Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
Es befasst sich mit der Frage nach dem Wesen der Religion. Mit diesem Werk bildet
Durkheim die Grundlage für eine funktionalistische Betrachtung der Religion, indem er als ihr
wesentliches Kernelement ihre Funktion zur Stiftung gesellschaftlichen Zusammenhalts und
gesellschaftlicher Identität ausmacht. In Anschluss an Durkheim wird von einzelnen Vertretern
der Religionssoziologie all das als Religion interpretiert, was in verschiedenen Gesellschaften eben
derartige Funktionen erfüllt. Demgegenüber steht ein substantialer Religionsbegriff, der Religion an
bestimmten inhaltlichen Merkmalen (Vorstellungen von Transzendenz, Ausbildung von Priesterrollen
etc.) festmacht.
Inhaltsverzeichnis
1Entstehungsgeschichte, Einflüsse
2Inhalt
3Kritik
4Rezeption, Nachwirkung
5Ausgaben
6Einzelnachweise
7Weblinks
Zum einen der bretonische Althistoriker Numa Denis Fustel de Coulanges, der in
seinem Hauptwerk La cité antique (1884) den Ahnenkult als wesentliches Bindeglied der sich um
die Familie im weiteren Sinn gruppierenden antiken Gesellschaft hervorhebt.
Für Durkheims Auseinandersetzung mit Religion muss allerdings das Jahr 1895
als entscheidender Wendepunkt in seinem Leben angeführt werden, wo er auf den dritten
bedeutenden Gelehrten stieß, William Robertson Smith. Durkheim selbst beschreibt die Situation
folgendermaßen: „Es war 1887, daß ich Wundt gelesen habe: aber es war erst 1895, daß ich ein
klares Bewußtsein hatte von der zentralen Rolle von Religion im sozialen Leben. Es war in
jenem Jahr, daß ich zum ersten Mal das Mittel gefunden habe, das Studium der Religion
soziologisch in Angriff zu nehmen. Das war für mich eine Offenbarung. […] 1895 markiert eine
Demarkationslinie in der Entwicklung meines Denkens. […] Grund dafür waren ausschließlich
religionshistorische Studien, die ich gerade vorgenommen hatte und besonders die Lektüre der
Arbeiten von Robertson Smith und seiner Schule“ [1] Von Robertson Smith, der in seinem
Buch Lectures on the Religion of the Semites(1898) den Versuch einer Rekonstruktion der
Religion dieser Völkerfamilie anstellte, übernahm Durkheim vor allem die Erkenntnis des
Unterschieds zwischen einer öffentlichen und einer privaten Religion und
die totemistische Opfertheorie, was den Bereich des Totemismus im Besonderen anbelangt, die
folgenden vier Hauptgedanken: [2]
Schon im ersten Band der L’Année Sociologique, erschienen im Jahr 1898, richtete
Durkheim einen gesonderten Abschnitt für den Bereich ‚Religionssoziologie’ ein und veröffentlichte in
den ersten beiden Bänden dieser Zeitschrift eine Reihe von Artikeln zu diesem Thema (darunter im
zweiten Band 1899 unter dem Titel De la définition des phénomènes religieux einen ersten Ansatz
einer Definition von Religion, präziser gesagt von religiösen Tatsachen (faits réligieux), eines Begriffs,
der analog zu den faits socieux gebildet ist; des Weiteren sei auf zwei kleinere Arbeiten über
den Totemismus verwiesen (La prohibition de l’inceste 1898 und Sur le totémisme 1902), die als
Vorstudien zu seinem religionssoziologischen Hauptwerk angesehen werden können). Bis zur letzten
Ausgabe der Zeitschrift (1913) blieb der Abschnitt über Religion der umfangreichste und wichtigste.
Das große Interesse an der Religion ist auf den ersten Blick verblüffend, wenn man bedenkt, dass es
sich bei Durkheim um einen Vertreter des Laizismus handelt; in diesem Punkt ist er mit Max
Weber zu vergleichen. Durkheim wollte nachweisen, dass Religion jeglicher Transzendenz entbehrt
und vielmehr auf einer rationalen Basis begründet ist, die die Sozialstruktur einer Gesellschaft
darstellt; aus diesem Grund entwickelt sich die Religion auch aus der Gesellschaft. Mit diesem
Ansatz wird Durkheim auch zu einem Pionier der Wissenssoziologie, da die Religion hier als
Ursprung und Stütze der gesellschaftlichen Wissensstrukturen gesehen wird. Somit ist es wenig
verwunderlich, dass Durkheims Theorie auch einer der wesentlichen Einflussfaktoren für die
wissenssoziologischen Überlegungen von Peter L. Berger und Thomas Luckmann wurde, welche in
ihrem Buch Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeitausführlich dargelegt werden.
(Eine detaillierte Darlegung des Inhalts erfolgt nur bei den wissenschaftsgeschichtlich
relevanten methodisch-theoretischen Passagen des ersten Buches; alle Zitate aus Die elementaren
Formen des religiösen Lebens in diesem Abschnitt beziehen sich auf die 1. Auflage des Buches und
werden nur mit Angabe der Seitenzahl ausgewiesen.)
Nach De la division du travail social (1893) und Le suicide (1897) bildet Les formes
élémentaires de la vie religieuse (1912) das dritte große Buch, das Durkheim verfasste. Es ist mit
Sicherheit das bedeutendste und einflussreichste. Das umfangreiche, knapp 600 Seiten umfassende
Werk ist in drei Bücher unterteilt. In der vorausgehenden Einleitung wird zunächst das „Objekt der
Untersuchung“ umrissen. Durkheim formuliert zwei Ziele seines Buches: Der Hauptzweck liegt in der
Analyse der elementaren Formen des religiösen Lebens mittels Studium der „primitivsten und
einfachsten“ Religion (die heute als ethnische Religionen bezeichnet werden). Das zweite Ziel
besteht in der Darstellung der Entstehung von Grundbegriffen des Denkens und der Kategorien,
warum sie religiösen und somit auch sozialen Ursprungs sind und wie sich daraus schließlich
eine Erkenntnistheorie ableiten lässt.
Im ersten Buch, betitelt mit ‚Einleitende Fragen’, legt Durkheim zunächst notwendige,
theoretische Grundlagen dar und erörtert sie. Das erste Kapitel bietet eine Definition des religiösen
Phänomens und der Religion (allgemein), denn dies sei notwendig „um die primitivste und einfachste
Religion herauszufinden“ (S. 45). Die Argumentation erfolgt in mehreren Etappen: Zunächst werden
zwei herkömmliche Ansätze präsentiert (I. Die Religion definiert als das Übernatürliche und
Mysteriöse; II. Die Religion definiert hinsichtlich einer Gottesidee), im Anschluss aber sogleich
widerlegt (ad I. Der Begriff des Übernatürlichen ist erst jüngeren Ursprungs und hat „nichts Primitives
an sich“ (S. 49); ad II. Es gibt auch Religionen ohne Götter). Danach macht sich Durkheim im
folgenden Abschnitt (III) auf die Suche nach einer positiven Definition. Es scheint ihm zielführender,
Religion nicht in ihrer Gesamtheit als System, sondern zunächst die Elementarphänomene zu
definieren: Religiöse Phänomene lassen sich in zwei Kategorien aufteilen: Glaubensüberzeugungen
und Riten, wobei erstere Meinungen, letztere Handlungsweisen darstellen. Da sich Riten auf
bestimmte Ziele beziehen, die in den Glaubensüberzeugungen gefunden werden, ist es notwendig,
den Glauben vor dem Ritus zu bestimmen. Vorausgesetzt wird eine Aufteilung der Welt in zwei
Bereiche: profan und heilig. Durkheim definiert die eingeführten Begriffe zusammenfassend wie folgt
(S. 67):
Profane Dinge: „worauf sich diese Verbote beziehen und die von den heiligen
Dingen Abstand halten müssen“
Religiöse Überzeugungen: „Vorstellungen, die die Natur der heiligen Dinge und
die Beziehungen ausdrücken, die sie untereinander oder mit profanen Dingen halten“
Mit Hilfe dieser Definition macht sich Durkheim nun an die Untersuchung der elementaren
Religion und prüft zunächst in den folgenden beiden Kapiteln (2 und 3), ob die beiden damals
wichtigsten Konzeptionen der Elementarreligion, der Animismus und der Naturismus
(Naturmythologie), den aufgestellten Kriterien standhalten. Der Animismus, zu dessen
Hauptvertreter Edward B. Tylor und Herbert Spencer zählen, ist ein Geisterglaube, der von einer
beseelten Natur ausgeht; der Naturismus (Naturmythologie), von Friedrich Max Müller begründet,
postuliert eine Verehrung verklärter Naturkräfte durch den Menschen. Beide Thesen untersucht
Durkheim detailliert, um sie schließlich zu widerlegen, weil sie seiner Meinung nach den Gegenstand
auflösen. Religionen hingegen können keine Illusionen sein, denn dann wäre
die Religionswissenschaft auch keine Wissenschaft, weil sich diese Disziplin dadurch auszeichnet,
dass sie sich auf eine gegebene Wirklichkeit bezieht.
Für Durkheim stellt alleine die Gesellschaft eine durch sich selbst geheiligte Wirklichkeit dar
und deshalb ist der Totemismus für ihn die einfachste Religion schlechthin. Im abschließenden 4.
Kapitel des ersten Buches gibt er einen knappen historischen Überblick über die Geschichte dieses
Systems und führt methodische Überlegungen zur (regionalen) Auswahl jener Gruppe an, die
beispielgebend für ein allen Gesellschaften gemeinsames Phänomen ist und im Hauptteil im
Zentrum der Betrachtungen steht. Durkheim geht es nicht darum, eine Vielzahl von religiösen
Erscheinungsformen zu untersuchen, sondern er möchte das Religiöse anhand der Beschreibung
eines Einzelfalls darstellen, der als Prototyp fungiert.
Der Ansatz, dass der Totemismus die elementarste Religionsform darstellt, impliziert, dass
sich alle anderen Formen daraus entwickelt haben. Alle bisherigen Arbeiten zum Totemismus
beschäftigten sich intensiv mit Totemismus in nordamerikanischen Gesellschaften, doch stellen diese
nach Meinung Durkheims nicht das ideale Forschungsfeld dar, denn sie haben „die rein totemistische
Phase bereits überschritten“ (S. 131). Totemismus findet sich allerdings auch in Australien. Neue
Entdeckungen von Walter Baldwin Spencer und Francis James Gillen (The Native Tribes of Central
Australia 1899; The Northern Tribes of Central Australia 1904) und deren umfangreiche
Publikationen (ergänzt durch die teilweise abweichenden Standpunkte des Missionars Carl
Strehlow sowie des Anthropologen Moritz von Leonhardi) ermöglichen nun erstmals einen
umfassenden Einblick in das Funktionieren einer totemistischen Religion und deshalb wird diese
Region Durkheims Hauptbeobachtungsfeld. Trotz der Fokussierung auf diesen Kontinent sollte
jedoch die Lage in Nordamerika nicht völlig aus den Augen verloren werden. Ein derart angestellter
Vergleich sei seiner Meinung nach durchaus legitim, weil sich in beiden Gebieten die zentralen
Elemente der Sozialstruktur, nämlich die Clanorganisation, gleichen.
Nach diesem einleitenden Abschnitt, der etwa ein Viertel des Werks ausmacht, folgt nun eine
umfangreiche Darstellung der Religion des (australischen) Totemismus, angelegt in zwei Teilen,
deren erster die elementaren Glaubensvorstellungen (2. Buch) darstellt. Am Beginn dabei steht die
Definition und Beschreibung der Begriffe Clan und Totem (Kapitel 1 bis 4), dann folgt eine
Auseinandersetzung mit Theorien, die den Totemismus aus einer noch früheren Religionsform
ableiten, gefolgt von deren Widerlegung (Kapitel 5). Im Anschluss daran wird das Totemprinzip
(mana) dargelegt (Kapitel 6 und 7), worauf mit der Analyse der Seelenvorstellung (Kapitel 8) ein
Höhepunkt des Werks anschließt. Das 9. Kapitel schließlich ist dem ‚Geister und Gottesbegriff’
gewidmet.
Das Totem (in der Regel symbolisiert durch ein Tier oder eine Pflanze) repräsentiert die
Versammlung. Durch die Verehrung, die ihm zuteilwird, verwandelt er die einzelnen Individuen zu
einer moralischen Gemeinschaft und schweißt sie zusammen. Unter dem Totemprinzip versteht
Durkheim die Vorstellung einer unpersönlichen Macht (bezeichnet mit dem aus
dem Melanesischen übernommenen Begriff mana), die in einem jeden Individuum als Seele präsent
ist, es mit dem Sakralen verbindet und somit den Anfang religiösen Denkens ausmacht.
Der Totemismus erfüllt somit die zwei wichtigen, von Durkheim geforderten Funktionen von
Religion: die Verkörperung der Gesellschaft (die Totems sind ein Symbol des Clans, sie sind der Gott
des Clans und das Totemprinzip kann somit nichts anderes sein als der Clan selbst, S. 284) und die
Entstehung von Erkenntniskategorien („Weil die Menschen in Gruppen eingeteilt waren, konnten sie
die Dinge gruppieren“, S. 202).
Nach den Glaubensvorstellungen folgt als zweiter Teil der Studie im dritten Buch eine
Darstellung der rituellen Praktiken. Er unterscheidet die negativen (Kapitel 1 und 2), die positiven
(Kapitel 3 und 4) und Sühneriten (Kapitel 5). Zu den negativen Riten zählen vor allem Verbote;
positive Riten sind Gemeinschaftsriten. Der Zweck aller Riten liegt in der Aufrechterhaltung der
Gemeinschaft, der Stärkung des Gefühls der Zusammengehörigkeit der Gruppe und zur Bewahrung
des Glaubens.
Schon zu Lebzeiten befand sich Durkheim im Kreuzfeuer der Kritik, in der Mitte zwischen
zwei Polen. Auf der einen Seite stand die Gruppe der ‚Gläubigen’ (sowohl Katholiken als
auch Protestanten), die ihn beschuldigten, Religion bloß auf eine soziale Komponente zu
beschränken und die Existenz (eines) Gottes zu leugnen. Bei aller Konzentration auf das Soziale
würden individuelle und spirituelle Bereiche völlig außer Acht gelassen werden. Beispielhaft sei hier
nur auf die Kritik von Gaston Richard (L’Athéisme dogmatique en sociologie religieuse 1923)
Durkheims ehemaligen Mitarbeiter, verwiesen, der aufgrund zunehmender Auseinandersetzungen
die Gruppe rund um die L’Année Sociologique verließ. Auf der anderen Seite befanden sich
extreme Rationalisten, die davon überzeugt waren, dass Religion überhaupt eine Illusion, eine
Ideologie im marxistischen Sinn oder bestenfalls in der Gesellschaft nur eine sekundäre Rolle spielt,
wie etwa Gustave Belot, der der Ansicht war, dass Religion sich aus der Ethik entwickelt habe.
Eine Reihe von namhaften Gelehrten hat sich in der Folgezeit mit Durkheims Werk Die
elementaren Formen des religiösen Lebens auseinandergesetzt und kritisch dazu Stellung
genommen: Darunter zählen etwa Alexander Aleksandrovich Goldenweiser (Early
Civilisation 1922), Wilhelm Schmidt (Der Ursprung der Gottesidee1930), Alfred Kroeber, Edward E.
Evans-Pritchard (Theories of Primitive Religion 1965) oder etwas später der deutsche
Religionsethnologe Josef Franz Thiel (Religionsethnologie 1984).
Schmidt (1930: 579ff.) fragt sich, warum Durkheim sich gerade zu der Zeit so sehr auf die
religiöse Natur des Totemismus versteife, als die meisten Forscher bereits seine angebliche
Verbindung mit Religion zurückweisen. Des Weiteren kritisiert Schmidt Durkheims Fokussierung auf
den australischen Totemismus, während doch seine globale Verbreitung und Vielfältigkeit schon
hinlänglich bekannt waren. Außerdem seien gerade die Aranda in Zentralaustralien keinesfalls die
von Durkheim postulierte ‚Urform’, sondern würden die jüngste Bevölkerungsschicht darstellen, wie
Schmidt selbst durch eingehende Analyse der Sprachen festgestellt hat (vgl. Die Gliederung der
australischen Sprachen und ihre Beziehungen zu der soziologischen Gliederung der
australischen Stämme 1919). Bei der ältesten Schicht allerdings, zu der etwa die Kurnai im Südosten
des Kontinents zählen, würde man gar keinen Totemismus vorfinden.
Evans-Pritchard (1981: 105ff.) macht in seiner Kritik vor allem auf Mängel und
Ungereimtheiten im ethnographischen Beweismaterial aufmerksam: - die
starre Dichotomie von Heiligem und Privatem sei nicht aufrecht zu halten; vielmehr seien beide
Sphären miteinander verbunden und könnten nicht getrennt werden - die für die Untersuchung
relevanten Gruppen könnten keine Clans, sondern müssten bands oder tribes sein (Evans-Pritchard
verweist an diesem Punkt auf das herrschende Chaos bei der Terminologie für politische
Gruppierungen australischer ethnischer Gruppen) - der australische Totemismus stelle eine
untypische, spezialisierte Form dar und man könne deshalb nicht auf einen Totemismus im
Allgemeinen schließen; die getroffene Auswahl sei zu selektiv; Durkheims Erklärung von
unterschiedlich entwickelten Formen des Totemismus halte nicht stand; die Annahme, der
australische Totemismus stelle eine Urform dar, sei willkürlich - Durkheims Annahme dass der
Totemismus im Wesentlichen eine Religion der Clans sei, sei nicht haltbar, denn es gilt Völker, die
Clans, aber keine Totems und andere, die Totems, aber keine Clans haben.
Thiel (1984: 39) äußert sich im Wesentlichen zu drei Kernthesen in Durkheims Theorie:
Erstens werde die Gesellschaft, genauer gesagt der Verwandtschaftsbund über alles gestellt auf
Kosten des Individuums, das völlig vernachlässigt wird und dem beispielsweise außerhalb
des Sippenverbandes keine persönliche religiöse Erfahrung zugestanden wird, obwohl Durkheim
doch als Paradebeispiel eines Schreibtischgelehrten gilt, niemals Feldforschungen vor Ort betrieben
hat und über keinerlei persönliche Erfahrungen verfügen konnte, was sich tatsächlich im Leben der
einzelnen ethnischen Gruppen abspielt. Zweitens entbehren zahlreiche Erklärungen Durkheims,
etwa für den Ursprung des Religiösen, eines Beweises und verbleiben bloße Behauptungen. Drittens
ist Durkheims Theorie zu sehr von der Existenz des Totemismus abhängig gemacht.
Bereits Sigmund Freud weist in seiner Kritik darauf hin, dass es zwar durchaus viele Völker auf der
Welt gibt, die keinen Totemismus besitzen oder besessen haben, dennoch aber über Religion und
Vorstellungen einer absoluten Macht verfügen. Auf der anderen Seite existieren wiederum zahlreiche
andere Völker, wo Totemismus eine reine soziale Rolle spielt und mit Religion nichts zu tun hat.
Trotz aller Kritik, die in den meisten Fällen durchaus berechtigt ist, wirken Durkheims
Vorstellungen in ganz Europa bis in die USA und unterschiedlichsten methodischen Richtungen
weiter. Zwei Richtungen lassen sich unterscheiden: eine im frankophonen Bereich (im weitesten
Sinn strukturalistisch), die über Marcel Mauss und Arnold van Gennep zu Claude Lévi-
Strauss und Louis Dumont bis hin zu Maurice Godelier führt; die zweite im anglophonen Bereich
(funktionalistisch, strukturfunktionalistisch, symbolistisch) über Bronisław Malinowski, Alfred
Radcliffe-Brown und Talcott Parsons über Edward E. Evans-Pritchard bis hin zur Manchester
School (Victor Turner).
Émile Durkheim: Die elementaren Formen des religiösen Lebens („Les formes
élémentaires de la vie religieuse“). Neuaufl. Verlag der Weltreligionen, Frankfurt/M. 2007, ISBN
978-3-458-72002-7.