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ELENA abgenickt

Bettina Sokol und BITKOM beziehen Stellung


Wie erwartet wurde ELENA heute vom Kabinett abgenickt. Bei der gulli
Redaktion sind die ersten Stellungnahmen bezüglich der geplanten
Vorratsspeicherung aller Einkommensdaten angekommen. Bettina Sokol,
die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit NRW
schickte uns kürzlich ihr Statement zu, obwohl sie heute meistenteils
unterwegs war. Auch der Branchenverband BITKOM bezieht mit deren
Pressemitteilung Stellung. Kontroverser hätten die Aussagen kaum
ausfallen können.

Bettina Sokol, die Landesbeauftragte für Datenschutz und


Informationsfreiheit NRW zum Thema ELENA: "Eines der Probleme von
Elena ist die Speicherung von Daten auch solcher Personen, die zum
Glück niemals in ihrem Leben auf den Bezug von Sozialleistungen
angewiesen sein werden. Die Speicherung solcher Daten ist völlig
überflüssig und wirft deshalb verfassungsrechtliche Bedenken auf. Ein
weiteres Problem ist die enorme Datenmenge, die bei der zentralen
Speicherstelle anfallen wird. Zentrale Datenpools sind natürlich eine
Herausforderung für jeden Hacker. Dass Sicherheitslücken aufgrund
technischer Fehler oder menschlichen Fehlverhaltens entstehen können,
ist uns doch gerade am Beispiel einiger Meldeämter deutlich vor Augen
geführt worden. Dort wurden geradezu auf dem Silbertablett Meldedaten
der Bevölkerung im Internet serviert. Neben Missbrauchsrisiken besteht
leider die Erfahrung, dass zentrale Datenpools auch Begehrlichkeiten
wecken, sie zu anderen als den ursprünglich festgelegten Zwecken zu
nutzen. Wer auf lange Sicht auf die Daten wird zugreifen können, ist
völlig ungewiss. Die Folgen für die rund 40 Millionen betroffenen
Menschen sind langfristig gar nicht absehbar."

Der Branchenverband BITKOM spricht ganz andere Töne. Er weist darauf


hin, dass durch dieses Verfahren die Bürokratie personell entlastet
und man zudem Millionen sparen könne. "Das Ausstellen von
Bescheinigungen und Einkommensnachweisen auf Papier verschlingt
derzeit unnötig Zeit und Geld", so der Präsident von BITKOM dazu. Man
sieht die Umstellung auf eine komplett elektronische Kommunikation
zwischen Arbeitgebern und Behörden als längst überfällig an:
"Schließlich liegen die Daten bei den Unternehmen elektronisch vor und
werden in den Verwaltungen auch elektronisch weiter bearbeitet. Die
bisher übliche Übertragung auf Papier ist teuer, fehleranfällig und
anachronistisch", so Scheer.

Interessanterweise geht den Vertretern des Verbandes der jetzige


Vorschlag nicht weit genug, man würde so nur einen Bruchteil der
Möglichkeiten ausschöpfen. Zu viele Bereiche - etwa
Prozesskostenbeihilfe, Wohnberechtigungsschein oder
Unterhaltsstreitigkeiten - sind noch nicht davon erfasst. "Deshalb
darf der für das Jahr 2012 geplante Start des elektronischen
Meldeverfahrens nur ein erster Schritt sein", betont Scheer. Die
Bürden der Bürokratie müssten laut der Aussage von BITKOM
schnellstmöglich auch in anderen Bereichen genommen werden. "Wenn alle
Arbeitsnachweise und Gehaltsbescheinigungen elektronisch übermittelt
würden, könnten die Unternehmen mehr als 500 Millionen Euro einsparen
und für sinnvollere Zwecke einsetzen - etwa Forschung und
Entwicklung."

Von einer Warnung über einen möglichen Missbrauch der Daten von rund
40 Millionen Arbeitern und Angestellten fehlt in der Pressemitteilung
des BITKOM leider jede Spur. Egal ob in der Verwaltung oder anderswo,
finanzielle Einsparungen machen immer Sinn. Muss man dafür aber eine
solche zentral geführte Datenbank ins Leben rufen? Wird ein Vorhaben,
welches so tief in unser aller Privatsphäre eindringt, vor dem
Bundesverfassungsgericht Bestand haben? Muss Technikverliebtheit immer
mit blindem Vertrauen einhergehen? Man mag es bezweifeln.

URL: http://www.gulli.com/news/elena-abgenickt-bettina-sokol-2008-06-25/

Datenschützer kritisiert ELENA


Thilo Weichert, der Leiter des unabhängigen Landeszentrums für
Datenschutz Schleswig-Holstein[1] (ULD), hat das Verfahren zum
elektronischen Einkommensnachweis (ELENA) scharf kritisiert. Dieses
Verfahren soll heute vom Bundeskabinett beschlossen werden.

Mit ELENA[2] werde nicht der schönen griechischen Göttin gehuldigt,


sondern eine hässliche, datenschutzwidrige Großdatenbank in die Welt
gesetzt, heißt[3] es in der Stellungnahme des Datenschützers. Weichert
kritisiert die Speicherung auf Vorrat, die nicht allein beim
Beantragen von Sozialleistungen genutzt werden könnte. Auch andere
Behörden, allen voran die Finanzämter, könnten sich für die
Datensammlung interessieren, wenn sie einmal in der Welt ist. Kritisch
sei dabei der Datenzugriff ohne Kenntniss der Betroffenen. "Es ist
völlig unverständlich, weshalb das Kabinett – den Vorschlägen der
Landesbeauftragten für Datenschutz folgend – nicht ein Verfahren der
individuellen Verschlüsselung dieser hochsensiblen Daten zugestimmt
hat. Inzwischen ist klar, dass ein Verfahren mit den Schlüsseln der
Arbeitnehmer, welches übrigens vom Bundesfinanzministerium favorisiert
wird, technisch machbar ist. Den Beteuerungen der Bundesregierung, die
Daten unterlägen einer strengen Zweckbindung, kann nach den
Erfahrungen aus der Vergangenheit in anderen Zusammenhängen wenig
Glauben geschenkt werden. Sind Daten einmal vorhanden, sind diese
schnell vielfältigen Begehrlichkeiten ausgesetzt, gegen die die
Betroffenen keine Abwehrmöglichkeiten haben", heißt es in der
Begründung von Weichert, warum das ELENA-Gesetz abgelehnt werden
sollte.

Die erneut einsetzende Debatte um ELENA, die einstmals unter dem Namen
"Jobcard" geführt wurde, bekommt aktuell neue Nahrung durch die
gleichzeitig anlaufende Reform der Unfallversicherung, die das
Bundesarbeitsministerium betreibt und die morgen auf der Tagesordnung
steht. Arbeitsminister Olaf Scholz will ein Verfahren zur
individuellen Zeitdatensammlung einführen, das die
Unfallversicherungen entlasten soll. Anders als bisher sollen Betriebe
die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter nicht mehr pauschal melden,
sondern individuell erfassen, speichern und an die Krankenversicherung
berichten. Von dort aus sollen die Individualdaten an die
Rentenversicherung (die im ELENA-Verfahren eingebunden ist) und
schließlich an die Unfallversicherung weitergeleitet werden. Nach
einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung[4] laufen die
Arbeitgeber gegen diese "Stechuhr für alle" Sturm, weil der
Verwaltungsaufwand für die individuelle Zeitdatenspeicherung sehr hoch
sein soll. In jedem Fall würde er die Unfallversicherungen nur wenig
entlasten. Sollte das "Konjunkturprogramm für die Hersteller von
Zeiterfassungssystemen" (FAZ) kommen, könnte die Gefahr bestehen, dass
die solchermaßen anfallenden Arbeitszeitdaten auch für ELENA-Meldungen
benutzt werden.

Siehe dazu auch:


Elektronischer Einkommensnachweis ELENA nimmt Formen an[5]
Elektronischer Personalausweis: Wenn das Web den Ausweis sehen will[6]
Jobcard: ELENA nimmt wieder Fahrt auf[7]
Kritik an geplantem elektronischem Einkommensnachweis [8]
Jobcard verzögert sich[9]
Jobcard für Sozialleistungen soll Kosten sparen[10]

(Detlef Borchers) /
(jk[11]/c't)

URL dieses Artikels: http://www.heise.de/newsticker/meldung/109961

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[1] https://www.datenschutzzentrum.de/elena/
[2] http://www.heise.de/newsticker/Elektronischer-Einkommensnachweis-ELENA-nimmt-
Formen-an--/meldung/109927
[3] https://www.datenschutzzentrum.de/presse/20080625-elena.htm
[4]
http://www.faz.net/s/Rub0E9EEF84AC1E4A389A8DC6C23161FE44/Doc~eC502C3C5E3E
D4AF5BDD3AB5CE814D4D5~aTpl~ecommon~scontent.html [5]
http://www.heise.de/newsticker/Elektronischer-Einkommensnachweis-ELENA-nimmt-
Formen-an--/meldung/109927
[6] http://www.heise.de/newsticker/Elektronischer-Personalausweis-Wenn-das-Web-den-
Ausweis-sehen-will--/meldung/108208
[7] http://www.heise.de/newsticker/Jobcard-ELENA-nimmt-wieder-Fahrt-
auf--/meldung/103789
[8] http://www.heise.de/newsticker/Kritik-an-geplantem-elektronischem-
Einkommensnachweis--/meldung/93509
[9] http://www.heise.de/newsticker/Jobcard-verzoegert-sich--/meldung/85710
[10] http://www.heise.de/newsticker/Jobcard-fuer-Sozialleistungen-soll-Kosten-
sparen--/meldung/82194
[11] mailto:jk@ct.heise.de

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