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KAMMER

KONZERT
FR 3. M ÄRZ, 20 UHR
FREIBURG, KONZERTHAUS
SA 4. M ÄRZ, 20 UHR
BADEN-BADEN, MUSEUM FRIEDER BURDA
SO 5. M ÄRZ, 16 UHR
STUT TGART, NEUES SCHLOSS
PROGRAMM »Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele
zu befragen« – schrieb der (Musik-)Philosoph Theodor W. Adorno 1934
JÖRG WIDMANN in seinem bedeutenden Schubert-Aufsatz – »unbildlich und real« falle
*1973 sie »in uns ein«. Jörg Widmann ist besonders vom unbildlichen Singen
und Wandern der Schubertschen Musik fasziniert. Er hat wiederholt
OKTETT FÜR KLARINETTE, FAGOTT, HORN, Musik geschrieben, die sich auf die Musikgeschichte bezieht, aber – wie
STREICHQUARTETT UND KONTRABASS er betont –»nie im Sinne einer bloßen Musik über Musik«. Widmann
1. Satz: Intrada zitiert nicht, sondern er versucht der Essenz in seinem eigenen Erleben
2. Satz: Menuetto
nachzuspüren. Nicht nur einmal ist bei ihm Schubert der Bezugspunkt.
3. Satz: Lied ohne Worte
In seinem Oktett freilich, das 2004 als Auftragswerk für das Kammer-
4. Satz: Intermezzo
musikfest »Spannungen: Musik im Kraftwerk Heimbach 2004« entstand
5. Satz: Finale
und im selben Jahr mit dem Komponisten als Klarinettisten urauf-
geführt wurde, nimmt der Komponist tatsächlich auf Schuberts 180
· Pause ·
Jahre zuvor entstandenes epochales Kammermusikwerk Bezug: »Die
direkten Anspielungen sind nicht so wichtig. Natürlich sind die Oktaven
FRANZ SCHUBERT am Beginn ein direkter Bezug zum Schubert-Oktett. Aber mir ging es
1797 – 1828 letztlich um anderes: einerseits um den Schubertschen Tonfall und den
emotionalen Gestus seiner Musik; andererseits um das, wohin mich
OKTETT F-DUR, D 803 (OP. POST. 166) dieser Ausgangspunkt Schubert führt.« Der Intrada-Satz wird geprägt
1. Satz: Adagio – Allegro von einem »Signal«, das auf verschiedenen Tonstufen und in verschiede-
2. Satz: Adagio
ner Harmonisierung vorgestellt wird und zunächst im Unisono erklingt.
3. Satz: Allegro vivace – Trio
Das Tempo wird allmählich gesteigert in einen schnellen Kopfsatz. Im
4. Satz: Thema. Andante (mit 7 Variationen)
zweiten, sehr kurzen Menuetto spielt Widmann mit der Gattungstradi-
5. Satz: Menuetto. Allegretto – Trio
tion des Wiener Menuetts. Das Horn intoniert naiv ein Jagdthema. Im
6. Satz: Andante molto – Allegro
Trio aber wird diese Musik »bitterböse« und die abschließende Reprise
des Anfangsthemas versteht der Komponist als »verlogenen Akt«. Der
dritte Satz ist in Jörg Widmanns Oktett eine dreifache Anspielung: Das
Sebastian Manz, Klarinette · Hanno Dönneweg, Fagott »Lied ohne Worte« bezieht sich natürlich sowohl auf Felix Mendelssohn
Marc Noetzel, Horn · Natalie Chee, Phillip Roy, Violine als auch auf Schubert und die quasi unendliche Melodie sowie auf seine
Jean-Eric Soucy, Viola · Frank-Michael Guthmann, Violoncello eigene Komposition, ›Lied für Orchester‹. Es ist der zentrale und längste
Konstanze Brenner, Kontrabass Satz des Werkes. Hier verwendet der Komponist auch mikrotonale Töne.
Melodien finden somit nicht wirklich zusammen. Die dramatische Stei-
gerung ist atomisiert. Das Horn »geistert« oder »irrt« am Ende dieses
Satzes (voller tonaler Anspielungen) quasi improvisatorisch durch den sätze ablesen. Das Oktett entstand im zeitlichen Umfeld zum Rosamun-
spartanisch ausgefüllten Klangraum. Nach einem kurzen Intermezzo de-Quartett und zum Streichquartett »Der Tod und das Mädchen«. Den
mit erzwungener Fröhlichkeit folgt attacca das Finale, ein dunkles (kon- Auftrag hatte Schubert wahrscheinlich von prominenter Stelle, nämlich
trapunktisch gearbeitetes) Nachtstück, das für Jörg Widmann eher ein von Ferdinand Graf Troyer erhalten, der als Klarinettist mit seinen Musi-
»Anti-Finale« ist. Während nämlich das klassische Finale immer eine kern gern Beethovens Septett spielte und sich ein Schwesterwerk zu
sich steigernde Beschleunigung im Sinne hat, lässt Widmann die Zeit diesem gewünscht haben soll. Wieder einmal war Schubert im Schaf-
einfrieren. Wie Schubert auch, nimmt er hier am Anfang das Signal des fensrausch oder, wie sein Malerfreund Moritz von Schwind es nannte,
ersten Satzes wieder auf. Tonale Gesten scheinen wie im Nebel auf und »unmenschlich fleißig«. Dieser berichtet weiter: »Ein neues Quartett
verschwinden. Am Ende verblasst die Musik schließlich schattenhaft. wird Sonntags bei Zupanzik aufgeführt, der ganz begeistert ist und
besonders fleißig einstudiert haben soll. Jetzt schreibt er schon lang
Das Oktett F-Dur, D 803 (op. posth. 166) von Franz Schubert ist sein an einem Oktett mit dem größten Eifer. Wenn man unter Tags zu ihm
längstes Kammermusikwerk. Mit seinen sechs Sätzen bezieht es sich kommt, sagt er grüß dich Gott, wie geht’s?? gut’, und schreibt weiter,
auf die Wiener Serenadentradition, besonders aber auf das damals worauf man sich entfernt.« Nach der Privataufführung 1824 wohl im
höchst populäre Septett Es-Dur op. 20 von Ludwig van Beethoven. Hause des Grafen Troyer sollte es noch drei Jahre bis zur öffentlichen
Sind bei letzterem noch je ein Instrument der Streicherfamilie, also Aufführung in einer von Schuppanzighs Quartettmatineen im damali-
Streichtrio plus Kontrabass vertreten, erweitert Schubert sein Oktett gen Gebäude des Wiener Musikvereins (»Zum roten Igel«) dauern. Die
nicht nur numerisch um ein Instrument, sondern weitet es in gewis- Wiener Allgemeine Zeitung bemängelte die große Länge des Werkes und
ser Weise symphonisch, indem nämlich die Streicher quasi Repräsen- bemerkte damals ansonsten nur, dass Schuberts Oktett »im Einklang mit
tanten eines vollständigen Streichorchesters sind. Den konzertanten dem wohlbekannten Talent des Komponisten« stehe. Der Rezensent wird
Zug der Violino primo aber hält Schubert bei. Ansonsten sind wie bei das musikgeschichtliche Gewicht der Komposition damals nicht recht
Beethoven die Bläser identisch: zwei Holzbläser und das Horn (als das bemerkt haben. Schubert bot das Werk übrigens vergeblich zwei renom-
die Orchestergruppen verbindende Blechblasinstrument). Wie Mozart mierten Musikverlagen zur Veröffentlichung an. Erst 1853 erschien es im
im Divertimento in Streichtriobesetzung KV 563 und Beethoven stellt Druck, und erst 1861 gab es, nach einer Pause von 34 Jahren, wieder eine
Schubert einen Sonatensatz an den Anfang und lässt dann auf dieses öffentliche Aufführung.
erste Allegro fünf weitere Sätze folgen: Adagio, Scherzo mit Trio, dann, Changierend zwischen kammermusikalischen Farben, mit immer wech-
als zweiten langsamen Satz, Variationen über ein eigenes Thema (aus selnden Verbindungen zwischen Streichern und Bläsern und quasi
seinem Singspiel »Die Freunde von Salamanca«), ein zweites Menuett orchestralem Impetus, ist Schuberts Oktett ein Werk des Reichtums an
und ein Finale. In der Zeit während der Komposition seines Oktetts ließ Ausdrucksmitteln, vom Kontrast bis zur Verschmelzung und subtilen
er Ende März 1824 seinen Freund Leopold Kuppelwieser wissen, dass er Anreicherung. Anfangs- und Schlusssatz stellen gleichsam signalhaft
nur wenige Lieder geschrieben habe, »dagegen versuchte ich mich in und selbstbewusst den Ton F, unisono vorgetragen, ins Zentrum eines
mehreren Instrumental-Sachen, denn […] überhaupt will ich mir auf diese Satzes, der gleichermaßen rhythmisch markant, lyrisch und expressiv
Art den Weg zur großen Sinfonie bahnen.« Der sinfonische Anspruch des ist. Die punktierten (pulsierenden) Rhythmen der Violinen, der Viola und
Komponisten lässt sich auch an den langsamen Einleitungen der Eck- des Cellos vom Anfang werden zum bestimmenden Element auch der
folgenden Sätze. Das aufsteigende Motiv der Adagio-Einleitung wird im DAS NÄCHSTE KAMMERKONZERT
Allegro fortgeführt und erzeugt einen großen Bogen – oder begründet,
wie es Robert Schumann ausdrückte, eine der »himmlischen Längen« bei
Schubert. Dem klassisch gebauten ersten Satz folgt ein beseeltes, freies
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Sich-Aussingen im 6/8-Takt (Adagio), innerhalb eines sich verdichten-
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den instrumentalen Gewebes. Neben das »Singen« tritt hier auch das
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»Wandern« – wie es Jörg Widmann bei Schubert hervorgehoben hat – in
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Erscheinung durch Tonwiederholungen, die später drängender werden SO 2. APRIL , 16 UHR
und in die zarte Lyrik einen dramatischen Tonfall bringen. Das (singende) STUTTGART, NEUES SCHLOSS
Individuum wird zum vom Schicksal Getriebenen, und umso dünner
wird das Eis, auf dem es geht. Eine Stimmung von Wehmut, unend-
licher Traurigkeit entsteht, Schönheit ist zerbrechlich geworden, bedroht. ANTONÍN DVOŘÁK
Sehnsucht nach anderen Zuständen wird Ton. Den beiden gewisserma- Klavierquintett Nr. 2 A-Dur op. 81
ßen symphonischen Sätzen folgen im Oktett leichtere, serenadenhafte LOWEN LIEBERMANN
Sätze: Erdgebunden das Scherzo im Allegro vivace und versehen mit Nocturne Nr. 8 op. 85 für Klavier solo
einem behutsamen Trio. Das naiv anmutende Thema des folgenden PETER TSCHAIKOWSKY
Satzes wird in sieben Variationen reizvoll ausgeleuchtet. In das anmu- Streichsextett »Souvenir de Florence« d-Moll op. 70
tige Spiel mischt sich schon in der zweiten Variation mit den punktierten
Rhythmen ein energischer Ton. Aufgewühlt ist der Ton in der Variation V
(in Moll), ätherisch in Variation VI (in der entfernten Tonart As-Dur). TZIMON BARTO, KLAVIER
Rosbaud Quartett: Christian Ostertag und Phillip Roy, Violine
Wie ein Schattenspiel eines Tanzes wirkt das kleingliedrige Menuett mit
Johannes Lüthy, Viola · Frank-Michael Guthmann, Violoncello
seinem wienerischen Trio. Hugo Wolf nannte den Beginn des Finalsat-
Gabriele Turck und Gesa Jenne-Dönneweg, Violine
zes das »Grollen fernen Donners« mit bedrohlichem Basstremolo und
Ingrid Philippi und Christian Nas · Viola
signalartigen Klangstößen. Ihm folgt ein fast enthusiastisch-fröhliches
Wolfgang Düthorn und Fionn Bockemühl · Violoncello
Allegro. Aber wir ahnen: es ist eine trügerische Idylle und eine immer
wieder verzweifelte Lustigkeit. Kurz vor Schluss dann bricht tatsächlich
die gewittrige Stimmung des Beginns in die vordergründig ausgelassene
Stimmung ein. Offenkundig sind es diese Abgründe, die den Komponisten
und Klarinettisten Jörg Widmann an Schubert besonders faszinieren.
 Burkhard Egdorf

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