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Maxi Berger

Arbeit, Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung bei Hegel


Hegel-Jahrbuch
Sonderband
Hegel-Forschungen
Herausgegeben von
Andreas Arndt
Myriam Gerhard
Jure Zovko
Maxi Berger

Arbeit, Selbstbewusstsein
und Selbstbestimmung
bei Hegel
Zum Wechselverhältnis von Theorie
und Praxis

Akademie Verlag
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Ernst-Reuter-Stiftung.

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
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und Bearbeitung in elektronischen Systemen.

Satz: Maxi Berger, Hannover


Einbandgestaltung: hauser lacour
Druck und Bindung: Beltz Bad Langensalza

Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706.

ISBN 978-3-05-005845-0
E-Book-ISBN 978-3-05-006036-1
„Diesen ersten Satz, der noch nicht unbedingt etwas bedeuten muss, brauchte ich aus zwei
Gründen: erstens, weil man immer einen ersten Satz braucht, und zweitens, weil ich seit Stun-
den einen zweiten Satz habe, der aber leider nicht als erster Satz taugt. Ich brauchte also nicht
nur wie immer einen ersten Satz, was schon kompliziert genug ist, sondern einen, der zu einem
ganz bestimmten zweiten Satz hinführt. Nun führt allerdings jeder erste Satz zum zweiten Satz,
zumindest erscheint uns das im Normalfall so, aber ich glaube mit einigem Recht vermuten zu
dürfen, dass Sie sich noch nie mit der Frage auseinandergesetzt haben, was es bedeutet, die Ar-
beitslogik auf den Kopf stellen zu müssen: also einen ersten Satz zu finden, der dem zweiten so
entspringt, dass er ihm vorangestellt werden kann, auf eine Weise, dass Sie dann glauben, dass
es der zweite ist, der logisch dem ersten entspringt.
Ich habe – wie gesagt – Stunden damit zugebracht, Arbeitsstunden, nach denen ich aber kein
Arbeitsprodukt vorweisen konnte.
Ist das korrekt? Kann man all die Stunden als Arbeitsstunden bezeichnen, in denen nicht ein-
mal das Produkt ‚erster Satz‘ hergestellt wurde? Man kann diese Stunden zweifellos im vorder-
gründigen Sinne meines ersten Satzes als ‚Verhängnis‘ bezeichnen, aber nicht als Arbeit.
Warum? Nicht deshalb, weil nicht produziert wurde, sondern deshalb, weil man diese Stunden
nicht einrechnen kann in der Zeit, die es im gesellschaftlichen Durchschnitt braucht, einen Satz
zu schreiben oder schreiben zu lassen, der einigermaßen im Kontext von Ort, Zeit und Anlass
funktioniert. Kein Mensch, der eine wichtige und richtige Arbeit hat, kann es sich leisten, einen
halben Tag mit nichts anderem zuzubringen als damit, keinen ersten Satz zu schreiben, nur des-
halb, weil er eingeladen wurde, ‚ein paar Worte zu sagen‘.“

(Robert Menasse. Arbeit, Freiheit, Wahn.)


Inhaltsverzeichnis

Vorwort ........................................................................................................................ 9
1 Einleitung .................................................................................................................. 11
1.1 Die Begriffe Arbeit und Selbstbestimmung im 20. Jahrhundert ..................... 11
1.2 Zurück zu Hegel: Die Arbeit des Geistes ....................................................... 18
1.3 Gegendarstellung ........................................................................................... 22
1.4 Noch mehr Grundsätzliches zur Darstellung .................................................. 24
1.5 Stand der Forschung ...................................................................................... 27
2 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik ......................................................... 42
2.1 Systemprogramm und die Arbeit des Begriffs ............................................... 43
2.2 Objektiver Begriff und begriffene Objektivität ............................................. 56
2.3 Teleologie ....................................................................................................... 62
a) Der subjektive Zweck ........................................................................... 63
b) Das Mittel ............................................................................................. 71
c) Der ausgeführte Zweck ....................................................................... 75
Exkurs zur Kritik der Urteilskraft Kants .................................................. 80
2.4 Resultate: Grenzen des Teleologiebegriffs ..................................................... 86
2.5 Der Tod des Individuums: Leben als unmittelbare Idee ................................. 92
a) Das lebendige Individuum .................................................................... 99
b) Der Lebensprozeß ............................................................................... 102
c) Die Gattung ......................................................................................... 106
2.6 Resultate: Der Begriff absoluter Selbstbestimmung ..................................... 110
3 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie ..................................... 116
3.1 Der Begriff des Selbstbewußtseins ............................................................... 118
a) Sinnliche Gewißheit ............................................................................ 122
b) Die Wahrnehmung oder das Ding, und die Täuschung ....................... 125
c) Kraft und Verstand. Erscheinung und übersinnliche Welt ................... 127
d) Selbstbewußtsein ................................................................................. 144
Exkurs: Naturwissenschaftliche Theoriebildung .................................... 149
8 Inhaltsverzeichnis

3.2 Selbstbewußtsein und das Problem seiner Realisierung .............................. 156


a) Leben, Individuum und Gattungsvermögen ....................................... 160
b) Herrschaft und Knechtschaft .............................................................. 166
3.3 Resultate. Die unglücklichen Selbstbewußtseine ........................................ 178
4 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien ...................... 184
4.1 Der Begriff des Willens ............................................................................... 187
Exkurs: Der schmale Grat zwischen Apologie und gesellschaftlicher
Selbstbestimmung ............................................................................ 195
4.2 Abstraktes Recht .......................................................................................... 202
a) Person und Eigentum ......................................................................... 209
b) Werteigenschaft und Vertrag .............................................................. 215
c) Unrecht und der Wille des Verbrechers ............................................... 221
d) Resultate: Substanz und Bedingungen des abstrakten Rechts ............ 226
4.3 Moralisches Subjekt, sittliches Selbstbewußtsein, aufgeklärtes Individuum 228
4.4 Bedürfnis, Arbeit und gesellschaftliche Anerkennung ................................. 236
a) Die Art des Bedürfnisses .................................................................... 238
b) Rechtspflege, Polizei und Korporation .............................................. 245
4.5 Resultate: Das Scheitern gesellschaftlicher Selbstbestimmung in den
Grundlinien ............................................................................................. 254
5 Gegendarstellung: Zu den ökonomischen Bedingungen der Rechtsphilosophie ..... 258
5.1 Einfache Warenzirkulation und Kapital ...................................................... 260
5.2 Die Ware Arbeitskraft .................................................................................. 265
5.3 Arbeits- und Verwertungsprozeß ................................................................. 268
5.4 Methoden der Produktivkraftsteigerung ...................................................... 272
a) Verlängerung des Arbeitstages ............................................................ 273
b) Begriff des relativen Mehrwerts ........................................................ 276
c) Kooperation und Arbeitsteilung .......................................................... 277
d) Maschinerie und große Industrie ........................................................ 282
5.5 Akkumulation .............................................................................................. 284
6 Resultate. Das Scheitern der Selbstbestimmung ..................................................... 290
Literaturverzeichnis ................................................................................................ 301
Erläuterungen der Kurztitel .............................................................................. 301
Bibliographie .................................................................................................... 302
Personenregister ...................................................................................................... 310
Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde am 22. Oktober 2010 vom Fachbereich Philosophie und
Geisteswissenschaften der Freien Universität Berlin als Dissertationsschrift angenom-
men. Obwohl einer publizierten Dissertation die Umstände, mit denen sie entstanden ist,
nicht mehr unbedingt anzusehen sind, haben sie die wissenschaftliche Arbeit bedingt.
Während der ganzen Zeit hatte ich das Glück, daß mir Menschen zur Seite standen, die
die wissenschaftlichen, organisatorischen und persönlichen Umstände beeinflußt und so
entscheidend zum Entstehen dieser Arbeit beigetragen haben. Bei diesen Menschen
möchte ich mich bedanken.
Zu allererst gilt mein Dank Andreas Arndt, der diese Arbeit über die Jahre nicht nur
auf eine unkomplizierte und angenehme Weise betreute, sondern auch durch kritische
Bemerkungen wie aufmunternde Worte und vor allem auch durch viele Gutachten immer
wieder unterstützend eingriff. Frieder Otto Wolf danke ich ebenfalls für seine unkompli-
zie1te Betreuung und für das zweite Gutachten, dessen Hinweise mir eine ganz neue Per-
spektive auf meine Arbeit eröffnet haben. Meinem ersten philosophischen Lehrer Peter
Bulthaup hätte ich diese Arbeit gerne noch vorgelegt, was aber leider nicht mehr mög-
lich ist. Ihm verdanke ich die Einsicht, daß Philosophie gegen ihren Ruf ein Elfenbein-
turm mit Schießsehruten ist.
Den wissenschaftlichen Reflexionsprozeß habe ich nicht nur am Schreibtisch, sondern
auch in verschiedenen Kolloquien und Arbeitsgruppen vorantreiben können, darunter
das Kolloquium von Günther Mensching. Ihm und den Mitgliedern des Kolloquiums
danke ich für die gründliche Lektüre meiner Texte und die intensiven Gespräche dar-
über. Ebenso möchte ich den Mitgliedern der Arbeitsgruppen des Gesellschaftswissen-
schaftlichen Instituts danken, die mir die Diskussion meiner Texte auch außerhalb uni-
versitärer Zusammenhänge ermöglichten, und deren Anmerkungen immer konstruktiv
waren. Michael Städtler, Dirk Meyfeld, Andreas Walter, Tobias Reichardt, Heide Ho-
mann, Stephanie Heck, Daniel Yölk und Heiko Vollmann haben in mühevoller Kleinar-
beit große Teile der Arbeit Korrektur gelesen. Ihnen danke ich für gute Fragen und we1t-
volle Hinweise.
Die Promotion ist über eine lange Zeit hinweg in nebenberuflicher Beschäftigung ent-
standen und wurde erst in der Abschlußphase durch ein Eisa-Neumann-Stipendium des
10 Vorwort

Landes Berlin gefördert. Ich danke daher einerseits der Graduiertenförderung des Lan-
des Berlin, die mir den konzentrierten Abschluß des Projektes ermöglicht hat. Anderer-
seits danke ich meinen Kollegen und Kolleginnen bei der HIS GmbH, die mal mehr,
mal weniger Verständnis dafür aufgebracht haben, wenn ich mit meinen Kopf mal wie-
der ganz woanders war. In diesem Sinne und stellvertretend ist Herr Hartung zu nennen.
Walburga Freitag hat mich hingegen in einem wichtigen Moment auf meine Prioritäten
hingewiesen und Daniel Völk danke ich, weil er verstanden hat, worum es mir ging.
Meinen Freunden bin ich überhaupt für ihre Unterstützung sehr verbunden. Marten
Sager und Tom vom Walde ermöglichten mir intensive Schreibphasen auf Mallorca;
Leo Seserko und Sonja Solinar hingegen in Savudrija. Ihnen danke ich für ihre Gast-
freundschaft. Man kann sagen, daß die Kernkapitel dieser Arbeit mit Blick auf das Mit-
telmeer entstanden sind, und dort hatte ich die besten Ideen. Für die moralische Unter-
stützung danke ich Heide Homann, Ingrid Bulthaup, Adrian Pigors, Oliver Jelinski,
Rüdiger Mackenthun und ganz besonders auch Helge Nickele, Dirk Meyfeld, Vanessa
Sprengart und Eva Stocker-Auer, die mich in langen Gesprächen überaus geduldig da-
von überzeugen konnten, daß auch diese Dissertation irgendwann fertig wird.
Entscheidend geprägt und unterstützt haben mich natürlich auch meine Eltern. Mei-
nem Vater, der den Abschluß dieser Promotion leider nicht mehr miterlebt hat, und ganz
besonders auch meiner Mutter danke ich dafür, daß sie unermüdlich daran geglaubt ha-
ben, daß ich meinen Weg gehe. Das war sehr wichtig für mich.
Schließlich danke ich Michael für seinen fachlichen Rat, seine moralische Unterstüt-
zung und vor allem - für seinen Humor, den er in den letzten Jahren oft unter Beweis
stellen mußte. Daß es ihn gibt, macht vieles leichter und alles schöner.

Der Druck dieser Arbeit wurde durch die freundliche Unterstützung der Ernst-Reu-
ter-Stiftung ermöglicht.
1 Einleitung

1.1 Die Begriffe Arbeit und Selbstbestimmung im


20. Jahrhundert
„Daß etwas unnütz sei, ist dann keine Schande mehr.“1
Der Arbeitsbegriff nimmt eine Schlüsselfunktion für das Verständnis des menschlichen
Lebens und Denkens überhaupt ein. Entsprechend lang ist die philosophische Tradition,
in der die Frage nach der sittlichen und ökonomischen Stellung von Arbeit gestellt wird.
Sie reicht von der Gegenwart bis in die Antike zurück.
Aristoteles unterschied zwischen der produktiven Tätigkeit, der poiesis, und der tu-
gendhaften Tätigkeit, der praxis, wobei die poiesis von Bauern, Handwerkern, Tagelöh-
nern und vor allem Sklaven ausgeübt wurde, während die praxis den Bürgern vorbehal-
ten war. Die praxis war also ein gesellschaftliches Privileg, das aber von Aristoteles als
eine naturgegebene Differenz gerechtfertigt wurde. Diese Auffassung kann für die Anti-
ke als Modell gelten.2 Mit dem Christentum hielt die Auffassung Einzug, daß der
Mensch durch Arbeit einen Dienst an Gott verübt. Körperliche Arbeit wurde so zur all-
gemeinen Menschenpflicht, doch erhielt sich bis zur Reformation auch die antike Ge-
ringschätzung der körperlichen Arbeit gegenüber der geistig-kontemplativen – so z. B.
bei Thomas von Aquin in der Trennung der vita activa von der vita contemplativa. Hier
rechtfertigte sie die Muße von Rittern und Mönchen. Allerdings ist die körperliche Ar-
beit bei Thomas nicht mehr – wie vor allem bei Augustinus – bloßes Resultat der Erb-
sünde und Mittel zum ewigen Heil, sondern sie erfüllt zunehmend selbstbewußte zeitli-
che Zwecke und Funktionen. Aber ihr Begriff bleibt ambivalent.3 Die Hochschätzung
1
Theodor W. Adorno. „Thesen über Bedürfnis.“ In Gesammelte Schriften Bd. 8 (Soziologische
Schriften I). Darmstadt, 1998, 396.
2
Vgl. Aristoteles. Politik, Reinbek, 1994, Zeile 1255b; und Tobias Reichardt, „Grundpositionen der
antiken Philosophie zum Thema Arbeit.“ Vortrag gehalten auf dem 5. Symposion zur Philosophie
des Mittelalters „Geistige und körperliche Arbeit im Mittelalter.“ Hannover, am 23.02.2012.
3
Vgl. Michael Städtler. „Arbeit als Faktor der Profanierung. Spuren der Reflexion auf reproduktive
Tätigkeiten im praktischen und theoretischen Denken Thomas von Aquins“. Vortrag gehalten auf
dem 5. Symposion zur Philosophie des Mittelalters „Geistige und körperliche Arbeit im Mittelal-
ter.“ Hannover, am 24.02.2012. Ebenso Charles Le Goff. Für ein anderes Mittelalter. Zeit, Arbeit
und Kultur im Europa des 5.– 15. Jahrhunderts. Weingarten, 1987. Le Goff arbeitet eine mentali-
tätsgeschichtliche Aufwertung der Arbeit seit der Karolingerzeit heraus, verbunden mit der all-
mählichen Verselbständigung gegenüber platonischem und platonistischem Denken. Neuerdings
12 Einleitung

der vita contemplativa fiel endgültig erst der Reformation zum Opfer – Faulheit und
Nutzlosigkeit wurden verurteilt, statt dessen sollten alle Menschen nun geistigen und
körperlichen Dienst an Gott tun. In diese Wertung wurde nicht nur die Lebensform des
geistigen Standes und der Bettelmönche mit ihren freiwilligen Armutsgelübden einbezo-
gen, sondern auch die unfreiwillige Armut. Zwar gab es in der protestantischen Vorstel-
lung auch soziale Rangordnungen, aber diese waren nicht mit einer Rangordnung der
körperlichen Arbeiten verbunden. Obwohl der protestantische Arbeitsbegriff bereits vie-
le moderne Momente enthält, bleibt er auf den Zweck des Gottesdienstes bezogen. Das
Streben nach materieller Zufriedenheit wird zugestanden, aber nicht als Zweck der Ar-
beit betrachtet.4 Erst mit der frühen Neuzeit entwickelt sich die Auffassung, daß die Re-
produktionsarbeit wie das Gewinnstreben Selbstzweck seien. Reproduktionsarbeit und
Selbstbestimmung werden identisch, Selbstbestimmung somit zu einem pragmatischen
Begriff.
Das Vorhandensein dieser Tradition scheint ein Indiz dafür zu sein, daß etwas im Pro-
blem der Arbeit unbewältigt geblieben ist, was die Motivation, dieses Thema vor dem
aktuellen geschichtlichen Bewußtsein erneut zu reflektieren, am Leben erhält. Dieses
Moment drückt sich in einer Äquivokation im Arbeitsbegriff aus, die ihm wesentlich ist:
Allgemein bezeichnet der Begriff der Arbeit den Prozeß der Verwirklichung von
menschlichen Zwecken in einem Material – zunächst einmal unabhängig davon, ob die-
se Zwecke geisteswissenschaftlich, politisch, ökonomisch, naturwissenschaftlich, tech-
nisch oder künstlerisch sind, ob die Arbeit geistig oder körperlich ist, und gleich, ob das
Material gegenständlich oder intelligibel, ursprünglich oder selbst schon das Produkt ei-
nes vorangegangenen Arbeitsprozesses ist. Während das Material vorgefunden wird und
damit als Bedingung der Arbeit erscheint, sind die Zwecke nicht vollständig durch das
Material bestimmt, sondern die Vorstellung von etwas, das erst noch vergegenständlicht
werden soll. In der Antizipation seiner Realisierung ist der Zweck indirekter Ausdruck
des menschlichen Vermögens zur Freiheit, und die Arbeit spielt sich damit zwischen den
Extremen der Freiheit und der durch das Material vorgegebenen Naturnotwendigkeit ab.
Aber auch in einer erweiterten, produktiven Hinsicht gilt die Bestimmung der Arbeit als
tätige Verbindung zwischen Freiheit und Notwendigkeit: Arbeit dient der Herstellung
von Lebensmitteln und damit der Reproduktion menschlichen Lebens. Von je her erhiel-
ten sich die Menschen durch den und im Arbeitsprozeß. Indem die Menschen arbeiteten,
entwickelten sie auch Wissen, das sie in Technik um- und zur Erleichterung der Arbeit
einsetzen konnten. Arbeit als ökonomisch-technische Tätigkeit ist insofern produktiv.
Diese Produktivität ist aber nicht das Werk von isoliert arbeitenden Individuen, sondern
hat die historische Forschung betont, daß bereits in Augustinischer Zeit ebenso Hochschätzung
körperlicher Arbeit formuliert wurde, vor allem. z. B. bei Ambrosius von Mailand (vgl. Verena Po-
stel. Arbeit und Willensfreiheit im Mittelalter. VSWG. Stuttgart, 2009) Es läßt sich sagen, daß das
Verhältnis christlichen Denkens zur Arbeit stets ambivalent war, aber sukzessive dessen selbst be-
wußt wird.
4
Eine geschichtliche Darstellung des Arbeitsbegriffs findet sich bei Werner Conze. „Geschichtliche
Grundbegriffe, Stichwort Arbeit.“ In Geschichtliche Grundbegriffe: historisches Lexikon zur
politisch-sozialen Sprache in Deutschland Bd. 1, hrsg. v. Otto Brunner u. a., 154–215. Stuttgart,
1972.
Die Begriffe Arbeit und Selbstbestimmung im 20. Jahrhundert 13

in größeren oder kleineren kooperativ und arbeitsteilig organisierten, gesellschaftlichen


Zusammenhängen entstanden, die zudem geschichtlich meist herrschaftlich organisiert
waren – z. B. als Sklaverei, Leibeigenschaft oder Zwangsarbeit.5 Das dem Arbeitsbegriff
zugrunde liegende Problem besteht also darin, daß Arbeit Ausdruck menschlicher Frei-
heit ist, aber von Bedingungen abhängt, die deren Realisierung entgegenstehen: der Na-
tur als Material, an dem gearbeitet wird, und der herrschaftlichen Organisation von Ar-
beit. Produktive Arbeit ist immer auch fremdbestimmte Arbeit.
Dieses grundlegende Problem führt auf den Begriff der Selbstbestimmung bzw. den
Begriff selbstbestimmter Arbeit, durch den in Abgrenzung gegen die fremdbestimmten
Arbeitsverhältnisse die Synthese zwischen praktisch werdender Freiheit und gesell-
schaftlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen gedacht wird. Arbeit enthält die Äquivo-
kation, philosophischer Begriff, philosophisches Thema und historisch-ökonomisches
Phänomen zu sein. Als philosophischer Begriff ist sie ein Ausdruck von Selbstbestim-
mung, weil darin das Prinzip der Arbeit als Prinzip der Realisierung der Freiheit gedacht
wird. Weil der philosophische Begriff aber selbst nicht praktisch ist, liegt in ihm immer
auch die Tendenz, von den historischen Zwangsverhältnissen zu abstrahieren. Umge-
kehrt ist Arbeit als ökonomisches Phänomen zwar produktiv, aber nicht, ohne herr-
schaftlich organisiert zu sein. Selbstbestimmte Arbeit gehöre zum Menschsein dazu –
sagt Hegel, daß sie ein Verhängnis sei, hingegen Robert Menasse, denn: „Was immer
durch Arbeit produziert wird, sie vernichtet, was sie versprach.“6
Zwischen dem Begriff selbstbestimmter Arbeit und den ökonomischen Bedingungen
der produktiven Arbeit steht die politische Stellungnahme, in der sich das Verständnis
von Freiheit mit der ökonomischen Notwendigkeit zu arbeiten, auf unheilvolle Weise
vermischt – im 20. Jahrhundert im real existierenden Sozialismus, dem Nationalsozialis-
mus und dem Liberalismus.
Der real existierende Sozialismus wurde als Übergangsgesellschaft betrachtet, deren
historische Aufgabe im Aufbau einer „kameradschaftlich arbeitenden, kommunistischen
Gesellschaft“7 bestand. Das politische Mittel für den Aufbau war die „Diktatur des Pro-
letariats“8, weil dem Proletariat als einziger Klasse das Interesse an der Veränderung der
gesellschaftlichen Verhältnisse zugesprochen wurde, während den anderen Klassen –
Bourgeoisie und Adel – im Gegenteil ein mehr oder weniger großes Interesse am Erhalt
der bürgerlichen Zustände unterstellt wurde. In diesem Zusammenhang diente die Arbeit
einerseits dem ökonomischen Zweck, ein Produktivkraftniveau hervorzubringen, wel-
ches es ermöglichen sollte, das Privateigentum und die daran gebundene Verteilung der
Lebensmittel über Geld durch Gemeineigentum und die Verteilung nach individuellem
Bedürfnis abzulösen. Die politische Idee einer kommunistischen Gesellschaft, in der die
ökonomischen Interessen herrschaftsfrei koordiniert werden, war mit der Forderung ver-
5
Einen Überblick über geschichtliche Formen unfreier Arbeit geben Erdem M.. Kabadayi u. Tobias
Reichardt (Hg.). Unfreie Arbeit. Hildesheim, 2007.
6
Robert Menasse. „Arbeit, Freiheit und Wahn.“ 11, 21.
7
Nikolai I. Bucharin und Evgenij Preobraschensky. „Das ABC des Kommunismus.“ Hamburg,
1921, 2.
8
Ebd., 10.
14 Einleitung

bunden, daß jeder Einzelne seinen ökonomischen wie ideologischen Beitrag zum Auf-
bau des Sozialismus zu leisten habe. Insofern sollten Arbeit und Selbstbestimmung das-
selbe sein, allerdings nicht ohne unmittelbar in ein Zwangsverhältnis umzuschlagen, das
sich vor allem gegen die Klassenfeinde richtete. „In der kommunistischen Gesellschaft
wird jedes Schmarotzertum verschwinden, d. h. die Existenz von Menschen-Mitessern,
die Nichts tun und auf Kosten anderer leben, wird aufhören.“9 Darin, daß die Klassen-
feinde nicht als Menschen, sondern „Menschen-Mitesser“ bezeichnet wurden, zeigt sich,
daß die Möglichkeit der Aufklärung anderer gesellschaftlicher Gruppierungen nicht in
Betracht gezogen wurde. Statt dessen blühte den Klassenfeinden die „Umerziehung“,
was spätestens seit Stalin bedeutete, in einem Arbeitslager interniert zu werden. Dort
lebten die Häftlinge unter schlechtesten Bedingungen und wurden teilweise bis zum
Tode abgearbeitet. Was also als „Umerziehung“ bezeichnet wurde, war tatsächlich ein
Gewaltakt.
Der Nationalsozialismus verfolgte die Idee einer völkischen Gemeinschaft. Arbeit
wurde als zum Wesen des Menschen gehörig betrachtet, aber Mensch im vollen Sin-
ne sollte nur sein, wer arischer Abstammung war. Den Ariern war der Reichsarbeits-
dienst vorbehalten, der sie auf die Pflichten einer völkisch-ethischen Gemeinschaft
vorbereiten sollte und der zugleich als tugendhaft betrachtet wurde. Die Arbeit von
„Juden und Bolschewisten“ wurde dagegen stigmatisiert. „Ariertum bedeutet sittli-
che Auffassung der Arbeit und dadurch […] Sozialismus, Gemeinsinn, Gemeinnutz
vor Eigennutz – Judentum bedeutet egoistische Auffassung der Arbeit und dadurch
Mammonismus und Materialismus, das konträre Gegenteil des Sozialismus.“10 In
der Auffassung des Nationalsozialismus wurde demnach zwischen der positiven, ari-
schen, kulturschöpfenden Arbeit und der negativen, als parasitär gebrandmarkten
Arbeit der Juden und politischen Feinde unterschieden. Daraus zog Hitler dann die
Forderung nach der „Entfernung […] aus dem Lande“ 11. Was dieser Euphemismus
spätestens seit 1942 tatsächlich bedeutete, ist bekannt: Nicht nur Juden und Kommu-
nisten, sondern auch Homosexuelle, Sinti, Roma, Intellektuelle, Kranke wurden ent-
weder durch Arbeit oder durch Gas in den Konzentrationslagern vernichtet. „Unsere
Arbeitslager sind Bollwerke gegen jene jüdisch-materialistische Arbeitsauffassung,
die in der Arbeit nur ein Geldgeschäft, in der Arbeitskraft eine Ware sieht.“12 Die
Nationalsozialisten vernichteten durch Arbeit Millionen von Menschen in der Über-
zeugung, daß Arbeit, gemäß der Inschriften auf den Eingangstoren zu den Konzen-
trationslagern, frei mache.13

9
Nikolai I. Bucharin u. Evgenij Preobraschensky. „Das ABC des Kommunismus.“ 8.
10
Adolf Hitler. „Warum sind wir Antisemiten?“ abgedr. Reginald H. Phleps, Hitlers „grundlegende“
Rede über den Antisemitismus, Fjh. f. Zeitgesch. 16 (1968), 406. Zit. n. Werner Conze, „Ge-
schichtliche Grundbegriffe, Stichwort Arbeit.“ In Geschichtliche Grundbegriffe: historisches Le-
xikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. v. Otto Brunner u. a., 1:215. Stuttgart,
1972.
11
Adolf Hitler. Rede, 417. Ebenfalls zit. n. Conze. Ebd.
12
Konstantin Hierl. Rede, in: Der Parteitag der Arbeit, 6. bis 13. September 1937 (München 1938),
90. Ebenfalls zit. n. Conze, Geschichtliche Grundbegriffe, 214.
Die Begriffe Arbeit und Selbstbestimmung im 20. Jahrhundert 15

Wenn man daraus überhaupt noch Schlüsse ziehen kann, dann vielleicht nur den,
daß Arbeit als Prozeß nicht an sich selbstbestimmt, sondern gegen ihren Zweck
letztlich gleichgültig ist und sogar zum Mittel industrieller Massenvernichtung wer-
den kann, wenn nur die Bereitschaft dazu kollektiv vorhanden ist.14 Für diese Bereit-
schaft mag es ideologische, ökonomische, sozialpsychologische Motive geben, die
in den entsprechenden Disziplinen erforscht worden sind. Was aber letztendlich un-
faßbar daran ist und bleibt, ist die darin praktisch gewordene Gewalt, die jede Affir-
mation von Arbeit als Inbegriff der Selbstbestimmung ad absurdum führt: „Das Ge-
fühl, das nach Auschwitz gegen jegliche Behauptung von Positivität des Daseins als
Salbadern, Unrecht an den Opfern sich sträubt, dagegen, daß aus ihrem Schicksal
ein sei’s noch so ausgelaugter Sinn gepreßt wird, hat sein objektives Moment nach
Ereignissen, welche die Konstruktion eines Sinnes der Immanenz, der von affirma-
tiv gesetzter Transzendenz ausstrahlt, zum Hohn verurteilen.“15
Der Liberalismus des 20. Jahrhunderts bezieht seine politische Motivation sowohl
aus der Abgrenzung gegen den real existierenden Sozialismus als auch gegen den
Nationalsozialismus. Beiden wird ein Totalitarismus vorgeworfen, der gegen die
Opfer beider Systeme rücksichtslos gewesen sei, wobei dieser Vorwurf gegen die
Zwecke und Mittel der beiden Systeme im einzelnen abstrakt bleibt. In den liberalen
Theorien wird daher die Freiheit des Individuums und dessen Eigenverantwortlich-
keit in den Fokus der politischen Freiheitsidee gestellt. An politischen Forderungen
ist damit alles verbunden, was heutzutage zumindest in der westlichen Welt auch
politisch anerkannt und institutionalisiert ist: freie Marktwirtschaft mit dem Schutz
des Privateigentums, Demokratie, Grundrechte, insgesamt Rechts- und Verfassungs-
staatlichkeit. Planwirtschaft wird generell abgelehnt, nur die Frage, wieviel staatli-
cher Eingriff zum Erhalt der Marktwirtschaft nötig sei, wird innerhalb des liberalen
Spektrums unterschiedlich beurteilt. Mit dem Anspruch der Eigenverantwortlichkeit
der Individuen erhält auch der Arbeitsbegriff eine neue Wertung: Die Arbeitswelt

13
Vgl. Robert Menasse: „Das mit der Rasse ist ‚typisch für den damaligen Zeitgeist‘, aber so richtig
bedrückend ist erst die Tatsache, dass diese Idee, es könne eine Form der Arbeit geben, die in ge-
sellschaftlichen Abhängigkeitsverhältnissen besteht und dabei nicht-entfremdet ist, heute ungebro-
chen weiterlebt und Grundlage von moderner Arbeitsmarktpolitik ebenso wie von zeitgeistigen in-
dividuellen Lebensentwürfen ist. Denn nichts anderes glaubten und glauben heute anständige So-
zialisten, die Alternativen ebenso wie moderne Bobos (bourgeoise Bohemiens), aber nichts ande-
res glaubten eben auch die SS-Komandanten die den Satz ‚Arbeit macht frei‘ über den Toren der
Konzentrationslager anbringen ließen.“ Robert Menasse. „Arbeit, Freiheit und Wahn.“ 15.
14
Richard Sennett beschreibt ebenfalls die Gleichgültigkeit der technisch bestimmten Arbeit gegen
ihren ethischen Charakter. Die Arbeit wird nach seiner Terminologie vom Animal laborans ver-
richtet, im Gegensatz zum Homo faber, der reflektiert und urteilt: „Gute Beispiele dafür sind Op-
penheimers Gefühl, der Bau der Atombombe sei eine ‚verlockende‘ Aufgabe, und Eichmanns ob-
sessive Bemühungen um eine größtmögliche Effizienz der Gaskammern. Nichts anderes zählt bei
dem Versuch, dieses Ziel zu erreichen. Für das Animal laborans ist die Arbeit Selbstzweck.“ Ri-
chard Sennett. Handwerk. Berlin 2008, 15 f.
15
Theodor W. Adorno. Gesammelte Schriften Bd. 6 (Negative Dialektik). Darmstadt, 1998, 354 (im
folgenden Negative Dialektik).
16 Einleitung

wird zur Sphäre der Selbstverwirklichung, der Beruf zum Lebenssinn und zum Aus-
druck individueller Freiheit.16
Wenngleich mit der liberalen Idee bestimmte subjektive Rechte und objektive
Rechtsgrundsätze formuliert werden, hinter die nicht mehr zurückgegangen werden
darf, erscheint mittelbar auch in den liberal organisierten Gesellschaften die Arbeits-
welt paradox, da deren Mitglieder sich wesentlich über Arbeit definieren, es aber
dank technischen Fortschritts scheinbar immer weniger ‚zu tun‘ gibt. Diejenigen,
die einen Arbeitsvertrag haben, arbeiten bis zum burn out, während andere Teile der
Bevölkerung durch Arbeitslosigkeit von der Möglichkeit, sich ihren Lebensunterhalt
zu verdienen und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, abgeschnitten sind. In
der BRD springt der Sozialstaat zwar ein und gewährleistet zumindest eine Grundsi-
cherung. Die Bedingungen, unter denen staatliche Hilfen gewährt werden, haben
sich aber in der Bundesrepublik seit dem Ende der Ostblockstaaten massiv verän-
dert. Solange es darum zu tun war, sich gegen das praktisch gewordene Konkurrenz-
modell des real existierenden Sozialismus abzugrenzen, war der Sozialstaat ein Mit-
tel, zu beweisen, daß die Kritik am Kapitalismus unsozial zu sein, gegenstandslos
ist. Mit dem Ende des real existierende Sozialismus hielt dann nicht nur das Diktum
Einzug, daß mit dem politischen Wandel auch die Kritik am etablierten System
praktisch widerlegt worden sei, sondern auch die Notwendigkeit, sich durch eine
teure Sozialpolitik eine bessere Akzeptanz in der Bevölkerung zu verschaffen. Die
Diskussionen um den politischen und ökonomischen Stellenwert von Arbeit in der
modernen Gesellschaft verschwanden von der Tagesordnung. Sie wurden ersetzt
durch die Tat, also den Umbau des bundesdeutschen Sozialstaates durch die Einfüh-
rung der sogenannten Hartz-Gesetze, vor allem Hartz IV. Arbeit und vor allem auch
Arbeitslosigkeit sollten dadurch günstiger, effizienter organisiert werden, und zwar
auf Kosten der Hilfebedürftigen – wohl nicht zuletzt auch, um die Deutsche Einheit
als Folge des Untergangs des real existierenden Sozialismus zu finanzieren. Seither
bekommen die Hilfeempfänger in bislang nicht gekanntem Ausmaß zu spüren, daß
sie für die Hilfeleistungen mit der Einschränkung ihrer Grundrechte bezahlen. Wer
einmal ein JobCenter von innen gesehen hat und mit den Organen der staatlichen
Arbeitslosenverwaltung konfrontiert wurde, weiß, wie so etwas innerhalb der rechts-
staatlich zumutbaren Grenzen funktioniert. Der naive Gedanke, daß Arbeitslosigkeit
auch ein Zustand der Muße und selbstbestimmten Tätigkeit sein könnte, wird heut-
zutage im Keim erstickt. Aber der Gedanke erscheint nur unter heutigen Bedingun-
gen als naiv: In Antike und Mittelalter war er selbstverständlich. Daß die Muße da-
mals durch offen despotische Herrschaft erkauft war, spricht nicht dagegen, an diese
Auffassung zu erinnern, weil das Niveau der Produktivität heute eine Ermäßigung
der Arbeitsnot aller unter herrschaftsfreien Bedingungen zugunsten selbstbestimmter
Tätigkeiten zuließe. Dennoch werden Selbstbestimmung und gesellschaftliche Aner-
16
Als wichtige Repräsentanten liberaler Theorien sind u. a. folgende Autoren zu nennen: Friedrich
A. Hayek. Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit. München 1981; Karl Popper. Die offene Ge-
sellschaft und ihre Feinde. Tübingen, 1992.
Die Begriffe Arbeit und Selbstbestimmung im 20. Jahrhundert 17

kennung nur dem zugestanden, der das Leben durch eigene Arbeit finanzieren kann.
Aber erstens beruht die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, auf ei-
nem Wirtschaftssystem, in dem der Zustand der Vollbeschäftigung nur als Sonderfall
denkbar ist, und zweitens haben diejenigen, die einen Arbeitsvertrag haben, norma-
lerweise nicht mehr viel Zeit für Tätigkeiten, die ökonomisch nicht produktiv sind.
In der Moderne bleibt die Selbstbestimmung den ökonomischen Zwängen unterge-
ordnet und wird damit in ihr Gegenteil verkehrt.
So sehr sich die Vertreter der genannten Lager auf unterschiedliche politische Ide-
en beziehen, so sehr haben sie doch auch eine, wenngleich nur abstrakte Gemein-
samkeit: Nur wer sich im Sinne des jeweiligen politischen Ziels als nützlich erweist,
wird auch als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft behandelt, während diejenigen,
die nicht nützlich sind oder ausgegrenzt werden, stigmatisiert und, wo keine rechts-
staatlichen Prinzipien gelten, als Feinde der politischen Idee beseitigt werden. Nur
wenn die Menschen sich für den jeweiligen politischen Zweck als nützlich erweisen,
haben sie auch eine Existenzberechtigung. Daß etwas unnütz ist, sei eine Schande.
Obwohl Hegel bereits zum Beginn der bürgerlichen Epoche lebte, war der Begriff
der Selbstbestimmung bei ihm noch anders intendiert, nicht pragmatisch, sondern in
dem euphorischen Sinn, daß sich die Menschheit mit der Französischen Revolution
zum Rechts- und Bestimmungsgrund geworden sei. Nicht der Mensch diene dem-
nach einem ihm fremden, politischen System, das die Mittel heiligt, sondern das
politische System ist die Organisationsform menschlicher Freiheit. Der Begriff der
Selbstbestimmung Hegels ist gerade nicht politisch, sondern philosophisch begrün-
det. Darin liegt gleichermaßen eine kritische wie eine apologetische Tendenz, die ih-
rerseits zu kritisieren ist. Der Blick zurück auf diese Konstellation zwischen kriti-
scher Potenz und apologetischer Tendenz des Hegelschen Begriffs der
Selbstbestimmung vermag hoffentlich ein Licht darauf zu werfen, was in den heuti-
gen Lebens- und Arbeitsbedingungen unbewältigt geblieben ist und warum die Vor-
stellung, daß die gesellschaftliche, ökonomische und moralische Selbstbestimmung
ein historisch verwirklichtes Gut sei, noch immer in ihr Gegenteil, die Negation des-
sen, was Menschheit als Zweck an sich selbst hätte sein können, umgeschlagen ist.
Oder mit Hegel gesagt: Das Vorwärtsgehen ist ein Rückgang in den Grund.17

17
Vgl. Georg W. F. Hegel. Hauptwerke Bd. 3 (Wissenschaft der Logik; Die objektive Logik; Buch 1.
Die Lehre vom Sein (1832). Buch 2. Die Lehre vom Wesen (1813)). Darmstadt, 1999, 57 (im fol-
genden Lehre vom Sein und vom Wesen). Die Frage nach der Modernität Hegels hat in den letzten
Jahren eine Renaissance erlebt. Vgl. z. B. Robert Pippin. Die Verwirklichung der Freiheit. Der
Idealismus als Diskurs der Moderne. Frankfurt a. M./New York, 2005; Johann Kreuzer. Hegels
Aktualität: über die Wirklichkeit der Vernunft in postmetaphysischer Zeit. München, 2010. Hans-
Christoph Schmidt am Busch. Hegels Begriff der Arbeit. Berlin, 2002.
18 Einleitung

1.2 Zurück zu Hegel: Die Arbeit des Geistes


Der Begriff der Selbstbestimmung bzw. der selbstbestimmten Arbeit ist bei Hegel nicht
auf die ökonomische oder politische Fragestellung nach der Funktion und dem Wert von
Arbeit beschränkt, sondern ein Begriff, der im Zusammenhang seines philosophischen
Programms zu bestimmten ist.18
Das Subjekt der Selbstbestimmung ist in seiner konkretesten Gestalt der frei für sich
seiende Geist, der sich im Medium des Begriffs ebenso bestimmt wie in der Objektivität
der Natur, der Kunst, der Religion oder der Geschichte. Erstens bestimmt er sich in Ab-
grenzung gegen das, was er nicht ist. Selbstbestimmung ist Negation. Zweitens be-
stimmt er sich, indem er das Andere umgestaltet, es als sein Medium durcharbeitet und
zur Gestalt seiner Selbstbestimmung macht. Der Geist ist insofern Negation der ersten
Negation und wird produktiv. Selbstbestimmung ist damit sowohl ein theoretischer wie
praktischer Prozeß und es ist in einem dritten Schritt um die Vermittlung der theoreti-
schen und der praktischen Bewegung zu tun.
Die Selbstbestimmung des Geistes genügt der Form zweckgerichteter Tätigkeit: Ein
Subjekt, der Geist, bezieht sich theoretisch und praktisch auf das von ihm vorgefundene
Material, und gestaltet es seinen Zwecken gemäß. Das Material, in dem der Zweck reali-
siert ist, ist ein ausgeführter Zweck. Es ist damit einerseits durch den Zweck bestimmt
und die Relation zwischen Geist und ausgeführtem Zweck reflexiv. Andererseits ist der
ausgeführte Zweck vom reinen Zweck auch unterschieden – das Material ist kein Be-
griff. Die Selbstbestimmung des Geistes ist seine Arbeit. Die Aufgabe des Geistes be-
steht darin, sich als Wesen und Grund des Systems philosophischer Wissenschaften zu
erweisen. Diesem übergeordneten Zweck sind die verschiedenen Sphären des Systems
als Momente seiner Erfüllung untergeordnet. Das bedeutet für den Begriff der Arbeit
zweierlei: Zum einen ist der Geist Subjekt und Objekt der Arbeit und bezieht sich auf
die verschiedenen Gegenstandsbereiche als seine Momente. Damit umfaßt der Arbeits-
begriff Hegels mehr als nur die Arbeit, die zur Reproduktion dient. Arbeit ist bei Hegel
ebenso intellektuelle Tätigkeit, Arbeit der geistesgeschichtlichen und der individuellen
Bildung der Individuen, künstlerische Arbeit usw.19 Insofern Hegel Arbeit als Reproduk-
tionsarbeit betrachtet, stellt sich für ihn zum anderen die Differenz zwischen der Arbeit
des Begriffs und der Reproduktionsarbeit nicht als absolute Differenz dar, sondern sie ist
eine Funktion für die Realisierung des Geistes. Reproduktionsarbeit kann damit zwar
bezogen auf den terminus ad quem des Systems, den Geist, unterschiedlich entwickelt
sein. Sie ist aber in jedem Stadium zugleich selbstbestimmt, weil sie eine Funktion zur
Erfüllung des Zwecks ist.

18
Vgl. auch Andreas Arndt. „Zu Herkunft und Funktion des Arbeitsbegriffs in Hegels Geistesphilo-
sophie.“ In Die Arbeit der Philosophie. Berlin, 2003, 27, 48.
19
So verwendet Hegel in der Vorrede zur Phänomenologie den Terminus Arbeit, um die Tätigkeit
des Negativen (vgl. G. W. F. Hegel. Hauptwerke Bd. 2 (Phänomenologie des Geistes, im folgen-
den Phänomenologie des Geistes). Darmstadt, 1999, 18), der Weltgeschichte (vgl. ebd., 25) und
des Verstandes (vgl. ebd., 27) zu bezeichnen.
Zurück zu Hegel: Die Arbeit des Geistes 19

Das damit skizzierte Systemprogramm bedeutet für das Verhältnis von Arbeit und
Selbstbestimmung, daß darin die systematische Ineinanderbildung von Ökonomie, Ge-
sellschaft und Moralität in der Sittlichkeit nachweisbar sein muß, mithin, daß der von
Hegel in den Grundlinien gezeichnete Gesellschaftsbegriff sich als vernünftig und um-
gekehrt die Vernunft in diesem Begriff als verwirklicht erweisen lassen muß. 20 Der Be-
griff der Wirklichkeit ist vom Begriff der Realität bei Hegel zu unterscheiden. Mit Rea-
lität wird die Unangemessenheit des Begriffs und seiner Realität, Realität also als
empirische, vorgefundene bezeichnet. Mit dem Begriff der Wirklichkeit bezeichnet He-
gel hingegen eine empirische Realität, die begrifflich durchgearbeitet und deshalb ihrem
Wesen nach vernünftig ist. In den Grundlinen soll von der Wirklichkeit des Sittlichen
die Rede sein, also von der historisch gewordenen Wirklichkeit einer vernünftigen Ge-
sellschaftskonstruktion. Es wird in dieser Arbeit noch die Frage zu stellen sein, ob sich
mit diesem Programm nicht notwendig die beiden Begriffe Wirklichkeit und Realität bei
Hegel vermischen, so daß mit dem Begriff der Gesellschaft zugleich historische Bezüge
hergestellt werden, die dem Vernunftbegriff nicht zu integrieren sind.
Das Gelingen des Nachweises einer verwirklichten Vernunft ist jedenfalls eine Bedin-
gung dafür, daß Selbstbestimmung nicht nur im Elfenbeinturm der Philosophie stattfin-
det, sondern auch objektive Gehalte hat: Der Staat der Grundlinien ist der Inbegriff von
Selbstbestimmung, weil in ihm Philosophie und Realität in Freiheit vermittelt sein sol-
len. Diesem emphatischen Programm stehen aber Bestimmungen gegenüber, die For-
men der Zwangsarbeit und Knechtschaft (Phänomenologie) bewußtseinstheoretisch auf-
werten und an der vernünftigen Begründung dafür, daß das System der Bedürfnis
(-befriedigung) nicht die Bedürfnisse aller befriedigen kann, scheitert (Grundlinien).
Wie sich der Bruch zwischen philosophischer Theorie und gesellschaftlicher Praxis ge-
gen das Programm Hegels schon im Teleologiekapitel der Wissenschaft der Logik Gel-
tung verschafft und sich als Bruch zwischen Subjektivität und Objektivität schlechthin
auch in die weiteren Sphären des philosophischen Systems fortsetzt, soll hier untersucht
werden. Dabei werden die früheren Schriften Hegels, insbesondere die Systementwürfe
(1801–1806) im Rahmen dieser Arbeit vernachlässigt, erstens, um das Thema einzu-
grenzen, zweitens, weil die meisten Überlegungen zum Arbeitsbegriff Hegels in der For-
schungsliteratur sich schon auf die Frühschriften stützen und dem nicht noch ein weite-
res Projekt hinzugefügt werden muß, und drittens, weil die späteren und im Sinne des
20
Vgl. G. W. F. Hegel. Werke Bd. 7 (Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und
Staatswissenschaft im Grundrisse). Frankfurt a. M., 1995, 24 (im folgenden Grundlinien (Werke)).
Auf die Frage, inwieweit der Satz von der vernünftigen Wirklichkeit und der verwirklichten Ver-
nunft aus der Vorrede der Grundlinien im Sinne der preußischen Restauration zu interpretieren ist
oder nicht, wird hier nicht weiter eingegangen (vgl. Rudolf Haym. Hegel und seine Zeit. Hildes-
heim, 1962, 359). Diese Frage hat eine eigene Wirkungsgeschichte (Vgl. z. B. Iring Fetscher.
„Vorwort“. In Hegel in der Sicht der neueren Forschung, hrsg. v. Iring Fetscher, Darmstadt, 1973,
Kapitel IX.) Walter Jaeschke faßt das Problem wie folgt zusammen: „Zum philosophiehistorischen
Traktat wird die ‚Vorrede‘ somit nicht durch ihre angebliche Rechtfertigung des zufällig Bestehen-
den oder gar der programmatischen Restauration des bereits Vergangenen, sondern vielmehr durch
ihren Versuch, die Philosophie aus solchen tagespolitischen Auseinandersetzungen herauszuhalten
und auf die apolitische Erkenntnis der Vernunftstruktur der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu ver-
pflichten.“ Walter Jaeschke. Hegel-Handbuch. Stuttgart [u. a.], 2003, 275.
20 Einleitung

Systemgedankens avancierteren Schriften für den hier angelegten Problemaufriß geeig-


neter sind.21
Wenn Selbstbestimmung sich nicht einmal im philosophischen System bruchlos ver-
nünftig denken läßt, dann politisch schon gar nicht. Die Affirmation der Reproduktions-
arbeit als Sphäre individueller Selbstverwirklichung und Prüfstein gesellschaftlicher An-
erkennung durch den „gesunden Menschenverstand“ erweist darin indirekt ihren
ideologischen Charakter.
Die Frage nach dem Grund für das Aufbrechen des sittlichen Systems ist aus dem Sy-
stem selbst nicht abzuleiten, sondern ist ein Indiz sowohl für die Selbständigkeit der von
Hegel philosophisch abgehandelten Gegenstandsbereiche gegen den Systemgedanken
als auch dafür, daß die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen gearbeitet wird,
nicht die Verwirklichung der Vernunft bedeuten. Für den Begriff selbstbestimmter Ar-
beit bedeutet das, daß er auseinanderbricht. Geistige Arbeit und Reproduktionsarbeit
sind auf unterschiedliche Gegenstandsbereiche bezogen, die in unterschiedlicher Weise
Reflexivität und Autonomie ermöglichen. Es stellt einen Unterschied dar, ob Natur prak-
tisch bearbeitet wird, oder ob über die Gesetzmäßigkeiten der Natur in den Naturwissen-
schaften reflektiert und experimentiert wird, oder ob sich das Denken in der Philosophie
nur noch auf seine eigenen Prinzipien bezieht. Was aber der Bearbeitung der unter-
schiedlichen Gegenstände als gemeinsamer Grundlage unterstellt bleibt, sind die je hi-
storisch gegebenen, gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen Arbeit stattfindet. Das
Scheitern der Selbstbestimmung des Geistes hat deshalb einen ontologischen Grund, ist
aber ebenso auch gesellschaftlich bedingt.
Wenn der Systemgedanke Hegels nicht einzulösen ist, dann muß das Einfluß auf die
Darstellung in diesem Projekt haben. Wenn der Grund, in den zurückgegangen werden
soll, nicht der Geist, sondern die historisch-ökonomischen Bedingungen sind, dann kann
die Darstellung nicht der systematischen Anordnung Hegels folgen, sondern muß den
Begriff um seine objektiven Bedingungen gruppieren. Gemäß der Enzyklopädie der phi-
losophischen Wissenschaften sind diese Sphären, der Begriff des Systems in der Logik,
der Naturphilosophie und der Philosophie des Geistes mit den Abteilungen der Phäno-
menologie und der Rechtsphilosophie, nacheinander angeordnet. In einer anderen Vari-
ante erscheint die Phänomenologie des Geistes als Einleitung in die Wissenschaft der
Logik. Davon abweichend wird hier vom logischen Begriff der Selbstbestimmung in der
Teleologie auf deren materiale und historische Bedingtheit geschlossen. Hegel legt in
der Wissenschaft der Logik mit dem Begriff der Teleologie denjenigen Begriff dar, wel-
cher auch der Entwicklung der Arbeitsbegriffe der Phänomenologie und der Grundlini-
en zugrunde liegt. Darum wird auch im Rahmen dieser Arbeit mit dem Teleologiebegriff
der Logik begonnen. Die materialen, praktischen und historischen Bedingungen der
Selbstbestimmung werden bei Hegel zum Gegenstand der Phänomenologie des Geistes.
Die Synthese des logischen Begriffs der Selbstbestimmung und ihrer material-histori-
schen Bedingtheit wird in den Grundlinien der Philosophie des Rechts thematisch.
21
Einen Überblick über die Entwicklung in den Frühschriften gibt: Charles Taylor. Hegel. Frankfurt
a. M., 1983, 81–112.
Zurück zu Hegel: Die Arbeit des Geistes 21

Der Begriff von Arbeit, der hier gewonnen werden soll, sperrt sich gegen die In-
tention der Vermittlung. Einerseits erklärt Hegel Selbstbestimmung als wirklich, an-
dererseits gerät dieser Begriff in Widersprüche zur jeweils verhandelten Gestalt von
Objektivität. Diese Widersprüche sollen herausgearbeitet und auf ihren jeweiligen
historisch-kritischen Gehalt hin überprüft werden. Es soll nachgewiesen werden,
daß Hegel einen Begriff von Selbstbestimmung entwirft, der als Maßstab der Kritik
moderner Verhältnisse gilt, der aber – gegen Hegel – gleichzeitig historisch nicht
realisiert ist und deshalb keinen adäquaten Gegenstand in der Erfahrung hat – nicht
zu Hegels Zeit und auch nicht heute. Der kritische Begriff der Arbeit, der aus der In-
terpretation und Kritik des Hegelschen Begriffs von Selbstbestimmung zu gewinnen
ist, sperrt sich ebenso gegen eine Positivierung, die ideologisch wäre, wie er sich
gegen die Resignation vor dem Anspruch an eine selbstbestimmte Praxis sperrt.
Die historisch-kritische Interpretation in der hier durchgeführten Kommentierung
steht in der Tradition Adornos, dessen Hegel-Kritik oft genug als „pauschal“ ver-
worfen wird.22 Die historisch-kritische Kommentierung ist aber weniger pauschal als
andere Interpretationsweisen: Sie grenzt sich gegen positivistische und liberalisti-
sche Auslegungsweisen des Selbstbestimmungsbegriffs ebenso ab, wie gegen totali-
taristische oder dialektisch-materialistische: Gegen einen totalitaristischen Selbstbe-
stimmungsbegriff wendet sich die historisch-kritische Kommentierung, indem sie
sich auf die gegenständlichen Bedingungen der Begriffsbildung kritisch bezieht, und
so gar keinen Totalitätsbegriff zuläßt, denn dieser müßte über den gegenständlichen
Bedingungen zu stehen kommen. Gegen positivistische oder liberalistische Reduk-
tionen von Selbstbestimmung auf Fragen des praktischen Funktionierens und der in-
dividuellen Selbstverwirklichung wendet sie sich ebenso, 23 indem an der Möglich-
keit von Selbstbestimmung festgehalten und die Notwendigkeit eines kritischen
Maßstabs begründet wird. Auch mit einer dialektisch-materialistischen Vorgehens-
weise ist die historisch-kritische nicht zu verwechseln. Dialektisch-materialistisch
zu argumentieren, hieße, das Bewußtsein aus der Wirklichkeit affirmativ deduzieren
zu wollen. Ein kritisches Verfahren müßte aber eben diese Affirmation wiederum
hinterfragen.

22
Robert Pippin. Die Verwirklichung der Freiheit, 168; aber auch Axel Honneth. „Einleitung“. In
Rahel Jaeggi. Entfremdung. Zur Aktualität eines sozialphilosophischen Problems. Frankfurt
a. M./New York, 2005.
23
So z. B. Rudolf Haym. Hegel und seine Zeit. Rahel Jaeggi sieht im Begriff der Selbstbestimmung
ein konstruktives Konzept im Sinne einer gelungenen Lebensführung: „Sein eigenes Leben zu
führen bedeutet, in seinem Leben Projekte voranzutreiben, die man selbstbestimmt verfolgt, die
man sich dabei zu Eigen machen und mit denen man sich affektiv identifizieren kann.“ Rahel Jaeg-
gi. Entfremdung, 239.
22 Einleitung

1.3 Gegendarstellung
Bereits Hegel beschreibt in den Grundlinien der Philosophie des Recht das Phänomen
der Unverhältnismäßigkeit von Reichtum und Armut bzw. Anerkennung durch Arbeit
und der Existenz der Arbeitslosen in der bürgerlichen Gesellschaft: „Es kommt hierin
zum Vorschein, daß bei dem Übermaße des Reichtums die bürgerliche Gesellschaft
nicht reich genug ist, d. h. an dem ihr eigentümlichen Vermögen nicht genug besitzt,
dem Übermaße der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern.“ 24 Während bei
Hegel die Erklärung dieses Phänomens noch unzureichend bleibt (was im Laufe dieser
Arbeit noch ausgeführt werden muß), führt Marx sie in der Nachfolge Hegels als erster
auf ihren ökonomischen Grund zurück.
Marx hat die Fabrikarbeit zur Zeit der Industrialisierung vor Augen. Er konstatiert,
daß sich der Teil der gesellschaftlichen Produktion, der auf die unmittelbare Reprodukti-
on von Lebens- und Produktionsmitteln geht, im Verhältnis zum Dienstleistungs- und
Finanzsektor, aber auch zur staatlichen Organisation und Verwaltung verkleinert. „Es ist
eine der zivilisatorischen Seiten des Kapitals, daß es diese Mehrarbeit in einer Weise
und unter Bedingungen erzwingt, die der Entwicklung der Produktivkräfte, der ge-
sellschaftlichen Verhältnisse und der Schöpfung der Elemente für eine höhere Neubil-
dung vorteilhafter sind als unter den früheren Formen der Sklaverei, Leibeigenschaft
usw. Es führt so einerseits eine Stufe herbei, wo der Zwang und die Monopolisierung
der gesellschaftlichen Entwicklung (einschließlich ihrer materiellen und intellektuellen
Vorteile) durch einen Teil der Gesellschaft auf Kosten des anderen wegfällt; andererseits
schafft sie die materiellen Mittel und den Keim zu Verhältnissen, die in einer höheren
Form der Gesellschaft erlauben, diese Mehrarbeit zu verbinden mit einer größeren Be-
schränkung der der materiellen Arbeit überhaupt gewidmeten Zeit.“25 Der Grund für die-
ses Phänomen ist der technische Fortschritt, der bewirkt, daß in kürzerer Zeit und mit
weniger Aufwand an Arbeitskraft mehr Produkte hergestellt werden können. Mit dieser
Produktivkraftsteigerung geht einher, daß Teile der Bevölkerung gemessen am Zweck
der gesamtgesellschaftlichen Reproduktion technisch überflüssig, also arbeitslos wer-
den.
Dem entgegen wirkt eine andere Tendenz, die auf der zentralen Funktion der Arbeit
als Wertsubstanz beruht. Arbeit ist nicht nur der Prozeß zur Herstellung von Gebrauchs-
gütern, sondern auch Prozeß der Vergegenständlichung des Mehrwerts in den Arbeits-
produkten. Im Mehrprodukt ist ein Quantum Arbeit vergegenständlicht, das über die Re-
produktionskosten der Arbeitskraft und der Produktionsmittel hinausgeht. Je kleiner
diese Reproduktionskosten sind, desto größer ist der in einem Produkt vergegenständ-
lichte Mehrwert. Das Kapitalistische am Kapitalismus ist, daß erstens dieses Mehrpro-
dukt nicht dem Arbeiter, sondern dem Kapitalisten gehört, und zweitens, daß nicht ein-
24
G. W. F. Hegel. Grundlinien (Werke), 390, § 245.
25
Karl Marx. Das Kapital: Kritik der politischen Ökonomie. Der Gesamtprozeß der kapitalistischen
Produktion. Bd. 3. MEW Bd. 25. Berlin, 1962, 827 (im folgenden Das Kapital. Der Produktions-
prozeß des Kapitals.)
Gegendarstellung 23

mal der willkürlich mit seinem Eigentum umgehen kann, sondern ersteinmal ausführen-
des Organ des gesamtgesellschaftlichen Zwecks der Produktion und Akkumulation von
Mehrwert ist. Der Notwendigkeit, diesen gesellschaftlich produzierten Sachzwang zu
erfüllen, werden alle anderen Interessen und Zwecke früher oder später praktisch unter-
geordnet. Für die Arbeitskräfte, die das Mehrprodukt produzieren müssen, bedeutet das
kapitalistische Streben nach Akkumulation, daß ihre Arbeitsverhältnisse ökonomisch ef-
fektiv und damit rücksichtslos gegen Gesundheit und Bedürfnisse der Arbeitskräfte or-
ganisiert sind. Arbeit ist damit sowohl Bedingung der Möglichkeit der Mehrwertproduk-
tion, als auch der Produktivkraftsteigerung durch Akkumulation von Material und
Wissen in den Produktionsmitteln. Gesamtgesellschaftlich ist es deshalb sowohl zweck-
dienlich, menschliche Arbeit zu ersetzen und den Produktionsprozeß dadurch kosten-
günstiger zu gestalten, als auch menschliche Arbeitskraft anzuwenden, weil nur Men-
schen ein Mehrprodukt produzieren können. Auf diese Weise verbirgt sich hinter dem
Arbeitsbegriff ein zentraler Begriff in der Analyse der kapitalistischen Produktionsweise.
Anders als es Hegel aus seiner philosophischen Perspektive entwickelt hatte, ist nicht
die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschheit und deren sittliche Bildung Zweck der
kapitalistischen Produktionsweise, sondern die Akkumulation um der Akkumulation
willen. Damit rückt das Ziel der Realisierung des Subjektes der Sittlichkeit, die Mensch-
heit in jedem einzelnen Menschen, in unerreichbare Ferne.
Um verstehen zu können, daß sich Einzelne den ökonomischen Zwängen nicht entzie-
hen können, ist es entscheidend, den gesamtgesellschaftlichen Charakter der kapitalisti-
schen Produktionsweise zu betonen. Dieser gesamtgesellschaftliche Charakter ist in der
gesellschaftlichen Organisation manifest. D. h. daß die juristischen Grundlagen und ver-
walterischen Institutionen ebenso wie die Organisation der ökonomischen Sphäre insge-
samt zweckmäßig im Sinne der Akkumulation um der Akkumulation willen sind – nicht
aber im Sinne einer vernünftigen Organisation menschlichen Lebens. Dadurch wird das
Handeln der Mitglieder unter Sachzwang gestellt: Wer sich seine Lebensmittel beschaffen
will, wer also leben will, muß sich den Bedingungen des Waren- und Arbeitsmarktes an-
passen, nicht umgekehrt. Intellektuell bleibt zwar die Möglichkeit der kritischen Reflexion
über die Verhältnisse, aber nur unter dem Vorbehalt, daß auch die Kritik unter gesellschaft-
lichen Bedingungen stattfindet, die sie nicht unbeeinflusst lassen.26 Damit stellt sich für
die Gesellschaftskritik das Problem, von welchem Standpunkt aus Kritik überhaupt mög-
lich ist und mit welchem begrifflichen Instrumentarium diese Kritik formuliert werden
kann.27

26
Dieses Phänomen beschreibt auch Michael Heinrich vor dem Hintergrund seiner Kritik an der
Wissenschaftstheorie. Vgl. Michael Heinrich. Die Wissenschaft vom Wert. Die Marxsche Kritik
der politischen Ökonomie zwischen wissenschaftlicher Revolution und klassischer Tradition.
Münster, 2001, 24. Heinrich ist an der „Kohärenz und Erklärungskraft der entwickelten ökonomi-
schen Theorie von Marx“ (ebd., 25) interessiert, weniger an einer wissenschaftsgeschichtlichen
Untersuchung.
27
Vgl. Frank Kuhne „Mit diesem paradox erscheinenden Resultat der Kritik der politischen Ökono-
mie stellt sich die Frage nach deren Subjekt und dessen Verhältnis zum Gegenstand der Theorie.“
Frank Kuhne. Begriff und Zitat bei Marx. Lüneburg, 1995, 89.
24 Einleitung

Marx zeigt in den drei Bänden des Kapitals die Diskrepanz zwischen dem Anspruch
an sittliche Selbstbestimmung und Empirie durch die wissenschaftliche Kritik der ge-
sellschaftlichen Verhältnisse auf, ohne im Kapital mit den moralphilosophischen Begrif-
fen zu operieren, die dieser Kritik unterstellt sind. Weder ist die Kritik der politischen
Ökonomie eine Utopie der befreiten Gesellschaft noch eine Revolutionstheorie. In die-
sem Verhältnis von System und Geschichte, von Selbstbestimmung und Gesellschafts-
kritik liegt eine Leerstelle,28 die einerseits objektiv notwendig ist, weil Selbstbestim-
mung und Arbeit in der kapitalistischen Produktionsweise nicht dasselbe sind,
andererseits bedarf diese Leerstelle der Begründung, denn der moralische Maßstab ist an
die Verhältnisse notwendig anzulegen, kann aber nur rekursiv erschlossen werden durch
den Rückgriff auf geistesgeschichtlich frühere Modelle. Die avancierteste Gestalt des
Begriffs von Selbstbestimmung liegt in der Philosophie Hegels vor.
Erst aus der Perspektive dieses Arguments wird deutlich, was damit gemeint ist, daß
der Hegelsche Begriff der Selbstbestimmung Maßstab der Kritik der Verhältnisse ist:
Maßstab ist ein Begriff, an dem gemessen die Mängel der Gegenwart zu kritisieren sind.
Umgekehrt wird die unkritische Affirmation dieses Begriffs, wie gezeigt, zur Ideolo-
gie.29 Das Bewußtsein der Uneingelöstheit des Anspruchs auf Selbstbestimmung ist die
Bedingung der Möglichkeit seiner Einlösung. Es bleibt die Aufgabe jedes Einzelnen,
sich an dieser Einsicht, die nicht neu, aber modern ist, abzuarbeiten.

1.4 Noch mehr Grundsätzliches zur Darstellung


Ein weiteres Problem der Darstellung, das im Vorfeld kurz umrissen werden soll, be-
zieht sich auf die Frage, warum der Bestimmung des erkenntnistheoretischen Begriffs-
apparates der Wissenschaft der Logik wie der Phänomenologie des Geistes so viel Raum
eingeräumt wird, wenn es nur darum geht, das Verhältnis von Arbeit und Selbstbestim-
mung zu bestimmen?
28
Vgl. auch Manfred Riedel: „Hegel hat diese Arbeit hineingestellt in jene Arbeit, in der die
Menschheit geschichtlich das, was ist, in das Wissen und in die Freiheit bringt, sich ein Wissen
vom Wirklichen im Sichwissen des Wirklichen erarbeitet. Marx weist nun in seiner ‚Phänomeno-
logie des Geistes‘, in den Pariser Manuskripten, nach, daß Hegel nur die ‚geistige Arbeit‘, nicht
die wirkliche Arbeit gekannt habe, daß er in seiner teleologisch sich schließenden ‚transzendenta-
len Geschichte‘ ein imaginäres absolutes Wissen als letzten Träger dieser Arbeit aufgestellt, die
wirklichen geschichtlichen Träger aber nicht in den Blick gebracht habe. Marx sucht deshalb He-
gels ‚wirkliches Wissen‘ an seinen wirklichen Träger zurückzubinden, dieses Wissen in die kon-
tingente Natur- und Menschengeschichte zurückzustellen.“ Manfred Riedel. Theorie und Praxis
im Denken Hegels. Interpretationen zu den Grundstellungen der neuzeitlichen Subjektivität. Stutt-
gart, 1965, 70.
29
Der hier formulierte Gedanke ist auch in Abgrenzung gegen einen Trend jüngerer Zeit zu verste-
hen, wonach häufiger das philosophische Bedürfnis nach Rückbesinnung auf religiöse Grundwerte
artikuliert wird. Stellvertretend sei hier ein Aufsatz von Olivia Mitscherlich zitiert. „Ziel dieser
Neuausrichtung muss es sein, sich des teleologischen Glaubenshorizonts erneut zu versichern, der
philosophische Selbsterkenntnis trägt, anstatt sie zu zersetzten.“ (Olivia Mitscherlich. „Teleologi-
sche Grundlagen philosophischer Selbsterkenntnis.“ In Deutsche Zeitschrift für Philosophie 57.
Hrsg. v. Andrea Esser u. a. Nr. 2 (2009), 228).
Noch mehr Grundsätzliches zur Darstellung 25

Sowohl der Begriff der Arbeit als auch der der Selbstbestimmung bezeichnen zweck-
mäßige Relationen, deren Relata das Subjekt auf der einen und das Objekt auf der ande-
ren Seite sind. Um die Relation bestimmen zu können, ist es also unabdingbar, auch die
Relata zu bestimmen. In der Wissenschaft der Logik spielt sich die zweckmäßige Relati-
on zwischen den Extremen von Subjektivität und Objektivität ab. Die Teleologie steht
zwischen den Begriffen des Mechanismus und Chemismus, in denen der Fokus auf der
Bestimmung eines philosophischen Begriffs von Objektivität liegt, und der unmittelba-
ren Idee, deren Schwerpunkt die Bestimmung der mit der Objektivität vermittelten Sub-
jektivität als Begriff lebendiger Individualität ist. Das Wesen der Begriffe der Wissen-
schaft der Logik ist es, Begriff dessen zu sein, was als Geist real werden soll oder
geworden ist. Es stellt damit das mehr oder weniger konsequent durchgeführte telos der
Argumentationen der Phänomenologie und der Grundlinien dar. Außerdem lassen sich
an den Begriffen der Logik die grundsätzlichen Funktionen und Wertungen des Subjekt-,
Objekt- und Arbeitsbegriffs aufzeigen.
In der Phänomenologie des Geistes spielt sich die zweckgerichtete Tätigkeit zwi-
schen dem Selbstbewußtsein und seiner Objektivität ab. Der Begriff des Selbstbewußt-
seins der Phänomenologie wird wiederum zunächst erkenntnistheoretisch bestimmt als
sinnliche Gewißheit, Wahrnehmung und Kraft, und er wird in der dialektischen Ausein-
andersetzung mit dem Wissen von Objektivität entwickelt, dem sinnlichen Eindruck,
dem wahrgenommenen Ding und den kategorial bestimmten Erfahrungen des Verstan-
des. Erst das in der Auseinandersetzung mit dem Wissen von Objektivität bestimmte
Selbstbewußtsein wird zum Subjekt herrschaftlicher Ankerkennung bzw. Unterwerfung
und auch der herrschaftlich bestimmte Reproduktionsprozeß kann bei Hegel nur aus der
Perspektive des Selbstbewußtseins bestimmt werden. Bei Hegel ist die herrschaftlich or-
ganisierte Arbeit ein Stadium der Realisierung des Selbstbewußtseins und die Kritik an
dieser Vorstellung kann nur als die Kritik am Begriff dieses Selbstbewußtseins vollzo-
gen werden. In der Phänomenologie des Geistes bestimmt Hegel nicht die Selbstbestim-
mung des Begriffs, wie in der Logik, sondern die Selbstbestimmung desjenigen Selbst-
bewußtseins, das in den Begriff der Logik einmündet, das aber gleichsam – und das wird
die Kritik der Passagen zur Logik gegen Hegel zu erweisen haben – die Bedingung der
Selbstbestimmung des logischen Begriffs bleibt.
In den Grundlinien der Philosophie des Rechts werden der Begriff der Selbstbestim-
mung und der Begriff des sich bestimmenden Vermögens, also des Selbstbewußtseins,
in den Kontext ihrer adäquaten gesellschaftlichen Realisierung gestellt. Der Begriff,
nach dem diese Realisierung als gesellschaftliche Realisierung zu organisieren ist, ist
der Begriff der Idee und damit ein Resultat der Wissenschaft der Logik. Dieser Begriff
besagt, daß die Wirklichkeit gut ist, wenn sie nach den theoretischen Erkenntnissen
praktisch organisiert ist. Das Vermögen, welches die gesellschaftliche Realität nach dem
Maßstab des Begriffs bestimmt, ist der vernünftige Wille. Dieser ist zum einen ge-
schichtlich im Bewußtsein seiner geistigen Kräfte und Taten, er ist das geschichtlich zu
sich gekommene Selbstbewußtsein. Zweitens ist er dasjenige Vermögen, welches die
Einsicht in den Begriff von Theorie und Praxis hat und es praktisch umsetzen kann. Hier
26 Einleitung

wird ebenfalls zu zeigen sein, daß die von Hegel entworfene gesellschaftliche Konzepti-
on entgegen seiner Auffassung nicht die historisch wirkliche ist. Hegel bestimmt das
Subjekt der Selbstbestimmung als Geist, der sich in allen Momenten seiner Realisierung
gleich bleibt. Dagegen ist zu zeigen, daß der Geist sich in den gesellschaftlichen Bedin-
gungen seiner Realisierung entfremdet, weil es gerade nicht die von ihm gesetzten Be-
dingungen sind.
Wenn dieses hier noch antizipierte Resultat der Interpretation und Kritik Hegels sich
bewahrheitet, wenn der Begriff der Selbstbestimmung Hegels an der Wirklichkeit schei-
tert, dann ist Selbstbestimmung nur in der Reflexion der Wissenschaft der Logik bei
sich, während sie als Begriff politischer oder ökonomischer Selbstbestimmung immer
auch interessengeleitet und damit tendenziell fremdbestimmt ist. Die Abgrenzung des-
sen, was in der Wirklichkeit gegen die ideologische Vereinnahmung Ausdruck von
Selbstbestimmung ist, setzt einen Begriff voraus, der sich selbst Zweck ist. Selbstbe-
stimmung hat ihren Begriff und damit auch ihre Realität in der Erkenntnistheorie und
Moralphilosophie. Sie ist das Modell für Selbstbestimmung, wenngleich die Hegelsche
Argumentation ihrerseits ebenso zu kritisieren ist. Dies ist ein Grund, warum der er-
kenntnistheoretische Begriffsapparat so ausführlich analysiert wird.
Umgekehrt bliebe die Selbstbestimmung leer, wenn sie sich nicht auch gesellschaftlich
und ökonomisch realisierte. Sie ist ihrem Begriff nach auf etwas verwiesen, in dem sie sich
realisiert. Nachzuweisen ist, daß diese Verwiesenheit sich in zweierlei Weise geltend macht:
In der Fragilität des Begriffs der Selbstbestimmung in der Wissenschaft der Logik, die dem
Absolutheitsanspruch des Begriffs widerspricht. Die Fragilität des Systemanspruchs soll als
der negative Ausdruck der Verwiesenheit der Selbstbestimmung auf die Bedingungen seiner
Realisierung erwiesen werden. In der Interpretation der Logik werden deshalb die Brüche
aufgezeigt, mit denen Hegel operieren muß, um sein Programm einlösen zu können. Es ist
aber umgekehrt ebenso die Frage zu stellen, was auf Seiten der Bedingungen der Realisie-
rung der Selbstbestimmung dieser entgegensteht. Wenn also im folgenden nicht nur die Be-
stimmungen zur Teleologie, zur Herrschaft und zur Arbeit in der bürgerlichen Gesellschaft
untersucht werden, sondern darüber hinaus auch immer die Frage beantwortet wird, in wel-
chem Zusammenhang die Begriffe Objektivität und Subjektivität als Relata der zweckmäßi-
gen Vermittlung stehen, dann deshalb, weil es gegen Hegel nötig ist, mit den Relata auch die
Gegenstandsbereiche zu wechseln. Entsprechend wird in den Exkursen zu den jeweiligen
Kapiteln und in dem Kapitel Gegendarstellung der Versuch unternommen darzustellen, wie
die jeweils verhandelten Gegenstände einzelwissenschaftlich verfaßt sind. Auf den philoso-
phischen Begriff der Selbstbestimmung mit seinen erkenntnistheoretischen, natur- und geist-
philosophischen Voraussetzungen wird rekurriert, weil dort das Subjekt der Selbstbestim-
mung nicht nur in den Grenzen einer entfremdeten Wirklichkeit erscheint, sondern im
Horizont seiner begrifflichen Möglichkeiten. Auf die Exkurse und die Kritik der politischen
Ökonomie wird Bezug genommen, um auf die Bedingungen zu reflektieren, die der Entfal-
tung dieser Möglichkeiten entgegenstehen.
Stand der Forschung 27

1.5 Stand der Forschung


Das Spektrum der Forschungsliteratur reicht von gut erschlossenen Materialsammlun-
gen zu sozial-30, rechts31- und wirtschaftsgeschichtlichen Phänomenen des Arbeits-
begriffs, empirischen Untersuchungen32, bis hin zu theoretischen Abhandlungen aus al-
len politischen Richtungen. Um das Spektrum thematisch einzugrenzen, wird die
Darstellung auf die Literatur beschränkt, die in den letzten 50 Jahren ihren Schwerpunkt
auf die gesellschaftstheoretischen Aspekte des Arbeitsbegriffs gelegt hat und sich damit
im interdisziplinären Spektrum zwischen Philosophie und Soziologie bewegt. Die disku-
tierten Themen sind thematisch vielfältig und nicht geschlossen aufeinander bezogen.
Die gesellschaftstheoretischen Diskussionen um den Arbeitsbegriff sind denkbar he-
terogen. Trotzdem kann ein gemeinsames Ausgangsproblem formuliert werden: In unse-
rer Gegenwart erscheint die Funktion von Arbeit dadurch paradox, daß es in einer Ge-
sellschaft, deren Mitglieder sich wesentlich über Arbeit definieren, dank technischen
Fortschritts scheinbar immer weniger Arbeit gibt. Marx hatte diesen Widerspruch mit
der durch die kapitalistischen Mechanismen verbundenen Produktivkraftsteigerung –
wie bereits skizziert – als erster erklärt (vgl. S. 22 ff.)33
Schon innerhalb der marxistischen Tradition traten unterschiedliche Interpretationsweisen
und Bewertungen dieser Paradoxie auf: In der marxistisch-leninistischen Theorie wurde der
soziale Aspekt der Arbeit in der Widerspiegelungstheorie im Rückgriff auf Hegel und die
Naturdialektik von Engels34 um einen erkenntnistheoretischen Gehalt erweitert, wonach die
30
Marie-Elisabeth Hilger. „Sozialgeschichtliche Probleme der Arbeit.“ In Philosophische Probleme
von Arbeit und Technik, hrsg. v. Albert Menne. Darmstadt, 1987, 11 ff. Frau Hilger thematisiert
vor allem die feministische Sozialgeschichte der Arbeit – ein Aspekt, der bei der hier aufgeworfe-
nen Fragestellung weitestgehend unberücksichtigt bleibt. Vgl. auch Ernst Michel, Sozialgeschich-
te der industriellen Arbeitswelt, ihrer Krisenformen und Gestaltungsversuche. Frankfurt a. M.,
1953.
31
Manfred Brocker, Arbeit und Eigentum: der Paradigmenwechsel in der neuzeitlichen Eigentums-
theorie. Darmstadt, 1992. Manfred Brockers Arbeit ist aber nicht auf eine Materialsammlung zu
reduzieren: Er geht der These nach, daß mit der Lockeschen Naturrechtsphilosophie das Privatei-
gentum erstmals als unmittelbares Naturrecht erwiesen worden sei.
32
IG Metall Projekt Gute Arbeit (Hg.) Handbuch „Gute Arbeit“. Handlungshilfen und Materialien.
Hamburg, 2007. iga – Initiative Gesundheit und Arbeit (Hg.) „Das IGA-Barometer 2007: Wie
schätzen Beschäftigte ihre Arbeit ein?“ I.Punkt, Nr. 20 (Januar 2008).
33
Michael Heinrich formuliert den Widerspruch für die heutigen Verhältnisse: „Aber auch einem gu-
ten Teil der Unternehmen geht keineswegs die Arbeit aus. Es werden nicht nur massenhaft Über-
stunden gefahren, inzwischen gibt es in Deutschland eine breite Debatte über Arbeitszeitverlänge-
rung: Angesichts von knapp 5 Millionen offiziell registrierten Arbeitslosen (tatsächlich handelt es
sich eher um 6 bis 7 Millionen) wird über die Wiedereinführung der 40 Stunden-Woche, die Kür-
zung des Jahresurlaubs (alles ohne Lohnausgleich versteht sich) und die Erhöhung des Rentenal-
ters diskutiert – und dies schon immer öfter umgesetzt. Es gibt also auch hier nicht zu wenig Ar-
beit, sondern zu wenig Arbeitsplätze gemessen an der Zahl derjenigen, die einen Arbeitsplatz su-
chen. Die Arbeit sei zu teuer, heißt es, es sei einfach kein Geld für die hohen Löhne oder die
Lohnnebenkosten da. Aber gleichzeitig waren das Bruttoinlandsprodukt, das Geldvermögen wie
auch das Produktivvermögen noch nie so hoch wie heute.“ Michael Heinrich. „Krise der Arbeits-
gesellschaft – Krise des Kapitalismus?“ In Losarbeiten – Arbeitslos? Globalisierungskritik und
die Krise der Arbeitsgesellschaft. Hrsg. v. Andreas Exner u. a., Münster, 2005, 25–31.
34
Friedrich Engels. „Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen.“ In MEW Bd. 20, 444–455.
Berlin, 1990, 10.
28 Einleitung

Realität nicht begrifflich, sondern in der praktischen Aneignung zum Gegenstand der Er-
kenntnis wird. In diesem Sinne formuliert z. B. Peter Ruben: „Nicht aus der Voraussetzung
des Verstands erwächst die Arbeit, sondern aus der Voraussetzung der Arbeit wird der Ver-
stand erzeugt. Einmal entstanden, gehört der Verstand dann zu den notwendigen Bedingun-
gen der Arbeit. Niemals aber macht er ihr Wesen aus.“35 In derselben Tradition steht auch die
Ontologie von Lukács. „Die Tätigkeit des Naturwesens Mensch läßt, auf der Basis des unor-
ganischen und organischen Seins, aus ihnen hervorgegangen, eine eigenartige neue, kompli-
ziertere und komplexere Stufe des Seins entstehen, eben das gesellschaftliche Sein.“36 Er be-
trachtet Arbeit nicht historisch, sondern als Modell gesellschaftlicher Praxis überhaupt. An
diesem Modell will er den Übergang biologischer Lebensprozesse zur gesellschaftlichen
Praxis systematisch konstruieren, obwohl dieser Übergang – wenn überhaupt – historisch
nachzuzeichnen wäre.
In der Tradition des Gothaer Programms und der Sozialdemokratie wurde Arbeit zum Mit-
tel der Menschwerdung und anthropologischen Konstante schlechthin erklärt, ohne die weder
ein menschenwürdiges Leben noch kulturelle Entwicklung möglich sei. „Die Arbeit ist die
Quelle alles Reichtums und aller Kultur, und da nutzbringende Arbeit nur in der Gesellschaft
und durch die Gesellschaft möglich ist, gehört der Ertrag der Arbeit unverkürzt, nach gleichem
Rechte, allen Gesellschaftsgliedern.“37 Daraus folgte die politische Forderung nach der Reform
der Arbeitsbedingungen und einer gerechten Verteilung des gesellschaftlichen Produkts, nicht
aber die Forderung nach der Änderung der Bedingungen, aufgrund derer das Produkt ungleich
verteilt ist. Gemeinsam haben diese Interpretationen eins: Anders als in der Kritik der politi-
schen Ökonomie ursprünglich intendiert, wird Arbeit jenseits der historisch-gesellschaftlichen
Bedingungen entweder erkenntnistheoretisch oder politisch stilisiert. Damit zusammenhän-
gend sind diese Theorien nicht mit dem durch Marx beschriebenen Konflikt im Arbeitsbegriff
befaßt. Sie wirken aber in den aktuellen Diskussionen um den Arbeitsbegriff nach.
Die Perspektive verlagerte sich und fand in der These Hannah Arendts Niederschlag,
die in der Vita acitva das Ende der Arbeitsgesellschaft proklamierte: „Was uns bevor-
steht, ist die Aussicht auf eine Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgegangen ist, also
die einzige Tätigkeit, auf die sie sich noch versteht. Was könnte verhängnisvoller
sein?“38 Seither bewegt sich insbesondere die soziologische Diskussion um die Begriffe
des Wissens und der Kommunikation als Charakteristika der modernen westlichen Ge-
sellschaften. So konstatiert z. B. Habermas: „[W]as für die arbeitsgesellschaftliche Uto-
pie Voraussetzung oder Randbedingung war, wird heute zum Thema. Und mit diesem

35
Peter Ruben. „Wissenschaft als allgemeine Arbeit. Über Grundfragen der marxistisch-leninisti-
schen Wissenschaftsauffassung.“ In Dialektik und Arbeit der Philosophie. Köln, 1978, 23.
36
Georg Lukács. Zur Ontologie des gesellschaftlichen Seins: die Arbeit. Darmstadt, 1973, 33.
37
Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (Hg.) „Das Gothaer Programm (1875)“, http://www.-
marxists.org/deutsch/geschichte/deutsch/spd/1875/gotha.htm. (Zugriff: 10.06.2012)
38
Hannah Arendt. Vita activa oder vom tätigen Leben. München [u. a.), 2002, 13. Arendt entwirft
einen alternativen Arbeitsbegriff, der den biologischen Lebensprozeß bezeichnet, während sie die
Produktion von Artefakten als Herstellen bezeichnet und erst im Handeln die Interaktion zwischen
Individuen sieht. Modell des öffentlichen Handels ist ihr dabei die antike Polis, so daß ihr Arbeits-
begriff zwar auf historische Modelle zurückgreift, aber nicht die Gegenwart als historische Bedin-
gung der gegenwärtigen Arbeitswelt untersucht und dadurch eigenartig ahistorisch wird.
Stand der Forschung 29

Thema verschieben sich die utopischen Akzente vom Begriff der Arbeit auf den der
Kommunikation. Ich spreche nur noch von Akzenten, weil sich mit dem Paradigmen-
wechsel von der Arbeits- zur Kommunikationsgesellschaft auch die Art der Anknüpfung
an die Utopietradition ändert.“39
Produktivkraftsteigerung und wachsende Arbeitslosigkeit, die ökonomischen Verhält-
nisse, in denen die Menschen von den Arbeitsmitteln und -produkten getrennt sind, und
schließlich die These vom Ende der Arbeitsgesellschaft stellen für jene gesellschafts-
kritischen Entwürfe ein Dilemma dar, die die produktive Arbeit für ein moralisches Ele-
ment im Leben der Gattung Mensch halten: Ohne die Realisierung des Geistigen in der
Natur durch Arbeit könne es keine Selbstbestimmung geben und die Arbeit sei deshalb
zwar herrschaftsfrei zu organisieren, gehöre aber unerlässlich zu einem menschenwürdi-
gen Dasein. Ernst Bloch hatte die konkrete Utopie als eine Zukunft beschrieben, in der
die Menschheit mit der Natur derart vermittelt ist, daß letztere nicht mehr fremd, son-
dern zur Heimat wird: „Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende,
die Gegebenheiten umbildende und erholende Mensch. Hat er sich erfaßt und das Seine
ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der
Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“40
In einem solchen Zustand sei die Arbeit befreit, Arbeit der Muße. Oskar Negt, ganz auf
das Diesseits bedacht, beruft sich ebenfalls auf das Ende der Arbeitsgesellschaft, will
dabei aber differenzieren: „Der Gesellschaft geht nicht jede Form der Arbeit aus, son-
dern nur eine ganz bestimmte. Nämlich die, in der für den Warenmarkt produziert wird.
Diese Arbeit wird fortwährend enger. Dagegen wächst [...] das, was man Gemeinwesen-
arbeit nennen könnte.“41 Menschliche Würde sei maßgeblich durch Arbeit vermittelt, so
daß die Gemeinwesenarbeit auch für diejenigen ermöglicht werden müsse, die am Er-
werbsleben im sogenannten ersten Arbeitsmarkt nicht teilhaben können. Dies zu fi-
nanzieren sei die Aufgabe des Sozialstaates. Auch Axel Honneth kann sich eine Gesell-
schaft ohne Arbeit nicht vorstellen, da sie zum einen im Sinne Hegels Realisierung des
Geistes in der Natur sei. Entsprechend ordnet er die handwerkliche oder künstlerische
Produktion als zum guten Leben gehörig ein.42 Zum anderen erführen die Individuen
ohne die Teilhabe am System der gesellschaftlichen Arbeitsteilung keine Anerkennung
als Teil des sittlichen Zusammenhanges der Gesellschaft. Deshalb könne der „‚normfrei-
en‘ Selbstregulation des Wirtschaftssystems“,43 die im Zeitalter der Globalisierung ge-
sellschaftlich bestimmend sei, die Organisation der Arbeit nicht überlassen werden.

39
Jürgen Habermas. „Die Krise des Wohlfahrtsstaates und die Erschöpfung utopischer Energien.“ In
Die neue Unübersichtlichkeit. Frankfurt a. M., 1986, 160.
40
Ernst Bloch. Das Prinzip Hoffnung. Frankfurt a. M., 1959, 1628.
41
Oskar Negt. „Menschenwürde und Arbeit.“ Justiz, Nr. 85 (März 2006), 241; vgl. auch Arbeit und
menschliche Würde. Göttingen, 2001, 24: „Ich rücke bewusst die moralische und kulturelle Di-
mension von Arbeit, Arbeitslosigkeit und Gemeinwesen in den Vordergrund und damit die immer
noch wesentlich durch Arbeit vermittelte menschliche Würde.“
42
Axel Honneth. „Arbeit und Anerkennung.“ Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Nr. 3 (2008),
330; zum Begriff der Anerkennung vgl. auch ders. Kampf um Anerkennung. Frankfurt a. M., 2003
und Ludwig Siep. Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie. Freiburg [u. a.] 1979.
43
Axel Honneth. „Arbeit und Anerkennung.“ 328.
30 Einleitung

Während die eben genannten Theorien davon ausgehen, daß die Arbeitswelt in einem norma-
tiven Sinne umzugestalten sei, gehen andere Theorien den umgekehrten Weg: Wenn die gesell-
schaftlichen Verhältnisse mit den ethischen Grundannahmen unserer Gegenwart nicht mehr
übereinstimmen, dann seien nicht die Verhältnisse zu verändern, sondern der Arbeitsbegriff: Se-
verin Müller widmet sich der „Aufgabe der umgreifenden, eigenständig orientierenden Gesamt-
deutung von Arbeit“, die gegenwärtig von einem „Schwund, welcher sich mit der Erfahrung des
anderen Verlusts verknüpft“, gekennzeichnet sei: „[d]es Zerfalls von Arbeitsmöglichkeiten, be-
dingt vom fortschreitenden Prozeß technischer Automatisation“.44 Indem die menschliche Arbeit
maschinell ersetzt werde, verlören die Menschen „Sinn- und Identitätsangebote“. In ihrer Kon-
zentration auf das Problem der „Deutung“ und sinnstiftenden Funktion von Arbeit kommt sie
mit dem Ansatz von Werner Becker überein: Auch er trägt dem Umstand Rechnung, daß das von
der Politik proklamierte Ziel der Vollbeschäftigung mit zunehmender Technisierung der Ar-
beitsprozesse immer unwahrscheinlicher wird, sieht aber das Problem schon durch dessen bloße
„Еntdramatisierung“ und eine „Umbewertung“ der Arbeit gelöst. Er stellt fest, daß es in naher
Zukunft immer mehr Arbeitslose geben werde, woraus er aber keinen Handlungsbedarf ableitet,
denn „[d]iese werden [...] nicht von persönlichen Notlagen betroffen, wie sie den Konzepten der
Bedürfnisevidenz zugrunde liegen“.45 Es sei daher ausreichend, den sozialen Status, sofern er
durch Arbeit bestimmt werde, neu zu definieren. Ähnlich sieht das Johannes Rohbeck, der sei-
nerseits feststellt, daß Arbeits- und damit verbundene Kommunikationsprozesse immer schneller
und komplexer würden und dadurch ein erhöhtes Maß an Flexibilität von den Arbeitnehmern ge-
fordert sei. Die Strukturen der Arbeit lösten sich im Vergleich zu früher auf, was einerseits eine
Abwertung der historischen Stellung von Arbeit mit sich bringe, aber andererseits auch das sinn-
stiftende Moment im gesellschaftlichen Leben konsolidiere, so daß auch er „das differenzierte
Verfahren einer doppelten Umwertung der Arbeit“46 fordert, wodurch das sinnstiftende Moment
an die neuen Bedingungen angepaßt würde.
Ein weiteres zentrales Problem der Untersuchungen zum Arbeitsbegriff ist die Bezie-
hung des Menschen zur Technik im Hinblick auf die Beherrschung der Naturkräfte und
die damit verbundenen zerstörerischen Wirkungen der Technik. Dabei zeigt sich die Pa-
radoxie, daß die modernen technischen Möglichkeiten für die Menschheit Erleichterun-
gen bedeuten können, weil die Bewältigung der täglichen Mühen mehr und mehr zur
Funktion der Technik wird, andererseits aber dieselben technischen Mittel auch eine Be-
drohung für Mensch und Umwelt darstellen, da die gesellschaftliche Organisation der
Arbeit und die Gestalt der Technik „wegen ihrer ungeheuren Komplexität für den Men-

44
Severin Müller. Phänomenologie und philosophische Theorie der Arbeit. Freiburg [u. a.], 1992,
32 ff.
45
Werner Becker. „Über den sozialen Status der Arbeit.“ In Arbeit und Lebenssinn: eine aktuelle
Herausforderung in historischer und systematischer Perspektive, hrsg. v. Klaus-Michael Kodalle,
134. Würzburg, 2001. Der Text Beckers stammt aus dem Jahre 2001, also aus einer Zeit vor der
Agenda 2010 und den damit einhergehenden Umstrukturierungen des Sozialstaates.
46
Johannes Rohbeck. „Umwertung der Arbeit.“ In Arbeit und Lebenssinn: eine aktuelle Herausfor-
derung in historischer und systematischer Perspektive, hrsg. v. Klaus-Michael Kodalle, Würzburg,
2001, 140; s. a. ders. Technologische Urteilskraft: zu einer Ethik technischen Handelns. Frankfurt
a. M., 1993.
Stand der Forschung 31

schen nicht mehr beherrschbar [ist], sich gewissermaßen seiner Herrschaft“47 entzieht
oder im schlimmsten Falle – dem Krieg – sogar zu seiner Zerstörung eingesetzt wird.
Hans Sachsse spricht in diesem Zusammenhang von der „technischen Evolution“ auf-
grund derer ein Leben ohne Gewalt und Zerstörung mit den heutigen technischen Mit-
teln vorstellbar, aber nicht wirklich geworden sei, „der Krieg ist in unserem technischen
Zeitalter überlebt“48. Gegen das feindselige gesellschaftliche Klima schlägt er vor, den
„Wert“ der Kooperation in der Erziehung zu stärken und dadurch die Fähigkeit des
wechselseitigen Vertrauens wieder zu beleben. Richard Sennett, der sich als Kulturmate-
rialisten bezeichnet, fragt nach dem emanzipierenden Charakter der Artefakte, die er ge-
gen die Erfahrung der Bedrohung durch Technik stellt. Die Menschen könnten von den
Artefakten etwas über sich lernen, so „dass also materielle Kultur durchaus ihre Bedeu-
tung hat.“49 Die pragmatische Erfahrung stellt er gegen die Erfahrung der Bedrohung
durch die Technik, die von je her als „Büchse der Pandora“, als unbeherrschbare Macht
der Technik erscheine. Entscheidend sei dabei, daß die ethische Reflexion den Ar-
beitsprozessen nicht transzendent, sondern immanent sei. Arbeit, die im Bewußtsein die-
ser Möglichkeit vollzogen wird, – so seine These – vermag aus dem Schatten Pandoras
herauszutreten.50
Parallel zu den eben referierten Positionen haben die Strukturalisten einen ganz ande-
ren Weg beschritten, der mit einem radikalen Perspektivwechsel verbunden war. Vorbe-
reitet wurde dieser Weg von Althusser in seiner Schrift Das Kapital lesen. Er themati-
siert dort nicht die ökonomischen Kategorien und deren gesellschaftliche Bedeutung,
sondern das Methoden- und Darstellungsproblem im Kapital von Marx. Diese methodi-
sche Reflexion bereitet die (sich als kritisch verstehende) Aufhebung des reflexiven
Subjekts vor:51 „daß sich ein solcher ‚Terrainwechsel‘, dessen Ausdruck und Wirkung
die Veränderung des Blicks ist, selbst nur unter besonderen, sehr komplexen und oft
auch dramatischen Umständen vollzogen hat; [...] daß er einen Prozeß in Gang setzt, der
von der Sicht des Subjekts nicht nur nicht hervorgebracht wird, sondern den das Subjekt
auch nur insoweit nachvollzieht, als es ihn an seinem jeweiligen Ort reflektiert; daß in
diesem Prozeß einer wirklichen Transformation der Produktionsmittel der Erkenntnis
die Absichten eines ‚konstituierenden Subjekts‘ ebenso irrelevant sind wie bei der Pro-
duktion des Sichtbaren die Absichten des Subjekts, etwas zu sehen; daß sich all das in
einem kritischen dialektischen Moment der Veränderung einer theoretischen Struktur
abspielt, wobei das Subjekt nicht die Rolle spielt, die es zu spielen glaubt, sondern die,

47
Albert Menne (Hg.) Philosophische Probleme von Arbeit und Technik. Darmstadt, 1987, 4.
48
Hans Sachsse. Anthropologie der Technik: ein Beitrag zur Stellung des Menschen in der Welt.
Braunschweig, 1978, 124.
49
Richard Sennett. Handwerk, 18.
50
Vgl. ebd., 22.
51
Vgl. Bourdieu: „Verzichten wir auf die Illusion, daß das Bewußtsein sich selbst durchschaut, und
auf die unter Philosophen gängige Vorstellung von Reflexivität [...] dann müssen wir uns dazu ent-
schließen, im Anschluß an die typisch positivistische Tradition der Kritik der Introspektion ein-
zuräumen, daß diejenige Selbstreflexion am tiefsten eingreift, die das Subjekt der Objektivierung
selbst objektiviert.“ Pierre Bourdieu. Meditationen: Zur Kritik der scholastischen Vernunft. Suhr-
kamp, 2004, 18.
32 Einleitung

welche ihm der Mechanismus des Prozesses diktiert – all das sind Fragen, die hier nicht
erörtert werden können.“52
Während in den bisher genannten Ansätzen Arbeit im weitesten Sinne als Sub-
jekt-Objekt-Relation verstanden wurde, verschiebt sich in der Folge der Kritik des philo-
sophischen Subjektbegriffs auch die Bedeutung von Arbeit. Das wird insbesondere bei
Foucault deutlich: Der hatte, Althusser folgend, das Subjekt nicht als transzendentale In-
stanz aufgefaßt, sondern als kulturelle Konstellation. D. h., daß Arbeit selbst in einem kul-
turellen und historischen Bedeutungskontext beschrieben wird, aber nicht als ökonomi-
scher oder moralischer Begriff. In Die Ordnung der Dinge nehmen dabei neben der Arbeit
noch Sprache und Leben eine entscheidende Stellung ein. In Überwachen und Strafen er-
scheint Arbeit gleichermaßen und wertfrei als Mittel der Disziplinierung und Kultivie-
rung.53 Zwar verweisen die Begriffe der Disziplinierung und der Kultivierung unmittelbar
aufeinander, dennoch sind sie unterschiedlich konnotiert: Während Disziplinierung mit
Zwang verbunden ist, hat der Begriff der Kultivierung auch eine emanzipative Konnotati-
on. Bei Foucault werden beide Begriffe nicht unterschieden, sondern bleiben gegeneinan-
der indifferent. Das setzt sich folgerichtig darin fort, daß er Macht als Vermögen und
Macht als Herrschaft nicht unterscheidet. Folgerichtig ist das insofern, als es ohne Subjekt
keinen Moralbegriff als Maßstab der Kritik gibt und ohne einen Maßstab der Kritik sind
Macht als Vermögen und Macht als Mittel der Herrschaft ununterscheidbar.54 Trotzdem ist
der Hinweis Foucaults auf die Bedeutung der Arbeit als die historischen Subjekte konstitu-
ierend zentral.
Im Sinne der Bedingtheit der Subjekte durch historisch-gesellschaftliche Arbeitspro-
zesse zeigt Bourdieu den Zusammenhang von Existenzbedingungen und Habitus als
sich verändernden Prozeß auf, der mit der Kapitalisierung von Gesellschaften und der
Rationalisierung der Arbeitsprozesse einhergeht, und verdeutlicht die spezifische Gestalt
moderner, westlicher Arbeit am Wandel der algerischen Gesellschaft. „Als objektiviertes
Erbe einer anderen Zivilisation, ein Erbe akkumulierter Erfahrungen, Techniken der
Entlohnung oder Kommerzialisierung, Methoden der Buchführung, der Rechnungsfüh-
rung oder Organisation, besitzt das durch die Kolonialisierung importiere Wirtschaftssy-
stem die Notwendigkeit eines Kosmos (wie Weber es ausdrückt), in den sich die Arbei-
ter hineingeworfen sehen, und dessen Regeln sie erlernen müssen, um zu überleben.
52
Louis Althusser u. Etienne Balibar. Das Kapital lesen Bd. I. Reinbek, 1972, 31 f.
53
Michel Foucault. Die Ordnung der Dinge: eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frankfurt
a. M., 1974. Ders. Überwachen und Strafen: die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt a. M., 1977.
Hinrich Fink-Eitel. Michel Foucault zur Einführung. Hamburg, 1997, 97.
54
Bei Michel Foucault bleibt der Machtbegriff an das zu beschreibende Phänomen gebunden und
Moralität wird mit bürgerlichen, auch ideologischen Vorstellungen identifiziert, so z. B. im Ge-
brauch der Lüste: „Von der ‚Sexualität‘ als einer historisch besonderen Erfahrung zu sprechen
setzte auch voraus, daß man über geeignete Instrumente verfügt, um die drei Achsen dieser Erfah-
rung in ihrem je eigenen Charakter und in ihrem Zusammenhang zu analysieren: die Formierung
der Wissen, die sich auf sie beziehen; die Machtsysteme, die ihre Ausübung regeln; und die For-
men, in denen sich die Individuen als Subjekte dieser Sexualität (an)erkennen können und müssen.
[…] [D]ie Analyse der Machtbeziehungen und ihrer Technologien machte es möglich, sie als offe-
ne Strategien ins Auge zu fassen, ohne die Macht entweder als Herrschaft konzipieren oder als
Trugbild denunzieren zu müssen.“ Michel Foucault. Der Gebrauch der Lüste. Frankfurt a. M.,
1986, 10 f.
Stand der Forschung 33

Folglich ist die Situation in den meisten Ländern der Dritten Welt auch bei noch so vie-
len Analogien doch eine ganz andere als jene im Ausgangsstadium des Kapitalismus.“55
Ein weiterer Aspekt, den Bourdieu betont, ist die Prekarisierung nicht nur der Lebenssi-
tuation der Arbeitslosen, sondern auch der Beschäftigten.56
An die Theorie Bourdieus knüpfen die gegenwärtigen Praxistheorien an. Es wird der
Versuch unternommen, den Status und die Interaktion von Akteuren zu beschreiben, die
explizit nicht mehr handlungs- oder erkenntnistheoretisch bestimmt sein sollen. Ihr Sta-
tus entsteht in der Reaktion auf soziale Praktiken und geht in dieselben als soziale Praxis
ein. Diese „Subjektpositionen“ reflektieren also die Praxis nicht begrifflich, sondern rea-
gieren auf sie. Gleichzeitig werden die Praktiken aber auch nicht deterministisch ver-
standen, sondern so, daß sie in ihrer kulturellen Einbettung für geschichtliche Verände-
rungen offen bleiben. Dieser Subjektkonstruktion analog werden auch die Objekte nicht
statisch gefaßt, sondern als Artefakte. Durch die Ablösung des praxistheoretischen Kul-
turverständnisses von den traditionellen, in der Terminologie der Praxistheorien: intel-
lektualistischen Theorien durch ein „Forschungsprogramm der materialen Analyse“57
empirischer Vorgänge soll die Subjekt-Objekt-Dichotomie der klassischen Theorien
überwunden werden. „Die Praxistheorie steht in ihrem Kulturverständnis sowohl dem
Mentalismus als auch dem Textualismus entgegen – beiden (wie auch den Modellen des
Homo oeconomicus und des Homo sociologicus) hält sie einen konzeptuellen ‚Intellek-
tualismus‘ vor, eine ‚Intellektualisierung‘ des sozialen Lebens.“58
Von der kritischen Sicht Foucaults und Bourdieus unterscheidet sich der spätere Ha-
bermas. Die Hilflosigkeit der Arbeitsutopisten gegenüber den realen gesellschaftlichen
Verhältnissen radikalisiert Habermas dahingehend, daß die „[... arbeitsgesellschaftliche,
M. B.] Utopie ihren Bezugspunkt in der Realität verloren“ hat: „die strukturbildende
und gesellschaftsformierende Kraft der abstrakten Arbeit.“59 Er affirmiert das, was ohne-
hin gilt: die normfreie Selbstregulation des Marktes. Deren Auswirkungen könnten
höchstens sozialstaatlich kompensiert, aber nicht verändert werden.60 Luhmann geht
noch einen Schritt weiter und erklärt das Begriffspaar Kapital und Arbeit für ungeeignet,
um die Gegenwart damit zu erklären. Sie seien historisch überholt: „In diesem Kontext
führt die Fehlsteuerung der gesellschaftlichen Kommunikation durch die Unterschei-
dung von Kapital und Arbeit dazu, daß irrelevante oder irreführende Folgerungen gezo-

55
Pierre Bourdieu. Die zwei Gesichter der Arbeit. Interdependenzen von Zeit- und Wirtschaftsstruk-
turen am Beispiel einer Ethnologie der algerischen Übergangsgesellschaft. Konstanz, 2000, 26.
56
Pierre Bourdieu. „Prekariat ist überall.“ In Gegenfeuer: Wortmeldungen im Dienste des Wider-
stands gegen die neo-liberale Invasion, 96–102. Konstanz 1998.
57
Andreas Reckwitz. Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken. Eine sozialtheoretische Per-
spektive. Zeitschrift für Soziologie, Jg. 32, Heft 4, August 2003, 284. Vgl. Theodore R. Schatzki.
The Site of the Social. A Philosophical Account of the Constitution of Social Life and Change.
Penn State, 2002. Ders. „Pippin’s Hegel on Action.“ Inquiry, Oktober 2010. Andreas Reckwitz.
Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Post-
moderne. Weilerswist-Metternich, 2010.
58
Ebd., 289.
59
Jürgen Habermas. „Die Krise des Wohlfahrtsstaates und die Erschöpfung utopischer Energien.“ In
Die neue Unübersichtlichkeit. Frankfurt a. M., 1986, 146.
60
Ebd., 147.
34 Einleitung

gen und daß Konflikte angereizt und betrieben werden, die keine Beziehung zu den
Großproblemen unserer Gesellschaft haben. Niemand wird bestreiten, daß es Kapital
und Arbeit ‚gibt‘. Niemand wird bestreiten, daß die Haupterrungenschaft des ‚Kapitalis-
mus‘‚ daß auch Kapitalinvestitionen (und nicht nur Produktion, Tausch und Konsum)
wirtschaftlich kalkuliert werden können, ebenso erfolgreich wie in ihren Auswirkungen
problematisch ist. Niemand wird fortbestehende Verteilungsprobleme bestreiten. Nie-
mand wird bestreiten, daß Arbeiter eine organisierte Vertretung ihrer Interessen benöti-
gen. Nur die relative Prominenz dieses Problembereichs in der Beschreibung unseres
Gesellschaftssystems steht zur Diskussion.“61 Er fordert eine neue und entwirft eine sy-
stemtheoretische Gesellschaftstheorie. Damit gibt er nicht nur wie die Strukturalisten
den Subjektbegriff auf, sondern reformuliert auch den Begriff von gesellschaftlicher Ob-
jektivität derart, daß dieser wenigstens vordergründig keine Anbindung mehr an die me-
taphysische und gesellschaftskritische Tradition hat. Die systemtheoretische Objektivität
ist keine substantielle mehr, sondern eine relationale.
Die analytische Handlungstheorie in den USA der 1970er Jahre hatte es sich in Ab-
grenzung gegen den Utilitarismus zum Ziel gemacht, die intentionale, vornehmlich
sprachanalytische Begründung von Handlungen vorzunehmen. Dieses Programm auf-
nehmend beschreibt Michael Quante „zwei zentrale Problembereiche“ der Handlungs-
theorie, die mit den „Etiketten ‚Handlungsbegründung‘ und ‚Handlungserklärung‘“ ge-
kennzeichnet werden können: „Philosophische Probleme, die unsere Praxis der
Handlungsbegründung aufwirft, sind die Klärung der Begriffe ‚Zurechenbarkeit‘ oder
‚Absichtlichkeit‘ und die Analyse der Beschreibungsabhängigkeit von Handlungen. Pro-
bleme, die durch unsere Praxis der Handlungserklärung entstehen, sind der Status von
Handlungsbeschreibungen (Kausalerklärung oder nicht?), der Status von Gründen (Er-
eignisse?) oder auch der Zusammenhang von Handlungen und Körperbewegungen.“62
Ernst Michael Lange legte in den 1970er Jahren einen Grundstein dieser Auslegungs-
weise mit seinen Überlegungen zum Prinzip Arbeit. Langes Ziel ist der Nachweis, daß
der Arbeitsbegriff hinsichtlich seiner logischen und grammatischen Bezüge kein „ab-
schließend sortierender Ausdruck“63 sei. Den Abstraktionsgrad des Begriffs Arbeit nicht
zu reflektieren, sei der Kardinalfehler, weil dadurch Mehrdeutigkeiten entstünden. Im
Mittelpunkt steht also nicht das Phänomen Arbeit als ökonomisches, gesellschaftswis-
senschaftliches oder philosophisches, sondern die Frage, welche handlungstheoretischen
Grundbegriffe unterstellt sind und welche Implikationen diese Grundbegriffe – zum
Beispiel das Wort Widerspruch64 – haben können, schließlich wie diese verschiedenen
61
Niklas Luhmann. „Kapital und Arbeit. Probleme einer Unterscheidung.“ In Die Wirtschaft der Ge-
sellschaft. Frankfurt a. M., 1988, 171.
62
Michael Quante. Hegels Begriff der Handlung. Stuttgart-Bad Cannstatt, 1993, 12.
63
Ernst Michael Lange. Das Prinzip Arbeit – Drei metakritische Kapitel über Grundbegriffe, Struk-
tur und Darstellung der „Kritik der politischen Ökonomie“ von Karl Marx. Berlin, 1980, 15.
64
Übrigens: Mit dem Begriff Widerspruch ist in dieser Arbeit durchgängig der Begriff des kontra-
diktorischen Widerspruchs bezeichnet, dessen Gehalt nicht formal-logisch, sondern in der Relati-
on der logischen Bestimmungen und der zu bestimmenden Gegenstände angesiedelt ist. Differen-
zen in der Verwendung dieses Begriffs sind also nicht durch „Unterbestimmtheit“ zu erklären,
sondern durch unterschiedliche Auffassungen über die Interpretation der hier verhandelten Gegen-
Stand der Forschung 35

Bedeutungen unabhängig von den Gegenständen, durch die sie konstituiert sind, also
rein formell zu unterscheiden sind. Nicht der Gegenstand, sondern die Aussageweisen
werden untersucht.
Lange sieht im Begriff des gegenständlichen Gattungswesens aus den Philosophisch-
Ökonomischen Manuskripten den zentralen Begriff Marxscher Theorie, obwohl dieser
Text von Marx, anders als von ihm zu Lebzeiten publizierte, im Entwurfsstadium ver-
blieben ist. Unreflektiert bleibt dabei, daß Marx schon in den Philosophisch-Ökonomi-
schen Manuskripten eine Gesellschaftskritik intendiert, die er im Fortschreiten seines
Lebenswerkes immer konsequenter formuliert. Die Frage, welche für Marx durchgängig
leitend ist, ist die, warum die Realisierung des „gegenständlichen Gattungswesens“ in
ihren gesellschaftlichen Lebensbedingungen mißlingt. Auf den Aspekt des Scheiterns
und der Kritik geht aber Lange nicht weiter ein. Statt dessen sieht er die konsequente
Ausführung dessen, was mit dem „gegenständlichen Gattungswesen“ gemeint sei, in ei-
nem kommunistischen Gesellschaftsentwurf, den er aber bei Marx nicht findend in der
Fassung von Moses Heß heranzitiert, um hernach festzustellen, daß Marx totalitaristisch
und der kommunistische Gesellschaftsentwurf „ein anarchistischer Tagtraum“65 sei.
Marx hat keinen Gesellschaftsentwurf formuliert, er hat eine bestehende Gesellschaft
kritisiert. Damit ist die Argumentation von Lange eine, die den Kern der Marxschen Ka-
pitalismuskritik, wie sie erst im Kapital ausgeführt ist, nicht trifft.
Den Topos des „gegenständlichen Gattungswesens“ aufgreifend, stellt sich Hans-
Christoph Schmidt am Busch mit seiner Schrift Hegels Begriff der Arbeit die Aufgabe,
die Aktualität der Hegelschen Philosophie aufzuzeigen, indem er nachweist, daß dieser
Begriff „leistungsstark“66 sei. Im Mittelpunkt steht bei ihm deshalb nicht die spezifische
Fragestellung Hegels, sondern die Fragestellung, welche neoliberalen Elemente bereits
in der Philosophie des Geistes von Hegel vorgedacht sind. Unbesorgt um die 200 Jahre
zeitlicher Differenz zu Hegel betont er, daß sich dessen Arbeitsbegriff auch eigne, um
den Bereich der Dienstleistungen zu beschreiben.67 Auch Schmidt am Busch reflektiert
den Begriff des gegenständlichen Gattungsbegriffs auf Marx bezogen kritisch. Er stellt
fest, daß Marx die „dem Konzept des gegenständlichen Gattungswesens zugrunde lie-
genden normativen Annahmen“68 nicht rechtfertigt. Dieses Konzept beruhe auf gemein-
schaftlicher Arbeit, die nach Hegel nur in der Familie real sei, nicht aber in der Gesell-
schaft. Daraus folgert Schmidt am Busch wiederum, daß „Marx die Gesellschaft als
ganze gemäß dem in Hegels Frankfurter Schriften entwickelten Begriff der Liebe
denkt.“69 Diese Position sei gegenüber der Philosophie des Geistes kaum als Fortschritt
zu bezeichnen. Dem wäre zuzustimmen, wenn Marx den Begriff der Gesellschaft denn
tatsächlich gemäß dem Begriff der Liebe in den Frankfurter Schriften Hegels dächte.

stände.
65
Ernst Michael Lange. Das Prinzip Arbeit, 96, 99.
66
Hans-Christoph Schmidt am Busch. Hegels Begriff der Arbeit. Berlin, 2002, 15.
67
Vgl. ebd. 39.
68
Ebd., 122.
69
Ebd., 123.
36 Einleitung

Die jüngste Zusammenführung dieser Argumente dazu stammt von Michael Quante:
„Arbeit ist, dies ist eine weitere philosophische Kategorisierung, kein abschließend sor-
tierender Ausdruck. Man kann auf die Aussage, X habe gearbeitet, sinnvoll nachfragen,
was X denn getan, welche Handlung er denn durchgeführt habe. Indem Marx ‚arbeiten‘
auf das Hervorbringen von Gegenständen einengt, macht er ‚Arbeit‘ zwar nicht zu ei-
nem abschließend sortierenden Handlungsterminus, bei dem man eine solche Nachfrage
nicht eher sinnvoll stellen könnte. Aber er reichert den Bedeutungsgehalt von ‚arbeiten‘
an, wobei vieles davon abhängt, was man genauer unter ‚Gegenstand‘ versteht.“ Und
die dazugehörige Fußnote: „Bedenkt man, daß Marx im Kapital systematisch zwischen
konkreter und abstrakter Arbeit unterscheidet, auf beides dann aber sein Vergegenständ-
lichungsmodell des Handelns anwendet, dann läßt sich erahnen, daß die Nichtbeachtung
dieser Differenzen philosophischen Schaden anrichten kann.“70 Der Doppelcharakter der
(gegenständlichen) Arbeit ist in der Kritik der politischen Ökonomie nicht Ausdruck von
„Unterbestimmtheit“, sondern hat eine konstitutive Funktion zur Erklärung des Kapital-
verhältnisses. „Diese zwieschlächtige Natur der in der Ware enthaltenen Arbeit ist zuerst
von mir [hier:Karl Marx, M. B.] kritisch nachgewiesen worden. Da dieser Punkt der
Springpunkt ist, um den sich das Verständnis der politischen Ökonomie dreht, soll er
hier näher beleuchtet werden.“71 Daß die Arbeit konkret wie abstrakt betrachtet werden
kann, wäre gleichgültig, wenn dieser Unterschied nicht innerhalb der historisch realen,
kapitalistischen Gesellschaft und d. h. unter den Bedingungen von Arbeitsteilung und
Privateigentum, konstitutiv würde, so daß die Abstraktion von der konkreten Arbeit Be-
dingung der Möglichkeit der Vergleichbarkeit aller Arbeiten innerhalb der Gesellschaft
darstellt oder: die abstrakte Arbeit ist wertbildend. Umgekehrt bringt nur die konkrete
Arbeit Gebrauchswerte hervor. Die handlungstheoretische Verschiebung dieser Bestim-
mung hin zu der formellen, methodischen Überlegung der analytischen Handlungstheo-
retiker exekutiert deren kritischen Gehalt. Der politische Denker Marx wird derart als
„philosophischer Klassiker“ 72 verwertbar.
Ökonomiekritik heute widmet sich der Klärung der Bedingungen, unter denen gewirt-
schaftet und gearbeitet wird. Die aktuellen Diskussionen beziehen ihren Gegenstand aus
der Feststellung, daß die Theorie von Marx zwar maßgeblich für die Kritik der Verhält-
nisse sei, ihr aber zugleich eine veraltete historische Perspektive zu eigen sei, die des-

70
Michael Quante. „Kommentar zu den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten.“ In Ökono-
misch-philosophische Manuskripte, 15:411. Frankfurt a. M., 2009, 241. Zu Hegel äußert er sich in:
ders. Hegels Begriff der Handlung. Einen Überblick über die Entwicklung zeitgenössischer Hand-
lungstheorien in der direkten Nachfolge des Deutschen Idealismus und der Gesellschaftstheorie
von Marx bis zur Gegenwart gibt Clemens K. Stepina. Handlung als Prinzip der Moderne. Hand-
lungsphilosophische Studien zu Aristoteles, Hegel und Marx. Wien, 2000, 71–104. Einen umfas-
senden Überblick über die analytische Handlungstheorie gibt die Aufsatzsammlung von Georg
Meggle (Hg.) Analytische Handlungstheorie. Frankfurt a. M., 1977. Eine kritische Analyse findet
sich bei: Andreas Arndt u. Wolfgang Lefèvre. „Thesen zum Schwerpunktthema: Poiesis, Praxis,
Arbeit. Zur Diskussion handlungstheoretischer Grundbegriffe.“ In Arbeit und Philosophie: Sym-
posium über Philosophische Probleme des Arbeitsbegriffs, hrsg. v. Peter Damerow u. a., 21–34.
Bochum, 1983.
71
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 56.
72
Michael Quante. „Kommentar zu den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten.“ 217.
Stand der Forschung 37

halb erweitert werden müsse. Entsprechend wenden sich diese Theorien der Erklärung
gegenwärtiger Ökonomie und ihrer Ausprägungen als Globalisierung, im Finanzsystem,
in der Krise und der informellen Arbeit73 etc. zu. Frieder Otto Wolf bestimmt die Positi-
on von Philosophie und Kapitalkritik unter Berücksichtigung der aktuellen historischen
Situation wie dem Untergang des real existierenden Sozialismus, andererseits vor dem
Hintergrund der Ergebnisse, die die bisherigen Kapital-Lektüren hervorgebracht ha-
ben.74 Den Arbeitsbegriff insbesondere diskutiert er in der Auseinandersetzung mit aktu-
ellen Themen wie der „Nachhaltigkeit, Geschlechtergerechtigkeit, Grundsicherung und
Demokratie im nationalen wie internationalen Zusammenhang.75
In Ergänzung zu diesen Überlegungen beschäftigt sich dieses Projekt mit der Reflexi-
on auf den Maßstab der Kritik, wie er im Begriff der Selbstbestimmung oder dem Be-
griff politischer Herrschaft impliziert ist. Wenn gezeigt werden kann, daß es ein morali-
sches Kriterium gibt, das für jeden einsehbar ist, dann werden instrumentelle von
moralisch reflektierten Urteilen unterscheidbar. Dieser Maßstab ist dem Begriff der
Selbstbestimmung impliziert: Notwendige Bedingung der Möglichkeit der Selbstbestim-
mung ist, daß Menschen weder individuell noch strukturell daran gehindert werden.
Dem Zusammenhang von politischer Herrschaft und Zeitökonomie widmet sich
Moishe Postone in Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft. Er versteht unter der
Aktualisierung der Theorie von Marx, den Mechanismus der kapitalistischen Herrschaft
genauer und in Abgrenzung gegen die marxistische Tradition zu fassen: daß der soge-
nannten Krise der Arbeitsgesellschaft nicht durch Umverteilung der Arbeit begegnet
werde, sondern statt dessen die Verarmung großer Teile der Bevölkerung in Kauf ge-
nommen werde, sei eine Erscheinungsform der gesellschaftlichen Herrschaft. Herrschaft
im Kapitalismus sei allerdings nicht die Herrschaft von Menschen über Menschen, son-
dern die unpersönliche Herrschaft eines Abstraktums: des dynamisch in der Zeit verlau-
fenden Prozesses kapitalistischer Akkumulation: „Das heißt, daß Arbeit im Kapitalismus
eine einzigartige soziale Funktion besitzt, die nicht mit der Arbeitsaktivität als solcher
zusammenfällt. Abstrakte Arbeit vermittelt eine neue Form der gegenseitigen gesell-
schaftlichen Abhängigkeit.“76 Diese Form der Herrschaft sei an „eine spezifisch histo-
risch abstrakte Form der Zeitlichkeit gebunden, die abstrakte Newtonsche Zeit, die hi-
storisch zusammen mit der Warenform entstanden ist.“77
Andreas Arndt greift den Aspekt der Zeitökonomie auf und betrachtet deren struktu-
relle Bedeutung für die Möglichkeit der Selbstbestimmung: „Für sich betrachtet ist die
73
Z. B. Elmar Altvater u. Birgit Mahnkopf. Globalisierung der Unsicherheit: Arbeit im Schatten,
schmutziges Geld und informelle Politik. Münster, 2002. Zum Zusammenhang von Arbeit, Krise
und Globalisierung siehe auch Heinrich, „Krise der Arbeitsgesellschaft – Krise des
Kapitalismus?“ 25–31.
74
Vgl. Frieder O. Wolf. Das Kapital neu lesen – Beiträge zur radikalen Philosophie. Hrsg. v. Jan
Hoff u. a. Münster, 2006, 12.
75
Frieder O. Wolf, Gerd Peter und Hartmut Neuendorff (Hg.) Arbeit und Freiheit im Widerspruch?
Bedingungsloses Grundeinkommen – ein Modell im Meinungsstreit. Hamburg, 2009.
76
Moishe Postone. „Die Kritische Theorie des Kapitalismus überdenken.“ Freiburg, 2004, 5. Vgl.
auch ders. Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft: eine neue Interpretation der kritischen
Theorie von Marx. Freiburg, 2003.
77
Moishe Postone. „Die Kritische Theorie des Kapitalismus überdenken.“ 8.
38 Einleitung

Tatsache zunächst trivial, daß die Menschen als endliche Wesen unter der Herrschaft der
Zeit stehen und die Zeit, die sie individuell zur Verfügung haben, begrenzt ist. Ein jedes
Ding hat nicht nur seine Zeit – wie im Rhythmus der Lebensalter und der Jahreszeiten –,
sondern jeder Prozeß, jede Handlung verbraucht auch etwas von der knappen, endlichen
Ressource ‚Zeit‘. Wir können nur das tun – einschließlich des Nichtstuns –, wofür wir
noch Zeit ‚haben‘, d. h. unser Leben ist eingespannt in den Rahmen, der uns überhaupt
zur Verfügung stehenden Zeit.“78 Marx hatte in diesem Zusammenhang einen Interes-
senkonflikt zwischen Arbeitskraft und Arbeitsanwender festgestellt, der darin liegt, daß
die Arbeitskraft gewisse Erholungszeiten benötigt, um arbeiten zu können, während der
Arbeitsanwender darauf bedacht ist, die Arbeitskraft möglichst lange und effizient zu
nutzen und das auf Kosten der Freizeit. Da das Verhältnis zwischen Arbeitskraft und Ar-
beitsanwender vertraglich geregelt ist, wird der Interessenkonflikt im Kampf um die Ar-
beitszeit vermittelt – also historisch. Selbstbestimmung der Arbeitskraft kann innerhalb
der bürgerlichen Gesellschaft – wenn überhaupt – nur in der Freizeit stattfinden, denn
innerhalb des Arbeitsprozesses steht die Arbeitskraft einzig dem Produktionszweck des
Kapitalisten zur Verfügung. Daß aber die rein formale Betrachtung der Zeitökonomie
nicht hinreicht, um die Frage nach der Selbstbestimmung der Arbeitskraft in der bürger-
lichen Gesellschaft zu beantworten, hatte Adorno mit seinen Überlegungen zur Kultur-
industrie gezeigt. Arndt nimmt diese Bestimmung Adornos auf und führt seinerseits aus,
daß die ökonomischen Mechanismen, wie Konkurrenz, Leistungsprinzip etc. in die Frei-
zeitbeschäftigung hinein getragen werden: „daß die angeblich freie Zeit unter den Nor-
men und der Logik der Arbeitswelt steht und diese auch dort noch reproduziert, wo sie
scheinbar das andere zur Arbeit intendiert, kommt auch darin zum Ausdruck, daß freie
Zeit zunehmend unter den Druck des Leistungsprinzips gerät. Eine ganze Industrie ist
damit beschäftigt, freie Zeit durch normierte Angebote – vom wellness-Programm bis
zur event-Kultur – zu füllen, die wiederum als Erfüllung rein individueller Bedürfnisse
verkauft werden.“79
In der Tradition der Frankfurter Schule steht auch Peter Bulthaup. Er zeigt die konsti-
tutive Funktion der praktischen, vor allem naturwissenschaftlichen Erfahrung und damit
auch der Arbeit für die Entwicklung der modernen Wissenschaften auf und faßt das Ver-
hältnis von Arbeit und Nicht-Arbeit als historisch kritisches Verhältnis: Die Wissen-
schaften als Gestalten der Selbstbestimmung haben die Muße und damit die herrschaftli-
che Verfügung über das Mehrprodukt zu ihrer Voraussetzung. Umgekehrt ermöglicht
erst die praktische Zurichtung der Welt durch die Arbeit und das wissenschaftliche Ex-
periment die Erkenntnis ihrer Prinzipien und Gesetze. „Der Anspruch der Aufklärung,
Natur als aus Prinzipien konstituierten Prozeß zu verstehen und sich von der Abhängig-
keit von unzuverlässigen Naturgewalten zu emanzipieren, konnte nur realisiert werden
78
Andreas Arndt. „Arbeit und Nichtarbeit.“ In Kolleg praktische Philosophie Bd. 4. Recht auf Rech-
te. Hrsg. v. Franz Josef Wetz. Stuttgart, 2008, 91.
79
Andreas Arndt. „Arbeit und Nichtarbeit.“ 109 f. Vgl. auch Theodor W. Adorno u. Max Horkhei-
mer. Gesammelte Schriften Bd. 3 (Dialektik der Aufklärung: philosophische Fragmente). Darm-
stadt, 1998, 148 (im folgenden Dialektik der Aufklärung): .„Unweigerlich reproduziert jede einzel-
ne Manifestation der Kulturindustrie die Menschen als das, wozu die ganze sie gemacht hat.“
Stand der Forschung 39

in der Konstellation von den Naturgesetzen unterworfenen abstrakten Naturkräften und


spezifisch restringierenden Randbedingungen in partikularen Modellen, die aus dem Na-
turzusammenhang isoliert wurden. Diese Rekonstruktion empirischer Naturerscheinun-
gen aus Prinzipien hatte zwei konträre Konsequenzen: Einmal bewirkte sie die Emanzi-
pation von der Unmittelbarkeit, von der unwirtlichen ersten Natur, indem die Herrschaft
über die Prinzipien die über die Erscheinungen und damit über die Lebensbedingungen
der Menschen ermöglichte. Andererseits ist diese Herrschaft nur um den Preis der Affir-
mation dieser Prinzipien zu erlangen und wurde so zur Fortsetzung des Naturprozesses
mit anderen Mitteln.“80
Mit der Reflexion auf die Bedingungen von Arbeit grenzt sich Bulthaup gegen andere
Vertreter der kritische Theorie ab, so z. B. Herbert Marcuse, dessen Arbeitsbegriff von
der Vorstellung geleitet ist, die Trennung von Hand- und Kopfarbeit zu kritisieren. Mar-
cuse verweist daher auf den umfassenden und grundsätzlichen Charakter der Arbeit als
Ausdruck menschlichen Tuns überhaupt. Für Marcuse ist Arbeit nicht Emanzipation
vom Naturzusammenhang, sondern Realisierung der Freiheit im Naturzusammenhang,
denn Geschichte entstehe aus Freiheit: „Daher ist auch jede echte ökonomische Theorie
ausdrücklich oder unausdrücklich verkoppelt mit einer sie transzendierenden Ontologie
des Menschen, die wenigstens einen Entwurf des geschichtlichen menschlichen Daseins
als solchen im Blick hat und auf ihn hin die eigentliche ökonomische Theorie ausrich-
tet.“81 Ein ähnliches Problem, aber eine andere Lösung hat Alfred Sohn-Rethel. Er will
die Trennung von Hand- und Kopfarbeit durch eine materialistische Erkenntniskritik
überwinden: „Der Abstraktionsprozeß, der für die Erkenntnisbegriffe des Verstandes die
Erklärung enthält, ist der gesamte Gesellschaftsprozeß der Warenproduktion selbst.“82
Diesen ontologischen bzw. anthropologischen Arbeitsbegriffen ist die Reflexion auf
den Grund für die Verteilung von Arbeit und Nichtarbeit vorzuhalten. Die Verteilung ist
historisch und durch den Zweck der Gesellschaft bestimmt, in der gearbeitet wird. Eine
Gesellschaft, die die freie und selbstbestimmte Entfaltung ihrer Individuen verhindert,
steht nach Hegel im Widerspruch zur Bestimmung der Individuen, die an selbstbe-
stimmtes gesellschaftliches Handeln gebunden ist. An diesem Begriff gesellschaftlicher
Organisation und der historisch-dialektischen Verstrickung in Herrschaftsverhältnisse
wird die historisch reale Organisation der Gesellschaft, wie sie von Arndt, Adorno und
Bulthaup analysiert wird, zu messen sein.
Der Arbeitsbegriff Hegels zeichnet sich dadurch aus, daß er sich nicht nur auf die Be-
stimmung der ökonomischen Funktion von Arbeit beschränkt: Er bestimmt sie sowohl
als ökonomisches Prinzip in der bürgerlichen Gesellschaft (Grundlinien), als herrschaft-
lich organisierte in der Phänomenologie des Geistes, aber auch als Kategorie der Wis-
senschaft der Logik. Der Arbeitsbegriff Hegels changiert damit zwischen den Polen der
80
Peter Bulthaup. „Arbeit und Wissenschaft.“ In Zur gesellschaftlichen Funktion der Naturwissen-
schaften. Suhrkamp, 1973, 48.
81
Herbert Marcuse. „Über die philosophischen Grundlagen des wirtschaftswissenschaftlichen Ar-
beitsbegriffs.“ In Kultur und Gesellschaft Bd. 1. Frankfurt a. M., 1986, 41.
82
Alfred Sohn-Rethel. „Grundzüge einer geschichtsmaterialistischen Erkenntnistheorie.“ In Mate-
rialistische Erkenntniskritik und Vergesellschaftung der Arbeit. Zwei Aufsätze. Berlin, 1971, 33.
40 Einleitung

reinen Form der Selbstbestimmung in der Logik und der Bestimmung materieller Repro-
duktion in der bürgerlichen Gesellschaft. Beides soll vermittelt werden.
Entsprechend dreht sich ein weiterer Zweig der Forschung zum Arbeitsbegriff um die
Frage nach dem Verhältnis von Theorie und Praxis: Manfred Riedel diskutiert das Problem
des „Philosophischwerden[s] der Welt und Weltlichwerden[s] der Philosophie“83 anhand des
Lebensbegriffs in der Wissenschaft der Logik und der Schriften von Marx. Die Gemeinsam-
keit beider Autoren liege darin, „daß Hegel wie Marx das Lebendige bzw. die Lebendigkeit
des Menschen als Subjektivität erfahre“84, allerdings jeweils von entgegengesetzten Stand-
punkten aus, denn Marx beuge die Subjektivität des Menschen aus der Hegelschen Geist-
Sphäre zurück in den Umkreis des Lebendigen. Ivan Dubský entwickelt ausgehend von dem
Marxschen Diktum, daß Hegel das Wesen der Arbeit erkannt habe, die geistesgeschichtli-
chen Gehalte des Hegelschen Arbeitsbegriffs insbesondere auch vor dem Hintergrund Kants,
Fichtes und Schellings. Nur auf dem Gebiet der Arbeit, „konnte er [Hegel, M. B.] von der
Identitätsphilosophie zur Bildung neuer Anregungen in derjenigen erkenntnistheoretischen
Richtung gelangen, an welche Marx mit dem Axiom anknüpft, welches die Grundlage der
Erkenntnis der neuen Epoche der menschlichen Gesellschaft bildet: die Einheit von Theorie
und Praxis.“85 Auch Otto Pöggeler kennzeichnet die Frage nach der „Verwirklichung der
Philosophie“ als wesentlich durch Marx und Hegel gestellt. Marx‘ Kritik an Hegel sei da-
durch intendiert, daß er dessen Idealismus nur als scheinbare Verwirklichung kritisiert und
sie daher an das geschichtliche Subjekt zurückbinden wolle. Marx verfalle aber einem ähnli-
chen Fehler, indem er die „absolute Praxis der Selbstherstellung des Wirklichen“ 86 fordere
und damit unhistorisch formuliere wie Hegel. Dennoch sei die Problemstellung „legitim“ 87.
Sarah Wagenknecht beleuchtet dieses Problem von seiner methodischen Seite. Sie legt die
Vermutung zugrunde, daß ohne das Studium der Wissenschaft der Logik Hegels und der
Frühschriften von Marx das Verständnis des ersten Bandes des Kapitals nicht möglich sei.
Das Begreifen der Denkform wiederum, das Marx in den Frühschriften entwickele, sei
grundlegend für das Verständnis der gesellschaftlichen Wirklichkeit.88 Peter Ruben geht da-
gegen über die Methodenreflexion hinaus und beschäftigt sich mit dem philosophischen Ar-
beitsbegriff: Seine Intention ist die Begründung „einer neuen Position der Wissenschaft zur
Gesellschaft“89, wonach sich beide wechselseitig begründen. Sich von Hegel lösend begrün-
det er aus der Kritik der analytischen Philosophie die materialistische Dialektik. Die Analyse
83
Manfred Riedel. Theorie und Praxis im Denken Hegels. 121.
84
Ebd., 136.
85
Ivan Dubsky. „Hegels Arbeitsbegriff und die idealistische Dialektik.“ In Hegel und die Folgen,
hrsg. v. Gerd-Klaus Kaltenbrunner. Freiburg, 1970, 408. Die Darstellung des Arbeitsbegriffs
nimmt Dubský in Abgrenzung gegen Scheler, Heidegger und Marcuse vor. Allerdings entgeht ihm
im Resultat seiner Darstellung der negative Charakter des Hegelschen Arbeitsbegriffs: „Wenn die
Arbeiterklasse zum Erben der deutschen klassischen Philosophie geworden ist, ist es vor allem das
Verdienst des letzten Repräsentanten, Hegel, des Philosophen, mit dem wie Engels sagte, die Phi-
losophie endet und die positive Erkenntnis der Welt beginnt, des Philosophen, der die Keime ge-
pflanzt hat, die in der deutschen klassischen Philosophie reifte.“ Ebd., 463.
86
Otto Pöggeler. „Die Verwirklichung der Philosophie. Hegel und Marx.“ In Hegels Idee einer Phä-
nomenologie des Geistes. Hrsg. v. Otto Pöggeler. Freiburg [u. a.], 1973, 394.
87
Ebd., 402.
88
Sahra Wagenknecht. Vom Kopf auf die Füße? Zur Hegelkritik des jungen Marx oder das Problem
einer dialektisch-materialistischen Wissenschaftsmethode. Bonn, 1997, 8.
Stand der Forschung 41

der Warenform im Kapital dient ihm dabei als das Modell, an dem er den Übergang der ana-
lytischen Denkformen zur gesellschaftlichen Wirklichkeit bezeichnen möchte.
Einen anderen Zugang zum Arbeitsbegriff wählen einige Vertreter der Frankfurter Schule.
Während Herbert Marcuse, wie bereits erwähnt, den Arbeitsbegriff Hegels ontologisiert, um
ihn so für eine Kritik der Trennung von Hand- und Kopfarbeit nutzbar zu machen, verweist
Adorno in den Drei Studien zu Hegel auf die gesellschaftlichen Gehalte eines verabsolutier-
ten Arbeitsbegriffs: „Denn die Verabsolutierung der Arbeit ist die des Klassenverhältnisses:
eine der Arbeit ledige Menschheit wäre der Herrschaft ledig. Das weiß der Geist, ohne es
wissen zu dürfen; das ist das ganze Elend der Philosophie.“90 In Abgrenzung gegen die frühe
Frankfurter Schule unternimmt Habermas in Arbeit und Interaktion den Versuch, an der Je-
nenser Geistphilosophie aufzuzeigen, daß dort „nicht der Geist in der absoluten Bewegung
der Reflexion seiner selbst, der sich unter anderem auch in Sprache, Arbeit und sittlichem
Verhältnis manifestiert“ bestimmt, „sondern erst der dialektische Zusammenhang von
sprachlicher Symbolisierung, Arbeit und Interaktion bestimmt den Begriff des Geistes.“91
Andreas Arndt benennt die gemeinsame Ausgangsfrage: „Im Hintergrund dieser Ausein-
andersetzungen und Interpretationen stand – ausgesprochen oder unausgesprochen – zu-
meist die Frage, ob Hegel – mit Marx zu sprechen – einen einseitig idealistischen Arbeitsbe-
griff zugrunde gelegt und deshalb auch die Arbeit des Begriffs oder den Begriff der
Reflexion idealistisch bestimmt habe.“92 Arndt weist außerdem darauf hin, daß bei der Be-
antwortung dieser Frage der Aspekt des Eigentums wenig Beachtung findet. Er kommt zu
dem Resultat, daß in der Phänomenologie des Geistes das Eigentum nicht als juristische
Form erscheine, sondern als durch die Arbeit des Subjekts angeeignete Natur und die Arbeit
selbst als Tätigkeit des Weltgeistes.93 Bei Marx wandele sich dieses Verständnis grundle-
gend. Er bestimme die bürgerliche Gesellschaft im Bewußtsein ihrer historischen Bedingt-
heit. Von diesem Spannungsfeld der Begriffe Arbeit und Eigentum, die einmal begrifflich
und einmal historisch gefaßt werden, wird auch in diesem Projekt ausgegangen, da das von
Arndt aufgezeigte Problem „weitreichende Konsequenzen [hat, M. B.] nicht nur für den Be-
griff der Arbeit im engeren Sinne, sondern auch für die Arbeit des Begriffs und damit für den
Begriff selbst, der auf ein Äußerliches, von ihm nicht Gesetztes angewiesen bliebe“94.

89
Peter Ruben. „Wissenschaft als allgemeine Arbeit.“ 5. Vgl. auch Peter Furth (Hg.) Arbeit und Re-
flexion: zur materialistischen Theorie der Dialektik: Perspektiven der Hegelschen Logik. Köln,
1980. Ders. „Das ‚Arbeitskonzept‘ in der marxistischen Erkenntnistheorie.“ In Kant oder Hegel?
Über Formen der Begründung in der Philosophie, hrsg. v. Dieter Henrich. Stuttgart, 1983.
90
Theodor W. Adorno. „Drei Studien zu Hegel.“ In Gesammelte Schriften Bd. 5. Darmstadt, 1998,
272.
91
Jürgen Habermas. „Arbeit und Interaktion. Bemerkungen zu Hegels Jenenser Philosophie des Gei-
stes.“ In Technik und Wissenschaft als Ideologie. Frankfurt a. M., 1968, 10.
92
Andreas Arndt. „Begriff der Arbeit und Arbeit des Begriffs.“ In Die Arbeit der Philosophie. Ber-
lin, 2003, 93 f.
93
Den Arbeitsbegriff der Phänomenologie untersucht auch Sok-Zin Lim. Der Begriff der Arbeit bei
Hegel. Versuch einer Interpretation der Phänomenologie des Geistes. Bonn, 1966.
94
Andreas Arndt. „Begriff der Arbeit und Arbeit des Begriffs.“ 104.
2 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

„Bedarf jedoch der Geist, in dem, was er ist, dessen, was er nicht ist, so ist der Rekurs auf Ar-
beit nicht länger, was die Apologeten der Sparte Philosophie als ihre letzte Weisheit wiederho-
len: eine µετάβασις εἰς ἄλλο γένος.“1

Der Begriff der Selbstbestimmung ist bei Hegel vor dem Hintergrund seines philosophi-
schen Programms zu erklären. Dieses Programm wird seinem Begriffe nach in der Wis-
senschaft der Logik bestimmt, wobei für den Begriff der Selbstbestimmung genauer die
Kapitel zur Teleologie und zur unmittelbaren Idee einschlägig sind.
Im Kapitel Systemprogramm und die Arbeit des Begriffs soll zunächst kurz erläutert
werden, welche philosophiegeschichtlichen Probleme das Programm Hegels lösen soll
und zwar am Modell des philosophischen Verhältnisses von Natur und Freiheit bei Kant.
Hegel transformiert das Verhältnis von Natur- und Freiheitsbegriffen in der Lehre vom
Begriff in das Verhältnis von Subjektivität und Objektivität. Unter dem Titel Fehler: Re-
ferenz nicht gefundenwird deshalb in einem zweiten Schritt der Objektbegriff Hegels be-
stimmt, ohne den die Konstruktion der Teleologie unverständlich bliebe. Subjektivität
und Objektivität werden in der Lehre vom Begriff auf zweierlei Weise aufeinander bezo-
gen: Zum einen als sich in der äußeren Objektivität bestimmender Begriff äußerer
Zweckmäßigkeit in der Teleologie und zum anderen als sich im Organismus bestimmen-
der Begriff innerer Zweckmäßigkeit in Leben als unmittelbare Idee. Der äußeren
Zweckmäßigkeit gilt das Kapitel zur Teleologie, der inneren Zweckmäßigkeit gilt das
Kapitel Der Tod des Individuums: Leben als unmittelbare Idee.
Als Leitfaden der Interpretation dieser Passagen aus der Lehre vom Begriff gilt es,
den Systemanspruch Hegels ernst zu nehmen. Hegel denkt den Begriff der Selbstbestim-
mung in der Lehre vom Begriff absolut, nicht in dem Sinne, gar keine Bedingungen zu
haben, aber in dem Sinne, alle Bedingungen aus sich hervorbringen zu können. Indem
die Argumentation Hegels kommentierend nachvollzogen wird, sollen die Grenzen der
Begründbarkeit eines solchen Begriffs aufgezeigt werden. Das Mißlingen der Durchfüh-
rung des Begriffs absoluter Selbstbestimmung wäre der negative Ausdruck seiner Be-
dingtheit.

1
Theodor W. Adorno. Negative Dialektik, 199.
Systemprogramm und die Arbeit des Begriffs 43

2.1 Systemprogramm und die Arbeit des Begriffs


Das Programm der Wissenschaft der Logik ist die Entwicklung des Begriffs reiner Wis-
senschaft aus dem „frey für sich seyenden Denken“. Das Denken vermag aber den Be-
griff reiner Wissenschaft nicht ausschließlich aus sich zu begründen, denn dann wäre die
Wissenschaft Wissenschaft von nichts, sondern sie ist auf einen zu erkennenden Ge-
genstand verwiesen. Dieser Gegenstand ist vom Denken zu unterscheiden, so daß die
Differenz von Denken und Gegenstand für die Durchführung der Wissenschaft der Lo-
gik konstitutiv ist. Ebensowenig kann aber der Gegenstand vom Denken absolut unter-
schieden sein, denn dann wäre er undenkbar. Der Gegenstand des Denkens stellt sich
deshalb für die Philosophie Hegels zunächst als der Widerspruch dar, als vom Denken
unterschiedener selbständig und als gedachter Gegenstand unselbständig gegen das
Denken zu sein. „Das Object ist daher der absolute Widersp ruc h der vollkommenen
Selbständigkeit des Mannichfaltigen, und der ebenso vollkommenen Unselbständigkeit
derselben.“2
Was ein Gegenstand ist, läßt sich erst im Resultat des Erkenntnisprozesses angeben.3
Der erste Gegenstand der Wissenschaft der Logik ist der Begriff reiner Wissenschaft,
wie er im Resultat der systematischen Reflexion des konkreten Wissens der Phänome-
nologie des Geistes bestimmt wurde. Diesen reinen Begriff der Wissenschaft bezeichnet
Hegel mit dem absoluten Wissen, das also zugleich das Resultat des Erkenntnisprozes-
ses der Phänomenologie des Geistes und den Anfang der Wissenschaft der Logik dar-
stellt. Als das Resultat der Erfahrungen des erscheinenden Bewußtseins sind das erschei-
nende Wissen und das Denken miteinander vermittelt, so daß deren Differenz zwar
aufgehoben, aber zugleich auch im Resultat bewahrt ist. Gleichzeitig soll das absolute
Wissen aber auch den logischen Ursprung der wissenschaftlichen Entwicklung begrün-
den, und darf deshalb nichts – also auch nicht seine Begründung durch die Erfahrung
des Bewußtseins der Phänomenologie – voraussetzen. Das absolute Wissen wird des-
halb in das reine Sein überführt, das abgetrennt von seiner Begründung absolut unver-
mittelt ist. „Das Sein ist das unbestimmte Unmittelbare; es ist frei von der Bestimmtheit
gegen das Wesen sowie noch von jeder, die es innerhalb seiner selbst erhalten kann.
Dies reflexionslose Sein ist das Sein, wie es unmittelbar nur an ihm selber ist.“4
Im Anfang der Wissenschaft der Logik erscheint der Gegenstand des Denkens, hier
das reine Sein, nicht mehr als vom Denken unmittelbar vorgefunden und damit gegen es
selbständiger Gegenstand der Erkenntnis, sondern als ein vom Denken durchwirktes,

2
Georg W. F. Hegel. Hauptwerke Bd. 6 (Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im
Grundrisse). Darmstadt, 1999, § 194 (im folgenden Enzyklopädie).
3
Vgl. Hegel: „Das Begreiffen eines Gegenstandes besteht in der That in nichts anderem, als daß Ich
denselben sich zu eigen macht, ihn durchdringt, und ihn in seine eigene Form, d. i. in die Allge-
meinheit, welche unmittelbar Bestimmtheit, oder Bestimmtheit, welche unmittelbar Allgemeinheit
ist, bringt.“ Hauptwerke Bd. 3 (Wissenschaft der Logik; Die objektive Logik; Buch 1. Die Lehre
vom Sein (1832). Buch 2. Die Lehre vom Wesen (1813)). Darmstadt, 1999, 18 (im folgenden Lehre
vom Sein und vom Wesen).
4
Ebd., 68.
44 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

das durch das Denken erst im Begriff konstituiert wird. Für das Denken ist also die
Selbständigkeit des Gegenstandes der Reflexion nicht manifest, sondern relational be-
stimmt: der Gegenstand des Denkens ist sein Begriff. Was außerhalb der Relation von
Denken und Begriff des Gegenstandes liegt, ist für das Denken nicht bestimmbar.
Zugleich nötigt aber das Problem des Anfangs der reinen Wissenschaft nicht nur
dazu, auf die Phänomenologie, die Wissenschaft von der Erfahrung des Bewußtseins, zu
rekurrieren, sondern verweist darüber hinaus auch auf die in der Phänomenologie zitier-
ten Modelle philosophischer Reflexion, die dem System Hegels geistesgeschichtlich
vorangegangen sind. Anders als die Gestalten des erscheinenden Geistes der Phä-
nomenologie ist die Entwicklung in der Philosophiegeschichte dem System Hegels auch
heteronom. Es ist zu fragen, inwieweit die philosophiegeschichtliche Entwicklung Indiz
der Selbständigkeit der Gegenstände des Denkens ist.
Ein Modell für Begriffe, die dem System Hegels vorausgesetzt sind, liefert Kant mit
dem Verhältnis von Natur- und Freiheitsbegriffen. Kant schließt von der Wirklichkeit
naturwissenschaftlicher Erkenntnis auf die Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis
überhaupt. Bei ihm steht daher nicht die logische Reflexionsbestimmung am Anfang,
sondern die naturwissenschaftliche Erkenntnis, in der die partikulare Vermittlung von
Gegenstand und Denken innerhalb eines bestimmten Gegenstandsbereichs gelungen ist.
„Der Zeit nach geht also keine Erkenntnis in uns vor der Erfahrung vorher, und mit die-
ser fängt alle an.“5 Der naturwissenschaftliche Gegenstand, unabhängig von seinen je ei-
genen Inhalten, ist das Objekt. Die Übereinstimmung von Objekt und Denken ist nur
unter der Bedingung möglich,6 daß sie vor aller bestimmten Erfahrung als Synthesis der
Formen des subjektiven Erkennens – Kategorien und Anschauung – widerspruchsfrei
gedacht werden kann, denn wenn es nicht mal möglich ist, die Begriffe, die dem Erken-
nen vorausgesetzt sind, in ihrer Relation zueinander zu begründen, dann ist die Bildung
eines wahren Urteils über Bestimmtes erst recht nicht möglich. Der Gegenstand der Er-
kenntnis wird unmittelbar als roher Stoff sinnlicher Eindrücke angeschaut, wobei die
Anschauungen bereits der transzendentalen Einheit der Apperzeption oder dem „Ich
denke, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können“7 subsumiert sein müssen,
weil die sinnlichen Eindrücke andernfalls keinen Ort hätten. Oder anders gesagt: Die
sinnlichen Eindrücke sind notwendig die Eindrücke eines Subjekts. Aber erst durch die
bestimmte Beziehung der Sinneseindrücke auf die Formen der Anschauung – Raum und
Zeit – und die Verstandesbegriffe werden die Erscheinungen als Objekt konstituiert.
„Objekt aber ist das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung
vereinigt ist.“8 Damit zeichnet sich die Substantialität des Objekts vor den Subjekten ei-
nerseits durch die Aktualität von deren Empfindungen aus, die aber zufällig sind, ande-
rerseits durch die Quantität und Modalität der Erkenntnisurteile, die als notwendig allge-
meine von allen erkennenden Subjekten ohne Unterschied eingesehen werden können

5
Immanuel Kant. Kritik der reinen Vernunft. Hamburg, 1998, B1.
6
Vgl. ebd., B 82 ff.
7
Ebd., B 131 f.
8
Ebd., B 137.
Systemprogramm und die Arbeit des Begriffs 45

müssen und daher in die distributive Einheit des Erfahrungsgebrauchs des Verstandes
eingehen.
„Auf solche Weise sind synthetische Urteile a priori möglich, wenn wir die formalen Be-
dingungen der Anschauung a priori, die Synthesis der Einbildungskraft, und die notwendige
Einheit derselben in einer transzendentalen Apperzeption, auf ein mögliches Erfahrungser-
kenntnis überhaupt beziehen, und sagen: die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung über-
haupt sind zugleich die Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung, und ha-
ben darum objektive Gültigkeit in einem synthetischen Urteile a priori.“9

Damit ist das Objekt aber nur subjektiv bestimmt, was es außerhalb des Denkens ist,
kann gar nicht ausgedrückt werden. Wenn die notwendig allgemeine Erfahrung keine
bloße Projektion der Subjekte auf die Natur sein soll, sondern der Erfahrung auf der Sei-
te des Gegenstandes etwas entsprechen soll, dann ist die Existenz eines außersubjekti-
ven Korrelats der Erscheinungen als eine weitere Bedingung der Möglichkeit von Ob-
jektivität neben der transzendentalen Einheit der Apperzeption, den Verstandesbegriffen
und den reinen Anschauungsformen anzunehmen. Weil die Existenz dieses objektiven
Korrelats aber nicht dingfest gemacht werden kann, muß sie als Bedingung der Mög-
lichkeit von Erkenntnis erschlossen werden. Die ontologische Bestimmung des Objekts
wird damit – paradox – zu einem Vernunftbegriff, dem Ding an sich. Die Unmittelbar-
keit des Objekts erweist sich so vielmehr als absolut vermittelt, so daß die Differenz von
Denken und Gegenstand zwar gedacht sein soll, aber der Grund dieser Differenz auf
eine bloße Definition der Existenz des Seienden reduziert wird.
Damit sind Begriff und objektives Korrelat in den transzendentallogischen Zusam-
menhang subjektiver Erfahrung integriert. Kant muß aber ebenso den Unterschied zwi-
schen dem Begriff und seinem objektiven Korrelat als Differenz ihrer jeweiligen Funkti-
on erhalten, um eine Verwechslung von Begriff und Objekt zu vermeiden. Danach sind
die Verstandesbegriffe konstitutive Erkenntnisprinzipien für die Gegenstände möglicher
Erfahrung, während die Vernunftbegriffe als regulative Prinzipien kein Korrelat in der
Erfahrung haben, sondern spekulativ sind. Sie begründen nicht die objektive Realität der
empirischen Erfahrung, sondern deren logische Einheit. Die Vernunft fordert die absolu-
te Vollständigkeit der Zusammensetzung, Teilung und Entstehung des gegebenen Gan-
zen aller Erscheinungen.10 Ohne die Differenz zwischen objektiver Erfahrung und sub-
jektiver Spekulation, zwischen konstitutiven und regulativen Begriffen, die unabhängig
von den Wahrnehmungen nur auf die logische Verfassung der Verstandesbegriffe geht,
wäre das Ding an sich nur eine Verdoppelung des Objektbegriffs, die von diesem des-
halb ununterscheidbar bliebe. So soll aber das Objekt als Verstandesbegriff vom Ding an
sich als Vernunftbegriff unterschieden sein. Weil aber diese Unterscheidung nicht sub-
stantiell, sondern selbst eine Reflexionsbestimmung ist, wird diese Differenz an einigen
Stellen auch undeutlich:
„Daß Raum und Zeit nur Formen der sinnlichen Anschauung, also nur Bedingungen der Exi-
stenz der Dinge als Erscheinungen sind, daß wir ferner keine Verstandesbegriffe, mithin auch
9
Vgl. Immanuel Kant. Kritik der reinen Vernunft. B 610 u. B 197.
10
Ebd., B 443 ff.
46 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

gar keine Elemente zur Erkenntnis der Dinge haben, als sofern diesen Begriffen korrespondie-
rende Anschauung gegeben werden kann, folglich wir von keinem Gegenstande als Dinge an
sich selbst, sondern nur sofern es Objekt der sinnlichen Anschauung ist, d. i. als Erscheinung,
Erkenntnis haben können, wird im analytischen Teile der Kritik bewiesen; woraus denn freilich
die Einschränkung aller nur möglichen spekulativen Erkenntnis der Vernunft auf bloße Gegen-
stände der Erfahrung folgt. Gleichwohl wird, welches wohl gemerkt werden muß, doch dabei
immer vorbehalten, daß wir eben dieselben Gegenstände auch als Dinge an sich selbst, wenn
gleich nicht erkennen, doch wenigstens denken können. Denn sonst würde der ungereimte Satz
daraus folgen, daß Erscheinung ohne etwas wäre, was da erscheint [kursiv von M.B.].“11

Gegen die Intention Kants schlägt das differente Verhältnis von konstitutiven und regu-
lativen Erkenntnisprinzipien in dieser Formulierung dennoch in die Ununterscheidbar-
keit ihrer Gegenstandsbereiche um: Die Spekulation der Vernunft wird ebenso auf die
Gegenstände möglicher Erfahrung bezogen wie der Verstand, und das Ding an sich stellt
nicht nur die regulative Bedingung eines objektiven Korrelats der Erscheinungen dar,
sondern wird zu dem, was da erscheint, Hypostase einer regulativen Idee. Die Differen-
zierung von Verstandes- und Vernunftbegriff mißlingt, weil dem Ding an sich bei Kant
real nichts Bestimmtes entspricht, die Relation zum Objekt also unbestimmt bleibt, so
daß sie sich in dieser Konstruktion einerseits als absolut ununterschieden erweisen, weil
beide Begriffe wie ihre Differenz als transzendentallogische Bedingungen objektiver Er-
fahrung dasselbe sind, und andererseits auch als absolut Unterschiedene, deren Relation
widerspruchsfrei nicht zu denken ist.
Das Objekt ist aber nicht nur immanent bestimmt, sondern auch extensional durch die
Beziehung auf andere Objekte. Dieser Zusammenhang ist innerhalb des Bereichs der
Verstandeserfahrung durch die Kategorien Kausalität und Wechselwirkung konstituiert
und enthält darüber hinaus die Forderung nach Vollständigkeit: „Wenn das Bedingte ge-
geben ist, so ist auch die ganze Reihe aller Bedingungen desselben gegeben: nun sind
uns Gegenstände der Sinne als bedingt gegeben, folglich usw.“12 Aber die kausale Reihe
der Ursachen einer Erscheinung führt nicht auf eine erste Ursache, sondern nur auf die
vorangegangene Ursache, die wiederum durch die vorangegangene bedingt ist usw. –
kurzum führt die kausale Reihe der Ursachen einer Erscheinung auf einen unendlichen
Regreß, so daß die Bedingung der Vollständigkeit nicht durch den Verstand erfüllt wer-
den kann, sondern analog zum Ding an sich eines Vernunftschlusses bedarf, durch den
der unendliche Regreß abgebrochen und ein Anfang der Reihe als notwendige Bedin-
gung der Einheit des Erfahrungsganzen erschlossen wird. Dieser Anfang liegt außerhalb
der Zeitreihe und hat seinen logischen Grund in der transzendentalen Freiheit, dem Ver-
mögen, „einen Zustand von selbst anzufangen, deren Kausalität also nicht nach dem Na-
turgesetze wiederum unter einer anderen Ursache steht, welche sie der Zeit nach be-
stimmte“13. Über die Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung in

11
Immanuel Kant. Kritik der reinen Vernunft. B XXXV ff. Vgl. auch die Ausführungen zum tran-
szendentalen Ideal, insbesondere ebd., B 605–611. Außerdem S. 60 dieser Arbeit.
12
Ebd., A 497.
13
Ebd., A 533.
Systemprogramm und die Arbeit des Begriffs 47

der Zeit wird so ein Vermögen erschlossen, das nur durch die Negation der Zeitreihe ge-
dacht werden kann.
Aber auch die Bestimmung der Freiheit gerät gegen die Intention Kants in einen Wi-
derspruch zu ihrer Funktion, denn abgesehen davon, daß die Vernunftforderung nach der
ersten Ursache einer Erscheinung die Forderung nach der Vollständigkeit einer Zeitreihe
ist, muß der spekulative Schluß, in dem die Negation der Zeitreihe auf den Begriff ihrer
ersten Ursache führt, der Form des inneren Sinnes genügen, und kann deshalb selbst nur
in der Zeit gedacht werden, so daß die spezifische Differenz von zeitlichen und nicht-
zeitlichen Ursachen der Erscheinung nicht streng durchzuhalten ist. Gleiches gilt damit
auch für die Unterscheidung von regulativen und konstitutiven Begriffen. Die Einheit
des Gegenstandes, wie sie durch das Vernunftprinzip gefordert ist, erweist sich als unab-
dingbar für dessen Erkenntnis und müßte demnach konstitutiv sein, liegt aber als regula-
tives Prinzip jenseits des Gegenstandes, dessen Einheit sie begründen soll. Im Gegen-
satz zum Ding an sich, das das andere des Denkens repräsentiert, ohne von jenem
unterscheidbar zu sein, zerfällt der Erkenntnisgegenstand bei dem Versuch, seine Einheit
zu begründen, in die Momente der objektiven Konstitution und der subjektiven logi-
schen Ordnung. Damit argumentiert Kant, der die Trennung der Naturbegriffe vom Frei-
heitsbegriff vehement verteidigt, wider die bessere Einsicht, daß diese Begriffe auch
notwendig aufeinander verwiesen sind. Er selbst erschließt den Begriff des Dings an
sich und mit ihm die spezifische Differenz von Objektivität und Subjektivität aus dem
Nachweis der Unzulänglichkeit der subjektiven Bestimmungen des Objekts, also über
die Negation der Einheit der Subjektivität. Umgekehrt wird der Begriff der Kausalität
aus Freiheit und damit die Bedingung der Einheit beider Relata aus dem Nachweis der
Unzulänglichkeit des Naturbegriffs erschlossen. Die Einheit ist also nicht ohne Diffe-
renz zu haben, sowenig wie die Differenz ohne Einheit zu denken ist. Tatsächlich wird
auf diese Weise eine Differenz von Subjektivität und Objektivität gesetzt, aber im Un-
terschied zu der Differenz von Ding an sich und Objekt beinhaltet sie keine Hy-
postasierung regulativer Begriffe, sondern folgt aus einer Negation, die dem Denken im-
manent bleibt. Beide Begriffe sind deshalb nur über die Negation ihres jeweils anderen
zu bestimmen. Darin liegt der Ausgangspunkt der Überlegungen Hegels.14
Danach läßt sich die absolute Unterscheidung von regulativen und konstitutiven Prin-
zipien überwinden, wenn gezeigt werden kann, daß den Objekten die Prinzipien ihrer
Erkennbarkeit nicht jenseitig, sondern immanent sind. Dazu bedarf es zunächst des
Nachweises, daß die Selbständigkeit des unmittelbaren Objekts Schein ist, dessen wah-
rer Begriff bei Kant zwar angelegt, aber nicht durchgeführt worden ist. Die Begründung
dafür ist zunächst stichhaltig: Die Konstellation von Natur- und Freiheitsbegriffen hat
14
Vgl. auch Herbert Schnädelbach: „Man kann Hegels WL als die spekulative Wiederholung der
Kantischen ‚Transzendentalen Logik‘ verstehen, wobei wieder die Beseitigung des Dinges an sich
alle wesentlichen Transformationen erklärt. Ist der Gegensatz von Bewußtsein und Gegenstand,
Subjektivität und Objektivität, Denken und Anschauung spekulativ überbrückt, besteht kein Grund
mehr, noch zwischen Transzendentaler Logik und Metaphysik zu unterscheiden, denn die angeb-
lich bloß subjektiven Bestimmungen des Denkens sind dann ja zugleich als die Gedanken erweis-
bar, ‚welche dafür galten, die Wesenheiten der Dinge auszudrucken.‘“ Herbert Schnädelbach. He-
gel zur Einführung. Hamburg, 2001, 91 f.
48 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

ihren Ort im Denken. Beide können durch die ihnen korrespondierenden Gegenstands-
bereiche – die Naturwissenschaft und das ethische Gemeinwesen – sicher unterschieden
werden, weil beide Gegenstände durch ihre jeweiligen Existenzgründe unterschieden
sind. Die Naturwissenschaften korrespondieren als Gegenstandsbereich dem Naturbe-
griff Kants, weil sie das, was Natur empirisch ist, in notwendig allgemeinen Urteilen be-
schreiben. Diese Urteile haben deshalb nicht, wie bei Kant, erkenntnistheoretische Ge-
halte, sondern es sind Urteile über bestimmte Naturzusammenhänge. Das ethische
Gemeinwesen ist Kants Versuch, den kategorischen Imperativ als Ausdruck der Freiheit
praktisch umzusetzen und kann insofern als der dem Freiheitsbegriff korrespondierende
Gegenstandsbereich bezeichnet werden. Während die Begriffe geistige Produktionen
vernunftbegabter Subjekte sind, können die Gegenstände dieser Begriffe nicht nur sub-
jektive Produktionen sein. Sie bedürfen einer sachlichen Grundlage. Z. B. existiert das
Salz, weil es das Produkt einer Säure-Base-Reaktion ist, oder der bestimmte Mensch
existiert durch seine Eltern. Allerdings kann auf diese Weise immer nur der Existenz-
grund eines bestimmten Objekts angegeben werden, aber niemals der Existenzgrund
von Natur überhaupt.
Allerdings gelingt es – wie an Kant gezeigt – seit der Säkularisierung des Denkens
und damit der Kritik eines absoluten göttlichen Grundes nicht mehr, den außersubjekti-
ven Existenzgrund der Gegenstände positiv zu fassen, weil er nur durch die Erfahrung
des Subjekts hindurch erschlossen werden kann. Der Versuch, die Differenz von Natur
und Freiheit zu begründen, fällt deshalb mit dem Subjekt, das diese Differenz denkt,
auch in Eins, während der Existenzgrund als dem Denken absolut Jenseitiger nicht be-
stimmbar, also für das Denken so gut wie nichts ist. Aus diesem Problem der Begrün-
dung einer vom Subjekt unabhängigen Objektivität zieht Hegel die Konsequenz, daß das
selbständige Objekt mit seinem Begriff kommensurabel und dadurch prinzipiell dem
Systemanspruch des Denkens subsumierbar ist.15
Die aus der Subsumtion des Objekts unter das Denken resultierende Einheit des Be-
griffs gilt überzeitlich und überräumlich, während der zu subsumierende Gegenstand zu-
nächst erscheint, also in Raum und Zeit angeschaut wird, so daß seine Übereinstimmung
mit der Einheit des Denkens erst herzustellen ist. Die Einheit von Begriff und Gegen-
stand ist wahr und muß von je her gedacht werden können, aber daß dem so ist, muß
geistesgeschichtlich erst zu Bewußtsein gebracht werden, so daß die jeweils vorherr-
schenden Erscheinungsweisen des Bewußtseins ein Moment von Vorläufigkeit an sich
haben, noch nicht wahr, sondern lediglich gewiß sind. Die Differenz von Wahrheit und
Gewißheit bzw. unmittelbarem Wissen und sinnlicher Gewißheit widerspricht dem Be-
griff der geforderten Einheit, so daß die Aufgabe gestellt ist, diese Einheit zu begründen.
Eben dieses Programm beansprucht Hegel für die Phänomenologie des Geistes.16 Die
15
Vgl.: „Der Gegenstand, wie er ohne das Denken und den Begriff ist, ist eine Vorstellung oder auch
ein Nahmen; die Denk- und Begriffsbestimmungen sind es, in denen er ist, was er ist.“ Georg
W. F. Hegel. Hauptwerke Bd. 4 (Wissenschaft der Logik; Bd. 2. Die subjektive Logik oder die Leh-
re vom Begriff). Darmstadt, 1999, 244 (im folgenden Lehre vom Begriff).
16
Hegels Einordnung der Phänomenologie des Geistes in sein wissenschaftliches Programm ist un-
eindeutig. Sie sollte einerseits die Einleitung in die Philosophie und damit in das System der Wis-
Systemprogramm und die Arbeit des Begriffs 49

erste Gestalt des Gegenstandes, die sich dem Bewußtsein darbietet, ist deshalb nicht die
Einheit des Denkens mit seinem Gegenstand, sondern die unmittelbare, sinnlich gewisse
Erscheinung, so daß das Verhältnis von Begriff und Gegenstand zunächst als das diffe-
rente Verhältnis des unmittelbaren Wissens zum Wissen des Unmittelbaren erscheint.
„Das Wissen, welches zuerst oder unmittelbar unser Gegenstand ist, kann kein anderes seyn als
dasjenige, welches selbst unmittelbares Wissen, Wissen des Unmittelbaren oder Seyenden ist.
Wir haben uns ebenso unmittelbar oder aufnehmend zu verhalten, also nichts an ihm, wie es
sich darbietet, zu verändern und von dem Auffassen das Begreiffen abzuhalten.“17

Die Gestalten des unmittelbaren Wissens liegen zunächst unsystematisch und zufällig
vor und ihre chronologische Abfolge verläuft progressiv wie regressiv ins Unbestimmte.
Damit aus den Erfahrungen des Bewußtseins dennoch eine Einheit aller Vorstellungen
mit dem Begriff resultieren kann, ist unterstellt, daß die Vorstellungen oder zumindest
deren kategoriale Form historisch vollständig vorliegen und zwar mindestens zur Ge-
genwart Hegels. Hegel stand unter dem Eindruck der Französischen Revolution, welche
er als diejenige Revolution begriff, die die Vernunft als Bestimmungsgrund der Wirk-

senschaften darstellen, andererseits erhält sie im Spätwerk Hegels, der Enzyklopädie (ab 1816)
eine integrierte Stellung. Sie erscheint dort nicht mehr in der Funktion, die historischen Gestalten
des erscheinenden Wissens für das System des Wissens aufzubereiten und das System dadurch
vorzubereiten, sondern vielmehr als Durchführung des subjektiven Geistes. Je nachdem, aus wel-
cher werkgeschichtlichen Perspektive die Forschung die Stellung der Phänomenologie betrachtet,
ergeben sich unterschiedliche Interpretationen. „Das wichtigste Ergebnis dieses Systemumbaus ist,
daß die PhG ihren Status als erster, einleitender Systemteil verliert; für die geplante Neuauflage
der PhG kündigt Hegel selbst in seinem letzten Lebensjahr die Streichung des ursprünglichen Un-
tertitels ‚System der Wissenschaft, Erster Theil‘ an. Da aber von ihm sonst keine wesentlichen
Veränderungen des Textes geplant waren, hat er uns die Stellung der PhG im Gesamtsystem als bis
heute ungeklärtes Problem hinterlassen.“ Herbert Schnädelbach. Hegel zur Einführung, 78 f. Ähn-
lich Walter Jaeschke „Für Hegel selber wie auch für die gegenwärtige Forschung bildet die Phäno-
menologie hingegen die Frucht der Systementwicklung der Jenaer Jahre. Dennoch hat sie eine ei-
gentümliche Stellung in der Entwicklungsgeschichte der Hegelschen Philosophie überhaupt: Sie
ist gleichsam ein ‚erratischer Block‘, der sich nicht als Moment in die lineare Systementwicklung
integrieren läßt. Man kann die Entwicklung des Hegelschen Denkens – der Logik wie auch der
Natur- und Geistesphilosophie – im Übergang von Jena nach Bamberg und Nürnberg rekonstruie-
ren, ohne die Phänomenologie auch nur zu erwähnen. Doch dies macht sie keineswegs überflüs-
sig; es unterstreicht vielmehr ihre Eigenständigkeit und ihren außergewöhnlichen Rang.“ Walter
Jaeschke. Hegel-Handbuch, 175. Im Zusammenhang mit dem Problem des Verhältnisses von Ar-
beit und Selbstbestimmung wird das Verhältnis von Phänomenologie und Logik durch die Frage
bestimmt: Womit muss der Anfang in der Wissenschaft gemacht werden? Hegel selbst beantwortet
diese Frage mit der Erklärung, daß die Wissenschaft der Logik der logische Anfang des Systems
ist und die Phänomenologie die Vermittlung dieses Anfangs, womit die Frage nach dem Anfang
eine widersprüchliche Antwort erhält, da es zwei Anfänge gibt. Indem aber Hegel den Anfang in
der Zeit mehr und mehr dem Absolutheitsanspruch des Systems unterordnet, verliert der Weg des
Wissens an Bedeutung. In dieser Argumentation mit der Logik zu beginnen folgt dem Plan, den
Absolutheitsanspruch Hegels, der in seinem Spätwerk auf den Begriff gebracht ist, Schritt für
Schritt als bedingt zu erweisen, so durch die Vermittlung der Phänomenologie und die gesell-
schaftlichen Bedingungen, unter denen Selbstbestimmung wirklich sein soll. Es wird so darauf
hingewiesen, dass der Widerspruch nicht nur idealistisch zu lösen ist. Vgl. auch Hans-Georg
Bensch. Perspektiven des Bewußtseins: Hegels Anfang der Phänomenologie des Geistes. Würz-
burg, 2005, 84 ff. Zu den rezeptions- und werkgeschichtlichen Problemen vgl. ebenfalls W.
Jaeschke. Hegel-Handbuch. Otto Pöggeler (Hg.) Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes.
Freiburg [u. a.], 1973, 223.
17
Hegel. Hauptwerke Bd. 2 (Phänomenologie des Geistes). Darmstadt, 1999, 63 (im folgenden Phä-
nomenologie des Geistes).
50 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

lichkeit in die Welt gesetzt habe.18 „Es ist übrigens nicht schwer, zu sehen, daß unsre
Zeit eine Zeit der Geburt und des Uebergangs zu einer neuen Periode ist. Der Geist hat
mit der bisherigen Welt seines Daseyns und Vorstellens gebrochen, und steht im Begrif-
fe, es in die Vergangenheit hinab zu versenken, und in der Arbeit seiner
Umgestaltung.“19 Geistesgeschichte wäre mit der Französischen Revolution somit zu-
mindest begrifflich an ihr Ende gelangt und die geschichtlichen Vorstellungen eigentlich
ungeschichtlich. Die Vorstellungen können so in deren Begriff, den Begriff des absolu-
ten Wissens und den Anfang der Wissenschaft der Logik transformiert werden.
„Die Logik ist die reine Wissenschaft, d. i. das reine Wissen in dem ganzen Umfange seiner
Entwicklung. Diese Idee aber hat sich in jenem Resultate [der Phänomenologie des Geistes,
M. B.] dahin bestimmt, die zur Wahrheit gewordene Gewißheit zu seyn, die Gewißheit, die
nach der einen Seite dem Gegenstande nicht mehr gegenüber ist, sondern ihn innerlich gemacht
hat, ihn als sich selbst weiß, – und die auf der andern Seite das Wissen von sich als von einem,
das dem Gegenständlichen gegenüber und nur dessen Vernichtung sey, aufgegeben, dieser Sub-
jectivität entäußert und Einheit mit seiner Entäußerung ist.“20

Das Gelingen dieses Programms ist durch eine Einschränkung des Gegenstandsbereichs
der Phänomenologie bedingt, die zugleich als Konsequenz aus den Problemen der Rela-
tion von Natur- und Freiheitsbegriffen in der philosophischen Tradition, z. B. Kants be-
gründet wird: Der Gegenstandsbereich sowohl der phänomenologischen als auch der lo-
gischen Wissenschaft wird explizit als der der Reflexion vorgebildet:
„Untersuchen wir nun die Wahrheit des Wissens, so scheint es, wir untersuchen, was es a n
s i c h ist. Allein in dieser Untersuchung ist es u n s e r Gegenstand, es ist fü r u n s ; und das a n
s i c h desselben, welches sich ergäbe, wäre so vielmehr sein S e yn fü r u n s ; was wir als sein
Wesen behaupten würden, vielmehr nicht seine Wahrheit, sondern nur unser Wissen von ihm.
Das Wesen oder der Maßstab fiele in uns, und dasjenige, was mit ihm verglichen, und über
welches durch diese Vergleichung entschieden werden sollte, hätte ihn nicht nothwendig anzu-
erkennen. Aber die Natur des Gegenstandes, den wir untersuchen, überhebt dieser Trennung
oder dieses Scheins von Trennung und Voraussetzung. Das Bewußtseyn gibt seinen Maßstab an
ihm selbst, und die Untersuchung wird dadurch eine Vergleichung seiner mit sich selbst seyn;
denn die Unterscheidung, welche so eben gemacht worden ist, fällt in es.“21

Untersucht wird also nicht, was die Gegenstände an sich sind – dann wäre die Phäno-
menologie Wissenschaft von der Natur, der Kunst, der Geschichte usw., sondern unter-

18
Vgl. Joachim Ritter: „Der jugendliche Enthusiasmus für die Revolution, der bei Hegel am Anfang
des philosophischen Weges steht, geht in seine Philosophie selbst ein und wirkt in ihrer ausgereif-
ten Gestalt lebendig fort. Seine Philosophie bleibt in dem genauen Sinn Philosophie der Revoluti-
on, daß sie von ihr ausgeht und bis zuletzt aus ihr lebt. Es gibt nichts in Hegels geistiger Entwick-
lung, was sie mehr kennzeichnet als dieses positive Verhältnis zur Revolution; es bestimmt ihr
Ende wie ihren Anfang.“ Hegel und die französische Revolution. Köln, 1957, 28. „Daß sich Hegel
am Ende seines Lebens dieses Stehens an einer Linie bewußt wurde und schon über sie hinweg in
die Zukunft blickte, die ihm nun nicht mehr die ‚Morgenröte einer schönen Zeit‘ war, sondern die
von der Geschichte in Frage gestellte Stellung der Philosophie enthüllte, wissen wir aus der eigen-
tümlichen Altersresignation seiner letzten Berliner Jahre.“ Manfred Riedel. Theorie und Praxis im
Denken Hegels, 214.
19
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 14.
20
Hegel. Lehre vom Sein und vom Wesen, 55.
21
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 58 f.
Systemprogramm und die Arbeit des Begriffs 51

sucht wird das Wissen von den Gegenständen als Wissen. Dadurch werden die Relata
als prinzipiell gleichwertige, nämlich als Vorstellungen des Bewußtseins behandelt. Zu-
gleich werden die Differenzen von Wissen und Gegenstand in der Phänomenologie mit
den verhandelten Bewußtseinsgestalten zitiert, um schließlich im absoluten Wissen, dem
Resultat der Phänomenologie, aufgehoben zu werden. In der Logik wird das absolute
Wissen dann in den Begriff des reinen Seins überführt, in dem von den Differenzen
ebenso abstrahiert wird, wie vom Prozeß der Vermittlung von Wissen und Gewußtem. In
der Logik werden die Differenzen durch die Reflexion dann aus dem Denken gesetzt. So
werden die Differenzen in der Phänomenologie als vorgefundene organisiert, während
sie in der Logik durch die absolute Produktivität des Begriffs entwickelt werden sollen.
Beide Bewegungen sind notwendig aufeinander verwiesen, weil einerseits durch die
Phänomenologie das Verhältnis des zeitlichen Anfangs im unmittelbaren Wissen zum
logischen Anfang im reinen Sein vermittelt wird und damit der Anfang in der Wissen-
schaft der Logik erst eine Begründung erfährt. Zum anderen resultiert aus dieser Ver-
mittlung ein Begriff, der seine Voraussetzungen so gründlich eingeholt hat, daß er sie
auch wieder aus sich hervorbringen muß, wenn er nicht leer sein soll. D. h. aber auch,
daß die Differenz von Denken und Gegenstand in der Genesis des Anfangs reiner Wis-
senschaft konstitutiv bleibt, so daß der Hiatus von Naturbegriffen und Freiheit, der sich
bei Kant als unüberwindbar erwiesen hatte, erneut aufzubrechen droht. Absoluter Grund
und gemeinsamer Ursprung der reinen Wissenschaft kann der Anfang der Logik deshalb
nur sein, wenn er seines voraussetzungsvollen Ballastes entledigt wird:
„Hier ist das Seyn das Anfangende, als durch Vermittlung und zwar durch sie, welche zugleich
Aufheben ihrer selbst ist, entstanden, dargestellt; mit der Voraussetzung des reinen Wissens als
Resultats des endlichen Wissens, des Bewußtseyns. Soll aber keine Voraussetzung gemacht,
der Anfang selbst u n mi t t e l b a r genommen werden, so bestimmt er sich nur dadurch, daß es
der Anfang der Logik, des Denkens für sich, seyn soll. Nur der Entschluß, den man auch für
eine Willkühr ansehen kann, nemlich daß man das D e n ke n a l s s o l c h e s betrachten wolle, ist
vorhanden. So muß der Anfang a b s o l u t e r oder was hier gleichbedeutend ist, abstracter An-
fang seyn; er darf so n i c h t s v o r a u s s e t z e n , muß durch nichts vermittelt seyn, noch einen
Grund haben; er soll vielmehr selbst Grund der ganzen Wissenschaft seyn. Er muß daher
schlechthin ein Unmittelbares seyn, oder vielmehr nur das U n mi t t e l b a r e selbst.“22

Hegel beansprucht die absolute Produktivität des Systems für die Logik nachzuweisen
und damit den vor Erschaffung der Welt, selbständig gegen Subjekte und Natur gegebe-
nen Logos. Das Programm der Lehre vom Sein ist durch den Nachweis bestimmt, daß
die das Sein charakterisierenden Bestimmungen der Qualität, Quantität und des Maßes
zwar nicht reflektierend, aber an sich reflexiv verfaßt sind und sich der Reflexion damit
schon als ihr adäquater Erkenntnisgegenstand darbieten. Das reine Sein am Anfang der
Logik ist der Begriff der Einheit von Sein und Reflexion, die von ihrer Begründung im
endlichen Wissen der Phänomenologie abgetrennt und auf diese Weise selbst reflexions-
wie bestimmungslos ist. „Das Seyn ist das unbestimmte Unmittelbare; es ist frey von
der Bestimmtheit gegen das Wesen, sowie noch von jeder, die es innerhalb seiner selbst
22
Hegel. Lehre vom Sein und vom Wesen, 56.
52 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

erhalten kann. Diß reflexionslose Seyn, ist das Seyn, wie es unmittelbar nur an ihm sel-
ber ist.“23 Aus dem Widerspruch im Sein, so gut wie nichts zu sein, erschließt sich das
Argumentationsziel der Logik, nämlich dem Sein eine Bestimmung zu verschaffen. Das
Prinzip dieser Bestimmung ist der Widerspruch selbst, sofern er in der dialektischen Be-
wegung der Negation der Negation vermittelt wird: Sein ohne weitere Bestimmung ist
so gut wie Nichts – das ist die erste Negation –, aber beide sind ohne Angabe eines be-
stimmten Unterschiedes vielmehr auch dasselbe – das ist die Negation der ersten Nega-
tion. Gemäß Hegel ist das Resultat dieser doppelten Negation nicht Nichts, sondern Da-
sein, in dem Sein und Nichts als differente Momente aufgehoben sind. Zugleich bleibt
aber dieses positive Resultat ungenügend, denn nach wie vor kann die Differenz beider
Momente nicht bestimmt werden, sondern erweist sich vielmehr als eine logische Prä-
misse, die notwendig ist, um die Bewegung fortsetzen zu können. Dieser kalkulierte
Mangel an Bestimmung ist das movens der gesamten Logik, so daß die Bewegung ver-
mittelt über die Stufen der Qualität, Quantität und des Maßes implizit dem Zweck folgt,
das Sein zu bestimmen.
Behauptet wird damit, daß die Bewegung aus eigener Kraft im Wesen mündet und
darin mit dem logisch antizipierten Ziel ihrer Entwicklung zusammengeht. Tatsächlich
bleibt aber die widersprüchliche Einheit von Sein und Nichts der Sache nach auch
gleichgültig dagegen, ob sie ist oder nicht, und vor allem auch dagegen, ob der Wider-
spruch gelöst wird oder nicht. Damit erweist sich der Übergang des Seins ins Dasein als
ein Problem, das Hegel nur als unwesentlich verstanden wissen will: „Daß das Ganze,
die Einheit des Seyns und des Nichts, in der einseitigen Bestimmtheit des Seyns sey, ist
eine äusserliche Reflexion; in der Negation aber, im Etwas und Andern u. s. f. wird sie
dazu kommen, als gese tz te zu seyn.“24 Er selbst merkt also an, daß die Bewegung
nicht rein aus dem Begriff der Einheit von Sein und Nichts folgt, sondern im Hinblick
auf das Argumentationsziel der Lehre vom Sein begründet ist. Es stellt allerdings ein
Problem dar, die Bestimmung des rein logisch antizipierten Argumentationsziels vor sei-
ner Entfaltung in der Logik anzugeben. Angegeben werden muß es aber, wenn davon
der Fortschritt der Bewegung abhängt. Dieses Dilemma könnte nur umgangen werden,
wenn das Argumentationsziel gegen das Postulat der Voraussetzungslosigkeit des An-
fangs der Wissenschaft der Logik zugleich durch die Erinnerung an die im absoluten
Wissen aufgehobenen endlichen Gestalten des Wissens der Phänomenologie des Geistes
bestimmt wird. Das Argumentationsziel kann deshalb nicht allein progressiv, sondern
muß auch regressiv aus der Erinnerung bestimmt werden. Die Erfahrung der Einheit der
progressiven und der regressiven Zeitreihe ist dem Begriff aber äußerlich, denn in ihm
vergeht das Sein nur zeitlos.25
Mit der Antizipation eines Zwecks, der nicht rein logisch, sondern auch zeitlich be-
stimmt ist, müßte ein Moment von Spontaneität zugestanden werden, das darin liegt,
durch eine Begründung die Zeitreihe mit den logischen Bedingungen verknüpfen zu
23
Hegel. Lehre vom Sein und vom Wesen, 68.
24
Ebd., 97.
25
Ebd., #241. „[D]enn das Wesen ist das vergangene, aber zeitlos vergangene Seyn.“
Systemprogramm und die Arbeit des Begriffs 53

können. Spontaneität ist das Vermögen von Subjekten, die als vernunftbegabte Sinnen-
wesen beides in sich vereinigen. Deshalb entspricht die Ablösung der Unmittelbarkeit
von der Vermittlung im Übergang der Phänomenologie zur Logik in einer Hinsicht dem
asymmetrischen Verhältnis zwischen dem Geltungsbereich von wissenschaftlichen Ur-
teilen, die, einmal erschlossen, notwendig allgemein und damit unabhängig von den Be-
dingungen in Raum und Zeit gelten, und dem Prozeß ihrer Erforschung, der an subjekti-
ve, historische und gesellschaftliche Bedingungen geknüpft ist, aber im
wissenschaftlichen Resultat erlischt.26 Damit ist der Widerspruch und dessen Vermitt-
lung nur denkbar, insofern er in das Bewußtsein eines Subjekts fällt, das das Ziel der lo-
gischen Bewegung klar vor Augen hat und zugleich erinnert, antizipiert und syntheti-
siert, weil der Widerspruch andernfalls so statisch wie folgenlos bliebe. Dagegen
beansprucht Hegel im Resultat der Logik die Spontaneität zugleich dem systematischen
Anspruch zu subsumieren, indem der Gegenstand der Reflexion – das Sein – und die ih-
rem Inhalt habhaft gewordene Reflexion in einer absoluten Einheit zusammengeführt
werden. Obgleich das der Sache nach bereits im Übergang vom Sein zum Wesen unter-
stellt ist, wird die Funktion der Spontaneität erst im Übergang der Lehre vom Wesen zur
Lehre vom Begriff explizit mit dem Freiheitsbegriff erwiesen.27 Danach steht die Refle-
xion der Sphäre ihrer existierenden Voraussetzungen, die sich auf der Stufe der Wirk-
lichkeit als Notwendigkeit darstellen, nicht wie bei Kant abstrakt gegenüber, so daß die
Freiheit sich im Grunde nur durch den Verzicht auf ihre Objektivierung erhalten kann,
sondern geht in den Bedingungen nur mit sich selbst zusammen, so daß daraus ein ver-
mittelter Freiheitsbegriff resultiert, der frei gegen seine Bedingungen – Subjekt wie Na-
tur – ist, weil diese in ihm aufgehoben worden sind.28 Durch diese Vereinnahmung wer-
den das Subjekt und sein Vermögen, die Spontaneität, in ihrem Gehalt beschädigt, weil
sie – wesentlich Nichtfunktionen – in beiden Fällen zur notwendigen Funktion degra-
diert werden. Einzig im Scheitern Kants, die Freiheit auf die Naturbegriffe zurückzube-
ziehen, drückt sich das Wesen der Spontaneität aus: Sie ist nur in der Negation des Sei-
enden wirklich.
26
Vgl. auch Peter Bulthaup. „Arbeit und Wissenschaft.” 46. „Das artistische Verhältnis zum Gegen-
stand ist das Wesen der experimentellen Arbeit, aber es ist es nur als in deren Ziel, der normativen
Methode, verschwindendes Wesen. Im Resultat ist der Prozeß, der zu ihm führte, nicht aufgeho-
ben, sondern ohne Rest verschwunden, in genauer Analogie zur Mathematik, deren Ergebnisse,
sind sie einmal bewiesen, von da an in alle Ewigkeit gelten, als seien es platonische Ideen, so daß
mit ihnen operiert werden kann, ohne daß derjenige, der mit ihnen operiert, sich der Geltung der
Ergebnisse dadurch versichern müßte, daß er selber sie von neuem beweist.“
27
Vgl. Hegel: „Die Nothwendigkeit wird nicht dadurch zur F r e y h e i t , daß sie verschwindet, son-
dern daß nur ihre noch i n n e r e Identität m a n i f e s t i r t wird, – eine Manifestation, welche die
identische Bewegung des Unterschiedenen in sich selbst, die Reflexion des Scheins als Scheins in
sich ist.“ (Lehre vom Begriff, 408 f.) Und: „Dies ist die Verklärung der Notwendigkeit zur Freiheit,
und diese Freiheit ist nicht bloß die Freiheit der abstrakten Negation, sondern vielmehr konkrete
und positive Freiheit.“ (Enzyklopädie Bd. 1, 303 Zusatz.) Diese Formulierung, wonach die Freiheit
der Reflexion eine Verklärung darstelle, ist unfreiwillig verräterisch. Verklärt wird die Tatsache,
daß die abstrakt negierende Freiheit in der Gegenwart die einzig praktizierbare ist, solange die Ge-
genwart nicht vernünftig organisiert ist. Um sie als positive Freiheit in die Existenz treten zu las-
sen, mangelt es an der Vollständigkeit ihrer Bedingungen, was noch darzustellen ist.
28
„Der Begriff zeigt sich obenhin betrachtet, als die Einheit des S e yn s und We s e n s .“ Hegel. Leh-
re vom Begriff, 29.
54 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

Hegel sieht sich, bereits vor der eigentlich logischen Entwicklung, im Anfang der
Wissenschaften genötigt, von den endlichen Subjekten und der Geschichte ihres Wissens
zu abstrahieren, weil sie nicht nur der Grund für den systematischen Anspruch, sondern
auch für dessen Scheitern sind. Die Bedingung des Zusammenschlusses von Anfang und
Ende, Sein und Wesen, Freiheit und Notwendigkeit ist, daß diese Begriffe nicht spezi-
fisch, d. h. ihrem Existenzgrund nach, unterschieden sind, sondern als kommensurable
Begriffe vorgebildet wurden. Insofern aber das logische System eine Bewegung be-
greift, durch die Gleiches mit Gleichem verbunden wird, nämlich Reflexionsbegriffe,
droht ihm die Bestimmungslosigkeit. Soll die Entwicklung nicht „in ein ruhiges Resul-
tat“29 zusammensinken, so ist sie überhaupt nur zwischen Ungleichen denkbar. Wenn
aber Subjektivität und Objektivität prinzipiell unterschieden sind, dann ist ihre Überein-
stimmung nicht nach einem methodisch geregelten Verfahren auf ewig herzustellen,
sondern setzt immer auch ein artistisches Moment im denkenden und handelnden Sub-
jekt voraus. Für das Vorhaben, ein geschlossenes und damit absolut unbedingtes System
zu begründen, ist das aber fatal, weil es mit dem Subjekt auf ein Unabdingbares verwie-
sen ist. Durch die Verabsolutierung des logischen Anfangs kann deshalb nicht darüber
hinweggetäuscht werden, daß es ohne die Subjekte, die denken, und die Geschichte, in
der sie Wissen akkumuliert haben, kein Bewußtsein vom logischen Ursprung des Wis-
sens gäbe. Subjekt und Geschichte sind deshalb keine hinreichenden, aber doch notwen-
dige Bedingungen wissenschaftlicher Erkenntnis. Dem entspricht, daß Hegel die Ablö-
sung des Anfangs selbst als den „Entschluß, den man auch für eine Willkühr ansehen
kann“, offenlegt, nämlich desjenigen Subjektes, das ihn aus den ungelösten Aporien der
Geistesgeschichte rechtfertigt. Das Programm der Logik, die Entwicklung des Begriffs
reiner Wissenschaft aus dem frei für sich seienden Denken, steht deshalb auch schief zu
seiner Begründung:
„Das Ziel, das absolute Wissen, oder der sich als Geist wissende Geist hat zu seinem Wege die
Erinnerung der Geister, wie sie an ihnen selbst sind und die Organisation ihres Reiches voll-
bringen. Ihre Aufbewahrung nach der Seite ihres freyen in der Form der Zufälligkeit erschei-
nenden Daseyns, ist die Geschichte, nach der Seite ihrer begriffnen Organisation aber die Wis-
senschaft des erscheinenden Wissens; beyde zusammen, die begriffne Geschichte, bilden die
Erinnerung und die Schädelstätte des absoluten Geistes, die Wirklichkeit, Wahrheit und Gewiß-
heit seines Throns, ohne den er das leblose Einsame wäre; nur – aus dem Kelche dieses Gei-
sterreiches/ schäumt ihm seine Unendlichkeit.“30

Wenn der Widerspruch im Verhältnis von Denken und Objekt bei Kant nicht nur auf die
inkonsequente Durchführung seines systematischen Anspruchs zurückzuführen ist, son-
dern selbst in seiner avancierteren Konstruktion, als Reflexionsbegriff und Moment des
Systems Hegels, seine zentrifugalen Spuren hinterläßt, dann bleibt nur, ihn als Konstan-
te von Inkonsistenzen des Denkens ernstzunehmen. Insofern sich objektive Widersprü-
che gegen die Theorie als Bruch im System behaupten, verweisen sie negativ auf die sie
bedingende Synthesis – entweder progressiv als Aufgabe oder rekursiv zu ihrer Recht-
29
Hegel. Lehre vom Sein und vom Wesen, 93.
30
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 433 f.
Systemprogramm und die Arbeit des Begriffs 55

fertigung. Damit fallen aber gegen Hegels Programm die systematische Organisation der
Wissenschaft und die geschichtliche Organisation des Reichs der Geister auseinander
und der Begriff ist nicht nur als die Bedingung der Erkenntnis des Objektes anzusehen,
sondern ebenso durch die Erkenntnis des Objektes bedingt. Die Arbeit der geschichtli-
chen Annäherung der Wirklichkeit an die Idee des realisierten Begriffs ist als Prozeß der
theoretischen und tätigen Vermittlung für beide, System wie Geschichte, konstitutiv.31

Hegels Programm speist sich aus der Kritik der ungelösten Aporien seiner Vorgänger.
Für diese Aporien läßt sich ein gemeinsames Ausgangsproblem formulieren: An jedes
Argument muß der Maßstab der Widerspruchsfreiheit angelegt werden, wenn es wahr
sein soll, und jede Argumentation muß vollständig sein. Mit diesen beiden Bedingungen
wohnt der Philosophie eine Tendenz zum System inne, weil das Ganze philosophischer
Erkenntnis nur im System widerspruchsfrei vermittelt sein kann. Es war Hegel, der die-
sen Anspruch am deutlichsten formuliert und vor allem auch durchgeführt hat. Vor die-
sem Hintergrund stellt sich deshalb der Systemanspruch Hegels als terminus ad quem
nicht nur der Wissenschaft der Logik, sondern auch für die Phänomenologie des Geistes
und die Grundlinien der Philosophie des Rechts dar. In der Interpretation Hegels in den
folgenden Kapiteln wird der Systemanspruch zugrunde gelegt, um aufzuzeigen, an wel-
chen Stellen das System fragil bleibt. Dieser Interpretationsanspruch ist aus der Argu-
mentation Hegels selbst begründet und von dem Problem, wie das System Hegels werk-
geschichtlich zu rekonstruieren ist, zu unterscheiden.
Gleichzeitig ist aber bereits angedeutet worden, daß die Durchführung des System-
programms entscheidend durch das Dilemma bestimmt ist, einerseits die Unabhängig-
keit des Begriffenen vom Unbegriffenen nachzuweisen, dieses Unbegriffene aber
gleichzeitig den Inhalt, das zu Begreifende, darstellt und damit auch zitiert werden muß.
Die Philosophie Hegels tendiert dazu, über die Gegenstände, die sie bestimmen will,
und die Menschen, die sie bestimmen, hinwegzuschreiten – den Begriff als Selbstzweck
und Menschen und Gegenstände als akzidentell zu betrachten.
In den folgenden Kapiteln zur Interpretation des Teleologie- und Lebensbegriffs aus
der Lehre vom Begriff soll zweierlei analysiert werden: Erstens soll die Argumentation
Hegels nachvollzogen werden, denn eine Kritik an Hegel, die nicht hinter ihm zurück
bleiben will, kann nur darin bestehen, „daß sein Standpunkt zuerst als wesentlich und

31
Aus der Perspektive der Marxschen Auseinandersetzung mit dem Arbeitsbegriff der Phänomeno-
logie des Geistes bestimmt Andreas Arndt den Arbeitsbegriff als den Vermittlungsprozeß zwischen
Materialismus und Idealismus: „Der Idealismus besteht darin, von den realen Voraussetzungen des
‚Setzens‘ zu abstrahieren, während der Materialismus vom Setzen abstrahiert und nur das Gesetzt-
sein des Menschen durch die Gegenstände anerkennt. Dieser Materialismus ist derjenige, den
Marx auch als ‚anschauenden‘ Materialismus bezeichnet und welchen Feuerbach überwunden
habe. Beide, Idealismus und Materialismus, sind somit Abstraktionen von dem realen Prozeß der
Vermittlung im menschlichen Naturverhältnis. Dieses ist Einheit von ‚Setzen‘ (Umformen) der be-
stimmten Gegenstände und deren Vorausgesetztseins; diese Einheit realisiert sich in der menschli-
chen Arbeit.“ Andreas Arndt. „ … wie halten wir es nun mit der hegel’schen Dialektik? – Marx’
Lektüre der Phänomenologie 1844.“ In Hegels „Phänomenologie des Geistes“ heute, hrsg. v. An-
dreas Arndt u. Ernst Müller. Berlin, 2004, 254 f.
56 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

nothwendig anerkannt werde“32, um zweitens diesen Standpunkt dann daraufhin zu un-


tersuchen, wie die verhandelten Gegenstände im Sinne des Argumentationsziels kon-
struiert und damit auch von ihrem originären, nicht-philosophischen Gehalt entfernt
werden. Der logische Begriff ist nicht gegenstandslos, sondern hat sein Modell am Ver-
mittlungsprozeß der Logik selbst. Dieses Modell bleibt darüber hinaus auf das Zitat von
naturwissenschaftlichen und praktischen Voraussetzungen verwiesen, welche die Ten-
denz zum System zugleich unterlaufen. Die Gegenüberstellung des philosophischen
Modells von Selbstbestimmung (des Begriffs) und der zitierten Praxis ist kein postmo-
dernes Programm, welches den Wahrheitsbegriff auflösen wollte. Vielmehr soll durch
diese Gegenüberstellung verdeutlicht werden, wo Begriff und Erfahrung nicht überein-
stimmen; so kann entlang der Bruchkanten die Grenze philosophischer Reflexion mar-
kiert werden. Nur durch deren Überschreiten ist an den historisch-kritischen Grund des
Scheiterns der Selbstbestimmung zu rühren. Dieses Verfahren stützt sich also vielmehr
auf den Wahrheitsbegriff und bewegt sich zwischen der Affirmation des Denkens und
der Verweigerung positiver Konzepte.

2.2 Objektiver Begriff und begriffene Objektivität


„Die Hegelsche Logik ist der Klassenkampf Gottes mit sich selbst.“33

Das, was Hegel als die Begriffe der Subjektivität und Objektivität ausweist, unter-
scheidet sich wesentlich von dem, was in der kanonischen Tradition darunter ver-
standen wurde. Ohne allzusehr ins Detail gehen zu können, ist es nötig, den Hegel-
schen Begriff im Rahmen seiner eigenen Aussagen gegen überkommene
Vorstellungen abzugrenzen und an den einschlägigen Bestimmungen des Mechanis-
mus und des Chemismus zu skizzieren, wie Hegel jeweils mit den Objekten und
Subjekten verfährt.
Die Teleologie ist die unmittelbare Vorstufe der Idee, für die als terminus ad
quem der Wissenschaft der Logik die Einheit von Subjektivität und Objektivität be-
gründet sein soll. Die Teleologie changiert deshalb als zweckmäßige Relation zwi-
schen den beiden zu sich selbst gekommenen Sphären des Begriffs. Die Subjektivi-
tät ist der in den Begriffs-, Urteils- und Schlußformen entwickelte Begriff des
reflektierenden Prinzips überhaupt und die Objektivität der im Mechanismus und
Chemismus entwickelte Begriff des Gegenstandes der Reflexion. Dabei sind beide
nicht mehr als zwei gegeneinander selbständige Gegenstandsbereiche aufeinander
bezogen, deren Relation damit in der Terminologie Hegels endlich und unfrei wäre.
Indem das Wesen aus dem zweiten Band der Wissenschaft der Logik in den Begriff
des dritten Bandes übergeht, gehe vielmehr das Reich der Notwendigkeit in das
32
Hegel. Lehre vom Begriff, 15.
33
Hans-Jürgen Krahl. „Bemerkungen zum Verhältnis von Kapital und Hegelscher Wesenslogik.“ In
Aktualität und Folgen der Philosophie Hegels, hrsg. v. Negt Oskar. Frankfurt a. M., 1971, 149.
Objektiver Begriff und begriffene Objektivität 57

Reich der Freiheit über. Diese Freiheit resultiere aus der Erkenntnis, daß noch die
Endlichkeit der Objektivität eine Funktion des Begriffs sei:
„Die objective Logik, welche das Seyn und Wesen betrachtet, macht daher eigentlich die
genetische Exposition des Begriffes aus. Näher ist die Substanz schon das reale Wesen,
oder das Wesen, in so fern es mit dem Seyn vereinigt und in Wirklichkeit getreten ist. Der
Begriff hat daher die Substanz zu seiner unmittelbaren Voraussetzung, sie ist das an sich,
was er als manifestirtes ist. Die dialektische Bewegung der Substanz durch die Causalität
und Wechselwirkung hindurch ist daher die unmittelbare Genesis des Begriffes, durch
welche sein Werden dargestellt wird. Aber sein Werden hat, wie das Werden überall, die
Bedeutung, daß es die Reflexion des Übergehenden in seinen Grund ist, und daß das zu-
nächst anscheinend Andere, in welches das erstere übergegangen, dessen Wahrheit aus-
macht. So ist der Begriff die Wahrheit der Substanz, und indem die bestimmte Verhältniß-
weise der Substanz die Nothwendigkeit ist, zeigt sich die Freyheit als die Wahrheit der
Nothwendigkeit, und als die Verhältnißweise des Begriffs.“34

Hegel zufolge sind die endlichen Relationen mit dem Wesen überwunden worden, so
daß einerseits die Subjektivität als schlechthin reflexives Prinzip bestimmt ist, wäh-
rend die Objektivität nicht mehr absolut von ihr unterschieden, sondern formal mit
der Subjektivität übereinstimmt: Die Objektivität ist der Begriff der Totalität aller
Einzelobjekte, die Subjektivität ist der diesen Begriff von Totalität umfassende und
reflektierende Begriff. Diese ist für sich Totalität, jene an sich.35 Damit gibt es bei
Hegel mehrere Totalitäten, was irritierend ist, weil der Begriff des Totalen den Plu-
ral logisch ausschließt. Als Totalitäten sind Objektivität und Subjektivität nicht un-
terschieden; das ermöglicht ihre Vermittlung.36
Während Kant von der Wirklichkeit einzelwissenschaftlicher Erkenntnis auf die
Bedingung der Möglichkeit dieser Erkenntnis geschlossen hatte und damit von dem
in der Anschauung vorliegenden Einzelobjekt auf dessen logische Voraussetzungen,
erhebt Hegel den Anspruch, den Grund nicht des Einzelobjektes, sondern der Ob-
jektivität überhaupt aus dem Denken zu begründen. 37 Anders als Kant läßt Hegel da-
mit der Objektivität nicht länger den Vorrang eines zeitlich ersten, rezipierten Ge-
genstandes zukommen, noch wird es als Einzelobjekt, Entität, Substanz etc.
bestimmt. Hegel verweist die Objektivität statt dessen auf den Rang einer Reflexi-

34
Hegel. Lehre vom Begriff, 12.
35
Ebd.
36
Vgl. ebd., 16. Vgl. auch Ludwig Siep: „So ist die Natur wirklich als zweckmäßige Wechselwir-
kung von Systemen bei der Selbstdifferenzierung und Selbstorganisation von Organismen des Mi-
kro- und Makrokosmos. Die Gesamtbestimmung der Natur ist aber ihre Selbstreflexion und be-
wußte Reproduktion im Erkennen und Wollen. So könnte man ‚Wirklichkeit‘, wenn man den He-
gelschen Begriff in nicht-Hegelschen Ausdrücken umreißen will, als das stufenweise Erreichen ei-
ner inneren Bestimmung durch Differenzierungen und Integration bezeichnen, die dem Ganzen
und seinen Teilen durchsichtig wird. Höchste Form dieser Durchsichtigkeit ist das systematische
Begreifen und kategoriale Rekonstruieren des Prozesses.“ Ludwig Siep. „Hegel über Moralität
und Wirklichkeit. Prolegomena zu einer Auseinandersetzung zwischen Hegel und der Realismus-
debatte der modernen Metaethik.“ Hrsg. v. Walter Jaeschke und Ludwig Siep. Hegel-Studien 42
(2007): 11–30, 21.
37
Hegel. Lehre vom Sein und vom Wesen, 24.
58 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

onsbestimmung, in der die Probleme der metaphysischen Tradition verhandelt wer-


den:
„Vors erste unterscheidet sich daher das Object nicht in Materie und Form, deren jene das selb-
ständige Allgemeine des Objects, diese aber das Besondere und Einzelne seyn würde; ein sol-
cher abstracter Unterschied von Einzelnheit und Allgemeinheit ist nach seinem Begriffe an ihm
nicht vorhanden; wenn es als Materie betrachtet wird, so muß es als an sich selbst geformte
Materie genommen werden. Eben so kann es als Ding mit Eigenschaften, als Ganzes aus Thei-
len bestehend, als Substanz mit Accidenzen und nach den andern Verhältnissen der Reflexion
bestimmt werden; aber diese Verhältnisse sind überhaupt schon im Begriffe untergegangen; das
Object hat daher nicht Eigenschaften noch Accidenzen, denn solche sind vom Dinge oder der
Substanz trennbar; im Object ist aber die Besonderheit schlechthin in die Totalität reflektirt.“38

Die Seite der Gegenständlichkeit des Objekts, Materie, Substanz, Ding von vielen
Eigenschaften zu sein, ist bereits in der Lehre vom Wesen mit dem Ergebnis abge-
handelt worden, daß diese gegenüber dem Begriff Momente und daher unwesentlich
sind, daß das Objekt bloße Erscheinung sei. Der Existenzgrund des Objekts ist au-
ßerhalb seiner Bestimmung durch den Begriff undenkbar; es ist vielmehr nur, sofern
es bestimmt worden ist. Existenz- und Bestimmungsgrund des Objektes fallen somit
in Eins – das Denken. 39 Was bleibt, ist der in seiner materiellen Selbständigkeit ne-
gierte und zugleich in der Totalität des Schlusses als Moment aufgehobene Er-
kenntnisgegenstand überhaupt, der ist, weil er gedacht wird. Die Selbständigkeit des
Objekts wird deshalb hier nicht als manifeste sinnliche Erfahrung gefaßt, sondern
nur noch als widersprüchliche Relation des Erkenntnisgegenstandes auf seinen Be-
griff: „Das Object ist daher der absolute Widerspruch der vollkommenen Selbstän-
digkeit des Mannichfaltigen, und der eben so vollkommenen Unselbständigkeit der-
selben.“40 Sofern das Objekt bestimmt und damit von anderem unterschieden
worden ist, wird es als Eins begreifbar und ist damit der Einheit des Begriffs subsu-
miert, also gegen diesen unselbständig, während es als unbestimmtes gerade keiner
begrifflichen Einheit subsumiert ist und sich deshalb in der Diversität unbegriffener
Mannigfaltigkeit verliert. Diese Mannigfaltigkeit ist das andere zur Einheit des Be-
griffs, so daß das Objekt in seiner Unmittelbarkeit ein Moment von Selbständigkeit
gegen diesen bewahrt.
Die Formierung der unbestimmten Mannigfaltigkeit zur Einheit des Begriffs der
Objektivität ist Gegenstand des Mechanismuskapitels. Die Bestimmung des Einzel-
objekts erfolgt dort durch die mechanische Abgrenzung gegen andere Einzelobjekte
38
Hegel. Lehre vom Begriff, 134.
39
Vgl. auch die Bestimmung zu Erscheinung und Ding an sich in der Lehre vom Wesen und der Er-
scheinung in der Phänomenologie: „Die Existenz hat in diesem Dinge ihre Vollständigkeit er-
reicht, nemlich in Einem an sich seyendes Seyn oder selbstständiges Bestehen, und unwesentliche
Existenz zu seyn; die Wahrheit der Existenz ist daher, ihr Ansichseyn in der Unwesentlichkeit,
oder ihr Bestehen in einem andern und zwar dem absolut andern, oder zu ihrer Grundlage ihre
Nichtigkeit zu haben. Sie ist daher Erscheinung.“ Hegel. Lehre vom Sein und vom Wesen , 337.
Und: „Es heißt darum E rs c h e i n u n g ¸ denn Schein nennen wir das S e yn , das unmittelbar an ihm
selbst ein N i c h t s e y n ist. Es ist aber nicht nur ein Schein, sondern Erscheinung, ein Ga n z e s d e s
S c h e i n s .“ Hegel. Phänomenologie des Geistes, 88.
40
Hegel. Enzyklopädie, § 194.
Objektiver Begriff und begriffene Objektivität 59

– in Anlehnung an die Vorstellung naturkausaler Wechselwirkung z. B. durch Druck


oder Stoß. Die Bestimmung gegen anderes hat zunächst die Gestalt eines unendli-
chen Regresses: ‚Objekt A ist nicht Objekt B, nicht Objekt C usw.‘ Wenn aber ange-
geben werden soll, was das Objekt ist, dann muß seine Bestimmung auch vollstän-
dig sein, und die Abgrenzung des Einzelobjekts gegen unbestimmt viele andere
erweist sich als ungenügend. Das Objekt muß vielmehr gegen die Totalität aller Ein-
zelobjekte abgegrenzt werden, so daß analog der dritten Antinomie Kants vom un-
endlichen Regreß der Objekte auf die Vollständigkeit der Bestimmung geschlossen
wird. Der Begriff des mechanischen Objekts ist damit der Begriff der Totalität seiner
Bestimmungsmomente: „Das Product des formalen Mechanismus ist das Object
überhaupt, eine gleichgültige Totalität, an welcher die Bestimmtheit als gesetzte
ist.“ 41 Es ergibt sich aber das Problem, daß das mechanische Objekt als Einzelobjekt
nicht intensional, also durch die immanente Bestimmtheit seiner Substanz ausge-
zeichnet wäre, sondern im Gegenteil ist es extensional durch die Totalität aller me-
chanischen Objekte bestimmt. Es ist eine materiell entkernte, begriffliche Hülle. In
der chemischen Reaktion treten die mechanischen Objekte zueinander in eine Rela-
tion, in der ihre jeweilige Bestimmung als Einzelobjekt sich realisiert und bestätigt.
Gleichzeitig müssen die zwei voneinander unterschiedenen Objekte eine Affinität
zueinander haben, um miteinander reagieren zu können. Diese Affinität haben sie
aber nicht als unterschiedene, sondern als gleichartige, also als durch den Begriff
bestimmte, so daß sich in der chemischen Reaktion eines Objekts mit einem anderen
der Begriff beider, durch die Totalität aller Bestimmungsmomente gesetzt zu sein,
als deren Identität realisiert. Die extensionale Bestimmung der Objekte wird in ihre
intensionale Bestimmung zurückübersetzt und die begriffliche Hülle so mit einer
Substanz ausgestattet: durch die Totalität aller mechanischen Objekte bestimmt zu
sein. Der Begriff ist ein ruhiges Resultat, ein Neutrum, weil der Widerspruch, aus
dem die Kraft der Bewegung sich speiste, aufgehoben worden ist. Die Objektivität
selbst wird durch diese Vermittlung zum Neutrum, das gegen das Prinzip seiner Be-
stimmung, den Widerspruch, auch gleichgültig ist. „Was das nähere Verhältnis be-
trifft, so ist das mechanische Object als unmittelbare Totalität gegen sein Be-
stimmtseyn, und damit dagegen, ein Bestimmendes zu seyn, gleichgültig.“ Das
chemische Modell, welches dieser Argumentation zugrunde liegt, ist die Säure-
Base-Reaktion, in der die Vermengung einer sauren wäßrigen Lösung und einer al-
kalischen wäßrigen Lösung eine Neutralisationsreaktion provoziert. Das bedeutet
aber nicht – wie Hegel meint –, daß aus der einzelnen chemischen Reaktion die To-
talität des Gegenstandsbereichs der Chemie resultierte; vielmehr entstehen dort die
Verbindungen Wasser und Salz.42
41
Hegel. Lehre vom Sein und vom Wesen, 218.
42
Dem Problem des Verhältnisses von logischen Begriff und chemischem Modell widmen sich die
Arbeiten von Ulrich Ruschig. Hegels Logik und die Chemie: fortlaufender Kommentar zum „rea-
len Mass“. Bonn, 1997. Außerdem Peter Bulthaup. „Systematische Kategorien und historische
Entwicklung einer Naturwissenschaft – dargestellt an der Chemie als Modell.“ In Zur gesell-
schaftlichen Funktion der Naturwissenschaften, 59–75. Lüneburg, 1973. Der Chemismus wird
60 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

Das bestimmende Prinzip der chemischen Reaktion, die im Begriff der Subjekti-
vität zusammengefaßte dialektische Bewegung der Objektivität, tritt als Begriff von
dieser zurück: Beide Begriffe sind als Totalität bestimmt, wobei die Objektivität da-
gegen, durch den Begriff bestimmt zu werden, gleichgültig bleibt. Die Objektivität
ist der sich passiv verhaltende Begriff der Wirklichkeit, die Subjektivität hingegen
ist das aktive Prinzip der Reflexion, das den Begriff der Wirklichkeit als Gegenstand
der Reflexion in sich aufgehoben hat. Einerseits geht der Begriff der Subjektivität
auf diese Weise aus der Sphäre der Objektivität als Begriff der Einheit von Subjekti-
vität und Objektivität hervor, andererseits bleiben beide aber auch noch unvermit-
telt, weil die Objektivität gegen ihr Bestimmtsein durch den Begriff gleichgültig
bleibt. Das Beispiel für diejenige Objektivität, die gegen ihr Bestimmtsein durch das
Ganze nicht mehr gleichgültig ist, ist der Organismus. Die Teile des Organismus
stellen Teilfunktionen in einem Gesamtzusammenhang dar. Wenn sie abgetrennt
werden, verlieren sie diese Funktion und sterben ab. Die Subjektivität wird zum
Zweck, sich in der Objektivität zu verwirklichen, um das Stadium der Gleichgültig-
keit der Objektivität zu überwinden.
Dieser Begriff von Objektivität hat eine philosophische Entsprechung im Begriff
des transzendentalen Objekts der Kritik der reinen Vernunft und eine gegenständli-
che Entsprechung in den Naturwissenschaften, Physik und Chemie. Bei Kant wird
das All der Realität als Bedingung der Möglichkeit der vollständigen Bestimmung
einer Erscheinung erschlossen, so daß die Bestimmung auf der „Einschränkung die-
ses All der Realität [beruht, M. B.], indem Einiges derselben dem Dinge beigelegt,
das übrige aber ausgeschlossen wird“.43 Die Hypostasierung dieses Begriffs von
Realität in der Vorstellung Gottes, „als ein einiges, einfaches, allgenugsames, ewi-
ges usw.“ Urwesen, ist nach Kant einerseits unzulässig. Weil aber andererseits die
Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt zugleich auch Bedingungen
der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung seien, werde „die distributive Ein-
heit des Erfahrungsgebrauchs des Verstandes in die kollektive Einheit eines Erfah-
rungsganzen“ verwandelt oder: Die kollektive Einheit des Erfahrungsganzen ist von
dem Begriff der höchsten Realität gar nicht zu unterscheiden. Der Schluß auf die
allumfassende Realität hat sein Vorbild im ontologischen Gottesbeweis des Anselm
von Canterbury, wo er allerdings nicht der Begründung der Objektivität der Erfah-
rung dient, sondern eben dem Beweis der Existenz Gottes: Weil Gott das ist, über
das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, muß sein Begriff immer zugleich
mit der Existenz verbunden gedacht werden, denn sonst wäre dieser Gedanke größer
als der Begriff Gottes ohne Existenz.44 In der cartesischen Variante können die ver-
nunftbegabten Sinnenwesen die Vorstellungen des Vollkommenen nicht aus sich
selbst haben, da sie als mangelhafte und endliche Wesen unvollkommen sind. Die

darüber hinaus von Hegel nicht nur als Begriff naturwissenschaftlicher Prozesse verstanden, son-
dern ebenso als Begriff der Liebe etc. Vgl. Lehre vom Begriff, 148 f.
43
Alle Zitate zum transzendentalen Ideal aus Immanuel Kant. Kritik der reinen Vernunft, B 605–611.
44
Vgl. Anselm von Canterbury. Proslogion. Stuttgart/Bad Canstatt, 1962.
Objektiver Begriff und begriffene Objektivität 61

Idee der Vollkommenheit muß ihnen deshalb von Gott gegeben sein, der deshalb
existieren muß.45 Kant konstruierte hingegen mit dem transzendentalen Objekt den
Begriff einer vollständigen Objektivität. Das Denken muß die Totalität der Natur
wollen, weil diese nur dann den subjektiven Formen des Denkens, der Vernunftfor-
derung nach Vollständigkeit und dem darin implizierten Systemanspruch, adäquat
ist. Sowohl im ontologischen Gottesbeweis als auch in dessen säkularisierter Fas-
sung bei Kant kann diese Entsprechung von Natur und Denken nur dadurch begrün-
det werden, daß ihnen derselbe Ursprung in Gott zugesprochen wird. Hegel schließt
nicht von der Existenz objektiver Erkenntnis auf deren Bedingungen, sondern ver-
sucht dieses Problem zu lösen, in dem er umgekehrt aus dem logischen Ursprung
des Denkens das Verhältnis von Objektivität und Subjektivität entwickelt. 46 Dieser
Ursprung liege im Begriff, der zwar seiner logischen Struktur nach dem Gottesbe-
griff entspricht, diesen aber zugleich säkularisiert, weil er nicht dem Nachweis der
Existenz Gottes dient, sondern der Lösung der Probleme der Ontologie und Meta-
physik.
In der Naturwissenschaft sind das System und die Ordnung des Gegenstandsbe-
reiches das Resultat der Forschung, durch die das untersuchte empirische Material
nach Prinzipien geordnet wird, die notwendig und allgemein gelten. Im Periodensy-
stem der Elemente ist es den Chemikern zu Beginn des 19. Jahrhunderts beispiels-
weise gelungen, bestimmte Verwandtschaften unter den bis dato bekannten chemi-
schen Elementen aufzufinden, die es ermöglichten, die Elemente schematisch nach
Gruppen und Affinitäten (zunächst hinsichtlich ihres Atomgewichts, erst später hin-
sichtlich der Kernladungszahl) geordnet darzustellen. Die Art der Darstellung der
chemischen Elemente im Periodensystem ließ Rückschlüsse auf Lücken in der Dar-
stellung und die Eigenschaften der so als fehlend erkannten Elemente zu. So schloß
Mendelejew auf die Elemente Gallium, Scandium und Germanium, bevor diese che-
misch nachgewiesen werden konnten. Dies ist ein Modell dafür, wie die Chemie als
Gegenstandsbereich geschichtlich konstruiert wurde. Einmal erkannt, ist das Peri-
odensystem die systematische Abbildung der chemischen Elemente auf ihren Gegen-
standsbereich. Zugleich hat aber dieses System seinen Ursprung nicht ausschließlich
im Denken – wie Hegel behauptet hatte – sondern auch in der zu erkennenden Mate-
rie und der Geschichte ihrer Erforschung, in der das Wissen über Generationen an-
gehäuft wurde. Diese kollektive Erfahrung ist ein Konstituens der Chemie als Wis-
senschaft. Tatsächlich bleiben die chemischen Elemente selbst gegen diesen Prozeß
gleichgültig.

45
Vgl. René Descartes. Meditationen über die Grundlagen der Philosophie. Hamburg 1994.
46
Hegel selbst bringt den ontologischen Gottesbeweis mit seinem Objektivitätsbegriff in Verbin-
dung: Lehre vom Begriff, 127 ff.
62 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

2.3 Teleologie
Der Teleologie kommt nun in der Wissenschaft der Logik die prominente Stellung zu,
die Relation der Sphären von Subjektivität und Objektivität, und damit die Idee als
terminus ad quem der Logik, im Elemente des Gedankens vorzubereiten.47 Nur wenn He-
gel der Nachweis gelingt, daß die Übereinstimmung von Reflexion und Gegenstand aus
der Reflexion dialektisch hervorgebracht werden kann, kann das System des Geistes ge-
danklich abgeschlossen werden. Die Vollendung der Entwicklung des Gedankens in der
Idee ist der Begriff der entwickelten Wahrheit, der, mit Kant gesprochen, theoretisch die
Möglichkeit der Orientierung in der Welt eröffnet oder mit Hegel gesprochen, die logi-
sche Grundlage ist, auf der sich die vernünftige Konstitution der Wirklichkeit erweisen
läßt. Als bloße Möglichkeit entbehrt der Begriff der Wahrheit aber auch der Wirklichkeit
und muß sich diese deshalb erst verschaffen. „Dieses Reich ist die Wahrheit, wie sie
ohne Hülle an und für sich selbst ist. Man kann sich deswegen ausdrücken, daß dieser
Inhalt die Darstellung Gottes ist, wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung
der Natur und eines endlichen Geistes ist.“48 Vor diesem Hintergrund, einerseits der Be-
griff der Einheit von Objektivität und Subjektivität zu sein, und andererseits die Forde-
rung der Realisierung dieser Einheit zu enthalten, ist es verlockend, die entwickelte Idee
auch als sittlichen Maßstab zur Gestaltung der Wirklichkeit zu betrachten. Mit den Stu-
fen der Idee – dem Leben, dem Erkennen des Wahren und Guten und schließlich der ab-
soluten Idee – ist eine Vorstellung von Totalität bezeichnet, die anders als politische Ge-
meinschaften nicht durch technisch-praktische Interessen korrumpiert ist, sondern einen
überzeitlichen und allgemeingültigen Begriff von Selbstbestimmung konstituiert, dessen
einziger Inhalt die Vermittlung von Natur, Individuum und Reflexion ist. Gleichzeitig ist
diese Maßgabe bei Hegel nur um den Preis der Negation derjenigen Subjekte zu haben,
die einzig der Selbstbestimmung fähig wären. „In der Begattung erstirbt die Unmittel-
barkeit der lebendigen Individualität; der Tod dieses Lebens ist das Hervorgehen des
Geistes.“49 In dieser widersprüchlichen Implikation der Idee tritt deren eigene Bedingt-
47
Sich auf das System der Sittlichkeit beziehend, stellt Ivan Dubský die Thematik des Verhältnisses
von Objektivität und Subjektivität in den Zusammenhang mit Kant, Fichte und Schelling. Er zeigt
auf, in welcher Weise die Versuche der genannten Deutschen Idealisten gescheitert sind und wie
der Arbeitsbegriff Hegels deren Probleme löst. Vgl. „Hegels Arbeitsbegriff und die idealistische
Dialektik.“ 442–463 ff.
48
Hegel. Lehre vom Sein und vom Wesen, 34. Vgl. auch Herbert Schnädelbach: „Was Anaxagoras
nur andeutete [daß der Nous, der Gedanke das Prinzip der Welt ist, M. B.], hat die jüdisch-christli-
che Tradition als das ewige Wesen Gottes geglaubt und gedacht – unabhängig von den Mysterien
der Weltschöpfung und der Inkarnation –, und deswegen kann sich Hegel hier einer theologischen
Ausdrucksweise bedienen, ohne Theologie zu betreiben, denn der Inhalt der ‚geoffenbarten Religi-
on‘ ist ja für ihn ohnehin nichts anderes als das, was die absolute Philosophie denkend begreift
[...]“ Hegel zur Einführung, 90.
49
Hegel. Lehre vom Begriff, 191. Auch wenn in der Negation der Individualität zugunsten des Be-
griffs ein totalitäres Moment liegt, erschöpft sich der Gedanke Hegels nicht darin, sondern kann
auch nach der Seite, den Begriff des Gattungsmerkmals vernunftbegabter Sinnenwesen zu begrün-
den, und damit moralisch interpretiert werden. Die Idee selbst bleibt gegen ihre Implikationen
gleichgültig, so daß die kritische Hegelinterpretation gegen diese Gleichgültigkeit die Differenzen
herausarbeiten muß. „In zahlreichen populären Darstellungen erschien er [Hegel, M. B.] als typi-
Teleologie 63

heit zu Tage. Daß Hegel diese Bedingtheit zu vermeiden sucht, indem er die empiri-
schen Subjekte dialektisch auflöst, folgt notwendig aus seinem Programm, ein geschlos-
senes System begründen zu wollen. D. h. aber zugleich, daß die Argumentation selbst
einem Zweck folgt, selbst teleologisch und die Teleologie damit ein konstitutiver Begriff
für die Umsetzung seines Programms ist. Systemimmanent wird das darin reflektiert,
daß der Teleologie die systematische Funktion als Bindeglied von Subjektivität und Ob-
jektivität überhaupt zugewiesen wird, die sich aber gegen ihre materialen Implikationen
gleichgültig verhält. Dagegen wird zu zeigen sein, daß die Teleologie nicht zu denken
ist, ohne mit ihren materialen Bedingungen in Konflikt zu geraten.

a) Der subjektive Zweck

Aristoteles hatte, anders als Hegel, den zweckgerichteten Prozeß nicht als Bindeglied
der Sphären des Begriffs betrachtet, sondern ontologisch argumentiert.
„Man könnte fragen, wie es kommt, daß einiges sowohl durch Kunst wie auch von ungefähr
(spontan) entsteht, z. B. Gesundheit, anderes nicht, z. B. ein Haus. Der Grund liegt darin, daß
die Materie, welche beim Hervorbringen und Entstehen dessen, was durch Kunst entsteht, den
Anfang des Entstehens bildet und in welcher ein Teil des Dinges selbst vorhanden ist, teilweise
so beschaffen ist, daß sie sich aus sich selbst bewegen kann, teilweise nicht, und die erstere
wieder teils fähig ist, sich auf diese bestimmte Weise zu bewegen, teils unfähig. […] Wo nun
also die Materie solche Beschaffenheit hat, wie z. B. die Steine, da ist es auch nicht möglich,
daß es auf diese bestimmte Weise bewegt werde, außer durch ein anderes […]. Deshalb kann
das eine nicht entstehen ohne einen Künstler, das andere aber kann ohne ihn entstehen; denn es
wird durch anderes, das ebenfalls die Kunst nicht besitzt, oder durch einen Teil. (b) Aus dem
Gesagten ist auch klar, daß alles gewissermaßen aus Gleichnamigem entsteht, wie das, was
durch die Natur entsteht […]. Es ist daher so wie bei den Beweisschlüssen das Prinzip von al-
lem das Wesen; denn wie aus dem Was die Schlüsse hervorgehen, so hier die Entstehungen. (c)
Auf ähnliche Weise verhält es sich auch mit dem durch die Natur Entstehenden. Denn der
Same bringt (etwas) in der Weise hervor wie (der Künstler) das Kunstwerk.“50

Aristoteles reflektiert auf die Bestimmtheit von Einzeldingen. Erst deren Analyse bringt
zu Bewußtsein, daß sie die Einheit von Form und Materie sind, ohne daß das eine im an-
deren aufgeht, oder abzuleiten wäre. Diese beiden Momente können deshalb nur in ei-
nem wirkursächlichen, zielgerichteten Prozeß miteinander verbunden gedacht werden.
Ein Modell für die zweckgerichtete Tätigkeit ist die handwerkliche Tätigkeit: Ein
Handwerker realisiert seinem Zweck gemäß eine bestimmte Form durch ein Werkzeug
in einem Material. So entsteht z. B. ein Tisch, indem der Vorstellung eines Tisches ge-

scher Exponent eines ‚deutschen Denkens‘, das zur Staatsvergötzung und schließlich zum faschi-
stischen Totalitarismus geführt habe. Und ungeachtet Stalins notorischer Hegelfeindschaft wurde
auch die sowjetische bürokratische Herrschaftsordnung als Folge oder doch als Ausdruck des He-
gelschen Denkens hingestellt. Hegel – so schien es eine geraume Zeit in Deutschland – war das
Opfer einer undifferenzierten Entnazifizierung und des kalten Krieges geworden.“ Hans-Georg
Gadamer. „Die verkehrte Welt.“ In Hegel in der Sicht der neueren Forschung, hrsg. v. Iring Fet-
scher. Darmstadt, 1973, VII.
50
Aristoteles. Metaphysik, Bücher VII–XIV. 3. Hamburg, 1991, 1034 a.
64 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

mäß durch eine Säge und anderes Werkzeug das Holz so bearbeitet wird, das im Resul-
tat tatsächlich ein Tisch entsteht. Für die Existenz des Tisches nennt Aristoteles vier Ur-
sachen: die Form-, End-, Wirk- und Stoffursache. Der Zweckbegriff, in dem das, was
realisiert werden soll, antizipiert wird, ist die Formursache; die Stoffursache ist das Ma-
terial, in dem der Zweck realisiert wird, der realisierte Zweck ist die Endursache und die
Wirkursache ist das tätige Prinzip.
Die handwerkliche Tätigkeit ist also reflexiv und irreflexiv zugleich. Reflexiv ist sie,
in der Beziehung des Zwecks, der dem Prozeß als Begriff dessen, was zu realisieren ist,
vorausgesetzt ist, zum Resultat der Tätigkeit, der tatsächlichen Realisierung. Zugleich
unterscheidet sich aber das Resultat, das Artefakt auch vom Zweck, denn es ist im Un-
terschied zu diesem materialisiert. Die Reflexivität der handwerklichen Tätigkeit ist, in
der Terminologie Hegels gesagt, deshalb nicht absolut, sondern bleibt auf das Material
der Bearbeitung verwiesen. Die an sich seiende Reflexivität handwerklicher Tätigkeit
hat ihren Grund also nicht im Material, sondern im Handwerker, der als willensbegabtes
Subjekt den Zweck ebenso antizipiert wie ausführt. Aristoteles hatte keinen Begriff von
der Reflexivität handwerklicher Tätigkeit,51 weil er keinen modernen Subjekt- oder Wil-
lensbegriff hatte. Die Wirkursache bleibt uneindeutig.
Ein solcher Subjektbegriff unterstellt die Vorstellung der Einheit und Gleichheit aller
Menschen als Mitglieder der Gattung vernunftbegabter Sinnenwesen. Aristoteles hatte
hingegen eine Gesellschaft vor Augen, in der die Menschen nicht nur hinsichtlich ihrer
gesellschaftlichen Stellung als Bürger, Handwerker, Sklaven usw. unterschieden waren,
sondern dieser gesellschaftliche Zustand wurde darüber hinaus von Aristoteles auch als
naturgegebene Ordnung betrachtet.52 Entsprechend war die gesellschaftliche Hierarchie
und die Benachteiligung der produktiven Arbeiter für ihn kein moralisches Problem. Als
Folge davon unterscheidet Aristoteles auch die Arbeiten, die in den jeweiligen Ständen
verrichtet werden. Während die produktive Tätigkeit, die poiesis, Werke hervorbringt,
die von der Tätigkeit unterschieden ist – also irreflexiv ist, haben die Bürger die Fähig-
keit des Handelns, der praxis, das zu einem glücklichen und tugendhaften Leben führt.53
51
Andreas Arndt hebt hervor, daß die Reflexivität handwerklicher Tätigkeit und die Reflexivität des
Denkens die Möglichkeit eröffnen, beides aufeinander zu beziehen. Andreas Arndt. „Arbeit und
Leben.“ In Hegel-Jahrbuch 2006, hrsg. v. Andreas Arndt. Berlin, 2006, 315.
52
Manfred Riedel betont im Zusammenhang mit Aristoteles die geschichtsphilosophische Bedeu-
tung der Philosophie Hegels, in der die Geschichtlichkeit des Denkens zum ersten Mal als ein
Konstituens der Philosophie erkannt wurde: „Während für Aristoteles im Sein der Naturwelt und
an der Bewegung der Himmelswelt das Denken des Denkens als theoria des Göttlichen sich mani-
festierte, wendet sich das Auge des Geistes bei Hegel zur Menschenwelt und an die Pragmata der
Geschichte, die – im ausdrücklichen Gegensatz zum geschichtslosen Denken der Antike – den
Vorrang vor dem Sein der Natur erhalten. Die prinzipielle Unterscheidung Hegels von der philoso-
phischen Tradition besteht vor allem in dieser veränderten Richtung seines philosophischen Den-
kens.“ Theorie und Praxis im Denken Hegels, 58.
53
Vgl. nochmal Manfred Riedel: „Während Hegel das Tun der Arbeit auf dem Grunde des Freiheits-
begriffs thematisierte und darin die Pragmata der Geschichte auf den onto-theologischen Sinn von
Sein bezog, hatte die antike Philosophie das ‚Moment der Befreiung‘ im praktischen Tun und sei-
ne Bedeutung für das Sein des Menschen eben deshalb nicht in den Blick nehmen können, weil
die antike Welt die Arbeit ausschloß an einen von Natur aus seienden Stand von Menschen, die für
sich nicht Mensch, sondern arbeitende Tiere waren und als instrumentum vocale vom Tier als in-
strumentum semivocale und vom toten Arbeitswerkzeug als instrumentum mutum unterschieden
Teleologie 65

Der Grund dieser Zweiteilung ist letztlich ökonomisch, denn die praxis setzt Muße vor-
aus, d. h. die Freistellung der Bürger von der Reproduktionsarbeit. „Dies kommt aber
nicht denen zu, die arbeiten, sondern denen, die müßig sind. Denn wer arbeitet, arbeitet
für ein Ziel, das er noch nicht erreicht hat, das wahre Glück aber ist selbst Ziel und
bringt, wie alle übereinstimmen, nicht Schmerz, sondern Lust.“54 Das gesellschaftliche
Mehrprodukt, von dem die Bürger leben, wird durch die Sklaven, Handwerker und Ta-
gelöhner produziert.55 Im ökonomischen Sinne ist die praxis Luxus, weil sie keine Le-
bensmittel produziert und die Muße ist nach Aristoteles der „Zweck von allem. [...]
Denn wenn auch beides sein muß, so ist doch die Muße der Arbeit vorzuziehen und de-
ren Ziel, und das ist die Frage, mit welcher Art Tätigkeit man die Muße auszufüllen
hat.“56 Muße ist aber nicht nur die Bedingung dafür, sich dem seligen und glücklich ma-
chenden Leben zu widmen, sondern auch die Bedingung, unter der sich der Geist als
Wissen von sich und seinen Gegenständen entwickeln kann.
„Bei dem Fortschritt in der Erfindung von Künsten, teils für die notwendigen Bedürfnisse, teils
für die (angenehmere) Lebensführung, halten wir die letzteren immer für weiser als die erste-
ren, weil ihr Wissen nicht auf den Nutzen gerichtet ist. Als daher schon alles Derartige (Le-
bensnotwendige) erworben war, da wurden die Wissenschaften gefunden, die sich weder auf
das Angenehme, noch auf die notwendigen Bedürfnisse des Lebens beziehen, und zwar zuerst
in den Gegenden, wo man Muße hatte. Deshalb bildeten sich in Ägypten zuerst die mathemati-
schen Künste (Wissenschaften) aus, weil dort dem Stande der Priester Muße gelassen war. Wel-
cher Unterschied nun zwischen Kunst und Wissenschaft und dem übrigen Gleichartigen be-
steht, ist in der Ethik erklärt.“57

Obgleich also die Irreflexivität bis in die gesellschaftliche Praxis hinein begründbar ist,
steht in der metaphysischen Reflexion das Problem des Substanzbegriffs im Vorder-
grund: Eine Substanz kann nur aus einer Substanz entstehen. Deshalb muß der Prozeß
zweckgerichteter Tätigkeit reflexiv, Grund seiner selbst sein. Für die handwerkliche Tä-
tigkeit trifft das nur teilweise zu, denn das Artefakt ist zwar Realisierung des Zwecks,
aber es hat seinen Grund nicht ausschließlich in diesem, sondern ebenso in der Tätigkeit
und dem tätigen Prinzip bzw. Subjekt. Das Artefakt ist davon materiell ebenso unter-
schieden. Das adäquate Modell des reflexiven Entstehungsprozesses ist der Arterhal-
tungsprozeß, in dem aber umgekehrt Form-, Stoff-, Wirk- und Endursachen nicht ein-
zeln aufgewiesen werden können. Das ist wiederum nur im Modell handwerklicher
Tätigkeit möglich. Neben den beiden ontologischen Modellen des Arterhaltungsprozes-
und auf das unfreie Sein bloßer Lebendigkeit und das unlebendige Sein bloßer Dinglichkeit redu-
ziert wurden.“ Theorie und Praxis im Denken Hegels, 71.
54
Aristoteles. Politik. Reinbek, 1994, 1338a 1–7.
55
Vgl. ebd., 1253b f. Clemens K. Stepina sieht den Grund für die Differenzierung der Begriffe von
poiesis und praxis in einer Apologie von Herrschaft. Er analysiert dabei auch den Begriff ästheti-
scher Tätigkeit in der antiken Tragödie und kommt zu dem Resultat, daß „das künstlerische Schaf-
fen, mustergültig das theatrale Handeln […] hierfür Legitimations- und Propagandainstrument“
gewesen sei (Handlung als Prinzip der Moderne. Handlungsphilosophische Studien zu Aristote-
les, Hegel und Marx. Wien, 2000). In Ergänzung zu den Ausführungen Stepinas wäre zu fragen,
ob in den Tragödien auch ein Moment ästhetischer Selbstbestimmung steckt, welches die politi-
sche Funktion karikiert.
56
Aristoteles. Politik, 1337b.
57
Aristoteles. Metaphysik. Bücher I–VI, 98 1a.
66 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

ses und der handwerklichen Tätigkeit erfüllt das unbewegt Bewegende bei Aristoteles
die Funktion, die Einheit aller Einzelsubstanzen in einer Naturordnung kosmologisch zu
begründen. In ihm läuft alles Entstehen und Vergehen zusammen.
Was bei Aristoteles ontologisch nebeneinander liegen bleibt – der reflexive Prozeß
der Arterhaltung und der irreflexive Prozeß handwerklicher Tätigkeit und deren Ur-
sprung im unbewegt Bewegenden – soll in der Teleologie Hegels zusammengeführt
werden, so daß der Begriff einerseits gegen die ontologischen Modelle indifferent wird,
andererseits aber auch auf diese verwiesen ist, um nicht gegenstandslos zu bleiben.
„Die vormalige Metaphysik ist mit diesen Begriffen, wie mit ihren andern verfahren; sie hat
theils eine Weltvorstellung vorausgesetzt, und sich bemüht, zu zeigen, daß der eine oder der an-
dere Begriff auf sie passe, und der entgegengesetzte mangelhaft sey, weil sie sich nicht aus ihm
erklären lasse; theils hat sie dabey den Begriff der mechanischen Ursache und des Zwecks
nicht untersucht, welcher an und für sich Wahrheit habe.“58

Bei der Interpretation der Teleologie Hegels ist besonderes Augenmerk darauf zu rich-
ten, wie die Begriffe Objektivität und Subjektivität dem Programm der Wissenschaft der
Logik angepaßt werden.
Während bei der handwerklichen Tätigkeit der Handwerker das Subjekt und das Ziel
der Tätigkeit der fertiggestellte Tisch ist, ist im Falle der Wissenschaft der Logik der sich
selbst bestimmende Begriff zugleich Subjekt und telos der Bewegung. Weil Hegel den
Prozeß nicht als gegenständlichen, sondern hinsichtlich seiner logischen Struktur be-
trachtet, ergeben sich wiederum Besonderheiten in der Bestimmung von Subjekt und
Objekt, die zugleich auf die Argumente „der alten Metaphysik“ verwiesen bleiben.
Der subjektive Zweck ist das Prinzip der Selbstbestimmung „als wesentliches Streben
und Trieb sich aeusserlich zu setzen.“59 Er ist gegen die Objektivität, aus der er erschlos-
sen wurde, zugleich selbständig und unselbständig. Als selbständig erweist er sich da-
durch, daß er sich als die sich von sich abstoßende Negation selbst vollzieht:. Als un-
selbständig erweist der subjektive Zweck sich, weil Selbstbestimmung, die sich nicht an
einem von ihr unterschiedenen Material objektiviert, unbestimmt bleibt und damit so gut
wie nichts ist.60 Das heißt aber dialektisch gewendet nichts anderes, als daß seine Be-
stimmung die ist, unbestimmt oder „absolute Reflexion der Form in sich“ zu sein. Der
subjektive Zweck kann nicht bei sich bleiben, sondern muß sich auf die Objektivität ein-
mal als Ziel seiner Realisierung und einmal als das diesem Ziel zugrundeliegende Mate-
rial beziehen:
„Insofern nun der Zweck diese totale R e f l e x i o n der Objectivität in s i c h , und zwar u n mi t-
t e l b a r ist, so ist e r s t l i c h die Selbstbestimmung oder die Besonderheit als e i n fa c h e Refle-
58
Hegel. Lehre vom Begriff, 236 f.
59
Ebd., 160.
60
Manfred Riedel erläutert den Negationsbegriff bei Hegel mit dem Hinweis darauf, daß er privativ
ist: „Die Negation ist nicht, wie in der klassischen Ontologie, Mangel am Seienden, sondern Man-
gel der Subjektivität an Sein, und indem sie diesen Mangel aufhebt, zugleich Negation des Seien-
den. Das Subjekt wird als die ‚Totalität‘ des Seienden beschrieben, als eine am Seienden sich be-
währende und realisierende Seinsmacht, die in ihrem Sein-Können über es als seine Gegenständ-
lichkeit verfügt und an ihm nur sich selber zur Darstellung bringt.“ Theorie und Praxis im Denken
Hegels, 37.
Teleologie 67

xion in sich von der c o n c r e t e n Form unterschieden, und ist ein bestimmter I nh a l t . Der
Zweck ist hienach e n d l i c h , ob er gleich seiner Form nach unendliche Subjectivität ist.“61

Als Inhalt der zweckgerichteten Tätigkeit ist die Objektivität mit der reflektierenden Be-
wegung bereits vermittelt, indem der subjektive Zweck die realisierte Einheit von Sub-
jektivität und Objektivität, Bewegung und Inhalt der Bewegung antizipiert. Als Material
seiner Realisierung findet der subjektive Zweck die Objektivität hingegen als seine von
ihm unterschiedene Voraussetzung vor:
„Zweytens weil seine Bestimmtheit die Form objectiver Gleichgültigkeit hat, hat sie die Gestalt
einer V or a u s s e t z u n g , und seine Endlichkeit besteht nach dieser Seite darin, daß er eine o b-
j e c t i ve , mechanische und chemische W e l t vor sich hat, auf welche sich seine Thätigkeit, als
auf ein V o rh a nd e n e s bezieht, seine selbstbestimmende Thätigkeit ist so in ihrer Identität un-
mittelbar s i c h s e l b s t ä u ß e r l i c h und so sehr als Reflexion in sich, so sehr Reflexion nach
Aussen. Insofern hat er noch eine wahrhaft a u s s e r w e l t l i c h e Existenz, insofern ihm nemlich
jene Objectivität gegenübersteht, so wie diese dagegen als ein mechanisches und chemisches,
noch nicht vom Zweck bestimmtes und durchdrungenes Ganzes ihm gegenübersteht.“62

Die Vermittlung der beiden gegensätzlichen Pole, des subjektiven Zwecks und der vor-
handenen Objektivität, nimmt die Gestalt zweckgerichteter Tätigkeit an und wird so dar-
gestellt, daß die logische Funktion der Objektivität für die Realisierung des subjektiven
Zwecks dargelegt wird. Dadurch wird der Zusammenhang beider Relata begründet, so
daß die Objektivität nicht länger als Unvermitteltes erscheint:
„Die Bewegung des Zwecks kann daher nun so ausgedrückt werden, daß sie darauf gehe, seine
Voraussetzung aufzuheben, das ist, die Unmittelbarkeit des Objects, und es zu setzen als durch
den Begriff bestimmt. Dieses negative Verhalten gegen das Object ist ebensosehr ein negatives
gegen sich selbst, ein Aufheben der Subjectivität des Zwecks. Positiv ist es die Realisation des
Zwecks, nemlich die Vereinigung des objectiven Seyns mit demselben, so daß dasselbe, wel-
ches als Moment des Zwecks unmittelbar die mit ihm identische Bestimmtheit ist, als äusserli-
che sey, und umgekehrt das Objective als Voraussetzung vielmehr als durch Begriff bestimmt,
gesetzt werde.“63

Damit überträgt Hegel den traditionellen Begriff zweckgerichteter Tätigkeit wiederum auf
die dialektische Bewegung der Negation der Negation. Die Vermittlung des subjektiven
Zwecks mit der vorhandenen Objektivität erfüllt zwei gegensätzliche Bedingungen: Zum
einen ist sie die Relation von Gleichen, des Begriffs der Subjektivität und des Begriffs der
Objektivität. Darin, Begriff zu sein, sind beide nicht nur vergleichbar, sondern bereits als Re-
flexion und Inhalt der Reflexion aufeinander bezogen. Das ist die Bedingung dafür, daß die
verwirklichte Einheit beider aus dem teleologischen Prozeß resultieren kann. Zum anderen
muß auch der Unterschied der Relata bestimmt werden, weil der subjektive Zweck sich nur
in einem von ihm unterschiedenen Material, also der Objektivität als der vorausgesetzten
und gegen ihre Funktion gleichgültigen Materie, realisieren kann. Oder: Der Begriff der Ein-
heit von Subjektivität und Objektivität läßt sich nur in Abgrenzung gegen deren Unterschie-
denheit begründen, während der Unterschied beider nur in Abgrenzung gegen die Gleichheit
61
Hegel. Lehre vom Begriff, 161.
62
Ebd.
63
Ebd., 161 f.
68 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

beider Begriffe bestimmbar ist. Die Differenz von Subjektivität und Objektivität wird selbst
als notwendige Funktion der Argumentation bestimmt, d. h. sie wird als movens der logi-
schen Bewegung anerkannt, hat aber außerhalb dieser Funktion kein Bestehen. So ist die
Objektivität, die im subjektiven Zweck vorgestellt wird, ist von der Objektivität, die das Ma-
terial der Realisierung darstellt, zwar der Funktion nach, aber nicht substantiell unterschie-
den. Wäre die Differenz über diese systematische Funktion hinaus in einem ontologischen
Korrelat begründet, also Ausdruck der Differenz der Gegenstandsbereiche des subjektiven
Zwecks und des Materials seiner Realisierung wie es beispielsweise im Modell handwerkli-
cher Tätigkeit der Fall ist, dann wäre die Übereinstimmung beider nicht notwendig herzulei-
ten. Statt dessen bliebe das Können des Handwerkers, seine technischen Fähigkeiten und Er-
fahrungen, die Unwägbarkeiten und Probleme seiner Arbeit zu lösen, ein Konstituens der
teleologischen Tätigkeit. Die Verbindung zwischen Zweck und Material wäre das Produkt
einer artistischen Konstruktion und die Objektivität, die Inhalt des subjektiven Zwecks ist,
wäre als vorgestellte von der Objektivität als Stoffursache durch ihre Materialität unterschie-
den. Innerhalb des Begriffs dagegen kann die Begründung der Differenz der Objektivität als
Inhalt des subjektiven Zwecks und der Objektivität als Stoffursache nur relational sein: Als
Stoffursache ist sie durch einfache Negation gegen den Zweck bestimmt, als vorgestellter In-
halt des subjektiven Zwecks wird sie durch eine doppelte Negation im Begriff des Zwecks
aufgehoben. Logisch faßt Hegel das Verhältnis von Zweck, Mittel und ausgeführtem Zweck
damit als das Verhältnis von logischen Schlüssen der Subjektivität, in welchem der Zweck
analog zur Prämisse, das Mittel zum medius terminus und der ausgeführte Zweck zum
Schlußsatz verfaßt sind. Die Schlußformen hatte Hegel bereits zu Beginn der Lehre vom Be-
griff mit dem Ergebnis abgehandelt, daß sie sich wechselseitig ergänzen und zu einem Sy-
stem von Schlüssen zusammengehen. „Der Verstand wird als das Vermögen des bestimmten
Begriffes genommen, welcher durch die Abstraction und Form der Allgemeinheit für sich
festgehalten wird. In der Vernunft aber sind die bestimmten Begriffe in ihrer Totalität und
Einheit gesetzt. Der Schluß ist daher nicht nur vernünftig, sondern Alles Vernünftige ist ein
Schluß.“64 Wenn es Hegel gelingt zu zeigen, daß der Begriff des subjektiven Zwecks sich in
den Begriff des Mittels übersetzt und der Begriff des Mittels in den der Objektivität, dann ist
auch der Begriff der Objektivität nichts anderes als ein subjektiver Zweck, der ausgeführt ist.
Auf diese Weise schlössen sich die einzelnen Termini zu einem systematischen Ganzen zu-
sammen, in dem die Selbständigkeit der Relata in die Funktion von Momenten verwandelt
ist.65
64
Hegel. Lehre vom Begriff, 90.
65
Vgl. dazu die Erläuterung von Georg Sans, der den Schlußformen in der Lehre vom Begriff eine eigene
Untersuchung widmet und sie in den Grundzügen wie folgt bestimmt: „Im Unterschied zur traditionel-
len Logik deutet Hegel den Schluss nicht als die Ableitung eines Urteils aus einem oder mehreren ande-
ren, sondern als die Vermittlung zweier Begriffe durch einen dritten. Der mittlere Term des Schlusses
tritt bildlich gesprochen an die Stelle der Kopula des Urteils. Er gibt den Grund an, aus dem er gerecht-
fertigt ist, das Subjekt und das Prädikat des Schlusssatzes aufeinander zu beziehen.“ Georg Sans. Die
Realisierung des Begriffs: eine Untersuchung zu Hegels Schlusslehre. Berlin, 2004, 31. Und: „Im Prin-
zip dient die Entwicklung des Schlusses also der Klärung der Frage, welche Bedeutung ein Begriff an-
nehmen muss, um als der mittlere Term fungieren und die Konklusion begründen zu können. Verein-
facht gesagt muss Hegel zeigen, dass es sich um einen Begriff handelt, von dem feststeht, dass allen un-
ter ihn fallenden Gegenständen alle in ihm enthaltenen Merkmale zukommen.“ Ebd., 33.
Teleologie 69

Bei Hegel sind die Momente der Teleologie als Momente eines Schlusses unterschie-
den, also im Hinblick auf das telos der Bewegung. Dieses telos ist die Realisierung des
Begriffs in der absoluten Idee. Die Objektivität, die im subjektiven Zweck vorgestellt
wird, ist von der Objektivität, die Stoffursache ist, durch das logische Nacheinander der
Momente unterschieden. An sich sind sie aber ununterschieden. Das bringt, bei Licht
betrachtet, einige Verwirrung mit sich, denn Stein des Anstoßes für die teleologische Tä-
tigkeit ist der Widerspruch, daß der subjektive Zweck so gut wie unbestimmt ist, wenn
er sich nicht realisiert. Die Objektivität als Stoffursache findet der subjektive Zweck als
von sich unterschieden vor. Der Unterschied ist die Bedingung dafür, daß der subjektive
Zweck durch die Objektivität bestimmt werden kann. Bedingung der Möglichkeit seiner
Bestimmung ist der Unterschied, aber der Unterschied ist nicht spezifisch, sondern rela-
tional, als Negation der Negation bestimmt. Damit sind die jeweils verhandelten Begrif-
fe kaum gegeneinander zu fixieren.
Vom Standpunkt der Wissenschaft der Logik läßt sich demnach zwar die Notwendig-
keit begründen, daß das Denken nicht bei sich bleiben kann, weil es sonst bestimmungs-
los bliebe. Das Unterfangen aber, das Andere des Denkens ausschließlich relational zu
fassen und mit ihm den Unterschied als logische Funktion, ist unzureichend, was sich in
der substantiellen Ununterschiedenheit von Grund und Folge Geltung verschafft. Nur
wenn angegeben werden kann, was die Differenz außerhalb ihrer logischen Funktion be-
gründet, können die einzelnen Begriffsmomente sicher voneinander unterschieden wer-
den, weil dann die eine logische Differenz durch spezifische Differenzen in den jeweils
ontologisch korrespondierenden Gegenstandsbereichen bestimmt wird. Für einen Hand-
werker stellt es durchaus einen Unterschied dar, ob er einen Tisch aus Holz oder aus
Wasser bauen soll. Aus der Reflexion lassen sich keine bestimmten Differenzen setzen,
sondern nur die Notwendigkeit einer Differenz überhaupt. Für die weitere Interpretation
der Argumentation Hegels ist deshalb die Frage zu stellen, wie die Objektivität bestimmt
ist und ob dieser Bestimmung spezifische Differenzen folgen.
Hegels Argumentation widmet sich dem Problem der causa efficiens. Damit sich im
teleologischen Prozeß tatsächlich nur der Begriff und nicht etwas anderes realisiert, muß
Hegel darüber hinaus auch die Wirkursache in den Begriff integrieren. Traditionell ist
die Wirkursache dem zweckmäßigen Prozeß äußerlich, z. B. als göttlicher Wille, als un-
bewegter Beweger oder als Wille eines tätigen oder autonomen Subjekts, der sich nur in
Handlungen objektivieren kann. Der Wille ist bei Kant z. B. das Vermögen, durch seine
Vorstellung Ursache der Gegenstände dieser Vorstellungen sein zu können, wobei der
Bestimmungsgrund nicht notwendig vernünftig oder reflexiv ist, sondern als Willkür
auch die Befriedigung heteronomer Bedürfnisse bezweckt. Damit ist dem Willen eine
Tendenz zu eigen, die die intendierte Reinheit der logischen Begriffe Hegels kon-
terkarierte. Hegel beansprucht deshalb gegen diese Tradition den Fortgang der Argu-
mentation immanent begründen zu können, obgleich auch ihm das nur in der Abgren-
zung gegen traditionelle Vorstellungen gelingt. Der subjektive Zweck ist Formursache,
die zu ihrem Inhalt, der Realität der vorgestellten Form, im Gegensatz steht. Dieses Mo-
ment des Uneingeholten beinhalte zugleich den Trieb zur Realisierung, so daß der dem
70 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

subjektiven Zweck immanente Gegensatz von möglicher und vollzogener Realisierung


unmittelbar seine eigene Vermittlung veranlasse. Damit ist der subjektive Zweck nicht
nur Form-, sondern auch Wirkursache. Schließlich fallen beide Funktionen in den Be-
griff des subjektiven Zwecks, so daß dieser Grund seiner selbst ist.
„Diß Abstossen ist der der E n t s c h l u ß überhaupt, die Beziehung der negativen Einheit auf
sich, wodurch sie a u s s c h li e s s e n d e Einzelnheit ist aber durch diß Au s s c h l i e s s e n e n t -
s c h l i e ß t sie sich, oder schließt sich a u f , weil es S e l b s t b e s t i m m e n , Setzen s e i n e r s e l b s t
ist.“66

Ziel und Durchführung der Argumentation Hegels beruhen auf der Kritik der Widersprüche,
die frühere Teleologiebegriffe aufwarfen und die in der Argumentation des Aristoteles nur
ein mögliches Modell haben.67 In der Wissenschaft der Logik beruft sich Hegel damit nega-
tiv auf die Tradition des Teleologiebegriffs, der in seinen Wurzeln auf der praktischen Erfah-
rung einer Differenz beruht, die erst im Resultat einer abstrahierenden Reflexion als Funkti-
on erscheint. Logisch bleibt das Argument Hegels damit auf den Willen, als Vermögen
Entschlüsse zu fassen, verwiesen, weil der Gegenstand der bestimmten Negation dieser un-
terstellt bleibt. Oder anders formuliert: Mit dem subjektiven Zweck will Hegel die Aporien
der Tradition vermeiden, die dadurch entstehen, daß die causa efficiens als eine dem zweck-
mäßigen Prozeß äußerliche Ursache gedacht wird. In der Hegelschen Fassung des subjekti-
ven Zwecks wird die traditionelle bestimmt negiert, aber als das, was negiert wird, bleibt die
traditionelle Fassung der Negation zugleich auch unterstellt. Dennoch ist die unbedingte
Produktivität des subjektiven Zwecks eine Bedingung der Durchführbarkeit des Programms
der Logik, weil der Wille nur als funktionales Moment oder movens notwendig vernünftig
ist. Er wird dadurch aber auch gleichgültig gegen bestimmte Willensinhalte, die in jedem
auch noch so heiklen Fall als Ausgestaltung des Geistes gerechtfertigt werden können. Als
moralisches Beurteilungskriterium ist der subjektive Zweck daher untauglich. Beispiele da-
für folgen in der Interpretation der Herr-Knecht-Thematik und der Grundlinien der Philoso-
phie des Rechts.
Die Erfahrung praktischer Arbeit ist aber nicht deckungsgleich mit dem Begriff teleologi-
scher Selbstbestimmung. Obgleich Arbeit der Möglichkeit nach ein Moment der Erfahrung
der Selbstbestimmung der vernunftbegabten Gattung sein könnte, ist sie geschichtlich stets
die Erfahrung von Heteronomie gewesen – eine Tatsache gegen die der logische Begriff sich
verschließt und so ewig um sich selbst kreist. Wissenschaftlicher Fortschritt, die Erkenntnis
von zuvor Unbekanntem, setzt dagegen praktische und widersprüchliche Erfahrungen vor-
aus, nach deren Erklärung die Subjekte streben. Im Begriff und damit jenseits der Praxis
kann der wissenschaftliche Fortschritt weder durch Erfahrung noch durch den Willen eines
Subjektes begründet sein. Dem Begriff ist der Zugang zum unerkannten Objekt, das nur Ge-
genstand von praktischer Erfahrung sein kann, verstellt.

66
Hegel. Lehre vom Begriff, 162.
67
Ebd., 154 ff.
Teleologie 71

b) Das Mittel

Der subjektive Zweck ist das Prinzip der Selbstbestimmung des Begriffs in der Objekti-
vität. Die Einheit beider Begriffe sei nicht prästabiliert, sondern durch den Vermittlungs-
prozeß herzuleiten. Die Möglichkeit der Vermittlung sei aber bereits darin angelegt, daß
der subjektive Zweck reine Tätigkeit ist, in der das Ziel seiner Tätigkeit antizipiert wird.
Veranlaßt werde die Tätigkeit aber erst durch die Diskrepanz von Möglichkeit und
Wirklichkeit, also dadurch, daß der subjektive Zweck noch nicht objektiviert ist. Bislang
ist die Relation von Begriff und Objektivität nur zweistellig bestimmt worden, denn es
gibt nur zwei Relata: den Begriff der Subjektivität und den Begriff der Objektivität. Der
Schluß auf die vermittelte Einheit von Subjektivität und Objektivität im ausgeführten
Zweck ist aber als Trilogie bestimmt: das Mittel ist als die Mitte dieser Trilogie von
Schlüssen bestimmt, in der es den medius terminus gibt. Entsprechend begründet Hegel
die Funktion des Mittels nicht aus den durch die Beschaffenheit des zugrundeliegenden
Materials folgenden technischen Anforderungen, sondern aus der Stellung des Begriffs
zum terminus ad quem, der absoluten Idee. Im Mittel setzt der Zweck sich unmittelbar;
es ist erst die einfache Negation; noch nicht der ausgeführte Zweck. Als die Mitte zwi-
schen den Extremen des subjektiven Zwecks und der Objektivität wird mit ihm die Rea-
lisierung in einem ersten Schritt vollzogen, aber noch nicht vollendet, wodurch das Mit-
tel selbst noch endlich und damit gleichgültig dagegen ist, ein Moment der Einheit von
Subjektivität und Objektivität zu sein. Weil die Bestimmung des Zwecks durch das Mit-
tel dem Zweck äußerlich ist, wird er sich selbst äußerlich.
„Die Endlichkeit des Zweckes besteht sonach darin, daß sein Bestimmen überhaupt sich selbst
äusserlich ist, somit sein erstes, wie wir gesehen, in ein Setzen und in ein Voraussetzen zerfällt;
die N e g a t i o n dieses Bestimmens ist daher auch nur nach einer Seite schon Reflexion in sich,
nach der andern ist sie vielmehr nur e r s t e Negation; – oder: die Reflexion-in-sich ist selbst
auch sich aeusserlich und Reflexion nach Aussen.“68

Die Funktion des Mittels in der zweckgerichteten Tätigkeit hängt davon ab, ob es auf
den subjektiven Zweck oder die Objektivität bezogen wird. Für den subjektiven Zweck
fungiert es als unmittelbares Objekt, in dem der subjektive Zweck sich eine Bestim-
mung gibt, nämlich die „Allgemeinheit des Daseyns, welches die subjective Einzelnheit
des Zweckes noch entbehrt“69. Gegenüber der Objektivität fungiert es als das Bestim-
mende, das also verändernd in die Objektivität eingreift. Das Mittel ist selbst ein me-
chanisches Objekt oder Werkzeug, das gegen seine Funktion gleichgültig bleibt. Es voll-
zieht den Prozeß nicht selbständig, sondern wird durch den subjektiven Zweck
bestimmt. Insofern ist der Zweck das Subjekt und das Mittel sein Objekt und zwar sein
zweckmäßiges Objekt:
„Die Beziehung des Objects auf den Zweck ist eine Prämisse, oder die unmittelbare Be-
ziehung, welche in Ansehung des Zwecks, wie gezeigt, R e f l e x i o n i n s i c h s e l b s t ist, das

68
Hegel. Lehre vom Begriff, 163.
69
Ebd., 163.
72 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

Mittel ist inhärirendes Prädicat; seine Objectivität ist unter die Zweckbestimmung, welche ihrer
Concretion willen, Allgemeinheit ist, subsumirt.“70

Die Unterordnung des Mittels unter den Zweck reproduziert sich dann in der Unterord-
nung der unmittelbaren Objektivität unter das Mittel. Das Werkzeug wirkt im Sinne des
subjektiven Zwecks formend auf die Objektivität ein. Aber das Mittel kann nicht nur als
Objekt bestimmt sein, sondern muß seiner durch den subjektiven Zweck an es herange-
tragenen Zweckmäßigkeit auch entsprechen. Es wird nicht nur durch den subjektiven
Zweck bewegt, sondern hat diese Bewegung auch an sich, insofern es auf die unmittel-
bare Objektivität einwirkt. Das Mittel ist deshalb nicht nur Werkzeug, sondern auch
zweckgerichtete Tätigkeit.
Damit sind Mittel und Zweck auch formkongruent: Sie sind durch die Form absoluter
Reflexion bestimmt. Ihre Inhalte müssen aber auch unterschieden sein, wenn sie einan-
der bestimmen können sollen: „Im subjectiven Zweck ist die negative Beziehung auf
sich selbst, noch identisch mit der Bestimmtheit als solcher, dem Inhalt und der Aeusser-
lichkeit. In der beginnenden Objectivirung des Zweckes aber, einem Anderswerden des
einfachen Begriffes treten jene Momente aus einander, oder umgekehrt besteht hierin
diß Anderswerden, oder die Aeusserlichkeit selbst.“71 Die Differenz soll darin liegen,
daß das Mittel nicht der Grund der Tätigkeit ist, sondern nur das Werkzeug bzw. der Akt
der Realisierung des ihm äußerlichen subjektiven Zwecks. Dagegen ist der subjektive
Zweck Grund seiner selbst, für sich die Einheit von Wirk- und Formursache. Das Mittel
bleibt gleichgültig dagegen; es ist nur an sich. Die Tätigkeit bleibt damit der Hoheit des
Zwecks unterstellt; dieser bestimmt die Bearbeitung des Objekts.
„Seine Unselbständigkeit [die des Mittels, M. B.] besteht eben darin, daß es nur a n s i c h die
Totalität des Begriffs ist; dieser aber ist das Fürsichseyn. Das Object hat daher gegen den
Zweck den Character, machtlos zu seyn, und ihm zu dienen; er ist dessen Subjectivität oder
Seele, die an ihm ihre äußerliche Seite hat.“72

Mit diesen Bestimmungen ist der Begriff des Mittels in Analogie zum Modell hand-
werklicher Tätigkeit bestimmt, in dem der konkrete Zweck durch Arbeit und Werkzeug
in einem Material verwirklicht wird. Aber darin geht die Bestimmung des Mittels nicht
auf, denn es ist „schlechthin durchdringlich, und dieser Mittheilung empfänglich, weil
es an sich identisch mit ihm [dem subjektiven Zweck, M. B.] ist.“73 Ein Mittel, das einer
Mitteilung empfänglich und an sich identisch mit dem subjektiven Zweck ist, ist nicht
das Werkzeug als Artefakt, sondern die Arbeitskraft, das instrumentum vocale. Sie kann
die Mitteilung des Zwecks als Mitteilung des Auftraggebers nur deshalb annehmen, weil
sie das Moment des Fürsichseins der Möglichkeit nach ebenso an sich hat wie der
Zweck. Der Begriff des Mittels wird dadurch äquivok. Ihm ist nicht nur das Modell
handwerklicher Tätigkeit unterstellt, sondern auch das Modell des herrschaftlich organi-
sierten Arbeitsprozesses, in dem der Zweck herrschaftlich bestimmt und von den abhän-
70
Hegel. Lehre vom Begriff, 163.
71
Ebd., 164.
72
Ebd.
73
Ebd.
Teleologie 73

gigen Arbeitskräften ausgeführt wird. Als vernunftbegabte Sinnenwesen haben beide –


Herrscher wie Beherrschte – dasselbe Vermögen und denselben Anspruch auf Selbstbe-
stimmung, aber der Herrscher hat seine gesellschaftliche Vormachtstellung gegenüber
den Beherrschten gewaltsam durchgesetzt, während der an sich freie Wille des Be-
herrschten die Bedingung dafür ist, daß er sich den heteronomen Zwecken des Herr-
schers unterwerfen kann. Nur indem jener sie zu seinen eigenen Zwecken macht, kann
er im Sinne der Herrschaft handeln. Die Unterordnung des Mittels unter den subjektiven
Zweck verweist so auf einen Willen, der mit dem Entschluß des subjektiven Zwecks
nicht identisch ist.
Hegel hatte die Hierarchie zwischen subjektivem Zweck und Mittel logisch begrün-
det, also durch das Argument, daß der subjektive Zweck der Ursprung und Anfang des
Prozesses, das bestimmende Fürsichsein ist, während das Mittel, das dieser Bestimmung
folgend auf das zu bearbeitende Material einwirkt, vermittelt ist. Aus den Bestimmun-
gen Hegels folgt aber nur die Identität der Begriffe subjektiver Zweck und Mittel: Der
Zweck ist für sich, aber weil er noch nicht realisiert ist, ist er nur der Möglichkeit nach
für sich. Das Mittel ist an sich zweckmäßig, vermag aber diese Zweckmäßigkeit nur
auszuführen, weil es der Möglichkeit nach auch für sich ist, weil es den subjektiven
Zweck annehmen kann. Der Unterschied zwischen beiden Bestimmungen ist durch die
logische Abfolge bestimmt, folgt aber nicht aus dem Begriff im eigentlichen Sinne, denn
danach sind beide der Möglichkeit nach Fürsichseiende. Die Begründung der Priorität
des subjektiven Zwecks gegenüber dem Mittel ist insofern problematisch. Der verdop-
pelte und zum Mittel degradierte Begriff erhielte erst durch die Adaption der geschicht-
lich realen Differenz zwischen Herrscher und Beherrschten eine inhaltliche Begrün-
dung, die aber nicht logisch, sondern geschichtlich wäre. Gegen solche Inhalte muß die
Teleologie um der Reinheit der logischen Bewegung willen gleichgültig bleiben.
Umgekehrt stellt die Endlichkeit des subjektiven Zwecks dessen Mangel dar, denn als
der Inbegriff desjenigen Prinzips, das wesentliches Streben ist, sich äußerlich zu setzen,
muß der subjektive Zweck sein Fürsichsein in der Objektivität realisieren. Gerade weil
dessen Selbstbestimmung der Objektivität jenseitig ist, ist ihre Ausführung durch das
Mittel bedingt. „Der Zweck bedarf eines Mittels zu seiner Ausführung, weil er endlich
ist.“74 Die logische Priorität des subjektiven Zwecks hängt somit vom Mittel ab, denn
ohne es bliebe der Zweck entweder gegenstandslos oder er müßte sich selbst mit der un-
mittelbaren Objektivität einlassen. Das Mittel ist dagegen bereits das Resultat einer
zweckmäßigen Bestimmung und damit gegenüber dem subjektiven Zweck der bereits
realisierte Ausdruck der Vernunft: „Das Werkzeug erhält sich, während die unmittelba-
ren Genüsse vergehen und vergessen werden. An seinen Werkzeugen besitzt der Mensch
die Macht über die äußerliche Natur, wenn er auch nach seinen Zwecken ihr vielmehr
unterworfen ist.“75
Aus der Begründung der logischen Priorität des subjektiven Zwecks resultiert so zu-
nächst das Gegenteil: die Priorität des Mittels gegenüber den Zwecken: „Daß der Zweck
74
Hegel. Lehre vom Begriff, 163.
75
Ebd. 166.
74 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

sich […] in die mittelbare Beziehung mit dem Object setzt, und zwischen sich und das-
selbe ein anderes Object einschiebt“ ist die „List der Vernunft“.76
Ein Modell dieser List sind Kooperation und gesellschaftliche Arbeitsteilung. In der
wechselseitigen Beziehung aller Teilarbeiten aufeinander werden die in Raum und Zeit
beschränkten Fähigkeiten der Einzelsubjekte transzendiert, so daß kooperative Ar-
beitsprozesse um ein vielfaches produktiver sind, als die Summe der Einzelarbeiten. Ein
Beispiel dafür wäre der Bau der ägyptischen Pyramiden. Aber auch technische Erfin-
dungen, die die Produktivkraft der Arbeit verbessern, sind in gewisser Hinsicht Resultat
kooperativer Arbeitsprozesse: Die Dampfmaschine ersetzt nicht nur die zuvor durch
Menschen und Tiere geleistete Arbeit eins zu eins, sondern ist um ein Vielfaches pro-
duktiver. Die Erfindung der Dampfmaschine durch Herrn Watt wäre nicht ohne die
physikalischen, chemischen und technischen Errungenschaften seiner Zeit möglich ge-
wesen, die ein historisch spätes Resultat sind und ihrerseits sowohl diachrome als auch
synchrone Arbeitsteilung in den Wissenschaften voraussetzen. Hinter dieser List ver-
birgt sich aber zugleich auch ein Gewaltakt, „insofern der Zweck als von ganz anderer
Natur erscheint, als das Object, und die beyden Objecte eben so gegen einander selb-
ständige Totalitäten sind“.77 Darin liegt ein Zugeständnis nicht an die Teleologie, son-
dern an die Selbständigkeit der Objektivität, die aus der bloßen Relationalität des logi-
schen Verhältnisses nicht folgt, sondern Gegenstand praktischer Erfahrungen ist.
Gegenüber der Aktivität des subjektiven Zwecks war die Objektivität gleichgültig ge-
blieben, so daß von den Objekten kein Widerstand gegen den subjektiven Zweck zu er-
warten ist. Nach Hegel ist die einzige Bestimmung des Objektes die, seinen logischen
Zweck zu erfüllen. Die Ausübung von Gewalt setzt auf der einen Seite einen praktischen
Willen voraus, auf der anderen Seite aber ein Material, das den Erfolg des Arbeitspro-
zesses nicht schon garantiert und insofern tatsächlich „als von ganz anderer Natur er-
scheint“ als der Zweck. Im Falle des Materials wird die Gewalt, in der sich der zur For-
mierung des Materials notwendige Kraftaufwand ausdrückt, zum Indikator für dessen
Selbständigkeit. Im Falle der Unterwerfung des Willens eines Subjekts ist die Gewalt
nicht der unmittelbare Ausdruck der Andersartigkeit der Willen, sondern der negative
Ausdruck der Gleichartigkeit zweier an sich vernünftiger Willen, die erst durch die Un-
terwerfung des einen durch den anderen Willen die Ungleichheit gewaltsam herstellen.
Sklaven, Knechte, Lohn- und Zwangsarbeiter sind durch persönlich oder gesellschaft-
lich ausgeübte Gewalt zum Mittel degradiert worden und die Aktualisierung ihres Gat-
tungsvermögens wird ihnen nur in dem Maße zugestanden, als sie für die Produktion
von Mehrprodukt notwendig ist. Dieses Mehrprodukt ist dann die ökonomische Bedin-
76
Hegel. Lehre vom Begriff, 166. In den Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte erhält die-
ser Ausdruck eine problematische Konnotation: Die List der Vernunft sei die List der allgemeinen
Idee, die die „Leidenschaften des Besonderen“ aneinander abkämpfen läßt, während sich das All-
gemeine „unangegriffen und unbeschädigt“ im Hintergrund hält. „Das Partikuläre ist meistens zu
gering gegen das Allgemeine, die Individuen werden aufgeopfert und preisgegeben. Die Idee be-
zahlt den Tribut des Daseins und der Vergänglichkeit nicht aus sich, sondern aus den Leidenschaf-
ten der Individuen.“ G. W. F. Hegel. Werke Bd. 12. Vorlesungen über die Philosophie der Ge-
schichte. Frankfurt a. M., 1995, 49.
77
Hegel. Lehre vom Begriff, 165 f.
Teleologie 75

gung der moralischen und technischen Emanzipation vom Naturzusammenhang, so daß


sich in der List der Vernunft geschichtlich zweierlei ausdrückt: Freiheit und Herrschaft.
Die durch Herrschaft ermöglichte Freiheit vom Reproduktionszwang wirkt auf diejeni-
gen zurück, die in den Genuß des Mehrprodukts kommen. Diese Freiheit ist nicht Aus-
druck von Selbstbestimmung, sondern von Willkür, weil sie historisch auf einem gesi-
cherten Privileg für Wenige beruht, das nur durch die Preisgabe der Teilhabe aller
Menschen an der Idee der Gattung, dem terminus ad quem der Teleologie, durchzuset-
zen ist. „Indem der Zweck endlich ist, hat er ferner einen endlichen Inhalt; hienach ist er
nicht ein absolutes, oder schlechthin an und für sich ein Vernün ftige s.“78 Das dem
Gattungsvermögen adäquate Mittel seiner Aktualisierung wäre die herrschaftsfreie Or-
ganisation von Kooperation und Arbeitsteilung in der Ökonomie und den Wissenschaf-
ten. Aber nur eine Wissenschaft, die auf die geschichtlichen Voraussetzungen des er-
reichten Reproduktionsniveaus reflektiert, könnte darstellen, daß der kulturelle Prozeß
bisher nur der Weg der instrumentellen, nicht der der autonomen Vernunft war. Diese
Einsicht ist notwendig, wenn der Zweck nicht die Mittel heiligen oder die Mittel gar
zum Zweck werden sollen.79

c) Der ausgeführte Zweck

Der subjektive Zweck ist durch den Widerspruch gekennzeichnet, einerseits das Prinzip
absoluter Selbstbestimmung zu sein, andererseits aber dieses Prinzip nur bezogen auf
die Objektivität realisieren zu können. Damit ist das absolute Prinzip mangelhaft, mithin
endlich. In der direkten Konfrontation des subjektiven Zwecks mit der Objektivität wür-
de der Mangel objektiv, objektiviert werden soll aber das Fürsichsein des subjektiven
Zwecks. Deshalb muß zwischen den subjektiven Zweck und die Objektivität ein Mittel
eingeschoben werden, das einerseits gegen die Relata selbständig ist, andererseits aber
auch beide in sich vereinigt, so daß in ihm der ursprüngliche Mangel des subjektiven
Zwecks behoben wird. Durch das Mittel ist sowohl gewährleistet, daß der subjektive
Zweck im teleologischen Prozeß nicht beschädigt wird, da er sich nicht selbst mit der
Objektivität einlassen muß, als auch daß die Objektivität dem subjektiven Zweck gemäß
geformt wird. Da Zweck und Objektivität im Mittel zugleich nur auf eine endliche Wei-
se vermittelt sind und sich deshalb äußerlich bleiben, handelt es sich dabei nur um die
erste Prämisse des teleologischen Schlusses. Ziel der Teleologie muß es aber sein, die
Endlichkeit der Relation aufzuheben und damit die Einheit von Subjektivität und Ob-
jektivität zu erweisen, was nur möglich ist, wenn mit der zweiten Prämisse des Schlus-
ses, der Beziehung des Mittels auf die unmittelbare Objektivität, gezeigt werden kann,
daß der Zweck in der Objektivität nicht mit einem Anderen, sondern nur mit sich selbst
zusammengeht.

78
Hegel. Lehre vom Begriff, 166.
79
Vgl. dazu auch Walter Jaeschke, „Die List der Vernunft.“ 90 f.
76 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

„Der in seinem Mittel thätige Zweck muß daher nicht a l s e i n ä u s s e r l i c h e s das unmittelbare
Object bestimmen, somit dieses durch sich selbst zur Einheit des Begriffes zusammengehen;
oder jene äusserliche Thätigkeit des Zwecks durch sein Mittel muß sich als V e r m i t t l u n g
bestimmen und selbst aufheben.“80

Im Produkt der teleologischen Tätigkeit sind zwei unterschiedene Begriffe, der subjekti-
ve Zweck als Form- und Wirkursache und die Objektivität als Stoffursache, in einer Ein-
heit aufgehoben worden. Diese Einheit kann aber nicht aus der Beschaffenheit des Pro-
duktes als mechanischem Objekt erklärt werden. „Diese Einheit, welche aus der
specifischen Natur des Objects nicht begriffen werden kann, und dem bestimmten Inhal-
te nach ein anderer ist, als der eigenthümliche Inhalt des Objects, ist für sich selbst
nicht eine mechanische Bestimmtheit, aber sie ist am Objecte noch mechanisch.“81
Grund der Einheit ist vielmehr der subjektive Zweck, der sich durch die Vermittlung des
Mittels in der Objektivität seine Bestimmung gegeben hat. Im teleologischen Produkt ist
die Objektivität damit sowohl Darstellung des Zwecks, also mit diesem identisch, weil
der Zweck darin nur zu sich selbst gekommen ist. Zugleich ist die Objektivität, in der
der Zweck zu sich selbst kommt, aber auch ein von diesem unterschiedenes Korrelat,
über das der Zweck deshalb nicht vollständig verfügt. Insofern der Zweck in der Ob-
jektivität nur mit sich selbst zusammengeht, ist die teleologische Bewegung reflexiv; in-
sofern er sich in einem von ihm unterschiedenen Korrelat realisiert, ist die Bewegung ir-
reflexiv: Die Vermittlung von subjektivem Zweck und Objektivität ist daher nur
teilweise eingeholt worden. Damit dieser unvermittelte Rest mit dem subjektiven Zweck
vermittelt werden kann, ist wiederum ein Mittel erfordert. Dieses Mittel ist seinerseits
das Produkt eines ihm vorausgesetzten teleologischen Prozesses, somit nicht nur Mittel
sondern ebenfalls teleologisches Produkt. Die Existenz des teleologischen Produktes
setzt somit ein Mittel voraus, wobei auch dieses nächste Mittel nur durch die Vermitt-
lung eines Mittels zustande gekommen sein kann usw. Also wird der Bestimmungsgrund
des teleologischen Produktes rekursiv als Reihe der Vermittlung erschlossen. Dieser un-
endliche Regreß der Mittel verläuft sich ins Unbestimmte, da er weder materiell be-
grenzt wird, also z. B. durch eine Stoffursache wie Grund und Boden,82 noch spekulativ
wie in der dritten Antinomie der Kritik der reinen Vernunft, wo der Schluß der reinen
Vernunft auf eine erste Ursache den unendlichen Regreß der Reihe der Ursachen einer
Erscheinung abbricht. Darin drückt sich in der dritten Antinomie die Freiheit des Sub-
jektes aus, die anders als bei Hegel als Wirkursache gegen die Naturkausalität selbstän-
dig bleibt. Der teleologische Regreß der Wissenschaft der Logik ist dagegen ein Regreß

80
Hegel. Lehre vom Begriff, 165.
81
Ebd., 167.
82
„Arbeit ist also nicht die einzige Quelle der von ihr produzierten Gebrauchswerte, des stofflichen
Reichtums. Die Arbeit ist sein Vater, wie William Petty sagt, und die Erde seine Mutter.“ Karl
Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals. 58; und „Die Zweckmäßigkeit des ur-
sprünglichen Produktionsmittels, das zugleich erster Arbeitsgegenstand ist, der Erde, ist aber nicht
aus der Subjektivität ableitbar, was sich mindestens in den Abwanderungen von Menschen aus un-
fruchtbaren Gebieten zeigt. Die absolute Vermittlung von Subjekt und Objekt hat prinzipiell keine
Grundlage.“ Michael Städtler. Die Freiheit der Reflexion. Zum Zusammenhang der praktischen
mit der theoretischen Philosophie bei Hegel, Thomas von Aquin und Aristoteles. Berlin, 2003, 88.
Teleologie 77

von Reflexionsbegriffen, der in seinen Unterscheidungen bei sich bleibt und daher prin-
zipiell unbegrenzt ist.
Aus demselben Grunde liegt in der Begründung der Vermittlung von Zweck und Ob-
jektivität nicht nur eine regressive, sondern gleichzeitig und unmittelbar auch eine pro-
gressive Tendenz, denn die Begründung des teleologischen Produktes fällt nicht nur in
bereits durchlaufene Vermittlungsschritte, sondern ist zugleich das erst noch zu begrün-
dende Resultat des teleologischen Prozesses. Während die regressive Begründung auf
die Bedingungen des teleologischen Produkts in der Zeit gehen, bezeichnet die progres-
sive Tendenz eine logische Voraussetzung, nämlich die Antizipation des Zwecks des
Prozesses. Antizipation und Regreß bedingen sich bei Hegel nicht nur wechselseitig,
sondern fallen ununterschieden in einer Einheit zusammen: „Damit ist der une nd liche
P rog re ß der Vermittlun g gesetzt.“83 In dieser Bestimmung liegt der Widerspruch,
daß aus dem zeitlichen und damit linearen Verlauf das wechselseitige Bedingungsver-
hältnis von Mittel und ausgeführtem Zweck als Ursache und Wirkung nicht folgt. Die
Wechselseitigkeit ist vielmehr das Kennzeichen eines reflexives Prozesses. Derselbe
Prozeß kann aber nicht zugleich irreflexiv und reflexiv sein. „Oder umgekehrt, da die
Prämissen den Sch lußsa tz schon voraussetzen, so kann dieser, wie er durch jene nur
unmittelbare Prämissen ist, nur unvollkommen seyn.“84
Das Problem der Ununterscheidbarkeit der Reihen setzt sich bis in die Relata, das
Mittel und das Produkt fort. Das teleologische Produkt ist das Resultat eines Vermitt-
lungsprozesses, das aber für einen anderen Zweck ebenso zum Mittel werden kann. Um-
gekehrt ist das Mittel auch Produkt zweckgerichteter Tätigkeit. Ein und dasselbe Objekt
kann damit zwei verschiedene Funktionen erfüllen, je nachdem, in welcher Relation es
betrachtet wird. In der Wissenschaft der Logik sind die Funktionen damit gegen die Ob-
jekte, welche funktionieren, austauschbar.
„Der Schlußsatz oder das P r o d u c t des zweckmässigen Thuns, ist nichts als ein durch einen
ihm äusserlichen Zweck bestimmtes Object; e s i s t s o m i t d a s s e l b e wa s d a s M i t t e l . Es
ist daher in solchem Product selbst nur ein M i t t e l , nicht ein a u s g e fü h r t e r Z w e c k her-
ausgekommen; oder: der Zweck hat in ihm keine Objectivität wahrhaft erreicht. – Es ist daher
ganz gleichgültig, ein durch den äussern Zweck bestimmtes Object als ausgeführten Zweck,
oder nur als Mittel zu betrachten; es ist diß eine relative, dem Objecte selbst äusserliche, nicht
objective Bestimmung.“85

Nach Hegel liegt der Grund für die Gleichgültigkeit der Objekte gegen die Funktion in
der noch nicht vollständig in den Begriff aufgehobenen Differenz von subjektivem
Zweck und Objektivität. Die Organisation des teleologischen Produktes habe sich zwar
auf dieser Stufe der Argumentation als zweckmäßig erwiesen, aber die Verknüpfung der
Teile untereinander bleibe noch mechanisch. „Sie [die Objekte, in denen der Zweck aus-
geführt ist, M. B.] sind nicht positiv mit dem Zwecke vereinigt, weil sie die Selbstbe-
stimmung nur äusserlich an ihnen haben, und sind nur relative Zwecke, oder wesentlich

83
Hegel. Lehre vom Begriff, 168.
84
Ebd.
85
Ebd.
78 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

auch nur Mittel.“86 Diese letzte Äußerlichkeit wird erst mit dem Übergang ins Leben
aufgehoben.
Es ist nocheinmal die Frage aufzuwerfen, wie die Objektivität bestimmt ist, weil da-
von abhängt, ob sie mit dem subjektiven Zweck zusammengehen kann oder nicht. Sie
muß in einer Weise verfaßt sein, in der sie begrifflich und nicht-begrifflich bestimmt ist.
Das Setzen des Unterschiedes von Zweck und Objektivität wurde im Subjectiven Zweck
aus der Notwendigkeit begründet, den Zweck in einem von ihm unterschiedenen Korre-
lat zu verwirklichen, weil er als reiner Begriff leer bliebe. Dieses Korrelat ist die Ob-
jektivität, die zum einen das Resultat der Bestimmung des Objektbegriffs aus den vor-
gängigen Passagen der Logik ist, zum anderen das Resultat der Kritik an den
traditionellen Grundproblemen des Objektbegriffs: den Verhältnissen von Form und Ma-
terie, von Erscheinung und Grund der Erscheinung im Einzelobjekt und schließlich dem
des Einzelobjekts zur Totalität des Gegenstandbereiches.87 In der Lehre vom Sein hatte
Hegel die kategoriale Verfassung des Seins bestimmt, in der Lehre vom Wesen verhan-
delt er das Problem der Bestimmung des Einzelobjektes mit dem Begriff der Erschei-
nung, in den die Momente Ding an sich, Form und Materie ebenso eingehen wie die Be-
stimmung der Freiheit des Begriffs, die nicht wie die Freiheit Kants abstrakte Negation
bleibt, sondern sich dadurch verwirklicht, daß sie in den Bedingungen ihrer Realisierung
mit sich zusammengeht.88 In der Lehre vom Begriff tritt an die Stelle der Konstellation
von Erscheinung und Ding an sich die Konstellation von Einzelobjekt und Totalität der
Objektivität im Mechanismus und Chemismus. Der so begründete Objektbegriff ist nicht
nur Entität, Substanz oder Ding von vielen Eigenschaften, noch ist er nur Natur, Kos-
mos, Welt; er ist vielmehr die Einheit all dieser Momente und damit der Begriff, in dem
die systematischen Probleme der Bestimmung von Objektivität überhaupt reflektiert
werden. Als Reflexionsbestimmung erhält er seine Substanz einzig durch die vollständi-
ge Vermittlung seiner Momente Form, Materie, Erscheinung, Ding an sich, Einzelobjekt
und Totalität mit dem Begriff, während er außerhalb dieser Vermittlung nichts ist. In der
Teleologie erscheint dieser entwickelte Begriff von Objektivität dann zunächst als gege-
bene Voraussetzung des Tuns des subjektiven Zwecks; die Relation der Objektivität zur
Subjektivität wird untersucht. Zunächst setzt der subjektive Zweck seine Differenz zur
vorgefundenen Objektivität, dann macht er sie zu seinem Mittel und bearbeitet sie, um
schließlich nachzuweisen, daß jedes Objekt nicht nur das Moment des Vorausge-
setztseins an sich hat, sondern auch das Moment des Produziertseins – nämlich in dem

86
Hegel. Lehre vom Begriff, 169. Aus der Perspektive handwerklicher Tätigkeit stellt sich das Ver-
hältnis von Mittel und Arbeitsprodukt nicht als gleichgültiges dar. Im Gegenteil ist die Affinität
von Material und Zweck eine notwendige Bedingung für das Gelingen des Arbeitsprozesses: „Aus
einem und demselben Stoffe kann Verschiedenes entstehen durch die bewegende Ursache, z. B.
aus Holz sowohl eine Kiste wie eine Bettstelle. Manches Verschiedene dagegen verlangt notwen-
dig einen verschiedenen Stoff; eine Säge z. B. kann nicht aus Holz gemacht werden, und das hängt
nicht von der bewegenden Ursache ab; denn sie kann nie eine Säge aus Wolle oder Holz machen.“
Aristoteles. Metaphysik, Bücher VII–XIV, 1044a. Austauschbar sind Mittel und ausgeführter
Zweck nur in einem reflexiven Prozeß wie dem der Arterhaltung.
87
Vgl. S. 56 ff. in dieser Arbeit.
88
Vgl. S. 53 in dieser Arbeit.
Teleologie 79

Sinne, in der Wissenschaft der Logik schon reflektiert worden zu sein. Voraussetzung
und Produkt, Regreß und Progreß sind im Mittel ununterscheidbar, Objektivität kann
deshalb schlechthin als Mittel des Begriffs der Subjektivität betrachtet werden und ist
dieser damit systematisch unterstellt. Entsprechend widerstandslos kann das Verhältnis
von subjektivem Zweck und Objektivität im Sinne des Begriffs modifiziert werden:
„Dadurch ist [die] Bestimmung des Objects zum Mittel schlechthin eine unmittelbare. Es be-
darf für den subjectiven Zweck daher keiner Gewalt, oder sonstigen Bekräftigung gegen das-
selbe, als der Bekräftigung seiner selbst, um es zum Mittel zu machen; der E n t s c h lu ß , Auf-
schluß, diese Bestimmung seiner selbst ist die n u r g e s e t z t e Aeusserlichkeit des Objects,
welches darin unmittelbar als dem Zweck unterworfen ist, und keine andere Bestimmung ge-
gen ihn hat, als die der Nichtigkeit des An- und Fürsichseyns.“89

Um die Ausführung des Zwecks zu vollenden, wird deshalb nicht die Objektivität
schlechthin negiert, sondern die endliche Relation von Objektivität und subjektivem
Zweck. Durch einfache Negation wurde der Unterschied zwischen beiden Momenten
gesetzt, weil aber nicht die Bestimmung der Objektivität Zweck der Bewegung war,
sondern die Bestimmung der Objektivität nur der Bestimmung der Subjektivität diente,
kann die erste Negation aufgehoben werden, um die zweite, die Reflexivität des Verhält-
nisses, hervorgehen zu lassen. Es ergibt so sich ein positives Resultat, die unmittelbare
Idee:
„Das zweyte Aufheben der Objectivität durch die Objectivität ist hievon so verschieden, daß je-
nes [die erste Negation, M. B.] als das erste, der Zweck in objectiver U n mi t t e l b a r ke i t ist,
dieses [die Negation der Negation, M. B.] daher nicht nur das Aufheben von einer ersten Un-
mittelbarkeit, sondern von beydem, dem Objectiven als einem nur gesetzten, und dem Unmit-
telbaren. Die Negativität kehrt auf diese Weise so in sich selbst zurück, daß sie eben so Wieder-
herstellen der Objectivität, aber als einer mit ihr identischen, und darin äusserlichen ist. Durch
Letzteres bleibt diß Product wie vorhin, auch Mittel; durch ersteres ist es die mit dem Begriffe
identische Objectivität, der realisierte Zweck, in dem die Seite, Mittel zu seyn, die Realität des
Zwecks selbst ist.“90

Die Objektivität ist mit dem Zweck als dessen Funktion vermittelt. D. h. sowohl, daß sie
mit dem Zweck in Einheit, als auch von ihm unterschieden ist. Außerhalb dieser Funkti-
89
Hegel. Lehre vom Begriff, 170.
90
Ebd. Obwohl der Teleologiebegriff als negierende Bewegung gefaßt ist, soll die Negation im Re-
sultat aufgehoben und damit zu einem positiven Resultat verkehrt werden. Andreas Arndt hat dar-
auf hingewiesen, daß Hegel das destruktive Wesen der Arbeit, die das zu bearbeitende Material
immer auch zerstört, im System der Sittlichkeit konsequenter faßt, als er dies in der Wissenschaft
der Logik tut. Demnach sei die konsequente Gestalt der Vernichtung des Objektes die allgemeine
Arbeit des Krieges: „sie gehe ‚nicht auf ein Product, sondern zerschlägt es unmittelbar, und macht
die Leerheit der Bestimmtheiten eintreten‘ [zit. n. Gesammelte Werke (GW). Bd. 5. 329, M. B.];
sie sei ‚Arbeit ohne Zweck, ohne Bedürfniß, und ohne Beziehung auf die praktische Empfindung,
ohne Subjectivität; […] mit ihr selbst hört ihr Zweck auf, und ihr Product.‘ [zit. n. ebd., 330 f.,
M. B.] Die ‚absolute Arbeit‘, so berichtet Hegels Biograph Karl Rosenkranz aus der nicht erhalte-
nen Fortsetzung des Systems der Sittlichkeit, sei ‚der Tod‘. [Karl Rosenkranz. Hegels Leben. 132.,
M. B.]“ Andreas Arndt. „Arbeit und Nicht-Arbeit.“ 15. Im Zusammenhang mit der Frage, inwie-
weit Hegels ökonomischer Arbeitsbegriff eine Auseinandersetzung mit Fichtes Überlegungen dar-
stellt, verdeutlicht Arndt, daß das produktive Moment der Arbeit im Werkzeug liegt. Andreas
Arndt. „Die gesellschaftliche Form der Arbeit: Negativität und Widerspruch in Hegels
Ökonomie.“ In Die Arbeit der Philosophie. Berlin, 2003, 58 f.
80 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

on für die Subjektivität ist die Objektivität irrelevant; sie ist Voraussetzung nur in dem
Maße, wie es für die Realisierung des subjektiven Zwecks notwendig ist.
„Der Begriff b e s t i m mt s i c h nemlich, seine Bestimmtheit ist die äusserliche Gleichgültigkeit,
die unmittelbar in dem Entschlusse als a u fg e h o b e n e , nemlich als in n e r li c h e , s u b j e c -
t i v e , und zugleich als v o r a u s g e s e t z t e s O b j e c t bestimmt ist. Sein weiteres Hinausgehen
aus sich, welches nemlich als u n mi t t e l b a r e Mittheilung und Subsumtion des vorausge-
setzten Objects unter ihn, erschien, ist zugleich Aufheben jener innerlichen, i n d e n B e g r i f f
e i n ge s c h l o s s e n e n , d. i. als aufgehoben gesetzten Bestimmtheit der Aeusserlichkeit, und zu-
gleich der Voraussetzung eines Objects; somit ist dieses anscheinend erste Aufheben der
gleichgültigen Objectivität auch schon das zweyte, eine durch die Vermittlung hindurch gegan-
gene Reflexion-in-sich, und der ausgeführte Zweck.“91

Nach Hegel kann der Zweck sich im Gegenstand nur ausführen, weil der Gegenstand in
den Prozeß schon als ausgeführter Zweck eingeht. Die zweckgerichtete Tätigkeit ist re-
flexiv konstruiert, so daß Voraussetzung und Resultat schon von jeher miteinander kom-
patibel waren. „Diese Reflexion aber, daß der Zweck in dem Mittel erreicht, und im er-
füllten Zwecke das Mittel und die Vermittlung erhalten ist, ist das letzte Resultat der
äusserliche n Zwec kb ez iehung, worin sie selbst sich aufgehoben und das sie als
ihre Wahrheit dargestellt hat.“92 Der Zweck, dessen Inhalt, der Entschluß zur Tätigkeit,
die Tätigkeit selbst, das Werkzeug und die Objektivität, sind zu Bestimmungsmomenten
der Einheit von Subjektivität und Objektivität, der Idee geworden:
„Diese Identität ist einerseits der einfache Begriff, und eben so u n mi t t e l b a r e Objectivität,
aber andererseits gleich wesentlich V e r mi t t l u n g , und nur durch sie, als sich selbst aufhe-
bende Vermittlung, jene einfache Unmittelbarkeit; so ist er wesentlich diß, als fürsichseyende
Identität von seiner a n s i c h s e ye n d e n Objectivität unterschieden zu seyn, und dadurch Aeus-
serlichkeit zu haben, aber in dieser äusserlichen Totalität die selbstbestimmende Identität der-
selben zu seyn. So ist der Begriff nun die I d e e .“93

Exkurs zur Kritik der Urteilskraft Kants

Der subjektive Zweck hat als Fürsichsein notwendig das Moment der Voraussetzungslo-
sigkeit an ihm, weil mit ihm der Ursprung zweckgerichteter Tätigkeit bestimmt wird.
Ohne initiierende Ursache kann kein Prozeß gedacht werden. Gleichzeitig ist dem vor-
aussetzungslosen Anfang der teleologischen Tätigkeit aber auch die Vermittlung durch
die irreflexive Reihe der Mittel vorausgesetzt. Das erste Setzen des subjektiven Zwecks
in der Objektivität, die dadurch zum Mittel wird, ist als Schluß der einfachen Negation
bestimmt worden. Dieser Schluß ist aber durch einen vorgängigen Begründungsprozeß
innerhalb der Wissenschaft der Logik bedingt, der zwar bereits vollzogen worden ist,
aber erst mit dem Begriff des teleologischen Produktes rückwirkend reflektiert und ein-
geholt wird. Grund und Begründetes, subjektiver und ausgeführter Zweck verkehren

91
Hegel. Lehre vom Begriff, 170.
92
Ebd., 171 f.
93
Ebd., 172.
Teleologie 81

sich dadurch. Der einzige Gegenstand, die einzige Objektivität, für die die Verkehrung
von Mittel und Zweck denkbar ist, ist die Logik selbst: Der subjektive Zweck geht aus
dem Mechanismus und Chemismus hervor und wird mit der Objektivität teleologisch
vermittelt. Bedingung der Möglichkeit der teleologischen Vermittlung ist aber, daß der
Begriff der Objektivität schon vor der Teleologie so bestimmt wurde, daß sie mit dem
Zweck vermittelbar ist. Es ist der Nachweis vorausgesetzt, daß die Wahrheit der Ob-
jektivität ihr Begriff ist, nicht das gegenständlich bestimmte Einzelobjekt. Wenn Hegel
also vom Begriff des ausgeführten Zwecks ausgehend die frühere Argumentation der
Logik als Voraussetzung der Ausführung des Zweckbegriffs reflektiert, dann erweist sich
diese vorgängige Argumentation als an sich zweckmäßig, obwohl dieser Aspekt in den
entsprechenden Kapiteln des Schlusses oder des Mechanismus und Chemismus gar
nicht reflektiert wurde. Wenn also die vorgängigen Kapitel zweckmäßig sind, dann ist
der subjektive Zweck, mit dem das Teleologiekapitel eröffnet wird, selbst schon ein aus-
geführter Zweck, weil er das Resultat einer zweckmäßigen Begründung ist. Damit ist
das einzige Objekt für die Teleologie die Teleologie. Weder ist die handwerkliche Tätig-
keit ein adäquates Objekt, weil sie endlich bleibt. Die handwerkliche Tätigkeit ist mitun-
ter die notwendige Bedingung des Lebens, aber nicht seine hinreichende Bedingung.
Noch gibt es eine transzendentalphilosophische Entsprechung, welche den Absolutheits-
anspruch in dieser Konsequenz durchführt.
Hegel zieht mit dieser Konstruktion die Konsequenzen aus den Problemen eines end-
lichen Teleologiebegriffs, wie sie z. B. an den Kritiken Kants aufzuzeigen sind. Der Wi-
derspruch zwischen der regressiven und der progressiven Reihe der Begründung des
Produkts bleibt hier offen: In der Kritik der reinen Vernunft beruhte die Begründung ei-
nes Objektes auf der Reihe seiner Ursachen. Die formale Bedingung aller Kausalreihen
ist die Zeit als Form der inneren Anschauung, so daß in der Begründung eines Objektes
Zeit und Kausalität koinzidieren. Damit ist die Kritik der reinen Vernunft eng an einem
Erfahrungsbegriff ausgerichtet, der ein historisches Korrelat hat. Anders als Hegel unter-
scheidet Kant die Reihe der naturkausalen Bedingungen einer Erscheinung nach der Be-
wegungsrichtung in antecedentia und in consequentia, weil eine Erscheinung durch ge-
gebene Bedingungen, aber nicht durch Folgen bestimmt ist. Gemäß der transzendentalen
Idee der Vernunft wird für die Reihe in antecedentia Vollständigkeit der Bedingungen
gefordert:
„Die Zeit ist an sich selbst eine Reihe (und die formale Bedingung aller Reihen), und daher
sind in ihr, in Ansehung einer gegebenen Gegenwart, die antecedentia als Bedingungen (das
Vergangene) von den consequentibus (dem Künftigen) a priori zu unterscheiden. Folglich geht
die transzendentale Idee, der absoluten Totalität der Reihe der Bedingungen zu einem gegebe-
nen Bedingten, nur auf alle vergangene Zeit. Es wird nach der Idee der Vernunft die ganze ver-
laufende Zeit als Bedingung des gegebenen Augenblicks notwendig als gegeben gedacht.“94

Das Objekt ist durch seine Ursachen nur dann vollständig bestimmt, wenn deren Reihe
ebenfalls vollständig gegeben ist. Diese Bedingung führte – wie bereits ausgeführt95 –
94
Immanuel Kant. Kritik der reinen Vernunft, B 438 f.
95
Siehe S. 46 ff. dieser Arbeit.
82 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

notwendig auf den Begriff des Naturganzen als Bedingung der Möglichkeit der Objekti-
vität von Erkenntnis und in der dritten Antinomie dann auf den Freiheitsbegriff als erste
Ursache, die nicht aus der Reihe in antecedentia folgt. Die erste Ursache, da sie nicht
durch andere Ursachen bedingt sein soll, ist frei, eine Kausalreihe selbst zu initiieren:
„Dagegen verstehe ich unter Freiheit, im kosmologischen Verstande, das Vermögen, einen Zu-
stand von selbst anzufangen, deren Kausalität also nicht nach dem Naturgesetze wiederum un-
ter einer anderen Ursache steht, welche sie der Zeit nach bestimmte. Die Freiheit ist in dieser
Bedeutung eine reine transzendentale Idee, die erstlich nichts von der Erfahrung Entlehntes
enthält, zweitens deren Gegenstand auch in keiner Erfahrung bestimmt gegeben werden kann,
weil es ein allgemeines Gesetz, selbst der Möglichkeit aller Erfahrung, ist, daß alles, was ge-
schieht, eine Ursache, mithin auch die Kausalität der Ursache, die selbst geschehen, oder ent-
standen, wiederum eine Ursache haben müsse; wodurch denn das ganze Feld der Erfahrung, so
weit es sich erstrecken mag, in einen Inbegriff bloßer Natur verwandelt wird. Da aber auf sol-
che Weise keine absolute Totalität der Bedingungen im Kausalverhältnisse herauszubekommen
ist, so schafft sich die Vernunft die Idee von einer Spontaneität, die von selbst anheben könne
zu handeln, ohne, daß eine andere Ursache vorangeschickt werden dürfe, sie wiederum nach
dem Gesetze der Kausalverknüpfung zur Handlung zu bestimmen.“96

Naturgesetze sind nicht ohne Erfahrung denkbar. Sie sind daher an die Bedingungen von
Raum und Zeit gebunden, während der negative Freiheitsbegriff im Gegensatz dazu
kein Gegenstand möglicher Erfahrung ist, jedenfalls keiner sinnlichen. Trotz dieser radi-
kalen Unterscheidung beider Gegenstandsbereiche setzen sich aber beide auch wechsel-
seitig voraus: Über den Mangel der Naturkausalität, unvollständig zu sein, wird die
Kausalität aus Freiheit erst erschlossen; umgekehrt bliebe die Kausalität aus Freiheit
ohne Naturkausalität unwirklich, denn sie kann sich nicht in sich selbst verwirklichen,
sondern nur in einem anderen, der Natur.
Das Problem, daß der Hiatus zwischen Naturbegriffen und Freiheitsbegriff überwun-
den werden muß, aber nicht überwunden werden kann, handelt Kant gleich mehrmals
mit unterschiedlichen Schwerpunkten ab: in der Kritik der reinen Vernunft, der Kritik
der praktischen Vernunft und schließlich in der Kritik der Urteilskraft, wobei die Ur-
teilskraft das Verbindungsmittel der reinen und der praktischen Vernunft darstellt. In ihr
sollen die offenen Probleme der beiden vorangegangenen Kritiken gelöst werden.
Die Naturgesetze sind durch die Kategorien Kausalität und Wechselwirkung be-
stimmt, die Kausalität aus Freiheit durch das Prinzip der Zweckmäßigkeit. Das Prinzip
der Kausalität aus Freiheit, die Zweckmäßigkeit, unterliegt aber ebenso dem Grundsatz
der Vollständigkeit wie die Naturkausalität. Wenn für beide Grundsätze Vollständigkeit
gefordert wird, dann müsste die Naturordnung durchgängig zweckmäßig bestimmt sein
und zwar in der Hinordnung auf den Endzweck der Vernunft. Damit geriete aber das
Prinzip der kausalen Naturordnung mit dem der teleologischen in einen Widerstreit,
denn entweder ist die Naturordnung ein in sich reflexives System von Zwecken, oder
eine irreflexive Verkettung von Ursachen und Wirkungen, deren systematische Einheit
niemals vollständig gegeben sein kann. Um diesen Widerstreit zu vermitteln, unterschei-

96
Immanuel Kant. Kritik der reinen Vernunft, B 561.
Teleologie 83

det Kant beide Prinzipien ihrem ontologischen Rang nach: Das teleologische Prinzip ist
eine regulative Idee, die logisch zwingend ist, weil ohne Kausalität aus Freiheit die Na-
turordnung unvollständig bliebe. Das naturkausale Prinzip bestimmt hingegen die Erfah-
rung und ist damit konstitutiv: „D. i. die Natur wird durch diesen Begriff so vorgestellt,
als ob ein Verstand den Grund der Einheit des Mannigfaltigen ihrer empirischen Gesetze
enthalte. Die Zweckmäßigkeit der Natur ist also ein besonderer Begriff a priori, der le-
diglich in der reflectirenden Urtheilskraft seinen Ursprung hat. Denn den Naturproduc-
ten kann man so etwas als Beziehung der Natur an ihnen auf Zwecke nicht beilegen,
sondern diesen Begriff nur brauchen, um über sie in Ansehung der Verknüpfung der Er-
scheinungen in ihr, die nach empirischen Gesetzen gegeben ist, zu reflectiren.“97
Aber dabei bleibt es nicht, denn das regulative Prinzip bliebe gegenstandslos, wenn
es nicht ein Korrelat in der Erfahrung hätte. Deshalb muß Kant zeigen, daß Zweckmä-
ßigkeit nicht nur ein regulativer, sondern ein verwirklichter Begriff ist. Teleologie und
Naturkausalität müssen auf den Endzweck einer systematischen Naturordnung hin mit-
einander vermittelt werden. Dieser Endzweck kann nicht in der Erreichung der Glückse-
ligkeit liegen, denn die Glückseligkeit bezieht sich auf die Materie aller Zwecke und
ihre Realisierung ist eine Naturnotwendigkeit. Ebensowenig kann die Freiheit End-
zweck sein, weil sie der Natur transzendent ist. Kant bestimmt deshalb den formal sub-
jektiven Zweck der Hervorbringung der Tauglichkeit eines vernünftigen Wesens zu be-
liebigen Zwecken überhaupt zum Endzweck:
„Die Hervorbringung der Tauglichkeit eines vernünftigen Wesens zu beliebigen Zwecken über-
haupt (folglich in seiner Freiheit) ist die Kultur. Also kann nur die Kultur der letzte Zweck sein,
den man der Natur in Ansehung der Menschengattung beizulegen Ursache hat (nicht seine ei-
gene Glückseligkeit auf Erden, oder wohl gar bloß das vornehmste Werkzeug zu sein, Ordnung
und Einhelligkeit in der vernunftlosen Natur außer ihm zu stiften).“98

Die Vermittlung der regulativen Vorstellung einer teleologischen Weltordnung mit


dem Begriff der Naturkausalität verweist auf die Zeit als Form des Vermittlungspro-
zesses. Ihre objektive Entsprechung hat die Zeit in der geschichtlichen Entwicklung
– der Kultur, so daß der Hiatus bei Kant in gedoppelter Gestalt auftritt – einmal im
transzendenten Verhältnis der Naturbegriffe zum Freiheitsbegriff; dieses Verhältnis
ist regulativ, und einmal in dem regulativen Verhältnis zu seinem geschichtlichen
Korrelat in der Kultur.
Kant ordnet den Endzweck nicht den Menschen als Subjekt zu, sondern redet vom
Endzweck der Natur. Darin liegt ein Gegenstandswechsel. War der Gegenstand des
kategorischen Imperativs noch das Kollektiv vernünftiger Wesen und die Natur die
Materie der Glückseligkeit, so wird hier die Natur zum Gegenstand kultureller Ent-
wicklung und das Kollektiv der praktisch begabten Sinnenwesen zum Mittel. Dem
Naturzweck sind Zucht und Ordnung die adäquaten Mittel zur Nivellierung indivi-
dualistischer Umtriebe der ihm subsumierten Individuen. Der Grund kultureller Ent-
wicklung liegt nach Kant in der Ungleichheit der Menschen, die um die beste gesell-
97
I. Kant. Kritik der Urteilskraft, XXVIII.
98
Ebd., 300.
84 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

schaftliche und ökonomische Stellung konkurrierten und Krieg führten. Ohne Kon-
kurrenz und Krieg gäbe es danach keinen zivilisatorischen Fortschritt und ohne
Herrschaft kein Ideal der Kultur. 99 „[A]ber das glänzende Elend ist doch mit der Ent-
wickelung der Naturanlagen in der Menschengattung verbunden, und der Zweck der
Natur selbst, wenn es gleich nicht unser Zweck ist, wir doch hierbei erreicht.“ 100
Freiheit ist das Vermögen zur Sittlichkeit. Das Sittengesetz kann aber nur dann als
Maßstab moralischer Kritik fungieren, wenn es nicht durch technisch-praktische In-
teressen korrumpiert wird. Das hatte Kant in der Kritik der praktischen Vernunft be-
wiesen. Wird sie mit der Natur als Endzweck kultureller Entwicklung verwechselt,
büßt sie auch ihr kritisches Potential ein und die Phänomene geschichtlicher Willkür
– das „glänzende“ Elend – erscheint unmittelbar als sein Gegenteil, als Ausdruck ei-
ner vernünftig eingerichteten Natur.
Die Kritik dieser Apologie müßte die Verhältnisse selbst als unvernünftige erwei-
sen – sie wäre dann Gesellschaftskritik nicht Transzendentalphilosophie. Aber die-
sen Weg geht Hegel mit seiner Kantkritik nicht und kann ihn auch nicht gehen, weil
sich für ihn – auch historisch bedingt – die Aufgabe stellt, die kantischen Antinomi-
en zu vermitteln anstatt das Programm der Vermittlung selbst auf den Prüfstand zu
stellen. Er zielt vielmehr darauf ab, daß Kant die Teleologie als regulatives Prinzip
bestimmt und damit den Nachweis schuldig bleibt, daß Natur objektiv zweckmäßig
verfaßt ist, nämlich insofern sie das Produkt zweckgerichteter Tätigkeit ist. Nur
wenn Naturbegriffe und Freiheitsbegriff, Teleologie und Kultur, schließlich die Kau-
salreihe in antecedentia und in consequentia systematisch aufeinander bezogen wer-
den, sei der Hiatus überwindbar. Als Momente des Systems verlieren die Relata ihre
Widerspenstigkeit. Dieser Schritt hin zur Idee des Systems der Wissenschaft der Lo-
gik ist bei Kant zwar nicht ausgeführt, aber er klingt an. „[D]ie Bedingungen der
Möglichkeit der Erfahrung überhaupt sind zugleich Bedingungen der Möglichkeit
der Gegenstände der Erfahrung, und haben darum objektive Gültigkeit in einem syn-
thetischen Urteile a priori.“101 Der Schritt zu Hegels Lösungsansatz ist dann nicht
mehr groß: Wenn die Natur ohnehin nur dann Gegenstand möglicher Erfahrung ist,
wenn sie den Formen der Anschauung und des Begriffs subsumiert ist, dann ist sie
als Gegenstand möglicher Erfahrung auch schon zweckmäßig verfaßt. Als System
und damit als Einheit von Subjektivität und Objektivität kann Hegel das Verhältnis
von Naturbegriffen und Freiheitsbegriff nur bestimmen, indem er von dem ge-
schichtlichen Korrelat des Verhältnisses, der Kultur, wenigstens in der Wissenschaft
der Logik abstrahiert. Er operiert mit den Begriffen dieser Prozesse. Dadurch kann
er die spezifische Differenz zwischen den Relata nivellieren.

99
Ausführlichere Erläuterungen zu dieser Passage aus der Kritik der Urteilskraft finden sich in:
Maxi Berger. „Leben und leben lassen oder von der Amoralität teleologischer Urteile.“ In He-
gel-Jahrbuch 2007, hrsg. v. Andreas Arndt, 356–362. Berlin, 2007.
100
I. Kant. Kritik der Urteilskraft, 301.
101
I. Kant. Kritik der reinen Vernunft, B 197.
Teleologie 85

„Aber die Zweckbeziehung ist darum nicht ein reflectirendes Urtheilen, das die äusserli-
chen Objecte nur nach einer Einheit betrachtet, als ob ein Verstand sie zum Behuf unsers
Erkenntnißvermögens gegeben hätte, sondern sie ist das an und fürsichseyende Wahre, das
objectiv urtheilt, und die äusserliche Objectivität absolut bestimmt. Die Zweckbeziehung
ist dadurch mehr als Urtheil; sie ist der Schluß des selbständigen freyen Begriffs, der sich
durch die Objectivität mit sich selbst zusammenschließt.“102

Indem Hegel die spezifische Differenz in den Begriff dieser Differenz überführt,
sind auch die Zeitreihen nur noch funktional unterschieden, oder, wo es der begriff-
lichen Entwicklung zu Gute kommt, auch gar nicht. Das Modell, welches der Teleo-
logie Hegels zugrunde liegt und dem Anspruch des in sich geschlossenen Begriffs
entspricht, ist deshalb nicht die Kultur, sondern das System der Logik selbst, weil
hier die Äußerlichkeit des Verhältnisses von Zweck und Objektivität nicht durch die
Selbständigkeit der jeweils korrespondierenden Gegenstandsbereiche begründet ist,
sondern durch die Notwendigkeit, die Begriffe voneinander zu unterscheiden. Die
Differenz ist somit eine systematische Funktion und das Verhältnis reflexiv.
Dadurch bleibt der „Progreß der Vermittlung“ als rein logischer Schluß auch un-
scharf. Es wird nicht offenbart, daß der Teleologie die Mittel ihrer Realisierung
nicht nur in der Logik gegeben sind, sondern auch geschichtlich. Wird die so trans-
portierte spezifische Differenz einmal zugestanden, wirkt sie bedingend auf die Te-
leologie zurück und die Bedingungen, unter denen der Zweck realisiert wird, müs-
sen in die Reflexion einbezogen werden. Wenn aber diese Bedingungen auch das
Resultat eines zivilisatorischen Entwicklungsprozesses sind, dann ist nicht nur der
Begriff der Objektivität als Bedingung in den Vermittlungsprozeß mit einzubezie-
hen, sondern der geschichtliche Prozeß selbst.103 D. h. erstens, daß die Objektivität,
in der Zwecke realisiert werden sollen, nicht an sich vernünftig ist, und zweitens,
daß deshalb das Gelingen der Selbstbestimmung nicht garantiert ist, sondern we-
sentlich von den Bedingungen abhängt, unter denen sie sich realisiert.

102
Hegel. Lehre vom Begriff, 159.
103
Ein Modell dafür liefert der kapitalistische Produktionsprozeß: „Man hat gesehen, wie Geld in Ka-
pital verwandelt, durch Kapital Mehrwert und aus Mehrwert mehr Kapital gemacht wird. Indes
setzt die Akkumulation des Kapitals den Mehrwert, der Mehrwert die kapitalistische Produktion,
diese aber das Vorhandensein größerer Massen von Kapital und Arbeitskraft in den Händen von
Warenproduzenten voraus. Diese ganze Bewegung scheint sich also in einem fehlerhaften Kreis-
lauf herumzudrehn, aus dem wir nur hinauskommen, indem wir eine der kapitalistischen Ak-
kumulation vorausgehende ‚ursprüngliche‘ Akkumulation […] unterstellen, eine Akkumulation,
welche nicht das Resultat der kapitalistischen Produktionsweise ist, sondern ihr Ausgangspunkt.“
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 741. Auf die reflexive Struktur der
kapitalistischen Produktionsweise verweisen auch Hans-Jürgen Krahl. „Bemerkungen zum Ver-
hältnis von Kapital und Hegelscher Wesenslogik.“ In Aktualität und Folgen der Philosophie He-
gels, hrsg. v. Negt Oskar, 141–154. Frankfurt a. M., 1971; Frank Kuhne. Begriff und Zitat, 82 ff.
86 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

2.4 Resultate: Grenzen des Teleologiebegriffs


Kant hatte mit der 3. Antinomie gezeigt, daß der Ursprung der irreflexiven Bewegung
aus dem Regreß nicht bruchlos zu ermitteln ist, sondern in dem Vermögen der Subjekte,
auf diese erste Ursache spekulativ schließen zu können, gegen den Regreß selbständig
bleibt. Dieses Vermögen ist die Freiheit im negativen Verstande. Sie ist von der Natur
als spekulativem Totalitätsbegriff der Vernunft absolut unterschieden, nicht ihrer Mate-
rie nach, denn auch die Freiheit kann sich nur in der kategorial verfaßten Natur verwirk-
lichen, aber ihrer Ursache nach: Freiheit ist die nicht kategoriale Ursache von Erschei-
nungen. Als Nicht-Kategorie ist sie ein Vernunft- und kein Verstandesbegriff. Die
Differenz zwischen Natur und Freiheit ist die Bedingung dafür, daß die Erkenntnisrelati-
on nicht tautologisch ist. Die Naturursache ist aber ebensowenig positiv bestimmbar wie
die Freiheit im negativen Verstande, wie am Begriff des Ding an sich (S. 43 ff.) und der
Urteilskraft (S. 80 ff.) gezeigt wurde. Wenn aber die Differenz beider nicht bestimmbar
ist, dann sind sie ununterschieden. Hegel zieht daraus seine Schlüsse, so daß bei ihm die
teleologische Bewegung im Resultat der Entwicklung als in sich geschlossen erscheint.
Die reflexive Bewegung des sich bestimmenden Zwecks ist mit der irreflexiven Bewe-
gung des unendlichen Regresses der Mittel im ausgeführten Zweck, der Mittel ist, und
dem Mittel, das ebenso ausgeführter Zweck ist, zusammengegangen.
Als Subjekt der Selbstbestimmung ist der Zweck bei Hegel nicht nur der Bestim-
mungs-, sondern mit der Argumentation der Teleologie auch der Existenzgrund der te-
leologischen Bewegung. Das Objekt ist dagegen Mittel und ausgeführter Zweck. Das,
was bei Kant die unbekannte Ursache der Erscheinungen war, wird bei Hegel zur Kon-
struktion der Logik. Hegel vermittelt die kantische Aporie durch den Verweis auf Arbeit:
Die unbekannte Ursache der Erscheinungen kann erkannt werden, wenn und weil in der
Welt Arbeit realisiert worden ist: praktische Arbeit oder auch Erkenntnisarbeit. Umge-
kehrt zeigt Hegel, wie sich der Begriff durch Arbeit an einem Material vergegenständ-
licht. Einerseits deutet Hegel damit an, daß die Lösung der erkenntnistheoretischen Pro-
bleme praktisch ist. Sie verweisen damit auf etwas, das nicht ausschließlich
erkenntnistheoretisch zu lösen ist. Indem Hegel aber das Material dieser Arbeit, den aus-
zuführenden Begriff der Wissenschaft der Logik, mit dem Zweck, dem ausgeführten Be-
griff der Wissenschaft der Logik, zusammenschließt, wird die praktische Arbeit erkennt-
nistheoretisch bestimmt und eingeholt und die Bewegung somit reflexiv.
Bedingung der Möglichkeit dafür, die Kompatibilität der endlichen Bewegung, wie
sie sich im unendlichen Regreß des Setzens der Mittel realisiert, und der reflexiven Be-
wegung des subjektiven Zwecks zu sich im ausgeführten Zweck zu erschließen, ist die
Tilgung der in der Differenz liegenden Eigenart einerseits der Reflexion, die sich selbst
bestimmt, und andererseits der Objektivität, die Inhalt des subjektiven Zwecks ist, aber
ebenso als Stoffursache die Bedingungen der Realisierung des subjektiven Zwecks vor-
gibt, und darin auch gegen den Zweck selbständig bleibt: Die Teleologie bliebe sowohl
von einer endlichen Bedingung abhängig, wenn das Subjekt endlich und willensbegabt
Resultate: Grenzen des Teleologiebegriffs 87

bestimmt, als auch, wenn die Objektivität materiell bestimmt wäre. Die beiden Funktio-
nen der Objektivität, causa formalis und causa materialis zu sein, werden auch in der
Logik ihrer Funktion nach unterschieden, aber nicht ihrem Gegenstandsbereich nach,
mit der durchaus gewollten Konsequenz, daß das Mittel und der ausgeführte Zweck un-
unterscheidbar werden, so daß Hegel sie in den Begriff der Idee transferieren kann. Die-
sen Schluß der prinzipiellen Übereinstimmung der Begriffe hatte Hegel in der Lehre
vom Sein, der Lehre vom Wesen bzw. den Passagen zum Schluß, Mechanismus und Che-
mismus bereits vorbereitet. In der Teleologie war deshalb nicht (mehr) die Vermittlung
von Einzelobjekten mit dem Begriff Gegenstand, sondern die Vermittlung der Relatio-
nen von Gegenstandsbereichen. Auf diese Weise beansprucht Hegel gezeigt zu haben,
daß die Objektivität keine Bedingungen hat, die nicht durch und im Begriff vollständig
reproduzierbar wären. Außerhalb der Idee gibt es nichts Wesentliches; sie ist der Begriff
des in sich abgeschlossenen und entwickelten logischen Systems.
„Indem sich aber das Resultat ergeben hat, daß die Idee die Einheit des Begriffs und der Objec-
tivität, das Wahre, ist, so ist sie nicht nur als ein Z i e l zu betrachten, dem sich anzunähern sey,
das aber selbst immer eine Art von J e n s e i t s bleibe, sondern daß alles Wirkliche nur insofern
i s t , als es die Idee in sich hat und sie ausdrückt. Der Gegenstand, die objective und subjective
Welt überhaupt s o ll e n mit der Idee nicht bloß c o n gr u i r e n , sondern sie sind selbst die Con-
gruenz des Begriffs und der Realität; diejenige Realität, welche dem Begriff nicht entspricht,
ist blosse E r s c h e i nu n g , das Subjective, Zufällige, Willkührliche, das nicht die Wahrheit
ist.“104

Obgleich diese in sich geschlossene Bewegung der Idee noch die Notwendigkeit der
Differenz der Momente reflektiert und damit behauptet wird, sie als Funktion in die Idee
integriert zu haben, erweist die Kritik an dieser Argumentation Hegels einen unreflek-
tierten Rest, der dem Systemanspruch nicht subsumierbar ist und ihm damit zugleich be-
dingend unterstellt bleibt: der Wille und die geschichtlich ausgeübte Gewalt, ohne die
nicht einmal die Äquivokationen im Mittel erklärbar wären. Dies drückt sich negativ
darin aus, daß Mittel und Zweck funktionale Bestimmungen sind, die gegen den Gehalt
der Begriffe, deren Funktionen sie bezeichnen, gleichgültig sind. Aus dieser Gleichgül-
tigkeit resultieren Abstraktionen, Mehrdeutigkeiten im Begriff oder es werden Übergän-
ge als notwendig behauptet, die unbewiesen bleiben. Das gilt für das teleologische Ver-
hältnis von Subjektivität und Objektivität ebenso, wie für den Begriff des Mittels, der
sich zum Subjekt und dessen Arbeitsbedingungen ebenso uneindeutig verhält wie zur
Natur als ursprünglichem Reproduktionsmittel.
Hegel konnte zwar zeigen, daß der subjektive Zweck überhaupt einer Differenz zur
Objektivität bedarf, weil er andernfalls leer und unbestimmt bliebe. Diese Differenz, die
durch den Schluß der Negation der Negation des Zweckbegriffs begründet wird, bleibt
aber uneindeutig gegen den Objektbegriff, der als Inhalt des Zweckbegriffs und als Stof-
fursache zwei unterschiedene Funktionen erfüllen muß, ohne daß der Differenz in den
Funktionen eine gegenständliche Differenz entspräche. Der Teleologiebegriff Hegels hat
sein Gegenmodell in den praktischen Erfahrungen der Menschen, die sich von je her an
104
Hegel. Lehre vom Begriff, 174.
88 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

Gegenständlichem abgearbeitet haben, das sie als Stoffursache vorgefunden haben. In


der Praxis sind die Objekte substantiell bestimmt, d. h. sie sind keine Totalität, sondern
Einzeldinge, und keine reinen Begriffe, sondern materielle Grundlage zweckgerichteter
Tätigkeit.
Der Begriff des Mittels steht zwischen dem subjektiven und dem objektiven Zweck.
Die Relation auf den subjektiven Zweck ist hierarchisch bestimmt: Das Mittel ist einer-
seits Objekt oder Werkzeug und andererseits zweckgerichtete Tätigkeit. Es wird als
Funktion des subjektiven Zwecks durch den subjektiven Zweck erschlossen, unter des-
sen Hoheit es deshalb auch wirkt. Das Mittel soll einerseits die Selbständigkeit des sub-
jektiven Zwecks gegenüber der Objektivität gewährleisten; während es andererseits ge-
genüber der Objektivität als das formende Prinzip auftritt. Indem es durch diese
Bestimmungen zugleich den Mangel des subjektiven Zwecks behebt, noch nicht reali-
siert zu sein, ist es dem subjektiven Zweck nicht nur subsumiert, sondern vollkommener
als dieser, weil es sowohl zweckmäßig als auch objektiv ist. Der subjektive Zweck soll
also logisch vorrangig sein, das Mittel als Realisation des Zwecks hat den ontologischen
Vorrang. Weil aber das Mittel nicht materiell, sondern selbst nur als Schlußform be-
stimmt ist, ist seine ontologische Vollkommenheit in der Tat nur eine logische Vollkom-
menheit. Eine Hierarchie zwischen zwei Gleichartigen, dem subjektiven Zweck, der lo-
gisch bestimmt ist, und dem Mittel, das von dieser logischen Bestimmung des Zweckes
nicht unterscheidbar ist, ist nicht aufrechtzuerhalten.
Analog ist das Verhältnis von Mittel und ausgeführtem Zweck zu beurteilen. Hier ist
die Zuordnung der Funktionen zur Objektivität nicht nur unfreiwillig uneindeutig, son-
dern wird selbst zur Funktion: Indem Hegel zeigt, daß Mittel und ausgeführter Zweck
ihrem substantiellen Gehalt nach dasselbe sind, nämlich Schlußformen, schafft er die
Voraussetzung dafür, daß die Einheit von Subjektivität und Objektivität in der Idee her-
gestellt werden kann.
Schließlich irritiert auch die doppelte Bestimmung des Mittels als Werkzeug und
zweckgerichtete Tätigkeit. Es muß gegensätzliche Anforderungen erfüllen, indem es den
subjektiven Zweck sowohl aneignen können muß, damit es gemäß seinem Inhalt auf die
Objektivität einwirken kann; gleichzeitig muß es gegen diesen ebenso selbständig sein,
damit der subjektive Zweck während des Vermittlungsprozesses als absolut Selbständi-
ges unangetastet bleibt. Diese Anforderung können aber Werkzeug und zweckgerichtete
Tätigkeit allein nicht erfüllen, sondern das kann nur ein Mittel, das die zweckgerichtete
Tätigkeit selbständig initiiert. Es muß den Entschluß, dem subjektiven Zweck gemäß tä-
tig zu werden, selbst fällen und gegen diesen gleichzeitig substantiell, z. B. als körperli-
ches Wesen, eigenständig sein: Diesen Bestimmungen entspricht die Arbeitskraft, die
aber in der Wissenschaft der Logik keine Erwähnung findet, weil sie keine ableitbare
Kategorie, sondern dem Arbeitsprozeß empirisch unterstellt ist. Hegels Idee schwebt
hingegen über der Welt und ist doch zugleich durch sie bestimmt.
Teleologie ist immanent nicht nur auf den Begriff des Gegenstandes verwiesen, son-
dern vielmehr auf den historisch vorgefundenen und durch die Einzelwissenschaften
konstituierten Gegenstand dieses Begriffs. Ohne diesen Gegenstand mitzudenken, bleibt
Resultate: Grenzen des Teleologiebegriffs 89

die Konstruktion der logischen Begriffe an den benannten Stellen mysteriös, weil sie
zwar zitiert, aber nicht abgeleitet sind. Subjekte, Objekte und Herrschaft erweisen sich
darin als konstitutiv für die philosophischen Erfahrungen, auch wenn sie diese nicht de-
terminieren. Sie sind der Rest, der im Begriff der Teleologie nicht aufgeht.
Kritisch gegen Hegel gewendet hat der Teleologiebegriff andere Implikationen: Hegel
hatte behauptet, daß sich der Zweck in der teleologischen Bewegung selbst bestimmt,
weil er in allen Stadien des Prozesses mit sich identisch bleibt. Das Arbeitsmittel ist
ebenso Ausdruck seiner Selbstbestimmung wie der ausgeführte Zweck, weil diese nicht
nur vom subjektiven Zweck unterschieden sind, sondern weil sie Mittel seiner Realisie-
rung sind.
In die teleologische Bewegung geht die Erfahrung des herrschaftlich organisierten
Arbeitsprozesses ein, in dem der subjektive Zweck weder mit sich identisch bleibt, noch
selbstbestimmt ist. Aristoteles hatte die Sklaverei als ökonomische Bedingung der Muße
und des tugendhaften Lebens bestimmt. Das bedeutet, daß die Sklaven ein Mehrprodukt
produzieren, von dem nicht nur sie, sondern auch ihr Herr leben kann. Dieses Produkt
gehört ihnen nicht, so wenig wie ihr Wille selbstbestimmt ist. Sie führen das Kommando
ihres Herren aus. Der Herr hat hingegen zwei Zwecke: Erstens den technisch-prakti-
schen Zweck, über das Mehrprodukt der Sklaven verfügen zu können und Herrscher zu
sein, zweitens den, auf der Grundlage des Mehrprodukts ein müßiges Leben führen zu
können. Nur indem er herrscht und herrschen will, verfügt er über die ökonomischen
Bedingungen, auf deren Grundlage er ein tugendhaftes Leben führen kann.
Aber selbst in einem herrschaftsfrei und gesellschaftlich organisierten Arbeitsprozeß
sind technisch-praktische von selbstbestimmten Zwecken noch zu unterscheiden, denn
die produktive, im weitesten Sinne der Reproduktion dienende Arbeit hat ihren Zweck
in der Naturbearbeitung, so daß ihr Zweck durch die Bedürfnisse bestimmt wird und die
Bearbeitung durch die Gegebenheiten der Natur als Material der Bearbeitung. Hier ist
Arbeit in beiden Fällen Ausdruck von Fremdbestimmung, nicht von Selbstbestimmung.
Es ist deshalb umgekehrt auch kein Zufall, daß der konsequent durchgeführte Begriff
von Selbstbestimmung in der Wissenschaft der Logik sich nur auf sich selbst bezieht.
Zwar kann Hegel den Begriff absoluter Selbstbestimmung nicht bestimmen, ohne die
Verlaufsform und Konstituentien praktischer Arbeit wenigstens indirekt heranzuziehen.
Das bedeutet aber umgekehrt nicht, daß absolute Selbstbestimmung historische Realität
hätte. Darin liegt sowohl ihre kritische Potenz gegenüber der Praxis, als auch ihr mysti-
fizierendes Moment.
Die Kritik an Hegel hatte ergeben, daß der Begriff der Selbstbestimmung des Begriffs
gegen seinen eigenen Absolutheitsanspruch mit dem individuellen Willen, dem techni-
schen Stand der Produktivkräfte und der geschichtlich schon als Arbeitsprodukt vorge-
fundenen Natur auf Bedingungen verwiesen bleibt, die er nicht einzuholen vermag. Das
bedeutet, daß die Selbstbestimmung auf die Erfahrung der herrschaftlich organisierten
Arbeit verwiesen bleibt, die umgekehrt auf den Begriff der Wissenschaft der Logik zu-
rückwirkt. In der Kritik der Teleologie erweist sich die absolute Selbstbestimmung im
Kern als ein endlicher Begriff, der den Anspruch auf Selbstbestimmung nur vermittelt
90 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

über die Fremdbestimmung realisieren kann, ohne daß diese Fremdbestimmung wie He-
gel behauptet, in der Bewegung aufgehoben werden könnte. Was passiert aber mit dem
Anspruch auf absolute Selbstbestimmung, wenn sie sich als bedingt erweist, wenn die
Teleologie nicht ohne die Erfahrungen fremdbestimmter Arbeit denkbar ist?
Indem sich der Zweck im Mittel setzt und das Mittel stellvertretend die Arbeit an der
Objektivität verrichten läßt, spaltet der Zweck sich in das fürsichseiende Moment des
subjektiven Zwecks, in dem er den Inhalt des zweckmäßigen Prozesses für sich be-
stimmt, und in ein ansichseiendes Moment, in dem er wirkt. Obwohl Hegel durch die
Trennung von subjektivem Zweck und Arbeitsmittel gewährleisten will, daß der subjek-
tive Zweck sich rein erhalten kann, wirkt diese Spaltung des Zwecks auf dessen Inhalt
zurück: Die Realisierung des Fürsichseins des subjektiven Zwecks ist von etwas ande-
rem abhängig, sie ist durch das Mittel und die erfolgreiche Naturbearbeitung bedingt.
Vor der adäquaten Realisierung im ausgeführten Zweck ist der subjektive Zweck damit
mangelhaft und dadurch endlich. Inhalt des subjektiven Zwecks ist zwar zunächst seine
Selbstbestimmung, aber damit er sich realisieren kann, muß er die Verfügung über Ar-
beitsmittel bezwecken, d. h. die Verfügung über Produktionsmittel und Arbeitskraft. Da-
mit ist ihm aber nicht seine Realisierung der Zweck, sondern die Mittel dazu: Das eine
Mittel ist die Bearbeitung des Stoffes, in dem er sich realisiert, der eben nicht an sich
zweckmäßig, sondern zweckfrei, mitunter sogar zweckwidrig ist. Das zeigt sich späte-
stens, wenn das Artefakt mißlingt, wenn der Tisch zusammenbricht o. ä. Das andere
Mittel ist die Arbeitskraft, welche sich deshalb statt seiner an der Natur abarbeitet. Der
eine Zweck absoluter Selbstbestimmung zerfällt in eine Vielzahl endlicher und tech-
nisch praktischer Zwecke, die rein begrifflich kaum zu bändigen sind. Die Realisierung
des autonomen Zwecks der absoluten Selbstbestimmung ist nur vermittelt über die tech-
nisch-praktischen Zwecke denkbar – logisch, weil er sonst bestimmungslos bliebe, onto-
logisch, weil die Objekte den Zwecken gemäß geformt werden müssen, wenn sich die
Zwecke darin realisieren können sollen. Die Realisierung der technisch-praktischen
Zwecke ist aber nicht in gleicher Weise von der Realisierung des absoluten Zwecks ab-
hängig wie umgekehrt. Das bedeutet, daß der selbstbestimmte Zweck vor seiner Reali-
sierung in der Objektivität utopisch ist, gleichzeitig aber Selbstbestimmung nicht abso-
lut, sondern nur partiell zu verwirklichen ist, in einzelnen Handlungen oder
organisatorischen Zusammenhängen. Diese Konsequenz läßt vom Prinzip der Teleologie
nur den in sich brüchigen Begriff absoluter Selbstbestimmung der Unterordnung der
Mittel unter den Zweck.
Vom Standpunkt der Wissenschaft der Logik und dem Begriff absoluter Selbstbestim-
mung ist es irrelevant, ob mit dem Arbeitsmittel über Boden, Werkzeuge oder Subjekte
verfügt wird, deren Arbeitskraft ausgenutzt wird. Die von Hegel provozierte Verwechs-
lung der Gegenstandsbereiche ist im Falle der Degradierung von Menschen zu Mitteln
der Herrschaft des subjektiven Zwecks das Gegenteil von Selbstbestimmung: Sie ist un-
moralisch. Sie wären als Zweck an sich selbst zu behandeln. Ein adäquater Begriff von
Selbstbestimmung müßte diese Inadäquanz reflektieren, die darin liegt, daß Selbstbe-
stimmung noch in ihrem absoluten Anspruch auf Bedingungen verwiesen ist, die in den
Resultate: Grenzen des Teleologiebegriffs 91

Begriff von Selbstbestimmung nicht aufgehoben werden und können und daher als Be-
dingungen der Selbstbestimmungen zu berücksichtigen sind. In der Praxis sind den
Funktionen Zweck und Mittel eindeutig die Objekte bzw. Subjekte zugeordnet. Aber ge-
rade die sichere, weil detaillierte Unterscheidung kann das kategoriale Prinzip Hegels
aus sich heraus nicht leisten.
Umgekehrt wird Selbstbestimmung erst durch die Spaltung des Zweckbegriffs in au-
tonome und heteronome Zwecke zum Maßstab der Kritik, weil in der Dualität der
Zwecke erst den vernunftbegabten Sinnenwesen Rechnung getragen wird, indem sie als
Subjekte der Selbstbestimmung in die Reflexion einbezogen werden. Das Prinzip der
Koordination von selbstbestimmten und technisch-praktischen Zwecken kann weder aus
einem reinen Prinzip wie der Teleologie abgeleitet werden, weil dieses interesselos ist,
noch kann es bloß mechanistisch erklärt werden, weil es zur Selbstbestimmung der Frei-
heit des Willens bedarf. Nur ein vernunft- und willenbegabtes Sinnenwesen, das beide
Zwecke in sich vereinigt, kann sich entschließen, sie zu koordinieren. Die Koordination
selbstbestimmter und fremdbestimmter Inhalte findet in den geschichtlichen Taten von
Individuen statt; es ist dies ihre Arbeit. In der Sphäre der äußeren Zweckmäßigkeit der
Wissenschaft der Logik mündet die Vermittlung des Mittels in den unendlichen Regreß,
dessen Immaterialität die Voraussetzung darstellt, die irreflexive Bewegung des Regres-
ses in die reflexive Bewegung innerer Zweckmäßigkeit zu überführen. Wird aber der
unendliche Progreß der Mittel als Geschichte der Vermittlung von emanzipativen und
regressiven Zwecken vorgestellt, dann geht er nicht in die innere Zweckmäßigkeit der
Idee über, sondern stellt die arbiträre Bedingung der Realisierung der Selbstbestimmung
dar: die Geschichte der Akkumulation von Wissen und Produktionsmitteln, auf deren
Grundlage eine selbstbestimmte Gesellschaft überhaupt erst etabliert werden kann.
Die Einheit von Subjektivität und Natur ist nicht einmal im Element der Wissenschaft
der Logik rein zu denken, weil die Widersprüche, die mit der Logik vermittelt werden
sollten, erneut aufbrechen. Negativ verweist das immer wieder auf Bedingungen des Sy-
stems, die diesem transzendent bleiben. Die Erde als ursprüngliches Produktionsmittel
und als Arbeitsgegenstand läßt sich ebensowenig aus dem Begriff herleiten wie die Sub-
jekte, die herrschen oder beherrscht werden. Sie sind jedem zweckgerichteten Prozeß
vorausgesetzt. Darin, daß Hegel diese Voraussetzungen gegen die historischen Tatsachen
in den Begriff zu integrieren versucht, erweist sich seine Argumentation selbst als teleo-
logisch, weil sie willentlich von den Gegenständen abstrahiert, über die in letzter Instanz
verhandelt wird. Die Durchführung des Programms der Logik bedarf selbst des Ent-
schlusses zu diesem Umgang mit den Gegenständen. Gegen den Entschluß aus dem An-
fang der Wissenschaft, die Logik als ursprünglich und unabhängig vom Willen und
Selbstbewußtsein der Phänomenologie zu betrachten (s. S. 51 dieser Arbeit), ist dem
Programm der Logik damit insgesamt ein subjektiver Wille unterstellt, der der Durch-
führung des Programms schon vorausgesetzt ist und nicht abgeleitet werden kann. Auch
hier erweist sich also das Subjekt als konstitutiv und der Begriff der absoluten Selbstbe-
stimmung als endlicher Begriff.
92 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

2.5 Der Tod des Individuums: Leben als unmittelbare Idee


„[M]an spricht heutigentages übrigens gerade da am meisten vom Leben und vom Übergehen
ins Leben, wo man in dem totesten Stoffe und in den totesten Gedanken versiert […]“105
„Einzig das ganz bewußt gemachte Grauen vor der Vernichtung setzt das rechte Verhältnis zu
den Toten [...]“106

Hegel verortet den Gegenstandsbereich der Wissenschaft der Logik jenseits der Welt, als
Gedanke Gottes vor deren Erschaffung. Damit wäre die Darstellung dieses Gedankens
autonom. Als reiner Gedanke bliebe er aber leer, so daß auch er die Negation der Nega-
tion und mit ihr sein Anderes, seinen Gegenstand in sich trägt. Ein dieser Konstellation
adäquater Gegenstand muß deshalb einerseits selbst autonom bestimmt, andererseits
aber auch vom reinen Gedanken unterschieden sein. Damit unterscheidet sich der Be-
griff in der Wissenschaft der Logik von sich und nimmt die Gestalt der jeweils verhan-
delten Kategorien – Subjekt, Objekt, Teleologie, Idee – an. Diese Begriffe sind ihrerseits
nicht leer, sondern adaptieren geistesgeschichtlich bestimmte Gehalte. Der Begriff des
Gegenstandes ist von diesen philosophiegeschichtlichen Gehalten noch unterschieden,
die geistesgeschichtlich bestimmten Gehalte sind das Problem, dessen Lösung der Be-
griff des Gegenstandes darstellen soll. Deshalb stellen die philosophiegeschichtlich un-
gelösten Probleme den Gehalt der Wissenschaft der Logik dar.
Vor diesem Hintergrund läßt sich das Programm der Logik auch als der Versuch cha-
rakterisieren, Ontologie, Metaphysik und formelle Logik miteinander zu vermitteln,107
und damit gleichzeitig zu zeigen, wie die äußere Zweckmäßigkeit, die ihr Vorbild am
Arbeitsprozeß hat, in die innere Zweckmäßigkeit, die ihr Vorbild am Leben hat, über-
geht.
Die erste Bedingung für dieses Programm ist die Identifikation der metaphysischen
und der subjektiven Begründungslinie: Nicht das „Ich denke“, sondern der Begriff wird
zum treibenden Subjekt der Entwicklung erklärt. Die ontologische Begründungslinie der
Logik leistet den Nachweis, daß die Objektivität als begriffslose Materialität undenkbar
ist, ohne deshalb aber umgekehrt unmittelbar mit dem Begriff identisch zu sein; sie ist
die Substanz der Bewegung, und daß ihre Wahrheit im Begriff liegt, ist erst nachzuwei-
sen. Diese Begründung ist aber insofern einseitig, als mit ihr nur die Objektivität be-
stimmt ist, nicht aber deren Existenzgrund. Ohne die Erkenntnis und begriffliche Repro-
duktion des Existenzgrundes wird die Wirklichkeit gespalten in ihren Begriff einerseits
und andererseits dessen ontologisches Korrelat, das jenseits und unabhängig vom Be-
105
Hegel. Grundlinien, § 211 Anmerkung.
106
Theodor W. Adorno u. Max Horkheimer. Dialektik der Aufklärung, 243.
107
Vgl. auch Herbert Marcuse: „Die traditionelle Unterscheidung zwischen formaler Logik und all-
gemeiner Metaphysik (Ontologie) wird für den transzendentalen Idealismus gegenstandslos, der
die Formen des Seins als die Resultate der Tätigkeit des menschlichen Verstandes begreift. Die
Prinzipien des Denkens werden dadurch zugleich zu Prinzipien der Gegenstände des Denkens (der
Erscheinungen).“ Vernunft und Revolution. Hegel und die Entstehung der Gesellschaftstheorie.
Bd. 13. Neuwied [u. a.], 1968, 66. Ebenso Manfred Riedel. Theorie und Praxis im Denken Hegels,
9 ff.
Der Tod des Individuums: Leben als unmittelbare Idee 93

griff existiert. Die Relation von Begriff und Gegenstand wäre so nur in einer Hinsicht
wahr, in einer anderen bliebe sie aber unbestimmt.108 Das käme einem Rückfall in die
kantischen Antinomien und die Dichotomie von Objekt und Ding an sich gleich. Daher
muß Hegel durch die metaphysisch-praktische Begründung außerdem zeigen, daß der
Bestimmungsgrund auch der Existenzgrund ist. D. h. daß im Begriff die Wahrheit der
Objektivität nicht nur erkannt wird, sondern die Objektivität auch aus dem Begriff her-
vorgebracht wird. Existenzgrund eines Objektes ist somit nicht seine naturkausale Ursa-
che sondern der Begriff. Mit dieser Bestimmung wäre der Begriff in der Idee absolut auf
sich selbst bezogen – der von Hegel angekündigte Gottesgedanke.109
Entsprechend erstreckt sich die Vermittlung von Ontologie, Metaphysik und Logik
über die gesamte Wissenschaft der Logik, so daß in der Teleologie der subjektive Zweck
die Objektivität als Voraussetzung seiner Tätigkeit vorfindet, weil aber deren abgehan-
delte Gestalten bereits Funktionen geworden sind, findet er sich auf ewig in dieser bestä-
tigt. Mit dieser Idee soll dann im Sinne der Logik eine qualitativ neue Stufe erreicht sein
– eine, in der die Wahrheit im Begriff der Idee zu sich selbst gekommen ist und sich als
Begriff des Lebens, Erkennens und selbstbestimmten Handelns reflektiert.
Mit Hegel drückt sich die darin liegende Selbständigkeit des Begriffs gegenüber den
zitierten Gegenstandsbereichen darin aus, daß der Begriff der Einheit von Begriff und
Objektivität innerhalb der Wissenschaft der Logik noch formell bleibt. Zwar hat die logi-
sche Bewegung die Vermittlung der Begriffe von Subjektivität und Objektivität zum Ge-
genstand. Sie ist also keine methodische Wissenschaft, sondern eine, die auf einen Ge-
genstand immanent bezogen ist. Umgekehrt ist aber die Logik auch keine
Einzelwissenschaft. Die Entwicklung des Begriffs findet nicht in besonderen Gegen-
standsbereichen statt, sondern innerhalb des Begriffs dieser Gegenstandsbereiche – der
Objektivität. Im Resultat der Wissenschaft der Logik, der Idee, ist dem Programm nach
die Einheit von Begriff und Objektivität hergeleitet worden. Diese Einheit ist der „härte-
ste Gegensatz“ , weil die beiden Elemente der Erkenntnis darin ebenso erhalten bleiben.
„Die I d e n t i t ä t der Idee mit sich selbst ist eins mit dem P ro c e s s e , der Gedanke, der die
Wirklichkeit von dem Scheine der zwecklosen Veränderlichkeit befreyt und zur I d e e verklärt
[sic! M. B.], muß diese Wahrheit der Wirklichkeit nicht als die todte Ruhe, als ein blosses
B i l d , matt, ohne Trieb und Bewegung, als einen Genius oder Zahl oder einen abstracten Ge-
danken vorstellen; die Idee hat um der Freyheit willen, die der Begriff in ihr erreicht, auch den
h ä r t e s t e n G e g e n s a t z in sich; ihre Ruhe besteht in der Sicherheit und Gewißheit, womit sie
ihn ewig erzeugt und ewig überwindet und in ihm mit sich selbst zusammengeht.“110

108
„Wenn die G e d a n k e n etwas bloß s u b j e c t i v e s und zufälliges sind, so haben sie allerdings kei-
nen weitern Werth, aber sie stehen den zeitlichen und zufälligen Wi r k l i c h k e i t e n darin nicht
nach, welche ebenfalls keinen weitern Werth als den von Zufälligkeiten und Erscheinungen haben.
Wenn dagegen umgekehrt die Idee darum den Werth der Wahrheit nicht haben soll, weil sie in An-
sehung der Erscheinungen t r a n s c e n d en t , weil ihr kein congruirender Gegenstand in der Sinnen-
welt gegeben werden könne, so ist diß ein sonderbarer Mißverstand, indem der Idee deßwegen ob-
jective Gültigkeit abgesprochen wird, weil ihr dasjenige fehle, was die Erscheinung, das u n wa h -
r e S e yn der objectiven Welt, ausmacht.“ Hegel. Lehre vom Begriff, 74.
109
Vgl. Hegel. Lehre vom Begriff, 20.
110
Ebd., 177.
94 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

Aus dem Trieb, diesen härtesten Gegensatz zu vermitteln, oder ihn, wie Hegel sagt, zur
Idee zu verklären, bringt die logische Idee dann ihre Gegenstände mit dem Übergang
von der Wissenschaft der Logik zur Naturphilosophie und Philosophie des Geistes als re-
elle Gegenstände, als Natur und Geist hervor und verläßt damit auch das einheimische
Reich des Gedankens.
Vor dem Hintergrund der Kritik am Teleologiebegriff Hegels, wonach der Zweck sei-
ne Bedingungen als Subjekte, Objekte und in der Herrschaft vorfindet, ohne sie restlos
aufheben zu können, bleibt bei der Idee umgekehrt die Frage, inwieweit mit der Ver-
knüpfung der metaphysischen, praktischen und ontologischen Begründung der Idee
auch die darin implizierten Gegenstandsbereiche verknüpft und reproduziert werden:
Naturwissenschaft, Biologie und Geisteswissenschaft. Im Übergang von der Teleologie
zum Leben wird das Problem deshalb eklatant, weil der Gegenstandswechsel hier be-
sonders deutlich wird. Immerhin changiert dieser Übergang zwischen der streng begriff-
lichen Ebene, auf deren Grundlage der ausgeführte Zweck in die innere Zweckmäßig-
keit notwendig übergeht, und der Ebene der implizierten Gegenstandsbereiche, wonach
aus dem Artefakt als Resultat des Arbeitsprozesses der lebendige Organismus hervorge-
hen soll. Hier würde die notwendige Bedingung menschlichen Lebens, die Naturbear-
beitung als Mittel der Reproduktion, anstelle der geschlechtlichen Fortpflanzung zum
hinreichenden Grund des Lebens.
Bei Aristoteles werden die Ursachen der Artefakte von denen des Lebens ontologisch
unterschieden. Die Ursache des Artefakts ist die handwerkliche Tätigkeit, während das
Leben aus anderem Leben entsteht. Dadurch subsistiert der Gattungsprozeß in sich,
nicht aber die handwerkliche Tätigkeit. Über die Ernährung der Menschen stehen beide
Formen der zweckgerichteten Prozesse miteinander in Verbindung, ohne aber dasselbe
zu sein: Die Produktion von Lebens- und Produktionsmitteln ist eine notwendige Bedin-
gung der Reproduktion der lebendigen Individuen, sie ist aber nicht deren hinreichender
Grund. Mithin ist Arbeit eine notwendige Bedingung menschlichen Lebens.
Ähnlich schließt Kant von der Existenz lebendiger Kreaturen auf das Prinzip der re-
flektierenden Urteilskraft, ohne daß die Lebewesen die hinreichenden Gründe der re-
flektierenden Urteilskraft wären: Das Prinzip der Urteilskraft hat seinen Grund in der
Vernunft, die sich zugleich Subjekt und Objekt ihrer Kritik ist. Umgekehrt ist aber die
Urteilskraft auf den Prozeß kultureller Entwicklung verwiesen, weil nur im geschichtli-
chen Prozeß die Angemessenheit der Natur für das Prinzip der reflektierenden Urteils-
kraft hervorgebracht werden kann. Zweckmäßigkeit als Form der Natur kann nur als
spekulativer Begriff gedacht werden, weil er mit der eigentlichen Bestimmung der Natur
durch Kausalität und Wechselwirkung nicht vereinbar ist. Die Realisierung der Zweck-
mäßigkeit findet im kulturellen Prozeß als unendliche historische Annäherung an die re-
gulative Idee statt. Der Begriff der Zweckmäßigkeit ist bei Kant eine Maxime der re-
flektierenden Urteilskraft,111 diejenige Maxime, die Natur als System zu denken, indem
zur Mannigfaltigkeit der Naturgesetze Begriffe gefunden werden. Bei Kant wird also

111
Vgl. Kant. Kritik der Urteilskraft, 262.
Der Tod des Individuums: Leben als unmittelbare Idee 95

vom Leben auf das regulative Prinzip seiner Erklärung und von diesem Prinzip wieder-
um auf den Prozeß der geschichtlichen Annäherung von regulativem Prinzip und Natur
geschlossen. Hegel verkehrt die von Kant vorgegebene Abfolge von Leben, regulativem
Prinzip und Kultur: Nicht weil es Leben gibt, ist auf die Teleologie als bestimmendes
Prinzip zu schließen, sondern weil es zweckmäßig verfaßte Begriffe gibt, kann das Le-
ben überhaupt erst erklärt werden.
Die Komplexität der Aufgabe, die sich in den einleitenden Kapiteln zur Idee stellt, ist
damit umrissen: Sie muß den kategorischen Übergang der äußeren in die innere Zweck-
mäßigkeit einerseits vermitteln, andererseits den darin angelegten ontologischen Über-
gang des Artefakts in das lebendige Individuum. Der Übergang als Übergang des Be-
griffs als letzten Resultats der äußeren Zweckmäßigkeit, des ausgeführten Zwecks, der
zugleich Mittel ist, zu dem ersten Begriff des Ideenkapitels, der Seele, erfolgt ohne Um-
wege, denn systematisch findet zwischen beiden Begriffen weiter keine Entwicklung
statt. Was aber zwischen dem letzten Resultat der Objektivität und dem ersten Begriff
der Idee didaktisch steht, sind wiederum die beiden Einleitungen, einmal zur Idee über-
haupt und dann zum Leben im Besonderen. Innerhalb dieser Einleitungen rechtfertigt
Hegel den Übergang nocheinmal geistesgeschichtlich und programmatisch. Diese Kon-
struktion ist für den Übergang von der Teleologie zur Idee ebenso maßgeblich wie viel-
schichtig; maßgeblich, weil die Abgrenzung gegen die in der Geistesgeschichte vertrete-
nen Gestalten des Lebensbegriffs für einen Begriff konstitutiv sind, dessen Material
diese Kritik darstellt, und vielschichtig, weil darin die drei Argumentationsebenen – der
Logik, der geisteswissenschaftlichen Reflexion und der korrespondierenden Gegen-
standsbereiche – miteinander verwoben sind.
Das logische Argument des Übergangs ist bereits dargestellt worden: Der subjektive
Zweck findet die Objektivität als Voraussetzung seiner Tätigkeit vor und setzt sie als
sein Mittel. Beide sind sich äußerlich und ihre Relation daher endlich. Gleichzeitig wird
aber dadurch die Äußerlichkeit der Objektivität relativ, weil sie vom subjektiven Zweck
als dessen einfache Negation unterschieden ist. Die Objektivität konnte nur als Mittel
gesetzt werden, weil sie vorher schon ein durch einen anderen Zweck gesetztes Produkt
war. Daß die zweckmäßige Relation einzig durch den Zweck bestimmt ist, heißt also,
daß dieser erstens das Subjekt der Entwicklung ist, und zweitens, daß die Objektivität
vollständig durch den Zweck bestimmt wird. Außerhalb dieser Relation ist die Objekti-
vität funktionslos und was keine Funktion hat, ist für den Begriff auch nicht darstellbar.
Das Verhältnis ist als ein dem Begriff immanentes nicht mehr endlich, sondern ur-
sprünglich und reflexiv, der Begriff des sich selbst reproduzierenden Lebens, unmittel-
bare Idee. Aber: Der Begriff des Lebens lebt nicht. Das, was vom Leben bleibt, wenn
man es als logischen Begriff betrachtet, bestimmt Hegel zunächst negativ.
Als unmittelbare Vorstellung stellt das Leben ein unbegreifliches Geheimnis dar: Es
erscheint einerseits als ein objektiv Seiendes, andererseits kann aber dieses Phänomen
als objektiv Seiendes gerade nicht erklären werden, weil der Begriff einer sich selbst or-
ganisierenden und reproduzierenden Materie im Widerspruch zur Bestimmung der Ma-
96 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

terie als passivem Gegenstand der Reflexion und dem Begriff als Form dieser Erkennt-
nis steht.
„Am Leben, an dieser Einheit seines Begriffs in der Aeusserlichkeit der Objectivität, in der ab-
soluten Vielheit der atomistischen Materie, gehen dem Denken, das sich an die Bestimmungen
der Reflexionsverhältnisse und des formalen Begriffes hält, schlechthin alle seine Gedanken
aus; die Allgegenwart des Einfachen in der vielfachen Aeusserlichkeit ist für die Reflexion ein
absoluter Widerspruch, und, insofern sie dieselbe zugleich aus der Wahrnehmung des Lebens
auffassen, hiemit die Wirklichkeit dieser Idee zugeben muß, ein u nb e g r e i f l i c h e s Ge h e i m -
n i ß , weil sie den Begriff nicht erfaßt und den Begriff nicht als die Substanz des Lebens.“112

Die Vermittlung dieses Widerspruchs obliege der Idee. Auch wendet Hegel sich gegen
die Vorstellung, der logische Begriff des Lebens sei psychologisch oder anthropologisch
zu bestimmen. Das Leben als Kategorie der Logik ist ausdrücklich keine Gestalt des er-
scheinenden Geistes oder der Biologie, noch ist es psychologisch oder anthropologisch
bestimmt. Das Leben als biologischer Organismus, als Naturphänomen oder als Subjekt,
welches den Begriff des Lebens betrachtet, sind Gegenstände von Einzelwissenschaften,
der Biologie, der Anthropologie oder der Phänomenologie des Geistes. Das Leben als
unmittelbare Idee ist bestimmt als „die höchste Stuffe, welche von ihrer Aeusserlichkeit
dadurch erreicht wird, daß sie in sich gegangen ist, und sich in Subjectivität aufhebt.“113
Das Leben als Naturphänomen ist dagegen begrenzt und endlich und längst durch den
Begriff negiert und aufgehoben worden, während das Subjekt der Phänomenologie das
Leben entweder als seinen Körper betrachtet – „[...] das Leben als solches also ist für
den Geist theils Mittel, so stellt er es sich gegenüber [...]“114; oder als ein anderes Sub-
jekt, das von ihm unterschieden ist und auf das es sich bezieht, oder es betrachtet das
Leben mit interesselosem Wohlgefallen – als das Ideal der Schönheit.
„Das Leben hat in beyden Fällen, wie es n a t ü r l i c h e s und wie es mit dem Ge i s t e in Bezie-
hung steht, eine B e s t i mm t h e i t s e i n e r Ae u s s e r l i c h k e i t , dort durch seine Vor-
aussetzungen, welches andere Gestaltungen der Natur sind, hier aber durch die Zwecke und
Thätigkeit des Geistes. Die Idee des Lebens für sich, ist frey von jener vorausgesetzten und be-
dingenden Objectivität, so wie von der Beziehung auf diese Subjectivität.“115

In der Wissenschaft der Logik wird das Leben als reiner Begriff betrachtet, in dem das
unbegreifliche Geheimnis, der Widerspruch des Lebens systematisch gelüftet werden
soll. Die Momente der unmittelbaren Idee sind dann aber doch am biologischen Leben
orientiert: Sie durchläuft die Bestimmungen, lebendiges Individuum, Lebensprozeß und
112
Hegel. Lehre vom Begriff, 181. Vgl. auch: „Eben so ist hier auch der Begriff nicht als Actus des
selbstbewußten Verstandes, nicht der s u b j e c t i v e V e r s t a n d zu betrachten, sondern der Begriff
an und für sich, welcher ebensowohl eine S t u f f e d e r N a t u r als des Ge i s t e s ausmacht. Das
Leben oder die organische Natur ist diese Stuffe der Natur, auf welcher der Begriff hervortritt,
aber als blinder, sich selbst nicht fassender, d. h. nicht denkender Begriff; als solcher kommt er nur
dem Geiste zu. Von jener ungeistigen aber sowohl als von dieser geistigen Gestalt des Begriffs ist
seine logische Form unabhängig; es ist hierüber schon in der E i n l e i t u n g die nöthige Vorerinne-
rung gemacht worden; es ist diß eine Bedeutung, welche nicht erst innerhalb der Lo g i k zu recht-
fertigen ist, sondern mit der man vor derselben im Reinen seyn muß.“ Ebd., 20.
113
Ebd., 180.
114
Ebd.
115
Ebd., 181.
Der Tod des Individuums: Leben als unmittelbare Idee 97

Gattungswesen zu sein. Das Leben ist das unmittelbare Mittel und damit sowohl der Re-
flexionsbegriff des Lebens, dessen Modell biologisch ist, andererseits aber auch der Re-
flexionsbegriff, in dem äußere und innere Zweckmäßigkeit auf das telos der absoluten
Idee bezogen sind.
Die Herleitung des begrifflichen Gehalts der unmittelbaren Idee bezieht Hegel wie
dargestellt aus der Kritik an Kant. Aus dieser Kritik folgt die Bestimmung des Lebens-
begriffs als Lösung des Problems der Vermittlung von Natur und Freiheit, Mechanismus
und Teleologie. So entwirft Hegel in der äußeren Zweckmäßigkeit den Schluß der re-
flektierenden Urteilskraft. Über die Kantische Urteilskraft hinaus ist der Schluß Hegels
nicht nur subjektive Maxime oder regulatives Prinzip, sondern konstitutiv, weil er über
die Natur übergreift. Das Leben ist damit der ontologisch selbständige Begriff.
„Der Begriff ist als Zweck allerdings ein o b j e c t i ve s U r t h e i l , worin die eine Bestimmung
das Subject, nämlich der concrete Begriff als durch sich selbst bestimmt, die andere aber nicht
nur ein Prädicat, sondern die äusserliche Objectivität ist. Aber die Zweckbeziehung ist darum
nicht ein r e f l e c t i e r e n d e s Urtheilen, das die äusserlichen Objecte nur nach einer Einheit be-
trachtet, a l s o b ein Verstand sie z u m B e h u f u n s e r e s E r k e n n tn i ßv e r mö g e n s gegeben
hätte, sondern sie ist das an und für sich seyende Wahre, das o b j e c t i v urtheilt und die äusser-
liche Objectivität absolut bestimmt. Die Zweckbeziehung ist dadurch mehr als U r th e i l , sie ist
der S c h l u ß des selbständigen freyen Begriffs, der sich durch die Objectivität mit sich selbst
zusammenschließt.“116

Außerdem erfolgt innerhalb der Einleitungen eine sprachliche Variation des Resultats
der Objektivität: Der ausgeführte Zweck wird zur „Totalität in ihrem Gesetztsein“ 117, zur
unmittelbaren Idee, die Einheit von Begriff und Objektivität ist, zum Begriff, der zu-
gleich Subjekt ist, schließlich Leben und Seele. Die Bestimmung der Identität von Be-
griff und Subjekt, selbst wiederum Bestandteil der Einleitung zum Leben, erfolgt nicht
zum ersten Mal in der Logik, sondern ist vielmehr eine programmatische Voraussetzung,
die der Logik unterstellt ist.118
„Der Begriff, indem er wahrhaft seine Realität erreicht hat, ist diß absolute Urtheil, dessen
S u b j e c t als die sich auf sich beziehende negative Einheit sich von seiner Objectivität unter-
scheidet und das An-und-Fürsichseyn derselben ist, aber wesentlich sich durch sich selbst auf
sie bezieht, daher S e lb s t z w e c k und T r i e b ist; die Objectivität aber hat das Subject eben
darum nicht unmittelbar an ihm, es wäre so nur die in sie verlorne Totalität des Objects als sol-
chen; sondern sie ist die Realisation des Zwecks, eine durch die Thätigkeit des Zweckes g e -
s e t z t e Objectivität, welche als G e s e t z t s e yn ihr Bestehen und ihre Form nur als durchdrun-
gen von ihrem Subject hat.“119

Der Zweck als causa formalis und finalis und das Subjekt als causa efficiens sind onto-
logisch, also im Modell handwerklicher Tätigkeit unterschieden. Der Begriff ist die
Form und der Gegenstand des erkennenden Subjektes, das Subjekt ist aber die spontane
116
Hegel. Lehre vom Begriff, 159.
117
Ebd., 172.
118
Vgl. auch die Einleitung in die Hegel. Lehre vom Begriff: „Der Begriff, insofern er zu einer sol-
chen Existenz gediehen ist, welche selbst frei ist, ist nichts anderes als Ich oder das reine Selbstbe-
wußtsein.“ Ebd., 17.
119
Ebd., 176.
98 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

und willensbegabte Ursache des Begriffs. Beide sind ihrerseits noch auf die causa mate-
rialis verwiesen. Eine systematische Ableitung des Begriffs und seiner Bestimmungs-
momente erfordert aber eine identische Ursache für den Begriff als Resultat der Ent-
wicklung. Daher ist die Identifikation von Begriff und Subjekt die Bedingung der
Möglichkeit dafür, dem Begriff der unmittelbaren Idee als Leben Merkmale zuzuschrei-
ben, die ein Begriff an sich nicht hat, sehr wohl aber lebende Subjekte: Selbstzweck und
Trieb zu sein. Hegel erklärt also die Bedingung der Möglichkeit zum Grund und kann
erst durch diese in die Einleitung zum Leben verschobene Vorbereitung des Lebenskapi-
tels die Seele aus dem Begriff des ausgeführten Zwecks entwickeln, weil durch die er-
neute Zusammenführung des Subjekts mit dem Begriff die Vorstellung von Lebendig-
keit mit dem Begriff objektiver Zwecke überhaupt erst verknüpft wird (Vgl. S. 69 f.).
Tatsächlich zeigt also auch die Kritik der Einleitungen zur Idee und zum Leben, daß
der Gegenstand der doppelten Negation dieser nicht nur logisch, sondern auch reell un-
terstellt bleibt und damit dem bruchlosen Übergang vom Artefakt zum Leben im Wege
steht. Das drückt sich darin aus, daß die Gegenstandsbereiche der Anthropologie, der
Biologie, des Geistes zitiert und abgegrenzt werden. Für den Fortgang der Begründung
ist diese Abgrenzung der Teleologie gegen die Gegenstandbereiche und die philosophi-
schen Vorgänger Hegels – insbesondere Aristoteles und Kant – konstitutiv, weil ohne
diese Kritik die Kategorien Hegels gegenstandslos wären. Bei Aristoteles und Kant wird
das Verhältnis zum realen Modell – Leben und Arbeit – reflektiert. Indem sich Hegel auf
diese Autoren bezieht, bezieht er sich auch auf deren Modelle. Auf der Seite der Begrün-
dung der metaphysisch-praktischen Entwicklung beziehen die Begriffe ihren Gehalt aus
der Kritik geistesgeschichtlicher Begriffe und die sind nicht identisch mit den Objekten
Hegels, die nach den geistesgeschichtlichen Termini nur benannt sind. Auf diese Weise
koinzidieren in der Logik logische und historisch-kritische Bestimmungen. Aber im Ge-
gensatz zur historischen Geisteswissenschaft werden die Eigenarten der Objekte dem
Begriff geopfert. Es kann sonst zwar einen Übergang zwischen den Kategorien geben,
aber nicht zwischen den Modellen Arbeit und Leben. Damit sind auf der Seite der onto-
logischen Begründung des Verhältnisses von Begriff und Objektivität einzelwissen-
schaftliche Modelle und praktische Erfahrungen impliziert, deren logische Verlaufsform
überhaupt erst begründet und dargestellt werden kann. Der verbleibende Rest von Ei-
genständigkeit der Objekte macht die Rechtfertigung des Übergangs von der Teleologie
zur Unmittelbaren Idee nötig. Mit der Doppeldeutigkeit seiner Termini, die als Begriffe
der Wissenschaft der Logik scheinbar ohne Modelle auskommen, während die Modelle
gleichzeitig über die geistesgeschichtliche Reflexion in die Logik transportiert werden,
arbeitet Hegel.
Der Begriff des Lebens ist an den Momenten des biologischen Lebensprozesses ori-
entiert. Er ist derjenige Begriff, in dem der Prozeß einer organischen Einzelheit und
gleichzeitig am Modell lebendiger Individualität entwickelt wird. Für die hier gestellte
Frage nach dem Begriff der Selbstbestimmung ist dieses Kapitel der Wissenschaft der
Logik hinsichtlich seines terminus ad quem von Interesse; des Übergangs vom Leben
zum Erkennen. Obwohl Hegel bereits an mehreren Stellen verdeutlicht hat, daß er die
Der Tod des Individuums: Leben als unmittelbare Idee 99

Identität von Begriff und Subjekt unterstellt – ja, es sogar eine Voraussetzung der Wis-
senschaft der Logik ist, kommt er dennoch nicht umhin, im Leben den Begriff lebendi-
ger Individualität durchzuführen und so eine Voraussetzung seines Programms einzuho-
len. Das Erkennen des Wahren und Guten ist keiner subjektiven Erfahrung mehr
zugänglich, sondern es handelt sich im Gegenteil um Begriffe, die erst nach dem Tod
der Subjekte, welche Erfahrungen machen können, systematisch gedacht werden kön-
nen. Die darin liegenden Implikationen sollen aufgezeigt werden, so daß der Begriff des
Lebens selbst nur im Hinblick auf die moralische Konnotation kommentiert wird, wäh-
rend Probleme der Biologie hier unberücksichtigt bleiben. Der Lebensbegriff der Phä-
nomenologie des Geistes wird hingegen noch Gegenstand im entsprechenden Abschnitt
sein.

a) Das lebendige Individuum

Das lebendige Individuum ist zunächst dadurch bestimmt, daß es eine Seele hat, d. h.
ein belebendes Prinzip, wodurch es sich aus eigener Kraft organisiert und bestimmt.
Dieses Prinzip ist jedem wirklichen Lebensprozeß logisch vorausgesetzt und daher zu-
nächst nur der Begriff eines schöpferischen Prinzips. Das Leben ist Akt der Spontanei-
tät, ursprünglich und kann deshalb aus nicht anderem abgeleitet werden. Seine Bestim-
mung als unmittelbare Idee muß sich in der Entwicklung erst als wahr erweisen:
„Um dieser Unmittelbarkeit willen ist die erste negative Beziehung der Idee in sich selbst
S e l b st b e s t i m m u n g ihrer als B e g r i ff – das Setzen a n s i c h , welches erst als Rückkehr in
sich F ü r - s i c h - s e yn ist: das schöpferische V o r au s s e t z e n.“120

Darin, daß die Seele als Voraussetzung eingeführt wird, deren Relevanz erst zu bewei-
sen ist, liegt, daß auch der Zusammenhang zu den vorangegangen Begriffen erst noch zu
erweisen ist. Damit beruht die Ableitung des Lebens aus dem objektiven Zweck auf ei-
ner Voraussetzung, die durch die begriffliche Entwicklung nicht direkt eingeholt worden
ist. Statt dessen wird der Übergang von der äußeren zur inneren Zweckmäßigkeit auf
drei Ebenen geleistet: Erstens systematisch als notwendiger Übergang logischer Katego-
rien, zweitens durch die Kritik des Teleologiebegriffs Kants und schließlich drittens
durch das Zitat des Programms der Logik. Damit ist das Zitat des Subjektbegriffs ver-
bunden, als desjenigen Inhalts der begrifflichen Entwicklung, der die Entwicklung der
logischen Idee mit ihren Stufen des Lebens, des Erkennens des Wahren und Guten und
schließlich der absoluten Idee überhaupt erst bestimmt.
Die Seele als das schöpferische Prinzip ist auf die Objektivität als dasjenige bezogen,
dem sie logisch vorausgesetzt ist und das sie aus sich hervorbringt. Dadurch verliert sich
der Begriff nicht in der Objektivität, wie im Mechanismus und Chemismus, sondern be-
wahrt ihr gegenüber seine Selbständigkeit. Da die Seele aber gleichzeitig immateriell
ist, ist sie weder außerhalb noch innerhalb dieser Objektivität als separates Moment

120
Hegel. Lehre vom Begriff, 182.
100 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

dingfest zu machen, sondern sie wirkt unmittelbar in der Objektivität des lebendigen In-
dividuums:
„Dem Inhalte nach ist diese Objectivität die Totalität des Begriffes, die aber dessen Subjectivi-
tät oder negative Einheit sich gegenüberstehen hat, welche die wahrhafte Centralität ausmacht,
nemlich seine freye Einheit mit sich selbst. Dieses S u b j e c t ist die Idee in der Form der E i n -
z e l n h e i t ; als einfache, aber negative Identität mit sich; das l e b e n d i g e I nd i v i d u u m .“121

Die freie Einheit von Begriff und Objektivität ist das lebendige Individuum. In ihm sind
Leib und Seele unterschieden. Indem die Seele unmittelbar in der Leiblichkeit des Indi-
viduums wirkt, ist der Leib einerseits Mittel und Werkzeug der Seele, andererseits aber
auch die Mitte des Schlusses, indem die Seele sich über die Objektivität des Körpers mit
sich vermittelt. Anders als in der äußeren Zweckmäßigkeit steht der Organismus hier
von vornherein als der Seele unterstelltes Material zur Verfügung; er ist Mittel und aus-
geführter Zweck zugleich. Damit gehorcht der Organismus nicht den Gesetzen des Me-
chanismus und Chemismus oder den abstrakten Bestimmungen von Ganzem und Teilen
etc., sondern der Organismus ist der ausgeführte Zweck, dessen Teile durch eine be-
stimmte Funktion auf den Organismus als ihre Einheit bezogen sind.122 Umgekehrt ver-
lieren die Körperteile aber diese Funktion auch wieder, sobald sie vom Organismus ge-
trennt werden. Sie unterliegen dann wieder den mechanischen und chemischen Kräften
der gemeinen Objektivität.
„Diese Objectivität des Lebendigen ist O r g a n i s mu s ; sie ist das M i t t e l u n d We r k z e u g
des Zwecks, vollkommen zweckmässig, da der Begriff ihre Substanz ausmacht; aber eben des-
wegen ist diß Mittel und Werkzeug selbst der ausgeführte Zweck, in welchem der subjective
Zweck insofern unmittelbar mit sich selbst zusammen geschlossen ist.“123

Weil das Leben nicht als gegen den Organismus selbständige Instanz, sondern in jedem
einzelnen Körperteil unmittelbar wirkt, hat jedes einzelne spezifische Moment innerhalb
des Organismus den Trieb, die anderen Teile des Organismus zum Mittel seiner Hervor-
bringung, so wie sich zum Mittel der Hervorbringung für die anderen Teile zu machen.
Dieser Prozeß der lebendigen Individualität ist der Prozeß innerer Zweckmäßigkeit, in

121
Hegel. Lehre vom Begriff, 183.
122
Manfred Riedel verweist auf den technischen Charakter, den das Leben als Resultat der Teleologie
annimmt: „Innerhalb des von Natur aus Seienden ist es vor allem das Lebendige, welches die Idee
als den Zweck seines Seins in sich enthält. Der Zusammenhang mit der klassisch-metaphysischen
Konzeption von ‚Idee‘ und ‚Kunst‘ wird vor allem in der ‚Logik‘ deutlich. Wenn man die unter
dem Abschnitt: Die Idee befaßte Hegelsche Analyse des Lebens im Hinblick auf das vorangehen-
de Kapitel: Teleologie liest, bemerkt man den unzweideutig ‚technischen‘ Sinn, der mit der Kate-
gorie der Idee verbunden ist, so etwa, wenn den Mitteln und Werkzeugen der Arbeit als den Orga-
nen des Tuns die Organe der leiblichen Lebendigkeit korrespondieren und die technische Macht
der menschlichen Subjektivität über die zum Mittel ‚gemachte‘ Natur auf die Macht des lebendi-
gen Subjectum über ihre ebenso zum Mittel ‚idealisierte‘ Leiblichkeit verweist. Im Unterschied zu
Kants kritischer Beschränkung der technischen Naturerfahrung auf eine menschliche ‚Analogie‘
im ‚technischen Gebrauche der Vernunft‘ und ihrer Abgrenzung von der ‚theoretischen‘ […] denkt
Hegel das Natursein des Lebendigen in den Grundworten des technisch-teleologischen Herstel-
lungsbereichs, und zwar nicht, wie Kant, als Prinzipien einer nur ‚reflektierenden‘, sondern einer
ausdrücklich als ‚bestimmend‘ gefaßten Beurteilung.“ Theorie und Praxis im Denken Hegels, 48.
123
Hegel. Lehre vom Begriff, 184.
Der Tod des Individuums: Leben als unmittelbare Idee 101

dem die Objektivität nicht als äußerliches Produkt belassen wird, sondern das Produkt
des Prozesses zugleich das Produzierende ist: Der Organismus reproduziert sich.
In diesen ersten beiden Stadien der Entwicklung der Seele und des Verhältnisses der
Seele zur Objektivität als Organismus wird der Lebensprozeß des Individuums als logi-
sche Kategorie betrachtet, als innerlich Zweckmäßiges. Durch diese Bestimmung wird
an die äußere Zweckmäßigkeit angeknüpft. Weil aber das Lebendige auch Wirklichkeit
der Idee ist, muß sich am Organismus selbst die Wirklichkeit innerer Zweckmäßigkeit
aufzeigen lassen. Logische Form und ontologische Bestimmung sind Momente des Be-
griffs, worin sie aber auch unterschieden bleiben. Umgekehrt ist es aber bei einem Be-
griff, der unmittelbar die Wirklichkeit der Idee sein soll, zugleich auch schwierig, die
spezifische Unterscheidung beider Momente im dialektischen Prozeß aufzuzeigen. He-
gel führt die körperliche Gliederung im Organismus als ontologische Bestimmung zur
begrifflichen Einteilung ein, so daß der Organismus auch allgemeine Bestimmung und
Einzelnes ist. Die ontologische und die begriffliche Bestimmung fallen im Individuum
zusammen.
Als unmittelbarer Ausdruck des Lebendigen ist der Organismus innerhalb seiner nicht
nur im Sinne der organisch aufeinander verwiesenen Körperteile und Organe gegliedert,
sondern auch begrifflich als Allgemeines, Besonderes und Einzelnes, oder Gattung, Art
und Exemplar.
Das lebendige Individuum hat seine allgemeine Bestimmung in seinem Gattungs-
merkmal, Sinnenwesen zu sein. In diesem Stadium der Argumentation ist das Gattungs-
merkmal die formale Bestimmung Allgemeines zu sein, da es sich nur erst um dasjenige
leibliche Wesensmerkmal handelt, das das Individuum mit anderen Organismen ver-
gleichbar macht. Es ist aber noch nicht die durch Reproduktion der Individuen realisier-
te Gattung. Es geht zunächst um die Konstitution des Individuums bzw. des Exemplars.
Der Organismus ist also seiner allgemeinen Bestimmung nach sensibel. Damit ist zu-
gleich die körperliche Eigenschaft der Rezeptivität des Organismus bezeichnet, also die
Fähigkeit, durch Äußerliches affiziert zu werden und die Affektion vollständig in sich
aufzunehmen und im Selbstgefühl verarbeiten zu können.
Die Besonderung des Sinnenwesens, begrifflich das Setzen des einfachen Unterschie-
des, vollzieht sich in der Irritabilität, der Reizbarkeit des Individuums durch Anderes
und der Selbsterhaltung gegen diesen Reiz. In der Irritabilität bezieht sich also das le-
bendige Individuum auf das Äußerliche als auf eine ihm vorausgesetzte Objektivität, ge-
gen die es sich zugleich erhält. In der Besonderung des Sinnenwesens liegt neben dieser
organischen Bestimmung auch die begriffliche des Setzens des Artunterschiedes inner-
halb der Klasse der Sinnenwesen. Diese formelle Einteilung der lebendigen Individuen
nach Gattung und Arten ermöglicht die biologische Ein- und Zuordnung der Organis-
men. Die Gattung der Sinnenwesen wird in Arten wie Pferde, Elefanten etc. gegliedert.
Das Selbstgefühl des Individuums entsteht gegen den Reiz durch Anderes, über das
vermittelt es sich auf sich zurückbezieht. Es wird dadurch Einzelnes, reproduziertes In-
dividuum. Diese Reproduktion ist einerseits theoretisch, „insofern nemlich die Negativi-
tät als einfaches Moment der Sensibilität ist, das in derselben betrachtet wurde, und wel-
102 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

ches das Gefühl ausmacht“124, andererseits ist es eine reelle Reflexion, indem sich die
Einheit des Begriffs als negative Einheit im Organismus verwirklicht. Während Sensibi-
lität und Irritabilität formelle Bestimmungen sind, wird der Organismus mit der Repro-
duktion konkretes Leben, das auch Gefühl und Widerstandskraft hat. Die Bestimmung
der organischen Reproduktion ist schon auf die Reproduktion durch Ernährung, also das
Einverleiben von Anderem verwiesen
„Mit der Reproduction als dem Moment der Einzelnheit, setzt sich das Lebendige als w i r k l i -
c h e Individualität, ein sich auf sich beziehendes Fürsichseyn; ist aber zugleich reelle B e z i e -
h u n g n a c h Au s s e n ; die Reflexion der B e s o n d e r h e i t oder Irritabilität g e g e n e i n An d e -
r e s , gegen die o b j e c t i v e Welt. Der innerhalb des Individuum eingeschlossene Proceß des
Lebens geht in die Beziehung zur vorausgesetzten Objectivität als solcher dadurch über, daß
das Individuum, indem es sich als s u b j e c t i v e Totalität setzt, auch das Moment s e i n e r B e -
s t i m m t h e i t als B e z i e h u n g auf die Aeusserlichkeit, zur To t a l i t ä t wird.“125

b) Der Lebensprozeß

Die Seele als vorausgesetztes Prinzip des Lebens ist mit den Bestimmungen des lebendi-
gen Individuums gesetzt und stellt sich gegen die äußere Welt. Das Individuum hat das
Bedürfnis, sich in der äußeren Welt zu realisieren. Damit sei es an- und für sich Seyen-
des, das individuierte Sinnenwesen und somit Subjekt.
„Das Individuum ist als Subject zunächst erst der B e g r i f f der Idee des Lebens; sein subjecti-
ver Prozeß in sich, in welchem es aus sich selbst zehrt, und die unmittelbare Objectivität, wel-
che es als natürliches Mittel, seinem Begriff gemäß setzt, ist vermittelt durch den Proceß, der
sich auf die vollständig gesetzte Aeusserlichkeit, auf die g l e i c h g ü l t i g neben ihm stehende
objective Totalität bezieht.“126

Traditionell wird das Sinnenwesen, dessen Fürsichsein ontologisch als Reflexivität des
Organismus von den vernünftigen Sinnenwesen, deren Reflexivität begrifflich ist, unter-
schieden. Weil bei Hegel das Subjekt eigentlich der Begriff des Lebens ist, dessen Mo-
ment das Individuum ist, wird ein Exemplar, das individuierte Gattungswesen, mit dem
Subjekt in eins gesetzt. Ontologisch betrachtet müßte man dann Tiere als Subjekte fas-
sen, die sich zweckgerichtet an der Welt abarbeiten. Darüber hinaus bezeichnet Hegel
die Ideen des Lebendigen, in einfacher Einheit von Idee und Objektivität zu sein, als gut
– also versieht er sie mit einem moralischen Akzidenz. Beides sind Anzeichen dafür, daß
Hegel das Leben bereits vom terminus ad quem, der absoluten Idee her bestimmt.
Dieses Bedürfnis, mit dem der Lebensprozeß beginnt, resultiert aus dem absoluten
Widerspruch, wodurch das Individuum bestimmt ist: Das Individuum betrachtet sich als
selbständiges Subjekt, das seine Selbständigkeit gegen die es umgebende Welt noch
nicht realisiert hat. Aus der Diskrepanz zwischen dieser Selbstgewißheit und dem Beste-
hen der äußeren Welt entsteht das Bedürfnis, die unmittelbare Objektivität als Mittel sei-
124
Hegel. Lehre vom Begriff, 186.
125
Ebd.
126
Ebd., 187.
Der Tod des Individuums: Leben als unmittelbare Idee 103

ner Reproduktion zu setzen. Indem aber das Individuum sein Bedürfnis auf die Objekti-
vität richtet, ist es mit sich nicht mehr identisch, sondern hat seine Bestimmung in einem
Anderen. Umgekehrt verliert es sich aber auch nicht in diesem Anderen, sondern bleibt
gerade in seinem Trieb, das Andere aufheben zu wollen, mit sich identisch. „Dadurch
hat seine Selbstbestimmung die Form von objectiver Aeusserlichkeit, und da es zugleich
identisch mit sich ist, ist es der absolute Widersp ruc h.“127 Nach der Seite seiner un-
mittelbaren Gestaltung im Organismus, ist das lebendige Individuum gut. Weil es aber
in der Unterscheidung von derjenigen Objektivität, in der es nicht realisiert ist, das Ge-
fühl seiner Ungleichheit mit sich selbst hat, empfindet es seine Entzweiung zugleich im
Schmerz. Im lebendigen Individuum ist der begriffliche Widerspruch auf diese Weise
zugleich wirklich:
„Wenn man sagt, daß der Widerspruch nicht denkbar sey, so ist er vielmehr im Schmerz des
Lebendigen sogar eine wirkliche Existenz. Diese Diremtion des Lebendigen in sich ist Gefühl,
indem sie in die einfache Allgemeinheit des Begriffs, in die Sensibilität aufgenommen ist. Von
dem Schmerz fängt das Bedürfniß und der Trieb an, die den Uebergang ausmachen, daß das In-
dividuum wie es als Negation seiner für sich ist, so auch als Identität für sich werde, – eine
Identität, welche nur als die Negation jener Negation ist.“128

Das Wiederherstellen der Sichselbstgleichheit des Subjekts ist als Negation der Negati-
on des widerspruchsvollen Verhältnisses zur objektiven Welt bestimmt. Während sich
das Subjekt seiner gewiß ist, ist die objektive Welt gegen den immanenten Zweck
gleichgültig und ohnmächtig, so Hegel, da es dieser an der Freiheit des immanenten Be-
griffs mangelt, da sie also nicht belebt ist. Die Bestimmung der Gleichgültigkeit der Ob-
jektivität gegen den Begriff realisiert sich in der Teleologie mit der Austauschbarkeit der
Funktionen, Mittel oder ausgeführter Zweck zu sein.
„Die Gleichgültigkeit der objectiven Welt gegen die Bestimmtheit und damit gegen den Zweck,
macht ihre äusserliche Fähigkeit aus, dem Subject angemessen zu seyn; welche Specificationen
sie sonst an ihr habe, ihre mechanische Bestimmbarkeit, der Mangel an der Freyheit des imma-
nenten Begriffs macht ihre Ohnmacht aus, sich gegen das Lebendige zu erhalten.“129

Darin liegt für das Subjekt die Möglichkeit, die Objektivität vollständig zu assimilieren
und ihrer eigenen Leiblichkeit unterzuordnen. Während die Assimilation im biologi-
schen Leben als Prozeß der Ernährung sich sowohl auf belebte als auch unbelebte Natu-
ren bezieht, betrifft sie als logische Kategorie das Verhältnis lebendiger Individuen zur
Objektivität schlechthin. Deshalb erscheint die Objektivität hier nur als mechanisch und
chemisch bestimmte und sie erscheint nicht in Einzelobjekten, sondern als Totalität: Ob-
jektivität schlechthin würde sich das Subjekt andere lebendige Naturen einverleiben
wollen – also z. B. ein Tier ein anderes Tier oder ein Mensch ein Schnitzel (das ja auch
erst aus dem Schwein herauszupräparieren ist) –, so hätte es kein ohnmächtiges, sondern
ein Aktives und Widerständiges vor sich, das sich gegen seine Tötung wehrt. Das Ver-
hältnis lebendiger Individuen untereinander ist aber in der Logik dem Gattungsprozeß
127
Hegel. Lehre vom Begriff, 187.
128
Ebd., 188. Vgl. Manfred Riedel. Theorie und Praxis im Denken Hegels, 113 f.
129
Hegel. Lehre vom Begriff, 188.
104 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

vorbehalten. Es wird also auch als Prozeß unter Artgenossen aufgefaßt, nicht als Assimi-
lationsverhältnis.
Die Wirkung des Objekts auf das Lebendige unterscheidet sich von der Wirkung, die
es auf ein anderes mechanisches oder chemisches Objekt hätte: Seine Wirkung ist nicht
naturkausal determiniert, sondern das Lebendige wird durch die Objektivität erregt. In
der Erregung des Bedürfnisses ist ein Moment der Unabhängigkeit gegenüber der erre-
genden Ursache enthalten, denn das Individuum wird zwar von vielen Objekten sinnlich
affiziert, aber nicht jedes affizierende Objekt erregt das Bedürfnis des Individuums. Das
hier verhandelte Bedürfnis ist zudem abstrakt, indem es einzig die Realisierung der Ge-
wißheit des Individuums bezweckt, alle Realität zu sein. Es ist nicht das Verlangen nach
etwas Bestimmtem. 130
Zunächst wirkt aber das Subjekt auf das Objekt einerseits im Sinne äußerer Zweck-
mäßigkeit: „Das Subject übt nun, insofern es in seinem Bedürfniß bestimmt sich auf das
Aeusserliche bezieht, und damit selbst Aeusserliches oder Werkzeug ist, Gewalt über
das Object aus.“131 Das Werkzeug der Bearbeitung ist der eigene Körper und die Bear-
beitung gilt einem Objekt, das seiner Bestimmung, der Reproduktion des Organismus zu
dienen, grundsätzlich schon gemäß ist. Obwohl das Gelingen der Reproduktion unter
diesen Voraussetzungen nicht ernsthaft in Frage zu stellen ist, sieht sich das Individuum
gezwungen, Gewalt auf das Objekt seiner Begierde auszuüben, also auf ein Objekt, das
seiner Bestimmung nach ohnehin gleichgültig und ohnmächtig gegen das Bestimmtwer-
den durch das Subjekt ist. Diese Tätigkeit am Objekt wird dann „unmittelbar abgebro-
chen und die Aeusserlichkeit in Innerlichkeit verwandelt“132, so daß der Prozeß hier als
Reproduktion innerhalb des Organismus fortgesetzt wird. D. h., daß das Subjekt dem
Objekt seine eigentümliche Beschaffenheit nimmt, es statt dessen mit seiner eigenen
Substanz zusammenschließt und es dadurch zum Mittel macht. Oder: Es verzehrt es.
Diese Assimilation ist das zweite Moment der Reproduktion des Individuums, also
die Übersetzung des äußeren Verhältnisses zur Objektivität in ein inneres Verhältnis.
„Diese ihre Verwandlung in die lebendige Individualität macht die Rückkehr dieser letz-
tern in sich selbst aus, so daß die Production, welche als solche das Uebergehen in ein

130
„Hegel hat den Begriff der ‚Praxis‘ deshalb in das empirische Verhältnis zwischen Natur und
Mensch hineinnehmen können, weil er einmal das geschichtliche Phänomen der seinsbemächti-
genden Technik in seiner Beziehung zur Stellung des Menschen gegenüber dem Seienden philoso-
phisch thematisiert und zum anderen das für das lebendige Sein des Menschen grundlegende na-
türliche Phänomen der Begierde als ihm immanente, ‚negierende‘ Tätigkeit begreift, somit ‚Be-
gierde‘ und ‚praktisches Verhalten‘ in Beziehung setzt. Diese Beziehung wiederum ist davon ab-
hängig, daß Hegel das Phänomen der Begierde weder im engeren Sinne psychologisch, als ‚Stre-
ben nach dem Lustvollen‘, noch rationalistisch bestimmte, wie etwa noch Kant ‚Begierde‘ defi-
nierte. Vielmehr faßt Hegel Begierde überhaupt nicht als Bewegung der ‚Seele‘, ihre strebende
Verhaltung (Lust) oder Selbstbestimmung (Wille), sondern primär als Moment des Erhaltungspro-
zesses der Lebendigkeit und als Ursprungsort ihres praktischen Verhaltens.“ Manfred Riedel.
Theorie und Praxis im Denken Hegels, 113 f. Die Frage nach dem Ursprung des Praktischen ist
für Riedel eines der zentralen Probleme.
131
Hegel. Lehre vom Begriff, 188.
132
Ebd.
Der Tod des Individuums: Leben als unmittelbare Idee 105

Anderes seyn würde, zur Reproduction wird, in der das Lebendige, sich für sich iden-
tisch mit sich setzt.“133
Obwohl innerhalb der Logik nicht das Leben in der Natur oder des Geistes verhandelt
wird, ist die Konstruktion des Lebens auf das telos menschlichen Lebens, auf das telos
des Geistes ausgerichtet: Das Leben ist unmittelbare Idee, so daß es aus der Teleologie
abgeleitet worden ist und weiterhin die Idee des Erkennens aus ihm abzuleiten ist. In-
dem die Teleologie in das Leben eingegangen ist, trägt dieses die Form der vernünftigen
Naturbearbeitung ebenso in sich wie es deren Resultate äußerlich vorfindet: Die Ob-
jektivität ist reflektiert und bearbeitet, oder mit den Termini der Teleologie Mittel und
ausgeführter Zweck, und die Lebewesen, die sich durch die äußere Welt reproduzieren
wollen, sind Zwecke setzende Subjekte. Zwar werden im Leben Subjektivität und Ob-
jektivität nicht hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen und handwerklichen Bedingungen
als äußerliche bestimmt, denn dann wäre das Werkzeug, welches im Lebensprozeß auf
die äußeren Objekte einwirkt, nicht der Körper selbst, sondern ein von ihm unterschie-
denes Artefakt. Aber der Prozeß des Einwirkens des Organismus auf die Objektivität
wird als äußere Zweckmäßigkeit bestimmt, die unmittelbar abbreche und in die innerli-
che übergehe. Die Form zweckgerichteter Tätigkeit setzt eine zwecksetzende Subjektivi-
tät voraus in deren Analogie Prozesse eines lebendigen Individuums als zweckmäßige
erklärt werden können. Wenn Hegel also das Individuum ohne weitere Zwischenschritte
mit dem Subjekt identifiziert, so geschieht das nicht nur im Hinblick auf den terminus
ad quem, sondern ist auch durch den Argumentationsgang selbst bestimmt: Äußere und
innere Zweckmäßigkeit sind das tertium comparationis von ausgeführtem Zweck und
Leben oder Artefakt und Organismus. Die Voraussetzung vom Anfang des Kapitels wäre
somit eingeholt worden.
Damit beruht das Argument der vollständigen Assimilation der Objektivität auf der-
selben Voraussetzung, die schon in der äußeren Zweckmäßigkeit kritisiert wurde, näm-
lich dem Nachweis, daß die Objektivität mit der Teleologie durch den subjektiven
Zweck bedingungslos hervorgebracht und dadurch selbst Totalitätsbegriff geworden sei.
Dadurch habe sie zwar noch das Moment des Endlichen und Äußerlichen an sich, aber
gleichzeitig so, daß diese Äußerlichkeit unter dem Vorbehalt der Zweckmäßigkeit für
das lebendige Individuum steht. Die äußere Welt, mit der es die lebendigen Individuen
hier also zu tun haben, ist nicht sinnlos, sondern absolut verwertbar. Die derart begrün-
dete Reflexivität der Objektivität ist nur durch die Abstraktion seines empirischen Kor-
relats herzustellen, daß aber als zu negierender Gegenstand dem Schluß ebenso unter-
stellt bleibt und zwar als empirischer. Damit kann aber eine vollständige Assimilation
prinzipiell nicht gelingen. Einige Dinge eignen sich aufgrund ihrer physikalischen und
chemischen Eigenschaften zur Bedürfnisbefriedigung, andere hingegen nicht. Giftigkeit
kann hier z. B. ein Indikator sein. Deshalb ist die praktische Erfahrung des Mißlingens
der Bedürfnisbefriedigung des Subjekts für deren Verhältnis zur Objektivität konstitutiv,
z. B. als Erfahrung darüber, welche Dinge zum Verzehr geeignet sind oder nicht, wie sie

133
Hegel. Lehre vom Begriff, 189.
106 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

zuzubereiten, zu kultivieren, anzupflanzen etc. sind. Die Welt, an der sich die empiri-
schen Individuen abmühen, liegt nicht als Totalität, sondern in einzelnen Objekten vor
und ist noch in ihrer naturkausalen Passivität widerspenstig gegen die Zwecke der Indi-
viduen. Zwar ist die Abstraktion von diesen praktischen Erfahrungen vom Standpunkt
der Wissenschaft der Logik aus für die Behauptung der vollständigen Assimilierbarkeit
von Objektivität nötig. Aber weder ist die Objektivität als Totalitätsbegriff, noch deren
vollständige Assimilierbarkeit ein Gegenstand möglicher Erfahrung. Das zeigt sich an
den bisher kritisierten Passagen der Wissenschaft der Logik, wo die Begriffe anders kon-
stituiert werden als die durch sie bezeichneten Subjekte oder Objekte, weil letztere ei-
nem logischen Zweck untergeordnet werden.134 Das stellt dann in der Tat ein Moment
der Gewalt gegenüber diesen Gegenständen und Subjekten dar.

c) Die Gattung

Im lebendigen Individuum war dessen allgemeines Gattungsmerkmal, Sinnenwesen zu sein,


schon angelegt. Diese zunächst abstrakte Bestimmung beinhaltet die Bestimmung des indi-
viduellen Lebens und das Verinnerlichen der äußeren Objektivität im Lebensprozeß. Gegen
den Schmerz, im Anderen mit sich nicht identisch zu sein, hat es sich durch die innerliche
und äußerliche Reproduktion als die über alle Prozesse übergreifende Macht des Lebens ge-
setzt und darin sein Selbstgefühl für sich bestätigt. In diesem Prozeß hat das lebendige Indi-
viduum sich deshalb ebenso als Individuum reproduziert, wie als reelles allgemeines Leben,
das zugleich Gattungswesen ist. Die Objektivität als Totalität läge nur vor, wenn der Geist,
der erst noch begründet werden soll, als realisierte Einheit von Subjektivität und Objektivität
schon begründet worden wäre. Das Resultat ist der Produktion vorausgesetzt, das Argument
Hegels vom terminus ad quem aus begründet.
„Das lebendige Individuum, zuerst aus dem allgemeinen Begriff des Lebens abgeschieden, ist
eine Voraussetzung, die noch nicht durch sich selbst bewährt ist. Durch den Proceß mit der zu-
gleich damit vorausgesetzten Welt hat es sich selbst gesetzt, fü r s i c h als die negative Einheit
seines Andersseyns, als die Grundlage seiner selbst; es ist so die Wirklichkeit der Idee, so daß
das Individuum nun aus der Wi r k l i c h k e i t sich hervorbringt, wie es vorher nur aus dem B e -
g r i f fe hervorging, und daß seine Entstehung, die ein V o r au s s e t z e n war, nun seine Produc-
tion wird.“135

Die Seele, das Prinzip des Lebens, ist die Quelle von Spontaneität. Sie konnte deshalb in
einer Hinsicht nur vorausgesetzt werden, obwohl sie zugleich auch das Resultat der Te-
leologie sein sollte. In dieser Formulierung Hegels liegt, daß die Seele nicht unmittelbar
aus der äußeren Zweckmäßigkeit folgt. Vielmehr geht aus der äußeren Zweckmäßigkeit
der Begriff des objektiven Zwecks hervor, in dem Mittel und ausgeführter Zweck unun-
134
Also die Teleologie, die sich gegen ihre Voraussetzungen absolut setzt und der Lebensbegriff, der
aus der Teleologie abgeleitet wird, schließlich der soeben dargestellte Umgang Hegels mit dem
Begriff der Objektivität, der als Körper und Reproduktionsmittel der lebendigen Individualität un-
terstellt ist.
135
Hegel. Lehre vom Begriff, 189 f.
Der Tod des Individuums: Leben als unmittelbare Idee 107

terscheidbar sind. Ein Modell objektiver Zweckmäßigkeit könnte auch das System ge-
sellschaftlicher Arbeitsteilung sein. Ein solches System ist schon ein ausgeführter
Zweck, weil es die Versorgung der arbeitsteilig Produzierenden leistet, und es ist ein
Mittel für die Produzenten, um sich reproduzieren zu können. Die gesellschaftliche Ar-
beitsteilung ist ein Modell äußerer Zweckmäßigkeit, weil es auf Voraussetzungen be-
ruht, die beständig von Neuem eingeholt werden müssen: Die Menschen müssen ihre
Lebensbedingungen beständig reproduzieren. Gesellschaft als objektiver Zweck wäre
die notwendige Bedingung der Idee der Selbstbestimmung, aber nicht deren hinreichen-
der Grund. Hegel braucht aber einen hinreichenden Übergang der logischen Kategorien
Teleologie und Leben. Der Begriff des Lebens als die unmittelbare Gestalt der Idee ist
daher auch vom terminus ad quem her zu bestimmen, als derjenige Begriff, in dem Sub-
jekt, Objekt und Vermittlungsprozeß ontologisch zusammenfallen, während Gesellschaft
der logischen Bewegung unterstellt bleibt, aber hier nicht vermittelt wird, weil sie histo-
risch bestimmt ist und damit außerhalb des Systems der logischen Idee anzusiedeln ist.
Das lebendige Individuum hat sich die äußere Welt im Prozeß der Reproduktion zu
eigen gemacht. Seine Bestimmung ist damit vollständig und es tritt nicht mehr sich
selbst oder der Objektivität als äußerer gegenüber, sondern es sucht seine Bestätigung
als Gattungswesen in einem anderen Gattungswesen. In diesem steht ihm ein anderes
Individuum gegenüber, in dem es seine Gewißheit nicht wie in der Objektivität deshalb
findet, weil es das Anderssein in sich aufgehoben hätte, sondern weil die Gewißheit in
dem anderen Individuum ebenso wirklich ist wie in ihm selbst. Als Gattungswesen sind
beide Individuen identisch, als Organismen sind sie auch voneinander unterschieden, so
daß sich dieses Verhältnis wiederum als widersprüchliches darstellt. „[D]as Lebendige
ist somit wieder Trieb“136, sich mit dem anderen Individuum identisch zu setzen. Diese
Identität liegt nicht in einer gegen die Individuen unabhängigen allgemeinen Gattung
vor, sondern ist unmittelbar im Verhältnis der Individuen zueinander gegeben. Die Gat-
tung ist im geschlechtlichen Verhältnis zweier Individuen an sich, noch nicht für sich.
Der subjektive Trieb der Individuen, ihre Gattungszugehörigkeit zu realisieren, realisiert
sich in der gegenseitigen Befriedigung der „Spannung ihres Verlangens“. In dieser Befriedi-
gung bleiben beide Individuen als selbständige bestehen, und – die Logik macht es möglich
– ganz ohne biologische Geschlechterdifferenz entsteht aus dieser wechselseitigen Befriedi-
gung „der Keim eines lebendigen Individuums“137. In diesem neuen Individuum setzt sich
136
Hegel. Lehre vom Begriff, 190.
137
Ebd. In den analogen Passagen der Enzyklopädie korrigiert Hegel dieses Versäumnis. Vgl. Enzy-
klopädie, § 220. Frauen sind nach Hegel in den Kreis der Familie gebannt und die höchste geistige
Form, die sie erreichen können, ist die Liebe. Kultur, Wissenschaft usw. sind die Tätigkeitsberei-
che des Mannes. Daß der Gattungsprozeß in der Logik ohne solche Differenz auskommt, konter-
kariert in gewisser Weise die Bestimmung des Geschlechterverhältnisses in der bürgerlichen Ge-
sellschaft, da es offensichtlich vom Standpunkt der Logik aus nicht notwendig ist. Gegen diese ab-
strakte Bestimmung ist die Bestimmung Hobbes erhellend, weil er die Geschlechterdifferenz nicht
moralisch oder ontologisch rechtfertigt, sondern den autoritären Charakter dieses Verhältnisses be-
schreibt: „Und wenn einige die Herrschaft nur dem Manne als dem hervorragenderen Geschlecht
zugeschrieben haben, so verrechnen sie sich damit. Denn zwischen Mann und Frau besteht nicht
immer ein solcher Unterschied an Stärke und Klugheit, als daß ohne Krieg entschieden werden
könnte, wem das Recht zusteht. Im Staat wird dieser Streit durch das bürgerliche Gesetz entschie-
108 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

das Leben, indem es in diesem alle Eigenschaften und gegliederten Unterschiede verwirk-
licht, die es selbst charakterisieren. Leben setzt neues Leben.
Aber diese Gattungsallgemeinheit bleibt noch mit den Individuen verbunden, die sie
setzt. Die Gattung ist noch nicht in ihrer logischen Allgemeinheit realisiert. Durch die
Anbindung an die Individuen setzt sich zwar der Prozeß der Gattung über die Generatio-
nen als „Fortpflan zung der lebenden Geschlechter“138 fort, bleibt aber an die Indivi-
duen gebunden und damit ein Prozeß, der sich ins schlecht Unendliche fortsetzt. Das
stellte für die Sinnenwesen weiter kein theoretisches Problem dar, für die Idee aber
schon, denn aus dem unendlichen Progreß folgt der terminus ad quem, das Hervorgehen
des Geistes nicht. Als ontologische bzw. biologische Tatsache ist mit der Fortpflanzung
das Leben beschrieben, denn für die Sinnenwesen ist die Gattung nicht. Der Begriff ist
den Sinnenwesen ontologisch betrachtet äußerlich. Selbstbewußtsein haben nur die
Menschen, also diejenigen Sinnenwesen, die den Begriff auch denken können. Das Le-
ben ist nicht für sich, sondern entweder für die selbstbewußten Subjekte oder, im Sinne
der Logik, für den Begriff.
Der Prozeß der Fortpflanzung als logisch bestimmter hat zum Resultat, daß die Indi-
viduen neues Leben hervorbringen und in diesem neuen Leben die Wahrheit ihres Be-
griffes realisieren, nämlich die wirkliche Gestaltung der Idee und zugleich deren Gestal-
ter zu sein. Einerseits fällt dieses Resultat im Prozeß der Fortpflanzung in die Form der
Wirklichkeit zurück. Dieser erreicht wieder nur ein einzelnes Individuum, nicht die Gat-
tung. Aber gleichzeitig ist es ein anderes Exemplar derselben Gattung. Der Begriff er-
hält sich somit in den wechselnden Individuen. Insofern erreicht der Begriff in diesem
Prozeß eine höhere Form.139
Der Lebensprozeß hat aber nicht nur die Seite der Erzeugung, sondern auch die des Ster-
bens der Individuen an sich. Im Tod heben diese „ihre gleichgültige, unmittelbare Existenz
ineinander“ auf. Im Tod der Individuen wird die erste Negation der Gattung, ihre Erzeugung
als Individuen, negiert. Der Begriff der Gattung kommt als Allgemeines zu sich zurück. Er
ist das Bleibende im Wechsel von Entstehen und Vergehen der besonderen Individuen, deren
Wesen. In diesem Verlassen der ontologischen Bestimmung der Idee liegt die Rückkehr zur
metaphysischen Bestimmung oder der Fortgang zum Begriff der Idee, die sich zu sich als
Idee verhält:
den, und meistens, aber nicht immer, fällt die Entscheidung zugunsten des Vaters aus, da die Staa-
ten meistens von Familienvätern, nicht von Familienmüttern errichtet wurden.“ Thomas Hobbes.
Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates. Hrsg. v. Iring
Fetscher. Frankfurt a. M., 1984, 156. In der Logik hat die Geschlechterdifferenz keine Funktion,
weil sie empirische und keine begrifflichen Gründe hat.
138
Hegel. Lehre vom Begriff, 191.
139
„Da das vergleichende Subjekt nicht zu den verglichenen Dingen gehört, ist sein Vermögen zu
vergleichen dem Verglichenen transzendent, es kann nicht aus dem Verglichenen resultieren, denn
sonst müßten die Verglichenen sich untereinander selbst zu vergleichen vermögen, was den Hai,
der sich mit dem Jaguar vergleichen sollte, vor für ihn unlösbare Problem stellte, obwohl beide,
Hai und Jaguar, gleichermaßen Raubtiere sind, woraus folgt, daß auch ein tertium comparationis
noch kein Vermögen des Vergleichs ist.“ Peter Bulthaup. „Zweckmäßigkeit, absoluter Zweck, Be-
griff. Kritik der Hegelschen Deduktion des Begriffs.“ In Mit und gegen Hegel. Von der Gegen-
standslosigkeit der absoluten Reflexion zur Begriffslosigkeit der Gegenwart, hrsg. v. Andreas
Knahl u. a. Lüneburg, 2000, 184.
Der Tod des Individuums: Leben als unmittelbare Idee 109

„In der Begattung erstirbt die Unmittelbarkeit der lebendigen Individualität; der Tod dieses Le-
bens ist das Hervorgehen des Geistes. Die Idee, die als Gattung a n s i c h ist, ist f ü r s i c h , in-
dem sie ihre Besonderheit, welche die lebendigen Geschlechter ausmachte, aufgehoben, und
damit sich eine R e a l i t ä t gegeben hat, welche s e l b s t e i n fa c h e Al l g e me i n h e i t ist; so ist
sie die Idee, welche s i c h z u s i c h a l s Id e e v e r h ä l t , das Allgemeine, das die Allgemein-
heit zu seiner Bestimmtheit und Daseyn hat – die I d e e d e s E r k e n n e n s . “140

Der Stoffwechsel des lebendigen Individuums in sich und innerhalb seiner Gattung
mündet in einer Allgemeinheit, die diesem Individuum zugleich transzendent ist. Der
Übergang von der Reproduktion der Individuen und der schlecht unendlichen Fortpflan-
zung der Geschlechter über den Tod der Individuen in die Allgemeinheit der Gattung
wird von Hegel darüber begründet, daß sich die Gattung im Tode der Individuen erhalte.
Darin liegt die Gleichstellung von Individuum und Begriff, wodurch Hegel zugleich die
Voraussetzung einholt, daß der Begriff das Subjekt ist: Subjekt wie Objekt seien gegen
den Begriff und dessen Zweck gleichgültig. Während die Objekte nur eine Affinität für
den Begriff haben, insofern sie naturwissenschaftlich erkannt und produziert worden
sind, haben die Individuen als sich ausführende Zwecke zwar eine Affinität für den Be-
griff, aber gerade deswegen ist ihre Existenz nicht gleichgültig, sondern konstitutiv für
die Gattung. Der Gattungsbegriff hat sein ontologisches Korrelat positiv in der Fort-
pflanzung als auch negativ im Tod der Individuen. Solange aber die Individualität der
Produktion wie der Negation des Begriffs unterstellt bleibt, bleibt die Idee des Lebens in
dem Widerspruch befangen, sich selbst transzendierende Individualität zu sein.
Hegel braucht ein ontologisches Korrelat des Begriffs. Dieses Korrelat muß der Idee als
Totalität entsprechen, also selbst Totalität sein. Insofern ist der Gattungsbegriff dem Begriff
des Begriffs adäquat. Dem entspricht, daß die Begriffe der Logik notwendig allgemein gel-
ten und damit unabhängig von der Meinung der Individuen. Andererseits sind die Individuen
Träger der Idee. Verschwinden sie in toto, dann mit ihnen auch die Gattung.
Im Tod wird die Bewegung des Lebens nicht aufgehoben, sondern beendet, weil mit ihm
das Subjekt, welches die Bewegung denkt und betreibt, negiert wird. Die Stellung des Be-
griffs zum Tode kann zweierlei Form annehmen: 1. Entweder hat sie die Gestalt der Negati-
on der Negation wie sie in der Wissenschaft der Logik durchgeführt wird. Der Tod wird dann
als Abstraktion von der Existenz der Sinnenwesen interpretiert, als begriffliches Moment der
logischen Entwicklung. Dann ließe sich die Fortsetzung der Bewegung denken, so daß mit
dem Begriff die intellektuellen Momente des Erkennens und Wollens weiterentwickelt wer-
den. Die Inhalte des Erkennens und Wollens stammen aus der Erinnerung an die bereits auf-
gehobenen Gestalten des Begriffs, so daß auch der Tod nur als erinnerter erscheint. Aber
eine Bewegung, die ihre ursprüngliche Bedingung negiert, wird zur Hybris.141 Oder zwei-
tens, das Subjekt bleibt der Bewegung des Begriffs als dessen Existenzbedingung unterstellt,

140
Hegel. Lehre vom Begriff, 191.
141
In den antiken Tragödien und Epen wurde die Hybris, die Anmaßung der Heroen, den Göttern gleich zu
sein, von den Göttern gerächt, indem die Heroen auf ewig an ihre Bedürftigkeit erinnert wurden, so
z. B. Tantalos, der die Allwissenheit der Götter prüfen wollte, indem er ihnen seinen eigenen Sohn als
Mahl vorsetzte. Die Götter bemerkten das und ließen Tantalos zur Strafe in einem Teich stehen, ohne
ihn jemals trinken zu lassen. Homer. Odyssee. Stuttgart, 1976, Verse 582–592.
110 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

dann ist die logische Idee aber nicht mehr absolut. Das Subjekt bleibt erhalten, als eines, das
in Relation zu der logischen Bewegung als ihrem Gegenstand steht, ohne sich in dieser auf-
zulösen. Tatsächlich folgt aus dem Tod nur für den Fall ein Fortgang, wenn er Moment einer
übergeordneten Instanz ist. Oder: Die Gattung muß schon vor dem Übergang vom Leben
zum Erkennen als die vernunftbegabter Sinnenwesen vorgebildet sein, weil der Tod das ab-
solute Nichts der Organismen ist, aus dem nichts folgt. Das dem Prozeß selbst Transzenden-
te kann in diesem Falle nicht der Begriff sein, da dieser seine Existenz negiert. Es ist das die
Wissenschaft der Logik denkende, selbstbewußte Subjekt. Auch in diesem Fall ist die Bedin-
gung kein hinreichender Grund. Der Gattungsprozeß ist die Bedingung der Möglichkeit, das
in den einzelnen Sinnenwesen liegende Gattungsmerkmal zu realisieren, weil dieses nur als
Kollektivvermögen, nicht aber als Einzelvermögen seinem Begriff adäquat ist. Daß dieses
Gattungsmerkmal, das im Leben bislang nur als Sensibilität bestimmt wurde, als Kollektiv-
vermögen in der Vernunftbegabung liegt, geht aus dem Prozeß des Lebens, also dem Leben-
sprozeß des Körpers, nicht hervor. Die Idee des Erkennens folgt aus dem Gattungsprozeß
nur in der Hinordnung auf den terminus ad quem, die absolute Idee. Umgekehrt stellen aber
die absolute Idee und die sie denkenden Subjekte nicht nur das Argumentationsziel dar, son-
dern ebenso dessen Voraussetzung: Wenn Zweckmäßigkeit nur in der Welt ist, weil sie dort
realisiert wurde, dann sind die denkenden Subjekte auch die historische Bedingung der Be-
griffe äußerer und innerer Zweckmäßigkeit.
Die hier referierte Gestalt des Aufhebens unterscheidet sich spezifisch von den bisheri-
gen, weil der aufzuhebende Begriff ein besonderer ist, nämlich Subjekt-Objekt, Idee. Im Le-
ben hat die Entwicklung einen Stand erreicht, auf dem Subjektivität und Objektivität orga-
nisch aufeinander verwiesen sind. Das hatte Hegel gezeigt. Nicht nur die Teile des
Organismus verlieren ihre Funktion, wenn sie getrennt werden, sondern umgekehrt verliert
auch die Seele ihr Sein, wenn die Individualität stirbt. Das Fortschrittliche im Begriff des
Lebens ist zugleich seine unüberwindbare Schranke: Erkennen ohne Erkennendes ist nicht.
Die Wahrheit des Todes ist nicht das Erkennen der Idee, die Erlösung im Begriff, sondern
das Ende des Selbstbewußtseins, das die logische Bewegung denkt.142

2.6 Resultate: Der Begriff absoluter Selbstbestimmung


In der Wissenschaft der Logik stellt das Ende des lebendigen Individuums den Anfang
des Erkennens dar. Der Fortgang der Bewegung bis zur absoluten Idee sei hier nur kurz
angedeutet: Das Leben geht in das Erkennen über, die frei für sich seiende Idee. Mit der
Idee werden die Kantischen Begriffe der analytischen und synthetischen Verstandeser-
142
Manfred Spieker teilt den Lebensbegriff Hegels: „Das andere Leben wird seiner Bestimmung voll-
kommen gerecht und geht, indem es wird, was es immer schon war, ein in seine Wahrheit. Der Ort
solcher wahrhaften Geltung ist das Denken. Hegel spitzt die Verbindung von Denken und Leben
so weit zu, daß schließlich das Leben selbst zur logischen Idee wird.“ Michael Spieker. Wahres
Leben denken. Über Sein, Leben und Wahrheit in Hegels Wissenschaft der Logik. Hamburg, 2009,
13. Er stellt sich die Aufgabe gegen kritische Positionen wie die hier vertretene zu zeigen, „wie
die Logik die ihr gestellte Aufgabe löst und wie das Leben darin seinen Ort hat.“ Ebd., 14.
Resultate: Der Begriff absoluter Selbstbestimmung 111

kenntnis referiert. Die Funktion der Verstandeserkenntnis ist es, Beweise zu führen, und
die Begriffe mit Notwendigkeit zu begründen. Letztlich bleibt aber das Erkennen theo-
retisch und den Objekten gegenüber äußerlich, weil es nicht die Notwendigkeit der Exi-
stenz der Objekte aus dem Erkennen setzt. Aber die Notwendigkeit der Vermittlung von
theoretischem Erkennen und Objektivität soll sein, ist Zweck des Erkennens. Das theo-
retische Erkennen formuliert darin seine praktische Relevanz, weil es die Realisierung
der subjektiven Idee als absoluten Zweck, das Gute als Ziel der Selbstbestimmung des
Begriffs formuliert. Das Gute ist die Einheit der theoretischen und der praktischen Idee.
Von der Teleologie unterscheidet sich das Gute, weil es keinen endlichen Zweck mehr
hat, nicht mehr am Modell handwerklicher Tätigkeit orientiert ist, sondern am Modell
der Sittlichkeit. Oder: der absolute Zweck der Selbstbestimmung ist nicht an sich, son-
dern für sich und die Objektivität stellt keine Voraussetzung mehr dar, sondern ist das
Produkt der Idee. Das Gute ist also der Maßstab der Gestaltung der Welt. Der Mangel
des Guten liegt aber darin, noch nicht ausgeführt zu sein. Das Sollen wird aufgehoben,
indem die theoretische mit der praktischen Idee vermittelt wird: Die theoretische Idee
weiß sich als Auffassen, für sich unbestimmte Identität des Begriffs mit sich, dessen Er-
füllung in einer vorgefundenen Objektivität liegt. Die bestimmte Objektivität ist ihr das
wahrhaft Wirkliche. Der praktischen Idee gilt sie hingegen als Nichtiges, das seine
wahrhafte Bestimmung durch die Idee erst erhalten soll. Das Gute setzt sich in der Welt
und dieses Setzen bestätigt die vorausgesetzte Erkenntnis, daß die Objektivität die wahr-
hafte Wirklichkeit ist.143 Wissen und gutes Handeln sind wechselseitig aufeinander ver-
wiesen. Es entsteht so ein ewiges Vollbringen des schon Vollbrachten, eine objektive
Welt, deren innerer Grund der Begriff ist – die absolute Idee:
„Die absolute Idee, wie sie sich ergeben hat, ist die Identität der theoretischen und der prakti-
schen, welche jede für sich noch einseitig, die Idee selbst nur als ein gesuchtes Jenseits und un-
erreichtes Ziel in sich hat; – jede daher eine S yn t h e s e d e s S t r e b e n s ist, die Idee sowohl in
sich hat als auch n i c h t hat, von einem zum andern übergeht, aber beyde Gedanken nicht zu-
sammenbringt, sondern in deren Widerspruche stehen bleibt. Die absolute Idee als der vernünf-
tige Begriff, der in seiner Realität nur mit sich selbst zusammengeht, ist um dieser Unmittelbar-
keit seiner objectiven Identität willen einerseits die Rückkehr zum Le b e n ; aber sie hat diese
Form ihrer Unmittelbarkeit ebensosehr aufgehoben, und den höchsten Gegensatz in sich. Der
Begriff ist nicht nur S e e l e , sondern freyer subjectiver Begriff, der für sich ist und daher die
P e r s ö n l i c h k e i t hat, – der praktische, an und für sich bestimmte, objective Begriff, der als
Person undurchdringliche, atome Subjectivität ist, – der aber ebensosehr nicht ausschliessende
Einzelnheit, sondern für sich A l l g e m e i n h e i t und E r k e n n e n ist, und in seinem Andern s e i -
n e e i g e n e Objectivität zum Gegenstande hat. Alles Uebrige ist Irrthum, Trübheit, Meynung,
Streben, Willkühr und Vergänglichkeit; die absolute Idee allein ist S e y n , unvergängliches Le -
b e n , s i c h w i s s e n d e W a h r h e i t , und ist a l l e Wa h r h e i t .“144

Der Kern des Moralischen sei daher überindividuell, Gegenstand menschlichen Wollens
überhaupt. Die absolute Idee ist die Idee, daß das, was als wahr erkannt worden ist, auch
als Gutes gewollt und realisiert werden müsse, und diese Einsicht begründet dann den
143
Vgl. Hegel. Lehre vom Begriff, 230.
144
Ebd., 236.
112 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

Übergang aus der Wissenschaft der Logik in die Naturphilosophie und wird ebenso der
Maßstab zur Gestaltung der Grundlinien sein. Hegel bezeichnet die absolute Idee als das
Selbstbestimmen des Begriffs, welches als absolute Negativität urteilt und setzt. „Die
Momente der speculativen Methode sind a. der Anfang, der das S eyn oder Unmittel -
bare ist; für sich aus dem einfachen Grunde, weil er der Anfang ist. Von der speculati-
ven Idee aus aber ist es ihr Selb stbestimmen , welches als die absolute Negativität
oder Bewegung des Begriffs urtheilt und sich als das Negative seiner selbst setzt.“145
Damit ist die Idee der Selbstbestimmung Hegels formuliert: Der absolute Begriff repro-
duziert sich und seine Bedingungen teleologisch und ist überindividuell. Der Zweck der
Selbstbestimmung ist das Gute, die Einheit von theoretischem und praktischem Erken-
nen, aber Zweck der Selbstbestimmung ist nicht das gute Leben der Individuen, sondern
der Begriff des Systems.
Nun ist die Frage nach dem wechselseitigen Bedingungsverhältnis von Teleologie,
Leben und absoluter Idee zu stellen: In der Wissenschaft der Logik erscheint die Teleolo-
gie und mit ihr die Arbeit des Begriffs als Ursache des Lebens, während in der Phäno-
menologie des Geistes gerade umgekehrt die Arbeitsverhältnisse aus der Notwendigkeit
der Reproduktion des Lebens begründet werden. Daß das Leben aus der Teleologie
folgt, entspricht nicht der biologischen Erfahrung, sondern der Idee, die Begriffe der
Subjektivität und Objektivität miteinander zu vermitteln. Die Frage nach dem Leben in
der Logik ist die Frage, wie der Begriff, der das Prinzip des Lebens beschreibt, mit den
anderen Kategorien, hier insbesondere mit Kausalität und Wechselwirkung, zusammen-
stimmt und die Antwort lautet: als durchs Denken produzierter Begriff. Insofern ist das
Modell der Teleologie tatsächlich einzig die Logik. Entsprechend weist Hegel an den
Stadien, die das Leben durchläuft – Individuum, Lebensprozeß und Gattung – nach, wie
die Gestalten des Begriffs darin ihr Wesen, Begriff zu sein, herausstellen. Damit ist die
Selbstbestimmung des Begriffs der Begriff selbstbestimmter Tätigkeit, weil noch ihr
Modell und ihr Subjekt als aus dem Begriff reproduziert gedacht werden.146 Gleichzeitig
ist aber weder der Lebensbegriff, noch der Begriff der Selbstbestimmung Gegenstand
historisch-praktischer Erfahrung, weil es keine realisierte Totalität des Begriffs gibt –
nicht einmal im System Hegels. Einerseits ist das noch an den Grundlinien, also an dem
Versuch Hegels, die Vernunft gesellschaftlicher Wirklichkeit zu bestimmen, nachzuwei-
sen, andererseits ist bereits aufgezeigt worden, worin die absolute Idee entgegen ihrem
Absolutheitsanspruch doch auf Bedingungen verwiesen bleibt, ohne sie in die Bewe-
gung restlos integrieren zu können. Der Begriff absoluter Selbstbestimmung muß schei-

145
Hegel. Enzyklopädie, § 238.
146
Vgl. Andreas Arndt. „Die Arbeit der Philosophie.“ 131. „Nach dieser Auffassung ließe sich die
Philosophie als der Versuch verstehen, das Allgemeine der Erkenntnisarbeit zu reflektieren, d. h.
die Erkenntnismittel nicht nur hinsichtlich ihres allgemeinen Charakters für die besonderen Ver-
fahrensweisen und Erkenntnisgegenstände zum Thema zu machen, wie in der Selbstreflexion der
besonderen Wissenschaften, sondern für die Erkenntnis überhaupt. Hiermit ließe sich auch das
scheinbare Paradoxon auflösen, daß Philosophie Wissenschaftsform hat, ohne wie die besonderen
Wissenschaften einen besonderen Gegenstand vorweisen zu können.“ Oder: Philosophie hat sich
selbst und die Kritik ihrer eigenen Geschichte zum Gegenstand.
Resultate: Der Begriff absoluter Selbstbestimmung 113

tern, weil er in sich nicht durchgängig systematisch bestimmbar ist. Es gibt keine abso-
lute Selbstbestimmung, sondern nur eine, die auch praktisch bestimmt ist.
Trotzdem ist der Selbstbestimmungsbegriff Hegels auch nicht gänzlich zu verwerfen.
Zwar sind vor dem Hintergrund der Kritik am Selbstbestimmungsbegriff Hegels Ob-
jektivität und Subjektivität nicht erlöst worden, aber es ist eine Analogie zwischen dem
Organismus und dem Denken aufgezeigt worden: Dem Organismus und dem Denken
liegt dasselbe teleologische Prinzip zugrunde, aber das darzustellen ist nicht möglich,
ohne die Arbeit der Darstellung, ohne die Arbeit des Geistes. Nur als Arbeitsprodukt des
Geistes erscheint das Leben als ein Resultat, während es vom Standpunkt der Natur oder
des erscheinenden Geistes als Voraussetzung und Bedingung von Arbeit erscheint. Auch
wenn objektive Zwecke weder von selbst noch aus einer logischen Ableitung heraus zu
Organismen werden, so kann das Leben doch in Analogie zur zweckgerichteten Tätig-
keit erklärt werden: Weil es Artefakte gibt, weil die Menschen schon Zwecke in der Welt
verwirklicht haben, können Lebensprozesse als zweckmäßige Prozesse gedacht werden.
Daß es sich dabei nur um eine Analogie handeln kann, bedeutet umgekehrt, daß die Zu-
schreibung der Zweckmäßigkeit auf das Lebensprinzip problematisch ist.147 Mit den Ar-
gumenten Hegels läßt sich darüber hinaus noch sagen, daß das Leben teleologischer Tä-
tigkeit nicht nur analog ist, sondern nur gedacht werden kann, sofern es wissenschaftlich
erklärt ist, d. h. selbst schon durch den Begriff angeeignet worden ist. Dieser Schluß auf
die Analogie beider Modelle wäre aber in Abgrenzung gegen Hegel nicht progressiv,
sondern im Sinne Kants rekursiv: Von der Existenz objektiver Zwecke wird auf den zu-
grundeliegenden Begriff geschlossen. Hegel aber argumentiert nicht rekursiv, sondern
beansprucht den Begriff des Lebens aus dem Begriff zweckmäßiger Tätigkeit abzulei-
ten. Daß die vier Ursachen sich im Prozeß handwerklicher Tätigkeit gegenständlich un-
terscheiden lassen, weil der Handwerker offensichtlich etwas anderes ist als sein Werk-
zeug und sein Arbeitsprodukt, ist für Hegel das Zeichen der Endlichkeit äußerer
Zweckmäßigkeit. Die vier Ursachen bleiben so der Ausdruck von einer der Objektivität
äußerlichen Reflexion. Indem er aber diese äußere Reflexion setzt, werden die in der äu-
ßeren Zweckmäßigkeit selbständig vorliegenden Ursachen in der Einheit der unmittel-
baren Idee innerlich reproduziert. Die Idee wird schon in ihrer unmittelbaren Gestalt des
Lebens zu einem selbständig und unbedingt existierenden objektiven Zweck.
Die Idee mit ihren Stadien des Lebens, des Erkennens des Wahren und Guten und der
absoluten Idee ist der Begriff des Geistes und damit die Form der denkenden und prakti-
schen Aneignung der Wirklichkeit durch die vernunftbegabten Subjekte. Aber gegen die
147
In der Differenz zwischen einer Naturordnung, die nur in Analogie zur Teleologie gedacht wird,
und einer, die die Teleologie als konstitutiv für die Natur erachtet, bleibt das als ob der reflektie-
renden Urteilskraft Kants erhalten. Eine teleologisch gedachte Naturordnung kann nur regulative
Geltung haben und ist konstitutiv nur dort, wo von Menschenhand Zwecke verwirklicht worden
sind. Daß die belebte Natur als zweckmäßig erscheint, liegt auch daran, daß sie dort, wo sie un-
zweckmäßig ist, abstirbt. Der Tod ist die absolute Negation des Lebens und erscheint deshalb
nicht (Nach dem Tod erscheint unbelebte Materie). Streng genommen sind mit dieser Differenz
bestimmte Verfahren der Naturbestimmung ausgeschlossen, Evolutionstheorien ebenso wie krea-
tionistische, denn beide beruhen auf dem Grundgedanken, die Naturordnung als zweckmäßige zu
erklären – einmal dient die Natur und einmal dient Gott als Subjekt der Tätigkeit.
114 Die Arbeit der Selbstbestimmung in der Logik

Subjekte, deren Begriff sie darstellt, ist sie transzendent, ja sogar gleichgültig: Die Idee
ist Gedanke Gottes vor Erschaffung der Welt, deren Geschlossenheit noch die Individua-
lität der denkenden Subjekte subsumiert wird. Fragil ist die Stellung der Subjekte in der
gesamten Wissenschaft der Logik. Andererseits hatte Hegel aber stets auch betont, daß
das Subjekt nicht nichts, sondern Moment des Begriffs oder daß der Begriff ihre Wahr-
heit ist. Auch der Subjektbegriff läßt nur diejenigen seiner Bestimmungen gelten, die
mit dem Systemprogramm kompatibel sind, so daß mit der Idee diejenige Bestimmung
der Subjekte gesetzt und negiert (im Falle des Todes der Individuen kann von Aufheben
nicht die Rede sein) wird, die sie zu Individuen macht. Erkennen und moralisches Han-
deln kommen ohne Subjekte und deren Entscheidung, gut oder schlecht zu handeln, aus
– sagt Hegel.
Darin, daß die Individuen als Grund des Scheiterns der Selbstbestimmung des Be-
griffs ausgemacht und eliminiert werden, liegt zugleich eine moralische Bewertung von
Individualität schlechthin: Obgleich Verkörperung der Selbstbestimmung, ist Individua-
lität nicht die Existenzbedingung des Begriffs, sondern absolut verwertbar. Daß diese
Bestimmung auch für die praktische Philosophie Hegels bestimmend ist, wird an den
Stellen deutlich, wo es um die Rechtfertigung der gesellschaftlichen Stellung der Unter-
privilegierten geht: im Herr-Knecht-Verhältnis ebenso wie in der bürgerlichen Gesell-
schaft. Der kategorische Imperativ Kants, daß die Menschen Zweck an sich selbst und
vor allem auch Urheber eines Reichs der Zwecke sein sollen, bleibt – gegen Hegel – ein
unvergänglicher Gehalt.
Wenn es absolute Selbstbestimmung nicht geben kann, sondern auch das Modell phi-
losophischer Selbstbestimmung auf endliche Bedingungen verwiesen ist, dann ist das
Gelingen der Selbstbestimmung dadurch bedingt, daß die Welt – ihre gegenständlichen
Bedingungen – ihr stets von Neuem gemäß gemacht werden muß. Darin ist der Frei-
heitsbegriff Hegels wiederzufinden, der dem Anspruch nach nicht wie bei Kant jenseits
der Verhältnisse ein Abstraktum bleibt, sondern die Verhältnisse sich gemäß macht. Aber
dieser Freiheitsbegriff benennt auch, was den Menschen auferlegt ist, wenn sie zu sich
kommen wollen: nicht weniger, als Wissen und Technik so zu nutzen, daß die Realität
tatsächlich vernünftig wird. Gleichzeitig ist dieser Begriff von Selbstbestimmung histo-
risch voraussetzungsvoll: Er setzt akkumuliertes Wissen und Technik voraus und vor al-
lem auch die Entscheidung jedes Einzelnen und der jeweiligen Gesellschaften, sich die-
ser Aufgabe zu stellen.
Die Frage nach dem Verhältnis von Teleologie, Leben und Selbstbestimmung ist da-
mit auf das Selbstbewußtsein verwiesen. In der Phänomenologie des Geistes erscheint
dem sich aus der Erscheinung herausarbeitenden Selbstbewußtsein das Leben als vorge-
fundene Bedingung seines Tuns. Damit betrachtet Hegel in der Phänomenologie die an-
dere Seite des Problems: nicht die Seite des logischen Prinzips der Teleologie, sondern
die Relation des Bewußtseins auf das Leben und damit zugleich den historisch kriti-
schen Prozeß der Bildung desjenigen Selbstbewußtseins, das die Wissenschaft der Logik
denkt. Es findet das Leben vor, der Lebensprozeß geschieht dem Bewußtsein, ohne daß
es darauf Einfluß hätte. Aus der Bedrohung des Lebens folgt das Bewußtsein der End-
Resultate: Der Begriff absoluter Selbstbestimmung 115

lichkeit und die herrschaftliche Organisation der Reproduktion. Arbeit erscheint also als
der Prozeß der Vermittlung des Lebens und damit als Resultat und nicht als Vorausset-
zung wie in der Logik.
In der Logik wird die Idee eines Gattungsbegriffs formuliert, der unabhängig von
ökonomischen Zwängen gedacht ist. Die Versorgung derjenigen, die die absolute Idee
denken, wird als Bedingung gedacht, die in der Vorbereitung der Wissenschaft der Lo-
gik, also der Phänomenologie des Geistes als Herrschaft und Knechtschaft vermittelt
wird und eine Gestalt der Entwicklung des Selbstbewußtseins ist. Die Selbstbestimmung
des Selbstbewußtseins verlangt zuerst nach der Bestimmung des Lebens, dann erst nach
der Organisation der Reproduktion dieses Lebens. Aber im Anfang der Wissenschaft hat-
te Hegel die Vermittlung des Anfangs vom Anfang abgetrennt, weil dieser zugleich ur-
sprünglich sein sollte. Insofern ist das Verhältnis von Herrschaft und Knechtschaft für
die Logik nicht bestimmend. In der Logik wird die Idee der Selbstbestimmung formu-
liert, in der die innere und die äußere Zweckmäßigkeit zusammengegangen sind. Darin
liegt die Vorstellung, daß Arbeit selbstbestimmt und Selbstbestimmung Arbeit ist. Die
selbstbestimmte Reproduktion von Individuen folgt aus dem logischen Begriff der
Selbstbestimmung als dessen Realisierung erst in der bürgerlichen Gesellschaft der
Grundlinien. Umgekehrt hatte die Kritik an der Argumentation Hegels gezeigt, daß die
Idee unfreiwillig Momente des Herrschafts-Knechtschaftsverhältnisses an sich hat. Es
ist nun zu zeigen, daß das Herrschafts-Knechtschaftsverhältnis seinerseits Momente der
absoluten Idee an sich hat.
3 Selbstbestimmung und Herrschaft in der
Phänomenologie

„Die Erde sei verflucht und im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brot essen! Arbeiten
heißt die Welt vernichten oder fluchen.“1

In der Phänomenologie des Geistes hat der Begriff der Selbstbestimmung einen anderen
Gegenstand als in der Wissenschaft der Logik. Zwar haben beide dasselbe telos, die Be-
gründung der Einheit des Systems, deren wissenschaftliches Prinzip der dialektische
Schluß ist, und dem die grundsätzliche Überlegung zugrunde liegt, daß noch das Be-
wußtsein der Differenz von Subjektivität und Objektivität in das Denken fällt. Während
aber die phänomenologische Selbstbestimmung Selbstbestimmung des Selbstbewußt-
seins ist, das in seiner letzten Gestalt absolutes Wissen und den Anfang der Wissenschaft
der Logik darstellt, gilt die logische Selbstbestimmung dem Begriff des Begriffs. Hegel
zufolge unterscheiden sich damit die jeweiligen Subjekte in der Zeit – das Subjekt der
Phänomenologie ist noch kein logischer Begriff, sondern will es erst werden. Es hat ei-
nerseits die Potenz zum Begriff, weil es das Vermögen zur Reflexion ist und der Begriff
sein Medium, andererseits ist sein Gegenstand nicht der logische Begriff, sondern die
Gestalten des erscheinenden Wissens, also des Wissens von sich selbst und denjenigen
Gegenständen, gegen die es sich abgrenzt und bestimmt. Die Phänomenologie ist die
„Wissenschaft der Erfahrung, die das Bewußtseyn macht.“2 Hegel bezeichnet den Weg
dieser Wissenschaft selbst als die „Arbeit des Verstandes“ und als die „Arbeit des Nega-
tiven“3.
Anders als bei Hegel wird aber der Selbstbestimmungsbegriff der Phänomenologie
im Zusammenhang dieser Arbeit nicht als aufzuhebende Voraussetzung der Wissen-
schaft der Logik oder Bestimmungsmoment der Enzyklopädie dargestellt, sondern als
Resultat der Kritik am Begriff absoluter Selbstbestimmung in der Lehre vom Begriff.
Einerseits wird von Hegel in der Lehre vom Begriff der Begriff der Selbstbestimmung
bestimmt, der nur dort absolut auf sich bezogen ist: Das Modell dieser Selbstbestim-
mung ist, wie zuvor gezeigt, die Wissenschaft der Logik selbst. Das bedeutet umgekehrt
aber ebenso, daß sie – wenn überhaupt – dann nur im Medium der Wissenschaft der Lo-
gik ihrem Begriff adäquat ist, während sie in allen anderen Bereichen nicht der Begriff,
1
Hegel. Werke Bd. 2 (Jenaer Schriften 1801–1807). Frankfurt a. M., 1995, 547.
2
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 29.
3
Ebd., 18, 27.
Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie 117

sondern die Objektivierung von Selbstbestimmung ist: Produktive Arbeit ist kein Ge-
genstand der Selbstbestimmung des Begriffs, sondern wird erst im Herrschaftskapitel
der Phänomenologie und der bürgerlichen Gesellschaft der Grundlinien thematisch. Die
Kritik der absoluten Selbstbestimmung hatte aber gegen Hegels Intention gezeigt, daß
die Teleologie auf das Modell des herrschaftlich organisierten Arbeitsprozesses verwie-
sen bleibt. Darüber hinaus konnte sie im Leben nur um den Preis der Negation von Indi-
vidualität durchgeführt werden. Daß der Begriff absoluter Selbstbestimmung nur durch
die Negation von Individualität durchgeführt werden kann, bedeutet, daß dieser Begriff
einem Selbstbewußtsein transzendent ist, daß sich noch in der Auseinandersetzung mit
dem Wissen um seine Existenz- und Reflexionsbedingungen befindet, also einem
fremdbestimmten Selbstbewußtsein. Wenn also mit der Kritik an der Lehre vom Begriff
zur Bestimmung des erscheinenden Bewußtseins übergegangen wird, dann folgt dieser
Schritt der Überlegung, es nicht im Medium absoluter Selbstbestimmung zu bestimmen,
sondern dort, wo es sich im Medium der Fremdbestimmung bewegt. Das Selbstbewußt-
sein der Phänomenologie ist in dieser Hinsicht das Negativ zur absoluten Selbstbestim-
mung des logischen Begriffs, und es ist zugleich auch dessen Bedingung, weil es die In-
dividualität ist, die die Bewegung der Logik denkt.
Hegel bestimmt das Selbstbewußtsein zwar in der Phänomenologie als erscheinendes
im Medium der Fremdbestimmung, aber mit dem Ziel zu zeigen, daß die Fremdbestim-
mung ein notwendiges Moment der Selbstbestimmung ist. Der Nachweis, den er dafür
erbringen muß, ist zu zeigen, daß das Selbstbewußtsein die einzelnen Gestalten seiner
phänomenologischen Reflexion als Momente der Selbstbestimmung aus sich setzt und
sich damit als ihr Grund erweist. Wenn dieser Nachweis gelingt, dann ist jeder Gestalt
des erscheinenden Geistes die Absolution erteilt, weil ohne sie das Selbstbewußtsein
nicht zu sich selbst käme. Auch der Herrschaftsbegriff und die das Herrschaftsverhältnis
konstituierende Gewalt werden auf diese Weise als vernünftige Erscheinungen gerecht-
fertigt.4Um diesen Herrschaftsbegriff zu kritisieren, ist es deshalb nötig zu zeigen, daß
nicht das avancierte, seiner Tendenz nach ebenfalls zur Verabsolutierung neigende
Selbstbewußtsein das Herrschaftsverhältnis setzt, sondern daß das Herrschaftsverhältnis
eine historische Organisationsform der Reproduktion ist, die technisch-praktischen
Zwecken genügt, aber nicht selbstbestimmt ist. Die Kritik am Herrschaftsbegriff Hegels
erfolgt also über die Kritik des Begriffs des Selbstbewußtseins. Es ist deshalb in einem
ersten Kapitel, Der Begriff des Selbstbewußtseins, nötig, über die Stufen des Bewußt-

4
Deshalb stellt auch die Bewegung des teleologischen Prozesses in den verschiedenen Stadien der
Phänomenologie für Hegel kein Scheitern dar, sondern eine dialektische Verarbeitung des erschei-
nenden Wissen. Vgl. Ludwig Siep: „Der Begriff wird zu Beginn des Selbstbewusstseinskapitels
exponiert. Die Bewegung macht wiederum einen teleologischen Prozess aus, der in der Phänome-
nologie über verschiedene Stationen des Scheiterns und der dadurch ausgelösten dialektischen Er-
fahrungen zur realisierten Anerkennung im Geist, letztlich im absoluten Wissen führt.“ Ludwig
Siep. Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie: Unters. zu Hegels Jenaer Philosophie
d. Geistes. Freiburg [u. a.] 1979, 108. Einen einführenden Kommentar zur Phänomenologie hat
Siep unter folgendem Titel veröffentlicht: Der Weg der „Phänomenologie des Geistes“: ein ein-
führender Kommentar zu Hegels „Differenzschrift“ und zur „Phänomenologie des Geistes“.
Frankfurt a. M., 2000.
118 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

seins, also der Sinnlichen Gewißheit, der Wahrnehmung und der Kraft, den Begriff des
Selbstbewußtseins nachzuvollziehen. In Kraft und Verstand will Hegel den Nachweis
der Gleichartigkeit der Gesetze des Selbstbewußtseins und der Naturwissenschaft füh-
ren. Im Anschluß an die Betrachtung von Kraft und Verstand wird in einem kurzen Ex-
kurs: Naturwissenschaftliche Theoriebildung, eine historisch-kritische Darstellung des
Prozesses naturwissenschaftlicher Theoriebildung am Modell der Planetenbewegung an-
geschlossen, durch die verdeutlicht werden soll, daß der Prozeß in den Naturwissen-
schaften anderen Gesetzen und Zwecken folgt, als der Vermittlungsprozeß des Selbstbe-
wußtseins der Phänomenologie.
Aus der Einheit des Selbstbewußtseins, die aus Kraft und Verstand resultiert, setzt
Hegel den Begriff des Lebens und konstituiert damit dasjenige Individuum, das im Herr-
schaft-Knechtschaftskapitel daran geht, seine eigenen Existenz- und Reflexionsbedin-
gungen zu vermitteln. Im Kapitel Selbstbewußtsein und das Problem seiner Realisie-
rung ist zu sehen, wie die Realisierung des Selbstbewußtseins als Bestimmungsgrund
über den Kampf auf Leben, Tod und Herrschaft vermittelt in der Naturbearbeitung mün-
det.5

3.1 Der Begriff des Selbstbewußtseins


Der Gegenstand der Wissenschaft der Logik ist die Kritik des Begriffs reiner Wissen-
schaft aus dem „frey für sich seyenden Denken“6. Das in den logischen Kategorien dar-
gestellte Verhältnis von Begriff und Gegenstand des Begriffs ist weder einzelwissen-
schaftlich noch rein logisch gefaßt, sondern vielmehr durch den Gedanken der
Vermittlung von Metaphysik und Logik bestimmt. Das Resultat dieser Kritik ist der Be-
griff der absoluten Idee, der somit auch als der Begriff der absoluten Wissenschaft zu
verstehen ist. Obgleich die Wissenschaft der Logik damit den logischen Vorrang vor den
Einzelwissenschaften hat, hat sie ihrerseits ebenso Bedingungen. Sie ist keine creatio ex
nihilo, sondern bildet sich am und in Negation des einzelwissenschaftlichen Wissens.
Diese Begriffsbildung geht geschichtlich vor sich, muß sich aber als Bedingung der
Wissenschaft der Logik und der Begründung des Anfangs der reinen Wissenschaft zu-
gleich systematisch auf diese beziehen lassen. In diesem Spannungsfeld geschichtlicher
und systematischer Bestimmung bewegt sich die Phänomenologie des Geistes.
Das Verhältnis der Inkompatibilität von geschichtlicher und systematischer Bestim-
mung des Wissens wird in der Einleitung der Phänomenologie exponiert. Dieses Ver-
5
Vgl. Otto Pöggeler, der sich auf Rosenkranz beziehend, erörtert, ob und inwiefern sich die Phäno-
menologie in die systematische Arbeit einfügt: „Hegel nehme, so sagt er, in der Phän. ein Moment
des Systems, das Bewußtsein, aus dem System heraus und handele es aus pädagogischen Gründen
vorweg ab. In der Phän. von 1807 habe Hegel aber nicht nur die Stufen des ‚Bewußtseins‘ im en-
geren Wortsinn dargestellt […] sondern auch gezeigt, wie das Bewußtsein sich wiedererkennt in
Natur, Sittlichkeit, Bildung, Moralität, Religion.“ Otto Pöggler. Hegels Idee einer Phänomenolo-
gie des Geistes, 177.
6
Hegel. Lehre vom Sein und vom Wesen, 54.
Der Begriff des Selbstbewußtseins 119

hältnis wird von Hegel teleologisch bestimmt, indem das Resultat der Phänomenologie
– die systematische Übereinstimmung des Wissens mit dem Gewußten im absoluten
Wissen – als Maßstab der Entwicklung bereits antizipiert wird. Dadurch ist das absolute
Wissen der zu realisierende Zweck der Phänomenologie und damit zugleich Maßstab
der Kritik auf jeder Stufe der Argumentation. Andererseits hat aber der Begriff des abso-
luten Wissens die Entwicklung der gesamten Phänomenologie ebenso zu seiner Vorausset-
zung. Deshalb ist der Maßstab der Entwicklung und damit das absolute Wissen vor der
Erreichung des Zwecks unvollständig bestimmt. Es gilt jeweils nur in dem Maße, in
dem es auch erkannt wurde, und diese Erkenntnis ist wiederum durch die Erkenntnis der
Gegenstände des Wissens bestimmt. Damit ist das absolute Wissen als terminus ad
quem vom absoluten Wissen als ausgeführter Zweck und Maßstab der Kritik auch unter-
schieden. Als terminus ad quem wird der Begriff des absoluten Wissens vorausgesetzt,
während er als Resultat ausgeführter Zweck ist. Der Maßstab der Kritik unterliegt damit
selbst einer Entwicklung:
„Indem es also an seinem Gegenstande sein Wissen diesem nicht entsprechend findet, hält auch
der Gegenstand selbst nicht aus; oder der Maßstab der Prüffung ändert sich, wenn dasjenige,
dessen Maßstab er seyn sollte, in der Prüffung nicht besteht; und die Prüffung ist nicht nur eine
Prüffung des Wissens, sondern auch ihres Maßstabes.“7

Das Subjekt, welches in der Wissenschaft der Logik mit dem Begriff identifiziert wurde,
hat in der Phänomenologie des Geistes eine Eigenständigkeit gegenüber dem unmittel-
baren Wissen, denn am Anfang der Phänomenologie des Geistes, wo die Relata einander
noch nicht angemessen sind, kann die Einheit von Maßstab, Resultat und Weg des Wis-
sens nicht die Einheit des Systems selbst sein wie in der Logik, weil sie im Bewußtsein
nur antizipiert wird. Noch kann sie nur Begriff des Wissens sein, denn auch diesen wird
es erst im Resultat der Phänomenologie geben. Sie hat deshalb auch ihren Ort nur im
antizipierenden Subjekt und ist gleichzeitig von diesem als dessen Begriff unterschie-
den. Anders als in der Logik wird das Bewußtsein und mit ihm das Subjekt als Konstitu-
endum des Prozesses eingeführt. Ihm ist es darum zu tun, die Diskrepanz von Gewißheit
und Wahrheit aufzuheben.
Dem Bewußtsein erscheint die Stellung des Wissens zum Gegenstand ambivalent: In-
sofern es seinen Gegenstand vorfindet, steht es ihm als selbständigen und damit gleich-
wertigen Ding gegenüber. Weil aber der Gegenstand für das Bewußtsein nur ist, insofern
er für und durch das Bewußtsein erklärbar ist, ist dieses Verhältnis ebenso asymme-
trisch. Der Gegenstand ist an sich, aber nicht für sich, sondern für uns, die erkennenden
Subjekte, während die erkennenden Subjekte sowohl an-, als auch für sich sind: Sie sind
zugleich an sich Erkenntnisvermögen, Erkenntnisgegenstand und Begriff, und erkennen
sich zugleich auch als solche. Noch die Differenz von Subjektivität und Objektivität fällt
in das Bewußtsein, so daß sich nun das Verhältnis von Subjekt, Objekt, Mittel und aus-
geführter Zweck als Abgleich des Wissens mit sich selbst darstellt.

7
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 60.
120 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

„Untersuchen wir nun die Wahrheit des Wissens, so scheint es, wir untersuchen, was es a n
s i c h ist. Allein in dieser Untersuchung ist es u n s e r Gegenstand, es ist f ü r u n s ; und das an
s i c h desselben, welches sich ergäbe, wäre so vielmehr sein Seyn fü r u ns ; was wir als sein
Wesen behaupten würden, wäre vielmehr nicht seine Wahrheit, sondern nur unser Wissen von
ihm. Das Wesen oder der Maßstab fiele in uns, und dasjenige, was mit ihm verglichen, und
über welches durch diese Vergleichung entschieden werden sollte, hätte ihn nicht nothwendig
anzuerkennen./ Aber die Natur des Gegenstandes, den wir untersuchen, überhebt dieser Tren-
nung oder dieses Scheins von Trennung und Voraussetzung. Das Bewußtseyn gibt seinen Maß-
stab an ihm selbst, und die Untersuchung wird dadurch eine Vergleichung seiner mit sich selbst
seyn; denn die Unterscheidung, welche so eben gemacht worden ist, fällt in es. Es ist in ihm ei-
nes fü r e i n a nd e r e s , oder es hat überhaupt die Bestimmtheit des Moments des Wissens an
ihm; zugleich ist ihm diß andere nicht nur f ü r e s , sondern auch außer dieser Beziehung oder
a n s i c h ; das Moment der Wahrheit. An dem also, was das Bewußtseyn innerhalb seiner für das
a n s i c h oder das W a h r e erklärt, haben wir den Maßstab, den es selbst aufstellt, sein Wissen
daran zu messen. Nennen wir das Wi s s e n den B e g r i f f , das Wesen oder das W a h r e aber,
das Seyende oder den Ge g e n s t a n d , so besteht die Prüffung darin, zuzusehen, ob der Begriff
dem Gegenstande entspricht. Nennen wir aber d a s We s e n oder das a n s i c h d e s G e g e n -
s t a n d e s d e n B e g r i f f , und verstehen dagegen unter dem G e g e n s t a n d e , ihn als Ge g e n -
s t a n d , nemlich wie er fü r e i n a n d e r e s ist, so besteht die Prüffung darin, daß wir zusehen,
ob der Gegenstand seinem Begriff entspricht. Man sieht wohl, daß beydes dasselbe ist; das we-
sentliche aber ist, diß für die ganze Untersuchung festzuhalten, daß diese beyden Momente,
B e g r i f f u n d G e g e n s t a n d , f ü r e i n a nd e r e s , und a n s i c h s e l b s t seyn, in das Wissen,
das wir untersuchen, selbst fallen, und hiemit wir nicht nöthig haben, Maßstäbe mitzubringen,
und u n s e r e Einfälle und Gedanken bey der Untersuchung zu appliciren; dadurch, daß wir die-
se weglassen, erreichen wir es, die Sache, wie sie an und fü r s i c h selbst ist, zu betrachten.“8

Zwischen den Extremen des unmittelbaren und des absoluten Wissens stehen im Verlau-
fe der Phänomenologie diejenigen Erkenntniskräfte, die traditionell als nicht-intellektu-
elle behandelt wurden, wie die Sinnesempfindungen und Wahrnehmungen, und deren
Inhalte, also diverse geistesgeschichtlich bestimmte Vorstellungen. Schließlich steht
zwischen ihnen die praktische Erfahrung der Subjekte mit der Objektivität, die in der
Phänomenologie zumindest indirekt in den Vorstellungen erscheinen, die die praktische
Selbstbestimmung des Geistes zum Gegenstand haben. Solange die Vorstellungen von
der Objektivität nicht deckungsgleich mit deren Begriff sind, sind sie nur gewiß, aber
noch nicht wahr. D. h. für die Vorstellung, daß sie zwar ein notwendiges Moment des
Begriffs, aber der Begriff nicht notwendig ein Moment der Vorstellung ist, weil diese
dem Kriterium der Wahrheit, der widerspruchsfreien Übereinstimmung von Denken und
Gegenstand, nicht notwendig genügt. Indem die Vorstellungen eine Gewißheit von der
Objektivität vermitteln, bleibt es unsicher, ob der Begriff mit dem Gegenstand überein-
stimmt, so daß sich Vorstellungen von der Objektivität auch als falsch erweisen können.9
Gegenstand der Phänomenologie des Geistes ist damit nicht der rein aus dem Begriff
begründete Begriff reiner Wissenschaft wie in der Logik. Noch ist sie in erster Linie Ein-
8
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 58 f.
9
Zum Erfahrungsbegriff vgl. auch Robert Pippin. „The ‚logic of experience‘ as ‚absolute knowled-
ge‘ in Hegel’s Phenomenology of Spirit.“ In Hegel’s Phenomenology of Spirit. A Critical Guide,
hrsg. v. Dean Moyar u. Michael Quante, 210–227. Cambridge, 2008. Pippin arbeitet die hand-
lungstheoretischen Implikationen des Erfahrungsbegriffs heraus.
Der Begriff des Selbstbewußtseins 121

zelwissenschaft, also Wissenschaft der Natur, Kunst, Religion, Geschichte oder des
Rechts, sondern sie ist die Wissenschaft des erscheinenden Geistes, mithin zunächst eine
Erkenntnistheorie, welche die objektiven Gehalte der Vorstellungen zitiert, aber sie nicht
um ihrer selbst willen untersucht. Damit wird vom Leben und der die Subjekte umge-
benden Objektivität, sofern sie deren Erfahrung und Handeln bestimmt, ohne unmittel-
bar selbst durch sie bestimmt zu sein, im Programm der Phänomenologie abstrahiert.
Gleichzeitig wird aber im Gegensatz zur traditionellen Erkenntnistheorie der Versuch
unternommen, die Form des Denkens nicht unabhängig von den gedachten Gegenstän-
den zu entwickeln, sondern das System des Wissens am Wissen von den Einzelgegen-
ständen als Erfahrung des Bewußtseins zu entwickeln. Die Gemeinsamkeit des Systems
des erscheinenden Wissens als Begriff und der jeweils untersuchten einzelwissenschaft-
lichen Vorstellungen als Gegenstand des Begriffes liegt darin, Wissen zu sein. Verhan-
delt werden somit geistesgeschichtlich bestimmende Vorstellungen in ihrer Relation auf
das System des Wissens, so daß in der Phänomenologie des Geistes die Wahrheit tradi-
tioneller Vorstellungen überprüft wird, indem deren Kompatibilität mit dem und Funkti-
on für das System des Wissens entwickelt wird.
Obwohl Hegel deshalb zwar schon zwischen Gewißheit und Wahrheit unterscheidet,
bildet er den Gegenstandsbereich der Phänomenologie des Geistes so vor, daß die gei-
stesgeschichtlich relevanten Gestalten nur in ihrer jeweils avanciertesten Gestalt verhan-
delt werden.10 Das geschichtliche und subjektive Ringen, das auch von historischen Zu-
fällen abhängig war und ist, und in dem Irrwege und Fehlschlüsse vorkommen, bleibt
außen vor. Fehlerhaftigkeit gibt es in der Phänomenologie nicht als Irrtum eines denken-
den Subjektes, sondern nur als Unvollkommenheit der Vorstellung gegenüber dem Be-
griff des absoluten Wissens. D. h. alle verhandelten Gestalten sind ein notwendiges Mo-
ment der Entwicklung, die notwendig zum Ziel führt. Zugleich bleibt die Abstraktion
von der unsystematischen Seite des erscheinenden Wissens der Phänomenologie als
sachliches Problem unterstellt, was sich unter anderem in der Didaktik der Phänomeno-
logie niederschlägt. Weder richtet sich die Darstellung eindeutig nach der historischen
Abfolge der Gestalten des Wissens, noch ist es uneingeschränkt möglich, die Phänome-
nologie systematisch aufzuschlüsseln.11
10
„Daß die Produktionen des Geistes in der Phänomenologie vor allem als fertige Gestaltungen und
nicht in ihrem geschichtlichen Werden präsent sind, erklärt auch, weshalb die Gestaltungen des
Geistes in ihr mit geschichtlichem Material gesättigt sind – zuweilen in einer schwer durchschau-
baren, extremen Verdichtung –, daß aber der Gang der Phänomenologie insgesamt sich nicht
schlüssig als geschichtliche Abfolge (auch nicht als eine logisch gereinigte) begreifen läßt.“ An-
dreas Arndt. „Begriff der Arbeit und Arbeit des Begriffs.“ 99 f.
11
Andreas Arndt betont, daß die Phänomenologie ihre Begriffe nicht historisch konstituiere, son-
dern, daß es um ihre interne Reproduktion gehe. „Die Einsicht, welche die Phänomenologie ver-
mittelt, ist die in die Geschichtlichkeit des sich selbst erfassenden Geistes, aber nicht in die Ge-
schichte des Geistes. Letztere wäre die Geschichte des Weltgeistes als Weltgeschichte, dessen
Vollendung Voraussetzung dafür ist, daß er als ‚selbstbewußter Geist seine Vollendung‘ erreicht.“
Andreas Arndt. „ … wie halten wir es nun mit der hegel’schen Dialektik? – Marx’ Lektüre der
Phänomenologie 1844.“ In Hegels „Phänomenologie des Geistes“ heute, hrsg. v. Andreas Arndt
und Ernst Müller. Berlin, 2004, 253. Inwieweit allerdings die in sich geschlossene Reproduktion
der Geschichte aus dem Denken gelingen kann, bleibt zu hinterfragen. Wenn das Programm He-
gels scheitert, dann wäre zumindest im Resultat der Kritik an der Phänomenologie der Einfluß der
122 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

a) Sinnliche Gewißheit

Die Zweideutigkeit der Stellung der Objektivität zum Wissen als An-Sich-Seiendes und
als Für-Anderes-Seiendes bleibt widersprüchlich, wenn sie nicht vermittelt wird. Des-
halb beansprucht Hegel mit den ersten drei Kapiteln der Phänomenologie: 1. Sinnliche
Gewißheit, 2. Die Wahrnehmung, das Ding und die Täuschung, 3. Kraft und Verstand,
Erscheinung und übersinnliche Welt, nachzuweisen, daß Objektivität einzig begrifflich
bestimmbar ist, während das objektive Korrelat für das Bewußtsein unerreichbar ist –
ein Argument, das in der Diskussion zur Logik schon Gegenstand war, im Sinne Hegels
aber hier umgekehrt (und letztendlich) zur Vorbereitung der Logik dient. Gelingt der
Nachweis, dann bleibt von der Selbständigkeit der Objektivität deren funktionales Mo-
ment als Gewußtes, während es als ontologische Substanz in dieser Funktion, im Wissen
aufgehoben wird. Wenn aber die Objektivität durch das Wissen konstituiert wird, dann
ist auch das Wissen nicht länger der unveränderliche Kontrapunkt des Gewußten, son-
dern die Objekte verändern umgekehrt auch das rezipierende und begreifende Vermö-
gen: Sinnlichkeit wird Wahrnehmung, Wahrnehmung Verstand und der Verstand zum
Selbstbewußtsein.12 Dasjenige Vermögen, welches diesen Prozeß denkt, ist dasselbe
Selbstbewußtsein, das aus dem Prozeß auch resultieren soll. Weil es am Anfang der
Phänomenologie noch nicht weiß, was es eigentlich ist, kann nicht mehr darüber gesagt
werden, als daß es vorausgesetzt ist. Jegliche Bestimmung des Selbstbewußtseins er-
scheint deshalb als Resultat seiner eigenen Produktion, während es als logische Voraus-
setzung nicht erscheint.13
Am Anfang der Phänomenologie des Geistes sind das Wissen und sein Gegenstand
unbestimmt und leer, unmittelbares Wissen und Wissen des Unmittelbaren. Am Anfang
steht damit die Relation von Relata überhaupt, d. h. es ist nur gewiß, daß sie sind, nicht
aber, was sie sind. Sie sind aber als Vorstellungen eines anschauenden Bewußtseins, so
daß die Sinnesempfindung einen ersten Hinweis auf die Realität des Gegenstandes gibt:
Die Dinge bewirken eine aktuell empfundene Affektion. Ob diese Auffassung des Ver-
hältnisses von Affektion und Gegenstand konsistent zu denken ist, ist zu klären.

geschichtlichen Gehalte auf die Entwicklung der Gestalten des erscheinenden Geistes erneut zu
reflektieren. Entsprechend verweist Andreas Arndt auf die Interpretation der Phänomenologie
durch den frühen Marx.
12
Die ersten zwei Kapitel der Phänomenologie des Geistes werden im Rahmen dieses Themas nur
hinsichtlich ihrer vorbereitenden Funktion für den Begriff des Selbstbewußtseins abgehandelt.
Eine ausführliche Darstellung und Interpretation dieser Passagen und ihres historischen Kontextes
ist bei Hans-Georg Bensch. Perspektiven des Bewußtseins zu finden. Die Abhandlung der sinnli-
chen Gewißheit führt im einzelnen über folgende Begriffe: unmittelbares Wissen, Sprache, Mei-
nung, Umkehrung, das Ganze als Unmittelbares, das Tun des Eigens. Diese Begriffe werden hier
nur ihrem argumentativen Prinzip nach abgehandelt.
13
Es mag deshalb verwirren, wenn in der Darstellung dieses Wechselverhältnis nicht an jeder Stelle
reflektiert wird. Das liegt zum einen daran, daß die Darstellung dieses Problems in der Zeit orga-
nisiert ist und daher nur als Nacheinander darstellbar ist. Andererseits wird auch in der Kritik der
Phänomenologie die Darstellung ihrer Argumentation vorausgesetzt und in dieser Argumentation
soll das Selbstbewußtsein noch seine eigene logische Priorität aus sich zu setzen; es soll absolutes
Wissen werden. Deshalb ist auch in dieser Hinsicht die Kritik an der Darstellung Hegels dieser
Darstellung nicht immanent.
Der Begriff des Selbstbewußtseins 123

Der sinnlich gewisse, aber unbestimmte Gegenstand ist das Diese, das in Raum und
Zeit oder im Hier und Jetzt gegeben ist. Das Diese verändert sich in der Zeit: Schon He-
raklit hatte die sinnliche Gewißheit problematisiert, indem er feststellte, daß man nicht
zwei Mal in denselben Fluß steigen oder eine vergängliche Substanz, die ihrer Beschaf-
fenheit nach dieselbe bleibt, berühren kann, „sondern infolge der ungestümen Schnellig-
keit der Umwandlung zerstreut er [der Gegenstand, M. B.] sich und vereinigt sich wie-
der … und kommt und geht.“14 Während aber bei Heraklit das Objekt als Grund eines
sinnlichen Eindrucks und der sinnliche Eindruck selbst naiv ununterschieden bleiben,
gibt Hegel einen Grund für die Indifferenz an: Das Diese weist verschiedene Seiten im
Raume auf: oben, unten, hinten, vorn… Seinem Inhalt nach zerfällt es also in eine Man-
nigfaltigkeit von Sinneseindrücken, die als Sinneseindrücke nicht eindeutig einem be-
stimmten Objekt zugeordnet werden können. Trotzdem lassen sich die Sinneseindrücke
hinsichtlich ihrer Form unterscheiden, als in Raum und Zeit gegebene oder als Diese
und Jetzt. Mit Kant zu reden – Diese und Jetzt sind die Formen der Anschauung, die,
a priori gegeben, Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung sind. Nur Anschauungen,
die den Formen derselben subsumiert sind, können überhaupt Gegenstand möglicher Er-
fahrung sein. Hegel gelangt zu demselben Resultat: Das Diese als Inhalt der Affektion
wird auf räumliche und zeitliche Verhältnisse bezogen. Aber auch diese Verhältnisse
sind beständigen Veränderungen unterworfen: Einen Moment später oder einen halben
Meter weiter rechts entsteht schon ein anderer Eindruck als zuvor. Wenn die mannigfal-
tigen Eindrücke einem Objekt zugeordnet oder auf das affizierte Subjekt bezogen wer-
den sollen, müssen sie als Zusammengehörige begriffen werden. Die Synthese der Man-
nigfaltigkeit in Raum und Zeit ist aber bereits eine Vermittlung, die über den Zustand
des bloßen Affiziert-Seins hinausgeht. Die Identifikation des Diese als eines Gegenstan-
des setzt eine Synthese voraus, durch die es über die Unmittelbarkeit im Moment der
Affektion schon hinaus war.15 Oder anders formuliert: Aus der sinnlichen Gewißheit läßt
sich unmittelbar die Identität eines Gegenstandes nicht erweisen. Sie ist nur ein negati-

14
Wilhelm Capelle (Hg.). Die Vorsokratiker. Stuttgart, 1968, 133.
15
In der Deduktion A der Kritik der reinen Vernunft analysiert Kant den Vorgang dieser Vermittlung
und ordnet ihm drei Phasen zu: „Diese ist nun der Grund einer dreifachen Synthesis, die notwen-
digerweise in allem Erkenntnis vorkommt: nämlich, der Apprehension der Vorstellungen, als Mo-
difikationen des Gemüts in der Anschauung, der Reproduktion derselben in der Einbildung und ih-
rer Rekognition im Begriffe. Diese geben nun eine Leitung auf drei subjektive Erkenntnisquellen,
welche selbst den Verstand und, durch diesen, alle Erfahrung, als ein empirisches Produkt des Ver-
standes möglich machen.“ Kant. Kritik der reinen Vernunft, A 97 f. Die erste Bedingung der Mög-
lichkeit der Objektivität von Erfahrung sind nach Kant die reinen Verstandesbegriffe oder Katego-
rien, die unabhängig von den Bedingungen in Raum und Zeit gelten. Eine Anschauung kann den
reinen Verstandesbegriffen nur dann widerspruchsfrei subsumiert werden, wenn sie ebenfalls un-
abhängig von Raum und Zeit gilt und damit objektiv ist. A priori gelten die Kategorien, wenn sie
als logische Voraussetzung aller Erfahrung vor aller bestimmten empirischen Erfahrung gegeben
sind. Gleichzeitig müssen sie aber auch auf die Erfahrung bezogen werden, weil sie sonst leer
blieben. Diese Relation auf die Erfahrung kann aus den Kategorien selbst nicht begründet werden,
ohne deren Apriorität zu tangieren. Ebensowenig kann diese Relation aus den Anschauungen be-
gründet werden, da diese bloß rezeptiv sind. Vielmehr bedarf es der produktiven und reprodukti-
ven Einbildungskraft, um Anschauung und Begriff aufeinander zu beziehen. Nur wenn diese Rela-
tion vor aller Erfahrung widerspruchsfrei begründet werden kann, ist auch wirkliche Erfahrung
möglich.
124 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

ves Kriterium für die Realität des Gegenstandes, Negation eines affirmativen Urteils
und damit widersprüchlich.
So wie die Identität des zu erkennenden Gegenstandes ist auch die Identität des er-
kennenden Subjekts für die sinnliche Gewißheit vorausgesetzt. Sinneseindrücke sind
immer Eindrücke eines Subjektes, ohne dieses Subjekt sind sie nicht.16 Für das eine Ich
ist das Diese ein Baum, für das andere Ich ist es ein Haus usw., je nachdem, welchen
Sinneseindruck ein empfindendes Subjekt jeweils gerade hat. Die Identität des Subjekts
resultiert damit nicht aus der sinnlichen Erfahrung, sondern ist dieser logisch vorausge-
setzt. Gleichzeitig werden sich die Subjekte ihrer Identität aber nur in Abgrenzung ge-
gen Anderes bewußt, in diesem Fall gegen den Gegenstand und den sinnlichen Ein-
druck. Damit ist das sinnliche Bewußtsein auch Resultat der Vermittlung mit dem
sinnlichen Eindruck und damit das Gegenteil seiner selbst: Nicht unmittelbar gegeben,
sondern vielmehr Negation der Unmittelbarkeit.
„Die sinnliche Gewißheit erfährt also, daß ihr Wesen, weder in dem Gegenstande, noch in dem
Ich, und die Unmittelbarkeit weder eine Unmittelbarkeit des einen noch des andern ist, denn an
beyden ist das was Ich meyne, vielmehr ein unwesentliches, und der Gegenstand und Ich sind
allgemeine, in welchen dasjenige Itzt und Hier und Ich, das ich meyne, nicht bestehen bleibt,
oder i s t . Wir kommen hiedurch dahin, das Ga n z e der sinnlichen Gewißheit selbst als ihr We -
s e n zu setzen, nicht mehr nur ein Moment derselben, wie in den beyden Fällen geschehen ist,
worin zuerst der dem Ich entgegengesetzte Gegenstand, dann Ich ihre Realität seyn sollte. Es
ist also nur die g a n z e sinnliche Gewißheit selbst, welche an ihr als U n mi t t e l b a r k e i t fest-
hält, und hiedurch alle Entgegensetzung, die im vorherigen statt fand, aus sich ausschließt.“17

In der sinnlichen Gewißheit macht das Bewußtsein also die Erfahrung, daß das unmittel-
bare Wissen und das Wissen des Unmittelbaren als sinnliche Gewißheit spekulative Be-
griffe sind, weil sie nur durch die Negation von Vermittlung erschlossen werden können.
Der Gegenstand an sich ist nicht greifbar, weil jedem Versuch ihn aufzuzeigen die Ver-
mittlung unterstellt bleibt. Im Umkehrschluß heißt das aber auch, daß es nichts gibt, das
unbestimmt wäre. Unmittelbares Wissen ohne weitere Bestimmung ist ebenso ein Un-
ding wie das Wissen des Unmittelbaren.
Im Resultat der sinnlichen Gewißheit haben sich die Begriffe vom unmittelbaren
Wissen und dem Wissen des Unmittelbaren also gewandelt. Entgegen der ursprüngli-
chen Annahme, die sinnliche Gewißheit sei wahr, haben sich das Diese und Jetzt als
Momente erwiesen, durch die die Affektion zwar geordnet wird. Sie sind aber nicht die
Affektion selbst, sowenig wie die Affektion schon der Gegenstand ist. Die sinnliche Ge-
wißheit ist nicht das absolute Wissen, sondern nur ein Moment davon und insofern un-
wahr. Indem die Sinnliche Gewißheit nun aus der Perspektive dieser Erfahrung betrach-
tet wird, geht sie in Die Wahrnehmung und das Ding und die Täuschung über.18
16
Vgl. Hegel. Phänomenologie des Geistes, 66.
17
Ebd., 67.
18
Religionsgeschichtliche Motive der Sinnlichen Gewißheit untersucht Brady Bowman, wobei er in
der Sinnlichen Gewißheit die Kritik Hegels am Substanzbegriff Spinozas sieht und die werkge-
schichtliche Entwicklung dieses Begriffs im Vergleich von Phänomenologie und dem frühen He-
gelgedicht Eleusis nachvollzieht. Vgl. Brady Bowman. „Die unterste Schule der Weisheit. Hegels
Eingang in die Phänomenologie im Fokus eines religionsgeschichtlichen Motivs.“ In Hegels
Der Begriff des Selbstbewußtseins 125

b) Die Wahrnehmung oder das Ding, und die Täuschung

Das Ding vieler Eigenschaften wird wahrgenommen, wobei die Wahrnehmung und das
Ding zunächst nur im Rahmen der bisherigen Entwicklung bestimmt sind. Dabei er-
scheint der Gegenstand dem wahrnehmenden Bewußtsein nun als feste und vorgefunde-
ne Voraussetzung seiner Wahrnehmung, weil er gleichgültig dagegen ist, ob er wahrge-
nommen wird oder nicht. Er erscheint damit als das Bestimmende, während sich die
Wahrnehmung gegen den Gegenstand rezipierend verhält. Sie nimmt sich als affiziertes,
passives, nicht als produktives Vermögen wahr.
Der Gegenstand der Wahrnehmung ist durch drei Momente bestimmt: Zunächst ist in
ihm die Mannigfaltigkeit der Sinneseindrücke im Hier und Jetzt als Mannigfaltigkeit der
Eigenschaften aufgehoben, aber zugleich so, daß die vielen Akzidenzien auf die Einheit
des Dings bezogen sind. Das Ding ist die Einheit vieler Eigenschaften, die gleichgültig
nebeneinander stehen. Das Salz ist kubisch und weiß und scharf usw. Aber das Ding
kann nicht zugleich und in derselben Hinsicht kubisch, weiß und scharf sein, sondern
die Eigenschaften müssen ebenso als einander ausschließende bestimmt werden. Oder,
um zu sagen, was kubisch ist, muß auch antizipiert werden, was es nicht ist: weiß und
scharf etc. Durch diese Negation werden die Eigenschaften erst zu bestimmten Eigen-
schaften, was wiederum die Voraussetzung dafür ist, daß das Ding, an dem die Eigen-
schaften sind, bestimmbar wird. Der Begriff des Gegenstandes der Wahrnehmung er-
schöpft sich also nicht in einem der genannten Momente des gleichgültigen
nebeneinander Bestehens der Eigenschaften, ihrer negativen Beziehung aufeinander und
schließlich der Konstitution des Dinges insgesamt durch die beiden vorhergehenden
Momente. Der Begriff des Gegenstandes ist vielmehr durch die vollständige Vermittlung
aller Momente dieser Bewegung bestimmt.19
Ebenso widersprüchlich stellt sich das Ding in der Wahrnehmung des Bewußtseins
dar: Insofern es den Geschmack des Salzes wahrnimmt, erfaßt es die anderen Eigen-
schaften des Dings nicht und auch nicht das Medium als Einheit; insofern die Wahrneh-

„Phänomenologie des Geistes“ heute, hrsg. v. Andreas Arndt und Ernst Müller, 11–38. Berlin,
2004. Falko Schmieder stellt die Sinnliche Gewißheit einerseits der Feuerbachs zur Seite, um zu
zeigen, wo dessen Hegelkritik greift und wo sie zu kritisieren ist. Danach liege in der Argumenta-
tion Feuerbachs eine Positivierung der sinnlichen Gewißheit, die kulturindustrielle Anklänge auf-
weise, da sie ein Reflex auf die technische Entwicklung der Fotografie darstelle: „Resümierend
läßt sich feststellen, daß Feuerbachs Fixierung der Anschauung nicht nur eine theoretische Positi-
on markiert, sondern als theoretischer Reflex auf eine medientechnisch basierte Gestalt des Volks-
geistes zu begreifen ist, die für die Konstitution des vorwissenschaftlichen Bewußtseins von kaum
zu unterschätzender Bedeutung ist. Sie ist also nicht nur als eine Position anzusehen, die mit He-
gels Philosophie letztlich nicht kritisch fertig geworden ist, sondern ihr Pochen auf Unmittelbar-
keit erliegt zugleich auch einem objektiven Schein der sich aus den Formeigentümlichkeiten des
neuen, Hegel noch nicht bekannten Mediums Fotografie ergibt.“ Falko Schmieder. „Hegels Kritik
und Feuerbachs Rehabilitierung der sinnlichen Gewißheit in fotografietheoretischer Sicht.“ In He-
gels „Phänomenologie des Geistes“ heute, hrsg. v. Andreas Arndt und Ernst Müller. Berlin, 2004,
57.
19
Hegel argumentiert analog zum Mechanismus und Chemismus in der Lehre vom Begriff, allerdings
mit dem Unterschied, daß nicht die Objekte physikalisch bzw. chemisch aufeinander einwirken,
sondern die Wahrnehmung sich die Relation von Substanz und Akzidenz vergegenwärtigt. (Vgl.
Kapitel 2.2 zum Objektbegriff.)
126 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

mung das Ding als kubisch, salzig und weiß wahrnimmt, reflektiert es die Bestimmtheit
der Eigenschaft nicht und insofern es die Vermittlung der Momente des Dinges wahr-
nimmt, bezieht es sich nicht mehr auf das Ding, sondern auf seine eigene Reflexion.
Das Bewußtsein schreibt sich diese Widersprüche im Gegenstand seiner Wahrneh-
mung und der Wahrnehmung zunächst selbst zu, weil es das Ding als Voraussetzung sei-
nes Tuns betrachtet hatte und es daher schadlos gehalten werden sollte. Wenn aber die
Bestimmung des Dings durch den Reflexionsprozeß nicht nur eine Projektion des Be-
wußtseins auf den Gegenstand der Reflexion sein soll, dann muß dem Ding seine Be-
stimmung auch zukommen. Die Widersprüche existieren also nicht nur im Bewußtsein,
sondern konstituieren das Ding ontologisch. Es ist selbst Einheit und Vielheit, ausschlie-
ßendes Eins und bestimmte Materie, und die Einheit von beidem. Wenn aber der Wider-
spruch das Wesen des Dinges ist, dann ist es an sich unbestimmt. Was es ist, kann so nur
angegeben werden, indem es gegen andere Dinge abgegrenzt wird: Das Salz ist nicht
Pfeffer oder Zucker usw. Die Menge der Dinge, gegen die das zu bestimmende negativ
zu bestimmen ist, ist unendlich, so daß der Prozeß der Abgrenzung niemals abgeschlos-
sen werden kann. Das zu bestimmende Ding kann deshalb niemals vollständig bestimmt
werden. Es verliert sich in der unendlichen Mannigfaltigkeit der Dinge und löst sich auf.
Die Auflösung des Dinges vieler Eigenschaften mündet aber nicht im Nichts, sondern
wird durch denselben Prozeß, in dem es in seiner Selbständigkeit negiert wurde, auch
bestimmt. Denn dieser Prozeß der doppelten Negation wird in und durch die Wahrneh-
mung vollzogen und hat damit im wahrnehmenden Bewußtsein seinen Ort. Zwar wird
das Ding als selbständiger Gegenstand negiert und aufgehoben, weil es nicht wider-
spruchsfrei bestimmt werden kann, aber das den Prozeß dieser Negation nachvollzie-
hende und den Gegenstand negierende Vermögen wird dadurch selbst nicht negiert.
„Es fällt hiemit das letzte I n s o fe r n hinweg, welches das für sich seyn, und das seyn für ande-
res trennte; der Gegenstand ist vielmehr i n e i n e r u n d d e r s e l b e n Rü c ks i c h t d a s Ge -
g e n t h e i l s e i n e r s e l b s t , fü r s i c h i n s o fe r n e r fü r a n d e r e s , und f ü r a nd e r e s i n s o -
f e r n e r f ü r s i c h i s t . Er ist für sich, in sich reflectirt, Eins; aber diß für sich, in sich
reflectirt, Eins seyn ist mit seinem Gegentheile dem S e yn fü r e i n a n d e r e s in einer Einheit,
und darum nur als aufgehobenes gesetzt; oder diß fü r s i c h s e yn eben so u n w e s e n t l i c h ,
als dasjenige, was allein das unwesentliche seyn sollte, nemlich das Verhältniß zu anderem.“20

Anders gesagt bedeutet dieses Resultat der Wahrnehmung, daß der Widerspruch nicht
am Seienden ist, sondern ein Problem der Reflexion auf diesen Gegenstand. Das reflek-
tierende Vermögen fordert einen widerspruchsfreien Begriff des Gegenstandes, aber an-
dererseits hat das Kriterium der Widerspruchsfreiheit nur dann einen Gegenstand, wenn
der Widerspruch auch Bestand hat. Das radikal pragmatische Argument des Aristoteles
für die Geltung des Satzes vom zu vermeidenden Widerspruch, daß es nicht gleich gut
ist, in einen Brunnen zu springen oder nicht in einen Brunnen zu springen, geht im Kern
darauf, daß die konsistente Verfassung der Welt Bedingung der Möglichkeit praktischer
Orientierung ist.21 Hegel, der an dieser Stelle von Praxis und Empirie abstrahierend,
20
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 79.
21
Vgl. Aristoteles. Metaphysik, Bücher I–VI, 1008b.
Der Begriff des Selbstbewußtseins 127

Ordnung in das Wissen von der konsistenten Verfassung der Welt bringen will, erklärt
umgekehrt das Wissen von der Ordnung der Welt zur Bedingung praktischer Orientie-
rung. Beide Momente – die ontologische Verfassung der Welt und das metaphysische
Wissen von ihr – sind notwendig aufeinander bezogen.
Bei Hegel gelangt die Vermittlung formal immer zum gleichen Resultat, nämlich daß
der Widerspruch die Form der Reflexion schlechthin ist. In dieser widersprüchlichen
Bewegung wird der Gegenstand als Moment des Inhaltes aufgehoben. Darin verschränkt
Hegel die traditionellen Bestimmungen der adaequatio rei et intellectus und des deter-
minatio est negatio. In der Diskrepanz des Kriteriums der Entwicklung und den konsta-
tierten Widersprüchen liegt das movens der Bewegung und damit auch die Substanz des
reflektierenden Vermögens selbst. Das Bewußtsein konstituiert die Dinge und ist als die-
ses Resultat der Wahrnehmung – Verstand.

c) Kraft und Verstand. Erscheinung und übersinnliche Welt

In Kraft und Verstand, Erscheinung und übersinnliche Welt soll der Verstand vermittelt
über die Begriffe der Kraft, des Gesetzes und des Unterschiedes, der keiner ist, zum
Selbstbewußtsein weiter entwickelt werden. In diesem ersten Begriff des Selbstbewußt-
seins wird von moralischen, gesellschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Inhalten
abstrahiert. Vielmehr geht es Hegel darum zu zeigen, wie das Selbstbewußtsein sich in
der Auseinandersetzung des Verstandes mit der Natur als Vermögen konstituiert. Als
Vermögen sind Verstand und Selbstbewußtsein in der Phänomenologie des Geistes der
Form nach unterschieden: Der Verstand erkennt nur, was von ihm unterschieden ist. Das
Selbstbewußtsein gelangt dagegen vermittelt über das andere zur Erkenntnis seiner
selbst. Damit bezieht (sich) der Verstand irreflexiv auf die Gegenstände der Erfahrung –
Er ist das Vermögen naturwissenschaftlicher Erkenntnis; das Selbstbewußtsein ist ver-
mittelt über die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse reflexiv – In ihm sind also die me-
taphysischen Begriffe, die Ausdruck der Reflexion des Selbstbewußtseins auf sich sind,
und die einzelwissenschaftliche Begriffe, die aus der Verstandestätigkeit resultieren, sy-
stematisch aufeinander bezogen.
Dem traditionellen Verständnis nach – damit ist die Metaphysik vor Hegel gemeint –
setzt die systematische Transformation des einzelwissenschaftlichen Wissens in das Sy-
stem der Philosophie einen Gegenstandswechsel voraus, von der Betrachtung der Ding-
welt hin zur Betrachtung des erkennenden und wissenden Vermögens und seiner Begrif-
fe. Zwar sind beide Gegenstandsbereiche als erkannte wesensgleich, so wie auch die
erkennenden Vermögen Verstand und Selbstbewußtsein; wenn aber das System des Wis-
sens nicht tautologisch sein soll, dann müssen die Gegenstandsbereiche auch spezifisch
voneinander unterschieden sein. Wollte Hegel also nur die Vermögen ineinander über-
führen, bliebe die Transformation formal; sollen aber darüber hinaus Begriff und Gegen-
stand ineinander überführt werden, ohne einen logischen Fehler zu begehen, dann muß
der Gegenstandswechsel durch die Exposition der Begriffe Kraft, Gesetz und übersinnli-
128 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

che Welt notwendig begründet werden. Die Bedingung dieser Begründung ist der Nach-
weis der Wesensgleichheit von Begriff und Gegenstand. Oder, mit Kant gesagt, eine Be-
dingung der Möglichkeit von Erfahrung ist die Affinität beider Gegenstandsbereiche,
also derjenigen Gegenstandsbereiche, die der philosophischen bzw. der naturwis-
senschaftlichen Erkenntnis korrespondieren. Nur wenn es prinzipiell möglich ist, daß
die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen unter die Form der reinen Verstandeserkenntnis
zu subsumieren ist, ist auch Erfahrung möglich. Die Affinität ist deshalb für jede mögli-
che und wirkliche Erkenntnis logisch vorausgesetzt, muß also gegeben sein, bevor und
damit Erkenntnis überhaupt denkbar ist. Während aber die Erscheinungen zufällig und
mannigfaltig gegeben sind, sind die Formen der reinen Verstandeserkenntnis notwendig
allgemein. Damit sind beide Gegenstände gerade nicht wesensgleich und das Gelingen
der widerspruchsfreien und notwendigen Subsumtion der Erscheinungen unter die rei-
nen Verstandesbegriffe ist a priori nicht bestimmbar, sondern muß durch den Erkennt-
nisprozeß erst geleistet werden. D. h., es bedarf nicht nur der Subsumtion der gegeben
Mannigfaltigkeit der Erscheinungen unter die reinen Verstandesbegriffe, sondern umge-
kehrt müssen zu der Mannigfaltigkeit allgemeine Begriffe auch erst gefunden werden.
Subsumtion und Reflexion oder bestimmende und reflektierende Urteilskraft sind wech-
selseitig aufeinander verwiesen. Weil aber der Versuch der reflektierenden Urteilskraft,
zu einem gegebenen Besonderen ein Allgemeines zu finden, auch mißlingen kann, ist in
der Konstruktion Kants die apriorische Affinität nur im Resultat der notwendig allge-
meinen Erfahrung bewiesen. Dieses Problem wird bei Kant nur unzureichend reflek-
tiert.22
Bei Hegel findet sich die Differenz zwischen beiden Gegenstandsbereichen in dem
Begriffspaar Ansichsein und Fürsichsein. Gegenüber dem traditionellen Verständnis
wird diese Differenz aber entscheidend modifiziert. Die Wahrnehmung wurde als dieje-
nige Gestalt des Bewußtseins abgehandelt, der der Gegenstand mehr ist als ein sinnli-
cher Eindruck, nämlich ein objektiv gegebenes Ding. Er wird als Ansichsein vorgefun-
den und ist das, was die Erfahrung bestimmt. Mit dieser Voraussetzung zitiert Hegel die
traditionelle Vorstellung von Objektivität, um sie zugleich zu widerlegen, denn das
wahrnehmende Bewußtsein kam zu dem umgekehrten Resultat, daß es selbst durch sei-
ne Reflexion die Dinge erst konstituiert. Das Ding ist Ansichsein nur insofern es für ein
Anderes, das Bewußtsein, ansich ist. Die Relation des Gegenstandes auf das Bewußtsein
ist also für die Erkenntnis der Objektivität konstitutiv. Diese Erfahrung ist im ersten Be-
griff von Kraft und Verstand, dem absolut Allgemeinen, aufgehoben, d. h. sowohl ne-
giert als auch erhalten:
„Das Resultat war das unbedingt allgemeine, zunächst in dem negativen und abstracten Sinne,
daß das Bewußtseyn seine einseitigen Begriffe negirte, und sie abstrahirte, nemlich sie aufgab.
Das Resultat hat aber an sich die positive Bedeutung, daß darin die Einheit, d e s f ü r s i c h
s e yn s und d e s f ü r e i n a n d e r e s s e yn s , oder der absolute Gegensatz unmittelbar als dassel-

22
Vgl. auch Maxi Berger. „Zwischen Religionskritik und aufgeklärter Gesellschaft. Zur Konstrukti-
on bürgerlicher Gegenwart.“ In Kants „Ethisches Gemeinwesen“. Die Religionsschrift zwischen
Vernunftkritik und praktischer Philosophie, hrsg. v. Michael Städtler, 183–195. Berlin, 2005.
Der Begriff des Selbstbewußtseins 129

be Wesen gesetzt ist. Es scheint zunächst nur die Form der Momente zu einander zu betreffen;
aber das für sich seyn und das für anderes seyn ist eben sowohl der I n h a l t , weil der Gegensatz
in seiner Wahrheit keine andere Natur haben kann, als die sich im Resultate ergeben hat, daß
nehmlich der in der Wahrnehmung für wahr gehaltene Inhalt, in der That nur der Form ange-
hört, und in ihre Einheit sich auflöst. Dieser Inhalt ist zugleich allgemein; es kann keinen an-
dern Inhalt geben, der durch seine besondere Beschaffenheit sich dem entzöge, in diese unbe-
dingte Allgemeinheit zurückzugehen. Ein solcher Inhalt wäre irgend eine bestimmte Weise für
sich zu seyn, und zu anderem sich zu verhalten. Allein f ü r s i c h z u s e yn , und z u a n d e r e m
s i c h z u v e r h a l t e n ü b e r h a u p t , macht seine N a t u r We s e n , deren Wahrheit ist, unbedingt
allgemeines zu seyn; und das Resultat ist schlechthin allgemein.“23

Das Ansichsein als Inhalt ist als Einheit von Vielem bestimmt, das zugleich für ein ande-
res ist, den Verstand, also diejenige Instanz, welche die Vielheit zur Einheit synthetisiert.
Der Verstand verhält sich zu anderem, dem Ansichsein, und hat die Potenz zur Selbstbe-
züglichkeit, ohne aber sein für sich sein schon entwickelt zu haben. Für sich ist erst das
Selbstbewußtsein. Im unbedingt Allgemeinen, das der Gegenstand des Verstandes ist,
fallen An-Sich-Sein und Für-Ein-Anderes-Sein zusammen, weil es schon das Resultat
der Reflexion, nicht mehr sinnliche Gewißheit oder Wahrnehmung, sondern Verstan-
desbegriff ist. Die Vorstellung, daß das Ding der Wahrnehmung als selbständiges vorge-
be, wie über es zu reflektieren sei, wurde negiert. Bewahrt wurde dagegen die Erfahrung
der sinnlichen Gewißheit und der Wahrnehmung. Auch Kant bestimmt die Objektivität
bereits als Einheit von Anschauung und Begriff, aber im Unterschied zu Hegel bleibt
dieser Begriff des Objekts der passive Gegenstand, der durch das aktive Vermögen, den
Verstand erkannt wird. Subjekt und Objekt sind dadurch auch subjektimmanent unter-
scheidbar. Hegel tilgt diese Differenz im Begriff des unbedingt Allgemeinen: Der Ge-
genstand des Verstandes ist „für sich“ und verhält sich „zu and ere m“24 Er trägt die
dem Verstand eigentümlichen Bestimmungsmomente, denn in der ersten Formulierung,
für sich zu sein, wird dem absolut Allgemeinen die Potenz zur Selbstbezüglichkeit zuge-
sprochen, in der zweiten, sich zu anderem zu verhalten, wird ihm zugesprochen, ein ak-
tives Prinzip zu sein. Diese Transformation des Objektbegriffs von einem passiven in
ein aktives Prinzip ist einerseits plausibel, wenn davon ausgegangen wird, daß der Ge-
genstand des Verstandes nicht gegenständlich, sondern Wissen von Gegenständlichem
ist. Andererseits ist das Wissen kein Vermögen, sondern ein Begriff und deshalb passiv.25
23
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 83.
24
Ebd., 83.
25
Das Problem der Zuordnung von Potenz und Aktion bzw. von Passivität und Aktivität findet sich
schon bei Aristoteles in De Anima. In der von Horst Seidel übersetzten und im Meiner Verlag
1995 erschienenen Ausgabe weist Seidel in der Einleitung darauf hin, daß Hegels idealisierende
Interpretation des Aristotelischen Textes bis in die Übersetzung hinein nachvollziehbar ist: „Die
Übersetzung verändert den Textsinn zu Hegels eigener Auffassung des Geistes, welcher Passivität
und Aktivität in sich enthält und in denkender Bewegung verbindet.“ Nachdem Seidel die Fehler
in der Übersetzung durch Hegel aufgezeigt hat, schließt er: „Dadurch erhält der Text einen ganz
veränderten (nunmehr hegelschen) Sinn: Der Geist wird zum Subjekt, der Wirken und Erleiden als
zwei Seiten hat und das Gemeinsame beider ist. Tatsächlich stellt jedoch Aristoteles Geist (nous)
und Objekt einander gegenüber und fragt nach einem gemeinsamen Merkmal beider (das bei den
Vorsokratikern die gemeinsamen Stoffelemente waren, für Aristoteles hingegen das Intelligi-
bel-sein beider).“ Horst Seidel. „Einleitung des Herausgebers.“ In Über die Seele, Aristoteles.
Hamburg, 1995, XLVII f.
130 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

So war gemäß den bisherigen Bestimmungen nicht das Ding oder gar der ihm zugehöri-
ge Gegenstandsbereich das bzw. der sich zu anderem verhielt, sondern gerade umge-
kehrt hatte sich das Bewußtsein zu den Dingen verhalten. Zwar gibt es aktive Erkennt-
nisgegenstände, nämlich solche, auf die das Kriterium der Belebtheit zutrifft, aber gegen
die spezifische Differenz von belebter und unbelebter Natur bleibt das unbedingt Allge-
meine in Kraft und Verstand indifferent. Zugleich ist die Erschleichung der Aktivität des
Erkenntnisgegenstandes eigentlich das Axiom,26 auf dessen Grundlage der Begriff des
Selbstbewußtseins als systematische Einheit von Naturwissenschaft und Leben aus dem
Verhältnis von Kraft und Verstand begründet wird. Denn nur aus einem indifferenten
Begriff lassen sich unterschiedliche Gegenstandsbereiche wie die Natur, das Leben und
das Selbstbewußtsein ableiten. Auch das Problem der Begründung der Affinität beider
Gegenstandsbereiche wäre damit gelöst, da sie demselben Begriff entspringen.
Mit dem unbedingt Allgemeinen wäre die Phänomenologie aber auch an ihr Ende ge-
langt, denn aus der Identität folgt weiter nichts. Aber dieses Resultat – so Hegel – sei
nur für uns geworden, noch nicht für den Verstand, der diese Wesensgleichheit bislang
noch nicht durchschaut hat. Ihm ist die Relation von Begriff und Gegenstand als einzel-
wissenschaftliche weiterhin transzendent.
„Der Verstand hat damit zwar seine eigene Unwahrheit und die Unwahrheit des Gegenstandes
aufgehoben, und was ihm dadurch geworden, ist der Begriff des Wahren; als an sich seyen des
Wahres, das noch nicht Begriff ist, oder das des f ü r s i c h s e yn s des Bewußtseyns entbehrt,
und das der Verstand, ohne sich darin zu wissen, gewähren läßt. Dieses treibt sein Wesen für
sich selbst; so daß das Bewußtseyn keinen Antheil an seiner freyen Realisirung hat, sondern ihr
nur zusieht, und sie rein auffaßt. W i r haben hiemit noch vors erste an seine Stelle zu treten,
und der Begriff zu seyn, welcher das ausbildet, was in dem Resultate enthalten ist; an diesem
ausgebildeten Gegenstande, der dem Bewußtseyn als ein seyendes sich darbietet, wird es sich
erst zum begreiffenden Bewußtseyn.“27

Während also die Differenz zwischen Objekt und Subjekt im unbedingt Allgemeinen im
an sich seienden Wissen aufgehoben worden ist, wird sie im Verhältnis von Verstandes-
erkenntnis und Selbstbewußtsein erneut eröffnet: Der Verstand muß an sich werden, was
er für uns bereits ist. Mit der Formulierung dieses telos setzt Hegel einen Kontrapunkt
zum Begriff des unbedingt Allgemeinen, dem das bisher entwickelte Resultat gemäß
werden muß. Daraus ergibt sich überhaupt nur die Notwendigkeit, die Argumentation
der Phänomenologie fortzusetzen.
Hegel stellt also in Kraft und Verstand erstens die Frage, wie sich aus dem Wissen
von der Objektivität das Selbstbewußtsein systematisch entwickelt, und zweitens, wie
die Objektivität notwendig auf das Selbstbewußtsein bezogen werden kann, ohne daß
ein solches System bloß tautologisch wird. Dieses Ziel soll durch eine teleologische

26
Ein Axiom in den Naturwissenschaften bezeichnet ein erstes Prinzip, von dem alle weiteren Prin-
zipien abgeleitet werden. Ein Beispiel sind die Newtonschen Gesetze der Mechanik. Obgleich sie
aber erste Prinzipien sind, ist die Erkenntnis ihres logischen Ranges und der damit verbundenen
Setzung ein historisches Resultat. Insofern konstruiert Hegel in Kraft und Verstand das philosophi-
sche System in Analogie zur naturwissenschaftlichen Theoriebildung.
27
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 82 f.
Der Begriff des Selbstbewußtseins 131

Konstruktion erreicht werden, die in der Differenz der Perspektive auf die Erfahrung
„für uns“ bzw. „an sich“ und für den Verstand angelegt ist. Dadurch bekommt die Erfah-
rung des Verstandes eine Richtung und ein Ziel, nämlich zu zeigen, daß der Verstand im
Selbstbewußtsein nicht nur die Wesensgleichheit der Objektivität erkennt, sondern auch,
daß für ihn dasselbe ist, was „für uns“ ist. Den terminus ad quem von Kraft und Ver-
stand formuliert Hegel zu Beginn des nachfolgenden Selbstbewußtseinkapitels:
„In den bisherigen Weisen der Gewißheit ist dem Bewußtseyn das Wahre, etwas anderes, als es
selbst. Der Begriff dieses Wahren verschwindet aber in der Erfahrung von ihm; wie der Gegen-
stand unmittelbar an sich war, das Seyende der sinnlichen Gewißheit, das concrete Ding der
Wahrnehmung, die Krafft des Verstandes, so erweist er sich vielmehr nicht in Wahrheit zu
seyn, sondern diß Ansich ergibt sich als eine Weise, wie er nur für ein anderes ist; der Begriff
von ihm hebt sich an dem wirklichen Gegenstande auf, oder die erste unmittelbare Vorstellung
in der Erfahrung, und die Gewißheit ging in der Wahrheit verloren.“28

Ohne die Affinität des Objekts erhielte sich der Hiatus Kants, ohne den Nachweis, daß
das Selbstbewußtsein aus dem Prozeß ableitbar ist ebenso, und ohne den Kontrapunkt
des „Für uns“ bliebe die Bewegung ziellos.
Hegel erschließt im Gegensatz zu Kant den gemeinsamen Ursprung des Verstandes
und der Naturgesetze im Selbstbewußtsein, um den Hiatus zwischen den beiden Gegen-
standsbereichen und dem damit verbundenen Moment der Zufälligkeit im Erkennt-
nisprozeß, wie sie bei Kant bestimmend blieb, zu umgehen. Trotz der darin verborgenen
Erschleichung spricht für dieses Vorgehen die historische Tatsache, daß zur Gegenwart
Hegels sowohl einzelwissenschaftliche als auch philosophische Begriffe vorliegen, d. h.
daß das Problem ihrer Erkennbarkeit obsolet ist. Diesen historischen Befund wendet He-
gel systematisch, indem er die Konstellation selbst wendet: Die Affinität von Subjektivi-
tät und Objektivität sei schon dadurch bewiesen, daß es Erkenntnis historisch gibt, so
daß das Problem der a priorischen Begründung der Affinität von Begriff und Gegen-
stand sich gar nicht stelle. Weil allein diese Feststellung auch auf eine empiristische Vor-
gehensweise führen könnte, deren Aporien Hegel ebenso vermeiden will, muß er außer-
dem zeigen, daß der historische Weg zugleich der systematische ist. Entsprechend soll in
den ersten drei Kapiteln der Phänomenologie die systematische Begründung dafür ge-
ben werden, wie diese beiden konstitutiven Momente zusammenhängen: In den histo-
risch vorliegenden naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ist die Stellung des Verstan-
des zu den Objekten nicht mehr naiv. Indem Objektivität angeschaut und begriffen wird,
ist sie mehr als Kants Objekt. Als erkannte ist die Objektivität der Form des Begriffes
schon subsumiert und ihre Affinität zum Erkennenden bewiesen. Objektivität ist Resul-
tat der Verstandestätigkeit, zweite Natur. Das Ausgangsproblem der Transformation der
Naturerkenntnis in die Selbsterkenntnis ist damit bereits zu Beginn von Kraft und Ver-
stand soweit entschärft, daß nicht mehr die unterschiedenen Gegenstandsbereiche – Na-
tur und Begriff – in das System des Wissens überführt werden müssen – deren Affinität
sei erwiesen –, sondern nur die irreflexive Form der Verstandeserkenntnis in die reflexi-
ve Form des Selbstbewußtseins.
28
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 103.
132 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

In der systematischen Begründung historischer Bedingungen ist aber wiederum das


Problem der Indifferenz von System und historischen Bedingungen angelegt. Die Diffe-
renz zwischen der rekursiv zu erschließenden historischen Reihe der Bedingungen des
Systems und dem progressiv zu entwickelnden System selbst ist bei Hegel im Moment-
verhältnis von Verstandeserfahrung und Selbstbewußtsein zwar aufgehoben, aber die ge-
schichtlichen Bedingungen werden nicht als geschichtliche Bedingungen reflektiert,
sondern nur soweit sie bereits in das System integriert sind. Die Perspektive auf eine
geistesgeschichtliche Entwicklung, ob diese nun historisch oder systematisch gefaßt
wird, kann hier noch nicht geklärt werden, eröffnet sich erst als Aufgabe des systema-
tisch entwickelten Begriffs des Selbstbewußtseins. Selbstbewußtsein ist historisch aber
ebensowenig naiv wie sein Gegenstand. Das Vorgehen Hegels ist deshalb programma-
tisch und problematisch zugleich und stellt einen zentralen Gegenstand der sachlichen
Auseinandersetzung mit Hegel seit Feuerbach und Marx dar.

Kraft als Urteilskraft, Erscheinung und deren unbekannte Ursache


Der Begriff der Kraft wird im Vermittlungsprozeß, wie er sich für den Verstand darstellt,
konstituiert.29 Der Verstand unterscheidet im unbedingt Allgemeinen die Momente des
Inhalts, einerseits allgemeines Medium vieler bestehender Materien, ein Sein für ande-
res zu sein, und der Form, in sich reflektiertes Eins, Fürsichsein zu sein. Als Inhalt ist es
passiv, als Form aktives Prinzip. Diese Momente sind einander nicht mehr äußerlich,
sondern Momente am absolut Allgemeinen. Deshalb vollzieht sich am absolut Allgemei-
nen zunächst dieselbe Bewegung wie an der Wahrnehmung, allerdings mit dem Unter-
schied, daß dieser Prozeß nicht mehr dem Ding zugeschrieben wird, sondern am Be-
wußtsein stattfindet. Dieser Prozeß heißt Kraft:
„Diese Bewegung ist aber dasjenige, was K r a f f t genannt wird; das eine Moment derselben,
nemlich sie als Ausbreitung der selbstständigen Materien in ihrem Seyn ist ihre A e u ß e r u n g ;
sie aber als das Verschwundenseyn derselben ist die in sich aus ihrer A e u ß e r u n g z u r ü c k g e -
d r ä n g t e , o d e r d i e e i g e n t l i c h e K r a f f t .“30

Die beiden Momente der Kraft, die Vielheit der Materien und ihr Aufgehobensein, sind
wechselseitig aufeinander bezogen. In der Vielheit der Materien muß sich die Kraft äu-
29
Kant. Kritik der Urteilskraft, XXIV; Kant. Kritik der reinen Vernunft, A 49 ff. Gegenstand der
Phänomenologie des Geistes ist die Kritik geistesgeschichtlich relevanter Vorstellungen. Entspre-
chend vielfältig sind die Bezüge, die sich zu anderen Autoren herstellen lassen. Auch der Kraftbe-
griff hat viele physikalische und philosophische Implikationen, die aber im Rahmen dieser Arbeit
nicht alle aufgeschlüsselt werden sollen. Trotzdem ist es ein der Hegelschen Philosophie imma-
nentes Problem, daß die Unterschiede der verhandelten Begriffe unklar werden – und daß in Kraft
und Verstand sogar programmatisch, da hier der terminus ad quem die Kraft als Gleichnamiges ist.
Um die Lektüre zu erleichtern, wird durch die Zwischenüberschriften ein Kontrapunkt zum Kraft-
begriff gesetzt, durch den auf dessen jeweils verhandelte Bedeutung in der Terminologie Kants
verwiesen wird, ohne diese aber explizit zu erläutern. Kants Terminologie ist dafür insofern geeig-
net, als in ihr die Differenzen der Begriffe gerade überbetont werden. Die These, daß mit Kraft
und Verstand insbesondere die Erkenntnistheorie Kants bearbeitet wird, findet sich auch bei Hans-
Georg Gadamer. „Die verkehrte Welt.“ 72 f. Darüber hinaus sieht er „die platonische und die
christliche Position“ ebenso verhandelt wie „die der modernen Naturwissenschaft.“ Ebd., 79.
30
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 84.
Der Begriff des Selbstbewußtseins 133

ßern, weil sie darin ihre Realität hat, gleichzeitig bleibt sie aber in der Äußerung auch
bei sich selbst. Der Begriff der Kraft wird also nicht nur durch seine Momente konstitu-
iert, sondern ist auch der Begriff, an dem sich beide Bewegungen der Äußerung und des
In-Sich-Zurückgehens vollziehen. „Es erhellt, im allgemeinen, daß diese Bewegung
nichts anderes ist, als die Bewegung des Wahrnehmens“31, deren Modell die Urteilskraft
bei Kant ist. Sie ist das Vermögen, zu einem gegebenen Besonderen ein Allgemeines zu
finden, aber auch umgekehrt zu einem gegebenen Allgemeinen ein Besonderes. Beide
Bewegungen sind Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis, denn ohne die bestim-
mende Urteilskraft könnten Erscheinungen nicht unter die Form des Begriffes subsu-
miert werden, aber umgekehrt könnten ohne die reflektierende Urteilskraft zu den Er-
scheinungen auch keine Begriffe gefunden werden.
Diese Bewegung des Wahrnehmens ist auf etwas verwiesen, das wahrgenommen
wird, das „substantiirte Extrem“.32 Dieselbe Bewegung vollzieht sich deshalb noch mal,
da sie aber nicht die Wahrnehmung, sondern das Wahrgenommene betrifft, in einer Wei-
se, in der die Unterschiede „ganz vom Gedanken frey gelassen und als die Substanz die-
ser Unterschiede gesetzt werden, d. h. ein mal , sie als diese ganze Krafft wesentlich an
und für sic h ble ibe nd , und dann, ihre Unte rsch ied e a ls substantiell, oder als
für sich bestehende Momente.“33
Beide Kräfte, die des Wahrnehmens und des Wahrgenommenen, verhalten sich zuein-
ander wesentlich als Bewegung. Die Bewegung ist zwar nur durch die Antipoden mög-
lich, zwischen denen die Bewegung stattfindet, aber zugleich so, daß sie in der Bewe-
gung selbst zu dem werden, was sie zunächst nicht waren. So ist die Äußerung der Kraft
als Eins notwendig und hat damit selbst das an sich, was als das andere Wesen gesetzt
war. Ebenso notwendig geht auch die Vielheit der Materien in die Einheit des Begriffes
zurück und ist deshalb auch Medium. Die Wahrheit des Prozesses ist also weder nur die
sich äußernde Kraft, noch nur die in sich zurückgekehrte Kraft, „sondern ihr Wesen ist
diß schlechthin, jedes nur durchs andere, und was jede so durchs andre ist, unmittelbar
nicht mehr zu seyn, indem sie es ist.“34 In diesem Spiel der Kräfte veranlassen sich beide
Momente wechselseitig zu ihrer jeweiligen Bewegung, in der die Wahrnehmung zum
Wahrgenommenen und das Wahrgenommene zur Wahrnehmung wird. Hegel nennt die-
ses wechselseitige sich zur Bewegung veranlassen sollizitieren.
Ein Beispiel für die Bewegung des Sollizitierens ist die optische Wahrnehmung eines
Ölgemäldes: Technisch betrachtet besteht ein Ölgemälde aus Leinwand, die auf einen
Holzrahmen gezogen ist und auf der zweidimensional Ölfarbe aufgetragen ist. Das kann
der Betrachter sehen und fühlen. Und doch bleibt es nicht bei dieser technischen Be-
trachtung, sondern im Kopf des Betrachters fügen sich die verschiedenen Farben und
Formen zu einem Bild zusammen, so daß er meint, z. B. eine dreidimensionale Land-
schaft vor sich zu sehen. Die Landschaft wäre ohne die wahrnehmende Synthese des

31
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 84.
32
Ebd., 85.
33
Ebd., 84.
34
Ebd., 87.
134 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

Betrachters ebensowenig wie die wahrnehmende Synthese ohne ihr substantiiertes Ex-
trem, also die besondere Anordnung der Farben auf der Leinwand. Beides ist notwendig
aufeinander verwiesen und wird erst in der Synthese zu dem spezifischen Gegenstand
des Gemäldes. Allerdings bleibt bei diesem Beispiel die Gegenständlichkeit von Lein-
wand und Farbe unterstellt und das im Unterschied zur Kraftbewegung bei Hegel.
Das Sein der Kräfte ist ein Gesetztsein durch die jeweils andere Kraft; gegen diese
Setzung verschwindet ihre Selbständigkeit. Da beide Kräfte sich jeweils nur durch und
gegen die jeweils andere Kraft bestimmen können, sind sie vollständig nur in dem Mo-
ment bestimmt, wo sie als identische zusammenfallen und nur eine Kraft sind. Die Iden-
tität der Kräfte ist die Mitte, in der die Momente der Wirklichkeit aufgehoben sind.
„Die Wahrheit der Krafft bleibt also nur der G e d a n ke derselben; und haltungslos stürzen die
Momente ihrer Wirklichkeit, ihre Substanzen und ihre Bewegung in eine ununterschiedene
Einheit zusammen, welche nicht die in sich zurückgedrängte Krafft ist, denn diese ist selbst nur
ein solches Moment, sondern diese Einheit ist i h r B e g r i ff , a l s B e g r i f f . Die Realisirung der
Krafft ist also zugleich Verlust der Realität; sie ist darin vielmehr ein ganz anderes geworden,
nemlich diese Al l g e me i n h e i t , welche der Verstand zuerst oder unmittelbar als ihr Wesen er-
kennt, und welche sich auch als ihr Wesen an ihrer seynsollenden Realität an den wirklichen
Substanzen erweist.“35

Die Bewegung der Kraft, wie sie bisher dargestellt worden ist, erweist den Gegenstand
der Erkenntnis als Begriff, in dem Substanz und Wahrnehmung aufgehoben worden
sind. Damit liegt für den Verstand die Realität des Erkannten nicht mehr unmittelbar
vor, denn wie die Erfahrungen der sinnlichen Gewißheit und der Wahrnehmung zeigten,
ist sie nichts Festes, sondern verflüchtigt sich bei dem Versuch, sie als das Wesen zu
nehmen. Objektiv, d. h. notwendig und allgemein geordnet ist die Realität nur dort, wo
ihre Gesetzmäßigkeit erkannt und zu einem Begriff zusammengefaßt wurde – als natur-
wissenschaftlich begründetes Objekt. Für den Verstand ist im Spiel der Kräfte das wahre
Wesen der Dinge geworden, ihre durch die Reflexion konstituierte Erscheinung.
„Die Mitte, welche die beyden Extreme, den Verstand und das Innere, zusammenschließt, ist
das entwickelte S e y n der Krafft, das für den Verstand selbst nunmehr ein V e r s c h wi n d e n
ist. Es heißt darum E r s c h e i n u n g ; denn Schein nennen wir das S e yn , das unmittelbar an ihm
selbst ein N i c ht s e yn ist. Es ist aber nicht nur ein Schein, sondern Erscheinung, ein G a n z e s
des Scheins.“36

Die Erscheinung ist das Resultat der Vermittlung der Erkenntnis der objektiven Momen-
te der Reflexion mit den subjektiven, wobei die Vermittlung die Form eines Schlusses
hat, bei dem die Prämisse, also die Realität, mit der Konklusion, also dem Begriff der
Realität, der Grund mit dem Begründeten zusammenfällt. Dadurch droht die Bewegung
der Kraft tautologisch zu werden, es sei denn, ihr ist ein Grund unterstellt, der von der
Erscheinung selbst unterschieden ist. Vor seiner Bestimmung erscheint dieser Grund der
Erscheinung als Jenseitiges, als dasjenige, was in den bisherigen Bestimmungen nicht
aufgehoben ist. Dieser Grund ist zunächst unbestimmt.
35
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 87.
36
Ebd., 88.
Der Begriff des Selbstbewußtseins 135

Hegel stellt den Begriff des Jenseits der Erscheinung analog zum Ding an sich bzw.
dem transzendentalen Objekt bei Kant dar, und es ist deshalb nicht unpolemisch, wenn
Hegel feststellt, daß das Jenseits der Erscheinung auch zu irrationalen Spekulationen
Anlaß bietet: „[…] damit also in diesem so ganz Leeren, welches auch das Heilige ge-
nannt wird, doch etwas sey, es mit Träumereyen, Erscheinungen, die das Bewußtseyn
sich selbst erzeugt, zu erfüllen; es müßte sich gefallen lassen, daß so schlecht mit ihm
umgegangen wird, denn es wäre keines bessern würdig, indem Träumereyen selbst noch
besser sind, als seine Leerheit.“37
Wenn Grund und Begründetes, hier: Realität und Begriff der Realität, durch ihren
Grund voneinander unterschieden sein sollen, dann kann dieser Unterschied nur im Un-
terschied von Existenz und Bestimmung der Realität liegen. Eine solche Dualität von
Existenz- und Bestimmungsgrund widerspricht aber dem Prinzip der Einheit des Ver-
standes. Deshalb muß der Widerspruch vermittelt werden, daß Realität und Begriff un-
terschieden sein sollen, ohne daß dieser Unterschied die Einheit des Verstandes zerrüttet.
Hegel schließt – als avancierter Denker seiner Zeit – mythologische und religiöse Be-
gründungen für die Einheit des Naturganzen aus und grenzt sich damit entscheidend von
seinen Vorgängern ab. Noch der Vernunftkritiker Kant sah sich gezwungen, den letzten
einheitsstiftenden Grund der Natur durch das Postulat einer göttlichen Instanz zu be-
gründen, wenngleich er dieser nur eine regulative, keine objektive Funktion zukommen
ließ. Hegel konstatiert dagegen das Scheitern der Versuche einer affirmativen Begrün-
dung des Naturganzen. Er weist den „Erscheinungen und Träumereyen“ nach, Konstruk-
tionen des Bewußtseins zu sein, um dieses Resultat konsequenter als Kant zur Lösung
zu erklären. Der erste Grund der Einheit von Begriff und Realität ist die Subjektivität als
Vermögen von selbstbewußten Sinnenwesen. Weil diese aber zugleich auch endliche
Wesen sind, kann das Selbstbewußtsein nicht naiv als Letztbegründung herangezogen
werden. Die Menschen sind – anders als ihr göttlicher alter ego – nicht absolut und ha-
ben die Welt nicht ursprünglich erschaffen. Sie ist ihrem Wirken als gegeben vorausge-
setzt. Das Verhältnis der Menschen zur Natur ist eines der wissenschaftlichen und tech-
nisch-praktischen Aneignung. Wenn also das Selbstbewußtsein die metaphysische
Funktion Gottes als Einheit stiftendes Prinzip ersetzen soll, dann muß gezeigt werden,
wie die Natur durch das menschliche Wirken reproduziert wird, und wie in der reprodu-
zierten, zweiten Natur Existenz- und Bestimmungsgrund zwar hinsichtlich ihrer Bestim-
mung, nicht aber ihrer Existenz unterschieden sind. Ein solches Selbstbewußtsein wäre
historisch geworden und bliebe doch in allem nur bei sich selbst.
Grund und Begründetes stehen per Definition zueinander in einem notwendigen Ver-
hältnis. Soll also der jenseitige Grund die Erscheinung notwendig begründen, kann er
37
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 90. Es handelt sich um eine der wenigen Stellen im späteren
Werk Hegels, wo Irrationalität, Einbildungskraft, Vorstellung überhaupt erwähnt werden. Vgl. Mi-
chael Städtler. „Von der Geistlosigkeit des Rechtszustandes. Hegels Vermittlung transzendenter
und säkularer Momente der Rechtsbegründung“. Vortrag gehalten auf dem Intern. Hegelkongreß,
Leuven, 13.09 2008. Dirk Meyfeld, „‚Dieses Volk ist in der Weltgeschichte für diese Epoche das
Herrschende‘ – Zur Problematischen Kategorie des Volksgeistes in der Rechtslehre.“ In He-
gel-Jahrbuch 2009 – Hegels Politische Philosophie. Zweiter Teil, hrsg. v. Andreas Arndt u. a.,
21-27. Berlin, 2009.
136 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

keine mythologische Projektion sein, weil er dann mit dem bislang entwickelten nur in
einem zufälligen Zusammenhang stünde. Die notwendige Begründung kann nur das Re-
sultat der Vermittlung der vorangegangenen Begriffe sein: Das Jenseits ist durch die Ne-
gation der Erscheinung erschlossen worden, also nicht leer, sondern übersinnlich. Das
Übersinnliche ist das Sinnliche, wie es in Wahrheit ist: Begriff des Sinnlichen. Im Über-
sinnlichen sind aber noch keine bestimmten Unterschiede entwickelt worden. D. h. zum
einen, daß das Verhältnis des Sollizitierens und das des Inhalts jedes für sich die absolu-
te Verkehrung und Verwechslung der jeweiligen Relata ist: Das Sollizitierende wird Sol-
lizitiertes, das Sollizitierte wird Sollizitierendes, das allgemeine Medium ist negative
Einheit sowie umgekehrt, weil sie ohne Unterschied nicht gegeneinander abzugrenzen,
sondern dasselbe sind. Zum anderen gehen Form und Inhalt, Sollizitierendes und Solli-
zitiertes im Übersinnlichen zusammen und es bleibt daher nur der einfache Unterschied
zwischen dem Innern der Dinge und dem Verstand bzw. zwischen Begriff und Gegen-
stand überhaupt. Dieser einfache Unterschied ist das Gesetz der Kraft.

Kraft und Kategorie: Kausalität und Wechselwirkung als Relation empirischer


Naturgesetze38
Hegel betrachtet es als erwiesen, daß der Verstand das Objekt nun als Erscheinung be-
greift, in der die Differenz von Realität und Begriff der Realität aufgehoben worden ist.
Auf dieser Stufe der Argumentation stellt sich für den Verstand das Problem des Verhält-
nisses des Begriffs der Realität, der sie unabhängig von der konkreten Ausprägung und
Erscheinung überhaupt als gesetzmäßige faßt, zu deren empirischen Korrelaten, den Na-
turgesetzen.
Das Gesetz der Kraft ist das einfache Abbild der wahrgenommenen Welt, dieser ei-
nerseits jenseitig, andererseits aber ebenso ihr Begriff und damit in ihr gegenwärtig.
Umgekehrt geht aber die wahrgenommene Welt nicht vollständig im Gesetz auf. Die
wirklichen Gesetze haben nicht nur eine Gestalt, sondern erscheinen in vielen verschie-
denen Weisen. Diese Vielheit der wirklichen Gesetze widerspricht erneut dem Prinzip
der Einheit des Verstandes, der sie daher auf einen identischen Grund zurückzuführen
versucht. Nach Hegel beschreiben die empirischen Gesetze die Wirklichkeit als gesetz-
mäßige, also das Prinzip der Bewegung der Planeten oder das Verhältnis von positiver
und negativer Elektrizität usw. Die Begründung dieser gesetzmäßigen Wirklichkeit führt
dazu, daß bestimmte Phänomene denselben naturwissenschaftlichen Gründen zugeord-
net werden können. So stehen z. B. die Gesetze, wonach ein Stein auf der Erde nach un-
ten fällt, und die Planeten sich ellipsenförmig um die Sonne bewegen, als empirische
Gesetze unvermittelt nebeneinander. Erst mit dem Begriff der Gravitation ist ein ge-
meinsamer Grund für beide Gesetze gefunden. Daß sich die naturwissenschaftlichen
Phänomene nach Gründen zusammenfassen lassen, bezeichnet Hegel als Prozeß der At-
traktion, die solange fortgesetzt wird, bis am Ende ein identischer Grund gefunden ist,
der Begriff des Gesetzes selbst.
38
Kant. Kritik der Urteilskraft, XXXIII.
Der Begriff des Selbstbewußtseins 137

„Die Vereinigung aller Gesetze in der a l l g e m e i n e n At t r a c t i o n drückt keinen Inhalt weiter


aus, als eben den b l o ß e n B e g r i f f d e s G e s e t z e s s e l b s t , der darin als seyend gesetzt ist.
Die allgemeine Attraction sagt nur diß, daß Al l e s e i n e n b e s t ä n d i g e n U n t e r s c h i e d zu
Anderem hat.“39

Der Auffassung Hegels gemäß werden in der allgemeinen Attraktion die bestimmten
Sachverhalte sukzessive in einem Begriff zusammengezogen, so daß der Begriff des Ge-
setzes oder die einfache Kraft über die wirklichen Gesetze hinausgeht: Er ist nicht Gra-
vitation, Elektrizität usw., sondern der einfache Prozeß des Setzens des Unterschiedes
und der damit verbundenen inneren Notwendigkeit, diesen Unterschied auch wieder
aufzuheben. Hegel will durch die Attraktion den Begriff des einfachen Gesetzes oder
des Gesetzes überhaupt begründen, indem die Gesetze ihre Bestimmtheit und ihren
Wahrnehmungsgehalt verloren haben.
Hegel arbeitet hier mit einer Äquivokation im Kraftbegriff, der einerseits den Kraft-
begriff der Physik seiner Gegenwart unterstellt – genannt werden Gravitation, Elektrizi-
tät, Magnetismus. Zugleich dienen die physikalischen Kräfte nur als Beispiel für natur-
wissenschaftlich begründete Begriffe überhaupt, für die Kraft des Verstandes als das
Prinzip naturwissenschaftlicher Erkenntnis. Die Vermischung von Modell und Prinzip
bewirkt einerseits, daß Hegel das Modell analog dem Denken als dialektischen Abstrak-
tionsprozeß beschreiben kann. Andererseits braucht das Prinzip ein Modell, wenn es
nicht gegenstandslos sein soll. Anders als von Hegel argumentiert folgt aber in der
Physik aus dem Gesetz der Gravitation nicht die Bestimmungslosigkeit dieses Gesetzes.
Gravitation ist kein einfaches Gesetz. Dieser Begriff bleibt empirisches Naturgesetz in-
sofern er auf bestimmte Fälle von Schwerkraft anzuwenden ist. Aber während die Be-
wegungsgesetze der Schwerkraft vor dem Beweis des Gravitationsbegriffes nur be-
schreibbar, nur von komparativer Allgemeinheit waren, gelten sie mit dem Gesetz der
Gravitation notwendig und allgemein. Der Begriff der Gravitation ist nicht rein intellek-
tuell. Zwar ist das Gesetz der Gravitation nicht anzuschauen, aber es bestimmt Anschau-
ung.
Außerdem ist zu fragen, wie das Gesetz auf einen bestimmten Sachverhalt bezogen
wird, und ob diese Beziehung wirklich durch Attraktion erklärbar ist. Die einfache Kraft
oder der Grund der wirklichen Gesetze ist nicht per se auf einen bestimmten Sachver-
halt bezogen, sowenig wie umgekehrt die bestimmten Sachverhalte mit ihrem Grund
identisch sind. Die Vielheit der wirklichen Gesetze muß deshalb dem Grund erst subsu-
miert werden, bzw. muß der Grund der wirklichen Gesetze erst gefunden werden. Die
Relation zwischen der einfachen Kraft und dem wirklichen Gesetz wird durch einen
Versuchsaufbau konstruiert und ist damit nicht Gegenstand einer unmittelbar gegebenen
Erfahrung, sondern Artefakt. Z. B. fallen Feder und Bleikugel mit derselben Masse nur
in einem luftleeren Raum gleich schnell, weil der Luftwiderstand als weiterer Kraft-
faktor ausgeschlossen ist. Dann ist aber die naturwissenschaftliche Theoriebildung auch
kein Abstraktions- sondern ein Arbeitsprozeß. Das Gesetz und die dem Gesetz korre-
spondierenden Sachverhalte stehen sich also als äußerliche gegenüber:
39
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 92.
138 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

„Das Gesetz ist dadurch auf eine gedoppelte Weise vorhanden, das einemal als Gesetz, an dem
die Unterschiede als selbstständige Momente ausgedrückt sind; das anderemal in der Form des
e i n fa c h e n in sich zurückgegangenseyns, welche wieder K r a ft genannt werden kann, aber so
daß sie nicht die zurückgedrängte, sondern die Kraft überhaupt oder als der Begriff der Krafft
ist, eine Abstraction, welche die Unterschiede dessen, was attrahirt und attrahirt wird, selbst in
sich zieht.“40

Die Vereinigung der Bewegungsgesetze der Wirklichkeit mit den ihnen zugeordneten
Gründen in demselben Prinzip kann nur dann funktionieren, wenn sie auf denselben Ur-
sprung zurückzuführen sind. Aber die beiden Seiten des Gesetzes, Begriff und Sein,
bleiben sich äußerlich: Die einfache Kraft ist der Grund eines empirischen Gesetzes,
z. B. ist die Gravitation der Grund für die Fallbewegung. Im Begriff der Gravitation ge-
hen zwei spekulative Funktionen zusammen, die Begründung der Existenz der Bewe-
gung und die begriffliche Bestimmung des physikalischen Phänomens in der Formulie-
rung des entsprechenden Gesetzes. Einerseits ist die begriffliche Bestimmung der
Gravitation im Unterschied zur Fallbewegung kein Gegenstand der sinnlichen Erfah-
rung. Sie ist auf eine Spekulation zurückzuführen, die der Kraft des Verstandes geschul-
det ist. Als Kräfte haben der Verstand und das Gesetz denselben Ursprung, das reflektie-
rende Subjekt. Wenn aber andererseits die Gravitation keine Projektion auf die Natur
sein soll, sondern der objektive Grund gewisser Erscheinungen, dann muß die Existenz
der Gravitation auch von ihrer Bestimmung als spekulativer Begriff oder Gesetz unter-
schieden sein, denn die der Naturwissenschaft korrespondierende Wirklichkeit hat ihren
Ursprung nicht im Subjekt oder der Kraft des Verstandes: Ein Indiz dafür ist, daß die
Gesetze des Verstandes notwendig allgemein gelten, während die Existenz der Erschei-
nungen zufällig ist. Als Ausdruck der Objektivität bestimmter naturwissenschaftlicher
Begriffe wird sie also entweder vorgefunden „oder ihre Existenz ist durch andere Kräff-
te, d. h. ihre Nothwendigkeit ist eine äußere.“41 Die Äußerlichkeit zwischen Begriff und
Sein erscheint dreifach: Es gibt keine Notwendigkeit der Existenz des Naturgesetzes, es
gibt keine Notwendigkeit der Existenz der Erscheinungen und es gibt keine Notwendig-
keit des bestimmten Unterschiedes zwischen Gesetz und Erscheinung.
Hegel hatte zwar gezeigt, daß die Relation von Sein und Begriff nur als Moment des
Begriffs denkbar ist. Innerhalb des Begriffs fungiert das Sein als Inhalt des Begriffs, der
außerhalb des Begriffs nicht beschreibbar und deshalb so gut wie nichts ist. Aber Hegel
dokumentiert selbst, daß die Gegenständlichkeit nicht in ihrer Funktion aufgeht: Wäre
sie einzig durch die Negation des Begriffs bestimmt, also als Nicht-Begriff, wie Hegel
es intendiert, dann wäre Seiendes nur relational, aber nicht intentional vom Begriff un-
terschieden. Ohne spezifische Differenz, also eine, die ontologisch begründet ist, bleibt
das Problem, daß die Objektivität unbestimmt ist. Etwas, das ist, ohne bestimmt zu sein,
ist ein Widerspruch. Dieser Widerspruch ist innerhalb des Begriffs nicht zu lösen; viel-
mehr kann das objektive Korrelat des Begriffes nur negativ erfaßt werden – nämlich als
eben dieser Widerspruch. Wenn darüber hinaus dennoch von Gegenständen die Rede
40
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 93.
41
Ebd.
Der Begriff des Selbstbewußtseins 139

sein soll, die aber aus dem Begriff nicht ableitbar sind, dann bleibt nur, diese zu zitieren.
Deshalb zeugt die Illustration des Arguments durch Beispiele aus der Physik auch da-
von, daß die Objektivität im Begriff nicht vollständig aufgeht:
„So ist, zum Beyspiel, die e i n fa c h e Electricität, d i e K r a ft ; der Ausdruck des Unterschieds
aber fällt in d a s G e s e t z ; dieser Unterschied ist positive und negative Electricität. Bey der Be-
wegung des Falles ist die K r a ft das einfache, die S c h we r e , welche das G e s e t z hat, daß die
Größen der unterschiedenen Momente der Bewegung, der verflossenen Z e i t , und des durch-
lauffenden R a u ms , sich wie Wurzel und Quadrat zu einander verhalten. Die Electricität selbst
ist nicht der Unterschied an sich oder in ihrem Wesen das Doppelwesen von positiver und ne-
gativer Electricität; daher man zu sagen pflegt, sie h ab e das Gesetz, auf diese Weise z u s e yn ,
auch wohl, s i e h a b e d i e Ei g e n s c h a f ft , so sich zu äußern.“42

Kraft als System: Natur, Freiheit, Heautonomie und Cultur43


Die Äußerlichkeit zwischen Begriff und Sein widerspricht dem Prinzip der Einheit des
Verstandes und muß deshalb erklärt werden. Indem aber der Verstand erklärend nach-
vollzieht, daß beide notwendig aufeinander verwiesen sind, verschwindet ihre Differenz
und er erkennt sie als sich adäquat. Die erklärende Bewegung vermittelt also die Diffe-
renz. Der Verstand ist das Subjekt dieser Erklärung, während das Seiende gegen die Er-
klärung gleichgültig bleibt, zumal weder die Differenz noch die Vermittlung Attribute
des Seins sind, sondern durch den Verstand festgestellte Relationen. Gegenstand der Er-
klärung ist also zunächst der Verstand selbst.
„Diese Nothwendigkeit, die nur im Worte liegt, ist hiemit die Hererzählung der Momente, die
den Kreis derselben ausmachen; sie werden zwar unterschieden, ihr Unterschied aber zugleich,
kein Unterschied der Sache selbst zu seyn, ausgedrückt, und daher selbst sogleich wieder auf-
gehoben; diese Bewegung heißt E r k l ä r e n .“44

Indem sich der Verstand in der Bewegung des Erklärens auf die von ihm begründeten
Begriffe bezieht, konstituiert er sich als Reflexion. Diese Reflexion ist nicht unabhängig
von den reflektierten Begriffen zu denken, sondern vielmehr als deren Wesen. Die re-
flektierten Begriffe werden also in der Reflexion zugleich negiert und aufbewahrt. Da-
mit ist – im Unterschied zum Verstand bei Kant – die Reflexion nicht die gegenstandslo-
se Form eines Vermögens, sondern ein Vermögen, das sich in der Auseinandersetzung
mit bestimmten Inhalten herausgebildet hat. So wird die Vermittlung durch die Erkennt-
nis des Hiatus von Gesetz und Sein veranlaßt, die nicht reflexiv, sondern irreflexiv ist.

42
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 93.
43
Vgl. Kant. Kritik der Urteilskraft, XXXVII u. 391.
44
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 94 f. Hegel beabsichtigt mit dem Prozeß des Erklärens dieje-
nige Bewegung aufzuzeigen, wodurch die Diversität der Wirklichkeit und der sie bestimmenden
Gesetze in der Einheit des Begriffs aufgehoben wird. Aber diese Bewegung kann nicht nur tauto-
logisch sein, sondern muß auch etwas an der Wirklichkeit erklären, sonst wäre sie eine Erklärung
von nichts. Irreführend ist daher das Beispiel Gadamers: „die Tautologie des Erklärens läßt sich
etwa am Beispiel der Lautgesetze demonstrieren. Man spricht da von den Gesetzen der Lautver-
schiebung, die den Lautwandel einer Sprache ‚erklären‘. Aber die Gesetze sind natürlich nichts
anderes als das, was sie erklären. Sie haben nicht eine Spur von anderem Anspruch.“ Hans-Georg
Gadamer. „Die verkehrte Welt.“ 83.
140 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

Durch die erklärende Vermittlung werden der Hiatus und die irreflexive Relation getilgt,
so daß das Wesen der reflektierten Begriffe, Verstandesbegriffe zu sein, hervortritt. Der
Prozeß der Vermittlung ist also reflexiv, insofern Kraft und Gesetz hier erkenntnistheo-
retische und keine naturwissenschaftlichen Begriffe sind. Die Entwicklung des Untersu-
chungsgegenstandes, also des Begriffs und der Erfahrung des Verstandes mit dem Be-
griff, sei damit soweit gediehen, daß der absolute (Gegenstands-)Wechsel vollzogen
worden sei, indem der Verstand die Natur nicht mehr als Fremdes betrachtet, sondern als
sein eigenes Produkt. Diese reflexive Bewegung ist aber abstrakt, weil die Erklärung der
Sache selbst ihr noch äußerlich ist.
„Mit dem Erklären also ist der Wandel und Wechsel, der vorhin außer dem Innern nur an der
Erscheinung war, in das Uebersinnliche selbst eingedrungen; unser Bewußtseyn ist aber aus
dem Innern als Gegenstande auf die andere Seite in den Verstand herübergegangen, und hat in
ihm den Wechsel.“45

Um zu zeigen, wie die Bewegung des Erklärens die Sache selbst erfaßt, greift Hegel auf
ein bereits für den Verstand vorhandenes Resultat zurück: Das Ding ist keine unmittel-
bare Realität, sondern wurde im Resultat der Vermittlung des Spiels der Kräfte Begriff:
„Die Realisirung der Krafft [hier in der Bedeutung der Erscheinung, M. B.] ist also zu-
gleich Verlust der Realität; sie ist darin vielmehr ein ganz Anderes geworden […]“46 Die
Einzelwissenschaft erklärt keine Sinneseindrücke, sondern kritisiert und konstruiert Be-
griffe, die die Objektivität notwendig und allgemeingültig beschreiben sollen. Den abso-
luten Wechsel hat deshalb nicht nur die Reflexion, sondern auch dessen Gegenstand an
sich. Der Wechsel ist vielmehr das gemeinsame Dritte von Reflexion und Sein, denn ei-
nerseits bestimmt sich die Reflexion nur über die Negation des Seins, andererseits hatte
sich umgekehrt am Sein gezeigt, daß seine Wahrheit nur begrifflich gefaßt werden kann
und damit das an ihm negiert wird, was es eigentlich sein soll – seine Unmittelbarkeit.
Reflexion und Sein sind aber nicht nur in einem gemeinsamen Dritten affin, sondern
darüber hinaus wechselseitig aufeinander verwiesen, weil beide ihren Unterschied und
damit ihre Bestimmung nur in Abgrenzung gegen das jeweils andere Moment haben.
Schließlich ist diese Relation asymmetrisch, denn das Wechselverhältnis von Verstand
und Erscheinung fällt nicht in das Sein sondern in den Verstand. Für den Verstand ist die
Erscheinung das Moment des Negierten, während umgekehrt für die Erscheinung der
Verstand das Wesen ist. Beide Relata sind dadurch demselben Grund, der Reflexion,
oder in der Terminologie Hegels: der Kraft zugeordnet worden, so daß mit der Erklä-
rung nicht nur der Verstand, sondern auch die Sache selbst erklärt wird.
„Dieser Wechsel ist so noch nicht ein Wechsel der Sache selbst, sondern stellt sich vielmehr
eben dadurch als reiner Wechsel dar, daß der Inhalt der Momente des Wechsels derselbe bleibt.
Indem aber der Begriff als Begriff des Verstandes dasselbe ist, was das I n n r e der Dinge, s o
wi r d d i e s e r W e c h s e l a l s G e s e t z d e s I n n e r n für ihn. Er e r f ä h r t also, daß es G e s e t z
d e r E r s c h e i n u n g s e l b s t ist, daß Unterschiede werden, die keine Unterschiede sind; oder
daß das Gl e i c h n a m i g e sich von sich selbst a b s t ö ß t ; und eben so daß die Unterschiede nur
45
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 95.
46
Ebd., 87. Vgl. S. 133 dieser Arbeit.
Der Begriff des Selbstbewußtseins 141

solche sind, die in Wahrheit keine sind, und sich aufheben; oder daß das U n g l e i c h n a m i g e
sich a n z i e h t . – Ein z w e yt e s Ge s e t z , dessen Inhalt demjenigen, was vorher Gesetz genannt
wurde, nemlich dem beständigen sich gleichbleibenden Unterschiede entgegengesetzt ist; denn
diß neue drückt vielmehr das U n g l e i c h w e r d e n d e s Gl e i c h e n , das G l e i c h w e r d e n d e s
U n g l e i c h e n aus. Der Begriff muthet der Gedankenlosigkeit zu, beyde Gesetze zusammenzu-
bringen, und ihrer Entgegensetzung bewußt zu werden.“47

Das Verhältnis von Begriff, Sein und Verstand wird als das Verhältnis des ersten und des
zweiten Gesetzes gefaßt: Das erste Gesetz war das der irreflexiven Beziehung des Ver-
standes auf die wahrgenommene Natur als einfacher Unterschied, erste Negation oder
das ruhige Reich der Gesetze, in dem das Wesen des Wahrgenommenen als Begriff auf-
gehoben wurde. Dieses erste Gesetz beschrieb die Wirklichkeit, die ihm aber zugleich
auch äußerlich blieb. Das zweite Gesetz ist das der Negation des ersten Gesetzes. Diese
zweite Negation bedeutet nicht, daß das erste Gesetz nichtig würde, denn dann wäre das
zweite Gesetz ein Gesetz von Nichts. Es bedeutet nur, daß das erste Gesetz in seiner
Selbständigkeit negiert und damit als Bestimmungsmoment des zweiten Gesetzes in die-
sem aufgehoben wird. Oder: die irreflexive Beziehung des Verstandes auf das Sein
bleibt als der Inhalt des zweiten Gesetzes erhalten, aber so, daß die Unterschiede dem
zweiten Gesetz nicht mehr äußerlich werden, sondern an ihm sind und deshalb Unter-
schiede sind, die in der Tat keine sind. Dieses zweite Gesetz, wonach das Ungleiche
gleich und das Gleiche ungleich wird, beinhalte für alle in Kraft und Verstand durchge-
führten Begriffe – Erscheinung, Gesetz, Begriff des Gesetzes und Unterschied – den
Nachweis, daß sie ihren Grund und Ursprung in der Kraft des Verstandes haben und
deshalb Gleichnamige sind.
„So hat die übersinnliche Welt, welche die verkehrte ist, über die andere zugleich übergriffen,
und sie an sich selbst; sie ist für sich die verkehrte, d. h. die verkehrte ihrer selbst; sie ist sie
selbst, und ihre entgegengesetzte in einer Einheit. Nur so ist sie der U n t e r s c h i e d als i n n e -
r e r , oder Unterschied a n s i c h s e l b s t , oder ist als U n e n d l i ch ke i t .“48

Der Begriff der Unendlichkeit oder des Gleichnamigen stellt die Einheit aller Begriffe
als Begriffe dar, weil er aus der wissenschaftlichen Erklärung und der systematischen
Subsumtion der sinnlichen Erfahrung unter das Gesetz der übersinnlichen resultiert.49
Der Sache nach steht hinter dieser Erklärung der historisch-kritische und technisch-kultu-
relle Prozeß der Erkenntnis und praktischen Aneignung der Natur. Die Dialektik der natur-
wissenschaftlichen Aufklärung war – anders als in der Reflexion der Phänomenologie des
Geistes – kein rein systematischer Weg, sondern durch die technische Umsetzung der theo-
retischen Resultate und die Akkumulation von Wissen und Technik bedingt. Zudem war der
geschichtliche Prozeß nicht nur progressiv, sondern auch mit Irrwegen und Rückschritten
verbunden, was bei einem Prozeß, der durch Menschen vorangetrieben wird und sich in ei-
nem Material realisiert, dessen zentrifugale Tendenzen dem Systemgedanken Hindernisse in
den Weg stellen, auch nicht anders sein kann. Da Hegel aber sowohl den Begriff der Erklä-
47
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 96.
48
Ebd., 99.
49
Vgl. den Hinweis Hans-Georg Gadamers: „Das Gleichnamige ist – scholastisch gesehen – die
Gattung.“ Hans-Georg Gadamer „Die verkehrte Welt.“ 85.
142 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

rung, als auch den des Objektes systematisch einholt, ist die von ihm bezeichnete Unend-
lichkeit und der diesen Begriff begründende Reflexionsprozeß der Phänomenologie von der
historisch-kritischen Entwicklung in den Einzelwissenschaften ebenso abgeschnitten. Das ist
die Bedingung der Möglichkeit eines autonomen Systems, d. h. eines Systems, das sich aus
sich selbst reproduziert und absolut ist. Deshalb können Objekt und Erfahrung nur Gegen-
stand möglicher Erfahrung sein, wenn sie innerhalb der Phänomenologie durch das reflek-
tierende Vermögen (re-)produziert und damit gleichermaßen axiomatisiert werden: So wurde
schon der Begriff des unbedingt Allgemeinen, von dem die Entwicklung in Kraft und Ver-
stand ausging, der Sache nach als historisches Resultat gesetzt, um rekursiv auf die systema-
tischen Bedingungen seiner Erkennbarkeit zu schließen. Die Darstellung suggerierte dage-
gen, daß es nicht Resultat einer historischen Genese, sondern das Resultat des
metaphysischen Problems der Vermittlung der sinnlichen Gewißheit und der Wahrnehmung
des Dings ist. Das ist einerseits nicht anders zu lösen, weil die historisch erste Erkenntnis
kein Gegenstand des kollektiven Gedächtnisses ist. Andererseits tritt der historisch-kritische
Erkenntnisprozeß bei Hegel mit dem Begriff des Erklärens in Erscheinung, um aber auch
dort sogleich systematisch integriert zu werden. Der historisch-kritische Prozeß wie seine
Resultate erscheinen dadurch ausschließlich als systematische Begriffe und die chronologi-
sche Reihenfolge wird in Kraft und Verstand verkehrt.50
Damit wird in der Unendlichkeit der Widerspruch, daß die übersinnliche Welt in ih-
rem sinnlichen Korrelat bei sich selbst bleibt, eklatant. Entweder wird der Begriff der
Unendlichkeit tatsächlich rein aus dem Begriff abgeleitet. Dann ergibt sich daraus das
Problem, daß er von der historischen Erfahrung abgeschnitten ist und damit vom Gegen-
stand seiner Begriffe. Oder aber die historisch-kritische Erfahrung geht doch in den Be-
griff dieser Unendlichkeit ein, dann bleibt notwendig ein unreflektierter Rest, den das
System sich nicht einverleiben kann. Hegel braucht beide Momente, so daß der uneinge-
holte Rest sich schließlich doch in der Art und Weise Geltung verschafft, wie Hegel das
Unendliche mit Inhalt füllt: Was zunächst nur als Beispiel des Gesetzesbegriffs einge-
führt worden war – die Gegenstände der Mechanik, Elektrizität, des Magnetismus (vgl.
S. 137 dieses Kapitels) – kehrt hier als die substantielle Bestimmung des Unendlichen
wieder. Das Unendliche kann nicht nur die Einheit aller Begriffe überhaupt sein, deren
Bedeutung anhand von Beispielen illustriert wird, die außerhalb dieser Einheit in den
Naturwissenschaften angesiedelt sind, denn dann bliebe es leer. Vielmehr beinhaltet es
diese substantiell bestimmten, naturwissenschaftlichen Begriffe. Letztere sind damit
aber zugleich und in derselben Hinsicht Momente des metaphysischen Systems und ver-
lieren ihre Eigenständigkeit. Sie erscheinen deshalb in verkehrter Weise, nicht als vom
metaphysischen System unterschiedene Naturgesetze, sondern als philosophische Be-
griffe, die deshalb auch nicht naturwissenschaftlich bestimmt sind, sondern formal dia-
lektisch durch die bestimmte Negation ihres Gegenbegriffs:

50
Entsprechend verdeutlicht Hans-Georg Bensch die historisch-kritische Implikation des Gleichna-
migen durch einen philosophiegeschichtlichen Exkurs. Vgl. Hans Bensch. Perspektiven des Be-
wußtseins, 155–173.
Der Begriff des Selbstbewußtseins 143

„Nach dem Gesetze dieser verkehrten Welt ist also das Gleichnamige der ersten das ungleiche
seiner selbst, und das Ungleiche derselben ist eben so ihm selbst ungleich, oder es wird sich
gleich. An bestimmten Momenten wird diß sich so ergeben, daß was im Gesetze der ersten süß,
in diesem verkehrten Ansich sauer; was in jenem schwartz, in diesem weiß ist. Was im Gesetz
der erstern, am Magnete Nordpol, ist in seinem andern übersinnlichen Ansich, (in der Erde
nemlich), Südpol; was aber dort Südpol, ist hier Nordpol. Ebenso was im ersten Gesetze der
Electricität Sauerstoffpol ist, wird in seinem andern übersinnlichen Wesen Wasserstoffpol; und
umgekehrt, was dort der Wasserstoffpol ist, wird hier der Sauerstoffpol.“51

Die Schwierigkeit bei der Lektüre dieser Passage der Phänomenologie ist darauf zurückzu-
führen, daß Hegel versucht, das Prinzip der Bestimmung philosophischer Begriffe auf die
physikalischen Begriffe abzubilden. Die philosophische Beweisführung folgt dem indirekten
Beweis durch Negation der Negation, weil der Gegenstand dieser Beweisführung reflexiv
ist. Sie beansprucht a priori synthetisch zu sein. In der Naturwissenschaft werden dagegen
Begriff und Erfahrung einander notwendig und allgemein zugeordnet, so daß die Beweisfüh-
rung nicht ausschließlich negativ und a priori sein kann, sondern sich auch auf den Gegen-
stand beziehen muß. Das würde aber bedeuten, daß sich die Differenz der Gegenstandsberei-
che in der Differenz der Urteile über die Gegenstände erhält und das Programm der
Begründung ihrer Einheit mißlänge. Das Prinzip der Bestimmung des Gleichnamigen muß
also auch das Prinzip der Bestimmung der Erscheinungen sein und tatsächlich hatte Hegel
den absoluten Wechsel als das gemeinsame Dritte beider Relata bestimmt (Vgl. das Zitat zur
Fußnote 2 auf S. 116). Der absolute Wechsel und die Verkehrung von Begriff und Erschei-
nung im Denken ist das Prinzip des Erkennens: Was für unmittelbar gewiß gehalten wird,
verkehrt sich im Resultat der Erkenntnis in sein Gegenteil; es ist Vermitteltes. Es ist deshalb
nur konsequent, daß Nord- und Südpol, süß und sauer, Wasser- und Sauerstoffpol durch Ne-
gation bestimmt werden: Sie sind nicht ihr Gegenteil, aber was dieses Gegenteil ist, kann
ebensowenig angegeben werden, wie das, was sie an sich selbst sind.52
Die verkehrte Welt wird zum Inbegriff der Realität, der relational und damit zugleich
unbestimmt ist. „Es ist der reine Wechsel, oder die E ntgegen setzu ng in sich
selbst, der W iderspruc h z u denken .“53
Unbegründet bleibt der Wechsel der Stellung des Systems zu den physikalischen Be-
griffen. Während sie zunächst als Beispiel zitiert wurden, tauchen sie hier unvermittelt
als substantieller Bestandteil des Systems wieder auf. Das Argument des Übergreifens
der übersinnlichen Welt auf die sinnliche durch die doppelte Negation erklärt zwar den
Prozeß der philosophischen Theoriebildung, nicht aber die historisch-kritische Erfah-
rung, die diesen Prozeß bedingt. Dieser bleibt der wissenschaftlichen Reflexion von je
her auch vorausgesetzt. Deshalb ist der von Hegel in Kraft und Verstand vollzogene Ge-
genstandswechsel nicht vermittelbar. Er folgt nicht aus der Argumentation. Das Residu-
um, das Gleichnamige, das zugleich der absolute Widerspruch ist, enthält dagegen keine
51
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 97.
52
Diese Differenz zwischen der Dialektik Hegels und den Konstitutionsmomenten naturwissen-
schaftlicher Erfahrung entgeht Gadamer, wenn er formuliert: „Nordpol und Südpol, positive und
negative Elektrizität veranschaulichen lediglich die Umkehrbarkeit dieser Verhältnisse, also ihren
dialektischen Charakter.“ Hans-Georg Gadamer, „Die verkehrte Welt.“ 88.
53
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 98.
144 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

spezifisch unterschiedenen Gegenstandsbereiche mehr, weil der Verstand sich und sei-
nen Gegenstand als Wissen systematisch reproduziert hat.
Diese von Hegel konstruierte Einheit von verstandes- und naturwissenschaftlichen
Bestimmungen im System des Wissens hat keinen Gegenstand in der historischen Erfah-
rung. Zwar ist der Begriff der Einheit des Wissens und mit ihm die des Gegenstandsbe-
reichs notwendig zu denken als movens historisch-kritischer Erfahrung, denn nur ge-
messen am Kriterium der Widerspruchsfreiheit lassen sich Widersprüche kritisieren.
Andererseits bleibt diese Vorstellung eines in sich geschlossenen Systems aber auch ge-
genstandslos: Naturwissenschaftliche Systeme sind prinzipiell unabschließbar, nur auf
ihren Gegenstandsbereich bezogen gültig, von anderen Gegenstandsbereichen aber spe-
zifisch unterschieden und sie sind auch nicht der absolute Widerspruch, sondern syste-
matisch geordnet. Das nachzuweisen wird Gegenstand des Exkurses zur naturwissen-
schaftlichen Theoriebildung sein.54

d) Selbstbewußtsein

Die Natur ist der Gegenstand, der von je her als Voraussetzung des menschlichen Denkens
und Handelns erscheint, während andere, geisteswissenschaftliche Gegenstände wie Kunst,
Gesellschaft, Religion Produktionen der sich ihrer selbst vergewissernden Menschen sind.
Indem Hegel den Begriff des Wissens am Naturbegriff entwickelt, wählt er das zeitlich wie
logisch erste Objekt der Prädikation und zugleich dasjenige, welches in seiner Substanz am
beständigsten ist. Er beansprucht in Kraft und Verstand gezeigt zu haben, wie sich die Kate-
gorien des Denkens im Wissen von der Natur als System von notwendig allgemeinen Urtei-
len verwirklicht. Das Wissen ist so in einem anderen bei sich selbst, ohne daß nach Hegel im
Resultat der Entwicklung die Differenz zum anderen noch benannt werden könne, denn in
der Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften akkumuliere das Wissen deren Resul-
tate und gehe mit dem systematisch organisierten Gegenstand zusammen. Mit diesem Argu-
ment hatte Hegel es als das Resultat der Vermittlung erkenntnistheoretischer und naturwis-
senschaftlicher Bestimmungen präsentiert, als die absolute Totalität der Sichselbstgleichheit
im Unterschiedenen, der zumindest dem Prinzip nach alle Gestalten des erscheinenden Gei-
stes ungeachtet ihrer substantiellen Bestimmtheit als Momente angehören. Das Wissen vom
Wissen ist so das allen Gestalten der Phänomenologie zugrundeliegende, logisch-ontologi-
sche Prinzip.
„Nennen wir Begriff, die Bewegung des Wissens, den Gegenstand aber, das Wissen als ruhige Ein-
heit, oder als Ich, so sehen wir, daß nicht nur für uns, sondern für das Wissen selbst, der Gegenstand
dem Begriffe entspricht. – Oder auf die andere Weise, den Begriff das genannt, was der Gegenstand

54
S. 149 ff. dieser Arbeit. Obgleich der Nachweis Hegels, daß die Bestimmung der Kategorien, „wie
das abendländische Denken sie entwickelt hat, nur dann in ihrer Wahrheit gebraucht [werden,
M. B.], wenn sie als ‚Kategorie‘ des Selbstbewußtseins genommen werden“ wie Pöggeler unter-
streicht, „ein unüberbietbares Meisterstück“ darstellt (Otto Pöggeler. Hegels Idee einer Phänome-
nologie des Geistes, 190), bleibt die Identifikation der Kategorien mit dem Selbstbewußtseins ein
zu kritisierender topos.
Der Begriff des Selbstbewußtseins 145

ansich ist, den Gegenstand aber das, was er als Gegenstand, oder für ein anderes ist, so erhellt, daß
das Ansichseyn, und das für ein anderes seyn dasselbe ist; denn das Ansich ist das Bewußtseyn; es
ist aber ebenso dasjenige, für welches ein anderes (das Ansich) ist; und es ist für es, daß das Ansich
des Gegenstandes, und das Seyn desselben für ein anderes dasselbe ist; Ich ist der Inhalt der Bezie-
hung, und das Beziehen selbst; es ist es selbst gegen ein anderes, und greifft zugleich über diß andre
über, das für es ebenso nur es selbst ist.“55

Entscheidend für die Argumentation in den ersten drei Kapiteln der Phänomenologie ist
die Differenz der Vermögen, aus deren Perspektive die jeweils verhandelten Gestalten
des Geistes betrachtet werden: für uns und für es. Der Unterschied zwischen beiden ist
der Unterschied zwischen dem naiven und dem erfahrenen Vermögen der Reflexion. Die
Differenz beider widersprach der Einheit des Wissens und war daher zunächst als Sinn-
liche Gewißheit zu vermitteln. Diese beiden Perspektiven sind im Begriff des Unter-
schiedes, der keiner ist,56 ebenso zusammengegangen wie das Wissen mit seinem Ge-
genstand und die logische Voraussetzung des Denkens mit dessen vermittelten Resultat.
Damit ist erwiesen, daß das Prinzip des unterschiedslosen Unterschiedes auch unabhän-
gig von der Perspektive des Bewußtseins ein notwendiges Prinzip der Wissenschaften
und den damit verbundenen Bedingungen in Raum und Zeit ist. Aber aus dem unter-
schiedslosen Unterschied folgt weiter nichts und die Phänomenologie wäre an ihr Ende
gelangt, bevor das Selbstbewußtsein als Vermögen eines vernunftbegabten Sinnenwe-
sens hätte bestimmt werden können, und bevor es auch nur auf eine seiner ureigensten
Gestalten der Gesellschaft oder Geistesgeschichte hätte bezogen werden können. Wenn
die Entwicklung weiter gehen soll, dann muß Hegel die Bewegung umkehren und zei-
gen, wie aus der absoluten Einheit des Wissens die Differenz des „für uns“ und des „für
es“ wieder hervorgeht und sich aus dieser Differenz das Selbstbewußtsein entwickelt.57
Das Wissen ist nur dann kein gegenstandsloser Begriff, wenn es auf einen Gegen-
stand bezogen ist, der nicht es selbst ist. Mit dem System der Naturwissenschaften ist es
zusammengegangen, so daß es entweder dasselbe ist, was die Natur ist, oder es ist nur
formal als deren Negation bestimmt. Um dieses Problem zu lösen, transformiert Hegel
das System der Naturwissenschaften zunächst in den Begriff des Lebens.
55
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 103 f.
56
Vgl. ebd., 99.
57
Sok-Zin Lim identifiziert in seiner Interpretation dieser Passage den Lebensprozeß mit dem Ar-
beitsprozeß. „Insofern dem ‚Leben‘ eine der zentralen Stellungen beim Ringen um die philosophi-
sche Wahrheit verwiesen sein sollte, müssen wir auch in diesem Zusammenhang den Sinn der ‚Ar-
beit‘ – als des einig produktiven und vermittelnden Kraftzentrums an der Begierde und Befriedi-
gung oder dem positiv-Negativen und negativ-Positiven – klar hervortreten lassen. Denn wir kön-
nen schon sagen, daß das Leben, insofern es selbst das Lebendige oder das sich zu sich selbst Ent-
gegensetzende in seiner ruhigen, aber konkreten Einheit ist, in dem absoluten Tätigsein (der Ar-
beit) den Sinn seines beständig bewegenden und entwicklungsfähigen Seins erhält und erfüllt. Das
Leben ist ontologisch gesehen ein sinnbeladenes, kosmologisch durchwaltetes Gebilde ‚eines‘ Le-
bendigseins. Demgegenüber wäre Arbeit das jeweils sich absolut setzende Moment des sich im
Weltganzen durchgreifenden Lebens.“ Sok-Zin Lim. Der Begriff der Arbeit bei Hegel, 42. Lim
versteht den Arbeitsbegriff also vor allem im Sinne der Selbstbestimmung des Begriffs. Aber He-
gel ist es im Lebensbegriff nicht um ein äußerliches Verhältnis von Selbstbewußtsein und Objekti-
vität zu tun, wie er es auch in der Teleologie bestimmt hatte, sondern um diejenige Einheit von
Subjekt und Objekt, in der beide sich gerade nicht mehr äußerlich sind. Eben mit dieser Differenz
zwischen Arbeit und Leben arbeitet Hegel sowohl in der Logik als auch in der Phänomenologie.
146 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

Der innere Unterschied ist ein Unterschied, der keiner ist. D. h., daß die (Re-)Produk-
tion des Gegenstandes der Naturwissenschaften im System der Naturwissenschaften
durch das Bewußtsein derart gründlich ausfällt, daß dessen Existenz außerhalb des Sy-
stems zu einem notwendigen Moment innerhalb des Systems geworden ist. Damit führt
jeder Prozeß innerhalb des Systems auf dieses zurück – die Prozesse sind selbstbezüg-
lich geworden. Das objektive Korrelat für die Selbstbezüglichkeit des Prozesses ist der
Organismus, der sich das ihm äußere einverleibt, um sich zu reproduzieren. Der Orga-
nismus ist selbstbezüglich, aber z. B. als Tier noch nicht notwendig zur Selbsterkenntnis
befähigt, während umgekehrt der Begriff des Unterschiedes, der keiner ist, zwar selbst-
bezüglich ist, aber nicht lebt. Trotz dieser Unterschiede zwischen dem objektiven Korre-
lat und dem Begriff beabsichtigt Hegel die vollständige Transformation des Systems der
Naturwissenschaften in den Begriff des Lebens. Für Hegel ist die Gleichheit des Prin-
zips naturwissenschaftlicher Erkenntnis mit dem Prinzip des Lebens – die Selbstbezüg-
lichkeit – erwiesen, so daß er von der Analogie der Prinzipien auf die Identität des Prin-
zips und die Identität der zu transformierenden Gegenstandsbereiche – anorganische
Natur und Organismus – schließt.
„Diese einfache Unendlichkeit, oder der absolute Begriff ist das einfache Wesen des Lebens,
die Seele der Welt, das allgemeine Blut zu nennen, welches allgegenwärtig durch keinen Unter-
schied getrübt noch unterbrochen wird, das vielmehr selbst alle Unterschiede ist, so wie ihr
Aufgehobenseyn, also in sich pulsirt, ohne sich zu bewegen, in sich erzittert, ohne unruhig zu
seyn. Sie ist s i c h s e l b s t g l e i c h , denn die Unterschiede sind tautologisch; es sind Unterschie-
de, die keine sind.“58

In dieser einfachen Unendlichkeit, die das einfache Wesen des Lebens, ausmachen soll,
sind die Gestalten der sinnlichen Gewißheit, der Wahrnehmung und des Verstandes
ebenso aufgehoben wie die gegen das Bewußtsein selbständigen Naturobjekte. Dennoch
soll mit diesem Begriff des Lebens noch kein selbstbewußtes bezeichnet sein. Während
es „für uns“ dasselbe ist wie das Wissen, weiß es sich doch nicht selbst. Es wird viel-
mehr durch ein anderes erkannt – das Bewußtsein. Der Unterschied, der keiner ist, sei
das Prinzip eines sich reproduzierenden Organismus, den das Bewußtsein, welches die
Erfahrungen bislang gemacht hat, von sich als seinen neuen Gegenstand unterscheidet.

58
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 99. Pöggeler weist auf den christlichen Bedeutungszusam-
menhang hin, der dem Lebensbegriff unterstellt ist und schon in den Frankfurter Arbeiten auf-
taucht, allerdings mit einer anderen Bedeutung: „Hegel hat in seinen Frankfurter Arbeiten das
Ganze dessen, was ist, was sich differenziert und entzweit und in der Erfahrung der Schönheit und
der Liebe zu sich selbst zurückfindet, ‚Leben‘ genannt. Er nahm so ein Wort auf, das ihm von der
christlichen Tradition entgegengebracht wurde, das er als ein Grundwort im Johannes-Evangelium
finden konnte, das aber auch von einem Freund wie Hölderlin gebraucht wurde. Auf die Seite des
Lebens treten, das hieß damals für Hegel zugleich: gegen den ‚Begriff‘ und gegen das ‚Gesetz‘
Stellung nehmen. Freilich, Hegel fordert gerade in jeder Arbeit (der Überarbeitung der Positivi-
täts-Schrift), in der er besonders schroff das Leben gegen das ‚Laternenlicht‘ des Begriffs aus-
spielt, auch Untersuchungen, die ‚durch Begriffe gründlich geführt‘ werden. Gegen den Begriff
Stellung nehmen, das heißt also für Hegel: eine bestimmte Voraussetzung vom Begriff des Be-
griffs brechen und so erst die Möglichkeiten begrifflichen Erkennens erklären.“ Otto Pöggeler.
Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes, 284.
Der Begriff des Selbstbewußtseins 147

„In dem entgegengesetzten Gesetze als der Verkehrung des ersten Gesetzes, oder in dem innern
Unterschiede wird zwar die Unendlichkeit selbst G e g e n s t a n d des Verstandes, aber er ver-
fehlt sie als solche wieder, indem er den Unterschied an sich, das sich selbst abstoßen des
Gleichnamigen, und die Ungleichen, die sich anziehen, wieder an zwey Welten, oder an zwey
substantielle Elemente vertheilt; die B e w e g u n g, wie sie in der Erfahrung ist, ist ihm hier ein
Geschehen, und das gleichnamige und das ungleiche P r ä d i c a t e , deren Wesen ein seyendes
Substrat ist. Dasselbe, was ihm in sinnlicher Hülle Gegenstand ist, ist es uns in seiner wesentli-
chen Gestalt, als reiner Begriff. Diß Auffassen des Unterschieds, wie er i n Wa h r h e i t i s t ,
oder das Auffassen der U n e nd l i c h ke i t als solcher, ist fü r u n s , oder a n s i c h .“59

Das Bewußtsein begreift das Prinzip des Lebens nicht als ein durch es gesetztes, son-
dern als eine Bewegung, die ihm widerfährt und die seiner Erfahrung vorausgesetzt ist.
Trotzdem vollzieht sich mit der Transformation des Systems der Naturwissenschaften in
das Prinzip des Lebens für das Bewußtsein ein entscheidender Perspektivwechsel. Es
betrachtete bislang mit dem System der Naturwissenschaften einen von ihm unterschie-
denen Gegenstand:
„Diese Bewegung oder Nothwendigkeit ist aber so noch Nothwendigkeit, und Bewegung des
Verstandes, oder sie a l s s o l c h e ist n i c h t s e i n Ge g e n s t a n d , sondern er hat in ihr positive
und negative Electricität, Entfernung, Geschwindigkeit, Anziehungskrafft, und tausend andere
Dinge zu Gegenständen, welche den Inhalt der Momente der Bewegung ausmachen.“60

Indem das Bewußtsein auf des Leben reflektiert, reflektiert es nicht mehr auf etwas an-
deres, sondern auf seine eigene Existenzgrundlage. Die Erkenntnisrelation wird reflexiv:
Das Ich unterscheidet sich von sich, dem Organismus, und reflektiert in dem einen wie
dem anderen auf sich. Das Bewußtsein ist Selbstbewußtsein geworden:
„Die Unendlichkeit oder diese absolute Unruhe des reinen sich selbst Bewegens, daß, was auf
irgend eine Weise, zum Beyspiel als Seyn, bestimmt ist, vielmehr das Gegentheil dieser Be-
stimmtheit ist, ist zwar schon die Seele alles bisherigen gewesen, aber im I n n e r n erst ist sie
selbst frey hervorgetreten. Die Erscheinung oder das Spiel der Kräffte stellt sie selbst schon
dar, aber als E r k l ä r e n tritt sie zunächst frey hervor; und indem sie endlich für das Bewußt-
seyn Gegenstand ist, a l s d a s , w a s s i e i s t , so ist das Bewußtseyn S e l b s t b ewu ß t s e y n .“61

Der Begriff des Selbstbewußtseins ist der Begriff desjenigen Vermögens, das zugleich
Subjekt und Objekt der Phänomenologie ist. Das Prinzip des Selbstbewußtseins ist dia-
lektisch und zwar darin, daß es diejenigen Differenzen aus sich setzt, die seine Identität
mit sich zerrütten, zunächst die Differenz von Leben, Bewußtsein und Selbstbewußtsein.
Mit diesem Widerspruch zwischen Identität und Unterschied ist ein weiteres Mal die
Aufgabe der Vermittlung gestellt. „Das Selbstbewußtseyn ist erst für sich geworden,
noch nicht als Einheit mit dem Bewußtseyn überhaupt.“62 Das Programm, Leben und
Bewußtsein im und durch das Selbstbewußtsein miteinander zu vermitteln, begründet
den Fortgang der Entwicklung. Erst im Verlaufe dieser Entwicklung produziert sich das
Selbstbewußtsein in gesellschaftlicher und geistesgeschichtlicher Gestalt und verschafft
59
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 101.
60
Ebd.
61
Ebd., 100.
62
Ebd., 102.
148 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

sich dadurch einen Inhalt, der vom Inhalt der Naturwissenschaften unterscheidbar ist.
Als dieses sich selbst wissende Subjekt betreibt es die weitere Entwicklung der Phäno-
menologie, deren Gestalten umgekehrt Ausdruck der Realisierung dieses bislang nur ab-
strakt entwickelten Vermögens sind.
Der Übergang vom absoluten Widerspruch in das Leben und das Selbstbewußtsein
enthält die Unterstellung, daß das Wissen die Differenz zwischen Bewußtsein und Le-
ben aus sich heraus setze.63 Die bisherige Entwicklung erscheint dadurch als eine syste-
matische, deren prozessuale Momente wie die Differenz zwischen dem erfahrenen und
dem naiven reflektierenden Subjekt, also dem „für uns“ und „für es“, oder dem zwi-
schen dem Organismus und das den Organismus wissenden Bewußtsein nur als Funktio-
nen erscheinen, nicht als ontologische Tatsachen, die gegenüber der systematischen Ent-
wicklung spröde bleiben. Der Begriff des Lebens wird dadurch – wie die anderen
Begriffe auch – zu einem teleologisch durchwirkten: Auch das Leben der Phänomenolo-
gie ist gnadenlos sinnvoll, indem es noch dessen Negation, den Tod, seiner eigenen Bot-
mäßigkeit unterwirft. Aber im Unterschied zur Logik ist das lebendige Subjekt anders
bestimmt, nicht Begriff, kein unbewußtes, logisches, vegetatives oder animalisches, son-
dern ein Leben, in das die Gestalten der sinnlichen Gewißheit, der Wahrnehmung und
des Verstandes bereits eingegangen sind: Es ist selbstbewußtes Leben, in dem damit
auch der Individualität eine andere Stellung zugewiesen ist. Sie wird nicht negiert, son-
dern produziert. Gleichzeitig sind sowohl die Ausrichtung des Lebens auf das realisierte
Selbstbewußtsein als telos wie die damit verbundene Form der Zweckmäßigkeit des Le-
bensprozesses Bedingungen der Möglichkeit der weiteren Argumentation, denn das
Selbstbewußtsein soll dieses zweckmäßige Leben als seine materielle Bedingung nicht
nur vorfinden, sondern auch in sich aufnehmen. Das Selbstbewußtsein steht in den Ex-
tremen, einerseits absoluter Begriff und Gattungsvermögen zu sein, andererseits an ein
Individuum gebunden zu sein. Diese Ambivalenz wird von Hegel auf das telos realisier-
ter Vernunft hin vermittelt, so daß er die Individualität dem Gattungsvermögen zugleich
unterordnet. Im Resultat soll das Selbstbewußtsein durch die Reflexion auf die eigene
Negativität hindurch zu einem positiven, notwendig-allgemeinen Begriff werden.64 Miß-
lingt dieses Vorhaben, dann ist Selbstbewußtsein nicht einmal dialektisch positiv nicht
zu haben.65

63
Ähnlich Christian Iber: „Die Frage ist, ob der Übergang von der Entdeckung der Unendlichkeits-
struktur des Lebens zum Selbstbewußtsein mehr als ein Analogieschluß ist.“ Christian Iber.
„Selbstbewußtsein und Anerkennung in Hegels Phänomenologie des Geistes.“ In Hegels „Phäno-
menologie des Geistes“ heute, hrsg. v. Andreas Arndt und Ernst Müller. Berlin, 2004, 100.
64
Vgl. Hegel: „Das Positive in s e i n e m Negativen, den Inhalt der Voraussetzung im Resultat festzu-
halten, diß ist das Wichtigste im vernünftigen Erkennen; es gehört zugleich nur die einfachste Re-
flexion dazu, um sich von der absoluten Wahrheit und Nothwendigkeit dieses Erfordernisses zu
überzeugen, und was die B e y s p i e l e von Beweisen hiezu betrifft, so besteht die ganze Logik dar-
in.“ Hegel. Lehre vom Begriff, 245.
65
Zur Kritik des Übergangs von unorganischer zu organischer Natur vergleiche auch Kapitel 2.5
Der Begriff des Selbstbewußtseins 149

Exkurs: Naturwissenschaftliche Theoriebildung

Das Selbstbewußtsein geht aus Kraft und Verstand als die negative Einheit des Systems
der Naturwissenschaften mit dem Bewußtsein im Begriff des Lebens hervor. Hegel un-
terstellt darin eine Vorstellung von Geschichte, in deren Resultat die Zwecke naturwis-
senschaftlicher und metaphysischer Wissenschaft teleologisch in Übereinstimmung ge-
bracht wurden, so daß auf der Grundlage dieser grundsätzlichen Übereinstimmung
gezeigt werden kann, wie die einzelwissenschaftlichen Resultate systematisch aufeinan-
der bezogen sind. Diese Darstellung stimmt mit den historischen Fakten nicht überein,
denn der Prozeß naturwissenschaftlicher Theoriebildung ging gerade nicht mit der Kon-
stitution der Einheit des Selbstbewußtseins und den Gegenstandsbereichen einher. Die
phänomenologische Einheit des Wissens ist von der Einheit des Gegenstandsbereichs
der Naturwissenschaften spezifisch zu unterschieden. Nichteinmal die Zwecke naturwis-
senschaftlicher und philosophischer Erkenntnis stimmen überein.
Naturwissenschaftliche Forschung ist Arbeit, die eine Wirk-, Stoff- und Formursache
voraussetzt. D. h., daß der Naturwissenschaftler eine bestimmte Beobachtung gemacht
hat, sei diese nun unmittelbar möglich wie z. B. die Beobachtung der Sterne, oder selbst
schon Resultat eines konstruierten Zusammenhanges, wie die Beobachtung der Fallbe-
wegung in einem luftleeren Raum. Aus der Synthese des durch Beobachtung gewonne-
nen Datenmaterials und hypothetischen Überlegungen wird eine Hypothese gebildet, die
eine Begründung für die Beobachtungen liefern könnte. Diese Hypothese wird in einem
besonderen Experiment überprüft, wobei das Experiment unter Maßgabe der Hypothese
konstruiert ist, so daß bestimmte Randbedingungen ausgeschlossen werden können. Da-
mit wird im Experiment ein Ablauf konstruiert, der nicht Gegenstand von Alltagsbeob-
achtung ist, sondern schon die Umsetzung eines durch die Hypothese gebildeten Be-
weiszwecks. Diese kann sich durch das Experiment als richtig, aber auch als falsch
erweisen und muß dann gegebenenfalls modifiziert werden. Die Hypothese steht also in
einem kausalen Zusammenhang mit dem Prozeß ihrer Verifizierung durch Experiment
und Spekulation, andererseits stehen Spekulation und Experiment auch im Wechselver-
hältnis zu anderen Problemen und Begriffen der Naturwissenschaften. Erst im Zusam-
menhang mit anderen Naturgesetzen entsteht der Gegenstandsbereich bzw. das System
der Naturgesetze:
„Durch bloßes logisches Denken vermögen wir keinerlei Wissen über die Erfahrungswelt zu
erlangen; alles Wissen über die Wirklichkeit geht von der Erfahrung aus und mündet in ihr.
Rein logisch gewonnene Sätze sind mit Rücksicht auf das Reale völlig leer. [...] Wenn nun aber
Erfahrung Anfang und Ende all unseres Wissens um die Wirklichkeit ist, welches ist dann die
Rolle der Ratio in der Wissenschaft? Ein fertiges System der theoretischen Physik besteht aus
Begriffen, Grundgesetzen, die für jene Begriffe gelten sollen, und aus durch logische Dedukti-
on abzuleitenden Folgesätzen. Diese Folgesätze sind es, denen unsere Einzelerfahrungen ent-
sprechen sollen; ihre logische Ableitung nimmt in einem theoretischen Buch beinahe alle
Druckseiten in Anspruch. [...] Die Ratio gibt den Aufbau des Systems; die Erfahrungsinhalte
und ihre gegenseitigen Beziehungen sollen durch die Folgesätze der Theorie ihre Darstellung
finden. In der Möglichkeit einer solchen Darstellung allein liegt der Wert und die Berechtigung
150 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

des ganzen Systems und im besonderen auch der ihm zugrunde liegenden Begriffe und Grund-
gesetze. Im übrigen sind letztere freie Erfindungen des menschlichen Geistes [...] Die logisch
nicht weiter reduzierbaren Grundbegriffe und Grundgesetze bilden den unvermeidlichen, ratio-
nal nicht erfaßbaren Teil der Theorie [...] Wenn es nun wahr ist, daß die axiomatische Grund-
lage der theoretischen Physik nicht aus der Erfahrung erschlossen, sondern frei erfunden wer-
den muß, dürfen wir dann überhaupt hoffen, den richtigen Weg zu finden? Noch mehr:
Existiert dieser richtige Weg nicht nur in unserer Illusion? [...] Hierauf antworte ich mit aller
Zuversicht, daß es den richtigen Weg nach meiner Meinung gibt und daß wir ihn auch zu fin-
den vermögen. Nach unserer bisherigen Erfahrung sind wir nämlich zum Vertrauen berechtigt,
daß die Natur die Realisierung des mathematisch denkbar Einfachsten ist. [...] In gewissem
Sinne halte ich es also für wahr, daß dem reinen Denken das Erfassen des Wirklichen möglich
sei, wie es die Alten geträumt haben.“66

Die Arbeit, aus der naturwissenschaftliche Erkenntnisse resultieren, ist die Arbeit der
Verknüpfung von empirischer Erfahrung mit Gesetzen, die nicht Gegenstand möglicher
Erfahrung sind. Entsprechend werden in naturwissenschaftlichen Urteilen Begriffe a po-
steriori mit Begriffen a priori verknüpft. Die darin enthaltene Differenz zwischen der
Form des Gesetzes und der chaotischen oder nur komparativ allgemein geordneten Er-
fahrung hat ihren naturwissenschaftlichen Ausdruck in dem problematischen Verhältnis
von Induktion und Deduktion. Insofern die Naturwissenschaften Erfahrungswissen-
schaften sind, die ihren Gegenstand vorfinden, ergibt sich das Problem, daß aus einer
begrenzten Anzahl von beobachteten Fällen auf eine unbegrenzte Anzahl geschlossen
werden muß. Insofern in den Naturwissenschaften notwendige und allgemeingültige Ge-
setze formuliert werden, muß aus der allgemeinen Form das Besondere deduziert wer-
den. Die Induktion ist logisch nicht zwingend, während die Deduktion auf vorhandenen
Daten beruhen muß, die selbst nicht das Resultat eines deduktiven, sondern eines induk-
tiven Schlusses sind. Beide Schlußarten sind also notwendig aufeinander bezogen, aber
auch ebenso spezifisch voneinander unterschieden. Vermittelbar im Sinne Hegels sind
induktive und deduktive Schlüsse naturwissenschaftlich nicht; verknüpft werden sie
spekulativ. Naturgesetzen liegt damit zwar im weitesten Sinne Erfahrung zugrunde. Sie
sind aber selbst nicht Gegenstand möglicher Erfahrung und können auch durch Erfah-
rung nicht hinreichend erklärt werden. Sie sind Begriffe des erkennenden Bewußtseins.
Wenn aber die objektive Gültigkeit von Naturgesetzen nicht unmittelbar evident ist und
es eine Weltformel nicht geben kann, ist zu fragen, wie die Gültigkeit der naturwissen-
schaftlichen Gesetze beweisbar ist.
Die Übereinstimmung von Begriff und Gegenstand zeigt sich in den Naturwissen-
schaften auf zweifache Weise – praktisch in der technologischen Anwendung der Resul-
tate, wobei naturwissenschaftliche Theorie und Technologie nicht deckungsgleich sein
66
Albert Einstein. „Zur Methodik der Theoretischen Physik.“ In Mein Weltbild, hrsg. v. Carl Seelig,
Frankfurt a. M., 1955, 145 ff. In diesem Exkurs werden drei Texte zugrunde gelegt, an denen sich
die Darstellung orientiert: Außer dem zitierten Text von Albert Einstein noch Eduard Jan Dijkster-
huis Die Mechanisierung des Weltbildes. Berlin [u. a.], 1983. Im wesentlichen liegt aber diesem
Kapitel ein unveröffentlichtes Papier von Jan Müller mit dem Titel Naturwissenschaftliche Theo-
riebildung, 2008 zugrunde, aus dem die Literaturhinweise, die Darstellung des Verhältnisses von
Induktion und Deduktion und die Erklärung des historischen Modells der Planetenbewegung ent-
nommen sind.
Der Begriff des Selbstbewußtseins 151

können, wenn die naturwissenschaftliche Theorie kein Gegenstand möglicher Erfahrung


ist. Theoretisch zeigt sich die objektive Geltung der spekulativen Begriffe im historisch-
kritischen Prozeß ihrer Entdeckung.
Ein Modell für den historisch-kritischen Prozeß ist die Erklärung der Planetenbewe-
gung. Die Beobachtung der Sterne gehört zu den ersten dokumentierten wissenschaftli-
chen Tätigkeiten der Menschheit überhaupt, so daß zur Zeit der Antike bereits umfang-
reiche Aufzeichnungen zur Planetenbewegung vorlagen. Diese Beobachtungen zeugten
von einer großen Regelmäßigkeit und Unveränderlichkeit der Planetenbewegung. Ent-
sprechend wurde zwar spezifisch zwischen himmlischen und irdischen Sphären unter-
schieden, aber so, daß die Unterschiedenen in einem harmonischen Gesamtzusammen-
hang prinzipiell zusammenstimmten. Dieser Zusammenhang sollte durch eine göttliche
Instanz garantiert sein. Der antiken Vorstellung nach war die ideale Form der Bewegung
die Kreisbewegung, in der Unendlichkeit, Identität und Gleichförmigkeit realisiert wa-
ren. Entsprechend versuchte man, die Planetenbewegung als kreisförmige zu beschrei-
ben und diese Kreisbewegung mit dem Datenmaterial in Übereinstimmung zu bringen.
In dem Modell von Eudoxos aus dem 4. Jh. v. Chr. bewegen sich Sonne, Mond und Pla-
neten kugelförmig um die Erde, wobei dieses Modell Ungenauigkeiten gegenüber den
beobachteten Daten aufwies. Diese Ungenauigkeiten versuchte Ptolemäus im 1. Jh. n.
Chr. durch Epizyklen zu erklären: Im Ptolemäischen Weltbild drehen sich die Himmels-
körper auf Kreisbahnen um die Erde und vollführen kleinere Kreisbewegungen, deren
Mittelpunkt auf der großen Umlaufbahn liegen.
Aber auch dieses Modell stimmte noch nicht mit dem beobachteten Datenmaterial
überein. Deshalb vollzogen Kopernikus und Galilei die Wende vom geozentrischen Pto-
lemäischen Weltbild zum heliozentrischen. Die naturwissenschaftliche Leistung Keplers
schließlich lag in der Modifikation des heliozentrischen Weltbildes. Er fasste die Plane-
tenbewegungen nicht als kreisförmige auf, sondern als elliptische, wobei in einem der
beiden Brennpunkte der Ellipse die Sonne steht (Erstes Keplersches Gesetz). Die Ge-
schwindigkeit der Planetenbewegung beschrieb Kepler in Abhängigkeit der jeweiligen
Entfernung zur Sonne in einem mathematischen Gesetz (Zweites Keplersches Gesetz:
Der Radius Sonne-Planet durchläuft in gleichen Zeiten gleiche Flächen.) Obgleich Kep-
ler (noch) keine physikalische Begründung für die Planetenbewegung angeben konnte,
hatte er sie damit exakt beschrieben. Ein Indiz für die Objektivität der von ihm formu-
lierten Gesetze war der Umstand, daß auf Grundlage seiner Berechnungen die Abwei-
chung der Bewegung des Planeten Uranus festgestellt werden konnte. Diese Abwei-
chung wurde mit der Existenz eines weiteren, bis dato unbekannten Planeten erklärt.
Man begann also, gezielt nach diesem Planeten zu suchen und fand Neptun – ein Resul-
tat, das bestätigend auf die Keplerschen Gesetze zurückwirkte. Das zweite Indiz für die
objektive Geltung der Keplerschen Gesetze ist deren praktische Anwendbarkeit. So las-
sen sich zum Beispiel Flugbahnen von Satelliten auf der Grundlage der keplerschen Ge-
setze berechnen.
Mit diesem naturwissenschaftlichen Fortschritt veränderte sich nicht nur die Auffas-
sung von der Stellung der Planeten zueinander, sondern mit ihr auch die Stellung der
152 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

Subjekte zu dem von ihnen konstruierten Weltbild. Das drückte sich z. B. in dem verän-
derten wissenschaftlichen Anspruch des Kopernikus aus, der die Differenz zwischen der
himmlischen und der irdischen Sphäre nicht mehr als Artunterschied auffaßte. Planeten
und Erde sprach er demselben Gegenstandsbereich, der Natur zu, während das göttliche
Prinzip jenseits dieses Gegenstandsbereiches angesiedelt wurde. Kopernikus trat des-
halb mit dem Anspruch auf, mit der Berechnung der Planetenbewegung kein metaphysi-
sches oder religiöses Phänomen zu beschreiben, sondern ein objektives im naturwissen-
schaftlichen Sinne:
„Und seit K op e r n i ku s die Erde als einen Planeten zu betrachten gelehrt hatte, war der alte
Gegensatz zwischen dem Himmlischen und dem Irdischen von Grund auf zerstört. Wie kann
man an einem Artunterschied festhalten, wenn kein räumlicher Unterschied mehr vorhanden
ist? Nun, da das kopernikanische System der schützenden Hülle ledig war, die O s i a n d e r in
seiner Vorrede darüber geworfen hatte, da es also nicht mehr als mathematische Fiktion galt,
sondern mit dem Anspruch auftrat, die wirkliche Struktur der Welt wiederzugeben, offenbarte
es unverblümt seine vernichtende Wirkung auf die traditionelle Weltanschauung.“67

Dieser Wandel in der Auffassung der eigenen Stellung des Subjekts zu seinen Begriffen
kennzeichnet eine Tendenz, für die sich auch bei Kepler Belege finden lassen. Zwar ar-
beitete auch er noch unter der Hypothese, daß die von ihm beschriebenen Phänomene
letztlich Ausdruck einer göttlichen Harmonie waren.68 Trotzdem formulierte er einen Pa-
radigmenwechsel, der diese Hypothese untergräbt: Er bezeichnete das bewegende Prin-
zip nicht mehr gemäß der antiken Auffassung des Bewegungsgrundes als anima, son-
dern führte den Kraftbegriff ein.
„Kepler ersetzt also Seele durch Kraft. Ändert sich dadurch nun wirklich viel? In gewissem
Sinne natürlich nicht. Seele ist ein unbekanntes Agens, dessen Existenz angenommen wird, um
ein gewisses Verhalten lebender Körper zu erklären. Kraft ist ein unbekanntes Agens, dessen
Existenz angenommen wird, um ein gewisses Verhalten lebloser Körper zu erklären. Fest steht
in beiden Fällen nur das Verhalten. Man erhält keine tiefere oder richtigere Einsicht, indem
man seiner unbekannten Ursache diesen oder jenen Namen gibt. In einem anderen Sinne aber
ändert sich sehr viel. Wenn man die Bewegungen der Planeten statt einer Seele einer Kraft zu-
schreibt, so bringt man damit zum Ausdruck, daß man sie als leblose Körper betrachten will,
daß sie also den hierfür geltenden Gesetzen, d.h. den Gesetzen der Mechanik, unterstehen.
Würde man über die Intelligenz eines Hebels sprechen, so würde man dadurch den Wunsch
verraten, diesen Apparat als ein bewußtes lebendes Wesen zu betrachten, welches also unter
den für solche geltenden Gesetzesbereich, nämlich den der Psychologie, fällt. In beiden Fällen
schafft man eine Einheit dort, wo Verschiedenheit war, und das kann für das wissenschaftliche
Denken sehr nützlich sein. Zurzeit von Kepler gab es eine Mechanik, die weit genug entwickelt

67
Eduard J. Dijksterhuis. Die Mechanisierung des Weltbildes, 346 f.
68
Vgl. auch Jan Müller: „Die Gesetze beschrieben die Planetenbewegungen unter der Voraussetzung
der zentralen Stellung der Sonne, liefern aber – ebenso wie die vorher beschriebenen Theorien –
selbst keinen physikalischen Grund dieser Bewegungen, sondern sie sind im Vergleich zu den vor-
herigen Systemen vor allem einfache (wenn man von dem Ersatz von Kreisen durch Ellipsen ab-
sieht.) Kepler hat mit diesen Gesetzen nicht einfach eine Gemeinsamkeit von Beobachtungen er-
faßt (diese gab es in dem System des Ptolemaios schon), sondern in der Überzeugung an eine gött-
lich begründete ‘Harmonie‘ der Welt versucht, deren Gesetze zu entschlüsseln. Grund der in sei-
nen Gesetzen mathematisch fixierten Ordnung war für ihn wiederum die letztlich durch Gott be-
gründete ‚Harmonie‘ der Dinge.“ Jan Müller. „Naturwissenschaftliche Theoriebildung.“ 6.
Der Begriff des Selbstbewußtseins 153

war, um sich an das Problem der Planetenbewegung heranzumachen, und die, soweit dieser
Mut noch nicht gerechtfertigt war, sehr bald zur Höhe ihrer Aufgabe emporsteigen sollte. Es
gab aber keine Psychologie, die etwas mit dem Benehmen einer Waage hätte anfangen können:
Kepler tat also einen ersten Schritt in der guten Richtung, als er in der Theorie der Planetenbe-
wegung vis anstatt anima sagte: nicht, daß das erste Wort mehr als das zweite hätte erklären
können (in Wirklichkeit erklärt weder das eine noch das andere etwas); aber durch den Ge-
brauch des ersten kündigte sich das Streben an, zu erforschen wieweit man mit Hilfe der Me-
chanik die Planetenbewegung verstehen lernen konnte.“69

Mit diesem Paradigmenwechsel hatte Kepler also eine neue, säkularisierte Denkrichtung
vorgegeben – und damit einen Grundstein gelegt, den Newton ca. 50 Jahre später mit
dem Begriff der Gravitation naturwissenschaftlich belegen konnte. Er formulierte das
Gesetz, daß die Gravitation proportional zum Quadrat der Entfernung abnimmt, und
konnte damit sowohl die überirdische Planeten- wie die irdische Fallbewegung erklären.
Damit bestätigte er sowohl den von Kopernikus vollzogenen Schritt, die himmlischen
und irdischen Phänomene demselben Gegenstandsbereich zuzuordnen, als auch den
Schritt Keplers, den Kraftbegriff naturwissenschaftlich und nicht theologisch zu be-
gründen. Insgesamt kann an dieser Entwicklung verdeutlicht werden, wie Naturwissen-
schaften sukzessive historisch-kritisch konstituiert und der Gegenstandsbereich der Na-
tur damit indirekt gegen andere abgegrenzt wird. Was allerdings auch Newton mit der
Gravitation nicht beantworten konnte, ist die Frage, wie die Planeten auf die Umlauf-
bahn geraten sind. Hier diente weiterhin die göttliche Instanz als Begründung. Darin
zeigt sich, daß auch Newton den Prozeß der Erkenntnis der Planetenbewegung nicht ab-
schließend erklärt hatte.
Die Reflexion auf die Stellung des Subjekts zur Objektivität ist nicht Gegenstand der
Naturwissenschaft, sondern der Philosophie, und doch hat der beschriebene Wandel
einen objektiven Grund in den Naturwissenschaften. Der Sache nach von jeher geschie-
den, entwickelte sich das Bewußtsein der Differenz der beiden Gegenstandsbereiche
von Natur und Selbstbewußtsein erst im Prozeß der Säkularisierung. Götter dienen ur-
sprünglich dort als mythologische Begründung, wo kein wissenschaftlicher Grund be-
kannt ist. Daß sich heutzutage mythologische Vorstellungen am Leben halten, obwohl
sie sich auf naturwissenschaftlich erklärte Phänomene beziehen, ist ein anderes Pro-
blem. Die Kritik an mythologischen Erklärungen der Natur wird auch dadurch veran-
laßt, daß der Einflußbereich der Götter mit jedem naturwissenschaftlichen Resultat klei-
ner wird.
Die Hypothese, daß die Natur derselben göttlichen Einheit angehöre, wie die mytho-
logischen und logischen Gestalten des Geistes, unterstellt, daß es keinen prinzipiellen
Unterschied zwischen beiden Sphären gibt. Mit der Konstitution naturwissenschaftlicher
Theorie entsteht das Bewußtsein von der Natur als einem selbständigen Gegenstandsbe-
reich. Damit gelangt auch die Differenz zwischen dem Zweck der Naturerkenntnis und
dem Zweck der Erkenntnis geisteswissenschaftlicher Probleme zu Bewußtsein. D. h.,
daß das Selbstbewußtsein durch die Naturerkenntnis weder determiniert, noch garantiert
69
Eduard J. Dijksterhuis. Die Mechanisierung des Weltbildes, 347.
154 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

ist. Ein Indiz dafür ist der Irrtum, z. B. wenn Neurobiologen und Bioethiker heutzutage
immer noch (oder wieder?) glauben, das Ich sei ein chemisch-physikalischer Prozeß.70
Es läßt sich einzig historisch feststellen, daß das Selbstbewußtsein sich auch in Abgren-
zung gegen die Naturwissenschaften herausgebildet hat. Selbstbewußtsein ist kein Be-
griff, der positiv gefaßt werden könnte, auch nicht durch den negierenden Schluß Hegels
hindurch, sondern Selbstbewußtsein ist ein kritischer Begriff, der in der Negation seiner
geistesgeschichtlichen Bedingungen zu beschreiben ist: Bis in die Terminologie hinein
stellt die historische Entwicklung die Verkehrung des Kraftbegriffs der Phänomenologie
da, wenn nicht die Seele den Kraftbegriff, sondern umgekehrt der Kraftbegriff die Seele
ersetzt.
Hegel will in Kraft und Verstand die Einheit des Naturganzen dadurch garantieren,
daß er die einzelwissenschaftliche Erkenntnisrelation durch den Prozeß des Erklärens im
Selbstbewußtsein aufhebt. Dieser Übergang sei notwendig. Die Einheit der Natur liege
in der Einheit des Selbstbewußtseins, das damit die Funktion Gottes bzw. der Seele als
Einheit stiftenden Prinzips ersetze. Wie aber gezeigt wurde, mündet diese Argumentati-
on in dem Widerspruch, daß der Schluß einerseits durch einen ahistorischen Begriff von
Objektivität bedingt ist, andererseits aber auch durch das telos, das Selbstbewußtsein
notwendig zu begründen. In der Festlegung auf das telos eines Selbstbewußtseins, das in
der Einleitung zur Phänomenologie als historisch avanciertes eingeführt wurde, ist die
Argumentation Hegels dann doch historisch tingiert. Wenn aber weder das Selbstbe-
wußtsein noch eine göttliche Instanz die absolute Einheit des Seienden begründen kön-
nen, dann löst sich die eine Letztbegründung in eine Vielheit von spekulativen naturwis-
senschaftlichen Begründungen auf. Übrig bleibt das selbstbewußte Subjekt einer
widersprüchlichen Erfahrung.71 Die Wirklichkeit ist nicht an sich verkehrt, sondern nur

70
Die Frage, inwieweit solche Irrtümer Ausdruck eines kollektiven Phänomens sind, z. B. als not-
wendig falsches Bewußtsein, wird hier vorerst noch ausgeklammert, so wie überhaupt noch von
ökonomischen und politischen Bedingungen der Entwicklung des Selbstbewußtseins abstrahiert
wird. Ausführlich widmet sich diesem Problem: Christine Zunke. Kritik der Hirnforschung. Neu-
rophysiologie und Willensfreiheit. Berlin, 2008. Um das Phänomen des falschen Bewußtseins wird
es erst in Herrschaft und Knechtschaft gehen. Hans-Georg Bensch weist im Zusammenhang mit
dem Begriff des Erklärens auf die gesellschaftlich-historische Bedingtheit des Selbstbewußtseins
hin: „Wenn diese zusammenfassende Passage aus Kraft und Verstand ihre Ähnlichkeit mit der
‚Reflexion‘ aus der Logik nicht verbergen kann, so erscheint doch der ,idealistische‘ Fehler Hegels
in seiner Interpretation der ‚Bewegung des Erklärens‘. Sie wird einerseits richtig in ihrer tautolo-
gischen Bedeutung gebraucht; es wird ein Unterschied gesetzt, der keiner ist. Diese Bewegung ist
nicht nur leer, sondern es ist die Bewegung zu sich selbst zurück. Hegel unterschlägt aber anderer-
seits, welche Bedeutung die instrumentalisierbaren und die instrumentalisierten Resultate der Na-
turwissenschaft für die gesellschaftliche Reproduktion (für den Geist) haben können. Und was der
Grund dafür ist, dass immer neue technische Resultate erfordert werden, hat Hegel – historisch be-
schränkt – nicht gesehen. Diese Instrumentalisierbarkeit dessen, was der Form nach tautologisch
ist, also des dem Begriff nach fixierten Sachverhaltes in seiner Konsequenz für die gesellschaftli-
che materielle Reproduktion samt ihrem akkumulativen Charakter wird von Hegel damit igno-
riert.“ Hans-Georg Bensch. Perspektiven des Bewußtseins, 137.
71
Insofern hat auch Albert Einstein unrecht, wenn er von der Natur als der Realisierung des mathe-
matisch denkbar einfachsten redet (Vgl. Zitat S. 116, Fußnote 1). Die Konstitution des Systems
der Physik ist eine unendliche Aufgabe, auch weil Natur ein Moment von Zufälligkeit gegen das
System bewahrt.
Der Begriff des Selbstbewußtseins 155

für das Selbstbewußtsein. Selbstbewußtsein ist kein positiver, sondern ein negativer Be-
griff.
Damit hat sowohl die Erkenntnis der Objektivität geschichtliche Bedingungen als
auch die Erkenntnis der Subjektivität, ohne daß diese in Kraft und Verstand als ge-
schichtliche thematisch würden. Der Schluß von der Äußerlichkeit der Relation von Be-
griff und Sein auf das die Relation begründende Subjekt ist aber aus den geschichtlichen
Bedingungen nicht abzuleiten, sondern spekulativ zu erschließen. Notwendig ist er nur
im Hinblick auf den Begriff eines Selbstbewußtseins, das dem Prozeß der Begründung
vorausgesetzt ist und die Einheit von Objektivität und Subjektivität stiften soll. Subjekt
und Objekt erscheinen als systematische Funktionen, weil das System terminus ad quem
des Hegelschen Arguments ist.
Umgekehrt muss das entwickelte Selbstbewußtsein als Maßstab der Kritik und
Zweck der Darstellung der Argumentation ebenso permanent unterstellt werden, denn
ginge der Maßstab der Kritik nur aus der Entwicklung hervor, wäre er nicht apodiktisch,
sondern positivistisch. Sein Geltungsbereich wäre einzig vom jeweils geltenden Stand
des Bewußtseins abhängig, das gegen die Frage nach dem objektiven Gehalt gleichgül-
tig ist. Die Unterscheidung von wahren und falschen Vorstellungen gelingt nur von ei-
nem apodiktischen Begriff aus. Deshalb ist der Maßstab der Kritik zugleich als nicht-
geschichtlicher vorauszusetzen.
Beide Bedingungen, die geschichtliche und die apodiktische, werden in den ersten drei
Kapiteln der Phänomenologie miteinander verschränkt. Terminologisch verbirgt sich der
terminus ad quem im „für uns“, das die Erfahrung des Verstandes begleitet und mit dem die-
ser im Resultat zusammengeht. „Wir“ sind diejenigen Erkenntnissubjekte, deren Selbstbe-
wußtsein geschichtlich soweit entwickelt ist, daß sie um die Notwendigkeit eines apodikti-
schen Begriffs des Selbstbewußtseins wissen. Der Versuch einer Darstellung, die den
Moment in der Geschichte identifizieren wollte, in dem das Selbstbewußtsein zu sich selbst
kam, wäre vergeblich, weil die Suche nach dem einheitsstiftenden Prinzip dieses immer
schon voraussetzt. Notwendig erscheint der Übergang von der Betrachtung der Natur zur
Betrachtung des Selbstbewußtseins also nur, wenn subjektiver und ausgeführter Zweck ge-
geben und teleologisch miteinander vermittelt werden.
Nun hatte die Kritik an Kraft und Verstand aber gezeigt, daß die Naturgesetze nicht voll-
ständig in das System des Selbstbewußtseins überführt werden können, die teleologische
Konstruktion also mangelhaft bleibt. Wenn das aber mißlingt, dann ist das Selbstbewußtsein
in Kraft und Verstand gegenstandslos, weil ihm historisch kein adäquater Gegenstand korre-
spondiert. Es ist ein metaphysischer Begriff, der weder in den Naturwissenschaften, noch
gesellschaftlich als Gattungsvermögen realisiert ist. Die gesellschaftlichen Bedingungen er-
scheinen aber in der Phänomenologie nur als Setzung, nicht als Bedingung von Selbst-
bewußtsein. Damit ist es zwar als Begriff konstruierbar, positioniert sich aber jenseits von
Geschichte, die sie nur soweit reflektiert, wie es dem Systemgedanken zuträglich ist.
Es ist das Dilemma des Selbstbewußtseins, der Begriff der absoluten Einheit im Unter-
schiedenen zu sein, ohne diese Einheit historisch jemals vollständig realisieren zu können.
Zwar ist den Subjekten mit der Divergenz von Natur und Geist die unendliche Aufgabe der
156 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

Verwirklichung ihres Selbstbewußtseins gegeben, aber alles, was sich zu den Bedingungen
dieses Prozesses sagen läßt, ist negativ: Sowenig wie der Zweck naturwissenschaftlicher Er-
kenntnis notwendig mit dem Begriff des Selbstbewußtseins zusammenstimmt, sowenig
schließen sie sich aus. Ob sich aber im Prozeß der Erfahrung des Selbstbewußtseins progres-
sive oder regressive Tendenzen durchsetzen, obliegt der kollektiven Entscheidung der Sub-
jekte und zeigt sich erst in der Handlung und der ihr zugrunde liegenden Absicht. In der
Handlung verläßt aber das Selbstbewußtsein auch das einheimische Reich des Gedankens
und setzt sich Widerständen aus, die es nicht selbst produziert haben kann.
„Das wi r kl i c h e Verbrechen aber hat s e i n e V e r ke h r u n g , und sein A n s i c h a l s M ö g l i c h -
k e i t in der A b s i c h t als solcher, aber nicht in einer guten; denn die Wahrheit der Absicht ist
nur die That selbst. Das Verbrechen seinem Inhalte nach aber, hat seine Reflexion in sich oder
seine Verkehrung an der wirklichen Straffe; diese ist die Aussöhnung des Gesetzes mit der ihm
im Verbrechen entgegengesetzten Wirklichkeit. Die wi r kl i c h e Straffe endlich hat so ihre
v e r k e h r t e Wirklichkeit an ihr, daß sie eine solche Verwirklichung des Gesetzes ist, wodurch
die Thätigkeit, die es als Straffe hat, s i c h s e l b s t a u f h e b t , es aus thätigem wieder r u h i g e s
und geltendes Gesetz wird, und die Bewegung der Individualität gegen es, und seiner gegen sie
erloschen ist.“72

Die verbrecherische Absicht stimme mit dem Gesetz der Realität, das zugleich das Gesetz
des Selbstbewußtseins sein soll, nicht von selbst überein, sondern müsse durch Strafe erst
auf den (vermeintlich) richtigen Weg gebracht werden. Worin die Abweichung der Absicht
vom Pfade der Tugend liegen kann, ist mit den Argumenten der ersten drei Kapitel der Phä-
nomenologie nicht erklärbar. Zudem ist Strafe ein Gewaltakt, den Hegel hier als ein für die
Realisierung des Selbstbewußtseins konstitutives Moment darstellt. Diese Notwendigkeit
der Gewalt folgt nicht aus der Argumentation von Kraft und Verstand, sondern erscheint nur
in dem von Hegel zitierten Beispiel und es stellt sich deshalb die Frage, woher sie stammt.73

3.2 Selbstbewußtsein und das Problem seiner Realisierung


Für die Phänomenologie des Geistes hatte Hegel den Begriff des Lebens nicht wie in
der Wissenschaft der Logik als Produkt der Teleologie bestimmt, als unmittelbares Mittel
der Selbstbestimmung des Begriffs, sondern als Bestimmungsmoment des Selbstbe-
wußtseins. Es soll deshalb nochmal kurz auf die Frage eingegangen werden, wie sich
die beiden Lebensbegriffe und damit verbunden, die beiden Begriffe von Selbstbestim-
mung in der Logik und in der Phänomenologie unterscheiden.

72
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 98.
73
Obwohl Gadamer feststellt, daß es sich bei der Strafe nicht um Naturgesetze, sondern um Rechts-
gesetze handelt (vgl. Hans-Georg Gadamer. „Die verkehrte Welt.“ 91), sieht er in der Bewegung
des Strafens eine Illustration der allgemeinen Struktur und der inneren Notwendigkeit des dialekti-
schen Fortgangs. „Die unsinnliche, übersinnliche Welt des Allgemeinen stellt nur ein Moment an
dem, was wirklich ist, dar. Die wahre Wirklichkeit ist die des Lebens, das sich in sich selbst be-
wegt.“ Ebd., 93.
Selbstbewußtsein und das Problem seiner Realisierung 157

Kant hatte in der Kritik der Urteilskraft von der Existenz des Lebens auf das Prinzip
der Zweckmäßigkeit geschlossen, mit dem die spezifisch reflexive Organisation von Le-
bewesen zwar nicht zu erklären sei – die Natur werde durch die reflektierende Urteils-
kraft so vorgestellt, als ob sie zweckmäßig verfaßt wäre. Umgekehrt gäben die Lebewe-
sen aber Anlaß zu der Hoffnung, daß Zweckmäßigkeit trotzdem keine bloße Projektion
auf die Natur sei.74 Kant war dann aber auf das Problem gestoßen, daß die Natur, die
durch die Kategorien Kausalität und Wechselwirkung und eben nicht durch den Zweck
der Vernunft und deren Forderung nach Einheit des Denkens beschrieben wird, eine Af-
finität für die reflektierende Urteilskraft haben müsse. Das regulative Prinzip muß onto-
logisch fundiert werden, so daß Kant darauf verfallen war, die kulturelle Entwicklung
der Menschen, die Hervorbringung zur Tauglichkeit, Zwecke ausführen zu können, als
Zweck zu bestimmen, deren Subjekt aber nicht die Vernunft, sondern die Natur ist.
Wenn die Vernunft den Zweck hat, die Einheit der Erkenntnis zu begründen, und die Na-
tur den Zweck, die Menschen kulturell zu bilden, dann liegt in der Zweckmäßigkeit eine
Affinität beider Gegenstandsbereiche, aber um den Preis, die Natur zu einem teleologi-
schen Subjekt zu verklären.75 Indem das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft nicht
objektiv sein soll, bleiben sich Begriff und Modell äußerlich: Die Urteilskraft ist auf das
Leben und die Kultur verwiesen. Hegel kritisiert diesen Teleologiebegriff, weil der Hia-
tus in der Argumentation Kants letztendlich unvermittelt bleibt. Hegel ist es um die Ver-
mittlung zu tun, wobei er die bei Kant unterschiedenen Aspekte der Urteilskraft, einer-
seits regulatives Prinzip zu sein, andererseits objektive Korrelate in der Kultur und dem
Leben aufzuweisen, voneinander trennt. Die Entwicklung des regulativen Prinzips als
logisches Prinzip ist Gegenstand der Wissenschaft der Logik, als ontologische Korrelate
des logischen Prinzips werden Leben und Kultur in der Phänomenologie des Geistes
verhandelt.
In der Wissenschaft der Logik geht die Teleologie in das Leben über und damit in die
unmittelbare Idee, für welche die Objektivität nicht mehr äußerlich ist, sondern das ad-
äquate Mittel seiner Selbstbestimmung. Die Selbstbestimmung des Begriffs genügt der
Form zweckgerichteter Tätigkeit, wobei das telos der Selbstbestimmung weder das
Selbstbewußtsein ist, noch ein endlicher Zweck, sondern die absolute Idee, das Erken-
nen und Realisieren des Wahren und Guten. Gegenstand der Selbstbestimmung des Be-
griffs ist damit der Begriff. Die Bedingung der Begründung der absoluten Selbstbestim-
mung war, daß die Relata Subjektivität und Objektivität jeweils als Totalitätsbegriff
bestimmt werden, d. h. einerseits, daß das Individuum aufgehoben und das Selbstbe-
wußtsein der absoluten Idee als Funktion untergeordnet ist und andererseits, daß die Ob-
74
„Organisierte Wesen sind also die einzigen in der Natur, welche, wenn man sie auch für sich und
ohne ein Verhältnis auf andere Dinge betrachtet, doch nur als Zwecke derselben möglich gedacht
werden müssen, und die also zuerst dem Begriffe eines Z we c k s , der nicht ein praktischer, son-
dern Zweck der N a t u r ist, objektive Realität und dadurch für die Naturwissenschaft den Grund
zu einer Teleologie, d. i. einer Beurteilungsart ihrer Objekte nach einem besonderen Prinzip ver-
schaffen, dergleichen man in sie einzuführen (weil man die Möglichkeit einer solchen Art Kausali-
tät gar nicht a priori einsehen kann) sonst schlechterdings nicht berechtigt sein würde.“ Kant.
Kritik der Urteilskraft, 239.
75
Ausführlicher auf S. 80 dieser Arbeit.
158 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

jekte ihrer ontologischen Substanz beraubt als begriffliche Hüllen dem Begriff einge-
passt werden. Es war aber gezeigt worden, daß in der Negation der Eigenständigkeit von
Individuum und Objekt das zu Negierende ontologisch ebenso unterstellt bleibt, so daß
die absolute Idee gegen die Behauptung Hegels auf Bedingungen verwiesen bleibt, die
sie nicht einzuholen vermag. Wenn Hegel gegen das erneute Aufbrechen der Antinomien
Kants an der Vorstellung absoluter Selbstbestimmung festhält, und die Elemente der
Selbstbestimmung des Begriffs auf dieses telos hin organisiert und konstruiert, dann ist
das Prinzip der Wissenschaft der Logik auf ein willensbegabtes Selbstbewußtsein ver-
wiesen, das die Darstellung konstruiert. Darin ist die Logik zweckmäßig und reflexiv
und damit ihr eigenes Modell, aber zugleich in einer Weise, die der Idee auch vorgeord-
net bleibt, denn die absolute Idee sollte ohne ein willensbegabtes Subjekt auskommen.
Diese Überlegung rechtfertigt den Rückgang in den Grund der Wissenschaft der Logik,
in die Phänomenologie des Geistes und den Begriff des Selbstbewußtseins. Während
Hegel die Phänomenologie als diejenige Vermittlung des Anfangs der Logik betrachtet
hatte, die von der logischen Entwicklung abgekoppelt wird, wird auf der Grundlage der
Kritik an diesem Programm der Begriff des Selbstbewußtseins als die Wahrheit des Be-
griffs der Logik betrachtet und deshalb im Anschluß an die Logik, nicht als Vorausset-
zung betrachtet.
Zwischen dem Begriff und dem Organismus steht also eine vermittelnde Instanz, de-
ren begriffliche Entwicklung in der Phänomenologie des Geistes mit dem Selbstbewußt-
sein thematisch wird. Dieser vermittelnden Instanz erscheint das Leben nicht als Begriff
absoluter Selbstbestimmung, sondern als vorgefundene Bedingung seines Tuns. Damit
betrachtet Hegel in der Phänomenologie die andere Seite des Problems, die bei Kant im
Widerspruch mündete: nicht die Seite des logischen Prinzips der Teleologie, sondern die
kulturelle Entwicklung als Entwicklung des Begriffs des Selbstbewußtseins. Der Begriff
des Lebens wird einerseits als einfache Negation des Selbstbewußtseins erschlossen, an-
dererseits erscheint er einmal erschlossen als vorgefundenes: Der Lebensprozeß ge-
schieht dem Bewußtsein, ohne daß es darauf zunächst Einfluß hätte. Aus der Notwen-
digkeit der Reproduktion des Lebendigen als Existenzbedingung des Selbstbewußtseins
folgt die Frage nach der Organisation dieser Reproduktion in Herrschaft und Knecht-
schaft. Die Arbeit der Selbstbestimmung wird hier als der Prozeß der Vermittlung des
Selbstbewußtseins mit seinen Existenzbedingungen verstanden und damit nicht als das
Produkt des logischen Begriffs, sondern als seine Voraussetzung.
Die Phänomenologie des Geistes beginnt mit der Reflexion darauf, daß die Momente
des Selbstbewußtseins – für uns, für es und an sich – einander zunächst äußerlich sind
und auf das telos des absoluten Wissens bezogen vermittelt werden sollen. Damit findet
die in der Logik begrifflich bestimmte teleologische Konstruktion in der Phänomenolo-
gie des Geistes Anwendung.76 Das Selbstbewußtsein ist seinem eigenen Begriff auf der
76
In Abgrenzung zu materialistisch-dialektischen Kommentierungen wird hier nicht von der Dialek-
tischen Methode Hegels gesprochen, weil sich der Schluß gerade dadurch auszeichnet, nicht unab-
hängig, sondern in der bestimmten Auseinandersetzung mit den Gegenständen gebildet zu sein.
Hegel kritisiert den Standpunkt des formellen Denkens explizit: „Das formelle Denken aber macht
sich die Identität zum Gesetze, läßt den widersprechenden Inhalt, den es vor sich hat, in die Sphä-
Selbstbewußtsein und das Problem seiner Realisierung 159

Spur und reflektiert damit auf sein Wissen von sich als Sinnliche Gewißheit, Wahrneh-
mung, Kraft und Verstand, wobei dieses Wissen wiederum in der Auseinandersetzung
mit solchen Gegenständen gebildet wird, die dem Selbstbewußtsein äußerlich sind. Te-
leologisch ist diese Konstruktion darin, daß nicht die Chronologie des Selbstbewußt-
seins nachgezeichnet wird, sondern die historische Entwicklung des Selbstbewußtseins
der phänomenologischen vorausgesetzt wird. Es weiß sich als historisch avanciertes Be-
wußtsein und will sich auf der Grundlage dieses Wissens logisch bestimmen, d. h. aus
seinen Kategorien, Vermögen und seinem Wissen. Das Selbstbewußtsein ist damit einer-
seits die logische Voraussetzung der phänomenologischen Reflexion, also als Vermögen
der Reflexion jeder Vermittlung vorausgesetzt. Geschichtlich betrachtet ist es dagegen
ein später und damit voraussetzungsvoller, für sich seiender Begriff, der der Entwick-
lung nicht logisch vorausgesetzt ist, sondern aus ihr resultiert. Diese Paradoxie eines
Vermögens, das seinen eigenen Begriff erst finden muß, ist konstitutiv für das Selbstbe-
wußtsein und das Programm der ersten Kapitel der Phänomenologie des Geistes bis ein-
schließlich Kraft und Verstand gilt ihrer Vermittlung: Das Selbstbewußtsein soll als Ver-
mögen logisch-systematisch begründet werden, um dann in den nachfolgenden Kapiteln
nachzuzeichnen, wie es sich objektiviert, also als anerkennendes, beobachtendes etc.
Während Hegel diese Entwicklung so verstanden wissen will, daß die genannte Para-
doxie prinzipiell vermittelt werden kann, bleibt sie hier wiederum unfreiwillig bestehen:
Die logische Begründung findet in der Auseinandersetzung mit Inhalten statt, die eben-
falls geschichtlich späte Resultate sind, den Kategorien des Denkens und dem naturwis-
senschaftlichen Wissen des 18. Jahrhunderts. Auch in der Phänomenologie wird diese
geschichtliche Bedingtheit des Selbstbewußtseins nicht als etwas für die Begriffsbildung
konstitutives reflektiert. Wenn aber die geschichtliche Entwicklung des Begriffs des
Selbstbewußtseins für das Vermögen und seine Inhalte konstitutiv ist, sowie das Vermö-
gen für den Begriff, dann wirkt das bedingend auf die Darstellung zurück: Weder genügt
die Kraft des Verstandes denselben Gesetzen wie die Kraft in der Physik, noch geht das
Leben aus dem Begriff des Selbstbewußtseins hervor. Der Widerspruch, der das Selbst-
bewußtsein konstituiert, liegt nicht, wie Hegel meint, darin begründet, daß das Denken
die Wirklichkeit verkehren muß, um sie bestimmen zu können, so daß „was im Gesetz
der der ersten [des Denkens, M. B.] süß, in diesem verkehrten Ansich [der Wirklichkeit,
M. B.] sauer; was in jenem schwartz, in diesem weiß ist“ 77 usw. Sondern umgekehrt: das
Denken hat seinen Identitätsanspruch an die ontologische Struktur der Objektivität an-
zupassen. Wie dargestellt, geht historisch nicht die Seele aus dem Kraftbegriff – wie He-
gel es entwickelt hatte –, sondern der Kraftbegriff geht aus dem der Seele hervor.

re der Vorstellung, in Raum und Zeit herab fallen, worin das Widersprechende im Neben- und
Nach-einander, ausser einander gehalten wird, und so ohne die gegenseitige Berührung vor das
Bewußtseyn tritt. Es macht sich darüber den bestimmten Grundsatz, daß der Widerspruch nicht
denkbar sey; in der That aber ist das Denken des Widerspruchs, das wesentliche Moment des Be-
griffes. Das formelle Denken denkt denselben auch factisch, nur sieht es sogleich von ihm weg,
und geht von ihm in jenem Sagen nur zu abstracten Negation über.“ Hegel. Lehre vom Begriff,
247.
77
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 97.
160 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

Was bedeutet das für das Verhältnis von Arbeit und Leben? Im Grunde genommen ist
das Selbstbewußtsein der Phänomenologie ebenso ein Systembegriff wie die unmittel-
bare Idee, d. h. beide werden auf dasselbe telos bezogen. Aber trotzdem unterscheiden
sich auch beide Begriffe, weil in der Phänomenologie nicht der logische Begriff, son-
dern das Selbstbewußtsein und sein Wissen von der Natur und dem Leben Gegenstand
ist. Der Begriff des Selbstbewußtseins hat andere Implikationen als die unmittelbare
Idee. Das Leben als Moment des Selbstbewußtseins ist nicht der Begriff, in dem die In-
dividuen aufgehoben werden, sondern aus dem im Gegenteil die Individualität des le-
bendigen Individuums als Existenzbedingung des Selbstbewußtseins gesetzt wird. Es
geht nicht um die Frage nach dem Verhältnis von logischen Inhalten, sondern um die
Frage nach den Existenzbedingungen des Selbstbewußtseins. Das Prinzip der Phänome-
nologie ist dasselbe wie in der Logik: der dialektische Schluß, aber die Inhalte sind ver-
schieden. Selbstbestimmung in der Phänomenologie des Geistes ist die Selbstbestim-
mung des Selbstbewußtseins in seinem Wissen und seinen Bedingungen. Insofern ist
noch das Herrschafts-Knechtschafts-Verhältnis Ausdruck von Selbstbestimmung (in der
Gestalt der Anerkennung anderer selbstbewußter Individuen).
Die Bewegungen der Phänomenologie und der Logik verhalten sich zueinander als
Momente des Prozesses: In der Phänomenologie findet die Vermittlung statt, in der die
Geistesgeschichte in die Wissenschaft der Logik überführt wird. Es ist ein Vermittlungs-
prozeß, der aber mehr als nur die Form des Begriffs zum Resultat haben soll. Weil die
Momente systematisch auseinander hervorgehen, sind sie in der Logik nicht verschwun-
den, sondern aufgehoben. Leben und Arbeit als in der Phänomenologie stellen die onto-
logische Voraussetzung der Reflexionsbegriffe Teleologie und Leben in der Logik dar.
Weil aber diese ontologischen Voraussetzungen gegen das Systemprogramm und die ab-
solute Reflexion als Bedingungen nicht aufgehoben werden können, sondern konstitutiv
bleiben, ist der Anspruch einer absoluten Reflexivität Hybris des Denkens. Der logische
Prozeß kann nicht anders als durch die denkenden Subjekte, die materiellen Objekte und
die kulturelle Vermittlung, die immer auch herrschaftlich organisiert war, bedingt ge-
dacht werden. Das Selbstbewußtsein ist als Gattungsvermögen historisch nicht realisiert,
weil Arbeit und Selbstbestimmung nicht logisch auseinander folgen, sondern in einem
Wechselverhältnis stehen. Diejenige Arbeit, die die Selbstbestimmung des Begriffs mit
der Selbstbestimmung des Selbstbewußtseins vermittelt, ist praktische Arbeit, in der das
Selbstbewußtsein sowohl selbständig als auch unselbständig ist.

a) Leben, Individuum und Gattungsvermögen

Das Selbstbewußtsein ist ein Begriff, der bislang weder mit dem Subjekt, das dieses
Prinzip denkt, noch mit dessen geistesgeschichtlich relevanten Vorstellungen vermittelt
worden ist. Das Selbstbewußtsein aus Kraft und Verstand ist kein individuiertes Vermö-
gen. Insofern hatten die ersten drei Kapitel der Phänomenologie die systematische
Funktion, den Maßstab der Entwicklung zu entwickeln, während die folgenden auf die
Selbstbewußtsein und das Problem seiner Realisierung 161

materiellen Bedingungen und geistesgeschichtlichen Gestalten des Selbstbewußtseins


eingehen. Hegel hatte in der Einleitung darauf hingewiesen, daß er vom Stand des zu
seiner Zeit gegenwärtigen Bewußtseins aus argumentiert. Weil es in dieser Gegenwart
bereits einen Begriff des Selbstbewußtseins gibt, ist die systematische Exposition des
Begriffs überhaupt nur möglich. Damit erweist sich aber das Selbstbewußtsein auch als
historisch voraussetzungsvoll, ohne daß auf diese Voraussetzung innerhalb von Kraft
und Verstand nochmal reflektiert würde. Die Entwicklung erscheint in der Phänomeno-
logie nicht als Bedingung, sondern als Produktion des Selbstbewußtseins, so daß erst in
Herrschaft und Knechtschaft darauf reflektiert wird, daß das Selbstbewußtsein ein Gat-
tungsvermögen von vernunftbegabten Sinnenwesen ist, die sich nur über die (bei Hegel
notwendige) Bedingung der herrschaftlichen Organisation der Reproduktion ihr Gat-
tungsvermögen realisieren können. Wenn aber schon der systematische Begriff des
Selbstbewußtseins aus Kraft und Verstand einen historisch gegebenen Begriff des
Selbstbewußtseins voraussetzt, dann muß auch dieser Begriff schon als kollektives Ver-
mögen und sein Inhalt, das System der Naturwissenschaften, als akkumuliertes Wissen
aufgefaßt werden, daß durch die herrschaftliche Organisation der Reproduktion bedingt
war. Es ist zu sehen, wie die Reflexion dieser geschichtlichen Bedingtheit auf den von
Hegel konstruierten Begriff des Selbstbewußtseins zurückwirkt.
Das Selbstbewußtsein ist die negative Einheit von Identität und Unterschied, so daß
seine beiden Momente, das Bewußtsein und das Leben, jeweils hinsichtlich ihrer identi-
schen und ihrer unterscheidenden Relation auf die Einheit des Selbstbewußtseins bezo-
gen werden müssen. Insofern das Selbstbewußtsein das Resultat der bisherigen Erfah-
rung ist, sind die Gestalten der sinnlichen Gewißheit, der Wahrnehmung und des
Verstandes in sie eingegangen und werden erinnert. Als Momente haben sie gegen das
Selbstbewußtsein keine Selbständigkeit mehr, so daß sich das Selbstbewußtsein in ihnen
nur auf sich selbst bezieht. Darin ist das Selbstbewußtsein tautologisch:
„Es ist als Selbstbewußtseyn Bewegung; aber indem es n u r s i c h s e l b s t als sich selbst von
sich unterscheidet, so ist ihm der Unterschied, u n m i t t e l b a r als ein Andersseyn a u f g e h o -
b e n ; der Unterschied i s t nicht, und e s nur die bewegungslose Tautologie des: Ich bin Ich; in-
dem ihm der Unterschied nicht auch die Gestalt des S e y n s hat, ist es nicht Selbstbe-
wußtseyn.“78

Als reine Tautologie wäre es aber bestimmungslos, so daß es sich zugleich auch auf sei-
ne Momente als Seiende beziehen muß. Beide – die Identität des Selbstbewußtseins mit
sich selbst und den bestehenden Momenten – stehen im Widerspruch zu der Forderung,
daß sie demselben Vermögen angehören. Die logische Forderung, diesen Widerspruch
zu vermitteln, ist die „Beg ierde überhaupt“79.
78
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 104.
79
Ebd. Lim verliert aus dem Blick, daß die Begierde selbst nicht produktiv ist, sondern in Abgren-
zung gegen die Logik gerade in der Phänomenologie auf das Selbstbewußtsein als Subjekt bezo-
gen ist. „Die Begierde gilt hier als der zusammenfassende Ausdruck der das ungelöste Ganze und
das erfüllte Einzelne des Seins zusammenschließenden, grundlegenden Geschichtlichkeit des ar-
beitenden Menschen und der menschlichen Arbeit ebensosehr im Körperlichen wie im Geistigen.“
Sin-Zok Lim. Der Begriff der Arbeit bei Hegel, 47. Die Begierde ist Motivation, aber nicht Hand-
162 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

„Das Bewußtseyn hat als Selbstbewußtseyn nunmehr einen gedoppelten Gegenstand, den
einen, den unmittelbaren, den Gegenstand der sinnlichen Gewißheit, und des Wahrnehmens,
der aber fü r e s mit dem C h a r a kt e r d e s N e g a t i ve n bezeichnet ist, und den zweyten, näm-
lich s i c h s e l b s t , welcher das wahre We s e n , und zunächst nur erst im Gegensatze des ersten
vorhanden ist. Das Selbstbewußtsein stellt sich hierin als die Bewegung dar, worin dieser Ge-
gensatz aufgehoben, und ihm die Gleichheit seiner selbst mit sich wird.“80

Das, was das Selbstbewußtsein von sich unterscheidet, nämlich das Leben als sinnliche
Gewißheit, Wahrnehmung, Kraft und Verstand, ist nicht nur relational als einfach ne-
giertes bestimmt, sondern hat auch unabhängig von dieser Relation eine Bestimmung.
Es ist nicht nur Leben, sondern ein Lebendiges, daß gegen das Selbstbewußtsein selb-
ständig ist. Gegen den Versuch der Vermittlung durch und mit dem Selbstbewußtsein
oder gegen dessen Begierde, den Widerspruch zu vermitteln, wird sich das Leben des-
halb als resistent erweisen. Hegel entwickelt das Leben als Gestalt des erscheinenden
Geistes analog dem Lebensbegriff in der Wissenschaft der Logik. Das dialektische Prin-
zip des Setzens und Aufhebens von Unterschieden orientiert sich auch hier an den Cha-
rakteristika des biologischen Lebensprozesses: Das Lebendige ist als Seele bestimmt,
als Gestalt gegen andere Gestalten, als sich ernährender Organismus, als sich fortpflan-
zender Organismus und schließlich als Gattungswesen. Aber während das Leben als un-
mittelbare Idee mit der Negation der Individuen endet, geht aus dem Lebensprozeß der
Phänomenologie das Individuum als konstituierendes hervor. Nicht das Leben sondern
das Selbstbewußtsein wird in der Phänomenologie zumindest für einen Teil der selbst-
bewußten Individuen negiert, um einem anderen Teil die Realisierung des Gattungsver-
mögens zu ermöglichen.
Die Seele des Lebendigen ist das Prinzip seiner Belebtheit, das identisch ist mit dem,
was schon zuvor als Prinzip des Lebens bestimmt worden war: das absolute Sichselbst-
bewegen in den Unterschieden:
„Das We s e n ist die Unendlichkeit als das A u f g e h o b e n s e yn aller Unterschiede, die reine
achsendrehende Bewegung, die Ruhe ihrer selbst als absolutunruhige Unendlichkeit die S e l b-
s t ä n d i g ke i t selbst, in welcher die Unterschiede der Bewegung aufgelöst sind; das einfache
Wesen der Zeit, das in dieser Sichselbstgleichheit die gediegene Gestalt des Raumes hat.“81

Die Seele des Lebendigen unterscheidet von sich die „unterschiedenen Glieder und für-
sichse ye nde n Theile“. Es sind dies die Unterschiede, an denen das Leben sich als
Prozeß und Einheit realisiert, wobei die Seele die Substanz, das organisierende Prinzip

lung. Im Sinne Hegels dagegen Ivan Dubský: „Der Trieb bedeutet in der deutschen klassischen
Philosophie eine immanente Kraft, welche das Subjekt zur Überwindung der äußeren Hindernisse
und Beschränkungen zum Objekt führt, er ist gewissermaßen eine geistige Fähigkeit par excel-
lence. Der Trieb ist kein niedrigerer Instinkt als ein geistiger. Er ist die Vorstufe der Willenstätig-
keit, die Hegel im weiteren mit dem Arbeitsprozeß verbindet.“ Ivan Dubsky. „Hegels Arbeitsbe-
griff und die idealistische Dialektik.“ 431.
80
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 104.
81
Ebd., 105. „Eine wesentliche und sachlich gültig gebliebene Leistung des Hegelschen Denkens
besteht gerade darin, daß er von hier aus den inneren Zusammenhang von Lebendigkeit, Begierde
und Arbeit (als spezifisch menschlicher Praxis) erstmals gesehen und in der ‚Phänomenologie des
Geistes‘ [...] in klassischer Weise dargestellt hat.“ Manfred Riedel. Theorie und Praxis im Denken
Hegels, 113 f.
Selbstbewußtsein und das Problem seiner Realisierung 163

dieses Prozesses ist. Die unterschiedenen Glieder sind zwar gegeneinander selbständig,
aber nur als Glieder dieses Organismus erfüllen sie ihre spezifische Funktion, während
sie unabhängig davon ein gegen die Funktion des Organismus gleichgültiges Objekt wä-
ren. Sie sind Akzidenz des Lebendigen. Umgekehrt ist die Seele aber ebensowenig un-
abhängig von ihrer Gestalt. Obgleich sie als das den Organismus organisierende Prinzip
mehr ist, als nur die Summe der Teile des Organismus, ist sie an dessen Sein und Gestalt
notwendig gebunden. Sie ist die Einheit Unterschiedener, d. h. ein negatives Prinzip, das
als solches kein selbständiges Bestehen hat. Stirbt also der Organismus, dann mit ihm
die Seele. Diese wechselseitige Verwiesenheit von Körper und Seele aufeinander be-
gründet ihre Einheit, die Gestalt des Organismus.
Die Gestalt des Lebendigen ist für andere Lebendige wahrnehmbar: „Diese Selbstän-
digkeit der Gestalt erscheint als ein bestimmtes, für ande res, denn sie ist ein ent-
zweytes; und das Aufheb en der Entzweyung geschieht insofern durch ein anderes.“82
Entzweit ist das Lebendige also nicht nur in sich als Substanz und Akzidenz, sondern
auch, indem es andere belebte Sinnenwesen von sich unterscheidet. Die Relation auf die
anderen Lebewesen bestimmt nun die Reproduktion: als Nahrungsprozeß bringt sie die
Negation der anderen mit sich, hingegen als Fortpflanzungsprozeß die Identifikation mit
anderen Lebewesen und das Setzen neuer Individualität. Zunächst behauptet aber das
Exemplar seine Selbständigkeit gegen andere Lebewesen. Es verleugnet die Gattungszu-
sammengehörigkeit mit anderen Exemplaren, in dem es sie „aufzehrt“.
„Im ersten Momente ist die bestehende Gestalt; als f ü r s i c h s e y e n d , oder in ihrer Bestimmt-
heit unendliche Substanz tritt sie gegen die a l l g e m e i n e Substanz auf, verläugnet diese Flüs-
sigkeit und Continuität mit ihr und behauptet sich als nicht in diesem Allgemeinen aufgelöst,
sondern vielmehr als durch die Absonderung von dieser ihrer unorganischen Natur, und durch
das Aufzehren derselben sich erhaltend.“83

Die Metapher des Aufzehrens ist mehrdeutig. Zum einen ist damit das Auffressen ande-
rer Exemplare der Gattung der belebten Sinnenwesen gemeint. Dieses Aufzehren ist
physische Tätigkeit, sowohl das aufzehrende Leben als auch das, was aufgezehrt wird,
sind insofern organischer Natur. Hegel spricht aber vom Aufzehren der „unorganischen
Natur“. Unorganisch ist der Begriff des Lebens und damit zugleich die Allgemeinheit
82
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 105.
83
Ebd., 106. Alexandre Kojève unterscheidet einerseits die menschliche und die tierische Begierde
„durch die Tatsache, daß sie sich nicht auf eine reales, ‚positives‘ gegebenes Objekt, sondern auf
eine andere Begierde richtet. […] Ebenso ist die Begierde, die sich auf ein natürliches Objekt rich-
tet, nur in dem Maße menschlich, als sie durch die Begierde eines anderen, die sich auf das glei-
che Objekt bezieht, ‚vermittelt‘ wird: es ist menschlich zu begehren, was die anderen begehren,
weil sie es begehren.“ Alexandre Kojève. „Kommentar zu Phänomenologie des Geistes.“ In Hegel
in der Sicht der neueren Forschung, hrsg. v. Iring Fetscher. Darmstadt, 1973, 100. Die Begierde
eines anderes begehren heiße, „daß der Wert, der ich bin oder den ich ‚repräsentiere‘, der von die-
sem anderen begehrte Wert sei: ich will, daß er meinen Wert als seinen Wert ‚anerkennt‘.“ Ebd.,
101. Aus der Konkurrenz um die Anerkennung der Werte leitet er dann den Kampf auf Leben und
Tod als einen ‚Prestigekampf‘ ab, aus dem das Selbstbewußtsein erst hervorgehe. Kojève geht so-
weit zu behaupten, daß es ohne diesen ‚Prestigekampf‘ auf Leben und Tod „auf Erden niemals
menschliche Wesen gegeben“ (Ebd.) hätte. Mit dieser Interpretationsweise unterläuft er die Diffe-
renz von an und für sich seiendem Bewußtsein: Menschliche Wesen hätte es ohne den Kampf
schon gegeben, aber im Kampf erlangen sie erst das Bewußtsein ihrer Endlichkeit
164 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

der Gattung belebter Sinnenwesen. In diesem Zusammenhang bedeutet Aufzehren, daß


das lebendige Individuum sich gegen alle anderen Lebendigen und gegen die Gattung
als Individuum bestimmt, indem es andere Exemplare aufzehrt. Dieser Prozeß „ist itzt
für den U nte rsch ie d, welcher an und für sich selbst, und daher die unendliche Be-
wegung ist, von welcher jenes ruhige Medium aufgezehrt wird, das Leben als Leb en -
d ig es.“84 Derjenige Organismus, der die „unorganische Natur“ aufgezehrt hat, repro-
duziert sich als Lebendiges, d. h. körperlich wie seelisch auf Kosten der Allgemeinheit
der Gattung belebter Wesen, die er negiert, wenn er andere Individuen verzehrt. Darauf,
daß der Prozeß des Lebens nur für einen Teil der Exemplare eine positive Erfahrung ist,
während er für andere den Tod bedeutet, geht Hegel nicht weiter ein, denn: „[d]as abso-
lute Nichts denkt sich nicht“85, und darum, sich zu denken, ist es Hegel zu tun. Der Tod
ist keine Erfahrung für das Bewußtsein, sondern zweckwidrig, so daß das Aufzehren
hier in der positiven Bedeutung der Reproduktion des Individuums erscheint, nicht als
das Ende der Bewegung. Den Fortgang der Bewegung des Lebens bestimmt Hegel so,
daß durch das Aufzehren nicht nur andere Exemplare, sondern mit ihnen auch der Un-
terschied der Exemplare gegeneinander verschwinde, so daß ihre Gattungsallgemein-
heit, ihre Belebtheit, restituiert wird. Gleichzeitig negiere das Individuum nicht nur den
Unterschied, sondern setze ihn auch in sich, so daß sich das Wesen zugleich entzweite
„Denn da das We se n der individuellen Gestalt, das allgemeine Leben, und das für sich
seyende an sich einfache Substanz ist, so hebt es, indem es das Andre in sich setzt, diese
seine E in fachh eit oder sein Wesen auf, d. h. es entzweyt sie, und diß Entzweyen der
unterschiedslosen Flüssigkeit ist eben das Setzen der Individualität.“86 Während die Be-
wegung des Begriffs bruchlos von der einfachen Negation zur Negation der Negation
übergeht, wechselt das der Bewegung zugrundeliegende Modell: Es ist nicht mehr an
Reproduktion durch Ernährung, sondern durch geschlechtliche Fortpflanzung gedacht.
Aber auch diese Differenz, die für jedes empirische Lebewesen und jeden Biologen ein
Faktum ist, wird bei Hegel zumindest in der Phänomenologie nicht weiterer erläutert.87

84
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 106.
85
Adorno u. Horkheimer. Dialektik der Aufklärung, 243.
86
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 106.
87
Wenn die Penthesilea von Kleist den Achilles auffrißt, um sich mit ihm zu vereinigen, dann ist das
auch als Persiflage des Hegelschen Gedankens zu verstehen. Das Auffressen ist kein Akt der Ver-
einigung, sondern im Gegenteil ein Akt der Vernichtung des anderen, dem gegenüber die Liebe als
Akt der Vereinigung gleichgültig ist: „Jetzt gleichwohl lebt der Ärmste noch der Menschen,/ Den
Pfeil, den weit vorragenden, im Nacken,/ Hebt sich wiederum und will entfliehn;/ Doch, hetz!
Schon ruft sie: Tigris! Hetz, Leäne!/ Hetz, Sphinx! Melampus! Dirke! Hetz, Hyrakaon!/ Und
stürzt – stürzt mit der ganzen Meute, o Diana!/ Sich über ihn, und reißt – reißt ihn beim Helm-
busch,/ Gleich einer Hündin, Hunden beigesellt,/ Der greift die Brust ihm, dieser greift den
Nacken,/ Daß von dem Fall der Boden bebt, ihn nieder!/ Er, in dem Purpur seines Bluts sich wäl-
zend,/ Rührt ihre sanfte Wange an, und ruft:/ Penthesilea! Meine Braut! was tust du?/ Ist dies das
Rosenfest, das du versprachst?/ Doch sie – die Löwin hätte ihn gehört,/ Die hungrige, die wild
nach Raub umher,/ Auf öden Schneegefliden heulend treibt,/ Sie schlägt, die Rüstung ihm vom
Leibe reißend,/Den Zahn schlägt sie in seine weiße Brust,/ Sie und die Hunde, die wetteifernden,/
Oxus und Sphinx den Zahn in seine rechte,/ In seine linke sie; als ich erschien,/ Troff Blut von
Mund und Händen ihr herab.“ Heinrich von Kleist. „Penthesilea. Ein Trauerspiel.“ In Werke in ei-
nem Band, hrsg. v. Helmut Sembdner. München/Wien, 1996, 329 f.
Selbstbewußtsein und das Problem seiner Realisierung 165

Erst nachdem diese Stufen vollständig durchlaufen sind, ist die Bewegung des Be-
griffs und damit der „Kreislaufs des Lebens“ vollendet. Aus diesem Kreislauf geht der
Begriff der einfachen Gattung hervor als derjenige Begriff, in dem der Kreislauf be-
zeichnet ist. Die einfache Gattung, also die belebter, nicht vernunftbegabter Sinnenwe-
sen, existiert wiederum nicht unabhängig von einzelnen Phasen des Prozesses, noch un-
abhängig von den Gestalten, die diesen Prozeß durchlaufen. Deshalb ist der Kreislauf
des Lebens als vollendete Bewegung nicht für die Individuen, sondern nur für dasjenige
Bewußtsein, das den Kreislauf des Lebens intellektuell nachvollzieht. Indem dieses Be-
wußtsein damit zugleich seinen eigenen Lebensprozesses begreift, ist es Selbstbewußt-
sein:
„Sie [die Einheit, M. B.] ist die e i n fa c h e G a t t u n g, welche in der Bewegung des Lebens
selbst nicht f ü r s i c h A LS d i ß E i n f a c h e e x i s t i r t ; sondern in diesem R e s u lt a t e ver-
weist das Leben auf ein anderes, als es ist, nemlich auf das Bewußtseyn, für welches es als die-
se Einheit, oder als Gattung, ist. Diß andere Leben aber, für welches die G a t t u n g als solche
und welches für sich selbst Gattung ist, das Selbstbewußtseyn, ist sich zunächst nur als dieses
einfache Wesen, und hat sich als r e i n e s I c h zum Gegenstande; in seiner Erfahrung, die nun
zu betrachten ist, wird sich ihm dieser abstracte Gegenstand bereichern, und die Entfaltung er-
halten, welche wir an dem Leben gesehen haben.“88

Das Selbstbewußtsein war bislang nur tautologisch bestimmt: Ich = Ich. Es ist mit sich
identisch, deshalb steht alles, was nicht es selbst ist, im Widerspruch zur eigenen absolu-
ten Identität. Nicht nur das Lebendige, sondern auch das Selbstbewußtsein hat deshalb
die Begierde, andere Exemplare, andere Sinnenwesen aufzuzehren, um seine Sichselbst-
gleichheit zu bestätigen. Durch die Vernichtung des Anderen erlangt das Selbstbewußt-
sein zwar tatsächlich die Gewißheit seiner selbst, aber diese Gewißheit verschwindet zu-
gleich auch mit dem vernichteten Anderen. Anders als das Aufzehren des Lebendigen
resultiert aus der Vernichtung nicht das Aufheben des Anderen, sondern tatsächlich des-
sen Ende. Darin bleibt das Andere gegen das vernichtende Selbstbewußtsein selbständig
und die Begierde unbefriedigt. Die Gewißheit des Selbstbewußtseins ist deshalb von der
Existenz des anderen abhängig: „daß diß Aufheben sey, muß diß Andere seyn.“89 Es
kann daher entweder nur von neuem ein weiteres Exemplar vernichten, ohne daß das
dem Prozeß zugrundeliegende Bedürfnis, sich in einem anderen bestätigt zu finden, je-
mals prinzipiell zu befriedigen wäre. Oder es findet ein anderes Wesen vor, das ihm die
Befriedigung seiner Begierde ermöglicht, weil es sowohl selbständig existiert, als auch
die Negation an sich hat. Weil diese Negation nicht der Tod sein kann, kann dieser Wi-
derspruch nur vermittelt werden, indem dieses Andere die Negation an sich selbst voll-
zieht und zwar nicht nur partiell, sondern als absolute Negation des ganzen Wesens. Ein
solches Wesen aber ist ebenfalls ein Selbstbewußtsein:
„Um der Selbständigkeit des Gegenstandes willen kann es daher zur Befriedigung nur gelan-
gen, indem dieser selbst die Negation an ihm vollzieht, und er muß diese Negation seiner selbst
an sich vollziehen, denn er ist a n s i c h das negative, und muß für das andre seyn, was er ist.

88
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 107.
89
Ebd.
166 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

Indem er die Negation an sich selbst ist, und darin zugleich selbständig ist, ist er Bewußtseyn.
An dem Leben, welches der Gegenstand der Begierde ist, ist die N e g a t i o n entweder a n e i -
n e m a n d r e n , nemlich an der Begierde, oder als B e s t i m m t h e i t gegen eine andere gleich-
gültige Gestalt, oder als seine u n o r g a n i s c h e a l l ge m e i n e N a t u r . Diese allgemeine selb-
ständige Natur aber an der die Negation als absolute ist, ist die Gattung als solche, oder als
S e l b s t b e wu ß t s e y n . D a s S e l b s t b e wu ß t s e y n e r r e i c h t s e i n e B e fr i e d i g u n g n u r
i n e i n e m a nd e r e n S e l b s t b e w u ß t s e y n . “90

Die Begierde des Selbstbewußtseins kann nur in und durch Seinesgleichen befriedigt
werden, weil seinesgleichen willensbegabt ist und daher die Freiheit besitzt, seiner eige-
nen Unterwerfung zuzustimmen. Diese Zustimmung bedeutet die Zustimmung zur eige-
nen Zerrüttung, denn das Subjekt verzichtet auf die Realisierung der eigenen Freiheit,
um am Leben zu bleiben. Es affirmiert sich als Leben und negiert sich als Selbstbewußt-
sein. Inwieweit diese Paradoxie logisch oder historisch zu erklären ist, muß sich zeigen.
Das Selbstbewußtsein, das seine adäquate Realisierung in einem anderen Selbstbe-
wußtsein hat, ist der Begriff des Geistes, die Einheit der für sich seienden Selbstbewußt-
seine: „Ich , das Wir, und Wir, das Ic h ist.“91 Die erste Stufe des Geistes stellt aber die
Reflexion auf die Nichtidentität der Selbstbewußtseine im Herrschaftsverhältnis dar, die
so zum notwendigen Moment des Geistbegriffs wird, dessen adäquate Gestalt aber die
Realisierung der Gleichheit sein muß. Hegel selbst sieht erst die bürgerliche bzw. sittli-
che Gesellschaft als die historische Realisierung des Geistbegriffs an, während er die hi-
storische Entwicklung bis dahin als deren Vorstufe betrachtet. Am Ende von Herrschaft-
Knechtschaft steht deshalb auch in der Phänomenologie nicht der objektivierte Geistbe-
griff, aber es wird behauptet, daß der Geist das Herrschaftsverhältnis produktiv in sich
aufhebt und spätestens mit der Sittlichkeit ein emanzipiertes Verhältnis unter den Indivi-
duen objektiviert wird. Dagegen ist aber zu fragen, ob Herrschaft überhaupt in diesen
Begriff integrierbar ist oder ob Geist und Herrschaft praktisch und damit auch philoso-
phisch unvereinbar sind.

b) Herrschaft und Knechtschaft

Hegel argumentiert mit dem Anspruch, durch die Reflexion der historisch-praktischen
Bedingtheit des Selbstbewußtseins einen Begriff desselben zu konstruieren, der, seine
Beschränkung transzendierend, notwendiger Grund wissenschaftlicher Erkenntnisse ist.
Dieser Begriff des Selbstbewußtseins ist mit dem Leben als individuierendem Prinzip
vermittelt und als Geist der Gattung vernunftbegabter Sinnenwesen bestimmt worden,
aber als Geist ist er noch nicht realisiert worden.
Zwei selbstbewußte Individuen sind jeweils durch ihre Körperlichkeit voneinander
unterschieden, aber sie gleichen sich als Selbstbewußtseine. Es haben deshalb beide das
Anrecht darauf, durch den jeweils anderen als Selbstbewußtsein anerkannt zu werden,
sowie den anderen anzuerkennen. Dieser Begriff der Anerkennung kann deshalb nur
90
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 108.
91
Ebd.
Selbstbewußtsein und das Problem seiner Realisierung 167

symmetrisch, doppelsinnig und wechselseitig sein. Symmetrisch heißt, daß für beide
dasselbe Resultat – ihre Anerkennung als Selbstbewußtsein – herauskommen muß; dop-
pelsinnig heißt, daß alles, was das eine Selbstbewußtsein an dem anderen tut, es zu-
gleich an sich selbst tut; und wechselseitig heißt, daß beide dasselbe tun.
„Die Bewegung ist also schlechthin die gedoppelte beyder Selbstbewußtseyn. Jedes sieht d a s
a n d r e dasselbe thun, was es thut; jedes thut selbst, was es an das andre fodert, und thut darum
was es thut, auch n ur insofern als das andre dasselbe thut; das einseitige Thun wäre unnütz;
weil, was geschehen soll, nur durch beyde zu Stande kommen kann. […] S i e a n e r k e n n e n
s i c h , a l s g e g e n s e i t i g s i c h a n e r k e n n e n d .“92

Wenn es gelingt, die Anerkennung als symmetrische Bewegung zu bestimmen, dann nur
als kollektive Selbstbestimmung gleichberechtigter Individuen, denn Selbstbewußtsein
ist als Geist Gattungsvermögen.93 Gleichberechtigt heißt dabei, daß die Individuen sich
trotz ihrer Unterschiedenheit als gleiche aufeinander beziehen. Hegel bestimmt die Be-
wegung als Negation der Negation, aber anders als bei den bisherigen Gegenständen des
Bewußtseins verhält sich das Objekt der Begierde diesmal nicht passiv, sondern will am
Subjekt dieselbe Negation der Negation vollziehen. Beide Selbstbewußtseine sind also
zugleich Subjekt und Objekt der Bewegung. Darin, daß beide Individuen dasselbe wol-
len, ist ein Interessenkonflikt angelegt, der dem telos einer gleichberechtigten Anerken-
nung zuwider laufen kann. Diesen grundsätzlichen Widerspruch muß Hegel vermitteln.
Die erste Negation ist der Umschlag des symmetrischen Begriffs der Anerkennung,
wie er sich „für uns“ darstellt, in das Selbstbewußtsein, wie es sich für das in der Er-
scheinung befangene Bewußtsein darstellt. Mit dem Umschlag des Begriffs in die Er-
scheinung ist somit der Umschlag des transzendenten Vermögens in das an sich seiende
Bewußtsein bezeichnet. Für das an sich seiende Selbstbewußtsein erscheint das Verhält-
nis zunächst als ungleiches, weil es sich für einzig anerkennenswert hält, während es das
andere als das Mittel der eigenen Anerkennung betrachtet.
„Das Selbstbewußtseyn ist zunächst einfaches Fürsichseyn, sichselbstgleich durch das Aus-
schließen alles a n d e r n a u s s i c h ; sein Wesen und absoluter Gegenstand ist ihm I c h ; und es
ist in dieser U n mi t t e l b a r k e i t , oder in diesem S e yn seines Fürsichseyns, E i n z e l n e s . Was
anderes für es ist, ist als unwesentlicher, mit dem Charakter des negativen bezeichneter Gegen-
stand.“94

Weil das Selbstbewußtsein das Prinzip der negativen Einheit von Identität und Unter-
schied ist, müsse der Anspruch des selbstbewußten Individuums darauf gehen „sich als
reine Negation seiner gegenständlichen Weise zu zeigen, oder es zu zeigen, an kein be-
stimmtes Daseyn geknüpft, an die allgemeine Einzelheit des Daseyns überhaupt nicht,
nicht an das Leben geknüpft zu seyn.“95 Der Zweck der selbstbewußten Individuen ist
92
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 110.
93
Deshalb irrt Kojève, wenn er feststellt, daß „in seinem Anfangszustand der Mensch niemals ein-
fach ‚Mensch‘, sondern notwendig und wesentlich entweder Herr oder Knecht“ sei. Alexandre
Kojève, „Kommentar zur Phänomenologie des Geistes.“ 103. Herrschaft ist eine geschichtliche
Erscheinung, keine Notwendigkeit.
94
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 110 f.
95
Ebd., 111.
168 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

die Realisierung ihres jeweiligen Selbstbewußtseins, nicht die Realisierung ihrer Kör-
perlichkeit. Weil beide denselben Anspruch auf die Realisierung und Anerkennung ihres
jeweiligen Selbstbewußtseins haben, kämpfen sie miteinander darum, welches Selbstbe-
wußtsein seinen Anspruch gegen das andere durchsetzen kann und welches sein Leben
drangeben muß. Es ist also ein Kampf auf Leben und Tod.
„Sie müssen in diesen Kampf gehen, denn sie müssen die Gewißheit ihrer selbst, fü r s i c h z u
s e yn , zur Wahrheit an dem andern, und an ihnen selbst erheben. Und es ist allein das daranset-
zen des Lebens, wodurch die Freyheit, wodurch es bewährt wird, daß dem Selbstbewußtseyn
nicht das Seyn, nicht die u n m i t t e l b a r e Weise, wie es auftritt, nicht sein Versenktseyn in die
Ausbreitung des Lebens,– das Wesen, sondern daß an ihm nichts vorhanden, was für es nicht
verschwindendes Moment wäre, daß es nur reines F ü r s i c h s e yn ist.“96

Aus diesem Kamp11f auf Leben und Tod schöpft das überlebende Bewußtsein zwei Er-
fahrungen: Die eine Erfahrung ist, daß beide Kämpfer ihr Leben wagten und es an dem
anderen verachteten. Beide haben zur Darstellung gebracht, daß die beiden Bestimmun-
gen ihres Wesens, vernunftbegabt und belebt zu sein, nicht von gleichem Werte sind:
Nicht das Leben, sondern die Realisierung des Selbstbewußtseins ist das Ziel des Kamp-
fes. Die andere Erfahrung ist praktisch, daß das Leben die Bedingung der Realisierung
des Selbstbewußtseins ist, weil es nur als Vermögen von Sinnenwesen existiert. „Durch
den Tod ist zwar die Gewißheit geworden, daß beyde ihr Leben wagten, und es an ihnen
und an dem andern verachteten; aber nicht für die, welche diesen Kampf bestanden.“ 97
Die Erfahrung der eigenen Endlichkeit ist konstitutiv für das Selbstbewußtsein, weil es
darin das Leben als Bedingung seiner intellektuellen Anerkennung ebenso wahrnimmt
wie als Bedingung seiner Existenz. Weder ein reines Vernunftwesen, noch ein reines
Sinnenwesen haben ein Selbstbewußtsein; ersteres ist reines Vermögen ohne Individua-
lität wie in der Logik, letzteres wäre Individualität ohne erkennendes Vermögen.
Die Todesangst ist praktisch und subjektiv jedem Menschen präsent, andernfalls
könnte er nicht lange überleben.98 Die Transformation der akuten Todesangst im Kampf
in die Erfahrung des Selbstbewußtseins endlich zu sein, ermöglicht es Hegel, zu begrün-
den, daß das Selbstbewußtsein die Endlichkeit als Wissen von der Endlichkeit aus sich
setze. Dies Wissen ist reflektiert und damit etwas anderes als die Todesangst, denn wer
96
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 111.
97
Ebd., 112.
98
Das hat der wissende Intellekt mit dem ästhetischen Gefühl des Erhaben gemein: „Wer sich fürch-
tet, kann über das Erhabene der Natur gar nicht urteilen, sowenig als der, welcher durch Neigung
und Appetit eingenommen ist, über das Schöne.“ Kant. Kritik der Urteilskraft, 106. Pöggeler
spricht davon, daß „[d]as selbstbewußte Lebendige um der Selbsthaftigkeit willen seinen Tod und
damit seine Grenze vorwegnehmen und sich von dieser Grenze her in seiner Bestimmtheit“ ergrei-
fen müsse (Otto Pöggeler. Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes, 246.) Diese Vorweg-
nahme kann aber nur auf einer schon gemachten Erfahrung beruhen, nämlich der Erfahrung des
Kampfes auf Leben und Tod zweier Individuen. Wenn dieser Kampf von Pöggeler dann als Ver-
mittlung bestimmt wird, „in der beiden Seiten nur abstrakt aufeinander bezogen werden und so
immer wieder auseinanderfallen“ dann ist dieser Vermittlung die praktische Erfahrung notwendig
unterstellt. Sie ist insofern konkret (Ebd., 267.) Eine andere Weise der Auslegung des Kampfes
geht auf das Argon-Motiv. Vgl. dazu: Nils Baratella. „Warum gekämpft wird – Zur Aufführung
des Agon.“ In Berichtsband zum Symposium Kampfkunst & Kampfsport April 2011 in Bayreuth,
hrsg. v. Peter Kuhn u. a., 107–115. Hamburg, 2011.
Selbstbewußtsein und das Problem seiner Realisierung 169

akut um sein Leben fürchten muß, interessiert sich wenig dafür, wie der Begriff des
Selbstbewußtseins zu denken ist.Umgekehrt kann ein toter Kontrahent den siegreichen
nicht anerkennen.
Mit dem Bewußtsein der Bedingtheit des Selbstbewußtseins spaltet sich auch seine
Identität: Es ist für sich und an sich, bedingte Individualität und das Bewußtsein seiner
Unbedingtheit. Im Bewußtsein dieser Ambivalenz werden seine Zwecke ebenso ambiva-
lent: Damit es sich selbst bestimmen kann, muß es sich in seiner Einzelheit als Le-
bendiges reproduzieren und in seiner absoluten Negativität durch andere anerkennen
lassen. Es ist technisch-praktisch ebenso interessiert wie sittlich. Entgegen der Prämisse,
daß das Selbstbewußtsein das Wesen, das Leben hingegen Mittel sei, erscheinen im Re-
sultat des Kampfes beide Zwecke als gleichberechtigt. Mehr noch scheint die Realisie-
rung des einen Zwecks den anderen auszuschließen, weil die Reproduktion als lebendi-
ges Individuum gerade nicht die Anerkennung des Gattungsvermögens bedeutet und
umgekehrt. So entsteht der Widerspruch, daß es entweder seinen Anspruch realisiert, das
einzige Wesen zu sein, dem alle anderen zu unterwerfen sind, oder es reproduziert sich
als Lebendiges und damit diejenige Individualität, die dem Absolutheitsanspruch des
Selbstbewußtseins entgegensteht. Vermittelt werde dieser Widerspruch dadurch, daß die
Aufgabe der Realisierung der Zwecke auf verschiedene Individuen verteilt wird, so daß
sich eines nur der Realisierung des reinen Fürsichseins des Selbstbewußtseins widmet,
während das andere nur diejenige Individualität repräsentiert, die für die Reproduktion
des Lebendigen sorgt.99
„Die Auflösung jener einfachen Einheit ist das Resultat der ersten Erfahrung; es ist durch sie
ein reines Selbstbewußtseyn, und ein Bewußtseyn gesetzt, welches nicht rein für sich, sondern
für ein anderes, das heißt, als s e y e n d e s Bewußtseyn oder Bewußtseyn in der Gestalt der
D i n g h e i t ist. Beyde Momente sind wesentlich; – da sie zunächst ungleich und entgegenge-
setzt sind, und ihre Reflexion in die Einheit sich noch nicht ergeben hat, so sind sie als zwey
entgegengesetzte Gestalten des Bewußtseyns; die eine das selbständige, welchem das Fürsich-
seyn, die andere das unselbständige, dem das Leben oder das Seyn für ein anderes, das Wesen
ist; jenes ist der H e r r , diß der K n e c h t .“100

Aus dem Kampf geht eine herrschaftlich organisierte Arbeitsteilung hervor, durch die
die bedingte Individualität mit ihrem Anspruch auf Anerkennung als unbedingte vermit-
telt werden soll. Die Unterordnung des Knechtes unter den Herren bedeutet die Unter-
ordnung eines Selbstbewußtseins unter das Kommando des anderen. Der Grund dieses
Verhältnisses ist also nicht die Setzung des freien Selbstbewußtseins als das alle Indivi-
99
Herrschaft ist ein Modell für die „List der Vernunft“, die in der Teleologie darin bestand, daß „der
Zweck sich aber in die mi t t e l b a r e Beziehung mit dem Objekt setzt und z wi s c h e n sich und
dasselbe ein anderes Objekt e i n s c h i e b t “ (Hegel. Lehre vom Begriff, 166). Das Objekt ist in der
Herrschaft zugleich Subjekt – der Knecht. Vgl. S. 73
100
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 112. Lim weist darauf hin, daß die Erfahrung des Kampfes
eigentlich die Erfahrung des Individuums endlich zu sein, zugleich eine die Menschheit als Ganze
betreffende Erfahrung ist. „Um sich nun als Anerkanntes zu setzen, unternimmt jeder, der an die-
sem Kampf teilnimmt, – es müßte eigentlich die ganze Menschheit sein – den verzweifelten Ver-
such, in der Mitte des einerseits ständig Verschwindenden oder Verlorengehenden, aber anderer-
seits immer wieder neu Erzeugenden und Gewonnenen die Befriedigung seiner selbst zu errei-
chen.“ Sok-Zin Lim. Der Begriff der Arbeit bei Hegel, 53.
170 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

duen vereinende Gattungsvermögen, sondern der Kampf auf Leben und Tod – ein Ge-
waltakt. Weil das Objekt der Unterordnung kein gegenständliches mehr ist, sondern ein
anderes Selbstbewußtsein, wird das knechtische Subjekt seiner ureigensten Bestimmung
zuwider nicht als Selbstzweck anerkannt, sondern zum Mittel degradiert. Das knechti-
sche Bewußtsein ist somit zerrüttetes Bewußtsein.
Das provoziert moralphilosophische Kritik: „[...] der Mensch und überhaupt jedes
vernünftige Wesen existiert als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebi-
gen Gebrauche für diesen oder jenen Willen, sondern muß in allen seinen sowohl auf
sich selbst als auch auf andere vernünftige Wesen gerichteten Handlungen jederzeit zu-
gleich als Zweck betrachtet werden.“101 – wenn auch nicht Hegels. Denn das Verhältnis
von Herr und Knecht wird von Hegel als notwendiges Durchgangsmoment zur Realisie-
rung des Selbstbewußtseins verstanden. Damit entwickelt Hegel – paradox – die Moral-
philosophie Kants weiter, die an ihrer Gegenstandslosigkeit krankte. Kant hatte die mo-
ralische Willensbestimmung davon abhängig gemacht, daß sie uneingeschränkt autonom
sei, rein von jeder Fremdbestimmung durch einen äußeren Bestimmungsgrund. Das hat-
te zur Konsequenz, daß der kategorische Imperativ nur die Form des moralischen Geset-
zes angeben konnte, nicht aber deren Inhalt. Noch der Versuch, in der Postulatenlehre
mit dem Reich Gottes auf Erden den adäquaten Gegenstand der autonomen Willensbe-
stimmung zu bestimmen, scheiterte insofern, als das Reich Gottes nur als Jenseitiges
und Gegenstand der Hoffnung nicht aber als aufgeklärter historischer Zustand bestimmt
werden konnte.
„Die Heiligkeit der Sitten wird in diesem Leben schon zur Richtschnur angewiesen, das dieser
proportionierte Wohl aber, die Seeligkeit, nur als in einer Ewigkeit erreichbar vorgestellt; weil
jene immer das Urbild ihres Verhaltens in jedem Stande sein muß, und das Fortschreiten zu ihr
schon in diesem Leben möglich und notwendig ist, diese aber in dieser Welt, unter dem Namen
der Glückseligkeit gar nicht erreicht werden kann […] und daher lediglich zum Gegenstande
der Hoffnung gemacht wird.“102

Das kritisiert Hegel mit dem Geistbegriff, indem die Individuen mit sich, ihren Lebens-
bedingungen und der Gemeinschaft aller Individuen vermittelt sein sollen. Indem er auf
die Entstehung des Selbstbewußtseins reflektiert, beabsichtigt er das Vermögen morali-
scher Willensbestimmung mit seinen Existenzbedingungen zu vermitteln und die erste
Bedingung dieser Vermittlung ist die Muße – die ökonomische Freistellung des Selbst-
bewußtseins vom Reproduktionszwang.
Ein philosophisches Modell, das Hegel hier verhandelt, ist das der Sklaverei. Aristo-
teles hatte die Sklaverei als das ökonomische Mittel gerechtfertigt, um ein müßiges Le-
ben führen zu können.103 Entsprechend bezieht sich der Herr in der Phänomenologie so-
wohl auf die Arbeitskraft seines Knechtes als auch auf dessen Arbeitsprodukt, von dem
Herr und Knecht leben – der Herr allerdings, ohne dafür zu arbeiten. Der Herr ist sich
selbst Zweck und der Knecht sein Erfüllungsgehilfe. Damit stellt sich der Prozeß der
101
Kant. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 50.
102
Kant. Kritik der praktischen Vernunft. Hrsg. v. Karl Vorländer. Hamburg, 1990, 148.
103
Vgl. auch S. 63 ff.
Selbstbewußtsein und das Problem seiner Realisierung 171

Anerkennung für beide entgegen der Prämisse Hegels nicht als symmetrisch, doppel-
und wechselseitig dar, sondern ist vielmehr asymmetrisch. Der Herr ist das fürsichseien-
de Bewußtsein durch seine Beziehung auf den Knecht und seine darüber vermittelte Be-
ziehung auf das Sein, an welches der Knecht gebunden ist.
„Der Herr bezieht sich a u f d e n K n e c h t m i t t e l b a r d u r ch d a s s e l b s t ä n d i g e S e yn ;
denn eben hieran ist der Knecht gehalten; es ist seine Kette, von der er im Kampfe nicht abstra-
hiren konnte, und darum sich als unselbständig, seine Selbständigkeit in der Dingheit zu haben,
erwies. Der Herr aber ist die Macht über diß Seyn, denn er erwies im Kampfe, daß es ihm nur
als ein negatives gilt; indem er die Macht darüber, diß Seyn aber die Macht über den Andern
ist, so hat er in diesem Schlusse diesen andern unter sich.“ 104

Weil der Knecht trotz seiner untergeordneten Stellung Selbstbewußtsein hat, ist er an
sich frei, seinen Willen zu bestimmen. Der Herr kann deshalb den Willen des Knechtes
nicht in derselben Weise unterwerfen wie er irgendwelche Dinge unterwerfen kann, son-
dern nur mittelbar. Die Lebensbedingungen des Knechtes müssen derart beschaffen sein,
daß dieser selbst ein Interesse daran hat, die Zwecke des Herren auszuführen. Deshalb
ist das Mittel der Machtausübung die Todesangst des Knechtes – dessen vermeintliche
Schwäche bestand darin, im Kampf vom Sein nicht abstrahieren zu können. Der Herr
hatte hingegen im Kampf bewiesen, daß ihm das Sein das Negative ist. Der Knecht, der
leben will,105 aber nicht die Macht über die Mittel hat, die er dazu benötigt, kann sich
nur reproduzieren, wenn er das Sein bearbeitet, welches ihm zugleich durch die Herr-
schaft entfremdet ist. „[...] der Knecht bezieht sich als Selbstbewußtseyn überhaupt, auf
das Ding auch negativ und hebt es auf; aber es ist zugleich selbständig für ihn, und er
kann darum durch sein Negiren nicht bis zur Vernichtung mit ihm fertig werden, oder er
b e a r b e i t e t es nur.“106

104
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 113. Pöggeler wendet sich gegen solche Interpretationswei-
sen von Herrschaft und Knechtschaft, die sich auf das Faktum beziehen, „daß Hochkulturen ein-
mal durch Überschichtung und Herrschaft sich gebildet haben. Die Darstellung dieses Verhältnis-
ses soll nicht den Bezug des Herrn zum Knecht im antiken Oikos wiedergeben oder für den Herrn
das alteuropäische Adelsethos geltend machen.“ Otto Pöggeler. Hegels Idee einer Phänomenolo-
gie des Geistes, 264. Man könne zwar das abstrakt-begriffliche Verhältnis an Modellen illustrie-
ren, aber „von der konkreten gesellschaftlichen Rollenverteilung und dem Rollenspiel handelt He-
gel in der Analyse des Selbstbewußtseins überhaupt noch nicht.“ Ebd. Wir stimmen insoweit zu,
als es in Herrschaft und Knechtschaft tatsächlich nicht um Gesellschaftstheorie im eigentlichen
Sinne, sondern um die Erfahrung des Bewußtseins geht. Aber diese Erfahrung hat ihrerseits gesell-
schaftliche Bedingungen, so z. B. die Produktion von Mehrprodukt. Hegel reflektiert diese Bedin-
gungen sehr wohl in Herrschaft-Knechtschaft und zwar mit dem Ziel, sie im Wissen des Selbstbe-
wußtseins von sich zu vermitteln. Damit ist auch diese Bestimmung in dem Sinne äquivok, wie es
schon für die Begriffe der Wissenschaft der Logik gezeigt worden war: Was als Begriff oder Wis-
sen dargestellt wird, kommt nicht ohne Zitat des empirischen Gegenstandes aus und verstrickt sich
dadurch in Ungereimtheiten. In diesem Sinne wird nicht „die Logik zum bloßen ‚Geld‘ des Gei-
stes erklärt“ wie Pöggeler es Marx unterstellt, sondern das Verhältnis von Begriff und Gegenstand
als der Philosophie immanentes und transzendentes untersucht (Ebd., 263.)
105
Obgleich das von Hegel bestimmte Wesen des Selbstbewußtseins die Vernichtung anderer Selbst-
bewußtseine ist, widerspricht die Selbsttötung diesem Begriff, denn es kann seine absolute Negati-
on nicht wollen und auch die Vernichtung will es nur um seiner Selbstbestätigung willen. Daß
heißt aber nicht, daß es nicht trotzdem Selbsttötungsabsichten gibt, sondern nur, daß die Vernunft
nicht der einzige Bestimmungsgrund des Willens ist.
106
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 113.
172 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

Der Herr bestimmt über die Verteilung des Produktes, und kann durch Unterlassen
das Leben des Knechtes bedrohen. Der Knecht ist somit erpreßbar. Dabei ist es zunächst
gleichgültig, ob der Herr unmittelbar körperliche Gewalt androht oder den Eigentumsti-
tel an den Produktionsmitteln inne hat, die der Knecht für seine Arbeit benutzen muß,
denn wenn der Knecht für deren Nutzung die Zustimmung des Herren braucht, dann
muß er sich auch auf dessen Bedingungen einlassen. Dagegen genießt der Herr das Ar-
beitsprodukt des Knechtes rein, d. h. ohne selbst arbeiten zu müssen.
Die Alternative zu dieser Machtverteilung wäre, das Herrschaftsverhältnis insgesamt
umzuwerfen. Das wäre aber wiederum ein Kampf auf Leben und Tod und nach Hegel
daher ein Rückfall, weil das Herrschaftsverhältnis ein notwendiges Durchgangsmoment
zur politischen Freiheit ist. Auf jeden Fall würde der Knecht mit dem Herrschaftsver-
hältnis auch seine ökonomische Existenzgrundlage in Frage stellen. Das wäre nur aus
einem Freiheitsverständnis heraus möglich, das die existierenden Bedingungen nicht als
notwendiges Übel betrachtet:
„Dem Herrn dagegen wi r d durch diese Vermittlung die u n mi t t e l b a r e Beziehung als die rei-
ne Negation desselben, oder der Ge n u ß ; was der Begierde nicht gelang, gelingt ihm, damit
fertig zu werden, und im Genusse sich zu befriedigen. Der Begierde gelang diß nicht wegen
der Selbständigkeit des Dinges; der Herr aber, der den Knecht zwischen es und sich eingescho-
ben, schließt sich dadurch nur mit der Unselbständigkeit des Dinges zusammen, und genießt es
rein; die Seite der Selbständigkeit aber überläßt er dem Knechte, der es bearbeitet.“107

Im Kommando über die Arbeit des Knechtes finde der Herr die Anerkennung seines
Selbstbewußtseins, denn er verkörpere das „reine wesentliche Tun“, dagegen der Knecht
nur „unwesentliches Tun“. Ausgangsbedingung des Herr-Knecht-Verhältnisses war der
Gewaltakt des Kampfes auf Leben und Tod, aus dem die Unterordnung des Knechtes
folgte und damit die Zerrüttung seines Selbstbewußtseins. Diese Ausgangsbedingung er-
weist sich im Resultat als Mangel des Anerkennungsverhältnis insgesamt: Die Prämisse
der Anerkennung ist, daß das Selbstbewußtsein seinesgleichen braucht, um sich realisie-
ren zu können. Indem aber der Knecht unterworfen wird, ist er dem Fürsichsein des
Selbstbewußtseins nicht mehr das adäquate Objekt, sondern vielmehr unselbständig und
abhängig vom Herren. „Es ist dadurch ein einseitiges und ungleiches Anerkennen ent-
standen.“108 Um die im Begriff der Anerkennung unterstellte Symmetrie wieder herzu-
stellen, geht Hegel zur Betrachtung der Arbeit des Knechtes über.
Über dieses Argument Hegels hinaus liegt aber die Mangelhaftigkeit des Anerken-
nungsverhältnisses nicht nur auf der Seite des Knechtes, sondern ebenso auf der Seite
des Herren. Dem Herren ist nicht die Realisierung seines Selbstbewußtseins der Zweck
seines Tuns, sondern die Verfügung über das Mehrprodukt, denn der Zweck des Herren
ist nur in seinem Tun gegen den Knecht real, und dieses Tun ist die Ausübung seiner
ökonomischen Macht. Damit erkennt auch der Knecht nicht das Fürsichsein des Herren
an, sondern dessen ökonomische Stellung. Hegel will darauf hinaus, daß das Selbstbe-
wußtsein erstens das Herrschafts-Knechtschaftsverhältnis als Mittel seiner Realisierung
107
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 113.
108
Ebd.
Selbstbewußtsein und das Problem seiner Realisierung 173

selbst setzt und daß es zweitens diese Bewegung auch wieder aufhebt und darin zu sich
selbst zurückkehrt. Die Anerkennung des Herren durch den Knecht entspricht der ersten
Negation, die durch das Selbstbewußtsein gesetzt sein soll. Die Negation der Negation
liege dann in der Anerkennung der Knechte als diejenigen Individuen, die die Natur
praktisch beherrschen. Wenn aber der Zweck des herrschenden Bewußtseins nicht die
Realisierung des Selbstbewußtseins, sondern die Verfügung über das Mehrprodukt ist,
und wenn der Knecht gar nicht das adäquate Objekt der Realisierung des Selbstbewußt-
seins ist, weil er sich unterworfen hat, dann ist die Bewegung keine Bewegung des
Selbstbewußtseins, sondern ein technisch-praktisches Kalkül. Herrschaft ist eine histo-
risch reale Organisationsform der Reproduktion, die historische Bedingung der Ent-
wicklung des Selbstbewußtseins in fast allen einheimischen Bereichen des Geistes: der
Religion, der Kunst, der Philosophie, der Wissenschaft. Nur weil die Mehrheit der Men-
schen ein Mehrprodukt produziert hat und produziert, von dem ein kleinerer Teil wie
Forscher, Priester, Fürsten, Kaiser, Könige ökonomisch profitieren konnten, konnte es
auch einen wissenschaftlich-technischen, kulturellen und politischen Fortschritt geben.
Aber dadurch wird Herrschaft nicht vernünftig. Sie ist keine Setzung selbstbewußter,
sondern technisch-praktischer Zwecke und beruht auf der gewalttätigen Unterwerfung
von Menschen. Auch der Kampf auf Leben und Tod diente historisch nicht dem Zweck,
das Fürsichsein des Selbstbewußtseins zu realisieren, sondern war Ausdruck der Kon-
kurrenz um die knappen Lebensmittel. Gewalt ist etwas anderes als die Reflexion dar-
auf.
Die Emanzipation der Knechte kann sich nicht auf einen Einzelnen beziehen, sondern
muß ein kollektiver Akt sein – Anerkennung und Aufhebung der Knechtschaft insge-
samt, denn die Mechanismen der Herrschaft beziehen sich gerade darauf, das Individu-
um als Individuum zu instrumentalisieren, indem der Lebenswille zum Mittel der Be-
herrschung gemacht wird und die individuelle Arbeitskraft zum Mittel der Produktion
von Reichtum. Dagegen wird der Geist der Individuen durch die Herrschaft entfremdet:
Die Planung wie das Arbeitsprodukt gehören nicht den Unterworfenen, sondern denen
die herrschen. So ist der Genuß des Mehrproduktes die Erfahrung einer kleinen Elite,
denn erstens ist der Sieg des Herren auf seine individuelle Stärke und Geschicklichkeit
zurückzuführen, und um die Muße des Herren zu ermöglichen, ist es je nach Produktiv-
kraftniveau in größerem oder kleinerem Umfange nötig, daß er über das Mehrprodukt
Vieler verfügt. In der Herrschaft ist es exklusiv Wenigen möglich, ihr Selbstbewußtsein
auf Kosten der Unterwerfung Vieler zu realisieren, während die Vielen davon ausge-
schlossen sind. Damit ist der Begriff des Selbstbewußtseins hier aber nicht mehr Geist-
begriff, denn im Wir wird zwischen den selbstbewußten und den arbeitenden Individuen
unterschieden. Wenn der Knecht, der beherrscht wird, weil er leben will, in seiner Un-
terwerfung eine Erfahrung machen soll, an deren Ende die Anerkennung seines Selbst-
bewußtseins als allgemeines Vermögen steht, dann kann es sich nicht um die Erfahrung
eines Einzelnen handeln, sondern dann muß die Erfahrung kollektiv sein – von der Rea-
lisierung individueller Interessen hin zur Realisierung des Geistes. Deshalb wechselt
Hegel mit der Betrachtung der Erfahrung des Knechtes den Gegenstand von der Be-
174 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

trachtung der Individuen hin zur Betrachtung aller Individuen, die entweder Knechte
sind oder Herren: Herrschaft und Knechtschaft.109
Der Knecht ist sich seines selbstbewußten Vermögens noch nicht bewußt. In der
Furcht des Knechtes vor dem Tod und der Unterwerfung unter das Kommando des Her-
ren liegt die Antizipation des Todes, die Vorstellung des absoluten Flüssigwerdens alles
Bestehens.110 Die Antizipation setzt das Bewußtsein der eigenen Endlichkeit voraus,
aber dieses Bewußtsein ist für den Knecht bislang nicht zum Selbstzweck seines Han-
delns geworden. Statt dessen betrachtet er das Selbstbewußtsein des Herren als die ihn
beherrschende Macht. Auf der anderen Seite bleibt das Vermögen des Knechtes aber
auch nicht passiv, sondern realisiert sich durch seine Arbeit am Sein.
„Diß Moment des reinen Fürsichseyns ist auch fü r e s , denn im Herrn ist es ihm sein G e -
g e n s t a n d . Es ist ferner nicht nur diese allgemeine Auflösung ü b e r h a u p t , sondern im Die-
nen vollbringt es sie wi r k l i c h ; es hebt darin in allen e i n z e l n e n Momenten seine Anhäng-
lichkeit an natürliches Daseyn auf und arbeitet dasselbe hinweg.“111

Der Knecht realisiert seine technisch-praktischen Zwecke in der Natur, die er sich da-
durch aneignet. Angeeignete Natur ist nicht mehr fremd und furchteinflößend, sondern
wird beherrscht und dient als Lebensmittel. In seinen Arbeitsprodukten erkenne, Hegel
zufolge, der Knecht seine Macht über die Natur. Dadurch kommt er zum Bewußtsein
seiner Selbständigkeit gegen das Sein, aber auch gegen den Herren, der vom Produkt
der knechtischen Arbeit abhängig bleibt, weil er die Natur gerade nicht beherrscht, son-
dern nur den Knecht.
„Die Begierde hat sich das reine Negiren des Gegenstandes, und dadurch das unvermischte
Selbstgefühl vorbehalten. Diese Befriedigung ist aber deßwegen selbst nur ein Verschwinden,
denn es fehlt ihr die g e g e n s t ä n d l i c h e Seite oder das B e s t e h e n . Die Arbeit hingegen ist
g e h e m mt e Begierde, a u fg e h a l t e n e s Verschwinden, oder sie b i ld e t . Die negative Bezie-
hung auf den Gegenstand wird zu F o r m desselben und zu einem b l e i b e n d e n , weil eben dem
arbeitenden der Gegenstand Selbständigkeit hat. Diese n e g a t i v e Mitte oder das formirende
Th u n , ist zugleich die E i n z e l n h e i t oder das reine Fürsichseyn des Bewußtseyns, welches
nun in der Arbeit außer es in das Element des Bleibens tritt; das arbeitende Bewußtseyn kommt
also hiedurch zur Anschauung des selbständigen Seyns, a l s s e i n e r s e l b s t .“112
109
Eine Frage, die im Zusammenhang dieser Arbeit nicht näher erläutert wird, ist die nach den religi-
ösen Implikationen des Herrschafts-Knechtschafts-Kapitels und der darin anklingenden Sünden-
fallthematik.
110
Vgl. Hegel. Phänomenologie des Geistes, 114.
111
Ebd., 114.
112
Ebd. Ernst Michael Lange kritisiert das Argument der Anerkennung des Knechtes sprachanaly-
tisch. „Es dürfte deutlich geworden sein, worauf sich Hegels Identitätsthese über den Handlungs-
zweck stützt – auf den die sprachliche Formulierung des subjektiven und des zugehörigen objekti-
ven Zwecks betreffenden Umstand, daß die handlungscharakterisierende Komponente in beiden
Formulierungen dieselbe sprachliche Gestalt haben kann.“ Ernst Michael Lange. Das Prinzip Ar-
beit, 30. Ihm entgeht, daß die Realisierung eines Zwecks in einem Material reflexiv ist, daß das
Arbeitsprodukt ein ausgeführter Zweck ist, ohne einfach nur mit dem Zweck identisch zu sein.
Statt dessen faßt er das Zweckverhältnis eindimensional als Identitätsverhältnis, was auf der
sprachanalytischen Argumentationsebene, die von den Gegenständen und den Problemen im Ver-
hältnis von Begriff und Gegenstand abstrahiert, folgerichtig, aber unzureichend ist. Oder wie Lan-
ge selbst sagt: „Auch daß die zweite Negation ein positives Ergebnis hat und nicht einfach eine
aussagenlogische Operation rückgängig macht, ist vor dem Hintergrund des handlungstheoreti-
Selbstbewußtsein und das Problem seiner Realisierung 175

Die Erfahrung des Knechtes, gegenüber der Natur selbständig zu sein, ist zunächst eine
individuell beschränkte Erfahrung. Zwar vermag der einzelne Knecht ein über das Maß
des zu seiner eigenen Reproduktion hinaus nötiges Mehrprodukt produzieren, er vermag
auch planvoll zu handeln und aus seinen Fehlern zu lernen – aber eben nur innerhalb ge-
wisser zeitlicher und räumlicher Grenzen. Darüber, was der Knecht mit seiner Zeit anzu-
fangen hat, entscheidet aber der Herr und auch das Arbeitsprodukt gehört nicht dem
Knecht, sondern dem Herren. Es ist deshalb zu fragen, wer das Subjekt der Bildung sein
soll, die die Anerkennung des Knechtes durch den Arbeitsprozeß bestimmt.
Die Bildung durch Arbeit ist einerseits technisch und beruht auf Erfahrung. Anderer-
seits meint sie die Selbsterkenntnis des Knechtes, seinen realisierten Willen in den Ar-
beitsprodukten anzuschauen. Die Anerkennung ist Anerkennung durch Arbeit, weil der
Knecht, anders als der Herr die Natur praktisch beherrscht. Es ist aber nicht die Aner-
kennung eines freien Selbstbewußtseins, weil die Abhängigkeit des Knechtes auch einen
materiellen Grund hat: die Abhängigkeit vom Sein, über das der Herr die Macht hat. Der
Herr lebt in dem Selbstgefühl, reines Fürsichsein zu sein, aber dieses Selbstgefühl hat
keinen Inhalt, als die Verfügung über das Mehrprodukt des Knechtes.
Der Knecht hingegen soll seine Anerkennung durch seine Arbeit erhalten. Er erfahre
durch die Arbeit, daß er Macht über die Natur hat, aber solange er nicht über das Mehr-
produkt verfügen kann, bleibt seine Bildung dem Zweck des Herren unterworfen. Damit
schaut der Knecht nicht seinen Zweck in den Arbeitsprodukten an, sondern den des Her-
ren, so daß die technisch-praktische Bildung des Knechtes nicht mit der Bildung seines
Selbstbewußtseins notwendig einhergeht. Die Herrschaft weiß die technische Bildung
des Knechtes anzuwenden und das Arbeitsprodukt ist dem Knecht entfremdet. Damit
der Knecht sein Selbstbewußtsein realisieren kann, wäre deshalb nicht nur die Bildung
seines Bewußtseins nötig, sondern ebenso die materielle Überwindung seiner ökonomi-
schen Abhängigkeit.113
Diese ökonomische Abhängigkeit ist der Grund für die Entfremdung des Geistes. Dessen
Organisation und Produkt obliegt der Herrschaft, so daß die Überwindung dieses Zustandes
entscheidend von der Überwindung der ökonomischen Organisation abhängt. Das klingt ei-
nerseits in dem Wechsel der Betrachtung der persönlichen Abhängigkeit von Herr und
Knecht zur Betrachtung der Prinzipien von Herrschaft und Knechtschaft an, andererseits be-
trachtet Hegel diesen Übergang als einen Übergang in der Erfahrung, die durch die ökono-
mischen Bedingungen nicht gefährdet oder verhindert wird. Das Wissen um die Abhängig-
keitsverhältnisse und deren Kritik ist zwar Bedingung der Überwindung der Herrschaft.
Damit behält Hegel recht. Wenn aber der Grund der Abhängigkeit nicht allein das Bewußt-
sein ist, sondern darüber hinaus die ökonomischen Verhältnisse die Abhängigkeiten objekti-
vieren, dann reicht die Kritik des Bewußtseins nicht hin.
schen Beispiels nicht mehr ganz unverständlich und also auch nicht allein als logischer Nonsens
zu beurteilen.“ Ebd., 33. Leider hat diese Überlegung bei Lange keine weiteren Konsequenzen.
113
Optimistischer im Sinne Hegels bleibt hingegen Lim: „Das bedeutet nämlich, daß der Knecht der
eigentliche Sieger in diesem Kampf des Anerkennens ist, weil er nicht nur ein unmittelbares, ver-
trauliches Verhältnis zu dem Dinge hat, sondern auch es für eigene Zwecke zu verwenden und
auszuarbeiten imstande ist.“ Sin-Zok Lim. Der Begriff der Arbeit bei Hegel, 61.
176 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

Die Überwindung der ökonomischen Abhängigkeit könnte entweder dadurch erreicht


werden, daß der Knecht individuell den Kampf auf Leben und Tod aktualisiert – Immer-
hin hat auch der Knecht Macht über den Herren, weil dieser die Natur eben nicht be-
herrscht. Der Herr lebt vom Arbeitsprodukt des Knechtes. Oder es werden kollektiv die
Bedingungen geschaffen, die Herrschaft praktisch überflüssig machen, also die techni-
sche Entwicklung eines Produktivkraftniveaus, von dem alle gleichermaßen partizipie-
ren können. Aber ein solches Produktivkraftniveau ist historisch voraussetzungsvoll.
Die dazu nötige Wissenschaft ist selbst arbeitsintensiv und setzt daher nicht nur die Ak-
kumulation von Wissen voraus, sondern davor noch ein kollektiv erwirtschaftetes Mehr-
produkt, daß die Wissenschaftler vom Zwang zur unmittelbaren Reproduktion befreit.
Insofern ist Wissenschaft Luxus und setzt nicht nur voraus, daß alle Mitglieder einer Ge-
sellschaft leben können, sondern darüber hinaus noch Menschen, die sowohl vom
Zwang der Arbeit als auch vom Kommando darüber befreit sind. Die Bildung des
Knechtes impliziert deshalb Kooperation und Arbeitsteilung auf erweiterten Niveau
ebenso, wie die historisch-kritische Akkumulation von Wissen und Technik und der da-
mit verbundenen Produktivkraftsteigerung. Erst wenn die Technik die relative Freistel-
lung aller Menschen von der Arbeit ermöglicht, ist die historische Bedingung der relati-
ven Emanzipation vom Arbeitszwang geschaffen. Die Arbeit der Reproduktion und der
Bildung bedingen sich wechselseitig, sind aber innerhalb des Systems gesellschaftlicher
Arbeitsteilung unterschiedene Tätigkeiten, weil sie unterschiedliche Zwecke haben. Die
Vermittlung beider Zwecke wäre keine Aufgabe der Philosophie, sondern des politi-
schen Willens.
Hegel differenziert nicht zwischen technisch-praktischen und sittlichen Zwecken,
sondern bestimmt beide im Hinblick auf das absolute Wissen. Indem die technisch-prak-
tischen Zwecke erfüllt werden, wird der Plan der Vernunft erfüllt. Mit der Erfahrung,
daß in der Naturbeherrschung das knechtische Bewußtsein zu sich selbst finde, gehe zu-
gleich die Anerkennung und Emanzipation des Knechtes zumindest als praktische Aner-
kennung hervor.
„Es [das Fürsichsein, M. B.] wird also durch diß Wiederfinden seiner durch sich selbst e i g n e r
S i n n , gerade in der Arbeit, worin es nur fr e m d e r S i n n zu seyn schien. – Es sind zu dieser
Reflexion die beyden Momente, der Furcht und des Dienstes überhaupt, so wie des Bildens
nothwendig, und zugleich beyde auf eine allgemeine Weise.“114

Die Anerkennung der Knechte ist an ihre Arbeit und ihre praktischen Fähigkeiten und
Erfahrungen gebunden. Aber Hegel begreift diese Anerkennung nur als Moment, denn
den Knechten ist noch nicht zu Bewußtsein gekommen, daß sie Anspruch auf die Aner-
kennung ihrer praktischen Freiheit haben. Das Bewußtsein ihrer Freiheit ist jenseits ih-
rer Lebensbedingungen angesiedelt.115 Genuß und körperliche Arbeit bleiben zweierlei.
114
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 115.
115
Georg W. Bertram interessiert sich für die Frage, inwieweit in der Phänomenologie des Geistes
Konzepte der Intersubjektivität ausgeführt werden. Nachdem er den Anerkennungsbegriff in
Herrschaft-Knechtschaft kommentiert hat, kommt er zu dem Ergebnis, daß Anerkennung hier
mißlingt und nur als „Darstellung zur reinen Dialektik der Anerkennung“ verstanden werden kön-
ne, die „in sehr abstrakter Form weit vorausgreift“ (Georg W. Bertram. „Hegel und die Frage der
Selbstbewußtsein und das Problem seiner Realisierung 177

Erst mit den Gestalten des Stoizismus, des Skeptizismus und des unglücklichen Bewußt-
seins wird der noch abstrakte Gedanke der Freiheit mit den materiellen Bedingungen
vermittelt.
„Diß Bewußtseyn ist somit negativ gegen das Verhältniß der Herrschafft und Knechtschafft;
sein Thun ist, in der Herrschafft nicht seine Wahrheit an dem Knechte zu haben, noch als
Knecht seine Wahrheit an dem Willen des Herrn und an seinem Dienen, sondern wie auf dem
Throne so in den Fesseln, in aller Abhängigkeit seines einzelnen Daseyns frey zu seyn, und die
Leblosigkeit sich zu erhalten, welche sich beständig aus der Bewegung des Daseyns, aus dem
Wirken wie aus dem Leiden, i n d i e e i n fa c h e We s e n h e i t d e s G e d a n k e n s z u r ü c k -
z i e h t . Der Eigensinn ist die Freyheit, die an eine Einzelnheit sich befestigt und i n n e r h a l b
der Knechtschafft steht, der Stoicismus aber die Freyheit, welche unmittelbar immer aus ihr
her, und in d i e r e i n e Al l ge m e i n h e i t des Gedankens zurückkömmt; als allgemeine Form
des Weltgeistes nur in der Zeit einer allgemeinen Furcht und Knechtschafft, aber auch einer all-
gemeinen Bildung auftreten konnte, welche das Bilden bis zum Denken gesteigert hatte.“116

Aus der Vermittlung des unglücklichen Bewußtseins geht die Vernunft hervor als der
Gewißheit „alle Realität zu seyn“117.

Intersubjektivität. Die Phänomenologie des Geistes als Explikation der sozialen Strukturen der
Rationalität.“ Hrsg. v. Andrea Esser u. a. Deutsche Zeitschrift für Philosophie 56, Nr. 6 (2008),
882). Sowenig Hegel beansprucht, den Begriff der Anerkennung auf dieser Stufe der Argumentati-
on bereits vollständig dargestellt zu haben, sowenig ist dieser Begriff andererseits abstrakt. Hegel
stellt vielmehr dar, daß Herrschaft eine das Anerkennungsverhältnis konstituierende, geschichtli-
che wie gesellschaftliche Voraussetzung ist. Intersubjektivitäts- und Anerkennungstheorien wären
vor dem Hintergrund dieses Arguments der Phänomenologie zu hinterfragen. Klassisch zur Inter-
subjektivitäts- und Anerkennungsdebatte sind: Ludwig Siep. Anerkennung als Prinzip der prakti-
schen Philosophie: Unters. zu Hegels Jenaer Philosophie d. Geistes. Freiburg [u. a.] 1979. Axel
Honneth. Kampf um Anerkennung. Frankfurt a. M., 2003. Eine Zusammenfassung des aktuellen
Standes der Debatten geben: Hans-Christoph Schmidt am Busch u. Christopher Zurn (Hg.). Aner-
kennung. Berlin, 2009. Während die Überlegung, daß der Anerkennungsbegriff seine Vollendung
erst in einer sittlichen Gesellschaft erfährt, im Zusammenhang dieser Arbeit zu einem Sprung in
die Grundlinien der Philosophie des Rechts führt, zeichnet Christian Iber die Entwicklung des An-
erkennungsbegriffs in seinem Aufsatz Selbstbewußtsein und Anerkennung innerhalb der Phäno-
menologie nach. „Der Kampf der moralischen Bewußtseine führt zu einer Anerkennung der sich
gleichermaßen als schuldig bekennenden Subjekte, die die Anerkennungstheorie der Phänomeno-
logie zum Abschluß bringt. Sie besteht in der Einsicht in die Unterschiedlichkeit der moralischen
Subjekte gegeneinander und vollzieht sich als wechselseitiger Verzicht auf die Absolutsetzung des
eigenen moralischen Standpunkts. In der ‚Verzeihung‘ verzichten die moralischen Subjekte dar-
auf, die anderen in ihrer Einzelheit nur an dem eigenen für allgemeingültig ausgegebenen morali-
schen Maßstab zu messen und anerkennen sich in ihrer unverwechselbaren moralischen Individua-
lität, wodurch es zur Versöhnung von individuellem Gewissen und allgemeinem moralischem Be-
wußtsein kommt.“ Christian Iber. „Selbstbewußtsein und Anerkennung in Hegels Phänomenologie
des Geistes.“ In Hegels „Phänomenologie des Geistes“ heute, hrsg. v. Andreas Arndt und Ernst
Müller. Berlin, 2004, 116.
116
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 117 f. Vgl. auch Lim: „Aber was wir dabei vor allen Dingen
beachten müssen, ist die Bedeutung des arbeitenden, in sich zerrissenen und sich selbst aufopfern-
den Knechts als des Antithetischen in der großen Harmonie der Wahrheit.“ Sin-Zok Lim. Der Be-
griff der Arbeit bei Hegel, 98.
117
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 131. Pöggeler sieht diese Bestimmung im Zusammenhang
mit der christlich geprägten Geistesgeschichte: „Das allgemeine Selbst ist, als Versöhnung zwi-
schen Gott und Mensch, das unglückliche, christliche Bewußtsein, das von seinem Unglück läßt.
Der Titel Vernunft ist ein Grundbegriff Kants, Wenn Hegel die Vernunft als Wahrheit des allge-
meinen Selbstbewußtseins setzt, dann setzt er den deutschen Idealismus, gemäß dessen Selbstver-
ständnis als Wahrheit des christlichen Glaubens.“ Otto Pöggeler. Hegels Idee einer Phänomenolo-
gie des Geistes, 217 f.
178 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

Aber dieser Begriff des Selbstbewußtseins, dessen Freiheit sich über Herrschaft ver-
mittelt realisieren soll, widerspricht sich zugleich in einer Weise, die philosophisch nicht
vermittelbar ist. Durch Herrschaft wird die Freiheit als Gattungsvermögen nicht nur
nicht realisiert, sondern verhindert – Mittel und Zweck werden gegeneinander verkehrt,
so daß das technisch-praktische Kalkül die Priorität vor der Realisierung des Selbstbe-
wußtsein erlangt. Daß aus der Herrschaft resultierende Bewußtsein der Freiheit steht da-
mit zugleich im Widerspruch gegen seine Wirklichkeit, ist kein Gegenstand der herr-
schaftlichen Erfahrung. Freiheit ist ein Abstraktum, dessen einzige Bestimmung es ist,
gegen den Zwang zur Reproduktion bestimmt zu sein. Darin hat die Gegenstandslosig-
keit des kategorischen Imperativs bei Kant ihren geschichtlichen Grund.118

3.3 Resultate. Die unglücklichen Selbstbewußtseine


In den ersten Kapiteln der Phänomenologie ist das Subjekt der Selbstbestimmung das
Selbstbewußtsein, weil es als terminus ad quo und terminus ad quem den Erfahrungen
des Bewußtseins unterstellt ist. Die Bestimmung des Begriffs des Selbstbewußtseins, die
Hegel vorgenommen hat, war vielschichtig: Als Ziel formulierte Hegel, den Begriff des
unmittelbaren Wissens in den Begriff des absolut vermittelten Wissens zu überführen.
Das Subjekt dieser Entwicklung ist das Selbstbewußtsein, das damit dem Weg des Wis-
sens logisch vorausgesetzt ist, und sich zunächst in den drei Bewußtseinskapiteln die
Aufgabe seiner Selbsterkenntnis stellt. Dieses Selbstbewußtsein ist ein historisch avan-
ciertes Selbstbewußtsein, denn den Begriff, die logische Voraussetzung seiner Selbster-
kenntnis zu sein, hat es erst spät innerhalb seiner geistesgeschichtlichen Entwicklung.
Hegel selbst beruft sich in der Phänomenologie auf das Wissen seit der Antike. Auch der
Subjektbegriff ist ein Begriff der Moderne. Hegel muß das Selbstbewußtsein deshalb ei-
nerseits logisch begründen als dasjenige Vermögen, welches sich in der Phänomenolo-
gie mit den Gestalten seines Wissens auseinandersetzt, um absolutes Wissen werden zu
können. Andererseits ist dieser logisch begründete Begriff des Selbstbewußtseins als
Voraussetzung jeder phänomenologischen Erfahrung selbst ein geschichtliches Resultat.
Hegel will das Verhältnis des Selbstbewußtseins als logischer Voraussetzung und als
geschichtlich tingiertem Resultat vermitteln, indem er vom Standpunkt des geistesge-
schichtlichen Wissens seiner Zeit zunächst das Vermögen des Selbstbewußtseins als lo-
gische Voraussetzung konstruiert. Das geschieht in den Bewußtseinskapiteln einschließ-
lich Kraft und Verstand. Dieses Vermögen arbeitet sich dann an den geistesgeschichtlich
vorgefundenen Gestalten des Wissens ab, mit dem Ziel, diese mit dem Begriff des
118
Dean Moyar teilt das Argument Hegels, daß die Entfremdung praktisch aufgehoben werde: „The
benefit of Hegel’s peculiar dialectical mode of argumentation, in which he builds up an account of
action by depicting a process of overcoming alienation, is that he achieves a normative trans-
parency that grounded in practice an is thus justified within u. for the agent perspective.“ Dean
Moyar. „Self-completing alienation: hegels’s argument for transparent conditions of free agency.“
In Hegel’s Phenomenology of Spirit. A Critical Guide, hrsg. v. Dean Moyar u. Michael Quante.
Cambridge, 2008, 150.
Resultate. Die unglücklichen Selbstbewußtseine 179

Selbstbewußtseins, das dann späterhin Vernunft, Geist, absolutes Wissen wird, zu ver-
mitteln.119
Hegels Begründung für diese Konstruktion liegt die Überlegung zugrunde, daß das
erkennende Vermögen in der Auseinandersetzung mit seinem Wissen ebenso sich er-
kennt, wie es die Gestalten des Wissens erkennt und weiter entwickelt. In Kraft und Ver-
stand findet diese Auseinandersetzung auf der einen Seite zwischen dem Verstand und
seinen Kategorien wie Ursache, Wirkung, Gesetz, Kraft statt; auf der anderen Seite fin-
det sie zwischen dem Verstand und derjenigen Erfahrung statt, die durch diese Kategori-
en konstituiert wird: an der naturwissenschaftlichen Erfahrung. Hegel arbeitet mit den
Gestalten des Bewußtseins auf einen Begriff des Selbstbewußtseins hin, dem das Wahre
nicht mehr etwas anderes ist, als es selbst, sondern ihm gleich. Das Selbstbewußtsein ist
das Bewußtsein eines Unterschiedes, der keiner ist.
Indem Hegel an den Gestalten des Wissens stark macht, daß sie als Stadien der
Selbstbestimmung des Selbstbewußtseins überhaupt erst ihre Bestimmung erfahren,
kann er sie als Momente des Wissens im Selbstbewußtsein aufheben. Das Selbstbewußt-
sein vermag sich kraft seines Vermögens zur Negation der Negation schließlich als die
Einheit der aufgehobenen Verstandesbestimmungen, wie der naturwissenschaftlichen
Erfahrung, bestimmen, d. h. es bestimmt sich im Bewußtsein seiner Nichtidentität mit
den Gestalten des Wissens als deren Einheit, als Unterschied, der keiner ist. Das Wissen
dieses Selbstbewußtseins ist potentiell absolutes Wissen, da es nur sich von sich unter-
scheidet. Auch verleiht ihm das Wissen, welches es in sich aufgenommen hat, also das
Wissen von der Wahrheit der sinnlichen Gewißheit, der Wahrnehmung und der Konsti-
tution objektiver Naturerfahrung den Status eines objektiven Vermögens, das der gei-
stesgeschichtlichen Erfahrung in der Zeit logisch vorausgesetzt ist. Diese Potenz, abso-
lutes Wissen zu sein, ist im weiteren Verlauf der Phänomenologie zu aktualisieren,
indem sich das Selbstbewußtsein ebenso an den geistesgeschichtlich vorzufindenden
Gestalten abarbeitet. Seine adäquate Gestalt hat dieser Begriff des Selbstbewußtseins
dann nicht weiter überraschend in den selbstbewußten Individuen, die ein Bewußtsein
davon haben, daß ihr intellektuelles Vermögen in einem Körper individualisiert ist.
Die historisch-kritische Darstellung naturwissenschaftlicher Theoriebildung hatte hin-
gegen eine andere Tendenz aufgezeigt: im historisch-kritischen Prozeß bildet sich nicht
das Bewußtsein der Identität der Unterscheide heraus, sondern das der Nichtidentität.
Der Gegenstandsbereich naturwissenschaftlicher Theoriebildung ist vom Gegenstands-
bereich des Selbstbewußtseins spezifisch unterschieden. In der Beziehung von Kritik
und Lösung naturwissenschaftlicher Probleme bildet sich das Bewußtsein der Eigen-
ständigkeit der naturwissenschaftlichen Erfahrung gegen das Selbstbewußtsein heraus –
und nicht umgekehrt, wie Hegel behauptet hatte.
Das Selbstbewußtsein der Phänomenologie des Geistes ist nicht das geistesgeschicht-
liche Selbstbewußtsein, sondern eine philosophische Konstruktion, die deshalb eine an-
119
Zum Problem der Zeitlichkeit des Denkens vergleiche auch: Volker Rühle. „Denken der Zeit und
Zeitlichkeit des Denkens. Zur Genese spekulativer Erkenntnis in Hegels Phänomenologie des Gei-
stes.“ Hrsg. v. Andrea Esser u. a. Dtsch.e Zeitschrift für Philosophie 57, Nr. 4 (2009), 551–570.
180 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

dere Gestalt hat als das historisch-kritische, weil es einem anderen Zweck folgt: Es be-
absichtigt nicht die Erkenntnis der Natur im einzelwissenschaftlichen Sinne, sondern die
Erkenntnis des absoluten Wissens. Gerade in dieser Abhängigkeit vom terminus ad
quem der Phänomenologie erscheint das Vermögen des Selbstbewußtseins dann gegen
die Intention Hegels, der die Geschichtlichkeit aus dem Begriff dieses Vermögens setzen
will, als selbst geschichtlich tingierter Begriff. Das Ziel, den Begriff des Selbstbewußt-
seins als einen Begriff zu bestimmen, der seine geschichtliche Bedingtheit überwindet,
ist eine Vorstellung, die aus der Kritik geistesgeschichtlich vorgefundener Probleme re-
sultiert. Mittel zur Lösung der Aporien ist ein Selbstbewußtsein, das sich in der Reflexi-
on auf seine geschichtliche Bedingtheit absolut setzt.
Dieses Resultat der Kritik am Begriff des Selbstbewußtseins Hegels ist für die Kritik
an der Vorstellung, daß Herrschaft ein notwendiges und damit letztlich vernünftiges
Durchgangsmoment zu einem selbstbestimmten Zustand sei, vorausgesetzt, denn dieses
vor dem Hintergrund seiner Geschichtlichkeit reflektierte Selbstbewußtsein ist der abso-
lute Grund des Kampfes auf Leben und Tod wie der herrschaftlichen Anerkennung. Weil
der Grund vernünftig ist, sind es auch der Kampf auf Leben und Tod und die herrschaft-
liche Unterwerfung. Mit dem Begriff des Selbstbewußtseins, für das die Unterschiede
keine sind, steht und fällt also das Argument Hegels. Aber vorerst soll nocheinmal zum
Gedankengang Hegels zurückgegangen werden, zum Anerkennungsverhältnis selbst.
Das Selbstbewußtsein weiß sich als lebendiges Individuum und Gattungsvermögen,
das sich als Selbstbewußtsein nur realisieren kann, wenn es durch ein anderes Selbstbe-
wußtsein anerkannt wird und diese Anerkennung seine Reproduktion als lebendiges In-
dividuum beinhaltet. Aber die Reproduktion ist nicht Zweck, sondern Mittel der Aner-
kennung. Zweck ist die Realisierung eines Selbstbewußtseins, das sich als absoluter
Grund seiner Realisierung weiß und dieses Wissen im Herrschaftsverhältnis praktizieren
will. Der Knecht erkenne den Herrscherwillen als dasjenige Selbstbewußtsein an, das
sich diese Realität verschaffen konnte, während der Knecht seinerseits durch die Natur-
bearbeitung die Erfahrung der Realisierung seines Selbstbewußtseins mache.
Wenn aber unter Rückgriff auf das Ergebnis der Kritik am Begriff von Kraft und Ver-
stand das Selbstbewußtsein sich nicht im Bewußtsein seiner Geschichtlichkeit, wie Hegel
meint, absolut setzt, sondern umgekehrt das Selbstbewußtsein Hegels selbst ein geschicht-
lich bedingter Begriff ist, dann ist das Selbstbewußtsein, welches in das Herrschaftsverhält-
nis eintritt, ebenfalls geschichtlich bestimmt. Dann ist die Darstellung Hegels, daß das
Selbstbewußtsein als Resultat der Bewußtseinskapitel die logische Voraussetzung für seine
Realisierung im herrschaftlichen Anerkennungsverhältnis ist, ebenso umgekehrt zu denken:
Herrschaft ist eine Entstehungsbedingung des Begriffs des Selbstbewußtseins und seiner Ge-
halte, seiner Kategorien und seiner Erfahrung in den Bewußtseinskapiteln. Weil Hegel aber
die Wechselseitigkeit des Bedingungsverhältnisses für die Erfahrung des Selbstbewußtseins
der Phänomenologie nicht als konstitutiv erachtet, erscheint bei ihm das geschichtliche Ver-
hältnis nicht mehr als geschichtliches Verhältnis, sondern als Wissen des Geistes. Damit er-
weisen sich auch die im Herrschaftsverhältnis agierenden Selbstbewußtseine der Phänome-
nologie, wie zuvor schon die Selbstbestimmung des Begriffs in der Wissenschaft der Logik,
Resultate. Die unglücklichen Selbstbewußtseine 181

als eine teleologische Konstruktion Hegels, die mit den geschichtlichen Zwecken nicht über-
einstimmt. Das Selbstbewußtsein Hegels ist nicht einmal der Möglichkeit nach ein Gegen-
stand geschichtlicher Erfahrung, weil es als Totalitätsbegriff gebildet ist, der als solcher in
der empirischen Welt kein Korrelat hat. Umgekehrt bleibt auch das Erwachen des knechti-
schen Selbstbewußtseins an die Bedingung der Herrschaft gebunden, weil sich die Fähigkeit
zur Naturbeherrschung erstens unter den Bedingungen der Herrschaft entwickelt und zwei-
tens das Arbeitsprodukt nicht dem Knecht, sondern dem Herren gehört. Als Grund der Na-
turbeherrschung erscheint hier nicht das knechtische Selbstbewußtsein, sondern das des
Herrschers. Wenn aber die Realisierung des von Hegel bestimmten Selbstbewußtseins ge-
schichtlich nicht der Zweck des Herrschaftsverhältnisses ist, weil es kein Gegenstand ge-
schichtlicher Erfahrung ist, dann war Herrschaft niemals vernünftig.Vom Standpunkt der
Kritik dieses Arguments ist aber die Konstruktion auf den Kopf zu stellen: Der Begriff des
Selbstbewußtseins ist mit dem Vermögen nicht identisch. Die Kraft des Verstandes ist etwas
anderes als die Kraft der Natur – diese Gesetz des Denkens, jene Gesetz objektiv konstituier-
ter Naturerfahrung. D. h. daß der Begriff des Selbstbewußtseins, den Hegel dargestellt hat,
nicht mit den Selbstbewußtseinen, die historisch agieren, identisch ist – und diese Nichtiden-
tität ist nicht einmal durch die Reflexion auf die Nichtidentität aufzuheben. Das Vermögen
ist nur als individuiertes real, der Begriff beansprucht dagegen absolute Geltung. Die selbst-
bewußten Individuen finden im geschichtlichen Prozeß zu sich selbst, indem sie die Welt,
die sie vorfinden, interpretieren und gestalten, um dann durch Hegel einen Begriff des
Selbstbewußtseins zu erlangen, der den geschichtlichen Prozeß aufhebt, indem das Selbstbe-
wußtsein zu dessen Bestimmungsgrund wird. Es setzt das Wissen von seinen Existenzbedin-
gungen, aber es ist nicht der Grund dieser Existenzbedingungen. Weder setzt es das Leben
als Unterschied innerhalb seiner, denn es ist ein vorgefundenes, biologisches Faktum, noch
ist es Grund des Kampfes auf Leben und Tod oder der materiellen Abhängigkeit des Knech-
tes vom Herren. Diese Erscheinungen sind Ausdruck der Konkurrenz um die Lebens- und
Produktionsmittel. Das bedeutet, daß die ökonomischen Bedingungen kultureller Entwick-
lung nicht Selbstzweck sind.
Die Vermittlung des Selbstbewußtseins mit seinen Existenzbedingungen ist Vermitt-
lung durch Reproduktionsarbeit. Aber anders als von Hegel dargestellt, ist sie unter Be-
dingungen der Herrschaft nicht selbstbestimmt, sondern entfremdet, weil die Produkte,
in denen der Knecht sich erkennen soll, nicht seine sind. Er realisiert den Zweck seines
Herren, und seinen eigenen nur, weil er sich dessen Kommando unterordnen muß, um
leben zu können. Darin erfährt aber der Knecht gerade, nicht frei zu sein. Die Erfahrung,
Natur zu beherrschen, ist zwar Ausdruck zweckgerichteter Tätigkeit, aber in einer Wei-
se, die im Sinne der Herrschaft noch instrumentalisiert wird. Diese Einsicht stellt die ei-
gentliche historische Bedingung der Phänomenologie dar. Sie ist also keine Setzung des
Selbstbewußtseins und aus diesem Grunde gibt es auch keinen systematischen Übergang
von den Existenzbedingungen zur Freiheit. Die von Hegel behauptete Einheit des
Selbstbewußtseins, das die Identität von Identität und Unterschied und das Bewußtsein,
alle Realität zu sein, ist, gibt es historisch nicht. Sie bleibt Aufgabe. Der Übergang wäre
geschichtliche, nicht philosophische Arbeit.
182 Selbstbestimmung und Herrschaft in der Phänomenologie

Entsprechend anders stellt sich aus geschichtlicher Perspektive die Entwicklung des
Selbstbewußtseins dar: Das die Individuen treibende Motiv war nicht die Realisierung
ihres Selbstbewußtseins, sondern das Bewußtsein ihrer Endlichkeit. Der Kampf auf Le-
ben und Tod und die herrschaftliche Organisation haben ihren Grund nicht in dem unbe-
wußten Bedürfnis, die selbstbewußten Individuen als Selbstbewußtsein darzustellen,
sondern in der Konkurrenz um die knappen Lebens- und Produktionsmittel.120 In der
menschlichen Arbeitskraft steckt nur insofern eine emanzipierende Potenz, als sie ein
akkumulierbares Mehrprodukt hervorzubringen vermag. Geschichtlich betrachtet war
allerdings dies Mehrprodukt bis auf wenige Ausnahmen immer auch das Objekt der
herrschaftlichen Begierde und damit das treibende Motiv, innerhalb der Gattung der
Selbstbewußten den Unterschied zwischen Herren und Knechten zur Grundlage der
Ökonomien zu machen. Die Bedingung der Möglichkeit der Emanzipation wäre ein ge-
schichtlich gewordenes Produktivkraftniveau, das die Verkürzung der Arbeitszeit aller
Menschen ermöglicht. „Zart wäre einzig das Gröbste: daß keiner mehr Hungern soll.“121
Hegel muß den Begriff des Selbstbewußtseins als Ursprung und Ziel der phänomeno-
logischen Entwicklung konstruieren, weil die Bewegung dem Identitätsanspruch des
Denkens andernfalls nicht genügte. Historisch sind aber der Kampf und die Herrschaft
technisch-praktisches Kalkül. D. h. aber umgekehrt, daß es das telos der Realisierung des
Selbstbewußtseins als transzendentaler Instanz, wie dem Weltgeist Hegels, zwar als phi-
losophischen Begriff, nicht aber geschichtlich gegeben hat. Die Realisierung des Selbst-
bewußtseins kann sich nur jedes Individuum selbst zum Ziel seiner Handlungen erklä-
ren. Geschichte hat kein Endziel. Umgekehrt ist das telos vom Endziel der Geschichte
nicht unabhängig von dem geschichtlichen Moment zu denken, in dem es formuliert
wird. Die Freiheit des Selbstbewußtseins und die Realisierung seiner Zwecke sind nicht
absolut, sondern bleiben historisch wie technisch bedingt. Was jenseits der historisch
realisierten Gestalt des Selbstbewußtseins bleibt, ist der negative Schluß auf die Bedin-
gungen der Möglichkeit von Freiheit und die Kritik derjenigen Umstände, die der Reali-
sierung der Freiheit im Wege stehen. Was Selbstbewußtsein ist, ist deshalb allein mit
philosophischen Begriffen gar nicht darstellbar, während aber umgekehrt der philoso-
phische Begriff des Selbstbewußtseins Maßstab der Kritik der geschichtlichen Verhält-
nisse bleibt.

120
Ohne die Differenz zwischen technisch-praktischen Zwecken und Zwecken des Selbstbewußtseins
muß das Resultat Hegels als existentielles, die Natur des Menschen insgesamt betreffendes
Schicksal erscheinen, das nur durch die Negation der Existenz überhaupt bewältigt werden kann:
„Der Mensch, welcher nicht die Furcht des Todes empfunden hat, weiß nicht, daß die natürliche
Welt ihm feindlich ist, daß sie darauf ausgeht, ihn zu töten und wesenhaft außerstande ist, ihn
wirklich zu befriedigen. Dieser Mensch bleibt also im Grunde mit der daseienden Welt solidarisch.
Er wird höchstens versuchen, sie zu ‚reformieren‘, daß heißt einige Details zu ändern, partielle
Umwandlungen durchzuführen, ohne ihre wesentlichen Züge zu modifizieren. […] Nicht die Re-
form, sondern lediglich die ‚dialektische‘ oder revolutionäre Aufhebung der Welt kann ihn daher
befreien und – folglich – befriedigen.“ Alexandre Kojève. „Kommentar zur Phänomenologie des
Geistes.“ 124. Die hier gemeinte Revolution bezöge sich also nicht auf die gesellschaftlichen Be-
dingungen, sondern auf die Existenz überhaupt.
121
Theodor W. Adorno. Minima Moralia, 178.
Resultate. Die unglücklichen Selbstbewußtseine 183

Das Zusammenspielen des Begriffs des Selbstbewußtseins mit dem historischen Pro-
zeß seiner Bildung läuft bei Hegel auf eine Apologie der Herrschaft hinaus. Der apolo-
getische Charakter wird besonders dort deutlich, wo Hegel die in das Herr-
schafts-Knechtschafts-Verhältnis eingegangene Gewalt als notwendige Bedingung der
bürgerlichen Gesellschaft bestimmt, ohne daß die Gewalt aber der Bestimmungsgrund
der bürgerlichen Gesellschaft sei:
„Der Kampf des Anerkennens und die Unterwerfung unter einen Herrn ist die Erscheinung, aus
welcher das Zusammenleben der Menschen, als ein Beginnen der Staaten, hervorgegangen ist.
Die Gewalt, welche in dieser Erscheinung Grund ist, ist darum nicht Grund des Rechts, ob-
gleich das notwendige und berechtigte Moment im Übergange des Zustandes des in die Begier-
de und Einzelheit versenkten Selbstbewußtseins in den Zustand des allgemeinen Selbstbewußt-
seins. Es ist der äußerliche oder erscheinende Anfang der Staaten, nicht ihr substantielles
Prinzip.“122

Hegel stellt das Verhältnis der Selbstbestimmung des Begriffs in der Wissenschaft der
Logik zur Selbstbestimmung des Selbstbewußtseins in der Phänomenologie als ein auf-
zuhebendes Bedingungsverhältnis dar: Das entwickelte Wissen des Selbstbewußtseins
ist die Vermittlung des Anfangs der Logik. Eine Bedingung für das Gelingen dieses Pro-
gramms ist die Apologie der Herrschaft in der Phänomenologie, eine andere die Negati-
on des Individuums in der Logik. Dies ist der Preis für einen absoluten Freiheitsbegriff.
Wenn aber die Realisierung des Selbstbewußtseins Bedingungen hat, die über die Refle-
xion der Bedingtheit hinaus ein historisch-praktisches Korrelat haben, dann ist der phi-
losophische Begriff der Selbstbestimmung selbst nur ein Ideal, dessen Realisierung des
Willens zur gesellschaftlichen Organisation bedarf. Der vernünftige Wille als Bestim-
mungsgrund gesellschaftlicher Verhältnisse ist das Subjekt der Rechtsphilosophie.

122
Hegel. Werke Bd. 10 (Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse III).
Frankfurt a. M., 1995, § 433, Zusatz (im folgenden Enzyklopädie III). Die affirmative Tendenz der
Herr-Knecht-Thematik wird bis heute aktualisiert, wenn z. B. Harald Bluhm in seinem Aufsatz
Herr und Knecht – Transformationen einer Denkfigur die Rezeption des Herrschafts-Knecht-
schaftskapitels bis in die Gegenwart rekapituliert und zu dem Schluß kommt, daß „ein sozialhisto-
rischer Begriff des Herrn und mit ihm ein strikter Begriff von Herrschaft angesichts polyzentri-
scher Machtstrukturen und neuer sozialer Figuren“ für obsolet zu erklären sind. Zwar hat Herr-
schaft in der Moderne andere, unpersönliche Erscheinungsformen, dennoch bleibt das Grundprin-
zip der Verfügung über die Existenzbedingungen von Menschen wirksam. Harald Bluhm. „Herr
und Knecht – Transformationen einer Denkfigur. Eine Skizze.“ In Hegels „Phänomenologie des
Geistes“ heute, hrsg. v. Andreas Arndt und Ernst Müller. Berlin, 2004, 62.
4 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit
in den Grundlinien

In der Wissenschaft der Logik hatte Hegel Selbstbestimmung als Selbstbestimmung des Be-
griffs bestimmt, die sich unabhängig von den Existenz- und Reflexionsbedingungen des
Selbstbewußtseins ihr eigener Gegenstand, also absolut reflexiv ist. Das Prinzip der Realisie-
rung dieser Selbstbestimmung ist die „Identität der theoretischen und der praktischen [Idee,
M. B.]“1, aber diese Idee war als überindividuelle nur jenseits moralischer Praxis denkbar ge-
wesen. Gegen die Abgeschlossenheit des reinen Begriffs der Selbstbestimmung hatte sich das
Selbstbewußtsein in der Phänomenologie des Geistes als Bestimmungsgrund des erscheinen-
den Wissens zu erweisen versucht, aber die Kritik an Hegels Begriff des Selbstbewußtseins
hatte ergeben, daß es in der Auseinandersetzung mit anderen Selbstbewußtseinen nicht seine
Anerkennung erlangte, sondern seine Existenz- und Reproduktionsbedingungen reproduzierte
und mit ihnen die Herrschaft als den Grund des Scheiterns der Anerkennung. In der Kritik des
Begriffs des Selbstbewußtseins erscheint der Grund dieses Scheiterns: Die für das Anerken-
nungsverhältnis konstitutive Gewalt ist nicht eine Setzung des Selbstbewußtseins, sondern sie
verhindert vielmehr seine Realisierung. Daß bedeutet auch, daß Selbstbewußtsein historisch
zwar sporadisch, aber nicht im vollen Umfang seines Begriffs realisiert ist. Für den hermeti-
schen Status der Selbstbestimmung des Begriffs aus der Logik erscheint somit auch ein anderer
Grund: Sie verschließt sich nicht nur deshalb gegen ihre gegenständlichen Bedingungen, weil
sie sich als absolut reflexiv erweisen will, sondern weil ihr kein Gegenstand in der historischen
Erfahrung entspricht. Die Realisierung der Idee guten Handelns, als der Idee der Verknüpfung
wissenschaftlicher Erkenntnis mit der Praxis, ist weiterhin historische Aufgabe, nicht, wie He-
gel meint, historisches Resultat.
Die Naturbearbeitung erhält im Herrschaftsverhältnis eine emanzipierende Funktion: Wäh-
rend die Anerkennung des Knechtes innerhalb des Herrschaftsverhältnisses mißlingt, gelange
er Hegel zufolge durch die Objektivierung seiner Zwecke zum Bewußtsein seiner selbst. Das
knechtische Bewußtsein ist zwar noch kein befreites Bewußtsein, aber eines, das sich aus dem
Bewußtsein, seine Freiheit realisieren zu können, geschichtlich und politisch befreit. Dieser
tendenziell emphatische Herrschaftsbegriff beruht auf der Grundannahme, daß Herr und
Knecht denselben Zweck der Anerkennung ihres Selbstbewußtseins haben, so daß der Knecht
seine Zwecke zwar nicht selbst setzt, aber indem der Herr quasi stellvertretend für beide das
1
Hegel. Lehre vom Begriff, 236.
Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien 185

Kommando über die Arbeit und damit die Bedingungen der Realisierung des Selbstbewußt-
seins führt, liege in den Arbeitsprodukten, die Ausdruck der Anerkennung des Herren sind, zu-
gleich die Verwirklichung der Anerkennung des Knechtes. Weil der Wille des Herren vernünf-
tig ist und sich vermittelt über den Willen des Knechtes realisiert, damit also der Wille des
Knechtes ebenso vernünftig ist, resultiere aus seiner Arbeit seine Emanzipation. Der vernünftig
bestimmte Wille ist so das tertium comparationis der Zwecke des Herren und des Knechtes.
Aber eben diese Identität der Zwecke des Herren und des Knechtes hatte sich in der Kritik an
Hegels Konstruktion als problematisch erwiesen, denn der Herr will die Verfügung über das
Mehrprodukt und will deshalb auch die Herrschaft, während der Knecht ebensowenig der Reali-
sierung seines Selbstbewußtseins nachgeht, sondern den Zweck des Herren ausführt, um darüber
vermittelt seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Die Naturbearbeitung innerhalb des Herrschafts-
verhältnisses ist deshalb nicht Moment der Selbstbestimmung, sondern der Fremdbestimmung.
Die Erfahrung, die aus der fremdbestimmten Arbeit folgt, ist nicht die der Freiheit, sondern die
der Unfreiheit, so daß auch die emanzipatorischen Potenzen der Arbeit als eine dem Herrschafts-
verhältnis entspringende Wirkung erscheinen.2 Hegel zufolge sollen aber dennoch aus dem Herr-
schaftsverhältnis historisch die Bedingungen für den bürgerlichen Rechtszustand hervorgehen, in
dem Herrschaft und das darin angelegte Gewaltverhältnis überwunden werden.
Derjenige Begriff, in dem Geschichte und Erkenntnistheorie, Moralität und Recht, Individuali-
tät und Allgemeinheit, schließlich Vernunft und Realität vermittelt sein sollen, ist der Begriff des
Geistes.3 „Die Vernunft ist Geist, indem die Gewißheit, alle Realität zu seyn, zur Wahrheit erho-
ben, und sie sich ihrer selbst als ihrer Welt, und der Welt als ihrer selbst bewußt ist.“4 Der Weg
vom Selbstbewußtsein zum Geist führt in der Phänomenologie über die Beobachtung der Ob-
jektivität durch die Vernunft und die Reflexion der Individualität. Daraus resultiert das Bewußt-
sein, daß die Substanz der Wirklichkeit und die Substanz des Tuns der Individuen sittlich ist: Der
Geist ist der Grund des Tuns aller, deren implizites Ziel und das allgemeine Werk. Gegenüber der
Moralphilosophie Kants stellt der Geistbegriff Hegels einen Fortschritt dar. Das „Ich das Wir und
das Wir, das Ich ist“ verweist auf den Gegenstand der realisierten Moralität Kants: das Kollektiv
vernünftiger Wesen. Dieses Kollektiv wird bei Hegel als Gesellschaft gedacht, in der das telos
der gleichberechtigten Koordination von Individuum und Allgemeinheit realisiert sein soll. Wenn
aber die Kritik an Hegel den sachlichen Kern des Hegelschen Begriffs herausgestellt hat, also die
Bedingtheit absoluter Reflexivität durch das geschichtlich hervorgebrachte Selbstbewußtsein,
dann ist der systematische Übergang der Erfahrungen der individuellen Selbstbewußtseine zum
Begriff des Geistes aus der Perspektive dieser Kritik nicht systematisch zu begründen wie von
Hegel intendiert. Dieser Übergang setzt damit einen individuellen Willen voraus, der das teleolo-
gische Programm gegen die Inkonsistenzen des geschichtlich bestimmten Materials zusammen-
2
„Der Ausgangspunkt der Entwicklung, die sowohl den Lohnarbeiter wie den Kapitalisten erzeugt,
war die Knechtschaft des Arbeiters. Der Fortgang bestand in einem Formwechsel dieser Knech-
tung, in der Verwandlung der feudalen in kapitalistische Exploitation.“ Karl Marx. Das Kapital.
Der Produktionsprozeß des Kapitals, 742.
3
Zum Begriff des Geistes in der Phänomenologie vgl. auch Ludwig Siep, „Moralischer und sittli-
cher Geist in Hegels Phänomenologie.“ In Hegels Phänomenologie des Geistes. Ein kooperativer
Kommentar zu einem Schlüsselwerk der Moderne, hrsg. v. Klaus Vieweg u. Wolfgang Welsch,
415–438. Frankfurt a. M., 2008.
4
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 238.
186 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

hält. Der individuelle Wille hatte sich schon in der Logik und der Phänomenologie als das die te-
leologische Bewegung organisierende Vermögen erwiesen: in der Fragilität absoluter Reflexion,
deren Korrelat die geschichtlich durchwirkte ist. Der Weg der Phänomenologie wird vor dem
Hintergrund der bereits formulierten Bedenken gegen den systematisierenden Anspruch Hegels
daher hier nicht weiter verfolgt. Statt dessen wird direkt zur Betrachtung des Willensbegriffs in
den Grundlinien der Philosophie des Rechts und den daraus resultierenden gesellschaftlichen
Bestimmungen übergegangen.
In den Grundlinien soll die Realität der Selbstbestimmung als Realität der praktischen Ver-
mittlung des Begriffs und der objektiven und geschichtlichen Bedingungen des Selbstbewußt-
seins vollzogen sein. Subjekt des Rechts ist der Wille, der das abstrakte Recht als seine Reali-
sationsform setzt. Dieses Recht kann den selbstbewußten Subjekten gegenüber nicht nur
transzendent sein, wie der Begriff der Logik, weil es deren Zusammenleben regelt, noch kann
das Recht mit den geschichtlich vorgefundenen Verhältnissen unmittelbar identisch sein, denn
es soll sich von den historischen Gesellschaften, in denen Herrschaft bestimmend war, spezi-
fisch unterscheiden. Dieses Verhältnis des Willens auf das Recht wird im ersten Kapitel, Der
Begriff des Willens, bestimmt. Das Recht soll die gesellschaftliche Selbstbestimmung der
Menschen ermöglichen und ihre Lebensbedingungen derart organisieren, daß sie miteinander
koordinierbar werden. Damit ist das abstrakte Recht auch die Grundlage der Organisation der
Arbeit in der bürgerlichen Gesellschaft.
Im Kapitel zum Abstrakten Recht ist dessen sozialontologischer Charakter erstens aus den
Problemen der Rechtsbegründung zu entwickeln; zweitens ist dann aber zu zeigen, daß es ge-
gen die Intention Hegels einerseits auf seine Vorgeschichte in der ursprünglichen Besitzergrei-
fung verwiesen bleibt und daß das abstrakte Recht andererseits die spezifische Organisations-
form einer historischen Gesellschaft ist. Das abstrakte Recht legt die historisch gegebene
Verteilung des Privateigentums an Produktionsmitteln fest, ohne daß Hegel sich bewußt dar-
über ist, daß mit dem Privateigentum auch die materielle Ungleichheit in der bürgerlichen Ge-
sellschaft durch die Rechtsordnung selbst festgelegt ist. Im Zusammenhang mit dem abstrakten
Recht bestimmt Hegel auch das Verbrechen. Der Wille des Verbrechers soll als notwendige
Negation des abstrakten Rechts auf die Moralität führen, in der das äußere Willensverhältnis
der Rechtspersonen in ein intentional bestimmtes überführt wird. Im Zusammenhang mit der
Frage nach dem Begriff von gesellschaftlicher Selbstbestimmung soll hier gezeigt werden, daß
auch der Grund der Gewalt gegen das Recht nicht im Willen des Verbrechers liegt, sondern in
Bedingungen, die dem abstrakten Recht äußerlich bleiben.
Insgesamt dienen diese Analysen dem Zweck zu zeigen, daß das abstrakte Recht auf histori-
sche Bedingungen verwiesen bleibt, die seinen sozialontologischen Status als Realisierung des
vernünftigen Willens in Frage stellen. Diese Kritik am Rechtsbegriff ist nötig, um schließlich den
Widerspruch der bürgerlichen Gesellschaft, die die bourgeois ökonomisch versorgen soll, aber
zugleich Armut produziert, als Phänomen einer Gesellschaft erklären zu können, deren Zweck
eben nicht die Selbstbestimmung und Anerkennung ihrer Mitglieder ist, sondern in dem die ge-
schichtlich überlieferten Gewaltverhältnisse in einer neuen Gestalt bewahrt bleiben. Hegel schei-
tert an der Erklärung dieser Phänomene, eben weil er sozialontologisch und nicht historisch argu-
mentiert und damit die Auswirkungen des Privatrechts in seinem ganzen Ausmaß unterschätzt.
Der Begriff des Willens 187

4.1 Der Begriff des Willens


An dem Maßstab der Idee aus der Wissenschaft der Logik, wonach der theoretische und
der praktische Begriff der Freiheit objektiv vermittelt sein sollen, und dem Maßstab der
Phänomenologie des Geistes, in dem Ich Wir und Wir Ich ist, muß sich die Rechtsphilo-
sophie Hegels messen lassen. Entsprechend ist die Frage, die in der Rechtsphilosophie be-
antwortet werden soll, die nach dem sittlichen und gesamtgesellschaftlichen Zusammen-
hang der Individuen untereinander, deren Wesen und Substanz der freie Wille ist. Das
Resultat der Überlegungen Hegels soll ein sittliches Rechtssystem sein, in dem die Frei-
heit moralisch, ökonomisch, rechtlich und institutionell verwirklicht ist und in das die
einzelwissenschaftlichen Resultate eingegangen sind.
„Der Boden des Rechts ist überhaupt das Geistige, und seine nähere Stelle und Ausgangspunkt
der Wille, welcher frei ist, so daß die Freiheit seine Substanz und Bestimmung ausmacht und
das Rechtssystem das Reich der verwirklichten Freiheit, die Welt des Geistes aus ihm selbst
hervorgebracht, als eine zweite Natur ist.“5

Der Wille ist das Vermögen, Zwecke setzen zu können. Diese Zwecke erhalten im Sy-
stem Hegels verschiedene Bestimmungen:
Die Zweckbestimmung im Herrschafts- und Knechtschaftskapitel der Phänomenolo-
gie des Geistes changiert zwischen dem vernünftigen Zweck der wechselseitigen Aner-
kennung der Selbstbewußtseine und den technisch-praktisch bestimmten Zwecken des
Herrschers und des Knechtes: Der Herr kann seine privilegierte Stellung nur dadurch si-
chern, daß er über das vom Knecht produzierte Mehrprodukt verfügt. Sein Zweck ist da-
her nicht die wechselseitige Anerkennung, sondern die Aneignung der Mehrprodukte.
Der Knecht muß sich dagegen den Zweck des Herren aneignen, weil er nur über dessen
Zuteilung an die Mittel seiner und seines Herren Reproduktion gelangt. D. h. daß die
Anerkennung des Herrn durch den Knecht darüber erzwungen ist, daß er das Mehrpro-
dukt ebenso wollen muß wie sein Herr. Auf diese Weise ist das jeweilige Objekt der An-
erkennung nicht das Selbstbewußtsein des jeweils anderen, sondern beide beziehen sich
auf die jeweilige ökonomische Position. Selbst der Herr, der eigentlich die erhabene Po-
sition inne hat, sich mit den Belangen der Naturbearbeitung nicht unmittelbar auseinan-
dersetzen zu müssen, wird von dem Knecht nur in seiner Rolle als Besitzer der Produk-
tionsmittel gesehen. Damit resultiert entgegen der Intention Hegels für keinen der
beiden die Anerkennung ihres Selbstbewußtseins aus dem Prozeß, sondern die Anerken-
nung eines ökonomischen Privilegs. D. h. daß der Gegenstandsbereich von Herrschaft
und Knechtschaft nicht bloß das philosophische Selbstbewußtsein ist, sondern auch die
Geschichte politischer Ökonomie als dessen objektiver Bedingung.
Im Verhältnis von Herr und Knecht wird das Vermögen des Willens nicht reflektiert.
Die Zwecke des Herrn und des Knechts sind nicht die Zwecke der willensbegabten Indi-
viduen, sondern es sind die Zwecke eines allgemeingültigen Selbstbewußtseins. Allein
dessen Zweck sich als die Einheit von Selbstbewußtsein und Leben im Anerkennungs-
5
Hegel. Grundlinien, § 4.
188 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

verhältnis zu realisieren, begründet den Fortgang. Das Ziel der Argumentation von
Herrschaft und Knechtschaft liegt für Hegel darin, die über das Herrschaftsverhältnis
vermittelte Bewegung als Bewegung des Begriffs und damit als systematisches Moment
zu entwickeln, oder anders gesagt: Herrschaft wird nicht als historisches Phänomen
kritisiert, sondern als notwendig konstitutives Moment der Bewegung integriert. Wenn
aber gegen die Intention Hegels das Resultat von Herrschaft und Knechtschaft nicht das
realisierte Anerkennungsverhältnis ist, sondern sich die Zwecke der Reproduktion bzw.
der Verfügung über das Mehrprodukt verselbständigen, dann sind diese Zwecke aus dem
Begriff des Selbstbewußtseins nicht abzuleiten, sondern nur aus einem Willen, der sich
auch unreflektierte Zwecke setzen kann. Dieser Wille erscheint in der Nichtübereinstim-
mung des vernünftigen Zwecks der Anerkennung und des Zwecks der Unterwerfung ei-
nes anderen Selbstbewußtseins.
Ebenso will – wahrlich dialektisch – die Idee der Wissenschaft der Logik ohne den
Willen auskommen: Im Anfang der Wissenschaft wird mit dem „Entschluß, den man auch
für eine Willkühr ansehen kann, nemlich daß man das Denken als solch es betrach-
ten wolle“6 das willensbegabte Subjekt von der logischen Entwicklung abgekoppelt, so
daß der Begriff des subjektiven Zwecks „in ihm selbst der Trieb seiner Realisirung“ 7 ist.
Die Begründung dieser Voraussetzung wird dann am Ende der Wissenschaft der Logik,
in der Idee des Lebens, auf ihren avanciertesten und darin zugleich zynischen Begriff
gebracht, den Begriff des Individuums zugunsten der reinen Selbstbestimmung des Be-
griffs zu funktionalisieren, um damit die Voraussetzung aus dem Anfang der Wissenschaft
einzuholen: „In der Begattung erstirbt die Unmittelbarkeit der lebendigen Individualität;
der Tod dieses Lebens ist das Hervorgehen des Geistes.“8
Explizit wird der Wille als subjektives Vermögen erst im objektiven Geist abgehan-
delt und damit als ein Begriff, der aus der absoluten Idee und über die Stufen der Natur-
philosophie und des subjektiven Geistes vermittelt systemimmanent gesetzt wird: Der
aus sich selbst entwickelten absoluten Idee mangelt es an Realität, sie muß sich in die
Welt entlassen. Zu dieser Objektivierung gehört auch die Ableitung des Willens als Be-
griff des subjektiven Geistes, so daß vom Standpunkt der Enzyklopädie der philosophischen
Wissenschaften der Wille ebenso als Begriff der Anthropologie, Phänomenologie und Psy-
chologie bestimmt wird. Der Einzelwille, der im System aus dem Begriff der absoluten
Idee abgeleitet wird, unterscheidet sich vom empirischen Willen, von dem am Anfang
der Wissenschaft der Logik willentlich abstrahiert wird, dadurch, daß sein Bestimmungs-
grund mit dem des Begriffs identisch ist: Der Wille ist nur heteronom bestimmt, weil der
Begriff sich in sich differenzieren muß, nicht aber weil er unter Bedingungen agierte,
über die er nicht verfügte.
Die Bühne der Rechtsphilosophie betritt der Wille als der an der Schwelle zur sittlichen
Praxis stehende Indifferenzpunkt der logischen Idee der Selbstbestimmung, des tech-

6
Hegel. Lehre vom Sein und vom Wesen, 56.
7
Hegel. Lehre vom Begriff, 162.
8
Ebd., 191.
Der Begriff des Willens 189

nisch-praktischen Willens der Phänomenologie und des subjektiven Geistes der Enzy-
klopädie:
„Der an und für sich freie Wille, wie er in seinem abstrakten Begriffe ist, ist in der Bestimmtheit
der Unmittelbarkeit. Nach dieser ist er seine gegen die Realität negative, nur sich abstrakt auf sich
beziehende Wirklichkeit – in sich einzelner Wille eines Subjekts. Nach dem Momente der Beson-
derheit des Willens hat er einen weiteren Inhalt bestimmter Zwecke und als ausschließende Einzel-
heit diesen Inhalt zugleich als eine äußere, unmittelbar vorgefundene Welt vor sich.“9

Der Wille ist das Vermögen des Subjekts der Sittlichkeit und als solches gleichermaßen
Vermittlung und Unmittelbarkeit. Als Indifferenzpunkt von Denken und Wollen ist der
Wille Reflexion in sich, reines Denken des Ich. Dieses reine Ich ist ebenso frei wie un-
bestimmt, denn ohne einen bestimmten Inhalt hat es zwar keine Beschränkung, ist aber
auch nicht wirklich, sondern nur möglich. Trotzdem liegt in dieser Bestimmung die spe-
zifische Differenz des menschlichen Willens zum Trieb des Tieres, denn dieses kann von
seiner Naturhaftigkeit nicht abstrahieren, sondern sich nur an seine Lebensumstände ge-
wöhnen. Es hat deshalb nicht die Möglichkeit zu planen. 10 Analog der logischen Schluß-
form bestimmt sich der allgemeine Wille weiter als besonderer Wille, der nicht nichts,
sondern etwas Bestimmtes will und als einzelner Wille, der die beiden vorherigen Be-
stimmungen vermittelt, so daß im Resultat der einzelne Wille in dem, was er will, in ei-
nem anderen bei sich selbst ist.
„Der Wille ist aber nicht an ein Beschränktes gebunden, sondern muß weiter gehen, denn die
Natur des Willens ist nicht diese Einseitigkeit und Gebundenheit, sondern die Freiheit ist, ein
Bestimmtes zu wollen, aber in dieser Bestimmtheit bei sich zu sein und wieder in das Allge-
meine zurückzukehren.“11

Durch diesen logischen Schluß wird der Wille der Begriff, dessen wesentliches Merk-
mal die Freiheit der Selbstbestimmung ist: ein Wille, der sich selber will, aber dabei zu-
gleich auch in der ihm gegenüberstehenden Außenwelt realisiert ist.
Der Wille ist ein Vermögen des Selbstbewußtseins. Dieses weiß sich in Abgrenzung
gegen die Außenwelt als an einen Körper gebunden, als erscheinendes Bewußtsein und
als absolutes Wissen. Auf der Stufe der Rechtsphilosophie ist das Selbstbewußtsein also
ein bereits vermitteltes, dessen Vorstellungen an und für sich vernünftig sind. Damit
stellt sich auf der Stufe der Grundlinien weder das Problem, daß der Wille seinen eige-
nen Begriff geschichtlich noch nicht erfaßt hätte oder gar verneinte. Der Wille will sich.
9
Hegel. Grundlinien, § 34. Schmidt am Busch attestiert der Forschung zum Hegelschen Arbeitsbe-
griff ein Mangel an Reflexivität bezüglich des Willensbegriffs. „Auffallend ist in diesem Zusam-
menhang, daß der Begriff der Arbeit als ‚das (diesseitige) sich zum Dinge/Gegensande machen‘
vielfach unter Ausblendung der Willensbewegung, deren Analyse der ‚praktische‘ Teil der Philo-
sophie des Geistes von 1805/06 ist, interpretiert wird […]“ Hans-Christoph Schmidt am Busch.
Hegels Begriff der Arbeit, 15. Er baut daher seine Darstellung auf der Analyse des Willensbegriffs
auf, allerdings stützt er sich auf die Philosophie des Geistes, nicht auf die Grundlinien.
10
Vgl. Hegel. Grundlinien (Werke), 51 Zusatz. In der Bestimmung des Planens und der antizipieren-
den Zwecksetzung, die der menschlichen Tätigkeit vorausgesetzt ist, liegt auch die spezifische
Differenz zum Evolutionsprozeß der Tiere, der in der Literatur – besonders seit Engels’ „Anteil
der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“ gern diskutiert wird. Tiere arbeiten nicht. Vgl. auch
S. 268 ff.
11
Hegel. Grundlinien, 57, Zusatz.
190 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

Noch stellt sich das Problem, daß die objektiv gegebenen rechtlichen, politischen und
ökonomischen Bedingungen der Verwirklichung des Willens prinzipiell entgegenstün-
den. Der (An-)Trieb des Willens ist lediglich, sich als noch nicht realisiert zu wissen,
sein Zweck ist es daher, sich auszuführen. Der Wille im Stadium seines reinen Begriffs
weiß von seiner praktischen Möglichkeit, weiß, daß er sich realisieren soll und geht der-
art reflektiert auf die Außenwelt los, darauf rechnend, daß diese dabei kein unüberwind-
bares Hindernis darstellt.
Obgleich aber der Begriff des Willens geistesgeschichtlich eingeholt ist, muß die sy-
stematische Entwicklung innerhalb der Rechtsphilosophie noch ausgeführt werden. Zu-
nächst weiß aber der Wille noch nicht, was er ist, so daß auch sein Zweck nicht selbstbe-
stimmt sein kann. Die Freiheit des Willens, die Wirklichkeit gestalten zu sollen, ist noch
gegenstandslos. In dieser ersten unreflektierten Gestalt erscheint der Wille daher nicht
als reflektiert, sondern als natürlich und bestimmt seinen Inhalt nicht selbst, sondern
wird durch Triebe, Begierden, Neigungen bestimmt. Inhalt und Zweck seiner Tätigkeit
gelten deren Befriedigung. Triebe, Begierden, Neigungen, sowie die ihnen korrespon-
dierenden Inhalte und Arten der Befriedigung sind mannigfaltig, so daß die Befriedi-
gung eines bestimmten Bedürfnisses voraussetzt, daß der Wille seine allgemeine Ab-
sicht, sich zu realisieren, konkretisiert und auswählt und sich damit zugleich für die
Realisierung eines bestimmten Zwecks entscheidet. Zwischen verschiedenen Inhalten
wählen zu können, setzt ein Moment der Freiheit gegen die Triebe und Neigungen vor-
aus, die Freiheit der Willkür. Für die Willkür bleibt es aber zufällig, welchen Inhalt sie
auswählt. Zwar ist es notwendig, daß sich der Wille bestimmt und einen Inhalt setzt,
welcher Inhalt aber gewählt wird, ist nicht durch den Willen bestimmt, sondern hängt
von der Art des Bedürfnisses und den vorgefundenen Bedingungen seiner Realisierung
ab. „Die Willkür ist, statt der Wille in seiner Wahrheit zu sein, vielmehr der Wille als der
Widerspruch.“12 Der Widerspruch liegt aber nicht nur im Verhältnis des freien Willens
zu seinem unfreien Zweck, sondern auch darin, daß die Triebe, welche befriedigt wer-
den sollen, sich wechselseitig stören und daher untergeordnet oder aufgeopfert werden
müssen. Umgekehrt gibt es keine vollständige Befriedigung. Vielmehr erneuern sich die
Triebe und der Wille ist bis ins schlecht Unendliche mit der Befriedigung heteronomer
Bedürfnisse beschäftigt. In dieser Sisyphusarbeit der Bedürfnisbefriedigung droht sich
der Wille zu verlieren, wenn Hegel nicht zeigen kann, daß sich der Wille darin schon
selbst zum Gegenstand hat.
In der Enzyklopädie unterscheidet Hegel zwischen Trieb und Begierde, indem jener,
obwohl er Ausdruck der Einzelheit des Individuums ist, von dem bereits aufgehobenen
Gegensatz zwischen Subjektivität und Objektivität ausgeht. Der Trieb ist damit eine
Form der wollenden Intelligenz, während die Begierde noch eine Gestalt des Selbstbe-
wußtseins ist, das als Einzelnes Einzelnes will und die Welt noch als absolut entgegen-
gesetzte wahrnimmt.13 Trieb ist hier also kein Begriff der empirischen Psychologie, son-

12
Ebd., § 15 Anmerkung.
13
Vgl. Hegel. Enzyklopädie III, 295, Zusatz.
Der Begriff des Willens 191

dern bezeichnet die logische Nötigung, den Mangel des selbstbestimmten Willens, noch
nicht realisiert zu sein, zu beheben.
„Im praktischen Gefühl ist es zufällig, ob die unmittelbare Affektion mit der inneren Bestimmt-
heit des Willens übereinstimmt oder nicht. Diese Zufälligkeit, dies Abhängigsein von einer äu-
ßeren Objektivität widerspricht dem sich als das An-und-für-sich-Bestimmte erkennenden, die
Objektivität in seiner Subjektivität enthalten wissenden Willen. Dieser kann deshalb nicht da-
bei stehenbleiben, seine immanente Bestimmtheit mit einem Äußerlichen zu vergleichen und
die Übereinstimmung dieser beiden Seiten nur zu finden, sondern er muß dazu fortschreiten,
die Objektivität als ein Moment der Selbstbestimmung zu setzen, jene Übereinstimmung, seine
Befriedigung, also selber hervorzubringen. Dadurch entwickelt sich die wollende Intelligenz
zum Triebe. Dieser ist eine subjektive Willensbestimmung, die sich selber ihre Objektivität
gibt.“14

In den Grundlinien der Philosophie des Rechts wird diese Bestimmung dann noch enger
gefaßt: Es ist der Trieb des freien Willens, sich als freier zu realisieren, und das kann nur
in einer ihm angemessenen Realität gelingen, in einem System der Inhalte, in dem der
Vorstellung Hegels nach die Realisierung vernünftiger gesellschaftlicher Organisations-
und Reproduktionsbedingungen zum Trieb des Willens selbst werden. Der per se ver-
nünftigen Nötigung des Willens, sich zu realisieren, ist der psychologische Trieb dann
als Mittel derart subsumiert, daß er die Bedingung der Realisierung des freien Willens
ist: Nur wenn die körperlichen und seelischen Bedürfnisse hinreichend befriedigt sind,
kann sich auch der freie Wille entfalten.15 Sie sind deshalb im Hinblick auf den Willen
weder gut noch böse, sondern notwendige Bedingung seiner Realisierung, sein Interes-
se. Unfrei wird der Wille erst durch die Bedingungen, die die Triebe ihrerseits zu ihrer
Befriedigung vorfinden. Entscheidend ist für Hegel deshalb die Frage, ob die Mittel zur
Bedürfnisbefriedigung in ausreichendem Maße vorhanden sind und wie sie produziert
und verteilt werden. Das sind, wie Hegel sagt, rechtliche und im erweiterten Sinne dann
überhaupt gesellschaftliche Probleme und keine Probleme der Anthropologie16 oder der
14
Hegel. Enzyklopädie III. 295, Zusatz.
15
Davon, daß die Befriedigung nicht nur materieller, sondern auch seelischer Bedürfnisse eine unab-
dingbare Voraussetzung vernünftigen Denkens und Handelns ist, zeugt die empirische Psychologie,
deren Gegenstand es ist, die neurotische und psychotische Verselbständigung des Ichs darzustellen,
zu begreifen und zu behandeln. Diese Verselbständigung kann im weitesten Sinne als der Ausdruck
der Nichtübereinstimmung des Ich mit sich selbst oder des Ich mit der Welt verstanden werden.
„[D]ie Neurose sei der Erfolg eines Konflikts zwischen dem Ich und seinem Es, die Psychose aber
der analoge Ausgang einer solchen Störung in den Beziehungen zwischen Ich und Außenwelt.“ Sig-
mund Freud. Elemente der Psychoanalyse. Bd. 1. Frankfurt a. M., 2006, 471. In dieser Definition
Freuds deutet sich an, daß die empirisch erkrankten Subjekte negativ der Form der Reflexivität des
Begriffs genügen: Der Störung der Einheit von Identität und Nichtidentität ist die Einheit als das, was
gestört wird, unterstellt. Die erkrankten empirischen Subjekte sind aber der Prüfstein, der mit dem
Begriff Hegels nicht identisch ist, da die individuelle Identitätsfindung in der Krankheit scheitert.
Daß dieses Scheitern nicht einfach dialektisch aufzuheben ist, sondern sich gegen das Bedürfnis nach
Identität auch verselbständigt, dokumentiert eben die empirische Psychologie.
16
Ein anthropologisches Gegenmodell zu der sozialontologischen Freiheitsbestimmung Hegels stellt
die Bestimmung von Hobbes dar, der es dem Wesen der Menschen zurechnet, untereinander um
die zu ihrer Selbsterhaltung nötigen Mittel zu kämpfen, so daß sich die Menschen qua ihrer Natur
im Krieg aller gegen alle befänden: „So liegen also in der menschlichen Natur drei hauptsächliche
Konfliktursachen: Erstens Konkurrenz, zweitens Mißtrauen, drittens Ruhmsucht. Dies erste führt
zu Übergriffen der Menschen des Gewinnes, die zweite der Sicherheit und die dritte des Ansehens
192 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

empirischen Psychologie. Nur in diesem Sinne ist auch die Identifikation von Trieb und
Inhalt des Triebes zu verstehen:
„Das Wahrhafte dieser unbestimmten Forderung ist, daß die Triebe als das vernünftige System
der Willensbestimmung seien; sie so aus dem Begriffe zu fassen, ist der Inhalt der Wissenschaft
des Rechts. Der Inhalt dieser Wissenschaft kann nach allen seinen einzelnen Momenten, z. B.
Recht, Eigentum, Moralität, Familie, Staat usf., in der Form vorgetragen werden, daß der
Mensch von Natur den Trieb zum Recht, auch den Trieb zum Eigentum, zur Moralität, auch
den Trieb der Geschlechterliebe, den Trieb zur Geselligkeit usf. habe.“17

Der selbstbestimmte Wille will das Einzelne nicht um des Einzelnen willen, sondern in-
dem er Einzelnes will, will er zugleich die seiner Realisierung gemäße Realität, deren Ge-
staltung deshalb sein Zweck ist. Recht, Eigentum, Moralität, Familie und Geselligkeit als
Formen der Sittlichkeit sind Gestalten seiner Selbstbestimmung und stellen den Rahmen
dar, innerhalb dessen die Befriedigung der unmittelbaren Begierden ebenfalls stattfinden
kann. Inwieweit der Wille dann tatsächlich über dieses „System des Inhalts“, das auch ge-
schichtliche Wurzeln hat, als seine zweite Natur verfügen kann, wird zu hinterfragen
sein.18
Der logische Schluß, durch den der Willensbegriff von Hegel entwickelt wird, setzt
also den Begriff des reinen Willens voraus. Durch dessen Negation schließt Hegel auf
die Begriffe der Willkür und des Bedürfnisses. Das Aufheben dieser Bewegung wird
durch den Begriff des Systems des Inhaltes vorbereitet, indem darin die Bedingung der
Affinität des Inhalts für den Zweck des Willens formuliert ist. Die Vollendung des logi-
schen Schlusses erfolgt schließlich über den Reflexionsbegriff der Glückseligkeit. Mit
dem Begriff der Glückseligkeit ist die größtmögliche Befriedigung der Bedürfnisse be-
zeichnet und darin eine Allgemeinheit der Triebe, die aber auf das größtmögliche Glück
und damit technisch-praktisch ausgerichtet ist, während der Begriff des Willens ver-
langt, daß dieser sich in seinen Zwecken selbst zum Gegenstand macht:
wegen. Die ersten wenden Gewalt an, um sich zum Herrn über andere Männer und deren Frauen,
Kinder und Vieh zu machen, die zweiten, um dies zu verteidigen und die dritten wegen Kleinig-
keiten wie ein Wort, ein Lächeln, eine verschiedene Meinung oder jedes andere Zeichen von Ge-
ringschätzung, das entweder direkt gegen sie selbst gerichtet ist oder in einem Tadel ihrer Ver-
wandtschaft, ihrer Freunde, ihres Volks, ihres Berufs oder ihres Namens besteht. Daraus ergibt
sich klar, daß die Menschen während der Zeit, in der sie ohne eine allgemeine, sie alle im Zaum
haltende Macht leben, sich in einem Zustand befinden, der Krieg genannt wird, und zwar in einem
Krieg eines jeden gegen jeden.“ Thomas Hobbes. Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines
kirchlichen und bürgerlichen Staates. Hrsg. v. Iring Fetscher. Frankfurt a. M., 1984, 95 f. Der Aus-
gang aus diesem Krieg soll dann über den Vertrag gelingen.
17
Hegel. Grundlinien, § 19.
18
Diese Bestimmung stellt eine entscheidende Abgrenzung gegen Kants Rechtsbegriff dar, der in
den gesellschaftlichen Zuständen eben keine dem Wesen der Menschen adäquate Entsprechung
sieht: „Folglich: wenn ein gewisser Gebrauch der Freiheit selbst ein Hindernis der Freiheit nach
allgemeinen Gesetzen (d. i. Unrecht) ist, so ist der Zwang, der diesem entgegengesetzt wird, als
V e r h i n d e r u n g eines H i n d e r n i s s e s d e r F r e i h e i t mit der Freiheit nach allgemeine Gesetzen
zusammen stimmen, d. i. Recht: mithin ist mit dem Rechte zugleich eine Befugnis, den, der ihm
Abbruch tut, zu zwingen, nach dem Satze des Widerspruchs verknüpft.“ Immanuel Kant. Meta-
physik der Sitten. Bd. 8. Frankfurt a. M., 1993, 338 f. Auch hier klingt Hobbes an: „Und nach die-
ser genauen und allgemein anerkannten Bedeutung des Wortes ist ein Freier, wer nicht daran ge-
hindert ist, Dinge, die er auf Grund seiner Stärke und seines Verstandes tun kann, seinem Willen
entsprechend auszuführen.“ Thomas Hobbes. Leviathan, 163.
Der Begriff des Willens 193

„Die auf die Triebe sich beziehende Reflexion bringt, als sie vorstellend, berechnend, sie unter-
einander und dann mit ihren Mitteln, Folgen usf. und mit einem Ganzen der Befriedigung – der
Glückseligkeit – vergleichend, die formelle Allgemeinheit an diesen Stoff und reinigt densel-
ben auf diese äußerliche Weise von seiner Roheit und Barbarei.“19

Mit der Glückseligkeit hat der Wille sich also noch nicht selbst zum Gegenstand. Der zu
vollziehende Gegenstandswechsel vom Willen, der seine Glückseligkeit will, zum Wil-
len, der sich selber will, kann unter der Voraussetzung, daß die Affinität des Willens zu
dem „System des Inhalts“ erwiesen werden kann, als Perspektivwechsel bestimmt wer-
den: Die Erkenntnis des Inhalts selbst erfolgt schließlich durch die Reflexion darauf,
daß eine Realität, in der die Befriedigung der Triebe dem Willen nach Wunsch gelingt,
ein Zustand ist, in dem Glückseligkeit und Sittlichkeit bereits koordiniert sind. Wenn der
Wille sich in der Objektivität z. B. als Gesellschaft realisiert hat, dann will er mit dieser
Realität auch sich selbst. In einer sittlichen Realität haben – so die Vorstellung Hegels –
Subjekt und Objekt schon denselben Gegenstandsbereich, was fehlt, ist nur noch die Re-
flexion darauf, daß dem so ist.
„Die absolute Bestimmung oder, wenn man will, der absolute Trieb des freien Geistes, daß ihm
seine Freiheit Gegenstand sei – objektiv sowohl in dem Sinne, daß sie als das vernünftige Sy-
stem seiner selbst, als in dem Sinne, daß dies unmittelbare Wirklichkeit sei –, um für sich, als
Idee zu sein, was der Wille an sich ist; der abstrakte Begriff der Idee des Willens ist überhaupt
der freie Wille, der den freien Willen will.“20

Wenn aber die Realisierung des Willens, der sich selber will, davon abhängt, das die
Realität prinzipiell kein Hindernis seiner Realisierung darstellt, die Entwicklung des Be-
griffs dieser Realität als Begriff der Wirklichkeit aber erst im Verlauf der Grundlinien
und damit nach der Entwicklung des Begriffs des Willens erfolgt, dann gelingt die sy-
stematische Bestimmung des Willens bei Hegel nur mit Hilfe einer Anleihe an Zukünfti-
ges. In dieser Asymmetrie von logischer und zeitlicher Entwicklung erscheint der Wille
wie schon in der Wissenschaft der Logik und der Phänomenologie des Geistes als gegen
das System verselbständigtes.21

Der Wille kann nur das zum Gegenstand seiner Verwirklichung machen, was er erkannt
hat, aber das, was er erkannt hat, ist seiner Erkenntnis als Gegenstand der Erkenntnis zu-
gleich zeitlich immer schon vorausgesetzt gewesen. Umgekehrt erklärt er das, was er
nicht erkannt hat, als unwirklich. Die historisch gegebene Realität erscheint daher als
immer schon dagewesene Voraussetzung jeder Selbstbestimmung, wo sie umgekehrt als
Resultat von Selbstbestimmung, als Wirklichkeit bestimmt werden sollte. Aus diesem
Mißverhältnis von logischer und zeitlicher Voraussetzung resultiert eine Asymmetrie in
der Vermittlung von Wille und Realität, die Hegel ihrerseits vermitteln muß, wenn der
Wille nicht ohnmächtig auf sich zurückgeworfen sein soll. Hegel ist deshalb genötigt,
der in der Formulierung vom „System der Inhalte“ bislang nur impliziten Forderung,
19
Hegel. Grundlinien, § 20.
20
Hegel. Grundlinien (Werke), 79.
21
Vgl. S. 19 der Einleitung.
194 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

daß die gesellschaftlichen Verhältnisse der Selbstbestimmung des Willens adäquat seien,
einen Gehalt zu verleihen, indem er die Voraussetzung der Realität zum Resultat erklärt.
Die Alternativen wären – wenigstens vom philosophischen Standpunkt aus – fatal: Die
Wirklichkeit des vernünftigen Willens zerfiele in diesem Falle in seine beiden Bestand-
teile, nämlich einerseits in den Begriff des vernünftigen Willens ohne historische Reali-
tät, und andererseits die historische Realität, die unvernünftig bleibt. Die Vermittlung
beider im System der philosophischen Wissenschaften müßte dann scheitern, so daß ein
derart bestimmter Wille auf die Freiheit der Willkür zurückgeworfen wäre.
In der Vorrede der Grundlinien, also noch vor der Abhandlung des Willens, erklärt He-
gel deshalb, daß er von einem bestimmten historischen Standpunkt aus argumentiert,
den er bereits als Realisierung der Vernunft begreift. „Was vernünftig ist, das ist wirk-
lich; und was wirklich ist, das ist vernünftig.“22 Gleichzeitig verwahrt er sich aber auch
dagegen, die Grundlinien als historische Dokumentation oder positive Rechtswissenschaft
mißzuverstehen. Er bestimmt die Rechtsphilosophie als diejenige philosophische Diszi-
plin, die den vernünftigen Gehalt des zur Gegenwart Hegels entwickelten gesellschaftli-
chen Zustandes darstellt.
„Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden,
und mit Grau in Grau läßt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule der Minerva
beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.“23

Dabei analysiert er seine Gegenwart nicht rekursiv, schließt also nicht von der historisch
existierenden Gesellschaft auf deren Bedingung der Möglichkeit, sondern beansprucht
aus dem Prinzip des Willens die Grundzüge einer Realität abzuleiten, die dieselben
Wurzeln hat, wie der Wille selbst. Wo diese Realität historisch dem Maßstab der Ver-
nunft widerspreche, bestehe so zumindest die Möglichkeit, sie dem System der Inhalte
zu subsumieren. Die Rechtsphilosophie soll weder Utopie, noch positive Rechtslehre sein,
22
Hegel. Grundlinien, 14. Eine verändernde Interpretation erfährt dieser Topos Hegels bereits durch
seinen Schüler Eduard Gans, der ihn in seiner eigenen Vorlesung mit dem Titel „Naturrecht und
Universalgeschichte“ folgendermaßen erläutert: „Die Wirklichkeit ist nicht etwas Erscheinendes,
Gleichgültiges, sondern alles, was wahr ist, und gedacht ist, ist wirklich. Der Gegenstand dieser
Vorlesung ist die Entwicklung des Rechts an und für sich und aus sich selbst; und der Geschichte,
insofern in ihr das vernünftige Recht entwickelt wurde.“ Eduard Gans. Naturrecht und Universal-
rechtsgeschichte. Stuttgart, 1981, 31. In der Einleitung zu der Vorlesung von Gans erläutert Man-
fred Riedel das Geschichtsverständnis von Gans wie folgt: „Der Kern der Sache besteht in der von
Gans verfolgten Tendenz, das Recht und seine Institutionen zu vergeschichtlichen, d. h. deren
grundsätzliche Relativität und darin ihre praktische Reformierbarkeit im Sinne des politisch-libe-
ralen Verfassungsstaats (in monarchischer und/oder republikanischer Gestalt) aufzuzeigen. Im
Vergleich mit Hegels Vorlage zeichnet sich zunächst eine weitgehende Übereinstimmung in der
Anlage und Disposition des Stoffes ab. Das kann nicht anders sein, da sich Gans stets als Schüler
Hegels bekannt und auch hier ausdrücklich erklärt hat, über dessen rechtsphilosophisches Kom-
pendium zu lesen. Von dem Hegelschen Muster weicht die Vorlesung eigentlich nur an drei Stellen
ab: sie bringt 1. als Einleitung eine Geschichte des Naturrechts, sie verändert 2. im dritten Teil:
Der Staat die Bezeichnung von Abschnitt A: Das innere Staatsrecht in: Die Verfassung, womit der
Hegelsche Ausdruck für einen Teilabschnitt (die „innere Verfassung für sich“, in der Einheit von
fürstlicher, Regierungs- und Gesetzgebungsgewalt) als Titel des Ganzen erscheint, und sie ergänzt
3. die Rechtsphilosophie durch Rechtsgeschichte.“ Manfred Riedel. „Naturrecht und Universal-
rechtsgeschichte – Einleitung“ In Naturrecht und Universalrechtsgeschichte. Eduard Gans. Hrsg.
v. Manfred Riedel. Stuttgart, 1981, 15.
23
Hegel. Grundlinien, 17 .
Der Begriff des Willens 195

sondern vielmehr philosophische Wissenschaft mit dem Anspruch, sich den Gegenstän-
den nicht nur analytisch oder synthetisch zuzuwenden, was bei Hegel Charakteristika
der Einzelwissenschaften sind, sondern die Notwendigkeit des Gegenstandes selbst zu
begründen.
Der Wille ist in dieser Konstruktion historisch vermittelt und systematisch unmittel-
bar. Sofern die Vermittlung dieser Voraussetzung in der Phänomenologie des Geistes
liegt, wird der Zusammenschluß zwischen Wille und gesellschaftlichen Bedingungen
problematisch, weil die im Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnis liegende Gewalt
schief zum Anspruch der Grundlinien steht, vernünftig zu sein.24
Das substantielle Prinzip der Staaten sei der freie Wille, der in der modernen Gesell-
schaft als anerkannter gesetzt sei. Die darin unterstellte Transformation der geschichtli-
chen Bedingungen in rechtsphilosophische gelingt nur durch Ratifizierung ihrer Ent-
stehungskosten.25 Das hatte Hegel in der Phänomenologie dadurch vorbereitet, daß er den
Akt der Gewalt als konstitutives Moment der Anerkennung der Selbstbewußtseine faßte,
die aber als technisch-praktische Anerkennung gar nicht auf das jeweils personifizierte
Selbstbewußtsein, sondern nur auf die durch es inkarnierte Macht bezogen ist.

Exkurs: Der schmale Grat zwischen Apologie und gesellschaftlicher


Selbstbestimmung

Der Philosophie im allgemeinen wie der Philosophie Hegels im besonderen ist also eine
Tendenz zur Ratifizierung von Gewalt zu eigen, die zu reflektieren ist, wenn der An-
spruch an den Begriff von Selbstbestimmung auch moralisch-praktisch gemeint ist. Bei
Hegel wird die Tendenz zur Ratifizierung durch die Indifferenz zwischen den Gegen-

24
Vgl. Hegel. Enzyklopädie, § 433, Anmerkung. Oder S. 183 dieser Arbeit.
25
Ein Modell für diese Ratifizierung ist der Volksgeist. Vgl. dazu Dirk Meyfeld: „Zur Rechtferti-
gung der Kriege der Moderne taugen deshalb allein jene irrationalen, chauvinistischen und ideolo-
gischen Vorstellungen zu den Volksgeistern, welche als Zeitgeist des 19. Jahrhunderts der Rationa-
lität Hegels sonst diametral entgegenstehen. Nach all dem, was zu dieser Konstellation gehört,
muss Hegels Begriff der Volksgeister mit den virulenten Vorstellungen seiner Zeit vielmehr als
verträglich erscheinen. Als Reaktion auf die Aporien des Völkerrechts gibt Hegels Konzept zu den
Volksgeistern grundlos dem jeweils Stärkeren recht und kongruiert mit den vernunftlosen Konzep-
ten kultureller Überlegenheit. […] Darüber hinaus nimmt dies Konzept, mit der Wendung gegen
die Universalität des Kosmopolitismus, ferner den Universalismus und Liberalismus der bürgerli-
chen Rechtsvorstellung zurück. Obwohl Hegel selbst das Recht und die Neutralität der staatlichen
Institutionen substanziell in der Universalität der Menschheit begründet, muss er dies nach jener
Wendung zugunsten eines Volksgeistes aufgeben, der sich nun etwa als preußischer Volksgeist in
den staatlichen Institutionen ein Dasein verschafft. Die Objektivität der Institutionen des Staates
wird ebenso wie die Gleichheit aller Rechtspersonen vor den bürgerlichen Gesetzen adäquat durch
die Abstraktion von den ethnischen, kulturellen oder religiösen Unterschieden erreicht. Die ob-
jektive Gültigkeit der rechtlichen Ordnungen sowie deren Anspruch auf logische Konsistenz wer-
den derart in der Universalität menschlicher Vernunft sowie der Menschheit überhaupt fundiert.
Dieser Gedanke eignet dem Wesen der Hegelschen Rechtslehre bis zu dem Punkt, an dem sie mit
den Argumenten zur Kategorie der Volksgeister selbst einem Räsonieren verfällt, dessen ‚Seichtig-
keit‘ sie sonst bis aufs Mark entblößt.“ Dirk Meyfeld. „‚Dieses Volk ist in der Weltgeschichte für
diese Epoche das Herrschende‘ – Zur Problematischen Kategorie des Volksgeistes in der Rechts-
lehre.“ 26 f.
196 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

standsbereichen von Wille und gesellschaftlichen Bedingungen verursacht. Um diese In-


differenz als solche auch darstellen zu können, muß auf eine Gestalt zurückgegriffen
werden, in der die Gegenstandsbereiche auch als unterschiedene behandelt werden: die
Kritik der praktischen Vernunft von Kant.
Kant leitet den Dualismus autonomer und heteronomer Willensbestimmung nicht wie
Hegel aus dem Begriff des Willens ab. Ihm ist es um die Begründung der Bedingung der
Möglichkeit praktischer Freiheit zu tun, die den Begriff negativer Freiheit, der als spe-
kulativer Begriff aus der 3. Antinomie der Kritik der reinen Vernunft erschlossen wurde,
ergänzt. Der negative Freiheitsbegriff wird als Bedingung der Möglichkeit einer Er-
scheinung erschlossen, die zunächst durch ihre Ursache begründet ist, die wiederum die
Wirkung einer weiteren Ursache ist usw. Dieser Regreß der Naturursachen kommt nicht
von selbst zu einem Ende. Weil aber ohne die erste Ursache die Bedingungen der Er-
scheinung niemals vollständig wären, muß auf den Begriff einer ersten Ursache ge-
schlossen werden, die außerhalb der Naturkausalität steht und deshalb frei ist. Gegen-
stand der Kritik der praktischen Vernunft ist der Nachweis, daß der Begriff dieser
Freiheit konsistent als selbständiges Vermögen gedacht werden kann. Diese Selbständig-
keit setzt wiederum voraus, daß die praktische Vernunft sich autonom bestimmen kann:
„Denn wenn sie als reine Vernunft wirklich praktisch ist, so beweist sie ihre und ihrer
Begriffe Realität durch die Tat, und alles Vernünfteln wider die Möglichkeit, es zu sein,
ist vergeblich.“26
Damit folgt Kant der Fragestellung, „ob reine Vernunft zur Bestimmung des Willens
für sich allein zulange, oder ob sie nur als empirisch-bedingte ein Bestimmungsgrund
desselben sein könne“27. Um die Selbständigkeit der praktischen Vernunft beweisen zu
können, muß Kant zwischen autonomer und heteronomer Willensbestimmung streng un-
terscheiden, denn nur wenn der Wille durch einen autonomen Grund unabhängig von
dem Streben nach Glückseligkeit bestimmt werden kann, ist praktische Freiheit mög-
lich.
Heteronom bestimmt ist der Wille, wenn er es auf die Befriedigung seines Verlangens
abgesehen hat. Daß das Verlangen befriedigt werden muß, ist gemäß Kant jedoch unver-
meidlich. „Glücklich zu sein, ist notwendig das Verlangen jedes vernünftigen, aber end-
lichen Wesens und also ein unvermeidlicher Bestimmungsgrund seines Begehrungsver-
mögens.“28 Den Inbegriff praktischer Freiheit bestimmt er dagegen negativ als das
Vermögen, vor aller Erfahrung und unabhängig von der Notwendigkeit, seine Bedürfnis-
se befriedigen zu müssen, Zwecke setzen zu können. „Der Wille wird als unabhängig
von empirischen Bedingungen, mithin, als reiner Wille, durch die bloße Form des Ge-
setzes als bestimmt gedacht und dieser Bestimmungsgrund als die oberste Bedingung al-
ler Maximen angesehen.“29 Mit dieser Exposition des Willensbegriffs, die den Bestim-

26
Kant. Kritik der praktischen Vernunft, AA 3.
27
Ebd., 16, AA 15.
28
Ebd., 28, AA 25.
29
Ebd., 36, AA 31.
Der Begriff des Willens 197

mungsgrund des freien Willens aus der Welt empirischer Erfahrung ausschließt, ver-
strickt sich Kant in Widersprüche.
Zunächst spitzt er selbst den Dualismus heteronomer und autonomer Willensbestim-
mung auf ein antinomisches Verhältnis zu.30 Die moralische Willensbestimmung ist ein
Begriff der praktischen Vernunft, für dessen Geltung und Realisierung Unbedingtheit
gefordert ist. Der Wille kann nur durch ein Prinzip geleitet sein, also entweder durch das
Prinzip der praktischen Vernunft oder durch das Prinzip der Glückseligkeit. Wenn er
durch das Prinzip der Glückseligkeit bestimmt ist, dann geschieht die Handlung nicht
aus Pflicht, obgleich sie trotzdem pflichtgemäß sein kann. Andererseits ist eine Hand-
lung, die dem Maßstab der praktischen Vernunft genügen soll, dabei aber nur auf Kosten
der Glückseligkeit umgesetzt werden kann, undenkbar. Der Wille muß die Glückselig-
keit also zum Bestimmungsgrund machen, weil anders die Befriedigung der Bedürftig-
keit der Subjekte nicht gelingen kann. Die Vereinbarung von Tugend und Glückseligkeit
muß also wenigstens möglich sein. Der Begriff der unbedingten Übereinstimmung bei-
der ist das höchste Gut:
„Denn der Glückseligkeit bedürftig, ihrer auch würdig, dennoch aber derselben nicht teilhaftig
zu sein, kann mit dem vollkommenen Wollen eines vernünftigen Wesens, welches zugleich alle
Gewalt hätte, wenn wir uns auch nur ein solches zum Versuche denken, gar nicht zusammen
bestehen. Sofern Tugend und Glückseligkeit zusammen den Besitz des höchsten Guts in einer
Person, hierbei aber auch Glückseligkeit, ganz genau in Proportion der Sittlichkeit (als Wert
der Person und deren Würdigkeit, glücklich zu sein) ausgeteilt, das höchste Gut einer mögli-
chen Welt ausmachen: so bedeutet dieses das Ganze, das vollendete Gute, worin doch Tugend
immer als Bedingung das oberste Gut ist, weil es weiter keine Bedingung über sich hat, Glück-
seligkeit immer etwas, was dem, der sie besitzt, zwar angenehm, aber nicht für sich allein
schlechterdings und in aller Rücksicht gut ist, sondern jederzeit das moralische gesetzmäßige
Verhalten als Bedingung voraussetzt.“31

Der Widerstreit zwischen dem Zweck der Glückseligkeit und dem der Sittlichkeit
rührt daher, daß sie sich auf unterschiedliche Gegenstandsbereiche beziehen: Die
Glückseligkeit ist nur in Abhängigkeit von den Bedingungen der Natur realisierbar,
die Tugend ist hingegen auf die reine praktische Vernunft verwiesen. Der Existenz-
grund der Natur kann – wenn überhaupt – nur als problematischer Begriff der reinen
Vernunft im Ding an sich oder dem transzendentalen Ideal erschlossen werden; Exi-
stenzgrund der Tugend ist dagegen die praktische Vernunft selbst. Bedingung der
Möglichkeit für die „Kritische Aufhebung der Antinomie der praktischen Ver-
nunft“ 32 ist gemäß Kant die Affinität der beiden Gegenstandsbereiche. Diese Affini-
tät kann für „eine Natur, die Objekt der Sinne ist, niemals anders als zufällig statt-
finden“33 . Weil sie aber doch wenigstens möglich sein muß, wird sie in den
Postulaten der praktischen Vernunft erschlossen: Die Annahme der Existenz Gottes
als Existenzgrund der Natur soll die Vereinbarkeit von Natur und praktischer Ver-
30
Vgl. Kant. Kritik der praktischen Vernunft, 131 AA 113.
31
Ebd., 128, AA 110 f.
32
Ebd., 132, AA 114 f.
33
Ebd., 132 AA 115.
198 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

nunft erklären. Die Erreichung eines Zustandes, in dem das höchste Gut realisiert
ist, kann für endliche Subjekte nur als unendliche Annäherung gedacht werden, de-
ren regulative Bedingung der Möglichkeit Kant mit dem Postulat der Unsterblich-
keit der Seele formuliert.
Nach Kants eigener Auskunft sollen die Postulate nur die logische Konsistenz des
Begriffs der praktischen Vernunft gewährleisten, nicht aber objektive Realität bean-
spruchen. Aber die Vorstellung einer nur in unendlicher Annäherung – also gar nicht
– zu erreichenden Übereinstimmung von Sittlichkeit und Glückseligkeit steht mora-
lisch im Gegensatz zu der Feststellung, daß Bedürfnisse real notwendig befriedigt
werden müssen. Der Wirklichkeit bleibt das Spektrum zwischen der Umsetzung des
größtmöglichen Wohls Einiger auf Kosten Vieler, also unter unmoralischen Bedin-
gungen, und der Umsetzung eines sittlichen Zustandes, in dem die Bedürfnisbefrie-
digung der Subjekte zwar Mittel, nicht aber gleichberechtigter Zweck ist. Kant be-
stimmt das höchste Gut deshalb analog des christlichen Erlösungsgedankens als ein
Jenseitiges: das in der Ewigkeit und damit real nicht existierende Reich Gottes. Für
die Bedürftigen bleibt nur der hilflose Trost, daß das höchste Gut – wenn überhaupt
– erst post mortem zu haben ist, aber auch nur dann, wenn sie sich zu Lebzeiten als
seiner würdig erweisen.
„Die Heiligkeit der Sitten wird ihnen in diesem Leben schon zur Richtschnur angewiesen,
das dieser proportionierte Wohl aber, die Seligkeit, nur als in einer Ewigkeit erreichbar
vorgestellt; weil jene immer das Urbild ihres Verhaltens in jedem Stande sein muß, und
das Fortschreiten zu ihr schon in diesem Leben möglich und notwendig ist, diese aber in
dieser Welt, unter dem Namen der Glückseligkeit, gar nicht erreicht werden kann (soviel
auf unser Vermögen ankommt) und daher lediglich zum Gegenstande der Hoffnung ge-
macht wird.“34

Mit dem Begriff des höchsten Guts als Versuch, die Antinomie der praktischen Ver-
nunft aufzuheben, abstrahiert Kant gegen seine eigene Einsicht von den realen Be-
dingungen des höchsten Guts. Statt dessen beruft er sich auf die christliche Traditi-
on, die nicht nur Gestalt der Wahrheit ist, sondern auch den Keim der Repression in
sich trägt.35

34
Kant. Kritik der praktischen Vernunft, 148, AA 128 f.
35
Die christliche Lehre, auf die Kant sich bei der Rechtfertigung des höchsten Gutes bezieht, liefert
ebenso eine passende Herrschaftsideologie. Das mythische Urbild des Menschen im Christentum
charakterisiert ihn durch den Sündenfall, in dem er sich von Gott abkehrt und von diesem aus dem
paradiesischen Zustand in den Zustand der Bedürftigkeit und Mühe versetzt wird. Aus dieser ur-
sprünglichen Handlung der Menschen wird die Bedürftigkeit als sündhaft und die Pflicht, die
Schuld ein Leben lang entbehrungsreich und ohne Aussicht auf diesseitige Erlösung abzutragen,
abgeleitet. „Du sollst nicht davon essen-, verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal
sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst
das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du
wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.“
(Deutsche Bibelgesellschaft. Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers: mit Wortkonkor-
danz. Stuttgart, 2000, V. 3,16 ff. So sehr die christliche Lehre zu ihrer Zeit den avancierten Stand
der abendländischen Geistesgeschichte darstellte, liegt in diesem Grundzug ein repressives Mo-
ment, das in dem Maße hervortritt, in dem Religion ihre geschichtliche Funktion als Gestalt der
Wahrheit verliert. Christoph Türcke faßt den Sündenfall als Übergang vom paradiesischen Zu-
Der Begriff des Willens 199

Das Negativ zum materiellen Glück ist der Hunger. 36 Über Jahrtausende war Hun-
ger eine Geißel der Menschheit, da ihre Reproduktionsmöglichkeiten beschränkt
waren: Sie bewegten sich in den Grenzen des Verhältnisses von Bodenertrag, Bevöl-
kerungszahl und den das Verhältnis beeinflussenden Naturschwankungen, wie extre-
me Wetterverhältnisse, Krankheiten und dergleichen mehr. Umgekehrt sind die
Menschen ihrem Wesen nach dazu fähig, mehr zu produzieren, als für die unmittel-
bare Reproduktion nötig ist. Die Verfügung über dieses Mehrprodukt wurde zum
Objekt der Herrschaft. Durch die Ausbeutung der Arbeitsleistung Vieler z. B. in den
antiken Sklavenhaltergesellschaften auf einem technisch relativ einfachen Niveau
konnten Wenige gut leben und sich den angenehmeren Dingen des Lebens widmen.
Mit der Produktivkraftentwicklung ab dem 14./15 Jh. entwickelten die Menschen
Organisationsformen und Techniken, wie z. B. die Drei-Felder-Wirtschaft, durch
welche der Hunger tendenziell beherrschbar wurde – sicher seit der Entwicklung der
Maschinerie und der großen Industrie seit Ende des 18. Jh. Aber dieselbe Entwick-
lung, die den Hunger beherrschbar machte, ging einher mit der Entwicklung von
Herrschaftsformen, die sich auf die Verfügung über die Produktionsbedingungen be-
zogen, so daß der Hunger in demselben Maße, in dem er hätte abgeschafft werden
können, zu Herrschaftszwecken instrumentalisiert wurde.37

stand in den Stand der Arbeit, wobei er den paradiesischen Zustand als in sich widersprechend be-
greift: „Der Fluch, den sich die Menschen dadurch zuzogen, daß sie anfingen, sich von bloßer Na-
tur zu unterscheiden, ist der Brennpunkt der biblischen Urgeschichte. Wohl mag ihr Anfang auf
den ersten Blick als Musterbeispiel einer idealistischen Konstruktion erscheinen: Aus dem göttli-
chen Geist geht eine ideale Welt hervor, aus der idealen Welt dann die sündige. Doch diese Kon-
struktion destruiert sich im Zuge ihr Entfaltung selbst. Das Paradies offenbart sich als unauflösli-
cher Widerspruch: Es muß ideal sein, weil es göttlichen Ursprungs ist, und es kann nicht Ideal
sein, weil es korrumpierbar ist. Der Mythos läßt es in die Sünde übergehen und demonstriert da-
bei, daß dieser Übergang unmöglich ist; wo er stattfindet, war das Paradies keines. In der Erzähl-
kunst, die das ebenso nüchtern wie abgründig darzustellen vermag, erreicht die Mythologie eine
Niveau, auf dem der Mythos etwas von seiner eigenen Unwahrheit zu ahnen beginnt.“ Christoph
Türcke. „Gottesgeschenk Arbeit. Theologisches zu einem profanen Begriff.“ In Hamburger Ad-
orno-Symposion, hrsg. v. Michael Löbig und Gerhard Schweppenhäuser. Lüneburg, 1984, 90.
36
Vgl. Hans-Georg Deggau. Die Aporien der Rechtslehre Kants. Stuttgart-Bad Cannstatt, 1983, 118.
37
„Die Bemühungen, das Volk zur Arbeit zu erziehen, beschränken sich nicht nur auf theoretische
und moralische Schriften; die Aufklärer sind von der Macht der literarischen Beweisführung nicht
sehr überzeugt: ‚Labore et fame, die Inschrift über dem Eingang des Wiener Zucht- und Arbeits-
hauses charakterisiert die Mittelwahl, zu der die Zeitgenossen viel mehr Vertrauen hegten. Eine
Gesellschaft, die Hunger und Gewinn zu den Triebkräften ihrer Entwicklung machte, schien mit
den Idealen puritanischen Konsumverzichts und kapitalistischen Investitionsverhaltens am leichte-
sten vereinbar. Auch die Lohn- und Armutstheorien der frühen Nationalökonomie sind Ausfluß ei-
ner Beurteilung der Arbeitsverhältnisse, die davon ausging, daß nur bei niedrigen Löhnen der Ar-
beiter zum Arbeiten zu bewegen sei. Von solchen Vorstellungen ist der Schritt nicht weit, daß die
Disziplinierung, die die Fabriken erforderten, vornehmlich durch versteckte und offene Gewalt zu
erreichen sei, durch die physische Gewalt des Prügelns, des Einpassens, der Beschränkung der
Freiheit oder durch die nicht weniger physische Gewalt des Hungers. Das Arbeitshaus schien un-
ter solchen Bedingungen das probateste Mittel der Disziplinierung.‘“ Die Autoren arbeiten sich
hier an der Zeit des Absolutismus und der Zentralstaaten der frühen Neuzeit ab. Roman Sandgru-
ber. Die Anfänge der Konsumgesellschaft: Konsumgüterverbrauch, Lebensstandard u. Alltagskul-
tur in Österreich im 18. u. 19. Jh. München, 1982, 378. Zit. n. Leonhard Bauer u. Herbert Matis.
Geburt der Neuzeit: vom Feudalsystem zur Marktgesellschaft. München, 1989, 331. „Es kostet
Jahrhunderte, bis der ‚freie‘ Arbeiter infolge entwickelter kapitalistischer Produktionsweise sich
freiwillig dazu versteht, d. h. gesellschaftlich gezwungen ist, für den Preis seiner gewohnheitsmä-
200 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

Hegel hatte die Technik der Herrschaft in der Phänomenologie des Geistes reflek-
tiert. Dort ist die Macht, welche über das durch den Knecht produzierte Mehrpro-
dukt verfügt, nicht nur die Macht über das Leben des Knechtes als Resultat des
Kampfes auf Leben und Tod, sondern sie ist auch technisch vermittelt, indem der
Herr über die Produktionsmittel verfügt, also nicht nur deren Gebrauch verfügen
kann, sondern auch deren Nichtgebrauch. Nur indem die Verfügung über die Mittel
der Reproduktion monopolisiert wird, wird der an sich freie Wille des Knechtes auf
Dauer erpreßbar, sich die Zwecke desjenigen, der über die Produktionsmittel ver-
fügt, zu eigen zu machen. Während die rohe Gewalt, der Kampf auf Leben und Tod,
zu einer unmittelbaren Hierarchisierung der Kämpfenden führt, garantiert die Mono-
polisierung des Gebrauchs der Produktionsmittel die Kontinuität des Verhältnisses
von Herr und Knecht. Auch wenn im Zusammenhang mit Herrschaft und Knecht-
schaft noch nicht vom Privateigentum gesprochen werden kann, wird dort doch eine
Dynamik des Herrschaftsverhältnisses beschrieben, die mit dem Privateigentum an
Produktionsmittel zu einem vorläufigen (hoffentlich aber endgültigen) Höhepunkt
kommt.
Damit liegt die historische Voraussetzung von Herrschaft in der Möglichkeit statt
Menschen durch permanente körperliche Bedrohung zu unterwerfen, ihre Bedürfnis-
se gegen sie selbst zu instrumentalisieren. Umgekehrt ist der Einsatz dafür, sich aus
der Herrschaft zu befreien, kein geringerer, als die Befriedigung der Bedürfnisse
aufs Spiel zu setzen. Die Forderung nach der Abschaffung von Herrschaft ist darin
gleichermaßen moralisch geboten wie rücksichtslos gegen die Interessen der In-
dividuen und ist damit nicht widerspruchsfrei zu haben. Dieser Widerspruch ist der
Realgrund der Asymmetrien, die sich bei Kant im Begriff des Reichs Gottes, bei He-
gel in der Nichtübereinstimmung von zeitlicher und logischer Willensentwicklung
geltend machen, aber weder von dem einen noch dem anderen konsequent als Real-
grund dargestellt werden.
Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen liefert die Bestimmung Kants, daß die
Glückseligkeit ein notwendiger Bestimmungsgrund des Willens ist, einen Beitrag
zur Aufklärung. Aber seine Haltung bleibt widersprüchlich, weil er die Perspektive
auf ein Reich Gottes in den Postulaten um die Forderung nach diesseitiger Verwirk-
lichung, die eine Nuance ums Ganze ist, ermäßigt. Dieser Widerspruch spiegelt sich
auch an anderen Stellen in seinem Werk wieder, etwa in der nicht in Übereinstim-
mung zu bringenden Dualität von Moral und Recht, das mit der Befugnis zu zwin-
gen verbunden ist.38 Es ist dies der unbewußte Ausdruck der Resignation Kants vor
den Verhältnissen, die er zugleich affirmiert.
Hegel wendet sich explizit dagegen, der Realisierung der Sittlichkeit und dem
darin enthaltenen Streben nach irdischer Glückseligkeit den Rang einer regulativen

ßigen Lebensmittel seine ganze aktive Lebenszeit, ja seine Arbeitsfähigkeit selbst, seine Erstge-
burt für ein Gericht Linsen zu verkaufen.“ Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des
Kapitals, 287.
38
Kant. Metaphysik der Sitten, 338 f.
Der Begriff des Willens 201

Idee zuzusprechen. Er betont, daß die Befriedigung der Neigungen und Begierden
das Interesse jedes Individuums ist und als solches nicht Gegenstand einer vermeint-
lich moralischen Bewertung.
„Selbst im reinsten rechtlichen, sittlichen und religiösen Willen, der nur seinen Begriff,
die Freiheit, zu seinem Inhalte hat, liegt zugleich die Vereinzelung zu einem Diesen, zu ei-
nem Natürlichen. Dies Moment der Einzelheit muß in der Ausführung auch der objektiv-
sten Zwecke seine Befriedigung erhalten; ich als dieses Individuum will und soll in der
Ausführung des Zwecks nicht zugrunde gehen. Dies ist mein Interesse. Dasselbe darf mit
der Selbstsucht nicht verwechselt werden; denn diese zieht ihren besonderen Inhalt dem
objektiven Inhalte vor.“39

Interessen sind amoralisch, also nicht das Gegenteil des Guten, sondern gegen die
Maßstäbe der Sittlichkeit indifferent. Deshalb ist der entscheidende Maßstab für die
moralische Bewertung „auf diesem Standpunkte gleichfalls die subjektive
Willkür“40. Die Unfreiheit der Willkür ist durch die Naturgegebenheit und Zufällig-
keit ihrer Inhalte begründet. Da also der Wille weder als reine Abstraktion frei ist,
noch als heteronom bestimmter, die Befriedigung seiner Bedürfnisse aber sein not-
wendiges Interesse, kann die Selbstbestimmung nur in einer Objektivität gelingen,
die systematisch und vernünftig bestimmt ist, was bei Hegel tendenziell dasselbe ist,
historisch aber zu unterscheiden. Damit ist Selbstbestimmung eine gesellschaftliche
Bestimmung, deren historische Eigenständigkeit gegen die philosophische Kon-
struktion der realisierten Vernunft zu untersuchen ist.
Dieser Begriff von Selbstbestimmung ist als Einheit von Theorie und Praxis kon-
zipiert. Hinter diese Einsicht Hegels zurückzugehen, hieße, hinter den Anspruch von
Selbstbestimmung zurückzugehen. Trotzdem bleibt dieser Begriff ein systemimma-
nenter Begriff, mit dem Hegel nicht das Glück der Subjekte anvisiert, sondern die
Einheit des philosophischen Systems, dem die subjektiven Interessen der Subjekte
notfalls auch geopfert werden. Diese Tendenz kann ihrerseits nicht unkritisiert blei-
ben. Die Subjekte der Selbstbestimmung sind nicht in deren Begriff auflösbar, und
ihre praktische Selbstbestimmung ist deshalb vielmehr auch historische Tat. Darin
weist der Selbstbestimmungsbegriff Hegels über sich hinaus.

39
Hegel. Enzyklopädie III. 298, Zusatz.
40
Hegel. Grundlinien, § 18.
202 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

4.2 Abstraktes Recht


„Der schlechteste Staat, dessen Realität dem Begriff am wenigsten entspricht, insofern er noch
existiert, ist er noch Idee; die Individuen gehorchen noch einem machthabenden Begriff.“41
„Der gewichtigste Einwand ist der aus der Erfahrung, das heißt die Frage, wo und wann eine
solche Gewalt von den Untertanen anerkannt worden sei.“42

Aus Warte der Philosophie stellt sich das Grundproblem der Rechtsbegründung als Pro-
blem der Rechtsverbindlichkeit dar, denn der Geltungsanspruch des Rechts ist in Ab-
grenzung gegen die notwendig-allgemeine Geltung mathematischer oder naturwissen-
schaftlicher Urteile unsicher:43 Das Substrat der Naturgesetze existiert unabhängig vom
Zutun und von der Erkenntnis durch Menschen und die Gesetze gelten notwendig allge-
mein. Naturgesetze können deshalb zwar unerkannt oder Gegenstand falscher Vorstel-
lungen sein, ohne daß aber dadurch der durch sie erfaßte Gehalt lädiert würde. 44 Mit
dem positiven Recht wird dagegen das geltende Recht in einem bestimmten Raum auf
einer bestimmten Stufe der historischen Entwicklung bezeichnet. Außerdem ist es kon-
kret im Sinne der Anwendbarkeit. Es hat seinen Gegenstand an den menschlichen Hand-
lungen, die es organisiert. Damit ist sein Gegenstand ein von Menschen Herkommendes,
das geschichtlich erst entsteht und das nicht in der Natur, sondern im selbstbewußten
Willen gründet. Damit gilt das positive Recht nicht notwendig, sondern komparativ all-
gemein, d. h. es gilt innerhalb einer bestimmten Gesellschaft und bleibt in seiner Gel-

41
Hegel. Lehre vom Begriff, 208. Vgl. auch Peter Bulthaup: „Daß Hegel unter dem Titel der Pflicht
das Sollen, das er zuvor kritisierte, wieder einführt, ist Indiz dafür, daß der Staat einen realen
Grund hat, daß in ihm Grund und Begründetes auseinandergetreten sind und daß die daraus resul-
tierende Diskrepanz in der Existenz von bürgerlicher Gesellschaft und ihrem Staat nicht aufgeho-
ben ist. Der bürgerliche Staat ist nicht der vernünftige Zweck. Der Staat, den zu wollen Pflicht,
vernünftige Bestimmung des Willens sein könnte, wäre ein anderer, als der der bürgerlichen Ge-
sellschaft, der oszilliert zwischen dem Staatsterrorismus einerseits und der losgelassenen Konkur-
renz, die ihre Beschränkung durch den Staat durch dessen Zerstörung durchbricht, andererseits.
Die nicht eben erfreuliche Alternative von Staatsterrorismus und permanentem Bürgerkrieg provo-
ziert die Vorstellung einer befriedeten Gesellschaft, die, als Negation der antagonistischen, mit
dieser die Idee des Staates teilt, dessen realer Grund ihn wieder zu der Alternative von Staatsterro-
rismus und permanentem Bürgerkrieg bestimmt. Ob diese trostlose Einsicht dem ohnmächtigen
Wunsch, es möge anders werden, auf die Sprünge zu helfen vermag, steht dahin. Die Trauer über
die eigene Ohnmacht aber dem ruchlosen Optimismus von Zukunftswerkstätten zu opfern, hieße
im bloßen Namen einer befriedeten Gesellschaft die Opfer intellektuell zu ratifizieren, die die ant-
agonistische fordert.“ Peter Bulthaup. „Hegels Staatstheorie”. Vorlesung vom 7. Februar 1994. Pe-
ter Bulthaup Archiv, unveröffentlicht.
42
Thomas Hobbes. Leviathan, 162.
43
Vgl. auch Hans-Georg Deggau zu Kant: „Damit ist das Dilemma der Kantschen Rechtslehre und
das jeder Rechtstheorie gekennzeichnet. Das Recht läßt sich nicht außerhalb und unabhängig von
den geregelten Sachverhalten situieren; ebensowenig aber vermag es aus deren Faktizität seine
Begründung zu erfahren. Als normatives Gefüge kann und will es nicht pure Wiederspiegelung
dessen sein, was ist. Vielmehr bestimmt es, wie dieses sein soll. Das ist auch Kants Anspruch: a
priori etwas über das Recht zu erkennen, es in seinen Verhältnissen zu entwickeln und zugleich
den Nachweis zu führen, daß es mit der Struktur der gegenständlichen Welt kompatibel ist und die
Möglichkeit hat, die Verhältnisse der Menschen und damit ihrer Sachwelt zu ordnen. Die Bereiche
des a priori und des Empirischen sind also im Hinblick auf das Handeln der Menschen zueinander
zu vermitteln.“ Hans-Georg Deggau. Aporien der Rechtslehre Kants, 307.
44
Vgl. Hegel. Grundlinien, 15 ff. Zusatz.
Abstraktes Recht 203

tung von durchsetzenden und garantierenden Instanzen wie dem Staat einerseits und der
Zustimmung der Mehrheit der Rechtssubjekte andererseits abhängig. Mit diesen Instan-
zen kann Recht deshalb auch wieder abgeschafft werden. Ebensowenig ist die Wirklich-
keit des positiven Rechts ein Garant dafür, daß die Vorstellungen, aufgrund derer die
Rechtswirklichkeit gestaltet wurde, vernünftige Vorstellungen sind. Gesetzliches Recht
kann deshalb sowohl die Organisationsform unvernünftiger Lebensverhältnisse sein, als
auch Ausdruck der vernünftigen Selbstbestimmung des Willens. Grundsätzlich ist also
das Recht die Form der gesellschaftlichen Organisation der Rechtssubjekte und als sol-
ches der Möglichkeit nach Ausdruck ihrer Selbstbestimmung. Andererseits ist das Recht
als positives Recht historisch gegeben, ohne daß dessen Bestimmungsgrund juristisch
bzw. rechtsphilosophisch gebunden wäre.
Das Recht ist als positives Recht also nicht selbst durch philosophische Reflexion er-
zeugt, sondern vielmehr eigenständig. Zum Gegenstand der Philosophie Hegels wird das
Recht, weil es als die Gestalt des objektivierten Willens aus dessen Begriff begründet
wird. Damit steht dem Problem der aus dem positiven Recht entspringenden histori-
schen Zufälligkeit das philosophische Problem gegenüber, die Gehalte des positiven
Rechts tendenziell zu affirmieren. Dieses Problem will Hegel umgehen, indem er es aus
dem Begriff des vernünftigen Willens bestimmt und es als dessen Verwirklichung be-
greift: „Dies, daß ein Dasein überhaupt, Dasein des freien Willens ist, ist das Recht. – Es
ist somit überhaupt die Freiheit, als Idee.“45 Damit grenzt er den Gegenstandsbereich der
Grundlinien gegen die Vorstellung ab, es handele sich um eine historisch befangene Dar-
stellung eines bestimmten rechtlichen Zustandes. Die Grundlinien stellen nicht den Ent-
wurf einer positiven Gesetzgebung dar, sondern zeigen überhaupt die Grundzüge einer
nach Hegels Verständnis aufgeklärten Gesellschaft auf, in die sich die positive Gesetz-
gebung einfügen muss, um dem Maßstab des vernünftigen Willens zu genügen. Deshalb
nimmt sie einen verhältnismäßig kleinen Teil (nämlich den der Rechtspflege als Unter-
kapitel der Bürgerlichen Gesellschaft) neben den ökonomischen wie institutionellen
Voraussetzung der Gesellschaft ein. Andererseits ist die Positivität von Recht ein not-
wendiges Moment jedes nicht transzendent gegebenen Vernunftrechts, weil dies seine
eigene Geltung sachlich, aber nicht reell zu begründen vermag.
Darin, daß das positive Recht nur zu einem Teil ein reflektiertes Produkt des selbstbe-
wußten Willens ist, zu einem anderen aber auch das Resultat pragmatischer Entschei-
dungen und machtpolitischer Auseinandersetzungen, liegt der Möglichkeit nach eine
kritische Distanz der systematischen Rechtsbegründung zum positiven Recht.46 Ein In-
diz dafür, daß das Gesellschaftsmodell Hegels anderen Maßstäben genügt als das positi-
ve Recht seiner Zeit, sind die Abweichungen zwischen beiden, so z. B. die den Korpora-
tionen von Hegel zugewiesene konstitutive Stellung in der Vermittlung von bürgerlicher
Gesellschaft und Staat zu einem Zeitpunkt, wo die gesellschaftliche Entwicklung bereits
in die entgegengesetzte Richtung gelenkt wurde. Hegels Gesellschaftsbegriff ist also

45
Hegel. Grundlinien, § 29.
46
Hegel. Grundlinien (Werke), 35.
204 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

kein einfaches Abbild der gegebenen Verhältnisse seiner Zeit, sondern eine Mischform. 47
Obgleich aber das rechtsphilosophische Programm Hegels die Möglichkeit dieser Kritik
enthält, intendiert sie keine Kritik. Hegel begreift den historischen Zustand als vernünf-
tig, die Vernunft als verwirklicht; die Entwicklung des rechtsphilosophischen Begriffs
soll das beweisen. Ein Indiz für die unkritische Haltung ist, daß die Bestimmungen der
Rechtssubjekte sich darauf beschränken, im umfassenden Sinne Erfüllungsgehilfen des
gesellschaftlichen Gesamtzusammenhanges zu sein, so daß sogar das Verbrechen noch
als Negation der Negation bestimmt werden kann. Die Rolle der Kritiker z. B. innerhalb
einer politischen Opposition, wird den Rechtssubjekten vom Weltgeist nicht zugestan-
den.48 Das hatte Hegel schon früh so gesehen:
„Und politische Rechte, insofern sie die Kraft von Privatrechten haben sollen, führen eine Art
von Widerspruch in sich; denn sie würden voraussetzen, daß diejenigen, die solche feste politi-
sche Rechte gegeneinander hätten, in einem Rechtsverhältnisse unter einer gewalt- und macht-
habenden Obrigkeit stünden. Allein in diesem Fall wären die gegenseitigen Rechte keine politi-
schen Rechte mehr, sondern Privat-, Eigentumsrechte.“49

Die Prämisse gesellschaftlich realisierter Vernunft erlaubt es Hegel, von Rechten in ei-
nem emphatischen Sinne zu sprechen: „Die Moralität, die Sittlichkeit, das Staatsinteres-

47
„Wenn man so will, ist Hegel der Theoretiker eines Staatssozialismus, der nicht für die generelle
Abschaffung des Privateigentums, aber für dessen radikale Beschränkung zugunsten des allgemei-
nen Interesses eintritt.“ Peter Bulthaup. „Hegels Rechtsphilosophie III.“ 10.
48
Das Verbrechen erscheint bei Hegel als Negation des Rechts. Indirekt gibt diese Bestimmung
nochmal Aufschluß über den Subjektbegriff Hegels, denn das Verbrechen ist zwar notwendiges
Moment der begrifflichen Entwicklung, ohne aber konstruktiv zu sein. Eduard Gans bestimmt die
der Negation des Begriffs adäquate Erscheinung als die Opposition im Staat. „Sie [die Opposition,
M. B.] ist die wahrhafte Negation, die das wahrhafte Positive in sich zu enthalten hat. Sobald die
Opposition siegt, muß die Kammer aufgelöst werden. Soll diese systematisch seyn, oder nur für
gewisse Maaßregeln? Wir sagen: sie muß systematisch seyn, weil die Negation nicht zufällig seyn
darf; sie kann bloß aufhören, wenn es sich um Gegenstände handelt, denen jeder ernstliche Hang
sich anschließen muß, wie bei der katholischen Emancipation in England.“ Eduard Gans. Natur-
recht und Universalrechtsgeschichte, 102. Manfred Riedel erläutert die Stellung der Opposition in
der Vorlesung von Gans: „Am Schluß des Abschnitts über die gesetzgebende Gewalt fügt Gans
der Hegelschen Vorlage einen Passus ein, den sie nicht kennt: Die Lehre von der Opposition. Er
nimmt in einer Nachschrift aus dem WS 1828/29 einen relativ breiten Raum ein, der in den späte-
ren Vorlesungen (1832/33, 1837/38) merklich zurücktritt. Vielleicht gingen die von offizieller Sei-
te ausgesprochenen ‚Warnungen‘ an Hegel vor diesem eigenwilligen Schüler auch auf diesen Pas-
sus zurück. Jedenfalls leitet Gans, dem Hegelschen Prinzip folgend, die Notwendigkeit einer Op-
position im Staat aus der Kategorie der Negation her.“ Manfred Riedel, „Naturrecht und Univer-
salrechtsgeschichte – Einleitung.“, 23 f. Dagegen Hegel: „Was aber die p o l i t i s c h e Freiheit be-
trifft, nämlich im Sinne einer förmlichen Theilnahme des Willens und der Geschäftigkeit auch der-
jenigen Individuen, welche sich sonst zu ihrer Hauptbestimmung die particulären Zwecke und Ge-
schäfte der bürgerlichen Gesellschaft machen, an den öffentlichen Angelegenheiten des Staates, so
ist es zum Theil üblich geworden, Verfassung nur die Seite des Staats zu nennen, welche eine sol-
che Theilnahme jener Individuen an den allgemeinen Angelegenheiten betrifft, und einen Staat, in
welchem sie nicht förmlich Statt hat, als einen Staat ohne Verfassung anzusehen. Es ist über diese
Bedeutung zunächst nur diß zu sagen, daß unter Verfassung die Bestimmung der Rechte d. i. der
F r e i h e i t e n überhaupt, und die Organisation der Verwirklichung derselben verstanden werden
muß, und die politische Freiheit auf allen Fall nur einen Theil derselben ausmachen kann“. Hegel.
Enzyklopädie, § 539 Anmerkung.
49
Hegel. „Die Verfassung Deutschlands.“ In Werke Bd. 1 (Frühe Schriften), 637. Frankfurt a. M.,
1986, 538.
Abstraktes Recht 205

se ist jedes ein eigentümliches Recht, weil jede dieser Gestalten Bestimmung und Da-
sein der Freiheit ist.“50
Das Problem der Begründung der Rechtsverbindlichkeit wird also von Hegel in das
Problem der Selbstentfaltung des Willens transformiert, der seine Bedingungen histo-
risch vorfindet, um sie systematisch zu setzen. Mit diesem Rechtsbegriff grenzt sich He-
gel nicht nur gegen die einzelwissenschaftlichen Rechtsbegründungen ab, sondern eben-
so gegen solche philosophischen Begründungen, die die Rechtsverbindlichkeit aus der
Heterogenität und Konkurrenz menschlicher Interessen und Handlungen begründen,
z. B. in der Weise, daß nur dann eine gerechte Gesellschaft vorstellbar sei, wenn der
Mensch – als des Menschen Wolf – durch einen Staat gezähmt werde. Hobbes hatte die
Konkurrenz unter den Menschen anthropologisch begründet: Zwar seien alle Menschen
gleich, aber nicht qua Vernunft, sondern weil alle gleichermaßen nach Selbsterhaltung
und Lustgewinn streben und weil alle Menschen – selbst die Starken in einem Moment
der Schwäche – getötet werden können. „So liegen in der menschlichen Natur drei
hauptsächliche Konfliktursachen: Erstens Konkurrenz, zweitens Mißtrauen, drittens
Ruhmsucht.“51 Die Natur der Menschen führe zu einem Krieg aller gegen alle, der nur
verhindert werden könne, indem eine „sie alle im Zaum haltende Macht“52 diesen
Kriegszustand beende. Der Leviathan ist grundsätzlich dadurch legitimiert, daß er per
Definition Schlimmeres verhindert, ohne dem Maßstab menschlicher Selbstbestimmung
im Sinne Hegels zu genügen.
„Hierin liegt das Wesen des Staates, der, um eine Definition zu geben, eine Person ist, bei der
sich jeder einzelne einer großen Menge durch gegenseitigen Vertrag eines jeden mit jedem zum
Autor ihrer Handlungen gemacht hat, zu dem Zweck, daß sie die Stärke und Hilfsmittel aller
so, wie sie es für zweckmäßig hält, für den Frieden und die gemeinsame Verteidigung einsetzt.
Wer diese Person verkörpert, wird Souverän genannt und besitzt, wie man sagt, höchste Ge-
walt, und jeder andere daneben ist sein Untertan.“53

Darin, daß der Staat des Leviathan hierarchisch geordnet ist und in der Durchsetzung
der Hierarchie der Gewalttätigkeit des Kriegszustandes durchaus adäquat bleibt, ist er
nicht Ausdruck vernünftiger Selbstbestimmung.
Während Hobbes sich als Empiriker versteht, ist Kant Vernunftkritiker. Er hat den
Anspruch, die Allgemeinverbindlichkeit des Rechts aus der praktischen Vernunft zu be-
stimmen. Dabei unterscheidet Kant die Rechtsbegründung streng von der moralischen
Willensbestimmung, weil sie sich jeweils auf unterschiedliche Gegenstandsbereiche be-
ziehen: Das Recht regelt die Sphäre der äußeren Handlungen, nicht aber die den Hand-
lungen zugrunde liegenden Maximen. Maximen und Handlungen sind spezifisch unter-
schieden. Die Maximen sind auch Ausdruck der Freiheit, Zwecke setzen zu können, die
es zuvor in der Welt nicht gegeben hat. Sie können daher nicht auf die gesellschaftlichen
Bedingungen, unter denen sie realisiert werden, reduziert werden. Die Handlungen fin-

50
Hegel. Grundlinien, § 30 Anmerkung.
51
Thomas Hobbes. Leviathan, 95.
52
Ebd., 96.
53
Ebd., 134 f.
206 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

den dagegen nur unter den Bedingungen von Raum und Zeit, Kausalität und Wechsel-
wirkung statt. Wäre dem nicht so, dann blieben entweder die Zwecke subjektive Vorstel-
lungen, denen in der Welt keine Sachverhalte korrespondieren, oder es gäbe umgekehrt
keine Handlungen, sondern nur Naturkausalität. Wegen dieses Unterschiedes können
deshalb Handlungen nicht nach ihrer besonderen Maxime beurteilt werden, sondern nur
nach einem Maßstab, der die Koordination aller Handlungen überhaupt ermöglicht:
„Eine jede Handlung ist rec ht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür ei-
nes jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen
kann etc.“54 Die Durchsetzung dieser allgemeinen Rechtsmaxime kann nur praktisch er-
folgen und ihre Mittel liegen damit jenseits moralischer Kriterien. Das Recht ist mit der
Befugnis zu zwingen verbunden, weil Handlungen, die in Raum und Zeit stattfinden,
auch nur in Raum und Zeit beeinflußt werden können.55
Damit stellt sich Kant in der Metaphysik der Sitten die Aufgabe, ein Rechtssystem
jenseits der reinen, moralisch-praktischen, Vernunft zu begründen, das zugleich a priori
die Bedingungen enthält, damit „die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach
einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“56. Das Recht
ist amoralisch, soll aber die Bedingungen der Möglichkeit moralischer Willensbestim-
mung darstellen, indem es die Allgemeinverträglichkeit der Handlungen herstellt, die
sowohl auf andere Subjekte als auch auf Gegenständliches bezogen sind. Die Form der
Allgemeinheit ist das gemeinsame Dritte von komparativer und notwendiger Allgemein-
heit.
Der Rechtsbegriff Kants steht somit zwischen Moralität und Rechtspraxis, so daß die
Rechtsverbindlichkeit ihre Autorität weder aus der moralisch-praktischen Vernunft be-
ziehen kann, noch aus der Erfahrung. Die Begründung der Rechtsverbindlichkeit muß
aus dem Rechtsbegriff selbst konstruiert werden. Derjenige Begriff, der den Bezugs-
punkt der Subjekte zueinander wie der Subjekte zu den Gegenständen, die sie für ihre
physische Existenz benötigen, darstellt, ist der des Eigentums: „Das Rechtlic h -Meine
(meum iuris) ist dasjenige, womit ich so verbunden bin, daß der Gebrauch, den ein an-
derer ohne meine Einwilligung von ihm machen möchte, mich lädieren würde.“57 Im
Rechtlich-Meinen bezieht sich ein Subjekt negativ auf alle anderen Subjekte, die es vom
Gebrauch ausschließt. Das Recht gründet bei Kant im Privatrecht. Der gesamtgesell-
schaftliche Ausschluß aller Subjekte vom Gebrauch des Eigentums setzt deren Zustim-
mung voraus, weil der Eigentumstitel sonst von der unmittelbaren Innehabung, also der
körperlichen Präsenz des Eigentümers abhinge. Wenn also die Verbindlichkeit über das
Verhältnis zweier Rechtssubjekte hinausgehen soll, dann muß dem unmittelbaren Besitz
ein intelligibler entsprechen, der auch über die unmittelbare körperliche Präsenz des Be-
sitzenden hinaus gültig ist. Der intelligible Besitz beruht auf einem allgemeinen Verhält-
54
Kant. Metaphysik der Sitten, 337. Eine ausführliche Interpretation der Kantischen Philosophie, die ins-
besondere den Zusammenhang von Erkenntnistheorie und Moralphilosophie mit der Rechtsphilosophie
thematisiert, findet sich in: Michael Städtler. Kant und die Aporetik moderner Subjektivität. Berlin 2011.
55
Vgl. Kant. Metaphysik der Sitten, 338 f.
56
Ebd., 337.
57
Ebd., 353.
Abstraktes Recht 207

nis zwischen den Rechtssubjekten, die dem wechselseitigen Gebrauchs- bzw. Aus-
schlussrechten zustimmen und damit auf „der Idee eines a priori vereinigten (notwendig
zu vereinigenden) Willens“58.
Der a priori vereinigte Wille braucht einen ihm korrespondieren Gegenstand, also
einen Gegenstand, der nicht von subjektivem, sondern von allgemeinem Interesse ist:
den Boden. Er stellt die gegenständliche Voraussetzung jeden Eigentums dar, denn für
die Rechtssubjekte ist der Boden ebenso eine Bedingung ihrer physischen Existenz wie
die Bedingung jeder durch das Eigentumsverhältnis geregelten privatrechtlichen Lei-
stungserbringung, also z. B. einer Vertragsleistung, die schließlich auch irgendwo statt-
finden muß. Aus dieser Dualität von vereinigtem Willen und ursprünglichem Besitz
folgt dann in der Metaphysik der Sitten die Konkurrenz der Subjekte:59 Vom Aneig-
nungswillen des Subjekts ist kein Objekt a priori ausgeschlossen und alle Menschen ha-
ben das gleiche Recht auf den Besitz des Bodens. Weil der aber beschränkt ist und damit
noch keine bestimmte Aufteilung des Bodens unter alle Menschen verbunden ist, resul-
tiert daraus die Konkurrenz der Menschen um den begrenzten Boden. Weil aber dieser
Widerstreit die Möglichkeit des Besitzes überhaupt negieren würde, muß das nicht-ver-
traglich geregelte Nebeneinander in das vertraglich geregelte des Rechtszustandes über-
gehen.60 Mit dem bürgerlichen Rechtszustand sind dann erst Instanzen eingeführt, die
die Durchsetzung des Rechts behandeln: die Sicherung der Eigentümer durch Staat und
Rechtsprechung.
„Alle Garantie setzt also das Seine von jemandem (dem es gesichert wird) schon voraus. Mit-
hin muß vor der bürgerlichen Verfassung (oder von ihr a b g e s e h e n ) ein äußeres Mein und
Dein als möglich angenommen werden, und zugleich ein Recht, jedermann, mit dem wir irgend
auf eine Art in Verkehr kommen könnten, zu nötigen, mit uns in eine Verfassung zusammen zu
treten, worin jedes gesichert werden kann.“61

58
Kant. Metaphysik der Sitten, 375.
59
Während die hier referierte Bestimmung die Konkurrenz der Subjekte durch die beschränkte Bo-
denverfügbarkeit begründet wird und damit nicht durch das Wesen der Menschen, sondern durch
deren Existenzbedingungen, greift Kant in anderen Passagen auf teleologische Begründungen zu-
rück: „Dank sei also der Natur für die Unvertragsamkeit, für die mißgünstig wetteifernde Eitelkeit,
für die nicht zu befriedigende Begierde zum Haben oder auch zum Herrschen! Ohne sie würden
alle vortreffliche Naturanlagen in der Menschheit ewig unentwickelt schlummern. Der Mensch
will Eintracht; aber die Natur weiß besser, was für seine Gattung gut ist: sie will Zwietracht. Er
will gemächlich und vergnügt leben; die Natur will aber, er soll aus der Lässigkeit und untätigen
Genügsamkeit hinaus sich in Arbeit und Mühseligkeiten stürzen, um dagegen auch Mittel auszu-
finden, sich klüglich wiederum aus den letztern heraus zu ziehen. Die natürlichen Triebfedern
dazu, die Quellen der Ungeselligkeit und des durchgängigen Widerstandes, woraus so viele Übel
entsprangen, die aber doch auch wieder zur neuen Anspannung der Kräfte, mithin zu mehrerer
Entwickelung der Naturanlagen antreiben, verrathen also wohl die Anordnung eines weisen
Schöpfers; und nicht etwa die Hand eines bösartigen Geistes, der in seine herrliche Anstalt ge-
pfuscht oder sie neidischer Weise verderbt habe.“ Immanuel Kant. „Idee zu einer allgemeinen Ge-
schichte in weltbürgerlicher Absicht.” In Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie,
Politik und Pädagogik 1. 33–50. Werkausgabe Bd. XI. Hrsg. v. Wilhelm Weischedel, Frankfurt
a. M. 1991.
60
Vgl. auch Hans-Georg Deggau. Aporien der Rechtslehre Kants, 109.
61
Kant. Metaphysik der Sitten, 366.
208 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

Die allgemeinverbindliche Zustimmung aller Subjekte ist notwendig zur Begründung


der Rechtsverbindlichkeit. Sie ist aber zunächst nur ein Begriff a priori, der – so die Be-
stimmung des Rechts – die Sphäre der Handlungen bestimmen soll. Es ergibt sich damit
das Problem, daß der allgemeinverbindlichen Zustimmung die praktische Anerkennung
des Eigentums entsprechen muß.
„Mit einem Worte: die Art, etwas Äußeres als das Seine im N a t u r z u s t a n de zu haben, ist ein
physischer Besitz, der die rechtliche P r ä s u mt i o n für sich hat, ihn, durch Vereinigung mit
dem Willen aller in einer öffentlichen Gesetzgebung, zu einem rechtlichen zu machen, und gilt
in der Erwartung k o mp a r a t i v für einen rechtlichen.“62

Die Anerkennung des Privateigentums, sofern sie die Nichteigentümer vom Gebrauch
ausschließt, ist eine praktische Bestimmung, die nur durchgesetzt werden kann, wenn
sie mit der Befugnis zu zwingen verbunden ist. Die Bestimmung Kants dazu aus der
Einleitung, daß Freiheit nur dann realisierbar ist, wenn Hindernisse der Freiheit beseitigt
werden, erhält hier die konkretere Bestimmung, daß andere vom Gebrauch des Privatei-
gentums abgehalten werden müssen, um die äußere Freiheit des Eigentümers zu schüt-
zen. Es sind aber Fälle vorstellbar, in denen die Ausgeschlossenen durch ihren Aus-
schluß de facto lädiert werden, z. B. wenn ihnen auf diese Weise ihre Existenzmittel
vorenthalten werden. Daran wird deutlich, daß der Geltungsgrund des Privatrechts Aner-
kennung nur a posteriori in der Sphäre äußerer Handlungen erfährt und daß diese Aner-
kennung auf einem Gewaltverhältnis gründet. Oder: Der ursprünglichen Erwerbung ent-
spricht nicht nur der spekulative Schluß auf die erste Erwerbung, sondern auch die
historische Tat der empirischen Aneignung von Eigentum. Umgekehrt kann aber die
Verbindlichkeit des Rechts von Kant auch nicht moralisch begründet werden, denn er
selbst hatte ja auf die spezifische Differenz zwischen Moralität und Recht hingewiesen.
D. h. daß 1. der intelligible Besitz und die darin unterstellte Allgemeinverbindlichkeit
Bedingung der Möglichkeit des Privateigentums ist, 2. daß der Grund der Verbindlich-
keit des intelligiblen Besitzes aber nur a posteriori angegeben werden kann und damit 3.
der historische Grund dem logischen logisch wie historisch vorausgesetzt ist.63
Das moralische Prinzip der Kritik der praktischen Vernunft sollte die Vereinbarkeit al-
ler Zwecke unabhängig von besonderen Interessen und Handlungen begründen, aber der
kategorische Imperativ ist ein formelles Gesetz, das als solches die vernünftige Koordi-
nation der technisch-praktischen Handlungen nicht gewährleistet.64 Auch das allgemeine
Rechtsprinzip vermag die Übereinstimmung der geschichtlich-praktischen Rechtskonsti-

62
Kant. Metaphysik der Sitten, 367.
63
„In ihr [der Besitzlehre, M. B.] geht das Besondere des empirischen Besitzes dem Allgemeinen
des intelligiblen Besitzes voraus und wird nicht durch dieses bestimmt. Die vollzogene occupatio
ist immer schon unterstellt, um dann erst ihre rechtliche Bestimmung zu erfahren. Eine Läsion
kann nur gedacht werden, wenn jene vorausgesetzt wird; sonst gäbe es keinen Gegenstand, auf
den sie sich beziehen könnte. Es wird daher mit dem intelligiblen Besitz nicht der allgemeine Be-
griff des Eigentums entwickelt, um dann durch ihn das Eigentum an bestimmten Gegenständen zu
begründen. Vielmehr ist das erst zu begründende Verhältnis in der Form seiner empirischen Be-
sonderheit immer schon vorausgesetzt und damit die Gewalt im Recht.“ Hans-Georg Deggau.
Aporien der Rechtslehre Kants, 145.
64
Vgl. S. 187 ff. dieser Arbeit.
Abstraktes Recht 209

tution mit den vernünftigen Bedingungen einer allgemeinen Begründung nicht in Über-
einstimmung zu bringen. Kants Rechtsbegriff gilt gegen dessen Intention nur kompara-
tiv allgemein, weil es für den Gewaltakt der Besitzergreifung keine vernünftige, sondern
nur eine pragmatische Begründung geben kann.
Hegel überwindet die Vorstellung, daß der bürgerliche Rechtszustand auf der Not-
wendigkeit beruht, den Naturzustand und die darin liegende anthropologisch oder ge-
sellschaftlich begründete Konkurrenz zu beenden. Er leitet es aus einer allen Handeln-
den gemeinsamen Instanz ab, dem an und für sich freien Willen, der sich zugleich als
historische Manifestation begreift. Trotzdem bleibt auch im Zusammenhang der Grund-
linien das Verhältnis von Privateigentum und Konkurrenz der Prüfstein, an dem sich de-
ren Programm beweisen muß.

a) Person und Eigentum

Das Subjekt des abstrakten Rechts ist die Person, die zunächst nur durch den selbstbe-
wußten, aber noch nicht realisierten Willen bestimmt ist. Die Person ist deshalb noch
kein sittliches Individuum, sondern dasjenige Subjekt, das jenseits seiner besonderen In-
teressen und Vermögen als freies Wesen zu respektieren ist, einzig weil es über einen
vernünftig bestimmten Willen verfügt. Die Person findet eine Welt vor, auf die sie sich
durch ihre Zwecke bezieht. Aber diese Zwecke als die des moralischen, sich reproduzie-
renden und sittlichen Individuums werden erst im Verlaufe der Grundlinien Gegenstand
sein, in der Moralität, der Familie, der bürgerlichen Gesellschaft und dem Staat. Die Be-
stimmung der Person ist hinsichtlich ihrer besonderen Interessen und Bestimmungs-
gründe also zunächst gleichgültig.
„Die Allgemeinheit dieses für sich freien Willens ist die formelle, die selbstbewußte sonst in-
haltslose einfache Beziehung auf sich in seiner Einzelheit, – das Subjekt ist insofern Person. In
der Persönlichkeit liegt, daß ich als Dieser vollkommen nach allen Seiten (in innerlicher Will-
kür, Trieb und Begierde, sowie nach unmittelbarem äußerlichen Dasein) bestimmte und endli-
che, doch schlechthin reine Beziehung auf mich bin und in der Endlichkeit mich so als das Un-
endliche, Allgemeine und Freie weiß.“65

Das abstrakte Recht bezeichnet damit die Relation zwischen dem an und für sich freien
Willen und der von ihm vorgefundenen Welt. Diese Relation ist nach Hegels eigener
Auskunft zwar gegen „die konkrete Handlung und moralische und sittliche Verhältnisse“
nur eine „Möglichkeit“66. Sie hat aber zugleich Implikationen, welche das unmittelbare
Verhältnis von Einzelwille und Welt transzendieren. Der selbstbewußte Wille weiß von
seiner ihn konstituierenden Gattungsbestimmtheit ebenso wie von seinem geschichtli-
chen Werdegang und antizipiert deshalb in der Gestalt des abstrakten Rechts die Mög-
lichkeit eines vernünftigen und gesellschaftlich realisierten Kollektivs, das die Notwen-
digkeit der ökonomischen Reproduktion ebenso vermittelt. Das erklärt, warum der erste
65
Hegel. Grundlinien, § 35.
66
Ebd., § 38.
210 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

Rechtsgrundsatz nicht auf die Bestimmung des Eigentums bezogen ist, sondern auf die
Gemeinschaft der Rechtssubjekte. Noch bevor überhaupt die Rede von der Vielheit un-
terschiedener Individuen ist und bevor die Relation zwischen Einzelwille und Gegen-
stand bestimmt wird, wird die Relation zwischen den Rechtssubjekten bestimmt und da-
mit der Grundsatz der Rechtsverbindlichkeit: „Das Rechtsgebot ist daher: sei eine
Person und respektiere die anderen als Person.“67 Die Rechtsverbindlichkeit ist jedem
Eigentumstitel logisch vorausgesetzt und hat damit – anders als die Rechtsverbindlich-
keit der Metaphysik der Sitten, die komparative Allgemeinheit beansprucht – den Status
eines notwendig allgemeinen Begriffs, der nicht vom bürgerlichen Rechtszustand rekur-
siv auf die Bedingung der Möglichkeit desselben im Naturzustand schließt, sondern um-
gekehrt festlegt, aus welchem Prinzip Recht begründbar ist. Weil aber die Gemeinschaft
der Rechtssubjekte noch nicht entwickelt ist, sondern als terminus ad quem der Grundli-
nien antizipiert wird, kann der Grundsatz der Anerkennung der Rechtssubjekte nur eine
negative Bestimmung, nur ein Verbot sein:
„In Beziehung auf die konkrete Handlung und moralische und sittliche Verhältnisse ist gegen
deren weiteren Inhalt das abstrakte Recht nur eine Möglichkeit, die rechtliche Bestimmung da-
her nur eine Erlaubnis oder Befugnis. Die Notwendigkeit dieses Rechts beschränkt sich aus
demselben Grunde seiner Abstraktion auf das Negative, die Persönlichkeit und das daraus Fol-
gende nicht zu verletzen. Es gibt daher nur Rechtsverbote, und die positive Form von Rechtsge-
boten hat ihrem letzten Inhalte nach das Verbot zugrunde liegen.“68

Das erste Rechtsprinzip ist also der Schutz der Freiheit der Rechtssubjekte. Diese darf
nicht lädiert werden, weil sie die Substanz des Rechts ist. Auf diese Weise können zwar
einzelne Rechte aufgegeben werden, oder der Rechtstitel auf eine bestimmte Sache,
nicht aber die Fähigkeit, rechtlich zu handeln. Die Rechtsfähigkeit gehört notwendig
zum Wesen des an und für sich freien Willens. Juristisch bildet sich darin die Bestim-
mung der Geschäftsfähigkeit der Rechtssubjekte ab.69
Im Eigentum bezieht sich der freie Wille auf die Sache einmal als in sich subsistie-
render Wille, dann durch Aneignung und schließlich als ausgeführter Zweck.
Der in sich subsistierende Wille ist reine Beziehung auf sich und daher negativ gegen
die Sache bestimmt, diese umgekehrt als reine Äußerlichkeit des Willens, mithin priva-
tiv: „Das von dem freien Geiste unmittelbar Verschiedene ist für ihn und an sich das Äu-
ßerliche überhaupt – eine Sache, ein Unfreies, Unpersönliches und Rechtloses.“70 Die
Sache als Eigentum ist nichts anderes als die gegenständliche Reflexionsform des Wil-
lens, so daß sie vor der Aneignung durch diesen zwar gegenständlich, aber funktionslos,
oder wie Hegel sagt, herrenlos ist, während der Wille seinerseits das „absolute Zueig-

67
Hegel. Grundlinien, § 36.
68
Ebd., § 38 f.
69
In der Phänomenologie erscheint der Ausdruck der Person nicht emphatisch, sondern Hegel be-
zeichnet es selbst als Ausdruck der Verachtung, ein Individuum als Person zu bezeichnen (Vgl.
Hegel. Phänomenologie des Geistes, 262. Eine Untersuchung des Personenbegriffs als Kernmotiv
des Rechts findet sich bei Michael Städtler. „G.W.F. Hegel: ‚Person‘ und ‚Persönlichkeit‘ als
Kernmotiv des Rechts“. Unveröffentlicht, September 2009.)
70
Hegel. Grundlinien, § 42.
Abstraktes Recht 211

nungsrecht“71 auf die Sachen hat. Die Sache, die Eigentum ist, wird daher nur durch die
Abwesenheit der den Willen charakterisierenden Bestimmungen bezeichnet und damit
schon teleologisch vorgebildet, denn Unfreies, Unpersönliches und Rechtloses hat Frei-
heit, Persönlichkeit und Recht zu seiner privativen und zukünftig noch zu verwirkli-
chenden Bestimmung. Behauptet wird damit, daß der vernünftige Wille nicht nur der
Grund der autonomen Willensbestimmung, sondern umgekehrt auch die Bestimmung
der Sache selbst ist. Das Beispiel für eine Sache, deren Bestimmung im Willen liegt, ist
das Artefakt, das selbst schon das Resultat eines Produktionsprozesses ist und damit als
Gebrauchsgegenstand zweckmäßig geformt.
Indem sich der Wille auf die Sache als Gestalt seiner Objektivierung bezieht, ist die
Relation reflexiv, insofern er sich auf die Sache als Gebrauchsgegenstand bezieht, ist die
Relation irreflexiv.
„Daß Ich etwas in meiner selbst äußeren Gewalt habe, macht den Besitz aus, so wie die beson-
dere Seite, daß Ich etwas aus natürlichem Bedürfnisse, Triebe und der Willkür zu dem Meini-
gen mache, das besondere Interesse des Besitzes ist. Die Seite aber, daß Ich als freier Wille mir
im Besitze gegenständlich und hiermit auch erst wirklicher Wille bin, macht das Wahrhafte und
Rechtliche darin, die Bestimmung des Eigentums aus. Eigentum zu haben, erscheint in Rück-
sicht auf das Bedürfnis, indem dieses zum Ersten gemacht wird, als Mittel; die wahrhafte Stel-
lung aber ist, daß vom Standpunkte der Freiheit aus das Eigentum, als das erste Dasein dersel-
ben, wesentlicher Zweck für sich ist.“72

Als Besitz gilt die Sache hinsichtlich ihrer dinglichen Qualitäten und dient der Befriedi-
gung der natürlichen Bedürfnisse und Triebe. Sie ist so das Mittel des Willens. Das Ei-
gentum ist hingegen ein gesellschaftliches Anerkennungsverhältnis und daher gegen die
dinglichen Gebrauchseigenschaften eines Dinges ebenso gleichgültig wie gegen dessen
Quantität: „Was und wieviel ich besitze, ist daher eine rechtliche Zufälligkeit.“73 Im Ei-
gentum werde gemäß Hegel die Sache Selbstzweck und zwar nicht hinsichtlich ihrer be-
sonderen Gebrauchseigenschaften, die akzidentiell sind, sondern weil sich der freie Wil-
le in ihr als in seinem Mittel realisiert. Dinge, die Eigentum sind, erscheinen daher nicht
als das, was sie sind: Der Eigentumstitel ist nicht rezipierbar. Umgekehrt ist er von der
Sache aber auch körperlich nicht zu trennen. Aus dieser Bestimmung folgt dann auch,
daß das Eigentum „den Charakter von Privateigentum“74 hat, denn in einer Sache kann
sich nur der Wille eines Individuums vergegenständlichen. Die klassische Unterschei-
dung des Privateigentums als gesellschaftlich anerkannten Rechtstitels vom Besitz als
Bedingung des subjektiven Gebrauchs einer Sache wird in den Grundlinien also mit
dem Privateigentum in den Stand einer ontologisch-metaphysischen Bestimmung erho-
ben. Das Eigentum gründet im autonomen Willen als Zweck an sich, demzufolge die
Natur ontologisch absolut untergeordnet ist.
Zwischen dem Willen und der Sache steht der Körper, der dem Willen einerseits äu-
ßerlich ist, insofern jener diesen als Lebensbedingung vorfindet, andererseits ist der
71
Hegel. Grundlinien, § 44.
72
Ebd., § 45.
73
Ebd., § 49.
74
Ebd., § 46 f.
212 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

Körper aber auch sein unmittelbares Werkzeug, über welches vermittelt er sich auf die
Wirklichkeit bezieht. „Ich bin lebendig in diesem organischen Körper, welcher mein
dem Inhalte nach allgemeines ungeteiltes äußeres Dasein, die reale Möglichkeit alles
weiter bestimmten Daseins ist.“75 Deshalb bezieht sich der Wille auf den Körper einer-
seits als etwas Unmittelbares, dem Geist Unangemessenes, das er als sein Werkzeug will
und durch Bildung erst aneignen muß. Der Körper als angeeignetes Werkzeug des Wil-
lens ist dessen Eigentum. Andererseits bezieht sich der Wille auf den Körper als seine
von ihm praktisch nicht zu trennende Existenzgrundlage, deren Läsion deshalb nicht
von der Läsion des Willens zu trennen ist. „Meinem Körper von anderen angetane Ge-
walt ist Mir angetane Gewalt.“76 Der Körper als die Existenzbedingung des Willens ist
unantastbar und unveräußerbar, was umgekehrt aber auch bedeutet, daß der Wille in der
Physis nicht frei ist, denn aus ihr kann er sich anders als aus dem Eigentum nicht zu-
rückziehen.77
Rechtszustände, die die körperlichen Bedingungen der Realisierung der Freiheit der
Rechtssubjekte nicht reflektieren, bleiben abstrakt. So reduziert z. B. die Sklaverei die
Menschen auf ihre Naturhaftigkeit, während der Stoizismus die Menschen auf ihre In-
telligibilität reduziert. Tatsächlich muß die rechtliche Bestimmung des Subjekts beide
Extreme, die Notwendigkeit der Reproduktion des lebendigen Individuums und die
Freiheit des Willens, miteinander vermitteln. Damit wird einerseits der Freiheitsbegriff
auf dessen physische Bedingung, den Körper ausgedehnt: Wirklich frei ist nur ein Sub-
jekt, das auch über seinen Körper als seine unmittelbare Existenzgrundlage verfügt. An-
dererseits bliebe Freiheit, die sich nicht auch körperlich realisiert, sondern sich stoisch
gegen alle Widerstände selbst genügt, ein Abstraktum, das seinem eigenen Begriff eben-
so widerspricht. Der Eigentümer des abstrakten Rechts verfügt deshalb nicht nur über
die Sache, sondern auch über seinen Körper und die physischen wie geistigen Fertigkei-
ten.78 Indem das Rechtssubjekt Eigentümer über seinen Körper ist, kann es ihn anderer-
seits aber auch wenigstens zeitweise veräußern, ohne dadurch den Status des Eigentü-
mers zu verlieren.
Damit etwas Eigentum des Willens sei, reicht die bloße Vorstellung nicht aus, son-
dern der Wille muß mittels seines Körpers von der Sache Besitz ergreifen: „Das Besitz-
ergreifen als äußerliches Tun, wodurch das allgemeine Zueignungsrecht der Naturdinge
verwirklicht wird, tritt in die Bedingungen der physischen Stärke, der List, der Ge-
75
Hegel. Grundlinien, § 47.
76
Ebd., § 48 Anmerkung.
77
Vgl. auch Reinhardt Brandt, der als eine Gemeinsamkeit der Eigentumstheorien vor Hegel den
Personenbegriff nennt: „Ausgangspunkt ist die (vielgerügte) einzelne Person, die als solche gegen-
über andern Personen frei und gleich ist; sie hat ein angeborenes Recht auf den Selbstbesitz des ei-
genen Körpers. Der Verlust dieses Selbstbesitzes ist nur durch bestimmte rechtlich fixierbare
Handlungen der Person selbst möglich. Dieses freie und gleiche Rechtssubjekt wird vorgestellt als
gleicher Mitbesitzer an den Gütern der Natur, die dem menschlichen Geschlecht in Form einer
(ideellen oder historischen) communio positiva oder einer communio negativa zur Verfügung ste-
hen.“ Reinhard Brandt. Eigentumstheorien von Grotius bis Kant. Problemata. Stuttgart [u. a.],
1974, 22.
78
Zum Begriff des geistigen Eigentums vgl. Wilko Bauer. „Hegels Theorie des geistigen Eigen-
tums.“ Hrsg. v. Walter Jaeschke und Ludwig Siep. Hegel-Studien 41 (2006), 51–89.
Abstraktes Recht 213

schicklichkeit, der Vermittlung überhaupt, wodurch man körperlicherweise etwas hab-


haft wird.“79 Die Besitznahme ist entweder unmittelbar körperlich und damit in Raum
und Zeit beschränkt. Oder der Gegenstand wird zweckmäßig geformt, wodurch der Wil-
le Gegenständen der unorganischen oder organischen Natur eine durch ihn bestimmte
Gestalt gibt, oder er wird durch bloße Bezeichnung angeeignet. Alle drei Arten der Be-
sitzergreifung sind wechselseitig aufeinander verwiesen, ohne aber auseinander ableit-
bar zu sein. Wenn die Formierung als die angemessenste Besitznahme erscheint, weil sie
das Subjektive und Objektive in sich vereinigt, dann hat das schon zur Voraussetzung,
daß es die zu formierende Sache als Eigentum bezeichnet oder körperlich ergriffen hat.
Die gegenständlichen Bedingungen der Produktion müssen erst angeeignet werden, be-
vor sie als Privateigentum für die Formierung dieser Gegenstände verwendet werden
können. In der Aneignung ursprünglicher Produktionsmittel kann die Aneignung also
nur durch körperliche Ergreifung geschehen. Die Bezeichnung setzt ihrerseits bereits ein
gesellschaftlich gesetztes Anerkennungsverhältnis voraus, so daß der Eigentumstitel ga-
rantiert ist, ohne daß er unmittelbar zu verteidigen wäre. Die bloße Bezeichnung ist des-
halb erst ein Resultat der körperlichen Ergreifung und der Formierung. Gleichzeitig ist
aber die Veräußerung des Eigentums selbst erst Gegenstand des Vertrages, so daß die
Besitznahme hier nur ursprünglich ist und die Sachen als herrenlose unterstellt sind. Da-
mit sind die drei Gestalten der Besitzergreifung nicht ineinander auflösbar.80 Hegel er-
schließt die erste Besitzergreifung, die historisch stattgefunden haben muß, als logische
Bedingung der Möglichkeit des Eigentums, die dem abstrakten Recht als historische Be-
dingung aber zugleich transzendent bleibt. Der Grund dafür ist die in die Ergreifung ein-
gegangene Gewalt, die nicht in der reflexiven Bewegung des Eigentumsbegriffs aufzu-

79
Hegel. Grundlinien, § 52 Anmerkung.
80
Die Eigentumsbegründung Lockes’, wonach dasjenige zum Eigentum wird, was das Produkt eige-
ner Arbeit ist, weicht ebenfalls der Frage, wie die Arbeitsmittel angeeignet wurden, aus. 㤠27.
Obwohl die Erde und alle niederen Lebewesen allen Menschen gemeinsam gehören, so hat doch
jeder Mensch ein Eigentum an seiner eigenen Person. Auf diese hat niemand ein Recht als nur er
allein. Die Arbeit seines Körpers und das Werk seiner Hände sind, so können wir sagen, im eigent-
lichen Sinne sein Eigentum. Was immer er also dem Zustand entrückt, den die Natur vorgesehen
und in dem sie es belassen hat, hat er mit seiner Arbeit gemischt und ihm etwas eigenes hinzuge-
fügt. Er hat es somit zu seinem Eigentum gemacht. Da er es dem gemeinsamen Zustand, in den es
die Natur gesetzt hat, entzogen hat, ist ihm durch seine Arbeit etwas hinzugefügt worden, was das
gemeinsame Recht der anderen Menschen ausschließt. Denn da diese Arbeit das unbestreitbare Ei-
gentum des Arbeiters ist, kann niemand außer ihm ein Recht auf etwas haben, was einmal mit sei-
ner Arbeit verbunden ist. Zumindest nicht dort, wo genug und ebenso gutes den anderen gemein-
sam verbleibt.“ John Locke. Zwei Abhandlungen über die Regierung. Frankfurt a. M., 1983, 216 f.
Nur die Vorstellung einer ursprünglichen und zugleich auch gewaltsamen Aneignung des Eigen-
tums kann erklären, warum es Arbeiter gibt, die nicht Eigentümer ihres Arbeitsproduktes sind.
Vgl. Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 200: „Das Produkt ist Eigen-
tum des Kapitalisten, nicht des unmittelbaren Produzenten, des Arbeiters.“ Vgl. auch Clemens K.
Stepina: „Dieser Begriff [des Privateigentums, M. B.] steht jedoch diametral zu ersterem [ein rei-
nes Mensch-Natur-Verhältnis, M. B.]: Privateigentum für sich – in der bürgerlichen Gesellschaft –
ist als das Resultat einer Trennung der lebendigen Arbeit vom Eigentum an den Produktionsbedin-
gungen auszumachen und kann nicht logisch kohärent mit einem wie oben gezeigten abstrakten
Aneignungsbegriff von Natur identisch sein.“ Clemens K. Stepina. Handlung als Prinzip der Mo-
derne, 57.
214 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

lösen ist: „Mechanische Kräfte, Waffen, Instrumente erweitern den Bereich meiner Ge-
walt.“81
In der Besitznahme bezieht sich der Wille positiv auf die Sache, im Gebrauch, also durch
Veränderung, Vernichtung, Verzehrung der Sache, negiert er deren Anderssein und vollzieht
an ihr seine Identität mit ihr. Das Eigentum an der Sache schließt den Gebrauch vollständig
ein, denn andernfalls wäre eine Sache zwar Eigentum, aber der Wille könnte nicht auf sie
zugreifen, was ein Widerspruch wäre. Gleichzeitig bezieht sich aber der Gebrauch auf die
Akzidenzien der Sache und findet in der Zeit statt. Es ist deshalb zwar nicht möglich, den
Gebrauch substantiell vom Eigentum zu unterscheiden, aber er kann zeitweise veräußert
werden. Durch Nichtgebrauch kann das Eigentum deshalb verjähren. Durch diese Distinkti-
on wird es möglich zu erklären, daß die Arbeitskraft eines Menschen für einen bestimmten,
vertraglich geregelten Zeitraum verkauft werden kann, ohne den Menschen als ganzen zu
verkaufen wie in der Sklaverei. Die Person bleibt Eigentümer des Körpers.
Das abstrakte Recht ist ein philosophischer Begriff, der notwendig allgemein gilt und
gegen die Zufälligkeiten des Besitzes gleichgültig bleibt:
„Im Verhältnisse zu äußerlichen Dingen ist das Vernünftige, daß Ich Eigentum besitze; die Seite
des Besonderen aber begreift die subjektiven Zwecke, Bedürfnisse, die Willkür, die Talente, äu-
ßere Umstände usf. (§ 45); hiervon hängt der Besitz bloß als solcher ab, aber diese besondere
Seite ist in dieser Sphäre der abstrakten Persönlichkeit noch nicht identisch mit der Freiheit ge-
setzt. Was und wieviel Ich besitze, ist daher eine rechtliche Zufälligkeit.“82

Im Umkehrschluß hatte sich aber gezeigt, daß die Besitznahme nach ihren verschiede-
nen Aspekten der Besitzergreifung, der Bearbeitung und der Betitelung der Inbegriff der
Objektivierung des Willens in der Sache ist. Beide Bestimmungen stehen schief zuein-
ander: Der Grund für die Gleichgültigkeit des abstrakten Rechts gegen den Besitz liegt
darin, daß das abstrakte Recht Gestalt des Willens ist, nicht aber Gestalt des positiven
Rechts. Das abstrakte Recht ist aber auch kein bloßes Formprinzip, sondern Relation
von Begriff und Willensinhalt. Diese Relation nimmt aber im Besitz Gestalt an und blie-
be ohne Besitznahme, Bearbeitung und der Betitelung des Besitzes als Eigentum uner-
füllt. Darin, daß die Besitznahme kein reflexiver Begriff ist, sondern einer, der auf Vor-
aussetzungen verweist, die dem abstrakten Recht transzendent sind: den Staat als
diejenige Instanz, die den Rechtstitel garantiert und die Bearbeitung, die die Verfügung
über die Produktionsmittel voraussetzt, macht sich die absolute Abhängigkeit von Recht
und Besitz geltend. Die Erörterung der Umstände des Besitzens ist nicht Gegenstand in
den Grundlinien, sondern dieser als historische Entwicklung vorausgesetzt. Hegel hatte
dies in der Verfassungsschrift ausführlicher reflektiert:
„Ansprüche sind unentschiedene Rechte. Die Ruhe derselben ist ihnen auferlegt worden nicht
durch gerichtliche Entscheidung – denn sie sind nicht entschieden –, sondern durch die Furcht
des Rechts […] und durch die Furcht vor den Gewaltigeren, die natürlich in einer offenen Feh-
de, die in ihrer Nachbarschaft vorgeht, aus dem neueren allgemeineren Rechtsgrunde zur Si-
cherheit ihrer Grenzen und ihres Landes Partei ergreifen müßten, wobei die Nichtgewaltigen,
81
Hegel. Grundlinien, § 55 Anmerkung.
82
Ebd., § 49.
Abstraktes Recht 215

sowohl gegen welche diese Teilnahme gerichtet wäre, als denen sie zum Besten kommen sollte,
keinen Vorteil finden würden. Somit haben die Fehden aufgehört, der Landfrieden hat die Ruhe
hergestellt, d. h. er hat den Widerspruch der Rechte zum Stillschweigen, nicht zur Entschei-
dung gebracht, und im Genuß des Rechtsgegenstandes ist derjenige Teil, der gerade im Besitz
sich befindet – beati possidentes! –, und über den Besitz hat kein Recht entschieden. So ist es
nicht ein Zustand, der denjenigen in Besitz setzt, der im Recht ist, was in Deutschland eine ge-
wisse Ruhe erhält, wie der Zustand eines Staats, sondern bei dem erstaunlichen Unterschied
der Macht der Stände ist ihre Garantie die Furcht und die Politik, nicht die Ehrwürdigkeit der
Rechte selbst, wovon sie abhängen, nicht eine innere eigene Macht derselben.“83

Die historisch gegebene Verteilung des Besitzes wird mit der Einführung der bürgerli-
chen Rechtsordnung gesetzt und allgemein garantiert. Das bedeutet aber im Um-
kehrschluß, daß die Realisierung des freien Willens ein Privileg derer ist, die sich im
Zustand des „echten alten Faustrecht“84 durchsetzen konnten.85

b) Werteigenschaft und Vertrag

Das Privateigentum hat die Form der durch den Körper vermittelten Realisierung des
Willens in einem Gegenstand, der durch die zweckgerichtete Tätigkeit unmittelbar er-
griffen, bearbeitet und als Eigentum ausgezeichnet wird. Der Wille realisiert sich damit
zwar in einem selbständigen Gegenstand, der aber seine Selbständigkeit der Funktion
des Willens vollkommen unterordnet, so daß Eigentum und Gebrauchsgestalt der Sache
physisch nicht zu unterscheiden sind. Darin liegt zugleich auch der Mangel des Eigen-
tums. Es erscheint aufgrund seiner natürlichen Eigenschaften nicht als Gestalt der Frei-
heit des Willens und ist Eigentum nur, insofern es von anderen Personen anerkannt wird.
Zur Darstellung kommt die transzendente Funktion des Eigentums deshalb nur inner-
halb eines Vertrages, in dem die Eigentümer wechselseitig ihr jeweiliges Eigentum aner-
kennen und austauschen.
„Das Dasein ist als bestimmtes Sein wesentlich Sein für anderes (siehe oben Anm. zu § 48),
das Eigentum nach der Seite, daß es ein Dasein als äußerliche Sache ist, ist für andere Äußer-
lichkeiten und im Zusammenhange dieser Notwendigkeit und Zufälligkeit. Aber als Dasein des
Willens ist es als für anderes nur für den Willen einer anderen Person. Diese Beziehung von
Willen auf Willen ist der eigentümliche und wahrhafte Boden, in welchem die Freiheit Dasein
hat. Diese Vermittlung, Eigentum nicht mehr nur vermittels einer Sache und meines subjekti-
83
Hegel. „Die Verfassung Deutschlands.“ 543.
84
Ebd., 542.
85
„Im Privatrecht werden die bestehenden Eigentumsverhältnisse als Resultat des allgemeinen Wil-
lens ausgesprochen. Das jus utendi et abutendi [das Recht, das Seinige zu gebrauchen und zu ver-
brauchen (auch: mißbrauchen)] selbst spricht einerseits die Tatsache aus, daß das Privateigentum
vom Gemeinwesen durchaus unabhängig geworden ist, und andererseits die Illusion, als ob das
Privateigentum selbst auf dem bloßen Privatwillen, der willkürlichen Disposition über die Sache
beruhe. In der Praxis hat das abuti [Verbrauchen, (auch: Mißbrauchen)] sehr bestimmte ökonomi-
sche Grenzen für den Privateigentümer, wenn er nicht sein Eigentum und damit sein jus abutendi
in andre Hände übergehn sehen will, da überhaupt die Sache, bloß in Beziehung auf seinen Willen
betrachtet, gar keine Sache ist, sondern erst im Verkehr und unabhängig vom Recht zu einer Sa-
che, zu wirklichem Eigentum wird (ein Verhältnis, was die Philosophien eine Idee nennen).“ Karl
Marx u. Friedrich. „Deutsche Ideologie.“ In [1845–1846]. MEW 3. Berlin, 1990, 63.
216 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

ven Willens zu haben, sondern ebenso vermittels eines anderen Willens und hiermit in einem
gemeinsamen Willen zu haben, macht die Sphäre des Vertrags aus.“86

Veräußerlich ist die gegenständliche Seite des Eigentums, nicht das, was Ausdruck des
Willens darin ist. So sind z. B. diejenigen Güter, die „die Person und das allgemeine
Wesen meines Selbstbewußtseins ausmachen, wie meine Persönlichkeit überhaupt, mei-
ne allgemeine Willensfreiheit, Sittlichkeit, Religion“87, unveräußerlich. Daraus folgt für
das Eigentum der Person an sich selbst, daß die Persönlichkeit und das Leben, worin sie
ist, gar nicht veräußerlich sind, außer es dient einer höheren, sittlichen Idee. Auch geisti-
ges Eigentum ist unveräußerlich, da es seinem Wesen entsprechend Allgemeingut ist
und daher den Regeln des Privateigentums nicht genügt: „[W]as Einer im Reiche der
Wahrheit erwirbt, hat er Allen erworben.“88 Deshalb bezieht sich der Eigentumstitel in
diesem Falle nur auf das Exemplar, in dem es sich manifestiert, nicht aber auf den allge-
meinen Gehalt des Gedankens. Am Kunstwerk oder der technischen Erfindung sind nur
die vergegenständlichten Exemplare veräußerlich – das Buch, das Patent etc. Der Ver-
fasser oder Erfinder bleibt aber „Eigentümer der allgemeinen Art und Weise [...], der-
gleichen Produkte und Sachen zu vervielfältigen“.89
Im Vertrag einigen sich zwei Privateigentümer über den Austausch ihres jeweiligen
Eigentums, so daß keiner der beiden Kontrahenten den Status des Eigentümers verliert,
obwohl der jeweilige Besitz vollständig an den anderen Eigentümer übergeben wird. Im
Vertrag bleibt sich der Eigentumstitel im Wechsel der unterschiedlichen Besitzgüter
gleich und erweist sich dadurch vielmehr als gleichgültig gegen die besondere Gestalt
des Besitzes.
„Dies Verhältnis ist somit die Vermittlung eines in der absoluten Unterscheidung fürsichseien-
der Eigentümer identischen Willens und enthält, daß jeder mit seinem und des anderen Willen
aufhört, Eigentümer zu sein, es bleibt und wird; – die Vermittlung des Willens, ein und zwar
einzelnes Eigentum aufzugeben, und des Willens, ein solches, hiermit das eines anderen, anzu-
nehmen, und zwar in dem identischen Zusammenhange, daß das eine Wollen nur zum Ent-
schluß kommt, insofern das andere Wollen vorhanden ist.“90

Das Auseinandertreten von Sache und Eigentumstitel schlägt sich auch im Prozeß des
vertraglich vereinbarten Austausch nieder: Der Prozeß gliedert sich in die Übereinkunft
und die Leistung. In der Übereinkunft erklären die Personen ihre Bereitschaft, einen be-
stimmten Vertrag einzugehen und bezeugen diese nur vorgestellte Übereinkunft durch
Zeichen, Gebärde oder Stipulation etc. Erst in der Leistung wechselt das Eigentum dann
aber tatsächlich den Besitzer.
Damit ergibt sich das Problem, daß im Vertrag sachlich verschiedene Dinge ausge-
tauscht werden, die einander auch qualitativ und quantitativ äquivalent sein müssen,
wenn nicht einer der beiden Eigentümer übervorteilt werden soll. Das Eigentum ist In-
86
Hegel. Grundlinien, § 71.
87
Ebd., § 66.
88
Friedrich Schiller. „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?“ In Uni-
versalhistorische Schriften. Frankfurt a. M., 1999, 16.
89
Hegel. Grundlinien, § 69.
90
Ebd., § 74.
Abstraktes Recht 217

karnation des Willens und als solches mit anderem Eigentum qualitativ vergleichbar.
Und es ist ein Gegenstand, der sich aufgrund seiner Qualitäten gerade von anderen Ge-
genständen unterscheidet. Die Äquivalenz der Gegenstände kann nur quantitativ sein.
Das quantifizierbare und zugleich qualitative Maß der Gegenstände ist ihr Wert. Der
Wert gründet nach Hegel in der spezifischen Brauchbarkeit der Sache:
„Die Sache im Gebrauch ist eine einzelne nach Qualität und Quantität bestimmte und in Bezie-
hung auf ein spezifisches Bedürfnis. Aber ihre spezifische Brauchbarkeit ist zugleich als quan-
titativ bestimmt vergleichbar mit anderen Sachen von derselben Brauchbarkeit, so wie das spe-
zifische Bedürfnis, dem sie dient, zugleich Bedürfnis überhaupt und darin nach seiner
Besonderheit ebenso mit anderen Bedürfnissen vergleichbar ist und danach auch die Sache mit
solchen, die für andere Bedürfnisse brauchbar sind. Diese ihre Allgemeinheit, deren einfache
Bestimmtheit aus der Partikularität der Sache hervorgeht, so daß von dieser spezifischen Quali-
tät zugleich abstrahiert wird, ist der Wert der Sache, worin ihre wahrhafte Substantialität be-
stimmt und Gegenstand des Bewußtseins ist. Als voller Eigentümer der Sache bin ich es ebenso
von ihrem Werte als von dem Gebrauche derselben.“91

Ähnlich wie die Quantifizierbarkeit der Größe oder des Gewichts einer Sache soll auch
der Wert durch Abstraktion von den Qualitäten des Gegenstandes gewonnen werden, nur
daß er nicht in Zentimeter oder Kilogramm gemessen wird, sondern in Geldquanta.
Es ergibt sich aber das Problem, daß entweder die Güter als Eigentum qualitativ ver-
glichen werden – das gemeinsame Dritte, aufgrund dessen die unterschiedenen Güter
vergleichbar sind, kann nach den Bestimmungen Hegels nur ihre Wesensbestimmung
sein: Objektivationen des Willens zu sein. Dann sind die Güter aber nicht quantitativ
vergleichbar, denn bei der Bestimmung des Eigentums, Inkarnation des freien Willens
zu sein, handelt es sich gerade nicht um eine Bestimmung, die unmittelbar in Raum und
Zeit dingfest gemacht werden könnte, sondern im Gegenteil nimmt sie nur Gestalt im
Körper der Sache an, die ihr äußerlich bleibt. Das Eigentum hat kein quantifizierbares
Maß. Oder die Güter sind aufgrund ihrer spezifischen Gebrauchseigenschaften quantita-
tiv vergleichbar, dann beruht der Wert auf einer natürlichen Eigenschaft, die ein Gegen-
stand haben kann oder auch nicht. In diesem Falle wären nur einige Güter zufällig mit-
einander vergleichbar, andere nicht. Die Wertbestimmung Hegels läuft also auf die
Alternative hinaus, entweder die Quantifizierbarkeit ohne ein gemeinsames Drittes zu
begründen, oder ein gemeinsames Drittes, das nicht quantifizierbar ist.
Die Auflösung dieses Problems hatte erst Marx im Kapital aufgezeigt, indem er den
gesellschaftlichen Gehalt des Wertbegriffs erkannte. Von der historisch gegebenen Ge-
sellschaft, deren Produktionsweise kapitalistisch ist, ausgehend, bestimmt Marx deren
Elementarform, die Ware, die wiederum in doppelter Hinsicht erscheint, als Gebrauchs-
und als Tauschwert. Der Gebrauchswert bezeichnet die durch die qualitativen Ei-
genschaften einer Sache bedingte Nützlichkeit der Ware. Der Tauschwert „erscheint zu-
91
Hegel. Grundlinien, § 63 f. Schmidt am Busch sieht in der Wertbestimmung Hegels die Identifika-
tion von Wert und Preis: „Der ‚Wert‘ einer Ware ist nach Hegel das, ‚was die Beziehung des Über-
flusses auf das Bedürfnis‘, lies: des Angebots auf die Nachfrage, ‚ausdrückt‘ – folglich ist er iden-
tisch mit ihrem Preis. Der Wert/Preis einer Ware wird also durch das ‚Ganze‘ des gesellschaftli-
chen Angebots und der gesellschaftlichen Nachfrage bestimmt […]“ Hans-Christoph Schmidt am
Busch. Hegels Begriff der Arbeit, 99.
218 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

nächst als das quantitative Verhältnis, die Proportion, worin sich Gebrauchswerte einer
Art gegen Gebrauchswerte anderer Art austauschen, ein Verhältnis, das beständig mit
Zeit und Ort wechselt. Der Tauschwert scheint daher etwas Zufälliges und rein Relati-
ves, ein der Ware innerlicher, immanenter Tauschwert [...] also eine contradictio in ad-
jecto.“92 Marx schließt darauf, daß die qualitativ unterschiedenen Waren, die miteinan-
der ausgetauscht werden, in einer Hinsicht vergleichbar sind und daß die Eigenschaft,
die sie vergleichbar macht, nicht auf ihre Gebrauchswerteigenschaften zurückzuführen
ist, denn als Gebrauchswerte sind die zu tauschenden Gegenstände gerade voneinander
unterschieden: Weizen tauscht sich nicht gegen Weizen aus.
„Dies Gemeinsame kann nicht eine geometrische, physikalische, chemische oder sonstige na-
türliche Eigenschaft der Waren sein. Ihre körperlichen Eigenschaften kommen überhaupt nur in
Betracht, soweit selbe sie nutzbar machen, also zu Gebrauchswerten. Andererseits aber ist es
grade die Abstraktion von ihren Gebrauchswerten, was das Austauschverhältnis der Waren au-
genscheinlich charakterisiert. Innerhalb desselben gilt ein Gebrauchswert grade so viel wie je-
der andre, wenn er nur in gehöriger Proportion vorhanden ist. [...] Als Gebrauchswerte sind die
Waren vor allem verschiedner Qualität, als Tauschwerte können sie nur verschiedner Quantität
sein, enthalten also kein Atom Gebrauchswert.“93

Allen Dingen ist gemeinsam, daß sie Arbeitsprodukte sind, und weil in der Tauschrelati-
on von allen konkreten Eigenschaften der Dinge abstrahiert wird, so auch von der kon-
kreten Arbeit, die zur Herstellung dieser Ware geleistet wurde.
„Mit dem nützlichen Charakter der Arbeitsprodukte verschwindet der nützliche Charakter der
in ihnen dargestellten Arbeiten, es verschwinden also auch die verschiedenen konkreten For-
men dieser Arbeiten, sie unterscheiden sich nicht länger, sondern sind allzusamt reduziert auf
gleiche menschliche Arbeit, abstrakt menschliche Arbeit.“94

In der anschließenden Wertformanalyse zeigt Marx, daß der Warenwert sich in einer be-
sonderen Ware vergegenständlicht, die zur gesellschaftlich anerkannten Geldform wird.95
Die gesamte Analyse der Wertform ist Analyse einer historisch realen Erscheinung.
Marx stellt sich nicht das Problem, wie sich aus den nützlichen Dingen das Geld histo-
risch entwickelt hat, sondern schließt von der existierenden historischen Gesellschaft
auf die Bedingung der Möglichkeit. Deshalb sind der begrifflichen Analyse Arbeitstei-
lung und Privateigentum als Existenzbedingung der Wertform unterstellt: „Nur Produkte
selbständiger und voneinander unabhängiger Privatarbeiten treten einander als Waren
gegenüber.“96
Der Wert stellt also eine gesellschaftliche Eigenschaft dar, deren Substanz die ab-
strakt menschliche Arbeit ist. Die Güter sind Arbeitsprodukte und, sofern von der Be-
sonderheit des Arbeitsprozesses abstrahiert wird, qualitativ und quantitativ, also nach
der verausgabten Arbeitszeit, vergleichbar. Marx zeigt in der Wertformanalyse darüber

92
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 50.
93
Ebd., 51 f.
94
Ebd., 52.
95
Vgl. ebd., 80 f.
96
Ebd., 57.
Abstraktes Recht 219

hinaus, daß der Wert eine eigenständige Gestalt als Geld annimmt. 97 Wenn die begriffli-
che Analyse des Werts nicht gegenstandslos sein soll, dann ist ihr die spezifisch histori-
sche Existenz des zu analysierenden Gegenstandes, die „Gesellschaften, in welchen ka-
pitalistische Produktionsweise herrscht“98 notwendig vorausgesetzt. Nur wenn abstrakt
menschliche Arbeit und Arbeit in unmittelbar gesellschaftlicher Form historisch konsti-
tutive Begriffe sind, lassen sie sich auch als Wertsubstanz erschließen, denn anders als
Naturgegenstände existieren gesellschaftliche Verhältnisse nicht unabhängig vom histo-
rischen Wirken der Menschen. Marx demonstriert die Verwiesenheit der Begriffsanalyse
auf die historischen Gehalte negativ an dem Versuch Aristoteles‘, den Wertbegriff für
die antike, d. h. Sklavenhaltergesellschaft zu analysieren:
„Daß aber in der Form der Warenwerte alle Arbeiten als gleiche menschliche Arbeit und daher
als gleichgeltend ausgedrückt sind, konnte Aristoteles nicht aus der Wertform selbst herausle-
sen, weil die griechische Gesellschaft auf der Sklavenarbeit beruhte, daher die Ungleichheit der
Menschen und ihrer Arbeitskräfte zur Naturbasis hatte. Das Geheimnis des Wertausdrucks, die
Gleichheit und gleiche Gültigkeit aller Arbeiten, weil und insofern sie menschliche Arbeit
überhaupt sind, kann nur entziffert werden, sobald der Begriff der menschlichen Gleichheit be-
reits die Festigkeit eines Volksvorurteils besitzt. Das ist aber erst möglich in einer Gesellschaft,
worin die Warenform die allgemeine Form des Arbeitsprodukts, also auch das Verhältnis der
Menschen zueinander als Warenbesitzer das herrschende gesellschaftliche Verhältnis ist. Das
Genie des Aristoteles glänzt grade darin, daß er im Wertausdruck der Waren ein Gleichheitsver-
hältnis entdeckt. Nur die historische Schranke der Gesellschaft, worin er lebte, verhindert ihn
herauszufinden, worin denn ‚in Wahrheit‘ dies Gleichheitsverhältnis besteht.“99

Sowenig die Wertformanalyse bei Marx ohne die kapitalistische Produktionsweise aus-
kommt, so wenig kommt ihre Analyse ohne das Instrumentarium wissenschaftlicher
Kritik aus, denn die Wertsubstanz erscheint nicht unmittelbar. Der dem Vertragsverhält-
nis zugrunde liegende begriffliche Gehalt ist dem Verhältnis gerade nicht anzusehen,
sondern nur wissenschaftlich als Bedingung der Existenz zu erschließen.
Auch bei Hegel ist der Wert, als die Brauchbarkeit einer Sache, durch die Formierung
mit dem Eigentum substantiell vermittelt, weil der Gegenstand selbst durch Arbeit ver-
ändert wird. Aber er erkennt die abstrakt menschliche Arbeit nicht als den Grund der
Wertbeschaffenheit der Güter, weil er auf der Stufe des abstrakten Rechts noch gar nicht
aus der Perspektive eines gesellschaftlichen Gesamtzusammenhanges argumentiert. Aus
der systematischen Ableitung der Möglichkeit der Objektivierung des freien Willens
folgt die Vorstellung abstrakt menschlicher Arbeit nicht, weil diese die Totalität aller Ar-
beiten zu einem bestimmten Zeitpunkt voraussetzt:
„Jede dieser individuellen Arbeitskräfte ist dieselbe menschliche Arbeitskraft wie die andere,
soweit sie den Charakter einer gesellschaftlichen Durchschnitts-Arbeitskraft besitzt und als sol-
che gesellschaftliche Durchschnitts-Arbeitskraft wirkt, also in der Produktion einer Ware auch
nur die im Durchschnitt notwendige oder gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit braucht. Ge-
sellschaftlich notwendige Arbeitszeit ist Arbeitszeit, erheischt, um irgendeinen Gebrauchswert
97
Auf das Geldwesen reflektiert Hegel in den Grundlinien nicht, auch nicht im Zusammenhang der
Bürgerlichen Gesellschaft.
98
Ebd., 49.
99
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 74.
220 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

mit den vorhandenen gesellschaftlich-normalen Produktionsbedingungen und dem gesell-


schaftlichen Durchschnittsgrad von Geschick und Intensität der Arbeit darzustellen.“100

Weil Hegel diesen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang für das abstrakte Recht


nicht als konstitutiv betrachtet, hat die Wertbestimmung hier ihr Maß an der Selbstbe-
stimmung und dem Interesse des Willens, die Güter zu benutzen. 101 Eigentum, Wert und
Vertrag sollen in den Grundlinien keine gesellschaftlichen Bestimmungen sein, ohne
aber umgekehrt in sich zu subsistieren: Der Widerspruch im Wertbegriff verweist nega-
tiv auf die gesellschaftlichen Gehalte des abstrakten Rechts: im Grundsatz der Rechts-
verbindlichkeit, in dem der gesellschaftliche Zusammenhang der Personen antizipiert
wird, bevor überhaupt von der Vielheit unterschiedener Individuen die Rede ist und in
der Aneignung des Privateigentums, das in den Grundlinien nicht als ursprüngliche und
gewaltsame Aneignung reflektiert wird. Darin sind Recht und Geschichte aufeinander
verwiesen, ohne ineinander auflösbar zu sein. Dieser Befund stellt den sozialontologi-
schen Status des abstrakten Rechts bei Hegel in Frage. Tatsächlich ist der Wert keine
Bestimmung des abstrakten Rechts, sondern eine gesamtgesellschaftlich vermittelte,
ökonomische Form. Damit sie entstehen kann, sind allerdings Arbeitsteilung und Pri-
vateigentum vorausgesetzt. Darin zeigt sich zweierlei: Erstens gehört das abstrakte
Recht einem anderen Gegenstandsbereich an als der Wertbegriff, denn das eine ist (bei
Hegel) rechtsphilosophisch begründet, das andere ist eine Gestalt der Ökonomie. Zwei-
tens sind Recht und Arbeit als kapitalistisch organisierte Arbeit wechselseitig und un-
trennbar aufeinander verwiesen: ohne Privatrecht keine gesellschaftliche Durchschnitts-
arbeit, ohne gesellschaftliche Durchschnittsarbeit kein Wert und damit auch kein
Vertragsverhältnis, in dem gleiche Güter den Eigentümer wechseln.

100
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 53.
101
Damit fällt die Wertbestimmung Hegels, gerade indem sie den metaphysischen Grund der Erklä-
rungen von Adam Smith und David Ricardo liefern soll, hinter diese zurück. Anklänge an die Ar-
beitswerttheorie finden sich in der Formulierung des § 196 der Grundlinien: „Diese Formierung
gibt nun dem Mittel den Wert und seine Zweckmäßigkeit [...]“. Andreas Arndt vermutet rezepti-
onsgeschichtliche Gründe: „Hierbei interessierte ihn [Hegel, M. B.] nicht die (zudem bei Smith
selbst nur widersprüchlich entwickelte) Arbeitswerttheorie, die er – wie auch die Unterscheidung
von Gebrauchswert und Tauschwert – nie rezipiert hat; – sein eigener Wertbegriff verdankt sich
vielmehr der Verarbeitung des naturrechtlichen Gedankens der Vertragsgerechtigkeit als Äquiva-
lent der (auf Bedürfnisse bezogenen) Leistungen. An Smith mußte Hegel vor allem interessieren,
daß die Arbeit (a) unmittelbar oder vermittelt den Fonds der Konsumtion bildet und (b) die Steige-
rung der Produktivität durch Arbeitsteilung sich zu einem System wechselseitiger Abhängigkeit in
der Befriedigung der Bedürfnisse durch Tausch des Überflusses ausbildet.“ Und dann die dazuge-
hörige Fußnote: „All dies konnte Hegel dem ersten Kapitel des Wealth of Nations entnehmen; tat-
sächlich gibt es bisher auch keinen Nachweis oder eindeutige Bezugnahmen auf spätere Stellen
des Smithschen Werkes, und es ist zweifelhaft, ob Hegel überhaupt mehr als dieses Kapitel gele-
sen hat. Anders ist kaum erklärlich, daß Hegel die Probleme der Lohnarbeit und des Kapitals so-
wie der Wertbestimmung durch Arbeit trotz seiner Bezugnahme auf Smith nicht sehen konnte.“
Andreas Arndt. „Die Arbeit der Philosophie.“ In Die Arbeit der Philosophie. Berlin, 2003, 57 ff.
Eine sachliche Begründung für Hegels unzureichenden Wertbegriff kann auch sein, daß sein sozia-
lontologischer Rechts- und Gesellschaftsbegriff die empirischen und historischen Widersprüche
der bürgerlichen Gesellschaft nicht ausreichend berücksichtigt.
Abstraktes Recht 221

c) Unrecht und der Wille des Verbrechers

Der vernünftige Wille realisiert sich im Eigentum und geht über dieses vermittelt mit
anderen Eigentümern Verträge ein. Die hinter den Verträgen stehenden Personen treten
nicht direkt als freie Willen miteinander in Beziehung, sondern nur in der Beziehung ih-
rer Güter aufeinander, in denen ihr freier Wille vergegenständlicht sein soll. Außerhalb
des Verhältnisses der Gegenstände zueinander erscheint der freie Wille daher im ab-
strakten Recht nicht. Der Vertrag hat damit eine gegen die Zwecke der Eigentümer selb-
ständige Gestalt.
Trotzdem ist der Austausch von Gebrauchsgütern Hegel zufolge nicht der Zweck des
Vertragsverhältnisses, sondern die Realisierung der Willen. Dieser Zweck ist aber mit
der objektiven Gestalt des Vertrages noch nicht vermittelt, so daß der besondere Wille
gegen dessen Gestalt im Vertrag noch zufällig ist: Der Wille kann sich auch willkürlich
bestimmen, dann ist ihm der Vertrag nicht Selbstzweck. Dadurch kann der Fall eintreten,
daß zwar ein Vertrag geschlossen wird, dem auch beide Eigentümer zustimmen, ohne
daß aber aus der Vertragsgestalt hervorgeht, ob die beteiligten Eigentümer eigennützige,
gegen das Vertragsinteresse gerichtete Zwecke verfolgen. Die versehentliche und beab-
sichtigte Verwechslung der Priorität von Recht und besonderem Interesse ist unrecht:
„Im Vertrage ist das Recht an sich als ein Gesetztes, seine innere Allgemeinheit als ein Ge-
meinsames der Willkür und besonderen Willens. Diese Erscheinung des Rechts, in welchem
dasselbe und sein wesentliches Dasein, der besondere Wille, unmittelbar, d. i. zufällig überein-
stimmen, geht im Unrecht zum Schein fort – zur Entgegensetzung des Rechts an sich und des
besonderen Willens, als in welchem es ein besonderes Recht wird.“102

Die Intention des vom Recht abweichenden Willens ist dabei für die Schwere des be-
gangenen Unrechts entscheidend: Der besondere Wille kann Interessen verfolgen, die
mit anderen Interessen kollidieren, wie im bürgerlichen Rechtsstreit, oder der Vertrag ist
für ihn nur ein Mittel, wie im Betrug, oder er negiert das Recht sogar gänzlich, wie im
Verbrechen.
Das Unrecht heißt unbefangen, wenn die beteiligten Personen unterschiedliche
Rechtsgründe in Beziehung auf ein und dieselbe Sache geltend machen wollen. Weil
beide eine Sache als ihr Eigentum ansehen, kann es zu Rechtskollisionen kommen. Es
handelt sich um die mildeste Form des Unrechts, weil das Recht selbst nicht verfälscht
oder in Frage gestellt wird, sondern in der Forderung beider anerkannt wird. Wem das
Recht zuzusprechen ist, ist dann im Rechtsstreit zu klären. Im Betrug wird einer der Ei-
gentümer absichtlich über die besondere Beschaffenheit der Sache, der Eigen-
102
Hegel. Grundlinien. § 82. Vgl. auch Kant: „D r i t t e n s , die B ö s a r t i gke i t (vitiositas, pravitas)
oder, wenn man lieber will, die V e r d e r b t h e i t (corruptio) des menschlichen Herzens, ist der
Hang der Willkür zu Maximen, die Triebfeder aus dem moralischen Gesetz anderen (nicht morali-
schen) nachzusetzen. Sie kann auch die V e r k e h r t h e i t (perversitas) des menschlichen Herzens
heißen, weil sie die sittliche Ordnung in Ansehung der Triebfedern einer freien Willkür umkehrt
und, obzwar damit noch immer gesetzlich gute (legale) Handlungen bestehen können, so wird
doch die Denkungsart dadurch in ihrer Wurzel (was die moralische Gesinnung betrifft) verderbt
und der Mensch darum als böse bezeichnet.“ Immanuel Kant. Die Religion innerhalb der Grenzen
der bloßen Vernunft. Hrsg. v. Karl Vorländer. Hamburg, 1990, 30.
222 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

tumsverhältnisse oder den Wert des Eigentums durch den anderen Eigentümer ge-
täuscht. Im Vertrag treffen die zwei Willen dann zwar eine Vereinbarung über das Eigen-
tum, aber unter „Vorspiegelung falscher Tatsachen“.
„Das Recht an sich, in seinem Unterschiede von dem Recht als besonderem und daseiendem,
ist als ein gefordertes zwar als das Wesentliche bestimmt, aber darin zugleich nur ein geforder-
tes, nach dieser Seite etwas bloß Subjektives, damit Unwesentliches und bloß Scheinendes. So
das Allgemeine von dem besonderen Willen zu einem nur Scheinenden, zunächst im Vertrage
zur nur äußerlichen Gemeinsamkeit des Willens herabgesetzt, ist es der Betrug.“103

Das schwerste Unrecht ist die Verletzung des Rechtsgebots und des damit verbundenen
Rechtssubjekts, Person zu sein und andere Personen zu respektieren. Im Verbrechen
wird also der Wille, mithin das abstrakte Recht selbst lädiert.
Mit diesen Bestimmungen ergibt sich folgende Ausgangsfrage: Das Recht ist die Ob-
jektivationsform des vernünftigen Willens, der außerhalb dieser Form nicht positiv er-
scheint. D. h. daß das Recht nicht innerhalb der Sphäre subjektiver Willensbestimmung
erscheint als Trieb oder Zweck der Handlung, sondern in der Sphäre objektiver Willens-
bestimmung, also als unter bestimmten rechtlichen Bedingungen stattfindende Hand-
lung. Die Intention der Handlung sei aber deshalb von ihrer Äußerung ununterscheidbar,
weil der Wille seine Realisierung wollen muß. Wenn aber die Selbstbestimmung des
Willens von ihrer Gestalt im Vertrag bzw. der Handlung ununterscheidbar sind, dann ist
zu fragen, welchen Grund der vernünftig bestimmte, innerhalb eines vernünftig organi-
sierten Handlungszusammenhanges agierende Wille haben kann, ein Verbrechen zu ver-
üben?
Das Verbrechen wird zunächst durch die Notwendigkeit begründet, den Widerspruch
im Rechtsbegriff zu vermitteln, daß das abstrakte Recht dem subjektiven Willen gegen-
über gleichgültig ist, aber gleichzeitig dessen adäquate Realisationsform sein soll. Diese
Vermittlung findet in der Sphäre äußerer Handlungen statt und hat die Gestalt der Nega-
tion der Negation. Da der Wille sich in den Handlungen seine Gestalt gibt und außerhalb
dieser Handlungen nichts ist, ist die Läsion des Vertrages von der Läsion des Willens zu-
nächst nicht zu trennen.
„Daß mein Wille im Eigentum sich in eine äußerliche Sache legt, darin liegt, daß er ebenso-
sehr, als er in ihr reflektiert wird, an ihr ergriffen und unter die Notwendigkeit gesetzt wird. Er
kann darin teils Gewalt überhaupt leiden, teils kann ihm durch die Gewalt zur Bedingung ir-
gendeines Besitzes oder positiven Seins eine Aufopferung oder Handlung gemacht, Zwang an-
getan werden.“104

Die erste Negation ist die Verletzung des Rechts im Verbrechen, wodurch das Dasein
des rechtmäßigen Willens lädiert wird. Diese Verletzung ist der Widerspruch schlecht-
hin, denn der verbrecherische Wille lädiert damit die Bedingungen seiner Selbstbestim-
mung. D. h. daß mit dem Dasein des Willens das abstrakte Recht selbst verletzt wird,
was zugleich aus dem Begriff des abstrakten Rechts notwendig folgt.105 Diese Läsion, da
103
Hegel. Grundlinien, § 87.
104
Ebd., § 90.
105
Vgl. ebd., § 92.
Abstraktes Recht 223

sie die Negation des Rechts ist, aber zugleich in die Sphäre des äußeren Daseins fällt
und deshalb selbst ein Dasein haben muß, kann nur im Willen des Verbrechers existie-
ren. „Die positive Existenz der Verletzung ist nur als der besondere Wille des Verbre-
chers.“106
Die ihrer Existenz nach Ununterschiedenen, Recht und vernünftiger Wille, treten also
als Recht und Verbrechen im Willen des Verbrechers auseinander. Die spezifische Diffe-
renz zwischen dem rechtlichen und dem verbrecherischen Willen macht sich als Gewalt
in der Handlung des Verbrechers geltend. Um das Recht wiederherzustellen, ist deshalb
die Negation der ersten Negation nötig, also die Bestrafung des Verbrechers bzw. die
Negation seines besonderen Willens. „Das abstrakte Recht ist Zwangsrecht, weil das
Unrecht gegen dasselbe eine Gewalt gegen das Dasein meiner Freiheit in einer äußerli-
chen Sache ist, die Erhaltung dieses Daseins gegen die Gewalt hiermit selbst als eine äu-
ßerliche Handlung und eine jene erste aufhebende Gewalt ist.“107 Insofern der Verbre-
cher selbst vernunftbegabt ist und er deshalb objektiv ein Interesse an der
Wiederherstellung des Rechts hat, sei es das Recht und der (wenn nicht subjektive, so
doch objektive) Wille des Verbrechers, „ein Dasein seiner Freiheit, sein Recht“108 be-
straft zu werden.
Die Vergeltung ist zunächst wiederum durch einen einzelnen Willen ausgeübter
Zwang und daher das Setzen eines neuen Unrechts, das wiederum durch einen weiteren
Willen bestraft werden muß und so weiter ins Unendliche. Dieser unendliche Regreß
wird dadurch aufgehoben, daß eine allgemein und objektiv „strafende Gerechtigkeit“
gefordert wird, d. h. eine Gerechtigkeit, die „vom subjektiven Interesse und Gehalt so-
wie von der Zufälligkeit der Macht“109 befreit ist.
In der Forderung nach einer rechtsetzenden Instanz ist zwar noch nicht der Staat mit
seinen rechtspflegerischen Organen gesetzt, aber die Forderung nach einer Allgemein-
heit, die mit den subjektiven Zwecken vermittelt ist. Die Reflexion auf den Begriff die-
ser Allgemeinheit ist zunächst keine Reflexion auf die Bedingungen der Handlungen,
sondern auf die subjektiven und objektiven Zwecke des Willens. Auf diese Weise wird
der Rechtsbegriff in die Reflexion der Moralität, werden die sozialontologischen Grund-
lagen in die Begriffe der praktischen Vernunft überführt.
In diesem Übergang reflektiert Hegel auf die von Kant formulierte Differenz von
pflichtgemäßen Handlungen und Handlungen aus Pflicht. Nur der Wille, der sich zwin-
gen lassen will, kann auch bezwungen werden. Deshalb kann die Bestrafung des Verbre-
chers zwar die Rechtskonformität seines Verhaltens wiederherstellen, sie kann aber nicht
dessen vernünftige Willensbestimmung erzwingen. Der Wille ist frei, so daß der Verbre-
cher seiner Strafe gegenüber auch gleichgültig bleiben kann. Ob der Verbrecher sich
deshalb rechtskonform verhält, weil er einsieht, daß es dem Begriff der Selbstbestim-

106
Hegel. Grundlinien, § 99.
107
Ebd.
108
Ebd., § 100.
109
Ebd., § 103.
224 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

mung entspricht, oder weil er eine erneute Bestrafung fürchtet, ist nicht auszumachen.
Der Gehalt dieser Bestimmung ist Gegenstand der moralischen Reflexion.
Die Frage, ob das an das Recht wieder angepaßte Verhalten des Verbrechers pflicht-
gemäß oder aus Pflicht bestimmt ist, ist für das abstrakte Recht gleichgültig. Die Nicht-
übereinstimmung von natürlichem und selbstbestimmten Willen ist erst Gegenstand der
moralphilosophischen Reflexion. Aber wenn ein Verbrechen begangen und die im Recht
inkarnierte Allgemeinheit lädiert wird, ist es notwendig, den Widerspruch zwischen sub-
jektivem Individuum und objektiver Allgemeinheit zu vermitteln. Daß Subjekt und Ob-
jektivität sich widersprechen, ist notwendig für die Bewegung der Negation der Negati-
on im abstrakten Recht – die Nichtübereinstimmung von Wille und Willkür hingegen
bleibt notwendig zufällig: Die Willkür muß sich überhaupt geltend machen, weil sonst
niemals ein Verbrechen stattfände und ein Verbrechen muß stattfinden, damit die Nega-
tion des abstrakten Rechts einen Gegenstand hat. Zufällig bleibt einzig, welchen Inhalt
die Willkür wählt. Mit der Notwendigkeit des Begriffs des Verbrechens wird auch die
Notwendigkeit der Gewalt, die das Verbrechen begleitet, behauptet. Oder: Noch das
Verbrechen ist Ausdruck der Selbstbestimmung des Willens. Auf dieser begrifflichen
Grundlage, die die Ununterscheidbarkeit von Recht und Wille durch ihre Differenz hin-
durch behauptet, fußt dann auch der Rückgang des Unrechts in seinen Grund: den
selbstbestimmten Willen.
Aber eben diese Identität von Wille und Recht ist problematisch. Beide sind, erst ein-
mal unabhängig von ihrer historischen Ausprägung, dem Wesen nach unterschieden –
der Wille ist spekulativ, seine Zwecke begrifflich, während sich das Recht auf Handlun-
gen in Raum und Zeit bezieht. Hegels Argument für die Übereinstimmung beider ist,
daß die Form der Handlung mit der Form vernünftiger Willensbestimmung im abstrak-
ten Recht übereinstimmt: Beide sind teleologisch auf den Zweck der Selbstbestimmung
des Willen hingeordnet. Unterschieden sind beide im Unrecht und der deutlichste Aus-
druck dieses Unterschiedes ist in der stärksten Form des Unrechts, dem Verbrechen, die
für das Verhältnis charakteristische Gewalt. Als Grund dieser Gewalt gibt Hegel die
Willkür des Verbrechers an, die sich gegen das Recht bestimmen muß, wenn dieses der
Negation der Negation genügen soll.
In der Einleitung zu den Grundlinien hatte Hegel gezeigt, daß der willkürlich be-
stimmte Wille nicht notwendig zum vernünftig bestimmten Willen in Widerspruch gerät.
Die Willkür hatte er dort als den unreflektierten Willen bestimmt, der, weil er noch nicht
weiß, daß es ihm um seine Selbstbestimmung zu tun ist, beliebige Inhalte wählt. Erst die
Reflexion darauf, daß die Fähigkeit zu wählen sein Wesen ist, eröffnet ihm die Erfah-
rung, sich selbst Zweck zu sein.110 Hegel hatte selbst darauf hingewiesen, daß die Bedin-
gung der Selbstbestimmung die Übereinstimmung der subjektiven Zwecke mit den ver-
nünftigen Bedingungen der Realisierung dieser Zwecke ist. Darin erscheint, daß der
Grund für das Unrecht nicht allein dem natürlichem Willen als natürlichen Willen ge-
schuldet ist, sondern den Bedingungen seiner Objektivierung. Daß es nicht notwendig

110
Vgl. S. 187 ff.
Abstraktes Recht 225

zu Rechtskollisionen kommen muß, klingt in den Formulierungen Hegels aus den Passa-
gen zum abstrakten Recht selbst an: „In ihrer Äußerlichkeit gegeneinander und Man-
nigfaltigkeit liegt es, daß sie in Beziehung auf eine und dieselbe Sache verschiedenen
Personen angehören können.“111
In der Anmerkung zu § 93 nennt Hegel drei Erscheinungsformen, in denen die Ge-
walt sich zur vernünftigen Allgemeinheit des abstrakten Rechts verhält: die „Verletzung
eines Vertrages durch Nichtleistung des Stipulierten oder der Rechtspflichten gegen die
Familie, [den] Staat, durch Tun oder Unterlassen“112, dann als „pädagogischer Zwang,
oder Zwang gegen Wildheit und Rohheit ausgeübt“, oder „es ist nur ein Naturzustand,
Zustand der Gewalt überhaupt vorhanden, so begründet die Idee gegen diesen ein Hero-
enrecht.“113 Die Vertragsverletzung und deren Ahndung setzt den entwickelten Staat und
die Institutionen der Rechtspflege voraus, die das Recht erhalten, indem sie begangenes
Unrecht bestrafen; der pädagogische Zwang findet ebenfalls innerhalb des Rechts statt
und ist eine Voraussetzung für die Bildung der Rechtspersonen. Der natürliche Wille ist
in sich seiende Gewalt. Sofern der natürliche Wille sich als Wille des Verbrechers im ab-
strakten Recht Geltung verschafft, ist in ihm die Einheit von rechtserhaltender und -set-
zender Gewalt gegeben. Schließlich fällt der Zwang, welcher im Naturzustand stattfin-
det, in die Vorgeschichte des bürgerlichen Rechtsstaates und soll Hegel zufolge für
diesen nicht mehr bestimmend sein.114
Alle drei genannten Erscheinungsweisen der Gewalt bleiben der Rechtsidee transzen-
dent, denn weder ist der Staat auf der Stufe des abstrakten Rechts entwickelt, noch spielt
die rechtsetzende Gewalt des Naturzustandes oder das Verbrechen als Vertragsbruch
eine Rolle – zumindest Hegel zufolge: „Der Vertrag setzt voraus, daß die darein Treten-
den sich als Personen und Eigentümer anerkennen; da er ein Verhältnis des objektiven
Geistes ist, so ist das Moment der Anerkennung schon in ihm enthalten und vorausge-
setzt.“115 Und daß der natürliche Wille nicht notwendig unvernünftig ist, hatte Hegel in
der Einleitung begründet.
Damit fällt aber die Reflexivität des Rechtsbegriffs: Das Verbrechen muß als Negati-
on des Rechtsbegriffs notwendig aus dem Recht begründet sein, aber die Gründe für das
Verbrechen liegen außerhalb des abstrakten Rechts, in dessen Vorgeschichte, im Staat
oder einem im Sinne Kants heteronom bestimmten Willen, den es bei Hegel gar nicht
geben kann. Die Begründung der Notwendigkeit des Verbrechens fällt also nicht in des-
sen Begriff und damit auch nicht in den Begriff des vernünftig bestimmten Willens.
D. h. auch daß das Böse nicht aus der Natur bzw. dem Begriff des Menschen ableitbar
ist. Der Mensch hat die Anlage dazu, sich für das eine oder andere zu entscheiden, aber
ausschlaggebend, sich für oder gegen das Verbrechen zu entscheiden, sind die Leben-
sumstände.116

111
Kursiv von mir, M. B. Hegel. Grundlinien, § 84.
112
Hegel. Grundlinien, § 93 Anmerkung.
113
Ebd., Anmerkung.
114
Vgl. Hegel. Enzyklopädie, § 433 Anmerkung.
115
Hegel. Grundlinien, § 71.
226 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

Wenn also Hegel einerseits das Verbrechen und die darin sich geltend machende Ge-
walt als konstitutive Bestimmung des abstrakten Rechts erweist, diese Gewalt aber an-
derer Herkunft ist, als das abstrakte Recht, dann wird hier offensichtlich etwas zum
Rechtsgrund, was eigentlich überwunden sein sollte: Die in der Vorgeschichte konstitu-
tive Gewalt ist in das abstrakte Recht als Bestimmungsgrund, gegen Hegels Konzeption,
tradiert worden.
Schließlich – wenn Recht und Vernunft unterschiedliche Bestimmungsgründe haben,
dann ist auch die Bestrafung des Verbrechers nicht dasselbe wie die Forderung nach
strafender Gerechtigkeit. Die Strafe erfüllt nicht den Zweck, vernünftiges Verhalten zu
erzwingen. Die Willensbestimmung bleibt Ausdruck der Freiheit und setzt den Ent-
schluß des Verbrechers voraus, sich vernünftig bestimmen zu wollen. Das kann den
Menschen weder die Natur, noch Gott, noch der Weltgeist abnehmen.
Die Begründung für die Rechtskollisionen kann aber auch im Hinblick auf die Praxis
erfolgen: Im unbefangenen Unrecht und im Betrug wird das Recht gefordert, es ist ein
Sollen, das mit der Praxis der Rechtsprechung nichts zu tun hat, weil vor Gericht jeweils
nur ein partikulares Interesse gegen ein anderes unter der Form rechtlicher Allgemein-
heit Recht bekommt – nie aber die gerechte Allgemeinheit selbst gesetzt wird. Damit ist
nicht der Begriff des Rechts konstitutiv für das Recht, sondern die Negation des Begriffs
des Rechts oder der Rechtsstreit. Recht ist nicht reflexiv, sondern tautologisch: Nur
wenn Recht historisch gesetzt ist, kann es auch wieder hergestellt werden.

d) Resultate: Substanz und Bedingungen des abstrakten Rechts

Das abstrakte Recht ist der Begriff des Rechts, der mit den konkreten Bereichen gesell-
schaftlicher Organisation noch vermittelt werden muß. Der vernünftige Wille muß die ge-
sellschaftlichen Bedingungen seiner Realisierung wollen, ohne bereits über sie zu verfü-
gen. Entsprechend ist das Recht auf die Moralität, in der die subjektiven Zwecke des
Willens reflektiert werden, die bürgerliche Gesellschaft, in der die ökonomischen Bedin-
gungen der Selbstbestimmung entwickelt werden, und den Staat, der die sittliche Einheit
von Zwecken und Bedingungen garantiert, verwiesen. Trotz dieser Verwiesenheit des
Rechts auf ihre konkreten Gestalten gehe es zunächst in seinen Grund, den vernünftigen

116
Vgl. auch Oliver Jelinski, der die Vorstellung anthropologisch begründeter Konkurrenz anhand
Kants kritisiert: „Wenn die Neigungen des Einzelnen nicht über die ihm gegebenen Mittel zur Be-
friedigung derselben hinausgehen, empfindet er keinen Mangel. Er fühlt sich nicht ungleich mit
jemandem, der mehr hat, denn das Mehr begehrt er nicht. Er wird dementsprechend auch nicht
versuchen, sich Vorteile gegenüber dem anderen zu verschaffen und weder Neid noch Herrsch-
sucht, noch Habsucht entwickeln. Erscheint der Mangel subjektiv nicht, gibt es keinen Anlaß, der
aus dem Hang zum Bösen eine Neigung zum Bösen macht und dem Handeln aus Pflicht steht
nichts mehr entgegen. Ein ethisches Gemeinwesen, das eine solche Kultur der Zucht verwirklicht,
hat den Widerspruch der Hobbesschen Lehre überwunden, daß moralisches Handeln nur durch äu-
ßere Gewalt möglich ist.“ Oliver Jelinski. „Gewißheit und Wahrheit des gesellschaftlichen Glücks.
Zur Phänomenologie des politischen Geistes.“ In Kants Ethisches Gemeinwesen. Die Religions-
schrift zwischen Vernunftkritik und praktischer Philosophie. Hrsg. v. Michael Städtler. Berlin,
2005, 51.
Abstraktes Recht 227

Willen zurück und stellt die Substanz gesellschaftlicher Organisation dar. Umgekehrt hatte
sich aber auch gezeigt, daß das abstrakte Recht vor der Betrachtung seiner gesellschaftli-
chen Umsetzung nicht widerspruchsfrei zu denken ist: Der Begriff des Eigentums ist auf
seine Vorgeschichte verwiesen. Zwar wurden Besitz und Eigentum durch Arbeit vermit-
telt, aber die dem Arbeitsprozeß vorausgesetzte Aneignung der Arbeitsmittel und des Bo-
dens ist ebenso vorausgesetzt wie die Anerkennung des Privateigentums. Beides wird in
den Grundlinien nicht mehr reflektiert, sondern als gesetzt betrachtet. Der Begriff des Ver-
trages, in dem die den Eigentumstiteln subsumierten Güter äquivalent getauscht werden,
verwies auf die Frage nach der Vergleichbarkeit der Güter und damit auf den Wertbegriff.
Die bei Hegel angelegte Identität von gesellschaftlichen und gegenständlichen Eigen-
schaften des Eigentums führte auf Widersprüche, die mit dem Marxschen Begriff der ge-
sellschaftlich notwendigen Durchschnittsarbeit erklärbar sind. Das bedeutet aber, daß das
abstrakte Recht nicht nur den adäquaten Begriff eines historischen Zustandes darstellt, der
aus diesem Begriff zu entfalten ist, sondern, daß umgekehrt der historische Gehalt des ab-
strakten Rechts dieses konstituiert, weil der Begriff des abstrakten Rechts die konkreten
Gestalten gesellschaftlicher Organisation voraussetzt, um darstellbar zu sein.
Indem also das Recht rekursiv auf seine Vorgeschichte verwiesen ist, sowie progres-
siv auf die Gestalten seines entwickelten Daseins, erweist sich die Selbständigkeit des
historischen Gehaltes, den Hegel durch den ontologisierten Rechtsbegriff ersetzen woll-
te, um die Wirklichkeit dann aus der Rechtssubstanz abzuleiten. Der historische Kern
des Rechtsbegriffs ist als kontingente und willentliche Bedingung nicht ontologisierbar.
Damit wandelt sich auch die Stellung der für das abstrakte Recht konstitutiven Gewalt
im Verbrechen bzw. der Bestrafung des Verbrechers. Sie kann nicht als Funktion be-
stimmt werden, sondern bleibt historische Tat.
Demnach würde der Wille nicht über die Bedingungen seiner Realisierung verfügen, so
daß das Recht mit der Kritik der rechtsphilosophischen Begründung durch Hegel aus sei-
ner ontologischen Konstruktion herausgelöst werden muß. Die Rechtsbegründung kann
nicht unabhängig von der Kritik der Rechtspraxis gedacht werden, wenn sie nicht apolo-
getisch sein soll. Nur insofern es historisch gesetzt und staatlich garantiert ist, kann es
praktisch auch wiederhergestellt werden. Damit ist nicht der vernünftige Wille die recht-
setzende Instanz, sondern der machthabende.
228 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

4.3 Moralisches Subjekt, sittliches Selbstbewußtsein,


aufgeklärtes Individuum
Zweck des abstrakten Rechts ist es, der Selbstbestimmung des Willens einen objektiven
Rahmen zu geben. Die Bestimmungen des Willens als Vermögen vernunftbegabter Sin-
nenwesen blieben aber ebenso abstrakt wie das abstrakte Recht selbst: Die Person ist
Privateigentümer – gleichgültig von was; sie ist Rechtssubjekt, Vertragspartner. Indivi-
dualität wurde erst mit dem Verbrechen und dort nur als Akt der Willkür thematisch. In-
dem der Verbrecher vom Rechtsprinzip abweicht, entsteht überhaupt erst individuelle
Eigenständigkeit, die aber zugleich negativ – eben als Verbrechen – besetzt ist. Die mit
der Durchführung des abstrakten Rechts gewonnene Bestimmung des Subjekts ist also
die, daß es mit den Bedingungen seiner Existenz im abstrakten Recht nicht identisch ist,
sondern, indem es sich gegen das abstrakte Recht stellen kann, auch Zwecke setzen
kann, die gegen das Recht gleichgültig sind. Die Vermittlung von Willkür und Wille ist
Gegenstand der Moralität. Sie hat das sittliche Selbstbewußtsein zum Resultat, welchem
die Realisierung der Idee der Einheit von Recht und Moralität Zweck ist. Das sittliche
Selbstbewußtsein ist ein besonderes Individuum, dessen Individualität schließlich in der
Familie mit dem Begriff des Sittlichen vermittelt wird. Die Bestimmungen der Moralität
sollen im folgenden nur kurz skizziert werden, um den Ausgangspunkt der Bestimmun-
gen der Familie zu benennen.
Die Negation der subjektiven Zwecke des Individuums im Verbrechen wird in der
Moralität um den Begriff des moralisch bestimmten Willens erweitert.
„Die Willensbestimmtheit ist theils als die a n s i c h seyende, – der Vernunft des Willens, das an
sich Rechtliche (und Sittliche); – theils als das in der thätlichen Aeußerung vorhandene, sich
begebende und mit derselben in Verhältniß kommende Daseyn. Der subjective Wille ist inso-
fern mo r a l i s c h frei, als diese Bestimmungen innerlich a l s d i e s e i n i ge n g e s e t z t und von
ihm gewollt werden. Seine thätliche Aeußerung mit dieser Freiheit ist H a n d l u n g, in deren
Aeußerlichkeit er nur dasjenige als das seinige anerkennt und sich zurechnen läßt, was er da-
von in sich gewußt und gewollt hat.“117

Der moralische Wille realisiert sich in der Handlung, die gut sein soll. Der Zweck des
moralisch bestimmten Willens ist damit nicht unabhängig von seiner Realisierung zu
denken und bewegt sich bei Hegel zwischen der Intention und den objektiven Bedingun-
gen des Handelns und ist zunächst durch den Nachweis der Nichtübereinstimmung von
Intention und Objektivität bestimmt: So kann der Vorsatz einer Handlung an der Selb-
ständigkeit der Objektivität scheitern und „Anderes zum Vorschein bringen, als in dieser
gelegen hat.“118 Das Subjekt hat ein Recht darauf, daß die Handlung, indem sie gut ist,
auch auf das Wohl des Subjekts ausgerichtet ist, d. h. daß seine Bedürfnisse, Interessen
und Zwecke in der Handlung berücksichtigt werden. Absicht und Wohl sind aber ohne
ein Prinzip ihrer moralischen Bestimmung gleichgültig gegen ihren moralischen Gehalt:
117
Hegel. Enzyklopädie, § 503.
118
Ebd., § 504.
Moralisches Subjekt, sittliches Selbstbewußtsein, aufgeklärtes Individuum 229

Sie können ebensogut Bestimmungsgründe für einen verbrecherischen Willen sein. Das
vernünftige Prinzip der Willensbestimmung ist ein formelles Kriterium, das nur aus dem
Subjekt bestimmt sein und als dieser Selbstzweck realisiert werden soll. Es ist „das an
und für sich Gute, daher d er absolu te E nd zwec k der We lt , und die P flich t für
das Subject, welches die Ein sic ht in das Gute haben, dasselbe sich zur Absich t ma-
chen und durch seine Thätigkeit hervorbringen soll .“119 Aber so wenig die Willensbe-
stimmung ohne ein moralisches Prinzip gut ist, so wenig kann ein Zweck gut sein, der
über die Bedingungen seiner Realisierung nicht verfügt. Als rein formelles Prinzip gerät
der gute Wille deshalb in Widersprüche: Die Pflichten, welche aus dem abstrakten mo-
ralischen Prinzip abgeleitet werden, kollidieren untereinander; dann ist das abstrakte
Prinzip des Guten gleichgültig gegen das Wohl des handelnden Subjekts, welches aber
zugleich einen Anspruch darauf hat, seine Besonderheit in der Handlung zu berücksich-
tigen. Schließlich liegt es im Belieben des Subjekts, ob es die Realisierung des Guten zu
seinem Zweck macht, oder ob es das Gute der Realisierung seines Wohls unterordnet,
und selbst wenn es das Gute will, bleibt die Objektivität, in der es realisiert werden soll,
gegen das Subjekt selbständig.
„Es ist daher zufällig, ob sie mit den subjectiven Zwecken zusammenstimmt, ob das G u t e sich
in ihr realisirt und das B ö s e , der an und für sich nichtige Zweck, in ihr nichtig ist; – ferner ob
das Subject in ihr g l ü c k l i c h und das b ö s e u n gl ü c k l i c h wird. Zugleich aber s o ll die Welt
das Wesentliche, die gute Handlung in sich ausführen lassen, wie dem g u t e n Subjecte die Be-
friedigung seines besondern Interesses gewähren, dem bösen aber versagen, so wie das Böse
selbst zu nichte machen.“120

Weil der letzte Zweck des moralischen Subjekts einerseits wirkmächtig sein soll, ande-
rerseits aber keinen Ort in der Welt hat, wird er zu dessen innerster und damit zugleich
eitelster Reflexion. Hegel karikiert mit dieser Bestimmung des moralischen Zwecks die
entsprechende Bestimmung Kants. Anders als bei Kant ist die Reinheit des moralischen
Vorsatzes in den Grundlinien nicht die a priorische Bedingung moralischer Handlung,
sondern vielmehr das Resultat der Kritik am Moralbegriff der Kritik der praktischen
Vernunft.121 Dessen prinzipieller Mangel ist es, als a priorisches Prinzip auf die Sphäre
der Handlungen nicht anwendbar zu sein, ohne ‚unrein‘ zu werden, aber zugleich an-
wendbar sein zu müssen, wenn er nicht gegenstandslos bleiben soll. Hegel zeigt dage-
gen, daß die Bestimmung des Guten als rein formales Prinzip, wie es der kategorische
Imperativ ist, in der Ununterscheidbarkeit von gut und böse gipfelt und damit auf die
gesellschaftliche Objektivität verweist, in der das Gute realisiert werden soll. Jenseits
seiner Realisierung kann der Wille sich Selbstzweck sein und gegen andere Subjekte ge-
wissenlos sein:
„Das B ö s e als die innerste Reflexion der Subjectivität in sich gegen das Objective und Allge-
meine, das ihr nur Schein ist, ist dasselbe, was die g u t e Ge s i n n u n g des a b s t r a c t en Gu -

119
Hegel. Enzyklopädie, § 507.
120
Ebd., § 510.
121
Vgl. S. 187 ff. dieser Arbeit.
230 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

t e n , welche der Subjectivität die Bestimmung desselben vorbehält; – das ganz abstracte
S ch e i n e n , das unmittelbare Verkehren und Vernichten seiner selbst.“122

Mit dem abstrakten Recht beschreibt Hegel den Begriff der Konstellation von Wille und
Objektivität, in der Freiheit nicht abstrakt bleibt. Der Wille wirkt als diejenige Instanz,
die die Objektivität noch unabhängig von den Zwecken und Interessen eines Individu-
ums bestimmt. Die individuellen Zwecke werden erst mit der Moralität reflektiert. Ob-
gleich beide Bereiche, das abstrakte Recht ebenso wie die Moralität, unter der Maßgabe
der begrifflichen Vermittlung abgehandelt werden, bleibt ihnen jeweils ein Unauflösba-
res immanent: Die systematische Vermittlung des abstrakten Rechts bleibt gegen die in-
dividuellen Interessen indifferent, während der moralisch bestimmte Wille über die Be-
dingungen seiner Realisierung auf dieser Stufe nicht verfügt. Darin tritt die
Notwendigkeit zu Tage, Recht und Moral, bzw. den vernünftigen Willen an seinem ob-
jektiven Korrelat, dem „wirkliche[n] Geist einer Familie und eines Volkes“123 zu ent-
wickeln. Damit gelingt es Hegel mit den Begriffen des abstrakten Rechts und der Mora-
lität, die Notwendigkeit der Begründung des immanenten Zusammenhangs zwischen der
moralischen Willensbestimmung und den wirklichen Verhältnissen aufzuzeigen und da-
mit die Aufgabe zu formulieren, die Unüberbrückbarkeit beider Bereiche, die bei Kant
dominierte, als Sittlichkeit doch zu überwinden. D. h. daß das Subjekt nicht absolut ist,
sondern seine Selbstbestimmung auch von den objektiven Bedingungen abhängt, in de-
nen es Subjekt sein will.124 Die Sittlichkeit ist also die Idee der Freiheit, die zugleich
über diesen reinen Begriff der Vermittlung hinaus die begriffliche Substanz der histo-
risch bereits gestalteten Wirklichkeit erweisen soll.
„Die Sittlichkeit ist die Idee der Freiheit, als das lebendige Gute, das in dem Selbstbewußtsein
sein Wissen, Wollen und durch dessen Handeln seine Wirklichkeit, so wie dieses an dem sittli-
chen Sein seine an und für sich seiende Grundlage und bewegenden Zweck hat, – der zur vor-
handenen Welt und zur Natur des Selbstbewußtseins gewordene Begriff der Freiheit.“125

Am Anfang der Sittlichkeit steht das Selbstbewußtsein, welches die entwickelte Idee der
Freiheit weiß und realisieren will. Familie, bürgerliche Gesellschaft und Staat sind die
konkreten Gestalten der gesamtgesellschaftlichen Vermittlung des freien Willens mit
seinen natürlichen, ökonomischen und intellektuellen Zwecken. Das sittliche Selbstbe-
wußtsein ist die Einheit des Willens und des Daseins im Subjekt. Es ist der Idee als
Funktion unterstellt:
„Die Subjektivität ist selbst die absolute Form und die existierende Wirklichkeit der Substanz,
und der Unterschied des Subjekts von ihr als seinem Gegenstand, Zwecke und Macht ist nur
der zugleich ebenso unmittelbar verschwundene Unterschied der Form.“126

Im sittlichen Selbstbewußtsein ist nicht mehr zwischen Wille und Willkür, das Subjekt
nicht mehr von der Idee zu unterscheiden, weil beide miteinander vermittelt sind. Der
122
Hegel. Enzyklopädie, § 512.
123
Hegel. Grundlinien, § 156.
124
Vgl. ebd., § 141.
125
Ebd., § 142.
126
Ebd., § 152.
Moralisches Subjekt, sittliches Selbstbewußtsein, aufgeklärtes Individuum 231

Wille will die Sittlichkeit, weil er seine Realisierung will. Gegenstand seines Wollens ist
damit eine Wirklichkeit, in der die selbstbewußten Individuen in den Verhältnissen eine
Entsprechung zu ihrem Selbstgefühl finden. Das Verhältnis des gut sein sollenden Wil-
lens und des wirklich sein sollenden Guten hat in der Sittlichkeit die Gestalt der Sym-
metrie von Rechten des freien Selbstbewußtseins an die Wirklichkeit, so wie es umge-
kehrt auch Pflichten hat, diese Wirklichkeit zu achten und zu erfüllen.
„In dieser Identität des allgemeinen und besonderen Willens fällt somit Pflicht und Recht in
Eins, und der Mensch hat durch das Sittliche insofern Rechte, als er Pflichten, und Pflichten,
insofern er Rechte hat. Im abstrakten Rechte habe Ich das Recht und ein anderer die Pflicht ge-
gen dasselbe, – im Moralischen soll nur das Recht meines eigenen Wissens und Wollens sowie
meines Wohls mit den Pflichten geeint und objektiv sein.“127

Mit der Sittlichkeit ist also eine Einschränkung verbunden, sofern sie auf die Willkür der
Subjekte bezogen ist. Aber diese Beschränkung stelle nach Hegel keine Grenze ihrer
Freiheit dar, weil sie dem Erhalt der bürgerlichen Gesellschaft und des Staates diene und
damit der dem vernünftigen Willen adäquaten Ordnung. In dem Wechselverhältnis von
Rechten und Pflichten streift das Individuum seine Beschränkung als Individuum ab und
realisiert kooperativ mit allen anderen Individuen deren Gattungsvermögen. Insofern ist
die Sittlichkeit etwas qualitativ anderes als nur die Summe vieler Individuen: „Der Be-
griff dieser Idee ist nur als Geist, als sich Wissendes und Wirkliches, indem er die Ob-
jektivierung seiner selbst, die Bewegung durch die Form seiner Momente ist.“128
Indem der Begriff der Sittlichkeit ein die Subjektivität der Individuen transzendieren-
der und zugleich objektivierender Begriff ist, in den diese eng eingespannt sind, wird In-
dividualität zur Privatangelegenheit. Die Sphäre der Individualität ist daher die Familie.
Die Familie ist die Keimzelle des Sittlichen, denn sie stellt den Bereich dar, in dem
die Individuen als Individuen versorgt und reproduziert werden, aber auch eine ihre In-
dividualität transzendierende Erfahrung der Gemeinschaftlichkeit machen. Sie erfahren
in der Familie, daß ihre Individualität zufällig ist gegen die Substanz der familiären Ge-
meinschaft. Individualität wird deshalb von Hegel auf eine Weise entwickelt, die die
Subjekte befähigt, Mitglieder der aufgeklärten Gesellschaft zu werden, d. h. sich ihrem
(Gattungs-)Vermögen gemäß zu verhalten. Sittlichkeit und die mit ihr verbundene ge-
sellschaftliche Organisation ist bei Hegel Selbstzweck. Sie kann zwar nicht auf die Indi-
viduen, die sittlich agieren, verzichten, behandelt sie aber auch nicht als eigenständige
Wesen, sondern als Mittel, um die gesamtgesellschaftliche Reproduktion begründen zu
können. Das führt zu Konflikten im Begriff individueller Selbstbestimmung.
Bevor die Subjekte die Gesellschaft als Bürger mit Rechten, Pflichten und Vermögen
betreten, müssen sie sich als Individuen reproduzieren, d. h. die Familie hat gesamtge-
sellschaftlich betrachtet die Funktion, die Individuen mit Liebe, Erziehung und den not-
wendigen Lebensmitteln zu versorgen. Die Individuen sind dabei innerhalb der Familie
unmündig, weil sie ihr Gattungsvermögen nur kooperativ und arbeitsteilig realisieren
können, während ihre Individualität nur notwendige Bedingung der Realisierung des
127
Hegel. Grundlinien, § 155.
128
Ebd., § 157.
232 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

Gattungsvermögens ist, aber nicht gleichwertig zu diesem. Beides, Arbeitsteilung wie


Kooperation, sind Methoden, die räumliche und zeitliche Begrenztheit der individuellen
Existenz zu überwinden. Innerhalb der Familie gelten die einzelnen Familienmitglieder
deshalb nicht als selbständige Rechtspersonen, sondern nur die Familie als Ganze bildet
eine Rechtsperson.129
Die Ehe in den Grundlinien ist kein bürgerliches Vertragsverhältnis, sondern eine in-
dividuell vermittelte, sittliche Beziehung zwischen Mann und Frau.
„Damit [mit der Eheschließung, M. B.] ist das sinnliche, der natürlichen Lebendigkeit angehö-
rige Moment in sein sittliches Verhältnis als eine Folge und Akzidentalität gesetzt, welche dem
äußerlichen Dasein der sittlichen Verbindung angehört, die auch in der gegenseitigen Liebe und
Beihilfe allein erschöpft sein kann.“130

Der in der Familie stattfindende Prozeß individueller Entwicklung ist damit eine Gestalt
vorgesellschaftlicher Sittlichkeit.131 Der Versuch, die Entwicklung der Individualität dem
Zweck sittlicher und gesamtgesellschaftlicher Reproduktion vollständig zu subsumieren,
steht schief zum Wesen von Individualität, in gesellschaftlichen Zusammenhängen nicht
unmittelbar aufzugehen. Der Versuch Hegels, die Differenz zwischen Individuum und
Gesellschaft zu vermitteln, führt deshalb auf Restriktionen der Individualität. Ein Bei-
spiel dafür ist das Geschlechterverhältnis.132 Die Ehe ist die Basis der familiären Bezie-
hungen, welcher die „natürliche Bestimmtheit der beiden Geschlechter“ zugrunde liegt,
aus der Hegel wiederum die sittliche und damit systematische Differenz zwischen den
Geschlechtern begründet.

129
Vgl. Hegel. Grundlinien, § 159.
130
Ebd., § 164.
131
Axel Honneth interpretiert – wenngleich in Beziehung auf die Jenaer Realphilosophie – die Funk-
tion der Liebe anerkennungstheoretisch: „Zwar reift in der Liebesbeziehung ein erstes Verhältnis
der wechselseitigen Anerkennung heran, das für jede weitere Identitätsentwicklung eine notwen-
dig Voraussetzung bildet, weil es das Individuum in seiner besonderen Triebnatur bestätigt und
ihm damit zu einem unverzichtbaren Maß an Selbstvertrauen verhilft; aber in einem derartig eng
begrenzten Interaktionsrahmen wie dem der Familie ist andererseits nichts dazu angetan, das Sub-
jekt über die Funktion zu belehren, die intersubjektiv verbürgte Rechte im sozialen Lebenszusam-
menhang einer Gesellschaft zu übernehmen haben. Das Anerkennungsverhältnis der Liebe erweist
sich unter dem Gesichtspunkt, der in der Frage nach den Konstitutionsbedingungen einer Rechts-
person angelegt ist, selber noch als ein unvollständiger Erfahrungsbereich; denn in der liebenden
Beziehung zu den Familienmitgliedern wird der subjektive Geist prinzipiell nicht durch Konflikte
von der Art aufgestört, die ihn dazu nötigen könnten, sich auf sozial übergreifende, allgemeine
Normen der Reglung des sozialen Verkehrs zu besinnen; ohne eine Bewußtsein für solche univer-
salisierten Interaktionsnormen aber wird er sich selbst auch nicht als eine mit intersubjektiv gülti-
gen Rechten ausgestattete Person zu begreifen lernen.“ Axel Honneth. Kampf um Anerkennung,
68. Es ist fraglich, ob Hegel mit dem Topos der Anerkennung durch Liebe tatsächlich psycholo-
gisch zu interpretieren ist. Hegels Programm besteht nicht nur in der intersubjektiven Vermittlung
von Subjekten, sondern in der Realisierung des Begriffs, dessen Träger die Subjekte sind.
132
Beispiele dafür, wie Hegel die Eigenständigkeit der Individualität restringiert, gibt es mehrere, so
z. B. auch die Aufopferung der Staatsbürger im Krieg, die Aufopferung des Knechtes für den Her-
ren usw. Lu de Vos versteht den Familienbegriff Hegels, in dem Individualität restringiert wird, als
Chance, „die Bourgeois-Moralität“ zu hinterfragen, „für die nur das Individuum das einzige sozia-
le Ding ist und die einzige soziale Entität bleibt.“ Lu de Vos. „Institution Familie. Die Ermögli-
chung einer nicht-individualistischen Freiheit.“ Hrsg. v. Walter Jaeschke und Ludwig Siep. Hegel-
Studien 41 (2006), 91.
Moralisches Subjekt, sittliches Selbstbewußtsein, aufgeklärtes Individuum 233

„Die natürliche Bestimmtheit der beiden Geschlechter erhält durch ihre Vernünftigkeit in-
tellektuelle und sittliche Bedeutung. Diese Bedeutung ist durch den Unterschied bestimmt, in
welchen sich die sittliche Substantialität als Begriff an sich selbst dirimiert, um aus ihm ihre
Lebendigkeit als konkrete Einheit zu gewinnen.“133

Innerhalb der Ehe sind beide Ehepartner gleichberechtigt; die Frau willigt ebenso wie
der Mann in die Ehe ein; die Hoheit über Eigentum und Erziehung der Kinder haben
ebenso beide. Aber die Frau hat in der Konstruktion Hegels nicht die Möglichkeit, an
den öffentlichen Bereichen der Gesellschaft teilzuhaben, insbesondere wenn sie Intel-
lektualität voraussetzen: „Der Unterschied der natürlichen Geschlechter erscheint eben-
so zugleich als ein Unterschied der intellectuellen und sittlichen Bestimmung.“134 Be-
stimmung der Frauen sei es, innerhalb der Familie die sittliche Empfindung zu
vermitteln und dadurch die familiäre Gemeinschaft zusammenzuhalten. Kunst, Wissen-
schaft, Ökonomie und Politik seien dagegen Bereiche, die für Frauen aufgrund ihrer
„natürlichen Fähigkeiten“ unzugänglich bleiben müßten.
„Das eine ist daher das Geistige, als das sich Entzweiende in die für sich seiende persönliche
Selbständigkeit und in das Wissen und Wollen der freien Allgemeinheit, [in] das Selbstbewußt-
sein des begreifenden Gedankens und [in das] Wollen des objektiven Endzwecks, – das andere
das in der Einigkeit sich erhaltende Geistige als Wissen und Wollen des Substantiellen in Form
der konkreten Einzelheit und der Empfindung. – Jenes im Verhältnis nach außen das Mächtige
und Betätigende, dieses das Passive und Subjektive. Der Mann hat daher sein wirkliches sub-
stantielles Leben im Staate, der Wissenschaft und dergleichen, und sonst im Kampfe und der
Arbeit mit der Außenwelt und mit sich selbst, so daß er nur aus seiner Entzweiung die selbstän-
dige Einigkeit mit sich erkämpft, deren ruhige Anschauung und die empfindende subjektive
Sittlichkeit er in der Familie hat, in welcher die Frau ihre substantielle Bestimmung und in die-
ser Pietät ihre sittliche Gesinnung hat.“135

Das Heraustreten der Familienmitglieder in die bürgerliche Gesellschaft bezieht sich


demnach auf die männlichen Mitglieder, also einerseits den Vater und Ehemann, der für
die Verwaltung des Eigentums und den Erwerb zuständig ist, und die Söhne anderer-
seits, die wie ihre Väter wiederum Familien gründen, Berufe erlernen und ausüben und
sich öffentlich engagieren. Die Töchter verlassen zwar auch ihre Eltern, aber nur um zu
heiraten und in eine neue Familie einzugehen.
Die Geschlechterdifferenz erhalte also dadurch eine systematische Funktion, daß der
Begriff sittlicher Substantialität sich von sich selbst unterscheide und vermittle.136 Den
Begriff sittlicher Substantialität hatte Hegel in der Idee des Lebens als Begriff der Wis-

133
Hegel. Grundlinien, § 165.
134
Hegel. Enzyklopädie, § 519.
135
Hegel. Grundlinien, § 166 f.
136
Vgl. auch Eva Bockenheimer: „Nach Hegel ist diese geschlechtsspezifische Arbeitsteilung not-
wendig, denn sie ist Ausdruck davon, dass die sittliche Substanz als Begriff an der natürlichen Be-
stimmtheit der Geschlechter einen substantiellen, sittlich-geistigen Unterschied darstellt: Der
Geist differenziert sich in die unmittelbare Einheit von Einzelheit und Allgemeinheit einerseits –
die von der Frau repräsentiert wird –, und in die in sich entzweite Einheit von Einzelheit und All-
gemeinheit andererseits, die der Mann darstellt (vgl. § 166).“ Eva Bockenheimer. „Das Geschlech-
terverhältnis in Hegels Rechtsphilosophie.“ In Hegel-Jahrbuch 2008 – Hegels politische Philoso-
phie, hrsg. v. Andreas Arndt u. a. Erster Teil. Berlin, 2008, 315.
234 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

senschaft der Logik abgehandelt. Dort war der entwickelte Begriff des Begriffs ohne den
Begriff des Geschlechts ausgekommen. In der Idee des Lebens nimmt die Diremtion des
Begriffs des Lebens die Gestalt der Negation der Negation an.137 Dieser Prozeß bedarf
lediglich der Seele als Prinzip des Lebens und dessen Negation des Individuums, das
schließlich stirbt und damit den Übergang in den Begriff der Gattung ermöglicht. Was
also vom Standpunkt des wissenschaftlichen Begriffs offensichtlich gleichgültig ist,
wird auf dem Standpunkt gesellschaftlicher Wirklichkeit zur Funktion – und zwar nicht
nur zur biologischen, sondern zur sittlichen Funktion, welche die Individuen bezogen
auf ihre Mündigkeit hierarchisch unterscheidet: Die Erziehung der Kinder zu Bürgern ist
Zweck der Familie, den die Frauen unmittelbar, die Männer hingegen öffentlich vermit-
telt erfüllen.
Aber auch nach den Maßstäben der objektivierten Sittlichkeit fügt sich die Hierarchi-
sierung der Geschlechter nicht in den Begriff des vernünftigen Willens ein: Entweder
sind Frauen vernunftbegabte Sinnenwesen, dann kann ihnen die intellektuelle und öf-
fentliche Betätigung nicht vorenthalten werden, oder sie sind nur Sinnenwesen, dann
blieben sie auf ihre erste Natur beschränkt und wären damit nicht empfänglich oder fä-
hig, die sittlichen und sozialen Fähigkeiten zu entwickeln und an andere weiterzugeben,
die sie nach Hegel weitergeben sollen. Die unmittelbare Sittlichkeit setzt bereits die Po-
tenz zur reflektierten Sittlichkeit voraus. Oder in der Terminologie der Grundlinien: Da-
mit die Frauen sich frei für die Ehe entscheiden können, müssen sie als Rechtspersonen
anerkannt sein, andererseits wird ihnen dann aber die Fähigkeit abgesprochen, innerhalb
der bürgerlichen Gesellschaft als Rechtspersonen zu agieren.
Damit ist die von Hegel angeführte Geschlechterdifferenz in ihrer systematischen
Funktion zu kritisieren. Die Geschlechterdifferenz ist zwar ein biologisches Faktum,
aber kein moralisches, denn als logischer Begriff hat die Geschlechterdifferenz gar kei-
ne Funktion, während sie in der Familie zum Maßstab der Grundlinien in Widerspruch
gerät. Sie ist vielmehr als das Zitat einer historisch realen, hierarchischen Struktur zu
begreifen. Frauen von der Entwicklung ihrer intellektuellen Fähigkeiten abzuhalten, wi-
derspricht dem Begriff des selbstbestimmten Willens, denn dieser ist der zu realisieren-
de Zweck gesellschaftlicher Organisation, wogegen die Geschlechterdifferenz zufällig
bleibt.
Die Nötigung, die Geschlechterdifferenz in den Begriff gesellschaftlicher Organisati-
on zu integrieren, entspringt aus dem Zweck, den Hegel der Gesellschaft in den Grund-
linien zuschreibt. Wird der Gattungsprozeß auf einen Zweck hingeordnet, der nicht die
Existenz einer Gesellschaft von Individuen meint, sondern die Existenz eines die Indivi-
duen transzendierenden Gesamtzusammenhangs, dann ist die Entwicklung des Individu-
ums kein notwendiges Moment von Freiheit. Individualität wird vielmehr teleologisch
reglementiert. In einem solchen Zusammenhang werden dann auch Frauen zur bloßen
Funktion, die ihre Entwicklung als intellektuelle und politische Individuen nicht bein-
haltet.

137
Vgl. S. 107 ff. dieser Arbeit.
Moralisches Subjekt, sittliches Selbstbewußtsein, aufgeklärtes Individuum 235

Umgekehrt: Verstünde sich Gesellschaft nicht als den Individuen transzendenter


Selbstzweck, sondern als Organisationsform eines Lebenszusammenhanges, in dem
Selbstbestimmung auch die Entwicklung von Individualität meint, dann wäre Selbstbe-
stimmung nicht nur gesellschaftlich, sondern auch individuell bestimmt und es obliege
der Gesellschaft, die Vereinbarkeit von Naturnotwendigkeiten und Freiheit unabhängig
vom Geschlecht organisatorisch zu ermöglichen.138 Darüber hinaus setzte Selbstbestim-
mung nicht nur die Reflexion des Begriffs und der organisatorischen Bedingungen vor-
aus, sondern auch die Reflexion auf die geschichtlich überlieferten und individuell wie
gesamtgesellschaftlich wirkmächtigen, autoritären Strukturen. Die Notwendigkeit der
Entwicklung freier Individualität faßt Hegel im Begriff der Bildung zusammen:
„Die Bildung ist daher in ihrer absoluten Bestimmung die Befreiung und die Arbeit der höheren
Befreiung, nämlich der absolute Durchgangspunkt zu der nicht mehr unmittelbaren, natürli-
chen, sondern geistigen, ebenso zur Gestalt der Allgemeinheit erhobenen unendlich subjektiven
Substantialität der Sittlichkeit. Diese Befreiung ist im Subjekt die harte Arbeit gegen die bloße
Subjektivität des Benehmens, gegen die Unmittelbarkeit der Begierde sowie gegen die subjek-
tive Eitelkeit der Empfindung und die Willkür des Beliebens. Daß sie diese harte Arbeit ist,
macht einen Teil der Ungunst aus, der auf sie fällt. Durch diese Arbeit der Bildung ist es aber,
daß der subjektive Wille selbst in sich die Objektivität gewinnt, in der er seinerseits allein wür-
dig und fähig ist, die Wirklichkeit der Idee zu sein.“139

Die eigene Beschädigung zu überwinden liegt zu einem Teil auch im Entschluß und im
Bildungsprozeß jedes einzelnen Subjekts – gleich, in welcher gesellschaftlichen Rolle es
agiert, ob es autoritär oder unterworfen ist. Darin klingt ein Freiheitsbegriff an, der nicht
nur für die Entfaltung des Begriffs, sondern für die biografische Entfaltung einer Indivi-
dualität plädiert, die zugleich eigenständig und aufgeklärt ist. Eine solche Freiheit weist
über den philosophischen Begriff von Freiheit hinaus: Die psychologischen, gesell-
schaftspolitischen wie geschichtlichen Gründe autoritärer Strukturen sind zu reflektie-
ren, wenn Subjekte nicht nur formelle Eigenständigkeit besitzen sollen. Umgekehrt hat
aber die Entwicklung von Individualität am Begriff von Selbstbestimmung ebenso ihr
Maß. Dieses Verhältnis zu entwickeln ist die Arbeit jedes einzelnen Subjekts.

138
Eva Bockenheimer weist darauf hin, daß die Konstruktion Hegels, in der das Prinzip der unmittel-
baren Sittlichkeit in der Familie dem Prinzip der Konkurrenz in der bürgerlichen Familie wider-
spricht, Ausweis der historischen Unmöglichkeit ist, sexuelle Individualität mit den gesellschaftli-
chen Verhältnissen in Übereinstimmung zu bringen. „Die Lösung scheint zu sein, dass jedes Indi-
viduum in beiden Bereichen aktiv ist – in Familie und bürgerlicher Gesellschaft. Wenn Hegel je-
doch Recht hat, dass es sich um Sphären handelt, die von sich widersprechenden Prinzipien be-
stimmt sind, dann erklärt dies auch, warum es innerhalb der momentanen gesellschaftlichen Ver-
hältnisse kaum jemandem gelingt, beides auf befriedigende Weise miteinander zu vereinbaren.
Das Wegbrechen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung wirft also ein Problem auf, das die be-
stehenden gesellschaftlichen Verhältnisse in Frage stellt. Aufgaben, die die Familie bisher über-
nommen hat, müssen nun von der Gesellschaft übernommen werden. Dies steht jedoch im Wider-
spruch dazu, dass die Reproduktion in der bürgerlichen Rechtsordnung in den Bereich des Priva-
ten verbannt ist – es sich also scheinbar um ein Problem handelt, das jede/r für sich zu lösen hat.“
Eva Bockenheimer. „Das Geschlechterverhältnis in Hegels Rechtsphilosophie.” 317.
139
Hegel. Grundlinien, § 187 Anmerkung.
236 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

4.4 Bedürfnis, Arbeit und gesellschaftliche Anerkennung


Die Familie erfüllt nicht nur die Funktion der Entwicklung des Individuums zum Fami-
lienmitglied, sondern stellt auch einen ökonomischen Zusammenhang dar. Die Familie
verfügt über Vermögen, dessen Eigentümer nicht die einzelnen Mitglieder sind, sondern
die familiäre Gemeinschaft als Ganze.
Innerhalb der Familie wird Vermögen angeeignet, bewahrt und tradiert. Das Vermö-
gen dient als bleibender, sicherer Besitz zur Versorgung und Vorsorge der Familie. Das
Eigentum der Familie wird dadurch einerseits von Generation zu Generation bewahrt
und vererbt, andererseits ist es an die Ehe gebunden, so daß mit einer neuen Ehe auch
ein neues Vermögen begründet wird. Die Bewahrung des Vermögens setzt voraus, daß
die verbrauchten Anteile reproduziert werden und daß es vermehrt wird, damit es zu
gleichen Anteilen auf mehrere Kinder der nächsten Generation verteilt werden kann.
Andernfalls würde das Vermögen von Generation zu Generation kleiner und die Versor-
gung der jeweiligen Familien wäre nicht mehr möglich.
Der Bürger betritt also die bürgerliche Gesellschaft einerseits als sittliches Individu-
um, das das Recht hat, sein Auskommen und das Auskommen seiner Familie im System
der Bedürfnisse zu finden, und der ebenso die Pflicht hat, seinen ökonomischen Beitrag
für die Gesellschaft zu leisten. Aber diesem symmetrischen Verhältnis von Rechten und
Pflichten entspricht materiell die Notwendigkeit, innerhalb des Systems der Bedürfnisse
mehr anzueignen, als an die Gesellschaft abgegeben wird und zwar in dem Maße, in
dem neue Familien aus den alten entstehen. Dieses Problem kann nur ökonomisch ge-
löst werden: „Worin übrigens jenes Vermögen bestehe und welches die wahrhafte Weise
seiner Befestigung sei, ergibt sich in der Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft.“140
Die Person, die die Familie in der bürgerlichen Gesellschaft vertritt, tritt aus der
Sphäre unmittelbarer Sittlichkeit in die Sphäre der Vereinzelung: „Die Familie tritt auf
natürliche Weise und wesentlich durch das Prinzip der Persönlichkeit in eine Vielheit
von Familien auseinander, welche sich überhaupt als selbständige konkrete Personen
und daher äußerlich zueinander verhalten.“141 Das Prinzip der unmittelbaren Sittlichkeit
der Familie, der Entwicklung der Individuen zu gesellschaftlichen Wesen, geht in der
bürgerlichen Gesellschaft zunächst verloren, weil dort nicht die Erfüllung einer uneigen-
nützigen Allgemeinheit Zweck ist, sondern die Befriedigung der je einzelnen Bedürfnis-
se. Zweck des Familienoberhauptes und bourgeois ist deshalb die Befriedigung der sub-
jektiven Bedürfnisse. Die Mittel, durch die die Bedürfnisse befriedigt werden können,
gehören aber nicht zu seinem Eigentum, sondern sie sind das Eigentum anderer Perso-
nen, ebensowenig verfügen alle anderen Eigentümer über die Mittel ihrer Reproduktion.
„Alle Waren sind Nicht-Gebrauchswerte für ihre Besitzer, Gebrauchswerte für ihre
Nicht-Besitzer.“142 Die Vermittlung zwischen Bedürfnis und Eigentum wird durch Arbeit
und Handel geleistet und gelingt nicht autark, sondern nur über den Kontakt mit anderen
140
Hegel. Grundlinien, § 170 Anmerkung.
141
Ebd., § 181.
142
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 100.
Bedürfnis, Arbeit und gesellschaftliche Anerkennung 237

Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft, so daß in der Abstimmung der praktischen


Interessen eine Allgemeinheit entsteht, das System der Bedürfnisse.
„Der selbstsüchtige Zweck in seiner Verwirklichung, so durch die Allgemeinheit bedingt, be-
gründet ein System allseitiger Abhängigkeit, daß die Subsistenz und das Wohl des Einzelnen
und sein rechtliches Dasein in die Subsistenz, das Wohl und Recht aller verflochten, darauf ge-
gründet und nur in diesem Zusammenhange wirklich und gesichert ist. – Man kann dies Sy-
stem zunächst als den äußeren Staat, – Not- und Verstandesstaat ansehen.“143

Weil die Realisierung der Interessen der Einzelnen von der Allgemeinheit abhängt, re-
produziert sich in deren selbstsüchtigem Tun zugleich das ökonomische System als
Ganzes. Deshalb begreift Hegel diese Abhängigkeit aller von allen als „das Versöhnende
innerhalb dieser Sphäre“144.
Das Gelingen der Vermittlung von bürgerlicher Gesellschaft und Staat hängt davon
ab, daß sich die sittliche Affinität des Systems der Bedürfnisse zum Begriff der Sittlich-
keit aus dem Begriff der bürgerlichen Gesellschaft rekonstruieren läßt. Das kann gelin-
gen, wenn der ökonomische Zweck dem Zweck des Staates nicht widerspricht. Der
Staat ist der Inbegriff der realisierten Sittlichkeit:
„Der Staat ist die Wirklichkeit der sittlichen Idee – der sittliche Geist, als der offenbare, sich
selbst deutliche, substantielle Wille, der sich denkt und weiß und das, was er weiß und insofern
er es weiß, vollführt. An der Sitte hat er seine unmittelbare und an dem Selbstbewußtsein des
Einzelnen, dem Wissen und Tätigkeit desselben, seine vermittelte Existenz, so wie dieses durch
die Gesinnung in ihm, als seinem Wesen, Zweck und Produkte seiner Tätigkeit, seine substan-
tielle Freiheit hat.“145

Die Individuen haben das Recht, sich über das System der Bedürfnisse mit dem Lebens-
notwendigen zu versorgen, so daß die adäquate Organisation der Reproduktion auf ge-
samtgesellschaftlichem Maßstab ein notwendiges Moment der sittlichen Gesellschaft
ist. Vom Standpunkt des Begriffs kann der Zweck des ökonomischen Systems nur in der
Befriedigung der Bedürfnisse liegen, weil dieser Zweck dem Staatszweck nicht wider-
spricht.
Trotzdem zeigt sich zwischen den Extremen des Rechts auf Reproduktion, das der
Einzelne an das System der Bedürfnisse hat, und dessen Abhängigkeit von gesamtge-
sellschaftlichen Bedingungen eine Dynamik, die zur Funktion des Systems der Bedürf-
nisse, die Menschen zu versorgen und die allgemeingültigen und vernünftigen Züge der
Ökonomie aufzuzeigen, im Gegensatz steht:
„Die Besonderheit für sich, einerseits als sich nach allen Seiten auslassende Befriedigung ihrer
Bedürfnisse, zufälliger Willkür und subjektiven Beliebens, zerstört in ihren Genüssen sich
selbst und ihren substantiellen Begriff; andererseits als unendlich erregt und in durchgängiger
Abhängigkeit von äußerer Zufälligkeit und Willkür sowie von der Macht der Allgemeinheit be-
schränkt, ist die Befriedigung des notwendigen wie des zufälligen Bedürfnisses zufällig. Die
bürgerliche Gesellschaft bietet in diesen Gegensätzen und ihrer Verwicklung das Schauspiel

143
Hegel. Grundlinien, § 183.
144
Ebd., § 189.
145
Ebd., § 257.
238 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

ebenso der Ausschweifung, des Elends und des beiden gemeinschaftlichen physischen und sitt-
lichen Verderbens dar.“146

So sehr also einerseits die Nötigung zur Anpassung des subjektiven Interesses an die ob-
jektiven Bedingungen des Systems der Bedürfnisse einen Ausgleich der Interessen mit
sich bringen soll, so wenig ist andererseits das Auskommen der Einzelnen garantiert,
weil sie über die Bedingungen des Systems nicht verfügen. Es steht ihnen vielmehr als
fertiger und ihnen fremder Zusammenhang gegenüber.147
Hegel beschreibt damit bereits zu Beginn dieses Abschnitts den konstitutiven Wider-
spruch zwischen Interesse und Allgemeinheit, der für die bürgerliche Gesellschaft cha-
rakteristisch ist. Auch ohne einen entwickelten Kapitalbegriff zu haben, dokumentiert er,
was er nicht hinreichend begründen kann: Die in der bürgerlichen Gesellschaft herr-
schende Allgemeinheit ist der sittlichen wesensfremd. Das drückt sich auch darin aus,
daß die Erforschung der die Allgemeinheit herstellenden Mechanismen des äußeren
Staates nicht Gegenstand der Rechtsphilosophie ist, sondern der klassischen
politischen Ökonomie:
„Die Staatsökonomie ist die Wissenschaft, die von diesen Gesichtspunkten ihren Ausgang hat,
dann aber das Verhältnis und die Bewegung der Massen in ihrer qualitativen und quantitativen
Bestimmtheit und Verwicklung darzulegen hat. – Es ist dies eine der Wissenschaften, die in
neuerer Zeit als ihrem Boden entstanden ist. Ihre Entwicklung zeigt das Interessante, wie der
Gedanke ([…] Smith, Say, Ricardo) aus der unendlichen Menge von Einzelheiten, die zunächst
vor ihm liegen, die einfachen Prinzipien der Sache, den in ihr wirksamen und sie regierenden
Verstand herausfindet.“148

Dennoch hält Hegel daran fest, die bürgerliche Gesellschaft systematisch in den
Staat zu integrieren: „Es ist das System der in ihre Extreme verlorenen Sittlichkeit,
was das abstrakte Moment der Realität der Idee ausmacht, welche hier nur als die
relative Totalität und innere Notwendigkeit an dieser äußeren Erscheinung
ist.“149 Der Gegensatz zwischen Ausschweifung und Verelendung bleibt auf diese
Weise in der Rechtsphilosophie Hegels der Gegensatz innerhalb einer begrifflichen
Bewegung, die schließlich im Staat aufzuheben ist.

a) Die Art des Bedürfnisses

Der Zweck des Systems der Bedürfnisse ist die Reproduktion der Menschen. Deshalb ist
der Begriff des Bedürfnisses derjenige, aus dem die weiteren ökonomischen Bestim-
mungen abgeleitet werden sollen.
Die Bedürfnisse der Menschen unterscheiden sich von denen der Tiere darin, daß sie
ein kulturelles (oder wie Marx es später nennen wird: ein moralisches) Moment an sich
haben, d. h. daß die Bedürfnisse sich vervielfältigen und differenzieren und mit ihnen
146
Hegel. Grundlinien, § 185.
147
Vgl. ebd., § 184 Anmerkung.
148
Ebd., § 189 Anmerkung.
149
Ebd., § 184.
Bedürfnis, Arbeit und gesellschaftliche Anerkennung 239

die Mittel zu ihrer Befriedigung. Die treibende Kraft für diese Erweiterung von Bedürf-
nis und Mittel liegt im Wesen der Menschen, die noch ihre Naturhaftigkeit zu transzen-
dieren bestrebt sind. In diesem Streben liegt zugleich die Verallgemeinerung der Bedürf-
nisse zu einem System, denn mit der Vervielfältigung und Spezialisierung geht einher,
daß die Bedürfnisse und Mittel für andere zum Bedürfnis werden. Durch das Bestreben,
andere in ihren Bedürfnissen nachzuahmen oder sich umgekehrt von ihnen abzugrenzen,
gleichen sich die Bedürfnisse und die Weisen ihrer Befriedigung einander an und die
Dynamik der Spezialisierung der Bedürfnisse wird noch verstärkt.
„Die Abstraktion, die eine Qualität der Bedürfnisse und der Mittel wird […], wird auch eine
Bestimmung der gegenseitigen Beziehung der Individuen aufeinander; diese Allgemeinheit als
Anerkanntsein ist das Moment, welches sie in ihrer Vereinzelung und Abstraktion zu konkreten,
als gesellschaftlichen, Bedürfnissen, Mitteln und Weisen der Befriedigung macht.“150

Die Dynamik der Vervielfältigung des Systems der Bedürfnisse beruht so auf dem kon-
kurrierenden Eifer der Menschen, wobei dieser Eifer mehr anthropologisch als etwa ge-
sellschaftlich begründet wird. Nur im Zusatz zu § 191 wird das Gewinnstreben als
Grund benannt.151 Hegel muß an dieser Stelle den Eifer zur Begründung der Vervielfälti-
gung der Bedürfnisse heranziehen, weil er aus dem Begriff des Bedürfnisses die Vielheit
der Produkte und in der Folge dann die gesellschaftliche Teilung der Arbeit erklären
will. Der Grund dieser Ausdifferenzierung kann also nicht in erster Linie gesellschaft-
lich sein, weil die Gesellschaft umgekehrt aus der Beschaffenheit des Bedürfnisses be-
gründet werden soll.
In der Verfeinerung der Bedürfnisse liegt einerseits ein Moment der Befreiung ge-
genüber der unmittelbaren Bedürftigkeit, indem diese überhaupt gestaltet wird. Anderer-
seits bleibt die darin liegende Befreiung auf die Befriedigung der subjektiven Bedürfnis-
se bezogen. Die „Befreiung ist formell“ Außerdem liege im System der Bedürfnisse die
Maßlosigkeit des Luxus und der Verelendung, denn das Bedürfnis hat zwar das Maß in
seiner Befriedigung, aber ein Maß für die Vervielfältigung und Spezifizierung der Be-
dürfnisse gibt es nicht.152

150
Hegel. Grundlinien, § 192.
151
„Das, was die Engländer comfortable nennen, ist etwas durchaus Unerschöpfliches und ins Un-
endliche Fortgehendes, denn jede Bequemlichkeit zeigt wieder ihre Unbequemlichkeit, und diese
Erfindungen nehmen kein Ende. Es wird ein Bedürfnis daher nicht sowohl von denen, welche es
auf unmittelbare Weise haben, als vielmehr durch solche hervorgebracht, welche durch sein Ent-
stehen einen Gewinn suchen.“ Ebd., § 191 Zusatz.
152
Hegel. Grundlinien, § 195. Deutlicher noch formuliert es Hegel im § 524 der Enzyklopädie: „Die
Besonderheit der Personen begreift zunächst ihre Bedürfnisse in sich. Die Möglichkeit der Befrie-
digung derselben ist hier in den gesellschaftlichen Zusammenhang gelegt, welcher das allgemeine
V e r mö g e n ist, aus dem alle ihre Befriedigung erlangen. Die u n mi t t e l b a r e Besitzergreifung
[…] von äußern Gegenständen als Mitteln hiezu findet in dem Zustande, worin dieser Standpunkt
der Vermittlung realisirt ist, nicht mehr oder kaum statt; die Gegenstände sind Eigenthum. Deren
Erwerb ist durch den Willen der Besitzer, der als besonderer die Befriedigung der mannichfaltig
bestimmten Bedürfnisse zum Zwecke hat, einerseits bedingt und vermittelt, so wie andererseits
durch die immer sich erneuernde Hervorbringung austauschbarer Mittel durch e i g e n e A r b e i t ;
diese Vermittelung der Befriedigung durch die Arbeit Aller macht das allgemeine Vermögen aus.“
Hegel. Enzyklopädie III, § 524.
240 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

Die Bedürfnisse blieben gegenstandslos, wenn es nicht Mittel zu deren Befriedigung


gäbe. Da die Natur den sich ständig verändernden Bedürfnissen nicht von sich aus ent-
spricht, bedarf es der zweckmäßigen Vermittlung von Natur und Bedürfnis durch Arbeit.
Durch Arbeit werden Werkzeuge und Mittel zur Befriedigung der partikularen Bedürf-
nisse hergestellt:
„Die Vermittlung, den partikularisierten Bedürfnissen angemessene, ebenso partikularisierte
Mittel zu bereiten und zu erwerben, ist die Arbeit, welche das von der Natur unmittelbar gelie-
ferte Material für diese vielfachen Zwecke durch die mannigfaltigsten Prozesse spezifiziert.
Diese Formierung gibt nun dem Mittel den Wert und seine Zweckmäßigkeit, so daß der
Mensch in seiner Konsumtion sich vornehmlich zu menschlichen Produktionen verhält und sol-
che Bemühungen es sind, die er verbraucht.“153

Im Arbeitsprozeß bilden sich die Individuen durch die Auseinandersetzung mit der Na-
tur praktisch und theoretisch. Praktische Bildung erfahren sie durch die Einübung von
Fertigkeiten, die mit einer gewissen Disziplinierung einhergeht, weil einerseits das zu
bearbeitende Material die Art der Arbeit vorgibt, andererseits in Abhängigkeit von An-
deren gearbeitet wird. Hier, auf dem Standpunkt aufgeklärter Verhältnisse, handelt es
sich Hegel zufolge bei dieser Abhängigkeit nicht um persönliche oder unpersönliche
Herrschaftsverhältnisse, sondern um Unterschiede, die aus der arbeitsteilig organisierten
Produktion entspringen und technischen Charakter haben. Wenn also ein Ingenieur sei-
nen Facharbeitern Arbeitsanweisungen gibt, dann ist das Ausdruck einer sachlichen, kei-
ner ökonomischen Autorität. Zwar bezeichnet Hegel die aus dem Arbeitsprozeß resultie-
rende praktische Bildung als Zucht, aber dieser Ausdruck ist hier in einem konstruktiven
Sinne gemeint. Die theoretische Bildung liegt darin, daß durch die und mit der Arbeit
neue Vorstellungen entwickelt werden, mehr noch, daß das Vorstellungsvermögen selbst
entwickelt wird: „eine Beweglichkeit und Schnelligkeit des Vorstellens und des Überge-
hens von einer Vorstellung zur andern, das Fassen verwickelter und allgemeiner Bezie-
hungen usf. – die Bildung des Verstandes überhaupt, damit auch der Sprache“154. Wäh-
rend die im Arbeitsprozeß liegende Disziplinierung lediglich auf technischen bzw.
organisatorischen Zwängen beruht, setzt die Bildung des Verstandes der arbeitenden In-
dividuen voraus, daß sie sich reflektierend auf ihre Tätigkeit beziehen. Aber diese Refle-
xivität bleibt auf die technisch-praktischen Aspekte des Arbeitsprozesses bezogen. Es ist
keine Reflexion, die substantiell an die Bestimmung der Sittlichkeit anschließt. Tech-
nisch-praktische und sittliche Reflexion sind der Form nach affin, aber den Gegenstand-
bereichen nach – einmal dem des Begriffs, einmal dem der Materie – unterschieden.
In dieser Bestimmung der Bildung durch Arbeit unterscheidet Hegel nicht zwischen
den Wirkungen die auf dem reflektierenden und technischen Vermögen der Arbeitenden
beruhen und den Wirkungen, die durch eine autoritäre Organisation des Arbeitsprozes-
ses bewirkt werden. Ebensowenig stellt Hegel die Frage, inwieweit die durch den Ar-
beitsprozeß bewirkte Bildung der Arbeiter durch die Tätigkeit mit der Teilung der Arbei-
ten und der Spezialisierung der Verrichtungen verträglich ist. Im Verständnis Hegels
153
Hegel. Grundlinien, § 196.
154
Ebd., § 197.
Bedürfnis, Arbeit und gesellschaftliche Anerkennung 241

sind die geschickten Arbeiter die Eigentümer ihrer Produkte und aller Bestandteile des
Arbeitsprozesses und damit die Herren über ihr Tun. Die Kritik dieser Vorstellung be-
darf einiger Begriffe, die aus der Darstellung Hegels nicht folgen, sondern auf die Kritik
der politischen Ökonomie verwiesen sind. Sie findet daher an späterer Stelle statt.155
Die Arbeits- und Produktionsprozesse werden technisch mit den Bedürfnissen spezia-
lisiert, so daß eine Teilung der Arbeiten entsteht, innerhalb derer die Produzenten auf die
Verrichtung bestimmter Fertigkeiten festgelegt werden. Daraus entspringe nach Mei-
nung Hegels nicht nur eine Steigerung der Produktivität der Arbeitsprozesse, sondern
durch die Vereinfachung der Abläufe würden diese auch mechanisierbar – so daß die
menschliche Arbeit tendenziell durch Maschinen ersetzt werden kann.
„Das Arbeiten des Einzelnen wird durch die Teilung einfacher und hierdurch die Geschicklich-
keit in seiner abstrakten Arbeit sowie die Menge seiner Produktionen größer. Zugleich vervoll-
ständigt diese Abstraktion der Geschicklichkeit und des Mittels die Abhängigkeit und die
Wechselbeziehung der Menschen für die Befriedigung der übrigen Bedürfnisse zur gänzlichen
Notwendigkeit. Die Abstraktion des Produzierens macht das Arbeiten ferner immer mehr me-
chanisch und damit am Ende fähig, daß der Mensch davon wegtreten und an seine Stelle die
Maschine eintreten lassen kann.“156

In der Vereinfachung der Arbeitsprozesse liegt nur die Möglichkeit der Entwicklung der
Maschinerie, nicht die Wirklichkeit. Zu deren Entwicklung bedarf es nicht nur der Re-
duktion von Arbeitsprozessen, sondern auch eines reflektierenden und produktiven Ein-
griffs in die Natur. Die Naturwissenschaften und deren technische Umsetzung sind aber
an dieser Stelle der Grundlinien nicht Gegenstand der Erörterung. Hegel unterscheidet
nicht zwischen der Teilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft, die eine historische
Voraussetzung für das Entstehen der kapitalistischen Produktionsweise ist, und der Tei-
lung der Arbeit innerhalb eines Herstellungsprozesses, die erst innerhalb der bestehen-
den kapitalistischen Produktion ihre volle Dynamik entfaltet. Ebensowenig hat Hegel
eine Vorstellung von relativer Mehrwertsteigerung. Marx erklärt die Entwicklung von
Maschinerie und großer Industrie aus der Nötigung, den Wert der Ware Arbeitskraft zu
senken, um die Mehrwertrate zu erhöhen. Da Hegel weder einen entwickelten Begriff
von der Mehrwertproduktion, noch von der Ware Arbeitskraft hat, kann er die Entwick-
lung der Maschinerie nicht ökonomisch erklären.
Gesellschaftlich wird mit dem Begriff der Arbeitsteilung die Abhängigkeit der Produ-
zenten vom System der Bedürfnisse erst sachlich begründet. Solange die Abhängigkeit
der Produzenten nur abstrakt durch die Vervielfältigung der Bedürfnisse begründet ist,
bleibt es möglich, daß die Familienverbände sich autark reproduzieren. Sie sind erst
dann gezwungen, ihre Produkte auszutauschen, wenn sie aufgrund der gesellschaftli-
chen Arbeitsteilung zwar ihr eigenes, einseitiges Produkt im Überfluß produzieren, aber
155
Vgl. S. 281 dieser Arbeit.
156
Hegel. Grundlinien, § 198 . Vgl. auch Marx: „Die Manufakturperiode vereinfacht, verbessert und
vermannigfacht die Arbeitswerkzeuge durch deren Anpassung an die ausschließlichen Sonder-
funktionen der Teilarbeiter. Sie schafft damit zugleich eine der materiellen Bedingungen der Ma-
schinerie, die aus einer Kombination einfacher Instrumente besteht.“ Karl Marx. Das Kapital. Der
Produktionsprozeß des Kapitals, 361 f.
242 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

alle anderen benötigten Produkte nur im Austausch mit anderen Produzenten erhalten
können. Erst unter dieser Bedingung entwickelt sich die „Abhängigkeit und Wechselbe-
ziehung der Menschen für die Befriedigung der übrigen Bedürfnisse zur gänzlichen Not-
wendigkeit“157.
Mit dem System der Bedürfnisse bestimmt Hegel ein System der allseitigen Abhän-
gigkeit, in dem die Selbstsucht der Personen in den Beitrag zur Befriedigung der Be-
dürfnisse aller umschlägt. Aber diese Abhängigkeit bestimmt nicht nur den gesellschaft-
lichen Zusammenhang, sondern macht die Teilnahme an diesem Zusammenhang auch
von Bedingungen abhängig, über die nicht jeder gleichermaßen verfügt:
„Die Möglichkeit der Teilnahme an dem allgemeinen Vermögen, das besondere Vermögen, ist
aber bedingt, teils durch eine unmittelbare eigene Grundlage (Kapital), teils durch die Ge-
schicklichkeit, welche ihrerseits wieder selbst durch jenes, dann aber durch die zufälligen Um-
stände bedingt ist, deren Mannigfaltigkeit die Verschiedenheit in der Entwicklung der schon für
sich ungleichen natürlichen körperlichen und geistigen Anlagen hervorbringt – eine Verschie-
denheit, die in dieser Sphäre der Besonderheit nach allen Richtungen und von allen Stufen sich
hervortut und mit der übrigen Zufälligkeit und Willkür die Ungleichheit des Vermögens und
der Geschicklichkeiten der Individuen zur notwendigen Folge hat.“158

Hegel unterscheidet bei dem Problem der Teilhabe am Vermögen der Gesellschaft nicht
zwischen dem Mangel an Kapital und dem Mangel an Geschicklichkeit. Er begreift bei-
de Arten des Mangels als eine im Wesen des sich differenzierenden Begriffs liegende
und damit notwendige Ungleichheit, obwohl es vom Standpunkt der historischen Ent-
wicklung durchaus einen Unterschied macht, ob die Ungleichheit als Ungleichheit der
individuellen Fähigkeiten im weitesten Sinne naturgegeben ist, oder ob es sich um eine
Ungleichheit in der Verteilung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals handelt, die ge-
schichtliche und damit auch veränderbare Gründe hat. Innerhalb des Systems der Wis-
senschaft nehmen die Grundlinien zwar eine Position ein, die auch mit historischen Vor-
aussetzungen vermittelt ist, deren Stellung zum Gedanken aber nicht erneut zur
Disposition steht. Die systematische Stellung der Geschichte gilt Hegel als begründet,
die Verteilung des Privateigentums als gegeben. Einen entwickelten Kapitalbegriff hat er
nicht (mit dem Begriff Kapital meint Hegel das Vermögen einer Familie):
„Die Möglichkeit der Befriedigung derselben [der Bedürfnisse, M. B.] ist hier in den gesell-
schaftlichen Zusammenhang gelegt, welcher das allgemeine V e r m ö g e n ist, aus dem alle ihre
Befriedigung erlangen. Die u n mi t t e l b a r e Besitzergreifung von äußern Gegenständen als

157
Hegel. Grundlinien, § 198. Vgl. auch Marx: „In der Gesamtheit der verschiedenartigen Ge-
brauchswerte oder Warenkörper erscheint eine Gesamtheit ebenso mannigfaltiger, nach Gattung,
Art, Familie, Unterart, Varietät verschiedner nützlicher Arbeiten – eine gesellschaftliche Teilung
der Arbeit. Sie ist Existenzbedingung der Warenproduktion, obgleich Warenproduktion nicht um-
gekehrt die Existenzbedingung gesellschaftlicher Arbeitsteilung. In der altindischen Gemeinde ist
die Arbeit gesellschaftlich geteilt, ohne daß die Produkte zu Waren werden. Oder, ein näher lie-
gendes Beispiel, in jeder Fabrik ist die Arbeit systematisch geteilt, aber diese Teilung nicht da-
durch vermittelt, daß die Arbeiter ihre individuellen Produkte austauschen. Nur Produkte selbstän-
diger und voneinander unabhängiger Privatarbeiten treten einander als Waren gegenüber.“ Karl
Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 56 f.
158
Hegel. Grundlinien, § 200.
Bedürfnis, Arbeit und gesellschaftliche Anerkennung 243

Mitteln hiezu findet in dem Zustande, worin dieser Standpunkt der Vermittlung realisirt ist,
nicht mehr oder kaum Statt; die Gegenstände sind Eigenthum.“159

Aus dem philosophischen Programm Hegels ist es auch zu erklären, daß er es ablehnt,
gegen die Mißstände des Systems der bürgerlichen Gesellschaft die Forderung nach
Gleichheit zu stellen, obwohl er durchaus sieht, daß durch die Abhängigkeit von den in-
dividuellen und gesellschaftlich gegebenen Voraussetzungen nicht alle gleichermaßen
an der bürgerlichen Gesellschaft teilnehmen können. Die Forderung nach Gleichheit ge-
höre „dem leeren Verstande an, der dies sein Abstraktum und sein Sollen für das Reelle
und Vernünftige nimmt“160. Hegel nimmt die Ungleichheiten als gegebene hin, die mit
der gesellschaftlichen Allgemeinheit vielmehr zu vermitteln und aufzuheben sind.
Ob die Personen am System der Bedürfnisse teilnehmen können, hängt von ihrer Ge-
schicklichkeit und ihrem Kapital ab. Damit befinden sie sich in einer Situation der Kon-
kurrenz um die Mittel, die sie benötigen. Die Abhängigkeit von diesem System der Be-
dürfnisse ist damit keine Abhängigkeit von einem sittlichen Zusammenhang, denn
dieser ist den Individuen übergeordnet, ohne daß sie darin ihr Gattungsvermögen reali-
sierten. Das System der Bedürfnisse stellt vielmehr ein System von praktischen Zwän-
gen dar. Deshalb setzt die Anerkennung des selbstsüchtigen Tuns der Vereinzelten als
Beitrag zur Allgemeinheit eine Instanz voraus, für die die sittliche Relevanz des selbst-
süchtigen Tuns überhaupt Gegenstand sein kann. Für die Agenten jedenfalls ist diese
Seite ihres Tuns praktisch irrelevant. Diese Instanz muß einerseits Bestandteil des Sy-
stems der Bedürfnisse sein, andererseits aber auch von den Zwängen der Produktion und
des Tauschs unabhängig sein. Die ethische Anerkennung der Arbeiten als Beitrag zur
Reproduktion der Allgemeinheit findet zunächst und noch vor jeder juristischen Aner-
kennung (also der Rechtspflege) in den Ständen statt. Die Arten der Bedürfnisse, der Ar-
beiten und der Reproduktionsmittel weisen sachliche Gemeinsamkeiten auf. Auf deren
Grundlage bilden sich die Stände als besondere Einheiten heraus, denen die Personen
durch ihren Berufsstand zugeordnet sind.
„Die unendlich mannigfachen Mittel und deren ebenso unendlich sich verschränkende Bewe-
gung in der gegenseitigen Hervorbringung und Austauschung sammelt durch die ihrem Inhalte
inwohnende Allgemeinheit und unterscheidet sich in allgemeine Massen, so daß der ganze Zu-
sammenhang sich zu besonderen Systemen der Bedürfnisse, ihrer Mittel und Arbeiten, der Ar-
ten und Weisen der Befriedigung und der theoretischen und praktischen Bildung – Systemen,
denen die Individuen zugeteilt sind –, zu einem Unterschiede der Stände ausbildet.“161

Die drei Stände sind der substantielle oder unmittelbare, der reflektierende oder formelle
und der allgemeine Stand. Der substantielle Stand ist der bäuerliche, der den Boden be-
arbeitet und wenig auf Vorsorge bedacht ist, aber eben die Lebensmittel einer Gesell-
schaft herstellt. Der reflektierende Stand umfaßt das Gewerbe, das Handwerk, den Fa-
brikantenstand und den Handel. Der allgemeine Stand lebt vom Produkt anderer und

159
Hegel. Enzyklopädie, § 524.
160
Hegel. Grundlinien, § 200 Anmerkung.
161
Ebd., § 201.
244 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

erfüllt die Funktion, sich um die allgemeinen Angelegenheiten der Gesellschaft wie
Politik oder Wissenschaft zu kümmern.
Die Zugehörigkeit eines Individuums zu einem Stand wird bei Hegel zwar auch
durch Naturell, Geburt und zufällige Umstände bestimmt, aber entscheidend ist die sub-
jektive Meinung und Willkür, die sich in den Ständen realisiert. Anders als in den Fami-
lien stimmen die Mitglieder der Stände ihrer Funktion zu und damit implizit auch der
gesellschaftlichen Arbeitsteilung insgesamt, so daß die Entscheidung zwar auf den tech-
nisch-praktischen Erfordernissen gesamtgesellschaftlicher Reproduktion fußt, aber zu-
gleich auch als Ausdruck der Selbstbestimmtheit der Subjekte zu verstehen ist.
„Das Individuum gibt sich nur Wirklichkeit, indem es in das Dasein überhaupt, somit in die
bestimmte Besonderheit tritt, hiermit ausschließend sich auf eine der besonderen Sphären des
Bedürfnisses beschränkt. Die sittliche Gesinnung in diesem Systeme ist daher die Rechtschaf-
fenheit und die Standesehre, sich, und zwar aus eigener Bestimmung, durch seine Tätigkeit,
Fleiß und Geschicklichkeit zum Gliede eines der Momente der bürgerlichen Gesellschaft zu
machen und als solches zu erhalten und nur durch diese Vermittlung mit dem Allgemeinen für
sich zu sorgen sowie dadurch in seiner Vorstellung und der Vorstellung anderer anerkannt zu
sein. – Die Moralität hat ihre eigentümliche Stelle in dieser Sphäre, wo die Reflexion auf sein
Tun, der Zweck der besonderen Bedürfnisse und des Wohls herrschend ist und die Zufälligkeit
in Befriedigung derselben auch eine zufällige und einzelne Hilfe zur Pflicht macht.“162

Das System der Bedürfnisse und die gesellschaftliche Teilung der Arbeit stellen einen
Zusammenhang dar, von dem die Personen in ihrer Reproduktion abhängig sind und in
dem sich die Abhängigkeit auch als Ungleichheit in den Reproduktionsbedingungen gel-
tend macht. Der Zweck des Systems der Bedürfnisse, die Bedürfnisbefriedigung aller
Mitglieder der Gesellschaft, wird nicht eingelöst, weil die Individuen sich ihrer Repro-
duktion eben nicht sicher sein können. Indem die Mitglieder der Gesellschaft die Bedin-
gungen ihrer Reproduktion als fertigen gesellschaftlichen Zusammenhang vorfinden,
bestimmen nicht sie die Bedingungen ihrer Reproduktion, sondern die Bedingungen ih-
rer Reproduktion bestimmen umgekehrt ihre Handlungen. Gesetzt werden diese Bedin-
gungen historisch wie systematisch vor der bürgerlichen Gesellschaft: Die Dinge sind
Privateigentum und die Verteilung dieses Eigentums fällt in die Vorgeschichte der bür-
gerlichen Gesellschaft und des Rechts. Damit ist das System der Bedürfnisse kein sittli-
cher, sondern ein pragmatischer Zusammenhang. Hegel ist sich dieser Paradoxie be-
wußt. Erst indem in den Ständen die Arbeit der Individuen als Beitrag zur
gesamtgesellschaftlichen Reproduktion anerkannt wird, wird dem System der Bedürf-
nisse wieder ein Moment von Selbstbestimmtheit implementiert, und die vereinzelten
bourgeois werden in den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang reintegriert. Inner-
halb der Stände wird den bourgeois die Absolution der Standesehre mit den Tugenden
Fleiß und Geschicklichkeit erteilt.163 In dem Glauben an die Möglichkeit der Vermitt-
162
Hegel. Grundlinien, § 207.
163
Vgl. auch Manfred Riedel: „Wie der Staat sich von den politischen Daseinsformen der ‚alten‘ bür-
gerlichen Gesellschaft, den Ständen (Adel, Geistlichkeit, Bürgerstand) und Korporationen (Stadt-
und Landgemeinden, Orden, Gewerken usf.) emanzipiert hat, so die Gesellschaft vom Staat. Ihre
Vermittlung bildet eines der zentralen Probleme, das Hegels Rechtsphilosophie zu lösen unter-
nimmt. Sie ist ihm keine ‚Begriffsbestimmung‘ der Privatpersonen der bürgerlichen Gesellschaft,
Bedürfnis, Arbeit und gesellschaftliche Anerkennung 245

lung von ökonomischer Funktion und moralischem Begriff in der bürgerlichen Gesell-
schaft bereitet Hegel der Grundvorstellung aller bürgerlichen Arbeitsideologie den Weg:
daß Arbeit frei mache.
Der Begriff der Anerkennung ist also in der Gesamtkonstruktion der bürgerlichen Ge-
sellschaft entscheidend, weil dadurch die vereinzelten und in ihren selbstsüchtigen
Zwecken verlorenen und mit ungleichen Bedingungen ausgestatteten bourgeois wieder
in die sittliche Gemeinschaft des Staates (re-)integriert werden sollen. Aber dieser Be-
griff von Anerkennung bleibt zugleich fragil, weil er auf einem ökonomischen System
fußt, in welchem die materielle Ungleichheit der bourgeois zum ökonomischen Zweck
der Bedürfnisbefriedigung im Widerspruch steht. Indem die Privathandlungen mit der
allgemeingültigen Form rechtskonformer Handlungen vermittelt werden, um dann auf
dieser rechtspraktischen Grundlage die selbstsüchtigen Zwecke der bourgeois in den
Zweck sittlicher Selbstbestimmung in den Korporation zu transformieren, will Hegel
diesen Widerspruch lösen. Das bedeutet aber umgekehrt auch, daß Hegel gegen die Fra-
gilität des ökonomischen Systems nicht die Kritik der Reproduktionsbedingungen setzt,
sondern – wie im richtigen Leben – die Rechtspraxis, welche eben nicht nur die Indivi-
duen vor der Allgemeinheit schützt, sondern umgekehrt auch die Allgemeinheit vor den
Individuen.

b) Rechtspflege, Polizei und Korporation

Das abstrakte Recht mit seinen Begriffen des Privateigentums, des Vertrages und der
Werteigenschaft der Besitzgüter wurde von Hegel zu Beginn der Grundlinien als not-
wendiger Begriff der Realisierung des vernünftigen Willens gesetzt, der damit unabhän-
gig von der Rechtspraxis gilt, aber zugleich negativ auf seine ökonomische Substanz –
den Wertbegriff – verwies.164 Das spekulative Recht – nun vermittelt mit den Begriffen
sondern der ‚Stände‘, in die sie sich gliedert. Die Bestimmung, ‚Mitglied des Staats‘ zu sein,
bleibt nach Hegel abstrakt, wenn die Privatperson, das im ökonomischen Reproduktionsprozeß
dieser Gesellschaft auf die Befriedigung seiner Bedürfnisse und Zweck isolierte Individuum, nicht
‚Mitglied eines solchen Standes‘, einer Genossenschaft, Gemeinde, Korporation ist. Damit will
Hegel den Konflikt zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Staat entschärfen. Durch die Vermitt-
lung des ‚ständischen Elements‘ soll ihre Differenz sich so ‚aufheben‘, daß die vom politischen
Liberalismus postulierte Erweiterung der Privatperson zum ‚Staatsbürger‘ hinfällig wird. Genau
an dieser Stelle setzt Gansʼ Kritik an. Während Hegel davon ausgeht, daß im ständischen Element
der gesetzgebenden Gewalt das ‚subjektive Moment der allgemeinen Freiheit‘, d. h. die ‚bürgerli-
che‘ Privatperson lediglich ‚in Beziehung auf den Staat zur Existenz kommt‘ und dabei ‚Reprä-
sentant einer der wesentlichen Sphären der Gesellschaft‘ (der Interessen und Geschäfte der Stän-
de, Korporationen, Gemeinden) bleibt, hält Gans daran fest, daß die Stände ein ‚positives Glied
des organisierten Staats‘ sein müßten. Dabei werden die bei Hegel nur angelegten Momente des
‚Fürsichseins der Bürger‘ und der Beziehung der Stände auf ein allgemeines Staatsinteresse, die
der alten ‚bürgerlichen‘, d. h. selber durch politische Rechte und Freiheiten organisierten, Gesell-
schaft fremd waren, von Gans nicht logisch fixiert, sondern historisch entwickelt. Das Ständeprin-
zip kann ‚in zweifachem Sinn gefaßt werden: im mittelalterlichen und im representativen Sinn.
Die mittelalterlichen Stände representiren nicht den Staat, sondern ihre Geschäfte; sie kommen in
ihrem eigenen Recht, nicht im allgemeinen Rechte des Staats. Unsere Stände sollen den Staat re-
presentiren.‘“ Manfred Riedel, „Naturrecht und Universalrechtsgeschichte – Einleitung.“ 22 f.
164
Vgl. S. 215 dieser Arbeit.
246 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

der Moralität und der Familie – geht an dieser Stelle aus dem System der Bedürfnisse
als praktisches Recht wieder hervor.
„Das Relative der Wechselbeziehung der Bedürfnisse und der Arbeit für sie hat zunächst seine
Reflexion in sich, überhaupt in der Persönlichkeit, dem (abstrakten) Rechte. Es ist aber diese
Sphäre des Relativen, als Bildung, selbst, welche dem Rechte das Dasein gibt, als allgemein
Anerkanntes, Gewußtes und Gewolltes zu sein und, vermittelt durch dies Gewußt- und Ge-
wolltsein, Gelten und objektive Wirklichkeit zu haben.“165

Mit dem System der Bedürfnisse regelt das Recht eine Sphäre, in der auch Äußerlichkeit
und Zufälligkeiten von Bedeutung sind, so daß es nicht vollständig aus dem Begriff ab-
geleitet werden kann. Um dennoch die allgemeingültige Verbindlichkeit des positiven
Rechts zu gewährleisten, muß es öffentlich bekannt gemacht sein. „Was an sich Recht
ist, ist in seinem objektiven Dasein gesetzt, d. i. durch den Gedanken für das Bewußtsein
bestimmt und als das, was Recht ist und gilt, bekannt, das Gesetz; und das Recht ist
durch diese Bestimmung positives Recht überhaupt.“166
Das System der Bedürfnisse bedarf des Schutzes vor den konkurrierenden Interessen
der bourgeois durch die Rechtspflege. Diese im System der Bedürfnisse angelegte Un-
gleichheit der bourgeois ist von Hegel als notwendige Differenz bestimmt worden.
Gleichzeitig soll die bürgerliche Gesellschaft aber für alle gleichermaßen die Möglich-
keit der Reproduktion und sittlichen Anerkennung bieten. Den Ausgleich der sozialen
Gegensätze innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft und auf Grundlage des positiven
Rechts herzustellen, ist die Aufgabe von Polizei und Korporationen. Was im System der
Bedürfnisse nur möglich zu sein schien – die Teilhabe und ökonomische Versorgung al-
ler – soll durch Rechtspflege und Polizei wirklich werden.
„Im S ys t e m d e r B e d ü r fn i s s e ist die Subsistenz und das Wohl jedes Einzelnen als eine
M ö g l i c h k e i t , deren Wirklichkeit durch seine Willkür und natürliche Besonderheit ebenso als
durch das objektive System der Bedürfnisse bedingt ist; durch die Rechtspflege wird die V e r -
l e t z u n g des Eigentums und der Persönlichkeit getilgt. Das i n d e r B e s o n d e r h e i t wi r k l i -
c h e Recht enthält aber sowohl, daß die Zufälligkeiten gegen den einen und den anderen
Zweck a u fg e h o b e n seien und die u n g e s t ö r t e S i c h e r h e i t der P e r s o n und des E i g e n -
t u ms bewirkt [sei], als daß die S i c h e r u n g der Subsistenz und des Wohls der Einzelnen, –
daß das besondere Wo h l als R e c h t b e h a n d e l t und v e r wi r k l i c h t sei.“167

Aber so wie das Recht einerseits für den Interessenausgleich sorgt, schützt es anderer-
seits auch die geltenden Prinzipien vor den selbstsüchtigen Interessen der Agenten. „Das
Rechtliche des Eigenthums und der Privathandlungen über dasselbe erhält nach der Be-
stimmung, daß das Rechtliche ein Gesetztes, Anerkanntes und dadurch Gültiges sey,
durch die Förmlichk eiten seine allgemein e Garantie .“168 D. h. daß es nicht nur
allgemein und der Form nach die gesellschaftlich vermittelte Anerkennung durch Eigen-
tum und Arbeit im System der Bedürfnisse garantiert, sondern ebenso den Ausschluß
derjenigen Personen, die nicht über die entsprechenden Mittel verfügen. Das Verbrechen
165
Hegel. Grundlinien, § 209.
166
Ebd., § 211.
167
Ebd., § 230.
168
Hegel. Enzyklopädie, § 530.
Bedürfnis, Arbeit und gesellschaftliche Anerkennung 247

stellt in der bürgerlichen Gesellschaft nicht mehr nur die Verletzung des subjektiven
Zwecks einer Person dar wie im abstrakten Recht, sondern es gilt als Verletzung einer
allgemeinen Sache, die durch die Gerichte vertreten wird. Das positive Recht ist dabei
nicht im moralischen Sinne verbindlich, weil es dann nicht die Rechtsgesetze zum Ge-
genstande hätte, die den Not- und Verstandesstaat vor den Privathandlungen der bour-
geois schützt, sondern dann müßte das Recht die subjektiven Zwecke der bourgeois be-
einflussen, was nicht möglich ist, da diese frei sind.
Wer also ein Verbrechen begeht, weil er im System der Bedürfnisse benachteiligt ist,
kann das weder moralisch noch rechtlich durch seine subjektive Benachteiligung recht-
fertigen, weil er durch seine Tat das System selbst in Frage stellt. Das Verbrechen wird
der Gerichtsbarkeit unterzogen. Umgekehrt hat aber der Verbrecher dadurch auch die Si-
cherheit, daß die Richter sich in ihrem Urteil nicht auf einen willkürlichen Standpunkt
beziehen. Sie rächen nicht, sondern halten sich ihrerseits an die Gesetze. Sie sprechen
Recht und lassen strafen.
„Wie in der bürgerlichen Gesellschaft das Recht an sich zum Gesetze wird, so geht auch das
vorhin unmittelbare und abstrakte Dasein meines einzelnen Rechts in die Bedeutung des Aner-
kanntseins als eines Daseins in dem existierenden allgemeinen Willen und Wissen über. Die Er-
werbungen und Handlungen über Eigentum müssen daher mit der Form, welche ihnen jenes
Dasein gibt, vorgenommen und ausgestattet werden. Das Eigentum beruht nun auf Vertrag und
auf den dasselbe des Beweises fähig und rechtskräftig machenden Förmlichkeiten.“169

Das Recht ist damit gesetzt, dessen Umsetzung fällt in den Aufgabenbereich der Polizei.
Die Polizei ist für den Ausgleich zwischen der Sphäre der Privathandlungen und der
Sphäre der Allgemeinheit zuständig. Sie wird zunächst überall dort aktiv, wo Privat-
handlungen zwar nicht unbedingt als Verbrechen intendiert sind, aber aufgrund ihres ge-
gen die Allgemeinheit zufälligen und äußerlichen Charakters Schaden und Unrecht an-
richten. Diese Art des Unrechts kann nicht begrifflich bestimmt werden, sondern fällt in
das äußerliche Dasein und muß deshalb empirisch und aus dem besonderen Zusammen-
hang bestimmt werden.
„Die Beziehungen des äußerlichen Daseins fallen in die Verstandes-Unendlichkeit; es ist daher
keine Grenze an sich vorhanden, was schädlich oder nicht schädlich, auch in Rücksicht auf
Verbrechen, was verdächtig oder unverdächtig sei, was zu verbieten oder zu beaufsichtigen
oder mit Verboten, Beaufsichtigung und Verdacht, Nachfrage und Rechenschaftgebung ver-
schont zu lassen sei. Es sind die Sitten, der Geist der übrigen Verfassung, der jedesmalige Zu-
stand, die Gefahr des Augenblicks usf., welche die näheren Bestimmungen geben.“170

Der Polizei obliegen – wie zu Hegels Zeiten üblich – Wohlfahrtspflichten, die Verwal-
tung der Infrastruktur und die Erziehung, „insofern sie sich auf die Fähigkeit, Mitglied
der Gesellschaft zu werden, bezieht, vornehmlich wenn sie nicht von den Eltern selbst,
sondern von anderen zu vollenden ist, Aufsicht und Einwirkung zu haben, – ingleichen,
insofern gemeinsame Veranstaltungen dafür gemacht werden können, diese zu

169
Hegel. Grundlinien, § 217.
170
Ebd., § 234.
248 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

treffen.“171 Schließlich ergeben sich in der Vielheit der Einzelinteressen bestimmte ge-
meinschaftliche Interessen, die die Vorsorge und Aufsicht der Allgemeinheit fordern, so
die Besteuerung und Regulierung der Interessen von Produzenten und Konsumenten.
Die Polizei gewährleistet also überall dort einen reibungslosen Ablauf gesellschaftlicher
Prozesse, wo diese aufgrund der Differenzen zwischen Individuum und Allgemeinheit
ins Stocken geraten. Aber neben den Problemen, die strukturell im Austausch verschie-
dener ökonomischer Interessengruppen wie Konsumenten und Produzenten auftreten
können, übernimmt die Polizei auch die Aufgabe der individuellen Integration solcher
Subjekte, die aus dem System der Versorgung herausfallen, weil sie nicht über die ent-
sprechenden Mittel verfügen:
„Wenn nun die Möglichkeit der Teilnahme an dem allgemeinen Vermögen für die Individuen
vorhanden und durch die öffentliche Macht gesichert ist, so bleibt sie, ohnehin daß diese Siche-
rung unvollständig bleiben muß, noch von der subjektiven Seite den Zufälligkeiten unterwor-
fen, und um so mehr, je mehr sie Bedingungen der Geschicklichkeit, Gesundheit, Kapital usw.
voraussetzt.“172

Die Polizei übernimmt die Verantwortung für die Individuen dort, wo sie nicht aus dem
Vermögen der Familie bzw. der bürgerlichen Gesellschaft im Allgemeinen versorgt wer-
den können. „Die allgemeine Macht übernimmt die Stelle der Familie bei den Armen,
ebensosehr in Rücksicht ihres unmittelbaren Mangels als der Gesinnung der Arbeits-
scheu, Bösartigkeit und der weiteren Laster, die aus solcher Lage und dem Gefühl ihres
Unrechts entspringen.“173 Die Armen verlieren nicht nur ihre Erwerbsfähigkeit und die
Möglichkeit sich zu bilden, sondern auch die damit verbundenen Privilegien der bürger-
lichen Gesellschaft, wie an der Rechtspflege und der Gesundheitsvorsorge teilzuneh-
men. Armut ist ein Zustand, in dem die Individuen an der bürgerlichen Gesellschaft
nicht partizipieren können, obwohl sie das Recht haben, von und durch ihren Beitrag zur
Gesellschaft ihr Auskommen zu haben. Die Klasse derjenigen, die aus dem System ge-
sellschaftlicher Anerkennung herausfallen, bezeichnet Hegel als Pöbel:
„Das Herabsinken einer großen Masse unter das Maß einer gewissen Subsistenzweise, die sich
von selbst als die für ein Mitglied der Gesellschaft notwendige reguliert – und damit zum Ver-
luste des Gefühls des Rechts, der Rechtlichkeit und der Ehre, durch eigene Tätigkeit und Arbeit
zu bestehen –, bringt die Erzeugung des Pöbels hervor, die hinwiederum zugleich die größere
Leichtigkeit, unverhältnismäßige Reichtümer in wenige Hände zu konzentrieren, mit sich
führt.“174

Diese Armut ist nicht nur in ökonomischer sondern auch in moralischer Hinsicht das
Gegenteil der Standesehre. Während die Mitglieder der Stände die Anerkennung ihrer
individuellen Arbeitsleistungen als Beitrag zum System der Bedürfnisse erfahren, han-
171
Hegel. Grundlinien, § 239.
172
Ebd., § 237.
173
Ebd., § 241.
174
Ebd., § 244. Im Zusatz zu diesem Paragraphen wird der Widerspruch deutlicher formuliert: „somit
entsteht im Pöbel das Böse, daß er die Ehre nicht hat, seine Subsistenz durch seine Arbeit zu fin-
den, und doch seine Subsistenz zu finden als sein Recht anspricht.“ Hegel. Grundlinien (Werke),
§ 244 Zusatz.
Bedürfnis, Arbeit und gesellschaftliche Anerkennung 249

delt es sich bei den Armen um eine Klasse, auf die kein Kriterium gesellschaftlicher An-
erkennung zutrifft – weder das, für sich selbst sorgen zu können, noch einen Beitrag
zum gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang leisten zu können, und das, obwohl alle
Personen gleichermaßen das Recht dazu haben. Die Existenz des Pöbels begründet He-
gel nicht durch das subjektive Versagen einzelner Subjekte, sondern durch einen struktu-
rellen Widerspruch:
„Wird der reicheren Klasse die direkte Last aufgelegt, oder es wären in anderem öffentlichen
Eigentum (reichen Hospitälern, Stiftungen, Klöstern) die direkten Mittel vorhanden, die der Ar-
mut zugehende Masse auf dem Stande ihrer ordentlichen Lebensweise zu erhalten, so würde
die Subsistenz der Bedürftigen gesichert, ohne durch die Arbeit vermittelt zu sein, was gegen
das Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft und des Gefühls ihrer Individuen von ihrer Selbstän-
digkeit und Ehre wäre; oder sie würde durch Arbeit (durch Gelegenheit dazu) vermittelt, so
würde die Menge der Produktionen vermehrt, in deren Überfluß und dem Mangel der verhält-
nismäßigen selbst produktiven Konsumenten gerade das Übel besteht, das auf beide Weisen
sich nur vergrößert. Es kommt hierin zum Vorschein, daß bei dem Übermaße des Reichtums
die bürgerliche Gesellschaft nicht reich genug ist, d. h. an dem ihr eigentümlichen Vermögen
nicht genug besitzt, dem Übermaße der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern.“175

Der Widerspruch der bürgerlichen Gesellschaft, die bei allem Überfluß nicht reich ge-
nug ist, liegt darin, daß den Armen entweder ein Almosen zugestanden werden müßte,
das sie ohne eine Gegenleistung bekommen. Damit wäre der Status der Armen mit der
bürgerlichen Gesellschaft unvereinbar, weil er an deren Prinzip, nur durch „Vermittlung
mit dem Allgemeinen für sich zu sorgen sowie dadurch in seiner Vorstellung und der
Vorstellung anderer anerkannt zu sein“176, unbeteiligt bliebt. Sie wären dann zwar materi-
ell versorgt, nicht aber moralisch. Oder ihr Auskommen würde den Armen durch Arbeit
vermittelt, dann entstünde ein Produkt, das überflüssig ist und jedenfalls keinem zah-
lungskräftigen Bedürfnis entspricht (die Armen würden das Produkt vielleicht schon ge-
brauchen können, aber ihnen steht es nicht zu). Hegel sieht in dieser Paradoxie eine
„Dialektik“177 der bürgerlichen Gesellschaft, welche diese über sich hinaus treibt. Zu-
nächst sei der Mangel an Arbeitsmöglichkeiten und die damit verbundene Armut durch
Expansion der Märkte – also durch Kolonialisierung – materiell zu überwinden:
175
Hegel. Grundlinien, § 245. Stepina erläutert: „Bei alldem bleibt Hegel jedoch die Einsicht in den
nationalökonomischen Zustand, das heißt die Kapitalismusstrukturen dieser Ideologie, verwehrt.
Er unterschlägt das realdialektische Verhältnis von Kapital und Lohnarbeit und rechnet in natur-
rechtlicher Spekulation das Primum der Sittlichkeit den Herren als deren eigentlichen Inhaltsträ-
gern zu. Die Arbeiter sowie ihre ‚Geschicklichkeit‘ als ‚reine Form‘ des ‚Wesens‘ gelten ihm, da
sie ihren Zweck außer sich haben, als ehrlos. Hegel vollendet damit die Geschichte des abendlän-
dischen Denkens als einer Geschichte der Legitimation der Philosophie durch das Dogma der
Trennung der geistigen von der körperlichen Arbeit (Freiheit und Notwendigkeit), das mit der lo-
gischen Figur der Entfremdung jede Möglichkeit der Synthese von Muße und Arbeit denunziert.“
Clemens K. Stepina. Handlung als Prinzip der Moderne, 49. (Problematisch an dieser Erläuterung
ist, daß Stepina Hegel so kritisiert, als habe der das Marxsche Kapital schon kennen müssen. Die
Kritik von Marx hat die Grundlinen aber zu ihrer historischen Voraussetzung.) Heinrich verweist
darauf, daß die Lösung des Widerspruchs von Armut und Reichtum in den kapitalistischen Gesell-
schaften ein grundlegendes Problem in der klassischen politischen Ökonomie darstellte. Michael
Heinrich. Die Wissenschaft vom Wert, 31.
176
Hegel. Grundlinien, § 207.
177
Ebd., § 246.
250 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

„Dieser erweiterte Zusammenhang bietet auch das Mittel der Kolonisation, zu welcher – einer
sporadischen oder systematischen – die ausgebildete bürgerliche Gesellschaft getrieben wird
und wodurch sie teils einem Teil ihrer Bevölkerung in einem neuen Boden die Rückkehr zum
Familienprinzip, teils sich selbst damit einen neuen Bedarf und Feld ihres Arbeitsfleißes ver-
schafft.“178

Die Ausweitung der Produktion durch die Eroberung neuen Bodens ist erstens durch den
vorhandenen Boden begrenzt. Die Welt ist – gemessen an der Maßlosigkeit der Armut –
nicht groß genug. Zweitens ändert die Kolonialisierung an dem Grundproblem nichts,
denn der Pöbel verarmt nicht deshalb, weil es gemessen am Bedarf absolut zu wenig Le-
bensmittel gäbe. Der Grund ist vielmehr, daß die vorhandenen Lebens- und Produkti-
onsmittel nicht für alle verfügbar sind. Und sie sind deshalb nicht für alle verfügbar,
weil vor allem die Verfügung über die Produktionsmittel nicht gemeinschaftlich organi-
siert ist, sondern sie umgekehrt durch die (Privat-)Eigentumstitel der Verfügung der All-
gemeinheit entzogen sind. In den Grundlinien sind alle Mitglieder der Gesellschaft ent-
weder direkt oder über den familiären Zusammenhang vermittelt Eigentümer, weil das
Eigentum die vernünftige Realisationsform des Willens darstelle. Weil aber das abstrak-
te Recht gleichgültig dagegen ist, was und wieviel jemand besitzt, kollidiert hier die
spekulative Rechtsbestimmung mit den ökonomischen Tatsachen. Ökonomisch bedeutet
es eben sehr wohl einen Unterschied, ob jemand über die Mittel seiner Reproduktion
verfügt oder nur über den Eigentumstitel an seiner Person und damit an seiner Arbeits-
kraft. Letzterer ist, wie Marx später notierte, „frei in dem Doppelsinn, daß er als freie
Person über seine Arbeitskraft als seine Ware verfügt, daß er andrerseits andre Waren
nicht zu verkaufen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Verwirklichung seiner Ar-
beitskraft nötigen Sachen“179. Die Relevanz des Privateigentums an Produktionsmitteln
reflektiert Hegel nicht. Obwohl der für die Grundlinien konstitutive Gedanke der Ver-
mittlung des Willens mit den auch materiellen Bedingungen seiner Realisierung den
aufklärerischen Gehalt der Hegelschen Rechtsphilosophie bestimmt, bleibt die Reflexi-
on auf die Notwendigkeit der Verfügung über die Produktionsmittel inadäquat. Nicht die
Verwaltung materieller Ungleichheit ist dem Zweck vernünftiger Willensbestimmung
angemessen, sondern deren Überwindung.
Die Versorgung des Pöbels durch Kolonialisierung stellt damit sowenig die hinrei-
chende Lösung des moralischen Problems dar, wie die Konkurrenz unter den bourgeois
innerhalb des Systems der Bedürfnisse der Ursache nach rechtlich in ein Anerkennungs-
verhältnis aufzulösen ist. Die Funktion des Rechts ist es, die Allgemeinverträglichkeit
der Privathandlungen sicherzustellen und damit ein Verhältnis formaler Anerkennung zu
schaffen. Das Recht bleibt aber gegen die Zwecke gleichgültig. Es bedarf daher noch ei-
ner Instanz, deren Zweck die Anerkennung selbst ist. Deshalb führt Hegel den Begriff
der Korporationen ein, durch den der Widerspruch zwischen dem amoralischen Pöbel
und der moralisierenden Anerkennung vermittelt werden.

178
Hegel. Grundlinien, § 248.
179
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 183.
Bedürfnis, Arbeit und gesellschaftliche Anerkennung 251

Die Korporation ist eine Organisationsform des zweiten Standes, deren Funktion dar-
in besteht, den selbstsüchtigen Zweck der Gewerbetreibenden in einen sittlichen zu
transformieren. Während der ackerbauende Stand seine sittliche Substanz im Familien-
und sein ökonomisches Auskommen an der Natur hat, hat der allgemeine Stand das All-
gemeine für sich zum Zwecke seiner Tätigkeit und wird ohnehin durch die Allgemein-
heit finanziert. Konkurrenz, Armut und Pöbel sind vor allem Phänomene des zweiten
Standes. Nur der Stand des Gewerbes bedarf daher der Korporationen.
„In der Korporation hat die Familie nicht nur ihren festen Boden als die durch Befähigung be-
dingte Sicherung der Subsistenz, ein festes Vermögen (§ 170), sondern beides ist auch aner-
kannt, so daß das Mitglied einer Korporation seine Tüchtigkeit und sein ordentliches Aus- und
Fortkommen, daß es etwas ist, durch keine weiteren äußeren Bezeigungen darzulegen nötig
hat. So ist auch anerkannt, daß es einem Ganzen, das selbst ein Glied der allgemeinen Gesell-
schaft ist, angehört und für den uneigennützigeren Zweck dieses ganzen Interesse und Bemü-
hungen hat; – es hat so in seinem Stande seine Ehre.“180

Im Unterschied zu den Ständen, die Berufsverbände sind, beruhen die Korporationen


auf einer rechtlichen und damit gesellschaftlich anerkannten Grundlage. Einerseits hatte
Hegel bereits das System der Bedürfnisse als einen Zusammenhang bestimmt, in dem
die Verfügung über Kapital und Geschicklichkeit darüber entscheiden, wie erfolgreich
ein bourgeois an diesem System partizipieren kann. Um aus diesem System nicht her-
auszufallen, müssen die bourgeois um die Reproduktionsmittel konkurrieren – was der
Grund dafür ist, daß das System der Bedürfnisse von Hegel als Negation der Sittlichkeit
bestimmt wird. Die Entstehung des Pöbels ist auf der Grundlage dieser Begriffe ökono-
misch zu erklären. Andererseits verhandelt Hegel das Phänomen des Pöbels und den da-
mit verbundenen substantiellen Widerspruch einer Klasse von Menschen, die als Mit-
glieder der Gesellschaft außerhalb der Gesellschaft stehen, erst nach der Bestimmung
der Rechtspflege und der Polizei. Während die Stände der Zufälligkeit und den prakti-
schen Interessen subsumiert bleiben, weil sie innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft
verortet sind, ohne gegen diese selbständig zu sein, stellen die Korporationen ein rechtli-
ches Anerkennungsverhältnis dar, deren Zweck der Ausgleich der materiellen Ungleich-
heiten und die Kooperation zwischen den bourgeois ist, und eben nicht mehr die Befrie-
digung ihrer selbstsüchtigen Interessen. Ihr Zweck ist damit sittlich und die Zwecke der
selbstsüchtigen bourgeois werden in den Korporationen aufgehoben.
„Wenn über Luxus und Verschwendungssucht der gewerbetreibenden Klassen, womit die Er-
zeugung des Pöbels (§ 244) zusammenhängt, Klagen zu erheben sind, so ist bei den anderen
Ursachen (z. B. das immer mehr mechanisch Werdende der Arbeit) der sittliche Grund, wie er
im Obigen liegt, nicht zu übersehen. Ohne Mitglied einer berechtigten Korporation zu sein
(und nur als berechtigt ist ein Gemeinsames eine Korporation), ist der Einzelne ohne Standes-
ehre, durch seine Isolierung auf die selbstsüchtige Seite des Gewerbes reduziert, seine Subsi-
stenz und Genuß nichts Stehendes. Er wird somit seine Anerkennung durch die äußerlichen
Darlegungen seines Erfolgs in seinem Gewerbe zu erreichen suchen, Darlegungen, welche un-
begrenzt sind, weil seinem Stande gemäß zu leben nicht stattfindet, da der Stand nicht existiert
– denn nur das Gemeinsame existiert in der bürgerlichen Gesellschaft, was gesetzlich konstitu-
180
Hegel. Grundlinien, § 253.
252 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

iert und anerkannt ist –, sich also auch keine ihm angemessene allgemeinere Lebensweise
macht. – In der Korporation verliert die Hilfe, welche die Armut empfängt, ihr Zufälliges sowie
ihr mit Unrecht Demütigendes und der Reichtum in seiner Pflicht gegen seine Genossenschaft
den Hochmut und den Neid, den er, und zwar jenen in seinem Besitzer, diesen in den anderen
erregen kann; – die Rechtschaffenheit erhält ihre wahrhafte Anerkennung und Ehre.“181

Die Wirklichkeit der Anerkennung ist also erst in den Korporationen vollständig: Das
Produkt der bourgeois dient innerhalb des korporativen Zusammenhanges nicht nur ih-
rer eigenen Reproduktion, sondern auch der Versorgung derjenigen, die nicht über die
Mittel zur Reproduktion verfügen. Gleichzeitig gelten die Mitglieder der Korporation
nicht nur als selbstsüchtige Individuen, sondern werden als Mitglieder der Korporation
anerkannt. Deshalb werden auch innerhalb der Korporationen die Armen durch die so-
ziale Fürsorge nicht gedemütigt. Die Mitglieder der Korporationen erfahren unabhängig
von ihrem materiellen Status Anerkennung und Ehre. Indem die Korporation der vermit-
telnde Begriff zwischen der bürgerlichen Gesellschaft, in der sich die Sittlichkeit ver-
liert, und dem Staat, der die Realisierung des Sittlichen schlechthin darstellt, ist, soll He-
gel zufolge der Rückgang in die Sphäre des Sittlichen begründet sein.
„Der Zweck der Korporation als beschränkter und endlicher hat seine Wahrheit – sowie die in
der polizeilichen äußerlichen Anordnung vorhandene Trennung und deren relative Identität – in
dem an und für sich allgemeinen Zwecke und dessen absoluter Wirklichkeit; die Sphäre der
bürgerlichen Gesellschaft geht daher in den Staat über.“182

Damit ist die Konstruktion der Korporationen für den Begriff der Anerkennung innerhalb
der fragilen bürgerlichen Gesellschaft konstitutiv. Aber diese Konstruktion ist vom terminus
ad quem der Grundlinien her bestimmt, was sich daran zeigt, daß sie zur historischen Ten-
denz der Hegelschen Gegenwart im Kontrast steht.183 Die Zeit Hegels ist gerade durch die
181
Hegel. Grundlinien, § 253 Anmerkung. Schmidt am Busch, der sich in seiner Analyse Hegels vor
allem auf das System der Sittlichkeit in der Philosophie des Geistes stützt, faßt den Widerspruch
der bürgerlichen Gesellschaft wie folgt: „Die durch das ‚Gesetz‘ protegierte kapitalistische Wirt-
schaftsordnung ist nämlich nach Hegel durch unvorhersehbare, zum Teil abrupte Schwankungen
von Güter- und Faktorpreisen ausgezeichnet, die verhindern, daß der einzelne durch seine Arbeit
seinen Lebensunterhalt planmäßig sichern und als ein mit besonderen, gesellschaftlich wertvollen
produktiven Fähigkeiten ausgestattetes Subjekt Anerkennung finden kann.“ Hans-Christoph
Schmidt am Busch. Hegels Begriff der Arbeit, 18, ebenso 103 f. Im Fokus seiner Untersuchung
steht daher nicht die Frage nach dem Verhältnis des Hegelschen Anspruchs, einen sittlichen Ge-
sellschaftsbegriff so zu begründen, daß darin auch die ökonomische Versorgung ihrer Mitglieder
gewährleistet ist. Er liest Hegel vielmehr als Wirtschaftswissenschaftler, der an neoklassischen
Konzepten zu messen sei. Daß sein Maßstab der Kritik daher die Güterverteilung und die Preis-
Wert-Transformation sind, ist folgerichtig, hat aber nur noch wenig mit dem zu tun, was bei Hegel
Gegenstand ist.
182
Hegel. Grundlinien, § 256.
183
„Unter Staatskanzler Hardenberg wurden jedoch auch wirtschaftliche Liberalisierungen durchge-
setzt, die [...] nicht mit Hegels Staatslehre vereinbar sind. An erster Stelle sind hier das Gewerbe-
steueredikt vom 2. November 1810 und das Gewerbepolizeigesetz vom 7. September 1811 zu
nennen, durch die jeder Einwohner die Möglichkeit erhielt, mittels Steuerschein ein eigenes Ge-
werbe anzumelden – ein Widerspruchsrecht der Korporationen wurde hier explizit ausgeschlos-
sen.“ Vgl. Sven Ellmers. „Mixtum Compositum. Die Korporation als Bindeglied zwischen der
bürgerlichen Gesellschaft und dem Staat in der Hegels Rechtsphilosophie.“ In Kritik der politi-
schen Philosophie. Eigentum, Gesellschaftsvertrag, Staat II, hrsg. v. Devi Dumbadze u. a. Mün-
ster, 2010. Vgl. auch Marx: „Die Zunftgesetze, wie schon früher bemerkt, verhinderten planmä-
ßig, durch äußerste Beschränkung der Gesellenzahl, die ein einzelner Zunftmeister beschäftigen
Bedürfnis, Arbeit und gesellschaftliche Anerkennung 253

Auflösung des spätmittelalterlichen Ständesystems und der Korporationen charakterisiert.


Darin, daß Hegel für die Anerkennung kein historisch aktuelles Modell findet, offenbart sich
Anerkennung als Postulat der spekulativen Philosophie.184 Des Pudels Kern ist das Privatei-
gentum, das im Resultat der Kritik des abstrakten Rechts nicht ontologisch, sondern histo-
risch zu bestimmen ist. Damit werden Wirklichkeit und historische Realität gegen Hegels
Intention unterscheidbar: Das Privateigentum, das im abstrakten Recht als der ontologische
Begriff der Realisierung des vernünftigen Willens eingeführt wurde, erweist sich zugleich
als Grund dafür, daß der ökonomische Zweck der Bedürfnisbefriedigung nicht eingelöst
werden kann. Privateigentum ist deshalb nicht die vernünftige Form der Willensbestim-
mung, sondern garantiert diejenigen historisch überlieferten Machtstrukturen, aufgrund derer
die Menschen gerade nicht über ihre Lebensbedingungen verfügen. Vielmehr ist das Pri-
vateigentum diejenige Bedingung, welche die Zwecke der bourgeois fremdbestimmt. Damit
bietet die bürgerliche Gesellschaft weder reell, noch potentiell die Bedingungen praktischer
Selbstbestimmung. Dann aber ist auch der Staat als realisierte Sittlichkeit nicht aus diesem
Not- und Verstandesstaat ableitbar.
„Die Kritik der deutschen Staats- und Rechtsphilosophie, welche durch Hegel ihre konsequenteste,
reichste, letzte Fassung erhalten hat, ist beides, sowohl die kritische Analyse des modernen Staats
und der mit ihm zusammenhängenden Wirklichkeit als auch die entschiedene Verneinung der gan-
zen bisherigen Weise des deutschen politischen und rechtlichen Bewußtseins, dessen vornehmster,
universellster, zur Wissenschaft erhobener Ausdruck eben die spekulative Rechtsphilosophie selbst
ist. […] Schon als entschiedener Widerpart der bisherigen Weise des deutschen politischen Bewußt-
seins verläuft sich die Kritik der spekulativen Rechtsphilosophie nicht in sich selbst, sondern in Auf-
gaben, für deren Lösung es nur ein Mittel gibt: die Praxis.“185

durfte, seine Verwandlung in einen Kapitalisten. Ebenso konnte er Gesellen nur beschäftigen in
dem ausschließlichen Handwerk, worin er selbst Meister war. Die Zunft wehrte eifersüchtig jeden
Übergriff des Kaufmannskapitals ab, der einzig freien Form des Kapitals, die ihr gegenüberstand.
Der Kaufmann konnte alle Waren kaufen, nur nicht die Arbeit als Ware. Er war nur geduldet als
Verleger der Handwerksprodukte. Riefen äußere Umstände eine fortschreitende Teilung der Arbeit
hervor, so zerspalteten sich bestehende Zünfte in Unterarten oder lagerten sich neue Zünfte neben
die alten hin, jedoch ohne Zusammenfassung verschiedner Handwerke in einer Werkstatt. Die
Zunftorganisation, sosehr ihre Besondrung, Isolierung und Ausbildung der Gewerbe zu den mate-
riellen Existenzbedingungen der Manufakturperiode gehören, schloß daher die manufakturmäßige
Teilung der Arbeit aus. Im großen und ganzen blieben der Arbeiter und seine Produktionsmittel
miteinander verbunden wie die Schnecke mit dem Schneckenhaus, und so fehlte die erste Grund-
lage der Manufaktur, die Verselbständigung der Produktionsmittel als Kapital gegenüber dem Ar-
beiter.“ Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 379 f. Charles Larmore ver-
weist auf die umgekehrt auf darauf, daß das Hegels Anspruch an eine sittliche Gesellschaft stark
an der antiken Polis orientiert ist: Vgl. Charles E. Larmore. Patterns of Moral Complexity. Cam-
bridge, 1987, 99 ff.
184
Vgl. auch Honneth, der die „Funktion der sozialen Integration“ (Axel Honneth,. „Arbeit und An-
erkennung.“ Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Nr. Heft 3 (2008), 333) des kapitalistischen Ar-
beitsmarkts aufzeigen will.
185
Karl Marx. „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung.“ In Werke [1839 bis 1844].
MEW Bd. 1. Berlin, 1964, 384 f.
254 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

4.5 Resultate: Das Scheitern gesellschaftlicher


Selbstbestimmung in den Grundlinien
Der Arbeitsbegriff Hegels ist der Begriff der Vermittlung zwischen der freien Subjekti-
vität und dem Begriff der Notwendigkeit der Naturverhältnisse. Daß Arbeit frei mache,
stellt gleichsam das Leitmotiv der systematischen Begriffsentwicklung in der Logik, der
Phänomenologie und den Grundlinien dar. Das bedeutet, daß Arbeit als Moment der
Selbstbestimmung des Begriffs in der Teleologie demselben Argumentationsziel folgt
wie die Vermittlung der materiellen Bedingungen des Selbstbewußtseins durch Arbeit in
Herrschaft und Knechtschaft. Noch das Knechtschaftsverhältnis ist letztendlich Aus-
druck der Selbstbestimmung des Selbstbewußtseins, weil Herrschaft und Selbstbestim-
mung denselben Zweck erfüllen, denselben Gegenstandsbereich und dasselbe Subjekt
haben: Bis in die sich voneinander unterscheidenden Momente der Begriffsentwicklung
hinein bleibt die Arbeit Arbeit des Begriffs im Begriff. In den Grundlinien laufen die Ar-
gumentationslinien der Logik und der Phänomenologie zusammen. Die durch Herrschaft
bestimmte Vorgeschichte des bürgerlichen Staates habe die Bedingungen einer vernünf-
tigen Wirklichkeit hervorgebracht, deren Subjekt der selbstbestimmte und zugleich
rechtlich handelnde Wille sei. Der im abstrakten Recht sich realisierende Wille hat zu-
nächst keinen geschichtlichen Status, sondern einen sozialontologischen, der erst in der
Sittlichkeit – also der Familie, der bürgerlichen Gesellschaft und dem Staat – mit den
gesellschaftlichen Gehalten vermittelt wird.
Das System der Grundlinien sei Ausdruck der Selbstbestimmung der Menschen, weil
der gesamtgesellschaftliche Zusammenhang Organisationsform menschlicher Freiheit
sei. In diese Konstruktion von Freiheit wird die Reflexion auf die Existenzbedingungen
der Menschen einbezogen, so daß die Menschen ihre Potenzen innerhalb des sittlichen
Staates am ehesten verwirklichen können. Zugleich ist das Subjekt der Grundlinien der
vernünftig bestimmte Wille, der als allgemeines Prinzip gesellschaftlicher Organisation
mit den Einzelnen nicht identisch, diese vielmehr nur sein Moment sind. Deshalb ist die
Stellung der Individuen zum gesellschaftlichen Zusammenhang, in der konkretesten Ge-
stalt, dem Staat, durch ihre jeweilige gesellschaftliche Funktion auch restringiert. In der
Familie zeigte sich die Unterordnung individueller Entwicklungsmöglichkeiten unter
den Zweck der Allgemeinheit ebenso wie in der Forderung Hegels, daß sich die einzel-
nen für den Staatszweck z. B. im Krieg aufzuopfern hätten.186 Die individuelle Willens-
bestimmung erscheint nur im Zusammenhang mit dem Verbrechen, wo sie lediglich als
Negation des Rechts bestimmt ist.
Dennoch gibt es eine Erscheinung, die im Spannungsfeld der Bestimmung menschli-
cher Existenzbedingungen und vernünftiger Willensbestimmung, weder durch das eine,
noch durch das andere erklärbar ist: die Armut. Hegel verstrickt sich in den Wider-
spruch, einerseits alle bourgeois mit den Rechten eines Privateigentümers ausgestattet
und ihnen damit die Mittel ihrer ökonomischen und gesellschaftlichen Anerkennung an
186
Vgl. Hegel. Grundlinien, § 325–329.
Resultate: Das Scheitern gesellschaftlicher Selbstbestimmung in den Grundlinien 255

die Hand gegeben zu haben. Andererseits bringt dieselbe Gesellschaft mit den Armen
Menschen hervor, die weder materiell versorgt sind, noch gesellschaftliche Anerken-
nung erfahren. Die Armut ist weder in Beziehung auf die Versorgung der Individuen
zweckmäßig, noch erfüllt sie eine Funktion für den Begriff des vernünftig bestimmten
Willen. Im Gegenteil gehört die Versorgung der Individuen zur Bestimmung des ver-
nünftig bestimmten Willens dazu. Hegel kann die Erscheinung der Armut weder erklä-
ren, noch kritisiert er sie. Er versucht diesen Widerspruch zwischen Funktion und Er-
scheinung vielmehr durch die fragwürdige Konstruktion der Kolonialisierung und die
obsolete Konstruktion der Stände begrifflich zu integrieren.
Die Versorgung der bourgeois soll über den einfachen Warentausch in einem arbeits-
teilig und privatrechtlich geregelten ökonomischen System gelingen. Über ihre Arbeiten
steuern die bourgeois ein Produkt zum System gesellschaftlicher Arbeitsteilung bei, so-
wie sie die Mittel, die sie für ihre eigene Reproduktion benötigen, über den Austausch
erhalten. Die produktive Arbeit erfüllt also eine ökonomische Funktion. Das System des
einfachen Warentauschs ist die Negation der sittlichen Bestimmung in der Familie und
im Staat, weil die bourgeois nur ihren selbstsüchtigen Interessen nachgehen und mitein-
ander konkurrieren. Das System der Bedürfnisse ist Teil eines Not- und Verstandesstaa-
tes. Trotzdem soll die produktive Arbeit auch eine moralische Funktion erfüllen: Durch
seine Arbeit erlangt jeder bourgeois auch die Ehre und Anerkennung, einen ökonomi-
schen Beitrag zur Gesellschaft geleistet zu haben. Indem das ökonomische System ein
notwendiger organisatorischer Bestandteil einer Gesellschaft ist, und die in diesem öko-
nomischen System geleistete Arbeit deshalb auch die Anerkennung erfährt, zum Funk-
tionieren dieses Systems beizutragen, ist die Arbeit Hegel zufolge Ausdruck gesell-
schaftlicher Selbstbestimmung. Daraus folgt dann im Umkehrschluß, daß die Armen
durch den einfachen Warentausch nicht nur nicht versorgt werden, sondern daß der Pö-
bel „die Ehre nicht hat, seine Subsistenz durch seine Arbeit zu finden, und doch seine
Subsistenz zu finden als sein Recht anspricht.“187 Im Pöbel entstehe das Böse. Auf diese
Weise wird deutlich, daß der Begriff selbstbestimmter, produktiver Arbeit in sich wider-
sprüchlich ist, also ein nihil negativum. Ein Begriff, den man nicht widerspruchsfrei
denken kann, ist kein Gegenstand konsistenter Erfahrung.
Um dieses Mißlingen der Verknüpfung von produktiver Arbeit und Selbstbestimmung
erklären zu können, ist es nötig, an den Status des abstrakten Rechts vor dem Hinter-
grund seiner Kritik gegen Hegel zu erinnern. Hegel zufolge soll das abstrakte Recht ver-
nünftig sein, weil es jeder Person den Status der persönlichen Freiheit und der persönli-
chen Verfügung über sein Eigentum garantiert und somit die Interessen und Handlungen
in der Gesellschaft koordiniert. Allerdings war die Frage, was und wieviel jemand be-
sitzt, gegen den Eigentumstitel gleichgültig. Rechtsgrund ist der vernünftige Wille, so
daß das Recht nicht als historisch-gesellschaftlicher Begriff bestimmt wurde, sondern
als sozialontologischer Begriff. Aber eben dieser sozialontologische Status hatte sich als
instabil erwiesen, und er mußte sich auch als instabil erweisen, weil das Recht durch hi-

187
Hegel. Grundlinien (Werke), § 244 Zusatz.
256 Gesellschaftliche Selbstbestimmung und Arbeit in den Grundlinien

storische Gehalte ebenso bestimmt wird. Der Rechtsgrund ist dann aber auch nicht ver-
nünftig, sondern interessengeleitet, so daß das Privatrecht einen historisch gegebenen
Zustand mit einer historisch gegebenen Verteilung der Lebens- und Produktionsmittel
zementiert, der aus den vorgeschichtlichen Herrschaftsverhältnissen und politischen
Auseinandersetzungen hervorgegangen ist. Marx beschreibt diese geschichtlichen Ver-
hältnisse mit der sog. ursprünglichen Akkumulation.
„Der Prozeß, der das Kapitalverhältnis schafft, kann also nichts andres sein als der Scheidungs-
prozeß des Arbeiters vom Eigentum an seinen Arbeitsbedingungen, ein Prozeß, der einerseits
die gesellschaftlichen Lebens- und Produktionsmittel in Kapital verwandelt, andrerseits die un-
mittelbaren Produzenten in Lohnarbeiter. Die sog. ursprüngliche Akkumulation ist also nichts
als der historische Scheidungsprozeß von Produzent und Produktionsmittel. Er erscheint als
‚ursprünglich‘, weil er die Vorgeschichte des Kapitals und der ihm entsprechenden Produkti-
onsweise bildet. Die ökonomische Struktur der kapitalistischen Gesellschaft ist hervorgegan-
gen aus der ökonomischen Struktur der feudalen Gesellschaft. Die Auflösung dieser hat die
Elemente jener freigesetzt. Der unmittelbare Produzent, der Arbeiter, konnte erst dann über sei-
ne Person verfügen, nachdem er aufgehört hatte, an die Scholle gefesselt und einer andern Per-
son leibeigen oder hörig zu sein. Um freier Verkäufer von Arbeitskraft zu werden, der seine
Ware überall hinträgt, wo sie einen Markt findet, mußte er ferner der Herrschaft der Zünfte, ih-
ren Lehrlings- und Gesellenordnungen und hemmenden Arbeitsvorschriften entronnen sein.
Somit erscheint die geschichtliche Bewegung, die die Produzenten in Lohnarbeiter verwandelt,
einerseits als ihre Befreiung von Dienstbarkeit und Zunftzwang; und diese Seite allein existiert
für unsre bürgerlichen Geschichtschreiber. Andrerseits aber werden diese Neubefreiten erst
Verkäufer ihrer selbst, nachdem ihnen alle ihre Produktionsmittel und alle durch die alten feu-
dalen Einrichtungen gebotnen Garantien ihrer Existenz geraubt sind. Und die Geschichte dieser
ihrer Expropriation ist in die Annalen der Menschheit eingeschrieben mit Zügen von Blut und
Feuer.“188

Erst wenn der Rechtszustand nicht nur als Form der Koordination gesellschaftlicher
Handlungen verstanden wird, sondern zugleich als auf einen Inhalt bezogen gedacht
wird, der Geschichtliches tradiert, dann wird eine Unterscheidung möglich, deren Be-
deutung Hegel nicht erkannt hat: daß es einen Unterschied darstellt, was durch den Ei-
gentumstitel geschützt wird – Produktionsmitteln oder lediglich Arbeitskraft. Mit dieser
Differenz in der Materie des Eigentums kann erklärt werden, warum einige Eigentümer
in der bürgerlichen Gesellschaft am System der Versorgung scheitern: Sie verfügen
nicht über Produktionsmittel und können sich deshalb nur reproduzieren, wenn sie ihre
Arbeitskraft zu den Bedingungen des Marktes verkaufen. Wenn aber dieser Markt keine
Arbeitskräfte braucht, dann haben die Arbeitskräfte auch keine alternativen Reprodukti-
onsmöglichkeiten und verarmen. Über die Mechanismen, welche den Bedarf des Ar-
beitsmarktes an Arbeitskräften bestimmen, verfügen die Einzelnen nicht.
Damit hängen Anerkennung von Arbeit und Stigmatisierung von Arbeitslosigkeit
nicht mehr von der Bewährung in einer vernünftig organisierten Gesellschaft ab, in der
Selbstbestimmung realisiert wäre, sondern sie hängen von geschichtlichen wie markt-
ökonomischen Zufällen ab. „Produktiver Arbeiter zu sein ist daher kein Glück, sondern

188
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 742 ff.
Resultate: Das Scheitern gesellschaftlicher Selbstbestimmung in den Grundlinien 257

ein Pech.“189 In der Gegendarstellung ist zu zeigen, daß Arbeit in der bürgerlichen Ge-
sellschaft nicht aus der vernünftigen Willensbestimmung zu erklären ist, sondern den
Gesetzen einer spezifischen Produktionsform unterworfen ist.

189
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 532.
5 Gegendarstellung: Zu den ökonomischen
Bedingungen der Rechtsphilosophie

Das Privateigentum im abstrakten Recht wird von Hegel als Realisationsform des
vernünftigen Willens bestimmt. Folgerichtig ist die Realisierung des subjektiven
Bedürfnisses Substanz und Zweck der bürgerlichen Gesellschaft, sowie die Reali-
sierung der sittlichen Bedürfnisse Substanz und Zweck des Staates ist. Anderer-
seits hatte die Kritik an den Begriffen Hegels ergeben, daß diese an den genannten
Stellen mit ihren historischen Korrelaten kollidieren. Erinnert sei an den Wert, der
die Funktion hat, die qualitativ unterschiedenen Güter im Vertrag vergleichbar zu
machen. Aber die von Hegel bestimmte Wertsubstanz, das Bedürfnis, ist dazu
nicht geeignet , weil es als qualitativ Bestimmtes nicht quantifizierbar und als
quantitativ Bestimmtes nicht allgemein vergleichbar ist. Als ein anderes Problem
erwies sich die bürgerliche Gesellschaft, die die materielle Versorgung ihrer Mit-
glieder gewährleisten sollte, tatsächlich aber Armut hervorbrachte. Zudem wird
die bürgerliche Gesellschaft als Sphäre nicht nur juristischer, sondern vor allem
auch moralischer Anerkennung mißverstanden.
Diese Probleme resultieren daraus, daß Hegel an der Vorstellung festhält, daß
das Subjekt und der Zweck der bürgerlichen Gesellschaft letztlich doch vernünftig
seien. Tatsächlich fällt aber die Begründung dieser Erscheinungen nicht in die
Rechtsphilosophie, sondern ist ihr wesensfremd: Die sich selbst bestimmende Ver-
nunft Hegels ist mit einer historischen Realität konfrontiert, in der die geschichtli-
che Verkehrung des Geistbegriffs vollzogen worden ist: In der bürgerlichen Epo-
che hat sich nicht der vernünftige Wille vergesellschaftet, sondern der technisch
bestimmte Sachzwang:
„Gebrauchsgegenstände werden überhaupt nur Waren, weil sie Produkte voneinander
unabhängig betriebner Privatarbeiten sind. Der Komplex dieser Privatarbeiten bildet die
gesellschaftliche Gesamtarbeit. Da die Produzenten erst in gesellschaftlichen Kontakt
treten durch den Austausch ihrer Arbeitsprodukte, erscheinen auch die spezifisch gesell-
schaftlichen Charaktere ihrer Privatarbeiten erst innerhalb dieses Austausches. Oder die
Privatarbeiten betätigen sich in der Tat erst als Glieder der gesellschaftlichen Gesamtar-
beit durch die Beziehungen, worin der Austausch die Arbeitsprodukte und vermittelst
derselben die Produzenten versetzt. Den letzteren erscheinen daher die gesellschaftli-
chen Beziehungen ihrer Privatarbeiten als das, was sie sind, d. h. nicht als unmittelbar
Gegendarstellung: Zu den ökonomischen Bedingungen der Rechtsphilosophie 259

gesellschaftliche Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten selbst, sondern vielmehr


als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen.“ 1

Grund und Begründetes verkehren sich unter der Bedingung der staatlich garan-
tierten und geschichtlich gegebenen Verteilung des Privateigentums. Das Vermö-
gen der Menschen, sich in der Gesellschaft einen sozialen und reflektierten Zu-
sammenhang zu geben, erscheint hier als das Resultat des Sachzwanges, nur über
den Austausch des eigenen Arbeitsproduktes vermittelt an die Mittel der individu-
ellen Reproduktion gelangen zu können. In einem solchen Zusammenhang ist die
Realisierung der Selbstbestimmung des vernünftigen Willens nicht Zweck, son-
dern Mittel zur Realisierung der selbstsüchtigen Interessen der Einzelnen. Gleich-
zeitig vermag kein Einzelner aus diesem Zusammenhang praktisch auszubrechen –
es sei denn um den Preis der Verelendung. Das bürgerliche Verhältnis definiert ein
gesamtgesellschaftliches Verhältnis, das zwar individuell durchschaubar, aber nur
gesamtgesellschaftlich veränderbar ist.
Diese realisierte Verkehrung ist weder spekulativ zu antizipieren, noch ist sie
begrifflich reproduzierbar. Ihre Analyse begründet vielmehr einen eigenen Gegen-
standsbereich: den der Kritik der politischen Ökonomie.2 Zwar hatte Hegel auf die
klassische politische Ökonomie als eigenständigen Gegenstandsbereich hingewie-
sen, ohne aber Konsequenzen für den Topos der Grundlinien, daß die Vernunft
wirklich und die Wirklichkeit vernünftig sei, zu ziehen. 3 Für eine kritische Dar-
stellung der Gesetze bürgerlicher Ökonomie ist es deshalb unabdingbar – auch in
Abgrenzung gegen die Grundlinien –, zwischen den notwendigen begrifflichen
und den hinreichenden historischen Bedingungen der Produktionsweise zu unter-
scheiden. Die Kritik der politischen Ökonomie kann weder Systementwurf noch
geschichtliche Erzählung sein, und will dennoch dem Anspruch einer wissen-
schaftlichen Analyse der kapitalistischen Produktionsweise genügen.4

1
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 87.
2
Vgl. auch Heinrich: „Eine solche politische Ökonomie besitzt außerhalb der bürgerlichen Gesell-
schaft keine Vorläufer.“ Michael Heinrich. Die Wissenschaft vom Wert, 28.
3
Vgl. § 189 Anmerkung. Hegel, Grundlinien, 346 f.
4
Es ist verwunderlich, daß einige Autoren keinen Unterschied zwischen Hegel und Marx entdecken
wollen: „Es fällt nun, nachdem Hegel wie Marx von ihren frühen Arbeiten her neu interpretiert
worden sind, schwer, überhaupt noch eine entscheidende Differenz zwischen ihnen aufzuzeigen.“
Otto Pöggeler. Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes, 375. Auch Hans-Christoph
Schmidt am Busch meint, daß „die Marxsche ‚Kritik‘ von ökonomietheoretischen und philosophi-
schen Problemen belastet wird und als ganze keinen Fortschritt gegenüber der Hegelschen Positi-
on darstellt.“ Hans-Christoph Schmidt am Busch. Hegels Begriff der Arbeit, 19, 96, 104.
260 Gegendarstellung: Zu den ökonomischen Bedingungen der Rechtsphilosophie

5.1 Einfache Warenzirkulation und Kapital


Der bürgerlichen Gesellschaft der Grundlinien entspricht die einfache Warenzirkulation
im Kapital. In beiden Systemen werden Gebrauchsgüter ausgetauscht, die auf gesamtge-
sellschaftlichem Maßstab produziert und als Privateigentum über Verträge vermittelt ge-
tauscht werden. Die Differenz zwischen beiden Systemen ist zunächst eine Differenz im
Begriff der zu tauschenden Güter, der Ware.
Die Ware ist die Elementarform des Reichtums derjenigen Gesellschaften, „in wel-
chen kapitalistische Produktionsweise herrscht.“5 Die erste Bestimmung der Ware ist es
danach, die spezifische Erscheinungsform einer geschichtlich eingrenzbaren Gesell-
schaftsformation zu sein, so daß bereits im ersten Satz des Kapitals der spezifische Un-
terschied zur Rechtsphilosophie Hegels deutlich wird. Marx ist es nicht um die Entwick-
lungsgestalten des Begriffs zu tun, sondern um die Gesetze einer bestimmten
ökonomischen Epoche. Diese Epoche unterscheidet sich unter anderem darin von ande-
ren vorangegangen Epochen, daß die Gesellschaften gegeneinander juristische und öko-
nomische Einheiten bilden, die aber zugleich auch untereinander in Kontakt stehen – sei
dieser kooperativ oder konkurrierend. Die Analyse der kapitalistischen Produktionswei-
se im Kapital unterstellt die historische Existenz der modernen Nationalstaaten und die
damit verbundenen rechtlichen Garantien des Privateigentums, während in den Grundli-
nien das Privateigentum ontologisch bestimmt ist und der Staat erst das Resultat der
rechtsphilosophischen Entwicklung ist.6
Die Ware ist nur in einer Hinsicht Gebrauchsding, in einer anderen ist sie die Inkarna-
tion des zu bestimmenden gesellschaftlichen Verhältnisses: Sie ist Gebrauchswert und
Tauschwert, die Grundlage des stofflichen Reichtums ebenso wie Träger des Werts.
Wert und stofflicher Reichtum waren von Hegel zwar funktional, aber nicht spezifisch
unterschieden worden. Der Wert diente der quantitativen und qualitativen Vergleichbar-
keit unterschiedener und auszutauschender Gebrauchsgüter und sollte nach Hegel durch
die Brauchbarkeit einer Sache bestimmt sein.7 Aber in der Durchführung dieses Wertbe-
griffs zeigte sich das grundlegende Problem, daß der Wert entweder alle Waren mitein-
ander vergleichbar macht, dann kann er nicht auf den Gebrauchs- und Natureigenschaf-
ten der Güter beruhen, denn darin unterscheiden sie sich. Oder der Wert beruht auf einer
allen gemeinsamen Eigenschaft, dann bleibt nach den Bestimmungen Hegels nur die on-
tologische Bestimmung, Eigentum zu sein, die aber nicht quantifizierbar ist. Deshalb er-
5
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 86.
6
„Die verschiednen Momente der ursprünglichen Akkumulation verteilen sich nun, mehr oder min-
der in zeitlicher Reihenfolge, namentlich auf Spanien, Portugal, Holland, Frankreich und England.
In England werden sie Ende des 17. Jahrhunderts systematisch zusammengefaßt im Kolonialsy-
stem, Staatsschuldensystem, modernen Steuersystem und Protektionssystem. Diese Methoden be-
ruhn zum Teil auf brutalster Gewalt, z. B. das Kolonialsystem. Alle aber benutzten die Staats-
macht, die konzentrierte und organisierte Gewalt der Gesellschaft, um den Verwandlungsprozeß
der feudalen in die kapitalistische Produktionsweise treibhausmäßig zu fördern und die Übergänge
abzukürzen. Die Gewalt ist der Geburtshelfer jeder alten Gesellschaft, die mit einer neuen
schwanger geht. Sie selbst ist eine ökonomische Potenz.“ Ebd., 779.
7
Vgl. S. 216 ff. in dieser Arbeit.
Einfache Warenzirkulation und Kapital 261

schließt Marx die Wertsubstanz als eine spezifisch gesellschaftliche Eigenschaft der Wa-
ren, worin sie vergleichbar und quantifizierbar sind – die gesellschaftlich notwendige
Durchschnittsarbeitszeit:
„Die Arbeit jedoch, welche die Substanz der Werte bildet, ist gleiche menschliche Arbeit, Ver-
ausgabung derselben menschlichen Arbeitskraft. Die gesamte Arbeitskraft der Gesellschaft, die
sich in den Werten der Warenwelt darstellt, gilt hier als eine und dieselbe menschliche Arbeits-
kraft, obgleich sie aus zahllosen individuellen Arbeitskräften besteht. Jede dieser individuellen
Arbeitskräfte ist dieselbe menschliche Arbeitskraft wie die andere, soweit sie den Charakter ei-
ner gesellschaftlichen Durchschnitts-Arbeitskraft besitzt und als solche gesellschaftliche
Durchschnitts-Arbeitskraft wirkt, also in der Produktion einer Ware auch nur die im Durch-
schnitt notwendige oder gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit braucht. Gesellschaftlich not-
wendige Arbeitszeit ist Arbeitszeit, erheischt, um irgendeinen Gebrauchswert mit den vorhan-
denen gesellschaftlich-normalen Produktionsbedingungen und dem gesellschaftlichen
Durchschnittsgrad von Geschick und Intensität der Arbeit darzustellen. Nach der Einführung
des Dampfwebstuhls in England z. B. genügte vielleicht halb so viel Arbeit als vorher, um ein
gegebenes Quantum Garn in Gewebe zu verwandeln. Der englische Handweber brauchte zu
dieser Verwandlung in der Tat nach wie vor dieselbe Arbeitszeit, aber das Produkt seiner indi-
viduellen Arbeitsstunde stellte jetzt nur noch eine halbe gesellschaftliche Arbeitsstunde dar und
fiel daher auf die Hälfte seines frühern Werts.“8

Wertbildende Arbeit, da sie die Bedingung der Vergleichbarkeit aller Waren ist, kann nur
als abstrakte Arbeit gelten, d. h. daß nicht das Resultat der Arbeit wertbildend wirkt,
sondern der mühevolle Prozeß selbst bildet Wert, Arbeit als Verausgabung von mensch-
lichem Hirn, Muskel, Nerv überhaupt. Entsprechend kann auch die in die Ware einge-
gangene Qualität der Arbeit nur im Durchschnitt relevant sein: „Kompliziertere Arbeit
gilt nur als potenzierte oder vielmehr multiplizierte einfache Arbeit, so daß ein kleineres
Quantum komplizierter Arbeit gleich einem größeren Quantum einfacher Arbeit.“ 9 Meß-
bar ist die Arbeit, da sie in der Zeit stattfindet. Aber auch die Arbeitszeit gilt nur als im
gesellschaftlichen Durchschnitt notwendige Arbeitszeit. Eine Ware wird nicht dadurch
wertvoller, daß der Arbeitende sich bei der Herstellung mehr Zeit läßt, als im gesell-
schaftlichen Durchschnitt nötig wäre.
Der zu Beginn des Kapitals noch abstrakte Begriff der gesellschaftlich notwendigen
Durchschnittsarbeit weist bereits über sich hinaus, da es sich um einen dynamischen Be-
griff handelt. Der gesellschaftliche Durchschnitt wird beständig und praktisch herge-
stellt. Dieser Begriff ist also kein marxologisch-methodisches Abstraktum, sondern ein
an der ökonomischen Praxis gebildeter wie dieselbe bestimmender Begriff. Das zeigt
sich zunächst an der Wertformanalyse, in der Marx zeigt, daß die Wertsubstanz, die ge-
sellschaftlich notwendige Durchschnittsarbeit, im Geld erstens vergegenständlicht ist,
und zweitens eine ihrer gesamtgesellschaftlichen Funktion adäquate Form annimmt. Die
Geldware erweist sich als eine aus der Warenwelt ausgeschlossene Ware, wie z. B. das

8
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 53.
9
Ebd., 59. Zu der Frage, wie sich das Verhältnis von einfacher und komplizierter Arbeit als gesell-
schaftlicher Durchschnitt herstellt vgl. Heiko Vollmann, „Das Begriffspaar einfache und kompli-
zierte Arbeit in der Marxschen Werttheorie.“ 2007. http://www.gi-hannover.de/schriften/
texte-download/. (Zugriff: 10.6.2012)
262 Gegendarstellung: Zu den ökonomischen Bedingungen der Rechtsphilosophie

Gold, in der alle anderen Waren ihren Wert gemeinschaftlich ausdrücken, ihre Wertform
muß „daher gesellschaftlich gültige Form sein.“10
Obwohl die Geldware selbst gegenständlich ist und einen Gebrauchswert hat, fungiert
sie nur als Quantum einer Sache, nicht aber hinsichtlich ihrer Gebrauchseigenschaften.
Gold kann sowohl kariöse Zähne füllen, wie auch als Tauschmittel dienen. Wenn es aber
als Tauschmittel dient, dann gilt es nur als Ausdruck abstrakt menschlicher Arbeit. Da-
durch wird Gebrauchswert zur Erscheinungsform des Werts; konkrete Arbeit wird zum
Ausdruck von abstrakt menschlicher Arbeit und Privatarbeit wird zum Ausdruck von
Arbeit in unmittelbar gesellschaftlicher Form. Die Funktionen des Geldes entspringen
zunächst aus dem einfachen Austausch von Waren. Geld fungiert nicht nur als das Maß
der Werte und als Zirkulationsmittel, sondern kann außerdem aufgeschatzt werden und
als Zahlungsmittel und Weltgeld dienen.
Diesem spekulativen Schluß auf den Wert und dessen Erscheinungsform als Bedin-
gung des Tausches entspricht ein Problem der Praxis des Warentausches, denn „die Wa-
ren können nicht selbst zu Markte gehen und sich nicht selbst austauschen.“11 Für einen
Warenbesitzer hat seine eigene Ware keinen unmittelbaren Gebrauchswert. Gebrauchs-
wert hat sie für die anderen, sowie andere Waren für ihn Gebrauchswert haben. Im Aus-
tausch betrachtet jeder Warenbesitzer seine Ware als universell gültigen Repräsentanten
von Wert, an dem alle anderen Waren nur besondere Äquivalente seiner Ware sind. Weil
damit aber alle behaupten, daß ihre Ware den universell gültigen Wert repräsentieren,
widersprechen sich ihre Forderungen und negieren sich dadurch. Auf diese Weise ließen
sich also die Waren nicht miteinander in Beziehung setzen. Eine universell austauschba-
re Gestalt haben die Waren erst im Geld. Das logisch nicht entscheidbare Dilemma der
Warenbesitzer wird praktisch gelöst, indem eine Ware gesellschaftlich zum allgemeinen
Äquivalent gemacht wird. „Im Anfang war die Tat.“ 12 Das Wertsein der Waren und die
gleiche Gültigkeit aller Waren als Arbeitsprodukte erscheint erst in ihrem Bezug auf das
Geld. Es ist die Materiatur des Werts. Das Wesen des Werts, die gesellschaftlich notwen-
dige Durchschnittsarbeit, muß erscheinen, sonst stehen sich die Waren als unvergleich-
bare gegenüber, als bloß Verschiedene.
All diese Bestimmungen der Ware und des Geldes sind Bestimmungen der einfachen
Warenzirkulation und damit noch kein Ausweis kapitalistischer Produktion, obgleich sie

10
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 81.
11
Ebd., 99.
12
Ebd., 101. In Abgrenzung gegen die Methodendebatten, die von Dieter Riedel und Helmut Rei-
chelt geführt wurden, widmet Frieder Otto Wolf dem Problem des historischen Gehaltes des Kapi-
tals eine Untersuchung, die sehr erhellend ist. Er kommt zu folgendem Schluß: „Der systemati-
sche Zusammenhang erschließt sich hier ‚rückwärts‘, vom Kapital, über das Geld zur Ware, und
lässt sich keineswegs ‚vorwärts‘ ableiten. Das macht eine andere Art der ‚dialektischen Darstel-
lung‘ erforderlich, als die von Hegel vorgeführte, wie sie Marx etwa in seiner Darstellung der
Wertformen verwenden konnte. Und damit ist dann auch, bei aller Anerkennung der Bedeutung
historischer Faktizitäten, der Versuchung, das Kapital doch irgendwie als eine – wie auch immer
verfeinerte und abstraktifizierte – Nacherzählung eines historischen Geschehens zu lesen, die
Grundlage entzogen.“ Frieder O. Wolf. „Marxʼ Konzept der Grenzen der dialektischen Darstel-
lung.“ In Das Kapital neu lesen – Beiträge zu einer radikalen Philosophie. Hrsg. v. Jan Hoff u. a.
Münster, 2006. 174 f.
Einfache Warenzirkulation und Kapital 263

sich von den Bestimmungen Hegels auch eminent unterscheiden, weil ihr Ursprung hi-
storisch-gesellschaftlich und nicht ontologisch begründet wird. Trotzdem ist zu fragen,
was den spezifisch kapitalistischen Charakter der Warenzirkulation ausmacht?
Die Waren sind als Gebrauchswerte qualitativ bestimmt, d. h. aber auch, daß sie über
kurz oder lang verbraucht werden und deshalb aus der Zirkulation ausscheiden. Sie
werden getauscht, um konsumiert zu werden. „Konsumtion, Befriedigung von Bedürf-
nissen, mit einem Wort Gebrauchswert ist daher sein [des Kreislaufs Ware-Geld-Ware,
M. B.] Endzweck.“13 Anders das Geld. Eine Geldsumme kann nicht konsumiert werden.
Sie kann nur hingegeben werden, um neuer Gebrauchswerte habhaft zu werden, oder sie
kann um ihrer selbst willen getauscht werden. Dann würde Geld für Ware und Ware für
Geld hingegeben und diese Bewegung bliebe tautologisch, wenn die Geldsumme, die
aus dem Prozeß zurückfließt, nicht größer wäre als die Summe, die ursprünglich in den
Prozeß hineingegeben wurde. Das Geld kann entweder Mittel für die Vermittlung der
Bedürfnisse mit den Waren sein, wie Hegel es in den Grundlinien und Marx in der ein-
fachen Warenzirkulation unterstellt hatte, oder die Waren können umgekehrt Mittel für
die Aneignung von Geld sein.
„In der Tat aber wird der Wert hier das Subjekt eines Prozesses, worin er unter dem beständi-
gen Wechsel der Formen von Geld und Ware seine Größe selbst verändert, sich als Mehrwert
von sich selbst als ursprünglichem Wert abstößt, sich selbst verwertet. Denn die Bewegung,
worin er Mehrwert zusetzt, ist seine eigne Bewegung, seine Verwertung also Selbstverwertung.
Er hat die okkulte Qualität erhalten, Wert zu setzen, weil er Wert ist. Er wirft lebendige Junge
oder legt wenigstens goldne Eier.“14

Diese Verlagerung des Zweckbegriffs ist entscheidend, denn damit wandelt sich nicht
nur der Begriff der einfachen Zirkulation in den Begriff des Kapitals. Vielmehr liegt dar-
in eine umfassende Veränderung der gesamten gesellschaftlichen Struktur der bürgerli-
chen Gesellschaft bis in die technische Organisation der Arbeits- und Zirkulationspro-
zesse hinein. So ist z. B. die Entwicklung von großer Industrie und Maschinerie nicht –
wie Hegel meint – das Produkt der Arbeitsteilung im Allgemeinen, sondern sie ist urei-
genstes Produkt der kapitalistischen Ökonomie und durch den Trieb, die Mehrwertpro-
duktion durch Produktivkraftsteigerung zu erhöhen, motiviert.15 Zunächst verändert sich
aber das Verhältnis von Subjekt und Objekt. Die Rechtsperson Hegels mit ihren morali-

13
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 164.
14
Ebd., 168 f. Schmidt am Busch kritisiert Marx, dessen „These, daß unter kapitalistischen Produk-
tionsbedingungen fremde Arbeitskraft unentgeltlich angeeignet beziehungsweise ausgebeutet“
werde, „auf der Marxschen Arbeitswertlehre“ basiere, „gegen die sich sowohl philosophische als
auch ökonomietheoretische Einwände formulieren lassen.“ Hans Christoph Schmidt am Busch.
Hegels Begriff der Arbeit, 123. Mit dem Marx des Kapitals ist dagegenzuhalten, daß der Grund
des Ausbeutungsverhältnisses nicht die Arbeitswertlehre ist, sondern Privateigentum und die Ak-
kumulation von Kapital. Die sog. Arbeitswertlehre ist zwar notwendiger Begriff zur Darstellung
der Gesetze der Kapitalakkumulation, aber explizit nicht deren Grund. Der Grund ist historisch zu
fassen: die ursprüngliche Akkumulation.
15
Genaugenomen geht es bei der relativen Mehrwertproduktion um die Entwertung der Ware Ar-
beitskraft durch die Entwertung der zu deren Reproduktion notwendigen Lebensmittel. Diese Be-
stimmungen sind aber hier noch nicht eingeholt. Vgl. Karl Marx. Das Kapital. Der Produktions-
prozeß des Kapitals, 331 ff.
264 Gegendarstellung: Zu den ökonomischen Bedingungen der Rechtsphilosophie

schen und ökonomischen Bedürfnissen, sofern sie überhaupt jemals mehr als ein speku-
lativer Begriff war, ist nicht länger der Zweck der Veranstaltung, sondern die Rechtsper-
son wird das mit Willen und Bewußtsein begabte Kapital, d. h. die Rechtsperson unter-
stellt ihre praktischen Zwecke der Verwertung des Werts. „Der Gebrauchswert ist also
nie als unmittelbarer Zweck des Kapitalisten zu behandeln. Auch nicht der einzelne Ge-
winn, sondern nur die rastlose Bewegung des Gewinnens.“16
Bislang bleibt aber dieser Kapitalbegriff noch abstrakt, denn mit den Begriffen der einfa-
chen Warenzirkulation ist es nicht möglich zu erklären, woraus sich die rastlose Bewegung
des Gewinnens speist. Da es eine grundlegende Bedingung des Vertragsverhältnisses in der
einfachen Warenzirkulation ist, daß die Waren zu äquivalenten Werten getauscht werden,
kann der Mehrwert nicht aus der Zirkulationssphäre stammen. Auch die Übervorteilung von
Vertragspartnern kann nur einen individuellen Gewinn erklären. Das Kapital ist aber eine ge-
samtgesellschaftliche Bestimmung, so daß der Ursprung des Mehrwerts legal und prinzipiell
erklärt werden muß. Andererseits muß die Verwertung aber auch innerhalb der Zirkulation
stattfinden, denn ein Produzent kann seinen Produkten zwar mehr Wert hinzufügen, indem
er mehr arbeitet, aber er muß diesen Wert auch innerhalb der Zirkulation realisieren. Die
Verwertung des Werts ist auf den Austausch verwiesen: „Kapital kann also nicht aus der Zir-
kulation entspringen, und es kann ebensowenig aus der Zirkulation nicht entspringen. Es
muß zugleich in ihr und nicht in ihr entspringen. Ein doppeltes Resultat hat sich also erge-
ben.“17
Die Bestimmung der bürgerlichen Gesellschaft in den Grundlinien führte auf einen Wi-
derspruch, den Hegel letztendlich nicht erklären konnte, und zwar den Widerspruch, daß alle
Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft über die gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Re-
produktion verfügen, indem sie Privateigentümer über ihr jeweiliges Familienvermögen
sind, aber dennoch nicht allen Mitgliedern der Gesellschaft ihre Reproduktion unter den ge-
gebenen Marktbedingungen auch tatsächlich gelingt. Bei allem Reichtum ist die bürgerliche
Gesellschaft nicht reich genug. Die Bestimmung des Kapitalbegriffs bei Marx geht einerseits
von derselben Voraussetzung aus wie die Bestimmung der bürgerlichen Gesellschaft bei He-
gel, nämlich der einfachen Warenzirkulation. Gleichzeitig modifiziert Marx deren Bestim-
mung entscheidend, indem er ihren Ursprung nicht philosophisch begreift, sondern ge-
schichtlich, und zweitens, indem er die Unmöglichkeit erweist, die hinreichenden
Bedingungen kapitalistischer Produktion rein analytisch erschließen zu können. Weder der
Zweck der Verwertung des Werts, noch die dazu nötigen Mittel sind Bestimmungsmomente
der einfachen Warenzirkulation. Marx kann dadurch zeigen, daß vom Standpunkt des Kapi-
tals die Bestimmungen der einfachen Warenzirkulation auf den Kopf gestellt werden. Zwar
bleibt die einfache Warenzirkulation ein Moment des Gesamtprozesses, aber sie verliert den
Charakter, der ökonomischen Versorgung der bourgeois zu dienen. Sie ist nicht Selbstzweck,
sondern Mittel für die Kapitalverwertung. Die einfache Warenzirkulation stellt also keine
hinreichende Erklärung kapitalistischer Produktion dar.18

16
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 168.
17
Ebd., 181 f.
Die Ware Arbeitskraft 265

5.2 Die Ware Arbeitskraft


Die Scheidung von Gebrauchs- und Tauschwert, Teilung der Arbeit und Waren- und
Geldzirkulation sind Erscheinungen, die den verschiedensten ökonomischen Gesell-
schaftsformationen gemein sind. Die Existenzbedingung kapitalistischer Produktion ist
hingegen das massenhafte Vorhandensein der Ware Arbeitskraft auf dem Markt. „Seine
[des Kapitals, M. B.] historischen Existenzbedingungen sind durchaus nicht da mit der
Waren- und Geldzirkulation. Es entsteht nur, wo der Besitzer von Produktions- und Le-
bensmitteln den freien Arbeiter als Verkäufer seiner Arbeitskraft auf dem Markt vorfin-
det, und diese eine historische Bedingung umschließt eine Weltgeschichte. Das Kapital
kündigt daher von vornherein eine Epoche des gesellschaftlichen Produktionsprozesses
an.“19 Der Kapitalist will sein Kapital verwerten und findet mit der Arbeitskraft auf dem
Warenmarkt eine besondere Ware vor, die ihm diese Verwertung ermöglicht: Der Ge-
brauchswert der Ware Arbeitskraft liegt in der Mehrwertproduktion. „Unter Arbeitskraft
oder Arbeitsvermögen verstehen wir den Inbegriff der physischen und geistigen Fähig-
18
Die Stellung der ersten drei Kapitel des Kapitals stellt eine zentrale Frage in der Marxinterpretati-
on dar. Einen ausführlichen Überblick über die Diskussion gibt Ingo Elbe. Marx im Westen: die
neue Marx-Lektüre in der Bundesrepublik seit 1965. Berlin, 2008. Das Spektrum der Auslegungen
reicht von streng analytischen bis zu historisch-empiristischen Ansätzen. Die Marxinterpretation
hier kann sich nur oberflächlich auf die Auseinandersetzung mit diesen Diskussionen beziehen.
Wichtig scheint jedoch der Hinweis zu sein, daß die Kritik der politischen Ökonomie hier weder
abgetrennt von ihrem Gegenstand noch von ihrem Begriff betrachtet werden soll. Die Darstellung
im Kapital zeichnet sich gerade dadurch aus, durch das Aufzeigen der Unmöglichkeit einer ge-
schlossenen systematischen Ableitung des Wertbegriffs auf den Grund dieses Scheiterns zu schlie-
ßen. Dieser Grund ist geschichtlich und ist der Wertformanalyse somit ebenso vorausgesetzt. Die
Wertformanalyse ist keine analytisches Abstraktum, sondern Analyse einer bestimmten historisch
gegebenen ökonomischen Konstellation; andererseits ist sie nicht empirisch, sondern schließt auf
die Bedingung der Möglichkeit eines bestimmten gegebenen Zustandes. Begriff und Gegenstand
sind nicht positiv und unmittelbar aufeinander bezogen wie im Marxismus-Leninismus, noch et-
was ganz anderes. Begriff und Gegenstand sind kritisch aufeinander bezogen. Die Kritik der
politischen Ökonomie stellt damit in gewisser Hinsicht die Lösung des zuvor philosophisch aufge-
zeigten Problems dar, einerseits Objektivität nur begrifflich bestimmen zu können, aber diese be-
griffliche Darstellung nicht am Einheitsanspruch des Denkens, sondern an der objektiven Struktur
orientieren zu müssen, wenn die Darstellung nicht idealisierend oder apologetisch werden soll.
Einen solchen Standpunkt dann nach einer bestimmten Schule zu benennen ist in gewisser Hin-
sicht problematisch, weil mit der Frage nach der Schule die Frage nach dem wissenschaftlichen
und kritischen Kern einer Argumentation erledigt oder nur noch Beiwerk ist. Auch besteht die Ge-
fahr, die Interpretation der ersten drei Kapitel zum einzigen Gegenstand der Auseinandersetzung
mit dem Kapital zu machen (wie z. B. Dieter Wolf. Der dialektische Widerspruch im Kapital: ein
Beitrag zur Marxschen Werttheorie. Hamburg, 2002.) Damit gerät erstens aus dem Blick, daß
Marx den ersten Band des Kapitals nicht der Analyse der einfachen Warenzirkulation, sondern
dem kapitalistischen Produktionsprozeß gewidmet hat und zweitens, daß dem ersten Band noch
zwei weitere folgen. Insofern die Bestimmungen des zweiten und dritten Bandes hier ebenfalls
nicht untersucht werden, bleibt auch die Darstellung hier unvollständig.
19
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 184. Lange, der sich auf die
Grundrisse bezieht, bemerkt, daß „Marx so ausdrücklich Wert auf die Feststellung legt, die Arbeit
selber produziere den Reichtum als sich auf sich selbst beziehenden, d. h. als Subjekt,“ und hält
das für einen Beleg seiner Interpretationsthese, „daß in der Konstruktion einer Subjektivität des
Kapitals eine kritische Pointe steckt, die sagen will, daß in der vom Kapital beherrschten Epoche
der Produktionsgeschichte Sachen und Dinge Subjekte seien und die Subjektivität der Personen
verhindern.“ Ernst M. Lange. Das Prinzip Arbeit, 219. Diese kritische Pointe präzisiert Marx im
Kapital, wenn er nicht die Arbeit, sondern die Arbeitskraft als Quelle des Reichtums bezeichnet.
266 Gegendarstellung: Zu den ökonomischen Bedingungen der Rechtsphilosophie

keiten, die in der Leiblichkeit, der lebendigen Persönlichkeit eines Menschen existieren
und die er in Bewegung setzt, sooft er Gebrauchswerte irgendeiner Art produziert.“20
Der Träger der Arbeitskraft ist einerseits juristisch vollwertiges Mitglied der Gesell-
schaft, also Person.21 Die Arbeitskraft wird als Vertragspartner anerkannt und begegnet
den Kapitalisten auf dem Markt als Verkäufer, dieser ist hingegen Käufer. Hegel wie
Marx sind sich also darin einig, daß der juristische Status der Person für alle Teilnehmer
der Gesellschaft gleichermaßen gilt und ihnen die Verfügung über ihr Privateigentum si-
chert.22 Dieser Status schließt damit Arbeitsverhältnisse, in denen die Arbeitskräfte ver-
sklavt sind, kategorisch aus. Als Sklaven würden die Menschen nicht nur ihre Arbeits-
kraft verkaufen, sondern auch das Verfügungsrecht darüber. Das muß aber für die
bürgerliche Gesellschaft ausgeschlossen werden, denn sonst stünden sich Käufer und
Verkäufer nicht mehr als gleichberechtigte Vertragspartner in der Zirkulation gegenüber.
So sehr aber die Arbeiter über ihr Arbeitsvermögen als Eigentum verfügen, sowenig ver-
fügen sie über die gegenständlichen Mittel, die es ihnen ermöglichen würden, selbstän-
dig Waren zu produzieren.23 Zwischen den Privateigentümern ist also nicht hinsichtlich
der juristischen, aber hinsichtlich der Produktionsbedingungen zu differenzieren. Wäh-
rend alle Agenten den Status der Rechtsperson haben, verfügt nur ein Teil der Eigentü-
mer über Produktionsmittel, während der Arbeiter doppelt frei ist – „frei in dem Doppel-
sinn, daß er als freie Person über seine Arbeitskraft als seine Ware verfügt, daß er
andrerseits andre Waren nicht zu verkaufen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Ver-
wirklichung seiner Arbeitskraft nötigen Sachen.“24
Der Wert der Ware Arbeitskraft ist durch die zur ihrer Reproduktion notwendigen Ko-
sten bestimmt, d. h., durch die Kosten für die Lebensmittel der Arbeitskraft selbst, wie
Nahrungsmittel und Wohnung, aber auch der Familie, wie der Ausbildung des Arbeiters
und seiner Kinder. Diese Kosten müssen in den Wert der Ware Arbeitskraft eingehen,
weil der Erhalt der Klasse und damit des Kapitalverhältnisses davon abhängt. Daß heißt
daß die Arbeiter, die aktuell Mehrwert produzieren, sich ebenso reproduzieren müssen,
wie ihre Kinder, die zukünftig produzieren sollen. Die Reproduktionskosten der Frauen
bestimmen den Wert der Ware Arbeitskraft ebenfalls, aber Marx hat das zu einer Zeit ge-
schrieben, als Frauen noch unmündig waren. Sobald sie rechtlich ebenfalls den Status
der Mündigkeit erlangen und es gesellschaftlich normal wird, daß Frauen ihr eigenes
Geld verdienen, gehen ihre Reproduktionskosten nicht mehr in den Wert der Ware Ar-
beitskraft ein.25 Da die natürlichen Bedürfnisse und die Mittel ihrer Befriedigung sich
20
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 181.
21
Vgl. ebd., 182.
22
Vgl. S. 211 f. dieser Arbeit. Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 182 f.
23
Ebd., 183. In Abgrenzung gegen den dialektischen Materialismus sei darauf hingewiesen, daß mit
dieser Bestimmung der Ware Arbeitskraft als ökonomischer Rolle deutlich werden sollte, daß die
Leistung Hegels nicht darin liegt, „daß er den Geist als den Arbeiter par excellence auffaßt.“ Peter
Ruben, „Wissenschaft als allgemeine Arbeit.“ 20. Die Arbeiter sind kein Begriff, sondern histori-
sche Subjekte, die unter bestimmten ökonomischen Bedingungen leben und arbeiten.
24
Ebd.
25
Insofern ist auch die These zu hinterfragen, daß Arbeiten, die nicht unmittelbar vertraglich gere-
gelt sind, wie die Arbeit innerhalb von Haushalten, „von der unter der Herrschaft der kapitalisti-
schen Produktionsweise stattfindenden gesellschaftlichen Reproduktion als Akkumulation des Ka-
Die Ware Arbeitskraft 267

von Land zu Land und Zeit zu Zeit unterscheiden, geht in die Wertbestimmung der Ware
Arbeitskraft ein moralisches bzw. kulturelles Moment ein. „Für ein bestimmtes Land, zu
einer bestimmten Periode jedoch, ist der Durchschnitts-Umkreis der notwendigen Le-
bensmittel gegeben.“26
Hegels Begriff der Rechtsperson hatte eine aufklärerische Intention: Zum einen gegen
den abstrakten Freiheitsbegriff Kants, dessen Realisierung nur spekulativ denkbar war, aber
auch in Abgrenzung gegen solche ökonomischen Verhältnisse, in denen das Eigentum in den
Händen weniger Privilegierter lag, und die erst im Zusammenhang mit der Französischen
Revolution abgeschafft wurden: Absolutistische, ständische und feudale Strukturen. Die
Rechtsperson ist Privateigentümer über ihren Besitz und damit vor dem willkürlichen Zu-
griff herrschaftlicher Instanzen geschützt. Das Privateigentum erscheint als die vernünftige
Substanz gesellschaftlicher Selbstbestimmung. Aber das Privateigentum blieb zugleich ge-
gen das Was und Wieviel des Besitzes zufällig. Hegel selbst hatte darauf hingewiesen, daß
das Mißverhältnis von Rechtsbestimmung und materiellen Existenzbedingungen einigen
Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft zum existentiellen Verhängnis wird: den Armen.
Mit der Unterscheidung zwischen denjenigen Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft, die
über Produktionsmittel verfügen, und solchen, die nichts als ihre Arbeitskraft besitzen, zeigt
Marx, daß die Gleichgültigkeit des Eigentumsbegriffs gegen die materiellen Bedingungen
nicht dessen notwendige Bestimmung ist, als vielmehr gemessen am Zweck der Selbstbe-
stimmung vor allem auch dessen Mangel. Freiheit, Gleichheit sind notwendige Bedingungen
der Kapitalproduktion, dienen aber nicht dem Zweck der Selbstbestimmung der Subjekte,
sondern sind Mittel der Verwertung.27
Bereits im vierten Kapitel weist Marx auf den historischen Ursprung der Verteilung der
Produktionsmittel hin – Sie fällt in die Vorgeschichte des Kapitals und wird mit der Fest-
schreibung des Privateigentums und der Gründung der Nationalstaaten – also für unter-
schiedliche Länder zu unterschiedlichen Zeiten – festgelegt. Sie ist damit innerhalb der kapi-
talistischen Gesellschaft gegeben. „Die Natur produziert nicht auf der einen Seite Geld- oder
Warenbesitzer und auf der andren bloße Besitzer der eignen Arbeitskräfte. Dies Verhältnis ist
kein naturgeschichtliches und ebensowenig ein gesellschaftliches, das allen Geschichtsperi-
oden gemein wäre. Es ist offenbar selbst das Resultat einer vorhergegangenen historischen
Entwicklung, das Produkt vieler ökonomischen Umwälzungen, des Untergangs einer ganzen
Reihe älterer Formationen der gesellschaftlichen Produktion.“28 Die näheren Umstände die-

pitals gerade nicht in einem real wirksamen Konzept der gesellschaftlichen Gesamtarbeit erfaßt
werden“ Gerd Peter u. Frieder O. Wolf. Welt ist Arbeit, 255. Die Reproduktions- und Ausbildungs-
kosten der nicht arbeitenden Familienmitglieder fließen durchaus in den Wert der Ware Arbeits-
kraft ein. Die Einbeziehung von Frauen in den Arbeitsmarkt bewirkt deshalb eine Entwertung des
Werts der Ware Arbeitskraft.
26
Vgl. Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 185 f. „Und eben weil so jeder
nur für sich und keiner für den andren kehrt, vollbringen alle, infolge einer prästabilierten Harmo-
nie der Dinge oder unter den Auspizien einer allpfiffigen Vorsehung, nur das Werk ihres wechsel-
seitigen Vorteils, des Gemeinnutzens, des Gesamtinteresses.“
27
Ebd., 191 f. Gunnar Hindrichs will aufzeigen, „weshalb es sich bei ihm [Marx, M. B.] um einen
Toten handelt“ (Gunnar Hindrichs. „Das Erbe des Marxismus.“ Deutsche Zeitschrift für Philoso-
phie 54, Nr. 5 (2006), 725) indem er den Gedanken der Aufhebung des Proletariats kritisiert.
28
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 183.
268 Gegendarstellung: Zu den ökonomischen Bedingungen der Rechtsphilosophie

ser historischen Voraussetzung, der gewalttätigen Scheidung von Produzent und Produkti-
onsmittel, analysiert Marx mit dem Begriff der sog. ursprünglichen Akkumulation im 24.
Kapitel des Produktionsprozesses des Kapital.29

5.3 Arbeits- und Verwertungsprozeß


Die eigentliche Mehrwertproduktion findet in der Produktionssphäre statt. „Der Kon-
sumtionsprozeß der Arbeitskraft ist zugleich der Produktionsprozeß von Ware und von
Mehrwert.“30 Unabdingbare Voraussetzung für den kapitalistischen Verwertungsprozeß
ist der Arbeitsprozeß, der zunächst unabhängig von jeder bestimmten gesellschaftlichen
Form betrachtet wird – Arbeit ist eine Tätigkeit, durch welche die Natur den Bedürfnis-
sen gemäß gemacht wird und die sich von der tierischen Tätigkeit unterscheidet, weil sie
bewußt geplant und willentlich gesteuert ist.
„Die Arbeit ist zunächst ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein Prozeß, worin der Mensch
seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. [...]
Wir unterstellen die Arbeit in einer Form, worin sie dem Menschen ausschließlich angehört.
Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt
durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein
den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, daß er die Zelle in seinem
Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resul-
tat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell
vorhanden war. Nicht daß er nur eine Formveränderung des Natürlichen bewirkt; er verwirk-
licht im Natürlichen zugleich seinen Zweck, den er weiß, der die Art und Weise seines Tuns als
Gesetz bestimmt und dem er seine Willen unterordnen muß.“31

Arbeit ist Ausdruck der Freiheit des Arbeitenden und unterscheidet sich deshalb auch
von der Tätigkeit der Tiere. Die Tätigkeit von Tieren erscheint zwar in Analogie zur
menschlichen als zweckmäßig; sie hat aber keinen Zweck. Tiere sind zwar aufgrund von
Erfahrungen und Erinnerungen dazu in der Lage, Verhaltensweisen zu imitieren und zu
reproduzieren, auch ist ihnen eine gewisse Spontaneität nicht abzustreiten. Aber sie kön-
nen die Resultate ihrer Tätigkeit nicht begrifflich antizipieren. Selbst wenn man den Tie-
ren unterstellen wollte, daß sie vor ihrer Tätigkeit bereits eine Vorstellung von dem ha-
ben, was sie erreichen wollen, dann wäre diese Vorstellung nur unmittelbar durch die
Erfahrung und der mit ihr verbundenen Erinnerung bestimmt, daß durch die Tätigkeit
ein bestimmter Mangelzustand, z. B. Hunger, beendet werden kann. Diese Vorstellung
ist aber kein Zweck. Das Tun der Tiere ist reflexiv, weil sie sich als lebendige Organis-
men erhalten, aber davon wissen sie nichts. Das Wissen um die eigene Reflexivität
drückt sich im Wissen um die Differenz zwischen mir und der Welt aus. Menschen kön-
nen ihr Selbstbewußtsein negieren, indem er sich selbst töten. Oder sie können das
29
Vgl. Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 741 ff.
30
Ebd., 189.
31
Ebd., 192.
Arbeits- und Verwertungsprozeß 269

Selbstbewußtsein anderer Menschen negieren, indem sie diese ihren eigenen selbstsüch-
tigen Zwecken als Mittel herrschaftlich unterwerfen. In der Negation der eigenen kör-
perlichen oder intellektuellen Existenz erscheint der Wille zwar nicht als vernünftiger
Wille, aber als Vermögen der Willkür. Tiere sind dagegen unverbesserliche Positivsten –
zwar können sie anderes z. B. durch Auffressen negieren. Selbsttötung und Herrschaft,
die Negationen beinhalten, die sich reflexiv auf das negierende Subjekt entweder als In-
dividuum oder als Gattungsvermögen zurückbeziehen – sind ihnen wesensfremd.
Zweitens ist der Arbeit das Vermögen der Planung unterstellt, das ist das Vermögen,
den Prozeß bis in die Details der Ausführung zu durchdenken, bevor sich auch nur ein
Finger rührt. Mit dieser reflektierten Anwendung von Material und Werkzeugen ist auch
verbunden, aus Fehlern lernen zu können, und die Werkzeuge und Arten der Arbeit wei-
terzuentwickeln. In der Planung wird etwas vorgestellt, das es zuvor in der Welt nicht
gegeben hat, auch wenn es die Welt zugleich als Material und Werkzeug und Gegen-
stand praktischer Erfahrungen in die Planung einbezieht. Der Ursprung dieses Prozes-
ses, der Wille, bleibt unableitbar.32 Er folgt nicht aus den Naturgesetzen, noch aus dem
Lebensprozeß als solchem. Lebensprozesse sind zwar auch reflexiv verfaßt, entspringen
aber keinem freien Willen, sondern der geschlechtlichen Vereinigung von Artgenossen.
Die Reflexivität der Lebensprozesse ist an die zeitliche Abfolge der körperlichen Pro-
zesse gebunden, während die Willensbestimmung und die Planung vor den in der Zeit
ablaufenden Prozessen stattfindet. Sie ist logische Voraussetzung. Der Unterschied zwi-
schen Menschen und Tieren ist also nicht graduell, sondern spezifisch zu bestimmen.
Findig könnte dagegen gehalten werden, daß ja niemand weiß, ob die Tiere nicht
doch denken können, denn es wäre vorstellbar, daß sie sich mit ihrer heimlichen Ver-
nunftbegabung nur zurückhalten. Dagegen wäre mit dem Argument Hegels einzuwen-
den, daß das Wesen erscheinen muß, weil es sonst so gut wie nichts ist. Tatsächlich stellt
es aber ein Problem dar, daß Zweck und Wille als logische Voraussetzungen der Arbeit
weder vom Prozeß noch von der materiellen Gestalt des Arbeitsproduktes zu unterschei-
den sind und daher nicht unmittelbar erscheinen. Die metaphysische Kraft des Willens
ist nur an seinen kulturellen Wirkungen zu erkennen: Im Unterschied zur individuellen
Konsumtion von Lebensmitteln unterscheidet sich die Konsumtion von Arbeitsmitteln
darin, daß sie produktiv ist, weil deren Gebrauchswert in das neue Produkt eingeht,
während die Gebrauchswerte in der individuellen Konsumtion zwar der Reproduktion
des lebendigen Individuums dienen, aber im Gebrauch auch verbraucht werden. Die
Verwendung von Werkzeugen ist hier ein objektives Indiz. Tiere verbrauchen, was sie
vorfinden, individuell; niemals gehen die Objekte ihrer Begierde als Arbeitsmittel in die
Produktion eines neuen Produktes ein. Die Menschen konsumieren die Objekte ihrer
Begierde nur teilweise individuell, während ein anderer Teil als Arbeitsmittel, das eben-
so Arbeitsprodukt wie der Ausgangspunkt für ein weiteres Produkt ist, produktiv ver-
wendet wird. „Wenn also vorhandne Produkte nicht nur Resultate, sondern auch Exi-
stenzbedingungen des Arbeitsprozesses sind, ist andrerseits ihr Hineinwerfen in ihn, also

32
Der ausführlich Nachweis dieser These findet sich in Kapitel 4 ab S. 184 ff. dieser Arbeit.
270 Gegendarstellung: Zu den ökonomischen Bedingungen der Rechtsphilosophie

ihr Kontakt mit lebendiger Arbeit, das einzige Mittel, um diese Produkte vergangner Ar-
beit als Gebrauchswerte zu erhalten und zu verwirklichen.“33 Auf der Ebene der gesamt-
gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung hat der produktive Charakter der Arbeit
manifeste Folgen: Er ist die Bedingung der Möglichkeit erweiterter Reproduktion und
damit auch der Akkumulation von Mehrarbeit: Herrschaft, Kooperation und Arbeitstei-
lung und die damit einhergehende Produktivkraftsteigerung sind Organisationsweisen
produktiver Arbeit, und setzen zudem eine Vergesellschaftung wenigstens auf kleinem
Maßstab voraus. Aber auch die Produkte solcher Arbeit, die nicht unmittelbar Konsu-
mierbares hervorbringt, wie die Künste oder die Wissenschaften, und nicht zuletzt die
Fähigkeit, auf die Frage nach dem Unterschied zwischen Mensch und Tier zu reflektie-
ren, sind Auswirkungen der menschlichen Vernunft.34
Wenn aber die Arbeit eine Relation zwischen Mensch und Natur ist, die die Vernunft-
begabung der Menschen voraussetzt, dann ist auch die Bezeichnung des Arbeitsprozes-
ses als ewiger Naturnotwendigkeit differenzierter zu betrachten:
„Der Arbeitsprozeß, wie wir ihn in seinen einfachen und abstrakten Momenten dargestellt ha-
ben, ist zweckmäßige Tätigkeit zur Herstellung von Gebrauchswerten, Aneignung des Natürli-
chen für menschliche Bedürfnisse, allgemeine Bedingung des Stoffwechsels zwischen Mensch
und Natur, ewige Naturbedingung des menschlichen Lebens und daher unabhängig von jeder
Form dieses Lebens, vielmehr allen seinen Gesellschaftsformen gleich gemeinsam.“35

Das Subjekt der Arbeit ist der einzelne Mensch als soziales Wesen, so daß die Notwendigkeit
zu arbeiten an die Existenz von Menschen gebunden ist, während Naturnotwendigkeiten gegen
die menschliche Existenz gleichgültig sind. Naturnotwendig für die Menschen ist deren biolo-
gische Reproduktion, nicht aber deren gesellschaftliche Organisation, die das Vermögen zur
Freiheit voraussetzt und historisch-kritisch bestimmt ist. Zwischen den Extremen der biologi-
33
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 189.
34
Der dialektische Materialismus verkehrt Grund und Folge. So z. B. Peter Ruben: „Wir vertreten
also die These: Nicht aus der Voraussetzung des Verstands erwächst die Arbeit, sondern aus der
Voraussetzung der Arbeit wird der Verstand erzeugt. Einmal entstanden, gehört der Verstand dann
zu den notwendigen Bedingungen der Arbeit. Niemals aber macht er ihr Wesen aus.“ Peter Ruben.
„Wissenschaft als allgemeine Arbeit.“ 23. Mit der planvollen Tätigkeit ist aber eine spezifische
Differenz, kein gradueller oder historischer Unterschied zwischen menschlicher und tierischer Tä-
tigkeit bezeichnet. Versuche, die die Genese der menschlichen Arbeit aus der tierischen Tätigkeit
ableiten wollen, sind deshalb grundsätzlich falsch, weil sie die spezifische Differenz, die Unableit-
barkeit des Vermögens der Freiheit aus der Unfreiheit ignorieren. Die physiologische und kulturel-
le Entwicklung von Organen und Werkzeugen ist zwar die notwendige Bedingung realisierter
Freiheit, aber sie ist nicht deren hinreichender Grund. Das Vermögen zur Freiheit ist logisch schon
vorausgesetzt, damit es sich im Resultat auch hervorbringen kann, anders als eine evolutionär ge-
dachte Entwicklung, die einzig in sich – also naturwissenschaftlich und biologisch begründet sein
soll. Wenn dann die Evolution oder Dialektik der Natur oder wie es auch genannt wird auf gesell-
schaftliche Organisationsformen übertragen werden, dann werden die in ihrer Wechselbeziehung
auch unterschiedenen Gegenstandsbereiche – Natur und Freiheit – miteinander verwechselt: Die
Natur wird zum Subjekt, die Freiheit zum naturwissenschaftlichen Phänomen. Eine solche Ablei-
tung ist deshalb im Kern teleologisch: Tierische Tätigkeit erscheint nur einem Subjekt als zweck-
mäßig, welches sich den Zweck setzt, die Tätigkeit der Tiere selbst zu erklären und dieses Subjekt
ist nicht das Tier. Darstellungsversuche dieser Art durchziehen die gesamte Moderne, in den rech-
ten wie linken Lagern gleichermaßen. Stellvertretend seien genannt: Charles Darwin, Ernst
Haeckel. Friedrich Engels. „Anteil der Arbeit...“; Georg Lukács. Zur Ontologie des gesellschaftli-
chen Seins.
35
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 198.
Arbeits- und Verwertungsprozeß 271

schen Reproduktion und der Freiheit steht die Produktivkraftentwicklung, die bislang nur als
das Resultat von Herrschaftsverhältnissen in Erscheinung getreten ist. Gelänge es, gesellschaft-
liche Organisation und Produktivkraft in den Dienst der Menschen zu stellen, dann wäre zwar
die notwendige Arbeit nicht abgeschafft, aber Ausdruck von Selbstbestimmung. Aber ein sol-
ches Ziel bleibt ohne die Kritik seiner historischen Hindernisse abstrakt utopisch. Diese Ein-
sicht war für Marx Grund genug, die Kritik der politischen Ökonomie zu schreiben.36
Der Arbeitsprozeß dient der Produktion von Gebrauchswerten und ist deshalb qualitativ
bestimmt, so auch die stofflichen Elemente der Arbeit – Werkzeuge und Rohstoffe. Sie sind
zumeist selbst schon Produkte vorangegangener Prozesse, also selbst schon Arbeitsprodukte.
Der Arbeitsprozeß, der Gebrauchswerte hervorbringt, ist die notwendige Bedingung des ka-
pitalistischen Arbeitsprozesses, aber nicht dessen hinreichender Grund.37
Verwertbare Arbeit findet zwar auf der Grundlage qualitativer Arbeit statt, macht sich deren
Eigenschaften und Wirkungen zu nutze, aber nicht, ohne sie zum Zweck der Verwertung ins
Verhältnis zu setzen: Verwertung ist quantitativ bestimmt, nicht qualitativ. Wertbildend ist
nur gesellschaftlich notwendige Durchschnittsarbeit – sowohl die Dauer als auch die Quali-
tät betreffend. Obwohl aber der Verwertungsprozeß nur auf die quantitative Bestimmung des
Arbeitsprozesses ausgerichtet ist, kann er nicht in der reinen Kategorie Quantität stattfinden,
sondern ist Moment der qualitativ bestimmten Arbeit. Am Ende des Produktionsprozesses
muß der Kapitalist eine Ware in den Händen halten, deren Wert er durch Verkauf realisieren
kann. Im Arbeitsprozeß als Wertbildungsprozeß wird der Wert der Produktionsmittel und der
Arbeitskraft erhalten. Um darüber einen Mehrwert im Produkt zu vergegenständlichen, muß
die Arbeitszeit über den Zeitpunkt des Arbeitstages, zu dem die Arbeitskraft ein Äquivalent
des Werts der Produktionsmittel wie der gezahlten Arbeitskraft produziert hat, fortdauern.
Ab diesem Zeitpunkt wird der Wertbildungsprozeß Verwertungsprozeß.38
Dieses Mehrprodukt entsteht unter der Bedingung des Privateigentums. Damit gehören
alle Bestandteile wie Rohstoffe, Maschinerie, aber vor allem auch das Arbeitsprodukt, in
dem die Mehrarbeit vergegenständlicht ist, dem Kapitalisten. Der Gebrauchswert der Ar-
beitskraft ist ebenso ein Bestandteil des durch den Kapitalisten initiierten Produktionsprozes-
ses wie die Produktionsmittel. Zwar wird der Arbeiter am Ende des Arbeitstages zu seinem
Wert entlohnt, aber er erhält keinen Gegenwert zu dem von ihm produzierten Mehrwert. Da-
mit finden die Arbeiter nicht nur einen gesellschaftlichen Zustand vor, in dem die Verteilung

36
„Auch wenn Marxens Kritik der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer politischen Ökonomie als
eine Utopie ex negativo bezeichnet werden kann, vermeiden Marx und auch Engels in ihren
Schriften eine apologetische Verwendung des Utopiebegriffs. Utopie galt ihnen als ein Wort mit
abschätziger Konnotation, mit dem sie unwissenschaftliche und unrealistische Träumerei verban-
den, die sich noch in den Gestaltungen von Saint-Simon, Proudhon, Fourier oder Owen im Über-
gang zur Wissenschaft befand und – zumindest für Engels – einem geistigen Ausdruck von einem
noch ‚unreifen Stand der kapitalistischen Produktion‘, das heißt der unreifen Klassenlage ent-
sprach.“ Tatjana Freytag u. Marcus Hawel. „Arbeit und Utopie – Einleitung.“ In Arbeit und Uto-
pie: Oskar Negt zum 70. Geburtstag. Frankfurt a. M., 2004, 5. http://www.sopos.org/aufsaetze/
43399e35ab39c/1.phtml. (Zugriff: 10.6.2012)
37
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 200 f. „Er [der Kapitalist, M. B.]
will nicht nur einen Gebrauchswert produzieren, sondern eine Ware, nicht nur Gebrauchswert,
sondern Wert, und nicht nur Wert, sondern auch Mehrwert.“
38
Ebd., 207.
272 Gegendarstellung: Zu den ökonomischen Bedingungen der Rechtsphilosophie

des Privateigentums an Produktionenmittel bereits gegeben ist, und der sie nötigt, in das Ver-
tragsverhältnis einzuwilligen, weil sie bei der Verteilung leer ausgegangen sind, sondern sie
beenden das Vertragsverhältnis auch, ohne die Mittel zu erhalten, mit denen sie Produktions-
mittel anschaffen könnten.

5.4 Methoden der Produktivkraftsteigerung


Der Zweck der kapitalistischen Produktion ist die Mehrwertproduktion und der Mehr-
wert wird durch die Arbeitskraft in dem Teil ihrer Arbeitszeit produziert, in der sie über
das Maß zur Reproduktion der Produktionskosten nötigen Zeit hinausarbeitet. Wenn die
Arbeit einmal formell unter das Kapitalverhältnis subsumiert ist, wird damit der absolu-
te Mehrwert gesetzt, indem das Verhältnis von notwendiger Arbeit zur Mehrarbeit fest-
gelegt wird. Die Größe des Mehrwerts hängt von diesem Zeitpunkt an von der absoluten
und der relativen Ausdehnung der Mehrarbeit ab. Die Rate des Mehrwerts ist durch das
Verhältnis bestimmt, worin der in Arbeitskraft umgesetzte Teil des Kapitals zu dem von
der Arbeitskraft produzierten Mehrwert steht.39 Der Wert der Produktionsmittel wird
also in die Rate des Mehrwerts nicht mit einbezogen. D. h., daß sämtliche Methoden,
die Masse des Mehrwerts zu erhöhen, voraussetzen, daß die Arbeitskraft entweder abso-
lut mehr arbeitet, oder ihr Wert so gesenkt wird, daß dadurch der Teil des Arbeitstages,
der ihrer eigenen Reproduktion dient, möglichst verringert wird.
„Durch Verlängrung des Arbeitstags produzierten Mehrwert nenne ich absoluten Mehrwert;
den Mehrwert dagegen, der aus Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit und entsprechender
Verändrung im Größenverhältnis der beiden Bestandteile des Arbeitstags entspringt – relativen
Mehrwert.“40

Hegel hatte in den Grundlinien das Bedürfnis zum Maßstab der Entwicklung der ökono-
mischen Sphäre erklärt und sämtliche von ihm dort benannten technischen und organisa-
torischen Entwicklungen wie die Arbeitsteilung und die Maschinerie auf die dem Be-

39
Marx bestimmt die Begriffe variables/konstantes Kapital und Rate des Mehrwerts wie folgt: „Der
Teil des Kapitals also, der sich in Produktionsmittel, d. h. in Rohmaterial, Hilfsstoffe und Arbeits-
mittel umsetzt, verändert seine Wertgröße nicht im Produktionsprozeß. Ich nenne ihn daher kon-
stanten Kapitalteil, oder kürzer: konstantes Kapital. Der in Arbeitskraft umgesetzte Teil des Kapi-
tals verändert dagegen seinen Wert im Produktionsprozeß. Er reproduziert sein eignes Äquivalent
und einen Überschuß darüber, Mehrwert, der selbst wechseln, größer oder kleiner sein kann. Aus
einer konstanten Größe verwandelt sich dieser Teil des Kapitals fortwährend in eine variable. Ich
nenne ihn daher variablen Kapitalteil, oder kürzer: variables Kapital. Dieselben Kapitalbestandtei-
le, die sich vom Standpunkt des Arbeitsprozesses als objektive und subjektive Faktoren, als Pro-
duktionsmittel und Arbeitskraft unterscheiden, unterscheiden sich vom Standpunkt des Verwer-
tungsprozesses als konstantes Kapital und variables Kapital.“ Karl Marx. Das Kapital. Der Pro-
duktionsprozeß des Kapitals, 223. Und: „Seine proportionelle Größe [des Mehrwerts, M. B.] aber,
also das Verhältnis, worin das variable Kapital sich verwertet hat, ist offenbar bestimmt durch das
Verhältnis des Mehrwerts zum variablen Kapital oder ist ausgedrückt in m/v. Im obigen Beispiel
also in 90/90 = 100 %. Diese verhältnismäßige Verwertung des variablen Kapitals oder die ver-
hältnismäßige Größe des Mehrwerts nenne ich Rate des Mehrwerts.“ Ebd., 229.
40
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 334.
Methoden der Produktivkraftsteigerung 273

dürfnis eigene Dynamik zur Ausdifferenzierung zurückgeführt. Marx erschließt hinge-


gen eine ökonomische Begründung dieser Dynamik: Die Verlängerung des Arbeitstages
und die Entwertung der Ware Arbeitskraft sind die eigentlichen Hebel der gesellschaftli-
chen und ökonomischen Produktivkraftentwicklung in der kapitalistischen Ära. „Es ist
daher der immanente Trieb und die beständige Tendenz des Kapitals, die Produktivkraft
der Arbeit zu steigern, um die Ware und durch die Verwohlfeilerung der Ware den Ar-
beiter selbst zu verwohlfeilern.“41 Produktivkraftentwicklung dient der Verwertung der
Produktion und Akkumulation von Mehrwert und nicht der Selbstbestimmung des Wil-
lens. Damit ist zugleich ausgeschlossen, daß die organisatorischen und technischen Er-
findungen der kapitalistischen Ära, gegen die emanzipatorischen Möglichkeiten, die in
ihnen liegen, zu einer Verkürzung des Arbeitstages und damit zu einer Freistellung der
Menschen führen, in denen sie sich mehr als nur Zeit zur Reproduktion ihrer Arbeits-
kraft geben, nämlich den Raum für die individuelle und gesellschaftliche Selbstbestim-
mung.

a) Verlängerung des Arbeitstages

Die historische Methode der absoluten Mehrwertsteigerung ist die Verlängerung des Ar-
beitstages: Während die notwendige Arbeitszeit zu einer gegebenen Zeit in einer gege-
benen Gesellschaft ein bestimmtes Quantum des Tages einnimmt, kann die für Mehrar-
beit verausgabte Zeit proportional vergrößert werden, indem die absolute Arbeitszeit
verlängert wird, also der Arbeitstag keine 10 Stunden dauert, sondern z. B. 12. „Der Ar-
beitstag ist daher bestimmbar, aber an und für sich unbestimmt.“42
Die Dauer des Arbeitstages ist einerseits zeitlich begrenzt. Sie kann nicht über 24
Stunden dauern. Zum anderen ist sie durch die physischen und moralischen Bedürfnisse
des Arbeiters beschränkt. Er muß schlafen, essen, sich kleiden, waschen etc. und er
braucht Zeit, um geistige und soziale Bedürfnisse zu befriedigen. Kapitalist und Arbeiter
stehen in einem Vertragsverhältnis zueinander und berufen sich auf ihr jeweiliges Ver-
tragsinteresse: Der Kapitalist hat die Arbeitskraft gekauft und daher das Recht, sie wäh-
rend eines Arbeitstages zu gebrauchen. Weil es ihm zugleich um die Mehrwertprodukti-
on zu tun ist, neigt er dazu, die Länge des Arbeitstages soweit wie möglich
auszudehnen. Der Arbeiter ist seinerseits darauf bedacht, die Länge des Arbeitstages zu
beschränken. Er erklärt sich zwar mit dem Gebrauch seiner Arbeitskraft einverstanden,
aber nur in einem Maße, das für ihn nicht gesundheitsschädlich ist. Der Arbeiter muß
seine Arbeitssubstanz erhalten.
„Es findet hier also eine Antinomie statt, Recht wider Recht, beide gleichmäßig durch das Ge-
setz des Warenaustausches besiegelt. Zwischen gleichen Rechten entscheidet die Gewalt. Und
so stellt sich in der Geschichte der kapitalistischen Produktion die Normierung des Arbeitstags

41
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 338.
42
Ebd., 246.
274 Gegendarstellung: Zu den ökonomischen Bedingungen der Rechtsphilosophie

als Kampf um die Schranken des Arbeitstags dar – ein Kampf zwischen dem Gesamtkapitali-
sten, d. h. der Klasse der Kapitalisten, und dem Gesamtarbeiter, oder der Arbeiterklasse.“43

Indem sich beide Klassen auf die Gesetze des Warentauschs berufen, also auf den freien
Gebrauch ihres Eigentums und den Äquivalententausch, rechtfertigen beide ihr jeweili-
ges Vertragsinteresse mit bürgerlichen Prinzipien, welche Hegel als die Bedingung der
Selbstbestimmung gesehen hatte: Das Privateigentum als Sphäre äußerer Freiheit. Im
Sinne des Erhalts der Produktionsweise ist die Auseinandersetzung um den Normalar-
beitstag grundsätzlich konstruktiv.
Das Verhältnis wird nicht einmal durch die Arbeiterklasse selbst in Frage gestellt, ob-
wohl die Waffen in diesem Kampf ungleich verteilt sind. Während die Arbeiter existen-
tiell auf ihre Arbeitsplätze angewiesen sind und darum mit den anderen Arbeitern kon-
kurrieren, findet das Kapital tendenziell eine Überzahl an Arbeitskräften vor, „d. h.
Übervölkerung im Verhältnis zum augenblicklichen Verwertungsbedürfnis des
Kapitals“44. Die Kapitalistenklasse verhält sich zudem gegen die Gesundheit und die Le-
bensdauer des Arbeiters rücksichtslos. Die im Sinne der kapitalistischen Produktions-
weise konstruktive Vereinnahmung der Arbeiterinteressen in die Dynamik der gesamtge-
sellschaftlichen Entwicklung des Kapitals benennt Adorno als einen Grund dafür, daß
das Klassenverhältnis heutzutage als eine obsolete soziologische Kategorie verworfen
wird:
„Daß von einem proletarischen Klassenbewußtsein in den maßgebenden kapitalistischen Län-
dern nicht kann gesprochen werden, widerlegt nicht an sich, im Gegensatz zur communis opi-
nio, die Existenz von Klassen: Klasse war durch die Stellung zu den Produktionsmitteln be-
stimmt, nicht durchs Bewußtsein ihrer Angehörigen. An plausiblen Gründen für den Mangel an
Klassenbewußtsein fehlt es nicht: daß die Arbeiter nicht weiter verelendeten, daß sie zuneh-
mend in die bürgerliche Gesellschaft und ihre Anschauungen integriert wurden, wie es während
und unmittelbar nach der industriellen Revolution, als das Industrieproletariat aus den Paupers
sich rekrutierte und halb exterritorial zur Gesellschaft stand, nicht vorauszusehen war. Nicht
schafft gesellschaftliches Sein unmittelbar Klassenbewußtsein. Ohne daß die Massen, und zwar
gerade wegen ihrer sozialen Integration, ihr gesellschaftliches Schicksal irgend mehr in der
Hand hätten als vor 120 Jahren, entraten sie nicht nur der Klassensolidarität, sondern des vollen
Bewußtseins dessen, daß sie Objekte, nicht Subjekte des gesellschaftlichen Prozesses sind, den
sie doch als Subjekte in Gang halten.“45

Die ökonomische Bestimmung der Klassen als Produktionsmitteleigner und Arbeitskräf-


te wird durch die Konkurrenz der Arbeiter und der Kapitalisten konterkariert. Das Kapi-
tal ist eine gesamtgesellschaftliche Produktionsweise, die durch das Privateigentum zu-
gleich den Interessenkonflikt zwischen Arbeiter- und Kapitalistenklasse bedingt. Das
Kapital ist also gesellschaftlich bestimmt und ist es nicht, weil – im Gegensatz zur He-
gelschen Hypothese – kein gesellschaftliches Gesamtsubjekt existiert. Daraus resultiert
43
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 249. Den größten Teil des achten
Kapitels widmet Marx der geschichtlichen Illustration des Arbeitskampfes am Beispiel von Eng-
land. Vgl. ebd., Kapitel 8.2–8.7.
44
Ebd., 283 f.
45
Theodor W. Adorno. „Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?“ In Gesammelte Schriften
Bd. 8 (Soziologische Schriften I), 358.
Methoden der Produktivkraftsteigerung 275

das Problem, daß sich die Einzelkapitale ebenso wie die Kapitalistenklasse im Ganzen
rücksichtslos gegen ihre wichtigste Ressource – die Arbeitskräfte – verhalten, obgleich
es ebenso in ihrem (Klassen-)Interesse liegt, diese Ressource zu erhalten. Aber das Klas-
seninteresse kann durch die Kapitalisten nicht unmittelbar als Klasseninteresse vertreten
werden, weil sie ebenso wie die Arbeiter in die Vereinzelung der Konkurrenz gebannt
sind. „Die freie Konkurrenz macht die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produk-
tion dem einzelnen Kapitalisten gegenüber als äußerliches Zwangsgesetz geltend.“ 46
Trotzdem ist der Erhalt der Arbeiterklasse im Ganzen für die kapitalistische Produktion
eine unabdingbare Voraussetzung ihrer Existenz, so daß es einer gesamtgesellschaftli-
chen Instanz bedarf, die den Interessenantagonismus zwischen Kapitalisten- und Arbei-
terklasse vermittelt. Diese Instanz kann weder aus den konkurrierenden Interessen der
Arbeiter noch aus denen der Kapitalisten begründet werden, sondern fällt dem Staat zu,
der den Erhalt des Systems, in diesem Falle durch die Durchsetzung des Normalarbeits-
tages, garantiert. In der Nötigung, das Interesse des Kapitals gegen dieses zu vertreten,
zeigt sich indirekt auch, daß es nicht voraussetzungslos ist. Es bedarf der Arbeitskraft,
um Mehrwert produzieren zu können, ebenso wie des Staates, der die juristischen Be-
dingungen des Kapitals setzt und die ökonomischen Antagonismen verwaltet.
Das Verhältnis von Staat und Kapital ist ein Wechselverhältnis, in dem die Extreme
nicht aufgehen. Das Verhältnis tariert sich vielmehr geschichtlich aus: Die verschiede-
nen Staatsformen der Moderne, wie der absolutistische, der liberale oder der faschisti-
sche Staat, begreifen ihre Spielräume gegenüber der sich entwickelnden bzw. der ent-
wickelten kapitalistischen Ökonomie unterschiedlich. Tendenziell begreift sich der Staat
immer auch als Selbstzweck und steht einer Ökonomie gegenüber, die sich ebenfalls
Selbstzweck ist. Das Verhältnis im einzelnen zu bestimmen, wäre Gegenstand einer ei-
genen Arbeit. Wichtig ist jedoch, daß im Unterschied zu der Bestimmung der Grundlini-
en das Verhältnis von Ökonomie und Staat nicht als eine Realisationsform des freien
Willens zu begreifen ist, sondern daß sich dieses Verhältnis geschichtlich herstellt und
immer auch machtpolitisch bestimmt ist. Im Zusammenhang der kapitalistischen Pro-
duktion, wie sie von Marx bestimmt wird, gibt es keinen sittlichen Übergang vom Sy-
stem der Bedürfnisse zum Staat, der über die Stände und die Korporationen vermittelt
wäre.47 Einem Staat, dessen ökonomische Funktion in der Vermittlung von Klassenant-
agonismen besteht, ist es eben nicht um die vernünftige Willensbestimmung zu tun, son-
dern um die Garantie der gesellschaftlichen Bedingungen dieser spezifischen Produkti-
onsweise. „Da der Staat die Form ist, in welcher die Individuen einer herrschenden
Klasse ihre gemeinsamen Interessen geltend machen und die ganze bürgerliche Gesell-
schaft einer Epoche sich zusammenfaßt, so folgt, daß alle gemeinsamen Institutionen
durch den Staat vermittelt werden, eine politische Form erhalten. Daher die Illusion, als
ob das Gesetz auf dem Willen, und zwar auf dem von seiner realen Basis losgerissenen,

46
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapital, 285.
47
Vgl. S. 243 ff. dieser Arbeit.
276 Gegendarstellung: Zu den ökonomischen Bedingungen der Rechtsphilosophie

dem freien Willen beruhe. Ebenso wird das Recht dann wieder auf das Gesetz
reduziert.“48

b) Begriff des relativen Mehrwerts

Das Bedürfnis nach Verwertung des Werts ist maßlos, während die Verlängerung des Ar-
beitstages als Methode der Mehrwertsteigerung ihre Grenze an den physischen und mo-
ralischen Bedürfnissen des Arbeiters und der prinzipiell beschränkten Zeit eines Tages
von 24 Stunden hat. Darum verfallen die Kapitalisten auf Methoden, die nicht darauf
beruhen, die Länge des Arbeitstages auszudehnen, sondern bei gegebener Länge des Ar-
beitstages die Dauer der notwendigen Arbeitszeit zugunsten der Mehrarbeitszeit zu ver-
kürzen. Dadurch wird nicht absolut mehr Mehrwert produziert, aber relativ zu den Ko-
sten des konstanten und variablen Kapitals.
Da die notwendige Arbeitszeit diejenige ist, in der der Wert von Produktionsmitteln
und Arbeitskraft reproduziert wird und der Wert der Produktionsmittel für die Rate des
Mehrwert irrelevant ist, kann die relative Mehrwertsteigerung nur durch die Entwertung
der Ware Arbeitskraft gelingen, so daß deren Gebrauchswert effizienter genutzt werden
kann. Weil aber die Arbeitskraft zu ihrem Wert entlohnt werden soll, ist eine solche Ent-
wertung nur durch die Steigerung der Produktivkraft der Arbeit möglich. D. h. die tech-
nischen Produktionsbedingungen werden in einer Weise verändert, daß für die Herstel-
lung desselben Quantums Gebrauchswert weniger Arbeit nötig ist als zuvor. Um den
Wert der Arbeitskraft zu senken, muß diese Produktivkraftsteigerung zudem in solchen
Zweigen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung stattfinden, die in deren Wertbestimmung
eingehen, also z. B. in der Lebensmittel- oder Bekleidungsfabrikation. Die Gesamtsum-
me der notwendigen Lebensmittel des Arbeiters besteht aus verschiedenen Waren, so
daß sich die Wertreduktion aus der Summe aller Teilreduktionen in den besonderen, Le-
bensmittel produzierenden Zweigen ergibt.
Es ist damit eine allgemeine Tendenz des Kapitals beschrieben, die aber dennoch
nicht notwendig von jedem einzelnen Kapitalisten beabsichtigt ist. Der einzelne Kapita-
list hat nicht die allgemeine Tendenz, sondern sein besonderes Interesse vor Augen,
Mehrwert zu produzieren und zu realisieren. Tatsächlich kann ein Kapitalist, der eine
neue Produktionsmethode einführt, mehr Ware in kürzerer Zeit produzieren oder umge-
kehrt, in eine Ware geht weniger Arbeitszeit ein, d. h. daß das einzelne Stück zwar weni-
ger Wert enthält als die gleiche Ware der Konkurrenten, die unter den alten Bedingun-
gen produziert wird, dafür kann aber in derselben Zeit viel mehr produziert werden.
Wenn nun der Pionier seine Ware zum alten Preis verkauft, z. B. 6 €, aber die Ware we-
niger wert ist, z. B. 4 €, dann realisiert er einen Extramehrwert von 2 € pro Stück. Ande-
rerseits hat er im Vergleich zu den Konkurrenten mit der alten Produktionsmethode ab-
solut mehr Ware, die er losschlagen muß, was ihm gelingt, wenn er die Ware günstiger
verkauft als seine ‚Mitbewerber‘. Der Pionier wird also seine Ware nicht zu 4 €, aber zu
48
Karl Marx u. Friedrich Engels. „Deutsche Ideologie.“ 62.
Methoden der Produktivkraftsteigerung 277

5 € verkaufen und dadurch einen Extramehrwert von 1 € realisieren. Dieser Extramehr-


wert realisiert sich für ihn unabhängig davon, ob er Lebensmittel für die Arbeiter produ-
ziert oder nicht, so daß er unabhängig von der allgemeinen Tendenz auch ein subjektives
Motiv hat, seine Ware durch Produktivkraftsteigerung günstiger zu verkaufen. Schließ-
lich wird aber unter den gegebenen Bedingungen der Konkurrenz die innovative Pro-
duktionsweise gesellschaftlich verallgemeinert, so daß der Extramehrwert nach einer ge-
wissen Zeit sich von einem Konkurrenzvorteil in eine gesellschaftlich normale
Produktionsmethode verwandelt, die in die Bestimmung der gesellschaftlich notwendi-
gen Durchschnittsarbeitszeit eingeht. Gesamtgesellschaftlich betrachtet kann deshalb die
Rate des Mehrwerts nur durch die Verwohlfeilerung der Lebensmittel der Arbeiter und
damit des Werts der Arbeitskraft erhöht werden.
Die technischen und organisatorischen Erfindungen der Manufaktur und der großen
Industrie – Kooperation, Arbeitsteilung, Maschinerie und Fabrik – sind die kapitalisti-
schen Methoden der relativen Mehrwertproduktion in der Moderne.

c) Kooperation und Arbeitsteilung

Im Unterschied zu allen vorangegangen Produktionsformen unterscheidet sich die kapi-


talistische Produktionsweise zunächst dadurch, daß sie von vornherein auf gesamtgesell-
schaftlichem Maßstab produziert. Die Vergesellschaftung ist Existenzbedingung der ka-
pitalistischen Produktion und die Kooperation von ihr deshalb nicht zu trennen. „Die
Form der Arbeit vieler, die in demselben Produktionsprozeß oder in verschiednen, aber
zusammenhängenden Produktionsprozessen planmäßig neben- und miteinander arbei-
ten, heißt Kooperation.“49
Allein durch die Vergesellschaftung der Produktion realisiert sich eine Produktiv-
kraftsteigerung. Indem viele Arbeiter gleichzeitig und unter dem Kommando eines Ka-
pitalisten arbeiten, nivellieren sich individuelle Unterschiede in der Geschicklichkeit,
der Geschwindigkeit etc. Die gesellschaftliche Durchschnittsarbeit – zunächst nur als
analytischer Begriff in der Wertformanalyse eingeführt – erhält dadurch eine erste tech-
nische Entsprechung. „Das Gesetz der Verwertung überhaupt realisiert sich also für den
einzelnen Produzenten erst vollständig, sobald er als Kapitalist produziert, viele Arbeiter
gleichzeitig anwendet, also von vornherein gesellschaftliche Durchschnittsarbeit in Be-
wegung setzt.“50 Aber durch die Vergesellschaftung der Arbeiten ergeben sich noch an-
dere Wirkungen:
„Verglichen mit einer gleich großen Summe vereinzelter individueller Arbeitstage, produziert der
kombinierte Arbeitstag größre Massen von Gebrauchswert und vermindert daher die zur Produk-
tion eines bestimmten Nutzeffekts nötige Arbeitszeit. Ob er im gegebnen Fall diese gesteigerte
Produktivkraft erhält, weil er die mechanische Kraftpotenz der Arbeit erhöht oder ihre räumliche
Wirkungssphäre ausdehnt oder das räumliche Produktionsfeld im Verhältnis zur Stufenleiter der

49
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 344.
50
Ebd., 342 f.
278 Gegendarstellung: Zu den ökonomischen Bedingungen der Rechtsphilosophie

Produktion verengt oder im kritischen Moment viel Arbeit in wenig Zeit flüssig macht oder den
Wetteifer der einzelnen erregt und ihre Lebensgeister spannt oder den gleichartigen Verrichtungen
vieler den Stempel der Kontinuität und Vielseitigkeit aufdrückt, oder verschiedne Operationen
gleichzeitig verrichtet oder die Produktionsmittel durch ihren gemeinschaftlichen Gebrauch öko-
nomisiert oder der individuellen Arbeit den Charakter gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit ver-
leiht, unter allen Umständen ist die spezifische Produktivkraft des kombinierten Arbeitstags ge-
sellschaftliche Produktivkraft der Arbeit oder Produktivkraft gesellschaftlicher Arbeit. Sie
entspringt aus der Kooperation selbst. Im planmäßigen Zusammenwirken mit andern streift der
Arbeiter seine individuellen Schranken ab und entwickelt sein Gattungsvermögen.“51

Kooperation ist die organisatorische Grundlage, auf der die Arbeitsteilung und die Fa-
brik als Organisationsmethoden aufbauen. Die Teilung der Arbeit ist eine Weiterent-
wicklung der Kooperation und hat ihre klassische Gestalt in der Manufaktur – also grob
in der Zeit „von Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum letzten Drittel des achtzehnten“.52
Grundsätzlich ist die klassische Zeit der Manufakturen eine kapitalistische Periode, de-
ren technische Basis aber das Geschick der Handwerker bleibt. – Es wird sich herausstel-
len, daß diese Basis eine Schranke der Mehrwertproduktion darstellt, die mit der großen
Industrie überwunden wird. Die Wirkungen der Arbeitsteilung beruhen im wesentlichen
darauf, daß die Tätigkeiten der Arbeiter vereinfacht werden. Sie produzieren nicht mehr
ein vollständiges Produkt, sondern nur noch Teilprodukte, die erst im Zusammenwirken
mit anderen Teilprodukten zu einer Ware werden. Die andere große Wirkung der Arbeits-
teilung ist, daß die Teilarbeiten durch ihre organische Beziehung aufeinander eine techni-
sche Basis für die Durchschnittsarbeit hervorbringen. Geschwindigkeit und Geschicklich-
keit müssen mit den anderen Teilarbeiten abgestimmt werden, so daß sich dadurch
wiederum individuelle Unterschiede ausgleichen.53 Diese allgemeine Anpassung und Ver-
einfachung der Teilarbeiten ermöglicht die sporadische Produktion von Maschinen, die
aber in der Manufaktur noch nicht systematisch betrieben wird.
Kooperation und Arbeitsteilung sind Methoden der Ökonomisierung des Produktions-
prozesses, die historisch früh und damit auch unabhängig von der kapitalistischen Pro-
duktion entwickelt wurden, sobald auf erweiterter Stufenleiter produziert wurde. Das
bedeutet auch, daß Kooperation und Arbeitsteilung von je her unter den Bedingungen
von Herrschaft organisiert wurden – gleich, ob als Sklavenarbeit, Frondienst etc. Trotz-
dem nehmen beide Methoden in der kapitalistischen Produktionsweise auch einen spezi-
fischen Charakter an: Daß es sich um eine vergesellschaftete Produktionsweise handelt,
bedeutet unter der Bedingung des Privateigentums auch, daß die Bedingungen der Ver-
gesellschaftung nur für Kapitale von bestimmter Größe gegeben sind, so daß die Pro-
duktivkraft steigernden Wirkungen von Kooperation und Arbeitsteilung als dem Eigen-
tumstitel des finanzierenden Kapitalisten zugehörig erscheinen:
„Ihre Kooperation [der Arbeiter, M. B.] beginnt erst im Arbeitsprozeß, aber im Arbeitsprozeß
haben sie bereits aufgehört, sich selbst zu gehören. Mit dem Eintritt in denselben sind sie dem
Kapital einverleibt. Als Kooperierende, als Glieder eines werktätigen Organismus, sind sie
51
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 348.
52
Ebd., 356.
53
Vgl. ebd., 369 f.
Methoden der Produktivkraftsteigerung 279

selbst nur eine besondre Existenzweise des Kapitals. Die Produktivkraft, die der Arbeiter als
gesellschaftlicher Arbeiter entwickelt, ist daher Produktivkraft des Kapitals. Die gesellschaftli-
che Produktivkraft der Arbeit entwickelt sich unentgeltlich, sobald die Arbeiter unter bestimm-
te Bedingungen gestellt sind, und das Kapital stellt sie unter diese Bedingungen. Weil die ge-
sellschaftliche Produktivkraft der Arbeit dem Kapital nichts kostet, weil sie andrerseits nicht
von dem Arbeiter entwickelt wird, bevor seine Arbeit selbst dem Kapital gehört, erscheint sie
als Produktivkraft, die das Kapital von Natur besitzt, als seine immanente Produktivkraft.“54

Indem dadurch alle Techniken der Produktivkraftsteigerung unter den Bedingungen ka-
pitalistischer Produktion entwickelt werden, nehmen sie auch kapitalistischen Charakter
an: Wo es nötig ist, die Vielheit der Arbeiten zu planen und zu koordinieren, übernimmt
der Kapitalist oder sein Ingenieur die Funktionen der Leitung, Überwachung. „Der Zu-
sammenhang ihrer Arbeiten [die der Arbeiter, M. B.] tritt ihnen daher ideell als Plan,
praktisch als Autorität des Kapitalisten gegenüber, als Macht eines fremden Willens, der
ihr Tun seinem Zweck unterwirft.“55 Diese Funktionen werden wiederum besondere
Teilfunktionen besonderer Arbeiter im System der Arbeitsteilung. Gleichzeitig bringt die
Arbeitsteilung und die Reduktion der Handgriffe eines Arbeiters auch die Reduktion sei-
ner Fähigkeiten hervor. Was zunächst nur als materielle Abhängigkeit der Arbeiter vom
Kapital erschien, wird in der Manufaktur zu einer technischen Abhängigkeit, weil ein
einzelner Arbeiter weder die Produktionsmittel noch die technischen Fähigkeiten besitzt,
Ware eigenständig zu produzieren. Umgekehrt entwickelt sich eine Hierarchie der Ar-
beitskräfte, je nachdem, ob die verbleibenden Funktionen komplizierter oder einfacher
sind. Schließlich entsteht auch eine Klasse ungeschickter Arbeiter, für die die Erler-
nungskosten ihrer Funktion entfallen. Dadurch sinkt der Wert der Arbeitskraft, in den
auch die Ausbildungskosten eingehen. Das Wissen um die Gesamtheit sowohl des tech-
nischen wie des organisatorischen Prozesses wird zur Fähigkeit einer sich neu gründen-
den Abteilung in der innerbetrieblichen Arbeitsteilung. Voll entwickelt ist die bereits in
der Kooperation angelegte Trennung von Teilarbeit und geistiger Arbeit erst mit der
großen Industrie, „welche die Wissenschaft als selbständige Produktionspotenz von der
Arbeit trennt und in den Dienst des Kapitals preßt.“56
Indem Marx den kapitalistischen Charakter der Arbeitsteilung bestimmt und darauf
hinweist, daß alle Wirkungen der Entfremdung der Arbeiter von ihren Fähigkeiten, ih-
rem Wissen und dem Gesamtprozeß Wirkungen des Privateigentums an Produktionsmit-
teln sind, entwickelt er seinen eigenen Entfremdungsbegriff weiter, wie er ihn z. B. in
der Deutschen Ideologie oder den Ökonomisch-Philosophischen Manuskripten formu-
liert hatte und der letztendlich noch die Bestimmung der Arbeitsteilung in den Grundli-
nien als anthropologische Bestimmung transportiert.57 In den Grundlinien wie in der
54
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 352.
55
Ebd., 351.
56
Ebd., 383.
57
Ivan Dubsky weist dagegen darauf hin, daß sich schon der Entfremdungsbegriff der Philoso-
phisch-Ökonomischen Manuskripte von Hegels Begriff unterscheidet: „Für Hegel ist die Arbeit
nur rein abstrakt geistig, und die gesellschaftliche Wirklichkeit betrachtet er als eine den wirkli-
chen Personen entfremdete, nur als einen Teil der Geschichte ‚des abstrakt-absoluten Denkens‘
[Marx-Engels, Die heilige Familie und andere philosophische Frühschriften, Berlin 1953, 78,
280 Gegendarstellung: Zu den ökonomischen Bedingungen der Rechtsphilosophie

Deutschen Ideologie wird Arbeitsteilung als naturwüchsiges Phänomen aufgefaßt, wel-


ches die freiwillige Tätigkeit, die Selbstbestimmung verhindert. Während Hegel an die-
ser Produktionsmethode vor allem die Möglichkeit der Vermittlung zwischen Einzelin-
teressen und allgemeinem Willen in der Ökonomie interessierte, begreift Marx sie als
Grund des Klassenantagonismus und der damit verbundenen Verelendung der Arbeiten-
den.
„Ferner ist mit der Teilung der Arbeit zugleich der Widerspruch zwischen dem Interesse des
einzelnen Individuums oder der einzelnen Familie und dem gemeinschaftlichen Interesse aller
Individuen, die miteinander verkehren, gegeben; und zwar existiert dies gemeinschaftliche In-
teresse nicht bloß in der Vorstellung, als ‚Allgemeines‘, sondern zuerst in der Wirklichkeit als
gegenseitige Abhängigkeit der Individuen, unter denen die Arbeit geteilt ist. Und endlich bietet
uns die Teilung der Arbeit gleich das erste Beispiel davon dar, daß, solange die Menschen sich
in der naturwüchsigen Gesellschaft befinden, solange also die Spaltung zwischen dem beson-
dern und gemeinsamen Interesse existiert, solange die Tätigkeit also nicht freiwillig, sondern
naturwüchsig geteilt ist, die eigne Tat des Menschen ihm zu einer fremden, gegenüberstehen-
den Macht wird, die ihn unterjocht, statt daß er sie beherrscht.“58

Marx erklärt also die in den Grundlinien angelegte Paradoxie, daß es eine Klasse von
Privateigentümern gibt, deren Subsistenz durch die bürgerliche Gesellschaft nicht gesi-
chert ist, mit dem naturwüchsig entstandenen System gesellschaftlicher Arbeitsteilung,
in dem das individuelle Interesse vom Allgemeininteresse getrennt werde. Diese Tren-
nung sei der Grund dafür, daß Produktion und Konsumtion verschiedenen Individuen
zufielen. Nach dieser Bestimmung ist diejenige Macht, welcher sich die Menschen un-
terwerfen, nicht ökonomisch-politisch bestimmt, sondern letztendlich anthropologisch.
Damit wären Kooperation und Arbeitsteilung zugleich Ausdruck der Vernunft als auch
unvernünftig. Ausdruck der Vernunft sind diese Methoden, weil sie die Potenzen verge-
sellschafteter Arbeit realisieren und damit auch das Gattungsvermögen der Individuen,
unvernünftig sind sie, weil die Individuen vom gesellschaftlichen Gesamtzusammen-
hang entfremdet werden.59 Mit der Bestimmung des Privateigentums an Produktionsmit-
teln führt Marx dagegen im Kapital eine spezifische Differenz zwischen dem Begriff

M. B.] Das geschieht deshalb, weil Hegel nicht die Objektivierung oder Vergegenständlichung
und die Entfremdung unterscheidet und beide Momente fälschlicherweise verbindet. Für Hegel
geht es um die Überwindung der Gegenständlichkeit, weil gerade der gegenständliche Charakter
an und für sich für das Bewußtsein der Anstoß zur Entfremdung ist. Dagegen steht Marx auf dem
Standpunkt, daß gerade das gegenständliche Wesen des Menschen Gegenstände schafft, weil es
durch Gegenstände gegründet ist und weil es aus der Natur stammt.“ Ivan Dubsky. „Hegels Ar-
beitsbegriff und die idealistische Dialektik.“ 440 f. Andreas Arndt zeigt den Ursprung des Ent-
fremdungsmotivs als romantisches Topos auf. Vgl. Andreas Arndt. „Romantik der Arbeit. Perspek-
tiven des frühromantischen Arbeitsbegriffs.“ In Die Arbeit der Philosophie, 71–92. Berlin, 2003.
Aber auch auf den ökonomischen Entfremdungsbegriff von Marx geht er ein: „Arbeit und Nicht-
Arbeit.“ 18. Rahel Jaeggi kritisiert den Entfemdungsbegriff bei Marx auf der Grundlage ihrer In-
terpretation des Arbeitsbegriffs. Arbeit sei die Veräußerlichung eines inneren Plans, der durch das
Äußerliche gestört und so entfremdet sei. Kritisiert wird von Marx nicht das Problem des Zugriffs
auf Natur, sondern auf die Produktionsmittel. Vgl. Rahel Jaeggi. Entfremdung, 34.
58
Karl Marx u. Friedrich Engels. „Deutsche Ideologie.“ 32 f.
59
„Organisation als solche ist weder böse noch gut, sie kann beides sein, und ihr Recht und ihr We-
sen hängen ab von dem, in dessen Dienst sie steht.“ Theodor W. Adorno. „Individuum und Orga-
nisation.“ 446.
Methoden der Produktivkraftsteigerung 281

gesellschaftlicher Arbeitsteilung und dessen kapitalistischer Ausprägung ein. An Koope-


ration und Arbeitsteilung als Methoden der Produktivkraftsteigerung ist ihr kapitalisti-
scher Charakter zu kritisieren, nicht die Tatsache, daß sie ein Mehrprodukt (hier in Ab-
grenzung zum Mehrwert im Kapital) ermöglichen, welches unter anderen Bedingungen
auch zur Reduktion der Reproduktionsarbeit zugunsten der Muße dienen könnte. Ein
ökonomisches Modell für die herrschaftsfreie Organisation von Kooperation und Ar-
beitsteilung auf gesamtgesellschaftlichen Maßstab gibt es nicht, und kann es in einer
fremdbestimmten Wirklichkeit nicht geben.
Anders als Hegel erarbeitet sich Marx also einen Begriff von Kooperation und Ar-
beitsteilung, der nicht aus dem rechtsphilosophischen Zusammenhang der Grundlinien
zu verstehen ist, sondern aus dem ökonomischen Antrieb zur Produktivkraftsteigerung.60
Während die Arbeitsteilung in der Grundlinien unmittelbar als Praxis des vernünftigen
Willens erschien, in der die individuelle Auseinandersetzung des Arbeiters mit seinem
Arbeitsgegenstand bildet und zugleich einen Beitrag zum Auskommen der gesamten
Gesellschaft leistet, stellen sich im Kapital nicht nur die ökonomischen Motive nüchter-
ner dar – statt Selbstbestimmung geht es im Kapital um die Entwertung der Arbeitskraft
– sondern die Wirkung der Arbeitsteilung erweist sich im historisch-ökonomischen Zu-
sammenhang als verheerend: Weil die Arbeiter nicht Eigentümer über ihre Arbeitspro-
dukte sind, erfahren sie gerade nicht das Ganze der technischen und organisatorischen
Zusammenhänge, sondern verrichten nur Teilarbeiten. Sie können daher auch nicht aus
ihrer Arbeit lernen – im Gegenteil, das Kapital ist daran interessiert, die Arbeitsprozesse
möglichst zu vereinfachen, weil so die Bildungskosten entfallen. Weil die vereinzelten
Arbeiter keinen Überblick mehr über den Gesamtprozeß haben, wird die Beaufsichti-
gung des Produktionsprozesses überhaupt erst nötig, und weil der Zweck der Kapitali-
sten ein anderer ist, als der der Arbeiter, nimmt diese Oberaufsicht notwendig autoritär-
en Charakter an. Kurz – die von Hegel dargestellte Einheit von Hand- und Kopfarbeit,
von Arbeit und Bildung, von ökonomischer Selbstbestimmung erweist sich mit der Ana-
lyse der kapitalistischen Produktion als Ideal, das historisch nicht verwirklicht ist.
Praktische Modelle für selbstbestimmte Kooperation und Arbeitsteilung gibt es in
solchen Bereichen, die in ihrer ökonomischen Bedingtheit nicht aufgehen: Kunst und
Wissenschaft. In einem Orchester finden sich z. B. Musiker zusammen, um im Moment
der Aufführung etwas entstehen zu lassen, das größer ist als die Partitur oder ihr jeweili-
ges Instrument. Es gibt zwar auch hier den Dirigenten als leitenden Musiker, aber seine
Funktion liegt nicht notwendig in der Hervorbringung einer Ware, die ihm gehört, son-
dern auch darin, den Gehalt der Partitur hörbar zu machen. Dieser Gehalt transzendiert
zugleich die Bedingungen, unter denen er erfahrbar gemacht wird, und er transzendiert
sie nicht. Die darin liegende Dissonanz intellektuell wie sinnlich wahrzunehmen, ist die
Erfahrung des Nichteingelösten, das einzulösen wäre.

60
Vgl. S. 241 dieser Arbeit.
282 Gegendarstellung: Zu den ökonomischen Bedingungen der Rechtsphilosophie

d) Maschinerie und große Industrie

Die Möglichkeit der Produktivkraftsteigerung in der Manufaktur ist durch ihre techni-
sche Basis begrenzt: den Handwerker, von dessen individuellem Geschick das Gelingen
der Arbeit abhängig ist. Durch die Maschine werden die wesentlichen Verrichtungen des
Arbeitsprozesses, aber auch des Antriebs und der Kraftübertragung technisiert. Der Pro-
zeß ist somit nicht länger vom Geschick der Individuen abhängig, sondern die Arbeiter
müssen sich ihrerseits an die Maschinen und deren organisatorisches System, die Fabrik,
anpassen. 61
Die Revolution der technischen Basis der Produktion durch die Einführung der Ma-
schinerie wirkt sich auch auf die Art der Produktivkraftsteigerung aus. Während in der
Manufaktur durch die Methoden der Kooperation und Arbeitsteilung die Handwerker
mehr Produkt in kürzerer Zeit erarbeiten, mißt sich die Produktivität industrieller Arbeit
nicht an der Masse der von ihr produzierten Gebrauchswerte, sondern an dem Grad,
worin sie menschliche Arbeitskraft technisch ersetzt. Gleichzeitig steht die Verringerung
der Anzahl benötigter Arbeiter aber im Widerspruch zum Zweck der Mehrwertprodukti-
on, weil nur die Menschen ein Mehrprodukt schaffen können, nicht aber die Maschinen.
Wenn also die Maschinerie die Rate des Mehrwerts, also das Verhältnis von notwendi-
ger Arbeit zur Mehrarbeit, nur erhöht, indem sie den anderen Faktor der Mehrwertpro-
duktion, die Zahl der beschäftigten Arbeitskräfte, verringert, dann kann die Abnahme in
der verhältnismäßigen Anzahl der Arbeiter nur durch Zunahme der absoluten Mehrarbeit
oder bei beschränktem Arbeitstag durch Erhöhung der Arbeitsintensität kompensiert
werden.62 Die Maschinerie ist also nicht nur ein Hebel zur Steigerung des relativen, son-
dern auch des absoluten Mehrwerts. Marx hat im 13. Kapitel des Kapitals die verhee-
renden Auswirkungen dieser Methoden für die Arbeiter beschrieben, die dem maßlosen
Trieb des Kapitals bis zur völligen Erschöpfung unterworfen wurden.
Damit hat die Industrialisierung nicht nur massive Auswirkungen auf die Industrie
selbst, sondern auch auf die Lebensbedingungen der Arbeiterbevölkerung. Die Arbeiter
werden gemessen am industriell gefertigten Produkt überzählig, austauschbar, das Heer
der Arbeitskräfte weitet sich zudem auf Frauen und Kinder aus, weil die Verrichtungen
im Einzelnen einfacher und damit von der individuellen Muskelkraft der Männer unab-
hängig werden. Indem das individuelle Geschick der Arbeiter zur Nebensache einer ge-
sellschaftlich verselbständigten Massenarbeit wird, findet eine massive Entwertung des
Werts der Arbeitskraft statt. Insgesamt werden die Arbeiter in bis dahin nicht gekannter
Weise in die Konkurrenz untereinander gezwungen, womit ihr Widerstand, den sie in
der Manufaktur noch gegen das Kapital aufbringen konnten, weil es auf sie und ihr Ge-
schick ankam, gebrochen wurde.
Indem die Arbeiter durch die Maschine ersetzt werden, findet mit der technischen
Umwälzung der Produktion ebenso eine Veränderung der Gesellschaft insgesamt statt.
So entsteht mit der erhöhten Produktivität auch das Bedürfnis nach Vermehrung der
61
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 393.
62
Vgl. ebd., 429 f.
Methoden der Produktivkraftsteigerung 283

Rohstoffe in einem Maße, das durch die nationale Produktion allein nicht gedeckt wer-
den kann. „Es wird eine neue, den Hauptsitzen des Maschinenbetriebs entsprechende in-
ternationale Teilung der Arbeit geschaffen, die einen Teil des Erdballs in vorzugsweis
agrikoles Produktionsfeld für den andern als vorzugsweis industrielles Produktionsfeld
umwandelt.“63 Hegel hatte die Kolonialisierung nicht aus dem Akkumulationsbedürfnis
des Kapitals erklärt, sondern aus dem Unvermögen der bürgerlichen Gesellschaft, die
Armen zu versorgen. Marx zeigt hingegen, daß die Armen nicht nur notwendiger Be-
standteil kapitalistischer Ökonomien sind, sondern daß die Kolonialisierung dem indu-
striellen, nicht dem individuellen HungerAbhilfe leisen soll.64
Eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der großen Industrie spielt die Fabrikge-
setzgebung, die einerseits den maßlosen Ausbeutungstrieb des Kapitals mäßigt, indem es die
Beschränkung des Arbeitstages, Regelungen der Pausen und des Arbeitsschutzes einführt
und die Frauen- und Kinderarbeit beschränkt. Sie stellt somit eine frühe Gestalt der Sozial-
gesetzgebung dar. Andererseits beschränkt sie damit das Übel in einem Maße, das der
großen Industrie zuträglich ist, nicht aber der Arbeiterbevölkerung. Sie verwaltet das Übel,
welches sie zugleich auch produziert: Frauen- und Kinderarbeit müssen erst dann beschränkt
werden, wenn sie zuvor erlaubt worden sind. Auch bewirken die Regelungen des Fabrikak-
tes oftmals eine Beschleunigung der Verwandlung der Werkstätten in Fabriken.
Die Arbeiter werden durch die Industrialisierung technisch zum Gesamtarbeiter, so
daß der einzelne nur noch Teilfunktion eines Betriebes ist, den er nicht mehr überblickt.
Einerseits werden die Arbeiter dadurch zu einfachen Arbeitern, die nicht mehr umfas-
send qualifiziert sein müssen. Andererseits werden sie beständig freigesetzt, um in ande-
ren Fabriken wieder attrahiert zu werden usw. Dadurch wird es vom gesamtgesellschaft-
lichen Standpunkt aus nötig, eine polytechnisch gebildete Arbeitsbevölkerung zu
schaffen, die somit möglichst flexibel einsetzbar ist.65
Schließlich entwickelt sich auf der Grundlage der Produktivkraftsteigerung und der
damit verbundenen Freisetzung eine neue Art der Arbeit: der Bereich der Dienstleistun-
gen, der einerseits im Sinne der Mehrwertproduktion unproduktiv ist und daher nur auf
der Grundlage erweiterter Produktivität entstehen kann. Die Frage, woraus die Dienst-
leister ihre Revenue beziehen, ist erst mit der Durchschnittsprofitrate im dritten Band er-
klärbar – also der Verteilung des gesamtgesellschaftlich produzierten Mehrwerts auf alle
Bereiche des Systems gesellschaftlicher Arbeitsteilung. Trotzdem stellt sich dieses Pro-
blem erst auf der Grundlage einer Ökonomie, die Verteilbares auf gesamtgesellschaftli-
chen Maßstab hervorbringt. Die große Industrie bleibt die ökonomische Grundlage aller
anderen Bereiche kapitalistischer Gesellschaften.

63
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 475.
64
Vgl. S. 249 dieser Arbeit.
65
Diese technischen Erfordernisse sind nicht zuletzt unterstellt, wenn heutzutage die Mobilität und
Flexibilität der Studierenden, dem Fachkräftemangel, der Durchlässigkeit des Bildungssystem ge-
sprochen wird. „Die Weichen sind gestellt, und das Ziel ist sinnvoll“! Europäische Bildungsmini-
ster. „Der Europäische Hochschulraum. Gemeinsame Erklärung der Europäischen Bildungsmini-
ster 19. Juni 1999, Bologna“, http://www.bmbf.de/de/3336.php. (Zugriff: 10.6.2012), 3.
284 Gegendarstellung: Zu den ökonomischen Bedingungen der Rechtsphilosophie

Die von Marx im 13. Kapitel beschriebenen historischen Auswirkungen und Umwäl-
zungen der Gesellschaften, die durch die Revolution der technischen Produktion er-
zwungen wurden, resultieren nicht aus der Maschine selbst, sondern aus dem kapitalisti-
schen Zweck, zu dem sie angewendet wird.66 Obgleich also die industrielle Revolution
eine kapitalistische Revolution ist, ließe sich die Maschinerie und die damit verbundene
Produktivkraftsteigerung ebenso zur Verkürzung des Arbeitstages einsetzen.

5.5 Akkumulation
Die kapitalistische Produktion setzte mit dem Kauf von Produktionsmitteln und Arbeits-
kraft ein, zu dem Zweck, einen Mehrwert zu produzieren, der zunächst als Ware, also in
vergegenständlichter Form vorliegt. Damit dieser Mehrwert akkumuliert werden kann,
ist unterstellt, daß er in der Zirkulation durch Verkauf der Ware wiederum in Geld ver-
wandelt werden kann, welches dann seinerseits in Kapital verwandelt wird usw.
Die bloße Kontinuität dieses Prozesses, selbst wenn sie nur auf einfachem Niveau
stattfindet, so daß der Mehrwert nur zur individuellen und produktiven Konsumtion des
Kapitalisten dient, nicht aber akkumuliert wird, reproduziert das gesellschaftliche Ver-
hältnis als Ganzes. Dieses gesellschaftliche Verhältnis ist grundlegend durch das Pri-
vateigentum an Produktionsmitteln bestimmt, wodurch die Rechtspersonen gespalten
werden in Produktionsmitteleigner und Arbeitskräfte, die über die Mittel eines eigen-
ständigen ökonomischen Betriebs nicht verfügen. Durch dieses Rechtsverhältnis wird
also zugleich ein materielles Verhältnis begründet und reproduziert.
„Der Arbeiter selbst produziert daher beständig den objektiven Reichtum als Kapital, ihm
fremde, ihn beherrschende und ausbeutende Macht, und der Kapitalist produziert ebenso be-
ständig die Arbeitskraft als subjektive, von ihren eignen Vergegenständlichungs- und Verwirkli-
chungsmitteln getrennte, abstrakte, in der bloßen Leiblichkeit des Arbeiters existierende Reich-
tumsquelle, kurz den Arbeiter als Lohnarbeiter. Diese beständige Reproduktion oder
Verewigung des Arbeiters ist das sine qua non der kapitalistischen Produktion.“67

Wenn das Rechtsverhältnis einmal installiert ist und damit auch die materiellen Verhält-
nisse konsolidiert sind, dann bewirkt die Kontinuität des Prozesses von Kauf – Produkti-
on – Verkauf – Kauf, daß das Verhältnis reproduziert wird, d. h. die Scheidung der Ar-
beiter von ihrem Produkt, dem gesellschaftlichen Reichtum. Statt also das Eigentum auf
eigener Arbeit zu begründen – wie es z. B. Locke bestimmt hatte – gründet es auf frem-
der Arbeit. Anstatt Arbeit und Eigentum zu vermitteln, wird durch das kapitalistische
Produktionsverhältnis die Trennung beider reproduziert.
„Der Austausch von Äquivalenten, der als die ursprüngliche Operation erschien, hat sich so ge-
dreht, daß nur zum Schein ausgetauscht wird, indem erstens der gegen Arbeitskraft ausge-
tauschte Kapitalteil selbst nur ein Teil des ohne Äquivalent angeeigneten fremden Arbeitspro-

66
Vgl. Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 465.
67
Ebd., 595 f.
Akkumulation 285

duktes ist und zweitens von seinem Produzenten, dem Arbeiter, nicht nur ersetzt, sondern mit
neuem Surplus ersetzt werden muß. Das Verhältnis des Austausches zwischen Kapitalist und
Arbeiter wird also nur ein dem Zirkulationsprozeß angehöriger Schein, bloße Form, die dem
Inhalt selbst fremd ist und ihn nur mystifiziert. Der beständige Kauf und Verkauf der Arbeits-
kraft ist die Form. Der Inhalt ist, daß der Kapitalist einen Teil der bereits vergegenständlichten
fremden Arbeit, die er sich unaufhörlich ohne Äquivalent aneignet, stets wieder gegen größeres
Quantum lebendiger fremder Arbeit umsetzt. Ursprünglich erschien uns das Eigentumsrecht
gegründet auf eigne Arbeit. Wenigstens mußte diese Annahme gelten, da sich nur gleichberech-
tigte Warenbesitzer gegenüberstehn, das Mittel zur Aneignung fremder Ware aber nur die Ver-
äußerung der eignen Ware, und letztere nur durch Arbeit herstellbar ist. Eigentum erscheint
jetzt auf Seite des Kapitalisten als das Recht, fremde unbezahlte Arbeit oder ihr Produkt, auf
Seite des Arbeiters als Unmöglichkeit, sich sein eignes Produkt anzueignen. Die Scheidung
zwischen Eigentum und Arbeit wird zur notwendigen Konsequenz eines Gesetzes, das schein-
bar von ihrer Identität ausging.“68

Dieses Verhältnis hat das Privatrecht zu seiner Voraussetzung: Die Menschen müssen
sich ohne Unterschied als freie und gleich Rechtspersonen anerkennen, um Verträge un-
tereinander schließen zu können. Aber dieses Rechtsverhältnis bleibt gegen den Inhalt
des Vertrages gleichgültig. Tatsächlich sichert das Privatrecht aber nicht nur die Existenz
der Ware Arbeitskraft als Bedingung der Kapitalproduktion, sondern auch das Resultat:
Das Mehrprodukt und alle produktiven Wirkungen der Arbeitskraft wie das Wissen, der
Erfindungsgeist, das Lernvermögen – ihrer Natur nach Potenzen praktischer Freiheit –
wirken unter der Maßgabe des Kapitalisten und vergegenständlichen sich in dessen Ei-
gentum. Dagegen bleibt die Produktion für die Arbeiter unproduktiv: Sie leben von dem
vertraglich vereinbarten Arbeitslohn, den sie in Lebensmittel umsetzen, die sie verbrau-
chen. Die Arbeiter müssen auf dem Arbeitermarkt wieder erscheinen. Produktiv wäre
ihre Konsumtion nur, wenn der Gebrauchswert ihrer Lebensmittel reproduziert würde.
Für den Kapitalisten ist die Reproduktion der Arbeiterklasse dagegen sehr wohl produk-
tiv, weil es für ihn die Reproduktion der Quelle des Mehrwertes ist. In dieser existentiel-
len Abhängigkeit der Arbeiter von der Lohnarbeit liegt die Perversion des bürgerlichen
Vertragsverhältnisses, was den Status gleichberechtigter Rechtspersonen zubilligt, aber
nicht zu dem Zweck, die Selbstbestimmung des vernünftigen Willens zu ermöglichen,
sondern zu dem Zweck, Mehrwert zu produzieren. „Von gesellschaftlichem Standpunkt
ist also die Arbeiterklasse, auch außerhalb des unmittelbaren Arbeitsprozesses, ebenso-
sehr Zubehör des Kapitals als das tote Arbeitsinstrument.“69
Tatsächlich findet aber im Kapitalismus keine einfache, sondern erweiterte Reproduk-
tion statt. D. h., daß nicht nur der reproduzierte Wert in den Produktionsprozeß zurück-
verwandelt wird, so daß dessen Bestandteile ihrem Gebrauchswert nach erhalten blei-
ben, sondern auch der Mehrwert. Akkumulieren bedeutet, auf erweiterter Stufenleiter zu
produzieren. Die Produktion verweist darin auf den gesamtgesellschaftlichen Produkti-
onsprozess, denn akkumuliert werden kann nur, wenn die sachlichen Bestandteile der
Kapitale im System gesellschaftlicher Arbeitsteilung vorliegen.

68
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 609 f.
69
Ebd., 598.
286 Gegendarstellung: Zu den ökonomischen Bedingungen der Rechtsphilosophie

Die steigende technische Zusammensetzung der Kapitale wirkt sich auf die Lebens-
bedingungen der Arbeiterklasse aus. Zunächst bedingt das Wachstum des Kapitals und
die damit verbundene Ausdehnung der Produktion eine erhöhte Nachfrage nach Arbeits-
kräften und damit steigende Löhne. Entweder akkumuliert das Kapital unbehelligt wei-
ter, dann stören die erhöhten Löhne nicht. Oder die Akkumulation stagniert, dann wer-
den auch wieder weniger Arbeitskräfte benötigt und der Lohn sinkt. Bei dieser
Bewegung ist entscheidend, daß Bedarf und Überfluss von Arbeitskräften von der Ent-
wicklung der Akkumulation abhängt und nicht umgekehrt. „Um mathematischen Aus-
druck anzuwenden: die Größe der Akkumulation ist die unabhängige Variable, die
Lohngröße die abhängige, nicht umgekehrt.“70 Die Erhöhung der Löhne bleibt also
ebenfalls in einem Rahmen, der die Grundlagen des kapitalistischen Systems unangeta-
stet läßt.
Im Gesamtzusammenhang betrachtet steigt die technische Zusammensetzung des Ka-
pitals durch Akkumulation und Zentralisation expotential an. Zentralisation bezeichnet
die Umverteilung der Kapitale, so daß bereits produziertes Kapital in wenigen Händen
konzentriert wird, weil anderswo individuelle Kapitale zerstört werden. D. h. daß im
Verhältnis, in dem die Produktionstechnik durch technische Innovationen effektiver und
dem absoluten Umfang nach mehr wird, relativ weniger Arbeiter benötigt werden. Die-
ser Überschuß der Arbeiterbevölkerung ist kein absoluter Überschuß, sondern relativ
durch das Verwertungsbedürfnis des Kapitals bestimmt. „Es ist dies ein der kapitalisti-
schen Produktionsweise eigentümliches Populationsgesetz, wie in der Tat jede besondre
historische Produktionsweise ihre besondren, historisch gültigen Populationsgesetze hat.
Ein abstraktes Populationsgesetz existiert nur für Pflanze und Tier, soweit der Mensch
nicht geschichtlich eingreift.“71
Obgleich die nicht beschäftigten Arbeiter für die Einzelkapitale überflüssig sind, er-
füllen sie gesamtgesellschaftlich betrachtet eine Funktion für das Kapital: Sie stellen die
industrielle Reservearmee dar, die in den Phasen plötzlicher Prosperität aktiviert und der
Produktion einverleibt werden kann. Es stehen sich so nicht nur Kapitalisten und Arbei-
ter als Klassen gegenüber, sondern auch das Heer der Arbeitslosen den angestellten Ar-
beitern. Während letztere überarbeitet werden, sind erstere zum Nichtstun verdammt.
Beide Seiten konkurrieren um die vorhandenen Arbeitsplätze und diese Konkurrenz
wirkt sich wiederum zu Ungunsten der Arbeiter, aber zu Gunsten des Kapitals aus. Denn
die Überarbeitung der Angestellten macht weitere Arbeitskräfte überflüssig, so daß die

70
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 648.
71
Ebd., 661. Vor diesem Hintergrund erscheint auch die Mär von den demographischen Veränderun-
gen der Gesellschaft in einem anderen Licht: „Der Sozialstaat ist auf die demographischen Verän-
derungen der Gesellschaft nicht genügend eingerichtet: Immer mehr älteren Menschen stehen im-
mer weniger Kinder gegenüber. Auf die sozialen Leistungen kann nicht mehr draufgesattelt wer-
den.“ Bundesregierung online. „Grundideen der Agenda 2010.“ 1990. www.bundesregierung.de/
(Zugriff: 15.2.2004), 1. Auch die demographische Entwicklung stellt sich vor allem in Relation zu
den ökonomischen Prioritäten des Sozialstaates und damit als politisches Problem dar. Die darin
liegende Implikation, daß die älteren Menschen im Gegensatz zu den Kindern unnütz seien, ist
menschenverachtend.
Akkumulation 287

Reservearmee wächst. Umgekehrt übt die Reservearmee Druck auf die Beschäftigten
aus, die jederzeit ersetzbar sind und daher dem Diktat des Kapitals zu folgen haben.72
„Je größer der gesellschaftliche Reichtum, das funktionierende Kapital, Umfang und Energie
seines Wachstums, also auch die absolute Größe des Proletariats und die Produktivkraft seiner
Arbeit, desto größer die industrielle Reservearmee. Die disponible Arbeitskraft wird durch die-
selben Ursachen entwickelt wie die Expansivkraft des Kapitals. Die verhältnismäßige Größe
der industriellen Reservearmee wächst also mit den Potenzen des Reichtums. Je größer aber
diese Reservearmee im Verhältnis zur aktiven Arbeiterarmee, desto massenhafter die konsoli-
dierte Übervölkerung, deren Elend im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Arbeitsqual steht. Je
größer endlich die Lazarusschichte der Arbeiterklasse und die industrielle Reservearmee, desto
größer der offizielle Pauperismus. Dies ist das absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen
Akkumulation. Es wird gleich allen andren Gesetzen in seiner Verwirklichung durch mannigfa-
che Umstände modifiziert, deren Analyse nicht hierher gehört.“73

Erst mit diesem letzten Gesetz der Kapitalproduktion hat Marx den Antagonismus der
bürgerlichen Gesellschaft eingeholt, den Hegel notiert, aber mit den Mitteln der Rechts-
philosophie nur unzureichend erklären konnte. Die Tendenz der Verelendung der Arbei-
terklasse wird nach Auskunft von Marx „durch mannigfache Umstände modifiziert“ und
muß auch modifiziert werden, wenn das Kapitalverhältnis sich nicht seiner eigenen ma-
teriellen Grundlage, des Mehrprodukts, berauben will. Wie schon beim Kampf um den
Normalarbeitstag ist die für die Verwaltung der industriellen Reservearmee zuständige
gesellschaftliche Instanz der Staat mit seiner sozialen Fürsorge.
Der Sozialstaat der Bundesrepublik Deutschland sichert das Überleben der Arbeitslo-
sen, aber im Unterschied zu der Vorstellung Hegels, deren Reintegration in die Gesell-
schaft sei ein moralischer Akt der Anerkennung durch privatrechtliche Institutionen,
geht es dem Sozialstaat vor allem um die Reintegration in den Arbeitsmarkt, auch wenn
es gar keine passenden Arbeitsplätze gibt. Seit den Reformen der Agenda 2010, die un-
ter anderem das Arbeitslosengeld neu regelten, ist der Bezug von Arbeitslosengeld (ent-
weder I, was eine Versicherungsleistung ist, oder II, was aus Steuergeldern finanziert
wird) mit der Forderung nach Eigeninitiative verbunden. Der Grundsatz ‚Fördern und
Fordern‘ klingt dann so: „Wer arbeiten kann, muß auch arbeiten wollen. […] Wer zu-
72
„Viele Beschäftigte, die an einer Depression oder Angststörung erkranken, gehen trotz Beschwer-
den weiterhin zur Arbeit und suchen erst sehr spät professionelle Hilfe auf. Für Unternehmen be-
deutet das in der Konsequenz: deutlich spürbare Produktivitätseinbußen durch Präsentismus, weil
die Betroffenen weniger leistungsfähig sind als gewohnt.“ iga.Fakten 1. „Psychische Gesundheit
im Erwerbsleben.“ http://www.iga-info.de/veroeffentlichungen/iga-fakten.html. (10.06.12), 3.
Christoph Türcke erklärt den Zwang zur Anwesenheit durch die Angst vor Arbeitslosigkeit: „An
den Arbeitslosen zeigt sich ungeschminkt der Fluch der Arbeit, der sich den Arbeitenden als der
Segen präsentiert, den es festzuhalten gilt. Die Arbeitslosigkeit ist aber nicht nur der Ernstfall der
Arbeit, sondern auch die erzwungene Parodie auf die Kontemplation. Zeit zur Versenkung ins an
sich Wahre hätten die Arbeitslosen schon, und von daher auch die Möglichkeit, sich einen ange-
messenen Begriff vom gesellschaftlichen Ganzen zu machen – aber es fehlt ihnen an den entschei-
denden äußeren und inneren Voraussetzungen. Wo die dauernde Sorge ums Materielle quält, kann
sich kein spekulativer Gedanke entfalten, und nur aus einem in sich gefestigten Ich, das seiner Be-
stimmung zur Vernunft um der Vernunft willen ganz gewiß ist, kann er hervorgehen, nicht aus ei-
nem Bündel anwendbarer Qualifikationen, als das die Individuen heute gewöhnlich die Ausbil-
dungsstätten verlassen.“ Christoph Türcke. „Gottesgeschenk Arbeit.“ 94.
73
Karl Marx. Das Kapital. Der Produktionsprozeß des Kapitals, 674.
288 Gegendarstellung: Zu den ökonomischen Bedingungen der Rechtsphilosophie

mutbare Arbeit ablehnt, obwohl er arbeiten kann, hat mit Sanktionen zu rechnen. Denn
Solidarität ist keine Einbahnstraße.“ 74
Die Eigenverantwortung wird notfalls auch erzwungen: Erstens sind die Regelsätze
ohnehin so niedrig angesetzt, daß eine Teilnahme der Arbeitslosen am sozialen Leben so
gut wie ausgeschlossen ist – zumindest wenn es etwas kostet. Andererseits greifen die
Argen durch Leistungsentzug und die Erzeugung anderer ‚Sachzwänge‘ massiv durch.75
In einem Staat, der sich im Zuge seiner NS-Vergangenheit das Verbot zur Zwangsar-
beit in den Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes geschrieben hat, entsteht zumindest
in der Rechtspraxis das Problem, wie die Ausübung von Zwang, der nicht auf kör-
perlichen, aber ökonomischen Mitteln beruht, zu bewerten ist. Über die prinzipielle
Vereinbarkeit hatte das Bundesverfassungsgericht bereits 1979 entschieden, wäh-
rend die Kommentierung das Verhältnis weiterhin problematisiert. 76 Dagegen urteilt
das Bundesverwaltungsgericht, daß „Regelungen über gemeinnützige Arbeit und
über den Verlust des Anspruchs auf Sozialhilfe bei Weigerung, zumutbare Arbeit zu
leisten“77 mit dem Grundgesetz vereinbar sind, weil es erstens dem Betroffenen
überlassen bleibe, „ob er ihm angebotene gemeinnützige (zusätzliche) Arbeiten lei-
sten will“, und durch § 25 Abs. 1 BSHG „nur die Folge“ geregelt sei, die sich aus
der Ablehnung solcher angebotenen Arbeit ergeben kann. Zweitens sei die „Inan-
spruchnahme der Freiheit ohne jene Rücksichtnahme auf die Gemeinschaft […] ein
Missbrauch, der wegen der Sozialbindung der Grundrechte keinen Grundrechts-

74
Bundesregierung online. „Reformen der Agenda 2010.“ 11.
75
Olaf Behrend verweist auf die Ausübung sozialer Kontrolle durch die Gesprächsführung bei Bera-
tungsgesprächen zwischen Arbeitslosen und den Argen, die „kooperativ zugewandt oder auch päd-
agogisierend, dabei nicht selten subtil übergriffig, ggf. zynisch, manchmal latent verachtend und
nur hier und da noch in Resten paternalistisch oder offen autoritär“ ist. Olaf Behrend. „Aktivieren
als Form sozialer Kontrolle.“ Arbeitslosigkeit und ihre psychosozialen Folgen. Aus Politik und
Zeitgeschehen (APuZ), 2008. http://www.bpb.de/publikationen/1HAX2X,0,0,Aktivieren_als_
Form_sozialer Kontrolle.html (Zugriff: 10.06.2012), 17. Zum Ziel der „Aktivierung“ vgl. auch:
Wolfgang Ludwig-Mayerhofer u. a. Auf der Suche nach der verlorenen Arbeit. Arbeitslose und Ar-
beitsvermittler im neuen Arbeitsmarktregime. Konstanz, 2009.
76
„2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer her-
kömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht. 3) Zwangsarbeit ist
nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.“ Bundesrepublik Deutsch-
land. „Artikel 12“ . Grundgesetz. 1949, 16. Rupert Scholz kommentiert dazu: „Art. 12 schützt nur
vor dem Zwang zu ‚bestimmter Arbeit‘, umfasst tatbestandlich allerdings auch keine Arbeits-
pflicht etwa in dem Sinne, daß jedermann nach Maßgabe seiner Kräfte wenigstens dann zur Be-
schaffung seines notwendigen Lebensunterhalts arbeiten muß, wenn er andernfalls der Allgemein-
heit zur Last fiele.“ Rupert Scholz. „Artikel 12“. In Grundgesetz Kommentar. Hrsg. v. Theodor
Maunz, Günter Dürig, u. Rupert Scholz. München, 1991, 29. Gerrit Manssen sieht die Lösung des
Problems weniger im GG als in der verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsebene angesiedelt:
„Der nach Art. 12 Abs. 2 GG verbotene Zwang besteht in der physischen oder psychischen Beu-
gung des individuellen Willens durch hoheitliche Maßnahmen, um die betroffene Person zu einer
bestimmten Tätigkeit zu bewegen. […] Zweifelhaft ist, wie die Ausübung eines mittelbaren Ar-
beitszwanges durch die Androhung des Entzuges von Begünstigungen und Rechtstellungen zu be-
urteilen ist. Diese Frage stellt sich etwa im Rahmen der §§ 19 Abs. 2, 25 Abs. 1 BSGH, auf Grund
derer Empfänger von Sozialhilfe zu gemeinnütziger Arbeit herangezogen werden können.“ Gerrit
Manssen. „Art. 12“. In Kommentar zum Grundgesetz in drei Bänden. Hrsg. v. Hermann von Man-
goldt, Friedrich Klein u. Christian Starck. München, 2005, 301 ff.
77
Karl Buchholz u. a. (Hg.). Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts. 7. Folge. Köln [u. a.], 1999. 2, 436.0, § 19.
Akkumulation 289

schutz genösse.“ Die Begründung des Gerichts fußt auf dem Argument, daß die Teil-
habe am Sozialstaat zu einem verantwortlichen Umgang mit den Sozialleistungen
verpflichte und damit prinzipiell auch die Pflicht zur Erfüllung gemeinnütziger Ar-
beit eingefordert werden könne. Mit diesem Urteil kann grundsätzlich auch das Vor-
gehen der Argen gerechtfertigt werden. Entscheidend für die rechtsstaatliche Vertret-
barkeit ist die Unterscheidung zwischen körperlichen und materiellen Zwängen,
denn letztere seien nur indirekt und regelten die Folgen der Handlung, sie erzwän-
gen sie nicht.
Danach besteht das Vergehen also darin, der Allgemeinheit zur Last zu fallen.
Wenn aber eine Gesellschaft nicht den Zweck hat, das Leben der Menschen gut zu
gestalten, sondern die Ökonomie zum Selbstzweck wird, und wenn in einer solchen
Gesellschaft Arbeitslosigkeit notwendig entsteht, dann wird der Sozialstaat ebenso
zum Mittel einer solchen Gesellschaft. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsge-
richtes wird den Arbeitslosen ihr ökonomisches Los auch noch ideologisch aufbür-
det. Ihr individuelles Bedürfnis ist – gemessen am Verwertungsbedürfnis, unnütz
und daß sie unnütz seien, soll ihnen in ihrer ganzen Existenz vergegenwärtigt wer-
den.
Daran zeichnet sich ab, was vom selbstbestimmten Willen und der Symmetrie der
Rechte und Pflichten, die auch Hegel zum Prinzip erklärt hatte, geworden ist: Der
vernünftige Wille hat den Augenblick seiner Verwirklichung versäumt. Die Hegel-
sche Subjektivität ist als absolute Reflexivität das Unvermögen zur historischen Tat.
Aber eben die wäre ein erster Schritt, die vergesellschaftete Produktion zum Aus-
druck realisierter Individualität zu machen.
6 Resultate. Das Scheitern der Selbstbestimmung

Das Ausgangsproblem der Untersuchung war das Wechselverhältnis zwischen dem Ar-
beitsbegriff Hegels und der gegenwärtigen Auffassung über die Bedeutung und den Sinn
von Arbeit, wobei die Frage im Vordergrund stand, welche Relevanz der Arbeitsbegriff
Hegels für das Verständnis des gegenwärtigen Lebens und Arbeitens haben könne. Diese
Fragestellung ist auf der Grundlage der hier durchgeführten Hegelinterpretation im letz-
ten Schritt einzuholen.
Während in der antiken Philosophie die Arbeit der Muße entgegengesetzt und gegen-
über dieser abgewertet wird und während sie im frühen Christentum als Strafe für die
Erbsünde aufgefaßt wird, was auch später ein Moment des mittelalterlichen Arbeitsbe-
griffs bleibt, erscheint sie seit der Reformation bis zur Moderne mehr und mehr als Inbe-
griff der Selbstverwirklichung. In der Gegenwart wird die Arbeitswelt als eine Sphäre
betrachtet, deren Teilhaber, die Beschäftigten, zugleich gesellschaftliche Anerkennung
erfahren, insofern und weil sie ökonomisch erfolgreich sind. Die Analogie zwischen die-
ser modernen Ansicht und der philosophischen Fragestellung Hegels liegt in der Ver-
schränkung der Begriffe Arbeit, Anerkennung und Selbstbestimmung.
Bei Hegel lag der Vermittlung dieser Begriffe ein philosophiegeschichtlich begründe-
tes Problem zugrunde: das Programm der Vermittlung der Begriffe des Denkens und
Seins. Hegel begreift diese Vermittlung als zweckmäßig und den Prozeß der Vermittlung
entsprechend als Selbstbestimmungs- und Arbeitsprozeß des Begriffs in verschiedenen
Sphären des Geistes wie der Natur, der Geschichte oder der Gesellschaft.
Schon Aristoteles hatte die Vermittlung von Form und Materie im Einzelding als ziel-
gerichtete Formung der Materie bestimmt und damit in Anlehnung an den Prozeß hand-
werklicher Tätigkeit. Die aristotelische Vorstellung wirkte in der Scholastik ebenso
nach, wie sie auch in moderneren Theorien weiterentwickelt wurde – bis hin zu Kant,
bei dem das teleologische Prinzip zwischen Natur- und Freiheitsbegriffen vermitteln
soll. Die Teleologie diente stets als ein Begriff, mit dem ontologische Prozesse erklärt
wurden, was aber wechselte, waren die jeweils zu verbindenden Relate: Substanz und
Akzidenz bei Aristoteles, Gott und Welt in der Scholastik, Natur- und Freiheitsbegriffe
bei Kant – um nur einige Beispiele herauszugreifen.
Resultate. Das Scheitern der Selbstbestimmung 291

An Hegels Teleologiebegriff konnte hingegen gezeigt werden, daß er der systema-


tisch umfassende Versuch ist, den teleologischen Gedanken als Prinzip der Vermittlung
von Subjektivität und Objektivität schlechthin zu erweisen. Tatsächlich gelingt Hegel
der Nachweis, daß das Problem der Vermittlung weniger abstrakt ist, als es sich in der
erkenntnistheoretischen bzw. metaphysischen Tradition dargestellt hatte: Subjektivität
und Objektivität werden zwar philosophiegeschichtlich als einander wesensfremde Be-
griffe bestimmt. Weil sie aber nicht geschichtslos sind, sondern zu einem fortgeschritte-
nen Zeitpunkt untersucht werden – in diesem Fall der Gegenwart Hegels – liegen sie
nicht als Rohmaterial vor, sondern sind bereits Resultate der Versuche, ihre Relation so-
wohl philosophisch zu bestimmen als auch praktisch zu verwirklichen. Damit haben
Subjektivität und Objektivität, Theorie und Praxis eine geschichtlich-praktische Affini-
tät. An ihnen ist Arbeit verrichtet, in ihnen sind Zwecke verwirklicht worden, so daß sie
an sich, ihrer objektiven Beschaffenheit nach, bereits zweckmäßig sind.
Das Programm Kants, nach den Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der
Erfahrung oder in Hegels Terminologie der Vermittlung von Subjektivität und Objektivi-
tät zu fragen greift für Hegel deshalb zu kurz: Die Vermittlung beider Begriffe ist mög-
lich, weil ihre Affinität zueinander sich in der Praxis als wirklich erwiesen hat. Die
Selbstbestimmung des Begriffs auf der Grundlage dieser Affinität ist aber noch durchzu-
führen. Dies ist der Leitgedanke Hegels, auf dessen Durchführung die verschiedenen
Begriffe von Arbeit und Selbstbestimmung aus der Wissenschaft der Logik, der Phäno-
menologie des Geistes und den Grundlinien der Philosophie des Rechts überprüft wur-
den.
Im Verhältnis der Phänomenologie des Geistes zur Wissenschaft der Logik spiegelte
sich dieses Verhältnis als das Verhältnis der Geschichte des Selbstbewußtseins zum Be-
griff des Denkens wieder: Die Phänomenologie bereitete den Standpunkt der Wissen-
schaft der Logik vor. Sie stellte die Begründung dafür dar, daß das Wissen in seiner Ge-
nese zum absoluten, mit dem Denken identischen Wissen zusammengeht. Der Geist
erfährt in der Phänomenologie, daß in ihm keine Vorstellungen vorhanden sind, die
nicht dem Kriterium der Übereinstimmung mit dem Gegenstand genügen sollen. Das
Streben nach Wahrheit ist das Motiv der Entwicklung des Geistes. Darin ist er auf alle
anderen Vorstellungen systematisch bezogen. In der Logik soll gezeigt werden, daß das
Resultat der Phänomenologie, also das Vermittelt-Sein der Vorstellungen mit dem Den-
ken im absoluten Wissen, nicht nur als geschichtliches Resultat hervortritt, sondern aus
dem Begriff des Denkens und seiner eigenen Gesetzmäßigkeit ursprünglich folgt. Um
das nachweisen zu können, muß Hegel die Genese dieses Programms in der Phänome-
nologie am Anfang der Logik abtrennen und diesen als reinen, ursprünglichen und vor-
aussetzungslosen Anfang behandeln. Damit ist gleichsam eine Arbeitshypothese formu-
liert, die Hegel in der Wissenschaft der Logik einholen muß.
Es ergibt sich aber die Paradoxie, daß dieser Schritt in der Phänomenologie und dem
Anfang der Wissenschaft ausführlich begründet wird, nur um dann im folgenden davon
zu abstrahieren. Dieser Schritt kann, wie Hegel selbst einräumt, auch als ein Akt der
Willkür betrachtet werden. Impliziert wird mit diesem Schritt ein Subjekt, das die Hypo-
292 Resultate. Das Scheitern der Selbstbestimmung

these formuliert und ihre Begründbarkeit antizipiert, ohne daß dieses Subjekt von Hegel
im Anfang der Wissenschaften thematisiert würde. Wenn aber die Selbstbestimmung des
Begriffs in der Logik gemäß dem Programm Hegels gelingen soll, dann müssen sich de-
ren Bestimmungen ohne Rückgriff auf Bedingungen erweisen lassen, die in der Wissen-
schaft der Logik nicht eingeholt werden können.
Gegenstand der Wissenschaft der Logik ist das Denken als solches, sofern es trans-
zendentallogisch bestimmt ist. Mit den Kategorien und Begriffen der Wissenschaft der
Logik werden die Probleme der traditionellen Erkenntnistheorie, Ontologie und Logik
kommentiert und weiterentwickelt, so daß die Begriffe der Logik von den traditionellen,
philosophischen Begriffen als ihrem Gegenstand einerseits unterschieden werden. Weil
sie aber zugleich auch in der Logik weiterentwickelt werden, sind sie von ihrer Kom-
mentierung bzw. von der Bewegung in der Wissenschaft der Logik nicht zu unterschei-
den. Sie sind Momente der Einheit von Einheit und Unterschied. Die Vermittlung von
Denken und Gegenstand des Denkens, von Subjektivität und Objektivität ist zweckmä-
ßig, denn gelingt die Vermittlung dieser Begriffe nicht, dann kann auch nicht erklärt
werden, wie Erkenntnis logisch konsistent zu denken ist.
Auf der Stufe der Teleologie haben die Begriffe der Subjektivität und Objektivität
ihre Bestimmungen durch die der Teleologie vorgängigen Entwicklungsstufen erhalten.
In der Lehre vom Sein hatte Hegel die Kategorien der Qualität, der Quantität und des
Maßes bestimmt, in der Lehre vom Wesen verhandelt er das Verhältnis des Einzelobjekts
zur Erscheinung, zum Ding an sich, zur Substanz, Form, Materie etc. Außerdem wird
auf den Freiheitsbegriff reflektiert, der bei Hegel als Realisierung der systematischen
Vermittlung von Subjektivität und Objektivität gefaßt wird: Ausdruck von Freiheit ist es,
wenn die Subjektivität in ihren Bedingungen mit sich zusammengeht, denn dann hat sie
sich dasjenige, was der Realisierung ihrer Freiheit entgegensteht, angeeignet. In der
Lehre vom Begriff erarbeitet Hegel einen durch die logischen Schlußformen vermittelten
Begriff von Subjektivität, der die Objektivität nicht länger in vielen Einzeldingen vor-
findet, sondern als denjenigen Begriff, in dem alle Aspekte der Reflexion auf Objektivi-
tät aufgehoben worden sind. In der Teleologie ist Objektivität daher nicht Entität, Ding
an sich, Erscheinung usw., noch ist es Natur, Welt, Kosmos o. ä. Objektivität ist der ver-
mittelte Inbegriff all dieser Momente und so selbst zum Totalitätsbegriff geworden. Die
Bestimmung der Objektivität hat somit die gesamte Logik zu ihrer Voraussetzung und zu
ihrem Inhalt.
Ebensowenig wie die Objektivität ein Einzelding ist, ist die Subjektivität auf der Stu-
fe der Teleologie ein endliches Individuum. Subjektivität ist vielmehr der Begriff, in den
die Reflexion auf die Bestimmung der Objektivität fällt, also Einheit und movens der
Logik.
Wenn in der Teleologie der subjektive Zweck mit der Objektivität vermittelt wird,
dann beziehen sich zwei Begriffe aufeinander, deren Affinität – wie in der Arbeitshypo-
these antizipiert wurde – tatsächlich bereits vorausgesetzt werden kann. Der subjektive
Zweck bezieht sich auf die Objektivität als sein Anderes. Seine Bestimmung ist es, nicht
die Objektivität zu sein. Die Objektivität ist insofern das Mittel der Bestimmung des
Resultate. Das Scheitern der Selbstbestimmung 293

subjektiven Zwecks. Weil aber der Begriff der Objektivität als Mittel der Realisierung
des subjektiven Zwecks eine Bestimmung ist, die die vorangegangenen Bestimmungen
der Wissenschaft der Logik zur Voraussetzung hat, und weil in den vorangegangenen
Bestimmungen am Begriff der Objektivität gezeigt wurde, daß sein Wesen ist, durch die
Subjektivität bestimmt zu sein, ist er in dieser Hinsicht dasselbe, was der Begriff der
Subjektivität ist. Objektivität ist der ausgeführte Zweck, in dem die Momente der Sub-
jektivität und der Objektivität vermittelt sind; er ist das durchgeführte Programm der
Logik – absolute Idee. In der Idee sei somit auch der Freiheitsbegriff eingeholt worden:
Sie ist frei in dem Sinne, ihre eigenen Bedingungen aus sich begründet zu haben.
Der Übergang vom ausgeführten Zweck zum erstens Begriff der Idee, dem Leben
sollte damit begründet sein. Trotzdem hatte Hegel der Idee eine ausführliche Bestim-
mung des Lebensbegriffs vorangestellt, die in Abgrenzung gegen traditionelle Lebens-
begriffe argumentierte und damit außerhalb der eigentlichen Begriffsentwicklung stand.
Die traditionellen Begriffe wurden so mit ihren logischen Desideraten abermals vermit-
telt. Daran zeigt sich, daß die traditionellen Lebensbegriffe nicht in der Bewegung der
Logik aufgehen, sondern Implikationen haben, die Erklärungsbedarf erzeugen. Diese
Implikationen sind Ausdruck davon, daß die Begriffe in ihren traditionellen Fassungen
gegenüber den Fassungen der Logik auch Eigenständigkeit beanspruchen und darin als
Materie der Logik auch unterstellt bleiben.
Das Leben wird von Hegel als vollkommene, innere Zweckmäßigkeit von Seele und
Leib, Assimilation und Reproduktion, schließlich Individuum und Gattung konstruiert.
Das Individuum wird im Entstehen und Vergehen der Exemplare im Gattungsbegriff
aufgehoben. Die Gattung sei das Wesen des Individuums, dessen Funktion sich im Ster-
ben zwar nicht erschöpfe, aber doch erfülle. Im Sinne des Programms der Logik ist die-
ser Schluß folgerichtig. Die Idee weist den Individuen ihre Funktion innerhalb der Wis-
senschaft der Logik als Bestimmungsmoment zu, um sie ebenso auch wieder
aufzuheben. Damit holt Hegel einerseits die Voraussetzung vom Anfang der Logik ein,
den Entschluß, die Entwicklung rein aus dem Denken unabhängig von der Vermittlung
durch die Phänomenologie und den Entschluß eines Individuums durchzuführen. Ande-
rerseits hebt dieser Gattungsbegriff die individuelle Grundlage jeden Denkens auf. Ob-
gleich Hegel wie alle Momente so auch das Sterben der Individuen im Begriff aufheben
möchte, treten tatsächlich Begriff und Existenz des Individuums auseinander, denn
wenngleich Individuen überhaupt auch über den Tod der bestimmten Einzelnen hinaus
als Exemplare die Gattung bilden, wird die Existenz der bestimmten Individuen im Tod
gerade nicht bewahrt, sondern abstrakt negiert. Was bleibt, ist nur die Erinnerung an sie
in den noch lebenden Individuen. Diese Differenz wird in Hegels Idee wie im Geistbe-
griff nicht hinreichend reflektiert.
Es konnte also gezeigt werden, daß aus dem Denken in seiner transzendentallogi-
schen Bestimmtheit ein Begriff folgt, der den Individuen in seiner Geltung als System
transzendent ist. Das spiegelt sich im Verhältnis von Individuum und Gattungsbegriff
wieder. An anderen Stellen weist Hegel hingegen durchaus darauf hin, daß die Idee nur
in den Individuen existiert (so z. B. in den Vorlesungen zur Ästhetik, wo es um das sinn-
294 Resultate. Das Scheitern der Selbstbestimmung

liche Scheinen der Idee geht). Insofern bleibt diese Bestimmung insgesamt bei Hegel
ambivalent. Andererseits: Gerade weil es sich in der Logik um eine konsequente Durch-
führung der Selbstbestimmung des Begriffs handelt, ist dieses Resultat bedenklich. Ob-
jektivität und Subjektivität sind jeweils als Totalitäten bestimmt worden, die in einer
weiteren Totalität, der Idee, miteinander vermittelt sind. Das ist verwirrend genug, weil
es dem Begriff nach nur eine Totalität geben kann. Darüber hinaus zeigt sich aber am
Gattungsbegriff die Konsequenz aus dieser Bestimmung, der das Endliche und die Indi-
viduen eingepaßt werden. Es ist zu fragen, inwieweit auch die Realisierungen der logi-
schen Idee als Gestaltungen des subjektiven und objektiven Geistes, also der Phänome-
nologie und den Grundlinien diesem Begriff der Logik eingepaßt werden.
Durch die Kommentierung der Logik konnte also ersten gezeigt werden, daß in der
Argumentation Hegels die zwei Ebenen, die in der Logik vermittelt werden sollten – die
traditionellen und die logischen Begriffe, Geschichte und Begriff des Denkens – gegen
seine Arbeitshypothese nur teilweise aus dem Instrumentarium der Wissenschaft der Lo-
gik reproduziert werden konnten und sich insofern auch gegen das Vermittelt-Werden
sträuben. Die traditionellen Begriffe behalten ihre Eigenständigkeit jenseits der Wissen-
schaft der Logik und bleiben dieser als deren Material ebenso unterstellt. Zweitens war
das empirische Subjekt, das die Arbeitshypothese der Logik formuliert und vorangetrie-
ben hatte, mit dem Begriff der Subjektivität nicht vermittelt worden und blieb diesem
deshalb zugleich unterstellt. Es führt daher zu einem Bruch im Begriff der Gattung. Die
Begriffe der Logik gelten zwar unabhängig von der Meinung der Individuen, aber sie
existieren nicht unabhängig davon, durch sie gedacht zu werden. Das Individuum ist die
subjektive Bedingung der Existenz seiner Begriffe. Weder sind die Begriffe der Objekti-
vität, noch die der Subjektivität Totalitäten.
Dieses Resultat ist ambivalent: Einerseits zeigt Hegel, daß es eine notwendige Tendenz
des Denkens ist, sich absolut zu setzen. Das liegt in seinem Anspruch, sich in ein wissen-
schaftliches Verhältnis zur Welt zu setzen. Das Wahrheitskriterium ist ebenso Kriterium des
Denkens wie die Forderung nach Objektivität, d. h. notwendig und allgemein gültigen Urtei-
len. Daraus folgt, wie Hegel in der Logik zeigt, in letzter Konsequenz die vollständige, syste-
matische Vermittlung des Denkens mit allen Gegenständen als Selbstbestimmung des Be-
griffs. Wenn aber der Anspruch an Wissenschaftlichkeit (die bei Hegel weit mehr beinhaltet
als Methodenreflexion, die Einhaltung der Regeln guter wissenschaftlicher Praxis oder eine
plagiatfreie Zitierweise, nämlich Wissenschaft selbst) dem Denken angehört, dann kann we-
der der Anspruch an Wissenschaftlichkeit, noch das Subjekt, welches diesen Anspruch for-
muliert, aufgegeben werden. Entsprechend wurde auf das Wechselverhältnis des empiri-
schen Subjekts zu seinem Begriff als Subjektivität verwiesen. Aber dieses Wechselverhältnis
ist vor dem Hintergrund der formulierten Kritik anders zu akzentuieren: Nicht aus der Per-
spektive der Subjektivität, sondern der Objektivität.
Die systemphilosophische Einbettung der kommentierten Passagen in die Geistphilo-
sophie sollte in der Arbeit nicht erschöpfend behandelt werden; Hegels Begriff des Gei-
stes spielt allerdings insofern eine Rolle, als Arbeit, gesellschaftliche zumal, ein Be-
standteil des geschichtlich objektivierten Geistes ist und diese Objektivität sich an ihrem
Resultate. Das Scheitern der Selbstbestimmung 295

logischen Anspruch einerseits und der gesellschaftlichen Realität andererseits messen


lassen muß. Wenn das Wechselverhältnis von Subjektivität und Objektivität kritisch zu
fassen ist, dann wirkt das auf die Strukturen und Bestimmungen der Objektivität ebenso
zurück wie auf die Subjektivität: Während ein Resultat der Logik Hegel zufolge war,
daß die Idee ihre Bedingungen aus sich reproduzieren könne, und damit das Verhältnis
von Subjektivität und Objektivität mit der Priorität der Subjektivität durchgeführt ist,
sollte an der Phänomenologie und den Grundlinien gegen Hegels eigene Intention auf-
gezeigt werden, inwiefern Selbstbestimmung des Selbstbewußtseins durch Herrschaft
und gesellschaftliche Organisation bedingt bleibt bzw. verhindert wird. In der herr-
schaftlich organisierten Arbeit hat Selbstbestimmung eine Grenze, die sich noch im
Scheitern der gesellschaftlichen Selbstbestimmung in den Grundlinien geltend macht.
Nicht weiterverfolgt wurde hingegen die Weiterentwicklung des Geistbegriffs, der
bereits in der Phänomenologie des Geistes dem Individuum eine andere Stellung ge-
währt als noch in der Logik: Ich, das Wir, und wir, das Ich ist. Hegel selbst bietet in der
Phänomenologie des Geistes den Versuch der Begründung des Übergangs vom Selbst-
bewußtsein über die Vernunft bis zum Geist und des darin thematisch werdenden
Rechtszustandes an. Die Abfolge der Kapitel in dieser Arbeit folgte also nicht der Ord-
nung Hegels, sondern der Ordnung, die durch das Thema dieser Arbeit, das Wechselver-
hältnis von Arbeit und Selbstbestimmung, erfordert ist: Begriff, Geschichte, Gesell-
schaft, Gegenwart. Der terminus ad quem der Kommentierung Hegels, zu zeigen, wie
die Perspektive aus der Objektivität heraus auf die Subjektivität umzusetzen ist, sollte
auch in der Form der Darstellung reflektiert werden.
Der Begriff des Selbstbewußtseins der Phänomenologie wurde auf seine Bedingtheit hin
befragt. Der Begriff des Selbstbewußtseins, den Hegel in den Bewußtseinskapiteln ent-
wickelt hatte, war der Begriff eines Vermögens, das die Potenz hat, absolutes Wissen zu wer-
den. Es ist der Begriff eines Selbstbewußtseins, das vor dem Hintergrund seiner geschichtli-
chen Situation reflektiert ist, aber mit der Pointe, daß es sich als Grund dieser
geschichtlichen Situation wiederum absolut setzt. Der Begriff des Selbstbewußtseins geht,
über die Reflexionsstufen der sinnlichen Gewißheit, der Wahrnehmung und der Kraft des
Verstandes vermittelt, als der Begriff des Unterschiedes hervor, der keiner ist. Im Selbstbe-
wußtsein ist der Verstand mit seinen Kategorien wie dem Begriff des Gesetzes, der Kausali-
tät, der Kraft, ebenso vermittelt worden, wie mit den Gegenständen der sinnlichen Wahrneh-
mung und der naturwissenschaftlich konstituierten Erfahrung. Dieses Selbstbewußtsein
realisiert sein Wesen, absoluter Grund der Erfahrung zu sein, im herrschaftlich bestimmten
Anerkennungsverhältnis. Weil die Realisierung des Selbstbewußtseins Zweck der Herrschaft
ist, anerkennt der Knecht den Herren als denjenigen, der im Kampf auf Leben und Tod sei-
nen Anspruch auf Anerkennung durchsetzen konnte. Der Knecht soll Anerkennung in seiner
Arbeit erfahren. Indem er seine Zwecke in der Natur setzt, wird er sich seiner Fähigkeiten,
die Natur zu beherrschen, und darin Grund der Erfahrung zu sein, bewußt. Das Bewußtsein
dieser Freiheit ist zunächst abstrakt oder wie Hegel es nennt, stoisch, so daß die weitere Ent-
wicklung der Phänomenologie auch auf die praktische Befreiung des knechtischen Selbstbe-
wußtseins gehen muß.
296 Resultate. Das Scheitern der Selbstbestimmung

Aber auch hier hatte sich bei näherem Hinsehen gezeigt, daß Hegel das Resultat der
Befreiung durch Herrschaft nur durch eine teleologische Konstruktion begründen kann.
In der historisch-kritischen Betrachtung naturwissenschaftlicher Theoriebildung er-
scheint nicht das telos der Begründung der Einheit des Selbstbewußtsein als das Resultat
der Entwicklung, sondern das Bewußtsein der Differenz von Selbstbewußtsein und Na-
turwissenschaft. Geschichtlich ist das Selbstbewußtsein kein absoluter Grund, sondern
ein durch die historischen Bezüge von Kritik und Fortschritt des Denkens und der Praxis
bedingtes Vermögen. Ein geschichtlich bedingtes Selbstbewußtsein ist dann auch kein
zuverlässig vernünftiges mehr, sondern eines, das sich zunächst vor allem um seine Exi-
stenzbedingungen kümmern muß, bevor es Selbstbewußtsein werden kann. Also anders
als von Hegel intendiert ist das Selbstbewußtsein vor seiner geschichtlichen Realisie-
rung zwar als Vermögen der Selbsterkenntnis und -bestimmung angelegt. Es ist aber
nicht unabhängig von den jeweiligen geschichtlichen Bedingungen zu denken. Es ist so-
wohl selbst- als auch fremdbestimmt. Geschichtlich liegt das Interesse, Herrschaft über
andere Menschen auszuüben, nicht darin, das Selbstbewußtsein zu realisieren, sondern
über das Mehrprodukt der anderen zu verfügen. Die Anerkennung und Entwicklung des
Selbstbewußtseins anderer Menschen durch Herrschaft zu verhindern, und sie dem eige-
nen willkürlich bestimmten Interesse unterzuordnen, bleibt ein kontradiktorischer Wi-
derspruch, der systematisch nicht aufzulösen ist: Aus unvernünftigen Bedingungen sind
vernünftige nicht ableitbar. Ein entwickeltes Niveau der Produktivkraft ist zwar die not-
wendige Bedingung politischer Befreiung, aber kein hinreichender Grund.
Vom Standpunkt der Hegelschen Argumentation aus stellt sich aber auch das Verhält-
nis von Selbstbewußtsein und Herrschaft anders dar. Herrschaft sei ein notwendiges
Durchgangsmoment, um das Selbstbewußtsein geschichtlich herauszubilden. Aber die-
ses Verhältnis werde mit dem Eintritt der Menschen in den bürgerlichen Rechtszustand
aufgehoben. Im bürgerlichen Rechtszustand sei das, was als wahr erkannt worden ist,
praktisch realisiert worden. In den Grundlinien konstruiert Hegel den Begriff einer ge-
sellschaftlichen Organisation, in der die Selbstbewußtseine geschichtlich zu sich selbst
gekommen sind, in der jeder einzelne mit sich, jeder mit allen und mit der Welt als zwei-
ter Natur vermittelt ist und so in den Zustand realisierter Sittlichkeit eingetreten ist. Das
Privatrecht ist Hegel zufolge die sozialontologische Form vernünftiger Willensbestim-
mung und die Grundlage, auf der das System der Bedürfnisse in der bürgerlichen Ge-
sellschaft organisiert ist. Arbeit hat innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft eine doppel-
te Funktion: Sie dient der materiellen Reproduktion der Gesellschaft und weil jeder, der
arbeitet, seinen Beitrag zu einer Gesellschaft leistet, die Hegel als Inbegriff vernünftiger
Willensbestimmung bestimmt, erfahren die Arbeitenden auch gesellschaftliche Anerken-
nung. Obgleich die bürgerliche Gesellschaft von Hegel als ein Zusammenhang bestimmt
wird, der selbst nicht sittlich ist, sondern die einfache Negation der Sittlichkeit der Fa-
milie oder Not- und Verstandesstaat, obwohl die bourgeois nur ihren technisch-prakti-
schen Interessen nachgehen und um die Teilhabe am System der Bedürfnisse konkurrie-
ren, implementiert Hegel der bürgerlichen Gesellschaft mit der Anerkennung durch
Arbeit ein sittliches Moment. Obgleich Hegel aber alle Mitglieder der Gesellschaft zu
Resultate. Das Scheitern der Selbstbestimmung 297

Privateigentümern bestimmt hat, denen die Mittel ihrer Teilhabe an der bürgerlichen Ge-
sellschaft und dem System der Bedürfnisse gegeben sind, stellt er selbst dar, daß die Re-
produktion nicht für alle gleichermaßen gut gelingt. Die Existenz der Armen kann Hegel
weder aus der systematischen Funktion der bürgerlichen Gesellschaft erklären, ihren
Mitgliedern ihre Reproduktionsmittel zukommen zu lassen, noch kann er erklären, wie
die Armen zu ihrem Recht kommen, anerkannt und durch die Gesellschaft materiell ver-
sorgt zu werden. Auch können die Mitglieder der von Hegel entworfenen Gesellschaft
ihr recht nicht politisch einklagen, weil eine politische Opposition dort keinen Ort hat.
So sehr einerseits die Hellsichtigkeit Hegels darin liegt, diese Widersprüche notiert zu
haben, so wenig konnte er sie systematisch vermitteln. In dieser Diskrepanz zwischen
dem systematischen Anspruch Hegels und dessen Undurchführbarkeit im Begriff gesell-
schaftlicher Realität erscheinen die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht als das, was sie
geschichtlich sind, sondern als das, was sie dem rechtsphilosophischen Standpunkt nach
sein sollen. Damit hält die politische Ökonomie Einzug in die Wirklichkeit der Grundli-
nien und trennt deren Momente wieder – die Vernunft und die Geschichte. Der Grund
für den von Hegel dokumentierten Widerspruch ist dem philosophischen System nicht
immanent, sondern transzendent, weil er nicht in einem vernünftig bestimmten Willen
liegt, wie Hegel meinte, sondern in die Vorgeschichte der bürgerlichen Revolutionen
und Reformen zurückverweist. Entsprechend hat Hegel diesen Widerspruch auch nicht
befriedigend erklären können.
Die ökonomischen Bedingungen und deren Vorgeschichte, in der die Menschen durch
Gewalt von ihren Produktionsmitteln getrennt wurden, analysiert Marx im Kapital. Er
zeigt, daß die in den vorbürgerlichen Epochen etablierten Herrschaftsverhältnisse mit
den Revolutionen und Reformen der Neuzeit nicht beendet worden sind, sondern daß sie
in eine neue, unpersönliche Form der Herrschaft transformiert worden sind. Der Zweck
dieser neuen Form der Herrschaft ist derselbe wie zuvor: die Verfügung über das Mehr-
produkt. Darin behält der Begriff der Herrschaft der Phänomenologie seine Gültigkeit,
obwohl er sich auf eine geschichtliche Situation bezieht, die obsolet zu sein scheint.
Herrschaft bleibt auch der geschichtliche Gegenstand der Kritik an den Grundlinien.
Was sich aber mit dem bürgerlichen Rechtszustand geändert hat, ist die gesetzliche
Form und die organisatorischen Mittel: Privateigentum, Warenproduktion zum Zweck
der Akkumulation, Produktion und Akkumulation des Mehrwerts. Auf der Grundlage
des Privateigentums an Produktionsmitteln richtet sich die Produktion am Zweck der
Akkumulation von Produktionsmitteln aus, die Menschen werden als Menschen zur Ne-
bensache, vor allem ihre Arbeitskraft zählt. Zugleich wird durch Technisierung die Pro-
duktivkraft in einem ungeheurem Maße rastlos gesteigert. Und auch wenn die heutigen
Verhältnisse anders gewichtet zu sein scheinen als zur Zeit der Industrialisierung, so be-
ruhen sie doch auf dem Fundament dieser Produktion, die so produktiv ist, daß es so
scheint, als sei sie gar nicht mehr konstitutiv für die Gegenwart. Daß dabei nur der klei-
nere Teil der Menschheit von den Auswirkungen dieses Produktivkraftniveaus über-
haupt profitiert, während der größere Teil ein Leben am und unter dem Existenzmini-
mum führt, stürzt die wenigsten in Zweifel.
298 Resultate. Das Scheitern der Selbstbestimmung

Hegels Systemprogramm kann nur unter der Voraussetzung gelingen, daß die Ob-
jektivität bereits an sich zweckmäßig verfaßt ist. Während Hegel diese zweckmäßige
Verfassung in Eins zum Ausdruck der Selbstbestimmung erklärte, erwies sich in der
Kritik, daß zwischen selbst- und fremdbestimmten Zwecken zu unterscheiden ist: Das
bezog sich auf die naturwissenschaftliche Theoriebildung ebenso wie auf das Scheitern
der Selbstbestimmung im Herrschaftsverhältnis und der Arbeit in der bürgerlichen Ge-
sellschaft. In diesem Scheitern wird die Differenz zwischen dem Zweck der Selbstbe-
stimmung, der alle materiellen Bedingungen adäquat vorfindet, und den Zwecken ge-
setzt, die sich ergeben, wenn es um die Organisation des täglichen Lebens geht. Beides
kann, muß aber nicht zusammenstimmen. Eine Objektivität, die dem Begriff der Idee,
dem Begriff vom wissenschaftlichen Denken, dem guten Wollen adäquat wäre, die, wie
Hegel gezeigt hat, eine Totalität von Totalitäten sein müßte, gibt es historisch nicht. Ob-
wohl geschichtlich Zwecke in der Welt realisiert worden sind, ist diese nicht die Reali-
sierung der Selbstbestimmung. Arbeit, Anerkennung und Selbstbestimmung sind nicht
gleichzusetzen, wenngleich sie vermittelt werden sollen.
Die hier durchgeführte Kritik am Arbeitsbegriff Hegels ist qualitativ von der verbrei-
teten liberalistischen Kritik unterschieden. Die Reduktion der Kritik am Rechtsbegriff
Hegels darauf, daß er den preußischen Staat affirmativ abbilden wolle, verfehlt die In-
tention Hegels, einen Begriff von Gesellschaft zu begründen, der für alle einsehbar sein
können muß und in dem die moralischen und die technisch-praktischen Zwecke koordi-
nierbar sind. Darin ist ein Freiheitsbegriff angelegt, der nicht nur auf Handlungsfreiheit
und Handhabung von Rechtskollisionen ausgelegt ist, wie ein liberaler Freiheitsbegriff.
Er weist auch über den neuen deliberativen Begriff von Selbstbestimmung hinaus, in-
dem er die materiellen Bedingungen einbezieht. Selbstbestimmung und ihre Verwirkli-
chungsbedingungen werden zu Momenten wirklicher sachbestimmter Freiheit, die we-
der beliebig noch despotisch ist. Problematisch bleibt aber, daß diese Freiheit nicht
realisiert ist.
Umgekehrt: Das Auseinanderfallen des sittlichen Zwecks der Selbstbestimmung und
der ökonomischen Arbeit ist ein historisches Phänomen, ein Phänomen der Moderne,
das seinen Maßstab der Kritik einerseits an der Idee der Vermittlung hat, andererseits
aber keine Vermittlung im Begriff, sondern nur eine in der Geschichte sein kann. Mit
dem Bewußtsein der Differenz von Arbeit und Selbstbestimmung kann dann auch eine
Arbeitswelt nach ihren Zwecken hinterfragt werden, die, ganz von sich selbst überzeugt,
das Nützlichkeitskriterium mit dem der Selbstverwirklichung verwechselt. Die Vorstel-
lungen, daß Arbeit Selbstverwirklichung sei, und die Arbeitslosen unverantwortlich, er-
weisen sich im Bewußtsein dieser Differenz als obsolet, ebenso wie die Gründe dafür
sichtbar werden, wider besseren Wissens daran festzuhalten. Derart kritisch gewendet
scheint ein Freiheitsbegriff jenseits der Nützlichkeit auf: die Freiheit, Möglichkeiten un-
genützt zu lassen:
„Vielleicht wird die wahre Gesellschaft der Entfaltung überdrüssig und läßt aus Freiheit Mög-
lichkeiten ungenützt, anstatt unter irrem Zwang auf fremde Sterne einzustürmen. Einer
Menschheit, welche Not nicht mehr kennt, dämmert gar etwas von dem Wahnhaften, Vergebli-
Resultate. Das Scheitern der Selbstbestimmung 299

chen all der Veranstaltungen, welche bis dahin getroffen wurden, um der Not zu entgehen, und
welche die Not mit dem Reichtum erweitert reproduzierten. Genuß selbst würde davon berührt,
so wie sein gegenwärtiges Schema von der Betriebsamkeit, dem Planen, seinen Willen Haben,
Unterjochen nicht getrennt werden kann. Rien faire comme une bête, auf dem Wasser liegen
und friedlich in den Himmel schauen, ‚sein, sonst nichts, ohne alle weitere Bestimmung und
Erfüllung‘ könnte an Stelle von Prozeß, Tun, Erfüllen treten und so wahrhaft das Versprechend
er dialektischen Logik einlösen, in ihrem Ursprung zu münden.“1

1
Theodor W. Adorno. Gesammelte Schriften Bd. 4 (Minima Moralia). Darmstadt, 1998, 179 (Sur
l‘eau).
Literaturverzeichnis

Erläuterungen der Kurztitel

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Enzyklopädie III: Hegel, Georg W. F. Werke Bd. 10 (Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften
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Grundlinien: Hegel, Georg W. F. Hauptwerke Bd. 5 (Grundlinien der Philosophie des Rechts). Darm-
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Grundlinien (Werke): Hegel, Georg W. F. Werke Bd. 7 (Grundlinien der Philosophie des Rechts oder
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Lehre vom Begriff: Hegel, Georg W. F. Hauptwerke Bd. 4 (Wissenschaft der Logik; Bd. 2. Die subjek-
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Lehre vom Sein und vom Wesen: Hegel, Georg W. F. Hauptwerke Bd. 3 (Wissenschaft der Logik; Die
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Phänomenologie des Geistes: Hegel, Georg W. F. Hauptwerke Bd. 2 (Phänomenologie des Geistes).
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Personenregister

Adorno, Theodor W. 11, 15, 21, 38 f., 41 f., 92, Conze, Werner 12, 14
164, 182, 199, 274, 280, 299, 302
Althusser, Louis 31 f. Deggau, Hans-Georg 199, 202, 207 f.
Altvater, Elmar 37 Descartes, René 61
Arendt, Hannah 28 Dijksterhuis, Eduard J. 150, 152 f.
Aristoteles 11, 36, 63 ff., 70, 76, 78, 89, 94, 98, Dubsky, Ivan 40, 162, 279, 280
126, 129, 170, 219, 290, 297
Arndt, Andreas 18, 36 ff., 41, 55, 64, 79, 84, 112,
121 f., 125, 135, 148, 177, 183, 220, 233, 280 Einstein, Albert 150, 154
Elbe, Ingo 265
Balibar, Etienne 32 Ellmers, Sven 252
Baratella, Nils 168 Engels, Friedrich 27, 40, 215, 270 f., 276 f., 279,
280 f.
Bauer, Leonhard 199
Europäische Bildungsminister 283
Bauer, Wilko 212
Becker, Werner 30
Fetscher, Iring 19, 63, 108, 163, 192
Behrend, Olaf 288
Fink-Eitel, Hinrich 32
Bensch, Hans-Georg 49, 122, 142, 154
Foucault, Michel 32 f.
Berger, Maxi 84, 128
Freud, Sigmund 191
Bertram, Georg W. 176
Freytag, Tatjana 271
Bloch, Ernst 29
Furth, Peter 41
Bluhm, Harald 183
Bockenheimer, Eva 233, 235
Gadamer, Hans-Georg 63, 132, 139 f., 141, 143,
Bourdieu, Pierre 31 ff. 156
Bowman, Brady 124 Gans, Eduard 194, 204, 245
Brandt, Reinhard 212 Le Goff, Jacques 11
Brocker, Manfred 27
Bucharin, Nikolai Iwanowitsch 13 f. Habermas, Jürgen 29, 33, 41
Buchholz, Karl 288 Hawel, Marcus 271
Bulthaup, Peter 38 f., 53, 59, 108, 202, 209 Hayek, Friedrich August 16
Bundesregierung online 286, 288 Haym, Rudolf 19, 21
Bundesrepublik Deutschland 288 Heinrich, Michael 23, 27, 37, 249, 259
Heraklit 123
Canterbury, Anselm von 60 Hierl, Konstantin 14
Capelle, Wilhelm 123 Hilger, Marie-Elisabeth 27
Personenregister 311

Hindrichs, Gunnar 267 Mitscherlich, Olivia 24


Hitler, Adolf 14 Moyar, Dean 120, 178
Hobbes, Thomas 107 f., 191 f., 202, 205, 226 Müller, Ernst 55, 121, 125, 148, 177, 183
Homer 109 Müller, Jan 150, 152
Honneth, Axel 21, 29, 177, 232, 253 Müller, Severin 30

Iber, Christian 148, 177, 194 f. Negt, Oskar 29, 56, 85, 271
IG Metall Projekt Gute Arbeit 27 Neuendorff, Hartmut 37
iga – Initiative Gesundheit und Arbeit 27
Peter, Gerd 37, 267
Jaeggi, Rahel 21, 280 Pippin, Robert 17, 21, 33, 120
Jaeschke, Walter 19, 57, 75, 212, 232 Pöggeler, Otto 40, 49, 118, 144, 146, 168, 171,
Jelinski, Oliver 226 177, 259
Popper, Karl 16
Kabadayi, Erdem M. 13 Postel, Verena 12
Kant, Immanuel 40–42, 44–48, 5 f., 53 f., 56 f., Postone, Moishe 37
59–62, 69, 78, 80–86, 93–95, 97–100, 104, Preobraschensky, Evgenij 13 f.
110, 113 f., 123, 128 f. 131–133, 135, 136,
139, 157 f., 168, 170, 177 f. 185, 192,
196–200, 202, 205–209, 212, 221, 223, 225 f. Quante, Michael 34, 36, 120, 178
229 f., 243, 267, 290 f.
Kleist, Heinrich von 164 Reckwitz, Andreas 33
Kojève, Alexandre 163, 167, 182 Reichardt, Tobias 9, 11, 13
Krahl, Hans-Jürgen 56, 85 Riedel, Manfred 24, 40, 50, 64, 66, 92, 100,
Kreuzer, Johann 17 103 f., 162, 194, 204, 244, 245
Kuhne, Frank 23, 85 Ritter, Joachim 50
Rohbeck, Johannes 30
Larmore , Charles E. 253 Ruben, Peter 28, 41, 266, 270
Lange, Ernst Michael 34 f., 174 f., 265 Rühle, Volker 179
Lim, Sok-Zin 42, 145,161, 169, 175, 177 Ruschig, Ulrich 59
Locke, John 213, 284
Ludwig-Mayerhofer, Wolfgang 288 Sachsse, Hans 31
Luhmann, Niklas 33 f. Sandgruber, Roman 199
Lukács, Georg 28, 270 Sans, Georg 68
Luther, Martin 198 Schatzki, Theodore R. 33
Schiller, Friedrich 216
Manssen, Gerrit 288 Schmidt am Busch, Hans-Christoph 17, 35, 177,
189, 217, 252, 259, 263
Matis, Herbert 199
Schmieder, Falko 125
Marcuse, Herbert 39 f., 92
Schnädelbach, Herbert 47, 49, 62
Marx, Karl 22–24, 34, 36, 37, 40, 55, 65, 76, 85,
121 f., 171, 185, 200, 213, 215, 218 ff., 236, Scholz, Rupert 288
241 f., 249 f., 252 f., 256 f. 259–289 Seidel, Horst 129
Meggle, Georg 36 Sennett, Richard 15, 31
Menasse, Robert 13, 15 Siep, Ludwig 29, 57, 117, 177, 185, 212, 232
Menne, Albert 27, 31 Sohn-Rethel, Alfred 39
Meyfeld, Dirk 135, 195 Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands 28
Michel, Ernst 27 Spieker, Michael 110
312 Personenregister

Städtler, Michael 11, 76, 128, 135, 206, 210, 226 Wagenknecht, Sahra 40
Stepina, Clemens K. 36, 65, 213, 249 Wolf, Dieter 265
Wolf, Frieder O. 37, 262, 267
Taylor, Charles 20
Türcke, Christoph 198 f. 287 Zunke, Christine 154
Zurn, Christopher 177
Vollmann, Heiko 261
Vos, Lu de 232

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