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ine Bar am Strand in Hua Hin, matisch definierten Raum kalku-
der bevorzugten Sommerfri- lieren und sich dazu auch noch ein
sche von Thailands Königen. eigenes Szenario basteln, wie passt
Porträts des hoch verehrten Herr- das zu diesem sinnenfrohen Volk,
schers Bhumibol Adulyadej, der das intellektueller Spekulationen ei-
am 9. Juni 2010 seit 64 Jahren auf gentlich unverdächtig ist?
dem Thron sitzt, prangen über der
zweispurigen Einfallstraße, und der
Bahnhof ist herausgeputzt wie für
einen Staatsempfang.
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ren ihren ersten Höhepunkt feierte am Brett. Im zehnten Jahrhundert
und die ein halbes Millennium später begann der Exodus der Thai aus ih-
in der modernen Version des 64-Fel- rer ursprünglichen Heimat Südchi-
der-Spiels aufgegangen ist. na. 1432 marschierten sie in Angkor
Die Schachrevolution an der Schwel- ein, und die Eroberer übernahmen
le zur Neuzeit haben die Thai jedoch von den Besiegten auch deren Frei-
nicht mitgemacht. Statt einer for- zeitvergnügen Nr. 1, das sie in „Ma-
schen Dame begleitet den Makruk- kruk“ umlabelten.
Monarchen, offizieller Titel: „Khun“,
wie eh und je ein bedächtiger „Met“. Errichtet von König Rama I. (1737-1809):
Dieser Berater erreicht, sofern er Bangkoks Wat Phra Kaeo Foto: René Gralla
den Marschbefehl kriegt, bloß einen
der schräg angrenzenden Quadran-
Frühe Form des Makruk in einer Illustra-
ten und ist folglich eine 1:1-Replik tion zum buddhistischen Text Vidhurapan-
des „Wesirs“ aus dem versunkenen dita-Jataka. Im Bildausschnitt links oben
Kalifenschach. erkennen wir links an einem Spielplan den
Herrscher Dhananjaya, wie er eine Partie
Im Einklang mit der heimischen Bio- „Saka“ austrägt gegen den Dämonen Pun-
sphäre mobilisiert der Makrukge- naka (rechts). „Saka“ ist Schach in seiner
neral nach Bedarf einen schwerge- frühen südostasiatischen Form, ein di-
rekter Ableger des indischen „Chaturan-
wichtigen „Khon“, der den modernen
ga“. In der Urversion des „Chaturanga“
Läufer vertritt und sich an den „Alfil“ treten vier Miniaturarmeen gegeneinan-
des Shatranj anlehnt. Auf Schrägen, der an, und auch die beiden ungleichen
über die er operierte, kam Arabiens Kontrahenten hier am „Saka“-Brett, der
König und das Fabelwesen, manövrie-
„Elefant“ um einen Doppelschritt ren mit vier verschiedenen Truppenver-
voran; abhängig von der Gefechtsla- bänden. Überdies sieht das Szenario des
ge trottet Siams „Khon“ in eines der „Chaturanga“ eine besondere zentrale
unmittelbar benachbarten Diagonal- Zone vor, und entsprechend wird in der
„Saka“-Darstellung aus dem Vidhurapan-
felder oder schiebt sich alternativ dita-Jakata der mittlere Bereich des Set-
zum vertikal direkt vor ihm liegen- up ebenfalls besonders hervorgehoben.
den Punkt. Das ungewöhnliche optische Dokument ist Seit Generationen schätzen Siams
ein wichtiges Indiz für die indischen Wur-
Die übrigen Makruk-Einheiten korre- Mächtige das Makruk als militäri-
zeln des Makruk.
spondieren ihren Spiegelbildern im Quelle: Doppelseite aus dem Traiphum- sche Simulation im Kleinen, weiß
internationalen Schach. Allerdings Manuskript; thailändische Bildhand- Pirapong Patuumrat. Die Truppen-
ist die Rochade unbekannt, und die schrift, Thonburi, 1776. Copyright: führung spielerisch trainiert haben
Staatliche Museen zu Berlin, Stiftung
Frontreihen der Siam-Bauern sind Preußischer Kulturbesitz; Museum für
die Könige Narai der Große (1629
in der Grundstellung um eine Reihe asiatische Kunst, Kunstsammlung Süd-, - 1688), der seinen Einflussbereich
aufgerückt. Erreicht ein Bauer (auf Südost- und Zentralasien; bis zur Blumenstadt Chiang Mai
Thai: „Bia“) die Laterale sechs (Weiß) Foto: Jürgen Liepe (Abdruck mit freund- ausdehnte, und Phya Taak Sin, der
licher Genehmigung der Staatlichen Mu-
beziehungsweise drei (Schwarz), seen zu Berlin) Retter der Nation nach dem Einfall
darf er zum Met befördert werden. der Burmesen, die am 8. April 1767
Abgesehen davon klassifizieren die Siams prächtige Kapitale Ayutthaya
Thai ihren „Turm“ nicht als landge- Vermutlich haben tamilische Händ- eingenommen und zerstört hatten.
stützte Waffengattung, sondern der ler das Schach in seiner ursprüng- In der Gegenwart gilt Kambodschas
firmiert - bei ansonsten identischer lichen Form „Chaturanga“ über den Hun Sen als Könner des Südosta-
Reichweite - unter „Rua“, sprich Golf von Bengalen nach Sumatra sienschachs, das die Khmer „Ouk
„Boot“. Ein Reflex geographischer gebracht, zur Blütezeit des König- Chatrang“ nennen. Der Autokrat hat
Gegebenheiten, Wasserstraßen prä- reiches Srivijaya ab dem 7. Jahr- aktuell einen kontroversen, aber
gen Südostasien, und Schiffe sind oft hundert. Später sei das strategische kongenialen Spielpartner gefunden,
die schnellsten Transportmittel. Spiel Richtung Norden gewandert, seitdem sich Thailands exilierter
referiert unsere neue Bekanntschaft Premier Thaksin Shinawatra, den
Pirapong Patumraat, der Makrukex- Militärs im September 2006 aus dem
perte aus Leidenschaft. Ein wichti- Amt putschten, in Phnom Penh auf-
ges Indiz: Verwitterte Reliefs in der hält. Schließlich wird von Thaksin
Tempelanlage Angkor Wat, dem Hei- kolportiert, er sei ebenfalls ausge-
ligtum der Khmer, zeigen Menschen sprochen clever im Makruk, ein Ge-
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rücht, das der imagebewusste Popu- Pirapong Patumraat hat nicht zu viel Das ist der Salon von Suchart Chai-
list gern hört und nie dementiert hat. versprochen, ein paar Stunden Au- vichit, dem Besten unter den verehr-
Das westliche Schach der Marke tofahrt, und wir hocken tatsächlich ten „Sien Jai“, Vorstehendes ist die
Anand, Kramnik, Magnus Carlsen in einem „Sum Makruk“. Rushhour angemessene Anrede, die ein „Sien
& Co. hingegen wird von der regio- in Bangkok, Summen, Knattern und Noi“, ein „Kleiner Meister“ wählt, wen-
nalen Öffentlichkeit wenig bis gar Brummen ohne Ende, der informelle det er sich an den „Großen Meister“.
nicht wahrgenommen. Ein Event wie Verein residiert im Einzugsbereich
das Thailand Open, 2010 immerhin einer Kreuzung. Der „Sien Jai“, der Makruk-GM Suchart
zum zehnten Mal organisiert, bleibt Chaivichit, in seinem Stammklub Sum Din
Daeng Foto: René Gralla
für die Medien in Bangkok, aber
auch aus Sicht der Leute auf dem
Grassroots-Level ein Termin im
Closed Shop des Ausländerzirkels.
Sollen die „Farang“ doch so viele
Turniere ausloben, wie sie mögen,
den Thai ist das egal.
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Will Thailand reif machen für das FIDE- Die Mehrheit bleibt unbeeindruckt,
Wat Pradu in Bangkok, langjährige
Schach: Kai Tuorila vom Bangkok Chess sie hat Makruk auf dem Zettel und Wirkungsstätte des Makruk-Mönches
Club Foto: René Gralla sonst gar nichts. Das heimische Maha Por Foto: René Gralla
Gewächs ist nun mal Thailand pur
wie die „Tom Ka Kai“, die legendä-
re Hühnersuppe mit Kokosmilch.
Nicht zuletzt, weil sich das Spiel dem
Rhythmus des Landes perfekt an-
passt: Da Thai-“Dame“ und -“Läu-
fer“ nicht handstreichartig von einer
Ecke des Brettes zur anderen stür-
men können, sind „Schäfermatt“-
Überfälle praktisch ausgeschlossen.
Und der Mittvierziger hat eine Vision: Das Spieltempo ist gebremst, ge-
das Standardschach westlicher Pro- mächlich dümpeln die Partien dahin.
venienz im Königreich durchzuset- Makruk ist eben nicht so hektisch
zen. Tuorilas Vorzeigeprojekt ist das wie der ferne Verwandte aus dem
Thailand Open, und zu den A-Promis, Westen, für sinnlose Hatz ist es oh-
die im Bangkok Chess Club regel- nehin zu heiß. „Cha, cha“: Das begü-
mäßig einfliegen, gehören Topstars tigende „keine Hektik, ruhig, ruhig“ Und jüngst der Schauplatz eines
wie GM Nigel Short. Übungsabende ist Alltagsphilosophie neben dem mittelschweren religionspolitischen
sind dienstags im „Bull‘s Head“, ei- nicht minder oft gehörten „mai pen Aufregers: Auf Dauer hatte es dem
nem englischen Pub an der Sukhum- rai, macht nichts“. Natürlich ist „cha, Maha Por nicht mehr genügt, die
vit-Road Nr. 33/1, und freitags in der cha“ das heimliche Leitmotiv im Herausforderer in seiner Klause zu
Musikkneipe „Woodstock“, 44 Soi Makruk, und niemand braucht sich empfangen und fließbandmäßig ab-
Thonglor 13. ernsthaft darüber zu wundern, wa- zufertigen. Kurz entschlossen warf
Die Erfolgsgeschichte des Bangkok rum das hibbelige FIDE-Schach bei der 52-jährige den Kittel des Asketen
Chess Club darf dennoch nicht dar- den Siamesen auf derart störrische hin und wechselte ins Lager der Ma-
über hinwegtäuschen: Bestenfalls Akzeptanzprobleme stößt. krukprofis. Um sich einen Wunsch
der Bruchteil einer Minderheit, die Deswegen sind Thailandbesucher zu erfüllen, den ihm sein geistlicher
sich als kosmopolitisch versteht, gut beraten, vor dem Abflug noch Stand in der Vergangenheit verwehrt
nimmt die Schachfarang und ihren rasch die Grundzüge des Makruk aus hat: Maha Por versucht dieser Tage,
Missionseifer überhaupt zur Kenntnis. dem Internet runterzuladen. Nach endlich den „Golden King Cup“ zu
der Ankunft in Bangkok sollte ziel- holen, in Bangkoks zentralem Park
strebig das nächste Schreibwaren- Sanamluang beim Freilichtturnier
geschäft angesteuert und für um- anlässlich des Neujahrs- und Was-
gerechnet zwei Euro ein Set Makruk serfestes Songkran Mitte April.
erworben werden.
Fortan hat der Farang ein Instrument
zur Hand, das ihn als wahren Kenner
des Landes ausweist und von der üb-
rigen Pauschalmeute abgrenzt.
Das Thai-Schach öffnet Türen in
das Innere einer Gesellschaft, die
ansonsten, bei aller vordergründi-
gen Freundlichkeit, in Wahrheit eine
geschlossene Veranstaltung ist. Ab-
soluter Höhepunkt: Einlass in den Autor René Gralla (l.) beim Spiel gegen
Wat Pradu in Bangkoks nördlichem den Makruk-Mönch Maha Por (r.) im Wat
Pradu, Bangkok Foto: Pirapong Patumraat
Stadteil Bang Po, das langjährige
Hauptquartier von Maha Por, einem
genialen Mönch in der Liga von Ma- Ein Duell der Giganten, dem die Ma-
kruk-“Sien Jai“ Suchart Chaivichit. krukgemeinde entgegenfiebert. Zu-
Glaube und Konsum: Schrein vor Kauf-
mal sich Maha Por mit einem gefähr-
haus in Bangkok Foto: René Gralla
lichen Konkurrenten messen muss:
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dem schillernden Tor Paknam, Verkäufer mit geblondetem Schopf,
der bereits einmal den Pott einge- zu einem ersten Partiechen, auf dem
sackt hat. Steinfußboden vor einem Regal, von
Ansonsten leitet der umtriebige Tor dem eine Kompanie chinesischer
eine Schule für Makruk in Bangkoks Glückskater winkt.
Vorort Samut Prakan, er brutzelt auf
dem lokalen Markt im Familienre-
staurant, und er inszeniert Makruk
als Schachtheater mit Laiendarstel-
lern in farbenprächtigen Kostümen,
zum Beispiel im Freilichtmuseum
„Ancient City“. Local Heroes der Makruk-Szene von
Bangkok im „Starbucks Coffee Robinson
Silom“: Kreditberater Karnshit (links) und
Pirapong Patumraat (rechts)
Foto: René Gralla
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Saisanit Ngernyuang, Chefin des Desi-
gefahrenen Ambiente hoffnungslos
gnerhotels „Baan Waree“, am Makruk- uncool zu sein. Ein kurzes Innehal-
brett Foto: René Gralla ten, aber doch völlig unbegründet:
Als die lustigen Miniaturen posen,
auf einem dieser blauen Plastik-
tische, die den Balkon möblieren,
wirkt die putzige Menagerie wie eine
Installation im Seventies-Retro-Sty-
le.
Und wir verstehen, aus welcher Kraft
das Makruk seine Vitalität schöpft,
trotz seiner ehrwürdigen Historie
über eine endlose Kette von Gene-
rationen ist es jung und frisch ge-
blieben. Und ist daher das Spiel der
Spiele in einem Land, das kindlich Grundstellung im Makruk (dabei bit-
neugierig und weise, strebsam und te beachten: der weiße König startet
locker, bescheiden lächelnd und auf d1, der schwarze Monarch steht
wunderbar bunt ist. wie auch im FIDE-Schach üblich auf
Besitzer Anusorn Ngernyuang und e8).
Schwester Saisanit, seine Geschäfts-
führerin, haben in diesem Haus ih- Tatsächlich aber lassen sich gerade
ren persönlichen Traum verwirk- Anfänger vom gemächlichen Rhyth-
licht, eine hippe Herberge, komplett mus im Makruk gern einlullen und
designt von Nachwuchskreativen, 27 tappen nicht selten, wie
Zimmer im individuellen Style. Das
„Baan Waree“ ist Pop, selbst der Makruk-Schulleiter Tor Paknam be-
Dachgarten ist schrill wie das Set- Makruk und der Flirtfaktor: Makrukex- richtet, in ein frühes Narrenmatt.
ting einer MTV-Show. perte Pirapong Patumraat unterwegs in
Bangkoks Nacht Foto: René Gralla
Novize im Makruk – Tor Paknam
Trainingsspiel, Makrukschule von
Sawasdee krap, Makruk. Du bist Tor Paknam in Samut Prakan bei
Thailand. Bangkok, Thailand; zwischen 2005
und 2006
1.Sb1-d2 Sg8-e7 2.Sg1-e2 Eigent-
Das „Narrenmatt“ im Makruk lich kein schlechter Aufbau, die „Low
„Sudden Death“ unter Tropenster- Horse“-Konstellation. Allerdings
nen hätte Weiß das vorbereiten sollen
mit 1.e3-e4 ..., 2.Makruk-“D“e1-f2 ...
Abgesehen von Turm - thailändisch und 3.Makruk-“D“f2-e3 2. ... Se7-f5!
„Rua“, das „Boot“ - und Springer
fehlen Fernwaffen im Makruk. Ein
Handstreich nach dem Muster des
berüchtigten „Schäfermatts“ sollte
ausgeschlossen sein ... eigentlich.
Makruk im Designerhotel: Phinop
Pusawiro, der als „Mao Chao“ in vielen
Makrukforen unterwegs ist (links) und
Pirapong Patumraat (rechts) in Bangkoks
„Baan Waree“ Foto: René Gralla
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Das schwarze Pferd bedroht den
Bauern e3. 3.e3-e4??? Reflexar-
tig möchte der Makrukschü-
SPIELEN
UND ENTSPANNEN MIT MAKRUK IN THAILAND
ler den schwarzen Hengst verscheu- MAKRUK spielen gegen die Meister: 31.3-4.4.2010 Nakornsawan-
chen. Korrekt ist die Verteidigung Open und Turnier der Rajabhat-Universität zum Thaikulturfest; Preis-
des Fußsoldaten entweder per fonds: 100.000 Baht; weitere Informationen von Pirapong Patumraat,
3.Makruk-“L“f1-f2 ... oder 3.Makruk- Email: van_patumraatludwig@hotmail.com
“D“e1-f2. 4. ... Sf5-e3# 0-1
MAKRUK zocken mit Amateuren: Klub „Sum Din Daeng“, 2084 Din
Daeng Road, Building 7, Din Daeng, Bangkok; tägl. von 8 - 24 Uhr;
MAKRUK und Latte Macchiato: „Starbucks Coffee“, 1st Floor, Robin-
son Silom 2 Silom Road, Bangrak, Bangkok; tägl. von 7 - 22 Uhr
MAKRUK und stylish übernachten: Hotel „Baan Waree“, 24 Paholyo-
thin 8 RD., (Soi Sailom 1), Samsennai, Payathai, Bangkok; Tel. 0066 / (0)
2 / 272 6300, Fax 0066 / (0) 2 / 616 9799, mobil 0066 / (0) 85 / 335 4116;
Email: BaanWaree@gmail.com; weitere Infos: www.baanwaree.com