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Erörtere ob man die deutsche Revolution von 1918/19 als Revolution bezeichnen kann.

Die deutsche Bevölkerung wird im Allgemeinen als nicht besonders revolutionsfreudig angesehen, wie
dieses Zitat, welches Lenin zugeschrieben wird, zeigt: "Revolution in Deutschland? Das wird nie etwas,
wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte.“ Deshalb
soll es im nachfolgenden um die Erörterung der Frage gehen, ob man die Revolution von 1918 überhaupt
als Revolution bezeichnen kann.

Der „kleine Bruder“ der Revolution ist der Aufstand, auch Revolte genannt, welcher sich dadurch
auszeichnet, dass er, im Gegensatz zu Revolution ein lokal begrenztes Auflehnen gegen die Staatsgewalt
meint. Man könnte sich auf die Haltung verlegen, dass es sich bei der Revolution von 1918/19 lediglich
um eine lose Folge von Aufständen handelt, welche eine Folge des Kriegsunwillens der Bevölkerung war.

Dem ist entgegenzusetzen, dass sich die Kieler Matrosenaufstände nicht nur auf die anderen Küstenstädte
ausweiteten. In jedem Bundesstaat kam es zu Aufständen, das spektakulärste Beispiel ist hier Bayern, wo es
dem dortigen Arbeiter- und Soldatenrat gelang den bayerischen König Ludwig III. am 8.November zum
Thronverzicht zu bewegen. In den Folgenden Tagen dankten auch alle anderen regierenden Fürsten
Deutschlands ab.

Da die Machtwechsel während der Revolution von 1918/19 hauptsächlich von „oben“ geschahen, könnte
sie lediglich ein als „Revolution von oben“ getarnter, vordergründiger Machtwechsel gewesen sein, welcher
lediglich den Zweck hatte, einer möglichen „Revolution von unten“ nach russischem Vorbild
zuvorzukommen. Die Revolution zwang den Adel zwar seine Herrschaft abzugeben, jedoch blieben seine
Besitztümer unangetastet. Die durch eine eventuelle kommunistische Revolution bedrohten Gruppen, wie
Großgrundbesitzer und Industrielle konnten sich so vor einer völligen Enteignung sicher sein. Auch das
Militär ordnete sich der Demokratie unter, blieb jedoch durch das „Ebert-Groener-Bündnis“ weitgehend
unabhängig.

Eine Revolution zeichnet sich dadurch aus, dass sie mittels Methoden außerhalb des gegenwärtigen im
System machbaren vollzogen wird. Solche Schritte außerhalb des Systems wurden vor allem am
9.November gemacht, hier ist sowohl der durch Max von Baden eigenmächtig erklärte Thronverzicht von
Kaiser Wilhelm II, als auch die Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann als symbolischer
Bruch mit dem alten System zu nennen. Beides waren ungeplante, eher spontane Ereignisse, welche als
Reaktion auf die stetige Ausweitung der Aufstände in ganz Deutschland zu verstehen sind.

Ein Hauptmerkmal einer Revolution ist, dass die Revolutionäre eine gemeinsame Ideologie besitzen,
welche durch einen Hinweis auf gesellschaftliche Missstände ihr Handeln legitimiert. Die Revolution von
1918/19 hatte aber weder einen solchen ideologischen Überbau, noch verfügte sie über eine konsistente
Gruppe von Revolutionären. Die Revolutionäre hatten sehr unterschiedliche Vorstellungen, wie eine
spätere Regierung auszusehen habe, welche sich teilweise sogar widersprachen. So bemühte die USPD sich
um die Einführung eines Systems von Räten (Räterepublik), während die MSPD ein parlamentarisch
demokratisches System verfolgte.

Hiergegen ist jedoch einzuwenden, dass die Revolutionäre von 1918/19 zwar sehr unterschiedliche
ideologische Ansichten hatten, nichtsdestotrotz aber einige gemeinsame Ziele hatten. Hierzu gehörte vor
allem eine Beendigung des Krieges, aber auch die „Zertrümmerung des Militarismus“ und die
„Sozialisierung aller hierzu reifen Industrien“. Die beiden letztgenannten Ziele waren später
Reformbeschlüsse des Reichsrätekongress im Dezember 1918, welcher die Politik der Übergangsregierung,
also des Rates der Volksbeauftragten bestimmen sollte.

Eine Revolution soll zu einem Wechsel der vorhandenen Macht- und Gesellschaftstrukturen führen. Die
Revolution von 1918/19 bewirkte dies aber in weiten Teilen der Gesellschaft nicht. Selbst der oben schon
erwähnte Beschluss des Reichsrätekongresses zur „Zertrümmerung des Militarismus“ wurde nicht
umgesetzt, obwohl die Möglichkeit dazu bestanden hätte. Ebenso wenig kam es zur Enteignung von
ostelbischen Großgrundbesitzern oder zur Sozialisierung von Industrie.

Eine Revolution definiert sich nicht über die Durchsetzung ihrer Maximalforderungen. Im Zuge der
Weimarer Revolution kam es zu einigen nennenswerten Neuerungen, welche die Machtstrukturen
innerhalb der Republik erheblich veränderten. Besonders erwähnt seien hier die Gewerkschaften, welche
erstmalig als rechtmäßige Vertretung der Arbeiterschaft anerkannt wurden, Grundsätze wie der 8-
Stunden-Tag und das Prinzip der kollektiven Tarifverträge welche sogar heute noch bestehen, wurden hier
festgelegt. Außerdem traten im November 1918 sämtliche regierenden deutschen Fürsten ab. Die
Enthebung des Adels von ihren, durch Abstammung bestimmten, Herrschaftsbefugnissen war am 28.
November 1918 durch die Abdankung Wilhelms II abgeschlossen.

Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass die Revolution von 1918/19 ihren Namen zu Recht trägt.
Sie enthielt wie jede Revolution Züge einer Revolte, schaffte es aber rasch, sich über ganz Deutschland zu
erstrecken. Natürlich konnten nicht alle Ziele der Revolutionäre, besonders jene der USPD umgesetzt
werden und die Revolutionsregierung muss sich den Vorwurf gefallen lassen, nicht alle Möglichkeiten im
Rahmen ihrer auf dem Reichsrätekongress gefassten Beschlüsse genutzt zu haben. Trotzdem haben die
Revolutionäre etwas geleistet, welches nur wenige Jahre zuvor für unmöglich gehalten wurde. Um noch
einmal auf das Zitat vom Beginn des Textes zurückzukommen, wo es heißt, wenn die Deutschen einen
Bahnhof stürmen wollten, würden sie sich noch eine Bahnsteigkarte kaufen. Vielleicht ist diese Aussage
insofern wahr, dass sich die Deutschen, aus Angst vor den folgenden Konsequenzen, wirklich eine
Bahnsteigkarte gekauft hätten. Übertragen auf die Revolution von 1918/19 hätten diese Konsequenzen
Bürgerkrieg oder Hungersnöte zur Folge haben können. Deshalb ist es durchaus verständlich dass der Rat
der Volksbeauftragten die „Bahnsteigkarte“ kaufte um so über eine funktionierende Armee und eine
intakte (wenn auch vielleicht schwache) Volkswirtschaft verfügen zu können.

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