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Drogen- und Suchtbericht Juli 2014

Drogen-
und Suchtbericht
Drogen-
Juli 2017
und Suchtbericht
Juli 2014

www.drogenbeauftragte.de
Drogen-
und Suchtbericht
Juli 2017

www.drogenbeauftragte.de
Inhaltsverzeichnis
1 | Jahreskommentar der 5 | Jahresschwerpunkt: Kinder aus
­Drogenbeauftragten 04 suchtbelasteten Familien 83
1 Kinder von suchtkranken Eltern – Grundsatz­
2 | Einblicke: Die Arbeit der papier zu Fakten und Forschungslage 83
Drogen­beauftragten  07 2 Kinder stärken – Resilienz fördern  97
3 Frühzeitig helfen – Angebote für
3 | Fakten, Trends und Politik 17 Schwangere und Eltern mit Klein­kindern 105
1 Rahmenbedingungen ­­­und Politik 17 4 Kooperation gestalten – f­ amilien- und
1.1 Nationale Strategie – Die vier Säulen der fallorientierte Zusammenarbeit 108
­Drogen- und Suchtpolitik 17 5 Mehr erfahren – ­Informa­tionen,
1.2 Teilhabe 20 Fortbildung, Öffentlichkeitsarbeit 117
2 Suchtstoffe, Suchtformen, Regulierung 24
2.1 Tabak 24 6 | Projekte, Studien, Initiativen 121
2.2 Alkohol 35 1.1 Suchtstoff- bzw. suchtformbezogene
2.3 Medikamente 43 Projekte 121
2.4 Illegale Drogen 45 1.2 Suchtstoff- bzw. suchtformübergreifende
Überblick 45 Projekte 149
Cannabis 51 2 Weitere Projekte 162
Crystal Meth 54 2.1 Suchtstoff- bzw. suchtformbezogene
Opiate 55 Projekte 162
Neue psychoaktive Stoffe 59 2.2 Suchtstoff- bzw. suchtformübergreifende
2.5 Computerspiel- und Internetabhängigkeit 61 Projekte 167
2.6 Pathologisches Glücksspiel 67
Stichwortverzeichnis  176
4 | Internationales 73
1 Europäische Drogen- und Suchtpolitik 73 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis 178
2 Drogenpolitik der Vereinten Nationen  74
3 Internationale Entwicklungszusammenarbeit 80 Danksagung179

Hinweise/Impressum  180
04 

1 | Jahreskommentar der
­Drogenbeauftragten

legende Überarbeitung der Betäubungsmittelver-


schreibungsverordnung abgeschlossen, die mir seit
Jahren sehr am Herzen lag. Ich habe die große Hoff-
nung, dass es mit dem neuen Substitutionsrecht
gelingen wird, mehr Ärzte für diese Behandlungsform
zu gewinnen und – das ist das Ziel – mehr Opiatkon­
sumenten eine neue Perspektive zu geben.

Als Drogenbeauftragte ist es mir wichtig, neue Heraus-


forderungen zu erkennen und sie beherzt anzugehen.
Im Dezember 2016 konnte ich gemeinsam mit der
Bundesärztekammer die S3-Leitlinie zur Behandlung
der Crystal Meth-Abhängigkeit vorstellen, auf deren
Grundlage Metamphetamin-Abhängige nun in ganz
Deutschland auf der Basis allen verfügbaren Wissens
behandelt werden können. Nachdem es 2015 gelungen
ist, mehr Mittel für die Crystal Meth-Prävention in den
Bundeshaushalt einzustellen, sind mittlerweile auch
die Projekte so richtig in Gang gekommen. Zwei mit
© Elaine Schmidt

meinem tschechischen Amtskollegen initiierte Treffen


der führenden Experten beider Länder zu Prävention
und Behandlung der Crystal Meth-Abhängigkeit haben
gezeigt: Durch unser frühzeitiges Handeln sind wir bei
Prävention und Behandlung heute ausgezeichnet
Liebe Leserinnen und Leser, aufgestellt.

ein gutes Jahr ist seit der Veröffentlichung des letzten Auch beim Thema Fetales Alkoholsyndrom (FAS/FASD)
Drogen- und Suchtberichts vergangen. Hinter uns liegt ist es gelungen, Fachkräften im medizinischen und
eine ereignisreiche Zeit in der Drogen- und Suchtpoli- sozialen Versorgungssystem sowie Betroffenen und
tik: Im Herbst 2016 hat der Deutsche Bundestag dem ihren Familien mehr Orientierung zu geben. Die
Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz zugestimmt, Anfang S3-Leitlinie zur Diagnose von FAS/FASD wurde
dieses Jahres folgte das sogenannte „Cannabis als fertiggestellt, ebenso unser europaweit einzigartiges
Medizin“-Gesetz. Seit März dieses Jahres können Handbuch für Betroffene.
schwerkranke Menschen nach ärztlicher Verschrei-
bung in der Apotheke qualitätsgeprüftes und standar- Im Mittelpunkt meiner Arbeit standen 2016 die
disiertes Cannabis erhalten, mit Kostenerstattung der Herausforderungen, die sich für die Drogen- und
Krankenkassen. Besonders erfreulich für mich: Der Suchtpolitik aus der Allgegenwart der digitalen Medien
Deutsche Bundestag hat den Gesetzentwurf aus dem ergeben: Smartphone, PC und Tablet sind aus unserem
Bundesministerium für Gesundheit einstimmig Leben nicht mehr wegzudenken. Sie prägen unseren
beschlossen – das gibt es selten. Im Mai 2017 wurde mit Alltag wie kaum etwas anderes. Unbestritten sind auch
der Zustimmung des Bundesrats auch eine grund­ die Chancen, die mit der Digitalisierung einhergehen.

1_ Jahreskommentar der Drogenbeauftragten


05 

Dabei dürfen wir aber die Risiken dieses Prozesses für Diese Kinder aus dem Schatten holen – das war das
die Gesundheit nicht unter den Tisch fallen lassen, Motto meiner Jahrestagung am 19. Juni dieses Jahres. In
sondern müssen ihnen offensiv begegnen. Es ist den vergangenen Jahren sind zahlreiche Hilfsangebote
wissenschaftlich erwiesen: Wenn es an Medienkompe- entstanden, die diese Kinder in den Blick nehmen.
tenz mangelt, können digitale Anwendungen eine Doch noch immer erreichen wir viele Kinder und ihre
Viel­zahl gesundheitlicher Beeinträchtigungen hervor- Eltern nicht. Pädagogische Fachkräfte, die täglich mit
rufen, Online-Spiele genauso wie soziale Netzwerke. Kindern und Jugendlichen arbeiten, brauchen mehr
Nach Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Informationen, um den Hilfebedarf zu erkennen. Der
Aufklärung weisen etwa 6 Prozent aller Jugendlichen Umgang mit den Kindern und ihren Eltern benötigt
eine behandlungsbedürftige internet­bezogene Störung besondere Handlungskompetenz. Außerdem müssen
auf, die auch als Internet­abhängigkeit bezeichnet wird. die bestehenden Angebote besser ineinandergreifen. Zu
Hier ist der Internet­konsum völlig außer Kontrolle viele Kinder fallen noch durch das Hilfenetz. Das darf
geraten, wenig anderes im Leben hat noch Bedeutung nicht so bleiben! Kinder aus suchtbelasteten Familien
– nicht die Schule, nicht die Arbeit, häufig nicht einmal brauchen unsere Unterstützung – weil sie die gleichen
die eigene Familie. Ich habe deshalb den Drogen- und Chancen auf ein gesundes Aufwachsen haben sollen
Suchtrat unter Beteiligung der führenden Expertinnen wie alle anderen Kinder!
und Experten in diesem Feld gebeten, Empfehlungen
für die Politik zu erarbeiten. Das ist geschehen – sie Meine Arbeit als Drogenbeauftragte in dieser Legis­
wurden bei meiner Jahrestagung im November 2016 laturperiode war und ist von vielen berührenden
vorgestellt. Seither arbeite ich daran, den Worten Taten Begegnungen mit Menschen geprägt: mit Betroffenen,
folgen zu lassen: Mehr Prävention, ein wirkungs­ ihren Angehörigen und den überaus engagierten
vollerer Jugendschutz im Netz und klare Orientierung Fachkräften in der Prävention, Suchthilfe, Behandlung
für die Eltern in Sachen Medienkonsum – das sind und Nachsorge. Dafür danke ich herzlich und wünsche
unsere zentralen Maßnahmen für einen sinnvollen mir, dass wir den Menschen und seine Gesundheit in
und gesunden Umgang mit digitalen Medien. unserer Arbeit weiter in den Mittelpunkt stellen!

Anders als in den Vorjahren finden Sie in diesem Band Es grüßt Sie herzlich
auch ein Sonderkapitel zum diesjährigen Jahresschwer­
punkt: Kinder aus suchtbelasteten Familien. Drei
Millionen Kinder und Jugendliche haben allein in
Deutschland mindestens einen suchtkranken Eltern-
teil. Die Auswirkungen auf ihr eigenes Leben, ihre Marlene Mortler
Startbedingungen und ihre Zukunftsperspektiven sind
weitreichend. Stigmatisierung, Verunsicherung und die
Notwendigkeit, viel zu früh in die Rolle eines Erwach-
senen zu schlüpfen, sind nur einige davon. Wir wissen,
dass ein erheblicher Teil der betroffenen Kinder aus
diesen Gründen später selbst eine Suchterkrankung
oder eine andere psychische Störung entwickelt.

1_ Jahreskommentar der Drogenbeauftragten


2_Einblicke: Die Arbeit der Drogenbeauftragten
07 

2 | Einblicke: Die Arbeit


der Drogenbeauftragten

Die Arbeit einer Drogenbeauftragten ist vielfältig: • Am 2. Februar 2017 hat die Bundesregierung den
Marlene Mortler koordiniert die Drogenpolitik der Gesetzentwurf zur Ratifikation des Tabakschmuggel-
Bundesregierung, gibt Anstöße, nimmt Empfehlungen protokolls beschlossen und dem Deutschen Bundes-
der Fachwelt auf und vertritt die Drogenpolitik des tag zur Beschlussfassung übermittelt.
Bundes gegenüber Politik, Presse und Öffentlichkeit.
Außerdem leitet sie die deutsche UN-Delegation in der Am 20. Mai 2016 hat das Kabinett auch einen Gesetz-
Drogenpolitik und nimmt den deutschen Sitz in entwurf zur Änderung des Tabakerzeugnisgesetzes
verschiedenen Gremien und Koordinierungsrunden beschlossen, der unter anderem eine weitgehende
der Europäischen Union wahr. Als Beratungsgremium Beschränkung der Tabakaußenwerbung vorsieht.
steht ihr der Drogen- und Suchtrat der Bundesregie- Hierfür hatte sich die Drogenbeauftragte seit Langem
rung zur Seite. nachdrücklich eingesetzt. Die Zustimmung des
Deutschen Bundestages steht bislang noch aus.
Von Cannabis als Medizin bis zu Schockbildern
auf Zigarettenschachteln – viel Neues in der Anders ist die Lage beim Neue-psychoaktive-Stoffe-
Gesetzgebung Gesetz, das am 26. November 2016 in Kraft getreten ist.
Forderungen zu erheben und neue Regelungen Mit diesem Regelwerk hat der Gesetzgeber ein neues,
vorzuschlagen – das ist nur eine Seite der Arbeit einer wirkungsvolles Instrument zur Bekämpfung des
Drogenbeauftragten. Sie muss auch versuchen, dafür Handels mit neuen synthetischen Drogen geschaffen:
Mehrheiten in der Bundesregierung, den Ländern und Die meisten der Stoffe, die bisher verharmlosend als
im Deutschen Bundestag zu erzielen. Hierbei kommt „Legal Highs“ beworben wurden, sind heute nicht
ihr ihre Doppelrolle als Beauftragte der Bundesregie- mehr legal. Der Handel kann von Polizei und Zoll
rung und Mitglied des Bundestages zugute. Schwer- unterbunden werden.
punkte der politischen Arbeit Marlene Mortlers in den
vergangenen Monaten waren die Bereiche Tabak, Am 10. März 2017 ist das Cannabis-als-Medizin-Gesetz
Cannabis und neue psychoaktive Stoffe (NPS). 2016 in Kraft getreten, für das sich Marlene Mortler von
und 2017 hat der Bundestag gleich mehrere Gesetzes- Beginn der Legislaturperiode an stark engagiert hat:
entwürfe der Bundesregierung in der Tabakpolitik Ärzte können schwerkranken Patienten, wenn es
beschlossen, für die sich die Drogenbeauftragte medizinisch indiziert ist, Cannabis in Arzneimittel­
eingehend engagiert hat: qualität verschreiben, und das mit Kostenübernahme
durch die Krankenkassen. Mit dem Beschluss des
• Seit dem 1. April 2016 dürfen in Deutschland durch Deutschen Bundestages am 19. Januar 2017 fand eine
eine Änderung des Jugendschutzgesetzes keine intensive und überaus sachliche Diskussion im
elektronischen Zigaretten und E-Shishas mehr an Parlament ihren Abschluss. Das Erfreuliche: Am Ende
Kinder und Jugendliche verkauft werden. erhielt der Gesetzentwurf des Bundesministeriums
• Am 20. Mai 2016 ist das Tabakerzeugnisgesetz in für Gesundheit die Zustimmung aller Mitglieder des
Kraft getreten, mit dem unter anderem verpflichten- Parlaments.
de Bildwarnhinweise auf Zigarettenverpackungen
eingeführt, eine Vielzahl gesundheitsschädlicher Noch in dieser Legislaturperiode soll die 3. Verordnung
Inhaltsstoffe verboten und nach dem Jugendschutz zur Änderung der Betäubungsmittelverschreibungs-
auch die bestehenden Verbraucherschutzregelungen verordnung (BtMVV) in Kraft treten. Das Bundeskabi-
auf E-Zigaretten ausgedehnt wurden. nett hat am 15. März 2017 eine entsprechende Vorlage
beschlossen, der Bundesrat am 12. Mai 2017 zuge-
stimmt.

2_Einblicke: Die Arbeit der Drogenbeauftragten


Die Drogenbeauftragte spricht anlässlich der UNGASS-Tagung 2016 vor den Vereinten Nationen | © Loey Felipe

Damit werden die Vorschriften zur Substitution von Jahresschwerpunkt 2016: Internetabhängigkeit


heroinabhängigen Patienten an den Stand der For- Seit Beginn ihrer Amtszeit setzt Marlene Mortler
schung und den Bedarf der Praxis angepasst. Ziel ist es Jahresschwerpunkte. Es geht darum, mehr Aufmerk-
unter anderem, die bestehenden Versorgungslücken, samkeit für ein Thema zu schaffen und die Kräfte von
etwa im ländlichen Raum, zu schließen. Auch bei dieser Politik und Fachwelt zu bündeln. Nach FAS/FASD und
Reform ist es gelungen, einen breiten Konsens zwi- Crystal Meth in den Vorjahren lautete der Jahres-
schen Bund, Ländern und Fachwelt herzustellen. schwerpunkt 2016 Internetabhängigkeit.
Die Digitalisierung ist der vielleicht prägendste
Vereinte Nationen gesellschaftliche Trend dieses Jahrhunderts. Sie
UNGASS – ein neuer Rahmen für verändert unsere Arbeit, das Miteinander, selbst die
die globale Drogenpolitik Sprache grundlegend. Vieles davon ist faszinierend.
„Der Mensch und seine Gesundheit müssen im Was aber geschieht, wenn die Kontrolle über den
Mittelpunkt der Drogenpolitik stehen – überall!“ Dies Umgang mit digitalen Medien verloren geht? Wie viele
forderte Marlene Mortler als Leiterin der deutschen Menschen sind davon betroffen? Und was ist zu tun,
Delegation bei der UN-Sondergeneralversammlung um einen kontrollierten und selbstbestimmten
zum Weltdrogenproblem UNGASS im April 2016. Umgang mit digitalen Angeboten sicherzustellen? Ohne
Während viele afrikanische und asiatische Staaten am Frage: Der Jahresschwerpunkt 2016 hat eine gesell-
traditionellen Dreiklang von Angebotsreduzierung, schaftliche Debatte ausgelöst – nie zuvor beschäftigten
Nachfragereduzierung und internationaler Zusam- sich auch die Medien so intensiv mit den gesundheitli-
menarbeit festhalten wollten, konnten sich Deutsch- chen Herausforderungen der Digitalisierung.
land und seine EU-Partner mit der Forderung nach
einer Öffnung des Abschlussdokumentes, das zu einer Im Rahmen der Jahrestagung am 9. November 2016 –
Leitschnur der globalen Drogenpolitik werden soll, sie stand unter dem Motto www.webholic-sucht-
durchsetzen. Es enthält jetzt Kapitel zu Menschenrech- hilfe. de – Generation internetsüchtig? – wurde der
ten, zu neuen Herausforderungen wie NPS und aktuelle Stand des Wissens zusammengetragen:
Internethandel und zur alternativen Entwicklung. • Die Drogenaffinitätsstudie 2015 der BZgA, deren
Marlene Mortler trat insbesondere für eine Stärkung Ergebnisse pünktlich zum Termin vorlagen, zeigt,
des Gesundheitsschutzes in der Drogenpolitik ein – dass fast 6 Prozent der Jugendlichen von 12 bis
Sucht ist eine Krankheit und muss entsprechend 17 Jahren eine behandlungsbedürftige Internetab-
behandelt werden. Sie forderte zudem Verhältnismä- hängigkeit aufweisen – ein klarer Trend nach oben:
ßigkeit bei der Bestrafung, die Abschaffung der Todes- Bei der PINTA-Studie im Jahr 2011 waren es noch
strafe und die Stärkung der alternativen Entwicklung. 2,4 Prozent.
Mehr zum Thema internationale Drogenpolitik lesen Sie
im Kapitel Internationales.

2_Einblicke: Die Arbeit der Drogenbeauftragten


Podiumsdiskussion bei der Jahrestagung der Drogenbeauftragten 2016 | © Drogenbeauftragte/Grabowsky

• Gleichzeitig konnten Zwischenergebnisse der • Es ist erforderlich, den Jugendschutz an die Heraus-
BLIKK-Studie (Bewältigung, Lernverhalten, Intelli- forderungen der Digitalisierung anzupassen.
genz, Kompetenz, Kommunikation) der FH Köln und −− Deshalb sollte bei der Alterseinstufung von
des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendmedizi- Onlinemedien künftig nicht mehr nur die Darstel-
ner vorgestellt werden, nach denen 75 Prozent der lung von Gewalt und Sexualität einbezogen
Kinder im Alter von 2 bis 4 Jahren bereits bis zu werden. Wichtig ist es auch, suchtfördernde
30 Minuten am Tag mit Smartphones spielen und es Merkmale zu berücksichtigen.
erkennbare Zusammenhänge zwischen einer fehlen- −− Das gegenwärtige System der Alterseinstufung
den Mediennutzungskompetenz und dem Vorliegen erweckt bei vielen Eltern den Eindruck, Spiele und
von einer Aufmerksamkeitsschwäche, Aggressivität andere Anwendungen, die mit der Altersfreigabe
sowie Schlafstörungen gibt. Ein weiteres Zwischener- „Ab 0 Jahren“ gekennzeichnet sind, seien automa-
gebnis: Die Mehrzahl der Eltern ist bei der Frage, tisch auch für Kleinkinder geeignet. Das ist nicht
welcher Umgang mit digitalen Medien für ihre Kinder der Fall. Wichtig ist eine Lösung, die Hinweise gibt,
der richtige ist, verunsichert und wünscht sich inwieweit ein Medium für Kinder in ihrer Ent-
Unterstützung. Außerdem wurden auf der Jahres­ wicklung geeignet ist.
tagung Empfehlungen einer wissenschaftlichen −− Die aktuelle Unterteilung der Altersstufen ist zu
Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz von Herrn PD Dr. grob und orientiert sich zu wenig an den Entwick-
Rumpf (Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, lungsfortschritten von Kindern und Jugendlichen.
Zentrum für Integrative Psychiatrie der Universität Was für eine Elfjährige geeignet ist, muss für einen
Lübeck) vorgestellt, die der Drogen- und Suchtrat im Sechsjährigen noch lange nicht entwicklungs­
September 2016 in ein Maßnahmenpapier zur Prä- gerecht sein. Deswegen brauchen wir feinere
vention von internetbezogenen Störungen überführt Abstufungen.
hat. Die Drogenbeauftragte hatte die Experten um • Die Spielewirtschaft muss ihrer Verantwortung bei
eine umfassende Analyse des Sachstandes und eine diesem Thema gerecht werden und Computerspiele
Zusammenstellung wissenschaftsbasierter Politik- suchtmindernd gestalten (zum Beispiel durch die
empfehlungen zu internetbasierten Störungen transparente Ausweisung von Geldausgaben in Euro
gebeten. anstatt in fiktiven Spielwährungen oder den Verzicht
auf den Verlust von Spielitems oder dem Spielstatus
Auf dieser Grundlage hat Marlene Mortler im Rahmen bei längerer Abwesenheit). Fazit: Jugendschutz per
der Jahrestagung eine Reihe politischer Forderungen Design muss zum Standard werden.
formuliert: • Erforderlich sind der bundesweite Ausbau von
• Wir brauchen eine Forschungsstrategie des Bundes Informationsangeboten zum Thema Medienkompe-
zu den individuellen und gesellschaftlichen Folgen tenz und Internetabhängigkeit in Schulen, Kinder-
der Digitalisierung. Hierzu gehört auch das Themen- gärten und Erziehungsberatungsstellen und eine
feld Internetabhängigkeit. bessere finanzielle Ausstattung für Angebote zur

2_Einblicke: Die Arbeit der Drogenbeauftragten


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Frühintervention und zur Behandlung bei Internet­ Die Drogenbeauftragte hat eine Übersichtsseite mit
abhängigkeit. Links zu Beratungs- und Hilfsangeboten für Eltern und
Betroffene geschaltet:
Der Beschluss des Drogen- und Suchtrates zur http://www.drogenbeauftragte.de/themen/
­„Prävention internetbezogener Störungen“ ist abrufbar suchtstoffe-­und-abhaengigkeiten/computerspiele-
unter: sucht-und-internetsucht/webholic-themenseite.html
http://www.drogenbeauftragte.de/fileadmin/dateien-
dba/Drogenbeauftragte/4_Presse/1_Pressemitteilun- Mehr zum Thema Internetabhängigkeit lesen Sie im
gen/2016/2016_3/Reinschr.Beschlussfassg.-AG-Online- Kapitel Suchtstoffe, Suchtformen und Regulierung.
sucht.pdf
FASD: Diagnose und Unterstützung
Im ersten Jahr ihrer Amtszeit rückte Marlene Mortler
die Folgen des Alkoholkonsums in den Mittelpunkt
ihrer Arbeit: Jedes Jahr kommen Schätzungen zufolge
in Deutschland etwa 10.000 Babys mit alkoholbeding-
ten Schädigungen (sogenannte fetale Alkoholspekt-
rum-Störungen – FASD) auf die Welt, mehr als 2.000
von ihnen mit dem Vollbild des Fetalen Alkoholsyn-
droms (FAS). Ein Ergebnis des Jahresschwerpunktes
2014 war die Feststellung, dass ein großer Teil der
jungen Patientinnen und Patienten nicht richtig
diagnostiziert wird. Eine frühe, korrekte Diagnose ist
Die Drogenbeauftragte im Gespräch bei der Jahrestagung 2016, bei jedoch wichtig, um die betroffenen Kinder und
der Projekte aus dem ganzen Bundesgebiet über ihre Beratungs- Jugendlichen adäquat zu fördern und ihnen ein
und Unterstützungsangebote für Kinder, Jugendliche und Eltern
informierten | © Drogenbeauftragte/Grabowsky möglichst selbstständiges Leben zu ermöglichen. Aus
diesem Grund hat sich die Drogenbeauftragte sehr für

Sommerreise der Drogenbeauftragten zum Jahresschwerpunkt Internetabhängigkeit

Auch die Sommerreise der Drogenbeauftragten stand Erfahrungen des bundesweit ersten Wohngruppenan-
im Zeichen des Jahresschwerpunktes zur Internetab- gebotes für internetabhängige Jugendliche. Dabei
hängigkeit. Marlene Mortler besuchte unter anderem betonten die Experten, dass das Therapieziel im Bereich
die Klinik für Psychiatrie, Sozial­psychiatrie und Psycho- der Internetabhängigkeit nicht Abstinenz lauten könne,
therapie der Medizinischen Hochschule Hannover, in sondern Medien­kompetenz.
der sie mit jungen Männern ins Gespräch kam, die von
Internetspiel- und Internet­kaufsucht betroffen sind.
Außerdem wurde ihr der Stand der Forschung zu den
neurobiologischen Hintergründen der Abhängigkeit von
digitalen Angeboten erläutert: Was ist im Gehirn eines
Menschen eigentlich geschehen, der es nicht mehr
schafft, die Welt eines Rollenspieles zu verlassen?
Es folgten Besuche bei der Drogenhilfe Köln, die ü ­ ber
langjährige Erfahrungen in der Prävention von exzessi-
ver Mediennutzung verfügt und umfassende ambulante
Beratungsangebote bietet. Bei Auxilium Reloaded in
Dortmund informierte sich Marlene Mortler über die
Die Drogenbeauftragte beim Besuch der Medizinischen
Hochschule Hannover | © Drogenbeauftragte/Pietsch

2_Einblicke: Die Arbeit der Drogenbeauftragten


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die Entwicklung einer medizinischen Leitlinie zur hatte ihre Erstellung finanziell ermöglicht – unterstützt
FASD-Diagnostik eingesetzt, welche dann durch das die behandelnden Ärzte und Therapeuten dabei, die
Bundesministerium für Gesundheit gefördert worden richtige Behandlung für Abhängige zu finden.
ist. 2016 konnte die S3-Leitlinie fertiggestellt und der
Fachwelt präsentiert werden. Anhand der entwickelten
standardisierten Kriterien können betroffene Kinder
und Jugendliche in Deutschland besser diagnostiziert
und gefördert werden. Fehldiagnosen der Kinder und
Komplikationen von FASD können vermieden und
Pflege-, Adoptiv- und leibliche Eltern in geeigneter
Form unterstützt werden. Die Leitlinie kann in einer
Kurz- sowie in einer Langfassung abgerufen werden:
http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/022-025.html

Außerdem konnte Marlene Mortler 2016 gemeinsam Pressekonferenz zur Vorstellung der S3-Leitlinie zu Methampheta-
mit dem Evangelischen Sonnenhof e. V. in Berlin ein min-bezogenen Störungen |
© Drogenbeauftragte/Altenburg
von der Drogenbeauftragten unterstütztes und am
Sonnenhof entwickeltes Handbuch vorstellen – das
erste in Deutschland, das sich direkt an von FASD Die Leitlinie kann in einer Kurz- sowie in einer
betroffene Menschen richtet. Bisher fehlte es an Langfassung abgerufen werden:
konkreten Unterstützungsangeboten, die den Betroffe- www.crystal-meth.aezq.de
nen helfen, ihren Alltag besser zu bewältigen. Diese
Lücke wurde mit dem Handbuch geschlossen. Es Die Präsentation war eingebettet in ein deutsch-tsche-
informiert nicht nur über die Erkrankung, sondern gibt chisches Symposium zur Prävention und Behandlung
auch praktische Tipps für das Zusammenleben mit der Methamphetamin-Abhängigkeit, das auf gemein­
anderen Menschen. An der Erarbeitung des Handbuchs same Initiative der Drogenbeauftragten und ihres
haben Erwachsene mit FASD ebenso mitgewirkt wie tschechischen Amtskollegen Jindřich Vobořil durch
ihre Betreuerinnen und Betreuer. die Frankfurt University of Applied Sciences ausgerich-
Mehr zum Thema FASD lesen Sie im Kapitel Sucht­stoffe, tet wurde. Für zwei Tage trafen sich in Berlin führende
Suchtformen und Regulierung. Suchtexperten beider Länder, um ihre Erfahrungen
zum Thema Crystal Meth auszutauschen. Für die
Crystal Meth: Prävention und Behandlung meisten von ihnen war es die erste Gelegenheit dieser
Auch der Jahresschwerpunkt 2015 zu Crystal Meth Art. Wie verbreitet ist der Konsum von Crystal Meth auf
wird fortgeführt. Eine Kernaussage der Drogenbeauf- der anderen Seite der Grenze? Welche Konsumenten-
tragten im Rahmen der damaligen Jahrestagung war: gruppen sind jeweils bekannt? Welche Maßnahmen zur
Methamphetamin-Abhängigkeit ist behandelbar. Klar Prävention und Behandlung haben sich als sinnvoll
wurde aber auch, dass vielerorts erhebliche Unsicher- erwiesen? Anders als in Deutschland ist die Substanz in
heiten über die richtige Art der Behandlung bestehen. Tschechien seit über 40 Jahren unter dem Namen
Am 2. Dezember 2016 konnte Marlene Mortler ge- Pervitin als Rauschmittel verbreitet – die Erfahrungen
meinsam mit der Bundesärztekammer und führenden sind umfassend. Im Rahmen einer Abendveranstal-
Suchtmedizinern die weltweit erste S3-Leitlinie zur tung informierten die Experten auf Einladung der
Behandlung von Methamphetamin-Abhängigkeit  vor- Drogenbeauftragten auch interessierte Mitglieder des
stellen. Diese soll den Berufsgruppen im Gesundheits- Deutschen Bundestages über den Stand von Wissen-
wesen mehr Handlungssicherheit im Umgang mit akut schaft und Praxis. Die Kooperation zwischen Deutsch-
intoxikierten oder abhängigen Patienten gegeben. Die land und Tschechien wurde auch 2017 fortgesetzt.
Leitlinie – das Bundesministerium für Gesundheit Am 9. und 10. Mai trafen sich die beteiligten Fachleute

2_Einblicke: Die Arbeit der Drogenbeauftragten


12 

erneut, diesmal in Prag. Die grenzüberschreitende die nächsten drei Jahre aufzustocken und diese
Zusammenarbeit bei Prävention und Behandlung der Betriebe für mehr Menschen zu öffnen. Damit erhalten
Methamphetamin-Abhängigkeit zu stärken – auch das auch mehr Menschen mit Suchterkrankungen die
war ein Ergebnis der Jahrestagung 2015. Chance, den Weg zurück ins Arbeitsleben zu finden.
Mehr zum Thema Crystal Meth können Sie im Kapitel Einrichtungen der Suchthilfe sind aufgefordert,
Suchtstoffe, Suchtformen und Regulierung lesen. verstärkt den Kontakt zu Inklusionsbetrieben aufzu-
nehmen und mit diesen zu kooperieren.
Impulse für eine bessere Teilhabe Mehr zum Thema Teilhabe lesen Sie im Kapitel Rahmen-
suchtkranker Menschen bedingungen und Politik.
Von Beginn an hat Marlene Mortler das im Koalitions-
vertrag vereinbarte Ziel, ein modernes Teilhaberecht Nichtraucherschutz „Rauchfrei unterwegs –
für Menschen mit Behinderungen in Form eines Du und Dein Kind“
Bundesteilhabegesetzes zu entwickeln, sehr begrüßt.
Ihr zentrales Anliegen als Drogenbeauftragte war die
Einbeziehung von suchtkranken Menschen. Diese
sollen genauso wie Menschen mit körperlichen
Beeinträchtigungen unterstützt werden.

Auf ausdrücklichen Wunsch der Drogenbeauftragten


beschäftigte sich seit 2014 eine eigens gegründete Ar-
beitsgruppe des Drogen- und Suchtrats unter Leitung
des Geschäftsführers der Deutschen Hauptstelle für
Suchtfragen e. V. (DHS) Dr. Raphael Gaßmann mit dem
Thema „Teilhabe am Arbeitsleben“. Die Arbeitsgruppe
verabschiedete zentrale Empfehlungen für Maßnahmen Jedes Jahr sterben über 120.000 Menschen an den
zur Unterstützung von Suchtkranken im Arbeitsleben, Folgen des Rauchens, knapp 3.000 davon durch die
die durch die Drogenbeauftragte, wo immer möglich, Folgen des Passivrauchens. Besonders gefährdet sind
aufgegriffen wurden. Diese umfassen unter anderem: Kinder und Jugendliche – sie atmen schneller, bauen
• passgenaue Leistungen zur Förderung der berufli- Schadstoffe aber zugleich langsamer ab als Erwachse-
chen Integration in Arbeit und gezielte Vermitt- ne. Rauchen ist insbesondere im Auto und in geschlos-
lungsaktivitäten für arbeitslose suchtkranke Men- senen Räumen ein gesundheitliches Risiko für Kinder,
schen, die potenziell in den ersten Arbeitsmarkt weil sie dem gefährlichen Dunst dort nicht entgehen
integrierbar sind, dazu aber eine gezielte Unterstüt- können und die Konzentration der giftigen Schadstoffe
zung und Förderung benötigen, schon nach einer Zigarette erheblich ist. Eine Unter­
• eine Vernetzung arbeitsmarktpolitischer Instrumen- suchung im Jahr 2015 ergab, dass noch immer etwa
te mit sozial integrativen und kommunalen Angebo- 1 Million Kinder in Deutschland in Autos den Folgen
ten im Rahmen einer ganzheitlich ausgerichteten des Passivrauchens ausgesetzt sind.
Integrationsstrategie für arbeitslose suchtkranke
Menschen, Aus diesem Grund startete die Drogenbeauftragte im
• die Öffnung von Inklusionsbetrieben (vormals Sommer 2016 gemeinsam mit vielen Partnern aus Me-
Integrationsbetriebe) für Suchtkranke. dizin, Kinderschutz und Mobilität die bundesweite In-
formationskampagne „Rauchfrei unterwegs – Du und
Die letzte dieser Forderungen konnte mit Unterstüt- Dein Kind“. Mittlerweile unterstützen die Kampagne:
zung der Drogenbeauftragten umgesetzt werden: So • ACE Auto Club Europa
hat der Bundestag 2016 beschlossen, die Förderung von • Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte
Inklusionsfirmen um zusätzlich 150 Millionen Euro für • Bundesärztekammer

2_Einblicke: Die Arbeit der Drogenbeauftragten


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Drogenkonsum in den Medien


Seit 2015 häufen sich im Arbeitsstab der Drogen­
beauftragten die Beschwerden von Bürgerinnen
und Bürgern über die offensive Darstellung von legalen
und illegalen Drogen im Fernsehen, und zwar sowohl
in privaten als auch in öffentlich-rechtlichen Forma-
ten, häufig weit über die sogenannten „milieutypischen
Darstellungen“ hinaus. Auch in Filmen, teilweise sogar
mit Altersfreigabe ab 12, wird gekifft, geraucht, getrun-
ken. Weltweit belegen Studien den Einfluss von Filmen
und Serien auf die Meinungsbildung gerade bei jungen
Zuschauern. In einer aktuellen Untersuchung der
Welt­gesundheitsorganisation (WHO) zum Thema
Tabak geben 37 Prozent der jungen Raucherinnen und
Raucher in den USA an, nur zu rauchen, weil ihnen dies
in Film und Fernsehen vorgelebt werde. Aus anderen
• Bundeselternrat Studien wissen wir: Je häufiger Jugendliche in Film und
• Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände Fernsehen Menschen rauchen sehen, desto höher ist
• Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung die Wahrscheinlichkeit, dass sie selber zur Zigarette
• Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin greifen.
• Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin
• Deutsche Gesellschaft für Kinderschutz in der Ob das Fernsehen das Suchtverhalten junger Menschen
Medizin durch die Platzierung von Suchtstoffen in Unterhal-
• Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und tungsproduktionen oder die Aufnahme entsprechen-
Jugendmedizin der Werbebeiträge fördert oder nicht – dies liegt nicht
• Deutscher Städte- und Gemeindebund in der Hand der Politik. Hier sind die Entscheidungs-
• Deutsches Kinderhilfswerk träger der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten und
• Deutsches Krebsforschungszentrum der privaten Fernsehsender gefragt. Aus diesem Grund
• Deutsches Netz Rauchfreier Krankenhäuser & hat sich die Drogenbeauftragte im Herbst 2016 mit
Gesundheitseinrichtungen e. V. führenden Vertretern der deutschen Film- und
• Rolf Zuckowski Fernsehlandschaft zum Dialog getroffen und nach-
Alle Partner haben über ihre Social-Media-Kanäle und drücklich mehr Zurückhaltung und Sensibilität beim
ihre Pressestellen auf die Aktion hingewiesen, es Drogenkonsum in Film und Fernsehen eingefordert.
wurden eine Million Infoflyer gedruckt und es können
umfangreiche Informationsmaterialien (zum Beispiel Suchtprävention – vom Kommunalen Wettbewerb
Plakat, Faktensammlung, Aufkleber) über den Publika- bis Alkoholfrei Sport genießen
tionsversand der Bundesregierung bestellt werden. Die Präventionsarbeit ist in den letzten Jahren zu
Viele weitere Akteure wie der Deutsche Hebammen- einem der erfolgreichsten Pfeiler der Drogen- und
verband und der Deutsche Landkreistag befürworten Suchtpolitik in Deutschland geworden. Der Drogenbe-
die Kampagne ebenfalls und unterstützen die Drogen- auftragten ist es ein zentrales Anliegen, die bestehen-
beauftragte bei der Ansprache der Eltern. den Maßnahmen sichtbar zu machen und zu stärken.

Eine repräsentative Bevölkerungsumfrage der GfK im Entscheidenden Anteil an der Suchtprävention haben
Frühjahr 2017 ergab, dass bislang etwa 20 Prozent aller unsere Städte, Gemeinden und Landkreise. Auf Anre-
Deutschen von der Kampagne erreicht worden sind. gung der Drogenbeauftragten hat die Bundeszentrale

2_Einblicke: Die Arbeit der Drogenbeauftragten


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Das Patenschaftsprojekt „Vergiss mich nicht“ aus Berlin ist einer der Preisträger des Wettbewerbs Kommunale Suchtprävention 2015/2016 |
© BZgA

für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) den 7. Bundes- Informationen zum „Bundeswettbewerb Kommunale
wettbewerb „Vorbildliche Strategien kommunaler Suchtprävention“ finden sich unter:
Suchtprävention“ ausgeschrieben. Ziel war es, vorbild- www.kommunale-suchtpraevention.de
liche innovative Ansätze und Projekte der Suchtvor-
beugung herauszustellen und andere Kommunen zur Eine Vielzahl weiterer Projekte versucht Marlene
Nachahmung zu motivieren. Mit dem Motto „Innovati- Mortler durch die Übernahme von Schirmherrschaften
ve Suchtprävention vor Ort“ sind beispielsweise zu würdigen und zu stärken. Dabei werden die fachli-
Aktivitäten gemeint, die bislang wenig im Fokus che Qualität, die bundespolitische Bedeutung oder
stehende Suchtstoffe in den Blick nehmen, neue auch ein besonderer Modellcharakter des betreffenden
Zielgruppen ansprechen, andere Zugangswege, wie Vorhabens berücksichtigt. Einige Beispiele:
zum Beispiel soziale Medien, nutzen oder bisher wenig • Kampagne „bunt statt blau“ (seit 2014)
eingebundene Kooperationspartner beteiligen. • „Klasse 2000“ (seit 2014)
Insgesamt haben 68 Städte, Gemeinden und Kreise aus • Deutsches Netz Rauchfreier Krankenhäuser &
dem gesamten Bundesgebiet Wettbewerbsbeiträge Gesundheitseinrichtungen DNRfK e. V. (seit 2014)
eingereicht. Es konnte ein Preisgeld in Höhe von • „Hackedicht – Schultour der Knappschaft“ (seit 2015)
insgesamt 60.000 Euro ausgelobt werden. Zudem gab • Deutscher Reha-Tag (2016)
es einen Sonderpreis in Höhe von 10.000 Euro der • Aktionswoche Sucht „Gib 8 auf Dich“ (2016)
gesetzlichen Krankenkassen. • Aktionsbündnis „Alkoholfrei Sport genießen“ (2016)

2_Einblicke: Die Arbeit der Drogenbeauftragten


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Preisträger des Plakatwettbewerbs „bunt statt blau“ 2016 |


© BMG/Schinkel

Die Partner des Aktionsbündnisses „Alkoholfrei Sport genießen“ |


© BMG/Hans-Joachim Zylla

2_Einblicke: Die Arbeit der Drogenbeauftragten


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3 | Fakten, Trends und Politik


1 Rahmenbedingungen ­­­ Sucht ist kein Randproblem der Gesellschaft, sondern
betrifft viele Menschen in Deutschland. Abhängigkeit
und Politik von Suchtmitteln und Suchtverhalten sind häufig mit
dramatischen persönlichen Schicksalen verbunden
1.1 Nationale Strategie – Die vier Säulen der ­ und betreffen den Abhängigen ebenso wie Familienan-
Drogen- und Suchtpolitik gehörige, Freunde oder Kollegen. Abhängigkeitserkran-
kungen sind schwere chronische Krankheiten, die zu
Sucht und Abhängigkeitserkrankungen sind gesamt­ erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und
gesellschaftliche Herausforderungen, die im Interesse vorzeitiger Sterblichkeit führen können. Der Sucht
der betroffenen Menschen ein Zusammenwirken aller liegt meist ein komplexes Geflecht aus individuellen
gesellschaftlichen Kräfte erfordern. Vorbelastungen, bestimmten Lebensumständen,
Erfahrungen im Umgang mit anderen Menschen,
In der Nationalen Strategie zur Drogen- und Sucht­ Störungen im emotionalen Gleichgewicht, dem
politik aus dem Jahr 2012 werden die Grundlagen der Einfluss wichtiger Bezugspersonen und der Verfügbar-
übergreifenden nationalen Ausrichtung der Drogen- keit von Suchtstoffen zugrunde.
und Suchtpolitik beschrieben.
Die Wirkung psychoaktiver Stoffe kann zu dauerhaften
„Die Strategie von 2012 ist auch heute noch unser Veränderungen im Gehirn führen, wodurch Verhal-
Kompass für die Drogen- und Suchtpolitik. Mittler­ tensänderungen deutlich erschwert werden. Ein
weile ist es auch international gelungen, den breiten Ausstieg aus der Sucht eröffnet aber neue Lebens­
Ansatz aus Prävention, Schadensminderung, Behand- perspektiven und die Möglichkeit, die Teilhabe am
lung und Strafverfolgung zum Maßstab zu machen.“ gesellschaftlichen Leben sowie die Lebenszufriedenheit
Marlene Mortler, Drogenbeauftragte der Bundes­ zu verbessern. Von daher muss es das Ziel sein, jedem
regierung Einzelnen bei der Überwindung seiner Abhängigkeit zu
helfen.
In unserem föderalen System ist eine Vielzahl von
Akteuren im Bereich der Suchtprävention und Die Nationale Strategie zur Drogen- und Suchtpolitik
Suchthilfe engagiert. Das Spektrum reicht von den verfolgt einen integrativen Ansatz der Suchtpolitik.
Kommunen über die Länder bis zum Bund und den Anders als in vielen anderen europäischen Ländern
Sozialversicherungen (gesetzliche und private Kran- werden legale wie illegale Suchtstoffe gemeinsam in
kenversicherung, Rentenversicherung, aber auch den Blick genommen; die Suchtpolitik orientiert sich
Unfallversicherung). Hinzu kommen die Leistungs­ nicht an einzelnen Suchtstoffen, sondern an den
erbringer auf vielen verschiedenen Ebenen: Ärzte, Bedürfnissen des einzelnen Menschen. Die Drogen-
Apotheker, Psychologen oder Psychotherapeuten, die und Suchtpolitik in Deutschland umfasst vier Ebenen:
Suchthilfeeinrichtungen und Sozialverbände, die Prävention, Beratung und Behandlung sowie Hilfen
Erziehungs- und Familienberatung, die Selbsthilfe und zum Ausstieg, Maßnahmen zur Schadensreduzierung
nicht zuletzt eine Vielzahl von Menschen der Jugend- und Repression bzw. Regulierung.
hilfe, der Altenhilfe, der Psychiatrie, in den Schulen,
den Betrieben, der Wirtschaft etc. Diese Vielfalt der Prävention: Präventionsmaßnahmen dienen dazu,
Akteure erfordert eine umfassende Koordinierung und durch Aufklärung über die Gefahren des Suchtmittels
Vernetzung. Gleichzeitig ist aber auch jeder Einzelne oder Drogenkonsums dafür zu sorgen, dass es gar nicht
gefordert, Verantwortung für das eigene Verhalten und erst zu einem gesundheitsschädlichen Konsum oder
die eigene Gesundheit zu übernehmen. Eltern und alle einer Sucht kommt. Besonders wichtig ist Prävention
Erwachsenen haben eine wichtige Vorbildfunktion für bei Kindern und Jugendlichen. Je früher es gelingt,
Kinder und Jugendliche. Kinder und Jugendliche mit Maßnahmen der Präventi-

3_Fakten, Trends und Politik


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on und Gesundheitsförderung zu erreichen, desto zur Drogen- und Suchtpolitik mit ihren konkreten
wahrscheinlicher ist es, dass ein problematisches Maßnahmen und Zielvorgaben im Bereich der
Konsumverhalten verhindert werden kann. Suchtprävention in eine übergreifende nationale
Präventionsstrategie eingebettet werden soll. Vorrangi-
Beratung und Behandlung, Hilfen zum Ausstieg: ges Ziel von Suchtprävention ist es, die Gesundheit
Beratungs- und Behandlungsangebote sind notwendig, jedes Einzelnen zu fördern, Abstinenz zu erhalten
um Suchtkranken beim Ausstieg aus dem Kreislauf der sowie Missbrauch und Abhängigkeit entgegenzuwir-
Sucht zu helfen. Vielfältige Angebote ambulanter und ken. Der Fokus der nationalen Suchtprävention liegt
stationärer Hilfen existieren bereits in Deutschland. dabei entsprechend den beiden Nationalen Gesund-
Diese gilt es zu erhalten und zu stärken, damit jeder heitszielen „Tabakkonsum reduzieren“ und „Alkohol-
Suchtkranke das Angebot zur Beratung und Behand- konsum reduzieren“ auf den legalen und weitverbreite-
lung in Anspruch nehmen kann, das er benötigt. ten Substanzen Tabak und Alkohol.

Maßnahmen zur Schadensreduzierung: Überlebens­ Neben der Vermeidung bzw. Hinauszögerung des
hilfen oder Maßnahmen zur Schadensminimierung Einstiegs in den Konsum legaler und illegaler Drogen
wie zum Beispiel Drogenkonsumräume mit Angeboten sind die Früherkennung und Frühintervention bei
zum Spritzentausch stabilisieren die gesundheitliche riskantem Konsumverhalten und die Reduzierung von
und soziale Situation des Suchtkranken. Sie können Suchtmittelmissbrauch und -abhängigkeit wichtige
eine wichtige Voraussetzung für einen späteren Ziele der Suchtprävention. Verschiedene repräsentative
Ausstieg aus der Sucht sein. Bevölkerungsbefragungen (Drogenaffinitätsstudie,
Epidemiologischer Suchtsurvey, GEDA etc.), die
Repression und Regulierung: Ein weiteres Element der deutschlandweit in regelmäßigen Abständen durchge-
Drogen- und Suchtpolitik sind gesetzliche Regulierun- führt werden, zeigen, inwieweit sich der Suchtmittel-
gen zur Angebotsreduzierung und allgemeine Verbote. konsum verändert und die Ziele der Suchtprävention
Dazu gehören beispielsweise Nichtraucherschutzgeset- erreicht werden.
ze, das Jugendschutzgesetz und das Betäubungsmittel-
recht. Von großer, auch internationaler Bedeutung ist Moderne Suchtprävention erreicht Zielgruppen
die Bekämpfung der Drogenkriminalität. systematisch in ihren Lebenswelten und ist bestrebt,
eine gesundheitsförderliche Veränderung von Wissen,
Suchtprävention Einstellungen und Verhaltensweisen zu bewirken.
Jährlich sterben in Deutschland 120.000 Menschen an Dabei wird vorrangig ein salutogenetischer Ansatz im
den Folgen des Tabakkonsums, weitere 40.000 Men- Sinne einer Ressourcenstärkung, also Lebenskompe-
schen sterben an den Auswirkungen schädlichen tenz- und Risikokompetenzstärkung, verfolgt.
Alkoholkonsums und etwa 1.300 Todes­fälle sind direkt
auf den Konsum illegaler Drogen zurückzuführen. Maßnahmen der Suchtprävention fallen in die
Neben Suchttherapie und Repression ist daher Sucht­ Zuständigkeit der Ministerien auf Bundes- und
prävention zentraler Bestandteil einer umfassenden Landesebene und werden insbesondere durch die
Sucht- und Drogenpolitik, denn zielgerichtete und auf Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA),
wissenschaftliche Erkenntnisse gestützte Suchtpräven- die Länder, die kommunale Ebene und die Selbstver-
tion leistet einen bedeutsamen Beitrag dazu, die waltungen der Versicherungsträger umgesetzt.
Gesundheit der Bevölkerung zu steigern, die gesell-
schaftlichen Kosten zu senken und die Lebensqualität Bundesweite Maßnahmen der Suchtprävention sind
zu erhöhen. Der Stellenwert der Suchtprävention zeigt zum Beispiel die entsprechend dem Public Health
sich unter anderem darin, dass die Nationale Strategie Action Cycle und den Maßgaben des Social Marketings

3_Fakten, Trends und Politik


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entwickelten, wissenschaftlich fundierten Mehr- Präventionsgesetz


Ebenen-Kampagnen der BZgA. Vor dem Hintergrund Die Prävention von Suchterkrankungen ist ein
der Entwicklung des Kommunikationsverhaltens stellt Querschnittsthema im Präventionsgesetz. Präventions-
dabei in jüngster Zeit gerade die Internetkommuni­ maßnahmen sollen den allgemeinen Gesundheits­
kation – neben der Massen- und Personalkommuni­ zustand verbessern und dazu beitragen, Risikofaktoren
kation – sicher, dass große Bevölkerungsteile erreicht zu vermeiden sowie individuelle gesundheitliche
werden können. Ergänzend wird der Settingansatz Ressourcen zu stärken. Mit folgenden Regelungen im
verfolgt, um Menschen in ihren Lebenswelten – wie Präventionsgesetz wird der Suchtprävention Rechnung
Kindergarten, Schule und Betrieb – direkt und persön- getragen:
lich zu erreichen. • Die Handlungsfelder und Kriterien für Leistungen
der Krankenkassen zur primären Prävention und
Zur Koordinierung von bundes- und landesweiten Gesundheitsförderung werden vom GKV-Spitzen­
Maßnahmen der Suchtprävention ist im Jahr 1992 der verband im sogenannten „Leitfaden Prävention“ für
„BZgA-Länder-Kooperationskreis Suchtprävention“ alle Krankenkassen verbindlich festgelegt. Dabei
eingerichtet worden. Aufgabe des zweimal jährlich wird auch wissenschaftlicher Sachverstand aus der
tagenden Gremiums ist die Optimierung der Vernet- Suchtforschung einbezogen. Bei der Entwicklung der
zung der Akteurinnen und Akteure auf Bundes- und Handlungsfelder und Kriterien berücksichtigt der
Landesebene. Der Kooperationskreis organisiert GKV-Spitzenverband auch die bislang vom Koopera-
regelmäßig bundesweite Fachtagungen zum Thema tionsverbund gesundheitsziele.de entwickelten Ziele
Qualitätssicherung in der Suchtprävention, um den im Bereich der Gesundheitsförderung und Präven­
Austausch von Forschungs- und Praxiswissen zu tion. Zwei der insgesamt neun Gesundheitsziele
fördern und moderne Instrumente der Qualitäts­ dienen der Suchtprävention: Tabakkonsum reduzie-
sicherung in der Suchtprävention noch bekannter zu ren und Alkoholkonsum reduzieren. Dazu gehören
machen und zu implementieren. Das Netzwerk zum Beispiel Kurse zur Förderung des Nichtrauchens
PrevNet ist wie das bundesweite Dokumentationssys- im privaten Bereich oder im Rahmen der betrieb­
tem Dot.sys ein weiteres Kooperationsprojekt des lichen Gesundheitsförderung. Die Suchtprävention
Bundes und der Länder. Im PrevNet-Portal werden ist aber auch übergreifendes Thema in nicht betrieb-
Maßnahmen zur Suchtvorbeugung von Bund und lichen Lebenswelten, etwa indem das Selbstbewusst-
Ländern präsentiert und Fachkräfte bundesweit sein von Kindern in der Kita gestärkt wird, um
miteinander vernetzt. Verfügbare Informationen über späteren Gefährdungen widerstehen zu können.
Einrichtungen, Aktivitäten, Akteure, Studien und • Um gezielt Interventionen in den Lebenswelten
Materialien der Suchtprävention werden somit der Menschen, also in Kitas, Schulen, Städten und
gebündelt zur Verfügung gestellt. Mit Dot.sys doku- Gemeinden ebenso wie in Betrieben und Pflege­
mentieren Fachkräfte der Suchtprävention jährlich einrichtungen, zu unterstützen, sieht das Präven­
ihre suchtpräventiven Aktivitäten vor Ort. Dot.sys tionsgesetz eine Zusammenarbeit der Sozialversiche-
ermöglicht damit eine Übersicht über die bundesweit rungsträger, der privaten Krankenversicherung, von
durchgeführten Maßnahmen der Suchtprävention, Bund und Ländern und weiterer relevanter Akteure
wobei die Fachkräfte in den Kategorien universelle, unter dem Dach der Nationalen Präventionskonfe-
selektive und indizierte Prävention, Substanzen, Ziele renz vor. Diese Nationale Präventionskonferenz hat
und Settings dokumentieren. Alkohol ist dabei die mit im Februar 2016 die ersten trägerübergreifenden
Abstand am häufigsten thematisierte Substanz, gefolgt Bundesrahmenempfehlungen zu Gesundheitsförde-
von Tabak und Cannabis. rung und Prävention in Lebenswelten mit den drei
www.prevnet.de Zielen „Gesund aufwachsen“, „Gesund leben und
www.dotsys-online.de arbeiten“ sowie „Gesund im Alter“ verabschiedet, die

3_Fakten, Trends und Politik


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für alle Leistungsträger und Verantwortlichen in den 1.2 Teilhabe


Lebenswelten wegweisend sind. Die Prävention von
Suchterkrankungen ist bei allen drei Zielen integra- Arbeit und Beschäftigung sind zentrale Lebens- und
ler Bestandteil. Teilhabebereiche in unserer Gesellschaft. Somit spielt
• Auch die Gesundheitsuntersuchungen für Kinder, der Erhalt des Arbeitsplatzes bei berufstätigen wie
Jugendliche und Erwachsene können zukünftig auch die berufliche Wiedereingliederung bei arbeits­
gezielt die Prävention von Suchterkrankungen losen, suchtkranken Menschen eine bedeutsame Rolle.
unterstützen, indem der untersuchende Arzt Studien zufolge wirkt sich die Aufnahme einer
verstärkt ein Augenmerk auf die gesundheitlichen Erwerbstätigkeit, Ausbildung oder Qualifizierung
Belastungen und Risiken des Einzelnen hat wie stabilisierend auf den Erfolg einer Suchthilfemaß­
beispielsweise einen riskanten Alkoholkonsum oder nahme aus (DHS, 2017).
das Rauchen. Die Ärztin oder der Arzt kann dann
entsprechend beraten und eine Präventionsempfeh- Der Anteil erwerbsloser Menschen in der stationären
lung geben, etwa für einen Kurs zur Förderung des Suchtkrankenhilfe liegt unter Alkoholabhängigen bei
Nichtrauchens. 43 %, unter Opiatabhängigen sogar bei 63 % (Deutsche
Suchthilfestatistik). Der Wiedereinstieg ins Erwerbsle-
Behandlung, Schadensminimierung und ben wird erschwert, wenn neben der Suchterkrankung
­Strafverfolgung zusätzliche Hemmnisse wie weitere körperliche oder
Neben der Prävention zählen Behandlung, Schadens- psychische Erkrankungen (Komorbidität) oder eine
minimierung und Strafverfolgung zu den vier Säulen fehlende Ausbildung vorliegen. Eine von der Drogen-
der Drogen- und Suchtpolitik in Deutschland. beauftragten eingesetzte Arbeitsgruppe des Drogen-
und Suchtrats hat Empfehlungen zur besseren Teilhabe
Menschen mit Suchterkrankungen steht ein flächen- von Menschen mit Suchterkrankungen erarbeitet, die
deckendes Hilfesystem zur Verfügung. Dazu gehören passgenaue Angebote zur Förderung der beruflichen
niedrigschwellige Beratung, Akutbehandlung und Integration und eine Vernetzung arbeitsmarktpoliti-
Rehabilitation. Etwa 1.400 Beratungsstellen, 300 scher Instrumente mit sozial integrativen und kom-
psychiatrische Kliniken und Institutsambulanzen, munalen Angeboten vorsehen. Ein Teil der Empfehlun-
ca. 320 Rehabilitationseinrichtungen sowie rund 8.700 gen konnte bereits umgesetzt werden, indem die
Selbsthilfegruppen bilden zusammen mit den nieder- Belange suchtkranker Menschen in arbeits- und
gelassenen Ärzten sowie Wohn- und Sozialtherapieein- sozialpolitische Gesetzesvorhaben auf Bundesebene
richtungen ein differenziertes Suchthilfesystem (DHS, integriert wurden.
2017).
Bundesteilhabegesetz
Zur Schadensminimierung zählen Maßnahmen, die die Mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) wird eine der
mit dem Drogenkonsum verbundenen gesundheitli- großen sozialpolitischen Reformen dieser Legislatur-
chen Risiken mindern sollen. Damit wird insbesondere periode umgesetzt. Das BTHG verpflichtet die Träger
die Vermeidung von Infektionskrankheiten etwa durch von Reha-Maßnahmen (wie zum Beispiel die Bundes-
Spritzentausch und Drogenkonsumräume angestrebt. agentur für Arbeit oder die gesetzliche Rentenversiche-
rung), frühzeitig drohende Behinderungen zu erken-
Weiterlesen nen und gezielt Maßnahmen zu ergreifen. Ziel ist es,
dem Eintritt einer chronischen Erkrankung oder
Mehr zu den Themen Behandlung, Schadensmini-
Behinderung durch geeignete präventive Maßnahmen
mierung und Strafverfolgung lesen Sie im Kapitel
entgegenzuwirken und die Erwerbsfähigkeit dauerhaft
„Suchtstoffe, Suchtformen, Regulierungen“.
zu sichern.

3_Fakten, Trends und Politik


21 

Zur Unterstützung dieser gesetzlichen Pflicht sieht aufgrund psychischer Erkrankungen ist in den letzten
das BTHG ab 2018 die Förderung von auf fünf Jahre zehn Jahren deutlich angestiegen. Für einen bedeuten-
befristeten Modellvorhaben mit einem Finanzvolumen den Anteil an Fehltagen sind Suchtmittelmissbrauch
von insgesamt einer Milliarde Euro bei den Jobcentern und -abhängigkeit verantwortlich. So standen im Jahr
(im Rechtskreis SGB II) und der gesetzlichen Renten- 2014 beispielsweise Alkoholerkrankungen bei Män-
versicherung (im Rechtskreis SGB VI) vor. nern mit knapp sieben Prozent an dritter Stelle der
häufigsten Ursachen für psychisch bedingte Krank-
Die Jobcenter und Rentenversicherungsträger sollen schreibungen. Nicht nur erwerbstätige, sondern auch
Aktivitäten entwickeln, um den Eintritt einer Behinde- arbeitslose Menschen leiden unter psychischen
rung oder chronischen Krankheit zu vermeiden. Im Störungen und Suchtmittelkonsum. So ist bei mehr als
Rahmen der Modellvorhaben soll das Augenmerk auf einem Drittel der SGB-II-Leistungsbezieher innerhalb
komplexe Krankheitsbilder gerichtet werden. Damit eines Jahres mindestens eine psychische Beeinträchti-
soll insbesondere auch den psychischen Beeinträchti- gung festgestellt worden. Alkoholerkrankungen sind
gungen einschließlich Suchterkrankungen Rechnung nach Depressionen bei Männern der zweithäufigste
getragen werden. Die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage Grund für eine psychisch bedingte Frührente.

3_Fakten, Trends und Politik


22 

Die Modellvorhaben sollen vor dem Eintritt von Die Förderung in Höhe von jährlich 58 Millionen Euro
Rehabilitationsbedarfen, von Erwerbsminderungs­ erfolgt aus Bundesmitteln und ist zunächst bis zum
renten oder Übergängen in Werkstätten für behinderte 31. Dezember 2022 befristet.
Menschen ansetzen und neue Wege entwickeln und
erproben. Die beiden sozialrechtlichen Grundprinzipi- Gleichwohl sind die Rehabilitationsträger, wie alle
en „Prävention vor Rehabilitation“ und „Rehabilitation Leistungsträger nach § 14 SGB I, auch weiterhin zur
vor Rente“ zur frühzeitigen Vermeidung von Zugängen umfassenden Beratung der Leistungsberechtigten
in die Erwerbsminderungsrente und in die Eingliede- verpflichtet und nach § 12 SGB IX nunmehr aufgefor-
rungshilfe erfahren damit eine wesentliche Stärkung. dert, hierzu untereinander vernetzte Ansprechstellen
Davon sollen auch Menschen mit Suchterkrankungen einzurichten. Diese Verpflichtung tritt an die Stelle der
bzw. -gefährdungen profitieren. bisherigen Gemeinsamen Servicestellen und ist
aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung der einzelnen
Teilhabeberatung Rehabilitationsträger verbindlicher als die bisherige
Das Ziel einer besseren Koordination und Kooperation Regelung. Die Verpflichtung nach § 12 SGB IX umfasst
der Rehabilitationsträger wird mit dem Bundesteil­ zukünftig auch die Jobcenter, obwohl sie keine
habegesetz (BTHG) konsequent weiterverfolgt. Insbe- Rehabilitationsträger sind, um Lücken in der Beratung
sondere das trägerübergreifende und partizipati- und Vernetzung zu schließen.
ve ­Teil­habeplanverfahren sowie die Einführung eines
ergänzenden, von Leistungsträgern und Leistungs­ Nach § 12 SGB IX müssen die Rehabilitationsträger
erbringern unabhängigen Teilhabeberatungsangebotes innerhalb ihrer Organisationen entscheiden, welche
sollen künftig deutlich bessere Beratung und Unter- Stelle im Sinne einer Auskunfts- oder Kontaktstelle für
stützung bieten, die Menschen mit (drohenden) die Vermittlung der Informationsangebote verantwort-
Behinderungen und ihren Angehörigen als niedrig- lich ist. Hiervon wird auch die Kommunikation mit
schwellige Angebote bundesweit zur Verfügung stehen. anderen Rehabilitationsträgern und mit Arbeitgebern
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales umfasst. Durch die konkrete Benennung von organisa-
erarbeitet derzeit die notwendigen Voraussetzungen tionsinternen Ansprechpartnern wird anstelle der
und Details für die ergänzende unabhängige Teil­ bisherigen Gemeinsamen Servicestellen ein wirksame-
habeberatung, damit die Förderung mit Inkrafttreten rer und effizienterer Informationsaustausch sicherge-
der Regelung des neuen § 32 SGB IX zum 1. Januar 2018 stellt. Weiter gehende Maßnahmen, wie zum Beispiel
beginnen kann. die Einrichtung von Beratungsteams oder internetba-
sierten Informationsangeboten, liegen im Ermessen
Grundsätzlich gefördert werden von Leistungsträgern der Rehabilitationsträger und sollen auf die Bedürfnis-
und Leistungserbringern unabhängige regionale se der Leistungsberechtigten ausgerichtet werden. Die
Beratungs­angebote, die bestehende Beratungsangebote Regelung besonderer Ansprechstellen der Rehabilitati-
ergänzen. Die Beratungsmethode des „Peer Counse- onsträger ist erforderlich, da die allgemeine Auskunfts-
ling“, die Ratsuchende ermächtigt, mehr Selbstbe- pflicht nach § 15 SGB I nur ausgewählte Leistungsträ-
wusstsein und Eigenverantwortung wahrzunehmen, ger betrifft. Durch die Bezugnahme auf § 15 Absatz 3
ist ein besonderes Förderkriterium und wird Menschen SGB I werden die Ansprechstellen der Rehabilitations-
mit Behinderungen künftig eine deutlich bessere träger zudem verpflichtet, wirksam zusammenzuarbei-
Beratung und Unterstützung bieten. Die ergänzende ten, um eine umfassende Information durch eine Stelle
unabhängige Teilhabeberatung soll insbesondere im und die gegenseitige Information sicherzustellen.
Vorfeld der Beantragung konkreter Leistungen den
Ratsuchenden die notwendige Orientierung zur
Erkennung von Teilhabemöglichkeiten geben.

3_Fakten, Trends und Politik


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Weiterentwicklung der Inklusionsbetriebe dieses Programms werden insgesamt 150 Millionen


Inklusionsbetriebe (vormals Integrationsbetriebe) sind Euro aus dem Ausgleichsfonds zusätzlich zur Verfü-
für die berufliche Inklusion von Menschen mit gung gestellt, damit in Inklusionsbetrieben mehr neue
Behinderungen von besonderer arbeitsmarktpoliti- Ausbildungs- und Arbeitsplätze für schwerbehinderte
scher Bedeutung. Sie bieten solchen schwerbehinder- Menschen geschaffen werden können.
ten Menschen sozialversicherungspflichtige Beschäfti-
gung, denen es trotz Ausschöpfens aller Möglichkeiten Budget für Arbeit
nicht gelingt, in anderen Betrieben des allgemeinen Anstelle von Leistungen für die Beschäftigung in einer
Arbeitsmarkts eine Beschäftigung zu finden. Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) sind
gemäß § 61 SGB IX künftig auch Lohnkostenzuschüsse
Mit dem Neunten Gesetz zur Änderung des SGB II – und Unterstützung für sozialversicherungspflichtige
Rechtsvereinfachung (9. SGB II-ÄndG) wurde der Arbeitsverhältnisse in Betrieben des allgemeinen
Personenkreis der in Inklusionsbetrieben beschäftigten Arbeitsmarkts möglich. Dies ist insbesondere für
Menschen erweitert. Neben langzeitarbeitslosen Menschen, die aufgrund psychischer Erkrankungen
schwerbehinderten Menschen kann die geförderte aus dem Berufsleben ausgeschieden und voll erwerbs-
Beschäftigung in Inklusionsbetrieben nunmehr auch gemindert sind, von besonderer Bedeutung. Mit dem
psychisch kranken Menschen ermöglicht werden, die „Budget für Arbeit“ erhalten Arbeitgeber bei der
behindert oder von Behinderung bedroht sind und Einstellung von Menschen mit wesentlichen Behinde-
deren Teilhabe an einer sonstigen Beschäftigung auf rungen einen Lohnkostenzuschuss bis zu 75 % des
dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufgrund von Art oder gezahlten Arbeitsentgeltes. Außerdem werden die
Schwere der Behinderung oder wegen sonstiger Kosten für die erforderliche Anleitung und Begleitung
Umstände auf besondere Schwierigkeiten stößt. an der Arbeitsstelle übernommen.
Psychische Erkrankungen führen oft zu Beeinträchti-
gungen, die den Verlust des Arbeitsplatzes nach sich Förderung schwer zu erreichender junger
ziehen. Es bestehen oft erhebliche Teilhabebeeinträch- Menschen
tigungen, aufgrund derer eine Integration in den Mit dem 9. Gesetz zur Änderung des SGB II wurde die
allgemeinen Arbeitsmarkt nur mit besonderen „Förderung schwer zu erreichender junger Menschen“
Anstrengungen erreicht werden kann. Mit der erfolg- als neues gesetzliches Förderinstrument eingeführt
ten Neuregelung kann auch diese Personengruppe, die (§ 16h SGB II). Mit der Änderung können seit August
Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen ein- 2016 in allen Jobcentern zusätzliche Betreuungs- und
schließt, von den besonderen Förder- und Unterstüt- Unterstützungsleistungen angeboten werden, die mit
zungsangeboten der Inklusionsbetriebe profitieren und dem Pilotprogramm RESPEKT angestoßen wurden.
leichter Zugang zu einer Beschäftigung auf dem Die Regelungen wenden sich an junge Menschen in
allgemeinen Arbeitsmarkt finden. Außerdem können einer schwierigen Lebenslage, die von den Angeboten
die Integrationsämter der Länder seit Inkrafttreten der Sozialleistungssysteme zumindest zeitweise nicht
dieses Gesetzes im August 2016 die begleitende Hilfe erreicht werden. Damit werden gezielt zusätzliche
im Arbeitsleben in Inklusionsbetrieben nun bereits ab Hilfen ermöglicht, um jungen Menschen die Eingliede-
einer wöchentlichen Arbeitszeit von 12 Stunden rung in Bildungsprozesse, Leistungen der aktiven
erbringen. Arbeitsförderung, Ausbildung oder Arbeit zu erleich-
tern. Gesundheitliche und psychische Probleme
Flankiert werden diese Weiterentwicklungen mit dem einschließlich Sucht führen in vielen Fällen zu Hand-
von der Bundesregierung aufgelegten Programm lungsbedarf, der aufgegriffen wird, um weitere
„Inklusionsinitiative II – AlleImBetrieb“. Im Rahmen Entwicklungsprozesse zu ermöglichen.

3_Fakten, Trends und Politik


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2 Suchtstoffe, Suchtformen, der Hauptstromrauch. Glimmt die Zigarette anschlie-


ßend weiter, entsteht der Nebenstromrauch. Während
Regulierung der Hauptstromrauch direkt inhaliert wird, gelangt der
Nebenstromrauch in die Umgebungsluft – dies ist der
2.1 Tabak Rauch, den auch Nichtraucher einatmen (Passivrau-
chen). Viele Schadstoffe entstehen bei der Verbrennung
Substanz und Wirkung in der Glutzone von Zigaretten. Die Glutzone wird bis
Der Hauptwirkstoff der Tabakpflanze ist das Nikotin. zu 1.000 Grad Celsius heiß. Zwischen den Zügen
Wird Nikotin im Zigarettenrauch eingeatmet, gelangt verbrennt der Tabak nur bei bis zu 600 Grad Celsius.
es binnen Sekunden ins Gehirn, wo es sowohl anregen- Durch die niedrigeren Temperaturen beim Neben-
de als auch beruhigende Effekte hat. Darüber hinaus stromrauch erfolgt die Verbrennung weniger vollstän-
enthält Tabakrauch etwa 4.800 Substanzen, von denen dig als beim Hauptstromrauch. Dadurch ist gerade
über 90 als krebserregend oder erbgutverändernd hier die Konzentration von Schadstoffen wie Kohlen­
gelten. Häufig werden dem Tabak Zusatzstoffe beige- monoxid oder Benzol besonders hoch.
mengt, um den Geschmack, das Abbrennen oder die
Feuchtigkeit des Tabaks zu beeinflussen. Beim Tabak- Trends
rauchen wird eine Vielzahl von Giftstoffen über die Trends zum Tabakkonsum lassen sich aus verschiede-
Lunge aufgenommen und durch den Blutkreislauf im nen Studien ableiten. Sie zeigen im Wesentlichen das
gesamten Körper verteilt. Auf diesem Weg werden gleiche Bild. Unterschiede sind Folge einer abweichen-
nicht nur die Atemwege durch das Rauchen geschädigt den Methodik, anderer befragter Altersgruppen und
– fast jedes Organ ist betroffen. Am stärksten ist die eines anderen Umfragezeitpunktes:
Belastung aber für die Atemwege und das Herz-Kreis-
lauf-System. Die durch das Rauchen verursachten • Mit dem Epidemiologischen Suchtsurvey stehen
Gesundheitsschäden treten in der Regel erst nach Trenddaten für 18- bis 59-jährige Erwachsene seit
Jahren, viele erst nach Jahrzehnten auf. Aus diesem 1995 zur Verfügung: Demnach nahm die besonders
Grund gelingt es vielen Raucherinnen und Rauchern, relevante Prävalenz des Tabakkonsums in den letzten
das Gesundheitsrisiko für lange Zeit zu verdrängen. 30 Tagen deutlich ab: von 33,9 % im Jahr 2003 auf
25,8 % in 2015. Bei Männern (von 37,1 % auf 28,1 %)
Auch Kohlenmonoxid entsteht beim Verbrennen von fällt die Abnahme in diesem Zeitraum stärker aus als
Tabak. Dass dieses Kohlenmonoxid eingeatmet wird, bei Frauen (von 30,5 % auf 23,4 %).
verhindert selbst ein Zigarettenfilter nicht. Die Folge:
Kohlenmonoxid verbindet sich mit den roten Blut­ Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich hinsichtlich der
körperchen und hemmt dort die Sauerstoffaufnahme. durchschnittlichen Anzahl konsumierter Zigaretten
Dadurch nimmt der Sauerstoffgehalt im Blut ab und pro Tag. Die Konsummenge zeigt nach einem
die Organe werden schlechter mit Sauerstoff versorgt. stabilen Verlauf bis Anfang der 2000er-Jahre ab dem
Um dieses Defizit auszugleichen, steigen Blutdruck und Jahr 2003 eine signifikante Abnahme von 14,4 auf 9,7
Pulsfrequenz. Die allgemeine Leistungsfähigkeit sinkt. Zigaretten pro Tag. Der Rückgang fiel bei Männern
Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen nimmt zu. von 15,7 auf 10,3 Zigaretten pro Tag stärker aus als
bei Frauen, bei denen der Konsum im Durchschnitt
Wird Tabak in Zigaretten verbrannt, entstehen zwei von 12,8 auf 9,0 Zigaretten pro Tag zurückging.
Arten von Rauch: Beim Zug an der Zigarette bildet sich
25 

• Zu einem vergleichbaren Ergebnis kommt die Studie • Die Repräsentativbefragungen der Bundeszentrale
GEDA 2014/2015-EHIS (Gesundheit in Deutschland für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zeigen, dass
aktuell 2014/2015-European Health Interview sich der Anteil der 12- bis 17-jährigen Jugendlichen,
Survey), eine bundesweite Befragung der erwachse- die rauchen, seit dem Jahr 2001 deutlich reduziert
nen Wohnbevölkerung in Deutschland, die im hat. Er ist von 27,5 % im Jahr 2001 auf unter 10 % im
Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit Jahr 2015 gesunken. Auch unter jungen Erwachsenen
vom Robert Koch-Institut (RKI) durchgeführt wird. im Alter von 18 bis 25 Jahren wird weniger geraucht.
Zwischen 2003 und dem letzten Erhebungszeitraum Während 2001 mit 44,5 % noch fast jeder Zweite
2014/2015 ist die Raucherquote demnach von 33,8 % dieser Altersgruppe rauchte, trifft das im Jahr 2015
auf 23,8 % gesunken. Bei Männern betrug der auf weniger als jeden Dritten zu. Sowohl bei den
Rückgang fast 12, bei Frauen gut 8 Prozentpunkte. Jugendlichen als auch den jungen Erwachsenen ist
diese Entwicklung in beiden Geschlechtergruppen
ABBILDUNG 01: erkennbar.
ZEITLICHE ENTWICKLUNG DER RAUCHQUOTE BEI
ERWACHSENEN MÄNNERN UND FRAUEN (18+) Der Anteil der Nieraucherinnen und Nieraucher ist im
(IN PROZENT)
Zeitraum von 2001 bis 2015 deutlich gestiegen. Bei der
Befragung der BZgA im Jahr 2001 gaben 40,5 % der 12-
50 bis 17-Jährigen an, noch nie geraucht zu haben – 2015
sind es fast doppelt so viele. Auch unter den jungen
40 Erwachsenen im Alter von 18 bis 25 Jahren hat sich der
38,8
31,4
Anteil der Nieraucherinnen und Nieraucher statistisch
30
33,9 33,9 signifikant erhöht. Diese positiven Entwicklungen
27,0
zeigen sich sowohl bei den männlichen als auch den
29,2 26,2
26,1 weiblichen Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
23,9
20
20,8

Im letzten Jahrzehnt sind neben den herkömmlichen


10
Tabakerzeugnissen weitere nikotinhaltige Produkte
entwickelt und auf den Markt gebracht worden. Um
0
2003 2009 2010 2012 2014 die Verbreitung des Konsums dieser Produkte zu
untersuchen, erhebt die BZgA seit 2007 Daten zum
Männer Frauen Konsum von Wasserpfeifen, seit 2012 zum Konsum von
E-Zigaretten und seit 2014 außerdem zum Konsum
Quelle: RKI, GEDA 2014/2015-EHIS von E-Shishas. Der Anteil der 12- bis 17-jährigen
Jugendlichen, die schon einmal eine Wasserpfeife
probiert haben, ist in den letzten Jahren rückläufig.
Bei einer Aufschlüsselung der Entwicklung nach
Altersgruppen zeigt sich, dass vor allem in den jünge-
ren Altersgruppen ein deutlicher Rückgang der
Raucherquote zu verzeichnen ist. Die aktuellen Daten
zeigen nun auch für die Gruppe der über 65-Jährigen
einen Rückgang des Anteils der Raucher im Vergleich
zu den vorherigen Erhebungen.

3_Fakten, Trends und Politik


26 

ABBILDUNG 02:
VERBREITUNG DES RAUCHENS BEI 12- BIS 17-JÄHRIGEN JUGENDLICHEN UND 18- BIS 25-JÄHRIGEN JUNGEN
­ERWACHSENEN INSGESAMT UND NACH GESCHLECHT VON 2001 BIS 2015

50

40

30 28,1
26,2
24,2
20

10
7,8

0
2001 2003 2004 2005 2007 2008 2010 2011 2012 2014 2015

18- bis 25-Jährige männlich 12- bis 17-Jährige männlich


18- bis 25-Jährige insgesamt 12- bis 17-Jährige insgesamt
18- bis 25-Jährige weiblich 12- bis 17-Jährige weiblich Quelle: BZgA, 2016

Konsum und Prävalenzen


– bei Erwachsenen völkerung). Starker Konsum war bei männlichen
• In der aktuellen Erhebung des Epidemiologischen Rauchern weiter verbreitet als bei weiblichen.
Suchtsurveys aus dem Jahr 2015 gaben 28,7 % der
Befragten (Altersgruppe 18–64 Jahre) an, in den • Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen die Daten des
letzten 30 Tagen Tabakwaren konsumiert zu haben RKI (GEDA). Demnach rauchten 2014/2015 23,8 %
(31,2 % der Männer, 26,1 % der Frauen). Dies waren aller Befragten. Bei den Männern betrug der Anteil
zum überwiegenden Teil Zigarettenraucher. Die der täglichen Raucher 20,7 %, 6,3 % gaben an,
Prävalenzen des Zigarettenrauchens waren mit gelegentlich zu rauchen, 35,0 % sind ehemalige
29,3 % (Männer) bzw. 25,8 % (Frauen) sehr ähnlich. Raucher, 38,0 % Nieraucher. Bei den Frauen betrug
Von den Konsumenten gaben insgesamt 21,4 % einen der Anteil täglicher Raucherinnen 16,2 %, 4,6 %
starken Konsum von täglich mehr als 20 Zigaretten gaben an, gelegentlich zu rauchen. Als ehemalige
an, was hochgerechnet auf die Bevölkerung 2,93 Raucherinnen bezeichnen sich 26,6 % der Frauen, als
Millionen Personen entspricht (4,5 % der Gesamtbe- Nieraucherinnen 52,6 %.

3_Fakten, Trends und Politik


27 

ABBILDUNG 03: ABBILDUNG 04:


RAUCHSTATUS VON MÄNNERN UND FRAUEN IN ANTEIL DER RAUCHER UND RAUCHERINNEN IN
DEUTSCHLAND (18+) (IN PROZENT) ­VERSCHIEDENEN ALTERSGRUPPEN (IN PROZENT)
60 60

50 50

40 40

30 30

20 20

10 10

0 0
Männer Frauen 18–29 Jahre 30–44 Jahre 45–64 Jahre 65+ Jahre

Täglich Gelegentlich Männer Frauen


Ehemalige Raucher Nie-Raucher
Quelle: RKI, GEDA 2014/2015-EHIS
Quelle: RKI, GEDA 2014/2015-EHIS

Mit Blick auf das Alter (siehe Abbildung 04) zeigt sich, ABBILDUNG 05:
dass die Rauchquote bei Männern im Alter zwischen 30 ANTEIL DER RAUCHER UND RAUCHERINNEN NACH
und 44 Jahren und bei Frauen in der Altersgruppe der SOZIALSTATUS (IN PROZENT)
18- bis 29-Jährigen am höchsten ist. Die niedrigsten
Rauchquoten finden sich bei den über 65-Jährigen. 50

Außerdem wird deutlich, dass Männer und Frauen 40


mit niedrigem sozialem Status zu höheren Anteilen
rauchen als diejenigen mit hohem Sozialstatus. Diese 30
Unterschiede zeigen sich bei Männern ausgeprägter
als bei Frauen. 20

11,3 % der befragten Nichtraucherinnen und Nicht­ 10


raucher gaben im Rahmen der GEDA-Studie darüber
hinaus an, Passivrauch in geschlossenen Räumen
0
ausgesetzt gewesen zu sein. Der Anteil derjenigen, die Männer Frauen
eine Stunde und mehr am Tag Passivrauch ausgesetzt
waren, betrug bei den Nichtrauchern 3,8 %, bei den Niedrig Hoch Mittel
Nichtraucherinnen 3,1 %. Ein Vergleich dieser Angaben
zu vorherigen Erhebungswellen ist nicht möglich, da Quelle: RKI, GEDA 2014/2015-EHIS
sich die Fragestellung geändert hat. Die Raucherrate
liegt in Deutschland unter dem gesamteuropäischen
Wert (Eurostat, 2017).

3_Fakten, Trends und Politik


28 

– bei Jugendlichen telefonnummern gewonnen und über Festnetz- und


• Nach den aktuellen Ergebnissen der Drogenaffini- Mobiltelefone befragt (Dual-Frame-Ansatz). In die
tätsstudie für das Jahr 2015 rauchen insgesamt 9,6 % Darstellung des Trends (Abbildung 02) wurden
der 12- bis 17-jährigen Jugendlichen. Jungen (9,3 %) aufgrund der Vergleichbarkeit mit früheren Stich-
und Mädchen (10,0 %) unterscheiden sich in diesem proben nur die Daten der Festnetzbefragten einbezo-
Alter in ihrem Rauchverhalten wenig. Bei den 18- bis gen. Dadurch ergeben sich leichte Abweichungen bei
25-jährigen Erwachsenen ist das Rauchen mit ins­ der Quote der jugendlichen Raucher 2015.
gesamt 29,7 % weiter verbreitet. In dieser Altersgrup-
pe rauchen Männer mit 32,9 % mehr als Frauen mit Deutliche Unterschiede beim Rauchverhalten von
26,4 %. In der Studie des Jahres 2015 wurde eine für Jugendlichen und jungen Erwachsenen bestehen in
Deutschland repräsentative Stichprobe von Jugend- Abhängigkeit von Bildungs- und sozialen Merkmalen.
lichen und jungen Erwachsenen mit Telefoninter- Innerhalb der Sekundarstufe I sind unter Gymnasias-
views befragt. Gegenüber der letzten Drogenaffini- tinnen und Gymnasiasten die wenigsten (3,2 %) und
tätsstudie wurden in der aktuellen Studie zwei unter Hauptschülern und Hauptschülerinnen die
methodische Neuerungen vorgenommen. Zum meisten Raucher zu finden (9,3 %). Unter den Befragten
einen wurde bei der Gewichtung der Daten auch die im Alter bis zu 25 Jahren, die nicht in der Sekundar­
Bildung der Befragten berücksichtigt. Zum anderen stufe I sind, ist das Rauchen bei Studierenden ver-
wurde die Stichprobe nicht mehr ausschließlich über gleichsweise gering ausgeprägt (16,5 %) und bei
Festnetztelefonnummern, sondern auch über Mobil­ Arbeitslosen vergleichsweise weitverbreitet (43,9 %).

ABBILDUNG 06:
VERBREITUNG DES RAUCHENS NACH BILDUNGS- UND SOZIALEN MERKMALEN BEI 12- BIS 25-JÄHRIGEN
IM JAHR 2015

50

40

30

20

10

0
e

le

se
le

de

e
de
.I

I
ul

tig
e
hu

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hu

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am

up

ud
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m

Ar
Gy

ru
Ha

St

w
s

sz
Gy
Ge

Be

Er
Au

Befragte in der Sekundarstufe I Befragte außerhalb der Sekundarstufe I


Quelle: BZgA, 2016

3_Fakten, Trends und Politik


29 

Die Drogenaffinitätsstudie 2015 zeigt außerdem, dass Vor allem Raucher probieren E-Zigaretten aus, wobei
jeder vierte (27,3 %) 12- bis 17-jährige Jugendliche ein regelmäßiger Konsum selten ist. Raucher verwen-
Wasserpfeifen, jeder siebte (13,5 %) E-Shishas und jeder den die Produkte meist als weniger schädliche Alterna-
zehnte (12,1 %) E-Zigaretten ausprobiert hat. Das tive zu Tabakzigaretten, um weniger zu rauchen oder
Ausprobieren von E-Shishas ist bei den Jugendlichen um ganz mit dem Rauchen aufzuhören (DKFZ, 2016) –
weiter verbreitet als bei 18- bis 25-jährigen Erwachse- eine wissenschaftlich fundierte Aussage zum tatsäch­
nen (10,1 %). Mit dem Konsum von Wasserpfeifen lichen Nutzen von E-Zigaretten als Hilfsmittel beim
(68,4 %) und E-Zigaretten (20,7 %) haben die jungen Rauchstopp ist derzeit allerdings nicht möglich
Erwachsenen die größere Erfahrung. (Hartmann-Boyce et al., 2016; El Dib et al., 2016). Auch
Jugendliche – selbst solche, die noch nie eine Tabak­
Elektronische Zigaretten zigarette geraucht haben – interessieren sich für diese
Elektronische Zigaretten (E-Zigaretten) vernebeln Produkte. In Deutschland ist der Jemalskonsum von
eine – meist nikotinhaltige – Flüssigkeit (Liquid) und E-Zigaretten unter Jugendlichen und jungen Erwach-
der Konsument inhaliert das dabei entstehende senen höher als bei älteren Menschen (DKFZ, 2016;
Aerosol ähnlich wie beim Rauchen. Die Hauptbestand- Yoong et al., 2016). Ein regelmäßiger Konsum ist
teile der E-Zigaretten-Liquids sind Propylenglykol allerdings auch unter Jugendlichen selten und sie
und/oder Glyzerin, Aromen und zumeist Nikotin. Die verwenden eher nikotinfreie als nikotinhaltige
Produkte werden seit etwa 2006 vor allem im Internet, E-Zigaretten (DKFZ, 2016; Eichler et al., 2016). Seit April
zunehmend auch in Spezialläden, Tabakwarenläden 2016 dürfen in Deutschland Kinder und Jugendliche
und in Supermärkten angeboten. bis 18 Jahre E-Zigaretten weder kaufen noch in der
Öffentlichkeit verwenden.

ABBILDUNG 07:
GRÜNDE VON RAUCHERN FÜR DIE VERWENDUNG VON E-ZIGARETTEN IM JAHR 2016

Als weniger schädliche Alternative zu herkömmlichen Zigaretten


38,6

Um weniger zu rauchen
23,4

Als Hilfsmittel, um mit dem Rauchen aufzuhören


14,6

Zur Benutzung in Nichtraucherzonen


13,3

Um die Gesundheit der Menschen in meiner Umgebung zu schützen


10,1

0 10 20 30 40 %

Quelle: Deutsches Krebsforschungszentrum 2016, E-Zigaretten: Konsumverhalten in Deutschland 2014–2016

3_Fakten, Trends und Politik


30 

E-Zigaretten sind im Vergleich zu Tabakzigaretten Darüber hinaus leiden Raucherinnen und Raucher an
deutlich weniger schädlich, aber sie sind auch keine einer schlechteren Immunabwehr, weisen vermehrt
harmlosen Lifestyleprodukte. Das Aerosol enthält – in Erkrankungen an den Zähnen und der Mundhöhle auf,
deutlich geringerer Menge als Tabakrauch – gesund- leiden unter beschleunigter Hautalterung und haben
heitsschädliche und krebserzeugende Substanzen wie ein erhöhtes Risiko für Diabetes. Rauchende Männer
Formaldehyd, Acetaldehyd, Acrolein, flüchtige Kohlen- sind häufiger impotent. Raucherinnen kommen früher
wasserstoffe und Metalle wie Blei, Nickel, Cadmium. ins Klimakterium, sind besonders osteoporosegefähr-
Um welche Größenordnung E-Zigaretten weniger det, haben häufiger Zyklusstörungen und eine herab-
schädlich als Tabakzigaretten sind, lässt sich momen- gesetzte Fruchtbarkeit. Das Rauchen in der Schwanger-
tan jedoch nicht quantifizieren. Die langfristigen schaft ist zudem mit erheblichen Gesundheitsrisiken
gesundheitlichen Folgen des E-Zigaretten-Konsums für das Ungeborene verbunden.
sind derzeit unbekannt (Pisinger, 2016).
Volkswirtschaftliche Folgen
Die Schadstoffe aus dem Aerosol gelangen auch in die Nach aktuellen Schätzungen belaufen sich die direkten
Raumluft und können von Nichtkonsumenten in den Kosten für die Versorgung von Krankheiten und
Körper aufgenommen werden. Derzeit ist eine Ab- Gesundheitsproblemen im Zusammenhang mit dem
schätzung der potenziellen Gesundheitsgefährdung für Rauchen auf 25,4 Milliarden Euro jährlich. Die direkten
Nichtkonsumenten nicht möglich, eine Gesundheits- Kosten unter Einbeziehung von Erwerbsunfähigkeit,
gefährdung Dritter kann jedoch nicht ausgeschlossen Frühberentung und Todesfällen wurden auf 53,7
werden (Fernández, 2016). Milliarden Euro jährlich geschätzt, sodass von einem
gesamtwirtschaftlichen Schaden von insgesamt 79,1
Gesundheitliche Folgen des Rauchens Milliarden Euro auszugehen ist (Deutsches Krebsfor-
In der Gesamtstichprobe des Epidemiologischen schungszentrum, 2015; Effertz, 2015).
Suchtsurveys wiesen 10,8 % der Männer und 8,2 % der
Frauen Hinweise auf eine Nikotinabhängigkeit nach Neue Regelungen
den Kriterien des FTND (Fagerström-Test für Nikotin- Bundesregierung und Deutscher Bundestag haben im
abhängigkeit) auf. Dies entspricht insgesamt etwa Berichtszeitraum in der Tabakpolitik eine Reihe neuer
4,84 Millionen Personen im Alter zwischen 18 und gesetzgeberischer Maßnahmen ergriffen. Die wichtigs-
64 Jahren. ten im Überblick:

Die Gesundheitsschäden durch Rauchen sind erheb- – Erweiterung Verbraucherschutz: Tabakerzeugnis­


lich. Schätzungen zufolge sterben in Deutschland gesetz und Tabakerzeugnis­verordnung
jährlich 120.000 Menschen an den Folgen des Tabak- Am 20. Mai 2016 sind in Deutschland das Tabaker-
rauchens. Im Schnitt verlieren Raucherinnen und zeugnisgesetz und die Tabakerzeugnisverordnung in
Raucher zehn Jahre ihres Lebens. Die häufigsten Kraft getreten. Sie setzen die Tabakprodukt-Richtli-
tabakbedingten Todesfälle resultieren aus Krebserkran- nie 2014/40/EU in deutsches Recht um. Die Neurege-
kungen sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen. 90 % aller lungen sehen unter anderem vor:
Lungenkrebsfälle werden durch das Rauchen verur-
sacht. Rauchen ist die bedeutendste Ursache für die • Packungen von Zigaretten, Tabak zum Selbstdrehen
Entwicklung einer chronisch obstruktiven Lungener- und Wasserpfeifentabak müssen großflächig in Bild
krankung (COPD). und Text Warnungen vor Gesundheitsgefahren
tragen.

3_Fakten, Trends und Politik


31 

IM FOKUS

FOLGEN DES RAUCHENS


ERKRANKUNGEN UND BEEINTRÄCHTIGUNGEN INFOLGE
DES RAUCHENS BEI MÄNNERN UND FRAUEN

Gehirn
● Abhängigkeit Augen
● Zerebrovaskuläre Erkrankungen ● Blindheit
(Schlaganfall) ● Katarakte (grauer Star)
● Altersbedingte Makuladegeneration
Atemwege
● Akute Erkrankungen der Atemwege Zähne und Zahnhalteapparat
(Lungenentzündung etc.) ● Parodontose
● Chronische Erkrankungen der ● Karies*
Atemwege (Atemnot etc.) ● Versagen von Zahnimplantaten*
● Chronische obstruktive Lungen­
erkrankung (COPD) Stoffwechsel
● Tuberkulose ● Typ-2-Diabetes
● Asthma
Magen und Darm
● Chronische entzündliche
Herz-Kreislauf-System Darmerkrankungen*
● Koronare Herzerkrankungen
● Magengeschwüre
(Herzinfarkt) ● Aneurysmen der Bauchaorta
● Atherosklerose
● Periphere arterielle Verschluss­
erkrankungen (Raucherbein etc.)
Fortpflanzung
● Erektionsstörungen
● Verminderte Fruchtbarkeit
Knochen und Gelenke
bei Frauen
● Rheumatische Arthritis
● Schwangerschaftskompli­
● Verminderte Knochenstärke
kationen
bei Frauen nach der Menopause ● Schäden für das Ungeborene
● Hüftfrakturen
und Langzeitfolgen

Allgemeine Beeinträchtigungen …
● der Immunfunktion
● der allgemeinen Gesundheit
● von Operationserfolgen
* Kausaler Zusammenhang wahrscheinlich.

Krebs Krebspatienten
● Rachen ● Akute Myeloische ● Bauchspeicheldrüse ● Verschlechterung des Gesundheits­
● Kehlkopf Leukämie ● Nieren und Harnleiter zustandes bei Krebspatienten und
● Speiseröhre ● Brust* ● Blase Überlebenden
● Luftröhre ● Magen ● Dick- und Enddarm ● Erhöhtes Risiko für weitere Krebs­
● Lunge ● Leber ● Gebärmutterhals erkrankungen bei Überlebenden

Quelle: Deutsches Krebsforschungszentrum 2015, Tabakatlas Deutschland 2015

3_Fakten, Trends und Politik


32 

• Zigaretten und Tabak zum Selbstdrehen sind physische Abhängigkeit und Herz-Kreislauf-Erkran-
verboten, wenn sie ein charakteristisches Aroma kungen, seit Längerem bekannt sind, hatten Studien
haben, in ihren Bestandteilen Aromastoffe enthalten des Bundesinstitutes für Risikobewertung und des
oder sonstige technische Merkmale aufweisen, die Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) auch
den Geruch, Geschmack oder die Rauchintensität die gesundheitlichen Risiken des Konsums von
verändern. Dies gilt ebenso, wenn der Filter, das nikotinfreien E-Zigaretten und E-Shishas für Kinder
Papier oder Kapseln Tabak oder Nikotin enthalten. und Jugendliche belegt.
• Für neuartige Tabakerzeugnisse ist künftig in
Deutschland eine Zulassung erforderlich. Zudem wurde mit der Gesetzesnovellierung sicher­
• Erstmals werden auch spezielle Anforderungen an gestellt, dass die Abgabeverbote von Tabakwaren,
die Sicherheit und das Inverkehrbringen nikotinhal- E-Zigaretten und E-Shishas an Kinder und Jugendli-
tiger elektronischer Zigaretten und Nachfüllbehälter che auch im Wege des Versandhandels Anwendung
geregelt. Es gelten die gleichen Werbebeschränkun- finden.
gen, wie sie für Tabakerzeugnisse bereits bestehen.
– Erhöhung der Tabaksteuer
Zudem wurde am 21. Juni 2016 die Erste Verordnung Mit der fünften Steuererhöhung des Tabaksteuermo-
zur Änderung der Tabakerzeugnisverordnung im dells wurde die Tabaksteuer für Zigaretten und
Bundesgesetzblatt verkündet. Sie passt das nationale Feinschnitt am 1. Januar 2015 erneut erhöht. Zum
Tabakrecht durch Verweise an zwei Durchführungs- 15. Februar 2016 stieg zudem der Mindeststeuersatz
rechtsakte der EU-Kommission an. Ferner wurden für Zigaretten an. § 25 Absatz 2 des Tabaksteuergeset-
mit der Zweiten Änderungsverordnung der Tabaker- zes vom 15. Juli 2009 wurde zu Beginn des Jahres
zeugnisverordnung vom 19. Mai 2017 die Zusatz­ 2016 gleichfalls neu gefasst. Danach darf die Klein-
stoffver­bote nach der Tabakprodukt-Richtlinie in verkaufspackung für Zigaretten 20 Stück (zuvor
Tabak­erzeugnissen und in nikotinhaltigen elektroni- 19 Stück) nicht unterschreiten.
schen Zigaretten und Nachfüllbehältern durch
Einzelstoffe konkretisiert. – Bekämpfung Tabakschmuggel
Das Bundeskabinett hat am 8. Februar 2017 den
– Jugendschutz bei E-Zigaretten und E-Shishas Entwurf eines Gesetzes zur Ratifikation des Proto-
Nach dem Jugendschutzgesetz dürfen in Gaststätten, kolls der Weltgesundheitsorganisation zur Unter­
Verkaufsstellen oder sonst in der Öffentlichkeit bindung des unerlaubten Handels mit Tabaker­
Tabakwaren an Kinder oder Jugendliche unter zeugnissen (Tabakschmuggelprotokoll) beschlossen.
18 Jahren weder abgegeben noch darf diesen das Ziel des Protokolls ist es, den illegalen Handel mit
Rauchen gestattet werden. Mit dem Gesetz zum Tabakwaren einzudämmen, durch den besondere
Schutz von Kindern und Jugendlichen vor den gesundheitliche Gefahren entstehen und Steuer­
Gefahren des Konsums von elektronischen Zigaret- einnahmen verloren gehen.
ten und elektronischen Shishas, das am 1. April 2016
in Kraft getreten ist, wurden die Abgabe- und Das Protokoll zur Unterbindung des unerlaubten
Konsumverbote des Jugendschutzgesetzes und des Handels mit Tabakerzeugnissen geht auf Artikel 15
Jugendarbeitsschutzgesetzes für Tabakwaren auf des Tabakrahmenübereinkommens der Weltgesund-
E-Zigaretten und E-Shishas ausgedehnt. In den heitsorganisation (WHO-FCTC) zurück. Danach
Anwendungsbereich der gesetzlichen Vorschriften haben sich die Vertragsparteien verpflichtet, gegen
wurden nicht nur nikotinhaltige, sondern auch alle Formen des illegalen Handels mit Tabakproduk-
nikotinfreie E-Zigaretten und E-Shishas einbezogen. ten, insbesondere gegen Schmuggel, illegale Herstel-
Denn nachdem die gesundheitlichen Risiken des lung und Fälschung, vorzugehen. Es setzt verbind­
Suchtstoffs und Nervengifts Nikotin, darunter liche Standards zur Unterbindung des illegalen

3_Fakten, Trends und Politik


33 

Handels für die Vertragsstaaten und bildet einen Tabakpolitik der Weltgesundheitsorganisation
Rahmen für die internationale Zusammen­arbeit. (WHO)
Dabei geht es unter anderem um ein ­Lizenz- bzw. Die 7. Vertragsparteienkonferenz zur Tabakrahmen-
Kontrollsystem sowie ein weltweites ­Ver­folgungs- konvention der WHO fand im November 2016 in
und Rückverfolgungssystem für Tabak­produkte. Indien statt. Insgesamt erbrachte die Konferenz einige
Weiterhin werden im Protokoll Buchführungspflich- wichtige Fortschritte für die weitere Gestaltung und
ten und die Verfolgung von Verstößen gegen Umsetzung des Tabakrahmenabkommens, die mit den
Protokollbestimmungen geregelt. Das Protokoll zielt europäischen und deutschen Interessen übereinstim-
auf eine umfassende Über­wachung der gesamten men und die gesundheitlichen Aspekte der Tabakkon­
Lieferkette für Tabaker­zeugnisse ab. Dazu wird jede trolle stärken. Der Beschluss zu E-Zigaretten nimmt
Verpackung (Zigaretten innerhalb von fünf Jahren, unter anderem auf den aktuellen WHO-Bericht zu den
andere Tabakerzeugnisse innerhalb von zehn Jahren) gesundheitlichen Risiken von E-Zigaretten und
mit einer eindeutigen Kennzeichnung (Code) nikotinfreien E-Zigaretten Bezug. Die Handlungsemp-
versehen, um den Lieferweg der Tabakerzeugnisse fehlungen im Beschlussentwurf richten sich vorrangig
rekonstruieren und um festzustellen zu können, an an Vertragsparteien, die noch keine Regulierungsmaß-
welchem Punkt der Lieferkette Tabakerzeugnisse nahmen getroffen haben.
entzogen wurden.
Seit der letzten Vertragsparteienkonferenz wurde in
Tabakwaren werden in der Bundesrepublik Deutsch- einer Arbeitsgruppe zu den Artikeln 9 und 10 der
land unter festgelegten Voraussetzungen produziert Tabakrahmenkonvention (Inhaltsstoffe von Tabaker-
und gehandelt. Nur entsprechend hergestellte zeugnissen) ein Leitlinienprozess vorangetrieben. Die
Tabakwaren sind verkehrsfähig und können mit Leitlinien enthalten wissenschaftlich basierte Maßnah-
einem deutschen Steuerzeichen in den Handel men, die die Vertragsparteien bei der Verringerung des
gelangen. Tabakkonsums durch Regelung der Inhaltsstoffe und
Emissionen von Tabakprodukten sowie deren Offenle-
Bei illegal hergestellten Tabak­waren gibt es keinerlei gung unterstützen sollen. Das Konzept zur Verringe-
Kontrollmechanismen im Herstellungs­prozess. Die rung der Attraktivität von Tabakerzeugnissen wurde
Einhaltung der nach deutschem Recht vorgesehenen erfolgreich weiterentwickelt und von Inhaltsstoffen
Vorgaben – beispielsweise zu Inhaltsstoffen und auf Produkteigenschaften und Designmerkmale
Höchstmengen – ist bisher nicht gewährleistet. Die übertragen. Zum Suchtpotenzial wird es weitere
Bundeszollverwaltung hat 2015 75 Millionen und Expertenkonsultationen geben. Im Hinblick auf die
2016 121 Millionen geschmuggelte Zigaretten in Umsetzung von Artikel 19 (Haftungsfragen) wurde
Deutschland sichergestellt. beschlossen, dass das Sekretariat der Konvention das
von einer Expertengruppe entwickelte Toolkit auf der
In Deutschland und Europa werden viele Regelun- WHO-FCTC-Informationsplattform zur Verfügung
gen des Protokolls bereits umgesetzt. Ziel des stellt und regelmäßig aktualisiert.
Protokolls ist es, diese Standards weltweit zu etablie-
ren. Das Protokoll wurde von der 5. Konferenz der Die Tabakrahmenkonvention (Framework Convention
Vertrags­parteien des Tabakrahmenübereinkommens on Tabacco Control) der WHO wurde als völkerrechtli-
am 12. November 2012 angenommen. Es tritt in cher Vertrag durch die 56. Weltgesundheitsversamm-
Kraft, wenn es 40 Vertragsparteien des Tabak­ lung 2003 beschlossen und trat 2005 in Kraft. 179 Ver-
rahmen­über­einkommens ratifiziert, angenommen,
genehmigt oder förmlich bestätigt haben oder ihm
beigetreten sind. Zum Inkrafttreten fehlen derzeit
noch 15 Länder.

3_Fakten, Trends und Politik


34

tragsparteien, darunter Deutschland und die EU, haben Ausgaben der Tabakindustrie für Werbung, ­
sich rechtlich an das Übereinkommen gebunden. Die Promotion und Sponsorship
Konvention umfasst Maßnahmen und Verpflichtungen
Gemäß Artikel 13 der Tabakrahmenkonvention
der Vertragspartner, die vor allem Herstellung, Wer-
(FCTC) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind
bung, Deklarierung und Verkauf von Tabakprodukten
die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Werbeausgaben
betreffen. Damit sollen Menschen besser vor den
der Tabakindustrie offenzulegen. Die Verbände und
Folgen des Tabakkonsums und des Passivrauchens
Firmen der Tabakindustrie teilen ihre Werbeaufwen-
geschützt werden. Die Tabakrahmenkonvention ist das
dungen nach Werbeträgern gegliedert und notariell
erste globale Gesundheitsübereinkommen und gilt für beglaubigt jährlich der Drogenbeauftragten der
rund 90 % der Weltbevölkerung. Bundesregierung mit.

Gemäß Artikel 13 der Tabakrahmenkonvention (FCTC)


der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind die
Mitgliedstaaten verpflichtet, die Werbeausgaben der Weiterlesen
Tabakindustrie offenzulegen.
Aktuelle Projekte zur Tabakprävention finden Sie in
Kapitel 6 „Projekte, Studien und Initiativen“.
Die Verbände und Firmen der Tabakindustrie teilen
ihre Werbeaufwendungen nach Werbeträgern geglie-
dert und notariell beglaubigt jährlich der Drogenbe-
auftragten der Bundesregierung mit.

TABELLE 01:
ZUSAMMENSTELLUNG DER JÄHRLICHEN TABAKWERBEAUSGABEN (IN 1.000 EURO, WERT JEWEILS GERUNDET)

2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015

Direkte Werbung 53.089 86.296 81.345 69.214 70.270 80.225 70.186 73.957 93.813
Werbung in 436 504 1.536 719 345 235 300 156 220
Printmedien
Außenwerbung 49.190 78.010 70.983 66.798 68.133 75.986 69.807 72.718 91.206
Werbung im Kino 2.065 1.512 2 1.216 1.785 3.950 78 1.080 2.383
Werbung im Internet 295 188 277 1 7 4 1 4 3
Sonstige Werbung 1.103 6.005 8.494 480 0 50 0 0 1
Keine Zuordnung 0 77 53 0 0 0 0 0 0
Promotion 72.646 102.792 137.495 127.105 122.887 135.397 128.944 116.557 133.091
Sponsorship 3.207 3.681 3.422 2.770 4.517 5.139 6.509 5.610 5.086
Gesamte 128.942 192.769 222.262 199.089 197.674 220.761 205.639 196.124 231.989
Werbeausgaben

Quelle: eigene Darstellung (basierend auf den Angaben der deutschen Tabakwirtschaft nach Art. 13 der Tabakrahmenkonvention)

3_Fakten, Trends und Politik


35 

2.2 Alkohol Trends


• Mit dem Epidemiologischen Suchtsurvey stehen für
Substanz und Wirkung 18- bis 59-jährige Erwachsene Trenddaten seit 1995
Chemisch betrachtet gibt es eine Vielzahl unterschied- zur Verfügung. Die 30-Tage-Prävalenz des Alkohol-
licher Alkohole, doch nur Ethanol ist für den Menschen konsums zeigt für beide Geschlechter einen parallel
in kleinen Mengen verträglich. Andere Alkohole wie abnehmenden Trend und weist nach einem Maxi-
Methanol oder Glycol sind schon in geringen Mengen mum im Jahr 2000 im Jahr 2015 mit 79,2 % und
hochgiftig. Trinkalkohol wird durch Vergärung von 70,4 % signifikant niedrigere Werte auf. Die Präva-
Zucker aus verschiedenen Grundstoffen gewonnen. lenzwerte der Frauen liegen durchgängig um etwa
Unter anderem werden Getreide, Früchte und Zucker- 10 Prozentpunkte unter denen der Männer.
rohr zu seiner Herstellung verwendet. Der Alkoholge-
halt der daraus entstehenden Getränke ist unterschied- Beim episodischen Rauschtrinken und der durch-
lich. schnittlichen Konsummenge nähern sich die Werte
von Männern und Frauen hingegen an. Während die
Alkohol verteilt sich über die Blutbahn im ganzen Prävalenz des episodischen Rauschtrinkens bei
Körper und erreicht schon nach Minuten das Gehirn, Männern seit 1995 von 47,5 % auf 36,7 % signifikant
wo eine ganze Reihe von Transmittersystemen zurückging, zeigt der Trend bei den Frauen nach
beeinflusst wird. Unter anderem wird Dopamin einem in den ersten Jahren parallelen Verlauf ab dem
freigesetzt, ein Neurotransmitter, der für das Beloh- Jahr 2000 eine signifikante Zunahme der Prävalenz
nungssystem eine wichtige Rolle spielt. Zudem wird von 13,0 % auf 16,1 %. Die Annäherung der Konsum-
die hemmende Wirkung des Neurotransmitters GABA mengen zwischen den Geschlechtern ist seit 1995 auf
verstärkt. Dies hat eine angstlindernde und beruhigen- eine deutliche Abnahme bei den Männern (1995:
de Wirkung zur Folge. Die erlebte Wirkung von 22,7 Gramm Reinalkohol pro Tag; 2015: 16,2 Gramm
Alkohol hängt dabei in erster Linie von der getrunke- pro Tag) zurückzuführen. Die durchschnittliche
nen Menge ab, aber auch von der körperlichen und Konsummenge der Frauen blieb im Beobachtungs-
seelischen Verfassung sowie der Gewöhnung. Der zeitraum auf geringerem Niveau nahezu konstant
Rauschzustand kann daher bei identischer Blutalko- (von 8,9 auf 8,5 Gramm pro Tag)
holkonzentration durchaus variieren. In geringen
Mengen hat Alkohol typischerweise eine enthemmen- Trotz eines insgesamt rückläufigen Alkoholkonsums
de Wirkung. Die Stimmung verbessert sich und die in der Allgemeinbevölkerung zählt Deutschland im
Kontaktfreudigkeit nimmt meist zu. Größere Mengen Vergleich zum weltweit geschätzten Durchschnitt
Alkohol führen jedoch zu massiven Wahrnehmungs- von 6,04 Litern pro Erwachsenem und Jahr mit
und Aufmerksamkeitsstörungen. Die Koordinations­ einem geschätzten Pro-Kopf-Konsum von 12,14
fähigkeit und Sprache werden zunehmend beein­ Litern zu den Hochkonsumländern (Shield et al.,
trächtigt. Schließlich stellen sich Müdigkeit und 2012).
Benommen­heit ein, die bei hohen Mengen Alkohol in
Bewusstlosigkeit und schließlich in einem Koma • Der regelmäßige Alkoholkonsum bei den Jugend­
münden. lichen und jungen Erwachsenen ist laut Drogenaffi-
nitätsstudie der BZgA im Zeitraum von 2001 bis 2015
rückläufig. Regelmäßiger Alkoholkonsum bedeutet,
mindestens einmal pro Woche Alkohol zu trinken.
Von den 12- bis 17-Jährigen geben aktuell 10,0 %
und von den 18- bis 25-Jährigen 33,6 % an, dass sie
regelmäßig Alkohol trinken (2005: 12- bis 17-Jährige:
18,6 %; 18- bis 25-Jährige: 40,5 %).

3_Fakten, Trends und Politik


36 

ABBILDUNG 08:
VERBREITUNG DES REGELMÄSSIGEN ALKOHOLKONSUMS BEI 12- BIS 17-JÄHRIGEN JUGENDLICHEN UND
18- BIS 25-JÄHRIGEN JUNGEN ERWACHSENEN INSGESAMT UND NACH GESCHLECHT VON 2001 BIS 2015

60

50
46,6
40

30 33,6

20
19,9
13,5
10 10,0
6,4
0
2001 2004 2005 2007 2008 2010 2011 2012 2014 2015 2001 2004 2005 2007 2008 2010 2011 2012 2014 2015

12- bis 17-Jährige männlich 18- bis 25-Jährige männlich


12- bis 17-Jährige insgesamt 18- bis 25-Jährige insgesamt
12- bis 17-Jährige weiblich 18- bis 25-Jährige weiblich Quelle: BZgA, 2016

Konsum und Prävalenzen des Rauschtrinkens in diesem Zeitraum. Bei den


– bei Erwachsenen Männern betrug der Anteil 46,5 Prozent, bei den
• Laut dem Epidemiologischen Suchtsurvey aus dem Frauen hingegen nur 21,6 Prozent. Unterschiedliche
Jahr 2015 gaben 72,5 % der befragten 18- bis 64-Jähri- Geschlechterverteilungen bei episodischem Rausch-
gen an, in den letzten 30 Tagen Alkohol getrunken zu trinken und beim Konsum riskanter Mengen deuten
haben. Im Vergleich zur Trendaussage ist bei diesem darauf hin, dass Männer häufiger als Frauen eine
Wert die Ausweitung der Befragtengruppe auf bis hohe Anzahl an Getränken zu einer Gelegenheit
64-Jährige zu berücksichtigen. trinken, was als besonders riskantes Trinkmuster
Den Konsum riskanter Mengen von Alkohol (bei einzuschätzen ist.
Frauen mehr als 12 Gramm bzw. bei Männern mehr
als 24 Gramm Reinalkohol pro Tag) gaben 21,4 % der • Mit der Studie GEDA 2014/2015-EHIS (Gesundheit in
Konsumenten an. Der Anteil an riskantem Konsum Deutschland aktuell 2014/2015-European Health
lag bei beiden Geschlechtern gleich hoch. Hochge- Interview Survey) des Robert Koch-Instituts (RKI)
rechnet auf die Bevölkerung zwischen 18 und wurden Frequenz und Menge des Alkoholkonsums
64 Jahren entspricht dies 7,8 Millionen Personen. bei Erwachsenen erfasst. Damit war es möglich, den
Mehr männliche als weibliche Konsumenten wöchentlichen Konsum von Reinalkohol in Gramm
berichteten episodisches Rauschtrinken (Konsum pro Tag zu berechnen. Zur Darstellung des Indikators
von mindestens 5 oder mehr alkoholischen Geträn- „wöchentlicher riskanter Alkoholkonsum“ wurde die
ken an einem der letzten 30 Tage). Von den Konsu- tägliche Trinkmenge von mehr als 10 Gramm
menten berichteten 35,0 % mindestens eine Episode Reinalkohol bei Frauen bzw. 20 Gramm Reinalkohol

3_Fakten, Trends und Politik


37 

ABBILDUNG 09:
ALKOHOLKONSUM VON FRAUEN UND MÄNNERN STRATIFIZIERT NACH ALTERSGRUPPEN

25

20

15

10

0
Gesamt 18–24 25–34 35–44 45–54 55–64 65+

Männer Frauen Quelle: RKI, GEDA 2014/2015-EHIS

bei Männern als riskant eingestuft. Diese Menge Hinsichtlich des Risikokonsums in verschiedenen
orientiert sich an den Empfehlungen des wissen- Sozialstatusgruppen zeigt sich in der GEDA 2014/2015-​
schaftlichen Kuratoriums der DHS (Deutsche EHIS-Studie das aus anderen Erhebungen bekannte
Hauptstelle für Suchtfragen e. V.) zu Grenzwerten für Bild: Bei Frauen ist die Prävalenz des Risikokonsums
den Konsum alkoholischer Getränke. Zur Bestim- in der hohen Sozialstatusgruppe am höchsten. Bei
mung des sozioökonomischen Status wurden Männern lässt sich keine eindeutige Tendenz des
Bildung, Beruf und Einkommen berücksichtigt. Risikokonsums nach Sozialstatusgruppen feststellen.
18,2 % der über 18-jährigen Männer und 13,8 % der Dieses Bild differenziert sich, wenn zum Sozialstatus
über 18-jährigen Frauen sind Risikokonsumenten auch das Alter betrachtet wird. In der Altersgruppe
entsprechend der Definition der Studie. Eine 18 bis 29 Jahre ist der Anteil der männlichen Risiko-
Betrachtung nach Altersgruppen und Geschlecht konsumenten in der niedrigsten Sozialstatusgruppe
zeigt, dass in der Altersgruppe 25 bis 44 Jahre der am höchsten. Bei Frauen dieses Alters zeigen sich
Anteil der Risikokonsumenten bei Männern am dagegen keine eindeutigen Unterschiede im Anteil der
niedrigsten ist. Die höchste Prävalenz des Risiko­ Risikokonsumentinnen. Bei den über 65-Jährigen ist
konsums weisen 55- bis 64-jährige Männer auf. Bei bei Frauen und Männern die Prävalenz des Risikokon-
Frauen findet sich die höchste Prävalenz in der sums in der hohen Sozialstatusgruppe am höchsten.
Altersgruppe 45 bis 54 Jahre, die niedrigste in der In der Altersgruppe 45 bis 64 Jahre ist bei Frauen die
Altersgruppe 25 bis 34 Jahre. höchste Prävalenz in der hohen Statusgruppe zu
beobachten, bei Männern dagegen unterscheidet sich

3_Fakten, Trends und Politik


38 

ABBILDUNG 10:
ALKOHOLKONSUM VON FRAUEN UND MÄNNERN STRATIFIZIERT NACH ALTERS- UND SOZIALSTATUSGRUPPEN

%
40

30

20

10

0
Hoch

Hoch

Hoch

Hoch

Hoch
Gesamt

Niedrig

Mittel

18–29 Jahre

Niedrig

Mittel

30–44 Jahre

Niedrig

Mittel

45–64 Jahre

Niedrig

Mittel

65+ Jahre

Niedrig

Mittel
Männer Frauen Quelle: RKI, GEDA 2014/2015-EHIS

die Prävalenz nicht in den Statusgruppen. In der und 18- bis 25-jährigen jungen Erwachsenen anhand
Altersgruppe der 30- bis 44-Jährigen zeichnet sich bei verschiedener Merkmale. Von den 12- bis 17-jährigen
Frauen der Zusammenhang mit dem sozialen Status Jugendlichen haben 68,0 % schon einmal Alkohol
bereits ab, bei Männern gibt es dagegen keine Unter- getrunken (Lebenszeitprävalenz des Alkoholkonsums)
schiede im Konsum nach Statusgruppen. bzw. ein Drittel aller Jugendlichen (32,0 %) noch nie.
Etwa jeder zehnte Jugendliche (10,9 %) und jeder dritte
Die Ergebnisse des Epidemiologischen Suchtsurveys junge Erwachsene (33,7 %) konsumiert regelmäßig –
und der GEDA-Studie weisen Unterschiede auf. Dies ist also mindestens einmal in der Woche – Alkohol.
in den unterschiedlichen Methodiken der Studien Ungefähr jeder zwanzigste Jugendliche (4,5 %) und
begründet. Für die Definition riskanten Alkoholkon- jeder siebte junge Erwachsene (14,2 %) konsumiert so
sums werden beispielsweise leicht unterschiedliche viel Alkohol, dass die Grenzwerte für den riskanten
Grenzwerte verwendet. Obgleich einzelne Angaben Konsum Erwachsener überschritten werden.
variieren, bleiben die grundsätzlichen Aussagen zum
Alkoholkonsum bezogen auf Geschlecht, Alter und 14,1 % der 12- bis 17-jährigen Jugendlichen haben in
Sozialstatus davon unberührt. den letzten 30 Tagen an mindestens einem Tag einen
Alkoholrausch gehabt (Jungen: mindestens fünf Gläser
– bei Jugendlichen Alkohol hintereinander; Mädchen: mindestens vier
Die Drogenaffinitätsstudie der BZgA untersucht den Gläser). Häufiges Rauschtrinken, also Rauschtrinken an
Alkoholkonsum der 12- bis 17-jährigen Jugendlichen mindestens vier der letzten 30 Tage, ist bei 2,9 % der

3_Fakten, Trends und Politik


39 

Jugendlichen gegeben. Bei zwei von fünf jungen und 2012 unter Einbeziehung von Krankheiten, die
Erwachsenen (18 bis 25 Jahre) (38,2 %) kam an mindes- nicht vollständig, aber maßgeblich auf Alkohol
tens einem der letzten 30 Tage Rauschtrinken vor. Bei zurückzuführen sind, zeigten ebenfalls eine Zunahme
9,7 % der jungen Erwachsenen ist häufiges Rauschtrin- der Krankenhausbehandlungen. Relativ zur Gesamt-
ken festzustellen. morbidität (alle Krankenhausfälle) blieb der Anteil der
alkoholbezogenen Morbidität jedoch konstant. Im
Die Geschlechtergruppen unterscheiden sich in der gleichen Zeitraum zeigte sich hingegen eine Abnahme
Verbreitung des regelmäßigen Konsums, des Rausch- der Rate der Sterbefälle. Die maßgeblich auf Alkohol-
trinkens und im Fall der jungen Erwachsenen auch im konsum zurückzuführende Mortalität ging zwischen
Konsum gesundheitlich riskanter Alkoholmengen. 2006 und 2012 insgesamt, aber auch in Bezug zur
Stärkerer Alkoholkonsum ist bei männlichen Befragten Gesamtmortalität zurück.
weiter verbreitet als bei weiblichen.
Neben Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit sind
Gesundheitliche Folgen des Konsums akute Risiken in erster Linie eine Folge höherer
In einer aktuellen Studie zu alkoholbezogener Morbi- Trinkmengen. Ab etwa 1 Promille spricht man vom
dität und Mortalität in Deutschland (Kraus et al., 2015) Rauschstadium. Das räumliche Sehen und die Orien-
wurde eine Zunahme der Krankenhausfälle in Bezug tierung verschlechtern sich, die Reaktionsfähigkeit
auf vollständig auf Alkohol zurückzuführende Fälle seit wird erheblich gestört. Die Risikobereitschaft steigt,
1995 bzw. 2000 berichtet. Vergleiche zwischen 2006 während das Urteilsvermögen herabgesetzt wird.

ABBILDUNG 11: ABBILDUNG 12:


MERKMALE DES ALKOHOLKONSUMS BEI 12- BIS MERKMALE DES ALKOHOLKONSUMS BEI 18- BIS
17-JÄHRIGEN JUGENDLICHEN INSGESAMT UND NACH 25-JÄHRIGEN JUNGEN ERWACHSENEN INSGESAMT
GESCHLECHT IM JAHR 2015 UND NACH GESCHLECHT IM JAHR 2015

% %

100 100

80 80

60 60

40 40

20 20

0 0
Lebenszeit- Regel- Riskante 30-Tage- Häufiges Lebenszeit- Regel- Riskante 30-Tage- Häufiges
Prävalenz mäßiger Konsum- Prävalenz Rausch- Prävalenz mäßiger Konsum- Prävalenz Rausch-
Konsum mengen Rauschtrinken trinken Konsum mengen Rauschtrinken trinken

  Gesamt   Männlich  Weiblich   Gesamt   Männlich  Weiblich

Quelle: BZgA, 2016 Quelle: BZgA, 2016

3_Fakten, Trends und Politik


40 

Dadurch kommt es im Alkoholrausch häufig zu In den westlichen Industrienationen ist Alkohol für
Unfällen, oft durch leichtsinniges Verhalten. Besonders rund die Hälfte aller Zirrhosen verantwortlich. Bei
im Straßenverkehr hat Alkoholkonsum oft schwerwie- langjährigem Alkoholismus ist die Leberzirrhose mit
gende, vergleichsweise häufig auch tödliche Unfälle zur ihren Komplikationen die häufigste Todesursache.
Folge.
Erschwerend kann bei allen Formen von Lebererkran-
Aufgrund der enthemmenden Wirkung neigen kungen eine Alkoholhepatitis hinzukommen. Das ist
manche Menschen unter dem Einfluss von Alkohol eine durch Alkohol hervorgerufene Entzündung der
auch zu aggressivem Verhalten und Gewalt. Alkoholi- Leber. Langjähriger Alkoholmissbrauch gilt zudem als
sierte Personen sind jedoch nicht nur Täter, sondern ein Risikofaktor für Leberkrebs und andere Krebser-
häufiger auch Opfer von Gewalt. krankungen, worunter vor allem Mund-, Rachen- und
Speiseröhrenkrebs sowie Brustkrebs bei Frauen fallen.
Besonders extreme Formen des Rauschtrinkens
werden als „Komasaufen“ bezeichnet, womit eine Fetale Alkoholspektrumstörungen (FASD)
mögliche Folge des exzessiven Alkoholmissbrauchs Der Konsum von Alkohol in der Schwangerschaft kann
genannt ist. Ab etwa 3 Promille droht Bewusstlosigkeit. einen erheblichen Einfluss auf die Gesundheit des
Der Körper unterkühlt sehr schnell, Schutzreflexe Kindes und negative Folgen für seine weitere Entwick-
werden ausgeschaltet. Schließlich kann sich ein lung haben. Es lässt sich keine valide Feststellung über
lebensgefährlicher Atemstillstand einstellen, wenn eine unbedenkliche Alkoholmenge in der Schwanger-
nicht umgehend Notfallmaßnahmen eingeleitet schaft treffen. In der Konsequenz sollte auf Alkohol
werden. während der Schwangerschaft gänzlich verzichtet
werden. „Punktnüchternheit in Schwangerschaft und
Alkohol verteilt sich durch die Blutbahn im ganzen Stillzeit“ ist daher ein wichtiges Ziel der Nationalen
Körper. Länger andauernder Alkoholmissbrauch kann Strategie zur Drogen- und Suchtpolitik.
daher beinahe alle Organe schädigen. Neben ver-
schlechterten Konzentrations- und Gedächtnisleistun- Untersuchungen zeigen, dass ältere Frauen, Frauen mit
gen kommt es auch zu Persönlichkeitsveränderungen. höherem sozialem Status, Frauen ohne Migrationshin-
Im fortgeschrittenen Stadium werden sowohl das tergrund, alleinstehende Frauen und Frauen, die bereits
zentrale als auch das periphere Nervensystem erheb- vor der Schwangerschaft regelmäßig Alkohol getrun-
lich beschädigt. Es kann auch zum Korsakow-Syndrom, ken haben, häufiger während einer Schwangerschaft
einer Demenzerkrankung, kommen, bei der Betroffene Alkohol trinken. Das Risiko von gesundheitlichen
sich keine neuen Informationen mehr merken können. Beeinträchtigungen des Kindes wird zudem dadurch
verstärkt, dass Frauen mit riskantem Alkoholkonsum
Eine typische Folge chronischen Alkoholkonsums sind auch häufiger rauchen.
Veränderungen der Leber, die beim Abbau von Alkohol
die Hauptlast zu tragen hat. Zunächst schwillt die Leber Schätzungen gehen davon aus, dass pro Jahr etwa
durch Fetteinlagerungen an, eine Alkoholfettleber 10.000 Babys in Deutschland mit alkoholbedingten
entsteht. Daraus kann sich eine Leberfibrose entwi- Folgeschäden geboren werden, davon 2.000 mit
ckeln, die durch Einlagerung von Bindegewebe schweren Beeinträchtigungen. Alle Formen dieser
gekennzeichnet ist. Bei fortgesetztem Alkoholkonsum vorgeburtlichen Schädigungen werden unter dem
ist die Leberfibrose meist ein Übergangsstadium zur Begriff FASD (Fetal Alcohol Spectrum Disorder = Fetale
Leberzirrhose. Dabei werden Leberzellen zu funktions- Alkoholspektrumstörungen) zusammengefasst. Die
unfähigem Stützgewebe umgebaut, womit die Leber schwerste Form der Schädigung wird als Fetales
einen Teil ihrer Fähigkeit, das Blut zu reinigen, verliert. Alkoholsyndrom (FAS) bezeichnet.

3_Fakten, Trends und Politik


41 

Der Embryo ist über Nabelschnur und Plazenta mit praktische Unterstützung. Die Broschüre wurde in
dem Blutkreislauf der Mutter verbunden. Neben diesem Jahr aktualisiert und kann über die Webseite
Nährstoffen kommen so auch Giftstoffe wie Alkohol der Drogenbeauftragten bezogen werden.
beim Ungeborenen an. Der Abbau des Alkohols beim Auf Initiative der Drogenbeauftragten wurde FASD in
Embryo dauert erheblich länger als bei der Mutter, da die zweite Auflage des Nationalen Aktionsplans zur
die Leber des ungeborenen Kindes noch nicht vollstän- Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention
dig entwickelt ist. In jeder Phase der Schwangerschaft aufgenommen (NAP 2.0).
kann es durch Alkoholkonsum zu Schädigungen des
Kindes kommen. Zu den auftretenden Beeinträchti- Zur Verbesserung der Situation der Kinder und
gungen zählen: Erwachsenen mit FAS/FASD sollen verschiedene
Projekte mit dem Ziel einer umfassenden Teilhabe am
• körperliche Fehlbildungen gesellschaftlichen Leben und an einer zielgerichteten
• Wachstums- und Entwicklungsstörungen medizinischen Versorgung durchgeführt werden. So
• Schädigungen von Gehirn und Nervensystem sind beispielsweise Expertengespräche zur Bündelung
• Verhaltensauffälligkeiten wie zum Beispiel weiterer Vorhaben zur Verbesserung der Situation von
Aufmerksamkeitsstörungen FAS/FASD-Betroffenen vorgesehen.
• Intelligenzminderung
• Auffälligkeiten im Gesichtsbereich (bei FAS) Besonderes Augenmerk liegt auf der Prävention, damit
die Risiken von Alkoholkonsum in der Schwanger-
Teilweise werden die Beeinträchtigungen erst im schaft bekannter werden und möglichst kein Alkohol
Verlauf der Kindheit deutlich. Betroffene brauchen oft in der Schwangerschaft konsumiert wird. Eine von TNS
auch als Erwachsene noch besondere Fürsorge und Infratest 2014 durchgeführte Umfrage ergab: Immer-
Unterstützung. hin 85 % gaben an, dass Alkohol in der Schwanger-
schaft generell problematisch ist. Jedoch wussten 44 %
Eine frühe, korrekte Diagnose von alkoholbedingten der Bevölkerung nicht, dass Alkoholkonsum in der
Schädigungen ist wichtig, um die betroffenen Kinder Schwangerschaft zu lebenslangen Behinderungen
und Jugendlichen adäquat zu fördern. Auch die führen kann.
Familien der Betroffenen – häufig leben die Kinder bei
Pflege- oder Adoptiveltern – können dann besser mit Das Bundesministerium für Gesundheit und die
den Besonderheiten des Kindes umgehen. Mit der vom Drogenbeauftragte fördern Projekte, die Jugendliche
Bundesministerium für Gesundheit geförderten über die Gefahren von Alkoholkonsum in der Schwan-
Entwicklung einer S3-Leitlinie, die 2016 vorgestellt gerschaft informieren und aufklären sowie werdende
wurde, soll die Diagnostik verbessert werden. Eltern bei der Umsetzung der Alkoholabstinenz
während Schwangerschaft und Stillzeit unterstützen.
Die Drogenbeauftragte hat FASD zu einem ihrer
Schwerpunktthemen gemacht, um stärker auf die Volkswirtschaftliche Folgen
besonderen Bedürfnisse der Betroffenen und ihrer Die Summe aus direkten und indirekten Kosten des
Familien aufmerksam zu machen. Dazu zählt auch, das Alkoholkonsums in Deutschland wird je nach Berech-
Wissen über FASD in medizinischen und sozialen nungsansatz auf 26 bis 40 Milliarden Euro jährlich
Berufen zu vergrößern. Das Fetale Alkoholsyndrom ist geschätzt (Adams & Effertz, 2011; Effertz, 2015).
in Deutschland im Vergleich zu anderen Behinderun-
gen relativ unbekannt, auch bei Ämtern und Behörden. Gemäß den Ergebnissen einer Studie zu den medizini-
Mit einer Broschüre, in der sozialrechtliche Fragen schen Kosten schädlichen Alkohol- und Tabakkonsums
bezüglich FASD beantwortet werden, erhalten Familien in Deutschland anhand von GKV-Routinedaten

3_Fakten, Trends und Politik


42 

verursacht der schädliche Alkoholkonsum für die ABBILDUNG 13:


gesetzliche Krankenversicherung pro Quartal und Fall BEWILLIGTE ENTWÖHNUNGSBEHANDLUNGEN
Kosten in Höhe von zwischen 660 und 800 Euro NACH ART DER LEISTUNG
(Effertz, Verheyen, & Linder, 2014).
Alkoholabhängigkeit: 28.252
Die volkswirtschaftlichen Gesamtunfallkosten für
63,8 % Medikamenten­
Unfälle unter Alkoholeinfluss betrugen in den Jahren 1,5 % abhängigkeit: 649
2010–2014 insgesamt 7,77 Milliarden Euro. Dabei
wurden als Berechnungsgrundlage die Anzahl der Stationär:
44.303
Unfälle und Verunglückten unter Alkoholeinfluss laut
amtlicher Statistik des Statistischen Bundesamtes und
die jährlichen Unfallkostensätze laut Berechnungs­ 34,8 % Drogenabhängigkeit: 15.402
modell der Bundesanstalt für Straßenwesen heran­
gezogen. Die aktuellsten Kostensätze und detaillierte
Unfallzahlen liegen zurzeit für das Jahr 2014 vor.

Behandlung Medikamenten­­
1,1 % abhängigkeit: 151

Rehabilitation durch die Rentenversicherung Ambulant:


13.172
Alkoholabhängigkeit ist nach wie vor der mit Abstand
häufigste Grund für eine Entwöhnungsbehandlung 19,6 % Drogenabhängigkeit: 2.583
durch die Rentenversicherung. 79,2 %
Alkoholabhängigkeit: 10.438
Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) hat im Jahr
2016 insgesamt 57.475 Entwöhnungsbehandlungen Quelle: DRV 2016
(einschließlich ambulanter Rehabilitation, ohne
Nachsorge) für ihre Versicherten bewilligt. Davon
entfielen 67,3 % auf die Indikation Alkoholabhängigkeit.

Die Zahlen aus der Reha-Antrags- und Erledigungssta- Prävention von Alkoholmissbrauch
tistik der Deutschen Rentenversicherung für 2016 sind
Eines der wichtigsten Ziele der Gesundheitspolitik
nicht direkt mit den Zahlen aus den Vorjahren ver-
der Bundesregierung ist es, den missbräuchlichen
gleichbar, da zum 1. Januar 2015 statistische Änderun-
Alkoholkonsum zu reduzieren. Dabei sind in den
gen vorgenommen wurden. Es werden nur noch letzten Jahren einige Erfolge erzielt worden. Der
Anträge und Bewilligungen für Hauptleistungen Alkoholkonsum ist insgesamt betrachtet rückläufig,
dargestellt. Bei Adaptionen und Nachsorgeleistungen gerade Jugendliche und junge Erwachsene trinken
handelt es sich nicht um Haupt- sondern Folgeleistun- weniger.
gen. Es wird nunmehr konsequent zwischen Haupt-
und Folgeleistungen in der Statistik unterschieden. In der Alkoholprävention setzt die Bundesregierung auf
Damit erfolgt eine einheitliche statistische Behandlung langfristige und nachhaltig konzipierte Präventionsan-
aller Folgeleistungen. Allerdings ergibt sich dadurch gebote und gezielte Informationen, die wirken. Wichtig
ein Bruch in der Zeitreihenkontinuität der Auswer- ist der frühe Beginn mit Präventionsaktivitäten.
tungsergebnisse der Reha-Antrags- und Erledigungs-
Ausgewählte und aktuelle Maßnahmen der Alkohol­
statistik der DRV. Die Mengen der Hauptleistungen der
prävention werden in Kapitel 6 „Projekte, Studien,
Entwöhnungsbehandlungen vor und nach der Umstel-
Initiativen“ vorgestellt.
lung sind deshalb nicht systematisch vergleichbar.

3_Fakten, Trends und Politik


43 

2.3 Medikamente störungen, Epilepsie sowie – wobei dem viele Jahre


dafür vorrangig eingesetzten Medikament Tetrazepam
Substanz und Wirkung im Jahr 2013 die Zulassung entzogen wurde – auch
Eine Reihe von in Deutschland verkehrs- und ver- Muskelverspannungen. Den Benzodiazepinen ist eine
schreibungsfähigen Medikamenten besitzt ein Abhän- Reihe von Nebenwirkungen wie beispielsweise
gigkeits- bzw. Missbrauchspotenzial. Letzteres lässt sich tagsüber auftretende Müdigkeit, Schwindel, Kopf-
auf nahezu alle Medikamente und Substanzen bezie- schmerzen oder die mit erhöhter Sturzgefahr verbun-
hen, die nicht bestimmungsgemäß – sei es außerhalb dene Muskelschwäche und Ataxie zu eigen. Problema-
des Indikationsgebiets, über die verschriebene Dosis tisch ist, dass als unerwünschte Wirkungen,
oder Verordnungsdauer hinaus oder in einer anderen insbesondere nach längerem Gebrauch, paradoxe
als der bestimmungsgemäßen Applikationsform – ein- Symptome wie zum Beispiel Ruhelosigkeit, Erregung
genommen werden. Dabei handelt es sich meistens um und Depressionen auftreten können, die den Ur-
(nicht opioidhaltige) Schmerzmittel, Hormonpräpara- sprungssymptomen, gegen die Benzodiazepine
te, Appetitzügler, Diuretika oder andere Arten von eingesetzt werden, ähneln. In Deutschland unterliegen
Substanzen (zum Beispiel Vitamine und Nahrungser- Benzodiazepine als verkehrs- und verschreibungsfähi-
gänzungsmittel), die zur körperlichen oder psychi- ge Medikamente dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG,
schen Leistungssteigerung benutzt werden. Im Anlage 3). Je nach Packungsgröße und Höchstmenge
Folgenden geht es jedoch um die nähere Betrachtung an Wirkstoffgehalt sind aber Verordnungen auf
von Medikamenten, von denen man bei längerem oder normalen GKV- und Privatrezepten erlaubt.
nicht bestimmungsgemäßem Gebrauch abhängig
(nach den Kriterien der Klassifikation psychischer Von den Z-Substanzen (Benzodiazepinrezeptoragonis-
Störungen des ICD-10) werden kann. ten, auch Non-Benzodiazepine genannt) wie Zolpidem,
Zopiclon und Zaleplon, deren übergeordnete Bezeich-
In erster Linie sind hier Benzodiazepine und Z-Sub­ nung sich aus dem gemeinsamen Anfangsbuchstaben
stanzen aus der Gruppe der Schlaf- und Beruhigungs- ableitet, wurde anfangs – nach ihrer Zulassung in den
mittel zu nennen. Fachgerecht verordnet, handelt es 1990er-Jahren – postuliert, dass der Gebrauch nicht zu
sich bei Benzodiazepinen und Z-Substanzen um einer Abhängigkeit führen würde. Mittlerweile gilt dies
hochwirksame Medikamente, die bei einem sachge- als widerlegt, und es ist davon auszugehen, dass sie
rechten kurzfristigen Gebrauch sicher einsetzbar sind. über ein ähnliches Abhängigkeitspotenzial verfügen
wie Benzodiazepine. Z-Substanzen werden fast
Dem Großteil der Benzodiazepine ist gemein, dass sie ausschließlich zur Behandlung von Schlafstörungen
auch angstlösend (anxiolytisch) wirken, was in Bezug eingesetzt. Die Nebenwirkungen entsprechen in etwa
auf das Sucht- oder Abhängigkeitspotenzial eine denen der Benzodiazepine. Von den genannten
besondere Bedeutung hat. Aufgrund des breiteren Z-Substanzen ist Zolpidem der Anlage 3 des BtMG
Wirkspektrums werden Benzodiazepine für verschie- unterstellt. Auch hier gelten hinsichtlich Packungs­
dene Indikationen eingesetzt bzw. verschrieben. Neben größe und Wirkstoffmenge Ausnahmen. Aufgrund des
Schlafstörungen betrifft dies Anspannungs-, Erre- Abhängigkeitspotenzials sollten Benzodiazepine und
gungs- und Unruhezustände (auch vor chirurgischen Z-Substanzen nur nach der sogenannten „4-K-Regel“
und diagnostischen Eingriffen), Angst- und Panik­ angewendet werden.

3_Fakten, Trends und Politik


44 

4-K-Regel vornehmlich zur Behandlung von ADHS (und Narko-


lepsie) eingesetzt werden. Das unter ihnen bekannteste
Medikamente, insbesondere solche mit einem
und in Deutschland am meisten verschriebene
Abhängigkeitspotenzial, sollten immer entsprechend
Medikament ist Methylphenidat. Weitere gegen ADHS
der folgenden Faustregel (4-K-Regel) eingenommen
(Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung)
werden:
• klare Indikation (Verordnung nur bei klarem verordnete Medikamente sind das erst seit wenigen
Grund der medikamentösen Therapie und bei Jahren in Deutschland zugelassene Lisdexamfetamin
Aufklärung über das bestehende Abhängig­ und das nicht den Psychostimulanzien zuzuordnende,
keitspotenzial) aber hier der Vollständigkeit halber mit aufgeführte
• korrekte Dosierung (Verschreibung kleinster Atomoxetin. Den amphetaminhaltigen Medikamenten
Packungsgrößen, für die Krankheit angezeigte ist aufgrund ihrer anregenden, müdigkeitsunterdrü-
Dosierung) ckenden sowie konzentrations- und leistungsfördern-
• kurze Anwendung (Dauer der Behandlung den Wirkung gemein, dass sie ein hohes Missbrauchs-
vereinbaren, sorgfältige Überprüfung der und Abhängigkeitsrisiko aufweisen. Sie haben zum Teil
Weiterbehandlung)
ausgeprägte Nebenwirkungen wie Appetitlosigkeit,
• kein schlagartiges Absetzen des Medikaments
Schlafstörungen und Kopfschmerzen bis hin zu
Blutdruckanstieg und Herzrhythmusstörungen sowie
Verhaltensrisiken, die mit einer erhöhten Aggressivität
Als eine weitere Gruppe von Medikamenten mit und Enthemmtheit (und einem verringerten Schmerz-
Abhängigkeitspotenzial sind Opioid-Analgetika zu empfinden) einhergehen. Methylphenidat und
nennen. Medikamente dieser Wirkstoffklasse werden Dexamphetamine sind in Deutschland dem BtMG
zur Behandlung starker und chronischer Schmerzen unterstellt.
eingesetzt, wie sie zum Beispiel im fortgeschrittenen
Stadium von Krebserkrankungen auftreten. In beson- Trends
derer Darreichungsform werden diese Substanzen Veränderungen in der Arzneimitteleinnahme 18- bis
auch in der Substitutionsbehandlung Opioidabhängi- 59-Jähriger lassen sich anhand der Daten des Epide-
ger angewendet. Diese Medikamente haben nicht nur miologischen Suchtsurvey (ESA) bis 1995 zurückverfol-
schmerzbekämpfende, sondern auch dämpfende, gen. Die Prävalenzwerte des wöchentlichen Schmerz-
beruhigende und teilweise euphorisierende Eigen- mittelgebrauchs nahmen seit dieser Zeit bei Männern
schaften. Sie sind in der Regel gut verträglich, als von 9,6 % auf 14,6 % und bei Frauen von 14,3 % auf
häufigste Nebenwirkungen sind neben der sedierenden 21,2 % zu. Im Unterschied dazu sank die Prävalenz des
Wirkung Verstopfung, Übelkeit und Schläfrigkeit zu wöchentlichen Gebrauchs von Schlaf-/Beruhigungs-
nennen. Ferner bergen sie bei nicht sachgemäßem mitteln von 4,6 % auf 1,9 % bei Männern und von 6,4 %
Gebrauch das Risiko einer tödlichen Überdosierung. auf 3,5 % bei Frauen. Der klinisch relevante bzw.
Aufgrund ihrer psychotropen Eigenschaften verfügen problematische Medikamentengebrauch ist bei den
die Opioid-Analgetika über ein besonders hohes 18- bis 59-Jährigen seit dem Jahr 2000 bei beiden
Abhängigkeitsrisiko. Abgesehen von einigen schwach Geschlechtern angestiegen, von 2,6 % auf 3,6 % bei
wirksamen Opioiden unterliegen fast alle Opioid- Männern und von 4,1 % auf 5,5 % bei Frauen.
Analgetika dem BtMG.
Konsum und Prävalenzen
In der ärztlichen Verschreibung nicht ganz so verbrei- – bei Erwachsenen
tet wie die zuvor genannten Substanzen, aber ebenfalls Auf Basis der Daten des Epidemiologischen Sucht­
mit der Gefahr der Abhängigkeitsentwicklung verbun- survey 2015 kann davon ausgegangen werden, dass
den, sind Amphetamine sowie deren Abkömmlinge, die 47,1 % der 18- bis 64-Jährigen in den letzten 30 Tagen

3_Fakten, Trends und Politik


45 

Schmerzmittel einnahmen. Seltener wurden Antide- 2.4 Illegale Drogen


pressiva (4,9 %), Schlaf-/Beruhigungsmittel (5,2 %),
Neuroleptika (1,3 %), Anregungsmittel (0,7 %) und Überblick
Appetitzügler (0,3 %) genutzt. Verglichen mit anderen Der regelmäßige Konsum illegaler Drogen kann mit
psychoaktiven Substanzen zeigte sich für Arzneimittel schwerwiegenden Gesundheitsgefahren verbunden
ein umgekehrtes Geschlechterverhältnis mit einem sein. Diese sind zum einen auf die Wirkung der
häufigeren Konsum unter Frauen. Während der Substanzen selbst und zum anderen auf mit dem
Gebrauch von Schlaf-/Beruhigungsmitteln und Konsum einhergehende Umstände wie beispielsweise
Antidepressiva mit dem Alter anstieg, wurden Spritzengebrauch oder mangelnde Gesundheitsfür­
Schmerzmittel im mittleren Erwachsenenalter am sorge zurückzuführen. Nach Angaben der Weltgesund-
häufigsten eingenommen. heitsorganisation (WHO) zählt der Drogenkonsum in
Ländern mit einem hohen Volkseinkommen zu den
Betrachtet man den täglichen Gebrauch der Arzneimit- zehn wichtigsten Risikofaktoren für durch Krankheit
telgruppen in den letzten 30 Tagen bei den Personen, verlorene Lebensjahre.
die die entsprechenden Substanzen eingenommen
haben, wurden Schmerzmittel am seltensten täglich Die Häufigkeit des Konsums illegaler Drogen wird über
eingenommen (8,6 %). Am weitesten verbreitet war der repräsentative Bevölkerungsumfragen gemessen.
tägliche Gebrauch unter Konsumenten von Neuro­ Dabei wird unterschieden, ob die Befragten mindes-
leptika (91,3 %) und Antidepressiva (87,5 %). Einen tens einmal in ihrem Leben (Lebenszeitprävalenz,
klinisch relevanten bzw. problematischen Konsum auf Drogenerfahrung) oder in den 12 Monaten vor
Basis des Kurzfragebogens zum Medikamentenge- der Befragung (12-Monats-Prävalenz, aktueller
brauch (KFM) wiesen 6,0 % der 18- bis 64-jährigen Konsum) Drogen konsumiert haben.
Frauen und 4,5 % der gleichaltrigen Männer auf. Dies
entspricht einer geschätzten Gesamtzahl von 2,65 Für Substanzen mit bewusstseinsverändernder
Millionen Personen mit medikamentenbezogenen Wirkung (psychotrope oder psychoaktive Substanzen)
Problemen in Deutschland. Im Vergleich zur Trendaus- gelten gesetzliche Beschränkungen. Das Betäubungs-
sage ist bei diesen Werten die Ausweitung der Befrag- mittelgesetz (BtMG) begrenzt den Einsatz einiger
tengruppe auf bis 64-Jährige zu berücksichtigen. Betäubungsmittel auf medizinisch-therapeutische
Anwendungen, etwa in der Schmerzmedizin, und
Behandlung verbietet andere grundsätzlich. Dem BtMG unterliegen
Opioide (wie Morphin und Heroin), Kokain, Cannabis
Rehabilitation durch die Rentenversicherung (Marihuana, Haschisch), Amphetamine (wie Crystal
Die Deutsche Rentenversicherung hat 2016 800 Ent- Meth) und Halluzinogene (etwa LSD).
wöhnungsbehandlungen (stationär und ambulant)
aufgrund von Medikamentenabhängigkeit bewilligt Da mit dem BtMG nur einzelne Substanzen verboten
(siehe Abbildung 13). werden können, stellt die Bekämpfung der neuen
psychoaktiven Stoffe (NPS) eine besondere Heraus­
forderung dar. Durch kleinste Veränderungen an der
Weiterlesen chemischen Struktur einer Substanz war diese dem
BtMG nicht mehr unterstellt und neue gefährliche
Aktuelle Projekte zu Medikamenten finden Sie in
Substanzen konnten legal auf den Markt gebracht
Kapitel 6 „Projekte, Studien und Initiativen“.
werden. Darum wurden die oft als „Kräutermischun-
gen“ oder „Badesalze“ bezeichneten Stoffe auch Legal

3_Fakten, Trends und Politik


46 

Highs genannt. Diese rechtliche Grauzone ist nun Behandlung


weitgehend beseitigt. Mit dem am 26. November 2016 Die Zahlen zur Aufnahme einer Behandlung aufgrund
in Kraft getretenen Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz primärer Opioidprobleme sind weiterhin rückläufig.
(NpSG) werden erstmals in Deutschland ganze Stoff- Dieser Trend lässt sich sowohl für den stationären als
gruppen verboten, welche eine Vielzahl von Einzelsub- auch den ambulanten Behandlungsbereich bestätigen.
stanzen umfassen. Im Gegensatz dazu zeigt sich sowohl im stationären als

TABELLE 02:
HAUPTDIAGNOSEN BEI AMBULANTER BEHANDLUNG (DSHS AMBULANT)

Hauptdiagnose schädlicher Gebrauch/ Alle Behandelten (%) Erstbehandelte (%)


Abhängigkeit von

(ICD10: F1x.1/F1x.2x) Männer Frauen Gesamt Männer Frauen Gesamt


Opioide 32,4 36,9 33,4 12,0 14,4 12,5
Cannabinoide 44,0 30,7 41,2 63,3 46,4 59,8
Sedativa/Hypnotika 1,1 5,3 2,0 1,0 4,9 1,8
Kokain 6,3 3,7 5,8 5,9 3,7 5,5
Stimulanzien 14,2 21,4 15,8 16,3 28,8 18,9
Halluzinogene 1,6 0,1 0,2 0,2 0,1 0,2
Flüchtige Lösungsmittel 0,0 0,1 0,1 0,0 0,2 0,1
Multiple/andere Substanzen 1,7 1,7 1,7 1,3 1,5 1,3

Gesamt (Anzahl) 56.576 15.303 71.955 18.643 4.779 23.435

Quelle: Reitox-Workbook Behandlung 2015/2016


TABELLE 03:
STATIONÄR BETREUTE PATIENTEN MIT SUCHTDIAGNOSEN

Krankenhaus DRV DSHS

2014 (%) 2014 (%) 2014 (%) 2015 (%)


Hauptdiagnose Gesamt Gesamt Gesamt Gesamt Männer Frauen
Opioide 32 22 25 22 22 24
Cannabinoide 14 24 31 33 36 25
Sedativa oder Hypnotika 9 2 3 3 1 9
Kokain 2 5 7 7 7 4
Stimulanzien, inkl. Koffein 8 14 20 23 22 27
Halluzinogene 1 0 0 0 0 0
Flüchtige Lösungsmittel 0 0 0 0 0 0
Multipler Substanzgebrauch und Konsum
34 32 13 12 12 11
anderer psychotroper Substanzen

Gesamt (Anzahl) 106.315 12.091 10.972 11.738 9.245 2.493

Quelle: Reitox-Workbook Behandlung 2015/2016

3_Fakten, Trends und Politik


47 

auch im ambulanten Bereich, dass der Anteil derjeni- Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B
gen mit einer cannabisbezogenen Störung zunimmt. und C und anderen sexuell übertragbaren Infek­
Cannabis ist auch nach wie vor der häufigste Grund tionen – „BIS 2030“
dafür, dass Personen sich erstmalig in eine sucht­ Die Bundesregierung hat im April 2016 eine Strategie
spezifische Behandlung begeben. zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und
anderen sexuell übertragbaren Infektionen – „BIS
Schadensminimierung 2030 – Bedarfsorientiert, Integriert, Sektorübergrei-
Das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) erlaubt unter fend“ – beschlossen. Die vom Bundesministerium für
bestimmten Voraussetzungen den Betrieb von Drogen- Gesundheit und dem Bundesministerium für wirt-
konsumräumen. Das sind Einrichtungen, die die schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gemein-
Ausstattung für einen risikominimierenden, meist sam entwickelte Strategie bündelt die Erfahrungen mit
intravenösen Konsum von illegalen Drogen bereitstel- dem Ziel, sowohl national als auch international die
len. Dies umfasst zum Beispiel die Abgabe von sterilen Zahl der Neuinfektionen zu senken, Infektionen
Spritzen und Einweghandschuhen sowie die Möglich- frühzeitig zu erkennen und die medizinische Versor-
keit zur Desinfektion von Händen und Einstichstellen. gung zu verbessern.
Dadurch soll unsauberer Drogenkonsum und das
damit verbundene Infektionsrisiko reduziert werden. Da HIV, Hepatitis B und C sowie andere sexuell
Außerdem steht medizinische Beratung und Hilfe zur übertragbare Infektionen vergleichbare Übertragungs-
Verfügung, wodurch auch eine Notfallversorgung wege und -risiken haben, werden die verschiedenen
gewährleistet ist. Der Besitz der mitgebrachten Krankheitserreger künftig in einer gemeinsamen,
Substanz zum Eigenverbrauch wird geduldet. Die integrierten Strategie in den Blick genommen. So
Erteilung der Erlaubnis zum Betrieb eines Drogen­ können Gemeinsamkeiten in der Prävention, Diagnos-
konsumraums obliegt den zuständigen Behörden der tik und Testung der Krankheiten und bei der Versor-
Bundesländer. In Deutschland gibt es derzeit 23 Dro- gung der Patientinnen und Patienten besser genutzt
genkonsumräume in sechs Bundesländern (Deutsche werden.
AIDS-Hilfe, 2017).
Die Bereiche „Früherkennung und Prävention“ werden
mit der neuen Strategie weiter ausgebaut. Denn durch
Drogenkonsumräume in Deutschland
das frühzeitige Erkennen von Infektionen können
Hamburg 5 Menschen schneller geheilt, Spätfolgen vermieden und
Niedersachsen 1 die Übertragung von Infektionen verhindert werden.
Nordrhein-Westfalen 10
Hessen 4 Um möglichst alle mit den notwendigen Angeboten zu
Saarland 1 erreichen, sollen die Präventions-, Test- und Versor-
Berlin 2 (plus 1 Drogenkonsummobil) gungsangebote verstärkt auf verschiedene Altersgrup-
pen und Lebensbereiche ausgerichtet werden.

Der Ansatz der Schadensminimierung und Überle- Drogengebraucher haben sowohl durch unsafe use
benshilfe wird auch mit Modellprojekten zum Einsatz bei injizierendem Gebrauch als auch teilweise durch
von Naloxon verfolgt. Das Medikament wird bei unsafe sex ein erhöhtes Risiko, sich mit HIV, Hepati-
Überdosierungen eingesetzt. Bisher war diese Anwen- tis B oder C oder einer anderen sexuell oder durch Blut
dung überwiegend medizinischem Personal vorbehal- über­tragbaren Infektion anzustecken. Die Strategie
ten. In laufenden und geplanten Modellprojekten soll sieht verschiedene Ansatzpunkte zur Verbesserung der
evaluiert werden, ob der Einsatz des Medikaments Prävention und Versorgung vor: Es gilt, über riskante
durch medizinische Laien Drogentodesfälle vermeiden Konsummuster sowie die Risiken von Party- und
hilft. Sexdrogen gezielt aufzuklären und die eigene Kompe-

3_Fakten, Trends und Politik


48 

tenz zur Minimierung von Infektionsrisiken zu stärken. Die meisten Drogentoten wurden, wie bereits in den
Auch verbesserte Hepatitis-B-Impfraten sollen zur Vorjahren, in den bevölkerungsreichsten Bundeslän-
Reduktion von Übertragungen bei Drogenkonsumen- dern Bayern (321 Tote) und Nordrhein-Westfalen (204
ten beitragen. Testangebote für injizierende Drogenge- Tote) festgestellt.
brauchende und die Behandlung der Infektionskrank-
heiten sollen ausgebaut werden. Insgesamt ist eine gute Die polizeilich registrierten Drogentoten wurden
Vernetzung von niedrigschwelligen Beratungs- und durchschnittlich knapp über 38 Jahre alt. Der Anteil
Testeinrichtungen, Sucht- und Infektionsmedizinern der männlichen Drogentoten betrug 84 %.
wichtig, um den Zugang zu den Beratungs- und
Ver­sorgungsangeboten weiter zu verbessern. Eine Wie bereits in den Vorjahren war vor allem der
stärkere Kooperation sowie Fortbildungen von Konsum von Opioiden/Opiaten allein oder in Verbin-
HIV-Beratungsstellen und Einrichtungen der Drogen- dung mit anderen Drogen/Substanzen todesursächlich.
hilfe sind notwendig, um insbesondere Männern, die Im Vergleich zum Vorjahr ist der Anstieg der Drogen­
Sex mit Männern haben und Crystal Meth oder andere todesfälle infolge von polyvalenten Vergiftungen durch
Chemsexdrogen konsumieren, zielgerichtete Beratung andere Substanzen als Opioide/Opiate am höchsten.
und Versorgung anzubieten. Auffällig ist der Anstieg der monovalenten/polyvalen-
ten Vergiftungen im Zusammenhang mit Kokain
In den vergangenen Jahren hat das Bundesministerium (insgesamt 71 Tote, Anstieg um rund 78 %).
für Gesundheit Studien gefördert, um die Wissens-
grundlage hinsichtlich Präventions- und Versor- Die gestiegene Anzahl von 24 auf 26 Drogentodesfälle
gungbedarfen zu verbessern und Angebote zukünftig durch monovalente/polyvalente Vergiftungen mit
entsprechend anzupassen. Methamphetamin (Crystal Meth) unterstreicht nach
wie vor die Bedeutung und Gefährlichkeit dieser
Weiterlesen Droge.

Informationen zur DRUCK-Studie und zur Quadros-


2016 wurden 98 (2015: 39) Drogentote mit der Todes­
Studie finden Sie in Kapitel 6 „Projekte, Studien,
ursache Vergiftung in Verbindung mit neuen psycho­
Initiativen“.
aktiven Stoffen (NPS) erfasst, was einen erheblichen
Anstieg im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. Die
Daten der Ermittlungsbehörden zu Drogen aktuelle Zahl der Todesfälle durch NPS umfasst
und Kriminalität erstmalig auch die bisher nicht explizit erhobenen
Todesfälle in Verbindung mit synthetischen Opioiden
Drogenbedingte Todesfälle (22). Auch die Anzahl der Verstorbenen mit der
Im Jahr 2016 wurden 1.333 drogenbedingte Todesfälle Todesursache Vergiftungen in Verbindung mit Fenta-
polizeilich registriert. Dies entspricht einem Anstieg nyl (95; Zunahme um 9 %) ist gewachsen. Bei beiden
von 9 % gegenüber dem Vorjahr (1.226). Mit einer Todesursachen ist allerdings aufgrund der schwierigen
wiederholten Zunahme der Drogentoten im vierten Erkennbarkeit bzw. Feststellungsmöglichkeit von
Jahr in Folge ist ein mit 2009 vergleichbares Niveau einem größeren Dunkelfeld auszugehen.
erreicht.

3_Fakten, Trends und Politik


49 

Datenerfassung Drogentodesfälle

In Deutschland werden seit vielen Jahren die Daten Stoffen und anderen Stoffen, die etwa als Medikamente
des Bundeskriminalamtes (BKA) zur bundesweiten erhältlich sind (zum Beispiel Fentanyl oder Psychophar-
Berichterstattung drogeninduzierter Todesfälle herange- maka), macht es im Einzelfall schwierig, die todesursäch-
zogen. Die in der sogenannten „Falldatei Rauschgift“ liche Substanz zu identifizieren.
dokumentierten Todesfälle weisen der Polizei bekannt
gewordene Vergiftungen im Zusammenhang mit dem Sicher ist, dass die Konsummuster in den letzten Jahren
Drogenkonsum wie auch Langzeitfolgeerkrankungen, einem Wandel unterlagen, der in Richtung eines
Suizide und Unfälle aus, die im Zusammenhang mit kombinierten Konsums mehrerer Substanzen und
Drogenkonsum stehen. Die Dokumentation und Erfas- Substanzgruppen weist. Der individuelle Nachweis der
sung dieser Todesfälle findet in den einzelnen Bundes- Todesursache in Form toxikologischer Gutachten liegt
ländern statt, von wo die Daten an das BKA weitergeleitet nicht bundesweit einheitlich für alle berichteten
und zu einer Gesamtübersicht zusammengeführt werden. Todesfälle vor. Daher ist es möglich, dass in der Darstel-
Die in den letzten Jahren beobachteten Veränderungen lung der Substanzbeteiligung aufgrund fehlender
auf dem Drogenmarkt haben es erforderlich gemacht, die exakter toxikologischer Informationen die Anzahl von
Datenerhebung weiterzuentwickeln. Mischintoxikationen (polyvalente Vergiftungen) nicht
immer angemessen abgebildet wird.
Dies begründet sich unter anderem mit dem Auftauchen
der sogenannten neuen psychoaktiven Stoffe (NPS) (zum Hinzu kommt, dass insbesondere hinsichtlich der
Beispiel synthetische Cannabinoide) als auch einem Verfügbarkeit dieser toxikologischen Gutachten
wachsenden Interesse, neue Konsummuster (zum erhebliche Variationen zwischen den einzelnen Bundes-
Beispiel die Kombination verschiedener Substanzen) ländern existieren. Die weitere Entwicklung und
angemessen abbilden zu können. Ausdifferenzierung der bundesweiten Berichterstattung
trägt dabei dem Bemühen Rechnung, vor dem Hinter-
Dabei stellt die Identifizierung dieser neuen Sub­stanzen grund dieser zahlreichen Veränderungen des Drogen-
die Ermittler vor große Herausforderungen, da der marktes und der Unterschiede in Erfassungs- und
individuelle Nachweis unter anderem aus technischen Dokumentationsmethoden einen aktuellen und
Gründen nicht in jedem Fall unproblematisch ist. differenzierten Blick auf die Situation drogeninduzierter
Insbesondere der kombinierte Konsum von traditionellen Todesfälle in ganz Deutschland zu gewinnen.
Drogen (zum Beispiel Heroin), neuen psychoaktiven

Erstauffällige Konsumenten harter Drogen (EKhD)


2016 veränderte sich das Erfassungsverhalten der
Drogenfälle und -mengen und der Erstauffälligen
Konsumenten harter Drogen (EKhD) in einzelnen
Bundesländern. Insofern sind die in 2016 registrierten
Fallzahlen und EKhD nicht mit den entsprechenden
Daten der Vorjahre vergleichbar. Daraus folgt, dass
Veränderungsraten, aus denen Entwicklungstendenzen
ableitbar wären, im diesjährigen Bericht nicht darge-
stellt werden können.

3_Fakten, Trends und Politik


50 

ABBILDUNG 14:
SICHERSTELLUNG VON ILLEGALEN DROGEN 2016

SICHERSTELLUNG VON
ILLEGALEN DROGEN 2016
Cannabis 7,8 Tonnen

Haschisch 1.874 kg
­Der Anteil der Cannabis-Handelsdelikte an allen
Rauschgifthandelsdelikten liegt bei rund 62 %.
Marihuana 5.955 kg

Heroin 330 kg Nach Schätzungen von UNODC stieg die Rohopium-


jahresproduktion in Afghanistan 2016 um ca. 43 %
Opium 61 kg gegenüber dem Vorjahr auf 4.800 Tonnen an. Dafür
waren sowohl die zunehmende Anbaufläche als auch
eine höhere Ernte pro Hektar verantwortlich.

Kokain/Crack 1,9 Tonnen 2016 waren weltweit Rekordsicherstellungsmengen


von Kokain feststellbar. Der Zufuhrdruck von Kokain
nach Deutschland und Europa stieg nach hiesigen
­Erkenntnissen 2016 stark an, das heißt, die Verfüg­
barkeit und auch die Nachfrage nach Kokain bewegen
sich auf einem hohen Niveau.

Synthetische Drogen

Nach wie vor wird Crystal Meth vor allem in den


Bundesländern Sachsen, Bayern und (in kleinerem
Crystal Meth 62 kg Ausmaß) Sachsen-Anhalt sichergestellt. Analog zu
den Vorjahren stammt kristallines Methamphetamin
weiterhin fast ausschließlich aus Tschechien.

Amphetamin 1.471 kg Amphetamin und Ecstasy wurden, wie in den Vorjah-


ren auch, größtenteils aus den Niederlanden nach
Deutschland eingeführt. Die hohe Verfügbarkeit
2 Mio. Ta­
Ecstasy dieser Drogen ist unter anderem auf hocheffektive
bletten
Produk­tionsstätten zurückzuführen.

Illegale Labore zur Es handelte es sich um elf Produktionsstätten von


Herstellung syntheti- 15
scher Drogen Methamphetamin und vier von Amphetamin.

3_Fakten, Trends und Politik


51 

Drogenhandel im Internet Cannabis


Der Handel mit Drogen im Internet (Darknet/Deep- Substanz und Wirkung
web/Clearnet) ist innerhalb der letzten Jahre, so auch Die Cannabis-Pflanze gehört zur botanischen Gattung
2016, stetig angestiegen. Analog zu den Strukturen der der Hanfgewächse. Die stärkste psychoaktive Wirksub-
legalen Plattformen haben sich diese im Deepweb wie stanz von Cannabis ist Tetrahydrocannabinol (THC).
auch im Darknet etabliert. Da es sich um ein Massen- Wird Cannabis geraucht, setzt die Wirkung meist
phänomen handelt, entsteht zusätzlicher Handlungs- unmittelbar ein, da der Wirkstoff sehr schnell über die
bedarf für die Strafverfolgungsbehörden, welcher auch Atemwege aufgenommen wird und die Blut-Hirn-
eine Befassung mit dem warenbasierten Internethan- Schranke überwindet. Nach ungefähr 15 Minuten
del erfordert. Technisch betrachtet ist der Postversand erreicht die Wirkung ihr Maximum und klingt nach
die eigentliche Voraussetzung für den Handel mit 30 bis 60 Minuten langsam ab. Wird Cannabis gegessen
Drogen im Internet, da über diesen die Drogen an den oder getrunken, wird das enthaltene THC vom Körper
Konsumenten gelangen. Der Postversand von Betäu- langsamer aufgenommen. Die Wirkung ist dann
bungsmitteln ist ein aus kriminalpolizeilicher Perspek- zeitlich verzögert und setzt häufig sehr plötzlich ein.
tive an Bedeutung gewinnendes Phänomen im Bereich Das Wirkungsspektrum von Cannabis ist vielfältig und
der Drogenkriminalität. Die hierin bestehenden hängt von verschiedenen Faktoren ab: zum Beispiel
Risiken einer nachhaltigen Veränderung – im Sinne von der Konsumart, der aufgenommenen Menge an
einer Vereinfachung – des Zugangs der Bevölkerung zu THC, der Konsumsituation, aber auch der Grundstim-
illegalen Betäubungsmitteln sind bereits deutlich zu mung und der psychischen Stabilität des Konsumen-
erkennen, so auch im Jahr 2016, und werden perspekti- ten. Zu der als angenehm berichteten Wirkung von
visch noch zunehmen. Cannabis zählen eine Anhebung der Stimmung und
ein Gefühl der Entspannung. Möglich ist auch ein
heiteres Gefühl, verbunden mit einem gesteigerten
Clearnet vs. Darknet Kommunikationsbedürfnis. Zu den Wirkungen, die als
unangenehm erlebt werden, zählen eine niederge-
Beim Internet wird zwischen verschiedenen Berei-
drückte Stimmung, eine psychomotorische Erregung,
chen unterschieden. Das Clearnet (auch Visible Web,
Unruhe und Angst. Panikreaktionen und Verwirrtheit
Surface Web, Open Web etc.) ist das bekannte
Internet, welches mit normalen Browserprogrammen mit Verfolgungsphantasien bis hin zu paranoiden
bedienbar und durch Suchmaschinen einfach und Wahnvorstellungen sind ebenfalls möglich.
intuitiv zu handhaben ist. Das Deepweb (auch Hidden
Web, Invisible Web) ist jener Teil des Internets, der Bei einem dauerhaften Konsum kann sich eine
nicht durch die allgemeinen Suchmaschinen psychische und körperliche Abhängigkeit entwickeln.
auffindbar ist. Weiterhin gibt es Netzwerke, die nur Die Gefahr, abhängig zu werden, ist je nachdem, in
über spezielle Software erreichbar sind und sich welchem Maße psychosoziale Risikofaktoren vorliegen,
durch eine besonders starke Verschlüsselung und/ unterschiedlich hoch. Psychische Probleme wie
oder Anonymisierung auszeichnen. Das sogenannte beispielsweise Depressionen oder Angstsymptome
Darknet umfasst Wikis/Blogs mit unterschiedli-
können das Risiko deutlich erhöhen, Cannabis im
chen – auch legalen – Zielrichtungen sowie krimi­
Sinne einer „Selbstmedikation“ zu missbrauchen.
nelle Kommunikations- und Handelsplattformen.

3_Fakten, Trends und Politik


52 

Trends problematischen Konsums, so zeigten 1,4 % der


Die Daten des Epidemiologischen Suchtsurvey Männer und 1,0 % der Frauen in den letzten 12 Mona-
erlauben Aussagen zu den Trends des Cannabiskon- ten einen klinisch relevanten Cannabiskonsum nach
sums bei 18- bis 59-Jährigen zwischen den Jahren 1995 den Kriterien der Severity of Dependence Scale (SDS).
und 2015. Bei einem wellenförmigen Verlauf zeigt sich Dies entspricht einer Gesamtzahl von etwa 612.000
über diesen Zeitraum eine insgesamt ansteigende Personen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren.
Prävalenz des Konsums in den letzten 12 Monaten von
6,5 % auf 8,7 % bei Männern und von 2,3 % auf 5,3 % – bei Jugendlichen
bei Frauen. Im Jahr 2015 lag die 12-Monats-Prävalenz In der Drogenaffinitätsstudie 2015 der BZgA gaben
in etwa auf dem Niveau des Jahres 2003. Keine statis- insgesamt 7,3 % der 12- bis 17-jährigen Jugendlichen
tisch bedeutsamen Veränderungen seit dem Jahr 2006 und 15,3 % der 18- bis 25-jährigen jungen Erwachsenen
zeigten sich in Bezug auf den klinisch relevanten bzw. an, in den letzten zwölf Monaten Cannabis konsumiert
problematischen Cannabiskonsum. zu haben. Zwischen männlichen (8,1 %) und weiblichen
Jugendlichen (6,3 %) gab es keinen statistisch signi­
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung fikanten Unterschied. In der Altersgruppe der jungen
(BZgA) untersucht in ihren Repräsentativerhebungen Erwachsenen war die 12-Monats-Prävalenz der jungen
auch den Cannabiskonsum der 12- bis 25-jährigen Männer (20,6 %) höher als die der jungen Frauen
Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland (9,7 %).
– zuletzt mit der Drogenaffinitätsstudie des Jahres
2015. Der Anteil der 12- bis 17-jährigen Jugendlichen, Gesundheitliche Folgen des Konsums
die in den letzten zwölf Monaten vor der Befragung Eine Übersichtsarbeit zu Risiken des nicht medizini-
Cannabis konsumiert haben, ist nach einem Rückgang schen Cannabisgebrauchs (Hoch et al., 2015) zählt eine
in den Jahren 2004 bis 2011 zuletzt um etwa zwei ganze Reihe von Symptomen auf, die in Abhängigkeit
Prozentpunkte angestiegen. Das Niveau des Jahres 2004 verschiedener Faktoren auftreten können. Insbesonde-
wurde damit aber noch nicht wieder erreicht. Bei den re hoch dosierter, langjähriger und intensiver Canna-
jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 25 Jahren stieg bisgebrauch sowie Konsumbeginn im Jugendalter
die 12-Monats-Prävalenz des Cannabiskonsums seit können mit einer Abhängigkeit, spezifischen Entzugs-
2008 an und lag 2015 wieder auf dem Niveau von 2004. symptomen, kognitiven Einbußen, affektiven Störun-
Die Entwicklung verlief in beiden Altersgruppen für gen, Psychosen, Angststörungen und körperlichen
die männlichen und weiblichen Befragten ähnlich. Schädigungen (vor allem respiratorischen und kardio-
vaskulären Erkrankungen) einhergehen. Die Autoren
Konsum und Prävalenzen schlussfolgern, dass weitere Forschung notwendig ist,
– bei Erwachsenen um die Kausalität des Zusammenhangs von intensivem
Auch im Epidemiologischen Suchtsurvey 2015 bleibt Cannabiskonsum und möglichen Folgen für die
Cannabis bei Erwachsenen im Alter zwischen 18 und körperliche und psychische Gesundheit zu klären.
64 Jahren die am häufigsten konsumierte illegale Studien legen zudem nahe, dass der Cannabiswirkstoff
Substanz. Bei einer 12-Monats-Prävalenz von 6,1 % THC ungünstig in die Entwicklung des Gehirns
ergibt sich eine Schätzung von aktuell 3,11 Millionen eingreift. Damit einher geht eine schlechtere Merkfä-
erwachsenen Cannabiskonsumenten in Deutschland. higkeit, was Auswirkungen auf die schulische und
Männer konsumierten die Substanz häufiger als Frauen berufliche Leistung haben kann.
(7,4 % vs. 4,9 %). In den Altersgruppen zwischen 21 und
39 Jahren lag die Prävalenz höher als bei jüngeren und In einer Befragung (Schneider, 2016) zu den erlebten
älteren Personen. Betrachtet man Indikatoren des Belastungen von 198 Klienten ambulanter Suchthilfe-

3_Fakten, Trends und Politik


53 

einrichtungen mit einer primären Cannabisproblema- Patientinnen und Patienten, denen durch bisherige
tik nannte gut die Hälfte der Befragten Probleme in der Behandlungsoptionen nicht ausreichend geholfen
Schule oder Familie (53,4 % bzw. 52,9 %) und etwa ein werden konnte, können nach Verordnung durch den
Drittel Probleme im Freundeskreis, im Beruf oder in Arzt Cannabisarzneimittel in Form von getrockneten
der Partnerschaft. Bei den von den Konsumenten Blüten und Extrakten in kontrollierter Qualität in der
berichteten Nebenwirkungen dominierten zunehmen- Apotheke erhalten. Eine Ausnahmeerlaubnis vom
de Vergesslichkeit (70 %), Konzentrationsschwierigkei- Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
ten (61,1 %) und die Vernachlässigung früherer (BfArM) ist dafür nicht mehr nötig.
Aktivitäten (56,8 %).
Mit Änderungen im Fünften Buch Sozialgesetzbuch
Volkswirtschaftliche Folgen (SGB V) wird die Erstattungsfähigkeit von Arznei­
Die durch schädlichen Cannabiskonsum verursachten mitteln auf Cannabisbasis in der gesetzlichen Kranken-
ökonomischen Kosten werden auf 975 Millionen Euro versicherung erweitert, die bislang grundsätzlich auf
pro Jahr bei 400.000 angenommenen Konsumenten zugelassene Fertigarzneimittel im jeweils zugelassenen
mit schädlichem Konsum (entspricht 2.438 Euro pro Anwendungsgebiet begrenzt war. Um weitere Erkennt-
Kopf und Jahr) geschätzt (Effertz et al., 2016). Gegebe- nisse zur Wirkung dieser Cannabisarzneimittel zu
nenfalls fallen weitere Zusatzkosten durch Tabak­ erlangen, wird eine Begleiterhebung durchgeführt.
konsum an, wenn beides kombiniert konsumiert
wird. Schließlich zeigen die Befunde auch signifikant Für die Versorgung mit Cannabisarzneimitteln in
erhöhte immaterielle Folgen wie Erschöpfung, kontrollierter Qualität wird der Anbau von Cannabis
Depression und Schmerzen. Durch die direkte medizi- zu medizinischen Zwecken in Deutschland ermöglicht.
nische Behandlung von Cannabiskonsumenten mit Dazu wird eine staatliche „Cannabisagentur“ beim
schädlichem Konsum wie auch durch deren gesunkene Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
Produktivität entstehen hohe volkswirtschaftliche (BfArM) aufgebaut.
Verluste.

Weiterlesen

Aktuelle cannabisbezogene Projekte werden


in Kapitel 6 vorgestellt.

Cannabis als Medizin


Mit dem am 10. März 2017 in Kraft getretenen Gesetz
zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und
anderer Vorschriften können Cannabisarzneimittel im
Einzelfall als Therapiealternative bei schwerwiegenden
Erkrankungen eingesetzt werden.

3_Fakten, Trends und Politik


54 

Crystal Meth 0,2 % ermittelt, wobei es keine Unterschiede zwischen


Substanz und Wirkung Männern und Frauen gab. Hochgerechnet auf die
Als „Crystal“ oder „Crystal Meth“ wird die Substanz Bevölkerung haben etwa 106.000 Personen im letzten
Methamphetamin bezeichnet. Methamphetamin ist Jahr Crystal Meth konsumiert. Der aktuelle Konsum
ein vollsynthetisches Stimulans, das seit den 1930er- war in den Altersgruppen der 18- bis 24-Jährigen
Jahren als Medikament unter dem Handelsnamen deutlich weiter verbreitet als bei älteren Personen.
Pervitin bis in die 1980er-Jahre vertrieben wurde.
Aufgrund seines hohen Suchtpotenzials ist Metham- – bei Jugendlichen
phetamin bereits seit 1941 dem Betäubungsmittelrecht In der Drogenaffinitätsstudie 2015 der BZgA gab es in
unterstellt. Methamphetamin ist chemisch eng der Altersgruppe der 12- bis 17-Jährigen nur vereinzelte
verwandt mit Amphetamin (Speed), wobei sowohl der Jugendliche, die berichteten, schon einmal Crystal Meth
stimulierende Effekt als auch das Missbrauchspotenzial konsumiert zu haben. Die Lebenszeitprävalenz des
von Methamphetamin deutlich höher sind: Die körper- Crystal Meth-Konsums lag bei Jugendlichen weit unter
liche Erregung durch Methamphetamin-Konsum geht 1 Prozent. Von den jungen Erwachsenen im Alter von
einher mit einer physischen Leistungssteigerung. Eine 18 bis 25 Jahren gaben 0,6 % an, mindestens einmal im
Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit und Leben Crystal Meth konsumiert zu haben.
Kreativität durch Methamphetamin ist meist nicht
vorhanden. Da Methamphetamin schnell die Blut- Gesundheitliche Folgen des Konsums
Hirn-Schranke überwindet und der Abbau im Körper Internationale Forschungsaktivitäten der letzten Jahre
relativ lang braucht, kann ein Rausch stark und lange konnten vielfach nachweisen, dass langfristiger
andauernd sein. Bei häufigerem Konsum lässt die Methamphetamin-Konsum eine Reihe gesundheitli-
Wirkungsdauer jedoch bald nach, da der Körper eine cher Beeinträchtigungen und körperlicher Verfallser-
Toleranz entwickelt. scheinungen nach sich zieht. Gut belegt sind beispiels-
weise drohende kognitive Defizite, wie zum Beispiel
Die Substanz weist eine hochgradige Neurotoxizität Störungen der Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses
auf. Verglichen mit anderen Stimulanzien (zum (Barr et al., 2006; London et al., 2005; Salo et al., 2007;
Beispiel Kokain oder Amphetamin) hat Crystal zudem Rendell et al., 2009), Organschäden und ein höheres
das höchste Wirkpotenzial bzw. die längste Halbwerts- HIV-Risiko. Mehrfach festgestellt wurden ferner eine
zeit, was die schädlichen Effekte und die Abhängig- Assoziation zwischen dem chronischen Missbrauch von
keitsgefahr verstärkt. Methamphetamin und Psychosen (McKetin et al., 2013)
sowie eine größere Aggressionsbereitschaft und
Trends Gewalttätigkeit bei chronischen Methamphetamin-
Derzeit liegen keine bundesweiten Daten zu den Konsumenten (Zweben et al., 2004; Marinelli-Casey et
Trends des Konsums von Crystal Meth vor. Sowohl im al., 2008; Sekine et al., 2006).
Rahmen des Epidemiologischen Suchtsurvey als auch
der Drogenaffinitätsstudie wurde das Konsumverhal- Neue Regelungen
ten dieser Substanz erstmalig im Jahr 2015 erhoben. Um die Herstellung von Methamphetamin in Europa zu
bekämpfen, hat die EU-Kommission im September
Konsum und Prävalenzen 2016 die Stoffe Chlorephedrin und Chlorpseudoephe­
– bei Erwachsenen drin dem europäischen Grundstoffrecht unterstellt.
Auf Basis des Epidemiologischen Suchtsurvey 2015
wurde geschätzt, dass 0,6 % der Erwachsenen (18 bis Damit der unerlaubte Umgang mit diesen Stoffen auch
64 Jahre) in Deutschland schon mindestens einmal in strafbewehrt ist, wurde das Grundstoffüberwachungs-
ihrem Leben Crystal Meth konsumiert haben. Bezogen gesetz im März 2017 entsprechend geändert.
auf die letzten 12 Monate wurde eine Prävalenz von

3_Fakten, Trends und Politik


55 

Weiterlesen blieben die Prävalenzen seit dem Jahr 2009 stabil.


Bezogen auf die 12-Monats-Prävalenz des Opiat­
Aktuelle Crystal Meth-bezogene Projekte werden
konsums war seit dem Jahr 1995 keine statistisch
in Kapitel 6 vorgestellt.
bedeut­same Veränderung bei beiden Geschlechtern zu
verzeichnen. In allen Fällen lagen die Prävalenzwerte
um bzw. unter 0,5 %.
Opiate
Substanz und Wirkung Aus der Drogenaffinitätsstudie der BZgA liegen Daten
Opiate sind psychoaktive Substanzen, die aus dem zur Verbreitung des Heroinkonsums unter jungen
Milchsaft des Schlafmohns gewonnen werden. Der Menschen in Deutschland seit 1973 vor. Der Anteil 12-
Milchsaft stellt das Rohopium dar und enthält haupt- bis 17-jähriger Jugendlicher, die angaben, schon einmal
sächlich Morphin und Codein. Das halbsynthetische Heroin probiert zu haben, lag im gesamten Beobach-
Heroin wird durch ein chemisches Verfahren aus tungszeitraum deutlich unter 1 Prozent. Auch unter
Morphin gewonnen. Heroin sowie andere morphin- den jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 25 Jahren
ähnliche Stoffe, wie zum Beispiel das vollsynthetische fielen die Anteile derjenigen, die schon einmal Heroin
Methadon, nennt man Opioide. probiert haben, gering aus. In der Regel lagen die Werte
für die Lebenszeitprävalenz in dieser Altersgruppe im
Heroin dockt an den Opiatrezeptoren im zentralen Bereich von einem halben bis einem Prozent.
Nervensystem an und aktiviert diese, was in erster
Linie das Schmerzempfinden mindert. Heroin gilt als Konsum und Prävalenzen
eines der wirksamsten Schmerzmittel. Gleichzeitig – bei Erwachsenen
wirkt Heroin entspannend, beruhigend und eupho­ In der aktuellen Erhebung des Epidemiologischen
risierend. Suchtsurvey aus dem Jahr 2015 gaben 1,7 % der 18-
bis 64-jährigen Männer und 1,0 % der gleichaltrigen
Opiate haben ein extrem hohes Abhängigkeitspoten­ Frauen an, schon mindestens einmal im Leben Heroin
zial. Bereits wenige Stunden nach dem letzten Konsum oder andere Opiate konsumiert zu haben. Im Zeitraum
kommt es zu Entzugserscheinungen, deren körperliche der letzten 12 Monate haben bei beiden Geschlechtern
Symptome von Schweißausbrüchen, Zittern, Schwä- 0,3 % der Befragten entsprechende Substanzen
chegefühlen, Gliederschmerzen, Magenkrämpfen und konsumiert, was einer Gesamtzahl von etwa 153.000
Übelkeit über Kreislaufstörungen, Temperaturschwan- erwachsenen Konsumenten in Deutschland entspricht.
kungen bis hin zu lebensbedrohlichen Zuständen mit Der aktuelle Konsum war bei 18- bis 20-Jährigen und
schweren Krampfanfällen und akuten Geistesstörun- bei 40- bis 49-Jährigen höher als in den anderen
gen reichen. Psychische Entzugssymptome äußern sich Altersgruppen.
in Unruhegefühlen, Angstzuständen und depressiven
Phasen bis hin zu Selbstmordgedanken. – bei Jugendlichen
Die aktuellen Zahlen der Drogenaffinitätsstudie zeigen
Trends bezogen auf alle Jugendlichen und jungen Erwachse-
Für den Zeitraum zwischen 1995 und 2015 können nen in Deutschland eine geringe Verbreitung des
die Daten des Epidemiologischen Suchtsurvey für Heroinkonsums. Die Lebenszeitprävalenz, also der
Aussagen in Bezug auf den Konsum von Heroin und Anteil derjenigen, die Heroin bisher schon einmal
anderen Opiaten bei Personen im Alter zwischen probiert haben, betrug bei 12- bis 17-jährigen Jugend­
18 und 59 Jahren genutzt werden. Bei Männern als lichen 0,1 % und bei 18- bis 25-jährigen Erwachsenen
auch bei Frauen verlief die Lebenszeitprävalenz in 0,5 %. Wenige Jugendliche und kaum einer der jungen
dieser Zeitspanne in Wellen. Insgesamt zeigte sich bei Erwachsenen gaben an, auch in den letzten zwölf
Männern ein Rückgang von 2,0 % auf 1,6 % und bei Monaten vor der Befragung Heroin konsumiert zu
Frauen ein Anstieg von 0,8 % auf 1,0 %. Allerdings haben.

3_Fakten, Trends und Politik


56 

Gesundheitliche Folgen des Konsums die Adresse des verschreibenden Arztes sowie ge­
Ein zentrales gesundheitliches Problem des intrave­ gebenenfalls auch den Namen und die Anschrift des
nösen Drogenkonsums stellen Infektionskrankheiten beratend hinzugezogenen Arztes (Konsiliarius). Die
wie Hepatitis B und C sowie HIV dar. Unter allen in Patientencodes werden nach Erfassung aus daten-
Deutschland 2015 neu gemeldeten Infektionen mit schutzrechtlichen Gründen unverzüglich in ein
ausreichender Information zum Übertragungsweg war Kryptogramm verschlüsselt.
intravenöser Drogenkonsum der wahrscheinlichste Ferner teilen die Ärztekammern der Bundesopium­
Infektionsweg für 5 % der gemeldeten HIV-Infektionen stelle auf Anforderung mit, ob die an den Substituti-
und 76 % der Hepatitis-C-Infektionen. onsbehandlungen beteiligten Ärzte die Mindestan­
forderungen an eine suchttherapeutische
In der DRUCK-Studie des Robert Koch-Instituts wiesen Qualifikation erfüllen.
70 % aller untersuchten intravenös konsumierenden
Drogenkonsumenten mindestens eine der drei Die Anzahl der gemeldeten Substitutionspatienten ist
Infektionen HIV, HCV oder HBV auf. Die HIV-Präva- in den ersten Jahren der Meldepflicht kontinuierlich
lenz lag je nach Stadt zwischen 0 % und 9 %, die angestiegen (von 46.000 Patienten in 2002 auf
HCV-Prävalenz lag zwischen 23 % und 54 % (aktive 77.400 Patienten in 2010). Seit 2011 hingegen ist die
HCV-Infektion, potenziell ansteckend), die HBV- Anzahl weitgehend gleichbleibend und lag am
Prävalenz betrug zwischen 5 % und 33 %. Ko-Infektio- 1. Juli 2016 bei 78.500 Patienten.
nen von zwei oder drei Infektionen lagen bei einem
Drittel der Infizierten vor. Im Jahr 2016 wurden im Substitutionsregister rund
93.000 An-, Ab- bzw. Ummeldungen von Patienten-
Darüber hinaus sind Überdosierungen ein häufiges codes erfasst. Diese hohe Zahl ergibt sich unter
Problem im Zusammenhang mit dem Konsum von anderem dadurch, dass dieselben Patienten mehrfach
Opiaten. Die Überdosierung von Heroin bzw. Morphin an- und wieder abgemeldet wurden – entweder durch
inklusive Vergiftung in Verbindung mit anderen denselben Arzt oder durch verschiedene Ärzte. Gründe
Substanzen stellt die häufigste Todesursache im hierfür können sowohl bei den Patienten (zum
Zusammenhang mit Drogenkonsum dar (siehe Kapitel Bei­spiel durch einen Wechsel des behandelnden Arztes
„Drogenbedingte Todesfälle“). oder längere Klinikaufenthalte) als auch bei den
Ärzten (zum Beispiel aufgrund eines ärztlichen
Personalwechsels in Substitutionsambulanzen) liegen.
Substitution 2016 haben insgesamt 2.590 Substitutionsärzte
Patienten an das Substitutionsregister gemeldet.
Substitutionsregister
Nach § 13 Absatz 3 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) in 2016 nutzten 524 Ärzte – also etwa 20 % der substituie-
Verbindung mit § 5a der Betäubungsmittel-Verschrei- renden Ärzte – die Konsiliarregelung: Hiernach
bungsverordnung (BtMVV) führt das Bundesinstitut können Ärzte ohne suchttherapeutische Qualifikation
für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) für die bisher bis zu drei Patienten gleichzeitig substituieren,
Bundesländer das Substitutionsregister. Seit dem wenn sie einen suchttherapeutisch qualifizierten Arzt
1. Juli 2002 hat jeder Arzt, der Substitutionsmittel für als Konsiliarius in die Behandlung einbeziehen. Die
einen opiatabhängigen Patienten verschreibt, der Ärzte, die die Konsiliarregelung nutzten, haben rund
Bundesopiumstelle im BfArM unverzüglich die in 1 % aller Substitutionspatienten behandelt. Rund
§ 5a Absatz 2 BtMVV vorgeschriebenen Angaben zu 15 % der substituierenden Ärzte hatten am Stichtag
melden: den Patientencode, das Datum der ersten 1 Juli 2016 die Hälfte aller Substitutionspatienten
Verschreibung, das verschriebene Substitutionsmittel, gemeldet. Die durchschnittliche Anzahl der gemelde-
das Datum der letzten Verschreibung, den Namen und ten Substi­tutionspatienten pro substituierendem Arzt

3_Fakten, Trends und Politik


57 

ABBILDUNG 15:
ANZAHL GEMELDETER SUBSTITUTIONSPATIENTEN IN DEUTSCHLAND VON 2003 BIS 2016 (JEWEILS STICHTAG 1. JULI)

80.000 78.500
77.400 77.300 77.500
76.200 75.400
74.600
72.200
70.000 68.800

64.500
61.000
60.000
57.700

52.700
50.000

40.000
2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

Quelle: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte/Substitutionsregister

beträgt bundesweit 30, variiert zwischen den einzel- Das Substitutionsregister stellt in regelmäßigem
nen Bundesländern jedoch stark. Turnus sowie auf Einzelanforderung den 180 zustän­
digen Überwachungsbehörden der Länder die arzt­
Die substituierenden Ärzte melden dem Substitutions- bezogenen Daten (das heißt die Namen und Adressen
register für jeden Substitutionspatienten das Substitu- der substituierenden Ärzte und der gegebenenfalls
tionsmittel mit seiner Wirkstoffbezeichnung (Metha- eingesetzten Konsiliarien, die Anzahl der Substitu­
don, Levomethadon, Buprenorphin etc.). 2015 kam in tionspatienten, Angaben zur suchttherapeutischen
Deutschland zusätzlich Morphin als zur Substitution Qualifikation) für ihren jeweiligen Zuständigkeits­
zugelassenes Arzneimittel in den Handel. bereich zur Verfügung. Dies erfolgt über ein gesichertes
Online-Download-Verfahren. Die enge Zusammen­
Das überwiegend gemeldete Substitutionsmittel ist arbeit des BfArM mit den Überwachungsbehörden
Methadon. Allerdings steigt der Anteil von Buprenor- hilft, bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelrecht
phin und Levomethadon kontinuierlich an. korrigierend tätig zu werden.

2016 wurden durch das Substitutionsregister bundes- Die 16 obersten Landesgesundheitsbehörden erhal-
weit rund 150 Doppelbehandlungen von Patienten ten regelmäßig anonymisierte Daten aus dem Sub­
aufgedeckt und durch die betroffenen Ärzte ent­ stitutionsregister.
sprechend beendet.

3_Fakten, Trends und Politik


58 

ABBILDUNG 16:
ART UND ANTEIL DER GEMELDETEN SUBSTITUTIONSMITTEL (STICHTAG 1. JULI 2016)

23,1 %
Buprenorphin

0,1 %
Dihydrocodein

0,2 %
42,5 % Codein
Methadon
0,8 %
Diamorphin

0,3 %
Morphin

33,0 %
Levomethadon

Quelle: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte/Substitutionsregister

Neue Regelungen • das Verschreiben des Substitutionsmittels zur


Das Bundeskabinett hat am 15. März 2017 die 3. Ver- eigenverantwortlichen Einnahme durch Patien­
ordnung zur Änderung der Betäubungsmittelver- tinnen und Patienten, die einen gefestigten Umgang
schreibungsverordnung (BtMVV) beschlossen. Der mit ihrem Suchtverhalten haben
Bundesrat hat der Verordnung am 12. Mai 2017 ohne • die Entscheidung über die Erforderlichkeit einer
Gegenstimmen zugestimmt. Damit werden die vor 25 zusätzlichen psychosozialen Betreuung
Jahren erstmals erlassenen betäubungsmittelrechtli-
chen Vorschriften zur Therapie von Patientinnen und Der Grundsatz, dass Substitutionsmittel nur zum
Patienten mit einer Abhängigkeit etwa von Heroin unmittelbaren Verbrauch überlassen werden, also nur
weiterentwickelt. im Beisein von Fachpersonal eingenommen werden
dürfen, bleibt auch in Zukunft erhalten. Die bisherige
Mit der Neuregelung werden folgende bislang in der Ausnahme einer Verschreibung des Substitutionsmit-
BtMVV geregelte Punkte in die Richtlinienkompetenz tels an gefestigte Patientinnen und Patienten zur
der Bundesärztekammer überführt: eigenverantwortlichen Einnahme (Take-Home-
Verschreibungen) wird fortentwickelt. In begründeten
• Voraussetzungen für die Einleitung und Fortführung Einzelfällen dürfen Substitutionsärztinnen und
der Therapie Substitutionsärzte ein Mittel künftig für den Bedarf
• der Umgang mit dem Gebrauch weiterer legaler oder von bis zu 30 Tagen (statt grundsätzlich bis zu 7 Tagen)
illegaler Substanzen während einer Substitutions­ auch bei Inlandsaufenthalten verschreiben. Das
therapie (Beikonsum) erleichtert sowohl die Arbeit der Ärztinnen und Ärzte

3_Fakten, Trends und Politik


59 

als auch den Weg der Substitutionspatienten in ein Neue psychoaktive Stoffe
selbstbestimmtes Leben. Substanz und Wirkung
Neue psychoaktive Stoffe (NPS), sogenannte Legal
Um die wohnortnahe Versorgung der Betroffenen zu Highs, werden unter anderem als „Räuchermischun-
verbessern, wird zudem der Katalog der Einrichtungen, gen“, „Badesalze“ oder „Reiniger“ angeboten. Meist
die Substitutionsmittel an Betroffene ausgeben dürfen, ähneln diese neuen synthetischen Substanzen in ihrer
ausgeweitet. Hierzu zählen künftig etwa Rehabilita­ Wirkung bekannten Substanzen wie Cannabis, Ecstasy
tionseinrichtungen, Gesundheitsämter, Alten- und oder Amphetamin. Eine genaue Beschreibung der
Pflegeheime sowie Hospize. Wirkung ist aufgrund der Vielzahl an unterschiedli-
chen Substanzen nicht möglich. Gezielte Manipulatio-
Die Vorschriften zur Sicherheit und Kontrolle des nen der chemischen Struktur ermöglichen es, kontinu-
Betäubungsmittelverkehrs, die im Rahmen einer ierlich neue Substanzen auf den Markt zu bringen.
Substitutionstherapie unverzichtbar sind, werden Neue psychoaktive Stoffe werden zum Beispiel als
dagegen in der BtMVV fortgeführt. Pulver, Tabletten, Kräuter oder Kapseln angeboten. Die
größten Stoffgruppen sind synthetische Cannabinoide,
Die Neuregelungen zielen auch darauf ab, mehr die eine ähnliche Wirkung haben wie der Cannabis-
Ärztinnen und Ärzte für die Beteiligung an der Wirkstoff THC und synthetische Cathinone (Ampheta-
Substitutionsbehandlung zu gewinnen und damit die minderivate). In der Regel ist bei den NPS weder die
Versorgung der Substitutionspatientinnen und Zusammensetzung der Wirkstoffe noch deren Menge
Substitutionspatienten, vor allem im ländlichen Raum, bekannt. Daher ist der Konsum mit nicht zu kalkulie-
zu verbessern. renden gesundheitlichen Risiken und mit zum Teil
gravierenden Folgen verbunden.

Weiterlesen Trends
Aussagen zu den Trends des Konsums neuer psychoak-
Aktuelle opiatbezogene Projekte werden in
tiver Stoffe in Deutschland sind derzeit nicht möglich.
Kapitel 6 vorgestellt.
In den bundesweiten Befragungen des Epidemiologi-
schen Suchtsurvey und der Drogenaffinitätsstudie
wurde die einheitliche Erfassung dieser Gruppe von
Substanzen erst in den Erhebungen des Jahres 2015
eingeführt.

Konsum und Prävalenzen


– bei Erwachsenen
Von den im Rahmen des Epidemiologischen Sucht­
survey 2015 befragten 18- bis 64-Jährigen gaben 2,8 %
an, mindestens einmal in ihrem Leben neue psychoak-
tive Stoffe konsumiert zu haben. Bei Männern lag die
Prävalenz mit 3,1 % höher als bei Frauen mit 2,5 %.
Bezogen auf die letzten 12 Monate gaben 0,9 % der
Erwachsenen einen Konsum dieser Stoffe an. Hier
zeigten sich keine Unterschiede zwischen Männern

3_Fakten, Trends und Politik


60 

und Frauen. Bezogen auf die bundesdeutsche Bevölke- Konsum (­ mindestens zehnmaliger Konsum einer
rung im Alter zwischen 18 und 64 Jahren haben somit Substanz) berichteten deutlich mehr negative Effekte
459.000 Personen im letzten Jahr neue psychoaktive als Personen mit gelegentlichem Konsum.
Stoffe konsumiert. Die höchsten Prävalenzen zeigte die
Altersgruppe der 18- bis 20-Jährigen. Neue Regelungen
Am 26. November 2016 ist das Neue-psychoaktive-
– bei Jugendlichen Stoffe-Gesetz (NpSG) in Kraft getreten.
Der Konsum der neuen psychoaktiven Stoffe wurde
erstmalig im Jahr 2015 in der Drogenaffinitätsstudie Das Bundesgesundheitsministerium hat mit diesem
der BZgA erfasst. Von den 12- bis 17-jährigen Jugend­ Gesetz in Ergänzung zum einzelstofflichen Ansatz des
lichen gaben 0,1 % an, schon einmal neue psychoaktive Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) einen neuen Ansatz
Stoffe konsumiert zu haben. Unter den 18- bis 25-jähri- entwickelt, mit dem erstmals in Deutschland ganze
gen jungen Erwachsenen war die Erfahrung mit dem Stoffgruppen, welche eine Vielzahl von Einzelsubstan-
Konsum dieser Stoffe höher. 2,2 % berichteten, mindes- zen umfassen, verboten werden. Dadurch wird den von
tens einmal NPS probiert zu haben. Für die Mehrheit NPS insbesondere für Jugendliche und junge Erwach-
dieser Gruppe lag der letzte Konsum aber schon mehr sene ausgehenden erheblichen Gesundheitsgefahren
als zwölf Monate zurück. Insgesamt 0,3 % aller 18- bis vorausschauend und effektiver begegnet. Es ist nicht
25-Jährigen haben in den letzten zwölf Monaten vor mehr wie zuvor möglich, durch kleine chemische
der Befragung neue psychoaktive Stoffe konsumiert. Veränderungen die Verbote und Strafvorschriften des
BtMG zu umgehen und gefährliche Stoffe als ver-
Gesundheitliche Folgen des Konsums meintlich legal auf den Markt zu bringen.
Im Rahmen des EU-Projekts „SPICE II plus“ wurde in
den Jahren 2013 und 2014 eine Online-Erhebung unter Das NpSG sieht ein weitreichendes Verbot des Erwerbs,
im Konsum von NPS erfahrenen Personen durchge- Besitzes und Handels mit NPS und eine Strafbeweh-
führt. Hierbei wurden unter anderem kurz- sowie rung der Weitergabe von NPS vor. Ziel des Gesetzes ist
mittel- bis langfristige negative Effekte von NPS bei es, die Verbreitung von NPS zu bekämpfen und so ihre
771 Konsumenten erhoben. 666 der Konsumenten Verfügbarkeit als Konsum- und Rauschmittel einzu-
berichteten von Erfahrungen mit synthetischen schränken.
Cannabinoiden, 347 von Erfahrungen mit Research
Chemicals und 225 von Erfahrungen mit anderen soge- Die beiden Stoffgruppen von NPS, die dem Verbot
nannten Legal Highs wie etwa Badesalzen (Doppel­ unterliegen, sind in der Anlage des Gesetzes aufgeführt:
nennungen möglich). Die am häufigsten berichteten
kurzfristigen negativen Effekte waren Herzrasen, 1. Von 2-Phenethylamin abgeleitete Verbindungen
Kreislaufprobleme, Kopfschmerzen, Übelkeit und (das heißt mit Amphetamin verwandte Stoffe,
Panikattacken. Als mittel- und langfristige negative einschließlich Cathinone)
Folgen wurden am häufigsten Craving (starkes Sub­ 2. Cannabimimetika/synthetische Cannabinoide (das
stanzverlangen) und Entzugssymptome berichtet. Die heißt Stoffe, die die Wirkung von Cannabis imitieren)
meisten negativen Effekte wurden für synthetische
Cannabinoide genannt, dies gilt ebenso für schwerere Diese Verbindungen machen seit dem Jahr 2005 zwei
Nebenwirkungen wie Bewusstlosigkeit oder Atemnot Drittel aller neuen Stoffe aus, die über das europäi-
und Entzugssymptome. Personen mit häufigerem sche Frühwarnsystem gemeldet werden. Insofern

3_Fakten, Trends und Politik


61 

besteht zunächst bei diesen Stoffgruppen ein 2.5 Computerspiel- und Internetabhängigkeit
vordringlicher gesetzgeberischer Handlungsbedarf.
Je nach Entwicklung des Marktes kann es in der Verhalten und Diagnoseproblematik
Zukunft angezeigt sein, weitere Stoffgruppen den Mit verschiedenen Begriffen wie „Computerspiel­
Regelungen des NpSG zu unterstellen oder aber abhängigkeit“, „pathologischer Internetgebrauch“ und
Stoffgruppen auszuweiten oder einzuschränken. Den „Internetsucht“ werden Verhaltensweisen bezeichnet,
Stoffgruppen unterfallende Einzelstoffe, die sich als die viele Merkmale von Sucht oder Abhängigkeit
nicht nur gering psychoaktiv und als in besonderer aufweisen. Nach derzeitigem wissenschaftlichem Stand
Weise gesundheitsgefährdend erweisen sowie in werden die neu erforschten Störungsbilder im Bereich
größerem Ausmaß missbräuchlich verwendet der Computerspiel- und Internetnutzung den stoffun-
werden, werden auch weiterhin aufzählend in die gebundenen Suchterkrankungen (Verhaltenssüchten)
Anlagen des BtMG aufgenommen. In diesen Fällen zugerechnet.
gehen die strengeren Regelungen des BtMG denen
des NpSG vor. Die Betroffenen haben zum Beispiel ihren Umgang mit
dem Internet und Computerspielen nicht mehr unter
So hat die Bundesregierung mit der 31. Betäubungs- Kontrolle, sie beschäftigen sich gedanklich übermäßig
mittelrechts-Änderungsverordnung (BtMÄndV) vom stark damit, fühlen sich unruhig oder gereizt, wenn sie
31. Mai 2016 sechs NPS in die Anlagen des BtMG diese Angebote nicht nutzen können, oder sie vernach-
aufgenommen. Mit der 18. Verordnung zur Ände- lässigen andere wichtige Lebensaufgaben wegen des
rung von Anlagen des BtMG, die sich im parlamen­ Computerspielens oder der Internetnutzung. Während
tarischen Verfahren befindet, sollen weitere zwölf für den Bereich des Computerspielens weitgehende
Stoffe dem BtMG unterstellt werden, zu denen Einigkeit darüber besteht, dass es deutliche Parallelen
positive Voten des Betäubungsmittel-Sachverständi- zu einem Suchtverhalten gibt, ist derzeit noch nicht
genausschusses vorliegen. geklärt, ob weitere internetbezogene Verhaltenswei-
sen – hierbei ist insbesondere die exzessive Nutzung
sozialer Netzwerke zu nennen – ebenfalls den Verhal-
Weiterlesen tenssüchten zuzuordnen sind. Ein wichtiger Schritt zur
Klärung der Frage, wann eine Computerspielnutzung
Aktuelle NPS-bezogene Projekte werden in
mit Krankheitswert vorliegt, erfolgte 2013 durch die
Kapitel 6 vorgestellt.
Expertengruppe für die fünfte Revision des „Diagnosti-
schen und Statistischen Manuals Psychischer Störun-
gen“ (DSM-5) der American Psychiatric Association
(APA). Da Belege zu Störungen mit Krankheitswert vor
allem im Bereich der pathologischen Computerspiel-
nutzung vorliegen, wurde die Forschungsdiagnose auf
diese begrenzt und als Internet Gaming Disorder
bezeichnet.

3_Fakten, Trends und Politik


62 

Internet Gaming Disorder 12- bis 17-jährigen Jugendlichen von 2011 bis 2015
statistisch signifikant erhöht. Bei weiblichen Jugendli-
Wenn fünf (oder mehr) der folgenden Symptome
chen hat sie sich fast verdoppelt. Bei jungen Männern
über eine Periode von zwölf Monaten bestehen, liegt
und Frauen im Alter von 18 bis 25 Jahren liegen die
eine Internet Gaming Disorder vor (DSM-5):
• dauernde Beschäftigung mit Internet- bzw. Werte im Jahr 2015 gering­fügig höher als noch 2011.
Online-Spielen
• Entzugssymptome, wenn nicht gespielt werden
kann, zum Beispiel Unruhe, Gereiztheit ABBILDUNG 17:
• Toleranzentwicklung: Bedürfnis, immer mehr VERBREITUNG DER COMPUTERSPIEL- UND INTERNET­
zu spielen ABHÄNGIGKEIT UNTER MÄNNLICHEN UND WEIBLI-
• Kontrollverlust: Versuche, weniger oder nicht zu CHEN JUGENDLICHEN UND JUNGEN ERWACHSENEN IN
DEN JAHREN 2011 UND 2015
spielen, missglücken
• Verlust des Interesses an früheren Hobbys oder
%
anderen Aktivitäten
• Täuschung von Familienmitgliedern, Thera­
peuten oder anderen Personen über das wirk­ 10
liche Ausmaß des Online-Spielens
• Gebrauch der Online-Spiele, um negativen 8
Emotionen (zum Beispiel Hilflosigkeit, Ängst-
lichkeit) zu entkommen 6 6,2
• Gefährdung oder Verlust von Beziehungen,
5,3
Arbeit oder Ausbildung wegen des Online-
4
Spielens
• exzessives Online-Spielen trotz des Wissens um 2,6
2,5
die psychosozialen Probleme 2

0
2011 2015 2011 2015
12- bis 17-Jährige 18- bis 25-Jährige
Andere Formen problematischer Computernutzung,
etwa bezüglich sozialer Netzwerke, gelten zurzeit als   Männlich  Weiblich
noch nicht hinreichend untersucht. Einheitlich
anerkannte Methoden zur Erfassung der Störung Quelle: BZgA, 2017; Definition Computerspiel- und Internet­ab­
stehen zudem derzeit noch aus. hängigkeit: Befragte mit mindestens 30 Punkten in der Compulsive
Internet Use Scale (CIUS)

Trends
In der Drogenaffinitätsstudie der BZgA wird die Prävalenzen
Verbreitung der Computerspiel- und Internetabhän- Es gibt eine Reihe von Prävalenzstudien zu Internet­
gigkeit unter 12- bis 25-jährigen Jugendlichen und bezogenen Störungen. Allerdings gibt es eine große
jungen Erwachsenen in Deutschland mit der „Compul- Bandbreite an ermittelten Zahlen, was insbesondere
sive Internet Use Scale“ (CIUS) untersucht. Diese Skala an den unterschiedlichen Studiendesigns liegt. Die
wurde erstmals im Jahr 2011 in einer Drogenaffinitäts- Ergebnisse variieren aufgrund studienspezifischer
studie eingesetzt. Mit der Drogenaffinitätsstudie 2015 Faktoren wie untersuchte Populationen, Repräsentati-
liegen nun Daten für einen zweiten Messzeitpunkt vor vität, Erhebungsverfahren und Definition der Störung.
und ein Vergleich der beiden Jahre ist möglich. Die Drei aktuelle Studien aus Deutschland sollen das
Verbreitung der Computerspiel- und Internetabhän- Ausmaß des Problems beschreiben:
gigkeit hat sich unter männlichen und weiblichen

3_Fakten, Trends und Politik


63 

Drogenaffinitätsstudie der BZgA


Im Jahr 2015 ist nach den Befunden der Drogenaffini- Die Verbreitung der Computerspiel- und Internetab-
tätsstudie der BZgA bei 5,8 % aller 12- bis 17-jährigen hängigkeit unterscheidet sich bei 12- bis 25-Jährigen
Jugendlichen von einer Computerspiel- oder Internet­ nach Bildungs- und sozialen Merkmalen.
abhängigkeit auszugehen. Weibliche Jugendliche im
Alter von 12 bis 17 Jahren sind mit 7,1 % statistisch Bei Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I
signifikant stärker betroffen als die männlichen sind Computerspiel- und Internetabhängigkeit in der
Jugendlichen dieser Altersgruppe (4,5 %). Unter jungen Gruppe, die das Gymnasium besuchen, am geringsten
Erwachsenen im Alter von 18 bis 25 Jahren ist die (3,8 %) und in der Gruppe, die in der Gesamtschule ist,
Computerspiel- oder Internetabhängigkeit mit am weitesten (7,6 %) verbreitet. Bezogen auf ihre
insgesamt 2,8 % geringer verbreitet als unter Jugend­ aktuelle Ausbildungssituation oder Tätigkeit sind bei
lichen. Die jungen Männer und Frauen dieser Alters- den Befragten, die nicht mehr in der Sekundarstufe I
gruppe unterscheiden sich nicht. sind, Berufsschülerinnen und Berufsschüler (9,8 %)
deutlich häufiger betroffen als Gymnasiastinnen und
Gymnasiasten (2,1 %).

ABBILDUNG 18:
VERBREITUNG DER COMPUTERSPIEL- UND INTERNETABHÄNGIGKEIT NACH BILDUNGS- UND SOZIALEN
MERKMALEN BEI 12- BIS 25-JÄHRIGEN IM JAHR 2015

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Ge

Be

Er
Au

Befragte in der Sekundarstufe I Befragte außerhalb der Sekundarstufe I

Quelle: BZgA, 2017; Definition Computerspiel- und Internetabhängigkeit: Befragte mit mindestens 30 Punkten in der
Compulsive Internet Use Scale (CIUS)

3_Fakten, Trends und Politik


64 

Studie „Game over“ der DAK-Gesundheit mindestens fünf von neun Standardfragen mit „Ja“
Für die repräsentative Untersuchung „Game over: beantwortet, gelten die Teilnehmer laut Fragebogen
Wie abhängig machen Computerspiele?“ der DAK- als „computerspielabhängig“.
Gesundheit und des Deutschen Zentrums für Suchtfra-
gen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklini- Danach erfüllen 8,4 % der männlichen Kinder, Jugend-
kum Hamburg-Eppendorf wurden 1.531 Kinder, lichen und jungen Erwachsenen im Alter zwischen
Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 12 bis 12 bis 25 Jahren die Kriterien für eine Abhängigkeit
25 Jahren befragt. Erstmals wurde in dieser Studie die nach der „Internet Gaming Disorder Scale“. Jeder
Häufigkeit einer Computerspielabhängigkeit in einer zwölfte Junge oder junge Mann ist diesen Zahlen
für Deutschland repräsen­tativen Stichprobe unter- zufolge süchtig nach Computerspielen. Der Anteil der
sucht. betroffenen Mädchen und jungen Frauen liegt mit
2,9 % deutlich niedriger. Insgesamt beträgt der Anteil
Die Grundlage bildeten die Kriterien der amerikani- der Betroffenen in der Altersgruppe der 12- bis
schen „Internet Gaming Disorder Scale“. Werden 25-Jährigen 5,7 %.

ABBILDUNG 19:
AUSWIRKUNGEN DES SPIELVERHALTENS

Es haben im vergangenen Jahr …


Insgesamt Jungen Mädchen
… Spiele gespielt, um nicht an unangenehme
34 33 34
Dinge denken zu müssen

… sich unzufrieden gefühlt, weil


23 29 16
sie mehr spielen wollten

… sich unglücklich gefühlt, wenn sie


nicht spielen konnten 21 26 14

… schon mal stundenlang an nichts anderes


denken können als an den Moment, an 16 22 8
dem sie wieder spielen können

… Streit mit anderen gehabt durch 14 19 7


das Spielverhalten

… kein Interesse an Hobbys oder anderen


Aktivitäten gezeigt, weil sie spielen wollten 12 15 8

… die Zeit, die sie Spielen gewidmet


haben, vor anderen geheim gehalten 11 12 10

… das Spielen nicht verringern können,


während andere sagten, dass sie 10 13 6
das tun müssen

… ernsthafte Probleme mit der Familie,


4 6 3
Freunden oder dem Partner durch
das Spielen gehabt

Quelle: DAK; Angaben in Prozent; Basis: Befragte, die am Computer, Tablet, der Spielekonsole oder am Smartphone Spiele spielen

3_Fakten, Trends und Politik


65 

Wie die Studie weiter zeigt, verursacht die exzessive senen häufig negative soziale Auswirkungen in
Nutzung von Computerspielen massive Probleme bei verschiedenen Bereichen:
den Betroffenen. Für die befragten Jungen und jungen
Männer beinhaltet das, dass sie am Wochenende im • 46 % der Befragten vernachlässigen soziale Kontakte
Durchschnitt fast drei Stunden pro Tag am Computer zu Freunden oder zu Familienangehörigen, die ihnen
spielten. Sechs Prozent hatten „ernsthafte Probleme früher wichtig waren. In der Altersgruppe der 15- bis
mit Familie oder Freunden“ durch Computerspiele. 17-jährigen Jungen sind es mit 69 Prozent die
13 % konnten das Spielen, entgegen dem Rat anderer meisten.
Menschen, nicht reduzieren. 19 % hatten Streit durch • 40 % der Befragten haben wegen der Nutzung von
ihr Spielverhalten. 26 % fühlten sich unglücklich, weil Computerspielen Streit mit den Eltern. In der
sie nicht spielen konnten. Befragte Mädchen hingegen Altersgruppe der 12- bis 14-jährigen Jungen sind es
berichteten nur halb so häufig oder noch seltener von mit 89 % die meisten.
derartigen Problemen. • 16 % der Befragten nehmen wegen der Nutzung von
Computerspielen nicht an gemeinsamen Mahlzeiten
Laut Untersuchung haben Computerspiele bei den teil. In der Altersgruppe der 15- bis 17-jährigen
befragten Kindern, Jugendlichen und jungen Erwach- Jungen sind es mit 34 % die meisten.

ABBILDUNG 20:
AUSWIRKUNGEN DER COMPUTERSPIELE

Wegen der Nutzung von


Computerspielen …

… vernachlässigen soziale Kontakte


(z. B. zu Freunden, Familienangehörigen), 54 31 13 2
die für sie früher wichtig waren

59 21 13 6
… gibt es Streit mit den Eltern

… nehmen nicht an gemeinsamen 80 11 41


Mahlzeiten teil

  nie   selten   manchmal  (sehr) häufig   weiß nicht

Quelle: DAK; Angaben in Prozent; Basis: Befragte, die am Computer, Tablet, an der Spielekonsole oder am Smartphone Spiele spielen

3_Fakten, Trends und Politik


66 

BLIKK-Studie • 70 % der Kinder im Kita-Alter benutzen das Smart-


Um besser zu verstehen, wie sich die Nutzung digitaler phone ihrer Eltern mehr als eine halbe Stunde
Medien auf die kindliche Entwicklung auswirkt, führt täglich
die Rheinische Fachhochschule Köln in Kooperation • 69,5 % der 2- bis 5-Jährigen können sich weniger
mit dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte als zwei Stunden selbständig ohne die Nutzung von
die Studie BLIKK (Bewältigung, Lernverhalten, Intelli- digitalen Medien beschäftigen
genz, Kompetenz, Kommunikation) durch. • Bei denjenigen, die intensiv digitale Medien nutzen,
zeigt sich in allen untersuchten Altersgruppen eine
Im Rahmen einer Querschnittsstudie wird seit Juni motorische Hyperaktivität
2016 bundesweit in 79 Kinder- und Jugendarztpraxen • Bei Kindern bis zum 6. Lebensjahr finden sich
das digitale Mediennutzungsverhalten von Kindern vermehrt Sprachentwicklungsstörungen
und Jugendlichen (und deren Eltern) in den drei • Wird eine digitale Medienkompetenz nicht frühzei-
Altersclustern: 0–1 Jahr (Säuglinge), 2–6 Jahre (Vor- tig erlernt, besteht ein erhöhtes Risiko, den Umgang
schulkinder) sowie Kinder und Jugendliche im Alter mit den digitalen Medien nicht kontrollieren zu
von 7 bis 14 Jahren (Schulkinder) evaluiert und mit den können
korrespondierenden Ergebnissen der pädiatrischen
Früherkennungsuntersuchungen nach PaedCheck® Projektpartner der BLIKK-Studie: Institut für Medizin-
(U3 bis zur J1) und einem Fragebogen zum Lebensum- ökonomie & Medizinische Versorgungsforschung der
feld korreliert. Rheinischen Fachhochschule Köln (RFH), Berufsver-
band der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Stiftung
Auf der Basis dieses Studiensettings soll unter anderem Kind und Jugend des Berufsverbandes der Kinder-
die digitale Mediennutzungskompetenz der Eltern und Jugendärzte (BVKJ), Universität Duisburg-Essen,
sowie die der Kinder bzw. Jugendlichen abgebildet Fachbereich Allgemeine Psychologie, Deutsche
werden. Der wissenschaftliche Hypothesenansatz geht Gesellschaft für Ambulante Allgemeine Pädiatrie
davon aus, dass eine dysregulierte Mediennutzungs- (DGAAP).
kompetenz ein weiterer Faktor für das Auftreten von
Entwicklungs- und/oder Verhaltensstörungen sein
kann. Weiterlesen

Aktuelle Projekte zur Prävention und Behandlung


Ergebnisse der Studie, in die rund 5.600 Kinder und
von Internetabhängigkeit finden Sie in Kapitel 6
Jugendliche einbezogen waren, wurden Ende Mai 2017
„Projekte, Studien und Initiativen“.
in Berlin vorgestellt:

3_Fakten, Trends und Politik


67 

2.6 Pathologisches Glücksspiel Die Studie „Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht


in Deutschland“ wurde bereits zum fünften Mal von
Verhalten und Diagnose der BZgA durchgeführt, um ein Monitoring zum
Glücksspiel kann von anderen Spielformen wie Glücksspielverhalten in Deutschland bereitzustellen
beispielsweise Gesellschaftsspielen besonders über das (n = 11.500). Die Befragung wird seit 2007 regelmäßig
Kriterium „Einsatz von Geld“ unterschieden werden. alle zwei Jahre durchgeführt, wodurch die Entwicklung
Dieser Einsatz von Geld kann bei einem auffälligen der Prävalenzen auch beim pathologischen Glücksspiel
Spielverhalten, bis hin zum Kontrollverlust, weitrei- beobachtet werden kann und gegebenenfalls adäquate
chende negative persönliche und gesellschaftliche Präventionsmaßnahmen erfolgen können.
Effekte haben. Betroffene Personen gefährden bei
hohen finanziellen Verlusten und zwanghaftem Um pathologische Glücksspieler in der Befragung
(„spielsüchtigem“) Verhalten nicht selten ihre finanziel- identifizieren zu können, wurden alle Befragten, die in
le und gesellschaftliche Existenz. Finanzielle Verluste, den letzten 12 Monaten vor dem Befragungszeitpunkt
Abhängigkeit, psychische und emotionale Belastungen, mindestens ein Glücksspiel gespielt haben, mithilfe
Konflikte in der Familie oder am Arbeitsplatz können eines standardisierten und validierten Instruments
die Folgen sein. Das pathologische (zwanghafte) (South Oaks Gambling Screen – SOGS) auf pathologi-
Glücksspiel wurde mittlerweile im internationalen sches Spielverhalten hin überprüft. Hierzu werden
diagnostischen System der International Classification 20 Fragen – wie zum Beispiel Frage 1: „Wenn Sie
of Diseases (ICD) der Weltgesundheitsorganisation als spielen, wie häufig versuchen Sie an einem der nächs-
eigenständige psychische Erkrankung anerkannt. ten Tage durch erneutes Spielen Geldverluste zurück-

ABBILDUNG 21:
TRENDS TEILNAHME AN IRGENDEINEM GLÜCKSSPIEL IN DEN LETZTEN 12 MONATEN IN DEN BZGA-SURVEYS
2007 BIS 2015 (IN PROZENT)

70

60,0* 60,0*
60
55,0* 56,5*
53,8*
50,7* 50,0*
50 47,5*
44,7 44,8*
40,2* 43,3
40 37,3
35,3*
31,2
30

20

10

0
Gesamt Männlich Weiblich
 2007   2009  2011  2013  2015

Stichprobe: 2007: 10.001, 2009: 10.000, 2011: 10.002, 2013: 11.501, 2015: 11.501 (Die Fallzahlen der einzelnen
Jahre weichen geringfügig von der Stichprobengröße ab, da „missings“ in der Auswertung nicht berücksichtigt
wurden). 2009 bis 2011: Festnetzstichprobe, 2013 und 2015: „Dual Frame“-Stichprobe.
* p < 0,05 %
Quelle: www.bzga.de/forschung/studien-untersuchungen/studien/gluecksspiel

3_Fakten, Trends und Politik


68 

zugewinnen?“ – gestellt. Sobald mindestens 5 der Prävalenzen


20 Fragen mit „Ja“ beantwortet werden, wird der – bei Erwachsenen
Befragte als vermutlich pathologischer Glücksspieler Zieht man soziodemografische Merkmale heran, um
klassifiziert. Um ergänzend auch eine Symptomatik im das Phänomen problematischen Glücksspielverhaltens
Sinne einer vorklinischen Belastung analysieren zu näher beschreiben zu können, werden einige Merkma-
können, hat es sich auch durchgesetzt, Befragte, die 3 le deutlich, die verstärkt mit einem tendenziell
oder 4 der 20 Fragen mit „Ja“ beantworten, als „proble- pathologischen Spielverhalten einhergehen. So macht
matisch Glücksspielende“ einzustufen. der Vergleich zwischen Befragungspersonen, die als
„unproblematisch“, „auffällig“ und „mindestens
Trends problematisch“ charakterisiert wurden, deutlich, dass
Der Anteil problematischer Glücksspieler unter allen eine Vielzahl von soziodemografischen Merkmalen
Befragten betrug im Jahr 2015 0,42 % (männlich: einen Einfluss auf das Spielverhalten hat oder als
0,66 %, weiblich: 0,18 %) und der Anteil pathologischer „Risikofaktoren“ bei einer entstehenden Glücksspiel-
Spieler 0,37 % (männlich: 0,68 %, weiblich: 0,07 %). sucht anzusehen sind. Betrachtet man Geschlechtsun-
Gegenüber 2013 sind damit beide Quoten zurückge- terschiede, wurde bereits in früheren Studien deutlich,
gangen und liegen aktuell wieder knapp unter dem dass, bezogen auf die Frage, ob jemals ein Glücksspiel
Niveau der Studie aus dem Jahre 2011. gespielt wurde, signifikant mehr Männer Glücksspiele

ABBILDUNG 22:
TRENDS PROBLEMATISCHES UND PATHOLOGISCHES GLÜCKSSPIELVERHALTEN NACH
GESCHLECHT IN DEN BZGA-SURVEYS 2009 BIS 2015 (IN PROZENT)

3,0

2,5
1,32

2,0

1,5
0,82 0,55
0,58 0,68
1,0
0,45 0,49
0,37
0,34 0,39*
0,5
0,31
0,64 0,51 0,69 0,42 0,88 0,73 1,16 0,66 0,07
0,40 0,28 0,19 0,18
0
2009 2011 2013 2015 2009 2011 2013 2015 2009 2011 2013 2015

Gesamt Männlich Weiblich


Problematisch Pathologisch

Stichprobe: 2007: 10.001, 2009: 10.000, 2011: 10.002, 2013: 11.501, 2015: 11.501 (Die Fallzahlen der einzelnen
Jahre weichen geringfügig von der Stichprobengröße ab, da „missings“ in der Auswertung nicht berücksichtigt
wurden). 2009 bis 2011: Festnetzstichprobe, 2013 und 2015: „Dual Frame“-Stichprobe.
* p < 0,05 %
Quelle: www.bzga.de/forschung/studien-untersuchungen/studien/gluecksspiel

3_Fakten, Trends und Politik


69 

spielen als Frauen. Hinsichtlich „auffälliger“ oder Auch wenn die 0,37 % der identifizierten Jugendlichen
„mindestens problematischer“ Spielweise ist ein (ausschließlich Jungen) noch nicht als pathologisch
signifikanter Geschlechtereffekt zu beobachten. 54,5 % klassifiziert wurden, kommt der Prävention in diesem
aller Befragten mit „unproblematischem“ Glücksspiel- Alterssegment eine besondere Bedeutung zu, da junge
verhalten sind Männer. Der Anteil der Männer steigt Erwachsene im Alter bis 25 Jahre ein signifikant
bei „auffälligem“ Glücksspielverhalten auf 64,6 % und erhöhtes Risiko aufweisen, „problematische“ oder
bei Befragten mit „mindestens problematischem“ pathologische Spielweisen zu entwickeln (1,40 % der
Glücksspielverhalten auf 84,7 % signifikant an. Fokus- 21- bis 25-Jährigen).
siert man sich auf Befragungspersonen mit „mindes-
tens problematischer“ Spielweise, sind weitere signifi- Volkswirtschaftliche Folgen
kante Effekte sichtbar. Befragte mit „mindestens Das Angebot von Glücksspielen geht für die Freizeit-
problematischem“ Glücksspielverhalten sind demnach spieler mit Spielfreude einher, beschert den Anbietern
zu 84,7 % männlich, spielen zu 64,4 % mehr als ein Unternehmensgewinne und dem Staat Steuereinnah-
Glücksspiel, setzen zu 54,4 % mindestens 100 Euro pro men. Zugleich entstehen aus dem Angebot von
Monat ein und spielen zu 53,7 % regel­mäßig mindes- Glücksspielen auch negative Folgen für die Gesell-
tens ein Glücksspiel. Weiterhin erhöht sich das Risiko, schaft. Diese erwachsen im Wesentlichen aus dem
pathologisches Glücksspiel zu betreiben, signifikant bei Phänomen der Spielsucht, durch welche das Spielver-
Personen, die maximal über einen Hauptschulab- halten zwanghaft und unkontrolliert wird. Weitere
schluss verfügen oder einen Migrationshintergrund negative Folgen haben ihre Ursache in Begleitkrimina-
aufweisen. lität wie Wettmanipulation oder Geldwäsche.

– bei Jugendlichen Für eine gesamtgesellschaftliche Bewertung von


Im letzten Befragungsjahr der Studie (Jahr 2015) wurde Glücksspielen müssen die Kosten dem Nutzen gegen-
zum zweiten Mal nach 2013 das Erhebungsinstrument übergestellt werden. Für derlei Analysen hat die
zur Erfassung glücksspielassoziierter Probleme bei Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine standardi-
Jugendlichen in einer für diese Zielgruppe adaptierten sierte Methodik entwickelt. Wird für Deutschland eine
Form verwendet, um glücksspielassoziierte Probleme Anzahl von 195.000 pathologischen und 245.000
bei Jugendlichen adäquater abbilden zu können. Da bei problematischen Spielern (Mittelwert über verschiede-
Jugendlichen zumeist noch keine Verfestigung einer ne Studien) zugrunde gelegt, ergibt sich aus den von
starken Störungssymptomatik besteht, wird auf die der WHO als relevant erachteten Effekten ein gesamt-
Klassifizierung von pathologisch Spielenden verzichtet, gesellschaftlicher Nettoeffekt von –411 Millionen Euro
wodurch die pathologische Glücksspielsucht bislang pro Jahr. Hierbei bleiben allerdings jegliche Kosten
eher als Phänomen innerhalb des Erwachsenenalters unberücksichtigt, die von den Spielern selbst getragen
zu charakterisieren ist. werden, da angenommen wird, dass diese vollständig
rational handeln und auch ein Spielsüchtiger mehr
In der letzten Erhebung haben 18,2 % der befragten Spielfreude als negative Konsequenzen erfährt.
16- bis 17-jährigen Jugendlichen und 37,9 % der über Weiterhin werden immaterielle (intangible) Effekte,
18-jährigen Erwachsenen in den letzten 12 Monaten wie zum Beispiel das Leid von Spielsüchtigen und
mindestens ein Glücksspiel gespielt. Differenziert man deren Angehörigen, aus der Analyse ausgeschlossen.
beide Gruppen bezogen auf ihr Glücksspielverhalten, Wird auf die Annahme vollständiger Rationalität
so wurden 0,37 % der 16- bis 17-Jährigen und 0,81 % zugunsten der Annahme teilrationaler Spieler verzich-
der Erwachsenen mit mindestens „problematischem“ tet und werden auch immaterielle Effekte berücksich-
Glücksspielverhalten identifiziert. tigt, dann ergibt sich ein Wohlfahrtsschaden von fast
7 Milliarden Euro pro Jahr (Fiedler, 2016).

3_Fakten, Trends und Politik


70 

TABELLE 04:
KOSTEN-NUTZEN-ANALYSE VON GLÜCKSSPIEL

Berechnungsmethode Wohlfahrtseffekt (Kosten minus Nutzen)

Rationale Spieler, keine intangiblen Effekte (WHO-Richtlinie) –411 Mio. Euro


Rationale Spieler und intangible Effekte –4.516 Mio. Euro
Teilrationale Spieler, keine intangiblen Effekte –2.045 Mio. Euro
Teilrationale Spieler und intangible Effekte –6.974 Mio. Euro

Die verschiedenen Spielsegmente weisen stark Das Glücksspiel erfordert differenzierte Maßnahmen
unterschiedliche Effekte auf. Während Lotterien für die einzelnen Glücksspielformen, die spezifische
aufgrund der geringen Suchtgefahr eine insgesamt Sucht-, Betrugs-, Manipulations- und Kriminalitäts­
positive Wohlfahrtsbilanz aufweisen, sind Spielauto- potenziale berücksichtigen.
maten in Spielhallen, Gaststätten und staatlichen
Spielbanken am schädlichsten. Solche volkswirtschaft- Zu regeln sind auch Art und Umfang der Werbung
lichen Kosten-Nutzen-Analysen sind aufgrund vieler für Glücksspiele, die sich an diesem Ziel ausrichten
Limitationen in der Datengrundlage und zu treffender müssen. Alle Bundesländer haben dafür eine gemein-
Annahmen zwangsläufig ungenau. Trotz exakter same Werberichtlinie erlassen. Die konkrete Gestaltung
Zahlenwerte sollten die Ergebnisse daher nur als der Werbung muss das spezifische Gefährdungspoten-
Gradmesser verwendet werden. zial des beworbenen Glücksspielprodukts berücksich­
tigen.
Neue Regelungen
Die Zuständigkeit für die Glücksspielregulierung liegt Die Ministerpräsidentenkonfe­renz hat Ende Oktober
im Wesentlichen bei den Bundesländern. Der Glücks- 2016 neue Regelungen im Glücksspielstaatsvertrag
spielstaatsvertrag formuliert das Ziel, das Entstehen zum Thema Sportwetten beschlossen, die mehr
von Spielsucht zu verhindern und durch ein begrenztes Rechtssicherheit für Sportwettenanbieter und Spieler
Glücksspielangebot Voraussetzungen für eine wirksa- bieten sollen. Diese Änderungen sollen zum 1. Januar
me Suchtprävention zu schaffen. Der Glücksspiel- 2018 in Kraft treten. Bisher sind Sportwetten nicht
staatsvertrag ist immer im Zusammenhang mit den erlaubt. Außerdem treten dort am 1. Juli 2017 Regelun-
Spielhallengesetzen der Länder zu sehen, die die gen in Kraft, die die Kommunen verpflichten, Mindest-
Zulassung von Spielhallen regeln. abstände zwischen den Spielhallen neu zu regeln.

3_Fakten, Trends und Politik


71 

Die Spielverordnung (SpielV) regelt nur die Aufstellung


und Zulassung von Geldspielgeräten (Automaten). Mit
der Sechsten Verordnung zur Änderung der Spielver-
ordnung, die am 10. November 2014 verkündet wurde,
wurde die Spielverordnung umfassend novelliert, um
den Spieler- und Jugendschutz weiter zu verbessern.
Die Änderungsverordnung sieht für einige Maßnah-
men ein zeitlich gestaffeltes Inkrafttreten vor. Seit dem
10. Februar 2016 setzt die Erteilung einer Bauartzulas-
sung für ein Geldspielgerät voraus, dass das Gerät nur
mit einem gerätegebundenen und personenungebun-
denen Identifikationsmittel (Spielerkarte) betrieben
werden kann. Der Aufsteller dieser Geräte muss dafür
sorgen, dass jedem Spieler nur eine Spielerkarte nach
Prüfung der Spielberechtigung (Alterskontrolle)
ausgehändigt wird. Mit dieser Maßnahme wird neben
dem Jugend- auch der Spielerschutz gestärkt, da das
gleichzeitige Bespielen mehrerer Geräte nicht möglich
ist, weil jeder Spieler nur eine Karte erhält. Geldspielge-
räte mit einer Bauartzulassung, die vor Verkündung
der Sechsten Änderungsverordnung erteilt wurde,
dürfen noch bis zum 10. November 2018 betrieben
werden.

Weiterlesen

Aktuelle Projekte zu pathologischem Glücksspiel


finden Sie in Kapitel 6 „Projekte, Studien und
Initiativen“.

3_Fakten, Trends und Politik


4_Internationales
73 

4 | Internationales
1 Europäische Drogen- und Für Acryloylfentanyl ist ein Vorschlag der Europäi-
schen Kommission erforderlich. In Umsetzung der von
Suchtpolitik der EBDD im Dezember 2015 vorgelegten Risikobewer-
tungen für den neuen psychoaktiven Stoff α-PVP
Die EU-Kommission konnte der Rat 2016 entsprechende Kontrollmaß­
In den letzten beiden Jahrzehnten haben die EU- nahmen beschließen.
Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission
gemeinsam einen europäischen Ansatz zur nachhalti- Horizontale Gruppe Drogen
gen Drogenbekämpfung entwickelt und sich vor Die Horizontale Gruppe Drogen (HDG) ist eine
diesem Hintergrund auf eine enge Zusammenarbeit Arbeitsgruppe des Rates der EU, in der Regierungen
verständigt. In Umsetzung ihrer Mitteilung „Eine aller Mitgliedstaaten vertreten sind. Der jeweilige
entschlossenere europäische Reaktion auf das Drogen- Vorsitz und das Generalsekretariat gewährleisten, dass
problem“ aus dem Jahr 2011 liegen seit 2013 Legislativ- die Gruppe über alle drogenbezogenen Fragen, die in
vorschläge für ein schnelleres, effektiveres und anderen Gruppen (zum Beispiel Gesundheit, Strafrecht,
verhältnismäßiges Vorgehen gegen neue psychoaktive Justiz und Inneres, Handel, Zoll, Auswärtiges) behan-
Stoffe vor, über die derzeit noch beraten wird. delt werden, auf dem Laufenden gehalten wird.

Die Europäische Kommission hat 2016 ein Experten- Im Kontext der Drogenpolitik der Vereinten Nationen
treffen zum Thema „Internet und Drogen“ organisiert (VN) koordinierte die HDG die gemeinsamen Positio-
sowie eine Studie über Alternativen zu Zwangssanktio- nen der EU für die 59. Sitzung der Suchtstoffkommissi-
nen bei Verstößen gegen Drogengesetze bzw. Drogen- on der VN (CND). Die EU brachte einen Resolutions-
kriminalität vorgelegt. entwurf mit dem Titel „Application of the principle of
proportionality in implementing drug control policies“
Die Dokumentation des Expertentreffens sowie die in die 59. CND ein.
Studie finden Sie auf der Webseite:
https://ec.europa.eu/home-affairs/what-we-do/ Ein weiterer Fokus lag zu Beginn des Berichtszeitraums
policies/organized-crime-and-human-trafficking/ auf der abschließenden Abstimmung der EU-Positio-
drug-control/eu-response-to-drugs_en nen für die Sondersitzung der Generalversammlung
der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Weltdro-
Der Rat der EU genproblems (UNGASS 2016). Die EU bekräftigte
Dem Antrag der EU-Kommission und mehrerer erneut, dass man während UNGASS für bekannte
Mitgliedstaaten gemäß Artikel 6 des „Beschlusses Positionen wie Schadensreduzierung („risk and harm
2005/387/JI des Rates betreffend den Informationsaus- reduction“) und Abschaffung der Todesstrafe für
tausch, die Risikobewertung und die Kontrolle bei Drogendelikte eintreten wolle.
neuen psychoaktiven Stoffen“ folgend, beschloss der
Rat 2016, die Risiken bewerten zu lassen, die mit dem 2016 wurden schwerpunktmäßig politische Dialoge
Konsum und der Herstellung der neuen psychoaktiven mit den USA, der Russischen Föderation und Brasilien
Stoffe MDMB-CHMICA und Acryloylfentanyl verbun- abgehalten, um der weltweiten Dimension des Drogen-
den sind. Hierbei wurden auch die gesundheitlichen problems Rechnung zu tragen. Ein Treffen mit der
und sozialen Risiken berücksichtigt. Der Bewertung Gemeinschaft der lateinamerikanischen und karibi-
unterlagen darüber hinaus die Risiken des illegalen schen Staaten (CELAC) fand auf hoher Ebene in Den
Handels, die Beteiligung der organisierten Kriminalität Haag statt.
und die möglichen Folgen von Kontrollmaßnahmen.
Ein daran anknüpfender Durchführungsbeschluss des Treffen der EU-Drogenkoordinatoren
Rates über Kontrollmaßnahmen wurde für MDMB- Auch 2016 und 2017 trafen sich die Drogenkoordinato-
CHMICA vom Rat im Februar 2017 verabschiedet. ren der EU-Mitgliedstaaten regelmäßig, um über neue

4_Internationales
74 

Strategien und Ansätze in der Drogenpolitik zu Cannabis ist nach wie vor die weltweit am meisten
beraten. gehandelte illegale Droge. Allerdings sind die Zahlen
zur Sicherstellung synthetischer Drogen, etwa von
Im Mai 2016 stand bei einem Treffen in Amsterdam Amphetaminen und Methamphetamin, zuletzt
das Thema „Drogen und Nachtleben“ auf der Agenda. signifikant gestiegen. Der globale Markt für syntheti-
Dabei wurden insbesondere die Erfahrungen mit sche Drogen wird nach wie vor durch Methampheta-
verschiedenen „Partyprojekten“ diskutiert. Gegenstand mine dominiert, insbesondere in Ost- und Südostasien
des Treffens im Oktober 2016 auf Einladung der sowie Nordamerika. Der Markt für neue psychoaktive
Slowakei war ein „Integrierter Ansatz zur gesundheitli- Stoffe ist weiterhin geprägt durch eine hohe Anzahl
chen und sozialen Versorgung von Drogenabhängigen“. neuer Substanzen. Waren die zwischen 2012 und 2014
Die maltesische EU-Präsidentschaft lud die Drogenko- gemeldeten Stoffe vor allem Bestandteil der Gruppe
ordinatoren ein, um im April 2017 die Erfahrungen mit der synthetischen Cannabinoide, so ist neuerdings zu
den in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlichen beobachten, dass viele neu auftauchende Stoffe nicht
„Alternativen zur Strafe“ zu diskutieren. mehr zu den Hauptgruppen gehören, die in der Ver-
gangenheit identifiziert wurden – das Spektrum der
Substanzen wird breiter.
2 Drogenpolitik der
Die globale Opiumproduktion ist 2015 auf das Niveau
Vereinten Nationen der späten 1990er-Jahre gefallen. Dies ist auf Rückgän-
ge in der Opiumproduktion in Afghanistan zurückzu-
Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung führen. Gleichwohl hat Afghanistan nach wie vor die
der Vereinten Nationen weltweit führende Position als Produzent und Anbauer
Deutschland ist seit vielen Jahren einer der Hauptun- für Opium inne. Nach Schätzungen von UNODC hat
terstützer des Drogenkontrollprogramms der Verein- sich die Zahl der Opiatnutzer weltweit in den vergan-
ten Nationen (UNDCP), das vom Büro für Drogen- und genen Jahren kaum verändert. 2014 haben ca. 17 Milli-
Verbrechensbekämpfung der VN (UNODC) durchge- onen Menschen Opiate konsumiert. Es erscheint eher
führt wird. UNODC veröffentlich jährlich einen unwahrscheinlich, dass sich der Rückgang der Produk-
Weltdrogenbericht, der einen umfassenden Überblick tion in 2015 auch auf das Konsumverhalten auswirken
über die aktuellen Entwicklungen auf dem Weltdro- wird. Infolge der Überproduktion der vergangenen
genmarkt gibt. Jahre ist der Markt nach wie vor mehr als gesättigt.

Weltweit konsumierte 2014 einer von 20 Erwachsenen Während es in den Anbaugebieten insgesamt kaum
zwischen 15 und 64 Jahren illegale Drogen. Wie in den Veränderungen gab, ist eine Verlagerung der Routen
vergangenen Jahren stellt Cannabis – global gesehen – für Drogenschmuggel zu beobachten. Die „Balkan­
die am häufigsten konsumierte illegale Droge dar, ge- route“ ist weiterhin der wichtigste Weg für den
folgt von Amphetaminen, Opioiden und Opiaten. Die Heroinhandel und die Belieferung von West- und
Daten zeigen, welche verheerenden Auswirkungen der Zentraleuropa. Allerdings steigt die Bedeutung der
Drogenkonsum nach wie vor auf die menschliche „Südroute“ durch Pakistan und Iran nach Südostasien.
Gesundheit hat: 2014 sind weltweit 207.400 Menschen Auch die „Nordroute“ für den Opiumhandel von
an illegalen Drogen gestorben. Etwa 29 Millionen Afghanistan durch angrenzende zentralasiatische
Menschen leiden unter drogenkonsumbedingten  Staaten, die Russische Föderation und die Gemein-
Erkrankungen. Von den 12 Millionen Menschen, die schaft unabhängiger Staaten (GUS) wird wieder
Drogen injizieren, leben 14 Prozent mit HIV. In vielen genutzt. Darüber hinaus ist ein Anstieg von Heroin-
Ländern sind insbesondere Gefängnisse ein Risiko­milieu schmuggel auf dem amerikanischen Kontinent zu
für übertragbare Krankheiten. Häufig mangelt es gerade beobachten, einhergehend mit verstärkter Opium­
hier an Präventions- und Behandlungsmaßnahmen. produktion in Lateinamerika.

4_Internationales
75 

Im Jahr 2016 lag der Schwerpunkt des Weltdrogen­ innerhalb der Bundesregierung sowie aus deren Ge-
berichts in Kapitel II auf allen Aspekten der nachhalti- schäftsbereichsbehörden. Die Sitzung war zur Vorbe-
gen Entwicklung. Alle diese Aspekte, wie sie in den reitung der Sondersitzung der Generalversammlung
17 globalen Zielen für nachhaltige Entwicklung der zum Weltdrogenproblem (UNGASS 2016) in ein
Agenda 2030 (Sustainable Development Goals – SDGs) UNGASS-Segment und einen regulären Abschnitt
bezeichnet wurden, sowie der Charakter und die aufgeteilt; die intensiven Verhandlungen um eine
Entwicklung des Weltdrogenproblems beeinflussen UNGASS-Abschlusserklärung überlagerten allerdings
sich gegenseitig: soziale Entwicklung, wirtschaftliche den Verlauf der gesamten CND. Am letzten Abend
Entwicklung, ökologische Nachhaltigkeit, friedvolle, wurde die UNGASS-Abschlusserklärung (Outcome
gerechte und integrative Gesellschaften sowie Partner- Document) verabschiedet. Damit kam ein sechsmona-
schaften. tiger Verhandlungsprozess zum Abschluss, in dem trotz
erheblicher Meinungsunterschiede zu vielen Aspekten
UNODC-Weltdrogenbericht 2016: der internationalen Drogenpolitik ein gemeinsames
https://www.unodc.org/doc/wdr2016/WORLD_DRUG_ Papier entstanden ist. Dieses soll in den nächsten
REPORT_2016_web.pdf Jahren als einer der Referenzpunkte der internationa-
len Zusammenarbeit der Drogenpolitik dienen.
Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung Deutschland hat diese Verhandlungen aktiv vorange-
Mit der „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ trieben. Die deutsche Delegation hat im EU-Rahmen
drückt die internationale Staatengemeinschaft ihre die Verhandlungsführung für den entwicklungspoliti-
Überzeugung aus, dass sich die globalen Herausforde- schen Teil des UNGASS-Abschlussdokuments über-
rungen nur gemeinsam lösen lassen. Die Agenda 2030 nommen. Zur Vorbereitung und Begleitung dieser
soll helfen, allen Menschen weltweit ein Leben in Verhandlungen führten die Drogenbeauftragte der
Würde zu ermöglichen. Sie soll Frieden fördern und Bundesregierung und die Deutsche Gesellschaft für
dazu beitragen, dass alle Menschen in Freiheit und Internationale Zusammenarbeit (GIZ) gemeinsam mit
einer intakten Umwelt leben können. Sie gilt für alle internationalen Partnern (Großbritannien, Niederlan-
Staaten dieser Welt. Entwicklungsländer, Schwellen- de, Norwegen, Myanmar, Thailand) mehrere Dialogver-
länder und Industriestaaten: Alle müssen ihren Beitrag anstaltungen mit interessierten Regierungen durch,
leisten. Deutschland hat sich unter anderem für ein um gemeinsame Verhandlungspositionen zu identifi-
explizites Gesundheitsziel eingesetzt, das „ein gesundes zieren und abzustimmen.
Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten
und ihr Wohlergehen fördern“ soll. Als Unterziel ist die Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung leitete die
Stärkung der Prävention und Behandlung des Sub­ Delegation vom 14. bis 16. März 2016. Mit Blick auf
stanzmissbrauchs, namentlich des Suchtstoffmiss- UNGASS 2016 unterstrich sie in ihrer Eröffnungsrede
brauchs und des schädlichen Gebrauchs von Alkohol, die Notwendigkeit, sich international auf eine gemein-
verankert. Somit ist das Thema „Drogen und Sucht“ same Strategie zu verständigen, die die Gesundheit
weit oben auf der globalen Agenda platziert. der Menschen und die Menschenrechte in den Vor­
dergrund stelle. UNGASS böte eine hervorragende
Die gesamte „Agenda 2030 für nachhaltige Gelegenheit, die Elemente für eine erfolgreiche inter-
­Entwicklung“ finden Sie hier: nationale Drogenpolitik in den nächsten Jahren zu
http://www.un.org/depts/german/gv-70/a70-l1.pdf analysieren. Dabei sollten die drei VN-Drogenkonven-
tionen die Eckpfeiler des internationalen Drogenkon­
Suchtstoffkommission der Vereinten Nationen 2016 trollsystems bleiben. Das VN-Drogenkontrollsystem
Als Mitglied der Suchtstoffkommission der Vereinten lasse den Mitgliedstaaten genügend Flexibilität für
Nationen (CND) nahm Deutschland vom 14. bis individuelle Fortentwicklungen. Ferner betonte sie die
22. März 2016 an deren 59. Sitzung in Wien teil, Bedeutung, Alternativen zum illegalen Anbau von
vertreten durch Experten aller zuständigen Ressorts Drogenpflanzen zu schaffen.

4_Internationales
76 

In einer Begleitveranstaltung zu Alternativer Entwick- aufbauen. Auch wird der Grundsatz der Verhältnis­
lung (AE) stellte die Drogenbeauftragte das von mäßigkeit international erstmals definiert: Die Schwere
UNODC und Deutschland veröffentlichte Konferenz- einer Strafe muss im Verhältnis zur Schwere der
papier zu den Ergebnissen dreier Expertentreffen begangenen Straftat stehen. Drei von den USA,
(2013–2015) zu Alternativer Entwicklung vor. Hierbei Australien und Weißrussland eingebrachte Entwürfe
hob sie drei Kernthemen hervor: mangelnde internati- zu NPS, amphetaminartigen Stimulanzien (ATS) und
onale Finanzierung Alternativer Entwicklung, die Grundstoffen konnten dank der kooperativen Zusam-
zentrale Bedeutung von Landtiteln und die Verbindung menarbeit dieser drei Staaten schließlich zusammen-
von Alternativer Entwicklung mit den globalen Zielen gelegt werden.
für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 der VN
(Sustainable Development Goals – SDGs). In einer Die Liste der VN-Resolutionen der 59. Sitzung der
gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für CND finden Sie hier:
Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Auftrag des https://www.unodc.org/unodc/en/commissions/CND/
Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenar- session/59_Session_2016/59draft-resolutions.html
beit und Entwicklung (BMZ) und der Nichtregierungs-
organisation IDPC organisierten Veranstaltung „Harm Außerdem wurde im Rahmen der Sitzung auf Vor-
Reduction and the UNGASS: Feedback from the Expert schlag der WHO der Stoff Acetylfentanyl in die
Group Meeting in Berlin“ betonte die Drogenbeauf- Tabellen I und IV der 1961er-Drogenkonvention
tragte die dringende Notwendigkeit, Harm-Reduction- aufgenommen, das heißt, dieser Stoff ist international
Ansätze prominent im CND-Rahmen zu verankern, um nicht mehr verkehrsfähig. MT-45 wurde in Tabelle I der
die Übertragung von Infektionen erfolgreich zu 1961er-Drogenkonvention, PMMA in Tabelle I der
bekämpfen und die Menschenrechte von Drogenkon- 1971er-Konvention und die Stoffe α-PVP, 4,4'-DMAR
sumenten zu stärken. und Methoxetamine wurden in Tabelle II der 1971er-
Konvention aufgenommen. Die Entscheidungen fielen
Während des regulären Teils der 59. CND wurden jeweils mit breiter Mehrheit. Die von der WHO
insgesamt acht Resolutionen im Konsens verabschie- vor­geschlagene Aufnahme des Stoffes Phenazepam in
det. Schwerpunktthemen waren dabei unter anderem Tabelle IV der 1971er-Konvention wurde trotz Gegen-
Verhältnismäßigkeit von Strafen bei Drogendelikten, stimmen von der Russischen Föderation und Weiß-
Prävention, internationale Behandlungsstandards und russland mit großer Mehrheit angenommen. Die Russi-
neue psychoaktive Stoffe (NPS). Ein von der Russischen sche Föderation wies in einer nationalen Erklärung
Föderation vorgelegter Entwurf zum Paris Pact darauf hin, dass Phenazepam national für medizinische
(Initiative zur Bekämpfung des Opiathandels aus Zwecke genutzt werde und aus dortiger Sicht keine
Afghanistan) wurde wegen unüberbrückbarer Mei- psychotrope Substanz sei. Mit Blick auf die Bewertung
nungsverschiedenheiten zwischen den beiden Staaten von Ketamin durch die WHO im Jahr 2015 warf die
zurückgezogen. Russische Föderation der WHO vor, nicht immer nach
einheitlichen Maßstäben zu urteilen.
Besonders schwierig gestalteten sich Verhandlungen
zu dem von der EU eingebrachten Entwurf zur Verhält- Die zentralen drogenpolitischen Übereinkommen
nismäßigkeit von Bestrafungen. Auf Druck einiger der Vereinten Nationen:
Staaten (insbesondere China, Vietnam und Ägypten) • Einheits-Übereinkommen von 1961
wurde der Fokus schließlich auf die Anwendung des über Suchtstoffe
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Strafrecht Dieses Übereinkommen ersetzte insgesamt neun
verengt. Allerdings blieben die Kernpunkte des davor abgeschlossene Drogenabkommen durch
Entwurfs enthalten. So wird festgehalten, dass die drei einen einheitlichen völkerrechtlichen Vertrag und
VN-Suchtstoffübereinkommen den Grundsatz der bildet bis heute die Basis der weltweiten Drogen-
Verhältnismäßigkeit voraussetzen bzw. auf diesem kontrolle. Das Einheits-Übereinkommen teilt

4_Internationales
77 

vollen und vernetzten Strafverfolgung von Drogen-


Drogen nach ihrer Verkehrsfähigkeit in vier Klassen
ein. Zu den aufgeführten Drogen gehören unter handel, Geldwäsche und Korruption. Gleichwohl
anderem Heroin, Kokain und Cannabis. könnten polizeiliche Mittel allein das Drogenproblem
nicht bekämpfen und die Todesstrafe für Drogendelik-
• Übereinkommen von 1971 über te sei in jedem Fall abzulehnen; der Fokus sei auf die
psychotrope Stoffe Menschen und ihre Rechte sowie deren Gesundheit zu
Mit diesem Übereinkommen wurde die internatio- richten. Die Drogenbeauftragte stellte die vier Säulen
nale Drogenkontrolle um weitere (synthetische) der deutschen Drogen- und Suchtpolitik mit Präventi-
psychotrope Stoffe erweitert. Die Liste enthält vier on, Beratung, Schadensreduzierung und Substitutions-
Tabellen kontrollierter Stoffe, geordnet nach dem behandlung sowie Repression dar, die zur Eindäm-
Ausmaß der Reglementierung. Aufgelistet sind
mung übertragbarer Krankheiten und zu weniger
unter anderem Amphetamine, Barbiturate und
Kriminalität geführt hätten. Daneben sprach sie sich
LSD.
für eine stärkere Unterstützung der Alternativen
• Übereinkommen der Vereinten Nationen Entwicklung aus, um den Menschen, die auf Einkünfte
gegen den unerlaubten Verkehr mit Sucht­ aus dem Anbau von Drogenpflanzen angewiesen sind,
stoffen und psychotropen Stoffen 1988 reale Alternativen zu bieten.
Das Übereinkommen beinhaltet zusätzliche
völkerrechtliche Verpflichtungen, um die welt­ Die Bundesregierung vertritt vor dem Hintergrund
weite  Zusammenarbeit gegen Drogenschmuggel der zunehmenden internationalen Polarisierung der
und -handel, unerlaubte Herstellung und Abgabe Drogenpolitik einen „dritten Weg“, der sich zwischen
von Betäubungsmitteln zu verbessern. den Extrempositionen eines Krieges gegen die Drogen
und einer Öffnung der VN-Konventionen verorten
lässt. Die Strategie der Bundesrepublik Deutschland
Sondersitzung der Generalversammlung der umfasst gesundheits- und entwicklungsorientierte
Vereinten Nationen zum Weltdrogenproblem Ansätze der Drogenpolitik, für die sich die Bundesre-
Vom 19. bis 21. April 2016 fand in New York nach 1990 gierung international einsetzt.
und 1998 die dritte Sondersitzung der Generalver-
sammlung der VN zum Weltdrogenproblem statt Während der UNGASS fanden fünf „runde Tische“ zu
(UNGASS 2016). Die deutsche Delegation wurde von den Themen Nachfragereduzierung, Angebotsreduzie-
der Drogenbeauftragten der Bundesregierung geleitet. rung, Menschenrechte, neue Herausforderungen sowie
Die von der Suchtstoffkommission der Vereinten Alternative Entwicklung statt, die alle hochrangig
Nationen (CND) im März 2016 vorbereitete Abschluss- besetzt waren. Als Vertreterin der westeuropäischen
erklärung wurde im Konsens angenommen. Das Staatengruppe nahm die Drogenbeauftrage der
Dokument enthält ein Bekenntnis zu gesundheits­ Bundesregierung an dem runden Tisch zu Alternativer
politischen Maßnahmen und zur Unterstützung von Entwicklung teil. Hierbei betonte sie die Bedeutung
Schadensminimierung, zur Förderung der Alternativen einer entwicklungsorientierten Drogenpolitik als
Entwicklung, zu neuen Herausforderungen wie neuen wichtiger Bestandteil der internationalen Drogen­
psychoaktiven Stoffen und Internethandel, eine starke politik, der durch zusätzliche finanzielle Mittel und
Betonung der Menschenrechte sowie einen expliziten verbesserte Evidenz gestärkt werden müsse.
Punkt zur Proportionalität von Strafen bei Drogende-
likten. Die EU-Forderung nach Abschaffung der Gemeinsam mit Thailand, Kolumbien und UNODC
Todesstrafe für Drogendelikte konnte dagegen nicht organisierte Deutschland eine Begleitveranstaltung
in der Erklärung verankert werden. zum Thema „Alternative Development: new approa-
ches and key elements for the post-UNGASS frame-
Die Drogenbeauftragte betonte in ihrer Rede vor der work“, die mit über 100 Teilnehmerinnen und
Generalversammlung die Bedeutung einer wirkungs- Teil­­nehmern sehr gut besucht war. Neben der Drogen­

4_Internationales
78 

beauftragten nahm auch UNODC-Exekutivdirek­tor nen: „Ich kann nicht ruhig bleiben, wenn Drogenab-
Yuri Fedotov als Sprecher an der Nebenveranstaltung hängige und Kleindealer mit dem Tode bestraft oder –
teil. Schwerpunkte der Beiträge und Diskussion waren ohne jede Form rechtsstaatlichen Verfahrens – unter
auch hier die Anbindung von Maßnahmen zur Alterna- offensichtlicher Duldung oder sogar unter Beteiligung
tiven Entwicklung an die globalen Ziele für nachhaltige staatlicher Institutionen ermordet werden.“
Entwicklung der Agenda 2030 der VN, die mangelnde
Finanzierung für Alternative Entwicklung (AE) sowie Die Mitgliedstaaten der CND legten durch eine Resolu-
die potenzielle Erweiterung des AE-Konzepts auf tion die Modalitäten der VN-Debatte zur internationa-
urbane Umfelder. len Drogenpolitik im Jahre 2019 fest. Dieses Datum ist
in der Politischen Erklärung von 2009 als Evaluie-
In einer von Deutschland, den Niederlanden, Kenia, rungszeitpunkt festgesetzt worden. Demnach wird es
UNODC, UNAIDS, der WHO und Nichtregierungs­ 2019 ein zusätzliches zweitägiges hochrangiges Seg-
organisationen organisierten Nebenveranstaltung ment der CND geben, das sich hauptsächlich der
zum Thema „A call for leadership: HIV, human rights Implementierung der Empfehlungen der UNGASS-
and harm reduction“ wurde die notwendige enge Abschlusserklärung (siehe vorheriger Abschnitt)
­Kooperation von Regierungen und Zivilgesellschaft bei widmen wird. Bestrebungen einiger Staaten, 2019
der Bewältigung der mit dem injizierenden Drogen- erneut eine UNGASS durchzuführen, waren damit
konsum verbundenen gesundheitsbezogenen Schäden nicht erfolgreich.
unterstrichen. Dabei wurden „harm reduction“-Maß­
nahmen als wirksamste Strategie identifiziert, wobei Internationaler Suchtstoffkontrollrat
der in Deutschland übliche integrierte Ansatz als gut der Vereinten Nationen
geeignet hervorgehoben wurde. Es wurde deutlich, Der Internationale Suchtstoffkontrollrat der Vereinten
dass die deutsche Erfahrung und Politik weltweit eine Nationen (International Narcotics Control Board –
große Reputation besitzen. INCB) in Wien wurde 1968 gegründet und besteht aus
13 regierungsunabhängigen Experten, die vom
Die Abschlusserklärung der UNGASS 2016 können Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen
Sie hier nachlesen: (ECOSOC) gewählt werden. Zum Präsidenten des INCB
https://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/ wurde 2015 das deutsche INCB-Mitglied Werner Sipp
N16/110/24/PDF/N1611024.pdf?OpenElement gewählt. Die zentrale Aufgabe des INCB ist die Über­
wachung der Einhaltung der VN-Drogenkonventionen
Suchtstoffkommission der Vereinten Nationen 2017 über Anbau, Produktion und Verwendung von Drogen.
Vom 13. bis 17. März 2017 nahmen Vertreter der Die Vertragsstaaten sind verpflichtet, dem INCB
zuständigen Bundesministerien an der 60. Suchtstoff- regelmäßig Informationen zu liefern. Zur Erfüllung
kommission der Vereinten Nationen (CND) teil. Die seiner Aufgaben erstellt der INCB unter anderem einen
60. CND war mit 1.700 Teilnehmern und etwa Jahresbericht, in welchem insbesondere die weltweite
100 Neben­veranstaltungen die bisher größte ihrer Art. Drogensituation analysiert wird. Der INCB veröffent-
In ihrer Eröffnungsrede im Plenum stellte die Drogen- lichte seinen Jahresbericht 2016 Anfang März 2017.
beauftragte die neue deutsche Gesetzgebung zu Der aktuelle Bericht widmet sich insbesondere den
neuen psychoaktiven Stoffen und zur medizinischen thematischen Schwerpunkten: „Geschlechtsspezifische
Nutzung von Cannabis vor. Herzstück ihrer Rede war Aspekte der Drogenpolitik“ „Funktionsweise des
jedoch der deutliche Hinweis auf die Beachtung von internationalen Drogenkontrollsystems“ und „Die
Menschenrechten in der Drogenpolitik. Dabei kritisier- Situation weltweit“.
te sie die immer noch stattfindenden Todesstrafen für
drogenbezogene Delikte und mit klaren Worten die Im Rahmen des Schwerpunkts „Geschlechtsspezifische
außergerichtlichen Tötungen von vermeintlichen Aspekte der Drogenpolitik“ wird betont, dass Regie-
Drogenhändlern und -konsumenten auf den Philippi- rungen drogenabhängigen Frauen besseren Zugang zur

4_Internationales
79 

Gesundheitsversorgung gewähren sollten. Der INCB auf, ihre Bemühungen und ihre Unterstützung der
fordert bessere Koordinierung und mehr Finanzmittel afghanischen Regierung im Kampf gegen illegale
für die Prävention und die Behandlung des Drogen- Drogen fortzusetzen. Ein weiteres Thema ist die
missbrauchs von Frauen. Frauen und Mädchen ma- Antwort vieler Staaten auf drogenbezogene Delikte.
chen ein Drittel der Drogenkonsumenten weltweit aus. Der INCB betont, dass die Drogenabkommen für
Trotzdem sind nur ein Fünftel aller Menschen, die eine Menschen, die Drogen konsumieren oder kleinere
Behandlung bekommen, Frauen, häufig durch signifi- Drogendelikte begehen, nicht zwingend eine Inhaftie-
kante systembegründete, strukturelle, soziale, kulturel- rung verlangen. Darüber hinaus ermutigt er diejenigen
le und persönliche Barrieren begründet. Zu verzeich- Staaten, die an der Todesstrafe festhalten, die Abschaf-
nen ist auch ein signifikanter Anstieg bei der Zahl der fung der Todesstrafe für Drogendelikte in Betracht zu
aufgrund von Drogendelikten festgenommenen ziehen.
Frauen.
Im dritten Teil des Berichts analysiert der INCB die
Im zweiten Schwerpunkt „Funktionsweise des interna- Situation in den verschiedenen Regionen der Welt.
tionalen Drogenkontrollsystems“ beschäftigt sich der Afrika bleibt eine Transitregion für Drogenhandel,
Bericht insbesondere mit der Einhaltung der internati- entwickelt sich aber auch immer mehr zu einer
onalen Drogenkonventionen und Maßnahmen zu Zielregion für alle Arten von Drogen. Die Ausbreitung
deren Umsetzung. Der INCB weist darauf hin, dass illegaler Märkte für Methamphetamine sowie der
immer noch nicht alle Staaten die drei VN-Drogenkon- illegale Opiumanbau und -handel bleiben weiterhin
ventionen ratifiziert haben (Konvention von 1961: elf das größte Problem in Ost- und Süd-Ost-Asien; die
Staaten noch nicht ratifiziert, Konvention von 1971: schnelle Ausbreitung von neuen psychoaktiven Stoffen
vierzehn Staaten, Konvention von 1988: neun Staaten), stellt eine weitere große Herausforderung dar. Die
allen voran die ozeanischen Staaten. Weiter wird die andauernde Konfliktsituation in einigen Ländern
Einhaltung der VN-Drogenkontrollverträge für das Westasiens bietet weiterhin erhebliche Möglichkeiten
Jahr 2016 insbesondere in Australien, Kolumbien, für das organisierte Verbrechen im Zusammenhang
Dänemark, Mauretanien, Spanien und den USA mit Drogenschmuggel. Korruption, Terrorismus und
ausgewertet. Daneben werden die 2016 durchgeführten politische Instabilität behindern darüber hinaus
sogenannten „country missions“ des INCB vorgestellt, Fortschritte. In Ozeanien ist ein Anstieg des Miss-
welche in Afghanistan, Argentinien, Bolivien, Kanada, brauchs von Amphetaminen unter der indigenen
China, Israel, Myanmar, Oman, Senegal, Südafrika, Bevölkerung zu verzeichnen. Australien hat 2016 ein
Palästina, Uruguay und Vietnam stattfanden. Mit den Gesetz zum medizinischen Gebrauch von Cannabis
jeweiligen Staaten diskutierte der INCB Maßnahmen verabschiedet.
und Fortschritte in den verschiedenen Bereichen der
Drogenkontrolle. Vorgesehene „country missions“ in Zentralamerika und die Karibik bleiben weiterhin Liefe-
Kolumbien, Ägypten, Jamaika, Kuwait, Usbekistan und ranten für Cannabis und bilden eine Transitregion für
dem Irak konnten im Berichtszeitraum nicht durchge- Kokain nach Nordamerika und Europa. Auch in dieser
führt werden. Zudem wird die Umsetzung der in frühe- Region stellt der Missbrauch von synthetischen Drogen
ren „country missions“ ausgesprochenen Empfehlun- mittlerweile ein zunehmendes Problem dar. Positive
gen in Kenia, Malaysia, Panama, Singapur bewertet. Entwicklungen sind in Mexiko mit einer neuen
Dabei betont der INCB, wie wichtig die Zusammenar- Strategie zur Verfügbarkeit von kontrollierten Substan-
beit und Kooperation der Staaten mit dem INCB sei. zen für medizinische Zwecke und mit dem Friedens-
prozess in Kolumbien zu verzeichnen. Nordamerika
Bezüglich der aus seiner Sicht besorgniserregenden weist einen signifikanten Anstieg von Drogenüberdo-
Situation in Afghanistan (Anstieg der illegalen Opium- sierungen mit Todesfolge auf. Dabei stellen die unbeab-
produktion, Anstieg der Herstellung von Methamphet- sichtigten Todesfälle mit Fentanyl-versetzten Drogen
aminen) ruft der INCB die internationale Gemeinschaft ein besonderes Problem in den USA und in Kanada dar.

4_Internationales
80 

Die Nutzung von neuen psychoaktiven Stoffen bleibt 2016 (UNODC)), gefolgt von Myanmar (55.500 Hektar
vor allem in West- und Zentraleuropa weiterhin ein in 2015 (UNODC)). Daneben wird auch in Kolumbien,
Hauptproblem für den Schutz der öffentlichen Gesund- Mexiko, Laos und Guatemala Schlafmohn zum Zweck
heit. Darüber hinaus ist ein Anstieg der Verfügbarkeit der illegalen Opiatproduktion angebaut. UNODC hat
von Ecstasy zu verzeichnen. Die Balkanroute bleibt der 2016 erstmals offizielle Anbaustatistiken für Schlaf-
wichtigste Korridor für den Heroinhandel. mohn in Mexiko veröffentlicht. Demnach lagen die
dortigen Anbauflächen für Schlafmohn 2015 bei 24.800
Den INCB-Bericht 2016 finden Sie hier: Hektar. Laut Weltdrogenbericht 2016 wird Cannabis –
https://www.incb.org/documents/Publications/ im Gegensatz zu den anderen beiden Drogenpflanzen –
AnnualReports/AR2016/English/AR2016_E_Ebook.pdf auch in vielen Industrieländern angebaut. Gleichwohl
befindet sich der weltweit größte Teil der Anbaufläche
in den Partnerländern der Entwicklungszusammenar-
beit, etwa in Nordafrika (Marokko: ca. 47.196 Hektar
3 Internationale Entwicklungs- 2013) sowie in verschiedenen Ländern des Mittleren
Ostens, Süd- und Zentralasiens (zum Beispiel Mongo-
zusammenarbeit lei: 15.000 Hektar 2013). Die Zahlen, sofern sie zur
Verfügung stehen, finden sich in den Weltdrogenbe-
Die entwicklungspolitische Dimension der richten 2015 und 2016 des UNODC.
­globalen Drogenproblematik
Das globale Drogenproblem, sowohl die Angebots-, Drogenökonomien siedeln sich primär dort an, wo
Handels- als auch die Konsumproblematik, ist nicht die strukturellen Rahmenbedingungen nur wenige
nur durch eine gesundheits- und sicherheitspolitische, alternative Lebensgrundlagen ermöglichen. Für die
sondern auch durch seine entwicklungspolitische Kleinbäuerinnen und Kleinbauern macht sich der
Dimension gekennzeichnet. Dies wird am Beispiel des Anbau der Drogenpflanzen entgegen der allgemeinen
Anbaus von Drogenpflanzen wie Koka, Schlafmohn – Annahme nur selten bezahlt. Tatsächlich führen
den Vorläuferpflanzen für sogenannte harte Drogen Drogenökonomien oft zur Verstetigung von Armut
wie Kokain, Crack, Heroin und Opium – und Cannabis und bringen Unsicherheit, Korruption und Gewalt mit
deutlich: Armut, fragile Staatlichkeit und ungenügen- sich. Für einige Partnerländer der deutschen Entwick-
der Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen sind lungszusammenarbeit ist die ungelöste Drogenproble-
zentrale Ursachen für den illegalen Anbau von Drogen- matik zu einem der größten Entwicklungshemmnisse
pflanzen und die Produktion von Drogen. Die Anbau- geworden. Durch die enge Verbindung zwischen
gebiete sind meistens geprägt durch eingeschränkten Armut, Marginalisierung und der Problematik des
Zugang zu Ressourcen wie Land und Wasser, eine Anbaus und der Produktion illegaler Drogen ergibt
mangelhafte Infrastruktur, fehlende Marktanbindung sich für die Entwicklungszusammenarbeit ein Hand-
sowie Gewalt und organisierte Kriminalität. lungsauftrag, dem sich nicht mit den in den Konsum-
ländern üblichen polizeilichen und gesundheits­
Koka wird nahezu ausschließlich in den Andenländern politischen Maßnahmen begegnen lässt. Für die
Bolivien, Kolumbien und Peru angebaut. Gemäß Entwicklungszusammenarbeit gilt der Grundsatz, an
Schätzungen des UNODC war Kolumbien 2015 mit den ursächlichen Entwicklungsbedarfen und nicht nur
96.084 Hektar das Land mit der größten Anbaufläche, an den Symptomen von Drogenökonomien anzusetzen.
gefolgt von Peru mit 40.300 Hektar und Bolivien mit
20.200 Hektar. Während der Anbau in Bolivien und in Eine weitere Herausforderung für die Länder, in denen
Peru in den vergangenen Jahren stetig abgenommen Drogenpflanzen angebaut werden, stellt der sich dort
hat, ist die Anbaufläche in Kolumbien seit 2013 stark entwickelnde Drogenkonsum dar. Gelten einige
gewachsen. Der Anbau von Schlafmohn verteilt sich Regionen zunächst überwiegend als Produktionsge­
auf Asien und Lateinamerika. Hauptanbauland ist mit biete, so ist im Laufe der Zeit oft auch ein erhöhter
deutlichem Abstand Afghanistan (201.000 Hektar in Drogenkonsum bei der lokalen Bevölkerung zu ver-
81 

zeichnen. Auch entlang der Transitrouten zwischen Einkommensmöglichkeiten und eine Verbesserung der
Anbau- und Konsumland kann eine Zunahme des Lebenssituation der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern.
Drogenkonsums festgestellt werden. Die Querbezüge Die zentrale Wirkung der geförderten Projekte ist die
zwischen Anbau-, Handels- und Konsumproblematik Bekämpfung der strukturellen Ursachen des Drogen­
sind vielfältig: Der entwicklungspolitische Zusammen- anbaus, insbesondere durch die Diversifizierung land-
hang, auch mit Themen wie fehlendem Zugang zu wirtschaftlicher Produktion in den Koka- und Schlaf-
Gesundheitssystemen und Schmerzmitteln, muss mohnanbauregionen, in denen die Drogenökonomie
weiter untersucht werden, um entsprechende Hand- die Haupteinkommensquelle darstellt.
lungsoptionen zu generieren.
Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusam-
Reduzierung des Drogenanbaus durch Alternative menarbeit (GIZ) GmbH berät das BMZ zu Fragen der
Entwicklung Drogenanbauproblematik. Die deutsche Entwicklungs-
Für die meisten Kleinbäuerinnen und Kleinbauern ist zusammenarbeit finanziert derzeit Maßnahmen der
der Anbau von Drogenpflanzen tatsächlich nur wenig Alternativen Entwicklung in Bolivien, Kolumbien, Peru
attraktiv. Häufig zählen sie zum ärmsten Segment der und Myanmar, implementiert durch oder gemeinsam
ländlichen Bevölkerung. Faktisch sind Drogenpflanzen mit dem UNODC. Im Rahmen des Vorhabens Globale
niedrigpreisige Agrarprodukte, die – wenn überhaupt – Partnerschaft für Drogenpolitik und Entwicklung
nur wenig mehr Ertrag als andere, legale landwirt- (GPDPD) fördert die GIZ im Auftrag des BMZ den
schaftliche Erzeugnisse einbringen, oft aber für die drogenpolitischen Dialog auf internationaler Ebene
Bauern das einzige Produkt mit garantierter Abnahme und setzt bilaterale Beratungsmaßnahmen in ausge-
durch Zwischenhändler darstellen. Daneben geht mit wählten Partnerländern um. Die Beratungsmaßnah-
dem Anbau dieser Pflanzen ein hohes Risiko für die men zielen auf einen verbesserten Umgang mit der
Kleinbäuerinnen und Kleinbauern einher: Staatliche Drogenanbau- sowie der Drogenkonsumproblematik.
Repression des illegalen Anbaus zählt ebenso dazu wie Hinzu kommt die Förderung der wissenschaftlichen
klimatische Auswirkungen auf den Anbau von Drogen- Grundlagen für eine evidenzbasierte Drogenpolitik.
pflanzen in Monokultur sowie die Willkür irregulärer Schirmherrin des Vorhabens ist die Drogenbeauftragte
Gewaltakteure und krimineller Netzwerke, die vielfach der Bundesregierung. Daneben setzt die GIZ im Auftrag
die Hauptabnehmer der Ernten sind. Es ist kein Zufall, des BMZ und unter Führung der Spanischen Entwick-
dass illegale Anbauregionen für Drogenpflanzen meist lungszusammenarbeit Fundación Internacional y para
fernab staatlicher Kontrollinstanzen und häufig in Iberoamérica de Administración y Políticas Públicas
Gebieten mit Präsenz bewaffneter Gruppierungen (FIIAPP) die Komponente Alternative Entwicklung im
liegen. Dies ist etwa der Fall in einigen Regionen in Kooperationsvorhaben der EU zur Drogenpolitik mit
Afghanistan, Kolumbien und Myanmar. Die betroffe- Lateinamerika und der Karibik – COPOLAD – um. Im
nen Familien haben also starke Anreize, ein Leben in Rahmen dieses Vorhabens werden zahlreiche Bera-
der Illegalität und Willkür aufzugeben und legale tungs- und Pilotmaßnahmen im Bereich Alternative
Alternativen zu etablieren. An diesem Punkt setzt die Entwicklung mit fast allen Staaten Lateinamerikas mit
Entwicklungszusammenarbeit an. einer Anbauproblematik durchgeführt. 2016 ist die
COPOLAD-Initiative mit einer zweiten Phase gestartet.
Die Bundesregierung ist international einer der Im Bereich Alternative Entwicklung wurde zum
größten Geber im Bereich der Alternativen Entwick- Auftakt ein Dialogforum in Kolumbien veranstaltet, an
lung. Das Bundesministeriums für wirtschaftliche dem neben Vertretern aus den traditionellen Kokaan-
Zusammenar­beit und Entwicklung (BMZ) verfügt über bauländern auch neue Akteure in dem Feld, etwa
mehr als drei Jahrzehnte Erfahrung in diesem Feld und Mexiko, Guatemala und Paraguay sowie einige
hat eine klare Position zum Umgang mit der Drogen­ Karibikstaaten, teilnahmen.
anbauproblematik entwickelt. Sie beschreibt integrale
Projekte der ländlichen Entwicklung zur Substitution Weitere Informationen finden Sie hier:
des illegalen Drogenanbaus durch legale alternative www.gpdpd.org

4_Internationales
Kinder aus
suchtbelasteten
Familien

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


83 

5 | Kinder aus suchtbelasteten


Familien
1 Kinder von suchtkranken jedoch die Orientierung an den offiziellen Kriterien
einer Suchterkrankung erfolgt, desto geringer sind die
Eltern – Grundsatzpapier zu Fallzahlen. Untersuchungen, die eher bei Vorstufen
Fakten und Forschungslage von Abhängigkeitserkrankungen ansetzen, zeigen,
dass ein erheblicher Anteil an Kindern in Deutschland
Prof. Dr. rer. nat. Michael Klein, Prof. Dr. med. Rainer von einem kritischen Substanzkonsum durch einen
Thomasius und Dr. rer. nat. Diana Moesgen Elternteil betroffen ist. Die Anzahl an Kindern, bei
denen bei der Mutter und/oder dem Vater eine
Zusammenfassung elterliche, diagnostizierte Suchterkrankung vorliegt,
Eine elterliche Suchterkrankung ist eines der zentrals- ist insgesamt niedriger, dennoch ist der Gesamtanteil
ten Risiken für die gesunde Entwicklung von Kindern jener Kinder und Jugendlichen erheblich. Eine nicht
und Jugendlichen. Studien zeigen, dass über 3 Millio- näher bestimmbare Dunkelziffer darf dabei nicht
nen Kinder und Jugendliche – vermutlich deutlich außer Acht gelassen werden.
mehr – mindestens einen suchtkranken Elternteil
haben. Mit der elterlichen Suchterkrankung gehen Kinder von Eltern mit Alkoholproblemen
häufig ungünstige Lebensumstände einher, wie z. B. Werden die offiziellen Kriterien für einen schädlichen
nachteilige soziodemografische Bedingungen, soziale Gebrauch von Alkohol oder eine Alkoholabhängigkeit
Ausgrenzung, aber oftmals auch ein ungünstiges zugrunde gelegt, lebt in Deutschland etwa jeder siebte
Eltern- und Erziehungsverhalten, welches in einigen Jugendliche mit einem Elternteil zusammen, der eine
Fällen gewalttätiges Verhalten beinhaltet. Die entspre- alkoholbezogene Störung aufweist (Lachner et al.,
chenden Folgen für die Kinder können sehr tiefgrei- 1997). Aus diesen Zahlen lässt sich ableiten, dass in
fend sein und neben körperlichen Schädigungen vor Deutschland insgesamt ca. 2,65 Millionen Kinder und
allem psychische Probleme hervorbringen. Dies trifft Jugendliche unter 18 Jahren im Laufe ihres Lebens mit
insbesondere dann zu, wenn bestimmte, wichtige einem Elternteil mit der Diagnose Alkoholmissbrauch
Schutzfaktoren nicht vorhanden sind oder nur wenig oder -abhängigkeit zusammengelebt haben (Klein,
gefördert werden. In den letzten Jahren wurden 2005).
ver­schiedene Angebote zur Unterstützung von
betroffenen Kindern geschaffen. Dennoch ist die Neueste Ergebnisse der bevölkerungsweiten Studie
Versorgung jener Kinder und Jugendlichen nicht „Gesundheit in Deutschland aktuell (GEDA)“ zeigen,
ausreichend gewährleistet und muss dringend ver­ dass 22 % der Elternteile, die mit mindestens einem
bessert werden. eigenen minderjährigen Kind im Haushalt leben,
einen riskanten Alkoholkonsum aufweisen (RKI, 2016).
Epidemiologie In Bezug auf regelmäßiges Rauschtrinken („binge
Verschiedene Studien haben versucht, die Anzahl der drinking“) ist von 14 % der Elternteile auszugehen. Dies
Kinder zu erfassen, die mit einem oder zwei suchtkran- entspricht hochgerechnet etwa 3,8 Millionen Eltern­
ken Elternteilen zusammenleben. Jedoch können aus teilen mit riskantem Alkoholkonsum bzw. 2,4 Millio-
diesen Angaben keine eindeutigen Schlussfolgerungen nen Müttern und/oder Vätern mit regelmäßigem
abgeleitet werden. Häufig liegen nur Schätzungen Rauschtrinken. Unter Berücksichtigung der durch-
oder Hochrechnungen vor. Ein direkter Vergleich der schnittlichen Kinderzahl bedeutet dies, dass in
Studienergebnisse ist nicht möglich, da a) unterschied- Deutschland schätzungsweise bis zu 6,6 Millionen
liche Definitionen von elterlicher Sucht zugrunde Kinder bei einem Elternteil mit riskantem Alkohol­
gelegt (Abhängigkeit vs. Missbrauch vs. riskanter konsum bzw. 4,2 Millionen Kinder bei einem Elternteil
Konsum vs. Rauschtrinken) und b) verschiedene mit regelmäßigem Rauschtrinken leben.
Erhebungsmethoden angewendet wurden. Je stärker

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


84 

Kinder von Eltern mit Konsum von illegalen entspricht dies etwa 37.500 bis 150.000 Kindern von
Drogen glücksspielsüchtigen Eltern. Im stationären Bereich
Aussagekräftige Zahlen zu Kindern von Eltern, die lebt etwa ein Fünftel der Spieler, die sich in Behand-
illegale Drogen konsumieren, sind in Deutschland lung befinden, in Familien mit Kindern (Meyer et al.,
kaum vorhanden. Dies ist mit der Schwierigkeit der 2011). Zahlen über Kinder von Eltern, die unter
Erhebung derart sensibler Daten im Dunkelfeld anderen Verhaltenssüchten leiden, wie z. B. Kaufsucht
verbunden. Schätzungen zufolge stammen etwa 60.000 oder Online-Sucht, liegen in Deutschland bislang nicht
Kinder von einem opiatabhängigen Elternteil ab und vor.
leben teilweise mit diesem zusammen (NACOA
Deutschland, 2006). Zahlen über Kinder aus Familien, Fazit zur Epidemiologie
in denen andere illegale Drogen, wie z. B. Cannabis, Die bestehenden Daten legen nahe, dass die Anzahl der
Kokain, (Meth-)Amphetamine und neue psychoaktive Kinder und Jugendlichen aus suchtbelasteten Familien
Substanzen (NPS), oder Medikamente eine Rolle hoch ist. Allein in den Bereichen Alkohol und illegale
spielen, liegen in Deutschland nicht vor. Drogen ist auf Basis einer konservativen Schätzung von
insgesamt mindestens 3 Millionen Kindern auszuge-
Kinder von tabakkonsumierenden Eltern hen, die einen alkohol- oder drogenabhängigen
Den Daten des deutschen Kinder- und Jugendgesund- Elternteil haben. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist
heitssurveys (KiGGS) ist zu entnehmen, dass 7,9 % aller aber von einer erheblichen Dunkelziffer und somit von
befragten Eltern in ihrer Wohnung in Gegenwart einer noch höheren Gesamtzahl betroffener Kinder
ihres Kindes rauchen (RKI, 2015). Insgesamt halten auszugehen. Es ist kritisch zu bewerten, dass die
sich 18,8 % der befragten Jugendlichen täglich oder bisherigen Statistiken zu Kindern aus suchtbelasteten
mehrmals pro Woche in Räumen auf, in denen Familien häufig auf Schätzungen oder Hochrechnun-
entweder zu Hause oder außerhalb geraucht wird. Bei gen beruhen, sofern Informationen dazu vorhanden
Mädchen und Jungen aus Familien mit hohem sind.
Sozialstatus ist die Passivrauchbelastung signifikant
geringer als bei Kindern aus Familien mit niedrigem
Sozialstatus (Lampert et al., 2014). Kinder und Jugendli-
che aus einer niedrigen Statusgruppe haben 3,7-mal
häufiger rauchende Eltern als Gleichaltrige aus einer
hohen Statusgruppe. Dass die Eltern in Gegenwart
ihrer Kinder in der Wohnung rauchen, wird in Famili-
en mit niedrigem Sozialstatus 5,1-mal häufiger
angegeben. Entsprechende Unterschiede bestehen
auch beim Rauchen der Mütter während der Schwan-
gerschaft.

Kinder von Eltern mit Verhaltenssüchten


Klinischen Beobachtungen zufolge hat etwa ein Viertel
bis ein Drittel der (in erster Linie männlichen) patholo-
gischen Glücksspieler minderjährige Kinder (Bach-
mann, 2004; Kellermann, 2005). Ausgehend von der
Schätzung, dass es derzeit in Deutschland etwa 100.000
bis 300.000 pathologische Glücksspieler gibt (DHS,
2013; Erbas et al., 2012), ist von mindestens 25.000 bis
zu 100.000 Glücksspielern mit Kindern zu rechnen.
Hochgerechnet auf die durchschnittliche Kinderzahl

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


85 

Psychosoziale Lebensbe­dingungen suchtbelasteter Eltern sorgen für eine instabile Eltern-Kind-Beziehung


Familien und begünstigen damit eine fehlende oder unsichere
Die ungünstigen Lebensbedingungen von Kindern aus Bindung (Anda et al., 2002). Insbesondere Frauen, die in
suchtbelasteten Familien sind aus Forschungssicht einer alkoholbelasteten Familie aufgewachsen sind,
eindeutig belegt (Thomasius et al., 2008; Klein, 2007; tendieren im Erwachsenenalter dazu, mit einem
Moesgen, 2014), insbesondere im Kontext alkohol­ Partner mit Alkoholproblemen zusammen zu sein
belasteter Familien. Die belastenden Lebensumstände (Kelley et al., 2014). Somit laufen sie zum einen Gefahr,
betreffen mehrere Ebenen: zum einen bringt eine dass sich in der Beziehung substanzbedingte, traumati-
elterliche Suchterkrankung oft nachteilige strukturelle sche Erlebnisse wiederholen, zum anderen bringen sie
Bedingungen mit sich, zum anderen sind es aber vor ihre eigenen Kinder in die Situation, dieselben negati-
allem die psychologischen Belastungen, die für die ven Kindheitserfahrungen zu sammeln wie sie selbst.
Kinder suchtkranker Eltern kritisch sind. Die Art und
Ausprägung der Belastungen sind teils abhängig, teils Soziale Ausgrenzung
unabhängig von der Art der elterlichen Suchterkran- Kinder von alkohol- oder drogenabhängigen Eltern
kung. erleben häufiger eine soziale Ausgrenzung und
Stigmatisierung durch die Gesellschaft als andere
Suchtmittelunspezifische Risikofaktoren Kinder (Haverfield et al., 2016). Kinder mit einer
Die im Folgenden genannten ungünstigen Lebensbe- mütterlichen Alkoholerkrankung berichten z. B. mehr
dingungen wurden mehrfach und in vielen suchtbelas- negative Interaktionen mit Klassenkameraden als
teten Familien beobachtet und scheinen wenig davon andere Kinder (Wolfe, 2016), was zum einen mit der
abhängig zu sein, welche Substanz vom Elternteil sozialen Ausgrenzung zu tun haben kann, zum anderen
konsumiert wird bzw. welche Art der Suchterkrankung aber auch mit der Tatsache, dass einige Kinder nicht
besteht. regelmäßig die Schule besuchten, um für den sucht-
kranken Elternteil zu Hause da zu sein (Backett-
Nachteilige soziodemografische Milburn et al., 2008). Auch die unten genannten
Bedingungen Verhaltensauffälligkeiten können hier im Sinne eines
In alkoholbelasteten Familien sind höhere Raten an Teufelskreises eine Rolle spielen. Betroffene Kinder
Arbeitslosigkeit und ein niedrigerer sozioökonomi- haben oft das Gefühl, nicht „normal“ zu sein. Sie
scher Status zu beobachten als in Familien ohne schämen sich deshalb und fühlen sich als Außenseiter.
Suchtbelastung (Serec et al., 2012). Kinder aus alkohol- Dies verleitet die Kinder dazu, zu versuchen, ihre
belasteten Familien zeigten außerdem eine schlechtere Situation vor anderen geheim zu halten, zu lügen oder
schulische Leistung als unbelastete Gleichaltrige. Phantasiegeschichten zu erfinden (Hill, 2013). Dadurch
Alkoholbelastete Familien leben häufiger in ungünsti- können auch Realitätsflucht und -verlust entstehen.
gen Wohnverhältnissen und schwierigen nachbar-
schaftlichen Umfeldern (Wolfe, 2016). All dies ist noch Problematisches Elternverhalten
stärker für drogenbelastete Familien anzunehmen. Alkohol- oder drogenabhängige Eltern können
genauso wie andere Eltern ein günstiges oder ungüns-
Trennungen oder Scheidungen der Eltern oder sogar tiges Erziehungsverhalten aufzeigen. Jedoch wurde bei
den Tod eines Elternteils erleben Kinder aus suchtbe- Eltern, die Alkohol- oder Drogenprobleme haben, ein
lasteten Familien häufiger als Kinder aus unbelasteten erhöhtes Risiko für unpassende, schädigende und
Familien (Waldron et al., 2013). Dies bedeutet für das traumatisierende Verhaltensweisen gefunden. So ist
Kind einen Beziehungsabbruch zu einer wichtigen zum Beispiel die Versorgung von Kindern suchtkranker
Bezugsperson, bisweilen auch eine schwerwiegende Eltern häufiger gefährdet oder defizitär. Eltern mit
Traumatisierung. Auch häufige (und wiederholte) Alkohol- oder Drogenproblemen vernachlässigen
Fremdunterbringungen der Kinder (Forrester et al., einerseits oft die materielle Versorgung des Kindes,
2011), stationäre Aufenthalte oder Inhaftierungen der andererseits erfüllen sie in vielen Fällen auch nicht die

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


86 

emotionalen Grundbedürfnisse des Kindes nach Nähe, len, Grenzen innerhalb der Familie beschreiben und
Zuwendung und Liebe (Klein et al., 2016). Durch die Regeln so definieren, dass sich Kinder darüber bewusst
Vernachlässigung der elterlichen Pflichten werden die werden, wie die Familie (und andere soziale Gefüge
alltäglichen Aufgaben innerhalb der Familie oftmals und Beziehungen) funktioniert und wie sie sich in der
neu verteilt. Kinder können dann bestimmte Rollen Familie sicher fühlen können.
zugeschrieben bekommen, die nicht altersgerecht sind,
wie z. B. jüngere Geschwister oder einen Elternteil zu Familiäre Konflikte und häusliche Gewalt
versorgen („Parentifizierung“) (Backett-Milburn et al., Kinder aus suchtbelasteten Familien erleben häufig
2008). Betroffene Kinder können dadurch ihre altersty- Streitigkeiten in der elterlichen Partnerschaft (Rounsa-
pischen Entwicklungsaufgaben nicht richtig bewälti- ville et al., 2014) und werden dementsprechend oftmals
gen und sind chronisch überfordert. Insbesondere Zeuge von elterlichen Auseinandersetzungen (Temple-
Mädchen scheinen hiervon betroffen zu sein (Paster- ton et al., 2009). Betroffene Kinder sind außerdem oft
nak et al., 2014). selbst in Konflikte mit ihren Eltern involviert (Barber et
al., 1999). Sie können dabei sehr gegensätzliche Gefühle
Alkohol- oder drogenabhängige Eltern zeigen außer- entwickeln, insbesondere gegenüber ihrem suchtab-
dem oftmals ein problematisches Erziehungsverhalten hängigen Elternteil (Klein, 2005), wie z. B. Hass und
(Calhoun et al., 2015). Beobachtete Formen ungünstiger Verachtung vs. Sorge um den Elternteil. Konflikte
Erziehung waren z. B. ein sehr scharfer Ton, häufiges werden in suchtbelasteten Familien nicht nur lautstark
Schreien oder körperliche Bestrafung des Kindes. Auch verbal ausgetragen, sondern können auch körperliche
ein sprunghaft wechselndes Verhalten des suchtkran- Gewalt beinhalten (Conners-Burrow et al., 2013). Es ist
ken Elternteils konnte immer wieder beobachtet seit Langem bekannt, dass Kinder aus suchtbelasteten
werden und gehört zu einer der wesentlichsten Familien eine höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen,
Veränderungen durch die Suchterkrankung, von der Zeuge oder Opfer von häuslicher Gewalt zu werden, als
die Familie direkt betroffen ist (Templeton et al., 2009). Kinder aus unbelasteten Familien (Ellis et al., 1997). Die
Kinder erleben ihre Eltern grundsätzlich verändert, Ausmaße der berichteten häuslichen Gewalt in
wenn sich diese im Rauschzustand befinden. Dies kann suchtbelasteten Familien sind teilweise extrem ausge-
sich abwechselnd z. B. in Form von übertriebener Milde prägt und können zu schwerwiegenden körperlichen
oder Härte in der Erziehung des Kindes äußern (Klein Verletzungen und psychischen Traumatisierungen
et al., 2016), aber auch in Form eines unpassenden führen (Vellemann et al., 2008).
Kommunikationsstils (z. B. undeutliche oder lautere
Sprache; ausgeprägtes Bedürfnis nach körperlicher Suchtmittelspezifische Risikofaktoren
Zuneigung vs. Ablehnung). Insgesamt zeigen sich Zusätzlich zu den genannten, substanzunabhängigen
suchtkranke Eltern in ihrem Erziehungsverhalten Risikofaktoren gibt es auch substanztypische Risiko-
schneller veränderlich, instabiler und unberechenbarer faktoren, wie z. B. die jeweiligen Wirkweisen der
als andere Eltern. Durch die fehlende Konsequenz und Substanzen. Hierzu gehören z. B. Aggressivität und
Kontinuität in der Erziehung mangelt es den Kindern rasche Stimmungswechsel nach Alkoholkonsum,
an verlässlicher Orientierung. Auch kann es in alkohol- Teilnahmslosigkeit nach Heroinkonsum oder langan-
oder drogenbelasteten Familien vorkommen, dass z. B. haltende Wachheit, starke Unruhe oder sogenanntes
Versprechungen der Eltern oder gemeinsame Pläne „Punding“ (z. B. zwanghaft anmutendes Sortieren
durch einen übermäßigen Konsum vergessen oder von Gegenständen oder Putzen) nach Konsum von
geändert werden. Dies kann eine Störung wichtiger Crystal Meth. Die dauerhafte Einwirkung der Substan-
Familienrituale, wie z. B. gemeinsamer Mahlzeiten oder zen auf den Organismus verändert das elterliche
Familienausflüge, mit sich bringen (Templeton et al., Verhalten grundsätzlich (im negativen Sinne) und
2009). Das ist für die Kinder ungünstig, denn verlässlich führt so zu ungünstigen und unerwünschten Verhal-
geplante und gemeinsam durchgeführte Aktivitäten tensweisen gegenüber dem Kind.
wirken stabilisierend, da sie erwartete Rollen klarstel-

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


87 

Besonderheiten der Lebenswelten von Kindern mit Folgen von Suchterkrankungen der Eltern
Eltern, die illegale Drogen konsumieren für ihre Kinder können sein:
Kinder von drogenabhängigen Eltern erleben im
• nachteilige soziodemografische Bedingungen
Gegensatz zu Kindern alkoholabhängiger Eltern • soziale Ausgrenzung
häufiger eine Abhängigkeitserkrankung bei beiden • Vernachlässigung
Elternteilen, da bei Drogenabhängigen ein entspre- • instabiles Erziehungsverhalten und wenig
chendes Partnerwahlverhalten üblicher ist als bei Verlässlichkeit
Alkoholabhängigen (Klein, 2007). Dadurch können die • unsichere Bindung
negativen Erfahrungen noch weniger durch einen • Trennung von den Eltern, Fremdunterbringung
gesunden Elternteil kompensiert werden. Die höhere • Parentifizierung der Kinder
Rate an Frühgeburten und das oftmals schwierige • Konflikte, Aggressivität und Gewalt in der Familie
Temperament (z. B. im Sinne einer negativen Stim- • psychische Erkrankungen der Kinder
mungslage, geringes Anpassungsvermögen) von
Kindern drogenabhängiger Mütter kann bei den Eltern dadurch ein geringeres Selbstwertgefühl und fühlen
Überforderung und Stress auslösen und ihre Beziehung sich wertloser (Klein, 2007). Durch die vergleichsweise
zu den Kindern beeinträchtigen. höhere Rate an psychischen Begleiterkrankungen bei
drogenabhängigen Eltern laufen deren Kinder zudem
Kinder aus drogenbelasteten Familien erleben häufig Gefahr, schwerwiegendere psychologische Probleme
die typischen Bedingungen der Drogensubkultur, wie zu erleiden.
z. B. Beschaffungskriminalität, Prostitution, Strafver­
folgung o. Ä. (Calhoun et al., 2015). Inhaftierungen und  esonderheiten der Lebenswelten von Kindern
B
längere stationäre Aufenthalte bei Drogenabhängigkeit glücksspiel­süchtiger Eltern
sorgen für einen Beziehungsabbruch zwischen Eltern Die Probleme, die Angehörige von pathologischen
und Kind. Eine Trennung von Eltern und Kind erfolgt Glücksspielern erleben, ähneln grundsätzlich denen
häufig auch durch Fremdunterbringungen und von Angehörigen Alkohol- oder Drogenabhängiger
Inobhutnahmen im Kontext von Kindeswohlgefähr- (Krishnan et al., 2002). Ein besonderes Merkmal bei
dung. Eine Analyse von 306 Fallakten aus sächsischen pathologischem Spielen ist jedoch, dass Glücksspiel-
Suchtberatungsstellen ergab z. B., dass sich jedes dritte süchtige zur Finanzierung ihrer Abhängigkeit teils sehr
Kind eines Methamphetamin-abhängigen Elternteils hohe Geldsummen benötigen, die ihre finanziellen
in Fremdunterbringung befindet (Klein et al., 2016). Möglichkeiten in der Regel weit übersteigen (Bach-
Obwohl eine Fremdunterbringung sowohl durch das mann, 2004). Mehr als 16 % der Glücksspieler haben
Kind als auch durch den Elternteil als traumatisch Schulden über 25.000 Euro (Meyer, 2015). Bei z. B.
erlebt werden kann, kann ein Verbleib in der Familie Alkohol- oder Kokainabhängigen trifft das nur für 4 %
einen hohen Risikofaktor für die weitere Entwicklung bzw. 8 % der Fälle zu. Diese Verschuldung kann zu
des Kindes darstellen (Forrester et al., 2008), sofern Armut führen und die damit verbundenen Existenz­
keine intensiven, begleitenden Unterstützungsmaß- nöte der Familie übertragen sich auch auf die Kinder.
nahmen für die Familie angeboten werden (Forrester et
al., 2014). Fazit zu belastenden Lebensumständen
Die Lebensbedingungen in alkohol- und drogenbelas-
Eine Abhängigkeit von illegalen Drogen wird in der teten Familien sind oft kritisch. Neben den nachteili-
gesellschaftlichen Wahrnehmung noch negativer gen strukturellen Bedingungen ist vor allem das
bewertet als eine Alkoholabhängigkeit. Stigmatisierung ungünstige Elternverhalten im Kontext von Alkohol-
und soziale Ausgrenzung erleben drogenbelastete oder Drogenkonsum als besonders problematisch zu
Familien daher häufiger und intensiver als alkoholbela- betrachten. Dieses Handeln kann sich abträglich auf
stete Familien. Kinder drogenabhängiger Eltern lernen verschiedene Verhaltensweisen und unterschiedliche
so weniger sozial förderliche Verhaltensweisen, haben zwischenmenschliche Interaktionen auswirken,

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


88 

beeinflusst aber insbesondere den Bereich der Erzie- Körperliche Schädigungen


hung negativ. Dadurch kann die gesunde Entwicklung Pränatale Exposition an Suchtmittel
betroffener Kinder schwerwiegend beeinträchtigt Bereits während der Schwangerschaft kann das
werden. Bei einer elterlichen Abhängigkeit von ungeborene Kind den schädlichen Einflüssen eines
illegalen Drogen sind diese Risiken oft vermehrt mütterlichen Substanzkonsums ausgesetzt sein.
vorhanden.
Generell birgt eine pränatale Exposition an Alkohol
Auswirkungen der elterlichen Suchterkrankung oder Drogen verschiedene Gefahren (Calhoun et al.,
auf das Kind 2015), wie z. B. ein geringes Geburtsgewicht, frühe
Eine elterliche Abhängigkeitserkrankung gilt innerhalb Fütterungsstörungen, eine erhöhte Erregbarkeit des
aller bekannten Risikofaktoren als ein besonders Neugeborenen sowie eine verzögerte kognitive, körper-
negativer Gefährdungsfaktor für eine gesunde körper- liche und/oder emotionale Entwicklung in verschiede-
liche und psychische Entwicklung des Kindes (Klein et nen Altersstufen (Lester et al., 2010). Speziell in Bezug
al., 2013). Die negativen Auswirkungen für betroffene auf eine pränatale Alkoholexposition besteht für das
Kinder sind durch zahlreiche Studien gut belegt – vor ungeborene Kind die Gefahr der Entwicklung einer
allem im Kontext einer elterlichen Alkoholabhängig- sogenannten Fetalen Alkoholspektrumsstörung (FASD)
keit – und beziehen sich sowohl auf körperliche (Landgraf et al., 2013). Diese äußert sich durch ein
Schädigungen als auch auf die Entwicklung psychi- geringes Geburtsgewicht und eine geringe Körpergrö-
scher Beeinträchtigungen. ße, einen kleineren Kopfumfang, auffällige Gesichts-

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


89 

merkmale und Schädigungen des zentralen Nerven­ Gesundheitsverhalten


systems. Methamphetamin-Missbrauch in der Bei Kindern aus alkoholbelasteten Familien wurde ein
Schwangerschaft steht in Zusammenhang mit Fehl- ungünstigeres Gesundheitsverhalten beobachtet als bei
und Frühgeburten, einer zu geringen Körpergröße bei Kindern aus unbelasteten Familien (Serec et al., 2012):
Geburt, niedrigem Erregungsniveau, Bewegungsein- Betroffene Kinder verbrachten mehr Zeit sitzend vor
schränkungen, erhöhtem körperlichem Stress sowie dem Fernseher oder PC, bewegten sich insgesamt
späteren Verhaltens- und Entwicklungsdefiziten beim weniger und wiesen ein ungesünderes Ernährungs­
Kind (Mühlig et al., 2016). Ein pränataler Methamphet- verhalten auf. Im Kontext von illegalen Drogen und
amin- oder Heroinkonsum kann außerdem infolge der Verhaltenssüchten wurde das Gesundheitsverhalten
beendeten Zufuhr der Substanz im Mutterleib nach der von Kindern suchtkranker Eltern noch nicht unter-
Geburt zu einem Neonatalen Abstinenzsyndrom (NAS) sucht. Es sind jedoch ähnliche Ergebnisse wie aus dem
führen (Calhoun et al., 2015). Pränatal erworbene Kontext der elterlichen Alkoholbelastung zu erwarten.
Schädigungen interagieren oft in komplexer Weise mit
den ungünstigen Entwicklungsbedingungen im Entwicklung psychischer Probleme
späteren Kindesalter. Entwicklung einer eigenen Suchterkrankung
Kinder aus alkohol- oder drogenbelasteten Familien
Ein mütterlicher Tabakkonsum in der Schwangerschaft gelten als eine Hochrisikogruppe für die Entwicklung
kann ebenfalls schwerwiegende Auswirkungen haben, einer eigenen Suchterkrankung (Klein, 2005; Thomasius
wie z. B. spontane Fehlgeburten, vorzeitige Plazentaab- et al., 2008). Ein früher Alkoholkonsum ist der am
lösung als auch Früh- oder Totgeburten (Lampert et al., häufigsten untersuchte Gegenstand im Themenbereich
2010). Bei den Neugeborenen bestehen etliche Kompli- „Kinder aus suchtbelasteten Familien“ (Rossow et al.,
kationen und Risiken, wie z. B. ein geringeres Geburts- 2016). Zahlreiche Studien konnten nachweisen, dass bei
gewicht und eine geringere Größe oder andere Kindern aus suchtbelasteten Familien eine erhöhte
Geburtsdefekte. Postnatal kann ein plötzlicher Kinds- Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass sie a) früher begin-
tod (SIDS) auftreten. Pränatal exponierte Kinder zeigen nen, Substanzen zu konsumieren (Waldron et al., 2014),
auch im weiteren Verlauf oft beeinträchtigte Lungen- b) früher erste Rauscherfahrungen erleben (Wong et al.,
funktionen, Atemwegserkrankungen, Mittelohrent- 2006), c) mehr „binge drinking“ betreiben (Weitzmann
zündungen oder Verhaltensauffälligkeiten. et al., 2000) und d) einen schnelleren Übergang vom
ersten Konsum alkoholischer Getränke bis hin zu
Indirekte Exposition an Tabakrauch Alkoholproblemen vollziehen als Kinder aus unbelas-
Die durch das Passivrauchen hervorgerufenen gesund- teten Familien (Hussong et al., 2008). Letzteres wurde
heitlichen Schäden ähneln denen des aktiven Rau- auch im Kontext illegaler Drogen beobachtet.
chens (DKFZ, 2010). Ein indirektes Inhalieren von
Tabakrauch erhöht generell das Risiko für Herz- Die Mechanismen der Übertragung von substanzbe­
Kreislauf- sowie Atemwegs- und Krebserkrankungen zogenen Problemen der Eltern auf ihre Kinder sind
(Lampert et al., 2010; DKFZ, 2015). Kinder und Jugend­ komplex. Bei Alkoholproblemen spielen sowohl geneti-
liche reagieren besonders empfindlich auf Tabakrauch, sche (Sörensen et al., 2011; Zimmermann et al., 2008)
da sie – verglichen mit Erwachsenen – eine höhere als auch psychologische Faktoren wie Modelllernen
Atemfrequenz haben und entsprechend mehr Gift­ (z. B. Konsum zur Selbstmedikation, Umgang mit
stoffe aufnehmen. Da die Entwicklung ihrer Organe negativen Gefühlen) (Cleveland et al., 2014) oder die
noch nicht abgeschlossen ist, können sie die Schad­ Vermittlung positiver, substanzspezifischer Wirkungs-
stoffe schlechter abbauen. Heranwachsende, die erwartungen (Barnow et al., 2007) eine Rolle. Eine
Tabakrauch ausgesetzt sind, leiden u. a. häufiger an besondere Bedeutung besitzen außerdem die oben
Erkrankungen der Atemwege und Mittelohrentzün- genannten negativen Kindheitserfahrungen, die später
dungen (DKFZ, 2015). mithilfe von Alkohol oder Drogen auf ungünstige
Weise bewältigt werden (Zobel, 2006).

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


90 

Entwicklung anderer psychischer Störungen Schutzfaktoren und Resilienzen


Außer (bzw. zusätzlich zu) eigenen Suchtstörungen Die Entwicklung einer eigenen Suchterkrankung oder
entwickeln Kinder aus alkohol- oder drogenbelasteten anderer psychischer Störungen bei Kindern aus
Familien häufig andere psychische Erkrankungen alkohol- oder drogenbelasteten Familien kann nicht
(Thomasius et al., 2005; Klein, 2007; Moesgen, 2014). durch die elterliche Suchterkrankung allein erklärt
werden. Die (ungünstige) Entwicklung eines Kindes
So besteht bei Kindern aus suchtbelasteten Familien hängt grundsätzlich ab von der Anwesenheit bestimm-
z. B. ein erhöhtes Risiko für sogenannte externalisie- ter Risiko- und Schutzfaktoren, die sowohl in der
rende Auffälligkeiten. Hierzu gehören Störungen des Umgebung des Kindes als auch beim Kind selbst zu
Sozialverhaltens (Molina et al., 2010; Waldron et al., finden sind (Petermann, 1997). Da in suchtbelasteten
2009) oder hyperkinetische Störungen wie z. B. die Familien oft ein gehäuftes Aufkommen an Risikofakto-
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung ren zu beobachten ist, kommt den umgebungsbezoge-
(ADHS) (Parvaresh et al., 2015; Kendler et al., 2016). nen Schutzfaktoren und individuellen Resilienzen
Diese externalisierenden Störungen können sich in (engl. „resilience“ = „Widerstandsfähigkeit“) eine ganz
allen Altersstufen der Kindheit und Jugend oder später besondere Bedeutung zu.
im Erwachsenenalter äußern (Park et al., 2015).
Außerdem verfügen z. B. Söhne von alkoholabhängigen Umgebungsbezogene Schutzfaktoren
Vätern über eine geringe Selbstregulation (Adkison et Zu den umgebungsbezogenen Schutzfaktoren zählen
al., 2013), was die spätere Entwicklung von externalisie- z. B. menschliche Wärme, Fürsorge und Zuneigung
renden Störungen begünstigen kann (Eiden et al., durch mindestens einen Elternteil oder soziale und
2016). emotionale Unterstützung durch Bezugspersonen
außerhalb der suchtbelasteten Kernfamilie (Eiden et al.,
Darüber hinaus scheinen Kinder aus suchtbelasteten 2016). Eine besondere Bedeutung besitzt in diesem
Familien auch in Bezug auf die Entwicklung soge­ Zusammenhang auch eine elterliche Abstinenz. Viele
nannter internalisierender Störungsbilder besonders suchtkranke Eltern sind sich (zumindest rückblickend)
gefährdet zu sein (Hussong et al., 2008): Betroffene ihrer ungünstigen Verhaltensweisen und der Auswir-
Kinder zeigen im Vergleich zu unbelasteten Kindern kungen auf die Kinder bewusst (Fraser et al., 2008;
erhöhte Raten an Depressionen (Hill et al., 2011; Haight, 2009). Dies führt zwar zu starken Gefühlen von
Fuller-Thomson et al., 2013) oder Angststörungen Schuld und Sorge, aber Kinder stellen dadurch auch
(MacPherson et al., 2001), sowohl bereits im Kindes- ein besonders starkes bzw. sogar das vorrangige
und Jugend- als auch später im Erwachsenenalter (Park Abstinenzmotiv dar (Fraser et al., 2008; Klein et al.,
et al., 2015). 2016). Diese Abstinenzmotivation der suchtkranken
Elternteile kann therapeutisch genutzt werden, ohne
Externalisierende und internalisierende Störungen dass die Kinder dabei funktionalisiert werden dürfen.
gelten als besondere Risikofaktoren für die spätere Das Kindeswohl muss jederzeit im Laufe von Beratung
Entwicklung einer eigenen Suchterkrankung (King et und Therapie der Eltern beachtet und sichergestellt
al., 2008). Frühe Anpassungsprobleme bei Kindern werden. Grundsätzlich scheint eine elterliche Sucht-
suchtkranker Eltern sind außerdem mit der Entwick- mittelfreiheit das familiäre Leben insgesamt zu
lung einer Persönlichkeitsstörung im (jungen) Erwach- stabilisieren (Fraser et al., 2008), was der weiteren
senenalter verbunden: Ergebnisse einer 33-jährigen Entwicklung von betroffenen Kindern besonders
Längsschnittstudie belegen, dass ein Viertel der Kinder zugutekommt (Andreas et al., 2017): So zeigen z. B.
aus alkoholbelasteten Familien mindestens eine Untersuchungen, dass sich die psychischen Auffällig-
Diagnose einer Persönlichkeitsstörung erhielt (Drake et keiten von Kindern von alkoholabhängigen Eltern
al., 1988). zurückbilden konnten bzw. dass sie sogar langfristig
unauffällig wurden, wenn der suchtkranke Elternteil

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


91 

erfolgreich eine abstinenz­orientierte, stationäre Fazit zu den Auswirkungen der elterlichen


Therapie absolviert hatte (Andreas et al., 2017; Andreas ­Suchterkrankung auf die Kinder
et al., 2007; Klein et al., 2016). Wird der Elternteil Elterliche Abhängigkeitserkrankungen und deren
allerdings wieder rückfällig, steigt auch gleichzeitig Begleiterscheinungen können für Kinder in jeder
wieder das Risiko für Verhaltensauffälligkeiten beim Altersstufe gravierende Auswirkungen besitzen, wie
Kind. Betroffene Kinder berichten selbst, dass eine z. B. eigene Suchtgefährdung oder andere psychische
Suchtmittelfreiheit des Elternteils einen wesentlichen Erkrankungen wie ADHS, Störungen des Sozialverhal-
Beitrag zu einem besseren Leben leisten würde (­ Moe et tens, Depressionen oder Angststörungen. Damit
al., 2007). riskante Einflüsse für die Kinder bestmöglich „abgefe-
dert“ werden, müssen umgebungsbezogene, individu-
Kindbezogene Resilienzen elle und familiäre Schutzfaktoren dringend gefördert
Kindbezogene Resilienzen wurden im Kontext von werden, insbesondere dann, wenn eine Vielzahl
suchtbelasteten Familien mehrfach und umfassend riskanter Bedingungen und Belastungen vorliegt. Die
untersucht. Wünschens- und förderungswert sind u.a. Risiken für die betroffenen Kinder lassen sich durch
folgende Merkmale bzw. Fähigkeiten (Vellemann et al., vielfältige Präventionsmaßnahmen reduzieren, die sich
2016): persönliche Qualitäten (z. B. angenehmes entweder direkt an die Kinder, die Eltern oder die
Temperament, Sozialkompetenz, Fähigkeit zur Selbst- gesamte Familie richten können. Diese Maßnahmen
reflexion und Emotionsregulation); das Gefühl, selbst können, aber müssen nicht zwingend eine elterliche
etwas bewirken zu können; angemessene Bewälti- Suchtmittelfreiheit anstreben, obwohl diese wün-
gungsstrategien und Problemlösekompetenzen; schenswert wäre.
Unterstützung und Aktivitäten außerhalb der Kernfa-
milie und Einsicht und Verständnis bezüglich der Hilfebedarf suchtbelasteter Familien und
elterlichen Suchtproblematik. ­Unterstützungsangebote
Es besteht ein hoher Hilfebedarf für suchtkranke
Auch auf Familienebene wurden sogenannte Schlüssel­ Eltern und deren Kinder. Grundsätzlich ist der Zugang
merkmale der Resilienz identifiziert (Walsh, 2006): 1.) für betroffene Familien zum professionellen Hilfesys-
sinnstiftende Überzeugungen der Familie, z. B. in tem aus unterschiedlichen Gründen oftmals erschwert.
schwierigen Lebensumständen einen Sinn finden, Alkohol- oder drogenabhängige Eltern sind z. B.
optimistische, aber realistische Grundeinstellung, aufgrund von Scham- und Schuldgefühlen oft nicht
Aufrechterhaltung übergeordneter Werte und Sinnsys- bereit, ihren Kindern eine Teilnahme an professionel-
teme (z. B. religiös-spiritueller Glaube), 2.) funktionale len Unterstützungsangeboten zu ermöglichen (Kelley
strukturelle und flexible organisatorische Muster, z. B. et al., 2014). Diese elterliche Zurückhaltung muss im
Flexibilität in den familialen Strukturen (Offenheit für Zuge von Ansprachen betroffener Familien dringend
Erfahrungen), Aufrechterhaltung des Gefühls der berücksichtigt werden. Fachkräfte sollten mit den
Verbundenheit auch in Krisenzeiten, soziale Unterstüt- Eltern, sofern keine akute Kindeswohlgefährdung
zung und ökonomische Ressourcen und 3.) angemesse- vorliegt, über einen längeren Zeitraum hinweg
ne Kommunikation, z. B. offenes Ansprechen von prozesshaft einfühlend und motivierend arbeiten, um
Problemen und Emotionen und gemeinsame Lösungs- bestmögliche Unterstützungsstrategien für deren
findung. Im Rahmen dieser Schlüsselprozesse ist eine Kinder bzw. die ganze Familie zu entwickeln. Weitere
grundlegende emotionale Verbundenheit und Lernfä- Schwierigkeiten ergeben sich dadurch, dass die Eltern
higkeit der Familien wichtig (Fernandez et al., 2013). oft nicht wissen, wo und bei wem sie Hilfe in Anspruch
nehmen können. Hier mangelt es bisher an einem
Lotsen- oder Navigationssystem, das den Eltern das
Finden der richtigen Hilfe erleichtert (Drogen- und
Suchtbericht 2016).

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


92 

Wissenschaftlich erwiesene Hilfeangebote, speziell gang mit Stress und Kommunikation behandelt. Das
für Kinder suchtkranker Eltern, sind in Deutschland Programm hatte auf verschiedenen Ebenen positive
insgesamt nur wenig vorhanden. Es existiert aber eine Effekte für die Familien (Baldus et al., 2016). Derzeit
Vielzahl an qualifizierten Hilfeangeboten, die entweder erprobt und wissenschaftlich überprüft wird das
auf die Förderung der Erziehungs- und Elternkompe- SHIFT-Elterntraining (Suchthilfe und Familientrai-
tenz von suchtkranken Eltern abzielen oder sich direkt ning). SHIFT ist ein Gruppenprogramm speziell für
an die betroffenen Kinder wenden. Andere Programme Eltern mit Crystal Meth-Erfahrung, die Kinder zwi-
richten sich eher an Risikofamilien im Allgemeinen schen 0 und 8 Jahren haben (Moesgen et al., 2016).
und schließen damit suchtkranke Eltern und deren SHIFT versucht unter anderem die Elternkompetenzen
Kinder ein. Darüber hinaus existieren verschiedene und familiären Resilienzen zu stärken. Erste Evaluati-
Qualifizierungsmaßnahmen für Fachkräfte, die diese onsergebnisse aus Sachsen und Thüringen werden
für den Umgang mit Kindern aus suchtbelasteten 2018 erwartet. Das Programm soll später für alle
Familien ausbilden sollen. Im Folgenden werden elterlichen Suchtformen erweitert werden. Für Männer
Beispiele bestehender Unterstützungsangebote mit einer Alkoholabhängigkeit existiert das Gruppen-
vorgestellt. programm „Männlichkeiten und Sucht“ (Landschafts-
verband Westfalen-Lippe, 2014). Dieses Programm
Interventionen für suchtmittelabhängige Eltern richtet sich zwar nicht an Väter im Speziellen, widmet
In Deutschland existieren kaum Hilfeangebote, die sich aber auch dem Thema Vaterschaft. Dabei werden
speziell für suchtkranke Eltern konzipiert wurden beispielsweise die Folgen einer Alkoholabhängigkeit
und deren Wirksamkeit wissenschaftlich erwiesen ist. auf das Erziehungsverhalten thematisiert, wie z. B.
Programme, deren Wirksamkeit wissenschaftlich häusliche Gewalt. Ziel ist es, die eigene Vaterrolle zu
belegt werden konnte, sind fast ausschließlich im reflektieren, das Zusammensein mit dem Kind zu
­US-amerikanischen Raum zu finden. verbessern und die Männer für die Perspektive ihrer
Kinder zu sensibilisieren. Das Programm erzielte
Ein in Deutschland bestehendes und wissenschaftlich sowohl bei Teilnehmern als auch bei den Fachkräften
untersuchtes Programm ist das Mütter-Unterstüt- eine gute Akzeptanz. Bella Donna e. V. in Essen bietet
zungs-Training (MUT!), ein Gruppentraining für seit vielen Jahren hilfreiche Angebote und Aktivitäten
opiatabhängige, substituierte Mütter zur Förderung der für suchtmittelabhängige Frauen an und hat den Fokus
Erziehungskompetenz (Klein, 2006). MUT! soll bei den inzwischen auch auf den problematischen Substanz-
Müttern unter anderem das Wissen über die kindliche konsum von Vätern erweitert.
Entwicklung erweitern und ihren Umgang mit dem
Kind verbessern. Sie sollen außerdem in ihrer Rolle als Interventionen speziell für Kinder aus sucht­
Mütter gestärkt werden sowie das Gefühl erhalten, in belasteten Familien
der Erziehung etwas bewirken zu können. Das Pro- Im internationalen Raum gibt es verschiedene Pro-
gramm konnte mehrfach positive Effekte erzielen. gramme für Kinder aus suchtbelasteten Familien,
deren Wirksamkeit wissenschaftlich bestätigt wurde
Das Strengthening Families Program 10-14 (SFP 10-14) (Bröning et al., 2012; Johnson et al., 2011). In Deutsch-
(deutsch: Familien stärken) (Bröning et al., 2014) wurde land ist das Angebot an wissenschaftlich untersuchten
ebenfalls in Deutschland an mehreren Standorten Programmen für Kinder aus suchtbelasteten Familien
angeboten und wissenschaftlich untersucht. SFP 10-14 überschaubar (Arenz-Greiving et al., 2007; Ruths et al.,
richtet sich speziell an Risikofamilien und versucht, der 2013).
Entwicklung von Sucht- und anderen psychischen
Erkrankungen vorzubeugen. Das Programm beinhaltet Das Trampolin-Projekt ist bundesweit das einzige
getrennte Sitzungen für die Eltern und Jugendlichen wissenschaftlich belegte Unterstützungsangebot,
sowie gemeinsame Familiensitzungen. In diesen Sitzun- welches sich direkt und speziell an Kinder aus alkohol-
gen werden z. B. die Themen Erziehung, Gefühle, Um- oder drogenbelasteten Familien im Alter zwischen

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


93 

8 und 12 Jahren richtet (Klein et al., 2013). Ziel des niedrigschwellige Programme, wie z. B. das Paten-
Gruppenprogramms ist es, den Kindern hilfreiche schaftsprojekt „Vergiss mich nicht“ in Berlin. In
Stressbewältigungsfertigkeiten und Wissen zu den besonders von Crystal Meth-Konsum betroffenen
Themen Sucht und Substanzen zu vermitteln und sie Regionen, wie z. B. Sachsen oder Thüringen, gibt es
in ihrem Selbstwert und in dem Gefühl, selbst etwas Hilfeangebote, die speziell für Kinder konzipiert
bewirken zu können, zu stärken. Außerdem sollen sie wurden, deren Eltern Methamphetamin-abhängig
durch die Enttabuisierung des Themas Sucht psychisch sind, wie z. B. PICKNICK in Chemnitz oder sCHILD-
entlastet werden. In den begleitenden Elternsitzungen kröte im Vogtland. Beides sind Gruppenangebote für
sollen die Eltern u. a. für die Bedürfnisse ihrer Kinder betroffene Kinder mit begleitender Elternarbeit.
und die Auswirkungen der Suchterkrankung sensibili-
siert werden und Vertrauen in ihre Erziehungskompe- Neben diesen professionellen Präventionsangeboten
tenz gewinnen. Studienergebnisse zeigen, dass teilneh- gibt es auch solche der Suchtselbsthilfe (z. B. Alateen-
mende Kinder von der Trampolin-Gruppe kurz- und Gruppen oder die Smiley-Gruppen des Kreuzbundes
mittelfristig profitieren. Trampolin wurde 2016 von in Westfalen) sowie überregionale Hilfe­angebote, z. B.
der zentralen Prüfstelle des GKV-Spitzenverbands als das zielgruppenspezifische Online-Projekt Kidkit
Stressbewältigungsprogramm zertifiziert und kann ­(www.kidkit.de) oder das kostenfreie Nottelefon für
seitdem von den Krankenkassen erstattet werden. Kinder suchtkranker Eltern des Sucht- und Wende-
Neben Trampolin existieren in Deutschland weitere punkt e. V. aus Hamburg (Tel.-Nr. 0800-280 2801). Mit
qualifizierte und erfolgreiche Unterstützungsangebote NACOA Deutschland e. V. (www.nacoa.de) besteht
für Kinder aus suchtbelasteten Familien. Diese sind außerdem eine Interessenvertretung für Kinder aus
häufig im Bereich der lokalen Suchthilfe angesiedelt, Suchtfamilien, welche Betroffenen nicht nur umfas-
wie z. B. die Gruppenprogramme FitKids in Wesel, sende Informationen, sondern auch direkte Hilfen in
Feuervogel in Aachen, Huckleberry & Pippilotta in Form von E-Mail- oder Telefonberatung anbietet.
Balingen, MAKS in Freiburg, MIKADO in Köln,
Wigwam in Berlin, HiKiDra in Kiel usw., nur um einige
wenige Beispiele zu nennen. Darüber hinaus gibt es

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


94 

Angebote, die sich unter anderem an sucht­ Kooperationsbeziehungen zwischen Jugend- und
belastete Familien richten Suchthilfe zu optimieren, bestätigen den hohen
Neben den genannten, suchtspezifischen Unterstüt- ­Kooperationsbedarf, der im Alltag der Fach­kräfte aber
zungsangeboten gibt es Angebote, die nicht ausschließ- oft nicht abgedeckt werden kann.
lich für suchtbelastete Familien vorhanden sind, jedoch
sehr häufig von ihnen in Anspruch genommen werden. Direkt an betroffene Kinder im frühen Kindesalter
können sich auch z. B. Projekte wie Papilio oder
Kinder suchtbelasteter Familien unter drei Jahren und Jolinchen Kids richten. Papilio ist ein universelles
deren Eltern können z. B. durch die Einrichtung der Sucht- und Gewaltpräventionsprogramm, welches in
Frühen Hilfen profitieren. Die Frühen Hilfen bilden Kindergärten durchgeführt wird. Jolinchen Kids ist ein
lokale und regionale Unterstützungssysteme mit Kita-Programm zur Förderung der Gesundheit von
koordinierten Hilfeangeboten für Eltern und Kinder Kindern bis zu sechs Jahren. Im Fokus stehen die
ab Beginn der Schwangerschaft und in den ersten Themen Ernährung, Bewegung und seelisches Wohl­
Lebensjahren. Kleine sowie ältere Kinder können befinden. Beide Projekte werden von den Kranken­
ebenfalls Hilfen über die Angebote aus dem Bereich kassen gefördert.
der Jugendhilfe nach SGB VIII erhalten, wie die
Sozialpädagogischen Familienhilfen und andere Hilfen Angebote zur Qualifizierung von Fachkräften
zur Erziehung für suchtbelastete Familien sowie die Es gibt verschiedene Schulungen und Qualifizierungs-
Erziehungsberatung nach SGB VIII. In Regionen mit maßnahmen auf lokaler, regionaler oder landesweiter
einer überdurchschnittlichen Prävalenz von Metham- Ebene, die sich an unter­schied­liche Fachkräfte und
phetamin-abhängigkeit, wie z. B. in Sachsen, kümmern Multiplikatoren richten, welche mit suchtbe­lasteten
sich zuständige Bereiche oftmals vorrangig bzw. Familien in Berührung kommen. Als aktuelle und
besonders intensiv um Familien mit Crystal Meth- über­regionale Beispielprojekte können in diesem
Problematik. Beispiele hierfür sind die Sozialpädagogi- Kontext das derzeit laufende Projekt „Entwicklung und
sche Familienhilfe Sucht (SoFaSu) in Zwickau, der Erprobung eines internetbasierten Schulungsmoduls“
Fachbereich Familien­hilfe des St. Georg Klinikums in für Fachkräfte, die mit gesundheitlich belasteten Eltern
Leipzig oder die Angebote des sozial­psychiatrischen arbeiten, an der Universität Ulm sowie die Broschüre
Dienstes des Gesundheitsamtes Dresden sowie die „Mia, Mats und Moritz“ der Deutschen Hauptstelle für
fachübergreifende Initiative „Mama, denk an mich“ am Suchtfragen (DHS) mit einem Begleitheft, welches eine
Universitätsklinikum Dresden, welche die Expertise Anleitung für Fachkräfte, Ehrenamtler und Angehörige
von Geburtshilfe, Neugeborenenmedizin und Sucht- zum Umgang mit Kindern suchtkranker Eltern
therapie bündelt und Crystal Meth-Kon­sumentinnen anbietet, genannt werden. Für die Durchführung des
zu einem suchtmittelfreien Leben verhilft. Generell Trampolin-Programms wurden bundesweit inzwi-
empfiehlt sich eine dauerhafte und verbindliche schen mehr als 300 Fachkräfte geschult, die dadurch
Kooperation zwischen der lokalen Jugend- und auch als zertifizierte Trainer für Krankenkassen im
Suchthilfe. Eine derartige strukturelle Zusammenarbeit Bereich der Stressprävention für Kinder tätig werden
ist gemäß § 81 SGB VIII bereits rechtlich verankert; es können.
ist sehr wichtig, dass alle Akteure dieser Verpflichtung
entsprechen. Vorzugsweise wird für jede beteiligte Fazit zu den Unterstützungsangeboten für
Einrichtung eine verantwort­liche Schlüsselperson suchtbelastete Familien
benannt. Verbindliche Kooperationen zwischen Trotz bestehender Angebote ist insbesondere die
Sucht- und Jugendhilfe sowie der medizinischen zielgruppenspezifische Versorgung von Kindern aus
Versorgung bestehen bereits auf kommunaler Ebene, alkohol- oder drogenbelasteten Familien unzurei-
wie z. B. in Essen oder München. Die Evaluationsergeb- chend. Einen Ausgangspunkt für entsprechende Hilfen
nisse des Projektes Schulterschluss, welches in Bayern bieten das Suchthilfesystem und der Bereich der
und Baden-Württemberg durchgeführt wurde, um die Kinder- und Jugendhilfe. Im Idealfall besteht eine

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


95 

Kooperationsvereinbarung zwischen den beiden wäre von großer Bedeutung. Das Thema Kindeswohl
Bereichen, die von allen Akteuren verbindlich einge- sollte außerdem stärker in die Behandlung von
halten wird. Um auch suchtbelastete Familien zu suchtkranken Eltern integriert werden, da es zum
erreichen, die (noch) keinen Kontakt zur Sucht- oder einen eine wesentliche Motivation für Abstinenz und
Jugendhilfe haben, sollten auch der Öffentliche zum anderen ein zentrales Thema des Alltags der
Gesundheitsdienst und die Ärzteschaft (insbesondere betroffenen Mütter und Väter darstellt. Da ein funktio-
Hausärzte, Kinder- und Jugendärzte sowie Gynäkolo- nales Elternverhalten eines der größten Defizite in
gen) in entsprechende Kooperationen und Hilfenetz- suchtbelasteten Familien darstellt und die entspre-
werke eingebunden werden. Die angebotenen Hilfe- chenden Auswirkungen für die Kinder gravierend sein
maßnahmen für suchtbelastete Familien müssen leicht können, muss das Angebot an entsprechenden Hilfean-
auffindbar sein und möglichst viele Hemmschwellen geboten für suchtkranke Eltern und ihre Kinder
abbauen können. Ein Ausbau von wissenschaftlicher dringend verstärkt werden.
Begleitforschung für die angebotenen Maßnahmen

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


„Ich weiß nicht
mehr weiter“ „Ich mache mir sehr große Sorgen
um meinen Vater. Ich habe Angst,
dass er wegen dem Trinken irgend-
wann stirbt.“
„Ich bin
manchmal so
fertig, dass ich
nur noch weinen
kann.“
„Ich habe das Gefühl,
meine Mama zu verraten.
Aber ich weiß auch, dass
sie Hilfe benötigt.“

„Ich habe jedes Mal Angst, wenn ich


nicht da bin, dass Mama irgendetwas
zustößt oder dass sie denkt, ich lasse
„Ich fühle mich
sie alleine. Ich habe deswegen auch
so allein“
keine Freunde mehr.“
„Ich wünsche mir,
dass wir einfach
eine normale
Familie sind“

„Mir fällt es
schwer, mich in
der Schule zu
konzentrieren“ „Mir geht’s „Mein einziger Wunsch ist es,
wirklich schlecht, dass es Mama wieder besser
weil ich mir so viele geht. Wie es mir geht, ist nicht
Sorgen mache.“ so wichtig, aber Mama soll es
gut gehen“

„Wenn ich Hilfe hole, darf


ich dann nicht mehr bei „Ich frage mich,
meiner Mutter wohnen?“ „Ich vertraue euch etwas ob das Leben
an, was ich eigentlich noch einen Sinn
nicht sagen darf.“ hat“

Die Aussagen stammen von Kindern und Jugendlichen, die sichaus


5_Kinder an suchtbelasteten
KidKit gewandt haben. Mehr zum Projekt KidKit lesen Sie in diesem Kapitel.
Familien
97 

2 Kinder stärken – Resilienz ten Gruppenangebote richten sich in erster Linie an


Kinder und Jugendliche, beziehen aber auch die Eltern
fördern durch gemeinsame Unternehmungen oder Gespräche
ein, um den Umgang miteinander positiv zu beeinflus-
Wie können Kinder so gestärkt werden, dass sie sich sen.
trotz schwieriger Lebensumstände gut entwickeln
können? Aus der Resilienzforschung lassen sich Einzelberatung per Chat und E-Mail
Faktoren ableiten, die Kindern dabei helfen, besser mit
ihrer familiären Situation zurechtzukommen: KidKit.de
• verlässliche Beziehungen zu Erwachsenen KidKit ist ein seit 2003 bestehendes
• Verstehen der elterlichen Sucht als Krankheit und internetbasiertes Informations-,
der eigenen Schuldlosigkeit daran Beratungs- und Unterstützungsan-
• das Wissen und Gefühl, mit diesem Problem nicht gebot für Kinder und Jugendliche
allein zu sein zwischen 10 und 18 Jahren, deren
• eigene Interessen und Bedürfnisse wahrnehmen und Eltern suchtkrank sind. Kooperations-
umsetzen partner des Projektes sind die Drogen­hilfe Köln e. V.
und KOALA e. V. Die wissenschaftliche Begleitfor-
Die hier vorgestellten Projekte greifen diese Aspekte in schung erfolgt durch das Deutsche Institut für Sucht-
unterschiedlicher Gewichtung auf. Dabei spielt auch und Präven­tionsforschung (DISuP).
das Alter der Kinder eine wichtige Rolle. Ältere Kinder
und Jugendliche sind häufiger in der Lage, sich selbst KidKit liefert betroffenen Kindern und Jugendlichen
aktiv Unterstützung zu suchen, zum Beispiel durch altersgerechte, fundierte und ausführliche Informatio-
eine Beratung per Chat. Je jünger die Kinder sind, umso nen zu den Themen Sucht, Gewalt und psychische
mehr sind sie darauf angewiesen, dass sie in ein Erkrankungen in der Familie und bietet ihnen vor
passgenaues Angebot vermittelt werden. Die genann- allem die Möglichkeit der Kontaktaufnahme und

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


98 

Beratung an. Der Schwerpunkt dabei liegt in einer KidKit: das ist gar kein problem und normal! ich freue
qualifizierten, kostenlosen und anonymen E-Mail- und mich, dass du da bist!:-) du hast ja bei der anmeldung
Chat-Beratung. Da KidKit eine gesicherte Online- schon etwas zu deinem anliegen geschrieben. magst du
Beratungstechnik nutzt, wird für die Beratung keine mir die schwierigkeiten in deiner familie etwas
eigene E-Mail-Adresse benötigt. Stattdessen können genauer beschreiben?
sich die Betroffenen mit einem selbst gewählten Leon: ja schon. es ist mir halt sehr peinlich. meine
Benutzernamen und Passwort anonym anmelden und eltern können nicht so für uns sorgen wie sie es sollten.
die Antworten in ihrem „Postfach“ bei KidKit abrufen. KidKit: das tut mir sehr leid! wieso schaffen deine
Die gebotene Anonymität führt zu einer erhöhten eltern es nicht, sich um euch zu kümmern? geht es
Erreichbarkeit der oftmals unter enormen Angst- und ihnen nicht gut?
Schuldgefühlen leidenden und nicht selten sozial Leon: nein ihnen geht es nicht gut. mein vater trinkt
isoliert aufwachsenden Kinder und Jugendlichen. viel und so.
KidKit: da wir bei kidkit sehr viel mit problemen in
Darüber hinaus findet bei Bedarf eine Weitervermitt- familien zu tun haben, muss dir das nicht peinlich sein.
lung der Betroffenen an passgenaue Kontakt- und auch bleibt alles, was du mir erzählst, unter uns, da ich
Beratungseinrichtungen vor Ort statt. Um diese der schweigepflicht unterliege.
Vermittlung verlässlich gewährleisten zu können, wird Leon: das heißt egal wie schlimm es bei mir ist, ich
aktuell eine bundesweite Datenbank mit bestehenden habe nichts zu befürchten?
Hilfeangeboten für Kinder und Jugendliche suchtkran- KidKit: nein, wir möchten versuchen, mit dir gemein-
ker Eltern aufgebaut. Durch eine gleichzeitig entste- sam nach einer lösung zu suchen. magst du mir etwas
hende digitale Landkarte auf der Website von KidKit mehr über deine familie erzählen? wohnst du z. B. mit
werden auch betroffene Kinder und Jugendliche selbst deinem vater, deiner mutter und deinen geschwistern
sowie Fachkräfte und andere Interessierte auf die zusammen?
Datenbank zugreifen können. Diese Erweiterung wird Leon: egal was auch immer ist?
derzeit im Rahmen des Projekts „KidKit networks“ KidKit: natürlich gibt es ausnahmen, z. B. wenn das
bundesweit entwickelt und auf Initiative der Drogen- leben von jemandem akut in gefahr ist, aber ansonsten
beauftragten durch das Bundesministerium für unterliege ich erst mal der schweigepflicht.
Gesundheit gefördert. Leon: hm ok. also … wir wohnen alle zusammen. ich
habe zwei geschwister. meine eltern nehmen beide
drogen, mein vater trinkt auch sehr viel und meine
Chat mit Leon1 mutter ist selten zuhause.
KidKit: ich kann mir gut vorstellen, dass die situation
Bemerkung bei der Anmeldung: Hallo. Bin neu hier sehr belastend für dich ist. Ich bin froh, dass du dich an
und hab mich angemeldet, weil ich Probleme in uns gewendet hast, damit wir dich unterstützen
meiner Familie habe. Ähm … ich weiß nicht, mir fällt es können. kannst du in etwa sagen, seit wann die
schwer drüber zu schreiben. Ich bin 14 Jahre und situation so ist und wie sich das auswirkt?
Schüler. Ich brauch dringend Hilfe, denn meine Eltern Leon: ich weiß nicht genau wie lang das schon so geht.
verhalten sich nicht wie welche. Ich habe noch 2 kleine es sind bestimmt ein paar jahre. wie es sich auswirkt?
Geschwister, um die ich mich kümmere. meine mutter ist oft feiern. und wenn sie da ist, dann ist
sie entweder total aufgedreht oder total kaputt.
Leon: hallo KidKit: das hört sich sehr anstrengend für dich an,
KidKit: hallo leon, willkommen in unserem chat! auch weil du noch sehr jung bist. 14 jahre, richtig? du
Leon: das ist mein erster chat heute. ähm, ich bin hattest auch geschrieben, dass du dich um deine
ziemlich aufgeregt. kleinen geschwister kümmerst. wie alt sind deine
geschwister?

1
Nickname geändert, Chatverlauf gekürzt

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


99 

Leon: sie sind jünger als ich. ja ich bin 14. Leon: und die werden nichts machen was ich nicht
KidKit: gibt es jemanden außerhalb deiner familie, der will?
von der situation weiß? oder hast du schon mal mit KidKit: sie werden alles mit dir absprechen.
jemandem über deine situation gesprochen? Leon: hm. es ist irgendwie so falsch. so wie verrat.
Leon: nein. es soll auch niemand etwas mitbekommen. KidKit: das geht fast allen kindern und jugendlichen
das darf nicht sein. so, die in einer ähnlichen situation wie du sind. sie
KidKit: du hattest in der anmeldung geschrieben, dass denken, dass sie ihre eltern verraten. trotzdem ist es
du dringend hilfe benötigst. wollen wir mal zusammen aber doch wichtig, dass die situation nicht so bleibt,
überlegen, was es für möglichkeiten gibt? was für eine oder? und dass es euch allen, und vor allem dir, in
art hilfe könntest du dir vorstellen? wobei brauchst du zukunft besser geht, oder?
am meisten unterstützung? Leon: wenn es nach mir gehen würde … dann soll es
Leon: ich schaffe das alles manchmal nicht mehr. wir zumindest meinen geschwistern gut gehen.
haben auch schon wieder kein geld. ich weiß nicht KidKit: könntest du dir vielleicht vorstellen, nach
mehr wie ich für meine geschwister sorgen soll. unserem chat an unsere online-beratung zu schreiben?
KidKit: es ist vollkommen klar, dass dir das zu viel dort könnten wir dich intensiver beraten und dich z. B.
wird. gehen deine eltern noch arbeiten? an eine geeignete beratungstelle vermitteln.
Leon: nein. ich trage zeitung aus aber das ist auch nicht Leon: ist der kontakt da ungefähr so wie hier im chat?
der hit. haben die dort auch schweigepflicht?
KidKit: eigentlich ist es nicht deine aufgabe, für deine KidKit: ja, der kontakt in der online-beratung ist
geschwister zu sorgen, sondern deine eltern haben für genauso wie hier. die berater haben dieselbe schweige-
dich und deine geschwister die verantwortung. leider pflicht:-) es wird dich dort ein zuständiger berater oder
sind sie aber, so wie du es beschreibst, zurzeit nicht in eine beraterin durchgehend begleiten.
der lage dazu. gerade deshalb wäre es sehr wichtig, dass Leon: ist das denn wirklich ok, wenn ich davon
wir nach einer hilfsmöglichkeit für dich und deine jemanden erzähle?
familie suchen, damit du entlastet wirst. KidKit: ja, das ist wirklich total in ordnung! und vor
Leon: hm. was passiert denn, wenn jemand davon was allem ist es sehr wichtig, dass du darüber sprichst. das
mitbekommt? die werden uns doch sicher trennen. ist der erste schritt zur hilfe.
und mama sagt ja auch immer davon darf niemand Leon: hm … ok.
was wissen. KidKit: das ist toll! ich werde unseren beratern
KidKit: es gibt z. B. beratungsstellen, bei denen du bescheid geben, dass du schreibst, ok?
zunächst anonym bleiben könntest. und grundsätzlich Leon: ja ok. ich mach das gleich.
ist es so, dass immer versucht wird, eine lösung für die KidKit: super, schön, dass du den mut hast, auch an
ganze familie zu finden, damit sie nicht getrennt wird. unsere online-beratung zu schreiben, damit wir dir
Leon: und wer bezahlt so eine beratung? besser helfen können. ich wünsche dir ganz viel kraft
KidKit: eine beratung ist kostenlos:-) und alles gute!
Leon: hm … ich weiß nicht. Leon: danke. bis bald.
KidKit: du kannst mit einer beratung ja nichts falsch
machen, wenn du zunächst anonym bleibst. du
könntest dir ja einfach erst mal anhören, was sie dort
für vorschläge machen?

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


100 

Marlene Mortler besucht 2016 Initiatoren und Mitarbeiterinnen von KidKit

Gruppenangebote für Kinder und Jugendliche Maren, 15 Jahre


Durch MIKADO habe ich mich
verändert. Und dadurch hat
MIKADO und StandUp Köln sich auch in meiner Familie
etwas verändert.
Der Sozialdienst katholischer Männer e. V. Köln bietet
seit 2002 Gruppen für Kinder (7–11 Jahre, Mikado) und
Jugendliche (12–17 Jahre, StandUp) aus sucht­belasteten Julia, 17 Jahre
Familien an. Der Einstieg in die wöchent­lichen Grup- Dass es nicht meine Schuld ist, dass mein
pentreffen ist aufgrund des fortlaufenden, nicht modu- Vater getrunken hat, das war die
wichtigste Erkenntnis für mich. Dass ich
laren Charakters der Gruppen jederzeit möglich. Die nichts dafür kann! Und dass es auch nicht
Gruppenangebote werden je nach Bedarf durch Einzel- meine Schuld ist, dass er damit nicht
aufhören konnte!
gespräche ergänzt.

Die zentrale Zielsetzung von MIKADO/StandUp


besteht in der Aufhebung der Isolation und dem tung. Dieser Austausch ermöglicht die Entlastung von
Anbieten eines geschützten Rahmens, in dem sich die vielfach gefühlter Verantwortung und die Entwicklung
Kinder und Jugendlichen in altersadäquater Weise über von Handlungsalternativen.
ihre Lebenssituation und ihre Erfahrungen austau-
schen können. In den Gruppen erleben sie teils zum Durch die Einbindung der Eltern und durch gemein­
ersten Mal, dass sie nicht alleine mit dem Problem der same Unternehmungen trägt das Projekt auch zum
Eltern sind und dass sie erst recht nicht daran Schuld gegenseitigen Verständnis in der Familie und zur
tragen – eine bei den Kindern weitverbreitete Befürch- Stärkung der familiären Struktur bei. Dabei steht

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


101 

natürlich immer das Kindeswohl im Vordergrund. In Jessi, 11 Jahre


MIKADO ist mir sehr wichtig, hier
vielen Fällen ergänzt die MIKADO/StandUp-Gruppe kann man Spaß haben, aber auch
Maßnahmen des Jugendamtes, etwa Ambulante Hilfen Sachen besprechen: Familienge-
schichten und wie ich mit meiner
zur Erziehung.
Mutter reden kann.

Der Ansatz von MIKADO/StandUp ist lebensphasenbe-


gleitend angelegt. Den Kindern und Jugendlichen wird Deniz, 16 Jahre
Ich wusste vorher nicht, dass es
so die Möglichkeit geboten, das Angebot über einen
so viele gibt, die dasselbe wie ich
Zeitraum von mehreren Jahren zu nutzen und sich mitmachen. Aber durch die
altersspezifisch mit dem Thema der elterlichen Sucht anderen konnte ich dann endlich
frei sprechen!
auseinanderzusetzen. Bei den Jugendlichen geht es
darüber hinaus um die Entwicklung einer eigenen,
angemessenen Haltung zu Suchtmitteln als typischer Kilian, 11 Jahre
Entwicklungsaufgabe dieser Altersgruppe. Kinder aus MIKADO ist meine erste
Ansprechperson, wenn ich
suchtbelasteten Systemen gehören zur Hochrisiko- Hilfe brauche.
gruppe für die Entwicklung einer eigenen Suchter-
krankung. Das spenden- bzw. stiftungsfinanzierte
Angebot trägt deshalb auch zur Prävention bei.
www.facebook.com/mikado.skm.koeln die Kinder noch ein halbes Jahr zum Wiedersehen in
größeren zeitlichen Abständen kommen.
PICKNICK Chemnitz
Bei PICKNICK stehen Kinder im Mittelpunkt, die mit Unterstützt durch vielfältige Methoden erarbeiten
suchtbelasteten Eltern oder Elternteilen aufwachsen sich die Kinder kindgerechtes Wissen über die Sucht-
und suchtbedingte Verhaltensweisen der Eltern belastung der Eltern, einen optimistischeren Blick
miterleben. Das von der Stadt Chemnitz und dem auf ihr Leben und Lösungsideen für mögliche Pro­
Freistaat Sachsen geförderte Angebot entwickelte sich bleme. Damit diese individuelle Stärkung der Resilienz
unter dem Dach der Ambulanten Suchthilfe und gelingen kann, setzen wir neben einer inhaltlich
Suchtprävention der Stadtmission Chemnitz e. V. und durchdachten Gruppenarbeit auf vertiefte Kontakte
ist eine der familienorientierten Hilfen. Das Know-how mit den Kindern. Das braucht zeitliche und personelle
aus Suchthilfe und Jugendhilfe, welches für die Ressourcen. Für jede Gruppe steht ein Beraterinnen-
adäquate Unterstützung suchtbelasteter Eltern und team mit zwei Beraterinnen zur Verfügung, die über
ihrer Kinder gebraucht wird, wird verknüpft. einschlägige Berufserfahrungen und Zusatzqualifi­
kationen im Kontext der Suchthilfe verfügen und in
Ziel ist es, die kognitiven und emotionalen Bewälti- anderen Arbeitsbereichen unserer Ambulanten
gungsstrategien der Kinder zu stärken, um die multip- Suchthilfe und Suchtprävention verortet sind.
len Risikofaktoren abzumildern oder zu verändern.
Nachhaltige Verbesserungen zeigen sich, wenn Der Gruppenarbeit geht eine Kontaktphase voran, in
betroffene Eltern wertschätzend hinsichtlich ihrer der zunächst Nutzen und Eignung des Angebotes
Elternverantwortung miteinbezogen werden können. besprochen und mögliche Bedenken ausgeräumt
werden. Der Kontakt zu Eltern oder anderen Angehöri-
Kinder und Jugendliche treffen sich in der Montags- gen wird über den gesamten Zeitraum gehalten durch
gruppe (6–10 Jahre) und in der Dienstagsgruppe Kurzkontakte beim Bringen und Holen sowie Elternbe-
­(10–14 Jahre) wöchentlich über einen Zeitraum von ratung und Familienveranstaltungen wie Eltern-Kind-
einem Jahr für 1,5 Stunden in einem eigens dafür zur Nachmittage und Feste.
Verfügung stehenden Gruppenraum. Danach können www.stadtmission-chemnitz.de

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


102 

Drachenherz Marburg

Die vertrauliche Beratung ist kostenfrei und basiert auf


Freiwilligkeit. Ziele der Arbeit sind:

• Das Vorhalten eines modularen Beratungsangebotes,


„Drachenherz“ ist ein Angebot des Blaukreuz-Zen­ innerhalb dessen betroffene Kinder und Jugendliche
trums Marburg der Blaukreuz Diakonie und richtet entwicklungsfördernde Bedingungen vorfinden,
sich sowohl an Kinder und Jugendliche zwischen 4 und so­dass sowohl individuelle Anpassungsreaktionen
19 Jahren, die in einer suchtbelasteten Familie leben als auch innerseelische Spannungen (Inkongruen-
oder aufwuchsen, als auch an deren Eltern oder andere zen/Symptome) verändert werden können.
Bezugspersonen. • Das Informieren und Sensibilisieren der Fach-/
Öffentlichkeit für die Lebenslagen Betroffener durch
Der Ansatz versteht sich als eine professionell helfende Fortbildungen und Informationsveranstaltungen
Begleitung unter Zuhilfenahme von beraterischen und Veröffentlichungen in lokalen und überregiona-
und psychotherapeutischen Methoden und Interventi- len Print-/Medien.
onen – insbesondere der personenzentrierten Spiel- • Das Pflegen des Kooperationsnetzwerkes und das
und Gesprächstherapie – und hat einen nachsorgenden Bemühen darum, neue Kooperationen zu stiften.
und längerfristigen Charakter. www.suchtberatung-blaues-kreuz-marburg.de

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


103 

Kurzzeitprogramm „Trampolin“ Patenschaften

Vergiss
Vergiss mich nicht
mich
Seit 2008 vermittelt das Projekt
nicht
„Vergiss mich nicht“ (Diakoni-
sches Werk Berlin Stadtmitte e. V.)
ehrenamtliche Patenschaften an
Trampolin ist ein evaluiertes Gruppenprogramm für Kinder aus suchtbetroffenen
8- bis 12-jährige Kinder. In neun Gruppenterminen mit Familien mit dem Ziel, die Kinder
einem zertifizierten Trampolin-Trainer werden so zu stärken, dass sie sich stabil
altersgerecht und manualbasiert folgende Inhalte und gesund entwickeln. Kinder
vermittelt: aus suchtbelasteten Familien werden häufig übersehen.
Das Patenschaftsprojekt richtet sich an Kinder, die in
• Vertrauensvolle Gruppenatmosphäre schaffen Familien leben, in denen eines oder beide der Eltern­
• Selbstwert fördern teile suchtmittelabhängig sind. Das betrifft in Berlin
• Über Sucht in der Familie reden etwa 70.000 Kinder.
• Informationen zum Thema Sucht
• Adäquaten Umgang mit Emotionen fördern „Vergiss mich nicht“ ist ein Projekt, das sich durch
• Probleme lösen und Selbstwirksamkeit erhöhen einen besonders niedrigschwelligen Zugang auszeich-
• Verhaltensstrategien in der suchtbelasteten Familie net, um die oft vergessenen Kinder suchtbelasteter
erlernen Familien zu erreichen und ihnen einen entwicklungs-
• Hilfe und Unterstützung einholen fördernden Schutzfaktor, eine Patin oder einen Paten,
• Positives Abschiednehmen zur Seite zu stellen. So erfahren die Kinder eine stabile
Beziehung zu einem verlässlichen Erwachsenen. Die
Methodisch werden Gespräche, Rollenspiele, Fantasie­ Resilienzforschung der letzten Jahre führte zu dem
reisen, Spiele, Übungen und Geschichten eingesetzt. Ergebnis, dass eine stabile Beziehung zu mindestens
Vor und nach dem Gruppenprogramm wird jeweils ein einer erwachsenen Bezugsperson einen entscheiden-
Elternabend durchgeführt, bei dem die Eltern Informa- den Schutzfaktor für die Kinder darstellt. Die stabile
tionen zu Trampolin erhalten sowie für die Situation Beziehung zur Patin oder zum Paten fördert die
ihrer Kinder sensibilisiert werden sollen. Beziehungsfähigkeit und das Vertrauen auf die
Unterstützung durch Erwachsene. Die Patinnen und
Trampolin wurde als Stressbewältigungsprogramm für Paten treffen sich regelmäßig einmal pro Woche für
Kinder von der Zentralen Prüfstelle Prävention der einige Stunden mit dem Kind und verbringen eine
GKV zertifiziert. Die Kosten können somit von den unbeschwerte Zeit mit ihm. Durch gemeinsame
gesetzlichen Krankenkassen anteilig oder vollständig Aktivitäten und eine wertschätzende Haltung den
übernommen werden, wenn das Programm von einem Kindern gegenüber werden wichtige Schutzmechanis-
zertifizierten Kursleiter durchgeführt wird. Trampolin men, ihr Selbstwertgefühl und ihre sozialen Kompe-
ist derzeit das einzige Gruppenprogramm, für das eine tenzen gestärkt. All diese Aspekte sind wichtige
solche Kostenübernahmemöglichkeit durch die Fakoren für ein suchtmittelfreies Leben.
Krankenkassen vorliegt. Auf der Webseite können www.diakonie-stadtmitte.de
sowohl angebotene Trampolin-Kurse als auch Fortbil-
dungen zum Trampolin-Trainer abgerufen werden. „Unbeschwert Kind sein können“
www.projekt-trampolin.de Wie eine Patenschaft Kinder aus suchtbelasteten
Familien stärken kann, erzählt Christian Z., seit drei
Jahren Pate von Elias* (12).

*
Name geändert

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


104 

Laufe der Zeit wurde er tatsächlich selbstbewusster


und mutiger.

Ich möchte für Elias einen Rahmen schaffen, in dem er


für einige Stunden unbeschwert seinen Wünschen
nachgehen kann und ungeteilte Aufmerksamkeit
erfährt. Vielen Kindern aus suchtbelasteten Familien
fehlt vor allem eine Umgebung, in der sie einfach Kind
sein können und eine erwachsene Person Anteilnahme
an ihren Interessen zeigt. Elias’ Eltern geben ihm vor
allem materielle Dinge, scheinen sich aber wenig aktiv
mit ihm und seinen Interessen zu beschäftigen. Mit der
Patenschaft möchte ich auch dazu beizutragen, dass
Elias später keine Drogen nimmt.
Beim ersten Treffen habe ich Elias, damals 9, gemein-
sam mit der Patenbetreuerin von „Vergiss mich nicht“ Ich versuche ihm deutlich zu machen, dass er mit mir
zu Hause besucht und dort zunächst mit seinen Eltern über alles sprechen kann, wenn er das möchte. Ansons-
gesprochen. Elias hielt sich im Hintergrund und wirkte ten gebe ich ihm einfach die Möglichkeit, Spaß zu
noch etwas schüchtern. Gleichzeitig merkte man ihm haben und seine Gefühle auszuleben. Der Umgang mit
aber auch die Vorfreude auf den Beginn der Paten- ihm macht auch mir viel Freude. Es ist schön, Elias
schaft an. Er stellte mir dann seine beiden Haustiere neue Dinge zeigen zu können und zu sehen, wie er die
vor, einen Hasen und eine Katze, und wurde dabei Welt außerhalb seines gewohnten Umfelds erkundet.
gesprächiger.
Selbsthilfe
Auch heute handeln seine Geschichten meist von
seinen beiden Haustieren oder haben etwas mit Alateen
Computern, Handys und dem Internet zu tun, also Selbsthilfegruppen und -verbände bieten neben den
seinen Freizeitaktivitäten. Über Erlebnisse in der Treffen für Suchtkranke oft auch Gruppen für Angehö-
Schule berichtet er nur kurz und auch von seiner rige an. Diese erleben es häufig als Erleichterung, sich
Familie spricht er relativ selten. Wir machen meistens mit Menschen auszutauschen, die in einer ähnlichen
einen Ausflug zu bestimmten Orten, z. B. Planetarien familiären Situation leben. Viele Angehörigengruppen
oder Museen. Das Ausflugsziel setzt in der Regel jedoch entstanden zunächst, weil sich Partnerinnen und
nur den Rahmen für unsere Treffen, im Mittelpunkt Partner von suchtkranken Menschen trafen. Inzwi-
stehen die Gespräche mit Elias. Am lebhaftesten ist er schen gibt es auch viele Gruppen für Jugendliche,
zumeist auf den Wegen zum jeweiligen Ziel, da er dann deren Eltern suchtkrank sind. Ein Beispiel sind die
die Gelegenheit hat, ausführlich über seine Freizeitakti- Alateen-Gruppen. Hervorgegangen aus den Angehöri-
vitäten zu berichten, mir Bilder und spannende neue gengruppen der Anonymen Alkoholiker gibt es Alateen
Apps zu zeigen oder einfach nur Quatsch zu machen. (Al-Anon teenagergroup) seit über 40 Jahren in
Zu Beginn der Patenschaft war er noch etwas zurück- Deutschland. Jugendliche, die sich allein mit ihren
haltender, aber inzwischen ist er viel ausgelassener bei Problemen fühlen, können hier erfahren, dass es
unseren Treffen. Er traut sich auch mehr zu, zum Gleichaltrige mit ähnlichen Erfahrungen gibt. Die
Beispiel auf dem Spielplatz. Hier war er oft ängstlich gemeinsame Reflexion von Situationen hilft den
bei Klettergerüsten, die eigentlich für jüngere Kinder Heranwachsenden dabei, neue Sichtweisen und innere
gedacht waren. Ich habe ihn immer wieder ermuntert, Distanz zu entwickeln.
es zumindest einmal zu versuchen. Falls es nicht http://al-anon.de/fuer-neue/familienkrankheit/
klappen sollte, wäre ich ja da und könne ihm helfen. Im alateen-fuer-jugend­liche/

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


105 

3 Frühzeitig helfen – Angebote einem erhöhten Risiko für Behinderungen, Entwick-


lungsverzögerungen und Verhaltensauffälligkeiten
für Schwangere und Eltern ausgesetzt. Bei den Babys zeigen sich nicht selten
mit Klein­kindern Regulationsstörungen mit einem entsprechend hohen
Betreuungsbedarf. Dies kann Mütter rasch an Grenzen
Schwangere und Mütter mit Suchtproblematik können bringen. Diese Kinder sind häufiger von Vernachlässi-
trotz hohen Hilfebedarfs und eines erhöhten Risikos gung und Misshandlung betroffen. Viele entwickeln im
für Kindeswohlgefährdung oft nur sehr schwer erreicht Laufe ihres Lebens eine eigene psychische Erkrankung
werden. Sie nehmen Angebote der Frauen-, Gesund- oder Suchterkrankung.
heits-, Kinder- und Jugendhilfe kaum von sich aus in Anne Leuders, Leiterin Liliput – Mutter + Kind bei Lilith e. V.
Anspruch bzw. halten hier die Suchtproblematik Nürnberg
geheim. In der Suchthilfe wiederum fehlen meist die
passgenauen Hilfen. So bleiben Schwangere, Mütter Die folgenden Projekte zeigen exemplarisch, wie die
und Kinder in ihren komplexen Problemlagen häufig genannten Herausforderungen berücksichtigt und
isoliert und ohne Unterstützung. bewältigt werden können. Teilweise werden die
Angebote im Rahmen der Frühen Hilfen umgesetzt,
Bei suchtkranken Schwangeren und Müttern finden die im Kapitel „Kommunale Netzwerke“ vorgestellt
sich häufig folgende Merkmale: werden.
• Vorliegen multikomplexer Problemlagen, etwa eine
schlechte sozioökonomische Lage, Gewalterfahrun- Liliput – Mutter + Kind
gen, Wohnungslosigkeit, soziale Isolation, Schädi-
gung der Gesundheit, Komorbidität, Krankenhaus-
und Gefängnisaufenthalte etc.
• Leben in der Drogenszene: Prostitution, Gewalt,
Sucht, Suchtdruck
• Traumatisierung durch Erleben von (sexualisierter)
Gewalt (häufig in der Kindheit) mit entsprechenden Die Drogenhilfeeinrichtung Lilith e. V. Nürnberg bietet
Folgen auch hinsichtlich der Bindungsmuster Frauen mit Drogenproblematik und ihren Kindern seit
• defizitäre Bindungserfahrungen der Frauen in der über 20 Jahren vielfältige Unterstützung: Streetwork,
eigenen Kindheit Frauencafé, Frauenberatung, Ambulant Betreutes
• diskontinuierliches, ambivalentes Erziehungsverhal- Einzelwohnen, Arbeitsprojekte und Liliput – Mutter +
ten sowie mangelnde Feinfühligkeit für die Bedürf- Kind.
nisse des Kindes
• Schwangerschaften sind häufig ungeplant oder 2015 konnte in Kooperation mit der Stadt Nürnberg
ungewollt und dadurch mit hoher Stressbelastung ein Angebot im Rahmen der Frühen Hilfen für
verbunden. Die Gefahr der Retraumatisierung kann suchtmittelabhängige Schwangere und Mütter mit
während der Schwangerschaft/Geburt zu erhöhtem Kindern im Alter von 0 bis 6 Jahren geschaffen werden.
Suchtdruck bzw. Konsum führen. Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung ist, dass
• Schuld- und Schamgefühle, mangelndes Selbstwert- Lilith e. V. durch seine verschiedenen Angebote bereits
gefühl sowie Angst vor Sorgerechtsentzug Kontakte zur ansonsten nur schwer zu erreichenden
Zielgruppe hatte. Liliput arbeitet eng verzahnt mit
Die Kinder werden so häufig in einen Kreislauf aus allen anderen Arbeitsbereichen von Lilith e. V. zusam-
Trauma, Sucht und Bindungsstörungen hineingeboren. men. Betroffene Frauen entsprechen in der Eigen-
Sie sind auch aufgrund pränataler Schädigungen und Fremdwahrnehmung oft nicht dem Bild einer

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


106 

glücklichen, fürsorglichen Schwangeren oder einer mit Schwangeren ist die niedrigschwellige, zeitnahe
„guten“ Mutter. Schuld- und Schamgefühle sowie die sowie traumasensible Begleitung und Vermittlung zu
Angst vor Sorgerechtsentzug halten viele davon ab, den Gesundheits-, Kinder- und Jugendhilfen
bestehende Angebote anzunehmen. Bei Lilith e. V. zielführend. Gefährdungsmomente für das Kindes-
sollen sie sich in der Rolle der (werdenden) Mutter wohl konnten so frühzeitiger erkannt und abgewen-
gesehen und wert­geschätzt fühlen sowie durch die det werden. Zudem können Frauen und Kinder den
gezielten Angebote angesprochen werden. Das Thema kostenlosen Mittagstisch sowie die regelmäßigen
Sucht – Schwangerschaft – Mutterschaft ist nicht medizinischen Sprechstunden bei Lilith e. V. nutzen.
tabuisiert. Liliput – M
­ utter + Kind gelingt es, durch • Gruppenangebote und Elternbildung werden zum
einen akzeptierenden und niedrigschwelligen Ansatz Teil in Kooperation mit externen Referentinnen
das Vertrauen von Schwangeren, Müttern und Kindern durchgeführt und konzeptionell auf die Zielgruppe
zu gewinnen. abgestimmt. Hier hat sich gezeigt, dass etablierte
Elternbildungsangebote („Starke Eltern – Starke
Die intensive Netzwerkarbeit von Lilith e. V. führt Kinder“), die von der Zielgruppe bei anderen
außerdem dazu, dass verstärkt Geburtskliniken, Institutionen in der Regel kaum besucht werden, bei
Kinderkliniken, Suchtberatungsstellen, Substituti- Lilith unter diesen Prämissen von den Klientinnen
onspraxen, Jugendämter, Schwangerenberatungsstel- gut genutzt werden. Freizeitangebote für Mütter mit
len und viele mehr Klientinnen an Liliput vermitteln. Kindern sind ebenfalls wichtiger Bestandteil des
Gesamtkonzeptes.
Liliput – Mutter + Kind umfasst im Wesentlichen vier • Angebote für Fachkräfte: Für Fachkräfte aus den
Bausteine: verschiedensten Institutionen, insbesondere auch
der Jugendhilfe, werden fallübergreifend auf Anfrage
• Einzelfallarbeit: Beratung, Vermittlung an und Informationen und Fortbildungen bereitgestellt.
Begleitung zu den Kinder- und Jugendhilfen sowie in Daneben werden anonymisierte Fallberatungen
das Netz der Gesundheits- und Frühen Hilfen: Die durchgeführt.
qualitativen und quantitativen Auswertungen zeigen, • Netzwerkarbeit: Mit zahlreichen Institutionen
dass mit diesem Konzept die Zielgruppe erfolgreich konnten verbindliche Kooperationen geschlossen
­angesprochen werden konnte. Gerade in der Arbeit werden. Besonders zu erwähnen sind hier die
Kooperationsvereinbarungen mit Substitutions­
praxen zur Verbesserung der Versorgung
­schwangerer Substituierter, den Entbindungs­
kliniken/Neonatologien und Jugendhilfen.

Einzelfall-, Gruppen- und Netzwerkarbeit werden


aufeinander ab­gestimmt und erfordern entsprechende
fachliche, personelle und zeitliche Ressourcen.
­Dadurch werden Betroffene gezielt angesprochen.
Unverzichtbar ist hier eine Niedrigschwelligkeit, die
durch eine pauschale Finanzierung gewährleistet ist.
Damit kann eine Zielgruppe frühzeitig erreicht werden,
die hinsichtlich des Kindeswohls und Langzeitschädi-
gungen für die Kinder zahlreiche Risikofaktoren
aufweist.
www.lilith-ev.de

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


107 

Clearingwohnen für suchtkranke Schwangere Präventive und frühe Förderung der Bindungs-
und Mütter ­und Erziehungs­kompetenzen drogenabhängiger
Basierend auf seinen Erfahrungen mit konsumieren- Mütter
den und suchtkranken Müttern entwickelte der BELLA DONNA – Verein zur Hilfe suchtmittelabhängi-
Sozialdienst katholischer Frauen e. V. Köln das Konzept ger Frauen Essen e. V. bietet individuelle Unterstützung
des „Clearingwohnens“, das seit 2005 unterstützt von in unterschiedlichen Lebens­bereichen. Das im Rahmen
der Cornelius-Stiftung im „Corneliushaus“ in Köln des Aktionsplanes gegen Sucht Nordrhein-Westfalen
umgesetzt wird. Für die vier Mutter-Kind-Apartments geförderte Projekt „Präventive und frühe Förderung
für drogen- und/oder alkoholkonsumierende Schwan- der Bindungs- und Erziehungskompetenzen drogenab-
gere und Mütter gibt es eine große Nachfrage von hängiger Mütter“ beinhaltet die Entwicklung, Umset-
Jugendämtern bundesweit. zung und Evaluation einer differenzierten Angebots-
struktur für drogenabhängige Mütter und ihre Kinder.
Alleinstellungsmerkmal ist, dass die Frauen bei der Übergeordnete Projektziele sind die Förderung und
Aufnahme noch nicht abstinent oder therapiebereit Stärkung der Bindungsqualität und Erziehungskompe-
sein müssen. Der bis zu 18 Monate dauernde Aufent- tenz drogenabhängiger Mütter, ihre psychosoziale und
halt dient der Sicherung des Kindeswohls sowie der gesundheitliche Stabilisierung, die Stärkung ihrer
Klärung der Veränderungsbereitschaft, der Erziehungs- Selbstwirksamkeit und ihrer Motivation zum Ausstieg
und Bindungskompetenz der Mutter und der Fähigkeit aus der Drogenbindung. Gleichzeitig wird durch frühe
zur Verantwortungsübernahme für das eigene Leben Unterstützungsmaßnahmen im Sinne von Suchtprä-
und das des Kindes. Ist die Trennung von Mutter und vention und der Stärkung von Schutzfaktoren (Resili-
Kind notwendig, wird dieser Prozess begleitet. enz) ein wesentlicher Beitrag zum Schutz der betroffe-
nen Kinder vor (bekannten) Risiken, die zu späterem
Bei 70 bis 75 % der Frauen sind frühkindliche Trauma- Suchtmittelmissbrauch führen können, angestrebt.
tisierungen durch Vernachlässigung und Misshandlun-
gen in den Herkunftsfamilien Ursachen oder Auslöser Die Zielgruppen sollen durch verschiedene Angebots-
von Suchterkrankungen und psychischen Auffälligkei- module erreicht werden: eine Frühstücks- und
ten. Daher werden in einem vernetzten Hilfesystem angeleitete Spielgruppe für drogenabhängige Mütter
mit den Bewohnerinnen ganzheitliche Ansätze mit Kleinkindern (bis Kindergartenalter), ein Gruppen-
bestehend aus Diagnostik, Therapie, sozialer Absiche- angebot zur frühen Bindungsintervention (angelehnt
rung, Ressourcenstärkung und Perspektiventwicklung an „PEKIP“, modifiziert hinsichtlich der spezifischen
initiiert und begleitet. Die Kinder werden bezüglich der Zielgruppe) für drogenabhängige Mütter mit Babys bis
Folgen des Konsums in der Schwangerschaft medizi- zum Alter von einem Jahr und eine Kochgruppe für
nisch begleitet und durch bedarfs- und altersgerechte Mädchen im Übergang vom Kindergarten zur Schule.
Frühförderangebote in ihrer Entwicklung gestützt.
www.skf-koeln.de Das Projekt beinhaltet eine selektive Aufhebung der
Komm-Struktur zugunsten einer Hol-Struktur,
wodurch eine kontinuierliche Arbeit mit drogenabhän-
gigen Müttern und ihren Kindern ermöglicht werden
soll. Die konsequente qualifizierte und geschlechtsbe-
zogene Ausrichtung des Projekts soll die Erreichbarkeit
der Frauen und ihrer Kinder sowie die Wirksamkeit der
Angebote zusätzlich erhöhen.
www.belladonna-essen.de

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


108 

4 Kooperation gestalten – Suchthilfe, in Kita, Schule und Stadtteil zu tun haben.


Die connect-Koordinatorin bzw. der Koordinator in der
­familien- und fallorientierte Region ist die zentrale Ansprechperson für die Netz-
Zusammenarbeit werkpartner im Bezirk. Einrichtungen, Projekte und
Institutionen rund um Kind und Familie aus allen
Damit Familien unterstützt werden können, muss ihr Arbeitsfeldern einer Region werden eingeladen, am
Hilfebedarf erkannt werden. Aufgrund von Schuld- connect-Netzwerk teilzunehmen.
und Schamgefühlen suchen viele Menschen bei
Problemen mit Suchtmitteln nicht von sich aus aktiv Ziel der Kooperation ist es, betroffene Kinder und
nach Hilfe. Auch wenn Mütter oder Väter das Suchthil- Eltern frühzeitig zu erkennen und ihnen angemessene
fesystem in Anspruch nehmen, wird ihre Elternkompe- Unterstützung anzubieten. Der familienorientierte
tenz häufig noch nicht ausreichend thematisiert. Ansatz erfordert eine gemeinsame innere Haltung der
beteiligten Helfer. Die Realisierung und Finanzierung
Barrieren für eine effektive Unterstützung ergeben sich erfolgt in Zusammenarbeit mit dem bezirklichen
auch aus dem gegliederten Sozialsystem. Unterschied- Fachamt für Jugend- und Familienhilfe. Die connect-
liche Kosten- und Leistungsträger für die verschiede- Kooperationsvereinbarung bietet einen Rahmen, der
nen Hilfesysteme wie Suchthilfe, Kinder- und Jugend- Verbindlichkeit und Nachhaltigkeit der Zusammenar-
hilfe, Gesundheitssystem, Rehabilitation etc. können in beit erhöht. In kollegialen Fallberatungen können
der Praxis zu Unklarheit führen, wer für die Organisa­ durch die interdisziplinäre Zusammensetzung der
tion und Finanzierung der Hilfen für Kinder aus Teilnehmenden neue Hilfemöglichkeiten über die
suchtbelasteten Familien zuständig ist. Hier setzen Grenzen der einzelnen Arbeitsfelder hinaus entwickelt
Initiativen an, die die Zusammenarbeit verschiedener werden, mit denen die Kollegin bzw. der Kollege im
Akteure regional und familienorientiert organisieren Alltag weiter­arbeiten kann.
mit dem Ziel, Eltern und Kinder zu erreichen und das www.sucht-hamburg.de
Familiensystem zu stärken. Auch der Austausch der
Fachkräfte untereinander spielt dabei eine wichtige „Die Verantwortung auf mehrere Schultern
Rolle, denn dadurch erhöht sich ihre Handlungs­ verteilen“ – Wie kommu­nale Netzwerke Fach­
kompetenz. kräfte stärken und Familien u
­ nterstützen

Kommunale Netzwerke Interview mit Irene Ehmke, Gesamt-Koordinatorin für


die connect-Netzwerke in Hamburg
connect Hamburg
Um Kinder aus suchtbelasteten Familien
erreichen und unterstützen zu können, ist die
Zusammenarbeit verschiedener Akteure notwendig.
Welche Institutionen sollten an einem Netzwerk
beteiligt sein?
Wichtig ist, dass ein möglichst großes Spektrum der
connect wurde 2003 bis 2005 als Modellprojekt in unterschiedlichen Arbeitsfelder und Institutionen der
Hamburg-Altona entwickelt. Seit 2008 entstanden Hilfen für Familien beteiligt ist – behördliche und
weitere Netzwerke in den übrigen Hamburger Bezir- kommunale Einrichtungen ebenso wie Freie Träger,
ken. connect wendet sich an Mitarbeiter und Mit­ der Gesundheitsbereich ebenso wie die Jugendhilfe,
arbeiterinnen, die mit Kindern in den Bereichen der Regeleinrichtungen wie Kita und Schule und selbstver-
medizinischen Versorgung, der Jugendhilfe, der ständlich die Suchthilfe.

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


109 

In Hamburg existiert mit connect seit mehreren Welche Schwierigkeiten gab es beim Aufbau
Jahren ein regionales Hilfenetz. Welche Ziele des Netzwerkes und wie konnten Sie diese
verfolgen Sie? bewältigen?
Es geht darum, die Fachkräfte rund um Kind und Es wird zunächst häufig bezweifelt, ob so ein Netzwerk
­Familie auf regionaler Ebene für das Thema Kinder überhaupt nötig sei. connect versteht sich aber nicht
aus suchtbelasteten Familien zu sensibilisieren und als zusätzliches Gremium, sondern als ein Strukturele-
fortzubilden, dort, wo sich Fachkräfte aus den unter- ment, das vorhandene Gremien mit einem spezifischen
schiedlichen Arbeitsfeldern gemeinsam, aber an Thema verknüpft und professionalisiert. Entscheidend
unterschiedlichen Stellen um dieselben Familien ist, dass ein (fach-)politischer Wille auf der Ebene der
kümmern. Die Zusammenarbeit im Alltag soll praxis­ kommunalen, Bezirks- oder Kreisverwaltung formu-
orientiert gefördert werden, sodass sich eine nachhalti- liert wird. Damit sind die Türen für ein Netzwerk
ge Vernetzung entwickelt. Dafür wird ein klarer und geöffnet. Parallel ist natürlich die Haltung der Akteure
entlastender Rahmen geschaffen: connect-Fallberatun- aus den Praxisfeldern wichtig, denn sie sind das
gen sind professionell vorbereitet und moderiert, Netzwerk.
anonymisiert, systemisch und ressourcenorientiert
gestaltet. Sie leben von der Mitwirkung der Teilnehmer
und dem Know-how, das sie aus ihren unterschiedli-
chen Arbeitsfeldern mitbringen.

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


110 

Nach der anfänglichen Motivation, ein entspre- Woran merken Sie, dass Ihr Netzwerk effektiv
chendes Netzwerk aufzubauen, folgt oft die funktioniert?
Schwierigkeit, dieses langfristig zu etablieren. Wech- Das wichtigste Kennzeichen: Die Fachkräfte kommen
selnde Mitarbeiter in Institutionen, die allgemeine wieder. Und sie äußern selber immer wieder den
Arbeitsbelastung oder unterschiedliche Bedürfnisse konkreten Nutzen und Gewinn. Sie denken mit und
der Netzwerkmitglieder können beispielsweise zu entwickeln bei den Jahrestreffen gemeinsam kleine,
Hindernissen werden. Wie schaffen Sie es bei connect, aber tragende Ideen für die weitere Perspektive.
dass das Netz keine Löcher bekommt? Connect-Fallberatungen haben aufgrund der Professi-
Der Durchbruch gelingt, wenn die ersten Fallberatun- onalität und des persön­lichen Nutzens insbesondere
gen durchgeführt werden und der konkrete Nutzen für schwierige Fälle einen guten Ruf in der Region.
erfahrbar wird: Zwischen den Mitgliedern des Netz-
werks wird Vertrauen aufgebaut. Die Handlungssicher- Gab es ein Erlebnis, das Ihnen besonders vor
heit steigt. Die Fachkräfte erfahren durch den Blick der Augen geführt hat, wie wichtig Ihre Arbeit ist?
anderen neue Perspektiven und lernen Abläufe und Wenn ich ein einzelnes Erlebnis nennen soll, dann ist
innere Dynamik der anderen Institutionen kennen. es gleich die erste Fallberatung in der Modellregion
Ganz wichtig ist die Erkenntnis, Probleme nicht allein gewesen. Es ging um eine 13-Jährige und für sie und ihr
lösen zu müssen. Es sind viele Schultern, die den jewei- Umfeld konnten grundlegende Ver­änderungen initiiert
ligen Fall tragen. Eine entscheidende Rolle spielt auch werden. Besonders ist mir der Kommentar der Fallge-
die Koordinationskraft. Ihre Professionalität und ihre berin in Erinnerung geblieben. Sie leitete ihren Bericht
Akzeptanz bei den Beteiligten haben große Bedeutung. beim zweiten Treffen, in dem es um die Fallentwick-
Sie steuert die Qualität der Fallberatung und sorgt für lung ging, mit den Worten ein, es sei eigentlich nicht
einen wertschätzenden Umgang. Dadurch entsteht viel passiert. Tatsächlich aber hatten sich sowohl die
Motivation für weiteres Engagement und aktive Jugendliche als auch ihre Eltern für neue Maßnahmen
Zusammenarbeit in einer Region. geöffnet. Das heikle Thema war auf dem Tisch und
nicht mehr unter dem Teppich. Ein zentrales Element
Welche Empfehlungen können Sie kommuna- ist also die Wertschätzung für das eigene Handeln, das
len Netzwerken aus Ihrer Erfahrung noch positive Entwicklungen ermöglicht. Und genau solche
geben? Erlebnisse gibt es bei jeder Fallberatung immer wieder
Struktur und Inhalt müssen ineinandergreifen und aufs Neue – das ist wirklich wunderbar. Auch wenn es
parallel entwickelt werden: Wir starten mit einer keine sofortige Lösung für alle Probleme gibt, wir
Fortbildung – daraus entwickelt sich der Wunsch nach bleiben dran und connect schafft den Rahmen dafür,
Austausch und Vernetzung in der Regel von ganz allein. dass das gut gelingt.
Ist das Netz gegründet, sind auch weiterhin inhaltliche
Impulse wichtig. Eine schriftliche Vereinbarung ist auf Wie funktioniert die Fallberatung im Netzwerk?*
jeden Fall ein wichtiger Grundbaustein. Sie macht In einer Kita fällt auf, dass Nina, ein dreijähriges
transparent und greifbar, worum es geht, und sie Mädchen, in der letzten Zeit sehr unregelmäßig
schafft Verbindlichkeit und Kontinuität. Aber der erscheint. Die alleinerziehende Mutter bringt das Kind
politische Wille in der Kommune, dieses Thema als morgens oft sehr spät, manchmal gar nicht. Die
relevant für die Region zu definieren, ist die entschei- Erzieherinnen stellen fest, dass Nina oft viel zu dünn
dende Basis. Nur so können die Ressourcen für die angezogen und die Kleidung häufig verschmutzt ist.
Koordinationskraft bereitgestellt werden, ohne die die Das Mädchen wirkt sehr zurückgezogen und still. Die
Netzwerkarbeit nicht möglich wäre. Mutter bringt das Kind meist nur bis zum Kita-Eingang
und vermeidet den Kontakt mit den Erziehern. Heute
ist eine Erzieherin dennoch auf die Mutter zugegangen
und hat sie begrüßt. Danach grübelt sie: Hat sich

* bei connect aus mehreren Fällen generiertes und dadurch anonymisiertes Beispiel

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


111 

Frau M. nicht etwas ungelenk bewegt und eine Fahne für Alleinerziehende der Jugendhilfeeinrichtung auf
gehabt? und war bei einem ersten Gespräch im Suchthilfezen­
trum. Nina wirkt weniger angespannt und nimmt
Die Kollegen besprechen die Situation mit der Kita- vermehrt Kontakt zu anderen Kindern in der Kita auf.
Leiterin und wenden sich an die connect-Koordinato-
rin in ihrer Region. Diese lädt sie zur nächsten Fallbera- Schulterschluss Bayern
tung des Netzwerkes ein. Das ist zwar ein zusätzlicher Prävention und frühzeitige Interventionen für Kinder
Aufwand für die Kita, aber der Wunsch, dem Kind und aus suchtbelasteten Familien sind aufgrund der
der Mutter zu helfen, ist groß – und gleichzeitig auch komplexen Anforderungen nur über gut funktionie-
die Unsicherheit, was am besten zu tun ist. rende Netzwerke und zielführende Kooperationen
zwischen Jugend- und Suchthilfe zu implementieren.
In der Fallberatung erzählt die Erzieherin von Nina
und ihrer Mutter, ohne deren Namen zu nennen. Das zentrale Element von Schulterschluss bilden
Gemeinsam wird herausgearbeitet, welche der zweitätige regionale Inhouse-Seminare auf Landkreis-
geschilderten Zusammenhänge auf Vermutungen oder städtischer Ebene. Zielgruppen der Seminare sind
basieren und welche Dinge die Erzieherin sicher weiß. Mitarbeiter/innen der Jugend- und der Suchthilfe in
Nur diese können im Gespräch mit der Mutter thema- bayerischen Landkreisen und kreisfreien Städten.
tisiert werden. Nach einigen Nachfragen zum Ver- Dabei sind insbesondere die Allgemeinen Sozialen
ständnis werden Ideen gesammelt. Als wichtig wird Dienste (ASD), die Koordinierenden Kinderschutzstel-
erachtet, Kontakt mit einer Suchthilfeeinrichtung len (KoKi), Suchtberatungsstellen, Erziehungsbera-
aufzunehmen, um mit fachlicher Unterstützung Wege tungsstellen sowie die familienunterstützenden Hilfen
zu finden, wie das Gespräch mit der Mutter gestaltet angesprochen. Im Rahmen eines gemeinsamen
werden kann. Außerdem werden für die Mutter Kooperationsseminars zum Thema „Kinder suchtkran-
unterschiedliche Angebote gesammelt, die sie unter- ker Eltern“ wird das Verständnis für die Problemsitua-
stützen könnten, wie eine Beratung für Alleinerziehen- tionen in den betroffenen Familien und der Kinder
de oder ein Müttertreff. Die Erzieherin hat nun eine gestärkt sowie die Kooperationsbeziehungen zwischen
Palette an passenden Angeboten für die junge Frau. Jugend- und Suchthilfe gefördert. Ziel ist unter
Wie sie in Gesprächen mit ihr agiert, kann sie immer anderem der gegenseitige Austausch der fachlichen
wieder mit der Suchthilfeeinrichtung besprechen. Expertise, einerseits im Hinblick auf die Schwere der
Suchtpro­ble­matik und andererseits im Hinblick auf die
Die Erzieher der Kita erhalten über das Netzwerk Beurteilung einer möglichen Kindeswohlgefährdung.
Informations­materialien, Kontakte und Fortbildungs- Ergänzend werden gemeinsam Frühinterventionsstra-
angebote. Sie vereinbaren eine Fachberatung mit tegien und weitere präventive Angebote für betroffene
einem Träger, der spezielle Hilfen für Kinder aus Kinder, Jugendliche und ihre Familien entwickelt.
alkoholbelasteten Familien anbietet. Die Kolleginnen
besprechen, wie sie Nina in der Kita bestärken und Die Umsetzung des Projektes erfolgt im Rahmen des
fördern können. Bayerischen Präventionsplans mit Beschluss des
Bayerischen Landtags. Das Projekt wird vom Bayeri-
Ein halbes Jahr später berichtet die Erzieherin, wie sich schen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege
die Situation entwickelt hat. Die fachliche Beratung gefördert und im Schulterschluss mit dem Bayerischen
und Anleitung durch die Suchthilfeeinrichtung und die Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und
Schulung der Mitarbeiterinnen zeigen Erfolge. Zur Integration durchgeführt. Projektnehmer ist die Aktion
Mutter konnte ein stabiles Vertrauensverhältnis Jugendschutz Bayern in Kooperation mit dem Sucht-
aufge­baut werden. Sie wurde auf ihren Alkoholkonsum hilfeträger Prop – Verein für Prävention, Jugendhilfe
angesprochen und öffnete sich für Unterstützungsan- und Suchttherapie e. V. Das Vorbild für Schulterschluss
gebote. Inzwischen sucht sie regelmäßig die Beratung in Bayern stammt aus Baden-Württemberg. In Bayern

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


112 

konnten für 2016/2017 bereits über 30 Schulterschluss- • Suchtkranke Eltern werden zur Reflexion über ihren
Kooperationsseminare umgesetzt bzw. verbindlich Suchtmittel­gebrauch und dessen nachteiligen
terminiert werden. Einfluss auf das Familiensystem und den Familien-
www.schulterschluss-bayern.de alltag angeregt. Mit der Familie werden ein Krisen-
management und eine verlässliche Anbindung an
PLAN B in Chemnitz das familientherapeutische und suchttherapeutische
Hilfesystem entwickelt. Eltern werden bei der
Wahrnehmung ihrer Erziehungsverantwortung
unterstützt.
• Die Netzwerkpartner der Jugendhilfe erhalten
Informationen zur Suchterkrankung und zu deren
Auswirkungen auf das Familien­system. Das suchtbe-
lastete Familiensystem wird bezüglich einer unter-
stützenden Beziehungsabhängigkeit (Co-Verhalten)
von Helferinnen, Helfern und Angehörigen betrach-
tet und diese Abhängigkeit wird beendet. Es werden
kollegiale Fallreflexionen zur Planung weiterer
Schritte durchgeführt und eine kollegiale Zusam-
menarbeit zwischen den Akteuren der Hilfesysteme
hergestellt.
Das interdisziplinäre Hilfs­angebot Plan B richtet sich
an konsumierende Eltern und deren Kinder (0 bis 18 Weitere Methoden, die zum Einsatz kommen, sind Case
Jahre). Adressaten der familien­orientierten Suchthilfe Management, nachgehende und aufsuchende Hilfe,
sind außerdem Angehörige, Freunde sowie professio- Einzel-, Paar- und Familien­beratung, motivierende
nelle Helfer der Familie. Gesprächsführung, nicht direktive Beratungsansätze,
systemische Familienberatung und -therapie und
Mit Plan B gelang es, die vorhandenen professionellen sozialpädagogische Gruppenarbeit.
Hilfsangebote der Suchtkrankenhilfe, Jugendhilfe und
anderer Hilfeformen, zum Beispiel sozialpädagogische Plan B ist ein Angebot der Stadtmission Chemnitz e. V.
Familienhilfen, mit ihren Kompetenzen zusammenzu- und wird durch das Sächsische Staatsministerium für
führen, wissenschaftlich begründete Handlungsgrund- Soziales und Verbraucherschutz und das Amt für
sätze wie Case Management in der professionellen Jugend und Familie der Stadt Chemnitz gefördert.
Arbeit mit suchtbelasteten Familiensystemen einzu-
führen und fach- sowie substanzspezifische Weiterbil- Eine Weiterentwicklung des Konzeptes auf Grundlage
dung in erster Linie für Mitarbeiter der Jugendhilfe von Evaluation, Supervision und kollegialer Fallreflexi-
anzubieten. on ist notwendig, um diesen neuen Ansatz der Zusam-
menarbeit zu professionalisieren und die strukturellen
Mit Plan B sollen Kindeswohlgefährdungen und daraus Hindernisse zu überwinden.
erfolgende Fremdunterbringung verhindert werden. www.stadtmission-chemnitz.de
Um diese Ziele zu erreichen, setzt Plan B folgende
Arbeitsschwerpunkte um:

• Suchtkranke bzw. -gefährdete Eltern werden infor-


miert und motiviert, damit sie ihrer Elternrolle
gerecht werden.

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


113 

Netzwerke „Frühe Hilfen“ den für die Frühen Hilfen maßgeblichen gesetzlichen
Grundlagen zählen unter anderem das Bundeskinder-
Frühe Hilfen im Kontext von suchtbelasteten schutzgesetz, die Sozialgesetzbücher und landesgesetz­
Familien liche Bestimmungen.
Frühe Hilfen sind lokale und regionale Unterstüt-
zungssysteme mit koordinierten Hilfsangeboten für Das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) wurde
Eltern und Kinder ab Beginn der Schwangerschaft mit 2007 vom Bundesministerium für Familie, Senioren,
einem Schwerpunkt auf der Altersgruppe der Frauen und Jugend (BMFSFJ) gegründet. Es entstand
0- bis 3-Jährigen. Neben alltagspraktischer Unterstüt- im Rahmen des Aktionsprogramms „Frühe Hilfen für
zung leisten Frühe Hilfen insbesondere einen Beitrag Eltern und Kinder und soziale Frühwarnsysteme“.
zur Förderung der Beziehungs- und Erziehungskompe- Träger des NZFH ist die Bundeszentrale für gesund-
tenz von (werdenden) Müttern und Vätern. Damit heitliche Aufklärung (BZgA) in Kooperation mit dem
tragen sie zum gesunden Aufwachsen von Kindern bei. Deutschen Jugendinstitut e. V.
Der Auf- und Ausbau von Netzwerken „Frühe Hilfen“
der zuständigen regionalen Leistungsträger und Die unterschiedlichen Angebote der Akteure, Einrich-
Institutionen wird ergänzt durch den Einsatz von tungen und Institutionen aus den verschiedenen
Familienhebammen. Durch die Bundesinitiative Frühe Sozialsystemen werden in „Netzwerken Frühe Hilfen“
Hilfen sollen die bereits bestehenden Aktivitäten von koordiniert. Die Netzwerke haben die Aufgabe, den
Ländern und Kommunen zur Etablierung verbindli- fachlichen Austausch zu organisieren und die Zusam-
cher Netzwerkstrukturen und zur Einbindung von menarbeit zu sichern. Wichtige Voraussetzung ist die
Familienhebammen und vergleichbaren Berufsgrup- gemeinsame Erarbeitung geregelter Verfahren zur
pen verstärkt werden. Dafür werden durch den Bund übergreifenden, aber auch familienbezogenen Zusam-
jährlich 51 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Zu menarbeit, verknüpft mit der beständigen Weiterent-

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


114 

wicklung und Aushandlung eines gemeinsamen Von Dezember 2013 bis März 2015 hat das NZFH eine
Fachverständnisses. Online-Erhebung bei den Familienhebammen (Fam-
Heb) und Familien-, Gesundheits- und Kinderkranken-
Frühe Hilfen schaffen niederschwellige Zugänge zu pflegenden (FGKiKP) durchgeführt (Renner & Schar-
Unterstützungsangeboten für Eltern aus dem Gesund- manski, 2016). FamHeb und FGKiKP sind staatlich
heitsbereich und der Kinder- und Jugendhilfe. Ziel examinierte Hebammen und Kinderkrankenpflegerin-
ist, allen Familien die Teilhabe an diesen Hilfen zu nen bzw. -pfleger mit einer Zusatzqualifikation, die in
ermöglichen. Dies gilt insbesondere für belastete den Frühen Hilfen eingesetzt werden. Die Zusatzquali-
Familien, die es aus eigener Kraft häufig nicht schaffen, fikation befähigt die Angehörigen beider Berufsgrup-
sich Unterstützung zu holen. Das setzt ein frühzeitiges, pen in besonderem Maße dazu, Familien zu unterstüt-
systematisches Erkennen relevanter Belastungsfakto- zen, die unter psychosozial belastenden Bedingungen
ren von Eltern auf der Grundlage eines möglichst Kinder erziehen (NZFH 2013, NZFH 2014). Ihr Einsatz
umfassenden Zugangs voraus. Die Zusammenarbeit ist Förderschwerpunkt der Bundesinitiative Frühe
und die Vernetzung von Angeboten des Gesundheits- Hilfen.
systems und der Kinder- und Jugendhilfe sind hier
besonders wichtig, um vor allem Eltern mit hohem Die Fachkräfte (FamHeb und FGKiKP) machten
Hilfebedarf (z. B. aufgrund einer Suchterkrankung) Angaben zum Konsum von Tabak, Alkohol und
zu unterstützen: Das Gesundheitswesen verfügt über illegalen Drogen in den betreuten Familien. Hohe
notwendige, nicht­stigmatisierende Zugänge zu Prävalenzen berichteten die Fachkräfte in Bezug auf
allen – und somit auch zu den belasteten, schwer Tabakkonsum: So waren 22,8 Prozent der Säuglinge in
erreich­baren – Familien. Die Kinder- und Jugendhilfe den betreuten Familien Tabakrauch ausgesetzt. Am
kann hingegen auf eine breite Palette an psychosozia- Ende der Betreuung reduzierte sich der Anteil der
len Hilfen zurückgreifen, um die Kompetenzen der Betreuungspersonen, die in Anwesenheit des Kindes
Eltern zu stärken. rauchten, auf 19,8 Prozent.

Spezifische Risiken bei Säuglingen und Kleinkindern Bei 13 Prozent der Familien stellten die Fachkräfte bei
sind die Etablierung einer unsicheren Bindung zum Betreuungs­beginn einen Bedarf an professioneller
psychisch kranken Elternteil und die Entwicklung einer Hilfe aufgrund einer Suchterkrankung fest. 62,7
Bindungsstörung, gegebenenfalls im Kontext von Prozent dieser Familien nahmen zu Beginn der
Vernachlässigung oder Misshandlung (Ziegenhain & Betreuung durch die Fachkraft (noch) keine Hilfen zur
Deneke, 2014). Bewältigung der Suchterkrankung an. Dieser Anteil
reduziert sich im Betreuungsverlauf auf 56,6 Prozent.
Der repräsentativen Studie „Kinder in Deutschland
(KiD 0-3)“ des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen Bei 0,5 Prozent der Hauptbezugspersonen war Drogen-
(NZFH) zufolge wurden bei 12,3 Prozent der Eltern mit konsum „sicher erkennbar“. In weiteren 1,8 Prozent der
Suchtanzeichen Hinweise auf Gewalt gegenüber dem Familien konsumierte eine weitere Person im Haushalt
Kind oder eine Vernachlässigung des Kindes festge- Drogen. In 1,5 Prozent der Familien nahm die Haupt-
stellt. Bei Eltern ohne Suchtanzeichen lag die Häufig- bezugsperson an einem Substitutionsprogramm
keit bei 2,3 Prozent. Die Ergebnisse deuten darauf hin, (Methadon) teil, in 0,6 Prozent (mindestens) eine
dass eine Suchterkrankung der Eltern einen eigenstän- weitere Person im Haushalt (NZFH, 2017).
digen Risikofaktor für das Auftreten von Kindesmiss-
handlung oder -vernachlässigung darstellt und der Mittlerweise wurden die Netzwerke Frühe Hilfen
Zusammenhang nicht allein durch den Zusammen- flächendeckend in Deutschland durch die Bundesiniti-
hang mit anderen Risikofaktoren erklärt werden kann ative Frühe Hilfen auf- und ausgebaut. Allerdings sind
(Fullerton, B., Eickhorst, A., Sann, A., Simon, L., 2017). noch nicht alle relevanten Institutionen und Akteure
ausreichend in die lokalen Netzwerke eingebunden. In

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


115 

einem Drittel der Kommunen sind niedergelassene stärkere Familienorientierung wirkt vor allem das
psychiatrische bzw. psychotherapeutische Praxen, aber gegliederte Sozialsystem mit seinen unterschiedlichen
auch stationäre psychiatrische Einrichtungen in die Kostenträgern. Einzelne Rehabilitationseinrichtungen
Netzwerke integriert. Die Suchtberatung beteiligte sich setzen daher verschiedene Kooperationsmodelle um,
in knapp über 40 Prozent der analysierten Netzwerke um die ganze Familie in die Behandlung einzubinden.
an der fallübergreifenden bzw. fallbezogenen Koopera- Dadurch sollen die Erziehungskompetenzen der Eltern
tion (NZFH, 2014). und die Beziehung zwischen Eltern und Kindern
gestärkt werden. Da Kinder suchtkranker Eltern häufig
Bei einer Suchterkrankung von Eltern ist eine alleinige selbst psychische Störungen entwickeln, wird mit der
Versorgung der Familien durch die Frühen Hilfen nicht familienorientierten Rehabilitation auch eine präventi-
ausreichend. Die Familienhebammen und -pfleger ve Wirkung bei den Kindern angestrebt.
können als Netzwerkpartner der psychiatrischen und
suchtmedizinischen Versorgung unterstützend tätig Kinderhaus Tannenhof in Berlin
sein, die Fachkräfte weisen aber darauf hin, dass die
Installierung weiterer Hilfen in diesen Fällen erforder-
lich ist, um beispielsweise eine Kindeswohlgefährdung
sicher abzuwenden. Versorgungslücken zeigen sich
beim Übergang mancher Eltern aus den Frühen Hilfen
zu weiter gehenden Unterstützungsangeboten, da diese
oftmals nicht (zeitnah) verfügbar sind.
Mechthild Paul, Leiterin des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen

Familienorientierte Rehabilitation
Im Kinderhaus Tannenhof können 16 Kinder bis zum
Behandlung und Rehabilitation sind überwiegend auf Alter von 10 Jahren betreut werden, deren Eltern
den suchtkranken Menschen ausgerichtet. Die Ein­ parallel im Tannenhof Zentrum I eine stationäre
beziehung der Kinder erfolgt nicht regelhaft. Wenn Entwöhnungsbehandlung absolvieren. Je nach Alter
ein Elternteil (oft die Mutter) die Kinder mit in eine sind die Kinder während des 6- bis 10-monatigen
Reha-Einrichtung nimmt, werden diese meist als Aufenthaltes zusammen mit ihren Eltern oder in
sogenannte „Begleitkinder“ betreut. Dies beinhaltet einem eigenen Zimmer neben dem Elternzimmer
hauptsächlich die Unterbringung, die Organisation des untergebracht. Auch schwangere Rehabilitandinnen
Schul- bzw. Kindergartenbesuchs und die Betreuung in werden im Haupthaus aufgenommen und nach der
der Freizeit. Die Kosten für die „Begleitkinder“ werden Geburt mit ihren Säuglingen betreut. Die Konzepte
überwiegend von der Rentenversicherung bzw. zu beider Häuser sind darauf ausgerichtet, auch in
einem geringeren Anteil von den Krankenkassen oder schwierigen Konstellationen Eltern mit ihren Kindern
der Jugendhilfe übernommen (Sucht Aktuell, 1/2017). aufzunehmen. Dazu zählen beispielsweise Kinder-
schutzfälle, Zwangskontexte (Auflagen des Gerichts
Liegt ein Behandlungsbedarf bei den Kindern aufgrund oder des Jugendamts) oder eine Rückführung der
einer diagnostizierten Erkrankung vor, stehen einzelne Kinder in die Familien.
Angebote für eine Kinder- und Jugendrehabilitation
parallel zur Entwöhnungsbehandlung der Eltern zur Tannenhof ermöglicht es den Eltern, ihre Suchtthera-
Verfügung. pie zu absolvieren, ohne von ihren Kindern getrennt zu
werden. Zum anderen wird durch die pädagogische
Familienorientierte therapeutische Leistungen in und familientherapeutische Begleitung das ganze
Rehabilitationseinrichtungen werden bislang nur in Familiensystem gestärkt sowie die Erziehungskompe-
geringem Umfang umgesetzt. Als Barriere für eine tenzen gezielt gefördert. Die Eltern erhalten besondere

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


116 

Therapiepläne und Unterstützung, um die Anforde- Die Rehabilitation erfolgt für jedes Familienmitglied
rungen der Therapie neben den Elternaufgaben zu bei erkennbarem Rehabilitationsbedarf entsprechend
bewältigen. den eigenen Indikationen vor allem an den Vormitta-
gen. Einige Nachmittage werden je nach Bedarf für
Die Angebote des Kinderhausteams orientieren sich gemeinsame familientherapeutische Angebote und
an den Belastungen suchtkranker Familien und sind Familiengespräche genutzt. Für die Koordination der
speziell auf die Bedürfnisse von Kindern suchtkranker Angebote und Begleitung der Familien während des
Eltern ausgerichtet. Rehabilitationsaufenthaltes ist als Fallmanager ein
www.tannenhof.de/kinderhilfe/das-kinderhaus/ Mitarbeiter der beiden Rehabilitationseinrichtungen
für die Familien zuständig.
Modellprojekt der Rentenversicherung
­Baden-­Württemberg Das Angebot der familienorientierten Suchtrehabili­
Die Rentenversicherung Baden-Württemberg testet tation besteht seit Ende 2015 und wird von einer
im Rahmen eines Modellprojekts die stationäre und regelmäßig tagenden Projektbegleitgruppe gesteuert.
ambulante familienorientierte Suchtrehabilitation.
Im ambulanten Setting wird über das Projekt FoRaN
Im stationären Setting werden für die familienorien- (Familienorientierte Rehabilitation und Nachsorge)
tierte Sucht­rehabilitation Synergieeffekte von zwei eine speziell auf die Familie der Rehabilitandin/des
Rehabilitationseinrichtungen auf demselben Gelände Rehabilitanden ausgerichtete ambulante Rehabilitati-
genutzt. Die Rehaklinik Birkenbuck bietet Suchtrehabi- on mit anschließender Nachsorge erprobt. An dem
litationen an, die Rehaklinik Kandertal psychosomati- Projekt sind fünf Beratungsstellen des Caritasverban-
sche Rehabilitationsleistungen für Jugendliche und des der Diözese Rottenburg-Stuttgart e. V. beteiligt,
Erwachsene sowie Familienrehabilitationen. Für welche zusätzlich zu den Leistungen für die Rehabili-
suchtbelastete Rehabilitanden und deren ebenfalls tandinnen und Rehabilitanden im Rahmen der
behandlungsbedürftige Familienmitglieder kann ambulanten Rehabilitation bzw. Nachsorge entspre-
durch die Kombination dieser Angebotspalette beider chende Angebote für Familien vorhalten. Durch
Einrichtungen eine gemeinsame, familienorientierte Familiengespräche, Familientage oder Familienwo-
Rehabilitation durchgeführt werden. chenenden soll die gesamte Familie, welche durch die
Suchtmittelabhängigkeit eines Elternteils belastet ist,
Vor Ort können bei gemeinsamer Unterbringung der gestärkt werden. Das Projekt FoRaN wird seit Anfang
Familie sowohl der abhängigkeitskranke Elternteil als 2016 in den teilnehmenden Beratungsstellen umge-
auch Partner und Kinder mit eigenem Rehabilitations- setzt und ebenfalls von einer regelmäßig tagenden
bedarf therapiert werden. Für die Kinder stehen auf Projektbegleitgruppe gesteuert.
dem Gelände der Rehaklinik Kandertal neben den
Rehabilitationsangeboten ein Kinderhaus mit Kinder-
krippe und Kindergarten sowie eine Klinikschule zur
Verfügung, sodass eine Betreuung gewährleistet ist.

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


117 

ABBILDUNG 23:
Ergebnisse einer repräsentativen Befragung zur Situation von Lehrern und Erziehern
im Auftrag der Drogenbeauftragten der Bundesregierung:
(CATI-Umfrage, März 2017, GMS Dr. Jung GmbH)

58 %
wünschen sich größere Unter-

41 % stützung, um Kindern aus


suchtbelas­teten Familien zu 91 %
helfen.
… der Befragten wurden in der … der Befragten würden sich
Vergangenheit bereits einmal dafür einsetzen, dass entspre-
auf ein Kind aufmerksam, in chendes Material mit Infor-
dessen Familie es Probleme mationen an einem zentralen
mit dem Thema Sucht gab. Ort ausgelegt würde.

5 Mehr erfahren – NACOA Deutschland – Interessenvertretung für


Kinder aus Suchtfamilien e. V.
­Informa­tionen, Fortbildung,
Öffentlichkeitsarbeit
Kinder aus suchtbelasteten Familien brauchen Erwach-
sene, die ihre Situation wahrnehmen und handeln.
Oftmals bestehen bei pädagogischen Fachkräften und
Betreuungspersonen im Umfeld der Kinder aber
Unsicherheit und Unkenntnis. NACOA Deutschland wurde 2004 in Berlin als offizielle
Partnerorga­nisation der amerikanischen National
Fortbildungen und Informationsmaterialien vermit- Association for Children of Alcoholics (NACoA)
teln Wissen zum Thema und geben praxisnahe gegründet. Der Verein hat das Ziel, die Situation von
Hinweise zum Umgang mit den Kindern und ihren Kindern aus suchtbelasteten Familien zu verbessern.
Eltern. Dadurch wird die Handlungskompetenz von Dies g­ eschieht durch:
Fachkräften gestärkt.
• Information und Sensibilisierung der Öffentlichkeit
über die Auswirkungen familiärer Suchtprobleme
auf die Kinder
• Lobbyarbeit für Kinder aus suchtbelasteten Familien:
NACOA bringt gegenüber Politik und Verbänden die
Problematik dieser Kinder zur Sprache und arbeitet
mit Fachleuten und Institutionen zusammen

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


118 

• Aufzeigen von Unterstützungsmöglichkeiten: Auf Ein Nachdruck der Broschüre „Alles total geheim“
der Webseite wird ein umfangreiches Verzeichnis wird durch die Geschäftsstelle der Bundesdrogen­
von Hilfsangeboten für Kinder suchtkranker Eltern beauftragten geprüft.
und ihre Angehörigen zur Verfügung gestellt
• Online-Beratung von Kindern und Jugendlichen Mia, Mats und Moritz – Broschüren der Deutschen
• Fortbildung, Information und Fachberatung von Hauptstelle für Suchtfragen
Menschen, die beruflich mit Kindern arbeiten, zur Die Geschichte „Mia, Mats und Moritz“
Vermittlung von Kenntnissen, die ihnen dabei erzählt von den Alltagsproblemen in einer
helfen, Kinder aus Suchtfamilien zu erkennen, zu Familie mit einem suchtkranken Eltern-
verstehen und zu unterstützen teil. Sie erzählt aber auch von den Stärken
• Organisation der jährlichen bundesweiten Aktions- der Kinder, von ihrem kreativen Umgang
woche für Kinder aus Suchtfamilien mit Schwierigkeiten und davon, dass es
www.nacoa.de nicht immer alleine gehen muss.
www.coa-aktionswoche.de
Die von der DHS herausgegebene Bro-
Kindern von Suchtkranken Halt geben – Broschüre der schüre wurde von der Bundeszentrale für
Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe gesundheitliche Aufklärung (BZgA) im
Die Broschüre der Selbsthilfeor- Auftrag des Bundesministeriums für
ganisation „Freundeskreise für Gesundheit gefördert.
Suchtkrankenhilfe“ in Kooperati-
on mit dem BKK Bundesverband Zur Geschichte gibt es ein Begleitheft für
wird in diesem Jahr aktualisiert Fachkräfte und Ehrenamt­liche im Sozial-,
und neu aufgelegt. Enthalten sind Gesundheits- und Bildungswesen sowie
neben Informationen und für Angehörige zum Umgang mit Kindern sucht­
Projekten zum Thema auch viele kranker Eltern.
Hinweise für Lehrer, Erzieher und www.dhs.de
andere Betreuungspersonen zum
Umgang mit Kindern suchtkranker Eltern. Entwicklung eines internetbasierten Schulungsmoduls
www.freundeskreise-sucht.de für Mitarbeiter der Suchthilfe
Ziel des noch laufenden Projekts ist die Entwicklung
Alles total geheim – Fortbildung und Broschüre der eines internet­basierten Schulungsmoduls für die
Fachstellen für Suchtprävention Sachsen Einschätzung von elterlichen Erziehungskompetenzen
Damit nicht „alles total geheim“ sowie von Belastungen bzw. möglichen (Entwick-
bleibt, richtet sich diese Broschüre lungs-)Gefährdungen von Kindern aus suchtbelasteten
zum Thema Kinder aus suchtbe- Familien. Das internetbasierte Schulungsmodul wird
lasteten Familien in erster Linie auf der Internetplattform des E-Learning-Kurses
an pädagogische Fachkräfte. Die „Frühe Hilfen und frühe Interventionen im Kinder-
Broschüre wurde als Begleitmate- schutz“ angesiedelt und von Blended-Learning-Kursen
rial für die Fortbildung „Alles total flankiert. Adressaten sind Mitarbeiter von Suchthilfe-
geheim“ entwickelt. Sie enthält einrichtungen sowie aus der Kinder- und Jugendhilfe.
Hinweise, wie Kinder aus suchtbe- Das vom Bundesministerium für Gesundheit geförder-
lasteten Familien erkannt und te Modul wird in Kooperation des Universitätsklini-
unterstützt werden können, sowie G ­ esprächstechniken kums Ulm, Abteilung für Kinder- und Jugendpsychia­
für die Kommunikation mit den Eltern. trie/Psychotherapie, mit dem Paritätischen
www.suchtpraevention-sachsen.de Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg entwickelt.
https://fruehehilfen-bw.de

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


119 

FITKIDS – Gesundes Aufwachsen für Kinder mit entwickelt und im Rahmen einer Pilotphase (2011–
süchtigen Eltern 2012) an sieben Standorten umgesetzt. Das Programm
wird evaluiert und verfügt über ein Manual, das
FITKIDS-Ringbuch. Im Rahmen von 10 Inhouse-
Schulungen innerhalb von 3 Jahren wurde und wird
FITKIDS inzwischen in 40 andere Kommunen über­
tragen. Darüber hinaus stellen die Weseler Fitkids-
Mitarbeiter Erfahrungs­wissen, Methoden, Arbeits­
hilfen, Kontaktadressen, Literaturhinweise, Fach­artikel,
FITKIDS ist ein Organisationsentwicklungsprogramm QM-Prozesse, Möglichkeiten der EDV-gestützten
zur Familienorientierung für Drogen- und Suchtbera- Dokumen­tation und vieles mehr für die praktische
tungsstellen. Ergänzend zu den bestehenden Angebo- Arbeit vor Ort zur Ver­fügung.
ten der Beratungsstellen wird die Thematik „Kinder www.fitkids.de
aus suchtbelasteten Familien“ nachhaltig in die
Arbeitsstrukturen und Handlungsabläufe integriert. Kind s/Sucht Familie – Fortbildungsprogramm
der Landeszentrale für Gesundheitsförderung in
Die Kinder suchtkranker Mütter und Väter werden mit Rheinland-Pfalz e. V.
in den Blick der Beratungsstellen genommen und die Durch die Fortbildung werden Multipli-
für eine adäquate Versorgung der Personengruppe katorinnen und Multiplika­toren befähigt,
notwendigen internen und externen Organisations- Schulungen für Fachkräfte in Jugendäm-
strukturen werden geschaffen. Hierzu zählen eine tern, Kinder- und Jugend­hilfeein­rich­
standardisierte Datenerfassung der Kinder, Beurteilung tungen bzw. Kinder­tages­einrichtungen
von Gefährdungssituationen, Entwicklung von und anderen Institutionen durchzuführen. Praxisnah
internen Handlungsabläufen bei möglichen Kindes- werden Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit dem
wohlgefährdungen, Entwicklung von Kooperations- Kind und seinen Bezugspersonen beleuchtet und Wege
strukturen und -verträgen, Schnittstellenarbeit und zur Unterstützung dieser Kinder und Jugend­lichen
die Einbindung der Beratungsstellen in das regionale entwickelt.
Hilfesystem zur Wahrnehmung der notwendigen www.lzg-rlp.de
„Lotsenfunktion“ für Eltern und ihre Kinder.
Das Programm besteht aus zwei Basis- und vier ZOEY – Spielfilm über die Lebenswelt von Kindern in
Praxis­bausteinen: einer sucht­belasteten Familie
In dem 40-minütigen Spielfilm geht
• Die Kinder in den Blick nehmen – interne Vorausset- es um die 14-jährige Zoey, die mit
zungen dem Rückfall ihres alkoholkranken
• Netze knüpfen – Kooperationen und Netzwerke Vaters zu kämpfen hat. Der Alltag des
• Bevor es zu spät ist – praktische Arbeit mit den Teenagers gerät ins Wanken und sie
Kindern muss Verantwortung für ihren Vater,
• Früh hilft früh – Arbeit mit Schwangeren und Frühe ihren 8-jährigen Bruder und sich
Hilfen selbst übernehmen. Der Film wurde
• Sprache finden – Arbeit mit substituierten Eltern vom Medienprojekt Wuppertal im
• Voneinander lernen – Multiplikatorenschulung Auftrag des Blauen Kreuzes Deutsch-
land e. V. produziert. Der DVD liegt
Die FITKIDS-Beratungsstelle in Wesel beschäftigt eine Broschüre mit anschaulichem
sich seit 1996 mit Kindern suchtkranker Eltern. Aus Arbeitsmaterial für die Nutzung des Filmes in Schulen
der langjährigen Erfahrung und Expertenwissen aus und Einrichtungen der Jugendhilfe bei.
verschiedenen Ländern wurde das Programm FITKIDS http://zoey-der-film.blaues-kreuz.de/zoeyfilm.html

5_Kinder aus suchtbelasteten Familien


MIRAS
Miteinander Rauchbelastung senken Qualifizierte Suchtprävention
in Einrichtungen der stationären Jugendhilfe

Gesundheitskompetenz
Rauchfrei in der Pflege

A_Suchtstoffe und Suchtformen | Alkohol


121 

6 | Projekte, Studien, Initiativen


1 Vom Bund geförderte Projekte E-Zigaretten täglich, haben die Nikotinstärke des
Liquids reduziert, benutzen selten Tabakaromen und
1.1 Suchtstoff- bzw. suchtformbezogene berichten über deutliche gesundheitliche Verbesserun-
Projekte gen. Die anfängliche Motivation war die Hoffnung auf
gesundheitliche Änderungen durch eine vollständige
Tabak Tabakabstinenz. E-Zigaretten-Konsum wird mit Genuss
und sozialen Aspekten assoziiert (Genießen des
Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit Dampfrituals und Hobbyaspekt). Dual Konsumierende
nutzen E-Zigaretten seltener täglich, jedoch mit
Konsumgewohnheiten und Motive von E-Zigaret- Liquids mit einem höheren Nikotingehalt. Hauptmoti-
ten-Konsumierenden in Deutschland – Eine ve waren die Reduktion des Zigarettenkonsums und
Querschnittsanalyse gesundheitliche Aspekte. Gesundheitlich profitieren sie
E-Zigaretten finden bei ca. einer Million Menschen in deutlich weniger als Ex-Rauchende und Genuss- und
Deutschland regelmäßige Verwendung und werden Hobbyaspekte sind nur von untergeordneter Bedeu-
hauptsächlich von Rauchenden oder Ex-Rauchenden tung. Sie nutzen E-Zigaretten häufiger als Ex-Rauchen-
genutzt. In einer Online-Querschnittsstudie des de an Orten, an denen das Tabakrauchen untersagt ist.
Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) Die Anzahl an aktuell täglich gerauchten Zigaretten ist
Hamburg unter E-Zigaretten-Konsumierenden waren mit knapp 14 Zigaretten relativ hoch.
91,5 Prozent ehemalige Rauchende, 7,5 Prozent dual Personen, die E-Zigaretten nutzen, ohne vorher
Konsumierende und lediglich 1 Prozent tabakunerfah- geraucht zu haben, weisen keinerlei körperliche
rene Personen. Das Ergebnis, dass Personen, die zuvor Abhängigkeit auf (Fagerström-Test), konsumieren zu 50
keine Tabakprodukte gebraucht hatten, sehr selten Prozent ohne Nikotin und gebrauchen keine Liquids
regelmäßig E-Zigaretten nutzen, ist mit internationa- mit Tabakaromen.
len Studien vergleichbar. Während Online-Studien mit https://www.bundesgesundheitsministerium.de/
einer ähnlichen Rekrutierungsstrategie (Bekanntma- fileadmin/Dateien/Publikationen/Drogen_Sucht/
chung der Studie über Foren, Informations-, Händler- Abschlussbericht/161005_Anlage_5-Abschlussbericht_
und Herstellerwebseiten) zu einer vergleichbaren ZIS.pdf
Verteilung von Ex-Rauchenden und dual Konsumie-
renden kommen, ist die Anzahl an dual Konsumieren- Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit
den in repräsentativen Befragungen in der Regel
deutlich höher. Nutzen und Nutzung der E-Zigarette bei der
Tabakentwöhnung
Ehemalige Rauchende und dual Konsumierende Etwa acht Prozent der Raucher, die einen Aufhörver-
weisen in der durchgeführten Befragung eine ver- such unternehmen, versuchen dies mithilfe einer
gleichbare Tabakbiografie auf. Sie sind im Durchschnitt E-Zigarette (Kröger et al., 2015, ESA Datensatz 2012).
41 Jahre alt, zu 80 Prozent männlich und mit 22 Die 2015 veröffentlichte deutsche interdisziplinäre
Konsumjahren und 25 täglich gerauchten Zigaretten S3-Leitlinie zu „Screening, Diagnostik und Behandlung
als langjährige, starke Rauchende zu klassifizieren. 50 des schädlichen und abhängigen Tabakkonsums“
Prozent der Befragten haben in der Vergangenheit (AWMF Leitlinien-Registernummer 076-006) spricht
mithilfe von Nikotinersatzprodukten erfolglos ver- sich allerdings gegen das Anbieten der E-Zigarette bei
sucht, ihren Tabakkonsum zu beenden. Beide Gruppen der Tabakentwöhnung aus, weil die Datenlage derzeit
nutzen E-Zigaretten im Durchschnitt seit zwei Jahren, unzureichend ist. Vor dem Hintergrund dieser Diskre-
ohne einen Ausstieg zu planen. 90 Prozent der Ex- panz zwischen der Beliebtheit und Anwendung der
Rauchenden gelang der vollständige Umstieg von E-Zigarette unter Rauchern und der skeptischen
Tabakprodukten auf ein elektronisches Dampferzeug- Einschätzung von Experten war es das Ziel der Beob-
nis innerhalb weniger Tage. Ex-Rauchende nutzen achtungsstudie der IFT-Gesundheitsförderung

6_Projekte, Studien, Initiativen


122 

München, den Einsatz der E-Zigarette in Tabakentwöh- Abstinenzmotivation ausbildet und sich ein rauchfrei-
nungskursen und deren Nutzen für die Erlangung der er Lebensstil etabliert, und begünstigt somit einen
Abstinenz zu untersuchen. Zu diesem Zweck wurden Rückfall. Anders als bei den medizinischen Nikotinpro-
über 600 Kursteilnehmer des „Rauchfrei Programms“ dukten gibt es auch keine spezifischen Regeln, wie die
ein Jahr nach Kursende telefonisch befragt. Das E-Zigarette als zeitlich befristete Hilfsmaßnahme
„Rauchfrei Programm“ ist ein seit vielen Jahren im konkret eingesetzt und wieder beendet wird. Aufgrund
deutschsprachigen Raum etabliertes Gruppenpro- des Ergebnisses der Studie wird davon abgeraten, die
gramm zur Tabakentwöhnung, welches durch das E-Zigarette im Rahmen von verhaltenstherapeutisch
Institut für Therapieforschung (IFT) mit Förderung der orientierten Gruppenprogrammen zur Tabakentwöh-
BZgA entwickelt wurde. nung einzusetzen.
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/
12,5 Prozent der Teilnehmer hatten während des fileadmin/Dateien/Publikationen/Drogen_Sucht/
Kurses die E-Zigarette genutzt. Von den Anwendern der Abschlussbericht/161005_Anlage_6-Abschlussbericht_
E-Zigarette gaben 88 Prozent an, dass die E-Zigarette IFT.pdf
sie beim Rauchstopp unterstützen sollte. Zum Zeit-
punkt der Befragung benutzten 67 Prozent die Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit
E-Zigarette nicht mehr. Die Nutzer der E-Zigarette
schätzten die E-Zigarette in den meisten Aspekten Der Konsum von elektronischen Dampferzeugnis-
positiver ein als Raucher, die die E-Zigarette nicht sen unter Jugendlichen
angewendet hatten. Sowohl ein Nutzen für die Abkehr Das Forschungsprojekt „Der Konsum von elektroni-
von der Tabakzigarette als auch positive Eigenschaften schen Dampferzeugnissen (eDe) unter Jugendlichen“
wie guter Geschmack, guter Geruch und geringere hatte die Generierung von validem Grundlagenwissen
Kosten werden von den Anwendenden häufiger berich- über Prävalenzen sowie Muster des Konsums von eDe
tet. Die Nutzer der E-Zigarette waren im Durchschnitt unter Jugendlichen (14–24 Jahre) unter Berücksichti-
stärker körperlich von der Zigarette abhängig als gung möglicher Zusammenhänge mit konventionel-
Teilnehmer, die keine zusätzlichen Hilfsmittel in lem Tabakkonsum zum Ziel. Die Forschungsergebnisse
Anspruch nahmen. Hinsichtlich sozialökonomischer basieren auf der Durchführung einer systematischen
Merkmale waren die Personengruppen vergleichbar. Literaturstudie, qualitativen problemzentrierten Inter-
E-Zigaretten-Nutzer waren ein Jahr nach Kursende views und einer quantitativen Online-Umfrage. Zudem
deutlich seltener abstinent als die übrigen Kursteilneh- wurde eine Sekundäranalyse im Rahmen der repräsen-
mer. Nur 20 Prozent der Nutzer von E-Zigaretten tativen Frankfurter Befragung von Schülerinnen und
waren abstinent, während 39 Prozent der Kursteilneh- Schülern (MoSyD) durchgeführt. Hinsichtlich der
menden, die keine E-Zigarette genutzt hatten, und 36 wesentlichen Projektergebnisse ist vor allem ein
Prozent der Nutzer medizinischer Nikotinprodukte ansteigender Trend der Lebenszeit- und der 30-Tages-
(Nikotinpflaster, Nikotinkaugummi, Nikotinspray) Prävalenz für E-Zigaretten und E-Shishas unter
angaben, abstinent zu sein. Auch wenn man in der Jugendlichen und jungen Erwachsenen festzuhalten.
statistischen Auswertung berücksichtigt, dass die Trotz der vergleichsweise hohen Prävalenzraten zeigen
Nutzenden der E-Zigarette stärker abhängig waren und die Ergebnisse der repräsentativen Befragung aller-
somit eine geringere Erfolgswahrscheinlichkeit für dings, dass nur sehr wenige der Schülerinnen und
einen Rauchstopp aufwiesen, ist der Unterschied Schüler in Frankfurt am Main täglich E-Produkte
signifikant. Das Ergebnis zeigt, dass die Nutzung der konsumieren.
E-Zigarette als Hilfsmittel in einem strukturierten
Gruppenprogramm zum Rauchstopp den langfristigen Allgemein zeigten sich differenzierte Ergebnisse im
Erfolg deutlich verringert. Die Ähnlichkeit im Nut- Hinblick auf unterschiedliche E-Produkte in unter-
zungsverhalten von Tabakzigaretten und E-Zigaretten schiedlichen Altersgruppen sowie im Kontext eigener
verhindert möglicherweise, dass sich eine stabile Raucherfahrungen.

6_Projekte, Studien, Initiativen


123 

So besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen ren ein positiveres Image zu haben als die E-Shisha.
dem Konsum von konventionellen Tabakprodukten Festzuhalten ist ein allgemein hoher Aufklärungsbe-
und E-Produkten. Dabei scheinen E-Produkte vor darf für alle Arten von E-Produkten.
allem in der Altersgruppe der 15- bis 18-jährigen http://isff.info
Raucher als Ergänzung zu bestehenden Konsummus-
tern zu funktionieren, oft, um bestimmte Nachteile Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit
herkömmlicher Zigaretten zeitweise umgehen zu
können. Nur sehr wenige in dieser Altersgruppe beab- MIRAS – Miteinander Rauchbelastung senken
sichtigen, eDe als Ausstiegshilfe zu verwenden. Ein

MIRAS
gewisser Anstieg 2015 im Vergleich zu 2014 zeigte sich
im Hinblick auf Personen mit Tabakerfahrungen ohne
aktuellen Zigarettenkonsum, die auf nikotinfreie
E-Produkte zurückgreifen. Die Gateway-Hypothese Miteinander Rauchbelastung senken
bestätigt sich in den vorliegenden Daten nicht. Es gibt
zwar in beiden Stichproben eine kleine Gruppe an Zielgruppe des 18-monatigen Projekts sind sozial
Schülern, die zunächst ein E-Produkt und erst danach benachteiligte Eltern, die Zigaretten rauchen. Ziel ist,
Tabak konsumierten, diese weisen jedoch – zumindest die Passivrauchbelastung ihrer Kinder zu verringern.
in der repräsentativen Erhebung – eine geringere Hintergrund der Studie sind Ergebnisse des Deutschen
Wahrscheinlichkeit als ihre Mitschüler auf, einen Krebsforschungszentrums, wonach insbesondere
regelmäßigen Zigarettenkonsum zu entwickeln. Bisher Menschen mit einem niedrigen sozioökonomischen
scheinen sich keine intensiven Konsummuster in der Status und diejenigen mit einem Migrationshinter-
Breite zu etablieren, Probier- und Gelegenheitskonsum grund Tabakprodukte rauchen. Kinder und Jugendliche
sind hier die Regel. Hinsichtlich der Konsummotivatio- aus diesen Familien sind in einem besonderen Maße
nen offenbart sich ein breites Spektrum an Motivlagen, durch Passivrauchen gefährdet.
wobei neben dem häufigsten Probiergrund „Neugier-
de“ unter anderem diverse „Vorteile“ gegenüber her- Das Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung
kömmlichen Zigaretten eine wichtige Rolle spielen, (ZIS) in Hamburg und die FOGS GmbH in Köln führen
aber auch soziale Motive und ein (zumindest zeitweise das Projekt in Kooperation durch. In den Städten
und in bestimmten Gruppen) positives Image von Hamburg und Köln wurden Eltern einbezogen, die
E-Produkten. In der Altersgruppe der 19- bis 24-Jähri- keinen Migrationshintergrund bzw. einen türkischen
gen stehen sowohl aktuelle Motive als auch Einstiegs- oder russischsprachigen Migrationshintergrund auf­
motive von E-Zigaretten häufig im Zusammenhang weisen. In geschlechtshomogenen Gruppen wurden
mit konventionellem Zigarettenkonsum. Es zeigte sich, die Eltern zu ihrem Rauchverhalten und zu gewünsch-
dass die Befragten umso häufiger zur E-Zigarette als ten Aufklärungsmaßnahmen befragt. Zudem wurden
zur E-Shisha greifen, je älter sie sind. Zudem werden Fachkräfte aus verschiedenen Organisationen für Mi­
mit ansteigendem Alter Motive wichtiger, die sich auf granten, Eltern, Gesundheit etc. systematisch in die
Harm Reduction oder Rauchausstieg beziehen. Erarbeitungsprozesse einbezogen. Methodisch basiert
das Projekt auf einem partizipativen und qualitativen
E-Produkte werden im Vergleich zu Tabakerzeugnissen Ansatz, um gendergerechte Zugangswege und Aufklä-
mehrheitlich als weniger schädlich wahrgenommen. rungsmaterialien zu entwickeln und die Akzeptanz des
Interessanterweise scheint jedoch gegenüber der entwickelten Konzepts zu erproben.
E-Shisha eine größere Verunsicherung bezüglich ihrer
Gesundheitsgefahren vorzuherrschen als gegenüber Nach Abschluss aller Befragungen wurden auf deren
der E-Zigarette. Insgesamt scheint die E-Zigarette, vor Grundlage verschiedene Aufklärungsmaterialien
allem in der spezifischen Stichprobe der Dampf- und entwickelt. So wurde ein kurzer dreisprachiger
Raucherfahrenen, hinsichtlich ihrer Gesundheitsgefah- Videofilm für die Zielgruppe der Eltern produziert und

6_Projekte, Studien, Initiativen


124 

eine dreisprachige Webseite erstellt. Zudem wurden ein http://www.klinikum.uni-muenchen.de/Institut-und-


Wissensquiz zur Passivrauchbelastung und Poster mit Poliklinik-fuer-Arbeits-Sozial-und-Umweltmedizin/de/
Regeln zum Schutz der Kinder vor Passivrauchen in forschung/arbeitsgruppen/Prof__Radon/forschung/
drei Sprachen gedruckt. Die gedruckten Materialien national/laufende-projekte/KOPA.html
stehen auf der Internetseite auch als Download zur
Verfügung. Die Akzeptanztestung der erarbeiteten Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit
Materialien und Zugangswege wird 2017 durchgeführt.
www.kinder-zigarettenrauch.de Projekt PA-TRES 2 – Verstetigung
Qualifizierungsangebote für Lehrende und Be-
Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit zugspersonen von Pflegeauszubildenden

KOPA – Kinder ohne Passivrauch


Passivrauchbelastung im Kindesalter ist mit erhöhter
Sterblichkeit und Erkrankungshäufigkeit assoziiert.
Insbesondere Migranten und Personen mit niedrigem
Bildungsstatus sind sich dieses Risikos oft nicht Der Raucheranteil unter Auszubildenden in Pflegebe-
bewusst bzw. kennen häufig keine einfachen Möglich- rufen ist deutlich höher als in der Allgemeinbevölke-
keiten, die Exposition in Innenräumen zu vermindern. rung. Das Projekt PA-TRES umfasste bis 2015 die Ent-
wicklung und Evaluation eines Präventionskonzepts
Ziel des Projekts ist es, eine Aufklärungskampagne zu mit dem Ziel, bereits in der Pflegeausbildung zu einem
entwickeln, die insbesondere Migranten und Personen gesundheitsbewussten Lebensstil zu motivieren, einen
mit niedrigem Bildungsstatus Wissen zum Thema Einstieg in den Tabakkonsum zu verhindern und Rau-
Passivrauchbelastung von Kindern erfolgreich vermit- chenden den Ausstieg zu erleichtern. Kernelement ist
telt. In einem ersten Schritt wurden von Studienteil- ein zwölfstündiger Unterricht zu gesundheitsförderli-
nehmern mit und ohne Migrationshintergrund Wissen chem Lebensstil, Raucherberatung sowie Stressbewäl-
und Einstellungen zu den möglichen Gefahren des tigung im Pflegeberuf. Daten von mehr als 400 Pfle-
Passivrauchens für Kinder sowie Normen und Restrik- geauszubildenden bestätigen den deutlich höheren
tionen bezüglich des erwünschten Verhaltens zur Anteil an Rauchenden gegenüber der Allgemeinbevöl-
Verminderung der Passivrauchexposition in Innenräu- kerung in der vergleichbaren weiblichen Altersgruppe
men erhoben. Danach wurden gemeinsam mit den (etwa 45 vs. 30 Prozent). Die Daten belegen auch
Teilnehmern erfolgversprechende Kernbotschaften Zusammenhänge zwischen Rauchen und ungesundem
und mögliche Zugangswege entwickelt und evaluiert. Lebensstil, höherem Stresserleben und ungünstigeren
Hierfür wurden 26 qualitative Interviews durchgeführt, Stressbewältigungsstilen. Zur Verbreitung des Konzepts
die zeigten, dass bezüglich der Definition und Schäd- wurden in PA-TRES 2 ein Train-the-Trainer-Seminar
lichkeit der Passivrauchexposition bei der Zielgruppe (TTT) zum PA-TRES-Unterricht sowie eine Fortbildung
Wissenslücken bestehen, das Thema aber als wichtig zu motivierenden Gesprächen mit Pflegeauszubilden-
eingeschätzt wird. Auf Basis der Ergebnisse wurden den entwickelt, erprobt und evaluiert. Das TTT zum
zwei Kampagnen ausgearbeitet, die anschließend PA-TRES-Unterricht umfasste die Vermittlung des
durch die Teilnehmer in insgesamt vier Gruppendis- theoretischen Hintergrundes, der Inhalte und didakti-
kussionsrunden evaluiert wurden. Nach erneuter schen Kompetenzen zur selbstständigen Durchführung
Überarbeitung werden die Botschaften und Zugangs- des PA-TRES-Curriculums. Die Fortbildung zu motivie-
wege abschließend noch einmal mittels quantitativer renden Gesprächen vermittelte Gesprächskompeten-
Befragung hinsichtlich Passung zur Zielgruppe, zen zur Motivation von Auszubildenden zum Rauch-
Akzeptanz und generellen Eindrucks bei der Ziel­ stopp sowie ausgewählte Techniken des Motivational
gruppe bewertet. Das Projekt wird von Instituten des Interviewings (Miller und Rollnick, 2016). Beide
Klinikums der Universität München durchgeführt. Fortbildungen wurden von den Teilnehmenden als

6_Projekte, Studien, Initiativen


125 

sehr gut bewertet. Um eine dauerhafte Verstetigung der vier Unterstützungsbereiche entwickelt:
Angebote zu gewährleisten, wurden in einem zweiten 1. Eine Fortbildung für astra-Trainerinnen und -Trai-
Schritt die Konzepte von astra und PA-TRES integriert. ner ermöglicht die selbstständige Durchführung
PA-TRES ist mit seinem Ansatz primär verhaltensprä- des manualisierten Programms. 21 Trainerinnen
ventiv, astra verfolgt hingegen schwerpunktmäßig und Trainer an 9 Schulen wurden geschult und
verhältnispräventive Angebote. das Programm in das Curriculum integriert. Ein
www.pa-tres.de Unterrichtsmodul zur Kurzintervention bei
www.astra-programm.de rauchenden Patientinnen und Patienten durch
Pflegeschüler und Pflegeschülerinnen wurde
Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit entwickelt und getestet.
2. Zur Steigerung des Problembewusstseins und
astra – Implementierungsforschung Förderung der Implementierungsbereitschaft,
einschließlich der Förderung rauchfreier Normen
in der Berufsgruppe, wurde eine gemeinsame
Initiative „Rauchfrei Pflegen“ gestartet, die von
Interessenvertretungen gezeichnet wird. astra-
Gesundheitskompetenz
Rauchfrei in der Pflege Botschafterinnen und -Botschafter wurden als
Multiplikatoren in der Berufsgruppe ernannt.
Pflegeberufe übernehmen eine wichtige Rolle in der 3. Eine Betreuungsstruktur wird über das Deutsche
Tabakprävention und Tabakentwöhnung. Sie stellen Netz Rauchfreier Krankenhäuser & Gesundheits-
jedoch aufgrund der hohen Raucherprävalenz selbst einrichtungen (DNRfK e. V.) und die Förderung
eine Zielgruppe für Tabakpräventionsmaßnahmen dar. durch Krankenkassen gewährleistet.
Während die Raucherprävalenz in der Allgemeinbevöl- 4. Evidenzen zum langfristigen Nutzen des Pro-
kerung auf ca. 25 Prozent zurückgegangen ist, rauchen gramms sowie zur Beurteilung der Implementati-
noch 30 Prozent der Gesundheits- und Krankenpflege- onsprozesse wurden über eine Nutzerbefragung
rinnen und Krankenpfleger, 42 Prozent der Altenpfle- generiert.
gerinnen und Altenpfleger sowie bis zu 50 Prozent der
Pflegeschüler und Pflegeschülerinnen (Mikrozensus Mit astra plus ist es gelungen, die zentralen Bausteine
2013, Statistisches Bundesamt 2015, Schulze 2014). des astra-Projekts mit dem parallel geförderten Projekt
Im Modellprojekt „astra – Aktive Stressprävention PA-TRES synergetisch zu verknüpfen und in einem
durch Rauchfreiheit in der Pflege“ wurde 2013 bis 2015 gemeinsamen Programm zu implementieren. Ziel ist
ein verhaltens- und verhältnisorientiertes Programm es, eine professionelle Gesundheitskompetenz in den
entwickelt, das sich komplett in das Ausbildungscurri- Pflegeberufen aufzubauen. Diese umfasst nicht nur die
culum integrieren lässt. Machbarkeit und Verände- Bereitschaft und Fähigkeit, die eigene Gesundheit zu
rungspotenzial des astra-Interventionsprogramms erhalten und zu fördern, sondern auch die Befähigung,
konnten belegt werden. Bedarf an systematischer das eigene gesundheitliche Wissen auf individueller
Unterstützung für eine nachhaltige Umsetzung wurde und organisatorischer Ebene im beruflichen Handeln
als erforderlich angesehen. umzusetzen.
www.astra-plus.de
Im Folgeprojekt „astra-Implementationsforschung“
wurden daher Implementierungsvoraussetzungen der
astra-Intervention erarbeitet. Basierend auf den
Ergebnissen des Modellprojekts sowie Erkenntnissen
aus der Implementationsforschung wurden folgende

6_Projekte, Studien, Initiativen


126 

Durchgeführt von der Bundeszentrale für Ergänzend bietet das Präventionsprogramm „rauch-
gesundheitliche Aufklärung frei“ der BZgA auch zielgruppenspezifische Informati-
onsmedien für Schwangere, Eltern und Ärztinnen
„rauchfrei“ sowie Ärzte.
Mit den beiden „rauchfrei“-Kampagnen, zum einen für www.rauchfrei-info.de
die Zielgruppe der Jugendlichen, zum anderen für die
Zielgruppe der Erwachsenen, leistet die Bundeszentrale Durchgeführt von der Bundeszentrale für
für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) einen Beitrag gesundheitliche Aufklärung
zur Strategie der nationalen Tabakprävention in
Deutschland. Ziele der Kampagnen sind im Wesentli- Be Smart – Don't Start
chen, den Einstieg in das Rauchen zu verhindern bzw. Der Wettbewerb für rauchfreie Schulklassen „Be Smart
einen möglichst frühzeitigen Ausstieg aus dem – Don't Start“ motiviert seit dem Schuljahr 1997/98
Rauchen zu fördern. Weitere Ziele sind der Schutz von Jugendliche in Deutschland zu einem rauchfreien
Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen vor Passiv- Leben. Im Schuljahr 2016/2017 haben sich insgesamt
rauch, die Bereitstellung und Bekanntmachung von 6.800 Schulklassen mit rund 180.000 Schülern ange-
Hilfsangeboten zum Rauchverzicht sowie die Qualifi- meldet. Sie bekennen damit: Wir sind rauchfrei!
zierung von Multiplikatoren. www.besmart.info

Die „rauchfrei“-Jugendkampagne ist konzipiert als eine Alkohol


Informations- und Kommunikationskampagne, die
Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren in Deutsch- Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit
land Wissenswertes über das Rauchen bzw. Nichtrau-
chen vermitteln und eine selbstkritische Auseinander- Alkoholatlas 2017
setzung der jungen Zielgruppe mit dem eigenen Die Verringerung des schädlichen Alkoholkonsums ist
Rauchverhalten fördern will. eine vordringliche gesundheitspolitische Maßnahme,
denn Alkohol schädigt viele Organe des Körpers und ist
Die „rauchfrei“-Erwachsenenkampagne beinhaltet als ein bedeutsamer Risikofaktor für Krebs, Herz-Kreis-
zentrales Element eine umfangreiche Informations- lauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes. Übermäßiger
plattform im Internet. Das Portal www.rauchfrei-info. Alkoholkonsum verkürzt das Leben um rund zwei
de bietet neben Informationen zum Rauchen, Passiv- Jahre. Außerdem verursacht er der Gesellschaft durch
rauchen und Rauchstopp sowie zu den gesetzlichen direkte Krankheitskosten, Produktionsausfälle und
Regelungen zum Nichtraucherschutz auch ein Online- alkoholbedingte Arbeitsunfälle mit Sachschäden jedes
Ausstiegsprogramm mit Online-rauchfrei-Lotsen, die Jahr Kosten in Höhe von fast 27 Milliarden Euro.
individuell beim Rauchstopp beraten und begleiten.
Mit 25.000 Neuanmeldungen im Online-Ausstiegspro- Der Alkoholatlas 2017 wird vom Deutschen Krebsfor-
gramm hat sich 2016 die Zahl der Anmeldungen schungszentrum in Heidelberg in Kooperation mit
gegenüber 2015 mehr als verdoppelt. dem Robert Koch-Institut, der Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung und der Deutschen
Auch die telefonische Beratung zum Rauchstopp unter Hauptstelle für Suchtfragen sowie weiteren Experten
der kostenfreien Rufnummer 0800 8 31 31 31 gehört erstellt. Er ist als übersichtliches und umfassendes
zum Service-Angebot der BZgA. Mit der Umsetzung Handbuch für Journalisten, Angehörige der Gesund-
der Tabakproduktverordnung im Mai 2016 hat sich das heitsberufe und Lehrende sowie für politische Ent-
durchschnittliche Anrufvolumen seither mehr als scheidungsträger konzipiert. Der Alkoholatlas fasst in
verfünffacht: Von durchschnittlich 1.000 Anrufen pro kurzen, prägnanten und leicht verständlichen Texten
Monat ist die Zahl auf rund 5.000 Anrufe pro Monat mit zahlreichen anschaulichen Grafiken verschiedene
angestiegen. Aspekte des Alkoholkonsums sowie dessen Einfluss auf

6_Projekte, Studien, Initiativen


127 

die Gesellschaft zusammen. Dazu gehören neben den Schülerinnen und Schüler im Rahmen von Lehrerfort-
Wirkungen des Alkohols auf den Körper und die bildungen und Elternabenden informiert.
Gesundheit auch die Auswirkungen auf Mitmenschen.
Aktuelle Daten zum Ausmaß des Alkoholkonsums in Das Projekt wird vom IFT-Nord wissenschaftlich
der Bevölkerung und in ausgewählten Bevölkerungs- begleitet und evaluiert. Auch die Schauspielerin Sofie
gruppen werden zusammengetragen. Außerdem Schütt unterstützt das FASD-Projekt.
werden die in Deutschland durchgeführten Maßnah- www.äggf.de
men zur Eindämmung des Alkoholkonsums darge- http://www.äggf.de/fileadmin/user_upload/content/
stellt. Der Alkoholatlas erscheint Mitte 2017. PDF/AEGGF_FASD_Flyer_Webversion.pdf

Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit

Schwanger? Dein Kind trinkt mit! Alkohol? Kein S3-Leitlinie Diagnose der Fetalen Alkoholspek­
Schluck – Kein Risiko! trumstörungen (FASD) bei Kindern und Jugend­
lichen in Deutschland; Implementierungsmaß­
nahmen der S3-Leitlinie FASD; Bedarfsplanung
von FASD-Forschung und -Versorgung

POCKET GUIDE FASD MIRJAM N. LANDGRAF & FLORIAN HEINEN

THINK KIDS
Im April 2015 startete die Ärztliche Gesellschaft zur
DON´T DRINK
Gesundheitsförderung (ÄGGF) bundesweit ein schuli- STOP FASD spektrumstörungen
Fetale Alkohol-

Herausgeber:

sches Aufklärungsprojekt zu FASD (Fetale Alkoholspek-


Bundesministerium für Gesundheit und
Drogenbeauftragte der Bundesregierung
11055 Berlin
Stand: Mai 2016

trumstörungen) im Vorfeld von Schwangerschaften. Redaktion und Copyright:


Mirjam N. Landgraf, München
Florian Heinen, München
Druck:

FASD, das ausschließlich durch mütterlichen Alkohol- Druckerei im Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Gestaltung:
Kathrin Schneider, München www.grafikschneider.de

STOP
konsum in der Schwangerschaft entsteht, ist die Fotonachweise:
Mirjam N. Landgraf, Ludwig-Maximilians-Universität München
Susan Astley, University of Washington
Wenn Sie Bestellungen aufgeben möchten:

häufigste nicht genetisch bedingte Ursache für Best.-Nr.: BMG-D-11011


Telefon:
0180 577 80 90*

angeborene Fehlbildungen, geistige Behinderungen,


Schreibtelefon für Gehörlose und Hörgeschädigte:
0180 599 66 07*
Schriftlich:
Publikationsversand der Bundesregierung

Wachstums- und Entwicklungsstörungen sowie


Postfach 48 10 09, 18132 Rostock
E-Mail: publikationen@bundesregierung.de
Telefax: 0180 577 80 94*
* Für diesen Anruf gilt ein Festpreis von 14 Cent pro Minute aus den

extreme Verhaltensauffälligkeiten. Festnetzen und maximal 42 Cent pro Minute aus den Mobilfunknetzen

š—¡
oˆœ•Œ™
st|
s}rt FASD
Jährlich werden in Deutschland etwa 10.000 Kinder mit
FASD geboren. Mit dem deutschlandweit einzigartigen
Projekt unter dem Motto „Schwanger? Dein Kind
trinkt mit! Alkohol? Kein Schluck – Kein Risiko!“ Pocketguide FASD
werden die Ärztinnen der ÄGGF bis Anfang 2018
1.200 schulische Informationsstunden für die 8. bis Das Ziel des Projekts war die Entwicklung eines
13. Klassen, vor allem an Haupt-, Mittel-, Gesamt- und evidenzbasierten, formalen Expertenkonsenes über die
Berufsschulen, durchführen. Dabei werden die Schüle- notwendigen diagnostischen Kriterien und relevanten
rinnen und Schüler alters- und entwicklungsbezogen Empfehlungen für das partielle Fetale Alkoholsyndrom
über die Folgen von Alkoholkonsum in der Schwanger- (pFAS), die alkoholbedingte entwicklungsneurologische
schaft informiert. Zu den bisher durchgeführten Störung (ARND) und die alkoholbedingten angebore-
90-minütigen ärztlichen Informationsstunden haben nen Malformationen (ARBD) aus dem Formenkreis der
die Schülerinnen und Schüler ein positives Feedback Fetalen Alkoholspektrumstörungen (FASD). Die für
gegeben. Begleitend werden Lehrkräfte und Eltern der diese FASD entwickelten diagnostischen Kriterien

6_Projekte, Studien, Initiativen


128 

wurden als Ergänzung und Update in die S3-Leitlinie integrierten Sozialpädiatrischen Zentrum im Dr. von
zur Diagnose des Fetalen Alkoholsyndroms von 2012 Haunerschen Kinderspital (iSPZ Hauner) der Ludwig-
integriert. Nach Abschluss des Projekts wurde eine Maximilians-Universität München durchgeführt.
aktualisierte S3-Leitlinie für die Diagnose aller Fetalen http://www.klinikum.uni-muenchen.de/mashup/
Alkoholspektrumstörungen bei Kindern und Jugendli- blaetterkatalog_ispz_fas_pocketcard_brochure/
chen in Deutschland vorgestellt. http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/022-
025k_S3_Fetale_Alkoholspektrumstoerung_Diagnos-
Die Inhalte der S3-Leitlinie wurden auf verschiedenen tik_FASD_2016-06.pdf
nationalen und internationalen Kongressen präsentiert
und in der medizinischen Fachzeitschrift „Kinderheil- Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit
kunde“ veröffentlicht. Als weiterer Implementierungs-
schritt wurde ein Pocketguide FASD (siehe Abbildung) Joint Action Reducing Alcohol Related Problems
entwickelt, der die diagnostischen Empfehlungen für (RARHA)
Kinder und Jugendliche mit FASD anhand von Diagno-
se-Algorithmen für den klinischen und psycho­logischen
Alltag veranschaulicht, Differenzial­diagnosen darstellt
und weitere Informationsquellen aufzeigt.

Der Pocketguide wurde an alle Kinderkliniken,


Kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken, Sozialpä- Im Rahmen des europäischen Joint-Action-Projekts
diatrischen Zentren, niedergelassenen Neuropädiater „RARHA – Reducing Alcohol Related Harm“ arbeiteten
und Jugendämter in Deutschland sowie an die beteilig- 31 europäische Länder mit dem Ziel zusammen, zu den
ten Fachgesellschaften/Berufsverbände und andere Prioritäten der EU-Alkoholstrategie gemeinsame
Interessierte verschickt. Ein mitgesendeter sowie Ansätze zu entwickeln, flächendeckend einzuführen
online verfügbarer Fragebogen diente der orientieren- und damit alkoholbedingte Schäden in Europa zu
den Evaluation von Fachpersonal unterschiedlicher reduzieren und risikoarmen Alkoholkonsum zu
Disziplinen hinsichtlich der Kenntnis der Leitlinie, des fördern. Das von 2014 bis 2016 laufende und von der
Wissensstandes zu FASD und der Betreuung von Europäischen Kommission kofinanzierte Projekt
Kindern/Jugendlichen mit FASD. umfasste sechs Arbeitspakete mit verschiedenen
Die Auswertung ist in Arbeit und erfolgt durch ein Schwerpunkten.
statistisches Institut der LMU München. Diese Evalua-
tion dient nicht nur der orientierenden Erfassung der RARHA – Verbesserung des Monitorings von
bisherigen Leitlinienimplementierung, sondern auch Alkoholkonsum und alkoholbezogenen Problemen
der Steigerung der „Awareness“ der involvierten in Europa
Professionellen. Das Institut für Therapieforschung in München (IFT)
fungierte als stellvertretender Leiter von Arbeitspaket 4
Der Inhalt der Leitlinie wurde in einem Buch FASD „Strengthening the monitoring of drinking patterns
zusammengestellt, dessen Veröffentlichung und and alcohol related harm across EU countries“.
Distribution an die relevanten Berufsgruppen 2017
erfolgt. Zusätzlich zu diesen Implementierungsvorha- Dieser Projektteil baute auf den Erfahrungen früherer
ben wurde ein Treffen der FASD-Experten in Deutsch- internationaler Projekte auf, die Daten aus verschiede-
land über die Koordinatorin Dr. Mirjam Landgraf des nen Ländern zentralisiert und gemeinsam ausgewertet
Projekts organisiert. Bei diesem Treffen wurde über haben. Basierend auf aktuellen Daten erfolgte eine
Bedarfe in den Handlungsfeldern FASD-Versorgung Baseline-Schätzung zum Monitoring des Alkoholkon-
und -Forschung diskutiert. Das Projekt wurde vom sums und alkoholbezogener Probleme in EU-Mitglied-

6_Projekte, Studien, Initiativen


129 

staaten. Zudem wurden Verbesserungen der methodi- Anhand einer (Literatur-)Recherche zu relevanten
schen Voraussetzungen für ver­gleichende Alko­hol­- Forschungsergebnissen sowie existierenden Leitlinien
forschung vorgeschlagen. in deutscher und englischer Sprache und einer
Befragung der Mitglieder des EU-Ausschusses „Natio-
In Arbeitspaket 4 wurden zwei Teilprojekte durchge- nale Alkoholpolitik und -maßnahmen“ (CNAPA)
führt. In Teil 1 wurde ein neuer Survey mit einer wurden Leitlinien/Empfehlungen für junge Menschen,
gemeinsamen Methodologie auf der Grundlage des relevante Forschungsergebnisse und Kurzinterventi-
zwischen 2008 und 2010 von der Europäischen onsansätze für junge Menschen in den beteiligten
Kommission geförderten Projekts „Standardizing Ländern erhoben. Zentrale Aussagen und Empfehlun-
Measurement of Alcohol-Related Troubles (SMART)“ gen, die sich aus der Recherche, Befragung und der
durchgeführt. Teil 2 sah unter Leitung des IFT eine Diskussion mit den Projektpartnern ergaben, wurden
Datenanalyse auf Basis bestehender aktueller nationa- mit 61 europäischen Experten aus Forschung und
ler Surveys zum Alkoholkonsum vor. Für diese Analyse Praxis mittels eines Online-Delphi-Prozesses abge-
wurde ein Protokoll vergleichbarer Variablen erarbeitet stimmt. Die Ergebnisse wurden zusammengefasst und
und eine gemeinsame Datenbank bestehend aus 24 durch aktuelle Forschungserkenntnisse und weitere
Datensätzen aus 20 europäischen Ländern erstellt. Hintergrundinformationen ergänzt.
Neben regionalen Mustern des Alkoholkonsums
wurden insbesondere Einflüsse von Alter, Geschlecht Die Ergebnisse zeigen die unterschiedlichen Ansichten
und sozioökonomischem Status betrachtet. Das Projekt der europäischen Experten zu jugendlichem Alkohol-
machte deutlich, dass die Mehrheit der EU-Mitglied- konsum, es gibt jedoch auch einige Annäherungspunk-
staaten etablierte nationale Befragungen zum Alkohol- te. Wichtig sind vor allem die Differenzierung der
konsum durchführt, die jedoch nur zum Teil internati- Zielgruppe nach Alter sowie spezifische Empfehlungen
onal vergleichbar sind. Besonders schwierig ist die für junge Menschen, ihre Eltern und Fachkräfte, wobei
Vergleichbarkeit von Konsummengen und problemati- genau auf die Formulierung der Empfehlungen
schen Trinkmustern. Informationen zu alkoholbezoge- geachtet werden sollte. Der Fokus sollte auf qualitati-
nen Problemen werden nur in einem kleinen Teil der ven Empfehlungen liegen, bei denen kulturelle Aspekte
Länder regelmäßig erhoben. Die Ergebnisse legen nahe, sowie gesetzliche Rahmenbedingungen beachtet
dass weiterer Harmonisierungsbedarf besteht, um werden.
Surveydaten aus unterschiedlichen Ländern verglei- https://www.lwl.org/LWL/Jugend/lwl_ks/unsere-
chen zu können. Die Festlegung zentraler Kernfragen schwerpunkte-fuer-die-suchthilfe/projekte/start-
und die Entwicklung und Anwendung von Standardre- RARHA
geln für die Transformation nationaler Variablen
werden empfohlen. Durchgeführt von der Bundeszentrale für
www.rarha.eu gesundheitliche Aufklärung

RARHA – Empfehlungen zur Reduzierung alkohol- RARHA – Förderung der Aufklärung zur Alko-
bedingter Schäden bei jungen Menschen holprävention
Innerhalb des Arbeitspakets 5 „Guidelines“ wurden Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
Grundsätze guter Praxis für Leitlinien zum risikoarmen (BZgA) war beim Arbeitspaket 6 von RARHA „Förde-
Alkoholkonsum als Public-Health-Instrument be- rung der Aufklärung zur Alkoholprävention“ als
stimmt. In diesem Rahmen erarbeitete die Koordinati- Co-Lead tätig. Die Hauptverantwortung in diesem
onsstelle Sucht des Landschaftsverbands Westfalen- Bereich trug das National Institut of Public Health
Lippe (LWL) Empfehlungen für die Reduzierung (NIJZ) in Slowenien. Zwölf weitere Mitgliedstaaten
alkoholbedingter Schäden speziell bei jungen Menschen. der EU waren als assoziierte Partner beteiligt.

6_Projekte, Studien, Initiativen


130 

Ziel des Arbeitspakets 6 war es, den Austausch über Information über alkoholbedingte Probleme und
Good Practice bei Aufklärungsmaßnahmen der Risiken rücken positive Verhaltensalternativen in den
Alkoholprävention zwischen den Mitgliedstaaten zu Fokus. Die Internetplattform wird ergänzt durch die
erleichtern und so die Umsetzung von evidenzbasier- Jugendbroschüre „Infos über Alkohol. Wissen was
ten Maßnahmen in Europa zu befördern. Hierzu sollte geht“.
ein Toolkit – in einer Print- und zusätzlich in einer
Online-Fassung – erstellt werden, das zum einen die Seit 2015 wird außerdem die „Voll Power“-Schultour
Kriterien für Good Practice bei der Alkoholprävention entwickelt und erprobt. Ziel ist die Förderung und
transparent darstellt und zum anderen entsprechende Einübung von Lebenskompetenzen mit Bezug zu den
Beispiele aus den Mitgliedstaaten zusammenstellt und Lebenswelten der Jugendlichen. Hierzu werden in
so für andere verfügbar macht. ausgewählten, kooperierenden Schulen Workshops zu
den Themen Tanz, Parcours, Theater, Band und
Das Toolkit ist in der Printfassung unter dem Titel Gesang/Rap angeboten. 2017 soll nach der Auswertung
„Public awareness, school-based and early intervention der Modellprojektphase geprüft werden, inwieweit
to reduce alcohol related harm – A Toolkit for evidence eine bundesweite Implementierung ermöglicht
based good practice“ veröffentlicht worden. Es umfasst werden kann.
26 Good-Practice-Beispiele aus 16 Mitgliedsländern in www.null-alkohol-voll-power.de
drei Bereichen (Aufklärungskampagnen, Schulpro-
gramme, Frühinterventionen). Die Maßnahmen sind Durchgeführt von der Bundeszentrale für
entsprechend einem Bewertungssystem nach verschie- gesundheitliche Aufklärung
denen Evidenzniveaus skaliert.
„Alkohol? Kenn dein Limit.“ – Präventionskampag-
Eine Online-Version des Toolkits ist ebenfalls abrufbar. ne für 16- bis 20-Jährige
Die BZgA hat an der Entwicklung des Toolkits maßgeb- Seit 2009 führt die Bundeszentrale für gesundheitliche
lich konzeptionell und inhaltlich mitgearbeitet. Die Aufklärung (BZgA) – unterstützt durch den Verband
Online-Fassung ist eigenverantwortlich in der BZgA der Privaten Krankenversicherung (PKV) – die größte
entstanden. deutsche Kampagne zur Prävention von Alkoholmiss-
http://www.rarha.eu/Resources/Deliverables/Pages/ brauch durch. Sie richtet sich an 16- bis 20-Jährige mit
details.aspx?itemId=10&lista=Work%20Package%20 dem Ziel, den verantwortungsvollen Umgang mit
6&bkUrl=/Resources/Deliverables/ Alkohol zu fördern und riskante Konsummuster wie
www.rarha-good-practice.eu das Rauschtrinken zu reduzieren.

Durchgeführt von der Bundeszentrale für Die Kampagnenwebseite stellt das zentrale Informati-
gesundheitliche Aufklärung onsmedium dar. Die Facebook-Fanpage, der Kampag-
nenblog und der YouTube-Kanal bieten die Möglich-
„Null Alkohol – Voll Power“ – BZgA-Präventions- keit, in einen direkten Austausch mit der Zielgruppe zu
programm für 12- bis 16-Jährige kommen und auf weiterführende Informationsange-
Das Präventionsprogramm „Null Alkohol – Voll Power“ bote wie Broschüren und Beratung hinzuweisen.
der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung „Alkohol? Kenn dein Limit.“ ist bei über 80 Prozent der
(BZgA) richtet sich an Jugendliche im Alter von 12 bis Zielgruppe bekannt und akzeptiert.
16 Jahren. Das Programm informiert über Alkohol und
hat das Ziel, eine kritische Einstellung zum Alkohol- Unterstützung bei einer Verhaltensänderung hin zu
konsum zu fördern. Um den aktuell rückläufigen einem verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol
Alkoholkonsumtrend der Zielgruppe zu unterstützen, erhalten Nutzer mit dem Online-Programm „Change
soll dabei vor allem der Erstkonsum hinausgezögert your drinking“ auf der Webseite.
und Nichtkonsumierende bestärkt werden. Neben der

6_Projekte, Studien, Initiativen


131 

2016 waren zudem 25 speziell geschulte Peer-Educa- als zwei Millionen Personen mit dem neuen Online-
tors im Alter von 18 bis 24 Jahren im Einsatz, um mit Angebot erreicht werden. Als besondere Zielgruppe
den Jugendlichen auf Augenhöhe über Alkohol und spricht das Präventionsprogramm für Erwachsene
seine Risiken zu reden und zu einem verantwortungs- auch Schwangere und ihre Partner an, um sie für ihre
bewussten Umgang zu motivieren. Sie sprachen mit Verantwortung gegenüber dem ungeborenen Kind zu
mehr als 22.000 Jugendlichen in 85 Städten sowie auf sensibilisieren. In Kooperation mit den wichtigen
Festivals und Veranstaltungen. Berufsverbänden wurden Informationsmaterialien
rund um eine gesunde, alkoholfreie Schwangerschaft
Im Schulbereich war die Kampagne durch die interak- und Stillzeit an Schwangere abgegeben.
tiven Mitmachangebote der BZgA, die Jugendfilmtage www.kenn-dein-limit.de
„Nikotin und Alkohol – Alltagsdrogen im Visier“ und
den BZgA-MitmachParcours „KlarSicht“ präsent. Durchgeführt von der Bundeszentrale für
Seit 2015 wird im Rahmen der Kampagne auch das gesundheitliche Aufklärung
Modellprojekt „Klar bleiben – feiern ohne Alkohol-
rausch“ durchgeführt. Die Präventionsmaßnahme für „Alkoholfrei Sport genießen“
10. Klassen stellt – mit Förderung der PKV – allen Flankierend zu den Kampagnen „Alkohol? Kenn dein
Bundesländern kostenfreie KlarSicht-Koffer für die Limit.“ und „Null Alkohol – Voll Power“ kooperiert die
Präventionsarbeit in Schulen zur Verfügung. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)
mit den Breitensportverbänden im Bereich der
In der Lebenswelt Kommune wird außerdem aktuell Alkoholprävention. Im Mittelpunkt steht die Sensibili-
das Modellprojekt „Gemeinsam initiativ gegen Alko- sierung von Trainern und Trainerinnen und anderen
holmissbrauch bei Kindern und Jugendlichen“ (GigA) erwachsenen Vereinsmitgliedern für den verantwor-
bis 2018 fortgesetzt. Im Rahmen von „Alkohol? Kenn tungsvollen Umgang mit Alkohol im Sportverein. Ziel
dein Limit.“ werden interessierte Bundesländer bei der ist es, dass Erwachsene sich beim Thema Alkohol ihrer
Durchführung von themenspezifischen Länderkonfe- Vorbildfunktion gegenüber Kindern und Jugendlichen
renzen zur kommunalen Alkoholprävention unter- bewusst sind und entsprechend handeln.
stützt.
www.kenn-dein-limit.info Um noch mehr Sportvereine zur Teilnahme an der
www.klarsicht.bzga.de Aktion „Alkoholfrei Sport genießen“, die seit 2011 läuft,
zu motivieren, hat die BZgA im Jahr 2016 gemeinsam
Durchgeführt von der Bundeszentrale für mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB),
gesundheitliche Aufklärung dem Deutschen Fußball-Bund (DFB), dem Deutschen
Turner-Bund (DTB), dem Deutschen Handballbund
„Alkohol? Kenn dein Limit.“ – Präventionspro- (DHB) und dem DJK Sportverband das Aktionsbündnis
gramm für Erwachsene „Alkoholfrei Sport genießen“ ins Leben gerufen.
In Ergänzung zur Jugendkampagne richtet sich Schirmherrin ist die Drogenbeauftragte der Bundesre-
„Alkohol? Kenn dein Limit.“ – Erwachsene an die gierung. Um die meist ehrenamtlichen Kräfte in den
erwachsene Allgemeinbevölkerung mit dem Ziel, Sportvereinen bei der Umsetzung der Aktion zu
riskanten Alkoholkonsum zu vermindern. Das Online- unterstützen, stellt die BZgA eine kostenlose Aktions-
Portal beinhaltet Information, Tests zur Selbstreflexion box zur Verfügung, die unter anderem ein Werbeban-
und Angebote zur Konsumreduktion. Mit der im April ner, T-Shirts, Rezepthefte für alkoholfreie Cocktails
2016 gestarteten Facebook-Seite soll eine Community sowie eine Handlungsanleitung für die Durchführung
aufgebaut werden – in Verbindung mit Anregungen von Aktionen im Sportverein enthält. Auf der Internet-
zur Interaktion und zum Austausch über das Thema seite werden gute Beispiele von teilnehmenden
Alkoholkonsum. Seit dem Start konnten bereits mehr Vereinen vorgestellt. Seit Beginn der Aktion im

6_Projekte, Studien, Initiativen


132 

Oktober 2011 wurden bundesweit rund 6.600 Aktionen Unterstrichen wird die Notwendigkeit weiterer
unter dem Motto „Alkoholfrei Sport genießen“ in Untersuchungen, um die empirische Basis der Er-
Sportvereinen durchgeführt. kenntnisse zu verbreitern und geeignete Präventions-
www.alkoholfrei-sport-geniessen.de maßnahmen abzuleiten.
http://bast.opus.hbz-nrw.de/volltexte/2015/1402/pdf/
Gefördert durch: Bundesministerium für Verkehr M259_barrierefrei.pdf
und digitale Infrastruktur
Gefördert durch: Bundesministerium für Verkehr
Alkoholkonsum und Verkehrsunfallgefahren bei und digitale Infrastruktur
Jugendlichen
Die jährlichen Berichte der Bundeszentrale für Plakataktion gegen Alkohol
gesundheitliche Aufklärung belegen einen regelmäßi- Die Landesverkehrswacht Nordrhein-Westfalen e. V. hat
gen Alkoholkonsum bei Kindern und Jugendlichen, auch 2016 die bundesweite „Plakataktion gegen
entsprechende Verkehrsunfälle können anhand der Alkohol“ durchgeführt. Hierbei waren Großflächenpla-
vorliegenden Statistiken jedoch nur vereinzelt festge- kate in einer Auflagenhöhe von 8.100 Stück im Herbst/
stellt werden. In einem Forschungsprojekt der Bundes- Winter 2016/2017 bundesweit an wechselnden
anstalt für Straßenwesen (BASt) wurde der Frage Standorten zu sehen.
nachgegangen, inwieweit Jugendliche durch Alkohol-
konsum einem erhöhten Unfallrisiko ausgesetzt sind. Mit der Aktion sollte eine Vielzahl von Kraftfahrern
Expertengespräche, qualitative Interviews mit Jugend- erreicht werden. Angestrebt wurden 220 Millionen
lichen, Feldbeobachtungen und eine schriftliche Blickkontakte. Mit der Kampagne soll das Bewusstsein
Befragung mit rund 1.900 Jugendlichen führten zu gestärkt werden, kein Kraftfahrzeug unter Alkoholein-
folgenden Ergebnissen: fluss zu führen. Dadurch soll ein Rückgang von
• Etwa zwei Drittel der befragten 12- bis 22-Jährigen alkoholbedingten Unfällen sowie der damit in Zusam-
waren vor dem 18. Lebensjahr mindestens einmal im menhang stehenden Reduzierung von Verletzten und
Monat übermäßig alkoholisiert mobil. Mit durch- Verkehrstoten erreicht werden.
schnittlich 15 Jahren tritt nicht nur der erste über-
mäßige Alkoholkonsum auf, sondern auch die ersten Medikamente
Situationen alkoholisierter Mobilität finden statt,
vorrangig bei männlichen Jugendlichen. Wenngleich Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit
nur rund 5 Prozent der Befragten eine erlebte gefähr-
liche Verkehrssituation als „echten“ Verkehrsunfall „… da gab es so wunderbare Schlaftabletten“ – Verord-
bezeichneten, verwiesen immerhin etwa 27 Prozent nungen von Benzodiazepinen und Z-Substanzen an der
auf mindestens eine gefährliche Verkehrssituation Schnittstelle von Krankenhaus und Hausarzt
unter Alkoholeinfluss vor dem 18. Lebensjahr. Das Forschungsprojekt der Universität Göttingen
• Von den insgesamt 349 berichteten gefährlichen beleuchtet die Gefahr eines Medikamentenmiss-
Verkehrssituationen gingen etwa ein Drittel mit brauchs bei Schlafproblemen im Krankenhaus und
leichten und rund 7 Prozent mit schweren Verlet- dessen mögliche Folgen. Nahezu die Hälfte aller in
zungen einher. Aber auch die Nichtverletzten einem Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung
verwiesen auf zahlreiche erlebte Gefahren bei ihrer befragten Patienten nimmt während ihres Kranken-
Mobilität unter Alkoholeinfluss. hausaufenthalts mindestens einmal ein Schlaf- oder
• Die alkoholisierten Kinder und Jugendlichen Beruhigungsmittel ein. Dies bestätigt sich auch in der
verunfallten zumeist als Fahrradfahrer und Fußgän- Krankenhausdokumentation. Häufig handelt es sich
ger. In ca. 40 Prozent der Fälle erfolgte eine medizini- bei den Schlafmitteln um Medikamente aus der Grup-
sche Versorgung, von nur rund 20 Prozent dieser pe der Benzodiazepine oder Z-Substanzen. Gerade bei
Alkoholunfälle erlangt die Polizei Kenntnis. älteren Patienten erhöhen diese Substanzen – auch bei

6_Projekte, Studien, Initiativen


133 

einmaliger Gabe – das Risiko eines Sturzes. Viele Pati- Trotz der vorhandenen Akzeptanz des PEF-Ansatzes
enten wünschten in der Befragung ähnliche Medika- (Partizipative Entscheidungsfindung) sowie Förderung
mente bei Schlafproblemen zu Hause. Die Ergebnisse der aktiven Patientenbeteiligung wurden aus Sicht der
einer partizipativen Intervention zur Reduzierung des Ärzte bestimmte Themen nicht ausreichend behandelt,
Schlafmittelgebrauchs werden gegen Ende des Jahres wie zum Beispiel alternative medikamentöse Behand-
2017 vorliegen. lungsmöglichkeiten bei Schlafproblemen und Angst-
störungen sowie spezifische Methoden zum Absetzen
Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit von BZD und Z-Substanzen. Deutlich wurde, dass PEF
eine anwendbare Strategie für die Erstverschreibung
Benzodiazepine und Z-Substanzen – Ursachen der von Benzodiazepinen und Z-Substanzen bei älteren
Langzeiteinnahme und Konzepte zur Risikoreduk- Menschen darstellen kann. Die entwickelten Entschei-
tion bei älteren Patientinnen und Patienten dungstafeln sind jedoch nicht für Erstverschreibungen
Um Risiken und Probleme eines nicht bestimmungsge- konzipiert, sondern vor allem für den Einsatz bei
mäßen Langzeitgebrauchs von Benzodiazepinen (BZD) Patienten mit Langzeiteinnahme geeignet. Für die
und Z-Substanzen unter älteren Menschen zu untersu- Erstverschreibungen sollten symptomorientierte
chen, befragte das Zentrum für Interdisziplinäre evidenzbasierte Entscheidungshilfen eingesetzt
Suchtforschung (ZIS) Hamburg 509 Versicherte der werden, die alle möglichen Alternativinterventionen
AOK Nord/West und Apothekenkunden. Ergänzend inklusive der medikamentösen Behandlung mit BZD
wurden Interviews mit Ärzten und betroffenen alten und Z-Substanzen beinhalten und ihre Vor- und
Menschen sowie vier Fokusgruppen mit Patienten, Nachteile übersichtlich darstellen. Es lässt sich jedoch
Ärzten, Apothekern und Pflegekräften durchgeführt. eine hohe Unsicherheit bei älteren Patientinnen und
Der Frauenanteil der nach Verschreibungsverhalten Patienten feststellen, die vorgeschlagenen alternativen,
(leitliniengerecht vs. leitlinienabweichend) stratifizier- nicht medikamentösen Behandlungen auszuprobieren.
ten Stichprobe lag bei 68 Prozent, der Altersdurch- Eine ähnliche Rückmeldung betrifft das Absetzen der
schnitt bei 71 Jahren. Z-Substanzen, vor allem Zopiclon, Medikamente. Aus Sicht der Befragten reicht eine
wurden am häufigsten eingenommen. BZD werden Information nicht aus, um die Einnahme von BZD und
eher leitliniengerecht bei psychischen Symptomen Z-Substanzen zu verändern.
verordnet. Auffällig ist, dass sich besonders in der www.zis-hamburg.de
Gruppe der Personen mit leitlinienabweichenden
Verschreibungen die Anzahl an Beschwerden und www.psychenet.de/psychische-gesundheit/informatio-
Symptomen, die der Einnahme zugrunde liegen, seit nen/schlaf-und-beruhigungsmittel.html
Behandlungsbeginn erhöht hat. Über die Hälfte der
befragten Personen gab keine Nebenwirkungen an. Informationen zum Projekt Phar-Mon NPS (Informa­
Bezogen auf Absetzversuche der Medikamente wird tionssystem zu neuen psychoaktiven Stoffen und
deutlich, dass diese häufig keine von ärztlicher Seite Medikamenten) finden Sie im Projekteteil zu illegalen
begleiteten und vorbereiteten Maßnahmen, sondern Drogen.
für Patienten unvorhergesehene Verweigerungen von
Anschlussrezepten sind. Der Gruppe der problemati-
schen Medikamentengebraucher können 46 Prozent
der Personen mit leitliniengerechten Verschreibungen
zugerechnet werden und 60 Prozent jener mit leitlinie-
nabweichenden Verschreibungen.

Die ärztliche Schulung wurde zwar nur in einem


vergleichsweise geringen Umfang nachgefragt, weist
aus Sicht der Teilnehmer aber eine hohe Qualität auf.

6_Projekte, Studien, Initiativen


134 

Illegale Drogen
Zur Erhöhung der Reichweite des Projekts wurde eine
Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit neue Webseite erstellt und das Projekt konnte bei zwei
europäischen Konferenzen vorgestellt werden.
BEST – Schulungsprogramm zur Gesundheits­ www.best-clubbing.de
förderung im Partysetting (BEST Transfer)
Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit

S3-Leitlinie „Methamphetamin-bezogene
Störungen“
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, die
Bundesärztekammer und die Deutsche Gesellschaft für
In Kooperation mit der LiveKomm hat Fixpunkt e. V. Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und
ein Schulungsprogramm zur Gesundheitsförderung im Nervenheilkunde haben hochwertige Handlungsemp-
Partysetting (modulares, settingbezogenes, zielgrup- fehlungen für die Behandlung Methamphetamin-
penspezifisches Fortbildungskonzept) entwickelt und Abhängiger vorgelegt. Eine Gruppe von ausgewiesenen
erfolgreich erprobt. Mitarbeitende aus dem Partybe- Experten hat sie unter Berücksichtigung der systema-
reich (Clubs, Diskotheken, Security, Festivals, Veranstal- tisch aufbereiteten, aktuellen Literatur gemeinsam
ter) werden in ihrer Gesundheits-, Risiko- und Drogen- entwickelt. Ihr gehörten neben Ärzten unterschiedli-
kompetenz geschult. cher Fachrichtungen auch Vertreter der Psychothera-
pie, der Pflege, der Sozialarbeit und der Selbsthilfe an.
Im Rahmen der Transferphase 2016 wurde das Schu-
lungsprogramm inhaltlich aktualisiert und um zwei Innerhalb von nur 18 Monaten haben die Experten die
weitere Module ergänzt. Die Module richten sich internationale Literatur zur Therapie Methampheta-
teilweise speziell an Fachkräfte, die in unterschiedli- min-bezogene Störungen systematisch recherchiert,
chen Bereichen tätig sind (Bar, Gästebetreuung, bewertet und in einem streng formalen Konsenspro-
Verantwortliche). zess insgesamt 135 Empfehlungen ausgesprochen. Sie
• Assessment/Re-Assessment beschreiben umfassend die Diagnostik, Akut- und
• M 1: Organisationsentwicklung „BEST Clubbing“ Postakuttherapie. Einen besonderen Schwerpunkt legt
• M 2: Gesundheitskompetenz in der Gästebetreuung die Leitlinie zudem auf die Behandlung von Komorbi-
• M 3: Gesundheitskompetenz an der Bar ditäten sowie auf bestimmte Personengruppen wie
• M 4: Erste Hilfe, Infektions- und Arbeitsschutz Schwangere und junge Mütter, homosexuelle Männer
• M 5: Konsumkompetenz-Training und durch Methamphetamin-Konsum gefährdete
• M 6: Neue psychoaktive Stoffe (neu) Angehörige im Kontext von Partner- und Elternschaft.
• M 7: Chemsex (neu) Auch Rückfallprophylaxe und Schadensminimierung
• Infostand/Präsenz der Trainerinnen und Trainer im werden thematisiert.
Anschluss an die Schulung
Das Projekt wurde gemeinsam mit Projekten der In einem Anhang bietet die Leitlinie zudem wichtige,
akzeptierenden Partydrogenarbeit und Gesundheits- praxisbezogene Handreichungen für alle, die an der
förderung realisiert, die das „BEST-Netzwerk“ bilden. Es Versorgung und Betreuung von Menschen mit
besteht mittlerweile aus acht Kooperationspartnern im Methamphetamin-bezogener Störung beteiligt sind.
Bundesgebiet: Chill out (Potsdam), manCheck (Berlin), Dazu gehören unter anderem eine ausführliche
Enterprise 3.0 (Nürnberg), ApoTheke (Dresden), Checkliste zur Suchtmittel-Anamnese und eine
Partyprojekt Odyssee (Kiel/Hamburg), Alice Project Auflistung von Kontaktadressen im Suchthilfesystem.
(Frankfurt a. M.), Drugscouts (Leipzig) und Fixpunkt Die Arbeit hat gezeigt, dass viele Erkenntnisse zur
Partyteam (Berlin). Behandlung Methamphetamin-bezogener Störungen

6_Projekte, Studien, Initiativen


135 

noch nicht durch hochwertige Studien abgesichert Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit
sind. Hier sehen die Experten dringenden Forschungs-
bedarf Forschungsprojekt „Crystal Meth und Familie II“
www.crystal-meth.aezq.de Bisherige Forschungsbefunde zu den Lebenswelten
von Kindern Methamphetamin-abhängiger Eltern
Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit zeigen ein konsistent komplexes und kritisches Bild.
Neben einem ungünstigen soziodemografischen
Selbsthilfeportal Breaking-Meth.de Hintergrund und diskontinuierlichen familiären Bezie-
hungen sind es vor allem die durch die Substanz
Crystal Meth bedingten Verhaltensänderungen der
Eltern, die für die oftmals jungen Kinder eine große
Belastung darstellen.

Am Deutschen Institut für Sucht- und Präventionsfor-


Breaking Meth ist ein Selbsthilfeportal für Menschen schung der Katholischen Hochschule NRW in Köln
mit Methamphetamin-bezogenen Störungen. Es wurde wird ein Gruppenprogramm für Methamphetamin-
vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung abhängige Eltern mit Kindern zwischen null und acht
(ZIS) Hamburg entwickelt und wird aktuell im Rahmen Jahren entwickelt. Im Mittelpunkt stehen die Stärkung
eines Forschungsvorhabens für unterschiedliche von Elternkompetenzen und Familienresilienz, die
Nutzergruppen optimiert. Der Betrieb erfolgt in Stabilisierung von Substanzabstinenz sowie die
Kooperation mit dem szenenahen Präventionsprojekt Förderung der weiteren Inanspruchnahme von Hilfen.
„Drug Scouts“ der SZL Suchtzentrum gGmbH Leipzig. Dadurch soll auch die psychische Gesundheit mitbe-
Weitere Unterstützung erhält das Projekt durch die troffener Kinder verbessert werden.
AOK PLUS Sachsen und Thüringen.
Das Elterntraining „SHIFT“ verfügt über acht Module
Das Portal legt besonderen Wert auf den Schutz der sowie eine kurze, vorgeschaltete Clearing-Phase.
Mitglieder. So werden Beiträge von Nutzern, die Inhaltlich und didaktisch orientiert sich die Interventi-
Suchtdruck auslösen können, mittels einer Warnfunk- on an aktuellen Forschungsergebnissen und bewährten
tion im Kommunikationsfluss ausgeblendet. Die Mode- sucht- und verhaltenstherapeutischen Techniken und
ratoren steuern regelmäßig aktivierenden Input bei. Programmen. Die themenspezifischen Module haben
Durch verschiedene virtuelle Kommunikationsräume eine Dauer von jeweils 60 Minuten. Didaktische
werden unterschiedliche Nutzergruppen angespro- Elemente sind zum Beispiel Psychoedukation, Arbeits-
chen. Mit Unterstützung des US-amerikanischen blätter oder Rollenspiele. Das Programm wird an
Buchautors Joseph Sharp, eines ehemaligen Crystal- sieben Praxisstandorten in besonders von Crystal
Abhängigen, wird das Angebot nun durch eine online Meth-Konsum betroffenen Regionen (Sachsen und
verfügbare deutsche Fassung des Selbsthilfebuches Thüringen) in Tandemkooperation von Sucht- und
„Quitting Crystal Meth“ erweitert. Die Mitgliedschaft Jugendhilfeeinrichtungen implementiert. Zur Über-
im Portal steht allen Betroffenen offen, ist anonym und prüfung und Bewertung der Intervention wird ein
kostenfrei. Aufgrund der sorgfältigen Moderation kann hochqualitatives Evaluationsdesign eingesetzt, welches
das Angebot sowohl für noch Konsumierende mit eine umfassende Prozess- und Wirksamkeitsevaluation
Abstinenzwunsch als auch für bereits Abstinente zur auf Basis eines randomisiert-kontrollierten For-
Rückfallprophylaxe und sozialen Unterstützung schungsdesigns mit Prä-, Post- und Follow-up-Mes-
empfohlen werden. sungen anhand standardisierter Erhebungsinstrumen-
https://breaking-meth.de te beinhaltet.
www.shift-elterntraining.de

6_Projekte, Studien, Initiativen


136 

Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit wird unter anderem über einen Abschlussworkshop
mit Fachkräften Ende 2017 sichergestellt.
Studie Crystal-Konsum von Frauen www.tifs.de
Die Droge Crystal Meth stellt das Hilfesystem vor neue
Herausforderungen. Frauen sind dabei bisher kaum – Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit
und wenn dann nur in Bezug auf Schwangerschaft und
Mutterschaft – in den Fokus gerückt. Das Bild eines Frühintervention für erstauffällige (Crystal Meth-)
„typischen Konsumierenden“ ist eher männlich ge- Amphetaminkonsumenten – Erweiterung des
prägt, obwohl Frauen laut internationalen Studien ein FreD-Programms – „FreD – ATS“
Drittel der Konsumierenden stellen. Aus Perspektive Mit „FreD – ATS“ wird das bereits erfolgreich erprobte
der Geschlechterforschung und der Beratungspraxis und bundesweit implementierte Frühinterventions-
ergibt sich die These, dass der Konsum von Crystal programm „FreD“ ergänzt. Vor dem Hintergrund, dass
Meth durch Frauen mit gesellschaftlichen Rollener- bislang kein selektives Früh- und Kurzinterventionsan-
wartungen an Frauen verknüpft ist. gebot für erstauffällige Crystal Meth-Konsumierende
bestand, wird mit dem Projekt „FreD-ATS“ genau diese
Ziel der Untersuchung ist es deshalb, verschiedene Lücke geschlossen. Mit der Manualergänzung ist es
Konsummotive, Komorbiditäten, Konsumpraktiken möglich, „FreD“-Kurse gezielt für erstauffällige Konsu-
und -kontexte von Crystal-konsumierenden Frauen menten von (Crystal Meth-)Amphetamin bzw. Amphe-
sowie deren Wünsche an das Hilfesystem zu erheben tamin-Typ Stimulanzien (ATS) anzubieten. Im Kern
und darüber geschlechtersensible Ansatzpunkte für bleibt die „FreD“-Intervention bestehen und berück-
Prävention und Beratungspraxis zu ermitteln. sichtigt dabei die vereinbarten Qualitätskriterien.
Allerdings wurden Kursinhalte angepasst, aktualisiert
Den Auftakt der Studie bildete ein Workshop mit und Schwerpunkte neu ausgearbeitet. Nach einer
Mitarbeitenden der Gesundheits- und Drogenhilfe in Auftaktveranstaltung in Sachsen wurde die konkrete
Nürnberg und Umgebung. Weitere leitfadengestützte Anpassung der Konzeption des FreD-Programms in
Interviews mit Expertinnen und Experten im Laufe des einem dreitägigen Expertenworkshop erarbeitet. Die
Forschungsprozesses folgten. regional besondere Betroffenheit wurde in der Zusam-
mensetzung dieser Arbeitsgruppe berücksichtigt, die
Der Schwerpunkt der Studie liegt auf 20 bis 25 Teilnehmenden kamen aus den Bundesländern Bayern,
biografisch eröffneten, episodischen, leitfadengestütz- Sachsen und Thüringen und wurden durch Experten
ten Interviews, welche seit September 2016 mit aus Nordrhein-Westfalen sowie FreD-Lehrtrainer
Crystal-Konsumentinnen durchgeführt werden. Der ergänzt. Außerdem wirkten weitere Experten aus der
Zugang zur Zielgruppe wird über die Beratungsstelle Medizin und den Rechtswissenschaften bei der
Lilith e. V. Nürnberg und deren Vernetzung im Hilfe- FreD-Ergänzung mit.
system gewährleistet. Auf Basis der Erkenntnis, dass
die Gruppe der Konsumentinnen dieser Droge äußerst 50 bereits zertifizierte Trainer konnten die Inhalte in
heterogen ist, wird auf ein möglichst kontrastreiches Theorie und Praxis kennenlernen und weitere 38
Sample geachtet. Dazu gehört auch, dass ehemalige wurden neu zertifiziert. Die meisten von ihnen
Drogenkonsumentinnen einbezogen werden. Die stammen aus den Schwerpunktregionen. Im Projekt-
Studie wird in Kooperation zwischen dem For- zeitraum haben sich zwölf neue FreD-Standorte
schungsinstitut tifs e. V. und der Universität Tübingen gegründet. An einigen Standorten kommt die Ergän-
durchgeführt. Am Ende des Projekts entsteht ein zung bereits zur Anwendung. Die so gesammelten
Forschungsbericht inklusive Leitfaden für die ge- Erfahrungen fließen in die weitere Überarbeitung des
schlechtersensible Beratung von Crystal-Konsumen- Manuals ein, welches seit Februar 2017 den FreD-
tinnen. Die praxisnahe Verwendung der Ergebnisse Trainern zur Verfügung steht. Das Projekt wird von

6_Projekte, Studien, Initiativen


137 

der Koordinationsstelle Sucht des Landschaftsver- Beim 7. Bundeswettbewerb „Innovative Suchtpräventi-


bands Westfalen-Lippe durchgeführt und von der on vor Ort“ in 2016 haben sich innovative Maßnahmen
FOGS GmbH Köln evaluiert. und Projekte auch im Bereich der suchtstoffspezifi-
www.lwl-fred.de schen Prävention zu Crystal Meth platziert. Zwei
ausgezeichnete kommunale Präventionsprojekte
Gefördert durch: Bundesministerium für Verkehr werden derzeit von der BZgA gefördert, um sie auf ihre
und digitale Infrastruktur Effektivität sowie auf Transfermöglichkeiten zu
überprüfen. Ziel ist es, künftig weiteren betroffenen
Prävention des Konsums von Crystal Meth und interessierten Kommunen qualitätsgeprüfte
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Präventionsansätze zur Verfügung zu stellen.
(BZgA) zielt mit ihrem Programm zur Prävention des
Methamphetamin-Konsums auf die Reduktion des
Konsums in den jeweiligen Risikogruppen. Im Wesent- Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit
lichen werden folgende Teilschritte umgesetzt:
• Verbesserung der epidemiologischen Grundlagen „Spotting“ – better than Crystal! Kletterprojekt
zum Methamphetamin-Konsum in den Bundeslän- der mudra Drogenhilfe Nürnberg
dern
• Vermittlung problemrelevanter Informationen in die
jeweiligen Zielgruppen
• Förderung der Verhaltensänderungsbereitschaft
• Erhöhung der Bekanntheit von Hilfeangeboten
(regional und bundesweit)
• Kooperationsmaßnahmen mit anderen Institutionen
zum Themenbereich Das Projekt, welches sich an junge Risikokonsumieren-
de von Crystal Meth bzw. Amphetaminen richtet,
Zur Erfassung von Konsumtrends in besonders findet in Kooperation mit den Peers (ehemaligen
betroffenen Bundesländern zu relevanten Aspekten Konsumierenden) des Mountain Activity Club (MAC)
des Methamphetamin-Gebrauchs wurde 2016 eine statt. Das Ziel des Projekts, das mittlerweile über die
Untersuchung zur Identifikation regionalspezifischer deutschen Grenzen hinaus bekannt ist, besteht darin,
Besonderheiten begonnen. Diese untersuchte die mit gezielten, drogenfreien, aber erlebnisintensiven
Prävalenz des Umgangs mit Suchtmitteln, unter Angeboten aus dem Bereich des Alpinsports die
anderem Methamphetamin, von 7.297 Schülerinnen Entstehung einer manifesten Drogenproblematik zu
und Schülern der Jahrgangsstufen 9 und 10 in den verhindern. Kern des Projekts sind sowohl die zweimal
Grenzregionen Sachsens und Bayerns zur Tschechi- wöchentlich stattfindenden Bouldertrainings als auch
schen Republik (im Vergleich zu Schülerinnen und sogenannte CleanClimbingCamps in europäischen
Schülern in Hamburg und Nordrhein-Westfalen). Kletter-/Bouldergebieten. „Spotting“ ist mittlerweile
Ausgewählte Best-Practice-Materialien wurden ein fester und geschätzter Bestandteil des regionalen
nachgedruckt und bundesweit zur Verfügung gestellt. Hilfesystems geworden, dessen Verlauf als durchweg
Zur Vermittlung von Präventionsansätzen an Fachkräf- positiv zu bewerten ist. Inzwischen sind über 450
te und Akteure im Gesundheits- und Bildungswesen Teilnahmen zu verzeichnen, 40 Personen nahmen
sowie zur Information und Unterstützung für konsu- wiederholt an den regelmäßigen Kletterterminen teil.
mierende und konsumgefährdete Zielgruppen, deren Zudem konnten weitere Peers aus dem Kreis der
Betreuende und Angehörige wurde darüber hinaus mudra-Klientinnen und -Klienten für eine dauerhafte
Unterrichtsmaterial für Schulen für den Einsatz ab Mitarbeit im Projekt gewonnen werden.
Klasse 8 entwickelt. http://www.mudra-spotting.de/

6_Projekte, Studien, Initiativen


138 

Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit im Rahmen des Projekts an CAN-Stop-Trainings teil.
Bis auf eine Anstalt haben alle teilnehmenden Einrich-
„CAN Stop Intramural“ – Implementierung des tungen des Strafvollzugs die Fortführung der CAN-
Gruppentrainings „CAN Stop gegen Cannabiskon- Stop-Trainings im Vollzugsalltag signalisiert. In einer
sum“ in Einrichtungen des Jugendstrafvollzugs in Fachkonferenz werden die gesammelten Erfahrungen
Deutschland länderübergreifend ausgetauscht und gebündelt.

Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit

CAPRIS – Cannabis: Potenzial und Risiken.


Eine wissenschaftliche Analyse
Das Ziel des Projekts besteht darin, das vom Deutschen In den letzten 25 Jahren zeigte sich eine erstaunlich
Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters rasante Entwicklung der wissenschaftlichen Erkennt-
(DZSKJ) entwickelte und erfolgreich evaluierte Grup- nisse über die Wirkung von Cannabinoiden, den
penprogramm „CAN Stop gegen Cannabiskonsum“ bei Inhaltsstoffen der Hanfpflanze Cannabis sativa. Um die
Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Jugend- Risiken des Cannabiskonsums zum Freizeitgebrauch
strafvollzug zu implementieren. und das Potenzial von Cannabinoiden als Arzneimittel
adäquat einschätzen zu können, ist ein kontinuierli-
Das Projekt „CAN Stop Intramural“ setzt sich zum Ziel, cher Abgleich des aktuellen Forschungsstandes
den Cannabiskonsum im Rahmen einer indizierten, notwendig. In diesem Forschungsprojekt werden der
evidenzbasierten Prävention in einer besonders aktuelle wissenschaftliche Kenntnisstand zu den
gefährdeten und jenseits der Jugendstrafe schwer Risiken des Freizeit-Cannabiskonsums sowie das
erreichbaren Zielgruppe zu verringern. Cannabiskon- Potenzial von Cannabinoiden als Arzneimittel darge-
sum ist mit erheblichen gesundheitlichen und psycho- stellt. Es soll eine objektive, valide und an der besten
sozialen Risiken verbunden, gleichzeitig aber unter wissenschaftlichen Evidenz orientierte Bewertung
Jugendstrafgefangenen weitverbreitet: sowohl vor als 1.) der kurz- und langfristigen psychischen, organi-
auch während der Haft. schen und sozialen Folgen des Konsums von pflanzli-
chen und synthetischen Cannabisprodukten zum
Mithilfe des Projekts wurden die Voraussetzungen Freizeitgebrauch sowie 2.) der Indikation/Kontraindi-
dafür geschaffen, dass das CAN-Stop-Training auch kation bzw. der kurz- und langfristigen Wirksamkeit
über das Projektende hinaus in Einrichtungen des (positiv, fehlend, unerwünscht) von Cannabisarznei-
deutschen Jugendstrafvollzugs dauerhaft durchgeführt mitteln und dem Kenntnisstand zur Selbstmedikation
werden kann. Bei der Implementierung förderliche erfolgen. Unter der Leitung von Dr. Hoch (München)
und hemmende Elemente wurden dabei erfasst, und PD Dr. Schneider (Heidelberg) wird ein umfassen-
ebenso die Akzeptanz des Trainings auf Ebene der des systematisches Review der internationalen
teilnehmenden Gefangenen, der Durchführenden und Literatur nach den höchsten wissenschaftlichen
der zuständigen Leitung. Standards durchgeführt. Für die zu bearbeitenden
Themenbereiche werden klinische Fragen formuliert,
Insgesamt wurden 110 Fachkräfte verschiedener systematische Literaturrecherchen durchgeführt,
Berufsgruppen zu CAN-Stop-Trainern ausgebildet. Der eingeschlossene Studien methodisch und inhaltlich
im Rahmen des CAN-Stop-Trainings verfolgte Laien- bewertet sowie Evidenzgrade und „Risk of Bias“-
traineransatz, das heißt der Einbezug von Personen als (Verzerrungspotenzial-)Einschätzungen vergeben. In
Trainer, die nicht explizit therapeutisch ausgebildet Zusammenarbeit mit 20 internationalen und nationa-
sind, wurde dabei berücksichtigt. Insgesamt 127 junge len Cannabinoid-Experten erfolgt eine auf einer
Gefangene mit Cannabisproblemen im Alter zwischen Synopsis der Evidenz basierende Beantwortung der
16 und 28 Jahren nahmen in 17 Trainingsdurchläufen klinischen Fragen. Für den Freizeitgebrauch von

6_Projekte, Studien, Initiativen


139 

Cannabinoiden wird ein Risikoprofil erstellt, für den Teilnehmer spielerisch motiviert, ihre selbst gesteckten
Gebrauch von Cannabisarzneimitteln ein Nutzen- Konsumziele einzuhalten. Durch die vom Klienten
Risiko-Profil erarbeitet. Motive, Erwartungen und freigegebenen Tagebucheintragungen ist es den
Folgen eines nicht ärztlich verordneten Cannabisge- Beratern möglich, die Konsumentwicklung zeitnah zu
brauchs werden ebenfalls untersucht. Die Recherchear- verfolgen. Umgekehrt können die Berater ihren
beiten werden im März 2017 abgeschlossen. Die Klienten über das Modul eine Rückmeldung zu ihren
Expertise wird danach publiziert. Tagebucheintragungen schreiben. Somit erhalten
http://www.crd.york.ac.uk/PROSPERO/display_record. Nutzer eine schnelle Rückmeldung über ihr persönli-
asp?ID=CRD42016033249 ches Konsumverhalten. Derzeit wird der Einsatz des
„Realize it“-SMART-Books in 22 Beratungsstellen
Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit deutschlandweit getestet. Der Implementierungspro-
zess wird evaluativ begleitet. Hierzu werden sowohl die
Ausstiegsprogramm „Realize it!“ Programmnutzer als auch die beteiligten Berater zu
ihren Erfahrungen und ihrer Einstellung gegenüber
dem Programm regelmäßig befragt. Das Projekt wird
von der Delphi Gesellschaft für Forschung, Beratung
und Projektentwicklung mbH durchgeführt.
https://www.realize-it.org
Cannabis ist die am häufigsten konsumierte illegale
Substanz in Europa. Betroffenen, die ihren Cannabis- Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit
konsum reduzieren oder einstellen wollen, bietet seit
knapp zehn Jahren das Programm „Realize it“ in 80 ATTUNE: Understanding Pathways to Stimulant
teilnehmenden Beratungsstellen deutschlandweit Use: a mixed-methods examination of the indivi-
einen niedrigschwelligen Einstieg in den Ausstieg. dual, social and cultural factors shaping illicit
Innerhalb von zehn Wochen werden in fünf Einzelsit- stimulant use across Europe
zungen und einer Gruppensitzung Risikosituationen,
Kontrollstrategien und Alternativen zum Konsum
besprochen. Zentraler Bestandteil des Programms ist
das „Realize it“-Begleitbuch für die Klienten. Seit März
2016 ist das Begleitbuch nun auch für das Smartphone
verfügbar – und kann unter der Adresse www.realize-it.
org jetzt online immer und überall genutzt werden. Ziel des derzeit europaweit größten Projekts zum
Das sogenannte SMART-Book hält, wie auch die Amphetaminkonsum ATTUNE ist es, Konsumverläufe
gedruckte Version des Begleitbuchs, für die Teilnehmer von Nutzern amphetaminartiger Substanzen (ATS) in
Informationen rund um den Ausstieg bereit. Kern des fünf europäischen Ländern zu untersuchen. So sollen
Begleitbuchs ist jedoch das Konsumtagebuch, das über beispielsweise Gründe ermittelt werden, warum
den gesamten Verlauf des Programms eingesetzt wird manche Personen mit dem Konsum von ATS beginnen,
und mit dessen Hilfe die Selbstbeobachtung bzw. die andere aber nicht, obwohl beide Gruppen die Möglich-
Reflexion der eigenen Verhaltensänderung ermöglicht keit hätten, zum Beispiel weil in ihrem sozialen Umfeld
wird. Für Nutzer erhöht sich dadurch die Attraktivität ATS konsumiert werden. Durch die Erhebung und
des Programms. Aufseiten der Beratungsstellen soll der Analyse individueller „Konsumkarrieren“ sollen
Beratungsprozess noch stärker strukturiert und potenzielle Risiko- bzw. Resilienzfaktoren identifiziert
interaktiv werden. Die mobile Nutzung auf dem werden, die den Konsum beeinflussen und mit einem
Smartphone erleichtert den Programmteilnehmern Wechsel hin zu riskantem bzw. abhängigem ATS-
vor allem die Eintragungen ins Konsumtagebuch. Gebrauch in Zusammenhang stehen können.
Durch Gamification-Komponenten werden die

6_Projekte, Studien, Initiativen


140 

ATTUNE wird im Rahmen von ERANID (European in der S3-Leitlinie empfohlen. Den Schwerpunkt der
Research Area Network on Illicit Drugs) gefördert. zwölfmonatigen Behandlung bilden gruppentherapeu-
Federführend für das Gesamtprojekt ist das Zentrum tische Angebote, die Einbeziehung von Angehörigen
für interdisziplinäre Suchtforschung der Universität und Selbsthilfe sowie die Möglichkeit der zielgruppen-
Hamburg (ZIS). Partner sind Großbritannien, die spezifischen Ausrichtung (zum Beispiel für Frauen oder
Tschechische Republik, die Niederlande und Polen. Familien). Dabei wird ein integrativer Ansatz von kog-
nitiv-behavioralen, psychoedukativen, familienthera-
Für das Projekt wurde ein Mixed-Methods-basiertes peutischen und Elementen der Rückfallprävention
Forschungsdesign entwickelt, das aus zwei Modulen verfolgt. Angewendet werden kann MATRIX im Prinzip
besteht. Im qualitativen Modul 1 werden insgesamt von allen professionellen Helfern im ambulanten oder
270 halbstrukturierte Interviews mit unterschiedlichen stationären Kontext, die in die Behandlung bzw. Be-
Konsumierendengruppen geführt. Die gewonnenen treuung von Methamphetamin-Konsumenten invol-
Erkenntnisse fließen in die Konstruktion des Fragebo- viert sind.
gens für das quantitative Modul 2 ein. Dort werden www.suprat.de/matrix.html
insgesamt 2.000 Personen mit einem standardisierten
Fragebogen befragt. Die Rekrutierung der Befragungs- Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit
personen wird über die Methode des „snowball
sampling“ realisiert. Zunächst sollen Konsumierende in Neue psychoaktive Stoffe: Transnationales Projekt
Drogenberatungsstellen für die Studie gewonnen zu unterschiedlichen Gruppen von Konsumieren-
werden. Diese können als „seeds“ den Zugang zu den, Charakteristika von Konsumierenden, Präva-
Konsumierenden ermöglichen, die nicht in Kontakt lenzraten, Konsummustern, Marktdynamiken und
mit dem Hilfesystem stehen. Auch in geeigneten Best-Practice-Modellen für die Prävention (NPS
Internetforen und sozialen Netzwerken sollen Teilneh- transnational)
mende rekrutiert werden. Die Ergebnisse des Projekts
können dazu dienen, neue Präventionsangebote für
ATS-Konsumierende zu entwickeln bzw. bereits
bestehende anzupassen.
www.zis-hamburg.de/projekte

Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit


Das transnationale EU-Projekt befasst sich mit der
MATRIX – deutschsprachiges Therapieangebot für Verbreitung und den Charakteristika des Gebrauchs
Stimulanzienabhängige von neuen psychoaktiven Stoffen in sechs Mitgliedslän-
Die bisherige Lücke hinsichtlich etablierter deutsch- dern der EU (Deutschland, Ungarn, Irland, Niederlande,
sprachiger Therapiematerialien zur Behandlung von Polen und Portugal). Drei Gruppen von Konsumenten
Stimulanzienabhängigen wurde durch das Erscheinen werden dazu untersucht: (a) sozial margi­nal­isierte
des Therapieangebotes MATRIX verringert. SuPraT Gebraucher, (b) Gebraucher aus der Partyszene und (c)
(Suchtfragen in Praxis und Theorie e. V.) hat das kom- internetaffine Gebraucher. Der Vergleich dieser drei
plette Therapiepaket ins Deutsche übersetzt sowie Gruppen stellt dabei einen neuartigen Ansatz in der
inhaltlich an die Gegebenheiten des hiesigen Hilfesys- Forschung zu diesem Thema dar. Ziele sind unter
tems angepasst. anderem die Bestimmung des Ausmaßes und der
Muster des Gebrauchs, der Unterschiede zwischen den
Das MATRIX-Modell der ambulanten Intensivbehand- drei Zielgruppen und Erkenntnisse über Marktdynami-
lung bei Störungen durch Stimulanzienkonsum bietet ken. Außerdem werden die jeweiligen rechtlichen
ein umfassendes, strukturiertes und evaluiertes Be- Regelungen der einzelnen Länder berücksichtigt und
handlungspaket für Erwachsene und ist ausdrücklich Präventionsmaßnahmen untersucht. Auf diese Weise

6_Projekte, Studien, Initiativen


141 

können Best Practices identifiziert und EU-weit verbrei- nahmen. Gerade in einem sich so schnell ändernden
tet werden. Bereich wie dem der neuen psychoaktiven Stoffe ist
die Berücksichtigung besonders konsumnaher
Für jedes Land wurden prägnante Länderberichte zum Personengruppen von großer Bedeutung, da diese
Thema verfasst (State of the Art), je acht Experteninter- neue Entwicklungen sehr schnell aufnehmen. Phar-
views zu Präventionsmaßnahmen durchgeführt, eine Mon NPS ist ein integratives Informationssystem mit
Webpräsenz (Internetseite, soziale Medien) etabliert Frühwarncharakter für die Bereiche neue psychoakti-
und die Daten bei den drei Gruppen von NPS-Gebrau- ve Stoffe (NPS) und Medikamente, welches am Institut
chern erhoben. Letzteres erfolgte mittels einer Online- für Therapieforschung in München (IFT) durchgeführt
Befragung und Face-to-Face-Interviews, die derzeit wird. Kernpunkt ist eine aktuelle und systematische
ausgewertet werden. Insgesamt sollten in jedem Land Datensammlung zur Konsum- und Missbrauchssitua-
(mindestens) 350 Konsumenten befragt werden tion.
(75 sozial marginalisierte Gebraucher, 150 Party-
Gebraucher, 125 internetaffine Gebraucher). Im Laufe Das Projekt ist durch seinen Netzwerkcharakter und
der Erhebung zeigte sich indes, dass mit einer Ausnah- eine möglichst hohe Flexibilität gekennzeichnet. Die
me (Polen) in keinem der Länder alle drei Teilstichpro- Datenerhebung in den Jahren 2014 bis 2016 erfolgte
ben komplett erfüllt werden konnten, was auf eine in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen (Medikamen-
länderbezogen sehr unterschiedliche Verbreitung von te), in Kooperation mit Partyprojekten (NPS), der
NPS in den drei Zielgruppen hindeutet. Allerdings wur- externen Suchtberatung in Justizvollzugsanstalten
de unter anderem in Deutschland die Zielgröße für (NPS), Giftinformationszentralen (Medikamente und
„Internetaffine“ deutlich übererfüllt, sodass mit insge- NPS) und Beratungsstellen (NPS). Hierfür wurden
samt über 3.500 Befragten eine bemerkenswert große standardisierte Erhebungsinstrumente entwickelt
Stichprobe vorliegt. Bereits in den Länderberichten bzw. die Standarddokumentationen der Einrichtun-
und den Experteninterviews deuteten sich große gen genutzt.
Unterschiede zwischen den Ländern im Hinblick auf
die NPS-Verbreitung in unterschiedlichen Gruppen In den ambulanten Suchthilfeeinrichtungen wurden
sowie auf konsumierte Substanzen an: Während in die meisten Missbrauchsnennungen aus den Arznei-
Deutschland oder Ungarn synthetische Cannabinoide mittelgruppen Analgetika, Sedativa/Hypnotika und
die wichtigste Substanzkategorie sind, beschränkt sich Substitutionsmittel gezählt. Die in der Partyszene am
der Konsum etwa in den Niederlanden überwiegend häufigsten genannten neuen psychoaktiven Stoffe
auf Amphetaminderivate und Cathinone. Das For- waren Kräutermischungen und 2C-Verbindungen.
schungsprojekt wird vom Centre for Drug Research an Auch aus Justizvollzugsanstalten wurde der Konsum
der Goethe-Universität Frankfurt am Main durchge- von Kräutermischungen am häufigsten genannt. Über
führt. alle NPS und Stichproben hinweg war Neugierde der
www.npstransnational.org mit Abstand am häufigsten genannte Einnahmegrund.
Die bei Giftinformationszentralen angegebenen
Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit Subs­tanzen lassen sich hauptsächlich in die Gruppen
synthetische Cannabinoide und Designer-Benzodiaze-
Weiterentwicklung des Projekts Phar-Mon zu pine einteilen. Zu den wichtigsten unerwünschten
einem Informationssystem zu neuen psychoakti- Nebenwirkungen des Konsums zählten körperliche
ven Stoffen und Medikamenten (Phar-Mon NPS) Symptome wie epileptische Anfälle und andere
Das kontinuierliche Monitoring des Substanzge- Krampf­zustände, Erbrechen, Kopfschmerzen und
brauchs und damit verbundener Probleme in der Bewusstlosigkeit. In Bezug auf psychische Effekte
Allgemeinbevölkerung sowie in Risikopopulationen wurden am häufigsten Halluzinationen, psychotische
liefert Basisinformationen über die Problembelastung Zustände und Stimmungsschwankungen genannt.
sowie mögliche Ansatzpunkte für Präventionsmaß- Darüber hinaus war die Wirkung der Substanzen

6_Projekte, Studien, Initiativen


142 

teilweise sehr viel stärker als angenommen bzw. den und werden 50 Tage lang von professionellen und
intendiert. speziell geschulten Beratern bei der Reduzierung oder
https://legal-high-inhaltsstoffe.de/de/phar-mon-nps. dem Ausstieg aus dem Cannabiskonsum unterstützt.
html Seit Beginn haben mehr als 6.000 Nutzer von diesem
Angebot profitiert. Das Ausstiegsprogramm wird seit
Durchgeführt von der Bundeszentrale für 2006 in Kooperation mit regionalen Drogenberatungs-
gesundheitliche Aufklärung stellen in mittlerweile acht Bundesländern durchge-
führt.
drugcom.de www.drugcom.de
Mit der Internetplattform wendet sich die Bundeszen­
trale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in erster Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit
Linie an drogenaffine junge Menschen im Alter
zwischen 15 und 25 Jahren. DRUCK-Studie (Drogen und chronische
Infektions­krankheiten in Deutschland)
Seit 2001 können die Nutzer der Website auf ein Das Robert Koch-Institut (RKI) hat von 2011 bis 2015 in
umfangreiches, stetig wachsendes Informationsange- Kooperation mit Einrichtungen der Drogenhilfe über
bot zugreifen, das auch verständlich aufbereitete 2.000 aktiv drogeninjizierende Menschen in acht
aktuelle Meldungen aus der Suchtforschung umfasst. Städten auf Hepatitis B (HBV), Hepatitis C (HCV) und
Bei persönlichen Fragen können sich Nutzer zudem HIV untersucht und zu Infektionsrisiken, Verhaltens-
per E-Mail oder im Chat an das Beratungsteam weisen und Wissen zu diesen Infektionen befragt.
wenden. Neben einer hohen HCV-Prävalenz (42–75 Prozent;
virämische HCV:23–54 Prozent) bei den Teilnehmen-
Ziel ist es, junge Menschen über die Risiken des den in allen Städten, regionalen Unterschieden der
Konsums von psychoaktiven Substanzen zu informie- HBV- (5–33 Prozent) und HIV-Prävalenz (0–9 Prozent)
ren, sie zur kritischen Auseinandersetzung mit dem zeigten die Ergebnisse einen zwar regional unter-
eigenen Konsumverhalten anzuregen und schädlichen schiedlichen, insgesamt jedoch unzureichenden
Konsum zu minimieren. Die Inanspruchnahme der HBV-Impfschutz (geimpft: 15–52 Prozent; weder
Internetplattform steigt weiter kontinuierlich an. Mit infiziert noch geimpft: 16–69 Prozent), gravierende
mehr als 150.000 Besucherinnen und Besuchern pro Wissenslücken von Drogengebrauchenden in Bezug
Monat gehört www.drugcom.de in Deutschland zu den auf die Übertragung und den Schutz vor den Infektio-
am häufigsten besuchten Internetseiten im Bereich der nen, einen verbesserungswürdigen Zugang zu niedrig-
Suchtprävention. schwelliger Testung, Beratung zum Ergebnis und
Behandlung von HIV- und HCV-Infektionen. Aus den
Der Konsum von legalen und illegalen Substanzen im Ergebnissen der Studie wurden folgende Empfehlun-
Jugendalter ist auch eine Herausforderung für die gen abgeleitet: die Notwendigkeit, die HBV-Impfung
pädagogische Praxis, sei es in Jugendfreizeiteinrichtun- bei Drogengebrauchenden besser umzusetzen, die
gen oder in der Schule. Um Multiplikatoren in ihrer niedrigschwellige Drogenhilfe im Bereich Wissensver-
Arbeit zu unterstützen, wurden 2016 zwei Arbeitshilfen mittlung zu den Infektionen von Konsumenten durch
zum Thema Alkohol und Cannabis entwickelt. Beide Schulung von Mitarbeitern zu stärken, Konsummittel
Arbeitshilfen liefern Anregungen und konkrete bedarfsorientiert auszugeben und HIV-/HCV-Testung
Vorschläge, wie die Website www.drugcom.de in der niedrigschwellig anzubieten. Zur Verbesserung der
Arbeit mit Jugendlichen genutzt werden kann. Behandlungsinitiierung und -kontinuität von Infektio-
nen sollten sich lokal vorhandene Strukturen, insbe-
Das Online-Ausstiegsprogramm „Quit the Shit“ ist seit sondere Drogenhilfe, Suchtmedizin und Infektiologie,
2004 in die Internetplattform integriert. Die Nutzer stärker vernetzen. Etwa 80 Prozent der Studienteilneh-
können sich hier unkompliziert und anonym anmel- menden waren bereits mindestens einmal, meist

6_Projekte, Studien, Initiativen


143 

mehrmals inhaftiert und berichteten von Konsumbe- umfassenden Überblick zu den in der jeweiligen Stadt/
ginn oder Fortsetzung eines bestehenden injizierenden Region zur Verfügung stehenden ambulanten und
Konsums in Haft, sodass in diesem Bereich der Zugang stationären Angeboten zu erhalten, wurde von den
zu allen Maßnahmen der Prävention und Behandlung sieben Projektpartnern ein Angebotsmapping erstellt,
gesichert sein sollte. das spezifische lokale Angebote sowie zukünftig
Die Umsetzung der einzelnen Empfehlungen wird nutzbare Strukturen in den Bereichen „sexuelle
durch BMG, RKI, Deutsche AIDS-Hilfe und BZgA Gesundheit“ und Drogenhilfe für drogengebrauchende
begleitet und unterstützt sowie von den Akteuren der MSM darstellt. Dieses soll laufend erweitert werden
Drogenhilfe, Ärzteschaft und des Strafvollzugs und auf und die Verweisungskompetenzen der beteiligten
verschiedenen Ebenen (lokal in den Studienstädten, Projekte erhöhen. Zudem wurden in den beteiligten
auf Bundesland- und regionaler Ebene) diskutiert, Städten Nachfragemappings erstellt, welche die lokalen
ausgewertet und implementiert. Unterstützungsbedarfe drogengebrauchender MSM
erhoben haben, um in der Kontrastierung mit den
Die Ergebnisse und die daraus abgeleiteten Empfeh- Angebotsmappings lokale Versorgungslücken zu
lungen sind in einem ausführlichen deutschsprachigen identifizieren. Prozessunterstützend wurden Trainings
Bericht und in mehreren internationalen Zeitschriften mit den Mitarbeitenden der beteiligten Partnerorgani-
publiziert. Die Studie wurde aus finanziellen Mitteln sationen durchgeführt, um Grundlagen der Substanz-
des BMG gefördert, die Pilotstudie aus Mitteln des RKI kunde, Kenntnisse zu Konsumkontexten und -mustern
(siehe Abbildung 24). sowie Beratungskompetenzen zu vermitteln.
www.rki.de/druck-studie
Zum Abschluss des Projekts haben die teilnehmenden
Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit Institutionen durch die Trainings, die Identifizierung
von Good-Practice-Beispielen sowie die Erarbeitung
Quadros – Qualitätsentwicklung in der Beratung der Mappings einen Wissenstand erreicht, der es ihnen
und Prävention im Kontext von Drogen und erlaubt, eigene Netzwerke und Kooperationen mit im
Sexualität bei schwulen Männern Feld agierenden Akteuren zu bilden, erste Präventions-,
Vor dem Hintergrund der Prävalenzen des Konsums Beratungs- oder Behandlungsansätze für die eigene
psychoaktiver Substanzen bei Männern, die Sex mit Organisation zu entwickeln und offensiv in den Ziel-
Männern haben (MSM), wurde mit dem von der gruppen schwuler Männer für neue Beratungs- und
Deutschen Aidshilfe e. V. durchgeführten Projekt Informationsangebote zu werben. Weiterhin wurden
„Quadros“ das Ziel verfolgt, das Wissen zu neuen Empfehlungen für die Weiterentwicklung der zukünf-
psychoaktiven Stoffen (NPS) und Methamphetamin tigen Prävention und Beratung von MSM im Kontext
(Crystal Meth) sowie die Beratungs- und Verweisungs- von Drogengebrauch und Sexualität erarbeitet.
kompetenzen in Schwulenberatungen, Präventions- https://www.bundesgesundheitsministerium.de/
projekten sowie Aids- und Drogenhilfen zu erhöhen. ministerium/ressortforschung/krankheitsvermeidung-
Schwule Männer, die aufgrund ihres Drogenkonsums und-bekaempfung/drogen-und-sucht/verbesserung-
herkömmliche Beratungs- und Unterstützungsangebo- von-beratung-behandlung-und-therapie/quadros.html
te in Anspruch nehmen wollen, sehen sich oftmals mit https://www.aidshilfe.de/shop/quadros
einem Hilfesystem konfrontiert, das bisher nur
vereinzelt auf ihre spezifischen Bedürfnisse eingehen
kann.

Aufgrund dieser Lücken im Hilfesystem wurde


„Quadros“ modellhaft in den Städten München,
Nürnberg, Köln, Frankfurt am Main, Hamburg, Leipzig
und Berlin durchgeführt. Um einen einheitlichen und

6_Projekte, Studien, Initiativen


144 

ABBILDUNG 24:
EMPFEHLUNGEN FÜR VERSCHIEDENE AKTEURE, ABGELEITET VON DEN ERGEBNISSEN DER DRUCK-STUDIE

Für die niedrigschwellige Drogenhilfe: Für Justizvollzugsanstalten und Einrichtungen des Jugend-
• bedarfsorientierte Ausgabe von Konsumutensilien und Maßregelvollzugs:
(Spritzen, Nadeln, Filter, Löffel, Wasser zur Injektion) • HBV-Impfangebot inkl. Beratung zur Impfung
• gezielte Kurzberatung zu Transmissionswegen von HCV, • Vertrauliche und freiwillige Testung auf HCV und HIV
zur HBV-Impfung und HIV-Behandlung und PEP • Inhaftierte mit einer HIV- oder HCV-Infektion sollten
• HIV-Testangebot ( z.B. HIV-Schnelltestung) der Behandlung zugeführt werden
• HCV-Testangebot • Zugang zu evidenzbasierten Maßnahmen der Prävention
• Beratung zur Bedeutung der Testergebnisse von HBV, HCV und HIV: ausreichend dosierte Opioidsub­
• regelmäßiges Schulungsangebot zur Qualifizierung von stitutionstherapie, Kondome und Konsumutensilien
(nicht medizinischem) Personal in der Drogenhilfe als • Verbesserung des Übergangsmanagements hinsichtlich
Beratende der Prävention von Unsafe Use
• HBV-Impfkampagnen/regelmäßige Impfangebote

Justizvollzugsanstalten/
Drogenhilfe Peers + Familie
Jugend- und Maßregelvollzug

Integrierter Ansatz:
Lokale AIDS-Hilfen zur Verbesserung der Prävention und Versorgung von chron. Infektions-­ ÖGD
krankheiten bei Menschen mit intravenösem Drogenkonsum (IVD)

Suchtmedizin und Hepatologie/Infektiologie/


Psychosoziale Betreuung Pflegepersonal
Substitutionsärzte Allgemeinmedizin

Für Substitutionseinrichtungen und Einrichtungen der Für die Ärzteschaft (Hepatologie, Infektiologie, Allgemein-
Suchthilfe: medizin, Gynäkologie, Innere Medizin):
• HBV-Impfung anbieten und durchführen • Information der Ärzteschaft, dass Ärzte für IVD die
• Regelmäßige Testung von Substituierten auf HIV und HCV wichtigste Informationsquelle zu HBV, HCV und HIV
• Beratung zur Bedeutung des Testergebnisses darstellen
• Überweisung von HIV- und HCV-positiv Getesteten an • Information der Ärzteschaft über Art und Ausmaß der
Infektiologie/Hepatologie zur Prüfung einer Therapieindi- Wissenslücken von IVD zu HBV, HCV und HIV
kation und Behandlung • Umsetzung HBV-Impfempfehlung gemäß STIKO
• Gezielte Information von Substituierten zur HBV-Impfung, • Testung und Beratung bzgl. Infektionskrankheiten
zur HIV-PEP und zur HCV-Übertragung • Einleitung und Durchführung der Therapie von HCV- und
• Stärkere Vernetzung mit dem niedrigschwelligen Setting HIV-Infizierten IVD
und mit Infektiologie/Hepatologie

Für alle auf lokaler Ebene:


• Stärkere Vernetzung und Zusammenarbeit aller vorhandenen Akteure und
Strukturen auf lokaler Ebene
• Präventionsangebote je nach lokalen Gegebenheiten speziell für Frauen und
ggf. für junge IVD und Personen mit kürzlich begonnenem Konsum

Quelle: Robert Koch-Institut (RKI)

6_Projekte, Studien, Initiativen


145 

Gefördert durch: Bundesministerium für nern: dem Büro der Vereinten Nationen für Drogen-
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und Verbrechensbekämpfung (UNODC), der
thailändischen Stiftung Mae Fah Luang sowie den
Globale Partnerschaft für Drogenpolitik und Nichtregierungsorganisationen Transnational Institute
Entwicklung – Global Partnership on Drug Policies (Amsterdam) und International Drug Policy Consorti-
and Development (GPDPD) um (London). Zudem arbeitet GPDPD im Bereich der
Erweiterung wissenschaftlicher Grundlagen mit
renommierten Forschungseinrichtungen wie etwa der
London School of Economics zusammen.
https://www.gpdpd.org

Computerspiel- und Internetabhängigkeit


Die internationale Drogenpolitik richtet sich zuneh-
mend an entwicklungsorientierten und gesundheits- Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit
orientierten Ansätzen aus. Interessierten Regierungen
fehlen jedoch oft hinreichend entwickelte evidenzba- Angebote bei internetbasiertem Suchtverhalten –
sierte sowie entwicklungs- und gesundheitsorientierte eine Bestandsaufnahme und Bedarfsermittlung an
Instrumente ihrer nationalen Drogenpolitik. Hier setzt Beratungsstellen und Kliniken (AbiS)
das von der Deutschen Gesellschaft für Internationale
Zusammenarbeit (GIZ) im Auftrag des Bundesministe-
riums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (BMZ) und unter Schirmherrschaft der
Drogenbeauftragten der Bundesregierung umgesetzte
Vorhaben Global Partnership on Drug Policies and
Development (GPDPD) an. Das Vorhaben GPDPD trägt
dazu bei, innovative Ansätze der Drogenpolitik Wenn Menschen im Zusammenhang mit der Nutzung
international zu positionieren und pilothaft umzuset- von Internetanwendungen (zum Beispiel Online-
zen. Computerspiele, soziale Netzwerke) Symptome von
Abhängigkeitserkrankungen wie etwa einen Kontroll-
Der Fokus liegt auf drei Handlungsfeldern: verlust erleben oder die Nutzung trotz negativer
1. Das Vorhaben bietet internationale Austausch­ Konsequenzen wie etwa Problemen in den Bereichen
möglichkeiten und Dialogforen zu entwicklungs- Schule, Arbeit und Familie fortsetzen, kann dies zu
und gesundheitsorientierten Ansätzen der einem internetbasierten Suchtverhalten werden.
Drogenpolitik, um gemeinsame Positionen Seit etwa 30 Jahren, und zunehmend in den letzten
interessierter Regierungen auf VN-Ebene zu 10 Jahren, haben insbesondere Suchteinrichtungen
verankern. diesbezüglich eine Vielfalt von Angeboten entwickelt,
2. Das Vorhaben fördert auf bilateraler Ebene die die in Anpassung an den Schweregrad der Störung von
Anpassung der drogenpolitischen Instrumente ambulanten Kurzberatungen bis zu mehrmonatigen
interessierter Regierungen in Asien, Afrika und stationären Behandlungen reichen. Um die Entwick-
Lateinamerika durch Pilotmaßnahmen. lung dieser Angebote beurteilen zu können und neue
3. Das Vorhaben trägt zu einer Erweiterung der Versorgungsbedarfe festzustellen, wurde eine 2008
wissenschaftlichen Grundlagen für eine evidenz- vom Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes-
basierte Drogenpolitik bei. und Jugendalters in Hamburg durchgeführte Online-
befragung identifizierbarer Beratungs- und Behand-
In allen drei Handlungsfeldern kooperiert das Vorha- lungsangebote zum internetbasierten Suchtverhalten
ben eng mit seinen internationalen Umsetzungspart- von der Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung der

6_Projekte, Studien, Initiativen


146 

Universitätsklinik für Psychiatrie Tübingen Ende 2015 Gefördert durch: Bundesministerium für
wiederholt. Wichtigste Ergebnisse: Familie, Senioren, Frauen und Jugend
1. Mögliche Vervierfachung der Angebote seit 2008:
75 Prozent der 275 befragten Einrichtungen halten Gutes Aufwachsen mit Medien
ihr Angebot erst seit 2008 vor. Unter dem Dach der Initiative „Gutes Aufwachsen mit
2. Nur neun Prozent der Betroffenen, die sich in den Medien“ lädt das Bundesfamilienministerium dazu ein,
Einrichtungen vorstellen, sind Frauen, obwohl die die Medienerziehung von Familien mit einem abge-
Prävalenz der Internetabhängigkeit bei Frauen stimmten Vorgehen in Bund, Ländern und Kommunen
und Männern etwa gleich hoch ist. zu unterstützen. Die Initiative bündelt Informations-
angebote für Eltern, berät lokale Netzwerke und
Die AbiS-Studie kombinierte zusätzlich Online-Befra- qualifiziert Fachkräfte.
gungen von unterschiedlich mit der Thematik befass- www.gutes-aufwachsen-mit-medien.de
ten gesellschaftlichen Gruppen (zum Beispiel Personen
aus dem administrativen Bereich oder aus der ICD- Gefördert durch: Bundesministerium für
11-Entwicklung) mit qualitativen Interviews von Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Betroffenen, Beratenden und Behandelnden.
Seit dem 1. Februar 2017 ist eine Anbieterdatenbank „Schau hin! Was Dein Kind mit Medien macht.“
zur Recherche von Beratungs- und Behandlungsange- Der Online-Medienratgeber für Eltern und Erziehende
boten bei internetbasiertem Suchtverhalten online. „Schau hin! Was Dein Kind mit Medien macht.“ setzt
http://erstehilfe-internetsucht.de/ seine erfolgreiche Arbeit fort und greift Fragen zu
http://erstehilfe-internetsucht.de/abis-projekt/ exzessiver Mediennutzung in einem eigenen Themen-
schwerpunkt auf.
Gefördert durch: Bundesministerium www.schau-hin.info
für Verkehr und digitale Infrastruktur
Durchgeführt von der Bundeszentrale für
Digitale-Spielewelten.de gesundheitliche Aufklärung
Digitale-Spielewelten.de ist eine Online-Kompetenz-
plattform für Medienpädagogik in der digitalen Spiele- „Ins Netz gehen“
kultur. Als Informations-, Präsentations- und Vernet- Das Programm der Bundeszentrale für gesundheitliche
zungsplattform bildet sie die vielfältigen Aktivitäten Aufklärung (BZgA) zur Prävention von exzessiver
und Netzwerke im Bereich der digitalen Spielekultur Computerspiel- und Internetnutzung bietet seit 2011
ab. Die Plattform stellt Eltern und Pädagogen Informa- Informationen für Jugendliche und ergänzend für
tionen und Praxismaterialien rund um das Thema digi- Eltern. Die Kampagnenwebseite hält sowohl zielgrup-
tale Spiele zur Verfügung und liefert damit zahlreiche penspezifisch aufbereitete Informationen für 12- bis
medienpädagogische Ideen für einen kritischen und 18-Jährige als auch interaktive Elemente wie einen
kreativen Umgang mit dem Kulturgut Games. Das Selbsttest bereit. Ein weiteres Element ist das Verhal-
Thema „exzessives Spielen“ ist dabei in zahlreichen tensänderungsprogramm „Das andere Leben“. Damit
Projekten wichtiger Bestandteil. werden Jugendliche unterstützt, dem übermäßigen
Internetsurfen oder exzessiven Gebrauch von PC-
Ziel der Plattform ist es, für die Akteure aus Pädagogik, Spielen zunehmend Aktivitäten im realen Leben entge-
Wissenschaft, Wirtschaft (Games-Branche) und Politik genzusetzen
an zentraler Stelle Wissen, Erfahrungen und Ideen
rund um digitale Spiele zu bündeln, strukturiert Außerdem gibt es eine Multiplikatorenseite, auf der
bereitzustellen und der Praxis medienpädagogische Eltern, Lehrer und Erzieher wissenschaftlich gesicherte
Materialien an die Hand zu geben. Antworten und pädagogisch bewährte Tipps erhalten.
http://www.digitale-spielewelten.de Darüber hinaus können konkrete Anliegen und Fragen

6_Projekte, Studien, Initiativen


147 

ABBILDUNG 25:
MEDIENSTUNDENPLAN

Medienstundenplan
Tipps zu kindgerechten
Medienangeboten und
Medienzeiten gibt es auf
www.schau-hin.info.
Vereinbaren Sie gemeinsam mit Ihrem Kind feste Medienzeiten.
Tragen Sie die Uhrzeit und Art der vereinbarten Mediennutzung hier ein.
SCHAU HIN! ist eine Initiative von

Zeit Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Samstag Sonntag

Gemeinsa
Diese Richtwerte empfehlen m medien
werden? fit
wir als Medienzeiten: SCHAU HI Das ne
Schauen Sie mit: N!-Medien ue
• bis 5 J.: max. 30 Min./Tag Lernspaß quiz biete
Entdecken Sie Medien für die ga t
• 6 – 9 J.: max. 1 Std./Tag www.sch nze Familie
au-hin.in
gemeinsam mit Ihren Kindern.
• ab 10 J.: ca. 9 Std./Woche fo/medien :
quiz

zum Medienkonsum bei Jugendlichen per E-Mail- Pathologisches Glücksspiel


Beratung geklärt werden.
Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit
Seit September 2014 wird das bundesweite Peer-
Projekt „Net-Piloten“ in 28 weiterführenden Schulen Remissionsprozesse von pathologischen
an drei Pilotstandorten umgesetzt. In Zusammenarbeit Glücksspielern im Dreijahresverlauf
mit Fachstellen für Suchtprävention und Schulen Die Lebenszeitprävalenz für pathologisches Spielen
erhalten damit rund 3.000 Jugendliche und ihre Eltern liegt in Deutschland bei ca. 1 Prozent (mehr als
eine Anleitung zum verantwortungsvollen Umgang 500.000 Personen). Nahezu zwei Dritteln dieser Spieler
mit Medien. Das Projekt soll nach erfolgreichem ist es dabei gelungen, ihre Spielsucht aus eigener Kraft
Abschluss der Modellphase bundesweit angeboten oder unter Inanspruchnahme formeller Hilfe zu über-
werden. winden. Belastbare Aussagen zum Ablauf und zu den
www.ins-netz-gehen.de Einflussfaktoren von Remissions- und Rückfallprozes-
www.multiplikatoren.ins-netz-gehen.de sen bei pathologischen Glücksspielern lassen sich in
der internationalen Literatur kaum finden. Die Studie
vom Institut für Interdisziplinäre Sucht- und Drogen-
forschung (ISD) Hamburg ist deshalb der Frage nachge-
gangen, wie sich die Remissions- und Rückfallpräva-

6_Projekte, Studien, Initiativen


148 

lenzen in einem Dreijahresverlauf entwickeln und Durchgeführt von der Bundeszentrale für
welche Faktoren dabei eine Rolle spielen. gesundheitliche Aufklärung

Die Teilnehmer (n = 239) sind im Rahmen von Inter- Spielen mit Verantwortung
views unter anderem zu ihrem Spielverhalten, zu Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
glücksspielbezogenen Problemen, zur Inanspruchnah- (BZgA) führt seit 2007 in Kooperation mit dem
me von Hilfen und zu Gründen für die Remission Deutschen Lotto- und Totoblock (DLTB) bundesweite
befragt worden. In der Studie wurden die durchgängig Maßnahmen zur Prävention von Glücksspielsucht
remittierten mit den rückfälligen sowie die weiterhin durch. Mit der Kampagne „Spiel nicht bis zur Glücks-
pathologisch spielenden mit den neu remittierten spielsucht“ steht ein gezieltes Präventionsangebot zur
Personen verglichen. Frühintervention zur Verfügung.

Den allermeisten remittierten Personen (82 Prozent) Das Internetportal bietet Informationen zu einzelnen
gelingt es, diesen Status aufrechtzuerhalten, wobei ein Glücksspielen und zur Glücksspielsucht. Ein ähnlich
kleinerer Teil (10 Prozent) von ihnen zwischendurch niedrigschwelliges Angebot ist die BZgA-Telefonbera-
wieder pathologisch gespielt hat. Deutlichere Verände- tung zur Glücksspielsucht unter der kostenlosen
rungen zeigen sich bei den (ehemals) pathologischen Telefonnummer 0800-1372700.
Glücksspielern: 54 Prozent verharren nach 3 Jahren www.spielen-mit-verantwortung.de
weiterhin in einem pathologischen Spielverhalten, 46
Prozent haben jedoch ihre Spielprobleme überwunden. Durchgeführt von der Bundeszentrale für
Aus den Befragungsergebnissen wird deutlich, dass gesundheitliche Aufklärung
eine gute soziale Unterstützung hilfreich für Remissi-
onsprozesse ist. Deshalb sollte die Angehörigenarbeit check-dein-spiel.de
weiter optimiert werden. Die Ergebnisse der Studie Das seit 2007 bestehende Internetangebot der Bundes-
deuten ferner darauf hin, dass finanzielle Belastungen zentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) bietet
einen Rückfall in die Spielsucht begünstigen. Hier wird neben einem Wissenstest und einem ausführli-
also die Frage nach einer frühzeitigen Schuldenregulie- chen Selbsttest ein interaktives Online-Beratungspro-
rung aufgeworfen. gramm zum Ausstieg aus der Glücksspielsucht. Die
webbasierte Beratung umfasst Funktionen wie ein
Noch bedeutsamer sind psychische Komorbiditäten: Glücksspiel-Tagebuch oder ein wöchentliches Thera-
Insbesondere Personen, die schon vor Beginn des peuten-Feedback. Seit September 2007 haben rund
problematischen Spielens von psychischen Belastun- 150.000 Personen am Test teilgenommen und eine
gen betroffen waren, fällt es schwer, das Glücksspielen individualisierte Auswertung mit persönlich zuge-
nachhaltig zu reduzieren oder zu beenden. Es sollten schnittenen Hilfeempfehlungen zu ihrem Spielverhal-
daher alle Personen, die aufgrund eines Spielproblems ten bekommen.
eine Hilfeeinrichtung aufsuchen, systematisch nach
psychischen Belastungen gefragt werden. Darüber hin- Wichtiger Ausgangspunkt für die Prävention von
aus zeigt die Analyse, dass pathologische Glücksspieler Glücksspielsucht ist außerdem die Bereitstellung von
auch auf Angebote außerhalb des eigentlichen Sucht- Informationen für die Bevölkerung. Die Nutzer von
hilfesystems zurückgreifen. Das gilt insbesondere für Glücksspielangeboten sollen befähigt werden, mögli-
die Schuldnerberatung, aber auch für Informationen che Gefahren einzelner Glücksspielangebote zu
aus dem Internet. Diese Angebote sollten sinnvoll mit erkennen und somit verantwortungsvoll und selbstkri-
der Suchthilfe und -prävention vernetzt werden. tisch zu spielen. Das Materialset zum Thema „Sport-
www.isd-hamburg.de wetten“ richtet sich vor allem an die Risikogruppe der
jungen Männer im Alter zwischen 18 und 25 Jahren.
Das Materialset ist in englischer, französischer,

6_Projekte, Studien, Initiativen


149 

russischer, türkischer und arabischer Sprache erhält- lungsmaßnahmen diskutiert und bewertet werden.
lich und kann vor allem auch bei der Arbeit mit www.isd-hamburg.de
zugewanderten Menschen eingesetzt werden.
www.check-dein-spiel.de www.bzga.de/infomateriali- 1.2 Suchtstoff- bzw. suchtformübergreifende
en/gluecksspielsucht/ Projekte

Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit

Glücksspielprobleme bei türkischstämmigen Kinder aus suchtbelasteten Familien: Entwicklung


Migranten – Ursachen, Barrieren der Inanspruch- eines internetbasierten Schulungsmoduls für
nahme von Hilfen und Unterstützungsbedarfe Mitarbeiter der Suchthilfe
Aus Repräsentativbefragungen ist bekannt, dass die Ziel des Projekts ist die Entwicklung eines internetba-
Gruppe der türkischstämmigen Migranten einen sierten Schulungsmoduls für die Einschätzung von
überdurchschnittlich hohen Anteil von Spielern mit elterlichen Erziehungskompetenzen sowie von
einem pathologischen Spielverhalten aufweist. Belastungen bzw. möglichen (Entwicklungs-)Gefähr-
Gleichzeitig verweisen die Ergebnisse empirischer dungen von Kindern aus suchtbelasteten Familien. Das
Studien darauf, dass die Raten der Inanspruchnahme internetbasierte Schulungsmodul wird auf der Inter-
von Hilfeangeboten sowie die Erfolgsquoten begonne- netplattform des E-Learning-Kurses „Frühe Hilfen und
ner therapeutischer Maßnahmen geringer sind. Welche frühe Interventionen im Kinderschutz“ angesiedelt
Faktoren hierfür verantwortlich sind, ist aber bisher und von Blended-Learning-Kursen flankiert. Adressa-
nur unzureichend wissenschaftlich untersucht worden. ten sind Mitarbeiter von Suchthilfeeinrichtungen
Primäres Ziel der vom Institut für interdisziplinäre sowie aus der Kinder- und Jugendhilfe. Das Modul wird
Sucht- und Drogenforschung (ISD) durchgeführten in Kooperation des Universitätsklinikums Ulm,
Studie ist es, dieses Forschungsdefizit zu verringern, Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psycho-
um aus den dann vorliegenden (neuen) Erkenntnissen therapie, mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband
empirisch fundierte Empfehlungen für die Praxis in Baden-Württemberg entwickelt.
Bezug darauf, wie diese Bevölkerungsgruppe zukünftig
besser erreicht und bedarfsgerecht unterstützt werden Während der ersten Projektphase 2016 wurden die
kann, ableiten zu können. Inhalte des internetbasierten Schulungsmoduls und
der Blended-Learning-Kurse definiert und entwickelt.
Die Studie wird in Form von drei Teilprojekten Dazu gehören Grundlagentexte, Präsentationsmateria-
durchgeführt, welche jeweils aufeinander aufbauen. lien sowie Fallbeispiele, die von den Teilnehmern
Das erste Teilprojekt beinhaltet Gespräche mit Exper- während des Schulungsmoduls bearbeitet werden.
ten aus den Bereichen der Migrations-, Familien- und Zudem wurden „runde Tische“ in vier teilnehmenden
Suchtberatung. Im Rahmen des zweiten Teilprojekts Suchtberatungsstellen durchgeführt, um den Bedarf
werden in Form von Einzelinterviews insgesamt zehn der Praktiker in die Entwicklung des Schulungsmoduls
aktuelle oder remittierte pathologische Spieler mit zu integrieren. Anhand eines fiktiven Fallbeispiels
türkischem Migrationshintergrund befragt. Beim haben die Teilnehmer der „runden Tische“ aus der
dritten Teilprojekt handelt es sich um eine quantitative Suchtberatung, aus der Kinder- und Jugendhilfe, aus
Befragung von insgesamt 150 Personen mit türkischem dem medizinischen Sektor und aus anderen kooperie-
Migrationshintergrund, die dazu beitragen soll, die renden Arbeitsfeldern erarbeitet, wie das Hilfesystem
qualitativen Befunde zu validieren und gegebenenfalls mit einem solchen Fall umgehen würde und welche
zu ergänzen. Zum Abschluss der Studie sollen die Inhalte hierfür im Schulungsmodul vermittelt werden
Ergebnisse der drei Teilprojekte im Rahmen eines sollten.
halbtägigen Workshops hinsichtlich ihrer Relevanz für
zukünftige Präventions- und Beratungs-/Behand-

6_Projekte, Studien, Initiativen


150 

2017 finden Probedurchläufe des gesamten Schulungs- aber gleichzeitig darauf hin, dass drogenabhängige
moduls (zuerst ein Blended-Learning-Tag, dann meh- Männer, die Väter sind, von Angeboten und Program-
rere Wochen für die selbstständige Erarbeitung der men im Hilfesystem profitieren könnten, die nicht nur
E-Learning-Einheiten und schließlich der zweite ihre Drogenproblematik, sondern vor allem auch ihr
Blended-Learning-Tag) mit zwei Schulungsgruppen Vatersein und die damit zusammenhängenden Belas-
statt. Die Gruppen werden zeitlich versetzt geschult, tungen, Defizite, aber auch Kompetenzen adressieren.
sodass zwischenzeitlich Optimierungen des Moduls
vorgenommen werden können. Neben dem Schu- Das Projekt wird vom Verein zur Hilfe suchtmittelab-
lungsmodul wird am Ende des Projekts ein Handbuch hängiger Frauen Essen e. V. in Kooperation mit dem
zur Weitervermittlung der Schulungsinhalte publiziert. ZIS am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
http://www.uniklinik-ulm.de/struktur/kliniken/ (UKE) durchgeführt.
kinder-und-jugendpsychiatriepsychotherapie/home/ http://www.belladonna-essen.de/landeskoordinie-
forschung/forschungsprojekte.html rungsstelle-frauen-und-sucht-nrw/projekte/

Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit Gefördert durch: Bundesministerium


für Bildung und Forschung
Problematischer Substanzkonsum und Vaterschaft
Kinder suchtbelasteter Eltern sind in den letzten Familien stärken – Studie zur Evaluation der
Jahren verstärkt als Risikogruppe für Entwicklungsbe- deutschen Adaptation des US-amerikanischen
lastungen – inklusive des Risikos, selbst eine Substanz- „Strengthening Families Program 10–14“ zur
abhängigkeit zu entwickeln – in den Blick der Sucht- familienbasierten Suchtprävention
hilfe geraten. Die Situation der Eltern wird dabei Das aus den USA stammende universelle Präventions-
jedoch entweder geschlechterundifferenziert betrach- programm „Familien stärken“ zur familienbasierten
tet oder der Fokus richtet sich auf schwangere Frauen Prävention von Sucht- und Verhaltensstörungen
und Mütter. Väter mit einer Substanzproblematik, vor wurde für den Einsatz in Deutschland angepasst.
allem wenn es sich um illegale Drogen handelt, werden Hierfür erfolgte im Rahmen einer Pilotstudie die
demgegenüber in Forschungs- und Hilfepraxis kultursensible Adaptation der Materialien. In einem
weitgehend ignoriert. zweiten Schritt wurde das Programm im Rahmen einer
randomisiert-kontrollierten multizentrischen Studie in
Das vom BMG geförderte Projekt greift dieses Defizit vier Städten Deutschlands evaluiert. Außerdem wurde
auf. Es zielt darauf ab, Erkenntnisse zu relevanten die Implementierung im deutschsprachigen Raum
Einflüssen eines problematischen Drogengebrauchs vorangetrieben. Im November 2016 fand unter der
auf Vaterrolle, Vaterbilder und Erziehungsarbeit sowie Supervision zweier britischer „Familien stärken“-
zu den damit verbundenen Auswirkungen auf die Trainer eine Schulung für 15 neue Gruppenleiter und
Situation von Töchtern und Söhnen bereitzustellen 4 Mastertrainer statt, sodass das Deutsche Zentrum für
und diese Erkenntnisse für die Formulierung von Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ)
Handlungsempfehlungen zu nutzen. Das Projekt folgt künftig eigenständig im deutschsprachigen Raum
einem primär qualitativ ausgerichteten Forschungsde- weitere Gruppenleiter ausbilden kann.
sign: Neben einer systematischen Recherche und www.familien-staerken.info
Aufbereitung des Forschungsstands stützt es sich auf
Fokusgruppen mit in der Sucht- und Drogenhilfe sowie
in angrenzenden Arbeitsfeldern tätigen Experten
(n = 20) sowie auf leitfadengestützte Interviews mit
25 drogenkonsumierenden Vätern. Die Befunde
verdeutlichen einerseits die Ausblendung des Themas
Vaterschaft in Forschungs- und Hilfepraxis, weisen

6_Projekte, Studien, Initiativen


151 

Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit Katamnesen anschließend telefonisch durchgeführt.


www.projekt-trampolin.de
„Trampolin I – ein modulares Präventionskonzept
für Kinder aus suchtbelasteten Familien“ und Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit
„Trampolin II – Katamneseerhebung zur Überprü-
fung der Langzeiteffekte des Bundesmodellpro- AnNet – Angehörigennetzwerk
jektes Trampolin“

Das vom Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Die Universität Hildesheim führt in Kooperation mit
Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) und vom Deutschen Praxispartnern (Therapieverbund Ludwigsmühle, SOS
Institut für Sucht- und Präventionsforschung (DISuP) Mütterzentrum Salzgitter, Jobcenter Peine, Selbsthilfe-
entwickelte und evaluierte Gruppenangebot „Trampo- gruppe) und Angehörigen bundesweit seit 2015 die
lin“ für Kinder aus suchtbelasteten Familien wird in Studie „AnNet – Angehörigennetzwerk“ durch, die sich
Deutschland bereits an einigen Standorten umgesetzt. den Belastungen und Unterstützungsnetzwerken der
In das Trampolin-Programm sind zum einen Erkennt- Angehörigen von Menschen mit problematischem
nisse aus einem intensiven Dialog mit der Praxis, zum Alkohol- oder Drogenkonsum widmet. Im Rahmen des
anderen aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse Projekts sollen Belastungs- und Unterstützungssituati-
eingeflossen. Ziel des Programms ist es, die betroffenen onen der verschiedenen Angehörigengruppen unter-
Kinder in ihrer positiven Selbstwahrnehmung zu stär- sucht werden. Zu diesem Zweck werden die Belas-
ken. Für die Durchführung aller Module wurde für die tungsprofile der Angehörigen mithilfe von Fragebogen
Gruppenleiter ein Manual verfasst. Das DZSKJ und das erhoben. Auch die Unterstützungsnetzwerke der
DISuP bieten hierzu Schulungen an. Bei der Zentralen Angehörigen werden in die Untersuchung einbezogen.
Prüfstelle Prävention wurde 2016 die Zertifizierung des Das Projekt arbeitet aktuell bundesweit mit vier
Programms nach § 20 Absatz 1 SGB V bewilligt. Kran- Praxispartnern zusammen, um einen Zugang zu den
kenkassen können somit die Kosten für die Teilnahme Lebenssituationen von Angehörigen in verschiedenen
eines Kindes an dem Programm übernehmen. Lebenslagen zu bekommen. Zudem werden Experten-
interviews durchgeführt, um die Vernetzungspotenzia-
Mit der Studie „Trampolin II – Katamneseerhebung zur le, aber auch die Herausforderungen und Barrieren im
Überprüfung der Langzeiteffekte des Bundesmodell- Hilfesystem abbilden zu können. Das Herzstück des
projektes Trampolin“ sollen Langzeiteffekte des Projekts sind die direkte Zusammenarbeit und der
Präventionskonzepts Trampolin (ca. 5 Jahre nachdem Austausch mit vier über die Gemeinschaftspartner
die Interventionen durchgeführt wurden) überprüft erschlossenen Angehörigengruppen. Am Ende der
werden. Dafür werden sowohl die Teilnehmer der gemeinsamen Forschungsarbeit sollen die Ergebnisse
Untersuchungsgruppe als auch die der Kontrollgruppe, der einzelnen Angehörigengruppen in einem gemein-
die damals eine Kontrollintervention (Hüpfburg) samen Arbeitsbuch zusammengefasst und publiziert
erhalten hatten, erneut befragt. Wie damals im werden. Dieses Arbeitsbuch bietet nicht nur Hilfestel-
Bundesmodellprojekt Trampolin sollen neben den lungen von Angehörigen für Angehörige, sondern
Selbsturteilen der Jugendlichen auch Fremdeinschät- bildet auch eine Grundlage für die Arbeit mit betroffe-
zungen der Eltern erhoben werden. Die Familien nen Angehörigen und beinhaltet Handlungsempfeh-
werden zuerst schriftlich kontaktiert und informiert, lungen aus Sicht von Angehörigen.
bei einer Bereitschaft zur Teilnahme werden die https://www.uni-hildesheim.de/annet/

6_Projekte, Studien, Initiativen


152 

Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit belasteter. Das Projekt befindet sich in der Auswer-
tungsphase und endet im Frühjahr 2017.
Belastungen und Perspektiven Angehöriger
Suchtkranker (BEPAS) Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit
Die an der Universität zu Lübeck durchgeführte
multimethodale Studie BEPAS konnte anhand von 100 QuaSiE – Qualifizierte Suchtprävention in Einrich-
Interviews mit Angehörigen allgemeine und spezifi- tungen der stationären Jugendhilfe
sche Belastungen in Abhängigkeit von der Art der
Beziehung (Eltern, Partner, Kinder) und der Suchter-
krankung (Alkohol, Drogen, Glücksspiel, Medikamente)
in ein Stressbelastungsmodell integrieren. Außerdem
wurden spezifische Unterstützungsbedarfe und Qualifizierte Suchtprävention
in Einrichtungen der stationären Jugendhilfe
mögliche Barrieren bei der Inanspruchnahme professi-
oneller Hilfe exploriert. In der Studie wurde ein Die Untersuchung „Suchtmittelkonsum und suchtbe-
Mixed-Method-Ansatz verfolgt, bei dem qualitative zogene Problemlagen von Kindern und Jugendlichen
durch quantitative Methoden ergänzt wurden. Die in stationärer Jugendhilfe“ von 2014 zeigte auf besorg-
Probandenrekrutierung erfolgte mithilfe kooperieren- niserregende Weise die besondere Belastung von
der Selbsthilfe- und Suchtberatungseinrichtungen und Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen der
deutschlandweit erstmals über ein proaktives Scree- stationären Jugendhilfe, die häufig, neben hohen
ning in Arztpraxen und Krankenhäusern. In der psychischen und sozialen Belastungen, auch von
Durchführung von Fokusgruppen mit Vertretern des suchtbezogenen Problemlagen durch übermäßigen
medizinischen und psychosozialen Behandlungssys- Medien- und Substanzkonsum betroffen sind. Vor
tems bestand ein weiterer Zugang zur Analyse der allem der Konsum von Cannabis und Tabak ist bei der
Versorgungssituation. Darüber hinaus konnten Fragen Zielgruppe besonders hoch. Während der Tabakkon-
zur Belastungssituation Angehöriger in die Repräsen- sum noch offensichtlich ist, ist der Konsum anderer
tativstudie „Gesundheit in Deutschland Aktuell“ Substanzen nicht leicht erkennbar. Fachkräfte in den
(GEDA) mit n = 24.824 Befragten integriert werden. Einrichtungen unterschätzen diese Belastung daher
leicht. Damit aus konsumbezogenen Auffälligkeiten
Erste qualitative Ergebnisse zeigen deutliche ge- nicht eine manifeste Sucht entsteht, die eine eigenstän-
schlechterspezifische Unterschiede der Belastungs- dige negative Dynamik entfaltet, sind Wissen, diagnos-
und Bedarfssituation Angehöriger. Stigmatisierung von tische Routinen und spezifische Interventionen
Sucht und Angst vor Schuldzuschreibungen wurden als notwendig. Praxisnahe Konzepte und Kooperationen
bedeutende Barrieren bei der Inanspruchnahme von mit Fachinstitutionen können Einrichtungen dabei
Hilfe Angehöriger identifiziert. Die wesentlichen unterstützen. Ziel des Bundesmodellprojekts „QuaSiE“
Bedarfe Angehöriger äußerten sich in dem Wunsch ist deshalb die Professionalisierung des Umgangs mit
nach verstärkter öffentlicher Präsenz der Suchtthema- konsumbezogenen Auffälligkeiten in Einrichtungen
tik und dem Wunsch nach konkreten verhaltensbezo- der stationären Jugendhilfe und die Erarbeitung eines
genen Hilfestellungen durch das Suchthilfesystem. praxisnahen Handlungskonzepts für und mit diesen
In der Repräsentativstudie GEDA gaben 9,5 Prozent der Einrichtungen. Um ein qualifiziertes Handeln in den
Befragten an, einen Angehörigen mit bestehender Einrichtungen zu fördern und den betroffenen
Suchtmittelabhängigkeit (außer Tabak) zu haben Jugendlichen die erforderliche Unterstützung anzubie-
(Bezugszeitraum waren die letzten 12 Monate). Weitere ten, ist eine stärkere Berücksichtigung des Themas auf
4,4 Prozent hatten einen Angehörigen mit einer seit Träger- und Leitungsebene, eine intensive Kooperation
über 12 Monaten überwundenen Suchterkrankung. mit dem Suchthilfesystem auf lokaler und regionaler
Diese beiden Personengruppen waren gegenüber Ebene sowie eine (stärkere) Vernetzung der beteiligten
Menschen ohne suchtkranken Angehörigen deutlich Hilfesysteme sinnvoll. Die Koordinationsstelle Sucht

6_Projekte, Studien, Initiativen


153 

des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL) Ein Schwerpunkt liegt auf der Kooperation mit den
unterstützt sechs Einrichtungen der stationären Breitensportverbänden Deutscher Olympischer
Jugendhilfe bei der Entwicklung zielorientierter Sportbund, Deutsche Sportjugend, Deutscher Fußball-
Routinen. Bund, Deutscher Handballbund, Deutsche Turner-
Bund, Deutsche Turnerjugend und DJK-Sportverband.
Zur Zielerreichung werden von 2016 bis 2018 folgende Mit Qualifizierungsmaßnahmen von „Kinder stark
Handlungsfelder modellhaft an den beteiligten machen“ konnten bereits mehr als 2.700 Trainerinnen
Standorten in den Blick genommen: und Trainer erreicht werden.
• Konzeptionelle Verankerung des Themas „Substanz- www.kinder-stark-machen.de
konsum und suchtbezogene Problemlagen“
• Verbesserung der Handlungskompetenz und Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit
-sicherheit der Fachkräfte durch Schulung und
Qualifizierung DIOS: Dissemination und Implementierung von
• Stabilisierung oder Aufbau von Kooperationen mit (Online-)Präventionsmaßnahmen für missbräuch-
der Suchthilfe und Entwicklung gemeinsamer lichen Substanzkonsum bei Studierenden
Arbeitsprozesse Im Rahmen der Förderlinie „Prävention von riskantem
Substanzkonsum unter Studierenden“ des Bundesmi-
Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet. nisteriums für Gesundheit wurden seit 2013 unter-
https://www.lwl.org/LWL/Jugend/lwl_ks/unsere- schiedliche Ansätze der webbasierten Prävention und/
schwerpunkte-fuer-die-suchthilfe/projekte/quasie_ oder Reduktion von riskantem Substanzkonsum bei
start Studierenden entwickelt, durchgeführt und wissen-
schaftlich evaluiert. Das Projekt DIOS bündelt diese
Durchgeführt von der Bundeszentrale für Ansätze in einer Toolbox und bietet interessierten
gesundheitliche Aufklärung Hochschulen erstmalig ein evidenzbasiertes Präventi-
onskonzept an. Durch eine ressourcenangepasste
Kinder stark machen Auswahl und Implementierung soll ein nachhaltiger
Die Mitmach-Initiative „Kinder stark machen“ der Einsatz von (Online-)Präventionsangeboten zur Re-
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) duktion von Alkohol und weiteren Substanzen für
verfolgt einen universell-präventiven Ansatz und setzt Studierende an Hochschulen ermöglicht werden. Um
auf die Förderung von Lebenskompetenzen und die das geeignete Präventionsangebot für die jeweilige
Stärkung der Persönlichkeit von Kindern im Alter von Hochschule zu identifizieren, werden die Hochschulen
4 bis 12 Jahren. Hierzu gehören das Erlernen von durch das DIOS-Projekt wie folgt unterstützt: Im ers-
Konflikt-, Kommunikations- und Teamfähigkeit, ten Schritt wird die Ausgangssituation zur Prävention
Eigenverantwortung sowie Selbstvertrauen, verbunden von riskantem Substanzkonsum an der Hochschule
mit einem gesunden Selbstwertgefühl. erfasst. Der zweite Schritt beinhaltet die strukturierte
Rückmeldung der hochschulspezifischen Ergebnisse
Die Initiative richtet sich an alle Erwachsenen, die inklusive einer unverbindlichen Programmempfeh-
Verantwortung für Kinder tragen: Eltern und Erzie- lung. Der dritte Schritt sieht die Unterstützung bei der
hende, Lehrkräfte der Grundschule und Sekundar­ Implementierung des gewählten Angebots durch das
stufe I sowie Multiplikatoren, die im Sportverein mit DIOS-Team vor. Darüber hinaus wird ein Netzwerk für
Kindern arbeiten. teilnehmende und interessierte Hochschulen aufge-
baut, welches die Implementierung solcher Angebote
Im Jahr 2016 war die Initiative „Kinder stark machen“ mit einer gezielten langfristigen Strategie vorantreibt.
auf bundesweit 21 Sport- und Familienveranstaltungen Diese Strategie wird partizipativ entwickelt, das heißt,
mit insgesamt rund einer halbe Million Menschen wichtige Stakeholder im Bereich der Gesundheitsför-
präsent. derung von Studierenden (unter anderem Hochschul-

6_Projekte, Studien, Initiativen


154 

verwaltung, Studierendenwerke, Hochschulsport) und bislang kaum Informationen existieren, werden in


Studierende selbst werden in diesen Prozess miteinbe- allen drei Städten Fachkräfte aus unterschiedlichen
zogen. DIOS wird in Kooperation vom Leibniz-Institut Versorgungsbereichen befragt. Ein Großteil der
für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS in Interviews ist bereits durchgeführt worden. Das Projekt
Bremen, von der Hochschule Esslingen und der Delphi wird Mitte 2017 abgeschlossen sein.
Gesellschaft für Forschung, Beratung und Projektent-
wicklung in Berlin durchgeführt. Die Implementierung Gefördert durch: Bundesministerium des Innern
und Verbreitung der (Online-)Präventionsangebote
wird in einer Prozessevaluation wissenschaftlich Gesundheit und Sucht als Themen in
begleitet. Integrationskursen für Zuwanderer
https://dios.bips.eu/ Der Integrationskurs ist das bundesseitige Grundange-
bot zur Förderung der gesellschaftlichen, kulturellen
Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit und wirtschaftlichen Teilhabe von Zuwanderern. Er ist
in einen Sprach- und einen Orientierungskurs unter-
Ausmaß des problematischen Substanzkonsums teilt. Sowohl im „Rahmencurriculum für Integrations-
von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen kurse – Deutsch als Zweitsprache“ als auch in den
Zielgruppe des auf 15 Monate angelegten Projekts sind Integrationskurskonzepten ist Gesundheit als eines der
Fachkräfte, die für die Versorgung von unbegleiteten zentralen zu behandelnden Themen enthalten. Die
minderjährigen Flüchtlingen zuständig sind. Mittels Integrationskursteilnehmer sollen die Grundstruktu-
leitfadengestützter Interviews wird in den Städten ren der medizinischen Versorgung in Deutschland
Hamburg, Frankfurt und München exploriert, in kennenlernen und befähigt werden, gesundheitliche
welchem Ausmaß der Konsum psychotroper Substan- Beschwerden zu beschreiben sowie mit medizinischem
zen unter den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlin- Personal zu kommunizieren.
gen verbreitet ist, um welche Substanzen es sich
handelt und welche Charakteristika die Konsumieren- Im Jugendintegrationskurs, der sich an Teilnehmer bis
den aufweisen. Zudem werden umfassende Informati- zu einem Alter von 27 Jahren richtet, sind zu den in
onen dazu erhoben, wie seitens der Fachkräfte auf den allen Integrationskursarten bestehenden Lernzielen
Substanzkonsum reagiert wird und welche Hilfekon- zusätzliche allgemeinbildende Inhalte festgelegt, die
zepte vorhanden sind. Auf Basis der gewonnenen sich explizit mit dem Thema Sucht befassen. Den
Erkenntnisse sollen Interventionsstrategien entwickelt Teilnehmern werden die mit Drogen- und Alkohol-
werden, damit die Fachkräfte sowohl präventiv als missbrauch verbundenen Gefahren nahegebracht und
auch intervenierend handeln können. Die Studie wird ihnen soll die Verständigung darüber in einfachen
vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung Worten ermöglicht werden. Die Teilnehmer sollen
(ZIS) in Hamburg durchgeführt. In Deutschland zudem über die Unterstützungsangebote von Suchtbe-
befindet sich eine hohe Anzahl an unbegleiteten ratung und Selbsthilfegruppen informiert werden und
minderjährigen Flüchtlingen in Obhut der Jugendhilfe. mindestens eine Beratungsstelle persönlich kennenler-
Laut dem „Bundesfachverband unbegleitete minder- nen. Die Integrationskurse werden durch die Migrati-
jährige Flüchtlinge“ unterstanden im Jahr 2016 onsberatung für erwachsene Zuwanderer (MBE)
insgesamt 69.000 unbegleitete minderjährige Flücht- ergänzt, die durch individuelle Beratung und professi-
linge und junge volljährige Geflüchtete der Zuständig- onelles Fallmanagement Integrationsprozesse von
keit der Jugendhilfe. Etwa 90 Prozent dieser Flüchtlinge Zuwanderern initiieren und steuern soll. Hier werden
sind männlich und stammen zumeist aus Afghanistan, Zuwanderer bei Bedarf an Suchtberatungsstellen und
Syrien, Somalia und Eritrea. Ein hoher Anteil von ihnen andere Unterstützungsangebote verwiesen.
befindet sich in den drei Städten Hamburg, Frankfurt
am Main und München. Da zum Ausmaß des Kon-
sums psychotroper Substanzen in dieser Gruppe

6_Projekte, Studien, Initiativen


155 

Gefördert durch: Bundesministerium 2016 wurden die Jugendfilmtage in 15 Regionen


für Bildung und Forschung bundesweit durchgeführt. Es konnten so mehr als
10.000 Schülerinnen und Schüler und annähernd 1.000
Kognitiv-behaviorale Therapie bei Jugendlichen Lehrkräfte erreicht werden.
mit posttraumatischen Belastungsstörungen und www.rauch-frei.info/aktiv-dabei/jugendfilmtage.html
substanzbezogenen Störungen
Das Projekt wurde innerhalb des bundesweiten For- Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit
schungsnetzwerkes CANSAS (Childhood Abuse and
Neglect as a cause and consequence of Substance 5. „Europäische Werkstatt Suchtprävention“ 2016
Abuse – understanding risks and improving Services) Suchtgefährdung macht nicht vor Ländergrenzen halt.
durchgeführt. Thematische Klammer sind Substanz- Dennoch ist es nicht selbstverständlich, dass die Akteu-
missbrauch und posttraumatische Belastungsstörun- re der Suchtprävention europaweit zusammenarbeiten
gen im Zusammenhang mit Gewalt, Vernachlässigung, und voneinander lernen. „euro net“, das seit 25 Jahren
Misshandlung und Missbrauch in Kindheit und Jugend. bestehende „Europäische Netzwerk für praxisorientier-
Ziel der Studie war die adoleszenten- und gendersensi- te Suchtprävention“, ist deshalb eine Besonderheit.
tive Evaluation des manualisierten, kognitiv-behavio- Die beteiligten Präventionsexperten tauschen sich nicht
ralen Gruppenprogramms „Sicherheit finden“ in einer nur aus, sie haben auch schon viele von der EU geför-
Phase-I-Längsschnittstudie. Als Projektpartner fungier- derte Präventionsprojekte gemeinsam realisiert. Gerade
ten das Deutsche Zentrum für Suchtfragen des Kindes- erst wurden zwei neue Projekte von der EU bewilligt:
und Jugendalters (DZSKJ), die Boston University School „Click for support – realized“ und „Localize it“.
of Medicine und das Zentrum für Interdisziplinäre
Suchtforschung Hamburg (ZIS). Verbundpartner waren Ende 2016 veranstaltete der Landschaftsverband
unter anderem weitere Universitätskliniken aus dem Westfalen-Lippe (LWL) in Zusammenarbeit mit „euro
Bundesgebiet. net“ und der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen
www.cansas-studie.de die mittlerweile 5. „Europäische Werkstatt Suchtprä-
vention“. Im Vordergrund der Werkstatt stand der
Durchgeführt von der Bundeszentrale für länderübergreifende Austausch. Generelle Informatio-
gesundheitliche Aufklärung nen zur Suchtprävention, zu Initiativen und wirkungs-
vollen Projekten wurden von Präventionsexperten aus
Jugendfilmtage „Nikotin und Alkohol – Alltagsdro- 15 europäischen Ländern erläutert und diskutiert.
gen im Visier“ Schwerpunkt war die Suchtprävention in der Alters-
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gruppe der jungen Erwachsenen von 18 bis 25 Jahren.
(BZgA) führt seit 2005 die Jugendfilmtage „Nikotin und Ein besonderes Problem stellt die zielgruppengerechte
Alkohol – Alltagsdrogen im Visier“ durch. Themenbe- Ansprache der jungen Erwachsenen dar. Bei der
zogene Spielfilme für junge Leute, interessante Vorstellung von Good-Practice-Beispielen wurde unter
Mitmach-Aktionen und jugendgerechte Medien anderem über gelungene Ansätze zur Suchtprävention
machen die Jugendfilmtage zu einer attraktiven in Sportvereinen, an Hochschulen und im Partysetting
Kinoveranstaltung. Ziel der Jugendfilmtage ist es, berichtet.
Schülerinnen und Schüler zu einer kritischen Ausein-
andersetzung mit den Themen Rauchen und Alkohol- Das Fazit der Tage war:
konsum anzuregen, auch bezogen auf neue Entwick- • Die sehr unterschiedlich aufbereiteten Informatio-
lungen und Konsumformen, beispielsweise E-Zigarette nen zur Situation der Suchtprävention in den
und E-Shisha. Lehrerinnen und Lehrer werden vor der Ländern gaben interessante Impulse.
Veranstaltung in einem Workshop auf die Unterrichts- • Es gibt in den Ländern ähnliche Konsumentwicklun-
gestaltung vorbereitet. gen mit kleineren Abweichungen.
• Suchtprävention wird durch Veränderung der

6_Projekte, Studien, Initiativen


156 

Rahmenbedingungen sowohl der Struktur als auch ABBILDUNG 26:


der Politik beeinflusst. ÜBERSICHT VERBUNDSTRUKTUR GESA
• Es gibt interessante Präventionsansätze für diese
Altersgruppe, in einigen Ländern wird sie allerdings
auch nicht direkt adressiert.
• In fast allen Ländern wird mit dem Peer-Ansatz gear-
beitet, der als angemessen und effektiv gesehen wird.

Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen politischen


Situation wurden der Austausch und die Diskussions-
bereitschaft auf europäischer Ebene in einem Europa
der Regionen als sehr bereichernd und notwendig
bezeichnet.
http://www.euronetprev.org

Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit

GeSA (Gewalt-Sucht-Ausweg) – Verbund zur Gemeinsame Fachforen dienen dem gegenseitigen


Unterstützung von Frauen im Kreislauf von Kennenlernen, der Sensibilisierung für die Thematik,
Gewalt und Sucht dem Austausch von Wissen und Erfahrungen sowie der
Entwicklung und Erprobung möglicher Kooperationen
im konkreten Einzelfall. Für die Gestaltung der
Zusammenarbeit innerhalb der Fachforen wurde die
Methodik der Fallkonferenzen gewählt, die einerseits
einen differenzierten Einblick in die Arbeitsweise und
den Arbeitsauftrag der fallvorstellenden Einrichtungen
gibt, andererseits eine sehr praxisnahe Auseinanderset-
Das Kooperationsprojekt GeSA trägt der besonders zung mit bestehenden Problemen/Defiziten und den
schwierigen Situation gewaltbetroffener Frauen mit Chancen einer Bewältigung ermöglicht. Nach einem
einer Suchtmittelproblematik und ihrer Kinder Jahr intensiver Zusammenarbeit wird es nun in einem
Rechnung. Dabei geht es nicht um die Etablierung einer zweiten Schritt darum gehen, aus den so gewonnenen
neuen spezifischen Beratungs- oder Behandlungsstelle Erfahrungen und Ideen Handlungsempfehlungen
für Betroffene, sondern vielmehr um eine verbesserte abzuleiten. Diese sollen den Fachkräften aus den
Vernetzung und Kooperation bereits bestehender unterschiedlichen Hilfesystemen der Regionen eine
Unterstützungsangebote aus verschiedenen Hilfesyste- Orientierung für den Umgang mit der dualen Proble-
men. In den Regionen Rostock und Stralsund haben matik von Sucht und Gewalt geben sowie auf sinnvolle
sich deshalb Einrichtungen und Institutionen, die an Kooperationsformen und mögliche Partnerinnen und
der Versorgung und Unterstützung Betroffener beteiligt Partner für Kooperation aufmerksam machen.
sind, in Regionalverbänden zusammengefunden. Außerdem wird erörtert, ob und wie die gemeinsame
Gestaltung eines konkreten Angebotes für Betroffene
gelingen könnte.

Die Erfahrungen aus dieser dreijährigen träger- und


professionsübergreifenden Zusammenarbeit und die
damit verbundenen Herausforderungen werden Ende
2017 auf einem bundesweiten Fachkongress vorge-

6_Projekte, Studien, Initiativen


157 

stellt. In einem Handbuch zusammengefasst werden kung bejahten (n = 191), gaben ca. 75 Prozent eine
die Ergebnisse des Projekts für die Umsetzung in Depression an. Auffällig ist der hohe Anteil rauchender
anderen Regionen zugänglich gemacht. Träger des Partner (73,6 Prozent). Von den Teilnehmerinnen des
Projekts ist der Verein Frauen helfen Frauen e. V. Alkoholprogramms erhielten weniger als die Hälfte
Rostock. den ärztlichen Rat zum Alkoholverzicht (44,4 Prozent).
www.fhf-rostock.de Insgesamt nahm die Zahl der Teilnehmerinnen im
Programmverlauf ab, lediglich n = 7 (EC-Bedingung)
Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit bzw. n = 2 (SB-Bedingung) durchliefen alle 12 Pro-
grammwochen. Die Gruppenvergleiche zeigten keinen
IRIS – II: Wirksamkeit einer individualisierten, signifikanten Unterschied zwischen den beiden Studi-
risikoadaptierten internetbasierten Intervention enarmen nach zwölf Wochen. In die dritte Woche
zur Verringerung des Alkohol- und Tabakkonsums starteten signifikant mehr Teilnehmerinnen aus SB +
bei Schwangeren EC. Mit Blick auf die Tabakabstinenz waren signifikante
Unterschiede zwischen dem SB und SB+EC nach
Woche 1 zu verzeichnen. Die ITT-Analyse ergab eine
signifikant größere Anzahl an abstinenten Teilneh-
merinnen in SB + EC. Im Hinblick auf die Abstinenzan-
gaben drei Monate nach Programmende zeigten sich
bei den Raucherinnen keine signifikanten Unterschie-
Mit „IRIS – II“ wurde von 2013 bis 2016 die Inanspruch- de zwischen den beiden Bedingungen. Insgesamt
nahme und Wirksamkeit einer individualisierten, erwies sich die Teilnahme in SB + EC als wichtigster
risikoadaptierten, internetbasierten Intervention zur Prädiktor für den Programmstart in Woche 1, die
Verringerung des Alkohol- und Tabakkonsums bei Teilnahmedauer bis Woche 3 sowie die Abstinenz im
Schwangeren (IRIS) evaluiert und weiterentwickelt. Programmverlauf. Die Teilnehmerinnen in SB + EC
Die Studie wurde von der Sektion Suchtmedizin und waren tendenziell zufriedener mit der Anwendung
Suchtforschung der Universitätsklinik Tübingen (Katamnese). Die Kinder nicht abstinenter Raucherin-
durchgeführt. Die zweiarmige, randomisiert kontrol- nen wiesen laut Selbstauskünften ein um 370 Gramm
lierte Studie verglich eine standardisierte Beratungs- signifikant geringeres Geburtsgewicht auf.
plattform (SB) mit und ohne ergänzende Betreuung
durch einen professionellen Berater („E-Coach“ = EC). IRIS steht weiterhin allen Schwangeren offen und wird
Die Teilnehmerinnen durchliefen ein zwölfwöchiges intensiv genutzt. Eine dritte Förderphase wird seit dem
Programm, das auf das jeweilige Konsumprofil 1. Juli 2016 durch die BZgA finanziert. Ziel ist eine auf
(Alkohol, Tabak, kombinierter Konsum) zugeschnitten den Erfahrungen aus „IRIS – II“ basierende weitere
war, und erhielten entweder standardisierte Kurznach- Optimierung und Anpassung der Anwendung zur
richten oder eine wöchentliche individualisierte Vorbereitung einer möglichen Verstetigung des
E-Mail-gestützte Beratung durch den E-Coach. Angebots.
Randomisiert wurden in einem Jahr 650 Teilnehmerin- www.iris-plattform.de
nen (Ziel: n = 500), davon 85 Prozent im Tabak-,
12,2 Prozent im kombinierten und 2,8 Prozent im Durchgeführt von der Bundeszentrale für
Alkoholprogramm. 494 (88,8 Prozent) starteten in die gesundheitliche Aufklärung
erste Programmwoche. 84,3 Prozent der Teilnehmerin-
nen, die nicht zum ersten Mal schwanger waren, hatten „KlarSicht“-Mitmach-Parcours zu Tabak und
in vorangegangenen Schwangerschaften geraucht, Alkohol
über die Hälfte auch in der Stillzeit. Fehlgeburten Mit dem von der BZgA 2004 entwickelten „KlarSicht“-
gaben 37,1 Prozent an. Von den Teilnehmerinnen, die Mitmach-Parcours zu Tabak und Alkohol werden die
eine aktuelle oder zurückliegende psychische Erkran- beiden Substanzen interaktiv und informativ bundes-

6_Projekte, Studien, Initiativen


158 

weit in der Lebenswelt Schule thematisiert. Der ckelte Computer- und Smartphone-basierte Interven-
Parcours ist mit den BZgA-Jugendkampagnen „rauch- tion richtet sich an Personen, die regelmäßig rauchen
frei“, „Alkohol? Kenn dein Limit“ und „Null Alkohol – und in riskantem Umfang Alkohol trinken. Das Ziel ist
Voll Power“ verknüpft und richtet sich an Jugendliche es, Betroffene zu einer Verhaltensänderung (Tabakabs-
ab der achten Klasse in allen Schulformen. Ziel des tinenz und Reduktion des Alkoholkonsums) zu
Parcours ist es, über die Risiken des Rauchens und des motivieren. Dabei soll auch die Intervention selbst
Alkoholkonsums zu informieren, Schutzfaktoren zu hinsichtlich ihrer Akzeptanz, Praktikabilität und
stärken und eine kritische Einstellung zum Alkohol- Anwenderfreundlichkeit beurteilt werden. Um diesen
und Tabakkonsum zu fördern. Personen einen niederschwelligen Zugang zum
Hilfesystem zu ermöglichen, wurde auf der Basis von
Mit 20 Einsätzen in Schulen bundesweit konnte der Techniken wie der motivierenden Gesprächsführung
„KlarSicht“-Mitmach-Parcours 2016 rund 6.000 Schüle- und Elementen aus der kognitiven Verhaltenstherapie
rinnen und Schüler sowie 500 Multiplikatoren errei- eine Web-basierte Applikation entwickelt. Die Anwen-
chen. dung thematisiert den kombinierten, gesundheits-
www.klarsicht.bzga.de schädlichen Alkohol- und Tabakkonsum und wirkt auf
eine Änderung des Konsumverhaltens hin.
Gefördert durch: Bundesministerium
für Bildung und Forschung Aktuell werden die Wirksamkeit und die Umsetzbar-
keit des Programms, die Compliance und Zufriedenheit
Forschungsverbund zu Suchterkrankungen: der Betroffenen mit dem Behandlungsprogramm
Früherkennung und Intervention über die Lebens- sowie dessen Kosteneffektivität in einem randomisier-
spanne ten kontrollierten Design mit n = 180 Teilnehmenden
Der Forschungsverbund AERIAL (Addiction: Early überprüft. Hierbei sollen an den Universitätskliniken
Recognition and Intervention Across the Lifespan) ist Lübeck, Greifswald und Tübingen Probanden rekru-
einer von neun Forschungsverbünden des Forschungs- tiert und randomisiert entweder einer Standardinter-
netzes zu psychischen Erkrankungen, das vom Bundes- vention, einer rein computerbasierten, automatisierten
ministerium für Bildung und Forschung gefördert Intervention oder einer durch einen zusätzlichen
wird. Der Verbund erforscht neue Diagnose- und professionellen Berater personalisierten Version (mit
Behandlungsmöglichkeiten bei Alkohol- und Tabak- „E-Coach“) zugelost werden.
sucht. Die Wissenschaftler untersuchen neue Wege der
Früherkennung und des Zugangs der Betroffenen zum Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit
Versorgungssystem. Bestehende Instrumente der
Früherkennung sollen evaluiert, andere neu entwickelt Klausurwoche „Das Stigma von Suchtkrankheiten
werden. Gleichzeitig werden neue Behandlungskon- verstehen und überwinden“
zepte bei Alkohol- und Nikotinabhängigkeit erforscht. Suchtkrankheiten sind häufig und betreffen Menschen
Aufbauend auf den Ergebnissen der Studien wird die aus allen sozialen Schichten. Trotzdem werden
Implementierung entsprechender Maßnahmen im Personen mit Suchtproblemen und ihre Angehörigen
Gesundheitswesen angestrebt. als Randgruppe betrachtet und stigmatisiert. Auf einer
Klausurtagung vom 18. bis 23. September 2016, die von
Der Fokus liegt hierbei ausdrücklich auf Internet- und der psychiatrischen Klinik der Universitätsmedizin
Smartphone-basierten Anwendungen. Diese können Greifswald in Zusammenarbeit mit der Deutschen
im Suchtbereich im Hinblick auf das Erreichen von Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie
Verhaltensänderungen effektiv sein, denn sie weisen (DG Sucht) ausgerichtet wurde, haben Fachleute aus
verschiedene Vorteile auf: Sie sind zeit- und ortsunab- den Bereichen Selbsthilfe, Gesundheitsförderung und
hängig nutzbar und bieten vielfältige Möglichkeiten Prävention, Suchthilfe, Rehabilitation, Psychiatrie,
einer individuellen Anpassung. Die in AERIAL entwi- Psychotherapie, Soziologie, Ethik, Epidemiologie,

6_Projekte, Studien, Initiativen


159 

Werbung und Stigmaforschung ein Memorandum fördern sowie den Missbrauch von legalen und
erarbeitet, das Wege aufzeigt, wie das Stigma von illegalen Suchtmitteln zu verhindern. Durch eine
Suchterkrankungen verstanden und überwunden strukturelle Verankerung wird dies als dauerhafter und
werden kann. Erste Resultate der Tagung wurden in nachhaltiger Prozess gestaltet, der die Aufklärung
einer öffentlichen Podiumsdiskussion vorgestellt und sowie die Aus- und Weiterbildung von Multiplikatoren
diskutiert. Das Memorandum wird auf dem 40. Kon- sowie Vorgesetzten umfasst.
gress des Fachverbandes der Drogen- und Suchthilfe
vorgestellt und in der Zeitschrift SUCHT veröffentlicht. Hierbei arbeiten die Dienststellen der Bundeswehr in
einem etablierten Netzwerk zusammen, in dem sich
Die folgenden Aussagen wurden für das Memorandum neben dem Psychosozialen Netzwerk der Bundeswehr
konsentiert: Stigma schadet den Betroffenen und (bestehend aus Sanitätsdienst, Sozialdienst, Psychologi-
verstärkt Suchtprobleme. Stigma ist ein Hindernis auf schem Dienst, Militärseelsorge) auch die Soldaten-
dem Weg zur Hilfe, es führt zu schlechterer Behand- selbsthilfe gegen Sucht e. V. (SSHS e. V.) sowie weitere
lung und es vergrößert die sozialen und gesundheitli- Organisationen, Vereine und Initiativen engagieren.
chen Folgen einer Suchtkrankheit. Gleichzeitig ist Die Angehörigen der Bundeswehr werden umfassend
Stigma eine Reaktion des Umfelds auf ein potenziell über die Thematik aufgeklärt und darüber informiert,
schädliches Verhalten, das nicht gebilligt wird. Die dass der Missbrauch von legalen und illegalen Sucht-
Stigmatisierung von Menschen mit Suchtkrankheiten mitteln in der Bundeswehr nicht geduldet wird. Zu den
kann als Versuch verstanden werden, Suchtprobleme präventiven Maßnahmen gehören ein strukturiertes
durch Tabuisierung, Ausgrenzung und Abwertung zu Meldewesen, Aktionen, Broschüren, Vorträge, Semina-
lösen oder zumindest handhabbar zu machen. Aller- re, Aushänge, Datenträger sowie Auftritte in digitalen
dings ist diese „Lösung“ dysfunktional, weil sie das Medien. Suchtleitfäden und konkrete Dienstvereinba-
Problem nicht kleiner, sondern größer macht. Stigma rungen, die zum Beispiel Bestimmungen zum Alkohol-
trifft dabei diejenigen am stärksten, die am schwersten verbot während der Dienstzeit enthalten, sowie
betroffen und oft schon aus anderen Gründen benach- Richtlinien im Umgang mit abhängigkeitsgefährdeten
teiligt sind. zivilen und militärischen Mitarbeitern ergänzen dieses
Angebot. In die aktuelle Präventionsarbeit haben
Ein stigmafreier Umgang mit Suchtkrankheiten ist verstärkt die Aspekte polyvalenter und riskanter
möglich. Nicht Abwertung, Ausgrenzung und Diszipli- Konsummuster sowie stoffungebundener Süchte
nierung, sondern Wertschätzung und Befähigung Eingang gefunden.
(Empowerment) müssen im Zentrum von Prävention,
Behandlung sowie dem alltäglichen Umgang mit Als zentrale Anlaufstelle für Fragen der Suchtpräventi-
Suchtkrankheiten stehen. Um dies zu erreichen, gibt on und -bekämpfung in der Bundeswehr fungiert das
das Memorandum Empfehlungen zu den Bereichen am Zentrum Innere Führung in Koblenz seit dem Jahr
Befähigung, qualitative Verbesserungen in den Syste- 2000 bestehende „Dokumentationszentrum zur
men der Hilfe und Prävention, Forschung, Kommuni- Suchtprävention und -bekämpfung“.
kation und Kooperation sowie zu konzeptionellen und
rechtlichen Weiterentwicklungen. Auf der zugehörigen Webseite können Vorgesetzte,
www.dg-sucht.de Multiplikatoren sowie alle Interessierten unter dem
Stichwort „Dokumentationszentrum Suchtprävention“
Gefördert durch: Bundesministerium bzw. „Ansprechstellen“ weiterführende Informationen
der Verteidigung zum Umgang mit Abhängigkeitserkrankungen finden.
Dort werden auch die elektronische Form des ersten
Suchtprävention in der Bundeswehr Bandes der Handreichung für Dienststellenleiter und
Die Bundeswehr hat das Ziel, die Gesundheit der Vorgesetzte zum Thema „Intervention bei Abhängig-
Bundeswehrangehörigen zu erhalten, Abstinenz zu keit & Sucht“ sowie die zugehörigen Begleitmaterialien

6_Projekte, Studien, Initiativen


160 

eingestellt. In der zweiten Hälfte des Jahres 2017 folgt Diese wird bis Ende 2019 abgeschlossen sein und das
der zweite Band der Handreichung zum Themenfeld BGM in den Regelbetrieb übergehen.
„Prävention“. www.bundeswehr-support.de
www.soldatenselbsthilfe.de
Die SSHS e. V. (Soldatenselbsthilfe) umfasst über 300
ehrenamtliche Mitarbeiter, die überwiegend aus der Gefördert durch: Bundesministerium
eigenen Betroffenheit heraus handeln. Sie unterstützt für Verkehr und digitale Infrastruktur
die Bundeswehr unter anderem mit ausgebildeten
Suchtkrankenhelfern. Bei den Mitgliedern handelt es Zielgruppenprogramm „Aktion junge Fahrer“
sich sowohl um aktive als auch um ehemalige Soldaten Das von der Deutschen Verkehrswacht e. V. (DVW)
und Zivilpersonen, die im Rahmen ihrer Tätigkeiten durchgeführte Zielgruppenprogramm „Aktion junge
eng mit dem Psychosozialen Netzwerk der Bundes- Fahrer“ richtet sich an Fahranfänger und junge Fahrer.
wehr und dem durch das Bundesministerium der Die im Rahmen des Programms durchgeführten Ver-
Verteidigung (BMVg) moderierten „Netzwerk der Hilfe“ anstaltungen sollen den Jugendlichen und jungen
zusammenarbeiten. Erwachsenen die Gefahren, die im Umgang mit
Fahrzeugen im Straßenverkehr bestehen, bewusst
Mit dem Rahmenkonzept „Erhalt und Steigerung der machen und zur Selbstreflexion anregen. Das Pro-
psychischen Fitness von Soldaten und Soldatinnen“ gramm besteht aus Aktionselementen und Projektbau-
wurden basierend auf bereits bestehenden Methoden steinen. Das Programm wurde 2016 sowohl im
Verfahren zur Erfassung der psychischen Fitness für Hinblick auf inhaltliche Aspekte als auch auf struktu-
die Streitkräfte entwickelt, die zweckgebunden zu relle und prozedurale Voraussetzungen für die Umset-
bestimmten Zeitpunkten angewendet werden können. zung evaluiert. Aus den Ergebnissen dieser Evaluation
Aus den Ergebnissen der Erfassung der psychischen wurden Optimierungsvorschläge abgeleitet. So wurde
Fitness lassen sich zielgruppenorientiert individuell inzwischen ein Projektbaustein „Drogen“ im Pro-
zugeschnittene Maßnahmen zum Erhalt und zur gramm implementiert.
Steigerung der psychischen Fitness für Soldaten
ableiten. Die Überführung der Maßnahmen in den Gefördert durch: Bundesministerium
Regelbetrieb erfolgt seit 2016. für Verkehr und digitale Infrastruktur

Der Geschäftsbereich des BMVg führt ein systemati- Das Gesetz der Straße: Alkohol und Drogen am
sches Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) Steuer
ein. Das BGM hat zum Ziel, die Gesundheit der Bundes- Im Rahmen des Projekts „Bewegtbild und Erstellung
wehrangehörigen zu erhalten, zu schützen und zu von Unterrichtsmaterialien“ des BMVI werden
fördern. 2015 wurde ein wissenschaftlich begleitetes Kurzfilme zur Gestaltung von Unterrichtseinheiten für
Pilotprojekt an elf Erprobungsdienststellen durchge- junge Menschen mit pädagogischem Begleitmaterial
führt. Im Pilotprojekt wurden neben Angeboten in den erstellt. Auf dem YouTube-Kanal des BMVI sowie auf
Handlungsfeldern Bewegung, Ernährung und Stressbe- der Online-Plattform www.lehrer-online.de können
wältigung auch Maßnahmen im Bereich Sucht- bzw. interessierte Lehrkräfte kostenlos darauf zugreifen.
Abhängigkeitsprävention umgesetzt. Dabei erfolgte 2016 wurde neben dem Thema „Ablenkung“ ein Video
eine Einbeziehung des SSHS e. V., der mit betrieblichen und Material zu „Alkohol und Drogen am Steuer“
Suchtkrankenhelfern eine Betreuung aller Erprobungs- realisiert: Was bringt der Konsum von Alkohol und
dienststellen in Form von Vorträgen und Einzelgesprä- Drogen so alles in unserem Gehirn durcheinander und
chen sicherstellte. Basierend auf den in der Erprobung wie wirkt sich das auf unser Verhalten im Straßenver-
gewonnenen Erkenntnissen wurde die schrittweise kehr aus? Ralph Caspers kennt „Das Gesetz der Straße“.
Ausfächerung des BGM in der Bundeswehr begonnen. Weitere Themen werden 2017 folgen.

6_Projekte, Studien, Initiativen


161 

Gefördert durch: Bundesministerium


für Arbeit und Soziales

Bundesprogramm „Soziale Teilhabe am


Arbeitsmarkt“
Mit dem 2015 gestarteten Programm „Soziale Teilhabe
am Arbeitsmarkt“ sollen für sehr arbeitsmarktferne
Personen die Chancen auf Beschäftigung auf dem all-
gemeinen Arbeitsmarkt verbessert werden. Eine der
beiden Zielgruppen, die mit dem Programm erreicht
werden sollen, sind erwerbsfähige Menschen mit ge-
sundheitlichen Einschränkungen und langem Bezug
von Arbeitslosengeld II. Gefördert werden Arbeitsver-
hältnisse, die zusätzlich und wettbewerbsneutral sind
https://www.youtube.com/watch?v=djZ3eZV7nYs&feat und im öffentlichen Interesse liegen. Daneben werden
ure=youtu.be begleitende Maßnahmen wie etwa Suchtberatung
angestoßen, um die teilnehmenden Personen zu
Gefördert durch: Bundesministerium für stabilisieren und ihre Chancen auf eine Beschäftigung
Familie, Senioren, Frauen und Jugend am allgemeinen Arbeitsmarkt zu verbessern. Das
Bundesprogramm läuft bis Ende 2018 und wird
Materialien der Bundesarbeitsgemeinschaft wissenschaftlich evaluiert.
Kinder- und Jugendschutz http://www.bmas.de/DE/Themen/Arbeitsmarkt/
Modellprogramme/bundesprogramm-soziale-teilhabe-
am-arbeitsmarkt.html

Gefördert durch: Bundesministerium für Gesundheit


und Bundesministerium für Arbeit und Soziales

Erhebung von Ansätzen guter Praxis zur Integrati-


on und Aktivierung suchtkranker Leistungsberech-
tigter nach dem SGB II
Das Bundesministerium für Gesundheit und das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales haben eine
gemeinsame Studie zur „Erhebung von Ansätzen guter
Zum Zweck einer effektiven Einhaltung der neuen Praxis zur Integration und Aktivierung suchtkranker
Regelungen des Jugendschutzgesetzes fördert das Leistungsberechtigter nach dem SGB II“ in Auftrag
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und gegeben. Nach 2009 wurde 2016 zum zweiten Mal eine
Jugend verschiedene Informationsmaterialien, unter flächendeckende Bestandsaufnahme in den Jobcentern
anderem Plakate und Flyer der Bundesarbeitsgemein- dazu durchgeführt, wie im Bereich des SGB II die
schaft Kinder- und Jugendschutz (BAJ). Integration und Aktivierung für die Zielgruppe der
https://www.bag-jugendschutz.de/ missbräuchlich oder abhängig Suchtmittel konsumie-
renden Menschen erfolgt, auf welchen Wegen dabei
Umfassende Informationen zu den neuen Regelungen gute Erfolge erzielt werden und welche Handlungsbe-
des Jugendschutzgesetzes enthält auch das Informa- darfe es gibt.
tions-Portal:
http://www.jugendschutz-aktiv.de/

6_Projekte, Studien, Initiativen


162 

2 Weitere Projekte FASD – Wegweiser in Hamburg


SUCHT.HAMBURG präsentierte zum internationalen
2.1 Suchtstoff- bzw. suchtformbezogene Tag des alkoholgeschädigten Kindes 2016 ein kostenlo-
Projekte ses Faltblatt zur Information für Fachkräfte in den
Arbeitsfeldern der medizinischen Versorgung, der
Alkohol Frühen Hilfen und der Jugendhilfe sowie der Suchthil-
fe. Der hamburgspezifische Wegweiser schließt
Erklärvideo für Flüchtlinge Wissenslücken und trägt zu mehr Aufmerksamkeit für
Die Hessische Landesstelle für Suchtfragen e. V. (HLS) FASD bei Fachkräften bei. Der Wegweiser enthält
hat im Auftrag des Hessischen Ministeriums für kompakte Informationen über die Erscheinungsfor-
Soziales und Integration (HMSI) ein Erklärvideo für men von FASD, die Diagnosemöglichkeiten und die
Flüchtlinge entwickelt. Unter der Überschrift „Warum wichtigsten Anlaufstellen. Mit praktischen Hinweisen
kann Alkohol für mich gefährlich werden?“ wird in über die Auswirkungen von FASD im Alltag und
fünf Sprachversionen (Deutsch, Englisch, Arabisch, Hinweisen zu Unterstützungsmöglichkeiten soll die
Dari und Tigrinya) erklärt, weshalb der Konsum von Wahrnehmungs- und Handlungskompetenz bei den
Alkohol gerade bei Flüchtlingen mit gesundheitlichen Fachkräften gesteigert werden.
Gefahren verbunden ist – wenn sie aufgrund fehlender http://www.lina-net.de/uploads/59.pdf
Erfahrung im Umgang mit Alkohol die Wirkungen
nicht einschätzen können oder sie ihn, aufgrund ihrer „Klartext reden!“ – Initiative zur Unterstützung der
traumatischen Erfahrungen, als Beruhigungs- und Alkoholprävention in Familien
Betäubungsmittel einsetzen.

„Vor dem Hintergrund, dass die geflüchteten Men-


schen fast alle über Smartphones verfügen, haben wir
uns dazu entschlossen, die Botschaften nicht auf tradi-
tionellem Wege über Flyer zu kommunizieren, sondern
über das Medium Erklärvideo“, erläutert Wolfgang
Schmidt-Rosengarten, Geschäftsführer der Hessischen 2005 hat der „Arbeitskreis Alkohol und Verantwortung“
Landesstelle für Suchtfragen. des BSI (Bundesverband der Deutschen Spirituosen-
Das Video darf von allen interessierten Organisationen Industrie und -Importeure e. V.) in Kooperation mit
und Personen kostenlos heruntergeladen und weiter- dem Bundeselternrat die Initiative „Klartext reden!“
verbreitet werden. zur Unterstützung der Alkoholprävention in Familien
www.hls-online.org gegründet. Ziel der Initiative ist es, die Erziehungs- und
Gesprächsführungskompetenz der Eltern in Bezug auf
das Thema „Alkohol“ zu stärken. Hauptbestandteile
der Initiative sind: kostenlose Eltern-Workshops,
Infobroschüren, begleitender Social-Media-Auftritt
und Website mit Online-Trainings für Eltern. Die
Workshops werden bundesweit angeboten und von
unabhängigen Suchtexperten durchgeführt, die
gemeinsam mit den Eltern alltagsnahe Lösungsansätze
erarbeiten. Seit dem Start der Initiative wurden
256 Workshops mit ca. 6.940 Teilnehmern durchge-
führt.
http://www.klartext-reden.de/
https://de-de.facebook.com/Klartextreden

6_Projekte, Studien, Initiativen


163 

„Verantwortung von Anfang an!“ – Leitfaden für den 22-Jährigen bereits vor dem 18. Lebensjahr mindestens
Verzicht auf alkoholhaltige Getränke in Schwanger- einmal im Monat übermäßig alkoholisiert mobil im
schaft und Stillzeit öffentlichen Verkehrsraum unterwegs waren.
„Alkohol – Alles im Griff!“ ist das Thüringer Bündnis
für einen verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol.
Verantwortung
von Gemeinsam mit Vertretern der Politik, der Vereine und

Anfang an! Verbände, der Organisationen und der Wirtschaft


sollen Bedingungen geschaffen werden, die einen
maßvollen und kritischen Alkoholkonsum in der
Der „Arbeitskreis Alkohol und Verantwortung“ des BSI Thüringer Gesellschaft fördern. Im Rahmen des
(Bundesverband der Deutschen Spirituosen-Industrie Thüringer Bündnisses entwickelte die Thüringer
und -Importeure e. V.) gibt seit Anfang 2009 mit Fachstelle Suchtprävention des Fachverbandes Drogen-
wissenschaftlicher Unterstützung der Klinik und und Suchthilfe e. V. in Zusammenarbeit mit dem
Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin des Univer- Präventionszentrum der SiT – Suchthilfe in Thüringen
sitätsklinikums Münster (UKM) und der FAS-Ambu- gGmbH die Präventionskampagne „VORBEI GE-
lanz der Tagesklinik Walstedde die Broschüre „Verant- RAUSCHT“, welche den Fokus nicht nur auf den
wortung von Anfang an! – Leitfaden für den Verzicht Konsum von Alkohol legt, sondern auf alle Suchtmittel
auf alkoholhaltige Getränke in Schwangerschaft und im Straßenverkehr. 2016 wurden verschiedene Maß-
Stillzeit“ heraus, mit dem Ziel, in klarer und übersicht- nahmen und Angebote im Rahmen der Kampagne
licher Form über das Fetale Alkoholsyndrom (FAS) zu „VORBEI GERAUSCHT“ entwickelt und in Thüringen
informieren und Tipps zu geben, wie schwangere und implementiert (Elternbrief mit Infoblatt, Parkscheibe
stillende Frauen auf alkoholhaltige Getränke konse- mit Botschaften für Fahranfänger).
quent verzichten können.
Illegale Drogen
Auf der begleitenden Website der Initiative können
sich werdende Eltern neben relevanten Informationen Safer Nightlife in Dresden – Mobiles Suchtpräventi-
auch online praxisnahe Expertentipps zum Thema onsteam (apo)THEKE des Diakonischen Werkes und der
„Alkohol in der Schwangerschaft“ einholen. Die Stadtmission Dresden e. V. unterwegs
Verteilung der Broschüren (ca. drei Millionen Stück bis Egal ob Club, Kiezfest oder Open-Air-Festival – für die
Dezember 2016) erfolgt über gynäkologische Praxen Mitarbeiter der (apo)THEKE herrscht immer Hochkon-
und Hebammen. junktur. Das mobile Suchtpräventionsteam ist in
Seit Mai 2012 gibt es darüber hinaus das Faltblatt Dresden unterwegs, um Partygäste über ein risikoar-
„Verantwortung von Anfang an! – Was Mädchen über mes Nachtleben zu informieren.
alkoholhaltige Getränke in der Schwangerschaft wissen
sollten“. Damit sollen die Besucher zu einem reflektierten und
www.verantwortung-von-anfang-an.de gesundheitsbewussten Verhalten angeregt und
Veranstalter hinsichtlich der Gefahren sensibilisiert
„VORBEI GERAUSCHT“ werden. Das Fachteam klärt über Wirkweisen und
Risiken von Partydrogen auf, regt zum Nachdenken
über den eigenen Konsum an und unterstützt Absti-
nente in ihrer Absicht, keine Drogen zu konsumieren.
Herzstück der (apo)THEKE ist ein großes Rundzelt
mit bequemen Sitzsäcken. Dieses beherbergt einen
Infostand mit Substand-Flyern, Obst, Wasser und
Die Ergebnisse der Bundesanstalt für Straßenwesen Safer-Use-Materialien. Auf Wunsch werden Kurzbe­
zeigen, dass etwa 65 Prozent der befragten 12- bis ratungen durchgeführt und Hilfsangebote vermittelt.

6_Projekte, Studien, Initiativen


164 

Die Sozialarbeiter begleiten bei sogenannten „bad einzelnen Bereichen als auch bereichsübergreifende
trips“ und leisten im Drogennotfall Erste Hilfe. sowie diverse Schnittstellen- und Kommunikations-
https://www.facebook.com/Safer-Nightlife-in-Dres- probleme (unter anderem mit dem Kostenträger) eine
den-1675360949412830/?ref=page_internal bedarfsgerechte Versorgung behindern. Auffallend sind
hierbei in nahezu allen Versorgungsbereichen zum Teil
„Methamphetaminkonsum in Mitteldeutschland“ lange Warte- und zu kurze Behandlungszeiten sowie
Ziel des von der Universität Halle durchgeführten mangelnde finanzielle und personelle Ressourcen. Aber
Forschungsprojekts war es, die Anforderungen an den auch motivationale Barrieren aufseiten der Behandler
gestiegenen Versorgungsbedarf von Methamphetamin- sowie zum Teil nicht ausreichend angepasste Behand-
Abhängigen in Mitteldeutschland und die damit lungs- und Beratungskonzepte beeinträchtigen eine
verbundenen Herausforderungen zu explorieren. Die bedarfsgerechte Versorgung Methamphetamin-Abhän-
Ergebnisse der von der Deutschen Rentenversicherung giger in Mitteldeutschland. Weiterhin liefern die Ergeb-
Mitteldeutschland geförderten Studie zeigen überein- nisse der Studie sowohl inhaltliche als auch strukturel-
stimmend mit aktuellen internationalen und nationa- le Optimierungspotenziale der einzelnen Ver­sorgungs­
len Daten, dass es sich bei den Methamphetamin- sektoren sowie Verbesserungsmöglichkeiten der
Abhängigen um eine sehr heterogene Gruppe handelt, Schnittstellen- und Kommunikationsprobleme.
welche unterschiedliche Ansprüche an eine bedarfsge- http://www.ims.uni-halle.de/forschung/forschungs-
rechte Versorgung stellt. Eine besonders vulnerable projekte/laufende_projekte/meth-md/
Konsumentengruppe bilden hierbei Eltern mit
Kindern, Frauen sowie Schwangere. Weiterhin konnten Computerspiel- und Internetabhängigkeit
die Ergebnisse der Studie internationale Erkenntnisse
zur Konsummotivation stärken und insbesondere für Interface Extended – ein Präventions- und Beratungs-
den deutschen Kontext ausbauen. Die Analysen zeigen angebot zum Thema exzessive Mediennutzung der
als Hauptmotiv für den Konsum von Methampheta- Jugend(Sucht)Beratung Hamm
min die Leistungssteigerung in Beruf, Schule, Ausbil-
dung und Alltag. Die Konsumenten versuchen, wie
auch immer geartete Belastungssituationen mithilfe
des Konsums von Crystal Meth zu bewältigen. Daneben
sind weitere Konsummotivationen wie zum Beispiel
Selbstmedikation, Selbstwertsteigerung und Auspro-
bieren zu nennen. Die Ergebnisse verdeutlichen zudem,
dass verschiedene Besonderheiten und Komorbiditä- Interface Extended ist ein systemisches Beratungs- und
ten (insbesondere psychische Erkrankungen) der Präventionsangebot für exzessiv medienkonsumieren-
Betroffenen das gesamte Suchthilfesystem vor neue de Jugendliche und deren Angehörige.
Herausforderungen stellen. Insgesamt gestaltet sich die
Versorgung der Betroffenen anspruchsvoller und Das dreijährige Projekt wird im Rahmen des Aktions-
zeitintensiver als bei anderen Drogenkonsumenten. In planes gegen Sucht Nordrhein-Westfalen gefördert.
Bezug auf die aktuelle Versorgungsstruktur zeigt sich, Im ersten Jahr wird Interface Extended in der Ju­
dass derzeit keine ausreichend bedarfsgerechte gend(Sucht)Beratung in Hamm implementiert, bevor
Versorgung für Methamphetamin-Abhängige in anschließend die Ergebnisse auf weitere Standorte in
Mitteldeutschland gewährleistet werden kann, da diese NRW übertragen werden. Das Projekt bietet neben der
durch mehrdimensionale Barrieren und Defizite in Beratung von Jugendlichen und deren Eltern auch die
allen Versorgungsbereichen beeinträchtigt ist. Möglichkeit der Kontaktaufnahme über verschiedene
digitale Wege. Chat, App und relevante soziale Netz-
Zusammenfassend kann formuliert werden, dass werke ermöglichen die Kontaktaufnahme. Ein zusätzli-
sowohl unterschiedliche strukturelle Probleme in cher Schwerpunkt ist die Sensibilisierung, Vernetzung

6_Projekte, Studien, Initiativen


165 

und Fortbildung von Multiplikatoren. Das Projekt wird „LOG OUT – unabhängig im Netz“ wurde von der Nie-
von der SRH Hochschule Hamm evaluiert. dersächsischen Landesstelle für Suchtfragen koordi-
www.interface-hamm.de niert und von der Universität Hildesheim evaluiert.
http://nls-online.de/home16/index.php/praevention/
log-out-unabhaengig-im-netz

Kampagne „Medien – Familie – Verantwortung“


Viele Eltern sind sich ihrer Vorbildfunktion in Sachen
Handykonsum nicht bewusst. Mit der Kampagne soll
das Bewusstsein über Gefahren einer übermäßigen
Smartphone- und Mediennutzung für die Bindung
zwischen Bezugspersonen und Kindern geweckt
werden. Die Kampagne startete im Frühjahr 2016 in
Rostock und wurde dann auf ganz Mecklenburg-
Vorpommern ausgedehnt. Flächendeckend wurden
Eltern an Litfaßsäulen und Werbewänden mit Plakat-
motiven aufgefordert, darüber nachzudenken, wie oft
sie mit dem Smartphone beschäftigt sind und dabei
ihre Kinder ignorieren. Kindertagesstätten, Kinderärzte
und andere bestellten die Plakate für ihre Einrichtun-
gen. Mit dem Start der landesweiten Kampagne im
Oktober 2016 wurden auch Fortbildungen für Erzieher
und themenbezogene Elternabende angeboten.

2017 wird die Kampagne ausgeweitet. Dazu werden


Erzieher und andere Interessenten befragt. Es geht
darum, zu erfassen, wie die Plakate ankamen, welche
Ideen es vor Ort gibt und was in der Praxis noch
LOG OUT – unabhängig im Netz gebraucht wird. Nachdem bislang hauptsächlich
Kindertagesstätten im Fokus standen, sollen 2017 auch
Materialien für Jobcenter, Logopäden, Psychologen,
Schwangerschaftsberatungsstellen, Frauenärzte und
Hebammen erstellt werden.

Die Kampagne wird durch die Landeskoordinierungs-


stelle für Suchtthemen Mecklenburg-Vorpommern
Mit Förderung des Niedersächsischen Ministeriums für koordiniert. Die ersten Module wurden mit Mitteln der
Soziales, Gesundheit und Gleichstellung wurde über Bundesinitiative Frühe Hilfen und des Landesministe-
drei Jahre (2014–2016) ein Schwerpunkt zur Medien- riums für Soziales, Integration und Gleichstellung
suchtprävention in vier Fachstellen für Sucht und Mecklenburg-Vorpommern finanziert.
Suchtprävention implementiert. Die Aufgabe der www.medienwissen-mv.de
Fachkräfte war es, ein regionales Präventionsangebot
für Jugendliche, Eltern und Multiplikatoren zu Lebenslust statt Onlineflucht
etablieren, ebenso wie ein Beratungsangebot für Das am Deutschen Zentrum für Suchtfragen des
Betroffene und deren Angehörige. Vernetzung und Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) entwickelte Grup-
Öffentlichkeitsarbeit rundeten das Aufgabenprofil ab. penprogramm „Lebenslust statt Onlineflucht“ wurde in

6_Projekte, Studien, Initiativen


166 

einer Pilotstudie an der Drogen- und Alkoholambulanz (NLS) das Erklärvideo „Sportexperte = Wettexperte?“
für Jugendliche, junge Erwachsene und deren Familien entwickelt. Es richtet sich vor allem an sport- und
des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf fußballbegeisterte junge Männer. Das Erklärvideo
evaluiert. Verwendet wurden die Compulsive Internet vermittelt in 90 Sekunden die Anreize und zugleich
Use Scale (CIUS) zur Erfassung von pathologischem Risiken von Sportwetten. In einfacher Sprache fördert
Internetgebrauch und das Screening psychischer es mit animierten Bildern die Sensibilität und Auf-
Störungen im Jugendalter (SPS-J) zur Erfassung der merksamkeit für das Thema Sportwetten und zeigt die
Psychopathologie. Die Ergebnisse geben Hinweise auf oft vorhandene Kompetenzüberschätzung der Wetter
die Wirksamkeit des Programms. Die Jugendlichen sowie die damit verbundenen Risiken auf. Zusätzlich
berichteten zu Behandlungsende signifikante Verbes- gibt es Hinweise auf Informationsmöglichkeiten und
serungen hinsichtlich der Schwere ihres problemati- Unterstützungsangebote. Das Video ist auch auf
schen Internetgebrauchs sowie der durchschnittlichen Türkisch und Arabisch und als Version mit Untertiteln
Nutzungszeiten des Internets. Es ergaben sich keine abrufbar.
signifikanten Veränderungen in der psychopathologi- http://www.wette-glueck.de
schen Belastung, in der sich die Jugendlichen allerdings
bereits zu Behandlungsbeginn kaum von den Mittel- Präventionsprojekt Glücksspiel
werten der deutschen SPS-J-Normstichprobe unter- Das Präventionsprojekt Glücksspiel in Trägerschaft der
schieden. pad gGmbH ist im Auftrag der Senatsverwaltung für
Gesundheit, Pflege und Gleichstellung für die berlin-
Internetportal computersuchthilfe.info weite Prävention von Glücksspielsucht zuständig. Über
Die Onlineplattform ist im Rahmen des vom Deut- Facebook, Twitter und YouTube kommt das Präventi-
schen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und onsprojekt besonders zeitnah und individuell mit
Jugendalters (DZSKJ) durchgeführten Projekts „Bera- Jugendlichen und jungen Erwachsenen ins Gespräch.
tungs- und Behandlungsangebote zum pathologischen Seit 2016 können sich Ratsuchende neben den offenen
Internetgebrauch in Deutschland und zielgruppenspe- Sprechzeiten auch per WhatsApp an das Projekt
zifisches Informationsmaterial für betroffene Kinder, wenden.
Jugendliche und Erwachsene“ entstanden. In dem
Internetportal werden unter anderem eine Suchma-
schine zu bundesweiten Beratungs- und Behandlungs-
einrichtungen sowie PDF-Versionen von drei Broschü-
ren zum Thema Computer- und Internetsucht mit den
Zielgruppen Jugendliche, Erwachsene sowie Angehöri-
ge und Lehrer angeboten. Im Rahmen eines gemeinsa-
men Projekts mit der DAK wurde die Plattform 2015
aktualisiert.
www.computersuchthilfe.info

Pathologisches Glücksspiel

Sportexperte = Wettexperte? Erklärvideo zum Thema


Sportwetten Wichtiger Ausgangspunkt für die Prävention von
Die Teilnahme an Sportwetten ist bei 18- bis 20-jähri- Glücksspielsucht in der Berliner Bevölkerung ist neben
gen Männern deutlich angestiegen. Der Problemspie- der Aufklärung und Lebenskompetenzförderung auch
leranteil ist unter den Sportwettern relativ hoch. An- die Durchführung öffentlichkeitswirksamer Kampag-
lässlich dieser besorgniserregenden Zahlen wurde von nen. Um möglichst viele Menschen zu erreichen,
der Niedersächsischen Landesstelle für Suchtfragen werden potenzielle Zielgruppen durch virale Filmspots

6_Projekte, Studien, Initiativen


167 

dazu animiert, die Präventionsbotschaft zu teilen und 2.2 Suchtstoff- bzw. suchtformübergreifende
selbst weiterzuverbreiten. So konnte für die Kampag- Projekte
nenfilme „Glückssträhne“ und „Vorsicht vor Jack Pott“
eine hohe Reichweite mit über 25.900 Klicks erreicht Die blu:app von blu:prevent – kostenfreie Sucht­
werden. präventions-App für Jugendliche

Menschen mit Migrationserfahrung haben ein beson-


ders hohes Risiko, eine Glücksspielsucht zu entwickeln.
Zur besseren Erreichbarkeit bietet das Präventionspro-
jekt daher mehrsprachige Präventionsmaterialien an.
Weiterhin werden im Rahmen eines Runden Tisches in
Kooperation mit Migrantenorganisationen, Kliniken,
Sportvereinen, Glücksspielanbietern und Suchthilfe-
einrichtungen migrationssensible Präventionsstrategi-
en erarbeitet.
http://www.faules-spiel.de/

Informations-Flyer über Glücksspielsucht und


Hilfe­angebote in neun Sprachen
Ein Projekt der ganz besonderen Art hat die Lan- Seit November 2016 steht die neue App von
desstelle Glücksspielsucht in Bayern (LSG) mit einem blu:prevent (Suchtpräventionsarbeit des Blauen
neuen Informations-Flyer umgesetzt. In neun Spra- Kreuzes in Deutschland) zum kostenlosen Download
chen (Deutsch, Türkisch, Englisch, Französisch, (für iOS und Android, Smartphones und Tablets) zur
Russisch, Spanisch, Polnisch, Arabisch und Kroatisch) Verfügung. Mit der App soll das Thema Sucht adäquat
bietet die Landesstelle allen Betroffenen und Interes- und modern in die Lebens- und Kommunikationswelt
sierten auf einen Blick die relevanten Informationen der Jugendlichen transportiert werden. Auf drei Dinge,
zum Thema Glücksspielsucht sowie einen kompakten die für Heranwachsende besonders wichtig sind, wurde
Test, der mit lediglich zwei Fragen entscheidende maßgeblich geachtet: Selbstwirksamkeit, Unterhal-
Hinweise zum eigenen Spielverhalten liefern kann. tungswert und Anonymität. Daher reicht die Bandbrei-
Auch der Weg in das von der LSG installierte und te von sehr niedrigschwelligen und einfach verständli-
bayernweit verfügbare Hilfesystem ist im Flyer chen Informationen/Inhalten bis hin zu konkreten
beschrieben. Flankierend zum Multisprachen-Flyer Chat- und Beratungsangeboten. Für die Jugendlichen
bietet die Website „Verspiel nicht dein Leben“ weitere soll die App wie ein Coach sein, den man in der Tasche
Informationen rund um das Thema Glücksspielsucht hat und bei Bedarf verwenden kann. Die von der DAK
in ebenfalls neun Sprachen. geförderte blu:app wird regelmäßig aktualisiert und
http://www.verspiel-nicht-dein-leben.de mit neuen Inhalten gefüllt, damit die Attraktivität und
Aktualität gewährleistet ist.

Hier eine Kurzvorstellung der Funktionen (Features):


• CHECK
Nachdem der Benutzer sein Alter und Geschlecht
eingegeben hat, wird er im Bereich „CHECK“ durch
15 interessante Fragen rund um seine persönliche
Situation, sein Befinden, Umfeld und Konsumverhal-
ten geführt. Am Ende erstellt die App ein individuel-
les Profil, damit der User eine realistische Einschät-

6_Projekte, Studien, Initiativen


168 

zung bekommt. Mit dabei: eine Coach-Empfehlung, #VOLLFREI


was als nächster Schritt infrage kommt.
• CALC
Um eine gesunde Einschätzung zu bekommen, wie
viel reinen Alkohol man beim Konsum von alkoholi-
schen Getränken aufnimmt, dient die Funktion
„CALC“ (Abkürzung für Kalkulation). Auch hier spie-
len Alter und Geschlecht eine wesentliche Rolle. Der
Ansatz ist hier, den verantwortungsvollen Umgang Über den Hashtag bzw. das Schlagwort #VOLLFREI
mit Alkohol sowie Grenzen kennenzulernen und zu können junge Menschen interessante und unterhaltsa-
verstehen, wie der eigene Körper mit Alkohol um- me Infos zu Sucht und Lebensfragen auf der neuen
geht. Nach einigen Angaben gibt es auch hier ein Homepage oder den Social-Media-Kanälen (YouTube,
abschließendes Profil, welches dem User den eigenen Instagram, Facebook) von blu:prevent (Suchtpräventi-
Konsum widerspiegelt. onsarbeit des Blauen Kreuzes) finden. VOLLFREI steht
• FACTS dafür, das Leben in VOLLen Zügen zu genießen und
Bei „FACTS“ handelt es sich um eine Datenbank mit FREI zu bleiben/sein/werden. Oder auch für die
vielen Informationen rund um das Thema Sucht. Gegensätze VOLL (sein) und FREI (sein).
Ähnlich wie auf einer Homepage kann der User un- www.vollfrei.de
terschiedliche Fragen zu Alkohol, Cannabis, Rauchen,
Zocken, Porno und Smartphone beantwortet bekom- Hinschauen – Hinhören – Handeln
men. Zudem werden vorab zehn „Facts des Monats“
angezeigt, die auf unterhaltsame Art und Weise neue
Entdeckungen versprechen. Diese erscheinen
monatlich auf dem Display des Smartphones.
• HELP
Bei „HELP“ kann der Nutzer zwischen drei Möglich-
keiten wählen:
„Hinschauen – Hinhören – Handeln“ ist ein Projekt der
1. CHAT: Ab Sommer 2017 werden zu bestimmten Fachstelle für Suchtprävention Berlin zur kultursensib-
Zeiten Beratungen per Chat angeboten – zunächst len Suchtprävention für Geflüchtete und beinhaltet die
anonym, später auf Wunsch auch mit Kontaktdaten- Bausteine:
austausch. • Beratungen, Coachings und Schulungen für Mitar-
2. KONTAKT: Über eine Ortungsfunktion oder die beiter der Berliner Flüchtlingsunterkünfte,
Eingabe der PLZ können Nutzer Hilfeangebote des • die Entwicklung mehrsprachiger Materialien,
Blauen Kreuzes oder externer Partner/Anbieter wie insbesondere die Broschüre „Mut machende Infos
der Diakonie etc. finden. Dies betrifft: Jugendangebo- für Ihre Gesundheit. Kleiner Wegweiser für Geflüch-
te, Selbsthilfeangebote für Jugendliche, Beratungs- tete in Berlin“,
stellen, Kliniken, Beratungsangebote für Medienab- • Informationsveranstaltungen für Geflüchtete.
hängigkeit usw. Auf einer Deutschlandkarte werden
alle Kontaktstellen mit bunten Punkten angezeigt. Ziel der Maßnahmen ist es, suchtpräventive Strukturen
3. NOTRUF: Für ganz akute Situationen gibt es die in den Unterkünften zu etablieren, die Handlungssi-
Funktion des NOTRUFS. Hier sind unterschiedliche cherheit zu erhöhen sowie eine aktive Vermittlung in
Hotlines und Beratungsangebote aufgelistet. das Hilfesystem zu erleichtern. Somit wird eine Kultur
www.bluprevent.de des Hinschauens gefördert – alle Maßnahmen stehen
unter dem Motto „Hinschauen und Handeln hilft!“.
www.berlin-suchtpraevention.de

6_Projekte, Studien, Initiativen


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DRUGSTOP – Integrative Hilfe im Kindes- und Jugend- Suchthilfe-Altenhilfe-System im Lahn-Dill-Kreis


alter bei Drogen und Suchtverhalten, Leben auf der
Straße und psychischer Erkrankung

In den Jahren 2014 bis 2015 baute die Suchthilfe


Wetzlar e. V. in Kooperation mit der Klinik Eschenburg
das Netzwerk Suchthilfe-Altenhilfe im Lahn-Dill-Kreis
DRUGSTOP ist ein Programm der KARUNA Drogen- (LDK) auf. 2016 bis 2017 führt die Suchthilfe Wetzlar
und Suchthilfe und des Vivantes Klinikums für e. V. den Netzwerkausbau hin zu einem Suchthilfe-
Kinder- und Jugendpsychiatrie in Berlin für drogen- Altenhilfe-System im LDK fort. Beide Projekte sind
konsumierende Jugendliche zwischen dem 14. und maßgeblich durch Mittel des Hessischen Ministeriums
25. Lebensjahr. Von der Straße in die Hilfeeinrichtung, für Soziales und Integration gefördert. Ziele und
dann hinüber in die Entgiftung und zur Diagnostik Ergebnisse der Projektarbeit sind die Verbesserung
beim Kooperationspartner, dem städtischen Vivantes und/oder der Erhalt des Gesundheitszustands, die
Klinikum für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Risikominderung des Alkohol- und Medikamenten-
anschließend zur spezialisierten Jugend- und Drogen- konsums und der Ausbau eines regelhaften Behand-
hilfe, ohne Abbruch. Damit das gelingt, begleiten lungsangebots für alkohol- und medikamentenabhän-
Fallmanager den gesamten Weg. Innerhalb des gige ältere Menschen. Der Netzwerkaufbau wurde
Prozesses arbeiten die Subsysteme verschränkt erfolgreich realisiert. Fortbildung, Beratung und
miteinander und auf Augenhöhe. Der Psychologe der Coaching für Fachkräfte der ambulanten und stationä-
Klinik besucht regelmäßig die Hilfeeinrichtung, nimmt ren Altenhilfe und Suchthilfe wurden etabliert.
Kontakt auf, hilft bei der Motivation, die Klinik Informations-, Beratungs- und Vermittlungsangebote
aufzusuchen. Die Fallmanager der Hilfeeinrichtung von Hilfen und Behandlungsangebote für Betroffene
DRUGSTOP wiederum arbeiten mehrere Tage in der und Angehörige, auch in aufsuchender Form, wurden
Woche in der Klinik. Diese personelle Verschränkung aufgebaut.
hilft den Jugendlichen, Vertrauen zu fassen.

Die Jugendlichen selbst stellen sich eine eigene


Hierarchie der Therapieziele im eigenen Tempo auf,
von der Sicherung des Überlebens über die Sicherung
möglichst gesunden Überlebens, also unter anderem
die Reduzierung des Konsums und den Aufbau
suchtmittelfreier Phasen, hin zur Lebensgestaltung mit
Zufriedenheit in einer Wahl- oder Bonusfamilie – und
dies auch abstinent. Jährlich werden so 300 bis 400
Jugendliche erreicht, denen durch eine enge Verzah-
nung der Hilfesysteme eine langfristige Beziehungs-
kontinuität ermöglicht wird, die nach Ende der
professionellen Hilfe durch den Übergang in eine
Sozialgenossenschaft mit Familiensinn fortbesteht.
www.karuna-berlin.de
www.karuna-sozialgenossenschaft.de

6_Projekte, Studien, Initiativen


170 

Maßgeblich aus Sponsorenmitteln wurde eine Daten- gerschaft, Geburt, junge Familie und Sucht und verfolgt
bank aller Suchthilfe- und Altenhilfeeinrichtungen im die Ziele:
Landkreis erstellt, die über die Website abrufbar ist. • Zusammenarbeit der beteiligten Arbeitsfelder
http://www.suchthilfe-altenhilfe-ldk.de • eine Kultur des Hinschauens zu fördern
• frühzeitigere und effizientere Hilfestellungen
Hamburger Basiscurriculum Jugend und Sucht • den Wissensstand zu fördern
• eine Vernetzung des Hilfesystems und die Weiterent-
wicklung der Qualität zu erreichen
www.lina-net.de

Fachkräfte aus pädagogischen Arbeitsfeldern wie „Stark bleiben – Für ein Leben ohne Sucht.“
Schule oder Freizeiteinrichtungen, ambulanter oder (Nordrhein-Westfalen)
stationärer Jugendhilfe müssen sich, um professionell
arbeiten zu können, mit Fragen zum Thema Jugend
und Sucht auseinandersetzen. Dabei reicht es nicht,
sich nur Wissen zur Wirkung eines einzelnen Sucht-
mittels anzueignen, vielmehr benötigen Fachkräfte in
der Arbeit mit konsumierenden Jugendlichen eine
breit gefächerte Palette von Informationen, Fachwissen „Stark bleiben“ ist ein Modul der Landeskampagne
und Unterstützung. Mit dem Basiscurriculum werden „Sucht hat immer eine Geschichte“ des nordrhein-
umfassende Grundlagen und Handlungssicherheit im westfälischen Gesundheitsministeriums. Es zielt darauf
Themenfeld Jugend und Sucht vermittelt. Es handelt ab, ältere Menschen ab 55 Jahren als neue Zielgruppe
sich um ein Kooperationsprojekt zwischen dem suchtpräventiver Arbeit über die Risiken im Umgang
Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und mit Alkohol und Medikamenten (mit Abhängigkeitspo-
Jugendalters (DZSKJ), dem SuchtPräventionsZentrum tenzial) zu informieren und zu sensibilisieren. Für viele
(SPZ), Kompass und Trockendock e. V., Kajal-Frauen- Menschen ist etwa der Ausstieg aus dem Arbeitsleben
perspektiven e. V. und SUCHT.Hamburg. Gefördert ein massiver Verlust. Fehlende Tagesstrukturen und
wird das Projekt mit Mitteln der Behörde für Gesund- Einsamkeit lassen sie zu Beruhigungs- und Schlafmit-
heit und Verbraucherschutz (BGV) der Stadt Hamburg. teln oder Alkohol greifen. „Stark bleiben“ will ein Be-
www.basiscurriculum-hamburg.de wusstsein dafür schaffen, wie gesundes und bewusstes
Altern gelingen kann und in welchen Situationen
lina-net – Schwangerschaft Kind Sucht Schutzfaktoren erforderlich sind.
lina-net ist ein Fachkräftenetzwerk, das 2008 auf der
Basis der Rahmenvereinbarung „Suchtgefährdete und Zur Kampagne gehören ein mobiler Infostand für Seni-
suchtkranke schwangere Frauen und Familien mit orenmessen, Gesundheitstage und Ähnliches, die
Kindern bis zu einem Jahr“ durch die Hamburger Broschüre „STARK BLEIBEN – für ein Leben ohne
Gesundheitsbehörde initiiert wurde. Sucht“ mit Fakten, Hintergründen und Tipps sowie die
Website mit vertiefenden Informationen zum gesun-
Die von Vertretern aller betroffenen Arbeitsfelder den Altern, Selbsttests, einem Wissens-Quiz und mehr.
erarbeitete Rahmenvereinbarung überträgt die weitere www.stark-bleiben.nrw.de
Koordination und Begleitung des Netzwerks an die
Zentrale Fachstelle für Suchtprävention und Suchtfra-
gen in Hamburg (Sucht.Hamburg).

Das Netzwerk bietet Ressourcen und Unterstützung für


Fachkräfte aus den Hilfesystemen rund um Schwan-

6_Projekte, Studien, Initiativen


171 

BENGALO – Optimierung eines Behandlungs- und verschiedenen Stationen haben die Schüler die
Erziehungsangebots für Gefangene mit Gewalt- und Möglichkeit, sich in Kleingruppen unter anderem mit
Suchtproblemen in einer sozialtherapeutischen den Schwerpunktthemen Rausch, Alkohol, Tabak,
Haftstation des Jugendstrafvollzugs illegale Substanzen und Werbung zu beschäftigen und
Jugendliche und junge Erwachsene, die eine Jugend- einen kritischen Blick auf den eigenen Konsum bzw.
haftstrafe im geschlossenen Vollzug ableisten, weisen das eigene Verhalten zu werfen.
mit hoher Wahrscheinlichkeit verschiedene Merkmale
und Risiken auf, die mit einer ungünstigen Prognose argument – das Spiel
für den weiteren Lebenslauf einhergehen. Bisherige Die Fachstelle für Suchtprävention im Direktionsbezirk
Ansätze, die den erzieherischen Auftrag im Jugend- Chemnitz entwickelte das Spiel argument. argument
strafvollzug aufgreifen und Anleitungen für eine macht Spaß und eignet sich als pädagogisches Material
gelungene Anpassung nach Haftentlassung geben, im Rahmen suchtpräventiver Veranstaltungen. Das
greifen nicht alle Hauptrisiken auf, um sie in einem Spiel ermöglicht eine thematische Auseinandersetzung
integrativen Ansatz abzuschwächen. Das vom Deut- mit legalen und illegalen Suchtmitteln sowie Verhal-
schen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und tenssüchten. Es geht darum, ein Ereignis aus verschie-
Jugendalters (DZSKJ) durchgeführte und durch die denen Perspektiven zu betrachten und sich in einer
Justizbehörde Hamburgs finanzierte Projekt BENGALO Gesprächsrunde kritisch damit auseinanderzusetzen.
versucht hier Abhilfe zu schaffen. In Zusammenarbeit argument bietet Spielern hierfür eine Vielzahl ver-
mit der Jugendstrafanstalt Hahnöfersand wird eine schiedener Rollen-, Eigenschafts- sowie Ereigniskarten,
sozialtherapeutische Station konzipiert und evaluiert, welche eine Entscheidungsfrage beinhalten. Die
in der problematischer Substanzkonsum, dissoziales Jugendlichen schlüpfen beispielsweise in die Rollen
Verhalten und Emotionsregulationsdefizite gleicher- von Müttern, Vätern, Schulleitern, Mitschülern und
maßen integrativ behandelt werden. Das Projekt wird Lehrern. argument öffnet den Blick für andere Pers-
die JVA Hahnöfersand kompetenzbezogen in die Lage pektiven und trägt dazu bei, Klischees zu hinterfragen
versetzen, die Station im Falle eines Erfolges alleine und abzubauen. Ein offener Meinungsaustausch wird
weiterzubetreiben. Die hier entwickelten Interventi- angeregt. Das Spiel ist geeignet für 5 bis 15 Spieler.
onselemente werden so konzipiert, dass ein Übertrag
der Elemente in alle Bereiche des Jugendstrafvollzugs
und der Untersuchungshaft mit der Zielgruppe
möglich ist.

DURCHBLICK 2.0 – der Mitmachparcours zu Tabak,


Alkohol und illegalen Drogen
Um Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, sich mit
ihrem Konsumverhalten auseinanderzusetzen, wurde
für die Klassenstufe 8 der Stadt Eisenach und des
Wartburgkreises der Mitmachparcours DURCHBLICK
2.0 entwickelt.

Der Mitmachparcours ist in Anlehnung an den


„KlarSicht“ – MitmachParcours zu Tabak und Alkohol Einheitliche Rahmenbedingungen der Deutschen
der BZgA entstanden. Die Projektidee zu „DURCH- Rentenversicherung und der Gesetzlichen Krankenversi-
BLICK“ wurde übernommen aus dem Landkreis cherung für die ganztägig ambulante Fortführung der
Hildburghausen und in Kooperation mit dem Jugend- Entwöhnungsbehandlung mit Verkürzung der vorheri-
amt des Wartburgkreises und der Suchtberatungsstelle gen stationären Phase
der Diako Thüringen gem. GmbH entwickelt. An Die Deutsche Rentenversicherung und Gesetzliche

6_Projekte, Studien, Initiativen


172 

Krankenversicherung haben zur Flexibilisierung der Umgang mit komorbiden Suchtproblemen in der
Angebote in der Suchtrehabilitation gemeinsam somatischen und psychosomatischen Rehabilitation“
einheitliche Rahmenbedingungen für die ganztägig am Institut für Qualitätsmanagement und Sozialmedi-
ambulante Fortführung der Entwöhnungsbehandlung zin (AQMS) des Universitätsklinikums Freiburg. Die
beschlossen. Der Wechsel in die ganztägig ambulante Praxisempfehlungen beziehen sich auf stoffgebundene
Rehabilitation ermöglicht es, auch nach Beginn einer Suchtprobleme (Alkohol, Medikamente und illegale
stationären Rehabilitation flexibel auf den individuel- Drogen) mit Ausnahme von Tabak.
len Rehabilitationsbedarf zu reagieren. Er geht mit http://www.deutsche-rentenversicherung.de/Allge-
einer Verkürzung der vorherigen stationären Phase mein/de/Inhalt/3_Infos_fuer_Experten/01_sozialmedi-
einher. Die ganztägig ambulante Phase beginnt zin_forschung/downloads/konzepte_systemfragen/
spätestens vier Wochen vor dem geplanten Entlas- konzepte/komorbide_suchtprobleme.html
sungstermin und erfolgt nahtlos im Anschluss an die
stationäre Rehabilitationsphase. „Nord Sub+“ – Substitutionsgestützte Rehabilitation
ohne Abdosierungsvorgabe
Dieses neue flexibilisierte Rehabilitationsangebot Seit dem Jahr 2016 führt die Deutsche Rentenversiche-
ergänzt die bereits bewährten Verfahren „Ambulante rung Nord in Zusammenarbeit mit einer Fachklinik für
Fortführung der Entwöhnungsbehandlung mit Verkür- Rehabilitation das Modellprojekt „Nord Sub+“ durch.
zung der vorherigen Phase“ und „Ambulante Fortfüh- Zielgruppe sind in erster Linie arbeitsmarktnahe Versi-
rung der Entwöhnungsbehandlung ohne Verkürzung cherte, die sich gegenwärtig einen Verzicht auf das
der vorherigen Phase“. Die Rahmenbedingungen sind Substitut nicht vorstellen können. Ferner sind Perso-
zum 1. Oktober 2016 in Kraft getreten. nen angesprochen, für die die Einstellung der Substitu-
http://www.deutsche-rentenversicherung.de/Allge- tion aus medizinischen Gründen kontraindiziert
mein/de/Inhalt/3_Infos_fuer_Experten/01_sozialmedi- erscheint.
zin_forschung/downloads/konzepte_systemfragen/
konzepte/ganzttaegig_ambulante_fortfuehrung_der_ Die Rehabilitanden sollen jedoch langfristig einen
entwoehnungsbehandlung.html ganzheitlichen Abstinenzwunsch besitzen. Im Rahmen
des Modellprojekts soll ihnen die Möglichkeit gegeben
Komorbide Suchtprobleme in der medizinischen werden, den Abstinenzwunsch zu stärken bzw. auszu-
Rehabilitation – Praxisempfehlungen bauen. In diesem Sinne kann es auch im Rahmen der
Die Deutsche Rentenversicherung Bund verbindet mit Adaption bzw. ambulanten Fortführung der Entwöh-
der Förderung dieses Projekts den Wunsch, die im nungsbehandlung bei der Substitution bleiben. Unter
Zusammenhang mit Suchterkrankungen in somati- arbeitsmarktnahen Versicherten werden von der
schen und psychosomatischen Rehabilitationseinrich- Deutschen Rentenversicherung Nord Rehabilitanden
tungen bestehenden Unsicherheiten und Schwierigkei- verstanden, die hinsichtlich ihrer persönlichen, sozia-
ten zu thematisieren. Es werden einfache Maßnahmen len und beruflichen Voraussetzungen eine positive
aufgezeigt, die den Mitarbeitern in den Einrichtungen Eingliederungsprognose für den allgemeinen Arbeits-
als evidenzbasierte Entscheidungshilfe bei Screening, markt besitzen und demnach zu aktiver Mitwirkung bei
Diagnostik, Intervention und Dokumentation dienen. berufsbezogenen Prozessen bereit sind. Das Projekt ist
Sie sollen die Rehabilitationseinrichtungen dabei zunächst für einen Zeitraum von zwei Jahren ausgelegt.
unterstützen, bei diagnostischen und therapeutischen
Interventionen eine klare Vorgehensweise, einen „deaf Sucht hilfe“ – Suchtberatung für Hörgeschädigte
effizienten Personaleinsatz, eine gute Wirksamkeit und Die Deutsche Rentenversicherung Nord und die Aktion
eine hohe Zufriedenheit bei Rehabilitanden sowie Mensch fördern seit 2015 das Suchtberatungsangebot
Mitarbeitern zu erreichen. für hörgeschädigte Menschen. Nach einer Initialphase
im Jahr 2015 wurde das Angebot im Jahre 2016 zu
Entwickelt wurden die „Praxisempfehlungen zum einem eigenständigen Projekt ausgebaut.

6_Projekte, Studien, Initiativen


173 

funktionierenden Netzwerkes weiterführende Hilfen


Das Projekt „deaf Sucht hilfe“ ist das einzige Suchtbera- in Anspruch zu nehmen. Zusätzlich zeigt sich ein
tungsangebot für Hörgeschädigte im gesamten nord- Bedarf an spezifischem Informationsmaterial. Weitere
deutschen Raum. Angesprochen sind schwerhörige, Ergebnisse stehen aus.
gehörlose und ertaubte Menschen mit ihren unter-
schiedlichen (Kommunikations-)Bedürfnissen. Die Su+Ber (Sucht und Beruf)
Besonderheit des Angebots besteht zum einen in der Das Projekt Su+Ber zeichnet sich durch eine Vernet-
direkten Kommunikation in der gewünschten Sprache zung von rechtlich eigenständigen Leistungen des
ohne den Einsatz von Gebärdendolmetschern oder Jobcenters, der Deutschen Rentenversicherung
Kommunikationsassistenten, zum anderen in der Baden-Württemberg und einer intensiven sozialpäda-
fachlichen Spezialisierung auf diese Gruppe. Dies gogischen Betreuung durch die Suchtberatung aus.
umfasst Hintergrundwissen über Hörschädigung und Hierdurch soll alkoholabhängigen und substituierten
deren Auswirkung, das Wissen um die psychosoziale Menschen eine Re-Integration auf den ersten Arbeits-
Situation, Kultur und Sozialisation hörgeschädigter markt ermöglicht werden, auch wenn eine vollständige
Menschen. Die Angebote für diese Zielgruppe sind in Abstinenz zunächst nicht realisierbar erscheint bzw.
allen Lebensbereichen sehr gering. Das leitende Motiv nicht gewünscht wird. Entsteht durch die Teilnahme
ist daher eine bessere Versorgung der Betroffenen, und die Arbeitsintegration ein Abstinenzwunsch, wird
welche aufgrund ihrer Hörschädigung bislang keine der Teilnehmer hierbei unterstützt. Su+Ber ist auch für
angemessene Beratung und Begleitung bei Suchtprob- erfolgreiche, noch instabile Absolventen einer absti-
lemen in Anspruch nehmen konnten. nenzorientierten Suchtrehabilitation gedacht, wenn sie
Integrationshilfen benötigen. Um eine Integration auf
Erfassen von Schwierigkeiten und Möglichkeiten für den ersten Arbeitsmarkt zu erreichen, wird eine
behandlungsbedürftige Konsumenten von Suchtmitteln För­dermaßnahme des Jobcenters bei einem Beschäfti-
mit mindestens einem minderjährigen Kind bei der gungsträger um eine ambulante Suchtrehabilitation
Erhaltung, Verbesserung oder Wiederherstellung der ergänzt und die Teilnehmer von Mitarbeitern der
Erwerbsfähigkeit Suchtberatungsstelle zudem sozialpädagogisch betreut.
Das durch die Deutsche Rentenversicherung Nord Im Anschluss an die Fördermaßnahme des Jobcenters
geförderte und vom Förderverein für Suchtkrankenhil- soll im Idealfall eine Beschäftigung auf dem ersten
fe e. V. (Greifswald) durchgeführte Projekt hat zum Ziel, Arbeitsmarkt erfolgen, eine Weiterbetreuung und bei
personengruppenspezifische Hemmnisse für betroffe- Bedarf eine Krisenintervention werden über die
ne Eltern in Bezug auf Beratungs- und Behandlungs- am­bu­lante Suchtrehabilitation und die Suchtnachsor-
prozesse aufzuzeigen sowie vorhandene Angebote für ge sichergestellt.
suchtkranke Eltern(teile) zusammenzutragen. Auf-
grund dieser Ergebnisse sollen Schwierigkeiten redu- „JobPLUS“
ziert und Möglichkeiten ausgebaut werden. Genutzt Das neue Versorgungsangebot ist ein Nachsorgeprojekt
wurden zur Projektumsetzung eine intensive Literatur- des Therapieverbundes Ludwigsmühle in Zusammen-
recherche, ein gezielter Erfahrungsaustausch mit arbeit mit der Deutschen Rentenversicherung Rhein-
Helfersystemen und eine auf diesen Erkenntnissen land-Pfalz.
aufbauende Befragung.
Das Projekt „JobPLUS“ soll das Leistungsangebot im
Während der Projektarbeit zeigten erste Auswertungs- Übergang von der Entwöhnungsbehandlung in die
ergebnisse, dass bei enger Verzahnung der Helfersyste- Arbeit erweitern. Für dieses Leistungsangebot haben
me von Betroffenen frühzeitiger weitere Hilfe in die bisherigen Instrumente nicht ausgereicht. Es bietet
Anspruch genommen wird. Bei einer tragfähigen die Möglichkeit, die berufliche Integration ehemaliger
(therapeutischen) Beziehung sind betroffene Eltern Rehabilitandinnen und Rehabilitanden in reguläre
eher bereit, bei direkter Vermittlung innerhalb eines Arbeitsstellen systematisch zu begleiten und zu unter-

6_Projekte, Studien, Initiativen


174 

stützen. Mit Blick auf die Empfehlungen zur Stärkung Kampagne „Gesundheitsorientierung zur Förderung der
des Erwerbsbezugs in der medizinischen Rehabilitation Beschäftigungsfähigkeit“ der Bundesagentur für Arbeit
Abhängigkeitskranker (BORA-Empfehlungen) ist fest- Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat 2010 die
zuhalten, dass den Nachsorgeangeboten eine zentrale Kampagne „Gesundheitsorientierung zur Förderung
Rolle zukommt. der Beschäftigungsfähigkeit“ initiiert, welche sich auf
drei Säulen stützt: strategische Kooperationen,
Abweichend vom regulären Nachsorgeangebot werden Prozesse und Produkte sowie Wissensmanagement.
im neuen Nachsorgeprojekt „JobPLUS“ im Rahmen Die Arbeitsagenturen und gemeinsamen Einrichtun-
einer individuellen Fallbetreuung ehemalige Rehabili- gen möchten damit für ihre Leistungsberechtigten
tanden und (falls vorhanden) deren Arbeitgeber bei der einen wichtigen Beitrag zur Gesundheitsförderung und
beruflichen Integration begleitet. Prävention leisten.

„JobPLUS“ wird evaluiert. Auf Basis der Evaluationser- Die BA hält mit ihren Fachdiensten (Berufspsychologi-
gebnisse sollen Erfolgsfaktoren und nützliche Baustei- scher Service, Ärztlicher Dienst und Technischer
ne für die Gestaltung der Übergangsphase nach der Beratungsdienst) kompetente Ansprechpartner und
stationären Rehabilitation erarbeitet werden. Dienstleistungen für die berufliche (Wieder-)Eingliede-
http://www.deutsche-rentenversicherung.de/Allge- rung von Arbeitslosen bereit. Die gemeinsamen
mein/de/Inhalt/3_Infos_fuer_Experten/01_sozialmedi- Einrichtungen machen von den Möglichkeiten
zin_forschung/downloads/konzepte_systemfragen/ Gebrauch, Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpoli-
konzepte/gemeinsame_empfehlung_BORA_2014.html tik mit gesundheitsorientierenden Elementen zu
ergänzen. Darüber hinaus stärkt die BA die Kompeten-
Netzwerke für Aktivierung, Beratung und Chancen zen ihrer Fachkräfte durch Qualifizierungsmaßnah-
Für Menschen, die schon längere Zeit arbeitslos sind, men in ressourcen- und lösungsorientierter Beratung
hat sich ein umfassendes, maßgeschneidertes Betreu- sowie in Handlungsfeldern, die eine spezifische
ungsangebot als zielführend erwiesen, damit sich für Fachlichkeit erfordern (zum Beispiel die Integrations-
sie neue Perspektiven am Arbeitsmarkt eröffnen. Daher arbeit mit suchtkranken oder chronisch kranken
hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Leistungsbeziehenden).
Initiative „Netzwerke für Aktivierung, Beratung und
Chancen“ gestartet. Diese zielt auf eine intensivierte Modellprojekt zur Verzahnung von Arbeits- und
und bedarfsgerechte Betreuung langzeitarbeitsloser Gesundheitsförderung
Personen in den Jobcentern. Dabei sind die Jobcenter Im Rahmen eines gemeinsamen Modellprojekts der
aufgefordert, mit allen örtlichen Akteuren, die für eine Bundesagentur für Arbeit (BA) und der Gesetzlichen
erfolgreiche Vermittlung in Arbeit relevant sind, in Krankenversicherung wurden von Mitte 2014 bis Mitte
einem Netzwerk zu kooperieren. Vor allem den 2015 in sechs Jobcentern verschiedene Wege erprobt,
kommunalen Partnern kommt dabei eine wichtige um die Inanspruchnahme von primärpräventiven
Rolle zu – beispielsweise bei der Suchtberatung. Aber Angeboten zu steigern sowie die trägerübergreifende
auch Krankenkassen und Rehabilitationsträger sind Zusammenarbeit in örtlichen Steuerungsgruppen zu
wichtige Akteure, damit gemeinsam gute Ideen gewährleisten. Die Basis dafür bildete die gemeinsame
entstehen oder erfolgreiche Ansätze weiterentwickelt „Empfehlung zur Zusammenarbeit zum Thema
werden. Da die Voraussetzungen und Herausforderun- Arbeitslosigkeit und Gesundheit“ aus dem Jahr 2012.
gen vor Ort sehr unterschiedlich sind, haben die
Jobcenter beim Aufbau ihrer Netzwerke Gestaltungs- Durch eine bessere Verzahnung gesundheitsfördernder
freiheit. Sie entscheiden vor Ort über die konkrete Angebote der Krankenkassen (unter anderem Sucht-
organisatorische, personelle, methodische und prävention) mit dem Dienstleistungsangebot der
instrumentelle Ausgestaltung. Agenturen für Arbeit und Jobcenter soll die gesund-
heitliche Leistungsfähigkeit sozial Benachteiligter

6_Projekte, Studien, Initiativen


175 

verbessert werden. Vor dem Hintergrund des 2015 in Entsprechend der „Empfehlung zur Stärkung des
Kraft getretenen Präventionsgesetzes konnten 2016 Erwerbsbezuges in der medizinischen Rehabilitation
weitere 46 Jobcenter und acht Agenturen für Arbeit für Abhängigkeitskranker“ aus dem Jahr 2015 soll zwi-
die Teilnahme an dem erweiterten Modellprojekt schen der Bundesagentur für Arbeit und der Deutschen
gewonnen werden. Insgesamt haben über das Interes- Rentenversicherung Bund abgestimmt werden, wie
senbekundungsverfahren der BA und der kommuna- der Übergang von arbeitslosen Abhängigkeitskranken
len Spitzenverbände über 100 Jobcenter und Agentu- aus medizinischen Rehabilitationseinrichtungen in die
ren für Arbeit ihre Bereitschaft zur Teilnahme Betreuung durch die Agenturen für Arbeit und
signalisiert. Über 50 Standorte konnten noch 2016 Jobcenter erfolgen kann.
berücksichtigt werden, eine weitere Aufstockung des http://www.deutsche-rentenversicherung.de/Allge-
Projekts ist für das zweite Halbjahr 2017 geplant. mein/de/Inhalt/3_Infos_fuer_Experten/01_sozialmedi-
https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumen- zin_forschung/downloads/konzepte_systemfragen/
te/krankenversicherung_1/praevention__selbsthilfe__ konzepte/gemeinsame_empfehlung_BORA_2014.html
beratung/praevention/praevention_evaluation/160802_
Gesamtbericht_Modellprojekt_BGF_barrierefrei.pdf Fallmanagement
Im Rahmen der Qualifizierung von Fallmanagern der
Integrationsarbeit mit chronisch erkrankten Menschen Bundesagentur für Arbeit zu „Zertifizierten Care- und
am Beispiel HIV Casemanager/innen“ nach den Richtlinien der
Basierend auf einer gemeinsamen Erklärung der „Deutschen Gesellschaft für Care- und Casemanage-
Deutschen AIDS-Hilfe e. V. und der Bundesagentur für ment“ (DGCC) wird neben einem Modul zum Thema
Arbeit aus dem Jahr 2012 wurde zusammen mit der „Gesundheitsorientierung im beschäftigungsorientier-
Deutschen AIDS-Hilfe ein Qualifizierungsangebot ten Fallmanagement“ auch ein spezielles Modul zum
„Leben und Arbeiten mit HIV – ein Beispiel für den Thema „Handlungsfeld Sucht“ angeboten. Inhalte
Umgang mit chronischen Erkrankungen und Tabuthe- dieses Moduls sind unter anderem die Grundlagen von
men“ erarbeitet, das den Vermittlungs- und Integrati- Abhängigkeitserkrankungen sowie deren Auswirkun-
onsfachkräften der BA nachfrageorientiert zur gen, das Erkennen von Sucht sowie der Umgang mit
Verfügung gestellt wurde. Ein wesentlicher Bestandteil Suchtkranken in der Beratung unter Einbezug lokaler
des Schulungsmoduls ist der empfohlene Umgang mit Netzwerkpartner.
substituierten Personen. 2017 wird dazu ein Themen-
tag für Multiplikatoren aus Regionaldirektionen, Gesundheitsorientierung in Aktivierungs- und
Jobcentern in gemeinsamer Einrichtung und Arbeits- Eingliederungsmaßnahmen
agenturen angeboten, um erneut für das Thema zu Mit dem Modul „Gesundheitsorientierung“ steht den
sensibilisieren. Jobcentern in gemeinsamen Einrichtungen ein flexibel
einsetzbarer Baustein zur Ausgestaltung von Aktivie-
Übergang aus medizinischen Rehabilitationsein­ rungs- und Eingliederungsmaßnahmen zur Verfügung.
richtungen in die Betreuung der Arbeitsagenturen Bis zu 20 Prozent einer Maßnahme dürfen auf gesund-
und Jobcenter heitsorientierende Aktivitäten entfallen. Träger von
Eine gut abgestimmte Zusammenarbeit und die Koor- Arbeitsmarktdienstleistungen können entsprechende
dinierung der Beratungs- und Dienstleistungsangebote Angebote professionell entwickeln. Das Modul
der verschiedenen Leistungsträger unterstützen Reha- beinhaltet die Säulen Stressbewältigung, Bewegung,
bilitanden dabei, einen dauerhaften Ausstieg aus ihrer gesunde Ernährung, Umgang mit eigenem Konsum-
Abhängigkeitserkrankung zu erreichen und dadurch verhalten sowie Selbstmanagement.
Langzeitarbeitslosigkeit zu reduzieren bzw. zu vermei-
den.

6_Projekte, Studien, Initiativen


176 

Stichwortverzeichnis
Agenda 2030  75, 76, 78 EBDD  73
Alkohol  35 ff., 123 ff. Entwicklungszusammenarbeit  80 f.
Alkoholabhängigkeit  42, 83 ff. Entzug 52, 55, 60, 62
Alkoholprävention  42, 123 ff. Epidemiologischer Suchtsurvey  18, 24, 26, 30,
Alternative Entwicklung  77 ff.  35 ff., 44, 52, 54 f., 59
Amphetamine  44 f., 74 ff., 130 Erstauffällige Konsumenten harter Drogen (EKhD) 49
E-Shishas  7, 25, 29, 32, 121, 142
Behandlung  4 f., 11, 17 f., 20, 42 ff., 75, Europa  7, 17, 27, 33, 50, 54, 60, 73 ff., 125, 131 f., 142
 84, 95, 115, 121, 129 ff. E-Zigaretten 7, 25, 29 ff., 121, 142
Benzodiazepine  43, 128
Betäubungsmittelgesetz  43, 45, 47, 56, 60 FAS/FASD  4, 8, 10 f., 40 f., 88, 124, 147
Betäubungsmittelverschreibungsverordnung 4, 7, 58 Frühe Hilfen  113 ff., 139, 150
BLIKK-Studie 66 Förderung schwer zu erreichender
Budget für Arbeit  23 junger Menschen  23
Bundesteilhabegesetz  12, 20 ff.
Bundeswehr  144 f. GEDA-Studie  18, 25 ff., 36 ff., 83, 140
Bundeszentrale für gesundheitliche Glücksspiel  67 ff., 84, 87, 137 f., 151 f.
Aufklärung  5, 13, 18, 25, 52, 113, 118, 123 ff., 165 Grundstoffüberwachung  54

Cannabis  19, 45, 47, 50 ff., 59 f., 74, Hepatitis  40, 47 f., 56, 135
 77, 79 f., 84, 131, 133, 153 Heroin  8, 45, 49 f., 55 ff., 74, 77, 80, 86, 89
Cannabis als Medizin  4, 7, 53 HIV 47 f., 54, 56, 74, 78, 134 f., 160
Computerspiel- und Internetabhängigkeit  5, 8 ff.,
 61 ff., 136 ff., 149 ff. Inklusionsbetriebe  12, 23
Crystal Meth  4, 8, 11 f., 45, 48, 50, 54, Internationale Entwicklungszusammenarbeit  80 f.
 86, 92 ff., 129 f., 135, 149 Internationaler Suchtstoffkontrollrat der ­
Vereinten Nationen (INCB)  78 ff.
Deutsche Gesellschaft für Internationale Internationales  8, 73 ff.
Zusammenarbeit (GIZ)  75 f., 81, 136 Internetabhängigkeit  5, 8 ff., 61 ff., 136 ff., 149 ff.
DAK-Studie „Game over“  64 f. Internet Gaming Disorder  62
Darknet  51
Deutsches Krebsforschungszentrum  13, 29 ff., 165 Jahrestagung der Drogenbeauftragten  5, 8 ff.
Drogenaffinitätsstudie  8, 18, 28 f., 35, Jugendschutz  5, 7, 9, 18, 32, 71, 111, 146
 38, 52, 54 f., 59 f., 62 f.
Drogenanbau  81 Kinder aus suchtbelasteten Familien  5, 83 ff., 139
Drogenbedingte Todesfälle  48, 56 Kokain  45 f., 48, 50, 54, 77, 79 f., 84, 87
Drogenhandel  51, 77, 79 Kommunale Netzwerke  108 ff.
Drogenkonsumräume  18, 20, 47
Medien  8, 13, 66
Medikamente  43ff., 49, 84, 128, 133, 140, 154 f., 157
Methamphetamin  4, 8, 11 f., 45, 48, 50, 54, 74,
 79, 86, 89, 93 f., 129 f., 135, 149

Stichwortverzeichnis
177 

Nationale Strategie  17 f. Tabak  7, 13, 18 f., 24 ff., 84, 89, 114, 121 ff.
Neue psychoaktive Stoffe (NPS)  4, 7 f., 45, 48 f., 59 ff., Tabakerzeugnisgesetz  7, 30
 73 ff., 84, 128, 133, 135 Tabakrahmenübereinkommen der WHO  32 ff.
Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG)  4, 7, 46, 60 Tabakschmuggelprotokoll  7, 32
Tabaksteuer  32
Opiate  48, 55 ff., 74 Tabakwerbeausgaben  34
Teilhabe  12, 17, 20 ff., 41, 146
Passivrauchen  12, 24, 34, 89, 122 f. Teilhabeberatung  22
Pathologisches Glücksspiel  67 ff., 84, 87, 137 f., 151 f. Trends  24, 35, 44, 52, 54 f., 59, 62
Prävention  5, 9 ff., 17 ff., 22, 41 f., 47 f., 66 ff.,
 74 ff., 91, 93, 101 ff., 122 ff. UNGASS  8, 73, 75 ff.
Präventionsgesetz  19 f., 160 UNODC  50, 74 ff. 136

Rauchen  12 f., 20, 24 ff., 84, 89, 121 ff. Vereinte Nationen  8, 74 ff.
Rauchfrei unterwegs  12 f. Volkswirtschaftliche Folgen  30, 41, 53, 69
Rehabilitation  20, 22, 42, 45, 108, 115 f., 144, 156 ff.
Rentenversicherung  17, 20 f., 42, 45, 115 f. 149, 156 ff. Zigaretten  7, 24 ff., 122

S3-Leitlinie  4, 11, 41, 121, 124, 129, 132


Schadensminimierung  18, 20, 47, 77, 129
Schockbilder  7
Schwangerschaft  30, 40 f., 84, 88 f., 94, 105 ff.,
 113, 124, 127, 130, 148, 150, 155
Säulen der Drogen- und Suchtpolitik  17, 20, 77
Selbsthilfe  17, 20, 93, 104, 118, 129, 132, 142, 144 f., 153
SGB II  21, 23, 146
SGB V  53, 140
SGB VI  21
SGB VIII  94
SGB IX 22 f.
Sicherstellung von illegalen Drogen  50
Strafverfolgung  17, 20, 51, 77, 87
Substitution  8, 44, 56 ff., 77, 81, 114, 134, 157
Substitutionsmittel  58
Substitutionsregister  56 f.
Suchtstoffkommission der
Vereinten Nationen  73, 75, 77 f.

Stichwortverzeichnis
178 

Abbildungs- und
Tabellenverzeichnis

Abbildungen
01 Zeitliche Entwicklung der Rauchquote bei 16 Art und Anteil der gemeldeten
­erwachsenen Männern und Frauen (18+) 25 Substitutionsmittel  58
02 Verbreitung des Rauchens bei 12- bis 17 Verbreitung der Computerspiel- und Internet­
17-jährigen Jugendlichen und 18- bis Abhängigkeit unter männlichen und weiblichen
25-jährigen jungen E­ rwachsenen insgesamt Jugendlichen und jungen Erwachsenen in den
und nach Geschlecht von 2001 bis 2015 26 Jahren 2011 und 2015 62
03 Rauchstatus von Männern und Frauen 18 Verbreitung der Computerspiel- und Inter­net­
in Deutschland (18+)  27 abhängigkeit nach Bildungs- und sozialen
04 Anteil der Raucher und Raucherinnen Merkmalen bei 12- bis 25-Jährigen
in ­verschiedenen Altersgruppen 27 im Jahr 2015 63
05 Anteil der Raucher und Raucherinnen 19 Auswirkungen des Spielverhaltens  64
nach Sozialstatus 27 20 Auswirkungen der Computerspiele  65
06 Verbreitung des Rauchens nach Bildungs- 21 Trends Teilnahme an irgendeinem
und sozialen Merkmalen bei 12- bis Glücksspiel in den letzten 12 Monaten in
25-Jährigen im Jahr 2015 28 den BZgA-Surveys 2007 bis 2015 67
07 Gründe von Rauchern für die Verwendung 22 Trends problematisches und pathologisches
von E-Zigaretten im Jahr 2016  29 Glücksspielverhalten nach Geschlecht in den
08 Verbreitung des regelmäßigen Alkoholkonsums BZgA-Surveys 2009 bis 2015 68
bei 12- bis 17-jährigen Jugendlichen und ­ 23 Ergebnisse einer repräsentativen Befragung
18- bis 25-jährigen jungen Erwachsenen zur Situation von Lehrern und Erziehern
insgesamt und nach Geschlecht von 2001 im Auftrag der Drogenbeauftragten der
bis 2015 36 Bundesregierung 117
09 Alkoholkonsum von Frauen und Männern 24 Empfehlungen für verschiedene Akteure,
stratifiziert nach Altersgruppen 37 abgeleitet von den Ergebnissen der
10 Alkoholkonsum von Frauen und Männern DRUCK-Studie  134
stratifiziert nach Alters- und Sozialstatus­­- 25 Übersicht Verbundstruktur GeSA 137
gruppen 38 26 Medienstundenplan 156
11 Merkmale des Alkoholkonsums bei
12- bis 17-jährigen Jugendlichen insgesamt
und nach Geschlecht im Jahr 2015 39 Tabellen
12 Merkmale des Alkoholkonsums bei
18- bis 25-jährigen jungen Erwachsenen insge- 01 Zusammenstellung der jährlichen
samt und nach Geschlecht im Jahr 2015 39 Tabakwerbeausgaben  34
13 Bewilligte Entwöhnungsbehandlungen 02 Hauptdiagnosen bei ambulanter
nach Art der Leistung 42 Behandlung  46
14 Sicherstellung von illegalen Drogen 2016 50 03 Stationär betreute Patienten mit
15 Anzahl gemeldeter Substitutionspatienten Suchtdiagnosen 46
in Deutschland von 2003 bis 2016  57 04 Kosten-Nutzen-Analyse von Glücksspiel 70

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis


179 

Danksagung
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung dankt den Dr. Uwe Verthein vom Zentrum für Interdisziplinäre
Bundesministerien, Ländern, Verbänden, Institutionen, Suchtforschung der Universität Hamburg und Dr. Ingo
Projektpartnern und allen anderen Mitwirkenden am Fiedler von der Universität Hamburg.
Drogen- und Suchtbericht für ihre Beiträge.
Genauso sehr gilt mein Dank meiner Mitarbeiterin
Besonderer Dank gilt dem IFT Institut für Therapie­ Christina Donath, die diesen Drogen- und Suchtbericht
forschung München, der Bundeszentrale für gesund- federführend betreut hat, den Kolleginnen und Kolle-
heitliche Aufklärung, dem Robert-Koch-Institut, dem gen in meinem Arbeitsstab und dem Bundesminis­
Deutschen Krebsforschungszentrum, Dr. Diana terium für Gesundheit.
Moesgen und Prof. Dr. Michael Klein vom Deutschen
Institut für Sucht- und Präventions­forschung der Der Drogen- und Suchtbericht ist auch online
Katholischen Hochschule NRW, Prof. Dr. Rainer abrufbar. Viele Projekte in Kapitel 6 „Projekte, Studien,
Thomasius vom Deutschen Zentrum für Sucht­­fragen Initia­tiven“ sind darin ausführlicher beschrieben.
des Kindes- und Jugendalters des UKE Hamburg, PD www.drogenbeauftragte.de

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Danksagung
180 

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