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44. Kap./4 * „Todsünde“ gegen die Natur | Magic of Nature https://heinzschott.wordpress.com/2013/10/13/44-kap-4-todsunde-gegen-...

Magic of Nature
A Heinz Schott Blog

44. Kap./4 * „Todsünde“ gegen die Natur


Veröffentlicht am 13. Oktober 2013

Der von mir gelesene Text kann durch einen Audio Podcast abgehört werden.

Die Gefährlichkeit der Onanie (wie des übermäßigen Geschlechtsverkehrs) ergab sich aus der Vorstellung, dass
mit dem Verlust des Samens zugleich Lebenskraft verloren gehe. Diese Lehre konnte sich in der
abendländischen Tradition auf Aristoteles berufen, der tatsächlich in „De generatione animalium“ festgestellt
hatte, dass im allgemeinen bei den meisten Männern der Geschlechtsverkehr zu Erschöpfung und Schwäche
führe.[1] Wir werden nun sehen, wie Christoph Wilhelm Hufeland um 1800 die oben skizzierte Lehre von der
verderblichen Onanie unverändert aufgriff und höchst wirkungsvoll in seine „Makrobiotik“ einbaute. Sie eignete
sich nämlich vorzüglich zur Demonstration als „Lebensverkürzungsmittel“. Der Titel von Hufelands populärer
Programmschrift lautete „Die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern“. Sie erschien erstmals 1796 bzw.
1797 und wurde in zahlreichen späteren Auflagen unter dem Obertitel „Makrobiotik“ in weiten Teilen der
Bevölkerung auch als „Volksausgabe“ bekannt.[2] Es lohnt sich, das dem Abschnitt „Verkürzungsmittel des
Lebens“ zugeordnete Kapitel „Ausschweifungen der Liebe. – Verschwendung der Zeugungskraft. – Onanie,
sowohl physische als moralische“ etwas genauer in Augenschein zu nehmen.[3] Es stand bereits in der ersten
Auflage an zweiter Stelle von ingesamt 12 Kapiteln, was die Wichtigkeit seiner Thematik von Anfang an
unterstrich.[4] Auf wenigen Seiten malte Hufeland ein unüberbietbares Schreckensgemälde an die Wand. Die
Ausschweifung sei das zerstörendste „von allen Lebensverkürzungsmitteln“: „Was kann aber wohl mehr die
Summe der Lebenskraft vermindern, als die Verschwendung desjenigen Saftes, der dieselbe in der
concentrirtesten Gestalt erhält, der den ersten Lebensfunken für ein neues Geschöpf, und den größten Balsam
für unser eigenes Blut in sich faßt?“[5] Seelenorgane (Gehirn) und Zeugungsorgane seien eng miteinander
verbunden und verbrauchten „beide den veredeltsten und sublimirtesten Theil der Lebenskraft“. Je mehr wir die
Denkkraft anstrengen würden, desto weniger lebe unsere Zeugungskraft und „je mehr wir die Zeugungskräfte
reizen und ihre Säfte verschwenden, desto mehr verliert die Seele an Denkkraft, Energie, Scharfsinn,
Gedächtniß.“[6] Hufeland empfahl nun ein allgemeines therapeutisches Konzept gegen die triebhafte
Säfteverschwendung, nämlich die Ehe, „die den Reiz des Wechsels ausschließt und den physischen Trieb
höhern moralischen Zwecken unterwirft“. Somit könne „dieser Trieb auch physisch geheilt, d. h. unschädlich und
heilsam gemacht werden.“[7] War nun die sexuelle Ausschweifung per se schon schlimm genug, so erschien die
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als der naturgemäße Beischlaf.“ Hufeland malte ein entsprechendes Schreckensbild des „Sünders“ aus, der

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wegen seines Lasters so gut wie von allen Krankheiten, die seinerzeit diagnostiziert wurden, heimgesucht
werden konnte. Es soll hier ausführlich wiedergegeben werden, da es jene medizinische Doktrin prägnant
zusammenfasste, die erst im ausgehenden 20. Jahrhundert ihre Gültigkeit verlor.

„Schrecklich ist das Gepräge, was die Natur einem solchen Sünder aufdrückt! Er ist eine verwelkte Rose, ein in
der Blüthe verdorrter Baum, eine wandelnde Leiche. Alles Feuer und Leben wird durch dieses stumme Laster
getödtet, und es bleibt nichts als Kraftlosigkeit, Unthäthigkeit, Todtenblässe, Verwelken des Körpers und
Niedergeschlagenheit der Seele zurück. Das Auge verliert seinen Glanz und seine Stärke, der Augapfel fällt ein,
die Gesichtszüge fallen in das Länglichte, das schöne jugendliche Ansehen verschwindet, eine blassgelbe
bleyartige Farbe bedeckt das Gesicht. Der ganze Körper wird krankhaft, empfindlich, die Muskelkräfte verlieren
sich, der Schlaf bringt keine Erholung, jede Bewegung wird sauer […]. Knaben, die Genie und Witz hatten,
werden mittelmässige oder gar Dummköpfe; die Seele verliert den Geschmack an allen guten und erhabnen
Gedanken; die Einbildungskraft ist gänzlich verdorben. Jeder Anblick eines weiblichen Gegenstands erregt in
ihnen Begierden, Angst, Reue, Beschämung und Verzweiflung an der Heilung des Uebels macht den peinlichen
Zustand vollkommen.“[8]

Der Onanist sei auch von „Anwandlungen zum Selbstmord“ wegen peinigender Gefühle und geheimer Vorwürfe
bedroht: „Das schreckliche Gefühl des lebendigen Todes macht endlich den völligen Tod wünschenswerth.“ Aber
auch andere schreckliche Leiden der Körperorgane und des Organismus insgesamt könnten entstehen:
„Überdies ist die Verdauungskraft dahin, Winde und Magenkrämpfe plagen unaufhörlich, das Blut wird verdorben,
die Brust verschleimt, es entstehen Ausschläge und Geschwüre in der Haut, Verdrocknung und Abzehrung des
ganzen körpers, Epilepsie, Lungensucht, schleichendes Fieber, Ohnmachten und früher Tod.“[9] Das Übel werde
noch komplettiert durch die Folgen der „moralischen Onanie“, der „Anfüllung und Erhitzung der Phantasie mit
lauter schlüpfrigen und wollüstigen Bildern“. Dies könne zur „Gemüthskrankheit“ führen, zu einem schwächenden
Reizfieber, einer „Reizung ohne Befriedigung“.[10] Hufeland sah besonders drei Gruppen von der „moralischen
Onanie“ betroffen: „Wollüstlinge“, Menschen „im religiösen Cölibat“, die ihre „Geistesonanie“ hinter heiligen
Entzückungen verstecken könnten, sowie ledige Frauen, die durch die Lektüre von Romanen „oft im innern
gewaltig ausschweifen“.

Auf der anderen Seite sang Hufeland ein Loblied auf die „Enthaltsamkeit von dem Genuss der physischen Liebe
in der Jugend und ausser der Ehe“, wie das vierte Kapitel von insgesamt 17 im Abschnitt „Verlängerungsmittel
des Lebens“ überschrieben ist.[11] Zwei Gründe waren für ihn ausschlaggebend: Zum einen die Vergeudung von
Lebenskraft durch übermäßigen Samenverlust und zum anderen die Gefahren einer Ansteckung durch das
„venerische Gift“. Beides konnte durch die Enthaltsamkeit vermieden werden. Als Lohn winkte dann ein
„glücklicher Ehestand“, der Hufeland im darauffolgenden Kapitel mit rosigen Farben häuslichen Glücks ausmalte.
Ein neuer Gesichtspunkt kam nun hinzu: Der Mensch sei gegen den physischen Schaden, „den die
Nichtbefriedigung des Geschlechtstriebs erregen könnte, gesichert, es existirt keine unwiderstehliche blos
thierische Nothwendigkeit desselben“.[12] Es gebe „natürliche Ableitungen“ – „Pollutiones nocturnae beym
männlichen und Menstrua beym weiblichen Geschlechte“.[13] Daraus schloss Hufeland, dass die Enthaltsamkeit
keinen Schaden anrichte, im Gegenteil: die Säfte seien „nicht bloß zur Ausleerung sondern am meisten zur
Wiedereinsaugung ins Blut und zu unserer eigenen Stärkung bestimmt“. Gerade diese Idee der
Wiedereinsaugung bzw. Zurückhaltung des Samens spielte in asiatischen Sexualpraktiken und ihren westlichen
Adapationen, wie etwa Karezza, die freilich ein gänzlich anderes Verständnis von „Enthaltsamkeit“ als Hufeland
hatten, ein wichtige Rolle (Kap. 49).
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einflossen bzw. diesen überhaupt erst ermöglichten. Die Sünde bestand nun weniger darin, dass Gottes Gebot
verletzt wurde – entsprechend der Geschichte des Onan im Alten Testament, die allerdings den Coitus
interruptus und nicht die „Onanie“ problematisiert –, als vielmehr in der Missachtung der physiologischen,
naturgegebenen Ordnung des menschlichen Organismus: Die Vergeudung der Lebenskraft, die Schwächung des
Körpers und im Falle der „moralischen Onanie“ die Überreizung der Seele. Letztlich galt die Onanie als
potenzieller Selbstmord – und der war für Ärzte wie Seelsorger gleichermaßen mit allen Mitteln zu bekämpfen.
Inwieweit ihr pädagogisches Wirken selbst dazu beitrug, dass solche Selbstmordgedanken bei Jugendlichen
überhaupt erst entstehen konnten, lag außerhalb der zeitgenössischen Denkgewohnheit.

Der Kampf gegen die Onanie wurde mit allen möglichen Mitteln geführt. Zu den drastischen gehörten bestimmte
Bandagiertechniken, wie sie der norddeutsche Arzt und Initiator des Seebades Heiligendamm Samuel Gottlieb
Vogel empfahl. In seiner Aufklärungsschrift über das „unglaubliche gemeine Laster der zerstörenden
Selbstbefleckung“ empfahl er u. a. das Hochbinden der Unterarme auf den Rücken zur Verhütung der
Onanie.[14] Auch Apparate zur Verhütung der Onanie in Form altbekannter Keuschheitsgürtel wurden bei beiden
Geschlechtern eingesetzt.[15] Der Pädagoge und Philantrop Johann Heinrich Campe berichtete zur selben Zeit
von einem Erzieher, dem als Jugendlicher Tissots Buch in die Hände gefallen sei und der sich von seinem
vermeintlichen Leiden durch einen gekrümmten Draht befreit habe, den er sich an seinen zwei ringförmig
gebogenen Enden durch die Vorhaut zog, so dass die Krümmung auf der Eichel lag. Um die Löcher in der
Vorhaut anzubringen, legte er sie „etwas vorgezogen auf den Tisch, setzte den Nagel darauf und – man
bewundere den tugendhaften Heldenmuth des Knaben! – nagelte sich, indem er einen derben Schlag mit einem
Buche [Tissots Buch!] darauf versetzte fest.“[16] Campe beschrieb den vielfachen Nutzen einer solchen
Drahtvorrichtung, die er, wie er beteuerte, auch am eigenen Sohn einsetzen würde und die zu seinem Bedauern
nur bei Jungen Anwendung finden könne: „Erstens macht er [der Draht] die Selbstschändung schlechterdings
unmöglich; zweitens verhindert er auch die bloße Erection durch den Schmerz, der in dem nemlichen
Augenblicke, da dieselbe sich ereignen will, alle wollüstigen Empfindungen sogleich unterdrückt; und hierdurch
wird er drittens ein vollkommen sicheres Verwahrungsmittel auch gegen alle unwillkürlichen Schwächungen
[Pollutionen] im Schlafe.“[17] Im Kampf gegen die Onanie sollten sich der Knabe oder Mann als Helden
profilieren, die ihren Geschlechtstrieb mit aller Härte kontrollieren konnten – als Erziehungsprodukt im Sinne einer
Modellierung des „männlich-bürgerlichen Körpers“, wie es aus heutiger Sicht erscheint.[18] Es sei hier
angemerkt, dass Keuschheitsgürtel noch Mitte des 19. Jahrhunderts propagiert und hergestellt wurden. So
veröffentlichte der schottische Chirurg John Moodie 1848 eine einschlägige Schrift, die Baupläne entsprechender
Apparate für beide Geschlechter zur Bekämpfung dieses „tödlichen Lasters“ enthielt.[19]

[1] Buch I, 18. 724a; Reinisch / Kaufman, S. 254

[2] Hufeland, 1796; 1797; 1869.

[3] Ebd., S. 49-53.

[4] Hufeland 1797, S. 340-351

[5] Hufeland, 1869, S. 49.


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[7] A. a. O., S. 51.

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[8] A. a. O., S. 51 f.

[9] A. a. O., S. 52.

[10] A. a. O., S. 52 f.

[11] Hufeland, 1797, S. 513-544.

[12] Ebd., S. 523.

[13] A. a. O., S. 522.

[14] Todt, 2007, S. 242: Abb. 1 u. 2.; Vogel, 1786.

[15] Todt, 2007, S. 344: Abb. 3.; Vogel [1786], 1789.

[16] Zit. n. Todt, 2007, S. 252.

[17] Zit. a. a. O., S. 253.

[18] A. a. O., S. 255.

[19] A. a. O., S. 258; Moodie, 1848, S. 7, 10, 13, 69 [Fig. 1-4].

SHA RE T HIS:

Sei der Erste dem dies gefällt.

ÄH NLIC HE BEI TRÄGE

8. Kap./1 * Heilkraft der Natur 49. Kap./4* Tantra im Westen Magia naturalis – Die Natur als
Magierin [Überschrift und Motto
für Kap. 29-35]

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Onanie, Sünde und verschlagwortet mit Christoph Wilhelm Hufeland,
Keuschheitsgürtel, Magic of Nature Lecture 44 K 4, Magie der Natur, Makrobiotik, natürliche Magie,
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