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Achtsamkeitsübungen

In meinem Buch “Achts amkeitsübungen – Experimente mit einem anderen Lebensgefühl”


(2011) habe ich 85 Achtsamkeitsübungen mit Varianten und Kommentaren dargestellt.
Inzwischen haben wir neue Übungen entwickelt bzw. es sind mir neue Übungen begegnet
(die Quellen gebe ich an, soweit sie für mich identifizierbar sind). Es handelt sich vor allem
um Übungen, die relationale Achtsamkeit verdeutlichen und solche, die die Natur stärker
einbeziehen. Diese beiden Themen interessieren mich derzeit besonders.
Auf dieser Seite finden Sie einige neue Übungen. Ich nummeriere sie aus praktischen
Gründen mit N1, N2 etc.
N1: Fokussierte Achtsamkeit mit “Jetzt”
(Gruppenübung, ca. 3 Min.)
Wählen Sie einen Fokus, z. B.: Alle Teilnehmer lassen den linken Arm herabhängen und
heben dann ganz langsam den Unterarm bis zu einem rechten Winkel im Ellenbogen. Dabei
bleiben die Teilnehmer möglichst mit ihrer Aufmerksamkeit bei ihrem Arm (Augen möglichst
geschlossen). Wenn sie den Fokus verlieren, weil ihre Aufmerksamkeit zu einem anderen
Thema wandert und sie dabei etwa 3 Sekunden oder mehr den Arm nicht mehr beachten,
sagen sie laut “jetzt”.
Kommentar: Manche Teilnehmer denken, dass ihnen fokussierte Achtsamkeit nicht gelingt,
weil sie an etwas Anderes denken oder gar weil sie überhaupt denken. Das ist aber ein
Mißverständnis: Zum einen kann man an den Fokus selbst auch denken, was überhaupt kein
Problem ist, zum Andern kann man gleichzeitig auch an etwas Anderes denken, ohne den
Fokus zu verlieren. Unterbrochen ist die fokussierte Achtsamkeit nur, wenn der Fokus
verloren gegangen ist. Es ist für sehr leistungsorientierte und selbstkritische Teilnehmer eine
Erleichterung, zu erfahren wie andere mit solchen Übungen umgehen und dass ihnen
fokussierte Achtsamkeit genauso gut oder schlecht gelingt wie anderen.
Die Übung hilft aber auch Achtsamkeit auf Unachtsamkeit zu schulen und mit einem “Jetzt”
zu einem Fokus / der Gegenwart zurückzukehren.
N2: Verbundenheitsdiagramm
(Einzel- und Gruppenübung, ca. 15 Min.)
Der/die Teilnehmer nehmen ein Blatt Papier und einen Stift und zeichnen sich mit einem X
oder anderen Symbol in die Mitte des Blattes. Dann zeichnen sie mittels anderer Symbole
alle Menschen, Tiere, Objekte und Orte ein, mit denen sie sich gerade jetzt verbunden
fühlen. Sie stellen durch Striche Verbindungen zu sich her und können dabei auch den
Abstand bestimmen (als Zeichen der Intensität). Bitte keine Abstrakta (Werte etc.) oder
Tätigkeiten eintragen! “Verbundenheit” muss nicht “positiv” sein, es kann sich auch um einen
Konflikt etc. handeln! Wichtig ist, dass nur das zählt, was der Teilnehmer gerade jetzt fühlt.
Das Diagramm kann also eine halbe Stunde später schon anders aussehen. Es ist deshalb
auch sinnvoll, die Übung zu verschiedenen Zeiten zu wiederholen.
In der Regel ist bei allen Übungen eine Nachbesprechung sinnvoll, hier besonders.
Kommentar: Die Übung gibt Anlass, über Verbundenheit nachzudenken und verdeutlicht
Bindungen, meist auch dann, wenn sich jemand sehr isoliert fühlt. Es kann auch erstaunlich
sein, zu sehen, mit wem man sich gerade nicht verbunden fühlt, obwohl man es vielleicht
erwartet hätte. Die Übung zeigt, dass Verbundenheit nicht harmonisch sein kann und sich
auch nicht nur auf klassische “Beziehungen” erstrecken muss. Ich kann mich z. B. auch mit
einem Autor verbunden fühlen, den ich nie gesehen habe oder mit einem Menschen, der
nicht mehr lebt. Schließlich zeigt sie auch die Veränderlichkeit von Verbundenheit.
N3: Spüren in der Natur / Sich-Drehen
(Einzel- und Gruppenübung, ca. 12 Min.)
Als Gruppenübung: Die Gruppe stellt sich im Kreis auf, nehmen eine achtsame Haltung ein
(kurz anleiten: Haltung, Kontakt zum Boden, Atmung spüren, Bewertungen loslassen etc.).
Alle schließen möglichst die Augen und spüren den Wind und evtl. die Sonne und hören auf
die Geräusche. Dann drehen sie sich um etwa 60 Grad nach rechts (sie sollten auf 6
Stationen kommen), verweilen in jeder Position etwa 1 Minute und spüren / hören. Wenn sie
wieder in der Ausgangsposition sind, wiederholen sie die Übung mit offenen Augen! Das
Timing kann ganz nach Gefühl erfolgen.
Kommentar: Meist sind feine Unterschiede und der Unterschied zwischen beiden Runden
deutlich erfahrbar.
N4: Stopps im Gespräch
(Partnerübung, z. B. insgesamt 15 – 20 Minuten)
Zwei Teilnehmer (bzw. Therapeut und Patient) besprechen ein Thema, ggf. ein beliebiges, z.
B. das letzte Wochenende. Der Gruppenleiter oder der beteiligte Therapeut sagt immer
wieder “Stopp” (z. B. nach 1-2 Min.) oder schlägt z. B. eine Zimbel. Dann führt der
sprechende Partner noch seinen Satz zu Ende und schweigt. Beide Partner bleibe in ihrer
Haltung und spüren wie es ihnen selbst geht und versuchen zu erfassen, wie dem anderen
gerade geht (insgesamt ca. 1 Min., kein ständiger Augenkontakt notwendig). Dann geht das
Gespräch weiter. Vorsicht: Keine Vollständigkeit anstreben, sich nicht anstrengen, rezeptiv
bleiben, auch in der Empathie! Es geht in dieser Übung um die Haltung der Achtsamkeit, die
Wahrnehmung der eigenen Befindlichkeit und der eigenen (vielleicht seltsamen)
Mutmaßungen sowie um die Wahrnehmung des Anderen, nicht darum, ob die
Wahrnehmungen und Annahmen stimmen. Dann wechseln die Partner. Es ist sinnvoll, am
Schluss einen kurzen Austausch zu zweit zu ermöglichen.
Variante: Man kann die Übung alleine durchführen! Stellen Sie sich vor einen Spiegel und
erzählen sie sich etwas, vielleicht sogar etwas Interessantes, Neues, Wichtiges. Dann
stoppen sie willkürlich und versuchen Sie erst herauszufinden wie es dem Menschen im
Spiegel geht. Dann spüren Sie in sich hinein usw.
Kommentar: Es ist interessant, gemeinsam zu besprechen, was man aus dieser Übung für
die alltägliche Kommunikation lernen und wie man sie im Alltag umsetzen kann.
Man kann die Übung natürlich fortführen, indem man die Annahmen über das Befinden des
Anderen im Gespräch überprüft. Dann geht sie eher in Richtung Kommunikations- oder
Mentalisierungstraining und erfordert eine hohe Offenheit der Beteiligten. In der
Achtsamkeitsarbeit würde ich diesen Aspekt nicht zu sehr betonen, sondern dem lockeren
Gespräch zum Ausklang der Übung überlassen, was sich aufklärt.
N5: Passiv-aktiv
(Gruppen- und Partnerübung, als Gruppenübung ca. 20-30 Min.)
Als Gruppenübung: Die Hälfte der Gruppe steht im Kreis, Augen zu. Alle nehmen die Haltung
der Achtsamkeit ein (kurz anleiten: Haltung, Kontakt zum Boden, Atmung spüren,
Bewertungen loslassen etc.). Die anderen Teilnehmer gehen herum und nehmen mit
unterschiedlichen Partnern Kontakt auf, indem sie ihnen einen Impuls geben (wo und wie
variieren, spielerisch). Der passive Partner bleibt zunächst völlig passiv und lässt den Impuls
wirken, folgt ihm, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Der Gruppenleiter interveniert alle
paar Minuten, indem er eine höhere Aktivität des passiven Partners vorschlägt (Kooperation
oder Widerstand), z. B. in 20% Schritten bis zu 100% (100% bedeutet: gleichberechtigte
Aktivität und Beweglichkeit). Dazu ist es notwendig, dass der aktive Partner zunehmend
seinen Kontakt verlängert (sonst kann der “passive” Partner nicht mitwirken). Am Ende
stehen alle wieder für sich, spüren nach, gehen evtl. auch in weite Achtsamkeit.Dann
wechseln die Untergruppen ihre Rollen.
Kommentar: Auch die passiven Partner sorgen für sich, ihr Gleichgewicht etc., aber die
aktiven Partner haben natürlich ebenfalls eine Verantwortung für den passiven Partner. Es
kann aber durchaus nett sein, sich unkonventionelle Inputs einfallen zu lassen (z. B. Knie
oder Kopf in Bewegung bringen). Dennoch: Auch hier kein Streß und immer im Kontakt mit
sich selbst bleiben (wichtig auch für die aktiven Partner)!
Die Übung habe ich in einem Kontaktimprovisation-Workshop kennengelernt.
“Kontaktimprovisation” ist eine starke Praxis relationaler Achtsamkeit. Gute Eindrücke von
dieser Praxis bekommen Sie unter diesem Stichwort auf www.youtube.de. Diese Übung wird
nach meiner Erfahrung von Gruppen gut akzeptiert und macht viel Spaß.
N6: Sich Raum nehmen
(alle Settings, etwa 10 Min.)
Stellen Sie sich bitte hin und nehmen sie die Haltung der Achtsamkeit ein (s. o. N5). Lassen
Sie die Augen bitte auf. Achten Sie nun bitte auf all die kleinen, fast unmerklichen
Bewegungen, die Ihr Körper macht, um diesen Stand zu halten……Nun machen Sie bitte
einige kleine zusätzliche Bewegungen, so kleine Bewegungen, dass man sie von außen nicht
sehen könnte……….Nun lassen Sie die Bewegungen etwas größer werden, aber immer noch
so begrenzt als würden Sie sich in einer engen Röhre bewegen……….Achten Sie bitte Im
Folgenden gleichzeitig auf den Raum, die eigenen Körperempfindungen und die eigenen
Bewegungen im Raum…………….Und nun nehmen Sie sich langsam immer mehr
Raum…………Nehmen Sie sich nun den maximalen Raum, den Sie haben wollen…………………
Verlangsamen und verkleinern Sie dann bitte Ihre Bewegungen wieder bis Sie im Stand
wieder ganz zur Ruhe kommen……Spüren Sie etwas nach (evtl.: Gehen Sie in weite
Achtsamkeit).
Kommentar: Auch eine gute Outdoor-Übung! Man kann auf diese Weise quasi die Wiese etc.
erobern. Wie bei vielen Achtsamkeitsübungen ist es hier gut, gleichzeitig auf den Raum, die
eigenen Körperempfindungen und die eigenen Bewegungen im Raum zu achten. Dies ist also
eine Übung, innerer, äußerer und relationaler Achtsamkeit. Ich habe sie ebenfalls in einem
Kontaktimprovisation (CI) -Workshop kennengelernt. An dieser Stelle Dank an Andrea
Dubois, die sehr lehrreiche und angenehme CI-Workshops anbietet.
N7: Absichtsloses Gehen
(alle Settings, ca. 10 Min.)
Bewegen Sie sich bitte gehend in diesem Raum, ohne irgendeine Absicht zu verfolgen. Sie
haben auch kein Ziel beim Gehen. Vielleicht wollen Sie rückwärts gehen oder vielleicht die
Richtung plötzlich ändern. Überlassen Sie alles Ihrem Körper und Ihren Impulsen.
Kommentar: Klingt komisch und ist es anfangs auch. Lassen Sie sich daher Zeit, machen Sie
die Übung nicht zu kurz, man kommt hinein. Eine irritierende Erfahrung von
Absichtslosigkeit. Während wir ja sonst Impulse eher nur oder erst einmal wahrnehmen,
werden sie hier gleich umgesetzt. Die Übung habe ich von Gisela Jünger aus unserer
Arbeitsgruppe.

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