik der Kam-
gänglich.
Organisationspolitische Defizite
3. Die soziologisch-demographische
Dimension: Weniger Jung- und Erst-
pagnenstrategie gearbeitet werden soll
oder nicht. Mittlerweile ist diese Metho- »
Die Mitglieder
wähler und gleichzeitig mehr »reife- dik in allen Bereichen und Ebenen der
schnell beheben
re Wähler«, die vergleichsweise kon- Partei, in vielen Großorganisationen und
fühlen sich zur SPD
hingezogen oder
Weitreichende Vorschläge aus den Par- servative Wertvorstellungen präfe- auch Unternehmungen Grundlage des
teireform-Kommissionen, insbesondere rieren, stellen neue Anforderungen Planens und des Handelns:
in ihr beheimatet,
aus der Beck Kommission »Moderne Mit- an unsere programmatische und — Konzentration auf wenige, dafür
weil sie eben kein
gliederpartei« – etwa zur direkten Betei- strukturelle Aufstellung. nachvollziehbare Punkte(Inhalte
»Kanzlerwahlver-
ligung von Mitgliedern an inhaltlichen 4. Die innerparteiliche Dimension: Die oder Maßnahmen),
ein« und keine
und personellen Entscheidungen - liegen elf Jahre in der Regierung haben den — Planung des Ressourceneinsatzes,
Vereinigung zur
bereits vor. Für viele organisationspoliti- Wert der innerparteilichen Willens- — Auswahl der Instrumente abge-
Absicherung
politischer Macht
sche Fragestellungen gibt es weniger ein
Erkenntnisdefizit, sondern ein Umset-
bildung stark zurückentwickelt. Mehr
als einmal wurde die Parteimitglied-
stimmt mit allen politischen, organi-
satorischen und kommunikativen
ist.« Michael Rüter
zungsdefizit, auf allen Ebenen der Partei. schaft mit der Sackgassenstrategie Handelnden einer Kampagne,
Beteiligungsformen und –wege müssen »dieser Weg ist alternativlos« kon- — klare und transparente Steuerung /
gelebt werden, die Kultur des Empower- frontiert. Dieser Vertrauensverlust Leitung der Kampagne.
ments muss für Gesellschaft und Partei wirkt sich fatal aus: Es hat die Partei Der Kern von Organizing ist ein Leitbild
etabliert werden. Einfluss, Möglichkeiten, Kreativität von »beteiligungsorientierter Parteiar-
Der programmatische »Mainstream und auch SPD Mitglieder gekostet. beit«. Potenzielle Mitglieder werden als
der Moderne« – die Verabschiedung von Die Mitglieder fühlen sich zur SPD hinge- mobilisierungsfähige Aktivisten organi-
grundsätzlicher Umverteilungspolitik zogen oder in ihr beheimatet, weil sie siert, die dann zukünftig selber den Kern
zugunsten von Fragmenten eines neoli- eben kein »Kanzlerwahlverein« und kei- der lokalen Parteiarbeit bilden. Dem tradi-
beralen Staatsverständnisses – wurde in ne Vereinigung zur Absicherung politi- tionellen Stellvertretermodell wird damit
wenigen Nuancen nach den jeweiligen scher Macht ist, vor allem aber weil sie ein basisnahes Selbstvertretungsmodell
Wahlniederlagen angepasst. Das »Diktat damit konkret die Teilhabe an Gestal- entgegengesetzt. Bei den Gewerkschaf-
des Handelns« wurde mit Regierungs- tungsmöglichkeiten im eigenen Umfeld ten ist es ein konkretes Ziel – in der Regel
treue übersetzt und beantwortet. Die (Arbeitsplatz oder Kommune, aber auch ein Tarifvertrag oder die Einleitung von
Entscheidungskaskade: Erst Staat und Wohlfahrtsverbände, Umweltorganisa- Betriebsratswahlen. In die Parteiarbeit
Regierung, dann Fraktion, dann Partei tionen und Sportvereinen) verbinden. übersetzt, werden es lokale und regionale
und Mitgliedschaft, wurde immer effek-
tiver weiterentwickelt und hat sicherlich
Veränderte Anforderungen
Projekte sein müssen, die der sozialen
und/oder ökologischen Verbesserung der
»
Die SPD muss das
auch seinen Teil zum Glaubwürdigkeits- Wir müssen akzeptieren, dass die Mit- Lage dienen. Bei ver.di und bei der IG Leitbild der
und Vermittlungsproblem beigetragen. gliederinteressen zwischen Vollzeit- und Metall wird seit einigen Jahren mit der beteiligungsorien-
Teilzeit-Engagement schwanken, die Organizing Methode gearbeitet. Vor allem tierten Parteiar-
Welche Fehler sind gemacht
Anforderungen der Menschen an die in den Branchen und Regionen, in den die beit in den Mittel-
worden?
SPD haben sich gewandelt. Deshalb Gewerkschaften traditionell wenige Mit- punkt stellen.
1. Die inhaltliche Dimension: Begin- gewinnt die Dienstleistungsfunktion glieder und damit wenig Einfluss hatten. Potenzielle Mit-
nend mit der Entscheidung für den des Parteiapparates weiter an Bedeu- Die Durchsetzung des Mindestlohns und glieder werden als
Kosovo-Einsatz gab es Glaubwürdig- tung. Neumitglieder müssen sofort die Steigerung der Mitgliederzahlen gera- mobilisierungs-
keitsverluste. Die Agenda 2010 und betreut werden, die Mitglieder brauchen de in diesen Branchen (Sicherheitsgewer- fähige Aktivisten
deren Umsetzung ab 2003 sind von verlässliche Informationen und die Teil- be, Reinigungskräfte, Ingenieure) belegen organisiert, die
großen Teilen der klassischen SPD- habe an Entscheidungen muss vorberei- den Erfolg dieser Methode. Wenn die SPD dann zukünftig
Wählerschaft nicht akzeptiert wor- tet und sichergestellt werden. Dabei hieraus lernt und den eingeschlagenen selber den Kern
den und die »Rente mit 67« ist in wei- muss nicht jede Dienstleistung gleich- Weg konsequent weiter beschreitet, wird der lokalen Partei-
ten Bereichen der Arbeitnehmer-
schaft auf Ablehnung gestoßen.
zeitig und an allen Orten vorgehalten
werden. Ein modernes und schlagkräfti-
auch sie wieder viele Tore schießen und
erfolgreich sein. ■
arbeit bilden. «
Michael Rüter
IV NIEDERSACHSEN 02/2010 vorwärts
STRAHLENDE ALTLASTEN
Die Ko-Finanzierung der Stillegung atomarer Anlagen aus Mitteln des Forschungsministeriums
muss beendet werden.
Von Petra Emmerich-Kopatsch
Wer beim Thema Forschungsförderung Würden die notwendigen Kosten für die Verglichen mit den Kosten für den Abbau
an Investitionen in die Zukunft denkt, Behandlung und Beseitigung von ato- des Versuchsreaktors AVR in Jülich sind
sollte sich den Haushalt des Bundesfor- maren Altlasten tatsächlich nach dem die Uentroper Millionen beinahe »Pea-
Petra Emmerich-Kopatsch, schungsministeriums einmal genau Verursacherprinzip aufgelistet, dann nuts«. Seit der Jülicher Reaktor nach
MdL, umweltpolitische anschauen. Dort ist mit vielen Milliar- wäre die Diskussion über längere Lauf- »desolatem Projektverlauf«, so das Bun-
Sprecherin der SPD-Fraktion den Euro die strahlende deutsche Ver- zeiten von alten Atommeilern zügig desforschungsministerium, 1988 abge-
im Niedersächsischen gangenheit verbuddelt. Über vier Milli- beendet. schaltet werden musste, sind die Kosten
Landtag arden Euro sind für aktuelle Forschungs- Prägnantestes Beispiel für die ver- für die Zwischen- und eventuelle Endla-
und Entwicklungsprojekte eingestellt, fehlte Verwendung von Forschungsmit- gerung des atomaren Materials der
die vor allem ein Ziel haben: die Behand- teln ist aus wissenschaftspoltischer Sicht Atomruine mit gut zwei Milliarden Euro
lung und Beseitigung von Altlasten der der Hochtemperaturreaktor THTR 300 in veranschlagt worden. Der Forschungs-
etat wird allein für den vollständigen
Abbau der Anlage mit 443,7 Millionen
Euro belastet.
»
Legende vom
Noch höher sind die Kosten für die
Abwicklung der Wiederaufbereitungs-
anlage (WAK) in Karlsruhe. Stilllegung
›billigen‹ Atom- und Rückbau kosten das Forschungsmi-
strom hat schon nisterium und damit die steuerzahlende
jetzt 12 Milliarden Bevölkerung 2,631 Milliarden Euro. Die
Euro Steuern
verschlungen.
Petra Emmerich-Kopatsch
« Stromkonzerne, denen die WAK zur Bear-
beitung ausgedienter Brennelemente
aus ihren hochprofitablen Atomkraft-
werken diente, zahlen lediglich 1,4 Milli-
arden Euro. So werden Verluste vergesell-
schaftet, um den Mythos vom »billigen
Atomstrom« aufrecht zu erhalten.
Wer bei diesen Summen ins Frösteln
gerät, sollte sich richtig warm anziehen,
denn was an Kosten für die Rückführung
der atomaren Abfälle aus der ASSE auf-
gewendet werden muss, wird das Vorge-
nannte um ein Vielfaches übertreffen.
Im mittlerweile maroden »Versuchsend-
Forschung ohne Fortschritt: lager« hat die Atomwirtschaft ihren Müll
Die Altlasten der Atomindu- jahrelang für ein Trinkgeld entsorgt. In
strie werden den Steuerzah- Zeiten billiger Energie fiel das nicht
ler weitere Milliarden kosten. besonders auf. Heute jedoch ist klar, dass
Foto: Shutterstock.com der billige Atomstrom krimineller Lage-
rung bedurfte. Wer bis in die 50er Jahre
Atomindustrie. Angesichts der Proble- Hamm-Uentrup. Den hielt die Energie- des vergangenen Jahrhunderts zurück-
me m it de m e i n s t m a l ige n »Ve r- wirtschaft, nachdem er 1983 in Betrieb geht und das Einmaleins anwendet,
suchsendlager« Asse müssen da alle gegangen war, für das atomare Zu- kommt auf direkte und indirekte Zuwen-
Alarmglocken klingeln, denn einmal kunftsprojekt. Die Zukunft dauerte vier dungen an die Atomindustrie von 160
mehr soll der Lastenausgleich für die Jahre, dann wurde der THTR 300 nach Milliarden Euro.
Pannen der Atomindustrie zu Lasten der nur 423 Tagen mit voller Leistung ange- Das würde reichen, um 34 Jahre lang
steuerehrlichen Mehrheit der Bevölke- sichts schwerer Störfälle vom Netz alle Kitas und Schulen in Niedersachsen
rung abgewickelt werden. genommen. Die Hinterlassenschaft die- zu finanzieren. Diese Summen lassen
Das ist nicht neu, denn seit gut 20 ses Zukunftsprojekts: 5997 Kubikmeter sich sicherlich nicht wieder einfordern,
Jahren werden Stilllegungsmaßnah- Atommüll, jede Menge verseuchte aber eines zumindest ist ohne Probleme
men, geadelt mit dem Siegel wissen- Gebäude und bis heute ein Abwicklungs- ad hoc machbar: Die Streichung aller
schaftlicher Forschung, aus Steuermit- kostenaufwand von rund einer Milliarde Zuwendungen aus dem Bundesfor-
teln subventioniert. Nach vorsichtigen Euro. Wieviele Millionen Euro davon tat- schungshaushalt für die Behandlung
Impressum
Herausgeber: SPD Niedersachsen Schätzungen dürften auf diesem Wege sächlich auf die öffentliche Hand umge- und Beseitigung von Altlasten der Atom-
Verantwortlich: Michael Rüter mittlerweile gut 12 Milliarden Euro aus legt worden sind, lässt sich nur schätzen. industrie. Die dort eingesparten Mittel
Redaktion: Lothar Pollähne,
Sebastian Schumacher Steuermitteln aufgewendet worden Bekannt ist lediglich, dass das Bundes- ließen sich wirklich zukunftsweisend
Anschrift: Odeonstraße 15/16 sein, um die Legende vom »billigen forschungsministerium unter der Lei- einsetzen für die Förderung des wissen-
30159 Hannover
E-Mail: lopo.vorwaerts@gmx.de Atomstrom« fortzuschreiben. Diese Art tung von Annette Schavan 94,5 Millio- schaftlichen Nachwuchses in Deutsch-
Layout & Satz: Anette Gilke von Geldgeschenken verdient ein ande- nen Euro zur »geordneten Restabwick- land, der seine Neugier nachhaltig unter
mail@AnetteGilke.de
res Prädikat: »Wettbewerbsverzerrung«. lung« bereitgestellt hat. Beweis stellen möchte. ■
02/2010 vorwärts NIEDERSACHSEN V
ABWÄGUNGEN ZU AFGHANISTAN
Selten hat eine Einmischung für so viel
Aufregung gesorgt, wie die Neujahrs-
predigt der Ratsvorsitzenden der Evan-
gelischen Kirche Deutschlands, der
Hannoverschen Landesbischöfin Mar-
got Käßmann, gehalten in der Frauen-
kirche in Dresden. Ihr Thema, das hinter
Zitatfetzen fast übersehen wurde, war
eine Reflexion über den Satz »Euer Herz
erschrecke nicht« Afghanistan war
dabei nur eines jener Schrecknisse,
denen sich Margot Käßmann in ihrer
Predigt gewidmet hat. Andere waren
die unbefriedigenden Ergebnisse des
Klimagipfels in Kopenhagen und die
zunehmende Kinderarmut in Deutsch-
land. Viele Kritiker, quer durch alle Par-
teien, sind öffentlich zu Wort gekom-
men und haben versucht, der Bischöfin
die Leviten zu lesen. Die meisten hätten
zunächst einmal den vollen Wortlaut Foto: Lawrenz
der von ihnen inkriminierten Passage
lesen sollen. Der Niedersachsen-vor-
»NICHTS IST GUT IN
wärts dokumentiert Margot Käßmanns Der Wehrbeauftrage des Bundestages, Reinhold Robbe (SPD), hier bei einem Besuch in Afghanistan,
AFGHANISTAN.«
Gedanken zu Afghanistan und hat Ben- hatte sich zunächst drastisch zu Margot Käßmanns Einlassungen geäußert, danach jedoch
no Haunhorst und Lars Klingbeil um einen persönlichen Brief an die Bischöfin geschrieben, auf den es bei Redaktionsschluss noch keine All diese Strategien, sie
Stellungnahmen gebeten. ■ Antwort gab. Foto: Amt WB haben uns lange darüber
hinweggetäuscht, daß Sol-
daten nun einmal Waffen
benutzen und eben auch
VORWÄRTS
RÄTSEL
NARRHALLA-MARSCH, DIE HERREN
Mit ihrem Eintreten gegen die Umweltzone der Landeshauptstadt torpedieren Umweltminister
Hans-Heinrich Sander und Ministerpräsident Christian Wulff die kommunale Verantwortung
Von Lothar Pollähne
Niedersachsens Umweltminister Hans-
Heinrich Sander (FDP) bleibt auch 2010
Im Lexikon linker Leitfiguren seinem Ruf treu, kein Fettnäpfchen aus-
von 1988 heißt es über ihn pro- zulassen. Per »Ordre de Mufti« hat San-
phetisch: »Viele sehen in ihm der die Stadt Hannover Anfang Januar
den Präsidenten eines von der a ngew iesen, d ie z weite St u fe der
weißen Herrschaft befreiten Umweltzone um zwei Jahre herauszu-
Südafrika«. Da hatte Nelson schieben. Dabei hat sich der Minister
Mandela bereits 26 Jahre hinter offenkundig auf veraltete Gutachten
Gittern unterschiedlicher Ge- gestützt.
fängnisse des Apartheid-Re- Die Umweltzone, als Erfolgsmodell
gimes verbracht. Nelson Rolih- mittlerweile in vielen deutschen Städten
lahla Mandela, am 18. Juli 1918 in in Kraft, setzt die europäische Luftquali-
eine Häuptlingssippe des Volkes tätsrichtlinie auf kommunaler Ebene
der Xhosa geboren, war schon um, obwohl vom Prinzip her das Land
vor seiner Inhaftierung eine cha- zuständig ist. Vor drei Jahren jedoch hat-
rismatische Figur des schwarzen te das Land gekniffen und den Städten
Widerstands gegen Apartheid. und Gemeinden die Verantwortung
1944 gründete er mit Walter übertragen. »So kann man nicht mit den
Sisulu und Oliver Tambo die Kommunen und letztlich auch nicht mit
Jugendliga des bis dahin eher den Autofahrern umgehen«, lautet der
gemäßigten Afrikanischen Nati- Kommentar des Präsidenten des Nieder-
onalkongresses (ANC). Der ANC sächsischen Städtetages, Ulrich Mädge.
und etliche andere Anti-Apart- Der Lüneburger Oberbürgermeister wer-
heid-Organisationen wurden tet das Verhalten des Ministers als »Tor- Spitzensportler Sander: Seine Tollität Hans-Heinrich Sander auf dem Weg zum nächsten
im April 1960 verboten, was pedierung der kommunalen Verantwor- Fettnäpfchen. Karikatur: Ernst Schröder
notgedrungen zu verstärkten tung«.
Untergrund-Aktivitäten führte. Bernd Lange (MdEP) hat den Sander- Begründung seiner Anfrage: »Ich bin Hannover, die Zahl der Feuerwerke und
Die Speerspitze der Bewegung Erlass zum Anlass genommen, eine enttäuscht, dass für den niedersächsi- damit das Ausmaß an Feinstaub zu redu-
hieß tatsächlich »Speer der Nati- Dringliche Anfrage an die Europäische schen Umweltminister der Schutz von zieren. Die diplomatisch formulierte
on« (Umkhonto we Sizwe). Kommission zu stellen. »Es darf nicht Menschen und Umwelt so weit hinten Antwort von OB Stephan Weil: »Der
Deren Absicht war es zunächst, sein, dass ein Landesminister durch sein ansteht.« Ministerpräsident ist leider nicht umfas-
die weißen Herrscher mittels Verhalten die Umsetzung der europä- Wenige Tage nach Inkraftsetzen setz- send informiert«. Wulff ist wohl entgan-
gezielter Sabotageaktionen ischen Luftreinhalte-Richtlinie boykot- te seine Tollität Hans-Heinrich Sander gen, dass es längst nicht mehr vorrangig
ohne Blutvergießen so zu tref- tiert, mit ideologischen Scheuklappen seinen Erlass wieder außer Kraft und um Feinstaub sondern um Stickoxide
fen, dass sie sich Verhandlungen die Umweltpolitik in Hannover angreift bekam dafür Rückendeckung von sei- geht. Sanders Verhalten und Wulffs
mit den Vertretern der schwar- und dabei die Interessen der Menschen nem Chef. Christian Wulff hält Sanders populistische Obertöne lassen jahres-
zen Bevölkerungsmehrheit besonders in höchstbelasteten Straßen Entscheidung für »plausibel und nach- zeitlich bedingt nur einen Kommentar
nicht mehr verschließen konnte. mit den Füßen tritt«, erklärte Lange zur vollziehbar« und empfiehlt der Stadt zu: Narrhalla-Marsch, die Herren. ■
Ein fataler Irrtum. Nelson Man-
dela, der die Führung von
Umkhonto we Sizwe übernom-
men hatte, wurde 1962 verhaf-
tet und zu fünf Jahren Gefäng-
BRAUNSCHWEIGER NEUJAHRSGRÜSSE
nis verurteilt. Im so genannten Mehr als 300 Gäste konnten SPD-
Rivona-Prozess wurde Mandela Bezirkschef Hubertus Heil und die
1964 zu lebenslanger Haft ver- Braunschweiger UB-Vorsitzende Carola
urteilt und auf einer Insel inhaf- Reimann als Gastgeber beim SPD-Neu-
tiert. Am 11. Februar 1990 kam jahrsempfang am 23. Januar begrüßen.
Mandela endlich frei. Wie heißt Unter ihnen die Sozialministerin aus
die Insel, auf der Nelson Mande- Mecklenburg-Vorpommern, Manuela
la 18 Jahre verbrachte? Zu ge- Schwesig, die mit ihrer Neujahrsanspra-
winnen gibt es Mandelas Auto- che zum Thema »Bildung und Familie«
biographie »Der lange Weg zur ganz auf der Linie des Bundesparteita-
Freiheit«. ■ lopo ges lag und darüber nachdachte, was
Die Lösung bitte an den Kinder wirklich brauchen. Es war ein
vorwärts, Odeonstr. 15/16 etwas anderer Neujahrsempfang mit
30159 Hannover vielen ehrenamtlich Tätigen aus Sport-
Steppenwolf heißt die Schwer- vereine, freiwilligen Feuerwehren oder
metall-Combo. Gewonnen hat Kleingärten, Menschen also, die Tag für
Regina Schmidt aus Hannover. Tag Basisarbeit machen. ■ eb.