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CHANCEN HOCHSCHULE 11.

November 2010 DIE ZEIT No 46 83

STUDENTEN ERKLÄREN IHRE WELT

Gedränge um den Master » Verachtet eure Generation


unsere Generation
eigentlich genauso,
Gibt es tatsächlich zu wenig Masterstudienplätze? Eine Spurensuche im Zulassungsdschungel VON JAN-MARTIN WIARDA
wie unsere Generation
die vorangegangenen
Generationen verachtet hat?«
ie Empörung der Abgelehn- der grüne Hochschulexperte Kai Gehring: »Statt der Studienplätze sorgen. Der Starttermin wurde

Fotos: Berit Notzke/face to face (o.), privat (u.)


ten war groß: Im Fach BWL Spekulationen brauchen wir empirische Studien über indes bereits mehrfach verschoben, zuletzt auf April
verweigerte die Universität Übergangsquoten und fehlende Masterstudienplätze.« 2011, zu spät wurde die Telekom-Tochter T-Systems ... fragt:
Köln ihren Bachelorabsol- Schon heute gebe es Anzeichen für erhebliche Schwan- ins Boot geholt, um unter Aufsicht eines Fraunhofer-
venten reihenweise den Zu- kungen zwischen Fächergruppen, Bundesländern und Instituts an der Software zu tüfteln. Jetzt sei alles im
gang zum Masterstudium – Hochschultypen. Doch GEW-Mann Keller unkt: Plan, versichern das für die Anschubfinanzierung zu-
und nahm stattdessen Ab- »Was wir jetzt erleben, sind nur die Vorboten dessen, ständige Bundesbildungsministerium, die Stiftung für Rocko Schamoni,
gänger anderer Hochschulen. Sie sei angesichts des was passiert, wenn in den nächsten Jahren die großen Hochschulzulassung und das ebenfalls an der Umset- Entertainer
Ansturms streng nach den Examensnoten vor- Bachelorjahrgänge abschließen.« zung beteiligte Hochschul-Informations-System.
gegangen, rechtfertigte sich die Uni: Bei einem Tatsächlich ist eines nicht von der Hand Anders als oft behauptet, funktioniere das System
Schnitt von 1,9 sei Schluss – egal, von welcher
Hochschule man komme. Die Geschichte von den
zu weisen: Der Mangel an Masterplätzen
mag bislang nur in Ausnahmefällen real sein,
selbst dann, wenn nur ein Teil der Hochschulen mit-
mache, sagt dessen Chef Martin Leitner. Er warnt
»die Obblödenwir euch verachten? Na ja, jeder kennt ja
Sprüche der älteren Generationen,
heimatvertriebenen Kölnern machte ihre Runde das Durcheinander bei der Studienzulassung aber zugleich: »Wir könnten in die absurde Situation dass früher alles besser war. Und das notwendige
durch die Republik. Plötzlich fühlten sich jene ist es umso mehr, und das schon seit Jahren, geraten, dass ein neues, gutes Zulassungsverfahren, Gegenstück zu dieser Larmoyanz ist eben die
bestätigt, die seit Jahren vor einer unfairen genauer: seit die Hochschulen ihre Studenten das sich alle gewünscht haben, einsatzbereit vorliegt, Verachtung der jungen Generation gegenüber
Beschränkung des Masterzugangs warnen: in den meisten Fächern selbst auswählen dürfen. aber nicht zur Anwendung kommt, weil entweder zu der älteren, eine Verachtung aus der Überzeu-
Andreas Keller, Vorstandsmitglied der Seitdem bewerben sich viele Studierwillige an wenig informiert wurde oder weil niemand die Be- gung heraus, dass früher gar nichts besser war,
Bildungsgewerkschaft GEW, warf den zig Unis gleichzeitig, um ihre Chancen zu triebskosten übernehmen will.« Die meisten Hoch- dass frühere Generationen ausschließlich aus ver-
Ländern vor, sie hätten die Übergangs- erhöhen. Die Flut an Mehrfachbewerbun- schulverwaltungen ahnten noch nicht, was da auf sie bohrten Spießern mit verstaubten Ansichten und
quoten grundsätzlich zu niedrig angesetzt. gen führt dazu, dass viele Studiengänge zukomme. Gefährlich sei zudem, dass die Dauer- bescheuerten Frisuren bestanden. Nur aus dieser
Der Studentenverband Linke.SDS rief angesichts zunächst überbelegt sind, während am finanzierung immer noch zwischen Ländern und Verachtung kann sozialer Fortschritt entstehen.
von Sparpolitik und dem »Kampf um ein Master- Ende – und oft erst mitten im neuen Hochschulen diskutiert werde. Das sieht auch Dieter Ich glaube aber, dass meine Generation die Vor-
studium« zur Fortsetzung des Bildungsstreiks auf, Semester – doch die meisten einen Platz Lenzen so, Präsident der Uni Hamburg, dessen Vor- gängergeneration kaum verachtet. Weil wir keine
und Anja Gadow vom Freien Zusammenschluss bekommen. Und Masterstudenten, die gängerin noch angekündigt hatte, sich nicht an dem Vorbilder und Ideen haben. Weil wir das ungute
der StudentInnenschaften kritisierte: »Das Pro- an der einen Uni abgelehnt werden, Verfahren zu beteiligen. Zwar verspricht Lenzen jetzt, Gefühl haben, selbst nicht besser zu sein. Weil
blem zieht sich durchs ganze Land.« wissen womöglich gar nicht, dass es wenn alle mitmachten, werde sich auch Hamburg wir viel um die Ohren haben: Arbeitsplatzsorgen,
Tut es das tatsächlich? Gerade hat eine Studie des woanders freie Plätze gibt. Angesichts nicht verweigern. »Voraussetzung dafür, dass die verschulte Studiengänge, Facebook. Vielleicht
Kasseler Forschungsinstituts Incher gezeigt, dass bis- des Chaos erlebt die einst verschriee- große Mehrheit der Universitäten dem neuen System war ja früher wirklich alles besser. Es ist zum
lang 75 Prozent der Bachelorabsolventen einen ne Zentralstelle für die Vergabe von zugestimmt hat, war aber die Zusage, dass für Studie- Heulen.«
Master angeschlossen haben. Und auch dieses Win- Studienplätzen ihren zweiten Früh- rende und Hochschulen keine zusätzlichen Kosten
tersemester sind Schreckensmeldungen, abgesehen ling. Unter dem weniger behördig klin- anfallen würden.« Sollte es anders kommen, sei Ham-
von einigen prominenten Beispielen wie den BWL- genden Namen »Stiftung für Hochschulzulassung« burg als öffentlich finanzierte Hochschule verpflich- ... antwortet
Studenten in Köln oder den Lehramtsstudenten in wird sie künftig eine neue, demütigere Rolle spielen: tet, kostengünstigere Alternativen zu suchen.
Berlin, Mangelware. Selbst Andreas Keller räumt Statt den Unis wie früher Studenten von Amts wegen Margret Wintermantel, Präsidentin der Hoch-
ein, dass viele Rektoren derzeit eher Sorge hätten, zuzuteilen, soll sie Bewerber und Hochschulen ent- schulrektorenkonferenz, ärgern die Unkereien um das Philipp Demling, 25. Er
ihre Masterplätze loszuwerden. sprechend ihren Wünschen zusammenbringen. mögliche Scheitern des neuen Systems. »Wer so redet, studiert in Bamberg
Was aber soll dann der Sturm im Wasserglas? Dieses »dialogorientierte« Verfahren ist als großer Wurf weiß es entweder nicht besser oder handelt unverant- Slawistik mit Politikwissen-
Wozu die Verunsicherung der Absolventen – weiß gedacht, soll es doch die gewonnene Eigenständigkeit wortlich. Denn technisch sehe ich keine Probleme, schaft und Kommunikations-
doch derzeit keiner, wie es in den nächsten Jahren der Hochschulen bei der Studentenauswahl bewahren und finanziell müssen wir uns darauf verlassen, dass wissenschaft/Journalistik als
kommt. Genau das sei das eigentliche Problem, sagt und gleichzeitig für Transparenz bei der Verteilung auch Bund und Länder ihre Zusagen einhalten.« Nebenfächern

Jetzt wird gespart!


Allen Versprechungen zum Trotz geben die Landesregierungen weniger Geld für Bildung aus VON JAN-MARTIN WIARDA

ielleicht kommt es für die bayerischen kurzerhand die Rücklagen der Hochschulen für sich bar, bekräftigt Kunst, hofft jedoch auf Vernunft bei mitteln gezahlt, bezeichnet der Sprecher als »eine

V Hochschulen doch nicht ganz so dick.


Nachdem die Rektoren im Freistaat vor
Tagen noch ein Minus von bis zu 190 Millionen
reklamiert – Rücklagen, die die Rektoren ausgerech-
net für schlechte Zeiten angelegt hatten, ermuntert
durch einen entsprechenden Passus in den mit dem
der Ministerin: »Wir sollten versuchen, jetzt einen
neuen, wirklich belastbaren Vertrag zwischen den
Hochschulen und der Regierung hinzubekommen.«
Auffassung. Wenn man dann noch bedenkt, dass
Thüringen nächstes Jahr 20 Millionen Euro mehr
für Bafög ausgibt, zeigt das: Es fließt sogar mehr Geld
Euro befürchten mussten, erneuerte Ministerprä- Land abgeschlossenen Hochschulverträgen. Die Ministerin Münch beharrt indes darauf, dass sie ins Hochschulsystem.« Man muss die Rechnung
sident Horst Seehofer (CSU) bei der Kabinetts- Verträge seien ja nie Verträge im juristischen Sinne dank ihres Tricks mit den Rücklagen darum herum- nicht bis ins Letzte nachvollziehen können, um zu
klausur am vergangenen Wochenende seinen gewesen, argumentiert Münch, sondern lediglich komme, die Haushalte der Hochschulen direkt verstehen, dass Thüringens Rektoren sie alles ande-
Schwur, dass »Bayern bei den entscheidenden »Willensbekundungen«, außerdem blieben den zusammenzustreichen. »Das ist doch gut so.« re als witzig finden.
Zukunftsthemen Familie, Bildung und Innova- Hochschulen noch 15 Millionen von ihrem Geld. Wie kreativ Bildungskürzungen auch anderswo
tion weiterhin an der Spitze in Deutschland ste- verkauft werden, zeigt der Blick nach Thüringen: Nur ein schwacher Trost: Auch
hen« werde. Was eine reichlich dreiste Umschrei- Die brandenburgischen Hochschulen Dort will die CDU/SPD-Landesregierung den britische Unis leiden unter Kürzungen
bung für die Tatsache ist, dass die Regierung den überlegen, Klage einzureichen Hochschulen im nächsten Jahr rund 20 Millionen
Hochschulen nächstes Jahr immer noch zwischen Euro weniger überweisen, eine enorm hohe Kürzung Die Liste der angedrohten oder umgesetzten Spar- NACKTE ZAHLEN
30 und 50 Millionen Euro kürzen dürfte. Die Präsidentin der Universität Potsdam, Sabine für ein kleines Bundesland. Doch der Sprecher von pläne ließe sich fortsetzen, von Schleswig-Holstein
Fast bescheiden nehmen sich da die 13 Millionen Kunst, spricht von einem »Schlag ins Gesicht« all Minister Christoph Matschie (SPD) bezeichnet über Hamburg bis nach Hessen, doch klar ist auch:

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Euro aus, die Seehofer den Hochschulen bereits in derjenigen, die sich in den vergangenen Jahren überbordende Kritik an der Maßnahme als »nicht Angesichts der Kürzungskatastrophen in anderen
einer Art Sofort-Sparprogramm abgeknöpft hat. bemüht hätten, trotz knapper Mittel die univer- angemessen«, schließlich zähle nur, was am Ende bei Teilen Europas (den britischen Universitäten etwa
Und dennoch waren sie der eigentliche Tabubruch: sitäre Exzellenz im Land zu steigern und mit dem den Hochschulen ankomme, und das seien 2011 sollen bis zu 70 Prozent der staatlichen Zuschüsse
Sie wurden den Rektoren aus ihrem längst zugeteil- Geld, das da war, vernünftig zu wirtschaften. »Der nicht mal fünf Millionen weniger als ursprünglich gestrichen werden) haben viele Hochschulrektoren
ten Budget herausgenommen. Sich bereits verteilte Vertrauensverlust ist maximal – und das für eine angekündigt. Wie das zusammengeht? Nun ja: Was in Deutschland immer noch das Gefühl, mit einem
Gelder aus Schulen und Hochschulen zurückzuho- Einsparung von zehn Millionen Euro, die vom Land stimmt, ist, dass parallel zu den Landeskürzungen blauen Auge davonzukommen. Das hat tatsächlich
len ist der neueste Streich, der den Finanzpolitikern ohnehin in null Komma nix verfrühstückt sind.« die Bundeszuschüsse an die thüringischen Hoch- vor allem mit den etlichen Milliarden zu tun, die der
in ihrer Not eingefallen ist. All die Versprechungen Zwischenzeitlich stand sogar eine Klage der bran- schulen 2011 um fast 16 Millionen Euro steigen Bund – in mutiger Auslegung föderaler Zuständig- ... Prozent der Studenten in Deutschland
von der Bildungsrepublik scheinen plötzlich wenig denburgischen Hochschulen gegen das Ministerium werden. Dass die spendierfreudige Bundesbildungs- keiten – ins Bildungssystem pumpt. Auf Dauer haben einen Migrationshintergrund.
wert zu sein. Den Vogel abgeschossen in Sachen im Raum, nachdem renommierte Verfassungs- ministerin Annette Schavan (CDU) stets gebets- indes wird ein so unzuverlässig finanziertes Bildungs- Ein Drittel von ihnen kommt
Unberechenbarkeit hat dabei Brandenburgs SPD- rechtler das Einsacken der Rücklagen als nicht mühlenartig wiederholt, die Mittel des sogenannten system ohne bedeutende Abstriche bei der Qualität aus einkommensschwachen Familien
Wissenschaftsministerin Martina Münch. Sie hat rechtens bewertet hatten. Die sei noch immer denk- Hochschulpakts würden zusätzlich zu den Landes- auch hierzulande nicht überleben können.

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