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Zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen | Schwerpunkt

Von Michael Fehrin

Geschichte eines Scheiterns


Zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen
Verbrechen in der BRD und der DDR

Entnazifizierung stand kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in gegen das Personal der Konzentra-
den beiden deutschen Staaten auf der politischen Agenda – allerdings tionslager, sondern eine Vielzahl von
nicht lange. Dieser Artikel beleuchtet die misslungene Aufarbeitung der Nachfolgeprozessen und Verfahren
N S -Verbrechen in der BRD und der DDR. wurden in den ersten Nachkriegs-
jahren durchgesetzt. Ebenfalls be-
Vorgeschichte vehement dafür ein, diese Straftaten mühten sich vor allem die Amerikaner
in Deutschland zu verfolgen und die umfassende Entnazifizierungs-Maß-
Im Januar 1943 forderten die betreffenden Täter nicht an die Al- nahmen umzusetzen. So wurden die
Alliierten während der Konferenz von liierten auszuliefern. Die Verfahren Mitglieder des restlos diskreditierten
Casablanca die “bedingungslose Ka- wurden dann jedoch in einer Weise Beamtenapparats entlassen. In der
pitulation” des Deutschen Reiches. geführt, die bereits deutlich zeigte, sowjetisch besetzten Zone wurden
Man wollte mit dieser kriminellen wo die deutsche Justiz politisch stand. Nazis ebenfalls – so gut man konnte –
deutschen Regierung keinerlei Kom- Am Reichsgericht in Leipzig wurden aussortiert. Es gab harte, aber ver-
promissfrieden schließen. Daraus er- die Verhandlungen, die erst 1921 be- gleichsweise faire Verfahren in der
gaben sich mehrere politische Frage- gannen, zur Farce. Nur wenige An- Sowjetunion, zum Beispiel den “Pro-
stellungen: Was sollte mit dem geklagte wurden verurteilt (unter fünf zess von Minsk” gegen Wehrmachts-
Deutschen Reich geschehen? Und wer Prozent), und das Ganze war eine angehörige (obwohl die Sowjets
würde über die Kriegsverbrecher ur- deutsch-nationale Demonstration und 1949/50 mit äußerst fragwürdigen
teilen? Deutschland sollte entmilitari- Provokation, sodass die Alliierten Methoden Tausende deutsche Kriegs-
siert und entnazifiziert werden, eine 1922 ihr Beweismaterial zurückzogen. gefangenen zu Kriegsverbrechern er-
deutsche Regierung sollte es zumin- Zweitens wurde 1945 die unglaub- klärten und in Haft hielten).
dest erst einmal nicht mehr geben. In liche “Monstrosität” der deutschen Insgesamt wurden von den
Jalta wurde das Land im Februar 1945 Verbrechen immer deutlicher. Ver- Alliierten nach Schätzungen rund
in Besatzungszonen aufgeteilt und brechen, für die es bis dahin kein pas- 60.000 Personen wegen Kriegsver-
eine alliierte Militärgerichtsbarkeit be- sendes Strafrecht gab. Sie waren mit brechen angeklagt. Anfangs waren
schlossen. nichts Dagewesenem vergleichbar, die Urteile durchaus hart. Mit jedem
Dies hatte vor allem folgende zwei und man ging auf alliierter Seite des- Jahr, das verstrich, wurde aber zumin-
Gründe: Erstens hatte man nach dem wegen soweit, juristisch durchaus be- dest in den Westzonen Deutschlands
Ersten Weltkrieg bereits die Erfahrung denkliche Konstruktionen für die die Chance größer, ein mildes Urteil
gemacht, dass deutsche Juristen Hauptkriegsverbrecherprozesse zu zu bekommen. Denn relativ schnell
deutsche Kriegsverbrecher nicht ver- entwickeln. “Verbrechen gegen die nach dem Krieg veränderte sich das
urteilen. Kriegsverbrecherprozesse Menschlichkeit” oder “Verbrechen politische Klima in der Welt. Der Kalte
waren von alliierter Seite nach 1918 gegen den Frieden” u.ä. waren inso- Krieg brach an, weshalb sich nicht nur
angestrebt worden. Anklagenswerte fern nicht ganz unproblematische An- die Westalliierten, sondern auch die
Verbrechen gab es im Ersten Welt- klagen, weil diese Punkte im deut- Sowjets zunehmend weniger für die
krieg mehr als genug, so war zum schen oder auch anderem Recht nicht Verbrechen der Nazis interessierten.
Beispiel der deutsche Einmarsch in das vorgesehen waren und die angeklag- Die USA rekrutierten beispielsweise
neutrale Belgien 1914 mit er- ten Personen so gesehen mit An- vermehrt ehemalige Wissenschaftler
schreckenden Massakern an der Zivil- klagepunkten konfrontiert wurden, des NS-Staates, aber auch Kriegsver-
bevölkerung einhergegangen. Nach die es während der Tatbegehung im brecher für ihre Geheimdienste: Ein
dem Krieg sollten 895 Hauptverant- Strafrecht nicht gab. bekanntes Beispiel hierfür ist Klaus
wortliche, allen voran Wilhelm II., Trotz dieser Probleme ging man an- Barbie, der Chef der Geheimen Sta-
von den Siegermächten verurteilt fangs entschlossen an die Arbeit. atspolizei und “Schlächter” von Lyon.
werden, was auch Bestandteil des Nicht nur der berühmte Hauptkriegs- Als die Bundesrepublik 1949 ge-
Vertrages von Versailles war. Die neue verbrecherprozess in Nürnberg oder gründet wurde, brauchte man die
deutsche Reichsregierung setzte sich die so genannten Dachauer Prozesse Deutschen in den Westzonen wieder:

Lotta #22 | Frühjahr 2006 | Seite 7


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Als verlässliche Partner im kalten Krieg Abgesehen von solchen vereinzel- Grundsatz, dass jede Schuld indivi-
gegen die Sowjetunion. In der DDR ten Gerichtsverfahren unter ande- duell nachgewiesen werden musste.
sah es nicht viel anders aus. Man sah remgegen Menschen, die zu offen- Wenn ein Täter sich auf Befehlsnot-
daher gerne über die braune Ver- sichtlich an die NS-Zeit anknüpfen stand berief, war er fast entlastet. Im
gangenheit vieler Deutscher hinweg. wollten, wollte man mit der, wie man Gegensatz dazu endete in der DDR
sagte, “Naziriecherei” aufhören. Des- ein vergleichbares Verfahren mit To-
Verfolgung von Kriegsverbre- halb gab es ansonsten nur wenige desurteilen. Dies “bewies” die Strenge
chern in der BRD und der DDR neue Verfahren, aber um so mehr des sozialistischen Staates und die
Versuche, die alliierten Urteile zu re- moralische Überlegenheit gegenüber
Bereits 1949 war auf alliierter Seite vidieren. Vor allem die Verbrechen dem Westen. Der DDR ging es hierbei
– wie oben dargestellt – der Wille zur der Wehrmacht wurden restlos ne- aber nicht vorrangig darum, NS-
Verfolgung der NS-Verbrecher weit- giert. Die deutsche Regierung setzte Verbrechen zu sühnen, sondern viel-
gehend eingeschlafen. Für die Ade- beispielsweise die westlichen Sieger- mehr sich im Kalten Krieg zu profilie-
nauer-Regierung stand nun der mächte unter Druck, in dem sie argu- ren. So wusste die Staatssicherheit
Wiederaufbau und die Einbindung der mentierte, dass ein deutscher Wehr- (Stasi) über das Vorleben der Ange-
BRD in das westliche Bündnis an er- beitrag zum kalten Krieg nicht mög- klagten schon seit Jahren Bescheid,
ster Stelle. Die staatlichen Institutio- lich sei, solange Wehrmachtssoldaten der eine oder andere war sogar Agent
nen mussten dazu schnell wieder für ihre Handlungen im vergangenen der Stasi. Aber eine Anklage erfolgte
aufgebaut werden – mit dabei auch Kriege belangt werden sollten. erst, als es politisch opportun war.
und vor allem bewährte Ex-Nazis, die Im Nachhinein betrachtet ist die Zudem muss gesagt werden, dass
nun in die neue bundesdeutsche De- Reinwaschung und Reintegration von in den in der DDR abgehaltenen Sam-
mokratie eingebunden wurden. An- Militär, Beamtenschaft und Justiz als melprozessen – wie den so genannten
dere Versuche, das NS-Regime wieder gelungen anzusehen. In manchen Waldheimer Prozessen im Jahre 1950
hoffähig zu machen, wurden durch- Ministerien, wie zum Beispiel dem –, die häufig im Schnelldurchgang er-
aus bekämpft. Man wollte vor allem Außenministerium, arbeiteten mehr folgten und damit rechtsstaatlichen
den Siegermächten zeigen, dass es NSDAP-Mitglieder als in der Zeit des Grundsätzen nicht genügten, Tausen-
mit der BRD kein Zurück zum Faschis- Dritten Reiches. Es heißt, dass Anfang de wegen Kriegsverbrechen verurteilt
mus mehr geben würde. So wurde der fünfziger Jahre zwei Drittel der wurden. Sicher waren sehr viele Täter
beispielsweise die “Sozialistische höheren Beamten im Außen- unter den Verurteilten, aber auch viele
Reichspartei” (SRP), eine NS-Partei mit ministerium ehemalige NSDAP- Personen, die aus ganz anderen
Wahlerfolgen, durch das Bundesver- Mitglieder waren. Staatsorgane, Po- Gründen oder zufällig in das Visier der
fassungsgericht verboten. Mit einer lizei, Geheimdienste und Bundeswehr staatlichen Organe geraten waren,
Aufarbeitung der NS-Zeit hatte dies wurden von schwer belasteten darunter auch Antifaschisten.
allerdings nichts zu tun. Personen entscheidend mitgeprägt. Es gab spektakuläre Prozesse, wie
Es gab zwar Verfahren gegen die Eine große Anzahl von verurteilten den gegen einen der brutalsten SS-
S S -Wärter der Lager Auschwitz, Tre- Kriegsverbrechern wurde amnestiert. Männer im Warschauer Ghetto, Josef
blinka und Majdanek, in denen sehr Selbst ranghohe Täter, wie Feld- Blösche, der auf dem Gebiet der DDR
wohl auch vor Gericht das Ausmaß marschälle (z.B. von Manstein) oder untergetaucht war, und mit seiner
des Terrors dokumentiert wurde. Aber SS-Oberführer, wurden nach weni- Hinrichtung endete. In der DDR wur-
im Grunde hatte man sich aus Un- gen Jahren Haft entlassen. Die deut- den zwischen 1949 und 1981 insge-
mengen von Tätern ein paar Dutzend sche Justiz lieferte grundsätzlich auch samt etwa 230 Todesurteile ausge-
herausgegriffen. keine Kriegsverbrecher an andere sprochen, wovon sich immerhin 66
Länder aus (siehe Interview, S. 10). auf Naziverbrecher bezogen, von de-
In der DDR rühmte man sich nicht nen 52 vollstreckt wurden.
ganz zu Unrecht, viel konsequenter Zusammenfassend kann man sa-
Josef Blösche (rechts) gegen NS-Verbrecher vorgegangen gen, dass die Chance, wegen NS-
zu sein. Die Verurteilung von Altnazis Verbrechen in der BRD bestraft zu
war hier allerdings auch Waffe im werden, gemessen an der Zahl der
kalten Krieg. Denn als beispielsweise Täter sehr klein war. In der DDR wur-
in der Bundesrepublik ein Verfahren de strenger bestraft, wenn es denn
gegen Mitglieder der Geheimen Feld- politisch ins Konzept passte.
polizei durchgeführt wurde, zog die
DDR nach. In der Bundesrepublik
wurden diese Verfahren eingestellt.
Schließlich arbeitete man mit dem

Seite 8 | Lotta #22 | Frühjahr 2006


Zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen | Schwerpunkt

“Furchtbare Juristen”
und gewahrt werden. Der
Wenn man sich den Justizapparat Führer ist nicht Staats-
nach dem Kriege anschaut, muss man organ, sondern oberster
die Juristen mit der Lupe suchen, die Gerichtsherr der Nation
nicht durch ihre Beteiligung am NS- und höchster Gesetz-
Regime belastet waren. Daher hat der geber”, so der berühmte
hessische Staatsanwalt Fritz Bauer, und berüchtigte Staats-
ein Nazigegner, seine Erkenntnisse rechtler Carl Schmitt.
über den Aufenthaltsort von Adolf Im September 1939
Eichmann lieber an den Mossad ge- zeichneten die beiden
geben als an seine dafür zuständigen “furchtbaren Juristen”
Kollegen. Er wusste, wo diese poli- verantwortlich für die Er-
tisch stehen. schießung der polnischen Dr. Hans Giesecke und Dr. Kurt Bode - zwei Juristen, die
trotz NS-Vergangenheit Karriere in der BRD machen konnten
Endlos sind die Listen von “furcht- Verteidiger der Post von
baren Juristen”, die in der Bundes- Danzig. Diese polnischen
republik Karriere machten. Ein sehr Beamten hatten sich gegen angrei- Historiker gehen jedoch davon aus,
bekanntes Beispiel ist Hans Filbinger, fende deutsche Truppen verteidigt dass 250.000 bis 300.000 Menschen
der als Marinerichter noch nach Hit- und den Fall der Post von Danzig ver- unmittelbar an den Verbrechen des
lers Selbstmord Todesurteile verhäng- zögern können. Nach einem Regimes beteiligt, das heißt: Täter,
te und es zum Ministerpräsidenten Schnellgericht wurden sie dann un- waren, die nach juristischen Maß-
von Baden-Württemberg brachte. rechtmäßigerweise erschossen. Bode stäben hätten angeklagt werden kön-
Auch Nazis wie Globke und Ober- und Giesecke machten während des nen und müssen; zumal die Weimarer
länder kamen in höchste Regierungs- Krieges weiter Karriere. Sie fielen Verfassung im Dritten Reich offiziell
ämter. durch besonders viele Todesurteile nicht aufgehoben wurde. Gegen die
Exemplarisch sollen an dieser Stelle auf, zum Beispiel gegen Deserteure. erdrückende Mehrheit dieser Täter
zwei vollkommen durchschnittliche Wer glaubt, dass diese Vorfälle wurde jedoch nie ermittelt. Die gerin-
Juristenkarrieren näher beleuchtet nach dem Krieg für die beiden Juristen ge Zahl der Täter, die doch angeklagt
werden. auch nur einen Karriereknick bedeutet wurden, wurde zumeist freigespro-
Dr. Kurt Bode und Dr. Hans hätten, der täuscht sich. Nicht nur, chen oder nur zu sehr geringen Stra-
Werner Giesecke studierten beide in dass solche Personen nicht belangt fen verurteilt. Dies zeigt das ganze
der Weimarer Zeit Jura und waren worden sind, sie haben weiterhin Versagen von Staat und Justiz.
schon in jungen Jahren stramm rechts Recht sprechen dürfen. Giesecke als Zusammenfassend muss gesagt
eingestellt. Bode, war bereits 1933 Landgerichtsdirektor in Frankfurt, Bo- werden, dass die juristische Aufarbei-
NSDAP-Mitglied und zusätzlich in di- de brachte es zum Senatspräsidenten tung der Nazi-Barbarei in beiden
versen NS-Organisationen vertreten. und zum Vizepräsidenten des Ober- deutschen Nachkriegsstaaten – von
Der spätere Oberlandesgerichtsrat landesgerichts in Bremen. Es gab wenigen Ausnahmen abgesehen –
Bode galt nicht als fanatischer Nazi. zahlreiche Versuche, unter anderem fast vollständig gescheitert ist. In der
Der andere, Giesecke, war im Jahre von Angehörigen der Opfer, die bei- Bundesrepublik ist dies insofern noch
1933 Mitglied in der DNVP (der den vor Gericht zu bringen. Aber die gravierender zu bewerten, da Teile der
stramm rechten Hugenberg - Partei) deutsche Justiz hat dies erfolgreich für den Zweiten Weltkrieg verant-
und nie in der NSDAP. Er war ein verhindert. Beide Karrieren stehen hier wortlichen alten Eliten hier nahtlos
Schüler Roland Freislers, der zu- beispielhaft für aberhunderte Juristen, ihre Karrieren fortsetzen konnten, was
gleich Reichsjustizminister und Prä- die erst im Nazistaat wüteten und für die DDR weitaus weniger galt.
sident des Volksgerichtshofs war und dann die Bundesrepublik prägten. Diese Eliten, sprich: Täter, haben die
damit einer der wichtigsten NS- Nachkriegsdemokratie im Westen
Juristen. Giesecke war – wie auch Schlussbetrachtung mehr geprägt als die Widerstands-
Bode – Mitglied in diversen NS-Orga- kämpfer oder erst recht als die Opfer
nisationen, wie zum Beispiel der SA. Was hätte nach dem Krieg passie- des NS-Regimes. Ein Makel, den die
Der spätere Kriegsgerichtsrat Giesecke ren müssen? Viele Millionen Deutsche Bundesrepublik mittlerweile nicht
galt ebenfalls nicht als fanatischer haben aktive Beiträge zu NS-Ver- mehr korrigieren kann – den man
Nazi. Aber trotzdem machten beide brechen geleistet. Aber es war sicher- deutlich erkennbar aber auch niemals
Karriere in einem Staat, in dem galt: lich nicht ernsthaft möglich, eine korrigieren wollte.
“Nationalsozialistisches Recht und solch große Zahl von Menschen an-
Plan und Wille des Führers können zuklagen, geschweige denn zu verur-
nur von Nationalsozialisten erkannt teilen. Wer sollte das tun?

Lotta #22 | Frühjahr 2006 | Seite 9

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