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Vorschau - Klett-Cotta Verlag, J. G.

Cotta'sche Buchhandlung

378 Chronik / Krilik


Klischees ausführten und stolz möglichst viel zwischen die Zeilen packten, wird aber
der heutige Zustand meist gar nicht bewußt wahrgenommen, und es kann passieren,
daß ein Redakteur im Gespräch mit den Kollegen den amerikanischen Vorstoß über
den 38. Breitengrad aus politischen und strategischen Gründen verurteilt, um gleich da-
nach in einer Glosse diesen Vorstoß zu feiern. Daß er hier zwei Gesichter zeigt, eines
für den intelligenten Privatgebrauch, das andere gemäß den Forderungen der öffent-
lichen Meinung, ist ihm nicht bewußt. Manch einer, dem es bewußt wurde, ist inzwischen
wirklich zur anderen Seite hinübergelaufen und hat finden müssen, daß dort entweder
die Kluft zwischen den zwei Arten des Denkens noch fürchterlicher ist, oder daß er sich
das eigene Denken zugunsten des öffentlich Geforderten austreiben mußte.
Wohin werden die unterdrückten Geister in allen Lagern getrieben? Wer das
Buch Kütemeyers liest, sieht erschreckende Gespensterheere entstehen, so groß und vor-
läufig so unfaßbar, daß ihnen die Heilkunst Einzelner nicht mehr gewachsen sein wird.
Es ist gewiß kein Zufall, daß neben den vielen bezahlten Agenten und Spionen, die von
Ost und West, manchmal von beiden zugleich, heute unterhalten werden, eine große
Zahl von Menschen steht, die je nachdem als Idealisten und Märtyrer oder als Verräter
angesehen werden und von denen viele, manche bewußt, Merkmale der Schizophrenie
aufweisen. Die idyllischen Zeiten, in denen „die Autorität das Gute repräsentierte", sind
vergangen. An uns wäre es, diese Gegebenheit ernsthaft ins Auge zu fassen, auf daß
vielleicht wieder Ansätze für eine Übereinstimmung von offiziellem und privatem Ge-
wissen entstehe.
Margret Boveri

KRITIK
FÜNF JUNGE LYRIKER (II)
I
D e n Piontek und Höllerer als ursprünglich landschaftlich interessierten Dichtern kann
man A l b e r t A r n o l d S c h o l l , den Verfasser der „ G l ä s e r n e n S t a d t " (Eugen Die-
derichs, Düsseldorf 1953), als einen Lyriker der City und der technischen Existenz
gegenüberstellen. Ihm fehlt der Sinn für die ruhenden Verhältnisse des natürlichen
Seins. Was ihn allein beschäftigt, was er allein wahrnehmen kann, ist die Problematik
des einzelnen und der Gesellschaft in einer durch Technik total mobilisierten Welt.
Der Einfluß Gottfried Benns, der bei Piontek gar nicht, bei Höherer nur an spärlichen
Beispielen nachzuweisen war, ist bei Scholl durchaus vorherrschend, und zwar so sehr,
daß man es gelegentlich mit einem lyrischen Bauchredner zu tun zu haben glaubt.
Bei Benn heißt es einmal:
Da gab es Jahre, wo von jeder Mauer
Ein Tränenflor aus Tristanblicken hing (Fragmente, S. 14);
bei Scholl:
Die Schwermut hängt mit Wein von jeder Mauer (11),

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