Sie sind auf Seite 1von 7

81976 4/2014

Wissen | Knowledge

Die „Entdeckung“ indonesischer Ikats


 The “discovery” of Indonesian ikats
von | by Peter ten Hoopen

Peter ten Hoopen

A nfang des 20. Jahrhunderts waren Batiken bereits im


Westen bekannt und bei Sammlern beliebt, indone-
sische Ikats dagegen wurden erst Mitte der Siebzigerjahre
U nlike batiks, which were already known and collected
in the West in the early 20th century, Indonesian ikats
were only truly “discovered” in the mid-1970s. While they
„entdeckt“. Natürlich war ihre Existenz bekannt, und ei- were of course known to exist before and some ethnological
nige ethnologische Museen begannen im 19. Jahrhundert museums had even begun collecting them in the 19th cen-
sie zu sammeln, allerdings auf rein passive Weise, z. B. tury, this was done entirely passively: i.e., by accepting gifts
indem sie Geschenke von Missionaren und Abenteuer- from missionaries and intrepid travellers who had been to
reisenden annahmen, die entlegene Inseln besucht hat- remote islands, labelling the pieces and putting them into
ten. Die Werke wurden gekennzeichnet und in Kisten boxes where they were to remain in most cases.
verpackt, wo sie in den meisten Fällen auch blieben.
To illustrate this, German ethnographer Ernst Vatter trav-
Ein gutes Beispiel ist der Fall des deutschen Ethnographen elled with his wife Hannah to the most remote of the Lesser
Ernst Vatter. Gemeinsam mit seiner Frau Hannah besuchte Sunda Islands in 1928/29, published Ata Kiwan, a wonder-
er 1928/29 die entlegenste der Kleinen Sundainseln und be- ful book about their travels that is highly sought after today,
schrieb diese Reisen im herrlichen und heute sehr begehr- and brought home many pieces of material culture, among
ten Werk Ata Kiwan. Er brachte viele Werke der Stoffkultur them some hundred ikat textiles of the highest quality. One
mit nach Hause, darunter etwa einhundert hochwertige would have expected these treasures to have been shown
Ikats. Man könnte glauben, dass diese Schätze weltweit ge- around the world, but the truth is that they have never been
zeigt wurden, doch das Gegenteil ist der Fall: Sie wurden bis exhibited to this day. Instead, they remain in the reserves of
zum heutigen Tage noch nie ausgestellt. Stattdessen darben the Weltkulturen Museum (Frankfurt/Main), where some
sie in den Schatzkammern des Weltkulturen Museums in have been occasionally studied. In fact, the world only came
Frankfurt am Main, wo sich Fachleute gelegentlich mit eini- to know them in 2013 thanks to Dr. Ruth Barnes’s Ostindo-
gen Exemplaren befassen. Auch wenn es schwer zu glauben nesien im 20. Jahrhundert, Auf den Spuren der Sammlung
ist, erfuhr die Welt erst 2013 durch das Werk Ostindonesien Ernst Vatter (published only in German).
im 20. Jahrhundert, Auf den Spuren der Sammlung Ernst
Vatter von Dr. Ruth Barnes (nur in deutscher Sprache ver- Several other fine old collections of Indonesian ikats suf-
öffentlicht) von der Existenz dieser Sammlung. fered a similar fate in that they were either never shown

62 Carpet Collector 4/2014


Wissen | Knowledge

Weitere herrliche, alte Sammlungen indonesischer Ikats


erlitten ein ähnliches Schicksal, indem sie entweder nie
ausgestellt oder nur als untergeordneter Teil einer grö-
ßeren Ausstellung indonesischer Textilien präsentiert
wurden, bei denen der Schwerpunkt meist auf Batiken
lag. Angesichts seiner Kolonialgeschichte sollte man an-
nehmen, dass die Niederlande der exklusive oder fast ex-
klusive Hüter dieser alten Sammlungen sind. Stattdessen
befinden sich einige der herrlichsten privaten und öffent-
lichen Sammlungen in Deutschland, das eine lange mis-
sionarische Tradition hat.

Größere Veränderungen werden in der Regel durch meh-


rere parallel laufende Faktoren ausgelöst, im Falle der
Ikats war es jedoch ein einziges Ereignis: Die von Mattie-
belle Gittinger 1979 am Textile Museum in Washington,
D.C. organisierte Round-Table-Konferenz ließ das Inter-
esse aufleben. Bei dieser Veranstaltung wurde den Ikats
erheblich mehr Aufmerksamkeit geschenkt als zuvor.
Es folgte eine Reihe von Publikationen, mehrere davon
von deutschen Autoren. Zu den bekannteren zählt das
Werk von Brigitte Khan-Majlis, der Kuratorin des Kölner
Rautenstrauch-Joest Museums, das einige lange verbor-
genen Sammlungen an die Öffentlichkeit brachte und die
Aufmerksamkeit der Welt auf den Glanz und den Zauber
indonesischer Ikats lenkte. Erst zu diesem Zeitpunkt er-
kannte ein breiteres Publikum allmählich, was ihm bisher
entgangen war, nämlich eine Kunstform, die a) äußerst
schwer herzustellen ist und daher in einer zunehmend
globalisierten Welt rasch ausstirbt, und die b) so viel-
schichtige Bedeutungen in sich birgt, dass wir Jahrzehnte
mit dem Entschlüsseln ihrer Botschaften verbringen kön-
nen und voraussichtlich werden.

Diese Erkenntnis führte zu erheblich aktiverer Sammler-


aktivität und sorgfältiger Dokumentation. Abenteuerlus-
tige junge Männer und Frauen reisten in die entlegensten
Ecken des Archipels und kehrten mit aufregenden Be-
richten über die zentrale Rolle der Ikat-Textilien in ih-
ren Ursprungskulturen zurück – um sie drehte sich das
gesamte Leben, von der Geburt über die Initiationsriten
und die Eheschließung bis hin zur Beerdigung. Diese
Abenteurer kehrten außerdem mit hochwertigen Ikats
zurück, die sie entweder für sich behielten (wie dieser
Autor) oder zum Verkauf anboten.

Pou (Sarong), Roti Group,


Roti, 1900 - 1925, 50 x 158 cm
(19.6 x 62.2 in)

Carpet Collector 4/2014 63


Wissen | Knowledge

Aceh
Philippines
Südchinesisches Meer
South China Sea Brunei
Celebes See
Sabah Celebes Sea
Malaysia
Halmahera
Batak Lands
Sulawesi Minahasa
Singapore Serawak Tanah Toraja Seram

Sumatra West Irian


Bangka Kalimantan

Buru
Kai
Lampung Moluccas
Java Sea Ataro
Tanimbar
Wetar Aru
Madura Lembata Kisar
Jakarta Adonara Alor Babar

Indischer Ozean Java Lombok Flores


Timor Leste Luang
Indian Ocean
Moluccas Solor Lakor
Kodi Roti Moa
Bali Timor
Sumba Pantar Leti
Nusa Penida Savu Timor See
Sumbawa Ndao Timor Sea
Raijua

Hauptverbreitungsgebiete der indonesischen Ikatproduktion in ihren ungefähren Grenzen.


Main areas of ikat production in the Indonesian archipelago in approximate borders.

or were only shown as a minor part of a broader exhibition


Der Markt entwickelt sich noch und weist die für nicht on Indonesian textiles, usually dominated by batiks. Given
ausgereifte Märkte typischen starken preislichen Diskre- its colonial history, one would expect the Netherlands to be
panzen auf. Gleichzeitig steigt das Interesse an indonesi- the exclusive or near-exclusive guardian of such old collec-
schen Ikats als Sammlerobjekten merklich. Erwartungs- tions, yet some of the richest collections – both private and
gemäß verkaufen die bekanntesten Händler der Welt public – are actually in Germany, long a hotbed of mission-
Ikats zu den höchsten Preisen. Es überrascht dagegen, ary activity.
dass Händler in Indonesien, die weder einen internatio-
nalen Ruf genießen noch der englischen Sprache wirklich Major changes are usually triggered by multiple parallel
mächtig sind, meist ebenfalls beachtliche Beträge ein- causes, but in the case of ikats it was a roundtable confer-
streichen. Oftmals haben sie sehr einfache Läden, die oft ence organised by Mattiebelle Gittinger at the Textile Mu-
kaum mehr als Schuppen oder Verschläge sind. seum in Washington, D.C. in 1979 that piqued interest.
Here much more attention was paid to ikats than had been
Das war auch bei einem Händler der Fall, mit dem ich common in the past. A number of publications soon fol-
in den Achtziger- und Neunzigerjahren ins Geschäft lowed, several of which were by German authors. One of
gekommen war. Er war schon damals nicht billig, bot the more prominent was by Brigitte Khan-Majlis, curator
aber was ich damals als gutes Preis-Leistungs-Verhältnis at Cologne’s Rautenstrauch-Joest Museum, which shared
empfand. 2011 zeigte er mir eine Liste von Werken, die some long dormant collections with the public and drew the
er gerade einem Ölmogul in Dschakarta verkauft hatte. world’s attention to the splendour and magic of Indonesian
Der Preis belief sich auf viele, viele juta – Millionen in ikats. It was then that a broader public gradually became
indonesischer Währung – damals etwa 90.000 Euro für aware of what they had been missing: an art form that a) is
nicht einmal dreißig Stücke. Näher an die Quelle konn- extremely hard to produce and thus quickly becoming ex-
te man nicht kommen, es sei denn, man reist bis in die tinct in a globalizing world and b) carries meanings so rich
indonesischen Provinzen Borneos, nach West- und Ost- that we can, and probably will, spend decades deciphering
timor und auf verschiedene winzige Inseln. Wie bereits its messages.

This discovery led to much more active collecting and me-


ticulous documentation. Adventurous young men and

64 Carpet Collector 4/2014


Wissen | Knowledge

zuvor bat ich ihn, mir sein gesamtes Inventar zu


zeigen. Im Laufe des Nachmittags fotografierte ich
jedes einzelne Stück und notierte die von ihm ver-
langten Preise. Zunächst dachte ich, er wolle mich
auf den Arm nehmen, doch allmählich wurde mir
klar, dass es ihm mit den Preisen ernst war. Im Ver-
gleich zu dem, was ich nur zehn Jahr zuvor bezahlt
hatte, erschienen sie mir astronomisch hoch. Mit ei-
ner Mischung aus Entzücken und Entsetzen musste
ich feststellen, dass indonesische Ikats nicht nur in
ihrem Heimatland wiederentdeckt wurden, sondern
dass ein regelrechter Run darauf im Gange war. Bei
entsprechender Neigung hätte ich in den Westen zu-
rückkehren, in den USA und in Europa links und
rechts Ikats aufkaufen, sie nach Indonesien bringen
und damit reich werden können. Als ich ihm das
sagte, meinte er nur „Sicher, Peter, bring mir deine
ganze Kollektion, ich kann alles in ein paar Monaten
verkaufen“.

Was heute in Indonesien geschieht, ähnelt dem, was


wir bereits in China und Indien erlebt haben: Die
Zahl der Neureichen steigt, und diese kaufen als ers-
tes luxuriöse Häuser und Autos. An nächster Stelle
steht der Wunsch nach traditionellen Kultursymbo-
len. In Indonesien steht ein edler Ikat ganz oben auf
dieser Liste, da Textilien seit jeher ein wichtiger Teil
der Landeskultur waren. Es gibt nur wenig andere
Kunstformen, in denen sich die Hochkultur eines
Landes derart offenbart. Ikats haben außerdem eine
zusätzliche Dimension, die auch die edelsten Bati-
ken und Songkets nicht bieten können: Die direkte
historische Verbindung zu mächtigen Traditionen
wie uralten Stammesriten, der Kopfjagd, dem Glau-
ben an die Abstammung von Totemtieren, Tabus
und Verboten. Selbstredend spielt auch das univer-
selle Phänomen des menschlichen Strebens nach
Anerkennung und Status eine wichtige Rolle. (Mehr
über diese weiteren Dimensionen erfahren Sie im
nächsten Artikel in dieser Serie.)

Der Ansturm auf Ikats gewinnt an Schwung, wäh-


rend immer mehr Indonesier die Meisterwerke ihrer
Kultur wiederentdecken. Auch wenn der Umfang
noch relativ gering ist und es einige widersprüchli-
che Signale gibt, z. B. wenn man einen spektakulä-
ren antiken Stoff für ein Butterbrot findet, aber

Lawar (Sarong), Moluccas,


Luang, 62 x 139 cm, 1925-1940, 39 cm
(24.4 x 54.7 in).

Carpet Collector 4/2014 65


Wissen | Knowledge

Kewatek (Sarong), Flores, Peninsula,


circa 1950, 61 x 146,5 cm (24 x 57.6 in).

women travelled to the far corners of the archipelago and


came back with exciting reports about the central role that
ikat textiles played in the cultures that produced them –
central throughout the entire lifecycle from birth to initia-
tion (coming of age) to marriage and burial. These adven-
turers also returned with fine examples of ikat art that they
either kept for themselves, such as this author, or brought
to market.

The market is still in statu nascendi with the often wide


price discrepancy typical for immature markets. At the
same time, interest in Indonesian ikats as collectible pieces
is noticeably on the rise. As one might suspect, the world’s
best known dealers are selling ikats for the highest prices.
What is more surprising is that dealers in Indonesia who
neither have an international reputation nor much knowl-
edge of English in most cases are also fetching handsome
sums. They may even operate out of very simple stores that
are often little more than sheds or shacks.

One of the latter is a dealer with whom I had done busi-


ness in the 1980s and 90s. Even at that time he was not
cheap and represented what I considered to be a good value
for money. In 2011 he showed me a list of pieces he had
just sold to a mogul in Jakarta’s oil industry. All the figures
added up to many, many juta – several millions in Indone-
sian currency – roughly 110,000 dollars for less than thirty
pieces. This was as close to the source as you could get with-
out travelling to Kalimantan, the Moluccas, West and East
Timor and sundry tiny islands. I asked him, as I had done
in the past, to show me his entire inventory. Over the rest
of the afternoon I photographed every single piece he had
and jotted down his asking prices. At first I thought he was
pulling my leg, but as we continued I began to accept that
he was serious about his prices, which seemed astronomical
given what I had paid him only ten years before. It was both
with delight and horror that I realised that Indonesian ikats
were not just being rediscovered in their home country, but
that there was an actual run on them. If I had been so in-
clined, I could have gone back to the West, bought ikats left
and right in the US and Europe, brought them to Indonesia
and become a rich man. I told him as much and he said,
“Sure Peter, bring your whole collection and I can sell the
lot within months.”

What is happening in Indonesia today replicates what we


previously saw happening in China and India: With the

66 Carpet Collector 4/2014


Wissen | Knowledge

Pua kumbu,
Borneo, Serawak,
circa 1920,
111 x 197 cm
(43.7 x 77.5 in).

Bakan (Sarong),
Moluccas,
Tanimbar, 1920-
1940, 64 x 105 cm
(25.1 x 41.3 in).

rise of the new rich, the first things these people want to
buy are showy homes and nice cars. But almost immedi-
ately after that they want to bring some cultural icons into
their homes. In Indonesia a fine ikat will be high on the list
since textiles have always been prominent in the country’s
material culture. There are few other art forms in which
the nation’s cultural refinement is so immediately visible.
Ikats also bring an extra dimension that the finest batiks
and songkets cannot offer: the link to powerful traditions,
including ancestral cults and headhunting, the belief in the
descent from totem animals, taboos and proscriptions, and
that universal phenomenon – the need for recognition and
die Entwicklung ist unumkehrbar und wird langfristige status. (More on these extra dimensions in the next article
Konsequenzen haben. • in this series.)

An “ikat rush” is being fuelled as Indonesians rediscover


their own cultural masterpieces. While it is still on a small
scale with some contradictory signals – such as when you
find a spectacular old piece for next to nothing – it is irre-
versible and will have long-term consequences. •
Der Autor
Peter ten Hoopen hat mehr als ein Dutzend
Romane und Sachbücher verfasst. Er be- The author
rät internationale Unternehmen zum Thema Peter ten Hoopen is the author of a dozen works of
interkulturelle Kompetenz. Seine „Pusaka fiction and non-fiction and consults corporations
Collection“ indonesischer Ikats nahm Mitte around the world on cross-cultural effectiveness. He
der Siebzigerjahre ihren Anfang. Ein großer Teil began his Pusaka Collection of Indonesian ikat texti-
dieser Sammlung ist bis zum 25. Januar 2014 les in the mid-1970s, a substantial selection of which
im Museu do Oriente in Lissabon zu sehen. is on display at the Museu do Oriente in Lisbon until
Website: www.ikat.us. 25 January 2015. Website: www.ikat.us.

Carpet Collector 4/2014 67

Das könnte Ihnen auch gefallen