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LIBRARY ^
UKIVERStffOF
CAUFOftttJ*
SAN Df EGO
Englische Zeppelinaeayehr :
Scheinwerferauto
(Nach englischer Darstellung)
Zeppeline
über

jßnglanb
(Bin Cageöucö

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ßottoort bon
OgernarD !£> IRiööer
Redacteur und Herausgeber
der New-Yorker Staats-Zeitung

1917
Deuwc&ianö Liörarp Companp
1919 Btoabtoap, jEUto gotft
Copyright, 1917, by
DEUTSCHLAND LIBRARY CO.
Copyright, 1917, by
JOHN N. WHEELER, Inc.
All rights reserved, including the translatwn into foreign
languages, including the Scandinavian

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten.


Amerikanisches Copyright 1916 by Ullstein & Co., Berlin

PRINTED IN THE TT. S. A.

SCHLUETER PTG. CO. NEW YORK


INHALT
8BITB

Ein Meister der Luft . . . .


'

7
Sturmfahrt 21

Im Luftsehiffhafen 39

Auf der Werft 55

Harte Tage 75

Kleinkrieg 91

Nach England 109

Über London 131

Von Norfolk bis Northumberland . 157

Im Kampf mit Fliegern . . . 179

Invasion 201

Denket an Baralong! .... 219


ABBILDUNGEN
GEGENÜBER
SEITE
Englische Zeppelinabwehr Schein-
:

werferauto . .Frontispiece
.

Das verdunkelte London: Das


Leben um sieben Uhr abends
auf der Oxford Street ... 32
Englische Kriegsschiffe suchen mit
Scheinwerfern nach Zeppelinen 64
Ein Riesenscheinwerfer ... 96
Französischer Fernhörer für die
Zeppelinwarnung .... 96
Feuerwehrleute und Soldaten bei
der Arbeit in den Euinen eines
Holzplatzes 96
Die englische Küste—Ziele der
Luftkreuzer 160
VORWORT
EIN MEISTER DER LUFT
Wie ein Märchen klingts, und Mär-
chenhaftes hat Graf von Zeppelin, der
Held dieser Skizze, geleistet. Dass er
ein wahrer Held war, ein Ritter ohne
Furcht und Tadel, hat er oftmals be-
wiesen. In jungen Jahren, da er Gele-
genheit hatte sich als tollkühner Rei-
teroffizier auszuzeichnen, und mehr
noch später, viel später, in einem Alter,
da andere Sterbliche sich längst zur
Ruhe gesetzt haben. Gar vieles er-

scheint so überaus merkwürdig in der


Laufbahn dieses merkwürdigen Man-
nes. Aus dem kecken, abenteuerlichen
Reiterführer, dem als einziges Ziel die

7
Zeppeline über England

hohe militärische Karriere vorschwebt,


entpuppt sich ganz unerwartet in reif-

sten Jahren der grübelnde Gelehrte


und Erfinder, der nichts geringeres im
Sinne hat, als die Beherrschung der
Luft zu erzwingen, und der, anfangs
von Unglück und Ungunst verfolgt,

alle Schwierigkeiten überwindet, um


schliesslich als gefeierter Sieger der
Natur den schuldigen Tribut zu ent-

richten.

Viel ist über die Leistungen der vom


Grafen Zeppelin erfundenen und nach
ihm benannten lenkbaren Luftschiffe
im gegenwärtigen furchtbaren Völker-
drama gesagt und geschrieben worden.
Ein abschliessendes Urteil darüber zu
fällen, ist vorläufig nicht möglich, da
die deutsche Heeresleitung während
8
Ein Meister der Luft

der Dauer des Krieges nur das Aller-


notwendigste über die Verwendung
und die Tätigkeit dieser Luftkreuzer

bekannt gegeben hat. Schilderungen


über erfolgreiche Zeppelinfahrten, wie
sie in dem vorliegenden Buch enthal-

ten sind, üben daher begreifliches Inte-


resse auf das grosse Publikum aus. Es
sind aber nicht allein die abenteuer-
lichen Erlebnisse einer Zeppelin-Mann-

schaft, die den Leser in Spannung


halten, man erkennt zugleich die unge-
heuren Schwierigkeiten und unermess-
lichen Strapazen, die auf einer Reise

durch die Luft in Peindesland zu über-


winden sind. Und man versteht,

warum die törichten Erwartungen der


Bierbank-Strategen nicht in Erfüllung
gegangen sind. Denn nur Diejenigen,

9
Zeppeline über England

die all das phantastische Gefasel für

bare Münze nahmen, und erwarteten,


dass das britische Inselreich von den
riesigen Luftschiffen innerhalb kürzes-

ter Zeit in Schutt und Asche verwan-


delt werden würde, konnten und muss-
ten enttäuscht werden. Dass die Zep-
peline bei ihren wiederholten Besuchen

nach England ganz ungeheuren Scha-


den angerichtet haben, ist einwandfrei
festgestellt worden. Und doch geht
man vielleicht nicht fehl in der An-
nahme, dass der wertvollste Dienst, den
"diese mächtigen Luftsegler geleistet ha-

ben, in der wirksamen Unterstützung


von Heer und Flotte durch ihre Auf-
klärungsfahrten bestanden hat. Sie
haben allezeit scharfe Wacht gehalten,

und es hat kaum ein nennenswertes

10
Ein Meister der Luft

Treffen auf holier See zwischen den


britischen und deutschen Kriegsfahr-
zeugen stattgefunden, das nicht von
mindestens einem dieser riesenhaften
Luftsegler beobachtet worden wäre. Es
kann wohl auch als sicher angenommen
werden, dass die Luftkreuzer der
schwimmenden Armada bei der Auf-
spürung des Feindes wesentlich gehol-
fen haben.
Graf Zeppelin hatte fast das sech-

zigste Lebensjahr erreicht, als die selt-

same Wandlung in ihm begann ; als für


Fernstehende geradezu unbegreiflich,

der draufgängerische Haudegen, dem


keine Attacke zu verwegen war, der um
seine militärischen Kenntnisse zu be-

reichern, während des Bürgerkriegs


nach Amerika gekommen war, die

11
Zeppeline über England

Uniform an den Nagel hing, um im


Werkstattkittel als Forscher und Er-
finder zu wirken. In Canada, so heisst
es, soll er als junger Offizier zum ersten
Male in seinem Leben einen Ballon-
aufstieg mitgemacht haben. Die Erin-
nerungen daran mögen längst ver-
blasst gewesen sein, als er allen Ernstes
daran ging, ein lenkbares Luftschiff zu
bauen. Die meisten seiner Bekannten
zuckten bedeutsam mit den Achseln,
als sie von den seltsamen Plänen des
seltsamen Grafen erfuhren. Nur sehr
Wenige gab es damals, die auf ihn ver-
trauten, und nicht lediglich einen
Träumer und phantastischen Grübler
in ihm erblickten. Und diese kleine
Gruppe seiner Anhänger blieb ihm
auch treu, als es galt, herbe Ent-
12
Ein Meister der Luft

täuschungen und Misserfolge zu über-


winden, als nach den ersten Demon-
strationen, nach dem ersten glanzvoll
verlaufenen Dauerflug seines lenk-
baren Seglers der Lüfte ein Sturm mit
der Vernichtung seines Werks auch
alle seine Hoffnungen zu zerstören
drohte. Und da zeigte es sich wieder,

dieses merkwürdig seltsame im


Charakter Zeppelins. Keine Klage
kam über die Lippen dieses seltsamen
Mannes. Der Sturm konnte wohl sein
Werk, das nach jahrelangem Nachden-
ken und mühseliger Arbeit erstanden
war, in wenigen Minuten vernichten,
er selbst blieb ungebeugt, und unver-
drossen machte er sich wieder an die
Arbeit. Dieses nicht zu erschütternde
Vertrauen, und die damit verbundene

13
Zeppeline über England

Schaffensfreudigkeit mussten schliess-


lich" alle Schwierigkeiten überwinden.
Für jedes Luftschiff, das vernichtet
wurde, entstand ein neues, grösseres,
das wertvolle Verbesserungen aufwies.
Und mit jeder erfolgreichen Fahrt
dieser Wundersegler verringerte sich

die Zahl der Zweifler, bis ganz Deutsch-

land, ja die ganze Welt die Erfolge des

kühnen Erfinders anerkannte. War


er bis dahin um seine Kühnen
Pläne auszuführen, auf das eigne
nicht unbeträchtliche Vermögen und
auf die Hilfe einiger weniger Freunde
angewiesen, so flössen ihm jetzt die

Mittel von allen Seiten reichlich zu.


Ganz Deutschland feierte und bejubelte
seinen Grafen Zeppelin, und unter dem
Druck der öffentlichen Meinung er-

klärte sich die deutsche Regierung be-

14
Ein Meister der Luft

reit, den Bezwinger der Luft tatkräf-


tig zu unterstützen, so dass er, aller

kleinlichen Sorgen ledig, sich einzig

seinem grossen Lebenswerk widmen


konnte. Doch schon ehe ihm vom
Reich die dringend benötigte finan-
zielle Unterstützung zugesagt war,
hatte Graf Zeppelin erklärt, dass er

sich entschlossen habe, keins seiner

lenkbaren Luftschiffe an das Ausland


abzugeben, seine Arbeit sollte aus-

schliesslich dem eignen Vaterlande ge-


widmet sein, und dieses Versprechen
hat er getreulich gehalten trotz der
zahlreichen schmeichelhaften Ange-
bote, die ihm von anderer Seite ge-

macht wurden.
Amerikaner, die vor dem Weltkriege
Deutschland einen Besuch abgestattet
haben, verfehlten niemals bei ihrer

15
Zeppeline über England

Rückkehr zu erzählen, welch wunder-

vollen Genuss sie gehabt, wenn sie, in

der elegant eingerichteten Kabine eines


Zeppelin sitzend, hoch über den Wol-
ken dahinschwebten und das herrliche
Panorama unter sich beobachteten.
Von allen wurde die Hoffnung ausge-
sprochen, dass es in nicht allzulanger
Zeit gelingen möge, Zeppeline für den

Luftverkehr über dem "Weltmeer zu


bauen. Und es sind nicht lediglich ver-

gnügungssüchtige Weltreisende, die das


Lob der Zeppeline in allen Tonarten

singen. Fachleute allerersten Ranges,


und ganz besonders in den Ver.
Staaten, werden nicht müde darauf
hinzuweisen, welche Vorteile eine

Flotte lenkbarer Luftschiffe für die


Sicherheit eines Landes im Falle ern-

ster Gefahr bietet, ja dass Heer und


16
Ein Meister der Luft

Flotte ohne Unterstützung eines star-


ken Luftgescliwaders nicht genügend
imstande sind, die Küsten zu schützen.
Graf Zeppelin weilt nicht mehr un-
ter den Lebenden, doch sein Name
wird fortleben, da er sich ein unver-
gängliches Denkmal gesetzt hat. Hof-
fen wir, dass in allerkürsester Zeit der
Ruf: "Die Zeppeline kommen",
keinerlei Schrecken mehr hervorrufen
wird wie es jetzt wohl in England der
Fall ist, dass vielmehr die lenkbaren
Luftschiffe ausschliesslich "Werken des

Friedens dienen und dazu beitragen


mögen, die Völker, die sich gegenwär-
tig zu vernichten drohen, zu fried-

lichem Wettstreit zu vereinen.

17
I
STURMFAHRT

19
Zeppeline über England

STURMFAHRT
Schrill gellt das Telephon im Zim-
mer des Kommandanten von "L 120."
"Hier Kommando der Hochseeflotte.
"Wasserflugzeug 597 von seinem
ist

gestrigen Aufklärungsflug nach Horns


Riff bisher nicht zurückgekehrt. Stei-

gen Sie so bald wie möglich auf und


suchen Sie die See nördlich Helgoland-
Pelhvorm bis Horns Riff ab. Die vier-
zehnte Flottille ist bereits zum Suchen
ausgelaufen. Wann sind Sie fahrt-
bereit ?"
Ein Augenblick kurzen Besinnens.

21
Zeppeline über England

"In einer halben Stunde. Werde


Abfahrtzeit melden."
Der Wind bläst mit Stärke vier bis
fünf, schwere Regenwolken treiben
vom Westen heran. Nicht gerade ein-
ladend zum Aufsteigen zu längerer
kämpfen Kame-
Fahrt. Draussen aber
raden mit Wind und Wellen. Da
gibt's kein Überlegen, da heisst es ret-

ten, was zu retten ist. Der Komman-


dant kennt sein Schiff. Er weiss, was
er ihm trotz schweren Wetters zu-
trauen kann er hat seine Leute auf so
;

mancher Fahrt schon erprobt. Frei-


lich, eine Spazierfahrt wird es nicht
werden.
Sofort ergehen die Befehle an Be-
satzung und Haltemannschaften. Rast-
los wird gearbeitet, und in einer halben
Stunde schon meldet der Ingenieur:
"Schiff klar zur Fahrt!"

22
Sturmfahrt

Die Halle ist vor den Wind gedreht.


Geräuschlos gleiten die mächtigen Tore
zur Seite, und die Nase des grauen
Kiesen, der drinnen auf seinen Böcken
schlief, Langsam rückt
wird sichtbar.
der ungeheure langgestreckte Körper
vor. Sausend und heulend stürzt sich
der Wind heran und sucht ihn seit-
wärts an die Wand zu pressen. Um-
sonst. Hunderte von derben Fäusten
halten ihn an den Tauen fest und
führen ihn sicher von der Halle frei.
Ein Pfiff aus dem Führerstand, und
die Luftschrauben drehen sich schnel-
lerund schneller. Dumpf zuerst steigt
ihr Gesang von Sekunde zu Sekunde
heller an, bis sie mit voller Kraft da-
hinbrüllen.
"Leinen los!"
Mit dem Wind steigt der Luftkreuzer
mit grosser Fahrt an; mit äusserster

23
Zeppeline über England

Kraft peitschen die Schrauben die


Luft hinter sich, treiben das Schiff auf
den Kurs. Jetzt ist es über der See.
Zunächst wird Helgoland angesteuert,
dann hält der Kommandant hinüber
nach der holsteinischen Küste. Plan-
massig sucht er das ihm zugewiesene
Feld in Zickzack-Kursen ab. Scharfe
Blicke spähen nach allen Seiten über
die Wasseroberfläche hin. Weit und
breit ist nichts vom vermissten Flug-
zeug zu sehen. Ein Dutzend Torpedo-
boote und Vorpostenschiffe ist in aus-
einandergezogener Linie gleichfalls auf
Suche. Unendlich viel grösser aber ist

das Gesichtsfeld des Luftkreuzers über


ihnen. In sausender Fahrt sind sie

überflogen.
Schon steht "L 120" auf der Höhe
des Lister Tiefs, als die scharfen
Augen eines Signalmaaten plötzlich

24
Sturmfahrt

weit links voraus auf dem Wasser


einen Gegenstand erblicken, der das
gleichförmige Spiel der Wellen unter-
bricht. Sofort wenden sich alle Gläser
dorthin. Noch ist nichts Genaueres
auszumachen.
Mit äusserster Kraft jagt "L 120"
der Stelle zu. Wenige Minuten, und
die Vermissten sind gefunden.
Gerade noch im letzen Augenblick
kommt ihnen die Hilfe. Halb über,
halb unter Wasser treibt dort das
schwer havarierte Flugzeug. Deutlich
hebt sich von der einen Tragfläche das
Eiserne Kreuz ab.
Jetzt sieht man auch die Insassen:
der eine, den anscheinend die Kräfte
nahezu verlassen haben, hockt zusam-
mengesunken auf dem Führersitz. Mit
einer letzten Anstrengung versucht er
das Flugzeug mit Hilfe des noch

25
Zeppeline über England

schwach arbeitenden Motors, der fast


ununterbrochen aussetzt, in den Wind
zu drehen. Der andere kauert auf
einem der Schwimmer und winkt den
herankommenden Rettern zu.
Erbarmungslos reiten die Wellen
heran. Eine See nach der andern
bricht über den Mann auf dem
Schwimmer weg. Die beiden müssen
in dem eiskalten Wasser schon halb
erstarrt sein, den Rest mag ihnen die
Aufregung der furchtbaren Nacht, die
hinter ihnen liegt, gegeben haben.
Äusserst schwierig wird die Bergung
durch das Luftschiff sein, da es bei
dem schweren Seegange doch selbst

havariert werden kann.


" Funkenmaat, geben Sie sofort:

Flugzeug 597 fünfzehn Seemeilen


West - Nord - West Nordspitze Sylt
schwer havariert gefunden. Besatzung
•26
Sturmfahrt

lebt. Bergung Führers und Beobach-


ters für 'L 120' durch Seegang äus-
serst erschwert. Erbitte sofortige
Hilfe durch nächste Fahrzeuge."
Wenige Sekunden später antwortet
schon eines der Boote. Mit äusserster
Kraft perscht es auf die Unfallstelle
zu. Tiefer geht "L 120" herab. Der
Kommandant ruft mit dem Sprach-
rohr den beiden unten, deren Lebens-
geister wieder erwacht sind, zu, auszu-
halten. Der Wind stürzt sich auf den
Schall, fasst ihn und schleudert ihn in
die Weite. Trotzdem haben die Ver-
unglückten den Sinn verstanden. Sie
wissen, dass Kameraden zur Stelle sind,
dass sie bald geborgen sein werden.
Das erste Torpedoboot taucht auf.
In rasender Fahrt nähert es sich. Bis
zur Brücke ist es mitunter in der See
begraben. Weisslich stösst der Ölqualm

27
Zeppeline über England

aus seinen Schornsteinen hervor.


Schwerer und steiler wird die See, wil-
der und böiger braust der Sturm.
Langsam sinkt das Flugzeug unten
weg. Die linken Trageflächen tauchen
fast ganz unter, es steht vor dem Ken-
tern. Vom Luftschiff werden Leinen
heruntergefiert, der Führer geht mit
seinem Schiffe noch w eiter herunter.
T

Schon aber versucht zischender Gischt


die Gondeln zu lecken; höher muss "L
120" steigen.
Die beiden unten, die jetzt an einem
losgebrochenen Schwimmer hängen,
können ihn nicht mehr loslassen, die
Taue des Luftschiffes nicht mehr sicher
erfassen.
Jetzt naht aber das Torpedoboot.
Gerade, als von oben Rettungsgürtel
hinabfliegen und das Flugzeug weg-
sackt, ist es zur Stelle. Stampfend und

28
Starmfahrt

schlingernd nähert es sich den mit den


Wellen Ringenden, unbekümmert um
die schwere See, die sich unaufhörlich
über die Back stürzt. Langsam, vor-
sichtig, geht es in Luv längseit. Boots-
haken werden den beiden hingereicht.
Umsonst. So kraftlos sind sie, dass sie
es mehr wagen, die erstarrten
nicht
Arme zu lösen. Kurz entschlossen
springt ein Maat mit einem Ende um
den Leib ins Wasser und seilt die
Verunglückten in hartem Bemühen an.
Dann werden sie an Bord geholt, wo
sie zusammenbrechen. Zu furchtbar
war die körperliche und seelische An-
strengung. Ärztliche Hilfe, wollene
Decken und ein kräftiger Kognak
bringen die erschöpften Lebensgeister
bald wieder hoch.
Luftschiff und Boot drehen .heim-
wärts. Überall herrscht gehobene

29
Zeppeline über England

Stimmung über die gelungene Rettung.


An das Flottenkommando geht die
Meldung, dass die Flieger durch "V
13" geborgen sind.
"L 120" ist querab von Sylt, als
plötzlich aus Nordwest eine dunkle
Wolkenbank auftaucht. Wie ein
mächtiges Gebirge springt sie in weni-
gen Minuten aus der See hoch und
verdunkelt den ganzen westlichen Ge-
sichtskreis. Orkanartig, mit unfass-
barer Schnelligkeit greift sie um sich,

verbreitert sich, kommt näher und


näher heran. Höher heben sich die
Brecher unten, wie wütende Bestien
laufen sie gegeneinander an, überstür-
zen sich brüllend. Ein Hexenkessel
scheint die See, eine kochende weisse
zischende Masse. Wie Fetzen fliegen
die Wellenkämme davon. Der Sturm
ist da. Das Barometer ist auf sieben-

30
Sturmfahrt

hundertundzweiundvierzig Millimeter
gefallen. Ein Ausweichen vor dem
dunklen Ungeheuer durch Umfahren
ist nicht mehr möglich, es muss abge-

wettert werden. Die Luft ist völlig


dunkel und unsichtig geworden. Hori-
zontal- und Vertikalböen stossen un-
unterbrochen auf "L 120", wolken-
bruchartig stürzt heftiger Regen auf
den Luftkreuzer herab und belastet ihn
schwer. Hier treibt ein St.oss ihn em-
por, in der nächsten Sekunde presst
ein anderer ihn Hunderte von Metern
hinab. Das Thermometer weist sechs
Grad unter Null. Längst halten Wolle
und Lederkleidung die Kälte nicht
mehr ab. Der eisige Wind dringt
durch die dickste Hülle und lässt das
Blut erstarren. Kaum können die ver-
klammten Hände die Griffe und Hebel
festhalten.

31
Zeppeline über England

Ballast nach Ballast geht über Bord.


Schwer und immer schwerer lastet
der drückende Regen auf der Hülle, in
Sekunden gefriert er zu Bis. Immer
mehr und mehr schmilzt der Ballast
zusammen. Für den äussersten Fall
ist noch ein Rest Wasser da, dann

müssen die Benzintanks und die son-


stigen Einrichtungsgegenstände dran
glauben,und dann ?

Als wollte der Sturm nun erst sein


Letztes und Äusserstes hergeben, so
stürzt er sich jetzt heran, fasst "L
120" und schüttelt und rüttelt ihn.
Kaum können die Menschen sich auf
den Beinen halten. Oft schweben sie

in der Luft; krampfhaft greifen die


Hände nach einem Halt.
Kaum noch gehorcht das Schiff den
Steuern Und jetzt Grim-
mig presst der Führer die Lippen zu-
32
Das verdunkelte London Das Leben um sieben Uhr
:

abends auf der oxford street


(Aus der "Illustrazione Italiana")
Sturmfahrt

sammen. Bedeutet das das Ende? Ein


Ruder klemmt, steuerlos ist das Schiff.
Eine Bö saust heran, fasst es und
schleudert es herab.
Mit verzweifelter Anstrengung sucht
der Signalmaat den Stoss durch Ruder-
legen auszugleichen. Umsonst. Mit
Anspannung aller Kräfte reisst und
zerrt er an den Griffen. Das Ruder
weicht und wankt nicht, eisern sitzt es
fest. Schwarz und dunkel ist der Him-

mel; eine Bö nach der andern jagt


heran. Ein einziger Anprall noch, und
"L 120" schmettert auf die See herab,
diekochend und schäumend in tausend
Brechern und Spritzern wie ein Polyp
die Arme Opfer an sich
ausstreckt, ihr
zu ziehen. Stählerne Muskeln kram-
pfen sich in wütender Anstrengung.
Zum Platzen gespannt treten die
Adern hervor. Einige Drähte sind ge-

33
Zeppeline über England

rissen. Eine Minute vergeht, deren


einzelne Sekunde Ewigkeiten wiegt, in
der dem Kommandanten die ungeheure
Verantwortung, die er für seine Besat-
zung trägt, schwer zum Bewusstsein
kommt. Schlag auf Schlag, mit eiser-
ner Kühe folgen aber die Befehle
einander . . . langsam richtet sich

der Bug wieder auf, das Ruder


gehorcht, das Luftschiff steigt ...
die Gefahr ist beseitigt.

Der Sturm hat ausgetobt. Langsam


klart das Wetter auf, die Sonne
kommt wieder zum Vorschein. Einige
leichte Schäden weist der Luftkreuzer
auf. Dank der vorzüglichen Durch-
bildung der Mannschaft und der guten
Führung ist alles glücklich überstan-

den.
In voUer Fahrt jagt "L 120" heim-
wärts und funkt, dass er in einer

34
SturmfaJirt

Stunde ankommen wird. Im Hafen


hatte sich schon die Sorge um sein
Schicksal breit gemacht. Auch dort
hatte der Sturm gewütet und die Be-
fürchtung, dass "L 120" nach glück-
licher Rettung vielleicht selbst dran
glauben müsse, nur allzu berechtigt er-
scheinen lassen.
Eine Stunde noch, dann kommt das
Land und bald darauf der Hafen in
Sicht. Gerade noch so viel Ballast hat
der Kommandant, um das Schiff bei der
Landung bremsen zu können, dann
fassen die Fäuste der Haltemannschaf-
ten die Taue und führen den Riesen
nach seinem Lager, wo er ruhen mag,
bis ein neuer Befehl ihn herausruft zu
frischem Kampf, zu neuem Sieg.

35
II
IM LUFTSCHIFFHAFEN

37
II

IM LUFTSCHIFFHAFEN
Weich und lautlos rieselt der Schnee
vom grau umwölkten Himmel herab.
Lind senkt sich die weisse Hülle auf
den weiten Platz, deckt die Bäume, die
ragende Halle und die Dächer der
Häuser im Hintergrunde. Wie im
tiefsten Frieden, so ruhig und still ist
es hier.
Gleichmütig, mit hochaufgeschla-
genem Mantelkragen, das Gesicht von
der strengen Kälte gerötet, stampft
der Posten seinen Weg. Weithin ist

der Blick frei, nichts aber regt sich.


Ein Möwenpärchen segelt mit misstöni-
gem Kreischen heran, lässt sich zu kur-
zer Rast auf die Halle nieder, äugt

39
Zeppeline über England

nach Beute und verschwindet wieder


in der Ferne, wo heller Schimmer die
See kündet.
Drei Tage sind seit dem grossen An-
griff verstrichen, bei dem die deutschen
Luftkreuzer stundenlang über England
weilten. Besonders den von Lloyd
George als das "Bückgrat von Eng-
lands Wehrstand " bezeichneten Indus-
triezentren, in denen Tag und Nacht
an der Herstellung von Waffen und
Munition gearbeitet wurde, hatte der
Besuch gegolten, jenem Mittelpunkt
englischen Wohlstandes, in dem die
Fabrikdörfer und Städte sich so dicht
aneinander drängen, dass sie nur einen
einzigen riesenhaften Wald ragender
Schornsteine und qualmender Essen
bilden. Hier musste jede Bombe, ge-
zielt oder ungezielt, unermesslichen
Schaden anrichten, Vernichtung und

40
Im Luftschiff liafen

Verderben Aber weiter


verbreiten.
noch, quer über ganz England hinweg
waren die deutschen Luftschiffe vorge-
drungen, bis an die Irische See hatten
sie die Schrecken des Krieges getragen.
Und furchtbar, mit eherner Faust
dröhnte es dieses Mal stärker als je zu-
vor gegen die starre Wand der vermeint-
lichen Unverletzlichkeit, die britischer
Dünkel sich im Lauf der Jahrhunderte
auf seiner unangreifbaren Insel zu-
rechtgezimmert hatte. Wie Spreu im
Winde verflog der Dünkel unter dem
Krachen berstender deutscher Ge-
schosse.
Der Krieg in seiner ganzen Furcht-
barkeit war im Lande und mit ihm
Angst, Entsetzen und Tod.
Dumpfes Rollen und Knattern
dringt heran. Der dröhnende Laut
einer Automobilhupe zerreisst die

41
Zeppeline über England

Stille. In schlanker Fahrt saust ein


grauer Wagen herbei, biegt um die
Einfahrt und hält vor dem Gebäude,
in dem das Kasino untergebracht ist.

Zwei dick vermummte Gestalten ent-


steigendem Gefährt und verschwinden
im Flur, wo die dienstbereite Ordon-
nanz herzuspringt und ihnen die Män-
tel und Mützen abnimmt. Der grosse
Schlanke, der eben noch einen prüfen-
den Blick in den Spiegel wirft, ist
Kapitänleutnant Freiherr von Reiser-
link, der kleine Untersetzte, der ohne
anzuhalten Treppe emporsteigt,
die
Kapitänleutnant Wegener. Beide sind
sie Kommandanten von Luftschiffen,
beide haben an dem jüngsten Besuche
drüben tatkräftig mitgewirkt.
Der Kommandeur hat eine Be-
sprechung angesetzt und die sämt-
lichen Kommandanten der Luftkreu-
42
Im Luftschiffhafen

zer, die am letzten Angriff teilgenom-


men haben, zu sich befohlen.
"Tag die Herren!"
Sechs Stimmen schallen den Ankom-
menden gleichzeitig entgegen, sechs
Hände werden geboten. Tausend Fra-
gen und Scherzworte fliegen hinüber
und herüber. Sind es doch alles gute
Kameraden, die sich da zur Abwechs-
lung auch einmal auf festem Boden
begrüssen. Verschieden dem Äussern
nach, allen gemeinsam aber das harte,
energische Gesicht, der scharfe, ge-

stählte Blick. Menschen, für die das


Wort "unmöglich" nicht geprägt ist,

die lachend dem Tode hundertmal ins

Antlitz schauen.
In der Mitte des grossen Raumes
steht ein langer, grüner Tisch, mit
Plänen und Zirkeln bedeckt. Bedeu-
tend gemütlicher sieht es im Hinter-

43
Zeppeline über England

gründe aus. Da stellen gerade die Or-


donanzen den Tee mit "etwas Rum"
bereit. Noch ist der Kommandeur
nicht erschienen. So sitzen die acht
denn friedlich beisammen und plau-
dern, nur vom Berufe nicht. Er ist zu
ernst, um bei Tee erörtert zu werden.
Auch harmlose Neckereien bleiben
nicht aus, und besonders einer, an-
scheinend der Jüngste, der den linken
Arm in der Binde trägt muss herhal-
ten.
"Na, Röchling, die kleinen Mächens
in Hamburg haben wohl die Wuhling
um die Backbordflosse mächtig be-
wundert, was?"
Noch ist die Frage nicht ausgespro-
chen, als schon eine zweite einfällt:
"Was hat denn Kusinchen gesagt,
war wohl ausser sich vor Begeisterung
vom Vetter?"
44
: " :

Im Laf t schiff ha fen

" Donnerwetter, Hörman," brüllt der


gemütvolle Hartig aus seiner Ecke,
" machen Sie doch die" Türe zu!"
"Was, zu viel Rauch ist hier im
Zimmer? Besser warmer Mief als
kalterOzon!"
Zu den andern gewendet
"Nun doch endlich den Roch-
lasst

ling in Frieden. So eine Roheit, mit


den heiligsten Gefühlen eines Men-
schen Spott zu . . .

Zufällig streift sein Blick den Kame-


raden, zu dessen Verteidiger er sich
soeben aufgeschwungen hatte, und er-
staunt hält er inne
"Mensch, Junge, du wirst ja ganz
rot."
Väterlich legt er ihm die Hand auf
die Schulter.
"Na Kleiner, nun beichte mal, was
ist denn los?"
45
"

Zeppeline über England

Röchling hatte inzwischen die Ver-


legenheit überwunden, schmunzelt und
meint dann:
"Gott, schliesslich kann ich es euch
ja jetzt schon sagen. Ich habe mich
verlobt. Dem Kommandeur habe ich
schon Meldung gemacht. In den näch-
sten Tagen werde ich kriegsgetraut.
Sofort ist der gutmütige Spott, der
soeben noch um ihn hagelte, ver-
stummt. Die Glückwünsche, die
Röchling von allen Seiten einheimst,
kommen aus ehrlichen Preundesherzen.
" Donnerwetter, du Duckmäuser, das
erfährt man jetzt erst? Wie ist denn
das gekommen? Und so schnell willst
du schon heiraten?"
Während der Glückliche strahlend
seinen Herzensroman beichtet, singt
sein Kamerad Wörberg in der Ecke, in
der er sich verschanzt hat, ohne nur

46
'

Im LuftscMffhafen

einen Augenblick die kleinste Pause


eintreten zu lassen:
"Schum . Schuum. . . . .

Sckuuum .Schuuuum
. . . .

"Der Kommandeur!"
Wie mit einem Schlage ist Scherz
und Heiterkeit verschwunden, der
tiefste Ernst ist da.

Mit Handschlag begrüsst der Kapi-


tän, der, gefolgt von seinem Adjutan-
ten, nun das Zimmer betritt, die

Offiziere.

"Famos, dass Sie alle da sind.


Meine herzlichsten Glückwünsche zu
dem schönen Erfolge. — Ihnen, lieber
Eöchling, gratuliere ich noch ganz be-
sonders. und nun bitte ich Platz
So,
zu nehmen, meine Herren!"
Der Verlauf des jüngsten grossen
Angriffs ist bereits von allen Kom-
mandanten einzeln gemeldet, die

47
Zeppeline über England

Berichte sind weitergegeben worden.


Da sind aber tausend Fragen, die
gemeinsam erörtert, neue Erfahrun-
gen, die besprochen werden sollen. Je-
der was ihni besonders wich-
teilt mit,

tig erscheint. Ununterbrochen muss


an Hand der gemachten Erfahrungen
an der Förderung und Weiterentwick-
lung der Luftwaffe gearbeitet werden,
soll sie auf voller Höhe bleiben.
"Wie steht es mit der Fahrtbereit-
schaft? Hat jemand besondere Re-
paraturen?"
Im Schiff des Kapitänleutnants We-
gener wird ein Motor gründlich über-
holt; sein Kamerad Hartig lässt die
Abwurfvorrichtungen vermehren. Das
sind aber Arbeiten, die, da sie bereits
begonnen, höchstens vierundzwanzig
Stunden in Ansprach nehmen.
"Wie steht es mit dem Personal?
48
Im Luftschiff hafen

Haben Sie irgendwelche Wünsche?"


Röchling bittet um Vermehrung der
Haltemannschaften.
Ein dementsprechender Antrag soll

gestellt werden.
"Sie haben ja recht gute Ergebnisse
gehabt. Dem Geschrei in der engli-
schen Presse nach zu urteilen, müssen
Sie nett gewirkt haben. Das haben
sich dieHerren in Manchester und
Sheffield nicht träumen lassen, dass
sie so unwillkommenen Besuch bekom-

men würden."
Der Verlauf des Angriffs wird
durchgesprochen, seine Einzelheiten
werden nochmals gründlich erörtert.
Wie die als Sicherungsgürtel weit
vorgeschobenen Vorpostenboote der
Fischerfahrzeuge auf der Doggerbank
und der vor der Themse, dem Humber
und den anderen Plussmündungen auf-
49
Zeppeline über England

gestellten Seestreitkräfte zu umgehen


sind; wie man sich den Scheinwerfer-
Batterien entziehen kann.
Die Erfahrungen jedes einzelnen
sind auch wertvoll für die ^Kameraden.
Neue Vorschläge werden vorgebracht.
Alles wird nochmals durchgesprochen:
das Verhalten auf dem Rückfluge, der
Zusammenstoss mit feindlichen Flie-
gern, die sich bisher allerdings nur in
den Reden des sehr ehrenwerten
Churchill, der mit besonderer Hochach-
tung von den " schrecklichen Hornis-
sen" sprach, als so überaus furchtbar
erwiesen haben, und anderes.
Der Adjutant führt das Sitzungspro-
tokoll. Jeder Vorschlag, jede Anre-
gung wird festgelegt.
"Noch eins, meine Herren," wendet
sich der Kommandeur an die Kom-
mandanten, "ich bitte Sie, Ihren Leu-

50
:

Im Luftschiffhafen

ten, wenn esnur irgendwie angeht,


recht reichlich Urlaub zu geben. Sie
wissen ja, wir müssen damit rechnen,
dass es auch einmal nicht so gut geht
wie bisher. Der Besatzung soll nach
Möglichkeit Gelegenheit gegeben wer-
den, ihre Familie vor neuer Fahrt zu
sehen. Ist sonst noch etwas? Nicht.
Ich danke meine Herren!"
Eöchling ist zum Kommandeur, der
sich erhoben hat, getreten
"Dürfte ich Herrn Kapitän gehor-
samst zu einem Glase Sekt bitten?''
"Aber selbstverständlich, lieber
Röchling. Angefeiert lassen wir Sie
nicht davon."
Die Ordonnanzen bringen die Gläser,
in denen der Sekt sprudelt und
schäumt. Ein dreifaches Hurra auf
das junge Paar! Die Gläser klingen
aneinander. Ein Telegramm wird an

51
Zeppeline über England

die Braut abgesandt. Scherzworte flie-

gen hinüber und herüber. Bald aber


wenden sich die Gedanken dem zu, was
sie alle erfüllt: den hellgrauen Luft-

kreuzern, die nur des Befehls harren,


sich zu erheben zum Kampf gegen den
Feind.

52
III
AUF DER WERFT

53
in
AUF DER WERFT
Es war einmal eine Prinzessin, die
war von einer Hexe verzaubert worden,
so dass hundert Jahre schlafen
sie

imisste. Da kam ein Prinz und er-


weckte das schlummernde Dornröschen
zu neuem Leben . . .

So ähnlich heisst es im Märchen, und


so ähnlich trug es sich in Wirklichkeit
zu: in idyllischer Weltabgeschie-
Still,

denheit lag das Städtchen Friedrichs-


hafen am Bodensee. Ruhig, wie ver-
träumt, blickten die alten Häuser hin-
aus auf die weite Wasserfläche, auf die
Schweizer Bergriesen, die in der Ferne
mit schneebedeckten Häuptern in den
Himmel hineinzuspringen schienen. Da
55
Zeppeline über England

kam Zeppelin, und mit einem Schlage


änderte sich hier alles, drang brausend
das Leben durch die Dornenwand.
Dicht an der Stadt erstanden die
Werftanlagen. Bagende Hallen wuch-
sen empor, mächtige Fabriken, Mon-
tagewerkstätten. Und das Hämmern
und Klopfen, das rastlose Arbeiten, das
an dem Tage einsetzte, als hier der erste
Spatenstich getan wurde, hat nicht
mehr aufgehört. Dickbäuchige Gasbe-
hälter entstanden, schwer und dunkel
quollen Pauchwolken über den See hin-
aus. Selten nur anfangs, in rascherer
Folge später kamen die Momente, in
denen sich die Tore der bergenden
Halle öffneten, in denen einer der so
ungeheuerlich anmutenden Kolosse sich
schlank zum Himmel hob, um in der
Ferne zu verschwinden.
Der Weltkrieg brachte dann den
56
'Auf der Werft

Höhepunkt . . . Das Leben, die ja-

gende, atemlos hastende Arbeit sollte


sich verzehnfachen, verhundertfachen.
Die Sonne geht unter. Wie ein glüh-
ender Feuerrost leuchtet die eiser-

starre Fläche des Bodensees auf, als


loderten mächtige Flammen, so geben
die Fenster der Werftgebäude den
Schein wider. Dann bricht schnell die
Dunkelheit des Winters herein. Das
Licht erlischt, und in bläulichweissem
Schimmer verliert sich die Eisfläche in
die Unendlichkeit. Feierabend! Für
die draussen in den Schützengräben
freilich ist das Wort nicht geprägt wor-
den, ebensowenig wie für die ragende
Stadt, die sich hinter den hohen Mauern
dahinzieht.
Gedämpft klingt das Pochen und
Hämmern Pustend und
weiter fort.
schnaubend kommt eine Lokomotive

57
!

Zeppeline über England

heran, mit langem Zuge schwer bepack-


ter Wagen verschwindet sie. Der grelle
Schein mächtiger Bogenlampen, der in
Friedenszeiten hier leuchtet, ist ver-
löscht. Dunkel, abgeblendet liegen die
Hallen und Häuser. Ein magnetischer
Anziehungspiinkt den feindlichen Flie-
gern. Freilieh müssen die, wollen sie
den Angriff mit einiger Aussicht auf
Erfolg wagen, Schweizer Gebiet über-
fliegen. Wann aber haben unsere Geg-
ner nach Völkerrecht gefragt? Der
Deutsche, der rnuss es wahren, soll die

Presse drüben nicht in Wutgeheul aus-


brechen. Für England und Frankreich
wurde Völkerrecht doch nicht gemacht
Ein einziges Mal nur haben sie unge-
betenen Besuch solcher Art versucht.
Einmal und niemals wieder. Lange vor
ihrem Eintreffen schon waren sie gemel-
det, und die Abwehrgeschütze began-

58
Auf der Werft

nen, noch ehe sie ihr Ziel erreicht hat-


ten, einen Kranz von deutschen Schrap-
nellen nach dem anderen, eine Garbe
tödlicher Geschosse um die andere um
sie herumzulegen. Der Versuch kam
ihnen teuer zu stehen. Flügellahm ge-
schossen entkam der eine, während der
andere noch heute in deutscher Kriegs-
gefangenschaft dem Aussichtslosen sei-
nes Unternehmens nachsinnen darf.
Freilich, aufgegeben wurde das Un-
ternehmen vom Gegner noch nicht.
Dazu war das Objekt viel zu kostbar.
Ging es nicht auf geradem Wege, dann
musste eben der krumme Pfad herhal-
ten. Wenige Wochen nach Ausbruch
des Krieges, kurz nach dem missglück-
ten Fliegerangriff war es. Die Nacht
war hereingebrochen, dichte Herbstne-
bel lasteten auf dem See. Tiefe Ruhe
überall. Leise, eintönig plätscherten

59
Zeppeline über England

die Wellen gegen die Pontons, die wie


vorweltliche Ungeheuer in den See
hineinsprangen. Draussen schlug die
Schraube des Patrouillenbootes die
Wellen. Der Scheinwerfer versuchte
die zähe, graue Wand zu durchdringen.
Der Posten an Land ging seinen vor-
geschriebenen Weg ab. Zweihundert
Schritte hin, zweihundert zurück.
Schwer legte sich die dicke Luft auf die
Lungen. In wenigen Minuten triefte
der Mantel vom Wasser. Kein Laut,
nichts Verdächtiges.
Da . . . lauschend blieb er stehen,
horchte in die Nacht hinaus. War das
nicht eben leichter, vorsichtiger Ruder-
schlag gewesen?
Eintönig plätscherten die Wellen am
Ufer . . . Nein, es war wohl nur eine
Sinnestäuschung Doch, da kam es
wieder. Diesmal dichter heran.

60
Auf der Werft

Dumpfes, taktmässiges Geräusch, als


wenn umwickelte Riemen durch Wasser
gezogen würden. Diesmal war er seiner
Sache sicher.
Von drüben kam eben der Kamerad
heran, trat herzu und lauschte mit. Ja,
es stimmte. Da kam einer heimlich,
verborgen, der das Tageslicht scheute:
ein Feind ! Vorsichtig zogen sich beide
zurück, bereit zuzufassen.
Schattenhaft huschte es heran, legte
im Dunkel an. Ein Boot. Ein Mann
entstieg ihm, befestigte es, kam an

Land. Aha, die grosse Montagehalle


stach ihm in die Augen, wo zwei Luft-
kreuzer der Vollendung harrten. Leise,
unhörbar schlichen sie hinter ihm her,
näher und näher heran und jetzt
Vier harte Fäuste legten sich auf die
Schultern des Ahnungslosen, der unter
dem Gewichte zusammenbrach. Un-
61
Zeppeline über England

schädlich! Was der Franzose wollte,


verrieten die Handgranaten, die er mit
sich führte.
Seither war Ruhe. Alle Versuche
wären auch fehlgeschlagen an der
Wachsamkeit, mit der Tag und Nacht
das Werftgelände umgeben ist. —
Ein neuer Tag bricht an, und mit dem
Lichte scheint sich das Leben, das wäh-
rend der ganzen Nacht auch nicht einen
Augenblick stockte, zu verdoppeln.
Lauter und heller dröhnt das Häm-
mern, in das dumpfes Brausen sich
mischt : der Motorenprüfungsstand.
Tagelang peitschen hier in rasend
schnellen Umdrehungen die Luft-
schrauben dahin, dröhnen die hundert-
und mehrpferdigen Maschinen. Un-
fassbar scheint es, dass in diesem Höl-
lengebrüll ein menschliches Ohr noch
aufnahmefähig bleibt. Und doch ste-

62
:

Auf der Werft

hen die Ingenieure und Werkmeister


lauschend, prüfen den Atem der feinen
Motoren. Die kleinste Unregelmässig-
keit, das leiseste Abweichen aus dem
mächtigen, gleichförmig dahinbrausen-
den Leibe wird gemerkt. In wenigen
Minuten kann hier beseitigt werden,
was in der Luft verhängnisvoll werden
muss.
In der grossen Montagehalle. In
riesenhaften Umrissen dehnt sich auf
seinen Blöcken der Leib eines neuen
Luftkreuzers, wahren Gross-
eines
kampfschiffes der Luft, demgegenüber
alle bisherigen klein erscheinen. Die
letzte Hand wird angelegt, alles scheint
fertig. Das Abnahmekommando ist auf

der Werft eingetroffen. Soeben betritt

der Kommandant, Kapitänleutnant


Kottlitz, die Halle.Easch tritt der In-
genieur auf ihn zu und meldet

63
Zeppeline über England

"Alle Motoren sind fertig montiert.


In einer halben Stunde sind wir fer-
tig!"
"Donnerwetter, famos. Da können
wir ja schon heute die erste Fahrt
machen."
Prüfend schweift der Blick durch die
mächtigen Fenster hinaus. Fast som-
merlich strahlt die Sonne herunter, dass
in ihrem Lichte die bläulichweisse Eis-
decke des Sees grell blitzt und funkelt.
Die Wettermeldungen sind günstig.
Liebevoll fast, mit freudigem Stolze
streift der Blick des Offiziers über den
schlanken Körper hin, der ein wahrer
Riese scheint im Vergleich zu dem
Schiffchen, das er bisher befehligte.
Die letzten Vorbereitungen werden
getroffen. Zischend strömt das Gas
in die Zellen, füllt sie prall. Die
Werftmannschaften bringen den Bal-

64
Englische Kriegsschiffe suchen mit Scheinwerfern
nach Zeppelinen
(Nach englischer Darstellung)
Auf der Werft

last. Die Abnahmekommission geht an


Bord.
"Alles klar? Tore auf!"
Brüllend schreien die Luftschrauben
auf. Langsam schiebt sich der Riese
ins Freie hinaus. Aus allen Hallen, aus
den Fabrikgebäuden strömen die Arbei-
ter. Verlässt doch der erste Luftkreu-
zervon solcher Mächtigkeit die Werft.
Ein neues Zeugnis dessen, was deut-
scher Geist zu schaffen vermag. Leicht,
wie spielend, hebt er sich in die Luft,
wo ihn, wie begrüssend, der Wind in
seinem Reiche empfängt. Höher, im-
mer höher steigt er, wendet und ver-
schwindet über dem Schwarzwald.
Froh blicken die unten ihm nach. Zag
und schüchtern wagte sich vor Jahren
das erste Luftschiff hinaus, ein Kind,
das sorgsam gehütet werden musste.
Und heute? Ein Ruhmestag für die

65
Zeppeline über England

Werft ist es und für den Mann, der sie

schuf.
Als feiner Strich erscheint der Kreu-
zer wieder über den Bergen. Dröhnend
brüllen die Motoren herüber. In sau-
sender Fahrt nähert er sich und landet.
Der nächste Tag findet ihn wieder
bereit. Höher wird diesmal gestiegen als

tags zuvor. Alles, auch der kleinste Be-


standteil wird geprüft und ausprobiert.
In gerader Fahrt erst zieht das Schiff
über der Eisfläche des Bodensees dahin,
klettert hoch, steigt ab, dreht, wendet,
beschreibt Schleifen und Bogen. Dem
leisestenDrucke der Steuer gehorcht
das Schiff, wie ein edles Pferd dem
Zügel. Die Gesichter von Führer und
Mannschaft strahlen. Eine Freude ist
es, dies Schiff führen zu dürfen. Fast
mit Bedauern wird heimwärts ge-
wendet.

66
Auf der Werft

Dann kommt der Tag, an dem die


grosse Abnahmefahrt vor sich gehen
soll. Alles ist klar und an Bord, so auch

die Abnahmekommission. Die Leitung


der Werft verabschiedet sich von ihrem
Kinde, das jetzt hinausziehen soll in den
Kampf. Der erste Vertreter einer
neuen Gattung. Auch er wird der
Werft, die ihn baute, Ehre machen,
wie der Flagge, die von seinem Heck
aus weht. Die Haltemannschaften
lassen die Taue los, das Schiff ist

frei.

"Grosse Fahrt!"
Höher und höher steigt der graue
Kreuzer. Kleiner und kleiner wird es in
der sonnedurcliflimmerten Luft, bis er
verschwindet. Dunkelgrüne Wälder zie-
hen unten vorbei. Der Hohentwiel
bleibt zurück, der Schwarzwald wird
überflogen. Die schimmernden Kuppeln

67
Zeppeline über England

und ragenden Türme von Karlsruhe


tauchen auf und verschwinden wieder.
Das Eheintal abwärts geht der Flug.
Der Wind singt an der Hülle, die Luft-
schrauben brausen. Da unten liegt

Worms. Hier wird abgebogen nach


Mannheim und Heidelberg. Weite
Flächen dehnen sich, über dunkelbrau-
nen Ackerboden streicht der Wind.
Hier oben stählen sie sich zum Kampf,
damit die Heimat unten in Frieden
schlafen möge. Wie ein silbernes Band
glänzt der Main empor. Über Frank-
furt, Kassel und Thüringen zieht das
Schiff seinen Weg. Leichter und
schneller als die D-Züge, die dort über
blinkende Gleise hin wegjagen.
Es dunkelt. Oben strahlt die Sonne
noch, während violette Abendschatten
unten schon alles decken. Leipzig wird
überflogen. In der Ferne schimmern

68
Auf der Werft

die Leuchtfeuer des Dresdner Luft-


schiffhafens.
Die Nacht ist da. Stille überall. Kein
Laut dringt von unten in die klare
Höhe. Ballast wird abgegeben, die
Wache gewechselt. Tagsüber war alles
auf den Beinen. Auch jetzt denkt kein
Mensch an Schlummer. Eintönig sum-
men und brausen die Schrauben, ruhig,
unbeirrt zieht das Schiff dahin. Nicht
der kleinste Fehler hat sich ergeben.
Alles klappt. Wieder gleiten die dun-
klen Wälder Thüringens vorbei. West-
falen und Rheinland werden ange-
steuert. Dunkelrot flammt die Glut der
Hochöfen empor. Blitzende Lichter
verraten, dass hier im Herzen Deutsch-
lands auch nachts die Arbeit nicht
ruht.
Um Mitternacht steht der Luftkreu-
zer über Köln. Nordnordost geht es

69
Zeppeline über England

weiter nach Düsseldorf, mit Nordost-


kurs nach Münster und Osnabrück.
Dort ruht das Oldenburger Land. Wei-
ter strebt das Schiff nach Bremen zu-
rück in grossem Bogen über Hannover
und dann wieder hinauf nach Norden.
Im Morgengrauen kommen Hamburg
und die Elbe, die ihre gelben Wasser
träge seewärts wälzt, in Sicht.
Die Abnahmefahrt ist beendet. Noch
aber ist so reichlich Betriebsstoff vor-
handen, dass das Abnahmekommando
beschliesst, die Fahrt weiter auszudeh-
nen. Höher steigt das Schiff unter den
Strahlen der Sonne, weiter zieht es
dahin. Stunde auf Stunde verrinnt, es
wird Mittag, Nachmittag, Abend. Dann
tauchen voraus die Hallen auf, in denen
das Schiff seine neue Heimat finden soll.

Abwärts senkt es sich, den wartenden


Fäusten der Mannschaften entgegen,

70
:

Auf der Werft

die es ergreifen und nach dem neuen


Lager geleiten.
Die Abnahmekommission beglück-
wünscht den Führer zu seinem schönen
Schiffe. Das Ergebnis ist über alles
Erwarten gut. An die vorgesetzte
Dienststelle geht die Meldung
"'L150' frontbereit !"

71
IV
HARTE TAGE

73
IV

HARTE TAGE
Die nächste Angriffsperiode naht
heran. Längst sind alle Pläne bis in
die kleinste Einzelheit ausgearbeitet,

jedes Schiff hat seine genaue Gefechts-


anweisung. Die Kommandanten haben
mit ihren Offizieren alle Angriffs-
möglichkeiten durchgesprochen. Die
Mannschaften, die auf Urlaub waren,
sind längst zur Stelle. Auch sie wis-

sen,was bevorsteht. Keine Silbe, kein


Laut dringt über den Hafen hinaus,
nichts verrät die geplante Unterneh-
mung.
Besorgte Blicke spähen himmel-
wärts. Seit vier Tagen schon bläst der

Nordwest von Schottland herüber.

75
Zeppeline über England

Statt abzuflauen, wird er von Stunde


zu Stunde steifer, böiger. Kein Flug-
wetter, keine Aussicht auf baldige Bes-
serung. Draussen auf See muss es

hart hergehen.
Ununterbrochen treffen die Meldun-
gen der Vorpostenboote ein. Nur auf
wenige Stunden ist es einigermassen
sichtig. Diesig lastet der Himmel über
der See, dann wieder jagt eine Schnee-
bö nach der andern heran. Dabei eine
Kälte, die durch Mark und Bein geht.
Alles an Deck ist vereist und glitschig,

lange Eiszapfen hängen von Aufbau-


ten, Geländern und Stagen, der
Schornstein ist grau von Salz. Nur
ein Niedergang ist passierbar, alles an-
dere ist dicht verschalkt. Die Boote
schlingern und stampfen, ein Brecher
nach dem andern steigt steil empor,
stürzt sich an Deck und leckt zur

76
Harte Tage

Brücke hoch. Alles, was nicht niet-


und nagelfest oder gründlich seefest
gezurrt ist, wird mitgerissen. Die bra-
ven alten Boote müssen teilweise ein-
laufen, um ihre Schäden auszubessern,
und durch andere ersetzt werden.
Trotz aller Wachsamkeit ist vom
Feinde nichts zu sehen. Vielleicht
liegt er ruhig in seinen Häfen, viel-

leicht streift er in unmittelbarer Nähe


umher. Die schlechte Sichtigkeit ver-
hindert jede Beobachtung. Und gerade
die ist unumgänglich nötig.
Der Engländer kennt die Rührigkeit
der " Ratten", er weiss ganz genau,
dass die am letzten die Gewohnheit ha-
ben, in ihren Löchern zu bleiben, dass
kein Teufel sie abhält, draussen nach
dem Feinde zu streifen, wo immer nur
i

sich eine Gelegenheit bietet, mit schar-


fen Zähnen in seinen Bereich einzuf al-

77
Zeppeline über England

len. Worauf sinnt er, was plant


er? Die scharfen Späheraugen, deren
Blick sonst weit über See dringt, die
den geheimsten Schlupfwinkel durch-
stöbern, sind bei solchem Wetter
machtlos.
Ein ungemütlicher Zustand ist es.

Dem Flottenchef ist es dringend er-


wünscht, zu wissen, w ie
T
es drüben aus-
sieht, ob der Feind irgend etwas
unternimmt, ob er überhaupt in der
Nordsee zu sehen ist. Und Luftauf-
klärung ist unter diesen Umständen
nicht möglich! Ununterbrochen hält
das Wetter an. Grau und düster wird
es Tag. Die Nebelwand will und will
nicht weichen, oder der Sturm kommt
herangeflogen. In wildem Treiben wir-
belt er den Schnee vor sich her, dass
nicht die Hand vor den Augen zu sehen
ist. Kaum daran zu denken, bei sol-

78
Harte Tage

chem Wetter aufzusteigen. Nicht ein-


mal aus der bergenden Halle kämen
die Schiffe.
Von Tag zu Tag, von Stunde zu
Stunde wächst die Ungeduld in den
Häfen und Stationen. Längst ist alles

klar. Nur Gas und Proviant wären


nachzufüllen. In kurzer Zeit könnte
es losgehen.
Wieder endet ein Tag, die Dunkel-
heit fällt ein. Eintönig rieselt der
Schnee vom Himmel herab, dann wie-
der stäubt er unter den peitschenden
Schlägen des Windes wild durchein-
ander. Verknurrt läuft der Posten
vor der Halle auf und ab. Noch zwei
Stunden bis zur Ablösung. Unendlich
langsam verrinnt die Zeit der Untätig-
keit.

Nicht viel anders sieht es im Kasino


aus. Die beiden Kommandanten der

79
Zeppeline über England

Luftkreuzer sitzen mit ihren Offizieren


zusammen, erzählen einander von den
Erfahrungen, die sie beim letzten An-
griffe gemacht haben, tauschen Meinun-
gen aus. Kapitänleutnant Kottlitz
berichtet von seinem neuen Schiffe, das
drüben in der Halle liegt, von der Ab-
nahmefahrt, von der Freude und dem
Stolze, mit der er den neuen Eiesen
übernahm. Die Stimmung ist nicht
gerade rosig. Jeden Augenblick rüt-
telt der Sturm draussen an den Fen-
sterläden, pfeift und dröhnt um das
Haus. Den vierten Tag schon dieses
S . . wetter.
Missmutig erwacht der Kommandant
zu einem neuen, tatenlosen Tage. Lau-
schend hebt er sich, draussen scheint
alles ruhig. Sollte der Sturm abge-
flaut haben? Mit einem Sprung ist er

am Fenster, stösst es auf. Ein eiskal-

80
Harte Tage

ter Luftstrom dringt herein, aber klar


und blau dehnt Himmel. Das
sich der
herrlichste Fliegerwetter! Mit einem
Ruck schnellt das Barometer der
Laune hoch empor. Wie ausgetauscht
ist alles im Hafen. Fröhliche Gesich-
ter überall, wo gestern noch mürrische,
vergrämte Laune herrschte.
Eitel Freude und Leben auch in den
Hallen. Wie leises Flüstern geht es
durch den Leib der Riesen, die dort
ruhen, als schöpften sie Atem zu neuem
Tun. Die Leute sind vollzählig zur
Stelle. Überall wird gearbeitet. Die
dort hantieren an den Motoren,
Schrauben werden angezogen. Andere
wieder arbeiten an den Geschützen.
Kottlitz erklärt seinem Kameraden
von "L 61" die Vorzüge des neuen
Kreuzers.
"Ist das ein feiner Bursche!" Fast

81
Zeppeline über England

neiderfüllt geht Körte um den Kiesen


herum.
Eine halbe Stunde verrinnt. Immer
klarer und besser wird das Wetter
draussen. Höher steigt die Sonne.
Seit langen Tagen zum erstenmal wie-
der leuchtet sie in tausend Farben und
Reflexen auf der weissen Schneedecke.
Vor den Toren schaufeln Leute den
.Weg frei.

"Ob wir heute noch fahren?"


Unschlüssig blicken die Komman-
danten einander an. Noch aber ist das
letzte Wort nicht ausgesprochen, als
das Telephon läutet.
"Hier Kommando Hochseeflotte,
Eins Asto (I. Admiralstabsoffizier).
Wann sind Sie fahrtbereit ?"
Ohne Zögern kommt die Antwort:
"Spätestens in einer halben Stunde!"
Drüben am Apparat lacht es.

82
— ' '

Harte Tage

"Sie freuen sich wohl mächtig, dass


es mal wieder soweit ist? Wir haben
gute Wettermeldungen. 'L 150' klärt
nach Westen bis Terschelling Bank
auf, 'L 61' nach Norden bis zur Jam-
merbucht !
'

Kottlitz wiederholt den Befehl und


hängt den Hörer ab. Sein Kamerad
verschwindet soeben mit einem hefti-
gen Satze in der Tür.
"Mensch* laufen Sie doch nicht so,

Sie sollen ja ohnedies zuerst los-

gehen !"
' ! '
'
Bitte klarmachen
Ein eilendes Wettlaufen erhebt sich
unter der Mannschaft. Ein jeder will
der erste im Ankleideraum und in
seinem Lederfracke sein.

Schlag auf Schlag folgen die Befehle.


Wie in einem Ameisenhaufen wirbelt
alles durcheinander, plan- und ziellos

83
" '

Zeppeline über England

anscheinend. Ein jeder aber weiss ge-


nau, was ihm obliegt.

Brüllend sausen die Motoren los,

donnernd, dass das mächtige Schiff und


die Halle zu zittern beginnen.
Der Ingenieur lauscht ununter-
brochen. Alles in Ordnung.
Hier werden Sandsäcke ange-
schleppt, Wasserballast eingefüllt, dort
Proviant und Munition gemannt.
"Motoren klar."
"F. T. klar."
"Geschütze klar."
"Wurf Vorrichtungen klar."
" c '
Haltemannschaft klar.

"Schiff fahrtklar.
Grell schrillt das Pfeifensignal durch
den Raum, selbst im knatternden Don-
ner der Motoren deutlich auszuneh-
men.
"Abwiegen!"
84
Harte Tage

Rauschend und plätschernd strömt


in dickem Schwalle das Wasser auf
den Boden und fliesst nach den Seiten
ab. Die schweren Eichenlager zittern,
der Luftkreuzer hebt sich: "L 150"
schwebt. Die Haltemannschaften er-

greifen die Taue.


Ein Ruck am Maschinentelegraphen,
ein helles Klingeln. Alles, bis auf den
Kommandanten, ist auf Stationen.
" Halle auf!"
Langsam klaffen die ungeheuren
Tore auseinander, eine blendende
Lichtfülle schiesst herein. Der Kame-
rad drüben ist ebenfalls klar. Soeben
gleitet sein Schiff aus der Halle.
Prüfend schweift noch einmal der
Blick des Führers über "L 150".
Nicht die kleinste Einzelheit entgeht
ihm. Alles in Ordnung.
"Na, dann wollen wir losgehen!"
85
'

Zeppeline über England

Rasch ist er über die Leiter im Füh-


rerstand.
1
Luftschiff marsch
! '
'

Langsam streckt der graue Riese die


Nase in die Luft. Vorsichtig, als sähe
er sich sein Element noch erst an, be-
vor er sich ihm überlässt. Dann wird
er ganz herausgebracht.
a Ausschlippen!"
Mit einem Rucke gleiten alle Fäuste
von den Tauen.
"Achtung! Los!". . .

Heulend beginnen die Luftschrau-


ben ihr Lied, schneller, immer schneller
drehen sie sich, bis statt ihrer nur
schimmernde Kreise die Luft zu durch-
rasen scheinen.
"Grosse Fahrt voraus!"
Die Ruder- und weitere Maschinen-
kommandos folgen. "L 150" setzt sich
in Bewegung, steigt. In der Ferne,

86
Harte Tage

kaum fünfzig Hektometer vom Hafen


entfernt, saust der graue Körper von
"L 61" vor ihm dahin. Jetzt wendet

er nach Norden, steigt höher und


höher. Wie ein silbern schimmernder
Strich noch wirkt er einen Augenblick,
dann verschwindet er . . .

87
V
KLEINKRIEG

89
V
KLEINKRIEG
Auf geradem Kurse zieht "L 150"
seewärts, kaum hundert Meter über
Land. Alle Einzelheiten unten sind
deutlich auszumachen: die kahlen
Bäume, die wie dürftiges Unterholz aus
der Schneedecke herauszuspriessen
scheinen, ein vereistes Flüsschen, der
erhöhte Bahndamm mit den glitzernden
und in der Sonne funkelnden Gleisen.
Aus strohgedeckten Häusern eines Dor-
fes wirbelt dünner Rauch kerzengerade
in die stille, klare Winterluft. In der
Ferne taucht an Steuerbordseite ein
Städtchen auf. Wie eine glitzernde
Nadel strebt der schlanke Kirchturm
aus dem Häusergewirr, das sich um ihn
drängt, heraus. Auf dem Hauptplatze

91
Zeppeline über England

wird anscheinend gerade Markt abge-


halten. Als wäre eine Eiesenhand plötz-
lich in Kinderspielzeug hineingefahren,
so quirlt und wirbelt alles durcheinan-
der. Käufer und Verkäufer lassen lie-
gen und stehen, was sie gerade in Hän-
den hielten, und starren dem mächtigen,
hellgrau schimmernden Luftriesen, des-
sen dröhnendes Atmen schon von fern-
her vernehmbar war, entgegen. Mützen
und Tücher werden geschwenkt. Kaum
aber sieht es die Besatzung, schon ist sie

weitweg über den Deichen, auf denen


Landsturmposten auf und ab patrouil-
lieren.

Der Schaumstreifen der Brandimg


kommt voraus in Sicht, wohl mehr als
hundert Meter breit. — Die Dünung ist

noch schwer, mächtige Brecher heben


sich aus der dunkelgrünen Fläche. Wie
Schafe sieht es aus, die auf grüner

92
Kleinkrieg

Wiese weiden. Kein Laut vom dum-


pfen Donnern der Brandungswellen
aber dringt zu dem Schiff, das jetzt
höher emporstrebt, auf die See hinaus.
Dort, wo das Wasser an der Kimm
hochzuklettern scheint, taucht ein brau-
nes Segel auf. Ein Fischkutter. Mit
vollem Zeuge kommt er heran. H. F.
235 trägt er als Erkennungszeichen.
Wieder der verwegene Kerl, der Fin-
kenwärder. Tagaus, tagein grast er die
See ab. Mag der Nordwest noch so steif
wehen, die Dünung noch so schwer ge-
hen, sein Segel ist immer auszumachen.
Das ist das Material, mit dem man den
Teufel aus der Hölle holt, das sind die
Leute, denen draussen keine Arbeit zu
schwer ist. Immer ist er der erste
draussen, der letzte, der einläuft. Bis
weit hinaus segelt er. Minen kümmern
ihn ebensowenig wie feindliche Fahr-

93
Zeppeline über England

zeuge. Kaum dass er sich Zeit gönnt,


mit vollem Blüm elb- oder weserauf-
um seine Schollen, Zun-
wärts zu ziehen,
gen und Knurrhähne loszuschlagen, um
die sich die Fischfrauen und Kökschen
in Altona und Bremen schlagen. Kaum
aber ist er den Fang los, so geht er mit
der Ebbe wieder hinaus, ein kleiner
König auf seinem Schiff, von dessen
Gaffel die schwarz-weiss-rote Flagge
weht. Einer der wenigen noch, die der
Segelschiffahrt treugeblieben sind. Alte
und Jimgen sind geblieben da
viele der
draussen, und die Neumodischen heuern
auf Dampf ern an.
Tief nach Steuerbord überliegend,
unter Vollzeug bei der frischen Brise
jagt er dahin. Scharf fegen die Spritzer
über Deck. Der Rudersmann winkt
fröhlich hinauf, dann dippt der Führer
die Flagge zum Grusse.

94
Kleinkrieg

Das Land bleibt zurück. Vier Strich


backbord voraus wird Helgoland gemel-
det. An Steuerbord kommen dann die
Halligen, Amrum, bald auch die lang-
gestreckten Dünen von Sylt, die in der
warmen Sonne gleissen und leuchten, in
Sicht.
Schwerer ist der Seegang hier
draussen, frei vom Lande. Wie ein ein-
ziger weisser Schaumstreifen scheint
noch die See, auf jeder Welle reiten die
weissen Schaumkämme zu Tal.
Der Gürtel der Vorpostenboote wird
überflogen. Mit langsamer Fahrt pen-
deln sie ihren Stropp ab. Ununter-
brochen spähen scharfe Augen hinaus
auf See, ob der Feind sich nicht zeigt.

Freilich, nur eng begränzt ist ihr Ge-


sichtskreis, nicht zu vergleichen mit dem
Ausblick, der sich der Mannschaft oben
von dem Luftkreuzer aus bietet. Dem
95
!

Zeppeline über England

bedeuten Seegang, Gischt und Dünung


kein Hindernis. Ruhig zieht er seinen
Weg, in gleichmässigem Takte treiben
ihn die Luftschrauben vorwärts gegen
den Wind.
" Tiefensteuer !"
Kaum vierzig Meter über der Ober-
fläche streicht der Riese über eins der
kleinen Fahrzeuge dahin.
" Nichts Neues?"
Mit voller Kraft dröhnt der Schall
durch den Sprachtrichter zu den Auf-
horchenden hinunter. Das Brüllen der
Motoren übertönt ihn. So winkt ein
Singnalgast die Frage, und auf glei-
chem Wege wird geantwortet. Nichts
Neues
Höher steigt "L 150" wieder zur
Weiterfahrt. Fast unbegrenzt öffnet
sich dieWeite dem Blick. Drüben ist
das dänische Land, dort kommt Fanö

96
Französischer Fernhörer Ein Reesenschein WERFER
für die Zeppelinwarnung (Nach englischer Darstellung)
(Nach englischer Darstellung)

Feuerwehrleute und Soldaten bei der Arbeit in


den Ruinen eines Holzplatzes
(Nach englischer Darstellung)
Kleinkrieg

mit dem dahinter liegenden Esbjerg,


dann Hanstholni und bald hinterher die
Jammerbucht in Sicht. Verschwom-
men, in bläulichen Dunst getaucht, dun-
keln voraus die Linien der norwegi-
schen Küste. Auf dem ganzen Seege-
biete, das der Luftriese abstreift, zeigt
sich nicht das geringste Verdächtige.
Ein kleiner Dampfer nur wird
gesichtet, der auf Skagen zuhält.
Dicker Qualm wälzt sich aus dem
Schornstein, schwer stampft und
schlingert er mit langsamer Fahrt
dahin. Fast nichts ist vom Kielwasser
zu sehen. Schäumend wältz sich die
See gegen das Heck heran, stösst es mit
wuchtigen Schlägen vorwärts.
Der Dampfer sieht harmlos aus. Aber
traue einer mal dem Frieden! Neu-
trale Farben decken oft britische
Schurkerei und Feigheit. Die schönste

97
"

Zeppeline über England

Bannware birgt vielleicht der Lade-


raum.
Wieder werden die Steuer in Tätig-
keit gesetzt, die Luftschrauben wirbeln
mit äusserster Kraft blitzende Kreise.
Näher und näher kommt das Schiff, bis
der Luftkreuzer dicht neben ihm auf
gleicher Höhe Ein Schwede, wie
steht.

die aufgemalten Farben und der Name


am Heck "Gunar Linders, Norrköp-
ing" zeigen.
Ein scharfes Klingeln tönt durch die
Gondeln und Laufgänge von "L 150.
Die Motoren stoppen, das Sausen und
Dröhnen verstummt. Jetzt ist Verstän-
digung möglich.
Nach Abgangs- und Bestimmungsort
wird gefragt, nach der Ladung. Kapi-
tän und Mannschaft sind über die
Störung alles eher als böse; bringt
sie doch nur willkommene Abwechs-

98
Kleinkrieg

lung und Stoff zu Erzählungen in der


Heimat.
Von Hüll ist "Gunar Linders" unter-
wegs nach Gotenburg. Weizen für die
schwedische Regierung hat er geladen.
Die Auskunft ist Unauf-
befriedigend.
gefordert noch erzählt der Schwede
weiter, dass er in schwerem Wetter fünf
Tage bereits auf See sei. So hart war
der Sturm, dass er zwei Tage beige-
dreht liegenbleiben musste. Ein
freundliches Winken noch, der Wunsch
" Glückliche Fahrt!" schallt herüber
und hinüber, dann setzt der Schwede
seine Fahrt fort. Der deutsche Luft-
kreuzer steigt hoch und holt zu weitem
Bogen aus. Nichts zu sehen. Mit West-
kurs geht es nach der Doggerbank.
Backbord voraus scheint einer der
Signalmaaten etwas gefunden zu haben.
Er deutet nach einem dunkeln Gegen-
99
:

Zeppeline über England

stände, der scharf ins Auge gefasst


wird. Eine Treibmine. Bald hoch oben
auf einem Wellenberge, von Gischt und
Schaum umsprüht, dann wieder im Tal
treibt sie langsam vor dem Winde
dahin. Sie wird angesteuert.
" Maschinengewehr klar. Feuer er-
öffnen, achthundert Meter !"
Im nächsten Augenblick bellt das
trockene Knattern auf, die Geschosse
zischen dem Ziele zu. Dicht neben der
schwarzen Kugel schlagen Ein
sie ein.

Treffer, noch einer, ein dritter. Eine


dumpf e Detonation erfolgt, ein Wasser-
berg hebt sich, dann ist die Gefahr be-
seitigt, die Mine gesunken.

An das Flottenkommando geht F.


L.-Meldung
"Vom Feinde nichts gesehen. — Ein
schwedischer Dampfer angehalten, un-
verdächtig. Auf sechsundfünfzig Grad
100
Kleinkrieg

zwölf Minuten Mine abgeschosen."


"L 61" ist inzwischen auf Nordwest-,
dann auf Westkurs gefahren. Nach
dem Überfliegen der Weser- und Jade-
mündung steht er nun nördlich der frie-
sischen Inseln. Gegen elf Uhr liegt
Borkum querab, kurz darauf kommt die
Emsmündung in Sicht. Die See ist hier
bedeutend ruhiger. Die holländische
Küste taucht auf. Backbord, nur
wenige Seemeilen ab, liegt Terschelling.
Weiter westlich soll die Aufklärung
nicht gehen. So wendet "L 61" denn
auf nördlichem Kurse der Dogger-
bank zu.
Von allen Stationen wird scharfer
Ausguck gehalten; umsonst. Fast
scheint es, als sollte der Luftkreuzer
ergebnislos von der Aivfklärungsfahrt
zurückkehren.
An der Backbordnock des Komman-
101
:

Zeppeline über England

dostandes steht ein junger Maat mit be-


sonders scharfen Augen. Seit einigen
Minuten schon starrt er angestrengt
voraus. Jetzt ist er seiner Sache sicher.
Hastig aufgeregt wendet er sich zum
Kommandanten
"Herr Kapitänleutnant, ein
U-Boot!"
Die Gläser an die Augen, der ange-
deuteten Stelle zu. Tatsächlich, aus der
dunkelgrünen Oberfläche der See
taucht soeben ein grauer Turm empor.
Anscheinend sind sie da unten ahnungs-
los, wissen nicht, dass der Feind in den
Lüften naht.
Höher und höher steigt das Untersee-
boot. Noch ist Vor- und Achterschiff
von den Wellen leicht umspült, jetzt
hebt sich der Bug aus dem Wasser.
"Ein Boot aus der E-Klasse!' ,

"Hart Steuerbord; a K. voraus !"


102
Kleinkrieg

In rasendem Wirbel drehen die Luft-


schrauben, in sausender Fahrt geht es
auf den ahnungslosen Feind zu. Der ist
inzwischen völlig Mit
aufgetaucht.
seinem Sehrohr hat er vorher wohl nur
die Wasseroberfläche abgesucht. So ist
ihm entgangen, dass die Gefahr über
ihm schwebt.
Der Deckel wird hochgeklappt, ein
Kopf und Schultern werden sichtbar.
Jetzt ist der Engländer oben, späht um-
her. Im selben Augenblick aber dröhnt
das Brausen der Motoren an sein Ohr,
sieht er den grauen Leib des Luftriesen
auf sich zukommen. Der Kopf ver-
schwindet, der Deckel fällt. Am Heck
quirlen die Schrauben das Wasser.
Mit äusserster Kraft jagt er voraus.
Jetzt versucht er zu tauchen.
Schon überspülen die Wellen wieder
das Vorschiff —
eine Sekunde zu spät.

103
!

Zeppeline über England

Im gleichen Augenblick ist "L 61" über


ihm.
Ein Kommando oben, die erste Bombe
saust herab. Hart neben dem Boote
schlägt sie auf das Wasser. Gischt und
Schaum sprühen auf.
Zusehends sackt der Engländer weg.
Auch das Achterschiff im Was-
ist jetzt

ser verschwunden. Mehr und mehr


sinkt der Turm ein, nur die Kuppel und
die Sehrohre sind noch zu sehen. Da
naht das Verhängnis.
Die zweite Bombe saust herab. Haar-
scharf trifft sie auf, mitten auf die Kup-
pel. Rot lodert Feuerschein, ein dump-
fer Krach ertönt. Treffer
Ein gähnendes Loch klafft an Stelle
des Turmes. Zwei, drei, vier Granaten
hageln in schneller Folge nach. Stahl-
fetzen fliegen hoch. Ein kleiner Wir-
bel — dann Ruhe.
104
:

Kleinkrieg

In engem Bogen umfährt der Luft-


krenzer die Stelle.

Langsam, träge quillt aus der Tiefe


Öl empor. Ein dunkler Fleck inmitten
der aufgeregten Wasserfläche. Weiter
und weiter breitet er sich, wird grösser
und mächtiger, lastet über dem, was un-
ter ihm ruht, wie ein dunkles Leichen-
tuch. — Ein Feind vernichtet.
Noch eine halbe Stunde kreuzt "L
61" über der dann zieht er heim-
Stelle,

wärts und vor ihm die Meldung


" Feindliches U-Boot, anscheinend
E-Klasse, dreissig Meilen nördlich Ter-
schelling durch Bombenwurf ver-
nichtet."

105
VI
NACH ENGLAND

107
VI

NACH ENGLAND
Neumondszeit. Dunkel und kalt
steigen wieder die Nächte herauf. Nur
die Sterne blinken und flimmern in
mattem Schimmer. Fieberhafte Tätig-
keit herrscht in den Luftschiffhäfen;
ist doch die Zeit angebrochen, in der
jede Minute der Befehl zum Angriff
kommen kann. Seit mehreren Tagen
schon ist das Wetter beständig. Heller
Sonnenschein während der kurzen
Tage, ruhige, klare Nächte, die der
leichte nordwestliche Wind noch ver-
lockender scheinen lässt.

Die Urlauber sind aus der Heimat


eingerückt. Sie alle wissen, dass es
jetzt jederzeit losgehen kann, und bei

109
Zeppeline über England

jedem steht fest, dass er unbedingt da-


bei sein muss.
Längst ist hier alles klar und zum
soundso Male nachgesehen.
vielten
Sorgsam sind die Motoren erprobt,
jede Feder, jede Schraube und Niete
ist geprüft. Keine Stelle am Schiffs-
körper, die dem prüfenden Blick ent-
gangen wäre.
" Binnen un buten allens kloar!"
Auch Gefechtsbestimmung und An-
griff splan jedes einzelnen Schiffes lie-

gen Der Kommandant


fest. weiss,
welchen Weg er zu wählen, was er an-
zusteuern hat. Nur noch der Befehl
muss eintreffen. Prall wölben sich die
Gaszellen ; Betriebsmaterial ist überge-
nommen, Proviant und Munition so
weit vorbereitet, dass sie in weniger als
einer Stunde an Bord gemannt sein
können.

110
Nach England

Befehl vom Flottenkommando.


Es geht los. Endlich einmal wieder
ist es so weit.
Hell lodert die Begeisterung. Ein
jeder will zuerst betriebsklar melden.
Aus Kasino und Küche werden die
Körbe mit Proviant herbei geschleift,
Thermosflaschen mit heissem Kaffee
und Tee folgen ihnen. Der Alkohol ist

ausgeschaltet. Nur die Medizinkiste


birgt eine Flasche Kognak für den
Notfall. Da oben heisst es klaren
Kopf und eisern ruhige Nerven behal-
ten, soll das Ziel erreicht werden. Wie
in einem Ameisenhaufen wirbelt alles
durcheinander. Die letzten Vorberei-
tungen. Keuchend schleppt hier
ein Mann Ballast heran, drüben
wird die Munition in den Aufhänge-
vorrichtungen befestigt, zischend
strömt noch Gas ein. Dann sprudelt

111
Zeppeline über England

und quirlt plantschend das Wasser


aus den Ballasthosen, die Leinen
werden zum Herausschleppen klarge-
legt.

In der vorderen Gondel kauern in


ihren wohlgeölten Päckchen die Ober-
maschinistenniaate an den Motoren,
ölen, ziehen hier eine Schraube an und
lockern dort eine andere. Dann
springt eines der hundertpferdigen
Ungetüme an, erfüllt die Luft mit
dröhnendem Schnauben und Donnern,
dass den in der Nähe Befindlichen
Hören und Sehen vergeht. Ein wir-
belnder Luftdruck braust durch den
ragenden Bau, stürzt sich auf die klar-
stehende Haltemannschaft und reisst
ihnen die Mützen von den Köpfen, so-
fern das Sturmband fehlt. Die see-
männischen Unteroffiziere prüfen die
Steuervorrichtungen, legen die Karten

112
Nach England

und die sonstigen Navigationsmittel


klar.
Kaum eine halbe Stunde ist vergan-
gen, als auch schon Ordnung in dies
kaum entwirrbar scheinende Durch-
einander kommt. Alles ist bereit.
Dann gehen Meldungen aus allen
die
Teilen des Luftkreuzers an den Kom-
mandanten. Nochmals schreitet er
durch das ganze Schiff. Sein for-
schender Blick dringt in die verbor-
gensten Tiefen. Er weiss, dass er
sich unbedingt auf seine brave Mann-
schaft verlassen kann . . . aber
noch niemals hat übergrosse Sorgfalt
geschadet.
" Abwiegen!"
Neuerlich wird Ballast abgegeben,
bis auf ein Pfund genau wird das Ge-
wicht ausgeglichen. Wie ein leichtes
Zittern geht es durch den riesenhaften

113
Zeppeline über England

Schiffskörper, kaum wahrnehmbar erst


hebt er sich gleichmässig von den La-
gerböcken empor. Er schwimmt in
seinem Element.
Alles ist an Bord.
"Ist da unten alles klar?"
Nur mit dem grössten Stimmenauf -
wande vermag der Kommandant sich
in dem Höllenlärm mit dem Offizier

der Haltemannschaft zu verständigen.


Der hebt zur Bejahung Hand. Nur
die
des Kommandos noch bedarf es, und
die Tore öffnen sich und entlassen den
Kreuzer hinaus auf See.
Der Führer begibt sich nach vorn.
"Tore auf!"
Schrill schlägt der Maschinentele-
graph an. Kommandorufe. Der Tag
schimmert herein.
Wenige Minuten darauf braust das
erste Luftschiff mit äusserster Kraft

114
Nach England

davon. Eben auch hebt sich "L 51",


dicht hinter ihm folgt "L 58".
Sehnsüchtig blicken die Zurückblei-
benden ihnen nach, bis die grauen Kör-
per über der See verschwinden, das
Dröhnen der Luftschrauben im Winde
verweht. Nur einige, die beim letzten
Ballastabgeben eine unfreiwillige kalte
Dusche abbekommen haben, sausen mit
voller Fahrt an ihre Kleiderspinde, um
den kühlen Hauch "am Gebein", der
sich allmählich rechtunangenehm be-
merkbar macht, durch trockenes Zeug
zu vertreiben. Noch aber ist nicht
Feierabend. Genügend Arbeit ist zu
tun. Die Halle wird aufgeklart und
alles zum Empfange der Heimkehren-

den vorbereitet. Dann erst wird ein


Garn gesponnen. Diejenigen, die schon
früher "mit" w aren, haben das Wort.
T

115
Zeppeline über England

Gierig und sehnsuchtsvoll lauschen die


andern.
"Donnerwetter ja, hier sitzen müs-
sen,während die Kameraden vielleicht
gerade England in Sicht bekommen
und die dicken Bobbies als deutschen
Gruss hinabsenden !"
Zur selben Zeit sind inzwischen auch
in den andern Lufthäfen die Luftkreu-
zer zu gleicher Fahrt aufgestiegen.
Scharf spähen von den Schiffen die
Augen nach den Anflugswegen, wo sie
die Kameraden vermuten.
Auf gleicher Höhe ungefähr sausen
"L 51", "L 150" und "L 58", die alle
in einem Hafen beheimatet sind, dehin.
Geraume Zeit behalten sie sich in Sicht.
Die Stimmung an Bord kann gar nicht
besser sein. Sind doch alle Vorbedin-
gungen zu glücklichem Gelingen heute
gegeben. Übereinstimmend haben

116
Nach England

Wetterstation und meteorologische Be-


obachtungsposten günstiges "Wetter
vorausgesagt. Die Luft ist kühl. Auch
dieser Umstand fällt schwer ins Ge-
wicht. Können die Magazine doch be-
deutend mehr Munition aufnehmen.
Mehr und mehr tritt die heimatliche
Küste zurück, bis sie wie ein bläulicher
Nebelstreifen in der Ferne verschim-
mert. Unten rollen die weissgesäum-
ten Wellen der Nordsee dahin.

Schwere Rauchwolken kommen voraus


in Sicht: die Flotte, die von einem
Streifzuge heimkehrt. In geringer
Höhe wird sie überflogen. Jede Per-
son an Deck der Schiffe ist deutlich
auszumachen. Überall winken sie, Sig-

nale werden ausgetauscht. An Back-


bord liegen die ostfriesischen Inseln.
Die weissen Dünen laden im Sonnen-
schein zu fröhlichem Badeleben. Jetzt

117
Zeppeline über England

ist es still und leer. Seit der Krieg


eingezogen ist, sind die spielenden Kin-
der, die im Sande Burgen und Wälle
türmten, ausgeblieben, die Wachtinann-
schaften zu hartem Dienste an ihre
Stelle getreten.
Die Vorpostenboote gleiten unter
den Luftkreuzern weg. Wie Kinder-
spielzeug wiegen und schaukeln sie auf
der leicht bewegten See. Dann ver-
schwindet auch der letzte Schimmer
von Borkum aus Sicht, und die weite
grüne Flut liegt einsam unter den
dahinbrausenden Schiffen. Nichts ist

am Horizont zu sehen. Die sonst so


viel befahrene Route Kanal — Skagen
istdank den Massnahmen, die England
"zum Schutz und zur Wahrung der
Rechte der kleinen Nationen" getrof-
fen hat, einsam und verödet. Ein
Stück Wrackholz treibt unten vorbei,

118
Nach England

der runde, schwarze Körper einer


Mine, die der letzte Sturm von ihrer
Verankerung riss, taucht in einem
Wellental auf.
Kein Segel, keine Eauchwolke.
Dunkler wird die grüne Fläche der
See, nur die weissen Wellenkämme
leuchten phosphoreszierend herauf.
Oben aber in der Höhe ist es noch hell.

In der Mitte zwischen den Kamera-


den fliegt "L 150", wenige Seemeilen
von ihm entfernt nur schwebt "L 58".
Scharf hebt sich der lange hellgraue
Körper vom klaren Himmel ab, ruhig,

majestätisch zieht er seine Bahn.


Nicht tausend Meter sind sie hoch. "L
51", der eine Zeitlang an Steuerbord
auf gleicher Höhe gesteuert ist, schlägt
jetzt nördlichen Kurs ein und kommt
bald aus Sicht.
Die Kälte wird empfindlicher, der

119
Zeppeline über England

Wind macht sich bei der schnellen


Fahrt allmählich unangenehm fühlbar.
Trotz flanellgefütterter Lederkleidung
und dicker Filzstiefel dringt er bis auf
die Haut durch. Das vermag aber der
guten Stimmung wenig Abbruch zu
tun.
Kapitänleutnant Körte, Komman-
dant S. M. "L 150", unterhält sich, so-
weit es der Dienst, der da oben ange-
spannteste Aufmerksamkeit erfordert,
zulässt, mit seinem Oberleutnant. Der
soll zum erstenmal hinüber nach Eng-
land. Tausend Fragen hat er, die ihm
wichtig scheinen. Nur zu begreiflich
ist die Erregung, mit der er der an-
brechenden Nacht entgegensieht. Gern
antwortet der Führer dem Kameraden.
Alles,was ihm wissenswert scheint,
und wovon der andre lernen kann, be-
richtet er: vom letzten Angriff, wie er

120
Nach England

das Land ansteuerte, den Humber in


Sicht bekam und wie er dann wirkte.
Wie eine Bombe nach der anderen
herunterhagelte, Blitz auf Blitz, Schlag
auf Schlag folgte.
Der Leitende Ingenieur klettert soe-
ben von einem Motorenraum in den an-
deren hinüber. Ein ohrenbetäubendes
Gebrüll erhebt sich in dem kurzen Au-
genblicke, w o die Tür sich öffnet, ein
r

Dröhnen und Toben, dass die Stimme


nicht mehr zum Ohr des dicht daneben
Stehenden zu dringen vermag.
Nicht eine Sekunde lässt die Auf-
merksamkeit nach. Kaum ein Wort
ausser den knappen Befehlen ist nötig.

Die Mannschaft ist fast eins mit ihrem


Schiffe.
Es dunkelt mehr und mehr, auch der
Kamerad von Backbord ist jetzt aus
Sicht. Stunde um Stunde verrinnt.

121
Zeppeline über England

Die Mannschaft greift zu den Pro-


viantkörben. Gute kräftige Kost und
ein Schluck dampfend heissen Tees,
der wie neubelebend durch die Adern
rinnt.
Voraus kommt eine Fischerflotte in
Sicht. Weit auseinandergezogen lie-
gen sie vor ihren Netzen. Zwanzig,
dreissig Fahrzeuge sind durch die
scharfen Nachtgläser auszumachen.
Das Luftschiff nähert sich dem Süd-
rande der Doggerbank. Hochsaison
der Heringsfischerei. Freilich, so viel
wie früher vor dem Krieg ist jetzt
nicht mehr los. Die deutschen Logger
fehlen, und auch von den Engländern
geht die Mehrzahl wohl dem Kriegs-
gewerbe nach. Meist sind es Hollän-
der, die da unten stehen. Immerhin
heisst es doppelt vorsichtig sein. Nur
zu oft sind auch einzelne Engländer

122
Nach England

unter ihnen. Tut die Admiralität doch


alles, was in ihren Kräften steht, die
Annäherung der deutschen Luftschiffe
möglichst frühzeitig zu erfahren ; jedes
Mittel ist dabei heilig.
Die Vorpostenboote stehen im allge-
meinen nicht so weit draussen. Die so-
genannten " harmlosen' ' Fischer neh-
men ihnen dafür nur zu willig den
Dienst ab und schlagen so für das ge-
schäftstüchtige Albion zwei Fliegen
mit einer Klappe. Nur zu rasch ist

mit F. T. Nachricht gegeben:


" Feindliche Luftschiffe im An-
marsch !"
In weit ausholendem Bogen werden
die Fischer umfahren, und weiter geht
es westwärts in die versinkende Sonne
hinein.
Voraus zeigt sich eine dünne Rauch-
wolke. — Der erste Späher. —
123
Zeppeline über England

"Hart Steuerbord!"
Dem heisst es ausweichen. Eine
leichte Wolkenwand hängt voraus über
dem Luftschiff ; sie bietet guten Schutz
gegen Sicht. Die Höhensteuer wer-
den gezogen, spielend gehorcht der
Riese. Er hebt die Nase, steigt und
klettert. Wenige Minuten nur, und
schützend liegt die Wolke zwischen
ihm und dem Feinde unten. Rasch
wird abgedreht. Noch ist die Entfer-
nung weit, aber selbst bis dahin könnte
der Lärm der wirbelnden Luftschrau-
ben dringen. AuchLoch in derein
Wolkenwand kann zu unerwünscht
frühzeitiger Entdeckung führen. Die
Nacht ist da. Pechschwarz, dunkel,
wie sie sich idealer der Führer nicht
wünschen kann. Kein Stern, nicht der
geringste Schimmer ringsum. Tiefe
Dunkelheit, die alles zu verschlingen

124
Nach England

scheint. Mitten durch die Nacht zieht


der Luftkreuzer. Auch er unsichtbar,
eins mit der Hülle, die ihn umgibt.
Kein Licht, alles sorgsamst abgeblen-
det. Wie scharf auch Ausguck gehal-
ten wird, wie gespannt die Nachtgläser
sich hinunter auf See richten, nichts zu
sehen.
Die Zeit \3rrinnt. Bald muss die
englische Küste in Sicht kommen.
Keine Ansteuerungsmarke steht denen
oben zur Verfügung, nur nach dem
Kompass können sie fahren.

Da . . . ein heller Feuerschein


sprüht unten auf. Eine Funkengarbe
saust über das Wasser hin, wie ein
Schwärm von Glühwürmchen, die der

Wind verweht. Vorpostenboote. Da


Hat wohl ein Heizer unvorsichtig auf-
gefeuert, und der Luftzug jagt nun ver-
125
Zeppeline über England

räterisch die Funken aus dem Schorn-


stein empor.
Hat der Engländer den nahenden
Feind erspäht?
Höher und höher steigt "L 150".
Selbst wenn er bemerkt wurde, hier
oben können sie ihn nicht belangen.
Unten regt sich nichts.
Alles steht auf Manöverstation. Ab-
wurfvorrichtungen und Geschütze sind
besetzt, gierige Blicke bohren sich in
das Dunkel hinab. Blitzt nicht im
nächsten Augenblick heller Schein-
werferstrahl auf? Tönt nicht der
dumpfe Knall der Abwehrgeschütze
empor?
Nichts rührt und regt sich. Alles
bleibt ruhig und still.
Elf Uhr nachts. Die Küste muss in
unmittelbarer Nähe sein. Fünf Minu-
ten vergehen, zehn, die endlos scheinen.

126
Nach England

Sollte "L 150" vom Kurse abgekom-


men sein ? Oder stehen die Vorposten-
boote so weit draussen?
Voraus wird es dunstig, oben kom-
men die Sterne durch. Doppelt ange-
spannt ist der Ausguck. Näher und
näher rückt die Dunstschicht heran, bis
sie allmählich unmittelbar unter dem
Kreuzer liegt.
Von Backbord flimmert ein heller
leichter Schein herauf. Ein Band, ein
silberschimmerndes leuchtendes Band:
ein Flusslauf.
Halb unterdrückt, wie ein ersticktes
Jauchzen entfährt es dem Oberleut-
nant, wie ein erleichterter Seufzer dem
Führer. Sie sind da, gerade unter
ihnen liegt — England!

127
VII
ÜBER LONDON

129
VII

ÜBER LONDON
Glücklich hat "L 64" Küste von
die
Norfolk erreicht. Südlich von ihm
strebt "L 150" der schwersten Aufgabe
zu, die der deutschen Luftkreuzer " drü-
ben" harrt. Soll er doch über der
Hauptstadt Englands wirken. Nicht
zum erstenmal allerdings und, wie der
Führer hofft, nicht zum letzten Male.
Ungeheuer sind die Hindernisse, die
sich unterwegs und über dem Ziele
selbst türmen. Trotz aller Ableug-
nungssversuche war allmählich auch ins
neutrale Ausland durchgesickert, wie
furchtbar die Beschädigungen waren,
die London beim ersten Angriffe schon
erlitten hatte. Enorme Werte waren in

131
Zeppeline über England

der City und in den Docks in Flammen


aufgegangen und vernichtet worden.
Besonders die Docks aber waren es, die
für die Ernährung der Riesenstadt und
das zahlreiche Militär in den Lagern
der Umgebung eine grosse Rolle spiel-
ten. Sie waren schwer beschädigt, so
dass die Schiffe nicht mehr überall an-
legen konnten. Die Lebensmittel muss-
ten auf anderen Wegen, über Land
hereingebracht werden. Die natürliche
Folge war, dass die Bahnen durch die
Proviantzüge tagelang förmlich bloc-
kiert und die Truppentransporte ver-
ringert oder ganz unmöglich gemacht
wurden.
Ein Orkan der Entrüstung hatte sich
erhoben. Weniger gegen den Feind —
die Engländer hätten es ganz anders
getrieben, wenn ihnen nur eine ähnliche
Waffe zur Verfügung gestanden hätte
132
Über London

— als gegen die mangelhafte Luftver-


teidigung. Presse und Volk waren ein-
mütig wie noch nie. Wütende Ankla-
gen wurden im Parlament vorgebracht,
den Verantwortlichen wurde Unfähig-
keit vorgeworfen. Immer lauter und
vernehmlicher tönte der Schrei nach der
verhassten deutschen Organisation. Die
Verteidigung Londons wurde der
Armee entzogen und ging auf die Ma-
rine über.
Balfour nahm sich ein Beispiel an
den deutschen Einrichtungen und
brachte schliesslich eine so imposante
Luftabwehr zustande, dass er Anfang
Mai mit gutem Gewissen erklären zu
können glaubte, die Deutschen würden
sich ihre " Abstecher" nach England
künftig wohl verkneifen müssen.
Er brauchte nicht lange auf die Ant-
wort zu warten. Wenn auch die Zen-

133
Zeppeline über England

sur noch straffer "und schärfer gehand-


habt wurde als früher, die masslose Er-
bitterung, die sich nach den folgenden
Angriffen erhob, sickerte dennoch
durch. Die Vorwürfe bekamen allmäh-
lich eine Spitze, die sich gegen den eige-
nen Bundesgenossen richtete. Frank-
reich war plötzlich daran schuld, dass
die deutschen Granaten so unangenehm
herunterregneten. Die Armee for-
derte ununterbrochen Geschütze, alle
Fliegerwurden an die Front nach Flan-
dern gesandt. Schliesslich war aber,
wie gesagt wurde, England sich selbst
der Nächste; dem Bundesgenossen
wurde ohnehin schon mehr als genug
geholfen.
So tat man also noch mehr. Immer
neue Scheinwerfer wurden aufgestellt,
die Abwehrbatterien häuften sich in
wirklich grosszügiger Weise. Die Er-

134
Über Loyidon

regung der Bevölkerung, deren Angst


jedesmal, wenn ein Angriff erwartet
werden konnte, ins Ungemessene stieg,
wurde dadurch beschwichtigt, dass man
— eine Komödie, die allerdings nur
eben in England möglich war höl- —
zerne Kanonen durch die Strassen
schleppte.
Nicht nur zu Lande wurde die Ver-
teidigung organisiert, sie erstreckte sich
bis in See hinaus. Eine eigene Schiffs-
'
sonderklasse, die ' Arabic '-Klasse,
'

wurde gebaut, die neben dem Minen-


legerdienst hauptsächlich für die Luft-
abwehr bestimmt war. Weit in See
vorgeschoben, sollte sie die herannahen-
den Luftkreuzer melden und die wei-
tere Annäherung unmöglich machen.
Die Vorwürfe, es sei nichts für die

Luftabwehr getan worden davon ver- —


mögen die Führer der deutschen Luft-
135
Zeppeline über England

schiffe am ehesten Zeugnis abzulegen


— , waren ungerechtfertigt. Auch die
genialste Abwehr nützt eben nicht viel
einem Feinde gegenüber, der ruhig und
kalt sein Ziel sucht und sich den Teufel
darum kümmert, ob die Schrapnelle
und Brandgranaten immer näher und
näher herankommen.
In sausend schneller Fahrt setzt
"L 150" seinen Weg fort. Zehn Uhr
yorbei. Tief dunkel ist es. Eine von
jenen Nächten, in denen die Entfernun-
gen täuschen, die Gegenstände am Hori-
zonte verschwimmen und ein Schuss
auf die Luftschiffe eine mehr als un-
sichere Sache ist. Erschwerend frei-
lich kommt hinzu, dass die drüben ge-
rade um diese Zeit aufpassen wie die
Schiesshunde. Weil sie eben aus Er-
fahrung wissen, was ihnen bevorsteht.
Immer weiter und weiter werden die
136
Über London

Vorpostenboote hinausgeschoben, der


ganze Apparat wird mobil gemacht.
Gegen Sicht ist "L 150" durch die
Nacht vorläufig geschützt, das Dröhnen
seiner Luftschrauben aber kann ihn
verraten. So steigt er höher und höher.
Mit scharfen Nachtgläsern wird vom
Kommandostand und von den anderen
Stellen des Schiffes Ausguck gehalten.
Noch eine Stunde etwa, und der Luft-
kreuzer muss über der engeren Themse-
mündung stehen.
Weit voraus flammt ein glänzender
Punkt auf; eine mächtige Lichtgarbe
wie aus einem Geschütz, daraus
schiesst,

hervor: ein Scheinwerfer! Unsicher


zuerst, wie unschlüssig, streut er in brei-
tem Kegel gegen den dunklen Himmel
hinauf, schwankt suchend umher.
Blass und dünn irrlichtert der Licht-
strom, haftet an Wolkenwänden, veren-
137
Zeppeline über England

gert sich und wird intensiver. Verra-


ten! Die unten haben die dröhnende
Fahrt vernommen und suchen jetzt den
nahenden Feind. Ein zweiter, dritter,
vierter und fünfter Lichtkegel schiesst
empor. Wie Finger einer ungeheuren
Hand strecken sie sich drohend, schla-
gen nieder, fliehen auseinander, kreuzen
sich.

Immer weiter heraus kommen die


Kerle. Beim letzten Besuche standen
die Scheinwerferbatterien mehr land-
einwärts. Da . . . ein langes, tiefes
Sirenengeheul Warnungszeichen.
: Ein
Lichtstrahl nach dem anderen blitzt
auf, ragt zum Himmel hinauf. Wie ein
Wald riesenhafter Bäume sieht es aus,
deren Kronen sich oben in den Wolken
verlieren. Jetzt beginnen sie die Such-
arbeit planmässiger. Kein Fleckchen
bleibt unbeleuchtet. Näher und näher
138
Über London

geistern sie an den Feind heran, der


seine Fahrt unbeirrt fortsetzt. Ein
greller Lichtstrom flutet heran, tastet
das Schiff entlang, dass alles an Bord
geblendet im ersten Augenblick die
Augen schliessen muss. Gef asst Wie- !

der und wieder späht der Lichtkegel


heran, unsicher noch, ob er auf richti-
gem Wege sei, dann fasst er den langen
Körper, dass er hell aufschimmert, und
lässt nicht mehr von ihm.
Rötliche Lichtpünktchen schimmern
unten auf, fahl fast verschwindend ne-
ben grellen Blitzen der Scheinwerfer,
ein dumpfer Knall dringt herauf. Die
Abwehrgeschütze. Hier vier, dort zwei,
direkt unten an Backbord und an
Steuerbord. Ein Heulen und Pfeifen
kommt heran, das sich selbst in dem
dröhnenden Brüllen der rasenden
Fahrt abhebt. Seitlich, wenige hundert

139
Zeppeline über England

Meter unterhalb, hängen plötzlich vier


weissliche Wölkchen. Rötlicher Feu-
erdunst bricht aus ihnen hervor: die
Begrüssung!
!"
" Höhensteuer! . . . Seitensteuer
Da öffnet das tiefe Dunkel seine
schützenden Arme, nimmt den Riesen
in sich auf, verschluckt ihn. Fast
schmerzlich ist die Finsternis im jähen
Übergange von der blitzenden Lichtflut,

wie tot starren die Augen eine Weile,


empfindungslos.
Entwischt ! Wie wütend die entgan-
gene Beute, gleich hungrigen Bestien,
zucken die Strahlen aufgeregt umher,
huschen über den ganzen Himmel. Um-
sonst. Längst ist der Luftkreuzer davon.
Die Spannung da droben macht über-
legenem Triumphe Platz. So leicht ist
es nicht, ihn herabzuholen. Freilich,
London ist weit, alles ist gewarnt. Die

140
Über London

Hölle ist los. Was wird sich dem na-


henden Verderben entgegenstellen?
Immer neue Überraschungen planen
die Engländer, ersinnen neue Mittel zur
Abwehr. In tausenderlei Gestalt rast
der Tod heran.
Mit harter Entschlossenheit geht es
weiter, unbeirrt wird dem Ziele zuge-
steuert. Nur kurze Zeit noch, dann
muss die Strasse in Sicht kommen, die

dem Führer ein Beweis ist, dass er sich

auf richtigem Wege befindet. Mögen


die unten hundertmal gewarnt sein, vor
deutschen Luftschiffen gibt's kein Ent-
rinnen !

Unauslöschlich hat sich dem Kom-


mandanten die Karte eingeprägt. Jede
Silhouette kennt er auswendig. Ein
Abirren vom Ziele ist ausgeschlossen.
Mit eisiger Ruhe folgen die Befehle,
ebenso werden sie ausgeführt. Gefahr ?

141
Zeppeline über England

Das Wort kennt der deutsche Seemann


nicht. Eine zweite Abwehrlinie liegt
voraus. Als wollten sie den Luftkreu-
zer mit eherner Wand aufhalten, so tür-
men sich hier die Lichtstrahlen neben-
einander.
Wieder flutet einer der Lichtkegel
heran, blitzt das Mündungsfeuer der
Batterien auf, hängen
ringsum die
Schrapnellwolken, aus denen die röt-
lichen Blitze brechen. Näher und näher
kommen sie heran, enger umgeben sie
das Schiff.
Da .eine dicke
. . Wolke querab . . .

" Seitensteuer !"


In der nächsten Minute ist der Riese
unbeschädigt verschwunden.
Die Sterne kommen durch. Einer
nach dem anderen funkelt am Horizont
auf, ihr Glanz erleuchtet die Nacht, dass
die Gegend deutlicher hervortritt. Da
142
Über London

unten liegt ein silbernes Band, das sich


nach rechts zu stark verbreitert: die
Küste von Kent. Dicht nebeneinander
flammen die Mündungsfeuer auf, blen-
dend stark an Backbord Schein-
flutet

werferlicht heran. Das sind die Ab-


wehrbatterien bei Northf oreland.
"Hart Steuerbord!''
Über der Themse zieht "L 150" da-
hin. Genau über der Mitte hält er
sich, um nicht in die gefährliche Nähe

des Abwehrbereichs des grossen Kriegs-


hafens Sheerness und der dort liegen-
den Kriegsschiffe zu kommen. Kurze
Zeit noch,und das Ziel ist erreicht!
Eisern umklammern die Fäuste die
Griffe der Steuerungen, an den Ab-
wurfvorrichtungen ist alles klar. Keine

Macht der Welt kann sich jetzt noch in


den Weg stellen.
Gerade unter dem Luftkreuzer, mit-

143
! '

Zeppeline über England

ten auf der Themse blitzt es auf. Ein


kleineres Fahrzeug, anscheinend ein
Zerstörer, liegt dort und bellt mit seinen
Geschützen zu dem Riesen, der ruhig
seine Bahn verfolgt, hinauf. Mit grosser
Fahrt selmeidet er das Wasser, das in
langen phosphoreszierenden Streifen
hinter ihm herzuziehen scheint.
Fester pressen sich die Lippen des
Führers aufeinander. Der Kläffer un-
ten will nicht weichen. Er wird unbe-
quem, er muss weg
Jetzt liegt er im Ziele.
! '
1 '
Sprenggranaten
In unmittelbarer Folge lösen sich
zwei Granaten aus den Aufhängevor-
richtungen und sausen hinab.
Treffer! Eine einzige Explosion
wird hörbar, rötlicher, fahler Feuer-
schein, weissliche Dampfgarben. Tiefes
Dimkel herrscht an der Oberfläche.

144
!

Über London

Suchend und forschend streifen Glä-


ser die Stelle ab, wo der Engländer
soeben noch fuhr. Grünlichsilbern
leuchten die Wasser der Themse. Weit
und breit nichts, was auf den Zerstörer
schliessen lassen könnte. Gesunken!
Der wird nie wieder den Anmarsch
deutscher Luftschiffe hindern.
Weiter geht es, mit Kurs westlich.
Eine kurze Spanne Zeit nur noch kann
es dauern und die Stadt ist erreicht!

Ein Verfehlen ist jetzt nicht mehr mög-


lich. Eine Minute verrinnt, zwei . . .

fünf. Das Ziel


Da unten ragt ein ungeheures Häu-
sermeer aus der Nacht heraus. Die
Stadt ist gewarnt, die rötlich schim-
mernde Dunstschicht, die sonst wie eine
Glocke über ihr hängt, ist nicht zu
sehen. Alles ist abgeblendet oder ge-
löscht. Dort, der dunkle Fleck, ist die

145
Zeppeline über England

drüben scheinen, nach dem hellen


City,
Schimmer zu urteilen, bewohntere
Viertel.
Längst haben heulende Sirenentöne
den Londonern verkündet, dass das
Strafgericht naht. Da unten lieben sie
jetzt wohl die Fäuste in ohnmächtiger
Wut, brüllen "Mörder," "Hunnen"
und "Barbaren" und stürzen eiligst in
die Keller, die ja seit langer Zeit schon
wohlvorbereitet sind.
Die drei Türme von Westminster
springen auf. Die klotzige Masse des
Tower. Dunkel heben sich die Brücken,
die das helle Band des Flusses unter-
brechen.
In rasender Schnelle spielt sich jetzt
alles ab, was die nächsten Minuten brin-
gen. Die Hölle auf Erden. Die "un-
verteidigte" Stadt beginnt Feuer zu
speien, überall lohen die Mündungs-
146
Über London

feuer der Abwehrgeschütze, blitzen die


Scheinwerfer gegen den dunklen Hori-
zont. Der aber, den sie suchen, zieht
ruhig über die Stadt seinem Ziele zu.
An Backbord liegt die ragende Halle
von Liverpool Station. In hastender,
jagender Fahrt kommt ein Zug her-
angeschossen, sucht sich unter den
Mauern zu bergen. Fieberhaft arbeitet
anscheinend der Heizer, fast meterhoch
sprüht die Flamme aus dem Schorn-
stein. Dann ist er in der Halle ver-
schwunden. Genau über ihm aber ist
jetzt der Feind.
Hageldicht regnen die Bomben nie-
der, Flammen lodern auf, eine De-
tonation nach der anderen zerreisst die
Luft. Gebäude stürzen ein, schwarzer
Qualm verfinstert den Feuerschein.
Weiter geht das Verderben. Von einem
Bau schält sich die ganze Vorderwand
147
Zeppeline über England

ab, stürzt dröhnend zu Boden, die Stras-


sendecke wird durchschlagen. Eine un-
geheure Stichflamine brüllt blauleuch-
tend aus der Gasleitung empor. Keine
Fensterscheibe im ganzen Viertel kann
mehr heil sein, es regnet Glas auf die
Menschen, die in wilder Hast umherei-
len, retten wollen, wo doch nichts mehr
zu retten ist.

Da ist die Towerbrücke. Eine Bombe


saust auf sie hinab. Die Bank von Eng-
land. Dunkel, massiv hebt sich der
Würfel. Dicht daneben steht eine Bat-
terie. Ununterbrochen feuern die Ge-
schütze, suchen Scheinwerfer. Eine,
zwei, drei Bomben brüllen mitten unter
die Geschütze, säen Tod und Verderben.
Der Scheinwerfer ist zerschmettert, die
Batterie verstummt. Hundert andere
feuern aus allen Ecken und Enden.
Flutendes Licht wirbelt durcheinander,

148
Über London

sucht, sucht. Die Luftschrauben dröh-


nen, stärker als sie aber donnern und
pfeifen die Geschosse, von denen die
ganze Luft erfüllt ist. Ein Stahlregen
schiesst hoch und wieder hinab. Was
die deutschen Geschosse schonen, das
vernichten teilweise die englischen.
In weiter Schleife geht es auf die
Docks zu. Haarscharf ist ihre Lage
dem Führer eingeprägt.
Tiefes Dunkel herrscht dort. Kein
englischer Arbeiter will hier nachts ver-
weilen. Ursprünglich noch waren sie

gegen hohe Bezahlung bereit gewesen.


Als dann aber immer häufiger die
Granaten barsten und auch unter ihnen
Todesopfer forderten, als lodernde
Flammen brennender Speicher und
Schiffe sich im Flusse spiegelten,

konnte auch der höchste Lohn sie nicht

mehr locken. Wo sonst Tag und Nacht


149
;

Zeppeline über England

geladen und gelöscht wurde, herrscht


jetzt Totenstille.
Da liegt das Ziel. Die Umrisse mäch-
Dampfer, die an den Kais und im
tiger
Strom vertaut liegen. Auf sie Stahl, !

Stein und Eisen wirbeln umher, die


Luft zittert unter den furchtbaren
Schlägen. Krachend stürzt das Dach
eines langen Lagerschuppens ein, mit
rasselndem Brechen neigt sich ein un-
geheurer Kran und fällt in den Strom
gerade auf vollbeladene Leichter
schmettert er. Sie brechen auseinan-
der, sacken weg in den Schlamm und
Schlick der Themse.
Kein Ende noch ! Weiter hageln die
Bomben auf die Schiffe, die dicht hin-
tereinander daliegen. Die Wände ber-
sten, die Docks klaffen auseinander.
Hier züngelt eine Flamme hoch, dort
lodert aus dunkelrotem Qualm helles

150
Über London

Feuer zum Himmel. Dampfer mit


Lebensmitteln, die für die Armee in
Flandern bestimmt sind, brennen. Und
vor, neben ihnen singt und
hinter,
rauscht und brüllt das Verderben wei-
ter. Ungeheure Fackeln leuchten dem
Führer, helfen ihm bei seinem Tun.
Ein riesenhafter Getreidespeicher
dehnt sich. Zwei Brandgranaten
schlagen hinein, zünden, und fressend
wälzt sich im nächsten Augenblick die
Vernichtung durch den ganzen Bau.
In zehn Minuten ist das Werk getan.
Eine flammenerfüllte Hölle scheint
Himmel und Erde. Unten leuchtet der
rote Schein der schweren Brände, don-
nern die Geschütze in unaufhörlicher
Folge. Oben flirrenund blenden die
Scheinwerfer in atemloser Jagd nach
dem Feinde. Zwei, drei erlöschen, hun-
dert andere aber arbeiten fort. Von
151
Zeppeline über England

allen Seiten zischen die Geschosse


heran, legt sich rötlicher Dampf dem
Kreuzer in den Weg. Schrapnelle ex-
plodieren, Brandgranaten ziehen feu-
rige Kreise. Dichter und dichter wer-
den die Sprengwolken.
Buhig, kaltblütig setzt "L 150"
seinen Weg fort. Der ganze Horizont
scheint erfüllt von dem dröhnenden
Stahlhagel. Und atemloser, schneller
noch rasselt der tödliche Schauer her-
auf. Ein einziger glücklicher Treffer
nur, und als formlose Masse stürzt
Schiff und Mannschaft hinab in die
gähnende Tiefe. Zu solchen Gedanken
aber ist jetzt keine Zeit.
Jeden Augenblick wird der Kurs
geändert. Die Batterien unten kommen
nicht zum Einschiessen.
Die Hölle liegt zurück. In tiefem
Dunkel schlägt "L 150' ' einen weiten

152
Über London

Bogen. Ein Augenblick der Ruhe.


Vergebens suchen die Scheinwerfer
umher, können ihn nicht mehr ha-
sie

schen. Die Gefahr ist für den Augen-


blick vorbei. Forschend spähen Kom-
mandant und Besatzung aus den Gon-
deln zur Hülle empor. Mächtig wächst
der Leib vor ihrem Blick. Heil und
wie durch ein Wunder unversehrt.
Auch die Gondeln selbstund die Mo-
toren haben nichts abbekommen. Dafür
zeigen lodernde Brände, wo "L 150"
noch vor wenigen Minuten erfolgreich
wirkte.
Der grösste Teil der Bomben ist abge-
worfen. Der Luftkreuzer zieht heim-
wärts. Im Ablaufen werden noch die
Industriestätten unterhalb Londons,
Woolwich und Oxted, aufgesucht. Eine
Brandgranate fährt in eine mächtige
Fabrikanlage hinein. Die Wirkung ist

153
Zeppeline über England

wahrhaft furchtbar. Ein feuerspeien-


der Berg seheint sich unten plötzlich
aufgetan zu haben. Eine ungeheure
Flammengarbe lodert empor, ein furcht-
barer Schlag clrönt. Die ganze Luft ist

in Bewegung geraten, schlägt in sausen-


den Wellen an das Schiff, das in der
Strömung zu schwanken beginnt. Krach
auf Krach folgt unten, wie Maschi-
nengewehrfeuer.
Eine Munitionsfabrik ist in die Luft
geflogen. Mit ihren ganzen Vorräten
folgt ihr eine zweite nach. Lange noch
dröhnen die Explosionen, folgt das
dumpfe Knattern "L 150' ' auf dem
Wege nach. Dann schimmert die See
unter ihm.

154
VIII
VON NORFOLK BIS
NORTHUMBERLAND

155
VIII

VON NORFOLK BIS NORTHUM-


BERLAND
Unbemerkt sind die anderen Schiffe
des Geschwaders an die Küste von
Norfolk herangekommen. Harwich ist
das erste Ziel. Schon im Frieden eine
wichtige Basis der Torpedoboote, dient
es jetzt als Hauptstützpunkt der leich-
ten Streitkräfte, besonders der Vor-
postenschiffe, Bewachungsfahr-
der
zeuge und der Torpedoboote. In weiter
Schleife wird der Hafen überflogen.
Dunkel heben sich die Umrisse von
Schiffen, die dicht beisammenliegen.
Gerade als die erste Bombe sich an-
schickt, den Weg abwärts zu nehmen,
blitzen unten die Scheinwerfer auf, zei-
gen die Stellung der Schiffe. Jäh

157
Zeppeline über England

macht die einschlagende Sprenggra-


nate sie verlöschen. Statt dessen kom-
men die Lichtkegel von Land herange-
flogen, Mündungsfeuer der Ab-
die
wehrgeschütze flammen auf. Ruhig
und unbeirrt setzt der Luftkreuzer in-
zwischen seinen Weg fort, beschreibt
eine Schleife und wirft die zweite Gra-
nate hinab, die Tod, Verderben und
Verwirrung sät. Mehrere Fahrzeuge
scheinen beschädigt, mit äusserster
Kraft preschen andere aus dem Hafen
hinaus, retten sich auf See.
Dicht an der Küste dehnt sich ein
ragender Bau inmitten einer weiten,
ebenen Landschaft. Eine Luftschiff-
halle ! "Was die dort soll ? Zwar wuss-
ten englische und neutrale Presse von
neuen englischen Luftriesen zu berich-
ten, die es an Furchtbarkeit, an Grösse
und Bewaffnung mit jedem Zeppelin
158
Von Norfolk bis Northumberland

doppelt und dreifach aufnehmen konn-


ten, aber die Nachricht klang zu " eng-
lisch", um bei uns geglaubt zu werden.
Zusammengebaut konnte solch ein Un-
getüm drüben schon werden, aber flie-
gen ? Zur Lenkung eines Luftkreuzers
gehörte doch etwas mehr!
Einen Schuss ist das Ding jedenfalls
wert. Mitten auf das Dach schlägt eine
Brandgranate auf, explodiert dort und
verschwindet in der klaffenden Öff-
nung. Leichter Feuerschein leuchtet
von unten herauf, wird stärker und
intensiver. Die Halle steht in Flam-
men. Freilich, was da drinnen ver-
brannte, ist äusserst zweifelhaft. Als
Abwehrgeschütze konnten sie hölzerne
Kanonen wohl ausgeben, was aber zo-
gen sie als Luftschiff durch die Stras-
sen?
Der andere Kreuzer wirkt unterdes-
159
Zeppeline über England

sen zwischen Yarmouth and Norwich.


Auch er geht trotz der heftigsten Ab-
wehr ruhig seiner Arbeit nach.
Die Great Central Kailway, deren
Gleise die beiden Städte verbinden, ist
sein erstes Ziel. Die englischen Züge
fahren verhältnismässig langsam.
Diese Nacht lernen sie die Eile kennen.
Als sei die Glut in den Kesseln ver-
zehnfacht worden, so beschleunigt sich
das Tempo.
Flucht, Flucht!
Die oben aber fahren schneller. Ge-
nau über dem Gleise sind sie jetzt.

Die Sprenggranaten hageln auf den


Bahnkörper, zerschmettern, zerreissen.
Wie dünne Drähte biegen sich die
Stahlschienen, klaffen auseinander.
Ein Bahnhof! Mitten in die Stell-

anlagen fegt ein Geschoss, dass Stein


und Stahl wild durcheinander wirbeln.

160
Von Norfolk bis Northumberland

Ein riesiger Scheinwerfer leuchtet


unten auf, blendendes Licht schiesst
heran, zeigt der Batterie ihr Ziel. Aus
nah und fern zucken die rötlichen
Blitze auf, senden Geschoss um Ge-
dem nahenden Un-
schoss nach oben,
heil den Weg zu sperren. Hoch
kommt es herangezogen, unerbittlich,
mit eherner Entschlossenheit.
Ein Euck, eine Granate.
Die mächtige Lichtquelle erlischt,

die Batterien schweigen.


Weiter geht das Verderben seinen
Weg. Ein Bahnhof nach dem anderen
stürzt krachend in Trümmer, an meh-
reren Stellen klafft der Damm aus-

einander. So bald werden hier keine


Truppentransporte fahren können.

Gerade auf die beschädigte Stelle zu


jagt in rasender Fahrt ein Zug. Mit
donnerndem Krachen, das selbst in das

161
!

Zeppeline über England

Dröhnen der Luftschrauben bricht,


stürzt die Maschine, überschlägt sich,
brennt, leuchtet mit hellem Scheine.
Und der deutsche Tod schwingt seine
Sense, holt zu neuem Schlage aus.
Hier ist der Krieg, den ihr gewollt
habt ! Da naht das ausgehungerte, zer-
schmetterte Deutschland
Auch die Grafschaft Lincolnshire
bekommt ihr redlich Teil ab. Bahn-
höfe, grosse Anlagen, Kasernen wer-
den bedacht. Bei Lincoln selbst schla-
gen die Granaten in ein Eemontedepot
ein. Viele Hunderte der Tiere gehen
zugrunde, erschlagen, zerrissen, ver-
brannt. Hier darf Mitleid nicht wal-
ten. Wieder ein Schaden für die Front.
Braucht englische Taktik die Pferde
doch zum Sturm auf deutsche Schüt-
zengräben ! — Eine Arbeit weniger für
die Kameraden an der Somme!
162
Von Norfolk bis Northumberland

Während, so das südliche Geschwa-


der über London, Harwich, Yarmouth,
Norwich und Lincolnshire wirkt, hat
sich das nördliche geteilt und strebt
auf die Tynemündung zu. Besonders
erstrebenswerte Ziele, da hier dichtge-
drängt die Flottenstützpunkte und
Werftanlagen sowie weiter binnen-
lands die Munitionswerkstätten auf
den Besuch warten. Dem Werke und
der Wichtigkeit entsprechen allerdings
auch die Abwehrmassregeln, die hier
getroffen sind. Unten auf der Dog-
gerbank harren Fischerfahrzeuge. In
grosser Höhe wird die gefährliche
Stelle umgangen, dass auch nicht der
geringste Laut mehr herabzudringen
vermag. Dennoch wird bereits hier F.-
T.-Verkehr festgestellt. Der Feind ist

gewarnt.
Wie übersät ist der ganze Himmel
163
Zeppeline über England

mit Sternen. Fast wolkenlos dehnt


sich der Horizont. Es leuchtet und
schimmert, dass trotz der Höhe alles
unten auszumachen ist. Eben kommt
der scharfe Vorsprung von Spurn
Point, der die Humbermündung kenn-
zeichnet, voraus in Sicht, als die Ab-
wehr einsetzt.
Ein Lichtmeer flammt auf, die Nacht
leuchtet in grellem Scheine. Schein-
werfer neben Scheinwerfer. Weit
draussen auf See, bis dahin, wo der
Blick binnenlands reicht. Wie eine
undurchdringliche Mauer türmt es sich
vor den Anstürmenden. Die Mün-
dungsfeuer der Geschütze sind in der
grellen Lichtflut nicht zu sehen, dafür
aber brüllt und rauscht eine Geschoss-
garbe nach der anderen heran. Wun-
dervoll sieht sie aus, diese Flut von
Licht, in die Leuchtraketen flirren,

164
Von Norfolk bis Northtcmberland

Brandgeschosse ihre Bahn ziehen. Hier


lauert der Tod.
Vorwärts! Dort ist England!
Gerade voraus liegt ein schlankes
Schiff. Deutlich heben sich drei
Schornsteine und der Mast ab. Hier
fällt der erste eiserne Gruss. Das
Feuer verstummt; schwer beschädigt
nimmt der Getroffene langsame Fahrt
auf und setzt sich auf den Strand.
Einer weniger. Aus hundert Schlün-
den aber brüllt es weiter. Bei Clee-
thorps sucht sich der Gegner sein näch-
stes Ziel, verwundet es tödlich und
bringt es zum Schweigen. Wie der Geier
unter den Tauben, so wütet der Luft-
kreuzer. In ohnmächtiger Wut ballen
sich die Fäuste, machtlos müssen sie
unten zusehen, wie er sich ein Opfer
nach dem anderen holt.
An der Spitze von Spurn Point
165
Zeppeline über England

flammt der Leuchtturm. Krachend


zuckt eine Sprenggranate auf ihn
herab, reisst den festen Bau auseinan-
der. Langsam, als besänne er sich,

neigt er sich, schmettert dröhnend auf


die Mole nieder. Eine Ansteuerungs-
marke weniger. Um so empfindlicher
ist der Verlust, weil dadurch die Schif-
fahrt nach dem Stapelplatz Hüll sehr
erschwert wird. Die englische Admi-
ralität freilich wird, wie gewöhnlich,
alles ableugnen. Leuchtturm? I wo,
das war nur ein lahmer Maulesel und
ein unmündiges, schuldloses Kind, das
da unter den Geschossen fiel.
Unterhalb Grimsby schlagen die
Bomben in zwei Schuppen, in denen
grosse Munitionsvorräte der Verschif-
fung harren. Mit blendendem Feuer-
scheine gehen die Magazine in die
Luft, die dröhnende Explosion über-

166
Von Norfolk bis Northumberland

tönt sekundenlang das Donnern der


Geschütze, die ununterbrochen in
Tätigkeit sind.
Dann kommt Grimsby an die selbst
Eeihe: der Hauptstützpunkt der
Fischerfahrzeuge, der Minensucher
und der Vorpostenboote. Alle stehen
sie im Dienste der Admiralität die ge- ;

fährlichsten Feinde der U-Boote,


schnüffeln sie bis weit in See hinaus.
Sie alle erhalten ihr Teil. Nur zu be-
quem ist das Ziel. Dicht gedrängt,
Fahrzeug an Fahrzeug liegen sie.

Auch Hafenanlagen und Gebäude er-

leiden empfindlichen Schaden.


Durch die Lichtwand hindurch saust
jetzt der schlanke Leib des Riesen.
Sekunden, in denen sich alle Geschütze
auf den grauen Strich richten. Fast
verschwindet er in den Geschosswol-
ken, die sich um ihn legen. Eine kurze

167
'

Zeppeline über England

Spanne Zeit, die denen oben unendlich


lange dünkt. Dann verschwindet er
in der Dunkelheit landeinwärts und
hält auf Immingham zu.

Der Flottenstützpunkt, der Helgo-


land am nächsten liegt, dessen Beschä-
digung der englischen Flotte ein
schwerer Verlust, der deutschen wert-
voller Gewinn ist.

Zahlreiche Öltanks wachsen hier aus


der Erde empor, mächtige Bekohlungs-
anlagen machen den Ort für die in der
Nordsee operierenden englischen Streit-

kräfte ungemein wichtig. Wird das Öl


vernichtet, dann mag die Admiralität
sehen, wo sie rasch Ersatz findet.
! '
1 '
Brandgranaten
Mitten auf den grossen Tank schlägt
das Geschoss auf, feurige Kreise rasen
umher, dann bricht eine dunkelrote
Flut empor, dicker Qualm zieht auf.

168
Von Norfolk bis Nortluimberland

Auch der Hafen selbst muss dran glau-


ben!
" Schnellfeuer !"
Unmittelbar hintereinander fallen
die Bomben, Explosion dröhnt auf Ex-
plosion. Die Hafenanlagen werden be-
schädigt, schwere Brände lodern.
Auch hier ist angeblich kein Schaden
geschehen —
aber der Hafen muss ge-
sperrt werden, weil er für die Schif-
mehr benutzbar ist.
fahrt nicht
Buhig und unbeirrt zieht der Luft-
kreuzer weiter. Die furchtbarste Ge-
fahr, in der die ganzeAtmosphäre er-
füllt schien von dem Dröhnen und

Krachen der Geschosse, in der ein


Lichtstrahl nach dem anderen blendend
hereinbrach, ist vorüber. Auch hier,

auf dem weiteren Wege, findet er Ab-


wehr. Sie kann ihn aber in seinem
Tun nicht beeinträchtigen. Nur höher
169
Zeppeline über England

steigt er, ändert den Kurs, wenn ver-


räterische Wölkchen zu nahe heran-
kommen.
Wenn nur die Kälte nicht wäre!
Die schneidet durch die dicken Leder-
hüllen, lässt das Blut erstarren und die
Fäuste schwer und ungefügig werden.
Nachher gibt's Erholung, gibt es
Wärme. Hier ist der Feind, hier der
Kampf.
Hüll taucht auf. Unsicher haschen
die Scheinwerfer, planlos suchen sie.

Mitten hinein dröhnt das Krachen ber-


stender Granaten. Waffen- und Muni-
tionsfabriken werden niedergemäht,
ununterbrochen hageln die Bomben.
Millionenwerte wurden hier bei frühe-
ren Besuchen vernichtet, weitere fol-

gen ihnen jetzt nach.


Ein riesiger Holzplatz dehnt sich
dort.

170
'

Von Norfolk bis Northumberland

i i
Brandgranaten ! '

Da und dort, an zehn Stellen


an acht,
zünden sie: ein ungeheures Feuer lo-
dert auf. Taghell ist der Platz.
Panik! Da unten rennt alles wild
durcheinander, sucht sich zu retten, zu
bergen. Drüben liegt der Bahnhof.
Ein Zug nach dem anderen saust aus
der Halle heraus, und eine dichtge-
drängte Menschenmasse noch sucht den
Bau zu stürmen, zu fliehen. Hunderte,
Tausende . . .

Eine schreckliche Erinnerung däm-


mert dem Führer des Schiffes, das jetzt
eben über dem Bahnhof steht, auf.
Noch nicht lange ist es her, eine
deutsche Stadt, eine frohe, festliche

Menge. Da krachen die feindlichen


Granaten in die Unschuldigen, zer-

schmettern, zerreissen, töten. Hun-


derte von Kindern wälzen sich in ihrem

171
Zeppeline über England

Blute . . . Denkt an Karlsruhe! . . .

nein ! Wir sind ja Deutsche, sind Hun-


nen, Barbaren! Wir kämpfen nicht
mit Kindern . . . und der Befehl
bleibt ungesprochen.

Der Tyne. Doppelt stark ist hier die


Abwehr. Meilenweit ziehen sich zwi-
schen Bekohlungsanlagen und Kohlen-
schächten die Werften. Jeder Fuss-
breit am Flusse ist besetzt. Das klein-
ste Unterseeboot bis hinaus zum
Grosskampfschiffe wird hier gebaut.
Und hier muss selbst nachts gearbeitet
werden, soll der Schaden, den Eng-
lands Flotte in der Schlacht vor dem
Skagerrak erlitt, wettgemacht werden.
Alle kommen sie der Reihe nach dran.
Southshields, Northshields, Elswick,
Walker, Yarrow. Hier hageln die

172
Von Norfolk bis Northumberland

Brandgranaten in mächtige Kohlen-


schütten hinein, zünden, brennen.
Voraus liegt dieWerft von Haw-
thorn, Lesslie & Co. Stärker und
mächtiger wird wieder die Abwehr,
zahlreicher die Scheinwerfer. Zwei
schlanke Schiffskörper stehen dort
dicht nebeneinander auf den Helgen:
Zerstörer. Eine einzige mächtige Gra-
nate vernichtet in einer Sekunde beide.
Eine zusammenhängende Fabrikan-
lage scheint die ganze Gegend. Jedes
Geschoss muss treffen, ungeheuren
Schaden anrichten. Hier kracht ein
Schornstein herab, dort stürzt don-
nernd eine Montagehalle in sich zusam-
men, sinkt ein Kohlendampfer. Wei-
ter noch geht es, solange die Munition
reicht.

Südwärts nach Sunderland saust


jetzt der Kreuzer, vernichtet und zer-

173
i !

Zeppeline über England

schmettert, steuert weiter über Hartle-


pool und nach Middlesborough.
Nur wenige Geschosse sind übrig,
dann ist die Arbeit erledigt. Längst
ist der Schaden hier nicht mehr abzu-
schätzen. Viele, viele Millionen wiegt
er,und jedes Geschoss erhöht ihn.
Heimwärts
Weithin lodern die Brände, schlagen
die Flammen. Werften, Schächte,
Fabriken, Schiffe brennen, stürzen,
sinken.
i
Aber der Materialschaden ist ge-
ring," sagt die Admiralität.
Die Scheinwerfer leuchten, die Ab-
wehrgeschütze bellen. Ist eine Stunde
vergangen, ein Tag, ein Jahr? Mit
rasender Schnelligkeit folgt sich alles
und scheint doch unendlich langsam.
In tiefer Dunkelheit ragt dort eine
mächtige Anlage. Drauf mit den letz-

174
Von Norfolk bis Northumberland

ten Granaten. Eine Flamme, nein, ein


feuriges Ungeheuer springt auf, greift
nach den Wolken, leuchtet in bläu-
licher Glut. Bin furchtbarer Schlag.
Die Benzolfabriken! Höher, immer
höher noch steigt die Glut, als suchte

sie das Schiff oben zu fassen. Die Luft


wirbelt und schwankt, Strömung
eine
f asst den Kreuzer, rüttelt an den Gon-
deln, schlägt gegen die Hülle. Ganz
Middlesborough scheint zu brennen.
"Wie eine riesige Fackel, ein Weg-
weiser, leuchtet es dem grauen Eiesen,
der hoch, immer höher, unerreichbar
dahinzieht, noch weit auf See nach.

175
IX
IM KAMPF MIT FLIEGERN

177
IX

IM KAMPF MIT FLIEGERN


Die ganze Ostküste Englands ist un-
ter dem berstenden Krachen der deut-
schen Granaten und unter dem brüllen-
den Donner der Abwehrgeschütze
erwacht. Eine einzige rote Glut ist der
Himmel, ein flammendes, raucherfülltes
Lichtmeer, in das dumpf das Heulen
der Sirenen hineindringt.
In vollem Gange ist der ganze Ab-
wehrbetrieb. Riesig, unheimlich scheint
der aufgebotene Apparat. Ein Pfeifen
und Brausen erfüllt die Luft, näher und
näher heran legen sich die weisslichen
Sprengwolken der Schrapnelle und
Brandgeschosse.

179
'

Zeppeline über England

Grell flutet ein Lichtstrom heran, ein


zweiter, ein dritter, zehn, fünfzehn
stossen hinzu, saugen sich an dem
grauen Schiffe fest, folgen ihm, lassen
es nicht mehr los.

Ein jäher, schmetternder Schlag!


Beizender Pulverdampf wallt auf, sir-

rend zischen die Sprengstücke herum.


Kaum hundert Meter an Backbord.
" Höhensteuer !"
Wieder und wieder brüllt es, kracht
in das brausende Wirbeln der Luft-
schrauben hinein. Da . . . greller
Feuerschein, metallisches Klirren . . .

" Donnerwetter, der sitzt!" . . .

Kaum zwanzig Meter an Steuerbord


ist ein Schrapnell geplatzt, ein Spreng-
stück durchschlägt die Führergondel,
liegt dampfend da. Gleichmütig schiebt
ein Fuss es zur Seite, in die Ecke.
Ein Andenken für zu Hause.
180
"

Im Kampf mit Fliegern

!
"Höhensteuer . . . Höhensteuer
Und willig klettert und steigt das
Schiff in Höhen, wo die Luftströme
eisig dahinbrausen. Mehr und mehr
bleiben die Geschossgarben zurück, tie-
fer, immer tiefer leuchten die Spreng-
punkte.
Auf Ostkurs zieht "L 150" heim-
wärts, der Themsemündung zu. Tau-
send Gefahren aber lauern noch auf
dem Wege. So weit der Blick reicht,

spielen die Scheinwerfer; hastig, atem-


los. Einer wenigstens soll dran glau-
ben. Ungeheuer ist die Wut da unten.
Morgen hagelt es wieder neue Vorwürfe
den Vorgesetzten, die Zeitungen brüllen
über die versagte Abwehr, über Un-
fähigkeit, fragen, wieviel Zeppeline ab-
geschossen wurden.
Voraus liegt die Kette der Abwehr.
Unaufhörlich züngeln die Flammen
181
!

Zeppeline über England

der Mündungsfeuer, reihen sich die


Sprengwolken. Also nach Backbord
ausgewichen! Zwar spielen auch dort
die Scheinwerfer, aber niemand vermu-
tet den weiten Bogen. Bevor sie ihn
bemerken, ist er weg.
Ein Augenblick der Ruhe. Planlos,
wirr rasen sie umher, streuen den gan-
zen Himmel ab, suchen . . . Da, jetzt
haben sie ihn gef asst, wollen ihn halten.
Zu spät!
Schon schimmert die See herauf,
wenige Minuten nur, und England liegt
hinter ihm
Noch haben die Gegner aber die Hoff-
nung, eines der Ungeheuer abzu-
schiessen, nicht aufgegeben. Auf der
Hinfahrt waren nur leichte Streit-
kräfte, die den deutschen Luftschiffen
nicht sonderlich gefährlich werden
konnten, gesichtet worden. Jetzt hat

182
Im Kampf mit Fliegern

sich die Lage jäh geändert. Überall


sprühen von der Wasserfläche Schein-
werfer hoch. Sechs bis acht an einer
Stelle von besonderer Mächtigkeit:
Grosskampf schiffe Die Flotte ist aus-
!

gelaufen. In den Häfen an der Themse-


mündung, in Cheerness war es ihr wohl
zu brenzlig geworden. Ein einziger
Treffer nur auf die Prähme, aus denen
eben Munition übergenommen wurde,
konnte unabsehbare Polgen haben. Die
Hölle ist vom Binnenlande auf See hin-
ausgekommen.
Wieder schiesst das blendende Licht
heran, flirren Leuchtraketen, zischen
Brandgeschosse. Mit allen Mitteln ar-
beiten sie. Nicht nur die Ballonabwehr-
geschütze, die ganze Mittelartillerie be-
teiligt sich an dem dröhnenden und
brüllenden Konzerte.
In rasender Fahrt suchen sie "L 150"

183
!

Zeppeline über England

zu folgen, ihn im Bereich ihrer Ge-


schütze zu behalten. Hell leuchtend
ziehen überall wellenförmige Streifen,
beweisen, wie tolle Bewegung unten
herrscht. Da und dort blitzt es in un-
unterbrochener Folge auf.
Kaum ist der Kreuzer über einem
Schiffe weg, meldet sich vor ihm schon
ein zweites. Dicht voraus strahlt es
auf. Ein Geschütz, zwei, drei, die Mit-
telartillerie der ganzen Seite feuert.
Heulend rasen die Geschosse heran.
Einen Augenblick hat das Mündungs-
feuer die Umrisse erkennen lassen. Die
Schornsteine, die Dreibeinmasten. Der
soll den Rest bekommen

Eine Sekunde noch, und er liegt im


Ziel . näher und näher kommt er
. .

heran .jetzt! . .

Die Bomben stürzen herab, schlagen


unten auf, fressen sich genau hinter
184
'

Im Kampf mit Fliegern

dem letzten Schornstein in das Deck


und explodieren mit Getöse.
Die Scheinwerfer sind tot, das Brül-
len der Geschütze verstummt. Der mag
ins Dock gehen, wenn überhaupt noch
etwas an ihm zu flicken ist. Aber nicht
in die Werften, denen kurz vorher die
Kameraden Besuche abgestattet haben.
Die dürften wohl einige Zeit benötigen,
bis auf ihnen wieder alles klar ist.

Mehr und mehr verblasst das Licht


der Scheinwerfer, undeutlicher, kleiner
werden die fahlen Pünktchen der Mün-
dungsfeuer. Die Gefahr scheint vorbei.
Kurs Ostnordost
i i ! '

Es geht auf einhalb zwei Uhr. Der


Mond ist aufgegangen, seine helle Bahn
leuchtet von der See unten herauf. Klar
ist der Sternenhimmel, weithin ist es

sichtig. Leichte Wolkenbänke segeln


unten vorbei, streifen seitlich heran, der

185
Zeppeline über England

auffrischende Wind schiebt nach und


steigert die sausende Fahrt. Keine
Zwischenfälle sind mehr zu erwarten.
Weit und frei liegt die See voraus,
alles scheint überstanden.
An Bord herrscht tiefe Stille. Wie
ein Traum, unmöglich fast scheint es
den Leuten, dass sie aus dieser Hölle
heil entronnen sind. Noch immer ver-
meinen sie das Krachen der berstenden
Geschosse zu hören, den Feuerschein
der Brandgranaten zu sehen.
Zuckt dort nicht ein Scheinwerfer
auf? Bricht nicht wieder blendende
Lichtflut herein ? — Ruhig, gleichmässig
zieht "L 150" dahin. Das Dröhnen der
Luftschrauben scheint Musik gegen-
über dem, was vor einer halben Stunde
noch donnernd und brüllend wie ein tie-
rischer Schrei verzweifelter, ohnmäch-
tiger Wut zu ihnen heraufdrang. We-
186
Im Kampf mit Fliegern

nige Stunden noch, und sie sind in der


Halle, können ruhen.
Voraus zeigt sich eine weissliche Wol-
kenbank. Ruhig, wie ein aufgelöster
Schleier, schwimmt sie, kaum zweihun-
dert Meter unterhalb, heran, in wenigen
Minuten muss sie durchschnitten sein,
da . . .

Gellend schrillt der Ruf durch das


Schiff, alarmierend . . .

" Flieger voraus! . . . Feuer!"


Und kaum noch ist das letzte Wort
verweht, blaffen die Geschütze auf,
tacken und hämmern die Maschinenge-
wehre.
Ein Flieger! Noch fünfhundert
Meter etwa ist die Wolkenbank ent-
fernt, da löst sich eben geisterhaft, wie
ein ungeheurer Nachtvogel der Doppel-
decker ab, kommt in unwirklich
schneller Fahrt heran. Tod und Ver-
187
' !

Zeppeline über England

derben springt ihm entgegen. Ohne


Aufhöhren, rasend, atemlos
Ein, zwei, drei, zehn Geschosse
zischen dem Anstürmenden entgegen,
in die Tragflächen, in das Gestänge
hinein. Zwei gebückte Köpfe tauchen
visionenhaft auf, dann ist der Feind
achtern vorbei. So bald aber lässt der
nicht von seinem Vorhaben.
1
'
Höhensteuer ! '

Doli: wendet er, strebt höher, kommt


wieder heran, unbekümmert um das
Verderben, das um ihn die Luft er-
füllt. Freilich, der Riese, den er abzu-
tun hofft, ist schneller als er geklettert,

befindet sich weit über ihm. Wieder


und wieder taucht er auf, verschwin-
det, lässt nicht locker.Brave Kerle!
Stärker wird der Wind, rascher noch
die Fahrt. Auf gleicher Höhe an
Steuerbord zieht eine Wolke. Da
188
Im Kampf mit Fliegern

könnte der Gegner sich unbemerkt an-


schleichen. Kaum ist der Gedanke
aufgetaucht, hat ihn die Wirklichkeit
schon überholt. Da kommt er heran-
geschossen . . . und stösst ins Leere.
Kaum fünfzig Meter unten rast er
vorbei, gerade recht für das Geschütz,
das ihn jetzt voll zu fassen bekommt.
Ein helles Klirren, eine bläuliche
Stichflamme, ein zerfetztes, brennendes
"Wrack, das in jähem Sturze in die See
verschwindet. Unten spritzt das Was-
ser hoch,dann glättet sich die Stelle;
die Wellen ziehen weiter in gleich-
förmigem Spiel Zwei brave Sol-
. . .

daten starben ehrlichen Seemanns-


tod . . .

Der Morgen dämmert. Heller und


heller wird es. Die verschwommene
Fläche unten klart mehr und mehr auf,
einzelne Flecke, Schaumkämme treten
heraus.
189
Zeppeline über England

" Steuerbord voraus Land."

Langgestreckte Dünen ziehen dort,


flach dehnt sich dahinter die Gegend,
unter dichten Bäumen lugen rote
Dächer kleiner Häuser: Ameland.
Die Sonne geht auf. Rötlichgelb
färben sich die Wolkenbänke im Osten,
erglühen stärker, bis sie in tiefem Pur-
pur flammen. Dann bricht der erste
Blitz über das Wasser hin. Tag Ein
!

strahlend schöner Morgen. Klar und


blau hängt der Himmel über der See,
die tiefgrün sich breitet, in leichter,
kaum merkbarer Dünung, wie des
Schlafenden Brust im Schlummer sich
hebt und senkt.
Auf nördlicherem Kurse geht es auf
Nordost. Dort in der Ferne liegt Ter-
schelling, dann kommen die Umrisse
von Borkum voraus in Sicht. Die Hei-
mat! Ewigkeiten liegen zwischen dem

190
Im Kampf mit Fliegern

Tage und der Nacht. Ob die Kamera-


den alle heil zurück sind? Ein Wun-
der wäre es bei der Hölle, die sich drü-
ben auf getan hatte!
In niedriger Fahrt streift der Luft-
kreuzer über Borkum hin. Die Leute
strömen aus den Häusern, winken,
jubeln hinauf. In Sicherheit! Hier
kann mehr passieren. An allen
nichts
Stellen wird Ausguck gehalten. Nicht
nur unten und voraus, der ganze Hori-
zont wird abgesucht.
" Sechs Strich an Backbord voraus,
Kurs Südost ein Luftschiff!"
Dort kommt ein Kamerad heran.
Wie in eine Flut von flüssigem Golde
getaucht, schwimmt er durch die Son-
nenwellen, die Hülle scheint zu lodern.
Schräg hält er auf "L 150" zu, vor der
Jademündung hat er gleichen Kurs.
Deutlich ist jetzt der Name auszu-

191
Zeppeline über England

machen: "L 64". Der kleine Wegener,


der seine Bornben drüben sicherlich
alle gut angebracht hat.
Längst schon ist die Meldung an das
Flottenkommando gegeben worden,
dass der Angriff ausführt und der
Luftkreuzer unversehrt sei.

Drüben auf der Jade liegen die


Schiffe. Dicker Qualm quillt aus den
Schornsteinen. Auf den Brücken
späht das Signalpersonal den Heim-
kehrenden entgegen, auf dem Achter-
deck suchen die dienstfreien Offiziere
mit Doppelgiäsern den Horizont ab.
"Über Wangeroog Luftschiffe in
Sicht!"
Wie ein Lauffeuer geht es durch das
ganze Schiff, der "Allemannspfiff" er-
tönt, aus allen Niedergängen stürzt die
Mannschaft an Deck. Ein brausendes
"Hurra" begrüsst die heimkehrenden
192
Im Kampf mit Fliegern

Kameraden, Mützenschwenken antwor-


tet.

Voraus kommt die Halle in Sicht.


Alles wird zum Landen klargemacht.
Wenige Minuten noch, und die Moto-
ren stoppen, die Haltemannschaften
stürmen über den Platz heran, fassen
die Taue und führen den Eiesen in die
Halle, auf sein Lager. Die Tore
schliessen sich.
Wenige Worte nur werden gewech-
selt, gerade genug, um dem Offizier und

der Mannschaft unten mitzuteilen, dass


alles gut gegangen und welchen
ist,

Städten der Besuch galt. Noch ist ge-


nügend zu tun. Von aussen und innen
wird das ganze Schiff eingehend nach-
gesehen, der Kommandant geht durch
alle Räume. Bis auf zwei Einschläge,
die kaum handgrosse Löcher in die
Blechwand gerissen haben, ist alles

193
!

Zeppeline über England

heil. Der Schaden ist nicht der Eede


wert. Jetzt erst klettert der Führer,
gefolgt von seinen Leuten, herab. Un-
ten erwartet ihn der Bursche, schält
ihn aus seinem Zeug heraus.
Einige kurze Worte an die Mann-
schaft, ein Dank. Jeder einzelne hat
in den verflossenen Stunden gleistet,
was ein Mensch überhaupt herzugeben
imstande ist. Keiner hat versagt, als

das Ende Sekunde eintreten


jede
konnte, als der Tod ringsum heulte und
brauste. Selbstverständlich scheint
ihnen, was sie getan haben. Deutsche
Seeleute
Aufgeregtes Fragen und Antworten
erhebt sich in der Halle, als die Offi-

ziere verschwinden. Und die Leute


erzählen von dem Anblick, von der
Wirkung ihrer Bomben, wie die Häu-
194
Im Kampf mit Fliegern

ser drüben durcheinander purzelten


wie Kartenschlösser.
"Dunnerslag, doar hett John Bull
awer scheun utsungen!"
Eine Weile noch dauert das, dann
strömen sie alle durch die kleine Türe
hinaus auf den Platz, um zuzusehen,
wie "L 64" landet, was die Mannschaft
dort zu berichten hat.
In wenigen Minuten ist auch der
zweite Luftkreuzer geborgen. Noch
fehlt "L 51," aber die Meldung, dass er
auf Heimfahrt sei, ist bereits einge-
troffen.
Eine Stunde vergeht, dann ist er in
Sicht und landet. Er war auf beson-
ders heftige Abwehrlinien geraten und
hatte einen grossen Umgehungsbogen
geschlagen.
Noch über Land war er von einem

195
:

Zeppeline über England

Flieger angegriffen worden, der die


Fahrt wiederum um einige Minuten
verzögerte. Flügellahm geschossen,
hatte der Engländer den Kampf bald
aufgeben und sich schleunigst auf fes-

ten Boden gerettet. Zum Schlüsse gab


es noch eine halbstündige Motorpanne,
so dass nur mit halber Kraft gefahren
werden konnte.
Auch von den übrigen Häfen trifft die
Meldung ein, dass alle Luftschiffe zu-
rück seien, und wenige Stunden später
berichtet der Draht durch alle Teile des
Reiches
"In der Nacht haben mehrere
letzten
Geschwader unserer Luftschiffe Lon-
don und die Industrieanlagen von Nor-
folk bis Northumberland mit Erfolg
angegriffen. Alle Luftschiffe sind un-
beschädigt zurückgekehrt."
Die Besatzung begibt sich zur Koje,

196
Im Kampf mit Fliegern

zu wohlverdienter Ruhe. Die Aufre-


gung und Anstrengung der Nacht
macht sich allmählich bemerkbar. Woh-
lig dehnen sich die müden Glieder, die

Nerven aber arbeiten noch unter dem


Eindruck der letzten Erlebnisse. Lang-
sam nur kommt der Schlummer. Im
Halbschlafe tauchen Gedanken und
Vorstellungen auf: wie glücklich alles
gegangen ist, und wie es hätte kommen
können. Immer unklarer, verschwom-
mener werden die Bilder. Wieder sau-
sen sie über London dahin, die Grana-
ten bersten und krachen, grelles Licht
bricht herein .dann die See
. . . . .

Ein ungeheurer Schiffskörper treibt


auf dem Wasser Die hintere
. . .

Gondel sackt bereits weg . . . Fieber-


haft, hetzend arbeiten sie im vorderen
Motorenraum oben auf der Platt-
. . .

form steht die Mannschaft, um ihren

197
Zeppeline über England

Führer geschart . . . "L 19" . . .

Keine Rettung mehr . . . das Hinter-


weg
schiff sackt . . . höher lecken die
Wellen empor . . . die Hülle bricht . . .

"Vaterunser." . . .

198
X
INVASION

199
X
INVASION
Das Gespenst der deutschen Inva-
sion hat die Engländer in den letzten
zwölf bis vierzehn Jahren nicht mehr
losgelassen. Waren es im vorigen
Jahrhundert die Franzosen gewesen,
deren bedrohliche Nähe der englischen
Regierung einen Vorwand geben muss-
te, ihre Flottenforderungen durchzu-
drücken, so traten wir an die Stelle des
jetzigen Ententegenossen, als England
gewahr wurde, dass der planmässige
Ausbau unserer Flotte doch mehr war
als ein blosses Spielzeug des Kaisers.

Der Risikogedanke, der in unserem


Flottenbauplane lag, löste nach Jahren
unbekümmerten Zusehens drüben doch
allmählich ein bängliches Gefühl aus.

201
Zeppeline über England

das sich bei geschickter Ausnutzung


durch die nur zu willige Presse dann
zu dem Gespenste der Invasion aus-
wuchs. Was sind dem englischen
Volke in diesen Jahren nicht für Am-
menmärchen aufgebunden worden Der !

Überfall durch die deutsche Flotte, das


Landen preussischer Armeekorps und
die grosse Zahl der in England leben-
den, angeblich heimlich bewaffneten
Deutschen haben manchem Engländer
schlaflose Nächte bereitet.

In Parlament und Presse wurden


die Schrecken in so überzeugender
Weise ausgemalt, dass die Regierung
den Forderungen nachgab und schliess-

lich schweren Herzens ihre Flotte der-


art nach England zusammenzog, dass
im Auslande kaum noch nennenswerte
englische Schiffsverbände zu finden
waren.

202
Invasion

Im Mittelmeer, wo sonst ein grosser


Teil der Flotte, Linienschiffe mit allem
Drum und Dran an Kreuzern und son-
stigen leichten Streitkräften, sta-

tioniert war, blieben nur wenige


Schlachtkreuzer zurück. Das stolze

Albion liess hier, gestützt auf geheime


Verträge, deren Bestehen offiziell im
Parlament immer wieder abgeleugnet
wurde, zum grössten Teil die Verteidi-
gung den Franzosen. Hinter dem
stählernen Wall seiner Schlachtflotte
glaubte England sich sicher.
Das Gespenst der Invasion war be-
seitigt. Nicht lange sollte die Kühe
dauern. Es kam ein neues, der Alp
der deutschen Luftschiffe.
Mit mitleidigem Achselzucken hatte
man in England die Nachricht von dem
Grafen Zeppelin gelesen, der am Bo-
densee haltlosen Phantomen nachjagte.

203
Zeppeline über England

Als dann die ersten lenkbaren Luft-


schiffe tatsächlich flogen, schien ja
auch das Unglück, das so manchen
schon nach kurzem Dasein vernichtete,
den Zweiflern an der Durchführbarkeit
des Gedankens recht zu geben. Der
Graf aber liess nicht nach. Er liess

sich nicht von seinem Ziele abbringen,


und als er gesiegt, da strömte dann
endlich auch aus allen Gauen Unter-
stützung inWorten und Mitteln herbei
und half nun ausbauen, wozu seine
hartnäckige Tatkraft allein den Grund
gelegt.

Mit jedem neuen Luftriesen stieg die


Betriebssicherheit und der Aktionsra-
dius.Bald waren Fahrten vom Boden-
see bis an die Küste keine Über-
raschung mehr, und allmählich däm-
merte in den edlen Briten die Erkennt-
nis, das Deutschland mit seinen Zeppe-

204
Invasion

linen eineWaffe besass, mit Hilfe derer


es ihnen mal gehörig in die Bude regnen
konnte. Dem Fluge quer durch
Deutschland konnte nur zu leicht ein
Abstecher nach England folgen.
Das selig entschlafene englische
Hetzblatt " Standard" liess sich beson-
ders die Bearbeitung der Schrecken,
die diesem neuen Kampfmittel ent-
springen sollten, angelegen sein, und es
wusste die Gemüter der Engländer, die
in solchen Dingen nur zu leicht zu be-
einflussen sind, derart zu erhitzen und
zu erregen, dass ein grosser Teil von
ihnen mehrere Monate vor dem Kriege
allen Ernstes behauptete, ein deutsches
Luftschiff sei über England geflogen.
Das erste Erscheinen der
" Hansa"

auf See, das bei den Kaisermanövern


der deutschen Flotte im Jahre 1912,
wenn auch nur in der Rolle eines f ried-

205
Zeppeline über England

liehen Zuschauers, stattfand, gab den


Leuten drüben aber doch ernsthaft zu
denken. Bald wurde auch bekannt,
dass die Marineverwaltung, dem Bei-
spiel der Armee folgend, sich zur Ein-
führung dieser Waffe entschlossen
habe, die zunächst wohl lediglich als
Aufklärer gedacht war. Bisher hatten
Kreuzer und Torpedoboote diesen
Zwecken dienen müssen, denen aller-

dings kein grösseres Gesichtsfeld zur


Verfügung stand als den Schlacht-
schiffen. Ganz besondere Möglichkei-
ten boten sich dem hoch über der See
schwebenden Luftschiffe, das zunächst
über eine Eigengeschwindigkeit ver-
fügte, die unmöglich aus einem Schiff
herauszuholen war, dann aber ein Ge-
sichtsfeld hatte, wie es kaum die kühn-
ste Jules Vernesche Phantasie hätte
ausmalen können. Hierzu kam noch
206
Invasion

die Benutzung der Funkentelegraphie.


Die Zerstörung des ersten Marine-
luftsehiffes "L 1" während der Flot-
tenmanöver am 9. September 1913
nordwestlich der Insel Helgoland und
der nächsten Monat erfolgte Absturz
des "L 2" bei Johannistal schien den
Leuten drüben, die an der Möglichkeit
der Verwendung dieser Waffe auf See
zweifelten, abermals recht zu geben.
Was sie aber nicht wussten, war, dass
die kurze Zeit der Verwendung eines
Luftschiffes zu Aufklärungszwecken
bereits Genüge bewiesen hatte,
zur
welch ungeheuren Wert die Erfindung
für die Marine besass.
Weitere Luftschiffe wurden in Bau
gegeben, und mit jedem Neubau wuchs
auch die Leistungsfähigkeit, jede Fahrt
spornte die Technik der Luftschiffahrt
zu neuen Leistungen an, die nur zu bald

207
:

Zeppeline über England

zeigten, dass die Luftkreuzer nicht


lediglich zu Aufklärungsdiensten zu
verwenden waren, sondern dass ihnen
ein hoher Wert als Angriffswaffe
zukam.
Der Krieg brach aus, und eine der
ersten Fragen, die dem Grafen Zeppe-
lin gestellt murden, war
"Wann fliegen Sie nach England!"
Gesagt hat der alte Herr nichts. Er
wusste sein Teil und wollte nicht prah-
lerisch dem sicher Kommenden vor-
greifen. Derartiges überliess er Chur-
chill mit seinen Hornissen. Geduldig
hat das deutsche Volk des Tags gewar-
tet, an dem die erste Bombe aus einem
Luftschiffe auf Englands "geheiligten"
Boden fiel. Und selten wohl ist eine

solche Freude über einen gegen Eng-


land ausgeführten Schlag bei uns aus-
gelöst worden als damals, am 21. Januar

208
Invasion

1915, als es hiess, dass Marineluftschiffe


sich indervorhergehendenNacht erfolg-
reich über befestigten Plätzen der eng-
lischen Ostküste betätigt hätten. Seit
Monaten hatten wir darauf gelauert.
Jetzt war der Krieg mit all seinen
Schrecken in das Land der Lügen und
der Verleumdungen hineingetragen
worden. Nun erst erfuhren die binnen-
lands lebenden Engländer, die sich im
Schutze ihrer Schiffe sicher wähnten,
und Verbündete für sich
die Söldner
kämpfen und bluten Hessen, während
bei ihnen das Business as usual sein
sollte, dass mit Deutschland anbändeln
doch anderes bedeutete, als der ehren-
werte Sir Edward Grey ihnen erzählt
hatte.
Mit allen Mitteln versucht die eng-
lische Regierung, die Erfolge unserer
Luftschiffe geheimzuhalten und abzu-
209
Zeppeline über England

schwächen. Programmässig kommt


nach jedem Angriff durch Reuter die
amtliche Erklärung, dass zwar Luft-
worden seien, von einem
schiffe gesehen
nennenswerten Schaden aber nicht die
Rede sein könne. War es der eng-
lischen Regierung möglich, die durch
den ersten Angriff an den einzelnen
Plätzen angerichteten Schäden durch
umfangreiche Absperrmassnahmen vor
dem Volke zu verbergen, so musste dies
Mittel bei den späteren Angriffen, in
denen das Wirkungsfeld der deutschen
Bomben immer grösser wurde, ver-
sagen. Besonders von London und son-
stigen Hafenplätzen wissen wir, welch
fürchterliche Folge diese Invasion ge-
habt hat. Das regelmässig Tage
einige
nach dem Angriff in Parlament und
Presse erhobene Geschrei über ungenü-
gende Abwehr beweist zur Genüge, dass

210
Invasion

wir mit der Tätigkeit unserer Luft-


kreuzer mehr als zufrieden sein können.
An der Westfront schrien die Franzo-
senimmer lauter nach Menschen, nach
Kanonen und Munition. In England
selbst verlangte jede Stadt, jede Ge-
meinde ihren wohleingerichteten Ab-
wehrdienst. Immer höher stiegen die
Entschädigungsansprüche der Betroffe-
nen. Das gesamte Erwerbsleben und
der Verkehr stehen zur Zeit der erwar-
teten Angriffe im Banne unserer Luft-
schiffe.In welche Verlegenheit die Lei-
tung des Abwehrdienstes geriet und im-
mer wieder gerät, zeigt uns der im Par-
lament vorgebrachte echt englische Ver-
such, in mehreren Städten der Ostküste
die erregten Gemüter durch reich-
liches Zurschaustellen eines Abwehrge-
schützes zu beruhigen, das sich bei
näherer Betrachtung als aus Holz ge-
fertigt erwies.
211
:

Zeppeline über England

Gewaltige Summen
England Hess
sich die Abwehr kosten. Vom Kanal
bis nach Schottland, sowohl an der
Küste bis weit ins Land hinein häufen
sich die Abwehrbatterien und Schein-
werfer. Bis weit in die See hinaus
lauern die vorgeschobenen Schiffe un-
seren Luftkreuzern auf.
Umsonst.
Wieder und immer wieder werden
wir hinausziehen, werden Tod und Ver-
derden säen, alle Schrecken des Krie-
ges, den England selbst entfesselte, den
Briten ins eigene Land hineintragen.
Fünfunddreissig Angriffe wurden
bisher ausgeführt
1915
19. /20. Januar. . .Yarmouth, Cromer, Sher-
ringham, Kings Lynn.
14./15. April Blyth, Bedlington, Morpeath,
Cramlington, Wallsend, Heb-
burn.

212
Invasion

15./16. April Maldon, Heybridge, South-


wold, Lowestoft, Burnham,
Yarmouth.
29./30. April Ipswich, Bury St. Edmunds
Whitton.
9./10. Mai Southend, Westcliffe, Themse-
Mündung.
16./17. Mai Ramsgate, Folktstone.
31. Mai/1. Juni. .London.
4/5. Juni Humber-Mündung, Harwich.
6./7. June Hüll, Grimsby.

15./16. Juni Shields, Elswick-on-Tyne.

9./10. August. . .London, Themse-Mündung,


Harwich, Humber.
12./13. August. . .Harwich.
17./18. August. . .London, Woodbridge, Ips-
wich.

7./8. September. London.


8./9. September. London, Norwich, Middels-
borough.
11./12. September.London.
13./14. September.Southend.
13./14. Oktober . . London und Vorstädte, Ips-

wich.

213
Zeppeline über England

1916
31. Jan. /l. Febr. . .Liverpool, Birkenhead, Man-
chester, Sheffield, Nottingham,
Birmingham, Humber, Yar-
mouth.

5./6. März Hüll.


31. März/1. April. London, Enfield, Waltham,
Abbeg, Stowmarket, Lowes-
toft, Cambridge, Humber.
1./2. April Tees-Mündung, Middles-
borough, Sunderland.

2./3. April London, Edinburgh, New-


castle.

3./4. April Great Yarmouth.

5./6. April Whitby, Hüll, Leeds.


24./2S. April Cambridge, Norwich, Lincoln,
Winterton, Ipswich, Norwich,
Harwich.

25. /26. April London, Colchester, Rams-


gate.

2./3. Mai Middlesborough, Stokton,


Sunderland, Hartlepool,
Tees-Fluss, Firth of Forth.

214
Invasion

28./29. Juli Lincoln, Grimsby, Imming-


ham, Hüll, Norwich.
31. Juli/1. August.London, Themse-Mündung,
östliche Grafschaften

2./3. August. . . .London, Horwich, Norwich,


Lowestoft, Winterton.
8./9. August .... Tyne-Mündung, Sunderland,
Hartlepool, Middlesborough,
Whitby, Hüll, Grimsby, Hum-
ber-Mündung, Kings Lynn,
östl. Grafschaften.
24. August London.
24./25. August ... London, Harwick, Folkestone,
Dover.
2./3. September. London, Yarmouth, Harwich,
südöstliche Grafschaften,
Humber.
23. /24. September.London, Humber, mittlere
Grafschaften (Nottingham,
Sheffield).

25. /26. September. Portsmouth, befestigte Plätze


an der Themse-Mündung,
York, Leeds, Lincoln, Derby.
1./2. Oktober. ...London, Humber.

215
Zeppeline über England

Weitere werden folgen.


" Unsere Luftschiffe haben in der
letzten Nacht die englische Ostküste
erfolgreich angegriffen, alle kehrten
unbeschädigt zurück." Wie leicht liest
es sich, und wie ungeheuer schwer ist
die Arbeit, die geleistet werden musste,
bis die Meldung zustande kommen
konnte. Die Witterung, das Fehlen der
meteorologischen Beobachtungen, keine
Ansteuerungsmarke, Heranfühlen an
England in tiefster Dunkelheit, Abwehr
— in tausenderlei Gestalt lauert der
Tod.
Immer wieder treten unsere Luft-
kreuzer die Fahrt an, immer länger
wird die Liste, immer schwerer der
Schaden in England, und immer neue
Ruhmesblätter fügen die Führer der
noch so jungen Geschichte unserer
deutschen Luftschifffahrt hinzu.

216
XI
DENKET AN BARALONG!

217
XI

DENKET AN BARALONG!
Am 28. November 1915 liess der Kom-
mandant des britischen Hilfskreuzers
"Baralong" die Besatzung eines deut-
schen Unterseebootes, das durch meh-
rere Treffer wehrlos und dem Versin-
ken nahe war, in der feigsten und bru-
talsten Weise ermorden.
Kein Mann blieb leben. Es fanden
sich Zeugen, die von der Schandtat, die

englische Kultur und Zivilisation erst

in das richtige Licht setzte, Kenntnis


gaben.
Auf von der
die Vorstellungen, die
deutschen Eegierung erhoben wurden,
folgte eine ausweichende Antwort Eng-
lands.

219
:

Zeppeline über England

Neuerlich gab Deutschland am 10.

Januar 1916 eine Erwiderung, auf die


am 25. Februar London abermals aus-
weichend antwortete.
Dann kam das Schlusswort des Deut-
schen Reiches
"Die deutsche Regierung hat in ihrer
Erwiderung über die Erklärungen der
britischen Regierung zu der deutschen
Denkschrift über den 'Baralong'-Fall
vom Januar d.
10. J. den Standpunkt
eingenommen, dass es für sie im Hin-
blick auf die empörende Haltung der
britischen Regierung nicht möglich sei,
weiter mit ihr über diesen Fall zu ver-
handeln ; sie hatte zu gleicher Zeit ange-
kündigt, dass sie nunmehr selbst die der
Herausforderung entsprechenden Ver-
geltungsmassregeln treffen werde.
"In ihrer letzten Antwort glaubt die
britische Regierung, über den Mord,

220
Denket an Baralong!

den der Kapitän und die Mannschaft


der Baralong' an der wehrlosen Mann-
*

schaft eines deutschen Unterseebootes


begangen haben, mit dem blossen Hin-
weis auf die Unzuverlässigkeit der Aus-
sagen eines Zeugen, dessen Namen sie

nicht einmal angibt, hinweggehen zu


können; dagegen stützt sie sich für die
von ihr mit dem Baralong '-Fall in Zu-
'

sammenhang gebrachten drei Fälle an-


geblicher, von deutschen Seestreitkräf-
ten begangener Grausamkeiten lediglich
auf haltlose Behauptungen, ohne dafür
irgendwelches Material beizubringen.
"Die deutsche Regierung kann diese
Behauptungen auf Grund der eidlichen
Aussagen und dienstlichen Meldungen
der zur Sache vernommenen Zeugen
nur mit Entrüstung zurückweisen. Was
i
aber den Baralong '-Fall betrifft, so
muss nochmals mit aller Schärfe darauf
221
Zeppeline über England

hingewiesen werden, dass sich die brit-


ische Regierung trotz des ihr mitgeteil-
ten Materials geweigert hat, selbst eine
Untersuchung einzuleiten; damit hat
sie anerkannt, dass sie es nicht wagen
kann, den Fall vor ein Gericht der eige-
nen Standesgenossen der Beschuldigten
zu bringen.
'
' Die deutsche Regierung hat sich hier-
nach, ihrer Ankündigung entsprech-
end, genötigt gesehen, die Ahndung
des ungesühnten Verbrechens selbst in
die Hand zu nehmen. Eine Vergeltung
der Untaten der britischen Seeleute im
'Baralong'-Fall mit Massnahmen glei-
cher Art, etwa durch Erschiessung brit-
ischer Kriegsgefangenen, hat sie selbst-
verständlich abgelehnt. Aber die deut-
schen Luftschiffe werden das englische
Volk davon überzeugt haben, dass
Deutschland in der Lage ist, die von den

222
'

Denket an Baralong!

Offizieren und den Mannschaften der


' Baralong' begangenen Straftaten nicht
ungesühnt zu lassen. Wenn früher die
unvermeidliche Gefährdung der Zivil-
bevölkerung bei Verwendung der deut-
schen Zeppeline für militärische Zwecke
besondere Berücksichtigung fand, so
konnten angesichts des '
Baralong '-
Mordes solche Rücksichten nicht mehr
durchgreifen England gegenüber wird
;

seitdem die Waffe des Luftschiffes in-


nerhalb der Grenzen des Völkerrechts
rücksichtslos ausgenutzt. Bei jedem
Luftschiff, das auf London oder auf an-
dere verteidigte oder Anlagen militäri-
schen Charakters enthaltende englische
Städte seine zerstörenden Bomben ab-
wirft, soll England sich des
6
Baralong -

! '
Falles erinnern
* * *

Geräuschlos gleiten die mächtigen

223
"

Zeppeline über England

Tore der Halle beiseite. Langsam


kommt der graue Riese zum Vorschein.
" Ausseklippen !

Mit einem Kuck lassen die Fäuste der


Haltemannsckaf ten die Taue los brau- ;

send wirbeln die Schrauben durch die


Luft. Höher und höher steigt der
Luftkreuzer, bis er in der Ferne allmäh-
lich verschwindet. Dort liegt die See,

dort liegt England ! . . .

Denket an "Baralong"!

224
A 000 674 337 1

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