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ständnis des Verfahrens. In den formalen Kategorien und den Axi­ die auf Denken zurückweist. Dem Denken entspricht ein Gedachtes,
omen liegt implizite die ganze Gesetzmäßigkeit, die die analytische und so entspricht jeder Wissenschaft ein System von Urteilen in un­
Form allen möglichen Denkbedeutungen und korrelativ allen reinen serem bedeutungstheoretischen Sinn, ein System von prätendierten
Denkgegenständlichkeiten a priori vorschreibt. Wahrheiten und Wahrscheinlichkeiten, und diese beziehen sich auf
5 Man kann nun aber nicht nur über vereinzelt gedachte Gegen­ 5 Gegenstände und Sachverhalte. Die Wissenschaft von den Be­
ständlichkeiten in formaler Allgemeinheit Aussagen machen, son­ deutungen überhaupt, von Wahrheiten, Möglichkeiten, Wahrschein­
dern (man kann) solche Gegenständlichkeiten als Glieder von formal lichkeiten überhaupt, von Gegenständen überhaupt in absolut reiner
definierten Mannigfaltigkeiten denken. Mannigfaltigkeiten sind ge­ und formaler Allgemeinheit gibt ein System von absoluten Wahr­
dachte, unendlich-offene Mengen von Gegenständlichkeiten, die dc- heiten, an die selbstverständlich jede Wissenschaft gebunden ist und
10 finiert sind durch Axiomenformen, d.i. durch Formen von Gesetzen, 10 die jeder Wissenschaft überhaupt - wie schon jedem Urteil überhaupt
die für Gegenstände bzw. für ihre sonst unbestimmt und formal - geltungsmäßig vorhergehen.
gedachten Verbindungen und Beziehungen als geltend gedacht sind Wir fragen nun, ob wir die Idee der Wissenschaftstheorie nicht er­
Insbesondere höchst bedeutsam sind da die spezifisch mathe­ weitern, ob wir nicht neue Untersuchungsgruppen und evtl, ganze
matischen Mannigfaltigkeiten: die definiten. Darin sind die Gegen Disziplinen charakterisieren können, die, wenn auch in anderer Be-
15 ständlichkeitsgruppen durch definite Axiomenformen formal fixiert, 15 ziehung, allen bestimmten Wissenschaften vorhergehen und somit
aus deren definitorischen Wesen dann Theorienformen als ihre keine von ihnen nach ihrem Inhalt voraussetzen.
zugehörigen deduktiven Folgeeigentümlichkeiten abzuleiten sind Wir fügen hier eine erklärende Bemerkung an. Allgemein wissen­
Alle möglichen wirklichen deduktiven Disziplinen, auch diejenigen schaftstheoretisch können wir zunächst die Erforschung all dessen
der Analytik selbst, ordnen sich dann unter die Mannigfaltig nennen, was zur Idee, zum Wesen einer Wissenschaft als solcher ge-
20 keitslehre, womit der letzte Abschluß aller rein kategorialen Fr 20 hört, in unbedingter Allgemeinheit. Das weist zunächst auf Erkennt­
kenntnis gewonnen wird. nisse hin, welche für die Idee der Wissenschaft Konstitutives betref­
fen, d.h., welche Wesensmomente betreffen, die die Idee der Wissen­
schaft notwendig aufbauen. Ein solches aufbauendes Moment ist die
(12. Kapitel Idee der Bedeutung, näher: des Urteils, und so ist die ganze Apo-
Die Erweiterung der Idee der Wissenschaftslehrc 25 phantik Wissenschaftslehre in einem ausgezeichneten Sinn - und
über die Analytik hinaus) ebenso die ganze formale Ontologie, da die Idee des Gegenstands
überhaupt mit allen zugehörigen Ideen wie Beschaffenheit, Relation
u.dgl. konstitutiv ist für die Idee der Wissenschaft: Wissenschaft ist ja
25 (§ 60. Die Logik als formale Bedeutungslehre und als formale Wissenschaft von irgendwelcher Gegenständlichkeit, die ihr Gebiet
Ontologie ist die erste Ausprägung der Idee der Wissenschaftslehn 30 heißt.
Der allgemeinste Begriff von Wissenschaftstheorie)1 Wir können nun aber den Begriff des Wissenschaftstheoretischen
sicherlich so weit spannen, daß (er) all das befaßt, was seinem Wesen
Knüpfen wir wieder an an die uns von Anfang (an) leitende Idee dn nach keine vorgegebene Wissenschaft voraussetzt oder in die Sphäre
Wissenschaftslehre, so ist die Logik als die beschriebene formal« irgendwelcher besonderen Wissenschaft hineingehört und was an-
30 Bedeutungslehre und Ontologie die erste Ausprägung dieser hin 35 dererseits so beschaffen ist, daß jede besondere Wissenschaft prinzi­
Wissen im Sinne der Wissenschaft ist Denken oder Denkdispositmn piell darüber frei verfügen könnte, ohne darum ihr eigenes Gebiet zu
verlieren, mag sic nun wirklich dazu Anlaß Finden oder nicht. In
1 Die ursprüngliche Fassung der Paragraphen 60 62 ist als Beilage XVII abgednukl i diesem Sinne ist schon die formale Theoricnlehre wisscnschaftstheo-
366) Anm. der Hrsg. rctisch. Es gehört nicht zum konstitutiven Wesen jeder Wissenschaft,
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theoretische Wissenschaft in dem von uns beschriebenen prägnanten innerhalb der Schranken der Natur und Naturwissenschaft wissen­
Sinn zu sein, also aus Grundgesetzen als apriorisch oder empirisch schaftstheoretischen Charakter haben.
gewonnenen Grundlagen theoretische Deduktionssysteme ableiten Überblicken wir das Heer der Naturwissenschaften, so erforscht
und damit theoretische Erklärung leisten zu müssen. Das ändert aber eine jede von ihnen theoretisch irgendein Gebiet der Allnatur. Prinzi-
5 nichts daran, daß die Theorienlehre wissenschaftstheoretisch ist; 5 piell kann aber jede von ihnen über alle synthetisch-mathematischen
denn die Idee des Schlusses, des Beweises, der Theorie, bzw. die Idee Disziplinen ebensogut frei verfügen als über die formal-mathema­
der Mannigfaltigkeit, geht ihrem Wesen nach jeder Wissenschaft tischen. Der Grund ist einleuchtend. Wie die Gegenständlichkeiten,
vorher, und es handelt sich dabei um höhere Wesensgestaltungen, die der Titel „Natur“ zusammenfaßt, eben Gegenständlichkeiten
welche konstitutive Begriffe der Wissenschaft in reiner Allgemeinheit sind - Subjekte von Eigenschaften, Beziehungspunkte von Rela-
10 fortbilden. 10 tionen, Glieder von Verbindungen, Teile von Ganzen -, kurzum:
Wir halten von nun ab diesen allgemeinsten Begriff von „wissen­ eine analytisch-ontologische Form haben, um derentwillen sie der
schaftstheoretisch“ als Wissenschaftstheorie fest und überlegen Analytik unterstehen, so hat sie als Natur eine Form. Kant sprach
gemeinsam, was sich für wissenschaftstheoretische Untersuchungs­ von natura formaliter spectata. Jedes, das den Namen Ding
gruppen a priori ergeben mögen. Es ist klar, daß wir von nun ab un- verdienen soll, hat eine körperliche Gestalt, die sich dem Raum
15 sere Einstellung ändern, daß wir die Abstraktion von der Natur der 15 einordnet, der die formalen Eigenschaften einer Euklidischen
Kerne aufgeben müssen. Die Analytik ist die Wissenschaftsgruppe Mannigfaltigkeit von drei Dimensionen hat und somit die bekannte
von der reinen Form, wir haben jetzt auf die sogenannte Materie der Geometrie als Entfaltung seines Wesens fordert. Ferner: Jedes ding­
Erkenntnis Rücksicht zu nehmen. liche Sein hat seine Dauer und hat seine Beweglichkeit im Raum und
untersteht sonach, was die Zeitgestalten und Bewegungsgestalten
(§61. Der wissenschaftstheoretische Charakter der 20 anlangt, der Chronologie und (der) reinen Bewegungslehre (Phoro-
20 synthetisch-formalen Ontologie der Natur. Kants nomie). Ferner: Jedes Ding hat seine realen Eigenschaften und ist
„reine Naturwissenschaft“) zeitliche Einheit im Wechsel dieser realen Eigenschaften, wir nennen
es in dieser Hinsicht eine substantielle Einheit. Und Substanz steht
Knüpfen wir an die Idee der Mathematik an. Nach unseren Ana wieder in naher Beziehung zu Kausalität. Das Ding ändert sich, in
lysen unterschieden sich eine analytisch-formale und eine nicht-ana 25 der Veränderung seine reale Identität bewahrend; aber es ändert sich
lytische Mathematik. Alles, was an mathematischen Disziplinen zu so, daß seine Veränderungen von denen anderer Dinge abhängig
25 analytischen Kategorien gehört, steht dann auf der einen Seite, also sind, und zwar nach festen Kausalgesetzen. Mit anderen Worten,
Anzahlenarithmetik, Ordinalzahlenarithmetik u.dgl. ebensogut wir jede Veränderung hat ihre Ursachen, jede ist notwendig, jede weist
die formale Mannigfaltigkeitslehre, dagegen nicht die Geometrie als auf Veränderungsgesetze hin, welche die funktionellen Abhängig­
Raumlehre, die reine Chronologie als Zeitlehre usw. st) keiten der Veränderungen verschiedener Dinglichkeiten zur Einheit
Sind diese Disziplinen nun nicht wissenschaftstheoretisch? Sie sind bringen und regeln. Kein Ding ist isoliert. Jedes Ding ist Glied einer
30 es offenbar nicht in dem allerallgemeinsten Sinn; denn nicht jede* kausal-einheitlichen Natur. Dergleichen Eigentümlichkeiten gehören
Wissenschaft hat es mit räumlich-zeitlichen Objektitäten zu tun. Das zum Wesen von Ding und Natur.
gilt ja z.B. nicht von der mathesis universalis oder (der) Analytik Die bestimmte Naturwissenschaft erforscht bestimmte Dinge,
selbst mit allen ihren Disziplinen. Andererseits wird man doch cflai 15 bestimmte reale Eigenschaften, reale Veränderungen, bestimmte
auf hinweisen können, daß die bezeichnten nicht-analytischen (also Realgesetze als kausale Gesetze der Veränderungen. Jede (Natur­
35 synthetischen) mathematischen Disziplinen innerhalb des gewaltigen wissenschaft) nimmt die erfahrenen Dinge eben schon als Dinge hin
Komplexes von Wissenschaften der Natur eine ähnliche Rolle spie und fragt nur, was des näheren von ihnen gilt. Jede ist aber in all ihren
len wie die analytischen mathematischen Disziplinen, also daß m» Erfahrungsweisen, in all ihren Aussagen über Dinge, gebunden an
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das, was die Idee von Ding und Natur a priori vorschreibt, oder umgrenzen. Eben darum hat das Apriori, das zur Natur überhaupt
kantisch gesprochen, an die Form der Natur. Die Erkenntnisse, die gehört, eine so ausgezeichnete Bedeutung, darum die Rede von
zur Form gehören, zur räumlich-zeitlichen Form sowie formaliter zu „Natur überhaupt“ als Form und die Parallelisierung mit der Form
dem Bestand an realer raum-zeitlicher Fülle, durch die das Ding im analytischen Sinn. Und wieder hängt damit zusammen der ausge-
5 Naturreales ist - all das geht den bestimmten Naturwissenschaften 5 zeichnete und, wie wir sagen könnten, wissenschaftstheoretische
vorher, es ist ein gemeinsamer Fond an wissenschaftlichen Erkennt­ Charakter der zum Wesen der Natur als Form gehörigen Disziplinen
nissen, über die jede bestimmte Naturwissenschaft frei verfügen kann gegenüber den Naturwissenschaften im gewöhnlichen Sinn, den
und die in keine von ihnen hineingehören. Das gilt auch von den empirischen Naturwissenschaften.
allgemeinsten, den sogenannten abstrakten Naturwissenschaften. Sic
10 beziehen sich auf die bestimmt gegebene Natur, obschon in größter (§ 62. Die Aufgabe, im Ausgang von der Idee des individuell
Allgemeinheit. Sie setzen schon voraus, daß es eine Natur gibt als ein 10 Seienden überhaupt die obersten Seinsregionen zu bestimmen
System von Dingen, die unter der Form der Natur stehen, als ein sowie die regionalen Grundbegriffe in die regionalen
Apriori, als ein Eidos, das aller bestimmten, empirisch zu gebenden Kategorien zu entfalten. Der Begriff der Region)
Natur vorhergeht.
15 Das alles ist zweifellos, und so reiht sich der analytisch-formalen Es ergibt sich von hier aus nun eine große Aufgabe. Wenn wir von
Ontologie im Reich der Naturerkenntnis an die synthetisch-formale der allgemeinen Idee des Seienden, genauer: des individuell Seienden
Ontologie, nämlich die Ontologie der Natur. Sie würde in mehrere ge­ 15 überhaupt, ausgehen, so kann nun gefragt werden nach den radikal
trennte Disziplinen zerfallen, (in) die Disziplinen, welche das Apriori unterschiedenen, den allerobersten Seinsklassen oder, wie ich auch zu
von Raum und Zeit erforschen, also Geometrie, Chronologie und sagen pflege, den Seinsregionen. Natur ist solch eine Region. Wir
20 Phoronomie, andererseits (in) diejenige Disziplin, welche der können hier nicht weiter verallgemeinern, ohne die sachhaltige Ma­
Kantischen „reinen“ Naturwissenschaft entspräche, also das terie ganz aus den Händen zu verlieren und zur formleeren ana-
Apriori der raum-zeitlichen Realität (Materie) - abgesehen von der 20 lytischen Allgemeinheit „individuell Seiendes überhaupt“ zu kom­
reinen Raum- und Zeitform - erforschte. Man bemerkt dann, daß den men. In der formalen Sphäre wird uns an die Hand gegeben eine
analytischen Kategorien, den Kategorien der Gegenständlichkeit Reihe von Abwandlungen der Urkategorie „individuelles Sein“:
25 überhaupt, in der Natursphäre sich anreihen würden die Kategorien Eigenschaft, Relation, Verknüpfung usw. Binden wir uns an die Re­
der Natur; wir könnten sagen: die Kategorien im ursprünglichen gion Natur, so gewinnen wir (diese oberste Sachhaltigkeitsform auf-
Aristotelischen Sinn, wobei wir aber alle „geistige Natur“ aus­ 25 nehmend) die Naturkategorien „physische Eigenschaft“, „physische
schließen müßten, auf die Aristoteles seine Kategorien sicherlich Relation“ usw. Und wie (es) nun für die Natur die Aufgabe ist, die zu
mitbezogen dachte - wieder könnten wir sagen: die Kantischen den obersten Naturkategorien gehörigen apriorischen Wahrheiten zu
30 Kategorien, da Kant in seiner Kategorienlehre im wesentlichen auf entwerfen, die das Apriori der Natur ausmachen und „wissenschafts­
die Natur im gewöhnlichen Sinn der physischen Natur hingeblickt theoretisch“ für bestimmte Naturwissenschaften sind, so muß
hat. U) Ähnliches doch für andere Seinsregionen gelten. Also erwächst die
Die Idee der Natur, jetzt immer im prägnanten Sinn von physischer Aufgabe einer allgemeinen Lehre von den Seinsregionen und ihren
Natur verstanden, die den vielen Wissenschaften, die wir Natur- Kategorien und den apriorischen Wahrheiten, die zu jeder Region ge­
35 Wissenschaften nennen, Einheit gibt, gibt ihnen, wie wir im voraus hören. Allem voran bedürfte es einer radikalen „Kategorienlehre“,
deutlich sehen, keine zufällige, sondern eine notwendige Einheit; und aber besser sage ich, einer systematischen Erforschung der radikalen
wieder sehen wir, daß der Titel „Natur“ Seinsarten so zusammenfaßt, *5 Seinsregionen und der zu jeder Region eigentümlich zugehörigen
daß alles, was sonst seiend heißt, wie durch Abgründe davon ge Kategorien.
schieden ist, daß also radikalste Demarkationen das natürliche Sein Erst in weiterer Folge bestände die Aufgabe der systematischen
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Begründung der apriorischen Disziplinen, die zu jeder Seinsregion ge­ Aber der Leib als solcher ist mehr als (ein) Ding, er ist beseeltes Ding
hören und die allen individuellen Gegenständlichkeiten der be­ (empfindend, frei beweglich), und das Beiwort „beseelt“ (be)sagt
treffenden Region a priori und aus radikalsten Gründen ihre „Form“ nicht etwas mit Prädikaten wie „schwer“, „hart“, „durchsichtig“
vorschreiben und dadurch für alle bestimmten, empirisch auszu- u.dgl. zu Parallelisierendes.
5 führenden Wissenschaften jeder dieser Regionen in einem erweiterten 5 Jedes faktische physisch-dingliche Prädikat entspricht einer durch
Sinn wissenschaftstheoretisch sind. Anstatt von wissenschafts­ den physischen Dingbegriff vorgezeichneten Idee. Aber Beseelung
theoretischen Disziplinen können wir auch von Ontologien sprechen, liegt sozusagen in einer ganz anderen Dimension. Der Leib als phy­
wie wir das für die Region Natur schon getan haben. sisches Ding genommen, mit allen erfahrungsmäßig festzustellenden,
Nun noch einiges zur Erläuterung der Konzeption des Begriffs bekannten oder je noch zu erkennenden Eigenschaften - mögen ihrer
10 Region, z.B. (der Region) Natur. (Man sieht oder fühlt sozusagen, 10 auch unendlich viele sein - enthält nichts von Psychischem: der
daß) „Natur“ kein zufälliger Titel ist, so wie etwa der Titel „Sauer­ physischen Natur und Naturkausalität nachgehend kommen wir nie
stoff“ oder „Tannenbaum“. Es gibt sicherlich Erkenntnisse, die sich auf Psychisches. Und doch gehört erfahrungsgemäß Psychisches zu
speziell wie auf jede Sorte Gegenständlichkeit, so auf die Sorte dem Ding, das da Menschenleib heißt. Und das Psychische gehört zu
Tannenbaum oder Sauerstoff beziehen. Aber das sind empirische ihm als Beseelendes, aber es gehört auch zu ihm eine Seele. Der Leib
15 Titel, und der Erfahrung entnehmen wir verschiedene solche Sonder­ 15 ist nicht durch ein einzelnes sogenanntes Psychisches, etwa ein
artungen von Gegenständen und bestimmen durch Erfahrung ihre einzelnes Gefühl, beseelt, sondern durch eine Seele, zu der eine Ein­
Eigentümlichkeiten. Aber alle die erfahrungsmäßigen Arten von heit von derartigen „Erlebnissen“ gehört. Psychisches Erlebnis
Dingen und nicht bloß diese, (sondern) unbegrenzte Mannigfaltig­ fordert einen Strom des „Bewußtseins“ und zum Wesen (eines) sol­
keiten möglicher neuer Arten sind beschlossen in der Idee Ding. chen Stromes gehören mancherlei generelle Eigentümlichkeiten, es
20 Dieser Begriff nimmt offenbar eine ganz andere Stellung ein als die 20 gehören dazu Regelungen, die die Rede von Dispositionen, Cha­
bestimmten Begriffe, die wir Artbegriffe von Dingen nennen. Und rakteranlagen u.dgl. begründen.
die Weise, wie er alle Dinge befaßt, ist offenbar eine von der Art ver­
schiedene, in welcher etwa der empirische Gattungsbegriff Mineral (§ 63. Die Ontologie des geistigen Wesens als apriorische
die erfahrungsmäßigen Klassen und Spezies von Mineralien zu- Geistes- und Bewußtseinswissenschaft)
25 sammenfaßt. Diese Gegenüberstellung macht es verständlich, daß
wir sagen: Der Begriff Ding, Naturobjekt ist von solcher Eigentüm­ Und wieder scheidet sich da, ähnlich wie innerhalb der bloßen
lichkeit, daß er eine Ontologie begründet, die allen Wissenschaften 25 physischen Natur, regional Eidetisches und Empirisches. Daß ein
von empirisch daseienden Dingen formaliter einen Sinn und eine for­ Mensch ist und was er ist, was er erlebt, was den bestimmten Inhalt
male Gesetzmäßigkeit vorschreibt. Dagegen wäre es offenbar ver- seines fließenden Gesamtbewußtseins ausmacht, was für bestimmte
30 kehrt, aus dem Begriff Mineral eine apriorische Ontologie heraus­ Dispositionen, Charakteranlagen er hat, wie Charakteranlagen bei
ziehen zu wollen; dieser Begriff hat bloß empirische Bedeutung, und Menschen sich in der Regel entwickeln u.dgl., das alles kann nur die
alles, was von Mineralien überhaupt gilt, wie sie sich in Gattungen 30 Erfahrung lehren. Andererseits aber steht über allem die Idee dieser
und Arten sondern, welche allgemeinen Eigentümlichkeiten jeder grundwesentlich eigenartigen psychophysischen Einheit, die wir „be­
solchen (Gattung und Art) zukommt, das alles kann nur Erfahrung seeltes Wesen“ nennen, mit den zugehörigen Ideen „Bewußtseins­
35 lehren und ist nicht aus reinen Begriffen herauszuziehen. fluß“, „Seele“, „Charakter“ u.dgl. Und somit haben wir hier wieder
Ebenso wie mit dem Begriff „physisches Ding“ steht es mit dem einen apriorischen Rahmen, eine apriorische Form und zugehörig
Begriff Mensch oder Tier, £wov, und wieder mit dem Begriff Seele. 35 eine apriorische Wissenschaft, die Ontologie des geistigen Wesens.
Allerdings, der Begriff Mensch ist Begriff von etwas, das Leib hat, Es liegt am naturalistischen Zug unserer Zeit, daß (sie) diesem
und der Leib ist ein physisches Ding, ein räumlich-zeitlich Reales. Apriori, wie ja dem Apriori überhaupt, nicht gerecht werden will
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und daß die allgemeine Neigung besteht, alles Psychische wie ein durch Verständigung sind. Diese Einheiten haben aber charakteri­
Physisches höherer Schicht zu behandeln und somit seinem Wesen zu stisch verschiedene Typen und. Formen, ich erinnere an Freundschaft,
entfremden. Familie, Verein, Staat, Volk u.dgl.
Zu der geistigen Sphäre, die uns im Aposteriori als Beseelung von Menschliche Gemeinschaft ist begrenzt durch diese sozusagen
5 physischen Dingen, von Leibern, entgegentritt, gehört, sagten wir, 5 objektiven Geistesmächte: geregelte Sprache, Sitte, Regelungen des
das, was wir „Bewußtsein“ nennen, das, worin das Leben des Geistes Rechts, (der) Kirche usf. Sie machen Formen des Gemeinschafts­
als Geist besteht - eine Einheit des Bewußtseinsflusses, in die sich alles lebens aus, und andererseits sind sie etwas objektiv den Individuen der
besondere Erleben einordnet, ohne aus dieser Einheit loslösbar zu Gemeinschaft Gegenüberstehendes, Gegenständlichkeiten, die sich
sein. Und in dieser Sphäre treten die merkwürdigen Unterschiede für sich betrachten und zu Forschungsobjekten machen lassen.
10 zwischen Akt und demjenigen, was (in) ihm bewußt ist, auf, ja, ge­ 10 Es kommen weiter in Betracht alle sonstigen intersubjektiven
nauer besehen: die Unterschiede zwischen Akt als Bewußtsein, Geistesobjektitäten, die wir mit den besprochenen unter dem Titel
Bewußtseinsbedeutung und bewußter Gegenständlichkeit als solcher. Kultur, „Schöpfungen“ des Geisteslebens - der Menschheit, nicht
In der aposteriorischen Wissenschaft vom Geist, die diesen Geist und des einzelnen Menschen - zu bezeichnen pflegen; so die Literatur,
somit auch den ihm zugehörigen aktuellen Bewußtseinsfluß als an den näher die griechische, deutsche, französische Literatur usw., unter-
15 Leib Gebundenes und psychophysisch vom Leib Abhängiges ansieht, 15 schieden nach den verschiedenen Zeitaltern und unterschieden nach
ihm somit indirekt Dasein in der objektiven Zeit und selbst im Raum ihrem sachlichen Gehalt als schöne Literatur, wissenschaftliche
verleiht, kommt Bewußtsein eben nur als Daseiendes zur Er­ Literatur, technische usw.; ferner die Gestaltungen der Kunst, der
forschung, nach seinem räumlich-zeitlichen Kommen und Gehen, wissenschaftlichen oder vorwissenschaftlichen Technik usw. Alle
nach seinen Daseinsregelmäßigkeiten und evtl. Gesetzen. Insbe- diese Gestaltungen sind offenbar nicht unabhängig von den Einzel-
20 sondere sind die funktionellen Abhängigkeiten vom Leib und den 20 menschen und ihren Geistern. An ihrer Entwicklung sind die Einzel­
leiblichen Vorkommnissen ein großes Feld der Forschung, das der geister beteiligt und in sie treten in erheblichem Ausmaß bewußte
Psychophysik im engeren Sinn. Insoweit aber Bewußtsein und gei­ Schöpfungen der einzelnen ein. So ist die Literatur oder Kunst ein
stiges Subjekt das Objekt apriorischer Untersuchung sein kann, hätten sich entwickelnder Strom von Schöpfungen der einzelnen. Jede dieser
wir eine scharfe Scheidung zwischen empirischer Psychologie einer- Schöpfungen - oder vielmehr: (jedes dieser) Geschöpfe - ist aber
25 seits und der apriorischen Geistes- und Bewußtseinswissenschaft auf 25 nicht ein Sein für sich, und sie haben vor allem nicht physisches Sein;
der anderen (Seite). Offenbar hätte die letztere, prinzipiell betrachtet, vielmehr sind sie geistige Einheiten merkwürdiger Art, die eine
eine analoge Stellung zur ersteren wie die apriorische Wesens­ eigene Weise intersubjektiven Daseins führen. Und doch ist es wieder
wissenschaft von der Natur zu jeder empirischen Naturwissenschaft. ein Dasein, daß seine Beziehung zu den einzelnen Geistern im Zu­
sammenhang der gesellschaftlichen Einheit fortdauernd behält, auf
(§ 64. Die Ontologie des Gemeingeistes als apriorische 30 die Naturschöpfungen der übrigen Geister seine Einflüsse (aus)übt
30 Wesensanalyse des gemeingeistigen Lebens und seiner und evtl, weitere Einflüsse (aus)übt auf die gesamten Fortge­
objektiven Korrelate) staltungen des einheitlichen Lebens der Gemeinschaften und ihrer
sich fortentwickelnden objektiven Formen.
Der einzelne Geist ist Glied einer Geisterwelt. Wir werden All das ist ein ungeheures Feld empirischer Forschung, das Feld
aufmerksam darauf, daß die Wirklichkeit nicht eine bloße Einheit 35 der sogenannten Geisteswissenschaften, die nicht den einzelnen
der Natur ist, in welcher vereinzelt Leiber auftreten, als Träger von Menschen und sein Seelenleben betrachten in dem Zusammenhang
35 Seelen. Die Tiere und Menschen als volle leiblich-geistige Einheiten mit seinem Leib und der Natur, sondern den Menschen hineinstellen
treten in Wechselverkehr, bilden Gesellschaften, und „Gesellschaft“ in den großen Zusammenhang des Gemeinschaftslebens und alle seine
ist ein Titel für vielerlei andere und höhere Einheiten, die Einheiten Gedanken, seine Wertungen und Werke in den Zusammenhängen des
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gemeinschaftlichen Geisteslebens betrachten, und zwar unter dem Ge­ (es) sei das notwendige Erkenntnisfundament aller echten Sozial­
sichtspunkt des gemeinschaftlichen Denkens, Wertens, Schaffens mit wissenschaft, von den Soziologen zweifellos für Mystik oder Scho­
all seinen eigentümlichen objektiven Korrelaten. Man sieht dabei, daß lastik erklärt werden würde.
so wie der Leib Glied der physischen Natur ist, der Geist Glied ist in Wir haben bisher in Erwägung gezogen: die Wissenschaftsgruppen
5 der Einheit des Gemeingeistes als einer geistigen Einheit höherer 5 der Natur, des Menschengeistes (hinsichtlich seiner Charaktereigen­
Stufe. schaften, seines Aktlebens und seiner Beziehung auf die Natur) und
Zum Einzelmenschen und Einzelgeist gehörte eine apriorische Idee, endlich des menschlichen und tierischen Gemeingeistes - also (die)
die eine ganze Fülle apriorischer Ideen impliziert, nämlich mit Bezug Naturwissenschaften, die Psychophysik und die sogenannten Geistes­
auf all die mannigfaltigen Bewußtseinsformen und (die) Formen ihrer wissenschaften, darunter sowohl die historischen Wissenschaften wie
10 Verflechtungen, bzw. (die) Formen ihrer Korrelate, sowie mit Bezug 10 die allgemeinen Gesellschafts- und Kulturwissenschaften.
auf die reinen Ideen von Ich, Personalität, Charaktereigenschaften In allen diesen Wissenschaften handelt es sich um Daseinswahr­
etc. Erfahrungsmäßig ist der Einzelgeist nie isoliert da; die Einzelbe­ heiten. Scheinbar überschreiten wir diese Sphäre nicht, wenn wir
trachtung abstrahiert von den gesellschaftlichen Zusammenhängen jetzt unseren Blick auf Wertewahrheiten im weitesten Sinn richten.
und den Beziehungen auf die gesellschaftlichen Objektivitäten. Aber Das Werten ist ein Akt des individuellen Bewußtseins und spielt
15 diese Abstraktion ist nur eine empirische. A priori können wir wohl 15 seine bekannte große Rolle im Gemeinschaftsbewußtsein, z.B. in der
nicht sagen, daß ein Subjekt undenkbar ist ohne Beziehung zu Rede von Gütern im nationalökonomischen Sinn. Dinge oder Lei­
anderen Subjekten. Denken wir uns es aber, wie es erfahrungsmäßig stungen, die in einer Gemeinschaft faktisch und in der Regel gewertet
wirklich ist, eingeflochten in den gesellschaftlichen Zusammenhang zu werden pflegen, unter wiederkehrenden Umständen in der Regel
und als Mitträger des gesellschaftlichen Bewußtseins und seiner begehrt und erstrebt werden, haben einen Wert, und sofern - fak-
20 Kulturkorrelate, so erkennen wir, daß hier neue Ideen erwachsen, 20 tisch und in empirischem Umfang übereinstimmend - solche Werte
zuoberst die Idee des Gemeingeistes mit allen zugehörigen Ideen. gegeneinander ausgetauscht und aneinander gemessen werden,
Auch hier eröffnet sich ein Feld apriorischer Erwägungen, eine Onto­ spricht man von Marktwerten u.dgl.
logie des Gemeingeistes, eine apriorische Wesenslehre, die allen em­ Mit all dem überschreiten wir nicht den Rahmen der besprochenen
pirischen Geisteswissenschaften ähnlich vorhergeht wie das Apriori empirischen Wissenschaften, ebensowenig als wir es tun, wenn wir
25 der Natur den Naturwissenschaften. Diese Wesenslehre baut sich als 25 von den urteilsmäßigen Vermeintheiten der intellektiven Sphäre, sa­
höheres Stockwerk über der Wesenslehre des individuellen Geistes gen wir etwa der Natursphäre, sprechen, die in einem Volk oder Zeit­
auf, ist also nicht von ihr unabhängig - so wie ja der Gemeingeist eine alter faktische Geltung hatten; also, wenn wir z.B. die Kosmologie der
Objektivität höherer Ordnung ist, fundiert in den Objektitäten, die alten Ionier beschreiben oder die Mythologie der Indier u.dgl.
wir Einzelgeister nennen. Ganz anders steht es, wenn wir Urteile (als vermeinte Wahr-
30 In all diesen Beziehungen sind wir noch in den ersten Anfängen 30 heiten), vermeinte Werte und Tätigkeiten der Menschen und der
und Ahnungen. Die Ontologien entbehren noch der Ausbildung Menschheit in verschiedenen ihrer historischen Perioden beurteilen
Nur in der Natursphäre verfügen wir über voll (aus)gebildete Onto­ und wenn wir nach Recht oder Unrecht, nach Gültigkeit und
logien: hinsichtlich des Raumes, der Zeit, der Bewegung. Aber selbst Ungültigkeit vom Standpunkt der Vernunft (aus) fragen.
die reine Naturwissenschaft ist noch ganz unzureichend begrenzt und In vernunftmäßiger Einsicht urteilend, bemessen wir in der
35 ausgebildet. Nun erst recht die Wesenslehren des Einzelgeistes und 35 empirisch-intellektiven Sphäre des menschlichen Gemeinschaftsle­
(des) Gemeingeistes! So fern liegt insbesondere den Soziologen und bens den Bestand an objektiv Geltendem, das die Menschheit in ver­
Historikern der Gedanke einer apriorischen Wesensanalyse des ge schiedenen Stufen ihrer Entwicklung erfaßt und verwertet hat. Und
meingeistigen Lebens und seiner objektiven Korrelate, daß wohl mit Bezug darauf gewinnt der Begriff der Entwicklung zunächst als
schon die Behauptung, es könne dergleichen überhaupt geben und intellektueller Entwicklung einen bestimmten Sinn. Wir (be)trcibcn so
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Wissenschaftsgeschichte, und zwar nicht bloß in dem Sinn, daß wir dierte Akte sind, d.h. notwendig liegen ihnen zugrunde andere Akte
den Gang der theoretischen Überzeugungen der Menschen be­ und zuletzt Daseinserfahrungen, Dasein vorstellig machende (Akte),
schreiben und durch Eindringen in ihn die bestimmenden kommuni­ und zwar entweder unmodifiziertc oder modifizierte. Was das sagt,
kativen Motivierungen verstehen, sondern in dem noetischen Sinn, verstehen Sie sogleich anhand der korrelativen Wertgegenständlich-
5 daß wir über die Entwicklung wissenschaftlicher Wahrheiten, wissen­ 5 keiten. Im Werten steht etwas als Wert da, oder es steht ein Wert da.
schaftlich gültiger Theorien usw. forschen, wobei wir vermeinte Gel­ Ein Wert ist z.B. ein Werk der bildenden Kunst; dieses steht zu­
tung an einsichtig erfaßter Gültigkeit, der objektiven Wahrheit, nächst als ein Ding da, als das Bild, das an der Wand hängt, ein
messen.1 Ding mit Rahmen und Leinwand usw. Aber im Sehen des Bildes sind
wir nicht dem an der Wand Hängenden zugewendet, es erscheint uns
(§ 65. Formale und materiale Axiologie und Praktik) 10 im sinnlichen Bildbewußtsein das gemalte oder gezeichnete Objekt,
im letzteren Fall etwa eine kleine mit grauen Strichen umrissene
10 (a) Schlichte Wertnehmungen als fundierte Akte. Figur. Diese ist nicht das Abgebildete, vielmehr stellt sich uns durch
Schönheitswerte und Gut werte) dieses Bildobjekt ein Bildsujet dar, etwa eine übermenschliche Hel­
dengestalt. Wir haben hier also verschiedene sinnliche Er-
Wir haben uns bisher in der Domäne des außerwertlichen Daseins 15 scheinungen, und auf diese können wir erfahrend gerichtet sein,
oder, vom Standpunkt des Bewußtseins (aus), in der des Erfahrens ebenso wie die Richtung auf das Sujet ein erfahrendes Bewußtsein
und Erfahrensdenkens gehalten. Der Mensch erfahrt aber nicht bloß, ist, evtl, ein modifiziertes, nämlich wenn das Dargestellte nicht für
15 er vollzieht auch andere Akte, andere Stellungnahmen. Leben ist auch wirklich genommen wird. Mit all dem ist aber noch von Werten
Werten: als schön und häßlich, als gut und schlecht Werten. Das keine Rede. Auf dem erfahrenden Bildlichkeitsbewußtsein baut sich
Werten kann ausdrücklich oder unausdrücklich, also mit Denken 20 aber das Werten (auf); und in ihm steht ein Wertseiendes da. Wert-
verbunden oder nicht verbunden sein. Im Werten steht aber etwas als träger ist das im bloßen Bildlichkeitsbewußtsein Bewußte, nicht das
ein Wert da, als Schönes oder Häßliches, als Gutes und Schlechtes, Objekt schlechthin, das da abgebildet ist und das, wenn es ist, eine
20 nämlich wofern der schauende Blick durch das Werten hindurch auf bloße Natur ist, ein bloßes Dasein. Es ist ja nicht so, als wäre es für
das Werte als solches gerichtet ist. Wir sprechen normalerweise von das ästhetische Werten gleichgültig, wie sich das Objekt darstellt und
Wahrnehmung und Erfahrung nur da, wo uns ein räumlich-zeitliches 25 ob es gerade durch dieses Bild dargestellt ist oder nicht. Vielmehr
Dasein unmittelbar bewußt, in der Wahrnehmung speziell als un­ kommt es gerade darauf wesentlich an. Und was nun immer an mit­
mittelbar selbstgegeben bewußt ist. Wir haben hier einen genau pa erregten und mitzugehörigen Auffassungen noch sein mag, die das
25 rallelen, originär gebenden Akt, den wir als Wertnehmung etwa bildlich Erscheinende als solches allererst zum ästhetischen Objekt
bezeichnen könnten, den Akt der unmittelbaren Wertgegebenheil machen, soviel ist sicher, daß das ästhetische Objekt das abgebildete
(Und allgemeiner könnten wir, parallel mit Erfahrung im gewöhn 30 Objekt ist, sofern es bildlich so dargestellt und so noch weiter
liehen Sinn, der Daseinserfahrung, von Werterfahrung sprechen.) aufgefaßt ist. Also, es ist das ästhetische Objekt in gewisser und in
Auch hier kann die unmittelbare Wertnehmung und Wertsetzung eine der Regel recht komplexer Weise fundiert, so wie korrelativ das
30 mehr oder minder klare oder dunkle, eine deutliche oder verworrene ästhetische Werten ein fundiertes Bewußtsein ist, das anderes Be­
sein, und wie bei schlichter Erfahrung sollen auch hier die schlicht wußtsein und darunter letztlich erfahrendes Bewußtsein - oder
unmittelbaren Wertsetzungen ohne jede Beimischung von Denken 35 quasi-erfahrendes als Unterlage hat.
genommen sein. Ebenso ist es, wenn wir eine Landschaft als schön werten. Das tun
Wir beobachten, daß diese schlichten Wertnehmungen immer fun wir natürlich wieder um ihrer Erscheinungsweise willen, als diejenige,
die sich bei dieser Beleuchtung, von diesem Standpunkt aus gerade
Vgl. Beilage XVIII: Dax Vernunftproblem (S. 374) Anin. der Hrsg. so darstellt, wobei wieder mancherlei Stimmungen, mehr oder min-

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