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Philosophie Der Mythologie PDF
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Friedrich Wilhelm Joseph Schelling
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I Staatsbibliothek 1
l München 1
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe
und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung
einzelner Textabschnine, Zeichnungen oder Bilder durch alle Verfahren wie Speicherung
und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien,
soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten.
ISBN 3-7705-3103-5
© 1996 Wilhelm Fink Verlag, München
Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH, Paderborn
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Zur ,Doppeledition'
Nur überbieten wollen sie,
Der Eitelkeit zu Dank;
Biegt Hegel erst ein Paroli,
Spielt Schelling sein Va banque.
Franz Grülparzer (1843)
horizonte stets aufs Neue in den Blick kommen sollten. Dabei finden wir
die beiden Schlußakkorde der klassischen deutschen Philosophie kei-
neswegs in Harmonie, am Abschluß steht vielmehr ein .Kontrapunkt'. In
den Altersvorlesungen der Freunde aus Tübinger Stifts- und Jenaer Uni-
versitätszeit werden die sich vorher schon entfaltenden Dissonanzen zwi-
schen ihren Philosophien noch deutlicher hörbar, zwischen dieser und
jener .Note' scheinen sich Abgründe aufzutun. Nicht zuletzt deswegen
wäre man mit dem komparatistischen Anliegen unmittelbar innerhalb
heutiger Debatten in der Philosophie (Philosophie der Subjektivität,
Metaphysik, absolutes und unvordenkliches Sein, Glauben und Wissen,
Philosophie als System, Philosophie der Freiheit etc.).
Um diesem Ziel des Vergleichens näher zu kommen, versteht sich die
se Edition als erster Teil einer .Doppeledition'; im nächsten Jahr soll eine
bisher unbekannte Nachschrift von Hegels Philosophie der Geschichte von
1830/31 (Mitschreiber Heimann) vorgestellt werden, die insofern inter-
essant ist, als sie von Eduard Gans zur Erstausgabe von Hegels
phie der Geschichte verwendet wurde (1837).'' Es ist anzunehmen, daß
Schelling diese Ausgabe von Gans vor seinem Auftritt in Berlin gekannt
hat. In den Nachschriften der Vorlesungen Schellings finden sich auch
direkte kritische Bezugnahmen auf Hegels Philosophie der Geschichte.
Es wäre weiter zu prüfen, inwiefern Schelling, der Hegels geschichts-
philosophische Grundideen aus der Rechtsphilosophie und aus der
klopädie kannte, durch die Kenntnis der Ausgabe von Gans (für welche
die Nachschrift Heimann eine wesentliche Grundlage bildete), möglicher-
weise zu noch schärferer Auseinandersetzung motiviert wurde. - „Ehe es
eine Philosophie der Mythologie gibt, Philosophie der Geschichte nur
dem Namen nach existirt". Unabdingbar sei, so Schelling, eine Philoso-
phie der Mythologie, ,ohne welche Philosophie der Geschichte weder
ihren Begriff rechtfertigen, noch den wahren Anfang der Geschichte fin-
den kann'. In der Mitschrift von 1842 wird die Philosophie der Mythologie
ausdrücklich zum .ersten Theil der Philosophie der Geschichte' erho-
ben.5 Seine Berliner Vorlesungen über die Philosophie der Mythologie
und der Offenbarung waren Schellings ausdrücklicher Versuch, .Hegels
Konzeption der Weltgeschichte in eins mit ihren politischen Implikationen
zu widerlegen'.' Andererseits liegt eine vorgängige, indirekte Kritik von
Hegel an Schellings Mythologiekonzept vor: Die 1831 in den „Jahrbüchern
für wissenschaftliche Kritik" erschienene Rezension Hegels von Görres'
„ Über Grundlage, Gliederung und Zeitenfolge der Weltgeschichte"'.' Der in-
direkte Bezug zu Schelling besteht darin, daß Görres ,den verlorenen Zu-
sammenhang zwischen den ältesten mythologischen Urkunden und der
christlichen Offenbarung wiederherstellen will.'8
Beim Vorliegen beider Editionen könnten Ansätze, Methoden, Lö-
sungsvarianten beider Denker (nicht nur bezüglich der Geschichtsphilo-
sophie) neu auf den Prüfstand kommen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung 9
1.1 Vorbemerkungen zum ersten Band 9
12 Editorische Grundsätze 13
13 Herkunft der Handschriften und Bemerkungen
zu den Mit- bzw. Nachschreibern 15
13.1 Handschrift „Philosophie der Mythologie vorgetragen
von Schelling im Sommersemester 1836/37",
Anton Eberz, Bayerische Staatsbibliothek München 15
132 Handschrift „Philosophie der Mythologie
vorgetragen v. Jos. v. Schelling. Sommersemester 1836/37"
(Nationalbibliothek Athen) 15
133 Handschrift „Philosophie der Mythologie von Dr. Schelling".
Vorlesungsmitschrift von Andreas von Chotwas
(Berlin 1842), Nationalbibliothek Budapest 18
1.4 Schellings Vorlesungen zur Philosophie der Mythologie 19
Dokumente 26
Anmerkungen 31
Personenregister 205
1 Einleitung
„Ueberhaupt ist Ironie (in jeder Bedeutung) der Grundzug sei-
ner Erscheinung, und seine Worte: er wolle die Einseitigkeiten
des hegelschen Systems korrigieren, nehmen sich gesprochen
ganz anders als geschrieben aus. Ich würde jetzt gar nicht er-
staunen, wenn Schelling plötzlich sagen würde, er habe die
Berliner mit seiner Offenbarungsphilosophie nur zum Besten
gehabt; ich würde es eben so für Ironie nehmen wie seine Wor-
te in der ersten Rede: er halte sich von der Vorsehung erwählt,
der deutschen Philosophie eine neue Richtung zu geben. Denn
was Ernst, was Schein ist, läßt sich in seinem Sprechen durch-
aus nicht unterscheiden".
Über Schelling Franz Thomas Bratranek (1843)'
eigentlich - werden wir einsehen, was die Mythologie eigentlich sei; kann
die Mythologie gehörig verstehen werden - kann die Mythologie gehörig
verstanden werden etc.). Stillschweigend sind ebenfalls Personennamen
(z. B. Herman - Hermann; Houme - Hume, Kreutzer - Creuzer), griechi-
sche Wörter und Begriffe sowie lateinische Zitate richtiggestellt, gleiches
gilt für eindeutige Verschreibungen und offensichtliche Hörfehler (z. B.
Höllersee - Hellsehen).
Eindeutige Abkürzungen, welche in großer Anzahl enthalten sind,
werden (bis auf wenige Ausnahmen wie „z. B.") ohne textkritische Hin-
weise ausgeschrieben (z. B. Mythol..- Mythologie, d'ch - durch, n - nicht,
v - von, ü - und, Offenb. - Offenbarung, Polyt. bzw. Polyth. - Polytheismus,
G. - Gott), in Zweifelsfällen erfolgt eine Apparatnotiz.
In gewissem Umfange sind an manchen Stellen unbedingt erforderli-
che Konjekturen vorgenommen, gekennzeichnet durch eckige Klammern
(z. B. „Die Mythologie wäre dann nicht nur ein natürliches, sondern eine
organisches [Erzeugnis] gewesen." - „Durch Sprache sind [Völker] in-
nerlich getrennt," - „Jetzt hat man versucht, [für den Namen] jener Stadt
[eine] andere Ableitung [zu] finden." - „so haben Griechen [als] erste
die Namen und [die] Natur [der] Götter erkannt," -„In der Zeit vor [den]
Völkern"). Diese Einfügungen orientieren sich in einigen Fällen am Text
der Sämmtlichen Werke.
Mißverständnisse, die nicht durch vorsichtige Konjekturen zu behe-
ben sind, bleiben erhalten.
Ein Hauptproblem betrifft die im Text vorhandenen Wortfolgen, wel-
che trotz eventueller Konjekturen keine geschlossenen Sätze ergeben.
Hier erfolgt zumeist die Streichung und in einigen Fällen, in welchen eine
Wiedergabe inhaltlich noch sinnvoll erscheint, die Anführung der Worte
im Apparat.
ve" von L. Polites wird der Name „Jos. v. Schilling" statt des richtigen
„Jos. v. Schelling" angegeben.30
Für das Sommersemester 1837 an der Universität München hatte Fried-
rich Wilhelm Joseph Schelling eine seiner Vorlesungen mit dem Titel „1)
die historisch-kritische Einleitung 2) philosophische Einleitung, 3) den
ersten Teil der Philosophie der Mythologie" angekündigt.31
Der Inhalt der Handschrift entspricht in großen Zügen dem Gehalt
von vier Vorlesungen Schellings, welche in der Ausgabe von K. F. A.
Schelling in der „Einleitung in die Philosophie der Mythologie. ErstesBuch.
historisch-kritische Einleitung in die Philosophie der Mythologie" abge-
druckt wurden, der Text reicht bis zur fünften Vorlesung, die vierte Vor-
lesung fehlt.
Einige Charakteristika des Textes der Handschrift - kaum orthogra-
phische oder grammatikalische Fehler, so gut wie keine Abkürzungen -
könnten die Annahme stützen, daß es sich nicht um eine unmittelbare
Mitschrift der Vorlesung von Schelling handelt, sondern um eine bear-
beitete Fassung einer Kollegmitschrift oder gar eine Abschrift eines Ma-
nuskriptes von Schelling. Weder die Handschrift noch der Katalog von J.
und A. Sakkelion geben Auskunft über den Verfasser bzw. darüber, wie
das Dokument in die Nationalbibliothek Griechenlands kam. Da die
Handschiften EBE TXO 1786 und EBE TXO 1788 ein Geschenk von
Pantazes Rysios an die Bibliothek sind, vermutete Polites, daß auch die
Handschrift EBE TXO 1787 von Rysios stammt, allerdings ohne belegen
zu können, daß Rysios der Verfasser war oder eben nur ein späterer Be-
sitzer der Nachschrift, welche er dann der Nationalbibliothek überlassen
hat.32
In den Matrikeln der Universität München aus dem akademischen Jahr
1835-1836 ist Pantazes Rysios aus Ägina als Student der Philologie ver-
zeichnet, während er in den Matrikeln des hier interessierenden akade-
mischen Jahres 1836/37 nicht mehr aufgeführt ist.33 Es ist jedoch nicht
auszuschließen, daß er Vorlesungen Schellings als Gasthörer besuchte.
Auch andere seiner Handschriften, die er später der Nationalbibliothek
übergab, belegen sein philologisches und philosophisches Interesse. Aber
ein Vergleich mit der Handschrift EBE TXO 1791, welche laut Polites von
Rysios selbst geschrieben wurde, verweist auf einen anderen Verfasser
der Nachschrift. Außerdem sind einige Worte aus dem Griechischen (be-
sonders aus Hesiods Theogonie) in der Nachschrift teilweise mit lateini-
schen Buchstaben geschrieben oder enthalten Fehler in der altgriechi-
schen Schreibweise. Diese Fehler sind bei einem Studenten der Philolo-
gie wohl kaum zu vermuten.
Es ist schwer zu ermitteln, ob der Verfasser der Nachschrift ein grie-
chischer Student Schellings war und wer dieser gewesen ist. In den drei-
EINLEITUNG 17
Ende der Handschrift (Rückseite des Blattes 143) steht: „Konec, dne 27
cervence 1842" (Ende 27. Juli 1842)
Auf dem Titelblatt ist das Jahr 1842 genannt. Die Blattgröße beträgt
26 x 19 cm, beide Seiten der Blätter sind beschrieben.
„Tief ist der Brunnen der Vergangenheit. Sollte man ihn nicht unergründ-
lich nennen?" 46 Unergründlich erscheint auch der Anfang des Logos.
Scheinbar ist er nicht greifbar und verweist so auf eine unergründliche
Vergangenheit, woraus der Logos geboren werde. Der alte Schelling zieht
aus dieser Einsicht die ausdrückliche Konsequenz, daß eine Philosophie
der Mythologie zu den elementaren Themen der Philosophie zu gehören
hat. Die von vielen Interpreten Schellings als Bruch empfundene „Rück-
wendung zum Mythos"47 ist die Wiederaufnahme eines alten Schelling-
schen Themas, eine substantiell neue Variation der Behandlung des My-
thologischen. Die Beschäftigung mit der Mythologie durchzieht Schellings
gesamtes Schaffen, wobei sich zwischen der Magisterarbeit und den spä-
ten Vorlesungen über die Philosophie der Mythologie durchaus Verän-
derungen im Mythologieverständnis vollziehen. Christoph Jamme hat
versucht, die entsprechenden, verschiedenen Stufen der Schellingschen
Sicht nachzuzeichnen.48 Zwar reicht der Vorlesungszyklus „Philosophie
der Mythologie" nur bis in Schellings Erlanger Zeit (1821-1827) zurück,
jedoch begegnet uns das Thema Mythologie bei ihm schon früh. Schon
die Dissertation des siebzehnjährigen Tübinger Studenten „Antiquissimi
de prima malorum humanorum origine philosophematis Genes III. explicandi
tentamen criticum et philosophicum" dokumentiert sein diesbezügliches
Interesse.49 In bezug auf die vorliegenden Nachschriften wäre zu bemer-
ken, daß Schelling in diesem frühen Zeugnis Auffassungen von Christian
Gottlob Heyne vertritt, welche er später in den Vorlesungen über die
Philosophie der Mythologie kritisiert, unter anderem die These vom My-
thos als kindheitlicher Denkform der Menschheit.50 Es wurde von der
Forschung auch immer wieder darauf verwiesen, in welchem Umfang der
junge Schelling die betreffenden Theorien seiner Zeit zur Kenntnis ge-
nommen hatte.51 Weitergeführt wird diese Beschäftigung mit der Arbeit
„Ueber Mythen, historische Sagen und Philosopheme der ältesten Welt", die
1793 in der von Paulus herausgegebenen Zeitschrift „Memorabilien" er-
schien.52 Der Zusammenhang von Mythologie und Sprache, der in den
Vorlesungen des alten Schelling über Mythologie ein zentrales Thema sein
wird, reicht ebenfalls in die Tübinger Studentenzeit zurück. So findet sich
20 EINLEITUNG
im Nachlaß Schellings ein Dokument von 1790, das den Titel trägt „Die
Ursprache des Menschengeschlechts"." Weitere Zeugnisse der Beschäfti-
gung und Auseinandersetzung mit der Mythologie sind die umstrittene,
mögliche Teilhabe an der Erarbeitung des sogenannten „Ältesten System-
programms des deutschen Idealismus"**', aber vor allem das „System des
transzendentalen Idealismus", in welchem die Mythologie als das .Mittelglied
der Rückkehr der Wissenschaft zu Poesie' verstanden wird und die zu-
erst 1802 in Jena gehaltene und von Schellings Sohn aus dem Nachlaß
herausgegebene Vorlesung „Philosophie der Kunst"?5 Hinsichtlich des
Mythologieverständnisses bei Hegel und Schelling sieht Jamme in der
Jenaer Zeit (um 1803/04) einen interessanten Optionswechsel bei beiden
Denkern: Während der junge Hegel mit Herders Mythologieauffassung
sympathisierte, vertrat Schelling einen aufklärerischen Mythos-Begriff.56
Jetzt aber behauptet Hegel ,die Historizität der Mythologie, während
Schelling nunmehr auf eine zukünftige ,neue Mythologie' hofft.'57 Hin-
sichtlich der „Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der mensch-
lichen Freiheit", der Weltalter-Entwürfe sowie der kleinen Schrift „ Ueber
die Gottheiten von Samothrake" finden sich in der Literatur verschiedene
Interpretationsvarianten. Während ein Teil der Forscher hier den wohl
gravierendsten Einschnitt in der Schellingschen Auffassung über die My-
thologie sieht und eine neue Verbindung von Philosophie und Religion
wie auch von Mythologie und Offenbarung konstatiert58 (ein kleines In-
diz hierfür bildet der Beginn der vorliegenden Mitschrift von 1842, wo die
erstmalige Verwendung des Titels .Philosophie der Mythologie' auf den
genannten Zeitraum nach 1810 festgelegt wird), wird von anderen Inter-
preten auf eine größere Kontinuität in Schellings Mythologie- und Reli-
gionsverständnis hingewiesen.59
Der kurze Text,, Ueber die Gottheiten von Samothrake" bildet zugleich
den Abschluß von Schellings publizistischer Tätigkeit. Außerdem Vor-
wort zu den Schriften von Victor Cousin und den nachgelassenen Schrif-
ten von Henrik Steffens wurde von Schelling selbst so gut wie nichts mehr
herausgegeben. Über den Grund dieses publizistischen Schweigens wird
man streiten können, jedoch wäre es zu einfach, wollte man dieses Schwei-
gen als Eingeständnis des Scheiterns seiner Philosophie verstehen.
der überarbeitet hat, mag auch der Grund dafür sein, daß er die ge-
plante Veröffentlichung der „Philosophie der Mythologie" immer wieder
aufschob. Schon 1830 war eine Veröffendichung der „Philosophie der
Mythologie" geplant, ja schon waren einige Bogen gedruckt, die jedoch
von Schelling zurückgezogen wurden.65 Hier mögen didaktische Ge-
sichtspunkte eine Rolle spielen, jedoch wird auch Schellings grundsätz-
liche Einschätzung nicht unterzubewerten sein, daß eine Veröffentli-
chung „noch immer zu früh kommt".66
Die Münchner Vorlesung über Philosophie der Mythologie, von wel-
cher hier zwei Nachschriften zur Edition vorgelegt werden, begann am 4.
April 1837.67 Am 3. Juli 1837 mußte die Vorlesung wegen Krankheit aus-
fallen, hierzu wird in dieser Edition ein Dokument (I) von der Hand
Schellings abgedruckt.68 Der schlechte Gesundheitszustand Schellings
während dieses Semesters wird auch durch einen Brief von Dorfmüller
vom 31. Juli belegt.69
Auch die Berliner Vorlesungen über Philosophie der Mythologie ori-
entieren sich in ihrem historisch-kritischen Einleitungsteil an dem in Mün-
chen Erarbeiteten. Schelling hat in Berlin die Philosophie der Mythologie
erstmals im SS 1842 vorgetragen, der gesamte Zyklus Philosophie der
Mythologie wurde jedoch erst im SS 1845 und im WS 1845/46 gelesen. Im
SS 1843 kündigte Schelling Philosophie der Mythologie an, jedoch hat er
in diesem Semester nicht gelesen.70 Wie das Dokument IV belegt, begann
Schelling seine Vorlesung über Philosophie der Mythologie im SS 1842
am 2. Mai.71 Zusätzlich zur Vorlesung bot Schelling viermal im Semester
ein Privatissimum an, jeweils sonntags von 13.00 bis 14.00 Uhr. Über den
Vorlesungsbeginn vermerkte die „Allgemeine Zeitung" (Nr. 95 vom 28.5.
1842): „Eine neue Wissenschaft ziert diesmal den Lectionskatalog, die .Phi-
losophie der Mythologie'. Schelling ist ihr Urheber und hat sie nicht nur
angekündigt, sondern liest sie auch ungeachtet des übertünchten Ge-
krächzes hochmüthiger Schwätzer von Wissenschaft."72
Die hier publizierte Nachschrift der Schellingschen Vorlesung aus dem
SS 1842 bringt neues Licht in die Genese des Textes aus den Werken?1
Schelling behandelt in dieser Vorlesung die historisch-kritische Einlei-
tung in die Philosophie der Mythologie, geht dann über zur Darstellung
des Monotheismus. Ein wichtiger neuer Gesichtspunkt, der in der Nach-
schrift dokumentiert ist, besteht in der Darstellung der geschichtlichen
Genese der von Schelling so genannten „philosophischen Religion" zwi-
schen historisch-kritischer Einleitung und Monotheismusdarstellung.
Diese Entwicklung, die nach den Werken ihren Ort in der ersten Vorlesung
der „Philosophischen Einleitung in die Philosophie der Mythologie oder
Darstellung der reinrationalen Philosophie" gefunden hat, wird hier in der
historisch-kritischen Einleitung verhandelt. Der in den Werken edierte
EINLEITUNG 23
Text beschäftigt sich mit der Frage nach der philosophischen Religion
am Ende der historisch-kritischen Einleitung (XI, 250 f.). In der Nach-
schrift Chotwas nimmt diese Darstellung einen wesendich größeren Raum
ein. Schelling legt hier dar, weshalb die Forderung nach einer philosophi-
schen Religion erst nach der philosophiegeschichtlichen Entwicklung bis
zum Idealismus entstehen konnte. Erst mit dem durch Kant inaugurierten
Kritizismus wurde das Denken auf sich selbst gestellt, so daß die Forde-
rung nach einer philosophischen Religion entstehen konnte. Freilich, diese
philosophische Religion existiert nicht, wie es der erste Satz der Darstel-
lung der reinrationalen Philosophie betont74, weil die Philosophie nicht
existiert, die dazu erforderlich wäre.
Zwar führt die historisch-kritische Einleitung nach Ausscheidung aller
Deutungsversuche der Mythologie, welche von unhaltbaren Vorausset-
zungen ausgehen, zu der Struktur von Bewußtsein überhaupt als der nicht
mehr zu hintergehenden Voraussetzung, jedoch bleibt dieses Bewußtsein
unbestimmt, da die Prinzipien nicht expliziert werden, welche die Struk-
tur des Bewußtseins ausmachen. Nach Schellings Nachlaßbestimmung
hat dies der philosophische Teil der Einleitung in die Philosophie der
Mythologie zu leisten. „Aber nicht die Absicht dieser Vorträge ist es, jetzt
die + Philosophie auszuführen, sondern zu den für die wirkliche Aufstel-
lung einer Phil. d. Myth. nöthigen Principien soll auf dem Wege gelangt
werden, daß ein zugestandener Begriff (hier der des Monoth.) angenom-
men und auf analyt. Wege dessen Voraussetzungen gefunden werden."75
Im Vortrag von 1842 ist diese rationale Philosophie, welche die Prin-
cipien zu explizieren hat, nicht als rationale Philosophie ausgeführt. Schel-
ling geht nach der historisch-kritischen Einleitung über zur Monotheis-
musdarstellung, die in der Handschrift deudich abgesetzt ist, als neuer
Abschnitt, der die Überschrift „I. Der Theogonische Proceß des Mono-
theismus" trägt. Ausgegangen wird hier von einem zugestandenen Begriff,
dem des Monotheismus. Dieser Begriff, der bloß faktisch aufgenommen
ist, Wird von Schelling einer Analyse unterzogen, welche im Gespräch mit
der 7eitgenössischen Philosophie und Theologie erfolgt. So setzt sich
Schelling hier unter anderem mit Schleiermachers Darlegung der Lehre
von den Eigenschaften Gottes in „Der christliche Glaube" auseinander.76
Gegenüber dem Text der Werke bringt die Mitschrift von 1842 jedoch
eine wesendiche Abweichung bezüglich der Prinzipienexplikation. Geht
die Prinzipiengrundlegung in dem Text der Werke von dem Sein-Können-
den als dem ersten Moment des Seienden aus77, so ist die Prinzipien-
grundlegung in der Mitschrift ganz anders aufgebaut. Den Ausgangspunkt
für die Frage nach den Prinzipien bildet hier das notwendig Existierende,
und von diesem wird gefragt, ob es auch das seiner Natur nach notwen-
dig Existierende sei.78 Die Fragestellung findet ihre Parallele in dem Text
24 EINLEITUNG
Zu den Anmerkungen
In den Anmerkungen werden für häufiger zitierte Werke folgende Ab-
kürzungen gebraucht:
F. W. J. Schelling. Sämmtüche Werke, hrsg. von K. F. A. Schelling, 14 Bde.,
Stuttgart/Augsburg: Cotta, 1856-61. - Die Hinweise auf Band- und Seiten-
zahlen dieser Ausgabe sind durch römische und arabische Zahlen abge-
kürzt (z. B. XI, 64)
F. W. J. Schelling, Historisch Kritische Ausgabe (Hrsg. H. M. Baumgartner,
W. G.Jacobs und H. Krings). Stuttgart-Bad Cannstatt 1976 ff. Im folgen-
den: AA
Schellings Werke. Nach der Originalausgabe in neuer Anordnung von
M. Schröter. München 1965. -Werke Schröter. Eine Konkordanz der 1.
Stuttgarter und der 2. Gesamtausgabe (Schröter) findet sich bei H. Zelt-
ner, Schelling-Forschung seit 1954, Darmstadt 1975,103-108.
Grundlegung
F. W. J. Schelling, Grundlegung der positiven Philosophie. Münchner Vor-
lesung WS 1832/33 und SS 1833, herausgegeben und kommentiert von
H. Fuhrmans, Torino 1972.
Plitt
Aus Schellings Leben. In Briefen. Bd. I-Lü, 1821-1854. Hrsg. von G. L. Plitt.
Leipzig 1870.
EINLEITUNG 25
Tilliette
X. Tilliette, Schelling im Spiegel seiner Zeitgenossen, Torino 1974-81.
Rariora
Schellingiana Rariora. Gesammelt und eingeleitet von L. Pareyson, Torino
1977.
Nachlaßverfügung
Schellings Verfügung über seinen literarischen Nachlaß, hrsg. von H. Fuhr-
mans, in: Kant-Studien 51 (1959/60)
Hermann, Mythologie
G. Hermann, Ueber das Wesen und die Behandlungder Mythologie. Ein Brief
an Herrn Hofrath Creuzer, Leipzig 1819.
Creuzer, Symbolik
F. Creuzer, Symbolik und Mythologie der alten Völker, besonders der Grie-
chen, T. 1-7,2. völlig umgearb. Ausg. Leipzig/Darmstadt 1819-23 (Bd. 5
und 6 hrsg. von F. J. Mone). Vgl. XI, 89 Anm. 1: „Bei der Ausarbeitung der
gegenwärtigen Vorträge ist die 2. Auflage benutzt." Allerdings verweist
Schelling in der gleichen Anmerkung auch auf die 3. Auflage.
TWA
G. W. F. Hegel, Theorie-Werkausgabe (Red. E. Moldenhauer und K. M.
Michel), Frankfurt a. M. 1969-70.
Jamme
Chr. Jamme, Einführung in die Philosophie des Mythos, Darmstadt 1991.
26 EINLEITUNG
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Anmerkungen
1
K. Düsing, Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik (1801-1802). Zu-
sammenfassende Vorlesungsnachschriften von I. P. V. Troxler, Köln 1988.
2
Beispiele für ähnlich gelagerte Editionen wären: L. Pareyson/M. Pagano (Hrsg.),
La philosophie de la mythologie de Schelling d'apres Charles Secretan (Munich
1835-36) et Henri-Frederic Amiel (Berlin 1845-46), Milano 1991; A. Roser/H.
Schulten, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Philosophie der Mythologie. (Mit
einer Einleitung von W. E. Ehrhardt), Stuttgart-Bad Cannstatt 1995.
3
Literatur zur Spätphilosophie Schellings sowie vergleichende Studien zum Ver-
hältnis Schelling-Hegel: E. A. Beach, Schelling's Philosophy of Mythology,
Albany, N. Y. 1991; K. Brinkmann, Schellings Hegel-Kritik, in: K. Hartmann
(Hrsg.), Die ontologische Option, Berlin 1976; Th. Buchheim, Eins von Al-
lem. Die Selbstbescheidung des Idealismus in Schellings Spätphilosophie,
Hamburg 1992; K. Düsing, Vernunfteinheit und unvordenkliches Dasein.
Konzeptionen der Überwindung negativer Theologie bei Schelling und Hegel,
in: Einheitskonzepte in der idealistischen und in der gegenwärtigen Philoso-
phie. Hrsg. von K. Gloy und D. Schmidig, Bern/Frankfurt a. M. 1987; ders.,
Spekulative Logik und positive Philosophie. Thesen zur Auseinandersetzung
des späten Schelling mit Hegel, in: D. Henrich (Hrsg.), Ist systematische Phi-
losophie möglich? Bonn 1977; W. E. Ehrhardt, Nur ein Schelling. In: Studi
Urbinati 51 (1977); ders., Die Wirklichkeit der Freiheit. In: J. Speck (Hrsg.),
Grundprobleme der großen Philosophen. Philosophie der Neuzeit IL Göttingen
1988; M. Frank, Der unendliche Mangel an Sein, Frankfurt a. M. 1975; R.-P.
Horstmann, Die Grenzen der Vernunft. Eine Untersuchung zu Zielen und
Motiven des Deutschen Idealismus, Frankfurt a. M. 1991; A. Franz, Philoso-
phische Religion. Eine Auseinandersetzung mit den Grundproblemen der
Spätphilosophie Schellings, Amsterdam 1992; Chr. Jamme, Einführung in die
Philosophie des Mythos, Darmstadt 1991; P. L. Oesterreich, Philosophie,
Mythos und Lebenswelt. Schellings universalhistorischer Weltalter-Idealismus
und die Idee eines neuen Mythos, Frankfurt a. M. 1984; L. Procesi Xella,
Ipotesi sulla mitologia nel tardo romanticismo tedesco: La Schellingiana intro-
duzione storico-critica alla filosofia della mitologia, in: Studi Storico Religiosi
6/1-2 (1982), 253-285; W. Schulz, Die Vollendung des deutschen Idealismus in
der Spätphilosophie Schellings, Pfullingen 1955; M. Theunissen, Die Aufhe-
bung des Idealismus in der Spätphilosophie Schellings, in: Philos. JB 83 (1976);
X. Tilliette, Schelling: Une philosophie en devenir, 2 Bde., Paris 1970, ders.,
La mythologie comprise. L'interpretation schellingienne du paganisme, Napoli
1984, 65-77; K.-H. Volkmann-Schluck, Mythos und Logos. Interpretationen
zu Schellings Philosophie der Mythologie, Berlin 1969; J. E. Wilson, Schellings
Mythologie. Zur Auslegung der Philosophie der Mythologie und der Offen-
barung Stuttgart-Bad Cannstatt 1993.
* Es handelt sich um die von Eduard Gans erwähnte und zur Herausgabe von
Hegels „Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte" (Erste Auflage
innerhalb der .Freundesvereinsausgabe' 1837) als Quelle verwendete Heimann-
Mitschrift. Diese wird im zweiten Band dieser hiermit begonnenen Doppeledition
vorgestellt (voraussichtlich 1995/1996). Zu den Mit- bzw. Nachschriften von
Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte vgl.: F. Hespe,
Hegels Vorlesungen zur .Philosophie der Weltgeschichte, in: Hegel-Studien,
Bd. 26. Bonn 1991,78-37.
5
In diesem Band, S. 98, 163.
32 EINLEITUNG
I ' Vgl. K. R. Meist, Mythologie und Geschichte, in: Hegel in Berlin. Preußische
Kulturpolitik und idealistische Ästhetik, hrsg. von O. Pöggeler, Wiesbaden 1981,
130.
7
TWA 11,487-513.
8
Vgl.Jamme,56-57.
' Brief von F. T. Bratranek an Unbekannt vom 2. 12. 1843, (Der Empfänger des
Briefes war wahrscheinlich an I. J. Hanus), I. J. Hanus-Nachlaß im Literaturarchiv
des P N P Prag.
10
„Er [sc. der Königl bedachte, - um mich seiner eigenen noch vor wenig Mona-
ten brieflich ausgesprochenen Worte zu bedienen - ,die Drachensaat des Hegel-
schen Pantheismus, der flachen Vielwisserei und der gesetzlichen Auflösung
häuslicher Zucht, deren Erndte in jene Tage fallen m u ß ' " . Aus Bunsens Beru-
fungsschreiben an Schelling, Hubel, August 1840, in: Plitt, III, 36.
" Brief von F. T. Bratranek an Unbekannt, a. a. O.
12
Brief von A. Hilgenfeld an seinen Vater vom 15. 11. 1842, Tilliette 440.
13
Vgl. dazu: Brief von J. Burckhardt an G. Kinkel vom 27. 2. 1842. Tilliette, 466;
Brief von S. Kierkegaard an P. Chr. Kierkegaard vom 27. 2. 1842. Tilliette, 4 5 1 -
452; Brief von J. G. Droysen an Th. Bergk vom 10.6. 1842. Tilliette, 467.
M
Vgl. Varnhagen von Ense, Tagebücher, Tilliette, 549 und 436-437.
15
Vgl. hierzu: Jamme, (bes. die Kapitel zu G. W. F. Hegel und zu Schellings
Spätphilosophie, wo die verschiedenen Interpretationslinien aufgezeigt werden);
weiterhin: Chr. Jamme, Gott an hat ein Gewand. Grenzen und Perspektiven
philosophischer Mythos-Theorie der Gegenwart. Frankfurt a. M. 1991.
16
Jamme, 17.
17
R. von Liliencron (1841), Tilliette, 448.
18
Brief von J. G. Droysen an Th. Bergk, a. a. O., 467.
19
Vgl. Anm. 2.
20
Brief von K. Marx an L. Feuerbach vom 3. 10. 1843, in: K. M a r x / F . Engels,
Werke, Bd. 27, Berlin 1963,420.
21
K. Rosenkranz, Geschichte der Kant'schen Philosophie. (Leipzig 1840), Berlin
1987,404,405.
22
Vgl. Varnhagen von Ense, Tagebücher. Tilliette 436, 437, 458-459.
25
Brief von L. Feuerbach an Chr. Kapp vom 9. 10. 1841, Tilliette, 438.
2
< K. Rosenkranz, Tagebuch 1842-1843. Tilliette, 438.
25
Einige ausländische Fundorte von Nach- bzw. Mitschriften Schellingscher Vor-
lesungen: Dornach bei Basel, Genf, Lausanne, London, Athen, Budapest.
26
In Vorbereitung: K. Vieweg, Schelling - Neue Dokumente zur Aufnahme seiner
Philosophie in Ungarn und Böhmen des 19. Jahrhunderts.
27
Signatur der Handschrift: Cod. ger. 7473 (Bayerische Staatsbibliothek München).
Das Deckblatt trägt ein Wasserzeichen. Auf dem Buchrücken steht: Philosophie
d. Mythologie v. Schelling.
28
Vgl.: Deutsches Biographisches Archiv. Stichwort: Eberz, Anton.
29
G. Apostolopoulou, Eine Schelling-Nachschrift in der Nationalbibliothek Grie-
chenlands (griech.), in: Dodone 19, 3. Ioannina 1990, 41-46 (Die einführenden
Bemerkungen zur Athener Nachschrift stützen sich wesentlich auf diesen Bei-
trag).
30
J. und A. Sakkelion, Katalog der Handschriften der Nationalbibliothek Grie-
chenlands (griech.). Athen 1892, 302; L. Polites, Katalog der Archive. Universi-
tätsvorlesungen Nr. 99 (griech.). (Eine Kopie dieses bisher noch nicht edierten
Kataloges befindet sich in der Handschriftenabteilung der Nationalbibliothek
Griechenlands).
EINLEITUNG 33
31
Vgl.: Verzeichnis der an der Königlichen Ludwig-Maximilians Universität zu
München im Sommersemester 1836/37 zu haltenden Vorlesungen. München 1836,
13.
32
Vgl. L. Polites, a. a. O.
33
Vgl. Verzeichnis des Lehrer-Personals und der sämmtlichen Studirenden an der
K. Ludwig-Maximilians Universität München in den beiden Semestern des
Studienjahres 1835/36, München 1836, S. 37.
M
Vgl. G. Apostolopoulou, Die griechischen Schüler Schellings. Eine Übersicht,
(griech.), in: Dodone, 20, 3. Ioannina 1991, 9-25.
35
Vgl. G. Apostolopoulou, Der Hegelianer Johannes Menagias. Einführung - Texte
- Testimonien (griech.), in: Dodone, Ergänzungsheft 38, Ioannina 1988,32.
36
Vgl. Lebenslauf von Johannes Menagias. In: G. Hermanno, De hippodromo
olympiaco dissertatio creation XX. philos. DD. at AA. LL. magg. die XIV m.
Februarii a. MDCCCXXXLX, Lipsiae 1839, S. 20. Weiterhin zu J. Menagias: G.
Apostolopoulou, Hegel-Studien in Griechenland, in: Hegel-Studien Bd. 21, Bonn
1986,191-192.
37
Die Promotionsschrift von Menagias wurde ediert in: G. Apostolopoulou, Der
Hegelianer Johannes Menagias, S. 22-23.
38
Vgl. Matrikel der Universität München aus den Jahren 1843-1841, in denen N.
Kotzias als Student der Juristischen Fakultät aufgeführt ist; N. Kotzias, Traktat
über das Universitätsstudium (griech.), Athen 1858, 190. Kotzias erwähnt, daß
er in München Jura, Ökonomie und Philosophie studiert hat. In seiner Schrift
„Schelling, d. h. einiges über sein Leben und seine Philosophie" (griech.) ver-
weist Kotzias darauf, daß er sieben Jahre an den Vorlesungen Schellings teilge-
nommen hat (44).
39
N. Kotzias, Schelling, a. a. O.
<0
N. Kotzias, Geschichte der Philosophie von der ältesten bis zu unserer Zeit
(griech.), Bd. 5, Athen 1878,368-396.
11
G. Apostolopoulou, Die griechischen Schüler Schellings, a. a. O., 22-23.
« Vgl. ebd.
43
Orszägos Szechenyi Könyvtar Budapest (Handschriftenabteilung).
44
Beschaffungsbuch der Handschriftenabteilung (vgl. vorher. Anm.) - „Chotväts,
Andräs egyetemi jegzetei es szemelyi iratai. 2 köt." (dt.: Andreas Chotväts'
Kolleghefte und persönliche Papiere).
« Vgl. ebd.
4i
Th. Mann, Joseph und seine Brüder, GW Bd. IV, 9.
47
So der Titel der Untersuchung von G. Dekker, Die Rückwendung zum Mythos,
München 1930.
m
Jamme, 26-73.
49
A A I . l . S . 59-100.
50
Vgl. Jamme, 35; vgl. dazu weiterhin: Ch. Hartlich/W. Sachs, Der Ursprung des
Mythosbegriffs in der modernen Bibelwissenschaft, Tübingen 1952, 56-58.
51
Siehe hierzu: W. G. Jacobs, Anhaltspunkte zur Vorgeschichte von Schellings
Philosophie, in: H.-M. Baumgartner (Hrsg.), Schelling. Einführung in seine
Philosophie, Freiburg 1975,27.
52
AA I, 1. S. 193-246. Schellings Artikel war der erste Beitrag des 5. Stücks der
„Memorabilien. Eine philosophisch-theologische Zeitschrift der Geschichte und
Philosophie der Religionen, dem Bibelstudium und der morgenländischen Lite-
ratur gewidmet", Leipzig 1793.
53
Abgedruckt in: Schellingiana Rariora. Vgl. auch: „Vorbemerkungen zur Frage
über den Ursprung der Sprache" (gelesen in der Klassensitzung der Akademie
34 EINLEITUNG
der Wissenschaften in Berlin 25. November 1850 X, 419-426 und „Bericht über
den pasigraphischen Versuch des Professor Schmid in Dillingen" 1811, SW VIII,
439-454. Auch in der Schrift „Ueber Mythen . . . " verweist Schelling auf Herders
Untersuchung „Abhandlung über den Ursprung der Sprache" I, 44, hierzu vgl.:
J. Hennigfeld, Schellings Philosophie der Sprache, in: Phil Jahrbuch 91 (1984),
16-29.
54
Zur Frage der Autorschaft: Chr. Jamme/H. Schneider (Hrsg.), Mythologie der
Vernunft. Hegels „Ältestes Systemprogramm des deutschen Idealismus", Frank-
furt a. M. 1984, X. Tilliette, Schelling als Verfasser des Systemprogramms?, in:
Materialien zu Schellings philosophischen Anfängen. M. F r a n k / G . Kurz, Frank-
furt a. M. 1975.
55
Siehe hierzu: J. Hennigfeld, Mythos und Poesie. Interpretationen zu Schellings
.Philosophie der Kunst' und .Philosophie der Mythologie', Meisenheim 1973.
56
Jamme, 58.
57
Ebd.; zum Mythologieverständnis des jungen Hegel: Chr. Jamme, Ist dennjudäa
der Tuiskonen Vaterland? Die Mythos-Auffassung des jungen Hegel (1787-1807),
in: Philosophisch-literarische Streitsachen I: Früher Idealismus und Früh-Ro-
mantik. Der Streit um die Grundlagen der Ästhetik (1795-1805), hrsg. von H.
Holzhey und W.Jaeschke, Hamburg 1990,137-158.
58
Vgl. Jamme, 58-65; K. Düsing, Vernunfteinheit und unvordenkliches Sein. P. L.
Oesterreich, Philosophie, Mythos und Lebenswelt.
59
Vgl. W. E. Ehrhardt, Nur ein Schelling; Chr. Danz, Die philosophische Christo-
logie F. W. J. Schellings. Stuttgart-Bad Cannstatt, erscheint 1995.
60
Vgl. XI, V: „Die letzte Ueberarbeitung von Seiten des sei. Verfassers hat dieser
erste, historische Theil der Einleitung theils in den letzten Jahren seines Aufenthal-
tes in München, theils noch in Berlin selbst, wo er ebenfalls (1842 und 1845)
über Philosophie der Mythologie las, erfahren."
61
Vgl. hierzu Grundlegung, 28 f.
a
Vgl. H. Fuhrmans, Schellings letzte Philosophie. Berlin 1940, 326 ff. Vgl. auch
Grundlegung, 26-46.
63
Nachlaßverfügung, 14-26.
M
Nachlaßverfügung, 15.
" Vgl. Schelling und Cotta. Briefwechsel 1803-1849, hrsg. von H. Fuhrmans und
L.Lohrer, Stuttgart 1965,157, 159, 172.
* Brief an Maximilian, W. E. Ehrhardt, Schelling Leonbergensis und Maximilian
II. von Bayern, Schellingiana 2, Stuttgart-Bad Cannstatt 1989, 73.
67
Vgl. Bayerische Annalen Nr. 128.
68
Siehe S. 26.
69
Plitt III, 132.
70
Vgl. hierzu Grundlegung, 40-46.
71
Vgl. S. 29.
72
Zitiert nach Grundlegung, 43, Anm. 1.
73
Aus der Berliner Zeit ist bisher nur eine Nachschrift von Henri-Frederic Amiel
aus dem WS 1845/46 publiziert, La philosophie, a. a. O. In der ehemaligen Preu-
ßischen Staatsbibliothek befinden sich weiterhin noch zwei Nachschriften der
Berliner Vorlesung über die Philosophie der Mythologie, die in einem Band
zusammengebunden sind (Ms. Germ. Oft. 1984); vgl. hierzu Grundlegung, 43 f.
74
Vgl. dieser Band 171.
75
Nachlaßverfügung, 16.
76
Vgl. hierzu W. Ulimann, Die Monotheismusdiskussion zwischen Schelling und
Schleiermacher, in: Internationaler Schleiermacherkongreß. Berlin 1984 (Hrsg.
K. V. Selge), Berlin 1985, Bd. 1,381-387.
EINLEITUNG 35
77
XII, 49.
78
In diesem Band S. 177 ff.
79
H. Fuhrmans datierte diesen Text auf das WS 1842/43 und verortete ihn in die
Philosophie der Offenbarung. „Der Text SW XIV 337 ff. stellt demgegenüber
(sc. XIII 210-261) eine reifere Form dar, die gut vom W.S. 1842/43 sein kann
(vgl. auch Nachlaßbestimmung überb, et, ß. Das Stück SW XIII 210-261 dürfte
nach 1834/35 nie mehr vorgetragen worden sein, es gibt so nur Ausführungen
des W.S. 1831/32 bzw. des W.S. 1834/35 wieder.)" Grundlegung, 42.
80
Nachlaßverfügung, 16.
2 Nachschriften von Schellings Vorlesungen
in München (1837)
Der Begriff Philosophie der Mythologie setzt die Mythologie auf einen
hohen Standpunkt, beinahe auf den von Natur und Sprache. Es muß
daher diese höhere Bedeutung der Mythologie gezeigt und begründet wer
den. Es ist also die Mythologie zu bestimmen:
Ib Als Ganzes
II in ihrem Ursprung
HJ überhaupt als allgemeine Erscheinung.
Weiter ist zu bestimmen die Bedeutung derselben; und was darauf Bezug
hat und dieß gibt zu 3 Fragen Gelegenheit, nämlich 1) welche Bedeutung
hat sie in subjectiver Hinsicht?, d. h. für mich? 2) da man sie aber nicht
anders nehmen kann, als in dem Sinne; in welchem sie sich uns gibt, so
fragt sich objectiv, wie ist sie gemeint und 3) Wie ist sie entstanden?
Wer diese 3 Fragen stellt, setzt nothwendig voraus, daß die Mythen nicht
als Wahrheit gemeint seyen; oder wenigstens bloß als Möglichkeit. Diese
Möglichkeit muß nun untersucht werden. Somit haben wir in der Philo
sophie der Mythologie eine Untersuchung über die Bedeutung derselben
vom Standpunkte der Critik aus. Es kann diese Untersuchung nur eine
stufenweis fortschreitende Betrachtung der Möglichkeiten" in der Mytho
logie seyn, nur eine successive Ausschließung aller vor und außer dem
wahren Standpunkt seyenden Möglichkeiten. Die erste Möglichkeit ist,
daß die Mythen als Dichtung und zwar als reine Dichtung, nicht als Wahr
heit gemeint seyen, daß sie aber doch Beziehung auf Wirklichkeit haben,
d. h. daß ein Sinn in ihnen liege. Ist kein absichtlicher, bestimmter Sinn in
ihnen, so sind sie ein universeller Reflex der ersten Erfahrungen und
Ansichten in Bezug auf das Weltall.
Verschiedene Erklärungen geben der Mythologie verschiedenen Sinn.
Um nun hier sogleich auf die poetische zu kommen, I so ist sie die, welche
die Möglichkeit keines Sinnes ausschließt und zugibt, daß durch die Göt
tergestalten Naturerscheinungen hindurchscheinen, daß der noch rohe
Mensch in dem Wirken der Natur bei seinen ersten Erfahrungen mora
lische Mächte erkannte; was sich zauberhaft in jenen Dichtungen ab
spiegelt. Jeder Sinn ist speciell, die Mythologie aber ist wie ein Chaos,
darum lasse man den Sinn, der ihr inwohnt; und artikulire ihn nicht,
man erfreue sich der Unendlichkeit möglicher Bestimmungen, so ist man
in der rechten Stimmung sie aufzufaßen. Es hat somit die Vorstellung,
die Mythologie habe jeden Sinn, einen innern Gehalt: Wer möchte aber
auch nicht spätem traurigen Zeiten des menschlichen Geschlechtes ein
Zeitalter vorziehen, wie dieses, ein Alter heiterer Poesie, wo die spätem
religiösen, orthodoxen Ansichten rein poetisch in immer idealer Unge
regeltheit verschwimmen. Baco von Verulam nennt mit Recht jene helle
nischen Mythen „Augen beßerer Zeiten, die auf die Rohrpfeifen der
Griechen fielen"1 Man läßt den spätem geregelten Ansichten so gerne
einen geistigen Atheismus vorausgehen. Jeder geht durch diese poeti
sche Vorstellung, wenn er auch nicht in ihr verweilt. Man könnte nun
aber sagen, es seye diese Ansicht, d. h. diese poetische Vorstellung nicht
geschichtlich, und wir haben also zu fragen: Wie stellt sich Poesie und
* A: der Möglichkeit in der Mythologie seyn, nur eine außer dem wahren Stand
punkte seyenden Möglichkeiten.
NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 39
den, so hätte er sie nicht machen können. Nicht als Folge der Gedichte
beider ist die Mythologie entstanden. Das sagt auch Herodot nicht, denn
er nennt sie nicht Folge dieser Dichter. Er meint nur, nach seinen Nach-
forschungen und dem wovon er sich überzeugt hat, sey in Griechen-
land die Göttergeschichte als solche ganz neu. Bloß für die Griechen,
welche die Mythologie hatten, ist der Name Hellenen, mit diesen Grie-
chen entstand sie. Wenn Herodot sagt; die beiden Dichter hätten die
Mythologie gemacht, so sagt er, I was Hesiod auch sagt, indem er besingt,
wie Zeus nach Besiegung der Titanen von den Unsterblichen zum Ober-
herrn gemacht worden sey und wie dieser unter sie Würde und Ämter
verteilte6 Der Geschichtsschreiber nennt hier die historische Person,
der Dichter einen Gott. Mit dem Leben des Zeus also beginnt die Zeit
und das Leben der Hellenen, denn vor dieser Zeit existiren bei Herodot
die Pelasger, von denen er sagt, daß sie den Göttern Alles opferten ohne
Namen und Beinamen.7 Es war dies die Zeit der stummen Götterge-
schichte.8 In diesem Zustand, wo das Bewußtseyn chaotisch mit den
Göttervorstellungen ringt, ist Poesie unmöglich. Wenn sich aber die
Gestalten zu scheiden anfangen, tritt die Göttergeschichte aus der Po-
tenz in die Poesie. Erst indem diese Vorstellungen den Geist frei lassen,
kann sich Poesie entfalten. Also entsteht die Poesie nicht eher, als die
Göttergeschichte, beide sind sie das gemeinschaftliche und gleichzeiti-
ge Ende eines frühern Zustandes. Die Götter gehen aus einer uner-
gründlichen Vergangenheit hervor. Das Religiöse an den Göttern ist das
Uralte, aber das Geschichtliche ist das Neue. Wenn dieses Neue, dieses
Geschichtliche in Homer als neu erscheint, so sind Homer's Gedichte
das Wort der Krisis der Göttergeschichte. Diese Krisis ist in den beiden
Dichtern, sie machte ihre Gedichte. Und insofern nun in den Gedich-
ten beider die vorher nicht so sehr gekannten Göttervorstellungen neu
erscheinen, konnte Herodot sagen, die beiden Dichter machten die
Theogonie. Aber sie machten die Theogonie anders als wie die Schwal-
ben den Sommer machen, sie machte sich in ihnen. Somit ist nun He-
rodot's Stelle gerechtfertigt. Herodot sieht diese Entstehung der Mytho-
logie noch nahe genug, um sich ein historisch begründetes Unheil zu-
trauen zu können.
Zunächst hinter den Hellenen als Vorgänger in ihrer Mythologie sind
die Indier. Sie sind das einzige Volk, das eine freie aus der Theogonie
hervorgegangene Dichtkunst mit den Griechen gemein hat. Dazu kommt
noch ihre Grammatik und Sprache, die der der Griechen nahe kommt.
Aus dem, daß die Indier den Griechen zunächst vorausgehen, erhellt, daß,
sie durchaus nicht das Urvolk sind, für das sie gehalten worden. Es dürfte
einem Nachfolger Wilhelm v. Humboldts 9 und Schlegels10, die sich um
den Sanskrit sehr verdient gemacht haben, daß, da nämlich einem Nach-
NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 41
folgenden ein geringerer Ruhm zu Theil wird, eine wenige Kenntniß vom
Sanskritt noch hinzukommen darf, um das Unterste I zu oberst zu keh-
ren, und diesem zudringlichen Einmischen des Indischen, indem kein
innerer, sondern nur ein äußerer Anfang gefühlt wird, ein Ende zu ma-
chen. Um nun von der Poesie zu sprechen, so wären, existirte ein ge-
schichtlich vorweisbarer Zusammenhang zwischen Poesie und Mythologie,
die indischen Götter, wie die griechischen poetisch. Obgleich nun aber in
den indischen Gedichten sehr viele Poesie ist, so wenig Poesie liegt in ihren
ungestalten Göttern, über die sich Goethe in seinem west-ösdichen Divan
etwas hart, aber nicht ungerecht äußert. Zum Unterschied von den Grie-
chen ist zu bemerken, daß die oben beschriebene Krisis der Poesie gegen
die Mythologie den Dichter freier machte, während die schweren indi-
schen Gedichte noch ganz dogmatisch sind. Es zeigt sich der ursprüngli
che Gott als ein poetisch verklärtes Wesen", was aber durchaus nicht die
Abwesenheit und(?)b der Poesie widerstrebenden Wesens beweist, son-
dern nur zeigt, daß dieses bloß mehr überwunden sey. Es ist auch in den
griechischen Göttern ein sehr reales Princip überwunden, sie gehören
zur jüngsten mythologischen Formation. Bei den Indiern erscheint das
doktrinelle vorherrschend, bei den Griechen latenter. Von Indien zurück-
gehend kommen wir auf Aegypten. Die ägyptische Götterlehre zeigt sich
in ungeheuren Denkmalen und spricht in erhabenen Formen die Idee
der Gottheit aus, aber von Poesie ist nur wenig von ihnen auf uns gekom-
men. Noch weiter zurück ist Phöniziens, Babylons Mythologie. Diese
Völker könnten höchstens eine psalmartige Poesie haben, wie die He-
bräer. Es mußte also die Mythologie einen eignen Zustand überwunden
haben. Wenn wir darauf zurückkommen, daß die Mythologie eine Dich-
tung sey, so müßen wir diese Annahme dahin beschränken, die Mythologie
als solche sey bloß Dichtung, nicht Wahrheit, schließe aber nicht aus, daß
sie außer einer religiösen eine eigentliche, ursprünglich beabsichtigte
Wahrheit enthalte. Hieraus ersieht man in der Mythologie etwas Eigent-
liches und etwas scheinbar Genommenes, d. h. man erkennt in ihr eine
Allegorie, die statt findet, wenn man anders sagt und anders meint.11 Es
werden also in der Mythologie Götter gesagt und nicht gemeint, darum
wird eine andere Erklärung nothwendig, deren schon viele aufgestellt
wurden. Eine solche Erklärung wäre, wenn man glauben wollte, es seyen
in ihr Ereigniße aus der politischen Welt bildlich dargestellt, also Helden
und ihre Thaten, Auswanderungen und I Verfassungen. Diese historische
* A: keine Hervorhebung
b
A: kein .und'
42 2 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN MÜNCHEN
Ansicht nennt man die Euämeristische. Euämeros ein Epikuräer aus der
alexandrinischen Zeit versuchte sie geltend zu machen.12 Die Epikuräer
nahmen den Zufall an und leugneten dadurch die Einwirkung einer hö-
heren Intelligenz auf die menschlichen Dinge. Dieser Behauptung, es
herrsche der Zufall, standen die bestehenden Lehren von Göttern entge-
gen und um sie wegzuschaffen, unternahm Euämeros diese Erklärung,
über die vor der Hand noch nichts gesagt werden kann. Nur das ist zu
bemerken, daß es allerdings einzelne Vorstellungen in der Mythologie gibt,
wo seine Versuche nicht unpassend erscheinen. Man könnte nun auf die
Natur übergehen und annehmen, es werden davon Erscheinungen per
sönlich als Götter dargestellt, denn Naturkräfte erscheinen dem Men
schen als überlegen, und scheinen nach Laune und Willkühr zu handeln.
Daher hält sie der Mensch für solche, die sich besänftigen, versöhnen
lassen." Es zeigt sich von dieser Seite die Mythologie als sich mit Per-
sonificationen beschäftigend, die sie zu erklären hat. Es läßt sich die Hy-
pothese der personificirten Naturkräfte durch Begriffe, wie z. B. Boreas,
Eos im Homer rechtfertigen. Wir treffen auch sittliche Personificationen
wie Minerva und andere in der Dias an. Daß physikalische Deutungen
materiell möglich seyen, ist nicht zu läugnen, es gibt sich dies aus der
Universalität der Mythologie, aber sich auf specielle Fälle genau einzulas-
sen, ist nur Sache mäßiger Köpfe. So hat man z. B. als der Alchymismus
noch im Gang war, den Kampf vor Troja auf die Erfindung der Geheim-
nisse desselben bezogen, Helena war der Mond, Ilion das Silber, Helios
die Sonne, das Gold. In der spätem Zeit machten die Chemiker die Aphro-
dite zum Sauerstoff.
Eine andere Naturerklärungb der Mythologie wäre die, daß sie die
Geschichte der dem ruhigen Zustand der jetzigen Natur vorangegange-
nen Umwälzungen sey.13
Der berühmte Philolog Heyne denkt sich Philosophen' als Urheber der
Mythologie und ihren Inhalt als einen Zusammenhang von Philosophemen
und Bildern aus der Kosmogonie.14 Er erklärt z. B. den Sturz des Kronos
durch den Sieg des geregelten und geformten Producirens über das Un-
gestalte und Ungeheure. Er sucht von dieser Ansicht das Künstliche so
viel wie möglich zu entfernen. Nach ihm waren die Philosophen durch
Armuth der Sprache genöthigt, was sie in Principien gedacht, I durch
Personen zu verdeutlichen. Sie waren ferner von ihrem Gegenstand zu-
gleich so ergriffen, daß sie ihre Ideen handelnd, dramatisch den Zuhö-
* A: keine Hervorhebung
k
H: .Natur' über der Zeile hinzugefügt
c
A: .Der berühmte Philolog' fehlt.
NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 43
rem gleichsam vor Augen stellen wollten. Es konnten sich, meint er und
müssen wir zugeben die Urheber über ihre Personen nicht täuschen, nun
entsteht aber die Frage, wie diese zu Göttern wurden. Man sollte glau
ben, Heyne erkläre dies durch den Mißverstand Ungeweihter15; aber er
sagt, daß man die Personificationen möge wohl verstanden haben, daß
aber die Dichter zugleich die Bemerkung machten, daß diese Personen
Stoff zur Unterhaltung gaben. Sogar Homer, der nach seiner Meinung
gewiß noch" die Philosophie erkannte, sie aber bloß durchscheinen lasse,
sey einer der ersten unter diesen Dichtern; denn dem Volke sagen die
Geschichten mehr zu als die Ideen. So aber kamen die Götter zu dieser
ihrer Unabhängigkeit vom Wissenschaftlichen und endlich sogar zur Sinn
lichkeit im Volksglauben.
In dieser Beziehung ist besonders anzuführen, daß man schon zu Piatons
Zeiten sich damit abgab, Mythen zu deuten und Sokrates äußert sich in
dieser Hinsicht einmal im Phädonb 16 wie er pflegte, ziemlich ironisch, es
gehöre dazu ein sich abmühender Mann, um mit dem groben Verstände
Alles in den Mythen ins Gleiche zu bringen. Es spricht auf diese Art auch
der Akademiker in Cicero in Bezug auf die Stoa.17 Damals theilten sich
überhaupt diese 2 Sekten in historische und naturwissenschaftliche Er
klärung der Mythen. Diese letzte historische Erklärung bleibt auch bis
auf die Kirchenväter. Hierauf kamen die Neuplatoniker, welche in der
Mythologie Metaphysik suchten, weil sie in ihr dem Christenthum eine
Opposition, ein Gegengewicht zu schaffen suchten'18; denn es war schwer
mit den Mythen, wie sie damals waren, verworren und seh aal die lautere
Wahrheit des Christenthums zu besiegen. Sie betrachteten die Mythologie
als eine Offenbarung, welche sie als universell geltend aufstellen wollten.
Wir haben nun den Euämeros, der meintd, die Personen der Mythologie
seyen keine eigentlichen Götter, wir haben Heyne, der glaubt es seyen'
gar keine Götter; es fehlt nunf noch einer, der glaubt, sie seyen keine
Personificationen. Diesen letztem haben wir in Gottfried Herrmann, der
Heyne's Versuch noch überbot.19 Er sucht die reine Wissenschaftlichkeit
der Mythologie zu beweisen, und nimmt dabei Rücksicht auf die Theogonie
Hesiod's. Zu diesem Zweck I zeigt er, wie die Namen der mythologischen
fällt, wird es obenher klar und heiter. Die 701a ohne Gemahl erzeugt nun
den oupocvtfc,, denn das Feinere scheidet sich von selbst vom Ungestalten
und Groben. Auf der Tatet sind die öpea uaicpä und der 7tdvToc.. Sie
erzeugt ferner mit otjpavdc. den cöiceavdc, den Schnellläufer, das Alles
erfüllende Urwesen. Diesen Urerguß des tuiceavdc, begleitet ein Durch
einanderfahren der Elemente. Dieses Durcheinander wird durch die
Titanen, die Kinder der yaia ausgedrückt, die zu deutsch die Weiter
streber heißen und Krieg führen. Der letzte unter ihnen ist Kpdvoc,, der
Vollender, da die Zeit erst Alles vollendet.
Hier, sagt Herrmann ist durchaus ein von allem Hyperphysischem ent
fernter wissenschaftlicher Zusammenhang.22 Das Ganze ist eher athei
stisch als theistisch. Wenn nun aber dieser atheistische Geist durch die
ganze Theogonie durchgeht, so muß man glauben, der Urheber habe
schon vorhandene Götter aufzuheben beabsichtigt. Ein Volk aber, wie
dieses, unter dem solche Philosophen aufstehen, dem solch eine Sprache
und Grammatik zu Gebot steht, läßt sich kaum mit den Buschmännern,
die gar nichts als schnalzende Laute, gar keine Sprache haben, und die
man wie jene Südamerikaner, von denen Don Felix Assara erzählt, daß
sie von den Geisdichen unfähig zum Empfang der Sakramente gehalten,
auch im Verdacht hat, daß sie keinen Begriff von einem Gott haben, un
ter eine Rubrik stellen.23 Außer den Buschmännern und jenen Südameri
kanern, denen es ganz an Göttervorstellungen zu fehlen scheint, kennen
wir kein Volk, bei dem wir diese vermissen. Wir nehmen also an, daß die
Griechen Götter gehabt, die sie in der Natur zu erkennen glaubten, wo
durch dann jene rein philosophischen Allegorien" nach Herrmanns An
sicht entstanden.
Daß also Herrmann Urheber mit der Absicht, den Göttervorstellungen
ein Ende zu machen, annahm haben wir gesehen. Wie nun diese edle
Absicht mißlang, dadurch, daß sie zwar dem Volke ihr System vortrugen,
aber zum Unglück ihre Personificationsmethode nicht erklärten, so daß
wieder ein Grad von Sinnlichkeit aufkam, der bis zur Religion ging, und
wie dann diese Lehre das Volk aufnahm, können wir nicht verfolgen. Es
interessirt eben bloß die philosophische Grundlage und die etwaige Wahr
heit in derselben.b Es ist überhaupt das Verdienstliche an Herrmanns
Unternehmen', daß er wieder auf diese Theogonie und die wissenschaft
liche Bedeutung des Wortes hinwies, I da ja die wissenschaftliche Bedeu
tung eine Thatsache ist, die eine vollständig seyn wollende Theogonie nicht
unbeachtet lassen darf. Auch ist daran die Beachtung der Sprachkunde
zu loben. Jedenfalls muß man ein gewisses philosophisches Bewußtseyn
in dem Gedichte finden, und nur Schade ist es, daß er dieses Bewußtseyn
nicht dem wirklichen, sondern einem fingirten Verfasser zuschreibt. Nur
diese zu schnell gefaßte Meinung eines Urverfaßers ließ Herrmann so
Manches übersehen, daß nämlich sehr viel Abstraktes und Unmytho-
logisches besonders im Anfange der Theogonie ist z. B. daß die Yoia für
sich ohne Gemahl die großen Berge erzeugt. Es ist bei den d'pecn ueyäXoic,
von gar keiner Personification die Rede. Warum haben, wenn sich der
Verfasser vornimmt wissenschaftlichen Dingen Namen zu geben, diese
Berge keine bekommen? Wie auffallend ist ferner das Neutrum epeßoc;,
das den Dichter nicht hindert, es, das Neutrum mit vdf; zu verbinden.
Von einem Darsteller, wie Hesiod, nicht aber von einem Urheber lassen
sich diese Vorstellungen erwarten. Um noch weiter einzugehen, was sind
ihre Kinder oi&rfp und fijie'pa? Aether ist ein rein physikalischer Begriff,
er kommt sonst nirgends persönlich vor, wenn man nicht einige unbedeu-
tende Stellen z. B. eine Anrufung des Sokrates in den Wolken des Aristo-
phanes24 wiewohl ohne Beweiskräftigkeit vorschützen will. Unter den
Enkeln des vdl; befinden sich auch die yevSe'ec, X.dyoi und die du<|>i-
A,oYiav, die ebenfalls unpersönlich sind. Diese will nun Herrmann auch
nicht in der Mythologie haben, er betrachtet sie als Einschiebsel, was er
aber auch beim Eros schon hätte thun sollen; denn der Eros ist ein phi-
losophischer Begriff und als solcher der darstellenden, nicht der ursprüng-
lichen Mythologie eigen, sowie auch beim Chaos gleich im ersten Vers,
denn das Chaos ist einer der ersten Keime physikalischer Philosophie,
wie z. B. in Aristophanes, der sich in den Wolken darüber lustig macht.25
Das Chaos galt nie als Person, nie als ein Gott, ja man könnte es als
den Gegensatz aller Persönlichkeit in den Anfang stellen. Herrmann ver-
sichert, daß Hesiod gar nicht ahnt, daß ihm etwas Wissenschaftliches
vorliege und nennt daher die Benennungen, die er manchem Begriff gibt,
einfältig. Aber das Chaos z. B. ist ein philosophisches Erzeugniß nach
und nicht vor der Mythologie. Dieser Begriff entstand aus einem Stre-
ben nach der vorhandenen Mythologie, sie zu begreifen. Nur eine zum
Ende gekommene und auf ihren Anfang zurücksehende Mythologie
konnte das Chaos an den Anfang stellen. So wenig als Poesie ist also
auch Philosophie der Mythologie vorausgegangen. In Hesiod's Gedicht
sind einige Regungen I einer sich vom Mythos loswtndenden Philoso-
phie. Sein Gedicht bezeichnet einen wichtigen Moment der sich selbst
darzustellen suchenden Mythologie. Wie nun, wenn dem ganz überein-
stimmend Homer und Hesiod, die früh schon als Gegensatz gedacht
wurden, den Ausgang, nicht den Anfang der Mythologie bezeichneten.
Wenn wir diese Idee festhalten, so ist es wunderbar, wie sein kritisches
NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 47
Gefühl Herrmannen zuließ, die viel spätem Worte und Begriffe aus dem
Kopfe Eines frühern entstehen zu lassen.
In dem Bisherigen sprechen sich nun diese beiden Hauptansichten
von Philosophie und Mythologie besonders aus. Man könnte nun die
bisherigen besondern Annahmen modificiren. Die Absicht war, nicht
über die Ansichten als solche, sondern über ihren gemeinschaftlichen
Standpunkt zu urtheilen. Es fragt sich nun: Was haben beide mit einan
der gemein? Gemein ist beiden, daß sie die Mythologie als eine Erfin
dung betrachten. Ist nun aber eben das so gewiß, daß man nur fragen
darf": Ist die Mythologie Philosophie oder Poesie? Diese Voraussetzung
erscheint nun aber ungeheuer, insofern als, sobald eine Erfindung an
genommen wird, Einzelne als Erfinder auftreten müssen. Freilich es ist
nicht schwer Dichter und Philosophen entstehen zu lassen, da man die
Urzeit für einen leeren Raum hält, in den man Alles stellen kann. Heyne
nimmt auf diese Art Dichter und Philosophen an und Herrmann wen
det sich ohne weiteres an das Volk mit seinemb Philosophen. Freilich
das bleibt zu fragen übrig, wie es ihn anhörte. Aber dies ist nicht so
leicht, man kann eine Mythologie nicht wie Schulbücher einführen. Wie
sollten Einzelne es vermögen, ihr eine solche Popularität zu geben. Es
ist dies um so weniger wahrscheinlich, als in den Mythen die entfern
testen Zeiten und Völker übereinstimmen.' Herrmann gibt dies auch
zu, er sieht die Ähnlichkeit ein, sowie auch, daß nach seiner Idee diesel
be Zufallsreihe von Verknüpfungen, Formen und Mißverständnißen
verschiedenartiger Völker anzunehmen sehr wunderlich sey. Darum
nimmt er an, die einmal mißverstandene physikalische Kosmogonie habe
sich von einem Volke zum andern vererbt. Dieses erhöht für ihn nun
noch den Werth seiner Ansicht, so daß er in der Theogonie die Reste
einer nur zufällig entstandenen Religion sieht. Aber es würde dadurch
die Mythologie eine Zufälligkeit erhalten, die nur mit seiner Erklärung
der Fabel von der Liebe des Zeus zur Io I zu vergleichen wäre, wo er
diesen großartigen Wahnsinn der Io, diese hochpoetische Fabel mit dem
Austreten eines Flußes vergleicht.26
Die beiden bisher erörterten Hauptansichten nun erkennen in der
Mythologie nur Poesie und Philosophie an. Die welche der Poesie den
Vorzug gibt, nimmt den reellen, die Philosophie den poetischen Inhalt als
zufällig an. Die Philosophie sucht einen doktrinellen Inhalt, sie sucht
Wahrheit in der Mythologie. Nun befriedigen uns aber beide Ansichten
nicht; wir finden eine systematische Aufeinanderfolge der Götter, wir
nehmen oft einen düsteren Ernst in den Fabeln wahr, während die poeti
sche Ansicht Alles zufällig läßt, die Philosophie der Ausleger aber durch
Kleinlichkeit und grobe Absichtelei zurückstößt. Es fragt sich nun, ob sich
nicht eine Weise der Erfindung annehmen läßt, die anders ist als in den
beiden erwähnten Ansichten. Man könnte nämlich auf den Gedanken
kommen, Poesie und Philosophie miteinander zu verschmelzen, wenn sie
einzeln nicht befriedigen. Man kann fragen, sind beide so außer einan
der, wie bisher angenommen ist? Denn nur das ist eine poetische Gestalt,
in der ein notwendiger und allgemein gültiger Inhalt niedergelegt ist. Wir
finden in unserer modernen Poesie, daß es nur großen Geistern gelingt,
vorübergehenden Gestalten ewige Begriffe einzuhauchen. Im übrigen fehlt
es der neuern Poesie an so allgemein gültigen und nothwendigen Symbo
len. Das gleiche fordert man von der Philosophie. Läßt sich nun nicht
auch eine Philosophie denken, deren Inhalt nicht allein Begriffe sind,
sondern auch reell ist. Gibt es dann" nicht auch philosophische Ideen,
deren Inhalt so poetisch ist, daß sie auch in schlichten Worten begeistern.
Weiter fragt es sich, woher nimmt die neuere Zeit den höchsten Stoff all
gemein gültiger Poesie als aus reeller Philosophie?
Die nächste Frage ist also die: Waren in der Urzeit Poesie und Philoso
phie auseinander? Keine war vor der Mythologie als solche, und sowie
die Mythologie als solche vorhanden ist, scheinen in ihr beide auseinan
der zugehen. Es geschah diese Trennung nur allmälig und dauerte bis auf
Aristoteles, wo die Philosophie in einen bloßen Nominalismus überging.
Wo nun beide nicht als solche da waren, folgt nicht, daß sie überall nicht
waren, es folgt nicht, daß, wenn sie nicht explicite, sie implicite auch nicht
vorhanden seyen. Eben der Umstand, daß beide Erklärungen in der My
thologie möglich scheinen, beweist, daß beide darin sind. Nicht Alles aber,
worin entweder I philosophischer Zusammenhang, oder poetische Be
deutung ist, muß darum durch eines beider als solches entstanden seyn.
Am wenigsten sollte ein Sprachforscher so schließen. Denn, war es wohl
Philosophie, die im Worte die Begriffe der Ursprünglichkeit aufbewahr
te, war sie es, die in die verschiedenen Bedeutungen eines und desselben
Zeitwortes ein Gewebe philosophischer Begriffe legte, die die bewußte
ste Philosophie kaum entwirrt? Man nahm hier zwar verschiedene Wör
ter an, aber warum das, ohne das letzte Mittel angewandt zu haben, näm
lich deren reelle Verwandtschaft zu finden. Der Geist der Sprache konn
te bei ihrer Grundlegung nicht mit Bewußtseyn in sie gelegt werden und
* A: denn
NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 49
* A: verpflanzt sein
NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 51
sein Urgesetz, aus dem sich alle andern entwickeln, sein Urgesetz, das ihm
mit seiner ursprünglichen Weltansicht, mit seiner Mythologie gegeben ist.
Aber auch diese Thatsache vom Urgesetz des Volkes übersieht die
zuletzt erwähnte Ansicht, ebenso wie die Thatsache der unverkennbaren
Uebereinstimmung zwischen den mythologischen Vorstellungen verschie
dener Völker. Es ist bequem solche in der Tiefe liegende Vereinigungen
durch äußeren Zusammenhang zu erklären, aber dennoch kann man ohne
eine Mythologie weder einen Hellenen, noch einen Aegypter denken. Jede
Mythologie ist nach ihrem Volke motivirt, in der Idee aber stimmen sie
allgemein überein.* Z. B. Isis und Demeter, wenn man sie vergleicht, er
leiden beide einen Verlust, aber Isis sucht ihren Gemahl, Demeter ihre
Tochter.
Nehmen wir aber an, ein Volk habe seine Mythologie von einem andern
Volke, so muß das geschichtlich seyn. Ein Volk hat also Geschichte vor
der Mythologie. Nun hat aber alle Geschichte mythischen Ursprung. Kann
die Geschichte nicht aus dem schon vorhandenen Volke entstehen, so
muß sie mit ihm entstehen. Auf diese Weise hängt also der Ursprung I der
Mythologie eng mit dem der Völker zusammen. Die Erforschung der Art
dieses Zusammenhangs ist nothwendige Aufgabe unsrer Entwicklung und
es geht die Untersuchung auf die allgemein geschichdiche Frage über: Wie
entstehen Völker?33
Wenn wir von der Ursache der Völkerentstehung reden, so setzen wir
voraus, daß Völker entstanden und daß es also eine Zeit ohne Völker gab.
Darum fragen wir weiter, was war vor den Völkern? Nur ein homogenes,
unterschiedloses Menschengeschlecht, ungegliedertb, indem nur die na
türlichen von selbst entstehenden Unterschiede waren nach Linien der
Abstammung. Es entstehen daraus die Stämme in die sich dieses homogene
Geschlecht schied, die aber noch lange keine Völker sind. Völker sind nicht
durch natürliche Unterschiede getrennte, sondern geistig divergirende, in
sich unüberwindlich zusammenhängende Massen. Die arabischen Völ
kerschaften in Afrika sind z. B. in Stämme geschieden, und benennen sich
nach ihren Stammvätern. Sie bilden eine homogene Masse, aber auch zu
einem Ganzen zusammengefaßt, bilden sie doch kein Volk, sondern nur
ein Menschengeschlecht. Das Wort Nation, das heutzutage so sehr in der
Mode ist, und das das Verhältniß einer Abstammung im letzten Glied aus
drückt, ließe sich für sie brauchen. In Bezug auf andere sind sie, wenn man
will, ein Volk, in sich aber niemals. Es gab nun also eine Zeit, wo die Men
schen waren, was die Araber noch heute sind. Es bedarf nun Ursachen um
A: keine Hervorhebung
b
A: Menschengeschlecht, in dem
NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 53
* A: fanden
54 2 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN MÜNCHEN
Ragen fast ebenso große und mächtige Unterschiede z. B. unter den In-
diern, wo die physischen Verschiedenheiten zwar in Kasten theilen, aber
darum das Volk nicht trennen. In Aegypten wurde sogar der Ragen-
unterschied selbst überwunden, denn Herodot spricht von einer neger-
artigen Menschengattung35, die er, wie es scheint, selbst noch gesehen
hat. Wohin soll nun diese aber gekommen seyn? Man findet sie nicht mehr
in Bildern, noch im Leben, daher muß sie sich wohl mit dem Volke ver-
mischt haben und der Unterschied überwunden worden seyn.
Gibt es nun überhaupt, so fragen wir, Gründe dafür, daß der Proceß,
der die Ragen unterschied, ein begleitendes Symptom der Völkerentste-
hung war.* Allerdings ist es wahr, daß wir physische Ereigniße in Verbin-
dung mit tiefer geistiger Umwandlung wahrnehmen. Große Krankheiten
erscheinen als Parallelen von großen geistigen Bewegungen.36 Nun aber
sind die Völker nicht gerade nach I Ragen getrennt, wir treffen auch reine
Völker an. Dies beweist aber nicht, daß der Racenproceß nicht durch die
ganze Menschheit ginge. Man könnte z. B. sagen, die europäische Mensch-
heit ist der Theil, der den Racenproceß überwunden hat, die Völker aber,
in denen sich die Rage in abweichender physischer Entwicklung fixirt und
sich bildend zeigt, sind die, die ihr unterlagen. Die Verschiedenheiten der
Völker sind überhaupt mehr geistige als physische, denn bloß physische
Verschiedenheiten werden die Vermischung, wie wir gesehen, nicht hin-
dern; von geistigen Unterschieden aber fand sich, wie wir gesehen, in der
homogenen Masse nichts; also war wohl jene Krisis der Völkertrennung
eine geistige.
Indem wir dies annehmen, stimmen wir auch mit der mosaischen Er-
zählung vom babylonischen Thurmbau überein.37 Man hielt diese Erzäh-
lung für ein Philosophem38, um die Entstehung des Sprachunterschiedes
zu erklären. Wäre nun aber diese Erzählung ein Philosophem, so hätte
wohl der Urheber derselben die Völkerentstehung erklären wollen. Es ist
aber vernünftiger anzunehmen, daß diese Erzählung eine Reminiscenz ist,
die sich auch in den Mythen anderer Völker findet39, sie ist eine Reminis-
cenz aus dem geschichüichen Theile der Mythologie und hat fast histori-
sche Bedeutung. Demnach kann man übrigens die Sache selbst als histo-
rische Reminiscenz und die Art der Darstellung scheiden. Der Erzähler
sieht z. B. von seinem beschränkten Standpunkt aus die Völkerscheidung
für ein Unglück an. Allerdings müßen wir ihm hier zugeben, daß er sich
ein Ereigniß, dessen Eintreten ein plötzliches aber ein wirkliches war, wie
an einem Tage vollendet dachte. Nach der Erzählung ist das Ereigniß
unversehens, der Menschheit selbst unbegreiflich, die Erzählung nennt
es ein Gericht, und hier ist eben nun eine Krisis. Die Erzählung nimmt als
A: ,?'
NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 55
* A: keine Hervorhebung
b
A: keine Hervorhebung
c
A: keine Hervorhebung
56 2 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN MÜNCHEN
giösen Affektion; denn die Principien, von denen diese religiösen Bewe
gungen bestimmt werden, sind so allgemein, daß sie recht wohl auch phy
sisch wirken können.
Der alten Erzählung nun, um wieder auf sie zu kommen, I läßt sich in
der Bibel nur ein Ereigniß an die Seite stellen, nämlich die dp.oyXmocifa43
am Pfingstfeste, wo im Christen thum die Wahrheit, die in aller Menschen
Herzen wohnt und was aus ihr entspringt, wieder in aller Mund Eine
Sprache zu bekommen anfängt*, wo diese eine erhabene Lehre die zerris
senen Völker zu gemeinschaftlichem Streben vereint.44 Auch die Perser
hoffen in ihrer Religion nach dem Siege des Ormuzd über Ahriman auf
eine solche ö^oyA,axJca'a. Wie bei jenen das böse Princip die Sprachen
verwirrt, so fängt nach biblischen Begriffenb das Heidenthum mit Sprach
verwirrung und' das Christenthum mit Sprachverein an. Auch die Völ
kerwanderung könnte man dieser Sprachverwirrung parallel stellen, wo
eine der abstoßenden gleiche anziehende Kraft die Völker gewaltig auf
den Schauplatz der Welt zum Alles vereinigenden Christenthum führt.
Es fehlt überhaupt dann auch wieder nicht an Andeutungen, daß die
Sprachverwirrung ein Zeichen des Völkertrennenden Polytheismus war.
Babel ist der Ort, wo sich der Taumelbecher füllte, aus dem die Völker
tranken.45 Der Begriff des Heidenthums d. h. des Völkerthums ist so innig
mit Babel verknüpft, daß noch in der Apokalypse Babel das Symbol der
Verwirrung ist.46 Ein solches Symbol schreibt sich nur von einem unaus
löschlichen Eindruck her. In neuerer Zeit etymologisirt man Babel von
Ba Bei Pforte des bei, aber diese Etymologie, gibt nicht die wahre Erklä
rung der Bedeutung von Babel. Vielmehr ist Babel eine Zusammenziehung
aus Balbel und dieses Ton nachahmende Wort hat sich bis in eine spätere
jüngere Sprache erhalten, nämlich im griechischen ßtitpßapoc,, das man
von Bar draußen, extraneus herleitet. Nun ist aber ein solcher extraneus
unverständlich, wie auch Ovid sagt: Barbarus hie ego sum, quia non
intelligor ulli.47 Cicerod setzt sogar dem barbarus disertus entgegen.48 Es
liegt überhaupt in der wiederholten Silbe ßap ßap das Ton nachahmen
de, wozu auch noch das lateinische balbus balbatire gehört (Unser bab
beln, fabeln verdient vielleicht auch hier erwähnt zu werden.)49
* A: keine Hervorhebung
b
A:„'
c
A: .und' fehlt
d
H: Vor .Cicero' steht durchgestrichen: ,Auch Paulus sagt einmal:'
NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 57
Auflösung der Einheit die Sprache selbst auf und nahm die Menschlich-
keit mnt weg; denn das höhere Bewußtseyn, das diesen Völkern genom-
men istt, gibt den Menschen die Sprache, die sich bei geistig entwickelten
Völkern sogar über weite Räume verbreitet und die mit andern einen
innern Zusammenhang bewährt. Dabei ist bei jenen Stämmen jede mate-
rielle Libereinstimmung zu bezweifeln, und die Guarana" Sprache, ist noch
die unter den meisten bekannte; überall aber wechselt die Sprache von
Hütte zu Hütte. Jene Leute nun reden leise, haben eine Abneigung vor
dem Reden, besonders dem lauten, darum schreien sie nie, und verrathen
durch kein Mimenspiel den Inhalt der Rede. Bei ihnen kann, man sagen,
schwebt die Sprache auf der letzten Grenze, wenn überhaupt Idiome,
deren Laute durch andere Organe als durch unsere Sprache, nicht mit
der Zunge ausgedrückt werden, die wir mit unsern Buchstaben gar nicht
bezeichnen können, noch Sprache zu nennen sind.53
Hingegen hielt nun die beisammengebliebenen andern Völker dieses
schreckliche Entsetzen vor dem Verlust des Einheit-Bewußtseyns zusam-
men, und um die letzte Einheit zu wahren, gab es ihnen die ersten gesetz-
lichen Einrichtungen das Gerettete zu erhalten. Sie boten Alles auf, da
die Sprachzersplitterung Alles zu zerstören drohte, dieses durch specielle
Verbindungen zu erhalten. Dies gab Anlaß zu den Kasten, den strengen
Priestersatzungen, zur Feststellung des Wissens als Doktrin.54 Äußerlich
sich zusammenzuhalten, führten sie große Bauwerke auf. Alles dies erin-
nert an jenen Thurm der vorgeschichtlichen Zeit. Laßt uns einen Thurm
bauen, sagten jene ersten Erbauer, daß wir uns einen Namen machen,
wir möchten zerstreut werden. Sie fühlten die Krisis, sie wollten sich ei-
nen Namen machen, sie wollten ein Volk werden55, denn sie waren I eine
namenlose Masse. Ans Feste denkt man, wenn man in die Weite gehen
soll, der erste feste Punkt aber gibt Grund zur Ausschließung und Abson-
derung. Unter diese großen Bauwerke der Völker gehören auch die Kyklo-
penbauten in Griechenland, auf den Inseln des Mittelmeeres und auf dem
Festland Italiens. Sie sah Homer, und ob auch ein vorschneller Schüler
des Voß seinen Meister darin noch zu überbieten sucht, daß er beweisen
will, sie hätten zu Homers Zeit nicht existirt, so spricht Homer doch von
dem fest ummauerten Thyrosb und es scheint, daß jener Schüler seinen
Homer nicht recht gelesen habe. Auch Hesiod spricht davon56: Kraft und
Stärke und Kunstfertigkeit waren in dem Werke und wer anders als ein
vorgeschichdiches Geschlecht soll diese ungeheuren Mauern und Zinnen
gebaut, diese unbehauenen Massen aufgehäuft haben?'
* H : fngliche Lesart
62 2 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN MÜNCHEN
Begriffe verworfen hat, und doch nur in dieser hätte sich eine Kunde der
Gottheit ergeben können. Auf diese Art mußte er den Begriff von Gott
selbst verwerfen und konnte allerhöchstem eine Neigung an eine unsicht-
bare Gewalt zu glauben zugeben. Er sagt, da nicht zwei Völker, nicht zwei
Menschen übereinstimmen über Punkte der Religion, so kann die Religi-
on nicht auf einem natürlichen Triebe I beruhen, höchstens auf einer
Neigung, an ein höheres intelligentes Wesen zu glauben.68 Um nun dieses
zu vermeiden, hätte er nach seinen sonstigen Grundsätzen nur von einem
wissenschaftlichen Theismus ausgehen müssen und er hätte leicht aus dem
entstellten Theismus den Polytheismus entstehen lassen können. Unter
dieser Voraussetzung hat er dann sehr leicht die ursprünglich religiöse
Bedeutung des Polytheismus bestritten, indem er nämlich in seiner na-
türlichen Geschichte der Religion sagt, was er anderswo anzunehmen
nicht so geneigt ist, „man kann durch natürliche Schlüße auf das Daseyn
einer Gottheit kommen, wie sollte nun aber diese rohe Menge zuerst auf
das höchste reinste Wesen kommen; warum nicht vielmehr auf ein sinn-
liches. Ebenso leicht als reine Begriffe vor unreinen, können Palläste vor
Hütten gewesen seyn - Wahre und leichte Schlüße werden immer popu-
lär, abstruse sind nur einer kleinen Zahl bekannt. Wäre ein Theismus da
gewesen, so hätten ihn die leichten Schlüße erhalten, und die abstrusen,
wenn er auch wenig bekannt geworden wäre, nicht erhalten. Einen Theis-
mus gibt es nur im Zeitalter geübter und gebildeter Religion und Ver-
nunft!" 69 Nun sahen wir aber im Mosaismus einen Theismus. Dies er-
klärt Hume so: Eine Nation, die viele Götter hat, erhebt Einen zum höch-
sten Rang. Ist dieses geschehen, so bewirbt sich die ganze Nation um die
Gunst dieses Einen, und häuft schmeichelnde Ehrenbezeugungen und
Beiwörter auf ihn. Hat nun dieser Wetteifer der Schmeichelei um sich
gegriffen, so ergibt sich, daß diese Masse von schmeichelnden Beiwörtern
endlich zu einer Grenze gelangt, und so entsteht das, was unserer Gottheit
ähnlich ist.70
Aus dem bisherigen sahen wir nun, daß wir einen erfundenen Theismus
vorauszusetzen, unterlassen müßen. Es bleibt also nichts übrig als einen
von aller Wissenschaft unabhängigen Theismus anzunehmen, und auf
diese Art kann man leicht zu einer geoffenbarten Religion übergehen. Dies
ist das der Erfindung gegenüber gestellte Princip, wovon früher gespro-
chen wurde. Beim Begriff der Offenbarung nun haben wir einen solide-
ren Zustand als am Hellsehen, Träumen etc. Auch Herrmann hätte nicht
so darauf herabsehen sollen, denn wie leicht konnte er es noch zu dieser
frommen Meinung bringen.71 Seine Mythologie wäre auf dem Papier I sehr
gut, aber er soll jene Menschenopfer ansehen und mit Horaz ausrufen:
tantum religio potuit suadere malorum.72 Dies wäre wohl nie aus den Köp-
fen und Sätzen der kosmogonischen Philosophen entstanden, jene
NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 63
zum Kronos und erklärte selbst die dogmatischen Theile der Bibel auf
euämeristische Weise. Man sagte, es zeigten sich in der Bibel Spuren von
Entgegentreten gegen eine falsche Lehre.74 - Doch seit wir das Morgenland
mehr kennen gelernt haben sind große Änderungen in den Ansichten
eingetreten. Wir bemerken nämlich eine Übereinstimmung, Ähnlichkeit
der Mythologien der verschiedenen Völker in Beziehung auf die frühere
Einheit, die im Bewußtseyn der Menschheit lag. Man hält sich also be-
rechtigt, eine Uroffenbarung, ein über die mosaischen Urkunden weit
hinausgehendes großartiges System von Monotheismus anzunehmen, von
dem in den mosaischen Urkunden selbst nur ein kleiner Auszug vorhan-
den wäre. Da aber die mosaischen Urkunden nicht hinreichten, so mußte
man aus den morgenländischen Religionen das Übrige sammeln, um wo
möglich das Ursystem wenigstens einigermassen wieder zu erhalten.75
Wir finden nun vermöge der eben angegebenen erweiterten Forschun-
gen im Orient Übereinstimmung zwischen der ägyptischen, indischen und
griechischen Mythologie, die auf gemeinschaftliche Abkunft hindeutet,
also eine Allen gemeine Einheit voraussetzt. Wohin nun, ist die Frage, ist
die Zeit der Einheit zu setzen; wir antworten in das Bewußtseyn der ur-
sprünglichen Menschen. Darum ging man auch so weit, nachdem man
ein großes geoffenbartes Ursystem, von dem Moses nur einen Auszug
hatte, vorausgesetzt, dem Mosaismus die fehlenden Bruchstücke einzu-
setzen. Der erste, der gestützt auf die orientalischen Götter-1 lehren und
ihre Übereinstimmung einen Schluß zog, war der Orientalist William
Jones76, Präsident der asiatischen wissenschaftlichen Gesellschaft, der sich
unsterbliche Verdienste erwarb in Bezug auf die Kenntniß des Orients.
Er ging zwar in manchem, hingerissen von Erstaunen über das Großarti-
ge, das ihn der Schluß vermuthen ließ, zu weit, das Schöne und Edle sei-
nes Geistes aber erhob sich über die Handwerker von Forschern ande-
rer Art und Zeit. Seine Schlüsse sind manchmal nicht genau begründet,
aber Friedrich Creuzer1" machte die relative Bedeutung zur unwieder-
sprechlichen Evidenz in seiner Symbolik der Mythologie der alten Völ-
ker77, welche von Moser78 ganz gut ausgezogen hatb Nicht bloß aufs All-
gemeine, die ursprüngliche Bedeutung der Mythologie zur Evidenz zu er-
heben, beschränkt sich Creuzers Verdienst, sein philosophischer Blick
erweckte auch den Gedanken an ein ursprüngliches Gebäude, an ein Volk,
das mit seinen Trümmern den Erdball füllte. Seine Ansicht ist folgende:
Da nicht unmittelbar die Offenbarung selbst, sondern nur ihr Resultat im
Bewußtseyn sich alteriren, verdorben werden kann, so tritt eine Lehre in
die Mitte, in der Gott nicht bloß theistisch, sondern Natur und Welt
H: Kreuzer
müßte wohl heißen: von welchem Moser einen guten Auszug hergestellt hat
NACHSCHRIFTEN ,ATHEN' UND EBERZ 65
* H: .Volk zu Volk' ist durchgestrichen, der Nachtrag über der Zeile ist nicht
lesbar.
b
H: korrigiert aus .darstellen'
' H: Verschiedentlich (?)
66 2 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN MÜNCHEN
wicklung aber von einem Gesichtspunkt ausging, der von dem Creuzers
unabhängig war. Es fragt sich also jetzt, wie die aus unserer Entwicklung
hervorgegangenen Resultate mit denen Creuzers übereinstimmen.
Bei der Vergleichung beider wird sich sogleich eine Differenz zeigen.
Auch wir setzen nämlich Polytheismus und Völkerentstehung in Ver-
hältniß. Aber bei uns ist Polytheismus Ursache der Völkerentstehung,
während bei Creuzer der umgekehrte Fall statt findet. Welche Ansicht
ist nun richtig? Ist man der Creuzerschen Ansicht, so muß die Völker-
entstehung eine andere Ursache als Polytheismus haben, was uns aber
nach dem Früheren als unglaublich erschienen ist; oder man müßte an-
nehmen, daß die Ursache I der Völkerentstehung nicht erklärt werden
könne. - Doch hierüber später.81 - Wir haben angenommen, daß über die
Zeit des noch einen Menschengeschlechtes ein Princip gewaltet habe, das
das Auseinanderstreben der Menschen wehrte, dieselben auf der Stufe
der bloßen Natürlichkeit gehalten und ihnen höhere Entwicklung ver-
sagt habe. Das war jene Zeit des gerühmten goldenen Weltalters, in dem,
wie Plato sagt, die Gottheit selbst der Menschen Hüter war und Vor-
steher.82 Hier ist also von keiner Lehre die Sprache. Wenn nun das Princip
dieser Unbeweglichkeit der einzige Gott war, so müßten wir noch weiter-
gehen und das Bewußtseyn dieses Gottes als Monotheismus aussprechen,
um mit der Creuzerschen Hypothese übereinzustimmen. Hier aber ist der
Punkt, bei dem wir anhalten und uns bedenken.
Die Einheit der Gottheit ist es also, welche die homogene Menschheit
zusammenhält. Soweit stimmen wir mit Creuzer überein. Monotheismus
aber ist Bewußtseyn des einzig wahren Gottes, dieser wahre Gott ist aber
ein Geist, welcher natürlich nur im Geiste erkannt werden kann83, d. h. in
einem freien geistigen Verhältniß. Wie läßt sich nun ein Erkennen des
wahren Gottes, eines Geistes im Geiste in einem unfreien natürlichen, ja
beinahe rohen Zustand denken in dem sich zu jener Urzeit das Menschen-
geschlecht befand? So sagt auch Christus zur Samariterin: Gott ist Geist,
und die ihn anbeten, müßen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.84
Wie kann sich also das freie Verhältniß... vertragen mit dem zusammen-
haltenden, Entwicklung versagenden Princip. Wie kann sich diese Lehre
des Monotheismus mit dem realen, natürlichen Zustand vertragen, in dem
sich jene Zeit befand? Wir sahen uns also genöthigt von dieser Hypothe-
se des monotheistischen Systems abzustehen; und nur auf dem Wege der
frühem Untersuchung und Entwickelung können wir also fortgehen, und
auf diese unsere frühem Resultate uns stützend, können wir alsdann
schließen: Wenn die Menschheit sich in Völker trennte und die verschie-
denen Götter hervortreten, so konnte die vorausgegangene Einheit durch
Nichts so sehr erhalten werden, als durch das Bewußtseyn eines gemein-
schaftlichen und einzigen Gottes. Nun I ist aber die Frage, ob dieser ge-
NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 67
meinschaftliche einzige Gott, eben weil er dies war, deswegen auch der in
dem Sinne des Monotheismus eine gewesen, d. h. ob jener allgemeine ein
zige Gott, weil er dies war, deswegen auch ein absolut unmythologischer
war, «ein alles Mythologische ausschließender. Diese Frage kann nicht be
antwortet werden, ohne tiefer in die Natur des Polytheismus einzugehen,
der jetzt überhaupt in dieser folgenden Untersuchung vorzüglich beleuch
tet werden muß.
Es besteht ein wesendicher Unterschied im Polytheismus, der entwe
der übersehen oder doch nicht gehörig beachtet wurde, nämlich die
ser: Bei manchen Völkern sehen wir eine Anzahl kleinerer unterge
ordneter Götter einem Einzigen Höheren untergeben, und wieder bei
andern mehrere Götter, deren jeder in einer gewissen Zeit feststeht
und dann den Thron verliert, also eine Aufeinanderfolge von Götter
herrschaften wie z. B. in der griechischen Mythologie. Hier sind be
kanntlich 3 Göttersysteme, zuerst die Herrschaft des Uranos, dann die
des Kronos, und zuletzt die des Zeus. Würden wir die Herrschaft des
Letztern allein setzen, so hätten wir nur ein gleichzeitiges simultanes
Göttersystem. Zuerst ist Uranos der Höchste, dann folgt Kronos und
zuletzt Zeus als der Höchste. Da also diese 3 die Höchsten sind, kön
nen sie nicht gleichzeitig seyn, nicht coexistiren, sondern müssen sich
gegenseitig ausschließen. Diese Art des Polytheismus nennt man den
successiven.85 Nur durch diesen successiven Polytheismus ist also die
Einzigkeit Gottes aufgehoben, er ist der wahre Polytheismus. In dem
simultanen Polytheismus ist der einzige höhere Gott von der Vielheit
nicht berührt, er ist immer der einzige seines Gleichen nicht Kennende,
die andern untergeordneten sind in ihm, er gleichsam außer ihnen, er
begreift sie, wird aber nicht von ihnen begriffen, er ist, wenn auch nicht
graduirende, doch emanirende Ursache derselben. Zwischen ihm und
ihnen findet nicht der bloße Unterschied der Individualität statt, wie
zwischen ihnen selbst, sondern ein Unterschied der ganzen Art. In die
sem Falle besteht eigentlich kein wahrer Polytheismus, den vor dem
einen höchsten Gotte schwinden die andern gleichsam in Nichts zusam
men; sie sind nur secundäre Götter I etwa vergleichbar den Engeln im
alten Testament.86 In diesem Polytheismus ist also zwar Göttervielheit,
aber keine Vielgötterei, welcher Unterschied genau zu beachten ist.
Vielgötterei entsteht erst dann, wenn mehrere höchste und somit sich
gleiche Götter sich aufeinander folgen.
Diese beiden Arten des Polytheismus haben also ein verschiedenes
Verhältniß zu jeder Erklärung. Offenbar aber handelt es sich hier haupt
sächlich um den successiven Polytheismus, der aber schwerer zu erklä
ren ist als der simultane, der leicht durch ein bloßes Auseinandergehen
der Einheit begriffen werden kann.
68 2 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN MÜNCHEN
Durch alles bisherige ist nun eigentlich für die Erklärung des succes
siven Polytheismus nichts geschehen, und wir müßen also von vorn an
fangen und fragen: Wie ist Vielgötterei entstanden. Durch diese Frage
kommen wir jetzt auf einen andern Boden und nähern uns einer Wahr
heit, vor der alle Hypothesen wie der Nebel vor der Sonne verschwinden
müßen.
Nach der Theogonie Hesiod's gab es eine Zeit, in der bloß Uranos
herrschte. Sollte dies eine Fabel seyn, d. h. sollte es nicht eine Zeit gege
ben haben, wo bloß der Gott des Himmels verehrt wurde? Werden wir
dieser Urkunde gegenüber noch glauben können, die Mythologie sey
erfunden worden oder entstanden durch Auseinandergehen der All
einheit? Nein, wir sahen daß dieser successive Polytheismus das Wahre,
Geschichdiche ist, und befinden uns demnach auf historischen Boden.
Dieses Historische, das durch die Mythologie selbst bezeugt ist, erscheint
als unwidersprüchlich, wenn man die Mythologien der verschiedenen
Völker vergleicht. Und hier zeigt es sich daß die vergangenen alten Götter
lehren die eigentlichen Götterlehren sind und nur in die herrschenden
Götterlehren als Monumente der Vergangenheit übergetragen sind. Je
des Volk hatte seinen ausschließend herrschenden Gott, so z. B. die Phöni
zier ihren Kronos, den die Griechen aber schon als vergangenen bezeich
nen. Zu der Zeit, als der phönizische Kronos herrschte, und als oberster
Gott bestand, war der griechische schon verdrängt. Wie hätten nun die
Hellenen in dem Kronos der Phönizier den ihrigen wieder erkennen kön
nen, wenn sie nicht einer wahren, nicht fingirten Vergangenheit bewußt
gewesen wären. Eine solche Folge von Göttern, I wie wir sie bei den Grie
chen sehen, kann unmöglich imaginirt seyn. Denn wer sich und andern
einen Gott macht, macht einen gegenwärtigen keinen vergangenen. Was
man als Vergangenes empfindet, muß man als früher gegenwärtig emp
funden haben. Doch, um diese Wahrheit noch deutlicher zu zeigen, neh
men wir sogar an, es habe ein Welt erklärender Philosoph der Urzeit die
Bemerkung gemacht, daß die Welt nicht ohne Succession von Potenzen
habe entstehen können, und daher solche entsprechende Weltursache
in einer Kosmogonie personificirt dargestellt, welche als dann vom Volke
als Mythologie aufgenommen ward, so würde diese Mythologie nie mit
der Scheu und Ehrerbietung betrachtet worden seyn, wie wir sie bei den
Griechen z. B. für Kronos, den ohnmächtig gewordenen* sahen. Diese
religiösen Schauer vor einem jetzt ohnmächtigen Gott sind keine Lügen
und setzen nothwendig ein Bewußtseyn der Vergangenheit voraus.b Die
* H: geworden
k
H: am linken Rand schwer lesbare Wörter, mögliche Lesart: ,Wo ist das Bewußt
seyn? Wo finden sich überhaupt Spuren des Kronos Cults?'
NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 69
hätten wir zwar eine Göttervielheit, aber keine Vielgötterei, eine Vielheit
also, die der ganzen Menschheit gemein seyn kann; denn jene Götter, die
wir dem ersten Gotte untergeordnet haben, sind alle einer Art. Der Gott
A bleibt sich selbst gleich, ändert sich nicht und so können auch die
untergeordneten sich nicht ändern.
Das bisher Gesagte ist genug zum Beweise, daß ein absoluter Mono-
theismus nicht nöthig ist, um das Zusammenhalten der Menschheit zu
erklären. Wir müssen nun sehen, ob nicht der relative Monotheismus bei-
des, Einheit und Trennung des Menschengeschlechtes erklärt. Hier müßen
wir auf die nähern Umstände des Auseinanderstrebens eingehen.
Früher konnten wir uns dabei begnügen zu sagen: Polytheismus ist das
Werkzeug der Völkerentstehung. Jetzt aber, nachdem I wir den Unter-
schied zwischen simultanem und successivem Polytheismus auseinander-
gesetzt und festgestellt haben, dürfen wir nicht mehr dabei stehen blei-
ben, sondern wir müßen weiter forschen. Als jene* Frage über Völker-
entstehung zuerst von uns aufgeworfen ward, ward sie mit Verwunde-
rung aufgenommen, als Beweis, daß diese Frage unerwartet war. Viele
glaubten und behaupteten, daß Völker von selbst entstehen. Dies wird
aber durch das Frühere hinlänglich widerlegt; ferner, wenn die Völker
durch Größerwerden der Generationen entstanden sind, so muß Alles
Volk seyn. Nun gibt es aber große Massen, die nicht Völker sind, die aber
auch nicht mehr das früher Eine sind, da der vorher allgemeine Gott ihr
partieller Gott wurde; denn wenn sich Völker trennen, so erhält sich für
die Übrigen die Anziehungskraft der natürlichen Verhältniße noch mehr.
Die Stämme sind so noch und vor der Entstehung der Völker etwas ganz
anderes als die Völker. Wäre das von selbst Entstehen der Völker ver-
nünftig zu denken, so wären es noch physische in die einzelnen gelegte
Verhältniße, was durch die Entfernung vom Mittelpunkte gemeinsamer
Abstammung noch selbst Völker gäbe. Nimmt man aber dies an, so wäre
keine Gesetzmässigkeit, noch vermöge der Gewalt der Differenzen Gra-
de zu denken. Damit nun die Entwicklung in einleuchtender Form und
non sine numine vor sich gehe, sind folgende Vorausbestimmungen nöthig:
1) Wenn man auch dem Keim nach verschiedene Differenzen zugeben
will, so muß doch ein aller Entwicklung widerstrebendes, sie zurückhal-
tendes Princip gedacht werden. Nehmen wir nun dieses Princip, nehmen
wir eine Zeit der Homogenität an, so muß 2) diese Zeit eine Dauer ha-
ben, damit die Zeit, wo bloß Menschheit ist, und die, wo schon Völker
sind, unterschieden werden. 3) Die Dauer kann auch nicht zufällig seyn,
sie muß durch ein Princip gewährleistet seyn, welche die Entwicklung auf-
hält; aber über dieser muß noch eine höhere Macht gedacht werden, die
jene überwindet und die Entwicklung befördert.
Der Übergang von der allgemeinen Menschheit also zu den Völkern ist
nicht so unerklärlich, macht sich nicht von selbst, sowenig als der vom
Unorganischen zum Organischen. In der unorganischen Natur ruhen alle
Körper in gemeinsamer Schwere, Wärme, Elektrizität haben sie mitein-
ander, aber in der organischen Welt I entstehen Wesen, die diese Kräfte
eigen besitzen und die Schwere ist jetzt in die Gewalt des einzelnen We-
sens gegeben, daß es zur Bewegung benutzt.87 Dasselbe gilt vom Über-
gang der homogenen Menschheit zu Völkern. Die Menschheit in Völkern
bildet eine neue Ordnung der Dinge. Das Resultat des relativen Mono-
theismus stimmt damit genau überein, da in ihm einem Princip ein ande-
res erschütterndes folgen kann. Sowie nun aber das 2te Princip wirkt,
sind alle in der Menschheit möglichen Unterschiede, deren Spur früher
nicht entfernt da war, gesetzt. Es ist, wie wenn wir uns eine Masse zwi-
schen 2 sich gegenseitig überwiegenden Prinzipien aus ihrer bisherigen
Ruhe versetzt denken. Zunächst kann der bis jetzt unbewegliche Eine Gott
in Conflikt mit dem 2ten nicht mehr derselbe bleiben. Er geht nun selbst
von Geualt zu Gestalt. Es ist möglich, daß Uranos, Kronos, Zeus Gestal-
ten des Einen sind, der sie, durch diese Gestalten führt.
Im Bewußtseyn nimmt nun der Gott nur Eine Gestalt an, alle übrigen
Gestalten sind als Möglichkeiten gesetzt. Mit jeder von diesen Götter-
gestalten ist eine eigene Lehre, beim Erscheinen des 2ten Princips also
sind die verschiedenen Götterlehren potentiell gesetzt. Mit den verschie-
denen potentiell gesetzten Götterlehren sind auch die verschiedenen
Völker potentiell gesetzt, bis in einem jeden der bestimmte Punkt des
mythologischen Bewußtseyns gekommen ist, wo sie sich trennen. Das
Successive im Polytheismus erklärt zugleich die successive Erscheinung
der verschiedenen Völker. Diese treten nämlich nicht gleichzeitig hervor;
denn d\ die Krisis eine allgemeine ist, so geht auch das für eine spätere
Zeit bestimmte Volk durch alle Momente der Succession durch. So ist es
nun auch erklärbar, daß die an die verschiedenen Völker ertheilten Mo-
mente sich im letzten Volke zur vollendeten Mythologie vereinen. Wir
sehen run, daß erst mit dem Erscheinen des 2ten Princips die Völker-
unterseniede möglich gesetzt sind, weil die Wirkung des einen Princips
alle Diferenzen ausschließt. Erst mit dem Erscheinen des 2ten Princips
ist z. B. ein Unterschied möglich zwischen den Hauptstämmen, aus denen
das alte Testament die Hauptvölker herleitet, nämlich zwischen den Söh-
nen Ncas, Cham, Sem und Japhet. Zwischen den Semiten undjaphetiten
besteht der Unterschied, daß jene der Urreligion noch I näher sind als
diese, vas sich aus dem Namen entfernt ersehen läßt; denn Japhet ist soviel
als Ausbreitung, und unter Sem könnte man den Namen der ursprüngli-
72 2 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN MÜNCHEN
chen Religion verstehen. Solche Stämme, wie sie das alte Testament nennt,
die sich durch Sprache88, folglich durch verschieden gestaltetes inneres
Bewußtseyn unterscheiden, sind soviel als Völker und entstehen, wie
gezeigt wurde.89
Auch die Sprachverwirrung ist nach allem bisherigen eine Folge religi-
öser Einwirkung. Nehmen wir eine Zeit an, wo eine Sprache herrschte,
so herrschte ebenfalls ein Princip, das vor der Hand unbewegt die Spra-
che auf der Stufe reiner Substantialität erhält, und indem es vom Bewußt-
seyn festgehalten wird, sich die Sprache dienend macht. Wenn nun ein
neues Princip erscheint, so afficirt es das alte und macht es unkenntlich,
und es entstehen nothwendig eine Menge materiell verschiedener Prinzi-
pien und Lautgestalten. Ja nachdem zu der substantiellen Sprache noch
mehr oder weniger accidentielle Bestandtheile hinzukommen, werden
dann mehrere formell verschiedene Sprachen entstehen. Es geht die
Menschheit vom relativen Monotheismus, von der Eingötterei im wahren
Sinn des Wortes zur Zweigötterei, zur Vielgötterei über und diesen Fort-
schritt, und diese durchlaufenen Momente durch Hinzutreten neuer Prin-
zipien nehmen wir in der Sprache wahr, die von Monosyllabismus zum
Dysyllabismus und Trisyllabismus übergeht. - Diese Ansicht blieb natür-
lich nicht unangefochten, und Manche läugneten den monosyllabischen
Charakter mancher Sprachen, wie z. B. einer den der chinesischen Spra-
che.90 Aber unter seinen verschiedenen schwachen Beweisgründen bleibt
sein Hauptmotiv, die Ehre der Chinesen zu retten, weil er eine mono-
syllabistische Sprache für ein Zeichen von Barbarei hielt. Die eigentlichen
semitischen Sprachen verdanken ihren eigenthümlichen Charakter dem
Princip des Dysyllabismus. Für die Bildung der japhetischen Sprachen
also z. B. der lateinischen, griechischen, des Sanskrit hatte das Princip
des Monosyllabismus alle Bedeutung verloren, und doch will man neuer-
dings behaupten, daß in diesen Sprachen die Wurzeln einfach seyen. Ja
nicht nur Monosyllabismus, sondern auch Dysyllabismus als Gegensatz
desselben ist bereits bei diesen verschwunden, und vergebens hat man
sich bemüht einfache Wurzeln in diesen Sprachen nachzuweisen, wie z.
B. im Deutschen den Imperativ. I Diese letzte Entwicklung mag nur als
indirekter Beweis für den relativen Monotheismus gelten, doch jetzt wol-
len wir direkt zu Werke gehen.
Ist in der Menschheit eine solche Folge von Göttern, wie wir angenom-
men, und es ist so, so müßte auch einmal in der Menschheit ein solcher
Gott A seyn, der noch nicht als ltes Glied einer Succession, sondern als
absolut einer erscheint und Friede und Ruhe verbreitet. Sobald aber der
2te Gott erschienen war, verschwand dieser Friede und Hader der Zwie-
tracht entstand. Betrachten wir die Zeit, in welcher jener Friede nicht mehr
zu finden ist, so finden wir sie nirgends in der Geschichte, er muß also in
NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 73
der der vorgeschichtlichen Zeit zu suchen seyn. Nun war zwar der eine
über die stille vorgeschichtliche Zeit herrschende Gott, weil er allein
herrschte, der eine, aber auch wiederum nicht, weil die Möglichkeit, daß
ein 2ter folge, nicht abgesprochen war. Vergleichen wir nun dieses Ergeb-
niß mit Creuzers Hypothese, so ist das Zerfließen dieser wahren Lehre in
eine schlechtere unbegreiflich. Man könnte keinen Grund angeben für
das Zerfließen der reinen Lehre in Polytheismus. Das Auseinandergehen
eines ursprünglichen Monotheismus würde nur dann philosophisch mo-
tivirt, wenn dieses Auseinandergehen zu einer hohem Entwickelung führ-
te. Allein nach seiner Erklärung hatte dieses nur eine Zersplitterung,
Verderbniß der beßern Lehre zur Folge. Allein eine solche Remission*,
Erschlaffung der frühern Einsicht würde bloß Vergessen der frühern
Religion, nicht aber alsbaldb Polytheismus herbeiführen.91
Nur eine positive Ursache der Trennung erklärt den Abscheu der
Menschen vor dem Polytheismus. Es mußte ein Strafgericht seyn. Daher
konnte auch die Lehre nicht ganz absolut mehr seyn, denn über das ab-
solut Wahre bricht Gott nicht den Stab. Das gewöhnliche Wehklagen
über die Zersplitterung der Einheit ist daher der Philosophie wie der
wahren Geschichte ganz fremd. Der Polytheismus war über die Mensch-
heit verhängt, und war, so wenig es jetzt begreiflich ist, Übergang zum
beßern, Höhern. Der wahre Monotheismus wurde nur dadurch möglich,
daß jener relative zerstört wurde. Dadurch ging wenigstens einem Theile
der Menschen der wahre auf. In der Weltgeschichte I darf Nichts um-
sonst untergehen.
Wir sind nun zu dem Resultate gelangt, daß alle Hypothesen nichts
gelten können, weil der Polytheismus etwas aller Geschichte Zuvorkom-
mendes ist, weil ihm kein geschichtlicher Anfang zu finden ist. Zwischen
dieser Zeit und der eigendichen Vorzeit liegt eine Übergangszeit, die rela-
tiv vorgeschichtliche, in welcher die Entwicklung vorgeht, die Zeit der
Einheit ist die vorgeschichtliche. Nun findet sich der Polytheismus be-
reits ir der geschichtlichen Zeit überall verbreitet, und jedes der einzel-
nen Völker ist bereits einer Mythologie ergeben. In der relativ vorge-
schich.lichen ist der wirkliche Polytheismus im Entstehen. Nun könnte
man sigen, aber in der absolut vorgeschichtlichen Zeit ist kein Poly-
theismus. Doch auch dieser Einwand ist falsch, denn auch in dieser ist
schon Polytheismus, zwar noch nicht wirklich, aber doch schon der Grund
desselben im Bewußtseyn der vorgeschichtlichen Welt gegeben. Soweit
wir in Jer Geschichte zurückgehen, ist er vorhanden, entweder ausdrück-
chen Theologen sollte es daran gelegen seyn, die Offenbarung als eine
geschichtliche Thatsache zu faßen, nicht bloß als einen philosophischen
Begriff. Wenn man sie als Thatsache nimmt, kann sie nicht gedacht wer-
den, ohne einen so rein thatsächlichen falschen Zustand des menschli-
chen Bewußtseyns vorauszusetzen. Wer also den Begriff begründen will,
muß sich bemühen, jenen faktischen Zustand des menschlichen Bewußt-
seyns vor aller Geschichte aufzusuchen, und zwar in der Mythologie. Sie
also wird zur Begründung der Offenbarung, nicht diese zur Begründung
der Mythologie beitragen.
Von jeher haben die ächten Vertheidiger der Offenbarung diese nicht
I für eine ewige, sondern für eine in eine gewisse Zeit eingeschränkt ge-
nommen; also damit den Zustand des Bewußtseyn, in welchem es einer
Offenbarung zugänglich ist, als vorübergehend gesetzt; ja auch die Apo-
steln sprechen von einer Zeit, in der einst die Weissagungen, sowie jene
außerordentlichen Wirkungen aufhören würden. Wenn man so begrifflos
eine Offenbarung voraussetzt, und sie als Erklärung der Mythologie her-
beiruft, hat man nichts als die zufälligen Thatsachen der Offenbarung
gewonnen. (Zufällig ist Alles, was unbegriffen ist.) Dadurch hat man sich
jede Aussicht zu einem wissenschaftlichen Verständniß der Offenbarung
genommen. Auch wenn man annimmt die Offenbarung sey entstellt, so
kann dies nicht gelten, denn auch zu einer Entstellung gibt es keine Zeit.
Sie ist da, wenn das Menschengeschlecht da ist, wenn auch nicht in der
Entwicklung. Wenn Männer wie Gerhard Voß92 einzelne Mythen als Ent-
stellung der Offenbarung betrachteten, so war es diesen nur um die Er-
klärung der einzelnen Mythen zu thun, und sie hatten keineswegs jene
erwähnte Ansicht. Polytheismus ist also nothwendig in der vorgeschicht-
lichen Zeit. Manche würden nun glauben uns durch die Frage in Verle-
genheit zu setzen, ob wir auch schon im ersten Menschen einen relativen
Monotheismus annähmen. Allein wenn wir die Sache aus jenen mosai-
schen Urkunden betrachten, wird die Schwierigkeit dieser Frage wohl
verschwinden. Zwar stellt sich eine gewisse Klasse von Theologen den
Zustand der ersten Menschen als schon durch Offenbarung erleuchtet
vor, sie glauben, er sey schon in der wahren Lehre unterrichtet worden,
die sich aber allmählig getrübt und nach und nach in Polytheismus über-
gegangen sey. Diese Theologen sind sogar nicht abgeneigt diesem Urver-
hältnif; der ersten Menschen eine gewisse Dauer zu geben. Gott kann sich
dem Menschen nicht anders und darum erst offenbaren, wenn zwischen
ihn und das menschliche Bewußtseyn etwas getreten ist, das die Offen-
barung durchbrechen muß. Aber in dem Urverhältniß des Menschen zu
Gott, JU der Zeit, wo er gleichsam noch nicht Zeit hatte, sich zu bewegen,
sich ZL verändern, lässt sich Nichts zwischen Gott und ihm denken. Die-
ses Zwischen konnte nichts ursprüngliches seyn, Gott konnte den Men-
76 2 SCHELLINGS VORLESUNGEN DM MÜNCHEN
sehen nicht so erschaffen haben. Auf diesen Moment ist also der Begriff
der Offenbarung gar nicht anwendbar, I weil im Begriff der Offenbarung
immer ein entferntes und vermittelndes Verhältniß zu verstehen ist. Es ist
immer leichter sich mit der altem als neuem Theologie zu verstehen. Nach
dem festen orthodoxen Begriff der alten Theologie wurde die Offen
barung stets nur als ein durch frühere Vorgänge Vermitteltes betrachtet.
Das Urseyn der Menschen kann nur noch als ein Überzeitliches gedacht
werden. Es ist also da kein Raum für eine Offenbarung, diese ist ein Fak
tum, etwas in der Zeit Geschehendes, ein auf einem actus beruhendes
Verhältniß. Es gibt aber keinen actus* ohne Widerstand, der durch die
Offenbarung überwunden wird. Wo actus ist, muß etwas seyn, was durch
jenen actus negirt, aufgehoben wird. Allein jener Urzustand bot keinen
Raum zu einem actus dar; das Urverhältniß zu Gott kann also kein
elles seyn.
Wir haben aber angenommen, der Mensch sey seiner Natur nach schon
Bewußtseyn von Gott. Mußte ihm aber nun die Kenntniß von Gott durch
einen besonderen actus zu theil werden, so mußte er z. B. im Paradiese
seyn ohne Kenntniß derselben, d. h. er müßte vorher, ehe er die Offen
barung erhielt, in einem Zustande der Nichtkenntniß von Gott gewesen
seyn und da er gleich anfangs im Paradiese war, so mußte er also im Pa
radiese eine Zeit ohne Kenntniß Gottes gewesen seyn. Er befand sich also,
eheb er die Offenbarung erhielt, in einem Atheismus, in einer Unkenntniß
von Gott. Das Urverhältniß des Menschen zu Gott mußte also ein ganz
anderes seyn.
Es wird nun ferner allgemein angenommen, der Mensch sey durch eig
ne Schuld aus diesem Urzustände eines bloß wesendichen Verhältnißes
zu Gott herausgetreten. Wenn man nun dieses annimmt, so läßt es sich
nicht denken, ohne daß er selbst ein anderer geworden wäre. Wenn er
aber dies geworden ist, so hat sich auch der Gott für ihn verändert, es
läßt sich also der Fall gar nicht denken ohne Alteration' des Bewußtseyns.
Es war also gleich nach dem Sündenfalle keine reine Vorstellung von Gott
mehr. Wenn wir die Erzählung des Sündenfalls betrachten, so muß sie
jeden mit Bewunderung erfüllen, denn sie enthält gewiß eine der tiefsten
Offenbarungen des menschlichen Bewußtseyns. Mißt man also dieser
Erzählung Glauben bei, so war gerade jene Veränderung, die mit dem
Menschen vorging, eine solche Alteration des Bewußtseyns, I welche
unserem relativen Monotheismus entspricht. In der Erzählung vom Sün
denfall spricht Gott: Siehe, Adam ist geworden als unser einer, und weiß
was gut und böse ist. Diese Stelle wurde verschieden erklärt und ausge-
legt. Der wahre Sinn aber wird nur durch diese Erklärung, die noch Nie-
mand gegeben hat ausgedrückt. Nämlich: Der Mensch ist nur noch einer
von uns heißt, er ist nur noch den Elohims, einem Engel, nicht mehr der
Gottheit gleich. Das Urverhältniß des Menschen zu Gott mußte also auf
seiner völligen Gleichheit mit Gott beruhen. In den Worten der Erzäh-
lung liegt zugleich, daß der Mensch nicht mehr ein Verhältniß zur ganzen
Gottheit habe, weil er nicht mehr ganz Gott ist; dies ist unser relativer
Monotheismus.
Nichts also steht im Wege, von dem Sündenfall an, als dem Anfang der
Geschichte anzunehmen, daß in das Bewußtseyn statt des absolut Einen
der relativ Eine getreten ist, und falsch ist die Ansicht, daß im Bewußtseyn
der ersten Menschen die Gotteserkenntniß reiner gewesen als bei den
nachfolgenden. Nur das - kann man sagen, daß bei ihnen das Bewußtseyn
des relativ einen Gottes reiner und stärker war, weil bei den Nachfolgen-
den bereits der 2te Gott sich nähert. Der Grund zu einer Offenbarung ist
also erst dann gegeben, wenn die Einheit des ersten Gottes durch das
Erscheinen des zweiten in Gefahr gerathen ist.
Obgleich nun dies an sich einleuchtend ist, so ist es doch denen gegen-
über, die über den* ersten Zustand des Menschengeschlechts nur der hlg.
Schrift trauen, eine Wohlthat, daß die Genesis unsere Behauptung bestä-
tigt. Daß nun wirklich schon die Religion der ersten Menschen nicht ab-
solut Monotheismus war, erhellt aus einer Stelle der Genesis Mos. Buch
I Cap. 5., worin es heißt, das ist das Buch von des Menschen Geschlechtb
Seth war 150'Jahre alt und zeugte den Enos. Nun ist aber vorher am Ende
des 4ten Capitels schon eine andere wichtige*1 Stelle vorausgegangen, die
so heißt: „Adam erkannte abermal sein Weib und sie gebar einen Sohn,
der hieß Seth. Und Seth zeugte auch einen Sohn und hieß ihn Enos. Zu
derselbigen Zeit fing man an, den Jehovah bei Namen zu rufen." In dieser
letzten Stelle ist also gesagt, von der Zeit des Enos an fing man erst an den
Namen des wahren Gottes anzurufen. Klar ist nun, daß der wahre Gott
vorher nicht angerufen wurde, also nicht bekannt war. Zwar hat man
verschiedene andere Erklärungen versucht wie z. B. einige erklären, I man
hätte erst zu dieser Zeit den Namen des Jehovah angerufen, er als Gott
wäre schon bekannt gewesen, nur sein Name nicht. Andere: von dieser
Zeit an sey erst der Cultus des Jehovah aufgekommen. Doch das sind
Erklärungen, die ganz gegen den Sinn und alle philologische Erklärung
sind. In dieser Stelle wäre also ein Terminus* angezeigt, von wo aus die
wahre Kenntniß Gottes begonnen, nämlich in der 2ten Generation nach
den ersten Menschen. Im 5ten Capitel heißt es nun: Seth zeugte den Enos.
Was bedeutet der Name Enos: Mensch mit dem Nebenbegriff des Ge-
kränkten, Geschwächten. Enos war also nicht mehr ganz wie Adam, wenn
dies nicht gemeint wäre, so wäre der Zusatz bei Seth, wo es heißt: „Und
Adam war 130 Jahre alt, und zeugte einen Sohn, der seinem Bild ähnlich
war, und hieß ihn Seth["], ganz überflüßig. Seth war also noch wie der
Vater, allein Enos war nicht mehr ähnlich seinem Vater, mitb ihm trat eine
Änderung ein. Mit Enos fängt also ein anderes schwächeres Geschlecht
an, nicht mehr von einem Princip beherrscht. Was von 2 Principien be-
herrscht wird, ist schwach und krank, welche Bedeutung, wie gesagt schon
im Namen liegt. Aber gerade von diesem Geschlechte an, heißt es, fing
man an den wahren Gott bei Namen zu rufen d. h. ihn unterscheiden zu
lernen. Nun konnte das Bewußtseyn den absolut einen Gott nicht bei
Namen nennen, ehe der eine durch das Erscheinen des 2ten als absolut
verschwinden mußte. Auch war keine Nothwendigkeit vorhanden, den
absolut Einen als solchen zu unterscheiden. Hier ist also der Wendepunkt,
oder vielmehr die Andeutung von dem Erscheinen eines 2ten Gottes ge-
geben. Ja wenn man noch weiter gehen wollte, könnte man sogar im
Namen Enos den Namen des 2ten Gottes nachweisen. Doch soweit wol-
len wir nicht gehen. Das Wesentliche dieser Stelle ist noch das, daß der
wahre Gott erst nach einer gewissen Zeit unterscheidbar gewesen sey,
nämlich erst in der 2ten Generation.
Man könnte nun auf alles dies Folgendes entgegen bemerken: „Man
wolle nicht soweit zurückgehen, und sich nur erinnern, daß das ganze
Menschengeschlecht von einer Familie, von der Noahs' abstamme, und
ihr sey eine göttliche Offenbarung zu theilgeworden, und erst bei diesem
2ten Geschlecht sey dann Polytheismus entstanden.["] Man müßte also
von dieser dem Noah d zugetheilten Offenbarung den Grundstoff der
Mythologie herleiten. Wenn diese Annahme richtig I ist, so müßte man
beweisen können, daß erst nach der Sündfluth Polytheismus entstanden
sey, um die Behauptung, daß die Offenbarung der Mythologie zuvorge-
kommen sey, zu rechtfertigen. Dies ist nun aber theils schon vorher, theils
durch die Erzählung selbst als unrichtig dargethan, durch die Erzählung
nämlich, wodurch' die Sündfluth eingeleitet wird, und die soviel mytholo-
* H: in lat. Buchstaben
k
H: steht über einem durchgestrichenen Wort
' H:Noas
d
H:Noa
Nach .wodurch' wurde über der Zeile ein Wort eingefügt, das nicht lesbar ist.
NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 79
gisch religiösen Bezug hat, daß man annehmen muß, diese Erzählung sey
nur eine Reminescenz der wahren Entstehungsgeschichte der Mythologie.
Nach dieser Einleitung in die Sündfluth heißt es Mosis 6.8 Cap. 6: „Da
sich aber die Menschen begannen zu mehren auf Erden, und zeugeten
ihnen Töchter, da sahen die Kinder Gottes nach den Töchtern der Men-
schen, wie sie schön waren, und nahmen zu Weibern, welche sie wollten,
etc. und ferner: Es waren auch zu den Zeiten Tyrannen auf Erden; denn
da die Kinder Gottes die Töchter der Menschen beschliefen, und ihnen
Kinder zeugeten, wurden daraus Gewaltige in der Welt und berühmte
Leute. Da aber der Herr sähe, daß der Menschen Bosheit groß war auf
Erden, und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war im-
merdar, da reute es ihn, daß er die Menschen gemacht hatte auf Erden
und es bekümmerte ihn in seinem Herzen." Nach dieser Einleitung kann
man nicht umhin, die mosaische Sündfluth selbst nur als Symptom, als
begleitende Erscheinung einer Ungeheuern im Innern der Menschheit
vorgegangenen Veränderung zu betrachten. Und diese Veränderung ist,
daß der Monotheismus durch Hinzukommen des 2ten Gottes relativ wur-
de. Mit dieser Erzählung stimmen auch die übrigen Mythologien wie z. B.
die griechische in dieser Thatsache überein. Auch bei ihnen werden sol-
che gewaltigen Menschen, Giganten erzeugt, die gegen die Götter strei-
ten. Es fragt sich nun wer sind die Söhne des Gottes. Offenbar die, bei
denen der für seine Zeit noch allen wahre Gott fortlebte, und die Töchter
der Menschen, ohne Zweifel die Anhänger des 2ten Gottes. Aus dieser
Verbindung entstanden* die Tyrannen, die dem 2ten schon menschliche-
ren Gotte länger zu widerstehen vermochten. Und insofern sucht der
Gott, der den Polytheismus vielleicht selbst fördert, die Verbindung bei-
der Geschlechter zu beseitigen.
Wenn man nun diese Erzählung der Sündfluth mit andern Mythologien,
z. B. der griechischen, syrischen, in welcher letztern die syrische Göttin
Derketo93 nichts anderes war, als die unter vielen Namen verehrte erste
weibliche Gottheit war, von der der Übergang zum 2ten Gott gemacht
wurde, - wenn man ferner weiß, I welche Rolle das Wasser bei allen Über-
gängen spielt, nicht bloß bei geologischen, sondern auch in der Geschichte
der Myhologie, so wird man in der noahischen Sündfluth nur das göttli-
che Zeichen des Wendepunktes der Mythologie sehen, mit welchen der
Übergang zur eigendichen Mythologie und dann zum Polytheismus gege-
ben war. Zu allen diesem mußten die Anfänge und Keime schon vor der
Fluth gegeben seyn. Wenn schon zu Abrahams Zeit Babylon ein Reich
von großem Umfang, Phönizien Schiffahrt und Handel treibend, Agyp-
ten ein wohlgeordneter Staat war, wenn in allen diesen Staaten schon
vollständig entwickelte Mythologien bestanden, so kann man unmöglich
annehmen, daß vor der Sündfluth bloß Monotheismus geherrscht habe.
Auch die Worte dürften hier noch zu weiterem Beweise entscheiden, die
Jehovah ausspricht, daß es ihn nämlich reue, die Menschen gemacht zu
haben, denn ihr Dichten und Trachten sey nur böse. Man versteht dies
gewöhnlich nur von einer moralischen Verschlechterung, allein wäre nur
dies gemeint, so wäre es gewiß nicht in so besondern Worten ausgedrückt,
und schon diese* zeigen es an, daß es hier in religiösem Sinne zu fassen
sey. Auch noch mehrere andere Stellen zeugen dafür.
Als Nachtrag zu jener Stelle, da sahen die Kinder des Gottes nach den
Töchtern der Menschen etc. kann noch die Erklärung eines frühem, nicht
unberühmten Auslegers angeführt werden, der sagt: es habe sich bis
hieher das Menschengeschlecht in 2 Theile getheilt: dessen einen beßren
Theil Moses Söhne des Gottes, und den andern schlechtem Töchter der
Menschen genannt habe.94 Doch daß diese Erklärung, wenn auch geist-
reich, nicht tauge, ist hinlänglich erwiesen und gezeigt.
Nach allem Bisherigen kann man also wohl vor der Sündfluth Zeichen
von Polytheismus annehmen, welche (die Sündfluth nämlich) nur als
Zeichen des Übergangs zum völligen Polytheismus, den der Gott doch
nicht hindern konnte, betrachtet werden kann. Nach der Sündfluth nun
entschließt sich merkwürdiger Weise, Noah Ackerbau und Weinbau zu
treiben. Aber gerade jener 2te Gott ist es, welcher der Sage aller Völker
nach den Ackerbau und Weinbau einführte. Wenn wir nun auf diese
Weise den Polytheismus so frühe hinaufsetzen, so scheint es um so auf-
fallender, daß gleich nach der Sündfluth ein Geschlecht auftrat, dem man
Monotheismus nicht absprechen kann, nämlich das Abra- I hämische
Geschlecht. Wie das geschehen konnte, wollen wir später beantworten;
vorjetzt noch einiges Andere.
In der Zeit also, wo bereits Völker sind, wo jedes seinen besonderen
Gott hat, finden wir ein von Sem her geleitetes Geschlecht, die Abra-
hamiten, oder den Abraham, welches Geschlecht sich ganz außer den
Völkern hält. Von diesem Zeitpunkt des Auftretens Abrahams an ist auch
schon mit dem Begriff der Völker das Anhängen an mehrere Götter, also
der Begriff der Vielgötterei verbunden. Dieser Begriff der Vielgötterei liegt
auch in dem hebräischen Worte Arnim und Goim95, welche Worte wir
mit Heiden übersetzen, mit welchen Worten auch die Juden das Heid-
nische der andern Völker, ihre Vielgötterei ausdrücken wollten. Und die-
ser Sprachgebrauch hat sich im alten wie im neuen Testamente fortge-
lieh: Sie haben den Jehovah, i. e. wahren Gott bei seinem Namen gerufen.
Der Gott nun, zu dem sie beten, ist der natürliche, allgemeine und urspüng-
liche, der auch zu dem Heiden Abimelech im Traume kommt. Der wahre
Gott aber wird in der Genesis nur gerufen, zu ihm wird nicht gebetet. Der
ewige Gott also als solcher ist dem Abraham durch den natürlichen, nicht
nur vorübergehend, sondern beständig vermittelt. Dieses Verhältniß des
wahren Gottes zum natürlichen bleibt aber*, damit der wahre Gott immer
durch denselben vermittelt werde. Der wahre Gott ist dem Abraham auch
der Gott des Himmels und der Erde; dieser ist nicht der falsche, nur ist er
nicht bloß Gott des Himmels und der Erde. Zum falschen wird er erst dann,
wenn er bloß als dieser gesetzt wird. Dadurch wird er ein ungeistiger und
sinkt zum Bewußtseyn I herab. Der absolute Gott ist es, der sich offenbart,
aber durch den vermittelnden Gott. Noch später wird dem Israelitischen
Volke eingeschärft, den wahren Gott zu lieben, festzuhalten. Dies kann nur
gesagt werden von einem Gott, der erscheint, bei diesem Erscheinen ist je-
doch an nichts körperliches zu denken.
Die Art der Erscheinung des wahren Gottes im Bewußtseyn, weil sie
sich von ihrer Voraussetzung nicht losreißen kann, ist durchaus mytho-
logisch, so daß das Polytheistische nur dazwischen tritt. Dadurch werden
manche Mythen in der Genesis begreiflich, z. B. als der Elohim den Abra-
ham aufforderte seinen Sohn Isaak zu opfern, so unterwirft er sich die-
sem Elohim, diesem natürlichen, eigentlich heidnischen oder mytholo-
gischen Gotte, und zwar unterwirft er sich aber nur um durch ihn mit
dem wahren Gott in Verbindung zu treten. Die Erscheinungsweise des
wahren Gottes ist also durchaus mythologisch und danach für die Erzäh-
lungen der Genesis keine erdichteten, wie man glaubte, sondern Facta,
aber mythologische Facta. In dieser ersten Periode der wahren Religion
muß also natürlich die Mythologie noch eine große Rolle spielen. Dieses
Dazwischentreten des Polytheistischen zeigt sich mitunter sehr naiv im
Au§druck, indem der wahre Gott sich von dem allgemeinen nicht tren-
nen kann, weil dieser ihm Mittel zu seiner Erscheinung ist.
Diese Gebundenheit an das Princip der relativen Einheit, und somit an
das der Mythologie ist die Ursache, daß der wahre Gott in dem Bewußt-
seyn werdender, rein zukünftiger ist. Abraham hat ihn nicht als seyenden,
sondern als werdenden betrachtet.101 Deshalb sind auch alle Gedanken
der Erzväter auf die Zukunft gerichtet, darum heißt Abraham Vater aller
Gläubigen, denn sie glauben immer an den wahren Gott, der aber für sie
es nech nicht ist, sondern wird. Erst von der Zukunft erwarten sie das
Heil. Die Erzväter selbst erkennen diese Beschränkung als eine solche, in
die sich ergeben bis zum Tage der Erlösung, mit welchem der Gott auf-
hört ein Werdender zu seyn. Im neuen Testamente ist er bereits ein
Seyender. Die Strenge, mit welcher die Erzväter in dieser Unterwerfung,
in dieser Ergebung in die relative Einheit gehalten werden, ist die göttli-
che I Zucht, durch welche sie zur künftigen Offenbarung gebildet wer-
den. Wie nun Abraham an die verheißene Größe seines Volkes glauben
muß, so glaubt er auch an eine künftige Religion, und dieser Glaube an
eine künftige Religion wird ihm selbst schon für die vollkommene ange-
rechnet. In Bezug auf diesen Gott, der ihm noch werden soll, wird Abra
ham auch Prophet genannt.
Jeder nun der das alte Testament nur als historische Urkunde durch-
liest, empfindet deutlich den Unterschied zwischen der Abrahamitischen
und Mosaischen Religion. War die Religion der Erzväter nicht frei von
der Voraussetzung, daß der wahre Gott immer nur ein werdender sey,
schließt sie ihn also als einen gegenwärtigen aus, so ist dies noch mehr in
dem Gesetze Mosis gegeben. Als bereits Polytheismus überall verbreitet
war, mußte auch dem Volk des wahren Gottes der relative Monotheismus
immer strenger werden, es mußte der mosaische Gott immer eifersüchti-
ger auf seine Einzigkeit werden. Und gerade diese Strenge und Eifersucht
beweist, daß dieser Gott, der der Grund der mosaischen Religion ist, der
relativ eine ist, denn nur dieser kann von einem andern Gotte bedroht
werden. Die mosaische Religion ist also relativer Monotheismus und im
beständigen Kampfe mit dem überall eindringenden Heidenthum. Indeß
sollte dieses relativ eine Princip nicht um seiner selbst willen, sondern
nur als Grund erhalten werden, und davon liegt das Bewußtseyn selbst
im mosaischen Gesetz. Denn dieses ist ganz gemacht, das Volk bei dem
relativ einen Gott zu erhalten, damit ihm der Grund zum absolut einen
bewahrt werde, es weist daher immer, wenn auch stumm auf die Zukunft.
Indem also die mosaische Religion gewissermassen der Notwendigkeit
weicht, ist das Princip des Alterthums das Prophetenthum, welches die
andere ergänzende Seite der mosaischen Religion ist. Und in diesem bricht
nicht mehr in einzelnen Äußerungen der Gedanke an eine zukünftige
Religion aus, sondern sie erkennen bereits, daß diese nicht für die Juden
allein, sondern für die ganze Menschheit bestimmt sey. Ihnen wird diese
Einseitigkeit und Beschränktheit des relativen Monotheismus immer kla-
rer.
Soviel nun über die Offenbarung, um das geschieht-1 liehe Verhältniß
derselben und* der Mythologie zu zeigen, woraus, wie schon früher ge-
sagt, hervorgeht, daß der Mythologie auf keine Weise Offenbarung zu-
vorkommen könne. Und so wären wir auf die letzte Grenze einer ge
schichtlichen Voraussetzung gekommen, nämlich den relativen Mono
theismus.
Natch dem wir nun auf diesen Punkt gekommen sind, sehen wir, daß
auch bei diesem nicht stehen zu bleiben ist; denn auch dieser relative
Monotheismus muß erklärt werden, er kann selbst nichts ursprüngliches
seyn. Fragen wir nun, was denn das Nichtursprüngliche daran ist, so kann
dies nur darin bestehen, daß er relativ ist. Dem relativen kann nur abso
luter Monotheismus vorausgegangen seyn. Wohin sollen wir aber diesen
setzten? Selbst in der vorgeschichtlichen Zeit ist er nicht zu finden, wir
müßen also noch über diese hinaus gehen, wobei wir dann weiter nichts
als den reinen natürlichen Menschen antreffen. Im* ersten Bewußtseyn
ist der relativ eine Gott gesetzt, der in der Folge wahr und falsch erschei
nen kann. Dieses Falsch oder Wahr erscheinen ist etwas Unwesentliches,
Zufälliges. Nun muß gezeigt werden, daß das Bewußtseyn überhaupt Gott
setzt. Dieses kann nichts Zufalliges seyn, wenn auch das Setzen des rela
tiven es seyn kann, und muß sich herschreiben als entstehend vor dem
ersten Bewußtseyn, das aber nichts anderes seyn kann, als das reine,
unbewegliche Bewußtseyn in seiner reinen Substanz, ohne actus, d. h.
ehe das Bewußtseyn sich selbst bewußt wird. (Substanz ist der Gegensatz
von actus). Das Urbewußtseyn also, so wollen wir es nennen, mußte das
seiner Natur nach an sich Gott Setzende nicht mit Wissen oder Wollen
seyn, und zwar das Setzende des wahren Gottes. Wenn es daher über
haupt zulässig ist, auf ein solches Setzen des natürlichen Gottes einen
Ausdruck anzuwenden, so muß man sagen, jenes natürliche Gott Setzen
sey Monotheismus.
Man könnte etwa in der Art dies argumentieren:
Der Polytheismus kann nichts ursprüngliches seyn, was Alle zugeben,
ebenso wenig aber läßt sich mit einem ursprünglichen Atheismus etwas
anfangen, denn ein Polytheismus aus Atheismus wäre nie begreiflich. Man
könnte also glauben, die nothwendige Voraussetzung von Polytheismus
sey Theismus. Wenn man so schließen würde, wäre der Schluß nicht I
unrichtig, nur umfaßt er nicht Alles. Denn die Frage ist hier, ob das
Urbewußtseyn bloß theistisch sey, was wir aber läugnen, weil ein Gott
überhaupt nie Inhalt eines wesentlichen, natürlichen Bewußtseyns seyn
kann. Denn ein Gott überhaupt ist schon Abstraction. Theismus kann
nur Inhalt eines abstracten und demnach künstlichen Bewußtseyns seyn.
Aus alle dem folgt also, daß wir durch den schon im ersten Bewußtseyn
gesetzten Monotheismus genöthigt sind, das Urbewußtseyn selbst als ei
nen Monotheismus zu setzen, also als Bewußtseyn des wahren Gottes.
* H:In
86 2 SCHELLINGS VORLESUNGEN DM MÜNCHEN
* H: unleserlich
NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 87
wußtseyn des wahren Gottes seyn, möge es nun als bloß wesentlich oder
als aktuell gedacht seyn. Monotheismus ist allerdings die letzte Vorausset-
zung aller Mythologie102, aber nicht ein Monotheismus des menschlichen
Verstandes, der Wissenschaft, sondern der Natur, des Wesens des Men-
schen. Der Mensch ist ursprünglich nur, um das Gott setzende Wesen zu
seyn, um gleichsam die in Gott verzückte Natur103 zu seyn. Es läßt sich wohl
erwarten, daß I man sagt, dies sey eine schwärmerische Lehre. Dies geste-
hen wir zu, wenn man diesen Begriff zur Regel des gegenwärtigen Lebens
machen will, wie z. B. die Sophis* Persiens und unsere Mystiker. Diese
letztem, müde des Jochs, das ein abstrakter Glaube ihnen auflegt, suchen
jene Versenkung in Gott praktisch zu erlangen. Allein dies wäre ein Zu-
rückgehen, der Mensch kann aber nur in dem Vorwärtsgehen Beruhigung
finden. Am wenigsten nun können wir uns diesen Monotheismus als eine
Lehre uns denken, gleichviel ob geoffenbart oder selbst erfunden. Denn
nicht einmal ein schon erkannter ist dieser Monotheismus, sondern viel-
mehr ein solcher, der aller Erkenntniß zuvorkommt. Er ist nicht zufällig,
sondern mit dem Wesen des Menschen selbst gesetzt, und nur darum bleibt
jener Urmonotheismus immer im Hintergrund stehen, von dem sich die
Menschheit nicht trennen kann, wenn auch bereits Polytheismus da ist.
Auf diese Weise sind wir nun zu dem Punkt gelangt, wo wir frei sind
von Voraussetzungen geschichdicher Art, denn diese letzte ist keine ge-
schichdiche. Außer dem Bewußtseyn in seiner Substanz und der ersten
Bewegung aus der reinen Substantialität heraus, durch welche er sich jene
Affektion zuzieht, bedarf es keiner andern Voraussetzung. Aber auch diese
Bewegung ist als eine bloß natürliche zu denken; nicht als eine geschicht-
liche. Es ist dieses Urbewußtseyn als ein der Natur ewiges und überge-
schichtliches zu denken, und ebendeswegen sind beide Voraussetzungen
nicht geschichtlich.
Wir sind also jetzt von der vorgeschichtlichen Zeit in die übergeschicht-
liche gewiesen, der letzte Anfang der Mythologie ist also übergeschichtlich.
Nach diesen Voraussetzungen kann sich nur eine Erklärungsweise der
Mythologie als richtig darstellen. Mit unserer Voraussetzung ist ein bloß
zufälliges Entstehen, wie dies bei den frühern Hypothesen der Fall war, von
selbst hinweggefallen. Der Grund der Mythologie ist nämlich schon in das
lte wirkliche Bewußtseyn der Menschheit gelangt, und wenn der Grund da
ist, ist die Sache in ihrem Grund schon da. Der Polytheismus ist also im
Grunde schon da. Hieraus folgt, daß dieser Akt nicht in das erste wirkliche
Bewußtseyn, sondern außerhalb desselben fallen muß. Es findet sich schon
mit dieser I Affektion. Hieraus folgt, daß diese Bestimmung etwas dem
men sind. Aber, wie er seinen Platz verläßt, verwirrt sich seine Peripherie
und es entsteht ihm nach und nach die mittelbare oder mythologische
Welt. Er sucht seine centrale Stellung noch zu behaupten, während er
schon an einem andern Orte ist, und so entsteht in der That auf eine un-
willkürliche Weise durch jenen Widerspruch, durch jenes Ringen und
Kämpfen die mitdere oder Götterwelt, oder so wäre nach dieser Voraus-
setzung die Mythologie nichts Zufälliges, und eine solche Vorstellung wäre
also allerdings möglich. Unsere Ansicht unterscheidet sich nur von der
andern vorgetragenen darin, daß der Proceß, den wir aufgestellt haben
nichts andres bedarf als das den Proceß selbst besümmende und bestäti-
gende' Bewußtseyn, während jene die Natur zu Hilfe rufen. Es bedarf aber
keiner andren Mächte als deren die im Bewußtseyn aufstehen; das Be-
wußtseyn aber gehört selbst zur Weltschöpfung, also sind die kosmo-
gonischen Ursachen auch die Ursache der Mächte des Bewußtseyns. Die-
ser Proceß ist also ein reiner Proceß des Bewußtseyns, nun müssen wir
aber den Begriff des Processes von einer andern Seite von andern Vor-
stellungen unterscheiden. Wir haben nämlich von einem in Polytheismus
auseinandergehenden Monotheismus gehört, und dies ist doch auch ein
Proceß. Wäre dies, so wäre die Mythologie Entstelltes einer ursprüngli-
chen Wahrheit, während doch nach unserer Annahme das, was in dem
Proceß zerstört wird, nicht absolute, sondern relative Wahrheit ist, die
eben darum auch falsch seyn kann. Ferner kann hier die Rede von einer
Zerstörung des Monotheismus gar nicht seyn; da wir dieselbe schon als
Übergang zur Wahrheit gedacht haben. Das letzte Ziel dieses Processes
wird also seyn, daß dieser Monotheismus, dem ein Bewußtseyn anfäng-
lich bloß wesentlich war, später wirklich werde. I
Der Anlaß zu dem Processe ist allem Anschein nach gegeben durch
eine Potenz, die sich des Bewußtseyns mit Ausschließung der andern
Potenzen bemächtigte. Aber eben diese Potenz verwandelt sich durch
den Proceß in die die Einheit nicht mehr stillschweigend, sondern cum
ictu et actu setzende Potenz. Im Proceß liegt Wahrheit, weil er der Aufhe-
bungsproceß des Falschen ist. Im Fortgange desselben erzeugt sie sich, in
den einzelnen Momenten zwar nicht, wohl aber im Proceß als Ganzen;
der vollendete Proceß enthält Wahrheit.
Aus diesem nun näher besümmten Proceß folgt nun, daß die Mythologie
durchaus nicht Entstelltes einer ursprünglichen Wahrheit seyn kann. Zu
dieser Entstellung dahin hat man nämlich gegriffen, wed man in der My-
thologie keine Wahrheit sehen konnte, weil die Vorstellungen nicht in
ihrer Folge, sondern in ihrer Abstraction betrachtet wurden. Wir kön-
nen nun zugeben, daß alles Einzelne in der Mythologie falsch sey, das
H: Lesart fraglich
NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 91
Ganze aber nicht. Die Vielgötterei ist nur das Accidentelle, das hebt sich
in der Folge wieder auf. Man könnte demgemäß sagen, das Falsche der
Mythologie sey entstanden in Folge des Mißverständnisses des Proceßes,
allein dies ist der Fehler der Betrachters, der die Mythologie nur äußer
lich, nicht innerlich ihrem Proceß nach betrachtet. Die Mythologie ent
steht durch einen Proceß, der in der Stetigkeit seiner Glieder betrachtet
Wahrheit erzeugt und daher in seinem Resultate Wahrheit enthalten muß.
Man könnte um dies weiter zu vertheidigen, die Mythologie mit den Sät
zen in der Philosophie vergleichen. Jeder Satz für sich betrachtet, wenn
er aus der stetigen Reihe herausgenommen wird, ist auch falsch. So z. B.
wäre der Satz: „Gott ist das ursprüngliche Princip der Natur" falsch und
wahr. Wahr ist er, weil er es ist, falsch, weil er dies nicht allein ist, indem
er Alles ist. Stellte einer* ihn so: Gott ist nichts als das ursprüngliche Princip
der Natur, so wäre natürlich der Satz ganz falsch, allein aus dieser Falsch
heit folgt nicht, daß das Gegentheil stattfinden1" müsse. Dieser Satz für
sich betrachtet ist daher wahr und falsch, wie man ihn nimmt.
Wenn es aber nun mit der Mythologie sich so verhält, so könnte man
einwerfen', nach dieser Ansicht wäre I Polytheismus keine falsche Religi
on, ja es gäbe überhaupt keine falschen Religionen. Die Mythologie ist
nur nicht in sich falsch, unter ihrer Voraussetzung ist sie wahr, ob nun
aber die Voraussetzung das Rechte oder Unrechte ist, das ist eine andere
Frage. Die geoffenbarte Religion hebt die Voraussetzung der Mythologie
auf, und somit sie selbst. Diese Voraussetzung fällt nicht in die Mythologie
herein, sie ist bestimmt durch Ursachen, die außer der Mythologie liegen.
Was nun den 2ten Einwand betrifft, es gäbe überhaupt keine falschen
Religionen, so muß zugegeben werden, daß jedes Moment der Mythologie
für sich betrachtet, falsch sey. Nun hat man aber die verschiedenen Mytho
logien der Völker nur als Momente einer Mythologie anzusehen, und so
ist freilich jede einzelne als falsch zu betrachten. Wir aber betrachten die
Mythologie vom philosophischen Standpunkte aus als Ganzes. Die ein
zelnen polytheistischen Religionen sind insofern allerdings falsch, jedoch
nur insofern, wie alle Dinge der Natur abgesondert von dem Processe
des Lebens. Die heidnischen Völker sowohl, die ihr Daseyn bis auf unse
re Zeit fortgesetzt haben, als auch die Griechen befinden sich in ihren
Göttervorstellungen in einem stupiden, sinnlosen Verhältniß zu ihren
Göttern. Die falsche Religion ist auf diese Weise eine Superstitio, wel
ches Wort man fälschlich als Aberglauben der Überlebenden' erklärte,
H: .man' (?)
b
H: vor .stattfinden' steht durchgestrichen .nicht'
* H: vor .einwerfen' durchgestrichenes Wort: .folgen' (?)
d
H: Einfügung am Rand .der Überlebenden'
92 2 SCHELLINGS VORLESUNGEN UM MÜNCHEN
denn da Superstes nicht nur von Personen, sondern auch von Sachen
gebraucht wird, so wird beßer Superstitio als das todte Überbleibsel ei-
nes nicht verstandenen Processes erklärt, wie z. B. die sympathetische
Kur, deren Praxis, wenn sie auch noch wirkt, nicht mehr verstanden wird.
So kann man die polytheistischen Religionen allerdings durch ein sinnlos
gewordenes System erklären.
Durch alles bisherige wäre also gezeigt, daß die Mythologie nicht etwas
Entstelltes sey, so wenig, als man sie für eine bloße Verkleidung, Um-
hüllung der Wahrheit ansehen kann.
Diese letzte Vorstellung entstand daraus, daß man nicht begreifen konn-
te, wie in den mythologischen Vorstellungen Wahrheit enthalten sey, und
so griff man zu 2 Mitteln. Die eine Ansicht nahm die Mythologie so wie sie
ist, aber ohne doktrinellen Sinn, die andere ließ letztern zu, ohne jedoch
den eigentlichen Sinn der Mythologie anzuerkennen. Allein das erste
unbefange-1 ne Gefühl urtheilt, daß die Mythologie eine eigentliche sey,
schließt aber mit dieser eigendichkeit den doktrinellen Sinn nicht misse.
Beide Ansichten also die Mythologie als Lehre aber ohne eigendichen Sinn,
und sie im eigendichen Sinne aber mit Ausschluß des doktrinellen zu fas-
sen, sind so wenig historisch als natürlich. War die Mythologie ursprüng-
lich Dichtung, so mußte sie Lehre werden, sobald sie in den Volksglauben
überging.
Hat man den Gedanken der Entstehung der Mythologie durch einen
Proceß gefaßt, so kann man sich nicht wundern, daß die ganz materiell
betrachtete Mythologie so räthselhaft erschien, da sie natürlich dem, der
den innern Vorgang derselben nicht kannte, ganz unbegreiflich erschei-
nen mußte. Nach Aufstellung der wahren Entstehungsweise der My-
thologie können wir sogar den beiden erwähnten Ansichten ihre Argu-
mente zugestehen, daß die Vorstellungen unmöglich als wahr gemeint seyn
können, was sich aus dem Verlauf des Processes ergibt. Wären die Per-
sönlichkeiten und Begebenheiten in der Mythologie derart, daß man
sie für mögliche Gegenstände einer unmittelbaren Erfahrung halten könn-
te, so hätte Niemand daran gedacht, sie anders als im eigentlichen Sinne
zu nehmen. Wenn wir aber nun dies wirklich voraussetzen, so werden
wir diesen Glauben der frühern Völker an die Wahrheit der mytho-
logischen Vorstellungen nur aus dem Grunde der Erfahrung begreifen.
Hätten wir also dies gleich anfangs für möglich gehalten, so hätten wir
einfach angenommen, daß diese Persönlichkeiten und Begebenheiten der
Menschheit wirklich so vorgekommen seyen, welche Annahme uns in den
Standpunkt der Geschichte versetzt.
Diese nun begründete Ansicht kann nun Antwort geben auf die Frage,
wie es möglich war, daß die Völker des Alterthums diesen mythologischen
Vorstellungen nicht nur Glauben schenken, sondern sogar die größten
NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 93
Opfer bringen konnten. Sie waren für das Bewußtseyn von unabweisbarer,
unzweideutiger Realität, denn es stand nicht bei der frühern Menschheit
sich dieser Vorstellungen zu entziehen oder sie anzunehmen, da sie nicht
von Außen her kamen, sondern im Bewußtseyn selbst gegeben waren.
Weil nun die Mythologie nicht etwas künsdich, sondern natür- I lieh
und nothwendig Entstandenes ist, so lassen sich Form und Inhalt, Stoff
und Einkleidung nicht unterscheiden, denn die Vorstellungen entstan-
den mit und in der Form. Diese ist so nothwendig als der Inhalt selbst.
Weil nun das Bewußtseyn weder die Vorstellungen noch auch den Aus-
druck derselben erfindet oder erwählt, so entsteht die Mythologie als
solche. Zufolge der Notwendigkeit, mit welcher sich die Vorstellungen
erzeugen, haben sie von Anfang an reelle und daher doktrinelle Bedeu-
tung; zufolge der Notwendigkeit, mit welcher die Form entsteht, ist die
Mythologie eigentlich. Damit wären nun alle allegorischen Vorstellungen
der Mythologie verworfen und wir würden dann im Gegensatz zu diesen
sagen, die Mythologie ist nicht allegorisch, sondern tautegorisch zu ver-
stehen, d. h. so wie sie sich gibt, wie sie sich ausspricht.106 Was bisher
allein nicht für möglich gehalten wurde, nämlich einen doktrinellen Sinn
in der Mythologie zu finden mit der Eigentlichkeit derselben ist durch
unsere aufgestellte Behauptung möglich gemacht worden.
Allein nicht bloß doktrineller Sinn, sondern auch Wahrheit liegt in der
Mythologie. Daraus, daß die den Proceß bestimmenden" im Bewußtseyn
selbst aufstehenden Mächte objeetive sind, d. h. auch kosmogonische,
erhellt, daß in der Mythologie nicht bloß doktrineller, sondern auch wah-
rer Sinn sey.
Bringen wir nun die bisher über Mythologie ausgesprochenen Ansich-
ten unter Rubriken, so ergibt sich folgendes Resultat: Die Hauptfrage ist,
ist Wahrheit in der Mythologie oder nicht?107
A B.
Überall keine Wahrheit oder bloß Es ist Wahrheit in der Mythologie,
zufällige a) aber nicht in der Mythologie als
a) daher entweder bloß poetische solcher, sondern als eine in dersel-
b) oder ursprünglich sinnlose Vor- ben verhüllte, so daß die Mytho-
stellungen, aus Stupidität entstan- logie nur Einkleidung ist.
den und durch die spätem Dichter a) die verhüllte Wahrheit histo-
veredelt und verdumpft. risch (Euämeros)
Diese letzte Ansicht ist die von Joh. ß) physikalisch. (Die alten Stoiker
HVoß. und Heyne.
C.)
Es ist eine Wahrheit in der Mytho-
logie als solche. (Schelling)
Diese letzte Ansicht vereinigt die beiden ersten sich gegenseitig ausschlie-
ßenden, indem sie die doktrinelle Wahrheit annimmt, ohne den Sinn aus-
zuschließen; sie ist nun durch die Erklärung möglich gemacht. Von der
jedesmaligen Ansicht hängt immer die Behandlung der Mythologie ab.
Und die, die sich nach unserer Ansicht ergibt, hat nun die unbedingte
Eigendichkeit der Mythologie zu zeigen. Aus dem, was früher über Poly-
theismus gesagt wurde, läßt sich behaupten, daß in der Mythologie wirk-
lich von Göttern die Rede ist; und zu keiner möglichen Zeit konnten diese
Göttervorstellungen einer zufälligen Entstehung überlassen seyn. Es gibt
von Anfang an kein Polytheismus als mythologischer, d. i. der, der durch
den von uns nachgewiesenen Proceß gesetzt ist, und in dem Götter seyn
müßen. In diesem Sinen ist also das polytheistische Moment ganz eigent-
lich zu nehmen und nicht als ein sogenanntes. Nun ist aber Mythologie
nicht bloß Polytheismus überhaupt, sondern auch Geschichte, so daß,
wenn ein nicht actu oder potentia gesetzter* Polytheismus nicht geschicht-
lich ist, er auch nicht mythologisch ist. Es sind also diese Göttervor-
stellungen nicht zufällig, sondern nothwendig; ja selbst in den speciellen
Aufeinanderfolgen der Götter ist nichts zufälliges, sondern Notwen-
digkeit, und es werden sich im Bewußtseyn jene Vorstellungen nachwei-
sen lassen, wie sie ganz natürlich und nothwendig entstanden sind. Ge-
schichte kann man also hier von Lehre nicht unterscheiden, Lehre ohne
Geschichte ist nicht vorhanden. Objektiv betrachtet ist die Mythologie
das, wofür sie sich gibt, wirkliche Göttergeschichte und daher Erzeugniß
Gottes im Bewußtseyn, zu dem sich die einzelnen Götter wie einzelne
Momente verhalten. Subjectiv betrachtet ist die Mythologie ein theo-
gonischer Proceß, und zwar 1) ein Proceß überhaupt, den das Bewußt-
schlossene Zeiten. Allein nur dann könnte die vorgeschichtliche Zeit der
geschichtlichen zur Begrenzung dienen, wenn die vorgeschichtliche eine
im Innern verschieden wäre. Allein der ganze Unterschied zwischen bei-
den ist bloß zufällig, und besteht darin, daß wir von der einen etwas wis-
sen, von der andern aber nichts. Die vorgeschichtliche Zeit ist eigentlich
bloß die vorhistorische, d. i. die, von der die Historie nichts weiß. Kann es
nun aber etwas Zufälligeres geben, als Mangel an schriftlichen Denkmalen,
welche uns den Zustand der vorhistorischen Zeit hätten überliefern kön-
nen. Ein wahrer Unterschied wäre erst dann, wenn der Inhalt der ge-
schichtlichen Zeit ein anderer wäre, als der der vorgeschichtlichen. Nun
fragen wir weiter, welchen Unterschied der Begebenheiten könnte man
zwischen beiden Zeiten aufstellen? Etwa den, daß die Begebenheiten der
geschichtlichen Zeit bedeutend seyen, die der vorgeschichtlichen unbe-
deutend. Wenn man sich mit dieser Unterscheidung begnügen wollte,
müßte man sagen, die geschichtliche Zeit fange mit bedeutenden Ereig-
nissen an. Allein, was sind bedeutende und unbedeutende Ereigniße.
Verbirgt uns nicht vielmehr die vorgeschichtliche Zeit bedeutende Ereig-
niße, da sie entscheidend und wichtig für die Folge sind. Eben daraus,
daß alle Historiker verlegen sind, oder nicht im Stande sind, einen Grenz-
punkt zwischen vorgeschichtlicher und geschichtlicher Zeit anzugeben,
erhellt, daß kein innerer Unterschied zwischen historischer und vor-
historischer Zeit statt finde. Denn ihnen geht der Anfang der historischen
Zeit ins Unbestimmte zurück, weil eben kein wahrer Unterschied statt
findet. Die Vergangenheit ist also nur einerlei Zeit, unbegrenzt, unbe-
stimmt. In einem solchen Unbestimmten, Ungeschlossenen kann sich die
Vernunft nicht erkennen und in Bezug hierauf kann von keiner Philoso-
phie der Geschichte die Rede seyn, wenn auch viel davon in Frankreich
und Deutschland gesprochen wird. Indeß hat sich uns unmerklich durch
die vorhergegangenen Untersuchungen die Zeit der Vergangenheit an-
ders gestaltet. Es ist nicht mehr eine grenzenlose Zeit, es sind wirklich in
sich verschiedene Zeiten, in die sich die Vergangenheit für uns gegliedert
hat.
Die geschichtliche Zeit ist bestimmt worden als die Zeit der voll- I
brachten Trennung der Völker. Insofern ist äußerlich betrachtet der
Inhalt der vorgeschichtlichen Zeit ein anderer als der der geschichtli-
chen. Erstere ist die Zeit der Krisis der Völkertrennung, welche aber
wieder nur Folge einer innern Crisis, der Entstehung der Mythologie
ist. Die Mythologie ist in der geschichtlichen Zeit bereits ein Fertiges;
in der vorgeschichtlichen wird sie und gerade dieses Werden der My-
thologie ist der Inhalt der vorgeschichtlichen Zeit. Dieser Proceß der
Entstehung der Mythologie ist der wahre Inhalt der vorgeschichtlichen
Zeit.
NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 97
fertigen, noch den wahren Anfang der Geschichte finden kann. Es ist also
klar, daß ehe es eine Philosophie der Mythologie gibt, Philosophie der
Geschichte nur dem Namen nach existirt. Diese äußere Folge nämlich, in
welcher die Wissenschaften nach einander auftreten, ist oft innerlich eine
ganz andere. Es können Wissenschaften lange bearbeitet werden, ehe die
Entdeckung gemacht wird, daß eine andre Wissenschaft erst bearbeitet
werden müsse, um sie zu besümmen. So verhält es sich auch mit der Phi
losophie der Mythologie. Offenbar war es längst die Forderung aller For
schungen, die in die Urzeit der Menschheit zurückgingen, daß diese über
jene Zeit verbreitete Dunkelheit klar und erkennbar dargelegt werde, was
nur durch die PhUosophie der Geschichte geschehen konnte. Von jeher
sind Fragen über die ursprünglichen Verhältnisse der Menschheit aufge
worfen worden, wie z. B. über I den Ursprung der Sprachen, welche Fra
ge, da sie über die Geschichte hinausfällt, der Philosophie auch anheimfiel.
So hat z. B. ein Göttinger Geschichtsforscher109 erklärt, daß die Stufe,
welche die Griechen und Ägypter in der Kunst erreicht hatten, durch ein
Anfangen von der untersten Stufe an wie die der BuschHottentotten und
dann durch immer höhere Steigerung und Vervollkommnung erlangt
worden sey. Allein diese Lehre beruht auf einer ganz falschen Philoso
phie, daß der Mensch nämlich von Anfang an sich selbst, d. h. dem freien
Streben überlaßen gewesen sey, womit die Geschichte aber keineswegs
übereinsümmt. Im Gegentheile solche Werke, wie die der Ägypter konn
ten nicht durch die Länge der Zeit entstehen, sondern das Volk stand
gleich in seinem Beginn auf einer solchen Stufe, daß es diese ungeheuren
Bauten erdenken und ausführen konnte. Solche Werke fordern reale
Ideen; reale Ideen sind Wesen nicht von zufälliger, vorübergehender,
sondern von ewiger Bedeutung.
Diese Wesen sind Götter, Mythologie ist also Ursache der Kunst, und
es werden sich die BuschHottentotten wohl nie zu jener Kunst erheben,
da sie keine realen Ideen besitzen. Das Eigenthümliche der mytholo
gischen Gestalten ist, daß sie allgemeine Begriffe nicht bedeuten, sondern
vielmehr sind. Ebendeswegen sind sie nicht allegorische sondern symbo
lische zu nennen; denn Allegorie bedeutet den Begriff, Symbol ist der
Begriff.*
Wenn Gestalten von ewiger Geltung im Bewußtseyn nicht mehr exi
stiren oder ihre Bedeutung verloren haben, so sinkt die Kunst zu jener
Zufälligkeit herab, wie wir sie an der neuem sehen. Bei den griechischen
Werken spricht sich die Wahrheit und Nothwendigkeit der Produktion
* H: Nach .Begriff' steht ein Fragezeichen, vermutlich von fremder Hand einge
fügt.
NACHSCHRIFTEN ,ATHEN' UND EBERZ 99
aus; deswegen kann man bei diesen altern Werken nicht fragen, wozu
dies, was bedeutet dies? Vielleicht also, daß eine tiefere Betrachtung der
Mythologie dazu dient, auch den Sinn für die an sich poetische Welt wie
der zu erwecken. Denn mit Gegenständen dieser poetischen Welt erhält
die Kunst wieder einen bestimmten und somit beschränkten Sinn. I
Dieselbe Gewalt also, welche nach Innen die mythologischen Idee
hervorbrachte, erzeugte nach außenhin die ungeheuren Kunstmassen,
die Conceptionen der Vorwelt. Jene erste Inspiration wirkte auch in der
Kunst fort; sie war die erste Lehrmeisterin des Tiefen und Erhabenen, sie
hob die Menschen leicht und sicher über jene untern Stufen weg und stell
te sie sogleich auf solche, von wo aus sie im Stande waren, solche Werke
hervorzubringen.
Doch um nun wieder auf unser Früheres zurückzukommen, so ist je
ner Proceß, in welchem sich die Mythologie erzeugt, ein theogonischer
und insofern wesentlich religiöser Proceß. Von dieser Seite ist also die
Thatsache des theogonischen Proceßes für die Geschichte der Religion
wichtig, sowie auch nicht ohne Einwirkung auf die Philosophie dersel
ben. Freilich ist die Religionsphilosophie in ihrem Begriff zu wenig be
stimmt, weil sie zu sehr von der allgemeinen Philosophie abhängig war
und großentheils die Bewegungen in sich wiederholte, die in jener vorge
gangen waren*[,] weil es von jeher viele Dilettanten in derselben gegeben
hat, die schrecklich viel darin gepfuscht haben.b In Bezug auf diese Ent
wicklung hat sich Hermann seinerseits über Religion' so ausgesprochen:
nach seiner Meinung, sagt er, gäbe es keine andre Religion, als die von
einer angeblichen Offenbarung sich herschreibende, oder eine natürli
che, und somit philosophische.110 Da er aber erstere nicht anerkennt, so
glaubt er also, daß es nur eine philosophische Religion gäbe. Mit diesem
Ausspruch steht unsere Ansicht ganz in Widerspruch. Unsere Religion,
die aus dem mythologischen Processe entstand kann nichts anders als
eine natürliche seyn, aber keine raüonale oder philosophische. Mythologie
ist eine ursprüngliche und natürliche Religion, die entsprang aus einem
wesentlichen und somit natürlichen Verhältniße zu Gott. Dieses waltet
durch den ganzen Proceß durch. Man hat zwar den Ausdruck Natur
religion für Mythologie gebraucht, allein soviel ist wenigstens gewiß, daß
alle, die diesen Ausdruck annehmen, sich denken, daß eine wesentliche
Ingredienz dieser Religion die äußere sichtbare Natur sey, welche An
sicht aber als bei der Mythologie untauglich schon widerlegt ist. Vielmehr
ist natürliche Religion eine von allem Wollen und Wissen entfernte spon
tan entstandene, eine wildwachsende Religion.111 Nun kann aber bestimmt
diese Religion nicht eine natürliche seyn, ohne den Gegensatz, die
offenbarte Religion hervorzurufen, die gewöhnlich aber natürlich I
nannt wird und ebendaher uns unbegreiflich ist. Um also diese zu begrei
fen muß die natürliche vorausgesetzt werden. Und so behauptet der
wöhnliche Supematuralismus, der gleich mit dem Übernatürlichen be
ginnt, etwas Unnatürliches. Um nun diesen Satz, daß die natürliche der
geoffenbarten vorausgehen müsse, besser zu zeigen, wollen wir einen Satz
zu Hülfe nehmen, daß Religion, so weit sie dies ist, von Religion nicht
verschieden seyn kann. Nun ist die Mythologie nicht zufällig, sondern an
sich Religion, und so müssen sich auch die erzeugenden Principien, die
Faktoren der wirklichen Religion in der Mythologie finden. Aber eben
diese Faktoren müssen sich auch in der geoffenbarten finden, wenn diese
eine Religion seyn soll. Nur die Bedeutung dieser Prinzipien ist anders in
beiden Religionen, denn die eine, die göttliche wird nur götdiche und die
natürliche Religion nur natürliche Prinzipien haben. Durch das Voraus
gehen der natürlichen Religion muß also das göttliche Prinzip in der ge
offenbarten begründet werden. Ferner zu weiterm Beweise haben wir in
der Mythologie eine erste Potenz angenommen, die sich des Bewußtseyns
bemächtigt. Die folgende Potenz schließt diese erste aus, und so stehen
beide in gegenseitiger Ausschließung oder Spannung. Diese beiden Po
tenzen sind nicht Nicht Gott, aber nicht ist ihnen Gott als Gott, d. h. sei
nem Wesen nach. Gott ist zwar in diesen 2 sich ausschließenden Poten
zen; aber er ist in ihnen außer sich, außer seiner Gottheit. Diese 2 Prinzi
pien sind also außergöttlich und daher natürlich. Das Göttliche ist daher
der Mythologie nicht ganz entfremdet, wenn auch nicht die Gottheit als
solche darin ist.
Was nun die geoffenbarte Religion betrifft, so müssen wir altes und
neues Testament unterscheiden. Das alte Testament wird unter dem
Gesetze des ausschließlichen Monotheismus, unter dem Gesetze der er
sten Potenz gehalten. Der lte Gott ist hier der Vermittelte, sich offenba
rende, darum erscheint der wahre Gott immer als ein Werdender, zu
künftiger. Das Ende aller Offenbarung, denn als ein solches muß das
Christenthum gefaßt werden, ist die Befreiung von jener Voraussetzung,
unter der bisher alle Religionen gestanden haben. Diese Befreiung ist nur
durch eine götdiche That möglich, deren Folge ist, daß dfe Potenzen, die
im Prozeß I nur als außergöttlich, natürlich erscheinen, in göttliche umge
wandelt wurden. Diese göttliche That ist der einzige wahre und göttliche
Inhalt des neuen Testaments. Eine That muß es seyn, denn dem Proceß
kann nur die That entgegenstehn, und so kann der Proceß als etwas nicht
Vorgestelltes, sondern Wirkliches, nicht durch eine Lehre, sondern durch
NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 101
längst Alles, was ihr in den chrisdichen Dogmen missfällig war, als heidnisch
erklärt. Aber gerade diese Heidnische macht das Wesentliche des Chri-
stenthums aus, den Zug des Übernatürlichen; ohne dieses wäre das Chri-
stenthum eine allgemeine', VernunftReÜgion.112
Bisher haben wir nun die Religion in 2 Formen, in der natürlichen oder
mythologischen und in der geoffenbarten betrachtet. In dieser geschicht-
lichen Aufeinanderfolge ist erst der dritte Platz für die phUosophische
Religion, vermittelt durch beide vorhergehende. Das Gemeinschaftliche
beider ist, daß sie unabhängig vom menschlichen Denken sind, die eine
gesetzt durch einen nothwendigen Proceß, die andre durch eine göttli-
che That. Weil nun der mythologische Proceß des Bewußtseyns ein un-
begreiflicher ist, und die geoffenbarte Religion es an sich ist, so fordern
beide eine dritte Religion, die unabhängig von jedem realen Verhältniß
beide voraussetzt. Der eigendichen philosophischen Religion ist also der
Zeit nach nicht nur Mythologie, sondern auch Offenbarung vorausge-
gangen, wie denn vor der Offenbarung keine eigentliche ReligionsphUo-
sophie I seyn kann wie z. B. die griechische, die darum keine eigendiche
Philosophie ist; und zwar aus sehr begreiflichen Gründen. Die Mythologie
hatte in Griechenland gerade in ihrer höchsten Entwicklung das Verlan-
gen nach einer außer ihr sich setzenden Religion, sie fühlte also ihre Unzu-
länglichkeit, erkannte aber auch, daß nur eine von außen herkommende
Religion möglich sey. So enthielt sich z. B. Aristoteles, eine philosophi-
sche Religion aufzustellen, wenn er vielleicht auch in seinem Geiste sich
sehr damit beschäftigte.
Das mythologische Prinzip wurde nun durch die chrisdiche Offen-
barung aufgehoben, und eben darum, weil dasselbe sich im Gegensatz
zum Heidenthum behauptet hatte, und behaupten musste, mußte es sich
als eine freie reale Macht zeigen und das geschah in der Kirche. Aber erst
von der Zeit an, als die Macht der Kirche gebrochen war, also von der
Zeit der Reformation an war an eine philosophische Religion zu denken.
Ist nun diese von uns aufgestellte Aufeinanderfolge die richtige, so kann
es keineswegs demgemäß seyn, wenn die philosophische Religion das
negiren will, wodurch sie hauptsächlich vermittelt und begründet wurde.
Es ist also, wenn man von plülosophischer Religion spricht, eine wahre
und falsche zu unterscheiden. Wahr ist die, welche die mythologische und
geoffenbarte Religion zu begreifen vermag, die falsche sucht ihre Voraus-
setzung die geoffenbarte Religion zu negiren. Aber die Prinzipien der
philosophischen Religion können keine andern seyn, als die, welche in
der natürlichen und geoffenbarten enthalten sind, nur in anderer Gestalt.
Die philosophische Religion nämlich muß diese Prinzipien als frei betrach
ten, während sie bei der Mythologie als unfrei erkannt wurden. Die frühern
Erklärungen, die darauf hinaus gingen der Mythologie einen uneigent
lichen Sinn zu geben, beruhten auf dem Fehler, daß sie die Prinzipien der
mythologischen Religion nicht als wirkliche angesehen hatten. Das wah
re Begreifen der Mythologie und der Offenbarung kann nicht darin be
stehen, das Irrationale darin aufzuheben, sondern vielmehr darin, daß
die philosophische Religion dieselben Faktoren, die sie in jener als real
erkennt, in sieht selbst als Resultat der freien Erkenntniß sieht. In der
That wird es hier auch die Aufgabe seyn, das, was wir in der Mythologie
und I Offenbarung als wirklich betrachtet haben, in der philosophischen
als möglich nachzuweisen. Hier entsteht nun aber die Frage, wo die phi
losophische Religion nachzuweisen sey, die Mythologie und Offenbarung
in ihrer ganzen Eigendichkeit zu begreifen verstände. Um sich als besondre
Wissenschaft aufzustellen, muß die Religionsphilosophie ein von der all
gemeinen Philosophie unabhängiges Prinzip der Religion aufstellen. Sie
kann sich nun entweder als bloß objeetiv oder auch als subjeetiv darstel
len. Als objeetiv kann sie die allgemeinen Erscheinungen der Religion
darstellen, als subjeetiv aber auch nachweisen, wie die Religion im Indivi
duum entsteht. Gibt es also eine besondre Wissenschaft unter dem Na
men Religionsphilosophie, so muß es ein spezifisches Prinzip derselben
geben. Man sagt gewöhnlich, Jacobi habe das Gefühl als eigentliches Prin
zip des Wissens von Gott aufgestellt. Allein Jacobi hat sich zwar gegen
Physik und Mathematik, nicht sowohl auf das Gefühl überhaupt, als viel
mehr auf die besondre Energie seines eignen Gefühls gestützt.113 Aber
außerdem, daß der das Gefühl eigentlich nicht als Prinzip aufstellt, war
ihm das Gefühl so wenig von der Vernunft unabhängig, daß er später sogar
für Gefühl Vernunft setzt. Doch unterschied er wissenschaftliche Ver
nunft, die zum Atheismus führe, und Vernunft vor aller Wissenschaft, in
ihrer reinen Substanz, in der Wissen Gottes enthalten sey. Er selbst such
te dieses unmittelbare Wissen Gottes in und mit der Vernunft so zu be
weisen: „Nur der Mensch weiß von Gott, nicht das Thier. Der einzige Un
terschied zwischen Mensch und Thier besteht in der Vernunft, nicht in
dem Verstand, welche diese nicht besitzen. Es muß also Vernunft Ursa
che des Wissens von Gott seyn." Nun fragt sich aber, in welchem Sinn
dieses Wissen genommen ist. Man weiß von einer Sache, auch wenn man
bloß davon gehört hat, z. B. durch ein Gerücht, so daß dieses Wissen mich
in dem Fall läßt, entweder die Wahrheit des Gehörten zu bejahen oder zu
verneinen. Nun kann das Wissen auch in bejahendem affirmativen Sinne
genommen seyn. Allein als dann ist der Obersatz in seinen 2 Gliedern in
2erlei Sinn genommen. Denn im Obersatz heißt es, der Mensch weiß von
Gott, d. h. er bejaht Gott, dann ferner: das Thier weiß nicht von Gott,
104 2 SCHELLDMGS VORLESUNGEN DM MÜNCHEN
d. h. es weiß weder etwas, noch nichts von Gott, es bejaht weder, noch
verneint es Gott. Außerdem kann man auch nicht sagen, Gott bejahen.
Jedenfalls geht dieser Satz Jacobis immer nur auf ein Wissen I von Gott
hinaus.
Inwiefern nun philosophische Religion Resultat der Philosophie ist, wird
wohl keine Philosophie da seyn, welche das, was wir durch eine Reihe
von Schlüssen in der Mythologie zu erkennen genöthigt waren, zu begrei-
fen verstünde. Hier könnte man uns den Einwurf machen, gerade aus
dem Grunde, weil die Philosophie es nicht begriffe, könne unmöglich das
wahr seyn, was wir behaupteten. Allein wir sind bei dieser ganzen Unter-
suchung von keiner vorgefaßten Meinung, keiner Philosophie ausgegan-
gen, sondern nur stufenweise fortschreitend verwarfen wir die Ansich-
ten und Erklärungen, die Nichts erklärten. Eine solche Methode einer
fortschreitenden alles bei Seite setzenden Kritik befolgend sind wir auf
den Punkt einer Ausschließung jeder andern Ansicht gekommen. Aller-
dings ist bei den* Meisten von ihren philosophischen Ansichten leicht
begreiflich, daß sei sich damit nicht begnügen. Aber deswegen dürfen sie
dieser Ansicht nicht widersprechen, sei müssten denn eine Unrichtigkeit
in den Schlüßen finden.
Unsere nun faktische begründete Ansicht darf sich nun auch heraus-
nehmen, die Philosophie über ihre bisherigen Schranken zu führen: Wenn
die Philosophie nicht im Stande ist, die Resultate in der Mythologie zu
begreifen, so folgt daraus, daß sich dieselbe erweitern müsse. Allein nur
durch eine Thatsache ist eine Erweiterung möglich. Es ist allgemein zuge-
standen, daß ein System, welches zu einer unwidersprechlichen Thatsache
kein Verhältniß hat, kein wahres seyn könne. Die Fortschritte sind in der
Philosophie entweder nur formelle oder reelle. Erstere sind von keiner
Bedeutung, und haben keinen wesendichen Einfluß, letztere würden nur
in Folge neuer Erfahrungen gemacht, jedoch nicht daß gerade neue That-
sachen sich ergeben müßten, sondern daß man in alten neues sah, was
man bisher nicht darin sah. Durch Kants Kritik der reinen Vernunft ist
eine große Erweiterung in der Philosophie geschehen, und er hat zuerst
die menschliche Freiheit als ein nothwendiges Prinzip in der Philosophie
festgesetzt. Allein nur zu bald setzte man Alles beiseite und beschränkte
Alles auf die menschliche Freiheit. Allein, da die verschiedenen Seitenb
der Philosophie sich immer wieder in Gleichgewicht setzten, so mußte
auch gegen diese sich wieder eine andere Seite der menschlichen Er-
kenntniß erheben, I nämlich die Naturphilosophie. Man kann als sicher
annehmen, daß das, was zu jeder Zeit als Philosophie gilt, immer nur ein
H: der
k
H: Zeiten
NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 105
Resultat von Thatsachen ist, auf die sie berechnet ist. Es ist dann ganz
natürlich, daß eine solche Philosophie unzufrieden ist, wenn Ansichten,
die sie längst beseitigt glaubte, wieder hervorgezogen werden. Überhaupt
ist Niemand gern geneigt, früher gefaßte Ansichten aufzugeben oder sie
zu erweitern, was man im Allgemeinen auch von der philosophischen
Denkart der neuern Zeit sagen kann. Die Begriffe der Philosophie richte-
ten sich nach dem, was sie konnte, und dafür mögen sie gut gewesen seyn.
Die Welt, auf die sich die gegenwärtige PhUosophie bezieht, ist noch die
vor 30 Jahren. Es mag sich also jetzt die Philosophie gefallen lassen, daß
man ihr neue, vorher unbekannte und nicht in Betracht gezogene That-
sachen vor Augen stelle. Man hat behauptet, in letzter Zeit habe sich das
Interesse an der Philosophie in Deutschland vermindert, ja verloren. Aber
hätte sich eine Theilnahme für einen dürren Formalismus, für eine Philo-
sophie finden sollen, die statt neue Wege zu bahnen und die Schranken
zu durchbrechen, diese nur unüberwindlich machte. Nie war vielleicht
ein lebhafteres Verlangen nach einer wirklichen Aufschluß gebenden
Philosophie. Beweise eines solchen Verlangens finden sich überall. Es wird
also das durch unsere Untersuchung gewonnene Resultat der Philoso-
phie einen neuen Schwung geben, und zwar ist unser Verfahren bei die-
ser Untersuchung ähnlich den Verfahren des Sokrates und Piatons in
ihren Dialogen. Der Anfang oder überhaupt die Einleitung der platoni-
schen Dialoge ist nicht zufällig, sondern hat den Zweck, den der Arzt hat,
der einen klagenden Menschen, welcher übermäßig genossen hat, auf
schmale Kost setzt, nämlich den Schüler durch Fragen vorerst von allem
falschen philosophischen Schwulste zu befreien. Denn am meisten in der
Philosophie ist der Schwulst am hinderlichsten. Der sinnige Plutarch
bemerkt ausdrücklich von Sokrates, daß er den Schwulst der Philoso-
phen (Hauptsächlich der Eleatiker) wie einen leichten Rauch weggeblasen
habe, (st also nun der Schüler durch Vorfragen vorbereitet, so wird er
plötzlich durch eine leichte Wendung zu den tiefsten Wahrheiten und
Spekulationen geführt, die ihn zur Einheit und zur Wahrheit führen.
Wein wir von unserm gewonnenen Standpunkt aus einen Blick auf
die äuiern Voraussetzungen zurückwerfen, mit denen man I die Mytho-
logie zu erklären suchte, so kann es schon als ein wesendicher Fortschritt
zur pHlosophischen Betrachtung der Mythologie gelten, daß wir sie in
das Imere des Menschen gesetzt haben, d. h. daß wir angenommen ha-
ben, en menschliches Bewußtseyn sey der eigentliche Sitz der mytholo-
gischen Bewegung.
Aus allem Frühern folgt nun, daß der mythologische Proceß ein ur-
sprünglich religiöser, wenn auch nicht ausschließlich religiöser ist. Inso-
fern als unsere Ansicht keinen Sinn der Mythologie ausschließt, ist sie die
vereingende der frühem. So versteht es sich von selbst, daß die Mytho-
106 2 SCHELLDMGS VORLESUNGEN DM MÜNCHEN
* H: Lesart unsicher
NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 107
dennoch der Wirklichkeit nach ein polytheistisches und zwar nicht allein
der Pöbel, sondern hauptsächlich die Ersten, z. B. Salomo, der sich bei
aller seiner Weisheit vorzugsweise zum Polytheismus hinneigte.
Es ist nun hinlänglich gezeigt worden, daß die Mythologie ein allgemei-
nes Phänomen sey und demgemäß gleich auf dieselbe Stufe wie die Spra-
che hätte gestellt werden können. Was hat uns also verhindert diesen ein-
fachen Weg zu nehmen, was hinderte uns den Begriff Philosophie der
Mythologie als schon begründet anzunehmen. Die frühern Erklärungen
nehmen überhaupt an, die mythologischen Vorstellungen seyen zuerst
unter einem Volke oder unter mehreren sich ähnlichen Völkern entstan-
den, und von diesen hätten sich dann diese Vorstellungen weiter fortge-
pflanzt. Wenn diese Voraussetzung eine richtige wäre, so wäre die Über-
einstimmung der mythologischen Vorstellungen der verschiedensten
Völker eine zufällige, und die Mythologie wäre als dann kein allgemeines
Phänomen, wenn sie auch den Schein hätte, als wäre sie es. Das Resultat
aller Erklärungen war immer die mehr oder minder zufällige Natur der
Mythologie. So lang aber ein Phänomen als ein zufälliges betrachtet wird,
kann sich die Philosophie nicht mit demselben befassen. Diese I Voraus-
setzungen aber konnten nicht übergangen werden, weil sie zum Theil von
Männern gemacht wurden, die sich auf dem Feld der kritischen Untersu-
chung schon Ruhm erworben haben. Konnten wir sie also ignoriren, oder
als nicht philosophisch verwerfen? Sollte man ihnen sagen, die Mythologie
lasse sich nicht aus äußern, sondern innern, nothwendigen Gründen er-
klären? Nein, denn die Urheber dieser frühem Erklärungen konnten ein-
fach antworten: „Unsere Erklärungen sollten nicht philosophische seyn,
und es ist die Frage, ob die Mythologie philosophisch ist." Gerade das
war die Frage, ob in der Mythologie ein wirkliches inneres, immanentes
Prinzip, eine wahre Natur enthalten sey. Wir mußten uns also in diese
Fragen einlassen, mußten die Voraussetzungen an sich prüfen, ob sie
möglich, glaublich, oder nicht. Der Ursprung der Mythologie geht frei-
lich in eine Zeit zurück, wohin keine geschichtlichen Forschungen drin-
gen können, und aus der keine schriftlichen* Denkmale aufb uns gekom-
men sind. Allein es lassen sich doch aus der ältesten Geschichte Schlüße
ziehen, die ziemliche Gewißheit verschaffen. Außerdem ist uns als unver-
werfliches Denkmal aus der vorgeschichtlichen Zeit die Mythologie selbst
gegeben. Sind also alle Hypothesen und Erklärungen als unmöglich er-
wiesen, so fallen diese. Allein es war nicht hinlänglich die gemachten Er-
klärungen abzuweisen, sondern man mußte alle nur möglichen in Erwä-
gung ziehen, so daß wir von Stufe zu Stufe immer mehr und zuletzt alle
* H: durchgestrichen: .historischen'
b
H: Vor .auf steht durchgestrichen: .übrig'
108 2 SCHELLDMGS VORLESUNGEN IN MÜNCHEN
übrigen nur möglichen Erklärungen ausschlössen und auf den Punkt ge-
langt sind, auf dem wir uns jetzt befinden, nämlich zum Begriff Philoso-
phie der Mythologie. So haben wir also unsern Begriff von unten herauf
begründet und nicht gleich a priori angenommen. Der Standpunkt der
ganzen bisherigen Untersuchung war also ein historisch kritischer, allein
doch keineswegs ein unphilosophischer.
Der Begriff Philosophie der Mythologie subsumirt sich unter den all-
gemeinen einer Theorie der Mythologie. Denn erhebt sich die Wissen-
schaft zum Wesen, so wird sie Theorie, und so wird Theorie nur I davon
möglich, worin ein wahres Wesen ist, Wesen aber ist Prinzip der treiben-
den Bewegung. Ein solches inneres treibendes Prinzip fehlt der Mythologie
nach den frühern Erklärungen, die daher fälschlich Theorie genannt
werden. Die Theorie jedes natürlichen oder geschichtlichen Gegenstan-
des ist bloß eine philosophische Betrachtung eines Gegenstandes, und
hier kommt es nur darauf an die Natur desselben zu erkennen. Auf den
ersten Blick scheint Nichts disparater zu seyn als Wahrheit und Mytho-
logie, und daher auch Philosophie und Mythologie, weswegen letztere
auch mit dem Namen Fabellehre bezeichnet wurde. Aber eben in diesem
Gegensatz selbst liegt die Aufforderung in dem sinnlos Scheinenden Sinn
zu suchen aber nicht so, wie es von frühern Erklärern geschah. Die Ab-
sicht muß vielmehr seyn, daß in der Mythologie die Form nothwendig und
somit vernünftig ist. Wem aber die Mythologie als unwürdig der philoso-
phischen Betrachtung erscheint, mag dies beherzigen: die Natur erregt
freUich dem gedankenlosen abgestumpften Menschen kein Erstaunen
mehr; allein wir können uns gar wohl eine geistig sittliche Stimmung vor-
stellen, in welcher uns die Natur nicht weniger unbegreiflich erscheint,
als jetzt die Mythologie. Wer immer in einer Art geistiger Verzückung zu
leben gewohnt wäre, könnte leicht bei Betrachtung der Natur fragen:
Wozu dieser nutzlose Stoff, konnte Gott sich an solchen Produkten er-
freuen, wozu solche Thiere, deren Daseyn keinen Zweck hat, wozu das
viele Anstößige in den Handlungen derselben, wozu überhaupt diese ganze
Körperwelt. - Und dennoch können wir nicht unterlaßen diese Natur zum
Gegenstande der Philosophie zu machen. Es gibt allerdings Gegenstän-
de, zu denen die Philosophie kein Verhältniß hat, z. B. zu dem, was keine
Wirklichkeit in sich hat. Aber der mythologische Proceß ist etwas Wirk-
liches, von der menschlichen Meinung Unabhängiges, ein nothwendiges
inneres Erzeugniß, wenn wir auch zugegeben haben, daß die Mythologie
ausgeschmückt und erweitert werden könne. Ferner kann sich die Philo-
sophie mit nichts Corruptem befassen. Nun mögen sich freilich in ver-
schiedenen Götterlehren einzelne aus ihren Fugen gerissene Theile fin-
den; allein Mythologie ist, wie wir gezeigt haben, nichts Entstelltes. Ein
Ferneres, worin sich die I Philosophie nicht erkennen kann, ist das Gren-
NACHSCHRIFTEN ,ATHEN' UND EBERZ 109
zenlose; aber die Mythologie ist etwas Abgeschlossenes, ein Proceß ähn-
lich ein<er eintretenden und sich wieder verlaufenden Krankheit, eine
Beweguing, die aus einem bestimmten Anfang, durch bestimmten Mittel-
punkt zu bestimmtem Ende geht. Endlich widerstrebt der Philosophie das
Todte, Stillstehende; Mythologie aber ist etwas sich selbst Bewegendes.
Es ist also der Ausdruck Philosophie der Mythologie ganz eigendich zu
nehmeni wie Phdosophie der Sprache. Man könnte den Ausdruck etwas
unbequem nennen, allein jeder andere Ausdruck würde bald zu weit, bald
zu eng erscheinen. Denn Mythologie bedeutet zwar Wissenschaft der
Mythen, aber auch das Ganze der mythologischen Vorstellungen.
Ein Verhältniß zum Inneren der Mythologie hat die Phdosophie erst
mit ihrer eignen geschichdichen Gestalt erhalten. Das Successive in der
Philosophie* mußte auf das Successive in der Mythologie aufmerksam
machen. Unstreitig hat freilich die Mythologie die nächste Verwandt-
schaft mit der Natur und demnach ist eine materielle Identität des Stof-
fes zwischen beiden nicht zu verkennen. Dieser Zusammenhang gereich-
te jedoch den ersten Versuchen der neuern Zeit zu großem Nachtheil,
weil sie mehr von einer allgemeinen Gährung als von wissenschaftlichen
Begriffen ausgingen und dadurch ins Weite und in Methodenlosigkeit
ausschweiften. Es war ein großes Glück, daß Friedrich Creuzer seine
Thätigkeit auf die Mythologie richtete; und durch seine klassisch schö-
ne Darstellung und durch seine reelle Gelehrsamkeit brachte er zuerst
die Ansicht von der höheren Behandlung der Mythologie hervor, und
machte diese bald in die weitesten Kreise allgemein verbreitet. Allerdings
erhoben sich sogleich die Gegner, die Anhänger des alten Sauerteigs,
unter ihnen hauptsächlich Johann Heinrich Voß115, und Hessen es an
Schreien und Lärmen nicht fehlen. Sie hofften mittelst hergebrachter
Verläumdungen bei dem weniger unterrichteten Publikum den Versuch,
die Mythologie von einem höhern Standpunkte aus zu betrachten, ver-
ächdich machen zu können. Allein gerade das Gegentheil wurde dadurch
bewirkt, man wurde dadurch angeregt den lange vernachlässigten Ge-
genstand wieder aus seinem Dunkel hervorzuholen, I ihn näher zu be-
trachten und zu untersuchen, und gelangte dadu-ch zu besserer Er-
kenntniß. Hat sich nun herausgestellt, daß ein befriedigender Abschluß
mit bloß empirischen Annahmen nicht zu erreichen sey, so erscheint
auch damit die Idee der Mythologie zugleich als eine äußerlich durch die
Zeit begründete Idee.
Nach diesem könnten wir jetzt, da wir alle frühern Erklärungen besei-
tigt haben, fortschreitend zur Aufstellung der Wissenschaft d. i. des Be-
* H: durchgestrichen: .Mythologie'
110 2 SCHELLINGS VORLESUNGEN DM MÜNCHEN
griffs der Philosophie der Mythologie gelangen. Allein die Mythologie ist
freilich jetzt als Erzeugniß eines theogonischen Processes von uns erkannt,
aber dieser Begriff des theogonischen Proceßes ist selbst nur durch
kombinirte Schlüsse gefunden worden, keines wegs ein von seinen eig-
nen Prämissen aus begriffener. Dieser Begriff ist bis jetzt nur die letzte
Grenze, zu welcher wir auf der bisherigen dialektisch historischen Unter-
suchung gelangt sind. Um nun zu einem Ziele zu kommen, müssen wir
fragen: Welches sind die Elemente dieses theogonischen Processes, war-
um ist überhaupt ein solcher Proceß? -
Nun könnten wir von den höchsten Prinzipien der Philosophie aus zu
diesen Begriffen gelangen, allein wir würden dadurch auf eine ganz andre
Art verfahren als früher. Unsere Absicht kann also nur seyn diese letzte
Voraussetzung wieder in ihre Voraussetzungen zu verfolgen, bis wir zu
dem Punkt gelangt sind, von dem aus herabsteigend wir die Mythologie
von ihren höchsten Prinzipien aus betrachten.
Die nächste Voraussetzung ist also ein theogonischer Proceß des Be-
wußtseyns, allein dieser hat wieder eine Voraussetzung, nämlich den mit
dem Wesen der Menschheit gesetzten Monotheismus. Liegt in ihm der
Grund der theogonischen Bewegung des Bewußtseyns, so liegt in ihm
auch der Grund der theogonischen Bewegung überhaupt. Das Nächste
ist also allerdings, einen theogonischen Proceß des Bewußtseyns begreif-
lich zu machen, aber um diesen zu begreifen, müssen wir auf den Proceß
der theogonischen Bewegung überhaupt zurückgehen, und dieser liegt
im Monotheismus. Und dann werden wir den Monotheismus, wie früher
die Mythologie, als eine gegebene Thatsache voraussetzen, und die Frage
wird nur I seyn: welche Bedeutung, welchen Inhalt hat der Begriff Mono-
theismus. Den Begriff Monotheismus als Thatsache zu behandeln hat um
so weniger Schwierigkeit, als dieser Begriff unter allen religiösen und
philosophischen sich vielleicht der allgemeinsten Zustimmung erfreut. Die
mythologische, geoffenbarte und phUosophische Religion enthalten die-
sen Begriff; den beiden ersten liegt er als reales Prinzip zu Grunde, die
philosophische enthält ihn als einen frei erkannten. Es kommt nun dar-
auf an, wie er verstanden wird. Das Einzige, was man dieser Untersuchung
entgegensetzen könnte, wäre die Verwunderung darüber, daß man fra-
ge, was in dem Begriff Monotheismus enthalten sey, da doch der Begriff
kein Schulbegriff, sondern ein allgemeiner, ein Begriff der Menschheit
sey, über dessen Inhalt die Menschheit längst einig seyn müsse, es brau-
che also gar keiner Untersuchung. Dagegen kann man sagen, der Mono-
theismus ist allerdings nicht durch die Wissenschaft in die Welt gekom-
men, allein es ist gar wohl möglich, daß die Menschen sowie von andern
Begriffen, so auch von dem Monotheismus beherrscht sind, ohne sich
des Begriffes bewußt zu seyn. Aber irgend ein Sinn, wird man und mit
NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 111
Recht sagen, muß doch nothwendig mit einer so allgemeinen Lehre ver-
bunden seyn. Fragen wir also, welcher Sinn mit dem Begriff des Mono-
theismus gewöhnlich verbunden wird. Der Sinn dieser Einzigkeit und also
auch der Lehre von der Einzigkeit Gottes beschränkt sich auf die Behaup-
tung, daß außer Gott kein andrer sey. Dies wird gewöhnlich unter
Monotheismus verstanden. Betrachten wir dies etwas näher, so heißt es
nicht außer einem Gott, sondern schlechthin außer Gott könne kein
andrer seyn: Nun könnte man versucht seyn außer Gott noch einen an-
dern Gott zu setzen. Da aber schlechterdings nur Gott, nicht ein Gott
gesetzt ist, so wäre es Ungereimtheit, ihn mehrmals zu setzen. In diesem
Sinne hat es nie Polytheismus gegeben, und so kann auch die Verneinung
des Polytheismus nicht Monotheismus seyn. Es erhellt also daraus, daß
das, was man bisher allgemein für Monotheismus ausgegeben hat, dies
nicht ist, sondern nur eine ganz überflüßige, ja ungereimte Versicherung
enthält. Warum ist es nicht einem der Theologen, die so gerne Philoso-
phie bei der Theologie anwenden, nicht eingefallen, sich vorerst nur an
diesem ersten und einfachsten Begriffe zu versuchen, I ehe er sich so hoch
versüege. Eine Ahnung, daß es mit diesem Begriffe nicht ganz richüg sey,
kann man auch darin finden, daß bei Behandlung dieser Lehre überall
eine große Unsicherheit, ein Schwanken im Ausdruck wahrzunehmen ist.
Neuere philosophische Lehrbücher haben diesen Begriff ganz übergan-
gen. Daß die Theologen aber verlegen sind über die Erklärung desselben
und zwar nicht wegen der Dunkelheit, sondern wegen der zu großen Klar-
heit des Begriffes, wird dem unbefangenen BeurtheUer nicht entgehen. -
Wenn nun außer Gott ein anderer nicht wirklich sondern nur möglich
wäre, so wäre jener nicht als Gott, sondern als ein Gott gedacht. Darum
sprachen Hume und andere Philosophen immer nur von Theismus, da
sie Monotheismus immer als pleonastisch angesehen haben. Die Theolo-
gen haben den Begriff Monotheismus noch beibehalten, da mit dem Be-
griff Theist früher eine unangenehme Bedeutung verbunden war, näm-
lich Theist ein solcher genannt wurde, der zwar Gott aber nicht seinem
Wesen nach anerkennt. Aber diese Bedeutung hat sich jetzt ganz verlo-
ren, so daß sich z. B. Jacobi Theismus als das Höchste und Wünschens-
wertheste dachte. Bei den Theologen folgt nach dem Capitel De deo ein
anderes über die göttlichen Attribute. Diese werden unterschieden in
positive und negative. Erstere sind solche, durch welche' Gott der wahre,
der bestimmte Gott ö GEOC, wird, die negativen machen die eigentliche
Gottheit nicht aus, z. B. Ewigkeit, denn ewig könnte auch eine todte Sub-
stanz seyn. Es läßt sich daraus erkennen, daß ein bloßer Theismus genug
ist, und wie es möglich war, Theismus gleich Atheismus zu setzen. Die
' H: welches
112 2 SCHELLINGS VORLESUNGEN DM MÜNCHEN
negativen Attribute könnte man also die bloß theistischen, die positiven
die monotheistischen nennen.
Der Begriff Monotheismus ist also weder in der Philosophie noch in
der Theologie vorhanden und gern gäben beide ihn auf. Monotheismus
hat aber nur Sinn in Bezug auf Polytheismus. Ist der Begriff des Mono-
theismus von dem des Theismus nicht geschieden, so gibt es keine Eigent-
lichkeit der Mythologie, keinen Polytheismus.
Worin nun die Wahrheit und Einheit Gottes besteht, die wir früher als
Erklärung des Monotheismus angenommen haben, das ist noch zu zei-
gen. Gesetzt es fänden sich in dem richtig bestimmten Begriff des Mono-
theismus die Elemente, die uns in den Stand setzten, einen theo-1 gonischen
Proceß überhaupt zu begreifen, so werden uns 2) mit dem wesentlichen
Monotheismus die Mittel gegeben seyn einen theogonischen Proceß des
Bewußtseyns unter einer gewissen Voraussetzung zu begreifen, und 3)
die Wirklichkeit eines solchen an der Mythologie selbst nachzuweisen,
welches letztere Philosophie der Mythologie seyn wird.
Anmerkungen
1
Vgl. XI, 14, in Anm. 1 ist auf den lateinischen Text ohne Zitatangabe verwiesen:
„Aurae temporum meliorum, quae in fistulas Graecorum inciderunt." Francis
Bacon, De sapientia veterum.
2
Schelling verweist hier auf Herodot, L. II, c. 53
' Anspielung auf F. A. Wolf, Prolegomena ad Homerum, 1795.
4
Herodot, L H , c. 53.
5
Ebd.
4
Schelling bezieht sich hier auf Hesiod, Theogonie, 881 ff.; XI, 19, Anm. 1.
7
Herodot, L. II, c. 52.
8
Vgl. VII, 292: .stumme Dichtkunst'; Plutarch, Moralia 346F; G. E. Lessing,
Vorrede zum Laokoon, Bd. 6: Kunstheoretische und kunsthistorische Schrif-
ten. München 1974, 635 f.
' Schelling bezieht sich hier unter anderem auf W. v. Humboldt, Ueber die unter
dem Namen Bhagava-Gita bekannte Episode des Maha-Bharatas, GS I, Berlin
1823-1826,170-232,325-344.
10
A. W. Schlegel, Indische Bibliothek, 1820 ff.
11
Schelling verweist auf Clericus, Anmerkungen zur Theogonie des Hesiodos; J.
L. Mosheims Anmerkungen zu Cudworth systema intellectuale (Cudworth, rud.,
systema intellectuale hujus universi seu deveris naturae rerum origin. commentarii,
quibus omnis corum philosophia, qui deum esse negant funditus erertitur: acced.
religuaejus posucula, recens. varr. observatt. et dissertt. illustr. J. L. von Mosheim
Fol. Jena 1733) und K. D. Hüllmann, Anfänge der griechischen Geschichte,
Königsberg 1814. Vgl. XI, 27.
12
Euhemeros von Messene, iepäcwavpai)>rj (300-270 v. Chr.); Euhemeros versuch-
te eine rational-pragmatische Erklärung der Götter. Das Original der Schrift ist
nicht erhalten. Eine lateinische Übersetzung überliefert Ennius, vgl. Jacoby, die
Fragmente der griechischen Historikerl. S.300-313.
NACHSCHRIFTEN .ATHEN' UND EBERZ 113
13
XI, 30, Schriften von K. F. Dornedden. In Frage kommen folgende Arbeiten:
Phamenopis, oder Versuch einer neuen Theorie über Ursprung der Kunst und
Mythologie. Göttingen 1797; Versuch einer Theorie zur Erklärung der griechi-
schen Mythologie, Göttingen 1801; Neue Theorie zur Erklärung der griechischen
Mythologie, Göttingen 1802.
H
Schelling bezieht sich hier auf Chr. G. Heyne, De origine et causis Fabularum
Homericarum. Göttingen 1778. Zu Heynes Mythos-Verständnis: Jamme, 23-25;
A. Horstmann, Mythologie und Altertumswissenschaft. Der Mythosbegriff bei
Christian Gottlob Heyne, in: Archiv für Begriffsgeschichte 16 (1972), 60-82, W.
Burkert, (Art.) Mythos, Mythologie, in: Historisches Wörterbuch der Philoso-
phie, Bd. 6, Basel/Stuttgart 1984,282; Ch. Hardich/W. Sachs, Der Ursprung des
Mythos in der modernen Bibelwissenschaft, Tübingen 1952, 169-171; H. Gockel,
Mythos und Poesie, Zum Mythosbegriff in Aufklärung und Frühromantik, Frank-
furta. M. 1981,34.
15
Chr. G. Heyne, De origine, 38.
14
Schelling bezieht sich hier auf Piatons .Phaidros' p. 229 und nicht auf den
Phaidon. Vgl. auch de Rep. III, p. 391.
17
Cicero, De nat. D. L. III, c. 24: „Magnam molestiam suscepit et minime neces-
sariam primus Zeno, post Celanthes, deinde Chrysippus commentitiarum fa-
bularum reddere rationem, vocabularum, cur quique ita appellati sint, causas
explicare. Quod cum facitis, illud profecto confitemini, longe aliter rem se habere
atque hominum opinio sit: eos enim, qui Dii appellentur, rerum naturas esse, non
figurasDeorum.
18
Schelling verweist hier auf zwei Artikel von V. Cousin über Olympiodor, in:
Journal de Savants.Juni 1834 und Mai 1835. Vgl. XI, 33 Anm. 3.
" Schelling bezieht sich auf G. Hermann, De mythologia Graecorum antiquissima,
Lipsiae 1817. Ueber das Wesen und die Behandlung der Mythologie. Ein Brief
an Herrn Hofrat Creuzer, Leipzig 1819. Dissertatio de Historiae Graecae prim-
ordiis ... (1818); G. Hermann und Fr. Creuzer, Briefe über Homer und Hesiodus,
Heidelberg 1818.
20
Hermann, Mythologie 47.
21
Ebd., 107.
22
Hermann, Mythologie 38. 101.
23
Vgl. Don Felix Azara, Voyage dans l'Amerique meridionale T II, p. 186, 187.
(Voyages dans l'Amerique Meridionale par F. de Azara depuis 1781 jusqu'en
1801, contenant la description geographique, politique et civile du Paraquay et
de la riviere de La Plata ... 4 tom. Paris 1809)
24
Aristophanes, Wolken (423). In XI, 44 zitiert Schelling die Stelle ohne Angabe
der Quelle: „O König und Herr, unermeßliche Luft, die den Erdball schwe-
bend umherträgt, und leuchtender Äther".
25
Aristophanes, Wolken, 424.
24
Schelling bezieht sich hier auf G. Hermann, Dissertatio. Vgl. XI, 58 Anm. 1.
27
In XI, 52 steht: „die Sprache selbst sey nur die verblichene Mythologie".
28
SW nennen Wolfs „Untersuchungen über den Homer" (XI, 60). Gemeint ist:
F. A. Wolf, Prolegomena ad Homerum, 1795.
29
Die hier angesprochene Ansicht bezeichnet Schelling in den SW als „organi-
sche Auffassung" der Mythologie, vgl. XI, 51, 53.
30
Schelling könnte sich hier auf eine Aussage von Sextus Empiricus beziehen:
„Epikur war der Meinung, daß die Menschen ihren Begriff von Gott durch die
Vorstellungen während des Schlafes gewönnen." (Gegen die Wissenschafder 9,
25.)
114 2 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN MÜNCHEN
31
XI, 61: „Annahmen solcher Art sind dem Forscher, was unter dem Wasserspiegel
verborgene Korrallenriffe dem Seefahrer."
32
Don Felix Azara, Voyage, T. II, p. 16, 43, 44, 91, 151, 113.
33
In XI, 94 beginnt hier die fünfte Vorlesung.
34
C. Niebuhr, Beschreibungen von Arabien, Kopenhagen 1772. Journal Asiat. Tom.
VI, 179.
35
Herodot, L. II, c. 104.
34
Schelling verweist auf Schriften von F. Schnurrer (XI, 100 Anm. 1). Folgende
Arbeiten von F. Schnurrer könnten in Betracht kommen: Epidemien und Con-
tagien, Tübingen 1810; Geographische Nosologie oder die Lehre von den Ver-
änderungen der Krankheiten in den verschiedenen Gegenden der Erde, in Ver-
bindung mit physischer Geographie und Naturgeschichte des Menschen, Stutt-
gart 1813; Chronik der Seuchen in Verbindung mit den gleichzeitigen Vorgän-
gen in der physischen Welt und in der Geschichte des Menschen, Tübingen
1823-25.
37
Gen. 11.
38
XI, 101 f.: „erfundenes mythisches Philosophem".
3
' Schelling verweist auf Bruchstücke des Abydenos bei Eusebius im ersten Teil
seines Chronikons (Eusebius, Praeparatio evangelica, IX, 41) sowie auf Piaton,
Politicus p. 272. B. (XI, 102 Anm. 1).
40
In XI, 104 findet sich nicht die Formulierung „Idee eines einzigen Gottes", son-
dern: ,,nur ein Gott [...], der das Bewußtseyn ganz erfüllte".
41
Herodot, L. I, c. 57.
42
l.Kor. 14, 1-40.
43
Vgl. Apg. 2,1-13. Das Wort O^ioyKwsaiafindet sich hiernicht und kommt in der
biblischen Sprache nicht vor. Es könnte sich um eine Bildung aus tttpoyküxsooiq
im Anschluß an 1. Kor. 14, 21 handeln. Siehe auch Jes. 28, 11; Jes. 45, 23 und
Phil. 2, 11.
44
Schelling verweist auf Plutarch, de Isid. et Osir., c. 47. (XI, 109 Anm. 1). Vgl.
auch XIII, 524.
45
Jer. 51,7: „Ein goldener Becher war Babel in Jahwes Hand, der die ganze Erde
berauschte. Von seinem Weine haben die Völker getrunken, bis sie rasend
wurden."
44
Apk. 17, 1-6, bes. V. 2 und 4.
47
Ovid, Tristia v. 10,37. Vgl. auch 1. Kor. 14, 11: „Wenn ich nun die Bedeutung
der Sprache nicht kenne, werde ich den nicht verstehen, der redet, und der re-
det, wird mich nicht verstehen."
48
Cicero, Tuscul., II, 17.
49
Vgl. XI, 107, Anm. 1.
50
Die Ausführungen über den Bestattungskult fehlen an der betreffenden Stelle in
SWXI.
51
Herodot, L. II, 50.
52
Anspielung auf Deuteronomium 32, 8: „Als der Höchste die Völkersitze verteil-
te, als er die Menschenkinder schied, legte er den Völkern Grenzen fest nach
der Zahl der Söhne Gottes." Siehe auch Genesis 10 und Apg. 17, 26. Schelling
verweist in XI, 111 Anm. 2 noch auf Piaton, Politic. p. 271. D. und ebd. Anm. 3
auf Herodot, Lib. II, c. 104.
53
Vgl. Azara, Voyage T. II, p. 5. (SW XI, 114-115)
54
Schelling verweist auf Lucian, de Syria Dea c. 2. (SW XI, 116, Anm. 1).
» Gen. 12,2 (SWXI, 116, Anm. 2)
54
Vgl. dazu XI, 117-118.
NACHSCHRIFTEN ,ATHEN' UND EBERZ 115
57
Vgl. XI, 67-68.
58
Vgl. XI, 68.
59
XI, 69. D. Hume, The natural history of religion, 1757 (= D. Hume, Die Natur-
geschichte der Religion, hrsg. von L. Kreimendahl, Hamburg 1984). Zu Humes
Auffassung von Religion und Mythologie: J. C. A. Gaskin, Humes Philosophy
of Religion, London 1978; G. Gawlick, Einleitung, in: D. Hume, Dialoge über
natürliche Religion, Hamburg 1980.
40
J. H. Voß, Mythologische Forschungen aus dem Nachlaß, hrsg. von Brzoska,
Leipzig 1834; Über den Ursprung mystischer Tempellehren, Mythologische Briefe.
(I. 1794, II, Stuttgart 1827). (Vgl. XI, 69-70). Zur Kontroverse Creuzer-Voß:
Jamme 51-52.
41
Horaz, Sylvestres homines sacer interpresque Deorum Caedibus et victu foedo
deterruit Orpheus, Dictus ob hoc lenire tigres rabidosque leones. De arte poetica,
391-393. Vgl. XI,70.
42
Don Felix Azara, Voyages, T. II, p. 3. (XI, 72-73).
44
XI, 72.
45
Schelling bezieht sich hier auf D. Hume, The natural history, 25, 35 - franz.
Übersetzung (XI, 74), vgl. D. Hume, Naturgeschichte, S. 15.
44
XI, 76 - Verweis von Schelling auf C. F. de Volney, Les Ruines ou meditations
surles revolutions des empires, Paris 1791 sowie auf C.-F. Dupuis, Origine de
toui les cultes ou religion universelle, Paris 1794-1795.
47
Bezieht sich auf die Lehre der Notitia insitam, als Teil der Lehre der cognitio
Dei naturalis et supranaturalis; vgl. etwa Quenstedt, theoligica didacticopolemica,
1691,1.251.
48
D. Hume, The natural history, 110 (XI, 78 Anm. 1).
49
Ebd., 8-10, vgl. D. Hume, Naturgeschichte, S. 3 f.
70
Ebd., 45 f., vgl. D. Hume, Naturgeschicchte, S. 28 f.
71
Hermann, Mythologie 25 f.
72
Horaz, tantum religio potuit suadere malorum (vgl. XI, 82).
73
Lessing, Erziehung des Menschengeschlechts, § 6 und 7.
74
Scl.elling spielt hier an auf Gerhard Voß, De theologico gentili et physiologia,
s w de origine ac progressu idololatriae, libri IV, Amsterdam 1641; posthum libri
IX, Amsterdam 1668, dazu Jamme 8; Samuel Bochart, Geographia sacra, Cadomi
16<6 sowie Daniel Huet, Demonstratio Evangelica, Paris 1679; vgl. XI, 86. Dazu
Janime, 18.
73
Screlling gibt einen Hinweis auf seine Arbeit, Ueber die Gottheiten von Samo-
thrike, VIII, 345-424, ( XI, 88 Anm. 1).
74
Wi liam Jones, Asiatic researches, Calcutta 1788; The Works of Sir William Jones,
Lojdon 1799.
77
Vg. Creuzer, Symbolik.
78
F. Creuzer, Symbolik und Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen,
im \uszuge v o n G . H . Moser. Leipzig und Darmstadt 1821. Vgl. XI, 89, Anm. 1.
79
Creuzers Auffassung findet sich von Schelling dargestellt: XI, 89-90.
80
Bri-fe über Homer und Hesiodus, vorzüglich über die Theogonie, von G. Her-
main und F. Creuzer, Heidelberg 1818, 100 f.
81
Hi:r endet nach den SW die 4. Vorlesung, und die 6. Vorlesung beginnt.
82
Pltfon, Politicus, 271 c.
83
Gctt als Geist - diese Passage fehlt in diesem Kontext in XI, 191-120.
84
Jol.4,21-24
85
Zu Schellings Unterscheidung des simultanen und succesiven Polytheismus: XI
121-122.
116 2 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN MÜNCHEN
84
Vgl. etwa Gen. 1, 26; Ex. 23, 20 etc.
87
Zu den naturphilosophischen Beispielen vgl. Von der Weltseele, eine Hypo-
these der höheren Physik zur Erklärung des allgemeinen Organismus (II, 345 ff.).
88
Weitere Ausführungen Schellings zur Bedeutung der Sprache u. a.: XI, 133-
136.
89
Gen. 9. 18-28.
90
Schelling bezieht sich hier auf Jean-Pierre Abel Remusat, Recherches sur les
langues Tartares, Paris 1820; Milanges Asiatiques, Paris 1825-1826. (XI, 134
Anm. 1, Fundgruben des Orients B. III, S. 279).
91
Vgl. dazu XI, 137-139.
92
Gerhard Voß, De origine, a. a. O.
93
Schelling verweist (XI, 152-153) auf Ernst Friedrich Karl Rosenmüller, Das alte
und neue Morgenland oder Erläuterungen der heiligen Schrift aus der natürli-
chen Beschaffenheit, den Sagen, Sitten und Gebräuchen des Morgenlandes.
Leipzig 1818-1820. Th. I, S. 23 sowie auf Stolberg, Geschichte der Religion Jesu
Christi. T h . I , S. 394.
94
XI, 149-150.
95
Vgl. XI, 156
94
Schelling zum Namen Hebräer: XI, 157 (Vgl. W. Gesenius, Geschichte der
hebräischen Sprache und Schrift)
97
Vgl. dazu XI, 158 Anm. 1.
98
l.Sam.8,8.
99
Vgl. XI, 159.
100
Schelling verweist auf Gen. 12, 7; 17, 1; 18, 1; 26, 2; 28, 12. (XI 161 Anm. 1).
101
Zum wahren Gott als werdenden vgl. XI, 165.
102
Vgl. dazu XI, 182-185.
103
XI, 185.
104
Zu dieser Passage vgl. XI, 192.
105
In XI, 193 wird dieses Moment besonders hervorgehoben (Fettdruck).
104
Vgl. XI, 195-196.
107
Die folgende Übersicht findet sich in XI, 214.
108
XI, 235-236.
109
Schelling spielt an auf: Arnold Hermann Ludwig Heeren, Ideen über die Poli-
tik, den Verkehr und den Handel der vornehmsten Völker der alten Welt,
Göttingen 1793-1796. Th. I, Abth. 11,311 (XI, 238).
110
Vgl. XI, 244.
' " XI, 246.
112
Vgl. XI, 248.
113
Friedrich Heinrich Jacobi, David Hume, oder Idealismus und Realismus. Ein
Gespräch (1787), in: F. H. Jacobi, Werke, Leipzig 1812-1829, II, 8-9.
114
XI.216-217.
115
Dies könnte sich auf den Streit zwischen F. Creuzer und J. H. Voß beziehen -
J. H. Voß, Mythologische Briefe; weiterhin J. H. Voß, Antisymbolik, Stuttgart
1824(-26). Vgl. Jamme, 51-54.
3 Mitschrift von Schellings Vorlesungen
inBerlin (1842)
H1810(?)
118 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
bis diejenige vernichtet würde, die nicht mehr aufgehoben werden kann,
wenn also nicht mehr das Seynkönnen stattfindet, sondern die noth-
wendige Wirklichkeit. Dieses Fortschreiten würde auch auf anderen
Gründen beruhen, indem sie nur stufenweise hervorgingen. In aller My-
thologie ist etwas gemeinschaftliches, übereinstimmendes; erst am Ende
werden wir einsehen, was die Mythologie eigentlich sey; der Titel ist vor-
läufig mehr [ein] Nomineller. Nur das Ursprüngliche gehört in unsere
Mythologie; dies soll ein Gegenstand seyn, eine unbestimmte Menge ver-
ehrter Persönlichkeiten, die mit den Menschen und der Welt in vielfa-
cher Beziehung stehen, wir werden dies das polytheisüsche Element nen-
nen. Im Allgemeinen ist die Mythologie Götterlehre, wenn in der griechi-
schen Mythologie xpdvoc, adpocvöc, genannt wird, so ist dies ein ganz
natürliches Element, Moment. Doch das Geschichdiche gehört mit zu dem
Inhalt; es ist nichts zufälliges oder bloß von Außen hinzugekommenes.
Die Mythologie ist also nicht bloß Götterlehre, sondern auch Götterge-
schichte - Theogonie. Je tiefer wir anfangen, desto gewisser sind wir, kei-
ne Ansichten ausgelassen zu haben. Denken wir uns an die Stelle eines
solchen, der nie von Mythologie etwas hörte, und jetzt zum ersten Male
einen TheU hört, fragen wir dabei, was empfindet* derjenige dabei? Wie
habe ich es zu nehmen? Nothwendig geht derjenige von der ersten Frage
zur zweyten: wie ist wohl die Mythologie gemeint? Dies heißt fragen nach
ihrer Bedeutung. Un-1 sere Aufgabe ist, sie auf negative Weise zu begrün-
den, auf positive Weise kann es nur durch die positive Wissenschaft ge-
schehen, erst durch die der Ansicht entsprechende Erklärung kann die
Mythologie gehörig verstanden werden. Hierbei mache ich drei Abstu-
fungen: 1:) es ist nicht möglich 2:) möglich aber nicht glaublich
3:) glaublich aber nicht wahrscheinlich, nicht historisch. Eine tüchtige hi-
storische Dialektik möchte noch immer [mehr] erkennen lassen, als die
Willkühr, deren man sich oft bedient. Nach diesen Bemerkungen wird es
darauf ankommen, die erste mögliche Ansicht über die Mythologie zu
untersuchen und zu erklären. Wir sahen nun, daß man gleich mit der
ersten Bekanntschaft nach der Mythologie fragt, welche Bedeutung sie
habe? Der Grund, warum wir keine wirklichen Verhältnisse in der My-
thologie finden, liegt ganz auf der Hand. Die Götter der Mythologie sind
jedenfalls wenn nicht extramundaner doch praetermundaner Natur, die-
se Begebenheiten überschreiten alle Geschichte. Nur diese Unmöglich-
keit zu sehen, wirft die Frage auf: wie sey die mythologische Vorstellung
zu verstehen? Schon in der Frage liegt die Vorstellung, daß die mytho-
logische Vorstellung auch nicht als möglich betrachtet werden kann. Es
ist demnach die Möglichkeit vorhanden; die zweyte Möglichkeit wird
* H: empfiehlt
MITSCHRIFT CHOVÄTS 119
sich dies nun behaupten, daß Homeros die Göttergeschichte machte? Mit
der Entstehung derselben beschäftigt er sich nicht, die Götter sind nicht
mehr werdende, sondern daseiende Wesen. Alles wird als ein Gegebenes
vom Poet - Homeros - behandelt; von Hesiodos könnte man dies zwar
früher behaupten, daß er die Göttergeschichte machte. Dies muß man
also zugeben, durch die Poesie von Homer sind die Götter nicht entstan-
den. In dieser Behauptung müssen wir auf eine Stelle [Herodots] Rück-
sicht nehmen: Es ist die Absicht des Geschichtsschreibers, die Neuheit
der Göttergeschichte darzuthun; hieraus folgt, daß Herodotos nur eine
Zeit bezeichnet, er vertheilte ihnen die Ehre; Herodotos sagt von beiden
Dichtern dasselbe, was Hesiodos von Zeus; Herodotos konnte [es] so
sagen, weU er der Vertreter einer ganzen Zeit ist. Die Pelasgiatische Zeit
ist die Zeit der stummen Götter; in diesem Zustande hatte also das Be-
wußtseyn ein bedrängtes Verhältniß. Poesie und Mythologie entstehen
zu gleicher Zeit, umgekehrt ist auch die Göttergeschichte nicht eher da
gewesen, als die Poesie. Wir gehen nun einen Schritt weiter: in Homer
sehen wir die Götter entstehen, das Religiöse funkelt gleichsam in seiner
Neuheit; diese Crisis vollzieht sich in den Dichtern" selbst; sie ist es, die
das homerische Gedicht gemacht; es ist also die in das Bewußtseyn fallen-
de Göttergeschichte; und so hätten wir den Geschichtsschreiber bis auf
die dunkelsten Stellen gerechtfertigt; so zeigt es sich vorzugsweise in der
Volkspoesie. Gehen wir weiter zurück, so schließen sich die Indier an;
die Indier sind das einzige Volk, welches einfach für sich zur Entwicklung
gelangte; derjenige mußte alle Entwickelungsstufen ignorieren, der die
Indier erhebt und zum Urvolk macht; diese Erhebung wäre eine teleolo-
gische1' Anschauungsweise; es ist bequem ein Volk oben an zu stellen und
äußerlich zu fassen, wenn man z. B. die indischen Mythen vermischt. Eine
solche kritische Theorie anzuwenden kann unmöglich fortdauern. Will
man Volk als Volk erforschen, so muß man umsichtig in der kritischen
Theorie seyn. Wäre Mythologie eine poetische Erfindung, so wäre [es]
auch die Indische; dagegen wollte man die indische Götter nicht genug
poetisch finden, wie es bey Goethe geschieht. Unerklärt kann man sie
nicht lassen, mit einem Geschmacksurtheil ist es nicht abgethan, kurz man
muß sie erklären, sie sind einmal da. Der Unterschied zwischen indischen
und griechischen Göttern ist: die griechischen Götter sind freier, poe-
tisch verklärter, unabhängiger als die indischen. Eigendiche Poesie findet
sich außerdem nur bei den Indiern, wo das Doctrinelle vorherrschender
ist, als bei den Griechen. Den Ägyptern scheint die Poesie ganz zu fehlen,
ihre Götter sind in den verschiedenen colossalen Bausäulen versteinert,
H: Göttern
H: geologische
MITSCHRIFT CHOVATS 121
manche glauben, daß diese Mythen sich zur Unterhaltung und Märchen
umkleiden lassen. Es scheint ein bemerkenswerter Umstand, daß den
Griechen der Götterursprung nicht klarer war als uns; schon zu Piatons
Zeit sind solche Deutungen vorgekommen; ganz ähnlich sind die Aca-
demiker bei Cicero in Bezug auf die Stoiker, daß sich die Ansichten in
historische und physicalische theilten; die Neuplatoniker bemühten sich
kaum tiefer auf die Mythologie einzugehen, offenbar hielten sie dieselbe
für eine Offenbarung7; so eben erzählt Gottfried Hermann Dissertationes
de mythologia Graecorum antiquissima: „Da ich nichts erschleichen und
nicht überraschen will, so will ich die Acten ihrem eignen Urtheile vorle-
gen. Eine Mythologie scheint auszudrücken, daß sie sich auf Prädicate
beziehen, doch diese Namen sind nur Bezeichnungen des Gegenstandes;
hält man sich an dies reine wissenschaftliche Verständniß, so entdeckt
sich ein inneres Zusammenhängendes; dieser wissenschaftliche Zusam-
menhang kann nicht zufällig seyn, sondern absichtlich. Es waren einmal
unter einem unwissenden Volke einzelne über das Gemeine sich erhe-
bende Männer, welche Kräfte der Erscheinung beobachteten, und den
Zusammenhang darzustellen suchten; sie wollen also nur den Begriff, z.
B. wenn wir den Hagel KÖTTOC, einen der 100 armigen Riesen, Schnee,
daß er lastet, den Regen [den Furchenmacher nennen] etc. Der Gegen-
stand ist also nur I grammatisch personificirt."8 So weit erkannte Her-
mann etwas poetisches in den Darstellungen; es gibt auch solche Volks-
witze z. B. nennt der deutsche Bauer einen starken blasenden Wind den
heUigen Blasius; Brand - Brenner; den Fallenden - Valentinus, hydrops
Entropius etc. Hermann sucht nicht eine Theorie von Hypothesen, son-
9
dern eine reiche lange Erfahrung und tiefe Weisheit in den Mythen;
Man muß also den Anfang festhalten, um den Geist des Ganzen aufzufas-
sen. Den Anfang der Theogonie bei Hesiod erklärt Hermann so: Dieser
alte PhUosoph wollte von da, wo es nichts war, ausgehen, der von aller
Materie endeerte* Raum, diesem kann natürlich nichts folgen, als was wirkt,
woraus etwas wirkt: nachdem das gesetzt ist, so fehlt noch das dritte, durch
welches alles geschieht, dies ist das Band e'pax;. Und nun, nachdem [der]
Philosoph die drei Sätze gestellt hat, kann [er] die Schöpfung annehmen:
so e'peßoc., was die Finsterniß bedeckte; v\5£ richtig Nacht; diese beiden
erzeugen Äther und Tju.e'po:, so Klarheit und Heiterkeit sind Kinder der
vtä,. Der gröbere TheU wird angedeutet durch Berge, so ist die Bedeu-
tung der Erde, sie ist Erzeugniß ist Okeanos, nicht Weltmeer; dieses be-
gleitet eine ungeheure Menge der Elemente, die paarweise zusammenge-
stellten Titanen: Kpto'c, und KOtoc, der Scheider und [Menger; Hyperion
und Japetos, der Steiger und] Stürzer, Theia und Rheia, Themis und
H: erfülle
MrrscHRiFT CHOVÄTS 123
Mnemosyne, Phoibe und Thetis; Kronos der Vollender von Kpctfvoa voll
enden.10 So ist nun hier durchaus wissenschaftlicher Zusammenhang und
zwar die ächte Philosophie, die alles natürlich erklären will, und wenn
man bis an die ersten Anfänge zurückgeht, so müssen wir urtheüen, daß
die Absicht des Verfassers [eine] polemische, gegen Götter gerichtete
ist. Übrigens bezieht Hermann seine Erklärung nur auf mythologische
Götter, nicht überhaupt auf [den] Ursprung der Götter. Ein solches Volk,
unter dem solche Philosophie entstand, konnte nicht ähnlich seyn mit
den Wilden des südlichen Amerikas", die Menschen sind ohne aller Göt
tervorstellungen. Des Volkes Religion, wie Hermann bemerkt, war schrof
fer Aberglaube, daß die Götter nur Natur und Kräfte sind, es erklärt sich,
warum Mythologie bisher unbegreiflich war! Wäre nun die edle Absicht
der Theogonie erreicht, so ein Mann könnte sich freuen, gefunden ein
Geschlecht, was alles natürlich erklären wollte Dies begreift sich doch
einigermaßen, wie die Götter oder sinnlose Namen sich erklären. Wir
nehmen diese Ansicht vor, weil sie möglich ist, und weil sie für uns etwas
wichtig[es] hat, denn einer Meinung liegt gar nichts Wahres zu Grunde.
Wir können also diese wissenschaftliche Bedeutung bloß als poetische
Bedeutung annehmen; diese wissenschaftliche Bedeutung ist auch eine
Thatsache, zumal in der Wahrnehmung können wir nicht umhin. Nur
damit, daß Hermann gleich bereit ist, dieses wissenschaftliche Bewußtseyn
poetisch anzunehmen, glaubt(?) er, es dem Urverfasser des Urgedichts
oder der Lehre beizulegen. [Da] Hermann aber Theogonie nicht in der
griechischen, sondern in einer orientalischen Sprache annahm, darum
liegt sie vor uns nicht im Geiste des Hesiodos. Hermann konnte nicht auf
fassen, daß gerade der Anfang so unpersönlich, unmythologisch ist. Die
Berge waren bei ihnen Individuen, aber nicht Personen, wie später der
Name Titanen auch mehreren gemeinschaftlich war. Bei Hermann be
deutet e'peßoc; Ort der Dunkelheit, wie bei großen Bergen ist persönli
che Benennung, so ist hier bei e'peßoc, künsdich mythologisiert. Die Kin
der des Erebos und Nyx sind rjue'Pa und Äther, Äther ist aber keine
mythologische Persönlichkeit, zwar Anrufung des Äther kommt öfters
hervor. Unter den Enkeln6 der verderblichen vü£, finden sich I zweydeutige
Worte. Aber vor allem hätte Hermann gleich den ersten Vers der Theo
gonie annehmen [sollen], der die erste Regel einer freien Phdosophie
verkündet. Es ist zu bedauern, wie das grammatische Princip der Persön
lichkeit gleich im ersten Verse verschwindet; also Äther etc. sind offen
bar philosophische Begriffe, aber solche, die jetzt entstanden sind; er
H: Afrikas
b
H: Engeln
124 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
H: mehr
MrrscHRrFT CHOVATS 125
ches Bewußtseyn denken läßt; so ist ihre Tiefe sehr groß, mit der Sprache
ist [es] so wie mit [dem] Organismus. Ist aber etwa Poesie auch schon in
materieller Sprache erkennbar, welche große Schätze in sich hält I...
Nach allem diesen können wir sagen, daß in [der] Entstehung der Mytho-
logie eine Poesie war, aber mit Philosophie verbunden, oder es war Phi-
losophie, aber nicht frei[e]; so war in der Mythologie eine Wahrheit, aber
zufällig. Die Mythologie wäre dann nicht nur ein natürliches, sondern ein
organisches [Erzeugnis] gewesen. In Poesie und Philosophie ist ein Prin-
cip der freien Erfindung, eine bestimmte Art der Erfüllung, den tiefsten
Sinn, und reale Beziehung. Dies wäre das Höhere, wozu die beiden Erklä-
rungen hingehen In der Mythologie ist eine durchwirkende Phdoso-
phie. Was ist das Höhere? Dies ist es, wodurch die beiden verbunden
werden, das poetische, dichterische und wissenschaftliche. Inwiefern
keine von diesen erfunden sey, damit ist die Möglichkeit gegeben, beides
zu erklären. So könnte die höhere Auffassung wirklich geschehen. Die-
ses außer bei den Liegende muß außer beiden seyn, also wäre eine freie
Erfindung ganz entgegengesetzt. Der Fehler beider Erklärungen [ist] in
[der] gemeinschaftlichen Voraussetzungen beider, daß in der Mythologie
keine Wahrheit sey. So könnte einer wohl Hellsehen" vorschlagen, so wäre
Traumzustand nicht unangenehm, der Wahnsinn wäre nicht auszuschei-
den15; aber was wäre mit diesen Begriffen gewonnen? Nicht das Gering-
ste! Denn die Mythologie ist vor allem das geschichtliche Element. So ist
auch damit noch nichts gewonnen, denn dieses müßte nun bezeichnet
werden, was in der Philosophie vorherrschend ist. Eben diese Bemerkung
erinnert uns, daß wir [uns] bloß mit der abstracten Voraussetzung be-
schäftigt haben, jetzt werden wir äußere voraussetzen Daß die Mytho-
logie eine Erfindung und von Einzelnen erfunden sey, ist schon abge-
wiesen', eine Mythologie einzuführen ist nicht leicht geworden Frei-
lich ist die Mythologie nicht von Einzelnen erfunden, sondern sie ist vom
Volk entstanden Man erkennt [es] doch an der Existenz einer Volks-
poesie, die älter ist als alle Dichtkunst und in Sagen, Märchen besteht.
Gewiß gäbe es eined Wahl zwischen einzelnen und Volk, wer würde wo-
für sich jetzt entscheiden? Desto mehr mag man zusehen, ob hier auch
eine Stillschweigung sey. Der critische Geist unterscheidet sich vom un-
critischen, daß er' alles hervorzieht, was unerklärtes, unerörtertes war.
Das Volk ist doch ein Volk und eine Gesamtheit, also unter jedem Volk
ist die Mythologie nicht von Einzelnen, sondern von der Gesamtheit aus-
gesprochen. Die Mythologie ist Sache nicht eines Volkes, sondern vieler
Völker. Hier tritt also vor die Gemeinschaft der verschiedenen Meinun-
gen die Verwandtschaft der Thatsachen. Dies denkt man nicht aus Um-
ständen einer Art. Etwa auf diese Weise, daß die Mythologie von einem
Volke zu andern sich verbreitet hat, allerdings mit Modificationen. Her-
mann findet hier soviel Übereinstimmendes mit dem Orientalischen, daß
er meint, es sey auf einmal entstanden, seine Standhaftigkeit wird darum
nicht erschüttert. Sollten wir aufrichtig auftreten, so erinnern wir uns an
[die] Fabel von Io, die von Zeus geliebt wird. Was kann, sagt Hermann,
die Enkelin des Oceanos anders seyn, als ein durchströmendes, fort-
fließendes Gewässer, etymologisch heißt Io Wandlung. 12 ... I... Es sind
auch andere, welche gerade ohne Voraussetzung, ohne Specialität das-
selbe erklären, daß die Mythologie nur ein Phaenomenon sey. Die Art
der Übereinstimmung widerspricht der Annahme, sie deutet hin auf ei-
nen Ursprung, wäre die Vorstellung der griechischen Demeter von ägyp-
tischer Isis seyn, so wäre Isis eine geraubte Tochter,... Wenn man daher
die großen Thatsachen achtet, so bleibt anzunehmen, daß in Folge einer
allgemeinen Nothwendigkeit die Mythologie unter jedem Volke für sich
entstanden sey, aber damit wäre vorausgesetzt, daß die Mythologie in oder
unter einem Volke entsteht. Ist es aber möglich, daß die Mythologie in
einem Volke entstehen kann? Erst muß man sagen, was ist das Volk. Die
Gemeinschaft des Bewußtseyns macht das Volk, es scheint unmöglich,
daß in einem vorhandenen Volke die Mythologie zu ihm käme, weil es
undenkbar ist, daß es Volk sey ohne Mythologie. Alles zwar wie Götter,
Ackerbau", Sitten, Obrigkeit, Gesetzgebung gehört zu einem Volke, ob
aber dies alles sein kann ohne religiöse Vorstellungen, ohne Mythologie?
Die Menschen des südlichen Amerikas waren ohne religiöse Vorstellun-
gen. Sie reden wenig von Gemeinschaft, da sie keine sichtbare oder un-
sichtbare Macht anerkennen, ja sie leben wie Thiere ... Wo ursprüngli-
che Einheit [und Gemeinschaft des Bewußtseyns fehlt, keine] sich her-
vorbringen läßt, da läßt sich kein Volk denken.6 Es wäre ungereimt, daß
ein Volk ohne gemeinsame Sprache seyn könnte. Jedes Volk hat ein
Urgesetz, welches [die] ihm angeborene Weltansicht seyn kann, diese aber
kann nicht ohne Mythologie seyn, es ist unmöglich, daß die Mythologie
unter einem Volke entstehe, denn sonst man muß das Volk voraussetzen.
So Hellene müßte vor Hellenen seyn! Nein! [Der Ägypter] wurde Ägyp-
ter, indem er die Mythologie hatte.... So [wie] in der Mythologie der al-
ten Indier ihre ganze Geschichte enthalten sey, entsteht also die Geschich-
H: acker
b
XI, 64
MITSCHRIFTCHOVATS 127
H: wirkte
b
H: eine
128 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
Princip gedacht werden, wovon die Völker zur Entwicklung oder nicht
zur Entwicklung fortgegangen sind. Sie sind geistig unterschieden, aber
doch zusammenhaltend. Was sie trennt, sind tiefe innerliche Differenzen,
die Menschheit wäre in ursprünglicher Homogenität geblieben, ohne eine
geistige Crisis, die allein stark genug war, die Menschheit in Völker [zu]
zersetzen.... so können wir uns wundern, wie etwas nicht unmittelbar
erkannt worden ist. Durch Sprache sind [Völker] innerlich getrennt, die
ist aber etwas Geistiges. Ist die Verschiedenheit der Völker etwas ent-
standenes, so kommt dies von Verschiedenheit der Sprachen, wenn eine
Zeit war ohne Verschiedenheit der Völker, so war keine Verschiedenheit
der Sprachen. Der Völkerentstehung muß eine geistige Crisis vorausge-
hen; hier treffen wir mit Genesis zusammen. Die Absicht der Erzählung
der Genesis* ist, nicht nur die Verschiedenheit der Sprachen darzustel-
len, vielmehr aus wirklicher Erinnerung Geschöpftes. Diese wirkliche
Erzählung ist eine Reminiscenz auf [die] mythische Zeit. Dieser Mythos,
wie man die Erzählung nennen kann, hatte [den] Werth einer wirklichen
Überlieferung, der A. T. Erzählung von der Schöpfung knüpft sich an ein
Unglück.14 Wir sollen von diesem allen abstrahieren. Diese Erzählung ist
ein Ereignis, darin liegt die Wahrheit, die Völker entstehen durch die
Länge der Zeit. Es sind zwar einzelne Menschen ohne religiöse Vorstel-
lung, ohne Mythologie, aber die sind ohne Bewußtseyn. Es muß jedem
anheim gegeben werden, ob er diese Frage: wann die Völker entstanden?
für überflüssig hält. Wenn man annimmt, daß mit [dem] Volke entstand
die Mythologie, so mußte [es] eine Zeit geben, wo keine Völker und
Mythologie waren.... sofern geistige Differenzen sich entwickeln, so war
die Trennung unvermeidlich. Die folgende Trennung der Völker ist auch
durch geistige Macht geworden. Durch die Verschiedenheit der Sprachen
ist auch etwas geworden, diese Entstehung der Sprachen geschah nur
durch geistige Crisis der Macht. Eben darin besteht die Wahrheit dieser
Erzählung, daß diese Entstehung ein wahres Ereigniß nicht ohne Ur- I
Sachen geworden ist. Die Völkerentstehung ist [dem alten Erzähler]6 ein
Gericht, eine Crisis. Die Verwirrung der Sprachen läßt sich nicht ohne
[eine Erschütterung des] Bewußtseyns denken.... Aber auch die Ver-
wirrung konnte nicht rein seyn, [es] mußte das Bewußtseyn erschüttert
werden. Wir kennen nicht jene Zeit, wo [ein] homogenes Geschlecht
existirte, von der man erzählt Eben diese geistige Macht, welche die
Menschheit auf vollkommene Gleichartigkeit erhalten hat, muß wankend
werden. Es ist erst anzusehen, daß es ein Princip im Bewußtseyn seyn
muß. Wo zwey Prbcipien sind, dort ist immer eine Entwickelung, und
fortwährend. Ein solches Princip, das kein anderes zu sich ließ, ein un-
endlic hes, dies ist nur Gott. Nur die Macht Gottes wird im Bewußtseyn
erfüllt, ein Gott, der die Menschheit bewegt, kann jenem Zustand eine
Dauer geben, wenn es eine Zeit gab, wo keine Völker waren. So lange ein
Gott das Bewußtseyn beherrscht, so lange bleibt das Bewußtseyn Gottes.
Mit solchem war eine Einheit der Völker möglich." Mögen sich andere
Ursac hen ersinnen6 lassen, was die Trennung der Völker machte, war
entschiedener Polytheismus. Diese Bestimmung des innersten Vorgangs
ist bei Moses nicht geliefert, aber Polytheismus angedeutet! Daß sie als
Schauplatz der Verwirrung [Babel] andeutet, als den Ort, wo [der] Kelch
sich gefüllt, von dessen Wein die Völker trunken waren', wie der Prophet
sagt. Der Begriff des Völkerthums ist so viel als Heidenthum, denn Babylon
wurde als Heidenhauptort angesehen. Jetzt hat man versucht [für den
Namen] jener Stadt andere Ableitung [zu] finden, von bab Pforte, aber
dies ist arabischer Dialect, darum heißt es Babel, daß der Herr die Spra-
chen verwirrt hatte. Das Wort kommt gewiß von Babel nachahmend, oder
Balbel, griechisch barbaros von chaldäisch bar - extra abgeleitet; bei
Römern hat Wort barbarus nicht so allgemeine Bedeutung—" also alles
bezieht sich auf die Sprache. Wie kann der entstehended Polytheismus
als unmittelbare Ursache der Verwirrung der Sprachen seyn? Das Ver-
dienst der Forschung ist nicht nur die Fragen aufzulösen, sondern ein
Neues hervor[zu]heben, aber gerade [dies] wird uns verhindern, ober-
flächlich zu handeln.... Die Umwandlung des pelasgischen Wesens ins Hel-
lenische war der Übergang in entwickeltes mythologisches Bewußtseyn.
Affectionen des Sprachvermögens, - mit Zungen reden in Corinth - , was
konnte diese Erscheinung anders seyn, als die Folge einer religiösen
Affection. Diese sind Principien von allgemeiner Bedeutung. Wir wollen
doch eine merkwürdige Parallele erwähnen: öuoYXxDooi'a im Pfingst-
feste 16 ..., die anderen Parallelen aus persischem Leben. Mag es nicht als
überflüssig erscheinen, wenn wir sagen, daß eine Trennung der Völker
war, denn nur eine Macht konnte es seyn, die jene Völker auf [den] Schau-
platz [der Weltgeschichte] stellen [konnte]. Jedenfalls ist klar: Völker-
entstehen, Sprachverwirrung sind AT.-Begriffe. Der Ursprung der Mytho-
logie wird in dem Übergang seyn, da es noch kein Volk war, aber in Be-
griff [war,] sich [zu] entwickeln, nicht rein von anderen Sprachen ein
wahres yTubaoaiq bei jedem Volke vorausgesetzt werden muß. ... was
wir bei Herodot Denken sollen, die Pelasger sind nichts anders, als in
H: unmöglich
b
H: scheinen
' ,der güldene Kelch sich füllte, der alle Welt trunken gemacht* Jerem. 51, 7
d
H: entschiedene
130 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
Hellenen übergangene Völker. Von dort her, wo die Sprache nicht war,
war zwischen Materiellem und Formellem kein Unterschied. Einige Spra-
chen sind Dialekte einer Sprache; andere gehören zur [selben] Formati-
on wie Sanskrit, Latein, Deutsch; allein es gibt Sprachen, die weder zum
Stamm noch zur Formation gehören,... homogene Bestandteile sind nicht
nur auf eine Art zu erklären, so arabische Worte im Spanischen und Fran-
zösischen. Die zweyte, mögliche Erklärung ist, I [daß] aus der Formation
in schon wirklich vorhandenem Volke keine Sprache entsteht, sondern
mit dem Volke Es war das Gefühl dies zu trennen, was in sich bewah-
ren sollte. Auch zu diesem extremen Zustand sind uns Belege erhalten,
so jene aufgelöste Bevölkerung des südlichen Amerika, in ihnen jenen
rohen Zustand zu erblicken, ist ganz unmöglich, so Beispiele der Völker,
die aus Bildung in Barbarey gefallen sind. Wenn die Entstehung der Völ-
ker erklärt wird, so müssen jene Völker erwähnt werden, die ohne sittli-
chen Zustand sind, sie sind die Herde, die ohne Hirten herumirren. Ge-
bräuche und Sitten beweisen nicht, daß sie Trümmer eines Volkes sind,
denn aus Roheit [zu] Entwickelung, gesellschafticher Bildung [zu kom-
men], ist nimmer möglich. Auch Stämme kennen wenigstens Eigenthum,
aber kein möglicher politischer Vorfall kann ein Volk zu einem solchen
Zustand absoluter Gesetzlosigkeit herabbringen, physische Ereignisse
können seinen materiellen Zustand zerstören, nicht aber geistigen Zu-
sammenhang. Die Völker sind nicht bloß durch Auseinandergehen zu er-
klären, es muß eine Einheit angenommen werden,... Verwirrung entsteht
nur, wo mißheilige" Elemente in einer Sache sich [nicht] zerstreuen....
Die Sprache hat etwas allgemeines, wo die Einheit vergeht, dort wird auch
die Sprache verloren werden, diese Sprachen bewahren in sich ... Züge,
Spuren der ursprünglichen Einheit, die Elemente, auf die man kommt,
sind die letzten Elemente. Aber auch unter diesen ist [nach] Azara eine
Sprache Guarani [eine] von Horde zu Horde, von Hütte zu Hütte, ihre
Stimme ist niemals stark, nur leise; sie bewegen beim Sprechen keine Lip-
pe, auf hundert Schritte hört man sie nicht.17 Ob aber solche Idiome noch
Sprachen heißen? - Dieses Entsetzen [vor dem] Verlust eines Einheits-
bewußtseyns gab die erste Anstalt in religiösen und bürgerlichen Rich-
tungen ein, denn nach verlorner Einheit schließen viele sich zusammen6,
durch specielle Gemeinschaft des Allgemeinen, die bei verschiednen Leu-
ten so alt erscheint, als die Geschichte. Zweytes Mittel war Festsetzung
der Doctrin, so haben Griechen [als] erste die Namen und [die] Natur
[der] Götter erkannt, diese festgestellt, ausgesprochen, zur Doctrin aus-
gebildet . . . . Äußerlich suchten sie sich zusammen [zu] einigen durch
H: mißfällige
H: viele sich anschließen
MITSCHRIFT CHOVATS 131
Festsetzung großer Städte, ehe die Sprache sie verwirrt" hatte. Sie wollten
sich einen Namen machen, bis dahin waren sie also namenlos Mit den
ersten festen Städten entsteht erst die Völkertrennung und Absonderung,
hierher gehören also Werke, die Homer [und] Hesiod. schon segnen, so
nennt Homer Tyros. Hesiod: Ihre große Kraft und Entwickelung durch
Bau. Kunst war in ihrem Werke. Cydopische Werke bestehen aus Mau-
ern und Zinnen, andere Betrachtung von Werken sind Grotten, unge-
heure indische Tempel. - Dies alles ist als Text anzusehen, zu welchen der
folgende Commentar geht, dies muß also in Unbestimmtheit gelassen
werden, bis [es] sich selbst bestimmen wird, wir sollen es zum Bewußtseyn
bringen, ergreifen das, was geschichtlich dargestellt wird. ... Die mytho-
logische Vorstdlung muß als Wahr-1 heit, als rdigiöse Wahrheit darge-
stellt werden. In der Zeit vor [den] Völkern finden wir [k]einen Gott im
eigendichen Sinn, die religiöse Bedeutung ist also nicht ursprünglich, son-
dern erklärt von anderen, nur daß die Bedeutung der Mythologie rdigiös
seyn mußte. Sie suchten diese als eine zufällige darzustellen. Zwar kann
die rein poetische Ansicht auch religiösen Ursprungs seyn. Noch ganz
anders verhält [es] sich mit philosophischer Erklärung, die ursprüngli-
che Religiosität ist hier gar nicht vorhanden, daß die Götter gefürchtete
Wesen sind, und dies ist atheistisch, also alle bisher vorkommenden Mei-
nungen [sind] als irreligiös zu betrachten, der Mythologie müssen solche
Vorstellungen vorausgehen, die religiöse Bedeutung haben,... Eine dem
Menschen eingepflanzte Kenntniß müßte den Menschen antreiben, den
bestimmten Gegenstand zu besitzen. Nur auf diese Weise wird der Poly-
theismus die Vergötterung der Natur. Ein mehr philosophisches Denken
erhielt aus dieser notitia Dei insita als das Bewußtseyn Gottes in potentia,
welches zu einem wirklichen Gott sich entwickelt. Dieser im Bewußtseyn
bloß potentiell vorhandene Idee Gottes liegen etliche Momente zu Grun-
de und sie sdbst kann nur actuell sich im Bewußtseyn regen, denn alsdann
alle potentiellen Momente [sich] aufheben, verwirklicht [sie] sich dadurch
in ihrer absoluten Universalität. Das Ziel der Bewegung ist immer die
höchste Idee, also Gott, aber Bewußtseyn wird sich trennen, um zu höhe-
ren Momenten fortzugehen und die höchste zu erreichen, wo der alle
Momente überragende Gott ins Bewußtseyn treten wird. Diese Erklärung
wäre die erste, wdche in der Mythologie ein inneres Bewußtseyn voraus-
setzt, insofern würde sie sich der philosophischen am meisten annähern
und auch daran wäre nicht [zu] zweifeln, daß die verschiedenen Mytho-
logien sich aufeinander stellen, ohne daß darum jemand die Natur durch
Entwicklung der Idee entstanden sich denken will. Ein solches System
hat immer bloß logische Bedeutung und nachdem [die] Methode gefun-
H: sich bewirkt
132 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
* H: sich nicht
b
H: dem erworbenen Begriff gibt er den Namen Wort. (XI, 84)
c
H: aller Begriffe
d
H: enthalten wird
134 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
H; solches Volk
136 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
* H: erkennen
b
H: mit sich
c
H: bevor
d
H: nicht
MrrscHRiFT CHOVATS 137
und Neues eingesetzt wird. Auf den ersten Blick scheint ein I absoluter
Monotheismus stärker [zu] seyn, als [ein] relativer, aber dies ist nur Täu-
schung. In ursprünglicher Einheit der Menschheit war etwas blindes, et-
was vom menschlichen Willen unabhängiges. Wenn Monotheismus wäre,
so wäre das Bewußtseyn wissendich zum Polytheismus übergetreten, dies
aber scheint unmöglich [zu] seyn. ... die ganze Einheit tritt auf einmal
auseinander. Es müßten also auch die Völker auf einmal entstehen, hier
müssen aber Schranken gesetzt werden. Im Bewußtseyn der ursprüngli-
chen Menschheit ist ein Gott herrschend, nun erscheint aber zweyter Gott
B, der aus a angenommen ist, der kann keine Bewahrung im Bewußtseyn
finden ohne A. Auf diese Art wird der absolute Gott A selbst beweglich,
er bleibt sich nicht gleich, wohl möglich [ist], daß selbst jene griechischen
Götter nur solche Verstattung des ersten Gottes sind. Hier ist also eine
fortwährende Succession der Gestalten, mit jeder [der] Gestalten des
Urgottes ist eine veränderte Götterlehre. Mithin sind mit Erscheinen des
zweyten Princips alle Götterlehren vorhanden, aber in Wirksamkeit tre-
ten [sie] nur allmählich. Mit diesem Conflict ist also auch successives
Erscheinen der Götterlehre [gegeben], dem verschiedenen Entstehen der
Götter entsprechen die Entstehungen der Völker, bis der Augenblick
gekommen ist, da jedes Volk in ursprünglicher Einheit ist. Durch das
Successive des Polytheismus sind auch Völker entstanden. Da nun aber
die Crisis, welche Wirkung des 2ten Gottes ist, allgemein ist, so geht [sie]
über alle Völker. ... Hierbey wäre noch Rücksicht [auf einen Einwand
zu] nehmen: nämlich ein Verhältniß zur Mythologie zeigte sich bereits
zwischen den Stämmen, nicht [erst] zwischen den Völkern.,Die Semiten
sind der Urreligion näher gefunden als japhetitische Völker, jene [sind]
im allgemeinen der Urreligion näher geblieben, [während] die Japhetiten
sich weiter entfernen.29 Es mußte doch eine Möglichkeit zu dieser Entfer-
nung gewesen seyn, diese Möglichkeit war nur in Erscheinung des 2ten
Princips, so müssen wir sagen: mit dieser geistigen Bedeutung sind die Stäm-
me da nur mit den Völkern die mit der Entstehung verschiedener Völ-
ker entstehende Sprachverwirrung sollte nicht vollständig begriffen wer-
den? Wenn wir eine Zeit [mit] einer Sprache voraussetzen, so war [es eine]
Zeit, wo die Sprache durch ein Princip der Substantialität geleitet war. War
dieses Princip nur geistig, so zeigt sich, daß es [die] ganze Annahme des
Bewußtseyns beherrschte. Jenes erste [wird] zuletzt unkenndich gemacht;
da die Sprache von 2 Principien geführt wird, [ist] ihr substantieller Cha-
racter berührt. Sie erscheint nicht nur materiell, sondern formell. Nach
unsern Voraussetzungen wird die Menschheit vom rdativen Monotheismus
oder von Eingötterey zur Zweygötterey, Dytheismus", und dann erst zum
H: Theismus
138 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
Polytheismus übergehen. Aber dies ist nur Prindp und Fortschritt in [den]
Sprachen. Es ist hier also ausgesprochen, daß der monosyllabische Cha-
racter des Chinesischen bezweifelt worden ist. 30 ... I... Es ist nicht unsere
Meinung, daß die Menschheit überall von Barbarey ausgegangen sey. Hat
nur der französische Kenner des Chinesischen31 uns dies mitgetheilt, so
ist [dem] entgegen die Semitische, die dissylabische Sprache, wo sich die
unmittelbare Verbindung mit dem Monotheismus darstellt, man wollte
sie auf monosyllabische Wurzel zurückführen, viele..." Worte scheinen
eine Wurzd zu haben, der Zuwachs eines Vocals dient zur Aussprechung
der Bedeutung: so hebräisch cham Feuer, Wärme, chamar roth werden.
Das Hebräische ist hebräisch nur durch Zweysilbigkeit seiner Worte.
Diese Thatsache beweist gerade, daß im Monosyllabismus ein Princip.. .b
war. Für die Japhetischen Sprachen sollte man glauben, daß in diesen [das]
monosyllabische Princip verloren sey.... Dissyllabismus ist als Princip
und Gegensatz also verloren. Wer dies ins Auge faßt, der wird geneigt
sein, den Monosyllabismus hervorzusuchen. Polysyllabismus sey hier
wesentlich, d. h. solcher, in welchem weder Monosyllabismus noch Dysyl-
labismus0 wesendich, sondern nur zufällig sind. In der Chinesischen Spra-
che ist das Princip noch bewahrt, welches [bei] der ersten Menschheit
vorherrschend war. - Mögen wieder diese Erinnerungen als Beweis seyn
für den einzig möglichen [relativen] Monotheismus. Dies ist successiver
Polytheismus, es ist in der Menschheit eine Folge von Göttern, eine That-
sache so gut als irgend eine historische Erscheinung; es mußte also in der
Menschheit ein erster Gott seyn. Dieser Friede konnte nicht mehr beste-
hen, als der andere Gott entstand. Wenn wir den Raum des ersten Gottes
suchen, wir finden ihn nicht in der Zeit, er ist in vorgeschichtlicher Zeit zu
suchen. Entweder war unser Gott A nicht, oder Gott hatte im Bewußtseyn
[der] unzertrennlichen Menschheit [geherrscht]. Oder der eine Gott war
das einzige bis dahin Seyende, bis der andere ihm wirklich nicht gefolgt
war, so war er eine potentia mythologica. Vergleichen wir dies mit der
Annahme des Polytheismus, so gehört eine solche unter Unbegreifliches,
welches nicht zum Übergang zur höheren Ansicht führt, sondern zum Un-
tergang.32 Aber ehe alle solche Annahmen von Besseren zum Schlechte-
ren angenommen werde, der Polytheismus ist nicht zwecklos, er ist als
Übergang zu einer Befreiung des menschlichen Bewußtseyns.... Es ist
aber bloß negative Ursache, Verdunkelung; es würde nicht bloß Poly-
theismus folgen, das einmal erschlaffte Bewußtseyn wird zum Polytheis-
mus hingeführt werden. Nur eine positive Ursache erklärt jenes Entset-
H: radicale
b
H: überwunden
0
H: Polysyllabismus
MrrscHRiFT CHOVATS 139
H: getheilt
b
H: Lesart fraglich
c
H: von
d
H: von
140 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
war noch keine Vermuthung; gerade darum konnte hier wahrer Gott als
solcher nicht erkannt seyn, denn dies geschieht nur im Gegensatz So haben
wir zu betrachten, daß die Genesis dies alles wördich bestätigt, nämlich
die erste Menschen können vom wahren Gott als solchen wirklich nichts
wissen. Ich habe diese Schrift [weder] mit Augen eines Theologen noch
[eines] Gegners betrachtet, sondern als Philosoph ... Mosaisches und
A. T. drückt den Gott als unmittelbares Bewußtseyn aus: der Gott als un-
mittelbarer Inhalt des Bewußtseyns ist ihnen Elohim, der wahre Gott als
solcher, ist Jehova. Nun findet sich 5 cap. Genesis35 [eine] Genealogie,
die Urkundlichste der Menschheit von Adam bis Noah. Nachdem die
Genealogie bis [zur] Genealogie der Schöpfung fortgegangen war, war
Adam nach [dem] Bilde Gottes geschaffen, sein Sohn Seth ... er zeugte
Enoch - also Mensch wie Adam - enosch Krankseyn, der Gekränkte; mit
Enoch fängt wirklich eine andere Menschheit [an]. Also [wird] Enoch
nicht mehr nach Bilde der ersten Menschen geschaffen.36... Es ist nun
die Frage, wodurch dieses durch Enoch repräsentierte, 2te menschliche
Geschlecht sich vom ersten unterschieden hat? In Seth war das erste
Geschlecht noch stark und mächtig, in ihm lebte der eine Gott, im 2ten
schwachen Geschlecht war nicht mehr ein Princip, sondern der 2te Gott
erhob sich; also dies ist nur Einleitung; jetzt folgt die I Hauptsache: In
Gen 4 cap: Seth zeugte Sohn Enoch, dieser verehrte schon Jehova, also
vor Enoch, vor [dem] 2ten Geschlecht war der wahre Gott nicht angeru-
fen, wie schon Dr. Luther übersetzte.37 Von dieser Zeit hat man den Na-
men Herrn angerufen, besser aber so: Jehova wurde beim Namen geru-
fen -Jesaja 43, 1. Dieses Rufen Jehovas beim Namen findet [sich] nur
beim 2ten, durch das 2te Princip afficirten Menschengeschlecht, es hatte
den absolut ewigen Gott. Aber diesen als solchen mit Namen zu bezeich-
nen, dazu entstand die Nothwendigkeit, als der erste Gott durch 2ten, als
der wahre Gott durch 2ten zu verschwinden [drohte], relativ geworden
ist. So entstand die Nothwendigkeit, den wahren Gott beim Namen zu
rufen. Dies war [der] einzig mögliche Weg von dem relativen zum absolu-
t[en Gott]" überzugehen. Für uns genügt es zu beweisen, daß der wahre
Gott erst dem 2ten menschlichen Geschlecht bekannt war, aber dem 2ten
Gott unterworfen, so entsteht mit [dem] 2ten Gott der Polytheismus, d.
h. Monotheismus, in welchem der Eine gedacht wird, entsteht in diesem
Sinne nicht ohne zugleich Polytheismus zu werden. Wir könnten hier noch
weiter gehen, wir können im Namen Enoch den Namen des 2ten Gottes
finden, so war bei [den] Griechen des 2ten Gottes Name Dionysios, ...
So - Herr - enosch ... der Herr der Menschen mit Götterkraft. In dem
großen Entwicklungsgange stehen sich Offenbarung und Mythologie
' mögl.
MrrsCHRIFTCHOVATS 141
nahe. Es steht also in der Genesis, daß mit dem 2ten Geschlecht der wah-
re G o t t als solcher bei Namen gerufen war. - Nach diesem entsteht in der
Genesis [die] Sündfluth: da sich die Menschensöhne mehrten, da sahen
die Söhne der Götter etc. [nach den Töchtern der Menschen]. In dieser
Stelle ist ein so offenbarer Bezug auf Mythologie, daß diese Erzählung
aus [der] wirklichen Geschichte der Mythologie sey. Es wird erzählt wie
die Söhne Gottes, in denen der erste Gott lebte, sich zu Töchtern, den
Anhängern des 2ten Gottes [wenden], sich mit ihnen verbinden, wo sie
ebenfalls zwischen Gott der ersten Zeit und anthropomorphen Göttern
in [der] Mitte stehen, und wo sie diese Entwicklung aufhalten, dies führ-
te dann allgemeine Sündfluth herbei. Das erwähnte Bruchstück - wdches
in Genesis ohne Verbindung steht - bewahrt die Authenticität seines In-
halts, hier ist entschieden etwas Vormosaisches. Diese hochmythologische
Fabel unterscheidet dieses Bruchstück von diesem, was folgt, dennoch
ließ [es] den Grund der Sündflut nicht wahr erkennen In Anrede zu
Moses spricht Jehova: Lehre die Kinder Israds, ich will sie ins Land brin-
gen, denn ich weiß ihre Gedanken, ihre Gebild.38 Zu Salomo: Und du mein
Sohn erkenne den Gott, denn er versteht das Gebild aller Gedanken; wenn
du ihn wirst verlassen, er auch dich verläßt. So spricht auch David im letz-
ten Gebete. Wenn Noah sich der Gott offenbart, Luther übersetzt: Ein
Mann, der nicht dem zweyten Gotte sich zuneigte.39 Aber was ist Resultat
der Sündflut? Der Gott sieht, daß menschliches Herz böse sey, und in-
dem der Gott erklärt, daß er sie nicht mehr erhalten werde, zeigt er, daß
die Menschheit nie mehr vom Polytheismus abgetrennt werden kann. Also
dies war ein dem anthropomorphischen, mythologischen Gott ergebe-
nes Menschengeschlecht. Vergleichen wir die mosaische Erzählung mit
Überlieferungen der andern Völker: So nennt eine Überlirferung den Gott
Kpdvoc, als den, zu dessen Zeit Sündfluth war. In Hierapolis war ein Tem-
pel, wo[hin] sich I die Wasser zurückgezogen. Also die Götter der ande-
ren Überlieferungen sind ganz verschieden von den mosaischen. Wer dies
erwägt, was für einen Werth Wasser auch in Mythologie hat... wird an-
ders verfahren. Wenn [er sie] auch als physisches Ereignis annimmt, so
wird [er] doch [die] Noahsche Sündfluth als Wendepunct des menschli-
chen Geschlechts zur Vielgötterey annehmen. Wenn schon zur Zeit Abra-
hams in Babylon und Ägypten ein Monarch war, so waren die Mythologien
schon vorhanden. Fernere Andeutung liegt darin, daß Noah sich Acker-
bau, Weinbau vornahm, dies erklärt sich aus diesem: die vorigen Men-
schen waren Nomaden, so bei Jeremia: „Wir trinken nicht Wein, denn
unser Vater sagte uns: ihr sollet nicht mehr trinken, nicht ackerbauen,
säen".40 So war ein Stamm, der nicht zu Israeliten gehörte, allem dessen
* unlesbares Wort
142 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
* H: Grundsätze
MITSCHRIFTCHOVATS 143
man fragen: ob sie nicht Anhänger eines Gottes oder von einem Namen
Gottes sich nennen, von Godan mercur? Wir sind also in der geschicht-
lichen Entwicklung dahin fortgeschritten, wo sich der wahre Gott bei ei-
nem Volke erhalten hat. Bei Abrahamiten ist allein die Offenbarung und
die Bedingungen der Offenbarung. So konnte [die] Offenbarung von
der Mythologie nicht ausgeschlossen werden, wie wir im Anfang der My-
thologie sagten. Die Frage war: ob Offenbarung der Mythologie zuvor-
käme? Nun haben wir gezeigt, daß das erste Menschengeschlecht den
wahren Gott als relativen verehrt hat, aber ihn doch unterschied, also in
der ersten Zeit ist in strengen Sinne genommen die Offenbarung nicht
gekommen; von der zweyten Zeit [an] ist [die] Möglichkeit der Offen-
barung, aber hier finden wir schon das Princip des Polytheismus, dem
2ten Geschlecht ist die Offenbarung zu Theil geworden. Aber die hervor-
ragendste Gestalt ist Noah, die Sündfluth ist Übergang zum neuen Welt-
alter, zum Polytheismus. Erkenntniß des wahren Gottes hatten [die]
Abrahamiten durch die Offenbarung. Also: Mit wdcher Beständigkeit
Genesis von Jehova sagt: Er sey dem Abraham, Isaak [und Jacob] er-
schienen, ... Wenn Jehova nicht unmittelbar Inhalt des Bewußtseyns ist,
so kann dieser unmittelbare Inhalt Elohim seyn45, dieser Name ist Plural.
Lessing deutet [darauf] hin, daß dieser Plural auf Polytheismus hindeutet.
Allerdings ist dies nur pluralis magnitudinis, qui unam sed magnam rem
indicat.46 Welcher Gegenstand hatte Anspruch auf Erstaunen, als jener
Eine Gott, also [ist] Elohim aus [der] Urzeit des allein herrschenden
Gottes hergenommen, damit stimmt überein das Wort bei Arabern: ob-
stupuit.47 Singularis Eloah kommt nur später in poetischen Büchern vor.
Auf diese Abwechslung des Namens hat man die Hypothese gesucht, daß
[die] Genesis aus 2 Satzungen zusammengesetzt sey, der einen Urkunde
von Elohim, der anderen bei Jehova.48 Man kann sich leicht überzeugen,
daß die Namen Elohim und Jehova in Genesis nur zufällig wechsdn*....
Elohim ist allgemeiner Gott, den auch die Völker (Gen. 20,11), die Hei-
den verehren. Jehova ist bei Abrahamiten nur als erscheinender6 Gott.
Elohim ist allgemeiner Gott, durch welchen Abraham zur Opferung0 des
Sohnes aufgefordert wird, es war ein Gebrauch aller Völker ein Opfer zu
bringen, aber Jehova ruft ihn davon zurück. ... der werdende Zustand
erlaubt vielem, nicht zu Bewußtseyn zukommen, was im Trau-1 me sich
erhebt. Also Elohim ist [der] Urgott; das ursprüngliche menschliche Ge-
schlecht hatte auch im relativen Gott den wahren und ewigen Gott ge-
dacht; aber erst der zweyte Gott lehrte, den wahren [zu] unterscheiden;
' H: sind
b
H: unterscheidener
c
H: Beschneidung
144 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
bis hierher ist das menschliche Geschlecht ohne den zweyten Gott, ohne
Polytheismus wäre aber nicht Fortgang zum wahren Monotheismus.
Abraham, nach dem ihm der erste Gott offenbar geworden, wendet sich
ihm mit Bewußtseyn zu, also dieser Gott ist ihm nicht [der] Ursprüngli-
che, sondern [der] Gewordene. Der wahre Gott ist ihm gezeigt worden.
Dieser als solcher unterschiedene Gott [wird] eben darum jetzt auch mit
[einem] besonderen Namen gerufen", weU es keine Erkenntniß des wah-
ren Gottes ohne Unterscheidung [gibt]. Allerdings kann sich Abraham
nicht von seiner Voraussetzung lossagen, der unmittelbare Gott bleibt im
Bewußtseyn; nur im relativen kann er [den] absolut einen ansehen. Der
wahre Gott ist ein beständiges Werden, wie der Name [sagt]: Jehova.
Abraham's Religion besteht nicht darin, daß er jenen Gott [der Urzeit
aufgibt]6, er hält fest am Gott der Urzeit. Der wahre Gott ist in rdativer
Urzeit offenbar, der wahre Gott ist vom Gott der Urzeit untrennbar, so:
„El olam" olam hebräisch bezeichnet die Zeit, vor welcher die Mensch-
heit keine Zeit findet, weU sie keinen Anfang hat. Ein Prophet49 nennt ein
Volk: „me olam"c: die Chaldeer; Josua50 sagt: eure Väter wohnen me olamd:
seit der Zeit, wo die Völker sind; also Gott, der schon damals war, ehe die
Menschheit war, von dessen Anfang niemand weiß. Also dem Abraham
[ist] der El olam, der wahre Gott, [er] ist nicht metaphysisch, sondern als
Gott des Himmds und der Erde, der seit der Zeit war, wo keine Völker
waren.51 Eine Gestalt der älteren menschlichen Gesellschaft angehörend
ist Melchisedek52, Priester des Gottes, der Himmel und Erde besitzt: hier
sind alle Namen merkwürdig; sein Name gewöhnlich: res justitiae also
.sedeck' Festigkeit: der unbeweglich bei einem bleibt53; dasselbe wie Is-
lam - die vollkommene, ungetheilte eine Religion; Moslem - ganz der ei-
nen Religion hingegeben; in der That ist [der] Islam die letzte Reaction
jener Urzeit, weil der Islam im Unrecht ist, weil er den Polytheismus über-
wunden hat, und jene Urreligion herbeiführen will. Er verbot den Wein,
aber der Wein ist Gabe der späteren Zeit, die Urreligion verwirft ihn. Jener
König von Salem fordert den Abraham, er unterwirft sich jenem höch-
sten Priester; Mdchisedek: gehörte zu dem Geschlecht, was zu wahren
Gottesverehrern in der Urzeit gehörte. Gegen dieses Geschlecht findet
sich auch Abraham geleitet, denn er ist dem Polytheismus nicht treu ge-
blieben, ja darum hat [er] seine Vorväter verlassen, in ihm ist die bewuß-
tere Rdigion, in Melchisedek der wahre Gott der Urzeit; er bringt dem
Abraham Brod und Wein entgegen, die rdativen Zeichen des wahren
H: beruht
b
H: vorzeigt
« Hielolah
d
H:elolah
MrrscHRiFT CHOV ATS 145
Bundes; diese Entfernung [vom Urgott] hat er mit [den] Völkern gemein.*
Also der Jehova ist dem Abraham kein anderer, als [der] Urgott, eben
darum wie er ihm der Gott der Himmel und der Erde ist54, er [ist] El
Schadai55; diese Form ist eine archaistische Pluralform; der Grundbegriff
ist Stärke, Macht; man könnte dies übersetzen: der starke Gott. Nun sagt
Jehova zu Abraham: Ich bin das wahre Subject, das du in El Schadai ver-
ehrst hat; also El Schadai ist der Name des vorausgehenden Gottes;
Exodus 6,3 ist von großer I Wichtigkeit. Elohim sagt zu Moses: „Ich bin
Jehova, Gott Abrahams, Isaaks, Jacobs; der Jehova ist dem Abraham nicht
unmittelbar erschienen, sondern nur in El Schadai, also im vorausgesetz-
ten Gott. Der Name Jehova ist erst von Moses gebraucht, nicht also von
[den] Patriarchen, denn in der Genesis ist dies nur vermöge historischer
Prolepsis, wenn den Vätern der Jehova in den Mund gelegt wird.6 Es ist
gesagt zwar: Jehova ist ihnen offenbar in El Schadai, denn er ist ihnen
offenbar aber nicht im Namen Jehova; Jehova aber sagt: ich war ihnen
bekannt als El Schadai; ich bin den Vätern in El Schadai erschienen und
in meinem Namen Jehova bin ich ihnen nicht erschienen, also ohne Ver-
mitdung des Schadai wußten sie nichts, durch unmittelbare Erscheinung
meiner selbst war ich ihnen nicht bekannt. Es ließe sich übrigens die Stel-
le so übersetzen: ich war ihnen in El Schadai erschienen, denn als Jehova
war ich ihnen nicht bewußt. Diese Stelle ist also in völliger Übereinstim-
mung mit unseren Entwickelungen, aber nicht, daß diese Stelle uns zu
Grunde liegt0, aber wir haben diese Stelle zu dieser Entwicklung [.. .] d
hervorgehoben. Dieses Verhältniß ist nicht [ein] stationäres, sondern
immer [ein] bewegliches, die Erscheinung ist also nicht, wo das Bewußt-
seyn unthätig bleibt. Unter [dem] Engel Jehovas könnte man auch den
zweyten Gott verstehen, oder Engel Gottes ist bloß die Erscheinung
Gottes56; zu diesem betet Abraham, er soll ihn gesund machen. ... Die
Beschränkung die dem Bewußtseyn eingelegt ist, die Wirklichkeit des
Bewußtseyns ist erfüllt von [dem] Urgott; daß der wahre Gott nicht Herr-
scher ist, denn Abraham wendet sich zu Elohim - [dies] muß als Beschrän-
kung empfunden werden, aber so, daß der wahre Gott, als er jetzt er-
scheint, sey. Die Religion Abrahams ist Monotheismus aber der wahre
Gott ist ihm nicht gegenwärtig, sondern der nur wird, Jehova ist archa-
istisches futurum von: hawa - seyn, in andern Übersetzungen ist überall
„Herr" nicht Jehova: dies bedeutet: er wird seyn; wie Jacob - Jahwo, Jewo.
* H: gemeint
b
H: denn die Genes, ist dies nur vermöge histor. Prolepsis wenn es den Vätern in
Mund des Jehova gelegt wird
c
H: dient
d
H: Entwick. u. Bedeutung hervorgehoben
146 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN DM BERLIN
Die futurische Bedeutung ist gewiß, denn Jehova antwortet Moses: dies
ist mein Name: ich werde [seyn], daß ich seyn werde57 - es ist nicht Aus-
druck der metaphysischen Ewigkeit sondern er spricht sich aus: der seyn
wird. So heißt Abraham nicht nur seines Volkes, sondern auch anderen
orientalischen Völkern Stammvater der Gläubigen; der erwartete ein Heil,
...; aus dieser Erwartung hinausgeführt und errettet werden, eine Vor-
aussetzung, die Gott nicht wegnehmen kann. Fürs erste menschliche
Geschlecht war [der] relative Gott, für [das] 2te Menschengeschlecht war
götdiche Vorsehung sdbst, wdche jenen relativen Gott zum Herrscher
machte, denn das wesentliche Verhältniß zu Gott stellt sich als Bewußt-
seyn her. Damit [geht] also dieses Verhältniß einen anderen Weg, [den]
des successiven Polytheismus, denn der Polytheismus [ist] nicht bloß vom
Judentum ausgeschlossen, sondern ganz abgesondert, in dieser Enge ist
die Religion unvollkommen. Das Christentum unterscheidet sich vom
Judentum, denn wie könnte Paulus sagen: „Christus hatte eins von bei-
den gemacht."58 Der relativ Eine mußte dem Bewußtseyn erhalten* wer-
den; der Gott der Urzeit, jener relativ eine ist Ausgangspunkt, der wahre
Gott ist bei Abraham, er erscheint ihm nur im Rdativen. Der rdative Gott
ist sdbst künftig, Abraham ist in [der] Gegenwart dem re-1 lativen unter-
worfen6, ... dies sieht Jehova als Gehorsam gegen sich an. Diese Gebun-
denheit an [das] Princip des Monotheismus macht vieles begreiflich:
Abrahams Bewußtseyn ist nicht absolut unmythologisch, aber darum sind
die Erzählungen nicht Mythen, nur wirkliche Erzählungen unter der My-
thologie stehend; daß dies ihm innerlich erschienen sey, dies ist histori-
sches Factum. Dies ist götdiche Zucht, durch welche zu Religion gezogen
wird: Abraham ist ein Mann der Zukunft, er hat alles nur [als] Verhei-
ßungen! Wie er auf diese Verheißungen viel legte, so glaubte er auch an
zukünftige Religion. Daß er an Gott glaubte, ist ihm zugerechnet an Ge-
rechtigkeit.59 So heißt Abraham ein Prophet60, er sieht über das Gesetz
hinaus, wie die späteren Propheten. So hat der Verfaßer Genesis 4 cap.
eine solche Verheißung vor Augen; ich weiß nicht welcher Gott bei Eva
gemeint sey, denn der wahre Gott war dem ersten Menschc nur ein zu-
künftiger. Bei der Composition der Genesis war [ein] allgemeiner Ge-
danke von Verheißung. Das mosaische Gesetz setzt noch weniger vor-
aus, er setzt zwar Einheit Gottes voran, in Moses ... ein unmittelbares
Verhältniß zwischen ihm und Gott; als die Mythologie fortschritt, war der
relative Gott schon im Kampf mit [dem] Polytheismus. Dieser Charakter
der strengsten negativen Einzigkeit kann nur von [dem] relativen Gott
H: enthalten
k
H: verworfen
H:M.
MrrscHRiFT CHOVATS 147
herrühren, denn der wahre Gott ist nicht einzelner; das mosaische Ge-
setz ist nur relativer Monotheismus ... die superstiten Gebräuche noch
etwa in Zeiten Davids [anzunehmen], ist eine Unkenntniß der rdigiösen
Ansichten. Jenes Princip indes: relativer Monotheismus sollte als Grund
erhalten werden, und so ist mosaische Religion voll mit Zukunft; in dem
auch das mosaische Gesetz der Nothwendigkeit gehorchte, ist das eigent-
liche Princip der Zukunft in [die] Propheten gdegt; in [den] Propheten
ist... nicht bloß die befreiende Religion Israels, sondern aller Völker. So
stellt sich demnach das Verhältniß zwischen Offenbarung und Mythologie
historisch dar, die Frage: ob die Offenbarung der Mythologie vor oder
nach gegangen sey, hat uns dazu veranlaßt. Also ist die Offenbarung des
Monotheismus der Urväter sdbst vermittelt, wodurch auch Polytheismus
der Völker vermittdt ist. Zum Schluß dieser Untersuchung bemerken wir
noch allgemein: die nächste Hypothese war: aber jede Offenbarung kann
sich [nur] an [ein] wirkliches Bewußtseyn wenden, aber im ersten Bewußt-
seyn finden wir Relatives, die Mythologie ist bereits als potentia vorhan-
den. Diese Potenz ist nicht durch Offenbarung gesetzt, die Offenbarung
muß diese Potenz als unabhängig finden; wirkliche Offenbarung ist nur,
wo etwas Verdunkelndes durchgebrochen wird, so setzt sie etwas Verdun-
kelndes voraus.* Der Gebrauch des Begriffs der Offenbarung ist [ein]
schlechter Beweis von einer Verehrung dieses Begriffs; ... und doch
Offenbarung ist im eigendichen Sinne, wo etwas so sehr unbegreifliches
ist, als Mythologie. Die Offenbarung erklärt, was diese sdbst ist, sie macht
uns vorgegebene Thatsachen begreiflich; sie haben den Zustand des Be-
wußtseyns als I vorübergehendes erklärt: Chrisdiche Lehrer sollten diese
Offenbarungen achten, damit sie in ihrer strengen Geschichtlichkeit er-
halten werden. Einen solchen Zustand des Bewußtseyns hätten sie in der
Geschichte nachzuweisen; gesetzt er werde durch Mythologie gegeben,
so würde Offenbarung von Mythologie hervorgehen; denn eine begrifflose
Offenbarung führt zu Thatsachen. - Ich spreche aus: daß mit [der] Offen-
barung die letzte Voraussetzung der Mythologie verschwunden ist. Wir
sind durch stufenleitrige Voraussetzung von [der] untersten bis in die
höchsten, welche die Mythologie von [der] höchsten Offenbarung ablei-
tet, fortgegangen. Wir meinen jenes Resultat, wdches sich durch Thatsa-
che des Polytheismus ergeben hat, daß der Gott der ersten Menschheit
nicht [der] wahre und eine, sondern der relative Gott war Jener abso-
lut eine [Gott] ist dennoch [ein] bloß relativer,.. .6; wenn er auch nicht als
solcher erkannt, doch folgt daraus Vielgötterey. Wir müssen dem Poly-
theismus keinen geschichdichen Eingang und Anfang einräumen; denn
' H: vor
b
H: der einen seinen Satz entsetzenden haben kann
148 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
* H: Entw.
k
H: stattgefunden
MITSCHRIFT CHOVATS 149
relativ einen [Gott] gesehen: es gibt aber außer einem wahren und relati-
ven Monotheismus... noch einen dritten, einen absoluten der Mensch
muß jenseits der ersten Menschheit seyn; und dies ist Bewußtseyn in sei-
ner Substanz, oder Urbewußtseyn in seiner reinen Substantialität. Dieses
Verhältniß, in welchem wir Gott allein denken, ist wesendich und [kann]
so [ein] Verhältniß mit [dem] wahren Gott seyn. Dieses Urbewußtseyn
kann in einem wesentlichen Verhältniß zu Gott seyn. Gott in seinem Wesen
ist zugleich Gott in seiner Wahrheit. Der Mensch nach seinem ersten
Ursprung ist nur Bewußtseyn, aber nicht Bewußtseyn von sich, denn dies
wäre ein Actus, denn die Natur von diesem Bewußtseyn kann zwar die
Basis aber nicht Gegenstand seyn; dies kann also nur Bewußtseyn von
Gott seyn, denn sonst wäre nicht Bewußtseyn in reiner Substanz. Nun
wäre Gott bloß überhaupt gedacht als abstract, der rdative Gott..." dem
wirklichen Bewußtseyn [angehörend, daher] muß das Urbewußtseyn in
reiner Substanz Gott in reiner Substantialität setzen. Wenn wir unter
Monotheismus bloß substantielle Setzung Gottes verstehen, so wäre dies
das letzte Moment des Polytheismus, die letzte Voraussetzung der Mytho-
logie, also [ein] übergeschichüicher [Monotheismus]. Denn nicht ein
Monotheismus des menschlichen Verstandes, sondern der menschlichen
Natur, der Mensch kann nur gottgesetzende Natur 6 seyn; der wahre
Mensch kann nur noch dem Gott gemäß seyn, er kann nur existiren [als]
das Gott setzende Wesen: die in Gott verzückte Natur der Menschheit ist
c
das natürliche ursprüngliche Wesen des Urmenschen In der ganzen
Natur hat jede Potenz darum wahre Bedeutung als seiner Natur nach Gott
setzendes Wesen. Es ist also eine Frage: wie das menschliche Bewußtseyn
von Anfang an mit religiöser Natur beschäftigt ist? Wie es vor allen andern
mit religiösen Vorstellungen befangen wurde? Man fragte, wie kommt das
Bewußtseyn zu Gott, aber das Bewußtseyn kommt nicht zu Gott, son-
dern geht von Gott ab, denn im wirklichen Bewußtseyn ist nur ein Mo-
ment des Göttlichen, also bleibt übrig, daß ihm Gott [ursprünglich] an-
gethan sey, oder daß das Bewußtseyn Gott I in sich habe. Der Mensch ist
an und gleichsam von sich selbst, eher er etwas anderes ist, sich vor [sich]
setzt, wie er eben ist, er hat Bewußtseyn, er ist das [den] wahre Gott Set-
zende. Wenn man also unter ursprünglichem Monotheismus nur das
wahren Gottsetzen versteht,... also kann man sagen, das Urbewußtseyn
ist Monotheismus, aber so wäre nur Theismus, - natürlicher blinder Mono-
H: bedacht
b
H: Begriff (Vgl. XI, 185)
' H: ... wenn man einen großen Fortschritt gethan macht: wie die .sofis' erst gethan
hat; beschaulichen Indiens Mythen(?) auch darum des Vorstellens müde dieses
Werdens; sie suchen den Weg nur immer rückwärts
150 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
* H: kennen
b
XI, 189.
c
H: Zustand
* H: wo
" H: M.
1
H: kein (vgl. XI, 176)
* H: bezeigten
k
XI, 176.
152 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
liehe [Lehre] existirt, er ist nicht bloß eine Lehre überhaupt! Wenn aber
die Menschheit der Mythologie dem wahren Gott entfernt ist, so folgt
nicht, - der Polytheismus sey als Atheismus angesehen - daß sie auch in
keinem Verhältniß zu Gott in Wirklichkeit stehen. Im Polytheismus hat
das Bewußtseyn kein Verhältniß zu Gott in seiner wahren Einheit, nur in
seiner Wirklichkeit, freÜich in keiner Gestalt ist Gott für sich. Nennen
wir diese Gestalten a - b - c so wird keine von diesen Gott für sich seyn,
nur in seiner Wirklichkeit also ist Polytheismus ist nicht Atheismus, nur
Theismus. Gott ist immer in seinem Bewußtseyn. Es ist also das Verhältniß
zu Gott in seiner Wirklichkeit, denn das letzte Ziel der Offenbarung war:
den Mensch" zu Gott in seinem Wesen zu versetzen. Christus sagt:
,CKorr|pva' ist bei den Juden d. h. der Anfang ist die Befreiung von dem,
was die Menschheit anbetet, ohne es zu wissen.65 Und das Positive ist: die
Menschheit erheben zu I Gott in seinem wahren Wesen. Der
Anfangsproceß war jener blinde Theismus des Bewußtseyns, es müßte
erklärt werden, wie das Bewußtseyn zugleich Gott seyn kann. Wenn der
Theismus Inhalt des Urbewußtseyns ist, so erhellt, wie die Religion hoch
gestellt ist; das höchste zu wissende ist Monotheismus, der sich dem
Pantheismus nicht entgegensetzt. Diese Entwicklung ist bloß vorläufig,
dessen Wahrheit durch folgendes bekannt werden wird. Also: der Sinn
der Mythologie wird so begriffen werden, einen Theismus anzunehmen,
wovon das Bewußtseyn sich zu Gott erhebt, aber sie ist noch nicht begrif-
fen. Einstweilen sind wir von der letzten zufälligen Voraussetzung getrennt,
diese war ein Monotheismus; und so sind wir jetzt frei von allen zufälligen
Erklärungen. Diese mußten der Natur nach geschichtlich seyn, die aber
unhistorisch geworden sind; so hat sich die erste Spur des Monotheismus
der Offenbarung nicht gezeigt. Hiermit außer dem Bewußtseyn kommt
die natürliche Bewegung durch die sich das Bewußtseyn jene Affection
zuzieht bedarf es keiner anderen Voraussetzung, und es blieb der Weg
ins Übergeschichdiche. Jener blinde Theismus des Bewußtseyns von dem
wir ausgehen, ... das vor allem Geschehen gesetzte Bewußtseyn ist
überwirklich, übergeschichdich und ebenso läßt sich jene Bewegung als
ein übergeschichtliches Ereigniß denken. Mit dieser Voraussetzung er-
klärt sich die ganze Erklärungsweise der Mythologie; dies müßen wir also
im einzelnen zeigen. Zuerst wie mit dieser Voraussetzung wird alles zu-
fällige Entstehen [hinwegfallen]... Der Grund der Mythologie ist gelegt
im Urbewußtseyn; dieser Act und dieser Vorgang findet sich außer dem
ersten Urbewußtseyn, dieses Bewußtseyn kann nicht mehr in [das] we-
sentliche Seyn zurück, es kann nicht über sich hinaus. Diese Bestimmung
hat etwas für Bewußtseyn Unbegreifliches. Die Alteration des Bewußt -
H: M.
MITSCHRIFTCHOVATS 153
seyns besteht darin, daß in ihm nicht mehr der Gott in seinem Wesen,
sondern [der] relative Gott lebt, diesem folgt ein zweyter nicht zufällig,
sondern nothwendig; die erste Affection ist die Bewegung des Bewußt-
seyns . . . Das Bewußtseyn ist unpersönlich; diese Bewegung verhält sich
zu ihm als Schicksal, vor allem Denken ist das Bewußtseyn schon [von
jenem Princip] eingenommen;... also freilich nicht im Sinn einer Philo-
sophie, wohl aber in dem Sinn, daß die Menschheit mit einem Gott behaftet
und geschlagen sey, in diesem Sinn befindet sich die erste Menschheit in
[einer] Zeit der Unfreiheit, stupefacta quasi et attonita, von einer frem-
den Gewalt genommen, außer sich. Die Vorstellungen, formell und mate-
riell, erzeugen sich dem Bewußtseyn ohne sein Zuthun, oder gegen sei-
nen Willen: die Mythologie entsteht durch einen im Bewußtseyn liegen-
den [nothwendigen] Proceß, dessen Ursprung sich ins Übergeschichdiche
verliert, und im Bewußtseyn sich verbirgt* so ist die Frage entstanden:
wie die mythologische Vorstellung mit [ihrer] Entstehung zusammen-
hängt? ... Wenn diese Meinung darauf beruht, daß in der Mythologie keine
Wahrheit sey; so sagen wir, daß die Sachen der Mythologie nicht zufällig
erfunden sind, sondern sie waren unabhängige Realität. Die Völker sind
nur Resultate dieser Processe, sie kommen aus dem Bewußtseyn. Ist man
auf den Gedanken eines Processes gekommen so [begreift es sich voll-
kommen, daß die bloß] materielle Betrachtung der Mythologie immer
räthselhaft [schien]; wir können I die Mythologie nicht begreifen und ver-
stehen, wenn wir den Proceß nicht begreifen und nicht verstehen. Un-
eigendichen Sinn nimmt man darum [an], weil man sich die Gegenstände
nicht [im] Innern vorstellen konnte; man hatte angenommen, daß diese
Persönlichkeiten wirklich unterschieden seyen, wie z. B. die Abrahamiten,
die für jetzt unmöglich sind, aber sie konnten wahr seyn. Eben dies ist die
nun mögliche Erklärung: wie [es] möglich ist, daß die Völker dem Stand-
punkt des A. T nicht nur Glauben schenken, sondern sich ihm hinge-
ben? Weil nämlich die Mythologie natürlich und nothwendig entstanden
ist, dort lassen sich nicht Form und Inhalt unterscheiden, die Formen
entstehen mit und in allgemeiner Form, das Princip des Processes aber
war damals nicht vorhanden6. Es entsteht also die Mythologie gleich als
solche, sie hat von Anfang an reelle und doctrinelle Sätze, zufolge der
Nothwendigkeit ist sie eigendich, d. h. es ist alles so zu verstehen, wie [sie]
es sagt. Die Sätze sind kurz, die Mythologie ist nicht allegorisch, sondern
tautegorisch', so Coleridge66,... er gebraucht dies Wort so als Philosophem,
zwar hat er beim Wort tautegorisch nicht gerade dies gedacht. - Er hat
H: verwirklicht
b
besser: gefunden
c
H: Wort unlesbar (Korrektur nach XI, 196)
154 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
mich beauftragt, ich soll ihm die Abhandlung von den Gottheiten von
Samothrake" hinschicken -. Die Phdosophie gibt die Eigentlichkeit, wir
sind genöthigt, die Einheit und Untheilbarkeit [des Sinnes] zu brauchen6
... so werden wir behaupten, das was gesagt ist, ist wirklich die Wahrheit,
nur, daß die Mythologie ihrem Proceß nach im ersten Urbewußtseyn
vorhanden sey. Für diesen vormythologischen Monotheismus, aus dem
man nach Hermann und Hume den Polytheismus ableitet, ist hier keine
Zeit mehr. Das erste wirkliche Bewußtseyn war in potentia schon Poly-
theismus ... dieser Polytheismus ist historisch bewiesen, [auch] daß [es
für einen] vormythologischen keine Zeit gibt, also kein Polytheismus vor
[der] Mythologie. - Aber die Mythologie ist geschichtlicher Polytheismus,
daß der, welcher nicht actu und potentia mythologisch sey, auch nicht
Mythologie sey. In [der] speciellen Aufeinanderfolge ist nicht Willkühr,
sondern Nothwendigkeit, so werden in [dem] Bewußtseyn stets die Ver-
hältnisse sich nachweisen lassen. So wenig, als man in der Mythologie
Inhalt und die Form, die mit einander entstehen und gleich sind, kann
man - wie es anderswo geschehen - in Ansehung der Mythologie Lehre
und Geschichte unterscheiden, das Geschichdiche gehört zu der Sache
selbst, das Doctrinelle ist nicht von außen, sondern von innen ist [es] in
der Geschichte enthalten, das Geschichdiche ist Reelles. Betrachten wir
die Mythologie objeetiv, sie ist wirklich Theogonie, indem sie die Götter
als einzelne Momente darstellt; subjeetiv - nach ihrer Entstehung ist die
Mythologie ein theogonischer Proceß, denn sie ist überhaupt ein Proceß,
ja ein theogonischer Proceß, so sie natura sua Gott setzt voraus, weil das
Bewußtseyn an [das] Wesen gebunden ist, und es kann nicht heraustreten,
ohne durch einen Proceß in dasselbe zurückzuführen. Hierbey kann das
Bewußtseyn nicht mehr erscheinen, nur als dem Gott mittelbare, als Gott
erzeugende, als theogonisches. Werfen wir von diesem Standpunkt den
letzten Augenblick zu äußeren Verhältnissen, war der erste Schritt zu dem
menschlichen Bewußtseyn, daß nicht menschliche Dichter sondern das
menschliche Bewußtseyn als der wahre Sitz der mythologischen Thätigkeit
bestimmt ist. Nehmen sie mir nicht übel, wenn ich diesen Schritt in der
Genesis mir vindicire, wo! ich dies auf die Quelle zurückgeführt habe! So
wird der Proceß selbst Gegenstand unserer Untersuchung seyn, ja auch
Gegenstand der Wissenschaften. Es kann [uns] nicht entgehen, daß wir
jenes Resultat benutzt haben, diese Seite mußte vor allem erledigt wer-
den: was also diese Frage betrifft, so ist Aufschluß0 wirklich erreicht. Aber
eben darum sind wir zu Höherem aufgefordert, nämlich was der Proceß
* H: der ml.
b
H:all.
c
H: Bewegungen
156 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
' H: einsetzen
b
H: mit stillschweigen
c
H: ein Kunst
6
H: sich ausschließende
MrrscHRiFT CHOV ATS 157
* H: gemein.
b
H: presbytes
< HHp.Vgl. XI, 214.
d
H: Eintheilung
158 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
H: durch
MITSCHRIFT CHOV ATS 159
Mythologie eine wahre Wissenschaft sey. Der Proceß soll doch nicht nur
vorgestellt, sondern an wirklicher Mythologie dargestellt [werden]. Üb-
rigens ist in [den] letzten Sätzen ausgesprochen, daß viele der Mythologie
Wahrheit absprechen. Es steht jedem frei, die Philosophie mit einem
Gegenstand zu verbinden", wie in Frankreich die Philosophie der Koch-
kunst, in Deutschland Philosophie des Postwesens, ... Es ist also eine
strenge Ansicht der Mythologie, wenn sie wahrer Ausdruck sey. Die objec-
tive Entstehung der Mythologie gibt auch den objectiven Inhalt, zwar kann
es erscheinen, daß die Begründung auf kürzerem Wege erreicht werden
konnte; und jene Begründung6 können wir jener Erklärung entgegen-
stellen, wdche nicht gering geachtet werde. Wie sollten wir [uns] über-
haupt gegen die frühere Erklärung verhalten? Sie sey nicht plulosophisch?
ist leicht zu sagen: das sey die Frage bey uns: ob die Mythologie eine wah-
re Wissenschaft sey oder ob sie nicht ein zusammengesetztes sey? Also
wir müssen es beim0 Wort nehmen. Ein ganz Unplulosophisches war die-
ses Geschäft nicht zu nennen, es ist bewundernswerth, wasd der gemeine
Verstand in Dingen nicht entdeckt, sondern was in allen Dingen vorhan-
den ist; und auch formell war das Geschäft philosophisch, die Methode
war successiv negativ und absolut wahr'. Es ist die Voraussetzung eines
ewigen und unendlichen Verhältnisses zwischen Gott und Menschheit
und so haben wir unseren Begriff nicht von oben herab dictatorisch, son-
dern von unten heraufgenommen. War dieser Theil der Untersuchung
[ein] historisch - critischer - so fühlen wir, daß kein sicherer Anfang der
Geschichte sey. Der Begriff Phdosophie der Mythologie subsumirt eine
Theorie der Mythologie und eine Theorie ist nur von dem möglich, wo
ein wahres Wesen ist; ein mechanisches Werkzeug ist nicht wahres We-
sen. Ein solches Wesen nach früheren Erklärungen fehlt der Mythologie;
aber sie bringt es mit sich, denn die Theorie ist bloß I eine phüosophische
Erklärung. In dem Gegensatz: Philosophie von Mythologie ist ein Grund,
daß alles übrige zufällig entstanden sey, ja auch die Form muß vernünftig
seyn. Die Natur freilich erregt kaum Verwunderung, daß wir uns aber
eine sittliche Stimmung vorstellen; wer in einer Art Moral gewöhnt wäre,
könnte fragen: Wozu dieser nutzlose Stoff? Wozu die Gestalten der Thiere,
von denen sich kein Zweck einsehen läßt? Wozu das viele Anstößige?f
Wozu viele Körper? Warum sind nicht lauter reine Geister? Es können
H: binden
b
H:Begr.
0
H: mit
d
H: welches
H: war
' H: die vielen Anstöße. Vgl. XI, 221.
160 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN DM BERLIN
jetzt vide die Mythologie gleich abhanddn, wenn sie sie als Fabdsammlung
ansehen: wer denkt aber jetzt an den Hochmuth [über die] Naturphilo-
sophie? Anders wird es mit der Philosophie der Mythologie auch nicht
gehen. Die der Natur das Prädicat sinnlos, unwirklich beilegten, können
nicht der Mythologie [Sinn] beilegen. H[ierh]er gehört, was keine Wirk-
lichkeit in sich hat, aber der mythologische Proceß ist ein natürliches,
nothwendiges Erzeugniß, sie ist mit der größten Freiheit vom Menschen
unabhängig,... die Mythologie ist nicht durch Verderben entstanden.
Worin die Philosophie" sich nicht befindet, ist unbegrenzt, aber der my-
thologische Proceß ist für sich [eine Welt], ein nothwendiges Bestreben,
sich entwickelnde Entstehung und Vollendung; der Philosophie wider-
spricht das Tote, aber die Mythologie ist etwas lebendiges, als wahre, -
nothwendig absolute Macht. Der Ausdruck Philosophie der Mythologie
ist ganz ähnlich wie Philosophie der Natur, der Kunst: der Ausdruck ist
ein wenig schwer, besonders wenn ich sage: Philosophie der Mythenwelt.
So lange es ein möglicher Gedanke war, die Mythologie als ein ganzes
[zu] betrachten, [ein Gedanke,] der auch Aristoteles nicht fremd war -
konnte man in der Mythologie eben die untergegangene Mythologie6
vorstellen. Wäre es der Philosophie [darum] zu thun, sich nur Einfluß
auf Mythologie zu vindidren, so wäre [es] nicht begründet: ein Verhältniß
hat die Philosophie mit ihren Gestalten, indem sie durch Momente fort-
schreitet69; reeller aber wurde der Zug, als man speciell die Natur als
Moment der Entwicklung in [die] Philosophie aufnahm0. Das nächste*1 ist
eine materielle Identität, so kann man die Mythologie ansehen durch
Refraction' des Geistes. Frühere physicaliche Erklärungen in diesem Sinn
wären bedeutender ausgefallen, hätten sie größere Rücksicht auf Natur-
phüosophie genommen.... Johann Arnold Kanne70 - wenn man dies nicht
mit einfachen Zügen darstellen kann, so suchte er diesen ganzen Plunder
der Gdehrten von sich abzuwenden, am Ende aber erkennt er, daß die
Analogien nicht beweisen; seine Schriften, die man nicht ohne Wehmuth
lesen kann, stellen ein Pantheon [der ältesten Naturphilosophie] dar, so
ein Werk: die Mythologie der Griechen, es wäre zu wünschen, daß je-
mand diese Mythologie auf vollkommene Weise darstelle; denn er hat in
der Mythologie nur einen Monotheismus oder Pantheismus anerkannt.
Nach den vorübergehenden Untersuchungen war es ein Glück für die
* H: Bemerkung
b
H:ohne
162 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
der Menschheit die Verhältnisse wie die der Kindheit.73... weil zwischen
der geschichdichen und vorgeschichdichen Zeit kein innerer oder wah-
rer Unterschied ist, so ist keine Grenze zwischen beiden, niemand kann
sagen, wo ... jene Zeit angefangen hat, es ist nirgends unbegrenzte Zeit,
die geschichtliche Zeit ist, wo man sie nur zufällig anfängt. Also wir sind
jetzt nur entfernt von Phdosophie I der Geschichte, wed es uns am An-
fang fehlt; es ist [die] bloße Anwendung eines Schemas auf die Geschich-
te, mit allem dergleichen ist es nicht gethan. Unbemerkt und ungesucht
hat sich durch die Untersuchung eine andere Gestalt hervorgehoben; in
der That sind [es] wirklich von einander verschiedene Zeiten, in die sich
für uns die Vergangenheit abgesetzt hat. Indem die geschichdiche Zeit
für jedes einzelne Volk ... anfängt von [dem] Augenblick, wo es sich
trennt, jene vorgeschichdiche Zeit ist die Völkerscheidung, Crisis des
Übergangs, aber die wahre Zeit ist die Entstehung der Mythologie über-
haupt also ein geschichtlich Vergangenes, ein Daseyn erfüllte [die] vor-
geschichdiche Zeit, die Mythologie im Entstehen und Processe ist Inhalt
der vorgeschichdichen Zeit. Diese Zeit aber war erfüllt von jenen Bewe-
gungen des Bewußtseyns wdche die Völker begleiteten, und deren letz-
tes Resultat war die Trennung der Völker. Es sind nicht bloß relative
Unterschiede einer und derselben Zeit - wie gestern und heute - in ge-
schichtliche und vorgeschichdiche Zeiten, sie sind zwey wesentlich ver-
schiedene Zeiten, in der vorgeschichdichen Zeit sey das Bewußtseyn ei-
nem Proceß unterworfen, während jedes Volk durch innere Scheidung
zum Volk geworden und nun erst jenen Thaten und Folgen sich überläßt:
jedes Volk ist in jenes Innere der Entstehung hineingezogen, ohne eine
Freiheit zu haben; von nun an ist es frei: Die geschichtliche Zeit setzt sich
nicht in [die] vorgeschichdiche [fort],sondern sie ist dadurch begrenzt,
denn auch die vorgeschichdiche Zeit ist voll von Ereignissen, nur in ganz
anderer Art; diese Zeit von welcher die geschichdiche Zeit abgeschlos-
sen, ist bestimmt; diese andere oder dritte Zeit kann nur absolut vor-
geschichtlich seyn, der unzertheuten Menschheit, ohne daß in ihr eine
Folge der Zeit wäre, sie ist durch sich selbst begrenzt. Ich sagte, daß in
jenen absoluten vorgeschichdichen Zeiten keine Succession von Bege-
benheiten war, aber freilich: auch damals ging die Sonne auf, die Völker
aßen, schliefen, [sie] liebten sich; aber dies war nicht geschichtliche Zeit,
denn in [der] geschichdichen Zeit ist wieder eine Folge von Zeit, inner-
halb der geschichdichen Zeit ist eine wahre Folgerung durch Begeben-
heiten, welche den Zustand im ganzen ändern. Aus diesem Grunde also,
weU im Vorgeschichtlichen zeitlose Zeit ist, bedarf es nicht [einer] Be-
grenzung durch andere, die Zeit ist selbst begrenzt, sie ist die letzte Zeit,
in sich selbst ist sie keine Zeit, weU sie eine Art von Ewigkeit ist. Es ist
demnach nicht eine grenzenlose Zeit, sondern es ist ein Organismus wor-
MITSCHRIFT CHOVATS 163
auf sich ... unsere Geschichte anschließt: es geht nicht in einer Linie fort,
sondern es sind abgegrenzte Glieder, jede Art ist selbständig, a + b + c nicht
a + a usw. - dies sind Gedanken für alle Zeit, Fortschreiten durch abge-
grenzte Zeit. Wir können von [der] Gegenwart alle Zeit durchdringen,
die gefundenen Glieder sind absolut vorgeschichtliche, relativ vorge-
schichdiche Zeit. Geschichte ist die Folge der Ereignisse, Historie ist die
Kunde davon; absolut vorgeschichdich ist die vorgeschichdiche Zeit, re-
lativ vorgeschichdiche Zeit ist vorhistorisch; so ist: vorgeschichdiche -
vorhistorische und historische Zeit. Mit einer grenzenlos fortgehenden
geschichdichen Zeit, die nur zufällig abbricht - ist aller WUlkühr [Thür
und Thor geöffnet], ist gar nichts mehr zu un-1 unterscheiden. So läugnet
Hermann, daß der Mythologie ein Theismus vorangegangen war74, denn
ihm fehlt eine vorgeschichdiche Zeit; so kann es für keine mögliche Erfin-
dung an Zeit fehlen, Hermann selbst könnte [den] nicht widerlegen, der
ein [solches] System erhoben hätte.75 Sie sehen, daß wenn geschichdiche
Zeit ins Grenzenlose geht, so kann gar nichts behauptet werden; ist dage-
gen mit einer grenzenlosen Zeit alle WUlkühr möglich*, kann es eben [auch
nur] eine so barbarische Philosophie seyn; so kann es erwünscht seyn,
einen so bestimmten terminus a quo, einen solchen Begriff aufzusteUen.
... [Da] also eine Mythologie vorhanden ist, so muß die Phdosophie der
Mythologie als erster TheU der Phdosophie der Geschichte [genommen
werden]. Aber in welche Zeit unsere Erforschungen hinaufsteigen, im-
mer stoßen wir auf jene Dunkelheit.... Auf alle jene Forschungen wird
nur schlechte PhUosophie angewendet. Aus der PhUosophie sind die größ-
ten Axiome hervorgegangen. Demgegenüber stellt ein verstorbener Hi-
storiker über den indischen Tempel [Betrachtungen an] 76 ,... Dies ist aber
eine Ansicht, nach welcher diese indische Kunst unmöglich sey,...; sonst
müssen wir die Zeit angeben, daß etwas aus Nichts geschafft werde. ...
wenn die ersten Völker in der Geschichte auftreten - errichten [sie]
staunenswerte und kunstreiche Baue; am Anfang der griechischen Gilt ur
steht Homer, der in [einer] andern Zeit nicht möglich wäre. Dieses Sy-
stem beruht auf [der] falschen Voraussetzung6, daß die Menschheit von
Anfang ihrem Bestreben überlassen sey: dies ist allgemeine Meinung. Denn
jene Offenbarung kann nur ein kleiner Theil der Menschheit nachwei-
sen. Aber wenn ein TheU durch Offenbarung erleuchtet wird, wodurch
wurden0 die andern Völker erzogen. So mußte der Offenbarung etwas
anderes, und doch analogisches entgegenstehen, und dies ist der mytho-
* H: aufgehoben
b
H: System
c
H: würden
d
HEntgeg.
164 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
' H: Künste
b
H:Ent.
c
H: das bewahre ich nicht heiß
MrrscHRiFT CHOVATS 165
heiß0, entweder ist Sinn von Gott genommen als gleichgültiges Wissen,
[weder] Bejahung noch Verneinung [ist] gemeint. So kann der Schluß-
satz nicht sagen, daß der Vernunft Gott offenbar ist, denn die Offenbarung
ist Bejahung der Existenz: oder im 1. Satz ist zweyerlei Sinn: der Mensch
weiß von Gott - bejaht Gott, das Thier weiß nicht von Gott, also weder
bejaht, noch verneint: und der Satz soll allgemein seyn: Jacobi behauptet
aber [,daß] alle PhUosophen Gott... läugnen. Wenn dies so ist, so kann
er schließen: der Mensch nur läugnet nicht, das Thier läugnet nicht, also
die Vernunft läugnet Gott; oder der Mensch bejaht Gott, das Thier we-
der bejaht noch verneint, also die Vernunft ist das, was Gott verneint.
Dies ist vom Obersatze. Der Untersatz in diesem SyUogismus: das einzig
Unterscheidende [des Menschen vom Thier ist] die menschlichen Ver-
nunft, ist gewöhnliche Rede, aber sie versteht aUe [geistigen] menschli-
chen Eigenschaften [unter Vernunft], und so versteht Jacobi die Ver-
nunft. Nie hat jemand von einer thierischen Vernunft gesprochen - diese
kennen wir aber alle, indem ich oft höre von einem vernünftigen Pferde
im Gegensatz gegen unvernünftige, ja man hat [als] ein Analogon der Ver-
nunft den Instinkt bezeichnet, nicht aber Analogon des Verstands. Zwar
wird auch vom Verstand nur analogisch, accidentell gesprochen, denn
Verstand als Vermögen kann [man] niemanden zuschreiben, [so wie]
Vernunft ihnen zugeschrieben* wird. Ein Analogon der Vernunft6 kann
man auch einzelnen Handlungen der Thiere zuschreiben,... Wenn also
ein christlicher Philosoph wie Jacobi ein Verhältniß zu Gott [durch]die
Vernunft nicht kennt, so ist die PhUosophie jetzt nur eine Religion. Zwar
ist diese nicht als besondere PhUosophie behandelt, wodurch sollte sich
[dann] die Rdigionsphilosophie von anderen Wissenschaften unterschei-
den? Hermann glaubte, daß [es] entweder Offenbarungsreligion0 oder
natürliche, d. h. phUosophische Religion gäbe. Wir haben aber gezeigt, 1:
daß es außer diesen noch [eine] dritte, die mythologische Religion gäbe,
zwar [hat] Hermann diese als etwas zufälliges bezeichnet: aber es ist ge-
zeigt, daß diese die I älteste [der] Offenbarung vorausgesetzte Religion
sey, daß sie in eine Zeit geht, wo von keiner wissenschaftlichen Zeit die
Rede seyn kann. Wir haben diese dritte bloß auf historische Weise gefun-
den und gelangen dazu, wo die Mythologie so alt, als [das] menschliche
Geschlecht sey, daß keine Zeit war etwa zur Erfindung, sondern [daß es]
nothwendige Vorstellungen des Processes [sind], dem die Menschheit
unterworfen [war], auf Einem allem Denken [zuvorkommenden] und we-
H: abgeschrieben
b
H: des Verstandes
0
H: Offenbarung
d
H: Wesen
166 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
sentlichen Verhältniß*1 zu Gott [gründe], dem sie verpflichtet ist. Aus dem
Verhältniß kann sie nie heraustreten, der Proceß also setzt Gott auf na-
türliche Weise. So soUte die Mythologie die natürliche Religion seyn. Ein
Apostd vergleicht das Heidenthum [als]" die wddwachsende Religion -
mit [einem] Odbaum78, eine solche Thatsache, als natürliche Religion kann
nicht ohne Folge seyn: die natürliche Rdigion zieht von selbst gleich die
geoffenbarte [nach sich]6, wenn die Mythologie von Vernunft unabhän-
gig ist, so wird [es auch]0 die geoffenbarte Religion [seyn]. Hat man dies
gefunden, so wird diese Schwierigkeit nicht mehr vorhanden [seyn]: eine
Realität der [ge]offenbarten Religion hat die Realität der natürlichen zur
Folge, zwar erscheint Supranaturalismus als übernatürlich*1, weU man ein
reales Bewußtseyn unmöglich fand, was jetzt die Mythologie voraussetzt.
So setzt sich die Stellung der geoffenbarten Religion, sie steht in Gemein-
schaft mit... der natürlichen Religion [dem Rationalismus] entgegen: hätte
der Rationalismus die Mythologie in bloße PhUosophie aufzulösen, er
müßte eher die PhUosophie der Mythologie widerlegen. Schon überhaupt
in einem System wird nichts klar, bis jeder Begriff nicht erkannt wird,
solche Unabhängigkeit hat die Offenbarung mit [der] natürlichen [Reli-
gion] gemeinsam, aber kein Begriff kann [isoliert] vollkommen bestimmt
werden. Die Offenbarung - indem sie das ewige als reine Vernunft dar-
stellt - unterscheidet [sich] von [der] gemäßen Form, die Mythologie
unterscheidet [sich] auch durch Form und Inhalt, eine Art von Ver-
nunftinhalt. Die Theologen hätten schon längst erkennen' [soUen], wel-
che Apologie sie der Offenbarung annehmen soUten, [aber] der wahre
Inhalt [war] noch nicht gefunden. Wahre Religion kann von Religion nicht
verschieden seyn, also [die] zeugenden'Principien aller Religion finden
sich in jeder Religion aber ist die Mythologie wahre Religion in sich, so
hat sie die Factoren der Religion [in sich]: die mythologische Religion
muß die Factoren der [ge]offenbarten Religion enthalten, so wie diese
jene; eine Religion ist götdich, eine natürlich gesetzte Religion; Offenbarung
setzt [das] Ungöttliche voraus, [das] Ungötdiche ist dem Götdichen ver-
wandt.79 Jene erste Potenz - die sich im Proceß [als] erste ausschließende*
- Potenz verhält, die zweyte bestreitet, beide sind nicht schlechthin nicht
Gott, aber Gott ist [in] ihnen nicht als solcher, in seinem Wesen, sondern
er ist [in] ihnen außer seiner Gottheit, in dem Proceß sind jene Potenzen
H:für
b
H: Absicht
0
H: sie so als
d
H: „un" steht über „übernatürlich"
H: annehmen
1
H: zeigenden
« H: aufschließ.
MITSCHRIFT CHOVATS 167
relativ außer dem Göttlichen. Das Bewußtseyn hat kein Verhältniß zu Gott
als solchen, so sagt Paulus zu Heiden, sie seyen außer Gott. 80 ... Was die
Offenbarungsreligion betrifft: das A. T. wird gesetzt unter ausschließli-
chem Monotheismus, der wahre Gott ist nur [der] durch Potenz vermit-
telte, also offenbart; das Ende aller Offenbarung - das Christenthum - ist
jene Befreiung ... von dieser Voraussetzung, die Aufhebung durch eine
götdiche That, deren Folge ist, daß die Po-1 tenz als natürliche verwan-
delt wird. Dieser Proceß ist wirklich, er kann nicht durch eine Lehre,
sondern durch eine That aufgehoben werden. Die Realität der Einen
[Religion] hat die Realität der anderen zur Folge. Das Christenthum gibt
sich nur für Erlösung von [der] blinden Macht des Heidenthums, wäre
das Christenthum nicht real, so wäre auch das Heidenthum nicht real. ...
Viele haben im Christenthum Elemente für heidnisch erklärt, aber eben
dies heidnisch Reale macht das Christenthum reell. Das Christenthum
schafft diesen Stoff nicht, es findet ihn [vor], der Inhalt der Offenbarung
ist verwandelter Stoff, aber sie verwandelt nicht nur die natürliche Religi-
on, hat [diese als] aufgehobenes in sich, und die Offenbarung ist auch
durch Vernunft begreiflich. Die Geschichte ist Inhalt des Christenthums,
aber sie hat [ihre] Voraussetzung nur in reellen Vorgängen, die in der
PhUosophie der Mythologie erschlossen* sind. So vid über das Verhältniß
der Mythologie zur [ge] offenbarten Religion. Ich kehre zurück auf die
Bestimmung des Begriffs der Religionsphilosophie. Diese wird zu ihrer
Aufgabe machen, verschiedene Formen der Religionen6 [aufzusteUen];
die PhUosophie kann nur allgemein erklären, aber die RdigionsphUosophie
muß alle Formen der Religionen natürlich aufstellen. So auf Wissenschaft
beruhende - geoffenbarte und mythologische Religionen. Der wissen-
schaftliche Geist wird ein Verhältniß daran aufstehen0, und dies ist wirk-
lich geschehen, denn man bemühte sich die Mythologie in PhUosophie
aufzulösen. So sagte man, daß die Mythologie eine [ge]offenbarte Religi-
on seyn soll, wie alle Religionen.... die älteste Form der Religion ist die
Mythologie, denn Gott ist der Potenz nach mythologisch, aber nicht nur
geschichtlich, sondern wahrhaft allgemeine Religion, während die [gelof-
fenbarte Religion nur auf ein Geschlecht gerichtet ist, ohne den Glanz
der stolzen Macht des Heidenthums nur relativ brechen zu können. Der
mythologischen folgt die [ge]offenbarte Religion: in der Mythologie ist
die blinde, unfreie, ungeistige Rdigion, die Offenbarung ist Rdigion des
Geistes, und dies ist die phUosophische Religion, sie ist also durch beide
vermittelt, und so auch die dritte. Die älteste unvordenkliche Rdigion ist
* H: geschloßen
b
H: R.R. - Religionsrichtungen (?)
c
H: zustellen
168 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
die Mythologie, diese ist blind, unfrei, die [ge]offenbarte Religion vermit-
telt aber die Religion des Geistes oder die phUosophische Religion. Wen-
den wir nur den Grundsatz auf sie [an], daß die Factoren aUer Religion
dieselben sind; wenden wir dies auf die phUosophische Religion an, so
wird diese die wahre Religion seyn, welche in sich die Mittel besitzt jene
von [der] Vernunft unabhängigen Religionen wahrhaft* zu sehen, die alle
Principien in sich enthält. Dieselben Factoren müssen aber frei begriffen
werden. Die phUosophische Religion als geschichdich durch beide ver-
mittelt hat [die] SteUung, diese zu begreifen, denn sonst würde6 sie beide
aufheben;... Die phUosophische Religion muß selbst von einem Gott wis-
sen, der in der Vernunft existirt; man könnte aber folgendes bemerken:
Sie kann [nur] auf freier Erkenntniß beruhen, nicht ds das Unfreie, Bün-
de, dso war eine philosophische Religion im Alterthum unmöglich. Aber
bei [den] Griechen heben sich unmittelbar auch andere Spuren hervor,
dso PhUosophie hat sich in Griechenland in höchsten Puncte entwickelt,
der Proceß war aber zu Ende, aber die Voraussetzung des Processes war
nicht aufgehoben. Das Alterthum stand unter I der Gewdt des mytholo-
gischen Princips, so ist eine philosophische Religion im Alterthum un
möglich. Das Verhältniß war nur ein vorübergehendes, welches aufge-
hoben werden soUte; ein Gefühl des Zukünftigen kann man in manchen
Äußerungen Piatons und Socrates finden: eine phUosophische Religion
in dem Sinne wie wir es finden, war im Alterthum unmöglich, denn sie
konnten [die] Mythologie nicht verstehen. Aristotdes81 hat sich von al-
lem Mythologischen abgewandt0, aber so oft die Mythologie ihn anzieht,
hatte er ein Gefühl, daß die Mythologie eine unvollendete Thatsache ist.
Er ist entfernt, den wahren Gott der Mythologie zu ahnen;.. .d er kann
keine Quelle durch Offenbarungserkenntniß machen. Die Wahrheit der
Mythologie sehen wir erst durch Erscheinung des Christenthums Aber
auch mit Erscheinen des Christenthums konnte [die phUosophische Re-
ligion] nicht gleich nachgewiesen werden und entstehen ... die Offen-
barung muß selbst ds red ds unverstandene gefaßt werden; die Kirche
hatte immer das drohende Princip des Heidenthums, welches die Kirche
bestreiten wußte. Aber nur später kommt [der] Moment der [ge]offen-
barten Religion, wo sie aufhört ds redes Moment zu seyn, wo sie sich auf
freien Standpunct setzt. Erst nachdem die Gefahr des vorhergehenden'
H:wh
b
H: wäre
c
H: aufgegeben
d
H: aber es ist - bewunderungswürdig in dem er enthält seine religiösen Untersu-
chungen unterscheiden
H: vorh.
MITSCHRIFTCHOVATS 169
* H: steht
b
H:ontol.G.
0
H:Rel.
d
H:Urs
170 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
stillstehen, sie mußte sich nach dem lnhdt der Vernunftrdigion nach rich-
ten, denn ein wirklicher Gott ist nicht [ein] immanenter, sondern [ein]
transcendenter - dies wurde also aufgehoben: die Reformation ist wirk
lich noch nicht erschienen, sie blieb unvoUendet, da* sie über Metaphysik
stehen blieb. 84 Erst nach beständig wiederholter [Vermischung von]
Metaphysik und Religion hatte sich die Kirche ausgebUdet, und so kam
eine Vermischung von positiven und negativen Principien - positiv, was
sich bezieht darauf, was außer dem Denken ist - die Kirche fing an die
positiven Elemente auszustoßen: dies geschah mehr tumdtartig6; nur lang-
sam kam die Vernunft dazu, wo die Scheidung cognita causa erfolgte: dies
war die Sache Kants: Critik der Vernunft, denn es handelte sich gewiß
um eine Crisis, wo die Vernunft über alle Existenz hinausgesetzt wird.
Das Resultat war: daß die Vernunft die Existenz Gottes nicht beweisen
kann. Nur von Existenz Gottes war die Rede bei Kant, der Begriff Gottes
blieb ihm immer die letzte Idee, womit man nicht anfangen könne, weil
sie nicht constitutiv, nur regulativ gebraucht seyn kann.85 Das größte
Resultat war, daß es keine Vernunftreligion gibt, die Vernunft aber ...
war bei Kant auf practische Forderung begründet, woran alles Speculative
ausgesetzt sey: aber Kant meinte: sollte dabey alles Speculative ausgesetzt
seyn - und [von] einer höchst exdusiven Wahrheit, so [sie] in [der] Vor-
steUung der Offenbarung ist, [ließ er] nur soviel gelten, ds sich mit der
practischen Vernunft verglich, so entstand Natur-Rationdismus. Die
Begründung auf mordische PhUosophie hat für Natur-Religion0 diese
Folge, daß in der VorsteUung nur so viel ds wirkliche Religion gelten soll.
Religiöser lnhdt des Christenthums reduciert sich darauf, daß aUes aus-
geschloßen wurde, was nicht den Gott ds VoUstrecker des Sittengesetzes
darstellte.86 Diesem ungemein flachen RationaÜsmus hat sich in neuer Zeit
ein objectiver Rationdismus entgegengesetzt.87 Diesem objectiven Red-
Rationdismus oder dieser PhUosophie von welcher er sich herleitet sind
folgende Betrachtungen zu bemerken: Der Inhalt der Offenbarung ist
wesendich ein geschichtlicher überhaupt, specieU einer höheren Welt,
was der gemeine Rationdismus nicht erreichen konnte, denn das Begrei-
fen besteht hier darin, daß das Geschichdiche zum Logischen gesetzt wird:
dieser Rationdismus erkennt dem Christenthum Wahrheit*1 zu, aber nur
ds Form, darum ist sie nicht wahrhaft Wahrheit88; es ist keine Kunst die
Mythologie zu erklären, so auch die Offenbarungsreligion, wenn man ihre
Eigenthümlichkeit erkennt... I... ds geschichdiche enthdt sie auch für
H:daß
b
H:tumult(?)
c
Natürliche Religion (?)
d
H: chr. Wh.
MrrscHRiFT CHOVATS 171
H. nn. (?)
k
Lesart fraglich
* H: philosophische Religion
d
sie = unsere Ansicht von Mythologie
172 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
daß ein anderes redes Verhdtniß des Menschen zu Gott begründet ist:
daß sich unabhängig von aller PhUosophie hdten muß, es muß mit der
Erfahrung zusammenstimmen. Reelle Fortschritte hat die PhUosophie nur
in Folge einer weiteren Erfahrung gemacht; so wie sich die PhUosophie
durch Kant I die Welt erweitert hat. Da indeß die verschiedenen Seiten
des menschlichen Bewußtseyns sich auseinander setzen, so trat nach
[dem] subjectiven Ideaüsmus Fichtes eine andere Seite des menschlichen
Bewußtseyns [hervor]. Seit man durch [den] Versuch, der PhUosophie
aUe Natur zu entziehen, genöthigt war, daß sie nicht ein bloßes Nicht-Ich,
sondern ein Ich sey, so mußte die Natur ds nothwendiges Element in die
PhUosophie eintreten. ... Erkannten Thatsachen kann man doch nicht
widerstehen, so zweifelten die Begriffe der jüngsten PhUosophie nicht an
[der] VoUständigkeit des Erfahrungswissens; dso die Welt sey selbst nur
eine beschränkte Wahrheit: von geschichdicher Seite hat eine geschicht-
lich neuere Welt begonnen. Ein Phaenomen in der Art so allgemein war
die Mythologie bis jetzt von der PhUosophie äußerlich unberührt. Es ist
viel gewonnen, wenn die Untersuchung auf einen Gegenstand gerichtet
wird; allerdings nur [eine] erweiterte Philosophie kann uns gewähren,
das was in [der] Mythologie ist, ds wirklich anzuerkennen. Die Mytho
logie ist ein Begriff des theogonischen Processes, er ist überflußig bis jetzt,
er ist nicht von sich [aus] begriffen, er ist nur die letzte Grenze: aber er
muß nun jetzt selbst zu Grunde der Untersuchung [gdegt werden*]; die-
ser Begriff ist für uns bloß ein factischer; aber nicht von sich selbst aus
[wird der] wahre Begriff gewonnen, er ist die Grenze, jetzt aber muß
untersucht werden, welches ist sein Element! Wir können hier zwey Wege
einschlagen6, entweder vom höchsten Punkte aus, von [der] PhUosophie
aus, aber so wären wir auf [einem] anderen Standpunct,... die nächste
Voraussetzung ist bereits gefunden, nämlich der mit dem Wesen des
Menschen [gesetzte] potentielle Monotheismus, nach diesem muß der
Gott0 des theogonischen Proceß [im] Bewußtseyn liegen; von [dem] Be-
griff des Monotheismus her muß das ganze Element des theogonischen
Processes gefunden werden; auf diesen Begriff als höchste Vorausset-
zung hat sich unsere Untersuchung zu richten, nämlich wie früher die
Mythologie, so jetzt diesen Begriff Monotheismus als Thatsache zu be
handeln. Dieser hat nicht so viele Schwierigkeit ds in phUosophischen
Begriffen sich findet. Dieser Begriff ist der gemeinsame Mittelpunct der
Offenbarung und natürlichen Religion; eine von dien Seiten zugelassene
* H: liegen
b
H: anschlagen
« H:G.
MITSCHRIFT CHOVATS 173
Man dürfte fragen, ob wohl die verschiedenen Principien, die [in] Herr-
schaft stehen I in Folge wissenschaftlicher Erkenntniß [dort] stehen*1, wie
das Königthum von jeher gestanden hat, ohne daß man sich nach ihm
wissenschaftlich erkundigte; so war [der] Übergang zum Christenthum
eine plötzliche Umkehr der Menschheit, dso nicht wissenschaftlich be-
handdt, weU es damds übergeschichtlich war. Wäre es nicht zu wünschen,
wenn ein Begriff zum Gegenstand freier wissenschddicher Untersuchung
genommen' wäre? Und daß gerade diese Begriffe welche zum Grunde
unserer BUdung gehören, am wenigsten untersucht worden [sind] - aus
Furcht, und weil jeder voraussetzt, sie müßten längst vertraut seyn? ...
Was überhaupt die Theologen und philosophischen Theologen-Rationa-
listen betrifft - von denen man erwartet, daß sie in diesem Begriff klar
werden sie haben dies nicht zur Klarheit gebracht: jetzt läßt man es un-
erwähnt oder... was die positiven Theologen betrifft, bei diesen ist auch
ein Schwanken zwischen [dem] Ausdruck Einheit und Einzigkeit wahrzu-
nehmen^91 Sieht man sich um, so ist die Verlegenheit nicht schwer, nicht
wie bei andern Dogmen [wegen der] 8 Dunkelheit, sondern [wegen der] 6
H: Übers.
b
Vgl. XII, 10
c
H: einsetzen
d
H: haben
* H: unternommen
' H: anzunehmen ist
» H: von
h
H: von
174 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
Klarheit; [die Formd für] den einzigen Gott ist ihnen, daß kein anderer
sey: nun hat man diesen - einzigen -, [den] die Theologen voraus schon
Gott genannt [haben] - dso jetzt sich nur ds Begriff gedacht; dso haben
sie dieses, daß kein anderer ist, schon damit gedacht, daß außer ihm kein
anderer ist: und so müßte der Monotheismus eher gefunden werden.
Dieser Begriff wird aber nur stillschweigend vorausgesetzt, und bedarf
keiner Versicherung, daß außer ihm kein anderer Gott sey, und so wäre
[es] auch eine Ungereimtheit. Im Grunde muß entweder der Begriff des
wahren Monotheismus gesucht werden, oder [der] Begriff der Einzigkeit
ausgdassen werden, man kann nur sagen: „Gott" [oder] „Theismus" nicht
Monotheismus: viele Theologen haben dies auch aufgegeben: nur wenn
Begriff des Monotheismus ds etwas Besonderes ausgegeben' wird, so sagt
ein Mann92: die Einheit Gottes wie sie gewöhnlich vorgesteUt wird, ist ei-
ner Erörterung wenig fähig und erläutert ds Begriff Gottes, daß dieser
Begriff der Einheit6 nicht mehr enthdte ds Theismus: so er läßt die Ein-
heit Gottes von [den] Attributen weg. Man soUte glauben, es sollte dieser
Begriff in besonderen Capiteln behandelt werden, dies ist aber schon längst
aufgegeben. Aber es existirt in der Dogmatik seit längeren Zeiten [die
Lehre] von [den] göttlichen Attributen: diese Attribute werden eingetheUt
in negative, bei wdchen Gott ds ruhend gedacht wird, so Ewigkeit atttri-
buta quiescentia: Einheit [etc.], und positive, wo Gott wirkend, in einem
Verhdtniß gedacht wird. Man sollte also erwarten, daß bei ihm von
Monotheismus gar nicht die Rede ist, dlein er redet von Unterscheidung
zwischen Christenthum und Heidenthum, hier sagt er: die Einheit sey
Unterscheidung der monotheistischen Religionen093 - indeß wenn auch
eine unterscheidende Formel - doch muß sie etwas der Sache ... Eigen-
tümliches aussprechen, und zwar nicht unter diesem selbst, sondern in
Abhandlung von anderen göttlichen Eigenschaften, wo er sagt, daß die
Einheit eine Eigenschaft und nicht eine Eigenschaft [wie die anderen]
sey.94 - Wir sollen also diesen Begriff einer Critik zu unterwerfen: Es ist
leicht zu sagen: Monotheismus hat nur Sinn und Bedeutung im Gegen
satz zum Polytheismus; jetzt aber, nach dem Viel-1 götterey verschwun-
den ist, hat er keine Bedeutung [mehr]; eigentlich sind nur Theisten und
Atheisten, [die Anhänger der] Vielgötterey sind nur Atheisten; dso der
Begriff des Monotheismus ist von großer Wichtigkeit, er entscheidet
[über] Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit der Mythologie. Wenn einmal
von Gott die Rede ist, wenn Monotheismus mit [dem] Gedanken Gott
feststeht, so kann Polytheismus nicht von Monotheismus ausgehen. Die-
' H: aufgegeben
b
H: des Monotheismus
c
H: Monotheismus
MITSCHRIFT CHOVATS 175
ser Begriff dso, daß außer Gott kein Gott sey, beweist nicht, daß Gott
nur einer sey. Der Gott außer dem kein anderer ist, muß einer seyn, er
kann dso wohl Gott aber auch Eins* seyn. Daß außer Gott nur kein an-
derer Gott wäre, aber so können die Theologen [es] nicht verstehen, sie
können dies unmöglich anerkennen, sie weichen davon ab, daß außer
Gott kdn anderer Gott ist, die Einheit wird von ihnen ds etwas [gedacht,
was] vor [der] actueUen Einheit sey; dso müssen sie zugeben, daß außer
Gott ein anderer unabhängig von ihm existire, wenn er auch nicht sey.
Demjenigen aber, der nur zufällig Gott wäre - muß seiner Natur nach
Streben seyn, den ersten sich wirklich actu gleichzusteUen, dso den er-
sten seiner Stelle zu entsetzen, und in seine Stelle sich einzusetzen. So
wären wir auf andere Art von Gott geführt; der Dudismus nämlich kann
nicht für Polytheismus gdten, weil er nur einen wahren Gott anerkannte,
aber auch nicht für Monotheismus, denn er behauptet die Einheit nicht
seinem Wesen nach, sondern ds zufällige Einheit.95 Der Gott... der [ei-
nen] andern Gott außer sich hat, wäre so ds das gute Princip ... und so
wäre auch der gute zufdlig; absolut gut wäre [keiner],... er müßte die
Schöpfung des ersten einschränken; so müßte eine mittlere vermischte
Welt entstehen. Wir nun erkennen aber ds Geschöpfe des wahren Got-
tes den bösen Gott nicht an; denn jener Gegen-Gott zu6 dem bösen Gott
hätte dasselbe Recht, er hätte Macht, die Achtung [des Guten] böse zu
nennen. Sey der Gegensatz Gottes innerhdb der Welt, so hätten auch
diese Geschöpfe der Welt das Recht, [Gutes] ds Böses zu nennen. Das
Restrictive läßt sich dso nicht hervorbringen; eben so wenig können die
Theologen so erklären: Gott ist nur ein Gott, weil außer ihm zwar etwas
anderes, aber nicht Gott sey. Dies wäre eine Meinung, die gewöhnlich für
platonisch gdt. Sie können dso nicht diese Erklärung sagen, daß außer
Gott kein anderer Gott sey, denn auf diesem Standpunct müssen sie sa-
gen, daß außer Gott nichts ist, was mit Gott in absoluter Relation stehe,
... So ist Monotheismus nur zufällig erklärt, wenn nur kein Gott außer
Gott ist, weil außer ihm nichts ist: der Fehler ist dso darin, daß sie nur von
absoluter Einzigkeit reden, und diese sey ds besondere Einzigkeit, so daß
kein anderer Gott sey. Daraus entsteht nur eine Täuschung. So können
wir [nicht] sagen: Gott ist nur Gott, sondern er ist der schlechthin Einzi-
ge,... er ist der einzige Gott. Wenn der vöUig gleiche Ausdruck sey, dies
ist soviel, ds wenn ich sage: der schlechthin Einzige - das schlechthin Ein-
zige: daraus erhellt aber, daß die Gottheit nicht in der Substanz liegt. Denn
sonst wäre Gott als solche Substanz auch der einzige Gott, so wäre Spinoza
ein ebenso guter Monotheist, ds der christlichste Theolog: wenn man aber
H: Ein
b
H:mit
176 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
primum quod de Deo concipi potest, ist das, daß er Seyn ist.98 Von dien
endlichen Dingen kann* ich ein I vorausgehendes Seyn voraussetzen; allein6
Gott ist actus purus, in dem nicht von einer Potenz, von einem Actus die
Rede ist, sondern von einer Negation; Gott ist das Seyende, dem keine
Potenz vorausgeht, er ist seiner Natur nach schlechthin eins. Aber alle
Potenz ist ausgeschloßen, denn der Begriff der wirklichen Dinge verhdt
sich wie Potenz. Alles Seyende aber hat Potenz in sich, der Begriff ist an
sich unendlich, aber er wird nicht erfüllt; die Pflanze hat das Thier ds
Potenz in sich. Derselbe Begriff kann in mehreren seyn, aber er ist noth-
wendig eins. Gott ist dso das rein Seyende, aber darum ist das Primum,
qoud de Deo concipi potest, in diesem Begriff noch nicht Gott, nur ein
Begriff. Dieser Begriff ist nicht etwa [einer] des falschen Gottes, aber auch
nicht des wahren Gottes, d. h. in seiner Gottheit. Wir wissen jetzt von
Gott nicht mehr, nur daß er existirend ist; eben dieses nothwendige Seyn
Gottes erweist sich später ds nothwendige Freiheit Gottes, das Prius der
Gottheit ist nicht bei endlichen Dingen, sondern die Potenz und Materie
ist durch unvordenkliches Seyn. [Der] Fehler des Pantheismus liegt dar
in, daß Gott nur unendliche Substanz ist. Er wUl von diesem Begriff nicht
hinweg gehen. Wo wir im allgemeinen Standpunct der Philosophie wa-
ren, war nicht alles nothwendig, hier ist es uns um Monotheismus zu thun.
Das, welches gleich wirklich und nicht erst möglich ist, ist metaphysisch
nothwendig existirend; so ist uns folgende Frage [gestellt]: Ist dieses
nothwendig Existirende das nur actu nothwendige Existiren oder [ist es
das] seiner Natur nach nothwendig Existirende? Das was seiner Natur
nach nothwendig existirt, wird auch actu nothwendig existiren; dl dies
würde ganz fdsch, wenn dies so verstanden wäre, daß es seinem Begriff
nach existirte, so ist es nicht es ist unvordenklich! So [ist] unser Aus-
gangspunct genau bestimmt: ds ipsum existens, ds existirend, mit dem
was seiner Natur nach existirt ist der Begriff Existiren nicht nothwendig
verbunden. Das Erste ist das, von dem das Existiren den ganzen Inhalt
ausmacht, das was existirt, ist von dem, was wir existiren nennen, nicht
verschieden; man sagt auch von Gott: in Deo essentiali; d. h. id quod existit;
auf diesem Standpunct heißt dies so viel: das was ist, wird nicht bloß un-
terschieden vom actu puro, das Seyende wird nicht nicht unterschieden.
Anderer Ausdruck Deus est ipse sua existentia; dies muß umgekehrt wer-
den: existentia sua est Deus ipse, wir wissen, daß er existirt, aber wir wis-
sen nicht0, was in ihm existirt wir müßen beides aus einander hdten,
damit wir von dem bloß actu nothwendigen Existiren zu dem nicht bloß
H:habe
b
H: all.
c
H: n. n.
178 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
H: geworden
b
H: in
0
H: unverkenbar
d
H:Exist.
* H: bleibendes
MITSCHRIFT CHOVÄTS 179
stenz sich nicht setzen, sich auch nicht aufheben kann, das Existirende ist
berechtigt, das Andere ds zufällig anzusehen: aber es kann ihm anderes
gesetzt werden, wodurch es überwunden wird. Der erste Anblick des
gewoUten Seyns ist im unvordenklichen Existiren, denn nur mit diesem
Anblick zeigt es, daß es etwas wolle. Dies alles sollte nur vorläufig die
Eigentlichkeit* auflösen; jetzt von Anfang her definitiv herleiten. Es han-
ddt sich hier um Begriffe, von denen lange in der PhUosophie nicht die
Rede war, und darum ist [es] schwer! Wir sahen das bloße Seyn - actu
puro Seyn, sonst ist das Seyn, das Existiren immer ein Attribut; hier ist
aber nur ein bloßes Existierendes, und dies ist uns Subject, damit ist aber
ein vorausgehendes Subject ausgeschloßen, das Subject ist nicht das Prius,
aber nicht auch das Posterius: ... Das actu nothwendig Existirende ist
der Begriff seiner selbst nach, es ist allen voraus das actu Existirende; die
Einschränkung im ersten Begriff nöthigt uns das zu suchen, was noth-
wendig existirt; wir können nicht sagen, daß das was natura necessaria
nothwendig existirt, auch actu nothwendig existire: jenes, das aUem Den-
ken Zuvorkommende, ist grundlos, aUes Denken ist seiner Natur nach
Zweifel, dso das was I unvordenklich ist, das actu necessaria existirt: wenn
[man] nämlich von einer Hypothesis ausgeht, ist in der Wissenschaft die
Schlußweise hypothetisch; wenn das bloß actu nothwendige Existiren die
natura necessaria ist, dann muß es in der Erfahrung [vorkommen,] aber
es findet sich in der Erfahrung, so ist [es] das nothwendig Existirende
selbst. Der Gedanke ist: wenn in [dem] unvordenkhchen Seyn das noth-
wendig Seyende selbst ist, so muß dies dem wirklich Existirenden gleich-
gültig seyn, es kann [es] auch aufheben: das actu nothwendige Existiren
jenem unvordenklichen Seyn gleichgültig für sich behandelt es aufhebt,
nicht direct und unmittelbar, weU dies unmöglich ist, weU es sich aufhe-
ben müßte. Es muß demnach jenes unvordenkliche Seyn ds vorausge-
hend bestehen lassen, und kann es nicht absolut, sondern [nur] ds Po-
tenz bestehen lassen; und ihm anderes Seyn entgegensetzt, durch wel-
ches jenes nur ds actus negirt, aber als Potenz gesetzt [wird]. Dem seiner
Natur nach nothwendig Existirenden ist [das] actu nothwendige Seyn
nur ein ihm zugestoßenes, dso etwas zufälliges; das nothwendig Existiren-
de hat sein Thun frei gegen dies erste Seyn; dso daß [es] darüber hinaus
seyn kann, das nur ein anderes seyn kann; dies Seyn-Könnende kann nur
ein anderes Seyn [seyn]. Das seiner Natur nach nothwendig Existirende
kann nur Seynkönnen seyn, dies ist seine erste Bestimmung, daß es sei-
ner Natur nach - actu unvordenklich sey. Wir können dies nicht ds Prä-
dicat betrachten, denn daß es das actu Seyende ist, ist das Erste, und kann
nicht das zweyte seyn. Alles was sich von ihm aussprechen läßt, ist nur...
H: Eigentl.
180 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
Zukunft, dso das Seynkonnende zu seyn ist die erste Bestimmung, nicht
bloß in actu, sondern inwiefern es [das] Existirende selbst ist. Das noth-
wendig Existirende kann nichts anderes seyn als Seynkönnen; das We-
sen, was im zufäUigen Seyn ist, kann nicht anders seyn als Seynkönnen,
dies ist bewiesen: aber es ist dies Seynkönnen - wenn ich erst wüßte, daß
es nothwendig zufäUig ist, aber dies muß erst bewiesen werden; so hat
Spinoza [die] nothwendige Existenz gehabt, aber in diesem nothwendigen
Existiren hat [er] nicht [das] Existirende gesehen. FreUich erklärt Spinoza
nicht die mannigfache Abstufung der Welt, eine logische Folge hat hier
nicht statt, weU kein Begriff ist. Wenn es in dem zufdlig nothwendigen, -
im blinden Existiren - etwas gibt, so ist dies ist nur das Seynkönnen. Ein
anderes ist noch zu erwähnen: In [dem] blind Existirenden sey ein Seyn
- das wirkliche Existiren selbst - so wird [das] Existirende darum sich nicht
ds dieses unabhängige bewußt seyn, es wird sich nicht ds das Seynkon-
nende wissen;... Es muß erklärt werden, wie es über das blinde Seyn hin-
aus seyn kann, weil eben hier das Wollende ist. Dieser Schluß ist ganz
richtig: jenes unvordenkliche Existiren ist nicht ein durch [den] Begriff
bestimmtes, oder gesetztes, eben darum zwar nothwendig, aber nur zu-
fäUig nothwendig;... es ist [ein] Übergang, welcher gleich mit actus an-
fängt: nur vermöge des Begriffs seiner selbst hätte es jenes Andersseyn
ausschließen können. Dieses Andere hat keinen Anspruch auf Wirklich-
keit, aber das bloß zufällige Seyn - wenn das blinde Seyn gewollt(?) ist,
dann ist auch - dies andere Seyn als Möglichkeit zugelaßen. Wäre das
Blinde unvordenkliche I Seyn nicht, so wäre auch das andere nicht, aber
es ist jenes unvordenkliche, so ist auch jenes Andersseyn bloß zufällig.
Durch Übergang a potentia ad actus, durch diesen erscheint ihm [die]
Möglichkeit objectiver Wirklichkeit, wird jene vom Blindseyn zugelasse
ne Möglichkeit. Das notwendige Existieren [ist] selbst Möglichkeit in ihm,
daß es selbst ds Seynkönnen ist. Nun aber entsteht die Frage: Wie kann
das, was das blinde Existieren ist, jenes Andersseyn wollen ? Denn dahin,
daß es das andere Seyn wolle, führt diese Untersuchung! Daß es dieses
Seyn wirklich woUe? Wie kann es dasselbe woUen? Wenn es in potentia
Herr desselben ist, um sich in Wirklichkeit hinzusetzen? Da verhdt es
sich gegen dies Seyn, nicht ds Seynkönnen. In jenem Seyn hervorgetreten
ist [es] nicht mehr ds SeynwoUen, es ist ds Seyn, was [es] sich selbst zu-
gezogen hat, es ist nicht mehr das Seynkönnen, es ist seiner selbst ohn-
mächtig, außersich gesetzt! Wenn es bloß Seyn wäre, so wäre es noth-
wendiges Seyn; wenn das Wesen im blinden Seyn' bloß Seynkönnendes
wäre, so wäre es nicht das wahrhaft Seynkonnende; nun ist es aber in der
That nicht bloß das Seynkonnende,... was [das] zuerst Vorkommende
H: Wesen
MrrscHRiFT CHOVATS 181
war, wird jetzt das zweyte, das blinde wird zum zweyten; dso: das Wesen
kann nur dadurch wirklich seyn, daß es sich in solchem unvordenklichen
Seyn, - in diesem weiß ds Herr, auch ds wirklich Gewordenes. Aber es ist
nicht bloß das Seynkönnen, in dem Seyn zeigt sich das Wesen, ds wirkli-
cher Herr geworden! Dazu gehört, daß es sich sicher und gewiß ist. Jenes
vorkommende Seyn ist nur ds actus aufzuheben, so daß es deswegen
immer noch ds Macht, ds Potenz bleiben werde, auch gegen das jetzt
schon ihm wirklich entgegengetretene Seyn. Wäre das nothwendig Exi
stirende, von dem wir ausgehen, - nicht in actu Existirendem zu finden,
um das nothwendig Existirende zu seyn, so wäre sein GegentheU - zufd-
liges Existiren - ausgeschlossen. Aber das nothwendig Existierende ist es
nicht, um es zu seyn, es ist dso nur zufälliger Weise. So schließt es sein
GegentheU nicht aus; diesem gegenüber hat [der] Übergang eine Mög-
lichkeit zu seyn, sie kann ds Möglichkeit nur erscheinen, nachdem unvor-
denkliches Seyn ist; denn für sich ist diese Mögüchkeit eine bloße Erschei-
nung, sie ist nur da, um dies zu sagen, daß es selbst das Seynkonnende ist;
so ist auch jene Möglichkeit..., aber nur ds erscheinende Möglichkeit,
ds diese, [welche] sich nicht redisirt hat. - Aber dies war die Frage: wie
kann das, was im unvordenklichen Seyn ds Seynkönnen ist, wie kann
das Seynwollen sich selbst verlieren in ein anderes Seyn? Wir antworte-
ten: nicht für sich allein ist das Seynkönnen, jetzt nämlich weiß es sich
erst und wird es sich inne ds unvordenkliches Seyn. Erst dadurch, daß es
sich ds Seynkönnendes weiß, weiß es sich auch [ds] unvordenldiches
Seyn. Überhaupt ist das Seynkonnende in sich selbst, zugleich weiß es
sich im Seynkönnenden, daß es durch sein unvordenkliches Seyn zufälli-
ges Seyn werde, es sieht sich dadurch [eine] Reihe in diesem nachfolgen-
den Seyn hervorbringen. Diese kann [sich] zwar nur ds actu aufheben,
aber ds Potenz bleiben. - Das Eine, das Ewige, ist das Selbstseyende, was
wirklich ewig ist, und was wesentlich Eines ist; indem sich dies ds Seyn-
könnendes sieht, sieht es auch [die] 2te Möglichkeit, nämlich dies [in]
seiner I impotentia. Also das Seyende sieht auch [die] 2te Möglichkeit
des negirten, aber unvordenklichen Seyns, es sieht sich durch diese Nega-
tion sdbst zu impotentia, zu Impotenz hervorgehoben ...; dieses Seyn von
seiner Stelle zur Höhe ziehen, und so ursprünglich Nothwendiges in zu-
fällige Gestdt zu setzen,... es jedoch seiner Natur nach nicht bleiben kann,
indem es actus sey. Es ist nicht das reine Existiren, sondern ein Exi-
stirendes, es ist nicht frei zu wirken oder nicht zu wirken, sondern es muß
wirken, um seine Natur herzusteUen. Wir sehen, daß hier die Aussicht
auf eine lebendige Bewegung ist. Das unvordenkliche Seyn in actus ge
setzt, muß wirken, gerade durch die Negation des entgegenstehenden
Seyns ist ihm Macht gegeben, sich dieses entgegengesetzte Seyn zu unter-
werfen, und so sieht sich das Seyende jetzt durch Vermitüung desselben
182 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN DM BERLIN
H: u. oder n.(?)
MITSCHRIFT CHOVATS 183
H: eins
b
H: findet
184 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
H: u. oder n.(?)
b
H: als der Gott wirkte
MITSCHRIFT CHOVATS 185
entstehen Momente desselben, in jedem Moment ist dieses Seyn auf ge-
wisse Weise überwunden; die Dinge sind unterschieden von einander nur
durch innere Stufen der Wirklichkeit. Die Grundpotenz ist außer sich
ohnmächtig gesetzt, um mächtig zu seyn, auf jedem Puncte des Werdens
ist die Potenz geworden, nicht durch sich selbst, sondern durch die 2te
Potenz. Der Schöpfer schließt 2 Momente in sich: das Moment der Ver-
äußerlichung und das der Verinnerung. Die Grundlage aUer Schöpfung
ist der blinde WUle, aber nicht daß er in diesem blinden WUlen Gott wäre;
dies ist er außer Gott, er ist nicht ohne zweite Potenz ds Herr des Seyns-
woUens. Vermöge jenes WoUens wäre keine Schöpfung möglich, weU es
aUer Natur entgegengesetzt ist,.. .Jenes WoUen ist durch [die] 2 Potenz
zum Grund gemacht, nicht gewdtsam, denn in diesem Princip ist diese
Negation Wohlthat, darum heißt es: den Gott liebt hat, den züchtigt er,
denn diese Züchtigung bringt ihn zu sich selbst, und der Mensch wird
sich mächtig, so ist bei der Erziehung die Züchtigung Wohlthat. Das lte
Princip ist dso Function der 2ten Potenz, die sich von einander nur durch
verschiedenes Maß unterscheiden,... darum ist die 2 Potenz schon ge-
wissermaßen verwirklicht. Darum ist in jedem Momente die 3 [Potenz]
ds SeynsoUen verwirklicht, daß jedes Ding so seyn soU. Näher ist die 1
Potenz bezeichnet ds anfangende, vorbereitende causa externa und causa
materidis; die 2te Potenz ist diejenige, durch welche etwas ds für sich
Bestehendes [ist], die causa intua. Die 3te, welche jedes Gewordene voll-
endet, diese ist die causa in quam, oder causa secundum quam omnia fit.
Die verschiedenen Stufen der Verwirklichung sind auch dadurch, daß
Verschiedenes in ihnen hervortritt. Hier* ist causa causarum, die ds ab-
solute Ursache ist, die anderen sind nur relativ. In jedem Gewordenen ist
daher auch die Einheit gesetzt, so geht ein Schein dieser Gottheit [durch]
dieses Gewordene;... Also in eben jenem frei gewordnen Proceß ist der
Proceß der Schöpfung gegeben; Monotheismus kommt also mit der Be-
gründung der Schöpfung, und ... die Schöpfung kommt nur mit [dem]
Begriff des Monotheismus zustand. Der AU-Eine kann nicht überhaupt
Einer [seyn], sondern nur nach Gottheit aUein. Der verstandene Begriff
des wahren I Gottes wird sich bei Nothwendigkeit ein Pantheismus ge-
dacht, dieses wäre dem Monotheismus entgegengesetzt; Pantheismus ist
nur Affection der götdichen Substanz, man hat Ursache mit dieser Be-
zeichnung vorsichtig zu seyn; im Gegensatz gegen eine Lehre, die für
Verhdtnisse Gottes zur Welt nichts anderes hat, im Vergleich mit solcher
Lehre, kann Monotheismus sdbst als Pantheismus erscheinen; ja man kann
sagen: Der wahre Pantheismus sey nur wahrer Monotheismus. Aber
Monotheismus ist darum nicht Pantheismus zu nennen, weU Gott eine
' H:die
186 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
unendliche Substanz ist, Gott aber erhebt sich über sein wahres Wesen.
Nicht der Begriff des unendlichen Seyenden, sondern was diesem Begriff
sich unterwirft, dies ist der wahre Begriff Gottes oder der Begriff des
wahren Gottes; eben dieser Begriff macht den wahren Begriff, d. h. den
Monotheismus erst möglich; nur diese Nothwendigkeit seiner selbst gibt
Freiheit sich zu setzen und aufzuheben. Er weiß, daß er jedes Contrario
überwindet. Monotheismus ist nur esoterisch Pantheismus. Jacobi meinte,
es wird sich statt Pantheismus Cosmotheismus nennen - aUein Jtciv doch
geistigeren Begriff in sich einschließt,... darum Spinoza: Gott ist ihm id
cuius conceptus non aget conceptus dicuius rei, dies endliche ist ihm die
Welt; und wenn Cosmotheismus Pantheismus wäre, so wäre [es] verkehrt
bei Spinoza, Gott ist ihm nothwendig Wdt. In neuerer Zeit ist ein anderes
Wort vorgeschlagen worden, Hegel sagt: Spinozas Lehre wäre richtiger
... ds Acosmismus bezeichnet99; dies müssen wir nicht von CIKOOLIOC ab-
leiten, sondern [dies wird] nach Andogie von Atheismus gebildet, der
nicht Redität, sondern nur wahre Substanz in der Welt läugnet; Spinoza
läugnet freUich die Welt ds außer Gottes seyende, sondern er nimmt die
in Gott seyende Welt an, er hebt die Welt nur außer Gott auf, er sagt:
Gott sey auf keine Weise causa rerum, ds causa sui, die Form seiner
Existenz ist so nothwendig ds seine Existenz selbst. Es gibt dlerdings ei-
nen wahren Pantheismus, eine wahre Alleinheitslehre - Monotheismus.
Bis jetzt haben wir [uns] mit bloßem Begriff des Monotheismus beschäf-
tigt, erinnern wir uns jetzt, daß diese Untersuchung ausgegangen ist von
der Voraussetzung, was wir in der Mythologie zu begreifen haben; wir
haben schon einen theogonischen Proceß, einen Gott überhaupt, einen
aUgemeinen Proceß der Schöpfung. Zu jenem fortzuschreiten bedarf es
nur einer weiteren Entwicklung des gegebenen Princips, daß der Proceß
sich im Bewußtseyn entwickele. Gott ist in seinem Urseyn suspendirt,
negirt, die Potenz verhdt sich ds Gott in seinem Seyn negirende; inwie-
fern es stufenweise in Gott verwandelt wird, verhdt es sich in dem Proceß
ds das Gott subjektiv setzende; jenes Princip ist nur theogonisch, denn
es bedarf keines Beweises, daß das Ziel der Schöpfung in dem menschli-
chen Bewußtseyn sey; in dem menschlichen Bewußtseyn an sich oder in
seiner reinen Substantialität ist jenes Ziel erreicht, wo das Gottsetzende
in Gott verwandelt* ist, wie es in der Schöp- I fung das Gott negirende
war. Das erste wirkliche Bewußtseyn zeigt sich ds mythologisch dficirtes,
in diesem mußte der Mensch Gott schon haben. Das menschliche Bewußt-
seyn ist nur Princip, das im Anfang der Schöpfung ausgebracht, im Ende
der Schöpfung zu sich gekommen sey. Der letzte Grund aUes menschli-
chen Bewußtseyns ist in seinem Außer-sich-seyn, aber eben dies ist in
* H: verwandt
MITSCHRIFTCHOVATS 187
seiner Rückkehr das Gott setzende seiner Natur oder Substanz nach, dso
im Nichtwissen, dso weit entfernt von ursprünglichem Atheismus, eben
so von einem Begriff ausgehend, sondern das menschliche Bewußtseyn
ist das Gottsetzende, es ist dazu geworden, es ist von [der] Form her a
priori das Gottsetzende. Gott ist ihm angethan wohlzuwollen, mehr ds
Etwas, das mit seinem Wesen verwachsen ist. Aber hier ist eben Grund
zu weiterem Fortgang, andere Bewegung gibt es für das, was nichts an-
ders ist ds Potenz, ds die Bewegung aus Potenz. Dies läßt sich so denken:
nennen wir das zu Grund der Schöpfung liegende A, das Liegende B, so
ist die Substanz des menschlichen Bewußtseyns nicht B, aber eben so
wenig reines A. Auf diese Weise kommt das Bewußtseyn in der Mitte zu
stehen, das reine B und wdches dem B entgegengesetzt ist, - der Mensch
versteht sich immer ds ursprünglicher Mensch, der vermöge seiner Frei-
heit dieses B wieder in Wirkung setzen, erheben kann. Solches gesetzte B
ist freUich von [der] Schöpfung verschieden, aber weU es seiner Natur
nach nur Gottsetzendes seyn kann, fdlt es nur einem unmittelbaren
Proceß anheim, der Proceß muß ds theogonischer erkannt werden. Wird
dies vorausgesetzt, dann kann der Mensch das Princip wieder in sich auf-
heben, so daß es in seinem Bewußtseyn allherschend ist, - doch wie kommt
es, daß diese höheren Potenzen in einem höheren Princip aufgehen und
Gott allein [es] ist, der den Potenzen auch in [der] Ausschließung mäch-
tig bleibt, daß sie doch so in diesem [sich] verwirklichen?... durch diese
innerliche, götdich bleibende Natur sind sie angewiesen", das menschli-
che Bewußtseyn nicht verloren seyn zu lassen. AUe Gottheiten wurden
bei [den] Alten irjüvcripec,genannt. - S o weit ist die Aufgabe eines theo-
gonischen Processes, und die Principien und Factoren dieses Processes;
aber wir müssen den Begriff des Monotheismus zu Ende führen: wir kom-
men zurück auf die Erörterung des Monotheismus, daß nur von Gott
schlechthin - und vom wahren Gott - gesprochen [wird]. Zunächst muß
vom wahren Gott uns zu thun seyn; [daß] der wahre Gott nur allein sey,
so Gott nur der Einzige seiner Gottheit nach ist. Von dem bestimmten
wahren Gott läßt sich sagen, daß außer ihm kein anderer seyn kann; die-
se Einzigkeit ist darin ds eine negative, sie schreibt sich nicht von Gott ds
solchem her, sondern von dem, was vorher ist; Gott ist seiner Natur nach
das Freiseyende, dso keine Potenz, ... daß außer [dem] wahren Gott,
kein anderes ist; das unendliche Seyende für sich ist nicht Gott, sondern
nur Materie Gottes in metaphysischem I Sinne; dso das Existirende selbst
[ist] nicht zufällig, sondern [ds] nothwendig Existirendes erscheint [es];
das woher anfängt, [es] ist actu nothwendig existirend, aber Gott ist frei.
Aus diesem erhellt, wie verkehrt die Versuche waren die absolute Einzig-
* H: hingewiesen
188 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
keit Gottes zu beweisen; sie ist ja zugleich nothwendige. Nun fragt sich:
ob diese nothwendige Einzigkeit der lnhdt eines Dogmas seyn könne,
wofür der Monotheismus gelten solle? Wenn ich sage, daß außer [dem]
wahren Gott kein anderer seyn kann, so ist dies Monotheismus, aber die-
ser Satz ist eine apodictische Wahrheit, deren Möglichkeit unmöglich ist;
- dso außer Gott ist kein anderer. Dies haben auch die Theologen ge-
fühlt, wie wohl sie von absoluter Einzigkeit sprachen. Dazu gehört, daß
1:) überhaupt außer Gott etwas sey, denn auf dem Standpunkt, wo uns
Gott schöpfte, läßt sich das sagen, daß außer Gott kein anderer sey, aber
dies gehört nicht dazu, sondern dazu gehört, daß er bereits Schöpfer [ist];
aber erforderlich ist 2:) daß das Außer Gottes nicht schlechthin nicht Gott
sey, zwar wurden im Heidenthum auch [die] concreten Dinge verehrt,
aUein was hier wie z. B. bei Ägyptern ... gedacht wurde, kann man nicht
wissen, unmittelbar wenigstens bezog sich die Verehrung niemds auf die
concreten Dinge, daß dso außer Gott ein solches Ding seyn muß, ein
solches sind nun aU jene in [der] Schöpfung gesetzten Potenzen. Aus der
Einheit gesetzte sind sie nicht Gott, nicht concrete Dinge, sondern potentia
pura*, wahre Elohim, vbgl. nicht Jehova, nicht der Herr, sie sind nicht
schlechthin nicht Gott,... sie sind ... in die Einheit, d. h. in die Gottheit
zurückgesetzt. Um sich den Monotheismus deutlich zu machen, muß man
sich auf den Standpunkt setzen, wo die Potenzen in ihrer Spannung, und
Gott [sich] im Plurd der Potenzen und Einzigkeit setzen kann; die Po-
tenzen, deren mehrere sind, sind nicht Gott, hüte dich sie für Gott zu
hdten, die ds Potenzen mehrere sind, sondern nur Gott [ist] in Einzigkeit
- im Decdog Mosis -, weU praeter unicum auch jene Mehrheit gesetzt ist100,
darum ist dieser Standpunct bis jetzt noch nicht gefunden - darum geht
unsere Untersuchung auch über [diesen] Standpunct hinaus. Die Lehre
hätte keinen Sinn, wenn nicht mehrere da wären, welche nicht im wahren
Sinn Gott sind; diese können auch nicht als falsche Götter betrachtet
werden, denn falsche Götter müssen wenigstens scheinbar [Götter] seyn;
sie sind nicht Gott, nur ds solche in der bloßen Wirklichkeit. Auch das A.
T. widerspricht nicht der Redität der Götter, sondern sagt nur überhaupt,
daß keiner von [den] anderen der wahre ist.101 Polytheismus besteht nicht
darin, daß ein Gott mehrmds angenommen wird, sondern daß er über-
haupt nicht anerkannt wird, dies ist die objective Seite des Polytheismus.
Die subjective Seite ist, daß die Potenzen stark an Gott liegen, so ist ein
Verhdtniß zu den bloßen Potenzen. Aus diesem Proceß wurde die Mensch-
heit durch Christi Erscheinen erlöst, sie wurde befreit von [einem] eso-
terischen Verhdtniß zu Gott. Indem die Potenzen die Gewdt über
* Lesart fraglich
MrrscHRiFT CHOVÄTS 189
' H: sondern
b
H:harret(?)
c
H: verwandt
d
H: war
H:all.
190 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
' H: aufsetzend)
b
Wort schwer zu entziffern
0
H: vorüber
MrrscHRiFT CHOVATS 191
* H: gedenken
b
H: gerechtigt
c
Wort schwer zu lesen, „Inh." od." Fak."
192 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
Indem nun Gott auf diese Weise das Seyn, nämlich durch Potenzialisierung
[bestimmt], bleibt ihm sein reines nur von Seyn freies Wesen, dies ist als
freies unvordenkliches Seyn; ist daher reine Potenz, aber die nicht mehr
Potenz eines von sich verschiedenen Seyns, wie das erste seyn kann, also
wird sie nur Potenz eines Seynkönnens, die Potenz des Geistes ist, denn
[der] Geist ist sich selbst gleich bleibend. Dieses dritte, welches Gott ur-
sprünglich auch noch ds Möglichkeit sieht, und [was] wir den Geist nen-
nen, - dies ds Seynkönnendes ist ds dritte Potenz. Solche Bezeichnung
scharf bestimmter Begriffe, und solche Erklärung auf nothwendigen
Standpunct herabsetzen, ist so scharf, ds disjunctiven Schluß ausspre-
chen, a ist entweder b oder c, wenn nicht c, dso b. - In allen diesen Mög
lichkeiten weißt sich das, was zum Existirenden geworden, über das Exi-
stiren hinaus, ds Herr ... eines Processes, in welchem das aufgehobene,
suspendirte Gottseyn hervorgenommen wird: das Seyn wird wiederher-
gestelt, der Proceß ist dso ein theogonischer. In dem Proceß werden alle
jene Möglichkeiten auch Wirklichkeiten, insoweit sie nicht vorauszusehen
sind; z. B. es ist nur Stoff zuerst zu diesen Stoff; im Proceß ist wirklich
Potenz, nicht potentia potentiae, nur das unmittelbare Seynkönnen ist
hier actus; ds solcher ist nicht (a) der ersten Potenz, sondern: b; vor dem
Proceß ist das Seynkonnende bloße Potenz nur ds actus, in Proceß ist
wirklich actus. Dieser Proceß findet sein Ziel in dem Menschen, versteht
sich im ursprünglichen Menschen, der nichts ds Bewußtseyn ist; aber der
Mensch, der wieder Herr der Potenz ist, kann dlerdings jenes, I das gött-
liche Seyn aufhebende Princip in Wirkung setzen. Allein: so würde er in
Bewußtseyn des Todes faUen, wenn die 2te Potenz nicht wieder in Span-
nung geht, die von [der] ersten sich unterscheidet, zwischen aUgemeinen
Proceß und 2ten Proceß". Das Gottsetzende ist das Princip des mensch-
lichen Bewußtseyns; also dieser Proceß, obwohl er ein objectiver ist, ist
dennoch zugleich ein subjectiver, inwiefern er nur im Bewußtseyn besteht.
- Hier sehen wir gleich auf die psychologische Seite der Mythologie: 1 die
mythologischen Vorstdlungen verhalten sich immer ds reine im mensch-
lichen Bewußtseyn, sie können nicht von außen in [das] menschliche
Bewußtseyn kommen, sie sind nicht äußerlich in dieses6 gebracht.... die
VorsteUungen konnten nur mit dem Bewußtseyn entstanden [seyn]; sie
konnten daher 2:) nicht Erzeugniße einer Thätigkeit, sondern [nur] des
Bewußtseyns seyn: dies erklärt, wie durch Jahrhunderte Vernunft in den
VorsteUungen war. Von Anfang an zeigen sich die polytheistischen Vor-
stellungen mit dem Bewußtseyn verwebt; doch können die mythologischen
' H: Potenz
b
H: an ihn
MrrscHRiFT CHOVÄTS 193
* H: Erzeugnn.
b
H: angenante
194 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
H: man
b
H: vorangeht
c
H: seiner
d
H: leiden
MrrscHRiFT CHOVATS 195
werde. Zufolge jenes Gesetzes ist [es] nothwendig daß jenes Seynkönnen
die Möglichkeit erregt, sich in Stande setzt, sich ihm zeige und voraussteUe.
Als die Ursache dieser Aufregung ist nur jenes Weltgesetz: diese Ursa
che, diese Macht ist Nemesis: wenn wir nach Aristoteles annehmen, so ist
Nemesis unwillig über [einen der Glücklich ist] ohne sein Verdienst,
[ohne] eigenes Zuthun106; so war jener Mensch in seinem Ursprung. Gott
sdbst ist [es], welcher ihm die Möglichkeit gibt, auch von dem das Gegen
theU zu seyn, was er jetzt ist. So hoch ist in seinen Augen die Freiwüligkeit
angesehen. In der That, was ist die Natur gegen die lebensvoUe Geschich
te? Die ganze Natur ist bloß Vergangenheit, sie ist ungeschichdich. Die
Ansicht, daß die Gottheit jene Unsdigkeit des Menschen nicht woUe ist
keineswegs eine heidnische, sie findet sich in [der] göttlichen Offenbarung;
so ist im A. T. ist eine dem Heidenthum entgegengesetzte Religion angese
hen: eben darum auch die Möglichkeit mit seinem WiUen zu seyn: diese
Art besteht darin, daß Gott verbietet von [den] Früchten [des Baumes
der Erkenntniß, des Guten und des Bösen,] zu essen107; aber eben durch
dies Gesetz wird ihm die Möglichkeit des GegentheUs offenbart, darum
sagt Paulus: ohne das Gesetz war die Sünde todt, mit dem Gesetze war
[die] Sünde lebendig.108 Die mythologische VorsteUung ist, nach welcher
[die] Nemesis [ein] das ganze UnheU bringende Wesen ist.109 Hier be
merken wir: Das Bewußtseyn ist einmd dadurch abgeschnitten, 2* es folgt
keine Erinnerung an früheres; so ist meine Meinung nicht, daß diese
Nemesis sich von [der] VorsteUung der Nemesis begreife: so wird das
mythologische Bewußtseyn [sich] über seinen Anfang erst in [der] Neme
sis begreifen6: der Begriff der Nemesis begreift0 sich dso nur am Ende.
Eine [Nemesis] kommt zuerst bei Hesiodos vor, nicht ds Zeugnis der
entstehenden, sondern schon klaren, bewußten Mythologie.110 Nemesis
erscheint bei Hesiodos unter den Kindern der Nacht, wo das seiner sdbst
Mächtige sich selber noch nicht weiß, er gebahr aber auch Verderben,
ein UnheU, den Sterblichen bringend. Hesiodos enthdt die Trümmer, aber
dcht ursprüngliche Mythologie; der Zusatz „UnheU der Sterblichen" wird
als Veranlassung zum Zustand der Unsdigkeit bezeichnet Erklärung
[der] Nemesis ds Adrasteia von einem Altar; den der König Adrastos der
Nemesis errichtet hatte; sein Name ist nach Herodot I ebenso eine mytho
logische Person: Adrasteia heißt Nemesis, wdche die unmögliche, unbe
wegliche zur Thatsache voUendet, die Macht, welche den WUlen zur Be
wegung bringt, denn Nemesis ist nur die Macht jenes nicht verborgenes
Gesetzes.1" Nemesis heißt doppelwillig, Horaz: toUere in dtum ut lapsu
graviore ruat, sie erhebt es, damit es stürze; jenes UnheU bringende We-
sen wird ds Übergang zur Wiedererhebung beschrieben. Es ist übrigens
hier um die Bedeutung der Nemesis [zu tun], wenn dso dieser Begriff
sich vermischt mit anderen Göttern' doch ist [es] unrichtig, aus [der]
Erzählung [von] Agorakritos6 zu schließen, [in] welcher [Nemesis] in
Athen ein BUd ds Aphrodite erhdte. Wie ein Athener Künsder nach der
Zeit Phidias ein BUd ds Nemesis aufsteUte112, dies kann man verschieden
erklären; Nemesis hat aber mit Aphrodite nichts gemein, nur das, daß sie
beide weibliche Gottheiten sind. Jenes Können welches sich im Bewußt
seyn darstellt, ist nur ein scheinbares, es ist für sich Können; um sich dies
bewußt zu machen, bedarf [es] einer eigentlichen Erfahrung; man pflegt
zu sagen: der edle Mensch ist der, der nicht aUes thut was er kann. Jenes
Können ist Potenz des Seyns, aber nur um Können zu bleiben. Die dTtctTn,
bei Hesiodos bedeutet die Urtäuschung, der der Mensch unterliegt.113 Da
es indes materidl dasselbe Princip sey, welches dem götdich bewegten
Bewußtseyn ds Möglichkeit [sich] darstellt, so läßt sich der indische
Begriff Majah hier anwenden; dies Wort ist verwandt mit [dem] deut-
schen: Macht, Möglichkeit, zwar majah ist Möglichkeit, aber dies ist das-
selbe Wort mit [dem] persisch, griechischen Wort ,mayet',... das persi-
sche Wort unserem deutschen entsprechend.114 In der That ist das ganze
Wesen diese noch ruhenden Willen Magie, denn es ist das aUes Vermö-
gende, was selbst Gott an sich zieht. Jenes lautere Seynkönnen, ist daß,
das Gott nicht durch actus, sondern durch Nichtactus bewirkt wird, Gott
ist dso magisch. Dasselbe ds transitiv genommen, ds Princip anderen
Seyns, ist auch .Magie' des anders; darum ist es bloß eine scheinbare magia.
[Das] Griechentum hatte ein ewiges Fest Apathura - ein Gott von dram,
- hier stimmt das griechische, persische und indische [überein]; aber man
kann es nicht bloß aus [dem] indischen herleiten: die Begriffe sind ähn-
lich, so beweist das Historische nichts,... Die erste Veranlassung ist dso
Nemesis [ds] ein nur scheinbares Können; in diesem sich ds unwirkend
darsteüenden Können liegt die Versuchung; das unmittelbar Versuchen-
de war eben jene Möglichkeit. Sie ist jene Schlange im A. T., d. h. jene mit
dem Menschen entstandene, ja noch eher.115 Diese nähert sich nach dem
griechischen Mythos mit0 der bethörenden Macht; eine Schlange wurde
von gewissen Ceremonien einbezogen116, ein Doppelsinn jener Unglück-
lichkeit, ein BUd der Ruhe, aber wenn sie sich erhebt*1,1 mit tödtlichen
H:G.
b
H: agoractitos
0
H: von
d
H: aufhebt
MrrscHRiFT CHOVATS 197
H:ist
b
H: Verhältniß (?)
* H:d.m.
198 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
' H:In
MITSCHRIFT CHOVATS 199
H: von
b
H: unterweise
' H: es ist zu
d
H: geschrieben
H: machen
1
H: besetzt
200 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
Anmerkungen
1
Horaz, De arte poetica ad Pisones, 191. (XI, 4).
2
Karl Philipp Moritz, ,,Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten"
Berlin 1795.
3
Herodot L. II, c. 53. (XI, 15).
4
Karl Dietrich Hüllmann, Anfänge der griechischen Geschichte. Königsberg 1814.
MITSCHRIFT CHOVATS 201
5
XI, 28.
' XI, 30; I. Kant, Kritik der Urteilskraft $ 24, A 222 f./B 226.
7
XI, 32-33.
8
Schelling verweist hier auf Hermann, Mythologie, 43 f. (vgl. XI, 35-36).
* Ebd.
*> XI, 47-49.
11
XI, 53-56.
c
Zur Fabel derjo: XI, 58-59.
0
XI, 100. Zu F. Schnurrer a. a. O.
14
Gen. 11.
" In der Handschrift finden sich Hinweise auf den Apostel Paulus, Cicero und auf
die lateinische Fassung, vgl. dazu: XI, 106-107 (besonders die Fußnoten).
* XI, 108-109 (109 Fußnote); vgl. auch XIII, 24.
v
Don Felix Azara, Voyage.
B
David Hume, Die Naturgeschichte der Religion, hrsg. von L. KreimendaK.
bürg 1984, S. 1,10.
XI, 83-84; G. E. Lessing, Erziehung, SS 6 und 7.
20
In der Handschrift findet sich hier ein Hinweis auf Cudworth und auf Mosheim
(vgl. auch XI, 95).
21
G. Voß, De origine. (XI, 86).
22
Vgl. XI, 86.
23
XI, 88-89.
24
Vgl. ebd.
25
Ebd., 90.
26
Ebd. 100-101.
27
Ebd., 123.
28
Ebd., 127.
29
Zur vorhergehenden Passage: XI, 130-131.
30
Zur Frage Monosyllabismus und Disyllabismus vgl. XI, 133-136.
}1
Abel Remusat, a. a. O., (XI, 134).
32
XI, 136-137.
33
In SW findet sich an der betreffenden Stelle kein Hinweis auf das Katholische.
31
XI, 144-145.
* Gen. 5,1-32.
36
XI, 145-148.
37
Gen. 4, 26.
* Deut31,19-21.
39
Gen. 7, 1.
40
Jer.35.
41
XI, 156-157.
42
Ebd., 157.
43
Ebd., 158 (Fußnote)
44
Ebd., 169.
45
Ebd., 161.
* Ebd., 162. Hinweis von Schelling auf Gottlob Christian Storr (1746-1805), Tü-
binger Theologe, einer der Lehrer Schellings (Obss. p. 97).
47
XI, 172-173.
48
Bezieht sich auf die sogenannte ältere Urkundenhypothese, vgl.: Johann Christi-
an Eichhorn, Urgeschichte. Ein Versuch. In: Repertorium für Biblische und
202 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
Morgenländische Litteratur, Teil 4. Leipzig 1779, 129-256; ders., [Rez.], Die äl-
testen Urkunden der Hebräer im ersten Buch Mose, in: ABBL 1.6. Leipzig 1788,
984-999.
Jer.5,15.
Jos. 24, 2.
51
XI, 165-166.
52
Vgl. Gen. 14,17-24.
53
Schelling verweist auf .saddik'(1. Mos. 6, 9) XI, 167.
54
Gen. 14,22;19,20.
35
Gen. 17, 1.
Vgl. etwa Gen. 22, 11.
57
Ex. 3,14.
58
Gemeint ist wohl Rom. 1, 6: „ihr, die ihr von Jesus Christus berufen seid".
» Gen. 15, 6 ; G a l . 3 , 6 .
a
Gen. 20, 7.
41
D. Hume, Die Naturgeschichte der Religion, S. 2.
62
Vgl. XI. 182 f.
Piaton, Polit.p. 271. E. (XI, 175).
64
Joh.4,23-24.
Joh.4,22.
In XI, 196 Anm. 1 verweist Schelling auf den Aufsatz von Samuel Taylor Coleridge
(1722-1834), On the Prometheus of Aeschylus. In: Transactions of the Royal Society
of Literature of the United Kingdom. Vol. II, part II, London 1834, S. 384-404;
391: „The Prometheus is a philosopheme and Ton>Tr)YopiK(5v."
47
XI, 213 findet sich ein Hinweis auf Ovid und Plutarch; Plutarch, Questiones
Romanae ed. Reiske p. 119.
68
Vgl. XI, 214.
XI, 223 Anm. 1, hier verweist Schelling aufsein „System des transcendentalen
Idealismus".
70
Johann Arnold Kanne (1773-1824), Pantheon der ältesten Naturphilosophie,
Stuttgart/Tübingen 1807; ders., Mythologie der Griechen, Erster Teil, Leipzig
1803. Vgl. auch Jamme, 49-50.
71
Creuzer, Symbolik.
72
Anspielung auf D. Hume, The natural history.
73
Vgl. Anm. 48.
74
Hermann/Creuzer, Briefe, 67.
75
G. Hermann, De Mythologia, X.: „in quo nos senescente iam, medii inter duas
ruinas, aeternitatem, serius ocius novis fluctibus perituram inani labore con-
sectamur." (In XI, 236 Anm. 2 ist das Zitat nicht korrekt wiedergegeben)
74
A. H. L. Heeren, Ideen über die Politik, Th. I, Abth. LI, S. 311. (XI, 238 Anm. 1).
77
F. H. Jacobi, David Hume, (Vgl. XIII, 116 ff.).
78
Rom. 11.
75
Zu dieser Formulierung vgl. auch VII, 12: „ohne ein Ungöttliches gibt es wohl
keine Vergötterung".
*> E p h . 2 , 12
a
In XI, 257 Anm. 1 ist auf Aristoteles, Metaphysik XII, 8 (p. 254,5 ss. ed. Brandis)
hingewiesen.
82
Varianten zu dem Schema: XI, 261; XIII, 35-38. Das enthaltene Zitat könnte von
Aristoteles sein, vgl. XIII, 37: „schon Aristoteles sagt das bedeutende Wort: scire
est agere intelligere est pati."
MrrscHRiFT CHOVATS 203
83
Schelling hat hier wohl Kants Unterscheidung von Theismus und Deismus im
Blick, vgl. KdrV H G 31/B 659.
84
Anspielung auf Melanchthon, Locis theologicis; vgl. XI, 262 Anm. 1.
83
Vgl. Kant, KdrV A 583 ff./B 611 ff.
* Vgl. hierzu auch V, 299 sowie F. W. J. Schelling, Urfassung der Philosophie
der Offenbarung, Hamburg 1992, S. 17 f.
87
Dies könnte sich auf Hegel beziehen.
88
Vgl. u. a. G. W. F. Hegel, Einleitung in die Geschichte der Philosophie. TWA
18,81-113.
Anspielung auf Baco von Verulam; vgl. XI, 251.
* Die Nachschrift von Amiel bringt auch die Unterteilung: „Partie systematique,
ler Aoüt, TROISIENNE PARTIE: De proce divin", Secretan/Amiel, 249.
91
Vgl. XII, 13. Schelling verweist auf Johann Gerhard, Loc. Theoll. Vol. III, c. VI.
* F. Schleiermacher, Der christliche Glaube, nach den Grundsätzen der evange-
lischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, 2. Auflage. Berlin 1830, l.Teil,
S 56.2: „so ist dieser Ausdrukk Einheit Gottes weniger eine einzelne Eigen-
schaft, als der monotheistische Kanon, welcher aller Untersuchung über göttli-
che Eigenschaften immer schon zum Grunde liegt, und eben so wenig bewiesen
werden kann, als das Sein Gottes selbst." (Vgl. XII, 22).
93
Schleiermacher, Der christliche Glaube, S 56. 2., 260.
94
Schleiermacher, Der christliche Glaube, S 56: „Unter den gewöhnlich ange-
führten götdichen Eigenschaften würden als keinen Bezug habend auf den in
den Erregungen des frommen Bewußtseins statthabenden Gegensaz vornehm-
lich noch hieher gehören die Einheit, Unendlichkeit und Einfachheit Gottes;
allein diese können nicht in demselben Sinne wie die bisher abgehandelten als
göttliche Eigenschaften angesehen werden."
95
Anspielung auf Friedrich Schlegel, Ueber die Sprache und Weisheit der Indier,
ein Beitrag zur Begründung der Altertumskunde, Heidelberg 1808.
* Anspielung auf Hegel, Enzyklopädie S 573: „Von den Philosophien, welchen
man eben diesen Namen gegeben, z. B. der Eleatischen oder Spinozistischen,
ist schon früher erinnert worden, daß sie so wenig Gott mit der Welt identifizie-
ren und endlich machen, daß in diesen Philosophien dies Alles vielmehr keine
Wahrheit hat, und daß man sie richtiger als Monotheismen und, in Beziehung
auf die Vorstellung von der Welt, als Akosmismen zu bezeichnen hätte." Enzy-
klopädie der philosophischen Wissenschaften (1830), TWA, 10, 387.
97
Franz Volkmar Reinhard (1753-1812), Vorlesungen über Dogmatik 1801, S 33;
vgl. XII, 73 , die Einheit Gottes sey „illud attributum Dei, quo negatur plures
substabntias infinitas esse".
* Spinoza, Ethik I, Prop. XV.
» Hegel Enz. S 573, TWA
Deut. 6,4.
Vgl. etwa Deut. 6, 14-16.
Deut. 6,4.
10
Vgl. XIII,310-336.
"4 Hegel: „Besonders ist es das Potenzenverhältnis, welches in neuerer Zeit auf
Begriffsbestimmungen angewendet worden ist. [...] Hiergegen fällt sogleich auf,
daß die Potenz, so gebraucht, eine Kategorie ist, die dem Quantum wesentlich
angehört; - es ist bei diesen Potenzen nicht an die potentia, Swctuic,, des Aristo-
teles gedacht. So drückt das Potenzenverhältnis die Bestimmtheit aus, wie die-
selbe als der Unterschied, wie er im besonderen Begriff des Quantums ist, zu
seiner Wahrheit gelangt, aber nicht wie daselbe am Begriff als solchem ist."
204 3 SCHELLINGS VORLESUNGEN IN BERLIN
Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Sein (1832), hrsg. von H.-J. Gawoll,
Hamburg 1985, S. 362. Vgl. auch XII, 60 Anm. 1.
I0S
Hegel, ebd., S. 362: „Es ist in der Kindheit des Philosophierens, daß wie von
Pythagoras Zahlen- und erste, zweite Potenz u.s.f. haben insofern vor Zahlen
nichts voraus - zur Bezeichnung allgemeiner, wesentlicher Unterschiede gebraucht
worden sind."
" Aristoteles, Rhet. IX. (Sylb. 80, 7). Vgl. XII, 143.
w
Gen. 2 . 1 6 f. und 3, 11.
Rom. 7,7-10.
109
Hesiod, Theogonie, v. 223.
"° Vgl. ebd.
111
Schelling verweist auf F. Creuzer, Symbolik, Bd. 2, 501 f. und auf J. J. Winckel-
mann, Anmerkungen zur Geschichte der Kunst, (Dresdener Ausg.), 90; vgl. XII,
146 f. Vgl. auch Pindar, Olymp. VIII, 114 (7).
10
Vgl. Plinius, Historia naturalis, XXXVI, 4, 17.
10
Hesiod, Theogonie, 224: djröVm,
114
Schelling weist hin auf W. v. Humboldt, Ueber die unter dem Namen Bhadagva-
Gita bekannte Episode des Maha-Bharatas, Berlin 1825-26 sowie auf A. W. Schle-
gel, Indische Bibliothek, (XII, 149).
115
Gen. 3 , 1 ff.
114
Clemens von Alexandrien, Protepticos p. 14 (XII, 151).
117
Hinweis von Schelling auf Creuzer, Symbolik, Theil IV, S. 546 (XII, 157 Anm. 1).
'» Gen. 2,15 ff.
119
Porphyr, vita Pythagorae, 50.
00
Gen. 2, 15.
E1
Gen. 3 , 2 2 .
Personenregister
Abimelech 83 Cotta, Johann Friedrich 34
Abraham 79-84,141-146 Cousin, Victor 20,113
Abydenosll4 Creuzer, Friedrich 25,64-66,73 f.,
Adam77f.,140 94,109,113,115 f., 134,160,
Adrastda 195 199,202,204
Adrastos 195 Cudworth, Rdph 112,201
Agorakritos 1% Cybdski 18
Amid, Henri-Frederic 21,24,31,34,
203 Danz, Christian 34
Aphrodite 196 David 141
Apostolopodou, Georgia 12,15,32 f. Dekker, Gerbrand 21,33
Aristophanes 46,113 Derketo79
Aristotdes 48,102,160,190 f., 195, Dionysios 140
198,202-204 Dornedden, Karl F. 113
Azara, Felix 45,51,61,113-115, Droysen, Gustav 10,32
130,201 Dupuis, Charles-F. 115
Düsing, Klaus 31,34
Bacon, Francis 38,112,203
Bakunin, Michail 11 Eberz, Anton 15,21,27,32,37
Baumgartner, Hans Michad 24,33 Ehrhardt, W d t e r E . 12,21,31,34
Beach, Edward A. 31 Eichhorn, Johann Christian 201
Bergk, Theodor 32 Engds, Friedrich 32
Bochart, Samud 115 Ennius 112
Boeckh, August 18 Enoch 77 f., 140
Böhmejacob 184 Epikur50,113,121
Bratranek, Franz Thomas 9,32 Esau 81
Brinkmann, Klaus 31 Euhemeros 42 f.,93,112
Brzoska 115 Eusebius 114
Buchheim, Thomas 31 Eva 146
Bimsen, Christian Karl Josias 32
Burckhardt, Jacob 10 f., 32 Feuerbach, Ludwig 11,32
Burkert,Wdterll3 Fichte, Johann Gottlieb 172
Frank, Manfred 31,34
Calderon de la Barca, Pedro 121 Franz, Albert 31
Caracalla 81 Friedrich Wilhelm HL von Preußen 9
Chotwas, Andreas von 18,23,30,33 Fuhrmans, Horst 24 f., 34 f.
Choväts, Mäty äs 18
Cicero 43,56,61,113 f., 122,201 Gans, Eduard 17,31
Clemens von Alexandrien 204 GaskinJohnC. A. 115
Clericus 112 C i awlick, Günter 115
Coleridge, Samuel Taylor 153,202 Gerhardjohann 203
206 PERSONENREGISTER
f Bayerisch« ^
I Staatsbibliothek I
l München