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Nach der Ankunft in Deutschland wollen viele Flüchtlinge ihre Partner und Kinder

nachholen – was auch viele Politiker und Sozialexperten unterstützen. Ökonomen stellen
klar, dass der Familiennachzug die Intergration erschweren wird.
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den erwachsenen Flüchtlingen in Deutschland sind Männer stark


überrepräsentiert. Viele Politiker, Migrantenverbände und auch der
Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration drängen
die künftige Bundesregierung zu mehr Großzügigkeit beim Familiennachzug.

Denn das Nachholen der engsten Angehörigen fördere die Integration von
Schutzberechtigten. Integration sei für Migranten eine Investition in die Zukunft,
sagt Claas Schneiderheinze, Migrationsexperte am Institut für Weltwirtschaft
(IfW). Dazu gehörten die Sprache, Regeln und Gesetze sowie Aus- und
Weiterbildungen.

„Diese Investition ist aber nur sinnvoll, wenn zumindest mittelfristig eine
Perspektive für ein echtes Ankommen in Deutschland besteht“, sagt der IfW-
Forscher. Neben der Sicherheit über die Dauer der Aufenthaltserlaubnis
und Möglichkeiten zu arbeiten brauche es dafür auch ein Familienleben.

Dass der Familiennachzug die schwierige Lebenssituation der Schutzsuchenden


im Regelfall erleichtert, liegt auf der Hand. Unklar ist jedoch, ob die Integration
der Migranten in die hiesige Gesellschaft im Familienverband wirklich besser
gelingt als im Fall alleinstehender Männer.

Derzeit ist der Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem


Schutzstatus, sogenannte subsidiär Geschützte, noch bis Ende Juli ausgesetzt.
Lediglich 1000 Angehörige pro Monat wollen SPD und Union nach Deutschland
kommen lassen. Der größte Teil der in Deutschland anerkannten Flüchtlinge ist
allerdings berechtigt, Kinder und Ehepartner – beziehungsweise bei
Minderjährigen die Eltern – nachzuholen.
Doch wie Statistiken zeigen, tun sich geflüchtete Frauen weitaus schwerer damit,
in Deutschland eine Arbeit zu finden, als männliche Geflüchtete. Zum einen gibt
es bei den wichtigsten Herkunftsländern enorme Geschlechterunterschiede beim
Bildungsniveau und bei den beruflichen Qualifikationen.

Zum anderen nehmen geflüchtete Frauen seltener an Deutschkursen teil, was


ihre Jobchancen zusätzlich reduziert. Hinzu kommt besonders bei geflüchteten
Musliminnen noch, dass sie häufig auf eine traditionelle Rollenverteilung

Wie groß die Geschlechterunterschiede sind, verdeutlicht eine Analyse des Ifo-
Instituts über „Geflüchtete Frauen in Deutschland“. Danach hat etwa jede
sechste geflüchtete Frau in ihrer Heimat überhaupt keine Schule besucht. Unter
den Männern ist der Anteil der Analphabeten nicht einmal halb so groß.

Darüber hinaus weisen Männer in jeder der drei über die Grundschule
hinausgehenden Kategorien, also Mittelschule, Gymnasium und Hochschule,
höhere Quoten als die Frauen auf. Neben der Schulbildung sind auch
Berufserfahrungen im Heimatland entscheidend für die Chancen am hiesigen
Arbeitsmarkt. In diesem Punkt hinken die Frauen ebenfalls deutlich hinterher.
Nur 40 Prozent von ihnen haben Arbeitsmarkterfahrungen, der Anteil der
Männer mit Berufserfahrung beträgt hingegen 75 Prozent.

Wenn die Frauen in ihrer Heimat erwerbstätig waren, handelte es sich oft um
informelle Tätigkeiten, wie zum Beispiel haushaltsnahe Dienstleistungen, die sie
neben der Versorgung der eigenen Kinder erledigen konnten. Solche
Arbeitserfahrungen sind hierzulande für die Jobsuche jedoch kaum verwertbar.

Doch es liegt nicht nur am Fehlen formaler Berufs- oder Bildungsabschlüsse,


dass die Integration der Flüchtlingsfrauen in den hiesigen Arbeitsmarkt noch
schwerer ist als bei den Männern. Wie die Ifo-Studie zeigt, ist die Hälfte der
schutzberechtigten Frauen wirtschaftlich gar nicht aktiv, das heißt, sie sind
weder erwerbstätig oder in Ausbildung noch auf Stellensuche.

Bei den Frauen aus dem Irak und Syrien liegt der Anteil der Inaktiven mit rund
zwei Dritteln sogar noch höher. Unter den geflüchteten Männern sind dagegen
lediglich sieben Prozent wirtschaftlich inaktiv.

Gemeinhin gilt der Arbeitsmarkt neben dem Bildungssystem als wichtigster Ort
der Integration. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) macht
aufgrund von Befragungen ein ganzes Bündel von Gründen für die
vergleichsweise geringe Erwerbsneigung der geflüchteten Frauen aus. Die
meisten von ihnen haben Kinder, deren Betreuung sie stark beansprucht.

Denn die Arbeitsteilung erfolgt in den meisten Flüchtlingsfamilien nach


traditionellem Muster. Dies führt dazu, dass die Frauen seltener an Sprach- und
anderen Integrationskursen teilnehmen, weniger soziale Kontakte zur
einheimischen Bevölkerung haben und entsprechend häufiger wenig oder gar
kein Deutsch können. Dies wiederum schmälert auch die Zukunftschancen ihrer
Kinder.

Migrationsforscher streiten darüber, ob der Nachzug von Angehörigen die


Integration fördert oder erschwert. Ruud Koopmans vom Wissenschaftszentrum
Berlin (WZB) verweist auf negative Erfahrungen in der Vergangenheit. „Die
ersten Gastarbeiter, die vor 50 Jahren nach Deutschland kamen, lebten hier eher
modern und fanden Anschluss an die hiesige Bevölkerung. Als dann die Familien
nachzogen und sich damit Gemeinschaften bildeten, wurden aus den modernen
Männern plötzlich konservative Familienväter“, sagt Koopmans.

Die soziale Segregation habe sich somit erst dann entwickelt, als die Familien
nachgezogen seien. In seiner Studie „Assimilation oder Multikulturalismus?“
zeigt der Soziologe, dass die tradierten Rollenbilder und die vergleichsweise
geringe Erwerbsbeteiligung muslimischer Frauen die Anpassung der Familien an

Mit Blick auf den Familiennachzug von Flüchtlingen empfiehlt der


Migrationsexperte der Politik, auf Anreizsysteme zu setzen. So könnte der
Nachzug von Ehepartnern an Bedingungen geknüpft werden, wie dies bei
anderen Drittstaatlern üblich ist. Als mögliche Kriterien nennt der
Migrationsforscher Deutschkenntnisse des Partners oder das Vorhandensein
eines Mindesteinkommens und ausreichenden Wohnraums.

Ökonomen fordern zudem gezielte Maßnahmen für Flüchtlingsfrauen. Denn


bislang fehlen Arbeitsmarktprogramme, die auf die spezifischen Probleme dieser
Gruppe zugeschnitten sind. Auch mit Blick auf die finanzielle Perspektive der
Geflüchteten erscheint eine stärkere Erwerbsbeteiligung der Frauen dringend
geboten.

Denn die meisten geflüchteten Männer dürften auch langfristig kaum so viel
verdienen, dass sie davon eine ganze Familie ernähren können. Und die
Abhängigkeit von staatlichen Fürsorgeleistungen verringert nachweislich
wiederum die Bildungschancen der nächsten Generation. Ein solcher
Teufelskreis hätte verheerende Folgen für die Integration.

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