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All abo u t

Tel Aviv-
Jaffa
DIE ER F IN D U N G E IN E R S TADT
her und Hanno Loew y
es Sulzenbac
Herausgegeb en von Hann
Peter Loew y
Mit einem Fotoes say von
Yosef Eliyahu Chelouche aufgrund dieser Beschreibung, ob schriftlich oder mündlich, eines jungfräulichen
„Rufe in der Wüste“ Landes, wurden alle zionistischen Methoden zur Errichtung des Jischuws entwi-
ckelt und sie schlossen alles ein, außer einer Sache: die Beachtung der Bewohner,
die bereits in diesem Land gelebt haben.
Und um zu sehen, was uns unser ignorantes Verhalten während der zionis-
tischen Arbeit bei der Errichtung des Jischuws gekostet hat, reicht es aus, nur
Dieser Text ist ein Ausschnitt aus dem Epilog der Memoiren des Bauunterneh- einige von vielen Fakten hier aufzuzeigen.
mers und Politikers Yosef Eliyahu Chelouche, die 1931 unter dem Titel Para- Während dieser Zeit des Aufbaus des Landes haben wir nicht einmal ver-
schat Hajai (Erinnerungen meines Lebens) erschienen. Chelouche, der eine sucht, die Landessprache, die Sprache unserer Nachbarn zu lernen, während wir
führende Rolle bei der Gründung Tel Avivs spielte, unternahm unermüdliche gerne andere Sprachen lernen, und bis heute gibt es in jedem neuen israelischen
Versuche, zwischen der arabischen und der jüdischen Bevölkerung der beiden Jischuw im Land, in unseren Städten und Kolonien, nur sehr wenige Menschen,
Städte zu vermitteln, schrieb auf Hebräisch und Arabisch in jüdischen und die ihre Sprache lesen und schreiben können.
arabischen Zeitungen und zog sich gegen Ende seines Lebens enttäuscht aus Und was noch wichtiger ist, jahrelang haben wir so in ihrer Nachbarschaft
der Politik zurück. gebaut; doch was wissen wir über das Leben der arabischen Bevölkerung und
all ihre verschiedenen Strömungen, Stärken und Stämme? Ihre Bräuche und
(...) Ich täusche mich nicht und ich weiß ganz genau, dass in das Verhältnis zwi- Sitten? Über Ihre wirtschaftliche und kulturelle Situation und darüberhinaus? In
schen uns und unseren Nachbarn viel Studium und Energie investiert werden der gesamten zionistischen Literatur gibt es kein einziges Buch, das das Leben
muss, aber wir können es nicht weiter aufschieben, da diese Frage von heute auch dieses Volkes richtig beschreibt, mit korrekten Zahlen zu dessen Situation in all
die Frage von morgen ist. Und diese brennende Frage steht in einer sehr schar- ihren Facetten. Ein Buch, das alle wichtigen Materialien zu dieser wichtigen Frage
fen Weise auf der Tagesordnung unseres Jischuws (die jüdischen Siedlungen in in unserem Jischuw konzentriert. Ein Buch, das den Interessierten das Wissen
Palästina, d. Hg.). Und wir können nicht einfach vor der Lösung abrechen, weil uns liefert. (...) Während viele im Dunkeln tappen, wenn sie wirklich eine Lösung für
diese Frage wie ein schwerer Stein belastet, denn es ist der Stolperstein und die diese arabische Frage suchen ...
Barriere, die fast all unsere Arbeit im Land stört und ohne dass wir eine Lösung Mit diesen beiden Tatsachen, und wir könnten noch viele weitere Fakten
finden, werden wir mit unserer Arbeit nicht weiterkommen. (...) anführen, ist zu sehen, dass unsere Führungsleute während des gesamtes Baus
Und diejenigen, die sich in der Geschichte unseres Jischuws von den Anfän- unserer neuen Siedlungen, diese Frage vor der jüdischen Welt verborgen haben.
gen bis heute ein wenig auskennen, wissen, dass die Annäherung an unsere Und nicht nur unsere Nachbarn haben uns den Rücken gekehrt, weil unsere Füh-
Nachbarn und ein friedliches Zusammenleben mit ihnen die wichtigste Verpflich- rungsleute schuld daran waren, dass sie sie immer von oben herab behandelt
tung von uns war, den hier Geborenen, und wir haben diese Pflicht unseren Vor- haben.
stellungen gemäß erfüllt. Und wenn wir Erfolg hatten bei dieser Aufgabe – und es Und mit einer gleichgültigen Haltung verhielten sich die Neueinwanderer
war ein großer Erfolg – dann weil wir unsere Nachbarn respektierten, weil wir die gegenüber ihren Nachbarn in dem Land, in dem sie sich niederlassen und leben
Tatsache beachteten, dass wir mit ihnen in guter Nachbarschaft leben mussten, wollten. Aufgrund dieser Haltung wollten unsere Nachbarn den großen Nutzen
wenn wir in diesem Land unseren Jischuw aufbauen wollten. unserer Siedlungstätigkeiten nicht wertschätzen, welcher auch für sie sehr wert-
Aber – und hier sprechen wir die bittere und schreckliche Wahrheit aus – die voll war. Sie waren unzufrieden, mit unserem Werk, wahrscheinlich aufgrund der
Wahrheit ist, dass unsere Führer und viele der Gründer des Jischuws, die aus der Gleichgültigkeit unserer verantwortlichen Führer im Land, obwohl sie wussten,
Diaspora kamen, um uns anzuleiten, den hohen Wert dieser nachbarschaftlichen dass große Teile des nationalen und privaten Kapitals der Juden auf verschiedene
Beziehungen überhaupt nicht begriffen haben, diese einfache und grundlegende Art und Weise auch in ihre Hände gelangte. Und allein aufgrund dieser gleich-
Regel. Sie mögen es nicht verstanden haben oder wollten es nicht. Aber auf diese gültigen Haltung wollten sie die wichtige Tatsache nicht anerkennen, dass auch
Weise wurden sie schuldig, sich nicht mit diesem Problem auseinander gesetzt sie viele Reformen und Verbesserungen in ihrem wirtschaftlichen und kulturellen
zu haben, das Schritt für Schritt so kompliziert wurde, dass es nun die schmerz- Leben errungen haben.
hafteste Frage des Jischuw geworden ist. Es wurde schon viel darüber geschrie- Was haben sie vom Anfang unserer Ansiedlung bis heute in uns und in unse-
ben, und diskutiert und öffentlich kommentiert, dass seit Herzls Auftreten mit der rer Arbeit gesehen? Nur kalte Gleichgültigkeit, Entfremdung und abwertendes
Idee des politischen Zionismus, die zionistische Bewegung in allen Ländern und Verhalten, und darüberhinaus hörten sie von unseren Sprechern in der zionisti-
in allen Sprachen das Land, in dem wir unser nationales Heim errichten wollen schen Presse viel eitles Geschwätz und Unsinn, der uns manchmal sehr gescha-
als Wüste und Verwüstung beschrieb, ein Land, in dem niemand wohnte. Und det hat.

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Und eine sehr interessante Tatsache ist, dass die muslimischen Araber, die auf- Hizky Shoham
geklärten Araber unter ihnen, in der Vergangenheit einige Male versucht haben, Wie Tel Aviv noch einmal gegründet wurde
Wege zu finden, um uns näher zu kommen. Denn viele von ihnen wussten schon
damals und wissen es auch, dass die Juden das einzige Element sind, das den
Fortschritt in der Entwicklung aller Aspekte dieses vernachlässigten Landes in
jeder Hinsicht zum Wohle des ganzen Landes vorantreiben kann. Und die intelli-
genten Leute unter ihnen wissen auch, dass ihre jetzige Opposition künstlich ist, Hundertjahrfeier?
durch äußere Ursachen, durch Aufhetzer geschaffen. Sie wissen genau wie wir,
die hier Geborenen, dass es sehr gut möglich ist, eine Beziehung des gegensei- Im Jahr 2009 wurde in Israel das 100 jährige Jubiläum zweier symbolisch ein-
tigen Verständnisses zwischen uns und ihnen herzustellen. Wir müssen nur mit zigartiger Gründungsereignisse von 1909 gefeiert: der erste Kibbutz – Degania;
taktischem und vorsichtigem psychologischem Verständnis arbeiten, um diese so und die erste hebräische Stadt – Tel Aviv. Die Feierlichkeiten zum Jubiläum der
zerstörte Beziehung wieder herzustellen und sie in konkreten und wahren Schrit- Kibbutzbewegung, einst das Juwel in der Krone der zionistischen Siedlungen, sie
ten anwenden, und in wahren Taten und Handlungen, um zum Ziel zu gelangen. waren, wie kann man es sagen, etwas säuerlich, angesichts der Wirtschaftskrise,
Wir müssen die Brücke zwischen uns und ihnen bauen, denn sonst wird der Privatisierung und der fortwährenden Suche nach ihrem Ort in der postsozia-
sich unsere gesamte Arbeit im Jischuw verzögern, da wir uns ausschließlich auf listischen Ära. Ausgerechnet die Stadt Tel Aviv, die in der Vergangenheit als Ort
unsere eigenen mageren Kräfte und die Kraft des britischen Schwertes verlassen der Eskapaden, der Vergnügungen und des Konsums scharf kritisiert wurde, die
können, die sich entsprechend dem Zeitgeist und der politischen Lage des Impe- Stadt, die nicht zur Selbstaufopferung und zum Beitrag zum Wohle der Gemein-
riums ändert. Nach derselben Formel wie zu der Zeit des Krieges zwischen Ama- schaft erzog, sie wurde nun als Ruhm der zionistischen Schöpfung präsentiert.
lek und Moses. ‚Als Moses seine Hände emporhielt, siegte Israel; wenn er aber Während sich die Kibbutz-Bewegung in ständiger Selbstbetrachtung auf der
seine Hände niederließ, siegte Amalek‘. Wir können uns nicht vollkommen sicher Suche nach ihrem Weg befand, verwandelte sich das jüdische Stadtprojekt von
fühlen, und wir dürfen uns nicht auf britische Bajonette verlassen. einer Quelle der Verlegenheit und Verwirrung in eine Quelle des Stolzes für die
Wir können diese Brücke bauen, wenn wir nur verstehen, (...) dass dieses Gründernation.
Land hier der einzige Ort ist, wo die Frage gelöst werden kann. Und nur, wenn In der Tat sieht es so aus, als ob die Stadt in den hundert Jahren einen lan-
wir uns mit Herz und Wahrheit annähern, ohne äußere Faktoren, Parteien oder gen Weg zurückgelegt hat, seit der Verlosung der Grundstücke des Achusat
fremde Motive, die den Wegen des Friedens und der Wahrheit entgegenstehen. Bajit-Viertels in den verlassenen Sanddünen nördlich von Jaffa während des
Und das haben die im Land Geborenen verstanden, lange vor der britischen Pessahfestes von 1909, noch im Osmanischen Reich. Innerhalb von vier Jahrzehn-
Besetzung, die folgte. Aber unsere Führungsleute, die das stürmische Schiff ten entwickelte sich das bescheidene Viertel zur wirtschaftlichen, kulturellen
über unseren Köpfen und ohne unser Wissen gesteuert haben, vor dem Krieg von und sozialen Hauptstadt; und seit 1948, als David Ben Gurion die Gründung des
Berlin aus und nach dem Krieg von London aus, wollten unsere Meinung nicht Staates Israel ausrief – natürlich in Tel Aviv, wo sonst? – bis heute, gilt Tel Aviv als
berücksichtigen, weil wir anders dachten, wir, die hier geboren wurden. Und sie eigentliches Zentrum des Landes und inzwischen als Weltstadt.
haben immer dafür gesorgt, unsere Stimmen zu dieser Frage zum Schweigen zu Für die Hundertjahrfeier interessierten sich dennoch nur professionelle
bringen, wie Rufe in der Wüste. (...) Feiernde und unermüdliche Querulanten – die sich öffentlich über die seltsame,
historische Tatsache wunderten, dass für die Stadt Tel Aviv, oder wie sie am Ende
Übersetzt aus dem Hebräischen von Rita Goldmann. der osmanischen Zeit genannt wurde: das ‚Achusat Bajit-Viertel in Jaffa‘, niemals
Mit freundlicher Genehmigung von Or Aleksandrowicz. eine offizielle Gründungszeremonie stattfand. Jedem war klar, dass Tel Aviv eines
Tages seine Trennung von Jaffa erklärt hatte, und niemand fragte nach: War Tel
Aviv bei ihrer Gründung eine von Jaffa getrennte städtische Einheit, wenn auch
nur im eigenen Bewusstsein? Wer hatte entschieden, dass das Losverfahren 1909
die Gründungszeremonie von Tel Aviv war? Und wie kam es, dass das Achusat
Bajit-Viertel, eines der vielen neuen Viertel, die in der Umgebung von Jaffa ent-
standen waren, zu einer eigenständigen und von der Mutterstadt getrennten
Stadt werden würde, während andere Stadtteile von ihr verschlungen wurden?
Die Geschichte der Gründungszeremonie wurde nachträglich ins Leben
gerufen, als die Siedlung Tel Aviv unter britischer Herrschaft ihre Unabhängigkeit

Yosef Eliyahu Chelouche 54—55

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