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Studiengang Primarschule
Vertiefungsarbeit eingereicht am 6. April 2009, Fachbereich B & E
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Mobbing
Reto Beeler
Erklärung Urheberschaftsbestätigung
Hiermit erkläre ich, dass die vorliegende Arbeit von mir selbständig verfasst wurde
und keine anderen als die von mir angegebenen Hilfsmittel verwendet wurden. Alle
Stellen der Arbeit, die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinn nach entnommen
wurden, sind mit Angaben der Quellen als solche gekennzeichnet.
3 Massnahmen______________________________________________________9
3.1 Erkennen von Mobbingfällen.............................................................................................9
3.2 Prävention und Intervention............................................................................................11
6 Rückblick________________________________________________________25
7 Abkürzungsverzeichnis_____________________________________________27
8 Literaturverzeichnis________________________________________________28
9 Bildnachweis_____________________________________________________30
1
1 Einleitung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Mobbing unter Schülern und mit
möglichen Gegenmassnahmen. Mobbing wird anhand von Forschungsarbeiten
und Publikationen definiert, die Auswirkungen werden anhand dieses Literaturstu-
diums beschrieben, Präventions- und Interventionsansätze werden vorgestellt.
Aus diesen Ansätzen wird ein Vorschlag für Handlungsrichtlinien zum Umgang mit
Mobbing an Schulen abgeleitet.
1.2 Standardbezug
Diese Vertiefungsarbeit zur Erlangung eines „Bachelor of Arts in Primary Educati-
on“ bezieht sich auf den Standard V der Pädagogischen Hochschule Schaffhau-
sen (PHSH). Die PHSH-Standards sind eine Adaption der Standards der INTASC 1
(Interstate New Teacher Assessment and Support Consortium).
Die Leitfrage dieser Arbeit ist: „Wie soll eine Schule mit Mobbing umgehen?“
Als Grundlage, diese Frage zu beantworten, dient die Definition von Mobbing und
eine Beschreibung der Auswirkungen in Kapitel 2. Kapitel 3 zeigt, wie Mobbing er-
kannt werden kann und stellt die möglichen Gegenmassnahmen in einer Gesamt-
sicht vor. Kapitel 4 beschreibt Vorurteile, welche in der Praxis oft verhindern, dass
Mobbing als Problem wahr genommen wird. Das Übersehen und Bagatellisieren
führt dazu, dass die benötigten Massnahmen nicht ergriffen werden, obwohl es
genügend bewährte Methoden gibt. Diesem Mechanismus sollen die Handlungs-
richtlinien vorbeugen, welche in Kapitel 5 beschrieben sind: durch klare Zuwei-
sung von Zuständigkeiten an alle Beteiligten wird Mobbingintervention kontrollier-
bar, und deren Qualität kann belegt und verbessert werden.
Mobbingprävention erfordert ein gutes soziales Umfeld, in dem eine von Vertrau-
en geprägte Lebens- und Lernkultur entstehen kann. Mobbingintervention trägt
dazu bei, dieses Klima zu schaffen und erfordert effektive Mittel der Klassenfüh-
rung. Der beschriebene systematische Ansatz zeigt auf, wie die Forderungen des
PHSH-Standard V für das Soziale Umfeld erreicht werden können. Damit ist ein
klarer Standardbezug, wie er in Kapitel 1.2 dargelegt wird, gegeben.
3
2.1 Definition
Die Schweizer Mobbingspezialistin Françoise D. Alsaker definiert Mobbing in An-
lehnung an die klassische Definition von Dan Olweus als „ein soziales Phänomen,
bei der eine Person wiederholt und systematisch den direkten oder indirekten ne-
gativen Handlungen einer oder mehrerer anderer Personen ausgesetzt ist“ (Alsa-
ker 2003, S. 19).
Alsaker zitiert fast wörtlich die Definition von Olweus, betont aber zusätzlich, dass
es sich um ein soziales Phänomen handelt. Dies ist vor allem im Hinblick auf Lö-
sungen bedeutend: Es geht um gruppendynamische Prozesse, nicht um negative
Handlungen von Einzelnen. Präventions- und Interventionsmassnahmen sollten
alle aktiv oder passiv Beteiligten einbeziehen. Sie dürfen sich nicht auf Einzelinter-
ventionen beschränken. Dies scheint offensichtlich zu sein. Trotzdem beschränkt
sich ein Eingreifen in der Praxis oft nur auf das Opfer.
Der weite und auf den ersten Blick etwas schwammige Begriff „negative Handlun-
gen“ soll ausdrücken, dass Mobbing nicht aufgrund bestimmter Typen von Ag-
gressivität definiert werden kann. Negative Handlungen sind alle aggressiven und
rücksichtslosen, verletzenden Handlungen, welche das Selbstwertgefühl einer an-
deren Person beeinträchtigen können. Das wiederholte systematische Anwenden
solcher Handlungen ist ein wichtiges Merkmal, welches Mobbing von anderen For-
men der Gewalt unterscheidet.
2.2 Mobbinghandlungen
Mobbing beschränkt sich nicht auf einen bestimmten Typus von Aggressivität. Es
gibt eine Vielfalt von Mobbinghandlungen. Einzelne Mobbinghandlungen mögen
für sich betrachtet relativ harmlos erscheinen. Ihre fatale Wirkung entfalten sie
durch systematische, variantenreiche und heimliche Anwendung.
Diese Kategorien aus dem Berufsleben könnte man auch auf die Schule übertra-
gen. Konkret tritt Mobbing in der Schule u.a. in folgenden Formen auf:
2 z.B. am Sporttag
3 z.B. Hausaufgaben
2 Was ist Mobbing? 5
Knaben mobben eher direkt und aggressiv, Mädchen eher indirekt und subtil.
„Eine speziell weibliche Raffinesse scheint …. darin zu liegen, dass die Täterinnen
den Opfern immer wieder Hoffnung auf ein Ende der Schikanen machen. Dieses
Signal ist aber zumeist mit einer Bitte verbunden“ (Mobbing-Team 2002, S. 10).
2.3 Rollen
Mobbing ist ein soziales Phänomen mit mehreren Aktoren. Mobbing ist nicht nur
eine Täter-Opfer-Beziehung, sondern betrifft ganze Klassen, ja ganze Schulhäu-
ser. Es entsteht ein Kommunikationssystem für Machtansprüche, auf welches die
pragmatischen Axiome des Kommunikationswissenschaftlers und Psychothera-
peuten Paul Watzlawick angewendet werden können (vgl. Watzlawick 2007,
S. 53 ff.). Insbesondere gilt das Axiom: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“
Jede Person, welche von Mobbing Kenntnis hat, oder von der angenommen wird,
das sie von Mobbing Kenntnis haben sollte (z.B. Lehrpersonen und Eltern) spielt
eine Rolle im Mobbingprozess und fördert ihn durch ihre Reaktionen, oder hilft ihn
zu beendigen.
Karl Gebauer vergleicht Mobbing mit einem Schauspiel mit einer „äusseren Büh-
ne“ (Kindergarten, Klassenzimmer, Schulhof) und einer „inneren Bühne“ (Gedan-
ken, Gefühle, Strategien). Auf der äusseren Bühne läuft über einen längeren Zeit-
raum ein Prozess ab, bei dem ein Schüler einen Mitschüler zum Opfer macht.
Was sich dabei auf der inneren Bühne abspielt, bleibt für einen Beobachter ver-
borgen und kann nur durch Gespräche und nachfolgende Interpretationen er-
schlossen werden.
Die Darsteller auf diesen Bühnen nehmen verschiedene Rollen ein: Der Mobber
(Täter) ist umgeben von Mitläufern, welche oft durch Gewaltandrohung oder Dro-
hung des Freundschaftsentzugs an ihn gebunden sind und ihn schützen. Sowohl
billigende als auch passive Zuschauer verfolgen das Geschehen. Zwischen Tä-
tern und Mitläufern gibt es nicht immer eine scharfe Trennung, und zudem ändern
2 Was ist Mobbing? 6
sich die Gruppierungen. Es ist auch möglich, dass ein Opfer gleichzeitig in einer
anderen Konstellation als Täter auftritt. (vgl. Gebauer 2007, S. 33 ff.).
Klar und prägnant kommen die Rollen in den Begriffen „Betreiber“, „Helfer“ und
„Möglichmacher“ zum Ausdruck, welche Taglieber für Täter, aktive Mitläufer und
Zuschauer verwendet (Taglieber 2005, S. 9):
„Der Betreiber geniesst meistens hohes Ansehen in der Gruppe. Er setzt die
Standards für das Mobbing und ist Vorbild.
Die Helfer ahmen das Verhalten des Betreibers nach und sonnen sich in seiner
Ausstrahlung und seinem Einfluss. Je mehr Personen sich am Mobbing beteili-
gen, desto mehr reduziert sich das Schuldgefühl der Einzelnen.
Die Möglichmacher beobachten das Treiben hilflos und manchmal mit Abscheu,
oft aber mit Gleichgültigkeit und Genugtuung. Meistens sind sie einfach nur froh,
nicht selbst Opfer zu sein.“
Aufschrecken sollte, dass 20% der Gemobbten Lehrpersonen als Mittäter ange-
ben, weil diese sich auf Einzelne fixieren, das Falsche ignorieren, zwar mahnen,
jedoch nicht handeln und unangemessen strafen (vgl. Taglieber 2005, S. 11). Be-
troffene Kinder stellen ihren Lehrpersonen oft ein schlechtes Zeugnis aus: in den
2 Was ist Mobbing? 7
meisten Fällen bagatellisieren diese die vorgebrachte Klagen, greifen auf unzurei-
chende Weise ein und manche Lehrpersonen intervenieren sogar nur ein einziges
Mal (vgl. Mobbing-Team 2002, S. 15 f.).
2.4 Phasen
Die vier typischen Phasen, welche nach Leymann für alle Mobbingprozesse gel-
ten, können folgendermassen umschrieben werden (vgl. Leymann 2002, S. 58):
Wenn nicht rechtzeitig eingegriffen wird, wird das Opfer meist zum Verlierer und
hat kaum eine andere Wahl, als die Schule zu wechseln. Der Täter wird in seinem
Verhalten verstärkt und verstrickt sich noch mehr in seine Rolle.
2.5 Auswirkungen
Gemäss Mechthild Schäfer, Mobbing-Expertin und Entwicklungspsychologin an
der Münchner Ludwig-Maximilian-Universität, wirkt sich ein „Mobbing-Martyrium“
oft bis ins Erwachsenenalter negativ aus. Viele ehemalige Mobbing-opfer sind ge-
2 Was ist Mobbing? 8
prägt durch ein geringes Selbstwertgefühl, und sie haben oft Schwierigkeiten, sich
emotional auf enge Bindungen einzulassen (vgl. Jacobs 2007, S. 12).
Die wenigsten Opfer werden aggressiv. Die meisten fressen ihr Leid in sich hin-
ein, manchmal so lange, bis sie zusammenbrechen.
Die Folgen für das Opfer sind enorm. Horst Kasper stellt fest: „Mobbing bewirkt
durch den damit verbundenen Psychostress mit der Zeit eine schwer behebbare
gesundheitliche Schädigung, die als PTSD (engl. = post-traumatic stress disorder)
bezeichnet wird. Das sind die gleichen gesundheitlichen Folgen wie bei Verbre-
chens-, Kriegs- und Katastrophenopfern“ (Kasper 1998, S. 37).
(Skof 2005, S. 7)
„Auch für die Täter hat das Mobbing gravierende Folgen. …. Es kann als wissen-
schaftlich gesichert gelten, dass …. die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, dass sie
zu einem späteren Zeitpunkt auch straffällig werden können“ (Mobbing-Team
2002, S. 13). Darum braucht auch der Täter unbedingt Hilfe.
Zuschauer lernen, dass es besser ist, sich nicht einzumischen, und sie erfahren,
dass man als Opfer allein gelassen wird. Destruktive Beziehungsmuster werden
als normal angenommen.
So entsteht durch Mobbing schliesslich ein bedeutender Schaden für die Gesell-
schaft und die Wirtschaft.
9
3 Massnahmen
Damit Massnahmen ergriffen werden können, muss Mobbing erst einmal erkannt
werden. Die Massnahmen selber können eingeteilt werden in Präventions- und In-
terventionsmassnahmen. Zur Beschreibung von Prävention und Intervention be-
nütze ich das klassische Drei-Ebenen-Modell, das der norwegische Psychologe
Dan Olweus (2008, S. 69 ff.) schon Ende der 80er Jahre aufgestellt hat, und des-
sen Wirkung durch empirische Versuche gründlich untersucht und belegt wurde.
Ich zeige auf, welchen Platz andere Präventions- und Interventionsansätze in die-
sem Modell einnehmen.
Auch die Eltern sind meist ahnungslos, weil nur etwa die Hälfte aller gemobbten
Kinder daheim etwas erzählen (vgl. Jacobs 2007, S. 12). Sie wollen oft nicht, dass
sich ihre Eltern einmischen und in der Schule auftauchen, weil sie befürchten, die
Sache werde nur noch schlimmer.
Das Schweigen aller macht Mobbing erst möglich. „Die einen schweigen aus Kal-
kül, weil sie die Macht innehaben und sie nicht verlieren wollen. Die anderen, weil
sie sich ihrer Schwächen und Ohnmacht schämen. Die Dritten schweigen aus
Angst, weil sie erpresst werden. … Das Schweigen wird zur Fessel“ (Welten
2003, S. 51). Darum muss die Mauer des Schweigens durchbrochen werden.
Das Erkennen von Mobbingfällen erfolgt über genaue Beobachtungen der Klasse
und einzelner Schüler, das Zusammentragen von Indizien (Primär- und Sekun-
däranzeichen) und deren systematische Auswertung.
3 Massnahmen 10
Bei Verdacht auf Mobbing oder auch präventiv kann ein Mobbingfragebogen ein-
gesetzt werden. Solche Fragebogen untersuchen mehr oder weniger systema-
tisch Primär- und Sekundäranzeichen und helfen beim Stellen einer Diagnose.
Es existieren mehrere solche Fragebogen, sowohl für Schüler als auch für Eltern.
Bekannt und verbreitet ist der sogenannte SMOB-Fragebogen von Heinz Ley-
mann und Horst Kasper (siehe Kasper 2002, S. 4 ff.). Dieser Fragebogen mit ins-
gesamt 93 Fragen ist umfangreich und sehr aufwändig. Die ersten 51 Fragen be-
fassen sich mit den von Leymann definierten 5 wesentlichen Bereichen für Mob-
binghandlungen5. Der Fragebogen ist für alle Altersstufen und Schularten geeig-
net und enthält auch Fragen zum Lehrerverhalten. Eine ausführliche Anleitung un-
terstützt die Auswertung und mit der Formel „Feindseligkeiten geteilt durch Anzahl
der Schüler“ kann ein Klassenindikator berechnet werden.
Dan Olweus schlägt ein Drei-Ebenen-Programm gegen Mobbing vor (vgl. Olweus
2008, S. 69 ff.). Dieser Massnahmenkatalog, welcher die Schul-, Klassen- und
Schülerebene betrifft, bildet die Grundlage für die meisten Präventions- und Inter-
ventionsansätze. Auf der Schul- und Klassenebene wird Präventionsarbeit geleis-
tet, während Interventionen auf der Schülerebene stattfinden.
Auf den ersten Blick erscheint der Massnahmenkatalog von Olweus sehr aufwän-
dig. Ein grosser Teil der Massnahmen gehört aber zu einer guten Schulführung
und zu gutem Unterricht. Die Kenntnis guter Interventionsmassnahmen und deren
gezielte Anwendung ist wichtig, weil Mobbing nie von alleine aufhört. Es wäre aber
falsch, sich bei Mobbing allein auf Intervention zu beschränken. Es sollte immer
geprüft werden, wie die Prävention durch Anpassungen im schulischen Umfeld
verbessert werden kann.
3.2.1 Schulebene
Auf der Schulebene geht es in erster Linie darum, ein Klima zu schaffen, welches
Mobbing nicht begünstigt. Falls dennoch Mobbingfälle auftreten, sollen sie mög-
lichst früh erkannt werden und Reaktionen auslösen.
Damit Mobbing früh erkannt werden kann, schlägt Olweus folgendes vor:
• Fragebogenerhebung6
• Institutionalisierte Beschwerdestelle7
• Vermehrte Kooperation zwischen Lehrpersonen und Eltern
3.2.2 Klassenebene
Auf der Klassenebene soll die Sozialkompetenz der Schüler geschult werden, und
sie sollen allfälligen Opfern gegenüber Empathie entwickeln. Das kann erreicht
werden durch:
saker et al. 2004). Be-Prox spricht in acht Sitzungen unter anderem folgende The-
men an und setzt sie um:
3.2.3 Schülerebene
Olweus nennt folgende Interventionsmöglichkeiten auf Schülerebene:
das Problem gelöst wird. Es soll wissen, was Mobbing ist und wie es funk-
tioniert, und dass es praktisch unmöglich ist, die Situation selbst zu klären.
3. Informationen einholen
Aktionismus soll vermieden werden. Damit das Handeln zielgerichtet ist,
wird mit einem Fragebogen12 erhoben, wie weit das Mobbing schon fortge-
schritten ist. Dazu kann z.B. der SMOB-Fragebogen eingesetzt werden.
Auf jeden Fall sollten auch folgende Daten erfasst werden:
Art des Mobbings (physisch, verbal, indirekt), wie lange dauert das Mob-
bing schon, wie häufig findet es statt, wo wird das Opfer schikaniert (im
Unterricht, während der kleinen/grossen Pause, im Sportunterricht, auf
dem Schulweg), wie viele Täter sind beteiligt (Mädchen, Knaben, aus der
Klasse des Opfers, aus der Parallelklasse, aus einer höheren Klasse), Dy-
namik der Mobbingsituation (einer/wenige mobben, erst fängt einer an, an-
dere kommen dazu, es weitet sich auf die ganze Klasse aus), bereits un-
ternommene Massnahmen.
4. Planung
Es sollen realistische Ziele gesetzt werden und alternativ Lösungsansätze
gesucht werden. Die Ziele der Beteiligten sollen wenn möglich in diese
Überlegungen einfliessen. Ein Zeitplan wird festgelegt. Abklären, ob exter-
ne Experten zugezogen werden sollen.
6. Erfolgskontrolle
Kontrolle und allfällige Anpassung der Ziele und des Zeitplans. Einschät-
Für die Schweiz liegen die Zahlen für Cybermobbing vermutlich in der selben
Grössenordnung, da der Zugang zu entsprechenden Geräten eher besser ist und
das traditionelle Mobbing in beiden Ländern etwa gleich verbreitet ist.
4 Vorurteile und Mythen 19
Wird Mobbing auf die Persönlichkeit des Opfers zurückgeführt, wird dieses noch
stärker in eine „unlösbare“ Situation gedrängt, der Täter wird in seinem Handeln
bestärkt und Perspektivenübernahme wird erschwert oder verhindert, was zu wei-
teren Mobbinghandlungen führt.
Mechthild Schäfer vertritt ganz klar die Ansicht, der Täter müsse zur Therapie,
nicht das Opfer. Wehre sich das Opfer plötzlich, verschlimmere dies die Situation
häufig, da sich der Täter ungewohnt herausgefordert fühle. Ausserdem führten
Massnahmen, die nicht beim Täter ansetzten dazu, dass sich dieser ein neues
Opfer suche (vgl. Jacobs 2007, S. 14).
„Die Täter wissen in der Regel sehr genau, dass Lehrpersonen das Geschehen
zumeist sehr zuverlässig „nicht wahrnehmen“. Sie befinden sich daher in einem
Raum, der ihr Treiben sichert und schützt und so ihrem Tun keinerlei Einhalt ge-
bietet. Sie spüren, dass sie mit ihrem Vorgehen und ihrer Rücksichtslosigkeit Er-
folg haben, weil sich das Opfer nicht wehren kann und weil es sich oftmals auch
gegenüber Lehrpersonen, Mitschülern und Eltern ausschweigt“
(Mobbing-Team 2002, S. 10).
21
Ein gutes Schulklima und ein frühes Eingreifen bei Konflikten wirken präventiv ge-
gen Mobbing. Kommt es dennoch zu Mobbingfällen, so müssen alle Beteiligten
möglichst gut zusammenarbeiten, denn von selbst hört Mobbing nicht auf. Dies
erfordert Absprachen.
Oft wird auf Mobbing aber nicht angemessen reagiert, und es wird entweder ba-
gatellisiert oder übersehen. Handlungsrichtlinien gegen Mobbing können ein Hilfs-
mittel sein, die Qualität der Reaktionen zu erhöhen. Durch die Dokumentation von
Verantwortlichkeiten und Prozessen kann ein konsistentes Handeln erreicht wer-
den, welches optimiert werden kann. Dadurch wird es möglich, ein Qualitätsmana-
gement der Massnahmen gegen Mobbing zu etablieren.
Mir ist bis jetzt keine Schule in der Schweiz bekannt, welche Richtlinien gegen
Mobbing erlassen hätte. Das Schweizerische Netzwerk Gesundheitsfördernder
Schulen (SNGS) hat jedoch Qualitätskriterien zur Gewaltprävention aufgestellt,
welche Bestandteil von Anti-Mobbing-Handlungsrichtlinien sein könnten (siehe
Zumstein 2007, Checkliste E).
Die Texte der folgenden Unterkapitel lehnen sich an englische Vorbilder an und
bilden einen exemplarischen Entwurf für ein entsprechendes Kapitel der Hand-
lungsrichtlinien. Ich verfolge einen pragmatischen Ansatz: Es geht mir nicht darum
einen Mustertext für Anti-Mobbing-Handlungsrichtlinien vorzugeben, da die For-
mulierungen sowieso an lokale Gegebenheiten angepasst werden müssen. Trotz-
dem habe ich konkrete Formulierungen gewählt, welche z.B. einer Schule als
Hilfsmittel und Vorlage für einen eigenen Text dienen können. Der Text nimmt Be-
zug auf die in dieser Arbeit aufgeführten Forschungsergebnisse.
5.1 Ziele
• Die Handlungsrichtlinien sollen eine konsistente und angemessene Reakti-
on auf Mobbingfälle ermöglichen.
• Mobbing ist verwerflich und unakzeptabel. Es ist wichtig ein Schulklima zu
schaffen, welches Mobbing verhindert. Dadurch, dass die Schule ein siche-
rer und angstfreier Lernort ist, wird die Wahrscheinlichkeit von Mobbing
herabgesetzt.
18 Die SB soll vor allem eine Aufsichtsfunktion ausüben, und bei Bedarf nötige Mittel zur Verfügung
stellen. Die Umsetzung liegt in der Verantwortung der Schulleitung.
19 Hier könnte z.B. festgelegt werden, wie lange es dauern darf, bis die Untersuchung abgeschlos-
sen ist.
20 Zu diesem Zweck kann die Schulleitung z.B. die Massnahmen anwenden, welche in Kapitel
3.2.1 für die Schulebene beschrieben sind. Diese Massnahmen können in den Anti-Mob-
bing-Handlungsrichtlinien den Umständen entsprechend explizit erwähnt werden.
5 Anti–Mobbing–Handlungsrichtlinien für Schulen 23
• Die SL informiert die SB auf Anfrage über die Effizienz der Anti-Mobbing
Massnahmen.
• Kinder, die fortgesetzt an Mobbing beteiligt sind, meldet die LP der SL. Dar-
auf werden die Eltern dieses Kindes in die Schule eingeladen, um die Vor-
fälle zu besprechen24.
21 Zu diesem Zweck muss die SL dafür sorgen, dass alle LP die Handlungsrichtlinien kennen. Dies
kann evtl. explizit erwähnt werden.
22 Zu diesem Zweck können die LP z.B. die Massnahmen anwenden, welche in Kapitel 3.2.2 für die
Klassenebene beschrieben sind. Diese Massnahmen können in den Anti-Mobbing-Handlungs-
richtlinien den Umständen entsprechend explizit erwähnt werden.
23 Zu diesem Zweck können die LP z.B. die Massnahmen anwenden, welche in Kapitel 3.2.3 für die
Schülerebene beschrieben sind. Diese Massnahmen können in den Anti-Mobbing-Handlungs-
richtlinien den Umständen entsprechend explizit erwähnt werden.
24 Hier könnte z.B. erwähnt werden, wann externe Experten beigezogen werden.
5 Anti–Mobbing–Handlungsrichtlinien für Schulen 24
• Falls die Reaktion der Klassen-LP für die Eltern nicht zufriedenstellend ist,
wenden sie sich an die SL. Falls dies immer noch zu keinen Resultaten
führt, können sie sich bei der SB beschweren.
• Die Eltern ermutigen ihre Kinder, sich positiv in den Schulalltag einzubrin-
gen.
25 Das kann z.B. ein allgemeiner Fragebogen sein, der auch andere Aspekte der Schule umfasst.
Die konkrete Art der Befragung und deren Periodizität sollten in den Handlungsrichtlinien er-
wähnt werden. Es kann auch ein Kummerbriefkasten eingerichtet werden.
26 Festlegen, wie oft – z.B. jährlich.
27 Hier könnte festgelegt werden, dass zusätzlich Zumstein (2007), Checkliste E zur Qualitätskon-
trolle benützt wird.
25
6 Rückblick
Das, was in dieser Arbeit beschrieben ist, ist für mich nicht nur Theorie. Am Bei-
spiel unserer Tochter haben wir alle in Kapitel 2.4 beschriebenen Mobbingphasen
schmerzhaft miterlebt. An Elterngesprächen sind uns alle Vorurteile und Mythen
aus Kapitel 4 begegnet. Die Anzeichen von Mobbing aus Kapitel 3.1, kommen mir
teilweise sehr bekannt vor, und ich frage mich, warum wir als Eltern nicht früher
erkannt haben, was los ist. Als wir es merkten, war es schon zu spät. Zu ihrem
Schutz und mit der Unterstützung des Schulpsychologischen Dienstes behielten
wir unsere Tochter etwa einen Monat zuhause, bis ihr ein Schulwechsel gewährt
wurde. Das war zwar nicht das Ende der Probleme, aber dank guter Unterstüt-
zung von verschiedener Seite ein erster Schritt zu einer Besserung.
Als Student der Pädagogik habe ich in allen Situationen versucht, auch die Lehr-
personen zu verstehen. Ich konnte viel guten Willen feststellen – und entdeckte
viele Fehlreaktionen. Mir ist klar geworden, dass Mobbing sehr schwer in den Griff
zu bekommen ist. Aber ich habe auch gelernt, dass es gute Wege gibt, damit um-
zugehen. Sicher keine Wundermittel, aber deren Wirksamkeit ist empirisch belegt.
Deshalb wählte ich für meine Vertiefungsarbeit die Leitfrage: „Wie soll eine Schule
mit Mobbing umgehen?“
Viele wichtige Fragen und Antworten zum Thema Mobbing konnte ich in dieser Ar-
beit ansprechen. Einige der Aussagen könnten bestimmt noch genauer durch sta-
tistisches Zahlenmaterial belegt werden. Eine umfassende Analyse bestehender
quantitativer und qualitativer empirischer Untersuchungen würde wohl genug Ma-
terial für eine weitere Vertiefungsarbeit ergeben.
Auf die Gründe für Mobbing bin ich kaum eingegangen – auch zu diesem Thema
gäbe es in der Literatur genügend Aussagen und Vermutungen, aber für einen
praktischen Umgang mit Mobbing genügen die Informationen, welche ich hier zu-
sammengetragen habe.
Die Stärke dieser Arbeit ist die kompakte Darstellung eines Handlungskonzepts,
die Positionierung verschiedene Präventions- und Interventionsansätze im Drei-E-
benen-Modell von Olweus. Dadurch konnte ich Zusammenhänge verschiedener
Methoden aufzeigen, welche in der Literatur meist isoliert behandelt werden. Die-
se Systemsicht ist auf ihre Weise elegant, könnte aber dazu verleiten anzuneh-
men, für erfolgreiche Massnahmen müssten immer alle Ebenen einbezogen wer-
den, was aber so nicht stimmt: Statt in Aktionismus zu verfallen, ist es besser, ei-
6 Rückblick 26
nige wenige Massnahmen zu wählen und diese koordiniert und konsequent durch-
zuführen.
Für meine Arbeit habe ich vielfältige und aktuelle Quellen verwendet. Interessant
wäre es, noch einen genaueren Blick auf die angelsächsischen und skandinavi-
schen Länder zu werfen, wo eine viel grössere Sensibilisierung gegenüber Mob-
bing vorhanden ist, als bei uns. Ausserdem würde mich auch interessieren, ob
und wie Schulen in der Schweiz für Mobbing haftbar gemacht werden können. Im
Ausland ist dies teilweise der Fall: Die Schweizer Schule in Madrid musste kürz-
lich wegen eines Mobbingfalls dem Opfer eine Entschädigung von 30'000 Euro
zahlen (siehe SDA 2009, 7. Januar).
Zu Beginn meiner Vertiefungsarbeit hatte ich die Idee, Experten in unserer Ge-
gend über praktische Erfahrungen mit Mobbing zu befragen. Abklärungen beim
Schulpsychologischen Dienst in Andelfingen ergaben, dass dort vor allem eine
Triage stattfindet und bei Bedarf Psychologen vermittelt werden, welche Klassen-
intervention anbieten. Ich entschloss mich schliesslich, einen klaren Fokus zu set-
zen und vor allem das Thema der Prävention und Intervention eingehend zu be-
handeln, mich aber auf das Studium Fachliteratur zu beschränken, da sonst die
Arbeit zu aufwändig und auch zu umfangreich geworden wäre.
Die Auseinandersetzung mit Prävention und Intervention erfolgt auf eine innovati-
ve Weise, indem ich versuche, die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen
Ansätzen zu beleuchten, welche mir beim Studium zahlreicher Bücher und unge-
zählter Artikel klar geworden sind. Ich hoffe, dies sei mir gelungen, und ich denke,
diese Arbeit gibt einen stark praxisorientierten Überblick des aktuellen Standes
der Mobbingforschung.
Beim Kolloquium zu dieser Arbeit wurde ich gefragt, ob es nicht schwierig sei,
eine Arbeit über ein Thema zu schreiben, welches einem aus eigenem Erleben
emotional sehr nahe gehe. Ein Stück weit ist diese Arbeit bestimmt das Resultat
meiner Verarbeitung persönlicher Erlebnisse. Aber gerade weil diese sehr
schmerzhaft waren, hatte ich den Ansporn, Mobbing sachlich, von der wissen-
schaftlichen Seite her zu betrachten – ohne zu hadern, mit dem Ziel, einen klaren
Blick zu gewinnen, damit ich als Lehrer auf Mobbingfälle gut vorbereitet bin. Die-
ser Aspekt macht mir die Vertiefungsarbeit wertvoll.
27
7 Abkürzungsverzeichnis
INTASC Interstate New Teacher Assessment and Support Consortium
LP Lehrperson, Lehrpersonen
OFSTED Office for Standards in Education
PHSH Pädagogische Hochschule Schaffhausen
PTSD Post-traumatic stress disorder
SB Schulbehörde
SL Schulleitung
SMOB Schülermobbing
SNGS Schweizerisches Netzwerk Gesundheitsfördernder Schulen
ZEPF Zentrum für empirische pädagogische Forschung
28
8 Literaturverzeichnis
Jacobs, C. (2007): ... und raus bist du!. In: FOCUS-SCHULE 01/2007, S. 8-18.
Leymann, H. (2002): Mobbing: Psychoterror am Arbeitsplatz und wie man sich da-
gegen wehren kann. Reinbek: Rowohlt.
Olweus, D. (2008): Gewalt in der Schule. Was Lehrer und Eltern wissen sollten -
und tun können. Bern: Hans Huber.
Pikas, A. (2002): New developments of the shared concern method. In: School
Psychology International 23 (3), S. 307-326.
Skof, S. (2005): Mobbing - Was Eltern und Lehrer tun können. http://www.schul-
psychologie.at/gewaltpraevention/MOBBING.pdf (abgerufen am: 28.3.2009)
Szaday, Ch. (2002): Mobbing unter Schülerinnen und Schülern: Der „No Blame
Approach“. In: Drilling, M./ Friedrich, P./Wehrli, H. (Hg.): Gewalt an Schulen.
Ursachen, Prävention, Intervention. Zürich: Verlag Pestalozzianum, S. 149-
154.
Welten, R. (2003): Plagen ist kein Kinderspiel. In: Hascher, Hersberger, Valkano-
ver (Hg.): Reagieren, aber wie? - Professioneller Umgang mit Aggression und
Gewalt in der Schule. Bern: Haupt Verlag, S. 49-57.
9 Bildnachweis
Titelbild Symbolische Mitschülerrollen für den PRQ
http://www.psy.lmu.de/mobbing/instrumente.html
Mit freundlicher Genehmigung von PD Dr. Mechthild Schäfer
Ludwig-Maximilians-Universität München