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Landeswahlprogramm 2011

Zur Landtagswahl am 27. März 2011

KLARMACHEN ZUM ÄNDERN!


Landeswahlprogramm 2011 

Landeswahlprogramm 2011
zur Landtagswahl am 27. März 2011 der

Piratenpartei Deutschland Landesverband Baden-Württemberg

Beschlossen auf den Landesparteitagen am 17. und 18. April 2010 in Tübingen
und am 12. und 13. Juni 2010 in Konstanz.

Überarbeitet und freigegeben durch die Programmkommission am 20. September 2010.

Herausgeber:

Piratenpartei Deutschland
Landesverband Baden-Württemberg
Postfach 40 31
76025 Karlsruhe
Deutschland

Allgemeiner Kontakt: kontakt@piratenpartei-bw.de


Pressekontakt: presse@piratenpartei-bw.de
Internet: www.piratenpartei-bw.de

Bildquelle Cover: Michael Vogel


Landeswahlprogramm 2011 

Inhaltsverzeichnis
Präambel 9
Wir sind die Piraten 9
Unsere Ziele 9
Grundrechte verteidigen
Informationelle Selbstbestimmung
Transparenz
Freie Bildung
Keine Patente auf Allgemeingüter
Open Access
Faires Urheberrecht
Die Piraten in Baden-Württemberg 10

Demokratie, Transparenz und Privatsphäre 11


Demokratie 11
Mehr Bürgerbeteiligung – weniger Hürden bei Volksbegehren
Öffentliche Petitionen nach Bundesvorbild
Kein Religionsbezug in der Landesverfassung
Kostenloser Kirchenaustritt
Keine religiösen Symbole in öffentlichen Gebäuden
Gerechteres Wahlsystem
Kommunales Wahlrecht für Ausländer
Senkung des Wahlalters
Senkung des Mindestalters für Ministerpräsidenten
Transparenz 13
Informationsfreiheitsgesetz
Veröffentlichungsdienst 2.0
Vergaberegister zur Korruptionsbekämpfung
Offenlegung der Nebeneinkünfte von Landtagsabgeordneten
Karenzzeit für Amtsträger
Staatssekretäre abschaffen
Transparente Gesetzgebung
Transparenter Haushalt
Transparenz bei Besetzung von Ämtern
Datenschutz 16
Datenschutz in die Landesverfassung
Stärkung des Landesdatenschutz­beauftragten
Modernes Datenschutzrecht
Zertifizierter Datenschutz

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Landeswahlprogramm 2011 

Bildung und Forschung 18


Die drei Grundpfeiler unserer Bildungspolitik 18
1. Freier Zugang zu Bildung
2. Bildung als Teil der individuellen Entwicklung
3. Demokratisierung der Bildung
Für ein soziales und demokratisches Bildungssystem 19
Kostenloser Kindergarten- und Kinderkrippenbesuch
Einschulungsuntersuchung
Familienfreundliche Ganztages­betreuung an Schulen
Schulspeisung
Barrierefreies Lernen
Abschaffung von Studiengebühren
Familienfreundliche Hochschulen
Schulen demokratisieren
Erziehung zur Demokratie
Persönlichkeitsrechte der Schüler und Lehrer achten
Wiedereinführung der verfassten Studierendenschaften
Unsere Schulkonzeption 22
Differenziertes, integriertes Kurssystem
Leistungsdruck und Schulstress verringern
Unterrichtsbeginn ab neun Uhr
Computer- und Vernetzungsangebote im Unterricht
Medienkompetenz
Neutralität in der Bildung
Säkularisierung der Bildung
Keine Bundeswehr an Schulen
Religions- und Ethikunterricht
Bessere politische und finanzielle Rahmenbedingungen 24
Beibehaltung der flexiblen Ausbildungs- und Hochschulstruktur
Reform des Bologna-Prozesses
Finanzierung von Bildung und Forschung
Bildungsstandards
Vergleichbarkeit und bundesweiter Rahmen
Bessere Betreuung
Bessere Ausbildung und Bezahlung von Erziehern
Gleiche Berufschancen im Lehrer- und Dozentenbereich
Einbeziehung von Fachleuten in den Schulunterricht
Einsatz von freier Software und Lehrmitteln unter freien Lizenzen
Open Access
Wissenschaftlichen Nachwuchs fördern
Förderung Erwachsenenbildung

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Landeswahlprogramm 2011 

Medien, Kunst und Kultur 28


Kulturelle Vielfalt fördern 28
Räume für subkulturelle Kunst und Lebensformen schaffen
Förderung neuer Kunstformen
Vernetzung Kulturschaffender
Förderung von Clubkultur und Nachtleben
Abschaffung des Tanzverbots
Förderung freier Radios
Öffentlich-Rechtliche Rundfunkanstalten modernisieren 29
Unabhängigkeit
Dauerhafte Verfügbarkeit eigenfinanzierter Beiträge
Freie Lizenzen für Inhalte
Qualität statt Quotenfixierung
Rundfunkgebühreneinzug reformieren – GEZ abschaffen
Zugang zu Kulturgütern 30
Teilnahme am kulturellen Leben für alle
Jugendschutz
eSport-Vereine anerkennen
Gegen die Stigmatisierung von eSport und
Computerspielen als „Killerspiele“
Abschaffung der Landesbibliotheken-Gebühren
Bessere Ausstattung von öffentlichen Bibliotheken
Digitalisierung von Büchern

Arbeit, Soziales und Gesundheit 32


Arbeitswelt 32
Förderung von offenen Arbeitsstrukturen
Erneute Begrenzung der Leiharbeit
Missbrauch von Praktika verhindern
Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft in Kammern und Verbänden
Freiheit der Lebensgestaltung für Staatsdiener
Sozialpolitik 33
Sozialräume und Sozialberichterstattung
Öffentlicher Raum für alle
Gewalt als gesellschaftliches Problem
Jugendförderung im Landesjugendplan
Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften
Gesundheit 34
Transparenz im Gesundheitswesen
Elektronische Gesundheitskarte

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Landeswahlprogramm 2011 

Privatisierung im Gesundheitswesen
Psychiatrische Landeskliniken
Screening im Gesundheitswesen
Krebsregister
Kein Einzel-Nachtdienst in Pflegeeinrichtungen
Telemedizin
Betreuung demenzkranker Menschen
Für eine neue Drogenpolitik 36
Kein Verkaufsverbot für Alkohol
Kein Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen
Gerechtigkeit beim Führerschein
Verantwortung in der Substitution

Inneres und Justiz 38


Bürgerrechte und Datenschutz 38
Rücknahme von Grundrechtseinschränkungen durch das Polizeigesetz
Versammlungsfreiheit schützen
Verdachtsunabhängige Personenkontrollen
Lockerung der Residenzpflicht
Öffentliche Überwachungeinschränken
Keine automatisierte Kennzeichenerfassung
Biometrische Daten
Informationspflicht gegenüber Betroffenen verdeckter Ermittlungen
Geschützte Bürger und unabhängige Justiz 40
Keine Privatisierung hoheitlicher Aufgaben
Abschaffung des freiwilligen Polizeidienstes
Bessere Ausstattung der Polizei
Polizeiarbeit im Internet
Stopp der Darstellung von Kindesmissbrauch im Internet
Waffenrecht
Eindeutige Kennzeichnung von Polizisten
Unabhängige Ermittlungsbehörde zur Kontrolle der Polizei
Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften
Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaften
Bürgerfreundliche Verwaltung 42
Bürgerfreundliches eGovernment
Offene Dateiformate in der Verwaltung
Freie Software in der Verwaltung
Beibehaltung des Widerspruchsverfahrens
Pauschale Mindestentschädigung bei rechtswidrigen Verwaltungsakten
Eingeschränkte Datenherausgabe durch Kommunalverwaltungen

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Landeswahlprogramm 2011 

Umwelt, Energie und Verbraucherschutz 44


Prinzipien 44
Intakte Umwelt ist Grundrecht
Mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung
Nachhaltigkeit
Vernetzte Umweltpolitik
Energiepolitik 45
Dezentrale Energieversorgung
Regenerative Energien
Energieproduktion – ein zusätzliches Standbein für Landwirte
Kostentransparenz
Risikobewertung
Netzneutralität bei Energienetzen
Mindestwirkungsgrad für neue Kraftwerke
Kein Ausstieg aus dem Ausstieg
Energieeinsparung
Intelligente Stromzähler
Green IT
Kommunale Energieversorgung
Naturressourcen und Immissionen 47
Gemeinsame Räume
Landesplanung
Langfristige Landschaftsplanung
Qualitativ orientierte Landwirtschaft
Gentechnologie in der Landwirtschaft
Biodiversität
Trinkwasserversorgung
Umweltgerechte Mobilität
Feinstaubbelastung
Lichtverschmutzung
Verbraucherschutz und Umweltinformationsrechte 50
Verbraucherinformationverbessern
Verbraucherzentralen stärken
Veröffentlichung der Ergebnisse von Lebensmittelkontrollen
Verbraucherinformation vor Ort durch Smiley-System
Transparente Kennzeichnungvon Lebensmitteln
Ausbau des Landesumwelt­­informationsgesetzes
Unabhängige LUBW
Verbandsklagerecht

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Landeswahlprogramm 2011 

Bauen, Verkehr und Wirtschaft 52


Verkehrskonzept 52
Verkehrsbeschränkungen hinterfragen
Das Verkehrskonzept „Shared Space“
Straßeninformationsdatenbank
Modellversuch für einen kostenfreien öffentlichen Nahverkehr
Verkehrserschließung und Verkehrsangebote 53
Nahverkehr im ländlichen Raum
Bürgerbusse
Erweiterung des länder- und staatenübergreifenden Nahverkehrs
Integration von Regional­strecken („Karlsruher Modell“)
Ausbau und Reaktivierung von Bahnstrecken
Alpentransversale besser bedienen
Wirtschaftspolitik 54
Landesbanken sollen Kredit­klemmen ausgleichen
Landesbanken und Transparenz
Ethik bei öffentlichen Beschaffungen
Transparente Information über Großprojekte
Förderung regionaler Wirtschaftskreisläufe
Breitbandausbau fördern
Steuern und Subventionen 55
Subventionen überprüfen
Verbesserte Steuerprüfung
Elektronische Steuererklärung (ELSTER)
Staatsleistungen an Kirchen beenden
Kommunen in der Verantwortung 56
Stärkung der Kommunen
Bürgerbeteiligung in den Kommunen
Verbot von Spekulationsgeschäften für Gemeinden
Standortfaktor Breitbandzugang
Lokale Planung
Freier Zugang und Lizenz für Geobasisdaten
Bürgerbeteiligung durch interaktive Karten und Pinnwände

Nachwort 59
KLARMACHEN ZUM ÄNDERN! 59

8
Landeswahlprogramm 2011 Wir sind die Piraten

Wahrung der Privatsphäre sind auch in


A. Präambel Baden-Württemberg die Grundpfeiler der
Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. Nur auf
dieser Basis kann eine von den Bürgern ge-
Wir sind die Piraten tragene, sozial gerechte, freiheitlich-demo-
kratische Grundordnung bewahrt werden.
Freiheitsrechte und die Gestaltung der Die Piratenpartei ist Teil einer weltweiten
modernen Informations- und Wissensge- Bewegung, die diese Ordnung zum Vorteil
sellschaft im Interesse aller Bürgerinnen aller mitgestalten will.
und Bürger sind die Kernanliegen der
Piratenparteien in ganz Europa und welt-
weit – und natürlich auch bei uns in Baden- Unsere Ziele
Württemberg.
Grundrechte verteidigen
Am 10. September 2006 wurde die Pira-
tenpartei Deutschland in Berlin gegründet. Die Piratenpartei setzt sich für einen stär-
Während des Wahlkampfs zur Europawahl keren Schutz und die unbedingte Achtung
und Bundestagswahl 2009 erlebte die Pira- der Menschen- und Bürgerrechte ein. Die
tenpartei einen raschen Mitgliederzuwachs. gesamte Politik muss diese Rechte zum
Bei der Bundestagswahl konnte sie als neue Maßstab ihres Handelns machen.
Partei sofort 2% der Stimmen erreichen.
Für die schwedische Schwesterpartei sitzen Informationelle
zwei Abgeordnete im Europaparlament. Selbstbestimmung

Der uralte Traum, alles Wissen und alle Das Recht des Einzelnen, die Nutzung
Kultur der Menschheit zusammenzutra- seiner persönlichen Daten zu kontrollieren,
gen, zu speichern und heute sowie in der muss garantiert werden. Dies gilt dem Staat
Zukunft verfügbar zu machen, ist durch gegenüber ebenso wie im Wirtschaftsbe-
die rasanten Entwicklungen der vergange- reich. Wir wollen weder den gläsernen Bür-
nen Jahrzehnte im Bereich der Informati- ger noch den gläsernen Konsumenten.
onstechnologien in greifbare Nähe gerückt.
Wie jede bahnbrechende Neuerung erfasst Transparenz
diese alle Lebensbereiche und führt zu tief-
greifenden Veränderungen der Gesellschaft. Alles staatliche Handeln muss transparent
Die Piratenpartei möchte dazu beitragen, und für jeden nachvollziehbar sein. Nach
dass die Chancen dieser Entwicklungen unserer Überzeugung ist dies unabding-
genutzt werden und kämpft dafür, die Ge- bare Voraussetzung für eine moderne
fahren des Missbrauchs abzuwenden. Wissensgesellschaft in einer freiheitlichen
und demokratischen Ordnung. Eine von
Informationelle Selbstbestimmung, freier Lobbyisten bestimmte Politik des Hinter-
Zugang zu Wissen und Kultur und die zimmers zerstört diese Ordnung.

9
Landeswahlprogramm 2011 Die Piraten in Baden-Württemberg

Freie Bildung Produzenten gleichermaßen berücksichti-


gen. Eine Gesellschaft, in der die Grenzen
Jeder Mensch hat das Recht auf freien zwischen Konsumenten und Produzenten
Zugang zu Information und Bildung. Wir immer mehr verschwinden, kann sich
setzen uns dafür ein, jedem Menschen un- nicht am Urheberrecht einer Kulturepoche
abhängig von seiner sozialen Herkunft ein passiver Konsumenten orientieren.
größtmögliches Maß an gesellschaftlicher
Teilhabe zu ermöglichen. Bildung ist eine der
wichtigsten Ressourcen der Gesellschaft und Die Piraten in Baden-
der Wirtschaft, da nur durch den Erhalt, die Württemberg
Weitergabe und die Vermehrung von Wissen
auf Dauer Fortschritt und gesellschaftlicher Die Piratenpartei Deutschland hat inzwischen
Wohlstand gesichert werden können. Landesverbände in allen Bundesländern. Der
Landesverband Baden-Württemberg wurde am
Keine Patente auf Allgemeingüter 25. November 2007 in Karlsruhe gegründet.

Wir lehnen Patente auf Lebewesen und Gene, Unsere politischen Ziele wollen wir auch auf
auf Geschäftsideen und auch auf Software ab, Landesebene umsetzen. Wir engagieren uns in
weil sie die breite wirtschaftliche Entfaltung unserem Bundesland vor allem für bessere Bil-
und die Entwicklung der Wissensgesell- dungschancen, mehr Transparenz in der Politik,
schaft behindern, weil sie unkontrollierbare mehr Mitbestimmung und für die Wahrung
und krisenanfällige Machtkonzentrationen der Grundrechte.
schaffen, weil sie allgemeine Güter ohne
angemessene Gegenleistung privatisieren Baden-Württemberg ist eines der erfolgreichs-
und weil sie kein Erfindungspotenzial im ten Bundesländer. Dies betrifft die wirtschaft-
ursprünglichen Sinne besitzen. liche Stärke, die Lebensqualität und den Bil-
dungsbereich gleichermaßen. Wir engagieren
Open Access uns dafür, dass dies auch unter sich wandelnden
wirtschaftlichen, technologischen und sozialen
Aus dem Staatshaushalt wird eine Vielzahl Rahmenbedingungen so bleibt.
schöpferischer Tätigkeiten finanziert. Da
diese Werke von der Allgemeinheit finan- Die folgenden Vorschläge für eine zukünftige
ziert werden, sollten sie auch der Allgemein- Politik in Baden-Württemberg haben wir auf
heit frei zur Verfügung stehen. Basis unserer Grundsätze und des Parteipro-
gramms der Piratenpartei Deutschland erstellt.
Faires Urheberrecht

Das Urheberrecht muss den Anforderun-


gen der sich entwickelnden Informations­
gesellschaft angepasst werden und die
Bedürfnisse von Konsumenten und

10
Landeswahlprogramm 2011 Demokratie

Für ein Volksbegehren in Baden-Würt-


B. Demokratie, temberg müssen bisher in 14 Tagen über
eine Million Unterschriften (16,7% der
Transparenz und Wahlberechtigten) gesammelt werden.
Zum Unterschreiben müssen sich die Bür-
Privatsphäre ger auch noch in Amtsräumen einfinden.
Unter diesen Bedingungen verwundert es
nicht, dass es hier noch kein einziges er-
Demokratie folgreiches Volksbegehren gab. Im zweiten
Volksentscheid-Ranking des Mehr Demo-
Es ist Ziel der Piratenpartei, die direkten kratie e.V. landete unser Bundesland auf
und indirekten demokratischen Mitbe- dem vorletzten Platz (Note 5,3).
stimmungsmöglichkeiten jedes Einzelnen
zu stärken. Wir Piraten streben eine gleich- Wir schließen uns den Forderungen des
berechtigte Teilhabe jedes einzelnen Mit- Vereins an: Die Sammelfrist soll auf sechs
bürgers an demokratischen Prozessen an. Monate ausgedehnt und die Anzahl der
benötigten Unterschriften auf 5% (zurzeit
Es ist in der Gesellschaft des digitalen ca. 376.000) gesenkt werden. Neben dem
Zeitalters ein Leichtes, große Mengen an Auslegen in Amtsräumen soll auch ein freies
Informationen zu durchsuchen und jedem Sammeln gestattet sein.
zugänglich zu machen. Der Austausch von
Informationen wird zunehmend einfacher Wir setzen uns zudem dafür ein, jedes
und schneller. Das alles ermöglicht ganz zugelassene Volksbegehren grundsätzlich
neue und vorher undenkbare Lösungs- öffentlich im Landtag zu behandeln. Wei-
ansätze für die Verteilung von Macht im terhin wollen wir bei Volksabstimmungen
Land. Vor allem dezentrale Verwaltungen die Abschaffung oder zumindest die
und die unmittelbare Beteiligung an der Senkung der Mindestzahl an Ja-Stimmen
Politik werden auf diese Weise realisierbar. (Zustimmungsquoren).

Mehr Bürgerbeteiligung – Öffentliche Petitionen


weniger Hürden bei nach Bundesvorbild
Volksbegehren
Jedermann hat das Recht, sich mit Bitten
Die Piratenpartei steht für mehr direkte und Beschwerden an die Volksvertretung
Beteiligung an öffentlichen Entschei- zu wenden. Der Petitionsausschuss des
dungen. Daher setzen wir uns auch ganz Landtags vermittelt jedes Jahr bei über tau-
konkret für eine Förderung von Volksab- send Petitionen. Diese werden von Betrof-
stimmungen und eine Vereinfachung von fenen vorwiegend gegen Behörden- und
Volksbegehren ein. Gerichtsentscheidungen eingereicht.

11
Landeswahlprogramm 2011 Demokratie

Zusätzlich möchten wir den Bürgern Wege und Wechsel zwischen Religions- oder
ermöglichen, an der Gesetzgebung mit- Weltanschauungsgemeinschaften kosten-
zuwirken. Dazu gehören auch öffentliche los ist.
Petitionen, die über ein ePetitions-Portal
(nach Vorbild des Bundestages) zum ge- Keine religiösen Symbole
sellschaftlichen Diskurs einladen. Mit- in öffentlichen Gebäuden
zeichnerunterschriften sollen auch online
gesammelt werden können. Petenten mit Das Anbringen von religiösen Symbolen
einer signifikanten Anzahl von Mitzeich- in öffentlichen Gebäuden verletzt die Re-
nern sollen dabei ein Anhörungsrecht im ligionsfreiheit von Angehörigen anderer
Landtag erhalten. Religionen und Menschen ohne Religion.
Dies wurde vom Bundesverfassungsgericht
Kein Religionsbezug in sowie vom Europäischen Gerichtshof für
der Landesverfassung Menschenrechte festgestellt. Wir möchten
daher dafür sorgen, dass diese religiösen
Ein weltlicher und demokratischer Staat Symbole aus öffentlichen Gebäuden, vor
steht für die Achtung von Menschen allem auch den öffentlichen Schulen, ent-
unabhängig von ihren religiösen An- fernt werden.
sichten. Wir fordern ein Bekenntnis zu
allgemeingültigen Werten, auf denen die Gerechteres Wahlsystem
Gesellschaft aufbaut, statt des spezifischen
Religionsbezugs. Das in Baden-Württemberg verwendete
Wahlsystem bei Landtagswahlen mit einer
Deutschland garantiert als weltlicher Staat gemeinsamen Stimme für Partei und Di-
Religionsfreiheit. Religiöse und religions- rektkandidat benachteiligt kleine Parteien.
freie Weltanschauungen sind Privatsache Um landesweit wählbar zu sein, muss eine
und die Freiheit der Wahl sowie Gleichbe- Partei in jedem Wahlkreis Direktkandida-
handlung ist durch eine Verfassung ohne ten aufstellen.
Bezüge zu einem Gott oder einer bestimm-
ten Religion zu garantieren. Stattdessen möchten wir wie im Bund und
in den meisten anderen Bundesländern ein
Kostenloser Kirchenaustritt Wahlsystem mit zwei getrennten Stimmen
einführen. Dieses ist so zu gestalten, dass es
Jeder Mensch sollte unabhängig von seinen nicht länger zu negativen Stimmgewichten
finanziellen Verhältnissen die Mitglied- kommen kann.
schaft in einer Religionsgemeinschaft selbst
bestimmen können. Kommunales Wahlrecht
für Ausländer
In Baden-Württemberg werden teilweise
bis zu 60€ für einen Kirchenaustritt ver- Wir setzen uns für ein kommunales Wahl-
langt. Wir möchten, dass Eintritt, Austritt recht für Bürger ausländischer Staaten

12
Landeswahlprogramm 2011 Transparenz

ein, die das erforderliche Wahlalter erreicht Senkung des Mindestalters


haben und sich seit mindestens fünf Jahren für Ministerpräsidenten
rechtmäßig in Deutschland aufhalten,
unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Wir wollen das Mindestalter für das Amt
Baden-Württemberg soll sich im Bundes- des Ministerpräsidenten von bisher 35
rat für eine entsprechende Änderung des Jahren aufheben. Die Wahlfreiheit des
Grundgesetzes einsetzen. Landtages soll nicht durch das Alter eines
möglichen Kandidaten eingeschränkt sein.
Senkung des Wahlalters

Junge Menschen werden mit 14 Jahren Transparenz


strafmündig und uneingeschränkt re-
ligionsmündig. Mit 16 beginnen viele „Wissen ist Macht“ wird bislang eher als
Heranwachsende eine Berufsausbildung. Legitimation dafür verwendet, Wissen
Ihre Lebensumstände werden stark durch für sich zu behalten, abzuschotten und zu
Entscheidungen in Kommunen und Land monopolisieren. Eine erfolgreiche Gesell-
beeinflusst. schaft des 21. Jahrhunderts muss den Satz
erweitern zu „Wissen ist Macht – wenn es
Junge Politik ist nachhaltige Politik. Noch allen gehört“. Denn eingesperrtes Wissen
bestimmt der demografische Wandel die ist gesellschaftlich totes Wissen und nutzt
Politik. Deshalb müssen die Belange der zunächst nur dem, der daraus „Kapital“
kommenden Generationen gestärkt wer- schlägt.
den. Wir setzen uns für ein kommunales
Wahlalter von 14 Jahren und das Wahlrecht Umweltschutz-Organisationen, Bürger-
auf Landesebene ab 16 Jahren ein. Dadurch rechtsgruppen, Verbraucherschützer und
wird die Politik die junge Generation entde- viele andere Organisationen und Initiati-
cken, was auch dem Bildungssystem zugu- ven, die die Interessen der Bürgerinnen und
tekommt. Zudem gleicht die Herabsetzung Bürger vertreten, warten z.B. darauf, dass
des Wahlalters die Nachteile der fünfjäh- die öffentliche Verwaltung ihre Informa-
rigen Wahlperiode aus: die Mehrheit der tionsschätze teilt und nicht versteckt. Die
Erstwähler wird dadurch über 18 Jahre alt Piratenpartei versteht sich als Vertreterin
sein, statt wie bisher über 20 Jahre. dieser Gruppen.

Mit der Senkung des Wahlalters (nach Bre- Damit der Bürger seiner Kontrollpflicht
mer Vorbild) sollen in den Schulen demo- dem Staat gegenüber nachkommen kann,
kratische Wissensgrundlagen rechtzeitig muss dieser offen und transparent aufge-
vermittelt werden. stellt sein. Die Demokratie wird gestärkt,
wenn mehr Mitwirkungsmöglichkeiten
und Einblicke in die Abläufe von Politik
und Verwaltung gewährt werden. Durch
Einsicht in die Staatsgeschäfte können

13
Landeswahlprogramm 2011 Transparenz

Korruption, Bürokratie und Lobbyismus Veröffentlichungsdienst 2.0


erkannt werden. Inkompetenzen und Ver-
säumnisse werden schneller aufgedeckt. Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Aber
sich über geltendes Recht – Vorschriften,
Informationsfreiheitsgesetz Erlasse, Verordnungen oder Entschei-
dungen – zu informieren, könnte heute
Die Intransparenz staatlicher Strukturen in wesentlich einfacher sein. Wir planen eine
Baden-Württemberg erschwert es den Bür- zentrale Anlaufstelle im Internet, die neben
gerinnen und Bürgern, sich zu beteiligen Rechtsprechung und Gesetzgebung auch
oder die Politik zu überprüfen. Dabei ist Verordnungen, Umsetzungsrichtlinien, Be-
für effektive politische Teilhabe dringend richte, Empfehlungen, Analysen, amtliche
ein zeitgemäß gestalteter Zugang zu Fak- Bekanntmachungen, Gesetzesentwürfe
ten notwendig. Um dies zu ermöglichen, und sonstige Drucksachen von Land und
haben der Bund und elf andere Bundeslän- Kommunen enthält, komplett mit Such-
der bereits ein Informationsfreiheitsgesetz funktion, Änderungsverfolgung, Querver-
(IFG) eingeführt, mit dem jeder das Recht weisen und Kommentarmöglichkeit.
auf Akteneinsicht oder einen Auskunfts-
anspruch gegenüber Behörden und Ver- Unser Konzept umfasst auch eine Lizenz,
waltung hat. Wir fordern daher auch in die eine (auch kommerzielle) Weiterver-
Baden-Württemberg die Einführung eines wendung der Texte zulässt. Dabei soll auf
Rechts auf Akteneinsicht und Abkehr vom Schnittstellen für die automatische Abfrage
Prinzip der Amtsverschwiegenheit. und die Verwendung von offenen Datenfor-
maten geachtet werden. Von diesem einfa-
Die derzeitige Praxis der Ablehnung von chen Zugriff profitieren alle Bürger und Un-
Auskunftsansprüchen unter dem Vorwand ternehmen. Auch die Arbeit der staatlichen
von Geschäfts- oder Amtsgeheimnissen Stellen (Verwaltung, Gerichte, Landtag)
sowie die Verschleppung und Verhinde- wird durch eine einheitliche Plattform für
rung solcher Ansprüche durch langsame die Veröffentlichung von Dokumenten und
Bearbeitung, hohe Gebühren und Ausla- Daten erleichtert.
geerstattungen halten wir für bürgerfeind-
lich. Wir fordern daher eine Deckelung der Vergaberegister zur
Gebühren und Auslagen sowie Fristen für Korruptionsbekämpfung
die Auskunftserfüllung ein, verbunden
mit Sanktionen bei Nichterfüllung. Schon Wir wollen ein Vergaberegister schaffen,
beim Anlegen neuer Akten muss die Ver- mit dessen Hilfe bereits auffällig gewordene
waltung deren mögliche Veröffentlichung Firmen künftig von der Vergabe öffentlicher
mit berücksichtigen. Aufträge ausgeschlossen werden. Diese In-
formationen sollen nicht nur Behörden zur
Verfügung stehen, sondern auch der interes-
sierten Öffentlichkeit. Das Korruptionsbe-

14
Landeswahlprogramm 2011 Transparenz

kämpfungsgesetz von Nordrhein-Westfalen Die Regelung soll für Mitglieder der Lan-
kann hier als Vorbild dienen. desregierung, Staatssekretäre, Beamte und
kommunale Wahlbeamte gelten.
Offenlegung der Nebeneinkünf-
te von Landtagsabgeordneten Staatssekretäre abschaffen

Die Höhe und Herkunft aller Einnahmen Wir sehen für den Posten des politischen
aus Nebentätigkeiten müssen einzeln und in Staatssekretärs in den baden-württember-
vollem Umfang veröffentlicht werden. Dazu gischen Ministerien keine Notwendigkeit.
ist ein Modell erforderlich, das über die Re- Oft genug dient diese Funktion nur dem
gelungen auf Bundesebene hinausgeht. Das Postengeschacher, um im Kabinett partei-
dreistufige System reicht nicht aus, da die politischen Proporz zu gewährleisten. Den
höchste Stufe von 7000 Euro nichts darüber Posten des politischen Staatssekretärs wol-
aussagt, wie hoch die Nebeneinkünfte tat- len wir daher abschaffen.
sächlich ausfallen. Um mögliche Interessen-
konflikte erkennen zu können, müssen die Transparente Gesetzgebung
zusätzlichen Einkünfte offengelegt werden.
Um die Entstehung von Gesetzen nach-
Karenzzeit für Amtsträger vollziehen zu können, wollen wir schon die
Referentenentwürfe von Gesetzen sowie
Die Verpflichtung eines Amtsträgers das Ergebnis der Verbändeanhörung öf-
gegenüber dem Gemeinwohl darf nicht fentlich machen. Jeder Bürger soll Stellung
durch Zuwendungen aus der Wirtschaft zu Gesetzesvorhaben nehmen können.
untergraben werden. Wir wollen verhindern, dass Vertreter von
Verbänden oder Unternehmen Gesetze
Ergänzend zu den existierenden Vor- schreiben.
schriften zu Nebentätigkeiten möchten wir
nach Ende der Amtszeit eine Karenzzeit Transparenter Haushalt
von mindestens drei Jahren einführen. In
diesem Zeitraum müssen ehemalige Amts- Die Transparenz im Haushalt des Landes
träger eine Erwerbstätigkeit genehmigen und bei der Verwendung von sonstigen
lassen, die den ehemaligen Zuständig- Landesmitteln muss dringend verbessert
keitsbereich betrifft. Ein unabhängiger werden. Haushaltswahrheit und Haushalts-
Ethikrat prüft diese Erwerbstätigkeit und klarheit sind nicht im erforderlichen Maße
spricht eine öffentliche Empfehlung aus. gewährleistet. Die Haushalte der überwie-
Falls dem ehemaligen Amtsträger eine gend aus öffentlichen Mitteln finanzierten
Tätigkeit untersagt wird, wird die Zahlung Stiftungen wie der Landesstiftung sollten
des Übergangsgeldes auf seinen Antrag hin unter verstärkter parlamentarischer Kon-
verlängert. trolle stehen. Für die Haushaltspläne der
Kommunen wollen wir die Pflicht zur
Veröffentlichung der Entwürfe und der

15
Landeswahlprogramm 2011 Datenschutz

verabschiedeten Haushaltssatzung ein- Immer mehr Informationen über unser


schließlich des Stellenplans in der Gemein- tägliches Leben liegen heute in elektroni-
deordnung verankern. scher Form vor und können automatisiert
verarbeitet und zusammengeführt werden.
Transparenz bei Besetzung
von Ämtern Deswegen gilt es, die Grundsätze des
Datenschutzes (Datensparsamkeit, Da-
Wir fordern eine Verbesserung der Trans- tenvermeidung, Zweckbindung und Er-
parenz bei der Besetzung von Ämtern und forderlichkeit) noch konsequenter in den
öffentlichen Aufsichtsgremien. Darunter Vordergrund zu stellen, denn Datenschutz
fallen zum Beispiel die Beigeordneten in wird nicht allein durch technische Maß-
großen Kreisstädten oder Verwaltungsräte. nahmen erreicht, sondern insbesondere
Diese sollen sich vorab nach dem Muster durch organisatorische.
der Vorstellung von EU-Kommissaren im
Europäischen Parlament in den jeweiligen Datenschutz in die
parlamentarischen Gremien öffentlich den Landesverfassung
Fragen von Abgeordneten und Bürgern
stellen müssen. Damit wollen wir vermei- Wir möchten die Bedeutung des Daten-
den, dass diese Positionen nur nach Par- schutzes und des Rechts auf informatio-
teiproporz besetzt werden. Die Landräte nelle Selbstbestimmung auch durch die
sollen direkt durch die Bevölkerung in den Verankerung in der Landesverfassung
Landkreisen gewählt werden. hervorheben.

Stärkung des
Datenschutz Landesdatenschutz­
beauftragten
Der Anspruch der Gesellschaft auf Wissen
endet dort, wo die Privatsphäre beginnt. Ein starker Datenschutz setzt handlungs-
Persönlichkeitsrechte wie die informatio- fähige Datenschützer voraus. Aus diesem
nelle Selbstbestimmung sind Grundpfeiler Grund soll nach dem Vorbild Schleswig-
für die freiheitlich demokratische Grund- Holsteins das Amt des Landesdatenschutz-
ordnung unseres Staates. Datenschutz ist beauftragten zu einem unabhängigen
ein Grundrecht. Dies hat das Bundesver- Landeszentrum für Datenschutz umge-
fassungsgericht schon 1983 festgestellt, als baut werden. Dieses soll in Zukunft auch
es das Recht auf informationelle Selbstbe- für den nichtöffentlichen Bereich und für
stimmung begründete. Auskünfte nach dem von uns geforderten
Informationsfreiheitsgesetz zuständig sein.
Mit Wandlung zu einer Wissens- und In- Dazu muss diese Institution auch personell
formationsgesellschaft gewinnt der Daten- deutlich ausgebaut werden.
schutz an existentieller Bedeutung - für den
Einzelnen und die Gesellschaft insgesamt.

16
Landeswahlprogramm 2011 Datenschutz

Modernes Datenschutzrecht

Unser aktuelles Landesdatenschutzrecht


orientiert sich noch an der überkommenen
Vorstellung, dass Datenverarbeitung an
einer zentralen Stelle stattfindet. Deswegen
wollen wir es entsprechend modernisieren.

Das überarbeitete Gesetz muss sich an den


vom Bundesverfassungsgericht aufgestell-
ten Grundsätzen orientieren. Dazu gehört
neben dem Recht auf informationelle
Selbstbestimmung auch das Vertraulich-
keits- und Integritätsgrundrecht. Es soll
außerdem transparenter gestaltet werden,
indem wir unnötige Spezialregelungen
entfernen.

Zertifizierter Datenschutz

Wir wollen für die Datenschutzumsetzung


in Unternehmen und öffentlichen Stellen
eine rechtlich anerkannte freiwillige Prü-
fung (Audit) einführen. Weiterhin möch-
ten wir ein Datenschutz-Zertifikat einfüh-
ren, das Bemühungen um einen besseren
Datenschutz bescheinigt. Datenschutz
kann so auch zu einem Wettbewerbsvor-
teil werden.

17
Landeswahlprogramm 2011 Die drei Grundpfeiler unserer Bildungspolitik

Die Piratenpartei Baden-Württemberg


C. Bildung und möchte sich auch im Bildungsbereich
nicht auf den Lorbeeren vergangener Jahre
Forschung ausruhen. Wir werden daran mitwirken,
unser Bildungssystem zukunftstauglich zu
Jeder Mensch hat das Grundrecht auf freien machen und stärker an den Begabungen,
Zugang zu Information, Bildung und Kul- Talenten und Interessen der Kinder und
tur. Dies ist in einer freiheitlich-demokra- Jugendlichen auszurichten. Dabei sollen
tischen Gesellschaft essentiell, um jedem auch die Erfahrungen der Lehrenden be-
Menschen, unabhängig von seiner sozialen rücksichtigt werden.
Herkunft, ein größtmögliches Maß an ge-
sellschaftlicher Teilhabe zu ermöglichen.
Mit diesem Ziel ist die Hauptaufgabe ins- Die drei Grundpfeiler
titutioneller Bildung die Unterstützung bei unserer Bildungspolitik
der Entwicklung zur mündigen, kritischen
und sozialen Persönlichkeit. 1. Freier Zugang zu Bildung

Zugleich ist Bildung ein elementarer Teil Der freie Zugang zu Bildungseinrichtun-
der kulturellen Entwicklung einer Gesell- gen ist im Interesse aller. Deshalb ist es
schaft - nur wer entsprechendes Wissen Aufgabe der gesamten Gesellschaft, eine
erworben hat, kann am gesellschaftlichen leistungsfähige Bildungsinfrastruktur zu
und kulturellen Leben vollumfänglich finanzieren und gebührenfrei zur Verfü-
teilnehmen. gung zu stellen: Investitionen in Bildung
sind Investitionen in die Zukunft und in
Baden-Württemberg schneidet bei ein- eine stabile Demokratie. Bildungsgebühren
schlägigen Untersuchungen des Bildungs- jeglicher Art schränken den Zugang zu Bil-
bereichs in der Regel überdurchschnittlich dung ein. Aus diesem Grund befürworten
gut ab. Dies verdankt das Land nicht nur wir die Lehrmittelfreiheit und den ver-
einer engagierten Lehrerschaft, sondern stärkten Einsatz von lizenzfreien Werken
auch der Sozialstruktur im mittelständisch zur Vermittlung von Wissen.
geprägten Südwesten, die von den wirt-
schaftlichen Verwerfungen innerhalb Eu- 2. Bildung als Teil der
ropas bislang weitgehend verschont blieb. individuellen Entwicklung

Mit sinkender Wirtschaftskraft, Einschnit- Jeder Mensch ist ein Individuum mit
ten im Sozialsystem und einer weiterhin persönlichen Neigungen, Stärken und
familienunfreundlichen Entwicklung der Schwächen. Institutionelle Bildung soll
Arbeitswelt könnte sich dies in den kom- daher den Einzelnen unterstützen, seine
menden Jahren dramatisch ändern. Darauf Begabungen zu entfalten, Schwächen abzu-
ist die Bildungspolitik der Landesregierung bauen und neue Interessen und Fähigkei-
wenig vorbereitet. ten zu entdecken. Neben starren Lehr- und

18
Landeswahlprogramm 2011 Für ein soziales und demokratisches Bildungssystem

Stundenplänen werden auch manche Deshalb wollen wir es aus Landesmitteln


Formen der Leistungsbewertung diesen ermöglichen, dass der Besuch von Kinder-
Forderungen nicht gerecht. Insbesondere gärten nach dem dritten Lebensjahr und
die Bewertung von Verhalten nach einem der Besuch von Kinderkrippen bereits nach
vorgegebenen Normenraster, z.B. Kopfno- dem ersten Lebensjahr für jedes Kind kos-
ten, lehnen wir ab. tenlos angeboten wird. Damit erhalten alle
Kinder, unabhängig von ihrem familiären
3. Demokratisierung der Bildung und gesellschaftlichen Hintergrund, mög-
lichst gleiche Voraussetzungen für ihren
Wir setzen uns für eine Demokratisierung weiteren Bildungsweg.
der Schul- und Bildungslandschaft ein.
Einschulungsuntersuchung
Das bedeutet für uns die stärkere Beachtung
der Persönlichkeitsrechte von Auszubil- Wir lehnen Teile der neukonzipierten
denden, Praktikanten, Trainees, Schülern Einschulungsuntersuchung (ESU) ab. Das
und Studenten ebenso wie die der Lehren- flächendeckende Abfragen, Speichern
den. Wir wollen die Demokratisierung des und Weiterleiten von persönlichen Daten
Bildungsbereichs auf allen Ebenen unter widerspricht den Grundsätzen des Daten-
anderem durch weitergehende Rechte für schutzes und den Persönlichkeitsrechten
die Schülermitverwaltungen und die Stu- von Eltern und Kindern.
dierendenschaften erreichen.
Viele der im Elternfragebogen abgefragten
Informationen sind entweder für die Ein-
Für ein soziales und demo- schulung nicht relevant (z.B. Bildungsstand
kratisches Bildungssystem der Eltern) oder können von den Eltern
gar nicht objektiv angegeben werden (z.B.
Kostenloser Kindergarten- und „Boshaftigkeit“ des Kindes).
Kinderkrippenbesuch
Die Grundsätze der Datensparsamkeit und
Der Besuch einer vorschulischen Einrich- des Datenschutzes müssen bei einer wei-
tung kann einen wichtigen Beitrag dazu teren Überarbeitung der ESU stärker als
leisten, dass Kinder in der Grundschule bisher berücksichtigt werden. Eltern sollen
leichter lernen und sich besser in einer sich zudem umfassend über alle zu ihrem
Gruppe zurechtfinden. Gleichzeitig kön- Kind gespeicherten Daten informieren
nen Kindergärten, Kinderkrippen und können.
andere Kindertagesstätten maßgeblich zur
Entlastung berufstätiger Eltern beitragen Familienfreundliche Ganztages­
und es manchen Eltern überhaupt erst er- betreuung an Schulen
möglichen einen Beruf auszuüben.
Staatliche Bildungseinrichtungen müssen
den Familien dabei helfen, den Anfor-

19
Landeswahlprogramm 2011 Für ein soziales und demokratisches Bildungssystem

derungen des heutigen Familien- und Be- Barrierefreies Lernen


rufslebens gerecht zu werden. Dafür soll
mit Landesunterstützung an allen Schulen In Baden-Württemberg ist für Kinder mit
ein Angebot zur Ganztagesbetreuung be- besonderem Förderbedarf das Risiko einer
reitgestellt werden. Sonderschuleinstufung und der daraus fol-
genden Ausgrenzung aus dem Regelschul-
Das Betreuungsangebot ergänzt den Unter- betrieb im internationalen Vergleich beson-
richt um zusätzliche Bildungsmöglichkei- ders hoch. Der gemeinsame Unterricht von
ten und Aktivitäten. Neben Wahlfächern, Kindern mit und ohne Behinderung wirkt
Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfe sich, wie internationale Studien beweisen,
soll ein möglichst breites Angebot an auf den Lernerfolg beider Gruppen positiv
kulturellen oder sportlichen Tätigkeiten aus. Deshalb wollen wir das hierzulande
ermöglicht werden. Dabei ist die Zusam- betriebene Modell der Sonderschule soweit
menarbeit mit Vereinen zu beiderseitigem möglich verlassen und eine Schule für alle
Vorteil ausdrücklich erwünscht. ermöglichen. Dies erfordert unter anderem
bauliche Maßnahmen zum barrierefreien
Schulspeisung Zugang an Schulen.

Eine gesunde Ernährung ist aus Gründen Abschaffung von


der körperlichen und geistigen Entwick- Studiengebühren
lung und der Konzentrationsfähigkeit
der Kinder wichtig. Berufstätige Eltern, Jeder Mensch hat das Recht auf die Teil-
besonders Alleinerziehende, haben nicht habe an der Gesellschaft, auf Bildung
immer die Möglichkeit, ihren Kindern ein und kulturelle Betätigung. Finanzielle
Mittagessen zu bieten. Schulspeisungen Zusatzbelastungen halten vom Studieren
können dazu beitragen, dass sich ihre Kin- ab. Wir wollen daher die Abschaffung der
der trotzdem ausgewogen ernähren. Wir Studiengebühren und weiterer finanzieller
fordern daher die Einführung vollwertiger Zusatzbelastungen für Studierende wie
Schulspeisungen an allen Schulen und Verwaltungsgebühren, um barriere- und
Kindertagesstätten. kostenfreie Bildung für alle zu realisieren.
Das Land muss dafür Sorge tragen, dass
Die Finanzierung dieser Schulspeisungen den Universitäten und studentischen Orga-
ist so zu gestalten, dass alle Schüler unab- nisationen die finanziellen Ausfälle ersetzt
hängig von der sozialen oder finanziellen werden.
Lage der Familie diskriminierungsfrei dar-
an teilnehmen können. Bei der Planung ist Familienfreundliche
zu berücksichtigen, ob die Verwaltungskos- Hochschulen
ten für die Essensgebühren die Einnahmen
übersteigen und eventuell eine vollständig Hochschulen sollen familienfreundlicher
kostenlose Schulspeisung günstiger wäre. gestaltet werden. Dies betrifft sowohl die
Arbeit in Forschung, Lehre und Verwaltung

20
Landeswahlprogramm 2011 Für ein soziales und demokratisches Bildungssystem

als auch das Studium. Eine akademische Werte auf diese Art und Weise kennen und
Karriere muss parallel zur Kindererzie- schätzen lernen, wodurch sie kritischer mit
hung möglich sein. Hierzu sollen verstärkt extremistischem Gedankengut umgehen
Teilzeitstellen angeboten werden – gerade können. Parallel hierzu wollen wir den
auch für Professoren, Doktoranden und gesellschaftskundlich-politischen Unter-
den wissenschaftlichen Nachwuchs. richt ausbauen.

Parallel dazu muss die Kinderbetreuung Persönlichkeitsrechte der


an Hochschulen ausgebaut werden, so dass Schüler und Lehrer achten
für alle Kinder von Studierenden oder An-
gestellten der Universität Betreuungsplätze Die Privat- und Intimsphäre sowie das Recht
zur Verfügung stehen. auf informationelle Selbstbestimmung von
Schülern und Lehrern müssen gewahrt
Schulen demokratisieren bleiben. Videoüberwachung und private
Sicherheitsdienste haben keinen Platz in
Selbstbestimmung an der Schule durch Schulen. Präventive Durchsuchungen und
das Lehrerkollegium und ein Mitbestim- Kontrollen oder Urinuntersuchungen sind
mungsrecht der Schüler schafft faire Ar- zu unterlassen. Die Unschuldsvermutung
beitsstrukturen. An die demokratischen gilt auch für Schüler. Diese unter General-
Entscheidungen des Kollegiums ist nach verdacht zu stellen, zerstört das Vertrauen
unserer Konzeption auch der Rektor ge- zu Schule und Lehrern, ohne welches Un-
bunden. Die Schülermitverwaltung muss terricht und Erziehung nicht möglich sind.
in Schülermitbestimmung umgestaltet
werden, um eine Teilhabe an Entscheidun- Wiedereinführung der verfass-
gen zu ermöglichen. ten Studierendenschaften

Erziehung zur Demokratie Verfasste Studierendenschaften demokra-


tisieren die Universitäten, eine Wiederein-
Die gelebte Vermittlung der Grundprinzi- führung ist längst überfällig. Nach dem
pien unserer demokratischen Staats- und Verbot in den 70er Jahren haben alle Bun-
Gesellschaftsform ist eine der Aufgaben desländer bis auf Bayern und Baden-Würt-
staatlicher Bildungseinrichtungen. An allen temberg die verfassten Studierendenschaf-
baden-württembergischen Schulen sollen ten wieder zugelassen. Das Verbot entbehrt
deshalb schrittweise Klassenräte und Schü- damals wie heute jeglicher Grundlage. Wir
lerparlamente eingeführt werden. Durch fordern daher die Aufhebung des Verbots,
die frühe Möglichkeit, sich an (schul-)po- um studentische Mit- und Selbstbestim-
litischen Entscheidungen zu beteiligen und mung zu ermöglichen.
Themen zu erarbeiten, wollen wir auch der
Politikverdrossenheit unter Jugendlichen
vorbeugen. Außerdem können Kinder und
Jugendliche demokratische Prinzipien und

21
Landeswahlprogramm 2011 Unsere Schulkonzeption

Unsere Schulkonzeption Differenziertes, integriertes


Kurssystem
Untersuchungen zeigen, dass das bisherige
weitgehend starre Schulsystem mit seiner Die bisherige Unterteilung in Schularten
Dreigliedrigkeit und dem fest eingeteilten und Klassenstufen ist zu unflexibel, um auf
Klassensystem problematisch ist. Wir wol- die Leistung der Schüler eingehen zu kön-
len stattdessen eine flexible und modulare nen – verfehlt ein Schüler in einem Fach die
Unterrichtsstruktur einführen. angeforderte Leistung, müssen alle Fächer
wiederholt werden, erbringt er geforderte
Politisch gibt es gerade in Baden-Württem- Leistungen schneller, hat er keine sinnvolle
berg den Trend zu ständigen Miniaturre- Möglichkeit, seine schulische Laufbahn zu
formen, welche die eigentlichen Probleme beschleunigen.
gar nicht erst angehen. Wir schlagen statt-
dessen grundlegende Veränderungen der Wir fordern daher die Einführung eines
Rahmenbedingungen im Schulsystem vor, differenzierten, integrierten Kurssystems
die bewährte Reformideen aufgreifen, wel- in den Regelschulunterricht. Die Schüler
che aus ideologischen Gründen oder aus können hier in flexibler Reihenfolge Kurse
Kostengründen immer wieder zurückge- in den unterschiedlichen Gebieten belegen.
stellt oder nicht umgesetzt wurden. Der Lerninhalt setzt sich dabei aus Pflicht-
und Wahlkursen zusammen. Anstelle der
Ziel unserer Schulpolitik ist die optimale Wiederholung einer ganzen Klassenstufe
Förderung der Schüler. Diese wird durch tritt hier bei unzureichenden Leistungen
eine freiwillige Ganztagesbetreuung er- die Wiederholung – gegebenenfalls auf
leichtert, die flächendeckend ermöglicht einem anderen Niveau oder mit anderen
werden soll und in der eine örtliche Koope- Fördermöglichkeiten – des entsprechenden
ration mit schulexternen Trägern wie Ver- Kurses.
einen oder Musikschulen angestrebt wird.
Mit diesem neuen Standard wollen wir den
Weitere alternative Schulkonzepte müssen individuellen Lerntypen und Neigungen
in Baden-Württemberg möglich sein und der Kinder und Jugendlichen gerecht wer-
parallel zu den bisherigen Schulformen den. Unser Ziel ist die gemeinsame Förde-
existieren dürfen. Den Schulen sind hier rung schwächerer und leistungsstärkerer
auf Wunsch von Eltern, Schülern und Schüler.
Schulträgern durch eine entsprechende
Reform des Landesschulgesetzes mehr Leistungsdruck und
Mitsprachemöglichkeiten einzuräumen. Schulstress verringern

Überfüllte Lehrpläne und Lernstandserhe-


bungen sind hohe Stressfaktoren und set-
zen die Schüler unnötig unter Druck. Die
Bildungspläne müssen angepasst werden,

22
Landeswahlprogramm 2011 Unsere Schulkonzeption

besonders der Bildungsplan des Gymnasi- Bildungseinrichtungen verstärkt auf diese


ums mit einer nun verkürzten zwölfjähri- Veränderungen reagieren und wollen die
gen Schullaufbahn. Statt Lernstandserhe- fächerübergreifende Vermittlung von
bungen wie PISA oder VERA, die nur den Medienkompetenz in allen Bildungs- und
Wissensstand messen, sollen langfristige Erziehungsbereichen einführen.
Evaluationsverfahren eingesetzt werden,
die auch die Selbstreflexion der Schüler Neutralität in der Bildung
einbeziehen und somit die Lernprozesse
unterstützen. Die Bildungsinhalte im naturwissenschaft-
lichen Bereich müssen auf fundierten und
Unterrichtsbeginn ab neun Uhr belegbaren Erkenntnissen basieren. Wissen
soll von einem möglichst neutralen Stand-
Schulen sollen die Möglichkeit erhalten, punkt aus vermittelt werden. Dies beinhal-
den Unterricht später beginnen zu lassen. tet vor allem eine sachliche Darstellung,
die Ausgewogenheit der Standpunkte und
Startet der Unterricht erst um neun Uhr, eine kritische Quellenbewertung.
sind die Schüler ausgeschlafen. Das macht
den Unterricht in den ersten Stunden effek- Säkularisierung der Bildung
tiver als bisher. Außerdem ist so Zeit für ein
Frühstück mit der Familie. Betreuungsan- Wo Menschen unterschiedlichen Glau-
gebote in der Schule vor Unterrichtsbeginn bens zusammenleben, müssen staatliche
müssen vorhanden sein. Die Entscheidung Bildungseinrichtungen weltanschaulich
über den Unterrichtsstart sollen die Schu- neutral sein. Der bisher in Landesverfas-
len gemeinsam mit Schülern und Eltern sung und Schulgesetz vorhandene Reli-
treffen dürfen. gions- und Gottesbezug sollte deswegen
gestrichen werden.
Computer- und Vernetzungs-
angebote im Unterricht Keine Bundeswehr an Schulen

Für die Vermittlung von Lehrinhalten Wir sehen die Entsendung von Jugendof-
sollen verstärkt Computer zum Einsatz fizieren der Bundeswehr für Unterrichts-
kommen. Schüler sollen sich Kursinhalte zwecke und zur Aus- bzw. Weiterbildung
anhand aufgezeichneter Vorlesungen, per von Lehrkräften an Schulen sehr kritisch.
Videokonferenz oder mit Hilfe interaktiver Klassenzimmer sollen nicht zu Rekrutie-
Programme aneignen können. rungsbüros werden. Bundeswehrbesuche
an Schulen müssen neutral gestaltet sein.
Medienkompetenz Solange dies nicht gewährleistet ist, sollte
darauf verzichtet werden.
Internet und moderne Medien sind
aus unserem Alltag nicht mehr wegzu-
denken. Wir möchten, dass staatliche

23
Landeswahlprogramm 2011 Bessere politische und finanzielle Rahmenbed.

Religions- und Ethikunterricht Inhalten und Lehrmethoden. Der derzeitige


berufsorientierte Umbau der Universitäten
Der wachsenden Zahl von Schülern ohne ist nicht nur zu ihrem Schaden, sondern
konfessionelle Bindung steht in Baden- auch zum Nachteil der anderen Bildungs-
Württemberg ein nicht ausreichendes einrichtungen. Wir wollen die Vielfalt und
Angebot an Ethikunterricht gegenüber. Flexibilität im Weiterbildungssystem zum
Wir möchten für alle Schüler, die keinen Nutzen von Gesellschaft, Forschung, Lehre
Religionsunterricht besuchen, Ethikunter- und Wirtschaft erhalten.
richt flächendeckend bereits ab der ersten
Klasse anbieten. Reform des Bologna-Prozesses

Der Wechsel zwischen Ethikunterricht Selbstbestimmtes Lernen statt starrer Vor-


und konfessionellem Religionsunterricht gaben und Zeiten, eine flexible Studien-
soll in beide Richtungen auch während des ordnung statt des jetzigen verschulten Mo-
Schuljahres möglich sein. dulstudiums: Das sind unsere Ziele für die
Hochschulausbildung. Studieninhalte an
Wir wollen Religionsunterricht für nicht- Wirtschafts- und Standortanforderungen
christliche Religionen, wie beispielsweise anzupassen, lässt keinen Raum mehr für
Islam und Judentum, dort anbieten, wo interessenorientiertes Studieren und unab-
ausreichende Nachfrage besteht, gegebe- hängiges Forschen. Dauerüberprüfungen
nenfalls schulenübergreifend. Das Land und starre Zeit- und Inhaltsvorgaben ver-
sollte Kooperationen mit anderen Bun- ursachen zu hohen Leistungsdruck. Des-
desländern eingehen, um die benötigten halb sollen die Bachelorstudiengänge auf
Religionslehrer möglichst kostensparend acht Semester verlängert und um zusätzli-
auszubilden. che Wahlmöglichkeiten erweitert werden.
Im Anschluss müssen Masterplätze für alle
Studenten vorhanden sein.
Bessere politische
und finanzielle Finanzierung von Bildung
und Forschung
Rahmenbedingungen
Bildung und Forschung sind eine Investition
Beibehaltung der flexiblen in die Zukunft unserer Gesellschaft. Vor die-
Ausbildungs- und sem Hintergrund ist es unverständlich, dass
Hochschulstruktur eine reiche Industrienation wie Deutschland
einen im internationalen Vergleich unan-
Traditionelle Ausbildungen, Universitäten, gemessen niedrigen Teil der öffentlichen
duale Hochschulen, Fachhochschulen und Mittel in Bildung und Forschung investiert.
viele andere Weiterbildungsmöglichkei- Wir fordern daher eine bessere finanzielle
ten bieten eine Vielfalt an unterschiedli- Ausstattung des gesamten Bildungssystems.
chen Ausbildungswegen, Schwerpunkten,

24
Landeswahlprogramm 2011 Bessere politische und finanzielle Rahmenbed.

Schönrechnereien – wie die Einbeziehung Bessere Betreuung


von Lehrerpensionen – lehnen wir dabei ab.
Wir fordern einen Betreuungsschlüssel, der
Private Finanzhilfen für öffentliche Bil- einen verbesserten Unterricht sowie eine
dungseinrichtungen sind zu begrüßen, so- individuelle Betreuung zum Ziel hat. Dazu
lange diese keinen Einfluss auf die Lehrin- gehört die Schaffung neuer Lehrerstellen
halte haben. und eine angemessene Fort- und Weiterbil-
dung der Lehrer.
Bildungsstandards
Wir streben die verbindliche Umsetzung der
Auf der Basis wissenschaftlicher Erkennt- für die bestmögliche Förderung notwendi-
nisse und angesichts der derzeit herrschen- gen Betreuungsschlüssel im Bildungswesen
den Missstände im deutschen Bildungs- bis zum Jahr 2021 an. Die notwendigen
system fordern wir die zügige Umsetzung Betreuungsschlüssel ergeben sich aus den
der festgesetzten Bildungsstandards auf aktuellen psychologisch-pädagogisch und
Bundes- und Länderebene, wie sie von der soziologisch anerkannten internationalen
Kultusministerkonferenz und dem Institut und nationalen Bildungsstudien für die ent-
zur Qualitätsentwicklung im Bildungswe- sprechenden Lerngruppen.
sen gefordert werden. Zur Gewährleistung
bundeseinheitlicher Bildungsstandards In den Bereichen Medienkompetenz und Pä-
in allen Bundesländern übernimmt das dagogik sehen wir einen besonderen Bedarf
ausführende Organ der Bundesregierung an Weiterbildung für Lehrer. Zudem wollen
die qualitätsführende Kontrolle und wir Angebote schaffen, bei denen Eltern ge-
Evaluation. meinsam mit ihren Kindern an das Thema
Mediennutzung herangeführt werden.
Vergleichbarkeit und
bundesweiter Rahmen Die Anzahl der Schulsozialarbeiter - auch
an Gymnasien - muss erhöht werden. Dies
Um die Vorteile des föderativen Schul- ist Ländersache und darf nicht den Kom-
systems mit den Vorteilen eines zentral munen aufgebürdet werden.
geregelten Bildungssystems zu verbinden,
fordern wir mehr Richtlinienkompetenzen Bessere Ausbildung und
für den Bund. Dies ist notwendig, um die Bezahlung von Erziehern
Vergleichbarkeit von Abschlüssen, einen
effektiven Strukturausgleich und echte Von Erziehern und Betreuern im vorschu-
Freizügigkeit innerhalb Deutschlands zu lischen Bereich wird immer mehr gefordert.
ermöglichen. Die Bezahlung sowie Aus- und Fortbildung
dieser für die Entwicklung der Kinder so
wichtigen Pädagogen ist den neuen An-
forderungen und der erhöhten Belastung
anzupassen.

25
Landeswahlprogramm 2011 Bessere politische und finanzielle Rahmenbed.

Gleiche Berufschancen im Einsatz von freier Software


Lehrer- und Dozentenbereich und Lehrmitteln unter
freien Lizenzen
Von der Öffentlichkeit weitgehend unbe-
merkt schleicht sich eine Zweiteilung im Wir wollen erreichen, dass an Bildungsein-
Bereich der Bildungsvermittler ein: Auf der richtungen vermehrt Lehrmittel mit freien
einen Seite stehen gut abgesicherte Beamte Lizenzen und kostenlose Online-Angebote
auf Lebenszeit, auf der anderen Seite billige verwendet werden. Dies trägt nicht nur zur
Honorarkräfte, die in den Schulen große Kostensenkung bei, sondern auch dazu,
Teile des Nachmittagsunterrichts und der dass die Lehrmittel von den Lehrenden
Betreuung übernehmen oder an den Hoch- nach Bedarf erweitert und verändert wer-
schulen als Lehrbeauftragte in vielen Berei- den können. Zudem setzen wir uns für den
chen dafür sorgen, dass überhaupt noch ein Einsatz von freier Software an Schulen ein.
ausreichendes Lehr- und Betreuungsange- Diese kann von den Kindern auch zuhause
bot vorhanden ist. kostenfrei benutzt werden.

Wir setzen uns dafür ein, den Beamtensta- Open Access


tus im Bildungsbereich abzuschaffen und
auf gleichberechtigte und faire Arbeitsbe- Die Veröffentlichung von Ergebnissen
dingungen für alle Lehrenden im Schul- aus staatlich finanzierter oder geförderter
und Hochschulbereich hinzuwirken. Forschung und Lehre findet oft durch
kommerzielle Verlage statt. Die Quali-
Einbeziehung von Fachleuten tätssicherung (Peer Review) wird meist
in den Schulunterricht von ebenfalls staatlich bezahlten Wissen-
schaftlern übernommen. Forschungsein-
Wie schon in Berufsschulen üblich, sollen richtungen müssen für selbst erarbeitetes
Fachleute in allen Schularten in stärkerem Wissen noch einmal bezahlen, wenn dieses
Maße als bisher in den Schulunterricht Wissen ausschließlich von kommerziellen
einbezogen werden – nicht nur für Gast- Verlagen verbreitet wird. Der Steuerzahler
vorträge, sondern auch als quereinsteigen- kommt also mehrfach für die Kosten der
de Fachleute mit pädagogischer Eignung Publikationen auf.
und Zusatzausbildung. Bei Auswahl und
Fortbildung dieser Experten ist darauf zu Wir unterstützen die Berliner Erklärung
achten, dass der Unterricht in der Schule der Open-Access-Bewegung und verlangen
weltanschaulich neutral bleibt. die Zugänglichmachung des wissenschaft-
lichen und kulturellen Erbes der Mensch-
heit nach dem Prinzip des Open Access.
Wir sehen es als Aufgabe der Landesregie-
rung an, dieses Prinzip an den von ihr fi-
nanzierten und geförderten Einrichtungen
durchzusetzen.

26
Landeswahlprogramm 2011 Bessere politische und finanzielle Rahmenbed.

Wissenschaftlichen
Nachwuchs fördern

Ansätze zur Förderung des wissenschaft-


lichen Nachwuchses werden leider oft als
Einladung zum Sparen aufgefasst. Vor al-
lem die Juniorprofessur sowie die geplante
Lehrjuniorprofessur sind in der derzeitigen
Form äußerst problematisch.

Insbesondere müssen die Zukunftsaus-


sichten der Juniorprofessoren verbessert
werden – die Einführung eines „Tenure
Track“ nach US-amerikanischem Vorbild
mit der Weiterbeschäftigung als Professor
nach Ablauf der Juniorprofessur als Regel-
fall wäre ein Ansatz.

Die Piratenpartei Baden-Württemberg


wird sich dafür einsetzen, neue unbefris-
tete Hochschulstellen vor allem im Bereich
der wissenschaftlichen Mitarbeiter einzu-
richten. Bestehende Lehraufträge an Schu-
len und Hochschulen wollen wir angemes-
sener als bisher vergüten und befristete in
unbefristete Arbeitsverträge umwandeln.

Förderung Erwachsenenbildung

Wir wollen ein integratives Konzept „Le-


benslanges Lernen“ aufbauen, das Volks-
hochschulen mit Schulen, Fachhochschu-
len, Berufsschulen, Universitäten und
andere Bildungseinrichtungen zu einem
Verbund der Erwachsenenbildung effektiv
zusammenführt.

27
Landeswahlprogramm 2011 Kulturelle Vielfalt fördern

Kulturelle Vielfalt fördern


D. Medien, Kunst
Räume für subkulturelle Kunst
und Kultur und Lebensformen schaffen

Schalten wir die Stereoanlage oder den Subkulturen wurden lange Zeit hauptsäch-
Fernseher ein, sind wir nur Konsumenten. lich als Gefahr und anti-gesellschaftliche
Im Gegensatz dazu ist das Internet das ers- Abgrenzung verstanden. Subkulturelle
te Massenmedium, in dem wir auch Pro- Kunst legt aber vom Mainstream verdräng-
duzenten sind: Jeder kann Inhalte erstellen, te Probleme offen und arbeitet sie auf. Sie
die sofort der ganzen Welt zugänglich sind, lebt Toleranz, Vielfalt und Andersartigkeit.
Kulturgüter mit anderen tauschen und
Kultur reflektieren. Wir setzen uns für eine verstärkte Förde-
rung von subkultureller Kunst und subkul-
Das Internet ist nicht einfach nur ein vir- turellen Lebensweisen ein. Hierbei geht es
tueller Raum. Es ist ein Freiheitsraum, der in erster Linie um die Bereitstellung und
Kulturschaffenden die Möglichkeit gibt, Instandhaltung von Räumlichkeiten, die
sich zu vernetzen, mit anderen zusammen für künstlerische Betätigung und Veran-
zu arbeiten, ihr Publikum zu erreichen staltungen genutzt werden können.
und ihre Werke weiterzugeben. Die Pira-
tenpartei Baden-Württemberg setzt sich Auch entsprechende Kommunikations-
für eine Kulturpolitik ein, die diese neuen plattformen im Internet möchten wir mit
Rahmenbedingungen widerspiegelt und Fördermitteln unterstützen. So werden In-
jeden einzelnen Bürger nicht mehr nur frastrukturen geschaffen, mit deren Hilfe
als Konsumenten, sondern gleichzeitig als sich Bürger sowohl online als auch offline
Produzenten von Kultur sieht. organisieren, informieren und austauschen
können.
Kunst und Kultur sind nach unserem
Verständnis ein freier Raum, in dem alles Förderung neuer Kunstformen
denkbar ist und ausprobiert werden kann.
In diesen möchte die Piratenpartei nicht Staatlich geförderte Kultureinrichtun-
eingreifen, aber zusätzliche Orte und Netz- gen sollen verstärkt neuen Kunstformen
werke schaffen, in denen sich Kultur ent- wie zum Beispiel Comics, Street-Art und
falten kann. Dazu gehört das Fördern von Computerspielen Raum geben. Die Höhe
etablierten Institutionen genauso wie die ihrer staatlichen Förderung soll auch von
Ermutigung eines jeden Bürgers, kulturell der Bereitschaft abhängen, sich mit neuen
tätig zu werden. Kunstformen auseinanderzusetzen. Wir
wollen so dazu beitragen, dass Kulturein-
richtungen sich öffnen und damit lokale
Kulturschaffende in den Bereichen der
neuen Künste fördern.

28
Landeswahlprogramm 2011 Öffentlich-Rechtliche Rundfunkanstalten modern.

Vernetzung Kulturschaffender Förderung freier Radios

Das Land Baden-Württemberg soll Kul- Wir setzen uns dafür ein, eine flächende-
turschaffende besser vernetzen. Dies soll ckende Verbreitung von nicht-kommer-
sowohl auf kommunaler als auch auf über- ziellem Lokalrundfunk zu sichern. Dazu
regionaler Ebene geschehen. müssen die freien Radios bei der Frequenz-
vergabe verstärkt berücksichtigt werden.
Ein Medienbeauftragter des Landes nach
dem Vorbild des Mannheimer Popkultur-
beauftragten könnte als Netzwerker und Öffentlich-Rechtliche
Ansprechpartner Gruppen zusammen- Rundfunkanstalten
bringen, ohne dass zusätzlich Geld „verteilt“
werden muss.
modernisieren

Förderung von Clubkultur Unabhängigkeit


und Nachtleben
Artikel 5 des Grundgesetzes schützt die
Wir setzen uns für eine verstärkte Förde- Pressefreiheit. Derzeit sind die öffentlich-
rung von Clubkultur und Nachtleben ein. rechtlichen Medienanstalten nicht frei vom
Dazu gehören öffentlicher Nachtbusverkehr, Einfluss der Politik. Etwa die Hälfte der
Existenzgründungsmaßnahmen, flächen- Mitglieder des Verwaltungsrates und ein
deckende Aufhebung der Sperrstunden Großteil der Mitglieder des Rundfunkrates
und Freiluft-Sperrzeiten, Änderung der des SWR werden direkt von den Landes-
Lärmverordnung sowie eine überregionale regierungen von Baden-Württemberg und
Vernetzung der Veranstalter. Rheinland-Pfalz bestimmt. Auch im ZDF
sind knapp die Hälfte der Verwaltungs-
Abschaffung des Tanzverbots und Fernsehräte von der Politik bestimmt.
Wir werden die direkte politische Kont-
Das Tanzverbot wird durch das „Gesetz rolle über Medienanstalten beenden. Kein
über die Sonn- und Feiertage“ geregelt. An Mitglied des Verwaltungs- oder des Rund-
den sogenannten „Stillen Tagen“ sind fast funkrates darf Mitglied der Regierung oder
alle Veranstaltungen, die über „Schank- des Landtags sein.
und Speisebetrieb“ hinausgehen, untersagt.
Dies betrifft auch Sportveranstaltungen, Dauerhafte Verfügbarkeit
Theateraufführungen, Volksfeste, musi- eigenfinanzierter Beiträge
kalische Darbietungen, Zirkus, Artistik,
Freizeitanlagen und Filmvorführungen Eine der Aufgaben des gebührenfinan-
sowie weitere gesellschaftliche Bereiche. zierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks
Wir wollen nicht, dass der Staat hier in die besteht in der Versorgung der Bevölkerung
Freiheit des Einzelnen eingreift. Wir setzen mit unabhängiger Berichterstattung. Die
uns dafür ein, das Tanzverbot aufzuheben. dabei erstellten Inhalte sind seit Umsetzung

29
Landeswahlprogramm 2011 Zugang zu Kulturgütern

des 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrags Rundfunkgebühreneinzug


nur kurze Zeit in den Mediatheken der reformieren – GEZ abschaffen
Rundfunkanstalten abrufbar, obwohl sie
auch dauerhaft von öffentlichem Interesse Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll
sind, da sie beispielsweise als Quellen für über eine Abgabe für alle steuerpflich-
den öffentlichen Diskurs dienen. Sie sollten tigen Privatpersonen und Unternehmen
deshalb zeitlich unbegrenzt zur Verfügung finanziert werden, die von den Finanzäm-
gestellt werden. tern eingezogen wird. Wir setzen uns im
Land und über den Bundesrat dafür ein,
Freie Lizenzen für Inhalte die dann nicht mehr erforderliche GEZ
abzuschaffen.
Wenn die Allgemeinheit Fernseh- und
Rundfunkprogramme bezahlt, soll sie die- Auch hat sich der Umgang der GEZ mit
se auch uneingeschränkt nutzen können. persönlichen Daten als problematisch er-
Überwiegend aus deutschen Rundfunkge- wiesen. Deshalb muss sie, solange sie noch
bühren finanzierte Inhalte sollen deshalb besteht, durch die Datenschutzbeauftrag-
unter freie Lizenzen gestellt werden. ten des Landes und des Bundes kontrolliert
werden.
Qualität statt Quotenfixierung

Filme und sonstige TV-Sendungen kön- Zugang zu Kulturgütern


nen inzwischen unabhängig vom Medium
Fernsehen konsumiert werden. Die digitale Teilnahme am kulturellen
Bereitstellung von Eigenproduktionen der Leben für alle
öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
ermöglicht ihre Verbreitung und ihren Wir wollen, dass alle Menschen am kultu-
Konsum auch über das Internet und rellen Leben teilhaben können. Bei der För-
neuartige Empfangsgeräte. Die bisherige derung kultureller Einrichtungen soll dar-
Messung der Fernseheinschaltquoten gibt auf geachtet werden, dass diese möglichst
daher weder die tatsächliche Reichweite barrierefrei gestaltet werden und verstärkt
noch den Erfolg der produzierten Sendun- Angebote für sozial schwache Besucher
gen zutreffend wieder. bieten, zum Beispiel deutlich reduzierte
Eintrittspreise.
Stattdessen müssen bei der Auswahl und
Produktion von Sendungen objektive Qua- Jugendschutz
litätskriterien herangezogen werden, die
dafür sorgen, dass der öffentlich-rechtliche Wir möchten bewährte Mechanismen zum
Rundfunk seinen Auftrag erfüllt. Die Jugendschutz erhalten und sie für das digi-
gemessene Einschaltquote der TV-Konsu- tale Zeitalter, in dem die Grenze zwischen
menten als alleiniges Kriterium lehnen wir Anbieter und Konsument verschwimmt,
ab. weiterentwickeln. Zusammen mit den

30
Landeswahlprogramm 2011 Zugang zu Kulturgütern

Bildungseinrichtungen, den Erziehungsbe- Nicht populistische Verbote, sondern


rechtigten und vor allem auch mit betroffe- präventive Maßnahmen stärken den ver-
nen Kindern und Jugendlichen wollen wir antwortungsvollen Umgang mit elektro-
neue Lösungen finden. nischen Medien. Wir lehnen das von der
Innenministerkonferenz geforderte gene-
Eine Bevormundung volljähriger Personen ralisierende Verbot zur Herstellung und
im Namen des Jugendschutzes lehnen wir Verbreitung von Computerspielen strikt ab.
ab. Jede Form von Regulierung muss in-
haltlich schlüssig begründet, praktikabel Abschaffung der
und auf Kinder und Jugendliche einge- Landesbibliotheken-Gebühren
schränkt sein. Der freie Zugang zu Kunst
und Kultur muss gewährleistet bleiben. Bildung und Kultur sollen für alle offen
Zur kulturellen Vielfalt zählen dabei aus- zugänglich sein. Deshalb planen wir die
drücklich auch Computerspiele. Abschaffung der Jahresnutzungsgebühren
für Landesbibliotheken.
eSport-Vereine anerkennen
Bessere Ausstattung von
Immer mehr Gamer organisieren sich in öffentlichen Bibliotheken
eSport-Vereinen, um gemeinsam ihrem
Hobby nachzugehen. Ebenso wie traditi- Obwohl zahlreiche Bibliotheken bereits
onelle Sportvereine leisten sie dabei einen erste Schritte auf dem Weg zu umfassen-
wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen den Medien- und Informationszentren
Zusammenhalt. Viele bemühen sich bei- unternommen haben, sollten insbesondere
spielsweise um die Vermittlung von Me- Computerarbeitsplätze, Internetzugänge,
dienkompetenz gegenüber Jugendlichen Zugänge zu Datenbanken und umfangrei-
und Eltern. Wir möchten diese Arbeit che Bestände mit neuen Informations-, Bil-
honorieren und dafür sorgen, dass eSport- dungs- und Unterhaltungsträgern weiter
Vereine genauso wie andere Sportvereine ausgebaut und effektiv finanziert werden.
als gemeinnützig anerkannt werden. Vor allem im ländlichen Raum besteht hier
noch großer Nachholbedarf.
Gegen die Stigmatisierung
von eSport und Computer- Digitalisierung von Büchern
spielen als „Killerspiele“
Wir planen die konsequente Digitalisie-
Die Bezeichnung „Killerspieler“ diskredi- rung der Werke in den Landesbibliotheken,
tiert in völlig inakzeptabler Weise sowohl die vergriffen oder nicht mehr durch Ver-
Jugendliche und Erwachsene, die ihrem wertungsrechte geschützt sind. Die Werke
Hobby nachgehen, als auch professionelle sollen unter einer freien Lizenz veröffent-
eSportler. Gamer sind keine Killer und licht und im Internet der Öffentlichkeit frei
Gewalttäter. zugänglich gemacht werden.

31
Landeswahlprogramm 2011 Arbeitswelt

speziell für Heimarbeiter oder Selbständi-


E. Arbeit, Soziales ge schaffen sie Mehrwert für den Einzelnen
und die Gemeinschaft.
und Gesundheit
Die so geschaffenen Möglichkeiten bieten
Freiheit hat auch mit dem Recht jedes ein großes Innovationspotenzial. Dem Bür-
Menschen zu tun, ein möglichst selbst- ger wird die Chance gegeben, seine sozialen
bestimmtes Leben bis ins hohe Alter zu und beruflichen Talente im Austausch und
führen. Dazu ist man aber oft auch auf die in der Zusammenarbeit mit Anderen zu
Solidarität anderer angewiesen. Deshalb entfalten. Darüber hinaus bieten offene Ar-
wollen wir, dass auch künftig Gesunde für beitsstrukturen flexible Arbeitszeiten und
Kranke, Arbeitende für Arbeitslose, Jung stellen damit eine Möglichkeit dar, Familie,
für Alt und Alt für Jung eintreten. So kann Freizeit und Beruf in Einklang zu bringen.
eine gerechte Gesellschaft bestehen, die Wir möchten die Bereitstellung von leerste-
Freiheit für jeden ermöglicht. henden Räumlichkeiten für solche Projekte
fördern.
Wir wollen, dass sich das Land Baden-
Württemberg in diesem Sinne auch bei der Erneute Begrenzung
arbeits-, sozial- und gesundheitspolitischen der Leiharbeit
Gesetzgebung im Bundesrat einbringt.
Leiharbeit stellt für die Wirtschaft ein
Für uns sind Familien all jene Lebens- sinnvolles und notwendiges Instrument
konstellationen, in denen Verantwortung dar, um Auftragsspitzen zu bewältigen. In
für Kinder und Eltern übernommen wird. einzelnen Unternehmen stellen die Leihar-
Dabei ist die Anzahl der Verantwortlichen, beitskräfte mittlerweile betriebsintern aber
deren Beziehung zueinander und deren eine Art Konkurrenz und Druckmittel ge-
Geschlecht unerheblich. gen die Stammbelegschaft dar. Leiharbeit
sollte wegen ihres Missbrauchspotenzials
wieder begrenzt werden. Wir wollen, dass
Arbeitswelt das Land Baden-Württemberg dazu eine
entsprechende Initiative im Bundesrat
Förderung von offenen startet. Nach französischem Vorbild sollen
Arbeitsstrukturen Leiharbeiter nicht eine billige Verfügungs-
masse sein, mit der reguläre Beschäftigte
Wir setzen uns für die Förderung von of- unter Druck gesetzt werden können, son-
fenen Arbeitsstrukturen wie Hackerspaces dern für die ihnen abverlangte Flexibilität
und Co-Workingspaces ein. Es handelt sich mit einem Lohnzuschlag entschädigt
dabei um offene Räume für Wissenschaft, werden.
Technik und Kunst, die von mehreren
Gruppen oder Personen zum gemeinsamen
Arbeiten genutzt werden. Als „Büro-WGs“

32
Landeswahlprogramm 2011 Sozialpolitik

Missbrauch von Praktika Wir lehnen diese Einschränkungen der


verhindern privaten Lebensgestaltung ab. Auch eine
Ausweitung der Maßnahmen, zum Beispiel
Arbeitgeber, die Praktikanten als billige Ar- auf Lehrer im Angestelltenverhältnis, wol-
beitskräfte ausbeuten, verhalten sich nicht len wir verhindern.
nur unfair gegenüber den Praktikanten son-
dern auch gegenüber ihren Mitbewerbern
und den sozialen Sicherungssystemen. Sozialpolitik
Darum wollen wir die Regelungen für Sozialräume und
Praktika verschärfen. Probezeit, Werkstu- Sozialberichterstattung
dententätigkeit und befristete Arbeitsver-
träge sind ausreichende Werkzeuge des Unsere Sozialsysteme müssen sich an die
Arbeitsmarkts, um Berufsanfängern den infolge des demographischen Wandels ver-
Start in das Berufsleben zu erleichtern. änderte Gesellschaft anpassen.

Abschaffung der Zwangs- Innovative neue Modelle wie die Schaffung


mitgliedschaft in Kammern regionaler Sozialräume, in denen Sozial-
und Verbänden arbeit und ehrenamtliches Engagement
koordiniert und gefördert werden, können
Wir planen, die Zwangsmitgliedschaft hier zu einer deutlichen Verbesserung der
mit Zwangsbeiträgen in Kammern und Situation führen.
Verbänden abzuschaffen und durch eine
freiwillige Beitrittsmöglichkeit zu ersetzen. Wir erkennen die Notwendigkeit, eine inte-
Hierzu wollen wir eine Bundesratsinitiati- grierte Sozialberichterstattung aufzubauen,
ve anregen. die die erforderlichen Informationen liefert,
um zu wissen, welcher Art die Probleme
Freiheit der Lebensgestaltung sind und wo sie auftreten. Diese Erkennt-
für Staatsdiener nisse sollten für den Bürger transparent zur
Verfügung stehen.
In den letzten Jahren wurden wiederholt
Referendare, Lehrer und andere Beamte Als Grundlage sollten hier aber die persön-
disziplinarischen Maßnahmen bis hin zu liche Betrachtung der Sozialräume und die
faktischen Berufsverboten unterworfen, Erfahrung der Menschen vor Ort dienen.
weil sie sich außerhalb ihres beruflichen Die Sammlung und Auswertung von Daten
Zuständigkeitsbereichs politisch oder unter Missachtung der informationellen
kulturell, etwa in demokratischen Bür- Selbstbestimmung, beispielsweise durch
gerbündnissen oder als Musiker, betätigt Zensus oder Volkszählung, lehnen wir ab.
haben.

33
Landeswahlprogramm 2011 Gesundheit

Öffentlicher Raum für alle Gleichstellung gleichgeschlecht-


licher Lebenspartnerschaften
Die Nutzungsmöglichkeiten des öffentlichen
Raums für alle müssen verbessert werden. In 14 Bundesländern gilt mittlerweile die
Die Innenstädte gehören auch spielenden einheitliche Zuständigkeit der Standesäm-
Kindern und skatenden Jugendlichen. Wir ter für alle Arten von Lebenspartnerschaf-
möchten den Gebrauch öffentlicher Gebäu- ten und Ehen. In Baden-Württemberg
de durch Bürgervereinigungen, Vereine und werden gleichgeschlechtliche Lebenspart-
Kulturgruppen fördern und setzen uns für nerschaften noch immer benachteiligt. Wir
entsprechende Verbesserungen in Nutzungs- wollen auch hier mit dieser Praxis Schluss
und Haftungsregelungen ein. machen und die Gleichbehandlung aller
Lebenspartnerschaften erreichen. Dies ist
Gewalt als gesellschaftliches auch aus Gründen der Verwaltungsver-
Problem einfachung sinnvoll.

Gewalt ist ein gesamtgesellschaftliches Prob- Auch im Beamtenwesen muss die Dis-
lem. Nach Expertenmeinung tragen Compu- kriminierung beendet werden: Entgegen
terspiele und Paintball nicht zur Entstehung einem Verfassungsgerichtsurteil sind hier
von Gewalt bei. Deswegen wenden wir uns Kommunal- und Landesbeamte in gleich-
gegen ein Verbot solcher Spiele und die Kri- geschlechtlichen Lebenspartnerschaften
minalisierung der Spieler. Wir unterstützen solchen in gemischtgeschlechtlichen Ehen
den Ausbau der Gewaltprävention an Schu- noch nicht gleichgestellt. Zusätzlich soll
len, in Beratungsstellen und Jugendzentren. sich das Land auch im Bundesrat dafür
Hierzu bedarf es besonders der flächende- stark machen, die rechtliche Gleichstel-
ckenden Tätigkeit pädagogisch-psychologi- lung aller Menschen unabhängig von ihrer
scher Fachkräfte in diesen Einrichtungen. sexuellen Identität voranzutreiben.

Jugendförderung im
Landesjugendplan Gesundheit
Wir bekennen uns zur offenen Jugendarbeit Transparenz im
und zur Arbeit der Jugend­verbände in Ba- Gesundheitswesen
den-Württemberg. Der Landes­jugendplan
muss angesichts des wachsenden Bedarfs Das Land ist für die Aufsicht über die
eine bessere Förderung von Jugendfreizeiten Strukturen im Gesundheitswesen zu-
und für die Fortbildung der Jugendleiter vor- ständig. Diese Aufgabe wird bislang nur
sehen. Den stetigen Rückzug des Landes aus unzureichend wahrgenommen, wie das
der Finanzierung der Jugendarbeit wie auch Anhäufen von Schulden bei manchen ge-
aus der landesweiten Förderung der Jugend- setzlichen Krankenkassen in der Vergan-
musik- und Kunstschulen lehnen wir ab. genheit zeigt. Wir stehen für Transparenz

34
Landeswahlprogramm 2011 Gesundheit

auch im Gesundheitswesen, um solche sich auch die Gesundheitsforschung stär-


Probleme in Zukunft zu vermeiden. ker mit den krankmachenden Faktoren in
der Arbeitswelt beschäftigen.
Elektronische Gesundheitskarte
Screening im Gesundheitswesen
Wir erkennen den Vorteil an, den eine
rasche Zugriffsmöglichkeit von Ärzten Vorsorge ist besser als Nachsorge! Wir set-
auf diagnose- und behandlungsrelevante zen uns für Forschung, Entwicklung und
Patientendaten hätte. Die elektronische Evaluation neuer Früherkennungsmetho-
Gesundheitskarte und die baden-würt- den und Präventionsmaßnahmen gegen
tembergischen „Modellprojekte“ hierzu Krankheiten ein. Wissenschaftlich aner-
müssen wir aber ablehnen. Die elektroni- kannte Vorsorgeuntersuchungen sollen
sche Gesundheitskarte hat sich weit von stärker als bisher gefördert werden.
ihrer ursprünglichen Zielsetzung entfernt
und sieht eine umfassende Speicherung Krebsregister
sensibler Patientendaten in zentralen Da-
tenbanken vor, was ein erhebliches Risiko Krebsregister bieten wichtige Informa-
für das Grundrecht auf informationelle tionen zu Vorbeugung, Früherkennung
Selbstbestimmung darstellt. Wir wollen und Behandlung von Krebserkrankungen.
Möglichkeiten erarbeiten, die angestrebten Jahrzehntelang hat die baden-württember-
Vorteile mit diesem Grundrecht vereinbar gische Landesregierung den Aufbau und
zu machen. die Pflege eines Krebsregisters verzögert
und verschleppt.
Privatisierung im
Gesundheitswesen Wir fordern, dass dem 2009 endlich ge-
starteten Aufbau des baden-württembergi-
Privatisierungsbestrebungen im baden- schen Krebsregisters hohe Priorität einge-
württembergischen Gesundheitssystem leh- räumt wird. Insbesondere sollen nach dem
nen wir ab. Wir wollen insbesondere den finnischen Vorbild auch epidemiologische
Bestand und den Umfang staatlicher Klini- Untersuchungen zu Umweltbelastungen
ken im Land, und damit die medizinische und zu regionalen Häufungen von Krebs-
Versorgung der Bevölkerung, erhalten und fällen unterstützt werden.
ausbauen.
Kein Einzel-Nachtdienst
Psychiatrische Landeskliniken in Pflegeeinrichtungen

Angesichts seelischer Erkrankungen als Aufgrund der derzeitigen rechtlichen Lage


Folge von zunehmendem Stress und Leis- muss in kleineren Pflegeeinrichtungen mit
tungsdruck wollen wir die vernachlässig- unter 50 Pflegebedürftigen nur eine Nacht-
ten psychiatrischen Landeskliniken besser wache anwesend sein. Die sach- und fach-
ausstatten. In diesem Zusammenhang soll gerechte Versorgung von Pflegebedürftigen

35
Landeswahlprogramm 2011 Für eine neue Drogenpolitik

ist für eine einzelne Person oft nicht mög- entlasten. Somit wird eine individuelle und
lich. Wir möchten gesetzlich vorschreiben, bestmögliche Betreuung gewährleistet.
dass bei Nacht- wie Tagdiensten die Pfle-
geeinrichtungen immer mit mindestens
zwei Personen besetzt sein müssen, davon Für eine neue Drogenpolitik
mindestens eine Pflegefachkraft. Grund-
sätzlich muss gewährleistet werden, dass Die Drogenpolitik der Landesregierung
die individuelle pflegefachliche Betreuung ist widersprüchlich. Sie betrachtet legale
jedes einzelnen Patienten durch ausrei- Drogen wie Alkohol vorwiegend bei Ju-
chend Personal garantiert ist. gendlichen als Problem und rechtfertigt
damit Scheinlösungen wie Verbote und
Telemedizin Einschränkungen, die auch Erwachsene
treffen. Wer kleine Mengen Hanf anbaut,
Wir lehnen die sogenannte Telemedizin wird schon wie ein Schwerkrimineller ver-
als billigen Ersatz für eine angemessene folgt. Medikamentenmissbrauch wird hin-
ärztliche Betreuung im ländlichen Raum gegen weitgehend ignoriert. Abhängige von
ab. Darunter versteht man diagnostische harten Drogen werden mit unzureichen-
Entscheidungen und therapeutische Maß- den Programmen versorgt, wobei in Groß-
nahmen, die ein Facharzt aufgrund über- städten die Substitution oft neue soziale
mittelter Daten anordnet, ohne den Patien- Brennpunkte schafft, statt den Rückweg in
ten persönlich in Augenschein genommen die Gesellschaft zu öffnen. Diese Drogen-
zu haben. Dies lehnen wir ab, weil dadurch politik ist dringend reformbedürftig.
auf Kosten der Versicherten eine verfehlte
Gesundheitspolitik kaschiert werden soll. Kein Verkaufsverbot für Alkohol
Eine umfassende, individuelle Behandlung
ist so nicht gewährleistet und die Gefahr In Baden-Württemberg gilt ein nächtli-
von Fehldiagnosen und Fehlbehandlun- ches Verkaufsverbot für Alkohol, das mit
gen steigt. Zudem sind Haftungs- und exzessivem Alkoholmissbrauch begründet
Datenschutzfragen noch nicht hinreichend wurde. Wir halten das Verkaufsverbot für
geklärt. wirkungslos, da Alkohol auch auf Vorrat
erworben werden kann oder das Verbot auf
Betreuung demenzkranker andere Art umgangen wird.
Menschen
Wir wollen daher diese aktionistische
Die Piratenpartei Baden Württemberg Regelung zurücknehmen und stattdessen
spricht sich für eine individuelle, ganz- die strikte Einhaltung des bestehenden
heitliche Pflege demenziell erkrankter Jugendschutzgesetzes forcieren, sowie die
Menschen aus. Geschulte Betreuer sollen Aufklärung über die Gefahren des Alkohol-
die anspruchsvolle und zeitaufwändige konsums bei allen Altersgruppen fördern.
Behandlung der Demenz in der Pflege
unterstützen und die Pflegekräfte dadurch

36
Landeswahlprogramm 2011 Für eine neue Drogenpolitik

Kein Alkoholverbot auf diese Kosten mittelfristig von den Kran-


öffentlichen Plätzen kenkassen übernommen werden.

Wir setzen uns für Versammlungsfreiheit Wir möchten die Anbindung der Drogen-
und eine vielfältige und freie Nutzung des substitution an Krankenhäuser erreichen,
öffentlichen Raums ein. Wir lehnen Rege- um so eine Bildung von sozialen Brenn-
lungen ab, die diese unnötig einschränken. punkten und den sozialen Druck auf
einzelne Ärzte zu reduzieren. Notwendig
Deswegen stellen wir uns gegen Verbote, ist auch die räumliche Einbeziehung der
die den Konsum von alkoholischen Ge- zugehörigen Einrichtungen, damit medizi-
tränken auf öffentlichen Plätzen untersa- nische Substitution und soziale Unterstüt-
gen, ohne dass eine konkrete Gefährdung zung zusammenwirken können.
davon ausgeht.

Gerechtigkeit beim Führerschein

Wir wollen den Gebrauch von Cannabis


weiter entkriminalisieren. Die Führer-
scheininhaber unter den Cannabiskonsu-
menten sollen durch den Entzug der Fahr-
erlaubnis nicht härter bestraft werden als
andere Cannabiskonsumenten. Ein Füh-
rerscheinentzug aufgrund des Konsums
von Cannabis darf nur erfolgen, wenn eine
aktive Teilnahme am Straßenverkehr unter
Drogeneinfluss nachgewiesen wurde.

Verantwortung in
der Substitution

Wir haben in Baden-Württemberg sehr


gute Ergebnisse bei Modellversuchen zur
Substitution von Heroin, aber die Angebo-
te sind nur vereinzelt und begrenzt vorhan-
den, unter anderem weil viele Kosten den
Kommunen aufgebürdet werden.

Das Land soll Finanzmittel zur Verfügung


stellen, um Abhängigen flächendeckend
synthetisches Heroin anbieten zu können.
Wir wollen uns dafür einsetzen, dass auch

37
Landeswahlprogramm 2011 Bürgerrechte und Datenschutz

Wir wollen diese Änderungen überprüfen


F. Inneres und alle, mit denen Grundrechte un-
verhältnismäßig verletzt werden, wieder
und Justiz zurücknehmen.

In der Vergangenheit wurden im Bereich Versammlungsfreiheit schützen


der Sicherheitspolitik ineffektive Gesetze
erlassen und gleichzeitig die Mittel für Die von der Landesregierung geplanten
Polizei und andere Behörden gekürzt. Verschärfungen des Versammlungsrechts
Grundrechte wurden im Interesse einer bedrohen die freie öffentliche Meinungs-
„gefühlten Sicherheit“ eingeschränkt und äußerung. Zum einen werden dadurch
die Überwachung hat zugenommen, ohne höhere Hürden für die Organisatoren von
dass Sicherheit wirksam erhöht wurde. Versammlungen aufgestellt. Zum anderen
werden mögliche Teilnehmer an Versamm-
Wir setzen uns für eine Sicherheitspoli- lungen durch Maßnahmen wie Video-
tik ein, die sich an den Bedürfnissen der aufzeichnungen und Personenkontrollen
Bürger orientiert und nicht an den Kon- vor Ort von einer Teilnahme abgehalten.
trollvorstellungen eines übermächtigen Deshalb lehnen wir den allgemeinen und
Verwaltungsapparates. Dazu gehört auch, präventiven behördlich angeordneten
dass Bürger die Möglichkeit haben, die Einsatz von Überwachungstechnologie bei
Aktivitäten von Polizei, Verfassungsschutz Demonstrationen ab.
und Justiz demokratisch zu kontrollieren.
Wir sehen keinen Bedarf für strengere
Regelungen und lehnen eine weitere Ein-
Bürgerrechte und schränkung des Versammlungsrechts ab.
Datenschutz Die Angabe der persönlichen Daten aller
Ordner verletzt Persönlichkeitsrechte. Die
Rücknahme von Grund- anonyme Teilnahme an Versammlungen
rechtseinschränkungen in geschlossenen Räumen darf nicht beein-
durch das Polizeigesetz trächtigt werden. Störungen dürfen nicht
grundsätzlich das Ende von Versammlun-
Das baden-württembergische Polizei- gen bedeuten.
gesetz wurde in verschiedenen Punkten
verschärft. So wurde das Aussageverweige- Die Möglichkeit zur Organisation von und
rungsrecht eingeschränkt und die Polizei Teilnahme an Versammlungen ist ein wich-
hat nun erheblich erweiterte Befugnisse, tiges Grundrecht. Deshalb unterstützen wir
Menschen ohne konkrete Verdachtsmo- den Aufruf des Stuttgarter Bündnisses für
mente zu durchsuchen, persönliche Daten Versammlungsfreiheit.
von Personen festzuhalten, zu sammeln
und öffentliche Räume mit Videokameras
zu überwachen.

38
Landeswahlprogramm 2011 Bürgerrechte und Datenschutz

Verdachtsunabhängige Öffentliche Überwachung


Personenkontrollen einschränken

Bei verdachtsunabhängigen Personenkont- Die zunehmende pauschale Videoüber-


rollen, z.B. bei der Schleierfahndung, wer- wachung im öffentlichen Raum dient le-
den häufig Menschen basierend auf ihrem diglich der gefühlten Sicherheit und greift
Aussehen, ihrer vermuteten ethnischen unverhältnismäßig in die Privatsphäre
Herkunft oder Religion zur Kontrolle der Menschen ein. Videoüberwachung
ausgewählt. Dieses Vorgehen schafft ein kann Straftaten nicht verhindern, sondern
gesellschaftliches Klima der Ausgrenzung, höchstens verdrängen.
Einschüchterung, Diskriminierung und
des Misstrauens. Wir lehnen den weiteren Ausbau der
öffentlichen Überwachung strikt ab. Da-
Wir lehnen die Vorverurteilung von Men- rüber hinaus sind aktuelle Maßnahmen
schen aufgrund ihrer Herkunft oder ihres der öffentlichen Überwachung kritisch zu
Aussehens ab. Dafür ist in einer aufgeklär- überprüfen und gegebenenfalls rückgängig
ten Gesellschaft kein Platz. Verdachtsunab- zu machen.
hängige Personenkontrollen widersprechen
außerdem dem Grundsatz der Unschulds- Die Kosten für die Installation und die
vermutung. Wir möchten deswegen die Überwachung der Kameras stehen zudem
Möglichkeiten für verdachtsunabhängige in keiner Relation zum Nutzen. Eine Neu-
Personenkontrollen sinnvoll einschränken. orientierung hin zu effektiven Lösungen
wie besserer Straßenbeleuchtung und mehr
Lockerung der Residenzpflicht Polizeistreifen ist dringend erforderlich.

Die allgemeine Erklärung der Menschen- Keine automatisierte


rechte garantiert das Recht auf Freizügig- Kennzeichenerfassung
keit. Deutschland ist der einzige Staat in
Europa, der dieses für Asylsuchende und Obwohl das Bundesverfassungsgericht
anerkannte Flüchtlinge einschränkt. eindeutig klargestellt hat, dass eine ver-
dachtsunabhängige, flächendeckende, au-
Die Residenzpflicht macht Menschen zu tomatisierte Kennzeichenerfassung zum
Kriminellen, nur weil sie sich frei bewegen Abgleich mit Fahndungsdaten nicht mit
wollen. Polizei, Gerichte und Behörden dem Grundgesetz vereinbar ist, wird diese
werden zusätzlich unnötig belastet. Ähn- erneut diskutiert. Einen solchen massiven
lich wie bereits in Bayern und Brandenburg Eingriff in die Persönlichkeitsrechte leh-
wollen wir daher auch in unserem Bundes- nen wir entschieden ab. Auch ein stich-
land die Residenzpflicht lockern. probenartiger Abgleich ist für uns nicht
akzeptabel.

39
Landeswahlprogramm 2011 Geschützte Bürger und unabhängige Justiz

Biometrische Daten Abschaffung des freiwilligen


Polizeidienstes
Wir lehnen die Erfassung biometrischer
Daten ohne Anfangsverdacht sowie deren Der Polizeidienst eignet sich nicht für das
Speicherung ohne nachgewiesene Straftat Ehrenamt. Freiwillige Polizeibeamte erhal-
kategorisch ab. ten derzeit nach wenigen Wochen Ausbil-
dung annähernd die gleichen Befugnisse
Informationspflicht wie reguläre Polizisten. Sie tragen Uniform,
gegenüber Betroffenen dürfen ihre Schusswaffe benutzen und alle
verdeckter Ermittlungen polizeirechtlichen Maßnahmen durchfüh-
ren. Dies sollte nur vollausgebildeten Poli-
Wer Ziel einer verdeckten Maßnahme der zisten vorbehalten sein.
Polizei geworden ist, muss grundsätzlich
nachträglich darüber informiert werden. Eine gemischte Polizeistreife täuscht Si-
cherheit nur vor. Im Ernstfall kann der
Die aktuelle Regelung im Polizeigesetz Hilfspolizist schnell zur Belastung wer-
Baden-Württemberg besagt, dass Betroffe- den, da er gar nicht oder falsch reagieren
ne einer verdeckten polizeilichen Maßnah- kann und so die Verantwortung bei dem
me unter anderem dann nicht informiert Beamten alleine liegt. Auch für Einsätze
werden müssen, wenn seit der Beendigung wie Gewaltprävention an Schulen fehlt den
der Maßnahme fünf Jahre verstrichen sind. freiwilligen Helfern oft die notwendige
Eingriffe in Grundrechte wie zum Beispiel Qualifikation.
die Unverletzlichkeit der Wohnung müs-
sen aber rechtsstaatlich stets nachvollzieh- Bessere Ausstattung der Polizei
bar sein. Dazu sind Informationen über
eine vergangene Maßnahme zwingend Um der Polizei die Erfüllung ihrer Auf-
erforderlich. Das Gesetz ist dahingehend gaben in einem vernünftigen Maße zu
anzupassen. ermöglichen, muss die materielle und per-
sonelle Ausstattung verbessert werden. Die
Anschaffung von Ausrüstung wie Fotoap-
Geschützte Bürger und paraten oder Schutzwesten kann nicht dem
unabhängige Justiz einzelnen Polizisten aufgebürdet werden.
Gleichzeitig müssen ausreichend Beamte
Keine Privatisierung beschäftigt werden, um die Polizeiarbeit
hoheitlicher Aufgaben angemessen bewältigen zu können.

Das Gewaltmonopol des Staates darf nicht Polizeiarbeit im Internet


an Privatfirmen delegiert werden. Aufga-
ben der Polizei und des Strafvollzugs müs- Wir möchten die Ausbildung und Ausstat-
sen vollständig in staatlicher Hand bleiben. tung der Polizei für die Strafverfolgung
im Internet verbessern. Dazu müssen zum

40
Landeswahlprogramm 2011 Geschützte Bürger und unabhängige Justiz

Beispiel auch bestehende Möglichkeiten, Wir setzen uns für Waffengesetze ein,
Gesetzesverstöße im Internet zu melden, welche die sorgfältige Aufbewahrung von
vereinfacht und ausgebaut werden. Schusswaffen regeln und dadurch die Si-
cherheit aller Bürger gewährleisten. Wir
Jedoch müssen auch im Internet die lehnen es aber ab, die Sportschützen zu
Grundrechte und das Prinzip der Verhält- Sündenböcken für gesellschaftliche Prob-
nismäßigkeit gewahrt bleiben. Eingriffe in leme zu machen.
private Kommunikation, etwa das Mitlesen
von E-Mails, dürfen nur nach richterlicher Eindeutige Kennzeichnung
Anordnung möglich sein. Das Einschleusen von Polizisten
von Software in private Computer lehnen
wir vollständig ab. Bei geplanten Veranstaltungen wie De-
monstrationen oder Einsätzen bei Sporter-
Stopp der Darstellung von eignissen sollen Polizisten eine eindeutige
Kindesmissbrauch im Internet Identifikationsnummer tragen.

Wir wollen die Verbreitung von Bildern Für den Fall unverhältnismäßiger Gewalt-
und Videos, die Kindesmissbrauch zeigen, anwendung oder anderer gesetzeswidriger
wirksam verhindern. Deswegen muss die Handlungen durch Polizisten muss sicher-
Polizei in der Lage sein, Beweise gerichtsfest gestellt werden, dass deren spätere Identifi-
zu sichern und unverzüglich die Löschung kation möglich ist. Dabei sind die Persön-
solcher Bilder und Videos von den Servern lichkeitsrechte der Polizisten zu wahren.
zu veranlassen. Im Fall einer Anzeige soll daher erst auf
richterlichen Beschluss hin die Identifi-
Dazu werden wir bei Bedarf auch das kation erfolgen. Hierfür ist ein geeignetes
Landeskriminalamt personell und tech- und praktikables Verfahren zur Verteilung
nisch besser ausstatten. Den Aufbau einer der Identifikationsnummern und zu deren
Sperrinfrastruktur lehnen wir ab, da diese Gestaltung in Zusammenarbeit mit der Po-
grundsätzlich die Gefahr birgt, für belie- lizei zu entwickeln.
bige weitere Sperrmaßnahmen bis hin zur
Zensur missbraucht zu werden. Unabhängige Ermittlungsbe-
hörde zur Kontrolle der Polizei
Waffenrecht
Wenn bei vermuteten Gesetzesverstößen
Die Verschärfungen der Waffengesetze in durch Polizisten andere Polizisten ermit-
den letzten Jahren dienten vor allem dazu, teln, kommt es zwangsläufig zu Interessen-
Sicherheit vorzutäuschen und einfache und konflikten. Falsch verstandene Solidarität
schnelle Antworten auf komplizierte Prob- bei Kollegen oder Staatsanwälten kann da-
leme zu geben. bei zur Vertuschung von Straftaten führen.

41
Landeswahlprogramm 2011 Bürgerfreundliche Verwaltung

Eine neu einzurichtende unabhängige Bürgerfreundliche


Behörde soll in Fällen von Beschwerden Verwaltung
oder Strafanzeigen gegen Polizeibeamte
die Ermittlungen übernehmen. Diese un- Bürgerfreundliches
abhängige Kontrollinstanz stärkt auch das eGovernment
Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei.
Der Einsatz von Informationstechnologien
Unabhängigkeit der in der Verwaltung erlaubt es Privatperso-
Staatsanwaltschaften nen und Unternehmen, Amtsgeschäfte
ohne Lauferei und Papierkrieg – auch au-
Staatsanwälte sind an dienstliche Anwei- ßerhalb der Amtszeiten – abzuwickeln. Wir
sungen ihrer Vorgesetzten gebunden. Da- begrüßen diese Entwicklung und möchten
durch besteht die Gefahr der politischen sie weiter vorantreiben.
Beeinflussung von Strafverfahren. Um
die Unabhängigkeit der Justiz und den Wir möchten aber auch vor den Schat-
Rechtsstaat zu stärken, wollen wir die Lan- tenseiten warnen. Eine umfassende, zen-
desregierung gesetzlich verpflichten, von tralisierte Datenverarbeitung erhöht die
ihrem Weisungsrecht gegenüber den Lan- Abhängigkeit von technischen Systemen
desstaatsanwälten keinen Gebrauch mehr und birgt das Risiko von unbeabsichtigter
zu machen. Insbesondere soll es keine Datenübertragung. Im Falle von sensiblen
Dienstanweisungen mehr geben, die sich Daten besteht außerdem die Gefahr miss-
auf einzelne Verfahren beziehen. bräuchlicher Datennutzung. Im Bereich
des eGovernment ist es besonders wichtig,
Öffentlichkeitsarbeit der die Prinzipien Datensparsamkeit und Da-
Staatsanwaltschaften tenvermeidung zu beachten.

Wir sehen mit Sorge, wie durch eine nicht Wer keinen Zugang zu Informationstech-
zu verantwortende Öffentlichkeitsarbeit nologien hat oder deren Nutzung verwei-
einiger Staatsanwaltschaften die im Rechts- gert, darf keine Nachteile haben.
staat verankerte Unschuldsvermutung
zunehmend zu Lasten von Beschuldigten Offene Dateiformate
ausgehebelt wird. Deshalb wollen wir in der Verwaltung
dienst- und strafrechtliche Sanktionsmög-
lichkeiten gegenüber Staatsanwälten bei Der Zugang zu veröffentlichten Informati-
entsprechenden Verstößen verschärfen. onen darf nicht davon abhängen, welches
Computersystem jemand benutzt und ob
spezielle Software gekauft oder installiert
wurde. Wir werden dafür sorgen, dass die
Verwaltungen des Landes und der Kom-
munen vollständig auf offene und stan-
dardisierte Dateiformate umsteigen. Dies

42
Landeswahlprogramm 2011 Bürgerfreundliche Verwaltung

vereinfacht den Datenaustausch zwischen ein flexibles und bürgernahes Handeln der
den Behörden und mit den Bürgern. Behörden weiterhin zu ermöglichen.

Dadurch ergeben sich Einsparpotenziale, Pauschale Mindestentschä-


da freie Software ohne Lizenzgebühren digung bei rechtswidrigen
verwendet werden kann. Da keine Abhän- Verwaltungsakten
gigkeit von einzelnen Herstellern besteht,
sind offene Dateiformate zudem zukunfts- Durch rechtswidrige Verwaltungsakte
sicher. Offene und standardisierte Formate entstehen für die Betroffenen immer wie-
garantieren, dass Informationen auch lang- der Nachteile. Wir wollen eine pauschale
fristig lesbar sind. Mindestentschädigung bei solchen Maß-
nahmen einführen. So können Betroffene
Freie Software in unbürokratisch entschädigt werden. Au-
der Verwaltung ßerdem ist dies ein Anreiz für Behörden
und Gesetzgeber, Verwaltungsvorgänge
Verwaltung und Behörden sollen bevorzugt so zu verbessern, dass weniger Fehler
freie Software einsetzen. Durch die Offen- passieren.
heit des Quellcodes gibt es keine Abhängig-
keit von einem bestimmten Softwareher- Eingeschränkte Datenherausgabe
steller. Dies verbessert die Möglichkeiten durch Kommunalverwaltungen
für spätere Anpassungen, wenn sich bei-
spielsweise rechtliche Rahmenbedingun- Eine Weitergabe von Meldeinformationen
gen ändern. Bei freier Software entfallen über Bürger ohne deren Einwilligung leh-
außerdem die Kosten für Lizenzgebühren. nen wir ab. Privatpersonen, Firmen, Kir-
chen, Parteien und andere Einrichtungen
Den kurzfristig höheren Kosten für Einar- fordern von der kommunalen Verwaltung
beitungsaufwand bei freier Software stehen gegen geringe Gebühren Daten über Bürger
so mittel- und langfristig Einsparungen ohne deren Einwilligung an, um diese zu
gegenüber. Wartungsverträge können mit privaten oder kommerziellen Zwecken zu
Firmen vor Ort geschlossen werden, was verwenden. Diese Praxis widerspricht dem
die regionale Wirtschaft fördert. Grundrecht auf informationelle Selbstbe-
stimmung. Stattdessen muss in Zukunft
Beibehaltung des sichergestellt sein, dass die Erlaubnis der
Widerspruchsverfahrens Bürger eingeholt wurde, bevor Informatio-
nen über sie herausgegeben werden. Wurde
Das Widerspruchsverfahren gegen Behör- diese Erlaubnis erteilt, soll der Bürger auf
denentscheidungen als Vorstufe zur Klage Anfrage Informationen über die getätigten
vor dem Verwaltungsgericht muss beibe- Abfragen erhalten und seine Erlaubnis je-
halten werden, um das Justizsystem vor derzeit widerrufen können.
unnötiger Überlastung zu bewahren und

43
Landeswahlprogramm 2011 Prinzipien

Versagen der Atommülldeponierung –


G. Umwelt, sind auch das Resultat einer Ohnmacht der
Bürger gegenüber den Interessen immer
Energie und stärker mit dem Staat verflochtener Wirt-
schaftskräfte. Daher fordern wir beim The-
Verbraucherschutz ma Umwelt mehr Transparenz im Handeln
von Regierungen und Unternehmen und
Die Umweltpolitik des Landes Baden- eine stärkere Beteiligung der Bürger an
Württemberg leidet darunter, dass sie allzu politischen Entscheidungsprozessen.
häufig einseitig kurzsichtigen Wirtschafts-
interessen unterworfen wird – zum langfris- Der freie und nutzerfreundliche Zugang
tigen Nachteil der Wirtschaft selbst. Denn zu Umweltinformationen ist eine wichtige
inzwischen hat sich gezeigt, dass auf lange Voraussetzung hierfür und muss weiter
Sicht gerade die Industrien erfolgreich sind, verbessert werden.
die innovative Umwelttechniken und um-
weltgerechte Produkte entwickeln oder in Nachhaltigkeit
ihren betrieblichen Abläufen nutzen. Diese
Entwicklung möchten wir durch unsere Wir stehen für das Prinzip der Nachhaltig-
Politik weiter unterstützen. keit. Darunter verstehen wir die Entwick-
lung einer zukunftsfähigen Gesellschaft,
die natürliche Ressourcen so nutzt und
Prinzipien bewahrt, dass diese auch den nachfolgen-
den Generationen zur Verfügung stehen
Intakte Umwelt ist Grundrecht und der Artenreichtum unseres Planeten
dauerhaft erhalten bleibt.
Das Recht auf sauberes Wasser, saubere
Luft, vitale Böden und einen gemeinschaft- Hierzu ist ein bewusster und verantwor-
lichen Zugriff auf Naturressourcen ist Teil tungsvoller Umgang mit den Naturressour-
der universellen Menschen- und Bürger- cen und ihre faire Verteilung erforderlich.
rechte, auch für kommende Generationen. Bei nachwachsenden Ressourcen müssen
Verbrauch und Regeneration im Gleichge-
Überzogene Regulierungen im Interesse wicht sein und bei nicht nachwachsenden
von Verwaltung oder Industrie, mit dem ist eine Kreislaufwirtschaft oberstes Ziel.
vorgeschobenen Argument des Umwelt-
schutzes, lehnen wir jedoch ab. Vernetzte Umweltpolitik

Mehr Transparenz und Wir setzen uns für eine Umweltpolitik


Bürgerbeteiligung ein, die mit allen Politikbereichen vernetzt
ist. Der Tendenz der Landesregierung,
Viele der heutigen Umweltprobleme – vom Umweltpolitik einseitig mit der Wirt-
Schrumpfen der Artenvielfalt bis zum schaftsförderung oder der Förderung der

44
Landeswahlprogramm 2011 Energiepolitik

Atomenergienutzung zu verbinden und nötig. Wir werden deren Entwicklung und


diesen unterzuordnen, treten wir entschie- Einsatz verstärkt fördern.
den entgegen.
Regenerative Energien
Umweltpolitik ist erfolgreicher, wenn die
Interessen verschiedener gesellschaftlicher Um in Zukunft weniger von konventio-
Gruppen und das Zusammenspiel unter- nellen Energieträgern abhängig zu sein,
schiedlicher Politikbereiche berücksichtigt streben wir eine deutliche Erhöhung des
werden. Dazu gehört insbesondere die Ver- Anteils erneuerbarer Energien sowohl im
bindung der Umweltpolitik mit Fragen des Strom- als auch im Wärmemarkt an.
gesellschaftlichen Zusammenlebens, der
Gesundheitspolitik, der Landwirtschaft Bei der Stromerzeugung wollen wir durch
und der Energiewirtschaft. verstärkte Forschungsanstrengungen im
Bereich der erneuerbaren und umweltver-
träglichen Energien und deren Technolo-
Energiepolitik gien (z.B. Photovoltaik, Solar, Biomasse
– aber keine Nahrungsmittel, Wind, Wasser,
Aufgrund der hohen Anzahl an Industrie- Geothermie u.v.m.) Verbesserungen errei-
betrieben in Baden-Württemberg ist eine chen und die Gesamtkosten hierfür weiter
gesicherte Energieversorgung besonders senken.
wichtig. Diese wird derzeit zu einem über-
durchschnittlich großen Teil aus Kern- Energieproduktion – ein zusätz-
energie bestritten, was in der Bevölkerung liches Standbein für Landwirte
kontrovers diskutiert wird. Wir brauchen
Lösungen, die für alle tragbar sind. Unser Wir setzen uns für eine verstärkte und viel-
Ziel ist eine nachhaltige, sichere und kos- fältige Nutzung der lokalen Landwirtschaft
teneffiziente Energieversorgung. zur Energieerzeugung ein. Dabei darf die
Energieerzeugung aber nicht in Konkur-
Dezentrale Energieversorgung renz zur Nahrungsmittelproduktion treten
oder zu einer Verknappung von Lebens-
Ein wichtiges Merkmal zeitgemäßer Ener- mitteln in anderen Teilen der Erde führen.
giepolitik ist die Dezentralisierung der
Energieerzeugung. Die Abhängigkeit von Wir werden die Forschung in diesem
Großkraftwerken kann überwunden wer- Bereich vorantreiben und die Förderung
den durch lokale Energiegewinnung aus innovativer Modelle unterstützen.
umweltfreundlichen Quellen.
Kostentransparenz
Da eine stärkere Dezentralisierung der
Strom- und Wärmeerzeugung eine ange- Traditionelle Energiegewinnung aus
passte Infrastruktur voraussetzt, sind neue Kohle oder Kernspaltung erzeugt Ewig-
Speicher- und Verteilungstechnologien keitskosten, die unter anderem durch

45
Landeswahlprogramm 2011 Energiepolitik

Umweltschädigung und Lagerung radio- eigentumsrechtliche Entflechtung der


aktiver Abfälle entstehen. Energienetz-Infrastruktur an. Dazu gehört,
die Netze zu einem großen Teil in die öf-
Bei der Bewertung neu zu errichtender An- fentliche Hand zu geben.
lagen müssen diese Kosten für jeden Bürger
transparent mit in die Rechnung einbezo- Mindestwirkungsgrad
gen werden und dürfen nicht später auf den für neue Kraftwerke
Steuerzahler abgewälzt werden. Außerdem
müssen Kraftwerksbetreiber verpflichtet Für neue Kraftwerke, die ihre Energie aus
werden, verursachte Schäden und Ewig- fossilen Energieträgern beziehen, soll ein
keitskosten zu tragen. dem Stand der Technik entsprechender
Mindestwirkungsgrad vorgeschrieben wer-
Ist die zukünftige Finanzierung dieser den. Damit wird erreicht, dass nur dann
Kosten nicht abgesichert, darf ein solches Großkraftwerke entstehen, wenn deren
Kraftwerk nicht gebaut werden. Auch im Abwärme sinnvoll genutzt werden kann.
Hinblick auf Laufzeitverlängerungen müs-
sen diese Kosten mit eingerechnet werden. Kein Ausstieg aus dem Ausstieg

Risikobewertung Baden-Württemberg spielt als Standort von


fünf Kernkraftwerksblöcken in Obrigheim,
Die Bewertung der Risiken von sämtlichen Philippsburg und Neckarwestheim eine be-
Formen der Energiegewinnung muss auf sondere Rolle bei Entscheidungen über die
eine einheitliche Basis gestellt werden. Zur Zukunft der Kernenergie in Deutschland.
Absicherung sämtlicher damit verbunde- Wir werden an dem 2002 beschlossenen
nen Gefahren und eventueller Langzeitfol- Atomausstieg festhalten und den Import
gen soll eine Haftpflichtversicherung für von Atomstrom reduzieren.
sämtliche Energiegewinnungsformen vor-
geschrieben werden. Derzeit ist beispiels- Neben den Gefahren der Kernkraft, der
weise bei Kernkraftwerken die Höhe eines ungeklärten Endlagerfrage und dem im-
möglichen Schadensersatzes gedeckelt, mer knapper werdenden Uran wollen wir
wodurch das Haftungsrisiko letztlich beim Piraten den Ausstieg aus der Kernenergie
Steuerzahler liegt. Diese Marktverzerrung auch deshalb, weil in dieser eng mit dem
lehnen wir ab. Staat verbundenen Großindustrie Ent-
scheidungen oft intransparent fallen.
Netzneutralität bei
Energienetzen Ein unnötig langes Festhalten an der
Kernenergie schadet zudem der Weiter-
Um für erneuerbare Energien einen entwicklung der Energiegewinnung aus
diskriminierungsfreien Zugang zu ga- erneuerbaren Quellen. Letztere schafft Ar-
rantieren, der nicht durch Monopolinte- beitsplätze in mittelständischen Betrieben
ressen beeinflusst wird, streben wir eine und im Handwerk und der Export solcher

46
Landeswahlprogramm 2011 Naturressourcen und Immissionen

Technologien ist weniger bedenklich als Kommunale Energieversorgung


der Export von Kernkraftwerkstechnolo-
gie, die auch als Grundlage zum Bau von Wir setzen uns für ein Landesprogramm
Kernwaffen dienen kann. ein, das klare Signale zur energiewirt-
schaftlichen und klimawandelbezogenen
Energieeinsparung Stärkung der Kommunen setzt. Es soll den
Kommunen Instrumente an die Hand ge-
Wir setzen uns für Energie- und Ressour- ben, mit denen Belastungen in allen Emis-
ceneinsparung ohne Verringerung von sions- und Eingriffsbereichen (Abgase,
Lebensqualität ein, beispielsweise durch Lärm, Licht, Bodenversiegelung) reduziert
Wärmedämmung an Gebäuden, intelli- werden können.
gente Steuerung des Energieeinsatzes in
Gebäuden, in der Straßenbeleuchtung und Im kommunalen Bereich wollen wir öffent-
im Autoverkehr, Stärkung des öffentlichen liche Gebäude enger mit der Energiegewin-
Nah- und Fernverkehrs und intelligen- nung verbinden, wie dies bereits mit dem
te Technologien in der wirtschaftlichen Programm „Klimaschutz Plus“ begonnen
Produktion. wurde. Das Ziel ist dabei, den Eigenver-
brauch zu decken und Überschüsse ins
Intelligente Stromzähler öffentliche Netz einzuspeisen.

Intelligente Stromzähler können helfen,


Lastspitzen zu vermeiden und das Ver- Naturressourcen
brauchsverhalten des Endkunden intel- und Immissionen
ligent an das aktuelle Stromangebot und
den -preis anzupassen. Dabei ist jedoch der Gemeinsame Räume
Datenschutz zu beachten. Eine individuelle
Erfassung und Speicherung des Stromver- Die bisherige Landschaftsplanung teilt
brauchsverhaltens der Bevölkerung lehnen öffentliche Räume starr in nutzbare und
wir ab. geschützte Räume ein. Wir setzen uns
für ein flexibleres Schutzkonzept ein, das
Green IT Aktivitäten erlauben kann, die den Schutz
nicht gefährden. Außerdem sollen Schutz-
Wir wollen ressourcen- und energiesparen- vorschriften auch in bisher ungeschützten
de Technologien im IT- und Kommunika- Flächen eingeführt werden können, ohne
tionsbereich fördern. Zudem soll durch in- diese für die Nutzung ganz sperren zu
telligenten Einsatz von IT auch in anderen müssen.
Bereichen die Energieeffizienz erhöht wer-
den. Dazu sollen z.B. für den Klimaschutz Landesplanung
bestimmte Fördergelder in entsprechende
Programme investiert werden. Im Landesplanungsgesetz streben wir
anstelle einer Schwarz-Weiß-Regelung bei

47
Landeswahlprogramm 2011 Naturressourcen und Immissionen

der Festlegung von Vorrangflächen für die Dazu wollen wir zum Beispiel in den Kom-
Nutzung von erneuerbaren Energien eine munen und Landkreisen Landschaftspfle-
abgestufte Regelung an, um den Kommu- gegelder gezielter als bisher zur Förderung
nen mehr Autonomie bei der Festlegung entsprechender Betriebe verwenden. Im
dieser Flächen zu gewähren. Bund setzen wir uns zur Förderung einer
qualitativ orientierten Landwirtschaft für
Langfristige eine entsprechende Reform der EU-Agrar-
Landschaftsplanung subventionen ein.

Bei der Landschaftsplanung dürfen Nach- Lebensmittelerzeugung in der hiesigen


haltigkeit und Zukunftsgestaltung keine Landwirtschaft muss primär auf den re-
Lippenbekenntnisse bleiben, die den kurz- gionalen Markt setzen, mit gesunden und
fristigen Zielen einzelner Kommunen oder nachhaltig produzierten Produkten.
Regionen geopfert werden. Stattdessen
muss die Landschaftsplanung langfristig Gentechnologie in der
angelegt sein. Die Interessen unterschiedli- Landwirtschaft
cher Kommunen müssen schon im Voraus
durch Transparenz und Beteiligung effek- Naturressourcen gehören allen. Patente
tiver als bisher berücksichtigt und koordi- auf Pflanzen und Tiere blockieren die
niert werden. Der nach wie vor weitgehend Entwicklung der Wirtschaft, die Zugäng-
ungezügelte Flächenverbrauch in Baden- lichkeit des Wissens und den allgemeinen
Württemberg muss durch eine Belohnung Fortschritt der Menschheit zugunsten von
der Flächenschonung gestoppt werden. Einzelinteressen.
Dies kann etwa über Schlüsselzuweisungen
des Landes an die Kommunen erfolgen. Wir setzen uns für die Sammlung, Pflege
und Weiterentwicklung tradierter Genbe-
Qualitativ orientierte stände ein und unterstützen nachdrücklich
Landwirtschaft eine ethisch verantwortete Grundlagenfor-
schung im Bereich der Genetik.
Wir unterstützen vorrangig eine qualitativ
orientierte Landwirtschaft in kleineren Be- Biodiversität
trieben. Diese soll gegenüber industrieller
Massenlandwirtschaft bevorzugt werden. Wir setzen uns für die Erhaltung und För-
derung der biologischen Vielfalt ein.
Landwirtschaft in unserem Bundesland
hat nur eine Zukunft, wenn sie auf Qua- Dazu wollen wir die Biotopvernetzung för-
lität statt Quantität setzt. So können auch dern. Durch eine entsprechende Gestaltung
Synergien für Ökologie, Tourismus, Nah- der Flächennutzung werden isolierte Bioto-
erholung und die Gesellschaft insgesamt pe durch Grünbrücken, Wassernetze oder
erzeugt werden. zusätzliche Wege für Pflanzen und Tiere
verbunden. Dabei soll auf landschaftliche

48
Landeswahlprogramm 2011 Naturressourcen und Immissionen

Vielfalt statt auf monokulturelle Nutzung tätshelfer öffnen und Radwegenetze weiter
gesetzt werden. ausbauen.

Der Schadstoffeintrag aus Industrie, Ver- Feinstaubbelastung


kehr und Landwirtschaft in natürliche Le-
bensräume muss reduziert werden. Im Jahr 2010 war am Stuttgarter Neckartor
der EU-Jahresgrenzwert für die Belastung
Trinkwasserversorgung mit krebserregendem Feinstaub bereits
Ende Februar überschritten. Dies ist nicht
Natürlich vorhandene Trinkwasservorräte nur ein Thema von Autoabgasen. Auch
müssen erhalten und gepflegt werden, etwa Bremsen- und Reifenabrieb oder Feinstaub
durch sorgfältige Auswahl und Kontrolle aus Industrie- und Heizungsanlagen müs-
von Wasserschutzgebieten und durch die sen auf den Prüfstand.
Förderung der Nutzung von Regenwasser
als Brauchwasser gerade auch im privaten Wir setzen uns für die Förderung des
Bereich. ÖPNV, für die Förderung der Schiene im
Gütertransport, für regionale Wirtschafts-
Wir stellen uns gegen alle Versuche, z.B. kreisläufe ohne lange Transportwege und
Wasser für die Alltagsversorgung zu einer für neue Konzepte im Individualverkehr
Handelsware in privatem Besitz zu machen. ein – im Interesse der Gesundheit aller
Deswegen setzen wir uns dafür ein, dass Einwohner. Weitgehend wirkungslose Ali-
das Land Kommunen unterstützt, die ihre bimaßnahmen wie die sogenannten Fein-
Trinkwasserversorgung wieder in die eige- staubplaketten und Umweltzonen lehnen
ne Hand nehmen wollen. wir dagegen ab.

Umweltgerechte Mobilität Lichtverschmutzung

Energieeffiziente, emissionsarme und Der Himmel gehört allen, auch bei Nacht.
raumschonende Mobilität im Interesse der Und damit das so bleibt, fordern wir eine
Gesundheit aller ist ein wesentliches Ziel landesweite Einschränkung von vermeid-
piratiger Umweltpolitik. Wir setzen uns baren Lichtemissionen. Eine Ausnahme-
für die Förderung von Kleinwagen, Fahrrad regelung für Veranstaltungen und Kunst-
und neuentwickelten Mobilitätshelfern im projekte muss missbrauchssicher gestaltet
innerstädtischen Verkehr und im regiona- werden. Auch die Lichtüberflutung der
len Nahverkehr ein. außerstädtischen Landschaft möchten wir
im Interesse der Umwelt im Sinne des na-
Zu diesem Zweck möchten wir Kleinfahr- türlichen Tages- und Nachtrhythmus von
zeuge bei der Gestaltung des innerstäd- Tier, Mensch und Natur vermindern.
tischen Parkraums bevorzugt behandeln,
Straßen verstärkt für neuartige Mobili-

49
Landeswahlprogramm 2011 Verbraucherschutz und Umweltinformationsrechte

Verbraucherschutz und Veröffentlichung der Ergebnisse


Umweltinformationsrechte von Lebensmittelkontrollen

Verbraucherinformation Obwohl Jahr für Jahr sehr viele Betriebe,


verbessern die mit Lebensmitteln zu tun haben, kon-
trolliert werden, ändert sich nichts an den
Wir wollen das Verbraucherinformations- hohen Beanstandungsquoten. Kontrollen,
gesetz (VIG) des Landes so stärken, dass deren Ergebnisse von Konsumenten nicht
Verbraucher Informationen, beispielsweise eingesehen werden können, wirken nicht
zu belasteten Lebensmitteln, auf gut zu- abschreckend. Statt stärkerer Kontrollen
gänglichen Plattformen rasch und einfach müssen Mängel öffentlich nachvollziehbar
auffinden können, ohne sie erst in aufwän- sein, um durch Transparenz diese abschre-
digen Auskunftsprozessen anfordern zu ckende Wirkung zu erreichen. So wird auch
müssen. Druck auf die Verkaufsstellen ausgeübt,
ihre Lieferanten sorgfältiger auszuwählen.
Verbraucherzentralen stärken
Wir fordern deshalb die Schaffung eines
Verbraucherzentralen spielen eine wichtige frei zugänglichen Informationssystems
Rolle in der Beratung von Verbrauchern für den Zugang zu den Ergebnissen von
und im Schutz von Verbraucherinteres- Lebensmittelkontrollen.
sen. Die Einschränkung der Arbeit der
Verbraucherzentrale Baden-Württemberg Verbraucherinformation vor
durch restriktive Mittelzuweisungen und Ort durch Smiley-System
die einseitige Orientierung an kurzfristig
denkender Nachfrageförderung lehnen wir In Dänemark ist ein Smiley-System be-
ab. reits erfolgreich etabliert. Damit ist für
den Kunden direkt, beispielsweise vor
Wir unterstützen insbesondere die Ver- Restaurants, Eisdielen oder Supermärkten,
braucherzentralen in ihrer Ablehnung ersichtlich, ob Hygienevorschriften und
des „gläsernen Konsumenten“ und bei der Lebensmittelgesetze eingehalten werden.
Verteidigung der Datenschutzinteressen Kunden können auf Hygienesünder reagie-
der Verbraucher. Wir wollen einen Ver- ren, was bisher bei uns nicht möglich ist.
braucherschutz, der das Recht auf umfas- Negativ bewertete Betriebe haben durch
sende Information verbindet mit einem die Kundenreaktion und Folgekontrollen
Verbandsklagerecht zur Durchsetzung von die Möglichkeit und vor allem die Motiva-
Verbraucherinteressen. tion, Mängel zu beseitigen und sich positive
Smileys zu verdienen.

Die Ergebnisse von Lebensmittelkontrol-


len sollen künftig in Baden-Württemberg
anhand unterschiedlicher Smileys zeitnah

50
Landeswahlprogramm 2011 Verbraucherschutz und Umweltinformationsrechte

und gut sichtbar an der Eingangstür ange- Suchfunktionen einfachen Zugang zu die-
bracht werden, um den Verbraucher zusätz- sen Daten erhalten.
lich zum Informationssystem im Internet
direkt vor Ort zu informieren. Unabhängige LUBW

Transparente Kennzeichnung Die Landesanstalt für Umwelt, Messungen


von Lebensmitteln und Naturschutz Baden-Württemberg
(LUBW) verfügt bereits über umfangreiche
Die von der Lebensmittelindustrie auf Datenbanken zu Umweltthemen. Deren
der Vorderseite von Verpackungen be- Bereitstellung ist jedoch durch technische
vorzugte Nährwertkennzeichnung mit Einschränkungen und nur teilweise legi-
Prozentangaben und beliebig wählbaren time Schutzinteressen Dritter erheblich
Portionsgrößen trägt nicht dazu bei, dem beschnitten. Deshalb fordern wir, die Un-
Verbraucher sinnvolle Informationen an abhängigkeit der LUBW zu stärken, damit
die Hand zu geben. Besonders irreführend sie ihre Aufgaben als zentrale Einrichtung
ist die Angabe des prozentualen Anteils am zur Erhebung, Sammlung, Auswertung
Tagesbedarf. Diese kann prinzipiell vielen und Veröffentlichung von Umweltdaten
Personengruppen wie zum Beispiel Kin- wahrnehmen kann. Die Ergebnisse müssen
dern nicht gerecht werden. unter Nutzung von freien Lizenzen und of-
fenen Dateiformaten veröffentlicht werden.
Anstatt auf der Vorderseite verschleiernde
Angaben anzubringen, ist eine sinnvolle, Verbandsklagerecht
einheitliche Kennzeichnung zu verwenden.
Diese muss sich auf feste Portionsgrößen Baden-Württemberg ist eines der wenigen
von 100g/ml entsprechend der Nährwert- Bundesländer, das in seinem Landesnatur-
angaben auf der Rückseite beziehen. schutzgesetz kein Verbandsklagerecht für
Umweltverbände enthält. Schon mit dem
Ausbau des Landesumwelt­­ Bundesnaturschutzgesetz von 2002 und
informationsgesetzes verbessert mit dem von 2010 ist die Ver-
bandsklage zwar auch bei uns möglich, je-
Das Umweltinformationsgesetz Baden- doch nur bei Klageanlässen, die den Bund
Württemberg soll weiterentwickelt werden betreffen.
zur Grundlage einer umfassenden Dienst-
leistung für Bürger. Umweltinformationen Wir möchten das Verbandsklagerecht im
sind nach unserer Auffassung eine Bring- Landesnaturschutzgesetz einführen, um
schuld: Behörden müssen vorliegende In- die Einflussmöglichkeiten von Umwelt-
formationen von sich aus und nicht erst auf schutzverbänden zu stärken.
Anfrage bereitstellen. Die Veröffentlichung
muss dabei unter freien Lizenzen und in
offenen Dateiformaten erfolgen. Bürger
sollen auf einem Portal mit übergreifenden

51
Landeswahlprogramm 2011 Verkehrskonzept

erfüllen den vorgeblichen Zweck der Ver-


H. Bauen, Verkehr kehrslenkung zumeist nicht und besitzen
ökologisch nur eine Alibifunktion. Den
und Wirtschaft Menschen, die auf die Benutzung dieser
Verkehrsräume angewiesen sind, werden
dabei keine Alternativen geboten.
Verkehrskonzept
Wir setzen stattdessen auf Lösungen, die
Durch die wirtschaftliche Entwicklung und die Interessen aller Verkehrsteilnehmer
den demographischen Wandel ergeben sich berücksichtigen. Dazu gehört eine voraus-
für den Verkehr in Baden-Württemberg schauende Verkehrsplanung genauso wie
besondere Herausforderungen. Diese kön- Verbesserungen im Angebot des öffentli-
nen nur durch die Zusammenarbeit aller chen Personenverkehrs.
Beteiligten bewältigt werden.
Das Verkehrskonzept
Zu einer nachhaltigen Verkehrspolitik „Shared Space“
gehört unter anderem der Ausbau kli-
mafreundlicher Verkehrsangebote und die Der öffentliche städtische Raum wird do-
Schaffung städtischer und ländlicher Ver- miniert von Autos und Verkehrsschildern.
kehrsinfrastrukturen, welche die Lebens- Andere Teilnehmer am städtischen Leben
qualität verbessern. Die Zusammenarbeit müssen sich notgedrungen anpassen. Wir
über kommunale, regionale und staatliche möchten diese Dominanz einschränken.
Grenzen hinaus ist dabei zu intensivieren.
Das Konzept des Shared Space ist eine
Verkehrsbeschränkungen geeignete Basis dafür: Ohne Verkehrs-
hinterfragen zeichen und auf gemeinsam genutzten
Verkehrsflächen wird die Achtsamkeit der
Verkehrsbeschränkungen sollen nur nach Verkehrsteilnehmer aufeinander gefördert.
sorgfältiger Prüfung der Voraussetzungen Shared Spaces werden nur in Bereichen
angeordnet werden. Es darf nicht der Ver- eingerichtet, die vom Durchgangsverkehr
dacht entstehen, dass sie nur dazu dienen, gut umfahren werden können.
die Kassen an der Strecke liegender Städ-
te und Gemeinden durch Bußgelder zu Straßeninformationsdatenbank
füllen.
Obwohl in vielen Städten Berichte über den
Wir stehen für ein umwelt- und verkehrs- Zustand von Straßen vorliegen, werden
politisches Konzept aus einem Guss und sie nicht öffentlich zur Verfügung gestellt.
lehnen Aktionismus ab. Maßnahmen wie Wir wollen diese Informationen in einer
Fahrverbote für einzelne Fahrzeugtypen kostenlos zugänglichen Straßeninforma-
und die Einführung neuer Tempolimits tionsdatenbank unter einer freien Lizenz
auf autobahnähnlich ausgebauten Straßen veröffentlichen, damit eine vielfältige

52
Landeswahlprogramm 2011 Verkehrserschließung und Verkehrsangebote

Nutzung beispielsweise für Straßenkarten oder Kleinbusse unterstützt wird. Hierbei


und Stadtpläne möglich ist. muss eine Abwägung zwischen flächende-
ckender Linienführung, schneller Anbin-
Für solche Zustandsbeschreibungen dung und komfortablen Umsteigebedin-
existiert bereits ein bundeseinheitliches gungen stattfinden.
Datenaustauschformat.
Bürgerbusse
Modellversuch für einen kosten-
freien öffentlichen Nahverkehr Um Lücken im öffentlichen Personennah-
verkehr zu schließen, wurden in mehreren
Mit Hilfe von drei großen Feldversuchen Orten in Baden-Württemberg Bürgerbus-
wollen wir feststellen, ob sich ein kostenfrei- vereine gegründet, die durch Kleinbusse
er ÖPNV rechnet. Diese Untersuchungen mit ehrenamtlichen Fahrern ein Minima-
sollen jeweils in einem Ballungszentrum, langebot gewährleisten. Bürgerbusse stellen
einem Mittelzentrum und einer Region des dabei ausschließlich eine Ergänzung zum
ländlichen Raumes in Baden-Württemberg ÖPNV dar, eine Konkurrenz soll nicht auf-
wissenschaftlich begleitet durchgeführt gebaut werden.
werden.
Mit dem Ziel, Mobilität und damit gesell-
schaftliche Teilhabe für alle zu ermöglichen,
Verkehrserschließung wollen wir bestehende Bürgerbusprojekte
und Verkehrsangebote unterstützen und den Aufbau neuer Pro-
jekte fördern.
Nahverkehr im ländlichen Raum
Erweiterung des länder- und staa-
In den ländlichen Gebieten Baden-Würt- tenübergreifenden Nahverkehrs
tembergs wird teilweise kein ausreichendes
Nahverkehrsangebot bereitgestellt. Dies Die Verkehrsbedürfnisse im Umfeld regio-
trifft vor allem Senioren, Jugendliche naler Zentren enden nicht an Länder- oder
und Andere, die nicht über ein eigenes Staatsgrenzen. Wir wollen länder- und
Fahrzeug verfügen. Gerade im ländlichen staatenübergreifende Nahverkehrsverbin-
Raum müssen für alltägliche Dinge wie dungen ebenso fördern wie abgestimmte
den Weg zur Arbeit, Arztbesuche oder das Ausschreibungen überregionaler Verkehrs-
Einkaufen immer längere Wege in Kauf leistungen und den Ausbau bestehender
genommen werden. Verbindungen.

Wir wollen in diesen Gebieten ein besseres Integration von Regional­


Mobilitätsangebot schaffen, das neben einer strecken („Karlsruher Modell“)
Ausweitung des Linienbus- und Schienen-
nahverkehrs auch durch bedarfsorientierte Das Karlsruher Modell der Anbindung
Verkehrsmittel wie Anrufsammeltaxen der innerstädtischen Straßenbahn an den

53
Landeswahlprogramm 2011 Wirtschaftspolitik

Regionalverkehr hat bundesweiten Vor- Gütertransitverkehr auf der Schiene ge-


bildcharakter. Durch die umsteigefreien recht zu werden.
Verbindungen können Fahrgäste für die
Schiene gewonnen werden, was zu einer Die Bedenken und Anliegen der Anwohner
Rentabilitätssteigerung von Strecken im insbesondere in Bezug auf Lärmschutz-
Umland einer Stadt führt. maßnahmen und Trassenführung müssen
dabei in die Planung einbezogen werden.
Wir wollen Städte und Regionen unterstüt- Auch ein Ausbau der Strecke auf der fran-
zen, die eine solche Schienenverbindung zösischen Rheinseite soll von Baden-Würt-
von Stadt und Land anstreben. temberg aus angeregt werden.

Ausbau und Reaktivierung


von Bahnstrecken Wirtschaftspolitik
In den vergangenen Jahrzehnten wur- Die Piratenpartei Baden-Württemberg
den Bahnstrecken aus unterschiedlichen fordert eine ökologische, nachhaltige und
Gründen stillgelegt. Die Reaktivierung soziale Wirtschaftspolitik. Wir setzen uns
von Bahnstrecken würde den Bürgern der für fairen Wettbewerb, für die Förderung
betroffenen, zumeist ländlichen, Regionen von Innovationen sowie gegen privatwirt-
wieder eine bessere Anbindung an das öf- schaftliche Monopole und übermäßige
fentliche Verkehrsnetz ermöglichen. staatliche Regulierung der Unternehmen
ein.
Aktuelle Untersuchungen bestätigen, dass
sich die Reaktivierung einiger Strecken Landesbanken sollen Kredit­
auch wirtschaftlich lohnen würde. Deshalb klemmen ausgleichen
wollen wir weitere Kosten-Nutzen-Analy-
sen zur Reaktivierung stillgelegter Strecken Landesbanken haben unserer Meinung
durchführen lassen sowie den gegebenen- nach die Hauptaufgabe, die Unternehmen
falls sinnvollen Ausbau unterstützen. in Baden-Württemberg zu angemessenen
Konditionen mit Kapital zu versorgen. Be-
Des Weiteren sollte der Ausbau von über- sonders in Krisenzeiten muss die Landes-
lasteten Strecken vorangetrieben werden. bank für private Banken einspringen, wenn
diese ihre Aufgaben nur unzureichend er-
Alpentransversale füllen. Gerade dann muss die Landesbank
besser bedienen ein verlässlicher Partner der kleinen und
mittelständischen Unternehmen sein.
Wir wollen einen zügigen Ausbau der
Zulaufstrecken auf die neue Alpentrans- Landesbanken und Transparenz
versale, insbesondere der Rheintalbahn
(Karlsruhe-Basel) und Gäubahn (Stuttgart- Landesbanken sollen zu höchstmöglicher
Singen-Zürich), um dem hohen Anteil an Transparenz verpflichtet werden, so dass

54
Landeswahlprogramm 2011 Steuern und Subventionen

Anleger möglichst genau wissen, was mit Verkehrswege unnötig belastet. Daher for-
dem Geld geschieht, welches sie anlegen. dern wir klare und nachvollziehbare Her-
kunftskennzeichnungen sowie eine Entbü-
Ethik bei öffentlichen rokratisierung der Selbstvermarktung in
Beschaffungen der Landwirtschaft.

Das Land als bedeutender Auftraggeber Breitbandausbau fördern


soll seine Stellung nutzen, um verantwor-
tungsvoll geführte Betriebe zu fördern. Bei Regionen ohne Breitbandtechnologie sind
Ausschreibungen müssen leistungsgerechte nicht nur wirtschaftlich benachteiligt, sie
Entlohnung und faire Arbeitsbedingungen sind auch in Gefahr, von der kulturellen,
als Kriterien berücksichtigt werden. Durch politischen und technischen Entwicklung
das Veröffentlichen von Richtlinien wollen abgehängt zu werden. Breitband-Internet-
wir die Kommunen dazu motivieren, dies zugänge sind so wichtig wie Strom- und
ebenfalls umzusetzen. Wasserversorgung.

Transparente Information Die zur Zeit vom Bundeswirtschaftsminis-


über Großprojekte terium genannte untere Grenze der Breit-
bandgeschwindigkeit von 1 Mbit/s ist da-
Bei der Planung und Umsetzung von Groß- bei nicht ausreichend. Die Definition von
projekten sollen frühzeitig alle relevanten Breitbandgeschwindigkeit soll in Zukunft
Informationen veröffentlicht werden. Da- der aktuellen technischen Entwicklung
neben sollen die betroffenen Bürger ange- angepasst werden.
messen und frühzeitig beteiligt werden.

Bei einer Verlegung in private Rechtsfor- Steuern und Subventionen


men muss die umfassende Veröffentli-
chungspflicht weiterhin gelten. Wir wollen Subventionen überprüfen
eine offenere Kommunikation bei der Pla-
nung und Umsetzung von Großprojekten Öffentliche Ausgaben, im besonderen
anstoßen. Maße Subventionen, werden auf den Prüf-
stand gestellt. Subventionen sollen nur dort
Förderung regionaler eingesetzt werden, wo wichtige wirtschafts-
Wirtschaftskreisläufe und forschungspolitische Ziele anders
nicht erreicht werden können. Darüber
Wir treten nachdrücklich für regionale hinaus müssen alle Subventionen degressiv
Wirtschaftskreisläufe ein, insbesonde- angelegt oder enger als bisher zeitlich be-
re in der Lebensmittelversorgung. Hier fristet sein und regelmäßig auf ihren Sinn
führen lange Transportwege und unklare hin überprüft werden.
Herkunft von Produkten zu Nachteilen
für den Verbraucher. Außerdem werden

55
Landeswahlprogramm 2011 Kommunen in der Verantwortung

Verbesserte Steuerprüfung an die Kirchen. Dies ist Teil der Entschä-


digung für die Säkularisierung von 1803.
Den öffentlichen Haushalten gehen durch Viele Kommunen in Baden-Württemberg
Steuerbetrug Milliarden an Einnahmen müssen eigene Zahlungen an Kirchenge-
verloren, da Steuerhinterziehung häufig meinden leisten.
nicht aufgedeckt und somit geahndet wer-
den kann. Neben dem Personalmangel bei Wir möchten diese Zahlungsverpflichtun-
der Bekämpfung von Steuerhinterziehung gen von Land und Kommunen gesetzlich
sind dafür auch die kurzen Prüfzeiten ver- beenden und die Mittel in anderen Berei-
antwortlich, zu denen die Betriebsprüfer chen einsetzen.
angehalten sind.

Wir setzen uns dafür ein, dass Steuerprüfer Kommunen in der


wirklich unabhängig arbeiten können. Die Verantwortung
Prüfzeiten sollen in Großbetrieben ausge-
weitet werden, um eine ausreichende Prü- Stärkung der Kommunen
fung zu gewährleisten. Die Umsatzsteuer-
prüfungen sollen durch Bereitstellung von Wir wollen Kommunen ausreichend Fi-
Steuerprüfern des Landes gestärkt werden. nanzmittel von Bund und Ländern zur Ver-
Bereits existierende Zusagen und Verein- fügung stellen, damit diese ihre Aufgaben
barungen mit dem Bund sollen konsequent ordnungsgemäß erfüllen und eigenständig
umgesetzt werden. politisch handeln können. Wir setzen uns
dabei auch für eine Stärkung der Position
Elektronische Steuer- von finanzschwachen Kommunen im
erklärung (ELSTER) kommunalen Finanzausgleich ein.

Die Anwendung „ElsterFormular“ für die Die Förderung kommunaler Aufgaben


elektronische Einkommensteuererklärung durch den Bund wird oftmals dadurch be-
ist bisher nur mit Windows nutzbar. Wir hindert, dass Kommunen nur als Anhäng-
wollen, dass Angebote wie ELSTER syste- sel der Länder gesehen werden. Dies wollen
munabhängig für alle Bürger bereitgestellt wir auch durch Initiativen im Bundesrat
werden. Wenn Software von allen Steuer- ändern.
zahlern finanziert wird, muss sie auch von
allen genutzt werden können und unter Bürgerbeteiligung in
einer freien Lizenz verfügbar sein. den Kommunen

Staatsleistungen an Neue Strukturen für die Beteiligung auf


Kirchen beenden möglichst bürgernaher Ebene sind not-
wendig, um einen fairen Ausgleich der
Über die Kirchensteuer hinaus zahlt das Interessen zu ermöglichen und zu einem
Land jährlich etwa 100 Millionen Euro

56
Landeswahlprogramm 2011 Kommunen in der Verantwortung

gerechten Ergebnis für alle Beteiligten zu Beim Bau und der Sanierung von Straßen
kommen. müssen vorausschauend Leerrohre gelegt
werden, um einen kostengünstigen Breit-
Bei Stadtteilworkshops und Stadtspazier- bandausbau zu ermöglichen.
gängen tauschen sich Bürger und kommu-
nale Verantwortungsträger direkt vor Ort Lokale Planung
über Probleme und mögliche Verbesse-
rungen aus. Solche Prozesse müssen auch Alle Planungen der öffentlichen Hand die-
finanziell gefördert werden und tragen zu nen einer gerechten Abwägung öffentlicher
einer nachhaltigen Stadtentwicklung bei. und privater Interessen im Zusammenle-
ben der Menschen. Die jeweils betroffene
Wir sind darüber hinaus für die Einfüh- Bevölkerung soll in offenen Verfahren
rung von Bürgerhaushalten, in denen die rechtzeitig und umfassend beteiligt und in-
Bürger direkt über die Verwendung von formiert werden. Ihre Bedürfnisse müssen
Haushaltsmitteln mitentscheiden können. entsprechend berücksichtigt werden.

Verbot von Spekulationsge- Unkomplizierte und effektive Verfahren


schäften für Gemeinden zur Bürgerbeteiligung müssen dabei ent-
wickelt und konsequent ausgebaut werden.
Das bestehende Verbot von Spekulations- Alle für die Planung relevanten Informati-
geschäften bei Kommunen soll verschärft onen und Grundlagen sind öffentlich zu-
werden. Die Verwaltungen der Gemein- gänglich zu machen und zu erläutern.
den sollen nicht nur bei den erkennbaren
Risiken haftbar gemacht werden, sondern Freier Zugang und Lizenz
auch, wenn fahrlässig unklare Risiken für Geobasisdaten
eingegangen wurden. Dies war bei den
Cross-Border-Leasing-Geschäften der Fall, Geobasisdaten sind die Grundlage für jede
etwa beim Verkauf der Infrastruktur der Planung in den Bereichen Verkehr, Bau-
Stuttgarter Wasserversorgung. en und Stadtentwicklung. Die derzeitige
Lizenzform behindert sowohl die Verwal-
Standortfaktor tung selbst als auch Bürgerinitiativen und
Breitbandzugang die Wirtschaft bei der Bewertung von
Planungsprozessen und der Ausarbeitung
Wir wollen unterversorgte Gebiete finanzi- eigener Vorschläge. Auch in Wissenschaft
ell fördern, um den Ausbau voranzutreiben. und Forschung ist man immer mehr auf
Das Land soll einen Beauftragten einsetzen, Geoinformationssysteme angewiesen, um
dessen Aufgabe es ist, in den Kommunen genaue Analysen und Studien zu Themen
gezielt über die Fördermittel zu informieren wie Umwelt, Soziales oder Wirtschaft zu
und für den Breitbandausbau zu werben. erstellen.

57
Landeswahlprogramm 2011 Kommunen in der Verantwortung

Da Geobasisdaten und (Software-)Werk-


zeuge zur Verarbeitung der Daten aus Steu-
ermitteln erarbeitet werden, möchten wir
sie der Allgemeinheit zur Verfügung stellen
und unter freien Lizenzen veröffentlichen.

Bürgerbeteiligung durch inter-


aktive Karten und Pinnwände

Bei vielen Themen in der Kommunalpo-


litik kann das Wissen der Einwohner um
lokale Gegebenheiten bisher nicht genutzt
werden, weil entsprechende Kommunikati-
onskanäle fehlen. Mit Hilfe von interakti-
ven Karten und Pinnwänden vor Ort und
im Internet wollen wir den Einwohnern
die Möglichkeit geben, ihr Wissen und
ihre Bedürfnisse direkt an Politik und
Verwaltung weiterzugeben. Damit werden
sie stärker eingebunden und die Arbeit der
Behörden nachvollziehbar.

Jeder sollte die Möglichkeit haben, seine


Meinung zu einem ortsspezifischen Thema
zum Ausdruck zu bringen. Andere können
sich so leicht einen Überblick über die
Meinungen verschaffen und dem entwe-
der zustimmen oder eine Gegenmeinung
formulieren.

58
Landeswahlprogramm 2011 KLARMACHEN ZUM ÄNDERN!

I. Nachwort

Die Piraten sind, auch gemessen am Alter ihrer Mitglieder, eine junge Partei und möchten
neue Ideen in die Politik einbringen. Wir laden alle Menschen, alle Generationen und alle
gesellschaftlichen Gruppen im Land dazu ein, mit uns diese neue Politik zu gestalten.

KLARMACHEN ZUM ÄNDERN!

59
Treffen Sie uns!

Sie möchten gerne mehr über uns erfahren?


Dann schauen Sie doch bei einem unserer öffentlichen Treffen vorbei! Sie sind herzlich
eingeladen, sich ein eigenes Bild von uns zu machen und mit uns zu diskutieren. Unsere
Treffen sind keine geschlossene Gesellschaft, sondern stellen einen wichtigen Teil
unserer Öffentlichkeitsarbeit dar.
Sie finden uns in über 50 Städten in Baden-Württemberg, auch in Ihrer Nähe!
Mehr Informationen zu uns, unseren Treffen und den Kandidaten:
www.piratenpartei-bw.de/wahl

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