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FDie Biologie spricht


gegen Biologismus
Der Gegensatz von Natur und Kultur ist in den Natur- wie in den
Sozialwissenschaften längst obsolet.
Für die Lösung der Bildungsprobleme in Unterschichten ist
zweitklassige Theorie aber nicht gut genug.
Von Armin Nassehe

ie Debatte um Thilo Sarrazins Thesen hat sich verändert. Die erste Aufregung über den Ton

D und die biologistischen Begründungsmuster ist verebbt. Jetzt werden seine Thesen auf jene
sozialpolitischen Teile reduziert, über die schon länger debattiert wird. Dennoch ist es ein Fehler, an den
biologistischen Argumenten vorbeizulesen. Denn in ihnen wird deutlich, dass Sarrazin nicht an Lösungen
interessiert ist, sondern lediglich Ressentiments bedient. Und es sind vor allem die Ressentiments, für die er
Beifall bekommt, weniger für die Argumente.

Die Diskussion, die derzeit geführt wird, ähnelt einem öffentlichen Disput in den neunziger Jahren in den
Vereinigten Staaten. Gemeint ist das Buch „The Bell Curve" von Charles Murray und Richard Herrnstein. Es liest sich
wie eine Blaupause zu Sarrazins Thesen und wird von ihm mehrfach herangezogen. Die beiden Wissenschaftler
hatten gezeigt, dass der durchschnittliche IQ von nordamerikanischen Schwarzen etwa fünfzehn Punkte unter dem
der weißen Bevölkerung liege, Daraus zogen sie dieselben Schlüsse wie Sarrazin. Neben Umweltbedingungen seien es
die Gene, die Unterschiede der durchschnittlichen Intelligenz von Schwarzen und Weißen begründen, weswegen es im
Sinne einer Hebung der Gesamtintelligenz der Gesellschaft wünschenswert wäre, die Geburtenrate bei Schwarzen etwa
durch Streichung von Transferleistungen zu senken, weil Schulbildung Intelligenzdefizite nur unwesentlich ausgleichen
könne,

Sarrazins Argumentation unterscheidet sich davon kaum. So unumstritten es ist, dass die Geburtenrate in den
unteren Schichten höher ist, so falsch ist doch das Argument, daraus auf einen Kollektivverlust von Intelligenz zu schließen.
Die Diskussion um die Bell Curve hat sich exakt an dieser Naturalisierung entzündet. Besonders einflussreich war etwa
die evolutionsbiologische Kritik von Richard Lewontin, Steven Rose, Leon J. Kamin und Stephen Jay Gold gegen den
genetischen Determinismus: Intelligenz werde nicht durch Gene determiniert. Allenfalls in Populationen mit gleichen
Umweltbedingungen lässt sich die statistisch nicht erklärbare Varianz dann „genetisch" erklären — man sammelt damit
auf, was sich am Ende nicht anders erklären lässt.

Die strikte Gegenüberstellung von Anlage und Umwelt, von Natur und Kultur, an der Sarrazin so interessiert ist,
entspricht seit der öffentlichen Diskussion der Bell Curve nicht mehr dem Stand der Debatte. Wer heute Fragen der
Genetik ernsthaft in Anspruch nehmen will, um die Genese von Intelligenz und Lernfähigkeit, von Fähigkeiten und
Fertigkeiten zu erklären, wird dies nicht mehr in der Gegenüberstellung von Natur und Kultur tun können. Was
sehr wundert, ist, dass in der öffentlichen Debatte um Sarrazins Int elligenzbiologismus Fragen der Epigenetik und der
neuronalen Plastizität keine Rolle spielen — und dass sich die Fachleute dazu nicht zu Wort melden. Einhelliger
Konsens ist hier, dass es kein Intelligenzgen gibt, auch keine klare Gendisposition für mehr oder weniger Intelligenz als
einer gewissermaßen natürlich markierten unveränderlichen Schranke. Die Epigenetik spielt Umwelteinflüsse
nicht gegen die Natur aus oder setzt sie in ein kompensatorisches Verhältnis, Das Bildungskapitel in Sarrazins Buch,
das er immer dann anpreist, wenn man ihm Biologismus und Naturalismus vorwirft, ist aber exakt in diesem Geist
geschrieben: das „Zusammenspiel" von Natur und Kultur so zu organisieren, dass auch die weniger Intelligenten
noch davon profitieren können.

Die IQ Genetik ist entbehrlich


-

Eine wohlwollende Lesart mag hier die stärkeren Teile in Sarrazins Argumentation sehen, Seine Vorschläge wie
Ganztagsschulen, Ausbau vorschulischer Erziehungsangebote, Umlenkung von Transferleistungen in den Ausbau
bildungsrelevanter Einrichtungen usw. sind ebenso diskussionswürdig wie bekannt, All das wird seit langem
diskutiert, für all das aber braucht man den Intelligenznaturalismus nicht. Im Gegenteil, die Unterscheidung implodiert:
die Natur unserer Intelligenz wird ein kulturelles Phänomen, und Kultur wird biologisch dadurch fundiert, dass die
menschliche Intelligenz in einer Umwelt aufgeschlossen werden muss, die den „Schalter" umlegen, Potentiale zu
entwickeln und zu entfalten. Ein ganz anderes Verständnis von Natur lässt sich daraus ableiten — nicht im Sinne der
alten Vorstellung eines Reichs der Determination, sondern des
Frankfurter Allgemeine Zeitung,

13.10.2010, Natur und Wissenschaft, Seite N3

FrankfurterAllgemeine Zeitung GmbH 2010. Alle Rechte vorbehalten. 3norforirr:lillgrEriric


Aufbaus und der Selbstorganisation von Strukturen und Prozessen.

Wer die Frage der Intelligenz und der Bildbarkeit von Menschen so weiterdenkt, dem kommen jene Sicherheiten
abhanden, mit denen man letztlich das eigene Ressentiment mit Hilfe der „Natur" absichern konnte. Die besten Argumen-
te gegen den Biologismus präsentiert heute die Biologie selbst!

Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive wissen wir viel über die praktische Vererbbarkeit von Verhalten und Einstel-
lungen. Wir wissen aus der Forschung über soziale Ungleichheit sowie aus der Migrationsforschung ziemlich genau,
dass es bestimmte problematische Milieus, auch Einwanderermilieus gibt, die sich entsprechend „vererben". Die Dis-
kussion um Sarrazin konzentriert sich aber auf exakt diesen „sichtbaren" Teil der deutschen Migrationsrealität —
der größte Teil dagegen ist in einer Weise assimiliert, dass diese Lebenslagen sich von Autochthonen wenig
unterschieden,

Man tut freilich den problematischen Gruppen nicht unrecht, wenn man auf ihre bäuerliche, bildungsferne,
traditionell familienorientierte, diasporareligiöse und ethnisch segregierte Herkunft hinweist. Hier pflanzen sich
Einstellungen fort, aus denen tatsächlich wenig Anreize und Möglichkeiten hervorgehen, dem eigenen Milieu zu
entkommen. Sarrazin hat völlig recht damit, dass einem bestimmten Segment von Einwanderern und ihren
Nachkommen völlig falsche Anreize gesetzt werden, die ihre ethnische und familiäre Segregation fördern. Dass dies
aber nur einen kleinen Teil der deutschen Migrationsrealität wiedergibt, kann man wissen, muss es aber verschweigen,
wenn es letztlich doch nur uni die Naturalisierung des eigenen Ressentiments geht.

Dass aus jenen problematischen, nicht assimilierten Milieus die größten Bildungsverlierer unserer Gesellschaft stam-
men, hat nichts, aber auch gar nichts mit einem unabhängig von diesen Lebenslagen irgendwie natürlich vorhandenen In-
telligenzdefizit zu tun. Hingegen sehr viel mehr damit, wie wenig entgegenkommende Bedingungen herrschen, das
Potential dieser Gruppe zu nutzen —nicht nur im Sinne einer abstrakten Intelligenz, sondern im Sinne einer mehr
oder weniger assimilierten Partizipation am Bildungs- und Arbeitsmarkt.

Holschuld und Bringschuld

Gegen diese Argumentation würde Sarrazin die Bringschuld der Institutionen gegen die Holschuld der Betroffenen aus-
spielen. Wer so argumentiert, ist offensichtlich in seinem Habitus ebenso gefangen wie der anatolische Einwanderer in
seinem segregierten Milieu. Sarrazin macht es sich sehr einfach, von den Bildungsverlierern jene Disposition zu ver-
langen, die erst hergestellt werden muss. Sarrazins Argumentation setzt voraus, was sie erzeugen will. Das geht nur
durch Förderung, wohl auch bisweilen nur durch Zwang und das Setzen von Notwendigkeiten. Förderung muss Forde-
rung einbeziehen — nicht in dem volkspädagogischen Gestus, mit dem Sarrazin Ressentiments gegen Unterschichten
und Migranten schürt, Schon die Verpflichtung, Deutsch zu lernen oder für Transferleistungen integrierende Gegen-
leistungen zu bringen, verändert das Verhältnis von Migranten und den staatlichen Institutionen. Das setzt freilich poli-
tischen Willen voraus und kostet Geld, Durch erbbiologische und inzwischen islamophobe Erklärungen freilich wird die-
ser politische Wille nicht entstehen.

Die Frage ist, warum die Naturalisierung des Anderen, Fremden so attraktiv erscheint. Es ist offensichtlich der Ver-
such, einer verunsicherten Mittelschicht einfache Erklärungen anzubieten. Eine Welt, in der alles auch anders sein
könnte, in der Perspektivendifferenzen und Pluralität unvermeidliche Erfahrungen sind, suggeriert die Natur
Eindeutigkeit und Gewissheit. Es ist zumeist ein Effekt der sozialen Lage, der problematische Lebenslagen
verursacht. Dass dies bei Einwanderern dann stärker durchschlägt und sichtbarer wird als bei der autochthonen
Bevölkerung, ist er. wartbar. Wenn wir ein Integrationsproblem haben, dann tatsächlich eines mit sogenannten
Unterschichten, denen die Integrationsfähigkeiten wie -möglichkeiten in die Institutionen des Arbeitsmarktes und der
Bildung abhandengekommen sind.

Dies ist die Bewährungsprobe künftiger Sozialpolitik. Hier rächen sich Jahrzehnte politischer Mut- und Tatenlosig-
keit. Dass Ganztagsschulen, Sach- statt Geldleistungen im Bildungsbereich, Kindergartenpflicht und die Durchsetzung
der Schulpflicht, Sprachkurse und Weiterbildung als Bedingung für Transferleistungen, womöglich Worldare-Konzepte
und Ähnliches vielversprechende Modelle sind, und zwar keineswegs nur für die migrante Bevölkerung, das wusste man
schon vorher. Es war stets die Mitgliedschaft in Organisationen, die die Mentalitäten erzeugt haben, die eine Gesell-
schaft braucht. Vielleicht müssen wir heute neue Institutionen erfinden oder die bestehenden verändern, um die
Menschen in die Gesellschaft (zurück)zuholen. Erst dann wird man heute Schichten der Gesellschaft wieder
gewinnen, denen der bürgerlich stets vorausgesetzte Glaube an möglichen sozialen Aufstieg verlorengegangen zu sein
scheint. Das gilt für migrante wie autochthone Bevölkerungsgruppen.

Armin Nassehi lehrt Soziologie an der LudwigMaximilians-Universität München.

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gegen Biologismus

Der Gegensatz von Natur und Kultur ist in den Natur- wie in den Sozialwissenschaften längst obsolet.

Für die Lösung der Bildungsprobleme in Unterschichten ist zweitklassige Theorie aber nicht gut
genug.

Von Armin Nassehe

ie Debatte um Thilo Sarrazins Thesen hat sich verändert. Die erste Aufregung über den Ton
und die biologistischen Begründungs-muster ist verebbt. Jetzt werden seine Thesen auf jene
sozialpolitischen Teile reduziert, über die schon länger debat-tiert wird. Dennoch ist es ein Fehler, an
den biologistischen Argumenten vorbei¬zulesen. Denn in ihnen wird deutlich, dass Sarrazin nicht an
Lösungen interes¬siert ist, sondern lediglich Ressenti¬ments bedient. Und es sind vor allem die
Ressentiments, für die er Beifall be¬kommt, weniger für die Argumente.

Die Diskussion, die derzeit geführt wird, ähnelt einem öffentlichen Disput in den neunziger Jahren in
den Vereinig¬ten Staaten. Gemeint ist das Buch „The Bell Curve" von Charles Murray und Ri¬chard
Herrnstein. Es liest sich wie eine Blaupause zu Sarrazins Thesen und wird von ihm mehrfach
herangezogen. Die beiden Wissenschaftler hatten gezeigt, dass der durchschnittliche IQ von nord-
amerikanischen Schwarzen etwa fünf-zehn Punkte unter dem der weißen Be-völkerung liege, Daraus
zogen sie diesel¬ben Schlüsse wie Sarrazin. Neben Um¬weltbedingungen seien es die Gene, die
Unterschiede der durchschnittlichen In¬telligenz von Schwarzen und Weißen be¬gründen, weswegen
es im Sinne einer He¬bung der Gesamtintelligenz der Gesell¬schaft wünschenswert wäre, die
Gebur¬tenrate bei Schwarzen etwa durch Strei¬chung von Transferleistungen zu senken, weil
Schulbildung Intelligenzdefizite nur unwesentlich ausgleichen könne,

Sarrazins Argumentation unterschei-det sich davon kaum. So unumstritten es ist, dass die
Geburtenrate in den unteren Schichten höher ist, so falsch ist doch das Argument, daraus auf einen
Kollektivver¬lust von Intelligenz zu schließen. Die Dis¬kussion um die Bell Curve hat sich exakt an
dieser Naturalisierung entzündet. Be¬sonders einflussreich war etwa die evolu-tionsbiologische Kritik
von Richard Le-wontin, Steven Rose, Leon J. Kamin und Stephen Jay Gold gegen den genetischen
Determinismus: Intelligenz werde nicht durch Gene determiniert. Allenfalls in Populationen mit
gleichen Umweltbedin¬gungen lässt sich die statistisch nicht er¬klärbare Varianz dann „genetisch"
erklä¬ren — man sammelt damit auf, was sich am Ende nicht anders erklären lässt.

Die strikte Gegenüberstellung von An¬lage und Umwelt, von Natur und Kultur, an der Sarrazin so
interessiert ist, ent¬spricht seit der öffentlichen Diskussion der Bell Curve nicht mehr dem Stand der
Debatte. Wer heute Fragen der Genetik ernsthaft in Anspruch nehmen will, um die Genese von
Intelligenz und Lernfä¬higkeit, von Fähigkeiten und Fertigkei¬ten zu erklären, wird dies nicht mehr in
der Gegenüberstellung von Natur und Kultur tun können. Was sehr wundert, ist, dass in der
öffentlichen Debatte um Sarrazins Int elligenzbiologismus Fragen der Epigenetik und der neuronalen
Plasti¬zität keine Rolle spielen — und dass sich die Fachleute dazu nicht zu Wort mel¬den. Einhelliger
Konsens ist hier, dass es kein Intelligenzgen gibt, auch keine klare Gendisposition für mehr oder
weniger In¬telligenz als einer gewissermaßen natür¬lich markierten unveränderlichen Schranke. Die
Epigenetik spielt Umwelt¬einflüsse nicht gegen die Natur aus oder setzt sie in ein kompensatorisches
Ver¬hältnis, Das Bildungskapitel in Sarrazins Buch, das er immer dann anpreist, wenn man ihm
Biologismus und Naturalismus vorwirft, ist aber exakt in diesem Geist geschrieben: das
„Zusammenspiel" von Natur und Kultur so zu organisieren, dass auch die weniger Intelligenten noch
davon profitieren können.

Die IQ-Genetik ist entbehrlich

Eine wohlwollende Lesart mag hier die stärkeren Teile in Sarrazins Argumentati¬on sehen, Seine
Vorschläge wie Ganz¬tagsschulen, Ausbau vorschulischer Er-ziehungsangebote, Umlenkung von
Transferleistungen in den Ausbau bil-dungsrelevanter Einrichtungen usw. sind ebenso
diskussionswürdig wie bekannt, All das wird seit langem diskutiert, für all das aber braucht man den
Intelligenz¬naturalismus nicht. Im Gegenteil, die Un¬terscheidung implodiert: die Natur unse¬rer
Intelligenz wird ein kulturelles Phäno-men, und Kultur wird biologisch da-durch fundiert, dass die
menschliche In¬telligenz in einer Umwelt aufgeschlossen werden muss, die den „Schalter" umle¬gen,
Potentiale zu entwickeln und zu ent¬falten. Ein ganz anderes Verständnis von Natur lässt sich daraus
ableiten — nicht im Sinne der alten Vorstellung eines Reichs der Determination, sondern des

Frankfurter Allgemeine Zeitung,

13.10.2010, Natur und Wissenschaft, Seite N3

FrankfurterAllgemeine Zeitung GmbH 2010. Alle Rechte vorbehalten. 3norforirr:lillgrEriric

Aufbaus und der Selbstorganisation von Strukturen und Prozessen.

Wer die Frage der Intelligenz und der Bildbarkeit von Menschen so weiter-denkt, dem kommen jene
Sicherheiten abhanden, mit denen man letztlich das ei¬gene Ressentiment mit Hilfe der „Natur"
absichern konnte. Die besten Argumen¬te gegen den Biologismus präsentiert heute die Biologie
selbst!

Aus sozialwissenschaftlicher Perspek-tive wissen wir viel über die praktische Vererbbarkeit von
Verhalten und Einstel¬lungen. Wir wissen aus der Forschung über soziale Ungleichheit sowie aus der
Migrationsforschung ziemlich genau, dass es bestimmte problematische Mi¬lieus, auch
Einwanderermilieus gibt, die sich entsprechend „vererben". Die Dis-kussion um Sarrazin konzentriert
sich aber auf exakt diesen „sichtbaren" Teil der deutschen Migrationsrealität — der größte Teil
dagegen ist in einer Weise as-similiert, dass diese Lebenslagen sich von Autochthonen wenig
unterschieden,

Man tut freilich den problematischen Gruppen nicht unrecht, wenn man auf ihre bäuerliche,
bildungsferne, traditio-nell familienorientierte, diasporareligiö-se und ethnisch segregierte Herkunft
hin¬weist. Hier pflanzen sich Einstellungen fort, aus denen tatsächlich wenig Anrei¬ze und
Möglichkeiten hervorgehen, dem eigenen Milieu zu entkommen. Sarrazin hat völlig recht damit, dass
einem be-stimmten Segment von Einwanderern und ihren Nachkommen völlig falsche Anreize
gesetzt werden, die ihre ethni-sche und familiäre Segregation fördern. Dass dies aber nur einen
kleinen Teil der deutschen Migrationsrealität wiedergibt, kann man wissen, muss es aber ver-
schweigen, wenn es letztlich doch nur uni die Naturalisierung des eigenen Res-sentiments geht.

Dass aus jenen problematischen, nicht assimilierten Milieus die größten Bil¬dungsverlierer unserer
Gesellschaft stam¬men, hat nichts, aber auch gar nichts mit einem unabhängig von diesen
Lebensla¬gen irgendwie natürlich vorhandenen In¬telligenzdefizit zu tun. Hingegen sehr viel mehr
damit, wie wenig entgegen¬kommende Bedingungen herrschen, das Potential dieser Gruppe zu
nutzen —nicht nur im Sinne einer abstrakten Intel¬ligenz, sondern im Sinne einer mehr oder weniger
assimilierten Partizipation am Bildungs- und Arbeitsmarkt.

Holschuld und Bringschuld

Gegen diese Argumentation würde Sar-razin die Bringschuld der Institutionen gegen die Holschuld
der Betroffenen aus¬spielen. Wer so argumentiert, ist offen¬sichtlich in seinem Habitus ebenso
gefan¬gen wie der anatolische Einwanderer in seinem segregierten Milieu. Sarrazin macht es sich
sehr einfach, von den Bil¬dungsverlierern jene Disposition zu ver¬langen, die erst hergestellt werden
muss. Sarrazins Argumentation setzt voraus, was sie erzeugen will. Das geht nur durch Förderung,
wohl auch bisweilen nur durch Zwang und das Setzen von Not-wendigkeiten. Förderung muss Forde-
rung einbeziehen — nicht in dem volks-pädagogischen Gestus, mit dem Sarrazin Ressentiments
gegen Unterschichten und Migranten schürt, Schon die Ver¬pflichtung, Deutsch zu lernen oder für
Transferleistungen integrierende Gegen¬leistungen zu bringen, verändert das Ver¬hältnis von
Migranten und den staatli¬chen Institutionen. Das setzt freilich poli-tischen Willen voraus und kostet
Geld, Durch erbbiologische und inzwischen is-lamophobe Erklärungen freilich wird die¬ser politische
Wille nicht entstehen.

Die Frage ist, warum die Naturalisie-rung des Anderen, Fremden so attraktiv erscheint. Es ist
offensichtlich der Ver-such, einer verunsicherten Mittelschicht einfache Erklärungen anzubieten. Eine
Welt, in der alles auch anders sein könn-te, in der Perspektivendifferenzen und Pluralität
unvermeidliche Erfahrungen sind, suggeriert die Natur Eindeutigkeit und Gewissheit. Es ist zumeist
ein Effekt der sozialen Lage, der problematische Lebenslagen verursacht. Dass dies bei Einwanderern
dann stärker durchschlägt und sichtbarer wird als bei der autochtho¬nen Bevölkerung, ist er.
wartbar. Wenn wir ein Integrationsproblem haben, dann tatsächlich eines mit sogenannten
Unterschichten, denen die Integrations-fähigkeiten wie -möglichkeiten in die In-stitutionen des
Arbeitsmarktes und der Bildung abhandengekommen sind.

Dies ist die Bewährungsprobe künfti-ger Sozialpolitik. Hier rächen sich Jahr-zehnte politischer Mut-
und Tatenlosig-keit. Dass Ganztagsschulen, Sach- statt Geldleistungen im Bildungsbereich, Kin-
dergartenpflicht und die Durchsetzung der Schulpflicht, Sprachkurse und Wei-terbildung als
Bedingung für Transferleis¬tungen, womöglich Worldare-Konzepte und Ähnliches vielversprechende
Model¬le sind, und zwar keineswegs nur für die migrante Bevölkerung, das wusste man schon
vorher. Es war stets die Mitglied¬schaft in Organisationen, die die Mentali¬täten erzeugt haben, die
eine Gesell¬schaft braucht. Vielleicht müssen wir heute neue Institutionen erfinden oder die
bestehenden verändern, um die Men-schen in die Gesellschaft (zurück)zu-holen. Erst dann wird man
heute Schich¬ten der Gesellschaft wieder gewinnen, denen der bürgerlich stets vorausgesetzte
Glaube an möglichen sozialen Aufstieg verlorengegangen zu sein scheint. Das gilt für migrante wie
autochthone Bevöl¬kerungsgruppen.

Armin Nassehi lehrt Soziologie an der Ludwig¬Maximilians-Universität München.

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