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Nikolaus von Kues

Ein Kommentar
zum Compendium
des Nikolaus von Kues
von Brigitte Haselbach,
Zollikon

8. März 2008 Brigitte Haselbach Seite 1 - 91


Inhalt
EINLEITUNG 1

Zum Werk 9
Die Grundzüge der Schrift im Blick auf die Interpretationshinsichten.......................................... 10
1. Philosophische Anthropologie................................................................................................... 10
2. Zur Erkenntnislehre ................................................................................................................... 11
3. Zur Sprachtheorie und zur Zeichenlehre ................................................................................... 12
4. Zur Ursprungsthematik.............................................................................................................. 13
Nikolaus von Kues: COMPENDIUM ............................................................................................... 14

Kapitel 1: Sein und Erkennen 14


Inhaltsangabe ................................................................................................................................ 14
Kommentar.................................................................................................................................... 14
n.1: Das Eine und das Viele ........................................................................................................... 14
n.2: Das geistige Sehen.................................................................................................................. 17

Kapitel 2: Die Zeichenhaftigkeit der Erkenntnis 18


Inhaltsangabe ................................................................................................................................ 18
Kommentar.................................................................................................................................... 19
n.3: Die Rolle der Zeichen.............................................................................................................. 19
n.4: Die Notwendigkeit einer spezifischen Erkenntnisweise ........................................................ 20
n.5: Die Arten von Zeichen ............................................................................................................ 21

Kapitel 3: Sprache und Schrift als vermittelnde Erkenntniszeichen 23


Inhaltsangabe ................................................................................................................................ 23
n.6: Die Ursprache ......................................................................................................................... 23
n.7: Die Schriftzeichen ................................................................................................................... 25

Kapitel 4: Sinneserkenntnis, Vorstellungskraft, Gedächtnis 26


Inhaltsangabe ................................................................................................................................ 26
Kommentar.................................................................................................................................... 27
n.8: Die Uebermittlung der Zeichen .............................................................................................. 27
n.9: Die Zeichen im Erkenntnisvermögen ..................................................................................... 28
n.10: Das Ziel der Erkenntnis in Zeichen ....................................................................................... 30

Kapitel 5: Erkenntniswert der Zeichen sinnenfälliger Gegenstände 31


Inhaltsangabe ................................................................................................................................ 31
Kommentar.................................................................................................................................... 32
n.11: Die Eigenart der sinnenfälligen Zeichen ............................................................................... 32
n.12: Die Zeichen und das Akzidens .............................................................................................. 33
n.13: Die Zeichen und das Allgemeine .......................................................................................... 33
n.14: Die Zeichen und die Form .................................................................................................... 34
n.15: Die Zeichen und das Einzelne ............................................................................................... 34

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Kapitel 6: Sinnenfällige und vernunfthafte Zeichen 35
Inhaltsangabe ................................................................................................................................ 35
n.16: Die Erkenntnisweise im Blick auf die Bedürfnisse der Lebewesen ...................................... 36
n.17: Die Sinneserkenntnis und der Bezug zur Verstandestätigkeit ............................................. 38
n.18: Ausgleich von Mängeln durch die Vernunfttätigkeit ........................................................... 39

Kapitel 7: Lautwort und geistiges Wort als Offenbarung des Geistes 41


Inhaltsangabe ................................................................................................................................ 41
Kommentar.................................................................................................................................... 42
n19: Zum Verhältnis von Species und Wort in Bezug auf das Seiende ......................................... 42
n.20: Die Formfrage und das Wort ................................................................................................ 44
n.21: Das Formprinzip ................................................................................................................... 45

Kapitel 8: Der vernunfthaft Erkennende als Kosmograph 46


Inhaltsangabe ................................................................................................................................ 46
Kommentar.................................................................................................................................... 47
n. 22: Das Bild vom Kosmographen............................................................................................... 47
n.23: Der Kosmograph und der Schöpfer der Welt ....................................................................... 49
n.24: Die Zeichen und die Ursprungserkenntnis ........................................................................... 51

Kapitel 9: Kunst als Nachahmung der Natur 52


Inhaltsangabe ................................................................................................................................ 52
Kommentar.................................................................................................................................... 53
n.25: Betrachtungen über die Rede .............................................................................................. 53
n.26: Das Naturgegebene und die menschliche Geistestätigkeit ................................................. 55
n.27: Kunst und Natur ................................................................................................................... 56

Kapitel 10: Ursprungserkenntnis: Können, Gleiches, Eines, Aehnliches 58


Inhaltsangabe ................................................................................................................................ 58
Kommentar.................................................................................................................................... 60
n.28: Der Geist und das Wort ........................................................................................................ 60
n.29: Die Ursprungsbetrachtung ................................................................................................... 61
n.30: Der Ursprung, das Gleiche und das Endliche ....................................................................... 62
n.31: Die Wirkkraft des Könnens ................................................................................................... 63
n.32: Die Gleichheit und das Erkenntnisvermögen ....................................................................... 64
n.33: Die Stufenordnung der Erkenntnisvermögen in Bezug auf die Gleichheit .......................... 65
n.34: Die Beziehung von Erkennen und Gleichheit ....................................................................... 66

Kapitel 11: Sinneserkenntnis als Ähnlichkeit der Vernunfterkenntnis 68


Inhaltsangabe ................................................................................................................................ 68
Kommentar.................................................................................................................................... 69
n.35: Das Formprinzip im Erkenntnisprozess ................................................................................ 69
n.36: Die Erkenntnisweise der Seele und der Vernunft ................................................................ 70

Kapitel 12: Die Gleichheit im Sinnenfälligen 71


Inhaltsangabe ................................................................................................................................ 71
n.37: Die Gleichheit und das Sinnenfällige .................................................................................... 71

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n.38: Die Gleichheit in Bezug auf rationale Bestimmungen.......................................................... 72

Kapitel 13: Die Seele 73


Inhaltsangabe ................................................................................................................................ 73
Kommentar.................................................................................................................................... 74
n.39: Die Seele im Wahrnehmungsprozess ................................................................................... 74
n.40: Die Sinnenseele als Erkenntnisvermögen ............................................................................ 75
n.41: Die Erkenntnis mittels der sinnenhaften Seele .................................................................... 76
n.42: Das Gleichnishafte im Erkenntnisprozess ............................................................................ 77
n.43: Ursprung und Ziel des Erkennens......................................................................................... 78

Schluss und Epilog: Gott als Einheit und Ziel aller Erkenntnis 79
Inhaltsangabe ................................................................................................................................ 79
Kommentar.................................................................................................................................... 80
n.44: Der erste Ursprung und sein Erscheinen in der Welt........................................................... 80
n.45: Die Einheit des Gegenstandes .............................................................................................. 80
n.46: Die Einheit als höchste geeinte Kraft ................................................................................... 81
n.47: Das Seiende als Verweis auf das Können selbst................................................................... 82

Literaturverzeichnis 83
Zitierte Cusanus-Ausgaben:........................................................................................................... 83
Literatur: ........................................................................................................................................ 83

Anmerkungen 85

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EINLEITUNG
Nikolaus von Kues (1401 - 1461) ist einer der bedeutendsten Philosophen im
Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Er knüpft an die platonische und
neuplatonische Philosophie, an Augustinus, Dietrich von Freiberg, Meister
Eckhardt und Raimundus Lullus an. Er wird auch "erster moderner Denker"
genannt. Insofern er den Anteil der Erkenntnismöglichkeiten im Subjekt selbst
ansetzt, bahnt er eine neue Weltsicht an, die zu Descartes, Kant und zum
deutschen Idealismus führt. Wie die Philosophie seiner Zeit arbeitet auch
Nikolaus von Kues an einem neuen Weltbegriff, der auf einer
"weltentwerfenden" und nicht mehr auf einer "weltabbildenden" Vernunft
beruht.1

Nikolaus von Kues setzt den menschlichen Geist und dessen schöpferische
Tätigkeit ins Zentrum. Am Beispiel des Kosmographen, der eine Karte aufgrund
der ihm zugetragenen Sinnesdaten aufzeichnet, zeigt er, wie der Mensch die
Welt nach seinem Mass erkennt.2 Die mens ist mensura der Welt. Mittels der
Begründung der Welt durch den Geist wird eine Wende zur denkend-
messenden Subjektivität und zu einer perspektivischen Weltsicht vollzogen.3

In diesem Zusammenhang ist auf Dietrich von Freiberg (ca. 1250 - 1320) und
seine Theorie vom tätigen Intellekt (intellectus agens) zu verweisen. Der tätige
Intellekt ist nach Dietrich ein Urbild alles Seienden (exemplar totius entis). Er
erkennt sich durch sich selbst und dadurch alles andere. Er ist wesentlicher
Grund (causa essentialis) der Erkenntnisinhalte.4

Ein unmittelbarer Zugang zur Philosophie des Cusaners wird über die
Erkenntnislehre eröffnet. Nikolaus von Kues untersucht das menschliche
Erkenntnisvermögen und setzt eine Differenz zwischen dem Erkenntnissubjekt
und dem Erkenntnisobjekt. Der Mensch kann das Seiende in seinem An-sich-
Sein nicht erkennen, da es von Natur aus früher ist, als es erkennbar ist (prius
natura res sit quam sit cognoscibilis) 5 Die Erkenntnislehre ist jedoch
eingebunden in die Ontologie, da das Ganze des Seienden vorn Einen her und
auf dieses hin betrachtet wird. In dieser Hinsicht kann auch von einer
Metaphysik der Einheit (Henologie) gesprochen werden.6 Sie versteht das Sein
vom Intellekt her als intelligere und damit als Einheit. Es handelt sich also um
einen Übergang von der mittelalterlich-metaphysischen Ontologie zur
neuzeitlich- metaphysischen Intellektlehre.7

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Ein bedeutendes Thema bei Nikolaus von Kues ist das Verhältnis von
Metaphysik und Mass oder die Frage nach der Messbarkeit der Welt. Wie
kommen Metaphysik und Mass zusammen?8 Nikolaus von Kues bringt den
Geist mit dem Messen (mensurare) in Verbindung und sieht ihn als messendes
Vermögen. Damit öffnet er den Weg zu einer quantitativ-experimentell
messbaren Welt, die Welt der 'neuen' Naturwissenschaft. Ineins mit der neuen
Welterkenntnis geht die Suche nach einer methodischen Wissensbegründung.
Sie ist bezeichnend für die Renaissancephilosophie.9

Im Zuge der Neuorientierung wandelt sich auch das Wahrheitsverständnis.


Während bei Thomas von Aquin die "Wahrheit der Dinge" dem menschlichen
Erkennen voran geht und umgekehrt sich jenes den endlichen Dingen angleicht
(adaequatio rei et intellectus), stellt Nikolaus von Kues die Wahrheitsfrage nun
vom Sujekt aus. Aufgehoben ist sie aber letztlich in Gott als dem Urheber alles
Seienden und damit in der Ursprungswahrheit, wie die Schrift "De beryllo"
ausführt: "Conditur igitur intellectus, quia se finem facit suorum operum, ut
scilicet gloria sua manifestatur, creat cognoscitivas substantias, quae veritatem
ipsius videre possint, et illis se praebet ipso confitor modo, quo capere possunt,
visibilem."10

Die Vielfalt des endlichen Seienden führt Nikolaus von Kues auf Gott und das
absolut Unendliche zurück, in welchem alles Sein eingefaltet ist und in dem alle
Gegensätze zusammenfallen (coincidentia oppositorum). Dem absolut
Unendlichen (infinitas infinita) steht die Endlichkeit der Welt entgegen. Gott ist
unendlich anders als die Welt: infiniti ad finitum proportionem non esse.11 Mit
der Unendlichkeitsspekulation und dem Standpunktwechsel zum Subjekt hin
begründet Nikolaus von Kues das neuzeitlichen Weltbild. So wird in der
Kosmologie das geozentrische durch das heliozentrische Weltbild abgelöst, -
der entscheidende Schritt zu einer dynamischen Weltsicht.

Im Denken des Nikolaus von Kues sind schliesslich die zeichentheoretischen


und sprachphilosophischen Betrachtungen hervorzuheben. In den frühen
Werken sind sie der traditionellen Spekulation über Trinität und Inkarnation
zuzuordnen,12 in den späteren Werken stehen sie im Zusammenhang mit den
Überlegungen zur Metaphysik und zur Erkenntnislehre. Es geht um die Frage,
wie Metaphysik sich angemessen sprachlich ausdrücken kann. Dabei werden
die Grenzen der rationalen Sprache einsichtig. Diese können nach Nikolaus von
Kues durch den menschlichen Intellekt überschritten werden, der über den

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Erkenntnismöglichkeiten des Verstandes liegt. Cusanus spricht hier vom
transumptive intelligere: Quae te non inepte, si ex signo ad veritatem te
elevaveris verba transumptive intelligendo..."13

Der Geist ist messendes Vermögen für die Erkenntnis der Welt. Von diesem
Erkenntnisverständnis geht auch die zeichentheoretische Fragestellung aus. Da
die menschliche Erkenntnisweise die Dinge nicht erreichen kann, verbleibt der
zeichenmässige Zugang. Das wird wiederum einsichtig am Beispiel des
Kosmographen, der die Welt in einer Weltkarte so aufzeichnet, wie sie ihm von
seinen Sinnen zugetragen wird. Er erkennt die Welt im Mass seiner
Aufzeichnung. Inwiefern der Geist Mass und Messendes ist, wird im Dialog "De
mente" (1450), dem mittleren der drei Idiota-Dialoge, erörtert. Der Laie leitet
mens (Geist) etymologisch von mensurare (messen) ab und präzisiert, dass aus
dem Geist das Mass aller Dinge stammt. Wie später auch im "Compendium"
wird das Begrenztsein der Wortgebung thematisiert: Die Worte werden durch
eine Verstandesbewegung eingesetzt (vocabula motu rationis imposita)14, aber
sie treffen die Wesenheit der Dinge nicht. Das führt zu einem sprach–
theoretischen Perspektivismus 15. In diese Fragestellung bringt nun die
Zeichenlehre im "Compendium" eine ausführliche Theorie zum Verhältnis von
Sache und Zeichen ein. Der Grundgedanke ist allerdings schon in "De docta
ignorantia" angesprochen in der Möglichkeit des Überstiegs der Zeichen. auf
die Wahrheit selbst, eben im transumptive intelligere.

1
St. Otto, Renaissance und frühe Neuzeit, Reclam, Stuttgart 1984
2
Compendium, Kapitel 8, Meiner-Ausgabe, Hamburg 1982
3
St.Meier - Oeser, Nikolaus von Kues, in: Klassiker der Sprachphilosophie, München 1966
4
Kurt Flasch, Mittelalter, Reclam, Stuttgart 1985
5
Compendium, Kapitel 1, n.1.
6
P. Schulthess und R. Imbach, Die Philosophie im lateinischen Mittelalter, Artemis 1996
7
H.-B. Gerl, Einführung in die Philosophie der Renaissance, Darmstadt 1989
8
H.-B. Gerl, ebd.
9
St. Otto, ebd.
10
De beryllo, n. 4, 6-10, Meiner Ausgabe, Hamburg 1977
11
De docta ignorantia, Buch I, Kapitel 3. Meiner Ausgabe, Hamburg 1970
12
J. Hennigfeld, Nikolaus von Kues, in: Geschichte der Sprachphilosophie, Antike und
Mittelalter, Berlin 1993
13
De docta ignorantia, Buch I, Kap. 10, n.29

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14
Idiota de mente, V, 93/III, 488
15
St. Meier-Oeser, Klassiker der Sprachphilosophie, München1966.

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Zum Werk
Das Compendium ist ein Spätwerk, das Nikolaus von Kues vermutlich in seinem
letzten Lebensjahr (1464) verfasst hat.1 Die Schrift gibt eine Darstellung und
Uebersicht der philosophisch-theologischen Lehre und sie enthält eine Vielzahl
von Neuansätzen. Thema im ersten Teil sind erkenntnistheoretische
Untersuchungen sowie eine Zeichenlehre; im zweiten Teil wird eine
Ursprungsreflexion entwickelt.

Die Metaphysik sowie die Erkenntnislehre, wie Nikolaus von Kues sie im
Compendium darlegt, ist ausgerichtet auf den Menschen als Vernunftwesen.
Ihm wird in der Wahl und in der Handhabung seiner Erkenntnismöglichkeiten
ein Freiraum zugesprochen. Obwohl die Erkenntnisweisen der Dinge das ihnen
vorangehende Sein nur bezeichnen können, soll der Blick in einer geistigen
Schau auf das gerichtet werden, was vor aller Erkenntnis liegt. Eine bedeutende
Rolle spielt die Sprache und mit ihr die Begrifflichkeit. So wird vom Posse her,
als dem Ursprung, der Bereich des endlichen Seins erschlossen. Der Ursprung-
ist als dynamisches Können bestimmt, das in eine substantielle Gleichheit mit
sich selbst mündet. In der Folge kann die Gleichheit als aktuierendes,
seinsgebendes Prinzip abgeleitet werden. Was auf der Ebene des Endlichen
geschaffen wird, ist nun nicht die Gleichheit, sondern eine Ähnlichkeit der
Gleichheit. So wird die Gleichheit, die sich in ihrer Ähnlichkeit offenbart, zum
Gegenstand für das menschliche Erkenntnisvermögen. Für den Menschen
ergibt sich die Möglichkeit zum Erkennen aus der Vielfalt der Erscheinungen
des Ursprungs und in der Bestimmung des Menschen als Zeichen der
Gleichheit. Die menschliche Erkenntnis ist folglich nur im Zusammenhang mit
dem Seinsgrund zu sehen.

Für die Verwirklichung des Könnens als Ursache ist die Schöpfung notwendig.,
denn das Können will gesehen werden: "Quia igitur ipsum posse, quo nihil
potentius, vult posse videri, hinc ob hoc omnia" (n.47).

Die Schrift lässt sich folgendermassen gliedern:

Die Erkenntnisthematik (n. 1 - n.24)


Ars humana (n. 25 - n.28)

1
Vgl. Einleitung zum Compendium der Meiner-Ausgabe.

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Die Ursprungsfrage (n. 29 - n. 47)

Die Erkenntnisthematik umfasst die Erkenntnisweise in Zeichenform, die


Erkenntnisstufen und die Rolle der Vernunft. Als Erkenntnisziel ist ein dem
Seienden zugrunde liegendes Prinzip gesucht. Aufgezeigt wird die menschliche
Erkenntnisweise am Beispiel eines Kosmographen, der die Welt so aufzeichnet,
wie sie ihm von den Sinnen zugetragen wird, und der sie dann auf ein von ihm
bestimmtes Mass bringt. Damit ist die Grundlage geschaffen zur Darstellung
der Ars humana und ihrem Verhältnis zum Naturgegebenen. Die
Ursprungsfrage schliesslich wird in Verbindung zur Erschaffung der Welt
gebracht und auf das menschliche Erkennen bezogen.

Der Kommentar geht abschnittweise, hermeneutisch und textnah vor und


versucht, durch philosophisch-systematische Ansätze und
Interpretationshinsichten der Komplexität des Werkes gerecht zu werden. Das
Hauptmerk liegt auf der Gedankenentwicklung. Aus diesem Grund sind
zeitgeschichtliche Verweise nur an einzelnen Stellen eingefügt. Frühere Werke
des Cusaners werden nur fallweise beigezogen, stellt doch das Compendium
einen neuen Versuch dar, das Sein und Erkennen neu zu deuten.2

Die Grundzüge der Schrift im Blick auf die Interpretations-


hinsichten

1. Philosophische Anthropologie
Im Compendium ist der Mensch als Vernunftwesen angesprochen. Er soll
seinen Geist gebrauchen, um Fortschritte zu machen. Der Vernunft hilft ihm,
Mängel in der Sinneswahrnehmung auszugleichen. Dank seiner Geisteskraft
und Kunstfertigkeit vermag der Mensch sich Hilfsmittel für seine Bedürfnisse zu
schaffen, etwa durch die Kochkunst "das Rohe des Naturgegebenen" dem
menschlichen Geschmack anzupassen.3 Auch das Wohlbefinden spielt eine
Rolle und es hängt vom Kenntnisstand der einzelnen Lebewesen ab. Dem
Menschen wird zudem die Möglichkeit einer freien Wahl der Erkenntnisbilder
für das persönliche Wohlbefinden zugestanden. Aus dem Naturgegebenen
schöpft der Mensch Erkenntnisbilder, die seiner vernunfthaften Natur
entsprechen. Indem er diese Erkenntnisbilder zu seiner geistigen Nahrung

2
Vgl. Einleitung zur Meiner-Ausgabe
3
n. 18

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benützt, hebt er sich von den anderen Lebewesen ab, die nur auf ihr leibliches
Wohl bedacht sind. Auch das Sprechenkönnen wird als wesentliche
Bestimmung des Menschseins und als Notwendigkeit für das Wohlbefinden
gewertet.

Dank seiner Schöpfungskraft und seiner Vernunft kann sich der Mensch in der
Kunst einen Spielraum zwischen dem Naturgegebenen und dem Menschen
Zuträglichen schaffen. Das findet seinen Ausdruck im Bild des Kosmographen,
der kraft seines Geistes eine ihm gemässe Welt aufzeichnet. So wird dem
individuellen Lebensvollzug einen Vorrang gegenüber einer festen
Seinsordnung eingeräumt.

2. Zur Erkenntnislehre
Die Erkenntnislehre im Compendium ist durch eine dynamische Auffassung der
Erkenntnisweise gekennzeichnet. Die Erkenntnistätigkeit ist als zeichenhafte
bestimmt, aber sie enthält einen Zug auf das Ganze des Seins. Es gilt, die
Zeichen in ihrem funktionalen Zusammenhang zu sehen und von den Zeichen
zu deren Bedeutung vorzudringen. Die Frage nach dem Ursprung, der
Reichweite und der Art des Erkennens ist aufgehoben in einer Bewegung auf
den letzten Grund hin. Dafür steht im Compendium auch der im Mittelalter
geläufige Ausdruck der dulcedo, der die Aufwärtsbewegung im Erkenen und in
der Gottesbetrachtung meint. In der Reflexion auf die zeichenhafte
Erkenntnisweise kann der Mensch zum Ursprung und zum Ziel von allem
stossen (n.23).

Ein Hauptzug der Erkenntnislehre im Compendium ist der Ansatz beim


Erkenntnissubjekt. Der menschliche Geist ist, wie das Beispiel des
Kosmographen zeigt, als 'weltausmessende Subjektivität' gesehen. Er misst die
Welt an seine Erkenntnismöglichkeiten an. So werden in der Frage der
Erkennbarkeit einer Sache durch ihr Akzidens die Erkenntnisinhalte von Grösse
und Vielheit als Erkenntnisleistungen des Subjekts bestimmt. Die Kategorie der
Quantität ist in Zeichenform und als Bedingung der Sinneserkenntnis gesetzt.
Die räumliche Ausdehnung wird nicht dem Ding an sich zugeschrieben, sondern
sie ist qua Zeichen im Erkenntnissubjekt lokalisiert. In dieser Hinsicht kann von

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einer Wende von der "aristotelischen Substanzontologie" zur denkenden und
messenden Subjektivität gesprochen werden.4

Das Erkenntnissubjekt hat die Möglichkeit, sein Erkenntnisspektrum durch eine


Vielfalt von Erkenntnisbildern zu erweitern. Das Gestaltungsprinzip ist dabei im
Menschen selbst angesetzt. Es beinhaltet einen Freiraum. Das kommt zum
Ausdruck in der Ars combinatoria oder dem spezifischen Ausweiten von
Erkenntnisbildern (n.27). Das Ganze des Seins steht schliesslich im Blick, wenn
das Erkenntnisbild einer allgemeinen Kunst gesucht ist, die sich auf alles
Wissbare erstreckt. In der Vernunft besitzt der Mensch das Vermögen, ein
solches Erkenntnisbild zu finden. Sie hat die Fähigkeit, sich auf einen
übergreifenden Sinnzusammenhang zu richten, sowie das Einzelne zu
bestimmen. Deshalb kann der Vernunft auch ein a priorisches Seinsverständnis
zugeschrieben werden.

Ein besonderes Augenmerk ist in allem Erkennen und Handeln auf die
Vollkommenheit zu richten. Alles Endliche enthält im Keim Vollkommenheit
und ist auf die Vollkommenheit an sich zu verwirklichen. Das kann heissen,
durch die Kunst vollenden, was in der Natur unvollendet bleibt. So steht auch
im Erkennen die Vollkommenheit als leitende Idee, gehört doch, wie im
Compendium ausgeführt, zum vollkommenen Sein eines Seienden, dass es zu
erkennen vermag.

3. Zur Sprachtheorie und zur Zeichenlehre


Die Sprachauffassung und die Zeichenlehre werden im Compendium im
Rahmen der Metaphysik und der Erkenntnisthematik behandelt. Alle Sprachen
werden von der Ursprache des Stammvaters Adam abgeleitet. Daher kennt der
Mensch auch alle späteren Sprachen. Die Menschen haben, da sie vollkommen
erschaffen wurden, eine Vollkommenheit ihrer Natur und auch das Wissen um
die Sprachen und die Zeichen empfangen. In seinem sprachlichen und
erkenntnismässigen Verhalten steht der Mensch in einem endlich-unendlichen
Funktionsgefüge.5 Da die Schöpfung vom ursprünglichen Wort her als Zeichen
des unerschaffenen Wortes gedeutet wird, ist der Gesamtzusammenhang
immer schon gegeben. Gott offenbart sich in der Schöpfung durch Zeichen, und
in den Zeichen ist das Unendliche mitzudenken. Die Zeichen haben

4
St. Otto, Klassiker der Philosophie
5
St. Otto, Klassiker der Philosophie

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Verweischarakter. Es geht nicht nur um die Referenzfrage, sondern um den
Funktionszusammenhang und um die Möglichkeit, dass sich der menschliche
Geist nicht nur eine aus endlichen Dingen und Substanzen bestehende Welt
denken kann, sondern eine in unendlicher Funktionalität zusammenhängende
Welt.

Der Mensch steht in der Zeichenlehre im Mittelpunkt. Nur der Mensch vermag
kraft seines Geistes die Zeichen zu nutzen und zu deuten. Der menschliche
Geist soll eben den Zusammenhang mit dem Ganzen des Seins suchen. Zudem
wird das Zeichensystem, das die Menschen geschaffen haben, ergänzt durch
das Zeichensystem, das Gott der geschaffenen Welt für den Menschen
verliehen hat. Die Zeichenwerte dieser sogenannten 'zweiten Sprache' sind mit
Hilfe der von den Menschen geschaffenen Sprache bekannt gemacht und in der
Regel durch Aussagen der Hl. Schrift erkennbar.6 Im Compendium nun wird
diese Thematik auf die Erkenntnistätigkeit und Sprachfähigkeit des Menschen
bezogen. Die Schrift will hinführen zur Gotteserkenntnis. Der Metaphysik wird
deshalb eine Zeichenlehre vorausgeschickt, die den Menschen auf diesen Weg
bringen soll, - ganz im Sinne auch des Renaissancedenkens, das dem Menschen
und seiner schöpferischen Tätigkeit eine bedeutende Rolle zumisst.

4. Zur Ursprungsthematik
Der Ursprung ist als dynamisches Können bestimmt. Er wird als erstes wirksam
in der Gleichheit des Könnens und in beider Einigung. In der Gleichheit erreicht
er das Höchstmass an Kraft und in ihr verwirklicht er sich, ohne endlich zu
werden. Die drei Begriffe "Können, "Gleiches" und "Eines" sind spekulativ-
theologische Bezeichnungen für die drei göttlichen Personen. Sie bilden eine
Variante zu der gebräuchlichen Dreiheit 'Einheit', 'Gleichheit' und deren
'Verbindung'. Das Können steht für den Vater in der Trinität, und auf ihn ist
alles Erkennen ausgerichtet. Das Compendium stellt das göttliche Wort an den
Anfang, und die Schöpfung ist vom Wort her als Zeichen des unerschaffenen
Wortes zu verstehen. Mit der Rückbindung der menschlichen Erkenntnis-
möglichkeit an das verbum Dei erhält die Trinitätsspekulation eine
"sprachphilosophische Wende"7

6
H. Brinkmann, Mittelalterliche Hermeneutik
7
J. Hennigfeld, Geschichte der Sprachphilosophie

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Nikolaus von Kues: COMPENDIUM

Kapitel 1: Sein und Erkennen1


Inhaltsangabe
Das erste Kapitel thematisiert die Unterschiedenheit von Sein und Erkennen
einer Sache: Das Erkennen kann nur in Zeichen erfolgen, da es vom Sein kein
Wissen gibt. Es stellt sich damit die Frage nach der Stellung des Erkennens in
Bezug auf das Sein einer Sache.

Der erste Abschnitt (n.1) setzt als Ausgangspunkt den Grundsatz, dass das
Einzelne nicht mehrzahlig und das Eine nicht vieles ist. Aufgrund seines
Abgesetztseins vom Vielen wird vom Einen her entwickelt, dass es nicht in
seinem Einzelsein im Vielen ist, sondern nur in der Weise des im Vielen
Aussagbaren.

Im zweiten Abschnitt (n.2) wird dem geistigen Sehen das Vermögen


unvermittelter Einsicht in das dem Erkennen vorhergehende Sein einer Sache
zugesprochen. Hieraus ergibt sich, dass das geistig Gesehene nicht auch im
Erkennen aufgesucht werden kann. Dieser Sachverhalt wird mit der Bemühung
desjenigen verglichen, der die nur sichtbare Farbe auch mit der Hand zu
berühren versucht. Damit ist das Problem der Reichweite menschlicher
Erkenntnis dargelegt.

Kommentar
n.1: Das Eine und das Viele
1,1: COMPENDIUM: Das Wort wird im Mittellateinischen Wörterbuch2
unter II. (deminutio, abbreviatio) mit "Einsparung, Ersparnis, Verminderung,
Verkürzung" übersetzt, im Dictionary of Medieval Latin3 mit "summary form,
abbreviation, epitome". Auch Thomas von Aquin hat den Ausdruck im Titel für
sein Werk "Compendium Theologiae" eingesetzt.

1,3-8: Der einleitende Satz beinhaltet die traditionellen Accessusfragen4 nach


der Absicht des Autors (intentio), dem Inhalt (materia), dem Empfänger
(utilitas), dem Titel des Werkes, der Art des Textes (modus tractandi) und dem
Teil der Philosophie (pars philosophiae), dem er zuzuordnen ist. Der Titel und
die Art des Textes sind mit dem Ausdruck "Compendium" bezeichnet. Als
Adressat kann Peter Wimmer von Erkelenz5 oder jeder sich um Fortschritte

8. März 2008 Seite 14 - 91


bemühende Leser gemeint sein. Für den Inhalt steht der Text selbst, insofern er
zur Grundlage der Betrachtungen wird.

Die Erörterungen richten sich an einen Leser, der im Vollbesitz seiner geistigen
Kräfte und gewillt ist, seinen Geist zu üben6. Damit ist ein Grundthema des
Werkes angesprochen: die philosophische Anthropologie. Im Unterschied zu
einer ähnlichen Stelle in De docta ignorantia7, die ebenfalls den gesunden Geist
und die Einsichtsfähigkeit des Menschen thematisiert, wird nun im
Compendium diese Fähigkeit mit der notwendigen Zustimmung zum
Wahrheitsgehalt des nachfolgenden Grundsatzes verknüpft.

In einem ersten Schritt wird also das Erkenntnissubjekt in seinem


Wahrheitsanspruch thematisch, in einem zweiten der Erkenntnisgegenstand.
Damit ist eine Differenz angesetzt zwischen dem Erkennenden und der zu
erkennenden Sache. Der erste Grundsatz, dass das Einzelne nicht mehrzahlig
und das Eine nicht vieles sein kann, formuliert einen Unterschied zwischen den
Begriffen des Einzelnen - dem Singulare - und dem des Einen. Das Einzelne
beziehungsweise das Einzahlige enthält in sich die Möglichkeit einer
Weiterführung in das Mehrzahlige, während das Eine von jeder weiteren
Bestimmung abgesetzt ist. Die beiden Begriffe werden nun zu einer Seins-
bestimmung verknüpft. Sie setzt beim Einen und der Möglichkeit seiner
Seinsweise im Vielen an, bezieht diese aber auf das Singulärsein. Diese Sicht
geht weder von anthropologischen noch von ontologischen Grundsätzen aus;
sie fusst allein auf Begriffsbestimmungen.

In der Schrift De venatione sapientiae8 wird das Einzelne in seinem Einessein


bezeichnet. Die Reflexion setzt beim Einen an, das umfassender ist als das Sein.
Dieses Eine, das zugleich als Einheit angegeben ist, wird schliesslich
"Singularität" genannt. Die Begründung ist, dass es in sich ungeteilt und vom
Anderen abgetrennt und verschieden ist. An dieses Unterschiedensein knüpft
die Aussage an, dass sich das Eine beziehungsweise das Singulare nicht
vervielfältigen lässt.

Im Compendium nun stellt sich die Frage nach der Weise des Einesseins im
Vielen, womit eine Beziehung zwischen den beiden Bestimmungen
vorausgesetzt wird. Es ergibt sich also eine im Vielen gemeinschaftliche
Seinsweise. Anders als in der Metaphysik des Aristoteles9, in der das Seiende im

8. März 2008 Seite 15 - 91


Hinblick auf Eines thematisch wird, ist der Ansatzpunkt im Compendium beim
Einen und seiner Aussagemöglichkeit im Vielen.10

1,8-16: Der zweite Grundsatz macht das Seiende hinsichtlich seiner


Erkennbarkeit zum Gegenstand. Das Seiende ist als Teil der Natur verstanden
und hat von Natur immer schon ein Sein (prius natura res sit), das folglich dem
Erkennen vorangeht. Aufgrund dieses 'Ordnungsprinzips' ist vom Erkennen her
das Seiende in seinem Sein nicht zu. fassen weder vom Sinnlichen, noch vom
geistigen Vermögen her11. Dennoch wird dem Erkennen als Weise des
Erkennens eine 'Bezeichnungsmöglichkeit' zugesprochen in der Form von
Aehnlichkeiten, Bildern oder eben den Zeichen selbst12+13. Diese drei Begriffe,
hier noch als gleichwertige gesetzt, werden im Text im weitern noch näher
bestimmt.14

1,10: - sensus, imaginatio, intellectus - : Dass im Compendium zwischen ratio


und intellectus unterschieden wird, kann im Blick auf die Stelle "Cum autem
nihil fiat sine ratione, intellectus est principium actionem, quae sunt ad finem"15
vertreten werden. Dem Verstand (ratio) und der Vernunft (intellectus) werden
hier zwei deutlich unterschiedene Bereiche zugeordnet, dem Verstand das
Rationale als das Zugrundeliegende, der Vernunft die Vernunfttätigkeit und das
Verbindende schlechthin.16

1,14-16: Nicht die Sache und deren Erkennen - res et cognitio - sind der
Gegenstand, sondern die Weise des Seins und des Erkennens. Beide Weisen
sind auf der gleichen Ebene und bestimmen sich gegenseitig. - Da die
Seinsweise anderseits der Erkenntnisweise vorgeordnet ist und deren
Folgeverhältnis begründet, ist vom Erkennen her zwar kein Wissen (scientia) als
Vergegenwärtigung des Grundes möglich. Dennoch soll von der Seinsweise
Gewissheit erreicht werden - und dies in der Form des Schauens, in der der
Gegenstand in seiner Selbstgegebenheit erfasst wird. Damit wird an dieser
Stelle die Erkenntnislehre in der Seinslehre begründet.

Im Unterschied zu De docta ignorantia17 setzt das Compendium nicht bei der


Wesenheit der Dinge (quidditas rerum) an, sondern bei der Frage nach der
Erkennbarkeit des Einzelseienden (res singulare, unum). So wird eine
Eingrenzung der Problemstellung erreicht.

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n.2: Das geistige Sehen
2,1-10: Das geistige Sehen ist auf die Seinsweise einer Sache gerichtet und hat
seinen Gegenstand immer schon, ohne ihn zugleich zu erkennen. Diese
Bestimmung nimmt auf, was im zweiten Grundsatz als nicht hinterfragbare
Priorität des Seins vor dem Erkennen gesetzt ist. Zudem erläutert sie, wie die
höchste Gewissheit über die Seinsweise erreicht wird. Das geistige Sehen steht
im Gegensatz zur diskursiven Erkenntnis und hat eine auf das Sein gerichtete
Komponente"18 In Bezug auf die Seinsweise einer Sache hat das geistige Sehen
sich des sachlichen Grundes für das Erkennen vergewissert. Das geistige Sehen
verhält sich zum sachlichen Grund wie das sinnliche Sehen zum Licht, von dem
es Gewissheit hat, ohne es zu erkennen. Der Grund ist für das Erkennen nicht
fassbar, da er vorangeht und zwischen beiden keine Vermitteltheit
angenommen ist. Zwischen dem geistigen und dem sinnlichen Sehen ist ein
Vergleich gezogen, der die beiden Seinsweisen hinsichtlich dem Erkennen auf
eine Linie bringt.

Während in De apice theoriae19 das Licht als Kausalprinzip für die Farbigkeit der
Dinge und das Sehen erscheint, geht es im Compendium nun um eine
zeichenhafte Beziehung von Licht und Farbe. Diese Beziehung, als Sein zu etwas
hin, impliziert ein Hingewendetsein (intentio) zwischen der Farbe und dem
Licht. Von den im ersten Abschnitt genannten drei Möglichkeiten der
Bezugnahme auf das Seiende wird nun der Begriff des Zeichens eingesetzt. Da
diese Zeichen unmittelbar auf ihren Gegenstand bezogen sind, können sie als
indizierende bestimmt werden, insbesondere die Farben als Zeichen des Lichts.
Auch bei Aristoteles20 werden die Farben im Zusammenhang mit dem Licht und
dem Durchsichtigen (diaphanem) genannt und auf die
Wahrnehmungsmöglichkeit bezogen: "die Farben sind ohne Helligkeit nicht
wahrnehmbar". Im Compendium erfolgt nun eine Präzisierung auf das Subjekt
und seine Erkenntnisweise sowie auf den Gegenstand hin, in dem die Farben
erkannt werden.

Der Begriff "diaphanus" wird im Dictionary of Medieval Latin unter "b"


folgendermassen erläutert: non enim aqua secundum quod aqua, neque aer
secundum quod aer, d. est (BRADW. CD 159 A); sicut sol, celum et omnia
diaphana perennis luciditatis (NETTER D AF II 92). Im Mittelalter ist das Licht,
das als lumen im Diaphanum der Luft sich ausbreitet, komplementär auf das

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Sehen (videre) angelegt, das in seinen anatomischen und funktionalen
Voraussetzungen den Gesetzen der Lichtausbreitung entspricht21

2,10-15: Der erste Teil des Gleichnisses mit der Sonne als Vater des
sinnenfälligen Lichtes22 ist im Endlichen angesetzt, während im zweiten Teil mit
Gott als Vater der Dinge und aller Erkenntnis unzugängliches Licht eine
transzendente Bestimmung Eingang findet, - transzendent als das
Überschreiten aller endlichen Grenzen. Gott als Vater der Dinge ist das höchste
Seiende, das die Vielfalt der Dinge erschafft und zugleich transzendenter Grund
bleibt, der jedem Erkennen unzugänglich ist. Dieser Gott ist anders als die
Dinge dieser Welt. Da anderseits die Dinge als Abglanz jenes unzugänglichen
Lichtes gesehen werden, sind sie immer schon auf ihren Ursprung hin geordnet
und werden im Hinblick auf jenen bestimmt. Damit ist eine Bewegung, ein
Uebergang vom endlichen Seienden zum Unendlichen impliziert. Anselm von
Canterbury spricht von einem unzugänglichen Licht (lux inaccessibile), das
selbst Ursprung, Mitte und Ziel ist, alles direkte Hinsehen blendet, aber als
Möglichkeitsgrund alles Sehen erst ermöglicht23

Im Sonnengleichnis in Platons Dialog Politeia gibt die Sonne den sichtbaren


Dingen die Fähigkeit gesehen zu werden, sowie das Wachstum, das Werden
und die Nahrung, ohne selbst dem Bereich des Werdens anzugehören. Im
Compendium nun wird diese Thematik vom erkenntnistheoretischen
Standpunkt aus angegangen. Die Seinsweise ist innerhalb der Lichtmetaphorik
in einer vertikalen Begründungsordnung angesetzt. Sie steht über dem
Erkennen. Das suprapositum zeigt eine Ordnung an, die der Seinsweise einen
höheren Rang zumisst als dem Erkennen.

Kapitel 2: Die Zeichenhaftigkeit der Erkenntnis


Inhaltsangabe
Ausgehend von der Feststellung, dass das Erkennen der Dinge nur in Zeichen
möglich ist, wird nun die Frage nach der Angemessenheit des Erkennens
ausgearbeitet. Die Reflexion setzt beim Seienden an, insofern es in den
menschlichen Erkenntnisbereich fällt (n.3). Dabei wird allein das sinnlich
Wahrnehmbare thematisiert. Das Wahrgenommene ist als in Zeichen Fassbares
zu denken. Vom Zeichen selbst und seinen Zuordnungsmöglichkeiten her stellt
sich das Problem der Angemessenheit an das Gegebene. Die Verwendung einer
Vielfalt und Varietät von Zeichen ist als notwendig für das Erreichen einer

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möglichst hohen Stufe des Erkennens erachtet mit dem Hinweis, dass eine
Sache aus mehreren Zeichen besser erkannt werden kann als nur aus
einzelnen.

Die Lebewesen sind als sich gegenseitig Hilfe leistende Gemeinschaftswesen


gesehen (n.4). Innerhalb der Lebewesen wird zudem eine Rangordnung
angenommen, die den edleren unter ihnen die Notwendigkeit eines höheren
Grades an Erkenntnis für das Wohlbefinden zuspricht, insbesondere aber dem
Menschen, der das höchste Mass an Kenntnissen besitzen soll. Diese
Stufenleiter zielt auf ein glückliches und gutes Fortleben des Menschen, das
nicht ohne die Künste, die moralischen und die göttlichen Tugenden und die
Wissenschaften gedacht werden kann.

Die Beziehung von Zeichen und Gegenstand (res) wird schliesslich von der
Weise des Bezeichnetwerdens eines Gegenstandes her thematisiert (n.5).

Kommentar
n.3: Die Rolle der Zeichen
3,1-9: Der Gegenstand wird in Zeichenform ergriffen und in diesem
Gegenwärtigwerden in das Zeichenfeld eingeordnet und in dieser Weise
erkannt. Die Erkenntnisweisen sind also Weisen, wie der Gegenstand erfasst
wird.24 Diese Form des Erkennens ist kein passives Aufnehmen des sinnlich
Gegebenen, sondern das Gegebene wird durch die Zeichen in seiner
Bedeutsamkeit bestimmt. Da durch die Zeichen keine vollständige
Übereinstimmung mit der Seinsweise einer Sache erreicht werden kann, ist im
Blick auf die Vervollkommnung des Erkennens von den Zeichen ein möglichst
vielfältiger Gebrauch zu machen. Der Grad des Erkennens ist proportional zur
Zeichenvielfalt gedacht, sodass im Ausschöpfen der Zeichenmöglichkeiten
auch eine Verbesserung des Erkenntnismodus erzielt wird. 25

Innerhalb der Möglichkeiten, die dem Menschen offenstehen, um zur


Erkenntnis zu gelangen, kann - wie die Wendung „meliori modo, quo fieri
potest" zeigt - ein Optimum erreicht werden26. Mit dem meliori modo ist die
Gelegenheit einer Wahl angesprochen, und diese Wahl hat die bestmögliche zu
sein. Die menschlichen Geisteskräfte sollen also zur Verwirklichung einer
optimalen Erkenntnisweise eingesetzt werden.

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3,9-12: - perfectum esse - : Unter der Vollkommenheit eines Seienden wird
dessen Vollendung und die Verwirklichung seiner Möglichkeiten verstanden.
Die Vollkommenheit eines Einzelseienden (alicuius rei) kann, wie in der
Scholastik, als einzelne Vollkommenheit gesehen werden 27

Diese einzelne Vollkommenheit bedeutet die Seins- und Wesensbestimmung,


insbesondere mit einem Abstraktum wie dem "esse". Diese Vollkommenheit
wird nun auch für das einzelne Lebewesen (perfectum animal) in Anspruch
genommen und im Einzelnen individuiert.

3,12-16: Der Terminus "modus" wird nicht nur für abstrakte Topoi wie die
Seins- und Erkenntnisweise einer Sache verwendet, sondern ebenso für die
Weise der Fortbewegung eines Lebewesens (modus se movendi). "Modus se
movendi" ist als Möglichkeit der Anpassung an eine gegebene Sachlage
gesehen und dient der allgemeinen Lebensbeförderung. Auch die Sinne sind im
Blick auf die Kontaktnahme mit dem Gegenstand erfasst und zum Zweck, den
Lebewesen das Auffinden der entsprechenden Nahrung zu ermöglichen. Die
Sinnlichkeit ist damit auch in ihrer Zweckmässigkeit für die Bedürfnisse der
Lebewesen gedeutet.

Während bei Aristoteles in De Anima28 die Notwendigkeit eines


Sinnesvermögens innerhalb eines zweckgebundenen Naturgeschehens
angesetzt ist, stellt das Compendium die Sinnesausstattung nun in den Dienst
eines allgemeinen Erkenntnisstrebens.

n.4: Die Notwendigkeit einer spezifischen Erkenntnisweise


4,3: - quantum perfectio speciei deposit - : Vollkommenheit innerhalb der Art
bedeutet deren Zielgerichtetheit, sowohl im Artenbereich als auch im
individuellen Lebensvollzug. Die Vollendung ist im Artenbereich zwar angelegt,
aber sie ist vom Lebewesen selbst zu leisten. Das Lebewesen ist ein Seiendes,
das sein Sein selbst zu verwirklichen hat.

Im Vergleich zu einer ähnlichen Stelle in De docta ignorantia29, die in


allgemeiner Form die bestmögliche Seinsweise (ut sint meliori modo) in
Gemeinschaft mit anderen thematisiert, erfolgt im Compendium eine
Eingrenzung auf den aktuellen Lebensvollzug. Die Lebewesen helfen sich
gegenseitig, um besser zu leben.

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4,6-15: Dass ein höher stehendes Lebewesen eine entsprechend höhere
Erkenntnis benötige, verweist auf eine Rangordnung innerhalb der Lebewesen,
die sich auch im Erkenntnisstand ausdrücken soll. Leben und Erkennen sind
nicht von Anfang an als vollkommene gedacht, sondern es ist, im Sinne der im
Compendium vertretenen philosophischen Anthropologie gerade die Aufgabe
des Menschen als dem höchsten Lebewesen, sich zu einem entsprechenden
Stand des Erkennens und Wissens hinauf zu arbeiten. Der Mensch ist nicht
festgelegt auf ein Erkenntnisspektrum, vielmehr soll er es selbst erweitern und
verbessern. Auch das Wohlbefinden hängt vom Kenntnisstand ab und ist nicht
von Natur gegeben. Die Bestimmung des Menschen ist zudem gebunden an die
Ausübung und Beachtung der Ars humana, der Künste, der sittlichen
Erkenntnisse und der göttlichen Tugenden.30

4,11: subsistit - : Das Verb "subsistere" ist in diesem Kontext für die spezifische
Lebensweise des Menschen eingesetzt, während für die anderen Lebewesen an
den entsprechenden Stellen das Verb "vivere" steht. Das Menschsein
begründet sich also gerade in der Ausübung der erwähnten Künste und
Tugenden selbst.

4,11-15: Anders als Aristoteles, der dem Menschen einen Wissensdrang von
Natur zuspricht, ist hier die dem Menschen innewohnende Fähigkeit, sich zu
einem vollkommenen Lebewesen zu entwickeln, als Grund für den
Wissenserwerb gesehen. Der Unbelehrte soll vom Belehrten unterrichtet
werden, da nur letzterer die Regeln und Gesetze der zu vermittelnden Doktrin
kennt. 'Doktrin' bezeichnet eine eingegrenzte Lehre beziehungsweise eine
einzelne Wissenschaft, deren Weitergabe einem bestimmten ausgewählten
Personenkreis zusteht. Dass für die Weitergabe nun zu den Zeichen
"hinuntergestiegen" (descendere) werden soll, kann auf eine 'inferiore'
Stellung der Zeichen selbst hinweisen, da jene nicht die Sache selbst sind,
sondern nur deren Zeichen. Auch Augustinus setzt in De magistro31 die
Erkenntnis der Sachen über die Zeichen der Sache mit der Präzisierung, dass die
Erkenntnis der Sachen, wenn auch nicht besser als die Erkenntnis der Zeichen,
so doch besser als die Zeichen als solche ist32

n.5: Die Arten von Zeichen


5,1-9: Die Unterscheidung von natürlichen und gesetzten Zeichen lässt sich
zurückverfolgen bis zu Platon, der im Dialog "Kratylos" die Physei-Thesei-Frage

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erstmals aufgeworfen hat. Im Compendium nun sind die Zeichen nicht nur
hinsichtlich ihrer Entstehungsart thematisiert, sondern ebenso in ihrem Bezug
zu den Dingen (res). Dieser Bezug ist entweder ein natürlicher oder ein
gesetzter. Wenn ein Gegenstand auf natürliche Weise im Sinnesvermögen
signifiziert wird, ruft das natürliche Zeichen die Vorstellung des ihm
zugeordneten Gegenstandes unmittelbar hervor. Die gesetzten Zeichen
hingegen, wie etwa die Worte oder die Schrift, werden als solche zwar
wahrgenommen, sie können aber nicht unmittelbar erkannt werden, sondern
nur aufgrund des Wissens um den Gegenstand selbst.

Die Einteilung der Zeichen in natürliche und gegebene ergibt sich bei
Augustinus in seiner Doctrina christiana33 aus deren Bekanntsein entweder
durch sich selbst oder infolge Bekanntgabe durch die Lebewesen. Im
Compendium liegt das Unterscheidungsmerkmal in der Art und Weise, wie die
Zeichen die Dinge bezeichnen, ob von Natur oder aufgrund menschlicher
Setzung. Erst in einem zweiten Schritt wird deren Bekanntsein, sei es auf
natürliche Weise oder durch Belehrung, angegeben. Während bei Augustin die
Zeichen als die Sache selbst bestimmt sind ("signum est enim res")34, sind sie
bei Nikolaus von Kues an dieser Stelle in ihrer Bezeichnungsfunktion (signum
designans) gesehen35+36

5,10-16: Da die natürlichen Zeichen von sich her deutbar sind, müssen sie nicht
eigens gelehrt werden. Es fragt sich hier, ob ein natürliches Zeichen wie das
Lachen, das Freude anzeigt, nicht eine seinsmässige Verbindung zu seinem
Gegenstand beinhaltet. Das Lachen ist ein adäquater Ausdruck von Freude, und
umgekehrt entsteht die Freude mit dem Lachen. Es findet hier also, anders als
bei den gesetzten Zeichen, kein qualitativer Sprung statt. Das natürliche
Zeichen ist der Ort, wo die Sache und ihr Erkennen übereinstimmen. Bei den
gesetzten Zeichen ist die Übereinstimmung von Sache und Erkennen nicht
gegeben. Sie sind ad placitum, ohne unmittelbaren Bezug zur Sache gesetzt.
Aus diesem Grund kommt der ersten Doktrin, durch die die Kenntnis der
Zeichen weitergegeben wird, eine besondere Bedeutung zu. Die Doktrin
beinhaltet also das Aussprechen und Weitergeben dessen, was gesetzt ist. Vom
Lehrenden her gesehen ist sie das Immer-schon-Verstandene, das durch die
Weitergabe der menschlichen Gemeinschaft erhalten bleiben soll.

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Kapitel 3: Sprache und Schrift als vermittelnde
Erkenntniszeichen
Inhaltsangabe
Im dritten Kapitel ist die Rolle von Sprache und Schrift im Erkenntnisprozess
thematisch. Als Leitgedanke steht die Vollkommenheit; sie wird den
Stammeltern zugesprochen, die, als vollkommen geschaffene, vom Schöpfer
sowohl eine Vollkommenheit ihrer Natur als auch des Wissens um die Zeichen
empfangen haben (n.6).

Da alle Sprachen von der Ursprache des Stammvaters Adam abgeleitet werden,
kann es keine Sprache geben, die der Mensch nicht kennen würde. Das wird
zusätzlich in der Überlieferung begründet, dass Adam, der Mensch, selbst die
Namen gegeben habe. Die Folgerung ist, dass kein Wort irgendeiner Sprache
ursprünglich von einem anderen gesetzt wurde.

Den Stammeltern wird neben der Kunst des Sprechens auch die Kunst, Worte
zu schreiben oder zu bezeichnen, zuerkannt mit der Begründung, dass sie dem
Menschengeschlecht Vorteile bringt (n.7). Der Vernunft wird schliesslich, als
Schöpferin der Künste und in dieser Eigenschaft, die Fähigkeit zugesprochen,
die Kunst des Sprechens und des Schreibens zu schaffen.

n.6: Die Ursprache


6,1-8: Der Abschnitt wird mit dem verpflichtenden "oportet" eingeleitet, einer
Wendung, die eingesetzt wird, wenn die Aussage im Rahmen der Lehrdoktrin
zu verstehen ist37. Wenn die den Stammeltern zugeschriebene Vollkommenheit
ihrer Natur sich nun auf das Wissen um die Zeichen erstrecken soll, so ist dieses
Wissen als Teil des Schöpfungsplanes zu betrachten. Die Zeichen sind nicht
Selbstzweck. Sie dienen dem Gedankenaustausch und der Weitergabe des
Wissens an die Nachkommen, ganz im Sinne auch der im Compendium
vertretenen dynamischen Auffassung des menschlichen Denkens und
Sprechens.

Auch die Vollkommenheit ist durch Dynamik gekennzeichnet, wird sie doch erst
in ständiger Weiterentwicklung des von Natur Gegebenen erreicht. Über die
Generationen hinweg kann so die Kenntnis und Weitergabe des Wissens
gesichert werden. Auch der junge Mensch ist durch seine Fähigkeit zur Kunst
des Sprechens eingebunden in die Welt der Sprache mit ihrem gemeinsamen
Verstehenshorizont. Das Sprechenkönnen ist als wesentliche Bestimmung des
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Menschseins und ebenso als Notwendigkeit für das Wohlbefinden gedeutet.
Das wiederum beinhaltet eine Erweiterung der klassischen Seinsbestimmung
des Menschen. Der Mensch ist nicht nur als das Seiende gesehen, das sich zum
Ganzen des Seienden denkend und sprechend verhält, sondern ebenso als
Wesen, das der Kunst des Sprechens bedarf, um zu einer ihm entsprechenden
Vollkommenheit zu gelangen.

6,6-18: Die Verknüpfung der beiden Ausdrücke "absurdum" und "creditur"


erinnert an den Satz des Anselm von Canterbury „credo, quia absurdum est“38,
der auf die Menschwerdung Gottes Bezug nimmt. Was absurd ist, ist
widersprüchlich, ungereimt und kann nicht mit dem Verstand eingesehen
werden. Wenn also die erste menschliche Sprechkunst alle späteren enthält, ist
das nicht widersprüchlich und folglich auch ohne rationale Begründung
anzuerkennen. Die Frage nach dem Ursprung der Sprache fällt für den
Menschen als zoon logon echon mit dem Ursprung des menschlichen Geistes
zusammen und kann so nicht gelöst werden. Jedoch wird mit dem Rekurs auf
Adam, den Menschen, von dem alle Sprachen stammen, eine Antwort
ermöglicht. Diese Position ist der traditionalistischen Theorie zuzuordnen, nach
der dem Menschen die Sprache von Gott geoffenbart und anerschaffen
wurde.39 Wenn nun von Adam, als dem Stammvater aller Menschen ausgesagt
wird, dass er in sich das Wissen um alle Sprachen vereinigt, so kennt er auch
die Worte (vocabula). Es handelt sich also nicht um eine willkürliche Setzung
der Worte, insbesondere (auch) da Adam die Kenntnis aller Sprachen durch
Gottes Geschenk erhalten habe.

6,18-20: Die Sprache wird als Kunst des Sprechens der menschlichen Natur
zugeordnet und im Vollkommenheitsanspruch des Menschen begründet. Die
Kunst des Sprechens macht das Wesen des Menschen aus. Sie ist ihm
naturgemäss, aber sie muss als Kunst doch erlernt werden. Deshalb beherrscht
sie nicht jeder Mensch, sondern nur der vollkommene. Bei dieser Auffassung
des Menschseins ist die Kunst des Sprechens immer auch Aufgaben für den
seine Geisteskräfte übenden Menschen.40

In De venatione sapientiae41 ist im Kapitel über die Bedeutung und Kraft der
Worte (vis vocabuli) der Ansatz bei der Ratio des Menschen, die nicht die Ratio
des Wesens der Dinge ist und von den Menschen nicht erkannt werden kann.
In der vis vocabuli ist dem Menschen die Möglichkeit gegeben, die Dinge

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darzustellen (figuratio rerum). Da die Worte von den Menschen geprägt sind
und die Dinge nicht in ihrer Ratio treffen, kann sich ein Widerspruch in den
Worten ergeben. Im Compendium nun wird die Bedeutung der Worte und die
Kunst des Sprechens und Schreibens hinsichtlich der dem Menschen
anerschaffenen Vollkommenheit thematisiert. Zudem steht die
Leistungsfähigkeit der Worte und der Kunst des Sprechens und des Schreibens
im Blick.

n.7: Die Schriftzeichen


7,1-4: Die Kunst des Schreibens wird den Stammeltern ursprünglich
zugeordnet. Sie ist in ihrer Zweckbestimmung das verständige Können und sie
erstreckt sich auf praktische Bereiche. Sie steht, so gesehen, in der Nähe der
techné, da sie mit ihren künstlichen Mitteln den Menschen Hilfe bringt. Da die
Kunst des Schreibens das Vergangene und Abwesende vergegenwärtigen kann,
führt sie, als zeitenübergreifende, zu einer Bereicherung des
Weltverständnisses und trägt so zur Vervollkommnung des Menschen bei.

7,5-7: - quae aure percipiuntur ….. quae oculis obiciuntur - : Im Hören und im
Sehen wird das Seiende - als Passivum - zum Gegenstand für das Bezeichnen. Es
gehört damit zur Welt der Tatsachen, dem Gemachten (factum). In diesem
Zusammenhang wird im Text nicht mehr von der Kunst (ars) gesprochen,
sondern von der Wissenschaft (scientia), die ihr Sachgebiet als
Gegenstandsbereich. fasst und eingrenzt auf das zu Erforschende und zu
Wissende.42

Augustinus geht vom Unterschied zwischen den sichtbaren und hörbaren


Zeichen aus, mit denen die Menschen ihre Botschaften
weitergeben.43Insbesondere den hörbaren Zeichen wird dabei eine
ausgezeichnete Stellung zugeordnet. Nikolaus von Kues hingegen sieht die
hörbaren Zeichen innerhalb einer Stufenordnung und mit der menschlichen
Vernunfttätigkeit zusammen. Die Vernunft schafft die Kunst des Sprechens
und macht die Zeichen für den Gesichtssinn zugänglich.

7,8-16: Die Natur ist Bezugspunkt für die Verhältnisbestimmung des Sprechens
und der Kunst des Schreibens. Sie selbst wird aber nicht thematisiert. Allein der
vernunftmässige Anteil in diesen Künsten ist gefragt. Die Kunst ist der Natur
nicht entgegengesetzt, aber sie wird hinsichtlich ihres Ursprungs, der in der
menschlichen Vernunft angelegt ist, von ihr unterschieden. Die Vernunft

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schafft sich in der Kunst einen Spielraum zwischen dem Naturgegebenen und
dem durch sie geschaffenen rein Vernunftmässigen. Dieser Spielraum ist nicht
durch eine Vorsehung der Natur gegeben, sondern allein in der menschlichen
Schöpferkraft zu orten.44

Die Äusserung von Lauten infolge einer Affektion wird als natürlicher Vorgang
bezeichnet, während anderseits die Vernunft in der Kunst des Sprechens, zu
der auch die Laute gezählt werden, am Werk ist. Es findet also eine Umsetzung
des Naturgegebenen in das Vernunftmässige zum Zweck der Kundgabe statt.
Die Vernunft und die Kunst schaffen ein Eigenständiges, indem sie durch
Formgebung und Variation aus dem ungeordneten (confusum) Klarheit
schaffen. Vernunft und Kunst sind nicht 'Überbau', sondern Ordnungsprinzip
des natürlich Gegebenen, wobei sie demselben Zweck dienen. Die Vernunft ist
nicht Gegenspielerin der Natur, sondern sie hilft ihr und führt das von Natur
Gegebene zur Vollendung.

7,16-20: Auch Augustinus weist auf das Verklingen der Worte nach dem
Aussprechen hin45 "Sed quia verberato aëre statim transeunt nec diutius
manent quam sonant, instituta sunt per litteras signa verborum. Ita voces
oculis ostenduntur, non per se ipsas, sed per signa quaedam sua". Im
Compendium wird an der vorliegenden Stelle zusätzlich das Entschwinden aus
dem Gedächtnis erwähnt. Gemeint ist hier nicht das geistige, sondern das
sinnliche Gedächtnis als Vermögen, Wahrnehmungen als Eindrücke
festzuhalten. Diesem 'Mangel' soll die Vernunft durch die Kunst des Schreibens
abhelfen. Die Vernunft übt durch diese Kunst zugleich eine Vermittlung
zwischen dem Hörsinn und dem Sehsinn aus, und diese Vermittlung erfolgt
über die Zeichen. Augustinus setzt in dieser Frage bei den Zeichen selbst an als
Möglichkeit und Mittel, das Gesprochene für den menschlichen Sehsinn
sichtbar werden zu lassen. Im Compendium ist der Schwerpunkt wiederum in
die menschliche Vernunfttätigkeit verlegt, die die Zeichen für den Gesichtssinn
zugänglich machen soll.

Kapitel 4: Sinneserkenntnis, Vorstellungskraft, Gedächtnis


Inhaltsangabe
Die Frage nach der Beziehung zwischen der Sinneserkenntnis und dem zu
erfassenden Gegenstand setzt bei den Zeichen an und der Weise, wie sie vom
Gegenstand zu den Sinnen gelangen (n.8). Das Zusammenspiel von sinnlichem

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Erkenntnisvermögen und dem Wahrnehmungsgegenstand wird am Beispiel des
Sehens als natürliches Angepasstsein des Gesichtssinnes auf den vom
Gegenstand ausgesandten Glanz aufgezeigt. Zwischen dem sinnenfälligen
Objekt und den Sinnen ist ein Medium angenommen, durch welches der
Gegenstand Zeichen von sich vervielfältigen kann.

Der Ort, wo die Dinge als bezeichnete festgehalten bleiben, ist die innere
Vorstellungskraft (n.9). Da der Weg vom sinnenfälligen Gegenstand zum
Erkenntnisvermögen allein über die Zeichen führt, sind die Zeichen der Dinge in
der Vorstellungskraft Zeichen der Zeichen in den Sinnen. Es ergibt sich, dass
sich in der Vorstellungskraft nichts befindet, was nicht vorher in der
Sinneswahrnehmung war. Die Frage des Anteils von Materie in den Zeichen
wird dahin gehend gelöst, dass die sinnenfälligen Zeichen als von der Materie
losgelöste, aber doch nicht ganz frei von Materie zu sehen sind. Das wird am
Beispiel der Farbvorstellung begründet, die einerseits frei von jeder
Farbqualität ist, anderseits doch eine Konnotation der Sinneserfahrung enthält
(n.10). Das Ziel des Erkenntnisprozesses ist jedoch in jenen Zeichen angesetzt,
die rein formhaft sind.

Kommentar
n.8: Die Uebermittlung der Zeichen
8,2-11: Da die sinnenfälligen Zeichen von einem Gegenstand (obiectum)
ausgesandt sind, wird das Seiende allein in Zeichenform zum Seienden für das
menschliche Sinnesvermögen. Das Subjekt, zu dessen Sinnesvermögen die
Zeichen der Gegenstände gelangen, ist hier nicht als ein vorstellendes Ich
aufgefasst, das sich in seinen Akten auf einen Gegenstand richtet. Als
Ausgangspunkt des Erkennens wird eben der Gegenstand selbst gesetzt, von
dem Zeichen ausgesandt werden.

Zwischen dem menschlichen Sinnesvermögen und dem Naturgegebenen ist


eine natürliche Beziehung angenommen. Das bedeutet, dass die Sinne immer
schon auf ihren Gegenstand eingestellt sind. Das Aptum an anderen Stellen für
die menschliche Rede verwendet46 erhält hier eine Bedeutungsverschiebung in
das Naturgeschehen hinein, wo diese Angemessenheit auf einer gemeinsamen
Ebene spielt. Der Sinnlichkeit wird zudem, aufgrund ihres
Perzeptionsvermögens, eine gewisse Erkenntnisfähigkeit zugesprochen,
sozusagen ein unterster Grad von Erkennen.

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Im Unterschied zum Sehsinn, der als Perzeptionsvermögen aufgefasst ist, wird
für den Gehörsinn nur die einfache Empfindung (sensatio) geltend gemacht.
Das kann auch als Zeichen für die mit dem Beginn der Renaissance einsetzende
Höherbewertung des Sehens gegenüber dem Hören gedeutet werden.47 - Im
Unterschied zu De anima von Aristoteles, wo das Gewicht auf der
Tonerzeugung liegt48, wird im Compendium nun die Weise dargelegt, in der der
Ton sich ausbreitet.

8,13-20: Das Wohlergehen der Lebewesen - ein Thema in der Renaissance - ist
in einer Vorsehung der Natur, der natura beneficians, begründet. Jedoch wird,
das Wohlergehen sowohl der Lebewesen als auch alles Geschaffenen nicht um
seiner selbst willen thematisch, sondern im Hinblick auf den Erwerb von Wissen
und Erkenntnis.

Vom Seienden (res) aus, stellt sich die Frage nach der Weise seiner
Übermittlung und des Eingehens in das Erkenntnissubjekt. Die Übermittlung
des sinnlich Gegebenen ist in Zeichenform und notwendig über ein Medium zu
denken. Die Zeichen sind nicht als eine Zutat des Verstandes gesehen, sondern
als vom Gegenstand ausgesandte. Deren Kenntnis ist folglich vom gegen-
wärtigen Gegenstand abhängig, ausser es sei eine Möglichkeit ihres Festhaltens
gegeben. Die Ablösung vom Gegenstand setzt hier bei den vom Gegenstand
ausgesandten Zeichen selbst an. Das Medium wird in seiner Funktion als
Uebermittlungsinstanz für die Zeichen relevant, während es in De Anima als
eine Art Trägersubstanz gesetzt ist.

n.9: Die Zeichen im Erkenntnisvermögen


9,1-8: Das sinnlich Wahrgenommene wird, obwohl in Zeichenform, nicht als
sachliches Phantasma verstanden, sondern mit einem menschlichen Vermögen,
eben der inneren Vorstellungskraft in Verbindung gebracht. Nach De anima49
verbleiben die Wahrnehmungen und Vorstellungen in den Sinnesorganen,
während im Compendium die Bezeichnungen der Wahrnehmungszeichen in
der inneren Vorstellungskraft, also einem Gemüts- und Geistesvermögen
zurückbleiben. Das sinnlich und in Zeichenform Gegebene wird durch das
menschliche Vorstellungsvermögen rekonstituiert. Das als Gedächtnis
Genannte ist in der Folge nicht als passives Vermögen der Speicherung von
Eindrücken zu fassen, sondern vielmehr als seelisch-geistige Kraft.

8. März 2008 Seite 28 - 91


Während bei Boethius noch festgestellt wird, dass nichts im Verstand ist, was
nicht vorher in den Sinnen war50 wird nun im Compendium die
Vorstellungskraft (phantastica) relevant. Von Bedeutung ist, dass in der
Vorstellungskraft ein aktives menschliches Vermögen angesprochen ist. Noch
bei Thomas von Aquin ist in diesem Zusammenhang von (neutralen)
Phantasmata die Rede, an denen der Abstraktionsprozess ansetzt51.

Vom Blinden wird ausgesagt, dass er sich die Farbe nicht vorstellen kann, da er
keine Wahrnehmungsinhalte in Form von Phantasmata besitze. Das heisst, dass
das vom Verstand in der Form etwa der species intelligibilis Erkannte erst in
einem der sinnlichen Wahrnehmung nachfolgenden Schritt gewonnen wird.
Der Verstand ist, so gesehen, in Bezug auf die sinnlich wahrnehmbaren
Gegenstände abhängig von den Phantasmata. Thomas von Aquin spricht in
diesem Zusammenhang von einer "stetigen Verbindung des Verstandes zur
Vorstellungskraft"52.

9,8-11: Bei der Sinneserkenntnis stellt sich die Frage, inwieweit eine materiale
Komponente des Gegenstandes in ihr enthalten ist. Das wird sowohl von der
Zeichenseite als auch vom Wahrnehmungsvermögen her bejaht. Die
Vorstellung der Farbe hingegen ist eine reine, ohne jede Farbkomponente.
Anders Thomas von Aquin, der dieses Problem von der Substanz- und
Seinsfrage her angeht. In seinem Kommentar zur entsprechenden Stelle bei
Aristoteles unterscheidet er zwei Seinsweisen der Farbe, eine natürliche in der
Sache (unum naturale in re) und eine geistige in den Sinnen (alius spirituale in
sensu).

9,11-14: Indem die in der Vorstellungskraft oder in der Phantasie sich


befindlichen Zeichen als mehr formhafte bestimmt werden, ist die Möglichkeit
geschaffen, eine Brücke zum rein Intelligiblen zu schlagen. Dieses Intelligible
wird nunmehr zur Zielvorstellung des Erkennens. Zudem ist im Begriff der
Vollkommenheit, die für die Zeichen geltend gemacht wird, die Anlage einer
Entwicklung auf dieses Ziel hin enthalten. Durch die Hinwendung zur Form und
zum Intelligiblen wird es dem Verstand möglich, das Formhafte in den Dingen
zu fassen, - eine Leistung, die von der Sinneswahrnehmung nicht erbracht
werden kann. Jedoch wird hier das Intelligible nicht vom Verstand hinzugefügt.
Es geht vielmehr um eine Anpassung des sinnlich Wahrgenommenen an die
Möglichkeiten des menschlichen Geistes.

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n.10: Das Ziel der Erkenntnis in Zeichen
10,1-8: Obwohl die Zeichen in der Vorstellung vom sinnlich Gegebenen
losgelöst sind, ist eine Verbindung zu jenem in der Form der Konnotation
gegeben. Diese Konnotation bildet den Umschlagspunkt zwischen der
Sinneswahrnehmung, die mit dem Materialen im sinnlich Gegebenen verknüpft
ist, und der reinen stofflosen Farbvorstellung. 'Konnotation' bedeutet die
Mitbezeichnung der Materie, so wie sie sich in den Sinnen befindet. Diese
Mitbezeichnung ist, als Form, reine Vorstellung.53

Das Vorstellen (imaginari) wird auf sinnlich wahrnehmbare Gegenstände, nicht


auf abstrakte Begriffe bezogen und vom Gegenwärtigsein eines solchen
Gegenstandes abhängig gemacht. Wenn das Vorstellungsbild nun auch ohne
die dem sinnenfälligen Gegenstand zukommenden Begrenzungen, wie etwa die
der Quantität oder der Grösse, gedacht werden kann, dann findet sich der
Gegenstand in der Vorstellung als reines Formprizip.

10,8-11: Anders als bei Thomas von Aquin, der dem wirkenden Verstand
(intellectus agens) die Abstraktionsleistung zuweist54, ist es hier die
Phantasiekraft, die den Schritt von den Zeichen der Sinne zu den
Vorstellungszeichen ermöglicht. Die Kenntnis der Dinge in der Vorstellungskraft
wird durch diese zweite Zeichengeneration gebildet. Dass die
Weiterentwicklung der Zeichen dem vollkommenen Sinnenwesen
zugeschrieben wird, bedeutet, dass dieses Lebewesen selbst ein Vermögen zur
Vervollkommnung besitzt. Die Abstraktionsleistung ist im Rahmen der dem
Menschen nützlichen Kunstfertigkeit angesetzt, die eine Vervollkommnung des
Menschen bezweckt. Während die Vorstellungskraft auf den Gegenstand
bezogen ist, ohne Stoffliches von jenem zu enthalten, ist die Phantasiekraft ein
Vermögen, das die sinnlich wahrgenommenen Eindrücke als Zeichen des
Gegenstandes für die dem Menschen dienlichen Ziele und Zwecke weiter
verarbeitet55

10,11-15: Die Bestimmung der Zeichen ist mit der Sonderstellung des
Menschen verknüpft, der eben seinen Geist gebrauchen soll, um zu reinen
Formen zu gelangen. Der Mensch zeichnet sich durch diesen seinen suchenden
Geist aus, durch den er sich vom materiell Gegebenen und Sinnenhaften zu
lösen vermag. Das Gesuchte ist die Darstellung der einen seinsgebenden Form.
Die seinsgebende Form unterscheidet sich ihrerseits von der dem Seienden

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zukommenden Form. Ähnlich wird bei Thomas von Aquin eine Unterscheidung
von substantieller und akzidenteller Form gemacht: "...die substantielle Form
unterscheidet sich dadurch von der akzidentellen Form, dass letztere nicht das
Sein einfachhin gibt, sondern ein dazukommendes (accidens) Sosein (esse
tale)"56. Diese Form ist noch innerhalb des Seienden angesetzt, während im
Compendium die seinsgebende Form als abgelöste verstanden ist.

Das Zeichen wird hinsichtlich seines Abstandes zu den sinnenfälligen und den
geistigen Dingen bewertet, also in Bezug auf das endliche Seiende. Wenn nun
das gesuchte, gänzlich formhafte Zeichen zugleich als das den geistig
erkennbaren Dingen nächststehende bestimmt ist und jenes die seinsgebende
Form darstellen soll, wird damit der Orientierungspunkt für die Zeichensetzung
im Endlichen gegeben. Die Zeichensetzung als Tätigkeit des Intellekts erscheint
so in einem formalen Bezugssystem.

Kapitel 5: Erkenntniswert der Zeichen sinnenfälliger Gegenstände


Inhaltsangabe
Im Mittelpunkt stehen die Überlegungen zur Erkenntnisweise sinnenfälliger
Gegenstände. Der erste Abschnitt (n.11) thematisiert die sinnenfälligen
Zeichen, durch die der Gegenstand in die Erkenntnis gelangt. Von diesen
Zeichen wird ausgesagt, dass sie von zunächst unbestimmten zu
gattungsmässigen und schliesslich zu artmässigen Zeichen ausgeformt werden.
Das Fortschreiten vom Unbestimmten zum Bestimmten wird aufgezeigt am
Beispiel des Zeichens eines Wortes, das aus der Ferne zunächst als Zeichen
eines Lautes undeutlich zu hören ist, - dann aber mit dem Näherkommen der
Stimme als Zeichen eines artikulierten Lautes (vox). Die Ausformung eines
undeutlichen zum deutlichen Zeichen wird wiederum unter das Kriterium der
Vollkommenheit gestellt.

Ausgehend von der Sachlage, dass die Erkenntnis sinnenfälliger Gegenstände in


Zeichen erfolgt, die ein Mehr oder Weniger zulassen, wird die Notwendigkeit
von Zeichen der Quantität und der Qualität abgeleitet (n.12). Da von der
einzelnen Quantität kein Einzelzeichen gesetzt werden kann, wird das einzelne
Quantitative, so die Folgerung, durch das Zeichen der allgemeinen Quantität
gekennzeichnet und erkannt (n.13). Die natürlichen Zeichen hingegen werden
als Erkenntnisbilder der bezeichneten Einzelbilder erklärt (n.14). Die
Begründung ist, dass diese Erkenntnisbilder einformende Formen sind.

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Das Problem der Kenntnisnahme eines Dinges in Zeichen wird schliesslich
hinsichtlich der Möglichkeit einer Erkenntnis des individuellen Seienden
thematisiert. Das Einzelseiende kann.in seinem Einzelsein nur durch
unterschiedliche Kennzeichen und Erkenntnisbilder erfasst werden (n.15).

Kommentar
n.11: Die Eigenart der sinnenfälligen Zeichen
11,1-11: Die Bestimmungen "confusum" und "genericum", auf die Zeichen
angewandt, sind in ihrer Funktion als Zuordnung zu verstehen. Wie am Beispiel
vom Hören eines Tones deutlich wird, kann diese Zuordnung ohne aktives
Zutun des Wahrnehmungssubjekts erfolgen. Aus diesem Grund wird im Text
die Umwandlung vom Zeichen eines undeutlichen zum Zeichen eines
artikulierten Lautes mit dem blossen Werden (fit) angegeben. Da Voll-
kommenheit nun auch für die Zeichen sowie deren Einzelbestimmtheit geltend
gemacht wird, sind sie in ihrem Bezug zum Ganzen des Seins gesetzt.

11,11-21: Das Allgemeine wird in der Form sinnenfälliger, gattungs- und


artmässiger Zeichen ausgesagt. Die kategoriale Bestimmtheit der einzelnen
Zeichen hängt also mit dem menschlichen Erkenntnisvermögen zusammen. Auf
die Vollkommenheit und ihren Ganzheitsanspruch bezogen, bleibt auf der
Zeichenebene eine Beschränkung bestehen. Das Allgemeine wird in unmittel-
barer Hinsicht auf das sinnenfällige Ding gewonnen. Es ist ein reales
Allgemeines, das aber in Bezug auf den Richtpunkt der Vollkommenheit
defizient bleibt.

Das, wodurch das Einzelseiende dieses ist, ist das Sich-Gleich-Sein. Dieses Sich-
Gleich-Sein ist der Grund, weshalb ihm kein Zeichen zugeordnet werden kann.
Die Frage geht nicht nach einem Individuationsprinzip, das die Diesheit des
Einzelseienden konstituiert, sondern sie wird in Bezug auf die Erkennt-
nismöglichkeiten des Menschen gestellt. Das Akzidens wird in der Folge nicht
als Bezeichnung für die Individuation des Einzelseienden in Anspruch
genommen. Es ist jedoch als Voraussetzung für die Erkennbarkeit des Einzel-
seienden in Zeichen zu denken.

In De anima57 bezieht Aristoteles das akzidentell Wahrgenommene auf die


Sache selbst, während im Compendium die Wahrnehmungsmöglichkeiten auf
die Zeichen eingeschränkt werden.

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n.12: Die Zeichen und das Akzidens
Die Kategorie der Quantität ist in Zeichenform und als Bedingung der
Sinneserkenntnis gesetzt. Die räumliche Ausdehnung wird nicht dem Ding an
sich zugeschrieben, sondern sie ist qua Zeichen im Erkenntnissubjekt zu
lokalisieren.Da die Zeichen der Quantität nicht durch sich selbst, sondern nur
durch ein Akzidens im Sinnenfälligen sind, kann das Akzidens als ein vom
Erkenntnissubjekt Hinzugedachtes gesehen. werden. Diese Zeichen sind
demnach von keinem anderen abhängig und bestehen in sich. Ähnlich wie bei
Thomas von Aquin sind sie jedoch nicht als angeborene Erkenntnisformen
(species naturaliter inditae)58 zu betrachten, da sie in unmittelbarer Beziehung
zur jeweiligen Sinneswahrnehmung stehen. Bei Thomas von Aquin wird in
seinem Kommentar zu Boethius59 die Quantität auf die Materie selbst bezogen,
während sie nun bei Nikolaus von Kues in Zeichenform thematisch ist.

Die Frage der Erkennbarkeit durch das Akzidens wird auf das Seiende als
solches (res) bezogen und nicht auf die Substanz wie bei Aristoteles und bei
Thomas von Aquin60 Die Erkenntnisinhalte von Grösse und Vielheit sind als
Erkenntnisleistungen des Erkenntnissubjekts zu verstehen.

n.13: Die Zeichen und das Allgemeine


13, 1-11: Mit dem Term "substantia" in der Wendung "sive sit substantia aut
quantitas aut qualitas" - und nur einmal in dieser Weise im Compendium
gesetzt - wird auf die traditionelle Verbindung von Substanz und Akzidens
Bezug genommen. Die einzelne Substanz sowie die beiden Akzidentien der
Quantität und der Qualität sind als unveränderliche zu sehen, da sie weder
vermehrt noch vervielfältigt werden können. Diese Auffassung steht im
Gegensatz zur scholastischen Lehre von der Zusammensetzung der Körper aus
Materie und Form, die die Möglichkeit substantieller Veränderung anführt61.

Durch ein Allgemeines in der Form des Zeichens der allgemeinen Quantität
wird bezeichnet und erkannt, was die einzelne Quantität ist. Das bedeutet, dass
das Allgemeine keine individuelle Realität besitzt und umgekehrt, dass es nicht
aus den Einzeldingen gewonnen werden kann. Das Allgemeine wird hier,
insofern es im Erkennen, der Spezies und im Zeichen ist - in cognitione seu
specie et signo -, im Hinblick auf das reale Einzelding und die Singularität seiner
kategorialen Bestimmungen ausgesagt. Es ist also ein universale directum,
jedoch nicht real in den Dingen, sondern allein im Erkenntnissubjekt.

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13,11-14: Das Diesessein des einzelnen Akzidens (hoc parvum) wird begründet
und erkannt durch sein entsprechendes Allgemeines. Das, wodurch sich das
bestimmte Akzidens von jedem anderen unterscheiden lässt, wird vom
menschlichen Geist in der Form allgemeiner Erkenntnisbilder bereit gestellt. In
diesem Zusammenhang kann von einer Form von Konzeptualismus gesprochen
werden, da das in den Erkenntnisbildern und Zeichen begrifflich gefasste
Allgemeine nicht in der Seinsordnung des Seienden, sondern im menschlichen
Geist angesetzt ist.

n.14: Die Zeichen und die Form


14, 1-8: Die natürlichen Zeichen stehen gewissermassen als Erkennungszeichen
der bezeichneten Einzeldinge. In ihrer Funktion als einformende Formen haben
sie anderseits eine die Erkenntnis strukturierende Bedeutung. Anders als die
einfache Form, die dem Einzelseienden das Sein verleiht62, können die
einformenden Formen in vielen Seienden und auf verschiedene Weise wirksam
werden. Dennoch sind sie nicht als akzidentelle Formen anzusehen, die ein
dazukommendes So-Sein verleihen. Das Einzelseiende wird von der
einformenden Form informiert. Die Vielzahl der informierten Einzelseienden
besteht jedoch nicht aus abgelösten Einheiten, da das Einzelseiende von der
einen informierenden Form abhängt.

14, 9-20: Die Zahlen stellen einen Sonderfall dar, da sie letzte Bestimmtheiten
und eigentlich diese sind. Ihr Gemeinsames, das der unbestimmten Vielheit, ist
ein Gedankending, durch welches die einzelne Zahl erkannt wird. Dieses
Gemeinsame wird jedoch nicht in direktem Hinblick auf das Objekt gewonnen.
Es kann - mit Thomas von Aquin - als universale reflexivum bezeichnet werden,
da es sich auf eine Vielzahl von Einzeldingen bezieht, aber die bestimmte
Individuation ausschliesst. Am Beispiel der harmonierenden Stimmen, die
durch die Erkenntnisbilder der Harmonie und der Stimme erkannt werden, wird
deutlich, dass 'Harmonie' als Begriff im Geist den Erkenntnisprozess leitet.

n.15: Die Zeichen und das Einzelne


15,1-6: Das, wodurch das Einzelne erkannt wird, sind seine Zeichen und jene
fungieren zugleich als Mittel der Unterscheidung von Einzeldingen. Die Frage
nach der Individuation des Einzelseienden wird also vom Erkenntnisprinzip her
gestellt. Die Zeichen werden so zu Erkennungszeichen des Einzelnen als
Einzelnen. Das Einzelne ist immer schon als individuelles Seiendes - res

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singularis - gesehen, dessen Bestimmtheit sich in seiner Kenntnis (notitia)
manifestiert.63

15 ,6-13: Form und Stellung der Buchstaben begründen in ihrer Eigenschaft als
'Akzidentien' die Individualität des Gegenstandes, das heisst hier der Worte.
Insofern die Worte ihrerseits Bezeichnungen der Dinge sind, haben jene für ein
Erkenntnissubjekt Gültigkeit. Die beiden 'Akzidentien' ermöglichen also den
erkenntnismässigen Zugang mittels der Zeichen auf das Einzelseiende.

Kapitel 6: Sinnenfällige und vernunfthafte Zeichen


Inhaltsangabe
Der erste Abschnitt (n.16) hat die Angemessenheit des Erkenntnisvermögens
an die individuellen Bedürfnisse der Lebewesen zum Gegenstand. Diese
Bedürfnisse werden Als Unterscheidungsmerkmal innerhalb einer
Schöpfungsordnung gewertet, die in aufsteigender Linie vom Tier zum
Menschen als dem vernunftbegabten Sinnenwesen führt.

Die Reflexion setzt beim Maulwurf an, einem Lebewesen, das auch in örtlicher
Hinsicht an unterer Stelle zu finden ist. Die vorhandenen Möglichkeiten zur
Bedürfnisbefriedigung sind ausschlaggebend für die Notwendigkeit eines
bestimmten Sinnes. Die treibende Kraft ist jedoch in einem desiderium
naturale zu sehen, das auf das individuelle Wohlbefinden (bene esse)
ausgerichtet ist. Durch diese Kraft vermag das einzelne Lebewesen und das
einzelne Seiende das seiner Natur und seinen Bedürfnissen Entsprechende aus
dem Naturgegebenen zu schöpfen.

Die Vorrangstellung des Menschen gegenüber dem vernunftlosen Lebewesen


wird durch die dem Menschen eigene Fähigkeit begründet, das ihm
Begegnende in seiner Unterschiedenheit zu erfassen (n.17). Durch die
Verbindung zum Seinsganzen ist dem Menschen die Möglichkeit gegeben,
Einzelnes auf seinen Ort im Sein zu vervollständigen und 'Mangelhaftes' zu
beheben. Aber nicht nur zum Ausgleich von Mängeln in der Sinneswahr-
nehmung ist der Mensch befähigt, sondern ebenso, und das gerade auch im
Unterschied zum vernunftlosen Lebewesen, zum Ausgleich geistiger
Unzulänglichkeiten. Diese Fähigkeit ist in der Verstandeskraft (vis ratiocinativa)
angesetzt, in jenem Vermögen also, das den Menschen von den anderen
Lebewesen unterscheidet.

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Wie der Mensch mit seinen Erkenntnismöglichkeiten auf die Vervollkommnung
seines Seins in der Welt hin arbeiten und wie er Unvollkommenheiten beheben
kann, kommt in den vom Menschen geschaffenen mechanischen und freien
Künsten sowie den sittlichen Erkenntnissen zum Ausdruck (n. 18). Ein Beispiel
wie das der Brille, die dem defizienten Gesichtssinn hilft, soll illustrieren, wie
der Mensch im einzelnen durch die Erkenntnisbilder der Künste einen Ausgleich
für Mängel schaffen kann. In dieser Fähigkeit ist auch ein Kriterium gegeben,
den Menschen von den vernunftlosen Lebewesen zu unterscheiden, da letztere
die Mängel weder feststellen noch beheben können.

n.16: Die Erkenntnisweise im Blick auf die Bedürfnisse der Lebewesen


16, 1-7: In seinem Kommentar zu De anima beschreibt Thomas von Aquin
ebenfalls den Maulwurf, aber mit Augen unter der Haut und dass er kein
Sehvermögen benötige, da er unter dem Erdboden lebe.64 Die Notwendigkeit
eines bestimmten Sinnesvermögens ist damit in Beziehung gesetzt zu den
naturgegebenen Lebensbedingungen. Aristoteles hingegen wählt den
Maulwurf mit seinen Augen unter der Haut, um zu zeigen, dass alle gesunden,
nicht verkrüppelten Lebewesen, insbesondere auch die unterirdisch lebenden,
die fünf Sinne besitzen. - Nikolaus von Kues nun stellt seine Aussage in den
Zusammenhang von selektiver und angepasster Erkenntnisweise der
Lebewesen. Er gibt damit dem individuellen Lebensvollzug den Vorrang
gegenüber einer festen Seinsordnung (ordo). Das Sinnenfällige ist zwar
vorgegeben, aber es wird den Lebewesen die freie Wahl der Erkenntnisbilder
für das individuelle Wohlbefinden zugestanden.

Während im Kontext der Beschreibung des allgemeinen Lebensvollzugs für die


Lebewesen der Begriff "viventia" steht65, ist nun im Blick auf die
unterschiedliche Anzahl und die Verschiedenheit von Erkenntnisbildern, die die
einzelnen Lebewesen verwenden, der Ausdruck "animalia" gesetzt. Dieser
Begriff steht auch an den übrigen Stellen im Zusammenhang mit einer
selektiven, individuellen Lebensentfaltung.66

16, 11,16 und 17: - suae naturae conveniens - : ‚Natur‘ bezeichnet in dieser
Wendung die individuelle Verfasstheit. Sie kann vom Lebewesen, aber auch
vom einzelnen Seienden als die eigene wahrgenommen werden und zwar in
Bezug auf das dem Lebensvollzug je Zuträgliche. - Die Natur untersteht der

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Zweckbestimmung des individuellen Seienden, und das wird insbesondere für
denjenigen Menschen bedeutsam, der seine rationale Natur fördern will.

16,12: - vis phantastica - : Anders als etwa bei Thomas von Aquin, der von quasi
objektiven Phantasmata spricht, wird in der vis phantastica eine Kraft genannt,
die selbst die einzelnen Vorstellungen (imaginationes) hervorbringt und die als
individuelle Kraft des einzelnen Lebewesens gesehen ist. In der Schrift De
coniecturis ist die vis phantastica dem höchsten sinnlichen Teil des Menschen
zugeordnet. Sie kann Abbilder der Sinnendinge (similitudines aut imagines
sensibilium) schaffen,67 bleibt aber auf die Sinnenwelt bezogen. Demgegenüber
ist im Compendium der Vorstellungskraft ein breiteres Aktionsfeld
zugesprochen. Sie kann sich auch auf Vorstellungen beziehen, die nicht
ausschliesslich dem sinnlichen Bereich angehören und - wie die Beurteilung von
Freundschaft und Feindschaft - bereits zur reinen Gedankenwelt gehören. Wie
auch bei Albertus Magnus68 ist sie als ein auf das Praktische gerichtetes
Vermögen gesehen. Sie arbeitet jedoch nicht allein in Extension einer höheren
Kraft, sondern sie ist ein selbsttätiges Vermögen.

16,15-23: Die Betonung der rationalen Natur des Menschen ist wieder im Sinne
der Erkenntnisauffassung im Compendium zu verstehen, die eben dem
Menschen, der seinen Geist gebraucht, eine höhere Stellung in der Schöpfung
zumisst. Wenn der Mensch seiner rationalen Natur entsprechende Zeichen aus
den Sinnendingen schöpft, arbeitet er damit auf die Verwirklichung seines
Wesens hin. Indem er die Erkenntnisbilder nicht nur zur leiblichen, sondern
auch zur geistigen Nahrung benützt, hebt er sich von den übrigen Lebewesen
ab, die allein auf ihr leibliches Wohl bedacht sind.69

Für den menschlichen Lebensvollzug gilt die Einheit von Leben und Erkennen,
die jedoch nur gewährleistet ist bei Menschen mit wachem Verstand (ratione
vigenti). Das lateinische "vigere" bedeutet 'sich regen', 'lebenskräftig sein', 'in
Blüte stehen', 'fleissig üben'. In diesem Tätigkeitsbereich soll sich der
menschliche Verstand bewegen. In dieser Eigenschaft repräsentiert er auch die
Dynamik in der Auffassung der menschlichen Erkenntnisweise, wie sie im
Compendium vertreten wird.70

Die zehn Kategorien und die Universalien sind in der Schrift De ludo globi der
Logik zugeordnet.71 Im Compendium nun sollen sie vom wachen Verstand des

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Menschen als geistige Nahrung und in Wechselwirkung mit den menschlichen
Bedürfnissen gesucht werden.

n.17: Die Sinneserkenntnis und der Bezug zur Verstandestätigkeit


17, 1-10: Der Gesichtssinn ist als Teil des selbsttätigen Erkenntnisvermögens
bestimmt. Er schöpft die für seine Erkenntnistätigkeit notwendigen
Erkenntnisbilder aus eigenem Antrieb und er vermag die Qualitäten des
Einzelseienden zu erfassen. Die Erkenntnisleistung erfolgt vom einzelnen
Subjekt aus, jedoch ist, wenn allgemeine Begriffe wie die der Grösse, der
Bewegung und der Ruhe als Erkenntnisbilder wahrgenommen werden, ein
überindividuelles Allgemeines mitgedacht. Das Überindividuelle ist, im
Unterschied zum sinnlich Wahrgenommenen, ein Gedachtes, Rationales. Was
durch den individuellen Sinn wahrgenommen wird, ist also in der Form des
Erkenntnisbildes zugleich im Allgemeinen mitverstanden.

Zu den bei Aristoteles genannten sensiblia communia72 werden im


Compendium noch die Erkenntnisbilder der Länge, der Breite und des Ortes
beigefügt. Diese drei Bestimmungen sind nicht dem Seienden als solchem
zuzuordnen, sondern dem sinnlichen Erkenntnisvermögen des Menschen.

17,10-20: Dem mit Verstandeskraft begabten Menschen wird die Fähigkeit


zugesprochen, durch die von ihm geschaffenen Künste ein Hilfsmittel zur
Behebung seiner körperlichen und geistigen Mängel zu schaffen. Das sinnlich
Gegebene wird nicht passiv wahrgenommen, sondern in Beziehung gesetzt zu
einem für den Menschen sinnvollen Ganzen. Die Kunst, als das Sichverstehen
auf den geübten Umgang mit dem Gegebenen, gleicht das aus, was in der
Natur mangelhaft ist.

Die Erkenntnismöglichkeiten des Menschen werden auf einen im Verstand


bereitliegenden Fundus von verwandten Erkenntnisbildern zurückgeführt.
Hier stellt sich die Frage nach angeborenen Erkenntnisformen (species
naturaliter inditae)73 Erkenntnisinhalte also, die nicht von aussen kommen wie
etwa die Erkenntnisbilder der sinnlichen Gegenstände. Durch diese
Erkenntnisbilder sollen sowohl theoretische als auch praktische und sittliche
Topoi erfasst werden können. Es geht somit um das volle Menschsein, das
Werden zum ganzen Menschen durch die bewusste Wahl und den sittlichen
Willen zum Guten. Der Mensch wird durch diese Wahl zur Einheit von Wissen,
Wollen und Sein. Das sittlich Gute ist in der Form der vier Kardinaltugenden

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dargestellt, jedoch sind diese durch die Tugend selbst (virtus) erweitert,
während die Temperantia durch die Castitas ersetzt ist. (Gerade die Tugend
erlangt dann in der Renaissance eine hohe Bedeutung.) Nicht aufgeführt
werden hingegen die christlichen Kardinaltugenden Glaube, Liebe, Hoffnung.

n.18: Ausgleich von Mängeln durch die Vernunfttätigkeit


8,1-10: Dank seiner Geisteskraft vermag der Mensch Hilfsmittel für seine
Zwecke und Bedürfnisse zu schaffen. Er nützt so den Freiraum, den ihm die
Natur gewährt. Neue Kunstformen wie die Kunst der Perspektive stehen für
den Erfindungsgeist des Menschen, der sich so seine Welt von seinem
Standpunkt aus und auf seine Bedürfnisse hin schafft. Das menschliche
Erkennen und Handeln ist als Entwicklung der Ars humana verstanden und jene
wiederum im Rückblick auf die Ars divina, die ursprüngliche Schöpfungskraft.
Dazu das Beispiel aus dem Alltag: Durch die Kochkunst wird das Rohe des
Naturgegebenen dem menschlichen Geschmack angepasst (18,6). Das
Natürliche ist in diesem Kontext nicht das nur Gute und ein für immer
Geschaffenes, sondern es wird vom Menschen für seine Zwecke bearbeitet.
Der Richtpunkt für die Bearbeitung ist das menschliche Geschmacksvermögen.
Das Aptum, das im allgemeinen für stilistische, rationale Bereiche in Anspruch
genommen wird, erfährt hiermit eine Bedeutungserweiterung auf die leiblichen
Bedürfnisse des Menschen hin.

18,10-16: Wie sich das Verhalten zur Welt beim gebildeten und beim
ungebildeten Menschen manifestieren kann, wird gezeigt am Beispiel des
Umgangs mit dem Alphabet. Der Ungebildete nimmt jenes wahr, aber infolge
seines Mangels an Kunstwissen weiss er es nicht zu gestalten. Der Gebildete
hingegen gebraucht seine Vernunft und stellt aus dem vielfältig Gegebenen
geordnete Sinneinheiten wie Silben und aus Silben Wörter zusammen. Die
Weise des Zusammenstellens, als Kombination ausgelegt, erfordert den Blick
auf das Ganze des Woraufhin, wobei die Ausrichtung durch die Beherrschung
der Künste gewährleistet ist. Werden die Künste nun im Zusammenhang mit
den Artes liberales gesehen, geht mit deren Beherrschung ein Erfassen der
Seinsordnung ineins, da jene die Gesetzmässigkeiten des Seins abbilden.

18,13: - ex varia illarum combinatione syllabas ….componit - Entscheidend ist


der Gedanke des sich in Bewegung und Übung zu haltenden Geistes, denn nur
jener ist in der Lage, sinnvolle Kombinationen aus den Buchstaben des

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Alphabets zu bilden. Der Term "combinatio", schon bei Raimundus Lullus in
seiner "Ars generalis" von zentraler Bedeutung, ist ein Schlüsselbegriff. In De
coniecturis steht der Ausdruck im Zusammenhang mit der Zahlenlehre74 Die
Tätigkeit des Kombinierens ist als rationale verstanden. Im Durchlaufen der
einzelnen Zahlen kann die Ratio diese erfassen und zu einem harmonischen
Ganzen verbinden: "In his igitur numeris 1.2.3.4 atque eorum combinationibus
omnis exstat harmonia. Causa igitur omnis harmoniae ex necessitate rationalis
progressionis exsurgit".75 Im Compendium wird das Kombinieren dem
Kunstverstehen zugeordnet. Das setzt einerseits ein verständiges und geübtes
Können voraus und anderseits, im Rahmen der individuellen Geisteskräfte,
auch einen gewissen Spielraum in der Anwendung dieses Könnens, ist doch
etwa in der Kombination von Wörtern zu Sätzen ein Mass an Freiheit gegeben.

18, 16-20: Der Mensch, der sich mit seiner Geisteskraft aus den natürlichen
Erkenntnisbildern die geistigen schafft, transformiert das Naturgegebene in das
Formhafte und Geistige. Er wird dadurch zum Schöpfer reiner Formen. Diese
Formen sind zu unterscheiden von den natürlichen und von selbst
entstandenen Dingen, aber sie sind dennoch aus jenen (ex illis) durch den Geist
geschaffen. Es handelt sich also um einen Vorgang der Abstraktion als Ablösen
des formalen Anteils aus dem sinnlich Gegebenen. Die so gewonnene Form
dient dem Menschen für seinen Umgang mit dem Gegebenen im Schaffen und
im Erkennen.76

Im Unterschied zu Avicenna, der ein allgemeines Vermögen (potentia) zwischen


der Urteilskraft und dem Vorstellungsvermögen annimmt,76 setzt Nikolaus von
Kues an diese Stelle nun die Vernunft. Durch sie kann der Mensch selbsttätig
Erkenntnisbilder schaffen. Bei Avicenna hingegen erscheint diese Tätigkeit als
unpersönliches Wirken.

Der Mensch wird zum Menschen im eigentlichen Sinne durch sein Wissen,
seine technischen Fähigkeiten und sein sittliches Verhalten. Gerade darin ist
auch ein Unterschied vom belehrten zum unbelehrten Menschen zu sehen, ein
Unterschied, der auf die gleiche Stufe gestellt wird wie der Unterschied, von
Mensch und Tier. Belehrt und Gebildetsein heisst, dem in der Welt sich
Zeigenden und Begegnenden seinen Sinn und Ort zumessen und sein Sein in
der Welt gestalten können.

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Kapitel 7: Lautwort und geistiges Wort als Offenbarung des
Geistes
Inhaltsangabe
Als Ziel der menschlichen Geistestätigkeit ist das Erkennen eines dem Seienden
zugrunde liegenden Prinzips genannt (n.19). Durch vielfältiges Kombinieren in
schöpferischer Tätigkeit ist dem Menschen die Möglichkeit gegeben, ein viele
Künste umfassendes Erkenntnisbild hervorzubringen. Dieses Erkenntnisbild
liegt im Geist bereit, aber nicht in der definiten Form, da es vom Menschen aus
dem Gegebenen herausgelöst werden soll. Eine individuelle Erkenntnisleistung
ist erforderlich, einmal hinsichtlich des Herauslösens und dann in Bezug auf ein
Ganzes, da dieses Erkenntnisbild auf alles Wissbare bezogen werden soll.

Das Verbum ist als Ursprung des Seienden gesetzt, das sich selbst und alles
andere sinnenfällig machen muss. Es wird also auf das Sinnenfällige hin gedacht
und nicht von jenem her. Durch seine seinsgebende Kraft erstreckt sich das
Wort auf alle Seinsbereiche und deckt alles Wissbare ab. Dabei stellt sich die
Frage nach dem Ansatz in der Welt des Geschaffenen. Er wird beim sinnlich
Erkennbaren, beim stimmlichen Wort gemacht, das als Paradigma für das
sinnenfällig Gewordene steht. Es kann demjenigen, der sich ein Bild machen
will, den Weg des Entstehens von Seiendem aufzeigen.

Ausgehend von der Feststellung, dass der sinnenfällige Ton nicht ohne Luft
entstehen kann (n.20), wird die Frage nach dem natürlichen Verbundensein
von Luft und Ton und allgemein von Hyle und Form gestellt. Dieses
Verbundensein wird verneint und ebenso, dass die Hyle Prinzip der Form sei,
eine Möglichkeit also, die sich am Beispiel des Tones aus der
Sinneswahrnehmung ergeben hätte. Hingegen wird nun, da die Hyle nicht
Prinzip ist, die Form beziehungsweise der Formgeber als aktives Seinsprinzip
bestimmt.

Der Mensch, als Former des stimmlichen Wortes, formt dieses, im Unterschied
zum vernunftlosen Tier, mit seinem Geist. Das vom Menschen als Formgeber
gesprochene Wort wird schliesslich auf das ursprüngliche Wort zurückbezogen
und als dessen sinnlich wahrnehmbare Gestalt bezeichnet. Obwohl mit dem
gesprochenen Wort ein Faktum in die Welt gesetzt ist, bleibt die Rückbindung
an den Grund des Sprechenkönnens erhalten, da alles Aussprechbare dem
ursprünglichen Wort zugehörig ist.

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Das allumfassende Formprinzip wird als Erkennen des Formgebers in dem von
ihm gezeugten Wort angesetzt(n.21). Die Schöpfung ist in der Folge vom Wort
her und als Zeichen des unerschaffenen Wortes zu verstehen. Das Ergebnis ist,
dass auch der Formgeber selbst sich nur in Zeichen offenbaren kann.

Kommentar
n19: Zum Verhältnis von Species und Wort in Bezug auf das Seiende
19,3: - elicere-77: Das Verbum „elicere" hat die Bedeutung von 'Herauslocken',
'Herausbringen', 'Herausholen'. Was herausgeholt werden muss, fällt dem
Menschen nicht ohne Anstrengung zu. In der Wendung "speciem aliquam
eliciat ex varia combinatione" wird das Herausholen durch eine reflektierende,
schöpferische Geistestätigkeit geleistet. Der Ausdruck beinhaltet ein weiteres
Aktionsfeld als etwa das "haurire", das zwar auch im Zusammenhang mit dem
Herausholen von Erkenntnisbildern verwendet wird, dann aber das unmittel-
bare, einfache Herausbringen meint78 In De docta ignorantia II79 wird das
Verbum "elicere" eingesetzt für das Ableiten und Gewinnen von Erkenntnissen
aus einem Prinzip oder einer Grunderkenntnis: "Ex quo principio possent de
ipso tot negativae veritates elici, quot scribi aut legi possent" und "Sit igitur
nostra speculatio, quam ex isto, quod infinita curvitas est infinita rectitudo,
elicimus, transumptive in maximo de simplicissima et infinitissima eius
essentia, quomodo ipsa est omnium essentiarum simplicissima essentia;...". In
De coniecturis steht das Verb wiederum im Kontext des Erkenntnisprozesses.80
Es soll beim Erkannten angesetzt und von da her weiter gedacht werden, wobei
das Weiterdenken aus den Möglichkeiten des eigenen Geistes zu erfolgen
hat:"Quapropter has ipsas, quas hic subinfero, ad inventiones ex possibilitate
ingenioli mei non parva meditatione elicitas meas accipito coniecturas,..." Im
Compendium kann nun eine Bedeutungserweiterung im Sinne einer freieren
Einstellung gegenüber dem Gegenstand des Erkennens festgestellt werden. Das
Erkenntnisbild (species) wird nun vom Menschen durch ein 'freies' Kombinieren
gewonnen.81

19, 5-17: Durch das gleichzeitige Verstehen und Begreifen einer Vielfalt von
Gegenständen und Kunstformen durch ein Erkenntnisbild werden die einzelnen
Erkenntnisse in einen Sinnzusammenhang gestellt und in ihrer allgemeinen
Bedeutsamkeit gesehen. Wenn nun die Vielfalt der Naturdinge durch das eine
Erkenntnisbild der Bewegung erfasst werden soll, ist die Frage nach dem quo

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esse gestellt. Das eine Erkenntnisbild ist also Erkenntnismittel für das quod est
und das quo esse zugleich.

Der Ausdruck "ars generalis" schliesst an Raimundus Lullus an, dessen Werk
"Ars generalis magna" Nikolaus von Kues gekannt hat82. In diesem Werk wird
versucht, durch eine Universalwissenschaft aus einzelnen Grundbegriffen die
Einzelwissenschaften zu entfalten und so ein Modell zu gewinnen, um vom
Allgemeingültigen zu gesicherten Einzelergebnissen zu kommen. Im
Compendium nun soll ein allumfassendes Erkenntnisbild, in aufsteigender Linie
von den einzelnen Erkenntnisbildern zu demjenigen der grösstmöglichen
Allgemeinheit, den Wesenskern der einzelnen Erkenntnisbilder treffen. Das
gesuchte Erkenntnisbild einer allgemeinen Kunst, die sich auf alles Wissbare
erstreckt, hat als oberste Ordnungseinheit gegenüber der Vielfalt des
Gegebenen eine die Erkenntnis strukturierende Bedeutung. Der höchst-
mögliche Grad des Erkennens wird also im höchststehenden Erkenntnissubjekt
verwirklicht und dieses qualifiziert sich als solches, indem es mit einem einzigen
und allumfassenden Erkenntnisbild das zu Erkennende erfasst.

19, 17-28 - Est enim verbum, "sine" quo"nihil factum est" aut fieri potest - : Im
Vergleich mit der Stelle aus dem Johannes Evangelium "sine ipso factum est
nihil quod factum est"83 fällt auf, dass im Compendium eine unmittelbare
Beziehung zwischen dem wirkenden Wort und dem Geschaffenen gesetzt ist.
Dieser Zusammenhang wird noch deutlicher in der Formulierung "creantis
creatio et quod creat verbum est": das Wirken des Wortes ist das reine
Erschaffen aus sich selbst, ohne ein vorausgesetztes Seiendes. Indem das Wort
allgemein als Bewirken des zu Bewirkenden und das Bewirkte selbst ist, ist
nicht nur der universale Geltungsbereich angesprochen, sondern als Faktum
zugleich das tatsächlich Gemachte, das als solches nicht mehr hinterfragt
werden kann.84

(Im Unterschied zu der in den Anmerkungen zitierten Stelle aus De possest:


"Das Wort Gottes ist das Begreifen seiner selbst und des Universums"85 zielt die
Aussage im Compendium auf die Schöpfungskraft Gottes.)

19, 32-36: Als erste Bedingung für das Werden-Können eines sinnlich
wahrnehmbaren Wortes steht die Luft, ein Seinsprinzip also, das selbst sinnlich
nicht wahrnehmbar ist. Wenn die Luft als farbige und damit durch ein Akzidens
gesehen wird, heisst das, dass sie mit dem Hinzutretenden verbunden ist und

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dass sie auf diese Weise in der Sinneserfahrung erfasst werden kann. Dieser
Sachverhalt soll am Beispiel des Sonnenstrahls einsichtig werden: der durch das
farbige Glas eindringende Strahl kann als farbige Luft sinnlich wahrgenommen
und die Luft als das Zugrundeliegende zur Farbe hinzugesehen werden.

Das Verb "experiri" in der Wendun: "uti experimur" wird im Compendium nur
zweimal verwendet 86 und beide Male im Zusammenhang mit der
Wahrnehmung und der Erfahrung von Licht. Mit 'Erfahrung' wird in diesem
Kontext das unmittelbare Erfassen von Naturgegebenem bezeichnet, insofern
es für den Menschen Bedeutung erlangt. Häufig eingesetzt ist das Verb in De
coniecturis. Es hat dort die Bedeutung des Erfassens von Gegebenem mit Hilfe
des Denkvermögens.87 Ein Beispiel: "Quemadmodum vero sensus in unitate
rationis suam alteritatem experitur et assertiones sensibiles ab unitate
praecisionis absolvendo coniecturas facit,..."88

19, 42-49: Das Begründungsverhältnis von Vorauszusetzendem und Gesetztem


soll rational eingesehen werden. Jedoch ist nicht das Verstandesmässige zur
Sinneserfahrung hinzuzudenken, sondern es soll von der Sinneserfahrung aus
nach dem Ähnlichkeitsprinzip auf das Verstandesmässige geschlossen werden.

Das Verb "carere" impliziert, dass das Zugrundeliegende von einem Ganzen her
zu denken ist. Das Fehlende ist die sinnenfällige oder intelligible Form. Da das
Formlose keinen Namen hat, kann es nicht innerhalb eines
Erkenntniszusammenhanges identifiziert werden. Wenn es anderseits doch als
Hyle, Materie oder Chaos benannt wird, ist diese Namensgebung auf ein
geformtes Ganzes hin gesehen. Der Formanteil ist also bei der Namensgebung
im Erkennenden selbst angesetzt.

n.20: Die Formfrage und das Wort


20, 7-15: Der Mensch, als Formgeber, ist aktives Seinsprinzip für das stimmliche
Wort. Da er das Wort durch seinen Geist formt, kann das stimmliche Wort als
ein Ausdruck seines Geistes betrachtet werden. Durch das Begreifen seiner
selbst ist der Geist als denkender Grund ausgewiesen. Er ist im Erkennen seiner
selbst (sui ipsius cognitio) ein Erkennen, das aus sich selbst erkennt. Jedoch
bleibt dieses Erkennen nicht in sich geschlossen, da es in ein geschaffenes Wort
mündet. Das verbum vocale, als Darstellung des ursprünglichen Wortes
bestimmt, eröffnet dem Menschen die Möglichkeit, die Beziehung von
Geistigem und Materiellem im sinnlich Gegebenen zu erfassen. Das

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ursprüngliche Wort jedoch soll als massgebende Einheit im Modus des
Verbums einsichtig werden. Mit dem Geist als Formgeber des Wortes ist ein
geistiges Durchdrungensein alles Aussprechbaren impliziert. Die Welt des
Aussprechbaren und des Ausgesprochenen ist deshalb von ihrem geistigen
Prinzip her zu verstehen.

Im Compendium wird die Tonerzeugung mit der Natur der Luft (natura aeris) in
Verbindung gebracht, während in De anima die Frage nach der Notwendigkeit
von Luft und Wasser für den Schall gestellt ist: "Für den Ton ist jedoch nicht
entscheidend die Luft oder das Wasser, sondern es muss ein Anschlagen fester
Körper gegeneinander und gegen die Luft geschehen.“89

n.21: Das Formprinzip


21,1-7: Der Formgeber aller Dinge soll als absolut Erstes, als erste Ursache
betrachtet werden. Sein Wirken ist Erschaffen des Ganzen des Seins. Im
Formgeber ist nicht eine unpersönliche Form gesehen, sondern er ist ein im
Denken Vorausgesetztes und wird im Geschaffenen erst wirklich. Wie der Geist
das Wort zu seiner Offenbarung formt, so der Former die Geschöpfe zur
Offenbarung seiner selbst.

Das vom Formgeber gezeugte Wort kann als substantielle Veränderung


innerhalb des Formgebers verstanden werden, da das Wort nicht eigentlich ein
Anderes, Abgelöstes ist. Sich-im-Verbum-Aussprechen und zugleich Sich-darin-
Denken heisst sein Sein im Geschaffenen erkennen. Anderseits ist das
Geschaffene als Zeichen des unerschaffenen Wortes von jenem unterschieden.
Die Welt ist durch das Wort des Formgebers erschaffen, aber sie ist das
Endliche, während der Formgeber dieser Welt gegenüber das ganz Andere
bleibt. 'Endlich sein' heisst, an das Wort des Schöpfers und ursprünglichen
Formgebers gebunden sein, ohne das nichts ist. Wie beim gesprochenen Wort,
das nicht existieren kann, wenn es nicht ausgesprochen wird, so ist auch die
Schöpfung vom Formgeber abhängig. Da sie im Sein gehalten bleibt, kann sie
als creatio continua verstanden werden. Das vom Schöpfer Gesetzte und von
ihm Unterschiedene ist allein durch dessen anhaltendes Wirken im
Geschaffenen und durch das Geschaffene. Mit dem Dasein der Geschöpfe ist
schliesslich deren wirkliches Vorhandensein angesprochen.

21,11: - interni verbi - : Das innere Wort, unterschieden vom äusseren,


stimmlichen Wort, ist Denken, das nicht an das Aussprechen gebunden ist. Das

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innere Wort kann in den Geschöpfen eine körperliche Gestalt annehmen,
wobei die Geschöpfe ihrerseits auf das innere Wort zurückverweisen. Auch
Augustinus sieht im Geschaffenen die Wirkkraft des inneren Wortes: "In verbo
tuo fecisti ea“90 In den Dingen liegt eine "Evidenz", so Augustinus, die das
Denken auf den Ursprung führt: "Ecce sunt caelum et terra, clamant, quod
facta sind... Et vox dicentium est ipsa evidentia.“91

Die beiden Ausdrücke "inneres" und "äusseres“ beziehungsweise "stimmliches“


Wort sind auch bei Thomas von Aquin in der Weise thematisch, dass das
stimmliche Wort als Bezeichnung des inneren Wortes (verbum cordis) genannt
ist: "Quam quidem conceptionem vox significat, et dicitur verbum cordis,
significatum verbo vocis".92

Kapitel 8: Der vernunfthaft Erkennende als Kosmograph


Inhaltsangabe
Im Mittelpunkt steht der Kosmograph, dem als vollkommenen Sinnenwesen
sowohl die Sinne als auch die Vernunft zuzuschreiben sind. Im Gleichnis vom
Kosmographen wird aufgezeigt, wie in einem vollkommenen Wesen das
Zusammenspiel von Sinnlichkeit und Vernunft zu denken ist (n.22). Der
Kosmograph zeichnet die Welt als geordnetes Ganzes auf, wobei als
Vergleichsgegenstand eine Stadt beziehungsweise ein Staat mit fünf Toren
dient. Die Vermittlung der Aussenwelt an den Kosmographen soll durch Boten
aus der ganzen Welt erfolgen, die - wie in einer mittelalterlichen Stadt - durch
Tore eintreten. Als diese Tore sind die fünf Sinne genannt. Während bei den
Stadttoren keine Auswahl der Eintretenden getroffen wird, lassen die fünf
Sinne die Aussenwelt gemäss ihrer Verfasstheit eintreten.

Wenn der Kosmograph nun alles ihm durch die Sinne Zugetragene aufzeichnet,
dann in diesem ersten Schritt so, wie es ihm zugetragen wird. Die Botschaften,
in der Stadt versammelt und als Beschreibung der sinnenfälligen Welt
aufgezeichnet, sind als Bilder ihrer selbst zu denken, die mit den Mitteln des
Kosmographen festgehalten werden.

Im Ausgang von der Welt des Sinnenfälligen, so wie sie aufgezeichnet ist, soll
nun der Übertrag auf eine Karte erfolgen (n.23). Dieser Übertrag erfordert eine
aktive Geistestätigkeit im Ordnen der Daten und deren proportionalem
Zuschneiden auf das Mass der Karte. Der menschliche Geist kann den formalen

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Anteil aus den Sinnesdaten herauslösen. Das in der Wahrnehmung nur sinnlich
Erfasste wird durch die Geistestätigkeit in geistiger, vom Sinnlichen
abstrahierender Weise kenntlich gemacht.

Vom Kosmographen wird schliesslich berichtet, dass er die Eingangstore für die
Sinneseindrücke schliesst und sich dieser anderen, vom Geist geformten Welt
zuwendet. Die Welt, wie sie dem Kosmographen durch die Sinne zugetragen
wird, bleibt also erhalten, aber in der auf das Mass der Karte zugeschnittenen
Form.

Während die bisherigen Wahrnehmungen mit dem äusseren Sinn gemacht


wurden, soll der Kosmograph nun seinen inneren Blick auf den Schöpfer der
Welt lenken. In der Reflexion auf das Verhältnis der vom Kosmographen
aufgezeichneten zur wahren Welt ist jenem die Möglichkeit gegeben, in sich
selbst als dem Kartenzeichner den Schöpfer der Welt zu schauen. Von diesem
Schauen, das als ein Schauen im Spiegelbild zu verstehen ist, wird die zentrale
Aussage gemacht, dass es die Wahrheit im Bild und das Bezeichnete in
Zeichenform erfasst.

Das an sich Unfassbare wird schliesslich als Form des Seins bezeichnet (n.24).
Die Form ist eine sich durchhaltende, die aber vom einzelnen Seienden aus
nicht erkannt werden kann. Hingegen wird dem betrachtenden Menschen in
der Reflexion auf seine Erkenntnisweise das Vermögen zugesprochen, zum
Ursprung und Ziel von allem vorzustossen.

Kommentar

n. 22: Das Bild vom Kosmographen


22, 1-10: Der Kosmograph93 der den ganzen Kosmos aufzeichnet, setzt sich in
ein reflexives Verhältnis zur Schöpfung. Das ihm durch die Sinne Zugetragene
bringt er auf ein menschliches Mass und umgekehrt misst er die Welt nach
seinem Massstab. Doch ist er nicht sich selbst verpflichtet, sondern der
Schöpfung im ganzen und dem Schöpfer, von dem diese Welt abhängt. Indem
er die Welt aufzeichnet, erkennt der Kosmograph auch seine Stellung in der
Weltwirklichkeit im Ganzen. Er ist ein Seienden unter Seienden, aber er
unterscheidet sich, indem er sich zur Welt in einer denkenden und
bestimmenden Weise verhält.

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Wenn die Boten vom Aufbau der Welt in einer bestimmten Ordnung zu
berichten wissen, kann auch ihnen ein Mass an Geisteskraft zugeschrieben
werden, da sie eben diese Ordnung aus dem Geschaffenen herauszulesen
vermögen. Diese Ordnung, die das Sehen an die erste Stelle setzt, entspricht
derjenigen in De anima von Aristoteles94 Als Rangordnung wird sie in der Schrift
De mente begründet: "Sicut oculis alciores sunt auribus, sic spiritus, quiad
oculos dirigitur, alcior est et superior..."95 Dass die Augen höher eingestuft
werden als die Ohren, ist nicht selbstverständlich, da noch im ganzen
Mittelalter das Hören, insbesondere das Hören auf Gottes Wort, höher
bewertet wurde als das Sehen.96

22, 10-19: Der Kosmograph, der da sitzt und alles ihm Zugetragene aufschreibt,
empfängt die Sinnesdaten passiv. Er filtriert nicht, sondern er zeichnet nur auf.
Dadurch wir die Aufzeichnung der gesamten sinnenfälligen Welt möglich.97
Diese ist, wenn der Kosmograph sie festgehalten hat, ein naturgetreues Abbild
der sinnlich fassbaren Aussenwelt. So gesehen, gibt es zwischen den
Sinnesdaten und deren Aufzeichnung keinen qualitativen Sprung. Hingegen ist
die Vollständigkeit der Aufzeichnung der Welt selbst abhängig von den
zugänglichen Sinnesdaten.98 Die Sinnesdaten werden von aussen zugetragen.
Wenn er infolge eines Ausfalls eines der Boten der Kosmograph keine
Aufzeichnung vom Sinnenfälligen machen kann, ist damit impliziert, dass er
auch keine entsprechenden Vorbilder in sich trägt, auf die er mangels aktueller
Übermittlung zurückgreifen könnte. Es kann hier, in Bezug auf das durch die
Sinne vermittelte Wissen, von einem tabula-rasa-Modell gesprochen werden.99

22,17: - et maiori parte pulchritudine mundi - : Die Schönheiten dieser Welt


sind durch das Sichtbare bestimmt in der doppelten Bedeutung von sichtbar für
den Menschen und als Sichtbares gegenüber dem nur Hörbaren. Die
Rangordnung in den Sinneswahrnehmungen gilt auch für die Schönheiten
dieser Welt. Schönheit ist an dieser Stelle eingeschränkt auf das sinnlich
Wahrgenommene, während in der mittelalterlichen Denkweise die Schönheit
als transzendentale Seinsweise des Seienden gilt.

22, 20-22: Der Grad von Wahrheit in der Aufzeichnung der Sinnesdaten steht in
Korrelation zu einem kontinuierlichen und immer wieder Neues bringenden
Nachrichtenfluss. Seiendes ist nicht thematisch in der Weise, wie es sich an sich
selbst verhält, sondern wie es zugetragen wird. Form und Umfang des

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Nachrichtenflusses bilden die materiale Grundlage für die Beschreibung der
Welt, deren Wahrheitsgehalt durch die anschauliche und inhaltliche Gegenwart
des Sinnenfälligen gegeben ist.

n.23: Der Kosmograph und der Schöpfer der Welt


23, 2-3: - in mappam redigit bene ordinatam et proportionabiliter mens - :
'Redigere' heisst "zurücktreiben", "zurechtschneiden" - also, auf ein
bestimmtes Mass (zurück-)bringen. Das Mass ist dem Kosmographen durch die
Karte vorgegeben, auf deren Massgabe die Gesamtaufnahme zugeschnitten
werden soll, und anderseits durch die Ordnungstätigkeit des Kosmographen
selbst. Diese Ordnungstätigkeit wird vollzogen an den aufgezeichneten
Sinnesdaten. Der Kosmograph hat also ein vorgängiges Wissen von der
Ordnung selbst, auf die die Daten eingepasst werden sollen. Diese Ordnung
findet sich im Kosmographen, aber auch in der Natur, insofern er sie eben
proportional abbilden soll.

23, 5-12: Der Schöpfer ist ausdrücklich hinsichtlich der Welt und den Menschen
gedacht. 'Schöpfersein' bedeutet das Wollen des Entstehens von Seiendem.
Der Mensch, als dieses Gewollte, wendet sich nun in einem intentionalen Akt
auf den Schöpfer zurück. Dem vom Schöpfer insgesamt Gewollten läuft also ein
individueller Akt des Wollens entgegen.

Vom Ursprung her gesehen, dessen Wirken Erschaffen ist und der das Ganze
des Seins bewirkt, tritt mit der Doppelbestimmung "Werkmeister und Ursache"
(artifex et causa) das endliche Seiende in den Blick. Der Werkmeister kann als
causa efficiens principalis gesehen werden. Er bezieht sich auf etwas, das schon
Sein hat und gestaltet werden kann. Die causa hingegen ist die schlechthinige
Erstursache alles Seienden. In der Bestimmung. des Werkmeisters und
Ursacheseins von allem wird das Grundsein des Schöpfers in doppelter Hinsicht
eingeholt, einmal vom Standpunkt des ursprünglichen, persönlichen
Erschaffers aus, der die Welt lenkt und im Sein hält, und dann als Ursache eines
Verursachten, die notwendig dem Seienden vorangehend zu denken ist und die
jenes hervorbringt.

23, 7-12: In einer sich mehrfach spiegelnden Proportion wird das Verhältnis von
Schöpfer und Welt sowie von Kosmograph und Karte zum Ausdruck gebracht
und in seinem Wahrheitsgehalt bestimmt. Das Sich-Verhalten des Schöpfers zur
Welt ist vorgängig und eine Bestimmung innerhalb der Proportion selbst. Das

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heisst, dass der Schöpfer bezüglich der Welt und nur der Welt vorgängig ist und
dass die Welt zugleich die ganze Welt und dass sie allumfassend ist. Das Alles-
Umfassende schliesst alles Geschaffene und zu Schaffende ein. Der Begriff des
Schöpfers ist selbst als vorhergehender zu denken und als Bestimmung
bezüglich der Welt, aber nicht von der Welt her.

Eine andere Perspektive ergibt sich beim Kosmographen, der zwar im selben
Verhältnis zu seinem Werk steht, aber seine Betrachtung von dieser seiner
Welt aus anstellt. Seine Welt ist von ihm und nach seinem Massstab
geschaffen, aber sie soll doch die wirkliche Welt wiedergeben. Da seine Welt
durch Boten übermittelt ist, ergibt sich eine Differenz zur wahren Welt, die vom
Kosmographen jedoch eingesehen wird. Dieser Sachverhalt ist nun auf das
Verhältnis des Kosmographen zum Schöpfer der wahren Welt zu übertragen.
Der Sammelpunkt der Spekulation über die Welt liegt im Kosmographen selbst.
Indem er sich durch sein Sprechenkönnen vom Weltenschöpfer als
Kosmograph sieht, gewinnt er die Erkenntnis seiner Spiegeltätigkeit. Im
Unterschied zur instrumentell-dynamischen Zeichenauffassung "per signa ad
signata", wie sie von Bonaventura vertreten wird100, zeigt die Formulierung "in
signo signatum" hier den Status des Zeichenseins an.

23, 12-14: Im reflexiven Verhalten zur Welt ist für den Kosmographen die
Möglichkeit zur Unterscheidung des Menschseins gegenüber dem "rohen
Lebewesen" (brutum animal) gegeben. Jenes ist mit ähnlichen Sinnesgaben
ausgestattet, aber es kann der Sinnenwelt gegenüber nicht Abstand nehmen.
Nur der Mensch kann in freier Hinwendung zum Gegebenen eine auf das Mass
der Karte gebrachte Aufzeichnung machen.

23, 14-20: Das Auffinden des Zeichens in sich selbst erfordert die aktive
Betätigung des Geistes und ist eine Erkenntnistätigkeit.101 Die Bestimmung des
Zeichenseins in Bezug auf den Schöpfer bedeutet sodann, dass der Schöpfer an
die erste Stelle und das Nachfolgende zu ihm in Beziehung zu setzen ist. Indem
das geistige Zeichen als vollkommenstes im Spektrum von den geistigen zu den
sinnenfälligen Zeichen bestimmt wird, ist das Streben zum geistigen Zeichen als
Zielpunkt schon mitgedacht, da auch im Begriff der Vollkommenheit diese
Zielvorstellung eingeschlossen ist. Das bedeutet für den Kosmographen, der
sich selbst als Zeichen betrachtet, dass er sich zu jenen geistigen Zeichen hin
bewegen soll. Wenn die geistigen Zeichen schliesslich als einfache und

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formhafte bestimmt werden, ist impliziert, dass sie aus e i n e r Form und
vollständig sind. Diese rein formhaften Zeichen enthalten nichts Sinnenfälliges
und sie sind deshalb in höchstem Grade geistig.

n.24: Die Zeichen und die Ursprungserkenntnis


24, 1: - lux aeterna - : Im Gegensatz zu "lumen", das für ein materiales Licht wie
Kerzenlicht oder Lichtspender steht, meint "lux" das Helle, Klarheit,
Deutlichkeit. Wenn nun von der "lux aeterna" ausgesagt wird, dass sie in den
Zeichen strahlt, so ist damit nicht das konkret fassbare Licht gemeint, sondern
das, was das Hellsein erst ermöglicht. Dieses Licht, das Grund ist für das
Erkennen, ist als Paradoxon zu verstehen, da es im Endlichen das Unendliche
meint.

24, 6: - (esse) essendi formam - : Der Ausdruck kann als Form des Seins und
Formprinzip des Seienden (Genitivus subjektives) oder als Form in Bezug auf
das Seiende (Genitivus objectivus) ausgelegt werden. Wird das "manens"
hinzugesehen, ist die Form als solche betrachtet, die sich im Seienden
durchhält, aber unfassbar bleibt. Als Form in Bezug auf das Seiende verstanden,
kann sie mit dem Geschaffenen zusammen gedacht werden und ist dann Grund
für das Seiende, aber als solche nicht einheitlich mit dem Seienden.

24, 8-17: Im Spiegelgleichnis ist die Möglichkeit gegeben, die Beziehung


zwischen der Sache und ihrer Erscheinung bildlich darzustellen.102 Die Sache ist
als Einheit des Gegenstandes, als das eine Antlitz, der Vielfalt der
Erscheinungen gegenüber gestellt. Wenn nun durch die unterschiedliche
Beschaffenheit der Spiegel die Qualität der Erscheinung beeinflusst werden
kann, so folgt daraus doch keine Einheit von Erscheinung und Urbild. Während
das Gesicht selbst als Einheit von Stoff und Form gesehen ist, geht von dieser
Einheit nichts Stoffliches in das Spiegelbild über. Der Stoff hat also im
Spiegelbild kein eigenes Dasein, wohl aber die Form, die im Spiegel abgebildet
wird. Die Form bleibt erhalten. Sie ist das Sich-Durchhaltende-Gleiche, auch
ohne die zugehörige Materie. Die Form ist als seinsgebende (Genitivus
subjectivus) bestimmt, die im Seienden, auch im Spiegelbild andauert.

Das Sich-Durchhaltende (in se manens una) zeigt sich als Ganzes und als Einheit
in der Vielfalt der Erscheinungen. Es stellt also eine Entwicklung vom
Einheitsein zum Vielfaltsein dar. Diese Entwicklung wird fassbar in den Künsten,
die aus der in sich gleichbleibenden Vernunft hervorgehen. Durch die

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Gegenüberstellung von unsichtbarer Vernunft und sichtbaren Künsten wird es
möglich, die Sinnenwelt von der geistigen Welt und das sinnlich Fassbare vom
sinnlich nicht Fassbaren zu trennen. Das Ergebnis ist, dass das ursprünglich Eine
von der Vielfalt des sinnlich Fassbaren abgesetzt wird

24, 17-18: - dulcissime pergit - : Im Mittelalter steht das Süsse (dulcedo) für die
Aufwärtsbewegung im Erkennen und in der Gottesbetrachtung103. Im "pergere"
ist anderseits das Fortsetzen von etwas enthalten, das schon begonnen hat, das
unterwegs ist, sowie auch der Beginn einer vorwärtsstrebenden Handlung als
'sich aufmachen', 'aufbrechen'. Für den Betrachter ist der Anstoss der
Bewegung durch die Spekulation selbst gegeben. Im Durchlaufen der
Spekulation wird für ihn der Sinn seiner Betrachtungen erfüllt, soll sie ihn doch
zum Ursprung und zum Ziel führen. Mit dieser Schlüsselstelle wird also die
Weise und der Sinn des Vordringens zum Ursprung aufgezeigt.

Kapitel 9: Kunst als Nachahmung der Natur


Inhaltsangabe
Der Leser wird aufgefordert, seinen Blick von den Elementen eines Lautes zu
dessen Teilen und dann auf die Bezeichnungen jener Teile zu richten (n.25).
Diese Bewegung geht vom Einfachen, Einzelnen zum Zusammengesetzten.
Aber nicht auf das Faktum, nicht auf den Gegenstand ist die Aufmerksamkeit zu
lenken, sondern auf die Weise des Entstehens einer Rede aus Lautelementen
und Buchstaben und deren Kombination zu Silben und Wörtern.

Die geistige Tätigkeit des Menschen, der sich seine Welt als Wissen von den
Dingen aufbaut, wird der Schöpfertätigkeit Gottes gleichgesetzt (n.26). In den
Künsten wird dem Menschen die Möglichkeit zugestanden, Kraft und Schönheit
auszudrücken. Obwohl die Bereiche von Natur und Kunst als getrennte
betrachtet werden, soll die Natur als Grundlage und Richtpunkt für das
menschliche Kunstschaffen wirksam werden. Das Beispiel, das die Beziehung
von Natur und Kunst deutlich machen soll, geht von einem in der Natur
aufgefundenen Element, dem Ton aus, dem die Kunst beigefügt wird. Durch die
Kunst wird es möglich, das in der Natur Aufgefundene in einer dem Ton
entsprechenden Form festzuhalten.

Es stellt sich nun die Frage, wie die in der Natur aufgefundenen
Gesetzmässigkeiten kunstmässig nachgeahmt werden können (n.27). Der

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Ansatz wird bei den im Geiste Geübten, den Weisen und den Wissenschaftlern
gemacht. Im Begriff der Ratio ist die Möglichkeit genannt, die Gesetz-
mässigkeiten in den Dingen, die Ratio der Dinge, zu erfassen mit eben der Ratio
selbst. Aufgrund der in den Dingen als auch durch den Verstand wirksamen
Ratio, beziehungsweise dem rationalen Prinzip, sollen die beobachteten
Gesetzmässigkeiten in eine allgemeine Kunst überführt werden.

Kommentar
n.25: Betrachtungen über die Rede
25, 3: - Quod si subtiliora indagare proponis - : 'Indagare' heisst "aufspüren",
insbesondere "das Wild aufspüren", dann auch "ausforschen", "erforschen“. Es
geht also darum, Feineres aufzuspüren, das sich verborgen hält. Das Aufspüren
hat, wer weiterkommen will, selbst in Gang zu setzen. Dieses Wollen bahnt
einen vertiefenden Erkenntnisprozess an. Anders als das Naturstreben, das sich
immer schon auf sein Ziel hin bewegt, liegt der Ursprung der Zielsetzung beim
denkenden und wollenden Menschen in einem bewussten Entscheid. Das Ziel
beziehungsweise die Beute muss in gewisser Weise schon bekannt sein, sodass
sie auch bewusst aufgesucht werden kann. Diese Erkenntnisauffassung steht in
der Nähe des scholastischen "nihil volitum nisi praecogitum".

'Subtilis' bedeutet "fein", "genau","gründlich", aber auch "schlicht". Da der


Ausdruck im Komparativ steht, kann er im Vergleich zum vorangehenden
"facilia" gesehen werden in der Bedeutung von "mehr in die Tiefe“, „mehr ins
Einzelne gehen". Wenn das Einzelne zugleich als schlicht im Sinne von "schlicht
sagen" aufgefasst wird, heisst das, das Einzelne ohne Beiwerk sagen. Dieses
Schlichtere trügt auch weniger und ist dem Erkennen angemessener.

25, 4-8: Mit dem 'respicere' (zurückblicken, berücksichtigen, erwägen) ist


gemeint, das Andere, den Gegenstand von einem Standpunkt aus in die
Erwägungen einbeziehen. Der Standpunkt ist bei den Elementen des Lautes
angesetzt. Wenn nun von diesen Elementen her die Teile des Lautes und
anschliessend die sie bezeichnenden Buchstaben betrachtet werden sollen,
erfolgt der Aufbau der zusammengesetzten Teile vom Bekannten her, so dass
das neu Hinzukommende auf jenes bezogen werden kann. Der Fortgang von
den Lautelementen zu den Teilen des Lautes und schliesslich zu den
Buchstaben ist der Weg des abstrahierenden Denkens von der
Einzelwahrnehmung des sinnenfälligen, naturgegebenen Lautelementes zu

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ersten Sinneinheiten und schliesslich zu den Buchstaben als den formalen
Bezeichnungen.

Während bei Thomas von Aquin die allgemeine Form des "dicantur" für die
Benennung der Buchstaben und Lautelemente steht. "..secundum quod sunt in
scriptura, dicantur litterae, secundum autem quod sunt in prolatione, dicantur
elementa vocis“104 wird an der vorliegenden Stelle mit dem "respice" an den
individuellen, denkenden Leser appelliert.

25, 8-10: Mit der Rede als Ziel des Kombinierens ist eine Sinngebung impliziert.
Parallel dazu ist in der Natur selbst eine Sinngebung zu sehen, liegt doch im
Seienden, das von Natur aus ist, eine Zielbestimmtheit in der Form eines
Naturstrebens, das von den Elementen zu dem von der Natur Beabsichtigten
fortschreitet. 'Procedere' hat die Bedeutung von "Fortschritte machen",
"gelingen". So kann das Fortschreiten der Naturdinge auch im Rahmen einer
übergeordneten Entwicklung der Dinge, der Zeichen und des Menschen auf
den genannten glücklichen Abschluss hin interpretiert werden.

Was die Rede selbst betrifft, so ist sie als Werk des denkenden Menschen zu
betrachten und seiner ihm eigensten schöpferischen Fähigkeit, Naturge-
gebenes zu Sinneinheiten zu verbinden und sich damit seine Welt zu schaffen.

25,10-11: Der Viererschritt von den Lautelementen zu den Buchstaben, Silben


und Worten und schliesslich zur Rede beginnt bei den naturgegebenen
Grundelementen. Im Unterschied dazu wird an einer vorher gehenen Stelle das
Entstehen der Rede vom Aspekt der Kombinationsmöglichkeiten von
Buchstaben zu Silben, Worten und Sätzen thematisiert: sed doctus ex varia
illarum combinatione syllabas atque ex syllabis dictiones et de illis orationes
componit...".105

Das von Natur Seiende ist nun als das Unvollkommene verstanden, die Rede als
das Vollkommene. Das heisst, dass auch durch den Menschen und seine Kunst
des Kombinierens ein Grad von Vollkommenheit schon im Endlichen erreicht
werden kann. Die Sprache hat, so gesehen, keine 'Verbergungstendenz',
sondern sie ist eine Möglichkeit, die Dinge in der für den Menschen geeigneten
Form zu erfassen, um das zu vollenden, was in der Natur unvollendet bleibt.

25, 11-15: 'Etwas philosophisch erörtern' meint das gedankliche Durchdringen


einer Sache in Begründungszusammenhängen106. Im Text wird diese Tätigkeit

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verknüpft mit dem Fortschrittemachen in der Kunst der Rede. Der Wahrheit
näher kommen bedeutet hier, sich im kunstmässigen Zugang zum Gegenstand
des Wissens üben, um ihn schliesslich zu "erbeuten". Damit kommt einmal
mehr der dynamische Zug in der Erkenntnisauffassung des Compendiums zum
Tragen. In Erweiterung und Präzisierung der klassischen Wahrheitsdefinition
der adaequatio rei et intellectus wird hier der menschlichen Verstandes- und
Vernunfttätigkeit eine bedeutende Rolle zugemessen.

'Schöne Kombinationen' sind nicht nur solche, die von Menschen getätigt
werden; sie können auch in der Natur aufgefunden werden. Diese
Kombinationen sind in sich vollkommen und benötigen keine weiteren
Bearbeitungen durch die menschliche Kunst. Im Seienden selbst ist also etwas
für den Menschen Erstrebenswertes angelegt, das ihm als Vorbild dienen kann.
Die in der Natur gefundenen Kombinationen sind für den Menschen erreichbar
und erstrebenswert, und das heisst, dass im Seienden selbst Werthaltiges
gefunden werden kann.

25, 12: - quaedam contrario se habent modo in utraque - : Dass sich in den
genannten Künsten einiges konträr verhält, steht als Beispiel für die vom
Menschen geschaffenen Kombinationen, vermag doch der Mensch auch
Konträres zu erfassen und zu gestalten. Vom Gedanken der Vollkommenheit
her kann das Gegenständliche zum Ausdruck bringen, dass im Endlichen das
Schöne auch sein Gegenteil enthält und so dem endlichen Vollkommenen auch
Unvollkommenes beigemischt ist'.107

n.26: Das Naturgegebene und die menschliche Geistestätigkeit


26,1-2: - scientia rerum facit ex signis et vocabulis - : Das Wissen wird nicht
unmittelbar aus der Wahrnehmung, sondern aus den Zeichen, also einer von
der Sinneserfahrung abgelösten Form gewonnen. Dieses Wissen bildet die
Grundlage für den Aufbau einer eigenständigen Welt, die verglichen werden
kann mit der Welt, wie Gott sie aus den Dingen aufbaut. Das Gestaltungsprinzip
dieser Welt aus Zeichen ist im Menschen angesetzt, der so die Gründe der von
ihm geformten Welt kennt. Jedoch ist der Gegenstandsbezug hier nicht explizit
reflektiert.

26, 5-10: Die im Text genannten Künste gehören noch zu den Artes liberales.
Sie sind aber nicht mehr in die Schöpfungsordnung eingebunden, sondern sie
stehen nur noch als Zeichen der Natur. Sie erscheinen nun in loser Form und

8. März 2008 Seite 55 - 91


zusammen mit anderen, neuen Kunstformen. Dass gerade ein Beispiel aus der
Musik die Weise der menschlichen Kunstgestaltung erläutern soll, kann im
Zusammenhang mit der mittelalterlichen Auffassung der Musik gesehen
werden. Die Kunst der Musik ist, wie alle Künste im Mittelalter, famula in
sacrum und dient als Mittel für das Erkennen des göttlichen Heilsplanes.108 Im
vorliegenden Beispiel ist die Musik als Hinzufügung gedacht mit der
Bestimmung, das in der Natur Wahrgenommene in Zeichenform festzuhalten.
Dem Menschen ist so die Möglichkeit gegeben, durch diese ihm adäquate Form
in seiner Welt ein dem ursprünglich Gegebenen Ähnliches zu schaffen. In
Erweiterung des klassischen Satzes "Ars naturam imitatur" wird nun mit der
Gerundivform in der Wendung "naturam imitando" der Vollzug der
Gestaltungskraft des Menschen angesprochen.

n.27: Kunst und Natur


27, 1-8: - otiosi sapientes - : 'Sapiens' steht in Abgrenzung zu 'homo'. Der
Gelehrte ist eine Autorität im Bereich von Wissenschaft und Kunst. Im
Gegensatz zum blossen Wissen (scire), das erlernt werden kann, geht es beim
Verstehen (sapere) um die Einsicht in übergeordnete Zusammenhänge. Der
sapiens ist ein Gelehrter, aber er ist auch Philosoph und Weiser. Gleichwohl
sucht er durch eine allgemeine Kunst seine Erkenntnis weiter zu vermitteln, um
dadurch eine Synthese der vordem getrennten Bereiche von Kunst und Natur,
von Naturgegebenem und Menschenwerk zu schaffen. Als otiosus ist er zudem
nicht an eine Lohntätigkeit gebunden, sondern er kann sich seiner rein
theoretischen Tätigkeit widmen.

27, 1-8: Für die Erkenntnisauffassung, wie sie im Compendium vertreten wird,
ist der Ansatz gerade bei rationalen Überlegungen von Bedeutung in Bezug auf
den Umgang mit dem Naturgegebenen. Nicht die Ähnlichkeit der Seele, wie
noch bei Boethius109, 'sondern die Gleichheit der Ratio bildet den Übergang und
das Verbindungsstück zwischen der Natur und der Kunst.

Die Erfahrung wird nicht auf den klingenden Ton (sono) bezogen, sondern auf
ein rationales Kennzeichen (nota). Der Ausgangspunkt ist nicht die
Hörerfahrung von Klängen, sondern das mathematisch bestimmbare
Verhältnis. Diese rationalen Verhältnisse bilden die Grundlage für die künstlich
erzeugten Klänge. Der Mensch ist also in der Lage, mit seinen Mitteln das
Gleiche hervorzubringen, das er in der Natur vorfindet. Am Beispiel der Musik

8. März 2008 Seite 56 - 91


ist bemerkenswert, dass die Hörerfahrung des naturgegebenen Klanges mit
dem kunstmässig erzeugten Klang aufgrund der gleichen Schwingungszahl
übereinstimmt. Es geht demnach um ein reines Erfassen und Wiedergewinnen
von Gesetzmässigkeiten, die sich in der Natur auffinden lassen und die,
kunstmässig erzeugt, in Bezug auf die menschliche Sinneserkenntnis dasselbe
bewirken.

Schliesslich wird im Compendium der Ursprung des menschlichen


Kunstschaffens in der aktuellen Betätigung der menschlichen Geisteskraft
angesetzt, während bei Aristoteles die Kunst als Resultat eines Gedanken-
ganges steht: "Die Kunst entsteht dann, wenn sich aus vielen durch die
Erfahrung gegebenen Gedanken eine allgemeine Annahme über das Ähnliche
bildet.110

27, 8-11: Das Wesen der Kunst wird nun im Verhältnis zum Ganzen der Natur
bestimmt. Die Natur ist das Vorbild.111 An ihr wird die Kunst gemessen, auch in
Bezug auf die übergreifende Bewegung, die auf Wohlgefallen und Freude zielt.
Da diese Bewegung das Ganze des Seienden umfasst, ist auch das in der Kunst
zum Ausdruck gebrachte individuelle Schöne im Ganzen begründet, - jedoch
nicht als Abbild eines ewigen, statischen Transzendentalen, sondern innerhalb
einer Bewegung auf das Ganze hin. Im menschlichen Wohlbefinden ist
schliesslich ein Verbindungsstück zwischen dem Zielstreben der Natur und
demjenigen des Menschen genannt. Während die Natur in ihrer lebendigen
Bewegung immer schon auf Wohlklang und Wohlgefallen ausgerichtet ist,
besteht die Aufgabe der Kunst nun darin, auf eine Steigerung des menschlichen
Wohlbefindens hin zu wirken.

27, 11-15: Anders als die Natur, die sich durch das ihr innewohnende Streben
auf ihr Ziel hin bewegt, ist dem Menschen in der Kunst ein Spielraum in seiner
schöpferischen Tätigkeit gegeben. Dieser Spielraum wird im Verb "dilatare"
zum Ausdruck gebracht. 'Dilatare' heisst "ausbreiten", "ausdehnen" und
bezieht sich im Text auf das in der Natur Aufgefundene, das durch die
menschliche Kunsttätigkeit erweitert wird.

Das Verb "dilatare" kann auch im Zusammenhang mit der spätmittelalterlichen


Lehre der "Formlatituden" gesehen112 werden. Sie sind eine der "Brücken vom
Mittelalter zur Neuzeit"' und zielen auf die Herausstellung dessen, was
"zwischen dem terminus a quo und dem terminus ad quem" geschieht. Das a

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quo bedeutet im gegebenen Kontext das in den Erkenntnisbildern erfasste
Naturgegebene und das ad quem das Kunstwerk. Vom Verb "dilatare" her
gesehen ist der Weg vom a quo zum ad quem eine Bewegung innerhalb der
Quantität. Es gibt also keinen qualitativen Sprung vom Gegebenen zum
menschlichen Kunstschaffen, sondern eben nur ein quantitatives Ausweiten
des menschlichen Formverständnisses in den Erkenntnisbildern der
Aehnlichkeit.

In den Erkenntnisbildern wird schliesslich eine Verbindung zur Natur


angegeben, insofern diese Erkenntnisbilder das Naturgegebene in einer
bestimmten Form enthalten. Diese Form kann durch die Kunst und das Wissen
der Gelehrten erweitert werden. Es ergibt sich also ein Zusammenspiel
zwischen den in der Natur gemachten Beobachtungen durch die geistig-
rationale Tätigkeit und den durch den Geist geformten Erkenntnisbildern.

'Ratio' hat auch die Bedeutung von Wesen, Bestimmungspunkt und


Bestimmungsgrund einer Sache. Da die Erkenntnisbilder der Ähnlichkeit als
Ratio des Kunstschaffens bezeichnet werden, sind sie ein geistiges
Organisationsprinzip für den Menschen und seinen kunstmässigen Umgang mit
dem Naturgegebenen. Dieser Umgang ist immer schon durch die Ratio auf das
Naturgegebene als Bestimmungsgrund ausgerichtet.

Kapitel 10: Ursprungserkenntnis: Können, Gleiches, Eines,


Aehnliches
Inhaltsangabe
Das zentrale und umfangreichste Kapitel des Compendiums wird eingeleitet mit
einer Aufforderung an den Leser, im Denken weiter zu gehen und Schlüsse zu
ziehen (n.28). Wenn der Leser eine von ihm gefundene Kunst ins Schriftliche zu
übertragen versucht, soll er diese seine geistige Tätigkeit reflektieren und die
Bedeutung der gewählten Worte von seinem Geist her erklären.

Die Frage nach der Ursprungserkenntnis wird vom Ursprung her aufgeworfen:
im Vergleich zum Ursprung gibt es nichts Früheres oder Mächtigeres (n. 29).
Eine zweite Bestimmung nimmt den Begriff des Mächtigseins auf und leitet aus
dem Vermögen des Ursprungs, die genaue Gleichheit seiner selbst zu zeugen,
dessen absolutes Mächtigsein ab. Die Begründung ist, dass diese Macht alles in
sich einigt. In der Folge werden die vier Grundbegriffe des Ursprungseins

8. März 2008 Seite 58 - 91


genannt: das Können, das Gleiche, das Eine und - in Absetzung gegenüber der
Dreieinheit des Ursprungs - das Ähnliche.

Aus der Bestimmung des Könnens wird der Begriff des Gleichen gewonnen
(n.30). In der Gleichheit des Könnens und in dessen Vermögen, aus sich selbst
die Gleichheit seiner selbst zu zeugen, ist die überragende Wirkmächtigkeit des
Könnens zu sehen. Das Können soll jedoch auch in Bezug auf Endliches,
Gegensätzliches verstanden werden. Obwohl das Können und seine Gleichheit
für sich betrachtet werden können, sind sie substantiell nicht getrennt. Hieraus
wird beider in höchstem Masse mächtige Einigung entwickelt. Das Ergebnis ist,
dass das Können alles gleichermassen eint und auch das Endliche einschliesst.
Damit ist die Möglichkeit gewonnen, von der Schöpfung zu sprechen.

Die Frage ist, wie der Vorgang der Erschaffung der Welt vom Können her zu
entwickeln ist (n.31). Die Reflexion setzt beim zu Schaffenden an. Als
Schöpfungskraft steht das Können, das durch die Gleichheit schafft, erschafft
und sich offenbart. Die Begründung ist, dass das Können nicht früher als es
selbst ist und durch die Gleichheit nicht das Unähnliche macht, - zwei Gründe
also, die zum Schaffen des Könnens durch die Gleichheit in Widerspruch stehen
würden. Was das Können durch die Gleichheit macht, wird von der Formfrage
her gewonnen, insofern die Gleichheit nicht ebenso Form der Unähnlichkeit
und des Ungleichen sein kann. Hieraus ergibt sich auf der Seinsebene, dass das,
was das Können macht, Ähnliches ist. Was also ist, kann nun vom Seinsprinzip
her unterschieden werden.

Vom Gegenstand schliesslich, insofern er für das menschliche


Erkenntnisvermögen von Bedeutung ist, wird ausgesagt, dass er nur die
Gleichheit sein kann, die sich in ihrer Ähnlichkeit offenbart (n.32). Die
Folgerung ist, dass jede Ähnlichkeit auf die Gleichheit zurückgeführt werden
kann, als deren Zeichen oder Erkenntnisbild.

Das Erkenntnisvermögen wird nun hinsichtlich seiner Nähe zur Gleichheit


untersucht (n.33). Die Vorstellungskraft (imaginatio), die nicht unmittelbar auf
einer sinnlichen Wahrnehmung beruht, ist ein Vermögen, das der Gleichheit
näher kommt als die Sinneserkenntnis. Höher als die Vorstellungskraft wird
aber die Vernunft eingestuft, da in ihr die Gleichheit durch ein einfaches, reines
und vernunfthaftes Erkenntnisbild der Gleichheit erreicht werden kann. Von
der Gleichheit selbst wird schliesslich deren Sichtbarkeit postuliert, insofern sie,

8. März 2008 Seite 59 - 91


als Seins- und Erkenntnisform der Dinge, in verschiedener Ähnlichkeit auf
verschiedene Weise erscheint.

Der Grund für die Erkenntnismöglichkeit des Guten, Gerechten und Richtigen
ist in deren abbildmässigen Beziehung zur Gleichheit angesetzt (n.34). Dieser
Sachverhalt soll einsichtig werden am Beispiel des Sehens, indem das sinnliche
Sehen zum sinnenfälligen Licht, gleich wie das geistige Sehen zum geistigen
Licht, in ein Verhältnis gesetzt werden.

Kommentar
n.28: Der Geist und das Wort
28, 3-9: Die Worte und ihre Bedeutung sollen vom wortschaffenden Geist her
erklärt werden. Damit steht das Denken als vorsprachlicher Grund vor dem
Sprechen. Nicht die Sprache und ihr Zeichen sind es, die die Welt erschaffen,
sondern es ist das Denken, das vorangeht. Das Sprechen weist, so gesehen, auf
den Grund des Sprechenkönnens zurück. Diese Auffassung findet sich auch bei
Augustinus, etwa in der Formulierung, dass "die Laute in unserer Rede selbst
Zeichen der Dinge sind, die wir denken“.113

Insofern die menschliche Kunst im Kern alles zu Entwickelnde enthält, kann sie
als Abbild des einfaltenden Grundes gesehen werden. Das Problem der
Angemessenheit des Wortes an die Gedanken wird auf den Punkt einer
möglichst hohen Genauigkeit gebracht. Das dem Geist Zugesprochene ist das
im Geist Konzipierte, weshalb die Definition als Ausfaltung aus dem im Geist
schon Bekannten bestimmt werden kann.114

28, 9-12: Wenn die verschiedenen Schriften miteinander in Einklang gebracht


werden können, ist das darauf zurückzuführen, dass sie von einem und
demselben Autor stammen und so denselben geistigen Ursprung haben. Die
Schriften sind ein Produkt des menschlichen Geistes, der für sich und die
Interpreten seiner Worte eine Welt aus einem einheitlichen Grund errichtet.
Die Worte verschiedener Werke bedeuten dasselbe im Geiste.

28, 13-14: - distinctiones terminorum - : Im Unterschied zur "conceptio", dem


begrifflichen Fassen einer Sache, bezeichnet "terminus" in der Wendung
distinctiones terminorum das Abgegrenztsein. Wenn die Unterscheidungen nun
auf das Zusammenstimmen der verschiedenen Schriften hin erfolgen sollen,
dann können sie nur von ihrem Ursprung her befragt werden. Der Ursprung ist

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in der Gleichheit anzusetzen, die eben nicht das eine mehr ist als das andere.115
Der Ansatz für die Interpretation hat beim Gegebenen, dem ausdifferenzierten
Wort zu erfolgen. Dieses Wort soll auf das ursprüngliche Wort zurückgeführt
werden, das als Gleichheit bestimmt ist. Die Texte auf die Gleichheit
zurückführen bedeutet also einerseits, vom Begrenzten zurückgehen auf das
Unbegrenzte und anderseits, das Begrenzte als Entwicklung aus dem
Unbegrenzten verstehen.

n.29: Die Ursprungsbetrachtung


29, 1-2: - consideratio circa speciem notitiae principii - : Die Ursprungs-
betrachtung ist auf Genauigkeit ausgerichtet, was in den Ausdrücken
"consideratio" und "species notitiae" zum Ausdruck kommt. 'Consideratio'
meint das sorgfältige Prüfen und Beobachten und, vom ursprünglichen
Wortgebrauch her, das Beobachten der Gestirne (sidera), also von der Erde aus
Betrachtungen über das Ferne und Ungreifbare anstellen. Als Gegenstand der
Betrachtungen ist das Erkenntnisbild beziehungsweise die Weise der
Ursprungserkenntnis genannt. Es geht also um eine Reflexion über die
Methode der Ursprungserkenntnis. Untersucht wird der Weg, den der Mensch
in seinen Betrachtungen über das Ungreifbare einschlägt.116

29, 2-8: Die Frage nach dem Ursprung und Prinzip von allem stellt sich
innerhalb einer zeitlich-logischen und kräftemässigen Ordnung, die von diesem
Prinzip begründet wird. Die ursprüngliche Kraft soll als erstes wirkendes Prinzip
betrachtet werden, das ein gleiches seiner selbst bewirken kann.117 Weil diese
Kraft ein Vermögen für alles zu Schöpfende in sich enthält, kann sie nicht
grösser als auf diese Weise gedacht werden.

Das Können, das Gleiche und das Eine sind mit der Frage nach dem Prinzip
zusammen gedacht, während der Begriff des Ähnlichen eine Hinzufügung ist.
Mit dem Begriff des Gleichen ist ein Prinzip des arteigenen Wirkens
eingebracht, so dass das Eine als aus diesem Prinzip Hervorgehendes in
substantieller Einheit gewonnen ist. Das Können ist als Dynamis aufgelöst und
im Einen begrifflich fassbar geworden. Das Ähnliche steht in Differenz zum
Ursprung, ist ihm aber verbunden, indem es als dessen Ähnlichkeit, von jenem
her gesehen, seine Bestimmung hat.

29, 6-13: Die Formulierung "quo nihil potentius" erinnert an Anselm von
Canterbury und sein "quo nihil maior cogitari potest". An der vorliegenden

8. März 2008 Seite 61 - 91


Stelle ist das "potentius" als wirkmächtige Kraft gedacht und alles
Nachfolgende in Bezug auf diese Wirkmächtigkeit. Dieses Prinzip ist, als
anfängliches und begründendes allen Seinkönnens, nicht um seiner selbst
willen und vom Seienden abgesetzt gedacht, sondern in Bezug auf das
Nachfolgende. Das Können ist dem Gleichen, Einen und Ähnlichen vorgeordnet.
Es kann in dieser Hinsicht als das Vorseiende (proon) betrachtet werden.

Das Können ist dem Sein und dem Nicht-Sein als zeitlich- räumlich Früheres
vorgeordnet. Alles, was ist und was nicht ist, wird deshalb vom Können
abhängig. Das Sein und das, was ist und sein kann, ist - in Bezug auf das
Vorhergehende und begründende Können - sich gleich gestellt. Das Sein und
das Seiende hängen beide vom Können ab und können ohne jenes nicht sein.
Das Können ist also Seinsgrund und zugleich überseiend.

29, 13-19: Auch die welthaften Seinsweisen des Machens und Werdens sind
vom Können abhängig, insofern das Können eben vorgeordnet und
seinsbegründend ist. Das Können ist vor- seiend und überseiend, was vom
Seienden aus heisst, dass es nur insofern sein kann, als es vom Können die
Seinsform empfängt. Damit ist aber nicht gesagt, dass das Können selbst im
Sein oder im Seienden ist, da es in diesem Fall auch Grund seines Nichtseins
sein könnte. Anderseits wird alles, was sein und erkannt werden kann, als im
Können eingefaltet gedacht, sodass das Sein und das Seiende im Können selbst
aufgehoben sind.

n.30: Der Ursprung, das Gleiche und das Endliche


30, 1-4: Das Gleiche gehört zum Können selbst, sowohl vom Seinsprinzip (quo
esse), als auch von der Einzelbestimmung (quod esse) her gesehen. Diese
Bestimmung ist nicht im Endlichen, sondern vor allem Seienden zu denken.
Während beim endlichen Seienden das quo esse und das quod esse getrennt
sind, fallen sie im Gleichen zusammen. Das Können kann also seine
Schöpfungskraft in seiner Gleichheit manifestieren, ohne sich im Endlichen zu
entäussern, sodass es in seiner Gleichheit einen höchsten Grad an
Wirkmächtigkeit erreicht. Im Verb "generare" ist die Möglichkeit des Werdens
angezeigt, ein Bereich also, der im Endlichen anzusetzen wäre. Da das Werden
aber in der Gleichheit des Könnens als ursprünglicher Kraft gesehen ist, ist es
ein 'substantielles Werden' oder ein 'Werden von gleicher Substanz'. Das
wiederum kann in Bezug auf das Endliche nicht festgestellt werden.

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30, 5-10: Mit dem Begriff des Gegensätzlichen in der Wendung "quod se
aequaliter ad contradictoria habet" tritt eine Bestimmung des Endlichen in den
Blick.118 Das Gegensätzliche ist als Korrelationspunkt in einer Verhältnis-
bestimmung gesehen, die vom Können her und innerhalb einer auf sich selbst
bezogenen Wirkungskraft gedacht ist. Obwohl das Können auch
Gegensätzlichem gegenüber sich gleich verhält, wird sein Sein dadurch nicht
eingeschränkt. Auch bedeutet das Gegensätzliche keine Hinzufügung.

Die Dynamis des Könnens wird als erstes wirksam in der Gleichheit des
Könnens und dann in beider Einigung. In ihr erreicht sie das Höchstmass an
Kraft und in ihr verwirklicht sie sich, ohne endlich zu werden. 'Procedere' heisst
"vorwärts gehen", aber auch "Fortschritte machen". Wenn vom Können und
seiner Gleichheit ausgesagt wird, dass es Fortschritte machen kann, so ist in der
ursprünglichen Kraft des Könnens das Vermögen angezeigt, weiter zu gehen
und sich zu entwickeln. Das bedeutet für das Können selbst, dass es seine Kraft
zu offenbaren vermag. Da dem menschlichen Geist schliesslich die Möglichkeit
zugesprochen wird, das Können in seiner vollen Wirkmächtigkeit zu erfassen,
fällt umgekehrt auch der menschliche Geist in seinen Wirkbereich. Das Können
schliesst also Endlichkeit in der Form des Gesehen-werden-Könnens ein.

n.31: Die Wirkkraft des Könnens


31, 1-16: Das Können ist unterschieden von der Gleichheit, die als quo-esse für
das Schaffen und das Offenbaren fungiert.119 Die Wirkung des Könnens durch
die Gleichheit ist das Sein dessen, was gemacht, geschaffen und offenbart wird.
Das Können kann, als Seinsprinzip, nicht auf sich selbst zurückwirken: es geht
dem Sein vorher. Es muss, als reine Kraft, nicht durch ein Seinsprinzip erst
konstituiert werden.120

Wenn die Gleichheit als Form des Ungleichen stehen könnte, wäre diese Form
als Seinsprinzip des (endlichen) Seienden zu sehen. Dann müsste sie auch die
Möglichkeit der Form des Ungleichen enthalten. Das würde aber der Gleichheit
als solcher widersprechen, die nicht sowohl Gleichheit als auch Form der
Ungleichheit sein kann. Es ist also nur die eine Form anzunehmen, die die
Gleichheit ist. Wenn das Können durch die Gleichheit als Form und Seinsprinzip
etwas erschaffen kann, dann nicht das Unähnliche, sondern eben nur das
Ähnliche.

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31, 6-10: Vom Geschaffenen aus und in Bezug auf den Ursprung steht fest, dass
das Geschaffene nur Ähnlichkeit des Ursprungs sein kann. Die Ähnlichkeit wird
nun auch vom Seienden her begründet, das veränderlich ist, eine Eigenschaft,
die der Gleichheit gerade nicht zukommt. Da die Gleichheit also, anders als das
Seiende, nicht ein Mehr oder Weniger empfangen kann, nimmt sie auch keine
andere Form an. Die Gleichheit ist selbst unveränderlich und enthält in sich
weder eine Hinzufügung, noch schliesst sie eine solche aus. Ähnlich wird dies
bei Thomas von Aquin formuliert: "Es schliesst in seinem Begriff weder eine
Hinzufügung ein, noch besagt es den Ausschluss einer Hinzufügung"121

31,10: - non enim est singularitas aliud quam aequalitas - : Die Singularität ist
als Gegensatz zur Pluralität, einer Bestimmung des (endlichen) Seienden,
gedacht. Die Singularität ist vollkommene Einheit, im Unterschied zur Pluralität,
die auf eine Vielzahl von Seienden sowie von auseinander nicht ableitbaren
Seinsbestimmtheiten geht. Die Singularität hat nur die eine Seinsform. Sie ist,
in der Eigenschaft des Einesseins, die Gleichheit. Jedoch ist die Singularität eine
Bestimmung, die ihr Gegenteil in der Pluralität und damit im Endlichen hat. Mit
dem Begriff der Singularität ist eine Oeffnung zum Endlichen hin gewonnen
und zugleich ein Weg des Verstehens vom Endlichen her.

n.32: Die Gleichheit und das Erkenntnisvermögen


32, 1 ff.: - potentia cognitiva - : Das Erkenntnisvermögen, das sinnlich
Wahrgenommenes in seiner allgemeinen Bedeutsamkeit zu bestimmen
vermag, ist mit der Gleichheit als eigentlichem Gegenstand des Erkennens
immer schon auf den Grund seines Erkennens gerichtet. Die möglichen
Bedeutungen für das Erkennen sind getragen in einem durch die Gleichheit
begründeten Verständnis. Der Ort des Einzelnen im Ganzen des Seienden ist
damit a priori und aus den Gründen zu Gewinnen.122

Da vom Erkenntnisvermögen ausgesagt wird, dass es seinen Gegenstand auf


natürliche Weise (naturaliter) erkenne, kann hier an den scholastischen Begriff
der intentio recta gedacht werden. Das unmittelbare Bezogensein ist so als
natürliches verstanden. In ähnlichem Zusammenhang ist das natürliche
Erkennen auch bei Thomas von Aquin thematisiert: "connaturale est homini, ut
species intelligibiles in phantasmatibus videat".123

32, 6-13: Wenn die Gleichheit das menschliche Erkenntnisvermögen durch ihre
Ähnlichkeit in die Wirklichkeit überführt, sind auch im menschlichen

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Erkenntnisvermögen Potenz und Akt anzunehmen. Das menschliche Erkennt-
nisvermögen ist also Potenz in Bezug auf das von der Ähnlichkeit der Gleichheit
Empfangene. Die Gleichheit verhält sich dabei als aktuierendes Prinzip (ponit in
actu). Wird die Ähnlichkeit der Gleichheit im menschlichen Geist selbst
angesetzt, so kann das Erkenntnisvermögen durch sich selbst beziehungsweise
durch den Geist aktuiert werden. Es ist also gewissermassen 'schlafend' und
wird durch aktives Betätigen in Bewegung gesetzt, sodass der Geist sich selbst
als lebendiger verwirklicht. Obwohl das Erkenntnisvermögen auf die Gleichheit
gerichtet ist, wird es doch nur auf der Ebene der Gegenstandswahrnehmung
durch die Ähnlichkeit des Gegenstandes und dessen Zeichen und Erkenntnisbild
aktuiert. Es stellt sich hier also die Frage nach der Differenz zwischen der
eigentlichen, vollen Wirklichkeit und derjenigen innerhalb des menschlichen
Erkenntnisvermögens.

Die Gleichheit als der eine, unteilbare Gegenstand ist für das menschliche
Erkenntnisvermögen, insofern er vom Intellekt erfasst wird, sub specie
intelligibilis, und insofern er der Sinnlichkeit zum Gegenstand wird, sub specie
sensibili.

n.33: Die Stufenordnung der Erkenntnisvermögen in Bezug auf die


Gleichheit
n.33, 1-6: Die Vorstellungskraft (imaginatio) steht zwischen dem Sinnes-
vermögen und dem Denken124 und mit der Phantasie auf gleicher Stufe. Da sie -
als Phantasievorstellung - nicht von der sinnlichen Wahrnehmung abhängig ist,
kann sie sich ihrem Gegenstand, der als die Gleichheit bestimmt ist, im
Erkenntnisbild der Quantität nähern. Das Vermögen des Intellekts zur
unmittelbaren Einsicht wird insofern ausgewiesen, als der Intellekt die
Gleichheit nicht durch ein Erkenntnisbild der Quantität oder der Qualität
erreicht, sondern durch ein reines, einfaches Erkenntnisbild. In diesem
Zusammenhang kann von einer rein formalen Abstraktion gesprochen werden.
Diese Abstraktion ist nicht von der Sache her, als Herauslösen eines
Allgemeinen zu sehen, sondern vom Erkenntnisvermögen her, das selbst
'abstrakter' Natur ist und deshalb abstrakte Erkenntnisinhalte aufnehmen kann.

33, 7-17: Insofern die Gleichheit als die Seins- und Erkenntnisform von allem
bestimmt ist, kann sie als substantielle Form betrachtet werde. Sie gibt das Sein
und ist zugleich der Wesensgrund des Seienden. Wird die Gleichheit jedoch als
in verschiedener Ähnlichkeit auf verschiedene Weise erscheinend bestimmt, ist
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sie mit dem sinnlich Wahrnehmbaren und damit mit den akzidentellen Formen
verbunden. Diese letzteren verleihen einem bestimmten Einzelseienden ein
Hinzukommendes.

Wenn die Einzelerscheinung vom menschlichen Geist von Natur in ihrem


Abglanz in sich selbst gesehen werden kann, ist die Möglichkeit dazu in einer
subsistierenden Form zu sehen, die Wesens- und Seinsgrund für das Erkennen
ist. Der menschliche Geist, als die erste Erscheinung der Erkenntnis bestimmt,
kann sowohl als Erscheinung der Gleichheit selbst (Genitivus subjectivus) als
auch als Erscheinung hinsichtlich des Erkennens (Genitivus objectivus),
beziehungsweise als Möglichkeit des Erkennens gesehen werden. Er steht
zudem in seiner Bestimmung als Zeichen der Gleichheit, in unmittelbarem
Bedeutungszusammenhang zu seinem Seinsgrund.125 Die Bewegung des
Erkennens ist somit immer schon auf ihren Zielpunkt gerichtet und steht in
einem Verhältnis zum Ganzen des Seienden. Diese Erkenntnismöglichkeit wird
noch unterstützt durch den Hinweis auf die Bedeutung des Lichtes des Antlitzes
Gottes. Sie steht im Zeichen der Lichtmetaphysik, der Lehre also vom Licht als
ermöglichender Grund des Erkennens von Seiendem.

n.34: Die Beziehung von Erkennen und Gleichheit


34, 1-2: - bonum, aequum, iustum et rectum - : Die Begriffsreihe erinnert an die
mittelalterlichen Transzendentalien "bonum, unum, verum". Dabei wäre das
"unum" durch das "aequum", als Darstellungsform des Einen, das "verum" und
das "bonum" durch das "iustum et rectum" zu ersetzen. Das Gerechte und das
Richtige sind oberste Prinzipien für das menschliche Handeln und eigentlich
menschliche Tugenden. Das Gesetz "Was du willst, das man dir tue, das tu auch
dem anderen" hat - als Abglanz der Gleichheit - a priorischen Charakter und ist
verbindlich für das menschliche Handeln.

34, 4-5: Das geistige Leben soll in Bewegung gehalten werden, und zu diesem
Zweck muss dem Geist Nahrung zugeführt werden. Auf die geistige Nahrung ist
der Mensch, wie das Tier auf seine leibliche, immer schon eingestellt und
hingewandt. Diese Nahrung ist unerlässlich für das Fortleben. Freude und
Labsal sind notwendiger Bestandteil der geistigen Speise, die so ihren Ort hat
innerhalb einer Bewegung der Natur, die auf die Freude hin zielt.

34, 6-16: Während der Zusammenhang von sinnlichem Sehen und


sinnenfälligem Licht durch sich selbst einsichtig ist und durch die Erfahrung

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überprüft werden kann, ist das geistige Sehen auf ein rein geistig einsehbares
Licht zurückgeführt und in einer Bewegung des Denkens zu fassen. Zu diesem
Licht, als dasjenige begriffen, das sich und alles sichtbar macht und auch als
Gleichheit bestimmt ist, steht das geistige Sehen immer schon in einer
Beziehung.

Die Sinneserfahrung, dass bei Wegfall des Lichts nichts mehr gesehen werden
kann, ist der Ausgangspunkt für die Erkenntnis, dass das sinnlich
Wahrgenommene kontingent und nicht in sich selbst begründet ist und auf das
Licht als Seinsprinzip zurückweist. Auf das geistige Sehen übertragen bedeutet
die Einsicht in das Bedingtsein allen Sehens und Erkennens durch das Licht,
dass dieses Licht Grund ist für das Sein und Erkennen. Diese Einsicht ist
ontologisch begründet und kann als Wahrheitsgeschehen beurteilt werden. Die
Wahrheit selbst ist in der Weise des Geschaffenseins der Welt begründet. Das
Geschaffene seinerseits enthält die Möglichkeit, im Ausgang von der
menschlichen Sinneserfahrung durch den menschlichen Geist in seinem
Wahrheitsgehalt erkannt und beurteilt zu werden.

Ohne das Licht kann das Seiende weder im Sein gehalten werden, im Sinne der
creatio continua, noch besteht eine Seins- und Erkenntnismöglichkeit. Was ist,
ist also nur, insofern es durch das Licht beziehungsweise die Gleichheit ist. Vom
Endlichen aus ist die Erkenntnismöglichkeit nur durch das Licht und vom Licht
her gegeben. Das Seiende ist also in seinem Sein und Erkennen immer schon
auf sein Seinsprinzip hin zu sehen.

34, 16-20: Die klassische Wahrheitsbestimmung "veritas est adaequatio


intellectus et rei wird an dieser Stelle als Beziehung zwischen der Gleichheit
und der Vernunft (intellectus) bestimmt. Die An-gleichung (ad-aequatio) ist
eine Tätigkeit der Vernunft, die auf die Gleichheit hin zielt.126 Nicht die
Übereinstimmung von Vernunft und Sache ist für die Wahrheitsfrage hier
entscheidend, sondern das Verhältnis zur Gleichheit. Die Wahrheit ist also von
der Gleichheit her zu fassen. Sie macht die Übereinstimmung von Vernunft und
Sache in begründender Hinsicht wahr. Wäre sie aufgehoben, könnte es keine
bleibende Wahrheitsfindung geben. Mit der Begründung der Wahrheit in der
Gleichheit ist die Möglichkeit gegeben, Wahrheit nicht als endliche, sondern
vom Ursprung her zu fassen.

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Der Terminus "subsistere",in De aequalitate auf das Ganze des Seienden
bezogen: "Et ita vides penitus nihil posse subsistere nisi in aequalitate",127 ist im
Compendium nur einmal eingesetzt und bezieht sich hier auf den Menschen
selbst: "Nam sine artibus mechanicis et liberalibus atque moralibus scientiis
virtutibusque theologicis bene et feliciter non subsistit".128 Für das Seiende als
fortbestehendes wird nun im Compendium das Verb "manere" verwendet.129

Kapitel 11: Sinneserkenntnis als Ähnlichkeit der


Vernunfterkenntnis
Inhaltsangabe
Die Vernunft, als Ursprung aller Tätigkeiten bestimmt, wird in ihrer Beziehung
zur sinnlichen Erkenntnis untersucht (n.35). Es stellt sich die Frage, wie das
sinnlich Wahrgenommene vom Geist her zu fassen ist. Im Sehenden wird als
erstes eine doppelte Form angenommen, die als Verbindung zum Gegenstand
gedacht ist. Die sich auf den Gegenstand beziehende Form wird als
einformende und als Ähnlichkeit des Gegenstandes erklärt, die von der
Vernunft her kommende als formende und als Ähnlichkeit der Vernunft. In
einem zweiten Schritt wird das Formen und Einformen selbst auf ein wirkendes
Prinzip zurückgeführt. Dieses Wirkprinzip ist die Vernunft, die alles entweder
durch sich selbst oder durch die Natur macht und sich damit auf alles Geistige
und naturhaft Gewordene erstreckt. Das Ergebnis ist, dass auch das Werk der
Natur ein Werk des Geistes ist. So kann die Verbindung des Gegenstandes zum
Erkennenden über das Intelligible entwickelt werden.

Als Bedingung für die Möglichkeit des Empfindens steht einerseits die
sinnenhafte Seele und anderseits das Erkenntnisbild des Gegenstandes (n.36).
Für die Unterscheidung der sinnenhaften Seele von der Vernunft ergibt sich,
dass diese nicht Vernunft sein kann, da sie ohne die Ähnlichkeit des
Gegenstandes nichts empfindet. Die Vernunft hingegen kann das Intelligible
durch sich selbst erkennen. Hingegen ist festzuhalten, dass die Vernunft das
Sinnenfällige nicht einsehen kann, da es eben sinnenfällig und nicht intelligibel
ist. Das Sinnenfällige muss erst intelligibel werden, bevor es eingesehen
werden kann, genau so wie nichts empfunden werden kann, wenn es nicht
sinnenfällig wird.

8. März 2008 Seite 68 - 91


Kommentar
n.35: Das Formprinzip im Erkenntnisprozess
35, 2-5: - anima sensitiva - : Die Seele, durch eine Unterscheidung gegenüber
dem Geist gewonnen und als dessen Ähnlichkeit bezeichnet, hat, so gesehen,
kein Eigenleben. Anders als in der klassischen Lehre von der Einheit von Leib
und Seele lässt diese Bestimmung das Leibliche weg. Die Sinnenseele ist als Bild
des Geistes immateriell, kein selbständiges Etwas und auch nicht Gestaltprinzip
eines Körpers, obwohl sie als Sinnenseele mit dem Körper in einer
Gemeinschaft steht. Hier kann an die von Thomas von Aquin beschriebene
Geistseele gedacht werden, die in ihrer Kraft die sinnliche und die vegetative
Seele enthält: "Wie die Geistseele (des Menschen) in ihrer Kraft (virtute) die
sinnliche und die vegetative Seele enthält, so auch alle niederen Formen; und
sie allein wirkt alles, was die unvollkommenen Formen in130 anderen Seienden
(nämlich den anorganischen Körpern) wirken"

Wenn die zweifache Form im Sehenden, zum einen vom Objekt her als
einformende, zum anderen vom Geist her als formende stammt, kann sie selbst
als formales Verbindungsstück zwischen dem Objekt und dem Subjekt
verstanden werden.131 Beide Formen sind auf den Geist und nicht auf die
Materie bezogen. Da sie im Sehenden selbst lokalisiert sind, die einformende
Form aber vom Objekt her stammt, kann die sinnenhafte Seele in diesem
Zusammenhang als Trägersubstanz gesehen werden, auf die das Objekt
einwirkt.

35, 6-9: Das vom Intellekt geleistete Formen und das vom Objekt her
stammende Einformen sind auf ihre bewirkende Tätigkeit im Endlichen hin
bestimmt. Vom Geschaffenen her wird ein Bild hervorgebracht, während im
Intellekt ein bewirkendes Prinzip angesetzt ist. Im Intellekt, als Prinzip aller
Tätigkeiten, ist ein Eigenwirken des menschlichen Geistes als Schöpferkraft
impliziert. Die Welt, so wie sie für den Menschen ist, wird von seinem Geist her
konstituiert. Der Mensch ist also nicht nur ein einzelnes Geschaffenes neben
anderen, sondern er steht durch seinen Geist immer schon in einem Verhältnis
zur Natur und zum Seienden im Ganzen.

35, 9-18: Im Sehenden sind zwei Formen zu unterscheiden, die als Ähnlichkeit
des Gegenstandes und der Vernunftkraft das Sehen konstituieren. Das Sehen
ist also von einem geistigen Prinzip bestimmt.132 Auch das sinnlich

8. März 2008 Seite 69 - 91


Wahrgenommene wirkt in seiner geistigen Form im Sehenden. Ähnlich ist das
bei Thomas von Aquin formuliert: "keine substantielle Form ist an sich (per se)
sinnlich wahrnehmbar“133 und: „keine substantielle Form ist an sich sinnlich
wahrnehmbar, vielmehr ist sie nur vom Verstand erfassbar"134

Als Werkzeug der Ähnlichkeit der Vernunftkraft ist die Ähnlichkeit des Objekts
die Form, durch welche der Geist das Objekt erkennt. Die Ähnlichkeit des
Objekts bildet also den Ansatzpunkt des Erkenntnisprozesses, während die
Vernunfttätigkeit zugleich mit den Sinnesdaten einsetzt.

n.36: Die Erkenntnisweise der Seele und der Vernunft


36, 1-9: Insofern das Empfinden in der Form von Erkenntnisbildern des
Gegenstandes auf das Gegebene verwiesen ist, ist es passiv-rezeptiv. Insofern
aber die sinnenhafte Seele in ihrer Eigenschaft als Ähnlichkeit der Vernunftkraft
bestimmt wird, ist ein Bezug zum schöpferischen Tätigsein gegeben. Das
Empfinden beinhaltet also eine Affektion als Berührtwerden-Können der
sinnenhaften Seele und anderseits eine Organisation der Eindrücke in der Form
von Erkenntnisbildern der Gegenstände durch die ordnende Vernunftkraft.

Die aus sich selbst schaffende Vernunft ist ein Vermögen unmittelbarer Einsicht
und, im Unterschied zum sinnlichen Wahrnehmungsvermögen, nicht von einer
Affektion durch den Gegenstand abhängig. Als Ursprung ihrer eigenen
Tätigkeiten ist die Vernunft immer schon auf einen übergreifenden
Sinnzusammenhang ausgerichtet. Sie hat durch ihr Vermögen, das Einzelne zu
bestimmen, ein a priorisches Seinsverständnis.

36, 9-11: Das Erkennen ist vom jeweiligen Erkenntnisvermögen her


gekennzeichnet, auf welches das Gegebene und zu Erkennende angepasst ist.
Das zu Erkennende hat die Form des Erkenntnisvermögens anzunehmen und
kann nur in dieser Form erfasst werden. Es wird also nicht zum sinnlich
Wahrgenommenen ein bestimmtes Erkenntnisvermögen hinzugefügt, sondern
das Erfasste muss in die entsprechende Erkenntniskraft transformiert werden.
Das Intelligible wird nicht in eine Sache hineingesehen oder im Sinnlichen
erfasst. Vielmehr wendet sich die Vernunft den Gegenständen frei zu und
erfasst sie vernunftmässig, während das sinnliche Erkenntnisvermögen die
Dinge sinnlich wahrnimmt, so wie sie in die Sinne fallen. Beide Erkennt-
nisweisen sind als getrennte zu verstehen. Diese Trennung kann jedoch

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überwunden werden, da die eine Erkenntnisweise in die andere
transformierbar ist.

Kapitel 12: Die Gleichheit im Sinnenfälligen


Inhaltsangabe
Die Gleichheit ist auch im Sinnenfälligen und damit im Unterschiedenen zu
betrachten (n.37). Von dieser Position her, die das Ungleiche in der Gleichheit
aufhebt, stellt sich die Frage nach einem möglichen Anderssein des einzelnen
Gegenstandes in Bezug auf die Gleichheit. Auf die Rundheit angewandt, die in
der Folge als Gleichheit anzusehen ist, gilt das Prinzip der Gleichheit hinsichtlich
des Abstandes der Oberfläche des Runden von der Mitte. Diese Bestimmung
wird nicht nur für das von selbst Einsichtige des Runden geltend gemacht,
sondern ebenso für die Fläche und schliesslich für die Linie.

Die Gleichheit als Ursache und Grund wird im Weiteren auch für die Zahlen
ausgewiesen (n.38). Die Begründung ist, dass keine Zahl der Gleichheit
entbehren kann, da in den Zahlen nur ein Fortschreiten aus der Einheit
gefunden wird. Es ergibt sich die Frage, ob sich in menschlichen Bereichen wie
dem der Gesundheit oder des Lebens nicht ebenso die Gleichheit findet. Bei
Aufhebung der Gleichheit, so die Folgerung, würde weder das sinnliche noch
das geistige Erkenntnisvermögen zurückbleiben. Gleichermassen würde es
weder Tugenden wie die Liebe und die Gerechtigkeit noch einen Fortbestand
des endlichen Seienden geben.

n.37: Die Gleichheit und das Sinnenfällige


37, 1-6: Die Gleichheit, die nun im Sinnenfälligen von den unterschiedlichen
Formen eines Gegenstandes her zu betrachten ist, ist als Zugrundeliegendes zu
denken. Sie selbst kann nicht sinnlich wahrgenommen werden, wird aber beim
Gegebensein von Sinnesdaten mitgedacht.135 Nicht nur die Fläche, die Ebene
und die Rundheit sind thematisch, sondern letztlich alles Seiende, insofern es
auf das Zugrundeliegende befragt wird. Das, worin die Veränderung sichtbar
wird, ist das Sinnenfällige und umgekehrt wird jenes zum Zeichen des
Zugrundeliegenden.

37, 6-16: Für die Betrachtung der Gleichheit ist das Sich- verhalten in Gleichheit
des endlichen Seienden massgebend. Diese rational einsehbare Bestimmung
soll nun mit einer sinnlichen Wahrnehmung verknüpft werden. Für das

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Erkennen ist also die Verbindung von Sinnlichkeit und Verstand erforderlich,
wobei die Sache selbst nur vergleichsweise erfasst werden kann. - 'Respicere'
heisst" zurückschauen", "sich beziehen auf", auch "überdenken". Es kann so für
das Zusammensehen des sinnlich Wahrgenommenen mit dem Gedachten
stehen.

Nicht nur einzelne Bestimmtheiten der Gleichheit sind zu fassen, sondern


ebenso das Insgesamt. Nicht die Teilhabe an einer verbindlich gedachten Idee
von Gleichheit ist dabei leitend, sondern das Ganze des Gleichseins, von den
Grenzen bis zu den dazwischen liegenden Einzelbestimmtheiten.

n.38: Die Gleichheit in Bezug auf rationale Bestimmungen


38, 1-4: Die Zahl eignet sich in besonderem Masse zum Aufweis, dass auch in
einer Mehrheit von Zahlen Gleichheit das Bestimmende ist, denn aus der Zahl
als Einheit lässt sich eine Vielheit und Unterschiedenheit entwickeln. Die
Vielheit ist als Fortschreiten (progressio) aus der Einheit im Sinne des Addierens
von Gleichem zu verstehen. Die Zahlen haben also keine 'Eigenschaften' und
sind immer gleich und unveränderlich.

38, 5-9: Wenn Gleichheit auch als das Bestimmende für Lebensbezüge in
Anspruch genommen wird, steht damit das Vergängliche und Endliche im Blick.
Gleichheit konstituiert auch das Vergängliche, aber sie selbst ist unvergänglich,
denn nur die Gleichheit als zeitlose kann zeitlose Wahrheiten wie die Zahlen
oder die Gerechtigkeit konstitutieren. Diese Zeitlosigkeit bedeutet aber noch
nicht Ewigkeit im eigentlichen Sinne, da jene eben dem ersten Ursprung
vorbehalten ist. Gleichheit ist demnach in Bezug auf das Zeitliche zu denken.

Dass neben die Geistes- und Sinneskräfte auch die Proportionen gestellt
werden, bedeutet, dass jene, obwohl zeitlos, als endliche gedacht sind. Das
kann in Bezug auf das im Mittelalter ausgeprägte Ordo-Denken dahin gehend
gedeutet werden, dass auch die Weltordnung nicht mehr als ewige und
unveränderliche gedacht ist. So sind denn die Eintracht und die Liebe nicht als
ewige und unendliche verstanden, sondern als vergängliche, in der Zeit zu
verwirklichende. Hier kann auch ein Bezug zur Vollkommenheitsfrage gesehen
werden, insofern alles Endliche Vollkommenheit im Ansatz enthält und auf die
Vollkommenheit hin zu verwirklichen ist. Auch die Dynamis, die in den
Begriffen von Liebe, Eintracht, Gerechtigkeit und Frieden steckt, deutet auf ein
zu Vervollkommnendes hin.

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Kapitel 13: Die Seele
Inhaltsangabe
Aus den Reflexionen über den Ursprung werden nun Aussagen über die Seele
entwickelt (n.39). Von der sinnenhaften Seele wird ausgesagt, dass sie die ihr
verbundene Luft belebt, damit sie in jener die Erkenntnisbilder der Gegen-
stände wahrnehmen kann. Als eigentlicher Körper des Lebens der sinnenhaften
Seele ist jedoch die Luft angegeben. Durch sie belebt die sinnenhafte Seele den
menschlichen Körper und ermöglicht ihm die Wahrnehmung des
Gegenstandes, ohne dass damit eine naturhafte Verbindung mit dem
sinnenfälligen Gegenstand impliziert wäre.

Dass das Erkenntnisbild selbst nicht-körperlicher Natur sein kann, wird vom
wirkenden und formenden Prinzip her erklärt (n.40). Dieses Prinzip ist als
Einwirkung des Erkenntnisbildes auf den Körper und - in Bezug auf den Körper -
als formender Geist bezeichnet. Was anderseits den Körper betrifft, auf den
das Erkenntnisbild einwirkt, wird festgestellt, dass er, als reiner Körper, nichts
vom Erkenntnisbild selbst hat. Es bleibt also, die den Körper belebende Seele
als Wahrnehmungsträgerin zu bestimmen.

In der sinnenhaften Seele ist zudem ein gewisses erkennendes Vermögen


anzunehmen. Dieses Vermögen wird nun als Abbild der Vernunft und der
menschlichen Vernunftkraft verbunden gedacht.

Von der Sinnenseele, als dem belebenden Prinzip des Durchsichtigen, wird
schliesslich ein besonderes Geistigsein ausgesagt (n.41). Das heisst in Bezug auf
das Erkennen, dass es durch einen Glanz zustande kommt, den die Seele auf
der Oberfläche ihres durchsichtigen Körpers wahrnimmt.

Auch das Reflexionsvermögen des Menschen ist angesprochen (n.42). Der


Ansatz wird in der den Menschen konstituierenden Dreiheit von Körper, Seele
und Geist gemacht. In der Folge kann der Körper mit der Luft, die Seele mit
dem die Luft durchdringenden und sie formenden und färbenden
Erkenntnisbild der Farbe und schliesslich der Geist mit dem die Farbe
erleuchtenden Lichtstrahl verglichen werden. In der vom Licht her kommenden
unterscheidenden Kraft ist der Grund gesehen, dass der Mensch mit Gewissheit
seine eigene Unterscheidungskraft auf jenes Licht zurückzuführen weiss (n.43).
Hier anschliessend ist die Kraft des Schöpfers genannt und diese wird mit
einem Sonnenstrahl verglichen. Diese Ausführungen sollen den Stoff bilden für
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das Nachdenken. Als Höchstes in der Betrachtung steht jedoch der Glaube, der
mehr als das Denken durch seine Gewissheit alles übertreffen und den
Menschen allein beglücken kann.

Kommentar
n.39: Die Seele im Wahrnehmungsprozess
39, 2-11: Durch die Verknüpfung der Ursprungsbetrachtung mit den
Folgerungen über die Seele wird die Seele selbst in einen Zusammenhang mit
der Schöpfungsordnung gestellt. Im metaphysischen Denken erscheint die
Seele als ausgezeichnetes, den Körper belebendes Seiendes. Vom Ursprung her
gesehen kommt ihr so eine ähnliche Funktion zu wie der Gleichheit, da sie als
formgebende Kraft wirkt.

Da die Luft selbst nichts Sinnenfälliges enthält, muss das sie belebende Prinzip
von aussen hinzu kommen. Dieses Prinzip ist in der Seele angesetzt. Sie soll die
sinnenhafte Wahrnehmung ermöglichen, indem sie der Luft sinnenfälliges
Leben verleiht. Die Seele und die Luft bilden eine funktionale Einheit, in der die
Seele seiender Wesenteil ist, der die ihr verbundene Luft belebt. Die Luft kann
in diesem Zusammenhang auch als 'tote' Materie gesehen werden, die von der
Seele für den Lebensvollzug im Wahrnehmen und Erkennen geformt wird.

Schon die erste Abstufung von der durchsichtigen, feinen Luft für die
Übermittlung des Sichtbaren zur gewöhnlichen Luft für die Erkenntnisbilder des
Tones lässt auf eine korrespondierende Auffassung des Wahrnehmungsinhaltes
schliessen. Das Sichtbare wird als feiner als das Hörbare und beides wiederum
feiner als das durch die anderen Sinne Wahrgenommene verstanden. Das
Erkenntnisbild des Sichtbaren ist, da es gerade nicht in einer veränderten und
verdickten Luft wahrgenommen wird, nicht nur das Feinere, sondern ebenso
das ursprünglichere. Ferner ist es auch das Reinere, da es in der unveränderten
Luft erfasst wird. Die Luft als Medium für das Erkenntnisbild passt sich also dem
aufnehmenden Sinn an, und anderseits wird die Reinheit und Feinheit der
Wahrnehmungsweise durch jenen bestimmt.

39, 11-15: Anders als die Grundelemente ist die sinnenhafte Seele nicht als in
sich bestehender Grundkörper und Einzelnes gesehen, sondern in ihrer
Funktion als belebendes Prinzip in einem Zusammengesetzten. Die Sinnenseele
ist dem Bereich des Werdens zugeordnet und als belebendes und formendes

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Prinzip auf den Gegenstand bezogen. Sie hat also nicht ein Sein wie etwa die
Geistseele, das durch sich selbst ist.

Der dynamischen Auffassung des Erkenntnisprozesses im Compendium


entspricht das belebende Moment im Ausdruck "spiritus vivificans". In De
coniecturis steht dahingegen der einfachere Ausdruck "spiritus visivus" in der
Wendung "hinc lux est alteritas spiritus visivi...".136

39, 16-19: Die Luft erreicht das sinnlich fassbare Dasein durch ihr Körpersein für
das belebende Wirken der Sinnenseele beziehungsweise des belebenden
Geistes. Anderseits kann der menschliche Leib, nur wenn er durch die
Sinnenseele belebt wird, die Gegenstände wahrnehmen. Was Gegenstand wird
für den sinnenhaften Geist, ermöglicht zugleich dessen Eigentlichwerden in der
sinnlichen Wahrnehmung. Dass der sinnenhafte Geist nicht von der Natur eines
sinnenfälligen Gegenstandes, sondern von einfacherer und höherer Kraft sei,
kann im Blick auf die mit Geist begabte Seele interpretiert werden. Sie setzt im
Erkenntnisprozess beim sinnlich Gegebenen an, steigt dann auf in das 'höhere'
Reich des Nichtsinnlichen, wo sie schliesslich, vom Sinnlichen losgelöst, die
Wesenheiten schaut. Anderseits kann die genannte einfachere und höhere
Kraft mit dem Gedanken der Ursprungsmächtigkeit in Zusammenhang gebracht
werden. Die Nähe zum Ursprung ist dann als das Einfachere und
Wirkmächtigere zu sehen.

Das Erleiden schliesslich betrifft den Körper des Wahrnehmenden, auf den die
Wahrnehmungsinhalte des Gegenstandes beziehungsweise die
Erkenntnisbilder einwirken. Anders sieht dies in diesem Zusammenhang
Thomas von Aquin, der die Erkenntnisbilder mit der Verstandestätigkeit in
Verbindung bringt und die intelligiblen Gehalte vom sinnlich Wahrge-
nommenen trennt.

n.40: Die Sinnenseele als Erkenntnisvermögen


40, 1-11: Die Trennung von Körper und Geist wird auch hinsichtlich der
Erkenntnisbilder wirksam. Es werden nicht sinnlich wahrnehmbare Merkmale
vom geistigen Gehalt abgesondert, vielmehr sind die Erkenntnisbilder vom
Formprinzip her und als etwas rein Geistiges zu sehen.

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Die Seele, die den Körper belebt, ist Trägerin des Wahrnehmungsprozesses. Sie
ist Aktionsprinzip und nicht, wie etwa bei Thomas von Aquin, Sammelpunkt von
Wahrnehmungen und Denkakten.137

Der Sinnensele wird ein gewisses Erkenntnisvermögen zugesprochen, doch


fehlt ihr die Vernunftkraft, die zur vollen Erkenntnisleistung notwendig ist. Die
Sinneserkenntnis ist ohne die Vernunft nicht vollständig, während die
Erkenntnis als solche weder als sinnliche Wahrnehmung, noch im geistigen
Erfassen des sinnlich Gegebenen möglich ist. Als Abbild der Vernunftkraft ist
das Erkenntnisvermögen der Seele immer schon einem Vorbild verpflichtet.

40, 14-17: Das Hingewendetsein (intentio) und Geistsein versteht sich in Bezug
auf die ursprüngliche Farbe. Für die in der Luft erscheinende, nicht-körperhafte
Farbe heisst das, dass sie für den Betrachter nicht das Körperhafte, sondern
dessen Form ist. Diese Form ist nur für den Betrachter und in Bezug auf den
Körper Form. Wenn nun auf der nächsten Stufe noch ein geistigeres
Erkenntnisbild in einer zweiten Spiegelung im Sehsinn selbst wahrgenommen
wird, ist hier eine Verbindung zum Körperlichen des Wahrnehmenden gegeben.
Dieses letzte Bild, als das Durchsichtige des lebendigen Auges bezeichnet,
erscheint nun im Sehsinn.

n.41: Die Erkenntnis mittels der sinnenhaften Seele


41, 1-7: Das Durchsichtige wird sowohl dem Auge als auch der Seele
zugeschrieben. Anders als beim körperhaften Sehen mit den Augen ist das
Durchsichtige der Seele in höchstem Masse rein. Der Vorgang der sinnlichen
Wahrnehmung ist also von der materiellen Seite her als eine Verfeinerung der
Uebermittlungsinstanzen zu verstehen. Der Vorgang der Wahrnehmung selbst
wird ermöglicht durch die Seele als Sammel- und Ausgangspunkt der
Wahrnehmung. Das Erkennen des Gegenstandes schliesslich ist als
zusammenfassende Wahrnehmung des ganzen Vorganges durch die Seele
gekennzeichnet.

Aristoteles beschreibt in De anima die Wahrnehmung als eine Entstofflichung:


"Die Wahrnehmung ist das Aufnahmefähige für die wahrnehmbaren Formen
ohne die Materie...".138 Im Compendium nun wird allein die Erkenntnisweise der
sinnenhaften Seele thematisiert, und diese Erkenntnisweise ist rein geistiger
Natur.

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41, 4: - in similitudine - : Die im Manuskript "Ma" eingesetzte Ergänzung
"obiecti" (in similitudine obiecti) ist einleuchtend, aber sie richtet damit die
Darstellung des Wahrnehmungsprozesses auf das Gegenständliche aus,
während im vorliegenden Text allein das Erkenntnissubjekt angesprochen ist.

41, 7-10: Hinsichtlich des Sehens sind das Bezogensein (intentio) der Farbe und
die Hinwendung (attentio) des Sehenden von gleicher Bedeutung. Allein durch
das Zusammenspiel der beiden Komponenten kommt das Sehen zustande. Der
Vorgang des Sehens ist also nicht nur naturhaftes Streben des Gegenstandes in
seinem Bezogensein, sondern er beruht ebenso auf der vom Subjekt
ausgehenden freien Hinwendung zum Gegenstand sowie der vom Sehenden zu
erbringenden Aufmerksamkeit. Er führt damit zu einem Zusammenwirken
zwischen natürlichem und geistigem Streben.

n.42: Das Gleichnishafte im Erkenntnisprozess


42,2-7: - Nam est corpus, anima et spiritus - : Der Ternar "Körper, Seele, Geist"
setzt beim Körper als dem untersten Bereich an und geht bis zum Geist als dem
höchsten, ganz im Sinne der im Compendium vertretenen Geistmetaphysik.
Der Körper ist, wie die Luft, als eine Art Trägersubstanz aufgefasst, die Seele
hingegen, wie das die Luft färbende Erkenntnisbild der Farbe, als erste
Uebermittlungsinstanz im Erkenntnisprozess,und der Geist schliesslich wie der
Strahl des Lichts, der Licht in die Sache bringt.

Neben der Sinnenseele wird nun erstmals auch die mit Verstand begabte
Geistseele thematisch. Sie hebt sich von der Sinnenseele gerade durch den in
ihr angesetzten Geist der Unterscheidung ab. Anders als etwa bei Aristoteles
bricht dieser Geist nicht von aussen in die Sinnenseele ein,139 sondern er ist in
ihr selbst enthalten. Wenn der Mensch sich nun durch den der Seele
innewohnenden Geist in seiner Sinneswahrnehmung von den übrigen
Lebewesen unterscheidet, bedeutet das anderseits, dass die menschliche
Sinneswahrnehmung erst durch den geistesmässigen Anteil ihre volle Geltung
erlangt. Bei Thomas von Aquin enthält die Geistseele in ihrer Kraft die sinnliche
und die vegetative Seele.140 Im Compendium ist die Sinnenseele selbständig und
von der Geistseele unterschieden. Gerade durch die dem Menschen
innewohnende Geistseele aber ist der Mensch aufgerufen, seine
Sinneswahrnehmungen mit dem Geist zu einer höheren Erkenntnis zu
verbinden. So hebt er sich auch von den übrigen Sinnenwesen ab.

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42, 7-9: Das im Menschen leuchtende Licht, das zur Seele und zum Geist
gehört, kann als lumen rationis betrachtet werden und, da es von oben (de
super) gegeben ist, auch als lumen supranaturale, durch welches der Mensch
höhere Wahrheiten zu erkennen vermag. Dieses Licht ist der ermöglichende
Grund des Erkennens, nicht aber zugleich der Grund des Seienden, weshalb
hier nicht von einer eigentlichen Lichtmetaphysik gesprochen werden kann.

Das Verb "experiri", im Compendium nur einmal eingesetzt, meint hier die
Fähigkeit des Menschen, die Unterscheidungskraft des Lichtes zu erkennen. In
dieser Form der Erfahrung wird das unmittelbar Gegebene einsichtig in seinem
Sachverhalt.

n.43: Ursprung und Ziel des Erkennens


43,1-7: Die Unterscheidungskraft trägt, zusammen mit der Erleuchtung, zur
Vollendung des Menschen als Sinnenwesen bei. Es besteht jedoch eine
Abhängigkeit vom nicht-sinnenfälligen Licht als Grund der Möglichkeit für jedes
Erkennen und für das Menschsein als solches. Die diesbezügliche Gewissheit ist
a priori und als Einstrahlung (illuminatio) einer höheren Wahrheit verstanden.

Insofern der Himmel mit dem Glas verglichen wird, durch welches der
Sonnenstrahl dringt, und er den ganzen Lebenskreis in sich enthält, ist er das
alles Lebendige Umfassende. Die Schöpfungskraft hingegen, dem Lichtstrahl
gleich, ist das ganz Andere. Zwischen dem Geschaffenen und der Schöpfungs-
kraft besteht also kein wesensmässiger Zusammenhang. Jedoch ist das
Geschaffene das, was Sein zu etwas hin ist, wie das Glas, wenn es durch den
Lichtstrahl erleuchtet wird.

43, 7-9: Dem Leser wird ein gewisses Miss an Freiheit im Denken zugesprochen,
da die gemachten Ausführungen als Grundlage zum Weiterdenken und zur
Erweiterung dienen sollen. 'Spekulation' - vom lateinischen speculum - meint
im Mittelalter die indirekte Erkenntnis Gottes aus seinen Werken, in denen sich
seine Allmacht und Güte gleichsam spiegeln.141 Das Spiegelbild ist jetzt auf den
Menschen und seine geistige Fähigkeit bezogen, die ein Weiterdenken
ermöglichen. Der Term "ampliare" lässt hier auch an eine Stelle bei Thomas von
Aquin denken: "So ist klar, dass die Natur des Nichterkennenden im Vergleich
mit der des Erkennenden eingeengt und begrenzt ist. Die Natur des
erkennenden Wesen dagegen hat eine grössere Weite (amplitudo) und
Erstreckung".142

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43, 9-11: Der Glaube übersteigt alles, auch die menschliche Spekulation. Durch
die Selbstgegebenheit und Offenbarkeit seines Gegenstandes schafft er
Gewissheit. In dieser Form des Erkennens besteht kein Abstand wie beim
verstandes- und vernunftmässigen Erfassen einer Sache. Deshalb macht gerade
der Glaube auf genuine Weise glücklich.

Die in der Wendung "dulcissima consideratio" angesprochene Süsse (dulcedo)


ist ein im mittelalterlichen Denken und Kunstschaffen anerkannter Begriff.143
Durch den im Süssen liegenden Gehalt wird dem Menschen die Möglichkeit
gegeben, sich zu den höchsten Dingen und zum Ursprung von allem zu
erheben.

Schluss und Epilog: Gott als Einheit und Ziel aller Erkenntnis
Inhaltsangabe
Als Schluss des Werkes steht der Grundgedanke, dass der erste Ursprung dem
Menschen auf vielfältige Weise erschienen ist (n.44).

Die gesamten Ausführungen sind als Anleitung im Blick auf die Gewinnung der
Einheit des Gegenstandes zu verstehen (n.45).Diese Einheit wird vorgestellt in
der Person des Vaters des Wortes und der Gleichheit. Hinsichtlich der Weisen
des Erfasstwerdens des Gegenstandes besteht ein Unterschied, insofern der
Gegenstand durch das geistige Sehen so gesehen wird, wie er in sich ist, durch
das sinnliche, wie er in den Zeichen ist. Was der Gegenstand an sich ist, wird als
Können selbst gekennzeichnet. Die geistige Schau schliesslich richtet sich allein
auf das im höchsten Masse Mächtige. Die im höchsten Masse wirksame Macht
ist gedeutet als die im höchsten Masse geeinte Kraft(n.46). Die Schau des
Geistes begreift diese Kraft als Einheit selbst. Für das geistige Sehen ergibt sich,
dass allein die Einheit in ihrer Unveränderlichkeit und nicht die Vielheit, die
durch die Zahlen dargestellt ist, zum Gegenstand werden kann. Die Folgerung
ist, dass allein das Können selbst ohne Veränderung seiner selbst alles sein
kann und auch das ist, ohne das nichts sein kann.

Zum Schluss wird nochmals der Gegenstand thematisiert, wie er sich dem
sinnlichen und dem geistigen Sehen stellt. (n.47). Für das Können resultiert,
dass es als letzter Grund allen Seins, selbst gesehen werden will. Das wird auch
als erste Ursache und als Zielursache bestimmt, von allem, was ist. Mit dieser
Letztbegründung und der Ausrichtung der Gründe des Seins und Erkennens auf

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die erste Ursache ist der Grund für das Werk selbst gegeben, immer jedoch im
Blick auf die Entfaltungsmöglichkeiten, die im Menschen und seinen
Fähigkeiten selbst angelegt sind.

Kommentar
n.44: Der erste Ursprung und sein Erscheinen in der Welt
n.44, 4: Wenn ausgesagt wird, dass der erste Ursprung tatsächlich erschienen
ist, so in dieser Welt, im Endlichen und Geschaffenen. Die erschaffene Welt ist
der Ausdruck der Schöpfungskraft des ersten Prinzips. Das Prinzip ist der
Anfang, das Erste, das innerhalb einer zeitlich-sachlichen Ordnung ein von ihm
Begründetes bestimmt. Als primum principium steht es vor allem, was ist,
gedacht und geschaffen werden kann. Es ist deshalb dem Menschen nicht
schon von sich her bekannt, sondern erst in seiner Erscheinung. Was ist, ist als
Offenbarung in unmittelbarem Zusammenhang mit dem begründenden Prinzip
zu sehen. Jede Beschreibung bleibt im Bildhaften - wie diejenige des
Kosmographen, der die sich präsentierende Welt mit seinen Mitteln festhält.
Im Verb "depingere" ist das Abbilden eines Gegenstandes, aber auch das weiter
gefasste 'Schildern' enthalten. Zwischen dem Gegenstand und dem Wort ist
also ein Bereich von Entfaltungsmöglichkeiten gesehen. Anderseits kann das
Wort selbst eine Anregung sein, die Sache selbst zu suchen. Die Frage der
Möglichkeit des Erfassens einer Sache in Worten ist im Compendium auf den
letzten Gegenstand hin gesehen. Dieser bleibt transzendent, aber in dem von
ihm Begründeten kann er abbildhaft beschrieben werden.

n.45: Die Einheit des Gegenstandes


n45, 2-15: Die Einheit des Gegenstandes, Vater des Wortes und der Gleichheit
genannt, kann vom Endlichen aus zum Gegenstand des geistigen und sinnlichen
Sehens werden. Sie ist seinsstiftender Grund für das Endliche und wird nicht
erst durch das Sehen konstituiert. Vom Endlichen und von den Zeichen aus
ergibt sich somit die Form der Hinsichtnahme im Gegenwärtigsein der Einheit.

Das Können anderseits steht für das vollkommene, all-umfassende Seinsprinzip.


Es ist immer schon vollendet und unterliegt selbst keiner Veränderung. Da es
alles ist, was sein kann, im Einzelnen wie auch in der Vielzahl, ist es zugleich der
alles umfassende Seinsakt. Als Seinsakt ist das Können - durch die Beziehung
auf das Geschaffene und zu Schaffende - nicht begrenzt, noch unterliegt es
einer Veränderung; es bleibt vielmehr immer gleich seinsmächtig.

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Während das Können als Ursache die Existenz des Seienden zur Folge hat, führt
das Zurückfragen vom Seienden aus auf das Können selbst als quo-esse und
erstes Prinzip, aus dem sich alles Geschaffene ableiten lässt. Das Seiende ist
also nicht in sich selbst begründet, sondern es weist über sich hinaus auf ein
von ihm verschiedenes Prinzip. Das Dieses-Sein (quod-esse) des Geschaffenen
wird auf die Gleichheit zurückgeführt, die ihrerseits dem Können gleich ist.
Wenn schliesslich das Einessein des Seienden aus der höchsten Einigung folgt,
so heisst das, dass das quo-esse und das quod-esse im Können als dem
wirkenden Prinzip zusammenfallen.

45, 16-20: Die Gesamtheit des Seienden, wie sie sich dem geistigen Sehen
darbietet, weist auf ein höchstes wirkendes Prinzip zurück. Das Sehen ist nicht
auf einzelne Seiende oder eine Mehrheit von das Einzelne konstituierenden
Seinsprinzipien angelegt, sondern immer schon auf das Eine und Mächtigste.
Die Bewegung des Sehens, von Natur aus auf ihr Ziel gerichtet, erreicht ihren
Vollzug in der Anschauung des höchsten Prinzips. Die beiden Ausdrücke
"appetit" und "vivit" zeigen einerseits eine lebensnahe Auffassung des Sehens
an, doch ist als Ziel der Bewegung des Sehens das Zur-Ruhe-Kommen in der
Anschauung genannt. So kehrt die Bewegung vom Ausgefalteten zu ihrem
Ursprung zurück.

n.46: Die Einheit als höchste geeinte Kraft


n.46, 1-11: Im Blick steht das Sprechenkönnen von der Einheit. Die Zuwendung
zur Einheit im Benennen wird möglich durch deren Anwesendsein im Seienden.
"Res et verba", das in der Renaissance zur Bedeutung gelangte
sprachphilosophische Programm144 ist hier als Folgeverhältnis verstanden, in
dem das Wort von der Sache her begründet wird.

Wenn als Gegenstand des geistigen Sehens die unteilbare Einheit genannt ist,
als Einfaltung all dessen, was die Zahl ist und ausfaltet, dann zielt dieses Sehen
auf eine Ebene, die über dem rational Fassbaren liegt. Während die Zahlen für
die Vielheit von Seiendem stehen, vereint die Einheit das volle Sein. Das
geistige Sehen betrachtet also durch die Einzelbestimmung der Zahl hindurch
das Ganze des Seins. In der einzelnen Zahl wird die Seinskraft der Einheit
sichtbar, wie sie von Anfang an vollendet, unveränderlich und ganz ist. Im Sinne
der im Compendium vertretenen dynamischen Auffassung steht nicht der

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Seinsakt, sondern eben die Seinskraft am Anfang. Es ist diese Kraft, die nun im
Einzelnen sichtbar wird.

46, 11-17: Das, worauf sich das geistige Sehen richtet, ist allein das Können, das
die volle Seinskraft besitzt. Die Frage, inwiefern das Seiende mit dem Können
als Seinskraft eine Einheit bildet, wird von der Möglichkeit des Seinkönnens her
gestellt, also vom Ursprung her und seiner Seinsmächtigkeit. Aus der
Möglichkeit des Seinkönnens von Endlichem, auch ohne das Können selbst,
würde sich ein Seinkönnen ohne das Können ergeben, - ein Widerspruch in
sich.

n.47: Das Seiende als Verweis auf das Können selbst


47, 1-5: Dass das sinnliche Sehen und mit diesem die sinnenfälligen Zeichen
den Schluss des Kapitels des Werkes bilden, kann im Zusammenhang mit der
schon in De possest erörterten Frage der Erkenntnis Gottes aus seinen Werken
zusammen gesehen werden. Insbesondere steht hier die Bibelstelle im Blick,
dass die Schöpfung ein Spiegel Gottes ist.145 Das Compendium hat aber nicht die
Spiegelthematik zum Gegenstand, sondern die Zeichenfrage. Anders als der
Spiegel, der ein Gegebenes reflektiert, ist nun von den Zeichen her auf den
Gegenstand selbst zu sehen. Dabei ist die Differenz zwischen dem Gegenstand
und der Weise seines Gegebenseins zu berücksichtigen.

47, 5-8: Am Anfang der Schöpfung steht das Wollen des Könnens selbst, das in
freier Setzung seine Möglichkeit des Gesehenwerdens schafft. Da kein anderer
Grund geltend gemacht werden kann, ist es zugleich causa voluntaria. Es
bewegt sich aus sich selbst und in freier Wahl auf sein Ziel hin.146 Zur vollen
Verwirklichung seiner selbst als Ursache ist jedoch das Gesehen-werden-
Können und in der Folge die Schöpfung notwendig. Die Letztbegründung erfolgt
also aus der Möglichkeit des ersten Grundseins für Anderes. Das Andere wird in
der Folge rückwirkend zur Bestimmung des Grundes selbst.

47, 9-12: Dass die Anleitung durch reinere und scharfsichtigere Menschen
erweitert werden kann, ist im Sinne des ganzen Werkes zu verstehen, das der
menschlichen Schöpfertätigkeit einen Spielraum zumisst, immer jedoch mit
Blick auf den allmächtigen Grund.

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Literaturverzeichnis
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8. März 2008 Seite 83 - 91


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Archives de Philosophie 54 (1991), ", S 255-268.
Henke, N., Der Abbildbegriff in der Erkenntnislehre des Nikolaus von Kues, Münster Westf.,
1969.
Jacobi, K., Die Methode der Cusanischen Philosophie, Freiburg- München 1969.

-, (Hg.), Nikolaus von Kues. Einführung in sein philosophisches Denken,


Freiburg/München 1979.
Meier-Oeser, St., Nikolaus von Kues, in: Klassiker der Sprachphilosophie, München 1996, S.
95 - 111.
Meinhardt, H., Exaktheit und Mutmassungscharakter der Erkenntnis, in: Jacobi, K. (Hg.)
1979,8101-120.
Otto, St., Nikolaus von Kues, in: Klassiker der Philosophie, München 1981, S. 245 - 262.
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Schramm, M.-A., Zur Lehre vom Zeichen innerhalb des Compendiums des Nikolaus von Kues,
in: Zeitschrift für philosophische Forschung 33 (1979), S. 616 - 620.
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Senger, H.G., Die Sprache der Metaphysik, in: Jacobi, K. (Hg.) 1979, 5. 74-100.
Stadler, M., Rekonstruktion einer Philosophie der Ungegenständlichkeit, Zur Struktur des
Cusanischen Denkens, München 1983.
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MFCG 6, 1967, S. 50-54.
Velthoven, Th. van, Gottesschau und menschliche Erkenntnis, Leiden 1977.
Volkmann-Schluck, K.-H., Nicolaus Cusanus. Die Philosophie im Übergang vom Mittelalter zur
Neuzeit. Frankfurt 1957.

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Anmerkungen

1 Die Kapitelüberschriften entsprechen den vom Herausgeber in der Meiner-Ausgabe des


Compendiums gesetzten.
2
Mittellateinisches Wörterbuch, C.H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung, München 1976.
3
Dictionary of Medieval Latin, Vol. I, Oxford University Press, 1975
4
Brinkmann, H., Mittelalterliche Hermeneutik, Wiss. Buchgesellschaft, Darmstadt 1980.
5
Vgl. Einleitung S. VIII zur Meiner-Ausgabe des Compendiums.
6
Vgl. auch De dato patr. I (H IV nr. 92): "Omnis... intellectualis spiritus scire appetit..." und
Jacobi, K., Die Methode der Cusanischen Philosophie, Verlag Karl Alber, Freiburg/München,
1969, S. 146, Anmerkung 15.
7
Anmerkung 1, Kapitel 1, Meiner-Ausgabe des Compendiums.
8
De venatione sapientiae 22 und 23 nn. 64-70, gemäss Anmerkung 2, Meiner-Ausgabe.
9
Aristoteles, Metaphysica, Buch übers. von H. Bonitz. Aus dem Nachlass hrsg. von E.
Willmann, Berlin 1890.
10
Dupré, W., Apriorismus oder Kausaldenken nach der cusanischen Auffassung von der
Gotteserkenntnis?, in:MFCG 11, 1975: "....wir sprechen vom Vielen und sind uns des Einen
bewusst." (S. 179).
11
Dupré, W.: a.a.O.: "Cusanus sagt uns hier sehr klar, dass die Welt des Seins nicht die des
Bezeichnens ist. Gerade weil das Ding der Natur nach früher ist, können wir uns nicht auf
dieses berufen, wenn wir von Sein und Wirklichkeit oder von Natur sprechen." (S. 180).
12
Senger H.G., Die Sprache der Metaphysik, .in: Jacobi, K. (Hg.): Nikolaus von Kues. Einführung
in sein Denken, Freiburg/München 1979, S. 74 - 100. Senger deutet die Zeichen als Zeichen
von zeichenhaften Erkenntnisbildern oder Begriffen, die der Mensch in Erkenntnis der zu
benennenden Dinge gewinnt. (S. 76)
13
Velthoven, Th. van, Gottesschau und menschliche Erkenntnis, Leiden 1977. Velthoven
schreibt dem Begriff "Zeichen" (signum), der anderswo wenig vorkomme, einen gewissen
Vorzug vor den Begriffen "Ähnlichkeit" und "Erkenntnisbild" zu. (S. 55)
14
Vgl. Das Verzeichnis wichtiger Begriffe der Meiner-Ausgabe.
15
Compendium n. 35, 6-8
16
Anders K. Bormann in Anmerkung 5 zu Kapitel 1 und Bormann, K., Zur Frage nach der
Seinserkenntnis in dem wahrscheinlich letzten philosophisch-theologischen Werk des
Nikolaus von Kues, dem "Compendium", in: Archiv für Geschichte der Philosophie, Bd. 50,
1968, S. 186: "Diskursives und intuitives Erkennen beruhen nicht auf verschiedenen
Erkenntnisvermögen. F.n.: Beides kann "intellectus genannt werden; vgl. die Gliederung
"sensus imaginatio intellectus" Comp. 1 und ähnlich 32."
17
Vgl. Anmerkung 7 zu Kapitel 1.
18
Rogner, H., Die Bewegung des Erkennens und das Sein in der Philosophie des Nikolaus von
Cues, Heidelberg 1937: "In der visio intellectualis oder dem visus mentis wird auf einmal
gleichsam das Ganze erfasst." (S. 55).
19
Vgl. Anmerkung 10 zu Kapitel 1.
20
Aristoteles, Peri psyché 420.
21
Vgl. Hedwig, K., Neuere Arbeiten zur mittelalterlichen Lichttheorie, S. 605 ff.; Zeitschr. f. phil.
Forschung, Bd. 33 - Heft 1, 1979, Meisenheim/Glan

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22
Baur, L., CUSANUS-TEXTE, III. Marginalien, 1. Nicolaus Cusanus und Ps. Dionysious im Lichte
der Zitate und Randbemerkungen des Cusanus: "Gott ist Licht und Erleuchter (illuminator),
fons lucis cognitiones..." (S. 44).
23
Vgl. Hedwig, K., a.a.0. S. 606. Dazu auch Jacobi, K.: a.a.O.: "...Gottes Wort als "lumen
illuminans", als "veritas, per quam intelligimus"..." (S. 145).
24
Dazu: Flasch, K., Nikolaus von Kues, Geschichte einer Entwicklung, Vittorio Klostermann, Frft.
am Main, 1998: "Das reale Sein des Erkannten bleibt nicht ausserhalb, es wird "bezeichnet".
Allerdings wird es n u r bezeichnet, nicht real hereingeholt...." (S. 628).
25
Velthoven, a.a.0. bemerkt, dass sich die eine Wahrheit dem endlichen Verstand in einer
Vielheit von Zeichen entfaltet und dass sich in einer reichen Vielheit einander folgender und
ergänzender Zeichen eine bessere Annäherung an die Wahrheit ergibt. (S. 72).
26
Vgl. auch Anmerkung 1, Kapitel 2 der Meiner-Ausgabe.
27
De Vries, J., Grundbegriffe der Scholastik, Wiss. Buchgesellschaft, Darmstadt, 1983, S. 102 ff.
28
Aristoteles, De anima III 12, 434 a 22 ff., vgl. Anmerkung 2 der Meiner-Ausgabe.
29
De docta ignorantia,II 12 n. 166, vgl. Anmerkung 3.
30
Brinkmann, ebd., zu ars: "Der Mensch ist seit dem Sündenfall von Gott entfernt und in die
Not des Lebens versetzt. Seine Aufgabe ist es, durch ars auszugleichen, was ihm die Natur
versagt hat, und das göttliche Ebenbild in sich wiederherzustellen" (nach Hugo von St.
Victor). (S. 14)
31
Augustinus, De magistro, 9,27, Reclam, Stuttgart 1998.
32
Ebd., De magistro 9,28.
33
De docta christiana II 2, vgl. Anmerkung 9 der Meiner-Ausgabe,
34
Vgl. auch Anmerkung 9 und 10 der Meiner-Ausgabe,
35
Otto, St., Nikolaus von Kues, in: Klassiker der Philosophie, München, 1985. "Mit seiner Lehre
vom funktionalen Verwiesensein der Dinge in der Welt zerstört Kusanus die aristotelische
Substanzontologie, die vom Ding als der in-sich-stehenden Substanz ausgeht, um dann
jegliche Relation nur mehr als akzidentelle Bestimmung der Substanz denken zu können; an
die Stelle der Ontologie der Substanz rückt er eine Ontologie der Funktion und unterläuft
eben damit das antik-mittelalterliche Weltverständnis." (S. 260)
36
Jacobi, K; Die Methode der Cusanischen Philosophie, Freiburg-München, 1969.
"Funktionalität - nicht Substantialität - ist der Seinssinn des weltlich Seienden. Jedes verweist
auf jedes, und jedes ist auf jedes bezogen. Diese Bezogenheit ist nicht mehr als akzidentelle
Kategorie zu verstehen, sie ist vielmehr konstitutiv für die Eigenheit und Bestimmtheit jedes
Einzelnen." (S. 17)
37
Vgl. n.3,3 und n.4,2.
38
Anselm von Canterbury, Proslogion 2-5, Stuttgart-Bad Cannstatt, 1962
39
Vgl. Kleines Philosophisches Wörterbuach, Herderbücherei, Fr.i.Br. 1971.
40
Meier-Oeser, St., Nikolaus von Kues, in: Klassiker der Sprachphilosophie, München 1996.
"Sprache ist von ihrem Ursprung her konstitutives Moment menschlicher Existenz." (S.10;
41
De venatione sapientiae 33; vgl. Anmerkung 1 der Meiner-Ausgabe.
42
Schulze, W., Harmonik und Theologie bei Nikolaus Cusanus, Wien, 1983.111. Der
Wissenschaftsbegriff des Nikolaus von Kues: "Wissenschaft geschieht als Tun des Menschen
im Nachvollzug göttlicher Weltordnung." (S. 27)
43
Vgl. Anmerkung 6 der Meiner-Ausgabe.

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44
Haubst, R., Zusammenfassende theologische Erwägungen, in: MFCG 8, 1970. Haubst weist
auf die heuristische Rolle hin, die das freie Spiel des Geistes - bei der Deutung der
Wirklichkeit - bei Nikolaus von Kues spielt. (S. 194).
45
Vgl. Anmerkung 8 der Meiner-Ausgabe,
46
De coniecturis VIII n. 34 und De possest n.24,2 und De apice theoriae n.5,3.
47
Chapeau de, Donat, "Das Auge ist ein Herr, das Ohr ein Knecht", Der Weg von der
mittelalterlichen zur abstrakten Malerei, Wiesbaden 1983.
48
Vgl. Anmerkung 4 der Meiner-Ausgabe
49
Vgl. Anmerkung 7 der Meiner-Ausgabe
50
Boethius, De institutione musica, Buch I, Kapitel 9, Frankfurt a.M. 19662.
51
Zitiert nach J. de Vries, ebd.: S. 11: "connaturale est homini, ut species intelligibiles in
phantasmatibus videat".
52
"Continuatio intellectus ad imaginationem", De ver. q. 2 a.6.
53
Weier, R., Das Thema vom verborgenen Gott von Nikolaus von Kues zu Martin Luther,
Münster Westf., 1967. "Der Schüler nimmt die sinnfälligen Laut- und Schriftzeichen nur in
sich auf, um Geistiges zu verstehen. Er bedient sich der Laut- und Schriftzeichen als Brücke
zum Geistigen, er gebraucht sie „perfunctorie", d.h. nur insofern sie eine Funktion in der
Uebermittlung des Geistigen erfüllen" (De filiatione dei H IV, 60, 1-7).
54
Vgl. De Vries, ebd. S. 9.
55
Vgl. n. 16,12 ff.
56
"... die substantielle Form unterscheidet sich dadurch von der akzidentellen Form, dass
letztere nicht das Sein einfachhin gibt, sondern ein dazukommendes (accidens) Sosein (esse
tale)." (Vgl. J. de Vries, S. 45)
57
De anima II 6, 418 a 20 und III 1, 425 a 21 - b4. (Vgl. Anmerkung 5 der Meiner-Ausgabe).
58
S. th 3 q. 66 a. 4.
59
Vgl. Anmerkung 6.
60
Aristoteles, Anal. post. 1, 22; 83 b 19-22; Thomas von Aquin, In de an. lect. 13 n. 396.
61
Aristoteles, Anal. post. 1, 22; 83 b 19-22; Thomas von Aquin, In de an. lect. 13 n. 396.
62
Vgl. n. 10,13.
63
Vgl. n. 10,13.
64
In De anima, II
65
Vgl. n. 16,5.
66
Vgl. n. 3,11 und 13; n. 10,9; n. 18,10 u.ö.
67
Vgl. De coniecturis, n. 145,15.
68
Vgl. Anmerkung 2 der Meiner-Ausgabe.
69
Velthoven, ebd.: "Im Kompendium benachdruckt Cusanus die pragmatische Einstellung, mit
der der Mensch die sinnenfälligen Daten als Bausteine für seine verstandesgemässen Begriffe
verwendet." (S. 75)
70
Vgl. Rogner, ebd.: In allem real Seienden ist Bewegung. Die Richtung dieser Bewegung geht
auf das Sein selbst, auf das Unendliche." (EXCIT. VII fol. 128 v: Omnis igitur motus est ad esse,
a quo solo recipiunt omnia, ut sint.) (S. 32).
71
Vgl. De ludo globi, 165 r.

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72
Vgl. Anmerkung 6 der Meiner-Ausgabe.
73
S. th. 1 q. 84 a.3.
74
n. 8,15; 66,17; 83,11.15.17; 92,8; 94,16; 152,3.
75
n. 83,10-12
76
Velthoven, ebd., weist auf die pragmatische Einstellung hin, mit der der Mensch die
sinnenfälligen Daten als Bausteine für seine verstandesmässigen Begriffe verwendet.(S. 75).

Meier-Oeser, ebd.: "In deutlicher Differenz zur herrschenden scholastischen Auffassung


werden nach Cusanus die geistigen Begriffe oder Konzepte nicht in einem natürlichen
Abstraktionsprozess gewonnen, sondern durch ein artifizielles Verfahren der Trennung und
Verbindung sinnlicher Erkenntnisbilder (species sensibiles) hergestellt." (S. 103/104)
76b Vgl. Anmerkung 17.
77
Vgl.n. 28,2 und n. 39,3.
78
n. 16,6.11.15, n.17,1.7 u.ö.
79
n.43,5 und n.45,2.
80
n.3,9.16; n.12,6; n. 91,3.
81
Jacobi, ebd. betont die "Denkbewegung" des 'elicere'. (S. 136).
82
Dazu: Colomer, E., Nikolaus von Kues und Raimund Llull. Aus Handschriften der Kueser
Bibliothek. (Quellen und Studien zur Geschichte der Philosophie 2) Berlin 1961.
83
Johannes Evangelium 1,3.
84
Dupré, W., Apriorismus oder Kausaldenken nach der cusanischen Auffassung von der
Gotteserkenntnis? (mit Diskussion), in: MFCG 11 (1975). Dupré führt aus, dass die Frage nach
der Vermittlung cusanischen Philosophierens gerade im Wort als dem konkreten Anfang
dieser Vermittlung endet. (S. 190)
85
Vgl. Anmerkung 7, Kapitel 7 der Meiner-Ausgabe.
86
n.19,34 und n.42,9.
87
n.57,14; 66,14 u.ö.
88
n. 57,14.
89
De anima II 8 419 b 19.
90
Confessiones, c V; 244,10f. In: Confessiones. Ed. Pius Knoell, Pra 1896.
91
Ebd. c IV; 243,4 ff.
92
S. th. 1 2. 27 a.1.
93
Zum Titel "Cosmographia" vgl. Bernhard Silvestris "De universitate mundi" (bzw.
Cosmographia), zitiert nach Brinkmann, ebd., S. 55; Pierre d'Ailly, Compendium
Cosmographiae, 1413, zit. nach J.H. Parry, Das Zeitalter der Entdeckungen, Kindlers
Kulturgeschichte des Abendlandes, Bd. XII. Weitere Verwendung des Titels bei Sebastian
Münster, 1550, in: Das Bild der Stadt in der Neuzeit, 1400-1800, München 1999.
94
De anima, Buch II, Kap. 7, 418 a ff.
95
Kapitel 8, 124 r.
96
Vgl. Donat de Chapeaurouge, ebd.
97
Velthoven, ebd. hebt hervor, dass Cusanus den Sinnen und dem Verstand eine eigene Rolle
im Erkenntnisprozess zuerkennt (S. 109).
Dangelmayr, S., Gotteserkenntnis und Gottesbegriff in den philosophischen Schriften des

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Nikolaus von Kues, Meisenheim a.G., 1969: D. hält fest, dass auch für Thomas von Aquin die
Erkenntnis tatsächlich bei dem zu beginnen hat, was für uns die Sinne an Gegebenheiten
liefern.(S. 204).
98
Velthoven, ebd.:"Die sinnliche Wahrnehmung erfüllt eine unerlässliche Rolle, weil sie jene
Anregung ist, die den Geist aktiviert, d.h. ihn dazu veranlasst, seine eigene Aktivität zu
vollziehen". (S. 109).
99
Henke, N., Der Abbildbegriff in der Erkenntnislehre des Nikolaus von Kues, Aschendorf, 1969.
Ausführungen zur tabula-rasa-Thematik im Werk des Cusaners finden sich im Kapitel "tabula
rasa oder Apriori?" (S. 52- 54).
100
Danglmayr, ebd.: "So muss der Geist also in die Sinne hinab steigen und sich mit dem
Materiellen:, mit dem Wahrnehmbaren und Wahrgenommenen einlassen; ... aber er ist
zugleich imstande, von den Sinnen aus den Aufstieg zur Vernunft zu vollziehen." (S. 99).

100b Vgl. Anmerkung 5 der Meiner-Ausgabe.


101
Velthoven, ebd.:"In sich selbst entdeckt der Geist aufgrund der in ihm wirksamen
Widerspiegelung der göttlichen Wahrheit, welche die absolute Einfaltung von allem ist, die
Wirklichkeit, so wie diese in ihm auf geistige Weise eingefaltet ist." (8.121).

Haubst, R., Nikolaus von Kues auf Spuren des Thomas von Aquin, MFCG 5, 1965: "Ueber die
Selbsterkenntnis des Geistes führt also für Nikolaus der Weg von der Welterfahrung zu Gott."
(S. 62)
102
Die Spiegelgleichnisse in De filiatione Dei und De venatione sapientiae behandelt Stadler, 1.
in: Rekonstruktion einer Philosophie der Ungegenständlichkeit, München 1983. (S. 80 -82).
103
Ziegler, J., Dulcedo Dei, a.a.0.
104
Vgl. Anmerkung 1 der Meiner-Ausgabe
105
n.18,12-14.
106
Vgl. Philosophisches Wörterbuch, ebd.
107
De Vries, J., ebd.: 'perfectio mixta' (mit Unvollkommenheit gemischte Vollkommenheit). (S.
103)
108
MGG, Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Bd. 1, Kassel und Basel, 1949-1951, Stichwort
'Artes liberales', S. 738 ff.
109
Boethius, ebd.
110
Vgl. Anmerkung 6 der Meiner-Ausgabe.
111
Zu dieser Thematik siehe: Flasch, K., Ars imitatur naturam, in: Parusia, Frankfurt/M. 1965, S.
265-306.
112
Hirschberger, J., Geschichte der Philosophie, Bd. 1., 1960.
113
Augustinus, De trinitate, XV, 10,19.
114
Velthoven, ebd.: "Die Definition gibt an, was wir unter bestimmten Wörtern verstehen,
jedoch nicht, was die Wirklichkeit in sich ist." (Zu Comp. X 28, 1.4). S. 241.

Schneider, G., Gott - das Nichtandere, Münster/W. 1970: "Die Bestimmung in der Definition
ist eine sprachliche Darstellung (oratio) und gleichzeitig die Begründung (ratio) des in ihr
bezeichneten Gegenstandes." (Zu Comp. X, n. 28,7 sq.). (S. 110)
115
Vgl. n. 19,26.

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116
Dupré, ebd.sieht die Frage der "species notitiae principii" mit dem Kausalitätsgedanken
zusammen und vergleicht sie mit dem, was von Hegel als das Problem des philosophischen
oder spekulativen Satzes vorgestellt wird. (S. 185)
117
Senger, G.H., Die Sprache der Metaphysik, in: Jacobi, K. (Hg.), Nikolaus von Kues. Einführung
in sein philosophisches Denken, Freiburg/München 1979. "Das ganze Forschen des Kusaners
geht in den letzten Lebensjahren darauf aus, eine kompakte Kurzformel als sprachliches
Zeichen für einen offenen Gottesbegriff zu finden, die explikatorisch das freigibt, was
komplizit in sie hineingedacht ist.... Gottesnamen wie das posse (Compendium) sind solche
Versuche." (S. 95 ff.)
118
Flasch, ebd.: "Das Können, das sich ausgleichend selbst über Widersprechendes erstreckt...,
übt seine Mach als Gleichheit und durch die Gleichheit aus. Können, Gleichheit und die
Einheit beider, das ist die neue Formel der letzten Trinitätsphilosophie." (S. 624).
119
Flasch, ebd.:"Dem Können geht nichts voraus, denn es müsste, was ihm vorausgehen sollte,
sein können. Es gibt also nichts Mächtigeres als das Können; also ist "Können", Posse, der
bevorzugte Name des ersten Grundes." (S. 624)
120
Dangelmayr, ebd. führt zum Ansatz des cusanischen und des thomasischen Gottesbegriff aus,
Cusanus habe vom Absoluten und seinem Begriff ausgehend, die Bedingung der Möglichkeit
der endlichen, sinnlich erfahrbaren Welt aufgewiesen … Thomas hingegen fange bei seinem
Aufweis der Existenz Gottes mit der Faktizität dieses Kosmos an ..." (S. 205)
121
De ente et ess. 5 (a1.6) n.24.
122
Zur Aussage: "Cognitio vero fit per similitudinem" (32,5) siehe Schneider, G., Gott 1.». das
Nichtandere, Münster Westf., 1970: "in diesem Kapitel wird überdies deutlich, dass dieser
Satz der erkenntnistheoretischen Betrachtung der logischen Wahrheit zugrunde liegt; hier
vollzieht sich Erkenntnis durch Verähnlichung." (S.23).
123
S. th. 2,2 q. 180 a 5 ad 2.
124
Zu 'imaginatio' vgl. n. 9,11.
125
Bormann, K.: Die Koordinierung der Erkenntnisstufen (descensus und ascensus) bei Nikolaus
von Kues, in: MFCG 11, 1975: "Wenn im Compendium die mens humana "Zeichen der
Gleichheit" ist, ist sie Zeichen und Erscheinung der göttlichen Vernunft, die zwar "in
verschiedener Aehnlichkeit auf verschiedene Weise" in allem erscheint, sich vornehmlich
aber in der mens humana manifestiert, die deshalb prima apparitio der göttlichen Vernunft
ist - Zeichen, Bild oder Erscheinung in Andersheit." (S. 63).

Ders.: Zur Frage nach der Seinserkenntnis in dem wahrscheinlich letzten philosophisch-
theologischen Werk des Nikolaus von Kues, dem "Compendium", in: Archiv für Geschichte
der Philosophie 50, Bd., 19687 Heft 1/2: "...Nikolaus lehrt eine asymptotische Annäherung,
eine Teilhabe in Andersheit an der Wahrheit. Die Möglichkeit einer solchen Annäherung an
die Wahrheit beruht einzig darauf, dass die mens humana Zeichen und erste Erscheinung der
göttlichen Vernunft ist." (S. 188).

Zu 33,11: Der in der Handschrift "Ma" eingesetzte Term 'aequalitatis' ist überzeugender als
das im vorliegenden Text verwendete "coaequalitatis", hat doch das 'co' - als Beifügung - an
dieser Stelle keine spezifische Bedeutung.
126
Zu 'adaequatio': vgl. Van Velthoven, ebd.: Mit der Assimilationstheorie des Cusanus muss die
Weise, wie er die im Mittelalter übliche Definition der Wahrheit als "adaequatio rei et
intellectus" vorbringt, in Zusammenhang gebracht werden." (S. 60).

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Bormann, K.: Zur Frage nach der Seinserkenntnis, ebd.: "... die Wahrheit ist aequatio rei et
intellectus. Das scheint ein Hinweis darauf zu sein, dass der menschliche Verstand sich in
seiner Aktivität den extramentalen Gegenständen angleicht." (S.184)
127
Vgl. Anmerkung 34, zu Kapitel 10 der Meiner-Ausgabe.
128
n.4, 9-11.
129
n. 34,21.
130
S.th. 1 q. 76 a.4.
131
Bormann, K., Zur Frage nach der Seinserkenntnis, ebd.: "Das Einprägen der Signa in die Sinne
ist eine Formgebung. Formgebung ist zielstrebiges Wirken; zielstrebiges Wirken setzt
Vernunft voraus. Folglich ist die Vernunft am Werk, wenn der Sinn das signum eines
Gegenstandes rezipiert." (S. 185)
132
Bormann, K., Zur Frage nach der Seinserkenntnis, ebd.: "... die Vernunft formt "per propriam
suam similitudinem". Diese propria similitudo der Vernunft ist Werkzeug der Vernunft, wenn
der Sinn durch das signum geprägt wird, ebenso wie das vom Gegenstand ausgehende
signum Instrument der Vernunft ist. Somit ist die sinnliche Wahrnehmung Werk der
Vernunft. Sie unterscheidet sich von der Vernunfterkenntnis dadurch, dass ihr ein
Gegenstand gegeben sein muss, dessen Zeichen sie aufnimmt." (S. 185)
133
In 2 Sent. d 13 2. 3
134
In De an. 2, 1.2 n. 1304.
135
Vgl. Anmerkung 4 der Meiner-Ausgabe.
136
De ver. q. 10 a.8.: „Dadurch nimmt jemand wahr (percipit), dass er eine Seele hat, dass er
seine Akte des sinnlichen Wahrnejmens und Denkens wahrnimmt." De ver. q. 10 a.8.
137
S.th. 1 q. 84 a 6 et 7; q. 85 a.1
138
Vg1. Anmerkung 5 der Meiner-Ausgabe.
139
De anima, I5, 410 a 25, a a O
140
S.th. 1 q. 76 a.4.
141
Vgl,.Kl: Ph. Wörterbuch, ebd.
142
S.th. 1 q. 14 a.1.
143
Ziegler, J., Dulcedo Dei, a.a.O.
144
0tto St., Hrsg., Geschichte der Philosophie, Renaissance und frühe Neuzeit, Reclam, Stuttgart,
1984. (S. 15).
145
1 Cor. 13,12.
146
Vgl. auch Anmerkung 20 der Meiner-Ausgabe.

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