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Über den Stand unserer Arbeiten an den Keilschrift-

texten aus Boghazköi. Von Otto Weber. Seitdem unsere


Gesellschaft im Jahre 1907 die zweite srößere Grabung
in Boghäzköi, der Ruinenstätte der Haupt- stadt des alten
Hethiterreiches im Herzen von Kleinasien, durch einen
namhaften Beitrag ermöglicht hat, ist sie dauernd mit
diesem Werke verbunden geblieben. Wenn | davon
bisher nicht viel in der Öfentlichkeit bemerkbar
geworden ist, so liegt das an den Verhältnissen, die der
Fortführung der Grabungsarbeiten, wie der wissenschaft-
lichen Verarbeitung und Veröfentlichung ihrer
Ergebnisse, lange Jahre hindurch sehr wenig günstig
waren. An den Grabungsarbeiten selbst hat sich unsere
Ge- sellschaft seit dem Jahre 1907 nicht wieder beteiligt.
Doch hat sie die gesamten Veröfentlichungen der Ergeb-
nisse aller bisherigen Grabungen in Boghazköi über- —
nommen. Als 1. Band der baugeschichtlichen
Veröfentlichungen ist im Jahre 1912 die Darstellung der
„Bauwerke“ von ‘©. Puchstein, nach des Verfassers
allzufrühem Tode von
seinem Mitarbeiter, dem inzwischen ebenfalls
verstorbenen H. Kohl herausgegeben, erschienen. Die
Bearbeitung der Kleinfunde, besonders der inBoghazköi
so wichtigen Keramik, hat L. Curtius übernommen. Die
Fertigstellung ist durch den Krieg wiederum verzögert
worden.

Mit der größten Spannung aber haben die Fachge-


nossen auf dıe Veröfentlichung der Keilschrifttexte aus
Boghazköi gewartet, nachdem die „Vorläufgen
Mitteilun- gen“ Hugo Wincklers im 35. Heft unserer
Mitteilungen erkennen ließen, wie wichtig diese Texte
für unsere Kenntnis des ganzen vorderasiatischen
Altertums sind.

Die Herausgabe der Texte ist durch die jahrelange,


schwere Krankheit Hugo Wincklers immer wieder ver:
zögert worden. Es war ja selbstverständlich, daß diese
Arbeit dem hochverdienten eigentlichen Entdecker der
Ruinenstätte vorbehalten bleiben mußte, solange noch
irgendwelche Hofnung auf seine (Genesung möglich
war. Diese Hofnung hat sein Tod am 19. April 1913
zunichte semacht und damit erwuchs unserer
Gesellschaft die Auf- gabe, über die Herausgabe der
Texte ganz neue Verfügun- gen zu trefen. |

Wir haben uns die Aufgabe gestellt, alle aus Boghazköi


stammenden Keilschrifttexte, soweit sie uns im Original
zugänglich werden, in Autographie und Transkription zu
veröfentlichen.

Die Hauptmasse der Texte, schätzungsweise 20 000


Fragmente, liegen im Osmanischen Museum in
Konstanti- nopel. Von den vielen im Handel
aufgetauchten Tafeln, deren Herkunft aus Boghazköi
sicher ist, hat das Berliner Museum eine beträchtliche
Anzahl sehr wichtiger Stücke erwerben können.
Vereinzelte Tafeln sind in andere öfent- liche und
private Sammlungen gelangt.

Schon zu Lebzeiten H. Wincklers war Herr F. E. Weidner


mit dem Kopieren einiger Berliner Texte betraut worden.
Er hat sich dieser Aufgabe bis zum Som- mer 1914
gewidmet.

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Mitteilung No, 56, Dezember 1915. 3

Im Januar 1914 ist Herr Dr. Figulla von uns nach


Konstantinopel entsandt worden, um die dort liegenden
Fragmente zu sichten, nach Möglichkeit
zusammenzusetzen und zu kopieren. Im April 1914 ist
dann der Wiener Professor Herr Dr. Hrozny, zu dem
gleichen Zwecke nach Konstantinopel gegangen. Die
Kosten seines Aufent- haltes hat das k. k.
Unterrichtsministerium in Wien ge- tragen. Die beiden
Herren haben — im mechanischen Teil ihrer Aufgabe
von ihren Gattinnen in dankenswerter Weise unterstützt
— in Konstantinopel gearbeitet, bis der Krieg sie
zurückrief. Herr Dr. Figulla hat dann soweit als möglich
die begonnenen Arbeiten in Berlin zum Ab- schluß
gebracht und ist nunmehr mit der Herausgabe der
Berliner Texte beschäftigt. Herr Prof. Hrozny hat sich
seither auf die wissenschaftliche Verarbeitung der von
ihm kopierten Texte beschränken müssen.

Von den Textautographien sind 2 Hefte soweit fertig


gestellt, daß ihre Ausgabe demnächst erfolgen kann.
Das !. Heft gibt die wichtigsten Texte in akkadischer
Sprache (Verträge, Briefe usw.) und die
Vokabularfragmente. Es ist von den Herren Weidner und
Figulla kopiert und autographiert worden. Das 2. Heft
gibt ausschließlich nichtakkadische Texte, und zwar
solche in der Hatti- und Harri-Sprache in Autographien
von Herrn Figulla. Ein 3. Heft mit Hatti-Texten in Kopien
Dr. Figullas und des Berichterstatters ist zur Hälfte
gedruckt. Allen Texten, die in der Hatti- und
Harrisprache abgefaßt sind, werden Transkriptionen
beigegeben, die auch den Nicht- assyriologen die
Möglichkeit geben sollen, an der Ent- ziferung
mitzuarbeiten.
Für die Erörterung aller wissenschaftlichen Probleme, die
durch die Keilschrifttexte aus Bogha»zköi aufgeworfen
werden, hat der Berichterstatter eine eigene Zeitschrift
ge- Sründet, die unter dem Titel „Boghazköi-Studien* in
zwang- losen Heften bei J. ©. Hinrichs in Leipzig
erscheinen soll. In dieser Reihe sollen auch
Bearbeitungen der Texte erscheinen.

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Tübingen 4 Mitteilungen der Deutschen Orient-
Gesellschaft.

Hugo Winckler hat die letzten Jahre seines Lebens fast


ausschließlich dem Studium der Boghazköi-Texte ge-
widmet, soweit sein Gesundheitszustand es ihm
gestattete, Die „Vorläufgen Mitteilungen“ im 35. Heft
unserer „Mit- teilungen“ geben Zeugnis davon, wie weit
es ihm gelungen ist, die Texte zu verstehen und die
geschichtlichen Folge- rungen aus ihnen zu ziehen.
Dieses unscheinbare Heftchen wird immer zu den
wichtigsten Erzeugnissen der altorien- talischen
Geschichtsforschung gerechnet werden müssen. In der
hinterlassenen Studie: „Vorderasien im zweiten Jahr-
tausend auf Grund archivalischer Studien“ (Mitt. d.
Vorderas- Ges. 1913, 4) hat er einige der dort
angeschnittenen Fragen eingehend erörtert. Zu einer
größeren zusammen- fassenden Arbeit aber hat seine
Schafenskraft nicht mehr ausgereicht. In seinem
Nachlasse fanden sich die Vor- arbeiten für eine
Bearbeitung der akkadischen Texte, Transkriptionen und
Übersetzungen der wichtigsten Ver- träge und Briefe mit
manchen Einzelnotizen. Leider ist es aber trotz
sorgfältigster Nachforschungen nicht gelun- gen, auch
nur eine Spur von seinen Aufzeichnungen über die Hatti-
Sprache in seinem Nachlaß zu fnden. Seine Freunde
wissen aus wiederholten Äußerungen bestimmt
anzugeben, daß er sich mit der Enträtselung der Hatti-
Sprache eingehend und, wie er glaubte, mit Erfolg
beschäf- tigt hat. Wahrscheinlich hat er in einer bitteren
Stunde, wie so vieles andere, auch diese Aufzeichnungen
ver- nichtet.

So waren die von uns mit der Herausgabe der Texte


betrauten Herren ganz auf die eigene Kraft gestellt, wenn
sie sich an der Lösung des hethitischen Rätsels
versuchten.

Die Lösung dieses Rätsels ist Herrn Prof. Fr. Hrozny


gelungen. Er wird in diesem Heft der „Mitteilungen“
einen vorläufgen Bericht über seine Ergebnisse vorlegen,
während die eingehende Darstellung als 1. Band der
„Boghazköi-Studien“ erscheinen wird. Daß an seinen
Auf- stellungen noch vieles problematisch ist, weiß er
selbst am besten. Daß ihm aber der große Wurf im
ganzen

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Tübingen Mitteilung No. 56, Dezember 1915. 5 geglückt
ist, kann nicht mehr bezweifelt werden. Von welcher
Tragweite seine Entdeckung ist, aber auch wie
verwickelt die Probleme sind, die sich jetzt innerhalb des
ganzen Umkreises der vorderasiatischen, speziell der
klein- asiatischen Völker und Sprachen erheben, hat Herr
Professor Eduard Meyer in seinen einführenden Worten,
die Hroznys Aufsatz vorausgehen, dargelegt.

2. Die Entziferung der hethitischen Sprache.

Zur Einführung von Eduard Meyer,

Unter all den gewaltigen, unsere Kenntnis der älte-


sten ;Geschichte und Kultur der Menschheit nach allen
Richtungen hin erweiternden und vertiefenden
Ergebnissen, welche aus den von der Deutschen Orient-
Gesellschaft unternommenen Ausgrabungen erwachsen
sind, dürfte, falls es sich beim weiteren Fortschreiten der
Unter- suchung als zutrefend bewährt, an Bedeutung
und Trag- weite keines an die Entdeckung heranreichen,
welche Herr Prof. Hrozny an dieser Stelle veröfentlicht.
Das Volk der Hethiter war durch die Nachrichten der
ägyptischen und assyrischen Inschriften und durch
allmählich sich zu- sammenschließende Funde an
verschiedenen Stellen Syriens und Kleinasiens langsam
aus tiefem Dunkel in das Dämmer- licht beginnender
geschichtlicher Erkenntnis getreten. Die Urkunden von
Tell el-Amarna hatten seit 1888 gelehrt, daß seine
Heimat nicht in Syrien, sondern im östlichen Kleinasien
zu suchen war. Daraufhin hatte Hugo Winckler seit 1906
seine Ausgrabungen in Boghäzköi unternommen, und
dadurch erwiesen, daß diese gewaltige Ruinenstadt die
Hauptstadt des hethitischen Reichs und der Sitz seiner
seit dem Ende des 15. Jahrhunderts weithin in
Vorderasien erobernd vordringenden Könige gewesen
war. Im weiteren Verlauf hat er dann aus den Archiven
dieser Stadt neben

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Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft. in
babylonischer Sprache geschriebenen Texten eine er-
staunliche Fülle von Texten in hethitischer Sprache
zutage gefördert, die in Keilschrift geschrieben und
daher ohne Schwierigkeit lesbar waren!). Dagegen haben
sie — auch das war eine Überraschung — über die
hieroglyphische Bilderschrift, welche die Felsskulpturen
und Steindenkmäler der Hethiter bedeckt und auf deren
Entziferung bereits so viel Scharfsinn verwendet ist,
ohne doch zu einem ge- sicherten Ergebnis zu gelangen,
kaum irgendwelchen neuen Aufschluß gebracht. Mit den
keilschriftlichen Fun- den dagegen war die Wissenschaft
vor eine neue sroße Aufgabe gestellt: es galt, zunächst
diese Texte, sowohl die babylonischen wie die
hethitischen, durch sorgfäl- tige Publikationen allgemein
zugänglich zu machen — diese Aufgabe ist von der
Deutschen Orient-Gesellschaft in Angrif genommen und
wird, nachdem Hugo Winckler ‘ ihr durch den Tod
entrissen ist, von den Herren Prof. Hrozn y und Dr.
Figulla unter Leitung und Mitwirkung von Herrn
Professor O. Weber eifrig fortgeführt —, sodann aber in
den Bau der Sprache einzudringen und das Ver- ständnis
der Texte durch methodische Arbeit zu erschließen.
Diese Aufgabe hat Herr Prof. Hrozny, im Anschluß an die
Abschrift und Bearbeitung der in Konstantinopel
liegenden Texte, mit glücklichstem Erfolge in Angrif ge-
nommen, und legt jetzt die wichtigsten seiner Ergebnisse
in einer ersten vorläufgen Mitteilung in den
nachstehenden Blättern vor.

Ich habe in einem am 11. Januar 1914 in der Deut-


schen Orient-Gesellschaft in Berlin gehaltenen Vortrag,
der vor Jahresfrist als Buch veröfentlicht ist?2), den Ver-
such gemacht, eine durch Abbildung der wichtigsten
Denk- mäler erläuterte Übersicht dessen zu geben, was
wir bis- her über die Hethiter, ihre Geschichte und ihre
Kultur wissen und als einigermaßen gesichert betrachten
dürfen.

I) Siehe Mittlg. der DOG Nr. 35, Dz. 1907.

*) Reich und Kultur der Chetiter, Berlin, Karl Curtius


1914.
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Tübingen Mitteilung No, 56, Dezember 1915. E So habe
ich mich der Auforderung nicht entziehen mögen, dem
Aufsatze Prof. Hroznys ein paar Worte voraus-
zuschicken. Freilich ist die Aufgabe, die mir damit
gestellt ist, nicht leicht, und eigentlich noch ganz
unlösbar. Denn eine Nachprüfung der Ergebnisse, zu
denen Hrozn v gelangt ist, ist selbstverständlich zurzeit
noch völlig ausgeschlossen: andrerseits sind diese
Ergebnisse, ihre Richtigkeit voraus- sesetzt, so
epochemachend und von so weittragender Be- deutung,
daß es ganz unmöglich ist, die dadurch neu auf-
seworfenen Probleme jetzt schon zu übersehen oder gar
wissenschaftlich eindringend zu besprechen. So muß ich
mich auf einige kurze Andeutungen beschränken, die
viel- leicht dem Leser zu seiner Orientierung nicht ganz
unwill- kommen sein werden.
Schon im Jahre 1902 hatte der norwegische Gelehrte
Knudtzon in Verbindung mit Sophus Bugge und Alf Torp
nachzuweisen gesucht!), daß die Sprache, die wir jetzt
als die der Hethiter kennen gelernt haben, und die
damals nur durch zwei Tontafeln aus Tell el-Amarna
bekannt war — einen Brief des Pharaos Amenophis III.
an einen König von Arzawa (einer in Kleinasien in der
Nähe des Hethiterreichs zu suchenden Landschaft) und
das Bruch- stück eines zweiten Schreibens —, daß diese
Sprache indo- sermanisch sei. Dieser Nachweis, der sich
nur auf einige wenige, recht unsichere Anklänge stützen
konnte, ist allge- mein abgelehnt worden; und die
hethitischen Texte, die seitdem bekannt geworden sind
— außer den gelegentlichen Textproben, die H. Winckler
mitgeteilt hat, vor allem eine große, von Sayce und
Pinches veröfentlichte Tafel, die einen kultischen
Ritualtext enthält?) —, schienen dies ablehnende Urteil
durchaus zu bestätigen. Jetzt unter- nimmt Hrozny den
Nachweis, daß die hethitische Verbal-
') Siehe A. Knudtzon, die zwei Arzawabriefe, die ältesten
Ur- kunden in indogermanischer Sprache, mit
Bemerkungen von So- phus Bugge und Alf Torp. Leipzig,
Hinrichs 1902.

) The Tablet from Yuzgat in the Liverpool Institute of


Archaeology, by A. H. Sayce and Th. G. Pinches,
Liverpool 1907.

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Tübingen 8 Mitteilungen der Deutschen Orient-
Gesellschatft.

tlexion und Deklination echt indogermanisch ist, und


daß der Wortschatz der Inschriften und vor allem die
Pronomina und Adverbien zahlreiche Bestandteile
enthalten, die sich eng mit indogermanischen Wörtern
berühren.
Trotz mancher Bedenken im einzelnen, für deren
Prüfung die weiteren Veröfentlichungen abgewartet
werden müssen, scheint dieser Nachweis in der
Hauptsache ge- führt. Wenn er sich bewährt, haben wir
das Hethitische, wie auch im übrigen sein Charakter und
seine Stellung im einzelnen sein mögen, als eine
indogermanische Sprache anzuerkennen. Alsdann tritt
damit zum zweiten Male eine neue Sprache und ein
neues Volk in den Kreis dieser großen Sprachfamilie,
wenige Jahre, nachdem so über* raschend in
Zentralasien, in Ostturkestan, durch die Funde aus
Turfan eine neue indogermanische Sprache in dem
Tocharischen erschlossen war!) — eine Sprache, die,
soweit man bis jetzt urteilen Kann, ebensoviele neue,
bisher ungeahnte Probleme stellt und neben sicher
indogermani- schen ganz fremdartig anmutende und
rätselhaft erschei- nende Bestandteile aufweist, wie das
Hethitische.

Denn so einleuchtend einerseits Hroznys Nachweise


erscheinen, und so sehr andrerseits unser Wissen jetzt
nochin den allerersten Anfängen steht, so sicher scheint
es jetzt schon, daß das Problem äußerst kompliziert ist,
und daß sich das Hethitische so wenig und noch weniger
wie das Tocharische einfach in den Kreis der verwandten
Spra- chen wird einreihen lassen. Der Eindruck, den die
soeben angeführten zusammenhängenden Texte zunächst
hervor- gerufen haben, bleibt bestehen und wird auch
durch die von Hrozny aus den übrigen Dokumenten
angeführten Proben nur bestätigt. Die von ihm als
indogermanisch gedeuteten Wörter und Bildungen fehlen
auch in jenen Texten nicht; aber der Gesamtcharakter
erscheint nach wie vor völlig fremdartig, und die klare
Durchsichtigkeit,

') E. Sieg und W. Siegling, Tocharisch, die Sprache der


Indo- skythen, Sitzungsberichte der Berliner Akademie
1908 S. 915 f.

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Tübingen Mitteilung No. 56, Dezember 1915. 9 welche
sonst für alle bisher bekannten altindogermanischen
Sprachen charakteristisch ist, mögen sie sich auch später
noch so sehr verändert haben — so bei den arischen
Sprachen, dem Griechischen, dem ältesten Lateinisch im
(Gegensatz zu seiner späteren Gestalt, beim Phrygischen,
auch beim Altkeltischen, und ebenso beim (zothischen,
beim Lithauischen und Slawischen —, diese
Durchsichtig- keit, welche den indogermanischen
Sprachtypus auf den ersten Blick erkennen läßt, fehlt
hier durchaus, der Wort- schatz macht einen ganz
fremdartigen Eindruck. Da mag sich im Fortgang der
Forschung gar manches klären, manche uns jetzt ganz
seltsam anmutende Erscheinung | sich in ungeahnter
Weise lösen; aber trotzdem scheint es kaum zweifelhaft,
daß hier in noch weit srößerem Maße als im
Tocharischen eine ganz eigenartige, von den übrigen
verwandten Sprachen abweichende Entwicklung
vorliegen | muß, und vor allem, daß eine
außerordentlich starke Bei- mischung fremdartiger
Elemente stattgefunden und den Charakter der Sprache
aufs stärkste umgestaltet hat. Wir werden wohl damit
rechnen müssen, daß uns hier das eben so schwierige
wie interessante Problem einer alten Misch- sprache
entgegentritt.

Auf eine derartige Erklärung der von Hrozny als


indogermanisch gedeuteten Bestandteile des
Hethitischen führt alles hin, was wir sonst über die
Hethiter wissen.

Nur sehr schwer würde man sich entschließen, die hethi-


tische Kultur, wie sie uns bisher in den Denkmälern und
den sonstigen Zeugnissen entgegentritt, und vor allem
ihre Religion, von der die große Götterprozession an der
Fels- nische Jazyly Kaja bei Boghazköi und zahlreiche
andere Skulpturen ein so anschauliches Bild geben, für
indoger- manisch zu erklären; vielmehr erscheint
dieselbe durchaus als bodenständig kleinasiatisch. Sie ist
über die ganze Halbinsel verbreitet und mit der
kretischen Religion eng verwandt, und hat sich durch
alle ethnographischen Wandelungen der folgenden Zeit
hindurch, als die Phryger und dann die Galater in das
innere Hochland der Halbinsel UNIVERSITAT
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Tübingen 10 Mitteilungen der Deutschen Orient-
Gesellschaft. eindrangen, unverändert erhalten.
Allerdings trefen wir, wie die Amarnatafeln gelehrt
haben, in der vorderasiati- schen Welt im 15. und 14.
Jahrhundert ein indogermani- sches, und zwar speziell
ein arisches (indisch-iranisches) | Element, aber nicht in
Kleinasien, sondern in Syrien und Mesopotamien. Die
damals in dem mesopotamischen Reich Mitanni
(Naharain) herrschende Dynastie trägt arische Na- men
und verehrt, wie eine Urkunde aus Boghazköi lehrt,

neben den einheimischen arische Götter, Mitra und


Varuna,

“ Indra und die Nasatjas, und bei den Dynasten Syriens


und PR a a ET Ta RT lee: en | Er Yss \ a ne i a Br r { = a
A a il: a N a ER NR er EN N
Abb. 1. Hethiter aus den Schlachtreliefs Ramses I. (Um
1350 v. Chr) | Palästinas fnden sich neben semitischen
und Mitanninamen vereinzelt arische Namen. In den
ägyptischen Darstellungen, welche die ethnographischen
Typen außerordentlich getreu und charakteristisch
wiedergeben, erscheinen in diesen Gebieten neben den
Semiten ganz fremdartige Ge- stalten, deren Typus
absolut unorientalisch ist, wohl aber als europäisch
bezeichnet werden kann; .als Proben mögen einige aus
Syrien stammende Gefangene aus dem Grabe des später
auf den Pharaonenthron gelangten Haremheb (um 1350
v. Chr.) dienen!) (Abb. 2-4). Aber bei den Hethitern
fndet sich nichts Derartiges; ihr Typus, wie er in
zahlreichen

!) Gleichartige Gestalt mit abgeplattetem Kopf zeigen der


Fürst von Tunep bei Thutmosis IV, und ähnliche Figuren.
— Die Aegypter, welche die Gefangenen führen, sind
durch ihre ganz abweichende Gestalt und Haurtracht
ohne weiteres erkennbar.
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Mitteilung No. 56, Dezember 1915. 11 p ge Fr ng Pi j
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w . | f i F 2 ı d # h TER #% | | 4 ' r r Abb. 4. Abb. 2—4.
Gefangene aus Syrien, in der Mitte je ein oder zwei
Ägypter Aus dem Grabe des Haremheb. (Um 1350 v.
Chr.) EBERHARD KARLS GE . ; z r z gefördert durch die
UNIVERSITÄT 28 http://idb.ub.uni-tuebingen.de/diglit/
MDOG_1915_056/0011 DFG TÜBINGEN * ©
Universitätsbibliothek Tübingen 12 Mitteilungen der
Deutschen Orient-Gesellschaft. ägyptischen Abbildungen
vorliegt und in den einheimischen Skulpturen
wiederkehrt, ist absolut nicht indogermanisch und nicht
europäisch, sondern der charakteristische klein- '
asiatisch-armenische Typus, dessen Eigenart v. Luschan
zuerst klar erkannt hat (Abb.1). Unter den zahlreichen
bis jetzt bekannten hethitischen Eigennamen ist keiner,
der als indogermanisch in Anspruch genommen werden
kann ihre Könige (Subbiluliuma, Arandas, Mursil,
Mutallu, Hattusil, Dudhalia, Arnuantas) tragen ganz
andersartige Namen!); unter den bekannten hethitischen
Götternamen ist keiner indogermanisch, wohl aber
fnden sich dieselben (LeSub, Tarku, die Göttin Hipa u.
a.) auch bei den Mitanni und sonst in Kleinasien und
Armenien.

So werden wir den Grundstock der Bevölkerung des


Hethiterreichs und jedenfalls auch einen wesentlichen
Be- standteil seiner Sprache, vor allem des Wortschatzes,
nach wie vor für die vorindogermanische Bevölkerung
Kleinasiens in Anspruch zu nehmen haben — wobei es
noch gänzlich unsicher ist, ob wir diese als eine Einheit
betrachten dürfen, oder ob sie sprachlich in ganz ver-
schiedene, unter einander in keinem näheren Zusammen-
hang stehende Gruppen zerfel. Auf diesem Gebiet steht
die Forschung noch in den allerersten Anfängen; aber das
Material beginnt sich in letzter Zeit ganz wesentlich

zu mehren. Seit langem durch zahlreiche Inschriften in


griechischer Schrift bekannt, wenn auch nur zum
geringen Teile verständlich ist die Sprache der Lykier
(Iramilen);

das ist ein Volksstamm, der gegen Ende des zweiten


Jahr- tausends von Kreta nach den Küsten der
südwestlichsten Landschaft Kleinasiens hinübergegangen
ist; dabei ist

es natürlich nicht ausgeschlossen, daß er hier die


Sprache
der einheimischen Bevölkerung, der in das innere
Bergland

von Milyas zurückgedrängten Solymer, angenommen


haben mag. Ob es einmal gelingen wird, die Schrift und
Sprache

) Man wird dabei daran erinnern dürfen, wie z. B. bei


den Türken und auch bei den Persern die einheimischen
Namen durch arabische fast vollständig verdrängt sind.

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DFG TÜBINGEN 3% © Universitätsbibliothek Tübingen
Mitteilung No. 56, Dezember 1915. 19 der altkretischen
Tontafeln zu entzifern, läßt sich nicht voraussagen;
wohlaber haben wir aus Inschriften in griechi- scher
Schrift jetzt einige Proben der Sprache der lteokreter, der
in den äußersten Osten der Insel (ins Gebiet der Stadt
Praisos) zurückgedrängten vorgriechischen Be- völkerung
Kretas. Vom Karischen haben wir nur dürftige Überreste,
vor allem zahlreiche sehr charakteristische Kigennamen;
dagegen steht jetzt die Veröfentlichung größerer
Iydischer Texte aus der Perserzeit, mit aramäi- scher
Übersetzung, unmittelbar bevor!), Dazu kommen dann
einige Überreste der einheimischen, vorgriechischen
Sprache Uyperns, die in Inschriften aus Amathus zutage
getreten ist?). — Neben diese Sprachreste tritt dann auf
der anderen Seite, im Osten, die Sprache der vorindoger-
manischen Bevölkerung Armeniens, der Urartaeer
(Alaro- dier) oder Öhalder, weiter die ganz eigenartige
Mitanni- sprache, sodann die Charrisprache, über die
Hroznys Mitteilungen ganz neue, aufs äußerste
überraschende Auf- schlüsse geben; und dahinter stehen
die zahllosen, bis auf den heutigen Tag erhaltenen
Sprachen des Kaukasusge- biets einschließlich des
Georgischen (Iberischen), deren wissenschaftliche
Durcharbeitung noch in den ersten An- fängen steht.

In all die zahlreichen und äußerst verwickelten


Probleme, die hier vorliegen, werden die jetzt so
glücklich begonnene Erforschung der hethitischen
Sprache und die aus den hethitischen Urkunden zu
entnehmenden geschicht- lichen und geographischen
Daten ein ganz neues Licht | bringen, ebenso wie
umgekehrt eine weitere Aufhellung

I) Diese Texte werden auch darüber Aufschluß geben, ob


die Überlieferung, daß die Etrusker (Tyrrhener) Toscanas
und weiter die Tyrrhener auf Lemnos aus Lydien
stammen, geschichtlich richtig ist.

*) Auch die Kiliker, von deren Sprache uns Texte nicht


erhalten sind, sondern sich in ihren Eigennamen als eine
eigenartige, scharf umschriebene Gruppe von allen
andern ab (das gleiche sagt Strabo von den
Paphlagonen), ebenso die Gebirgsstimme des pisidisch-
ıSaurischen Taurus.

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Tübingen 14 Mitteilungen der Deutschen Orient-
Gesellschaft. des Hethitischen durch vorsichtige
Heranziehung und Ver- gleichung dieses trümmerhaften
Materials erhoft werden darf. Wenn Hrozny’s
Entdeckungen sich bewähren, so ist in diese bunte
Völkerwelt zu Anfang oder spätestens etwa gegen die
Mitte des zweiten Jahrtausends bei den Hethitern ein
indogermanisches Element Sekommen, und zwar ein
anderes als die arischen Stämme, die wir im
Mitannireich und bei den Dynasten Syriens und
Palästinas fnden und von denen einzelne Spuren
gleichzeitig bei den Kossäern erkennbar sind, die um
1760 v. Chr. die Herrschaft in Babylon gewonnen haben.
Damit wird dann zugleich eines der schwierigsten und
wichtigsten Probleme der ge- samten weltgeschichtlichen
Entwicklung in ein ganz neues Licht gerückt werden: die
Frage nach dem Auftreten und der geschichtlichen Rolle
der Indogermanen. Daß mit dem Auftauchen der
indogermanischen Stämme überall ein neues, belebendes
Moment in den Eintwicklungsgang der menschlichen
Kultur eintritt, daß damit eine neue, in höhere Bahnen
führende Epoche der geschichtlichen Entwicklung
beginnt, ist bekannt genug, und immer deutlicher hat
sich gezeigt, daß diese Vorgänge und ihr Eintritt in die
Geschichte ungefähr in den Beginn des zweiten
Jahrtausends zu setzen sind, sowohl das Kindringen der
Griechen in ihre Wohnsitze am ägäischen Meer wie das
Auftreten und die ganz eigenartige Entwicklung der
arischen Stämme in Iran und Indien nebst ihrem oben
erwähnten Vorstoß nach Mesopotamien und Syrien. Aber
alle die Fragen, die daran anknüpfen, sind noch ungelöst;
die zahlreichen Vermutungen über ihre Heimat, über die
ursprüngliche Gruppierung der Stämme, über die Art
ihrer Diferenzierung, über die Kultur, die sie selbständig
entwickelt und in ihre späteren Wohnsitze mitgebracht
haben, über die Art und den Weg ihrer Aus- breitung, die
wir uns als die gewaltigste Völkerwanderung denken
müssen, welche die Weltgeschichte kennt — nur etwa
die Ausbreitung der Araber und dann die der Türken ist
damit vergleichbar, reicht aber an Umfang und Inten-
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Mitteilung No. 56, Dezember 1915. 15 sität der Wirkung
an die der Indogermanen durchaus nicht heran —, all die
sehr verschiedenartigen Ansichten, die darüber
aufgestellt sind, sind im besten Falle doch nur
einigermaßen probable Hypothesen ohne geschichtliche
Sicherheit. Auch die Entdeckung des indogermanischen
Charakters der Tocharer in Zentralasien hat diese
Probleme nur komplizierter gemacht, aber keineswegs
gelöst. Jetzt würde zu diesen sehr verschiedenartigen
und doch nahe verwandten Volksstämmen das
indogermanische Element bei den Hethitern treten; auch
hier sehen wir, daß ihr Auftreten in der Geschichte in
den Anfang des zweiten Jahrtausends fällt. Wenn wir
auch die grundlegenden Züge ihrer Kultur und
namentlich ihrer Religion für die ältere Bevölkerung
Kleinasiens in Anspruch nehmen müssen, und wenn die

Formen ihrer Kultur und Kunst, neben sehr bedeutsamen


einheimischen Elementen, aufs stärkste einerseits von
Ba- bylonien und von der assyrischen Kolonisation des
Halys- gebiets im dritten Jahrtausend, andrerseits von
Ägypten aus beeinfußt sind, so würde man doch
daneben dem Indogermanentum eine sehr starke
Wirkung zuschreiben müssen. Ihm würde vor allem die
staatliche Gestaltung und die aktiv vorwärts dringende,
belebende Kraft zuzu- weisen sein, die sich in dem
Hethiterreich entwickelt und umgestaltend tief in die
Geschichte und Po- litik des Orients eingreift; darüber
dürfen wir von dem Kortgang der Entziferung
bedeutsame Aufschlüsse er- warten. Ich verweise hier auf
die kurzen Angaben Hroznys über den Inhalt der Texte;
wer hätte z. B. bisher für denkbar gehalten, daß ein
hethitischer Prinz, der also dann wohl indogermanisches
Blut in seinen Adern hat, als Prätendent für den
Pharaonenthron geholt wird. Diese von Hrozny unten S.
35 f. mitgeteilte Angabe bringt auch sonst eine ganz
wesentliche Bereicherung unserer Kenntnis der
ägyptischen Geschichte. Denn der König Bibhururias
kann, wie H. Schäfer sogleich erkannt hat, nur Neb-
hepru-r@ Tutanchamon sein, der zweite Nachfolger des
Reformators Amenophis IV. und Gemahl einer seiner
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16 Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschatft,
Töchter!). Das führt in die wirren Zeiten der religiösen
Reaktion, für die die ägyptischen Denkmäler fast völlig
versagen und auch die Königsfolge nicht feststeht; aber
die wirre Königsliste Manethos läßt vermuten, daß es
damals noch mehrere ephemere Usurpatoren gegeben
haben wird, deren Name uns urkundlich nirgends
erhalten ist, Auch die Frage, von wo und auf welchem
Wege das indogermanische Element der Hethiter. nach
dem öst- lichen Kleinasien gelangt sein mag, ist mit der
neuen Entdeckung gestellt; sie jetzt schon entscheiden zu
wollen, wäre verfrüht. Nur als ein kleiner aber nicht un-
wichtiger Beitrag zur Lösung dieses Problems sei auch
hier darauf hingewiesen, daß bei dem ältesten
ägyptischen Streitwagen, der auf uns gekommen ist,
einem Wagen aus einem ägyptischen Grabe etwa aus
dem Anfang des Neuen Reichs, der sich gegenwärtig im
Museum von Flo- renz befndet — das Rad hat nur vier
Speichen, während der entwickelte Streitwagen der
Hethiter und Ägypter sechs (und gelegentlich acht) hat
—, die Nabe mit den Speichen durch Birkenbast
verbunden ist?). Die Birke ist aber den asiatischen
Kulturländern fremd, dagegen im südlichen Europa (vor
allem in der russischen Steppe und dann weiter im
Norden) und im Kaukasus heimisch. Somit ist dieser
Wagen sicher nicht in Ägypten gearbeitet, sondern aus
weiter Ferne importiert, vermutlich doch wohl aus dem
Hethiterlande; der Birken- bast deutet auf nahe
Beziehungen zu den Gebieten im Norden des Schwarzen
Meeres, wie sie ja im östlichen Kleinasien zu allen Zeiten
bestanden haben. So dürfen wir darin vielleicht einen
Fingerzeig sehen, der auf den Weg hinweist, auf dem die
Indogermanen nach Boghazköi gelangt sein könnten;
auch die Kimmerier, die ein Jahr- tausend später, um
700 v. Chr., ins östliche Kleinasien ein- 1) Leider ist der
nur verstümmelt erhaltene Name seiner Witwe Da-ha-
mu-un ... bis jetzt nicht identifzierbar. Der erste
Bestandteil scheint, wie Schäfer vermutet, Ptah zu
sein. ?) s. Schuchhardt in der Praehist. Zeitschr. II. 327
f.; IV. 447. UNIVERSITAT nttp:/Jidb.ub.uni-
tuebingen.de/diglit/MDOG_1915_056/0016 DFG
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Mitteilung No. 56, Dezember 1915. 17 brachen, sind
über den Kaukasus aus der Krim und Südruß- land
gekommen. Auch ägyptische Bronzeschwerter aus dem
Neuen Reich weisen auf derartige Beziehungen hin!).

Doch es ist besser, mit derartigen Bemerkungen inne zu


halten, die nur zu leicht in das Gebiet voreiliger Hypo-
tnesen führen. Sie haben ihren Zweck vollkommen er-
füllt, wenn sie dazu dienen, dem Leser die Tragweite der
Hroznyschen Entdeckung lebendig ins Bewußtsein zu
führen.

3. Die Lösung des hethitischen Problems. Ein vorläufger


Bericht

von Dr. Friedrich Hrozny,


Professor für semitische Sprachen an der Universität
Wien?).

Das neunzehnte Jahrhundert hat der Wissenschaft vom


Alten Orient den reichsten Gewinn gebracht. War

) M. Burchardt in der Zeitschr. f. ägypt. Sprache 50, 61f,


(ein Auszug auch in der Praehist. Zeitschr. IV. 233).

?) Im Folgenden gebe ich mit einigen durch den


veränderten Zweck bedingten Kürzungen und
Änderungen die kKinleitung meiner zum Teil bereits im
Druck befndlichen Arbeit „Die Sprache der Hethiter. Ihr
Bau und ihre Zugehörigkeit zu dem indo- germanischen
Sprachstamm. Ein Entziferungsversuch.-“ Von dieser
Arbeit, die meine Entziferung des Hethitischen enthält,
liegt der erste Teil, der das hethitische Nomen und
Pronomen behandelt, teilweise in Reinschrift, teilweise
im Konzept, fertig vor. Mit Rück- sicht auf den Krieg, der
den Abschluß, wie auch den Druck meiner Arbeit
beträchtlich verzögern dürfte, weiter auch im Hinbliek
darauf,

daß vielleicht auch von anderen Seiten Publikationen


über das Hethitische zu gewärtigen sind, habe ich mich
entschlossen, die Ein- lsitung meiner Schrift in verkürzter
Form bereits jetzt in den Mit- teilungen der Deutschen
Orient-Gesellschaft zu veröfentlichen. Meine
ursprüngliche Absicht war, erst kurz vor dem Erscheinen
des I. Teiles ıneiner Arbeit durch einen selbständigen
Aufsatz in den Mitt.

I d. D. O0.-G. auf meine Schrift hinzuweisen; doch


machen die obigen äußeren Umstände diese Absicht
unmöglich. — Herrn Professor Dr. Paul Kretschmer sei
auch hier für die freundliche Mithilfe bei

| der Lesung der Korrektur dieser Mitteilung und sonstige


Anregungen mein herzlichster Dank ausgesprochen.
Auch sonst wäre manche Dankesschuld abzutragen, doch
sei hierfür auf das Buch selbst ver- wiesen.
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DFG

TÜBINGEN RR © Universitätsbibliothek Tübingen 18


Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft. | man
bis dahin für die Kenntnis des Alten Orients bloß auf die
alttestamentlichen Quellen und die griechische Literatur
angewiesen, so brachte das vergangene Jahrhundert die
Entziferung der ägyptischen Hieroglyphen und der
baby- lonischen Keilschrift; damit wurden dem Historiker
der alten Welt auch die überreichen ägyptischen und
babylo- nisch-assyrischen Quellen zugänglich gemacht.
Der Durch- forschung dieses wertvollen Materials sind
die letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts gewidmet.
Diese Quellen lehren uns, daß es im Alten Orient vor
allem zwei mäch- tige lteiche, zwei große Macht- und
Kulturzentren gab: Babylonien und Ägypten. | Die
Lösung eines dritten wichtigen Problems der alt-
orientalischen Altertumskunde scheint dem 20.
Jahrhundert vorbehalten: die Lösung des sogenannten
Hethiter-Problems. Schon das alte Testament machte uns
mit dem Volke der Hittim — oder Hethiter (Chetiter,
Hittiter u. ä.), wie wir zu sagen gewohnt sind —
bekannt, das nach dieser Quelle haupt- sächlich in Syrien
saß, aber auch einen wichtigen Teil der Be- völkerung
Kanaans bereits zur Zeit der Patriarchen bildete'): nach
der Völkertafel (Genesis X 15) ist sein Stammvater Heth
ein Sohn Kanaans. Die alttestamentlichen Angaben
werden durch die Keilinschriftlichen und
hieroglyphischen Quellen vervollständigt, die ein großes
Reich dieses Volkes, das sie Hatti?) nennen, oft
erwähnen. Die gleichnamige Haupt- stadt dieses im 2.
Jahrtausend v. Chr. blühenden Reiches wurde im Jahre
1906 von Hugo Winckler in dem klein- asiatischen Dorfe
Boghäzköi — 5 Tagereisen östlich von Angora —
gefunden. Es hat sich immer mehr gezeigt, daß Hatti das
dritte wichtige Machtzentrum des Alten Orients !) Siehe
Otto Weber bei Knudtzon, El-Amarna-Tafeln $. 1088 und
Böhl, Kananäer und Hebräer S. 23 f. | ?) Die Form Hatti
ist die in der Keilschrift übliche. Die Ägypter haben den
Namen gewiß ganz ähnlich ausgesprochen. Wenn in der
ägyptologischen Literatur der Name oft Heta (Cheta)
oder Hete ge- schrieben wird, so liegt das daran, daß die
ägyptische Schrift nur die Konsonanten überliefert hat,
die Vokale also von den älteren Ägyp- tologen mehr oder
weniger willkürlich eingesetzt werden mußten.
UNIVERSITAT http: /
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DFG TÜBINGEN RE © Universitätsbibliothek Tübingen
Mitteilung No. 56, Dezember 1915. 19 gewesen ist. Von
den mächtigen Königen der Hatti seien hier erwähnt der
uns besonders aus den Amarna-Briefen bekannte
Subbiluliuma (um 1400 v. Chr.), ferner der uns aus
ägyptischen Quellen bekannte Hattusil (in der älteren
Agsyptologischen Literatur Chetasar), der um 1270 v.
Chr.

= den berühmten Vertrag mit dem Pharao Ramses II.


schließt. Ähnlich den Babyloniern und den Ägyptern
haben auch die Hethiter zahlreiche Inschriften
hinterlassen, die - indes noch nicht enträtselt sind. Die
hethitischen In- schriften sind doppelter Art. Es sind dies
zunächst In- schriften, die in einer eigenartigen
Hieroglyphenschrift geschrieben sind; von der
altägyptischen Hieroglyphen- schrift ist diese hethitische
Bilderschrift völlig verschieden!). Diese Inschriften
fanden sich in Syrien (Hamath, Aleppo, Karchemisch
usw.), aber auch in Kleinasien (Boghazköi, lvriz usw.).
Man hat bereits wiederholt eine Enntziferung dieser in
unbekannter Sprache und unbekannter Schrift verfaßten
Denkmäler versucht, ohne daß eine dieser Ent-
zitferungen eine allgemeinere Zustimmung gefunden
hätte?). Die anderen Inschriften der Hethiter sind in Keil-
schrift geschrieben. Es sind dies die vor allem von Hugo
Winckler durch seine epochalen Ausgrabungen in
Boghazköi in Kleinasien entdeckten Tontafeln. Hugo ')
Diese Inschriften sind gesammelt von L. Messerschmidt
in seinem Corpus insceriptionum Hettiticarum (Mitt. d.
Vorderas. Ges. 1900/4, 5, 1902/3, 1906/5). Siehe ferner
Travels and Studies in the nearer East by Olmstead,
Charles and Wrench 1/2, Hittite Inscrip- tions (1911)
(mir unzugänglich). Die neugefundenen Texte von Kar-
chemisch werden vom Brit. Museum herausgegeben
werden. ?) Siehe vor allem Peiser, Die hetitischen
Inschriften (Berlin, 1392); P. Jensen, Hittiter und
Armenier (Straßburg, 1898); Sayce in Proc. of the soc. of
bibl. arch. 1903 f.; A. Gleye, Hettitische Studien |
(Leipzig, 1910); R. ©. Thompson, A New Decipherment
of the Hittite Hieroglyphies (Oxford, 1913). Vgl.auch L.
Messerschmidt, Bemerkun- gen zu den hethitischen
Inschriften (Mitt. der Vorderas. Ges, 1898/5). Es sei
schon hier bemerkt, daß mir auf Grund meiner
Untersuchungen der hethitischen Keilschriftdenkmäler
keiner der bisherigen Ver- suche, die hethitischen
Hieroglypheninschriften zu entzifern, — ab- zvsehen
vielleicht von einigen wenigen Zeichenbestimmungen —
das kichtige getrofen zu haben scheint. Ä IIVERSITAT
@&
http://idb.ub.uni-tuebingen.de/diglit/MDOG_1915_056/
0019 nn UNIVERSITAT pı/Tidh.ub, gen.de/cig Ze DFG
TÜBINGEN RR © Universitätsbibliothek Tübingen 20)
Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft.
Winckler gelang es unter Mitarbeiterschaft Th. Makrid V.
bey’s bei diesen unter der Ägide der Deutschen Orient-
Gesellschaft, des Kaiserl. Deutschen Archäologischen
Instituts und der Vorderasiatischen Gesellschaft vom
Kaiser- lichen Osmanischen Museum in Konstantinopel
in den Jahren 1906 bis 1907 und 1911 bis 1912
ausgeführten Aus- srabungen in Boghazköi eine große
Menge von Tontafeln, rund 20000 Fragmente und
vollständige Tafeln, zu fnden, die keinen Zweifel
darüber aufkommen lassen, daß sie zu einem Archiv der
Könige von Hatti gehören, und daß in Boghazköi die
Hauptstadt dieses Reiches wiedergefunden worden ist!).

Die von Winckler gefundenen Inschriften von Boghaz-


köi sind in babylonischer Keilschrift geschrieben. Auch
die Sprache ist bei einer Minderheit der Inschriften
babylo- nisch (akkadisch); die allermeisten derselben
sind indes in der hethitischen Sprache verfaßt. Diese
Urkunden, die in der Hauptsache aus dem 14. und 13.
Jahrhundert v. Chr. stammen, sind nicht nur linguistisch,
sondern auch histo- risch von der größten Wichtigkeit.
Es befnden sich darunter, wie weiter unten ausgeführt
ist, Staatsverträge der hethitischen Könige, ihre
Korrespondenzen mit an- deren Königen des alten
Orients u. dergl.m. Eine nähere Prüfung der hethitisch
geschriebenen Urkunden hat auch ergeben, daß das
Hethitische mit der Sprache von Arzamwa (irgendwo in
oder bei Kleinasien zu suchen), die durch zwei Briefe aus
dem Keilschriftarchiv von Tell el-Amarna in Ägypten
bereits bekannt war, identisch ist?).

!) Siehe die Berichte H. Wincklers Orient. Litt.-Zeitung


1906 (Dezember), Mitt. d. Deutsch. Orient-Ges. Nr. 35
(1907) und Orient. Litt.- Zeitung 1910, 289 f.; ferner
Winckler, Vorderasien im zweiten Jahr- tausend (Mitt. d.
Vorderas. Ges. 1913/4) und desselben Nach Boghasköi
(Der Alte Orient XIV/3). Beachte weiter OÖ. Weber bei
Knudtzon, KEl-Amarna-Tafeln, S. 1086 f. und Eduard
Meyer, Reich und Kultur der Chetiter (Berlin, 1914).

°) Siehe Winckler, Thontafelfund von El-Amarna Nr. 10


und 238; Knudtzon, El-Amarna-Tafeln Nr. 31 und 32;
vgl. auch Knudtzon, Die zwei Arzawa-Briefe. — Auch
sonst sind vereinzelt hethitische Keil-

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DFG TÜBINGEN RE © Universitätsbibliothek Tübingen
Mitteilung No. 56, Dezember 1915. 2

Die Tontafeln von Boghazköi, die sich jetzt zum größten


Teil in dem Kaiserl. Osmanischen Museum in Konstanti-
nopel befnden, sind in der Hauptsache an drei Stellen
sefunden worden:

1. Auf dem Westabhang von Böjük-kale, der Haupt-


akropolis von Hatti, und zwar besonders in den Räumen
eines Palastes, an der Stelle, die bei Winckler, Mitt. d.
Deutsch. Orient-(res. 35, S. 11 Abbildung 2 als Fundort a
be- zeichnet wird!); hiernach nennen wir diese Gruppe
von Tontafeln, die nach mündlichen Angaben von Th.
Makrid Y- Bey, dem Mitarbeiter Wincklers, in den Jahren
1906, 1907 und teilweise auch 1912 gefunden wurde,
Gruppe A.

2. In einigen Räumen der Ostseite des größten Ge-


bäudes von Boghazköi, in dem OÖ. Puchstein einen
Tempel erblicken möchte, das aber, mit Eduard Meyer,
Reich und Kultur der Chetiter S. 20, wohl besser für
einen Palast zu halten ist. Die betrefende Stelle ist in
den Mitt. d.D. O.G.1.c. als b bezeichnet?); wir nennen
daher diese Gruppe von Tontafeln, die von Makridy-Bey
im ‚Jahre 1907 sefunden wurde, Gruppe B.

3. Auf dem Abhang zwischen Böjük-kale und dem unter


2. erwähnten Gebäude?). Hier wurden nach münd-
lichen Angaben Makridy-Beys in den Jahren 1907, 1911
schrifttexte (zumeist Fragmente) zum Vorschein
gekommen. So siehe vor allem eine aus Yuzgat, im
letzten Grunde aber aus Boghazköi stammende Urkunde,
die von Sayce und Pinches, The tablet from Yuzgat
(London, 1907) herausgegeben wurde. Weitere in
Chantre, Mission en Cappadoce 1893—94, S. 45 f.
(Paris, 1898); Proceed. of the soc. of bibl. arch. vol. 29,
S. 91 f. (hg. v. Sayce), vol. 32, S. 191 f. hg. v.
Thompson); Journ. of roy. as. soc. 1907, 913 f, (hg. v.
Sayce), 1903, Wf. (hg. v. Sayce); 1909, 963 f. (hg. v.
Sayce); Annals of Arch. and Anthr. IIL. S. 99 f, pl. 26—
28 (hg. v. Pinches); Babylo- niaca IV. S. 216 f. (hg. v.
Boissier). Ein kleines Stück einer großen Keilinschrift aus
Boghazköi hat Winckler bei A. Jeremias, Das Alter der
babylonischen Astronomie $. 64 veröfentlicht. Die ganze
Inschrift wird von Dr. Figulla publiziert werden.

I) Siehe auch Puchstein, Boghasköi, Die Bauwerke S.


>25 f.

2) Siehe auch Puchstein, ]. e. 8. 193 f.

3) Vgl. Puchstein,]. e. $S. 3.

UNIVERSITAT http: /
/idb.ub.uni-tuebingen.de/diglit/MDOG_1915_056/0021
DFG TÜBINGEN RR © Universitätsbibliothek Tübingen
29 Mitteilungen der Deutschen ÖOrient-Gesellschaft. und
1912 Tontafeln gefunden, die wir als Gruppe © be-
zeichnen.

Der Verfasser hat seine Aufmerksamkeit hauptsäch- lich


der Gruppe B zugewendet. Das Sichten und Reinigen der
Fragmente, das Zusammensuchen und Zusammen-
kleben der zusammengehörigen Stücke war sehr
mühevoll und zeitraubend; doch das Ergebnis dieser
Arbeit, die so zusammengefundenen großen Tafeln,
boten eine reiche Kntschädigung für die aufgewendete
Mühe. Neben der Gruppe B konnte der Verfasser auch
einen Teil der Gruppe A untersuchen und einige Tafeln
daraus auch kopieren. Bevor er aber die Kopien für das
erste von ihm geplante Textheft zu Ende führen konnte,
brach der Weltkrieg aus, der ihn Ende August 1914 zur
Rückkehr nach Wien zwang.

Neben dem Kopieren der Texte hat sich der Verfasser


auch mit der Entziferung der hethitischen Sprache be-
faßt. Da die in Betracht kommenden hethitischen Keil-
schrifttexte einsprachig sind, so mußten sie aus sich
selbst heraus erklärt werden. Eine wertvolle Hilfe boten
hier Sätze, die Eigennamen enthielten, und besonders
Sätze, in denen sumerisch - akkadische Ideogramme
(Wortzeichen) und lautlich ausgeschriebene akkadische
Wörter vorkamen. In solchen Fällen konnte der Sinn des
Satzes nicht selten vollständig oder wenigstens teilweise
festgestellt werden. Von hier aus konnten dann erst Sätze
vorgenommen werden, die nur phonetisch geschrie-

ben waren. Es galt nun zunächst die wichtigsten Formen,


den Bau und weiter auch die
Verwandtschaftsverhältnisse der im wesentlichen
unbekannten hethitischen Sprache festzustellen. Bereits
während seines Konstantinopler Aufenthaltes gelang es
dem Verfasser, die meisten Formen der hethitischen
Sprache zu bestimmen und auch schon in der Frage nach
der Verwandtschaft zu einem — wie er glaubt —
sicheren Ergebnis zu gelangen. Die folgenden Monate
waren ganz der genaueren Ausarbeitung der früher
gewonnenen Resultate gewidmet. Die Entziferungsresul-
UNIVERSITÄT
http://idb.ub.uni-tuebingen.de/diglit/MDOG_1915_056/
0022 DFG TÜBINGEN RE © Universitätsbibliothek
Tübingen Mitteilung No. 56, Dezember 1915. 2,3 tate
des ‚Verfassers erfuhren speziell in Hinsicht auf die
Wortbedeutungen eine vielfache Bestätigung durch die
im Sommer 1914 erschienene wichtige Schrift Prof. De-
litzschs „Sumerisch-akkadisch-hettitische Vokabularfrag-
mente“ (Berlin, 1914). Die Schrift veröfentlicht die
wert- vollen aus Boghazköi stammenden
Vokabularfragmente, die eine Reihe von sumerischen,
akkadischen (d. i. semitisch- babylonischen) und
hethitischen Wörtern lexikographisch behandeln. Diese
Texte brachten aber natürlich nicht nur bestätigungen,
sondern halfen auch durch mehrere Wort- sleichungen
dem Verfasser in seinen Untersuchungen weiter,

Seine Ansichten über die Sprache der Hatti wird der


Verfasser in der oben angekündigten Schrift ausführlich
darlegen. Hier sei es ihm gestattet, einige allgemeine Er-
sebnisse seiner Untersuchungen vorwegzunehmen und
be- sonders das Wesen des Hethitischen kurz zu
charakteri- sieren. Auch einige historisch wichtige
Folgerungen aus den linguistischen Darlegungen der
Arbeit seien bereits hier gezogen.

Was nun die wohl vor allem interessierende Frage nach


der Verwandtschaft des Hethitischen betrift, so glaubt
der Verfasser, den Beweis führen zu können, daß die
Sprache der Hatti indogermanisch ist. Zum ersten- mal
ergab sich ihm die Möglichkeit dieses Gedan- kens, als er
— zuerst zweifelnd, bald aber mit größerer (rewißheit —
feststellte, daß das Hethitische ein Par- ticipium praes.
hat, das im Nom. sg. m. auf -an, auch -an-za, in anderen
Kasus des Maskulinums aber auf -ant-, -and- + Endung
ausgeht. So bedeutet heth. da-a-an „gebend”; der Nom.
pl. m. hierzu lautet aber — da- an-te-es. Der Vergleich
mit dem indogermanischen Parti- ziplum auf -ent-, -ont-,
-nt-, -nt- (ch, ferens, ferentis, y£owv, g£govrog) drängte
sich sofort auf; hierzu kam noch, daß sich heth. da-an-te-
es mit dem gleichbedeutenden lat. dantes so gut wie
deckte. Der sich zuerst schüchtern meldende Gedanke
einer Verwandtschaft des Hethitischen mit dem

UNIVERSITAT http: /
/idb.ub.uni-tuebingen.de/diglit/MDOG_1915_056/0023
DFG TÜBINGEN RR © Universitätsbibliothek Tübingen
94 Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft.
Indogermanischen!) nahm bald festere Formen an, als es
dem Verfasser gelang, ein vollständiges Paradigma des
hethitischen Partizipiums auf -ant- zusammenzustellen,
wo- bei es sich herausstellte, daß auch die übrigen Kasus
ihre mehr oder weniger genaue Entsprechung in den
indoger- manischen Sprachen haben. So lautet der Gen.
sg. m. von hüman(za), etwa = „vollständig, ganz
(seiend)“, hü- mandas (vgl. ferentis, p&oovros usw.), der
Dativ hümanti (vgl. ferenti usw.), der Akk. hümandan
(vgl. ferentem, g£oovra, « aus 72; für das auslautende
heth. -» vgl gr. xoovoy), der Abl./Instr. wohl (vgl. si-e-ia-
an-te-it/d, se-ik-kan-ti-it/d) "hü- mantet/d, "hümantit/d
(cf. osk. praesentid) usw. Ähnlich wie bei den Partizipien
auf -ant- gelang es auch bei den übrigen Nomina ein
Deklinationsschema festzustellen, das sich mit dem
indogermanischen im Allgemeinen deckt. Es ergab sich,
daß das Hethitische — wenigstens im Sin- sular — 6
Kasus hat, deren Endungen ihren indogerma- nischen
Charakter ohne weiteres verraten. Wenn der Nom. sg. m.
auf -$, der Gen. auf -a5, der Dativ auf 4, 3, der Akk. auf -
n, der Abl./Instr. auf -et/d, -it/d, der Lok. auf -az
ausgeht, so ist es. unmöglich, die Identität oder
Ähnlichkeit dieser Endungen oder Ausgänge mit den be-
trefenden indogermanischen zu verkennen?). Auch die
pluralischen Kasusausgänge -6$8, -43, -u3 des
hethitischen Nomens fügen sich sehr gut in den
indogermanischen kahmen; nur läßt sich in diesem Falle
für das Hethitische eine Vereinfachung der komplizierten
indogermanischen Verhältnisse beobachten.

Sehr wichtig war die Feststellung einer Deklination, die


gerade für die indogermanischen Sprachen und nur für
sie besonders charakteristisch ist. Dem Verfasser
') Als ich die ersten Übereinstimmungen des Hethitischen
mit dem Indogermanischen fand, erwog ich auch die
Möglichkeit, daß das Hethitische vom Indogermanischen
vielleicht bloß beeinfußt worden sei.

2) Für den Loc. sg: auf -az dürfte wohl speziell an den
ide. Loc, pl. auf -sw, -s? zu erinnern sein.

UNIVERSITAT http: /
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DFG TÜBINGEN RE © Universitätsbibliothek Tübingen
Mitteilung No. 56, Dezember 1915. 25 gelang es
zunächst in dem Worte wa-a-tar!) mit ziem. licher
Wahrscheinlichkeit das hethitische Wort für ‚Wasser‘,
testzustellen, das natürlich mit altsächs. watar, ahd.
wa;;zar., sr. tdag usw. „Wasser“ identisch ist. Es gelang
aber weiter festzustellen, daß von diesem Worte der Gen.
sg. nicht etwa *wa-a-tar-as 0. ä., sondern
überraschenderweise wohl ö-e-te?)-na-a8, der Abl./Instr,
«-e-te?)-ni-it/d usw. lautet; statt des -r des Nom. und
Akk. (vgl. die Identität des Nom. und Akk. bei dem
indogermanischen Neutrum!) bieten die übrigen Kasus
des Sg. ein -n-. Denselben Wechsel zwischen -r und -»-
weist aber das entsprechende indogermanische Wort
auch z.B. im Griechischen auf, wo zu ödwo der Gen. vde-
tog lautet, wobei das « dieser Form bekanntlich aus
„ entstanden ist! Es ist die bekannte höchst eigenartige
Deklination, die auch z. B. im lat. femur, Gen. feminis
vorliegt®). Einen stärkeren Beweis für den Indogerma-
nismus des Hethitischen kann man sich wohl kaum
wünschen.

Und doch ist auch hier eine Steigerung möglich. Dem


Verfasser gelang es nämlich, eine lange Reihe hethi-
tischer Pronomina festzustellen, die aufs schönste mit
den entsprechenden Pronomina der indogermanischen
Sprachen übereinstimmen. Da die Pronomina zu den
altertümlichsten Bestandteilen einer Sprache gehören,
fällt diese Überein- stimmung bei der Behandlung der
Verwandtschaftsfrage besonders ins Gewicht. Es ist

„ich“ = hethitisch uga, ug, vgl. lateinisch eyo,


„mir“ = heth. ammug, vgl. griechisch Zuosye, Eu£ye,
gotisch mik,

„mein“ = heth. ammel, vgl. gr. &uoc (zu dem Sufx -el
siehe in meiner „Sprache der Hethiter“),

„du“ = heth. zig, ziga, vgl gr. ovye,

') Möglicherweise besser -där zu lesen.

?) Möglicherweise besser -de- zu lesen.

») Hirt nennt diese Deklination „eine der


merkwürdigsten Er- scheinungen des Indogermanischen“
(Gr. Laut- u. Formenlehre? S. 389).

UNIVERSITAT http:
//idb.ub.uni-tuebingen.de/diglit/MDOG_1915_056/0025
DFG TUBINGEN PR © Universitätsbibliothek Tübingen
26 Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschatft. „dir,
dich“ = heth. tug, vgl. got. puk, altisländisch hik,
althochdeutsch dih, „dein“ = heth. tuel, vgl. lat. tuus (cf.
auch oben zu ammel), „wir, uns“ = heth. anzäs, vgl.
althochd. uns, lat. nös, altkirchenslavisch nass, „unser“
= heth. anzel, vgl. got. unsar, ahd. unserer „unser“, |
„ihr, euch“ = heth. sumes, 3umäs, vgl. neupers. $umä
„ihr“, „euer“ = heth. $umel, vgl. zu Jumes, „er, dieser“
= heth. nas, vgl, wohl armen. na „jener, er“, „dieses“ =
heth. eni, vgl. ahd. oberd. öner „jener“, altkirchenslav.
onp, „er“, „es, das“ = heth. tat/d, vgl. altindisch’ tat
„das®, „dieser“ = heth. käs, vgl. lat. ce- in ce-do „gih
her“, osk. e-kas „hae“, „welcher“ = heth. kuis, vgl. lat.
quis, „welches“ = heth. kuit/d, vgl. lat. quid, „wo,
wohin“ = heth. kuwabi, vgl. lat. ubi, ne-cubi, „wer
immer“ = heth. kuis kuis, vgl. lat. quisquis, „was
immer“ = heth. kuit/d kuit/d, vgl. lat. quid- yuid,
„jemand“ = heth. kuiski, vgl. lat. quisque, „etwas“ =
heth. kuitki, kuidki, vgl. lat. guidque, „etwas“ = heth.
kuwatka, kuwadka, vgl. lat. guodque. „irgendwol(hin)“
= heth. kuwabikki, vgl. lat. ubique, usw.!) Dasselbe Bild
einer geradezu idealen Übereinstim- mung bietet das
Paradigma des hethitischen Verbums. Hier sei zunächst
nur auf das hethitische Praesens act. hingewiesen. Es
gelang dem Verfasser das vollstän- dige Paradigma dieses
Tempus z. B. vom Verbum ö-ia-u-wa-ar I) In meinem
Buche wird die Vergleichung auch für eine Reihe von
enklitischen Pronomina (Sufxen) durchgeführt.
UNIVERSITAT http:/
/idb.ub.uni-tuebingen.de/diglit/MDOG_1915_056/0026
— oo TUBINGEN #& © ñ Mitteilung No. 56, Dezember
1915. 27 „machen“ zusammenzustellen!). Ich gebe hier
dieses Para- digma zwecks Vergleichung der Endungen
gleichzeitig mit dem Praesens act. des altindischen
Verbums yämi „gehe. fahre“?) wie auch mit dem des
griechischen Verbums tiImmı:

Hethitisch : Altindisch : (sriechisch:

1.58. T-ia-mi yami ts

2.88. b-ia-3i yäsi Ti»ng


3.88. Z-ja-si yäti ti>nor, ridmtı (dor.) I. Pl. Z-ia-u-e-ni
yamah ridenev

2.Pl. 7-ia-at-te-ni yäthd, yathdna ri$ers

3. Pl. 7-sa-an-si yanti rıFEadı, videvri (dor.)

Daß sich dieses hethitische Präsensschema mit dem


daneben gesetzten indogermanischen so gut wie deckt,
dürfte wohl klar sein. Heth. i-ia-zi, bezw. i-ia-an-zi wird
auf *r-ia-ti, bezw. *i-ia-an-ti zurückgehen: vergleiche die
entsprechenden griechischen Formen und auch z. B.
oben S. 25 heth. zig „du“, gr. ovıye, lat. t#. Und in i-ia-u-
e-ni wird das keilschriftliche « (= «) doch wohl auf
ursprüngliches m zurückgehen; vergleiche Fälle wie wa-
ah-nu-um-me-e-ni ?). | Auch die Adverbien sprechen
deutlich für den indo- sermanischen Charakter des
Hethitischen. Es seien hier bloß genannt:

a-ap-pa „ab, weg, nach u. ä.*, vgl. altind. apa, gr. AO,
AO.
pa-raa „vor, fort u. ä.“, vgl. gr. nage, nrap« USW. |

kat-ta „hinab u. ä.*, vgl. gr. zdre, zare.

!) Den Nachweis, daß die hethitischen Formen


tatsächlich Prae- sens, und zwar die hier angegebenen
Personen sind, liefere ich in meinem Buche. :

) Wegen der Verschiedenheit der Bedeutung kaum mit


heth. i-ia-mi „mache* identisch,

’) An die indog. Endung *-xes, ai. -vah, altkirchensl -v&


der 1. dual. praes. act. ist für heth. -«-e-n? wohl kaum zu
erinnern, Eine einge- hende Analyse der hethitischen
Verbalendungen, die mir ein neues Licht auf die
betrefenden indogermanischen Endungen zu werfen
scheinen, siehe in meinem Buche.

UNIVERSITAT http: /
/idb.ub.uni-tuebingen.de/diglit/MDOG_1915_056/0027
DFG TUBINGEN PR © Universitätsbibliothek Tübingen
28 Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft. an-da
„drinnen, hinein u. ä.*, vgl. lat. endo, indu „in“, gr.
&vdov (cf. auch &vroc)!). bi-ra-an (event. pi-ra-an zu
lesen) wahrsch. „herum u. &.”, vgl. gr. sr, mregi, neoav
usw. a-wa-an“) etwa „hinab“, vgl. altind. dva „herab“,
lat. au-,

Für die Verwendung dieser Adverbien vor dem Ver- bum


siehe 2. B. pa:ra-a i-ia-an-na-i wahrsch. „er fährt vor
(fort), an-da wa-ah-nu-war „einschließen, um-
schließen“, a-wa-an pa-iz-zi „er geht hinab“ usw.

Einige bemerkenswerte Übereinstimmungen im son-


stigen Wortschatz sind:

a-da-an-na „Essen“, vgl. altind. ddanam „Essen“, ahd.


ezzan „Speise“,

a-ku-wa-an-na „Trinken, Getränk“, vgl. lat. aqua


„Wasser“,
da-an-na „aeschenk*“, vgl. lat. donum „Geschenk“,

be-tar (auch wohl die Lesung pe-tar möglich) „Flügel“,


vgl. ahd. fedara, nhd. Feder,

da-bu-ga-ds-t „Länge“, vgl. altkirchenslav. dlpgosts |


„Länge“, gr. dolıyog,

wa-dS-Sü-u-wa-ar „Kleidung“, vgl. altind. vdsananı


„Gewand“, lat. vestis „Bekleidung“,

ar-ku-u-wa-ar etwa „das Abwehren*“, vgl. lat. arceo, gr.


agxiw „wehre ab“,

a-a-ra „gut, passend“, vgl. altind. dram adv. „passend, gr.


@gagiorw, lat. ars,

e-e3»mi „bin“, vgl. urindog. *esmi, altind, dsmi „bin“ ?),

har-mi „nehme*, vgl. altind. harmi „nehme*?),


) Ob heth. anda nicht vielleicht teilweise auch dem lat.
ante,

griech. «vıi entspricht, muß erst: untersucht werden. *)


Oft in der Verbindung «a-wa-an kat-ta (zu kat-ta s.
bereits oben). ») Dieses Verbum kommt im Hethitischen
auch als Hilfsyer- bum vor. UNIVERSITÄT
nttp:/Jidb.ub.uni-tuebingen.de/diglit/MDOG_1915_056/
0028 DFG TÜBINGEN RE © Universitätsbibliothek
Tübingen Mitteilung No. 56, Dezember 1915. 3 si-pa-an-
ti „opfert“, vgl. gr. omr&vda „bringt ein Trank- opfer
dar“, da-a-i „gibt“, vgl. lat. dat „gibt“, te-ez-zi „sagt“, vgl.
altkirchenslav. deti „sagen“, USW.

Dies alles sind nur Proben; weitere Übereinstimmun- sen


wird man in meinem Buch fnden.

Aus alldem ergibt sich m. E. mit der wünschens-


wertesten Sicherheit, daß das Hethitische eine
indogerma- nische Sprache ist. Ja man kann auf Grund
der ange- führten Übereinstimmungen die Stellung des
Hethitischen innerhalb der indogermanischen Sprachen
noch genauer feststellen. Es ist bekannt, daß die
indogermanischen Sprachen auf Grund der bei ihnen
beobachteten Behand- lung der Gutturale in zwei große
Gruppen geteilt werden, in die sogenannte centum- und
die sogenannte satem-Gruppe. Die erste Gruppe umfaßt
die westindogermanischen Sprachen Griechisch, Italisch,
Keltisch, Germanisch und das allerdings sehr
ostindogermanische „Tocharisch“, die zweite Gruppe
umfaßt die ostindogermanischen Sprachen Baltisch-
Slavisch, Albanesisch, Thrakisch, Phrygisch, Ar- menisch
und Arisch. In den centum-Sprachen erscheinen die
urindogermanischen Palatale als Verschlußlaute, in den
satem-Sprachen dagegen als spirantische Laute: urindog.
*kmtom „100° = lat. centum, avest. aber satam! ).
Andererseits sind die urindogermanischen Labiovelar«
(q“ etc.) in der centum-Gruppe von den Palatalen und
den reinen Velaren geschieden geblieben, während sie in
der satem-Gruppe mit den letzteren zusammengefallen
sind: urindog. *qis = lat. quis, vgl. aber altind. kdh
„wer?“. Nun entspricht aber urindogermanischem
*eö(h)öm, lat. ego, aber ıvest, azam „ich“, im
Hethitischen uga, ug „ich“; weiter ent- spricht urindog. *
%ko-,*k(i)io-, altsächs. h2 „er“, aberaltkirchen- slav. sb
„dieser“ im Hethitischen ka$ „dieser“. Anderer-

') Daher die Namen: centum- und satem-Sprachen.

UNIVERSITAT http: /
/idb.ub.uni-tuebingen.de/diglit/MDOG_1915_056/0029
DFG TUBINGEN RE © Universitätsbibliothek Tübingen
30 Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft.

seits ist dem oben erwähnten urindog. *qws, lat. quts,

al. kdh das hethitische kuis$ gleichzusetzen. Andere ähn-

liche Fälle werden in meiner „Sprache der Hethiter“ an-


seführt werden. Das Hethitische ist also eine centum-
Sprache!
Damit ist das wichtige Problem der Sprachver-
wandtschaft des Hethitischen, eine Frage, die bereits ver-
schiedene Lösungsversuche erlebt hat, gelöst. Es ist be-
kannt, daß zuerst Knudtzon, von Bugge und Torp unter-
stützt, auf Grund der beiden Arzawa-Briefe die Ansicht
auf- sestellt hat, daß die Arzawa-Sprache,die, wie wir
jetzt wissen, mit dem Hethitischen identisch ist, eine
indogermanische seit); und zwar sollte es nach Bugge bei
Knudtzon |. c. >. 98 und 105 eine satem-Sprache sein.
Die Ansicht Knudtzons, der auch Thom pson in seiner
Schrift über die hethitische Hieroglyphenschrift (s. $. 19,
Anm. 2) bei- pfichtet, ist aber ’einem scharfen
Widerspruch begegnet, der nicht ohne Einfuß auf
Knudtzon geblieben zu sein scheint. Denn Prof. Weber
teilt in seinem Kommentar zu Knudtzons Ausgabe der El-
Amarna-Tafeln $. 1074 mit: „Knudtzon hat die Arzawa-
Sprache für indogermanisch | erklären wollen, nicht
ohne starken Widerspruch zu fnden, und einer
briefichen Mitteilung kann ich entnehmen, daß er jetzt
selber gegen seine frühere Meinung Bedenken hegt.“ In
den oben angeführten Publikationen der letzten Jahre
über die Hatti ist die Meinung so gut wie allgemein, dab
die Sprache der Hethiter nicht indogermanisch sei:
vielfach wird hierbei auch die Ansicht geäußert, daß das
He- thitische eng mit der sicher nichtindogermanischen
Mitanni- Sprache verwandt sei. Viel hat zur Bildung
dieser communis opinio der Umstand beigetragen, daß
nach der sewichtigen Ansicht H. Wincklers die Hatti-
Sprache schwerlich arisch oder überhaupt
indogermanisch sein kann (Winckler, Vor-

') Siehe Knudtzon, Die zwei Arzawa-Briefe. Die ältesten


Ur- kunden in indogermanischer Sprache. Mit
Bemerkungen von Bugge und Torp. Leipzig, 1902.
UNIVERSITAT http:
//idb.ub.uni-tuebingen.de/diglit/MDOG_1915_056/0030
DFG TÜBINGEN # © Universitätsbibliothek Tübingen
Mitteilung No. 56, Dezember 1915. 31 derasien im II.
Jahrtausend, S. 76 und 79f£.)1). Nun stellt aber unsere
systematische Untersuchung des Hethitischen doch
fest,daß dieses als eine indogermanische, jedoch nicht
arische Sprache, und zwar als ein neues Mitglied der im
wesent- lichen westindogermanischen centum-Gruppe zu
gelten hat.?)

Dies ist jedoch nicht alles. Wir sind meines Erachtens in


der glücklichen Lage, den Platz, den das Hethitische in
der indogermanischen Sprachfamilie einzunehmen hat,
noch präziser bestimmen zu können. Ich muß mir indes
ver- sagen, an dieser Stelle auf diesen Gegenstand näher
einzu- gehen, da dies eine ausführliche Erörterung von
Fragen der indogermanischen Grammatik erfordern
würde, die nicht immer den Anspruch auf ein
allgemeineres Interesse erheben können. Es wird dies
ausführlich in der Ein- leitung meines Buches geschehen.
Hier sei nur kurz an-

2 gedeutet, daß das Hethitische wohl in die unmittelbare


Nähe des Lateinischen zu stellen ist und daß es in
zweiter linie auch dem Tocharischen nahe steht. Weiter
aber, daß es sich in mancher Hinsicht auch mit den
satem- Sprachen berührt, insbesondere mit dem
Arischen, Sla- wischen und teilweise auch dem
Armenischen. Dies alles er-

') Winckler möchte l. c. die von ihm als arisch


angesehene Ilarri-Bevölkerung (siehe hierzu weiter
unten) aus historischen Gründen mit der FJatti-Sprache
zusammenbringen. Hierbei macht ihn aber der, wie er
glaubt, schwerlich arische bezw. indogermanische
Charakter dieser Sprache bedenklich, weshalb er die
Frage zum Schluß ofen läßt. Er schreibt (S. 80): „Hier
muß also eine Frage ofen bleiben, bis das Wesen der
Hattisprache genauer bestimmt ist. Allerdings würde
man von vornherein doch erwarten, daß eine Be-
völkerung, deren Götter Mitra, Varuna und Indra waren,
eine der arischen so nahestehende Sprache gesprochen
hätte, daß sie ohne weiteres ihren Charakter verriete.“

°) |In seinem soeben erschienenen Werke Handbuch der


baby-
| lonischen Astronomie (1915) I. S. 60 erklärt Weidner,
der eine Aus- gabe und Bearbeitung der hethitischen
Vokabulare vorbereitet, das IHethitische für eine
kaukasische Sprache. Demgegenüber genügt es wohl, auf
die obigen Ausführungen hinzuweisen, die meines Er-
achtens keinen Zweifel darüber lassen, daß das
Hethitische eine echt indogermanische Sprache ist. Man
beachte auch die im folgenden gegebenen Textproben.
Für eventuelle kaukasische Einfüsse auf «das Hethitische
siehe ebenfalls im Folgenden. Korr.-Zusatz].
UNIVERSITÄT
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0031 DFG TÜBINGEN RE © Universitätsbibliothek
Tübingen |

32 Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft. klärt


sich aufs beste aus der geographischen Lage des
Hethitischen, das etwa in der Mitte der betrefenden
indo- germanischen Sprachen lag. Endlich glaube ich
auch | manche Beziehungen des Hethitischen zu dem
Lykischen leststellen zu können, das — wenigstens in
seinem Kern — wohl eine indogermanische Sprache war;
auch hierzu siehe Näheres in meinem Buche.

Es sei mir nun gestattet, an dieser Stelle einige kurze.


und zwar möglichst einfache Textproben zu geben, die
einerseits die Sprache selbst, andererseits auch die Me-
thode der Entziferung illustrieren mögen. Dabei erinnere
sich der Leser, daß die Boghazköi-Texte stark mit Ideo-
srammen durchsetzt sind. Als die semitischen Babylonier
die von den nichtsemitischen Sumerern erfundene Keil-
schrift übernahmen, behielten sie vielfach ganze
sumerisch geschriebene Worte als „Ideogramme“ bei, die
sie jedoch oft semitisch (akkadisch) lasen. Diese
Ideogramme haben auch die Hethiter mit-der Keilschrift
übernommen und na- türlich hethitisch gelesen. Da wir
ihre Bedeutung aus der babylonischen Keilschrift zumeist
genau kennen, so haben wir in den Ideogrammen einen
sicheren Ausgang und zu- gleich eine Kontrolle für die
Entziferung. In den folgende: Beispielen sind die
Ideogramme dem Herkommen entspre- chend in
Kapitälchen gesetzt, und zwar gewöhnlich in der
sumerischen Lesung. Um dem Leser zu zeigen, welche
Teile der Übersetzung sich auf Ideogramme beziehen.
also die bekannten Größen in diesen Gleichungen dar-
stellen, sind die betrefenden Worte auch in der
Übersetzung durch große Buchstaben gekennzeichnet.
Mit den zahl- reichen lautlich geschriebenen akkadischen
Worten, nament- Iıch Präpositionen, Pronominalsufxen
usw., die sich eben- falls in den Texten fnden und von
den Hethitern ebenfalls hethitisch gelesen wurden, ist in
Text und Übersetzun. ebenso verfahren worden.

Das wichtige Pronomen der 1. sg. gelang es auf Grund


der bereits im Jahre 1907 veröfentlichten Yuzgat-Tafel
(siehe oben) festzustellen ; 1. ec. Rs. 3 heißt es’

UNIVERSITAT
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0032 DFG TÜBINGEN RE © Universitätsbibliothek
Tübingen Mitteilung No.56, Dezember 1915. 33 W-ug-ga
PALAn-na-an-na-dsS e-es-mi „Ich Annannas bin.“
Ich stellte zunächst e-es-mi mit indogerm. *esmi, altind.
asmi, altkirchenslav. jesmp, griech. stui „bin“ zusammen.
Als Subjekt eines e$mi-Satzes mußte das Pronomen der
1. sg. erwartet werden So ergab sich die Gleichung
hethitisch ü-ug-ga = „ich“ = lateinisch ego. SAL
Annannas ist, wie das Determinativ zeigt, ein
Frauenname.

Gleich mehrere schöne hethitisch - indogermanische


Gleichungen ergab der folgende Satz (Bo. 2019, Vs. II
61):

nu NINDA-an e-iz-za-at-te-ni wa-a-tar-ma e-ku-ut-te-n


[2].

Aus diesem Satz war mir zunächst nur die Bedeutung des
Ideogramms, d. h. Wortzeichens, NINDA bekannt, das in
der Keilschrift das „Brot“ bezeichnet. -an stellte ich auf
Grund anderer Stellen als den Ausgang des hethi- tischen
Acc. sg. m. fest. In einem Satze, der vom Brote han- delt,
lag es nahe auch das Wort für „essen“ zu erwarten: so
ergab sich die Zusammenstellung von e-i2-za-at-te-ni mit
latein. edö, ahd. ez5an „essen“ usw. Andere Stellen
legten die Annahme nahe, daß -te-ni die Endung der 2.
pl. praes. (auch mit Futurbedeutung) act. ist. Also wird
e-i2.za-at-te-ni (etwa ezzattöni zu lesen) „ihr esset“
bedeuten. Auch die Zusammenstellung von heth. nu mit
altind. ni, griech. vv, ahd. nu „nun“ machte keine
Schwierigkeiten. Weiter lehrte der einfache Augenschein,
daß der folgende Datz wa-a-tar-ma e-ku-ut-te-n|i?] im
Parallelismus mit dem soeben erklärten Satz steht. Bei
wa-a-tar, das das Gegen- stück zuNIND4A-an „Brot“
bildet, mußte am besten wiederum ein einfaches
Genußmittel gesucht werden: zum Vergleich bot sich
sofort das engl. water, altsächs. watar usw. „Wasser“.
Damit ergab sich die Gleichung hethitisch wa-a-tar!) =
Wasser. E-ku-ut-te-nli?] mußte wiederum die 2.pl.praes
act. sein; der Parallelismus mit dem ersten Satze führte
für ekutteni, da als Objekt „Wasser“ in Betracht kam, mit
großer Wahrscheinlichkeit auf die Bedeutung

!) Eventuell besser wa-a-dar (vgl. S. 25, Anm. I).


UNIVERSITAT
http://idb.ub.uni-tuebingen.de/diglit/MDOG_1915_056/
0033 En TÜBINGEN RK © ñ 34 Mitteilungen der
Deutschen Orient-Gesellschaft. „ihr trinkt“. Eine
Umschau nach ähnlichen und bedeutungs- verwandten
Wörtern in den sonstigen indogermanischen Sprachen
führte weiter zur Zusammenstellung von heth. *eku-
„trinken“ mit lat aqua „Wasser“ (vgl. nhd. Ache). Die
Zusammenstellung von e-iz-za-at-te-ni und e-ku-ut-te-ni
mit edö und aqua wurde noch bekräftigt durch mehrere
Stellen, an denen wir nebeneinander a-da-an-na a-ku-wa-
an-na wohl „Essen (und) Trinken“ lesen. Für a-da-an-na
vergleiche speziell altiud. adanam „Essen, Futter“!), für
a-ku-wa-an-na wiederum lat. agua. Das hethitische enkli-
tische -ma muß etwa die Bedeutung „dann, ferner u. ä.“
haben; vielleicht darf es mit griech. ur, u« (dieses im
Thess. = att. d£) zusammengestellt werden. Die Über-
setzung des obigen Satzes wird somit lauten (der Zu-
sammenhang scheint das Futurum zu verlangen):
nu NINDA-an e-12-2za-at-te-ni

nun BROT werdet ihr essen,

wa-a-tar-ma e-ku-ut-te-n|i?]

Wasser ferner werdet ihr trinken.

Die wichtige Erscheinung, daß in der Flexion des Wortes


wätar ein r-Stamm mit einem n-Stamm abwechselt |
(siehe oben S. 24 f.), stellte ich zuerst an der folgenden
Stelle (Bo. 2001, Rs. II. 2f.) fest: nu-za?) GALUnat-ti-Li-
i3®) wa-atar IÄ.DÜG.GA nun DER „Hattäer* Wasser
(und) GUTES ÖL da-a), ... nu SIL ü-e-te-ni-it/d kat-ta
EiDE er... nun EIN LAMM mit Wasser entlang

!) Auch heth. adanna usw. wird Neutr. sein; es wird in


diesem Falle — nach dem Muster der u- oder i-Stämme
— endungslos gebildet.
?) nu-za setzt sich zusammen aus nu (vgl. oben) und
enklitischer Partikel -z@ mit einer sehr unbestimmten
(hervorhebenden ?, Be- deutung.

°) GALUhat-ti-li-i$ ist m. E. „der Hattäer, Hethiter“, und


zwar hier als ein Beamter gedacht. Das Sufx -ö wurde
im Hethitischen unter anderem zur Bildung der
Gentilizien verwendet. So bedeutet har-li meines
Erachtens „harrisch.“ |

) daa-i 3. sg. praes. scheint Stamm -+ präsent. -i zu sein.

UNIVERSITAT
http://idb.ub.uni-tuebingen.de/diglit/MDOG_1915_056/
0034 DFG TÜBINGEN KR © Universitätsbibliothek
Tübingen Mitteilung No. 56, Dezember 1915. 35

a-an-sd-an-zi ... nam ma-an!) IA.DU@. (7 A-it/d waschen


(?) sie, .... hierauf es mit GUTem ÖL 1S-ki-i2-zi

salbt (?) er.


Der ganze Zusammenhang dieser Stelle zwingt zur

Annahme, daß ähnlich, wie hier dem Akk. IA. DUG.@GA


der Abl./Instr. ZA. DU@G. @4-it/d entspricht, auch dem
Akk. wa-a-tar der mit 1A. DU@G.G@.A-it/d im
Parallelismus stehende Abl./Instr. «-e-te-ni-it/d
entsprechen muß; Ü-e-te-ni-t/d muß somit der
Abl./Instr. sg. des Wortes wätar sein.

Eine sehr interessante historische Inschrift erzählt

| (B0, 2003, Rs. 1. 58.):

GALUN!. KUR URU Mi-is-ra-ma DIE LEUTE DES LANDES


DER STADT Agvypten ferner, ma-alh-ha-an SsÄ KUR
URU Am-ka

als DES LANDES DER STADT Amka?) @FUL-ah-hu-wa-


ar*) !s-ta-ma-d3-Sd-an-zi) na-at/d®)
ZERSTÖRung sie hören, dies na-ah-$d-ri-ia-an-zi?)
fürchten sie.

I) nam-ma-an setzt sich zusammen aus nam-ma „hierauf“


(na- wohl zu dem oben S. 26 erwähnten hethitischen
Pronomen nas) und-an Ace. sg. m. „ihn“ (ein enklitisches
Pronomen; vgl. wohl das indogerm.
Demonstrativpronomen *e-, *0-, Akk. *em).

”) In den Keilschrifttexten von Boghazköi wird ein Land


N.N. in der Regel als „das Land der Stadt N. N.“
bezeichnet, vgl. MDOG. 35 8. 13 f.

») Amka ist ebensowenig wie das vorher genannte


Ägypten eine Stadt, sondern ein Land. Es ist identisch
mit dem mätuAmki der El-Amarna-Briefe und in der
Ebene zwischen Libanon und Antilibanon (el-Bik&)
gelegen; vgl. Weber bei Knudtzon, El-Amarna-Tafeln S.
1113.
) -war (Neutr.) ist das Formans der heth.
Verbalabstrakta. Es liegt hier ein k-Stamm (ursprünglich
s-Stamm??) eines Verbums vor, das hier ideographisch
geschrieben ist.

’) Die Bedeutung „hören“ ergab sich mir auf Grund


dieser Stelle, sie wurde später auch durch die von
Delitzsch herausgegebenen Vokabulare bestätigt.
Dasselbe gilt auch von dem folgenden na-ah- Sd-ri-ia-an-
zi. Beide Verbalformen sind als Praes. histor. aufzufassen

6) Neutrum zu na$ (siehe oben).

UNIVERSITAT
http://idb.ub.uni-tuebingen.de/diglit/MDOG_1915_056/
0035 DFG TÜBINGEN R © Universitätsbibliothek
Tübingen 36 Mitteilungen der Deutschen Orient-
Gesellschatft. nu-us-ma-das-kan !) BEL-SU-NU ku-it/d?
Nun ihnen als (= kutt/d) - : IHR HERR, m Br-ıb-hu-ru-ri-
ia-as im-ma-ak-ku BA.TIL Bibhururias?) namens (?),
BIARB, : nu SAL, LUGAL URU Mi-is-ra nun DIE KÖNIGIN
DER STADT Ägypten, ku-is SAL Da-ha-mu-un- . . . e-es-
ta*) die Dahamun- ... [mit Namen ?]?) war, nu A.NA
A.BU.IA AMEL.TE.MI u-iia-at’) nun AN MEINEN VATER
EINEN BOTEN schickte sie nu-us-3i6) ki-is-8G-an?) 18.
PUR nun ihm dieses SCHRIEB SIE: | FALU-as-wa-mu-
kan) BA7TTIE „Der MANN mir IST GESTORBEN MARI.
IA -MAa-Wwa -MU NU,@GÄL EIN SOHN VON MIR
ferner mir IST NICHT.

1) Für nu-us-ma-ds, das sowohl „nun ihnen“, als auch


„nun euch” (vgl. im Folgenden) bedeutet, siehe „die
Sprache der Hethiter“, — Das enklitische -kän möchte
ich mit altind. kam, kam, griech. x» zusammenstellen.
Die Enklitika werden im Hethitischen zumeist dem
ersten Worte im Satze angehängt. i

‘) Hier, wie auch sonst gelegentlich, anscheinend als


Kon- Junktion (= „als*) verwendet.

») Zu den Namen des Königs und seiner Gemahlin siehe


$. 15 und 16.
') e-es-ta ist 3. sg. praet. von dem Verbum e-es-mi „bin“
usw. Für -ta vergleiche wahrscheinlich die mediale
Endung *-to des Indo- germanischen (&p£gero) und das -
te der Iyk. 3. sg. praet.

5)-Die 3. sg. praet. act.; zu -t vgl. die Sekundärendung -?


der indogerm. 3. sg. act. (altind. dbharat).

6%) -32 ist der Dativ des Pronomens der 3. sg. Vgl. das
en- klitische indogerm. Pronomen * soi, * sei „eius ‚ei‘,
gäthavestisch Ahöz, jungavestisch he, $e, homerisch oi
(cf. Brugmann, Grundriß? II. 9, S. 319 und 407 f))

”) ki-i$-Sd-an setzt sich zusammen aus kKi-i „dieses“


(vgl. oben 5. 26 käs „diesen“) und einer Partikel San.

#) Die Partikel -wa deutet die direkte Rede an, vgl.


vielleicht die bekräftigenden altindischen Partikeln vi
und rä-vd. -mu bedeutet „mir"; vgl. z. B. gr. uoı.
UNIVERSITAT
http://idb.ub.uni-tuebingen.de/diglit/MDOG_1915_056/
0036 DFG TÜBINGEN PR © Universitätsbibliothek
Tübingen Mitteilung No. 56, Dezember 1915. 37 tu-ug-
ma-wa MARK». , KA me-ig-ga(?)-us (?)}) Dir aber
SOHNE VON DIR (sind) viele me (?)-mi-i$-kan-zi?) sagen
sie. Ma-a-an-wa- MU J-an MAR.KA Da-is-t) Wenn mir
einen SOHN VON DIR du gibst, ma-an-wa-ra-as-*) mu
GEW MU, 140, 1A ki-Sa(2)-riP). dann er mir MEIN
GEMAHL wird (?) er.“

In einem Staatsvertrag droht der hethitische König (Bo.


2020, Rs. II. 31f.): ma-a-an sü-me-es-ma ku-wa-at/d-ku
'?1-da-a-lud) i-ia-at-te-ni

Wenn ihr aber etwas böses tut, nu-us-Mma-as


ILUSAMSIS!. IA ı-da-la-u-wa-ah-mi) nun euch MEINE
SONNE werde ich Böses antun. (d. h. Meine Majestät,
Ich)
Ein Paragraph des hethitischen Gesetzbuches (siehe
hierzu unten) lautet (Bo. 2094, Vs. I. 27 f.):

!) Trotz der Fragezeichen sicher, da durch eine


Parallelstelle gestützt. me-ig-ga-uS „viele“ dürfte mit
griech. ufyas „groß“, englisch much „sehr, viel* usw.
zusammenzustellen sein.

2) Auch dieses Wort ist durch eine Parallelstelle


gesichert. Es ist der -3ka-Stamm (vgl. die indogerm. -sko-
Stämme wie latein. P0sco) zu dem Verbum me-ma-i
„spricht“, das wohl zu altind. mimäti „brüllt, blökt“,
altkirchenslav. msmati, msmati „stammeln“, griech.
wıwilo „wiehere“ gehört.

») -ti neben -32 Endung der 2. sg. praes. (fut.) act. Dies
ist wohl sehr wichtig für die Beurteilung der
ursprünglichen Bedeutung der Personalendungen des
indogermanischen Verbums. Siehe hierzu in der
Einleitung meines Buches.
1) -wa-ra-d$ ist meines Erachtens „er“ in der direkten
Rede; Neutrum hierzu -wa-ra-at/d „es“. Vermutlich eine
Erweiterung des indogermanischen 4-Demonstrativs (vgl.
umbr. ures „ilis“?).

’) Eine verbale r-Form (3. sg. praes.-fut.); vgl. umbr. ferar


„ferätur.“

6) Der endungslose Ace. sg. neutr. (vgl. 7dv) — neben


kuwadka — quodque — des u-Stammes idälus „böse“;
für die Bedeutung siehe Delitzsch, Hett. Vok. Nr. 1, 16.

’) Wiederum ein h-Stamm.

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0037 DFG TÜBINGEN R © Universitätsbibliothek
Tübingen 38 Mitteilungen der Deutschen Orient-
Gesellschaft. tak-ku!) AMEL EL.LUM KAT.ZU _na-äs-ma?)
Wenn EINES EDLEN MANNES SEINE HAND oder SEP.SU
ku-i5S-ki du-wa-ar-ni-iz-zi?) SEINEN FUSS jemand
bricht (o. &.), na-as ma-a-an kar-ma-la-as-sa-i jener
wenn Krüppel (?) bleibt, | nu-uS-8% 20 ZU KUBABBAR
pa-a-i nun ihm 20 SCHEKEL (?) SILBER giht er; ma-a-na-
as*) U. UL-ma kar-ma-la-as-$a-i wenn er aber NICHT
Krüppel (?) bleibt, nu-us-$i 10 ZU KUBABBAR pa-a-i nun
ihm 10 SCHEKEL (?) SILBER gibt er. Kehren wir nun
wiederum zur Besprechung der hethi- tischen Sprache
zurück. Die hethitischen Keilschrifttexte stammen aus
dem 14. (teilweise vielleicht schon Ende des 15.) und 13.
Jahrhundert v. Chr., wetteifern somit im Alter mit den
ältesten Bestandteilen des Rigveda (etwa Mitte des 2.
Jahrtausends v. Chr,?), vor denen sie indes den un-
schätzbaren Vorzug haben, daß sie sich chronologisch
ziem- | lich genau festlegen lassen, was beim Rigveda
bekanntlich nicht der Fall ist. Jedenfalls gehören die
Boghazköi-Texte zu den ältesten Schriftdenkmälern der
Indogermanen. Man würde natürlich erwarten, daß ihre
Sprache von sehr alter- tümlichem Gepräge sein wird.
Nun lassen sich gewiß an
!) Leitet fast immer die Paragraphen des Gesetzbuches
ein und gehört wohl als Adverbium zu dem Pronomen
tat/d „dieses“ (siehe zu diesem oben).

*) Gehört wohl zu dem Pronomen na$ „dieser; er“ (siehe


oben)

3) Dürfte am besten als ein n-Stamm zu altind. dhvärati


„ver. letzt, beschädigt“, indogerm. *dhuer- (vgl. Walde,
Lat. et. Wörterb.? s. v. fraus und Aufrecht in Kuhns
Zeitschr. f. vgl. Sprachforsch. 38, 499 f.) zu stellen sein.

‘) Setzt sich zusammen aus ma-a-an „wenn“ und -a$ „er“


(vgl. >. 35 Anm. 1) und entspricht dem na-d3 ma-a-an
der vorhergehenden Zeile.

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0038 DFG TUBINGEN RE © Universitätsbibliothek
Tübingen Mitteilung No. 56, Dezember 1915. 39 dem
Hethitischen mancherlei altertümliche Züge feststellen.
So sei hier z. B. auf das Paradigma des hethitischen Prae-
sens act. hingewiesen, das uns, wie wir zu zeigen
hofen,!) Jetzt anscheinend ziemlich klar den Bau des
urindogermani- schen Praesens act. erkennen läßt; weiter
auf den im allge- meinen guten Erhaltungszustand der
auslautenden Konson- anten des Hethitischen, sodann
wohl auch darauf, daß sich die sewiß sehr altertümliche
r-n-Deklination der Substantiva wa-a-tar „Wasser“ usw.
(vgl. S. 25 f.) im Hethitischen noch sanz rein erhalten
hat; ferner mag auch die häufge Unbetontheit des
hethitischen Relativums %kui$ hierher ge- hören,
insofern sie die alte Vermutung bestätigt, daß sich die
relativische Verwendung des interrogativen und inde-
fniten Pronomens *yWw-, *g%o- aus der indefniten
Ver- wendung desselben entwickelt hat, usw.
Andererseits kann man aber beobachten, daß sich das
Hethitische von dem vorauszusetzenden
Urindogermanisch vielfach schon — allerdings mit
Rücksicht auf das hohe Alter der Sprache nur relativ, --
sehr entfernt hat. Es fallen hier einer- seits eine
weitgehende Vereinfachung, andererseits eine gewisse
Abgenutztheit, bezw. Degeneration dieser Sprache auf.
So sei hier erwähnt der teilweise stark veränderte
Vokalismus des Hethitischen, das fast vollständige Zu-
sammenfallen des Femininums mit dem Maskulinum, der

in hohem Grade wahrscheinliche Verlust des Duals, die


Uniformierung der Pluralendungen des Nomens (vgl. S.
24), gewisse erst in unserer Arbeit selbst näher zu
besprechende Erscheinungen bei der Anhängung der
Kasusendungen des Nomens, das gelegentliche
Vertauschen, wie auch der frei- lich nur vereinzelte
Wegfall derselben, das Verwischen der
Bedeutungsunterschiede zwischen den einzelnen De-
monstrativpronomina, das anscheinende Vorkommen der
Medialendungen bloß in der 3. sg. und pl., u. dgl. m. Ein
Teil dieser Erscheinungen mag darauf zurückzuführen
sein, daß das Hethitische zu der Zeit, in der es uns ent- I)
Vergleiche auch S. 87, Anm. 3, UNIVERSITAT
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0039 DFG TÜBINGEN RE © Universitätsbibliothek
Tübingen 40 Mitteilungen der Deutschen Orient-
Gesellschaft.

gegentritt, bereits eine Kultursprache war, die zweifellos


eine sehr lange Entwicklung hinter sich hatte; ein
anderer Teil wird aber wohl auf Einfüsse fremder
Sprachen zurück- gehen. Das Hethitische war eine
indogermanische Grenz- sprache; eine tägliche
Berührung mit benachbarten Völ- kern, die völlig
verschiedene Sprachen sprachen, mußte auf die Sprache
zersetzend wirken!). Es ist auch eine sehr einleuchtende
Vermutung Professer Kretschmers, daß außerdem auch
die Sprache der vorhethitischen Bevöl- kerung des Hatti-
Landes einen großen Einfuß auf die indo- germanische
Sprache der Hethiter ausgeübt hat.

Ich möchte vermuten, daß hierfür speziell die Mitanni-


Sprache, noch mehr aber vielleicht die Harri-Sprache in
Betracht kommt. Da meine Untersuchungen über das
schwierige Harri-Problem noch nicht abgeschlossen sind,
so
. seien hier einstweilen bloß einige Andeutungen, und
zwar unter ausdrücklichem Vorbehalt, gegeben. Es ist
bekannt, daß H. Winckler die arischen Gottheiten Mitra,
Varuna, Indra® und die Näsatja, die in den Mitanni-
Verträgen genannt werden, mit
derinMitanniherrschenden Bevölkerungsschicht der Harri
(vgl. auch die alttestamentlichen Horiter) und mit einem
etwa in Armenien zu suchenden Staat Harri in Zu-
sammenhang gebracht hat, und daß er und andere auf
Grund dieses Zusammenhangs weiter den Namen Harri
selbst mit dem Namen der Arier zusammengestellt
haben). Bei meiner Sichtung der Konstantinopler
Boghazköi-Texte habe ich auch diese Frage verfolgt und
besonders nach eventuellen Harri-Texten gesucht, die vor
allem geeignet sein müßten, die wichtige Frage, ob
Harri=drya=,„Arier“ ist, zu lösen. Winckler selbst hatte
ein Vorhandensein ähnlicher Inschriften nicht gemeldet.
Dadurch nun,daßich in
' dem hethitischen har-K den hethitischen Namen für die
Harri erkannte (vergleiche einstweilen S. 34, Anm. 3),
gelang es

I!) Ähnliches in viel stärkerem Maße noch läßt sich für


das Lykische annehmen.

”) Siehe besonders Hugo Winckler in] Oriental.


Litteratur- Zeitung 1910, Sp. 289 f.

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Tübingen Mitteilung No. 56, Dezember 1915. 41 mir,
zumindest einige harrische Sätze festzustellen. Es ergab
sich mir hierbei die sehr interessante Feststellung, daß
die Hethiter in ihrem Ritual nebst ihrer eigenen Sprache
ge- legentlich auch die Yarri-Sprache benützten! Bei
Opfern wurden nebst hethitischen mitunter auch
harrische Ge- bete und Litaneien hergesagt und die
Tempelsänger singen gelegentlich nicht nur hethitische,
sondern auch harrische Gesänge! Das weist wohl auf eine
gemischte Be- völkerung hin und das Verhältnis
zwischen dem Hethitischen und dem Harrischen in dem
hethitischen Kultus mag an das Verhältnis zwischen dem
Babylonischen und dem älteren Sumerisch, der
„heiligen“ Sprache des alten Baby- loniens, erinnern.
Nicht immer werden in ähnlichen In- schriften die zu
rezitierenden harrischen Sätze auch im Wortlaut
mitgeteilt und andererseits kommen in den hethi- tischen
Texten gelegentlich in einem ähnlichen Zusammen- hang
und auch sonst Sätze vor, die meines Erachtens zwar
deutlich nicht hethitisch sind, die aber nicht
ausdrücklich als „harrisch” bezeichnet werden (siehe
hierzu weiter unten).

Es sei hier nun eine meines Erachtens sichere har- rische


Textprobe gegeben (Bo. 2005, Vs. II. 21 f.):

na-ds-ta ma AZU (?) an-da har-li-U!) ki-i5-$a-an me-ma-


i?)
„Sodann DER WAHRSAGEPRIESTER (?) hinein (?) auf
harrisch dieses sagt:“

"u ym-bu-ut-te?) si-i-la-al-lu-hi $a-a-la

ab(?)-ki-ia-a-we® an-nu-u-un mi-ir-zi an-nu-u-un-ma-a-


an

i-ra-a-ne an-nu-u-un ga-ag-ga-ri an-nu-u-ul.?)-Ta-a-an

du(?)-lu-us-si-na ne-e(?) lu-uk-ka-ma-an

ül?)-nu lu-uk-ka-ma-an Se-he-el-li-we® -na(2)-30

wur (?)-du-us si-i-e-na-sa.

!) Merkwürdig ist hier die Verdoppelung des Sufxes -Ii,


die vielleicht auf fremden Einfuß (vgl. Mitanni und
Kaukasisch?) zurück- geht. Doch könnte hier das zweite -
lö vielleicht eine andere (etwa adverbielle?) Bedeutung
als das erste haben. Vgl. auch %3-ha-ni- it-ta-ra-a-tar
(Arzawa II. 3)?

2) Diese Zeile ist hethitisch.

>) Oder iu Tegub-bu-ut-te?

UNIVERSITAT http: /
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DFG TÜBINGEN RE © Universitätsbibliothek Tübingen
42 Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft.

Diese Sätze muten kaum arisch an, eher ließen sich


anscheinend Anklänge an die Mitanni-Sprache fest-
stellen. Vgl. z. B. vielleicht zu harr. $a-a-la mitann. $d-a-
la „Lochter“, zu der harrischen Endung- we?
(geschrieben PI+E) von ab(?)-ki-ta-a-we® die mitann.
Genitivendung -Pl = wohl -we (siehe noch im
Folgenden), zu harr. -ma-a-an (in an-nu-u- un-ma-a-an)
mitann. -ma-a-an „und“, zu harr. an-nu-u-ul(?)-Ia- a-an 2.
B. mitann. e-e-nt-il-la-a-an oder !“ A-ma-a-nu-U-la-an.
Noch mehr gilt dies meines Erachtens von anderen nicht
hethitischen, jedoch auch nicht ausdrücklich als
„harrisch“ bezeichneten Stellen hethitischer Inschriften.
Hier glaube ich mit Sicherheit z. B. eine Genitivendung
des Singulars -we*, geschrieben P/+ E, eine weitere
Genitivendung -Ri und eine Pluralendung (Akk., aber
auch Dat.?) -na fest- stellen zu können; vgl. die bereits
erwähnte mitann. — und auch chaldische —
Genitivendung -we, ferner anscheinend das mitann. Wort
S3-in-ni-pe-e-ru-uh-he = akk. $inni piri „Elfen- bein“
und das chaldische Filiations-, bzw. Zugehörigkeits-
sufx -hi-!) und endlich die Endung -na, -ena des mitann.
Acc. pl. (im Chaldischen -ni; hier urspr. die Endung des
Ace. sg.). Weiter läßt sich meines Erachtens die bekannte
Erscheinung feststellen, daß der Genitiv auch die Endung
seines im Plural stehenden Regens annimmt, was einen
Vergleich nicht nur mit Mitanni, sondern auch mit
einigen Kaukasussprachen, speziell mit dem
Altgeorgischen und Caxurischen nahelegt. Hier haben
wir es also mit einer Sprache zu tun, die äußerst nahe
dem Mitanni steht, sich von diesem vielleicht bloß
dialektisch unterscheidet?) und die auch starke
Berührungen mit dem Chaldischen hat. Dafür nun, daß
auch die in Rede stehenden anonymen Textstellen in
harrischer Sprache verfaßt sind, scheint zu sprechen, daß
gerade in der hethitischen Inschrift, die die hier
besprochenen anderssprachigen Stellen enthält, den
Sängern aufgetragen wird, hethitisch und harrisch zu

!) Es wird sich zurzeit kaum entscheiden lassen, ob die


Genitiv-

endung -h(e) des Lykischen etwas mit dem obigen Sufx


zu tun hat.

2?) Die beiden Sprachen scheinen kaum völlig identisch


zu sein. UNIVERSITAT
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0042 enge: TUBINGEN # © ñ Mitteilung No. 56,
Dezember 1915. 43 Singen; beachte weiter vielleicht,
daß eine Endung (ob (Genitivendung?) -we* auch in der
obigen harrischen Text- probe vorkomnit, die
andererseits ebenfalls Anklänge an die Mitanni-Sprache
zu bieten scheint (siehe oben). Ist dies richtig, so wäre
das Harri kein Arisch, sondern eine mit dem
Chaldischen, noch mehr aber mit dem Mitanni
verwandte, sich von diesem vielleicht bloß dialektisch
unterscheidende Sprache, die gewisse Berührungen mit
den Kaukasus-Sprachen zeigen würde. Dann müßte man
weiter entweder den Namen Harri von dem Namen der
Arier trennen oder aber annehmen, daß der Name, der
ursprünglich die durch die Gottheiten Mitra, Varuna
usw. repräsentierten Arier bezeichnete, später auch, und
vor allem, auf die Sprache der von diesen Ariern
zweifellos beherrschten vorarischen Bevölkerung
angewendet wurde. Die erstere Möglichkeit wird
vielleicht den Vorzug ver- dienen. Ich hofe übrigens auf
dieses Problem an anderem Orte ausführlicher
zurückkommen zu können; einstweilen mögen diese
unter Vorbehalt gegebenen Bemerkungen genügen. Auf
jeden Fall dürfte es im Hatti-Lande und seinen Provinzen
(mehr vielleicht in diesen)!) auch eine wohl ältere,
nichthethitische Bevölkerung gegeben haben, deren mit
der Mitanni-Sprache engstens verwandte und auch dem
Chaldischen nahestehende Sprache die indo- sermanische
Sprache der herrschenden hethitischen Schicht
beeinfußt haben wird?). Ich fasse nun zusammen: Das
Hethitische des 14. und 13. Jahrhunderts. v. Chr. ist eine
selbständige indogerma- !) Ich fnde diese
fremdsprachigen Glossen einstweilen in je einer Inschrift
aus Kizzuwadna (etwa —= Pontos; aus Kizzuwadna
stammt die obige Probe) und Samüha und in zwei
Inschriften, deren Lokalisierung leider unmöglich ist.
[Weiter möchte ich jetzt auch die von Figulla
herausgegebenen Inschriften Keilschrifttexte aus Bo-
Shazköi II. Nr. 21 und 25 (vgl. auch 24?) für harrisch
halten. Korr.-Zusatz]. 2) Andererseits wird natürlich das
Hethitische seinerseits | wiederum diese
nichtindogermanischen Sprachen beeinfußt haben. So
könnten z.B. die Endungen mitann. -3, chald. -(e) des
Nom. sg., sowie mitann. -2, chald. -ni des Acc. sg.
vielleicht auf die heth.-indogerm. Endungen -$ des Nom.
sg., und -n des Ace. sg. zurückgehen. UNIVERSITAT http:
/
/idb.ub.uni-tuebingen.de/diglit/MDOG_1915_056/0043
DFG TÜBINGEN RR © Universitätsbibliothek Tübingen
44 Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft.

nische centum-Sprache, gehört somit zu der engeren


indoger- manischen Sprachgruppe des Italischen,
Griechischen, Kel- tischen, Germanischen und
Tocharischen, ist aber am nächsten mit dem Lateinischen
verwandt; es bildet jetzt eine Brücke von den
westindogermanischen _centum- Sprachen zum
Tocharischen, mit dem es sich stark berührt. Hierbei hat
es auch wichtige Beziehungen zu den satem- Sprachen,
besonders zum Arischen und Slavischen, zum Teil auch
Armenischen, die sich durch die geographische Nähe
dieser Sprachen, besonders des Arischen (vgl. die
arischen Götternamen der Mitanni-Verträge) erklären!).
Das Hethitische weist wohl mancherlei altertümliche
Züge auf, ist aber andererseits von der
vorauszusetzenden indo- sermanischen Ursprache
vielfach bereits, wenn auch im Hinblick auf die graue
Zeit, aus der uns das Hethitische über- liefert ist,.nur
relativ, sehr entfernt. Dies wird — wenn wir von den
Einfüssen der alten Kultur absehen — in den Kinfüssen
der älteren nichtindogermanischen Sprachen dieser
Gebiete, die wohl Beziehungen zu den Kaukasus-
Sprachen haben, seinen Grund haben; es kommt hier in
Betracht speziell die benachbarte Mitanni-Sprache, noch
mehr aber eine andere, von dem Mitanni vielleicht bloß
dialektisch verschiedene Sprache (= Harrisch?), die der
vorhethitischen Bevölkerungsschicht des Hatti-Landes
und seiner Provinzen angehören dürfte. Nahe
Beziehungen zum Hethitischen hat wohl auch das
Lykische des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr., dessen
indogermanischer Kern in- des durch Einfüsse fremder
Sprachen oft bis zur Unkennt-

- lichkeit verändert worden ist.

Unser Nachweis, daß die Hethiter, die Hittim des alten


Testaments, Indogermanen waren, ist sowohl sprachlich,
als auch historisch von der größten Wichtigkeit. Es stellt
sich jetzt heraus, daß es im zweiten Jahrtausend v. Chr.
in | Kleinasien eine hochkultivierte westindogermanische
Be-

4 Die hier in Betracht kommenden Arier mögen bereits


eine Vorhut der Meder gewesen sein. Jedenfalls standen
sie zeitlich und örtlich den Medern am nächsten.
gefördert durch die UNIVERSITAT RBFAR.ubsun!
Tunbingen.de/sigii/MDOG. 1ATE DSB TOLH DFG
TÜBINGEN R © Universitätsbibliothek Tübingen
Mitteilung No. 56, Dezember 1915. 45 völkerung
gegeben hat, die einen mächtigen, mit Ägypten,
Babylonien und Assyrien rivalisierenden Staat segründet
hat. Zum erstenmal tauchen die Hethiter um 1930 v.
Chr. auf; sie erscheinen hier im Kampfe mit Babylonien
und machen wahrscheinlich der Herrschaft der
Hammurapi- Dynastie ein Ende. Es liegt kein Grund vor,
diese Nach- richt nicht auf unsere indogermanisch
sprechende Schicht zu beziehen, um so mehr als ja die
ältere Mitanni- oder TeSub-Schicht Kleinasiens und
Syriens hierfür kaum in Betracht kommt!). Die berühmte
Hammurapi-Dynastie wird somit wohl von einer
indogermanischen Invasion gestürzt! Die größte Blüte
erfährt der Hattistaat, dessen Hauptstadt Hatti das
heutige Boghazköi repräsentiert, im 14. und 13.
Jahrhundert v. Chr. unter $ubbiluliuma und dessen
Nachfolgern. Der hethitische Einfuß er- streckt sich zu
dieser Zeit wohl über das gesamte Kleinasien, wie auch
die in östlicher und südlicher Richtung angrenzenden
Gebiete, besonders Syrien und Palästina. ‘ Aus dieser Zeit
stammen die Hethiterkolonien Palästinas, über die uns
das Alte Testament berichtet; wir sehen, daß die
kananäische Bevölkerung auch einen indo-
sermanischenEinschlaghatte. Zahlreichsinddie
Berührungen der Hethiter mit Ägypten. Die S. 35 f.
wiedergegebene Stelle einer historischen Inschrift
berichtet über Verhand-

lungen einer ägyptischen Königin mit dem König von


Hatti,

damit ein Sohn des letzteren den verwaisten ägyptischen


I[hron besteige. Noch vor kurzem hätte man sich einen

Indogermanen als Prätendenten für den Thron Ägyptens

im II. Jahrtausend v. Chr. kaum vorstellen können. Der

König Hattu$il (S. 19) erscheint selbst einmal in


Ägypten,

um dem Pharao seine Tochter zur Frau zu geben. Die

Hethiter haben zweifellos einen großen Einfuß auf die


Völker

des vorderen Orients ausgeübt. Nach den Sumeriern,


Semiten

und Hamiten treten jetzt auch die Indogermanen als Mit-

') Angehörige dieser Schicht sitzen bereits zur


Hammurapi-Zeit
als friedliche Bürger in Babylonien (siehe Ungnad,
Urkunden aus

Dilbat S. 8f.) und dürften eher eine frühere Völkerwelle


repräsentieren. UNIVERSITAT http: / /idb.ub.uni-
tuebingen.de/diglit/MDOG_1915_056/0045 DFG

TUBINGEN E © Universitätsbibliothek Tübingen 46


Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft. sehöpfer
der altorientalischen Kultur in ihre Rechte. Die
Entziferung der hethitischen Keilschrifttexte wird es
möglich machen, den bisher ungeahnten Anteil der
Indogermanen an ihr genau festzustellen. Anderer- seits
werden ‘wir jetzt die Hethiter wohl auch als Vermittler
zwischen dem alten Orient und dem indo- germanischen
Europa betrachten müssen. Die Hauptmacht . der Hatti
wird anscheinend durch die große Völkerwande- rung
gebrochen, die etwa am Anfang des 12. Jahrhunderts v.
Chr. unter anderem auch die indogermanischen satem-
Völker, Armenier und Phryger, nach Kleinasien gebracht
hat. Was aus der späteren Zeit noch von den Hethitern
berichtet wird, sind bloß blasse Nachklänge der früheren
Herrlichkeit.

Über die vorkleinasiatischen Sitze der Hethiter kann man


natürlich nur mehr oder weniger unsichere Vermutun-
gen äußern. Die nahe Verwandtschaft der Hethiter mit
den Römern, wie auch der Weg, den die Armenier,
Phryger und später auch die Kelten nach Kleinasien
genommen haben, scheinen dafür zu sprechen, daß auch
die Hethiter nach Kleinasien über den Bosporus
gekommen sind. Da- gegen mögen die Arier der
Boghazköi- und Amarna-Texte nach Armenien, Syrien
und den Nachbargebieten über den Kaukasus oder vom
Osten her eingedrungen sein. Die beiden
indogermanischen Stämme stoßen in ihren neuen
Gebieten auf eine nichtindogermanische Bevölkerung,
die wohl Beziehungen zu den Kaukasusvölkern hat: diese
Bevölkerung ist durch die Mitanni- und vielleicht auch
die Harri-Sprache (vgl. die alttestamentlichen Horiter
und die ägyptischen Haru), wie auch — einige
Jahrhunderte später — durch das Chaldische
repräsentiert. Auf diese nichtindogermanische Rasse geht
der bekannte hyper- brachykephale Typus Kleinasiens
und Armeniens mit stark vorspringender Nase zurück,
der uns nach v. Luschan auch in dem heutigen jüdischen
Typus entgegentritt. Erst jetzt, nachdem es uns gelungen
ist, das Problem der Hatti zu lösen und die Lösung der
Harri-Frage zumindest

UNIVERSITAT
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0046 DFG TÜBINGEN R © Universitätsbibliothek
Tübingen Mitteilung No. 56, Dezember 1915. 47
anzubahnen, gewinnt man einen klaren Einblick in die
ethnologische Schichtung der sog. „hethitischen Völker“,
wie auch Kleinasiens im II. Jahrtausend v. Chr. über-
haupt.

Sehr wichtig wird die Entziferung des Hethitischen, wie


auch die Feststellung des indogermanischen Charak- ters
dieser uralten, eigenartigen Sprache für die ver-
gleichende indogermanische Sprachforschung sein.
Neben dem Alter der Sprache kommt hier auch in
Betracht, daß wir es hier nicht, wie bei den ältesten
Denkmälern mancher anderer Sprachen, nur mit ein Paar
Glossen, Eigennamen oder Inschriftenfragmenten,
sondern mit einer reichen und auch qualitativ
hochstehenden Literatur zu tun haben, die freilich erst
herausgegeben und entzifert werden muß. Ist dies aber
geschehen, so wird es wohl möglich sein, ein lückenloses
Bild der hethitischen Sprache zu geben. Daß die
indogermanische Sprachforschung aus diesen For-
schungen den reichsten Nutzen ziehen wird, liegt auf der
Hand und wird hofentlich, wenn auch nur zu einem be-
scheidenen Teile, bereits durch die vorliegende
Mitteilung dargetan. Man darf wohl auch hofen, daß die
Entzife- rung der hethitischen Keilschrifttexte speziell
auch die jetzt stagnierenden lykischen Studien neu
beleben wird.

Über den Inhalt der Boghazköi-Texte hat H. Winckler im


allgemeinen nur insofern sich geäußert, als diese Texte
historisch von Wichtigkeit sind. Es wird gewiß nicht
uninteressant sein, seinen Bericht durch einige Mit-
teilungen über die anderen Texte von Boghazköi zu ver-
vollständigen, soweit ich sie — oft allerdings nur füchtig
— untersuchen und ihren Inhalt feststellen konnte.
Damit wird sich ein wenn auch nur ungefähres Bild der
hethiti- schen Literatur, die uns durch die Boghazköi-
Funde ge- schenkt wurde, ergeben.

Wir wissen schon aus den Mitteilungen H. Wincklers,


daß unter den hethitischen Boghazköi-Texten vor allem
Staatsverträge der hethitischen Könige mit anderen alt-
orientalischen Königen und Fürsten festgestellt werden

UNIVERSITAT http: /
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DFG TUBINGEN # © Universitätsbibliothek Tübingen 48
Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschatft.
konnten. Dazu kommen weiter diplomatische Korrespon-
denzen, Briefe anderer Fürsten oder sonstiger Persönlich-
keiten an die hethitischen Könige und auch umgekehrt,
ferner erzählende historische Texte, Berichte über die
Feldzüge der Könige von Hatti. Eine sroße Rolle spielen
unter den Boghazköi-Texten die sogenannten tabarna's,
d. h. etwa Edikte oder Erlasse der hethitischen Könige,
die sich mit der Regelung öfentlicher Angelegenheiten,
mit der Beilegung von Streitigkeiten zwischen den ein-
zelnen Städten u. dgl. m. befassen. Durch einige Tafeln
und Fragmente sind Katasterurkunden vertreten. Weiter
kommen auch religiöse Texte, wie Gebete und Hymnen,
vor, auch Omina sind hier vertreten!). Ferner dürften
auch literarische Texte durch einige Proben vertreten
sein. Die wichtigen Vokabulare sind uns bereits durch
die Ausgabe Prof. Delitzschs bekannt (vgl. S. 23). Einige
leider nur kleine Bruchstücke scheinen Verzeichnisse
von’ Keilschrifttafeln zu enthalten. Einen sehr großen
Teil der Boghazköi- Fragmente — es sind übrigens auch
mehrere sehr schöne ganze Ta- teln darunter — bilden
Opfertexte. Den genauen Charakter dieser Texte
festzustellen gelang mir aber erst, nach- dem ich in
einigen Tafeln und Fragmenten aus Boghazköi Teile
eines hethitischen Gesetzbuches erkannt hatte?) Ein
indogermanisches Gesetzbuch in Keilschrift im vor-
homerischen Kleinasien, gewiß eine ganz unerwartete
Überraschung, die uns auch die hethitische Kultur ganz
anders einzuschätzen lehren wird, als es bisher der Fall
war! Dieses kultur- und rechtsgeschichtlich gleich
wichtige hethitische Gesetzbuch, das ich im II. Bande
meiner Textpublikation zu veröfentlichen gedenke, war
auch für meine Entziferung von eroßem Werte. Vor ')
Astronomische und astrologische Texte scheinen dagegen
nur in sumerischer oder akkadischer Sprache
vorzuliegen. Auch ein medizinischer Text, den ich unter
den Konstantinopler Texten ge- funden habe, ist in
akkadischer Sprache abgefaßt. °) Einen Paragraphen
dieses Gesetzbuches siehe S. 37 f. EBERHARDKARIS gg |
N u gefördert durch die UNIVERSITAT RBFAE. ubsun!
Tunbingen.de/sigii/MDOG. 1ATE DSB /ONAE DFG
TÜBINGEN RE © Universitätsbibliothek Tübingen
Mitteilung No. 56, Dezember 1915. 49 allem half es mir
— im Verein mit den erzählenden historischen Texten
—, in das hethitische Verbum Ord- nung zu bringen. Die
im Gesetzbuch vorkommenden Verbalformen mußten ja
(zumindest in Nachsätzen) Prä- sentia oder Futura sein!),
während andererseits in den erzählenden historischen
Texten zunächst Präterita zu er- warten waren.

Dieselben Verbalformen nun, die im Gesetzbuch vor-


kommen, werden auch in den ÖOpfertexten verwendet.
Wir haben es also hier — wenigstens in der Regel —
nicht etwa, wie ich anfangs glaubte, mit Berichten über
vollzogene Opfer zu tun, sondern diese Texte schildern
Opfer aller Art, Festopfer, Gelegenheitsopfer usw. im
Praesens?), und zwar wohl gewiß nur zu dem Zwecke,
damit diese Schilderung auch in Zukunft als Richtschnur
bei Opfern diene. Es werden hier z.B. von Priestern und
Ver- waltungsbeamten, die mit Namen genannt werden,
die Opfer bestimmter Lokalkulte, und zwar mit der
größten Ausführ- lichkeit beschrieben. Andere Texte
befassen sich mit Ge- legenheitsopfern: so wird z. B. in
einem Texte das Opfer- ritual für den Fall mitgeteilt, daß
das hethitische Heer vom Feinde angegrifen wird, oder
für den Fall, daß jemandem von seinem Nächsten Böses
zugefügt wird. Die in Rede stehenden Texte sind wohl als
eine Art Kegeln und Vorschriften gedacht, die das
Opferwesen und den Gottesdienst überhaupt ordnen
sollen. Sie werden für die Kenntnis des hethitischen
Rituals, des hethitischen Pantheons und auch der
hethitischen Religion überhaupt von der größten
Bedeutung sein. -

Eine andere, bis zu einem gewissen Grade verwandte


Textgruppe sind zahlreiche Inschriften, die wiederum
Vor- schriften für Beamte, Angestellte usw. geben. Diese
In-

I) Später stellte es sich mir heraus, daß das hethitische


Präsens auch als Futurum gebraucht wurde.

?) Ganz vereinzelt scheinen auch Imperativformen vorzu-


kommen; doch ist mir die Deutung dieser Formen noch
nicht ganz Sicher.

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/NDOG. ISIS DEE 0048 DFG ITUÜBINGEN RR ©
Universitätsbibliothek Tübingen 50 Mitteilungen der
Deutschen Orient-Gesellschaft. schriften verwenden teils
das Praesens, teils den Impe- rativ, die Bestimmung des
Inhalts gelang mir im Anschluß an die des Gesetzbuches
und der Opfertexte. Auch diese Texte werden von großer
Bedeutung sein, diesmal für die Kenntnis der
hethitischen Verwaltung und des hethitischen
Hofzeremoniells. Ein hierher gehörender Text gibt z. B.
Vorschriften für allerlei Angestellte, z. B. Bäcker, Be-
wässerungsleute, Hirten usw. eines Tempels. In einem
anderen Text gibt die Königin anscheinend Instruktionen
bezüglich des sog. „Steinhauses“. Andere Texte regeln —
soweit ich sie verstehe — die Pfichten gewisser Hof-
beamten, vor allem der ME.SE-DI-Beamten usw. Der
Dienst dieser Hofbeamten vor dem König wird sehr aus-
führlich, bis in die kleinsten Details beschrieben. Wir
haben in diesen Texten eine Art hethitisches Hofzeremo-
nienbuch, das uns, einmal gedeutet, sehr wertvolle Ein-
blicke in das hethitische Hofeben gewähren dürfte.
Alles in allem sind die auf uns gekommenen Bo- ghazköi-
Texte Überreste eines sehr planmäßig angelegten,
grobartigen Staats-, Hof- und Tempelarchivs, das bestrebt
war, alle Staatsverträge, diplomatischen
Korrespondenzen, (Gesetze, Edikte, Vorschriften, unter
anderem auch Opfer- vorschriften usw. des hethitischen
Staates zu sammeln, damit sie gegebenenfalls der
hethitischen Bureaukratie und Hierarchie als Richtschnur
dienen. Die übrigen Textgattungen der Boghazköi-
Inschriften dürften mehr oder weniger als
Hilfssammlungen dieses Archivs aufzu- fassen sein.

NE Druck von H. S. Hermann in Berlin UNIVERSITAT


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