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Jan-Markus Schwindt

Tutorium
Quanten-
mechanik
von einem erfahrenen Tutor –
für Physik- und Mathematikstudenten
2. Auflage
Tutorium Quantenmechanik
Jan-Markus Schwindt

Tutorium
Quantenmechanik
von einem erfahrenen Tutor – für
Physik- und Mathematikstudenten

2. Auflage
Jan-Markus Schwindt
Heidelberg, Deutschland

ISBN 978-3-662-49398-4 ISBN 978-3-662-49399-1 (eBook)


DOI 10.1007/978-3-662-49399-1

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Vorwort

Die Quantenmechanik (QM) ist auch heute noch eine ziemlich mysteriöse Theorie.
Im Gegensatz beispielsweise zur Relativitätstheorie ist sie nicht aus einer bestimm-
ten Grundidee, einem physikalischen Prinzip heraus entstanden. Eher widerwillig
mussten die Physiker ihre Gesetzmäßigkeiten akzeptieren, die jeglicher Intuition
widersprechen. Viele Aspekte ihrer Interpretation sind bis heute umstritten.
Ich habe versucht, ein Lehrbuch zu schreiben, das ich selbst als Student gern
gelesen hätte. Ein Buch, das viele Missverständnisse bzw. ungenaue Vorstellungen
oder Fragezeichen, die sich mir im Zusammenhang mit der QM damals für eini-
ge Zeit im Kopf festgesetzt hatten, von vornherein ausgeräumt hätte. Oder das mir
in einigen Fällen bestätigt hätte, dass meine Fragezeichen zu den noch heute heiß
diskutierten Unklarheiten in der Interpretation der QM gehören. Das Buch, das da-
durch entstanden ist, unterscheidet sich in einigen Punkte von den meisten anderen
QM-Lehrbüchern:
Erstens hebt es die mysteriösen Eigenschaften der Theorie hervor und diskutiert
sie ausführlich. Deswegen beginnt es gleich mit der Bell’schen Ungleichung als
Vorgeschmack auf das, worauf wir uns einlassen. Andere QM-Bücher handeln die
QM oft wie etwas mittlerweile Selbstverständliches, Altbekanntes ab, einfach als
einen Teil des Physik-Kanons. Das entspricht nicht den Tatsachen. Die Grundla-
gen der Quantenmechanik sind nämlich durch alle Jahrzehnte von 1900 bis heute
durchgehend Gegenstand der Forschung und hitziger Debatten gewesen (im Gegen-
satz zur speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie, deren Grundlagen seit 90
Jahren verstanden sind), wobei es immer wieder zu überraschenden neuen Erkennt-
nissen kam. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Interpretationen der Theorie,
die sich in ihrer Weltsicht ganz fundamental unterscheiden. Diesen Interpretationen
wird ein eigenes Kapitel gewidmet.
Zweitens entwickelt das Buch den Stoff vom Allgemeinen zum Speziellen. Zu-
nächst werden die allgemeinen Postulate der QM dargestellt und ausführlich dis-
kutiert. Die Wellenfunktion als Spezialfall eines Quantenzustands folgt erst später.
Das hat den Vorteil, dass die wesentliche Hürde gleich am Anfang genommen und
ein doppelter Anlauf vermieden wird. Viele Bücher entwickeln den Stoff nämlich
zweimal: zuerst am Beispiel von Schrödingers Wellenmechanik und dann später
V
VI Vorwort

noch einmal unter dem Titel „abstrakte Formulierung“. Aus meiner Sicht ist es bes-
ser, gleich mit dem Abstrakten zu beginnen und dadurch auch das Missverständnis
zu vermeiden, dass die QM ausschließlich eine Theorie der Wellenfunktionen ist.
Drittens werden die allgemeinen Postulate und Grundbegriffe der QM allesamt
am einfachsten nichttrivialen Quantensystem erläutert: dem zweidimensionalen Zu-
standsraum des Elektronenspins, auch Qubit genannt.
Auch bei den Wellenfunktionen bleiben wir dem Prinzip des einfachsten Bei-
spiels treu. Statt wie die meisten Bücher direkt vom eindimensionalen zum dreidi-
mensionalen Ortsraum zu springen, machen wir Zwischenstation in zwei Dimen-
sionen. Denn hier lassen sich Variablenseparation und vor allem Zentralpotential
einfacher erläutern als in drei Dimensionen (insbesondere ohne Kugelflächenfunk-
tionen).
Viertens wird großen Wert auf begriffliche Klarheit und Verständnis des mathe-
matischen Hintergrunds gelegt. Durch diese Klarheit wird Missverständnissen von
Anfang an vorgebeugt.
Ein großer Teil der QM spielt sich z. B. im unendlichdimensionalen Raum der
Wellenfunktionen ab. Viele Sätze, die man aus der Linearen Algebra der endlichdi-
mensionalen Vektorräume kennt, gelten hier nicht mehr. Auf diese Besonderheiten
wird ausführlich eingegangen.
Auch den Tensorprodukten wird hinreichend Raum eingeräumt, da diesen in der
QM eine überragende Rolle zukommt, z. B. beim Begriff der verschränkten Zustän-
de oder bei der Kombination von Wellenfunktion und Spinzustand.
Fünftens sind die Aufgaben nicht am Ende eines Kapitels versammelt, sondern
stehen mitten im Text. Dadurch soll der Leser direkt beim Lesen zum Mitdenken
und Nachrechnen angeregt werden. Die Lösungen zu den Aufgaben finden Sie am
Ende des Buches.
Der Fokus dieses Buches liegt auf den allgemeinen Postulaten der QM, ihrer
Interpretation, ihren Grundbegriffen und ihrer mathematischen Formulierung. Der
erste und umfangreichste Teil des Buches ist dieser Thematik gewidmet.
Im zweiten Teil wird ein wichtiger Spezialfall behandelt: die QM der Wellen-
funktionen in ein, zwei und drei Raumdimensionen unter der Voraussetzung, dass
der Hamilton-Operator nur aus dem kinetischen Term und einem zeitunabhängigen
Potential besteht. Die wichtigsten Beispiele sind hierbei der Harmonische Oszillator
und das Wasserstoffatom. Auch die Streutheorie wird in diesem Rahmen diskutiert.
Der dritte Teil umfasst weitere Themen, die zum kanonischen Stoff einer QM-
Vorlesung gehören: Kombination von Spin und Drehimpuls, QM mit Elektroma-
gnetismus, Störungsrechnung und Systeme mit mehreren Teilchen. Hier werden
nur die Grundideen und -methoden dargestellt sowie einige einfache Beispiele. Für
Anwendungen wie z. B. die Fein- und Hyperfeinstruktur des Wasserstoffs oder die
Theorie der atomaren Übergänge wird auf geeignete Literatur verwiesen. Abgerun-
det wird das Ganze durch eine kurze Erklärung des Pfadintegral-Begriffs und durch
die relativistische Theorie des Elektrons (Dirac-Gleichung).
Zielgruppe des Buches sind in erster Linie natürlich Physikstudenten, die die
QM im Rahmen der theoretischen Physik hören. Durch den axiomatisch-deduktiven
Ansatz und die detaillierte Diskussion des mathematischen Hintergrunds ist es auch
Vorwort VII

sehr gut für Mathematiker geeignet, die sich im Nebenfach oder in ihrer Freizeit mit
der QM auseinandersetzen möchten. An manchen Stellen versuchen wir explizit,
die „kulturelle Barriere“ zwischen Mathematikern und Physikern zu überwinden.
Einige Themen, die sehr spannend, aber zum unmittelbaren Verständnis (und
zum Bestehen von Prüfungen) nicht zwingend erforderlich sind, wurden für neu-
gierige Leser, die es genauer wissen wollen, in separate Textstellen, sog. „Streber-
Ecken“, gestellt.

Danksagung

Das Buch ist nicht durch meine Arbeit allein entstanden. Den Menschen, die dieses
Projekt ermöglicht, das Buch mitgeformt und mich dabei unterstützt haben, möchte
ich an dieser Stelle danken:

 Vera Spillner vom Springer Verlag für die Gelegenheit, dieses Buch zu schrei-
ben; für die anregenden Diskussionen; für die Versorgung mit Lektüre; und fürs
Korrekturlesen, ein entscheidender Beitrag zur Qualität dieses Buches;
 Bianca Alton vom Springer Verlag für die organisatorische Betreuung des Pro-
jekts in der heißen Endphase; sie hat mir bei vielen Fragen und Formalitäten
weitergeholfen;
 Kristin Riebe für die Erstellung zweier Abbildungen, in denen wieder einmal ihr
grafisches Talent aufleuchtet;
 Bernhard Brosda für die nette Idee mit den Cartoons;
 Anja Stemme und Jörg Kügler für die Versorgung mit Materialien zur Bell’schen
Ungleichung;
 Andreas Rüdinger für die Erwähnung des Gelfand’schen Raumtripels;
 Michael Doran für den Hinweis auf [Shankar (2008)];
 meiner Mutter für die moralische Unterstützung.

Dass ich heute überhaupt in der Lage bin, ein solches QM-Buch zu schreiben,
verdanke ich den vielen Lehrern, Freunden und Inspirationsquellen auf meinem
bisherigen Lebensweg. Ich möchte hier nur zwei explizit erwähnen. Ich danke also

 meinem Mathelehrer Hanspeter Eichhorn, der vor langer Zeit meinem Interesse
an Mathematik Nahrung und gewissermaßen Beine zum Laufen gegeben hat.
 meinem Doktorvater Prof. Christof Wetterich für Inspiration und Unterstützung
über viele Jahre hinweg.

Frankfurt im Juni 2013 Jan-Markus Schwindt


Vorwort zur 2. Auflage

In dieser Auflage ist das neue Schlusskapitel „Quanten-Pandämonium“ (Kap. 15)


hinzugekommen, das noch einmal anhand einiger Experimente und theoretischer
Schlussfolgerungen die „dämonische“ Seite der QM hervorhebt. Der Inhalt gehört
nicht zum Standardstoff einer QM-Vorlesung, ist aber sehr aufschlussreich, was
den dunklen Charakter der QM angeht, und außerdem (jawohl!) sehr unterhaltsam
(naja, zumindest war es das beim Schreiben für den Autor). Ebenfalls neu ist ein
Abschnitt zur Dekohärenz (Abschn. 12.4), den ich wegen der großen Bedeutung
dieses Themas für die jüngere Forschung und für das Verständnis der Beziehung
zwischen klassischen und quantenmechanischen Erscheinungen hinzugefügt habe.
Außerdem habe ich einige typografische Fehler und kleinere Ungenauigkeiten aus
der 1. Auflage korrigiert.

Heidelberg im November 2015 Jan-Markus Schwindt

IX
Inhaltsverzeichnis

Teil I Formalismus und Interpretation

1 Einleitung: Nichtlokal oder unreal? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume . . . . . . . . . . 9


2.1 Die Postulate der Quantenmechanik – Überblick . . . . . . . . . . . 9
2.2 Zustände im Hilbert-Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
2.3 Lineare hermitesche Operatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
2.4 Eigenwerte und Eigenvektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
2.5 Projektion und Messung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
2.6 Unitäre Operatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
2.7 Zeitentwicklung und Schrödinger-Gleichung . . . . . . . . . . . . . 42
2.8 Kommutator und Unschärfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
2.9 Schrödinger-Bild und Heisenberg-Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
2.10 Tensorprodukte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume . . . . . . . 75


3.1 Mengen von Funktionen als Vektorräume . . . . . . . . . . . . . . . 76
3.2 Skalarprodukt und Orthonormalbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
3.3 Pseudo-Vektoren und Fourier-Transformation . . . . . . . . . . . . . 95
3.4 Orts- und Impulsoperator, Korrespondenzprinzip . . . . . . . . . . . 106
3.5 Materiewellen und Welle-Teilchen-Dualität . . . . . . . . . . . . . . 109
3.6 Schrödinger-Gleichung im eindimensionalen Ortsraum . . . . . . . 117
3.7 Mehrere Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
3.8 Mehrere Teilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

4 Interpretationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
4.1 Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
4.2 Viele-Welten-Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
4.3 Kopenhagener Deutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
4.4 De-Broglie-Bohm-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

XI
XII Inhaltsverzeichnis

4.5 Kollapsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149


4.6 New-Age-Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
4.7 Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

Teil II Einzelnes skalares Teilchen in äußerem Potential

5 Eindimensionale Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157


5.1 Zerfließen eines Gauß’schen Wellenpakets . . . . . . . . . . . . . . . 158
5.2 Stückweise konstante Potentiale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
5.2.1 Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
5.2.2 Potentialstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
5.2.3 Potentialtopf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
5.2.4 Potentialwall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
5.3 Harmonischer Oszillator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174

6 Zweidimensionale Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179


6.1 Kartesische Koordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
6.2 Polarkoordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

7 Dreidimensionale Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189


7.1 Drehimpulsalgebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
7.2 Kugelflächenfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
7.3 Zentralpotential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
7.4 Freies Teilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
7.5 Coulomb-Potential und Wasserstoffatom . . . . . . . . . . . . . . . . 213

8 Streutheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
8.1 Wirkungsquerschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
8.2 Born’sche Näherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
8.3 Streuphasenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231

Teil III Weiterführende Themen

9 Spin .................. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237


9.1 Spin 1/2 und Spin 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
9.2 Addition von Drehimpulsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
9.3 SO(3) und SU(2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248

10 Elektromagnetische Wechselwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259


10.1 Hamilton-Operator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
10.2 Eichinvarianz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
10.3 Magnetisches Moment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
Inhaltsverzeichnis XIII

10.4 Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268


10.4.1 Normaler Zeeman-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
10.4.2 Stern-Gerlach-Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
10.4.3 Aharanov-Bohm-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270

11 Störungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
11.1 Stationäre Störungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274
11.1.1 Entwicklung nach Störparameter . . . . . . . . . . . . . . . . 274
11.1.2 Stark-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
11.1.3 Fein- und Hyperfeinstruktur des H-Atoms . . . . . . . . . . . 279
11.2 Zeitabhängige Störungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
11.2.1 Entwicklung nach Störparameter . . . . . . . . . . . . . . . . 280
11.2.2 Dirac-Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
11.2.3 Periodische Störung und Fermis Goldene Regel . . . . . . . 286

12 N-Teilchen-Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
12.1 Bosonen und Fermionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292
12.1.1 Unterscheidbare und ununterscheidbare Teilchen . . . . . . 292
12.1.2 Zwei Teilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
12.1.3 N Teilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
12.2 Fock-Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
12.3 Dichteoperator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
12.4 Dekohärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307

13 Pfadintegral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313

14 Dirac-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319

15 Quanten-Pandämonium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
15.1 Ein Delayed-Choice-Experiment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326
15.2 Wechselwirkungsfreie Messung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328
15.3 Quantenradierer mit verschränkten Photonen . . . . . . . . . . . . . 330
15.4 Quanten-Zeno-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332
15.5 Kochen-Specker-Theorem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334

Lösungen der Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373
Teil I
Formalismus und Interpretation
Einleitung: Nichtlokal oder unreal?
1

Mithilfe der Bell’schen Ungleichung wird gezeigt, dass eine quantenmechanische Welt ent-
weder nichtlokal oder unreal sein muss, und was das überhaupt heißt.

Die Quantenmechanik hat durch ihre jeder Intuition widersprechenden Aussa-


gen von Anfang an viele Kontroversen ausgelöst. Insbesondere die Vorstellung, ein
im Experiment gemessener Wert habe vor der Messung noch nicht festgestanden,
sondern würde sich erst im Moment der Messung spontan entscheiden, wurde von
vielen nicht akzeptiert. So wurde häufig über „ verborgene Variablen“ spekuliert
(auch „verborgene Parameter“ genannt), die den Ausgang einer Messung eben
doch schon vor ihrer Durchführung eindeutig festlegen.
Erst 1964, 38 Jahre nachdem der Formalismus der Quantenmechanik formuliert
wurde, konnte John Bell zeigen, dass verborgene Variablen, wenn es sie denn gibt,
eine bestimmte „unschöne“ Eigenschaft besitzen, die sie für die Mehrheit der Physi-
ker sehr unattraktiv macht: Sie müssen „ nichtlokal“ sein, d. h., die Änderung einer
Variablen an einem Ort hat instantane Auswirkungen auf den Rest der Welt, ohne
Berücksichtigung der durch die Lichtgeschwindigkeit gegebenen Grenzen für die
Signalausbreitung.
Im Allgemeinen gehen wir von der Realität und Lokalität physikalischer Phä-
nomene aus. Realität bedeutet hierbei, dass die Eigenschaften eines Objekts unab-
hängig davon bestehen, ob wir sie gerade beobachten oder nicht. Insbesondere wird
eine Eigenschaft nicht erst durch Messung erzeugt. Das Ergebnis, das eine Messung
ergeben würde, entspricht einer realen Eigenschaft des Objekts, die besteht, unab-
hängig davon, ob die Messung tatsächlich stattfindet. Lokalität bedeutet, dass sich
die Folgen von Ereignissen nur durch den Raum hinweg fortpflanzen können, und
zwar maximal mit Lichtgeschwindigkeit.
Bell hat gezeigt, dass die Quantenmechanik nicht zugleich real und lokal sein
kann, dass also mindestens eine der beiden genannten Annahmen falsch sein muss.
Für den Beweis stellte er eine Ungleichung auf, die sog. Bell’sche Ungleichung,
die im Fall einer realen, lokalen Welt erfüllt sein muss, und zeigte dann, dass diese
Ungleichung bei Quantenphänomenen verletzt ist. Wir wollen seine Beweisführung
am Beispiel von Photonen an Polarisationsfiltern nachvollziehen.

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 3


J.-M. Schwindt, Tutorium Quantenmechanik, DOI 10.1007/978-3-662-49399-1_1
4 1 Einleitung: Nichtlokal oder unreal?

x
E
r
E
φ

em-Welle em-Welle

Filter

Abb. 1.1 Elektromagnetische Welle an einem Polarisationsfilter in r-Richtung

x
r

ein Photon ein oder kein Photon

Filter

Abb. 1.2 Einzelnes Photon an einem Polarisationsfilter in r-Richtung

Eine elektromagnetische Welle bewege sich in z-Richtung und sei in x-Richtung


polarisiert. In der .xy/-Ebene sei ein Polarisationsfilter aufgebaut, der nur den An-
teil der Welle passieren lässt, der in Richtung r polarisiert ist, wobei r mit der
x-Achse den Winkel  einschließt. Die durchgelassene Amplitude E0 entspricht
der Projektion der ursprünglichen Amplitude E in r-Richtung (Abb. 1.1), für den
Betrag gilt also E 0 D E cos , für die Intensität I 0 D I cos2 .
Nun besteht aber die Welle bei genauerer Betrachtung aus Photonen, den Quan-
ten des elektromagnetischen Feldes. Allein dieser Umstand hat weitreichende Kon-
sequenzen. Denn jedes einzelne Photon kann den Polarisationsfilter entweder ganz
oder gar nicht passieren (Abb. 1.2).
Wenn N die Anzahl Photonen vor und N 0 die Anzahl Photonen hinter dem Filter
ist, dann muss N 0 D N cos2  gelten, damit die Gleichung für die Intensität erfüllt
ist (die Intensität ist proportional zur Photonen-Anzahl). Demnach besteht für jedes
Photon die Wahrscheinlichkeit cos2 , dass es den Filter passiert. Es stellt sich die
Frage, ob es sich hier tatsächlich bei jedem einzelnen Photon um einen „absoluten
Zufall“ handelt, ob es den Filter passiert, d. h. um einen Zufall, der nicht nur unserer
Unkenntnis der genauen Eigenschaften des Photons entspringt; ob sich das Schick-
sal des Photons also erst in dem Moment entscheidet, wenn es den Filter erreicht,
oder ob es „verborgene Parameter“ gibt, in denen die Entscheidung schon vorher
festgeschrieben ist, bzw. durch die sie sich erklären ließe.
Da das Auftreffen eines Photons auf den Filter als Messung mit zwei möglichen
Ausgängen angesehen werden kann, muss ein Anhänger des Realitätsprinzips da-
von ausgehen, dass es solche verborgene Parameter gibt. Denn die Eigenschaft des
Photons, den Filter passieren zu können (oder eben nicht), wird nach seiner Auf-
1 Einleitung: Nichtlokal oder unreal? 5

fassung nicht erst im Moment der Messung erzeugt, sondern muss schon vorher
gegeben sein.
Um die Frage zu entscheiden, müssen wir das Zusammenspiel der Messungen
mehrerer Eigenschaften betrachten, genauer gesagt ihre Korrelation. Betrachten
wir eine Menge gleichartiger Objekte, die jeweils drei binäre Eigenschaften A, B
und C besitzen, wobei binär hier bedeutet, dass für jedes Objekt A, B und C jeweils
entweder erfüllt ist oder eben nicht. Im Beispiel von Photonen mit verborgenen
Variablen könnte A die Eigenschaft eines Photons sein, einen Polarisationsfilter in
Richtung rA zu passieren, B und C entsprechend für Filter in Richtung rB bzw. rC .
Dabei kommt es gar nicht darauf an, ob in der jeweiligen Richtung tatsächlich ein
Polarisationsfilter aufgebaut ist. A besagt nur, dass wenn ein Filter in Richtung rA
aufgebaut ist, das Photon diesen passieren wird. Die Negation von A (Photon wird
den Filter nicht passieren) bezeichnen wir mit nA, und dies analog für B und C .
In der betrachteten Menge werden einige Objekte die Eigenschaft A besitzen,
andere nicht. Wenn man ein beliebiges Objekt herausgreift, wird man mit einer be-
stimmten Wahrscheinlichkeit p.A/ eines erwischt haben, für das A gilt, mit Wahr-
scheinlichkeit p.A; B/ eines, für das sowohl A als auch B gilt etc. Die Variante der
Bell’schen Ungleichung, mit der wir hier arbeiten wollen, lautet:

Bell’sche Ungleichung
p.A; B/  p.A; C / C p.B; nC / (1.1)

Sie folgt aus einer einfachen Mengenbetrachtung: Es gilt p.A; B/ D p.A; B; C / C


p.A; B; nC /, denn für jedes Objekt mit den Eigenschaften A und B ist C entweder
erfüllt oder nicht. Analoge Zusammenhänge gelten auch für die beiden anderen
Terme. Auf diese Weise lässt sich die Ungleichung umschreiben zu

p.A; B; C / C p.A; B; nC /
 p.A; B; C / C p.A; nB; C / C p.A; B; nC / C p.nA; B; nC /:

Die beiden linken Terme sind auch auf der rechten Seite enthalten. Da Wahrschein-
lichkeiten immer  0 sind, ist diese Ungleichung immer erfüllt und somit (1.1)
bewiesen.
Die experimentelle Überprüfung der Bell’schen Ungleichung ist jedoch nicht
gerade trivial. Das Problem ist, dass man bei Photonen nicht zwei Polarisationsrich-
tungen gleichzeitig messen kann. Wenn man einen Filter in rA -Richtung aufstellt,
kann man nicht zugleich in rB - oder rC -Richtung filtern. Das Hintereinanderauf-
stellen zweier Filter hilft auch nicht, denn die Messung im ersten Filter beeinflusst
das Photon, so dass die Wirkung des zweiten Filters nicht der enstpricht, die er ohne
den ersten gehabt hätte (Abb. 1.3).
6 1 Einleitung: Nichtlokal oder unreal?

rA

φA
φB
Photon

rB

Abb. 1.3 Eine Messung der Polarisation in zwei Richtungen rA und rB ist nur hintereinander
möglich. Die erste Messung beeinflusst jedoch den Zustand des Photons.

Wenn in unserem obigen Beispiel eines in x-Richtung polarisierten Photonen-


strahls der erste Filter im 45ı -Winkel zur x-Achse steht, wird genau die Hälfte der
Photonen durchgelassen. Wenn man dahinter einen zweiten Filter in y-Richtung
stellt, wird wieder die Hälfte der Photonen durchgelassen, also insgesamt ein Viertel
der ursprünglichen Photonen. Wenn hingegen gleich der erste Filter in y-Richtung
steht, werden gar keine Photonen durchgelassen. Das lässt sich anhand des Wel-
lenbildes leicht nachvollziehen: Am ersten Filter wird die Welle in die Richtung
des Filters projiziert. Zuvor war sie in x-Richtung polarisiert, danach in Richtung
der Winkelhalbierenden zwischen x- und y-Achse. Bei der Projektion am zweiten
Filter hat die Amplitude daher einen Anteil in y-Richtung, ein Teil der Welle wird
also vom zweiten Filter durchgelassen. Die Intensität verringert sich an jedem der
beiden Filter um den Faktor cos2 45ı D 12 , insgesamt also auf 14 der ursprünglichen
Intensität. Trifft die Welle hingegen sofort auf den Filter in y-Richtung, so wird sie
durch die Projektion annihiliert, da sie keinen Anteil in y-Richtung besitzt.
Somit kann der Filter in y-Richtung, wenn er hinter dem Filter in x-Richtung
steht, nicht mehr zur Messung der ursprünglichen Eigenschaft eines Photons, einen
Filter in y-Richtung passieren zu können, herangezogen werden.

Die Bell’sche Ungleichung lässt sich jedoch anhand von verschränkten Photo-
nen überprüfen. Verschränkte Photonen werden bei bestimmten atomaren Übergän-
gen erzeugt, z. B. bei Calcium. Dabei werden zwei Photonen in entgegengesetzter
Richtung ausgesandt, so dass Folgendes gilt:
Wenn man auf gegenüberliegenden Seiten der Photonenquelle Polarisationsfilter
aufbaut, so dass das eine Photon durch den einen, das andere Photon durch den an-
deren Filter muss, und beide Filter in die gleiche Richtung r filtern, dann passieren
entweder beide Photonen ihren jeweiligen Filter oder keines von beiden.
In unserer Schreibweise für angenommene verborgene Parameter heißt das:
Wann immer ein Photon die Eigenschaft A hat, dann hat diese auch das andere.
Und umgekehrt: Wann immer ein Photon die Eigenschaft nA hat, dann auch das
andere. Die Messung einer Eigenschaft am einen Photon ist also äquivalent zur
Messung am anderen.
Dieses beobachtete Verhalten ist bemerkenswert und spricht zunächst einmal
für das Vorhandensein von verborgenen Variablen. Darauf hat Einstein 1935 (zu-
sammen mit seinen Kollegen Podolsky und Rosen) als Erster hingewiesen, anhand
1 Einleitung: Nichtlokal oder unreal? 7

rA

φA
φB
Photon 1 Photon 2

rB

Abb. 1.4 Zwei verschränkte Photonen werden in entgegengesetzte Richtungen emittiert. Am


einen Photon wird die Polarisation in Richtung rA gemessen, am anderen in Richtung rB .

einer Variante des hier beschriebenen Phänomens. Ohne verborgene Variablen wür-
den sich nämlich die Photonen erst im Moment der Messung spontan entscheiden,
ob sie den jeweiligen Filter passieren oder nicht. Aber woher soll das eine Photon
wissen, wie sich das andere entschieden hat? Es ist, als würde das erste Photon dem
zweiten zurufen: „Hey, hier war ein Filter in x-Richtung, und den habe ich passiert,
du musst also das Gleiche tun.“ Einstein sprach von einer „spukhaften Fernwir-
kung“, einer Unmöglichkeit (Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon), und schloss
auf das Vorhandensein verborgener Parameter.

Betrachten wir also eine Quelle, die verschränkte Photonen in ˙z-Richtung aus-
sendet. Nehmen wir für den Moment an, dass Einsteins Schlussfolgerung korrekt
ist, dass also verborgene Parameter existieren. Mit A, B bzw. C bezeichnen wir die
Eigenschaft eines Photons, Polarisationsfilter in zuvor gewählten Richtungen rA , rB
bzw. rC passieren zu können. Diese Eigenschaften müssen bestehen, unabhängig
davon, ob in der jeweiligen Richtung tatsächlich ein Filter aufgebaut ist. Aufgrund
der Verschränkung können wir A, B und C von vornherein als Eigenschaft nicht
eines einzelnen Photons, sondern eines Photonen-Paares auffassen (da beide Photo-
nen eines Paares sich am gleichen Filter immer gleich entscheiden). Nun kann man
jeweils zwei Eigenschaften gleichzeitig messen und somit Korrelationen bestimmen
(Abb. 1.4).
Für die Überprüfung der Bell’schen Ungleichung (1.1) ist es nicht nötig, drei
Eigenschaften gleichzeitig zu messen. Man muss nur die Kombinationen .A; B/,
.A; C / und .B; C / hinreichend oft messen, um aus den relativen Häufigkeiten der
Ergebnisse auf die Wahrscheinlichkeiten p.A; B/, p.A; C / und p.B; nC / schlie-
ßen zu können.
Vorher kann man auch noch beide Filter in die gleiche Richtung rD aufstellen
und rD dabei variieren, um sich davon zu überzeugen, dass die Photonen wirklich
verschränkt sind: Es passieren immer beide Photonen eines Paares ihren Filter oder
keines von beiden. Dabei stellt sich heraus, dass unabhängig von rD immer p.D/ D
1=2 ist, d. h., der von der Quelle ausgesandte Photonenstrahl ist völlig unpolarisiert:
Für jede Filter-Richtung geht die Hälfte der Paare durch, die andere nicht.
Nun kann man die Wahrscheinlichkeiten in der Bell’schen Ungleichung bestim-
men. Um p.A; B/ zu messen, filtert man am einen Photon in Richtung rA , am
anderen in Richtung rB . Die übrigen Wahrscheinlichkeiten bestimmt man analog.
8 1 Einleitung: Nichtlokal oder unreal?

Die Messung liefert


1
p.A; B/ D cos2 AB ; (1.2)
2
wobei AB der Winkel zwischen rA und rB ist. Genauso findet man

1
p.A; C / D cos2 AC ; (1.3)
2
1 1
p.B; nC / D p.B/  p.B; C / D .1  cos2 BC / D sin2 BC : (1.4)
2 2
Eingesetzt in die Bell’sche Ungleichung (1.1) ergibt das

cos2 AB  cos2 AC C sin2 BC : (1.5)

Wählt man rB als Winkelhalbierende zwischen rA und rC , z. B. mit


AB D BC D 30ı , AC D 60ı , so erhält man

3 1 1
 C ; (1.6)
4 4 4
was offensichtlich nicht stimmt. Die Bell’sche Ungleichung ist nicht erfüllt! Unsere
Annahme von verborgenen Parametern hat also zu einem Widerspruch geführt.
Dieser Widerspruch lässt sich auf zwei Weisen umgehen:

1. Aufgabe der Realität: Die Photonen besitzen vor der Messung überhaupt keine
Eigenschaften vom Typ A, B, C . Erst im Moment der Messung (Auftreffen auf
den Polarisationsfilter) entscheidet sich ein Photon spontan, ob es diesen pas-
siert. Im Falle des verschränkten Photonenpaares entscheidet sich das Paar als
Ganzes, so dass die beiden Einzelmessungen im Einklang miteinander stehen.
2. Aufgabe der Lokalität: Die Messung des einen Photons beeinflusst instantan
das andere Photon, ohne Berücksichtigung der Lichtgeschwindigkeit. Dadurch
wird das zweite Photon „gestört“, und der zweite Filter misst somit nicht mehr
die ursprüngliche Eigenschaft (z. B. B), sondern eine modifizierte, ähnlich wie
beim Hintereinanderaufstellen zweier Filter bei der Messung an einem einzelnen
Photon.

Egal für welche Variante man sich entscheidet, die Quantenmechanik muss eine
ziemlich „verrückte“ Theorie sein, um die Wirklichkeit beschreiben zu können. Die
Mehrheit der Physiker entscheidet sich für die erste Variante (Aufgabe der Realität),
es gibt jedoch auch Theorien mit nichtlokalen verborgenen Variablen. Außerdem
gibt es noch eine Interpretation der Quantenmechanik, die sich nicht in diese beiden
Kategorien einordnen lässt, weil sie ein neues Licht auf die ganze Sachlage wirft:
die Viele-Welten-Interpretation. Allein die Tatsache, dass eine wissenschaftliche
Theorie so viel Spielraum für Interpretationen lässt, ist bemerkenswert. Wir werden
in Kap. 4 darauf zurückkommen.
Formalismus I: Endlichdimensionale
Hilbert-Räume 2

Der seltsame Formalisums der QM wird eingeführt, zunächst mit endlichdimensionalen


Hilbert-Räumen, wo die bekannten Sätze aus der Linearen Algebra gelten. Das Qubit wird
als Beispiel verwendet.

2.1 Die Postulate der Quantenmechanik – Überblick

Wir wollen uns zunächst einen kurzen Überblick über die Postulate der Quantenme-
chanik und ihre grundsätzliche Bedeutung verschaffen, um sie anschließend anhand
von Beispielen mit mathematischem und physikalischem Leben zu füllen. Alle
Begriffe, die in diesem Überblick zur Verwendung kommen, werden später noch
ausführlicher erklärt. Es geht nur darum, erst einmal einen Blick auf den Berg als
Ganzen zu werfen, bevor wir den Aufstieg wagen.
Jawohl, wir beginnen ganz axiomatisch mit dem abstrakten Teil der QM, weil ich
es für das Beste halte, diese Hürde gleich am Anfang zu nehmen und dadurch später
Missverständnisse zu vermeiden. Mathematisch ist das Ganze zunächst einmal auch
nicht allzu kompliziert: Alles was wir brauchen ist Lineare Algebra, und das ist
nun nicht gerade das schwerste aller Gebiete der Mathematik. Die Lineare Algebra
sollte aus den ersten Semestern bekannt sein, wir werden aber ihre wesentlichen
Begriffe und Aussagen noch einmal auffrischen. Schwieriger ist es zu erkennen,
was für eine Physik eigentlich in diesem Formalismus steckt, was die Postulate also
physikalisch bedeuten. Das zu verstehen wird eine Weile dauern.
In Kap. 3, wenn wir den Wellenfunktionen begegnen, wird die Physik klarer
(endlich geht es dann um Orte und Impulse!), dafür aber die Mathematik etwas
komplizierter. Denn dann müssen wir Wellenfunktionen als Vektoren in unend-
lichdimensionalen Vektorräumen auffassen, und dafür ist das etwas schwierigere
Gebiet der Funktionalanalysis zuständig. So hat eben alles seinen Preis.
Wichtig ist noch, dass wir es hier mit Vektorräumen über dem Körper der kom-
plexen Zahlen zu tun bekommen – und das ist auch bereits einer der wichtigen
Unterschiede zur klassischen Mechanik, wo es immer reell zugeht.

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 9


J.-M. Schwindt, Tutorium Quantenmechanik, DOI 10.1007/978-3-662-49399-1_2
10 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

Hier nun die Postulate der Quantenmechanik:

1. Zustände: Der Zustand eines physikalischen Systems wird durch einen Strahl
in einem Hilbert-Raum H dargestellt.
Ein Hilbert-Raum ist hierbei ein Vektorraum über dem Körper der komplexen
Zahlen mit einem Skalarprodukt. In der Quantenmechanik schreibt man einen
Hilbert-Raum-Vektor in der Form jvi, das Skalarprodukt zweier Vektoren jui
und jvi als hu jv i.
Ein Strahl ist eine Menge von Vektoren der Form f˛ jvi j˛ 2 Cg. Im Falle ei-
nes reellen Vektorraums würde man bei einem Strahl von einer Geraden durch
den Ursprung sprechen. Da C aber anschaulich einer Ebene entspricht, ist der
Begriff der Geraden hier missverständlich. Die Zuordnung eines Zustands zu
einem Strahl bedeutet jedenfalls, dass Vektoren, die sich nur um einen (komple-
xen) Faktor unterscheiden, den selben Zustand darstellen.
Da sich mit Vektoren einfacher rechnen lässt als mit Strahlen, wählt man meist
einen auf 1 normierten Repräsentanten jvi, hv jv i D 1, aus dem Strahl und
bezeichnet diesen als Zustandsvektor. Sprachlich identifiziert man häufig den
Zustandsvektor mit dem Zustand selbst, d. h., man spricht vom Zustand jvi.
Ein Zustand in der Quantenmechanik ist also zunächst ein recht abstraktes, un-
anschauliches Gebilde. Der Raum, in dem die Zustände „leben“, unterscheidet
sich völlig von dem dreidimensionalen Raum, den wir kennen. Auch die Be-
griffe eines Abstands („nah“ und „fern“) zwischen Zuständen muss erst einmal
definiert werden und hat zunächst nichts mit dem Abstand zu tun, der zwischen
Punkten im uns bekannten dreidimensionalen Raum gilt. Damit ist hier schon
im Keim die Nichtlokalität der Quantenmechanik angelegt. Überhaupt ist zu-
nächst unklar, wie sich unser dreidimensionaler Raum aus dem Hilbert-Raum
„gewinnen“ lässt. Erst wenn der Zustandsvektor die Form einer Wellenfunktion
annimmt (wie wir in Kap. 3 sehen werden), wird ein Zusammenhang zwischen
den beiden Räumen hergestellt. Erst dann bekommen Zustände eine gewisse
Anschaulichkeit.
Die Unanschaulichkeit des Zustandsbegriffs in der Quantenmechanik hat unzäh-
lige Debatten über die Bedeutung und den Realitätsgehalt der ganzen Beschrei-
bung ausgelöst.
2. Messung: Die Messung einer Observablen, d. h. einer beobachtbaren physi-
kalischen Größe des beobachteten Systems, wird durch einen linearen, her-
miteschen Operator dargestellt. Der gemessene Wert  ist ein Eigenwert des
Operators. Nach der Messung befindet sich das beobachtete System im Zustand
jv i, wobei jv i die Projektion des ursprünglichen Zustandsvektors auf den Ei-
genraum zum Eigenwert  ist.
Ein Operator A ist hierbei eine Funktion H ! H , die also jeden Vektor
des Hilbert-Raums auf einen Vektor des Hilbert-Raums abbildet, jvi ! A jvi.
Ein Operator ist linear, wenn

A .˛ jui C ˇ jvi/ D ˛A jui C ˇA jvi : (2.1)


2.1 Die Postulate der Quantenmechanik – Überblick 11

Ein linearer Operator A ist hermitesch, wenn er nur reelle Eigenwerte hat und
der Hilbert-Raum eine Orthonormalbasis aus Eigenvektoren bzgl. A besitzt. De-
tails zur Hermitezität werden in Abschn. 2.3 erläutert.
Ein Eigenwert von A ist eine Zahl , für die ein Vektor jvi existiert (ein sog.
Eigenvektor), so dass die Eigenwertgleichung A jvi D  jvi gilt; d. h., die
Wirkung des Operators A auf den Vektor jvi ist die Multiplikation mit . Der
Eigenraum H zum Eigenwert  ist der Unterraum des Hilbert-Raums H , für
den diese Eigenwertgleichung erfüllt ist. Es handelt sich um einen Unterraum,
denn aus der Linearität von A folgt, dass wenn die Eigenwertgleichung für zwei
Vektoren jui und jvi gilt, dies auch für jede Linearkombination der beiden der
Fall ist.
Projektion auf den Eigenraum bedeutet schließlich, dass der Anteil des ur-
sprünglichen Zustandsvektors jvi, der orthogonal zu H liegt, „abgeschnitten“
wird. Wenn man darauf besteht, dass ein Zustandsvektor auf 1 normiert sein
soll, muss das Ergebnis der Projektion wieder mit einer geeigneten Zahl
(Normierungsfaktor) multipliziert werden. Man kann also nicht behaupten,
dass der Zustand durch das Abschneiden „kleiner“ geworden ist.
Welche Bedeutung hat diese abstrakte Definition für eine Messung? Nun, auch
der Vorgang des Messens stellt sich in der Quantenmechanik recht seltsam dar.
Bei einer Messung treten zwei Operatoren in Aktion:
 Der Operator A „entspricht“ der Observablen a, die gemessen wird. Er über-
setzt gewissermaßen die zu messende physikalische Eigenschaft in die Spra-
che der abstrakten Quantenzustände. Dieser Operator A bestimmt die mögli-
chen Messwerte. Da A hermitesch ist, sind nur reelle Werte möglich. Auf die-
se Weise wird also aus der komplexen Quantenwelt die reelle Welt der Phä-
nomene zurückgewonnen. Welche Observable nun welchem Operator ent-
spricht, ist eine Frage, die uns das ganze Buch hindurch immer wieder be-
schäftigen wird. Hinweis: In diesem Buch unterscheiden wir zwischen der
Observablen a und dem zugehörigen Operator A. In vielen Büchern wird der
Operator selbst als Observable bezeichnet.
 Der Projektionsoperator P projiziert den ursprünglichen Zustandsvektor jvi
auf den zum Messwert  gehörenden Unterraum von H . Durch die Mes-
sung wird der Zustand also zwangsläufig verändert (es sei denn, jvi lag
schon vorher vollständig in dem Unterraum).
Außerdem erklärt das Messpostulat, warum bestimmte Observablen gequantelt
sind, d. h. nur in diskreten Portionen vorkommen: Der Hilbert-Raum ist zwar
kontinuierlich, nicht aber das Eigenwertspektrum vieler Operatoren.
Das Postulat beinhaltet auch die Unschärferelation: Man kann zwei Observa-
blen nur dann gleichzeitig messen, wenn die zugehörigen Operatoren A1 und A2
gemeinsame Eigenvektoren besitzen. (In Abschn. 2.8 werden wir sehen, wann
das der Fall ist.) Andernfalls lassen sich die beiden Projektionen nicht gleichzei-
tig durchführen. Die Messung der einen Observablen bewirkt eine „Unschärfe“
der anderen und umgekehrt. Was das genau bedeutet, wird in Abschn. 2.8 er-
klärt.
12 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

3. Messwahrscheinlichkeit: Die Wahrscheinlichkeit, dass der Wert  gemessen


wird, beträgt
p./ D hv jP j vi : (2.2)
Hierbei ist jvi der normierte Zustandsvektor des beobachteten Systems vor
der Messung und P der zum Eigenwert  gehörende Projektionsoperator.
Der Ausdruck auf der rechten Seite steht für das Skalarprodukt des Vektors
jvi mit dem Vektor P jvi. Dass die Summe aller Wahrscheinlichkeiten 1
beträgt, spiegelt sich in der Tatsache wider, dass die Summe der Projektions-
operatoren zu allen Eigenwerten den Eins-Operator ergibt (Genaueres dazu in
Abschn. 2.5).
Das Wahrscheinlichkeitspostulat stellt – zusammen mit dem Messpostulat –
eine brisante Aussage dar: Die Quantenmechanik ist nichtdeterministisch. Bei
gegebenem Ausgangszustand jvi lässt sich nicht vorhersagen, welcher Mess-
wert auftreten wird, sondern nur eine statistische Aussage machen. Wird ein
gegebenes Atom einer radioaktiven Substanz zum Zeitpunkt t zerfallen sein?
Wir können nur die Halbwertszeit angeben und daraus die Wahrscheinlichkeit
berechnen. Wird ein gegebenes Photon einen bestimmten Polarisationsfilter
passieren? Wir können nur die Wahrscheinlichkeit angeben.
4. Zeitentwicklung: Die Zeitentwicklung eines Zustands ist – solange keine Mes-
sung stattfindet – durch die Schrödinger-Gleichung gegeben:

d
i„ jv.t/i D H jv.t/i (2.3)
dt
Hierbei ist „ D h=.2/ und h das Planck’sche Wirkungsquantum, eine
fundamentale Naturkonstante. So fundamental, dass theoretische Physiker mit
Vorliebe Einheiten benutzen, in denen „ den Wert 1 hat. Der Hamilton-Opera-
tor H stellt die Energie-Observable des Systems dar.
Solange keine Messung stattfindet, verhält sich das System also vorbildlich
deterministisch: Wenn der Zustand jv.t/i zu einem Zeitpunkt gegeben ist, lässt
sich seine zeitliche Entwicklung mithilfe der Schrödinger-Gleichung eindeutig
berechnen, denn es handelt sich um eine Differentialgleichung erster Ordnung
in der Zeit. Erst im Moment der Messung zum Zeitpunkt t0 findet ein plötzli-
cher Sprung von jv.t0 /i zu P jv.t0 /i statt. Dieser Sprung wird in dem Fall, dass
der Zustand durch eine Wellenfunktion dargestellt wird, auch als Kollaps der
Wellenfunktion bezeichnet.
Die Schrödinger-Gleichung gilt im Schrödinger-Bild, in dem Zustände zeit-
abhängig und Operatoren zeitunabhängig sind. Es gibt noch eine andere
Darstellung, das Heisenberg-Bild, in dem Zustände gar nicht von der Zeit
abhängen, sondern die Operatoren, die die Observablen beschreiben. Beide Bil-
der machen exakt dieselben Vorhersagen, es ist also Geschmacksache, welche
der beiden Darstellungen man vorzieht. Auch diese Merkwürdigkeit werden wir
später eingehend diskutieren (Abschn. 2.9).
2.1 Die Postulate der Quantenmechanik – Überblick 13

Wir fassen noch einmal zusammen:

Postulate der QM
1. Zustände: Der Zustand eines physikalischen Systems wird durch einen
Strahl in einem Hilbert-Raum H dargestellt.
2. Messung: Die Messung einer Observablen, d. h. einer beobachtbaren phy-
sikalischen Größe des beobachteten Systems, wird durch einen linearen
hermiteschen Operator dargestellt. Der gemessene Wert  ist ein Eigen-
wert des Operators. Nach der Messung befindet sich das beobachtete System
im Zustand jv i, wobei jv i die Projektion des ursprünglichen Zustandsvek-
tors auf den Eigenraum zum Eigenwert  ist.
3. Messwahrscheinlichkeit: Die Wahrscheinlichkeit, dass der Wert  gemes-
sen wird, beträgt
p./ D hv jP j vi : (2.4)
Hierbei ist jvi der normierte Zustandsvektor des beobachteten Systems vor
der Messung und P der zum Eigenwert  gehörende Projektionsoperator.
4. Die Zeitentwicklung eines Zustands ist – solange keine Messung stattfin-
det – durch die Schrödinger-Gleichung gegeben:

d
i„ jv.t/i D H jv.t/i (2.5)
dt
Der Hamilton-Operator H beschreibt dabei die Gesamtenergie des Sys-
tems.

Diese Postulate sind starker Tobak. Wir haben sie und ihre grundsätzliche Be-
deutung der Übersichtlichkeit halber erst einmal komplett aufgelistet, müssen nun
aber zunächst die Grundlagen schaffen, um sie in vollem Umfang zu verstehen.
Damit wollen wir uns in den nächsten Abschnitten beschäftigen. Wir werden die
verwendeten Begriffe vertiefen und erweitern und sie an einem einfachen Beispiel,
dem zweidimensionalen Hilbert-Raum, erläutern. Es wird noch einiges an Rüst-
zeug nötig sein, bis wir uns an die beiden Vorzeigebeispiele der Quantenmechanik
herantrauen können: den Harmonischen Oszillator (Abschn. 5.3) und das Wasser-
stoffatom (Abschn. 7.5).
Selbst wenn Sie diesen Stoff bewältigt haben, wird wahrscheinlich ein gewis-
ses Unbehagen bleiben (wenn Sie sich überhaupt über diese Dinge Gedanken
machen) – ein Unbehagen, das Sie mit der Mehrheit der Physiker teilen.
Die Postulate der Quantenmechanik, wie sie oben dargestellt sind, stehen im
Geiste der sog. Kopenhagener Deutung, wie sie von Heisenberg, Bohr und Born
entwickelt wurde. Sie wurden mehrfach umgedeutet in einer Weise, die ein völlig
anderes Licht auf die Theorie wirft. Wir werden Beispiele hierfür in Kap. 4 disku-
tieren.
14 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

Anders als beispielsweise spezielle und allgemeine Relativitätstheorie sind die


Postulate der Quantenmechanik nicht aus einer physikalischen Idee heraus entstan-
den, sondern aus der Not heraus geboren. Es hat sich herausgestellt, dass bestimmte
Heuristiken geeignet sind, die Ergebnisse bestimmter Experimente bzw. Beobach-
tungen (z. B. Spektrallinien des Wasserstoffs) vorherzusagen. Diese Heuristiken
(Heisenbergs Matrizen-Mechanik) wurden dann zu den oben dargestellten Postula-
ten weiterentwickelt, die sich als extrem erfolgreich herausgestellt haben. Sie bilden
einen Rahmen für die Erklärung vieler Phänomene, die klassisch nicht zu verstehen
sind, z. B. Photoeffekt, Stabilität von Atomen, chemische Bindung etc.
Die Vorhersagen der Quantenmechanik wurden immer wieder bestätigt, mit all
ihren Merkwürdigkeiten.

2.2 Zustände im Hilbert-Raum

Die QM wird mithilfe von Vektoren in Hilbert-Räumen beschrieben. Daher müssen


wir zuerst einmal klären, was ein Hilbert-Raum ist.
Ein Hilbert-Raum H ist ein vollständiger Vektorraum über C mit Skalarpro-
dukt. Die erste Eigenschaft, Vollständigkeit, bedeutet, dass jede Cauchy-Folge im
Vektorraum konvergiert, und soll uns im Weiteren nicht mehr beschäftigen. Ein
Skalarprodukt ist eine Abbildung H  H ! C mit den folgenden Eigenschaf-
ten: Es ist

 antilinear im ersten Argument:

h˛u C ˇv jw i D ˛  hu jw i C ˇ  hv jw i (2.6)

Hierbei sind ˛ und ˇ komplexe Zahlen und das „anti“ in antilinear bedeutet, dass
˛ und ˇ beim Herausziehen aus dem linken Teil des Skalarprodukts komplex
kunjugiert werden müssen.
 linear im zweiten Argument:

hu j˛v C ˇw i D ˛ hu jv i C ˇ hu jw i (2.7)

 hermitesch:
hu jv i D hv ju i (2.8)
Daraus folgt insbesondere, dass hv jv i immer reell ist.
 positiv definit:
hv jv i  0; (2.9)
und Gleichheit gilt genau dann, wenn jvi D 0.

Ein Hilbert-Raum ist endlichdimensional, wenn eine endliche Anzahl von


Basisvektoren jei i, i D 1; 2; : : :; n existiert, so dass sich jeder Vektor als Linear-
2.2 Zustände im Hilbert-Raum 15

kombination der jei i schreiben lässt,


X
n
jvi D ˛i jei i : (2.10)
i D1
ˇ .e/ ˛
Man kann dann jvi als Spaltenvektor ˇv bzgl. der gewählten Basis darstellen, mit
ˇ .e/ ˛
ˇ
komplexen Komponenten v i D ˛i .
0 1
˛1
ˇ .e/ ˛ B : C
ˇv D @ :: A (2.11)
˛n
Ein Satz aus der Linearen Algebra besagt, dass man die jei i als Orthonormalbasis
wählen kann, so dass ˝ ˇ ˛
ei ˇej D ıij : (2.12)
In dem Fall lässt sich das Skalarprodukt durch die Komponenten ausdrücken: Wenn
jui die Komponenten ˛i und jvi die Komponenten ˇi hat, dann ist
* ˇ +
ˇ
X ˇX X ˝ ˇ ˛ X  X
hu jv i D ˛i ei ˇˇ ˇj ej D ˛i ˇj ei ˇej D ˛i ˇj ıij D ˛i ˇi :
i ˇ j i;j i;j i
(2.13)
Man beachte die komplexe Konjugation der ˛i , die aus der Antilinearität des Skalar-
produkts im ersten Argument folgt. Die Orthonormierung in der Form (2.12) und
die daraus folgende Gleichung (2.13) beinhaltet automatisch, dass das Skalarpro-
dukt positiv definit ist:
X
n X
n
hv jv i D ˇi ˇi D jˇi j2  0 (2.14)
i D1 i D1

mit Gleichheit genau dann, wenn alle Komponenten 0 sind. Umgekehrt gilt: Nur
weil das Skalarprodukt positiv definit ist, konnten wir eine Orthonormalbasis in der
Form (2.12) wählen. p
Den Wert jjvjj D hv jv i bezeichnen wir als Norm, Betrag oder Länge des
Vektors jvi. Die Quadratwurzel können wir immer bilden, da das Skalarprodukt
positiv definit ist.

Für die Beträge von Vektoren gelten zwei wichtige Ungleichungen, die
Schwarz’sche Ungleichung und die Dreiecksungleichung. Die Schwarz’sche
Ungleichung lautet
hu jv i hv ju i  hu ju i hv jv i (2.15)
oder, wenn man auf beiden Seiten die Wurzel zieht,

j hu jv i j  jjujj jjvjj; (2.16)


16 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

denn hu jv i hv ju i D hu jv i hu jv i D j hu jv i j2 . Die Ungleichung bedeutet, dass


das Skalarprodukt zweier Vektoren nicht größer sein kann als das Produkt ihrer
Beträge. Um sie zu beweisen, nutzen wir, dass der Betrag des Vektors

hv ju i
jwi D jui  jvi (2.17)
hv jv i

größer gleich null sein muss:


 ˇ 
hv ju i ˇˇ hv ju i
0 u v u v
hv jv i ˇ hv jv i
hv ju i hu jv i hv ju i hv ju i hv ju i hv ju i hv jv i
D hu ju i   C
hv jv i hv jv i hv jv i2
hv ju i hu jv i
D hu ju i 
hv jv i

Wenn man den zweiten Term auf die linke Seite bringt und auf beiden Seiten mit
hv jv i multipliziert, erhält man (2.15). Für den Fall, dass hv jv i D 0 und (2.17)
nicht definiert ist, folgt jvi D 0, und (2.15) gilt, weil beide Seiten verschwinden.
Die Dreiecksungleichung lautet

jju C vjj  jjujj C jjvjj: (2.18)

Sie besagt, dass der Betrag der Summe zweier Vektoren nicht größer sein kann als
die Summe der Beträge der einzelnen Vektoren. Der Name Dreiecksungleichung
kommt daher, dass man sich im Reellen die Vektoren als „Pfeile“ veranschaulichen
kann. Wenn man die „Pfeile“ für jui und ju C vi am selben Punkt beginnen lässt,
den „Pfeil“ für jvi hingegen an der Spitze des „Pfeils“ für jui ansetzt, dann bilden
die drei „Pfeile“ ein Dreieck.
Die Dreiecksungleichung wird folgendermaßen bewiesen:

jju C vjj2 D hu C v ju C v i
D hu ju i C hu jv i C hv ju i C hv jv i
D hu ju i C hu jv i C hu jv i C hv jv i
D hu ju i C 2Re.hu jv i/ C hv jv i
 hu ju i C 2j hu jv i j C hv jv i
 hu ju i C 2jjuj jjvjj C hv jv i
D .jjujj C jjvjj/2

In der fünften Zeile wurde verwendet, dass der Realteil einer Zahl kleiner gleich
ihrem Betrag ist, Re.z/  jzj. In der sechsten Zeile wurde die Schwarz’sche Un-
gleichung angewendet.
2.2 Zustände im Hilbert-Raum 17

Zu jedem Objekt einer quantenmechanischen Messung gehört ein dazu passen-


der Hilbert-Raum. Der Zustand des Objekts – oder unser Wissen darüber (über
diesen feinen Unterschied sind sich die Experten uneins, siehe Kap. 4) – wird durch
einen Zustand im Hilbert-Raum dargestellt. Ein Zustand im Hilbert-Raum ist, wie
eingangs erwähnt, ein Strahl, d. h. eine Vektorenmenge der Form f˛ jvi j˛ 2 Cg
(man kann auch sagen: ein eindimensionaler Unterraum von H ). In Worten aus-
gedrückt: Alle Vektoren, die sich nur um einen komplexwertigen Faktor ˛ unter-
scheiden, beschreiben denselben Zustand. Der Faktor ˛ lässt sich als Produkt aus
Betrag r und Phase exp.i'/ darstellen. Zwei Vektoren jv1 i und jv2 i gehören also
zum selben Zustand, wenn

jv2 i D ˛ jv1 i D re i' jv1 i ; r; ' 2 R: (2.19)


Meist wählt man einen normierten Vektor als Repräsentanten des Zustands und be-
zeichnet diesen Vektor selbst als Zustand oder Zustandsvektor. „Normiert“ bedeutet
hierbei, dass der Vektor den Betrag 1 hat, hv jv i D 1.
Ein noch nicht normierter Vektor jvi lässt sich normieren, indem man ihn mit
einem Normierungsfaktor N multipliziert, N D 1=jjvjj. (Anschaulich: Man divi-
diert durch die Länge, damit die Länge danach 1 ist.) Denn dann ist
1
hN v jN v i D N 2 hv jv i D hv jv i D 1: (2.20)
hv jv i
Man beachte, dass der Vektor durch die Normierung noch nicht eindeutig bestimmt
ist. Die Normierung legt nur den Betrag, nicht die Phase des Vektors fest. Vektoren,
die sich nur um eine Phase unterscheiden, haben denselben Betrag. Anschaulich ist
das klar, rechnerisch folgt es aus der Antilinearität des Skalarprodukts im ersten
Argument: ˝ i' ˇ i' ˛
e v ˇe v D e i' e i' hv jv i D hv jv i (2.21)
Der einfachste aller Hilbert-Räume ist eindimensional: die Menge C der kom-
plexen Zahlen selbst. In diesem Hilbert-Raum gibt es nur einen einzigen Zustand,
da alle eindimensionalen Vektoren (Zahlen) sich nur um einen komplexen Faktor
unterscheiden. Dieser Hilbert-Raum ist äußerst langweilig.
Der einfachste nichttriviale Hilbert-Raum ist zweidimensional, C 2 . Wir werden
alle neu eingeführten Begriffe am Beispiel von C 2 erläutern.
Im Beispiel H D C 2 besteht eine Orthonormalbasis aus zwei Vektoren je1 i
und je2 i. Ein Vektor jvi wird durch zwei komplexe Komponenten ˛1 und ˛2 be-
schrieben, oder durch vier reelle Zahlen, wenn man ˛1 D x1 Ciy1 und ˛2 D x2 Ciy2
schreibt.
Die Menge der Zustände erhält man, indem man Vektoren, die sich nur um einen
komplexen Faktor unterscheiden, identifiziert. Man sieht leicht ein, dass ein Zustand
durch das Verhältnis ˛1 =˛2 bestimmt ist. Vektoren, die sich nur in Betrag und Phase
unterscheiden, ! !
˛10 i' ˛1
D re ; (2.22)
˛20 ˛2
18 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

führen zum selben ˛1 =˛2 , da sich Betrag und Phase beim Dividieren herauskürzen.
Umgekehrt gehört zu jedem ˛1 =˛2 genau ein Zustand. (Einen zusätzlichen Zustand
gibt es für ˛2 D 0, das ist der Zustand mit Zustandsvektor je1 i). Ein Zustand wird
also durch eine komplexe Zahl  D ˛1 =˛2 beschrieben oder durch zwei reelle
Zahlen, wenn man  in Real- und Imaginärteil zerlegt.
In der Praxis stellt man Zustände jedoch durch normierte Vektoren dar. Wenn
beispielsweise vom Zustand

1
jvi D p .je1 i C i je2 i/ (2.23)
2

die Rede ist, dann ist damit der Zustand gemeint, für den der Vektor jvi ein nor-
mierter Repräsentant ist. Man sollte dabei im Hinterkopf behalten, dass man z. B.
auch
1
jvi D p .i je1 i C je2 i/ (2.24)
2
hätte wählen können, denn auch dies ist ein normierter Repräsentant des gleichen
Zustands, da er sich nur um einen Faktor i (oder i, je nachdem, von welcher Seite
man kommt) von der ursprünglichen Wahl unterscheidet.

Bisher haben wir die „umgedrehten“ Vektoren hvj nur als Teil unserer Schreib-
weise des Skalarprodukts hu jv i kennengelernt. Man kann sie jedoch auch losgelöst
davon betrachten, als Elemente des Dualraums H  von H . Der Dualraum V  ei-
nes komplexen Vektorraums V ist die Menge aller Linearformen auf V , d. h. aller
linearen Abbildungen V ! C. Ein Satz aus der Linearen Algebra besagt, dass V 
selbst ein Vektorraum und im endlichdimensionalen Fall sogar isomorph zu V ist.
Man kann nämlich jede Linearform als Skalarprodukt mit einem bestimmten Vek-
tor darstellen, d. h., für jede Linearform  gibt es einen Vektor jui, so dass für jeden
Vektor jvi 2 V gilt:
.jvi/ D hu jv i (2.25)
Es ist daher naheliegend, huj statt  für das Element des Dualraums zu schreiben.
Es hat sich die Schreibweise „Bra-Vektor“ für huj und „Ket-Vektor“ für jvi ein-
gebürgert; zusammen ergeben sie eine „Bracket“ (engl. für Klammer).
Aus der Antilinearität des Skalarprodukts im ersten Argument ergibt sich, dass
bzgl. einer Basis fjei ig die Komponenten des Bra-Vektors im Vergleich zum Ket-
Vektor komplex konjugiert sind:
X X
jvi D ˛i jei i ” hvj D hei j ˛i (2.26)
i i

ˇ ˛
Wir können den Ket-Vektor jvi als Spaltenvektor ˇv .e/ und den Bra-Vektor huj
˝ .e/ ˇ
als Zeilenvektor u ˇ bzgl. der Basis fjei ig darstellen. Wenn es sich dabei um
eine Orthonormalbasis handelt, wird das Skalarprodukt wegen (2.13) durch eine
2.3 Lineare hermitesche Operatoren 19

P P
Matrizenmultiplikation ausgedrückt: Mit jui D i ˛i jei i und jvi D i ˇi jei i ist
0 1
ˇ1
  BBˇ2 C
C
hu jv i D ˛1 ˛2    ˛n  B : C D ˛1 ˇ1 C ˛2 ˇ2 C    C ˛n ˇn : (2.27)
@ :: A
ˇn
˝ ˇ ˝ ˇ
Dabei wurde der Zeilenvektor u.e/ ˇ (mit Komponenten u.e/ ˇi D ˛i ) als 1  n-
ˇ .e/ ˛ ˇ .e/ ˛
Matrix, der Spaltenvektor ˇv (mit Komponenten ˇv i D ˇi ) als n  1-Matrix
aufgefasst.

Fragen zum Selbstcheck


1. Welche Eigenschaften hat ein Skalarprodukt?
2. Wie viele normierte Zustandsvektoren gibt es, die einen gegebenen Zustand
repräsentieren?
3. Was ist ein Bra-Vektor?

2.3 Lineare hermitesche Operatoren

Messungen werden in der QM durch lineare hermitesche Operatoren beschrieben.


Ein linearer Operator A ist eine lineare Abbildung

H ! H; jvi ! A jvi : (2.28)

.e/
Bezüglich einer Basis fjei ig wird A durch .e/
Peine Matrix A mit Komponenten Aij
dargestellt, d. h., für einen Vektor jvi D i ˛i jei i gilt
0 1
X X .e/
A jvi D @ Aij ˛j A jei i ; (2.29)
i j

P .e/
d. h., j Aij ˛j ist die i-te Komponente des Vektors A jvi,
 ˇ ˛ X .e/ ˇ ˛
A.e/ ˇv .e/ i D Aij ˇv .e/ j : (2.30)
j

Die Menge der linearen Operatoren auf H bildet einen Vektorraum. Das heißt,
die Summe zweier linearer Operatoren A C B ist wieder ein linearer Operator, und
das Produkt einer komplexen Zahl mit einem linearen Operator A ist auch wieder
ein linearer Operator.
20 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

Das Hintereinanderausführen von linearen Abbildungen ist ebenfalls eine lineare


Abbildung. Das gilt sowohl für das Hintereinanderausführen zweier linearer Opera-
toren A und B als auch für das Hintereinanderausführen eines linearen Operators A
und einer Linearform huj. Im ersten Fall ist das Ergebnis ein Vektor, im zweiten
Fall eine komplexe Zahl.
Betrachten wir den zweiten Fall: Die Kombination .huj A/ von huj und A ist
nach dem eben Gesagten wieder eine Linearform: Sie bildet einen Vektor jvi auf
die komplexe Zahl huj .A jvi/ ab:
.huj A/ jvi D huj .A jvi/ (2.31)
Die Klammerung ist also beliebig:

 Man kann sich vorstellen, dass A zunächst nach rechts auf den Ket-Vektor jvi
wirkt, wodurch der neue Ket-Vektor jAvi entsteht, und dass anschließend das
Skalarprodukt mit huj gebildet wird, hu jAv i.
 Genauso gut kann man sich vorstellten, dass A zunächst nach links auf den Bra-
Vektor huj wirkt, wodurch der neue Bra-Vektor (die neue Linearform) huAj ent-
steht, und dass anschließend das Skalarprodukt mit jvi gebildet wird, huA jv i.

Aufgrund dieser Ambiguität schreibt man daher einfach hu jAj vi.


In Komponenten bzgl. einer Orthonormalbasis fjei ig ausgedrückt, ergibt sich die
gleiche doppelte Sichtweise. Dann ist nach (2.13)
˝ .e/ ˇ .e/ .e/ ˛ X ˝ .e/ ˇ ˇ .e/ .e/ ˛ X ˝ ˇ .e/ ˇ ˛
u ˇA v D u ˇi ˇA v i D u.e/ ˇi Aij ˇv .e/ j : (2.32)
i i;j

Die rechte Seite lässt sich wieder auf zwei Weisen lesen:
ˇ ˛
 Der Spaltenvektor ˇv .e/ wird von links mit derˇ Matrix A.e/ multipliziert. An-
˛
schließend bildet man das Skalarprodukt von ˇu.e/ mit dem Ergebnis dieser
Multiplikation. ˝ ˇ
 Der Zeilenvektor u.e/ ˇ wird von rechts mit derˇ Matrix A.e/ multipliziert. An-
˛
schließend bildet man das Skalarprodukt von ˇv .e/ mit dem Ergebnis dieser
Multiplikation.

In
˝ .e/einer
ˇ Orthonormalbasis
ˇ ˛ kann man also auch in der Komponentendarstellung
u ˇA.e/ ˇ v .e/ schreiben. Das funktioniert aber nur in einer Orthonormalbasis!

Aufgabe 2.1
a) Sei H D C 2 mit Orthonormalbasis je1 i ; je2 i. Ein!Operator A sei in dieser
0 1
Basis gegeben durch die Matrix A.e/ D . Außerdem sei jui D
1 0
˝ .e/ ˇ .e/ .e/ ˛ ˝ ˇ ˛
je1 i, jvi D je2 i. Berechnen Sie u ˇA v und u.e/ A.e/ ˇv .e/ . Beide
Ergebnisse sind gleich.
2.3 Lineare hermitesche Operatoren 21

b) Nun definieren wir eine zweite Basis jf1 i D je1 i ; jf2 i D 2 je2 i, die
zwar orthogonal, aber nicht orthonormal
˝ ˇ ist, ˛ es gilt hf2 jf2 i D 4.
ˇ denn
Wie lauten die Komponenten von u.f / ˇ, ˇv .f / und A.f / ?ˇ Wie ist das
˝ ˛
Skalarprodukt
ˇ in dieser Basis zu bilden? Zeigen Sie u.f / ˇA.f / v .f / ¤
˝ .f / .f / .f / ˛
u A ˇv .

Daher ist im Folgenden der Einfachheit halber fjei ig immer eine Orthonormal-
basis.
Zu jedem linearen Operator A gibt es einen adjungierten bzw. hermitesch kon-
jugierten Operator A , der dadurch definiert ist, dass seine Wirkung auf einen
Bra-Vektor die gleiche ist wie die Wirkung von A auf einen Ket-Vektor:

A jui D jvi ” huj A D hvj (2.33)

Wie sieht die zugehörige Matrix A.e/ aus? Der Zeilenvektor huj ist im Vergleich
zum Spaltenvektor jui transponiert und komplex konjugiert. Das Gleiche gilt auch
für die Matrix A.e/ : Sie ist im Vergleich zu A.e/ transponiert und komplex konju-
giert:
.e/
A.e/ D A t (2.34)
ˇ .e/ ˛ P ˇ ˛
Denn aus ˇv i D j Aij ˇu.e/ j folgt
.e/

˝ ˇ ˇ ˛ X .e/ ˇ .e/ ˛ X ˝ .e/ ˇ


v .e/ ˇi D ˇv .e/ i D Aij ˇu j D u ˇj .A t /ji ;
.e/
(2.35)
j j

also  
.e/ .e/ .e/
Aj i D A t D Aij : (2.36)
ji
˝ ˇ
(Da es sich bei u.e/ ˇ um einen Zeilenvektor handelt, muss die Matrix immer rechts
davon stehen, sonst macht die Matrixmultiplikation keinen Sinn.)

Das Produkt AB zweier linearer Operatoren A und B ist durch die Hintereinan-
derausführung definiert:

.AB/ jvi D A.B jvi/; huj .AB/ D .huj A/B: (2.37)

Wie bereits erwähnt, ist AB wieder ein linearer Operator. Die Hintereinanderaus-
führung als Produkt zu bezeichnen, ist durch die zugehörigen Matrizen motiviert:
Die Matrix von AB ist das Produkt der Matrizen von A und B.

Aufgabe 2.2
Zeigen Sie .AB/.e/ D A.e/ B .e/ .
22 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

Für adjungierte Operatoren gilt eine Reihe von wichtigen Relationen:


  
A D A; (2.38)

.A/ D  A ;
 
 2 C; (2.39)
.A C B/ D A C B ;
  
(2.40)
.AB/ D B A :
  
(2.41)
Analoge Beziehungen gelten für die zugehörigen Matrizen. Man beachte die umge-
kehrte Reihenfolge in der letzten Beziehung. Sie kommt daher, dass in (2.37) bei der
Anwendung auf einen Ket-Vektor der rechte Operator zuerst wirkt, bei Anwendung
auf einen Bra-Vektor zuerst der linke. Aus (2.33) folgt dann
 
A.B jui/ D jvi ” huj B  A D hvj : (2.42)

P umgekehrte Reihenfolge ebenfalls leicht zu zeigen: Wenn C D


Für Matrizen ist die
AB, also Ci k D j Aij Bj k , dann ist
X X X    
Ci k D Cki D Akj Bji D Bji Akj D

Bij Aj k D B  A i k : (2.43)
j j j

Hierbei haben wir der Übersichtlichkeit halber das Superskript .e/ weggelassen.
Das werden wir auch in Zukunft so handhaben: Wenn keine Missverständnisse oder
Verwechslungen zu befürchten sind, werden wir einen Operator mit seiner Matrix
bzgl. einer gegebenen Orthonormalbasis identifizieren.

Ein linearer Operator heißt hermitesch, wenn A D A. Zuvor hatten wir den
Ausdruck „hermitesch“ anders definiert: Wir hatten gesagt, ein Operator sei hermi-
tesch, wenn er nur reelle Eigenwerte besitzt und der Hilbert-Raum eine Orthonor-
malbasis aus Eigenvektoren besitzt. Die erste dieser Eigenschaften ist notwendig
dafür, dass man nur diese Operatoren als Observable nutzen kann, denn Messwerte
sind nun einmal reell. Etwas weiter unten werden wir sehen, dass die beiden Defi-
nitionen äquivalent sind.
Die Summe zweier hermitescher Operatoren ist wieder hermitesch. Das Produkt
A einer komplexen Zahl  mit einem hermiteschen Operator A ist aber aufgrund
von (2.39) nur dann hermitesch, wenn  2 R. Die hermiteschen Operatoren bilden
also nur einen reellen, keinen komplexen Vektorraum.
Das Produkt zweier hermitescher Operatoren A, B ist aufgrund von (2.41) nur
dann hermitesch, wenn A und B kommutieren, d. h. wenn AB D BA.
Für die Komponenten der Matrix A.e/ (bzgl. einer Orthonormalbasis fjei ig) eines
hermiteschen Operators A gilt wegen (2.36):
.e/ .e/
Aij D Aj i (2.44)
Eine Matrix mit dieser Eigenschaft heißt ebenfalls hermitesch. Insbesondere sind
die Diagonaleinträge von A.e/ reell. Da die Hermitezität auf Operatorebene defi-
niert wurde, ist die Eigenschaft (2.44) unabhängig von der konkreten Wahl einer
2.3 Lineare hermitesche Operatoren 23

Orthonormalbasis. Das heißt beim Wechsel in eine andere Orthonormalbasis fjfi ig


ist die neue Matrix A.f / wieder hermitesch. Das funktioniert aber nur für Orthonor-
malbasen!

Aufgabe 2.3
Sehen Sie sich die Transformation in Aufgabe 2.1 noch einmal an. Hier wird
aus der hermiteschen Matrix A.e/ die nichthermitesche Matrix A.f / gemacht!

Das hängt wieder mit dem bei Nicht-Orthonormalbasen bestehenden Unter-


schied zwischen einer nach rechts auf einen Ket-Vektor und einer nach links auf
einen Bra-Vektor wirkenden Matrix zusammen, siehe Aufgabe 2.1.

Ein linearer Operator heißt antihermitesch, wenn A D A. Wenn A hermi-


tesch ist, dann ist iA antihermitesch. Jeder lineare Operator A kann als Summe eines
hermiteschen Operators Ah und eines antihermiteschen Operators Aa geschrieben
werden:
A C A A  A
A D Ah C Aa ; Ah D ; Aa D : (2.45)
2 2
Im Beispiel H D C 2 ist eine hermitesche Matrix durch vier unabhängige reelle
Komponenten bestimmt. Sie ist nämlich von der Form
!
a b C ci
AD ; a; b; c; d 2 R: (2.46)
b  ci d

A lässt sich demnach als reelle Linearkombination der Einheitsmatrix


!
1 0
1D (2.47)
0 1

und der drei Pauli-Matrizen


! ! !
0 1 0 i 1 0
x D ; y D ; z D (2.48)
1 0 i 0 0 1

schreiben:
aCd ad
AD 1 C bx  cy C z : (2.49)
2 2

Fragen zum Selbstcheck


1. Was bedeutet die Schreibweise hu jAj vi? Wieso ist sie ohne Klammern sinn-
voll?
2. Was ist der zum Operator A adjungierte Operator A ?
3. Was ist ein hermitescher Operator? Was ist eine hermitesche Matrix?
24 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

2.4 Eigenwerte und Eigenvektoren

Die möglichen Messwerte einer quantenmechanischen Messung sind die Eigen-


werte eines hermiteschen Operators A, d. h., für den gemessenen Wert  gilt

A jvi D  jvi (2.50)

für einen geeigneten Eigenvektor jvi. Die Eigenvektoren zu einem bestimmten


Eigenwert  bilden einen Vektorraum, einen Unterraum von H , den Eigenraum
H zum Eigenwert .
Vielleicht erinnern Sie sich aus der Linearen Algebra, wie man die Eigenwerte
bestimmt: Man berechnet die Nullstellen des charakteristischen Polynoms. Die
rechte Seite von (2.50) lässt sich als 1 jvi schreiben, wobei 1 der Eins-Operator ist
(bzw. die Einheitsmatrix, wenn wir den Operator wieder mit seiner Matrix identifi-
zieren). Bringt man alles auf eine Seite,

.1  A/ jvi D 0; (2.51)

und fasst .1  A/ als Matrix sowie jvi als Spaltenvektor auf, so erhält man ein
n-dimensionales lineares Gleichungssystem (wobei n die Dimension von H ist):
Jede Zeile der Matrix .1  A/ liefert, angewandt auf den Spaltenvektor jvi, eine
lineare Gleichung. Bekanntermaßen hat ein solches Gleichungssystem nur dann von
0 verschiedene Lösungen für jvi, wenn die Determinante verschwindet,

det.1  A/ D 0: (2.52)

Die linke Seite von (2.52) ist ein Polynom in , das charakteristische Polynom
der Matrix A. Die Lösungen von (2.52) sind die Eigenwerte von A. Diese Lösun-
gen setzt man anschließend in (2.51) ein, um die zugehörigen Eigenvektoren zu
bestimmen. Übrigens: Da die Determinante unabhängig von der Wahl der Ortho-
normalbasis ist, ändert sich das charakteristische Polynom bei einem Basiswechsel
nicht. Das muss auch so sein, denn die Eigenwerte eines Operators hängen natürlich
nicht von der Wahl einer Basis ab.

Wir wollen das Verfahren an einem einfachen Beispiel anwenden, der Matrix x ,
die wir bei der Besprechung hermitescher Operatoren auf unserem Beispiel-Hilbert-
Raum H D C 2 kennengelernt haben. Das charakteristische Polynom von x lautet:
!
 1
det.1  x / D det D 2  1 (2.53)
1 

Die Nullstellen dieses Polynoms


 sind 1 und 1. Das sind also unsere Eigenwerte.
Schreiben wir jvi D ˇ˛ und setzen zunächst  D 1. Die zugehörigen Eigenvekto-
ren sind Lösungen von ! !
1 1 ˛
D 0; (2.54)
1 1 ˇ
2.4 Eigenwerte und Eigenvektoren 25

˛ 
also ˛ D ˇ. Der Eigenraum H1 besteht also aus allen Vektoren der Form ˛
.
Die Eigenvektoren zu  D 1 sind Lösungen von
! !
1 1 ˛
D 0; (2.55)
1 1 ˇ
also ˛ D ˇ. ˛
Der Eigenraum H1 besteht demnach aus den Vektoren der Form ˛ .

Aufgabe 2.4
Bestimmen Sie Eigenwerte und Eigenräume von y .

Die Matrix z ist bereits diagonal, die Eigenwerte lassensich


 alsodirekt
 ablesen,
es sind  D 1 und 1. Die Eigenvektoren haben die Form ˛0 bzw. ˛0 .

Es steht noch der Beweis aus, dass unsere beiden Definitionen für Hermitezität
äquivalent sind. Den wollen wir nun durchführen:

1. Ein linearer Operator A heißt hermitesch, wenn A D A.


2. Ein linearer Operator A heißt hermitesch, wenn er nur reelle Eigenwerte hat
und H eine Orthonormalbasis aus Eigenvektoren bzgl. A besitzt.

.1/ ) .2/
 Zunächst zeigen wir, dass alle Eigenwerte reell sind. In (2.8) setzen wir jui D
A jvi und somit huj D hvj A D hvj A:

hv jAj vi D hv jAj vi (2.56)


Wenn A jvi D  jvi, folgt daraus
 hv jv i D . hv jv i/ : (2.57)
Da hv jv i reell ist, muss es auch  sein.
 Als Nächstes zeigen wir, dass Eigenvektoren zu verschiedenen Eigenwerten or-
thogonal sind. Sei
A jui D 1 jui ; A jvi D 2 jvi ; 1 ¤ 2 : (2.58)
Aus der zweiten Gleichung folgt hvj A D 2 hvj. Bildet man in dieser Gleichung
das Skalarprodukt mit jui, in der ersten Gleichung das Skalarprodukt mit hvj und
subtrahiert anschließend die beiden Gleichungen voneinander, so erhält man
hv jAj ui  hv jAj ui D 1 hv ju i  2 hv ju i ; (2.59)
also
.1  2 / hv ju i D 0; (2.60)
also hv ju i D 0.
26 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

 Als Letztes ist noch zu zeigen, dass die Eigenvektoren den Raum H vollständig
aufspannen. Dazu gehen wir von der zu A gehörenden Matrix A.e/ bzgl. einer
Basis fjei ig aus. Da C algebraisch abgeschlossen ist, besitzt das charakteris-
tische Polynom von A.e/ mindestens eine Nullstelle, A also mindestens einen
Eigenwert . Im zugehörigen Eigenraum H wählen wir einen normierten Ei-
genvektor jvi. Dann wählen wir eine neue Orthonormalbasis fjfi ig von H , in
der jf1 i D jvi ist. In dieser Basis hat A.f / die Form
0 1
 A12    A1n
B 0 A22    A2n C
B C
A.f / D B : :: :: :: C : (2.61)
@n:: : : : A
0 An2  Ann
Insbesondere sind die Komponenten der ersten Spalte Ai1 ab der zweiten Zeile
(also i > 1) alle null, da sonst nicht A jf1 i D  jf1 i wäre. Da A.f / hermitesch
ist, folgt daraus, dass auch die Komponenten A1i mit i > 1 alle null sind. A.f /
hat also die Blockdiagonalform
0 1
! A22    A2n
 0 B :: C :
A.f / D ; A0.f / D @ ::: ::
: : A (2.62)
0 A0.f /
An2    Ann

Daraus folgt, dass die Wirkung von A.f / und somit von A auf die beiden Teile
der Zerlegung H D Hv ˚ H 0 unabhängig ist, d. h. jui 2 Hv ) A jui 2 Hv
und jui 2 H 0 ) A jui 2 H 0 . Hierbei ist Hv der eindimensionale, von jvi er-
zeugte Unterraum (das ist nicht notwendigerweise der gesamte Eigenraum H )
und H 0 der von allen anderen Basisvektoren aufgespannte Raum. Insbesondere
ist jeder Vektor in H 0 orthogonal zu jvi.
In H 0 wird A durch die Matrix A0.f / dargestellt, und mit dieser können wir
verfahren wie vorher mit A.e/ . Wir finden einen Eigenwert, einen zugehörigen
normierten Eigenvektor jwi, bilden eine neue Orthonormalbasis fjgi ig (i D
2;    n) von H 0 mit jg2 i D jwi und separieren damit den von jwi erzeug-
ten Unterraum ab, H 0 D Hw0 ˚ H 00 . So verfahren wir, bis wir A vollständig
diagonalisiert und H vollständig zerlegt haben. In der resultierenden Orthonor-
malbasis ist jedes Element ein Eigenvektor.

.2/ ) .1/
Wenn eine Orthonormalbasis fjei ig aus Eigenvektoren zu reellen Eigenwerten ge-
geben ist, dann ist A.e/ diagonal mit den reellen Eigenwerten auf der Diagonalen.
Insbesondere ist A.e/ hermitesch und somit auch A.

Aufgabe 2.5
Sei H D C 2 , fjei ig eine Orthonormalbasis.
2.5 Projektion und Messung 27

!
1 1
a) Zeigen Sie, dass der nichthermitesche Operator A mit A.e/ D
0 1
nur reelle Eigenwerte besitzt, dass aber H nicht von den zugehörigen
Eigenvektoren aufgespannt wird. !
2 1
b) Zeigen Sie, dass der nichthermitesche Operator B mit B D
.e/
nur
0 1
reelle Eigenwerte besitzt und dass H von den zugehörigen Eigenvektoren
aufgespannt wird. Es gibt aber keine Orthonormalbasis aus Eigenvekto-
ren.

Fragen zum Selbstcheck


1. Wie ermittelt man die Eigenwerte eines hermiteschen Operators?
2. Wodurch ist sichergestellt, dass die Ergebnisse nicht von der Wahl der Basis
abhängen?
3. Welche besonderen Eigenschaften haben die Eigenwerte, Eigenvektoren und
Eigenräume hermitescher Operatoren?

2.5 Projektion und Messung

Bisher haben wir ausschließlich die Lineare Algebra von Vektorräumen über C
wiederholt, und zwar in der Schreibweise, die sich in der Quantenmechanik ein-
gebürgert hat. Allmählich ist es an der Zeit, einen Bezug zur Physik herzustellen.
Dazu kommt uns der Spin des Elektrons sehr gelegen, denn hierbei handelt es sich
um eine Eigenschaft des Elektrons, die gerade mithilfe des zweidimensionalen
Hilbert-Raums und der Pauli-Matrizen beschrieben wird, die wir in den vorigen
Abschnitten kennengelernt haben. Der Spin ist eine Eigenschaft, die auf subtile
Weise mit dem Drehimpuls zusammenhängt, wie wir in Kap. 9 sehen werden. Er
wird daher oft als „eine Art Eigenrotation“ des Elektrons bezeichnet. Das ist aber
irreführend, denn Elektronen sind keine kleinen Kügelchen, die wir uns als rotie-
rend vorstellen können. Der Spin ist etwas ziemlich Abstraktes. Er ist dennoch –
oder gerade deshalb – ideal dazu geeignet, die Prinzipien der quantenmechanischen
Messung zu erläutern.

Der Spinzustand eines Elektrons wird durch einen Vektor in H D C 2 beschrie-


ben. (Wir erinnern uns: eigentlich durch einen Strahl, aber der Einfachheit halber
wählt man einen normierten Vektor als Repräsentanten des Strahls.) Der Spin selbst
ist eine vektorielle Eigenschaft, und zwar vektoriell in Bezug auf unseren dreidi-
mensionalen Raum, d. h., er hat Komponenten in x-, y- und z-Richtung. Das ist
für sich genommen schon einmal erstaunlich, es bedeutet nämlich, dass die Infor-
mation über einen dreidimensionalen reellen Vektor in einem zweidimensionalen
komplexen Zustandsvektor enthalten ist.
28 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

Die drei Spinkomponenten sx , sy , sz werden als Observablen dargestellt durch


die Operatoren Sx , Sy , Sz , und diese wiederum, in einer geeigneten Orthonormal-
basis je1 i, je2 i, durch die Matrizen „2 x , „2 y und „2 z ,

„ „ „
Sx D x ; Sy D y ; Sz D z : (2.63)
2 2 2
In einer gebräuchlichen Notation wird daher der Spinoperator oft als Vektor ge-
schrieben: S D „2  , als würden die drei Pauli-Matrizen einen Vektor in drei
Dimensionen bilden, dessen Komponenten 2  2-Matrizen sind.

Betrachten wir nun eine Messung der z-Komponente des Spins eines Elektrons,
dessen Spinzustandsvektor jvi in der genannten Basis die Komponenten .˛; ˇ/ hat.
Nach dem zweiten Postulat der Quantenmechanik sind die möglichen Messwerte
die Eigenwerte von „2 z , also ˙ „2 . Der Eigenraum zum Eigenwert C „2 wird von je1 i
aufgespannt, der Eigenraum zum Eigenwert  „2 von je2 i. Nach der Messung befin-
det sich das Elektron im Zustand je1 i, wenn C „2 gemessen wurde, oder im Zustand
je2 i, falls  „2 gemessen wurde. Den Zustand je1 i bezeichnet man daher als „spin
up“ (Spin zeigt in positive z-Richtung), je2 i als „spin down“ (Spin zeigt in negative
z-Richtung). Üblicherweise nennt man die beiden Zustände daher j"i und j#i. Auf
diese Weise wird die Bra/Ket-Schreibweise häufig genutzt: Statt Bezeichnungen
wie ei oder v setzt man aussagekräftige Symbole zwischen die Klammern. Durch-
nummerierte Basisvektoren nennt man j1i, j2i, . . . , jni statt je1 i, je2 i, . . . , jen i. Oft
werden die Eigenwerte selbst ˇ ˛als Bezeichner
ˇ ˛ für die Zustände herangezogen, das
wären in unserem Fall also ˇ „2 und ˇ „2 . Das geht natürlich nur, wenn die Eigen-
räume eindimensional sind, der Zustand zum Eigenwert also eindeutig ist.
Wir wollen hier einer eigenen Konvention folgen und verwenden die Schreib-
weise jzCi für je1 i und jzi für je2 i. Der Grund dafür ist, dass wir häufig Spins in
verschiedenen Richtungen miteinander vergleichen werden, und da sind die Pfeile
oder Eigenwerte allein nutzlos.

Einen Vektor jvi auf einen Vektor jui projizieren heißt den Anteil von jvi zu
bestimmen, der parallel zu jui ist. Die Projektionsoperatoren auf jzCi und jzi
sind, als Matrizen geschrieben,
! !
1 0 0 0
PzC D ; Pz D ; (2.64)
0 0 0 1

denn
!
! !
1 0 ˛ ˛
PzC jvi D D ; (2.65)
0 0 0 ˇ
! ! !
0 0 ˛ 0
Pz jvi D D : (2.66)
0 1 ˇ ˇ
2.5 Projektion und Messung 29

Wenn jvi normiert ist, also ˛  ˛ Cˇ  ˇ D 1, dann sind nach dem dritten Postulat der
Quantenmechanik die Wahrscheinlichkeiten für die beiden Messergebnisse gegeben
durch
! ! !
   1 0 ˛   ˛
p.zC/ D hv jPzC j vi D ˛ ˇ  D ˛ ˇ D ˛  ˛;
0 0 ˇ 0
(2.67)
! ! !
  0 0 ˛   0
p.z/ D hv jPz j vi D ˛  ˇ  D ˛ ˇ D ˇ  ˇ:
0 1 ˇ ˇ
(2.68)

Dieses Resultat lässt sich einfach verallgemeinern: Die Messwahrscheinlichkeit für


einen Eigenwert  ist gleich dem Betragsquadrat der Komponente des normierten
Zustandsvektors parallel zum Eigenraum H . Das ist es, was das dritte Postulat
letztendlich besagt.
Die Summe der beiden Wahrscheinlichkeiten ist

p.zC/ C p.z/ D ˛  ˛ C ˇ  ˇ D 1; (2.69)

so wie es sein muss (die Messung hat auf jeden Fall genau ein Ergebnis). Der nor-
mierte Zustandsvektor ist nicht eindeutig, man kann ihn mit einer Phase exp.i'/
multiplizieren, die sich aber aus den Wahrscheinlichkeiten ˛  ˛ und ˇ  ˇ (den Be-
tragsquadraten also) heraushebt. Wahrscheinlichkeiten können nicht von der Wahl
der Phase abhängen.
Will man auch nichtnormierte Zustandsvektoren zulassen, so muss man die Re-
gel für die Wahrscheinlichkeit anpassen, indem man durch das Betragsquadrat des
Zustandsvektors dividiert:
hv jP j vi
p./ D (2.70)
hv jv i
Wir wollen uns an dieser Stelle verdeutlichen, was es bedeutet, dass nur hermitesche
Operatoren als Observablen in Frage kommen. Hermitesche Operatoren haben drei
wichtige Eigenschaften:

 Sie haben nur reelle Eigenwerte. Das ist wichtig, denn Messwerte sind immer
reell.
 Eigenvektoren zu unterschiedlichen Eigenwerten sind orthogonal. Das ist wich-
tig, damit die Messung konsistent ist: Wenn „spin up“ gemessen wurde, befindet
sich das Elektron danach im Zustand jzCi. Wenn man die gleiche Messung
sofort noch einmal durchführt, wird das Ergebnis mit hundertprozentiger Wahr-
scheinlichkeit wieder „spin up“ sein, denn der Zustand ist jetzt orthogonal zu
jzi. Hätte jzCi hingegen eine nichtverschwindende Komponente in Richtung
jzi, dann gäbe es eine positive Wahrscheinlichkeit, dass die zweite Messung
„spin down“ ergibt, also der ersten widerspricht.
30 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

 Die Eigenvektoren aller Eigenwerte spannen den gesamten Hilbert-Raum auf.


Das ist wichtig, denn sonst gäbe es Zustände, die orthogonal auf allen Eigenräu-
men stehen. Eine Messung an einem solchen Zustand könnte zu keinem Ergebnis
führen.

Es stellt sich natürlich noch die Frage, warum sich die Natur überhaupt dieses
Operatoren-Spielchen leistet und wie die Operatoren bei einer Messung ins Spiel
kommen. Man geht im Experiment schließlich mit einer Messapparatur, nicht mit
einer Matrix, auf das Elektron los. Irgendetwas muss diese Messapparatur an sich
haben, was wie eine hermitesche Matrix bzw. ein hermitescher Operator auf das
Elektron wirkt. Aber was? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, und wieder
einmal gehen die Meinungen auseinander. Wir werden im Interpretationskapitel 4
darauf zurückkommen.
Projektionsoperatoren spielen in der Quantenmechanik offenbar eine große
Rolle. Wir wollen sie daher etwas ausführlicher diskutieren. Sei fjiig mit i D
1;    ; n eine Orthonormalbasis von H und jvi ein Vektor. Die Darstellung von jvi
in dieser Basis, X
jvi D ˛i jii ; (2.71)
i

besteht aus den Komponenten ˛i jii, den Projektionen von jvi auf den jeweiligen
Basisvektor jii. Den Koeffizienten ˛i erhält man durch Bilden des Skalarprodukts

˛i D hi jv i : (2.72)

Man kann also jvi ausdrücken durch


X
jvi D jii hi jv i : (2.73)
i

Wir erhalten dadurch eine interessante Schreibweise des Eins-Operators:


X
1D jii hij ; (2.74)
i

denn die linke Seite von (2.73) ist 1 jvi, und da sie für alle Vektoren jvi erfüllt
ist, gilt (2.74). Der Eins-Operator setzt sich hier aus lauter Projektionsoperatoren
zusammen: Die Projektion auf einen Basisvektor jii geschieht durch den Operator

Pi D jii hij ; (2.75)

denn wie wir gesehen haben, ist

Pi jvi D jii hi jv i D ˛i jii : (2.76)

Mit Hilfe des Eins-Operators können wir die sog. Vollständigkeitsrelation ableiten:
X
hu jv i D hu j1j vi D hu ji i hi jv i (2.77)
i
2.5 Projektion und Messung 31

Hier haben wir einen Trick angewandt, der uns immer wieder begegnen wird: Wir
haben einen Eins-Operator in der Form (2.74) eingefügt. Aus (2.77) folgt die Voll-
ständigkeitsrelation X
hv jv i D j hi jv i j2 : (2.78)
i

Mit ihr kann man überprüfen, ob eine angebliche Basis fjiig wirklich den ge-
samten Hilbert-Raum aufspannt. Bei endlichdimensionalen Räumen geht das
natürlich auch einfach durch Abzählen (vorausgesetzt man weiß, dass die fjiig
linear unabhängig sind). Die Vollständigkeitsrelation wird daher erst bei unendlich-
dimensionalen Hilbert-Räumen so richtig interessant. Da (2.78) äquivalent ist zu
(2.74), wird auch oft (2.74) als Vollständigkeitsrelation bezeichnet.

Aus der Darstellung (2.74) des Eins-Operators


P lässt sich eine
P interessante Form
eines Operators A gewinnen. Sei jui D i ˛i jii und jvi D i ˇi jii. Es gilt
X
A D 1A1 D jii hi jAj j i hj j (2.79)
i;j

und somit
X X
hu jAj vi D hu ji i hi jAj j i hj jv i D ˛i hi jAj j i ˇj : (2.80)
i;j i;j

P
Aus dem Vergleich mit hu jAj vi D i;j ˛i Aij ˇj schließen wir

hi jAj j i D Aij (2.81)

und damit X
AD jii Aij hj j : (2.82)
i;j

Die Matrixkomponenten Aij „greifen“ sich mit jii und hj j die richtigen Kompo-
nenten aus huj und jvi heraus. Diese Darstellung eines Operators sollte man sich
merken, sie wird gelegentlich wieder verwendet.

Die rechte Seite von (2.75) lässt sich als Matrixmultiplikation des Spaltenvektors
jii mit dem Zeilenvektor hij lesen. In der Tat ergibt sich damit für das Spinbeispiel:
! !
1   1 0
PzC D jzCi hzCj D 1 0 D ; (2.83)
0 0 0

und analog für Pz .


32 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

Wollen wir die x-Komponente des Spins messen, müssen wir mit den Eigenräu-
men von „2 1 arbeiten. Normierte Eigenvektoren für die Eigenwerte C „2 bzw.  „2
sind ! !
1 1 1 1
jxCi D p ; jxi D p : (2.84)
2 1 2 1
Die zugehörigen Projektionsoperatoren sind
! !
1 1   1 1 1
PxC D jxCi hxCj D 1 1 D ; (2.85)
2 1 2 1 1
! !
1 1   1 1 1
Px D jxi hxj D 1 1 D : (2.86)
2 1 2 1 1

Die Summe der beiden ergibt den Eins-Operator, so wie es sein muss:
! ! !
1 1 1 1 1 1 1 0
PxC C Px D C D : (2.87)
2 1 1 2 1 1 0 1
˛ 
Die Wahrscheinlichkeiten für die beiden Messergebnisse sind im Zustand jvi D ˇ

! !
1  
 1 1 ˛
p.xC/ D hv jPxC j vi D ˛ ˇ (2.88)
2 1 1 ˇ
!
1    ˛ C ˇ 1
D ˛ ˇ D .˛  C ˇ  /.˛ C ˇ/; (2.89)
2 ˛Cˇ 2
! !
1  
 1 1 ˛
p.x/ D hv jPx j vi D ˛ ˇ (2.90)
2 1 1 ˇ
!
1    ˛  ˇ 1
D ˛ ˇ D .˛   ˇ  /.˛  ˇ/: (2.91)
2 ˛ C ˇ 2

Die Summe der beiden Wahrscheinlichkeiten ist


1
p.xC/ C p.x/ D Œ.˛  C ˇ  / .˛ C ˇ/ C .˛   ˇ  / .˛  ˇ/ (2.92)
2
D ˛  ˛ C ˇ  ˇ D 1: (2.93)

Aufgabe 2.6
Führen Sie die gleiche Rechnung für die Messung des Spins in y-Richtung
aus.
2.5 Projektion und Messung 33

Aufgabe 2.7
Rechnen Sie nach: Wenn sich das Elektron in einem Eigenzustand zu einem
der Spinoperatoren Sx , Sy , Sz befindet, dann sind die Wahrscheinlichkei-
ten für die Messwerte der anderen beiden Operatoren gleich 1=2. Das heißt,
wenn sich das Elektron z. B. im Zustand jzCi befindet, dann sind p.xC/ D
p.x/ D 12 . Wenn also einer der drei Spinwerte scharf ist (d. h., es liegt
ein Eigenzustand vor; die Wahrscheinlichkeit für einen Messwert ist 1, für
den anderen Messwert 0), dann sind die anderen beiden Spinwerte maximal
unscharf, d. h., die Wahrscheinlichkeiten für die Spinwerte in die anderen
Richtungen verteilen sich gleichmäßig auf die möglichen Messwerte. Das ist
ein Beispiel für eine Unschärferelation.

Der Eigenraum eines Operators zum Eigenwert  kann mehr als eindimensional
sein. In dem Fall gibt es in einer geeigneten Orthonormalbasis fjiig, i D 1;    ; n,
mehrere Basisvektoren ji1 i ;    ; jik i, die den Eigenraum H aufspannen. Der zu-
gehörige Projektionsoperator ist dann

P D ji1 i hi1 j C    C jik i hik j : (2.94)

Aufgabe 2.8
Projektionsoperatoren haben immer die Eigenwerte 0 und 1. Die Anteile eines
Vektors senkrecht zur Projektionsrichtung werden annihiliert (Eigenwert 0),
der Anteil parallel zur Projektionsrichtung bleibt erhalten (Eigenwert 1).
Verifizieren Sie das für PxC , Px anhand der charakteristischen Polynome.

Aufgabe 2.9
Da ein Projektionsoperator P immer die Eigenwerte 0 und 1 hat und her-
mitesch ist (wieso sieht man das an der Darstellung (2.94)?), gibt es eine
Orthonormalbasis, in der P diagonal ist und nur Einsen und Nullen auf der
Diagonale stehen. Daraus folgt, dass P2 D P . Verifizieren Sie das für PxC ,
Px .

Formal wird der Begriff des Projektionsoperators sogar so definiert: Ein Projek-
tionsoperator ist ein Operator P mit P 2 D P .

In unseren Rechenbeispielen sind wir vom Zustandsvektor jvi ausgegangen


und haben daraus die Messwahrscheinlichkeiten berechnet. Wie kann man im
Experiment umgekehrt den Zustand aus den Messergebnissen erschließen? Das
34 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

Problem ist, dass man nach einer Einzelmessung immer nur den Zustand nach der
Messung kennt. Im Spinbeispiel sind das immer nur zwei mögliche Ergebnisse.
Es gibt unendlich viele verschiedene Zustände in einem zweidimensionalen
Hilbert-Raum, aber durch die Messung erhalten wir immer nur 1 Bit an In-
formation. Egal in welcher Richtung wir den Spin messen, es gibt immer nur zwei
mögliche Ergebnisse. Und nicht nur das: Alle Anteile des Zustands orthogonal zum
Messergebnis sind unwiederbringlich verloren. Wenn sich das Elektron im Zustand
jxCi befindet, dann wäre das Ergebnis einer sx -Messung mit hundertprozentiger
Wahrscheinlichkeit sx D C „2 . Entscheidet sich der Experimentator stattdessen, den
Spin in z-Richtung zu messen, und erhält „spin up“, dann befindet sich das Elektron
nach der Messung im Zustand jzCi. Die Information über die x-Komponente des
Spins ist unwiederbringlich verloren gegangen. Entscheidet sich der Experimenta-
tor, nun doch noch sx zu messen, dann erhält er mit gleichen Wahrscheinlichkeiten
sx D C „2 und sx D  „2 .

Weil man bei einer Messung in einem zweidimensionalen Hilbert-Raum im-


mer nur 1 Bit an Information erhält, spricht man bei einem solchen System auch
von einem Qubit (Kurzform für Quantum Bit). Man kann das Messgerät so ei-
chen, dass es bei! „spin up“ 0 anzeigt und bei „spin down“ 1. Der Messoperator
0 0
ist dann . Bei einer Serie von Messungen schreibt das Gerät dann eine
0 1
Folge von Einsen und Nullen – Bits also. Irgendwie sind Qubits aber doch mehr
als nur Bits, denn dahinter steht ein zweidimensionaler Zustandsraum, den man
auf verschiedene Weise „befragen“ kann – mit einer der drei Pauli-Matrizen oder
einer Linearkombination davon. Mit jeder Befragung projiziert man den Zustand
auf einen ganz bestimmten eindimensionalen Unterraum und erhält 1 Bit an Infor-
mation, das genau zu diesem Unterraum gehört. Der wichtigste Unterschied zum
normalen Bit ergibt sich aber, wenn man mehrere Qubits miteinander kombiniert.
Hier gibt es die Möglichkeit der Verschränkung, die wir in Abschn. 2.10 über Ten-
sorprodukte diskutieren werden. Die Möglichkeiten der Informationsverarbeitung,
die sich mit Qubits erreichen lassen, werden im noch relativ jungen Forschungsge-
biet der Quanteninformation untersucht.

Um mehr als 1 Bit Information über einen Spinzustand zu bekommen, muss


man viele Elektronen haben, die sich nachweislich alle im gleichen Zustand befin-
den. Dann kann man an jedem Elektron eine Messung durchführen – mal in x-, mal
in y-, mal in z-Richtung, und erhält jedes Mal 1 Bit Information über den gleichen
Zustand, Informationen die sich aufsummieren. Man erhält statistische Verteilun-
gen für jeden der drei Spinoperatoren und kann daraus den Zustand immer mehr
eingrenzen.
Aber woher weiß man denn, dass sich die Elektronen alle im gleichen Zustand
befinden und nicht bereits ein statistisches Gemisch verschiedener Quantenzustände
vorliegt? Der Experimentator kann behaupten, er habe die Elektronen alle in der
gleichen Weise präpariert, also müssen sie im selben Zustand sein, aber wie können
2.5 Projektion und Messung 35

wir das überprüfen? Die Antwort lautet: Man sieht es den gemessenen Verteilungen
an, ob sie zu einem einzigen Zustand gehören oder nicht.
Ein Beispiel: Wir haben in einer Messreihe ermittelt, dass

1
p.zC/ D p.z/ D p.xC/ D p.x/ D : (2.95)
2
Nehmen wir an, es handelt sich um die Wahrscheinlichkeitsverteilung für einen
einzigen Quantenzustand jvi. Dann folgt daraus:

j hv jzC i j D j hv jz i j D j hv jxC i j D j hv jx i j (2.96)

Wenn jvi D ˛ jzCi C ˇ jzi, dann ergibt sich daraus

1 1
j˛j D jˇj D p j˛ C ˇj D p j˛  ˇj: (2.97)
2 2
Das ist nur möglich, wenn ˛ D ˙iˇ, wenn also jvi in einem Eigenzustand von Sy
ist. Wenn also p.yC/ D 1 oder p.y/ D 1, dann sind alle Elektronen im gleichen
Spinzustand, ansonsten nicht. Wir werden auf den Unterschied zwischen reinen
Zuständen und statistischen Gemischen in Abschn. 12.3 zurückkommen.

Der Erwartungswert hAiv der Messung einer Observablen mit Operator A an


einem Zustand jvi ist der Durchschnittswert, den man erhielte, wenn man die Mes-
sung sehr oft am gleichen Zustand durchführen würde (d. h. an vielen Quantenob-
jekten, die sich alle im gleichen Zustand befinden). Er ergibt sich aus der Summe
der möglichen Messwerte, multipliziert mit den jeweiligen Wahrscheinlichkeiten,
X X
hAiv D p.i /i D i hv jPi j vi : (2.98)
i i

Da
APi jvi D i Pi jvi (2.99)
(denn Pi projiziert jvi auf den Eigenraum zum Eigenwert i ) und außerdem
P
i Pi D 1 ist, folgt
hAiv D hv jAj vi : (2.100)
Die Standardabweichung oder Unschärfe .A/v der Observablen mit Operator A
im Zustand jvi ist definiert als Wurzel aus der mittleren quadratischen Abweichung
vom Mittelwert,
p q
.A/v D h.A  hAiv /2 iv D hA2 iv  hAi2v : (2.101)

Zur Erklärung der zweiten Gleichheit beachte man hAhAiv iv D hAi2v . Wenn jvi ein
Eigenzustand von A zum Eigenwert  ist, dann ist  der einzig mögliche Messwert
und somit auch der Erwartungswert, und daher .A/v D 0.
36 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

Fragen zum Selbstcheck


1. Warum ist es wichtig, dass ein Operator, der eine Messung beschreibt, her-
mitesch ist?
2. Was besagt die Vollständigkeitsrelation und warum hat sie diesen Namen?
3. Wie berechnet man Erwartungswert und Standardabweichung einer Obser-
vablen mit gegebenem Operator und bei gegebenem Zustand?

2.6 Unitäre Operatoren

Mit den hermiteschen Operatoren und den Projektionsoperatoren (die eine Un-
termenge ersterer bilden) haben wir bereits zwei besondere Klassen von linearen
Operatoren kennengelernt, die in der QM eine wichtige Rolle spielen. In diesem
Abschnitt werden wir uns mit einer weiteren solchen Klasse beschäftigen: den
unitären Operatoren. Das sind solche lineare Operatoren, die das Skalarprodukt
zwischen Vektoren nicht verändern. Die unitären Operatoren spielen eine große
Rolle sowohl beim Wechsel zwischen zwei Orthonormalbasen als auch bei der
Zeitentwicklung von Quantenzuständen gemäß der Schrödinger-Gleichung.

Als Hilfsmittel wird die Exponentialfunktion von Operatoren benötigt: Die Ex-
ponentialfunktion e A eines Operators A ist durch die Potenzreihe definiert,

X1
1 n
e D A
A (2.102)
nD0

Als Beispiel berechnen wir Uy .˛/ WD e i ˛y mit ˛ 2 R. Die Potenzen von y
nehmen nur zwei verschiedene Werte an, je nachdem, ob der Exponent gerade oder
ungerade ist:
! !
0 i 1 0
y2nC1 D y D ; y2n D1D (2.103)
i 0 0 1

Daraus ergibt sich:


1
X .i/n ˛ n
Uy .˛/ D e i ˛y D yn (2.104)
nD0

P1 P1 !
k ˛2k k ˛2kC1
kD0 .1/ .2k/Š  kD0 .1/ .2kC1/Š
D P1 k ˛2kC1
P1 k ˛2k
(2.105)
kD0 .1/ .2kC1/Š kD0 .1/ .2k/Š
!
cos ˛  sin ˛
D (2.106)
sin ˛ cos ˛
2.6 Unitäre Operatoren 37

Aufgabe 2.10
Zeigen Sie: !
i ˛x cos ˛ i sin ˛
Ux .˛/ D e D (2.107)
i sin ˛ cos ˛
!
e i ˛ 0
Uz .˛/ D e i ˛z D (2.108)
0 ei ˛

Die drei Matrizen Ux .˛/; Uy .˛/; Uz .˛/ sind unitär. Eine Matrix/ein Operator U
heißt unitär, wenn
U U  D U  U D 1: (2.109)

Aufgabe 2.11
Rechnen Sie nach, dass Ux .˛/; Uy .˛/; Uz .˛/ unitär sind.

Unitäre Operatoren erhalten das Skalarprodukt: Sei ju0 i D U jui und jv 0 i D


U jvi. Dann ist
˝ ˇ ˇ ˛
hu0 jv 0 i D u ˇU  U ˇ v D hu j1j vi D hu jv i : (2.110)

Insbesondere bildet U eine Orthonormalbasis fjei ig auf eine neue Orthonormalba-


sis fjfi ig ab. Umgekehrt gibt es zu zwei gegebenen Orthonormalbasen fjei ig und
fjfi ig immer einen unitären Operator U , der fjei ig auf fjfi ig abbildet. U  bildet
dann automatisch fjfi ig auf fjei ig ab:

jfi i D U jei i ) U  jfi i D U  U jei i D jei i (2.111)

Unitäre Matrizen sind die komplexe Verallgemeinerung der orthogonalen Ma-


trizen (Drehmatrizen). Man erinnere sich aus der Linearen Algebra, dass eine Ma-
trix O orthogonal heißt, wenn

OO t D O t O D 1 (2.112)

(dabei steht t für transponiert), und dass dies gerade die Matrizen sind, die eine
Drehung oder Spiegelung in einem reellen Vektorraum bewirken. Unter den drei
genannten Beispielen ist Uy .˛/ als einziges reell. Tatsächlich erkennen wir hier ge-
rade die Drehmatrix in zwei Dimensionen, die ein kartesisches Koordinatensystem
um den Winkel ˛ dreht (oder äquivalent dazu die Basisvektoren e1 , e2 ).
38 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

In unseren drei Beispielen haben wir die unitären Matrizen als Exponentialfunk-
tion von hermiteschen Matrizen gewonnen. Ganz allgemein gilt, dass e iH unitär ist,
wenn H hermitesch ist. Denn

.e iH / e iH D e iH e iH D e iH e iH D e iH CiH D e 0 D 1:



(2.113)

Hierbei haben wir verwendet, dass e ACB D e A e B , wenn A und B kommutieren,


wenn also AB D BA. Denn dann kann man die Potenzen von A und B wie
bei Zahlen hin- und herschieben. Wenn A und B nicht kommutieren, ist jedoch
e ACB ¤ e A e B !

Wir können unitäre Operatoren auf zwei Arten verwenden:

 als „aktives“ Operieren auf den Vektoren/Zuständen, jui ! U jui;


 als „passive“ Koordinatentransformation. Das heißt, man lässt U nur auf die
Basisvektoren wirken und erzeugt dadurch eine neue Basis:

jei i ! jfi i D U jei i (2.114)

Die unveränderten Zustände jui können nun in den neuen Basisvektoren ausge-
drückt werden. In Komponentendarstellung hatˇ derE Basisvektor jei i eine 1 an
ˇ .e/
der i-ten Position und ansonsten lauter Nullen, ˇei D ıij . Aus der Definition
j
(2.114) der f -Basis folgt
ˇ E X ˇ E X
ˇ .e/ ˇ .e/
ˇfi D Uj k ˇei D Uj k ıi k D Uj i : (2.115)
j k
k k

Daraus folgt eine praktische Regel über den Zusammenhang zwischen den neuen
Basisvektoren fjfi ig und der Transformationsmatrix U : Wenn die fjfi ig ge-
geben sind, dann erhält man U , indem man die i-te Spalte von U aus den
Komponenten von jfi i bildet. Ist hingegen U bekannt, so liest man den Ba-
sisvektor jfi i in der i-ten Spalte von U ab.
Es folgt weiter
X ˇˇ .e/ E ˇ ˛ X ˇ ˛
jfi i D ˇfi ˇej D Uj i ˇej (2.116)
j
j j
Xˇ ˛ Xˇ ˛ ˇ ˛ X ˇ .f / ˛
jui D ˇu.e/ jei i D ˇu.f / ˇfj D ˇu U jei i (2.117)
i j j ij
i i i;j

und durch Koeffizientenvergleich folgt


ˇ .e/ ˛ X ˇ ˛
ˇu D Uij ˇu.f / j ; (2.118)
i
j

also ˇ .e/ ˛ ˇ ˛ ˇ .f / ˛ ˇ ˛
ˇu D U ˇu.f / ; ˇu D U  ˇu.e/ : (2.119)
2.6 Unitäre Operatoren 39

Man beachte, dass U hier nur als Matrix auf die Komponentendarstellung von
jui wirkt, um diese in neue Koordinaten zu transformieren. U wirkt nicht als
Operator auf den Vektor jui selbst. Die Norm von jui darf nicht von der verwen-
deten Basis abhängen. Daher muss
˝ .e/ ˇ ˝ .f / ˇ  ˝ .f / ˇ ˝ .e/ ˇ
u ˇ D u ˇU ; u ˇ D u ˇU (2.120)

sein, damit ˝ .f / ˇ .f / ˛ ˝ .e/ ˇ ˇ ˛ ˝ ˇ ˛


u ˇu D u ˇ U U  ˇu.e/ D u.e/ ˇu.e/ (2.121)
für alle jui ist. Auch die Matrixdarstellung eines Operators A wird beim Wechsel
in die neue Basis transformiert. Es muss

A.f / D U  A.e/ U (2.122)

sein, damit jede skalare Größe hu jAj vi unabhängig von der gewählten Basis ist:
˝ .f / ˇ .f / ˇ .f / ˛ ˝ .e/ ˇ ˇ ˛ ˝ ˇ ˇ ˛
u ˇ A ˇu D u ˇ U U  A.e/ U U  ˇu.e/ D u.e/ ˇ A.e/ ˇu.e/ (2.123)

U selbst bleibt von der Transformation unbetroffen:

U .f / D U .e/ U .e/ U .e/ D U .e/ ; (2.124)

es ist also berechtigt, dass wir bei U auf die Kennzeichen .e/ bzw. .f / verzichten.

Sehen wir uns an, wie Uy .˛/ auf unsere Spinvektoren wirkt. Dazu fassen wir
noch einmal die Ergebnisse für die Eigenvektoren aus dem letzten Abschnitt zu-
sammen:
! ! !
1 1 1 1 1
jxCi D p ; jyCi D p ; jzCi D (2.125)
2 1 2 i 0
! ! !
1 1 1 1 0
jxi D p ; jyi D p ; jzi D (2.126)
2 1 2 i 1

Wir starten mit den Basisvektoren

je1 i D jzCi ; je2 i D jzi (2.127)

und untersuchen die Wirkung von


!
  1 1 1
Uy Dp : (2.128)
4 2 1 1

Den Spalten dieser Matrix liest man sofort ab, dass sie zu den neuen Basisvektoren
   
jf1 i D Uy jzCi D jxCi ; jf2 i D Uy jzi D  jxi (2.129)
4 4
40 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

führt. Außerdem findet man


   
Uy jxCi D jzi ; Uy jxi D jzCi (2.130)
4 4
und allgemein
!
1 cos ˛  i sin ˛
Uy .˛/ jyCi D p D e i ˛ jyCi (2.131)
2 sin ˛ C i cos ˛
!
1 cos ˛ C i sin ˛
Uy .˛/ jyi D p D e i ˛ jyi : (2.132)
2 sin ˛  i cos ˛

Aufgabe 2.12
Rechnen Sie das alles nach!

 
Wir sehen also, dass Uy 4 jzCi nach jxCi und jxCi nach jzi dreht, wäh-
rend jyCi bis auf eine Phase erhalten bleibt. Unsere Behauptung, dass in dem
zweidimensionalen komplexen Vektor ein dreidimensionaler reeller (Spin-)Vektor
codiert ist, wird hier bestätigt. Der zweidimensionalen Uy -Drehung um den Winkel
=4 scheint eine dreidimensionale Drehung um die y-Achse um den Winkel =2
zu entsprechen. Bemerkenswert ist hier der Faktor 2 zwischen dem Drehwinkel in
zwei und dem in drei Dimensionen.

Aufgabe 2.13    
Zeigen Sie, dass entsprechende Aussagen auch für Ux 4
und Uz 4
gelten.

Mit Erhöhung von ˛ bis zu ˛ D 2 wird die .jxCi ; jzCi ; jxi ; jzi/-„Ebene“
zweimal komplett im Kreis herumgedreht, z. B.
  
3
Uy jzCi D jzi ; Uy jzCi D  jxi ; (2.133)
2 4

5
Uy ./ jzCi D  jzCi ; Uy jzCi D  jxCi ; (2.134)
4
 
3 7
Uy jzCi D  jzi ; Uy jzCi D jxi : (2.135)
2 4
Die Vorzeichen vor den Ket-Vektoren sind hierbei irrelevante Phasen.
Die Transformation der Pauli-Matrizen bestätigt diese Beziehungen zwischen
C 2 und R3 , genauer gesagt zwischen den unitären Transformationen in C 2 und den
Rotationen in R3 . Zum Beispiel ist
Uy .˛/z Uy .˛/ D cos.2˛/ z  sin.2˛/ x : (2.136)
2.6 Unitäre Operatoren 41

Aufgabe 2.14
Beweisen Sie das.

Die Menge der 2  2-Matrizen, die sich aus den Linearkombinationen

B D ˇx x C ˇy y C ˇz z (2.137)

ergeben (mit ˇ WD .ˇx ; ˇy ; ˇz / 2 R3 ), bilden einen dreidimensionalen reellen Vek-


torraum (d. h., die Koeffizienten sind reell, die Matrizen sind es nicht). Das heißt,
wir stellen eine Isomorphie (oder Äquivalenz) her zwischen der Matrix B und dem
Vektor ˇ und schreiben B Š ˇ. Zum Beispiel ist
0 1 0 1
0  sin 2˛
 z Š @0 A ; cos.2˛/ z  sin.2˛/ x Š @ 0 A : (2.138)
1 cos 2˛

Mit einigem Rechenaufwand lässt dann (2.136) verallgemeinern zu:

Ux .˛/BUx .˛/ Š Rx .2˛/ˇ


Uy .˛/BUy .˛/ Š Ry .2˛/ˇ (2.139)
Uz .˛/BUz .˛/ Š Rz .2˛/ˇ

Hierbei sind Rx;y;z die Rotationsmatrizen in drei Dimensionen:


0 1 0 1
1 0 0 cos  0  sin 
Rx ./ D @0 cos  sin  A ; Ry ./ D @ 0 1 0 A;
0  sin  cos  sin  0 cos 
0 1
cos  sin  0
Rz ./ D @ sin  cos  0A (2.140)
0 0 1

Der unitären Transformation der Matrix B entspricht also eine Rotation des Vek-
tors ˇ mit doppeltem Winkel. Die Pauli-Matrizen entsprechen hierbei den Basis-
vektoren im R3 . Die Interpretation des Spins als eines Vektors im R3 leitet sich
aus dieser Analogie her. Damit kann man nun auch den Spin in einer beliebi-
gen Richtung definieren. Um beispielsweise die Messung eines Spins in Richtung
p1 .ex C ez / zu beschreiben, verwendet man den Operator
2

!
„ 1 „ 1 1 1
p .x C z / D p : (2.141)
2 2 2 2 1 1
42 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

In Abschn. 9.3 werden wir den tieferen Hintergrund des Zusammenhangs (2.139)
erörtern. Wir werden darin auch erkennen, wie der Spin mit einem Drehimpuls
zusammenhängt.

Aufgabe 2.15
Jede hermitesche 2  2-Matrix M lässt sich schreiben als

M D t1 C xx C yy C zz (2.142)

(vgl. (2.49)). Zeigen Sie:

det M D t 2  x 2  y 2  z 2 (2.143)

Fragen zum Selbstcheck


1. Warum bilden unitäre Operatoren Orthonormalbasen auf Orthonormalbasen
ab?
2. Wie hängen hermitesche und unitäre Operatoren zusammen?
3. Wie hängen unitäre Operatoren in zwei komplexen Dimensionen mit den
Drehungen in drei reellen Dimensionen zusammen?

2.7 Zeitentwicklung und Schrödinger-Gleichung

Bisher haben wir den mathematischen Apparat entwickelt, um den Zustand eines
Quantensystems zu einem festen Zeitpunkt zu analysieren. Nun wollen wir uns mit
der zeitlichen Entwicklung des Systems beschäftigen, die durch die Schrödinger-
Gleichung gegeben ist:
d
i„ jv.t/i D H jv.t/i (2.144)
dt
Dabei ist H der Hamilton-Operator. Der Hamilton-Operator beschreibt die Ener-
gie eines Systems, d. h., er ist der Operator, der zur Energie-Observablen gehört.
In den meisten Fällen kennt man zuerst eine klassische Beschreibung des Systems
mit einem klassischen Ausdruck für die Energie, Ekl . Diese klassische Beschrei-
bung wird dann quantisiert, indem die in Ekl vorkommenden klassischen Variablen
durch entsprechende Operatoren ersetzt werden. Der daraus resultierende Opera-
tor ist dann der Hamilton-Operator H . Im Abschnitt über unendlichdimensionale
Hilbert-Räume werden wir mit der klassischen Beschreibung starten, in der Ekl als
Funktion von Ortsvariablen xi und Impulsvariablen pi gegeben ist, der Hamilton-
Funktion. Die xi und pi werden dann durch Operatoren ersetzt. Daraus resultiert
auch der Name Hamilton-Operator.
2.7 Zeitentwicklung und Schrödinger-Gleichung 43

Aufgabe 2.16
Sei A der Operator zur klassischen Variablen (Observablen) a. Zeigen Sie
anhand einer Orthonormalbasis
P aus Eigenvektoren, dass zur Observablen
P b,
die durch die Potenzreihe n ˛n an gegeben ist, der Operator B D n ˛n An
gehört.

Die Ersetzung klassischer Variablen durch Operatoren ist jedoch nicht immer
eindeutig. Es sei z. B. Ekl D ab mit zwei klassischen Variablen a und b, deren
zugehörige hermitesche Operatoren A und B sind und nicht kommutieren, AB ¤
BA. Wenn wir einfach ab durch AB ersetzen, dann ist H nicht hermitesch:

H  D .AB/ D B  A D BA ¤ AB (2.145)

Bei Produkten zweier nichtkommutierender Observablen muss H daher symmetri-


siert werden,
1
H D .AB C BA/; (2.146)
2
damit das Ergebnis wieder hermitesch ist. Wenn aber in dem Produkt auch noch
höhere Potenzen auftreten, z. B. Ekl D ab 2 , dann gibt es mehrere Möglichkeiten zu
symmetrisieren, z. B.

1  1 
H D AB 2 C B 2 A oder H D AB 2 C BAB C B 2 A : (2.147)
2 3
Je mehr und je höhere Potenzen in den Produkten auftreten, desto mehr nehmen die
Ambiguitäten zu. Die klassische Beschreibung des Systems enthält eben weniger
Information als die quantenmechanische. Daher ist die Rückgewinnung der Letz-
teren aus der Ersteren nicht immer eindeutig. Glücklicherweise sind alle Systeme,
die wir in diesem Buch untersuchen, frei von solchen Problemen.
Das Beispiel, mit dem wir in diesem Abschnitt arbeiten wollen, ist die Zeitent-
wicklung eines Spins in einem externen Magnetfeld. Die klassische Energie ist hier

Ekl D ˛ s  B (2.148)

mit einem reellen Kopplungsparameter ˛. Das heißt, die energetisch günstigste


Ausrichtung des Spins ist antiparallel zum Magnetfeld (falls ˛ > 0), die ungüns-
tigste parallel zu B. Es wirkt also aus klassischer Sicht eine Kraft, die versucht,
den Spin in Richtung B auszurichten. Wir sagen „klassisch“, obwohl der Spin im
Prinzip erst in der QM so richtig Sinn macht. Klassisch können wir uns den Vek-
tor s – bis auf einen konstanten Faktor – als magnetisches Moment eines Elektrons
44 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

vorstellen, was auch die Form von Ekl erklärt. Der zugehörige Hamilton-Operator
lautet
˛„
H D .Bx x C By y C Bz z /: (2.149)
2
Wenn B von der Zeit abhängt, dann ist auch H D H.t/ zeitabhängig. Wir gehen
aber zunächst von zeitunabhängigem B und somit H aus. Das Studium von Syste-
men mit zeitabhängigem H ist wesentlich komplizierter. Wir werden am Ende des
Abschnitts darauf eingehen.
Die Eigenwerte Ei von H sind die möglichen Energien des Systems. Die zuge-
hörige Eigenwertegleichung ist die sog.

stationäre Schrödinger-Gleichung
H jvi D E jvi ; (2.150)

auch zeitunabhängige Schrödinger-Gleichung genannt. Die Lösungen für E sind


die Eigenwerte Ei ; die Lösungen für jvi sind die Eigenzustände jEi i, die eine
Orthonormalbasis des Hilbert-Raums bilden (wobei derselbe Eigenwert mehrfach
auftreten kann). Wenn der zeitabhängige Zustand jv.t/i zum Zeitpunkt t D 0 ein
Eigenzustand von H ist, jv.0/i D jEi i, dann hat (2.144) eine einfache Lösung:
Ei
jv.t/i D e i „
t
jEi i (2.151)

Der Zustand bleibt also bis auf einen rotierenden Phasenfaktor erhalten. Man spricht
daher bei den Energie-Eigenzuständen auch von stationären Zuständen: Bei al-
len Erwartungswerten hv.t/ jAj v.t/i heben sich der zeitabhängige Phasenfaktor in
Bra- und Ket-Vektor gegenseitig auf, es bleiben daher alle Wahrscheinlichkeitsver-
teilungen und Erwartungswerte konstant. Das ist eine bemerkenswerte Eigenschaft.
Aus der klassischen Physik sind wir gewohnt, dass ein System mit kinetischer Ener-
gie in Bewegung ist – das sagt der Ausdruck kinetische Energie ja gerade aus. In der
QM ist das nicht mehr der Fall: Ein System, das sich in einem stationären Zustand
befindet, bewegt sich nicht, auch wenn ein großer Teil der Energie Ei in kinetischer
Energie besteht. Die Lösung (2.151) beinhaltet auch den Energieerhaltungssatz:
jEi i bleibt für alle Zeiten jEi i. Das gilt allerdings nur für zeitunabhängiges H .
Wenn H von der Zeit abhängt, gilt das auch für die Eigenwerte und (2.151) gilt
nicht mehr. Das System tauscht dann Energie mit seiner Umgebung aus.
Wenn jv.0/i kein stationärer Zustand ist, dann setzt er sich doch zumindest aus
mehreren stationären Zuständen zusammen,
X
jv.0/i D jEn i hEn jv.0/ i ; (2.152)
n

siehe (2.73). Die Schrödinger-Gleichung ist linear, d. h., die Komponenten des Zu-
standsvektors kommen nur in der ersten Potenz vor. Daher ist die Summe von
2.7 Zeitentwicklung und Schrödinger-Gleichung 45

mehreren Lösungen wieder eine Lösung. Anders ausgedrückt: Es entwickelt sich


jeder Summand einer Linearkombination unabhängig von den anderen. Das ist das
Superpositionsprinzip. Auf (2.152) angewandt heißt das:
X En
jv.t/i D jEn i hEn jv.0/ i e i „
t
(2.153)
n

En
Die Komponente von jv.0/i in Richtung jEn i oszilliert hier mit dem Faktor e i „
t
.
Das ist identisch zu der Aussage
i
jv.t/i D e  „ Ht jv.0/i : (2.154)

Dies wird sofort ersichtlich, wenn wir H in der Basis fjEi ig ausdrücken, worin H
diagonal ist mit den Werten Ei auf der Diagonalen,
 i .E/ i i
H .E/ D diag.E1 ; E2 ; : : :/ e  „ Ht
) D diag.e  „ E1 t ; e  „ E2 t ; : : :/:
(2.155)
Als Beispiel wählen wir den Hamilton-Operator (2.149) mit konstantem Ma-
gnetfeld in z-Richtung, B D Bez . Die Eigenwerte sind

˛B„ ˛B„
E1 D ; E2 D  ; (2.156)
2 2
die Eigenzustände
jE1 i D jzCi ; jE2 i D jzi : (2.157)
Der niedrigste Energie-Eigenwert E2 ist die sog. Grundzustandsenergie, jE2 i der
sog. Grundzustand des Systems. Sei jv1 .0/i D jE1 i, jv2 .0/i D jE2 i. Dann ist

˛B
jv1 .t/i D e i !t jE1 i ; jv2 .t/i D e i !t jE2 i ; !D : (2.158)
2
Wenn hingegen
1
jv.0/i D jxCi D p .jE1 i C jE2 i/ (2.159)
2
ist, dann ist !
1 e i !t
jv.t/i D p : (2.160)
2 e i !t
Es gilt also
jv.t/i D e i !t z jv.0/i : (2.161)
Wir wissen bereits aus dem vorigen Abschnitt, was der Operator e i !t z mit dem
Vektor jxCi tut: Er rotiert jxCi nach jyCi, dann nach jxi, nach jyi und
schließlich wieder zurück zu jxCi (jeweils bis auf einen irrelevanten Phasenfak-
tor). Der Spin oszilliert also um die Achse des Magnetfelds, so wie man es von
46 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

einem magnetischen Moment auch klassisch erwarten würde. Die Oszillationsge-


schwindigkeit ist proportional zum Magnetfeld und zur Kopplungsstärke ˛.

Die Zeitentwicklung eines Zustands vom Zeitpunkt t0 zum Zeitpunkt t ist laut
(2.154) durch die Wirkung des unitären Operators
i
U.t; t0 / D e  „ .t t0 /H (2.162)

gegeben,
jv.t/i D U.t; t0 / jv.t0 /i : (2.163)
Zeitentwicklung ist also eine kontinuierliche unitäre Transformation des Zustands.
Insbesondere ändert sich dabei die Norm des Zustandsvektors nicht. Ein normierter
Zustandsvektor bleibt normiert. Der Operator U.t; t0 / heißt Zeitentwicklungsope-
rator oder Propagator. Er hat die Eigenschaften

U.t2 ; t0 / D U.t2 ; t1 /U.t1 ; t0 /; U.t0 ; t0 / D 1; (2.164)

die sich direkt aus (2.163) ergeben.

Die gesamte Rechnung wird wesentlich komplizierter, wenn H von der Zeit ab-
hängt, weil es dann keine zeitunabhängigen Eigenwerte und -zustände gibt. Wir
können dann (2.163) als Ansatz und Ausgangspunkt wählen. Das heißt, wir defi-
nieren U durch (2.163), wobei (2.162) nun nicht mehr gilt. Durch Einsetzen von
(2.163) in die Schrödinger-Gleichung erhält man eine Differentialgleichung für U ,

d
i„ U.t; t0 / D H.t/U.t; t0 /; (2.165)
dt

mit der Anfangsbedingung U.t0 ; t0 / D 1.


Dabei ist die Ableitung einer kontinuierlichen Schar A.t/ von Operatoren analog
zur Ableitung von Funktionen definiert:

d A.t C /  A.t/
A.t/ D lim (2.166)
dt !0

Als Matrix bezüglich einer Basis dargestellt, kann jedes Matrixelement separat ab-
geleitet werden,

.e/
d d h .e/
i
A.t/ D A.t/ij : (2.167)
dt ij dt
R
Als Umkehrung zur Ableitung ist auch das Integral dt A.t/ eines Operators ent-
sprechend definiert. Auch hierbei kann in einer Matrixdarstellung jedes Matrixele-
ment separat integriert werden.
Löst man (2.165), so erhält man mit U.t; t0 / wegen (2.163) automatisch die Zeit-
entwicklung für jeden beliebigen Anfangszustand jv.t0 /i. Wären H und U skalare
2.7 Zeitentwicklung und Schrödinger-Gleichung 47

Größen, dann wäre die Lösung dieser Differentialgleichung


0 1
Zt
i
U.t; t0 / D exp @ dt 0 H.t 0 /A : (2.168)

t0

H und U sind aber Operatoren. Das Problem ist, dass die Operatoren H.t/ zu un-
terschiedlichen Zeiten nicht unbedingt miteinander kommutieren. Die Kettenregel
d A.t /
e P
D A.t/e A.t /
gilt nämlich nur, wenn A und AP kommutieren.
dt

Aufgabe 2.17
Zeigen Sie das, indem Sie die Summanden der Exponentialreihe mit der Pro-
duktregel

d d d
.A.t/B.t// D A.t/ B.t/ C A.t/ B.t/ (2.169)
dt dt dt

ableiten. Warum ist also (2.168) keine Lösung von (2.165)?

Tatsächlich lautet die korrekte Lösung


8 0 19
< Zt =
i
U.t; t0 / D T exp @ dt 0 H.t 0 /A ; (2.170)
: „ ;
t0

wobei T der Zeitordnungsoperator ist, der die Operatoren eines Produkts


A.t1 /A.t2 /    A.tn / nach der absteigenden Reihenfolge der ti ordnet. Zum Bei-
spiel ist der quadratische Term der Reihenentwicklung der Exponentialfunktion in
(2.170) gleich
Zt Zt
1
 2 dt1 dt2 H.t1 /H.t2 /: (2.171)
2„
t0 t0
Der Zeitordnungsoperator macht daraus
0 t 1
Z Zt1 Zt Zt
1
 2 @ dt1 dt2 H.t1 /H.t2 / C dt1 dt2 H.t2 /H.t1 /A : (2.172)
2„
t0 t0 t0 t1

Nach kurzem Nachdenken fällt einem auf, dass die beiden Summanden in der
Klammer identisch sind.

Aufgabe 2.18
Überlegen Sie sich das.
48 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

Der quadratische Term wird also zu


Zt Zt1
2
„ dt1 dt2 H.t1 /H.t2 /: (2.173)
t0 t0

Mit ähnlichen Überlegungen findet man den kubischen Term


Zt Zt1 Zt2
3
i„ dt1 dt2 dt3 H.t1 /H.t2 /H.t3 / (2.174)
t0 t0 t0

usw. Der Term mit der k-ten Potenz enthält nach Zeitordnung kŠ Summanden in
der Klammer (vgl. 2.172), da es kŠ mögliche Reihenfolgen bei k Zeiten gibt. Die
Summanden sind alle identisch und heben somit den Faktor kŠ im Nenner des Ex-
ponentialreihen-Koeffizienten auf. Gl. (2.170) ist also gleichbedeutend mit
Zt
1
U.t; t0 / D 1  i„ dt1 H.t1 /
t0
Zt Zt1
2
„ dt1 dt2 H.t1 /H.t2 / (2.175)
t0 t0
Zt Zt1 Zt2
3
C i„ dt1 dt2 dt3 H.t1 /H.t2 /H.t3 / C   
t0 t0 t0

Wir wollen nun zeigen, dass (2.175) tatsächlich eine Lösung von (2.165) ist.
Dazu verwandeln wir (2.165) durch Integrieren in eine Integralgleichung:
Zt Zt
d
i„ dt1 U.t1 ; t0 / D dt1 H.t1 /U.t1 ; t0 / (2.176)
dt1
t0 t0
Zt
) i„U.t1 ; t0 /jtt11Dt
Dt0 D dt1 H.t1 /U.t1 ; t0 / (2.177)
t0
Zt
i
) U.t; t0 / D 1  dt1 H.t1 /U.t1 ; t0 / (2.178)

t0

Diese Integralgleichung lösen wir iterativ: Wir setzen als nullte Näherung
U .0/ .t; t0 / D 1 auf der rechten Seite ein und erhalten als erste Näherung auf
der linken Seite
Zt
1
U .t; t0 / D 1  i„
.1/
dt1 H.t1 /: (2.179)
t0
2.8 Kommutator und Unschärfe 49

Dann setzen wir diese erste Näherung wieder in die rechte Seite von (2.178) ein und
erhalten links die zweite Näherung,
Zt
1
U .2/
.t; t0 / D 1  i„ dt1 H.t1 / (2.180)
t0
Zt Zt1
2
„ dt1 dt2 H.t1 /H.t2 /;
t0 t0

usw. Auf diese Weise wird (2.175) Schritt für Schritt reproduziert.

Fragen zum Selbstcheck


1. Wie konstruiert man den Hamilton-Operator eines Quantensystems? Welche
Schwierigkeit kann dabei auftreten?
2. Was sind stationäre Zustände und welche Eigenschaften haben sie?
3. Was ist ein Zeitentwicklungsoperator und welche Eigenschaften hat er?

2.8 Kommutator und Unschärfe

In diesem Abschnitt wird gezeigt, dass zwei Observablen a und b genau dann
gleichzeitig messbar sind, wenn die zugehörigen Operatoren A und B kommu-
tieren. Außerdem führen wir den wichtigen Begriff des Kommutators ein und
erfahren, was ein vollständiger Satz kommutierender Observabler ist. Danach
werden wir die berühmte Heisenberg’sche Unschärferelation herleiten. Diese
gibt eine untere Grenze für die kombinierte „Unschärfe“ zweier Observablen an,
wenn die zugehörigen Operatoren nicht kommutieren.

Der Kommutator zweier Operatoren A und B ist definiert als


ŒA; B D AB  BA: (2.181)
Der Kommutator zweier hermitescher Operatoren ist antihermitesch, beschreibt al-
so keine Observable:
ŒA; B D .AB/  .BA/ D B  A  A B  D BA  AB D ŒA; B (2.182)

Aufgabe 2.19
Zeigen Sie

Œx ; y  D 2iz ; Œy ; z  D 2ix ; Œz ; x  D 2iy (2.183)

und somit

ŒSx ; Sy  D i„Sz ; ŒSy ; Sz  D i„Sx ; ŒSz ; Sx  D i„Sy : (2.184)


50 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

Aufgabe 2.20
Zeigen Sie, dass der Kommutator zweier antihermitescher Operatoren eben-
falls antihermitesch ist.

Aufgabe 2.21
Zeigen Sie, dass für Kommutatoren die folgenden Regeln gelten:

ŒB; A D  ŒA; B (2.185)


ŒA; B C C  D ŒA; B C ŒA; C  (2.186)
ŒA; BC  D ŒA; B C C B ŒA; C  (2.187)
ŒA; ŒB; C  C ŒB; ŒC; A C ŒC; ŒA; B D 0 (2.188)

Die letzte dieser Gleichungen heißt Jacobi-Identität.

Aufgabe 2.22
Zeigen Sie, dass ŒA; B niemals ein Vielfaches der Einheitsmatrix sein kann.
Verwenden Sie dazu die Spur der Operatoren, die Sie vielleicht noch aus der
Linearen Algebra kennen. Die Spur ist definiert als Summe der Diagonalein-
träge X
Sp.A/ D Ai i : (2.189)
i

Diese Eigenschaft ist, wie man in der Linearen Algebra zeigt, basisunabhän-
gig. Es gilt
Sp.AB/ D Sp.BA/ (2.190)
(warum?). Der zu beweisende Satz gilt interessanterweise nur in endlich-
dimensionalen Hilbert-Räumen. In unendlichdimensionalen Hilbert-Räumen
ist die Spur nicht definiert, da die Summe (2.189) in der Regel nicht kon-
vergiert. Zum Glück, denn ein Großteil der Quantenmechanik basiert auf der
Aussage, dass der Kommutator von Orts- und Impulsoperator ein Vielfaches
der Einheitsmatrix ist, wie wir noch sehen werden.

Wir wollen nun beweisen, dass zwei Observablen genau dann gleichzeitig mess-
bar sind, wenn die zugehörigen Operatoren A und B kommutieren, also ŒA; B D 0
gilt. Zunächst machen wir uns klar, was es bedeutet, wenn zwei Observablen gleich-
zeitig messbar sind: Eine Messung ist immer mit einer Projektion verbunden, und
zwar auf einen Eigenvektor, der zum gemessenen Eigenwert gehört. Wenn zwei
Observablen gleichzeitig messbar sind, dann ist der Zustandsvektor danach sowohl
2.8 Kommutator und Unschärfe 51

Eigenvektor von A als auch von B, und zwar gilt das für jeden beliebigen Ausgangs-
zustand jvi (die gleichzeitige Messbarkeit soll nicht nur für bestimmte Zustände
gelten, denn zum Zeitpunkt der Messung weiß man ja womöglich nicht, in welchem
Zustand sich das System befindet). Das wiederum bedeutet, dass es eine Orthonor-
malbasis geben muss, die nur aus Vektoren besteht, die sowohl Eigenvektor von A
als auch von B sind. Denn jeder Vektor muss sich als Linearkombination solcher
Eigenvektoren schreiben lassen, damit eine gemeinsame Projektion möglich ist. In
dieser Orthonormalbasis sind sowohl A als auch B diagonal, mit den jeweiligen Ei-
genwerten auf der Diagonalen. Zwei Observablen sind also genau dann gleichzeitig
messbar, wenn die zugehörigen Operatoren gemeinsam diagonalisierbar sind. Zu
zeigen ist also:
Zwei Operatoren sind genau dann gemeinsam diagonalisierbar, wenn sie
kommutieren.

Beweis ())
Sei jei i eine Basis, in der A und B diagonal sind. In dieser Basis ist
A.e/ D diag.a1 ; a2 ;    ; an / (2.191)
B .e/
D diag.b1 ; b2 ;    ; bn /; (2.192)
wobei wir mit diag(. . . ) die Einträge einer rein diagonalen Matrix bezeichnen. Die
ai und bi sind die Eigenwerte von A und B, wobei derselbe Eigenwert mehrmals
auftreten kann. Das Multiplizieren diagonaler Matrizen ist vergleichsweise einfach,
es ist nämlich
.AB/.e/ D diag.a1 b1 ; a2 b2 ;    ; an bn / D .BA/.e/ ; (2.193)
denn hier werden nur die Eigenwerte miteinander multipliziert, und bei der Multi-
plikation von Zahlen kommt es auf die Reihenfolge nicht an. Daraus folgt: A und B
kommutieren.

Beweis (()
Wir gehen folgendermaßen vor: Zuerst wird A diagonalisiert (das geht immer bei
einem hermiteschen Operator). Dann wird gezeigt, dass B nur innerhalb der Ei-
genräume von A operiert, dass also ein A-Eigenvektor nicht durch B aus seinem
A-Eigenraum herausgehoben wird. Man kann also jeden A-Eigenraum separat be-
trachten. Dann wird B innerhalb eines jeden solchen A-Eigenraums diagonalisiert,
und es wird gezeigt, dass die Diagonalität von A dadurch nicht aufgehoben wird.
Sei also ŒA; B D 0 und jei i eine Orthonormalbasis, in der A diagonal ist, d. h.,
die jei i sind Eigenvektoren von A mit den Eigenwerten ai , wobei derselbe Eigen-
wert wieder mehrfach auftreten kann. Aus ŒA; B D 0 folgt:
˝ ˛ ˝ ˛ ˝ ˛
0 D ei jŒA; Bj ej D ei jABj ej  ei jBAj ej (2.194)
˝ ˛ ˝ ˛ ˝ ˛
D ai ei jBj ej  aj ei jBj ej D .ai  aj / ei jBj ej (2.195)

(A wirkt einmal nach links und wirft den Eigenwert ai ab, einmal nach rechts und
wirft den Eigenwert aj ab). Man kann dieses Ergebnis so lesen: Wenn ai ¤ aj ,
52 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

˝ ˛ ˇ ˛
dann ist ei jBj ej D 0. Das heißt, der Vektor B ˇej hat keinerlei Komponente
in einem A-Eigenraum,
ˇ ˛ der zuˇ einem
˛ von aj verschiedenen A-Eigenwert gehört.
Also liegt B ˇej , genauso wie ˇej , im A-Eigenraum zum A-Eigenwert aj . Dieser
Eigenraum Haj ist ein Unterraum des gesamten Hilbert-Raums H . Auf diesen
Unterraum eingeschränkt ist A ein Vielfaches der Einheitsmatrix,

AjHaj D aj 1: (2.196)

Da B innerhalb jedes A-Eigenraums geschlossen operiert,

jvi 2 Haj ) B jvi 2 Haj (2.197)


ˇ ˛
(denn diese Eigenschaft überträgt sich von den Basisvektoren ˇejr , die den Ei-
genraum Haj aufspannen, auf deren Linearkombinationen), können wir jeden
A-Eigenraum separat betrachten. Wir können B innerhalb des Unterraums Haj
diagonalisieren, da BjHaj hermitesch ist (diese Eigenschaft überträgt sich vom
Gesamtraum auf den Unterraum). Die Einheitsmatrix wird durch Basistransfor-
mationen nicht verändert, sie bleibt immer die Einheitsmatrix. Daher wird die
Diagonalität von AjHaj durch das Diagonalisieren von BjHaj nicht zerstört. Das
können wir in jedem A-Eigenraum machen und die einzelnen Unterraum-Basen am
Ende wieder zu einer Gesamtbasis zusammenlegen. In dieser Basis sind sowohl A
als auch B diagonal.

Aufgabe 2.23
Rechnen Sie nach, dass die Matrizen
0 1 0 1
1 0 0 0 0 1 0 0
B0 1 0 0C B1 0 0 0C
ADB
@0
C; BDB C (2.198)
0 1 0 A @0 0 0 1A
0 0 0 1 0 0 1 0

kommutieren, und bestimmen Sie eine Orthonormalbasis aus gemeinsamen


Eigenvektoren.

Nehmen wir an, eine Messung von a hat den Messwert ai ergeben, aber die Di-
mension des Eigenraums Hai zu diesem Messwert ist größer als 1. Dann wissen
wir noch nicht, in welchem Zustand sich das System nach der Messung befindet.
Die Messung kann aber durch zusätzliches Messen von b (zugehöriger Operator B
mit ŒA; B D 0) verfeinert werden. Wenn die b-Messung den Messwert bj ergibt,
dann wissen wir schon, dass sich das System nach der Messung in einem Zustand
befindet, der zur Schnittmenge Hai \ Hbj gehört, wobei Hbj der B-Eigenraum
2.8 Kommutator und Unschärfe 53

zum Eigenwert bj ist. Es kann natürlich sein, dass Hai \ Hbj immer noch eine
Dimension größer als 1 hat. Dann müssen wir einen weiteren Operator C heran-
ziehen, der sowohl mit A als auch mit B kommutiert und der somit die Messung
weiter verfeinert. Dieses Spiel können wir so lange weitertreiben, bis wir einen
Satz fA; B; C;    g von Operatoren beisammen haben, so dass jede Schnittmenge
von Eigenräumen aller dieser Operatoren, Hai \ Hbj \    , nur noch eindimensio-
nal ist, die Messung also nicht weiter verfeinert werden kann. Dann haben wir einen
vollständigen Satz kommutierender Observablen gefunden. Das Ergebnis einer
gemeinsamen Messung all dieser Observablen bestimmt den Zustand nach der Mes-
sung eindeutig. Die Basisvektoren der Basis, in der alle Operatoren fA; B; C;    g
diagonal sind, sind durch die Eigenwerte bestimmt. Wenn aus dem Zusammen-
hang klar ist, welche Operatoren gemeintˇ sind, benennt
˛ man die Basisvektoren
nach den Eigenwerten. Zum Beispiel ist ˇai bj    der Basisvektor, der dadurch
definiert ist, dass er zum A-Eigenwert ai , zum B-Eigenwert bj usw. gehört. Die
Werte fai ; bj ;    g werden auch die Quantenzahlen des Systems genannt.

Aufgabe 2.24
Zeigen Sie, dass die Operatoren A und B in (2.198) einen vollständigen Satz
kommutierender Observablen bilden.

Aufgabe 2.25
Zeigen Sie
3„2
S2 WD Sx2 C Sy2 C Sz2 D 1: (2.199)
4
Folgern Sie daraus, dass das Betragsquadrat und eine beliebige Komponen-
te des Spins simultan messbar sind. Die Messung von s2 ist allerdings sehr
2
langweilig: Sie hat nur einen möglichen Messwert, 3„4 . Die gewählte Kom-
ponente des Spins bildet schon allein genommen einen vollständigen Satz
kommutierender Observabler.

Nun wollen wir uns allmählich der Heisenberg’schen Unschärferelation zuwen-


den. Dazu brauchen wir aber noch ein weiteres Objekt, nämlich den Antikommu-
tator, der definiert ist durch

fA; Bg D AB C BA; (2.200)

also wie der Kommutator, nur mit Pluszeichen. Der Antikommutator zweier hermi-
tescher Operatoren A und B ist hermitesch:

fA; Bg D .AB/ C .BA/ D B  A C A B  D BA C AB D fA; Bg (2.201)


54 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

Aufgabe 2.26
Zeigen Sie
fx ; y g D fy ; z g D fz ; x g D 0: (2.202)

Als hermitescher Operator hat fA; Bg reelle Eigenwerte. Hingegen hat ŒA; B als
antihermitescher Operator rein imaginäre Eigenwerte. Das zeigt man ganz analog
zu (2.56) und (2.57), nur eben mit einem zusätzlichen Minuszeichen: Sei C ein
antihermitescher Operator. Dann ist
˝ ˇ ˇ ˛
hv jC j vi D v ˇC  ˇ v D  hv jC j vi : (2.203)

Für einen Eigenvektor jvi mit Eigenwert  folgt daraus  D  , also ist  imagi-
när.
Jetzt haben wir die Voraussetzungen, um die Unschärferelation herzuleiten. Wir
erinnern uns (siehe (2.101)), dass die Unschärfe .A/v einer Observablen mit Ope-
rator A für den Zustand jvi definiert ist als Wurzel aus der mittleren quadratischen
Abweichung vom Mittelwert,
p
.A/v D hv j.A  hAiv /2 j vi: (2.204)

Mit der Definition


AQ D A  hAiv (2.205)
können wir .A/v als Norm eines Vektors schreiben (AQ ist wie A hermitesch):
q˝ ˇ ˇ ˛ q˝ ˇ ˛
.A/v D v ˇAQ2 ˇ v D Av Q ˇAv
Q D jjAvjj Q (2.206)

Die gleichen Überlegungen gelten auch für eine zweite Observable B, und wir
schreiben das Produkt der Unschärfen als

Q jjBvjj:
.A/v .B/v D jjAvjj Q (2.207)

Jetzt wenden wir die Schwarz’sche Ungleichung (2.16) auf die rechte Seite an und
erhalten ˝ ˇ ˛ ˝ ˇ ˇ ˛
.A/v .B/v  j Av Q j D j v ˇAQBQ ˇ v j:
Q ˇBv (2.208)
Als Nächstes stellen wir fest, dass
1
AB D .fA; Bg C ŒA; B/ (2.209)
2
und bekommen damit
1 ˝ ˇˇ Q Q ˇˇ ˛ ˝ ˇˇ Q Q ˇˇ ˛
.A/v .B/v  j v fA; Bg v C v ŒA; B v j: (2.210)
2
2.8 Kommutator und Unschärfe 55

Da fA;Q Bg
Q nur reelle, ŒA;
Q B
Q nur imaginäre Eigenwerte besitzt und wir jvi jeweils
nach Eigenvektoren dieser Operatoren entwickeln können, ist der erste Erwartungs-
wert auf der rechten Seite ebenfalls reell, der zweite imaginär. (Genau genommen
handelt es sich beim zweiten Ausdruck nicht um einen Erwartungswert, da ŒA; Q B
Q
als antihermitescher Operator keiner Observablen entspricht. Wir können aber den
Begriff des Erwartungswerts so erweitern, dass damit jeglicher Ausdruck der Form
hv jC j vi gemeint ist.) Der Betrag aus der Summe eines reellen und eines p imagi-
nären Werts ist durch den Satz des Pythagoras gegeben, jx C iyj D x 2 C y 2 ,
also
q ˇ
˝ ˇ ˇ ˛ ˝ ˇ ˇ ˛ ˝ ˇ ˛ ˝ ˇ ˇ ˛
j v ˇfA; Q ˇ v C v ˇŒA;
Q Bg Q ˇ v j D v ˇfA;
Q B Q ˇ v 2 C j v ˇŒA;
Q Bg Q ˇ v j2 : (2.211)
Q B

Q B
Schließlich stellt man noch fest, dass ŒA; Q D ŒA; B ist (bitte nachrechnen!), und
erhält
q
1 ˝ ˇˇ Q Q ˇˇ ˛2
.A/v .B/v  v fA; Bg v C j hv jŒA; Bj vi j2 : (2.212)
2
Und nun macht man es sich leicht: Man lässt den Ausdruck mit dem Antikommu-
tator einfach weg. Die Wurzel ist nach Weglassen dieses Ausdrucks auf jeden Fall
höchstens so groß wie vorher,
q ˇ ˇ ˛
˝
v ˇfA; Q ˇ v 2 C j hv jŒA; Bj vi j2  j hv jŒA; Bj vi j;
Q Bg (2.213)

und somit gilt die

Heisenberg’sche Unschärferelation
1
.A/v .B/v  j hv jŒA; Bj vi j: (2.214)
2

Warum lässt man den Ausdruck mit dem Antikommutator einfach weg? Aus
mehreren Gründen:

 weil er die Ungleichung hässlich aussehen lässt.


 weil er in vielen Fällen verschwindet, wie z. B. bei den Pauli-Matrizen. Ein
weiteres Beispiel (mit dem wir hier etwas vorgreifen) ist das Gauß’sche Wellen-
paket, das wir noch kennenlernen werden. In dem Fall verschwindet zwar der
Antikommutator fX; Q PQ g nicht (X ist der Ortsoperator, P der Impulsoperator),
aber sein Erwartungswert (siehe Abschn. 3.5).
 weil der Ausdruck mit dem Kommutator leichter zu handhaben ist als der mit
dem Antikommutator. Zum Beispiel muss man für den Antikommutator zuerst
die Erwartungswerte für A und B bestimmen, beim Kommutator nicht, da wir
hier die Tilde weglassen konnten. Man verzichtet also auf die bessere Abschät-
zung (2.212) zugunsten besserer Handhabbarkeit.
56 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

 Die Unschärferelation (2.214) ist zwar allgemein abhängig vom Zustand (das
ist wichtig!), allerdings mit einer wichtigen Ausnahme: Wenn ŒA; B ein Vielfa-
ches der Einheitsmatrix ist (was bei endlichdimensionalen Hilbert-Räumen nicht
geht, siehe Aufgabe 2.22), ŒA; B D 1, dann ist der zugehörige Erwartungswert
immer , unabhängig vom Zustand. Die Unschärferelation wird dann – ohne
den Antikommutator-Term – zustandsunabhängig. Für solche Fälle wurde sie
ursprünglich konzipiert. Das prominenteste Beispiel stellen Orts- und Impuls-
operator dar, wo  D i„ ist, wie wir in Kap. 3 sehen werden.

Als Beispiel ziehen wir wieder einmal den Spin heran. Wir wollen Sx Sy für
zwei Zustände mit der Unschärferelation abschätzen und das Ergebnis mit dem tat-
sächlichen Wert vergleichen. Es ist

„2 „2
ŒSx ; Sy  D Œx ; y  D iz D i„Sz : (2.215)
4 2
Zunächst sei jvi D jzCi. Dann ist der Erwartungswert von Sz gleich „=2 und
(2.214) liefert, zusammen mit (2.215),

„2
.Sx /v .Sy /v  : (2.216)
4
Die Erwartungswerte hSx iv und hSy iv sind beide gleich null, denn im Zustand jzCi
sind für den Spin in x- und y-Richtung die Werte C„=2 und „=2 jeweils gleich
wahrscheinlich. Also ist

„2
h.Sx  hSx iv /2 iv D hSx2 iv D (2.217)
4
und somit .Sx /v D „=2. Gleiches gilt für .Sy /v und daher

„2
.Sx /v .Sy /v D : (2.218)
4
Die Abschätzung der Unschärferelation ist in diesem Fall also perfekt.
Als Nächstes setzen wir jvi D jxCi. Jetzt ist der Erwartungswert von Sz gleich
null, und die Unschärferelation gibt nicht viel her:

.Sx /v .Sy /v  0 (2.219)

Das ist aber auch berechtigt, denn .Sx /v ist tatsächlich null, denn jvi ist „scharf“
bzgl. Sx ; der Erwartungswert hSx iv ist „=2 und die Abweichung davon ist null,
denn als Messwert für Sx kommt nur „=2 in Frage. Daher ist

.Sx /v .Sy /v D 0; (2.220)

die Unschärferelation hat also wieder den exakten Wert geliefert.


2.9 Schrödinger-Bild und Heisenberg-Bild 57

Noch einige Bemerkungen zur Unschärferelation: Sie galt ursprünglich als die
Kernaussage, als das Herzstück der QM. In vielen alten Lehrbücher steht sie am
Anfang. Für ihre Ursache hielten viele, dass die Messung von a einen „Rückstoß“
auf das System ausübt und dadurch den Wert von b „verwäscht“, also erst unscharf
macht. Je genauer man a messen will, desto größer ist der Rückstoß der Messung
und desto unschärfer wird dadurch b. Heute, nach den Ergebnissen zur Verletzung
der Bell’schen Ungleichung, wissen wir, dass diese Interpretation nur teilweise rich-
tig ist. Vielmehr lässt es der Zustand des Systems bereits vor der Messung gar nicht
zu, dass ein „klassischer“ Wert für die Observablen a und b existiert. Die Unschärfe
ist also nicht erst auf den Rückstoß zurückzuführen (obwohl dieser zu einer weite-
ren „Verunschärfung“ beiträgt).
Heutzutage hat sich die Faszination der Unschärferelation etwas gelegt. Der
Schwerpunkt des Staunens liegt nun auf dem Phänomen der Verschränkung, auf
das wir in der Einleitung bereits einen kurzen Blick geworfen haben und das wir im
Abschn. 2.10 über Tensorprodukte vertiefen werden. In den frühen Jahren der QM
war über Verschränkung fast nichts bekannt, vor allem waren die technischen Vor-
aussetzungen nicht gegeben, mit ihr zu experimentieren. Das hat sich in den letzten
Jahrzehnten geändert.

Fragen zum Selbstcheck


1. Unter welcher Bedingung sind zwei Operatoren simultan diagonalisierbar?
2. Was ist ein vollständiger Satz kommutierender Observablen?
3. Was besagt die Heisenberg’sche Unschärferelation?

2.9 Schrödinger-Bild und Heisenberg-Bild

Die Zeitabhängigkeit von Messwahrscheinlichkeiten kann in der QM auf unter-


schiedliche Weise formuliert werden. Bisher haben wir uns im sog. Schrödinger-
Bild bewegt, in dem die Zeitentwicklung des Zustands durch die Schrödinger-
Gleichung bestimmt ist und die Operatoren, die zu den gemessenen Observablen
gehören, in der Regel zeitunabhängig sind. Eine Ausnahme stellte der zeitabhän-
gige Hamilton-Operator H.t/ dar, den wir am Ende von Abschn. 2.7 behandelt
haben. Solche Zeitabhängigkeiten von Operatoren treten auf, wenn die zu mes-
sende Observable aktiv von außen verändert wird. Zum Beispiel können wir die
Energie eines Elektrons verändern, indem wir ein äußeres elektrisches Feld ein-
oder ausschalten, oder ein Magnetfeld, um den Spin zu beeinflussen. In diesem Fall
wird der Hamilton-Operator zeitabhängig. Einen Operator, der im Schrödinger-Bild
zeitabhängig ist, heißt explizit zeitabhängig, um diese Art der Zeitabhängigkeit
von derjenigen zu unterscheiden, die wir gleich im Heisenberg-Bild kennenlernen
werden.

Um vom Schrödinger-Bild ins Heisenberg-Bild zu kommen, transformieren wir


den Zustand jvS .t/i (in diesem Abschnitt versehen wir den Zustand des Schrö-
dinger-Bildes mit dem Subskript S) zu jedem Zeitpunkt derart, dass er mit dem
58 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

Zustand zu einem beliebigen, aber festen Zeitpunkt t0 übereinstimmt:

jvH i WD U  .t; t0 / jvS .t/i D U  .t; t0 /U.t; t0 / jvS .0/i D jvS .t0 /i (2.221)

Hierbei ist U.t; t0 / der Zeitentwicklungsoperator aus dem Schrödinger-Bild. Die


Transformation mit U  .t; t0 / kompensiert gerade die Zeitentwicklung aus dem
Schrödinger-Bild. Der Heisenberg-Zustand jvH i hängt daher nicht von der Zeit
ab! Damit zu jeder Zeit die Vorhersagen für die Messwertstatistik mit denen aus
dem Schrödinger-Bild übereinstimmen, müssen dafür die Operatoren zeitabhängig
gemacht werden,
AH .t/ D U  .t; t0 /AS U.t; t0 /: (2.222)
Nur dann sind nämlich alle Skalarprodukte wie vorher,

huH jAH j vH i D huS jAS j vS i ; (2.223)

analog zu (2.122) und der darauf folgenden Begründung.


Man kann den Wechsel ins Heisenberg-Bild auf verschiedene Weise verstehen
(siehe auch die Diskussion der unitären Transformationen als aktive oder passive
Transformation in Abschn. 2.6):

 als passive Basistransformation. Es wird eine zeitabhängige Basis gewählt, die


mit dem Zustand jvS i aus dem Schrödinger-Bild mitrotiert. Der Zustand rotiert
dann auch im Heisenberg-Bild, bloß seine Komponentendarstellung bzgl. der
neuen zeitabhängigen Basis bleibt konstant. Das Subskript H ist dann so zu
verstehen wie das Basis-Superskript .f / nach einer Transformation in eine Basis
fjfi ig. Analog ist (2.223) die Transformation der Komponenten von A in die
neue zeitabhängige Basis.
 als aktive Transformation des Zustands. Die Basis bleibt gleich, aber der Zustand
jvH i wird durch die Transformation konstant gehalten. Es ist also ein anderer
Zustand als jvS i und deshalb müssen auch die Operatoren andere sein (insbe-
sondere zeitabhängig), damit alle Vorhersagen gleich bleiben.
 als Änderung der Vektor-Identifikation durch die Zeit. Das heißt, wir ändern
die mathematische Beschreibung dahingehend, dass wir nicht mehr von einem
festen Hilbert-Raum H sprechen, sondern von einer Schar von Hilbert-Räumen
H t , einem für jeden Zeitpunkt t. Die Hilbert-Räume unterschiedlicher Zeitpunk-
te sind Kopien voneinander. Da aber die Vektoren eines Hilbert-Raums etwas
Abstraktes sind und außer ihren Skalarprodukten keine innere Struktur besitzen,
haben wir eine gewisse Freiheit, welchen Vektor in H t wir als „Kopie“ eines be-
stimmten Vektors jvi in H t0 ansehen wollen. Die Wahl, mit der wir dem Vektor
jvi 2 H t0 Kopien in den H t zu allen anderen Zeitpunkten zuordnen, nennen
wir Vektor-Identifikation durch die Zeit. Schrödinger- und Heisenberg-Bild stel-
len zwei solche unterschiedliche Wahlen dar. Es ist jv.t0 /i 2 H t0 . Die Kopie von
jv.t0 /i in H t nennen wir jv t .t0 /i. Im Schrödinger-Bild ist jv t .t0 /i so gewählt,
dass jv.t/i D U.t; t0 / jv t .t0 /i ist. Im Heisenberg-Bild ist jv t .t0 /i so gewählt,
dass jv.t/i D jv t .t0 /i ist.
2.9 Schrödinger-Bild und Heisenberg-Bild 59

Alle drei Interpretationen des Heisenberg-Bildes sind gleichberechtigt. In jedem


Fall stellt der Übergang zum Heisenberg-Bild einen interessanten Perspektivwech-
sel dar. Im Schrödinger-Bild entwickelt sich das zu beobachtende System mit der
Zeit, und die Welt des Beobachters drumherum, der am System mit seinen Operato-
ren Messungen durchführt, bleibt (relativ) konstant. Im Heisenberg-Bild bleibt der
Zustand des Systems unverändert (es gibt im Quantensystem gewissermaßen keine
Zeit!), und die gesamte Zeitabhängigkeit liegt in der Perspektive des Betrachters
(wie bei jemandem, der im Zug sitzt und durch das Fenster die Landschaft betrach-
tet). Diese Perspektive ändert sich ständig, weil die Operatoren, die er zur Messung
verwenden kann, sich gemäß (2.223) permanent „durch die Zeit transformieren“.

Als Beispiel betrachte man den in einem Magnetfeld rotierenden Spin aus Ab-
schn. 2.7. Im Schrödinger-Bild rotiert der Zustand des Spins in der .xy/-Ebene, d. h.
zwischen den Zuständen jxCi, jyCi, jxi und jyi. Im Heisenberg-Bild steht der
Zustand still, sagen wir bei jxCi, was dem Schrödinger-Bild-Zustand zum Zeit-
punkt t D 0 entspricht. Stattdessen ändern sich die Operatoren, mit denen man
den Spin in x- bzw. y-Richtung misst. .Sx /H ist nicht einfach durch „2 x gegeben.
Statt x steht hier eine zeitabhängige Matrix, die nacheinander x , y , x und y
durchläuft. Ähnliches gilt für .Sy /H .

Aufgabe 2.27
Berechnen Sie .Sx /H und .Sy /H als Funktion der Zeit. Benutzen Sie (2.222)
und die Ergebnisse aus Abschn. 2.7. Berechnen Sie den Erwartungswert
hsx .t/iv des Spins in x-Richtung zum Zeitpunkt t im Schrödinger- und im
Heisenberg-Bild. Die beiden Ergebnisse müssen identisch sein.

In der Newton’schen Mechanik gibt es unabhängige Kriterien, ob der Beobach-


ter oder das zu beobachtende System rotiert. Dreht sich die Sonne einmal am Tag
um die Erde (und den darauf sitzenden Beobachter)? Oder ist es die Erde, die sich
dreht und dadurch die Perspektive des Beobachters ändert, während die Sonne still-
steht? Wenn ich einen kleinen rotierenden Kreisel vor mir habe, ist es dann wirklich
der Kreisel, der sich dreht? Oder bin ich es, der Beobachter, der sich mit seiner ge-
samten Welt um den Kreisel herumdreht? In der Newton’schen Mechanik lässt sich
das eindeutig anhand von Zentrifugal- und Coriolis-Kräften entscheiden. Im ersten
Fall ist es die Erde mit dem darauf sitzenden Beobachter, die sich dreht, im zweiten
Fall der Kreisel, während der Beobachter stillsteht. In der QM gibt es keine solchen
Zentrifugalkräfte, die zwischen Schrödinger- und Heisenberg-Bild unterscheiden.
Allerdings sind in der QM die beobachteten Systeme meist sehr klein und die Rota-
tionen schnell wie bei einem Kreisel (sogar noch viel schneller). Deshalb erscheint
den meisten das Schrödinger-Bild intuitiv richtiger. Es wird dementsprechend auch
häufiger verwendet.
60 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

Im Abschn. 11.2 über zeitabhängige Störungsrechnung werden wir ein weiteres


Bild kennenlernen, das auf halber Strecke zwischen Schrödinger- und Heisenberg-
Bild liegt: das Dirac-Bild.

Einige schöne Eigenschaften der QM lassen sich im Heisenberg-Bild am besten


zeigen. Berechnen wir die Zeitableitung eines Operators AH im Heisenberg-Bild
unter Zuhilfenahme von (2.165) und der dazu hermitesch konjugierten Gleichung:

d dU  dAS dU
i„ AH .t/ D i„ AS U C i„U  U C i„U  AS (2.224)
dt dt dt dt
dA S
D U  HS AS U C i„U  U C U  AS HS U (2.225)
dt
dAS
D U  ŒAS ; HS U C i„U  U (2.226)
dt
Hierbei ist dAS =dt eine mögliche explizite Zeitabhängigkeit des Operators im
Schrödinger-Bild. Der erste Summand lässt sich umformen:

U  ŒAS ; HS U D U  AS HS U  U  HS AS U (2.227)
D U  AS U U  HS U  U  HS U U  AS U (2.228)
D AH HH  HH AH D ŒAH ; HH  (2.229)

Außerdem verwendet man die Schreibweise


@AH dAS
WD U  U: (2.230)
@t dt
Damit ergibt sich die

Heisenberg-Gleichung
d @AH
i„ AH .t/ D ŒAH ; HH  C i„ : (2.231)
dt @t

Sie ist für das Heisenberg-Bild, was die Schrödinger-Gleichung für das Schrö-
dinger-Bild ist.

Skalarprodukte und Erwartungswerte sind unabhängig davon, in welchem Bild


sie ermittelt werden,

hAiv D hvS jAS j vS i D hvH jAH j vH i : (2.232)

Die Zeitabhängigkeit eines Erwartungswerts lässt sich im Heisenberg-Bild leichter


berechnen, weil dort der Zustand zeitunabhängig ist. Nehmen wir an, dass A nicht
2.9 Schrödinger-Bild und Heisenberg-Bild 61

explizit von der Zeit abhängt. Dann folgt aus der Heisenberg-Gleichung
 ˇ ˇ 
d hAiv d ˇ dAH ˇ
D hvH jAH j vH i D vH ˇ ˇ ˇ vH (2.233)
dt dt dt ˇ
1 1
D hvH jŒAH ; HH j vH i D hŒA; H iv : (2.234)
i„ i„
Im letzten Schritt konnten wir das Subskript H wieder weglassen, weil der Erwar-
tungswert bildunabhängig ist. Noch einmal zusammengefasst: Für den Erwartungs-
wert eines nicht explizit zeitabhängigen Operators A gilt das

Ehrenfest’sche Theorem
d hAiv 1
D hŒA; H iv : (2.235)
dt i„

Daraus folgt, dass sich der Erwartungswert nicht ändert, wenn A mit dem Ha-
milton-Operator kommutiert. Eine Observable, die mit H kommutiert, ist daher
eine Erhaltungsgröße.

Wenn wir als Beispiel wieder den Hamilton-Operator heranziehen, der für die
rotierenden Spins verantwortlich ist,
˛„B
H D z ; (2.236)
2
dann sehen wir, dass dieser mit Sz kommutiert. Der Spin in z-Richtung ist daher für
dieses System eine Erhaltungsgröße. Es rotieren nur die Spinanteile in der .xy/-
Ebene.

Eine Folge des Ehrenfest’schen Theorems ist die sog. Energie-Zeit-Unschärfe-


relation. Diese Relation sieht zwar so aus wie ein Beispiel der Heisenberg’schen
Unschärferelation (2.212), ist aber formal und von der Interpretation her etwas an-
deres. Wir beginnen mit der Heisenberg’schen Unschärferelation, angewandt auf A
und H (beide wieder nicht explizit zeitabhängig):
1
.A/v .E/v  jhŒA; H iv j (2.237)
2
(die Unschärfe von H wird immer mit E statt H bezeichnet), woraus mit
(2.235) folgt:
„ d hAiv
.A/v .E/v  (2.238)
2 dt
Nun definieren wir
.A/v
.
/v D d hAi : (2.239)
v
dt
62 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

Das ist in erster Näherung die Zeit, die der Erwartungswert von A braucht, um sich
um den Betrag .A/v zu ändern. Zu einem festen Zeitpunkt t liegt der Messwert
für A mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit im Intervall ŒhAiv  .A/v ; hAiv C
.A/v  (alle Größen zum Zeitpunkt t ausgewertet). Zum Zeitpunkt t C .
/v ist
das Intervall um seine halbe Breite weitergewandert, etwa zu diesem Zeitpunkt liegt
also eine signifikante Veränderung der erwarteten Messwerte vor. Mit der Definition
(2.239) folgt aus (2.238)

.
/v .E/v  ; (2.240)
2
die Energie-Zeit-Unschärferelation. Sie lässt sich folgendermaßen interpretie-
ren: Je schärfer die Energie eines Systems bestimmt ist, desto langsamer ändern
sich die Erwartungswerte der Observablen darin. In einem Energie-Eigenzustand,
.E/v D 0, ist das System stationär (wie schon in Abschn. 2.7 gezeigt), es ändert
sich gar nichts darin, .
/v ist nicht definiert und (2.240) ungültig. Je schneller
sich umgekehrt ein System ändert, desto breiter muss der Zustand in Bezug auf die
darin vorhandenen Energieanteile sein.
Eine sehr freimütige, aber häufig geäußerte Interpretation ist, dass das System
für den Zeitraum .
/v die klassische Energieerhaltung um den maximalen Be-
trag .E/v D „2 .
/v verletzen darf. Das heißt, man stellt sich vor, dass sich das
System den Betrag .E/v „ausborgt“ und ihn nach der Leihfrist .
/v wieder zu-
rückgeben muss. Diese Interpretation sollte man lieber nicht zu wörtlich nehmen.

Fragen zum Selbstcheck


1. Wie unterscheiden sich Schrödinger- und Heisenberg-Bild? Wodurch ist si-
chergestellt, dass alle Vorhersagen in den beiden Bildern identisch sind?
2. Was besagt das Ehrenfest’sche Theorem? Wann ist eine Observable eine
Erhaltungsgröße?
3. Was besagt die Energie-Zeit-Unschärferelation?

2.10 Tensorprodukte

In der klassischen Mechanik kann man die Bewegung eines Teilchens durch eine
Trajektorie im sechsdimensionalen Phasenraum beschreiben (drei Dimensionen für
den Ort, drei für den Impuls). Fügt man dem System ein weiteres Teilchen hinzu,
dann erhöht sich die Dimension des Phasenraums um 6. Denn für ein zusätzli-
ches Teilchen werden drei weitere Orts- und Impulskoordinaten hinzugefügt. Bei
n Teilchen hat der Phasenraum 6n Dimensionen. Oder anders ausgedrückt: Fügt
man zwei Systeme S1 und S2 zu einem System S zusammen, wobei S1 in einem
d1 -dimensionalen Phasenraum P1 , S2 in einem d2 -dimensionalen Phasenraum P2
beschrieben wird, dann hat der Phasenraum P von S d D d1 C d2 Dimensionen.
Denn P ist die Direkte Summe von P1 und P2 ,

P D P1 ˚ P2 : (2.241)
2.10 Tensorprodukte 63

n o
.1/ .1/
Das bedeutet: Wenn P1 die Basis B1 D e1 ;    ; er und P2 die Basis B2 D
n o
.2/ .2/
e1 ;    ; es hat, dann ist
n o
.1/ .2/
B D B1 [ B2 D e1 ;    e.1/
r ; e1 ;    ; e.2/
s (2.242)

eine Basis von P .


Der Ausdruck „Direkte Summe“ wird sowohl für die Räume als auch für die
zugehörigen Vektoren und Operatoren angewandt. Die Direkte Summe u ˚ v 2 P
von u 2 P1 und v 2 P2 ist in Komponenten definiert durch

u ˚ v D .u; v/ D .u1 ;    ; ur ; v1 ;    ; vs /: (2.243)

Die Direkte Summe A ˚ B eines linearen Operators A auf P1 und eines linearen
Operators B auf P2 ist (in Matrixform, auf die oben angegebene Basis bezogen)
!
A 0
A˚B D ; (2.244)
0 B

so dass also
.A ˚ B/.u ˚ v/ D Au ˚ Bv: (2.245)

In der Quantenmechanik sieht es anders aus. Wenn ein Quantenobjekt in einem


d -dimensionalen Hilbert-Raum beschrieben wird, dann ist der Hilbert-Raum für n
solche Objekte d n -dimensional. Fügt man zwei Quantensysteme S1 und S2 zu ei-
nem System S zusammen, wobei S1 in einem d1 -dimensionalen Hilbert-Raum H1 ,
S2 in einem d2 -dimensionalen Hilbert-Raum H2 beschrieben wird, dann hat der
Hilbert-Raum H von S d D d1 d2 Dimensionen. Denn H ist das Tensorprodukt
von H1 und H2 ,
H D H1 ˝ H2 : (2.246)
n o
.1/ .1/
Das bedeutet: Wenn H1 eine Basis B1 D e1 ;    ; er und H2 eine Basis B2 D
n o
.2/ .2/
e1 ;    ; es hat (wir weichen hier der Übersichtlichkeit halber vorübergehend
von der Bra/Ket-Schreibweise ab), dann ist
n o
.1/ .2/
B D ei ˝ ej j i D 1;    ; rI j D 1;    ; s (2.247)

eine Basis von H . Jeder Basisvektor von H ist also eine Kombination aus einem
.1/ .2/
Basisvektor ei von H1 und einem Basisvektor ej von H2 , wobei die Kombina-
tion durch das Tensorsymbol ˝ ausgedrückt wird.
64 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

Das Tensorprodukt u ˝ v zweier Vektoren


X
r
.1/
uD ui ei 2 H1 (2.248)
i D1
X s
.2/
vD vj ej 2 H2 (2.249)
j D1

ist definiert durch


X
r X
s
.1/ .2/
u˝vD ui vj ei ˝ ej (2.250)
i D1 j D1

und es gilt das Distributivgesetz

u ˝ .˛v C ˇw/ D ˛u ˝ v C ˇu ˝ w: (2.251)

Hier tritt ein ganz wesentlicher Unterschied zwischen QM und klassischer Mecha-
nik zu Tage. Bei einer Direkten Summe von Vektorräumen V D V1 ˚ V2 lässt sich
jeder Vektor w 2 V als Direkte Summe von Vektoren u 2 V1 und v 2 V2 schreiben:
Bezogen auf die Basis (2.242) bilden die ersten r Komponenten von w den Vek-
tor u, die restlichen s Komponenten den Vektor v. Bei einem Tensorprodukt von
Vektorräumen können jedoch nur manche Vektoren w 2 V als Tensorprodukt von
Vektoren u 2 V1 und v 2 V2 dargestellt werden. Zum Beispiel ist
.1/ .2/ .1/ .2/ .1/ .2/ .1/ .2/
w D e1 ˝ e1 C e1 ˝ e2  e2 ˝ e1  e2 ˝ e2 (2.252)

darstellbar als u ˝ v mit


.1/ .1/ .2/ .2/
u D e1  e2 ; v D e1 C e2 : (2.253)

Für
.1/ .2/ .1/ .2/
w D e1 ˝ e1  e2 ˝ e2 (2.254)
gibt es jedoch keine derartige Darstellung.

Aufgabe 2.28
Zeigen Sie das.

Das bedeutet, dass man die Phasenraum-Trajektorien der einzelnen Teilchen in


der klassischen Mechanik immer unabhängig voneinander beschreiben kann. Man
kann den Phasenraum P zu jedem Zeipunkt in P1 und P2 zerlegen und sagen, S1
sei gerade im Zustand u 2 P1 , S2 im Zustand v 2 P2 . In den Gleichungen, die die
Trajektorien determinieren, können die Systeme aneinander gekoppelt sein. Aber in
der Beschreibung des momentanen Zustands kann man sie immer getrennt vonein-
ander betrachten.
2.10 Tensorprodukte 65

In der QM geht das nur, wenn w D u ˝ v. In allen anderen Fällen, wie z. B.


in (2.254), liegt ein verschränkter Zustand vor: Der Zustand des Systems S1
kann nicht getrennt vom Zustand von S2 beschrieben werden. Dies führt zu den
korrelierten Wahrscheinlichkeiten und „spukhaften Fernwirkungen“, von denen im
einleitenden Kap. über die Bell’sche Ungleichung die Rede war. Wir werden das
gleich noch einmal demonstrieren, wenn wir Operatoren und Messungen auf dem
Tensorprodukt H D H1 ˝ H2 besprochen haben.
Das Tensorprodukt A ˝ B eines linearen Operators A auf H1 und eines linearen
Operators B auf H2 ist definiert durch
.A ˝ B/.u ˝ v/ D Au ˝ Bv (2.255)
für alle u 2 H1 und v 2 H2 . In Matrixdarstellung bzgl. einer Basis (2.247) gilt
dann
.A ˝ B/.ij /.kl/ D Ai k Bj l : (2.256)
Hierbei haben wir Doppelindizes verwendet: .ij / bezeichnet die Zeile, die zum
.1/ .2/
Basisvektor ei ˝ ej gehört, und analog für die Spalte .kl/. Die Komponenten
von w D u ˝ v sind
wij D ui vj (2.257)
und es folgt
X
r X
s
Œ.A ˝ B/w.ij / D .A ˝ B/.ij /.kl/wkl (2.258)
kD1 lD1
Xr X s
D Ai k Bj l uk vl (2.259)
kD1 lD1
D .Au/i .Bv/j (2.260)
D Œ.Au/ ˝ .Bv/.ij / ; (2.261)
wie in (2.255) gefordert.

Als Beispiel betrachten wir ein System aus zwei Spins/Qubits. Der zugehörige
Hilbert-Raum ist vierdimensional. Wir bilden das Tensorprodukt zweier Vektoren
0 1
! ! 1
1 1 1 1B 1 C
jxCi ˝ jxi D ˝ D B C (2.262)
2 1 1 2@1A
1
(wobei wir die Komponenten in der Reihenfolge .zC; zC/, .zC; z/, .z; zC/,
.z; z/ anzeigen) und zweier Pauli-Matrizen:
0 1
! ! 0 i 0 0
1 0 0 i Bi 0 0 0C
z ˝ y D ˝ DB @0 0
C (2.263)
0 1 i 0 0 iA
0 0 i 0
66 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

Aufgabe 2.29
Berechnen Sie x ˝ x , x ˝ y , y ˝ x und y ˝ y .

Wenn eine Messung an nur einem der Systeme S1 oder S2 durchgeführt wird,
dann wirkt der zugehörige hermitesche Operator A.1/ bzw. B .2/ nur auf den zu-
gehörigen Hilbert-Raum H1 bzw. H2 . Das jeweils andere System wird durch den
Operator nicht verändert. A.1/ und B .2/ haben also die Form

A.1/ D A ˝ 1 bzw: B .2/ D 1 ˝ B: (2.264)

Wir verwenden hier das gleiche Symbol (in diesem Fall A bzw. B) für den Operator
im gesamten System wie für den Operator, der nur auf dem Teilsystem wirkt, wo-
bei wir für den Operator im gesamten System noch ein Kennzeichen hinzufügen,
auf welches System er sich bezieht. Wenn wir z. B. im System der zwei Spins die
.1/
z-Komponente sz des ersten Spins messen wollen, ist der zugehörige Operator


Sz.1/ D Sz ˝ 1 D z ˝ 1: (2.265)
2

Aufgabe 2.30
Zeigen Sie mit (2.255):
ŒA.1/ ; B .2/  D 0; (2.266)
d. h., Observablen, die sich auf unterschiedliche Teilsysteme beziehen, sind
simultan messbar.

Eine andere Kombination, die häufig auftritt, ist

C D A.1/ C B .2/ D A ˝ 1 C 1 ˝ B; (2.267)

d. h., es wird die Summe gebildet aus einem Operator, der nur auf H1 operiert, und
einem, der nur auf H2 operiert. Zum Beispiel ist der gesamte Spin in z-Richtung,
sz , durch die Summe der beiden Einzelspins gegeben:

Sz.tot/ D Sz.1/ C Sz.2/ D Sz ˝ 1 C 1 ˝ Sz (2.268)

Ein anderes Beispiel ist der Hamilton-Operator H des Gesamtsystems. Wenn die
beiden Systeme nicht miteinander wechselwirken, dann ist H die Summe der Ha-
milton-Operatoren H1 und H2 der Einzelsysteme,

.1/ .2/
H D H1 C H2 D H1 ˝ 1 C 1 ˝ H2 : (2.269)
2.10 Tensorprodukte 67

Von
ˇ .1/ nun
˛ an verwenden wir wieder die Bra/Ket-Schreibweise. ˝ Wir
ˇ schreiben
ˇu v .2/ oder einfach nur juvi für jui ˝ jvi D u ˝ v und u.1/ v .2/ ˇ oder einfach
.1/ .2/
nur huvj für den entsprechenden Dualraum-Vektor. Für die Basisvektoren ei ˝ ej
schreiben wir jij i und hij j für den zugehörigen Bra-Vektor. Das Skalarprodukt im
Tensorraum ist definiert durch
˝ .1/ .2/ ˇ .1/ .2/ ˛
u v ˇw x D hu jw i hv jx i : (2.270)

Insbesondere gilt für die Basisvektoren (wir nehmen an, dass die Basen von H1
und H2 orthonormal sind)
hij jkl i D ıi k ıj l : (2.271)
Die Eigenwerte eines Tensorprodukts C D A ˝ B sind wegen (2.255) gerade
.1/ .2/
die Produkte der Eigenwerte von A und B. Sei jui 2 H1 und jvi 2 H2 , also

A jui D 1 jui ; B jvi D 2 jvi : (2.272)

Dann ist
C juvi D .A jui/ ˝ .B jvi/ D 1 2 juvi : (2.273)
Der Eigenraum zum Eigenwert  D 1 2 ist das Tensorprodukt der Eigenräume zu
den Eigenwerten 1=2 ,
.1/ .2/
H D H1 ˝ H2 : (2.274)
Das gilt, wenn es nur eine Möglichkeit gibt,  als Produkt zweier Eigenwerte 1
und 2 von A bzw. B zu erhalten. Wenn es mehrere Möglichkeiten gibt, dann ist
jeder Vektor der Form
X
jwi D ˛1 2 j1 i ˝ j2 i (2.275)
1 ;2 j1 2 D

mit komplexen Koeffizienten ˛1 2 ein Eigenvektor zum Eigenwert  (wobei j1 i 2
.1/ .2/
H1 und j2 i 2 H2 ). Der Eigenraum zum Eigenwert  ist dann die Direkte
Summe mehrerer Tensorprodukte:
M .1/ .2/
H D H1 ˝ H2 (2.276)
1 ;2 j1 2 D

Ein Beispiel: Der Operator


C D z ˝ z (2.277)
in unserem Zwei-Spin-System hat die Eigenwerte ˙1. Jeder Vektor der Form

jwC i D ˛ jzC; zCi C ˇ jz; zi (2.278)

ist Eigenvektor zum Eigenwert C1, jeder Vektor der Form

jw i D ˛ jzC; zi C ˇ jz; zCi (2.279)


68 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

Eigenvektor zum Eigenwert 1. Der Eigenraum HC1 zum Eigenwert C1 ist also
   
.1/ .2/ .1/ .2/
HC1 D HC1 ˝ HC1 ˚ H1 ˝ H1 : (2.280)
.1/ .2/
Hierbei ist HC1 ˝ HC1 der eindimensionale Vektorraum, der von jzC; zCi D
.1/ .2/
jzCi ˝ jzCi aufgespannt wird, und analog für H1 ˝ H1 . Gl. (2.278) besagt
gerade, dass jedes Element von HC1 in der zweidimensionalen Direkten Summe
dieser beiden Räume liegt.

Die Eigenwerte eines Operators C der Form (2.267) sind die Summen der
Eigenwerte von A und B. Seien wieder jui und jvi wie in (2.272). Dann ist
C juvi D .A jui/ ˝ jvi C jui ˝ .B jvi/ D .1 C 2 / juvi : (2.281)
Analog zum vorigen Fall finden wir
M .1/ .2/
H D H1 ˝ H2 : (2.282)
1 ;2 j1 C2 D

Ein Beispiel: Der Operator


C D z ˝ 1 C 1 ˝ z (2.283)
in unserem Zwei-Spin-System hat die Eigenwerte f2; 0; 2g. Das sind die mögli-
chen Summen der Eigenwerte der beiden einzelnen Spins. Die zugehörigen Eigen-
räume sind
.1/ .2/
H2 D HC1 ˝ HC1 (2.284)
   
.1/ .2/ .1/ .2/
H0 D HC1 ˝ H1 ˚ H1 ˝ HC1 (2.285)
.1/ .2/
H2 D H1 ˝ H1 : (2.286)
Wir wollen nun die Korrelation in einem verschränkten Zustand anhand eines
Beispiels demonstrieren. Gegeben sei ein Zwei-Spin-System im Zustand
0 1
1
1 1 0CB
jwi D p .jzC; zCi C jz; zi/ D p B C: (2.287)
2 2 @0 A
1

Aufgabe 2.31
Zeigen Sie, dass zugleich

1 1
jwi D p .jxC; xCi C jx; xi/ D p .jyC; yi C jy; yCi/
2 2
(2.288)
gilt.
2.10 Tensorprodukte 69

Bei einer simultanen Spinmessung in z-Richtung an jedem der beiden Systeme


ist, wenn man die Systeme separat betrachtet, die Wahrscheinlichkeit für spin-up
bzw. spin-down jeweils 12 . Rechnerisch folgt das aus den Projektionsoperatoren
.1/
PzC D .jzCi hzCj/ ˝ 1 D diag.1; 1; 0; 0/;
.2/
PzC D 1 ˝ .jzCi hzCj/ D diag.1; 0; 1; 0/;
.1/
Pz D .jzi hzj/ ˝ 1 D diag.0; 0; 1; 1/;
.2/
Pz D 1 ˝ .jzi hzj/ D diag.0; 1; 0; 1/;

und somit
D ˇ ˇ E D ˇ ˇ E ˝ ˇ ˇ ˛ ˝ ˇ .2/ ˇ ˛
ˇ .1/ ˇ ˇ .2/ ˇ 1
.1/ ˇ
w ˇPzC ˇ w D w ˇPzC ˇ w D w ˇPz w D w ˇPz ˇ w D : (2.289)
2
Die Wahrscheinlichkeiten in System 1 sind aber nicht unabhängig vom Messer-
gebnis im System 2. Es gilt die Aussage (A1): Wenn im System 2 spin-up gemessen
wird, dann wird auch im System 1 mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit spin-
up gemessen. Denn die Wahrscheinlichkeit dafür, dass im System 2 spin-up und im
System 1 spin-down gemessen wird, ist
D ˇ ˇ E
ˇ .1/ .2/ ˇ
w ˇPz PzC ˇ w D 0: (2.290)

Man beachte, dass die Reihenfolge der Projektionsoperatoren hier keine Rolle
spielt: Da sie in unterschiedlichen Systemen wirken (die eine Messung findet an
System 1 statt, die andere an System 2), kommutieren sie.
Ebenso gilt (A2): Wenn im System 2 spin-down gemessen wird, dann wird auch
im System 1 mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit spin-down gemessen. Ana-
loge Aussagen gelten wegen Aufgabe 2.31, wenn man den Spin in x-Richtung
misst. Die Situation ist ähnlich wie bei den verschränkten Photonen in der Ein-
leitung: Für eine beliebige Richtung r in der .xz/-Ebene gilt, dass der Spin in
r-Richtung entweder für beide Systeme positiv oder für beide negativ gemessen
wird. Umgekehrt verhält es sich nach Aufgabe 2.31 für den Spin in y-Richtung:
Hier ergibt die Messung der Spins auf jeden Fall entgegengesetzte Resultate.
Die Aussage (A1) kann auch mithilfe bedingter Wahrscheinlichkeiten gezeigt
werden. Sei pzC.2/ .zC.1/ / die Wahrscheinlichkeit dafür, dass im System 1 spin-up
gemessen wird, unter der Bedingung, dass im System 2 spin-up gemessen wird.
Allgemein gilt für bedingte Wahrscheinlichkeiten pX .Y / D p.X; Y /=p.X/. Dar-
aus folgt
D ˇ ˇ E
ˇ .1/ .2/ ˇ
p.zC; zC/ w ˇPzC PzC ˇ w 1=2
pzC.2/ .zC.1/ / D D D ˇ ˇ E D D 1: (2.291)
p.zC /.2/ ˇ .2/ ˇ 1=2
w ˇP ˇ w
zC

Die Aussagen (A1) und (A2) zusammen bedeuten, dass die Spins in z-Richtung
maximal korreliert sind.
70 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

Von der Korrelation zweier simultan messbarer Observablen A und B spricht


man, wenn deren Messergebnisse nicht unabhängig voneinander sind. Ein Maß da-
für ist der Erwartungswert ihres Produkts: Wenn A und B unkorreliert sind, dann
ist
hABi D hAihBi: (2.292)
Falls hABi größer bzw. kleiner ist als dieser Wert, spricht man von positiver bzw.
negativer Korrelation, im zweiten Fall auch von Antikorrelation.
In unserem Beispiel ist die relevante Größe

˝ ˇ ˇ ˛ „2 „2
hSz.1/ Sz.2/ iw D w ˇSz.1/ Sz.2/ ˇ w D hw jz ˝ z j wi D : (2.293)
4 4
Hingegen ist
hSz.1/ iw D hSz.2/ iw D 0; (2.294)
es liegt also positive Korrelation vor.
Um die Korrelation als Wert zwischen 1 und 1 zu definieren, können wir den
Erwartungswert des Tensorprodukts z ˝ z als Maß verwenden. Die Eigenwerte
von z ˝ z sind die möglichen Produkte der Eigenwerte von z im einen und im
anderen System, also ˙1. Wenn

hz ˝ z iv D 0 (2.295)

ist, dann sind die beiden z-Spins unkorreliert. Wenn

0 < hz ˝ z iv  1; (2.296)

dann sind die beiden z-Spins korreliert. Wenn

 1  hz ˝ z iv < 0; (2.297)

dann sind die beiden z-Spins antikorreliert. Im vorliegenden Fall ist

hz ˝ z iw D hw jz ˝ z j wi D 1; (2.298)

d. h., es liegt maximale Korrelation vor.

Aufgabe 2.32
Berechnen Sie die bedingten Wahrscheinlichkeiten und die Korrelation für
den Fall, dass im System 1 der Spin in z-Richtung, im System 2 aber der Spin
in x-Richtung gemessen wird. Ergebnis: Die Messungen sind unkorreliert.
2.10 Tensorprodukte 71

Aufgabe 2.33
Berechnen Sie die Korrelation für den Fall, dass im System 1 der Spin in
z-Richtung, im System 2 aber der Spin in Richtung p12 .ex C ez / gemessen
wird. Ergebnis: Die Messungen sind korreliert, aber nicht maximal korreliert.
Hinweis: Verwenden Sie den Operator (2.141).

Gegeben sei zum Zeitpunkt t D 0 ein nichtverschränkter Zustand jwi D


jui ˝ jvi des Gesamtsystems S sowie ein zeitunabhängiger Hamilton-Operator H .
Unter welchen Umständen bleibt der Zustand nichtverschränkt? Hier sind zwei
Fälle zu nennen:

1. jwi ist ein Eigenzustand von H . In diesem Fall ist


E
jw.t/i D e i „ t jui ˝ jvi : (2.299)
.1/ .2/
2. H ist von der Form (2.269). Dann ist, da H1 und H2 kommutieren,
.1/ .2/
H H CH
jw.t/i D e i jw.0/i D e i
1 2

t „
t
jw.0/i (2.300)
.1/ .2/
H1 H2
D e i „
t i
e t
jw.0/i
„ (2.301)
 H1  H2

D e i „ t ˝ 1 1 ˝ e i „ t .jui ˝ jvi/ (2.302)
 H1   H2 
D e i „ t jui ˝ e i „ t jvi : (2.303)

Verschränkung tritt auf, wenn die Systeme miteinander wechselwirken. Im Fall


der zwei Spins ist die klassische Energie einer typischen Wechselwirkung gegeben
durch
E D ˛ s.1/  s.2/ D ˛ .sx.1/ sx.2/ C sy.1/ sy.2/ C sz.1/ sz.2/ /; (2.304)
d. h., zwischen den beiden Systemen wirkt eine Kraft, die versucht, die Spins (im
Fall ˛ > 0) antiparallel zueinander auszurichten. Der zugehörige Hamilton-Opera-
tor lautet
˛„2  
H D x ˝ x C y ˝ y C z ˝ z (2.305)
4
0 1
1 0 0 0
˛„2 B
B 0 1 2 0CC:
D (2.306)
4 @0 2 1 0A
0 0 0 1
72 2 Formalismus I: Endlichdimensionale Hilbert-Räume

H hat die Eigenwerte


˛„2 ˛„2
E1 D; E2 D 3 : (2.307)
4 4
Der dreidimensionale Eigenraum zum Eigenwert E1 wird von den drei bzgl. Ver-
tauschung der beiden Spins symmetrischen Zuständen

1
jsC i D jzC; zCi ; js0 i D p .jzC; zi C jz; zCi/ ; js i D jz; zi
2
(2.308)
aufgespannt. Der eindimensionale Eigenraum zum Eigenwert E2 wird von dem
bzgl. Vertauschung der beiden Spins antisymmetrischen Zustand

1
ja0 i D p .jzC; zi  jz; zCi/ (2.309)
2
aufgespannt.

Aufgabe 2.34
Rechnen Sie das nach: die Matrix für H , die Eigenwerte und Eigenvektoren.

Machen wir uns kurz Gedanken über diese Eigenwerte/-vektoren. Bei einem
unkorrelierten, gleichverteilten statistischen Gemisch von Zwei-Spin-Zuständen ist
der Mittelwert für die Messwerte des Skalarprodukts s.1/  s.2/ wie erwartet „2 .1 C
1 C 1 C .3//=4 D 0. Was aber erstaunt, sind die Eigenvektoren js0 i und ja0 i.
Intuitiv würde man erwarten, dass bei parallelem Spin s.1/  s.2/ D „2 =4 ist und bei
antiparallelem Spin s.1/ s.2/ D „2 =4. Stattdessen teilt sich der Unterraum der anti-
parallelen Spinzustände auf in einen symmetrischen Zustand mit s.1/  s.2/ D C„2 =4
und einen antisymmetrischen mit s.1/  s.2/ D 3„2 =4. Besonders erstaunlich ist
der Eigenwert 3„2 =4, der über das Produkt der Beträge von s.1/ und s.2/ hinaus-
zugehen scheint. Ein ähnlich interessantes Verhalten findet man schon bei einem
einzelnen Spin. Im Zustand jzCi ist


hSx i D hSy i D 0; hSz i D ; (2.310)
2
aber

„2 2
hS2 i D h C y2 C z2 i (2.311)
4 x
3„2 3„2
D h1i D D 3 .hSx i; hSy i; hSz i/2 : (2.312)
4 4
Wir werden in den Kap. 7 und 9 wieder auf dieses Thema stoßen.
2.10 Tensorprodukte 73

Zurück zum Thema Verschränkung durch Wechselwirkung. Das durch den


Hamilton-Operator (2.305) beschriebene System sei zum Zeitpunkt t D 0 im
nichtverschränkten Ausgangszustand

1
jw.0/i D jzC; zi D p .js0 i C ja0 i/ : (2.313)
2

Aus (2.307) folgt sofort

1   ˛„ 3˛„
jw.t/i D p e i !1 t js0 i C e i !2 t ja0 i ; !1 D ; !2 D  : (2.314)
2 4 4

Zu jedem Zeitpunkt ist jw.t/i von der Form

jw.t/i D ˛.t/ jzC; zi C ˇ.t/ jz; zCi : (2.315)

Wenn e i !1 t D e i !2 t ist, also t D 2 n=.!1  !2 /, n 2 Z, dann ist ˇ D 0. Wenn


e i !1 t D e i !2 t ist, also t D .2n C 1/=.!1  !2 /, dann ist ˛ D 0. Zu allen anderen
Zeiten liegt Verschränkung vor.

Fragen zum Selbstcheck


1. Wie unterscheiden sich Tensorprodukte von Direkten Summen?
2. Was sind verschränkte Zustände?
3. Wie berechnet man bedingte Wahrscheinlichkeiten und Korrelationen?
Formalismus II: Unendlichdimensionale
Hilbert-Räume 3

Der seltsame Formalismus der QM wird auf Funktionenräume erweitert. Wellenfunktionen


und die Schrödinger-Gleichung im Ortsraum werden eingeführt. Auf dem Weg dahin wird
erklärt, warum Basisvektoren keine Elemente des Vektorraums sein müssen, dessen Basis
sie sind.

In der QM treten Zustandsvektoren meist in der Form von Wellenfunktionen


.r/ auf. Wir müssen uns daher zunächst einmal damit auseinandersetzen, in-
wieweit Mengen von Funktionen Vektorräume sind. Das zugehörige Gebiet der
Mathematik ist die Funktionalanalysis. Wir werden dann sehen, dass man Ope-
rationen wie z. B. die Ableitung als lineare Operatoren auffassen kann, die sich
durch Matrizen mit unendlich vielen Einträgen darstellen lassen. Dabei werden wir
zahlreichen Besonderheiten begegnen, die im endlichdimensionalen Fall nicht auf-
treten.
Der Übergang von der klassischen Mechanik zur QM erfolgt anhand des Hamil-
ton-Formalismus, in dem die Positionen und Impulse von Teilchen die fundamen-
talen Variablen sind.
Die Ortsobservable beschreibt die Position .x; y; z/ eines Teilchens gemäß ei-
nem vorher gewählten kartesischen Koordinatensystem. Dem entsprechen in der
QM Ortsoperatoren .X; Y; Z/, die auf die Wellenfunktion des Teilchens wirken.
Es wird sich herausstellen, dass diese Operatoren gerade durch Multiplikation mit
der Koordinate wirken, z. B. .X /.r/ D x .r/. Die Sache hat aber einen Ha-
ken: Obwohl X hermitesch ist, besitzt er im betrachteten Hilbert-Raum keinerlei
Eigenwerte und Eigenvektoren. Erst durch einen Trick wird es uns gelingen, eine
sog. Pseudo-Basis aus Pseudo-Eigenvektoren zu entwerfen, mit der sich praktisch
rechnen lässt und die die Grundlage für den Zusammenhang zwischen dem dreidi-
mensionalen Ortsraum und dem unendlichdimensionalen Hilbert-Raum liefert.
Ähnlich verhält es sich mit den Impulsoperatoren .Px ; Py ; Pz /, die zu den drei
Komponenten der Impulses gehören. Sie wirken in Form von Ableitungen, z. B.
.Px /.r/ D i„ @x @
.r/. Auch diese Operatoren besitzen keine Eigenwerte und
Eigenvektoren im Hilbert-Raum, und wir müssen wieder auf Pseudo-Vektoren zu-
rückgreifen.

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 75


J.-M. Schwindt, Tutorium Quantenmechanik, DOI 10.1007/978-3-662-49399-1_3
76 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

So wie wir in Kap. 2 zunächst Lineare Algebra wiederholt haben, werden wir
auch hier erst einmal das mathematische Rüstzeug erarbeiten, das wir benötigen, um
die QM der Orte und Impulse zu verstehen. Das tun wir in den Abschn. 3.1 bis 3.3.
Dabei richten wir unser Augenmerk besonders auf den Operator X, der Funktio-
nen einer Variablen mit dieser Variablen multipliziert, und auf den Operator D, der
Funktionen ableitet. Denn diese beiden Operatoren sind grundlegend für Ort und
Impuls in der QM. Erst dann, in Abschn. 3.4, kehren wir zur Physik zurück: Wir
finden die Schrödinger-Gleichung im Ortsraum, die Orts-/Impulsunschärfe,
die Welle-Teilchen-Dualität und viele schöne Zusammenhänge zwischen QM und
klassischer Mechanik. Damit schließen wir die Erarbeitung des QM-Formalismus
ab und sind dann bereit, in den weiteren Teilen des Buches konkrete Probleme zu
lösen.
Aber jetzt heißt es erst mal Ärmel hochkrempeln und Mathematik verstehen!

3.1 Mengen von Funktionen als Vektorräume

Sei M eine beliebige Menge und V ein Vektorraum über dem Körper K, wobei
K D R oder C. Dann bildet die Menge der Funktionen F .M; V / D ff W M ! V g
ebenfalls einen Vektorraum über K. Dabei sind die Addition zweier Funktionen,
f Cg, und die Multiplikation einer Funktion mit einer Zahl ˛ 2 K folgendermaßen
definiert:
.f C g/.x/ D f .x/ C g.x/; .˛f /.x/ D ˛ f .x/ (3.1)
Das heißt, diese Operationen auf Funktionen werden auf die entprechenden Ope-
rationen im Zielraum V zurückgeführt. Sie sind deshalb wohldefiniert, weil die
entsprechenden Operationen auf V wohldefiniert sind. Daher ist es entscheidend,
dass V ein Vektorraum ist. Wäre V beispielsweise nur ein Intervall Œa; b, dann
könnte man immer zwei Funktionen finden, deren Bildmenge in Œa; b liegt, die
Bildmenge ihrer Summe aber nicht.
Die Null-Funktion 0M;V ist die Funktion, die alle Elemente von M auf den Null-
Vektor 0 in V abbildet:
0M;V .x/ D 0 (3.2)
Zu jeder Funktion f 2 F .M; V / gibt es eine Funktion f 2 F .M; V / mit der
Eigenschaft f C .f / D 0M;V . Man setze hierzu .f /.x/ D f .x/. Auch die
Null und das Inverse bzgl. Addition in F .M; V / werden also auf die entsprechenden
Eigenschaften in V zurückgeführt. Wieder ist entscheidend, dass V ein Vektorraum
ist.
In der QM betrachtet man Wellenfunktionen, die in F .Rn ; C/ liegen. Dabei ste-
hen die Elemente von Rn für n reelle Ortskoordinaten von einem oder mehreren
„Teilchen“ (die Anführungszeichen sollen andeuten, dass der Teilchen-Begriff in
der QM etwas anderes bedeutet als in der klassischen Mechanik). Den Zielraum C
kann man als eindimensionalen Vektorraum über sich selbst auffassen. Daher ist
auch F .Rn ; C/ ein Vektorraum über C.
3.1 Mengen von Funktionen als Vektorräume 77

Statt des gesamten Raums F .M; V / kann man auch Unterräume von Funktionen
mit bestimmten „schönen“ Eigenschaften betrachten, z. B.

 die Menge C 0 .M; V / der stetigen Funktionen


 die Menge C 1 .M; V / der differenzierbaren Funktionen R
 die Menge L1 .M; V / der integrierbaren Funktionen, d. h., M f ist wohldefiniert
und endlich
 die Menge der Funktionen f W M ! V , die in einem bestimmten Punkt a 2 M
eine Nullstelle haben, also f .a/ D 0.

Diese Unterräume lassen sich natürlich nur bilden, wenn M die jeweilige Definition
zulässt. Wenn M beispielsweise die Menge der Tiere im Heidelberger Tiergarten
ist, lässt sich schwerlich sagen, was eine „stetige“ Funktion darauf sein soll.
Man überzeugt sich leicht davon, dass die jeweilige Eigenschaft nicht verloren
geht, wenn man endliche Linearkombination von Funktionen bildet, die diese Ei-
genschaft besitzen. Zum Beispiel: Wenn f und g stetig sind, dann ist auch ˛f Cˇg
stetig. Es handelt sich also tatsächlich auch bei den genannten Unterräumen um
Vektorräume.
Der Begriff Linearkombination wird bei Funktionenräumen genauso Pnverwen-
det wie bei anderen Vektorräumen auch, nämlich für eine Summe i D1 ˛i fi ,
mit ˛i 2 K und alle fi im betrachteten Funktionenraum. Die Vektorraum-Eigen-
schaften stellen sicher, dass man durch das Bilden von Linearkombinationen den
Vektorraum nicht verlässt, solange diese endlich sind, d. h. nur endlich viele Sum-
manden besitzen. Eine Summe von unendlich vielen Funktionen braucht keinesfalls
zu konvergieren, und selbst wenn sie konvergiert, ist nicht sichergestellt, dass die
Eigenschaften der Summanden (z. B. Stetigkeit) erhalten bleiben.

Als erstes Beispiel für einen Funktionenraum, den wir uns genauer ansehen wol-
len, wählen wir die Menge der reellen Polynome,
( )
Xn
Pol.R; R/ D f W R ! R j f .x/ D ˛i x ; ˛i 2 R; n 2 N :
i
(3.3)
i D0

Auch unendlichdimensionale Vektorräume besitzen eine Basis, d. h. eine (unend-


liche) Menge von Basisvektoren fei g, so dass sich alle Elemente des Vektorraums
auf eindeutige Weise als endliche Linearkombination der Basisvektoren schreiben
lassen.
Bei den Polynomen gibt es eine naheliegende Basis: die Monome, ei .x/ D x i .
Jedes Polynom lässt sich dann in Komponenten bzgl. dieser Basis ausdrücken:

f D .˛0 ; ˛1 ; ˛2 ; : : :/ (3.4)

bedeutet
f D ˛0 e0 C ˛1 e1 C ˛2 e2 C : : : ; (3.5)
78 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

also

f .x/ D .˛0 e0 C ˛1 e1 C ˛2 e2 C : : : /.x/ (3.6)


D ˛0 e0 .x/ C ˛1 e1 .x/ C ˛2 e2 .x/ C : : : (3.7)
D ˛0 C ˛1 x C ˛2 x 2 C : : : (3.8)

Da jedes Polynom bei einer endlichen Potenz von x abbricht, ist sichergestellt, dass
in der Komponentendarstellung (3.4) nur endlich viele Werte von 0 verschieden
sind.
Was wäre nun gewesen, wenn wir statt der Polynome den Raum aller Funktionen
gewählt hätten, die sich in ganz R als Potenzreihe darstellen lassen,
( 1
)
X
PR.R; R/ D f W R ! R j f .x/ D ˛i x konvergiert in ganz R : (3.9)
i

i D0

Im Gegensatz zu den Polynomen brechen Potenzreihen in der Regel nicht bei end-
lichem n ab, d. h., sie sind unendliche Linearkombinationen der Monome. Glück-
licherweise haben die Mathematiker hier ein Einsehen und lassen die Monome
immer noch als Basis zu. Es handelt sich jedoch nicht um eine Basis nach der
ursprünglichen Definition, nach der die Linearkombinationen der Basisvektoren
endlich sein müssen.
Eine Basis, die unendliche Linearkombinationen erfordert, heißt Schauder-
Basis. Die Monome bilden also eine Schauder-Basis des Raums PR.R; R/. Es gibt
auch eine Basis, die nur endliche Linearkombinationen erfordert. Man kann aber
zeigen, dass diese nicht nur aus unendlich vielen, sondern sogar überabzählbar
unendlich vielen Basisvektoren besteht. Eine solche Basis heißt Hamel-Basis und
ist für praktische Zwecke völlig ungeeignet.
Das Problem mit der Schauder-Basis ist, dass man Basisvektoren nicht mehr
beliebig kombinieren darf. Denn wie bereits oben erwähnt, liegt eine unendliche
Linearkombination von Funktionen in einem Funktionenraum nicht unbedingt
wieder im Funktionenraum. In unserem Fall: Nicht jede Potenzreihe (unendliche
Linearkombination der Monome) konvergiert, liegt also in PR.R; R/. Es lässt sich
also zwar jede Funktion in PR.R; R/ als endliche oder unendliche Linearkombi-
nation der Basisvektoren schreiben, aber nicht jede unendliche Linearkombination
der Basisvektoren führt zu einem Element von PR.R; R/!

Operatoren auf einem Funktionenraum F .M; V / sind Funktionen T W F .M; V / !


F .M; V /, die eine Funktion auf eine andere Funktion abbilden. Ein Operator T heißt
linear, wenn gilt:
T .˛f C ˇg/ D ˛T .f / C ˇT .g/ (3.10)
für beliebige ˛; ˇ 2 K, f; g 2 F .M; V /. Man schreibt meist einfach Tf statt
T .f /.
Lineare Funktionen (Automorphismen) auf einem Vektorraum lassen sich
bzgl. einer gegebenen Basis als Matrizen darstellen. Das gilt auch für Operatoren
3.1 Mengen von Funktionen als Vektorräume 79

auf Funktionenräumen. Da Funktionenräume unendlichdimensional sind, sind die


Matrizen unendlich groß.
Wir wollen uns zwei Beispiele für Operatoren auf Pol.R; R/ bzw. PR.R; R/
ansehen, die in der QM eine große Rolle spielen, nämlich den Operator X, der
jede Funktion mit x multipliziert, und den Ableitungsoperator D, der jede Funktion
ableitet:
.Xf /.x/ D xf .x/; .Df /.x/ D f 0 .x/ (3.11)
Die Operatoren wirken folgendermaßen auf die Monome ei :

Xen D enC1 ; De0 D 0R;R ; Den D nen1 für n > 0 (3.12)

Somit haben X und D folgende Matrizendarstellung in der Monom-Basis:


0 1 0 1
0 0 0 0  0 1 0 0 
B C B C
B1 0 0 0   C B0 0 2 0   C
B C B C
X .e/ DB
B
0 1 0 0   C ;
C D .e/ DB
B
0 0 0 3   C
C (3.13)
B0 0 1 0   C B0 0 0 0   C
@ A @ A
:: :: :: :: :: :: :: :: :: ::
: : : : : : : : : :

Wie sieht es mit den Eigenwerten und Eigenvektoren von X und D aus? Da
die Matrizen unendlich groß sind, können wir kein charakteristisches Polynom er-
mitteln und müssen uns anders behelfen. Im Falle von X suchen wir nach einem
Polynom/einer Potenzreihe f mit der Eigenschaft Xf D f , also

xf .x/ D f .x/ (3.14)

für alle x 2 R und ein festes  2 R. Man sieht sofort, dass das nicht funktionie-
ren kann: x variiert über die gesamte Zahlengerade, aber  bleibt fest. Die einzige
Lösung ist f D 0R;R . Es gibt also keine Eigenwerte und keine Eigenvektoren.
(Als Ausweg werden wir später die Dirac’sche Delta-Distribution kennenlernen.
Der Funktionenraum muss hierfür entsprechend erweitert werden.)
Im Falle von D suchen wir nach einem Polynom/einer Potenzreihe f mit der
Eigenschaft Df D f , also
f 0 .x/ D f .x/ (3.15)
für alle x 2 R und ein festes  2 R. In Pol.R; R/ gibt es offensichtlich keine Lö-
sung, denn die Ableitung verringert den Grad jedes Polynoms um 1. In PR.R; R/
gibt es aber tatsächlich Lösungen: Die Funktionen f .x/ D e x lassen sich in
ganz R durch ihre Potenzreihen darstellen und erfüllen (3.15). In PR.R; R/ hat D
also ein kontinuierliches Spektrum von Eigenwerten: Jede beliebige reelle Zahl 
ist Eigenwert von D. Der zugehörige Eigenraum PR ist jeweils der eindimensio-
nale Raum, der durch die Funktion f .x/ D e x aufgespannt wird, also
˚
PR D f 2 PR.R; R/ j f .x/ D ˛e x ; ˛ 2 R : (3.16)
80 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

Fragen zum Selbstcheck


1. Bilden die Funktionen f W R ! R mit f .0/  0 einen Vektorraum?
2. Was ist eine Schauder-Basis?

3.2 Skalarprodukt und Orthonormalbasis

Die QM spielt sich in Hilbert-Räumen ab. Um Funktionenräume zu Hilbert-Räu-


men zu machen, müssen wir noch ein Skalarprodukt definieren. Dazu betrachten
wir Funktionenräume F .Rn ; K/, wobei K D R oder C. Auf diesen Räumen (ge-
nauer gesagt auf Unterräumen, in denen die folgenden Integrale wohldefiniert sind)
können wir ein Skalarprodukt definieren durch
Z
hf jg i D d n x f  .r/g.r/; (3.17)
Rn

mit r D .x1 ;    ; xn /, und eine Norm somit durch


vZ
u
u
jjf jj D t d n x f  .r/f .r/: (3.18)
Rn

Der Stern für die komplexe Konjugation ist natürlich nur erforderlich, wenn K D
C. Mit dieser Definition erfüllt das Skalarprodukt alle in Abschn. 2.2 genannten
Eigenschaften. Es ist ähnlich zum Skalarprodukt
P auf endlichdimensionalen
R Hilbert-
Räumen: Es wurde nur die Summe ui vi durch das Integral f  .r/g.r/ ersetzt.
Der Ortsvektor r hat gewissermaßen die Rolle des Index i eingenommen.
Wir wollen nur endliche Werte für das Skalarprodukt zulassen. Das ist der Fall
(wie wir gleich zeigen werden) im Raum der quadratintegrablen Funktionen
L2 .Rn ; K/,
8 9
< Z =
L2 .Rn ; K/ D f 2 F .Rn ; K/ j f messbar; d n x f  .r/f .r/ < 1 :
: ;
Rn
(3.19)
Der Begriff der Messbarkeit soll uns hier nicht weiter interessieren. Er stellt sicher,
dass die Integrale wohldefiniert sind. Das hat nichts mit Messung im physikalischen
Sinn zu tun! Die zweite Bedingung besagt, dass jjf jj endlich ist. Für Elemente
des Hilbert-Raums H D L2 .Rn ; K/ werden wir wieder die Bra/Ket-Schreibweise
verwenden.
Die Schwarz’sche Ungleichung

j hf jg i j  jjf jj jjgjj (3.20)

und die Dreiecksungleichung

jjf C gjj  jjf jj C jjgjj (3.21)


3.2 Skalarprodukt und Orthonormalbasis 81

gelten auch in Funktionenräumen (ihr Beweis verwendet an keiner Stelle, dass der
Vektorraum endlichdimensional ist). Aus (3.20) folgt unmittelbar, dass hf jg i für
f , g in L2 .Rn ; K/ endlich ist: Die linke Seite von (3.20) ist endlich, weil es die
rechte ist. Aus (3.21) folgt auch, dass L2 .Rn ; K/ ein Vektorraum ist:
jj˛f C ˇgjj  jj˛f jj C jjˇgjj D j˛j jjf jj C jˇj jjgjj (3.22)
Die linke Seite ist endlich, weil es die rechte ist, somit liegt ˛f C ˇg in L2 .Rn ; K/.

Im Folgenden werden wir einige Orthonormalbasen für diverse L2 -Räume


konstruieren. Auf diese Weise lernen wir, mit diesen unendlichdimensionalen Vek-
torräumen zu rechnen, und begegnen auf dem Weg einigen nützlichen Dingen:
den Legendre-, Hermite- und Laguerre-Polynomen, die alle in späteren Teilen des
Buches noch eine Rolle spielen werden, sowie den Fourier-Reihen, im Reellen und
Komplexen. Dabei finden wir auch unsere erste Pseudo-Basis.

In L2 .R; R/ hat der Ableitungsoperator D wieder keine Eigenvektoren, denn die


Funktionen f .x/ D e ˛x sind offensichtlich nicht quadratintegrabel. In L2 .R; C/,
wo ˛ komplex sein kann, wird es auch nicht besser:
Z1 Z1 Z1
 ˛ x ˛x
hf jf i D dx f .x/f .x/ D dx e e D dx e 2Re.˛/x D 1 (3.23)
1 1 1

Die Polynome in Pol.R; R/ sind ebenfalls nicht quadratintegrabel. Wir wollen


sie daher auf das Intervall Œ1; 1 einschränken, d. h., wir betrachten Pol.Œ1; 1; R/.
Im Intervall Œ1; 1 sind alle Polynome quadratintegrabel, d. h., Pol.Œ1; 1; R/
ist ein Unterraum von L2 .Œ1; 1; R/. Die Monome bilden eine Basis von
Pol.Œ1; 1; R/, allerdings keine Orthonormalbasis. Es ist z. B.
Z1
2
he0 je2 i D dx 1  x 2 D : (3.24)
3
1

Wir wollen zur Übung die Basis fjei ig der Monome zu einer Orthonormalbasis
fjPi ig orthogonalisieren und normieren, zumindest für i D 0 bis 3. Dazu verwen-
den wir das aus der Linearen Algebra bekannte Gram-Schmidt’sche Orthogona-
lisierungsverfahren, an das wir mit der folgenden Aufgabe noch einmal erinnern:

Aufgabe 3.1
Zeigen Sie, dass man mit folgendem iterativem Verfahren aus einer beliebigen
Basis jei i eine Orthonormalbasis jfi i gewinnt:

(i) Man setze


je1 i
jf1 i D : (3.25)
jje1 jj
82 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

(ii) Die ersten k Basisvektoren jf1 i ;    ; jfk i seien schon bekannt. Dann
setze man
ˇ E X k
ˇ Q
ˇfkC1 D jekC1 i  jfi i hfi jekC1 i (3.26)
i D1

und anschließend ˇ E
ˇ Q
ˇfkC1
jfkC1 i D : (3.27)
jjfQkC1 jj

Nun also angewandt auf die Monom-Basis (bitte rechnen Sie mit): Es ist
he0 je0 i D 2, daher normieren wir je0 i zu jP0 i mit
1
P0 .x/ D p : (3.28)
2
Wegen hP0 je1 i D 0 ist je1 i bereits orthogonal zu jP0 i und muss, da he1 je1 i D 23 ,
nur noch normiert werden zu jP1 i mit
r
3
P1 .x/ D x: (3.29)
2
Das nächstep Monom, je2 i, ist bereits orthogonal zu jP1 i, aber nicht zu jP0 i:
hP0 je2 i D 32 . Wir müssen daher
ˇ ˛ jP0 i hP0 je2 i
von je2 i abziehen und erhalten den
ˇ Q
zu jP0 i orthogonalen Vektor P2 mit
p
1 2 1
PQ2 .x/ D x  p
2
D x2  : (3.30)
2 3 3
Dieser muss noch normiert werden:
Z1  2
˝ ˇ ˛ 1 8
PQ2 ˇPQ2 D dx x 
2
D ; (3.31)
3 45
1

woraus sich jP2 i ergibt:


p
5  
P2 .x/ D p 3x 2  1 : (3.32)
2 2
Weiterhin ist je3 i bereits orthogonal zu jP0 i und jP2 i, aber nicht zu jP1 i:

Z1 r p
3 6
hP1 je3 i D dx xx D
3
: (3.33)
2 5
1
3.2 Skalarprodukt und Orthonormalbasis 83

ˇWir˛ ziehen jP1 i hP1 je3 i von je3 i ab und erhalten den zu jP1 i orthogonalen Vektor
ˇPQ3 mit
r p
3 6 3
PQ3 .x/ D x 3
x D x 3  x: (3.34)
2 5 5
Dieser muss noch normiert werden:

Z1 
˝ ˇ ˛ 3 2 8
PQ3 ˇPQ3 D dx x3  x D ; (3.35)
5 175
1

woraus sich jP3 i ergibt:


p
7  
P3 .x/ D p 5x 3  3x : (3.36)
2 2

Diese Prozedur lässt sich beliebig fortsetzen. Das Ergebnis sind Polynome Pi .x/
(wobei Pi ein Polynom i-ten Grades ist), die auf dem Intervall Œ1; 1 orthonormal
zueinander sind:
Z1
dx Pi .x/Pj .x/ D ıij (3.37)
1

Die Pi sind (bis auf einen konstanten Faktor) die Legendre-Polynome, die uns
bei der Behandlung kugelsymmetrischer Probleme in drei Dimensionen wieder
begegnen werden, und zwar in der Form Pi .cos / (cos läuft von 1 bis C1!).

Wenn wir ein Orthonormalsystem in L2 .R; R/ statt L2 .Œ1; 1; R/ finden


wollen, dürfen wir nicht mit den Monomen beginnen, denn diese liegen in
L2 .Œ1; 1; R/, aber nicht in L2 .R; R/. Wir können unseren Ausgangspunkt aber
leicht modifizieren und die Monome mit einem Faktor multiplizieren (z. B. e x =2 ),
2

der sie im Limes x ! ˙1 stark genug abdämpft, so dass sie quadratintegrabel


werden. Wir starten also z. B. mit den Basisfunktionen

en .x/ D e x
2 =2
x n; (3.38)

die einen Unterraum von L2 .R; R/ erzeugen, und können diese nach dem gleichen
Verfahren orthogonalisieren und normieren wie oben. Das Ergebnis sind Funktio-
nen
HQ n .x/ D e x =2 Hn .x/;
2
(3.39)
wobei Hn Polynome n-ten Grades sind und gemäß Orthonormierung die Eigen-
schaft
Z1
e x Hi .x/Hj .x/ D ıij
2
(3.40)
1
84 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

haben. Es handelt sich (bis auf einen konstanten Faktor) um die Hermite-Poly-
nome, denen wir bei der Behandlung des Harmonischen Oszillators wieder
begegnen werden.

Sind wir auf der Suche nach einem Orthonormalsystem in L2 .Œ0; 1/; R/, so
brauchen wir wieder einen Dämpfungsfaktor für die Monome als Ausgangsbasis,
der aber diesmal nur noch in Richtung C1 abdämpfen muss, z. B. e x=2 . Wir star-
ten also diesmal mit
en .x/ D e x=2 x n ; (3.41)
die einen Unterraum von L2 .Œ0; 1/; R/ erzeugen, und können diese wieder ortho-
normieren. Das Ergebnis sind Funktionen

LQ n .x/ D e x=2 Ln .x/; (3.42)

wobei Ln Polynome n-ten Grades sind und gemäß Orthonormierung die Eigen-
schaft
Z1
e x Li .x/Lj .x/ D ıij (3.43)
0

haben. Es handelt sich um die Laguerre-Polynome, denen wir bei der Behandlung
des Wasserstoffatoms wieder begegnen werden, und zwar als Funktion der Radial-
koordinate (die von 0 bis 1 läuft!).

Kehren wir wieder zu den beiden Basen von Pol.Œ1; 1; R/ zurück: der Monom-
Basis jei i und der Orthonormalbasis der Legendre-Polynome jPi i. Wir wollen noch
einige „Fingerübungen“ damit machen.
Zu einer Transformation zwischen zwei Basen gehört eine Transformations-
matrix. Bei unendlichdimensionalen Vektorräumen ist das eine 1  1-Matrix.
In unserem Fall wird die Arbeit etwas erleichtert durch die Tatsache, dass Poly-
nome n-ten Grades sowohl nur die Basisvektoren je0 i ;    ; jen i als auch nur die
Basisvektoren jP0 i ;    ; jPn i beinhalten. Wir können uns also auf Polynome bis
maximal dritten Grades beschränken und erhalten eine 4  4-Matrix. Die Matrix A,
die uns von den Komponenten eines Vektors in der P -Basis zu den Komponenten
eines Vektors in der e-Basis führt, können wir direkt aus den Funktionen P0 .x/ bis
P3 .x/ ablesen: 0 p 1
p1 0  p5 0
B 2 q 2 2 p C
B0 3
 32p72 C
B 0 C
ADB 2 p C (3.44)
B0 0 3p5
0 C
@ 2 2 p A
5p7
0 0 0 2 2
3.2 Skalarprodukt und Orthonormalbasis 85

Ist Ihnen das klar? Wenn nicht, überzeugen Sie sich mithilfe von Beispielen, z. B.
0 p 1
0 p5 1.e/ p1 0  p5 0 0 1.P /
2 2
p
B 2 q 2 2 p C 0
B C B0  32p27 C
CB 0C
3
B p 0 C B 0
B 3 5 C DB 2 p CB C : (3.45)
@ p A B0 0 3p 5
0
@
C 1A
2 2 @ 2 2 p A
0 5p7 0
0 0 0 2 2
p p
Der
p Spaltenvektor
p 2 links entspricht in der e-Basis dem Polynom  5=.2 2/ C
3 5=.2 2/x , der Spaltenvektor rechts entspricht in der P -Basis dem Polynom
P2 .x/, was genau das Gleiche ist.
Umgekehrt gilt:
p
1 D 2P0 .x/ (3.46)
r
2
xD P1 .x/ (3.47)
3
p p
2 2 2
x2 D P0 .x/ C p P2 .x/ (3.48)
3 3 5
p p
6 2 2
x3 D P1 .x/ C p P3 .x/; (3.49)
5 5 7
woraus wir das Inverse von A, A1 ablesen, also die Transformationsmatrix, die
uns von den Komponenten eines Vektors in der e-Basis zu den Komponenten eines
Vektors in der P -Basis führt:
0p p
2
1
2 q0 3
0
p
B 6 C
B 0 2
0 C
1
A DB B 3 p 5 C
(3.50)
@ 0 0 2p2
0 CA
3 5 p
2p2
0 0 0 5 7

Als Nächstes sehen wir uns den X- und D-Operator in der P -Basis an. Beginnen
wir mit D. Es ist
P00 .x/ D 0 (3.51)
r
3 p
P10 .x/ D D 3P0 .x/ (3.52)
2
p
3 5 p
P20 .x/ D p x D 15P1 .x/ (3.53)
2
p p
0 15 7 2 3 7 p p
P3 .x/ D p x  p D 7P0 .x/ C 35P2 .x/: (3.54)
2 2 2 2
86 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

Daraus ergeben sich die Komponenten von D:


0 p p 1
0 3 p0 7 
B C
B0 0 15 p0   C
B C
D .P / DB
B
0 0 0 35   C
C (3.55)
B0 0 0 0   C
@ A
:: :: :: :: ::
: : : : :

Wir halten außerdem für den Moment fest, dass D weder hermitesch noch anti-
hermitesch ist (da die P -Basis eine Orthonormalbasis ist, können wir das direkt
ablesen).

Aufgabe 3.2
Rechnen Sie nach, dass D .P / D A1 D .e/ A, so wie es sein muss.

Für den X-Operator finden wir

1 1
xP0 .x/ D p x D p P1 .x/ (3.56)
2 3
r
3 2 2 1
xP1 .x/ D x D p P2 .x/ C p P0 .x/ (3.57)
2 15 3
p
5 3 2
xP2 .x/ D p .3x 3  x/ D p P3 .x/ C p P1 .x/ (3.58)
2 2 35 15
p
7  
xP3 .x/ D p 5x 4  3x 2 D ‹ (3.59)
2 2

Für den letzten Vektor, X jP3 i, können wir keine Linearkombination angeben,
da wir jP4 i nicht ermittelt haben. Im Gegensatz zum Ableitungsoperator führt der
X-Operator zu Polynomen höheren Grades. Bezeichnen wir mit Pol3 .Œ1; 1; R/
den Unterraum der Polynome vom Grad  3, dann ist D Pol3 .Œ1; 1; R/
Pol3 .Œ1; 1; R/, aber X Pol3 .Œ1; 1; R/ ª Pol3 .Œ1; 1; R/.
So weit sieht die Matrix für den X-Operator also folgendermaßen aus:
0 1
0 p1 0 ‹ 
B 1 3
C
B p3 0 p2 ‹   C
B 15 C
B p2   C
X .P / DB0 0 ‹ C (3.60)
B 15
C
B0 0 p3 ‹   C
@ 35 A
:: :: :: :: ::
: : : : :
3.2 Skalarprodukt und Orthonormalbasis 87

Die Fragezeichen stehen für die unbekannten Koeffizienten von jP0 i bis jP3 i in
X jP3 i. Können wir diese Koeffizienten bestimmen, ohne jP4 i zu kennen? Die Ant-
wort ist ja.
Bestimmt ist Ihnen schon aufgefallen, dass Pn für gerade n nur gerade Potenzen
von x enthält, für ungerade n nur ungerade Potenzen. Das lässt sich leicht per Induk-
tion aus der Art und Weise ableiten, wie wir die Pn konstruieren: Wir beginnen mit
dem Monom x n und orthogonalisieren dies zu den bereits ermittelten Pk mit k < n.
Für gerade n ist x n aber bereits orthogonal zu allen ungeraden Potenzen von x, für
R1
ungerade n orthogonal zu allen geraden Potenzen von x, denn 1 dx x n x p D 0
für n C p ungerade. Nach Induktionsannahme besteht Pk für k < n bereits nur
aus geraden/ungeraden Potenzen von x, wenn k gerade/ungerade ist. Also muss
Pn nur noch zu solchen Pk orthogonalisiert werden, die wie n gerade/ungerade
sind. Dabei werden zu x n nur solche Potenzen von x addiert/subtrahiert, die wie n
gerade/ungerade sind. Es folgt der Induktionsschluss, dass auch Pn nur aus gera-
den/ungeraden Potenzen von x besteht.
Das Polynom X jP3 i besteht nur aus geraden Potenzen von x und enthält daher
keinen Anteil von jP1 i und jP3 i. Das zweite und vierte Fragezeichen können wir
also gleich 0 setzen. Wie steht es mit den Anteilen von jP0 i und jP2 i (erstes und
drittes Fragezeichen)? Hier kommt uns gelegen,
P dass wir in einer Orthonormalba-
sis operieren. Dadurch gilt nämlich jvi D n jPn i hPn jv i. Insbesondere gilt für
den .ij / Eintrag in der Matrix X .P / :

Z1
.P / ˝ ˛
Xij D Pi jXj Pj D dx Pi .x/xPj .x/ (3.61)
1
Z1
˝ ˛ .P /
D dx Pj .x/xPi .x/ D Pj jXj Pi D Xj i (3.62)
1

Der X-Operator ist also symmetrisch (als Matrix in einer Orthonormalbasis) und
somit auch hermitesch (basisunabhängige Aussage). Somit können wir auch die
verbleibenden Fragezeichen durch Werte ersetzen:
0 1
0 p1 0 0 
B 1 3
C
B p3 0 p2 0   C
B 15 C
B p2 p3   C
X .P / DB 0 0 C: (3.63)
B 15 35
C
B0 0 p3 0   C
@ 35 A
:: :: :: :: ::
: : : : :

Wir konnten also Aussagen über die Zusammensetzung von X jP3 i machen, oh-
ne dass wir die dazu eigentlich ausschlaggebende Funktion P4 .x/ berechnet ha-
ben. „Normalerweise“ hätten wir P4 .x/ bestimmen müssen, den jP4 i-Anteil von
88 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

X jP3 i abziehen, sehen, welche Koeffizienten von x 0 und x 2 noch übrig bleiben,
und daraus dann wiederum die Anteile von jP0 i und jP2 i ermitteln. Indem wir uns
Aussagen aus der Linearen Algebra zunutze gemacht haben, konnten wir uns die-
se Rechnung sparen. Die Stärke dieser algebraischen Sichtweise wird sich immer
wieder zeigen, am eindrucksvollsten vielleicht am Harmonischen Oszillator.

Aufgabe 3.3
Berechnen Sie P4 .x/ durch Orthogonalisieren von x 4 zu P0 und P2 , und be-
stimmen Sie die Zusammensetzung von X jP3 i daraus.

Aufgabe 3.4
Berechnen Sie A1 X .e/ A (wobei alle Matrizen auf die ersten vier Zeilen
und Spalten eingeschränkt sind, analog zur gleichen Aufgabe mit dem D-
Operator.) Warum passt das Ergebnis diesmal nicht zu X .P / ?

Eine andere Basis für einen Raum von Funktionen Œ1; 1 ! R ist durch die
Fourier-Zerlegung gegeben. Dazu betrachten wir den Raum Four.Œ1; 1; R/ von
Funktionen f W Œ1; 1 ! R mit folgenden Eigenschaften (den sog. Dirichlet-
Bedingungen):

 f .1/ D f .1/
 f hat nur endlich viele Maxima und Minima.
(Ein Gegenbeispiel wäre f .x/ D sin.1=x/ für x ¤ 0, f(0)=0.)
 f hat nur endlich viele Unstetigkeiten.
 An jeder Unstetigkeit x0 gilt

1
f .x0 / D lim f .x/ C lim f .x/ ; (3.64)
2 x%x0 x&x0

d. h., f .x0 / ist der Mittelwert aus rechts- und linksseitigem Grenzwert. (Wenn
x0 D ˙1 ist, muss auf der rechten Seite limx%1 f .x/ und limx&1 f .x/ stehen.)
Ein Beispiel ist die Theta-Funktion, .x/ D 0 für x < 0, .x/ D 12 für x D 0,
.x/ D 1 für x > 0.

Aufgabe 3.5
Überzeugen Sie sich, dass die Funktionen mit diesen Eigenschaften einen
Vektorraum bilden.
3.2 Skalarprodukt und Orthonormalbasis 89

Nach einem Satz von Dirichlet lässt sich jede dieser Funktionen in einer Fourier-
Reihe entwickeln,
X1
1
f .x/ D a0 p C an cos nx C bn sin nx: (3.65)
2 nD1
Die Funktionen jvi i mit
1
v0 .x/ D p ; v2n .x/ D cos nx; v2n1 .x/ D sin nx; n 2 N; (3.66)
2
bilden bereits eine Orthonormalbasis (und zwar als Schauder-Basis!) des Raums
Four.Œ1; 1; R/, denn es gilt
Z1
1
hv0 jv0 i D dx D 1 (3.67)
2
1
Z1
1
hv0 jv2n i D dx p cos nx D 0 (3.68)
2
1
Z1
1
hv0 jv2n1 i D dx p sin nx D 0 (3.69)
2
1
Z1
hv2m jv2n i D dx cos mx cos nx D ımn (3.70)
1
Z1
hv2m1 jv2n1 i D dx sin mx sin nx D ımn (3.71)
1
Z1
hv2m jv2n1 i D dx cos mx sin nx D 0: (3.72)
1
Daher lassen
P sich die Koeffizienten wieder mit Skalarprodukten ermitteln, es ist
jf i D 1 i D0 jvi i hvi jf i, also
Z1
1
a0 D hv0 jf i D dx f .x/ (3.73)
2
1
Z1
an D hv2n jf i D dx cos nxf .x/ (3.74)
1
Z1
bn D hv2n1 jf i D dx sin nxf .x/: (3.75)
1
90 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

Der Ableitungsoperator D in dieser Basis ergibt sich aus


0 0
v2n .x/ D n sin nx; v2n1 .x/ D n cos nx; (3.76)

also 0 1
0 0 0 0 0 
B0 0    C
B 0 0 C
B C
B0  0 0 0   C
D .v/ DB
B0 0 0 0 2
C
  C : (3.77)
B C
B0 0 0 2 0   C
@ A
:: :: :: :: :: ::
: : : : : :
Man erkennt, dass D in dieser Basis antisymmetrisch ist. Also ist D auf dem Funk-
tionenraum Four.Œ1; 1; R/ antihermitesch (eine basisunabhängige Aussage). Was
unterscheidet Four.Œ1; 1; R/ von PR.Œ1; 1; R/, dass D diese Eigenschaft im
einen Fall hat, im anderen jedoch nicht? Es ist

Z1
˝ ˛
dx vi .x/vj0 .x/
.v/
Dij D vi jDj vj D (3.78)
1
Z1
D dx vi0 .x/vj .x/ C vi .x/vj .x/j11 (3.79)
1
˝ ˛ .v/
D  vj jDj vi C 0 D Dj i : (3.80)

Der Randterm in der zweiten Zeile verschwindet, weil wir es mit periodischen
Funktionen zu tun haben: Es ist also immer vi .1/ D vi .1/. Genau darin liegt
der Unterschied zum Raum der Potenzreihen PR.Œ1; 1; R/.
Dieses Ergebnis lässt sich problemlos verallgemeinern: Auf einem Funktionen-
raum F .Œa; b; K/ ist der Ableitungsoperator D genau dann antihermitesch,
wenn f .a/ D f .b/ für alle f 2 F .Œa; b; K/.
Das gilt auch im Limes a ! 1, b ! 1, also für Funktionenräume F .R; K/.
Hier muss limx!1 f .x/ D limx!1 f .x/ sein, damit D antihermitesch ist. Das
ist für den Raum der quadratintegrablen Funktionen, L2 .R; K/, erfüllt, denn die
Funktionen dieses Raums konvergieren im Unendlichen gegen 0.

Der X-Operator sieht in der Fourier-Basis recht kompliziert aus. Seine Kompo-
.v/ ˝ ˛
nenten Xij D vi jXj vj sind durch die zugehörigen Integrale gegeben, die wir
hier aber nicht berechnen wollen. Wie in jeder Orthonormalbasis ist X .v/ symme-
trisch. Sie können an dieser Stelle exemplarisch die erste Zeile/Spalte bestimmen:
3.2 Skalarprodukt und Orthonormalbasis 91

Aufgabe 3.6
Zeigen Sie durch partielle Integration, dass
1 p
X .1/n 2
X jv0 i D jv2n1 i : (3.81)
nD1
n

Inwieweit lassen sich die Schauder-Basis jPi i von PR.Œ1; 1; R/ und jvi i von
Four.Œ1; 1; R/ ineinander transformieren? Es ist klar, dass diese Basistransfor-
mation nur auf der Schnittmenge der beiden Funktionenräume funktionieren kann.
Es gibt Elemente von PR.Œ1; 1; R/, die sich nicht als Fourier-Reihen darstellen
lassen, weil sie nicht alle oben aufgezählten Voraussetzungen von Dirichlets Satz
erfüllen. Dazu gehören insbesondere alle Funktionen f mit f .1/ ¤ f .1/. Umge-
kehrt gibt es Fourier-Reihen, die sich nicht als Potenzreihe darstellen lassen. Dazu
gehören insbesondere die nichtstetigen Funktionen, wie z. B. die oben genannte
-Funktion.
Die Basisvektoren jvi i lassen sich als Potenzreihen darstellen,
1
X 1
X
.nx/2kC1 .nx/2k
sin nx D .1/k ; cos nx D .1/k ; (3.82)
.2k C 1/Š .2k/Š
kD0 kD0

also als unendliche Linearkombinationen der Monome. Für jedes Monom lässt sich
berechnen, wie es sich als Kombination von Legendre-Polynomen schreiben lässt.
Daraus kann man im Prinzip die unendliche Transformationsmatrix von der v-Basis
in die P -Basis ermitteln. Aber lässt sie sich auch anwenden?
Das Problem liegt in der Unmöglichkeit, Reihen beliebig umzuordnen. Die
Reihe 1  12 C 13  14 ˙    konvergiert bekanntlich gegen ln 2. Versucht man aber
die Terme umzusortieren, ergibt sich nicht mehr das gleiche Ergebnis oder gar
keines
 mehr. Zieht man beispielsweise
 die positiven Terme nach vorne, schreibt
also 1 C 13 C     12 C 14 C    , dann erhält man zwei divergierende Reihen,
mit denen nichts mehr anzufangen ist.
Bei der -Funktion wissen wir schon, dass etwas schiefgehen muss, denn eine
zugehörige Potenzreihe kann es nicht geben. Man rechnet leicht nach, dass .x/ im
Intervall Œ1; 1 durch die Fourier-Reihe

1 2 sin x sin 3x sin 5x
.x/ D C C C C (3.83)
2  1 3 5

gegeben ist. Wenn wir nun versuchen, daraus eine Potenzreihe zu machen, indem
wir die einzelnen Sinus-Funktionen als Potenzreihen schreiben, zu addieren und
92 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

anschließend nach Potenzen von x zu sortieren, merken wir, dass das nicht funk-
tioniert. Schon der Koeffizient von x 1 , 2.1 C 1 C 1 C    /, divergiert, und die
Koeffizienten der höheren Monome divergieren ebenfalls.
Das Verfahren funktioniert noch nicht einmal in der Schnittmenge von
PR.Œ1; 1; R/ und Four.Œ1; 1; R/. Aus (3.81) wissen wir, dass in Œ1; 1

2 sin x sin 2x sin 3x sin 4x
xD  C  ˙  : (3.84)
 1 2 3 4

Wenn man nun umgekehrt versucht, die rechte Seite als Summe von Potenzreihen
zu schreiben und nach Potenzen von x zu sortieren, würde man vielleicht erwarten,
die linke Seite wiederzufinden, also den Koeffizienten 1 für x 1 und 0 für alle ande-
ren. Das ist aber nicht der Fall. Der Koeffizient für x 1 ist 2.1  1 C 1  1 ˙    /, und
für alle höheren ungeraden Potenzen von x divergieren die Koeffizienten ebenfalls.
Das ist das Problem mit Schauder-Basen. Man hat ständig mit unendlichen
Reihen zu tun, die man nicht umsortieren darf, und mit Basisvektoren, die man
nicht beliebig kombinieren darf. Dadurch treten einige Regeln, die man aus der
Linearen Algebra endlichdimensionaler Vektorräume kennt, außer Kraft. Bei der
Umrechnung zwischen der e- und der P -Basis von PR.Œ1; 1; R/ gab es das Pro-
blem nicht, weil hier jedes Element der einen Basis nur Beiträge aus endlich vielen
Elementen der anderen Basis hatte.

Wenn wir komplexe Fourier-Reihen betrachten, Four.Œ1; 1; C/, bietet sich eine
Basis an, mit der sich etwas leichter rechnen lässt als mit der v-Basis: Die neue
Basis jwi i ist gegeben durch

1 1 1
w0 .x/ D p ; w2n .x/ D p e i nx ; w2n1 .x/ D p e i nx : (3.85)
2 2 2

Alle komplexwertigen Funktionen auf dem Intervall Œ1; 1, die die Dirichlet-Be-
dingungen erfüllen, lassen sich als Reihe in dieser Basis ausdrücken. Wieder handelt
es sich um eine Orthonormalbasis. Beachten Sie, dass jetzt im Skalarprodukt der
erste Faktor komplex konjugiert werden muss, z. B.

Z1 Z1
 1
hw2n jw2n i D dx w2n .x/w2n .x/ D dx e i nx e i nx D 1: (3.86)
2
1 1

Aufgabe 3.7 ˝ ˇ ˛
Zeigen Sie, dass die w-Basis orthonormal ist, wi ˇwj D ıij .

Die v-Basis ist auch noch eine Basis von Four.Œ1; 1; C/, die Reihenkoeffizien-
ten sind jetzt komplexwertig. Die beiden Basen lassen sich ganz leicht ineinander
3.2 Skalarprodukt und Orthonormalbasis 93

umrechnen. Wegen

1
e ix D cos x C i sin x ) jw2n i D p .jv2n i C i jv2n1 i/ ; (3.87)
2
1
e ix D cos x  i sin x ) jw2n i D p .jv2n i  i jv2n1 i/ (3.88)
2

lautet die Transformationsmatrix von der w-Basis in die v-Basis


0 1
1 0 0 0 0 
B0  pi pi 0   C
B 0 C
B 2 2 C
B0 p1 p1 0 0   C
B 2 2 C
T D B0 0  pi 2 pi 2    C : (3.89)
B 0 C
B C
B0 0 0 p1 p1   C
@ 2 2 A
:: :: :: :: :: ::
: : : : : :

Aufgrund ihrer Blockdiagonalform lässt sich diese unendliche Matrix leicht inver-
tieren. Die Transformationsmatrix von der v-Basis in die w-Basis lautet demnach
0 1
1 0 0 0 0 
B0 pi p1 0   C
B 0 C
B 2 2 C
B0  pi p1 0 0   C
1 B 2 2 C
T D B0 pi p1    C: (3.90)
B 0 0 C
B 2 2 C
B0 0 0  pi 2 p12    C
@ A
:: :: :: :: :: ::
: : : : : :

Das passt zu den Relationen

i  ix  1
sin x D e  e ix ) jv2n1 i D p .i jw2n1 i  i jw2n i/ ; (3.91)
2 2
1  ix  1
cos x D e C e ix ) jv2n i D p .jw2n1 i C jw2n i/ : (3.92)
2 2

Wenn Sie die Integrale in (3.70)–(3.72) nicht glauben, können Sie die Orthonorma-
lität der v-Basis aus der Orthonormalität der w-Basis ableiten:

Aufgabe 3.8
Zeigen Sie mithilfe der Orthonormalität
˝ ˇ ˛ der w-Basis und mit den Relationen
(3.91) und (3.92), dass vi ˇvj D ıij für i; j > 0. Berechnen Sie keine
Integrale, sondern nutzen Sie die bereits bekannten Skalarprodukte.
94 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

e D ˛e ˛x
d ˛x
Der Ableitungsoperator D ist dank der einfachen Ableitungsregel dx
in der w-Basis bereits diagonal,
0 1
0 0 0 0 0 
B0 i   C
B 0 0 0 C
B C
B0 0 i 0 0   C
D .w/ DB
B0 0 0 2i 0
C
  C : (3.93)
B C
B0 0 0 0 2i   C
@ A
:: :: :: :: :: ::
: : : : : :

Die w-Basis ist also die Eigenbasis von D. Wie es sich für einen antihermiteschen
Operator gehört, hat D nur imaginäre Eigenwerte.

Aufgabe 3.9
Zeigen Sie D .w/ D T 1 D .v/ T .

Die w-Basis ist „einfacher“ als die v-Basis, da man mit Exponentialfunktio-
nen einfacher rechnet als mit Sinus und Cosinus. Auch die reellen Funktionen
in Four.Œ1; 1; R/ lassen sich als Linearkombinationen der Funktionen aus der
w-Basis schreiben: Setzen wir
1
X
f .x/ D ˛0 C ˛n e i nx C ˇn e i nx (3.94)
nD1

p
(wobei wir die Faktoren 1= 2 in die Koeffizienten ˛n und ˇn absorbiert haben),
dann sehen wir, dass f genau dann reell ist, wenn ˛0 reell ist und ˇn D ˛n für alle n.
Obwohl die w-Basis aus Funktionen besteht, die nicht in Four.Œ1; 1; R/ liegen
(da sie komplex sind), können wir sie als Schauder-Basis für Four.Œ1; 1; R/
verwenden. Es müssen nur bestimmte Relationen für die Koeffizienten gelten,
damit eine Linearkombination der Basis-Vektoren in Four.Œ1; 1; R/ liegt. Aber
diese Aussage trifft auf Schauder-Basen ja ohnehin schon zu: Nicht jede belie-
bige unendliche Linearkombination der Basis-Vektoren ergibt ein Element des
Funktionenraums. Die Einschränkung wird hier nur ein wenig verschärft, wenn
wir uns auf einen Raum einschränken, zu dem die Basisvektoren gar nicht ge-
hören.
Da die Basis-Vektoren gar nicht in dem Raum liegen, als deren Basis sie die-
nen, spricht man besser von einer Pseudo-Basis und von den Basis-Vektoren als
Pseudo-Vektoren oder auch Uneigentliche Vektoren. Im nächsten Abschnitt wer-
den wir zwei Pseudo-Basen für den Raum L2 .R; C/ der quadratintegrablen Funk-
tionen konstruieren, die für die QM sehr wichtig sind.
3.3 Pseudo-Vektoren und Fourier-Transformation 95

Fragen zum Selbstcheck


1. Wie sind Skalarprodukt und Norm in L2 .R; C/ definiert?
2. Auf welchen Funktionenräumen ist der Ableitungsoperator D antihermi-
tesch?
3. Was bedeutet der Satz: „Die Funktionen e i nx , n 2 Z, bilden eine Pseudo-
Basis von Four.Œ1; 1; R/“?

3.3 Pseudo-Vektoren und Fourier-Transformation

In diesem Abschnitt befassen wir uns mit dem Raum L2 .R; C/ der quadratintegra-
blen Funktionen. Wir wollen jeweils eine Pseudo-Basis konstruieren, in denen der
X- bzw. D-Operator diagonal ist, d. h. in denen die Pseudo-Basisvektoren Pseudo-
Eigenvektoren des jeweiligen Operators sind. Diese beiden Basen sind von grund-
legender Bedeutung für die QM der Wellenfunktionen.
Wir erinnern uns an die Eigenwertgleichung für den X-Operator (3.14). Das
Problem war dort, dass der Faktor x auf der linken Seite über die gesamte Zah-
lengerade variiert, während der Faktor  rechts fest sein soll. In PR.R; R/ gab es
dafür keine Lösung. Eine Lösung müsste eine Funktion sein, die nur bei einem ein-
zigen x-Wert einen Beitrag liefert. In L2 .R; C/ gibt es solche Funktionen für jeden
reellen Wert : Setze f .x/ D 0 für x ¤ , f ./ D a mit irgendeiner Konstan-
ten a. Die Funktionen f sind Eigenvektoren zum Eigenwert , (3.14) ist erfüllt.
Damit gibt es aber Rein Problem: Das Skalarprodukt von f mit jeder Funktion g in
1
L2 .R; C/ ist null: 1 dx f .x/g.x/ D 0. Damit kommt f nicht als Basisvektor
in Frage.
Der Ausweg besteht darin, statt der Funktionen f die Dirac’schen Delta-Dis-
tributionen ı .x/ WD ı.x  / zu verwenden. Diese sind definiert durch

Z1
ı .x/ D 0 für x ¤ ; dx ı .x/g.x/ D g./: (3.95)
1

R1
Mit g.x/ D 1 ergibt sich insbesondere 1 dx ı .x/ D 1. Bildlich gesprochen ist
ı eine Version von f , in der der Wert a so „ins Unendliche hochmultipliziert“
wurde, dass das Skalarprodukt eben doch nicht verschwindet. ı ist keine Funkti-
on im eigentlichen Sinne, denn der Funktionswert ı ./ ist nicht definiert. Einfach
„ı ./ D 1“ zu sagen, reicht nicht, denn weder liegt 1 in C, noch ist dadurch
das Integral festgelegt. Immerhin können wir sagen, dass ı reell ist in folgendem
formalem Sinn: Wenn man die hintere Gleichung in (3.95) formal komplex konju-
giert,
Z1
dx ı .x/g  .x/ D g  ./; (3.96)
1
96 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

erhält man das Gleiche, wie wenn man ı selbst auf g  wirken lässt,
Z1
dx ı .x/g  .x/ D g  ./: (3.97)
1

Die Wirkungen von ı und ı unter dem Integral sind also gleich, und in diesem
Sinn können wir ı D ı schreiben und somit
Z1 Z1
hı jf i D dx ı .x/f .x/ D dx ı .x/f .x/ D f ./: (3.98)
1 1

Als Pseudo-Vektor ist ı nicht quadratintegrabel:


Z1
hı jı i D dx ı .x/ı .x/ D ı ./ D undefiniert (3.99)
1

Obwohl die ı nicht in L2 .R; C/ liegen, taugen sie als Pseudo-Basis von L2 .R; C/.
Wir schreiben im Folgenden x0 (bzw. x1 etc. oder einfach nur x) statt , da es sich
um einen bestimmten x-Wert handelt, an dem ıx0 einen Beitrag liefert, und jx0 i
für den Vektor ıx0 . Damit folgen wir der Konvention der Ket-Schreibweise, den
Eigenwert selbst als Bezeichnung des Vektors zu wählen.

Die Menge fjx0 i ; x0 2 Rg bildet also eine Pseudo-Basis von L2 .R; C/. Sie ist
orthogonal,
Z1
hx0 jx1 i D dx ıx0 .x/ıx1 .x/ D ıx1 .x0 / D 0 für x1 ¤ x0 : (3.100)
1

Sie ist vollständig, denn durch die Werte f .x/ D hx jf i für alle x 2 R ist f
vollständig bestimmt. Sie ist keine Schauder-Basis (auch keine Pseudo-Schauder-
Basis), denn sie ist nicht abzählbar, sondern kontinuierlich und somit überabzählbar.
Man kann daher f nicht als Summe (auch nicht als unendliche Summe) der Basis-
Vektoren schreiben, sondern nur als Integral:
Z1 Z1
jf i D dx jxi hx jf i D dx f .x/ jxi (3.101)
1 1

Wir werden uns den Zusatz „Pseudo“ im Folgenden hin und wieder sparen. Es
sollte mittlerweile klar sein, dass sie nicht in L2 .R; C/ liegen. Außerdem sind die
jxi ja Vektoren, nur eben in einem anderen Vektorraum, z. B. im Vektorraum der
Distributionen. Die Vektoren jx0 i also sind Eigenvektoren des X-Operators, es gilt
X jx0 i D x0 jx0 i. Man sagt, der X-Operator sei „diagonal“ in der x-Basis, obwohl
man sich auf einer überabzählbaren Basis einen Operator nicht mehr als aus Zeilen
3.3 Pseudo-Vektoren und Fourier-Transformation 97

und Spalten bestehende Matrix vorstellen kann. Formal kann man aber immer noch
schreiben:
Xx.x/
1 x2
D hx1 jXj x2 i D x2 ı.x1  x2 / (3.102)
Man kann die Delta-Distribution auf verschiedene Weise ansehen:

 als Dichteverteilung eines Punktteilchens. Die Dichte verschwindet überall au-


ßer an einem Punkt, wo sie unendlich hoch ist. Das Integral über die Dichte
liefert einen bestimmten Wert (z. B. die Masse des Teilchens, wenn wir von der
Massendichte sprechen).
 als kontinuierliche Version von Basisvektor-Komponenten. So wie im abzähl-
.i /
baren Fall der i-te Basisvektor e.i / die Komponenten ej D ıij hat, so hat im
kontinuierlichen Fall der Basisvektor e.x0 / WD jx0 i die „Komponenten“

e.x0 / .x/ D ıx0 .x/ D ı.x  x0 /: (3.103)

 als Matrixeinträge der Einheitsmatrix. So wie im abzählbaren Fall 1ij D


hi j1j j i D ıij gilt, so gilt im kontinuierlichen Fall

1xx 0 D hx j1j x 0 i D ı.x  x 0 / (3.104)

und somit
Z1 Z1 Z1
0 0
1D dx dx jxi 1xx 0 hx j D dx jxi hxj : (3.105)
1 1 1

Hier ist also der Eins-Operator das Integral über alle Projektionsoperatoren
jxi hxj. Die Definition des Skalarprodukts auf L2 .R; C/ kann man nun aus dem
abstrakten Skalarprodukt durch Einfügen einer Eins gewinnen:

Z1 Z1
hf jg i D hf j1j gi D dx hf jx i hx jg i D dx f  .x/g.x/ (3.106)
1 1

 als lineares Funktional (eine Linearform auf einem Funktionenraum heißt Funk-
tional), das jeder Funktion f eine Zahl zuordnet: ıOx0 .f / WD hx0 jf i D f .x0 /.

Streber-Ecke 3.1
Obwohl wir den mathematischen Hintergrund schon sehr viel ausführlicher
behandeln als die meisten andern QM-Bücher, können viele Aspekte nur am
Rande gestreift werden. Man kann sich z. B. fragen, wie es mit dem Dualraum
von L2 .R; C/ steht. Bei unendlichdimensionalen Vektorräumen muss der
Dualraum V 0 eines Vektorraums V nämlich nicht mehr isomorph zu V sein.
Welche Auswirkungen ergeben sich daraus für unsere Bra/Ket-Schreibweise,
98 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

wo ja der Bra-Vektor dem Dualraum von L2 .R; C/ entstammt? Zum Glück


kann man zeigen (siehe z. B. [Alt (2012)]), dass der Dualraum von L2 .R; C/
wieder L2 .R; C/ ist, es ergeben sich also keine zusätzlichen Komplikationen.
Den aufmerksamen Leser macht das vielleicht stutzig. Haben wir nicht
gerade gesagt, dass die Delta-Distribution ein lineares Funktional ist? Nun
soll sie aber trotzdem nicht dem Dualraum von L2 .R; C/ angehören? Hierfür
gibt es zwei Gründe:

1. Als Funktional ist die Delta-Distribution nicht stetig. Wäre ıO stetig, dann
müsste insbesondere gelten: Für jedes > 0 gibt es ein ı > 0, so dass
ıO .f /  ıO .0R;C / < , wenn jjf  0R;C jj < ı. Setzen wir aber f D f
mit f wie oben: f .x/ D 0 für x ¤ , f ./ D a und a > , dann ist
p
jjf  0R;C jj D hf jf i D 0 < ı; (3.107)

aber
ıO .f /  ıO .0R;C / D a > : (3.108)
Im Endlichdimensionalen ist jede lineare Funktion und jedes lineare Funk-
tional stetig, im Unendlichdimensionalen nicht.
Damit bestimmte Sätze gelten, definiert man den Dualraum aber nur als
Menge der stetigen linearen Funktionale. Distributionen müssen hingegen
nicht stetig sein.
2. Dass die f -Funktionen Norm null haben, stellt in der Mathematik ein
Problem dar. Denn per Definition darf nur der Null-Vektor – in unserem
Fall 0R;C – Norm null haben. Daher definiert man Funktionen in L2 .R; C/
als äquivalent, wenn sie sich nur auf einer Nullmenge (einer Punkmen-
ge der Ausdehnung null) unterscheiden. Nach dieser Definition ist f
„dasselbe Element“ von L2 .R; C/ wie 0R;C . Auch aus physikalischer
Sicht macht diese Gleichsetzung Sinn: Wir werden die Funktionen aus
L2 .R; C/ (bzw. ihr Betragsquadrat) als Wahrscheinlichkeitsdichte inter-
pretieren. Um echte Wahrscheinlichkeiten zu berechnen, muss man immer
ein Integral bilden. Funktionen, die sich nur auf Nullmengen unterschei-
den, führen beim Integrieren immer zum gleichen Ergebnis.
Mit dieser Definition ist die Delta-Distribution aber überhaupt kein
Funktional auf L2 .R; C/ mehr. Denn wenn f „dasselbe Element“ von
L2 .R; C/ ist wie 0R;C , aber ıO zwei unterschiedliche Ergebnisse liefert
(nämlich einmal a und einmal 0), dann ist ıO nicht mehr wohldefiniert.

Tatsächlich nimmt man in der QM fast immer an, dass die Funktionen nicht
nur quadratintegrabel, sondern auch stetig sind. Das heißt, man hat es mit
L2 .R; C/ \ C 0 .R; C/ zu tun, der Schnittmenge der quadratintegrablen und
stetigen Funktionen. Hier ist ıO wieder wohldefiniert, denn stetige Funktionen
3.3 Pseudo-Vektoren und Fourier-Transformation 99

unterscheiden sich niemals nur auf einer Nullmenge. Dafür handelt man sich
wieder neue Probleme ein, denn der Dualraum von L2 .R; C/ \ C 0 .R; C/
ist nicht mehr isomorph zu L2 .R; C/ \ C 0 .R; C/. Und ob ıO stetig ist und
somit zum Dualraum gehört, hängt davon ab, welche Norm man zugrunde
legt. In der L2 -Norm, die über das Integral definiert ist, ist ıO nicht stetig. In
der C 0 -Norm, definiert über das Supremum des Betrags der Funktion,
jjf jjC 0 WD sup.jf j/; (3.109)

ist ıO stetig.


Diese Vermischung mehrerer Funktionenräume hat zum Begriff des
Gelfand’schen Raumtripels S.R; C/
L2 .R; C/
S  .R; C/ geführt.
Darin ist S ein Unterraum von L2 , nämlich der Raum der „physikalisch
sinnvollen“ Funktionen, für die zusätzliche Eigenschaften gelten (Stetigkeit,
Differenzierbarkeit, womöglich noch weitere Bedingungen). Der Dualraum
S  von S ist größer als L2 , er enthält z. B. Distributionen wie die Delta-
Distribution. In Bra/Ket-Ausdrücken hf jg i kann dann hf j ein Element von
S  sein, wenn jgi ein Element von S ist. Über hg jf i D hf jg i ist auch die
umgekehrte Konstellation definiert.

Wie man sieht, gerät man leicht in Teufels Küche, wenn man versucht,
jede mathematische Feinheit zu berücksichtigen. Weitere Probleme ergeben
sich aus der Frage, ob man auch quadratintegrable Funktionen mit Polstellen
berücksichtigen möchte (wie z. B. f .x/ D jxj1=2 e x ). Solche Funktio-
2

nen sind in L2 .R; C/ zunächst nicht enthalten, denn dort muss jedem reellen
Wert ein komplexer Wert (und nicht etwa 1) zugewiesen werden. Wenn man
Funktionen mit Polstellen einbezieht, ist ıO wieder nicht für Funktionen defi-
niert, die in  eine Polstelle haben usw.
Als Physiker macht man sich über solche Feinheiten im Allgemeinen nur
wenig Gedanken. Das ist auch richtig so. Nicht so sehr, weil es für die prak-
tischen Rechnungen keine Rolle spielt. (Man will ja verstehen, was man tut,
nicht nur Kochrezepte anwenden.) Sondern weil man in der Physik jede Theo-
rie zunächst einmal als eine Näherung anzusehen hat, die auf bestimmten
Skalen gilt, aber irgendwo ihre Gültigkeit verliert. Wir wissen z. B. nicht, ob
der Raum auf einer Skala von 1033 cm noch die gleiche dreidimensionale
kontinuierliche Qualität hat wie auf den uns bekannten Skalen. Wir können
nicht einmal sagen, ob der Raum unendlich viele Punkte hat, oder ob das
Kontinuum nur eine von uns genutzte Näherung ist. Auch im Großen wissen
wir nicht, ob das Universum unendliche Ausdehnung hat. Daher spielen viele
Unterscheidungen, die in der Mathematik exakt zu treffen sind, in der Physik
keine so große Rolle. Wir rechnen beispielsweise mit der Delta-Distribution
als Dichteverteilung, wenn wir es mit Objekten zu tun haben, deren Ausdeh-
nung kleiner ist als die Auflösung unserer besten Messapparate. Oder kleiner
100 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

als alle anderen Größen, die in unserer Rechnung vorkommen. Ob das Objekt
tatsächlich unendlich klein ist oder nur ungeheuerlich klein, darüber können
wir oft keine Aussage machen. Ob der Hilbert-Raum unserer Welt wirklich
unendlichdimensional ist oder nur von unvorstellbar großer, aber endlicher
Dimension, das wissen wir auch nicht. Deshalb tun wir gut daran, uns nicht
in mathematischen Subtilitäten zu verlieren.
Dennoch halte ich es für wichtig, auch als Physiker etwas von den
mathematischen Grundlagen zu verstehen und nicht nur vage über alles hin-
wegzufegen. Daher nimmt dieser Teil des Buches auch einen entsprechenden
Raum ein.

Wie sieht der Ableitungsoperator D in der x-Basis aus? Hierfür nutzen wir die
Ableitung der Delta-Distribution, die formal durch ihre Wirkung auf differenzierba-
re Funktionen unter dem Integral definiert ist. Dafür definiert man mittels partieller
Integration
Z1 Z1
0
dx ıx0 .x/f .x/ WD  dx ıx0 .x/f 0 .x/ D f 0 .x0 /: (3.110)
1 1

Daraus folgert man, dass


 
Dxx 0 D hx jDj x 0 i D ı 0 x  x 0
.x/
(3.111)
(wir gebrauchen ı 0 .x  x 0 / synonym zu ıx0 0 .x/ und d
dx
ı .x  x 0 /), denn dann ist
Z1
hx jDj f i D dx 0 hx jDj x 0 i hx 0 jf i (3.112)
1
Z1
d  
D dx 0 ı x  x 0 f .x 0 / (3.113)
dx
1
Z1
d  
D dx 0 0
ı x  x 0 f .x 0 / (3.114)
dx
1
Z1
d
D dx 0 ı.x 0  x/f .x 0 / (3.115)
dx 0
1
d
D f .x 0 /jx 0 Dx D f 0 .x/: (3.116)
dx 0
So muss es auch sein, denn hx jDj f i bedeutet die Ableitung von f , ausgewertet
an der Stelle x. In der Rechnung haben wir verwendet, dass
d   d    
ı x  x0 D  0 ı x  x0 ; ı x  x 0 D ı.x 0  x/: (3.117)
dx dx
3.3 Pseudo-Vektoren und Fourier-Transformation 101

Ersteres ist eine Standard-Ableitungsregel, die formal auch für Distributionen gel-
ten muss, Zweiteres folgt daraus, dass ı .x  x 0 /, wie oben gezeigt, reell ist und
daher hx jx 0 i D hx 0 jx i.

Wir haben gezeigt, dass der Ableitungsoperator D auf L2 .R; C/ antihermitesch


ist. Er hat daher nur rein imaginäre Eigenwerte. Die Eigenfunktionen sind offen-
sichtlich
1
gk .x/ D p e i kx (3.118)
2
mit beliebigem reellem k (der Vorfaktor wird gleich klar). Man vergleiche auch die
Diskussion der w-Basis im vorigen Abschnitt: Dort waren nur diskrete Werte von
k, nämlich Vielfache von  möglich, denn wir befanden uns auf dem beschränkten
Intervall Œ1; 1. Jetzt gibt es eine solche Einschränkung nicht mehr.
Die gk liegen jedoch leider nicht in L2 .R; C/, denn es ist
Z1 Z1
1
dx gk .x/gk .x/ D dx D 1: (3.119)
2
1 1

Es handelt sich also wieder um Pseudo-Vektoren. Wie bei den Eigenvektoren von
X kann man aber quadratintegrable Funktionen durch Linearkombinationen der gk
gewinnen. Die (kontinuierlichen) Koeffizienten fQ.k/ einer Funktion f .x/ lassen
sich für jede L2 -Funktion bilden und sind gerade durch die Fourier-Transforma-
tion von f gegeben:
Z1
1
fQ.k/ D hk jf i D p dx e i kx f .x/ (3.120)
2
1

Dabei haben wir den Vektor gk als jki bezeichnet, analog zu jxi in der x-Basis.
Bilden die fjki ; k 2 Rg eine Pseudo-Basis? Erzeugt fjki ; k 2 Rg den ganzen
Raum L2 .R; C/? Dazu müsste sich jede L2 -Funktion f schreiben lassen als
Z1
jf i D d k jki hk jf i ; (3.121)
1

insbesondere
Z1
f .x/ D hx jf i D d k hx jk i hk jf i (3.122)
1
Z1
1
Dp d k e i kx fQ.k/: (3.123)
2
1

Das ist gerade die Umkehrtransformation der Fourier-Transformation. Der Fouri-


er’sche Integralsatz besagt, dass diese Beziehung erfüllt ist, wenn f .x/ auf jedem
102 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

endlichen Intervall die Dirichlet-Bedingungen erfüllt. Funktionen, bei denen das


nicht der Fall ist, stellen wieder so eine mathematische Feinheit dar, spielen aber
in der QM keine Rolle, weshalb wir darauf nicht weiter eingehen. Wir behandeln
also mit halbwegs gutem Gewissen die fjki ; k 2 Rg als eine Pseudo-Basis von
L2 .R; C/.
Setzen wir (3.120) in (3.123) ein, erhalten wir
Z1 Z1
1 0
f .x/ D dk e i kx
dx 0 e i kx f .x 0 / (3.124)
2
1 1
0 1
Z1 Z1
1 i k.xx 0 /
D dx 0 @ dk e A f .x 0 /: (3.125)
2
1 1

Der Ausdruck in Klammern hat offenbar im Integral die gleiche Wirkung auf eine
Funktion f wie die Delta-Distribution, daher setzen wir formal
Z1
1 0
d k e i k.xx / D ı.x  x 0 /: (3.126)
2
1
0
Es handelt sich nur um eine formale Gleichsetzung, denn e i k.xx / ist in den Gren-
zen ˙1 eigentlich nicht integrierbar, da die Funktion dort nicht konvergiert.
Mit dieser Relation können wir zeigen, dass fjki ; k 2 Rg eine Orthonormalba-
sis bildet:
Z1
0 1 0
hk jk i D dx e ix.k k/ D ı.k 0  k/ (3.127)
2
1
Wir sagen orthonormal, nicht nur orthogonal, denn wir definieren Orthonormalität
bei einer kontinuierlichen (Pseudo-)Basis gerade durch (3.127), als Verallgemei-
nerung des diskreten hi jj i D ıij . Wir haben somit zwei kontinuierliche Ortho-
normalbasen von L2 .R; C/ kennengelernt, fjxi ; x 2 Rg und fjki ; k 2 Rg, die
durch Fourier-Transformation miteinander verknüpft sind. Die Elemente der einen
Basis sind die Pseudo-Eigenvektoren des X-Operators, die der anderen Basis sind
die Pseudo-Eigenvektoren des D-Operators.
Analog zur x-Basis können wir den Eins-Operator in der k-Basis darstellen,

1kk 0 D hk j1j k 0 i D ı.k  k 0 /; (3.128)


Z1 Z1 Z1
0 0
1D dk d k jki 1kk 0 hk j D d k jki hkj ; (3.129)
1 1 1

und damit das Skalarprodukt in der k-Basis durch Einfügen einer Eins herleiten:
Z1 Z1
hf jg i D hf j1j gi D d k hf jk i hk jg i D d k fQ .k/g.k/
Q (3.130)
1 1
3.3 Pseudo-Vektoren und Fourier-Transformation 103

Das Skalarprodukt hf jg i ist natürlich basisunabhängig und es folgt

Z1 Z1
Q
Q
d k f .k/g.k/ D dx f  .x/g.x/: (3.131)
1 1

Insbesondere ist fQ als Funktion von k quadratintegrabel, wenn f als Funktion von
x es ist, und umgekehrt.

Der D-Operator ist in der k-Basis diagonal,

D jki D ik jki ; (3.132)


.k/ 0 0 0
Dkk 0 D hk jDj k i D ik ı.k  k /: (3.133)

Auf eine Funktion fQ.k/ wirkt D durch Multiplikation mit ik:

Z1
.D fQ/.k/ D hk jDj f i D d k 0 hk jDj k 0 i hk 0 jf i (3.134)
1
Z1
D d k 0 ik 0 ı.k  k 0 /fQ.k 0 / D ik fQ.k/ (3.135)
1

Wie sieht der X-Operator in dieser Basis aus?

Z1 Z1
0
dx 0 hk jx i hx jXj x 0 i hx 0 jk 0 i
.k/
Xkk 0 D hk jXj k i D dx (3.136)
1 1
Z1 Z1
0 0
D dx dx 0 e i kx x 0 ı.x  x 0 /e i k x (3.137)
1 1
Z1
1 0
D dx e i kx x e i k x (3.138)
2
1
0 1
Z1
d @ 1 0 d
Di dx e i.k k/x A D i ı.k  k 0 / (3.139)
d k 2 dk
1

Die Wirkung auf fQ.k/ ist also, analog zum D-Operator in der x-Basis (siehe
(3.112) bis (3.116)):
Z1
X fQ.k/ D hk jXj f i D d k 0 hk jXj k 0 i hk 0 jf i D i fQ0 .k/ (3.140)
1
104 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

Zwischen dem X- und dem D-Operator bzw. der x- und der k-Basis besteht also
eine geradezu wunderbare Beziehung: Der X-Operator wirkt in der x-Basis als
Multiplikation und in der k-Basis als Ableitung. Der D-Operator wirkt in der
x-Basis als Ableitung, in der k-Basis als Multiplikation. Das ist alles sehr hübsch!

Anhand seiner Wirkung auf eine Funktion f bestimmen wir den Kommutator
von X und D, den wir später für die Orts-/Impulsunschärfe brauchen:

d d
ŒX; Df .x/ D x f .x/  .x f .x// (3.141)
dx dx

d d d
D x f .x/  x f .x/  x f .x/ D f .x/ (3.142)
dx dx dx

Also ist
ŒX; D D 1: (3.143)
Wir zeigen hier noch, dass

ŒV .X/; D D V 0 .X/ (3.144)

für eine Potenzreihe X


V .X/ D ˛n X n : (3.145)

Dieser Kommutator wird später im Zusammenhang mit dem Impulsoperator und


einem ortsabhängigen Potential V .x/ relevant. Durch vollständige Induktion zeigen
wir zunächst
ŒX n ; D D nX n1 : (3.146)
Diese Aussage ist für n D 1 identisch zu (3.143). Die Aussage sei für n  1 erfüllt.
Dann folgt

ŒX n ; D D X n D  DX n
D X n1 XD  X n1 DX C X n1 DX  DX n1 X
D X n1 ŒX; D C ŒX n1 ; DX
D X n1  .n  1/X n2 X
D nX n1 :

Mit (3.146) folgt


X X
ŒV .X/; D D ˛n ŒX n ; D D  ˛n .n  1/X n1 D V 0 .X/: (3.147)

Wir fassen noch einmal die wichtigsten Eigenschaften von X, D, jxi und jki
zusammen:
3.3 Pseudo-Vektoren und Fourier-Transformation 105

Eigenschaften von X , D, jxi und jki


 Eigenwerte:
X jxi D x jxi ; D jki D ik jki (3.148)
 Orthonormalität:

hx jx 0 i D ı.x  x 0 /; hk jk 0 i D ı.k  k 0 / (3.149)

 Vollständigkeit:

Z1 Z1
1D dx jxi hxj D dx jki hkj (3.150)
1 1

 Fourier-Transformation:
Z1
1
fQ.k/ D hk jf i D p dx e i kx f .x/ (3.151)
2
1
Z1
1
f .x/ D hx jf i D p d k e i kx fQ.k/ (3.152)
2
1

 Skalarprodukt:

Z1 Z1
hf jg i D 
dx f .x/g.x/ D d k fQ .k/g.k/
Q (3.153)
1 1

 Wirkung auf Funktionen:

.Xf /.x/ D hx jXj f i D xf .x/ (3.154)


.Df /.x/ D hx jDj f i D f 0 .x/ (3.155)
.X fQ/.k/ D hk jXj f i D i fQ0 .k/ (3.156)
.D fQ/.k/ D hk jDj f i D ik fQ.k/ (3.157)

 Kommutator:
ŒX; D D 1; ŒV .X/; D D V 0 .X/ (3.158)
106 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

Fragen zum Selbstcheck


1. Was sind die Pseudo-Eigenvektoren von X und D?
2. Inwiefern bilden sie eine Pseudo-Orthonormalbasis vom Raum der quadrat-
integrablen Funktionen?
3. Wie ist die Fourier-Transformierte fQ.k/ zu f .x/ definiert? Wie wirken X
und D auf fQ?

3.4 Orts- und Impulsoperator, Korrespondenzprinzip

Nach dieser langen Vorbereitung der Werkzeuge kehren wir nun endlich zur Quan-
tenmechanik zurück. Wir starten mit dem Hamilton-Formalismus der klassischen
Mechanik für ein Punktteilchen, das sich in einer Dimension in einem Potential
V .x/ bewegt. Die zugehörige Hamilton-Funktion h ist eine Funktion in den Va-
riablen x und p, wobei x der Ort und p der Impuls des Teilchens ist (wir verwenden
die Hamilton-Funktion nur in dieser einfachsten Form),

p2
h.x; p/ D C V .x/: (3.159)
2m
Es gelten die Hamilton’schen Gleichungen,
dx @h dp @h
D ; D : (3.160)
dt @p dt @x
Die erste Gleichung besagt, dass die Geschwindigkeit dx=dt des Teilchens gleich
Impuls durch Masse ist. Die zweite Gleichung besagt, dass die Kraft dp=dt, mit
der das Teilchen beschleunigt wird, gleich der negativen Ableitung des Potentials
ist.
In der QM sind die Observablen x und p durch Operatoren zu ersetzen, und
der Zustand des Teilchens wird durch einen Vektor j i im Hilbert-Raum L2 .R; C/
beschrieben. Die Funktion .x/ heißt Wellenfunktion, aus Gründen, die noch er-
sichtlich werden.
Zur Observablen x gehört offensichtlich der X-Operator, den wir in den vorigen
Abschnitten ausführlich diskutiert haben: Die Menge der Eigenzustände sind die
Elemente fjxi ; x 2 Rg der x-Basis, in denen das Teilchen „scharf“ an einem Ort
lokalisiert ist. Der zugehörige Eigenwert ist x, die Position des Teilchens in diesem
Zustand, der Messwert der Ortsmessung. Da jxi nicht quadratintegrabel ist, handelt
es sich nur um einen Pseudo-Zustand. Das Teilchen kann sich niemals in einem
solchen Zustand befinden, weil er nicht zum Hilbert-Raum L2 .R; C/ gehört. Nach
dem zweiten Postulat der QM müsste es das aber nach einer Ortsmessung, da die
Messung immer auf einen Eigenzustand projiziert. Daraus folgt, dass eine exakte
Ortsmessung schlicht und ergreifend nicht möglich ist. Eine Ortsmessung hat in der
Praxis immer eine endliche Auflösung. Nach einer solchen Messung befindet sich
das Teilchen in einem neuen Zustand j n i, einer quadratintegrablen Wellenfunkti-
on, die z. B. einer Gauß-Kurve mit der Auflösung der Messung als Breite entspricht.
3.4 Orts- und Impulsoperator, Korrespondenzprinzip 107

Wir rechnen im Folgenden immer mit normierten Wellenfunktionen, d. h.

Z1

h j iD dx .x/ .x/ D 1: (3.161)
1

Die Wahrscheinlichkeit, das Teilchen im Intervall Œx0 ; x1  zu finden, beträgt

Zx1 Zx1

dx h jx i hx j i D dx .x/ .x/: (3.162)
x0 x0

Wir interpretieren das BetragsquadratR  .x/ .x/ von also als Wahrscheinlich-
x
keitsdichte des Teilchens. Dabei ist x01 dx jxi hxj der Projektionsoperator, der die
Wellenfunktion auf das Intervall Œx0 ; x1  einschränkt.
Der Erwartungswert für den Aufenthaltsort eines Teilchens ist

Z1
hXi D h jXj i D dx x j .x/j2 : (3.163)
1

Wie sieht der Impulsoperator P aus, der zur Observablen p gehört? Da die klas-
sische Mechanik auf makroskopischen Skalen in guter Näherung gilt, fordern wir,
dass die Hamilton’schen Gleichungen zumindest als Gleichungen für die Mittel-
werte erhalten bleiben. So ergeben sich die

Ehrenfest-Gleichungen
   
d hXi @H d hP i @H
D ; D : (3.164)
dt @P dt @X

Dabei ist mit @H=@P derjenige Operator gemeint, der zu der Größe @h=@p ge-
hört, und analog für @H=@X. Der Wert der Hamilton-Funktion h ist nämlich die
Gesamtenergie des Teilchens (kinetische plus potentielle Energie), und dieser Ob-
servablen entspricht in der QM der Hamilton-Operator H . Dieser setzt sich aus
einer Kombination der Operatoren X und P zusammen, in der gleichen Weise wie
sich h aus einer Kombination von x und p zusammensetzt. Diese letzte Aussage
bezeichnet man auch als Korrespondenzprinzip.
Im Fall h D p 2 =.2m/ C V .x/ ist

P2
H D C V .X/ (3.165)
2m
Damit V .X/ wohldefiniert ist, müssen wir für das Potential V annehmen, dass es
sich um ein Polynom oder eine Potenzreihe in x handelt, so dass wir V .X/ als
108 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

entsprechendes Polynom oder entsprechende Potenzreihe in X definieren können


(denn z. B. die Wurzel eines Operators ist zunächst einmal nicht definiert). In der
Praxis werden wir allerdings die Definition über Potenzreihen hinaus erweitern
müssen: Auf der Ebene der Wellenfunktion definieren wir einfach V .X/ als den
Operator, der .x/ mit V .x/ multipliziert. Für Polynome und Potenzreihen ist die-
se Definition offensichtlich mit der zuvor genannten äquivalent. In der Tat ist nur
ein einziges Potential, das wir untersuchen werden, als Polynom oder Potenzreihe
darstellbar: das Potential des Harmonischen Oszillators, V .x/ D ˛x 2 .
Die Ehrenfest-Gleichungen lauten nun
d hXi hP i d hP i
D ; D hV 0 .X/i: (3.166)
dt m dt
Hierbei ist V 0 .X/ der Operator, der zur Größe V 0 .x/ gehört, wobei Überlegungen
analog zu V .X/ über die Wohldefiniertheit angestellt werden können. Mit d hXi=dt
identifizieren wir die Geschwindigkeit des Teilchens, mit d hP i=dt die Kraft, die
es beschleunigt.
Wenn wir die Ehrenfest-Gleichungen (3.166) mit dem Ehrenfest’schen Theorem
(2.235) vergleichen, sehen wir, dass für ein beliebiges Potential und jeden Zustand
j i folgende Gleichungen gelten müssen:

i„
hŒX; H i D hP i; hŒP; H i D i„hV 0 .X/i (3.167)
m
Die linke Seite der ersten Gleichung ergibt, wegen ŒX; V .X/ D 0,

1 1
hŒX; H i D hŒX; P 2 i D hŒX; P P C P ŒX; P i: (3.168)
2m 2m
Die erste Gleichung in (3.167) ist also offensichtlich erfüllt, wenn

ŒX; P  D i„1 (3.169)

ist, ein konstantes Vielfaches des Eins-Operators. Diese Kommutator-Beziehung


wird wegen (3.143) von
P D i„D (3.170)
erfüllt. Dies wählen wir als Ansatz für P und überprüfen, ob damit für die zweite
Gleichung in (3.167) das Richtige herauskommt. Die linke Seite ist dann (wegen
ŒP; P 2  D 0) gleich i„hŒD; V .X/i, und aus Gleichung (3.144) folgt, dass dies
gleich i„hV 0 .X/i ist. Damit haben wir unseren Impulsoperator gefunden! Da D
auf L2 .R; C/ antihermitesch ist, ist P hermitesch, so wie es sein muss.

Die Logik unserer Herleitung war die folgende: Wir wissen, dass in der ma-
kroskopischen Physik, wo man fast immer in guter Näherung quantenmechanische
Größen durch ihre Mittelwerte ersetzen kann, die Hamilton’schen Gleichungen der
3.5 Materiewellen und Welle-Teilchen-Dualität 109

klassischen Mechanik gelten. Also müssen die quantenmechanischen Größen die


entsprechenden Gleichungen für die Mittelwerte erfüllen, die Ehrenfest-Gleichun-
gen. Zusammen mit dem Ehrenfest-Theorem, das direkt aus den QM-Postulaten
folgt, kann man daraus den Impulsoperator P D i„D herleiten.
Die meisten Bücher gehen etwas anders vor. Dabei gibt es zwei Standardvari-
anten:

1. Sie postulieren den Impulsoperator in der oben genannten Form, meist als ein
zusätzliches fundamentales Postulat der QM, und zeigen, dass daraus die Eh-
renfest-Gleichungen folgen.
2. Sie beginnen mit den beobachteten Materiewellen, die wir gleich diskutieren
werden, und leiten den P -Operator daraus ab. Die Ehrenfest-Gleichungen erge-
ben sich wieder als Schlussfolgerung.

Letztlich sind alle Argumentationen gleichwertig und es ist Geschmacksache, wel-


cher man folgt.

Fragen zum Selbstcheck


1. Was besagen die Ehrenfest-Gleichungen und warum sollen sie gelten?
2. Wie wirkt der Impulsoperator auf eine Wellenfunktion?
3. Was ist eine Wahrscheinlichkeitsdichte?

3.5 Materiewellen und Welle-Teilchen-Dualität

Die Pseudo-Eigenzustände des Impulsoperators sind diejenigen des Ableitungsope-


rators D, wobei die Eigenwerte mit dem Faktor i„ multipliziert sind. Der Pseudo-
Eigenzustand jpi zum Impuls-Eigenwert p ist, als Wellenfunktion geschrieben,
eine Welle,
1 p
p .x/ D hx jp i D p ei „ x ; (3.171)
2„
und für die Wellenzahl k ergibt sich die De-Broglie-Beziehung

p D „k: (3.172)
p
Der Normierungsfaktor 1= 2„ wurde gewählt, damit die p-Basis orthonormal
ist,
Z1
1 p 0 p
0
hp jp i D dx e i „ x D ı.p 0  p/: (3.173)
2„
1

Zum Beweis substituiere man y D x=„ und vergleiche mit (3.127). Die Wellen-
funktion Q in der Impulsbasis kann als Funktion von p oder k geschrieben werden,
110 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

wobei jeweils der Faktor „ entsprechend zu berücksichtigen ist:


Z1 Z1
1
dp e i „ x Q .p/
p
.x/ D hx j i D dp hx jp i hp j i D p (3.174)
2„
1 1
r Z1

D d k e i kx Q .k/ (3.175)
2
1

In der zweiten Zeile wurde dp D „ d k verwendet. Analog gilt:


Z1 Z1
Q .p/ D hp j i D 1 p
dx hp jx i hx j i D p dx e i „ x .x/; (3.176)
2„
1 1

oder als Funktion von k ausgedrückt:


Z1
Q .k/ D p 1 dx e i kx .x/ (3.177)
2„
1

Diepletzte Gleichung besagt in Übereinstimmung mit (3.175), dass Q .k/ die mit
1= „ multiplizierte Fourier-Transformierte von .x/ ist.

In der Impulsbasis wirkt der Impulsoperator durch Multiplikation mit p: Aus


P jpi D p jpi ; hpj P D p hpj (3.178)
folgt
.P Q /.p/ D hp jP j i D p hp j i D p Q .p/: (3.179)
Der Ortsoperator in der Impulsbasis ergibt sich analog zu (3.136) bis (3.140), nur
mit den Faktoren „ muss man etwas aufpassen:
Z1
1 p p0
0
hp jXj p i D dx e i „ x x e i „
x
(3.180)
2„
1
Z1

D dy e ipy y e ipy (3.181)
2
1
0 1
Z1
d @ 1 0 d
D i„ dy e i.p p/y A D i„ ı.p  p 0 /; (3.182)
dp 2 dp
1

wobei im zweiten Schritt y D x=„ substituiert wurde, und somit


Z1
d Q
.X Q /.p/ D hp jXj i D dp 0 hp jXj p 0 i hp 0 jf i D i„ .p/: (3.183)
dp
1
3.5 Materiewellen und Welle-Teilchen-Dualität 111

Insgesamt gilt also:

Wirkung von X und P im Orts- und Impulsraum


d
X .x/ D x .x/; P .x/ D i„ .x/ (3.184)
dx
d Q
X Q .p/ D i„ .p/; P Q .p/ D p Q .p/ (3.185)
dp

Reine Impulszustände jpi können in der Natur genauso wenig vorkommen wie
reine Ortszustände jxi, da sie nicht quadratintegrabel sind und somit nicht dem
Hilbert-Raum angehören. Impulsmessungen sind genau wie Ortsmessungen immer
mit einer gewissen Unschärfe behaftet, und der aus der Messung resultierende
Zustand ist eine quadratintegrable, um das Messergebnis p0 leicht ausgeschmierte
Impulswellenfunktion Q .p/.

Aufgrund der Heisenberg’schen Unschärferelation (2.214) und dem bekannten


Wert ŒX; P  D i„ gilt die

Orts-/Impulsunschärfe

.X/ .P /  : (3.186)
2

Sie besagt: Je schmaler eine Wellenfunktion .x/ im Ortsraum ist, desto breiter
muss Q .p/ im Impulsraum sein, und je schmaler Q .p/ ist, desto breiter muss .x/
sein. Wendet man die Orts-/Impulsunschärfe-Gleichung auf den Zustand nach einer
Orts- oder Impulsmessung an, dann bedeutet sie: Je genauer der Ort eines Teilchens
gemessen wird, desto unschärfer wird dadurch sein Impuls und umgekehrt.

Wir wollen die Unschärferelation für ein Gauß’sches Wellenpaket nachvollzie-


hen, d. h. für eine Impulswellenfunktion der Form
p
 2 .pp0 /2
Q .p/ D p  e  2„2 : (3.187)
„ 1=4
112 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

Abb. 3.1 Gauß’sches Wel- ψ̃(p)


lenpaket im Impulsraum,
gepeakt bei p0

p
p0

Diese Funktion beschreibt eine bei p0 gepeakte Gauß-Kurve (Abb. 3.1), die durch
den Faktor am Anfang auf 1 normiert ist,
Z1
h j iD dp j Q .p/j2 D 1; (3.188)
1
wegen
Z1
y2 p
dy e  a D a: (3.189)
1
Wir berechnen zunächst hP i und hP 2 i :
Z1
hP i D h jP j i D dp p j Q .p/j2 (3.190)
1
Z1  2 .pp0 /2
 
D p dp p e „2 (3.191)
„ 
1
Z1 2 q2
 
D p dq .q C p0 / e „2 (3.192)
„ 
1

mit q D p  p0 . Der erste Summand ergibt 0, da es sich um das Integral über eine
ungerade Funktion handelt, und aus dem zweiten Summanden erhält man
hP i D p0 : (3.193)
Ähnlich für hP 2 i :
Z1  2 .pp0 /2
 
hP i D p
2
dp p 2 e „2 (3.194)
„ 
1
Z1 2 q2
 
D p dq .q 2 C 2qp0 C p02 /e „2 (3.195)
„ 
1
3.5 Materiewellen und Welle-Teilchen-Dualität 113

Der zweite Summand ergibt null (Integral über ungerade Funktion), der dritte er-
gibt p02 . Für den ersten verwenden wir

Z1
y2 p a
dy y 2 e  a D a (3.196)
2
1

und erhalten schließlich


„2
hP 2 i D p02 C : (3.197)
2 2
Daraus ergibt sich die Impulsunschärfe
q „
.P / D hP 2 i  hP i2 D p : (3.198)
 2

Als Nächstes berechnen wir die Wellenfunktion im Ortsraum,

Z1
1
dp e i „ x Q .p/
p
.x/ D (3.199)
2„
1
p Z1
  2 .pp0 /2
 Ci p„ x
D dp e 2„2 (3.200)
„ 3=4
1
p Z1 2 2
 i p0 x   q2 Ci q„ x
D e „ dq e 2„ (3.201)
„ 3=4
1
p Z1 2
 2
 i p0 x  x22   2 q i „x
D e „ e 2 dq e 2„ 2 (3.202)
„ 3=4
1
1 p0
x
2
D p 1=4 e i „ x e 2 2 : (3.203)


Im letzten
p Schritt haben wir verwendet, dass das Gaußintegral (3.189) auch dann
noch a ergibt, wenn der Integrationsweg ins Imaginäre verschoben wird. Die
Ortswellenfunktion beschreibt also wieder eine Gauß-Kurve, die zusätzlich mit
exp.ixp0 =„/ oszilliert. Diese Oszillation entspricht gerade der des Impuls-Pseudo-
Eigenzustands jp0 i.
Da für die Erwartungswerte hXi und hX 2 i nur das Betragsquadrat von
vorkommt, z. B.
Z1
hXi D h jXj i D dx x j .x/j2 ; (3.204)
1
114 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

spielt der Oszillationsfaktor hierbei keine Rolle. Es ergibt sich, ähnlich wie zuvor
mit P ,
hXi D 0; (3.205)
2

hX 2 i D ; (3.206)
2

.X/ D p (3.207)
2
und somit

.X/ .P / D : (3.208)
2
Beim Gauß’schen Wellenpaket wird also gerade das Minimum der möglichen Un-
schärfe erreicht. In diesem Fall liegt die Unschärferelation in der Tatsache begrün-
det, dass die Breite einer Gauß-Verteilung und die Breite ihrer Fourier-Transfor-
mierten invers zueinander sind.

Aufgabe 3.10
Berechnen Sie hXi und hX 2 i anhand der Impulswellenfunktion Q .p/.

Aufgabe 3.11
Berechnen Sie hP i und hP 2 i anhand der Ortswellenfunktion .x/.

Aufgabe 3.12
Führen Sie die Berechnung der Erwartungswerte und Unschärfen für den Fall
durch, dass Q .p/ einen zusätzlichen Faktor exp.ipx0 =„/ enthält.

Der Parameter  entscheidet darüber, ob das Quantenobjekt (z. B. Elektron oder


Photon), das durch den Zustand j i repräsentiert wird, sich eher wie eine Wel-
le oder wie eine Teilchen verhält (oder irgendetwas dazwischen). Wenn  klein
ist (wobei „ klein“ immer im Verhältnis zu den experimentellen Gegebenheiten zu
verstehen ist, z. B. kleiner als das Auflösungsvermögen der Messapparatur), die
Ortswellenfunktion .x/ also schmal ist, dann hat das Objekt näherungsweise die
Eigenschaft eines klassischen Teilchens: Es ist näherungsweise an einem festen Ort
lokalisiert, d. h., die Wahrscheinlichkeit, es an einem anderen Ort zu finden, ist ver-
schwindend gering. Eine andere Eigenschaft des klassischen Teilchens fehlt jedoch:
Es hat keinen eindeutigen Impuls. Die Impulswellenfunktion Q .p/ ist breit, d. h.,
bei einer Impulsmessung ist eine breite Spanne von Messwerten möglich. Ein Zu-
stand mit scharfem Ort ist ein Zustand mit unscharfem Impuls.
3.5 Materiewellen und Welle-Teilchen-Dualität 115

Wenn  groß ist, verhält sich das Objekt eher wie eine Welle: Es ist über einen
weiten Raumbereich ausgedehnt und oszilliert (mit Wellenzahl p=„), so dass In-
terferenzmuster auftreten können. Wenn diese Eigenschaften an Objekten auftre-
ten, die man klassischerweise eher als Materieteilchen kennt (z. B. Elektronen),
so spricht man von Materiewellen, im Gegensatz etwa zu den elektromagneti-
schen Wellen, die ihre Welleneigenschaften schon viel früher in der Geschichte
der Physik preisgegeben haben. Hier war die Überraschung hingegen, dass auch die
elektromagnetischen Wellen aus Quanten bestehen, den Photonen, und somit auch
Teilcheneigenschaften haben.
Die Unterscheidung aus der klassischen Physik zwischen Kraftfeldern und Mate-
rieteilchen ist in der QM aufgehoben. Alles besteht aus Quanten (der genaue Gehalt
dieses „besteht aus“ ist jedoch äußerst kompliziert und zum Teil heftig umstritten),
egal ob Materie oder Licht oder Kraftfelder aller Art. All diese Quanten können in
räumlich lokalisierter, teilchenartiger Weise auftreten, in wellenartiger Weise oder
in anderer Form, die weder in der Orts- noch in der Impulsbasis scharf lokalisiert
ist, wie z. B. bei den Photonen eines gewöhnlichen Magnetfelds (das Magnetfeld ist
weder scharf lokalisiert, noch hat es die Eigenschaften eine Welle).
Nur für die Gravitation ist die Quantennatur noch nicht nachgewiesen. Hier
kommt erschwerend hinzu, dass es sich nach der allgemeinen Relativitätstheorie
dabei gar nicht um ein Kraftfeld im eigentlichen Sinne, sondern um Eigenschaften
der Raumzeitgeometrie handelt. Ob sich eine Quantentheorie der Geometrie nach
der gleichen Art konstruieren lässt wie für die anderen Kraftfelder, ist derzeit noch
eine offene Frage.
Aber was oszilliert eigentlich bei einer Materiewelle? Es ist die Wahrscheinlich-
keitsamplitude .x/, deren Betragsquadrat die Wahrscheinlichkeitsdichte für den
Aufenthaltsort des Objekts darstellt. Bei einer elektromagnetischen Welle hinge-
gen oszillieren elektrische und magnetische Felder. Im Einklang dazu oszilliert die
Wahrscheinlichkeitsamplitude der Photonen, die die Welle konstituieren. Bei einem
Doppelspaltexperiment mit Licht bedeuten die hellen Streifen auf dem Schirm da-
her zweierlei:

1. Die Feldstärken interferieren konstruktiv, die Welle ist dort also besonders stark,
das Licht besonders hell.
2. Die Wahrscheinlichkeitsamplituden der Photonen interferieren konstruktiv. Die
Wahrscheinlichkeit, Photonen an diesem Ort zu finden, ist daher größer als
anderswo, d. h., es treffen besonders viele Photonen an dieser Stelle auf den
Schirm. Jeder leuchtende Punkt auf dem Schirm stellt nämlich eine Ortsmes-
sung an einem Photon dar. Der Schirm ist der Messapparat zum Ortsoperator,
wobei die Ortsunschärfe  nach der Messung durch die Breite der „Pixel“ des
Schirms gegeben ist. Durch die Messung wird aus dem wellenartigen Zustand
des Photons (Wellenlänge und somit Impuls ist scharf) ein teilchenartiger Zu-
stand (Ort ist scharf).

Besonders eindrucksvoll wird das Experiment, wenn zu jedem Zeitpunkt nur


ein Photon unterwegs ist. Dann ist es jeweils nur die Wellenfunktion dieses einen
116 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

Photons, die mit sich selbst interferiert. Ein Anteil der Wahrscheinlichkeitswelle
„strömt“ durch den einen Spalt, ein anderer Anteil durch den anderen Spalt, und
die beiden Anteile interferieren miteinander. Bei der Ortsmessung am Ende (Auf-
treffen des Photons auf dem Schirm) wird nur ein einziger Punkt zum Leuchten
gebracht. Das ist durch die erste der beiden genannten Interpretationen (Interfe-
rieren der Feldstärken) nicht mehr zu erklären. Erst nachdem man das Auftreffen
vieler Photonen abgewartet hat, kristallisiert sich schrittweise das Interferenzmuster
heraus.

Quelle: www.CartoonStock.com

Leider gibt es eine kleine sprachliche Verwirrung: Man spricht meist vom Quan-
tenobjekt selbst als einem „Teilchen“. Man sagt, das Elektron oder das Photon
sei ein „Teilchen“. Mit dieser sprachlichen Konvention kommt man dann zu der
verwirrenden Aussage, dass ein „Teilchen“ sowohl Wellen- als auch Teilcheneigen-
schaften hat, das „Teilchen“ sowohl Welle als auch Teilchen ist. Dieser Missgriff
kommt dadurch zustande, dass es verschiedene Auffassungen gibt, was genau als
Teilcheneigenschaft anzusehen ist. In unserer oben verwendeten Konvention ist ein
Teilchen ein auf einen kleinen Raumbereich lokalisiertes Objekt, d. h., die räum-
liche Lokalisierung ist entscheidend dafür, dass wir von einem Teilchen sprechen.
Für die Pioniere der QM war aber bereits die Tatsache, dass Licht überhaupt in
gequantelter Form auftritt, also in bestimmten Portionen (den Photonen), gleichbe-
deutend mit dem „Teilchenaspekt“ des Lichts, daher die Bezeichung des Photons
als „Teilchen“.

Fragen zum Selbstcheck


1. Was sind Materiewellen? Wie lautet die De-Broglie-Beziehung und was be-
deutet sie?
2. Was besagt die Orts-/Impulsunschärfe?
3. Wie berechnet man Erwartungswerte im Orts- und im Impulsraum?
3.6 Schrödinger-Gleichung im eindimensionalen Ortsraum 117

3.6 Schrödinger-Gleichung im eindimensionalen Ortsraum

Wir bleiben zunächst bei einem einzelnen Quantenobjekt in einer Raumdimensi-


on in einem zeitunabhängigen Potential V .x/. In der x-Basis ist die Wirkung des
Hamilton-Operators auf einen Zustand j i gegeben durch


P2
hx jH j i D .H /.x/ D C V .X/ .x/
2m
„2 d 2
D .x/ C V .x/ .x/: (3.209)
2m dx 2
Wenn wir nun die Zeitabhängigkeit des Zustands berechnen wollen, also die Schar
j .t/i statt des festen j i betrachten, nutzen wir die Schrödinger-Gleichung im
eindimensionalen Ortsraum, die unmittelbar aus (3.209) und (2.144) folgt:

@ „2 @2
i„ .x; t/ D  .x; t/ C V .x/ .x; t/ (3.210)
@t 2m @x 2
Die zugehörige Eigenwertgleichung (stationäre Schrödinger-Gleichung im ein-
dimensionalen Ortsraum) lautet

„2 d 2
 .x/ C V .x/ .x/ D E .x/: (3.211)
2m dx 2
Wir werden im Allgemeinen zwei Arten von Lösungen dieser Gleichung finden:

1. Diskretes Spektrum: Die Eigenwerte E sind diskret. Die zugehörigen Eigen-


funktionen sind Elemente des Hilbert-Raums, also quadratintegrabel.
2. Kontinuierliches Spektrum: Die Eigenwerte E sind kontinuierlich. Die zuge-
hörigen Eigenfunktionen sind keine Elemente des Hilbert-Raums, sie sind
nicht quadratintegrabel. Durch Integration können aber quadratintegrable Wel-
lenfunktionen daraus kombiniert werden.

Oft werden wir finden, dass es zwei Grenzenergien Emin und Ef gibt, so dass gilt:

 Es gibt keine Eigenwerte mit E < Emin .


 Das Spektrum für Emin  E < Ef ist diskret (gebundene Zustände). Dabei ist
Emin die Energie des Grundzustands.
 Das Spektrum für Ef < E ist kontinuierlich (freie Zustände bzw. Streuzu-
stände).

Dieses Verhalten ist aus der Atomphysik bekannt. Freie Elektronen, die nicht ans
Atom gebunden sind, haben eine Energie E > Ef D 0. Sie können „ins Unend-
liche“ entweichen bzw. sie kommen aus dem Unendlichen und werden am Atom
118 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

gestreut. Dann gibt es ein diskretes Spektrum an negativen Bindungsenergien, die


zu den einzelnen Schalen des Atoms gehören. Die innerste Schale repräsentiert die
minimale Energie Emin , die ein Elektron in diesem Atom haben kann. Für das Was-
serstoffatom werden wir die Schrödinger-Gleichung exakt lösen. Für alle höheren
Atome sind Näherungsverfahren notwendig.

Die stationäre Schrödinger-Gleichung (3.211) ist reell im folgenden Sinne:


Wenn man die gesamte Gleichung komplex konjugiert, dann ist der einzige Effekt,
dass zu  wird. Daraus folgt, dass mit jeder Lösung .x/ auch das komplex
konjugierte  .x/ eine Lösung der zeitunabhängigen Schrödinger-Gleichung ist.
Das hat die angenehme Folge, dass man sich bei der Suche nach Lösungen auf re-
elle Funktionen beschränken kann. Denn nach bzw.  zu suchen ist äquivalent
dazu, nach den reellen Funktionen Re. / D 12 .  C / und Im. / D 2i1 .   /
zu suchen. Die Schrödinger-Gleichung ist linear, d. h., Linearkombinationen von
Lösungen sind wieder Lösungen, insbesondere also auch Re. / und Im. /. Die
zugehörige zeitabhängige Wellenfunktion .x; t/ zerfällt dann in einen nur von t
abhängigen Phasenfaktor und eine reelle Funktion, die nur von x abhängt:
E
.x; t/ D e i „ t .x/; (3.212)
und wir haben uns die Freiheit genommen, die zeitabhängige und die zeitunabhän-
gige Wellenfunktion beide mit dem gleichen Buchstaben zu bezeichnen.

Ein Beispiel: Für das freie Teilchen, V .x/ D 0 auf ganz R, sind die Energie-Ei-
genfunktionen mit Eigenwert E offensichtlich identischp zu den Impuls-Eigenfunk-
tionen zum Eigenwert p mit E D p 2 =.2m/, also p D ˙ 2mE. Zum Eigenwert E
gehören also die beiden zueinander komplex konjugierten Lösungen mit positivem
bzw. negativem Impuls:
p
1  1 2mE
.x/ D p e i kx ; .x/ D p e i kx ; k D (3.213)
2„ 2„ „
Die reellen Funktionen
1 1
1 .x/ D p Re. .x// D p cos kx; (3.214)
2 2 „
1 1
2 .x/ D p Im. .x// D p sin kx (3.215)
2 2 „
p
(der Faktor 1= 2 dient der Normierung) sind also auch Lösungen zum gleichen
Energie-Eigenwert E. Sie sind jedoch keine Impuls-Eigenzustände, denn jede der
beiden
p Funktionen setzt sich zu p gleichen Anteilen aus einem Beitrag mit p D
C 2mE und einem mit p D  2mE zusammen. Die zugehörigen zeitabhän-
gigen Wellenfunktionen beschreiben stehende Wellen (die Wellenberge und -täler
sind immer am selben Ort):
1 E 1 E
1 .x; t/ D p e i „ t cos kx; 2 .x; t/ D p e i „ t sin kx (3.216)
2 „ 2 „
3.6 Schrödinger-Gleichung im eindimensionalen Ortsraum 119

Jede Lösung zum Eigenwert E ist eine Linearkombination dieser beiden Lösungen,
p p !
E 2mE 2mE
.x; t/ D e i „ t ˛ cos x C ˇ sin x (3.217)
„ „

mit ˛; ˇ 2 C.

Das Betragsquadrat der Wellenfunktion,


.x; t/ D j .x; t/j2 ; (3.218)
ist die Aufenthalts-Wahrscheinlichkeitsdichte des Quantenobjekts. Das System ist
in Bewegung, wenn sich mit der Zeit ändert. Bei Energie-Eigenzuständen ist
die einzige Zeitabhängigkeit der Phasenfaktor exp.iEt=„/, der für irrelevant
ist. Es findet also keine echte Bewegung statt. An jedem Ort ist die Wahrschein-
lichkeitsdichte zu jedem Zeitpunkt gleich. Auch wenn der Erwartungswert der ki-
netischen Energie hP 2 i =.2m/ positiv ist, findet keinerlei Bewegung im System
statt! Aufgrund der Ehrenfest-Gleichung (3.164) muss daher hP i für Energie-Ei-
genzustände verschwinden, sonst würde sich hXi bewegen. Diese Aussage gilt
für die diskreten Eigenzustände, denn nur diese sind Elemente des Hilbert-Raums.
Für die kontinuierlichen, uneigentlichen Eigenzustände, wie z. B. exp.ikx/
beim freien Teilchen, sind Erwartungswerte nicht wohldefiniert. Selbst bei einem
Impulszustand jpi wäre es falsch zu sagen, sein Impuls-Erwartungswert hP i sei
p: Die Ehrenfest-Gleichungen würden dann suggerieren, es gäbe eine Bewegung,
hXi D p=m. Das ist aber nicht der Fall, Impuls-Eigenzustände sind bewegungslos.
Wenn wir uns nun beliebigen Zuständen zuwenden: Welche allgemeine Aussage
können wir über die Zeitentwicklung von machen? Mithilfe der Schrödinger-
Gleichung und ihrer komplex konjugierten Version finden wir:
  2
@ @  @ „ @  @
2
.  /D C  D 

@t @t @t 2mi @x 2 @x 2
(3.219)
Der Potentialterm hebt sich weg. Im Gegensatz zur Zeitableitung von hängt die
Zeitableitung von also nicht vom Potential ab, sondern nur von der momentanen
Form von . Der Ausdruck in Klammerm auf der rechten Seite ist bis auf das
Vorzeichen die x-Ableitung von

„  @ @ 
j.x; t/ D .x; t/ .x; t/  .x; t/ .x; t/ : (3.220)
2mi @x @x
Die Funktion j ist die Wahrscheinlichkeitsstromdichte. Zusammen mit erfüllt
sie die Kontinuitätsgleichung
@ @
C j D 0: (3.221)
@t @x
Die Form der Gleichung ist analog zur Kontinuitätsgleichung in der Elektrodyna-
mik. Wir werden sie bei der Verallgemeinerung auf drei Dimensionen noch etwas
weiter diskutieren.
120 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

Die Kontinuitätsgleichung gilt auch für uneigentliche Zustände – es wird hier


keine Aussage über Erwartungswerte gemacht.

Aufgabe 3.13
Zeigen Sie: p Für den Zustand jpi mit der Wellenfunktion p .x/ D
exp.ipx=„/= 2„ ist j.x; t/ D p=.2 m„/, also ortsunabhängig, die Zeit-
ableitung von verschwindet daher. Die Stromdichte ist erwartungsgemäß
proportional zum Impuls, führt aber nicht zu einer Änderung von .

Für reelle Wellenfunktionen .x/ verschwindet bereits j (siehe 3.220), die


Zeitableitung von also erst recht. Ein solcher Zustand ist demnach „noch statio-
närer“ als jpi. Wenn es sich dabei aber nicht um eine Eigenfunktion des Hamilton-
Operators handelt, währt diese Eigenschaft nur für einen Augenblick. Die Zeitent-
wicklung gemäß der zeitabhängigen Schrödinger-Gleichung verändert den Zustand
.x; t/, es entsteht ein Strom und eine Veränderung von . Das heißt, die erste
Zeitableitung von verschwindet zwar zu diesem Zeitpunkt t D t0 , nicht aber die
zweite Zeitableitung. Der Zustand ist nur stationär für einen Moment, also nicht
stationär im eigentlichen Sinne (d. h. dauerhaft, als Eigenfunktion von H ).

Fragen zum Selbstcheck


1. Wie lautet die Schrödinger-Gleichung im eindimensionalen Ortsraum (zeit-
abhängig/stationär)?
2. Warum kann man zu jedem Energie-Eigenwert reelle Eigenfunktionen wäh-
len?
3. Was ist ein Wahrscheinlichkeitsstrom? Was besagt die Kontinuitätsglei-
chung?

3.7 Mehrere Dimensionen

Wenn das Quantenteilchen in d Dimensionen statt nur in einer unterwegs ist (der
Standardfall ist natürlich d D 3), dann ist der zugrundeliegende Hilbert-Raum
L2 .Rd ; C/, der Raum der quadratintegrablen Funktionen von Rd nach C. Wir
beschreiben einen Punkt r des d -dimensionalen Raums durch d kartesische Ko-
ordinaten .x1 ;    ; xd /. Zu jeder dieser Koordinaten gehört ein eigener X- und ein
eigener P -Operator:
@
Xi .r/ D xi .r/; Pi .r/ D i„
.r/ (3.222)
@xi
Die Multiplikationen unterschiedlicher Koordinaten kommutieren, d. h., die Rei-
henfolge der Multiplikation spielt keine Rolle. Ebenso kommutieren partielle Ab-
leitungen nach unterschiedlichen Koordinaten. Die Kommutatoren sind daher
ŒXi ; Xj  D 0; ŒPi ; Pj  D 0; ŒXi ; Pj  D i„ıij 1: (3.223)
3.7 Mehrere Dimensionen 121

Aufgabe 3.14
Beweisen Sie die letzte dieser drei Relationen.

Streber-Ecke 3.2
Die Kommutator-Relationen (3.223) ähneln (bis auf den Faktor i„) den klas-
sischen Poisson-Klammern für die Koordinaten und Impulse. Die Poisson-
Klammern sind folgendermaßen definiert: Seien f .r; p; t/, g.r; p; t/ Funk-
tionen der Koordinaten, Impulse und der Zeit. Dann ist
X @f @g @f @g
ff; gg WD  : (3.224)
i
@xi @pi @pi @xi
Aufgabe 3.15
Zeigen Sie

fxi ; xj g D fpi ; pj g D 0; fxi ; pj g D ıij : (3.225)

Es bestehen tiefe Zusammenhänge zwischen den Poisson-Klammern der


klassischen Mechanik und den Kommutatoren der QM. So gilt z. B.

df @f
D ff; hg C ; (3.226)
dt @t
wobei h wieder die Hamilton-Funktion ist. Vergleichen Sie das mit der Hei-
senberg-Gleichung (2.231)!
Eine kanonische Transformation ist eine Transformation

xi ! xi0 .r; p; t/; pi ! pi0 .r; p; t/; (3.227)

bei der die Poisson-Klammern (3.225) auch in den neuen Variablen gelten.
Diese Eigenschaft überträgt sich auf die Kommutatoren der zugehörigen Ope-
ratoren. Man kann dann die Wellenfunktion als Funktion der neuen Variablen
fxi0 g umschreiben. Die Operatoren fPi0 g wirken dann wieder in der Form
@=@xi0 .
Aufgabe 3.16
Zeigen Sie, dass im eindimensionalen Raum die Transformation

x ! x 0 D p; p ! p 0 D x (3.228)

kanonisch ist. Finden Sie damit einen tieferen Grund für das Verhalten von
X und P im Impulsraum, (3.185).
122 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

Wir definieren die Vektoroperatoren P und X als d -Tupel P D .P1 ;    ; Pd /


bzw. X D .X1 ;    ; Xd /. „Skalarprodukte“ wie P2 oder P  X sind analog zum
„normalen“ Skalarprodukt definiert, z. B. P2 D P12 C    C Pd2 . Das Ergebnis ist
jetzt natürlich ein Operator, keine Zahl.
Der Orts-Eigenzustand jr0 i ist simultaner Eigenzustand zu allen X-Operatoren,
mit den Eigenwerten .x10 ;    ; xd0 /. Die zugehörige Wellenfunktion ist ein Produkt
von Delta-Distributionen,

r0 .r/ D hr jr0 i D ı.x1  x10 /ı.x2  x20 /    ı.xd  xd0 /: (3.229)

Der Impuls-Eigenzustand jpi ist simultaner Eigenzustand zu allen P -Operatoren,


mit den Eigenwerten .p1 ;    ; pd /. Die zugehörige Wellenfunktion lautet in der
Ortsdarstellung:
1 i
p .r/ D hr jp i D d=2
e „ pr (3.230)
.2„/
Denn für jede Dimension gibt es eine separate Fourier-Transformation:
Z i Z i Z i
e „ p1 x1 e „ p2 x2 e „ pd xd Q
.r/ D dp1 p dp2 p    dpd p .p/ (3.231)
2„ 2„ 2„
Z
1
d d p e „ pr Q .p/
i
D (3.232)
.2„/d=2

Der Hamilton-Operator lautet nun




P2
hr jH j i D .H /.r/ D C V .X/ .r/
2m
„2
D  .r/ C V .r/ .r/; (3.233)
2m

wobei  der Laplace-Operator in d Dimensionen ist,

@2 @2
 D CC : (3.234)
@x12 @xd2

Die zeitabhängige Schrödinger-Gleichung lautet:

Zeitabhängige Schrödinger-Gleichung im Ortsraum


d „2
i„ .r; t/ D   .r; t/ C V .r/ .r; t/ (3.235)
dt 2m
3.7 Mehrere Dimensionen 123

Die zeitunabhängige Schrödinger-Gleichung lautet:

Stationäre Schrödinger-Gleichung im Ortsraum


„2
  .r/ C V .r/ .r/ D E .r/ (3.236)
2m

Die Aussagen über diskretes/kontinuierliches Spektrum und über reelle Lösun-


gen gelten weiterhin.
Die Wahrscheinlichkeits-Stromdichte (3.220) wird zu
„  
j.r; t/ D . .r; t/r .r; t/  .r; t/r .r; t// (3.237)
2mi
und die Kontinuitätsgleichung lautet:

Kontinuitätsgleichung
@
.r; t/ C r  j.r; t/ D 0; (3.238)
@t
wobei
 „  
D ; jD . r  r /: (3.239)
2mi

Mithilfe des Gauß’schen Satzes kann die Kontinuitätsgleichung in eine Integral-


form gebracht werden. Sei V ein endlicher Bereich des Rd und S die zugehörige
Oberfläche. Dann gilt allgemein der Gauß’sche Satz
Z I
ddx r  A D dS  A (3.240)
V S

für ein Vektorfeld A. Angewandt auf Stromdichte und Kontinuitätsgleichung ergibt


sich Z I
d
ddx C dS  j D 0 (3.241)
dt
V S
mit der folgenden Interpretation: Die Änderung der Wahrscheinlichkeit, das Quan-
tenteilchen im Bereich V zu finden, entspricht minus dem Wahrscheinlichkeits-
strom aus dem Bereich V heraus.
Eine interessante Form der Kontinuitätsgleichung erhält man, wenn man in
Betrag und Phase zerlegt,
i
.r; t/ D A.r; t/e „ S.r;t / ; (3.242)
124 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

mit reellen Funktionen A und S. Die Wahrscheinlichkeitsdichte und die Strom-


dichte j haben dann die Form
rS
D A2 ; j D A2 : (3.243)
m
Dem entnimmt man, dass
u D rS=m (3.244)
eine Art lokale Strömungsgeschwindigkeit ist, analog zur Elektrodynamik: Dort ist
die Stromdichte das Produkt aus Ladungsdichte und Strömungsgeschwindigkeit.
Hier wird die Ladungsdichte durch die Wahrscheinlichkeitsdichte D A2 ersetzt.
Bei einem Impuls-Eigenzustand jpi liegt die Interpretation von rS=m als Strö-
mungsgeschwindigkeitsvektor auf der Hand: Hier ist S D p  r, also rS D p.
Setzen wir die Ausdrücke in (3.238) ein, so erhalten wir die folgende Form der
Kontinuitätsgleichung:
@
C r  u C ru D 0 (3.245)
@t
Diese Form ist aus der Hydrodynamik bekannt: Die lokale Änderung der Dichte er-
gibt sich zum einen aus der räumlichen Änderung der Dichte in Strömungsrichtung
(dichtere oder weniger dichte Flüssigkeitsmengen strömen an den Punkt r), zum
anderen aus lokalen Schwankungen der Strömungsgeschwindigkeit, wodurch die
„Flüssigkeit“ zusammengedrückt oder auseinandergezogen wird. In diesem Sinne
können wir das Quantenteilchen als strömende Flüssigkeit ansehen – die sich aller-
dings im Fall einer Ortsmessung schlagartig an einer Stelle zusammenzieht.
Schreibt man und u wieder in den Größen A und S, so erhält man, nach Kürzen
eines Faktors A, folgende Form:
@A
2m C 2rA  rS C aS D 0 (3.246)
@t
Das ist gerade der Imaginärteil der Schrödinger-Gleichung (3.235), wenn man
(3.242) einsetzt. Der Realteil der Schrödinger-Gleichung ergibt

@S .rS/2 „2 A
C CV D : (3.247)
@t 2m 2m A
In vielen realistischen Situationen ist der Ausdruck auf der rechten Seite sehr viel
kleiner als die Ausdrücke auf der linken Seite. Das Oszillieren der Phase der Wel-
lenfunktion in Raum und Zeit überwiegt bei Weitem das Schwanken ihrer Ampli-
tude. Die klassische Näherung besteht dann darin, den Term auf der rechten Seite
zu vernachlässigen:
@S .rS/2
C CV D0 (3.248)
@t 2m
Setzen wir darin den Ausdruck für die Strömungsgeschwindigkeit u ein, erhalten
wir
@S mu2
C C V D 0: (3.249)
@t 2
3.7 Mehrere Dimensionen 125

Bilden wir davon den Gradienten und ersetzen noch einmal rS durch mu, ergibt
sich 
@u
m C u  ru C rV D 0: (3.250)
@t
Der Ausdruck in Klammern ist die totale Zeitableitung d u=dt der Geschwindigkeit
eines mit der Strömung fließenden Teilchens (nicht des Quantenteilchens, sondern
eines Teils der Flüssigkeit, wenn wir uns das Quantenobjekt als strömende Flüssig-
keit vorstellen). Die Geschwindigkeitsänderung des bewegten Strömungselements
setzt sich nämlich zusammen aus der Geschwindigkeitsänderung der Flüssigkeit an
einem festen Ort, @u=@t, und der räumlichen Änderung der Geschwindigkeit in der
Richtung, in der sich das Strömungselement bewegt, zum festen Zeitpunkt t, u  ru.
Damit ergibt sich die klassische Bewegungsgleichung
du
m D rV: (3.251)
dt
In der klassischen Näherung beschreibt die Schrödinger-Gleichung also nichts
anderes als eine strömende Flüssigkeit, die sich im klassischen Potential V be-
wegt. Dies gilt nur, solange keine Messung stattfindet. Im Moment der Messung
ändert die Flüssigkeit schlagartig ihre Verteilung. Bei einer Ortsmessung beispiels-
weise schnurrt sie auf einen winzigen Raumbereich zusammen. Der Ausdruck auf
der rechten Seite von (3.247) kann als Korrekturterm zur klassischen Bewegung der
Flüssigkeit angesehen werden.

Streber-Ecke 3.3
Es bestehen weitere Zusammenhänge zwischen (3.248) und der klassischen
Mechanik sowie der geometrischen Optik, die wir hier erwähnen wollen
(für weitergehende Erklärungen siehe z. B. [Kuypers (2010)]): Gl. (3.248)
ist nichts anderes als die Hamilton-Jacobi-Gleichung für ein klassisches
Teilchen im Potential V . Diese Gleichung stammt aus der Hamilton-Jacobi-
Theorie der klassischen Mechanik, mit der sich manche komplizierte Pro-
bleme in eleganter Weise exakt lösen lassen. Darin werden die Impulse
durch Gradienten einer sog. Prinzipalfunktion S.r; t/ ersetzt, p D rS.
Mit (3.248) wird S zur Erzeugenden einer kanonischen Transformation, in
deren Zielsystem die Hamilton-Funktion h D 0 ist, so dass alle Bewegungs-
gleichungen trivial werden. Die neuen Koordinaten Qi sind dann beliebige
Konstanten und werden mit den Anfangsbedingungen des Systems zur Zeit
t D t0 gleichgesetzt, Q D r.t0 / D r0 . Bei der Berechnung von S treten die
Qi als Integrationskonstanten auf, und man schreibt S D S.r; r0 ; t; t0 /.
Mögliche Lösungen S der Hamilton-Jacobi-Gleichung sind klassische
Wirkungsfunktionen,
Zt
S.r; r0 ; t; t0 / D L dt; (3.252)
t0
126 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

wobei L die Lagrangefunktion ist, die für die klassische Bahn eines Teilchens
auszuwerten ist, das sich zum Zeitpunkt t0 am Ort r0 , zum Zeitpunkt t am
Ort r befindet. Diese Lösung lässt sich auf die klassische Näherung der QM
übertragen: Die klassische Wirkung (mit beliebigem t0 , r0 als Parameter) ist
eine Lösung von (3.248), also für die Phase der Wellenfunktion . Dieser
Zusammenhang zwischen Wirkung und Phase wird uns beim Pfadintegral
(Kap. 13) wieder begegnen.

Ein weiterer Zusammenhang besteht zur geometrischen Optik: Für statio-


näre Lösungen (Energie-Eigenzustände zum Energie-Eigenwert E) ist

S.r; t/ D S0 .r/  Et; (3.253)

also @S=@t D E. Damit wird (3.248) zu

.rS0 /2 D 2m.E  V /: (3.254)

In der geometrischen Optik setzt man bei inhomogenen Materialien mit orts-
abhängigem Brechungsindex n.r/ den Ansatz

.r; t/ D A.r/e i k0 L.r/!t (3.255)

in die Wellengleichung
n2 @ 2 
  D0 (3.256)
c 2 @t 2
ein, wobei k0 D !=c die zur Frequenz ! gehörende Vakuum-Wellenzahl und
L das sog. Eikonal ist. Der Realteil der Wellengleichung lautet dann
1 A
.rL/2  n2 D : (3.257)
k02 A
Wie in der klassischen Näherung der QM vernachlässigt man den Term auf
der rechten Seite (die Schwankung der Amplitude ist sehr klein im Vergleich
zur Oszillation der Welle) und erhält die Eikonalgleichung

.rL/2 D n2 : (3.258)

Der Vergleich mit (3.254) zeigt: Ein stationärer Zustand in der QM kann
in Analogie zur Optik als Strahlungsfeld in einem inhomogenen Material
mit Brechungsindex
p
n.r/ 2m.E  V .r// (3.259)

angesehen werden. Wieder bricht die Analogie im Moment einer Messung


zusammen: Das „Strahlungsfeld“ reduziert sich (im Fall einer Ortsmessung)
auf einen winzigen Raumbereich.
3.8 Mehrere Teilchen 127

Der Zusammenhang zwischen Hamilton-Jacobi-Theorie und geometri-


scher Optik besteht schon ohne Zuhilfenahme der Quantenmechanik und ist
bereits seit 1834 bekannt. Die Eikonalgleichung der Optik ist formal zur
Hamilton-Jacobi-Gleichung äquivalent. Es besteht also bereits in der klas-
sischen Physik eine gewisser Welle-Teilchen-Dualität.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es zwei Theorien, die
das Reflexions- und Brechungsverhalten von Strahlung erklären konnten:
Das eine war die Korpuskulartheorie von Newton, nach der Licht aus Teil-
chenstrahlen bestand; das andere war die Huygenssche Wellentheorie. Die
Analogie zwischen Hamilton-Jacobi-Theorie und geometrischer Optik ist der
tiefere Grund dafür, warum beide Theorien gleich gut funktionieren. Der
Maxwell’sche Elektromagnetismus stellte die Wellentheorie auf ein breites
Fundament und führte dazu, dass der Newton’sche Ansatz als widerlegt galt,
bis schließlich die Quantenmechanik Welle und Teilchen wieder als gleich-
wertig erkannte.
Durch einen raffinierten Zug verleiht die Quantenmechanik der Welle-
Teilchen-Dualität, die in der klassischen Physik nur als formale Analogie
zwischen zwei Gleichungen bestand, einen Sinn, indem sie die Welle als ein
Feld darstellt, das die Wahrscheinlichkeit von Aufenthaltsorten des Teilchens
beschreibt.

Fragen zum Selbstcheck


1. Wie sehen Orts- und Impuls-Eigenzustände in d Dimensionen aus?
2. Können Sie den Inhalt der drei „Kästen“ dieses Abschnitts mit verschlosse-
nen Augen herunterbeten, selbst bei Übermüdung und unter Alkoholeinfluss?
3. Worin besteht die klassische Näherung?

3.8 Mehrere Teilchen

Schließlich betrachten wir n Quantenteilchen in d Dimensionen. Jedes Teilchen


hat seinen eigenen Ortsvektor r.˛/ . Der Gesamtzustand j i wird durch eine Wel-
lenfunktion .r.1/ ; r.2/ ;    ; r.n/ ; t/ beschrieben. Der zugehörige Hilbert-Raum ist
L2 .Rnd ; C/, das Tensorprodukt der Hilbert-Räume der einzelnen Teilchen

O
n
L2 .Rnd ; C/ D L2 .Rd ; C/: (3.260)
˛D1

Wir gehen in diesem Kapitel davon aus, dass die Teilchen unterscheidbar sind, z. B.
weil sie sich in ihren Massen unterscheiden, so dass wir ihnen die Etikette .˛/
eindeutig zuordnen und sie bei einer Messung wieder identifizieren können. Den
Fall ununterscheidbarer Teilchen untersuchen wir in Kap. 12.
128 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

Zu jeder Koordinate jedes Teilchens gibt es einen eigenen Orts- und Impulsope-
.˛/ .˛/
rator Xi bzw. Pi mit der Wirkung
.˛/  .1/  .˛/  .1/ 
Xi r ;    ; r.n/ ; t D xi r ;    ; r.n/ ; t (3.261)
.˛/   @  
Pi r.1/ ;    ; r.n/ ; t D i„ .˛/ r.1/ ;    ; r.n/ ; t (3.262)
@xi
und den Kommutatoren
h i h i h i
.˛/ .ˇ/ .˛/ .ˇ/ .˛/ .ˇ/
Xi ; Xj D 0; Pi ; Pj D 0; Xi ; Pj D i„ı˛ˇ ıij 1: (3.263)
ˇ ˛
Der Orts-Eigenzustand ˇr0.1/ ;    ; r0.n/ ist simultaner Eigenzustand zu allen X-
Operatoren, mit den Eigenwerten fx 0 i ji D 1;    ; d I ˛ D 1;    ; ng. Die
.˛/

zugehörige Wellenfunktion ist ein Produkt von Delta-Distributionen,

 .1/  Yn Y
d  
ı x 0 i  xi
.˛/ .˛/
r0.1/ ; ;r0.n/ r ;    ; r.n/ D : (3.264)
˛D1 i D1

Insbesondere ist
ˇ 0.1/ ˛ ˇ ˛ ˇ ˛ ˇ ˛
ˇr ;    ; r0.n/ D ˇr0.1/ ˝ ˇr0.2/ ˝    ˝ ˇr0.n/ : (3.265)
ˇ ˛
Der Impuls-Eigenzustand ˇp.1/ ;    ; p.n/ ist simultaner Eigenzustand zu allen P -
.˛/
Operatoren, mit den Eigenwerten fpi ji D 1;    ; d I ˛ D 1;    ; ng. Die zugehö-
rige Wellenfunktion lautet in der Ortsdarstellung:
1 i Pn
˛D1 p r
.¸/ .˛/
p.1/ ; ;p.n/ .r ;    ; r.n/ / D
.1/
nd=2
e „ (3.266)
.2„/
Insbesondere ist
ˇ .1/ ˛ ˇ ˛ ˇ ˛ ˇ ˛
ˇp ;    ; p.n/ D ˇp.1/ ˝ ˇp.2/ ˝    ˝ ˇp.n/ : (3.267)

Der Hamilton-Operator lautet nun, für ein Potential V .r.1/ ;    ; r.n/ / und Teilchen-
massen m.˛/
!
Xn
P.˛/2
H D C V .X ;    ; X /
.1/ .n/
(3.268)
˛D1
2m.˛/
Xn
„2  
D .˛/
.˛/ C V r.1/ ;    ; r.n/ ; (3.269)
˛D1
2m

wobei .˛/ der Laplace-Operator zum Ortsvektor r.˛/ ist. Die Schrödinger-Glei-
chung lautet
d Xn
„2
i„ D .˛/
.˛/ C V : (3.270)
dt ˛D1
2m
3.8 Mehrere Teilchen 129

Im einfachsten Fall ist die Wellenfunktion das Tensorprodukt der Wellenfunktionen


der Einzelteilchen,
ˇ ˛ ˇ ˛ ˇ ˛
j .t/i D ˇ .1/ .t/ ˝ ˇ .2/ .t/ ˝    ˝ ˇ .n/ .t/ ; (3.271)
 .1/       
r ;    ; r.n/ ; t D .1/ r.1/ ; t r ; t    .n/ r.n/ ; t :
.2/ .2/
(3.272)

Solche Lösungen der Schrödinger-Gleichung existieren, wenn die Teilchen nicht


untereinander in Wechselwirkung stehen, sondern sich jedes Teilchen in einem ex-
ternen Potential befindet, das nicht von den Orten der anderen Teilchen abhängt,
       
V r.1/ ;    ; r.n/ D V .1/ r.1/ C V .1/ r.2/ C    C V .n/ r.n/ : (3.273)

In diesem Fall ist die Schrödinger-Gleichung nämlich separierbar. Betrachten wir


als Beispiel ein Zweiteilchensystem, in dem (3.273) erfüllt ist. Dann ist H D
H .1/ C H .2/ mit

P.1/2   P.2/2  
H .1/ D .1/
C V X.1/ ; H .2/ D .2/
C V X.2/ : (3.274)
2m 2m
Mit dem Separationsansatz (3.272) wirkt jeder der beiden Operatoren nur auf eines
der Teilchen,  
H D H .1/ .1/ .2/ C .1/ H .2/ .2/ : (3.275)
Insbesondere kommutieren H .1/ und H .2/ miteinander und auch mit H , alle drei
lassen sich also gemeinsam diagonalisieren. Suchen wir nach stationären Lösungen,
können wir daher jedes der beiden Teilchen separat betrachten. Aus

H .1/ .1/
D E .1/ .1/
; H .2/ .2/
D E .2/ .2/
(3.276)

folgt
H DE ; E D E .1/ C E .2/ : (3.277)
Auch die Zeitentwicklung der Eigenzustände ist konsistent:
E
j .t/i D j .0/i e i „ t (3.278)
ˇ ˛ E .1/ ˇ ˛ E .2/
D ˇ .1/ .0/ e i „ t ˝ ˇ .2/
.0/ e i „
t
(3.279)
ˇ ˛ ˇ ˛
D ˇ .1/ .t/ ˝ ˇ .2/ .t/ ; (3.280)

vgl. dazu die Diskussion in Abschn. 2.10.

Ein anderer separierbarer Fall bei zwei Teilchen tritt auf, wenn das Potential ein
reines Wechselwirkungspotential ist, das nur von der relativen Position der beiden
Teilchen zueinander abhängt:
   
V r.1/ ; r.2/ D V r.1/  r.2/ (3.281)
130 3 Formalismus II: Unendlichdimensionale Hilbert-Räume

Genau wie in der klassischen Mechanik kann ein solches System in Schwerpunkt-
und Relativbewegung separiert werden. Es ergeben sich jedoch ein paar neue
Aspekte, auf die wir hier eingehen wollen. Mit den neuen Ortsvektoren (S steht für
Schwerpunkt, R für relativ)

m.1/ r.1/ C m.2/ r.2/


rS D ; rR D r.2/  r.1/ ; (3.282)
m.1/ C m.2/

den Definitionen für Gesamtmasse M und reduzierte Masse ,

m.1/ m.2/
M D m.1/ C m.2/ ; D ; (3.283)
m.1/ C m.2/

und den Impulsen

pS D M rP S D p.1/ C p.2/ (3.284)


m p m p
.1/ .2/ .2/ .1/
pR D PrR D (3.285)
m.1/ C m.2/

(Punkte stehen wie üblich für Zeitableitungen) lautet die Hamilton-Funktion

p2S p2
h D hS C hR D C R C V .rR /: (3.286)
2M 2

Aufgabe 3.17
Rechnen Sie das nach.

Wie sieht der zugehörige Hamilton-Operator H aus? Zunächst ist

PS D i„.r .1/ C r .2/ / (3.287)


 .1/ .2/
m r  m.2/ r .1/
PR D i„ : (3.288)
m.1/ C m.2/

Aufgabe 3.18
Zeigen Sie mithilfe der Kettenregel, dass

PS D i„rS ; PR D i„rR ; (3.289)

wobei rS D .@=@xS1 ; @=@xS 2; @=@xS 3/ und analog für rR (xS1 ist die erste
Komponente von rS etc.).
3.8 Mehrere Teilchen 131

Die neuen Impulsoperatoren ergeben sich also genau wie die alten als partielle
Ableitungen nach den Koordinaten, insbesondere gelten die kanonischen Vertau-
schungsrelationen

ŒXS i ; PSj  D i„ıij ; ŒXRi ; PRj  D i„ıij ; (3.290)



XRi ; PSj D 0; ŒXS i ; PRj  D 0: (3.291)

Der neue Hamilton-Operator lautet demnach

„2 „2
H D HS C HR D  S  P C V .XR /: (3.292)
2M 2

Diese Erhaltung der Ersetzungsregel p ! P in den neuen Koordinaten ist nicht


selbstverständlich. Sie gilt, weil es sich um eine kanonische Transformation han-
delt, siehe Streber-Ecke 3.2.
Mit (3.292) kann nun die zeitunabhängige Schrödinger-Gleichung für die Wel-
lenfunktion, geschrieben als Funktion der neuen Koordinaten O .rS ; rR /, separiert
werden. Für stationäre Zustände ist

O .rS ; rR / D S .rS / R .rR /; (3.293)


H O D E O; H S D ES S; H R D ER R; E D ES C ER : (3.294)

Hierbei ist S die Wellenfunktion eines freien Teilchens mit Impuls pS und Ener-
gie ES D PS2 =.2M /. R ist die Wellenfunktion eines Teilchens mit Masse und
Energie ER im externen Potential V . Die ursprüngliche Wellenfunktion .r.1/ ; r.2/ /
lässt sich aus O .rS ; rR / durch Einsetzen der Transformationsregeln (3.282) gewin-
nen:

m.1/ r.1/ C m.2/ r.2/
.r.1/ ; r.2/ / D O rS D ; rR D r.2/
 r.1/
(3.295)
m.1/ C m.2/

Diese Wellenfunktion ist jedoch kein Tensorprodukt der Form


   .1/   
O r.1/ ; r.2/ D .1/
r .2/
r.2/ : (3.296)

Die stationären Lösungen des quantenmechanischen Zweikörperproblems sind ver-


schränkte Zustände der beiden Teilchen.

Fragen zum Selbstcheck


1. Wird der Zustand von n Teilchen im Allgemeinen von einer oder von n Wel-
lenfunktionen beschrieben?
2. Wie behandelt man ein Zweikörperproblem in der QM, wenn das Potential
nur von der relativen Position der beiden Teilchen abhängt?
Interpretationen
4

Verschiedene Interpretationen der QM werden diskutiert, insbesondere die Viele-Welten-


Interpretation, die Kopenhagener Deutung und die Bohm’sche Mechanik.

4.1 Problematik

Was soll man nun von diesem Formalismus halten, den wir auf den letzten 120 Sei-
ten definiert haben? Was bedeutet er? Während der Formalismus der QM in den
1920er Jahren innerhalb relativ kurzer Zeit durch Schrödinger, Heisenberg, Born,
Dirac und andere entwickelt wurde, verteilten sich die Fortschritte in der Interpre-
tation der Theorie über einen sehr viel längeren Zeitraum. Zu Beginn herrschte die
sog. Kopenhagener Deutung vor, die vor allem auf Bohr und Heisenberg zurück-
geht, von Einstein jedoch heftig angegriffen wurde. Die Viele-Welten-Interpretation
wurde von Everett 1957 eingeführt und in den Jahrzehnten danach bis heute von
verschiedenen Seiten her ausgebaut. Eine deterministische Variante der QM mit ver-
borgenen Variablen wurde erstmals von de Broglie 1927 vorgeschlagen und 1952
von Bohm weiterentwickelt. Die für die Problematik so entscheidende Bell’sche
Ungleichung wurde erst 1964 von Bell aufgestellt. Durch die Fortschritte in der
Quanteninformationstheorie und die experimentell immer ausgefeiltere Erzeugung
verschränkter Zustände in den letzten 30 Jahren wurde wieder ein neues Licht auf
die Thematik geworfen.
Die Entwicklungen hinsichtlich der Frage, was die QM eigentlich bedeutet, er-
folgten zwar in kleinen Schritten, die aber im Lauf der Jahrzehnte einen erheblichen
Wandel in der Darstellung und Sicht der QM bewirkt haben. Heute finden wir uns
vor einem recht breiten Spektrum an Sichtweisen in Bezug darauf, was die QM
genau aussagt und welche Stellung den durch sie beschriebenen Zustandsvektoren
zukommt. Die Breite dieses Spektrums kann man absehen, wenn man das 2011 er-
schienene Buch Elegance and Enigma [Schlosshauer (2011)] liest, eine Sammlung

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 133


J.-M. Schwindt, Tutorium Quantenmechanik, DOI 10.1007/978-3-662-49399-1_4
134 4 Interpretationen

von Interviews mit aktuellen Vertretern auf diesem Forschungsgebiet. Wie myste-
riös die QM auch oder gerade den Experten immer noch erscheint, lässt sich an
folgender Textstelle ermessen:

„It is not at all clear what quantum theory is about. Indeed, it is not at all clear what quan-
tum theory actually says. Is quantum mechanics fundamentally about measurement and
observation? Is it about the behavior of macroscopic variables? Or is it about our mental
states? Is it about the behavior of wave functions? Or is it about the behavior of suitable
fundamental microscopic entities, elementary particles and/or fields? Quantum mechanics
provides us with formulas for lots of probabilities. What are these the probabilities of? Of
results of measurements? Or are they the probabilities for certain unknown details about
the state of a system, details that exist and are meaningful prior to measurement?“
(S. Goldstein in [Schlosshauer (2011)])

Wir werden einige dieser Fragen im Folgenden aufgreifen und nun die Kernpro-
bleme, die sich aus dem QM-Formalismus ergeben, im Einzelnen betrachten.

Das Messproblem Was genau passiert bei einer Messung? Der Formalismus sug-
geriert, dass ein Quantenzustand die Möglichkeiten des Ausgangs der Messung
enthält, mitsamt den zugeordneten Wahrscheinlichkeiten. Die Messapparatur wirkt
auf den Zustand in Form eines Projektionsoperators, der den Zustand auf einen
Eigenraum eines hermiteschen Operators projiziert, der mit der gemessenen Obser-
vablen assoziiert ist. Der Bruch zwischen dem erlebten Vorgang der Messung und
der Beschreibung im Formalismus könnte kaum größer sein. Denn ein Messappa-
rat, ein Kasten mit Zeiger, ist offenbar etwas völlig anderes als ein hermitescher
Operator. Wie kommt also der Operator in den Kasten? Unter einem punktförmi-
gen Teilchen im dreidimensionalen Raum stellen wir uns auch etwas völlig anderes
vor als einen Vektor in einem unendlichdimensionalen komplexen Hilbert-Raum.
Wie hängen die beiden zusammen? Und wieso kollabiert der Zustandsvektor im
Moment der Messung zu einem bestimmten Eigenvektor? Was ist so einzigartig an
einer Messung, dass sie als einziger Vorgang der Welt die Macht hat, einen Zustand
kollabieren zu lassen? Ist der Zustandsvektor etwas Reales, das da kollabiert? Und
in welchem Moment genau kollabiert er? Oder ist das ein kontinuierlicher, dynami-
scher Prozess? Kollabiert er am Ende gar nicht, und es kommt uns nur so vor? Sind
das Teilchen und der Zustandsvektor ein und dasselbe? Heißt das, es gibt eigentlich
gar kein Teilchen? Oder der Zustandsvektor kollabiert im Moment der Messung zu
einem Teilchen? Oder den Zustandsvektor gibt es eigentlich gar nicht „da draußen“,
er beschreibt nur die Information, die wir über das Teilchen haben, und nur diese
Information kollabiert? Aber wenn gemäß Bells Erkenntnissen die Eigenschaften
des Teilchens vor der Messung nicht existieren und der Zustandsvektor auch nicht
existiert (weil er nur unsere subjektive Information darstellt), was existiert dann
überhaupt vor dem Moment der Messung? Wie haben wir uns die Überlagerung
verschiedener Möglichkeiten vorzustellen, was bedeutet sie?

Im Zusammenhang dieser Fragen ist das Gedankenexperiment mit Schrödin-


gers Katze berühmt geworden, das aber eher metaphorischen Charakter hat (kein
4.1 Problematik 135

Physiker würde solch einen grausamen Tierversuch unterstützen!): Eine Katze liegt
in einem verschlossenen Kasten. Außerdem befinden sich in dem Kasten eine ra-
dioaktive Substanz und ein Detektor, der zerfallende Atome registriert. Wenn der
Detektor in einem bestimmten Zeitintervall Œt1 ; t2  anspricht, was mit genau 50 %
Wahrscheinlichkeit geschieht, dann löst er einen Mechanismus aus, der die Katze
tötet. Zu einem späteren Zeitpunkt t3 öffnet der Experimentator die Kiste und findet
eine lebende oder eine tote Katze. In welchem Zustand befindet sich die Katze im
Intervall Œt2 ; t3 ? Eine Überlagerung aus tot und lebendig, p12 .jtoti C jlebendigi/?
Und wenn der Experimentator die Kiste öffnet, kollabiert dieser Zustand zu jtoti
oder jlebendigi?

Das Gedankenexperiment wurde durch Wigner um Wigners Freund erwei-


tert: Im Labor öffnet Wigners Freund die Kiste mit der Katze. Wigner wartet
außerhalb des Labors auf seinen Freund und die Information, ob die Katze noch
lebt. Solange die Tür verschlossen ist, dringt keine Information nach außen. Erst
als Wigners Freund herauskommt, erfährt Wigner das Ergebnis. Das Labor fun-
giert also als zweiter Kasten um den ersten Kasten. Solange Wigners Freund
noch im Labor ist, befindet er sich im Zustand p12 .jW: F: sieht tote Katzei C
jW: F: sieht lebende Katzei/. Wann genau findet also der Kollaps statt? Gibt es
einen objektiven Zeitpunkt, zu dem dies geschieht? Oder ist der Kollaps subjektiv,
findet also erst im Bewusstsein des jeweiligen Betrachters statt?

Determinismus oder Zufall Die klassische Physik ist deterministisch. Wenn die
Orte aller Teilchen, die Verteilungen aller Felder zu einem bestimmten Zeitpunkt
mitsamt ihren ersten zeitlichen Ableitungen bekannt sind, kann man im Prinzip die
Teilchenorte und Feldverteilungen zu jedem anderen Zeitpunkt (vorwärts und rück-
wärts) daraus ableiten. In der QM scheint das nicht mehr der Fall zu sein. Sind
die Messergebnisse aber wirklich zufällig? Oder gibt es verborgene Variablen, die
die Ergebnisse von vornherein festlegen? Ähnlich ist es ja auch beim klassischen
Würfel: In Wirklichkeit ist das Ergebnis des Wurfs bereits durch den Impuls und
Drehimpuls des Würfels beim Werfen sowie durch seine sonstigen physikalischen
Eigenschaften (z. B. Elastizität) und die Eigenschaften des Tisches festgelegt. Dem
Werfer entziehen sich jedoch die Details dieser Eigenschaften, so dass er annimmt,
dass alle sechs möglichen Ergebnisse mit der gleichen Wahrscheinlichkeit eintref-
fen. Oder er erschließt sich dies, indem er viele Würfe durchführt (die sich natürlich
alle in den Details in Impuls und Drehimpuls unterscheiden), und ermittelt auf diese
Weise statistisch, dass das Werfen jedes der Ergebnisse mit der Wahrscheinlichkeit
1=6 herbeiführt. Ist es bei der QM ähnlich? Oder ist es am Ende sogar so, dass
alle möglichen Messergebnisse zugleich tatsächlich eintreffen, und wir wissen nur
nichts davon?

Die Enstehung der klassischen Welt Bis vor etwa 100 Jahren schien die klassi-
sche Physik hinreichend, um unsere Welt zu beschreiben. Das liegt daran, dass für
die meisten makroskopischen Phänomene die QM vernachlässigbar ist. Quanten-
136 4 Interpretationen

phänomene erscheinen hier oft nur als kleine Korrekturen zur klassischen Beschrei-
bung. Wie kommt es, dass die klassische Mechanik so eine gute Näherung ist?
Warum sehen wir uns nicht von einem Nebel aus verschmierten Objekten umge-
ben? Warum bewegen sich die Planeten auf wohldefinierten Bahnen um die Sonne,
ganz anders als die „Elektronenwolke“ um den Atomkern? Warum erscheint uns
der Raum überhaupt als dreidimensional, wo sich doch die Quantenphysik in einem
unendlichdimensionalen Hilbert-Raum abspielt?
Im Gegensatz zu den meisten anderen Fragestellungen in diesem Kapitel gibt es
zu diesem Thema Ergebnisse, über die im Großen und Ganzen Einigkeit herrscht
und die das Problem zumindest teilweise lösen: Quantenobjekte nehmen klassische
Eigenschaften an, indem sie mit ihrer Umgebung wechselwirken. Das Phänomen
ist unter dem Namen Dekohärenz bekannt. Ganz grob kann man sagen: Je ma-
kroskopischer ein Objekt ist, desto stärker wechselwirkt es mit seiner Umgebung
(z. B. durch Stöße oder durch Absorption und Emission von Strahlung), desto stär-
ker fällt daher die Dekohärenz aus und desto „klassischer“ erscheint es uns dadurch.
Wie Dekohärenz genau funktioniert, werden wir in Abschn. 12.4 besprechen. Auch
im Abschnitt über die Viele-Welten-Interpretation werden wir noch einmal darauf
zurückkommen, weil Dekohärenz dort eine wichtige Rolle spielt. An dieser Stel-
le weisen wir nur noch einmal darauf hin, dass die Dekohärenz keine Frage der
Interpretation ist, sondern eine direkte Folge der Schrödinger-Gleichung. Dem in-
teressierten Leser sei hierzu das Buch [Joos et al. (2003)] empfohlen.

Information und Existenz Etwas tiefer in die Philosophie steigt man ein, wenn
man sich die Frage nach der Beziehung zwischen Information und Existenz im
Zusammenhang mit der QM stellt. Für viele ist dies das Kernproblem bei der Inter-
pretation der QM. Wheeler hat hierfür den Ausdruck „It from bit“ geprägt, wobei It
für das Seiende, Bit für die Information steht. Ist das Seiende am Ende nichts ande-
res als Information? Oder wird es nur durch Information beschrieben? Wie objektiv
ist diese Beschreibung? Stellt sie etwa nur eine bestimmte subjektive Perspektive
dar? Und was ist überhaupt Information? Smolin schreibt:

„The only interpretations of quantum mechanics that make sense to me are those that treat
quantum mechanics as a theory of the information that observers in one subsystem of the
universe can have about another subsystem.“ (L. Smolin in [Schlosshauer (2011)])

Ist der Quantenzustand also etwas rein Epistemisches (d. h. die Erkenntnis,
unser Wissen betreffend) oder etwas Ontisches (etwas „wirklich“ Existierendes)?
Und worin genau besteht der Unterschied? Interessanterweise wurde erst kürzlich
eine Klasse von Interpretationen, die den Quantenzustand als rein epistemisch auf-
fassen, widerlegt [Pusey et al. (2011)].

Nachdem wir nun die Kernprobleme kurz vorgestellt haben, werden wir im Fol-
genden einige Interpretationen der QM kennenlernen und sehen, welche Antworten
sie auf die oben gestellten Fragen parat haben.
4.2 Viele-Welten-Interpretation 137

4.2 Viele-Welten-Interpretation

Abb. 4.1 Die Grundidee der Viele-Welten-Interpretation. Cartoon von Max Tegmark, übernom-
men aus Our Mathematical Universe.

Die Viele-Welten-Interpretation ist in gewisser Weise die konservativste, minima-


le Interpretation der QM. Deshalb steht sie in unserer Auflistung am Anfang. Sie
wird auch Everett-Interpretation genannt, weil Everett sie als Erster beschrieben
hat. David Wallace, einer ihrer derzeitigen Hauptvertreter, schreibt:

„The Everett interpretation just is ordinary quantum mechanics.“ (D. Wallace in [Schloss-
hauer (2011)])

Sie ist konservativ, weil sie weder den Realismus noch den Determinismus der
klassischen Physik aufgibt: Die Quantenzustände sind ontisch, also real. Ihre deter-
ministische Entwicklung ist durch die Schrödinger-Gleichung gegeben. Punkt. Al-
les andere folgt daraus. Der Messprozess ist ein quantenphysikalischer Prozess wie
jeder andere und wird durch die zeitabhängige Schrödinger-Gleichung beschrieben,
für ihn gelten keine Sonderregeln. Es gibt keine verborgenen Variablen. Es gibt auch
keinen Kollaps der Wellenfunktion.
138 4 Interpretationen

Die Interpretation sieht nur die Postulate 1 und 4 aus Abschn. 2.1 als fundamen-
tal an (Hilbert-Raum, Zustände, Schrödinger-Gleichung) und steht vor der Auf-
gabe, die anderen als Ergebnis eines physikalischen Prozesses daraus abzuleiten.
Das heißt, sie muss erklären können, warum wir als Messergebnisse Eigenwer-
te hermitescher Operatoren erhalten und warum wir die Ergebnisse subjektiv als
zufallsbedingt erfahren (die Wahrscheinlichkeiten sind in der Viele-Welten-Inter-
pretation nur subjektiv!). Diese Aufgabe ist nicht einfach, aber naheliegend. Es ist
sinnvoll, bei einer Theorie von einer möglichst geringen Zahl von Postulaten auszu-
gehen und möglichst viel daraus abzuleiten, der Theorie also nichts Überflüssiges
hinzuzufügen.
Woher hat die Viele-Welten-Interpretation ihren Namen? Betrachten wir den
Messprozess. An ihm beteiligt sind zunächst ein Messapparat M und ein zu beob-
achtendes Objekt X. Nehmen wir an, X kann nur zwei linear unabhängige Zustände
haben, jXCi und jXi. Der Zustand jXCi lässt den Zeiger von M nach rechts aus-
schlagen, jXi nach links (daher haben wir diese Basis für HX , den Zustandsraum
von X, gewählt). Wie alle anderen physikalischen Objekte funktioniert auch M
nach den Regeln der QM, d. h., M wird durch einen quantenmechanischen Zustand
beschrieben. Vor der Messung ist M im Zustand jM 0i (Zeiger steht auf null), nach
der Messung sind die Zustände jM Ci (Zeiger rechts) und jM i (Zeiger links)
möglich. In Wirklichkeit hat der Hilbert-Raum eines Messapparats aufgrund sei-
ner inneren Freiheitsgrade – der Zustände jedes der Atome, aus denen er besteht –
eine riesige Anzahl an Dimensionen. Dass wir uns auf drei beschränken, stellt ei-
ne starke Vereinfachung dar. Der sechsdimensionale Zustandsraum H1 des aus M
und X bestehenden Quantensystems ist das Tensorprodukt der Zustandsräume HM
(dreidimensional) und HX (zweidimensional) von M und X,

H1 D HM ˝ HX : (4.1)

Die Messung findet im Zeitraum Œt1 ; t2  statt. Zum Zeitpunkt t1 befinde sich X
im Zustand jXCi. Der Gesamtzustand ist

j .t1 /i D jM 0i ˝ jXCi : (4.2)

Zwischen t1 und t2 findet eine Wechselwirkung zwischen X und M statt und der
Zeiger schlägt aus. Zum Zeitpunkt t2 ist der Gesamtzustand also

j .t2 /i D jM Ci ˝ jXCi : (4.3)

Wie jeder andere Zustand genügt auch j i der Schrödinger-Gleichung, d. h.,


j .t2 /i entsteht aus j .t1 /i durch unitäre Evolution anhand eines Hamilton-Ope-
rators H1 , nämlich des Operators, der die Gesamtenergie von M und X beschreibt.
Wie H1 genau aussieht, braucht uns hier nicht zu interessieren. Er enthält jedenfalls
einen Wechselwirkungsterm, der den Einfluss von X auf M beschreibt. Völlig
analoge Überlegungen gelten, wenn sich X im Zustand jXi befindet.
Betrachten wir nun die Situation, dass sich X vor der Messung im Zustand
˛ jXCi C ˇ jXi befindet, also einer Überlagerung der beiden Basiszustände. Der
4.2 Viele-Welten-Interpretation 139

Gesamtzustand ist zunächst

j .t1 /i D jM 0i ˝ .˛ jXCi C ˇ jXi/ (4.4)


D ˛ jM 0i ˝ jXCi C ˇ jM 0i ˝ jXi : (4.5)

Wie sieht der Gesamtzustand zum Zeitpunkt t2 aus? Die zeitliche Entwicklung des
Systems ist linear, d. h., die einzelnen Summanden entwickeln sich völlig unabhän-
gig voneinander (das ist das Superpositionsprinzip!). Der erste Summand entspricht
bis auf den konstanten Faktor ˛ dem Zustand (4.2) und entwickelt sich daher auch
genau wie dieser, nämlich zum Zustand (4.3). Der zweite Summand entwickelt sich
analog. Nach der Messung, zum Zeitpunkt t2 , ist der Gesamtzustand also

j .t2 /i D ˛ jM Ci ˝ jXCi C ˇ jM i ˝ jXi : (4.6)

Was bedeutet das? Nach der Messung besteht der Zustand aus zwei Summanden:
Der eine beschreibt ein Messgerät, dessen Zeiger nach rechts ausschlägt, und den
Anteil des Messobjekts, der zu diesem Ausschlag nach rechts geführt hat. Der an-
dere beschreibt ein Messgerät, dessen Zeiger nach links ausschlägt, und den Anteil
des Messobjekts, der zu diesem Ausschlag nach links geführt hat. Es werden also
tatsächlich beide möglichen Messresultate realisiert. Bei der Messung verschrän-
ken sich die Zustände des Messgeräts und des Messobjekts miteinander. Das heißt,
der Gesamtzustand kann nicht mehr als Tensorprodukt des Messapparatzustands
mit dem Zustand des Messobjekts dargestellt werden, sondern nur noch als Summe
mehrerer solcher Produkte. Der Zustand des Messapparats ist relativ zum Zustand
des Messobjekts.
Als Nächstes nehmen wir einen Beobachter B hinzu, der im Zeitraum Œt2 ; t3  das
Messgerät abliest. Auch B ist in der Viele-Welten-Interpretation ein quantenphy-
sikalisches Objekt. Vor der Messung ist er im Zustand jB0i (B ohne Kenntnis des
Ergebnisses), nach der Messung sind die Zustände jBCi (B sieht Zeiger rechts) und
jBi (B sieht Zeiger links) möglich. Wieder haben wir stark vereinfacht und den
Hilbert-Raum HB des Beobachters auf drei Dimensionen reduziert. Der gesamte
Hilbert-Raum H2 ist jetzt zwölfdimensional:

H2 D HB ˝ HM ˝ HX (4.7)

Der Zustand in diesem Hilbert-Raum folgt wieder einer Schrödinger-Gleichung mit


einem Hamilton-Operator H , der jetzt durch eine 1212-Matrix dargestellt wird. H
enthält einen Wechselwirkungsterm, der im Zeitraum Œt1 ; t2  zu einer Verschränkung
von M mit X führt, und einen weiteren Wechselwirkungsterm, der im Zeitraum
Œt2 ; t3  zu einer Verschränkung von B mit M führt:

j .t1 /i D jB0i ˝ jM 0i ˝ .˛ jXCi C ˇ jXi/ (4.8)


j .t2 /i D jB0i ˝ .˛ jM Ci ˝ jXCi C ˇ jM i ˝ jXi/ (4.9)
j .t3 /i D ˛ jBCi ˝ jM Ci ˝ jXCi C ˇ jBi ˝ jM i ˝ jXi (4.10)
140 4 Interpretationen

Wieder hat der Zustand am Ende zwei Summanden: Der eine beschreibt einen
Beobachter, der einen Ausschlag des Zeigers nach rechts sieht, zusammen mit ei-
nem Messgerät, dessen Zeiger tatsächlich nach rechts ausschlägt, und den Anteil
des Messobjekts, der zu diesem Ausschlag nach rechts geführt hat. Der andere
beschreibt einen Beobachter, der einen Ausschlag des Zeigers nach links sieht, zu-
sammen mit einem Messgerät, dessen Zeiger tatsächlich nach links ausschlägt, und
den Anteil des Messobjekts, der zu diesem Ausschlag nach links geführt hat.
Das System aus B, M und X hat sich gewissermaßen aufgespalten in zwei sepa-
rate Systeme, die nichts mehr voneinander wissen. (Insbesondere hat sich auch der
Beobachter aufgespalten!) Der Beobachter im Zustand jBCi hat keine Möglichkeit,
mit dem Beobachter im Zustand jBi zu kommunizieren.
Man kann das Spielchen so weiter treiben. Wenn es sich bei B um Wigners
Freund handelt, dann steht draußen Wigner und wartet darauf, Informationen zu
erhalten. Wigner wird ebenfalls durch einen Quantenzustand beschrieben, in einem
weiteren Hilbert-Raum HW . Dieser Zustand verschränkt sich mit dem von B, wenn
W von B das Ergebnis hört (eine weitere Wechselwirkung), und dadurch spaltet
sich auch W auf. Auf diese Weise wird sukzessive der Zustand der gesamten Welt
aufgespalten, indem sich die Superposition der beiden Zustände von X durch Wech-
selwirkung immer weiter ausbreitet. Die Dynamik der Wechselwirkung entscheidet
dabei jeweils, wie schnell diese Aufspaltung stattfindet und entlang welcher Basis
sie geschieht (jBCi ˝ jM Ci ˝ jXCi etc.).
Es handelt sich hier nicht um eine tatsächliche Aufspaltung einer Raumzeit in
zwei Raumzeiten. Man sollte sich das Ganze eher analog zu Radiosendern vorstel-
len. Dort gilt das gleiche Superpositionsprinzip. Alle Sender sind in der gleichen
elektromagnetischen Welle enthalten. Die verschiedenen Frequenzanteile der Welle
breiten sich unabhängig voneinander aus. Die verschiedenen Sender entsprechen
bestimmten Frequenzabschnitten. Wer einen Sender hört, bekommt von den an-
deren Sendern nichts mit. In der QM spaltet sich bei einer Messung ein Sender
(Zustandsvektor) in mehrere Sender (Summanden des Zustandsvektors) auf, der
„Frequenzabschnitt“ des ursprünglichen Senders wird dabei in mehrere kleinere
Abschnitte aufgeteilt. Das ist das Bild, das die Viele-Welten-Interpretation vom
Messvorgang zeichnet.

Ist eine solche Darstellung des Messprozesses schlüssig? Können wir den Mess-
prozess als unitäre Entwicklung des Quantenzustands von Beobachter, Messapparat
und Messobjekt darstellen? Wir haben gesehen, dass wenn wir das tun, dies automa-
tisch zur Verschränkung der beteiligten Untersysteme und einer Art Aufspaltung der
Welt führt. Treten denn ähnliche Arten der Verschränkung in einfacheren physika-
lischen Prozessen in der Natur auf, die wir als Anhaltspunkt dafür nehmen können,
dass unsere Darstellung des Messprozesses korrekt ist? Die mittlerweile gut beleg-
te Theorie der Dekohärenz besagt, dass dies tatsächlich der Fall ist, und gibt somit
den Befürwortern der Viele-Welten-Interpretation ein gewichtiges Argument in die
Hand. Dekohärenz führt nämlich nicht nur zur klassischen Erscheinung makrosko-
4.2 Viele-Welten-Interpretation 141

pischer Objekte, sondern auch zu einer immer weiter gehenden Verschränkung vom
Typ (4.4)!(4.6). Die klassische Erscheinung gilt dann nur in jedem Summanden
des Zustandsvektors separat – z. B. im einen Summanden eine klassisch erschei-
nende lebende Katze, im anderen eine tote.
Durch das Dekohärenzphänomen erhält die Beschreibung des Messprozesses in
der Viele-Welten-Interpretation eine physikalische Begründung. Die Aufspaltung
in mehrere Welten ist demnach ein kontinuierlicher, dynamischer Prozess. Bei ei-
ner Observablen mit diskretem, endlichem Spektrum spaltet sich die Welt in so
viele Teile auf (d. h. so viele Summanden von Tensorprodukt-Zuständen), wie es
mögliche Messwerte gibt. Jeder Teilwelt entspricht ein Messwert. Wie ist es bei
Observablen mit kontinuierlichem oder diskretem, aber unendlichem Spektrum?
Hier müssen wir uns klarmachen, dass jede Messapparatur eine endliche Auflösung
und eine endliche Skala hat. Effektiv kann sie also nur zwischen endlich vielen
Messwerten unterscheiden. Dekohärenz geschieht durch Wechselwirkung mit der
Umgebung, und wenn es für die Umgebung keinen Unterschied macht, ob das
Messobjekt sich im Zustand 1 oder 2 befindet, findet auch keine Verschränkung,
keine Aufspaltung der Welt statt.
Jede Messapparatur entspricht also einer Observablen mit endlichem Spektrum,
auch bei einer Orts- oder Impulsmessung. Der Orts- oder Impulsoperator ist so
zu modifizieren, dass er der endlichen Auflösung des Aufbaus gerecht wird. Nach
dem Spektrum welchen Operators die Welt aufgespalten wird, ist aus dem Aufbau
herleitbar und folgt aus der Dynamik des Messprozesses, also letzlich aus dem
Hamilton-Operator H1 , der den Messvorgang, die Zeitentwicklung des Zustands in
H1 D HM ˝ HX beschreibt. Genauer gesagt: Zunächst folgt aus dem Aufbau bzw.
der Dynamik, welcher Unterraum von HX in welchem Zweig des Zustandsvektors
(also in welcher Welt) landet. In unserem Beispiel oben landet der eindimensionale
Unterraum, der von jXCi aufgespannt wird, im einen Zweig und der von jXi
aufgespannte Unterraum im anderen Zweig. Diese Unterräume müssen die Eigen-
räume des gesuchten Operators sein. Die Eigenwerte und somit der Operator (die
Observable) folgen aber erst daraus, welche Messwerte der Beobachter mit den
Zeigerpositionen assoziiert. Wenn in unserem Beispiel oben der Beobachter B mit
den Zeigerpositionen jM Ci und jM i die Messwerte ˙„=2 assoziiert (z. B. weil
er weiß, dass es um eine Spinmessung geht), dann hat er „den Zustand von X bzgl.
der Basis jXCi ; jXi mit dem hermiteschen Operator „2 z gemessen“. Das zweite
Postulat der QM folgt also erst, wenn man die Psychologie des Beobachters heran-
zieht. Er hat das „Gefühl“, er habe ein eindeutiges Messergebnis für eine bestimmte
Observable erhalten, die einem bestimmten hermiteschen Operator entspricht.

Die Aufspaltung der Welt bzw. ihres Zustandsvektors geschieht sukzessive und
findet bei jedem Dekohärenzvorgang statt. Nach einem solchen Vorgang wird die
Welt in n Zweige aufgespalten. Von nun an muss man jeden Zweig separat betrach-
ten. Findet im k-ten Zweig eine weitere Dekohärenz statt, wird dieser k-te Zweig
erneut aufgespalten und so weiter.
142 4 Interpretationen

Probleme der Viele-Welten-Interpretation


Wie gesagt, beruht die Viele-Welten-Interpretation ausschließlich auf den Postu-
laten 1 und 4 und muss die anderen beiden daraus herleiten, sei es auch nur als
subjektives Empfinden eines Beobachters. Für das zweite Postulat haben wir das
oben skizziert. Wie verhält es sich mit dem dritten Postulat? Woher kommen die
Wahrscheinlichkeiten in einem deterministischen Vielwelten-Universum? In der
Viele-Welten-Interpretation ist die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Messwert erzielt
wird, ein rein subjektives Phänomen. Der große Unterschied zum klassischen Wür-
fel ist, dass tatsächlich jedes mögliche Ergebnis einer Quantenmessung eintritt (so
als würden bei einem einzigen Wurf des Würfels alle sechs Ergebnisse gleichzeitig
erzielt). Der Beobachter bekommt hiervon jedoch nichts mit. Jeder der beiden Be-
obachter jBCi und jBi in (4.10) findet sich in einer Welt wieder, in der nur eines
der beiden möglichen Ergebnisse eingetreten ist. Warum dies dazu führt, dass er
den möglichen Ergebnissen die Wahrscheinlichkeiten j˛j2 bzw. jˇj2 zuordnet, also
die quadrierten Längen der beiden Summanden in (4.10), ist eine offene Frage in
der Viele-Welten-Interpretation (zumindest ist umstritten, ob sie bereits hinreichend
geklärt wurde). Für viele Gegner der Interpretation ist der Umstand, dass der sta-
tistische Charakter der Messung hier nicht in schlüssiger Weise zutage tritt, bereits
ein Grund, die Viele-Welten-Interpretation auszuschließen. Befürworter hingegen
argumentieren, dass gerade die Viele-Welten-Interpretation einen Rahmen liefert,
in dem die subjektiv wahrgenommenen Wahrscheinlichkeiten bei der Quanten-
messung untersucht werden können. Man kann z. B. zeigen, dass bei mehrfacher
Wiederholung gleichartiger Messungen Folgendes gilt: Die Länge des Anteils vom
Zustandsvektor, der zu solchen Zweigen der aufgespaltenen Welt gehört, in denen
die statistische Verteilung der Messergebnisse stark von den Wahrscheinlichkeiten
aus dem dritten Postulat abweicht, konvergiert gegen null. Ob das als Erklärung
für unsere subjektiv wahrgenommenen Wahrscheinlichkeiten hinreicht, ist jedoch
umstritten. Die Frage bleibt bis heute offen.

Ein weiteres Problem ist, dass die ohnehin schon komplizierten Fragen nach
dem menschlichen Bewusstsein hier weiter verkompliziert werden. Was passiert
bei einer Aufspaltung mit unserem Bewusstsein? Die naheliegende Antwort ist,
dass es sich ebenfalls aufspaltet. Was Sie als „Ich“ bezeichnen, ist dann tatsächlich
nur einer der zahllosen Pfade, die die ursprüngliche Person, als die Sie geboren
wurden, durch die sich immer weiter verzweigenden Welten genommen hat (siehe
Abb. 4.1). Es gibt aber auch Vertreter der Viele-Welten-Interpretation, die hier
eine Aufgabe des psychophysischen Parallelismus fordern und glauben, dass das
Bewusstsein immer nur einem der Zweige folgt. Man kann nur hoffen, dass es
für alle Menschen derselbe Zweig ist, sonst ist jeder in seinem Zweig von lauter
seelenlosen Zombies umgeben.

Am wichtigsten aber scheint mir das Problem der Unterteilung des Universums
in Untersysteme zu sein: Der Zustandsvektor des Universums ist ein auf 1 nor-
mierter Vektor, der in seinem riesigen Hilbert-Raum vor sich hinrotiert. In einem
4.2 Viele-Welten-Interpretation 143

Vektorraum sehen die Vektoren der Länge 1 aber alle gleich aus. Wie kann die ge-
samte reichhaltige Struktur unserer Welt in so einem Vektor codiert sein, der so
aussieht wie alle anderen? Eine solche Struktur entsteht erst, wenn das Gesamt-
system in Untersysteme, also in Faktoren eines Tensorprodukts aufgespalten wird.
Aber nach welchen Kriterien soll man so eine Zerlegung vornehmen?
Nehmen wir ein einfacheres Beispiel: Der Raum H1 aus (4.1) ist zunächst ein-
fach ein sechsdimensionaler Vektorraum. Darin kann jeder Zustand durch einen
Einheitsvektor (einen Vektor der Länge 1) ausgedrückt werden. Die Einheitsvek-
toren eines Vektorraums sehen aber zunächst einmal alle gleich aus, solange kein
äußeres Unterscheidungsmerkmal vorgegeben wird. Man kann z. B. immer eine Ba-
sis von H1 wählen, so dass der Übergang (4.4)!(4.6) so aussieht:

.1; 0; 0; 0; 0; 0/ ! .0; 1; 0; 0; 0; 0/ (4.11)

Erst wenn man H1 auf ganz bestimmte Weise in zwei Untersysteme zerlegt,
H1 D HM ˝ HX , erzählt diese Rotation eines Einheitsvektors die Geschichte
eines Messprozesses. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, H1 als Tensorprodukt
eines drei- und eines zweidimensionalen Vektorraumes zu schreiben! ˇ E (Wählen
ˇ E Sie
ˇ .1/ ˇ .2/
eine beliebige Basis fjei ig für H1 und definieren Sie jei i D ˇej ˝ ˇek für
i D 1;    ; 6, j D 1; 2; 3, k D 1; 2.) Warum sollte man gerade diejenige Zerlegung
wählen, die die Geschichte einer Verschränkung in einem Messprozess erzählt?
Das Problem wird an dieser Stelle noch dadurch gelöst, dass das System seinerseits
mit der Umgebung wechselwirkt. Diese Wechselwirkung kann eine bevorzugte
Basis herauskristallisieren (sie bildet ein äußeres Unterscheidungsmerkmal): Der
Beobachter B sieht die Messapparatur als getrenntes Objekt, für ihn macht die
Zerlegung H1 D HM ˝ HX in dieser Form Sinn. Aber warum geben wir diesem
Beobachter B überhaupt eine Bedeutung? Er tritt schließlich nur auf, wenn wir den
zwölfdimensionalen Hilbert-Raum H2 in ganz bestimmter Weise zerlegen, nämlich
H2 D HB ˝ H1 . Was rechtfertigt diese Zerlegung, die dem Beobachter überhaupt
erst eine Identität zuweist? Die Rechtfertigung geschieht wieder durch eine äußere
Wechselwirkung, z. B. mit Wigner, der mit B als separatem Objekt interagiert.
Und so weiter. Am Ende landet man unweigerlich beim Zustandsvektor des ge-
samten Universums. Hierbei handelt es sich auch nur um einen Einheitsvektor in
einem riesigen Hilbert-Raum, und diese Einheitsvektoren sehen zunächst einmal
alle gleich aus, solange kein äußeres Unterscheidungsmerkmal gegeben wird, das
eine bevorzugte Basis herauskristallisiert. Beim gesamten Universum gibt es aber
keine zusätzliche Umgebung, keinen Beobachter außerhalb des Systems mehr, der
für eine solche bevorzugte Basis sorgen könnte. Es ist zwar so, dass eine Tensor-
zerlegung des universellen Hilbert-Raums existiert, die den Zustandsvektor gerade
so darstellt, dass er die Geschichte eines vielfach verschränkten Universums mit
Galaxien, Planeten, Messapparaturen und Beobachtern erzählt. Aber diese Wahl ist
völlig beliebig. Man kann mit gleichem Recht sagen, der Zustand des Universums
sei einfach .1; 0; 0; 0;    /.
144 4 Interpretationen

Ein Zustandsvektor besitzt nur dann einen Informationsgehalt, wenn es eine äu-
ßere Umgebung, einen äußeren Beobachter gibt, der ihn in einer bevorzugten Basis
ansieht und ihm damit Leben einhaucht. Dadurch scheint mir die Viele-Welten-In-
terpretation letztendlich unvollständig zu sein.
Wer sich ein umfangreicheres Bild über die verschiedenen Argumente für und
gegen diese Deutung der QM machen möchte, dem empfehlen wir das Buch [Saun-
ders et al. (2012)].

4.3 Kopenhagener Deutung

Die Kopenhagener Deutung ist die ursprüngliche Interpretation des QM-Forma-


lismus. Ähnlich wie die Viele-Welten-Interpretation geht sie davon aus, dass den
Postulaten des Formalismus nichts hinzuzufügen ist. Insbesondere gibt es keine
verborgenen Variablen. Anders als in der Viele-Welten-Interpretation sind hier die
Postulate alle gleichermaßen fundamental. Es können nicht die einen Postulate als
subjektives Erleben von Konsequenzen der anderen ausgelegt werden. Insbesonde-
re ist der statistische Charakter der Messung fundamental. Die QM ist prinzipiell
indeterministisch.
Der eigentliche Kern der Kopenhagener Deutung aber lautet: Die Trennung
von Modell und erlebbarer Wirklichkeit ist fundamental und nicht auflösbar.
Messapparaturen, Abläufe von Experimenten und das Verzeichnen ihrer Ergebnis-
se sind in der Sprache der klassischen Physik auszudrücken, der Sprache der von
uns erlebten Wirklichkeit. Um die Ergebnisse der Experimente – zumindest statis-
tisch – vorherzusagen, ist jedoch ein Modell notwendig, das in einer ganz anderen
Sprache abgefasst ist, nämlich der Sprache der Quantenzustände und hermiteschen
Operatoren. Der einzige Zweck und die einzige Bedeutung dieses Modells, dieser
Sprache ist es, Messergebnisse statistisch vorherzusagen. Darüber hinaus kommt
ihnen keine unabhängige Wirklichkeit zu. Quantenzustände sind nicht real. Sie sind
epistemisch, nicht ontisch.
Innerhalb der Kopenhagener Deutung gab es unterschiedliche Meinungen dar-
über, was die Ursache der Unschärfe ist. Ein Teil der Anhänger – unter ihnen
Heisenberg – ging davon aus, dass ein Teilchen schon zugleich einen Ort und einen
Impuls besitzt, wir aber immer nur eines von beidem messen können, und zwar auf-
grund der prinzipiell immer vorkommenden Wechselwirkung zwischen Teilchen
und Messapparat. Der andere Teil der Anhänger – unter ihnen Bohr – war über-
zeugt, dass das Teilchen diese Eigenschaften gar nicht besitzt, dass also die Begriffe
Ort und Impuls unabhängig von einer entsprechenden Messung für das Teilchen gar
keinen Sinn machen. Durch die Bell’sche Ungleichung wurde die Frage entschie-
den. Die Verletzung der Bell’schen Ungleichung beweist, dass bereits die Annahme,
ein Teilchen hätte zugleich beide Eigenschaften, zu einem Widerspruch führt, un-
abhängig von Wechselwirkungen mit der Messapparatur.
4.3 Kopenhagener Deutung 145

Zwischen zwei Messungen können wir das Teilchen demnach nur in Form von
Tendenzen und Möglichkeiten verstehen. Im Augenblick der Messung wird eine
der Möglichkeiten real.
Für Schrödingers Katze bedeutet das: Erst in dem Moment, wenn der Beob-
achter den Kasten öffnet, entscheidet sich ihr Schicksal. Bei der Viele-Welten-
Interpretation kam sie etwas besser weg: In einem Zweig der Welt blieb sie auf
jeden Fall am Leben.

Die Kopenhagener Deutung spricht erstens von einer als wirklich erlebten Welt,
die in der Sprache der klassischen Physik zu beschreiben ist. Diese erlebte Welt
ergibt sich dabei aus einer Folge von Beobachtungsakten. Zweitens spricht sie von
einer Modellwelt, die in der Sprache der Quantenphysik ausgedrückt wird. Von
einer tatsächlichen, objektiv existierenden Welt, unabhängig von Modell oder Be-
obachtung, spricht sie gar nicht. Denn über eine solche Welt können wir laut dieser
Deutung prinzipiell nichts aussagen. Die Diskrepanz zwischen der erlebten Welt
und der Modellwelt ist daher für uns auch prinzipiell nicht auflösbar. Die Kopen-
hagener Deutung nimmt das Wittgensteinsche „Wovon man nicht sprechen kann,
darüber muss man schweigen“ ernst.
Durch ihren nichtrealen Charakter hat die Kopenhagener Deutung großen Wi-
derspruch ausgelöst. Die meisten Physiker sind Realisten, d. h., sie gehen davon
aus, dass es eine objektive Wirklichkeit gibt, und dass wir auch über sie sprechen
können; dass die Messapparate, die Messobjekte und auch die in unseren Model-
len verwendeten Größen dieser Wirklichkeit angehören. Insbesondere von Einstein
wurde die Deutung scharf attackiert – sowohl der nichtreale Charakter als auch der
Indeterminismus waren ihm ein Graus. In zahlreichen Debatten mit Bohr versuchte
er sie zu widerlegen, zog aber immer wieder den Kürzeren. Die Debatten waren
jedoch für das Verständnis der QM sehr fruchtbar. Insbesondere wies Einstein als
Erster auf die „spukhafte Fernwirkung“ hin, die der QM inhärent ist. Das zugehö-
rige EPR-Gedankenexperiment (Einstein, Podolsky, Rosen 1935) war ein Vorläufer
der Experimente, die schließlich die Verletzung der Bell’schen Ungleichung nach-
wiesen.
In jedem Fall hinterlässt die Zweiteilung in erlebte und Modellwelt, deren gewal-
tige Verschiedenartigkeit sowie vager Zusammenhang, der nur in einer mysteriösen
Vorhersagekraft der einen für die andere besteht, einen unguten Beigeschmack.
Ein weiterer Stein des Anstoßes ist die Rolle des Messprozesses, dem in der
Kopenhagener Deutung eine Sonderrolle zukommt, die ihn von allen anderen phy-
sikalischen Prozessen unterscheidet: Er lässt Quantenzustände kollabieren. Da der
Quantenzustand jedoch nichts Reales ist, sein Kollaps also auch nicht, ist dies
zunächst kein Problem. Nur wenn man den Zustand als etwas Reales und tatsäch-
lich Kollabierendes annimmt, ergibt sich die Frage, wo und wann dieser Kollaps
stattfindet. Im Messapparat? Im Auge des Betrachters? In seinem Bewusstsein?
Wir werden in Abschn. 4.5 darauf zurückkommen. Der eigentlichen Kopenhagener
146 4 Interpretationen

Deutung sind solche Überlegungen fremd, da der Kollaps hier kein real existie-
render Prozess ist, sondern nur eine durch die Aktualisierung der von uns erlebten
Wirklichkeit notwendig gewordene Modifikation in der Modellwelt darstellt.
Es bleibt jedoch die Frage, ob die Zweiteilung in erlebte und Modellwelt wirklich
notwendig ist. Die Viele-Welten-Deutung in Zusammenhang mit der Dekohärenz-
theorie hat gezeigt, dass der Messprozess prinzipiell als physikalischer Prozess
innerhalb der Modellwelt dargestellt werden kann, ja dass ähnliche Prozesse in der
Natur (wie sie durch die Modellwelt beschrieben wird) gang und gäbe sind. Warum
also muss man den Messprozess und die von uns erlebte Wirklichkeit aus der Mo-
dellwelt herausheben und etwas anderes daraus machen? Warum kann man nicht
von vornherein die Modellwelt als die einzig wahre, objektive Wirklichkeit anse-
hen, so wie man das ja auch in allen anderen wissenschaftlichen Theorien macht?
Wir werden auf die Diskrepanz zwischen Viele-Welten- und Kopenhagener Deu-
tung in Abschn. 4.7 zurückkommen.

Fragen zum Selbstcheck

Quelle: geek-and-poke.com

4.4 De-Broglie-Bohm-Theorie

Die übrigen Interpretationen, die wir hier vorstellen, fügen dem QM-Formalismus
etwas hinzu oder modifizieren ihn, meist um die Theorie der vertrauten klassischen
Physik ähnlicher zu machen. Es handelt sich daher genau genommen nicht mehr um
Interpretationen, sondern um selbstständige Theorien, die aber den Haken haben,
4.4 De-Broglie-Bohm-Theorie 147

dass man sie nur sehr schwer experimentell überprüfen kann – schließlich dürfen
ihre Vorhersagen nur minimal von denen der reinen QM abweichen, so dass sie
mit den bisherigen Beobachtungen konsistent sind. Die prominenteste unter die-
sen Theorien ist die De-Broglie-Bohm Theorie (auch Theorie der Führungswelle
oder Bohm’sche Mechanik genannt) mit ihren nichtlokalen verborgenen Varia-
blen.
Die De-Broglie-Bohm Theorie wurde 1927 von de Broglie vorgestellt und in
den 1950er Jahren von Bohm weiterentwickelt. Zunächst einmal ist sie der Viele-
Welten-Interpretation sehr ähnlich: Es gibt dort einen real existierenden (also on-
tischen) universellen Zustandsvektor j i, der niemals kollabiert und sich nach der
Schrödinger-Gleichung mit einem geeigneten Hamilton-Operator entwickelt:

d
i„ j i D H j i (4.12)
dt

Insbesondere spaltet sich j i auch sukzessive bei jeder Messung bzw. jedem De-
kohärenzvorgang in mehrere separate Summanden auf, analog zu (4.4)!(4.6).
Der Unterschied zur Viele-Welten-Interpretation kommt dadurch zustande, dass
zusätzlich die Existenz von n Teilchen fT .i / g; i 2 f1;    ; ng mit Massen fm.i / g
postuliert wird, die die eigentliche Materie bilden. Diese Teilchen verhalten sich
insofern klassisch, als sie sich zu jedem Zeitpunkt an wohldefinierten Positionen
fq.i / g in einem dreidimensionalen Ortsraum aufhalten, q.i / 2 R3 . Die Positionen
fq.i / g bilden die verborgenen Parameter der Theorie.
In ihrer einfachsten Form geht die De-Broglie-Bohm-Theorie davon aus, dass
j i als Wellenfunktion, abhängig von 3n Ortskoordinaten und der Zeit, geschrieben
werden kann,  
 D  x.1/ ;    ; x.n/ ; t : (4.13)
Die komplexwertige Funktion  kann in Betrag und Phase aufgeteilt werden,

    i
 x.1/ ;    ; x.n/ ; t D A x.1/ ;    ; x.n/ ; t exp S.x.1/ ;    ; x.n/ ; t/ ; (4.14)

mit reellen Funktionen R und S. Die Bewegung der Teilchen ist durch die Füh-
rungsgleichung bestimmt:
 
d .i / r .i / S q.1/ ;    ; q.n/ ; t
q .t/ D ; (4.15)
dt m.i /

wobei r .i / der Gradient bzgl. der drei Koordinaten x.i / ist. Der Gradient von S
wird ausgewertet an den aktuellen Positionen der n Teilchen, d. h., für jedes j wird
x.j / D q.j / .t/ gesetzt. Die Bewegung der Teilchen hängt also von der Position aller
anderen Teilchen im Universum ab. Die Wechselwirkung ist daher nichtlokal, so
wie es nach dem Bell’schen Theorem für verborgene Variablen der Fall sein muss.
148 4 Interpretationen

Man sagt, die Teilchen werden durch die Wellenfunktion geführt („sie reiten wie
Staubteilchen auf einer Wasseroberfläche“), diese wird darum auch als Führungs-
welle bezeichnet. Die Wellenfunktion hingegen hängt nicht von den Teilchen ab,
bekommt nichts von ihnen mit.
Im Gegensatz zur Viele-Welten-Interpretation bestehen wir in der Bohm’schen
Theorie aus den Teilchen, nicht aus Komponenten der Wellenfunktion. Die Teilchen
bewegen sich in deterministischer Weise in einem dreidimensionalen Ortsraum.
Auf der Ebene der Teilchen findet dabei keine Aufspaltung der Welt statt. Viel-
mehr realisieren die Teilchen gewissermaßen eine der Möglichkeiten, die durch die
Wellenfunktion gegeben sind. Welche der Möglichkeiten realisiert wird, hängt de-
terministisch von den Anfangsbedingungen der Teilchenpositionen ab. Dass wir nur
statistische Vorhersagen machen können, liegt daran, dass wir diese Positionen nicht
kennen.
Die Form der Gleichung (4.15) sollte uns nicht völlig überraschen. Eine Auf-
teilung der Wellenfunktion eines einzelnen Quantenobjekts (also n D 1) in Betrag
und Phase haben wir schon in Abschn. 3.8 vorgenommen. Auch dort hatten wir
rS=m als Geschwindigkeit interpretiert, siehe (3.244), und zwar als Strömungsge-
schwindigkeit einer Art „ Quantenflüssigkeit“ mit der Dichte D j j2 , wie sie von
der Kontinuitätsgleichung suggeriert wird. In der Bohm’schen Mechanik entspricht
das „echte“ Teilchen einem Massenpunkt, der sich mit dieser Flüssigkeit mitbewegt.

Wie in der Viele-Welten-Interpretation sind die Postulate 2 und 3 der QM aus den
Postulaten 1 und 4, hier allerdings inklusive Führungsgleichung, herzuleiten: Wieso
scheint die Wellenfunktion für uns zu kollabieren? Woher kommen die Wahrschein-
lichkeiten, die wir den Messergebnissen zuschreiben? Wie hängen die hermiteschen
Operatoren mit der Messung zusammen? Diese Herleitungen sind der De-Broglie-
Bohm-Theorie recht gut gelungen (siehe [Dürr et al. (2003a)] für Postulat 2 und
[Dürr et al. (2003b)] für Postulat 3). Sie löst auch ein Problem, das der Viele-
Welten-Interpretation schwer zu schaffen macht: Die Ortsraumbasis ist durch die
Teilchen automatisch ausgezeichnet, und die möglichen Unterteilungen in Unter-
systeme (Tensorprodukt-Zerlegungen des Hilbert-Raums) sind ebenfalls durch die
Teilchen gegeben. Die Interpretation von j i ist dadurch nicht mehr willkürlich.
Nicht ortsraumbezogene Observablen wie der Spin können in die Theorie
miteinbezogen werden, indem man sie als zusätzliche Komponenten in die Wel-
lenfunktion integriert. Die Führungsgleichung muss hierfür erweitert werden. Den
Teilchen wird dabei aber keine zusätzliche Eigenschaft zugeschrieben. Der Spin
gehört zur Wellenfunktion, nicht zum Teilchen. Er beeinflusst durch die modifizier-
te Führungsgleichnung allerdings die Bahn der Teilchen.

Die De-Broglie-Bohm-Theorie wird aus mehreren Gründen kritisiert:

 Sie passt formal nicht mit der speziellen Relativitätstheorie zusammen. Die Füh-
rungsgleichung erfordert einen eindeutigen Begriff von Gleichzeitigkeit, da die
Koordinaten aller Teilchen zur gleichen Zeit hineinspielen. Eine relativistische
4.5 Kollapsmodelle 149

Verallgemeinerung funktioniert sehr gut für die Wellenfunktion allein, wie wir
in Kap. 14 sehen werden. Für die Teilchen der Bohm’schen Mechanik muss aber
eine ausgezeichnete globale Zeitkoordinate eingeführt werden. Diese hat aller-
dings keine experimentellen Auswirkungen, d. h., im Experiment ist auch nach
der Bohm’schen Mechanik die Relativitätstheorie erfüllt. Es handelt sich nur um
eine formale „Hässlichkeit“.
 Der Teufel der Nicht-Realität (Kopenhagener Deutung) bzw. der Aufspaltung der
Welt (Viele-Welten-Interpretation) wird mit dem Beelzebub der Nicht-Lokalität
ausgetrieben.
 Die Theorie ist experimentell nicht von der Standard-QM zu unterscheiden, be-
nötigt aber im Vergleich dazu mehr Objekte (nämlich die Teilchen) und Glei-
chungen (nämlich die Führungsgleichung). Nach dem Prinzip von Ockhams
Rasiermesser ist bei gleichen experimentellen Vorhersagen immer diejenige
Theorie vorzuziehen, die mit weniger Annahmen auskommt. Demnach wäre die
Bohm’sche Mechanik zu verwerfen. Dieser Einwand wird insbesondere von Ver-
tretern der Viele-Welten-Interpretation vorgebracht, die einen ähnlichen philo-
sophischen Ansatz verfolgt (Realität der Wellenfunktion, Determinismus), aber
ohne die zusätzlichen Teilchen auszukommen glaubt.

Für interessierte Leser, die mehr über das Thema erfahren wollen, empfehlen wir
das Buch [Holland (2008)].

4.5 Kollapsmodelle

Als Nächstes befassen wir uns mit Deutungen der QM, in denen der Zustands-
vektor etwas Reales ist, sich aber bei Messungen nicht immer weiter verzweigt,
sondern sich auf einen zu einem bestimmten Messwert gehörenden Eigenzustand
festlegt. Das heißt: Er kollabiert. Es stellt sich dann die Frage, wann und warum
dieser Kollaps stattfindet. Die Kollapsmodelle lassen sich hiernach in verschiedene
Kategorien einteilen:

Unspezifizierter Kollaps im Messapparat Diese Sichtweise geht davon aus, dass


der Messapparat sich klassisch verhält und daher nicht Gegenstand von Quanten-
Superpositionen sein kann. Wenn das Quantenobjekt auf den Messapparat trifft,
zwingt der Messapparat dessen Zustandsvektor zum Kollaps. Wie er das tut, bleibt
unspezifiziert. Eine nicht sehr erhellende Sichtweise. Sie lässt auch die Frage offen,
an welcher Stelle genau die Grenze zwischen klassischem und Quantenverhalten
liegt (Heisenberg’scher Schnitt).

Dynamischer Kollaps Hier handelt es sich um Modelle, in denen die Schrödin-


ger-Gleichung durch einen Zusatzterm modifiziert wird, der den Kollaps in dyna-
mischer Weise herbeiführen soll. Der Zusatzterm muss so beschaffen sein, dass
er nur bei der Wechselwirkung eines Quantenobjekts mit einem makroskopischen
150 4 Interpretationen

Objekt wie z. B. einem Messapparat einen nennenswerten Effekt bewirkt (nämlich


den Kollaps), dabei aber die Wahrscheinlichkeiten aus dem dritten Postulat unver-
ändert lässt. Etwas wirklich Überzeugendes ist bei diesen Modellen bisher nicht
herausgekommen.

Kollaps durch Quantengravitation Es ist ein in der theoretischen Physik sehr


beliebtes Verfahren, bei zwei Problemen, vor denen man ratlos steht, eines zu eli-
minieren, indem man behauptet, es sei auf das andere zurückzuführen. Quantengra-
vitation ist unverstanden, der Kollaps der Wellenfunktion ist unverstanden, warum
also nicht letzteres als eine Folge von ersterem erklären? So wurde schon in ernst-
haften Forschungsartikeln die Möglichkeit ergründet, dass Anteile der Wellenfunk-
tion von winzigen Baby-Universen verschluckt werden, die sich spontan an man-
chen Stellen der Raumzeit bilden.
Den am ernstesten zu nehmenden Versuch, den Kollaps durch Gravitationseffek-
te zu erklären, hat Roger Penrose unternommen. Er postulierte eine Rückwirkung
der Raumzeitkrümmung auf die Wellenfunktion, die eine Delokalisierung makro-
skopischer Objekte (z. B. des Zeigers eines Messinstruments) verhindert und da-
durch den Kollaps herbeiführt. Er hat sogar ein Experiment vorgeschlagen, um
seine Hypothese zu überprüfen, das allerdings aus praktischen Gründen bisher nicht
durchführbar ist.

Kollaps durch Bewusstsein Diese Deutungen basieren auf dem gleichen Prinzip
wie zuvor: Das menschliche Bewusstsein ist unverstanden, der Kollaps der Wellen-
funktion ist unverstanden, warum also nicht letzteres als eine Folge von ersterem
erklären? Die Vorstellung, dass der Kollaps im Bewusstsein stattfindet oder von
diesem herbeigeführt wird, wurde von einigen prominenten Physikern vertreten,
darunter Wigner und von Neumann. Einige sehen dies sogar als Ausdruck des
freien Willens. Der Indeterminismus der Quantenmechanik lässt unserer Freiheit
einen gewissen Spielraum. Warum also nicht den Kollaps der Wellenfunktion als
Schnittstelle unseres Geistes bzw. freien Willens mit der materiellen Welt ansehen?
Wenn Schrödingers Katze beim Öffnen der Kiste tot ist, dann war dies der grausame
(wenn auch vielleicht unbewusste) Wille des Beobachters. Einer der Hauptvertreter
dieser Auffassung, die ich hier etwas überspitzt dargestellt habe, ist Henry Stapp.
Sein Buch Mind, Matter, and Quantum Mechanics [Stapp (2009)] ist allerdings
durchaus lesenswert.
4.6 New-Age-Interpretation 151

4.6 New-Age-Interpretation

Quelle: smbc-comics.com
152 4 Interpretationen

4.7 Schlussfolgerungen

Was soll man nun von all dem halten? Jede der dargestellten Deutungen hat den
einen oder anderen Haken oder unguten Beigeschmack. Hierzu lassen sich drei Hal-
tungen unterscheiden:

 Die QM funktioniert für alle praktischen Zwecke sehr gut. Philosophie und Fra-
gen nach tieferer Bedeutung sind nicht jedermanns Sache. Man kann also ohne
allzu schlechtes Gewissen die in diesem Kapitel gestellten Fragen einfach igno-
rieren.
 Oder man kann die Auffassung vertreten, dass alle Deutungen so unbefriedigend
sind, dass die QM einfach keine fundamentale Theorie sein kann, und abwarten,
bis eine bessere („tiefere“) Theorie gefunden ist, bzw. sich selbst an der Suche
beteiligen.
 Schließlich kann man akzeptieren, dass sich die QM auf allen Ebenen von der
Teilchenphysik bis in die Chemie und Festkörperphysik bewährt hat, und zu ver-
stehen versuchen, was sie bedeutet, also seine eigenen Schlussfolgerungen aus
den verschiedenen möglichen (oder unmöglichen, je nach Sichtweise) Deutun-
gen ziehen.

Ich persönlich folge der dritten Option und möchte in diesem Abschnitt meine
eigene, subjektive Auffassung darstellen.

Meiner Meinung nach ist es am sinnvollsten, sich an Deutungen zu halten, die


der Theorie nichts hinzufügen, insbesondere wenn sich die zusätzlichen Annah-
men bzw. Objekte (z. B. die Teilchen der Bohm’schen Mechanik) nicht überprüfen
bzw. beobachten lassen. Daher möchte ich mich auf die Kopenhagener Deutung
und die Viele-Welten-Interpretation beschränken. Der Vergleich dieser beiden In-
terpretationen erinnert mich an eine Textstelle aus einem philosophischen Buch von
Schrödinger, das zunächst gar nichts mit QM zu tun hatte:

„Uns verwirrt die seltsame Doppelrolle, die das Bewusstsein (oder der Geist) spielt.
Einerseits ist es der Schauplatz, und zwar der einzige Schauplatz, auf dem sich dieses
ganze Weltgeschehen abspielt, oder das Gefäß, das alles in allem enthält und außerhalb
dessen nichts ist. Andererseits gewinnen wir den, vielleicht irrigen, Eindruck, dass das
Bewusstsein inmitten dieses Weltgetriebes an gewisse, sehr spezielle Organe gebunden ist,
welche, obgleich sicher das Interessanteste, was Tier- und Pflanzenphysiologie kennt, doch
nicht einzig in ihrer Art, nicht sui generis sind. Denn gleich manchen anderen Organen
dienen sie ja schließlich nur der Lebensbehauptung ihrer Träger, und dem allein ist es
zuzuschreiben, dass sie sich im Prozess der Artbildung durch natürliche Auslese entwickelt
haben.
Zuweilen stellt ein Maler in sein großes Gemälde oder ein Dichter in sein langes Ge-
dicht eine unscheinbare Nebenfigur, die er selbst ist. So hat wohl der Dichter der Odyssee
mit dem blinden Barden, der in der Halle der Phäaken Troja besingt und den vielgeprüften
Helden zu Tränen rührt, bescheiden sich selbst gemeint. Auch im Nibelungenlied begegnet
uns auf dem Zuge durch die österreichischen Lande ein Poet, den man in Verdacht hat,
der Dichter des Epos zu sein. Auf Dürers Allerheiligenbild scharen sich zwei große Zirkel
von Gläubigen anbetend um die hoch in Wolken schwebende Dreifaltigkeit, ein Kreis von
4.7 Schlussfolgerungen 153

Seligen in den Lüften, ein Kreis von Menschen auf Erden, unter ihnen Könige und Kai-
ser und Päpste, und, wenn ich mich recht erinnere, der Künstler selbst, eine bescheidene
Nebenfigur, die ebensogut fehlen könnte.
Mir scheint dies das beste Gleichnis für die verwirrende Doppelrolle des Geistes.
Einerseits ist er der Künstler, der alles geschaffen hat; im vollendeten Werk dagegen ist
er nur eine unbedeutende Staffage, die getrost fehlen könnte, ohne die Gesamtwirkung zu
beeinträchtigen.“ ([Schrödinger (1965)])

Das hier geschilderte tiefe philosophische Problem findet eine wunderbare Paral-
lele in der Quantenmechanik, wobei die verwirrende Doppelrolle hier dem Mess-
prozess zukommt. Die Viele-Welten-Interpretation beschreibt das fertige Bild, in
dem der Messprozess nur einer von vielen quantenmechanischen Prozessen ist,
die zu einer Verschränkung eines Objekts mit seiner Umgebung führen. Die Ko-
penhagener Deutung hingegen beschreibt den Messprozess als den Künstler, der
außerhalb des Bildes steht, der aus dem abstrakten Quantenbild erst etwas Reales
macht, indem er eine durch den Zustand angebotene Möglichkeit in den Bereich der
klassischen Wirklichkeit herüberholt.
Jede der beiden Sichtweisen lässt für sich genommen Fragen offen, erscheint
unbefriedigend oder unvollständig. Nur gemeinsam ergeben sie einen vollständigen
Blick auf die QM. Sie sind komplementär zueinander, wie Welle und Teilchen.
Viele gehen deshalb davon aus, dass die Quantenmechanik noch nicht die end-
gültige Wahrheit ist, dass sie vielmehr durch eine tiefere Theorie ersetzt werden
muss, deren Grenzfall sie ist, so wie die klassische Mechanik ein Grenzfall der
Quantenmechanik ist.
Ich kann mich jedoch nicht des Eindrucks erwehren, dass die oben geschilderte
Antinomie, die verwirrende Doppelrolle des Geistes sowie des Messprozesses, ei-
ne so fundamentale ist, dass sie innerhalb der Naturwissenschaften nicht aufgelöst
werden kann.
Teil II
Einzelnes skalares Teilchen in äußerem
Potential
Eindimensionale Probleme
5

Typische Eigenschaften von Lösungen der Schrödinger-Gleichung im Ortsraum werden un-


tersucht, und zwar anhand der einfachsten Potentiale in einer Dimension. Als Höhepunkt
lösen wir den Harmonischen Oszillator mit algebraischen Mitteln.

In diesem Kapitel werden Wellenfunktionen in einer Dimension untersucht. Die


betrachteten Probleme stellen in mehrerer Weise eine Idealisierung dar: Abgesehen
von der Beschränkung auf ein einzelnes Quantenobjekt in einer einzigen Dimension
nehmen wir noch an, dass das Quantenobjekt skalar ist, d. h., es gibt keine zusätz-
lichen inneren Freiheitsgrade wie Spin oder dergleichen, bzgl. derer das Objekt
mehrere Zustände annehmen kann. Das heißt, es wird angenommen, dass der Zu-
standsvektor des Objekts einzig und allein durch seine Wellenfunktion gegeben ist.
In den darauffolgenden Kapiteln werden wir die Zahl der Raumdimensionen zu-
nächst auf zwei und dann auf drei erhöhen. Erst in Kap. 9 wird aber der Spin wieder
eingebunden, der uns in Kap. 2 stets so treu als Beispiel gedient hat. Erst dann wer-
den wir sehen, wie die endlich- und unendlichdimensionalen Hilbert-Räume, die
wir bisher betrachtet haben, zu einem gesamten Hilbert-Raum zusammenkommen.
Auch die Potentiale, die wir uns ansehen, sind reichlich idealisiert, genügen
aber, um einige wesentliche Phänomene der QM vorzuführen. Als Erstes wird das
„Zerfließen“ eines freien Wellenpakets demonstriert, d. h., es wird gezeigt, wie
ein Gauß’sches Wellenpaket sich ohne äußeres Potential immer mehr verbreitert,
das zugehörige Quantenobjekt also delokalisiert wird. Als Nächstes untersuchen
wir die Energie-Eigenzustände stückweise konstanter Potentiale. An einer Poten-
tialstufe begegnen wir der Reflexion und Transmission einer Wellenfunktion. In
einem Potentialtopf finden wir gebundene und freie Zustände. Anhand einer Po-
tentialbarriere machen wir schließlich Bekanntschaft mit dem Tunneleffekt. Als
letztem Problem in diesem Kapitel stellen wir uns dem Harmonischen Oszilla-
tor. Es stellt sich heraus, dass dies eine der schönsten Aufgaben in der gesamten
Quantenmechanik ist, bei der die gesamte Pracht und Nützlichkeit der algebraischen
Herangehensweise ersichtlich wird.

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 157


J.-M. Schwindt, Tutorium Quantenmechanik, DOI 10.1007/978-3-662-49399-1_5
158 5 Eindimensionale Probleme

5.1 Zerfließen eines Gauß’schen Wellenpakets

Das Gauß’sche Wellenpaket wurde bereits in Abschn. 3.5 für einen festen Zeitpunkt
untersucht und die zugehörige Orts- und Impulsunschärfe berechnet. Jetzt wollen
wir sehen, wie sich das Paket im Laufe der Zeit entwickelt, und zwar unter der
Annahme, dass es sich um ein freies Teilchen handelt, d. h., das Potential ver-
schwindet, V .x/ D 0.

Die Rechnungen mit den Wellenpaketen machen starken Gebrauch von


Gauß’schen Integralen, d. h. Integralen, bei denen das Quadrat der Integrations-
variablen im Exponenten steht. Diese Integrale kommen sehr oft vor und können
nachgeschlagen werden. Es macht aber Sinn, sie zumindest einmal selbst herzulei-
ten. Wir wollen daher die etwas unsystematische Weise, in der wir in Abschn. 3.5
integriert haben, hier in einer Aufgabe etwas systematisieren.

Aufgabe 5.1
a) Das grundlegende Gaußintegral ist (3.189). Leiten Sie es her. Beginnen
Sie mit 2 1 32
Z Z1 Z1
4 dy e y 5 D
2
dx dy e .x Cy / ;
2 2
(5.1)
1 1 1
R R
Rschreiben
R Sie diesen Ausdruck in Polarkoordinaten um, dx dy !
d d, und substituieren Sie u D 2 .
b) Zeigen Sie
Z1
.yy0 /2 p
dy e  a D a; (5.2)
1
p
indem Sie die lineare Substitution u D .y  y0 /= a anwenden.
Hinweis: (5.2) gilt auch, wenn y0 oder a komplexwertig ist. Einzige Be-
dingung ist, dass a einen positiven Realteil hat, damit das Integral im
Unendlichen abfällt. Nach der Substitution liegt der Integrationsweg dann
schräg in der komplexen Ebene. Man kann mithilfe des Residuensatzes
zeigen, dass das Gleiche herauskommt, wie wenn der Weg entlang der re-
ellen Achse liegt. Tun Sie das aber nur, wenn Sie sich dazu berufen fühlen.
c) Zeigen Sie
Z1
.yy0 /2 p
dy y e  a D a y0 : (5.3)
1
R1
Verwenden Sie dafür, dass das Integral 1 über eine ungerade Funktion
(d. h. eine Funktion f mit f .x/ D f .x/) verschwindet.
5.1 Zerfließen eines Gauß’schen Wellenpakets 159

d) Zeigen Sie
Z1 a 
.yy0 /2 p
dy y 2 e  a D a C y02 : (5.4)
2
1

Substituieren Sie dazu wie in (b) und führen Sie für den quadratischen
Term u2 e u eine partielle Integration durch mit v.u/ D u, w 0 .u/ D
2

u e u .
2

Nun wenden wir uns dem Wellenpaket zu. Da der Hamilton-Operator wegen
V .x/ D 0 nur den Impulsoperator enthält,
P2
H D ; (5.5)
2m
sind die Impuls-Eigenzustände auch die Energie-Eigenzustände. Die zeitabhängige
Schrödinger-Gleichung lässt sich im Impulsraum am einfachsten darstellen,
d Q p2 Q
i„ .p; t/ D .p; t/; (5.6)
dt 2m
mit den Lösungen
p2
Q .p; t/ D Q .p; 0/e i 2m„ t : (5.7)
Nehmen wir an, zum Zeitpunkt t D 0 ist der Zustand gerade gleich dem Gauß’schen
Wellenpaket (3.187). Dann ist die Impulswellenfunktion zum Zeitpunkt t gegeben
durch p
 2 .pp0 /2 p2
Q .p; t/ D p  e  2„2 i 2m„ t : (5.8)
„ 1=4
Der Betrag j Q .p; t/j hängt nicht von t ab, da die Zeitentwicklung in reinen Phasen-
rotationen besteht. Bei der Berechnung von Erwartungswerten der Form
Z1
hP i D
n
dp p n Q  .p; t/ Q .p; t/ (5.9)
1

hebt sich die Phase mit der komplex Konjugierten weg, d. h., die Erwartungswerte
von Potenzen des Impulses ändern sich nicht. Zu allen Zeiten gelten die in Ab-
schn. 3.5 bestimmten Werte

hP i D p0 ; .P / D p : (5.10)
 2
Am einfachsten lassen sich jetzt der Erwartungswert und die Unschärfe von X
ebenfalls im Impulsraum ausrechnen, in dem der X-Operator durch eine Ableitung
dargestellt wird (siehe 3.185).
160 5 Eindimensionale Probleme

Aufgabe 5.2
Führen Sie diese Rechnung durch. Vergleichen Sie dann mit den Werten unten
((5.18) und (5.20)).

Uns interessiert aber auch, wie die Ortswellenfunktion .x; t/ genau aussieht.
Deshalb machen wir uns die Mühe, sie auszurechnen, wobei uns die oben in der
Aufgabe hergeleiteten Rechenregeln für Gauß’sche Integrale zur Seite stehen:

Z1
1
dp e i „ x Q .p; t/
p
.x; t/ D p (5.11)
2„
1
p Z1
 p  2 .p  p0 /2 p2
Dp dp exp i x   i t (5.12)
2 „ 3=4 „ 2„2 2m„
1
p "  2  #
 1 x  pm0 t p0 p0 t
D 1=4 p exp  Ci x (5.13)
 ˛.t/ 2˛.t/ „ 2m

mit
„t
˛.t/ D  2 C i : (5.14)
m

Aufgabe 5.3
Zwischen der zweiten und dritten Zeile liegen zahlreiche Zwischenschritte,
die Sie bitte nachvollziehen. Als Erstes muss der Exponent in die Form von
(5.2) gebracht werden. Konstante Faktoren können aus dem Integral heraus-
gezogen werden. Dann kann das Integral nach (5.2) ausgewertet werden. Das
Ergebnis ist noch ein wenig umzuformen, damit es die Form von (5.13) an-
nimmt. Keine Sorge, wenn Sie sich auf dem Weg ein wenig verhaspeln, das
ist normal.

Die Wellenfunktion sieht reichlich kompliziert aus. Was uns aber am meisten
interessiert, ist die Wahrscheinlichkeitsdichte
 2 !
 1 x  pm0 t
j .x; t/j D2
.x; t/ .x; t/ D p exp  (5.15)
 ˇ.t/ ˇ 2 .t/

mit r
„2 t 2
ˇ.t/ D 2 C : (5.16)
 2 m2
5.1 Zerfließen eines Gauß’schen Wellenpakets 161

Hierbei haben wir für den Exponenten verwendet, dass


1 1 ˛  .t/ C ˛.t/ Re.˛.t// 1
C  D 
D D 2 : (5.17)
2˛.t/ 2˛ .t/ 2˛.t/˛ .t/ j˛.t/j 2 ˇ .t/
Die Funktion ˇ.t/ ist an die Stelle getreten, wo zum Anfangszeitpunkt nur  stand,
und stellt die Breite der Gauß-Verteilung dar (die Wahrscheinlichkeitsdichte ist nach
wie vor eine Gauß-Verteilung). Für große t nimmt ˇ linear mit der Zeit zu und
somit auch die Ortsunschärfe. Dem Zähler des Exponenten sieht man an, dass sich
der Peak der Gauß-Kurve mit der Geschwindigkeit p0 =m bewegt, wie zu erwarten
war. Das kann man natürlich auch alles nachrechnen:
Z1
p0 t
hXi D dx x j .x; t/j2 D (5.18)
m
1
Z1
ˇ 2 .t/ p2 t 2
hX 2 i D dx x 2 j .x; t/j2 D C 02 (5.19)
2 m
1
q ˇ.t/
.X/ D hX 2 i  hXi2 D p (5.20)
2
Die kombinierte Unschärfe von Ort und Impuls ist
„ ˇ.t/
.X/ .P / D : (5.21)
2 
Für alle Zeiten t ¤ 0 ist dieser Wert größer als das von der Unschärferelation
geforderte „=2. Das reine Gaußpaket zum Zeitpunkt t D 0 war diesbezüglich somit
eine Ausnahme.

Das Wellenpaket läuft also mit der Zeit auseinander, was daran liegt, dass sich
die unterschiedlichen Impulsanteile unterschiedlich schnell durch den Raum be-
wegen. An diesem Ergebnis ändert sich auch in drei Dimensionen nichts (außer
dass das Paket dann in alle drei Richtungen auseinanderläuft). In der Praxis tre-
ten aber freie Teilchen niemals über längere Zeiten hinweg auf. Selbst draußen im
Weltraum sind die Teilchen Magnetfeldern und der Wechselwirkung mit Strahlung
ausgesetzt. Durch solche Wechselwirkungen kommt es zur Dekohärenz, die wir in
Abschn. 12.4 ausführlicher diskutieren werden. Die Wirkung davon ist im Allge-
meinen ähnlich wie die einer Ortsmessung: Das Teilchen wird in Bezug auf seine
Umgebung lokalisiert; es hat eine Art effektiver Kollaps der Wellenfunktion statt-
gefunden.

Fragen zum Selbstcheck


1. Ändert sich bei einem freien Wellenpaket die Impuls- oder die Ortsunschärfe,
und warum?
2. Was hält in der Praxis das Zerfließen von Wellenpaketen auf?
162 5 Eindimensionale Probleme

5.2 Stückweise konstante Potentiale

5.2.1 Allgemein

Die einfachsten Potentiale, die man sich ansehen kann, sind solche, die fast überall
konstant sind und nur an ein oder zwei Stellen einen Sprung machen. Dass diese
Sprünge unstetig sind, stört überhaupt nicht, im Gegenteil, es vereinfacht die Rech-
nung. Man muss sich nur zu Anfang einmal Gedanken machen, was das für die
Stetigkeit der Wellenfunktion und ihrer Ableitungen bedeutet. Das allereinfachste
Potential (gleich nach dem freien Teilchen mit V .x/ D 0) enthält nur einen Sprung,
die Potentialstufe. Bei zwei Sprüngen gibt es drei Möglicheiten:

 zwei Stufen in die gleiche Richtung. Dies bringt aber keine neuen Erkenntnisse
im Vergleich zur Einzelstufe und wird hier nicht betrachtet.
 der Potentialtopf, bei dem das Potential zwischen den Sprüngen niedriger liegt
als im Außenbereich. Hier treten gebundene Zustände auf.
 die Potentialbarriere, bei der das Potential zwischen den Sprüngen höher liegt
als im Außenbereich. Hier tritt der Tunneleffekt auf, bei dem eine Welle, deren
Energie niedriger ist als das Potential im mittleren Bereich, sich durch dieses
Potential „hindurchtunneln“ kann.

Wir behandeln hier nur noch Energie-Eigenzustände. Allgemeine Zustände las-


sen sich immer in Energie-Eigenzustände zerlegen. Für die Zeitentwicklung muss
man dann ähnlich vorgehen wie beim Wellenpaket im vorigen Abschnitt:

1. Ausgangs-Wellenfunktion .x/ nach Energie-Eigenzuständen entwickeln.


Beim freien Wellenpaket hieß das einfach, im Impulsraum zu operieren, weil
dort Impuls-Eigenzustände auch Energie-Eigenzustände sind.
2. Für jeden Eigenzustand den Zeitentwicklungsfaktor exp.i.e=„/t/ hinzufügen.
Beim freien Wellenpaket war das die Aufstellung von Q .p; t/, (5.8).
3. Daraus wieder die Wellenfunktion .x; t/ zusammensetzen. Beim freien Wel-
lenpaket war das die Fourier-Rücktransformation zu (5.13).

Für die Wellenfunktion .x/ eines Energie-Eigenzustands jE˛i gilt die zeitun-
abhängige Schrödinger-Gleichung

„2 d 2
 .x/ D .E  V .x// .x/: (5.22)
2m dx 2
Wir gehen davon aus, dass es mehrere linear unabhängige Eigenzustände mit dem-
selben Energie-Eigenwert E geben kann. Man sagt dann, der Eigenwert E sei ent-
artet. Daher haben wir noch ein zusätzliches Kennzeichen ˛ in jE˛i untergebracht,
mit dem die verschiedenen Zustände zum selben Eigenwert durchnummeriert wer-
den. Man kann die Eigenzustände immer normieren, so dass
˝ ˇ ˛
hE˛ jE 0 ˇ i D ı.E  E 0 /ı˛ˇ ; Ei ˛ ˇEj ˇ D ıij ı˛ˇ ; (5.23)
5.2 Stückweise konstante Potentiale 163

wobei die erste Gleichung für den kontinuierlichen, die zweite für den diskreten
Teil des Spektrums gilt. Im ersten Fall sind die Eigenzustände Pseudo-Zustände, im
zweiten Fall echte Zustände, d. h. Elemente des Hilbert-Raums.
Die Normierung wird wichtig, wenn man allgemeine Wellenfunktionen in ihre
Eigenzustands-Komponenten zerlegen oder wenn man Erwartungswerte ausrech-
nen will. Das haben wir in diesem Abschnitt aber nicht vor, daher verzichten wir im
Folgenden auf die Normierung und sparen uns den zusätzlichen Rechenaufwand,
den sie mit sich bringt.

Bei den stückweise konstanten Potentialen treten an einer oder mehreren Stellen
Sprünge auf, d. h., an einer bestimmten Stelle x0 springt das Potential von einem
Wert V0 auf einen Wert V1 . Was bedeutet das für die Wellenfunktion .x/ und ihre
Ableitungen? Die Schrödinger-Gleichung verknüpft das Potential mit der zweiten
Ableitung von . Daher wird die zweite Ableitung von ebenfalls einen Sprung
an der Stelle x0 aufweisen. Das Integral über V ist hingegen stetig, auch bei x0 , so-
mit ist die erste Ableitung von ebenfalls stetig, und erst recht natürlich selbst.
Wir werden sehen, dass die Lösungen für durch diese Stetigkeitsbedingungen an
den Sprungstellen bestimmt sind. (In manchen Büchern werden auch „delta-artige“
Potentiale besprochen, V .x/ D V0 ı.x  x0 /. In diesem Fall hat auch das Integral
über V einen Sprung und somit auch die erste Ableitung von . Es ist dann nur
noch selbst stetig.)

Bei stückweise konstanten Potentialen können wir die x-Achse in Bereiche J D


I; II;    einteilen, so dass in jedem Bereich das Potential konstant ist, V .x/ D VJ
für x 2 J . In jedem Bereich sind dann die Lösungen der Schrödinger-Gleichung
von der Form
.x/ D aJ e i kJ .E/x C bJ e i kJ .E/x (5.24)
mit r
2m
kJ .E/ D .E  VJ /; (5.25)
„2
falls E > VJ , bzw.
.x/ D cJ e J .E/x C dJ e J .E/x (5.26)
mit r
2m
J .E/ D .VJ  E/; (5.27)
„2
falls VJ > E. Der zweite Fall ist im klassischen Sinn nicht erlaubt. Die potentielle
Energie eines Teilchens kann nicht größer sein als seine Gesamtenergie, weil das ei-
ne negative kinetische Energie bedeuten würde. Ein klassisches Teilchen kann sich
in einem solchen Bereich nicht aufhalten, seine zu kleine Energie verhindert, dass
es dorthin vordringt. Ein Bereich J mit VJ > E heißt daher klassisch verbotener
Bereich. In der QM hingegen verschwindet die Wellenfunktion in diesen Bereichen
nicht. Wenn J bis nach C1 (1) reicht, muss wegen Normierbarkeit cJ (dJ )
verschwinden. Wie die Lösungen an den Grenzen der Bereiche zusammengesetzt
164 5 Eindimensionale Probleme

werden müssen, darüber entscheiden die Stetigkeitsbedingungen für und ihre


erste Ableitung. Daraus ergeben sich Bedingungen für die Koeffizienten aJ , bJ , cJ ,
dJ .

Aufgabe 5.4
Machen Sie sich klar, dass der erste Summand in (5.24) eine von links nach
rechts, der zweite eine von rechts nach links laufende Welle beschreibt. Ver-
wenden Sie dazu die zugehörige Lösung der zeitabhängigen Schrödinger-
Gleichung und untersuchen Sie jeweils die Bewegung von Punkten konstanter
Phase. Alternativ können Sie auch die Stromdichten der beiden Summanden
berechnen.

5.2.2 Potentialstufe

Als Erstes untersuchen wir eine Potentialstufe bei x D 0 (Abb. 5.1),

V .x/ D VI für x < 0; V .x/ D VII für x > 0: (5.28)

Ohne Beschränkung der Allgemeinheit nehmen wir an, dass VII > VI .

(1) E < VI
Lösungen mit E < VI existieren nicht. Dann bräuchten wir nämlich in beiden Ge-
bieten Lösungen vom Typ (5.26), wobei im Bereich I der Parameter dI , im Bereich
II der Parameter cII verschwinden müsste. Die Stetigkeitsbedingungen für .x/ und
0
.x/ bei x D 0 lauten dann

cI D dII ; I cI D II dII ; (5.29)

wozu offensichtlich keine Lösung existiert.

VII

VI
I II
x

Abb. 5.1 Eindimensionale Potentialstufe


5.2 Stückweise konstante Potentiale 165

(2) VI < E < VII


In I brauchen wir jetzt eine Lösung vom Typ (5.24), in II eine vom Typ (5.26) mit
cII D 0. Die Stetigkeitsbedingungen lauten

aI C bI D dII (5.30)
i.aI  bI /kI D II dII ; (5.31)

woraus
bI kI  iII
D (5.32)
aI kI C iII
dII 2kI
D (5.33)
aI kI C iII
folgt. Der Ausdruck auf der rechten Seite der ersten Gleichung hat Betrag 1, ist
also eine reine Phase, demnach ist jbI j D jaI j. Damit ergibt sich folgendes Bild:
Eine von links einlaufende Welle mit Amplitude jaI j wird an der Stufe vollständig
reflektiert (auslaufende Welle nach links mit Amplitude jbI j D jaI j) und erhält dabei
eine Phasenverschiebung. Die Phasenverschiebung ist umso kleiner, je näher E bei
VII liegt, siehe (5.27). Für E D VI , also kI D 0, beträgt sie , für E D VII , also
kII D 0, beträgt sie 0. Bei der Reflexion dringt die Welle in das klassische verbotene
Gebiet II ein, fällt dort aber exponentiell ab. Die Eindringtiefe ist umso größer (d. h.
das exponentielle Abfallen umso langsamer), je näher E bei VII liegt.

(3) E > VII


Jetzt brauchen wir in beiden Bereichen Lösungen vom Typ (5.24). Das ist der in-
teressanteste Fall. Dafür wählt man ein spezielles Vorgehen: Man setzt zunächst
bII D 0, d. h., im Bereich II gibt es nur eine nach rechts auslaufende, keine von
rechts einlaufende Welle. Die Interpretation ist, dass die in I von links einlaufende
Welle (Amplitude aI ) die Ursache des ganzen Spektakels ist. Ein Teil dieser Welle
wird von der Potentialstufe durchgelassen, das ist der nach rechts auslaufende Teil
(Amplitude aII ). Der Rest der Welle wird reflektiert. Das ist der nach links auslau-
fende Teil (Amplitude bI ). Die Stetigkeitsbedingungen lauten

aI C bI D aII (5.34)
i.aI  bI /kI D iaII kII ; (5.35)

woraus
bI kI  kII
D (5.36)
aI kI C kII
aII 2kI
D (5.37)
aI kI C kII
folgt. Letztlich wurde im Vergleich zum Fall (2) nur dII durch aII und iII durch kII
ersetzt.
166 5 Eindimensionale Probleme

Um dieses Ergebnis zu interpretieren, definieren wir den Transmissionskoeffi-


zienten T und den Reflexionskoeffizienten R. Ersterer ist definiert als Verhältnis
von durchgelassener, in diesem Fall also nach rechts auslaufender Stromdichte jd
zur einlaufenden Stromdichte j0 ; analog ist Letzterer definiert als Verhältnis von
reflektierter, in diesem Fall also nach links auslaufender Stromdichte jr zur einlau-
fenden Stromdichte j0 :
jjd j jjr j
T D ; RD (5.38)
jj0 j jj0 j
Die Berechnung der Stromdichten ergibt (vgl. Aufgabe 3.13)

„kI jaI j2 „kII jaII j2 „kI jbI j2


j0 D ; jd D ; jr D  : (5.39)
m m m
Aus der Lösung für die Koeffizienten (5.36), (5.37) erhält man
 2
4kI kII kI  kII
T D ; RD : (5.40)
.kI C kII /2 kI C kII

Es ist R C T D 1. Das muss auch so sein, denn bei einer stationären Lösung ist die
Wahrscheinlichkeitsdichte zeitunabhängig, P D 0, und somit wegen der Kontinui-
tätsgleichung dxd
j D 0. Jeder Anteil von j0 muss also ohne Verluste weiterlaufen,
entweder in der reflektierten oder in der durchgelassenen Welle.
Für E D VII wird die Welle komplett reflektiert, da kII D 0. Für höhere Werte
von E nimmt T zu und strebt für E ! 1 gegen 1, weil dort kI =kII gegen 1 geht.
Die Werte in (5.40) sind übrigens völlig unabhängig davon, ob VII > VI ist oder
nicht, solange nur E > max.VI ; VII / ist. Es wird also auch dann ein Teil der Welle
reflektiert, wenn die Potentialstufe nach unten statt nach oben geht.

Wir hatten bII D 0 gesetzt, um eine von links einlaufende, teilweise an der Stufe
reflektierte und teilweise durchgelassene Welle zu beschreiben. Aus dieser Lösung
lassen sich weitere Lösungen konstruieren. Bezeichnen wir die bereits gefunde-
.1/ .1/ .1/
ne Lösung als Lösung 1 und die zugehörigen Koeffizienten als aI , bI und aII .
.1/
Einer der Koeffizienten bleibt unbestimmt – sinnigerweise wählt man dafür aI ,
als einlaufender, „verursachender“ Anteil –, die anderen wurden aus diesem einen
.1/
abgeleitet. Der freie Koeffizient aI kann festgelegt werden, wenn wir uns um die
Normierung kümmern, was wir hier aber nicht tun wollen. Eine zweite Lösung lässt
sich aus der Komplex-Konjugation der ersten gewinnen. Diese neue Lösung 2 hat
dann die Koeffizienten

aI D .bI / ; D .aI / ; bII D .aII / :


.2/ .1/ .2/ .1/ .2/ .2/ .1/
bI aII D 0; (5.41)

Bei dieser Lösung laufen alle Ströme gerade in der umgekehrten Richtung wie in
Lösung 1. Die vorher auslaufenden Teile sind jetzt einlaufend und umgekehrt. Eine
von links und eine von rechts einlaufende Welle vereinigen sich bei x D 0 derart,
dass der nach rechts durchgelassene Teil der von links kommenden Welle und der
5.2 Stückweise konstante Potentiale 167

reflektierte Teil der von rechts kommenden Welle destruktiv interferieren, so dass
.2/
aII D 0 ist. Man kann Lösung 1 eine kausale und Lösung 2 eine finale Lösung
nennen. Lösung 1 beschreibt eine einlaufende Welle, die zwei auslaufende Wellen
verursacht. Lösung 2 beschreibt zwei einlaufende Wellen, die in einer bestimmten
Weise aufeinander abgestimmt sind, um nur eine auslaufende Welle zu erzeugen.
Eine weitere Lösung lässt sich konstruieren, wenn man bei Lösung 1 links und
rechts vertauscht, d. h., wir nehmen jetzt eine von rechts einlaufende Welle an, die
zwei auslaufende Wellen verursacht. Die Koeffizienten ergeben sich, wenn man in
(5.36) und (5.37) I und II sowie a und b vertauscht. Identifiziert man dann noch den
Koeffizienten bII dieser Lösung, der zur von rechts einlaufenden Welle gehört, mit
dem Koeffizienten aI aus der ersten Lösung (von links einlaufende Welle), so erhält
man:
.3/ .3/ kII .1/ .3/ .1/ .3/ .1/
aI D 0; bI D a ; aII D bI ; bII D aI (5.42)
kI II
Durch Komplex-Konjugation dieser Lösung ergibt sich wiederum eine finale Lö-
sung,

.4/ kII  .1/  .4/ .4/


 
.1/ .4/
 
.1/
aI D aII ; bI D 0; aII D aI ; bII D  bI : (5.43)
kI

Diesmal vereinigen sich die beiden einlaufenden Wellen so, dass sie nur eine nach
rechts auslaufende Welle erzeugen.
Von den vier Lösungen sind jeweils zwei unabhängig. Die anderen beiden lassen
sich jeweils als Linearkombination aus den zwei gewählten darstellen.

Aufgabe 5.5
Überzeugen Sie sich davon.

Meist wählt man die beiden kausalen Lösungen, also 1 und 3, als Ausgangs-
punkt, da sie mehr der Intuition entsprechen als die beiden „konspirierenden“
Lösungen 2 und 4.

Zusammenfassend können wir sagen: Für E < VI gibt es keine Lösung, für jedes
E mit VI < E < VII gibt es eine linear unabhängige Lösung, und für jedes E > VII
gibt es zwei linear unabhängige Lösungen.

5.2.3 Potentialtopf

Gegeben sei ein Potential

V .x/ D 0 für jxj > x0 ; V .x/ D V0 < 0 für jxj < x0 : (5.44)
168 5 Eindimensionale Probleme

−x0 x0
x
I II III

V0

Abb. 5.2 Eindimensionaler Potentialtopf

Es existieren drei Bereiche (Abb. 5.2):

I D .1; x0 ; II D Œx0 ; Cx0 ; III D Œx0 ; 1/ (5.45)

mit den Potentialen VI D VIII D 0 und VII D V0 . Diesmal gibt es zwei Sprungstel-
len, also insgesamt vier Stetigkeitsbedingungen. Wir gehen ähnlich vor wie bei der
Potentialstufe. Zunächst unterscheiden wir nach der Größe von E, um zu entschei-
den, welcher Lösungstyp in welchem Bereich vorliegt. Die in Frage kommenden
Bereiche sind V0 < E < 0 und E > 0.

(1) V0 < E < 0, gebundene Zustände


In den Bereichen I und III werden Lösungen vom Typ (5.26) benötigt, wobei wegen
Normierbarkeit dI D 0 und cIII D 0 sein muss. Im Außenbereich fällt die Wel-
lenfunktion also exponentiell ab, d. h., wir haben es mit gebundenen Zuständen
zu tun, deren Hauptanteil im Innern des Potentialtopfes lokalisiert ist. Die Wel-
lenfunktion ist in diesem Fall auf 1 normierbar und somit ein echtes Element des
Hilbert-Raums. Im Bereich II muss eine Lösung vom Typ (5.24) sein, die wir aber
diesmal etwas umschreiben (aus Gründen, die noch ersichtlich werden):

II .x/ D aQ II cos kII x C bQII sin kII x (5.46)

Der Einfachheit halber schreiben wir  D I D III , k D kII , c D cI , d D dIII ,


a D aQ II und b D bQII . Die vier Stetigkeitsbedingungen sind dann:

c e x0 D a cos kx0  b sin kx0 (5.47)


c e x0 D k.a sin kx0 C b cos kx0 / (5.48)
d e x0 D a cos kx0 C b sin kx0 (5.49)
d e x0 D k.a sin kx0 C b cos kx0 / (5.50)

Wir haben es mit vier Koeffizienten a; b; c; d zu tun, von denen wir einen frei vor-
geben (bzw. später durch Normierung festlegen) können. Das heißt, wir haben vier
Gleichungen für drei Unbekannte. Dieses Gleichungssystem wird nicht mehr für
jeden Energiewert E eine Lösung besitzen. Das spricht für ein diskretes Spek-
trum, wie wir es bei gebundenen Zuständen ja auch erwarten. Uns interessieren
5.2 Stückweise konstante Potentiale 169

jetzt zunächst die erlaubten Energiewerte. Dazu suchen wir anhand der Stetigkeits-
bedingungen nach einem geeigneten Ausdruch für k oder , denn in denen ist E
enthalten.
Die zweite Gleichung dividiert durch die erste ergibt
a sin kx0 C b cos kx0
Dk : (5.51)
a cos kx0  b sin kx0
Die vierte Gleichung dividiert durch die dritte ergibt
a sin kx0  b cos kx0
Dk : (5.52)
a cos kx0 C b sin kx0
Diese beiden Ausdrücke für  sind nur dann konsistent miteinander, wenn a oder b
gleich null ist.

Aufgabe 5.6
Zeigen Sie das, indem Sie die rechten Seiten gleichsetzen und mit den beiden
Nennern multiplizieren.

Wir betrachten die Fälle getrennt. Wenn b D 0 ist, erhält man


p
 jU0 j  k 2
tan kx0 D D (5.53)
k k
mit der Definition
2m
U0 D V0 : (5.54)
„2
Der hintere Teil von (5.53) folgt aus
2m 2m
2 D  E; k2 D .E  V0 /: (5.55)
„2 „2
Mit y D kx0 können wir (5.53) noch umschreiben zu
q
x02 jU0 j  y 2
tan y D : (5.56)
y
Diese Gleichung veranschaulicht man am besten erst einmal in einem Schaubild,
indem man rechte und linke Seite als Funktion von y aufträgt und sich die Schnitt-
punkte ansieht, vgl. Abb. 5.3.
Die aufsteigenden Kurven sind die Zweige des Tangens, die absteigenden ent-
sprechen der rechten Seite von (5.56) für verschiedene Werte von x02 jU0 j. Jede
dieser Kurvenpendet auf der y-Achse (im Schaubild die waagerechte Achse) an der
Stelle y D x0 jU0 j. Man sieht, dass es je nach Wert von x02 jU0 j einen oder mehrere
Schnittpunkte gibt. Je größer x02 jU0 j, desto mehr Schnittpunkte. Die Schnittpunkte
170 5 Eindimensionale Probleme

Abb. 5.3 Grafische


Bestimmung der Energie-
Eigenwerte des Potential-
topfes, Teil 1

y
0 π 2π 3π

Abb. 5.4 Grafische


Bestimmung der Energie-
Eigenwerte des Potential-
topfes, Teil 2

y
0 π 2π 3π

liegen in den Intervallen Œn; .n C 12 /. Zu jedem Schnittpunkt gehört ein Wert
von k D y=x0 und zu jedem k ein Energie-Eigenwert

„2 2
E D V0 C k : (5.57)
2m
Wenn a D 0 ist, geht man genauso vor und erhält
q
 x02 jU0 j  y 2
 cot y D tan.y C / D : (5.58)
2 y
Auch hier hilft ein Schaubild weiter, siehe Abb. p
5.4.
p Diesmal gibt es gar keine Lösung, wenn x 0 jU0 j < =2. Die Lösungen für
x0 jU0 j > =2 liegen jeweils im Bereich Œ.n  12 /; n und somit zwischen
den Bereichen mit den Lösungen für b D 0. Die zugehörigen Energie-Eigenwerte
ermittelt man wie im Fall b D 0. Gemeinsam ergeben sie das diskrete Spektrum
der gebundenen Zustände des Potentialtopfs.
Die zugehörigen Wellenfunktionen sind im Fall b D 0 gerade, d. h. .x/ D
.x/, insbesondere d D c, im Fall a D 0 ungerade, d. h. .x/ D  .x/,
insbesondere d D c. Das liest man unmittelbar aus den Stetigkeitsbedingungen
ab.
5.2 Stückweise konstante Potentiale 171

(2) E > 0, freie Zustände


Jetzt brauchen wir in allen drei Bereichen Lösungen vom Typ (5.24), d. h., die zuge-
hörigen Wellenfunktionen sind über den gesamten eindimensionalen Raum verteilt,
im Gegensatz zu den gebundenen Zuständen, für die der Großteil der Wellenfunk-
tion innerhalb des Bereichs II lag. Wir untersuchen wieder von links einlaufende
Wellen, d. h., wir setzen bIII D 0. Andere Lösungen können wieder durch Rechts-
links-Vertauschung bzw. durch Komplex-Konjugation daraus abgeleitet werden, so
wie bei der Potentialstufe. Die einlaufende Welle kann jetzt an zwei Stellen reflek-
tiert werden, nämlich an jeder der beiden Sprungstellen des Potentials. Die beiden
reflektierten Wellen überlagern sich im Bereich I und interferieren dort miteinander.
Wir erwarten, dass es unter bestimmten Bedingungen zu vollständiger destruktiver
Interferenz kommen kann, bei der sich die reflektierten Wellenanteile im Bereich I
gegenseitig exakt auslöschen.

Die Stetigkeitsbedingungen lauten nun

aI e i kI x0 C bI e i kI x0 D aII e i kII x0 C bII e i kII x0 (5.59)


   
kI aI e i kI x0  bI e i kI x0 D kII aII e i kII x0  bII e i kII x0 (5.60)
i kII x0
aII e C bII e
i kII x0
D aIII e i kI x0
(5.61)
 i kII x0

kII aII e i kII x0
 bII e D kI aIII e i kI x0 ; (5.62)

wobei wir kIII D kI verwendet haben.

Aufgabe 5.7
Verwenden Sie Ihre persönliche Lieblingsmethode zur Lösung linearer Glei-
chungssysteme, um dieses lineare Gleichungssystem für bI , aII , bII und aIII zu
lösen. (Der Parameter aI wird wieder als Input behandelt, als Stärke der ein-
laufenden Welle, die die anderen Teilwellen „verursacht“.) Mit der Definition

z D kII =kI (5.63)

lautet die Lösung:

bI 2i.z 2  1/ sin.2kII x0 /e 2i kI x0


D (5.64)
aI .z C 1/2 e 2i kII x0  .z  1/2 e 2i kII x0
aII 2.z C 1/e i.kI CkII /x0
D (5.65)
aI .z C 1/2 e 2i kII x0  .z  1/2 e 2i kII x0
bII 2.z  1/e i.kII kI /x0
D (5.66)
aI .z C 1/ e 2i kII x0  .z  1/2 e 2i kII x0
2

aIII 4ze 2i kI x0


D 2i
(5.67)
aI .z C 1/ e kII x0  .z  1/2 e 2i kII x0
2
172 5 Eindimensionale Probleme

Das sieht recht kompliziert aus, aber eigentlich interessieren uns nur der
Reflexions- und Transmissionskoeffizient.

Aufgabe 5.8
Berechnen Sie R und T . Die Lösung lautet:

.z 2  1/2 sin2 .2kII x0 /


RD (5.68)
4z 2 C .z 2  1/2 sin2 .2kII x0 /
4z 2
T D (5.69)
4z 2 C .z 2  1/2 sin2 .2kII x0 /

Daraus lesen wir zweierlei ab:

1. Wenn E ! 1 und daher z ! 1, dann geht die Reflexion gegen null.


2. Wenn 2kII x0 ein ganzzahliges Vielfaches von  ist, kommt es zur destruktiven
Interferenz der beiden reflektierten Teilwellen, und die Reflexion verschwindet.

Aufgabe 5.9
Bestimmen Sie die Energiewerte, bei denen die Reflexion verschwindet.

Insgesamt haben wir gesehen, dass sich beim Potentialtopf das Spektrum des
Hamilton-Operators aus einem diskreten Anteil mit bestimmten Energiewerten
E < 0 und einem kontinuierlichen Anteil für E > 0 zusammensetzt. Die Eigen-
zustände für E < 0 sind gebundene Zustände, deren Wellenfunktion außerhalb des
Bereichs II exponentiell abfällt. Die (Pseudo-)Eigenzustände für E > 0 sind freie
Zustände, deren Wellenfunktion über den gesamten eindimensionalen Raum ver-
teilt ist. Ein allgemeiner Zustand kann sich sowohl aus freien als auch gebundenen
Anteilen zusammensetzen.

5.2.4 Potentialwall

Beim Potentialwall (Abb. 5.5) gehen wir vom selben Potential aus wie beim Poten-
tialtopf, mit dem einzigen Unterschied, dass der Wert V0 des Potentials im mittleren
Bereich diesmal größer als 0 ist. Eine von links einlaufende Welle hat also jetzt eine
„Hürde“ zu überwinden. Der Fall E > V0 hat im Vergleich zu den freien Zuständen
des Potentialtopfs nichs Neues zu bieten. Der Ansatz, die Stetigkeitsbedingungen
5.2 Stückweise konstante Potentiale 173

Abb. 5.5 Eindimensionaler V


Potentialwall
V0

I II III
x
x0 x0

und somit auch die Lösungen sind identisch. Neu ist nur der Fall 0 < E < V0 . Hier
brauchen wir in I und III Lösungen vom Typ (5.24) und in II Lösungen vom Typ
(5.26). Wieder setzen wir bIII D 0, betrachten also von links einlaufende Wellen.
Die Änderungen im Vergleich zu den freien Zuständen des Potentialtopfs sind
minimal. Die Koeffizienten im Bereich II heißen jetzt cII und dII statt aII und bII ,
und im Exponenten muss jeweils ikII durch II ersetzt werden. Wenn wir noch

w D II =kI (5.70)

definieren und sin i˛ D i sinh ˛ verwenden, lässt sich die Lösung für den Trans-
missionskoeffizienten aus (5.69) mit kleinen Änderungen übernehmen:

4w 2
T D (5.71)
4w 2 C .w 2 C 1/2 sinh2 .2II x0 /

Aufgabe 5.10
Vollziehen Sie das nach.

Diese Gleichung drückt den berühmten Tunneleffekt aus: Obwohl der Bereich II
klassisch verboten ist – das Potential hat dort einen höheren Wert als die Energie
des Quantenobjekts –, kann sich ein Teil der von links kommenden Welle durch
den Wall „hindurchtunneln“. Für große ˛ ist sinh ˛ e ˛ =2. Mit zunehmendem
II x0 nimmt die Transmission also
p exponentiell ab. Je breiter und höher der Wall ist
(man erinnere sich, dass II V0  E), desto geringer ist der Anteil, der auf der
rechten Seite ankommt, wie man ja intuitiv auch erwarten würde.

Fragen zum Selbstcheck


1. Wie geht man bei der Lösung der Schrödinger-Gleichung für stückweise kon-
stante Potentiale vor?
2. Wie sind Reflexions- und Transmissionskoeffizient definiert?
3. Was ist der Tunneleffekt und wovon hängt seine Stärke ab?
174 5 Eindimensionale Probleme

5.3 Harmonischer Oszillator

Als Harmonischen Oszillator bezeichnen wir ein Potential der Form

m! 2
V .x/ D V0 C .x  x0 /2 : (5.72)
2
Dieses Potential ist generell von großer Wichtigkeit, da sich jedes Potential in der
Nähe eines Minimums durch einen Harmonischen Oszillator approximieren lässt,
sofern seine zweite Ableitung nach x dort nicht verschwindet. In der Nähe der Stel-
le x0 , an der ein Potential U.x/ ein Minimum annimmt, gilt nämlich

U.x/ D U.x0 / C U 00 .x0 /.x  x0 /2 C O..x  x0 /3 /; (5.73)

was einem Harmonischen Oszillator mit m! 2 =2 D U 00 .x0 / entspricht. Es ist da-


her zu erwarten, dass für niedrige Energie-Eigenwerte, bei denen ein Großteil der
zugehörigen Wellenfunktion in der Nähe von x0 lokalisiert ist, sowohl Eigenwerte
wie auch Eigenfunktionen sich durch diejenigen des entsprechenden Harmonischen
Oszillators approximieren lassen.
Ohne Beschränkung der Allgemeinheit können wir in (5.72) V0 D 0 und x0 D 0
setzen: V0 stellt nur eine irrelevante Verschiebung der Minimalenergie dar, und x0
lässt sich leicht durch eine Koordinatenverschiebung beseitigen. Das zu untersu-
chende Potential ist also
m! 2 2
V .x/ D x : (5.74)
2
Wir wollen die zugehörigen Energie-Eigenwerte und -Eigenzustände bestimmen,
also die zeitunabhängige Schrödinger-Gleichung lösen. Als Differentialgleichung
im Ortsraum lautet sie

„2 00 m! 2 2
 .x/ C x .x/ D E .x/: (5.75)
2m 2
Das Lösen einer solchen Differentialgleichung ist jedoch mühselig, und es stellt
sich heraus, dass es einen einfacheren Weg gibt, der in geradezu genialer Weise
von der abstrakten Formulierung der QM Gebrauch macht. Wir vergessen daher die
Darstellung des Zustands j i als Wellenfunktion für einen Moment und verwenden
nur die abstrakten Operatoren X und P , für die wir nichts weiter annehmen als den
fundamentalen Kommutator ŒX; P  D i„1. Der Hamilton-Operator ist

P2 m! 2 2
H D C X : (5.76)
2m 2
Die zeitunabhängige Schrödinger-Gleichung lautet dann

P2 m! 2 2
C X j i D E j i: (5.77)
2m 2
5.3 Harmonischer Oszillator 175

Das werden wir jetzt trickreich umformulieren, indem wir einen neuen Operator A
einführen, 
1 p i
AD p m!X C p P : (5.78)
2„ m!
Der dazu hermitesch konjugierte Operator ist

1 p i
A Dp

m!X  p P : (5.79)
2„ m!
Die Kombination A A nennen wir N . Dann lässt sich (5.76) umschreiben zu
 
1 1
H D „! A A C

D „! N C : (5.80)
2 2

Der Summand C 12 tritt auf, weil beim Ausmultiplizieren des Produkts A A die
Verallgemeinerung der dritten binomischen Formel für Operatoren berücksichtigt
werden muss:
.B C C /.B  C / D B 2  C 2  ŒB; C ; (5.81)
hier angewendet auf
1 p 1 .i/
BDp m!X; C Dp p P: (5.82)
2„ 2„ m!
Der Gl. (5.80) sieht man an, dass die Energie-Eigenwerte En durch die Eigenwer-
te n von N ausgedrückt werden können:

1
En D „! n C (5.83)
2
Die Eigenzustände von H sind also zugleich auch Eigenzustände von N . Den Ei-
genzustand von N zum Eigenwert n nennen wir jni. Genau genommen könnte es
sein, dass der Eigenwert n entartet ist, dass es also mehrere Zustände mit diesem
Eigenwert gibt. Dann bräuchten wird noch weitere Informationen, um den Zustand
zu spezifizieren. Wir werden aber gleich den Beweis nachholen, dass n nicht entar-
tet ist. Zunächst zeigen wir jedoch, dass n nicht negativ sein kann: Sei jvi D A jni.
Dann ist ˝ ˇ ˇ ˛
n D hn jN j ni D n ˇA Aˇ n D hv jv i  0: (5.84)

Aufgabe 5.11
Zeigen Sie allein unter Verwendung von ŒX; P  D i„ die folgende Kommu-
tator-Relation: 
A; A D 1 (5.85)
Folgern Sie daraus

ŒN; A D A; N; A D A : (5.86)
176 5 Eindimensionale Probleme

Aus (5.86) folgt

NA jni D A.N  1/ jni D .n  1/A jni (5.87)


NA jni D A .N C 1/ jni D .n C 1/A jni :
  
(5.88)

A jni ist demnach ein Eigenzustand von N mit Eigenwert n  1, und A jni ist ein
Eigenzustand von N mit Eigenwert n C 1. Durch wiederholte Anwendung von A
„klettert“ man also die „Leiter“ der N -Eigenwerte in Einserschritten hinauf, durch
A hinunter. A heißt daher Aufsteigeoperator, A entsprechend Absteigeoperator.
Da wir allerdings wissen, dass n nicht negativ werden kann, muss es mit der
Absteigerei irgendwann einmal ein Ende haben. Es muss also einen Grundzustand
jn0 i geben, von dem aus die Anwendung von A nicht mehr weiterführt, was aber
nur möglich ist, wenn A jn0 i keinen Zustand mehr darstellt, A jn0 i D 0. Daraus
folgt ˝ ˇ ˇ ˛
0 D jjA jn0 i jj2 D n0 ˇA Aˇ n0 D hn0 jN j n0 i D n0 (5.89)
und somit n0 D 0. Es ist also j0i der einzig mögliche Grundzustand, und wir folgern
daraus die Grundzustandsenergie
„!
E0 D (5.90)
2
des Harmonischen Oszillators. Die Werte n in (5.83) müssen daher nichtnegative
ganze Zahlen sein.
Es bleibt noch zu zeigen, dass es nur einen Zustand j0i gibt, nicht etwa mehre-
re mit dem gleichen Eigenwert, und dazu gehen wir zurück in den Ortsraum. Die
Gleichung A j0i D 0 lautet dort

1 p „ d
p m!x C p 0 .x/ D 0: (5.91)
2„ m! dx
Dies ist eine lineare Differentialgleichung erster Ordnung und hat daher nur eine
linear unabhängige Lösung. Mit etwas Intuition sieht man, dass die Lösung eine
Gaußfunktion ist. Richtig normiert lautet sie
p
   2 x2 m!
0 .x/ D e 2 ; 2 D : (5.92)
 1=4 „
Der Grundzustand ist also nicht entartet, und da man alle höheren Zustände durch
wiederholtes Anwenden von A auf den Grundzustand erhält, sind diese es auch
nicht. Für diese höheren Zustände wollen wir noch die Normierung ermitteln:
˝ ˇ ˇ ˛ ˝ ˇ ˇ ˛
jjA jni jj2 D n ˇAA ˇ n D n ˇA A C 1ˇ n D n C 1 (5.93)

Der auf 1 normierte Zustand jn C 1i ist also


1
jn C 1i D p A jni (5.94)
nC1
5.3 Harmonischer Oszillator 177

bzw., wenn wir vom Grundzustand ausgehen und A wiederholt anwenden,

1   n
jni D p A j0i : (5.95)

Wenn wir diese Beziehung wieder im Ortsraum ausdrücken, ergibt sich

1 m! „ d n
n .x/ D p x 0 .x/: (5.96)
2n nŠ „ m! dx

Das Ergebnis ist – nach kurzem Nachdenken – jeweils ein Polynom n-ten Grades
mal eine Gaußfunktion. Da die Eigenfunktionen orthogonal zueinander sein müs-
sen, kann es sich bei den Polynomen nur um die in Abschn. 3.2 genannten Hermite-
Polynome Hn handeln. Verwendet man die Definition der Hermite-Polynome,

2 d n x 2 =2
Hn .x/ D e x =2 x  e ; (5.97)
dx

so folgt unmittelbar
r
1 m!
n .x/ D p Hn x 0 .x/: (5.98)
2n nŠ „

Die ersten Hermite-Polynome lauten

H0 .x/ D 1; H1 .x/ D 2x; H2 .x/ D 4x 2  2: (5.99)

Die Erwartungswerte für Ort und Impuls lassen sich auch anhand von A und A
ermitteln, ohne die Wellenfunktionen zu verwenden. Mit
r
„  
XD A C A (5.100)
2m!
r
„m!  
P D i A  A (5.101)
2
erhält man
r
„ ˝ ˇ ˇ ˛
hXin D hn jXj ni D .hn jAj ni C n ˇA ˇ n / D 0 (5.102)
2m!
r
„m! ˝ ˇ ˇ ˛
hP in D hn jXj ni D i .hn jAj ni  n ˇA ˇ n / D 0: (5.103)
2
Hierbei haben wir verwendet, dass A jni in einem anderen Eigenraum liegt und
daher keine Überlappung mit jni hat, und das Gleiche gilt für A jni. Die Erwar-
tungswerte sind also 0. Das muss auch so sein: Für die Erwartungswerte gelten
178 5 Eindimensionale Probleme

schließlich nach den Ehrenfest-Gleichungen die klassischen Bewegungsgleichun-


gen, die durch eine Oszillation um x D 0 gelöst werden. Da Energie-Eigenzustände
stationär sind, kann es aber keine Bewegung von hXin geben, hXin muss sich also
die ganze Zeit direkt am Nullpunkt aufhalten. Das gilt für beliebig hohe Energi-
en, bei denen ja in der klassischen Physik der Ausschlag immer größer wird. Ein
Wellenpaket, das sich aus mehreren Energie-Eigenzuständen zusammensetzt, wird
aber im Allgemeinen das oszillierende Verhalten aufweisen, Erwartungswerte für
Ort und Impuls werden mit der Kreisfrequenz ! hin- und herschwingen, wie von
den Ehrenfest-Gleichungen gefordert.
Bei den Energie-Eigenzuständen zeigt sich hingegen der energieabhängige
„Ausschlag“ nur in Form von erhöhten Unschärfen:

˝ ˇ ˇ ˛ „ D ˇˇ 2  2 ˇˇ E
.X/2n D n ˇX 2 ˇ n D n ˇA C AA C A A C A ˇ n (5.104)
2m!
„ ˝ ˇˇ  ˇ ˛
D n AA C A Aˇ n (5.105)
2m! 
„ „ 1
D hn j2N C 1j ni D nC (5.106)
2m! m! 2
 2
Die Operatoren A2 und A wurden in der zweiten Zeile weggelassen, weil sie
˝ ˇ ˇ ˛
aufgrund der orthogonalen Eigenräume keinen Beitrag liefern: n ˇA2 ˇ n D 0 und
 2
ebenso für A . Analog erhält man

1
.P /2n D „m! n C : (5.107)
2

Die Kombination der beiden Unschärfen ergibt



1
.X/n .P /n D „ n C : (5.108)
2

Nur für n D 0 gilt also der von der Unschärferelation geforderte Minimalwert. Für
alle höheren Energiezustände ist auch die Unschärfe größer.

Fragen zum Selbstcheck


1. Warum haben Auf- und Absteigeoperator diese Namen?
2. Wie lauten die Energie-Eigenwerte des Harmonischen Oszillators?
3. Welche Differentialgleichung ist bei der algebraischen Methode noch zu lö-
sen (nur in Worten, nicht der exakte Ausdruck)?
Zweidimensionale Systeme
6

Dies ist nur ein kleiner Zwischenstopp zwischen einer und drei Dimensionen. Er erlaubt
uns, auf einfache Weise rotationssymmetrische Potentiale, Drehimpuls und Variablensepa-
ration einzuführen.

6.1 Kartesische Koordinaten

Die zeitunabhängige Schrödinger-Gleichung in einer Dimension ist eine gewöhnli-


che Differentialgleichung: Es gibt nur eine Variable, nämlich x. In zwei Dimensio-
nen wird sie zur partiellen Differentialgleichung

„2 @2 @2
 .x; y/ C 2 .x; y/ D .E  V .x; y// .x; y/ (6.1)
2m @x 2 @y

und somit im Allgemeinen deutlich schwerer zu lösen.


Es gibt zwei Situationen, in denen sich das Problem deutlich vereinfacht und auf
eindimensionale, also gewöhnliche Differentialgleichungen zurückführen lässt:

 Das Potential besteht für x und y getrennt, V .x; y/ D V1 .x/ C V2 .y/.


 p
Das Potential ist ein Zentralpotential, d. h., es hängt nur vom Abstand r D
x 2 C y 2 vom Koordinatenursprung ab.

Der zweite Fall erfordert Polarkoordinaten und wird erst im nächsten Unterkapitel
untersucht. Der isotrope Harmonische Oszillator,

m! 2  2  m! 2 2
V .x; y/ D x C y2 D r ; (6.2)
2 2
erfüllt erfreulicherweise beide Bedingungen und kann daher in beiden Fällen als
Beispiel herhalten, so dass sich die Ergebnisse miteinander vergleichen lassen. „Iso-
trop“ bedeutet hierbei, dass der Parameter ! in beiden Richtungen der gleiche ist.
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 179
J.-M. Schwindt, Tutorium Quantenmechanik, DOI 10.1007/978-3-662-49399-1_6
180 6 Zweidimensionale Systeme

Das Potential des allgemeinen Harmonischen Oszillators in zwei Dimensionen lau-


tet dagegen
m 2 2 
V .x; y/ D !x x C !y2 y 2 : (6.3)
2
Im ersten Fall, V .x; y/ D V1 .x/ C V2 .y/, lässt sich die Schrödinger-Gleichung
durch den Produktansatz
.x; y/ D u.x/v.y/ (6.4)
vereinfachen. Man spricht von einer Variablenseparation. Setzt man diesen An-
satz in die Schrödinger-Gleichung ein und dividiert anschließend durch u und v, so
erhält man
 
„2 u00 .x/ „2 v 00 .y/
 C V1 .x/ C  C V2 .y/ D E: (6.5)
2m u.x/ 2m v.y/

Der Inhalt der ersten Klammer hängt nicht von y ab. Er kann aber auch nicht von x
abhängen, weil der restliche Teil der Gleichung (die zweite Klammer und die rechte
Seite) nicht von x abhängt. Er ist somit gleich einer Konstanten, die wir E1 nennen.
Analog muss auch der Inhalt der zweiten Klammer gleich einer Konstanten E2 sein.
Wir haben somit die zweidimensionale Schrödinger-Gleichung auf zwei eindimen-
sionale zurückgeführt:

„2 00
 u .x/ C V1 .x/u.x/ D E1 u.x/ (6.6)
2m
„2 00
 v .y/ C V2 .y/v.y/ D E2 v.y/ (6.7)
2m
und es gilt E D E1 C E2 .

Betrachten wir den isotropen Harmonischen Oszillator (6.2) als Beispiel. Es ist

m! 2 2 m! 2 2
V1 .x/ D x ; V2 .y/ D y ; (6.8)
2 2
die zugehörigen eindimensionalen Gleichungen sind also gerade diejenigen des ein-
dimensionalen Harmonischen Oszillators, deren Lösungen n und Energie-Eigen-
werte En wir bereits kennen. Die Energie-Eigenzustände
ˇ ˛ des zweidimensionalen
Oszillators können wir daher in der Form ˇnx ny angeben, mit den zugehörigen
Wellenfunktionen
nx ny .x; y/ D nx .x/ ny .y/: (6.9)
Für die Energie-Eigenwerte Enx ny gilt

Enx ny D Enx C Eny D „!.nx C ny C 1/: (6.10)

Wir sehen, dass der Energie-Eigenwert „!.n C 1/ sich auf n C 1 verschiedene


Weisen gewinnen lässt, also .n C 1/-fach entartet ist: Für festes n D nx C ny kann
6.1 Kartesische Koordinaten 181

nx jeden ganzzahligen Wert von 0 bis n annehmen, und entsprechend hat ny jeweils
den Wert n  nx .

Zum gleichen Ergebnis hätte man natürlich auch kommen können, wenn man
mit dem algebraischen Verfahren, das wir für den eindimensionalen Oszillator ver-
wendet haben, von vorne beginnt. Der Hamilton-Operator ist
 2 !
Px m! 2 2 Py2 m! 2 2
H D C X C C Y ; (6.11)
2m 2 2m 2

und wieder können wir Absteigeoperatoren einführen, einen für die x- und einen
für die y-Richtung,

1 p i
Ax D p m!X C p Px ; (6.12)
2„ m!

1 p i
Ay D p m!Y C p Py ; (6.13)
2„ m!
so dass man nach kurzer Rechnung folgende Form von H erhält:
 
H D „! Ax Ax C Ay Ay C 1 ; (6.14)


analog zum eindimensionalen Fall. Der Aufsteigeoperator Ax ist für die Anregung

des Oszillators in x-Richtung zuständig, Ay für die Anregung in y-Richtung. Das
Maß der Anregung wird mithilfe der Operatoren
Nx D Ax Ax ; Ny D Ay Ay (6.15)
ausgedrückt, die wie im eindimensionalen Fall nichtnegative, ganzzahlige Eigen-
werte haben, die gerade den Werten nx und ny in (6.10) entsprechen. Der Grundzu-
stand ergibt sich wie im eindimensionalen Fall, siehe (5.91), nur dass diesmal diese
Differentialgleichung sowohl in x- als auch in y-Richtung gilt, mit der Lösung

0;0 .x; y/ D 0 .x/ 0 .y/: (6.16)


Im eindimensionalen Fall trat die Grundzustandsenergie 12 „! aufgrund des Sum-
manden C1=2 im Hamilton-Operator (5.80) auf, der im Zuge der Umrechnung der
X 2 - und P 2 - Ausdrücke in A A auftrat. In d Dimensionen tritt dieser Summand d -
mal auf, weil d Orts- und Impulsoperatoren in d verschiedene A A-Ausdrücke
umgeschrieben werden. Die Grundzustandsenergie des isotropen Oszillators in d
Dimensionen ist daher E0 D d2 „!. Insbesondere beträgt die Grundzustandsenergie
in zwei Dimensionen gerade „!.
Ausgehend vom Grundzustand kann man die höheren Zustände durch Anwen-
dung der Aufsteigeoperatoren erreichen:
ˇ ˛   nx   ny
ˇnx ny D p 1 Ax Ay j0i (6.17)
nx Šny Š
182 6 Zweidimensionale Systeme

Um noch etwas konkreter zu werden, wollen wir die Wellenfunktionen zum


ersten angeregten Energie-Eigenwert E D 2„!, nx D1;ny D0 und nx D0;ny D1 berech-
nen, die wir dann auch später mit dem entsprechenden Ergebnis in Polarkoordinaten
vergleichen werden. Im Ortsraum ist
r

m! „ @
Ax D x (6.18)
2„ m! @x
r 
m! „ @
Ay D

y : (6.19)
2„ m! @y

Die Wellenfunktion des Grundzustands ist


r  m! 
m! 
nx D0;ny D0 .x; y/ D exp  x2 C y2 : (6.20)
„ 2„

Durch Anwenden der Aufsteigeoperatoren erhalten wir

nx D1;ny D0 .x; y/ D Ax nx D0;ny D0 .x; y/ (6.21)


r  m!
2 m!  
D x exp  x2 C y2 (6.22)
 „ 2„
nx D0;ny D1 .x; y/ D Ay nx D0;ny D0 .x; y/

(6.23)
r  m!
2 m!  2 
D y exp  x Cy 2
: (6.24)
 „ 2„
Das hätte man auch aus (6.9) und (5.98) ablesen können.

Fragen zum Selbstcheck


1. Wie funktioniert die Variablenseparation im Fall V .x; y/ D V1 .x/ C V2 .y/?

6.2 Polarkoordinaten

Polarkoordinaten .r; / sind definiert durch die Koordinatentransformation

x D r cos ; y D r sin ; (6.25)

bzw. umgekehrt
p y
rD x2 C y2;  D arctan
: (6.26)
x
In der letzten Gleichung waren wir etwas ungenau, denn der Arcustangens bildet ei-
ne reelle Zahl eigentlich in das Intervall Œ=2; C=2 ab. Wir fordern stattdessen,
dass  von 0 bis 2 läuft. Daher müssen wir genau genommen nach Quadranten
unterscheiden. Im ersten Quadranten ist die Formel korrekt, im zweiten und dritten
müssen wir , im vierten 2 hinzuaddieren.
6.2 Polarkoordinaten 183

Um die Ableitungsoperatoren, insbesondere den Laplace-Operator in den neuen


Koordinaten auszudrücken, muss man die Kettenregel anwenden. (Bestimmt ha-
ben Sie das im Rahmen der klassischen Mechanik oder der Elektrodynamik schon
einmal gemacht. Wir wollen das hier aber der Vollständigkeit halber noch einmal
wiederholen.) Eine Funktion f .x; y/ wird in Polarkoordinaten umgeschrieben, in-
dem man jedes x und jedes y im Funktionsausdruck mithilfe von (6.25) ersetzt,

f .x; y/ ! f .r; / WD f .x.r; /; y.r; //; (6.27)

z. B.

m! 2  2 
V .x; y/ D x C y2 (6.28)
2
m! 2 2 m! 2 2
! V .r; / D .r cos2  C r 2 sin2 / D r : (6.29)
2 2
Genauso funktioniert die Umkehrtransformation

f .r; / ! f .x; y/ WD f .r.x; y/; .x; y//: (6.30)

Die Ableitungen berechnen sich dann nach der Kettenregel, angewandt auf (6.30),
z. B. 
@ @r @ @ @
f .x; y/ D C f .r; /: (6.31)
@x @x @r @x @
Dabei ergeben die partiellen Ableitungen @r=@x und @=@x zunächst mithilfe von
(6.26) Ausdrücke in x und y,

@r x @ y
Dp ; D 2 ; (6.32)
@x x C y2
2 @x x C y2

die man dann wieder in r und  umrechnen muss:

@r @ sin 
D cos ; D (6.33)
@x @x r
Insgesamt ergibt sich damit aus (6.31) die Ersetzung

@ @ 1 @
! cos   sin  : (6.34)
@x @r r @

Analog leitet man die Transformation der y-Ableitung her:

@ @ 1 @
! sin  C cos  (6.35)
@y @r r @
184 6 Zweidimensionale Systeme

Beim Hintereinanderausführen der Ableitungen ist auf die Produktregel zu achten,


z. B. wirkt in


@2 @ 1 @ @ 1 @
f .x; y/ ! cos   sin  cos   sin  f .r; /
@x 2 @r r @ @r r @
(6.36)
die r-Ableitung der linken Klammer einmal auf das 1=r in der rechten Klammer
und einmal auf f .r; /.

Aufgabe 6.1
Zeigen Sie
@2 @2 @2 1 @ 1 @2
D 2
C 2 ! 2C C 2 2: (6.37)
@x @y @r r @r r @

Die Schrödinger-Gleichung lautet also in Polarkoordinaten



 2
„2 @ 1 @ 1 @2
 C C C V .r; / .r; / D E .r; /: (6.38)
2m @r 2 r @r r 2 @ 2

Drehimpuls
Eine wichtige physikalische Größe ist der Drehimpuls l, der in zwei Dimensionen
ein Skalar ist, l D xpy  ypx , und der z-Komponente lz des Drehimpulsvektors l
in drei Dimensionen entspricht. Der zugehörige Operator ist

@ @
L D XPy  YPx D i„ x y : (6.39)
@y @x

In Polarkoordinaten sieht L einfacher aus. Transformiert man die Klammer mithilfe


von (6.25), (6.34), (6.35) in Polarkoordinaten, so ergibt sich nach kurzer Rechnung

@
L D i„ : (6.40)
@

Genau wie der gewöhnliche Impuls ist also auch der Drehimpuls gleich i„ mal
einer partiellen Ableitung. Die Eigenwertgleichung

L .r; / D „l .r; / (6.41)

ist daher auch genauso leicht zu lösen: Die Eigenfunktionen haben die Form

l .r; / D f .r/e i l ; (6.42)

wobei f .r/ eine beliebige differenzierbare Funktion von r ist. Da l stetig sein
soll, muss e i l D e i l.C2/ sein und somit l eine ganze Zahl. Der Drehimpuls
6.2 Polarkoordinaten 185

ist in der QM also „gequantelt“, mit möglichen Eigenwerten „l. Man beachte,
dass wir mit l zunächst den klassischen Drehimpuls bezeichnet haben, dann aber
die Drehimpulsquantenzahl. Bitte nicht verwechseln! Der physikalische Wert des
Drehimpulses zur Quantenzahl l ist „l.

Zentralpotential
Bei einem Zentralpotential hängt V per Definition nur von r ab. Der Hamilton-
Operator ist dann

„2 @2 1 @ L2
H D 2
C C C V .r/ (6.43)
2m @r r @r 2mr 2

(man beachte, dass wir die doppelte -Ableitung durch L2 ausgedrückt haben) und
kommutiert mit L,
ŒL; H  D 0: (6.44)
Denn alle Terme in H hängen nur von r ab, und daher ist

@ @
.H / D H : (6.45)
@ @

Das hat zwei Konsequenzen:

 Der Drehimpuls ist eine Erhaltungsgröße, sein Erwartungswert ändert sich also
nicht mit der Zeit. Somit wird das klassische Resultat, dass der Drehimpuls im
Zentralpotential erhalten ist, auch in der QM reproduziert.
 H und L lassen sich simultan diagonalisieren, wir können also die Energie-Ei-
genzustände so wählen, dass sie zugleich auch Drehimpuls-Eigenzustände sind.

Dadurch vereinfacht sich die Schrödinger-Gleichung deutlich. Wir können nämlich


für einen Energie-Eigenzustand

.r; / D f .r/e i l (6.46)

ansetzen und erhalten aus der Schrödinger-Gleichung eine gewöhnliche Differenti-


algleichung

„2 d2 1 d
 2
C f .r/ C Veff .r/f .r/ D Ef .r/: (6.47)
2m dr r dr

Dabei ist Veff das effektive Potential

„2 l 2
Veff .r/ D V .r/ C ; (6.48)
2mr 2
das in ähnlicher Form auch aus der klassischen Mechanik bekannt ist. Gl. (6.47)
ist die sog. Radialgleichung. Der Drehimpuls führt zu einem Zentrifugalterm im
186 6 Zweidimensionale Systeme

effektiven Potential: Das effektive Potential divergiert für r ! 0 gegen C1. In


der klassischen Physik gehört hierzu eine „Scheinkraft“, die Zentrifugalkraft, die
ein Teilchen nach außen treibt. Das Analogon in der QM besteht darin, dass der
Zentrifugalterm in der Radialgleichung dafür sorgt, dass die Wellenfunktion für
l > 0 im Limes r ! 0 verschwindet. Das zu zeigen heben wir uns aber für den
dreidimensionalen Fall auf.
Als Aufgabe verbleibt nun noch, die Radialgleichung zu lösen – oder sich diese
Arbeit durch geschickte algebraische Überlegungen zu ersparen. Als Beispiel sehen
wir uns wieder den isotropen Harmonischen Oszillator an.

Isotroper Harmonischer Oszillator


Gesucht sind Eigenzustände des Hamilton-Operators, die zugleich auch Eigenzu-
stände des Drehimpulses sind. Die Radialgleichung lautet
 2 
„2 d 1 d m! 2 2 „2 l 2
 C f .r/ C r C f .r/ D Ef .r/: (6.49)
2m dr 2 r dr 2 2mr 2
Diese Gleichung lässt sich mit etwas Mühe und geschickten Ansätzen lösen. Zum
Beispiel kann man sich ja denken (weil wir die Lösungen in kartesischen Koordi-
naten schon kennen), dass f .r/ stets von der Form
 m! 
f .r/ D g.r/ exp  r2 (6.50)
2„
ist, mit einem Polynom g.r/. Wesentlich eleganter ist es jedoch, wieder algebraisch
vorzugehen. Und weil das Ganze so eine schöne Übung ist, bleibt es Ihnen als
Aufgabe überlassen.

Aufgabe 6.2
a) Zeigen Sie, dass mit den Definitionen (6.12), (6.13) gilt:
 
L D i„ Ax Ay  Ax Ay (6.51)

b) Wir definieren neue Absteigeoperatoren AL und AR :


1   1  
AL D p Ax C iAy ; AR D p Ax  iAy (6.52)
2 2
Zeigen Sie, dass
 
ŒAR ; AR  D ŒAL ; AL  D 1; (6.53)
   
ŒAR ; AL  D ŒAL ; AR  D ŒAR ; AL  D ŒAR ; AL  D 0: (6.54)
 
Die neuen Operatoren AR ; AR ; AL ; AL genügen also denselben Vertau-
 
schungsrelationen wie Ax ; Ax ; Ay ; Ay .
6.2 Polarkoordinaten 187

c) Zeigen Sie, dass

 
AR AR C AL AL D Ax Ax C Ay Ay : (6.55)

Insbesondere lässt sich der Hamilton-Operator (6.14) auch schreiben als


 
 
H D „! AR AR C AL AL C 1 : (6.56)

Daraus folgt, dass sich das gesamte Verfahren zur Herleitung der Ener-
 
gie-Eigenzustände mit AR ; AR ; AL ; AL genauso durchführen lässt wie mit
 
Ax ; Ax ; Ay ; Ay . Wir definieren

 
NR D AR AR ; NL D AL AL (6.57)

mit nL Eigenwerten nR und nL . Durch Anwenden von


 ganzzahligen
nR 
 
AR AL auf den Grundzustand erreicht man den Zustand jnR nL i
mit der Energie E D „! .nR C nL C 1/.
d) Der große Vorteil der neuen Auf- und Absteigeoperatoren zeigt sich am
Drehimpuls. Zeigen Sie
 
 
L D „ AR AR  AL AL : (6.58)

ˇ ˛
Im Gegensatz zu ˇnx ny ist also jnR nL i auch ein Eigenzustand des Dreh-
impulses,
L jnR nL i D „ .nR  nL / jnR nL i : (6.59)
Die Drehimpulsquantenzahl ist demnach l D nR  nL . Machen Sie sich
klar, dass für festes n D nR C nL (also für feste Energie „!.n C 1/) l die
Werte n; n  2; n  4;    ; n annehmen kann.
e) Zeigen Sie, ausgehend von (6.18) und (6.19),
r

 m! i  „ @ i @
AR D e r C ; (6.60)
4„ m! @r r @
r

 m! i  „ @ i @
AL D e r  : (6.61)
4„ m! @r r @

f) Berechnen Sie damit aus dem als bekannt angenommenen Grundzustand


r  m! 
m!
nR D0;nL D0 .r; / D exp  r2 (6.62)
„ 2„
188 6 Zweidimensionale Systeme

die ersten beiden angeregten Zustände nR D1;nL D0 und nR D0;nL D1 . Lö-


sung:

1 m! i   m! 
nR D1;nL D0 .r; / D p e r exp  r2 (6.63)
 „ 2„
1 m! i   m! 
nR D0;nL D1 .r; / D p e r exp  r2 (6.64)
 „ 2„

g) Die Zustände jnR nL i unterscheiden sich von den Zuständen jnx nx i. Den-
noch müssen die Eigenräume zum gleichen Energie-Eigenwert En D
„!.n C 1/ identisch sein, d. h., ˇjeder ˛Zustand jnR nL i muss sich als Li-
nearkombination von Zuständen ˇnx ny mit nx C ny D nR C nL schreiben
lassen. Zeigen Sie

1 ˇ ˛ ˇ ˛
jnR D 1; nL D 0i D p ˇnx D 1; ny D 0 C i ˇnx D 0; ny D 1
2
1 ˇˇ ˛ ˇ ˛
jnR D 0; nL D 1i D p nx D 1; ny D 0  i ˇnx D 0; ny D 1 :
2

Fragen zum Selbstcheck


1. Wie lautet der Drehimpulsoperator in Polarkoordinaten und was sind seine
Eigenwerte?
2. Wann ist er eine Erhaltungsgröße?
3. Was ist das effektive Potential?
Dreidimensionale Systeme
7

Das Verhalten von Wellenfunktionen in drei Dimensionen wird untersucht, mit Schwerpunkt
auf dem Drehimpuls und rotationssymmetrischen Potentialen. Als Höhepunkt bestimmen
wir die Energieniveaus des Wasserstoffatoms. Wieder einmal stellen sich algebraische Me-
thoden als nützlich und elegant heraus.

Viele Überlegungen lassen sich aus zwei Dimensionen in drei Dimensionen


übertragen. Zum Beispiel kann für ein Potential der Form

V .x; y; z/ D V1 .x/ C V2 .y/ C V3 .z/ (7.1)

eine Variablenseparation durchgeführt werden mit dem Produktansatz

.x; y; z/ D u.x/v.y/w.z/; (7.2)

der auf drei eindimensionale Schrödinger-Gleichungen für u, v und w führt, völ-


lig analog zum zweidimensionalen Fall. Im Beispiel des isotropen Harmonischen
Oszillators führt das zu den Energie-Eigenwerten

3
En D „! n C ; (7.3)
2
wobei n D nx C ny C nz die Summe der N -Eigenwerte der drei eindimensionalen
Oszillatoren in x-, y- und z-Richtung ist.

Aufgabe 7.1
Zeigen Sie, dass der Eigenwert En gn -fach entartet ist mit

1
gn D .n C 1/.n C 2/; (7.4)
2
d. h., man kann n auf gn Weisen als Summe dreier nichtnegativer ganzer Zah-
len darstellen.

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 189


J.-M. Schwindt, Tutorium Quantenmechanik, DOI 10.1007/978-3-662-49399-1_7
190 7 Dreidimensionale Systeme

Bei zylindersymmetrischen Potentialen der Form


V .x; y; z/ D V1 . / C V2 .z/; (7.5)
p
mit D x 2 C y 2 , wählt man einen Produktansatz in Zylinderkoordinaten,
. ; ; z/ D u. /v./w.z/; (7.6)
wobei sich für u und v alles aus dem Kapitel über Zentralpotentiale in zwei Di-
mensionen übertragen lässt. Insbesondere ist v./ D e i m ein Eigenzustand der
z-Komponente des Drehimpulses, mit einer ganzen Zahl m; und u genügt der Ra-
dialgleichung (6.47), wobei r durch zu ersetzen ist.

Eine echte Neuheit in drei Dimensionen ist die Drehimpulsalgebra: Im Ge-


gensatz zu zwei Dimensionen ist der Drehimpuls in drei Dimensionen ein Vektor.
Dazu gehören drei Operatoren (einer für jede Komponente), Lx ; Ly ; Lz , die einen
Vektoroperator L bilden. Aus den Kommutator-Relationen der drei Komponenten
von L und des Operators L2 lässt sich das Eigenwertspektrum ableiten. Die zugehö-
rigen Eigenfunktionen Ylm (wobei noch erklärt wird, wofür l und m stehen) hängen
in Kugelkoordinaten nur von den Winkeln und  ab und heißen Kugelflächen-
funktionen.
Beim Zentralpotential
V .x; y; z/ D V .r/; (7.7)
p
mit r D x C y C z , ist wie in zwei Dimensionen der Drehimpuls eine Erhal-
2 2 2

tungsgröße. Als Winkelanteil der Energie-Eigenzustände zum Eigenwert En kön-


nen wieder die Eigenfunktionen des Drehimpulses gewählt werden,
nlm .r; ; / D Rnl .r/Ylm . ; /: (7.8)
Die Funktion Rnl .r/ genügt wieder einer Radialgleichung mit einem effektiven
Potential. Das Lösen der Radialgleichung ist die Aufgabe, die sich bei einem ge-
gebenen Zentralpotential stellt. Wir werden hierfür zwei Beispiele untersuchen: das
freie Teilchen und das Coulomb-Potential. Letzteres hat besondere Bedeutung, weil
sich damit die grundlegenden Eigenschaften des Wasserstoffatoms erklären lassen.

7.1 Drehimpulsalgebra

Der Drehimpuls l ist definiert als


l D r  p: (7.9)
Die zugehörigen Operatoren sind

@ @
Lx D YPz  ZPy D i„ y z ; (7.10)
@z @y

@ @
Ly D ZPx  XPz D i„ z x ; (7.11)
@x @z

@ @
Lz D XPy  YPx D i„ x y : (7.12)
@y @x
7.1 Drehimpulsalgebra 191

Man beachte, dass eine Komponente des Ortsoperators mit einer anderen Kompo-
nente des Impulsoperators kommutiert, z. B. ŒY; Pz  D 0, so dass die Reihenfolge
der Operatoren in den einzelnen Summanden keine Rolle spielt. Der Operator zum
Betragsquadrat des Drehimpulses ist
L2 D L2x C Ly2 C L2z : (7.13)

Es wird nicht nötig sein, L2 in Form von Orts- und Impulsoperatoren auszuschrei-
ben, dank der raffinierten Methoden, die wir anwenden werden. Wir wollen nun die
Kommutatoren zwischen diesen vier Operatoren ausrechnen. Es ist

ŒLx ; Ly  D ŒYPz ; ZPx   ŒYPz ; XPz   ŒZPy ; ZPx  C ŒZPy ; XPz  (7.14)
D YPx ŒPz ; Z  0  0 C Py XŒZ; Pz  (7.15)
D i„YPx C i„XPy (7.16)
D i„Lz : (7.17)

Analog erhält man

ŒLy ; Lz  D i„Lx ; ŒLz ; Lx  D i„Ly : (7.18)


Wenn man die Indizes x; y; z durch 1; 2; 3 ersetzt, lässt sich das umschreiben zu

X
3
ŒLi ; Lj  D i„ ij k Lk : (7.19)
kD1

Hierbei sind ij k die Komponenten des Epsilon-Tensors,

123 D 231 D 312 D  213 D  321 D  132 D 1; (7.20)

ij k D 0 für alle anderen Kombinationen von .ij k/, d. h. alle Kombinationen, in


denen zumindest ein Index-Wert doppelt auftritt.

Streber-Ecke 7.1
Genauer gesagt handelt es sich bei um eine Tensordichte, nicht um einen
Tensor. Ein Tensor ist durch sein Verhalten bzgl. Koordinatentransformatio-
nen definiert. Bei einer linearen Transformation
X
3
ri0 D Aij rj (7.21)
j D1

mit der Transformationsmatrix A transformiert sich ein Tensor T bzgl. jedem


Index mithilfe von A oder A1 , z. B.
X
3 X
3 X
3
Tij0 k D Ai l Aj m Ak n Tlmn : (7.22)
lD1 mD1 nD1
192 7 Dreidimensionale Systeme

Im Falle von führt das zu

X
3 X
3 X
3
0
123 D A1l A2m A3n lmn D det A: (7.23)
lD1 mD1 nD1

Es soll aber 123 auch im neuen Koordinatensystem gleich 1 sein. Daher muss
man
X
3 X
3 X 3
ij0 k D .det A/1 Ai l Aj m Ak n lmn (7.24)
lD1 mD1 nD1

fordern, was gerade eine Tensordichte charakterisiert: Eine Tensordichte vom


Gewicht w ist dadurch definiert, dass die Transformationsregel von der Form
(7.22) ist, wobei aber auf der rechten Seite ein zusätzlicher Faktor .det A/w
auftritt.

L2 hingegen kommutiert mit allen Komponenten des Drehimpulses,

ŒL2 ; Li  D 0: (7.25)

Es ist nämlich

ŒL2 ; Lx  D ŒL2x ; Lx  C ŒLy2 ; Lx  C ŒL2z ; Lx  (7.26)


D 0 C Ly ŒLy ; Lx  C ŒLy ; Lx Ly C Lz ŒLz ; Lx  C ŒLz ; Lx Lz (7.27)
D i„.Ly Lz  Lz Ly C Lz Ly C Ly Lz / (7.28)
D0 (7.29)

und genauso
ŒL2 ; Ly  D 0; ŒL2 ; Lz  D 0: (7.30)
Wir fassen noch einmal zusammen:

Drehimpulsalgebra
X
3
ŒLi ; Lj  D i„ ij k Lk ; ŒL2 ; Li  D 0 (7.31)
kD1

Daraus folgt: L2 und eine beliebige Komponente des Drehimpulses sind simultan
diagonalisierbar, d. h. besitzen gemeinsame Eigenzustände. Man wählt hierfür Lz .
Weitere Komponenten von L kann man nicht hinzuziehen, denn sie kommutieren
nicht mit Lz . Wir stellen also die Eigenwertgleichungen

L2 jm˛i D „2  jm˛i ; Lz jm˛i D „m jm˛i (7.32)


7.1 Drehimpulsalgebra 193

auf. Dabei steht ˛ für eine weitere Quantenzahl (Eigenwert eines anderen Opera-
tors A), die außer  und m noch nötig ist, um einen Zustand eindeutig zu charakte-
risieren. Im Zentralpotential ist das z. B. die Energie (der Eigenwert des Hamilton-
Operators), wie wir sehen werden. Der Operator A bildet also mit L2 und Lz einen
vollständigen Satz kommutierender Observablen. Er kommutiert mit L2 und Lz .
Wir wollen hier der Einfachheit halber annehmen, dass A auch mit Lx und Ly
kommutiert. Für den Hamilton-Operator im Zentralpotential ist das der Fall. Dann
folgt nämlich, dass die Werte von ˛ bei Anwendung von Li nicht verändert werden:
A.Li jm˛i/ D Li .A jm˛i/ D ˛.Li jm˛i/; (7.33)
d. h., Li jm˛i gehört zum selben A-Eigenwert wie jm˛i.

Aufgabe 7.2
Sei A der Operator der kinetischen Energie, A D P2 =.2m/. Zeigen Sie
ŒA; Li  D 0. Dass dieses A mit L2 und Lz einen vollständigen Satz kom-
mutierender Observablen bildet, zeigen wir in Abschn. 7.4.

Die möglichen Werte für die sog. Magnetquantenzahl m können wir bereits
erraten, da sie mit der Quantenzahl l aus dem letzten Kapitel übereinstimmt: Es
werden ganze Zahlen sein, denn der Operator Lz entspricht dem skalaren Drehim-
puls in zwei Dimensionen. Außerdem wissen wir, dass   0 sein muss, denn die
Li sind hermitesch (warum?) und daher ist
˝ ˇ ˇ ˛
„2  D m˛ ˇL2 ˇ m˛ (7.34)
* ˇ 3 ˇ +
ˇX ˇ
ˇ  ˇ
D m˛ ˇ Li Li ˇ m˛ (7.35)
ˇ ˇ
i D1

X
3
D jjLi jm˛i jj2  0: (7.36)
i D1

Wir werden im Folgenden das Spektrum der möglichen .; m/-Kombinationen


herleiten, ohne von der Form der Operatoren im Ortsraum Gebrauch zu machen,
sondern ausschließlich die Kommutator-Relationen (7.31) verwenden. Dazu wen-
den wir einen Trick an, der sich schon beim Harmonischen Oszillator bewährt hat:
Wir definieren Auf- und Absteigeoperatoren, die in diesem Fall den Wert von m
um 1 erhöhen oder verringern, nämlich
L˙ D Lx ˙ iLy : (7.37)
Es ist
ŒLz ; LC  D ŒLz ; Lx  C iŒLz ; Ly  D i„.Ly  iLx / (7.38)
D „.Lx C iLy / D „LC ; (7.39)
und analog
ŒLz ; L  D „L : (7.40)
194 7 Dreidimensionale Systeme

Damit folgt

Lz .LC jm˛i/ D .ŒLz ; LC  C LC Lz / jm˛i (7.41)


D „LC jm˛i C LC .Lz jm˛i/ (7.42)
D „LC jm˛i C „mLC jm˛i (7.43)
D „.m C 1/.LC jm˛i/: (7.44)

Auf die gleiche Weise erhält man

Lz .L jm˛i/ D „.m  1/.L jm˛i/: (7.45)

Es sind also L˙ jm˛i Eigenzustände von Lz mit Eigenwert „.m ˙ 1/, L˙ erhöht
bzw. verringert die Quantenzahl m also in Einserschritten. Die anderen Quanten-
zahlen sind nicht betroffen, da die zugehörigen Operatoren mit Lx und Ly , also
auch mit L˙ kommutieren, vgl. (7.33). Daraus folgt nun

L˙ jm˛i D cm˙ j; m ˙ 1; ˛i ; (7.46)

wobei cm˙ Normierungskonstanten sind, die wir nun bestimmen wollen. Dazu
stellen wir fest, dass

LC L D .Lx C iLy /.Lx  iLy / D L2x C Ly2  iŒLx ; Ly  (7.47)


DL  2
L2z C „Lz (7.48)

und analog
L LC D L2  L2z  „Lz : (7.49)

Wegen LC D L ergibt sich daraus

jjLC jm˛i jj2 D hm˛ jL LC j m˛i (7.50)


˝ ˇ ˇ ˛
D m˛ ˇL2  L2  „Lz ˇ m˛
z (7.51)
D „ .  m  m/ hm˛ jm˛ i
2 2
(7.52)
D „2 .  m.m C 1//: (7.53)

Auf die gleiche Weise erhält man

jjL jm˛i jj2 D „2 .  m.m  1// (7.54)

und damit p
cm˙ D „   m.m ˙ 1/: (7.55)
Als Nächstes stellen wir fest, dass bei gegebenem  die Werte von m nach oben und
unten beschränkt sein müssen. Es ist nämlich
D ˇ ˇ E
ˇ ˇ
0  jjLx jm˛i jj2 C jjLy jm˛i jj2 D m˛ ˇL2x C Ly2 ˇ m˛ (7.56)
˝ ˇ 2 ˇ ˛
D m˛ ˇL  L2z ˇ m˛ D „2 .  m2 /: (7.57)
7.1 Drehimpulsalgebra 195

p
Es muss also jmj   sein. Da LC und L den Wert von m durch wiederholte
Anwendung immer weiter erhöhen bzw. verringern, geht das nur, wenn ein Zu-
stand jmmax ˛i von LC und ein Zustand jmmin ˛i von L annihiliert wird. Das ist
gleichbedeutend mit

0 D jjLC jmmax ˛i jj2 D „2 .  mmax .mmax C 1//; (7.58)


0 D jjL jmmin ˛i jj D „ .  mmin .mmin  1//:
2 2
(7.59)

Man bezeichnet mmax mit dem Buchstaben l. Gl. (7.58) wird dann für gegebenes l
durch
 D l.l C 1/ (7.60)
gelöst. Umgekehrt kann man von vornherein  in der Form (7.60) schreiben (jede
nichtnegative Zahl  lässt sich so darstellen, mit eindeutigem nichtnegativem l)
und folgert daraus mmax D l. Gl. (7.59) hat dann die Lösungen mmin D l C 1 und
mmin D l. Da mmin aber kleiner sein muss als mmax , scheidet die erste Lösung aus,
und wir erhalten das wichtige Resultat: Bei gegebenem  D l.l C 1/ läuft m von
l bis Cl.
Da das Laufen von m durch die Anwendung von L˙ in Einserschritten erfolgt,
muss l ganzzahlig oder halbzahlig sein, l D 0; 12 ; 1; 32 ; 2;    . Das ist jedenfalls das,
was sich aus der Drehimpulsalgebra (7.31) allein schließen lässt. Da wir aus der
Darstellung von Lz als Winkelableitung wissen, dass m sogar ganzzahlig ist, muss
l es auch sein; l ist die sog. Orbitalquantenzahl.
Man verwendet allgemein l anstelle von , um einen Zustand zu charakteri-
sieren, d. h., man schreibt jlm˛i. Auch die Normierungskonstanten (7.55) werden
nach l umgeschrieben, so dass sich ergibt:
p
LC jl; m; ˛i D „ .l  m/.l C m C 1/ jl; m C 1; ˛i (7.61)
p
L jl; m; ˛i D „ .l C m/.l  m C 1/ jl; m  1; ˛i : (7.62)

Aufgabe 7.3
Man erhält jl; m; ˛i, indem man LC .l Cm/ mal auf jl; l; ˛i bzw. L .l m/
mal auf jl; l; ˛i anwendet. Zeigen Sie
s
lm .l  m/Š
jl; m; ˛i D „ LlCm jl; l; ˛i (7.63)
.2l/Š.l C m/Š C
s
.l C m/Š
D „ml Llm jl; l; ˛i : (7.64)
.2l/Š.l  m/Š 

So weit haben wir (bis auf die Bemerkung, dass m und damit l ganzzahlig sein
müssen) ausschließlich die Kommutatoren von Li und L2 für unsere Herleitung
196 7 Dreidimensionale Systeme

verwendet. In Kap. 2 haben wir gesehen, dass die Komponenten des Spins Si und S2
exakt dieselben algebraischen Relationen erfüllen (siehe Aufgaben 2.19 und 2.25),

X
3
ŒSi ; Sj  D i„ ij k Sk ; ŒS2 ; Si  D 0: (7.65)
kD1

Somit müssen auch die gleichen Relationen zwischen den Eigenwerten erfüllt sein.
Tatsächlich haben wir ja auch festgestellt, dass S 2 als Vielfaches des Eins-Operators
nur einen Eigenwert hat, nämlich

3 2 1 1
„ D „2 C1 ; (7.66)
4 2 2

und Sz die Eigenwerte ˙ 21 „. Die Quantenzahl l hat hier also den Wert 12 . In Kap. 9
werden wir sehen, wie Spin und Drehimpuls miteinander zu kombinieren sind.

Aufgabe 7.4
Rechnen Sie mithilfe der Pauli-Matrizen explizit nach, dass (7.61) und (7.62)
auch im Fall des Spins erfüllt sind, mit S˙ D Sx ˙ iSy .

Fragen zum Selbstcheck


1. Welche Untermengen von fLx ; Ly ; Lz ; L2 ; P2 g lassen sich simultan diagona-
lisieren?
2. Was sind im Fall des Drehimpulses die Auf- und Absteigeoperatoren und
welche Quantenzahl lassen sie auf- und absteigen?

7.2 Kugelflächenfunktionen

Nachdem wir die Eigenwerte von L2 und Lz bestimmt haben, wenden wir uns nun
den Eigenfunktionen zu. Dazu müssen wir uns erst ein wenig mit Kugelkoordinaten
herumschlagen. Die sind definiert durch

x D r sin cos  (7.67)


y D r sin sin  (7.68)
z D r cos (7.69)

bzw. umgekehrt
p
rD x2 C y2 C z2 (7.70)
p
x2 C y2
D arctan (7.71)
z
y
 D arctan : (7.72)
x
7.2 Kugelflächenfunktionen 197

Dabei läuft r von 0 bis 1, von 0 („Nordpol“) bis  („Südpol“) und  von 0 bis
2. Zur Benutzung des Arcustangens siehe die Bemerkung unter (6.26).
Genau wie bei den Polarkoordinaten in zwei Dimensionen rechnen wir zunächst
die partiellen Ableitungen um:
@ @r @ @ @ @ @
D C C (7.73)
@x @x @r @x @ @x @
x @ 1 x @ 1  y  @
D C p C (7.74)
1 C x zCy
2 2 2 2
r @r 2 z x 2 C y 2 @ 1 C yx 2 x @
x @ xz @ y @
D C p  2 (7.75)
r @r r 2 x 2 C y 2 @ x C y @
2

@ cos cos  @ sin  @


D sin cos  C  (7.76)
@r r @ r sin @
In ähnlicher Weise erhält man
@ @ cos sin  @ cos  @
D sin sin  C C (7.77)
@y @r r @ r sin @
@ @ sin @
D cos  (7.78)
@z @r r @
und daraus nach einer länglichen Rechnung (Produktregel beachten!)

@2 @2 @2
D C C (7.79)
@x 2 @y 2 @z 2
2
@ 2 @ 1 @2 1 @ 1 @2
D 2C C 2 2 C 2 cot C (7.80)
@r r @r r @ r @ r 2 sin2 @ 2
2
1 @ 1 @ @ 1 @2
D r C sin C : (7.81)
r @r 2 r 2 sin @ @ r 2 sin2 @ 2
Die Ausdrücke in der letzten Zeile sind in ihrer Wirkung auf eine Funktion
.r; ; / „von rechts nach links“ zu verstehen, also z. B.
 2
@ @2
r WD .r / (7.82)
@r 2 @r 2
und  
@ @ @ @
sin WD sin : (7.83)
@ @ @ @
Als Nächstes wenden wir uns den Drehimpulsen zu und erhalten, wieder jeweils
nach einiger Rechnung
@ @
Lx D i„.y z / (7.84)
@z @y

@ @
D i„ sin  C cot cos  (7.85)
@ @
198 7 Dreidimensionale Systeme


@ @
Ly D i„ z x (7.86)
@x @z

@ @
D i„ cos   cot sin  (7.87)
@ @

@ @
Lz D i„ x y (7.88)
@y @x
@
D i„ (7.89)
@
L D Lx C Ly2 C L2z
2 2
(7.90)
 2
@ @ 1 @2
D „ 2
C cot C : (7.91)
@ 2 @ sin2 @ 2
Den Ausdruck für Lz hatten wir ja nach unseren Erkenntnissen aus zwei Dimen-
sionen schon so erwartet. Der Ausdruck für L2 ist im Laplace-Operator (7.80)
enthalten:
@2 2 @ 1
D 2 C  2 2 L2 (7.92)
@r r @r „ r

Aufgabe 7.5
Nutzen Sie einen verregneten Sonntagnachmittag, um (7.77) bis (7.91) der
Reihe nach zu verifizieren. Genießen Sie besonders die langen Rechnungen
für  und L2 , wo sich zahlreiche Terme auf wundersame Weise wegheben
oder zusammenfassen lassen.

Uff, das war ein hartes Stück Arbeit! Jetzt brauchen wir nur noch L˙ , dann
haben wir alle Operatoren beisammen:

LC D Lx C iLy (7.93)


@ @
D i„ .sin   i cos / C cot .cos  C i sin / (7.94)
@ @

@ @
D „e i  C i cot (7.95)
@ @
L D Lx  iLy (7.96)


@ @
D i„ .sin  C i cos / C cot .cos   i sin / (7.97)
@ @

@ @
D „e i   C i cot (7.98)
@ @
Wir stellen fest, dass sämtliche Drehimpulsoperatoren nur von und  abhängen;
r kommt darin nicht vor, weder in einer Ableitung noch als Faktor. Wir können die
7.2 Kugelflächenfunktionen 199

Eigenfunktionen von L2 und Lz daher in der Form

lm˛ .r; ; / D f .r/Ylm˛ . ; / (7.99)

schreiben, mit einer (solange ˛ nicht weiter spezifiziert ist) beliebigen Funktion
f .r/. Beim Wort „beliebig“ mag der Mathematiker wieder einmal die Stirn runzeln.
Ja, es müssen natürlich wieder bestimmte Kriterien bzgl. Stetigkeit und Differen-
zierbarkeit erfüllt sein, auf die wir als Physiker nicht weiter eingehen. Außerdem
soll die Wellenfunktion normierbar sein. Die Norm von lm˛ ist durch

Z1 Z Z2
jj lm˛ jj
2
D dr d d r 2 sin (7.100)
0 0 0
 f  .r/f .r/ Ylm˛

. ; /Ylm˛ . ; / (7.101)
21 3
Z
D 4 dr r 2 f  .r/f .r/5 (7.102)
0
2 3
Z Z2
4 d 
d sin Ylm˛ . ; /Ylm˛ . ; /5 (7.103)
0 0

gegeben. Um lm˛ auf 1 zu normieren, können wir f und Ylm˛ separat auf 1 nor-
mieren, also die beiden eckigen Klammern jeweils auf 1 setzen. Wissen Sie noch,
wieso in Integralen in Kugelkoordinaten immer der Faktor r 2 sin stehen muss? Es
handelt sich um die inverse Jacobi-Determinante der Transformation von kartesi-
schen in Kugelkoordinaten.

Aufgabe 7.6
Verifizieren Sie
0 1 2 0 131
@x @y @z @r @ @
B @r @r @r C 6 B @x @x @x C7
det B @x
@ @
@y
@
@z C
@ A
D 6det B @r
4 @ @y
@
@y
@ C7
@y A5
D r 2 sin : (7.104)
@x @y @z @r @ @
@ @ @ @z @z @z

Häufig vereinfacht es Rechnungen, wenn man Funktionen f . / als Funktion von


v D cos umschreibt, z. B.

f . / D sin2 ! f .v/ D 1  v 2 : (7.105)


200 7 Dreidimensionale Systeme

Dann ersetzt man in den Integralen


Z Z1
d sin ! dv (7.106)
0 1

(nach den Regeln für Variablensubstitution in Integralen). Statt der neuen Variablen
einen Namen zu geben (v in unserem Fall), ist es üblich, sie einfach als cos zu
R1
bezeichnen, man schreibt also 1 d cos .
Sehen wir uns Ylm˛ genauer an. Da L2 und Lz nicht auf f .r/ wirken, müssen
die Eigenwertgleichungen für Ylm˛ allein gelten:
L2 Ylm˛ . ; / D „2 l.l C 1/Ylm˛ . ; / (7.107)
Lz Ylm˛ . ; / D „mYlm˛ . ; / (7.108)
Aufgrund von (7.89) muss Ylm˛ als Eigenfunktion von Lz von der Form
Ylm˛ . ; / D ulm˛ . /e i m (7.109)
sein. Das bestätigt uns noch einmal, dass m und somit auch l eine ganze Zahl sein
muss.
Wir haben nun zwei Möglichkeiten: (a) Wir können Yl l bestimmen und die an-
deren Ylm daraus mithilfe von L ableiten, oder (b) wir können Yl;l bestimmen
und die anderen Ylm daraus mithilfe von LC ableiten. Wir entscheiden uns für die
zweite Variante. Für Yl;l muss L Yl;l D 0 sein, und das ergibt mit (7.95) und
(7.109) die Differentialgleichung
@
ul;l;˛ . / D l cot ul;l;˛ . / (7.110)
@
mit der Lösung
ul;l;˛ . / D cl sinl ; (7.111)
wobei cl eine zunächst beliebige Konstante ist, die wir so wählen wollen, dass
Yl;l;˛ auf 1 normiert ist. Da die Differentialgleichung (7.110) erster Ordnung ist, ist
die Lösung (7.111) eindeutig. Es gibt also nur eine Funktion Yl;l;˛ zu den Quanten-
zahlen l und m D l. Da die anderen Ylm˛ aus Yl;l;˛ durch Anwendung von LC
folgen, sind diese ebenfalls eindeutig. Der Index ˛ ist daher überflüssig, die Kugel-
flächenfunktionen Ylm . ; / sind durch l und m eindeutig bestimmt. Jedes Ylm ist
auf 1 normiert, und unterschiedliche Ylm sind orthogonal zueinander, da sie zu un-
terschiedlichen Eigenräumen von L2 oder Lz gehören. Die Normierungsbedingung
lautet daher
Z Z2

d d sin Ylm . ; /Yl 0 m0 . ; / D ıl l 0 ımm0 : (7.112)
0 0

Die Normierungskonstante cl in (7.111) ergibt sich daraus nach kurzer Rechnung


zu r
1 .2l C 1/Š
cl D l : (7.113)
2 lŠ 4
7.2 Kugelflächenfunktionen 201

Die -Integration ist dabei einfach. Das Integral über sinl kann man nachschlagen
oder ausrechnen, wie in der Lösung zu Aufgabe 5.1.15 in [Nolting (2013)] darge-
stellt. Damit haben wir
r
1 .2l C 1/Š l i l
Yl;l . ; / D l sin e : (7.114)
2 lŠ 4

Aufgabe 7.7
Verifizieren Sie mithilfe von (7.91), dass Yl;l eine Eigenfunktion von L2 ist
mit dem Eigenwert „2 l.l C 1/.

Jetzt lassen wir LC n-mal auf Yl;l los und zeigen mit vollständiger Induktion,
dass
dn 
.LC /n Yl;l . ; / D cl .„/n e i.nl/ sinnl n
.1  cos2 /l : (7.115)
d cos
Die Aussage ist offensichtlich für n D 0 erfüllt, denn dann kürzt sich auf der rechten
Seite sinl mit .1  cos2 /l D sin2l gerade zu sinl und ergibt (7.114). Für den
Induktionsschluss nehmen wir an, die Aussage sei für n erfüllt, und zeigen, dass sie
dann auch für n C 1 erfüllt ist. Dazu wenden wir

@ @
LC D „e i
C i cot (7.116)
@ @
auf die rechte Seite von (7.115) an. Das ergibt drei Terme:

 Die -Ableitung i cot @


@
wirkt auf e i.nl/  und erzeugt dadurch einen Faktor
.l  n/ cot .
 Die -Ableitung, angewandt auf sinnl , erzeugt einen Term mit dem Faktor
@
sinnl D .n  l/ cos sinnl1 D .n  l/ cot sinnl ; (7.117)
@
der sich gerade mit dem ersten Term weghebt.
dn
 Die -Ableitung, angewandt auf d cos n
Œ.1  cos2 /l , ergibt wegen

d d cos d d
D D  sin (7.118)
d d d cos d cos
gerade die rechte Seite von (7.115) mit der Ersetzung n ! n C 1. Damit ist der
Induktionsschluss durchgeführt und (7.115) bewiesen.

Aufgabe 7.8
Vollziehen Sie die hier in Worten skizzierte Rechnung in allen Details nach.
202 7 Dreidimensionale Systeme

Um zu Ylm zu gelangen, müssen wir LC (l C m)-mal anwenden. Wir setzen also


n D l C m in (7.115):

d lCm 
.LC /lCm Yl;l . ; / D cl .„/lCm e i m sinm lCm
.1  cos2 /l (7.119)
d cos
Die zugeordneten Legendre-Funktionen Plm .x/ sind definiert durch

1  m=2 d lCm  l
Plm .x/ D .1/lCm 1  x2 1  x2 : (7.120)
2l lŠ dx lCm

Man erkennt sofort, dass diese Funktionen in (7.119) in der Form Plm .cos / vor-
kommen. Um den endgültigen Ausdruck für Ylm zu erhalten, können wir in (7.63)
getrost jl; m; ˛i durch Ylm ersetzen; denn ˛ spielt bei der Anwendung von L˙ kei-
ne Rolle, und die Ylm sind für sich alleine genommen (d. h. ohne Berücksichtigung
von f .r/ in 7.99) normiert. Es folgt dann aus (7.119), (7.120), (7.63) und (7.113):
s
.2l C 1/ .l  m/Š i m
Ylm . ; / D e Plm .cos / (7.121)
4 .l C m/Š

Aufgabe 7.9
Verifizieren Sie das.

Die Untermenge Pl .x/ WD Pl0 .x/ der Funktionen Plm mit m D 0 sind die
schon in Abschn. 3.2 erwähnten Legendre-Polynome. Die anderen Plm sind die-
sen „zugeordnet“. (Der Name kommt so zustande: Die Pl sind Lösungen einer
Differentialgleichung D1; die Plm sind Lösungen einer etwas komplizierteren Dif-
ferentialgleichung D2, die sich aber durch eine Variablentransformation von den
Lösungen von D1 ableiten, also ihnen „zuordnen“ lassen.) Man kann zeigen, dass
die Pl .x/ Polynome vom Grad l und im Intervall Œ1; 1 orthogonal sind,

Z1
2
dx Pl .x/Pl 0 .x/ D ıl l 0 ; (7.122)
2l C 1
1

2
aber wegen des Faktors 2lC1 nicht orthonormal. Die hier definierten Legendre-
Polynome
q P l unterscheiden sich also von den Pl in Abschn. 3.2 um den Faktor
2
2lC1
. Man beachte, dass die Plm für ungerade m wegen der auftretenden Wurzel
.1  x /
2 m=2
keine Polynome sind.
Für m D 0 sind die Ylm unabhängig von :
r
2l C 1
Yl0 . / D Pl .cos / (7.123)
4
7.2 Kugelflächenfunktionen 203

Die Normierungsbedingung (7.112) lautet dann

Z1
2 d cos Yl0 Yl 0 0 (7.124)
1
p Z1
.2l C 1/.2l 0 C 1/
D d cos Pl .cos /Pl 0 .cos / (7.125)
2
1
D ıl l 0 ; (7.126)

passend zu (7.122).

Mit (7.121) und (7.120) rechnet man leicht die Kugelflächenfunktionen für l D
0; 1; 2 aus (weil das aber weder Spaß macht, noch besonders lehrreich ist, und Sie
überhaupt in diesem Abschnitt schon viel zu viel gerechnet haben, machen wir dar-
aus keine Aufgabe):
1
Y00 . ; / D p (7.127)
4
r
3
Y10 . ; / D cos (7.128)
4
r
3
Y1˙1 . ; / D sin e ˙i  (7.129)
8
r
5  
Y20 . ; / D 3 cos2  1 (7.130)
16
r
15
Y2˙1 . ; / D sin cos e ˙i  (7.131)
8
r
15
Y2˙2 . ; / D sin2 e ˙2i  (7.132)
32
Sei H der Hilbert-Raum der quadratintegrablen Funktionen auf einer Kugel-
oberfläche, d. h. der Funktionen f . ; / mit der Eigenschaft
Z
d cos d f  . ; /f . ; / < 1: (7.133)

Dann kann man zeigen, dass die Kugelflächenfunktionen Ylm eine Schauder-Basis
von H bilden. Das heißt, jede solche Funktion lässt sich als (unendliche) Li-
nearkombination der Ylm schreiben; man sagt, f . ; / lässt sich nach den Ylm
entwickeln. Insbesondere gilt auf H die Vollständigkeitsrelation
1 X
X l
1D jlmi hlmj : (7.134)
lD0 mDl
204 7 Dreidimensionale Systeme

Führt man mit fj ; ig eine Pseudo-Basis analog zu fjxig ein,

h ;  j1j 0 ;  0 i D ı.cos  cos 0 /ı.   0 / (7.135)


R
(in der Deltafunktion steht cos , damit sie im Integral d cos richtig definiert
ist),
h ;  jlm i D Ylm . ; /; (7.136)
dann lässt sich die Vollständigkeitsrelation umschreiben zu
1 X
X l

Ylm . ; /Ylm . 0 ;  0 / D ı.cos  cos 0 /ı.   0 /: (7.137)
lD0 mDl

Fragen zum Selbstcheck


1. Die Kugelflächenfunktionen sind orthonormal. Können Sie diesen Satz in
Form eines Integrals ausdrücken?

7.3 Zentralpotential

Wir wollen die Schrödinger-Gleichung für ein Zentralpotential V .r/ untersuchen.


Mit dem Ausdruck (7.92) für den Laplace-Operator lautet sie

 2
„2 @ 2 @ 1 2
 C  L C V .r/ .r; ; / D E .r; ; /: (7.138)
2m @r 2 r @r „2 r 2

Der Ausdruck in eckigen Klammern auf der linken Seite ist der Hamilton-Opera-
tor H . Er kommutiert offensichtlich mit allen Komponenten Li des Drehimpuls-
operators, denn

2  @
L ; Li D Œr; Li  D ; Li D 0: (7.139)
@r
Der Drehimpuls ist also wie in der klassischen Mechanik bei Zentralpotentialen eine
 sein Erwartungswert ändert sich nicht mit der Zeit. Aus ŒH; Li  D
Erhaltungsgröße;

0 und H; L2 D 0 folgt auch, dass wir die Energie-Eigenzustände so wählen kön-
nen, dass sie zugleich auch Eigenzustände von Lz und L2 sind. Der Ansatz

nlm .r; ; / D Rnl .r/Ylm . ; / (7.140)

führt, in (7.138) eingesetzt, zur Radialgleichung



 2
„2 d 2 d „2 l.l C 1/
 C C C V .r/ Rnl .r/ D En Rnl .r/: (7.141)
2m dr 2 r dr 2mr 2

Hierbei ist n eine Quantenzahl, mit der wir die Energie-Eigenwerte kennzeichnen.
Für gebundene Zustände ist das Spektrum diskret, n kann also mit natürlichen Zah-
len belegt werden. Für freie Zustände sind die Energien kontinuierlich, und statt n
7.3 Zentralpotential 205

wählt man dann meist den Buchstaben k, was Wellenzahlen suggeriert. Wir werden
für beide Fälle Beispiele kennenlernen. Vorsicht ist geboten, weil der Buchstabe m
hier in zwei Rollen auftritt: einmal als Masse und einmal als Magnetquantenzahl.
Verwechslungen sind hoffentlich nicht zu befürchten, denn in der Radialgleichung
kommt die Magnetquantenzahl m nicht vor, im Laplace-Operator tritt nur L2 und
somit die Orbitalquantenzahl l auf. Deshalb steht m auch nicht im Index von Rnl .
Die Radialfunktion hängt nur von den Eigenwerten der Energie und L2 ab.
Der Drehimpulsterm und V lassen sich wieder (wie in zwei Dimensionen) zu
einem effektiven Potential zusammenfügen,

„2 l.l C 1/
Veff .r/ D V .r/ C : (7.142)
2mr 2
Die Radialgleichung vereinfacht sich weiter, wenn wir

Unl .r/ D r Rnl .r/ (7.143)

substituieren. Sie lautet dann

„2
 Unl 00 .r/ C Veff .r/Unl .r/ D En Unl .r/: (7.144)
2m
Uns interessiert allgemein für gebundene Zustände das Verhalten von U in der
Nähe des Ursprungs r D 0. Wir nehmen an, dass V .r/ für r ! 0 schwächer als
r 2 divergiert, also
lim V .r/r 2 D 0: (7.145)
r!0

Die Radialgleichung wird dann für l > 0 in der Nähe von r D 0 durch den Dreh-
impulsterm dominiert,
l.l C 1/
Unl 00 .r/ Unl .r/: (7.146)
r2
Daraus folgen als mögliche Lösungen im Limes r ! 0:

Unl r lC1 bzw: Unl r l (7.147)

Die zweite Lösung ist aber nicht normierbar:

Z" Z" Z"


 
dr r R .r/R.r/ D
2
dr U .r/U.r/ dr r 2l D 1 (7.148)
0 0 0

Daher muss
Unl r lC1 (7.149)
und somit
Rnl r l (7.150)
206 7 Dreidimensionale Systeme

sein (für l > 0; für l D 0 können wir keine Aussage treffen, da hängt es vom
Potential ab). Insbesondere verschwindet für l > 0 die Aufenthalts-Wahrschein-
lichkeitsdichte eines Quantenobjekts im Ursprung. Das macht Sinn, denn bei
r D 0 müsste der Impuls unendlich sein, um einen endlichen Drehimpuls herzu-
stellen.

Streber-Ecke 7.2
Wir wollen nun doch eine Aussage über das Verhalten von Unl im Ursprung
für l D 0 machen. Und zwar soll gezeigt werden, dass auch Un0 ! 0 für
r ! 0 gilt, unter der Voraussetzung, dass V .r/ keine Deltafunktion bei r D 0
enthält und auch wieder für r ! 0 weniger stark als r 2 divergiert.
Warum sind diese beiden Voraussetzungen nötig? Sie erinnern sich sicher
aus der Elektrodynamik an die dort ganz wichtige Aussage

1
 D 4ı 3 .r/; (7.151)
r

wobei ı 3 .r/ D ı.x/ı.y/ı.z/.


Aufgabe 7.10
Beweisen Sie (7.151) mithilfe des Gauß’schen Satzes
Z  Z
1 1
dS  r D d 3x  : (7.152)
r r
S V

Wählen Sie als Integrationsvolumen die Einheitskugel. Rechnen Sie nach,


dass .1=r/ D 0 für r > 0. Werten Sie die linke Seite von (7.152) aus und
folgern Sie, dass der entsprechende Beitrag auf der rechten Seite allein im
Ursprung r D 0 lokalisiert sein muss.

Nehmen wir nun an, dass Un0 für r ! 0 gegen eine von 0 verschiedene
Konstante c konvergiert. Dann verhält sich Rn0 .r/ D Un0 .r/=r für r ! 0
wie c=r. Die zweite Ableitung von Rn0 in (7.141) macht daraus dann eine
Deltafunktion, die mit einer entsprechenden Deltafunktion im Potential ein-
hergehen muss, damit die Radialgleichung (7.141) aufgeht. Das haben wir per
Voraussetzung verboten, also ist Un0 ! c nicht erlaubt.
Wie steht es mit der Möglichkeit Un0 ! ˙1 für r ! 0? Immerhin sind
Funktionen der Form
1
Un0 .r/ D c r ˛ ; 0<˛< oder Un0 .r/ D c log r (7.153)
2
im Ursprung quadratintegrabel (überzeugen Sie sich davon!). Sie erfor-
dern aber ein Potential, das mindestens wie r 2 divergiert: Im ersten Fall
7.3 Zentralpotential 207

folgt mit (7.144)

Un0 00 .r/ D c ˛.˛ C 1/r ˛2 D ˛.˛ C 1/r 2 Un0 .r/ (7.154)
„ 2
) V .r/ D ˛.˛ C 1/r 2 (7.155)
2m
(alle Aussagen gelten im Limes r ! 0). Im zweiten Fall gilt

1
Un0 00 .r/ D c r 2 D  Un0 .r/ (7.156)
r 2 log r
„2 1
) V .r/ D  : (7.157)
2m r 2 log r

Unter den eingangs genannten Voraussetzungen für die erlaubten Potentiale


gilt also Un0 .r/ ! 0 für r ! 0.

Eng damit zusammenhängend ist die Aussage, dass der Operator

@ 1
Dr WD C ; (7.158)
@r r
der gleich bei der Behandlung des freien Teilchens eine Rolle spielen wird,
antihermitesch ist. Wir erinnern uns an die entsprechende Diskussion bzgl.
des Operators D D dx d
in Abschn. 3.2. Entscheidend war, dass die Antwort
vom betrachteten Funktionenraum abhängt. Frischen wir unsere Erinnerung
noch einmal auf: Es ist
Z1
hf jDj gi D hf jDg i D dx f  .x/g 0 .x/ (7.159)
1

und
Z1
˝ ˇ ˇ ˛
f ˇD ˇ g D hDf jg i D dx f  0 .x/g.x/ (7.160)
1
Z1
D dx f  .x/g 0 .x/ C Œf  .x/g.x/1
1 : (7.161)
1

D ist genau dann antihermitesch, wenn


˝ ˇ ˇ ˛
hf jDj gi D  f ˇD  ˇ g (7.162)
208 7 Dreidimensionale Systeme

für alle Funktionen f und g des betrachteten Funktionenraums gilt, wenn


also der Randterm in (7.161) für alle f; g verschwindet. Bei den quadrat-
integrablen Funktionen ist das der Fall, denn diese müssen für x ! ˙1
verschwinden. Nun zu Dr :
Z
hnlm jDr j n0 l 0 m0 i D dr d cos d r 2 Rnl  
Ylm Dr Rn0 l 0 Yl 0 m0

Z
Z
 
D dr r 2 Rnl Dr Rn0 l 0 d cos d Ylm Yl 0 m 0
Z

D dr r 2 Rnl Dr Rn0 l 0 ıl l 0 ımm0
Z 
 d
D ıl l ımm
0 0 dr r Rnl 1 C r Rn0 l 0
dr
Z
 d
D ıl l 0 ımm0 dr r Rnl .rRn0 l 0 /
dr
Z1
d
D ıl l 0 ımm0 dr Unl Un 0 l 0
dr
0

Die dritte Gleichung folgt wegen der Normierungsbedingung (7.112). Aus


d
der letzten Gleichung liest man ab, dass Dr zwar in der Form dr C 1r auf Rnl ,
d
aber in der Form dr auf Unl wirkt. Ebenso gilt

Z1 
˝ ˇ ˇ ˛ d 
nlm ˇDr ˇ n0 l 0 m0 D ıl l 0 ımm0 dr U Un 0 l 0 (7.163)
dr nl
0

0 0
und für l D l , m D m folgt wieder mit partieller Integration
˝ ˇ ˇ ˛ 1
hnlm jDr j n0 lmi D  nlm ˇDr ˇ n0 lm C Unl Un0 l 0 : (7.164)

Im Unendlichen verschwinden die Unl wegen Normierbarkeit (wir nehmen


gebundene Zustände an), bei 0 wegen der zuvor angestellten Überlegungen
(bei geeigneten Potentialen). Dr ist also antihermitesch im Funktionenraum,
der von den jnlmi erzeugt wird.

Alle hier angestellten Überlegungen gelten auch für Zweiteilchenprobleme, so-


fern das Wechselwirkungspotential nur vom Abstand der beiden Teilchen abhängt,
V D V .jr2  r1 j/. Denn dann kann man, wie in Abschn. 3.8 gezeigt, das Zwei-
teilchenproblem in ein Einteilchenproblem umformen. Für die Masse m ist die
reduzierte Masse einzusetzen, und die Wellenfunktion nlm .r; ; / beschreibt
die Wahrscheinlichkeitsverteilung des Abstandsvektors r2 r1 , in Kugelkoordinaten
ausgedrückt. Das werden wir bei der Behandlung des Wasserstoffatoms ausnutzen.
7.4 Freies Teilchen 209

Fragen zum Selbstcheck


1. Wie ist die Radialfunktion Unl .r/ definiert?
2. Wie lautet das effektive Potential beim dreidimensionalen Zentralpotential?
3. Wie verhält sich die Wellenfunktion für l > 0 in der Nähe des Ursprungs?

7.4 Freies Teilchen

Das einfachste aller Zentralpotentiale ist V .r/ D 0. Das freie Teilchen in drei
Dimensionen ist in kartesischen Koordinaten einfach eine Verallgemeinerung des
freien Teilchens in einer Dimension. Die Energie-Eigenfunktionen und -Eigenwerte
sind
„2 k 2
k .r/ D e ; Ek D
i kr
: (7.165)
2m
Hierbei ist k ein Wellenzahlvektor mit beliebiger Richtung und Betrag k. Der
Energiewert Ek ist also unendlichfach entartet, weil es zu jedem k unendlich viele
mögliche Richtungen von k gibt. Bei den k .r/ handelt es sich um Pseudo-Vekto-
ren, die sich nur auf Deltafunktionen normieren lassen. Diese Art der Normierung
wollen wir in diesem Kapitel ignorieren und ersparen uns damit jegliche Diskus-
sion von Normierungskonstanten. Die Wellenfunktion k .r/ beschreibt eine ebene
Welle, die sich in k-Richtung ausbreitet. Die Lösung der Schrödinger-Gleichung
ist E
i kri „k t
k .r; t/ D e : (7.166)
Wir sagen, dass die Welle sich „ausbreitet“, obwohl der Betrag der Wellen-
funktion zu jedem Zeitpunkt im ganzen Raum identisch ist, es also keine sich
bewegenden „Wellenberge“ im eigentlichen Sinn gibt. Bildet man jedoch aus der
Überlagerung mehrerer k .r/ mit Mittelwert k D kN ein quadratintegrables Wel-
N
lenpaket, so bewegt sich dieses tatsächlich mit der Geschwindigkeit v D „k=m
durch den Raum, analog zum Gaußpaket, das wir in einer Dimension untersucht
haben.
Da es sich bei V .r/ D 0 um ein (verschwindendes) Zentralpotential handelt,
können wir in Kugelkoordinaten Energie-Eigenzustände finden, die zugleich Dreh-
impuls-Eigenzustände sind,

Ukl .r/
klm .r; ; / D Ylm . ; /: (7.167)
r
Es handelt sich dabei um Kugelwellen, die sich radial in alle Richtungen zugleich
ausbreiten, und dabei in den Ylm auch noch in abstrakter Weise einen Drehimpuls
beinhalten. Durch Überlagerung solcher Eigenfunktionen kann man aber auch wie-
der nur zu Wellenpaketen gelangen, deren Schwerpunkt sich linear in eine Richtung
bewegt, da die klassischen Bewegungsgleichungen für die Erwartungswerte erfüllt
sein müssen.
210 7 Dreidimensionale Systeme

Wir müssen die Radialgleichung



„2 l.l C 1/ „2 k 2
Ukl 00 .r/ C 2
U kl .r/ D Ukl .r/ (7.168)
2m r 2m

lösen. Dazu behelfen wir uns wieder einmal mit Auf- und Absteigeoperatoren. Das
Prinzip ist immer das gleiche: Es gilt eine Differentialgleichung zweiter Ordnung
zu lösen. Dabei findet man einen Operator (und den dazu adjungierten Operator),
der unterschiedliche Lösungen miteinander verbindet und dabei eine Quantenzahl
um 1 erhöht, während der adjungierte Operator sie um 1 verringert. Beim Harmoni-
schen Oszillator war das die Energiequantenzahl n, bei den Kugelflächenfunktionen
die Magnetquantenzahl m. Beim freien Teilchen wird es gleich die Orbitalquanten-
zahl l sein. Jede dieser Quantenzahlen hat einen Minimalwert, dessen zugehörige
Eigenfunktion sich relativ leicht gewinnen lässt. Alle weiteren Eigenfunktionen
können dann mit dem Aufsteigeoperator abgeleitet werden. Beim freien Teilchen
gibt es mehrere Möglichkeiten vorzugehen. Wir folgen hier im Wesentlichen der
Darstellung in [Shankar (2008)].
Wir dividieren (7.168) auf beiden Seiten durch „2 k 2 =.2m/, ersetzen die Varia-
ble r durch D kr und erhalten

d l.l C 1/
 2C Ul . / D Ul . /: (7.169)
d 2

Man sieht, dass k in der Gleichung nicht mehr vorkommt. Die Lösungen, als Funk-
tion von geschrieben, sind unabhängig von der Wellenzahl k. Daher haben wir
auch den Index k von U entfernt. Die k-Abhängigkeit macht sich erst wieder be-
merkbar, wenn die Lösungen als Funktion von r D =k geschrieben werden. Die
Lösungen für l D 0 sind offensichtlich
.1/ .2/
U0 . / D sin ; U0 . / D cos : (7.170)

Die zweite Lösung konvergiert aber für ! 0 gegen 1 und ist daher nach den Über-
legungen aus der Streber-Ecke nicht erlaubt. Wir können uns somit auf U0 . / D
sin beschränken.
Nun definieren wir die Operatoren

d l C1
Bl D C (7.171)
d

auf dem Raum der möglichen U -Funktionen. Dabei ist d=d als Operator, der
auf U wirkt, bis auf einen Faktor k gleich dem antihermiteschen Operator Dr aus

der letzten Streber-Ecke. Daher ist Bl gegeben durch

 d l C1
Bl D  C : (7.172)
d
7.4 Freies Teilchen 211

Das Produkt der beiden Operatoren ist, auf eine Funktion f . / angewandt,
 
 d l C1 d l C1
Bl Bl f D C  C f (7.173)
d d

d2 d l C1 l C1 d .l C 1/2
D  2f C f  f C f (7.174)
d d d 2

d2 d l C1 .l C 1/2
D  2f C f C f (7.175)
d d 2
d2 l.l C 1/
D  2f C f (7.176)
d 2

und somit
 d2 l.l C 1/
Bl Bl D  2
C : (7.177)
d 2
Analog erhält man

 d2 .l C 1/.l C 2/ 
Bl Bl D  C D BlC1 BlC1 : (7.178)
d 2 2

Daraus folgt mit (7.169)



B l B l Ul D Ul : (7.179)

Also ist Ul eine Eigenfunktion von Bl Bl mit Eigenwert 1. Außerdem folgt

    
BlC1 BlC1 Bl Ul D Bl Bl Bl Ul D Bl Ul : (7.180)

Das erste Gleichheitszeichen folgt aus (7.178), das zweite aus (7.179). Also ist
  
Bl Ul eine Eigenfunktion zu BlC1 BlC1 mit Eigenwert 1. Somit ist Bl Ul UlC1 ,
und da wir Normierung in diesem Abschnitt ignorieren wollen, setzen wir einfach


UlC1 D Bl Ul : (7.181)


Bl erweist sich also als Aufsteigeoperator, der die Quantenzahl l auf l C 1 erhöht.
Bl ist der zugehörige Absteigeoperator, der die Quantenzahl von l C 1 auf l ver-
ringert. Das ist insofern anders als bei den bisherigen Verfahren, als diesmal jeder
Wert der zu durchlaufenden Quantenzahl ihren eigenen Auf-/Absteigeoperator hat.
 
Zu l D 0 gehört der Aufsteigeoperator B0 , zu l D 1 B1 etc. Eine weitere Beson-
derheit ist, dass U0 nicht durch seinen Absteigeoperator B1 D d=d vernichtet
wird. (Stattdessen führt er auf U1 . / D cos , was wie besprochen keine erlaubte
Funktion ist. Aber wir wissen bereits durch die Drehimpulsalgebra, dass l D 0 der
kleinste erlaubte Wert ist.) Deshalb können wir U0 diesmal nicht aus der Gleichung
B1 U0 D 0 gewinnen. Gut, dass wir U0 bereits aus (7.168) ablesen konnten!
212 7 Dreidimensionale Systeme

Die weiteren Ul lassen sich jetzt leicht rekursiv aus U0 ableiten:


 
 d l C1 d Ul
UlC1 D Bl Ul D  C Ul D lC1
 (7.182)
d d lC1
UlC1 1 d Ul
) D (7.183)
lC2 d lC1
Das lässt sich zu einer rekursiven Formel ausbauen:
 
UlC1 1 d Ul 1 d 2 Ul1 1 d lC1 U0
D D  D  D  (7.184)
lC2 d lC1 d l d

oder, mit Rl . / D Ul . /=r D kUl . /= ,


 l
1 d
Rl . / D . /l R0 . /: (7.185)
d

Mit U0 . / D sin hätten wir R0 . / D k sin = . Da wir uns aber über Normierung
keine Gedanken machen, dividieren wir einfach R0 durch k und erhalten
sin
R0 . / D : (7.186)

Mit (7.185) ergeben sich damit die sog. sphärischen Bessel-Funktionen jl ,
 l
1 d sin
Rl . / D jl . / WD . / l
: (7.187)
d
Damit ist das freie Teilchen in Kugelkoordinaten gelöst, die gemeinsamen Eigen-
zustände zu H , L2 und Lz sind

klm .r; ; / D jl .kr/Ylm . ; /: (7.188)

Speziell für l D 0 hat man die Überlagerung einer einlaufenden und einer auslau-
fenden Kugelwelle:
1 sin kr
k00 .r; ; / D j0 .kr/Y00 . ; / D p (7.189)
4 kr
1 e i kr  e i kr
D p (7.190)
4i  kr

Woran sieht man, dass der Teil mit e i kr auslaufend und der mit e i kr einlaufend
ist? Man liest das aus der Bewegung einer konstanten Phase in der zeitabhängigen
Lösung ab:

1 e i.krEk t =„/  e i.krEk t =„/


k00 .r; ; ; t/ D p (7.191)
4i  kr
7.5 Coulomb-Potential und Wasserstoffatom 213

Wenn beim ersten Term t erhöht wird, muss auch r erhöht werden, damit die Phase
.kr  Ek t=„/ gleich bleibt. Die Welle bewegt sich also nach außen. Beim zweiten
Term ist es umgekehrt, vgl. Aufgabe 5.4.

Bemerkung Wenn ein freies Teilchen nur in einem Raumbereich betrachtet wird,
der den Ursprung nicht enthält, muss auch die andere Lösung U0 . / D cos als
Ausgangspunkt für die Aufsteigeprozedur herangezogen werden. Das Ergebnis sind
die sphärischen Neumann-Funktionen
 l
1 d cos
nl . / WD . / l
: (7.192)
d

Sie spielen eine Rolle beim kugelsymmetrischen Potentialtopf, siehe z. B. [Nolting


(2013)].

Wie hängen die klm mit den ebenen Wellen e i kr zusammen? Die ebenen Wellen
müssen sich als Überlagerung von klm zum gleichen k darstellen lassen. Wählt
man k in z-Richtung (oder die z-Richtung so, dass sie in Richtung von k zeigt),
dann ist

e i kr D e i kr cos : (7.193)

Da dann keine -Abhängigkeit vorliegt, müssen alle Beiträge von klm mit m ¤ 0
verschwinden. Mit einigen Eigenschaften der sphärischen Bessel-Funktionen und
der Legendre-Polynome lässt sich zeigen:
1
X 1
X p
e i kr cos D i l .2l C 1/jl .kr/Pl .cos / D i l 4.2l C 1/ kl0 (7.194)
lD0 lD0

Fragen zum Selbstcheck


1. Was ist eine Kugelwelle?
2. Unter welchen Umständen kommen nur die sphärischen Bessel-Funktionen
als Lösung für das freie Teilchen in Betracht, und wann braucht man auch die
sphärischen Neumann-Funktionen?

7.5 Coulomb-Potential und Wasserstoffatom

Es gibt in der QM nur wenige Probleme, die sich exakt, d. h. ohne Anwendung von
Näherungsverfahren lösen lassen. Außer dem freien Teilchen und den stückweise
konstanten Potentialen sind das im Wesentlichen der Harmonische Oszillator und
das Coulomb-Potential. Letzteres wollen wir jetzt untersuchen. Diesmal helfen uns
keine Auf- und Absteigeoperatoren; wir werden in den sauren Apfel beißen und
eine Differentialgleichung zweiter Ordnung lösen.
214 7 Dreidimensionale Systeme

Beim Coulomb-Potential ˛
V .r/ D  (7.195)
r
gibt es zwei mögliche Sichtweisen:

 Wir sehen das Potential als von außen vorgegeben und fest im Raum verankert
an. Ein einzelnes Teilchen bewegt sich in diesem äußeren Potential.
 Die potentielle Energie wird durch die elektrostatische Wechselwirkung zwi-
schen zwei Teilchen hervorgerufen. Wir nehmen an, dass beide Teilchen die
Elementarladung e haben, eines positiv, das andere negativ geladen. Das Wech-
selwirkungspotential ist dann

e2
V .r/ D  ; (7.196)
r
wobei r der Abstand der beiden Teilchen ist. Wenn eines der Teilchen (z. B. ein
Atomkern mit mehreren Protonen) stattdessen die Ladung Ze besitzt, dann muss
jeweils e 2 durch Ze 2 ersetzt werden.
Das Zweikörperproblem ist durch Einführung von Schwerpunkt- und Relativko-
ordinaten sowie der reduzierten Masse auf ein Einkörperproblem zurückzu-
führen.

Gesucht wird nach gebundenen Zuständen und deren Bindungsenergie, also den
negativen Energie-Eigenwerten. Prominentestes Beispiel ist das Wasserstoffatom,
eine Klasse von gebundenen Zuständen aus Proton und Elektron. Andere Beispie-
le sind Positronium (Elektron und Positron), Myonium (Anti-Myon und Elektron
oder umgekehrt), myonischer Wasserstoff (Proton und Myon) und wasserstoffarti-
ge Ionen (höherer Atomkern und ein Elektron). Alle werden auf die gleiche Weise
behandelt, der Unterschied besteht nur in den eingesetzten Massen. Tatsächlich ist
das, was sich exakt lösen lässt, nur das naive Wasserstoffatom, das naive Positro-
nium etc. „Naiv“ ist dabei, dass wir zahlreiche Effekte vernachlässigen, die eine
Modifikation des Coulomb-Potentials bewirken, z. B. relativistische Effekte und die
Wechselwirkung aus Spin und Bahndrehimpuls. Die Stärke der Modifikationen ist
je nach System sehr unterschiedlich. Beim H-Atom ist die „naive“ Rechnung erfreu-
lich akkurat. Die Modifikationen beim realen H-Atom werden wir in Abschn. 11.1.3
noch einmal kurz aufgreifen.
Wir gehen von der Form (7.196) des Potentials aus. Die Radialgleichung für
Unl .r/ lautet


„2 d e2 „2 l.l C 1/
  C  En Unl .r/ D 0: (7.197)
2m dr 2 r 2mr 2
Beim H-Atom ist m D me die Elektronenmasse, wenn wir das Proton als fixiert
annehmen, bzw. die reduzierte Masse m D H , wenn wir das Ganze als Zwei-
körperproblem auffassen (was als sinnvoller anzusehen ist, denn es ist schwierig,
7.5 Coulomb-Potential und Wasserstoffatom 215

ein Proton an einer Stelle im Raum festzutackern). Der Unterschied ist aber sehr
gering, da das Proton 2000-mal so schwer ist wie das Elektron und daher

me mp 1 2000
H D D me me me : (7.198)
me C mp 1 C mp 2001

Wir führen nun einige Abkürzungen ein, um (7.197) zu vereinfachen:

„2 „2 me 4
aD ; ER D D ; (7.199)
me 2 s2ma
2 2„2
En
D r=a; n D  : (7.200)
ER

Wir nehmen an, dass En negativ ist, da wir nach gebundenen Zuständen suchen
und das Coulomb-Potential überall negativ ist. Die Größe a hat die Dimensi-
on einer Länge. Beim H-Atom heißt sie Bohr’scher Radius und hat den Wert
0;529  108 cm. ER hat die Dimension einer Energie. Beim H-Atom heißt sie Ryd-
berg-Energie und hat den Wert 13;6 eV. Dabei ist eV (sprich: Elektronenvolt) eine
in der Atom- und Teilchenphysik übliche Einheit: 1 eV ist die elektrische Energie,
die ein Elektron in einer Spannung von 1 Volt besitzt. Die Größen und  sind
dimensionslos.
Setzen wir (7.200) in (7.197) ein, so erhalten wir


d 2 l.l C 1/
C   n Unl . / D 0:
2
(7.201)
d 2 2

Das Verhalten für ! 0 kennen wir bereits: Dort muss Unl lC1 sein, siehe
(7.149). Für ! 1 sind die mittleren beiden Terme der Klammer vernachlässig-
bar, und mit

d
 n Unl . / 0
2
(7.202)
d 2
ergibt sich das Verhalten Unl e n für ! 1. Das legt nahe, folgenden Ansatz
zu versuchen:
Unl . / D e n lC1 fnl . / (7.203)
mit einer Funktion fnl . /, von der wir annehmen, dass sie sich in ganz RC in eine
Potenzreihe entwickeln lässt,
1
X .nl/ j
fnl . / D ˛j : (7.204)
j D0
216 7 Dreidimensionale Systeme

Setzt man diesen Ansatz in (7.201) ein, ergibt sich (bitte nachrechnen!)

l C1 1  n .l C 1/
fnl 00 C 2fnl 0  n C 2fnl D0 (7.205)

bzw.
1
X 
.nl/ j.j  1/ 2n j 2.l C 1/j 2.1  n .l C 1//
aj j  C C D 0:
j D0
2 2
(7.206)
Diese Gleichung muss für jede Potenz von separat erfüllt sein. Vergleicht man
die Terme für eine feste Potenz j , so folgt nach kurzer Rechnung die folgende
.nl/
rekursive Beziehung zwischen den Koeffizienten aj :
.nl/
aj C1 n .j C l C 1/  1
D2 (7.207)
.nl/
aj .j C 1/.j C 2l C 2/

Daraus lässt sich folgern, dass die Potenzreihe an irgendeiner Stelle abbrechen
muss, dass also fnl ein Polynom ist: Nehmen wir an, dass die Potenzreihe nicht
abbricht. Dann gilt für j  l
.nl/
aj C1 2n
.nl/
: (7.208)
a j
j

Ein ähnliches Verhalten hat auch die Exponentialfunktion e 2n :


 
1 j
X 2n
e 2n D ˇj j ; ˇj D ; (7.209)
j D0

ˇj C1 2n 2n
D (7.210)
ˇj j C1 j
für große Werte von j . Für ! 1, wo die hohen Potenzen von dominieren,
würde sich dann also fnl wie e 2n verhalten. Mit (7.203) wäre dann Unl e n für
! 1, was natürlich nicht normierbar ist und somit einen Widerspruch darstellt.
Die Potenzreihe muss also abbrechen. Das ist wegen (7.207) genau dann der Fall,
wenn
1
n D (7.211)
jmax C l C 1
für ein ganzzahliges jmax . Die Potenzreihe bricht dann bei der Potenz jmax ab, denn
.nl/
mit ˛jmax C1 verschwinden auch alle weiteren Koeffizienten. Wir definieren

n WD jmax C l C 1 (7.212)

und sehen, dass dies wegen


1
n D (7.213)
n
7.5 Coulomb-Potential und Wasserstoffatom 217

und somit, gemäß (7.200),


ER
En D  (7.214)
n2
eine geeignete Energiequantenzahl ist. Wir haben aus der Abbruchbedingung für
die Potenzreihe die Energie-Eigenwerte für das Coulomb-Potential hergeleitet! Für
festes n kann l jeden Wert von 0 bis n  1 annehmen. Im letzteren Fall ist jmax D 0,
fnl also eine Konstante. Für jeden Wert von l sind 2l C1 Werte für die Magnetquan-
tenzahl m möglich, nämlich jede ganze Zahl von l bis Cl. Die gesamte Entartung
des Energiewerts En ist also

X
n1
gn D .2l C 1/ D n2 : (7.215)
lD0

Das zweite Gleichheitszeichen lässt sich dabei leicht mit vollständiger Induktion
zeigen.

Aufgabe 7.11
Versuchen Sie es!

Im Falle des H-Atoms (und vieler anderer Systeme) sind noch die zwei mög-
lichen Spineinstellungen des Elektrons zu berücksichtigen, so dass ein weiterer
Faktor 2 in gn dazukommt.

Die Formel (7.214) bestätigt und erklärt Beobachtungen zum Wasserstoff-Spek-


trum. Bei atomaren Übergängen, in denen das Elektron von einem höheren En1 zu
einem niedrigeren En2 springt, wird Energie frei, die in Form eines Photons ausge-
strahlt wird. Die Energie des Photons ist

1 1
„! D ER  : (7.216)
n21 n22

Umgekehrt werden Photonen dieser Energie vom Wasserstoff absorbiert und heben
dadurch das Elektron in ein höheres Energieniveau. Schon vor der Entdeckung der
QM hatte man festgestellt, dass sich die Frequenzen des absorbierten Lichts wie die
Differenzen inverser Quadratzahlen verhalten.

Jetzt wollen wir die Berechnung der Eigenzustände, also der Radialfunktio-
nen Rnl .r/ abschließen. Die Rekursionsformel (7.207) lautet, nach Einsetzen von
(7.213),
.nl/
aj C1 2 n  .j C l C 1/
D : (7.217)
.nl/
aj n .j C 1/.j C 2l C 2/
218 7 Dreidimensionale Systeme

Wenn man diese Beziehung rekursiv anwendet (deshalb heißt es ja schließlich Re-
kursionsformel), erhält man

.nl/ 2 j .nl/ n  .l C j / n  .l C j  1/ n  .l C 1/
aj D  a0  :::
n j.2l C j C 1/ .j  1/.2l C j / 1.2l C 2/
 j
2 .nl/ .2l C 1/Š.n  .l C 1//
D  a0 :
n j Š.j C 2l C 1/Š.n  .j C l C 1//Š

Für fnl ergibt sich damit

.nl/
X
n.lC1/
.2l C 1/Š.n  .l C 1//
fnl . / D a0 .2 /j : (7.218)
j D0
j Š.j C 2l C 1/Š.n  .j C l C 1//Š

Das lässt sich noch mithilfe der zugeordneten Laguerre-Polynome Lpk etwas um-
schreiben. Diese sind definiert durch
X
p
..p C k/Š/2
Lpk .x/ D .1/j x j : (7.219)
j D0
j Š.k C j /Š.p  j /Š

Für k D 2l C 1 und p D n  l  1 heißt das

X
nl1
..n C l/Š/2
nl1 .x/ D
L2lC1 .1/j x j : (7.220)
j D0
j Š.j C 2l C 1/Š.n  .j C l C 1//Š

Der Nenner ist identisch mit dem in (7.218). Die Zähler sind unterschiedlich, aber
in beiden Fällen kommt j darin nicht vor. Der Quotient der beiden Zähler,

.2l C 1/Š.n  .l C 1//


; (7.221)
..n C l/Š/2

kann daher als konstanter Faktor vor die Summe gestellt werden. Damit erhält man

Unl . / e n lC1 L2lC1


nl1 .2n /: (7.222)

Um Rnl zu bestimmen, muss man nur noch „zurückübersetzen“:

1 r Unl
n D ; D ; Rnl D ; (7.223)
n a  r
r
 r l 2r
Rnl .r/ e  na L2lC1
nl1 (7.224)
a na

Man müsste noch die jeweiligen Normierungskonstanten bestimmen. Das ist in


Form eines allgemeinen Ausdrucks möglich, aber sehr mühselig und erfordert ei-
nige Eigenschaften der zugeordneten Laguerre-Polynome. Wir wollen hier darauf
7.5 Coulomb-Potential und Wasserstoffatom 219

verzichten. Das Ergebnis lautet für die drei ersten Radialfunktionen:

R10 .r/ D 2a3=2 e r=a (7.225)


 r  r=.2a/
R20 .r/ D .2a/3=2 2  e (7.226)
a
r
R21 .r/ D 31=2 .2a/3=2 e r=.2a/ (7.227)
a
Die Länge a ist die Skala der Radialfunktionen, d. h., rRkommt immer nur in der
Kombination r=a vor. Wegen der allgemeinen Relation d 3 rj j2 D 1 muss jede
Wellenfunktion die Dimension (Länge/3=2 haben. Daher taucht in der Normierung
jeweils der Faktor a3=2 auf. Der Betrag der Bindungsenergie En wird immer klei-
ner für wachsende n, und zwar mit n2 , die Bindung also immer lockerer. Anhand
der Exponentialfunktion e r=.na/ sieht man, dass die Wellenfunktion für größere n
langsamer abfällt. Tatsächlich kann man mit einiger Rechnerei zeigen, dass der Er-
wartungswert des Abstands der beiden Teilchen durch
a 2
hrinl D Œ3n  l.l C 1/ (7.228)
2
gegeben ist. Der mittlere Abstand wächst also sogar quadratisch mit n. In der Defi-
nition von a (7.199) stehen m und e 2 im Nenner. Man erkennt daraus, wie sich eine
Änderung der Teilchenart auf die Größe des Zweiteilchenobjekts auswirkt.

 Nimmt man statt des Elektrons ein Myon, das 200-mal schwerer ist als das Elek-
tron, um damit zusammen mit einem Proton ein myonisches Wasserstoffatom zu
bilden, so ist dieses 200-mal kleiner als das normale H-Atom.
 Beim HeC -Ion, also einem Kern der Ladung 2e und einem Elektron, muss e 2
durch 2e 2 ersetzt werden. Das HeC -Ion ist also halb so groß wie das H-Atom.

Aufgabe 7.12
Die Werte En sind die Bindungsenergien im naiven H-Atom, die sich aus
der stationären Schrödinger-Gleichung für die Wellenfunktion der Rela-
tivposition rR ergeben. Für die Gesamtenergie des H-Atoms ist noch die
kinetische Energie zu berücksichtigen, die sich aus der Wellenfunktion für
die Schwerpunktsposition rS ergibt. Was sind die zugehörigen Eigenwerte
und -funktionen? Überlegen Sie sich, dass demnach das Spektrum des H-
Atoms eigentlich kontinuierlich ist, bereits ab der Grundzustandsenergie E0 ,
und dass das Elektron in so einem (Pseudo-)Eigenzustand gleichmäßig über
den gesamten Raum verteilt ist (wie hängt re mit rR und rS zusammen?).
In der Realität wird rS durch die Wechselwirkung des H-Atoms mit seiner
Umgebung lokalisiert.
220 7 Dreidimensionale Systeme

Streber-Ecke 7.3
Die zugeordneten Laguerre-Polynome Lpk hängen mit den „normalen“ La-
guerre-Polynomen Lp , die wir in Abschn. 3.2 erwähnt haben, in ähnlicher
Weise zusammen wie die zugeordneten Legendre-Funktionen mit den „nor-
malen“ Legendre-Polynomen: Sie sind Lösungen zweier Differentialglei-
chungen, wobei die Lpk als Lösung der zweiten Gleichung sich auf die Lp
als Lösung der ersten Gleichung zurückführen lassen; und zwar gilt

dk
Lpk .x/ D LpCk .x/: (7.229)
dx k

Die Wellenfunktionen nlm .r/ müssen für unterschiedliche .nlm/-


Kombinationen orthogonal zueinander sein,
Z

d 3x nlm .x/ n0 l 0 m0 .x/ D ınn0 ıl l 0 ımm0 : (7.230)

Wenn l oder m verschieden ist, ist das durch die Orthogonalität der Kugelflä-
chenfunktionen Ylm gegeben. Wenn jedoch l D l 0 und m D m0 ist, muss die
Radialfunktion die Orthogonalität herstellen,
Z

dr r 2 Rnl .r/Rn0 l .r/ D ınn0 : (7.231)

Für die zugeordneten Laguerre-Polynome bedeutet das


Z
d 2lC2 e .n Cn0 / L2lC1
nl1 .2n /Ln0 l1 .2n / D 0
2lC1
0 (7.232)

für n ¤ n0 . Diese Orthogonalitätsbeziehung kann man auch tatsächlich be-


weisen, was uns hier aber zu mühsam ist, siehe dafür z. B. [Boas (2005)].

Fragen zum Selbstcheck


1. Wie hängen die Bindungsenergien En beim naiven H-Atom vom Parameter n
ab? Was bedeutet das für das Absorptions- bzw. Emissionsspektrum von ato-
marem Wasserstoff?
2. Wie groß ist ein H-Atom etwa, und was heißt hierbei groß, d. h., wie kann
man die Ausdehnung hier überhaupt definieren?
Streutheorie
8

Die Theorie der quantenmechanischen Streuung wird eingeführt, mit Schwerpunkt auf den
Grundbegriffen und der allgemeinen Struktur.

Die Streutheorie spielt eine wichtige Rolle bei der Untersuchung des Aufbaus
der Materie. Während sich beim Wasserstoffatom die Zustände leicht ausrechnen
und anhand des Absorptionsspektrums vermessen lassen, ist das bei komplizierte-
ren Objekten, z. B. Atomkernen, nicht so leicht. Um den Aufbau solcher Objekte zu
untersuchen, schießt man Teilchen darauf, die dann daran gestreut werden. Aus der
statistischen Verteilung der Richtung, in der die gestreuten Teilchen vom Objekt da-
vonfliegen, lassen sich Rückschlüsse auf dessen Aufbau, insbesondere auf das von
ihm erzeugte Wechselwirkungspotential V .r/ ziehen. Die statistische Verteilung der
Streurichtung wird in Form einer bestimmten Funktion, dem differentiellen Wir-
kungsquerschnitt d=d , angegeben. Die Aufgabe des Theoretikers ist es, für
ein gegebenes Modell-Potential d=d  auszurechnen. Der Experimentator misst
dann d=d  in einem Experiment und vergleicht mit den vom Theoretiker zur
Verfügung gestellten Funktionen, um Modelle über den Aufbau des untersuchten
Objekts zu verifizieren oder falsifizieren.
Wir werden hier nur ganz bestimmte Arten der Streuung untersuchen, in denen
folgende Annahmen gelten:

 Das Target (das zu untersuchende Objekt) ist in Ruhe und erfährt durch die Streu-
ung keinen Rückstoß. Es ist also viel schwerer als die gestreuten Teilchen oder
wird auf andere Weise an seinem Ort festgehalten. Jedenfalls wird keine kineti-
sche Energie vom gestreuten Teilchen auf das Target übertragen.
 Die Streuung ist elastisch, es wird also auch keine Energie auf innere Freiheits-
grade des Targets übertragen (indem z. B. einer von dessen Bestandteilen auf ein
höheres Energieniveau gehoben wird).

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 221


J.-M. Schwindt, Tutorium Quantenmechanik, DOI 10.1007/978-3-662-49399-1_8
222 8 Streutheorie

Das hat zwei Vorteile:

 Die Energie des gestreuten Teilchens hat nach der Streuung den gleichen Wert
wie davor. Wir können daher mit Energie-Eigenzuständen operieren.
 Das vom Target erzeugte Potential ändert sich bei der Streuung nicht.

Es fallen dabei aber auch einige prominente Streuexperimente aus unserem Blick-
feld. In Teilchenbeschleunigern werden z. B. Teilchen aufeinandergeschossen,
dabei entsteht eine Kaskade von neuen Teilchen, die dann von Detektoren aufge-
fangen werden. Hier ist keine der genannten Voraussetzungen erfüllt.

Wir werden zunächst den Begriff des Wirkungsquerschnitts erläutern, in seiner


klassischen und seiner quantenmechanischen Variante. Dann beschreiben wir eine
Näherungsmethode, mit der sich aus einem gegebenen Potential V .r/ der differen-
tielle Wirkungsquerschnitt d=d  approximieren lässt, die Born’sche Näherung.
Schließlich wird noch für kugelsymmetrische Potentiale die Grundidee der Streu-
phasenanalyse vermittelt, einer weiteren Methode zur Berechnung von d=d .

8.1 Wirkungsquerschnitt

Der Begriff des Wirkungsquerschnitts stammt aus der klassischen Streutheorie, wo


die Teilchenbahnen deterministisch sind. Darin wird ein Strahl von Teilchen auf
ein Target geschossen. Dieser Strahl hat eine bestimmte Breite, also eine endliche
Querschnittsfläche. Je nachdem, wo in diesem Querschnitt sich ein Teilchen dieses
Strahls befindet, trifft es an einer anderen Stelle auf das Target oder verfehlt es
ganz. Stellen wir uns das Target als Kugel vor. Ein Teilchen in der Mitte des Strahls
trifft die Kugel in der Mitte und prallt rückwärts ab. Ein Teilchen weiter außen
im Strahl streift die Kugel am Rand und wird nur leicht abgelenkt. Ein Teilchen
noch weiter außen verfehlt die Kugel ganz und fliegt geradlinig weiter. Ein Detektor
steht im Abstand r zum Target und registriert Teilchen, die in einen bestimmten
Winkelbereich  D  sin abgelenkt werden (Abb. 8.1).
Dabei stammen die Teilchen, die nach  fliegen, aus einem bestimmten Teil
 der Querschnittsfläche des ursprünglichen Teilchenstrahls. Es wird also ein
Flächenelement des eingehenden Stroms parallel zueinander auf das Target zuflie-
gender Teilchen in ein Winkelelement des sich radial vom Target wegbewegenden
Teilchenstroms abgebildet. Im Limes  ! 0 erhalten wir den differentiellen
Wirkungsquerschnitt d=d , der die Dimension einer Fläche hat. Der totale
Wirkungsquerschnitt ist das Integral über den differentiellen,
Z1 Z2
d
D d cos d . ; /: (8.1)
d
1 0

Das ist die gesamte Querschnittsfläche des Stroms von denjenigen einlaufenden
Teilchen, die vom Target überhaupt irgendwie abgelenkt werden. Im Fall der harten
8.1 Wirkungsquerschnitt 223

r
to
ek
et
D

ΔΩ

Δσ

0 z

Abb. 8.1 Differentieller Wirkungsquerschnitt in der klassischen Mechanik am Beispiel der Streu-
ung an einer harten Kugel

Kugel ist das die Querschnittsfläche der Kugel,  D R2 , wobei R der Radius der
Kugel ist.

In der QM sieht die Sache etwas komplizierter aus. Zwar könnte man die Teil-
chen als Wellenpakete mit bestimmter Breite und Länge darstellen und ausrechnen,
wie diese beim Auftreffen auf das Target in alle Richtungen auseinandergerissen
werden. Aber eine solche Rechnung wäre sehr kompliziert. Stattdessen macht man
sich die Tatsache zunutze, dass die Teilchen keine Energie an das Target abgeben,
und untersucht bestimmte Energie-Eigenzustände, also stationäre Zustände, bei de-
nen die Zeitentwicklung ausschließlich in einer Phasenrotation besteht. Es stellt sich
die Frage, wie das Streuverhalten in diesen Zuständen codiert ist. Die Wirkung des
Targets ist in Form eines zeitunabhängigen Potentials V .r/ gegeben. Die gesuchten
Zustände sind also Lösungen der zeitunabhängigen Schrödinger-Gleichung zu die-
sem Potential. Es handelt sich um freie, nicht um gebundene Zustände, die daher
nicht quadratintegrabel sind. Die dadurch beschriebenen Teilchen sollen schließlich
aus dem Unendlichen kommen und wieder ins Unendliche zurücklaufen.
Wie muss ein solcher stationärer Zustand aussehen, damit er eine Streuung be-
schreibt? Wir nehmen an, dass das Potential auf einen kleinen Raumbereich um den
Koordinatenursprung beschränkt ist bzw. im Unendlichen schnell genug abfällt, so
dass wir die Teilchen im Limes r ! 1 als frei ansehen können. (Das schließt
224 8 Streutheorie

unter anderem den Harmonischen Oszillator aus. Für diesen gibt es nur gebundene
Zustände, keine Streuung.) Die Wellenfunktion hat dann zwei Teile,

k .r/ D in .r/ C sc .r/: (8.2)

Der einlaufende Teil in .r/ repräsentiert den parallelen Teilchenstrom vor der
Streuung und den vom Target unbeeinflusst durchgelassenen Teilchenstrom. Wir
nehmen an, dass sich dieser Teilchenstrom in z-Richtung bewegt. Im Limes
z ! ˙1 ist dann (freies Teilchen)

in .r/ D e i kz ; (8.3)

wobei wir die Normierung wieder ignorieren. Der gestreute Teil sc .r/ (sc steht für
scattered) repräsentiert den vom Target infolge der Streuung radial in alle Richtun-
gen nach außen laufenden Teilchenstrom,

e i kr
sc .r/ D f . ; / (8.4)
r
im Limes r ! ˙1. Der Faktor r 1 trägt dabei der Tatsache Rechnung, dass die
Dichte der gestreuten Teilchen nach außen mit r 2 abnimmt (weil die Größe der
Kugelschalen, über die sie verteilt sind, mit r 2 zunimmt). Die Streuamplitude
f . ; / repräsentiert die Richtungsabhängigkeit der Streuung und hängt, wie wir
sehen werden, mit dem differentiellen Wirkungsquerschnitt zusammen. Die Elasti-
zität der Streuung gewährleistet, dass das k in sc mit dem k in in übereinstimmt.
In der Nähe des Targets wird die Wellenfunktion komplizierter aussehen. Aber
da wir annehmen, dass der Detektor, der die auslaufenden Teilchen registriert, hin-
reichend weit vom Target entfernt ist, brauchen wir diese kompliziertere Form nicht
unbedingt zu kennen.
Es gibt unendlich viele Pseudo-Eigenzustände zur Energie E D „2 k 2 =.2m/.
Durch die Form von in und sc wird festgelegt, welcher davon gemeint ist. Dass
ein solcher Pseudo-Zustand existiert und eindeutig ist, wird sich anhand des Lö-
sungsverfahrens zeigen. Zunächst ist noch zu klären, wie der Wirkungsquerschnitt
in der QM zu definieren und aus sc abzulesen ist.
Wir wollen uns noch einmal die Besonderheit des verwendeten Bildes klarma-
chen: Die Wellenfunktion k beschreibt einen Pseudo-Zustand, d. h., man kann sie
zunächst nicht mit einem oder einer festen Anzahl von Teilchen assoziieren. Sie
ist stationär, d. h., es gibt darin keine zeitliche Veränderung außer einer Phasen-
rotation. Die ein- und auslaufenden Teilchen „entstehen“ erst, wenn man Pseudo-
Zustände in einem kleinen Intervall Œk ; kC  zu quadratintegrablen Wellenpake-
ten überlagert. Ein solches Wellenpaket wp läuft zunächst von z D 1 Richtung
r D 0, um dort vom Potential auseinandergerissen zu werden. Ein Teil bewegt sich
unbehelligt in Richtung z D C1 weiter, der Rest fliegt radial in alle Richtungen
auseinander. Wenn klein genug gewählt ist, werden sich einige entscheidende
Eigenschaften von k auf das Wellenpaket übertragen, insbesondere die Streuam-
plitude f . ; /. Denn bei kleiner Impulsunschärfe „ ist die Ortsunschärfe groß,
8.1 Wirkungsquerschnitt 225

das Wellenpaket also relativ weit ausgedehnt. Man kann sich dann überlegen, dass,
wenn man ins Innere des Pakets „hineinzoomt“, beim Einlaufen Richtung Target
die Form von wp nur leicht von e i kz abweicht, beim Auslaufen für den gestreuten
i kr
Teil nur leicht von f . ; / e r . Erst durch diesen Zusammenhang assoziieren wir
k mit der Streuung von Teilchen.

Um zum differentiellen Wirkungsquerschnitt zu gelangen, müssen wir uns mit


den Stromdichten von in und sc auseinandersetzen. Wir erinnern uns, dass die
Stromdichte j durch

jD .  r  r / (8.5)
2im
definiert ist. Im Falle von in interessiert uns der Strom in z-Richtung, im Fall von
sc der Strom in r-Richtung, jeweils für große r, wo die Ausdrücke (8.3) und (8.4)
gültig sind,
jin D jin  ez ; jsc D jsc  er : (8.6)
Dabei sind ez und er die Einheitsvektoren in z- bzw. r-Richtung. Wie betrachten
also die Ströme jin zu in und jsc zu sc separat. Der Strom zu k enthält auch
Interferenzterme der Form in r sc etc., die wir hier nicht berücksichtigen. Das
lässt sich dadurch rechtfertigen, dass im Endeffekt wieder Wellenpakete gebildet
werden sollen, bei denen einlaufendes und gestreutes Teilchen räumlich und zeitlich
voneinander getrennt sind, so dass die Interferenzterme dort nicht auftreten. Für
große r berechnen sich jin und jsc zu

„k „k
jin D ; jsc D jf . ; /j2 : (8.7)
m mr 2

Aufgabe 8.1
Rechnen Sie das nach. Für jsc können Sie verwenden, dass er  r D @
@r
ist.

Wir wollen begründen, dass

d r 2 jsc
D D jf . ; /j2 (8.8)
d jin

eine sinnvolle Definition für den differentiellen Wirkungsquerschnitt ist. Dazu müs-
sen wir uns ein paar Gedanken über die bisher – für einen Physiker sträflich –
vernachlässigten Dimensionen machen. In der Definition (8.3) ist in dimensions-
los. Damit sc ebenfalls dimensionslos ist, muss f . ; / die Dimension einer Länge
haben; dd hat also die Dimension einer Fläche, was schon einmal korrekt ist. Mit
den genannten Ausdrücken hat j die Dimension einer Geschwindigkeit: „k ist der
Impuls, und Impuls durch Masse ist Geschwindigkeit. Allerdings hatten wir ja im
letzten Kapitel festgestellt, dass eigentlich die Dimension (Länge/3=2 haben
226 8 Streutheorie

muss. Korrekterweise müssten wir also k noch mit einer Konstanten dieser Di-
mension multiplizieren. RBei Pseudo-Zuständen ist das nicht so wichtig, weil die
Normierungsbedingung d 3 rj j2 D 1, aus der sich die Dimension von ableitet,
hier ja nicht besteht. Wenn man Überlagerungen bildet,
Z
wp .r/ D d k a.k/ k .r/; (8.9)

dann kann man ja immer noch den Koeffizienten a.k/ die Dimension (Länge/3=2
geben, damit es am Ende (d. h. beim Wellenpaket) stimmt. Schön ist das zugege-
benermaßen nicht. Besser wir nehmen von vornherein an (durch Multiplikation mit
einer entsprechenden Konstanten), dass bereits k die Dimension (Länge/3=2 hat.
Dann ist die Stromdichte von der Dimension ŒAnzahldichte mal Geschwindigkeit
oder äquivalent dazu ŒAnzahl pro Fläche pro Zeit. Damit lassen sich die Größen
in (8.8) folgendermaßen verstehen: djin ist die Anzahl einlaufender Teilchen, die
sich pro Zeiteinheit durch die Fläche d bewegen. Die Fläche ist dabei immer
als senkrecht zur Bewegungsrichtung zu verstehen, in diesem Fall also in .xy/-
Richtung. Zum anderen ist r 2 d jsc die Anzahl gestreuter Teilchen pro Zeiteinheit,
die in den Winkelbereich d , im Abstand r vom Ursprung also durch die Fläche
r 2 d  strömt. Gl. (8.8) bedeutet demnach: d ist die Fläche, durch die genauso
viele Teilchen strömen wie in den Winkelbereich d . Das ist die gleiche Bedeu-
tung wie im klassischen Wirkungsquerschnitt, jedoch mit einem Unterschied: Im
klassischen Fall, wo alles deterministisch ist, handelt es sich um die Zuordnung von
einem bestimmten (differentiellen) Flächenbereich d mit festen Abgrenzungen zu
einem Winkelbereich d . Ein Teilchen, das durch d fliegt, landet notwendiger-
weise in d . In der QM ist das nicht mehr der Fall. Hier ist d nur noch eine
Flächengröße, die von der gleichen Teilchenzahl durchlaufen wird wie d . Aber
weder lassen sich für d feste Abgrenzungen finden („der Bereich von x D x0 bis
x D x1 und y D y0 bis y D y1 “), noch lassen sich die Teilchen in d eindeutig
denen in d  zuordnen. Es handelt sich nur um eine Anzahlgleichheit.

Fragen zum Selbstcheck


1. Wie ist der differentielle Wirkungsquerschnitt in der klassischen Mechanik
definiert?
2. Was für Wellenfunktionen betrachtet man in der Quanten-Streutheorie?
3. Wie ist der differentielle Wirkungsquerschnitt in der QM definiert?

8.2 Born’sche Näherung

Nachdem wir definiert haben, was der differentielle Wirkungsquerschnitt ist, wollen
wir nun sehen, wie man ihn für ein gegebenes Potential ausrechnen kann. Dabei
sollten wir uns keine zu großen Hoffnungen machen: Mit exakten Lösungen ist
nicht zu rechnen. Wir müssen mit Näherungsverfahren vorliebnehmen.
8.2 Born’sche Näherung 227

Wie immer, wenn man in der QM etwas ausrechnen will, schreibt man erst ein-
mal die Schrödinger-Gleichung hin, und zwar am besten gleich in einer geeigneten
Form. Dazu setzen wir in der zeitunabhängigen Schrödinger-Gleichung

„2
  k .r/ C V .r/ k .r/ DE k .r/ (8.10)
2m
den Energiewert
„2 k 2
ED (8.11)
2m
ein, bringen die Energie auf die linke, das Potential auf die rechte Seite und dividie-
ren durch „2 =.2m/:

2m
. C k 2 / k .r/ D V .r/ k .r/ (8.12)
„2

Dann definieren wir die Green-Funktion zum Operator .Ck 2 / durch die Relation

. C k 2 /G.r/ D ı 3 .r/: (8.13)

Es gibt zwei Lösungen für diese Differentialgleichung,

1 e ˙i kr
G˙ .r/ D  : (8.14)
4 r

Aufgabe 8.2
Rechnen Sie nach, dass (8.14) tatsächlich Lösungen von (8.13) sind, in-
dem Sie den Laplace-Operator in Kugelkoordinaten verwenden. Benutzen Sie
auch (7.151).

Jetzt setzen wir


Z
2m
k .r/ D in .r/ C d 3 x 0 GC .r  r0 /V .r0 / 0
k .r / (8.15)
„2

als Lösung für (8.12) an. Der zweite Summand auf der rechten Seite repräsen-
tiert sc , also die radial auslaufende Streuwelle. Wir verwenden daher GC , weil
GC .r  r0 / für r  r 0 radial auslaufende Wellen darstellt, im Gegensatz zu G .
Nun bleibt zu zeigen, dass (8.15) tatsächlich (8.12) löst. Dazu stellen wir fest, dass

. C k 2 / in D . C k 2 /e i kz D 0: (8.16)
228 8 Streutheorie

Es kommt also nur auf den zweiten Term an:


Z
. C k / d 3 x 0 GC .r  r0 /V .r0 / k .r0 /
2
(8.17)
Z
D d 3 x 0 . C k 2 /GC .r  r0 /V .r0 / k .r0 / (8.18)
Z
D d 3 x 0 ı 3 .r  r0 /V .r0 / k .r0 / (8.19)

D V .r/ k .r/ (8.20)

Im ersten Schritt haben wir den Operator . C k 2 / ins Integral gezogen. Das ist
möglich, da über r0 integriert wird, . C k 2 / aber nur auf die r-Abhängigkeit von
Funktionen wirkt. Im zweiten Schritt haben wir (8.13) verwendet sowie die Tat-
sache, dass die Transformation f .r/ ! f .r  r0 / nur eine Verschiebung um r0
darstellt, worauf Ableitungen mit der gleichen Verschiebung reagieren, analog zu
d d
f .x/ D g.x/ ) f .x  x0 / D g.x  x0 /: (8.21)
dx dx
Im dritten Schritt wurde einfach die Definition der Deltafunktion verwendet. Damit
ist gezeigt, dass (8.15) eine Lösung für (8.12) ist. Die Sache hat nur einen Haken:
(8.15) ist eine implizite Gleichung, d. h., k kommt sowohl auf der linken als auch
auf der rechten Seite vor, und das Ganze lässt sich nicht einfach nach k auflösen.
Wir können nur iterativ vorgehen, d. h. auf der rechten Seite für k wieder dieselbe
Gleichung einsetzen, usw. Das Ergebnis ist die Born’sche Reihe,
Z
2m
k .r/ D in .r/ C d 3 r 0 GC .r  r0 /V .r0 / in .r0 / (8.22)
„2
 2 Z Z
2m 3 0 0 0
C d r GC .r  r /V .r / d 3 r 00 GC .r0  r00 /V .r00 / in .r00 /
„2
C ;

deren Konvergenzverhalten wir hier nicht diskutieren wollen (siehe entsprechende


Bemerkungen später in Kap. 11). In erster Näherung, also wenn man die Reihe nach
der ersten Zeile abbricht, ergibt sich die Born’sche Näherung
Z
2m
k .r/ D in .r/ C d 3 r 0 GC .r  r0 /V .r0 / in .r0 / (8.23)
„2
Z 0
2m 1 e i kjrr j
D in .r/  2 d 3r 0 V .r0 / in .r0 /: (8.24)
„ 4 jr  r0 j
Uns interessiert das Verhalten für große r. Wir wollen annehmen, dass die Werte
von r 0 , in denen V .r0 / einen nenneswerten Beitrag liefert, sehr viel kleiner sind
als r (wir hatten ja vorausgesetzt, dass V hinreichend schnell abfällt), und setzen
daher im Ausdruck 0
e i kjrr j
(8.25)
jr  r0 j
8.2 Born’sche Näherung 229

eine Näherung mit r 0 D jr0 j  r D jrj an. Den Nenner ersetzen wir einfach
durch r, im Zähler sind wir wegen der oszillierenden Exponentialfunktion etwas
vorsichtiger und nehmen noch einen weiteren Term mit, d. h., wir vernachlässigen
Terme der Ordnung r 0 2 =r 2 , berücksichtigen aber Terme der Ordnung r 0 =r:
s
p r  r0 r 02
jr  r0 j D r 2  2r  r0 C r 0 2 D r 1  2 2 C 2 (8.26)
r r
r 
r  r0 r  r0
r 12 2 r 1 2 (8.27)
r r
0
D r  er  r (8.28)

Damit wird (8.25) zu


e i kr i ker r0
e : (8.29)
r
Eingesetzt in (8.24) ergibt das
Z
m e i kr 0
k .r/ D in .r/  d 3 r 0 e i ker r V .r0 / 0
in .r /: (8.30)
2„2 r

Diese Formel rechtfertigt nun auch schließlich unseren Ansatz (8.4) für sc . Der
Vergleich mit (8.4) liefert
Z
m 0
f . ; / D  d 3 r 0 e i ker r V .r0 / in .r0 / (8.31)
2„2
Z
m 0
D d 3 r 0 e i ker r Ci kez r V .r0 / (8.32)
2„2
Z
m 0
D 2
d 3 r 0 e i qr V .r0 /: (8.33)
2„

In der zweiten Zeile haben wir den bekannten Ausdruck von in eingesetzt. In der
dritten Zeile wurde der Vektor q eingeführt,

q D k.er  ez /: (8.34)

Dabei ist „q gerade der Impulsübertrag, den ein gestreutes Teilchen bei der Streu-
ung aufnimmt (am Anfang hat es den Impuls „kez , nach der Streuung „ker ). Wegen
der Relation
q D k.sin cos ; sin sin ; cos  1/ (8.35)
besteht eine eineindeutige Beziehung zwischen q und . ; /. Wir können daher die
Streuamplitude f auch als Funktion von q auffassen. Der finale Ausdruck für die
Born’sche Näherung ist dann:
230 8 Streutheorie

Born’sche Näherung
Z
m 0
f . ; / D f .q/ D  d 3 r 0 e i qr V .r0 / (8.36)
2„2

In der Born’schen Näherung ist die Streuamplitude also (bis auf einen konstan-
ten Faktor) gerade die Fourier-Transformierte des Potentials!

Als Beispiel wollen wir die Streuung am Coulomb-Potential V .r/ D g=r be-
trachten. Dabei sollen die gestreuten Teilchen die Ladung Z1 e, das Target die La-
dung Z2 e haben, so dass
g D Z1 Z2 e 2 : (8.37)
Dabei ergibt sich gleich einmal ein Problem: Das Coulomb-Potential ist für die
hier verwendete Methode nicht geeignet, weil es im Unendlichen nicht stark genug
abfällt und die Annahmen für in und sc für große r nicht erfüllt sind.

Aufgabe 8.3
Zeigen Sie, dass sich die Radialfunktionen Rnl .r/ eines ungebundenen Zu-
stands im Coulomb-Potential für r ! 1 folgendermaßen verhalten:

e i.kr ln kr/ gm
Rnl .r/ ; D (8.38)
r k„2

Setzen Sie dazu die Funktion Unl .r/ D rRnl .r/ in die zugehörige Radialglei-
chung unter Vernachlässigung des Drehimpulsterms ein,


„2 d 2 g „2 k 2
 C U nl .r/ D Unl .r/: (8.39)
2m dr 2 r 2m

Vernachlässigen Sie bei der Rechnung Terme der Ordnung r 2 .

Um die Streuung am Coulomb-Potential doch noch berechnen zu können, gehen


wir folgendermaßen vor: Wir ersetzen das Coulomb-Potential zunächst durch ein
Yukawa-Potential,
e ˇr
V .r/ D g ; (8.40)
r
das einen zusätzlichen exponentiellen Abschirmfaktor enthält, für den wir am Ende
den Limes ˇ ! 0 bilden.
Nach der Born’schen Näherung (8.36) gilt
Z ˇr
mg i qr e
f .q/ D  d 3
r e : (8.41)
2„2 r
8.3 Streuphasenanalyse 231

Um die Integration auszuführen, kann man vorübergehend die z-Richtung des


Koordinatensystems in Richtung von q drehen, q D qez , so dass

e i qr D e i qr cos : (8.42)

Aufgabe 8.4
Führen Sie damit die Integration in Kugelkoordinaten aus. Ergebnis:

2mg 1
f .q/ D  (8.43)
„2 ˇ 2 C q 2

Jetzt drehen wir die z-Richtung wieder zurück in ihre ursprüngliche Position,
um q 2 als Funktion von zu bestimmen,
 
q 2 D k 2 jer  ez j2 D k 2 e2r C e2z  2er  ez (8.44)

D 2k 2 .1  cos / D 4k 2 sin2 : (8.45)
2
Setzt man das in (8.43) ein und bildet den Limes ˇ ! 0, so ergibt sich die Streu-
amplitude für das Coulomb-Potential,
mg g
f . / D  D : (8.46)
2„2 k 2 sin2
2 4E sin2
2

Der zugehörige differentielle Wirkungsquerschnitt ist, mit ausgeschriebenem g,


!2
d Z1 Z2 e 2
D ; (8.47)
d 4E sin2 2

die Rutherford’sche Streuformel.

Fragen zum Selbstcheck


1. Wie erhält man die Born’sche Reihe?
2. Was besagt die Born’sche Näherung über die Beziehung zwischen Streuam-
plitude und Potential?
3. Was ist beim Coulomb-Potential zu beachten?

8.3 Streuphasenanalyse

Ein anderes Verfahren zur Behandlung von Streuproblemen ist die Streuphasenana-
lyse. Wir beschreiben hier nur die Grundidee.
Die Streuphasenanalyse funktioniert nur bei kugelsymmetrischen Potentialen
V .r/. Für die Wellenfunktion nehmen wir wieder die Form (8.2), (8.3), (8.4) an.
232 8 Streutheorie

Da die Kombination aus einlaufender Welle in und Potential V symmetrisch bzgl.


Drehungen um die z-Achse ist, kann die Streuamplitude nicht von  abhängen,
f . ; / D f . /.
Wir verwenden die Darstellung von e i kr cos durch die Legendre-Polynome
(7.194), um in darzustellen. Weiterhin benutzen wir, dass die Streuamplitude
sich (wegen fehlender -Abhängigkeit) als Linearkombination der Yl0 , also der
Legendre-Polynome darstellen lässt,
1
X
f . / D al Pl .cos /: (8.48)
lD0

Damit ist für große r


1

X
e i kr
k .r/ D .2l C 1/i jl .kr/ C al
l
Pl .cos /: (8.49)
r
lD0

Man überlegt sich leicht anhand der Definition (7.187), dass


sin.kr  l=2/
jl .kr/ (8.50)
kr
für r ! 1: Dort ist der dominierende Term derjenige, bei dem die Ableitung
immer nur auf den Sinus wirkt; denn jede Wirkung einer Ableitung auf das im
Nenner bringt ein weiteres in den Nenner. Die Ableitung von sin. / ist cos D
sin.  =2/. Die zweite Ableitung ergibt  sin D sin.  2=2/ etc., wodurch
man induktiv (8.50) erhält.
Wenn man darauf verzichtet, k in in und sc aufzuspalten, kann man auch
direkt eine Linearkombination von Legendre-Polynomen ansetzen,
1
X
k .r/ D bl gl .kr/Pl .cos /: (8.51)
lD0

Dabei sind die gl zunächst unbekannte Radialfunktionen. Man kann sich überlegen,
dass für r ! 1, wo das Potential verschwindet, auch gl sich in der Form
sin.kr  l /
gl .kr/ (8.52)
kr
verhalten muss, mit einer noch unbekannten Phase l . Schreibt man diese zum bes-
seren Vergleich mit jl in der Form l D l=2  ıl , erhält man
sin.kr  l=2 C ıl /
gl .kr/ (8.53)
kr
für r ! 1. Dabei ist ıl die sog. Streuphase.
Der Vergleich von (8.49) mit (8.51) führt unter Berücksichtigung des Verhaltens
von jl und gl nach einer kurzen Rechnung zu der Beziehung
1
X
f . / D k 1 .2l C 1/e i ıl sin ıl Pl .cos /; (8.54)
lD0
8.3 Streuphasenanalyse 233

die den Zusammenhang zwischen Streuphase und Streuamplitude herstellt. Was


ist damit gewonnen? Zunächst nicht viel. Die unbekannte Funktion f . / wird auf
die unendlich vielen unbekannten Zahlen ıl zurückgeführt. Ein Nutzen ergibt sich,
wenn sich k in der Form (8.51) leicht herleiten lässt. Das ist zum Beispiel bei der
Streuung an einer harten Kugel (V .r/ D 1 für r < r0 ) oder an einem kugelsym-
metrischen Potentialtopf der Fall, siehe [Nolting (2013)]. Dann lassen sich die ıl
bestimmen und daraus die Streuamplitude.
Allgemein lässt sich immerhin sagen, dass die ıl für wachsendes l schnell abfal-
len. Schließlich bedeutet höherer Drehimpuls bei festem Impuls „k einen höheren
Abstand vom Target, damit einen geringeren Einfluss von V , damit eine geringe-
re Abweichung zwischen gl und der Radialfunktion jl für das freie Teilchen und
damit ein kleineres ıl .
Für unbekannte gl .kr/ gibt es die Möglichkeit, ıl näherungsweise zu bestim-
men: Durch geschickten Vergleich der freien Lösungen für V D 0 und k kann
man ein iteratives Approximationsverfahren ähnlich der Born’schen Reihe anwen-
den und erhält in erster Näherung

Z1
2mk
ıl 2 dr V .r/r 2 jl2 .kr/: (8.55)

0

Wir wollen hier (8.54) nutzen, Rum ein interessantes


R1 RResultat herzuleiten. Der
2
totale Wirkungsquerschnitt ist (mit d  D 1 d cos 0 d):
Z
D d jf . /j2
Z X
2
Dk d j .2l C 1/e i ıl sin ıl Pl .cos /j2
l
Z Xp
2
Dk d j 4.2l C 1/e i ıl sin ıl Yl0 . /j2
l
Z X hp i hp i
4
D 2 d 2l C 1e i ıl sin ıl Yl0 . / 2l 0 C 1e i ıl 0 sin ıl 0 Yl 0 0 . /
k
l;l 0
Z
4 X p
D 2 .2l C 1/.2l 0 C 1/e i.ıl 0 ıl / sin ıl sin ıl 0 d Yl0 . /Yl 0 0 . /
k 0 l;l
4 X p
D 2 .2l C 1/.2l 0 C 1/e i.ıl 0 ıl / sin ıl sin ıl 0 ıl l 0
k 0 l;l
4 X
D 2 .2l C 1/ sin2 ıl
k
l
4
D Imf . D 0/
k
234 8 Streutheorie

In der dritten Zeile haben wir (7.123) verwendet, in der drittletzten die Orthormalität
der Ylm . In der letzten Zeile wurde noch einmal (8.54) benutzt, mit Ime i ıl D sin ıl
und der für Legendre-Polynome allgemein geltende Beziehung Pl .1/ D 1.
Das Ergebnis ist das Optische Theorem: Der totale Wirkungsquerschnitt ist, bis
auf einen konstanten Faktor, gleich dem Imaginärteil der Streuamplitude in Vor-
wärtsrichtung.

Fragen zum Selbstcheck


1. Können Sie die Idee der Streuphasenanalyse erklären?
2. Was besagt das Optische Theorem?
Teil III
Weiterführende Themen

Einleitung zu Teil III

In Teil II haben wir uns mit ganz bestimmten quantenphysikalischen Systemen aus-
einandergesetzt:

 Im System befand sich jeweils nur ein einziges Quantenobjekt („Teilchen“);


beim Zentralpotential konnte es sich auch um ein Zweikörperproblem handeln,
das aber auf ein Einkörperproblem reduziert wurde.
 Der Zustand des Quantenobjekts konnte ausschließlich durch eine Wellenfunk-
tion ausgedrückt werden.
 Die Kräfte, die auf das Objekt wirken, konnten mithilfe eines zeitunabhängigen
Potentials V .r/ dargestellt werden.

Diese Einschränkung hatte zur Folge, dass die Schrödinger-Gleichung in einer ganz
bestimmten Form angesetzt werden konnte, nämlich

„2
  C V .r/ .r/ D E .r/
2m

für die stationäre bzw.



@ „2
i„ .r; t/ D   C V .r/ .r; t/
@t 2m

für die zeitabhängige Gleichung. Man muss sich aber klarmachen, dass dies einen
Spezialfall darstellt, der in dieser reinen Form nur sehr selten gerechtfertigt ist!
236

In diesem dritten Teil werden wir allgemeinere Situationen aufzeigen, in denen


die Schrödinger-Gleichung nicht mehr die oben angenommene Form hat. Die all-
gemeine Form der Schrödinger-Gleichung, wie sie in den Postulaten der QM steht,

Hj iDEj i

als Eigenwertgleichung bzw.

@
i„ j .t/i D H j .t/i ;
@t

bleibt natürlich erhalten. Aber j i ist eben nicht mehr


 unbedingt nur eine Wellen-
„2
funktion, und H hat nicht mehr unbedingt die Form  2m  C V .r/ .
Als erstes Beispiel werden wir den bereits erwähnten Spin etwas genauer in
seinem physikalischen Umfeld kennenlernen (bisher hatten wir ihn als rein mathe-
matisches Beispiel eingeführt). Um den Spin eines Quantenobjekts zu beschreiben,
muss die Wellenfunktion um einen „Spinzustand“ ergänzt werden.
In einem zweiten Beispiel beschäftigen wir uns mit dem Elektromagnetismus.
Dieser kann nicht (bzw. nur im elektrostatischen Fall) durch ein skalares Potential
allein dargestellt werden, sondern es wird zusätzlich ein Vektorpotential A benötigt.
Der Hamilton-Operator wird dadurch modifiziert.
Später beschäftigen wir uns mit Mehrteilchensystemen und erfahren, dass man
zwischen zwei fundamental unterschiedlichen Teilchentypen unterscheiden muss:
Fermionen mit halbzahligem und Bosonen mit ganzzahligem Spin.

Außerdem befassen wir uns in diesem dritten Teil mit dem Näherungsverfahren
der Störungsrechnung, und zwar sowohl für die stationäre als auch die zeitabhän-
gige Schrödinger-Gleichung. Das Pfadintegral wird als alternativer Zugang zur
QM vorgestellt. Und schließlich werfen wir einen kurzen Blick in die relativisti-
sche QM des Elektrons, die uns zur Dirac-Gleichung führt, einer relativistischen
Verallgemeinerung der Schrödinger-Gleichung.
Spin
9

Es wird gezeigt, wie man das Konzept des Drehimpulses verallgemeinern und verschiedene
Observable dieses Typs zusammenführen kann. Der mathematische Hintergrund zu Lie-
Gruppen und Lie-Algebren wird besprochen.

9.1 Spin 1/2 und Spin 1

Im Abschn. 7.1 über Drehimpulse ist es uns gelungen, die möglichen Eigenwerte
von L2 und Lz ausschließlich aus den Kommutator-Relationen

 X
3

Li ; Lj D i„ ij k Lk ; L2 ; Li D 0 (9.1)
kD1

herzuleiten. Dabei mussten wir bei der Suche nach Eigenfunktionen im Ortsraum
nur einen Umstand einschränken. Aus den algebraischen Relationen ging zunächst
hervor, dass die Quantenzahl l ganz- oder halbzahlige Werte annehmen kann. Bei
der Betrachtung der möglichen Eigenfunktionen wurde aber klar, dass nur ganz-
zahlige Werte realisiert werden können. Der Grund war, dass die Eigenfunktionen
e i m von Lz eine Periodizität von 2 haben müssen, weshalb nur ganzzahlige m-
Werte und daher auch nur ganzzahlige l-Werte möglich sind. Man kann sich aber
die Frage stellen, ob die halbzahligen Werte vielleicht doch noch realisiert werden
können, wenn man von der Annahme Abstand nimmt, dass ein Zustand j i allein
durch eine Wellenfunktion ausgedrückt werden kann.
Es stellt sich heraus, dass eine andere Frage damit in Zusammenhang steht: Bei
der Bewegung eines Planeten um die Sonne gibt es sowohl den Bahndrehimpuls
l D r  p der Bewegung als auch den Drehimpuls s, der aus der Eigenrotation des

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 237


J.-M. Schwindt, Tutorium Quantenmechanik, DOI 10.1007/978-3-662-49399-1_9
238 9 Spin

Planeten resultiert. Das Atom wurde lange Zeit als eine Art quantisiertes Miniatur-
Sonnensystem angesehen. Für den Bahndrehimpuls l haben wir in den Quantenzah-
len l; m eine Entsprechung gefunden, die zwar keinen exakten Drehimpulsvektor
liefert, aber immerhin einen Eigenwert für den Betrag und die z-Komponente, mehr
war nicht zu machen. Man kann sich fragen, ob die Eigenrotation s auch eine QM-
Entsprechung z. B. für ein Elektron hat. Man muss sich sowohl im Fall von l als
auch von s klarmachen, dass es sich nur um Analogien handeln kann. Ein Elek-
tron ist kein kleines Kügelchen. Weder bewegt es sich im wörtlichen Sinn um den
Atomkern noch um sich selbst.
Es gab schon in den 1920er Jahren zwei Hinweise, die ein solches Äquivalent
der Eigenrotation nahelegten. Beide basieren auf der Tatsache, dass eine rotieren-
de Ladung ein magnetisches Moment  erzeugt, das mit einem äußeren Magnet-
feld wechselwirkt. Das eine Experiment ist der berühmte Stern-Gerlach-Versuch,
bei dem Strahlen von Atomen in einem z-abhängigen äußeren Magnetfeld B D
B.z/ez abgelenkt werden. Die Ablenkung ist proportional zur z-Komponente des
magnetischen Moments, z , und der Strahl wird dadurch nach den verschiedenen
z -Werten aufgespalten. (Wir werden im Kap. 10 über Elektromagnetismus genau-
er auf die Details der Wechselwirkung eingehen.) Das Experiment ergibt, dass selbst
bei l D 0 noch ein magnetisches Moment besteht, und zwar mit zwei möglichen
z-Komponenten, was eine Art Eigenrotation, einen Spin des Elektrons nahelegt,
mit Eigenschaften, wie man ihn für die Quantenzahl l D 1=2 erwarten würde: zwei
mögliche m-Werte, m D ˙1=2.
Der andere Befund ergibt sich aus dem anomalen Zeeman-Effekt: In einem
äußeren konstanten Magnetfeld B D Bez werden die Energieniveaus des Wasser-
stoffatoms weiter aufgespalten. Unterschiedliche m-Werte führen zu unterschied-
lichen z -Komponenten und daher zu unterschiedlicher Wechselwirkungsenergie
mit B. Die Aufspaltung entspricht aber nicht dem, was man aus den möglichen
Bahndrehimpulsen erwarten würde. Wieder deutet alles auf eine Art „Eigenrota-
tion“ des Elektrons hin, mit zwei möglichen Werten für die Komponente in einer
gegebenen Richtung.

Für die verallgemeinerten Drehimpulse hat sich folgende Schreibweise durch-


gesetzt: Man verwendet wie bisher den Buchstaben L für Operatoren, die den
Bahndrehimpuls beschreiben, und S für die Operatoren des Spins. Zusätzlich ver-
wendet man den Buchstaben J (J wie Joker), der für jede Art von Drehimpuls
stehen kann: für Spin, Bahndrehimpuls oder auch eine Kombination von beidem,
solange nur die charakteristischen Kommutator-Relationen

 X
3

Ji ; Jj D i„ ij k Jk ; J2 ; J i D 0 (9.2)
kD1

erfüllt sind. Je nachdem, welcher Buchstabe für die Operatoren verwendet wird,
wird die Quantenzahl l durch j oder s ersetzt. Der Name der Quantenzahl für
Lz =Sz =Jz bleibt aber immer m.
9.1 Spin 1/2 und Spin 1 239

Im Folgenden werden wir mehrfach die Relationen (7.61), (7.62) für die Auf-
und Absteigeoperatoren benötigen. Daher schreiben wir sie hier – mit J statt L –
noch einmal auf:
p
JC jj; m; ˛i D „ .j  m/.j C m C 1/ jj; m C 1; ˛i (9.3)
p
J jj; m; ˛i D „ .j C m/.j  m C 1/ jj; m  1; ˛i (9.4)
Überlegen wir uns, welche Eigenschaften ein Spin mit s D 1=2 haben muss (jetzt
verwenden wir also s statt l oder j ). Es gibt zwei zugehörige m-Werte, nämlich
˙1=2. Vergessen wir für einen Moment die ganzen Wellenfunktionen und stellen
fest, dass ein Hilbert-Raum, der für den Spinwert s D 1=2 Platz bieten soll, zu-
mindest zweidimensional sein muss. Nehmen wir für einen Moment an, dass der
Hilbert-Raum durch den Spin allein gekennzeichnet ist, dass er also tatsächlich nur
zweidimensional ist, H D C 2 . Dann können wir die beiden Eigenzustände für
m D ˙1=2 als Basiszustände wählen und nennen sie jzCi und jzi. Der Opera-
tor Sz hat die Eigenwerte ˙„=2, Sz also in dieser Basis die Form
!
„ 1 0
Sz D : (9.5)
2 0 1
Für die Auf- und Absteigeoperatoren ergibt sich aus (9.3), (9.4):
S jzCi D „ jzi ; S jzi D 0; SC jzCi D 0; SC jzi D „ jzCi (9.6)
und somit ! !
0 1 0 0
SC D „ ; S D „ : (9.7)
0 0 1 0
Daraus folgt
! !
1 „ 0 1 1 „ 0 i
Sx D .SC C S / D ; Sy D .SC  S / D : (9.8)
2 2 1 0 2i 2 i 0
Wir haben die Pauli-Matrizen hergeleitet!
Der Operator S2 D Sx2 C Sy2 C Sz2 muss für beide Basiszustände den Eigenwert
„2 s.s C 1/ D „2 43 haben, also
3„2
S2 D 1: (9.9)
4
Auch dieses Ergebnis haben wir somit reproduziert.
Aufgrund der experimentellen Befunde müssen die m D ˙1=2-Zustände irgend-
wie im Gesamt-Hilbert-Raum des Elektrons untergebracht werden. Sie können aber
nicht in dem Teil liegen, der durch die Wellenfunktion beschrieben wird, denn die-
se kennt nur ganzzahlige m-Werte. Stattdessen muss man den zweidimensionalen
Spinvektorraum H D C 2 durch ein Tensorprodukt mit dem Raum der Wellen-
funktionen H zu einem Gesamt-Hilbert-Raum des Elektrons verbinden:
H D H ˝ H (9.10)
240 9 Spin

Wenn jxi als Pseudo-Basis für den Raum der Wellenfunktionen H gewählt wird,
dann ist eine Basis von H durch

jx˙i D jxi ˝ jz˙i (9.11)

gegeben. Der Zustand j i des Elektrons ist dann durch zwei Wellenfunktionen
. C .r/;  .r// gegeben (bzw. eine Wellenfunktion mit zwei Komponenten). Die
Normierungsbedingung h j i D 1 lautet:
Z ! Z
  C .r/  
3
d r. C .r/;  .r//  D d 3r j C .r/j
2
Cj  .r/j
2
D 1 (9.12)
 .r/

Im einfachsten Fall betrachtet man nur Zustände, die sich als Tensorprodukt aus
einem Element von H und einem von H schreiben lassen,
!
˛
j i D j i ˝ ji ; ji D (9.13)
ˇ
C .r/ D ˛ .r/;  .r/ D ˇ .r/: (9.14)

Alle anderen, „verschränkten“ Zustände lassen sich als Linearkombination aus die-
sen gewinnen. Der Ausdruck „verschränkt“ steht in Anführungszeichen, weil man
ihn normalerweise für die Kombination mehrerer Teilchen verwendet, nicht für die
Kombination von Faktoren eines einzelnen Teilchens. Mit (9.13) kann man die Nor-
mierungsbedingung separat für j i und ji formulieren,
Z
d 3 r j .r/j2 D 1; j˛j2 C jˇj2 D 1: (9.15)

Das Phänomen des Spins besteht nicht nur für Elektronen, sondern für fast alle
Elementarteilchen. Einzige Ausnahme ist das erst kürzlich entdeckte Higgs-Boson.
Es ist das erste und einzige bekannte spinlose Elementarteilchen. Ansonsten gilt:
Die elementaren Bausteine der Materie (Elektron, Myon, Tauon, Quarks, Neutri-
nos) haben alle s D 1=2, es sind „Spin- 12 -Teilchen“. Die elementaren Überträ-
ger von Wechselwirkungen (Photon für Elektromagnetismus, Z- und W -Teilchen
für die schwache, Gluon für die starke Kernkraft) haben s D 1, es sind „ Spin-
1-Teilchen“. Für jedes Teilchen ist die Spinquantenzahl s fest, sie kann durch nichts
verändert werden, im Gegensatz zu l.

Aufgabe 9.1
Bei einem Spin-1-Teilchen hat Sz drei mögliche Eigenwerte „; 0; „. Der
zugehörige Spin-Hilbert-Raum ist also dreidimensional. Als Basis kann man
9.2 Addition von Drehimpulsen 241

wieder die Eigenzustände von Sz wählen, jzCi ; jz0i ; jzi. Wenden Sie
das gleiche Verfahren wie oben bei Spin 12 an, um die Spinoperatoren
Sx ; Sy ; Sz ; S2 in diesem Raum herzuleiten. Ergebnis:
0 1 0 1
0 1 0 0 i 0
„ „
Sx D p @ 1 A
0 1 ; Sy D p @ i 0 i A ; (9.16)
2 2
0 1 0 0 i 0
0 1
1 0 0
@
Sz D „ 0 0 0 A ; S2 D 2„2 1 (9.17)
0 0 1

9.2 Addition von Drehimpulsen

Ein in der Quantenphysik häufig auftretendes Problem ist folgendes: Gegeben sind
zwei verschiedene Sätze von Drehimpulsoperatoren J1i und J2i mit i 2 fx; y; zg,
die in unterschiedlichen Hilbert-Räumen H1 und H2 wirken, so dass der gesamte
Hilbert-Raum H des untersuchten Systems das Tensorprodukt der beiden ist,

H D H1 ˝ H2 : (9.18)
.1/
Als Operatoren im Gesamt-Hilbert-Raum wirken J1i und J2i in der Form J1i D
.2/
J1i ˝ 1 bzw. J2i D 1 ˝ J2i . Man kürzt hier jedoch ab und schreibt einfach nur
J1i bzw. J2i , sollte dabei aber immer im Hinterkopf behalten, dass der Operator
nur auf einen Faktor des Hilbert-Raums wirkt und den anderen unangetastet lässt.
Da sie in unterschiedliche Räumen wirken, kommutieren alle J1i mit allen J2i . Man
kann daher in H die Operatoren J21 , J1z , J22 , J2z simultan diagonalisieren und erhält
Eigenzustände
jj1 ; m1 I j2 ; m2 i WD jj1 m1 i ˝ jj2 m2 i : (9.19)
Wir nehmen dabei der Einfachheit halber an, dass die Drehimpulsquantenzahlen
den Zustand eindeutig charakterisieren. Das bedeutet im Fall von Bahndrehim-
pulsen, dass wir für den Hilbert-Raum statt des Raums aller quadratintegrablen
Funktionen in drei Dimensionen nur den Raum der quadratintegrablen Funktionen
von . ; / wählen, denn diese Funktionen lassen sich eindeutig nach den Kugelflä-
chenfunktionen entwickeln. Dann betrachten wir die Operatoren

Ji WD J1i C J2i WD J1i ˝ 1 C 1 ˝ J2i ; (9.20)


J WD
2
Jx2 C Jy2 C Jz2 : (9.21)
242 9 Spin

Aufgabe 9.2
a) Zeigen Sie, dass die Ji wieder Drehimpulsoperatoren sind, d. h.
 X 
Ji ; Jj D i„ ij k Jk ; J2 ; Ji D 0: (9.22)
k

b) Zeigen Sie
   
J2 ; J21 D J2 ; J22 D Ji ; J21 D Ji ; J22 D 0; (9.23)

aber  
J2 ; J1z ¤ 0; J2 ; J2z ¤ 0: (9.24)
Schreiben Sie dazu alle Tensorprodukte aus und verwenden Sie

.A ˝ B/.C ˝ D/ D .AC / ˝ .BD/: (9.25)

Aus der Aufgabe folgt, dass sich J2 simultan mit Jz , J21 und J22 diagonalisieren
lässt, nicht aber mit J1z und J2z . Daraus ergibt sich also eine andere Basis des
Hilbert-Raums H als (9.19). Diese neue Basis schreiben wir in der Form

j.j1 ; j2 /j; mi : (9.26)

Es bleibt dabei noch zu zeigen, dass die vier Operatoren J2 ; Jz ; J21 ; J22 ein vollstän-
diges System kommutierender Observablen für H bilden, dass also kein weiterer
Operator fehlt, dessen Quantenzahlen zur Spezifikation der Basiszustände zusätz-
lich nötig wären. Auch stellt sich die Frage, welche Werte j bei gegebenem .j1 j2 /
annehmen kann. Wir kommen später darauf zurück.
Die Elemente der einen Basis müssen sich als Linearkombination aus den Ele-
menten der anderen Basis ergeben. Die Quantenzahlen j1 ; j2 kommen in beiden
Basen vor. Die Linearkombination stellt sich daher folgendermaßen dar:

X
j1
X
j2
j.j1 ; j2 /j; mi D ˛.j1 ; j2 ; m1 ; m2 ; j; m/ jj1 ; m1 I j2 ; m2 i (9.27)
m1 Dj1 m2 Dj2

Das eingangs angekündigte Problem lautet: Finden Sie die Clebsch-Gordan-


Koeffizienten

˛.j1 ; j2 ; m1 ; m2 ; j; m/ D hj1 ; m1 I j2 ; m2 j.j1 ; j2 /j; m i : (9.28)

Die Lösung erweist sich als recht mühselig und lässt sich nicht in geschlossener
Form angeben. Es gibt jedoch einen allgemeinen Algorithmus, mit dem sich die
Koeffizienten sukzessive bestimmen lassen. Bevor wir diesen entwickeln, wollen
9.2 Addition von Drehimpulsen 243

wir aber noch kurz ein paar Beispiele nennen, in welchen physikalischen Situatio-
nen diese Aufgabe relevant ist:

 Wenn sich zwei Teilchen um ein gemeinsames Zentrum bewegen, z. B. die bei-
den Elektronen eines Heliumatoms, ist nach den Eigenzuständen zum Gesamt-
drehimpuls L D L1 C L2 gesucht, und wie sich diese aus den Drehimpulsen
der einzelnen Elektronen zusammensetzen. H1 und H2 sind dann jeweils Funk-
tionenräume, die von den Kugelflächenfunktionen aufgespannt werden. Die Ele-
mente von H1 sind Funktionen in den Winkelkoordinaten . 1 ; 1 / des ersten
Elektrons, die Elemente von H2 Funktionen in den Winkelkoordinaten des zwei-
ten Elektrons, . 2 ; 2 /.
 Ein Quark und ein Antiquark schließen sich zu einem Meson zusammen. Der
Spin des Mesons ergibt sich aus den Spins der einzelnen Quarks, S D S1 C S2 .
H1 und H2 sind der zweidimensionale Spinraum des ersten bzw. zweiten
Quarks.
 Im Hamilton-Operator des realen (nicht mehr naiven!) Wasserstoffatoms gibt es
aufgrund der magnetischen Wechselwirkung zwischen dem Spin des Elektrons
und dem Magnetfeld, das durch den Bahndrehimpuls des Elektrons erzeugt wird,
einen Korrekturterm
Hmag L  S; (9.29)
wobei L und S Bahndrehimpuls und Spin des Elektrons sind. Wir kommen im
Kapitel über stationäre Störungsrechnung darauf zurück. Bei der Behandlung
dieses Systems ist es von Vorteil, Eigenzustände von J2 und Jz zu betrachten, mit
J D LCS. Die Hilbert-Räume H1 und H2 sind der Raum der quadratintegrablen
Funktionen in . ; / bzw. der zweidimensionale Spinraum des Elektrons.

Wenn mehr als zwei verallgemeinerte Drehimpulse kombiniert werden sollen, muss
das Verfahren sukzessive angewandt werden,

JA D J1 C J2 ; JB D JA C J3 ; etc: (9.30)

Das ist z. B. bei den Hadronen der Fall, also Teilchen, die aus drei Quarks kom-
biniert sind (wie z. B. Proton und Neutron), oder wenn bei zwei Teilchen sowohl
Spins als auch Bahndrehimpulse miteinander kombiniert werden sollen.

Jetzt wollen wir das Verfahren entwickeln, mit dem sich die Frage nach den
Clebsch-Gordan-Koeffizienten lösen lässt. Der Unterraum von H , der nur Zustände
mit vorgegebenem j1 ; j2 enthält, ist unter den Operationen von Ji ; J2 ; J1i ; J21 ; J2i ; J22
abgeschlossen, denn alle diese Operatoren kommutieren mit J21 und J22 . Das folgt aus
(9.23) und den bekannten Eigenschaften des Drehimpulses. (Machen Sie sich das
noch einmal klar.) Jeder solche Unterraum

H .j1 j2 / D H1 .j1 / ˝ H2 .j2 / (9.31)

kann somit für unser Clebsch-Gordan-Problem separat behandelt werden. Wir neh-
men daher im Folgenden j1 und j2 als fest an.
244 9 Spin

Als Erstes wollen wir uns überlegen, welche Werte j und m annehmen können.
Für m ist die Lage relativ einfach, denn wegen Jz D J1z C J2z und ŒJ1z ; J2z  D 0
(warum ist diese letztere Bedingung nötig?) addieren sich die Eigenwerte einfach,
es ist also m D m1 C m2 bzw.

˛.j1 ; j2 ; m1 ; m2 ; j; m/ D 0 für m ¤ m1 C m2 : (9.32)

Das entspricht auch der „klassischen“ Erwartung, dass sich die z-Komponenten der
Drehimpulse einfach addieren. Der größtmögliche Wert für m ist daher j1 C j2 ,
der kleinstmögliche j1  j2 . Wie steht es mit j ? Nehmen wir o. B. d. A. an, dass
j1  j2 . Klassisch ist der Betrag der Summe zweier Vektoren höchstens die Sum-
me, mindestens die Differenz der Einzelbeträge:

juj C jvj  ju C vj  juj  jvj; (9.33)

wenn juj  jvj. In der QM der Drehimpulse käme dem die folgende Aussage am
nächsten:
j1 C j2  j  j1  j2 (9.34)
Wir wollen zeigen, dass sie tatsächlich erfüllt ist, indem wir die Anzahl der unab-
hängigen Zustände bei gegebenem m zählen. Der Wert m D j1 C j2 kann auf genau
eine Weise gebildet werden: aus m1 D j1 und m2 D j2 . Daher muss der maximale
Wert von j gerade j1 C j2 sein. Wäre er größer, dann würden auch größere Werte
von m vorkommen, wäre er kleiner, dann könnte m D j1 Cj2 gar nicht vorkommen.
Somit muss gelten:

j.j1 j2 /j1 C j2 ; j1 C j2 i D jj1 ; j1 I j2 ; j2 i (9.35)

Wir haben also auch gleich unseren ersten Clebsch-Gordan-Koeffizienten gefunden,

˛.j1 ; j2 ; m1 D j1 ; m2 D j2 ; j D j1 C j2 ; m D j1 C j2 / D 1: (9.36)

Mit dem Zustand j.j1 j2 /j1 C j2 ; j1 C j2 i muss dank der Wirkung des Absteige-
operators J auch gleich die ganze Palette der Zustände j.j1 j2 /j1 C j2 ; mi mit
j1 Cj2  m  j1 j2 in H .j1 j2 / vorkommen, und zwar genau einmal. Wir beto-
nen „genau einmal“, weil ja noch die Frage offen ist, ob die Operatoren J2 ; Jz ; J21 ; J22
ein vollständiges System kommutierender Observablen für H bilden. Da wir hier
und im Folgenden jeweils sehen, dass Zustände mit festen Werten der vier zugehöri-
gen Quantenzahlen genau einmal in H vorkommen, folgern wir, dass keine weitere
Quantenzahl zur Spezifikation des Zustands benötigt wird, dass das System dieser
vier Operatoren also tatsächlich vollständig in H ist.
Der Wert m D j1 C j2  1 kann auf zwei Weisen gebildet werden: mit .m1 D j1 ;
m2 D j2  1/ und .m1 D j1  1; m2 D j2 /. Es muss daher der Wert j D j1 C
j2  1 existieren, damit es in der j.j1 j2 /j mi-Basis einen zweiten Zustand mit m D
j1 C j2  1 gibt, aber keinen zweiten für m D j1 C j2 . Damit kommt auch die ganze
Palette der Zustände j.j1 j2 /j1 C j2  1; mi mit j1 C j2  1  m  .j1 C j2  1/
in H .j1 j2 / vor, und zwar genau einmal.
9.2 Addition von Drehimpulsen 245

Genauso geht es weiter. Der Wert m D j1 C j2  2 kann auf drei Weisen gebildet
werden: mit .m1 D j1 ; m2 D j2  2/ und .m1 D j1  1; m2 D j2  1/ und
.m1 D j1  2; m2 D j2 /. Es muss daher der Wert j D j1 C j2  2 existieren,
damit es in der j.j1 j2 /j mi-Basis einen dritten Zustand mit m D j1 C j2  2 gibt,
aber keinen dritten für m D j1 C j2  1. Damit kommt auch die ganze Palette der
Zustände j.j1 j2 /j1 C j2  2; mi mit j1 C j2  2  m  .j1 C j2  2/ in H .j1 j2 /
vor, und zwar genau einmal. Und so weiter.
Es ändert sich erst etwas, wenn wir zu m D j1  j2  1 gelangen. Jetzt kommt
zwar am „unteren Ende“ von m1 eine neue Bildungsmöglichkeit hinzu, .m1 D j1 
2j2  1; m2 D j2 /, dafür fällt „oben“ eine weg, denn .m1 D j1 ; m2 D j2  1/
ist nicht möglich, da hier der Minimalwert von m2 unterschritten wird. Die Zahl
der Zustände mit m D j1  j2  1 ist also genauso hoch wie die derjenigen mit
m D j1  j2 . Das heißt, der Wert j D j1  j2 kommt noch vor, der mit j D
j1  j2  1 aber nicht mehr, weil einfach keine weiteren Zustände mehr benötigt
werden. Genauso geht es weiter, auch die kleineren Werte von j werden nicht mehr
gebraucht. Die Ungleichung (9.34) ist also bestätigt.

Aufgabe 9.3
Die Basis fjj1 ; m1 I j2 ; m2 ig von H .j1 j2 / besteht aus .2j1 C 1/.2j2 C 1/
Zuständen. Verifizieren Sie, dass das auch für die Basis fj.j1 ; j2 /j mig gilt,
d. h., zeigen Sie

j1 Cj2
X
.2j C 1/ D .2j1 C 1/.2j2 C 1/: (9.37)
j Dj1 j2

Nun zum eigentlichen Verfahren (siehe auch Abb. 9.1). Wir starten mit (9.35)
und wenden auf beiden Seiten den Operator J D J1 C J2 an:

J j.j1 j2 /j1 C j2 ; j1 C j2 i D .J1 jj1 ; j1 i/ ˝ jj2 ; j2 i C jj1 ; j1 i ˝ .J2 jj2 ; j2 i/;


(9.38)
also mit (9.4)
p
„ 2.j1 C j2 / j.j1 j2 /j1 C j2 ; j1 C j2  1i (9.39)
p p
D „ 2j1 jj1 ; j1  1I j2 ; j2 i C „ 2j2 jj1 ; j1 I j2 ; j2  1i

bzw.

j.j1 j2 /j1 C j2 ; j1 C j2  1i (9.40)


s s
j1 j2
D jj1 ; j1  1I j2 ; j2 i C jj1 ; j1 I j2 ; j2  1i :
j1 C j2 j1 C j2
246 9 Spin

|jmax , jmax 

J−
orthog.
|jmax , jmax − 1 |jmax − 1, jmax − 1

J− J−
orthog.
|jmax , jmax − 2 |jmax − 1, jmax − 2 |jmax − 2, jmax − 2
orthog.
J− J− J−
.. .. ..
. . .
J− J− J−

|jmax , −jmax + 2 |jmax − 1, −jmax + 2 |jmax − 2, −jmax + 2

J− J−

|jmax , −jmax + 1 |jmax − 1, −jmax + 1

J−

jmax , jmax

Abb. 9.1 Grafische Darstellung des Verfahrens zur Ermittlung der Clebsch-Gordan-Koeffizienten.
Die Zustände beziehen sich auf die j.j1 j2 /j mi-Basis, wobei wir zur besseren Lesbarkeit im Bild
auf das Kennzeichen .j1 j2 / verzichtet und jmax D j1 C j2 gesetzt haben.

Das liefert uns die Koeffizienten für j D j1 C j2 , m D j1 C j2  1 und alle Werte


von m1 und m2 , wobei wie erwartet nur .m1 D j1 ; m2 D j2  1/ und .m1 D
j1  1; m2 D j2 / einen Beitrag liefern. Durch weiteres wiederholtes Anwenden
von J erhalten wir dann die Koeffizienten für j D j1 C j2 und alle Werte von m,
m1 und m2 , also für die ganze Palette der Zustände j.j1 j2 /j1 C j2 ; mi mit j1 Cj2 
m  j1  j2 .
Als Nächstes nehmen wir uns j.j1 j2 /j1 C j2  1; j1 C j2  1i vor. Genau wie
j.j1 j2 /j1 C j2 ; j1 C j2  1i kann dieser nur zwei Beiträge haben, .m1 D j1 ; m2 D
j2  1/ und .m1 D j1  1; m2 D j2 /:
j.j1 j2 /j1 C j2 ; j1 C j2  1i D ˇ1 jj1 ; j1  1I j2 ; j2 i C ˇ2 jj1 ; j1 I j2 ; j2  1i
j.j1 j2 /j1 C j2  1; j1 C j2  1i D 1 jj1 ; j1  1I j2 ; j2 i C 2 jj1 ; j1 I j2 ; j2  1i
Da die Basiszustände orthogonal sein müssen,
h.j1 j2 /j1 C j2 ; j1 C j2  1 j.j1 j2 /j1 C j2  1; j1 C j2  1 i D 0; (9.41)
folgt
ˇ1 1 C ˇ2 2 D 0: (9.42)
Wegen der Normierungsbedingung
j1 j2 C j2 j2 D 1 (9.43)
9.2 Addition von Drehimpulsen 247

lassen sich dann 1 und 2 bis auf eine frei wählbare Phase aus (9.40) ableiten:
s s
j2 j1
1 D ; 2 D  (9.44)
j1 C j2 j1 C j2

Somit kennen wir j.j1 j2 /j1 C j2  1; j1 C j2  1i. Jetzt können wir wieder J an-
wenden, um daraus j.j1 j2 /j1 C j2  1; mi für alle möglichen m-Werte abzuleiten.
Als Nächstes kommt j.j1 j2 /j1 C j2  2; j1 C j2  2i an die Reihe. Dieser Zu-
stand hat nun drei Beiträge, .m1 D j1 ; m2 D j2  2/ und .m1 D j1  1;
m2 D j2  1/ und .m1 D j1  2; m2 D j2 /, also drei unbekannte Koeffizi-
enten. Es gibt aber auch drei Bedingungen, um diese zu bestimmen: j.j1 j2 /j1 C
j2  2; j1 C j2  2i muss sowohl zu j.j1 j2 /j1 C j2 ; j1 C j2  2i als auch zu
j.j1 j2 /j1 C j2  1; j1 C j2  2i orthogonal sein; außerdem muss wieder eine Nor-
mierungsbedingung erfüllt sein. Dann geht es wieder mit J die m-Werte hinab,
anschließend geht man zum nächstkleineren j -Wert über etc.
Auf diese Weise werden schließlich alle Koeffizienten zu gegebenem .j1 ; j2 /
bestimmt. Es sei noch angemerkt, dass man natürlich genauso gut mit

j.j1 j2 /j1 C j2 ; j1  j2 i D jj1 ; j1 I j2 ; j2 i (9.45)

hätte beginnen und sich von dort aus mit JC nach oben hangeln können.

Wir wollen das Verfahren nur am einfachsten nichttrivialen Beispiel ausprobie-


ren, der Kombination zweier Spins mit s1 D s2 D 1=2. Wir erwarten drei Zustände
mit j D 1 und einen mit j D 0. Gl. (9.35) ergibt
ˇ 
ˇ 1 1
ˇ ;
ˇ 2 2 1; 1 D jzCI zCi ; (9.46)

(9.40) ergibt ˇ 
ˇ 1 1 1
ˇ ; 1; 0 D p .jzCI zi C jzI zCi/ (9.47)
ˇ 2 2
2
und (9.45) ergibt ˇ 
ˇ 1 1
ˇ ;
ˇ 2 2 1; 1 D jzI zi : (9.48)
ˇ  ˛ ˇ  ˛
Zuletzt muss ˇ 12 ; 12 0; 0 orthogonal sein zu ˇ 12 ; 12 1; 0 und somit
ˇ 
ˇ 1 1 1
ˇ ; 0; 0 D p .jzCI zi  jzI zCi/: (9.49)
ˇ 2 2 2

Wir halten fest, dass das Triplet mit j D 1 symmetrisch unter dem Austausch
der beiden Spins ist, während das Singlet antisymmetrisch ist. Diese Konstellation
hatten wir ja schon im Abschn. 2.10 über Tensorprodukte gefunden.
248 9 Spin

Aufgabe 9.4
Wenden Sie das Verfahren zur Ermittlung der Clebsch-Gordan-Koeffizienten
für andere Werte von .j1 ; j2 / an, z. B. .1; 12 /, .1; 1/, . 32 ; 12 / etc. Die Lösungen
finden Sie im Internet unter:
http://en.wikipedia.org/wiki/Table_of_Clebsch-Gordan_coefficients

Fragen zum Selbstcheck


1. Welche beiden Orthonormalbasen von welchem Hilbert-Raum werden durch
die Clebsch-Gordan-Koeffizienten miteinander verknüpft?
2. Welche Werte kann die Quantenzahl j dabei annehmen?
3. Wie setzen sich die Zustände mit j D 1 und j D 0 bei zwei Spin- 21 -Syste-
men aus den Einzelspins zusammen?

9.3 SO(3) und SU(2)

Eines der schönsten Themen, mit denen man sich als theoretischer Physiker oder
Mathematiker auseinandersetzen darf, ist das der Lie-Gruppen und Lie-Algebren.
Der Zusammenhang zwischen Spin und Drehimpuls ist tief in diesem Thema ver-
wurzelt. Auch im Standardmodell der Teilchenphysik und in den Versuchen, daraus
eine „Große Vereinheitlichte Theorie“ zu entwerfen, spielen Lie-Gruppen und Lie-
Algebren eine zentrale Rolle. Wir wollen die beiden Begriffe hier kurz entwickeln
und auf ihre Bedeutung für Spin und Drehimpuls eingehen. Um falschen Annah-
men vorzubeugen, sei gesagt: Lie war kein Chinese, sondern Norweger.

Sie erinnern sich aus der Mathematik sicher an den Begriff der Gruppe. Das
ist eine bestimmte Art von mathematischer Struktur: eine Menge G, auf der eine
Verknüpfung
G  G ! G; .g1 ; g2 / ! g3 D g1 g2 ; (9.50)
definiert ist, durch die je zwei Elementen g1 ; g2 ein Element g3 zugeordnet wird.
Dabei kann die Verknüpfung in Form einer Multiplikation geschrieben werden,
g3 D g1 g2 („multiplikative Gruppe“), oder in Form einer Addition, g3 D g1 C g2
(„additive Gruppe“). Die Schreibweise als Multiplikation ist bei abstrakten Grup-
pen, in denen die Elemente keine Zahlen sind, die gebräuchliche. Die Verknüpfung
muss folgende Axiome erfüllen:

 Assoziativität, g1 .g2 g3 / D .g1 g2 /g3 .


 Es gibt ein neutrales Element e, so dass für alle g 2 G gilt: ge D eg D g. Bei
mutiplikativen Gruppen schreibt man aus naheliegenden Gründen statt e auch 1,
bei additiven 0.
 Zu jedem g 2 G gibt es ein Inverses g 1 (bei additiven Gruppen: g), so dass
gg 1 D g 1 g D e (bei additiven Gruppen: g C .g/ D .g/ C g D 0).
9.3 SO(3) und SU(2) 249

So sind z. B. Z, Q, R, C Gruppen bzgl. Addition, Qnf0g, Rnf0g, Cnf0g bzgl. Mul-


tiplikation. (Die Null muss herausgenommen werden, da sie kein Inverses besitzt.)
Wenn die Verknüpfung auch noch kommutativ ist, g1 g2 D g2 g1 (bzw. g1 C g2 D
g2 C g1 ), dann heißt die Gruppe abelsch. Bei allen eben genannten Zahlengruppen
ist das der Fall.
Eine Gruppe heißt Lie-Gruppe, wenn sie zugleich eine Mannigfaltigkeit ist. Um
den Begriff der Mannigfaltigkeit nicht einführen zu müssen (dazu besuchen Sie am
besten eine Vorlesung über Differentialgeometrie oder allgemeine Relativitätstheo-
rie), sagen wir hier einfach: Sie ist kontinuierlich (im Gegensatz zu den endlichen
Gruppen oder dem diskreten Z) und hat „hinreichend schöne“ Eigenschaften bzgl.
Stetigkeit und Differenzierbarkeit, die uns hier nicht weiter zu interessieren brau-
chen.
Entscheidend ist der Begriff der Darstellungen einer Lie-Gruppe und der Begriff
der zur Lie-Gruppe gehörenden Lie-Algebra. Dazu schreiben wir die nötigen De-
finitionen erst mal an einem Stück herunter, um sie dann anschließend anhand von
Beispielen zu erläutern.
Eine Darstellung einer Gruppe G ist eine Kombination .G; V / aus G mit einem
Vektorraum V , auf den die Elemente von G als lineare Operatoren wirken. Ge-
nauer: Eine Darstellung T .G/ ist eine Abbildung von G in den Raum der linearen
Selbstabbildungen (Automorphismen) Hom.V; V / eines Vektorraums V :

T W G ! Hom.V; V /; (9.51)

und zwar so dass


T .g1 g2 / D T .g1 /T .g2 /: (9.52)
Bei endlichdimensionalen Vektorräumen kann man sich die T .g/ als Matrizen vor-
stellen. Auf der linken Seite von (9.52) steht dann also die Gruppenmultiplikation,
auf der rechten Seite die Matrizenmultiplikation. Die triviale Darstellung ist gege-
ben durch T .g/ D 1 für alle g 2 G.
Eine Lie-Algebra L ist ein Vektorraum, dessen Elemente lineare Operatoren
sind und der bzgl. des Kommutators dieser Operatoren abgeschlossen ist, also

A; B 2 L ) ŒA; B 2 L: (9.53)

(Man kann das auch noch abstrakter formulieren, wollen wir aber nicht.) Jedes
A 2 L lässt sich als Linearkombination von n Basisoperatoren Ei schreiben (wir
betrachten nur endlichdimensionale Lie-Algebren),

X
n
AD ˛i Ei : (9.54)
i D1

Wenn L ein Vektorraum über R bzw. C ist, also die Koeffizienten ˛i reell bzw.
komplex sind, heißt L reelle bzw. komplexe Lie-Algebra. In der Physik inter-
essiert man sich zumeist für reelle Lie-Algebren. Dabei haben wir offengelassen,
250 9 Spin

auf welchen Vektorraum V die Operatoren wirken sollen; L ist nämlich per Defi-
nition durch die Spezifikation der Kommutator-Relationen seiner Elemente, ŒA; B
für A; B 2 L, festgelegt. Wenn alle Kommutatoren 0 sind, heißt L abelsch. Auf
welchen Vektorraum V die Elemente von L wirken, ist wieder die Sache der Dar-
stellung. Die ist für L analog zu G definiert als Abbildung, die jedem „abstrakten“
Operator A eine lineare Abbildung T .A/ 2 Hom.V; V / zuordnet. Vorsicht: Wenn L
eine reelle Lie-Algebra ist, heißt das nicht, dass auch V ein reeller Vektorraum ist
oder dass die Komponenten der Matrix T .A/ reell sind!
Man kann zeigen, dass es zu jeder Lie-Gruppe G eine Lie-Algebra LG gibt, so
dass Folgendes gilt: Jedes Element g 2 G, das mit dem Eins-Element e durch einen
kontinuierlichen Weg verbunden ist (das „zur Zusammenhangskomponente der Eins
gehört“), lässt sich in der Form g D exp.A/ mit A 2 LG schreiben. Umgekehrt ist
exp.A/ 2 G für jedes A 2 LG . Die Basisoperatoren Ei von LG nennt man dann
auch die Erzeugenden von G.
Das klingt alles recht kompliziert, ist aber halb so wild, wenn man es an ein paar
Beispielen in Aktion sieht.

1. Beispiel: G D Rnf0g
Die von null verschiedenen reellen Zahlen bilden bzgl. Multiplikation eine Lie-
Gruppe. Die Menge der positiven reellen Zahlen RC bildet darin die Zusammen-
hangskomponente der Eins. Denn jede positive reelle Zahl ist durch einen kontinu-
ierlichen Weg mit der Zahl 1 verbunden; die negativen Zahlen jedoch nicht, denn
dadurch, dass die Null in G fehlt, klafft eine – wenn auch unendlich kleine – Lücke
zwischen den positiven und den negativen Zahlen, die eine direkte Verbindung zur
Eins unmöglich macht. Jede positive Zahl g kann in der Form g D exp  mit  2 R
geschrieben werden, die negativen Zahlen jedoch nicht. R ist ein eindimensionaler
reeller Vektorraum, die Lie-Algebra LG zur Lie-Gruppe G. Die Zahl 1, als Basis-
vektor des eindimensionalen Vektorraums LG D R, ist die Erzeugende von G.
Die Multiplikation der reellen Zahlen kommutiert, daher ist G und somit auch LG
abelsch.
Wenn man stattdessen die komplexen Zahlen G D Cnf0g gewählt hätte, dann
wären auch die negativen Zahlen in der Zusammenhangskomponente der Eins ent-
halten; denn dann kann man einen Weg in der komplexen Zahlenebene um die Null
herumführen. Tatsächlich lässt sich ja im Komplexen auch eine negative Zahl in
Exponentialform schreiben, z D exp.a C i/ D  exp.a/.
Zurück zum reellen G. Als Darstellung kann man jeden beliebigen Vektorraum
V D Rn oder V D C n wählen und T .g/ D g1 für g 2 G definieren, d. h., g
wirkt als das g-fache der Einheitsmatrix auf V ; Vektoren in V werden durch die
Wirkung des Operators T .g/ um den Faktor g gestreckt. Genau das Gleiche gilt für
die Darstellungen der Lie-Algebra, T ./ D 1 für  2 LG .
Auch RC für sich allein genommen bildet schon eine Lie-Gruppe, denn die Mul-
tiplikation und Division sind darin abgeschlossen. Die Lie-Algebra von RC ist die
gleiche wie die von Rnf0g, nämlich R (es fehlt ja nur die andere Zusammenhangs-
komponente, nämlich die der negativen Zahlen).
9.3 SO(3) und SU(2) 251

2. Beispiel: U.1/; SO.2/; O.2/


Reelle Lie-Gruppen (also Lie-Gruppen, die zu reellen Lie-Algebren gehören) sind
generell komplizierter als komplexe. Das liegt daran, dass man eine andere Lie-
Gruppe erhält, wenn man einige der erzeugenden Operatoren En durch iEn ersetzt
(in komplexen Lie-Algebren ist iEn automatisch enthalten, wenn En es ist, es be-
steht also kein Unterschied). Zum Beispiel bildet die Menge der Vielfachen von i,

L D u.1/ D fij 2 Rg; (9.55)

einen eindimensionalen reellen Vektorraum (der Vektorraum ist reell, obwohl er


imaginäre Zahlen enthält!), weil er aus reellen Vielfachen des Basisvektors i be-
steht. Als Vektorraum ist L zu R isomorph; als Lie-Algebra auch, weil alle Kom-
mutatoren sowieso verschwinden. Das ist bei höherdimensionalen Lie-Algebren im
Allgemeinen nicht mehr der Fall; dort macht es einen Unterschied in den Kommu-
tatoren, wenn man einen Operator mit i multipliziert.
Die Lie-Gruppe zu u.1/ ist G D U.1/, die Menge der komplexen Zahlen vom
Betrag 1,
U.1/ D fexp.i/j 2 Rg: (9.56)
U.1/ ist nicht isomorph zu RC oder Rnf0g, denn im Unterschied zu diesen ist U.1/
periodisch. Alle  C 2 n führen zum gleichen Gruppenelement. Die einfachste
nichttriviale Darstellung von U.1/ besteht für den Vektorraum C 1 , wo U.1/ einfach
durch Multiplikation wirkt, T .g/ D g. Das heißt, exp.i/ wirkt auf C als Multipli-
kationsoperator, indem es jede komplexe Zahl mit exp.i/ multipliziert, also eine
Phasenverschiebung um den Winkel  bewirkt.

Eine andere interessante Darstellung sind die Drehmatrizen in zwei Dimensio-


nen, also V D R2 und
!
cos  sin 
T .exp.i// D : (9.57)
 sin  cos 

Die zugehörige Darstellung der Lie-Algebra ist


!
0 1
T .i/ D  : (9.58)
1 0

Aufgabe 9.5
Überzeugen Sie sich, dass T .g1 g2 / D T .g1 /T .g2 / für g1 ; g2 2 U.1/ und
T .exp.i// D exp.T .i// für i 2 u.1/.

Wenn U.1/ in dieser Form auftritt, nennt man die Gruppe auch SO.2/. Beides
ist aber ein und dasselbe, U.1/ Š SO.2/. Wenn man zusätzlich zu den Drehungen
252 9 Spin

noch Spiegelungen an einer Geraden durch den Ursprung zulässt, erhält man die
Lie-Gruppe O.2/. Das ist die Gruppe aller linearen Abbildungen in zwei Dimen-
sionen, die die Länge aller Vektoren unverändert lassen. SO.2/ ist die Untergruppe
der O.2/-Elemente mit Determinante 1 (Spiegelungen haben Determinante 1).
SO.2/ verhält sich zu O.2/ wie RC zu Rnf0g. O.2/ enthält zwei Zusammenhangs-
komponenten: die der Drehmatrizen, die Determinante 1 haben und zu der auch die
Einheitsmatrix gehört, sowie die der Spiegelungsmatrizen, die Determinante 1
haben.

Eine noch interessantere Darstellung von U.1/ bzw. SO.2/ ergibt sich, wenn
man die Gruppe auf einen unendlichdimensionalen Funktionenraum loslässt, näm-
lich den Raum PR .R2 / aller Funktionen R2 ! C, die sich in Polarkoordinaten an
jeder Stelle .r; / in eine Taylor-Reihe bzgl.  entwickeln lassen,
X1
n @n
f .r;  C / D f .r; /: (9.59)
nD0
nŠ @ n

Dann definieren wir nämlich


@
T .i/ D  (9.60)
@
und somit ist
X1
n @n
T .exp.i// D exp.T .i// D (9.61)
nD0
nŠ @ n
gerade der Operator, der die Funktion f auf dem Raum R2 um den Winkel  dreht,
T .exp.i//f D fQ; fQ.r; / D f .r;  C /: (9.62)
Die Erzeugende E1 D i 2 u.1/ der Lie-Gruppe tritt hier in der Gestalt T .E1 / D @
@

auf. Das ist – bis auf einen Faktor i„ – der Drehimpulsoperator in zwei Dimen-
sionen. Man sagt daher, der Drehimpulsoperator erzeugt Drehungen.

3. Beispiel: Translationen
Die Translationen (Verschiebungen des Koordinatenursprungs) bilden eine additive
Gruppe, das neutrale Element ist die Verschiebung um den Nullvektor. Im Gegen-
satz zu den Rotationen kann man daher die Translationen im R2 nicht als Darstel-
lung einer Lie-Gruppe auffassen, denn diese wirkt per Definition durch Matrizen-
Multiplikation. Anders sieht es aus, wenn wir wieder im Funktionenraum operieren.
Die einfachste zweidimensionale reelle Lie-Algebra ist abelsch, d. h., sie wird
von zwei kommutierenden Basisoperatoren E1 ; E2 aufgespannt, ŒE1 ; E2  D 0.
Zur Darstellung betrachten wir den unendlichdimensionalen Vektorraum V D
PRx;y .R2 / aller Funktionen R2 ! C, die sich an jeder Stelle .x; y/ in eine Taylor-
Reihe entwickeln lassen, diesmal bzgl. der kartesischen Koordinaten x und y. Als
Darstellung der Lie-Algebra definieren wir nun

@ @
T .E1 / D ; T .E2 / D : (9.63)
@x @y
9.3 SO(3) und SU(2) 253

Das ist gerechtfertigt, denn die beiden partiellen Ableitungen kommutieren,


@ @ @ @
D : (9.64)
@x @y @y @x
Eine zugehörige Lie-Gruppe lässt sich durch Exponenzieren der Lie-Algebra-Dar-
stellung gewinnen (d. h., wir spezifizieren die Lie-Gruppe, indem wir eine Darstel-
lung angeben):

T .exp.˛E1 C ˇE2 // D exp.T .˛E1 C ˇE2 // (9.65)



@ @
D exp ˛ Cˇ (9.66)
@x @y
 
@ @
D exp ˛ exp ˇ (9.67)
@x @y
X1 k k X1
 @ l @l
D f .x; y/ f .x; y/ (9.68)
kŠ @x k lŠ @ l
kD0 lD0

Analog zu der oben angegebenen Taylor-Reihe bzgl.  bewirkt dieser Operator eine
Verschiebung aller Funktionen auf R2 um .˛; ˇ/,

T .exp.˛E1 C ˇE2 //f D fQ; fQ.x; y/ D f .x C ˛; y C ˇ/: (9.69)

Die Erzeugenden E1 ; E2 der Lie-Gruppe treten hier in Gestalt der partiellen Ablei-
tungen nach x und y auf. Das sind – bis auf einen Faktor i„ – die Impulsopera-
toren Px ; Py in zwei Dimensionen. Man sagt daher, die Impulsoperatoren erzeugen
Translationen. Das Gleiche gilt natürlich auch in drei und mehr Dimensionen.

4. Beispiel: Drehimpuls und Spin


Soweit hatten wir es nur mit abelschen Lie-Gruppen und Lie-Algebren zu tun.
Unser erstes nichtabelsches Beispiel ist auch schon das, worum es uns in diesem
Abschnitt hauptsächlich geht: der Zusammenhang zwischen Drehungen, Drehim-
puls und Spin.
Wir definieren die Lie-Algebra so.3/ als die dreidimensionale Lie-Algebra, für
deren drei Basisoperatoren folgende Kommutator-Relationen gelten sollen:

ŒEi ; Ej  D  ij k Ek ; (9.70)

also
ŒE1 ; E2  D E3 ; ŒE2 ; E3  D E1 ; ŒE3 ; E1  D E2 : (9.71)
Sie können leicht nachrechnen, dass eine mögliche Darstellung mit V D R3 gege-
ben ist durch
0 1 0 1 0 1
0 0 0 0 0 1 0 1 0
T3 .E1 / D @0 0 1A ; T3 .E2 / D @0 0 0 A ; T3 .E3 / D @1 0 0A :
0 1 0 1 0 0 0 0 0
(9.72)
254 9 Spin

(Wir schreiben T3 , um diese Darstellung gleich von anderen zu unterscheiden.)


Analog zu dem Zusammenhang zwischen (9.58) und (9.57) in unserem SO.2/-
Beispiel gilt hier

exp.T3 .E1 // D Rx ./; exp.T3 .E2 // D Ry ./;exp.T3 .E3 // D Rz ./;


(9.73)
wobei Rx , Ry , Rz die Rotationsmatrizen aus (2.140) sind. Eine Lie-Gruppe zur
Lie-Algebra so.3/ ist daher die Gruppe SO.3/ der Drehungen in drei Dimensionen.
Jede Drehmatrix R lässt sich in der Form

R D expŒ˛1 T3 .E1 / C ˛2 T3 .E2 / C ˛3 T3 .E3 / (9.74)

schreiben. Dabei sind die ˛i Komponenten eines Vektors in R3 , dessen Richtung die
Richtung der Drehachse und dessen Betrag der Drehwinkel ist. Man beachte, dass
aufgrund der fehlenden Kommutativität die Exponentialfunktion im Allgemeinen
nicht auseinandergezogen werden kann,

expŒ˛1 T3 .E1 / C ˛2 T3 .E2 / C ˛3 T3 .E3 /


¤ expŒ˛1 T3 .E1 / expŒ˛2 T3 .E2 / expŒ˛3 T3 .E3 /: (9.75)

Analog zu SO.2/ können wir auch wieder eine Darstellung im unendlichdimensio-


nalen Funktionenraum finden (diesmal mit Funktionen R3 ! C):

@ @
T1 .E1 / D y z (9.76)
@y @x
@ @
T1 .E2 / D z x (9.77)
@z @y
@ @
T1 .E3 / D x y (9.78)
@x @z
Sie überzeugen sich leicht, dass die Kommutator-Relationen (9.71) erfüllt sind, und
erkennen sofort den Zusammenhang mit den Drehimpulskomponenten Lk :

Lk D i„T1 .Ek / (9.79)

Genau wie in zwei Dimensionen gilt T1 .E3 / D @ @


, und exp.˛T1 .E3 // erzeugt
eine Drehung von Funktionen um die z-Achse und den Winkel ˛. Da die gesamte
Situation rotationssymmetrisch ist – die Wahl der z-Richtung ist willkürlich – folgt,
dass die Darstellung eines allgemeinen Gruppenelements

T1 .g/ D expŒ˛1 T1 .E1 / C ˛2 T1 .E2 / C ˛3 T1 .E3 / (9.80)

eine Drehung der Funktionen um die Achse ˛=j˛j und den Winkel j˛j bewirkt.
Auch in drei Dimensionen können wir also sagen, dass der Drehimpuls Drehungen
erzeugt.
9.3 SO(3) und SU(2) 255

Es sei noch angemerkt, dass auch SO.3/ sich durch Hinzufügen von Spiege-
lungen mit Determinante 1 zu einer Lie-Gruppe O.3/ ausbauen lässt, die zwei
Zusammenhangskomponenten besitzt, welche wieder durch das Vorzeichen der
Determinante bestimmt sind.

Eine weitere Darstellung der Lie-Algebra so.3/ besteht mit V D C 2 und


! ! !
1 0 i 1 0 1 1 i 0
T2 .E1 / D ; T2 .E2 / D ; T2 .E3 / D :
2 i 0 2 1 0 2 0 i
(9.81)
(Rechnen Sie die Kommutator-Relationen nach!) Man sieht sofort: Es handelt sich
bis auf einen Faktor i=2 um die Pauli-Matrizen,

i
T2 .Ek / D k : (9.82)
2
Das Exponenzieren der Erzeugenden ergibt in dieser Darstellung (bitte nachrech-
nen!):
!
cos ˛2 i sin ˛2
expŒ˛T2 .E1 / D (9.83)
i sin ˛2 cos ˛2
!
cos ˛2 sin ˛2
expŒ˛T2 .E2 / D (9.84)
 sin ˛2 cos ˛2
˛
!
ei 2 0
expŒ˛T2 .E3 / D ˛ (9.85)
0 e i 2

Entscheidend ist, dass ˛ auf der rechten Seite immer mit dem Faktor 1=2 auftritt.
Das hat zur Folge, dass die so erzeugte Lie-Gruppe periodisch mit der Periode 4
ist, im Gegensatz zur SO.3/, die periodisch mit der Periode 2 ist. Die Lie-Algebra
ist in beiden Fällen dieselbe, aber die Lie-Gruppe ist eine andere! Sie heißt SU.2/.
Es ist die Gruppe der unitären Abbildungen, die den Betrag jedes zweidimensio-
nalen komplexen Vektors invariant lassen.
Bereits in Abschn. 2.6 hatten wir ja solche unitären Abbildungen untersucht.

Wenn Sie vergleichen, sehen Sie, dass expŒ2˛T2 .Ei / gerade Ui .˛/ D exp.i˛i /
entspricht. (Die Komponenten eines Spinzustands transformieren sich bei einer pas-

siven Transformation mit Ui , nicht mit Ui !) Wir hatten festgestellt, dass eine solche
unitäre „Drehung“ mit einer Drehung des Spinvektors um den doppelten Winkel
einhergeht.
P Jetzt sehen wir den tieferen Grund: Das gleiche Lie-Algebra-Element
˛i Ei führt in beiden Darstellungen – durch Exponenzieren zu einem Element
der jeweiligen Lie-Gruppe erhoben – zu einer Drehung (bzw. deren unitärer Ent-
sprechung), aber im Falle von SU.2/ ist der Winkel halbiert. Oder anders herum:
Der Winkel der zugehörigen Drehung in drei reellen Dimensionen ist doppelt so
groß.
256 9 Spin

Es ist ein experimenteller Befund, dass der Spin mit einem magnetischen Mo-
ment  einhergeht, einem Vektor in unserem dreidimensionalen Raum. Wenn man
das Koordinatensystem
P in diesem dreidimensionalen Raum dreht, mit der Matrix
exp .P ˛i T3 .Ei //, dann muss man immer auch eine entsprechende Transformation
exp . ˛i T2 .Ei // auf den Spinzustand anwenden, damit die Beziehung zwischen
Spin und magnetischem Moment erhalten bleibt. Also ist der in (2.139) auftretende
Vektor ˇ tatsächlich ein Vektor in dem dreidimensionalen Raum, in dem wir leben
(und nicht etwa nur in einem abstrakten Raum „innerer“ Freiheitsgrade, wie z. B.
bei der „Farbe“ der Quarks). Wegen der Periodizität von 4 könnte man daher sa-
gen, dass man ein Elektron zweimal komplett im Kreis herumdrehen muss, damit
sein Spinvektor wieder derselbe ist. Das gilt allerdings nicht für den Spinzustand.
Hier wird die Unterscheidung zwischen Vektor und Zustand wichtig. Eine Drehung
um 2 verwandelt den Spinvektor ji in  ji. Diese beiden Vektoren stellen aber
denselben Zustand dar. Alles hat also seine Richtigkeit: Nachdem man das Elektron
einmal im Kreis herumgedreht hat, sieht es so aus wie vorher.

Symmetrien und Erhaltungsgrößen


Wir haben gesehen, dass bestimmte Operatoren bestimmte Transformationen im
Funktionenraum erzeugen. Zum Beispiel erzeugt Lz Drehungen um die z-Achse,
i
e „ ˛Lz f .r; / D f .r; ;  C ˛/; (9.86)

und Px erzeugt Verschiebungen in x-Richtung,


i
e „ ˛Px f .x; y; z/ D f .x C ˛; y; z/: (9.87)

Das gilt natürlich insbesondere auch für Wellenfunktionen. Dadurch kommt ein Zu-
sammenhang zwischen Symmetrien und Erhaltungsgrößen zustande, den Sie viel-
leicht aus der klassischen Physik unter dem Namen Noether-Theorem kennen. In
der QM ist eine Größe a erhalten, wenn der zugehörige hermitesche Operator A
mit dem Hamilton-Operator kommutiert, ŒA; H  D 0. Daraus folgt dann für zwei
Zustände j 1 i, j 2 i:
D E D E
 i ˛A i i i
1e „ jH j e „ ˛A 2 D 1 jH j e  „ ˛A e „ ˛A 2 D h 1 jH j 2 i (9.88)

Das heißt: Wenn man alle Zustände mit exp.i˛A=„/ transformiert,


ˇ ˛
j i ! ˇ Q D e „ ˛A j i ;
i
(9.89)

dann bleiben alle Matrixelemente von H erhalten,


˝ ˛
Q1 jH j Q2 D h 1 jH j 2i : (9.90)

Eine solche Invarianz von H unter bestimmten Transformationen nennt man eine
Symmetrie des Systems. Wir haben also gezeigt, dass eine Erhaltungsgröße immer
9.3 SO(3) und SU(2) 257

zu einer Symmetrie führt. Die Umkehrung gilt auch, denn wenn (9.88) für alle j 1 i,
j 2 i erfüllt ist, muss ŒA; H  D 0 sein.
Wenn also H mit Lz kommutiert, dann folgt, dass das System invariant unter
den von Lz erzeugten Transformationen, also unter Drehungen um die z-Achse ist.
Wenn H mit allen Impulsen Pi kommutiert (was nur bei konstantem Potential der
Fall ist), dann ist das System invariant unter Translationen (genau das bedeutet ja
auch die Konstanz des Potentials).
Elektromagnetische Wechselwirkung
10

Es wird gezeigt, wie der Elektromagnetismus sich in der QM darstellt. Dadurch erhal-
ten wir Einblicke in die tiefere Bedeutung der Eichinvarianz. Der Aharanov-Bohm-Effekt
demonstriert, wieso das Vektorpotential in der QM viel realer ist als in der klassischen
Elektrodynamik.

Für ein Teilchen mit der Ladung q in einem konstanten elektrischen Feld E kann
man die Wechselwirkung noch durch ein skalares Potential

V .r/ D q.r/; E.r/ D r.r/ (10.1)

beschreiben. Sobald Zeitabhängigkeit oder Magnetfelder ins Spiel kommen, wird


aber auch ein Vektorpotential A.r/ benötigt, für das es in unserer bisherigen Form
der Schrödinger-Gleichung noch keinen Platz gibt.
Wir werden im ersten Abschnitt die Hamilton-Funktion eines geladenen Teil-
chens in einem ort- und zeitabhängigen elektromagnetischen Feld herleiten, und
daraus den Hamilton-Operator. Das Vektorpotential erscheint dort als eine Modifi-
kation des Impulsoperators,
q
P ! P  A: (10.2)
c
Als Nächstes werden wir zeigen, wie sich die Eichsymmetrie des Elektroma-
gnetismus in der QM darstellt. Dies eröffnet eine verblüffende neue Sicht auf den
Elektromagnetismus. Es sieht so aus, dass die Natur zwingend ein elektromagneti-
sches Feld erschaffen muss, um der Schrödinger-Gleichung zu einer bestimmten
Symmetrie zu verhelfen: der Invarianz unter lokalen Phasenverschiebungen der
Wellenfunktion.
Drittens befassen wir uns mit dem magnetischen Moment, das durch Drehimpuls
bzw. Spin eines geladenen Teilchens erzeugt wird. Dieses spielt eine große Rolle
bei der Wechselwirkung zwischen Atomen, innerhalb von Atomen sowie zwischen
Atom und äußerem Magnetfeld.

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 259


J.-M. Schwindt, Tutorium Quantenmechanik, DOI 10.1007/978-3-662-49399-1_10
260 10 Elektromagnetische Wechselwirkung

Schließlich sehen wir uns einige Effekte und Experimente an, die diese Überle-
gungen stützen:

 den Zeeman-Effekt, der die Aufspaltung bzw. Verschiebung der Energieniveaus


im H-Atom bewirkt, wenn dieses einem äußeren Magnetfeld ausgesetzt wird;
 den Stern-Gerlach-Versuch, der den Elektronenspin durch die Aufspaltung eines
Strahls von Atomen in einem ortsabhängigen Magnetfeld nachweist;
 den Aharanov-Bohm-Effekt, der die Verschiebung des Interferenzmusters beim
Doppelspalt beschreibt, wenn man eine stromdurchflossene Spule hinter der
Wand mit den beiden Spalten aufstellt.

Dabei ist besonders der Aharanov-Bohm-Effekt faszinierend, weil die Teilchen vom
Magnetfeld der Spule beeinflusst werden, obwohl sie auf ihrem Weg vom Spalt zum
Schirm gar nicht mit diesem in Kontakt kommen.
Es sei noch darauf hingewiesen, dass das elektromagnetische Feld hier als klas-
sisches Feld auftritt. Die Theorie, in der sowohl die Quantennatur der geladenen
Teilchen als auch die des elektromagnetischen Feldes (Photonen) berücksichtigt
werden, ist die Quantenelektrodynamik (QED), die aber jenseits des Rahmens die-
ses Buches liegt.

10.1 Hamilton-Operator

Wir wiederholen die klassische Physik eines Teilchens mit Ladung q in einem
elektromagnetischen Feld. Das Teilchen erfährt durch die elektrische Kraft eine
Beschleunigung parallel zum E-Feld und durch die Lorentz-Kraft eine Beschleuni-
gung senkrecht zum B-Feld und zur eigenen Bewegungsrichtung,

rP
mRr D q E.r; t/ C  B.r; t/ : (10.3)
c
Die Felder werden durch ein skalares Potential  und ein Vektorpotential A ausge-
drückt,
1 @A
B D r  A; E D r  : (10.4)
c @t
Die Hamilton-Funktion h des Teilchens haben Sie vielleicht schon einmal in einer
Elektrodynamik-Vorlesung gesehen. Sie lautet
1  q 2
hD p  A C q: (10.5)
2m c

Aufgabe 10.1
Zeigen Sie anhand der Hamilton’schen Gleichungen, dass die Hamilton-
Funktion (10.5) gerade zu der Bewegungsgleichung (10.3) führt. Gehen
10.1 Hamilton-Operator 261

Sie dazu am besten komponentenweise vor, d. h., berechnen Sie xR i . Nach


Einsetzen von (10.4) in (10.3) und Auflösen des doppelten Kreuzprodukts
rP  .r  A/ mit der Regel

a  .b  c/ D b.a  c/  c.a  b/ (10.6)

hat (10.3) die Form


0 1
1 @ @ 1 X 3
@ @
mxR i D q @ Ai  C .xPj Aj  xPj Ai /A : (10.7)
c @t @xi c j D1 @xi @xj

Das Gleiche müssten Sie mit

@ @
pPi D  h; xP i D h (10.8)
@xi @pi

erhalten. Dabei müssen Sie an einer Stelle aufpassen: Wenn Sie die letzte
Gleichung nach der Zeit ableiten, um xR i zu erhalten, dann handelt es sich um
eine totale Zeitableitung, d. h. eine Zeitableitung entlang der Bewegungsrich-
tung des Teilchens, und daher gilt nach der Kettenregel

@ X @
3
APi D Ai C xPj Ai : (10.9)
@t j D1
@xj

Den zugehörigen Hamilton-Operator erhält man, indem man p ! i„r ersetzt:


1  q 2
H D i„r  A C q (10.10)
2m c

Aufgabe 10.2
Zeigen Sie, dass die Kontinuitätsgleichung für die Wahrscheinlichkeitsdichte
in Anwesenheit elektromagnetischer Felder modifiziert wird;

@ 
. /Cr jD 0 (10.11)
@t
gilt jetzt mit

„   q 
jD . r  r / A : (10.12)
2im mc
262 10 Elektromagnetische Wechselwirkung

10.2 Eichinvarianz

Die Maxwell-Gleichungen sind invariant unter der Eichtransformation

1 @
 ! 0 D   ; A ! A0 C r (10.13)
c @t
mit einem beliebigen skalaren Feld .r; t/. (Wir gehen an dieser Stelle davon aus,
dass Sie diese Transformationen bereits aus einer Elektrodynamik-Vorlesung ken-
nen. Wenn nicht, können Sie sich schnell davon überzeugen, dass E und B durch
(10.13) nicht verändert werden.) Wie steht es mit der Schrödinger-Gleichung


@ .r; t/ 1  q 2
i„ D i„r  A.r; t/ C q.r; t/ .r; t/ (10.14)
@t 2m c

unter solchen Eichtransformationen?

Wir wollen einen anderen Ausgangspunkt für unsere Diskussion nehmen, der
scheinbar nichts mit den Eichtransformationen zu tun hat. Und zwar sehen wir uns
die Schrödinger-Gleichung ohne elektromagnetisches Feld an,

@ .r; t/ „2
i„ D  .r; t/: (10.15)
@t 2m
Wir wissen, dass diese Gleichung invariant ist unter globalen Phasenverschiebun-
gen. Das heißt, wenn .r; t/ eine Lösung ist, dann ist aufgrund der Linearität der
Schrödinger-Gleichung auch
0
.r; t/ D e i  .r; t/ (10.16)

eine Lösung. Aber was, wenn wir  orts- und zeitabhängig machen, also eine lokal
variierende Phasenverschiebung einführen,
0
.r; t/ D e i .r;t / .r; t/‹ (10.17)

Das ist keine Lösung der Schrödinger-Gleichung mehr, denn auf der linken Seite
steht jetzt ein zusätzlicher Term mit der Zeitableitung von  und auf der rechten
Seite mehrere Terme mit Ortsableitungen von . Diese Terme heben sich nicht weg,
solange man keine Einschränkung für die Funktion .r; t/ vorgibt.
Aber was, wenn wir unbedingt wollen, dass das 0 in (10.17) auch die Schrö-
dinger-Gleichung löst, dass also (10.17) für beliebige Funktionen .r; t/ eine Sym-
metrietransformation auf dem Hilbert-Raum darstellt? Man kann das nur erreichen,
indem man zusätzliche Objekte in die Schrödinger-Gleichung einführt und diese
gleichzeitig mit transformiert, und zwar so, dass die sich dadurch ergebenden
zusätzlichen Terme gerade die zusätzlichen Terme aus der -Transformation auf-
heben.
10.2 Eichinvarianz 263

Es stellt sich heraus, dass der Elektromagnetismus die Lösung zu genau diesem
Problem ist. Man führt eine skalare Funktion .r; t/ und eine vektorielle Funktion
A.r; t/ in die Schrödinger-Gleichung ein wie in (10.14). Dann fordert man, dass
eine Transformation (10.17) der Wellenfunktion immer von einer Transformation
(10.13) begleitet wird, und zwar mit
„c
.r; t/ WD .r; t/: (10.18)
q
Unter diesen kombinierten Transformationen ist die Schrödinger-Gleichung invari-
ant.

Aufgabe 10.3
Setzen Sie die transformierten Größen in die Schrödinger-Gleichung (10.14)
ein und zeigen Sie, dass der Term aus der -Transformation gerade die Ver-
änderung in @t@ aufhebt, und der Term aus der A-Transformation gerade die
Veränderung in r .

Dann braucht man noch klassische Feldgleichungen, die das Verhalten der neuen
Funktionen  und A beschreiben, und die ebenfalls invariant unter der Transforma-
tion sein sollen. Es stellt sich heraus, dass die Maxwell-Gleichungen die einfachste
Möglichkeit sind. Damit sieht es so aus, dass der gesamte Elektromagnetismus
nichts anderes als die Konsequenz einer geforderten Symmetrie der Schrödin-
ger-Gleichung ist, nämlich der Invarianz unter den lokalen Phasentransformatio-
nen (10.17).

Streber-Ecke 10.1
Diese Sichtweise erweist sich als außerordentlich fruchtbar in der Teilchen-
physik. Es zeigt sich, dass sich die schwache und die starke Kernkraft auf ganz
ähnliche Weise aus der Forderung nach bestimmten Symmetrien von Wellen-
funktionen (bzw. Quantenfeldern) herleiten lassen. Das hat dazu geführt, dass
sich der Symmetrie-Begriff als grundlegendstes aller Prinzipien in der Phy-
sik etabliert hat. Ganze Horden von theoretischen Physikern waren seither
(d. h. seit den 1970er Jahren) damit beschäftigt, nach der Symmetrie zu su-
chen, die zu einer Großen Vereinheitlichten Theorie führt, die alle drei in der
Teilchenphysik relevanten Wechselwirkungen (Elektromagnetismus, schwa-
che und starke Kernkraft) in sich einschließt. Die Symmetrie wird dabei in
Form von Lie-Gruppen ausgedrückt.
Wie Sie aus dem Abschnitt über Lie-Gruppen wissen, entspricht (10.17)
der Anwendung eines Elements von U.1/ auf , und zwar an jedem Punkt
separat. Das heißt, wird hierbei von U.1/ nicht in der unendlichdimen-
sionalen Darstellung angegangen (das würde ja zu einer Rotation im Raum
264 10 Elektromagnetische Wechselwirkung

führen); sondern es wird an jedem Punkt des Raums als Zahl, d. h.


als Vektor in einem eindimensionalen Vektorraum C 1 betrachtet, und je-
dem Raumpunkt wird ein U.1/-Element e i  zugeordnet, das auf in der
eindimensionalen Darstellung wirkt. In den Theorien der Teilchenphysik
(Yang-Mills-Theorien) wird U.1/ durch andere Lie-Gruppen ersetzt. Da die-
se keine nichttrivialen eindimensionalen Darstellungen mehr haben, muss
an jedem Raumpunkt Element eines höherdimensionalen Vektorraums sein,
d. h., der Zustand j i gehört einem Hilbert-Raum an, der ein Tensorprodukt
aus dem Funktionenraum und dem eben genannten „internen“ Raum ist, ähn-
lich, wie wir das beim Spin gemacht haben.
Bei der starken Kernkraft z. B. ist die Symmetriegruppe SU.3/. Die Wel-
lenfunktionen der Quarks gehören einer dreidimensionalen Darstellung von
SU.3/ an und haben daher drei Komponenten, die in der blumigen Sprache
der Teilchenphysik mit drei Farben (Colors) assoziiert werden.

Aufgabe 10.4
Man kann zu A und  Konstanten C bzw.  addieren, ohne dass sich E oder
B ändert,

A0 .r; t/ D A.r; t/ C C;  0 .r; t/ D .r; t/ C ; (10.19)

es handelt sich also um eine Eichtransformation. Zeigen Sie, dass diese


Eichtransformation mit einer Transformation der Wellenfunktion
0
.r; t/ D e i.˛t CˇCrC/ .r; t/ (10.20)

einhergeht, mit Konstanten ˛, ˇ, die Sie bitte bestimmen, und einer beliebi-
gen Konstante . Der erste Term beinhaltet eine künstliche Verschiebung der
Energie um einen konstanten Wert durch das elektrische Potential, der zwei-
te eine künstliche Verschiebung des Impulses um einen konstanten Vektor
durch das Vektorpotential. Der dritte Term ist eine globale Phasenverschie-
bung. Überlegen Sie sich, dass der Unterschied zwischen und 0 ohne
physikalische Relevanz ist. Insbesondere ist der Impuls P D i„r hier der
Operator zum kanonischen Impuls p, für den nicht p D mPr gilt, sondern nach
der klassischen Hamilton’schen Gleichung
q
mPr D p  A: (10.21)
c
Zeigen Sie, dass der Erwartungswert der Geschwindigkeit hPri unverändert ist.
10.3 Magnetisches Moment 265

Fragen zum Selbstcheck


1. Wie sieht die Schrödinger-Gleichung in Anwesenheit eines Vektorpotenti-
als A aus?
2. Was sind Eichtransformationen von  und A?
3. Wie muss sich transformieren, damit die Schrödinger-Gleichung invariant
ist?

10.3 Magnetisches Moment

Um das magnetische Moment eines geladenen Quantenobjekts zu erhalten, rechnen


wir in der Coulomb-Eichung, r  A D 0. (Wir gehen an dieser Stelle davon aus,
dass Sie diese Eichung bereits aus einer Elektrodynamik-Vorlesung kennen. Falls
das nicht der Fall ist: Man kann bei gegebenem A immer eine Eichtransformation
finden, die die Divergenz von A aufhebt, und das Ergebnis sind  und A in der
Coulomb-Eichung.) In der Coulomb-Eichung kann der Hamilton-Operator (10.10)
umgeschrieben werden zu

„2 iq„ q2
H D C Ar C A2 C q: (10.22)
2m mc 2mc 2
Denn beim Ausmultiplizieren der Klammer in (10.10) entsteht ein Ausdruck pro-
portional zu .r  A C A  r/, der in seiner Wirkung auf eine Wellenfunktion so
zu verstehen ist:

X 3 
@ @
.r  A C A  r/ WD .Ai / C Ai (10.23)
i D1
@xi @xi
X 3

@ @ @
D Ai C Ai C Ai (10.24)
i D1
@xi @xi @xi
X
3
@
D 0 C 2Ai (10.25)
i D1
@xi
D 2.A  r/ (10.26)

In der dritten Zeile wurde die Coulomb-Eichung verwendet. Nun sei ein zeitlich und
räumlich konstantes Magnetfeld B gegeben. In der Coulomb-Eichung ist dann, bis
auf physikalisch irrelevante additive Konstanten (siehe Aufg. 10.4), die frei gewählt
werden können,
1
A.r/ D  r  B; D0 (10.27)
2
266 10 Elektromagnetische Wechselwirkung

Aufgabe 10.5
Verifizieren Sie das, indem Sie zeigen:

r  .r  B/ D 2B; r  .r  B/ D 0: (10.28)

Bei Magnetfeldern der Größenordnung, wie sie im Labor erzeugt werden kön-
nen, ist A klein gegenüber dem Impuls-Erwartungswert eines Teilchens,
q
jAj  jhPij; (10.29)
c

und daher kann der Ausdruck mit A2 in (10.22) in der Regel vernachlässigt werden.
Setzen wir (10.27) in (10.22) ein, erhalten wir

„2
H D  C Hmag (10.30)
2m
mit
iq„ iq„
Hmag D Ar D .r  B/  r (10.31)
mc 2mc
iq„ q
D B.r  r/ D  B  L: (10.32)
2mc 2mc
Dabei haben wir die Vektoridentität

.u  v/  w D v  .u  w/ (10.33)

verwendet und in i„r  r den Drehimpulsoperator L identifiziert. In der klassi-


schen Elektrodynamik ist die Wechselwirkungsenergie einer Ladungs- bzw. Strom-
verteilung mit einem konstanten Magnetfeld in erster Näherung durch

Wmag D   B (10.34)

gegeben, wobei  das magnetische Dipolmoment ist. Der Vergleich von (10.32)
und (10.34) zeigt, dass wir den Operator M des magnetischen Dipolmoments durch
q
MD L (10.35)
2mc
definieren können, so dass
Hmag D B  M: (10.36)
10.3 Magnetisches Moment 267

Wir kennen nun also den Zusammenhang zwischen Drehimpuls und magnetischem
Moment. Wenn das Magnetfeld in z-Richtung zeigt, ist nur die z-Komponente re-
levant, und die zugehörigen Eigenwerte sind
q
z D „m: (10.37)
2mc
Vorsicht! Hier taucht m einmal im Nenner als Masse auf und einmal als Magnet-
quantenzahl. (Jetzt wissen wir auch endlich, warum sie Magnetquantenzahl heißt.)
Am besten versieht man (wenn möglich) das Massen-m mit einem Index für die
Teilchenart, z. B. me für ein Elektron, um Verwechslungen zu vermeiden.

Das magnetische Moment, das von einem Spin erzeugt wird, ist leider nicht so
leicht herzuleiten. Man kann davon ausgehen, dass der zugehörige Operator Ms die
Form
qg
Ms D S (10.38)
2mc
hat, wobei g eine dimensionslose Konstante ist, der g-Faktor (wie einfallsreich!),
der ausdrückt wie stark das gyromagnetische Verhältnis
qg
 WD (10.39)
2mc
von dem entsprechenden Faktor in (10.35) abweicht. Erst in der relativistischen
Dirac-Theorie kann g für das Elektron bestimmt werden, nämlich zu ge D 2, siehe
Aufgabe 14.2. In der QED ergeben sich kleine Korrekturen zu diesem Wert, die
durch Experimente mit großer Genauigkeit bestätigt wurden.
Für das Proton hingegen ermittelt man experimentell gp 5; 6. Beim Neutron
würde man gar kein magnetisches Moment erwarten, weil es elektrisch neutral ist.
In Experimenten findet man aber auch für das Neutron ein nichtverschwindendes 
von der gleichen Größenordnung wie das des Elektrons. Das war einer der ersten
Hinweise darauf, dass das Neutron kein elementares Teilchen sein kann, sondern
eine Unterstruktur aus „kleineren“ geladenen Teilchen haben muss, den Quarks.
Das Gleiche gilt für das Proton. Wäre es elementar, müsste nach der Dirac-Theorie
auch gp D 2 sein.

Fragen zum Selbstcheck


1. Wie lautet der Zusammenhang zwischen Bahndrehimpuls und magnetischem
Moment eines Teilchens?
2. Was ist das gyromagnetische Verhältnis? Welchen Wert hat es für ein Elek-
tron?
268 10 Elektromagnetische Wechselwirkung

10.4 Effekte

In den letzten drei Abschnitten haben wir die Theorie eines geladenen Quanten-
objekts in einem elektromagnetischen Feld entwickelt. Wir wollen uns nun einige
Anwendungsbeispiele dieser Theorie ansehen.

10.4.1 Normaler Zeeman-Effekt

Der Zeeman-Effekt behandelt ein H-Atom in einem konstanten Magnetfeld B D


Bez . Gesucht wird nach den dadurch bewirkten Aufspaltungen der Energie-Eigen-
werte. Der Hamilton-Operator ist

„2 e2 eB
H D H0 C Hmag ; H0 D   ; Hmag D Lz : (10.40)
2 H r 2me c

Die Eigenzustände jnlmi zu H0 kennen wir bereits. Da Hmag nur den Operator Lz
enthält, sind die jnlmi auch Eigenzustände von Hmag . Die Eigenwerte liest man
direkt ab:
eB
Hmag jnlmi D „m jnlmi (10.41)
2me c
Insgesamt gilt also

.H0 C Hmag / jnlmi D .En.0/ C Em.mag/ / jnlmi ; (10.42)


4
me e eB
En.0/ D ; Em.mag/ D „m: (10.43)
2„2 n2 2me c

Das n2 -fach entartete Energieniveau En wird also durch das Magnetfeld in 2n1
Niveaus aufgespalten. Denn der höchste l-Wert für festes n ist l D n  1, und dazu
gehören 2l C 1 D 2n  1 Werte von m (Abb. 10.1). Die Energien für festes n; m
sind immer noch entartet, denn ein m-Wert kommt im Allgemeinen bei mehreren
l-Werten vor, nämlich für alle l mit m  l < n.

Abb. 10.1 Aufspaltung der


Energieniveaus im H-Atom
beim normalen Zeeman-Ef-
fekt. Abbildung übernommen
aus [Wachter und Hoeber
(2009)]
10.4 Effekte 269

Diese Rechnung berücksichtigt noch nicht den Spin. Im Experiment geht die
Aufspaltung noch weiter, in einer Weise, die man sich zunächst nicht erklären
konnte, weil man nichts über die Dynamik des Spins wusste. Daher heißt der hier
vorgeführte Teil des Effekts normaler Zeeman-Effekt und der Teil, der durch den
Spin hervorgerufen wird, anomaler Zeeman-Effekt.

10.4.2 Stern-Gerlach-Versuch

Beim Stern-Gerlach-Versuch (Abb. 10.2) wird auch ein Magnetfeld in z-Richtung


verwendet, seine Stärke ist aber von z abhängig, B D B.z/ez . Ein Strahl von
Atomen wird in x-Richtung durch dieses Magnetfeld geschickt. Dahinter steht ein
Schirm, der den Auftreffpunkt des Atoms registriert. Wir wollen der Einfachheit
halber annehmen, dass es sich um Wasserstoffatome im Grundzustand handelt,
.n; l; m/ D .0; 0; 0/ (im Original wurde der Versuch mit Silberatomen durchge-
führt). Das magnetische Moment der Atome wird also ausschließlich durch den
Spin des Elektrons erzeugt (das Proton ist durch die Elektronenhülle abgeschirmt),
ege
Ms D  S; ge 2: (10.44)
2me c
Die Wechselwirkungsenergie ist durch folgenden Operator gegeben:
ege
Hmag D Mz B.z/; Mz WD .Ms /z D  Sz (10.45)
2me c
Entscheidend ist, dass Hmag für einen Eigenzustand des Spins einem z-abhängigen
Potential entspricht,
ege „
V .z/ D ˙ B.z/: (10.46)
2me c 2

x
y

Abb. 10.2 Stern-Gerlach-Versuch: Aufspaltung eines Strahls von Atomen im inhomogenen Ma-
gnetfeld
270 10 Elektromagnetische Wechselwirkung

Dies führt zu einer Kraft Fz D @V .z/=@z. Da sich die Erwartungswerte der Atom-
Positionen hri wie in der klassischen Mechanik verhalten, werden die Atome nach
oben oder unten beschleunigt, je nach Wert des Spins. Der Strahl wird daher in zwei
Teilstrahlen aufgespalten. Das Experiment bewirkt dadurch eine Messung des Spins
durch das Magnetfeld. Dadurch wird jedes der Elektronen „gezwungen“, sich für
einen der beiden Sz -Eigenzustände zu entscheiden.
Da wegen l D 0 keine Aufspaltung aufgrund des Drehimpulses zu erwarten war,
konnte von dem Messergebnis auf die Existenz eines Spins geschlossen werden, der
in einer gegebenen Richtung zwei mögliche Werte annehmen kann.

10.4.3 Aharanov-Bohm-Effekt

Wir betrachten einen Doppelspalt-Versuch mit Elektronen, bei dem zusätzlich hin-
ter der Wand mit den Spalten eine Spule liegt, die ein Magnetfeld beherbergt,
sobald man eine Spannung anlegt (Abb. 10.3). Der magnetische Fluss ist senk-
recht zu der Ebene, in der sich die Elektronen bewegen. Wir wollen zeigen, dass
sich das Interferenzmuster auf dem Schirm verschiebt, wenn man das Magnetfeld
einschaltet; und zwar auch für solche Punkte auf dem Schirm, für die keiner der
beiden möglichen Wege des Elektrons mit dem Magnetfeld in Berührung kommt,
d. h., beide Wege laufen an der Spule vorbei (siehe Bild). Der Grund hierfür ist,
dass Elektronen anders als klassische Objekte direkt mit dem Vektorpotential A in
Wechselwirkung stehen, siehe Schrödinger-Gleichung (10.14). Das Vektorpotential
verschwindet nicht außerhalb der Spule, anders als das Magnetfeld B. In der klassi-
schen Elektrodynamik ist A nur eine Hilfsgröße. In der QM ist A in einem gewissen
Sinn „real“ .
Zunächst wollen wir an den Satz von Stokes und seine Anwendung auf das Vek-
torpotential erinnern. Allgemein gilt
I Z
d r  u.r/ D d F  .r  u/.r/: (10.47)
@F F

Dabei ist F eine Fläche, d F das zugehörige Flächenelement, @F der Rand der Flä-
che und d r das zugehörige Linienelement. Mit der Definition des magnetischen
Flusses Z
˚m D d F  B (10.48)
F
folgt daraus für A I
d r  A D ˚m : (10.49)
@F
In unserer Konstellation verschwindet B außerhalb der Spule. Nach einem Satz aus
der Vektoranalysis existiert dann in diesem Bereich eine Funktion .r/, so dass man
A.r/ in diesem Bereich in der Form
A D r (10.50)
10.4 Effekte 271

Abb. 10.3 Versuchsaufbau zum Aharanov-Bohm-Effekt. Abbildung übernommen aus [Wachter


und Hoeber (2009)]

schreiben kann. Kann man nun nicht einfach A durch eine Eichtransformation mit
der Funktion  auf null setzen? Wenn das Magnetfeld ausgeschaltet ist, ja. Wenn
es angeschaltet ist, dann nicht, denn A soll am Spulenrand stetig und sogar diffe-
renzierbar sein. Wenn A im Innern der Spule nicht so gewählt werden kann, dass
es am Rand verschwindet, kann man es auch außen nicht auf null setzen. In jeder
Eichung muss (10.49) gelten, daher kann A am Rand der Spule nicht verschwin-
den. Wir setzen also bei ausgeschaltetem Magnetfeld A D 0, bei eingeschaltetem
Magnetfeld A D r.
Nun lässt sich  durch A ausdrücken, indem man (10.50) von einem beliebigen
Punkt r0 aus per Linienintegral integriert,

Zr
.r/ D d r0  A.r0 /: (10.51)
r0

Man kann sich leicht überlegen, dass analog zu den Eichtransformationen Folgen-
des gilt: Wenn .r; t/ die Schrödinger-Gleichung mit A D 0 löst (Magnetfeld
ausgeschaltet), dann löst
 e 
0
.r; t/ D exp i .r/ .r; t/ (10.52)
„c
die Schrödinger-Gleichung mit A D r. Wir wählen für r0 den Ort der Elektro-
nenquelle.
Zunächst sei das Magnetfeld ausgeschaltet. Der Doppelspalt bewirkt hinter der
Wand eine Aufspaltung der Wellenfunktion in zwei Teile: 1 ist der Teil, der sich
aus dem Strömen der Wahrscheinlichkeitswelle aus dem ersten Spalt ergibt, 2
entsprechend der aus dem zweiten. Das Interferenzmuster bzw. die Aufenthalts-
wahrscheinlichkeit der Elektronen an einem bestimmten Ort auf dem Schirm ist
durch die Interferenz der beiden Teilwellen gegeben,

.r/ D 1 .r; t/ C 2 .r; t/: (10.53)


272 10 Elektromagnetische Wechselwirkung

Mit eingeschaltetem
R R Magnetfeld ändert sich nach dem Gesagten folgendermaßen
(wobei 1 bzw. 2 das Linienintegral entlang von Weg 1 bzw. Weg 2 bedeutet):
0 0 0
D 1 C 2
0 1 0 1
Z Z
e e
D exp @i d r0  AA 1 C exp @i d r0  AA 2
„c „c
1 2
0 18 2 0 13 9
Z < Z Z =
e e
D exp @i d r0  AA C exp 4i @ d r0  A  d r0  AA5
„c : 1 „c
2
;
1 1 2
0 1
Z
 I
e e
D exp @i d r0  AA 1 C exp i d r0  A 2
„c „c
1
0 1
Z h  e  i
e
D exp @i d r0  AA 1 C exp i ˚m 2
„c „c
1

Die relative Phase zwischen 10 und 20 hat sich also um e


„c ˚m verschoben, wodurch
sich auch das Interferenzmuster verschiebt.

Fragen zum Selbstcheck


1. Was ist der normale Zeeman-Effekt?
2. Wie funktioniert der Stern-Gerlach-Versuch? Was zeigt er?
3. Was ist der Aharanov-Bohm-Effekt?
Störungstheorie
11

Wir erfahren den Nutzen von divergenten Potenzreihen, die uns vorgaukeln, sie würden
konvergieren. Sie helfen uns QM-Probleme zu lösen, die sich nicht exakt lösen lassen. Am
Ende führt uns das sogar zur Goldenen Regel.

Es gibt nur wenige quantenmechanische Fragestellungen, die sich mit einem ge-
schlossenen Ausdruck exakt lösen lassen. In den meisten Fällen muss man sich
mit Näherungsverfahren begnügen. Das verbreitetste Verfahren ist hierbei die Stö-
rungstheorie. Diese setzt damit an, dass man zunächst einen einfachen Hamilton-
Operator H0 hat, dessen exakte Eigenwerte und -zustände man kennt. Diesem Ha-
milton-Operator wird ein zweiter, „kleinerer“ Hww hinzuaddiert, der eine Wechsel-
wirkung beschreibt, die H0 „stört“. Wir schreiben Hww in der Form Hww D H1 ,
mit einem dimensionslosen Parameter , nach dem wir die Störungen der Zustände
und Eigenwerte in Potenzreihen entwickeln wollen. Diese Potenzreihen konvergie-
ren im Allgemeinen nicht (haben oft sogar Konvergenzradius 0), liefern aber nach
einigen Reihengliedern trotzdem exzellente Näherungen, d. h., es handelt sich um
asymptotische Reihen.
Man unterscheidet zwischen stationärer und zeitabhängiger Störungstheorie.
Im ersten Fall ist H1 zeitlich konstant. Hier geht es um die Veränderungen der
Eigenwerte und Eigenzustände gegenüber denen von H0 . Ein einfaches Beispiel
dieser Art haben wir mit dem normalen Zeeman-Effekt bereits kennengelernt. Im
zweiten Fall ist H1 zeitabhängig, und es sollen Übergangsraten zwischen Eigenzu-
ständen von H0 berechnet werden.
Es gibt noch andere Näherungsverfahren, die hier aber nicht behandelt werden.
Am bekanntesten sind noch das WKB-Verfahren und das Variationsverfahren. Hier-
zu verweisen wir auf die Literatur.

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 273


J.-M. Schwindt, Tutorium Quantenmechanik, DOI 10.1007/978-3-662-49399-1_11
274 11 Störungstheorie

11.1 Stationäre Störungstheorie

11.1.1 Entwicklung nach Störparameter


ˇ ˛
Gegeben sei ein „ungestörter“ Hamilton-Operator H0 , dessen Eigenzustände ˇj .0/
.0/
und Eigenwerte Ej bekannt sind. Wir gehen davon aus, dass die Energieniveaus
.0/ .0/
entartet sein können, d. h., es kann Ej1 D Ej2 sein. Wir verwenden j hier zum
Durchnummerieren der Zustände, nicht der Eigenwerte. Dann fügen wir eine Stö-
rung zu H0 hinzu,
H D H0 C Hww D H0 C H1 : (11.1)
Dabei beschreibt Hww eine Wechselwirkung. Ein Beispiel ist Hmag im normalen
Zeeman-Effekt, Gleichung (10.40). Es wird angenommen, dass Hww „klein“ ist ge-
genüber H0 , und zwar in einem noch zu spezifizierenden Sinn. Insbesondere ziehen
wir aus Hww einen dimensionslosen Faktor  heraus, mit dessen Hilfe wir eine
Potenzreihenentwicklung der Zustände und Eigenwerte versuchen wollen, Hww D
H1 . Im Falle des normalen Zeeman-Effekts können wir z. B. H1 D 2m eB0
ec
Lz mit
einer beliebigen Magnetfeldstärke B0 und  D B=B0 setzen, wobei B die tatsäch-
liche Magnetfeldstärke ist. Der Parameter  hat keinerlei physikalische Bedeutung,
er muss auch nicht „klein“ sein. Er dient uns nur rein formal als Variable, nach
deren Potenzen entwickelt wird.
Die Eigenwertgleichung für den gesamten Hamilton-Operator lautet

.H0 C H1 / jj i D En jj i : (11.2)

Wir wollen uns dabei vorstellen, dass zunächst  D 0 ist und dann kontinuierlich
auf einen endlichen Wert erhöht oder verringert wird ( kann auchˇ negativ sein),
˛
wodurch die Eigenwerte Ej nach Ej und die Eigenvektoren von ˇj .0/ nach jj i
.0/

verschoben werden. Ej und jj i werden dadurch zu Funktionen von , und wir


versuchen einen Potenzreihenansatz
.0/ .1/ .2/
Ej D Ej C Ej C 2 Ej C    (11.3)
ˇ ˛ ˇ ˛ ˇ ˛ 
jj i D N./ ˇj .0/ C  ˇj .1/ C 2 ˇj .2/ C    : (11.4)

Dabei ist N./ eine Normierungskonstante,ˇ die ˛wir vor die Klammer stellen, damit
ˇ ˛
innerhalb der Klammer der Koeffizient
ˇ .0/ ˛ von ˇj .0/ immer 1 bleiben kann. Jedes ˇj .i /
lässt sich wieder in der Basis ˇj ausdrücken, d. h., für i > 0 ist
ˇ .i /˛ X .i / ˇ .0/ ˛
ˇj D ˛ ˇk : (11.5)
k
k¤j
ˇ ˛ ˇ ˛
Dabei haben wir auch
ˇ .inoch vorausgesetzt, dass ˇj .i / keinen
ˇ Beitrag von ˇj .0/ ent-
˛ ˛
hält. Denn bei den ˇj / soll es sich um Korrekturen zuˇ ˇj .0/ handeln, die daher
ˇ .0/ ˛ ˛
als Vektoren senkrecht auf ˇj stehen. Ein Beitrag ˇj .0/ kann immer von der
Normierungskonstanten N./ absorbiert werden.
11.1 Stationäre Störungstheorie 275

Diesen Ansatz setzen wir jetzt in die Eigenwertgleichung (11.2) ein und verglei-
chen Terme gleicher Ordnung in . Der Ausdruck nullter Ordnung entspricht der
Gleichung des ungestörten Hamilton-Operators,
ˇ ˛ .0/ ˇ ˛
H0 ˇj .0/ D Ej ˇj .0/ : (11.6)

Interessanter wird es ˇin der


˛ ersten Ordnung. ˇHier ˛ erhält man auf der linken Seite
einen Beitrag von H0 ˇj .1/ und einen von H1 ˇj .0/ , auf der rechten Seite einen von
.0/ ˇ ˛ .1/ ˇ ˛
Ej ˇj .1/ und einen von Ej ˇj .0/ , insgesamt also
X .1/ ˇ ˛ ˇ ˛ X .1/ ˇ ˛ .1/ ˇ ˛
˛k ˇk .0/ C H1 ˇj .0/ D Ej ˛k ˇk .0/ C Ej ˇj .0/ :
.0/
H0 (11.7)
k¤j k¤j

ˇ ˛
In zweiter Ordnung gibt es links einen Beitrag von H0 ˇj .2/ und einen von
ˇ .1/ ˛ ˇ ˛ .1/ ˇ ˛
H1 ˇj , auf der rechten Seite einen von Ej ˇj .2/ , einen von Ej ˇj .1/ und
.0/

.2/ ˇ ˛
einen von E ˇj .0/ , insgesamt also
j

X .2/ ˇ ˛ ˇ ˛
H0 ˛k ˇk .0/ C H1 ˇj .1/ (11.8)
k¤j
X .2/ ˇ ˛ X .1/ ˇ ˛ .2/ ˇ ˛
˛k ˇk .0/ C Ej ˛k ˇk .0/ C Ej ˇj .0/ :
.0/ .1/
D Ej
k¤j k¤j

.i / .i /
Und so weiter. Um aus diesen Gleichungen iterativ die Ej und ˛k zu bestimmen
(das sind die Unbekannten in den Gleichungen), nutzen wir die˝ Orthogonalität
ˇ der
Basiszustände. Zuerst multiplizieren wir (11.7) von links mit j .0/ ˇ und erhalten

.1/ ˝ ˛
Ej D j .0/ jH1 j j .0/ : (11.9)

In vielen Fällen ist das schon alles, was man wissen will. Die Sache hat noch einen
.1/
kleinen Haken, auf den wir gleich kommen.˝ .0/ ˇ Zur Bestimmung von ˛k mit k ¤ j
multiplizieren wir (11.7) von links mit k ˇ und erhalten

.1/ .0/ ˝ ˛ .1/ .0/


˛k Ek C k .0/ jH1 j j .0/ D ˛k Ej (11.10)

bzw. ˝ ˛
.1/ .0/ .0/
˛k .Ej  Ek / D k .0/ jH1 j j .0/ : (11.11)
.0/ .0/
Da ist auch schon der Haken! Bei entarteten Energieniveaus, Ej D Ek , muss
˝ .0/ ˛
k jH1 j j .0/ D 0 sein, ˇsonst wird die Gleichung inkonsistent. Wir müssen also
˛
von vornherein die Basis ˇj .0/ so wählen, dass H1 innerhalb des Eigenraums von
.0/
H0 zum Eigenwert Ej diagonal ist. Das lässt sich immer erreichen, denn innerhalb
.0/
dieses Eigenraums ist H0 D Ej 1, also ein Vielfaches der Einheitsmatrix, und
276 11 Störungstheorie

kommutiert daher mit H1 (nur innerhalb des Eigenraums, nicht insgesamt!). Für
.0/ .0/ .0/ .0/
Ej D Ek verschwinden dann beide Seiten von (11.11), und für Ej ¤ Ek
erhält man ˝ .0/ ˛
.1/ k jH1 j j .0/
˛k D .0/ .0/
: (11.12)
Ej  Ek
˝ ˇ
In zweiter Ordnung multiplizieren wir (11.8) zunächst mit j .0/ ˇ und erhalten

.2/
X .1/ ˝ .0/ ˛
Ej D ˛k j jH1 j k .0/ : (11.13)
k¤m

Das Einsetzen von (11.12) ergibt


˝ ˛
.2/
X j k .0/ jH1 j j .0/ j2
Ej D D .0/ .0/
: (11.14)
.0/ .0/ Ej  Ek
kjEj ¤Ek

˝ ˇ
Als Nächstes kann man (11.8) von links mit k .0/ ˇ, k ¤ j multiplizieren, um daraus
.2/
˛k zu ermitteln, und dann zur dritten Ordnung übergehen. Das Spiel lässt sich bis
in alle Ewigkeit fortsetzen.

Ist das nun ein gutes Näherungsverfahren? Wann lässt es sich einsetzen? Die
Frage scheint zu sein, ob die Potenzreihen in  konvergieren bzw. welchen Konver-
genzradius sie besitzen. Die schlechte Nachricht lautet: In den meisten Fällen ist
über die Konvergenz nichts bekannt, oder man weiß sogar, dass die Reihe nicht kon-
vergiert, also den Konvergenzradius null hat. Man hat es in der Störungstheorie oft
mit asymptotischen Reihen zu tun, die nach ein paar Reihengliedern erstaunlich
nahe am exakten Ergebnis vorbeischlittern, um dann wieder davon wegzudiver-
gieren. Man kann hier nur einen pragmatischen Ansatz fahren: Man rechnet die
ersten Reihenglieder aus, schaut, ob sie zunächst zu konvergieren scheinen, und
vergleicht das Ergebnis mit dem Experiment. Wenn das funktioniert, erklärt man
Hww D H1 als „hinreichend klein“ gegenüber H0 . Die gute Nachricht lautet: Es
klappt erstaunlich oft und erstaunlich gut.
˝ ˛
Das Verfahren hängt stark vom Verhalten der Matrixelemente k .0/ jH1 j j .0/ ab.
Je mehr davon für ein gegebenes j verschwinden, desto einfacher
ˇ ˛ wird die Rech-
nung. Deshalb ist es sehr hilfreich, wenn man die Basis ˇj .0/ so wählt, dass H1
darin „so diagonal wie möglich“ ist. Da hilft es weiter, wenn man einen Opera-
tor A kennt,
ˇ ˛der sowohl mit H0 als auch mit H1 kommutiert. Dann kann man
nämlich ˇj .0/ aus Eigenzuständen von A wählen (gemeinsameˇ Diagonalisierbar-
ˇ ˛
˝ ˛ ˛
keit mit H0 ) und erreicht dadurch k .0/ jH1 j j .0/ D 0, wenn ˇj .0/ und ˇk .0/ zu
unterschiedlichen Eigenwerten von A gehören. Denn dann gehört H1 jj0 i zum sel-
ben A-Eigenraum wie jj0 i, vgl. (7.33).
11.1 Stationäre Störungstheorie 277

11.1.2 Stark-Effekt

Der Stark-Effekt ist das elektrische Pendant zum Zeeman-Effekt: Ein H-Atom be-
findet sich in einem konstanten elektrischen Feld E D Eez , und wir wollen die
Verschiebung bzw. Aufspaltung der Energieniveaus bestimmen. Die Störung Hel
besteht im elektrischen Potential  D Ez, dem das Elektron des H-Atoms aus-
gesetzt ist (das Proton ist durch das Elektron abgeschirmt und merkt nichts vom
elektrischen Feld),
Hel D eEZ: (11.15)
Wir setzen H1 D eE0 Z mit einer beliebigen Feldstärke E0 und somit  D E=E0 .
(Es ist egal, ob wir in H ein kleines z oder ein großes Z verwenden. Z ist der
Ortsoperator in z-Richtung, der auf eine Wellenfunktion durch Multiplikation mit
z wirkt.) Im Gegensatz zu Hmag aus dem Zeeman-Effekt kommutiert Hel weder mit
H0 , dem Hamilton-Operator des naiven H-Atoms, noch mit L2 .

Aufgabe 11.1
Zeigen Sie

ieE0 „
ŒH0 ; H1  D  Pz ; ŒL2 ; H1  D 2ieE0 „.XLy  Lx Y /: (11.16)
m

Wenn wir mit der Basis jnlmi ansetzen, sind also alle möglichen nichtdiagona-
len Einträge hn0 l 0 m jH1 j nlmi ¤ 0 zu erwarten. Wir haben m im Bra-Teil unge-
strichen gelassen, weil H1 immerhin mit Lz kommutiert. Matrixelemente zwischen
verschiedenen m-Werten kann es also nicht geben.
Wir beschränken uns auf die Berechnung der Energiekorrekturen erster Ord-
nung, und auch das nur für n D 1 und 2. Dazu machen wir uns noch eine schöne
Eigenschaft der Wellenfunktionen nlm .r/ zunutze: Sie haben alle eine definierte
Parität, d. h., sie sind gerade oder ungerade Funktionen,

nlm .r/ D˙ nlm .r/: (11.17)

Das folgt aus den Eigenschaften der Kugelflächenfunktionen. Das Betragsquadrat


einer Funktion definierter Parität ist immer eine gerade Funktion,
 
nlm .r/ nlm .r/ D nlm .r/ nlm .r/: (11.18)

Die Funktion f .r/ D z ist ungerade, das Produkt einer geraden und einer ungeraden
Funktion ist ungerade, und das Integral über eine ungerade Funktion verschwindet.
Daraus folgt
Z

hnlm jH1 j nlmi D eE0 d 3 r nlm .r/ nlm .r/z D 0: (11.19)
278 11 Störungstheorie

In der jnlmi-Basis verschwinden also alle Diagonaleinträge von H1 ! Wenn wir uns
den Ausdruck (11.9) für die erste Energiekorrektur ansehen, könnten wir den trüge-
rischen Schluss ziehen, dass alle Korrekturen in erster Ordnung verschwinden. Für
n D 1 ist das auch richtig, aber für n D 2 kommt unser kleiner „Haken“ zum Tra-
gen. Das zweite Energieniveau ist vierfach entartet, mit den vier jnlmi-Zuständen
j2; 0; 0i, j2; 1; 1i, j2; 1; 0i und j2; 1; 1i. Unser Verfahren funktioniert nur in ei-
ner Basis dieses vierdimensionalen Unterraums, in der H1 diagonal ist. Diese Basis
müssen wir finden. Dazu schreiben wir H1 erst einmal als 4  4-Matrix in der Ba-
sis fj2; 0; 0i ; j2; 1; 1i ; j2; 1; 0i ; j2; 1; 1ig. Das ist relativ einfach, denn wir wissen
bereits, dass alle Diagonaleinträge und alle Einträge mit ungleichen m-Werten ver-
schwinden. Übrig bleibt nur
0 1
0 0  0
B0 0 0 0C
D eE0 B C
.n;l;m/
H1 jnD2 @ (11.20)
0 0 0A
0 0 0 0

mit Z

 D h2; 1; 0 jZj 2; 0; 0i D d 3r 2;1;0 .r/ 2;0;0 .r/z: (11.21)

Eigentlich müsste in der dritten Zeile der Matrix   stehen, aber wir wissen aus
unserem Studium des naiven H-Atoms, dass n;l;0 reell ist: Die Radialfunktion ist
eine reelle Funktion von r, und Ylm ist ein reelles Polynom von cos mal e i m . Für
m D 0 ist aber e i m D 1. Somit ist auch das Integral auf der rechten Seite von
(11.21) reell und somitˇ auch˛ . Damit können wir H1 jnD2 leicht diagonalisieren,
und zwar mit der Basis ˇj .0/ , j D 1; 2; 3; 4:
ˇ .0/ ˛
ˇ1 D p1 .j2; 0; 0i C j2; 1; 0i/ (11.22)
2
ˇ .0/ ˛ 1
ˇ2 D p .j2; 0; 0i  j2; 1; 0i/ (11.23)
2
ˇ .0/ ˛
ˇ3 D j2; 1; 1i (11.24)
ˇ .0/ ˛
ˇ4 D j2; 1; 1i (11.25)

In dieser Basis ist H1 jnD2 durch die Matrix


0 1
 0 0 0
B0  0 0C
D eE0 B C
.j /
H1 jnD2 @0 0 (11.26)
0 0A
0 0 0 0

gegeben. Unter den vier Zuständen ist also einer, dessen Energiewert um eE0  D
eE, und einer, dessen Energiewert um eE0  D eE verschoben wird. Zwei
Zustände bleiben, was ihren Energiewert angeht, in erster Ordnung unberührt.
11.1 Stationäre Störungstheorie 279

Aufgabe 11.2
Bestimmen Sie  durch Integration in Kugelkoordinaten. Verwenden Sie dazu
 r  r=.2a/
2;0;0 .r/ D .32a3 /1=2 2  e (11.27)
a
3 1=2 r
2;1;0 .r/ D .32a / e r=.2a/ cos : (11.28)
a
Ergebnis:
 D 3a (11.29)

.0/
Somit werden aus den vier ungestörten Zuständen mit der gleichen Energie E2
.0/
in erster Ordnung zwei Zustände, die weiterhin die Energie E2 haben, ein Zustand
.0/ .0/
mit der Energie E2  3eEa und ein Zustand mit der Energie E2 C 3eEa. Diese
Energieverschiebung ist natürlich von der Wahl von E0 unabhängig.

11.1.3 Fein- und Hyperfeinstruktur des H-Atoms

Bereits ohne äußeres E- oder B-Feld ist die Entartung der Energiezustände im
H-Atom zum Teil aufgehoben. Bei der Diskussion des naiven H-Atoms hatten wir
nämlich einige Wechselwirkungen innerhalb des Atoms vernachlässigt, insbeson-
dere die Auswirkungen des Spins. Es gibt noch weitere Korrekturen, z. B. dadurch,
dass der Impulserwartungswert des Elektrons so hoch ist, dass man die spezielle
Relativitätstheorie berücksichtigen muss.
Man kann einige Effekte ausmachen, die zu Energieverschiebungen der Größen-
ordnung 104 mal der „naiven“ Energie führen, und andere der Größenordnung
107 . Erstere sind als Feinstruktur des H-Atoms bekannt, letztere als Hyperfein-
struktur. Der Feinstruktur gehören folgende Effekte an:

 Relativistische Korrektur: Die relativistische Energie des Elektrons setzt sich


aus Massenenergie und kinetischer Energie zusammen,

p P2 P4
Hm;ki n D P 2 c 2 C m2 c 4 mc 2 C C : (11.30)
2m 8m3 c 2

Im letzten Schritt haben wir die Wurzel zur zweiten Ordnung in P 2 entwickelt.
Der erste Summand ist eine irrelevante Konstante, der zweite ist der bekannte
nichtrelativistische kinetische Term, der dritte ist die relativistische Korrektur,

P4
Hrel D : (11.31)
8m3 c 2
280 11 Störungstheorie

 Spin-Bahn-Kopplung: Die Wechselwirkung zwischen dem magnetischen Mo-


ment, das durch den Bahndrehimpuls des Elektrons hervorgerufen wird, und dem
magnetischen Moment, das durch den Spin des Elektrons hervorgerufen wird,
führt zu einem Korrekturterm
e2
HLS D L  S: (11.32)
m2 c 2 r 3
 Eine weitere Korrektur kommt durch den sog. Darwin-Term HDarwin zustan-
de, dessen Ursprung etwas schwieriger zu erklären ist, weshalb wir hier darauf
verzichten.

Alle diese Terme lassen sich mithilfe der Störungstheorie in erster Ordnung in Ver-
schiebungen der Energieniveaus umrechnen.
Die Hyperfeinstruktur schließlich ergibt sich aus der Wechselwirkung zwischen
dem magnetischen Moment des Elektrons (sowohl Spin als auch Bahndrehimpuls)
und dem magnetischen Moment, das vom Spin des Protons erzeugt wird. Von der
gleichen Größenordnung ist auch der Lamb-Shift, ein Effekt, der sich erst in der
QED erklären und berechnen lässt.

Ebenfalls mit stationärer Störungstheorie behandeln lässt sich der anomale Zee-
man-Effekt, der den Elektronenspin berücksichtigt. Wer all das genauer wissen will,
sollte sich die entsprechenden Kapitel bei [Cohen-Tannoudji et al. (2010)] ansehen,
wo das Thema stationäre Störungstheorie auf 200 Seiten ausgebreitet wird.

Fragen zum Selbstcheck


1. Wann gilt ein Störungs-Hamilton-Operator Hww als „klein“ gegenüber dem
ungestörten Hamilton-Operator H0 ?
2. Wie lauten die Korrekturen zu den Energie-Eigenwerten in erster Ordnung?
3. Was muss man bei der Wahl der Basis beachten, damit das Verfahren wohl-
definiert ist?

11.2 Zeitabhängige Störungstheorie

11.2.1 Entwicklung nach Störparameter

Wieder haben wir es mit einem ungestörten Hamilton-Operator H0 zu tun, dessen


Eigenzustände jj i und Eigenwerte Ej wir kennen, und einer Störung, die aber dies-
mal von der Zeit abhängt,

H.t/ D H0 C H1 .t/: (11.33)

Man kann nun zwar zu jedem Zeitpunkt t die momentanen Eigenwerte und Eigen-
zustände von H iterativ bestimmen wie in der stationären Störungstheorie. Bloß
ist dadurch nicht viel gewonnen, weil sich die Werte und Zustände gleich wieder
11.2 Zeitabhängige Störungstheorie 281

ändern. Daher verzichtet man ganz auf dieses Verfahren, beschränkt sich auf die Ei-
genzustände von H0 und berechnet die Übergangswahrscheinlichkeiten zwischen
diesen Zuständen, die durch H1 induziert werden. Da wir keine Korrekturen zu jj i
und Ej berechnen, haben wir auf das Superskript .0/ verzichtet.
Die Aufgabenstellung ist also die folgende: Das System befinde sich zum Zeit-
punkt t D 0 im Zustand jii (ein Eigenzustand von H0 ). Wie groß ist die Wahr-
scheinlichkeit, es zum Zeitpunkt t im Zustand jf i zu finden (auch ein Eigenzustand
von H0 )? Dabei stehen i und f für initial bzw. final. Dazu machen wir den folgen-
den Ansatz:
X Ej
j .t/i D ˛j .t/e i !j t jj i ; ˛j .0/ D ıij ; !j D (11.34)
j

Die Form des Ansatzes erklärt sich daraus, dass der Faktor e i !j t aus der unge-
störten Zeitentwicklung mit H0 hervorgeht. Wenn  D 0 ist, bleiben daher alle ˛j
konstant in der Zeit. Die Zeitentwicklung von ˛j .t/ entsteht ausschließlich durch
H1 .t/. Setzt man den Ansatz (11.34) in die zeitabhängige Schrödinger-Gleichung
d
i„ j .t/i D .H0 C H1 .t// j .t/i (11.35)
dt
ein, so hebt sich auch gleich die Zeitableitung von e i !j t auf der linken Seite mit
dem H0 -Term auf der rechten Seite auf, und übrig bleibt
X X
i„ ˛Pj .t/e i !j t jj i D ˛j .t/e i !j t H1 .t/ jj i : (11.36)
j j

Wieder nutzen wir die Orthogonalität der Zustände, multiplizieren von links mit
hf j e i !f t und erhalten
X
i„˛Pf .t/ D hf jH1 .t/j j i ˛j .t/e i.!f !j /t : (11.37)
j

Wir können nun ähnlich vorgehen wie bei der Born’schen Reihe: In nullter Ordnung
.0/
ist ˛j .t/ D ıij . Eingesetzt auf der rechten Seite von (11.37), ergibt das einen
.1/
Ausdruck für die erste Näherung ˛f .t/,

i„˛Pf .t/ D hf jH1 .t/j ii e i.!f !i /t :


.1/
(11.38)

Das lässt sich integrieren zu


Zt
i
dt1 hf jH1 .t1 /j ii e i.!f !i /t1 :
.1/
˛f .t/ D ıf i  (11.39)

0

Dieser Ausdruck gilt natürlich nicht nur für f , sondern für jedes beliebige j , und
damit können wir ihn auf der rechten Seite von (11.37) einsetzen, um die Gleichung
282 11 Störungstheorie

.2/
für die zweite Näherung ˛f .t/ zu erhalten. Diese lässt sich wieder integrieren, und
man erhält (bitte nachrechnen)
Zt
i
dt1 hf jH1 .t1 /j ii e i.!f !i /t1
.2/
˛f .t/ D ıf i  (11.40)

0

2 Zt Zt1 X

 2 dt1 dt2 hf jH1 .t1 /j j i hj jH1 .t2 /j ii e i.!f !j /t1 e i.!j !i /t2 :
„ j
0 0

Auch dieses Spiel lässt sich bis in alle Ewigkeit weitertreiben. Auch hier wissen wir
nichts über die Konvergenzeigenschaften der Reihe in , die sich auf diese Weise
ergibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass man das System zur Zeit t im Zustand jf i
findet, nachdem es sich zur Zeit 0 im Zustand jii befand, ist nach unserem Ansatz
(11.34) gegeben durch
Wf i .t/ D j˛f .t/j2 : (11.41)
Spätestens wenn Wf i > 1 wird, wissen wir, dass wir den Gültigkeitsbereich des
Verfahrens verlassen haben. In vielen Fällen braucht man nur die erste Näherung
.1/
˛f .t/. Man geht mit Physiker-Optimismus davon aus, dass die Näherung gut ist,
.1/
solange ˛f .t/  1 (für f ¤ i). Oder dass die Näherung umso besser ist, je
kleiner t ist, denn dann hat das System noch nicht so viel Zeit gehabt, sich vom
Ausgangszustand wegzubewegen. Die Ergebnisse sind in den meisten Fällen er-
freulich gut, Physiker-Optimismus wird eben meistens belohnt. Letztlich beruht die
Methode der Feynman-Graphen in der Quantenfeldtheorie auf dem gleichen Ver-
fahren und liefert Ergebnisse auf viele Nachkommastellen genau.

11.2.2 Dirac-Bild

Vielleicht ist Ihnen schon aufgefallen, dass (11.40) eine gewisse Ähnlichkeit mit
den ersten beiden Zeilen des Ausdrucks (2.175) für den Propagator U.t; t0 / hat.
Das ist kein Zufall und lässt sich konkretisieren, wenn man zum sog. Wechselwir-
kungsbild, auch Dirac-Bild genannt, übergeht.
Das Dirac-Bild ist ein Zwischending zwischen Schrödinger-Bild und Heisen-
berg-Bild. Beim Heisenberg-Bild wurde die komplette Zeitabhängigkeit der Zu-
stände in die Operatoren verlagert. Im Dirac-Bild geschieht das nur mit dem Teil
der Zeitentwicklung, der von H0 herrührt. Der Propagator U.t; t0 / wird dazu in
zwei Faktoren zerlegt,
U.t; t0 / D U0 .t; t0 /U1 .t; t0 /: (11.42)
Im Schrödinger-Bild ist (wir erinnern uns)
j S .t/i D U.t; t0 / j S .t0 /i (11.43)
und somit
d
i„ U.t; t0 / D .H0S C H1S /U.t; t0 /: (11.44)
dt
11.2 Zeitabhängige Störungstheorie 283

Da wir zwischen den Bildern hin- und herwechseln, schreiben wir jetzt wieder das
Subskript S für Operatoren und Zustände im Schrödinger-Bild. U0 .t; t0 / definieren
wir so, dass
d
i„ U0 .t; t0 / D H0 U0 .t; t0 /; (11.45)
dt
es handelt sich also um den Propagator des ungestörten Systems. Daraus folgt zu-
nächst


d d d
i„U0 .t; t0 / U1 .t; t0 / D i„ U.t; t0 /  U0 .t; t0 / U1 .t; t0 /
dt dt dt
D .H0S C H1S .t//U.t; t0 /  H0S U0 .t; t0 /U1 .t; t0 /
D H1S .t/U0 .t; t0 /U1 .t; t0 /: (11.46)

Das Dirac-Bild wird nun definiert durch



j D .t/i D U0 .t; t0 / j S .t/i ; (11.47)

AD .t/ D U0 .t; t0 /AS .t/U0 .t; t0 /; (11.48)

wobei A ein beliebiger Operator ist. Aus der Definition von j D .t/i folgt

j D .t/i D U0 .t; t0 /U.t; t0 / j S .t0 /i (11.49)

D U0 .t; t0 /U0 .t; t0 /U1 .t; t0 / j S .t0 /i (11.50)
D U1 .t; t0 / j S .t0 /i (11.51)
D U1 .t; t0 / j D .t0 /i : (11.52)

Der Dirac-Zustand j D .t/i entwickelt sich also mit dem Propagator U1 . Aus
(11.48) folgt
H1S U0 .t; t0 / D U0 .t; t0 /H1D .t/ (11.53)
und damit wird (11.46) zu

d
i„U0 .t; t0 / U1 .t; t0 / D U0 .t; t0 /H1D .t/U1 .t; t0 / (11.54)
dt
d
) i„ U1 .t; t0 / D H1D .t/U1 .t; t0 /: (11.55)
dt

Zusammen mit (11.52) folgt das Äquivalent zur Schrödinger-Gleichung im Dirac-


Bild (nein, es ist nicht die Dirac-Gleichung!),

i„ j D .t/i D H1D .t/ j D .t/i : (11.56)

Die aus H0 folgende Zeitabhängigkeit der Zustände ist in diesem Bild also nicht
mehr vorhanden bzw. in die Operatoren verlagert.
284 11 Störungstheorie

Gl. (11.55) hat die gleiche Form wie (2.165) und lässt sich daher auf dieselbe
Weise lösen. Man erhält eine Reihe äquivalent zu (2.175):
Zt
i
U1 .t; t0 / D 1  dt1 H1D .t1 / (11.57)

t0
Zt Zt1
2
 2 dt1 dt2 H1D .t1 /H1D .t2 /

t0 t0
Zt Zt1 Zt2
i3
C 3 dt1 dt2 dt3 H1D .t1 /H1D .t2 /H1D .t3 /

t0 t0 t0

C 

Nun wollen wir ins Schrödinger-Bild zurückkehren und (11.57) in eine Reihe für
U.t; t0 / übersetzen. Dazu müssen wir

 die ganze Gleichung von links mit U0 .t; t0 / multiplizieren;


 jedes H1D .t 0 / durch U0 .t 0 ; t0 /H1S .t 0 /U0 .t 0 ; t0 / ersetzen.


 Dabei entstehen Produkte der Form U0 .t 00 ; t0 /U0 .t 0 ; t0 /. Diese sind zu ersetzen




mithilfe von

U0 .t 00 ; t0 /U0 .t 0 ; t0 / D U0 .t 00 ; t0 /U01 .t 0 ; t0 /

(11.58)
00 0 0
D U0 .t ; t /U0 .t ; t0 /U01 .t 0 ; t0 / (11.59)
D U0 .t 00 ; t 0 /: (11.60)

Damit erhält man, bis zur zweiten Ordnung in ,

Zt
i
U.t; t0 / D U0 .t; t0 /  dt1 U0 .t; t1 /H1S .t1 /U0 .t1 ; t0 / (11.61)

t0
Zt Zt1
2
 dt1 dt2 U0 .t; t1 /H1S .t1 /U0 .t1 ; t2 /H1S .t2 /U0 .t2 ; t0 /
„2
t0 t0

C

Man kann diese Gleichung folgendermaßen interpretieren: Im Term nullter Ord-


nung propagiert das System störungsfrei von t0 nach t. Im Term erster Ordnung
propagiert das System zunächst störungsfrei von t0 nach t1 . Zum Zeitpunkt t1
schlägt der gestörte Hamilton-Operator H1 zu, d. h., er transformiert den Zustand
j .t1 /i in einen neuen Zustand j 0 .t1 /i. Dieser propagiert dann wieder unge-
stört von t1 nach t. Das plötzliche Zuschlagen von H1 kann zu jedem Zeitpunkt
zwischen t0 und t geschehen, daher das Integral. Im Ausdruck zweiter Ordnung
11.2 Zeitabhängige Störungstheorie 285

schlägt H1 zweimal zu, und abgesehen von diesen zwei Momenten propagiert das
System störungsfrei. In der nächsten Ordnung hätten wir es mit einem dreimaligen
Auftritt von H1 zu tun etc.

Wie gewinnen wir aus der Gleichung (11.61) für den Propagator unsere Glei-
.2/
chung (11.40) für die Übergangsamplitude in zweiter Näherung ˛f zurück? Aus
(11.34) folgt
hf j .t/ i D ˛f .t/e i !f t : (11.62)
Daraus folgt, mit j .0/i D jii,

˛f .t/ D hf j .t/ i e i !f t (11.63)


D hf jU.t; 0/j ii e i !f t
: (11.64)

Hier setzen wir nun unseren Ausdruck für U ein. Dabei müssen wir nur
0 00
U0 .t 0 ; t 00 / jj i D e i !j .t t / jj i (11.65)

verwenden. Der Term nullter Ordnung in  ist

hf jU0 .t; 0/j ii e i !f t (11.66)


i !f t i !f t
D hf ji i e e D ıf i : (11.67)

Das ist identisch zum Term nullter Ordnung für ˛f . Für den Term
P erster Ordnung
setzen wir zusätzlich zwei Eins-Operatoren in der Form 1 D j jj i hj j zwischen
die Operatoren:
Zt
i
dt1 hf jU0 .t; t1 /H1 .t1 /U0 .t1 ; 0/j ii e i !f t

0
Zt
i X
D dt1 hf jU0 .t; t1 /j j i hj jH1 .t1 /j ki hk jU0 .t1 ; 0/j ii e i !f t (11.68)

j;k 0

Zt
i X
D dt1 ıfj e i !j .t t1 / hj jH1 .t1 /j ki ıki e i !i t1 e i !f t (11.69)

j;k 0

Zt
i
D dt1 hf jH1 .t1 /j ii e i !f .t t1 / e i !i t1 e i !f t (11.70)

0
Zt
i
D dt1 hf jH1 .t1 /j ii e i.!f !i /t (11.71)

0

Das ist identisch zum Term erster Ordnung für ˛f .


286 11 Störungstheorie

Aufgabe 11.3
Der Ausdruck zweiter Ordnung funktioniert genauso, nur dass Sie diesmal
vier Eins-Operatoren einfügen müssen. Führen Sie die Rechnung aus und fin-
den Sie den Ausdruck zweiter Ordnung für ˛f wieder. Es ist eine sehr gute
Übung, lassen Sie sich das nicht entgehen!

11.2.3 Periodische Störung und Fermis Goldene Regel

Eine wichtige Anwendung der zeitabhängigen Störungstheorie ist die Berechnung


von atomaren Übergängen. Ein Atom befindet sich im Energie-Eigenzustand jii.
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass es in der Zeit t in den Zustand Energie-
Eigenzustand jf i übergeht, wenn man es einem externen Feld aussetzt? Wichtigs-
ter Spezialfall ist die Anregung durch elektromagnetische Strahlung: Der Übergang
von jii nach jf i geschieht dann durch Absorption eines Photons. Die genaue Be-
deutung von Absorption versteht man erst in der QED. Hier in der QM können wir
die Situation aber dadurch modellieren, dass wir die Strahlung durch eine klassi-
sche elektromagnetische Welle mit der Frequenz ! beschreiben. Das elektrische
und magnetische Feld der Welle oszilliert mit dieser Frequenz, und die Wechsel-
wirkung zwischen Atom und Welle lässt sich dann in der Form

H1 .t/ D HN 1 e i !t (11.72)

schreiben. Man spricht von einer periodischen Störung. Die Energie der zugehö-
rigen Photonen ist „!.
Um genau zu sein, beschreibt Gl. (11.72) keinen richtigen Hamilton-Operator,
denn er ist nicht hermitesch. Um ihn hermitesch zu machen, muss man den konju-
gierten Ausdruck HN 1 e Ci !t hinzuaddieren. Dieser Term repräsentiert die spontane
Emission eines Photons mit der Energie „!. Im Folgenden behandeln wir nur die
Absorption, behalten aber im Hinterkopf, dass sie immer mit einem entsprechenden
Emissionsterm einhergeht. Die Rechnung für den Emissionsterm ist äquivalent, mit
dem einzigen Unterschied, dass ein Photon emittiert statt absorbiert wird.
In Störungstheorie erster Ordnung erhalten wir nach (11.39) für die Übergangs-
amplitude zwischen zwei verschiedenen Zuständen f ¤ i

Zt
i ˝ ˇ ˇ ˛
dt1 f ˇHN 1 ˇ i e i.!f !i !/t1
.1/
˛f .t/ D (11.73)

0
i ˝ ˇˇ N ˇˇ ˛ e i.!f !i !/t  1
D f H1 i : (11.74)
„ i.!f  !i  !/

Mit der Abkürzung


ı! D !f  !i  ! (11.75)
11.2 Zeitabhängige Störungstheorie 287

vereinfachen wir das weiter zu


i ˝ ˇ ˇ ˛ e i ı! t  1
.1/
˛f .t/ D  f ˇHN 1 ˇ i (11.76)
„ iı!
ˇ ˇ ˛ 2e i ı! 2 sin.ı! 2t /
t
i ˝ ˇHN 1 ˇ i
D f : (11.77)
„ ı!
Die zugehörige Übergangswahrscheinlichkeit ist
ˇ ˇ
.1/ ˇ .1/ ˇ2
Wf i .t/ D ˇ˛f .t/ˇ (11.78)
2 ˇˇ˝ ˇˇ N ˇˇ ˛ˇˇ2 4 sin2 .ı! 2t /
D f H1 i : (11.79)
„2 .ı! /2
Man erhält also in erster Ordnung ein oszillierendes Verhalten in der Zeit. Für kleine
.1/
t ist Wf i .t/ t 2 , für große t ist die zeitlich gemittelte Übergangswahrschein-
lichkeit umso größer, je kleiner ı! ist. Wenn ı! allerdings zu klein ist, und zwar
spätestens wenn
42 ˝ ˇˇ N ˇˇ ˛ 2
j f H1 i j .ı! /2 > 1 (11.80)
„2
wird, wissen wir, dass die Näherung erster Ordnung nichts mehr taugt.
In der Praxis hat man es niemals mit einem exakten ! zu tun. Wir müssen viel-
mehr annehmen, dass die Strahlung eine gewisse Bandbreite hat, d. h., die Photonen
haben leicht unterschiedliche Frequenzen. Jeder Frequenzanteil führt zu einer Über-
.1/
gangswahrscheinlichkeit erster Ordnung Wf i .t; !/ der Form (11.79), die wir jetzt
aber auch als Funktion von ! auffassen. Die gesamte Übergangswahrscheinlichkeit
ergibt sich dann durch das Integral
Z
.1/ .1/
Wf i .t/ D d! .!/Wf i .t; !/: (11.81)

Auch !i und !f sind nicht exakt, wenn die Atome in Bewegung sind und daher
verschiedene kinetische Energien zu den internen Energie-Eigenwerten hinzuzu-
rechnen sind. Diesen Effekt wollen wir hier vernachlässigen.
.1/
Wenn wir uns Wf i .t; !/ bei festem t als Funktion von ! bzw. ı! ansehen (siehe
Abb. 11.1), dann finden wir, dass die Funktion stark bei ı! D 0 gepeakt ist und der
Peak etwa eine Breite von 2=t hat. Das können wir als eine Variante der Energie-
Zeit-Unschärfe auffassen: ı! drückt eine Verletzung des Energieerhaltungssatzes
aus: Ein Photon der Energie „! wird absorbiert, um ein Atom von der Energie
„!i auf die Energie „!f zu heben. Die Differenz (Atom-Energie nach Prozess mi-
nus Photon-Energie minus Atom-Energie vor Prozess) ist gerade E D „ı! . Das
Schaubild zeigt: Wenn der Prozess nur eine Zeit t zur Verfügung hat, dann ist eine
gewisse Energie-Unschärfe mit
2„
E (11.82)
t
erlaubt.
288 11 Störungstheorie

Abb. 11.1 Abhängigkeit der sin2 ( δω t


2 )
δω2
Übergangswahrscheinlichkeit
von ı!

δω
6π 4π 2π 2π 4π 6π
t t t 0 t t t

Man kann sich überlegen, dass die Funktionenschar g

sin2 .x= /
g .x/ D (11.83)
 x2
für ! 0 gegen die Delta-Distribution konvergiert,

lim g .x/ D ı.x/: (11.84)


!0

R
Dazu muss man zeigen, dass lim !0 g .x/ D 0 für x ¤ 0 und dass dx g .x/ D 1
ist, was wir dem eifrigen Leser überlassen. Aus (11.84) folgt

4 sin2 .ı! t=2/


lim D 2 tı.ı! /: (11.85)
t !1 .ı! /2

Das heißt, wie erwartet muss für große Zeiten der Energieerhaltungssatz gelten, und
die Übergangswahrscheinlichkeit entwickelt sich proportional zu t,
Z
.1/ 2 t2 ˝ ˇˇ N ˇˇ ˛ 2
Wf i .t/ ! d! .!/ j f H1 i j ı.ı! / (11.86)
„2
2 t2 ˝ ˇ ˇ ˛
D .!f  !i / 2 j f ˇHN 1 ˇ i j2 : (11.87)

Es macht hier natürlich keinen Sinn, von einem Limes t ! 1 zu sprechen, denn
dann wird die rechte Seite unendlich. Der Ausdruck ist gültig für Zeiten, die so
groß sind, dass ein Frequenzunterschied ı! D 2=t von Detektoren nicht mehr
registrierbar ist (keine registrierbare Abweichung von der Delta-Distribution), aber
auch klein genug, dass die rechte Seite  1 bleibt.˝ ˇ Obˇ ein ˛ solcher Bereich von
Zeiten überhaupt existiert, hängt davon ab, ob 2 j f ˇHN 1 ˇ i j2 klein genug ist.
11.2 Zeitabhängige Störungstheorie 289

Die Übergangsrate ist allgemein definiert durch

d Wf i .t/
Pf i .t/ D : (11.88)
dt
In unserem Fall ist Pf i zeitunabhängig (zumindest für Zeiten in dem oben beschrie-
benen Intervall). Das Ergebnis ist:

Fermis Goldene Regel


22 ˇˇ˝ ˇˇ N ˇˇ ˛ˇˇ2
Pf i D .!f  !i / f H1 i (11.89)
„2

Sie spielt eine große Rolle nicht nur bei atomaren Übergängen, sondern auch bei
den Streuexperimenten der Teilchenphysik.

Fragen zum Selbstcheck


1. Was versucht man in der zeitabhängigen Störungstheorie auszurechnen?
2. Wie ist das Dirac-Bild definiert?
3. Was besagt Fermis Goldene Regel, und unter welchen Voraussetzungen kann
man sie verwenden?
N-Teilchen-Systeme
12

Das seltsame Verhalten ununterscheidbarer Teilchen wird diskutiert. Sie haben einen Weg
gefunden, ihre individuellen Identitäten komplett zu verstecken. Dann zeigen wir, wie Teil-
chen im Fock-Raum gleichzeitig existieren und nicht existieren können. Schließlich wird der
Dichteoperator verwendet, um die QM noch einmal probabilistischer zu machen.

In diesem Kapitel befassen wir uns mit Quantensystemen, an denen mehrere Teil-
chen (Quantenobjekte) beteiligt sind. Dabei treten besonders erstaunliche Eigen-
schaften bei ununterscheidbaren Teilchen auf: Ihr Zustand ist vollständig symme-
trisch oder antisymmetrisch bzgl. Vertauschung zweier Teilchen. Im ersten Fall
heißen sie Bosonen, im zweiten Fermionen. Daraus folgt zum einen, dass es nicht
möglich ist, ein solches Teilchen in irgendeiner Weise zu „markieren“, um es spä-
ter wiederzuerkennen. Für Fermionen folgt weiter das Pauli-Prinzip, nach dem es
keine zwei Fermionen gleichen Typs geben kann, die sich im selben Zustand be-
finden. Ohne diese Eigenschaft wäre die gesamte Chemie undenkbar, sie ist also
fundamental für unsere Existenz.
Daraufhin wird der Fock-Raum kurz besprochen, ein Hilbert-Raum, in dem sich
Zustände unterschiedlicher Teilchenzahlen überlagern, und in dem Erzeugungs-
und Vernichtungsoperatoren die Teilchenzahl erhöhen oder verringern. Dieser
Raum ist grundlegend für die Weiterentwicklung der QM zur Quantenfeldtheorie.
Schließlich setzen wir uns mit dem Dichteoperator auseinander, der es uns
ermöglicht, Erwartungswerte in Situationen mit zwei ineinander verschachtelten
Wahrscheinlichkeiten zu berechnen: der Wahrscheinlichkeit, in einem statistischen
Gemisch von Teilchen eines in einem bestimmten Quantenzustand zu finden, so-
wie der Wahrscheinlichkeit, in einem solchen Quantenzustand einen bestimmten
Messwert bzgl. einer Observablen zu erhalten.

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 291


J.-M. Schwindt, Tutorium Quantenmechanik, DOI 10.1007/978-3-662-49399-1_12
292 12 N-Teilchen-Systeme

12.1 Bosonen und Fermionen

12.1.1 Unterscheidbare und ununterscheidbare Teilchen

Wir wissen schon aus den Abschn. 2.10 und 3.8, dass bei Systemen mit mehreren
Quantenobjekten Tensorprodukte ins Spiel kommen. Nehmen wir eine Situation, in
der wir es mit zwei Teilchen zu tun haben: Zum einen gehört der Zustandsraum
H .1/ , zum anderen der Zustandsraum H .2/ . Dann befindet sich der Gesamtzustand
des Systems im Tensorprodukt H .1/ ˝ H .2/ . Nehmen wir an, wir haben es mit ei-
nem Elektron und einem Photon zu tun. Die lassen sich leicht unterscheiden, denn
das eine ist geladen, das andere nicht, das eine hat Spin 1=2, das andere Spin 1, das
eine hat eine Masse, das andere ist masselos. Wegen des unterschiedlichen Spins
sehen schon die beiden Hilbert-Räume unterschiedlich aus, wir können also ein-
deutig sagen, welcher der beiden Räume H .1/ ; H .2/ zu welchem Teilchen gehört.
Wenn wir stattdessen ein Elektron und ein Myon haben, dann liegt der Unterschied
nur noch in der Masse. Ladung und Spin sind identisch. Aufgrund der unterschied-
lichen Masse kann man aber immer feststellen, welches von beiden Teilchen man
in der Hand hat. Die beiden Hilbert-Räume sind jedoch identische Kopien von-
einander, und man kann nur noch per Konvention festlegen, welcher zu welchem
Teilchen gehört.
Wie sieht es nun aber aus, wenn es um zwei Elektronen geht? Jetzt gibt es gar
keine Unterschiede mehr. Nehmen wir an, wir haben ein Elektron in einem Kasten
gefangen. Später setzen wir ein zweites hinzu. Noch später fischen wir eines wie-
der heraus. Dann haben wir keine Möglichkeit festzustellen, ob das herausgefischte
Elektron dasjenige ist, welches sich zuerst im Kasten befand, oder das, welches
als zweites hinzukam. Es gibt keine Möglichkeit, ein Elektron zu markieren, um
es später wiederzuerkennen. Wie wir sehen werden, setzt die QM das auf die rigo-
rosestmögliche Weise durch. Nach einer Lesart der Quantenfeldtheorie wird sogar
bei jeder Wechselwirkung das alte Elektron vernichtet und ein neues erzeugt. Dann
wäre das herausgefischte Elektron keines der beiden, die sich im Kasten befunden
haben.
Man kann sich behelfen, indem man versucht, die Identität eines Elektrons an-
hand seines Zustands oder seiner Rolle zu definieren. Man spricht z. B. beim Atom
eines Alkalimetalls von dem Valenzelektron, dem einzigen Elektron in der äußers-
ten Schale, als gäbe ihm das eine Identität (obwohl wir nicht wissen, ob es wirklich
„dasselbe“ Elektron ist wie vor einer millionstel Sekunde, das sich in dieser Scha-
le aufhält). Das ist so, als würden wir der Rolle des amerikanischen Präsidenten
eine individuelle Identität als Mensch zuschreiben. Das heißt, wir ignorieren, dass
das Amt schon von vielen Männern bekleidet wurde, und sprechen von dem Prä-
sidenten als einem Individuum, das nun schon über 200 Jahre alt ist. Beim Dalai
Lama funktioniert es ja so ähnlich. Beim Elektron macht es Sinn, weil es die ein-
zige Möglichkeit ist, ihm eine individuelle Identität zu geben. Um nicht weiter ins
Philosophische abzudriften, wenden wir uns nun den harten (also mathematischen)
Fakten zu.
12.1 Bosonen und Fermionen 293

12.1.2 Zwei Teilchen

Gegeben seien zwei Teilchen derselben Sorte, also zwei ununterscheidbare Teil-
chen. Der Zustandsraum eines solchen Teilchens sei H1 , der Zweiteilchenzustand
befindet sich also im Hilbert-Raum
.1/ .2/
H2 D H1 ˝ H1 : (12.1)

Dabei verwenden wir folgende Konvention: Die Zahl im unteren Index eines
Hilbert-Raums kennzeichnet die Anzahl der Teilchen, die dadurch beschrieben
wird. Auf der linken Seite steht also ein Zweiteilchen-Hilbert-Raum, auf der rech-
ten zwei Einteilchen-Hilbert-Räume. Das Superskript .1/, .2/ dient nur dazu, die
Kopien von H1 durchzunummerieren. Für die Produktzustände kürzen wir ab:

j 1I 2i WD j 1i ˝j 2i (12.2)

Um zu zeigen, wie die QM die absolute Ununterscheidbarkeit der Teilchen er-


zwingt, müssen der Transpositionsoperator T12 und seine Eigenräume herangezo-
gen werden. Dieser Operator ist dadurch definiert, dass er die Zustände der beiden
Teilchen vertauscht,
T12 j 1 I 2 i D j 2 I 1 i : (12.3)
2
Offensichtlich ist T12 D 1. Daher kann T12 nur zwei Eigenwerte haben, 1 und 1.
Eigenzustände zum Eigenwert 1 heißen symmetrisch, solche zum Eigenwert 1
antisymmetrisch. Die symmetrischen bzw. antisymmetrischen Zustände bilden je-
weils einen Unterraum von H2 . Man überlegt sich nämlich schnell, dass die Linear-
kombination symmetrischer bzw. antisymmetrischer Zustände wieder symmetrisch
.C/
bzw. antisymmetrisch ist. Den symmetrischen Unterraum nennen wir H2 , den
.i /
antisymmetrischen H2 . Ein Zustand der Form

j 1I 2i
.C/
WD N C .j 1I 2i Cj 2I 1 i/ (12.4)

ist immer symmetrisch (N C ist eine Normierungskonstante), einer der Form

j 1I 2i
./
WD N  .j 1I 2i j 2I 1 i/ (12.5)

immer antisymmetrisch. Wegen



1 1 .C/ 1 ./
j 1I 2i D j 1I 2i C j 1I 2i (12.6)
2 NC N

kann jeder Zweiteilchenzustand als Linearkombination eines symmetrischen und


eines antisymmetrischen Zustands geschrieben werden. (Wenn j 1 i D j 2 i ist,
.C/ ./
verschwindet der antisymmetrische Teil.) H2 und H2 spannen also den ge-
samten Raum H2 auf. Das ist allerdings nur bei zwei Teilchen so, bei einer höheren
294 12 N-Teilchen-Systeme

Anzahl nicht mehr! Außerdem sind symmetrische und antisymmetrische Zustände


orthogonal zueinander,
ˇ C˛
ˇ 2 H .C/ ; j  i 2 H ./
2 2
˝ C ˛ ˝ C ˛ ˝ ˛ ˝ ˛
)  j D  jT12 T12 j   D  C j.C1/.1/j   D   C j 
˝ C ˛
)  j D 0:

.˙/
Im Falle von H1 D C 2 sind wir den beiden Räumen H2 schon zweimal begeg-
.C/
net, in Abschn. 2.10 und 9.2. H2 ist der dreidimensionale Raum, der von dem
Triplet
1
fjzCI zCi ; p .jzCI zi C jzI zCi/; jzI zig (12.7)
2
./
aufgespannt wird; H2 ist eindimensional und besteht aus dem Singlet

1
p .jzCI zi C jzI zCi/: (12.8)
2

Allgemeiner gilt: Wenn fjj ig eine Orthonormalbasis von H1 ist, dann bilden die
Zustände

jj1 I j2 i für j1 D j2 ; (12.9)


1
p .jj1 I j2 i C jj2 I j1 i/ für j1 ¤ j2 (12.10)
2
.C/
eine Orthonormalbasis von H2 , die Zustände

1
p .jj1 I j2 i  jj2 I j1 i/ für j1 ¤ j2 (12.11)
2
./
eine Orthonormalbasis von H2 .

Aufgabe 12.1
.˙/
Welche Dimension hat H2 allgemein für H1 D C n ?

Nun zurück zur Physik. Die QM (oder die Natur) stellt sicher, dass ununter-
scheidbare Teilchen wirklich absolut ununterscheidbar sind, indem sie die Zwei-
teilchenzustände solcher Teilchen nur in den Eigenräumen des Transpositionsope-
rators T12 leben lässt. Bosonen sind solche Teilchen, deren Zweiteilchenzustände in
.C/ ./
H2 leben, Fermionen solche, deren Zweiteilchenzustände in H2 leben. Durch
Beobachtung stellt man fest, dass Teilchen mit ganzzahligem Spin Bosonen sind,
12.1 Bosonen und Fermionen 295

Teilchen mit halbzahligem Spin Fermionen. Das Spin-Statistik-Theorem in der


Quantenfeldtheorie stellt diese Beobachtung auf ein theoretisches Fundament.
Wegen ihrer Antisymmetrie können sich zwei Fermionen niemals im gleichen
Zustand befinden. Das ist das Pauli-Prinzip, auch Ausschließungsprinzip ge-
nannt.

Wenden wir uns dem Fall zu, dass der Einteilchen-Hilbert-Raum H1 bereits das
Tensorprodukt zweier Hilbert-Räume ist, nämlich dem Raum H1 der Wellenfunk-
tionen und dem Raum H1 der Spinzustände,

H1 D H1 ˝ H1 : (12.12)

Dann ist
   
.1/ .2/ .2/ .1/
H2 D H1 ˝ H1 ˝ H1
˝ H1 (12.13)
   
.1/ .2/ .1/ .2/
D H1 ˝ H1 ˝ H1 ˝ H1 (12.14)
D H2 ˝ H2 (12.15)

mit der Definition


.1/ .2/ .1/ .2/
H2 D H1 ˝ H1 ; H2 D H1 ˝ H1 : (12.16)

Der Transpositionsoperator wirkt dann auf die beiden Räume in (12.15) separat,
. / ./
T12 D T12 ˝ T12 ; (12.17)
. /
und die Eigenwerte multiplizieren sich. Wenn
ein Eigenwert von T12 und

./
einer von T12 ist, dann ist der zugehörige Eigenwert
von T12


D

 : (12.18)

Daraus folgt
   
.C/ .C/ .C/ ./ ./
H2 D H2 ˝ H2 ˚ H2 ˝ H2 (12.19)
   
./ .C/ ./ ./ .C/
H2 D H2 ˝ H2 ˚ H2 ˝ H2 : (12.20)

Das heißt, bei Bosonen sind Wellenfunktionen und Spinzustände entweder beide
symmetrisch oder beide antisymmetrisch; bei Fermionen ist eines von beiden sym-
metrisch, das andere antisymmetrisch.

Ein klassisches Beispiel ist das Heliumatom mit seinen beiden Elektronen.
Entweder sind die Wellenfunktionen symmetrisch und die Spins antisymmetrisch,
d. h., die Spinkombination der beiden Elektronen befindet sich im Singlet-Zustand.
Ein Heliumatom in einem solchen Zustand bezeichnet man als Parahelium. Oder
296 12 N-Teilchen-Systeme

die Wellenfunktionen sind antisymmetrisch und die Spins symmetrisch, d. h., ihre
Kombination gehört dem Raum an, der durch das Triplet aufgespannt wird. Ein
Heliumatom in einem solchen Zustand bezeichnet man als Orthohelium. Da sich
die Wellenfunktionen bei Ortho- und Parahelium unterschiedlich zueinander ver-
halten, haben Ortho- und Parahelium unterschiedliche Energie-Eigenzustände. Den
Grundzustand kann nur das Parahelium einnehmen. Nur hier können sich beide
Elektronen im Zustand jnlmi D j100i befinden. Beim Orthohelium wird das vom
Ausschließungsprinzip verhindert.

12.1.3 N Teilchen

Wenn man es mit N Teilchen statt mit zweien zu tun hat, ist der Produkt-Hilbert-
Raum zunächst durch
.1/ .2/ .N /
HN D H1 ˝ H1 ˝    ˝ H1 (12.21)
gegeben. Wir führen folgende Schreibweise für die N -Teilchenzustände ein, um die
Positionen der Zustände zu verdeutlichen:
j1 W 1I 2 W 2I    IN W ni WD j 1i ˝j 2i ˝˝j Ni (12.22)
Die Zahlen vor den Doppelpunkten geben an, zu  welcher Kopie von H1 der je-
weilige Einteilchenzustand gehört. Es gibt nun N2 D N.N  1/=2 verschiedene
Transpositionsoperatoren Tij , die im Zustand j1 W 1 I    I N W N i die Position i
mit der Position j vertauschen,
ˇ ˛
Tij ˇ1 W 1 I    I i W i I    I j W j I    I N W N
ˇ ˛
D ˇ1 W 1 I    I i W j I    I j W i I    I N W N : (12.23)
Zur Durchsetzung der absoluten Ununterscheidbarkeit fordert die Natur nun,
dass jeder N -Teilchenzustand Eigenvektor zu allen Transpositionsoperatoren ist.
Man überlegt sich schnell, dass die zugehörigen Eigenwerte
ij alle gleich sein
müssen. Entweder ist
ij D 1 für alle .i; j / oder
ij D C1 für alle .i; j /. Den
./
Eigenraum mit
ij D 1 für alle .i; j / nennen wir HN , den mit
ij D C1 für
.C/ .C/
alle .i; j / nennen wir HN . Bosonenzustände leben in HN , Fermionenzustände
./
in HN .

Aufgabe 12.2
Überlegen Sie sich, dass

Tni Tmj Tnm Tni Tmj D Tij (12.24)

ist. Folgern Sie daraus eine Gleichung für die zugehörigen Eigenwerte und
daraus, dass
ij für alle Werte von .i; j / gleich ist.
12.1 Bosonen und Fermionen 297

Offensichtlich können bei Fermionen wegen der Antisymmetrie


ˇ ˛
Tij ˇ1 W 1 I    I i W i I    I j W j I    I N W N
ˇ ˛
D  ˇ1 W 1 I    I i W j I    I j W i I    I N W N (12.25)

wieder keine zwei Teilchen den gleichen Zustand haben.


.˙/
Wie sehen nun die Zustände in HN aus? Dazu überlegen wir uns jeweils eine
Basis. Die restlichen Zustände folgen durch Linearkombination. Um eine sinnvol-
le Basis zu ermitteln, müssen wir uns kurz mit Permutationen auseinandersetzen.
Eine Permutation  der Zahlen 1; 2;    ; N ist eine Umsortierung dieser Zahlen,
d. h.,  weist jeder Zahl wieder eine Zahl zu, i !  .i /, so dass unter den  .i /
wieder jede Zahl von 1 bis N genau einmal vorkommt. Diese Permutationen bilden
eine Gruppe ˙N , denn man kann Permutationen hintereinander ausführen und auch
umkehren. Das Eins-Element dieser Gruppe ist die Permutaion, die gar nichts ver-
tauscht. ˙N wird von den Transpositionen erzeugt, d. h., jede Permutation lässt sich
als Hintereinanderausführung von Transpositionen darstellen. Man nennt eine Per-
mutation gerade, wenn hierfür eine gerade Anzahl von Transpositionen nötig ist,
und ungerade, wenn eine ungerade Anzahl nötig ist. Das Signum p. / einer Per-
mutation ist C1, wenn die Permutation gerade, und 1, wenn sie ungerade ist. Im
Hilbert-Raum HN sind Eigenzustände zu allen Transpositionen auch Eigenzustän-
de zu allen Permutationen (man braucht ja nur die Transpositionen hintereinander
.C/
auszuführen). In HN sind die Eigenwerte zu allen Permutationen immer C1, in
./
HN sind sie durch p. / gegeben.
Sei fjj ig eine Basis von H1 . Nehmen wir an, wir haben einen N -Bosonenzustand
.C/
j i 2 HN , der ein Teilchen im Zustand jj1 i und N  1 Teilchen im Zustand jj2 i
beschreibt. Dann muss jede Position, an der jj1 i stehen kann, in j i vorkommen,

1
j i D p .j1 W j1 I   i C j   I 2 W j1 I   i C    C j   I N W j1 i/ : (12.26)
N

(Die Punkte innerhalb der Summanden stehen dabei für j2 -Zustände.) Denn die ein-
zelnen Summanden gehen durch Permutationen ineinander über. Damit j i ein Ei-
genzustand dieser Permutationen ist, müssen alle Summanden in j i enthalten sein;
sonst würde eine Permutation einen zusätzlichen Summanden erzeugen, und j i
wäre kein Eigenzustand dieser Permutation. Man sagt, dass der N -Bosonzustand
über alle Positionen der Einteilchenzustände symmetrisiert ist. Das Gleiche gilt
für alle möglichen Konstellationen von Einteilchenzuständen. Es kommt immer nur
darauf an, welcher Zustand wie oft vorkommt. Der N -Bosonenzustand ist dann über
alle Positionen, an denen die jeweiligen Zustände stehen können, symmetrisiert. Ein
.C/
Basiszustand von HN ist daher durch seine Besetzungszahlen charakterisiert,
d. h. durch die Menge der Zahlen fnj g, wobei jedes nj angibt, wie viele Teilchen
sich im Zustand jj i befinden. Einen solchen N -Bosonen-Basiszustand nennen wir
ˇ ˛
ˇfnj g .C/ .
298 12 N-Teilchen-Systeme

Aufgabe 12.3
a) Zeigen Sie durch kombinatorische Überlegungen, dass ein Zustand
ˇ ˛
ˇfnj g .C/ aus

Q (12.27)
j jnj >1 nj Š

Summanden besteht. Tipp: Überlegen Sie sich, wie viele Permutationen


es insgesamt gibt und welche davon keine Veränderung herbeiführen, weil
sie gleiche Zustände miteinander vertauschen.
b) Bestätigen Sie das Ergebnis für einen Dreiteilchezustand mit n1 D 2,
n2 D 1, d. h., zwei Teilchen sind im Zustand j1i und eines im Zustand j2i.
ˇ ˛.C/
Wie lautet der zugehörige Basiszustand ˇfnj g ?

Für Fermionen sieht es ähnlich aus, nur dass

 alle Besetzungszahlen wegen des Ausschließungsprinzips nur den Wert 0 oder 1


annehmen können;
 antisymmetrisiert statt symmetrisiert werden muss. Das heißt, Summanden, die
durch eine ungerade Permuation verknüpft sind, haben ein relatives Minuszei-
chen.
ˇ ˛./
Wir bezeichnen die Fermionen-Basiszustände mit ˇfnj g . Da keine Zustände dop-
pelt vorkommen können, führt jede Permutation eines Summanden j1 W j1 I    I
ˇ ˛./
N W jN i zu einem anderen Summanden. Es gibt daher N Š Summanden in ˇfnj g .
Wenn die Fermionen die Zustände jj1 i ;    ; jjN i besetzen, also nj1 D nj2 D    D
njN D 1, alle anderen nj D 0, dann lautet der zugehörige Basiszustand
ˇ ˛ X ˇ ˛
ˇfnj g ./ D p1 p. / ˇ1 W j .1/ I 2 W j .2/ I    I N W j .N / : (12.28)
NŠ 

Das erinnert ein wenig an den Ausdruck für eine Determinante. Tatsächlich kann
man diesen Zustand rein formal in Form der sog. Slater-Determinante schreiben,
0 1
1 W jj1 i 2 W jj1 i  N W jj1 i
ˇ ˛ B 1 W jj2 i 2 W jj2 i  N W jj2 i C
ˇfnj g ./ 1 B C
Dp det B : :: :: C: (12.29)
NŠ @ :: : : A
1 W jjN i 2 W jjN i    N W jjN i

Wir wollen an dieser Stelle noch auf die Wichtigkeit des Pauli-Prinzips für die
Natur hinweisen. Es sorgt unter anderem dafür, dass jeder jnlmi-Zustand in einer
Atomschale nur von zwei Elektronen besetzt werden kann (wegen der zwei Spin-
zustände). Daher werden bei den höheren Elementen die Schalen Schritt für Schritt
12.2 Fock-Raum 299

von innen nach außen aufgefüllt. Das gibt den Elementen erst ihre charakteristi-
schen Eigenschaften und macht die Chemie dadurch erst möglich.

Nachdem wir nun N -Teilchenzustände behandelt haben und wissen, dass wir da-
bei über alle Teilchen einer Sorte symmetrisieren bzw. antisymmetrisieren müssen,
kann man sich fragen, warum man überhaupt noch einzelne Teilchen beschrei-
ben kann. Die (Anti-)Symmetrisierung stellt schließlich eine Art von Verschrän-
kung dar, siehe Definition von Verschränkung in Abschn. 2.10. Wenn jedes Teil-
chen mit allen Teilchen der gleichen Sorte verschränkt ist, warum kann man dann
überhaupt ein einzelnes herausgreifen und es mit einer Einteilchen-Schrödinger-
Gleichung beschreiben? Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten. Ein
ähnliches Problem besteht ja generell mit der Verschränkung von Zuständen. In
der QM ist alles in sehr esoterischer Weise mit allem verschränkt, und es ist nicht
immer ganz klar, nach welchen Kriterien man ein System vom Rest des Univer-
sums abgrenzen und isoliert beschreiben kann. Häufig hilft die räumliche Distanz
(geringe Überlappung der Wellenfunktionen) und geringe Wechselwirkung (ge-
ringe Tendenz zu weiterer Verschränkung) weiter. Das gilt auch im Fall der N -
Teilchensysteme. Bei [Shankar (2008)] und [Messiah (1991)] finden Sie Rechnun-
gen, die belegen, wie wenig man im Allgemeinen falsch macht, wenn man bei
hinreichender räumlicher Separation die Existenz der anderen Teilchen vernach-
lässigt.

Fragen zum Selbstcheck


1. Wie stellt die Natur sicher, dass man ununterscheidbare Teilchen nicht „mar-
kieren“ kann?
2. Was sind Besetzungszahlen? Wie kann man mit ihrer Hilfe eine Basis von
N -Bosonen- bzw. N -Fermionen-Hilbert-Räumen konstruieren?
3. Wie unterscheiden sich Orthohelium und Parahelium?

12.2 Fock-Raum

Der Fock-Raum H .˙/ einer gegebenen Teilchensorte ist die Direkte Summe aller
seiner N -Teilchen-Hilbert-Räume,
.˙/ .˙/
H .˙/ D fj0ig ˚ H1 ˚ H2 ˚ H3 ˚  (12.30)

Dabei ist j0i der Nullteilchenzustand, genannt Vakuum. Bisher hatten wir nur mit
Hilbert-Räumen zu tun, in denen die Teilchenanzahl fest war. Im Hilbert-Raum ei-
nes einzelnen Elektrons konnten alle möglichen merkwürdigen Dinge vorgehen,
aber es war doch immerhin klar, dass es sich um ein Elektron handelte. Im an-
tisymmetrischen Hilbert-Raum zweier Elektronen konnte es noch merkwürdigere
Phänomene geben, insbesondere das Phänomen der Verschränkung, aber es war im-
merhin noch klar, dass es sich um zwei Elektronen handelte. Im Fock-Raum kann
300 12 N-Teilchen-Systeme

man sich selbst darauf nicht mehr verlassen. Hier kann es Überlagerungen zwischen
Zuständen verschiedener Teilchenzahl geben. Wenn z. B.

1
j i D p .j1 i C j2 i/; (12.31)
2
.˙/ .˙/ .˙/
j1 i D j 1 2i 2 H2 ; j1 i D j1 2 3 i.˙/ 2 H3 (12.32)

ist, dann handelt es sich um die Überlagerung eines Zweiteilchen- und eines
Dreiteilchenzustands. Im Fock-Raum gibt es Auf- und Absteigeoperatoren, sog.
Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren, die zwischen den einzelnen N -
Teilchenräumen vermitteln. Sei fjj ig eine Basis von H1 . Dann bildet der Er-

zeugungsoperator Aj (man sieht, die Bezeichungen sind an den Harmonischen
.˙/ .˙/
Oszillator angelehnt) einen Teilraum HN auf den Teilraum HN C1 ab,

 .˙/ .˙/
Aj W HN ! HN C1 für alle N; (12.33)

indem er ein zusätzliches Teilchen im Zustand jj i erzeugt. Der zugehörige Ver-


nichtungsoperator Aj entfernt ein solches Teilchen, wenn vorhanden. Anhand der
Vertauschungseigenschaften von Bosonen und Fermionen überlegt man sich leicht,
dass die Erzeugungsoperatoren untereinander im Bosonenfall kommutieren, im
Fermionenfall antikommutieren müssen,
       
H .C/ W Aj1 Aj2 D Aj2 Aj1 ; H ./ W Aj1 Aj2 D Aj2 Aj1 : (12.34)

Der Fock-Raum spielt in der Quantenfeldtheorie (QFT) eine große Rolle, wo stän-
dig Teilchen erzeugt und wieder vernichtet werden. Er ist grundlegend für das
Konzept der virtuellen Teilchen: Wenn Sie sich im Kapitel über zeitabhängige Stö-
rungsrechnung den Term zweiter Ordnung in (11.40) noch einmal ansehen, finden
Sie dort ein zweimaliges Auftreten von H1 , zu den Zeitpunkten t2 und t1 (t2 ist der
frühere Zeitpunkt, deshalb nennen wir ihn zuerst). Dazwischen liegt ein Zustand
jj i, der von H1 .t2 / „erzeugt“ und von H1 .t1 / wieder „vernichtet“ bzw. umgewan-
delt wird. Wenn H1 Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren enthält, dann wird
dabei tatsächlich ein Teilchen erzeugt und wieder vernichtet, und das nennt man
virtuelles Teilchen.
Wenn Sie mehr über den Fock-Raum-Formalismus wissen wollen, lesen Sie sich
am besten das entsprechende Kapitel bei [Nolting (2013)] durch.

Streber-Ecke 12.1
Ganz wild wird es bei der QFT auf gekrümmten Räumen, also in Kombina-
tion mit der allgemeinen Relativitätstheorie. Das ist noch keine Quantengra-
vitation, denn das Gravitationsfeld, also die Geometrie des Raums, wird hier
12.3 Dichteoperator 301

nur als Hintergrund verwendet, als klassisches Feld, das von den zu beschrei-
benden Quantenobjekten nicht beeinflusst wird. Das ist analog zu unserer
Behandlung eines geladenen Quantenobjekts in einem elektromagnetischen
Feld. Letzteres hatten wir ja auch als klassisches Feld angesehen, das über
den Hamilton-Operator auf das Quantenobjekt einwirkt, ohne seinerseits vom
Quantenobjekt beeinflusst zu werden. Deswegen war das, was wir gemacht
haben, auch noch keine Quantenelektrodynamik.
In der QFT auf gekrümmten Räumen also passiert es, dass es vom Be-
zugssystem abhängt, in welchem Teil des Fock-Raums sich ein Zustand
befindet. Wir haben bereits im flachen Raum gesehen, dass eine Drehung
des Koordinatensystems oder eine Verschiebung mit einer entsprechenden
Transformation des Hilbert-Raums einhergeht. Die Wellenfunktionen müs-
sen schließlich mitgedreht bzw. verschoben werden. Dabei bleibt aber die
Teilchenzahl selbstverständlich erhalten. Bei den Transformationen auf ge-
krümmten Räumen ist das nicht mehr unbedingt der Fall. Das vielleicht
krasseste Beispiel ist die Verdampfung Schwarzer Löcher: Für einen Be-
obachter in einem Inertialsystem am Ereignishorizont befindet sich dort nur
ein Vakuum, der Nullteilchenzustand. Für einen Beobachter draußen ist die-
ses Vakuum ein Gemisch von N -Teilchenzuständen, die aus dem Schwarzen
Loch herausströmen.

12.3 Dichteoperator

Gegeben sei ein Teilchenstrom von Elektronen, von denen sich die eine Hälfte
im Spinzustand jzCi, die andere im Zustand jzi befindet. Wenn wir das Ganze
als einen großen N -Teilchenzustand ansehen, können wir sagen, die Besetzungs-
zahl von jzCi ist so groß wie die von jzi, nämlich jeweils N=2. Widerspricht
das nicht unserer Aussage, dass Fermionen nur Besetzungszahlen von maximal 1
haben? Nein, denn hier kommt wieder zum Tragen, dass Elektronenzustände Ten-
sorprodukte aus Wellenfunktion und Spinzustand sind. Nur die Kombination muss
eindeutig sein. Das heißt, solange zwei Elektronen nicht dieselbe Wellenfunktion
haben, können sie im selben Spinzustand sein. Die Elektronen seien als Wellenpa-
kete räumlich hinreichend voneinander separiert, so dass wir sie auch als einzelne
Objekte ansehen können (siehe Bemerkung am Ende von Abschn. 12.1). Zu einem
Zeitpunkt t läuft eines dieser Elektronen in einen Detektor ein, mit dem wir den
Spin dieses einen Elektrons messen wollen (in irgendeiner Richtung).
Wie rechnen wir nun die Wahrscheinlichkeit für die Messergebnisse aus? Man
sieht, dass es sich um zwei verschachtelte Wahrscheinlichkeiten handelt: Zuerst gibt
es die Wahrscheinlichkeit dafür, dass wir ein Elektron im Zustand jzCi bzw. jzi
erwischt haben. Und dann gibt es noch die Wahrscheinlichkeit, in diesem Zustand
302 12 N-Teilchen-Systeme

ein bestimmtes Messergebnis zu erhalten. Wenn wir den Spin in i-Richtung messen
(i steht für x, y oder z), dann ist die Wahrscheinlichkeit p.i C/ dafür, den positiven
Spinwert C„=2 zu messen, gegeben durch
1 1
p.i C/ D p1 j hi C jzC i j2 C p2 j hi C jz i j2 Dj hi C jzC i j2 C j hi C jz i j2 ;
2 2
(12.35)
wobei p1;2 die „äußeren“ Wahrscheinlichkeiten sind, dass das Elektron vor der Mes-
sung im Zustand jz˙i war, und j hi C jz˙ i j2 die „inneren“ Wahrscheinlichkeiten
dafür, dass bei gegebenem Zustand vor der Messung das Resultat .iC/ in der Mes-
sung erscheint. Der Erwartungswert für die Si -Messung ist

hSi i D p1 hz C jSi j zCi C p2 hz  jSi j zi : (12.36)

Aufgabe 12.4
Rechnen Sie nach, dass in unserem Fall für i D x; y; z jeweils p.i C/ D 1=2
und hSi i D 0 herauskommt.

Aufgabe 12.5
Wiederholen Sie die ganze Rechnung für den Fall, dass sich die Hälfte der
Elektronen im Spinzustand jzCi, die andere Hälfte im Zustand jxCi befindet.

Können wir die verschachtelten Wahrscheinlichkeiten vermeiden, indem wir ver-


suchen, die äußeren Wahrscheinlichkeiten im Zustand gleich mitzuberücksichtigen?
Was ist zum Beispiel, wenn wir den Spinzustand mit
1
ji D p .jzCi C jzi/ (12.37)
2
ansetzen? Kommt dann nicht dasselbe heraus? Ist ein Gemisch von jzCi und jzi
Zuständen nicht dasselbe wie eine Überlagerung derselben? Sie überzeugen sich
leicht, dass für i D y; z tatsächlich dasselbe herauskommt, nicht aber für i D x,
denn ji D jxCi, also ist hSx i D C„=2. Oder wenn man in (12.37) stattdessen
1
ji D p .jzCi C i jzi/ (12.38)
2
setzt, dann ist zwar hSx i D 0, dafür aber hSy i nicht mehr. Egal wie man es dreht
und wendet, ein Gemisch ist eben nicht dasselbe wie eine Überlagerung, und des-
halb haben wir es hier mit zwei verschiedenen Arten von Wahrscheinlichkeiten zu
tun. Wie behandelt man nun ein solches Problem allgemein und formal? Man führt
den Dichteoperator ein, auch Dichtematrix genannt.
12.3 Dichteoperator 303

Gegeben sei also ein Hilbert-Raum H mit Basis jj i und eine Menge von un-
unterscheidbaren Teilchen, deren Einteilchen-Hilbert-Raum H1 den Faktor H ent-
hält,
H1 D H ˝ HRest : (12.39)
Im Beispiel oben war H der Raum der Spin- 21 -Zustände und HRest der Raum der
Wellenfunktionen. Die Teilchen befinden sich bzgl. H in n verschiedenen Zustän-
den j k i, k D 1;    ; n, wobei der Anteil der Teilchen in einem solchen Zustand pk
beträgt. Soll heißen: Wenn man zufällig eines der Teilchen herausgreift, dann ist es
mit der Wahrscheinlichkeit pk im H -Zustand j k i. Im Beispiel oben war n D 2,
j 1 i D jzCi, j 2 i D jzi, p1 D p2 D 1=2. Im Gegensatz zu vielen anderen
Büchern setzen wir hier nicht voraus, dass die j k i orthogonal zueinander sind. In
der zweiten Aufgabe z. B. waren j 1 i D jzCi und j 2 i D jxCi nicht orthogonal.
Im Fall n D 1 (alle Teilchen im selben H -Zustand, p1 D 1) spricht man von einem
reinen Zustand, ansonsten von einem Gemisch.
Der Dichteoperator ist definiert durch
X
D pk j k i h k j : (12.40)
k

Wie erinnern uns, dass j k i h k j der Projektionsoperator auf den Zustand j k i ist.
Der Dichteoperator ist also eine Summe der Projektionsoperatoren auf die vorkom-
menden Zustände, gewichtet mit der jeweiligen Wahrscheinlichkeit. Er ist offen-
sichtlich hermitesch. Wir erinnern uns weiter, dass die Matrixkomponenten eines
Operators A in einer gegebenen Basis gegeben sind durch Aij D hi jAj j i, und
dass die Spur eine basisunabhängige Eigenschaft eines Operators ist, die sich aber
innerhalb einer gegebenen Basis als Summe der Diagonaleinträge ermitteln lässt,
X X
Sp.A/ D Ai i D hi jAj ii : (12.41)
i i

Auf unendlichdimensionalen Hilbert-Räumen ist die Spur im Allgemeinen nicht


definiert, da die Summe nicht immer konvergiert. Selbst wenn sie konvergiert, kann
sie von der Reihenfolge der Summanden abhängen, sie ist dann also nicht mehr
basisunabhängig. Selbst wenn die Summe absolut konvergiert (d. h., die Summe
der Beträge konvergiert), wissen wir nicht, ob dies nach einer Basistransformation
immer noch der Fall ist. Wir lassen die Spur eines Operators A auf einem unend-
lichdimensionalen Hilbert-Raum daher nur dann als wohldefiniert gelten, wenn A
nur in einem endlichdimensionalen Unterraum HA von H operiert. Soll heißen, es
gibt ein HA mit folgenden Eigenschaften:

 Im orthogonalen Komplement von HA (d. h. in allen Richtungen senkrecht zu


HA ) verschwindet A identisch.
 HA enthält Bild(A), also alle Vektoren A j i für j i 2 H .
 HA ist minimal gewählt, d. h., es gibt keinen kleineren Unterraum von H mit
den beiden eben genannten Eigenschaften.
 HA ist endlichdimensional.
304 12 N-Teilchen-Systeme

Dann definieren wir die Spur von A auf diesem Unterraum, Sp.A/ WD Sp.AjHA /.
Die Spur des Dichteoperators ist
X
Sp. / D hj j j j i (12.42)
j
X
D pk hj j kih k jj i (12.43)
j;k
X
D pk h k jj i hj j ki (12.44)
j;k
X X
D pk h k j ki D pk D 1; (12.45)
k k
P
wobei wir j jj i hj j D 1 verwendet haben. Diese Spur ist wohldefiniert, weil wir
vorausgesetzt haben, dass sich nur aus endlich vielen Zuständen j k i zusammen-
setzt; operiert somit nur auf dem Unterraum H , der von diesen n Zuständen
aufgespannt wird. Als erste wichtige Eigenschaft des Dichteoperators halten wir
also fest:
Sp. / D 1 (12.46)
Bei einem reinen Zustand ist D j 1i h 1j und
Dj
2
1i h 1 j 1ih 1j Dj 1i h 1j D : (12.47)
Die Umkehrung gilt auch: Wenn 2 D ist, dann ist ein Projektionsoperator
(das ist gerade die Definition eines Projektionsoperators). Ein Projektionsopera-
tor P projiziert Zustände auf einen Unterraum H 0 . Innerhalb dieses Unterraums
ist P gleich dem Eins-Operator, im orthogonalen Komplement ist er identisch null.
Seine Spur ist daher gerade die Dimension d von H 0 . Der Operator hat die Spur
1, also kann die Projektion nur auf einen eindimensionalen Unterraum erfolgen,
also auf einen einzigen Zustand, demnach beschreibt einen reinen Zustand. Als
zweite wichtige Eigenschaft des Dichteoperators halten wir also fest:
2 D , reiner Zustand (12.48)
Der Erwartungswert eines Operators A ist
X
hAi D pk h k jAj k i (12.49)
k
X
D pk h k ji i hi jAj j i hj j ki (12.50)
i;j;k
X X
D hi jAj j i pk hj j kih k ji i (12.51)
i;j k
X
D Aij j i D Sp.A /: (12.52)
ij

Auch diese Spur ist wohldefiniert.


12.3 Dichteoperator 305

Aufgabe 12.6
Was ist nämlich HA ? Tipp: Für die Dimension d dieses Unterraums gilt
d  2n, wobei n die Anzahl der Zustände ist, aus denen gebildet wird.

Als dritte wichtige Eigenschaft des Dichteoperators halten wir also fest: Der
Erwartungswert von A ist durch die Spur von A gegeben,

hAi D Sp.A /: (12.53)

Aufgabe 12.7
Berechnen Sie die Erwartungswerte aus den Aufgaben 12.4 und 12.5 noch
einmal, diesmal mit der Dichtematrix. Die Dichtematrix berechnen Sie je-
weils in der Basis fjzCi ; jzig mithilfe der Matrixmultiplikation,
! !
˛   
 ˛ ˛ ˇ ˛
j˛.zC/ C ˇ.z/i h˛.zC/ C ˇ.z/j D ˛ ˇ D :
ˇ ˛ ˇ ˇ ˇ
(12.54)
Wenn Sie das richtig gemacht haben, muss Sp. / D 1 sein.

Aufgabe 12.8
a) Ermitteln Sie die Dichtematrix für den reinen Zustand jxCi in der Basis
fjzCi ; jzig und überzeugen Sie sich, dass 2 D .

b) Gegeben ist die Dichtematrix


!
1 4 4  2i
D : (12.55)
9 4 C 2i 5

Zeigen Sie durch Quadrieren, dass es sich um einen reinen Zustand han-
delt. Um welchen? Verwenden Sie (12.54) und setzen Sie ˛ reell an. Das
ist immer möglich, denn der Zustand wird durch eine Phasenrotation nicht
verändert.

Als Letztes sehen wir uns die Zeitentwicklung an. Dazu verwenden wir die
Schrödinger-Gleichung und die dazu hermitesch konjugierte Gleichung,
ˇ ˛ ˝ ˇ
i„ ˇ P D H j i ; i„ P ˇ D h j H: (12.56)
306 12 N-Teilchen-Systeme

Daraus folgt
d X
i„ P D i„ pk j k i h k j (12.57)
dt
k
X ˇ ˛ ˝ ˇ
D i„ pk ˇ P k h k j C j ki
P kˇ (12.58)
k
X
D pk .H j ki h kj j ki h kj H / (12.59)
k
D ŒH; : (12.60)
Als vierte wichtige Eigenschaft des Dichteoperators halten wir somit fest, dass seine
Zeitentwicklung durch die Von-Neumann-Gleichung gegeben ist,
i„ P D ŒH; : (12.61)
Wir fassen noch einmal zusammen:

Dichteoperator
 Definition: X
D pk j ki h kj (12.62)
k

 Spur:
Sp. / D 1 (12.63)
 Reiner Zustand:
2 D , reiner Zustand (12.64)
 Erwartungswerte:
hAi D Sp.A / (12.65)
 Zeitentwicklung (Von-Neumann-Gleichung):

i„ P D ŒH;  (12.66)

Der Dichteoperator lässt sich nicht nur auf Teilchen anwenden, sondern auch
auf größere Quantensysteme. Damit lassen sich Ensembles von Quantensystemen
im Sinne der Statistischen Mechanik beschreiben.

Fragen zum Selbstcheck


1. Wie ist der Dichteoperator definiert und in welchen Situationen braucht man
ihn?
2. Wie benutzt man ihn, um Erwartungswerte auszurechnen?
3. Wie erkennt man, ob der Dichteoperator einen reinen Zustand beschreibt?
12.4 Dekohärenz 307

12.4 Dekohärenz

Wir erinnern uns, worin der Unterschied besteht zwischen (a) einem Ensemble von
Spins im Zustand ˛ jzCi C ˇ jzi und (b) einem Ensemble von Spins, von denen
sich ein Anteil j˛j2 im Zustand jzCi und ein Anteil jˇj2 im Zustand jzi befindet.
Die beiden Dichtematrizen sind
! !
j˛j2 ˇ  ˛ j˛j2 0
a D ; b D ; (12.67)
˛  ˇ jˇj2 0 jˇj2

der Unterschied liegt also offensichtlich in den nicht-diagonalen Einträgen. Wie wir
gesehen haben, haben diese Einträge Auswirkungen auf die statistische Verteilung
von Observablen. Sie werden als Kohärenzen oder Interferenzen zwischen den
Basiszuständen bezeichnet (in diesem Fall jzCi und jzi) und bilden das Unter-
scheidungsmerkmal zwischen klassischer und Quantenstatistik. Von Dekohärenz
spricht man, wenn die Kohärenzen durch die Dynamik des Systems verschwin-
den und sich die Dichtematrix in die eines statistischen Gemischs verwandelt. Dies
ist offensichtlich eine basisabhängige Aussage, denn die Diagonalität einer Ma-
trix hängt von der Basis ab. Dekohärenz ist also ein basisabhängiger Begriff und
bezeichnet die dynamische Verwandlung eines reinen Zustands in ein statistisches
Gemisch aus den Basiszuständen.
Man sieht sofort, dass Dekohärenz im wörtlichen Sinn unmöglich ist. Ein reiner
Zustand entwickelt sich nach der Schrödinger-Gleichung und bleibt für alle Zeiten
rein, er wird sich niemals in ein statistisches Gemisch verwandeln. Aber in realis-
tischen Situationen wechselwirken Systeme mit ihrer Umgebung und verschränken
sich dadurch mit ihr. Das System hat dann keinen eigenständigen Zustandsvektor
mehr, der eigentliche Zustand befindet sich im Tensorprodukt aus dem System
mit dem gesamten Rest des Universums. (Im Grunde ist es ein Wunder, dass wir
mit der Schrödinger-Gleichung bezogen auf Einzelsysteme überhaupt noch so
viel ausrichten können.) In diesen (allgegenwärtigen) Situationen müssen wir eine
Möglichkeit finden, das Einzelsystem sinnvoll zu beschreiben, ohne dabei auf den
gesamten Rest des Universums Bezug zu nehmen. Dazu wird uns der Begriff des
reduzierten Dichteoperators dienen, und für diesen ist Dekohärenz sehr wohl
möglich.

Betrachten wir ein System aus zwei verschränkten Quantenobjekten S1 und S2


mit Hilbertraum H .1/ ˝ H .2/ und einer Basis fjnI kig, wobei fjnig eine Basis von
H .1/ ist und fjkig eine Basis von H .2/ . Ein Dichteoperator hat dann bezogen auf
diese Basis die Matrixeinträge .nIk/.n0 Ik 0 / . Ferner soll eine Observable A gemessen
werden, die sich nur auf S1 bezieht, d. h., der zugehörige Operator hat die Gestalt
308 12 N-Teilchen-Systeme

A ˝ 1. Der Erwartungswert ist dann


hAi D Sp. A ˝ 1/ (12.68)
X
D .nIk/.n0 Ik 0 / An0 n ık 0 k (12.69)
n;k;n0 ;k 0
X
D .nIk/.n0 Ik/ An0 n (12.70)
n;n0 ;k
X .1/
D nn0 An0 n D Sp. .1/ A/: (12.71)
n;n0

Hierbei sind
.1/
X
nn0 D .nIk/.n0 Ik/ (12.72)
k

die Matrixeinträge des auf das Teilsystem S1 reduzierten Dichteoperators .1/ ,


X
.1/ D hk j j ki : (12.73)
k

Die auf S2 bezogenen Einträge wurden „ausgespurt“, analog zum Ausintegrieren


irrelevanter Freiheitsgrade in der klassischen Physik. Da es keinen auf S1 „redu-
zierten Zustand“ gibt, sondern nur einen reduzierten Dichteoperator, ist dieser das
einzige Hilfsmittel, mit dem sich (wenn er denn einmal gegeben ist) Wahrschein-
lichkeiten und Erwartungswerte für S1 allein berechnen lassen, ohne ständig im
gesamten Hilbertraum operieren zu müssen (man denke insbesondere an den Fall,
dass S2 wesentlich komplizierter ist als S1 ). Dies unterstreicht noch einmal die
große Bedeutung des Dichteoperator-Formalismus für komplexe bzw. wechselwir-
kende Systeme.
Dabei ist zu beachten, dass der reduzierte Dichteoperator im Allgemeinen keine
Von-Neumann-Gleichung erfüllt. Denn die Dynamik (insbesondere der Hamilton-
Operator) ist nur für das gesamte System bestimmt, die Entwicklung eines Teilsys-
tems kann im Allgemeinen nicht unabhängig vom Rest betrachtet werden. Andere
Eigenschaften eines Dichteoperators werden aber von auf .1/ übertragen, z. B.
gilt Sp. .1/ / D 1, und die Vorschrift für die Berechnung von Erwartungswerten
bleibt erhalten, wie wir eben am Beispiel der Observablen A gesehen haben. Das
gilt natürlich nur, solange die betroffene Observable sich ausschließlich auf S1
bezieht.

Nun befinde sich das Gesamtsystem im reinen Zustand


X
j i D ˛nIk jnI ki : (12.74)
n;k

Man überlegt sich leicht, dass sich dies immer durch geeignetes Gruppieren der
Terme umschreiben lässt zu
X
j i D ˇn jni ˝ j n i ; (12.75)
n
12.4 Dekohärenz 309

wobei jedes j ni ein normierter Zustandsvektor in H .2/ ist. Der zugehörige Dich-
teoperator ist X
D ˇn ˇn0 jni j ni h n0 j hn
0
j: (12.76)
n;n0
Der reduzierte Dichteoperator ist
X
.1/ D hk j j ki (12.77)
k
X
D ˇn ˇn0 jni hk j nih n0 jk i hn0 j (12.78)
k;n;n0
X X
D ˇn ˇn0 jni hn0 j h n0 jk i hk j ni (12.79)
n;n0 k
X
D ˇn ˇn0 jni hn0 j h n0 j ni: (12.80)
n;n0

Da die j n i normiert sind, ergibt sich für die diagonalen Einträge n D n0 immer
der Koeffizient jˇn j2 . Bei den nicht-diagonalen Einträgen (den Kohärenzen) hängt
es davon ab, wie sehr sich die einzelnen j n i voneinander unterscheiden. Wenn der
Gesamtzustand nicht verschränkt ist,
!
X
j i D ˇn jni ˝ j 0 i ; (12.81)
n

sind alle j n i identisch (nämlich gleich j 0 i), und die Kohärenzen bleiben be-
stehen. Sind hingegen alle j n i orthogonal zueinander, dann verschwindet das
Skalarprodukt rechts in (12.80) und somit auch die Kohärenzen. Diese Aussage
hängt von der Wahl der Basis fjnig ab. Wählt man eine andere Basis fjmig für
H .1/ , so ergeben sich ganz andere Vektoren j m i, die zu einem ganz anderen
Dekohärenzverhalten führen können. Eine Basis von H .1/ , bzgl. der Dekohärenz
stattfindet, bezeichnet man als Dekohärenzbasis.

In der Praxis wendet man diesen Formalismus auf relativ einfache Quantenob-
jekte (S1 ) mit wenigen Freiheitsgraden an, die mit einer sehr komplexen Umgebung
(S2 ) interagieren, zum Beispiel ein einzelnes Teilchen, das sich durch die Luft be-
wegt und dabei potentiell mit Luftmolekülen zusammenstößt. In diesem Fall ist
die Ortsbasis fjxig eine Dekohärenzbasis, denn die Wechselwirkungen hängen vor
allem davon ab, welche relative Position die Objekte zueinander haben. Ein nur
geringfügig anders positioniertes Teilchen wird einen anderen Zustand j n i der
Umgebung hervorrufen, und bei der riesigen Anzahl von Freiheitsgraden der Um-
gebung sind zwei zufällig gewählte Zustände fast immer in sehr guter Näherung
orthogonal zueinander (überlegen Sie sich das!), was wegen (12.80) zu Dekohärenz
führt. Eine Dekohärenzbasis ist also immer dann gegeben, wenn die Basisvekto-
ren sich von der Umgebung aus gesehen besonders gut unterscheiden lassen, indem
sie verschiedene Auswirkungen auf diese Umgebung haben. Das ist für die Orts-
basis fast immer der Fall. So führt die Dekohärenz dazu, dass sich ein Teilchen
310 12 N-Teilchen-Systeme

mit zerfließender Wellenfunktion blitzschnell effektiv in ein statistisches Gemisch


aus deutlich lokalisierten Teilchenzuständen verwandelt. Dieser Mechanismus ist
so stark, dass er selbst im All funktioniert, wo nahezu Vakuum herrscht und sich
die Wechselwirkung auf schwache Strahlungsfelder beschränkt. Die Dekohärenz
leistet also einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis, warum sich die Objekte,
von denen wir umgeben sind, so erstaunlich klassisch zu verhalten scheinen und so
gut lokalisiert sind, und warum man Systeme extrem gut von äußeren Wechselwir-
kungen isolieren muss, um ihr Quantenverhalten zu beobachten.
Eine andere Anwendung ist der Messprozess selbst. In diesem Fall besteht S1
aus dem beobachteten Quantenobjekt X und dem Messapparat M (vgl. Gl. 4.1),
S2 aus der Umgebung. Der Messapparat zeigt Zustände des Quantenobjekts mit-
hilfe eines Zeigers an, und die Position dieses Zeigers hat Auswirkungen auf die
Umwelt. Denn je nach Position des Zeigers werden andere Moleküle und Photo-
nen der Umwelt daran gestreut, man kann die unterschiedlichen Positionen von
außen sehen. Auch
P hier geschieht also Dekohärenz, d. h., statt einer kohärenten
Überlagerung ˛i jMi i ˝ jXi i erhält man effektiv ein statistisches Gemisch aus
den verschiedenen möglichen Ausgängen der Messung. Die Dekohärenz hilft uns
also, den Messvorgang selbst ein Stückweit als quantenmechanischen Prozess zu
verstehen, und liefert eine Erklärung, warum ein bestimmter Messaufbau einem
bestimmten Operator entspricht, der X nach einer bestimmten Basis zergliedert,
nämlich der Dekohärenzbasis. Das Schöne ist, dass dieses Resultat unabhängig von
der Interpretation der QM ist; es folgt einfach rechnerisch aus den grundsätzlichen
Eigenschaften der QM. Besonders hilfreich ist es aber für die Viele-Welten-Inter-
pretation, wo der Messprozess ja von vornherein als QM-Prozess verstanden wird.
Hier hilft die Dekohärenz zu verstehen, nach welcher Basis die Aufspaltung in meh-
rere „Welten“ erfolgt und in welchen Zeitskalen sie sich abspielt.
Bei all diesen Erfolgen muss man sich aber auch vor Augen halten, was die
Dekohärenz alles nicht leistet:

 Die Dekohärenz kann das Messproblem nicht lösen. Sie verrät uns ja nicht, wel-
cher der Zustände aus dem effektiven statistischen Gemisch erreicht wird. Hier
muss man weiterhin einen „Kollaps der Wellenfunktion“ postulieren oder sich
mit den Vielen Welten zufriedengeben. Immerhin zeigt sich aber hier die Basis,
entlang derer der Kollaps stattfinden muss, wenn es einen gibt.
 Dekohärenz funktioniert erst, nachdem man das Gesamtsystem in ein Tensorpro-
dukt aus zwei Teilsystemen gespalten hat. Wie diese Spaltung vorzunehmen ist,
sagt sie uns nicht (und damit hat die Viele-Welten-Interpretation ja Probleme).
 Sie kann auch das Problem der Viele-Welten-Interpretation nicht lösen, wie die
Wahrscheinlichkeiten in die QM kommen. Denn der Dichteoperator-Formalis-
mus muss die Rolle der Wahrscheinlichkeiten in der QM bereits voraussetzen,
denn sonst könnte man ja gar nicht die zwei Arten von Wahrscheinlichkeit in
einem Dichteoperator zusammenführen.
 Schließlich muss man noch festhalten, dass das „statistische Gemisch“, auf das
die Dekohärenz führt, gar kein echtes statistisches Gemisch ist. Bei einem ech-
ten statistischen Ensemble bleibt die Anzahl der Mikrozustände immer gleich,
12.4 Dekohärenz 311

und jeder Mikrozustand bewegt sich auf einer deterministischen Bahn durch
den Phasenraum. Die Mikrozustände stehen am Anfang jeder Mittelung, d. h.,
durch statistische Mittelung über die Mikrozustände werden relevante statis-
tische Größen bestimmt. Bei der Dekohärenz hingegen gehen wir von einem
einzigen reinen Zustand aus, und dieser bleibt bezogen auf das Gesamtsystem
auch rein. Die n „Mikrozustände“, in die S1 scheinbar aufgespalten wird, haben
keine autonome Zeitentwicklung und entstehen erst durch Mittelung über S2 .
Man kann nur sagen, dass sich der reduzierte Dichteoperator nach Dekohärenz
zu einem festen Zeitpunkt so verhält wie der Dichteoperator eines statistischen
Gemischs, aber ansonsten hat er konzeptionell nur wenig mit einem echten sta-
tistischen Ensemble gemein. Daher muss man auch mit der Interpretation der
Ergebnisse etwas vorsichtig sein.

Zur Vertiefung des Themas empfehle ich Kap. 3 in [Joos et al. (2003)].
Pfadintegral
13

Es wird gezeigt, wie man Pfadintegralen einen mathematischen Sinn geben kann.

Das Pfadintegral ist eine Methode, um den Ortspropagator U.r0 ; t 0 ; r0 ; t0 / ohne


Zuhilfenahme der Schrödinger-Gleichung auszurechnen. Dabei ist der Ortspropa-
gator mithilfe des normalen Propagators U.t; t0 / definiert durch

U.r0 ; t 0 ; r0 ; t0 / D hr0 jU.t 0 ; t0 /j r0 i : (13.1)


Das Betragsquadrat von U.r0 ; t 0 ; r0 ; t0 / ist die Wahrscheinlichkeitsdichte dafür, dass
ein Quantenobjekt, das zur Zeit t0 am Ort r0 losgelassen wird, zum Zeitpunkt t 0 am
Ort r0 angetroffen wird. Klassisches Beispiel ist der Doppelspaltversuch, z. B. mit
Elektronen: r0 ist der Ort der Elektronenquelle, die zum Zeitpunkt t0 ein Elektron
emittiert. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeitsdichte dafür, dass das Elektron zur
späteren Zeit t 0 am Ort r0 auf dem Schirm angetroffen wird? Die Antwort, die zu
dem berühmten Interferenzmuster führt, lautet, dass man dazu zwei Anteile einer
Wellenfunktion summieren muss, wobei jeder Anteil zu einem der beiden Wege
gehört, die das Elektron nehmen kann, und eine Phase besitzt, die aus diesem Weg
resultiert: X
U.r0 ; t 0 ; r0 ; t0 / e i Phase.Weg/ (13.2)
Wege

Die Idee des Pfadintegrals besteht darin, diese Summation zu verallgemeinern: Ein
Quantenobjekt nimmt alle nur erdenklichen Wege, um von r0 nach r0 zu kommen.
Dabei interferieren die Phasen, die seine Wellenfunktion nach jedem dieser We-
ge bei .r0 ; t 0 / annimmt, und lassen dabei eine bestimmte Amplitude übrig, eben
U.r0 ; t 0 ; r0 ; t0 /. Die Behauptung, die in der Theorie des Pfadintegrals aufgestellt
wird, lautet in Kurzform:

Pfadintegral
Z
U.r0 ; t 0 ; r0 ; t0 / D DŒr.t/ e iS Œr.t /=„ (13.3)

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 313


J.-M. Schwindt, Tutorium Quantenmechanik, DOI 10.1007/978-3-662-49399-1_13
314 13 Pfadintegral

„Was um Himmels willen bedeutet das?“, werden Sie sich fragen. Sie finden
in der Literatur einige „Beweise“, warum das, was da steht, zur Schrödinger-Glei-
chung äquivalent ist (siehe z. B. [Shankar (2008)]). Die Beweise haben alle ihre
Tücken, ihre offenen und versteckten Annahmen und sind allesamt mit Vorsicht
zu genießen. Und gute Autoren (Shankar ist so einer) weisen darauf auch hin. Wir
wollen hier gar nicht so ehrgeizig sein, die Äquivalenz zu zeigen oder gar etwas mit
diesem Formalismus auszurechnen (auch hierfür liefert [Shankar (2008)] ein paar
schöne Beispiele). Wir wollen hier nur auf wenigen Seiten zu klären versuchen,
womit wir es auf der rechten Seite von (13.3) überhaupt zu tun haben. Dabei be-
schränken wir uns auf eine Raumdimension, ersetzen im Folgenden also r durch x,
Z
U.x 0 ; t 0 ; x0 ; t0 / D DŒx.t/e iS Œx.t /=„: (13.4)
R
Der Ausdruck DŒx.t/ ist das „Integral über alle Wege“, das wir gleich in
einem dreifachen Grenzwertübergang definieren wollen. Vorher aber beschäftigen
wir uns mit dem Exponentialausdruck e iS Œx.t /=„. Darin ist SŒx.t/ die aus der klas-
sischen Mechanik bekannte Wirkung,

Zt 0
SD P
dtL.x.t/; x.t//: (13.5)
t0

L D T  V ist die Lagrangefunktion (kinetische minus potentielle Energie), die


hier nicht explizit von der Zeit abhängen soll (kein zeitabhängiges Potential). Die
Wirkung SŒx.t/ ist ein Funktional, d. h., sie ordnet einer Funktion x.t/ eine Zahl
zu. Die Funktion x.t/ soll dabei den Randbedingungen x.t0 / D x0 und x.t 0 / D x 0
genügen. Das Funktional SŒx.t/ hat die Eigenschaft, dass es für den klassischen
Weg xcl .t/ ein Extremum annimmt (Hamilton-Prinzip), d. h. für denjenigen Weg,
der von x.t0 / D x0 nach x.t 0 / D x 0 führt und dabei den klassischen Bewegungs-
gleichungen genügt (man nehme an, ein solcher Weg existiert und ist eindeutig).
Das Hamilton-Prinzip ist auch der Grund dafür, warum S (bis auf einen Faktor)
so ein guter Kandidat für die Phase im Pfadintegral ist, so zumindest die Folklore:
Man kann sich vorstellen, dass S für Pfade, die stark vom klassischen Pfad abwei-
chen, bei kleinen Änderungen sehr stark oszilliert, so dass sich die verschiedenen
Phasen bei der Summation „über alle Wege“ gegenseitig weginterferieren. In ei-
nem Bereich um den klassischen Weg jedoch variiert S wegen des Extremums nur
schwach, so dass die Wege in diesem Bereich aufgrund ähnlicher Phasen konstruk-
tiv miteinander interferieren, also den Hauptbeitrag zum Pfadintegral liefern. Das
ist auch das, was man (laut Folklore) erwarten würde. Die klassische Physik ist in
vielen Bereichen eine gute Näherung, insbesondere verhalten sich Erwartungswer-
te nach den klassischen Bewegungsgleichungen. Deshalb folgt man der Annahme,
dass die QM nur zu „Quantenfluktuationen“ rund um den klassischen Pfad führt.
Inwieweit diese Folklore berechtigt ist, wollen wir hier nicht diskutieren. (Es sei
immerhin erwähnt, dass der Tunneleffekt hier nicht ins Bild passt. Dort gibt es kei-
nen klassischen Pfad, der durch den Potentialwall führt.)
13 Pfadintegral 315

Eine andere formalere Motivation für S als Phase im Pfadintegral ist durch den
Zusammenhang zwischen QM und Hamilton-Jacobi-Formalismus gegeben, siehe
Streber-Ecke 3.3. Denn die Wirkung des klassischen Pfades zeigt sich dort als
Lösung für die Phase der Wellenfunktion in der klassischen Näherung.

Als kleines Beispiel, das sich gleich noch als nützlich erweisen wird, berechnen
wir die Wirkung eines freien Teilchens (V D 0), das sich auf dem klassischen Pfad,
also mit konstanter Geschwindigkeit v, von x0 nach x 0 bewegt:
Zt 0 Zt 0
m 2
SŒx.t/ D dt L.x.t// D dt v (13.6)
2
t0 t0
 0 2
m x  x0 m .x 0  x0 /2
D .t 0  t0 / D (13.7)
2 t 0  t0 2 t 0  t0

R Nun wenden wir uns dem eigentlichen Problem zu: dem seltsamen Ausdruck
DŒx.t/, dem „Integral über alle Wege“. Hierfür müssen wir etwas weiter aus-
holen. Wir schränken zunächst die erlaubten x-Werte auf ein endliches Intervall
Œa; a ein und diskretisieren die Raumzeit für t 2 Œt0 ; t 0  und x 2 Œa; a. Das
heißt, wir rechnen mit endlich vielen Raumpunkten und endlich vielen Zeitpunkten
in gleichmäßigen Abständen
2a t 0  t0
x D 1 D ; t D 2 D : (13.8)
N1 N2
Wir haben also den genannten Bereich der zweidimensionalen Raumzeit in .N1 C1/
.N2 C 1/ Punkte eingeteilt. Die Zeitpunkte werden nummeriert durch tn D t0 C n 2 ,
für n D 0; 1;    ; N2 , also insbesondere t 0 D tN2 . Nun bilden wir alle möglichen
Funktionen x.t/ auf diesem Gitter, mit den Randbedingungen x.t0 / D x0 und
x.tN2 / D x1 . (Wir nehmen an, dass x0 und x 0 auf dem Gitter liegen. Andernfalls
verschieben wir den Koordinatenursprung und ändern a entsprechend.) Für jeden
der Zeitpunkte t1 bis tN2 1 sind die x-Werte frei aus den N1 C 1 Möglichkeiten
wählbar, wir erhalten also .N1 C 1/N2 1 mögliche „Wege“ von x0 nach x 0 , über
die wir gleich zu summieren haben. Zuerst müssen wir aber noch SŒx.t/ festlegen.
Die Funktionswerte x.tn / nennen wir xn . Die Wirkung SŒx.t/ ist die Summe der
Wirkungen Sn .xn1 ; xn / der einzelnen Zeitabschnitte Œtn1 ; tn , mit n D 1;    ; N2 ,

X
N2
SŒx.t/ D Sn .xn1 ; xn /: (13.9)
nD1

Dabei definieren wir, dass sich Sn .xn1 ; xn / aus einer gleichförmigen Bewegung
von xn1 nach xn ergibt und das Potential V am Punkt xn12Cxn ausgewertet wird.
Das heißt, wir setzen per Definition

m .xn  xn1 /2 xn1 C xn 2
Sn .xn1 ; xn / D  2 V ; (13.10)
2 2 2
316 13 Pfadintegral

wobei wir das Ergebnis (13.7) für den kinetischen Term ausgenutzt haben. Die Sum-
mation über alle Wege in (13.4) lautet daher momentan
XX X
 e iS Œx.t /=„; (13.11)
x1 x2 xN2 1

wobei jede Summe über die N1 möglichen xn Werte zu bilden und für S (13.9) und
(13.10) einzusetzen sind. Das ist ein wohldefinierter Ausdruck. Jetzt gehen wir zum
eigentlichen Pfadintegral über, indem wir nacheinander drei Grenzwerte bilden:

 Als Erstes lassen wir 1 ! 0 gehen. Dadurch werden die Summen zu Integralen,
und der Pfadintegral-Ausdruck lautet jetzt
Za Za Za
dx1 dx2    dxN2 1 e iS Œx.t /=„ : (13.12)
a a a

Soweit kein Problem, alles noch wohldefiniert.


 Als Zweites soll der Limes a ! 1 gebildet werden. Jetzt wird es problematisch.
Die Exponentialfunktion oszilliert nämlich fröhlich vor sich hin, und zwar immer
schneller, wenn ein xn gegen unendlich läuft, wegen des quadratischen Terms in
(13.10). Die Integrale konvergieren also nicht. Etwas Derartiges ist uns nicht
ganz neu. Wir erinnern uns an das formale Integral
Z1
1
dx e i kx D ı.k/: (13.13)
2
1

Auch dieses Integral konvergiert eigentlich nicht für k ¤ 0 (für k D 0 sowieso


nicht), und trotzdem verwenden wir es mit Erfolg. Wie lässt sich das rechtfer-
tigen? Man kann sich helfen, indem man den Limes so definiert, dass er das
Integral im Unendlichen „ausmittelt“. Man kann z. B. folgende Definition ver-
wenden:
Z1 Z2L ZL0
1
dx f .x/ WD lim dL0 dx f .x/ (13.14)
L!1 L
1 L L0
Das heißt, um das eigentliche Integral wird noch ein zweites herumgepackt, das
über verschiedene Grenzen des eigentlichen Integrals mittelt. Wir demonstrieren
das am Beispiel f .x/ D e i kx mit k ¤ 0. Dann ist nämlich das innere Integral

ZL0
2
dx e i kx D sin.kL0 /: (13.15)
k
L0

Das äußere Integral


Z2L
1 2
dL0 sin.kL0 / (13.16)
L k
L
13 Pfadintegral 317

0
R 1Bereichi kxL < L < 2L, und
bildet einen Mittelwert über die Sinusfunktion im
dieser Mittelwert konvergiert gegen 0. Somit ist 1 dx e D 0 für k ¤ 0 mit
dieser Definition wohldefiniert. Für Funktionen, die im gewöhnlichen Sinn von
1 bis C1 integrierbar sind, ändert sich nichts, denn

Z2L ZL0
1
dL0 dx f .x/ (13.17)
L
L L0
2 3
ZL Z2L ZL ZL0
1
D dx f .x/ C dL0 4 dx f .x/ C dx f .x/5 :
L
L L L0 L
R1
Im Limes L ! 1 wird der erste Summand zum gewöhnlichen 1 dx f .x/,
und der Ausdruck in eckigen Klammern geht gegen null. Die Definition (13.14)
ist also sinnvoll. Das Pfadintegral wird somit zu

Z1 Z1 Z1
dx1 dx2    dxN2 1 e iS Œx.t /=„: (13.18)
1 1 1

 Bevor wir uns dem letzten Limes zuwenden, erinnern wir uns daran, dass wir
damit (13.4) erreichen wollen, also einen Ausdruck für den Ortspropagator. Da-
bei stellt sich heraus, dass jedes Integral in (13.18) noch mit einem konstanten
Faktor 1=C , den wir hier nicht weiter spezifizieren, versehen werden muss, da-
mit am Ende das Richtige herauskommt. Ein weiterer Faktor muss zusätzlich vor
den gesamten Ausdruck gestellt werden. Das Pfadintegral lautet jetzt

Z1 Z1 Z1
1 dx1 dx1 dxN2 1 iS Œx.t /=„
 e : (13.19)
C C C C
1 1 1

 Der letzte Limes ist 2 ! 0, also N2 ! 1. Damit gehen wir wieder von
der diskreten zur kontinuierlichen Zeit über. Diesen Limes darf man nicht zu
früh ausführen, sonst erhält man ein unsinniges C 1 im Nenner und unend-
lich viele Integrationen. Die Integrationen müssen zuerst ausgeführt und mit den
1=C -Faktoren verrechnet werde, dann erst ist der Limes 2 ! 0 zu bilden.

Damit ist erklärt, wie die rechte Seite von (13.4) zu lesen ist, was also ein Pfad-
integral ist. Wie man damit rechnet, ist eine andere Frage. Letztlich läuft es fast
immer auf eine Entwicklung um den klassischen Pfad herum hinaus, siehe Beispiele
bei [Shankar (2008)]. In der QFT werden Pfadintegrale vor allem als rein formales
Mittel genutzt, um mithilfe einer bestimmten Heuristik Ausdrücke für Feynman-
Diagramme herzuleiten. Interessant ist noch die formale Ähnlichkeit zu den Zu-
standssummen in der Statistischen Mechanik. Auch hierzu finden Sie Erläuterungen
in der Literatur.
Dirac-Gleichung
14

Wir sehen den Glanz der Schönheit in die QM eintreten und verstehen, inwiefern wir auf
einem unendlichen See von Teilchen mit negativer Energie leben.

Sternstunden der theoretischen Physik kommen zustande, wenn ein Vertreter die-
ser Zunft aus ein paar einfachen, aber sehr grundlegenden Prinzipien eine Gleichung
ableiten kann, die von der Natur freundlich bestätigt wird und eine Reihe von bisher
unverstandenen Phänomenen erklärt. Das war z. B. der Fall, als Einstein die allge-
meine Relativitätstheorie (er)fand. In der QM sah es zunächst völlig umgekehrt aus.
Die Theoretiker wurden von widersprüchlichen, scheinbar absurden Beobachtun-
gen vor sich hergetrieben; nur mit Mühe konnten sie mithilfe der Heisenberg’schen
Matrizenmechanik oder der Schrödinger’schen Wellenmechanik etwas Ordnung in
das Durcheinander bringen, wobei aber die Interpretation und der tiefere Sinn des
Ganzen unklar blieben. Mit der Dirac-Gleichung kehrte der Glanz der Theorie auch
in der QM ein. Aus ein paar einfachen Überlegungen fand Dirac eine Gleichung,
die mit einem Schlag

 die QM des Elektrons relativistisch verallgemeinerte,


 den Spin des Elektrons erklärte,
 die Wechselwirkung des Spins mit einem Magnetfeld beschrieb,
 die Spin-Bahn-Kopplung im H-Atom erklärte,
 das Positron vorhersagte, das erste Beispiel für ein Antimaterie-Teilchen.

Im Folgenden setzen wir der Einfachheit halber die Lichtgeschwindigkeit c D 1,


wie es in der theoretischen Physik oft getan wird. Das heißt, wir stellen uns vor, dass
zeitliche ebenso wie räumliche Distanzen in Metern angegeben werden, und zwar
mit dem Umrechnungsfaktor, den c D 1 liefert, also 1s D 300:000 km.
In der relativistischen Mechanik werden Ort r und Zeit t zu einem Vierervektor
x D .t; x; y; z/ zusammengefasst, ebenso Impuls p und Energie E zu einem
Viererimpuls p D .E; px ; py ; pz /. Was an der QM zu einer relativistischen Ver-
allgemeinerung ermutigt, ist, dass die Zuordnung von E zur Zeitableitung (der
Operator H der Energie wird in der Schrödinger-Gleichung mit einer Zeitableitung
identifiziert) und p zu Ortsableitungen in diesem Viererschema zusammenpassen.
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 319
J.-M. Schwindt, Tutorium Quantenmechanik, DOI 10.1007/978-3-662-49399-1_14
320 14 Dirac-Gleichung

Die Energie eines freien Teilchens ist nichtrelativistisch E D p 2 =.2m/, deshalb


tritt in der Schrödinger-Gleichung nur eine einfache Zeitableitung auf, aber zwei-
fache Ortsableitungen. Relativistisch ist E 2 D p 2 C m2 , auf Operatorebene setzen
wir daher  
H 2 j i D P 2 C m2 j i : (14.1)
Mit der Ersetzung
@ @
H ! i„ ; Pi ! i„ ; (14.2)
@t @xi
wird daraus die Klein-Gordon-Gleichung

2
@ m2
C 2 .r; t/ D 0: (14.3)
@t 2 „

Sie hat den Nachteil, dass hier die zweite Ableitung nach der Zeit auftritt, was
einer grundlegenden Eigenschaft der QM zuwiderläuft, nämlich dass sich aus dem
Zustand allein (ohne Kenntnis der ersten Zeitableitung) seine zeitliche Entwicklung
herleiten lässt. (Es gibt noch andere Probleme mit der Klein-Gordon-Gleichung,
auf die wir hier nicht eingehen; siehe dazu [Messiah (1991)].) Vielleicht lässt sich
erreichen, dass man wieder eine Gleichung der Form

@
i„ j iDHj i (14.4)
@t
erhält? Das Einfachste wäre, aus H 2 D P 2 C m2 die Wurzel zu ziehen,

@ p
i„ j i D P 2 C m2 j i ; (14.5)
@t
wie wir es ja schon bei der relativistischen Korrektur zum H-Atom getan haben, und
sie nach Potenzen von P zu entwickeln. Aber diese Gleichung widerspricht dem
relativistischen Geist: Auf der rechten Seite treten beliebig hohe Ortsableitungen
auf, die Symmetrie zwischen Raum und Zeit ist gebrochen. Diracs ehrgeiziges Ziel
war es, eine Gleichung aufzustellen, die erster Ordnung in Ort und Zeit ist und
aus der die Klein-Gordon-Gleichung und somit die Lorentz-Symmetrie folgt. Dazu
musste er den Raum H der Wellenfunktionen erweitern durch ein Tensorprodukt
mit einem weiteren, d -dimensionalen Raum H ,

H D H ˝ H ; (14.6)

wie wir das schon zuvor beim Spin getan haben. (Jetzt nehmen wir an, dass wir vom
Spin noch nichts wissen.) Ein Element von H heißt Dirac-Spinor. Schreibt man
einen Zustand j i nach wie vor als Wellenfunktion, so hat diese d Komponenten,
a .r; t/, a D 1;    d . Nun setzte Dirac mit folgendem Hamilton-Operator an:

X
3
H D ˛i ˝ Pi C mˇ ˝ 1 (14.7)
i D1
14 Dirac-Gleichung 321

Dabei sind ˛i und ˇ .d  d /-Matrizen, die in H wirken. Wenn man erreichen


kann, dass

˛i2 D ˇ 2 D 1; ˛i ˛j C ˛j ˛i D 2ıij 1; ˛i ˇ C ˇ˛i D 0; (14.8)

dann folgt (bitte nachrechnen!)

H 2 D 1 ˝ P 2 C m2 1 ˝ 1; (14.9)

was der korrekte relativistische Ausruck ist, nur noch um irrelevante Einheitsma-
trizen in H erweitert. Mit (14.7) erhält man als relativistische Verallgemeinerung
der freien Schrödinger-Gleichung die

Dirac-Gleichung
!
d X 3
i„ j i D ˛i ˝ Pi C mˇ ˝ 1 j i : (14.10)
dt i D1

In einer moderneren Schreibweise definiert man  0 D ˇ,  i D ˇ˛i , dann kann


man nämlich (14.10) umschreiben zu
0 1
X3
@
@i„  ˝  mA .r; t/ D 0; (14.11)
D0
@x

wobei .r; t/ hier als d -dimensionaler Vektor in H zu verstehen ist. Da wir an


Energie-Eigenwerten interessiert sind, ist für uns die Schreibweise (14.10) nützli-
cher.
Bisher ist alles noch hypothetisch, denn erst einmal müssen wir Matrizen mit den
Eigenschaften (14.8) finden. Es stellt sich heraus, dass d mindestens 4 sein muss.
Dann ist, in 2  2 Blöcken geschrieben,
! !
0 i 1 0
˛i D ; ˇD (14.12)
i 0 0 1

eine Möglichkeit (andere Möglichkeiten erreicht man durch unitäre Transforma-


tionen in H ).

Aufgabe 14.1
Rechnen Sie mithilfe der bekannten Eigenschaften der Pauli-Matrizen i
nach, dass diese Matrizen ˛i , ˇ die in (14.8) geforderten Eigenschaften
haben.
322 14 Dirac-Gleichung

Jetzt stört uns noch der Umstand, dass wir es mit vier Spinorkomponenten zu
tun haben. Wir hatten doch nur zwei erwartet! Um dieses Rätsel zu lösen, stellen
wir die Energie-Eigenwertgleichung auf,
!
X3
˛i ˝ Pi C mˇ ˝ 1 j i D E j i : (14.13)
i D1

Nun spalten wir den vierkomponentigen Spinor in zwei zweikomponentige


Teile  und  auf,
0 1 0 1
1 1
B 2 C B 2 C
B C D B C: (14.14)
@ 3 A @ 1 A
4 2
Jede Komponente ist als Funktion von Raum und Zeit zu verstehen. Setzen wir
(14.12) in (14.13) ein, so erhalten wir
! ! !
.E  m/1   P  0
D (14.15)
  P .E C m/1  0

mit der Definition


X
3
 PD i ˝ Pi : (14.16)
i D1
Nun sehen wir uns einen Impuls-Eigenzustand mit p D 0 an. Da wir es mit ei-
nem freien Teilchen zu tun haben (kein Potential in der Dirac-Gleichung), ist dieser
automatisch auch ein Energie-Eigenzustand. Als Energie-Eigenwert erwarten wir
E D m. Aber wir lassen das noch offen und setzen p D 0 in (14.15) ein:
! ! !
.E  m/1 0  0
D (14.17)
0 .E C m/1  0

Das ergibt .E  m/ D 0 und .E C m/ D 0, mit zwei Lösungmöglichkeiten:


E D m und  D 0 oder E D m und  D 0. Für die erwartete Lösung mit E D m
gibt es also nur zwei mögliche Spinorkomponenten, die anderen zwei Komponenten
gehören zu seltsamen Zuständen mit der negativen Energie E D m. Was hat das
denn zu bedeuten? Man überzeugt sich leicht, dass auch mit p ¤ 0 diese p Verhält-
nisse bestehen bleiben: Es gibt pzwei Eigenspinoren zur Energie E D p 2 C m2
und zwei zur Energie E D  p 2 C m2 . Nur die Eigenspinoren für die positi-
ve Energie sind physikalisch sinnvoll. Der zweidimensionale Unterraum von H ,
den sie aufspannen, ist der Spinorraum, den wir aus der nichtrelativistischen QM
kennen.
Dirac interpretierte das so: Wenn die Zustände mit negativer Energie unbesetzt
wären, dann würden alle Elektronen in diese Zustände hinunterpurzeln und riesige
Mengen Energie freisetzen. Das geschieht nicht, also müssen sie schon besetzt sein.
Unendlich viele Elektronen füllen diesen „Dirac-See“ negativer Energien aus, so
14 Dirac-Gleichung 323

dass alle solchen Zustände besetzt sind. Wenn nun eines dieser See-Elektronen eine
Energie von 2m aufnimmt, z. B. durch Absorption eines Photons, dann kann es von
E D m zu E D Cm springen und dadurch ein „echtes“ Elektron werden. Im See
entsteht dadurch ein Loch. Dieses Loch hat ähnliche Eigenschaften wie das Elek-
tron, nur dass es positiv geladen ist. Es ist ein Stück Antimaterie, ein Positron. So
sagte Dirac das Positron vorher, und kurze Zeit später wurde es entdeckt. Die See-
Interpretation mit ihren unendlich vielen See-Elektronen ist dennoch sehr gewagt
und wurde mittlerweile durch modernere, aber auch kompliziertere Sichtweisen
ersetzt.

Als Letztes soll nun noch die Wechselwirkung zwischen Spin und Magnetfeld
sowie das gyromagnetische Verhältnis ge D 2 aus der Dirac-Gleichung hergeleitet
werden. Hierzu gibt es im Folgenden eine Anleitung; die Details der Rechnung sind
Ihnen als Aufgabe überlassen.

Aufgabe 14.2
a) Folgern Sie aus (14.15), dass
 P
D : (14.18)
E Cm
Schätzen Sie im nichtrelativistischen Fall v << 1 (ausschließlich um die-
sen Fall geht es uns) die Größenverhältnisse ab. Wir betrachten hier nur
Lösungen mit positiver Energie! Nähern Sie
 P
 : (14.19)
2m
b) Setzen Sie dieses Ergebnis wieder in (14.15) ein und erhalten Sie für  in
der nichtrelativistischen Näherung die Gleichung
.  P/.  P/
 D .E  m/ D ES : (14.20)
2m
Dabei ist ES D E  m die Energie, wie sie in der Schrödinger-Gleichung
auftritt (dort fehlt ja die Energie, die mit der Ruhemasse assoziiert ist).
Nun führen wir wieder ein elektromagnetisches Potential A ein (das
elektrostatische brauchen wir nicht, da es uns nur um ein konstantes Ma-
gnetfeld geht). Wir ersetzen wieder

P ! P  qA (14.21)

und erhalten die Pauli-Gleichung


Π .P  qA/Π .P  qA/
 D .E  m/ D ES : (14.22)
2m
324 14 Dirac-Gleichung

c) Zeigen Sie allgemein mit den Eigenschaften der Pauli-Matrizen

.  U/.  V/ D U  V C i  .U  V/: (14.23)

d) Wieso gilt für vektorielle Operatoren U nicht unbedingt U  U D 0?


Zeigen Sie
.P  qA/  .P  qA/ D iq„B; (14.24)
wobei B das zu A gehörende Magnetfeld ist.

e) Folgern Sie

.P  qA/2 q„
   B  D ES : (14.25)
2m 2m
und daraus ge D 2.

Zum Vertiefen des Themas ist [Messiah (1991)] sehr gut geeignet.
Quanten-Pandämonium
15

Die Dämonen der Quantenwelt treten auf und verblüffen uns mit allerlei Zaubertricks.
Dabei werden Bomben versteckt und gefunden, die Vergangenheit wird ausradiert und
Bewegung allein durch Hinschauen zum Stillstand gebracht.

Dieses abschließende Kapitel soll uns noch einmal vergegenwärtigen, was für
eine seltsame, geradezu „dämonische“ Theorie die QM ist. Experimentatoren und
Theoretiker hatten in den vergangenen Jahrzehnten viel Spaß daran, die absonder-
lichsten Aspekte der Theorie immer wieder neu in Szene zu setzen. Einige dieser
Szenarien wollen wir hier besprechen.
Bei den sog. Delayed-Choice-Experimenten wird die Wahl, welche Observa-
ble gemessen wird, so lange hinausgezögert, dass das Verhalten des Quantenobjekts
durch diese Wahl scheinbar in der Vergangenheit beeinflusst wird. Bei der wech-
selwirkungsfreien Quantenmessung wird die Anwesenheit eines Gegenstandes
festgestellt, ohne dass ein Signal von diesem ausgeht und ohne dass ein Testobjekt
mit ihm in Berührung kommt oder von ihm abgelenkt wird. Ein Quantenradie-
rer, ein Begriff, der eng mit den Delayed-Choice-Experimenten zusammenhängt,
löscht scheinbar bereits gewonnene Informationen über den Zustand eines Quan-
tenobjekts wieder aus und stellt eine vorher bestehende Überlagerung wieder her.
In Kombination mit Verschränkung macht sich das durch „spukhafte Fernwirkung“
auch beim Partner der Verschränkung bemerkbar. Der Quanten-Zeno-Effekt zeigt,
dass man allein durch permanentes Hinschauen die Entwicklung eines Quantenob-
jekts zum Stillstand bringen kann. Das Kochen-Specker-Theorem schließlich ist
eine bemerkenswerte Ergänzung zu den Bell’schen Ungleichungen: Es besagt, dass
verborgene Parameter, wenn es sie denn gibt, nicht nur nichtlokal sein müssen,
sondern auch nur im Kontext einer Messung bestehen können. Das heißt, die ver-
borgenen Eigenschaften kommen nicht dem Quantenobjekt allein zu, sondern nur
der Kombination aus Quantenobjekt und Messanordnung. Theorien mit verborge-
nen Parametern werden dadurch noch einmal unattraktiver.
Wenn Sie nach diesem Kapitel auf den Geschmack gekommen sind, finden Sie
weitere „dämonische“ Quantenphänomene in [Pade (2012)].

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 325


J.-M. Schwindt, Tutorium Quantenmechanik, DOI 10.1007/978-3-662-49399-1_15
326 15 Quanten-Pandämonium

15.1 Ein Delayed-Choice-Experiment

Rufen wir uns zunächst das klassische Doppelspalt-Experiment in Erinnerung (klas-


sisch hier in dem Sinne, dass es ein Klassiker unter den Experimenten ist, und nicht
etwa, dass es durch klassische Physik beschrieben werden kann). Eine Lichtquel-
le strahlt kohärentes Licht auf eine Wand mit zwei parallelen, schmalen Schlitzen
(Doppelspalt). Auf einem Schirm hinter der Wand entsteht ein Interferenzmuster.
Wird die Lichtquelle so stark abgeschwächt, dass sich zu jedem Zeitpunkt nur
ein einziges Photon auf dem Weg befindet, so trifft zwar jedes Photon an einem
bestimmten Punkt auf dem Schirm auf. Sieht man sich aber die Gesamtheit der
Auftreffpunkte an, so ergibt sich wieder dasselbe Interferenzmuster; d. h., in Berei-
chen konstruktiver Interferenz treffen besonders viele Photonen auf, in Bereichen
destruktiver Interferenz gar keine. Dies wird so interpretiert, dass ein Photon seinen
Weg durch beide Spalte gleichzeitig nimmt und dabei mit sich selbst interferiert
(Wellenverhalten). Am Schirm muss es sich dann im Sinne einer Ortsmessung
für eine Stelle entscheiden, wobei die Wahrscheinlichkeitsverteilung durch das In-
terferenzmuster vorgegeben ist. Wir erinnern uns hierbei, dass bei Photonen die
Wellenfunktion mit den Feldstärken der zugehörigen elektromagnetischen Welle
korreliert, so dass sich bei den Wahrscheinlichkeitsverteilungen die gleichen Inter-
ferenzen ergeben wie bei der Beschreibung durch klassische elektromagnetische
Wellen.
Ein anderes Verhalten ergibt sich, wenn man unmittelbar hinter beiden Spalten je
einen Photon-Detektor aufstellt. In diesem Fall findet die Ortsmessung früher statt,
bevor es überhaupt zur Interferenz kommen kann. Es spricht immer nur einer der
beiden Detektoren an, und man erhält eine „Welcher-Weg-Information“, d. h., das
Photon muss sich für einen der beiden Spalte entscheiden, anstatt beide gleichzeitig
zu nehmen.
Der Kontrast zwischen Interferenz und Welcher-Weg-Information wird auch
beim Mach-Zehnder-Interferometer (MZI) in eindrucksvoller Weise deutlich.
Der Aufbau eines MZI ist in Abb. 15.1 dargestellt: Ein kohärenter Lichtstrahl wird
durch einen Strahlteiler (ST1) zunächst in zwei gleich starke Teile gespalten, d. h.,
die Hälfte der Photonen wird geradeaus durchgelassen (Weg 1), die andere Hälfte
senkrecht nach oben reflektiert (Weg 2). Durch zwei Spiegel werden die beiden

Abb. 15.1 Mach-Zehnder- D2


Interferometer mit zwei
Strahlteilern (ST), zwei Spie-
geln (Sp) und zwei Photon- D1
Detektoren (D) Sp ST2

ST1 Sp
15.1 Ein Delayed-Choice-Experiment 327

Strahlen wieder zusammengeführt und durch einen weiteren Strahlteiler (ST2) mit-
einander vermischt (jeder der beiden Strahlen wird dort zur Hälfte durchgelassen,
zur Hälfte im rechten Winkel nach außen reflektiert). Dabei ist aber zu beachten,
dass Strahlteiler die Eigenschaft haben, dass reflektierte und durchgelassene Wellen
um 2 phasenverschoben zueinander sind. Wenn wir uns nun den Strahl ansehen, der
den Photon-Detektor D1 erreicht, so stellen wir fest, dass er aus Anteilen von Weg
1 und Weg 2 besteht, wobei jeder der beiden Teile an einem der beiden Strahlteiler
reflektiert und am anderen durchgelassen wurde. Die Phasenverschiebungen heben
sich also auf, es entsteht konstruktive Interferenz. Der Strahl, der den Photon-De-
tektor D2 erreicht, besteht auch aus Anteilen von Weg 1 und Weg 2. Aber in diesem
Fall wurde der Anteil von Weg 1 an beiden Strahlteilern durchgelassen, der Anteil
von Weg 2 von beiden reflektiert. Die beiden Phasenverschiebungen summieren
sich zu  auf, es herrscht also destruktive Interferenz. Daher erreicht das gesamte
Licht den Detektor D1, und bei D2 bleibt es dunkel.
Wieder kann man die Intensität soweit herunterfahren, dass sich zu jedem Zeit-
punkt nur ein einzelnes Photon im MZI befindet. Auch in diesem Fall spricht immer
nur der Detektor D1 an. Daher müssen wir davon ausgehen, dass das Photon zu-
gleich Weg 1 und Weg 2 nimmt und am Ende mit sich selbst interferiert, analog
zum Doppelspalt.
Wenn man dagegen den Strahlteiler ST2 aus dem Aufbau herausnimmt, kommt
keine Interferenz zustande und man erhält stattdessen die Welcher-Weg-Information:
Detektor D1 wird nur von Photonen aus dem Weg 2 erreicht, D2 nur von Photonen
aus Weg 1. Bei jedem Photon spricht nur einer der beiden Detektoren an, das Pho-
ton hat also jeweils nur einen der beiden Wege genommen, und die Messung zeigt,
welchen.
Aber wann entscheidet sich das Photon, ob es beide Wege oder nur einen von
beiden nehmen muss? Man sollte meinen, spätestens wenn es ST1 erreicht, sollte es
sich entscheiden. Aber die Entscheidung, ob man ST2 herausnimmt, kann getroffen
werden, nachdem das Photon ST1 bereits passiert hat. Man spricht dann von einem
Delayed-Choice-Experiment. Wenn der ST2 im Aufbau bleibt, muss das Photon
beide Wege nehmen, ansonsten nur einen, aber diese Information steht noch gar
nicht fest, wenn ST1 passiert wird. Geht hier etwa die Wirkung (Photon nimmt bei
ST1 einen oder beide Wege) der Ursache (ST2 wird herausgenommen oder nicht)
voraus, besteht also ein kausaler Zusammenhang rückwärts in der Zeit?
Obwohl es tatsächlich Vertreter solch exotischer Annahmen gibt, geht die über-
wiegende Mehrheit der Physiker nicht davon aus, dass so eine Rückwärts-Verursa-
chung möglich ist. Die verschiedenen Interpretationen der QM finden unterschied-
liche Erklärungen für das Verhalten. Die Kopenhagener Deutung erklärt uns, dass
das Bild von einem Photon, das sich auf einem oder auf zwei Wegen durch die
Apparatur bewegt, eben nur ein Bild ist und keiner objektiven Realität entspricht.
Vielmehr hat das Photon vor der Messung überhaupt keine objektiven Eigenschaf-
ten, denn diese erscheinen erst im Augenblick der Messung, und zwar je nach Art
dieser Messung. Die Wellenfunktion und das Bild eines durch die Apparatur wan-
dernden Photons dienen dabei nur als Hilfsmittel, um das Ergebnis zum Zeitpunkt
der Messung zu beschreiben.
328 15 Quanten-Pandämonium

Abb. 15.2 Erweitertes MZI D4 D2


mit zwei zusätzlichen Strahl-
teilern und Detektoren
D1
ST4 ST2

ST1 ST3
D3

Die Viele-Welten-Interpretation hingegen erzählt uns, dass das Photon in jedem


Falle beide Wege gleichzeitig nimmt. Bleibt ST2 im Strahlengang, ergibt sich die
bekannte Interferenz. Nimmt man ST2 heraus, verschränken sich die beiden Anteile
mit unterschiedlichen Detektoren. Diese Verschränkung breitet sich durch Wechsel-
wirkung weiter aus, so dass effektiv betrachtet eine Überlagerung von zwei Welten
entsteht, nämlich eine für den oberen Weg mit entsprechender Beobachtung (De-
tektor 1 spricht an, Beobachter sieht Detektor 1 ansprechen etc.) und eine für den
unteren. Die Welcher-Weg-Information bezieht sich also jeweils nur auf den zuge-
hörigen Anteil (oder Zweig) des Gesamtzustands.
Anstatt eigenhändig die Wahl zu treffen, eine Welcher-Weg-Information zu er-
heben (indem man ST2 herausnimmt) oder nicht, kann man dies auch dem Zufall
überlassen, indem man das MZI ein wenig erweitert (siehe Abb. 15.2). Man ersetzt
die beiden Spiegel durch weitere Strahlteiler und positioniert dahinter zwei weitere
Detektoren. Nun fällt die Entscheidung, ob eine Welcher-Weg-Information erhoben
wird, in dem Moment, in dem das Photon die Strahlteiler ST3 bzw. ST4 passiert. In
50 % der Fälle spricht einer der Detektoren D3, D4 an, und man weiß dann, ob das
Photon ab ST1 den Weg 1 oder 2 genommen hat. In den restlichen 50 % der Fäl-
le wird das Photon bei ST2 mit sich selbst zur Interferenz gebracht, was erfordert,
dass es beide Wege gleichzeitig genommen hat. Die Entscheidung, ob ein Weg oder
zwei Wege zu nehmen sind, fällt also wieder, nachdem das Photon den ST1 bereits
passiert hat.
Wir werden dieses erweiterte MZI in Kürze beim Aufbau eines äußerst raffinier-
ten „Quantenradierers“ verwenden.

15.2 Wechselwirkungsfreie Messung

Normalerweise erfahren wir vom Vorhandensein eines Gegenstands, indem von


ihm irgendwelche Signale ausgehen, die wir empfangen. Wir sehen, hören, rie-
chen, schmecken oder fühlen ihn, oder verwenden Detektoren, um die Signale zu
verarbeiten. Oder aber, wenn der Gegenstand von selbst keine Signale aussendet,
benutzen wir Testobjekte, um zu sehen, ob diese von dem Gegenstand absorbiert,
15.2 Wechselwirkungsfreie Messung 329

Abb. 15.3 Wechsel- D2


wirkungsfreie Messung
am MZI
D1
Sp ST2

ST1 Sp

gestreut oder abgelenkt werden. In jedem Fall ist aber eine Wechselwirkung des Ge-
genstandes mit seiner Umgebung nötig, um uns von seiner Existenz zu überzeugen.
In der QM ist jedoch unter Umständen eine wechselwirkungsfreie Messung
möglich. Dazu betrachten wir den Aufbau in Abb. 15.3. Hier wurde in einem MZI
auf dem oberen Weg ein Hindernis in den Strahlengang gestellt. (In dramatischeren
Schilderungen dieses Versuchs handelt es sich um eine Bombe, die durch Auftref-
fen eines einzelnen Photons zur Explosion gebracht wird [Elitzur und Vaidmann
(1993)].) Für das Photon wird dann auf jeden Fall eine Welcher-Weg-Information
erhoben: Wenn das Photon den oberen Weg nimmt, wird es vom Hindernis absor-
biert (die Bombe explodiert); nimmt es dagegen den unteren Weg, erreicht es einen
der beiden Detektoren.
Wir gehen nun aber davon aus, dass der Beobachter nicht weiß, dass sich das
Hindernis im Strahlengang befindet, es aber gerne wissen möchte, und zwar idea-
lerweise, ohne dass eine Wechselwirkung mit dem Hindernis stattfindet (im Fall
der Bombe aus naheliegenden Gründen). Er lässt nun ein einzelnes Photon ins MZI
einlaufen. Mit 50 % Wahrscheinlichkeit nimmt es den oberen Weg, wird vom Hin-
dernis absorbiert, und der Beobachter weiß, woran er ist (durch Abwesenheit eines
Signals an den Detektoren bzw. durch Explosion der Bombe). In diesem Fall ist
zwar die gewünschte Information gewonnen, aber es hat eine Wechselwirkung statt-
gefunden. Mit 25 % Wahrscheinlichkeit nimmt das Photon den unteren Weg und
erreicht D1. Zwar hat in diesem Fall keine Wechselwirkung stattgefunden, aber
der Beobachter weiß auch nicht, ob sich das Hindernis im Strahlengang befindet,
denn auch ohne Hindernis wäre das Photon ja bei D1 gelandet. (Er kann es nun mit
einem zweiten Photon noch einmal versuchen.) Mit den verbleibenden 25 % Wahr-
scheinlichkeit jedoch erreicht das Photon D2. Dieser Detektor wäre ohne Hindernis
aufgrund der Interferenz nicht erreichbar gewesen, der Beobachter kann sich also
sicher sein, dass es da ist. Und zwar ohne dass das Photon damit in Wechselwirkung
getreten wäre, denn es hat ja den unteren, hindernisfreien Weg genommen.
Die „Erfolgsquote“ für die wechselwirkungsfreie Messung beträgt hier also
25 %. Durch einen komplizierteren Versuchsaufbau kann diese Quote gesteigert
werden, und zwar in der Theorie beliebig nahe an die 100 %-Marke [Kwiat et al.
(1995), Kwiat et al. (1999)].
330 15 Quanten-Pandämonium

15.3 Quantenradierer mit verschränkten Photonen

Von einem Quantenradierer spricht man, wenn im Laufe eines Quantenexperi-


ments eine Information scheinbar schon erhoben wurde (z.B eine Welcher-Weg-
Information), diese dann aber wieder „ausradiert“ wird, so dass sich die ursprüng-
liche Überlagerung wiederherstellt.
Ein besonders beeindruckendes Experiment von diesem Typ wurde 1999 von
Kim et al. durchgeführt [Kim et al. (1999)]. Der Aufbau ist in Abb. 15.4 dargestellt
und bedarf einiger Erläuterungen. Am linken Ende befindet sich ein Doppelspalt,
der von links mit einzelnen Photonen beschossen wird. Direkt hinter dem Doppel-
spalt ist ein „Detektor“ aufgestellt, der die Welcher-Weg-Information zu erheben
scheint. Dabei handelt es sich um eine Schicht aus ˇ-Bariumborat (BBO). Trifft ein
Photon auf diese Schicht, so findet an der entsprechenden Stelle ein Prozess namens
Parametrische Fluoreszenz statt (engl. SPDC, Spontaneous Parametric Down-
Conversion): Das Photon wird absorbiert, und auf der anderen Seite treten zwei
verschränkte Photonen mit jeweils der halben Energie aus. Das Photon kann nur
einmal absorbiert werden, entweder bei A oder B, und damit scheint die Welcher-
Weg-Information erhoben zu sein. Diese Information wurde allerdings noch nicht
abgelesen. Sie ist aber in den ausgesandten verschränkten Sekundärphotonen vor-
handen (scheinbar!). Man müsste nur noch ermitteln, ob sie von A oder B ausgehen,
was leicht möglich wäre.
Für das erste der beiden Sekundärphotonen (im Fachjargon wird es signal ge-
nannt) wird ein Schirm aufgestellt, analog zum normalen Doppelspalt-Experiment
(der Abstand ist größer als in der schematischen Darstellung, so dass durch die Va-
rianz der möglichen Richtungen der Sekundärphotonen jeder Punkt auf dem Schirm
sowohl von A als auch von B aus erreicht werden kann). Hier wird also nicht ge-
prüft, ob das signal-Photon von A oder B herstammt, nur der Auftreffpunkt auf dem
Schirm wird verzeichnet. Lässt man das Experiment eine Weile laufen, so findet
man, dass sich kein Interferenzmuster auf dem Schirm bildet, sondern eine Ver-
teilung gemäß einer relativ breiten Gauß-Kurve. Damit finden wir zunächst unsere

Schirm
B
Photon

erw
.M
ZI

Abb. 15.4 Schematischer Aufbau des Experiments von Kim et al. (1999)
15.3 Quantenradierer mit verschränkten Photonen 331

Annahme bestätigt, dass ein signal-Photon nur von einem der beiden Punkte A oder
B ausgeht, und nicht etwa (mit sich selbst interferierend) von beiden zugleich.
Das zweite Sekundärphoton (im Fachjargon idler genannt) wird, je nachdem, ob
es von A oder B kommt, durch ein Prisma (Dreieck in der Skizze) in zwei unter-
schiedliche Richtungen abgelenkt, so dass sich die Welcher-Weg-Information leicht
ablesen lässt. Aber jetzt kommt der Trick: Anstatt die Information direkt abzulesen,
schicken wir das idler-Photon hinter dem Prisma in ein erweitertes MZI gemäß
Abb. 15.2. Nur der Strahlteiler ST1 wird hier weggelassen, denn das Prisma hat
bereits zwei unterschiedlich gerichtete Teilstrahlen erzeugt. Diese Teilstrahlen sind
es, die sich nun auf die Strahlteiler ST3 und ST4 zubewegen.
Wenn Detektor D3 oder D4 anspricht, haben wir die Welcher-Weg-Information
(die ja anscheinend bereits seit dem Moment der Parametrischen Fluoreszenz vor-
handen ist) abgelesen. Aber was können wir schließen, wenn D1 oder D2 anspricht?
Es gibt zwei Möglichkeiten:

1. Es bleibt richtig, dass der idler die Welcher-Weg-Information trägt, also ent-
weder von A oder B stammt, aber nicht von beiden zugleich. Der idler nimmt
daher nur einen der beiden Wege durchs MZI, nämlich den, auf den ihn das
Prisma gelenkt hat. Durch den letzten Strahlteiler ST2 wird die Information al-
lerdings für uns ausgelöscht, d. h., wir können anhand der Detektoren D1 und
D2 keine Schlüsse mehr ziehen, welchen der beiden Wege der idler genommen
hat.
2. Dadurch, dass die Welcher-Weg-Information niemals abgelesen wird, ver-
schwindet die Tatsache, dass der idler entweder von A oder B herstammt,
komplett aus der „objektiven Realität“ (sie wird „ausradiert“). Es bleibt wahr,
dass eine Parametrische Fluoreszenz stattgefunden hat, aber es ist nicht mehr
wahr, dass sie an einem bestimmten Ort (A oder B) stattgefunden hat. Der idler
nimmt daher beide Wege gleichzeitig durchs MZI, er besteht also aus der Über-
lagerung eines von A und eines von B stammenden idlers. Im Gegensatz zum
normalen MZI, wo durch ST1 eine bestimmte Phasenbeziehung zwischen den
beiden Teilstrahlen hergestellt wird, ist das hier nicht mehr der Fall. Die An-
teile aus A und B können beliebige Phasenbeziehung zueinander haben. Daher
stimmt es auch nicht mehr, dass wegen der Interferenz nur noch D1 anspre-
chen kann, nicht aber D2. Vielmehr projizieren D1 und D2 die Überlagerung
der beiden Teilstrahlen auf bestimmte Phasenbeziehungen. Der eine Detektor
projiziert auf den Fall, dass der eine Teilstrahl dem andern um 2 vorauseilt, der
andere auf den Fall, dass er ihm um 2 hinterherhinkt.

Option 2 klingt zu verrückt, um wahr zu sein. Aber wie können wir entschei-
den, welche der beiden Interpretationen richtig ist? Das Verhalten an den Detek-
toren D1 und D2 ist in beiden Fällen das gleiche. Aber wir haben ja noch das
signal. Da signal und idler miteinander verschränkt sind, hat das Verhalten des
einen Auswirkungen auf das Verhalten des anderen. Anstatt uns das Gesamtbild
332 15 Quanten-Pandämonium

aller signal-Auftreffpunkte auf dem Schirm anzusehen, reduzieren wir das Bild auf
solche signals, bei denen der zugehörige idler auf D1 getroffen ist. Und hier ge-
schieht die Magie: Man erhält ein Interferenzmuster. Das ergibt nur einen Sinn,
wenn in diesem Fall auch die signals aus A und B gleichzeitig stammen und mit
sich selbst interferieren. Die Tatsache, dass eine Welcher-Weg-Information erhoben
wurde, ist ausradiert. Interpretation 2 ist also die richtige.
Die beiden Interferenzmuster für den D1- und den D2-Fall sind zueinander ver-
setzt, denn sie entsprechen unterschiedlichen Phasenbeziehungen, und zwar so, dass
die beiden Interferenzmuster in Summe kein Interferenzmuster bilden. In Summe
erscheint nach wie vor das Bild einer Gauß-Kurve.
Übrigens kann der Abstand des Schirms vom Doppelspalt kleiner als der des
erweiterten MZI gewählt werden. Dann ergibt sich das Interferenzmuster für die
mit D1 korrelierten signals, obwohl das signal beim Auftreffen auf den Schirm
eigentlich noch gar nicht „wissen“ kann, dass es mit D1 korreliert und daher mit
sich selbst interferieren muss.
In diesem genialen Versuchsaufbau wurden also verschiedene Quantenphänome-
ne so geschickt kombiniert, dass sich ein maximal merkwürdiges Ergebnis einstellt.

15.4 Quanten-Zeno-Effekt

Der Quanten-Zeno-Effekt besagt, dass man die Entwicklung eines Quantensys-


tems zum Stillstand bringen kann, indem man sehr häufig nachmisst, ob sich das
System noch im Ausgangszustand befindet. Der Name bezieht sich auf eine vage
Analogie des Effekts mit einer Reihe von scheinbaren Paradoxien zum Thema Be-
wegung, die auf den Philosophen Zenon von Elea zurückgehen.
Wir betrachten ein Quantensystem mit Hamilton-Operator H , das sich zum Zeit-
punkt t D 0 im Zustand j 0 i befindet. Zu einem späteren Zeitpunkt ıt soll über-
prüft werden, ob sich das System immer noch in diesem Zustand befindet. Diese
Aussage ist nicht so trivial, wie sie aussieht. Wenn es sich nicht gerade um einen
Energie-Eigenzustand handelt, hat sich das System natürlich gemäß der Schrö-
dinger-Gleichung weiterentwickelt. Das System befindet sich dann natürlich nicht
mehr exakt im Zustand j 0 i. Gemeint ist aber Folgendes: Wir messen eine Obser-
vable, für die j 0 i ein Eigenzustand ist, mit Eigenwert , und zwar so, dass j 0 i
der einzige Eigenzustand zu diesem Eigenwert ist, so dass das Ergebnis  eindeutig
auf j 0 i schließen lässt, oder genauer gesagt, dass der Zustand durch die Mes-
sung wieder auf j 0 i zurückprojiziert wurde. In diesem Sinne sagen wir, dass der
Zustand j 0 i die Zeitentwicklung „überlebt hat“, und bezeichnen die zugehörige
Wahrscheinlichkeit als „Überlebenswahrscheinlichkeit“ p.ıt/ von j 0 i.
Diese Wahrscheinlichkeit (wobei ıt so klein sein soll, dass die folgende Ent-
wicklung zur zweiten Ordnung eine gute Näherung darstellt) ist

p.ıt/ D jA.ıt/j2 (15.1)


15.4 Quanten-Zeno-Effekt 333

mit
˝ ˇ iH ıt ˇ ˛
A.ıt/ D hj .ıt/ i D
0 0
ˇe ˇ 0 (15.2)
 ˇ ˇ 
ˇ 1 2 ˇ
0 ˇˇ1  iH ıt  H .ıt/2 ˇˇ 0 (15.3)
2
1 2
D 1  ihH i 0 ıt  hH i 0 .ıt/2 ; (15.4)
2
also (nachrechnen!)
 
p.ıt/ 1  hH 2 i 0
 hH i2 0 .ıt/2 : (15.5)

Bezeichnet man mit der Zeno-Zeit tZ das Inverse der Energie-Unschärfe,


1
tZ2 D ; (15.6)
hH 2 i 0
 hH i2 0

so schreibt sich die Überlebenswahrscheinlichkeit p.ıt/ von j 0i

.ıt/2
p.ıt/ 1  : (15.7)
tZ2
Im Falle eines Energie-Eigenzustands verschwindet die Unschärfe, und die Zeno-
Zeit wird unendlich. Das macht auch Sinn, denn das System bleibt gemäß Schrö-
dinger-Gleichung für alle Zeiten in dem Eigenzustand, und die Wahrscheinlichkeit
dafür ist für alle Zeiten gleich 1. Bei großer Energie-Unschärfe entwickelt sich das
System sehr schnell vom Ausgangszustand weg, so dass die Wahrscheinlichkeit,
sich noch im Ausgangszustand zu befinden, sehr schnell absinkt (kleines tZ ).

Nun wollen wir N -mal in einem festen Zeitraum T überprüfen, ob sich das Sys-
tem noch im Ausgangszustand befindet (im oben geschilderten Sinne). Zunächst
entwickelt sich das System von t D 0 bis t D T =N gemäß der Schrödinger-Glei-
chung. Dann findet die erste Messung statt. Mit der Wahrscheinlichkeit p.T =N /
wird der Wert  gefunden; das System wird dadurch auf den Ausgangszustand j 0 i
zurückprojiziert, und die Entwicklung beginnt von vorne, bis zum Zeitpunkt 2T =N
die nächste Messung stattfindet, und so weiter. Bei jeder Messung ist die Über-
lebenswahrscheinlichkeit des Ausgangszustands wieder p.T =N /, da die Entwick-
lung durch die Projektion jedes Mal wieder von vorne beginnt. Die Wahrscheinlich-
keit P .T /, dass das System sich nach der N -ten Messung zum Zeitpunkt T immer
noch im Ausgangszustand befindet, ist demnach
"  2 #N
T
P .T / p.T =N / 1 
N
(15.8)
N tZ
N 1 N !1
! exp.T 2 =N tZ2 / ! 1: (15.9)
334 15 Quanten-Pandämonium

Je häufiger man misst, desto geringer ist also die Wahrscheinlichkeit, dass der
Ausgangszustand verlassen wurde. Durch das häufige Nachmessen wird die Ent-
wicklung des Systems zum Stillstand gebracht.

In der Praxis ist die Zeno-Zeit meist viel zu klein, um häufig genug Messungen
ausführen zu können, die die Entwicklung eines Quantensystems aufhalten. Es gibt
aber einige Situationen, für die der Quanten-Zeno-Effekt experimentell verifiziert
werden konnte. Zum Beispiel wurde für BeC -Ionen in einer Ionenfalle durch ein ko-
härentes Radiowellenfeld eine langsame Oszillation zwischen zwei Zuständen der
Hyperfeinaufspaltung des Grundzustands erzwungen. Die Periode dieser Oszillati-
on betrug etwa eine halbe Sekunde, genug Zeit, um zwischenzeitlich N Messungen
durchzuführen und dadurch die Oszillation signifikant zu verlangsamen [Itano et al.
(1990)]. Interessant ist die Hypothese, dass der magnetische Orientierungssinn der
Zugvögel den Quanten-Zeno-Effekt ausnutzt [Kominis (2008)].

15.5 Kochen-Specker-Theorem

Bereits im einleitenden Kap. 1 zur Bell’schen Ungleichung haben wir uns mit der
Möglichkeit verborgener Variablen auseinandergesetzt, durch die die QM de-
terministisch werden soll. Dort haben wir nachgewiesen, dass solche Variablen
nichtlokal sein müssen, also auf überlichtschnelle Wechselwirkungen angewiesen
sind, wenn sie denn existieren.
Das Kochen-Specker-Theorem ist ein eng damit verwandtes Resultat, das die
Möglichkeit verborgener Variablen weiter einschränkt. Es besagt, dass verborge-
ne Variablen nur im Kontext einer Messung bestehen können. Das heißt, die ver-
borgenen Variablen kommen nicht dem Quantenobjekt allein zu, sondern nur der
Kombination aus Quantenobjekt und Messanordnung.
Der Beweis wird indirekt geführt. Man geht von der Nichtkontextualität der
Variablen aus und führt diese Annahme zu einem Widerspruch. Nichtkontextuali-
tät bedeutet hier, dass für jede denkbare Observable eines Quantenobjekts der Wert
durch die verborgenen Variablen eindeutig bestimmt ist, unabhängig davon, wel-
che Observable tatsächlich gemessen wird. Das ist mehr als nur zu sagen, dass das
Ergebnis jeder denkbaren Messung durch die Variablen bestimmt wird (was der De-
finition verborgener Variablen in der QM entspricht). Es bedeutet zusätzlich, dass
die Werte der Observablen objektive Eigenschaften des Quantenobjekts sind, die
unabhängig von der tatsächlichen Messung sind.
Die Annahme der Nichtkontextualität erscheint naheliegend. Tatsächlich haben
wir in Kap. 1 Nichtkontextualität angenommen, ohne explizit darauf hinzuweisen:
Wir sprachen von der (durch verborgene Variablen determinierten) Eigenschaft ei-
nes Photons, Polarisationsfilter in diverse Richtungen passieren zu können oder
eben nicht, unabhängig davon, ob in der jeweiligen Richtung tatsächlich ein Po-
larisationsfilter aufgebaut ist. Für diesen nichtkontextuellen Fall haben wir dann die
Nichtlokalität bewiesen. Aufgabe der Nichtkontextualität hätte bedeutet, dass die
verborgenen Variablen zwar immer noch das Ergebnis jeder Messung bestimmen,
15.5 Kochen-Specker-Theorem 335

aber nur noch in Abhängigkeit davon, welcher Polarisationsfilter tatsächlich aufge-


baut ist. In diesem Fall sind die verborgenen Variablen aber erst recht nichtlokal, wie
z. B. Delayed-Choice-Experimente mit verschränkten Teilchen zeigen (die Wahl der
Messung kann so spät erfolgen, dass nicht mehr alle Partner der Verschränkung auf
kausalem Wege informiert werden können). Die Annahme der Nichtkontextualität
stellte also keine Einschränkung des Ergebnisses dar.
Wie kann man nun die Nichtkontextualität ganz allgemein widerlegen? Wir füh-
ren den Beweis für einen vierdimensionalen Hilbertraum und vermerken (ohne
auf Details einzugehen), dass er sich durch Induktion auf Hilberträume beliebiger
höherer Dimension erweitern lässt. Wir betrachten also einen vierdimensionalen
Hilbertraum und ein Quantenobjekt, das durch seinen Quantenzustand j i und ei-
ne Anzahl von verborgenen Variablen i derart festgelegt ist, dass jeder beliebigen
Observablen ein eindeutiger Wert zukommt. Als Nächstes sehen wir uns folgende
neun Orthonormalbasen an:

B .1/ D f.0; 0; 0; 1/; .0; 0; 1; 0/; .1; 1; 0; 0/; .1; 1; 0; 0/g
B .2/ D f.0; 0; 0; 1/; .0; 1; 0; 0/; .1; 0; 1; 0/; .1; 0; 1; 0/g
B .3/ D f.1; 1; 1; 1/; .1; 1; 1; 1/; .1; 1; 0; 0/; .0; 0; 1; 1/g
B .4/ D f.1; 1; 1; 1/; .1; 1; 1; 1/; .1; 0; 1; 0/; .0; 1; 0; 1/g
B .5/ D f.0; 0; 1; 0/; .0; 1; 0; 0/; .1; 0; 0; 1/; .1; 0; 0; 1/g
B .6/ D f.1; 1; 1; 1/; .1; 1; 1; 1/; .1; 0; 0; 1/; .0; 1; 1; 0/g
B .7/ D f.1; 1; 1; 1/; .1; 1; 1; 1/; .1; 1; 0; 0/; .0; 0; 1; 1/g
B .8/ D f.1; 1; 1; 1/; .1; 1; 1; 1/; .1; 0; 1; 0/; .0; 1; 0; 1/g
B .9/ D f.1; 1; 1; 1/; .1; 1; 1; 1/; .1; 0; 0; 1/; .0; 1; 1; 0/g
ˇ .i / ˛
Zu jedem Basisvektor ˇej (wobei i von 1 bis 9, j von 1 bis 4 läuft) gehört ein
.i /
Projektionsoperator Pj , der auf diesen Basisvektor projiziert, und jeder Projekti-
onsoperator kann als eine Observable mit den möglichen Werten 1 und 0 angesehen
werden. Da der Wert jeder Observablen durch die verborgenen Variablen determi-
.i /
niert ist, steht also die Funktion f W fPj g ! f0; 1g, die jedem Projektionsoperator
einen der beiden Werte zuordnet, von vornherein fest. Außerdem macht man sich
leicht klar, dass für jede Basis B .i / genau einer der zugehörigen Projektionsopera-
.i /
toren Pj den Wert 1 hat, die anderen drei den Wert 0. Denn zu jeder Orthonormal-
basis kann man weitere Observable konstruieren, deren Eigenzustände gerade die
Basisvektoren sind (und man kann sie so konstruieren, dass die Eigenwerte nicht
entartet sind), und diese Observable werden aus Linearkombinationen der Projek-
tionsoperatoren gebildet. Jede Observable muss genau einen Wert haben, nämlich
einen Eigenwert, der zu genau einem der Basisvektoren gehört, und dies ist der Ba-
sisvektor, dessen Projektionsoperator den Wert 1 hat. Insgesamt haben also genau
.i /
neun der 36 Pj den Wert 1.
336 15 Quanten-Pandämonium

Andererseits stellen wir fest, dass jeder Basisvektor und somit auch jeder Projek-
tionsoperator in den gewählten Basen genau zweimal vorkommt. Zum Beispiel ist
.1/ .2/ .1/ .5/
P1 D P1 , P2 D P1 etc. Durch das doppelte Auftreten muss die Gesamtzahl
.i /
der Pj mit Wert 1 gerade sein. Dies ist ein Widerspruch, also war die Annahme
nichtkontextueller verborgener Variablen falsch.

Quelle: www.CartoonStock.com
Lösungen der Aufgaben

Lösung 2.1

(a) ! ! !
ˇ .e/ ˛ 0 1 0 1
.e/
A ˇv D D
1 0 1 0
!
˝ .e/ ˇ .e/   0 1  
u ˇA D 1 0 D 0 1
1 0
! !
˝ .e/ ˇ .e/ .e/ ˛   1   0 ˝ ˇ ˛
u A vˇ D 1 0 D1D 0 1 D u.e/ A.e/ ˇv .e/
0 1

(b) !
˝ ˇ
.f / ˇ
  ˇ .f / ˛ 0
u D 1 0 ; ˇv D 1
2
1
A jf1 i D A je1 i D je2 i D jf2 i
2
A jf2 i D 2A je2 i D 2 je1 i D 2 jf1 i
!
0 2
) A.f / D 1
2
0
!
ˇ ˛ 1 ˝ ˇ  
) A.f / ˇv .f / D ; u.f / ˇ A.f / D 0 2
0

Skalarprodukt in der !f -Basis: !


  0  

0 1  D hf2 jf2 i D 4 ) ˛ ˇ  D ˛ C 4ˇı
1 ı
˝ .e/ ˇ .e/ .e/ ˛ ˝ ˇ ˛
) u ˇA v D 1; u.e/ A.e/ ˇv .e/ D 4

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 337


J.-M. Schwindt, Tutorium Quantenmechanik, DOI 10.1007/978-3-662-49399-1
338 Lösungen der Aufgaben

Lösung 2.2 ˇ ˛ ˇ ˛
Es genügt zu zeigen: Œ.AB/.e/ ˇv .e/ i D Œ.A.e/ B .e/ / ˇv .e/ i
Wegen AB jvi D A.B jvi/ gilt:
ˇ ˛ ˇ ˛
.AB/.e/ ˇv .e/ i D A.e/ .B .e/ ˇv .e/ / i
X .e/ ˇ ˛ X .e/ X .e/ ˇ ˛
D Aij .B .e/ ˇv .e/ /j D Aij Bj k ˇv .e/ k
j 0 1 j k
X X .e/ .e/ ˇ ˛   ˇ ˛
D @ Aij Bj k A ˇv .e/ k D A.e/ B .e/ i k ˇv .e/ k
k j
ˇ ˛
D .A B .e/ / ˇv .e/ i
.e/

Lösung 2.4
Charakteristisches Polynom:
det.1  y / D 2  1 ) Eigenwerte ˙ 1
Eigenwert 1: ! !
1 i ˛
D0 ! ˇ D i˛
i 1 ˇ
Eigenwert -1: ! !
1 i ˛
D0 ! ˇ D i˛
i 1 ˇ
1 1
) Der Eigenraum zu  D 1 wird von i
, der zu  D 1 von i
aufgespannt.

Lösung 2.5

(a) Charakteristisches Polynom ist .1/2 , einziger Eigenwert ist also 1. Der zuge-
hörige Eigenraum wird von 10 aufgespannt, ist also nur ein Unterraum von H .
(b) Charakteristisches Polynom ist .  1/. 2/. Die Eigenwerte sind 1 und 2,
1
die zugehörigen Eigenräume werden von 1 bzw 10 aufgespannt. Diese sind
nicht orthogonal zueinander.

Lösung 2.6
!
1 1 1
jyCi D p ; p hyCj D .1; i/;
2 i 2
!
1 1 1
jyi D p ; p hyCj D .1; i/;
2 i 2
! !
1 1 i 1 1 i
PyC D jyCi hyCj D ; Py D jyi hyj D ;
2 i 1 2 i 1

also PyC C Py D 1.


Lösungen der Aufgaben 339

! !
˝ ˇ ˇ ˛ 1   1 i ˛
p.yC/ D v ˇPyC ˇ v D ˛ ˇ 
2 i 1 ˇ
!
1   ˛  iˇ 1
D ˛ ˇ D .˛  C iˇ  /.˛  iˇ/
2 i˛ C ˇ 2

und analog
1 
p.y/ D .˛  iˇ  /.˛ C iˇ/:
2
Zusammen ergibt sich wieder

p.yC/ C p.y/ D ˛  ˛ C ˇ  ˇ D 1:

Lösung 2.7  1


Einfach jxCi D p12 11 und jxi D p12 1 in die bekannten Formeln für p.y˙/
und p.z˙/ einsetzen. Analog für jy˙i und jz˙i.

Lösung 2.8
!
  12  12
det.1  PxC / D det
 12   12

1 2 1
D   D 2   D .  1/;
2 4

also sind die Eigenwerte 0 und 1. Analog für Px .

Lösung 2.10
Analog zu y gilt
x2nC1 D x ; x2n D 1:
Daraus folgt
1 n n
X i ˛
Ux .˛/ D e i ˛x D xn
nD0

P1 P !
k ˛2k
kD0 .1/ .2k/Š .i/ 1 k ˛2kC1
kD0 .1/ .2kC1/Š
D P1 ˛2kC1 P1 k ˛2k
.i/ kD0 .1/k .2kC1/Š kD0 .1/ .2k/Š
!
cos ˛ i sin ˛
D :
i sin ˛ cos ˛

Das Ergebnis für Uz .˛/ liest man direkt aus z ab, da z diagonal ist.
340 Lösungen der Aufgaben

Lösung 2.11
Das Ergebnis folgt unter Verwendung von
! !
cos ˛ i sin ˛ cos ˛ sin ˛
Ux .˛/ D

; Uy .˛/ D ;
i sin ˛ cos ˛  sin ˛ cos ˛
!

e 0
Uz .˛/ D :
0 e i ˛

Lösung 2.13
Mit !
  1 1 i
Ux Dp
4 2 i 1
errechnet man
   
Ux jyCi D jzCi ; Ux jyi D i jzi ;
4
  4 
Ux jzCi D jyi ; Ux jzi D i jyCi :
4 4
Der Phasenfaktor i ist dabei unerheblich. Mit beliebigem ˛ findet man
!
1 cos ˛  i sin ˛
Ux .˛/ jxCi D p D e i ˛ jxCi
2 cos ˛  i sin ˛

und analog
Ux .˛/ jxi D e i ˛ jxi :
Mit !
  1 1i 0
Uz Dp
4 2 0 1Ci
errechnet man
  1i   1i
Uz jxCi D p jyi ; Uz jxi D p jyCi ;
4 2 4 2
  1i   1i
Uz jyCi D p jxCi ; Uz jyi D p jxi :
4 2 4 2
Direkt aus der Matrix Uz .˛/ ablesen kann man

Uz .˛/ jz˙i D e i ˛ jz˙i :

Lösung 2.14
Nach der Matrixmultiplikation muss man die Additionstheoreme

cos2 ˛  sin2 ˛ D cos.2˛/; 2 sin ˛ cos ˛ D sin.2˛/

verwenden.
Lösungen der Aufgaben 341

Lösung 2.16
Die Observable a nimmt die Werte ai an. In der zugehörigen Orthonormalbasis
fjei ig aus Eigenvektoren ist A.e/ diagonal
P mit den Werten ai auf der Diagonalen.
Die Observable b hat die Werte bi D n ˛n ain . Die Eigenvektoren sind dieselben.
Daher ist B .e/ P
diagonal mit den Werten bi auf der Diagonalen. Diese Matrix gehört
zum Operator n ˛n An .

Lösung 2.17
Nach der Produktregel gilt

d A d 1 d 2 1 d 3
e D AC A C A C
dt dt 2 dt 6 dt
1 P P C 1 .AA
D AP C .AA C AA/ P C A2 A/
P 2 C AAA P C ;
2 6

wobei die Schreibweise AP für dt


d
A verwendet wurde. Nur wenn A mit AP kommu-
P
tiert, kann man A in den Produkten jeweils nach vorne ziehen, und es folgt

d A P C 1 AA
e D AP C AA P 2 C
dt  2
P 1 2 P A:
D A 1 C A C A C    D Ae
2

Wegen
Zt
d
dt 0 H.t 0 / D H.t/
dt
t0

ist (2.168) genau dann eine Lösung von (2.165), wenn dt e D Ae


d A P A angewendet
Rt 0
werden darf, wenn also H.t/ mit t0 dt H.t 0 / kommutiert. Das ist im Allgemeinen
nicht der Fall.

Lösung 2.18
Man vertausche im zweiten Summanden die Namen der Integrationsvariablen,
t1 $ t2 . Dann ist zu zeigen:

Zt Zt1 Zt Zt
dt1 dt2 H.t1 /H.t2 / D dt2 dt1 H.t1 /H.t2 /
t0 t0 t0 t2

Die beiden Integrale sind identisch: In beiden Fällen wird über die Fläche des Drei-
ecks mit den Ecken .t0 ; t0 /, .t; t0 / und .t; t/ in der .t1 ; t2 /-Ebene integriert. Malen
Sie sich das am besten einmal auf.
342 Lösungen der Aufgaben

Lösung 2.19
Am Beispiel von Œx ; y  (Rest analog):
Œx ; y  D x y  y x
! ! ! !
0 1 0 i 0 i 0 1
D 
1 0 i 0 i 0 1 0
! ! !
i 0 i 0 1 0
D  D 2i D 2iz
0 i 0 i 0 1

Lösung 2.20
Analog zu (2.182).

Lösung 2.22
X X
Sp.AB/ D .AB/i i D Aij Bj i
i i;j
X X
D Bj i Aij D .BA/jj D Sp.BA/
i;j j

) SpŒA; B D Sp.AB/  Sp.BA/ D 0


Aber 1 hat die Spur d , wobei d die Dimension des Hilbert-Raums ist.

Lösung 2.23
Zu den Eigenwertpaaren .1; 1/, .1; 1/, .1; 1/ und .1; 1/ von A und B gehören
die Eigenvektoren
0 1 0 1 0 1 0 1
1 1 0 0
1 B 1 C 1 B1C 1 B0C 1 B0C
p B C; p B C; p B C; p B C:
2 @0 A 2@0 A 2 @1A 2@1A
0 0 1 1

Lösung 2.24
Die in der vorigen Aufgabe genannten Eigenwertpaare charakterisieren den jewei-
ligen Zustand vollständig, denn die zugehörigen Eigenräume sind eindimensional.

Lösung 2.27
Nach (2.161) gilt:
!
e i !t 0
U.t; 0/ D e i !t z D
0 e i !t
!
„ „ 0 e 2i !t
) .Sx /H D U .t; 0/ x U.t; 0/ D

2 2 e 2i !t
!
„ „ 0 i e 2i !t
.Sy /H D U  .t; 0/ y U.t; 0/ D
2 2 i e 2i !t
Lösungen der Aufgaben 343

Erwartungswert im Heisenberg-Bild:
hsx .t/iv D hx C j.Sx /H .t/j xCi
! !
„  0 e 2i !t 1
D 1 1 2i !t
4 e 1
„ 2i !t „
D .e C e 2i !t / D cos.2!t/
4 2
Erwartungswert im Schrödinger-Bild:
hsx .t/iv WD hsx iv.t / D hv.t/ jSx j v.t/i
! !
„  i !t  0 1 e i !t
D e e i !t
4 1 0 e i !t
„ 2i !t „
D .e C e 2i !t / D cos.2!t/
4 2
Lösung 2.28
Wir nehmen an, es sei
.1/ .1/ .2/ .2/
w D .a1 e1 C a2 e2 / ˝ .b1 e1 C b2 e2 /
.1/ .2/ .1/ .2/ .1/ .2/ .1/ .2/
D a1 b1 e1 ˝ e1 C a1 b2 e1 ˝ e2 C a2 b1 e2 ˝ e1 C a2 b2 e2 ˝ e2 :
Vergleich mit (2.254) liefert:
a1 b1 D a2 b2 D 1; a 1 b2 D a 2 b1 D 0
Nach dem hinteren Teil müssten zwei Koeffizienten null sein, im Widerspruch zum
vorderen Teil.

Lösung 2.29
0 1 0 1
0 0 0 1 0 0 0 i
B0 0 1 0C B0 0 i 0C
x ˝ x D B
@0
C; x ˝ y D B C;
1 0 0A @0 i 0 0A
1 0 0 0 i 0 0 0
0 1 0 1
0 0 0 i 0 0 0 1
B0 0 i 0C B0 0 1 0C
y ˝ x D B
@0
C; y ˝ y D B C:
i 0 0A @0 1 0 0A
i 0 0 0 1 0 0 0
Lösung 2.30
ŒA.1/ ; B .2/ .u ˝ v/ D .A ˝ 1/.1 ˝ B/.u ˝ v/  .1 ˝ B/.A ˝ 1/.u ˝ v/
D .A ˝ 1/.u ˝ Bv/  .1 ˝ B/.Au ˝ v/
D Au ˝ Bv  Au ˝ Bv D 0
344 Lösungen der Aufgaben

Lösung 2.31
Die Behauptung folgt aus
0 1 1 0
1 1
1B 1C 1 B1C
jxC; xCi D B C; jx; xi D B C;
@
2 1A 2 @1A
1 1
01 0 1
1 1
1 Bi C 1B i C
jyC; yi D B C; jy; yCi D B C:
2@i A @
2 i A
1 1

Lösung 2.32
Bereits bekannt:
.1/ .1/
PzC D diag.1; 1; 0; 0/; PzC D diag.0; 0; 1; 1/

Zusätzlich benötigt werden:


0 1
! 1 1 0 0
1 1 1 1B 1 1 0 0C
D B C
.2/
PxC D 1 ˝ jxCi hxCj D 1 ˝ @
2 1 1 2 0 0 1 1A
0 0 1 1
0 1
! 1 1 0 0
1 1 1 B
1 1 1 0 0C
.2/
Px D 1 ˝ jxi hxj D 1 ˝ D B C
2 1 1 2@0 0 1 1A
0 0 1 1

Wir berechnen die bedingte Wahrscheinlichkeit, dass an System 1 der Spin in


z-Richtung positiv gemessen wird, wenn er in System 2 in x-Richtung positiv
gemessen wird:
D ˇ ˇ E
ˇ .1/ .2/ ˇ
p.zC; xC/ w ˇP zC P xC ˇw
pxC.2/ .zC.1/ / D D D ˇ ˇ E
p.xC.2/ / ˇ .2/ ˇ
w ˇPxC ˇ w

Der Nenner ergibt


0 10 1
1 1 0 0 1
1  B1 0C B0C
1 0 0 1 B
1 0 C B C D 1:
4 @0 0 1 1A @0A 2
0 0 1 1 1
Lösungen der Aufgaben 345

Der Zähler ergibt


0 10 10 1
1 0 0 0 1 1 0 0 1
1  B0 0C B1 1 0 0C B0C
1 0 0 1 B
1 0 CB C B C D 1:
4 @0 0 0 0A @ 0 0 1 1A @0A 4
0 0 0 0 0 0 1 1 1

Insgesamt erhält man also pxC.2/ .zC.1/ / D 12 . Alle anderen bedingten Wahrschein-
lichkeiten funktionieren analog. Die Korrelation ist
0 10 1
0 1 0 0 1
1  B1 0 0 B
0 C B0C
C
hw jz ˝ x j wi D 1 0 0 1 B@0
C D 0:
2 0 0 1A @0A
0 0 1 0 1

Lösung 2.33
Ein Spin in Richtung p1 .ex
2
C ez / wird mit dem Operator Sxz D „2 xz gemessen,
wobei !
1 1 1 1
xz WD p .x C z / D p :
2 2 1 1
Die Korrelation ist
0
10 1
1 1 0 0 1
1   B1 1 0 C B0C
hw jz ˝ xz j wi D p 1 0 0 1 B
0 C B C D p1
2 2 @ 0 0 1 1 A @0A 2
0 0 1 1 1

und liegt somit zwischen 0 und 1.

Lösung 3.1
Der Beweis erfolgt mit vollständiger Induktion. Die Orthonormalität von fjf1 i ;    ;
jfk i sei bekannt. Es genügt dann, für k C 1 die Orthogonalität zu zeigen. Für j  k
gilt:

D ˇ E ˝ ˛ Xk
˝ ˛
ˇ
fj ˇfQkC1 D fj jekC1  fj jfi hfi jekC1 i
i D1

˝ ˛ Xk
D fj jekC1  ıij hfi jekC1 i
i D1
˝ ˛ ˝ ˛
D fj jekC1  fj jekC1 D 0
346 Lösungen der Aufgaben

Lösung 3.3
p
1 5
P0 .x/ D p ; P2 .x/ D p .3x 2  1/
2 2 2
Z1 p
1 2
hP0 je4 i D dx p x 4 D
2 5
1
Z1 p p 
5 5 6 2 4p
hP2 je4 i D dx p .3x  1/x D p
2 4
 D 25
2 2 2 2 7 5 7
1
ˇ ˛
ˇPQ4 D je4 i  jP0 i hP0 je4 i  jP2 i hP2 je4 i
1 2 6 3
) PQ4 .x/ D x 4   .3x 2  1/ D x 4  x 2 C
5 7 7 35
Z1

˝ ˇ ˛ 12 6 36 36 2 9
PQ4 ˇPQ4 D dx x 8  x 6 C C 2 x4  x C
7 57 7 5  72 52  72
1
2 24 444 72 18 128
D
 2 C 2 2 C 2 2 D 2 2 2
3 2 7 5 7 357 2 5 7 3 5 7
 1=2 
128 6 3
) P4 .x/ D x4  x2 C
32  52  72 7 35

357 6 3
D p x4  x2 C
8 2 7 35
p 
5 7 3 4 3
) xP3 .x/ D p x 4  x 2 D p P4 .x/ C p P2 .x/
2 2 5 3 7 35

Lösung 3.4
Die Rechnung führt zu
0 p 1
0 p1 0 7
3 2
B p1 p2
C
B 3 0 0 C
A1 X
.e/
A D B 15 q C ¤ X .P / :
.4/ .4/ .4/ B C .4/
@0 p2
15
0  75 A
0 0 p3 0
35
Das Kennzeichen (4) bedeutet hierbei die Einschränkung der Matrizen auf
Pol3 .Œ1; 1; R/. Die Abweichung kommt dadurch zustande, dass Pol3 .Œ1; 1; R/
nicht abgeschlossen unter der Wirkung von X ist. X je3 i D je4 i enthält Anteile von
jP0 i und jP2 i, die bei der Rücktransformation mit A1
.4/ nicht berücksichtigt werden
und daher verloren gehen.

Lösung 3.5
Jede der Eigenschaften bleibt bei Addition zweier Funktionen sowie bei Multipli-
kation mit einer reellen Zahl erhalten.
Lösungen der Aufgaben 347

Lösung 3.6

Z1
1
hv2n1 jXj v0 i D dx p x sin.nx/
2
1
Z1
1 1 1
D dx p cos.nx/ C p Œx cos.nx/11
2 n 2 n
1
p
1 .1/n 2
D0C p  2  .1/n D
2 n n

Die Koeffizienten hv2n jXj v0 i verschwinden, da es sich um Integrale über ungerade


Funktionen handelt.

Lösung 3.7
Für k 2 Znf0g gilt:

Z1
1 i kx 1
dx e i kx D e 1
D0
ik
1

Daraus folgt:

hw0 jw2n i D hw0 jw2n1 i D hw2n jw2n0 1 i D 0


hw2n jw2n0 i D hw2n1 jw2n0 1 i D ınn0

Lösung 3.8
i
hv2n jv2n1 i D Œhw2n1 jw2n1 i  hw2n jw2n i D 0
2
Für n ¤ n0 liest man sofort ab:

hv2n jv2n0 i D hv2n1 jv2n0 1 i D hv2n jv2n0 1 i D 0

Denn dann sind alle auf den rechten Seiten von (3.91) und (3.92) auftretenden jwi i
verschieden.

Lösung 3.9
Wegen der Blockdiagonalform genügt die folgende Rechnung:
! ! ! !
pi p1 0 n  pi 2 pi i n 0
2 2 2 D
 pi 2 p1
2
n 0 p1
2
p1
2
0 i n
348 Lösungen der Aufgaben

Lösung 3.10
p
 2 .pp0 /2
Q .p/ D p  e  2„2
„ 1=4
Z1
d Q
hXi D h jXj i D i„ dp Q  .p/ .p/
dp
1
Z1  2  2 .pp0 /2
i  
Dp dp  2 .p  p0 /e „2
 „
1
D0
Z1
˝ ˇ 2ˇ ˛ d2
hX i D
2 ˇX ˇ D „2 dp Q  .p/ 2 Q .p/
dp
1
Z1

„ 4  2   2 .pp 0/
2

D p dp .p  p0 /2
 e „2
 „4 „2
1
"p  #
„  „ 3 4 p „ 2
D p  
 2  „4  „2
2
D
2
Lösung 3.11

1 p0
x
2
.x/ D p 1=4 e i „ x e 2 2

Z1
 d
hP i D h jP j i D i„ dx .x/ .x/
dx
1
Z1 
i„ ip0 x  x2
2
D p dx  2 e 
  „ 
1
Z1
p0  x2
2
D p dx e 
 
1
D p0
Lösungen der Aufgaben 349

Z1
˝ ˇ 2ˇ ˛ d2
hP i D
2 ˇP ˇ D „2 dx 
.x/ .x/
dx 2
1
Z1 " 2 #
„2 ip0 x 1 x
2
D p dx  2  2 e 2
  „  
1
Z1

„2 x 2 p02 1  x2
2
D p dx   e 
  4 „2 2
1

p  2
„2 1  3 p p0 1
D p     C
  4 2 „2 2
„2
D p02 C 2
2
Lösung 3.12
p
 2 .pp0 /2
Q .p/ D p  e  2„2 e  „ 0
ipx

„ 1=4

Z1
d Q
hXi D h jXj i D i„ dp Q  .p/ .p/
dp
1
Z1
 2
i  ix0   2 .pp 0/
2

Dp dp  2 .p  p0 /  e „2
 „ „
1
D x0
Z1
˝ ˇ 2ˇ ˛ d2
hX i D
2 ˇX ˇ D „2 dp Q  .p/ 2 Q .p/
dp
1
Z1 (
 2 )
„ 2 ix0  2   2 .pp 0/
2

D p dp  2 .p  p0 /   2 e „2
 „ „ „
1
Z1 
„ 4 x02  2   2 .pp 0/
2

D p dp .p  p 0 /2
  e „2
 „4 „2 „2
1

p p 
„  „3  4  „ x02 2
D p  C 2
 2  3 „4  „2 „
2

D x02 C
2

Die Unschärfe ist unverändert .X/ D p2 . Die Werte für hP i , hP 2 i und
.P / sind unverändert, weil sich die Phase beim Multiplizieren heraushebt.
350 Lösungen der Aufgaben

Lösung 3.14

d d
.Xi Pj  Pj Xi / .r/ D i„ xi .r/  .xi .r//
dxj dxj


d d d
D i„ xi .r/  xi .r/  xi .r/
dxj dxj dxj
D i„ıij .r/

Lösung 3.16
Die Poisson-Klammern sind offensichtlich erfüllt, insbesondere

fx 0 ; p 0 g D fp; xg D fx; pg D 1:

Also kann man die Wellenfunktion in der Form Q .x 0 / D Q .p/ schreiben. Die
entsprechenden Operatoren wirken dann folgendermaßen:

X 0 Q .x 0 / D x 0 Q .x 0 / ) P Q .p/ D p Q .p/
d d Q
P 0 Q .x 0 / D i„ 0 Q .x 0 / ) X Q .p/ D i„ .p/
dx dp
Lösung 3.18

m.2/ m.1/
r.1/ D rS  r R ; r.2/
D r S C rR
m.1/ C m.2/ m.1/ C m.2/
.1/ .2/
@ @x @ @xi @ @ @
D i C D C .2/
@xS i @xS i @x .1/ @xS i @x .2/ .1/
@xi @xi
i i
.1/ .2/
@ @x @ @xi @ m.2/ @ m.1/ @
D i C D  C
@xRi @xRi @x .1/ @xRi @x .2/ m.1/ C m.2/ @x .1/ m.1/ C m.2/ @x .2/
i i i i

Einsetzen in (3.289) und Vergleich mit (3.287) und (3.288) zeigt die Übereinstim-
mung.

Lösung 5.1

(a)
Z1 Z1 Z1 Z2 Z1
.x 2 Cy 2 /  2
d e 
2
dx dy e D d d e D 2
1 1 0 0 0
Z1
D du e u D  Œe u 1
0 D
0
Lösungen der Aufgaben 351

(b) Wenn a komplex ist, dann liegt der Integrationsweg nach Substitution schräg
in der komplexen Ebene. Verbinden Sie diese Gerade bei u D ˙R (R beliebig)
durch zwei senkrechte Verbindungswege mit der reellen Achse. Das Integral
entlang der sich daraus ergebenden Kontur verschwindet nach dem Residuen-
satz. Für R ! 1 verschwindet das Integral entlang der senkrechten Stücke.
Das Integral entlang der Schrägen entspricht also dem Integral entlang der re-
ellen Achse.
(c)
Z1 Z1
.yy0 /2 u2
dy ye  a D du .u C y0 /e  a
1 1
Z1
u2 p
D du y0 e  a D a y0
1

(d) Mit partieller Integration erhält man zunächst:

Z1 Z1   Z1 p
2 u2 1 u2 1 
du e u D
2
du u e D du u 2u e D
2 2 2
1 1 1

Damit folgt:

Z1 Z1
2 
.yy0 /2 p p
a. a u C y0 /2 e u
2
dy y e a D du
1 1
Z1
p
du .au2 C y02 / e u
2
D a
1
0 1
Z1
p p
D a @y0 2
 Ca du u2 e u2 A
1
p a 
D a C y02
2
352 Lösungen der Aufgaben

Lösung 5.2
p
 2 .pp0 /2 p2
Q .p; t/ D p  e  2„2 i 2m„ t
„ 1=4
Z1
d Q
hXi D h jXj i D i„ dp Q  .p/ .p/
dp
1
Z1  2  2 .pp /2
i  ipt  0
Dp dp  2 .p  p0 /  e „2
 „ m„
1
Z1   2 .pp /2
i ipt  0
Dp dp  e „2
 m„
1
Z1  2 .pp0 /2
t 
D p dp p e „2
m„ 
1
p0 t
D
m
Der erste Summand in der zweiten Zeile wurde nicht mehr weitergeführt, weil es
sich um eine ungerade Funktion in .p  p0 / handelt, deren Integral verschwindet.
Am Ende wurde (5.3) verwendet.

Z1
˝ ˇ 2ˇ ˛ d2
hX i D2 ˇX ˇ D „2 dp Q  .p/ 2 Q .p/
dp
1
Z1 (
2 )
„ 2 ipt 2 it 
 2 .pp0 /2
D p dp  2 .p  p0 /   2  e „2
 „ m„ „ m„
1
Z1 (
2 )
„ 2 i.q C p0 /t 2 it 2 2
 q
D p dq  2q  2  e „2
 „ m„ „ m„
1
Z1 
4 
„  t2 2i 2 t 2 p02 t 2 2 it 2 2
  2q
D p dq  C q    e „
 „4 m2 „2 m„3 m2 „2 „2 m„
1

3  4 
„  t2 2i 2 t „ p02 t 2 2 it
D „  C  C 2 C
2 3 „4 m2 „2 m„3  m2 „2 „ m„
p02 t 2 2 „2 t 2
D C C 2 2
m2 2 2 m
Lösungen der Aufgaben 353

Lösung 5.3
Der Exponent wird durch quadratische Ergänzung in eine geeignete Form gebracht:

p  2 .p  p0 /2 p2
i x i t
„ 2„ 2 2m„
it„ C m 2 2 i„x C  2 p0  2 p02
D p C p 
2m„2 „2 2„2
2 
it„ C m 2m„ 2
i„x C  2 p0  2 p02
D p 2
C p 
2m„2 it„ C m 2 „2 2„2
"  2
#
it„ C m 2 m„2 i„x C  2 p0
D  p
2m„ 2 it„ C m 2 „2
 2
m„2 i„x C  2 p0  2 p02
C 
2.it„ C m 2 / „2 2„2

Damit folgt:
p Z1 
 p  2 .p  p0 /2 p2
p dp exp i x   i t
2 „ 3=4 „ 2„2 2m„
1
p s

 2m„2 m.i„x C  2 p0 /2  2 p02
Dp exp 
2 „ 1=4 it„ C m 2 2„2 .it„ C m 2 / 2„2
2  2 3
p 2
x  i  „p0
 1 6  2 p02 7
D 1=4 exp 4     5
  2 C i „t m
2  2 C i „tm
2„2

Für die Übereinstimmung mit (5.13) ist noch zu zeigen:


 2
2  2 
x  i  „p0  2 p02 x  pm0 t p0 p0 t
    D   Ci x
2  2 C i „tm
2„2 2  2 C i „tm
„ 2m
 
Das verifiziert man, indem man beide Seiten mit 2  2 C i „t
m multipliziert, alle
Klammern auflöst und die Terme vergleicht.

Lösung 5.4
e i.kxEt =„/ ) Wellenfronten konstanter Phase laufen mit wachsendem t nach
rechts.
354 Lösungen der Aufgaben

Lösung 5.5
.1/
Der Einfachheit halber setzen wir aI D 1. Dann lauten die vier Lösungen:

.1/ .1/ kI  kII .1/ 2kI .1/


aI D 1; bI D ; aII D ; bII D 0
kI C kII kI C kII
.2/ kI  kII .2/ .2/ .2/ 2kI
aI D ; bI D 1; aII D 0; bII D
kI C kII kI C kII
.3/ .3/ 2kII .3/ kII  kI .3/
aI D 0; bI D ; aII D ; bII D 1
kI C kII kI C kII
.4/ 2kII .4/ .4/ .4/ kII  kI
aI D ; bI D 0; aII D 1; bII D
kI C kII kI C kII
Damit überprüft man leicht:
kI C kII kII  kI
Lsg 3 D Lsg 2 C Lsg 1
2kI 2kI
kI C kII kII  kI
Lsg 4 D Lsg 1 C Lsg 2
2kI 2kI
Lösung 5.8
„kI jaI j2 „kI jaIII j2
j0 D ; jd D
m ˇ ˇ m
jjd j ˇ aIII ˇ
T D D ˇˇ ˇ
jj0 j aI ˇ
16z 2
D  
.z C 1/2 e 2i kII x0  .z  1/2 e 2i kII x0 .z C 1/2 e 2i kII x0  .z  1/2 e 2i kII x0
16z 2
D
.z C 1/4 C .z  1/4  2.z 2  1/2 cos.4kII x/
16z 2
D  
.z C 1/4 C .z  1/4  2.z 2  1/2 1  2 sin2 .2kII x/
4z 2
D
4z 2 C .z 2  1/2 sin2 .2kII x0 /
In der vorletzten Zeile wurde verwendet:
cos 2 D cos2   sin2  D cos2  C sin2   2 sin2  D 1  2 sin2 
Der Reflexionskoeffizient ergibt sich aus R D 1  T .

Lösung 5.9
Der Zähler von R verschwindet für kII D 2x
n
0
mit ganzzahligem n. Die zugehörigen
Energien sind
„2 kII2 „2 n2  2
ED C V0 D C V0
2m 8mx02
Lösungen der Aufgaben 355

Lösung 5.10
Die Stetigkeitsbedingungen sind identisch bis auf die Ersetzung ikII ! II . Diese
Ersetzung setzt sich durch die Rechnung fort und impliziert

iz ! w; z 2 ! w 2 ;
sin.2kII x0 / ! sin.2iII x0 / D i sinh.2II x0 /;
sin2 .2kII x0 / !  sinh2 .2II x0 /:

Lösung 6.2

(a)  
i„ Ax Ay  Ax Ay
1  
Di„ iXPy C iPx Y  iXPy C iPx Y
2„
DXPy  YPx D L

(b) bis (d) folgen durch Einsetzen der Definition von Ax und Ay .
(e)
 1  
AR D p Ax C iAy
2
r

1 m! „ @ „ @
Dp x Ci y 
2 2„ m! @x m! @y
r

m! „ @ @
D .x C iy/  Ci
4„ m! @x @y
r

m! i  „ @ 1 @ @ i @
D e r cos   sin  C i sin  C cos 
4„ m! @r r @ @r r @
r

m! i  „ @ i @
D e r .cos  C i sin / C .cos  C i sin /
4„ m! @r r @
r

m! i  „ @ i @
D e r C
4„ m! @r r @

AL genauso, nur mit der Ersetzung i ! i.
(f) und (g) folgen direkt durch Einsetzen.

Lösung 7.1
Die Summe dreier nichtnegativer ganzer Zahlen, die zusammen n ergeben, lässt
sich symbolisch mit Trennzeichen darstellen, hier am Beispiel 7 D 4 C 1 C 2:

jj

Das sind n C 2 Symbole, darunter 2 Trennstriche. Für deren Anordnung gibt es


nC2
2
Möglichkeiten.
356 Lösungen der Aufgaben

Lösung 7.2
1 h 2 i
ŒA; Lz  D Px C Py2 C Pz2 ; XPy  YPx
2m
1  2 
D ŒPx ; XPy  ŒPy2 ; Y Px
2m
1  
D Px ŒPx ; XPy C ŒPx ; XPx Py  Py ŒPy ; Y Px  ŒPy ; Y Py Px
2m
1  
D 2i„Px Py C 2i„Py Px D 0
2m
Lx und Ly analog.

Lösung 7.3
Der Einfachheit halber unterdrücken wir die Quantenzahl ˛. Aus (7.61) folgt
p
LC jl; li D „ .2l/  1 jl; l C 1i
p
LC jl; l C 1i D „ .2l  1/  2 jl; l C 2i

etc., also
p p
C jl; li D „
LlCm .2l/.2l  1/    .l  m C 1/ .l C m/Š jl; mi
lCm
s
.2l/Š.l C m/Š
D jl; mi :
.l  m/Š

L analog.

Lösung 7.4
Für jz˙i ist l D 12 , m D ˙ 21 . Zu zeigen ist also

SC jzi D „ jzCi ; SC jzCi D 0; S jzi D 0; S jzCi D „ jzi :

Das folgt sofort aus


! !
„ 0 1 „ 0 0
SC D .x C iy / D „ ; S D .x  iy / D „ :
2 0 0 2 1 0

Lösung 7.7
 
L2 sinl e i l
 2
@ @ 1 @2  l 
D „ 2
C cot C 2 @ 2
sin e i l
@ 2 @ sin


@
D „ 2
C cot l sin cos C sin .l / e i l
l1 l2 2
@
Lösungen der Aufgaben 357


D „2 l.l  1/ sinl2 cos2  l sinl C l sinl2 cos2  l 2 sinl2 e i l

D „2 l sinl2 l cos2  sin2  l e i l

D „2 l sinl2 l cos2  sin2  l.cos2 C sin2 / e i l
D „2 l.l C 1/ sinl e i l

Lösung 7.8
Siehe [Nolting (2013)], 2. Band, S. 32.

Lösung 7.10
Nach (7.80) gilt: 
1 1 @2 1 1 @2
 D r D 1D0
r r @r 2 r r @r 2
Ermittlung des Gradienten:
@ 1 @ 1 x x
D p D p 3
D 3
@x r @x x 2 C y 2 C z 2 x Cy Cz
2 2 2 r

etc., also
1 r
r D  3:
r r
Daraus folgt
Z  Z1 Z2
1 1
dS  r D d cos d er  .r/ D 4;
r r3
S 1 0

denn auf der Einheitssphäre ist er  .r/ D 1 und 1


r3
D 1.

Lösung 7.11
n D 1 ist klar. Aussage sei für n erfüllt.
X
n X
n1
.2l C 1/ D .2l C 1/ C .2n C 1/ D n2 C 2n C 1 D .n C 1/2
lD0 lD0

Lösung 8.1
Einfach in und sc in (3.239) einsetzen.

Lösung 8.2
Nach (7.80) gilt für r > 0:
e ˙i kr 1 @2 ˙i kr 2e
˙i kr
. C k 2 / D e C k
r r @r 2 r
˙i kr ˙i kr
e e
D k 2 C k2 D0
r r
Der ı 3 -Term folgt aus (7.151).
358 Lösungen der Aufgaben

Lösung 8.3
Setze
Unl .r/ D e i.kr ln kr/
und vernachlässige beim Ableiten Terme der Ordnung r 2 :

d    i.kr ln kr/
Unl .r/ D ik  i e
dr r
d2   2 i.kr ln kr/  2   i.kr ln kr/
U nl .r/ D ik  i e D k C 2 e
dr 2 r k
Dadurch wird (8.39) zu

2 2
„k „2 k g i.kr ln kr/ „2 k 2 i.kr ln kr/
 C e D e :
2m rm r 2m
gm
Diese Gleichung ist mit  D k„2
erfüllt.

Lösung 8.4

Z1 Z1 Z2
mg e ˇr
f .q/ D  dr d cos d r 2 e i qr cos
2„2 r
0 1 0
Z1 Z1
mg
D dr d cos r e i qr cos e ˇr
„2
0 1
Z1
mg 1 ˇr i qr cos 1
D dr e e 1
„2 iq
0
Z1
mg 
D dr e ˇr e i qr  e i qr
iq„2
0

mg 1 .ˇCi q/r 1 1 .ˇi q/r 1
D e  e
iq„ ˇ C iq
2 0 ˇ  iq 0

mg 1 1
D 
iq„2 ˇ  iq ˇ C iq
2mg 1
D 2 2
„ ˇ C q2
Lösung 9.1
Aus (9.3) und (9.4) folgt
p p
SC jzi D 2„ jz0i ; SC jz0i D 2„ jzCi ;
p p
S jzCi D 2„ jz0i ; S jz0i D 2„ jzi
Lösungen der Aufgaben 359

und somit
0 1 0 1
p 0 1 0 p 0 0 0
SC D 2„ @0 0 1A ; S D 2„ @1 0 0A :
0 0 0 0 1 0

Der Rest verläuft analog zu Spin- 12 .

Lösung 9.2

(a)
ŒJi ; Jj  D ŒJ1i ˝ 1 C 1 ˝ J2i ; J1j ˝ 1 C 1 ˝ J2j 
D ŒJ1i ˝ 1; J1j ˝ 1 C Œ1 ˝ J2i ; 1 ˝ J2j 
D ŒJ1i ; J1j  ˝ 1 C 1 ˝ ŒJ2i ; J2j 
X
D i„ ij k .J1k ˝ 1 C 1 ˝ J2k /
k
X
D i„ ij k Jk
k

In der dritten Zeile wurde (9.25) verwendet. ŒJ2 ; Ji  D 0 folgt wie bisher aus
ŒJi ; Jj .
(b) X
J2 D .J1i ˝ 1 C 1 ˝ J2i /2
i
X
D J1i2 ˝ 1 C 1 ˝ J2i2 C 2J1i ˝ J2i
i
X
D J21 C J22 C 2 J1i ˝ J2i
i
" #
X
ŒJ 2
; J21  D J21 ˝1C1˝ J22 C2 J1i ˝ J2i ; J21 ˝1
i
X
D0C0C2 ŒJ1i ; J21  ˝ J2i D 0
i

ŒJi ; J21  D ŒJ1i ˝ 1 C 1 ˝ J2i ; J21 ˝ 1


D ŒJ1i ; J21  ˝ 1 C 0 D 0
" #
X
ŒJ ; J1z  D
2
J21 ˝1C1˝ J22 C2 J1i ˝ J2i ; J1z ˝ 1
i
X
D0C0C2 ŒJ1i ; J1z  ˝ J2i
i
D 2i„.J1y ˝ J2x C J1x ˝ J2y /

J2 analog.
360 Lösungen der Aufgaben

Lösung 9.3
Der Beweis erfolgt durch vollständige Induktion nach j2 . Für j2 D 0 ist die Bezie-
hung offensichtlich erfüllt. Induktionsschluss j2 ! j2 C 1:

j1 Cj2 C1 j1 Cj2
X X
.2j C 1/ D .2j C 1/ C 2.j1  j2  1/ C 1 C 2.j1 C j2 C 1/ C 1
j Dj1 j2 1 j Dj1 j2

D .2j1 C 1/.2j2 C 1/ C 4j1 C 2


D .2j1 C 1/Œ2.j2 C 1/ C 1

Lösung 9.5

T .exp.i1 //T .exp.i2 //


! !
cos 1 sin 1 cos 2 sin 2
D
 sin 1 cos 1  sin 2 cos 2
!
cos 1 cos 2  sin 1 sin 2 cos 1 sin 2 C sin 1 cos 2
D
 cos 1 sin 2  sin 1 cos 2 cos 1 cos 2  sin 1 sin 2
!
cos.1 C 2 / sin.1 C 2 /
D
 sin.1 C 2 / cos.1 C 2 /
D T .exp.i.1 C 2 ///
D T .exp.i1 / exp.i2 //

Für den zweiten Teil vergleiche die Berechnung von Uy .˛/ in Abschn. 2.6.

Lösung 10.1

1 2q q2 2
hD p 
2
p  A C 2 A C q
2m c c
@
pPi D  h
@xi
0 1
1 2q X @ q2 X @ @
D @ pj Aj C 2 2 Aj Aj A  q 
2m c j @xi c j @xi @xi
q X q  @ @
D pj  Aj Aj  q 
mc j c @xi @xi
@ 1  q 
xP i D hD pi  Ai
@pi m c
Lösungen der Aufgaben 361

q P
mxR i D pPi  Ai
c 0 1
q X q  @ @ q @ X @
D pj  Aj Aj  q   @ Ai C xPj Ai A
mc j c @xi @xi c @t j
@x j
0 1
1 @ @ 1X @ @
D q @ Ai  C .xPj Aj  xPj Ai /A
c @t @xi c j @xi @xj

Lösung 10.2
Die neue Stromdichte ergibt sich direkt aus der Ersetzung
q
i„r ! i„r  A
c
und der dazu komplex konjugierten Ersetzung
  q 
i„r ! i„r  A :
c
Lösung 10.3
Die Zusatzterme @
@t
durch Zeitlableitung bzw. -Transformation sind identisch:
@ @  i  @ @
i„ ! i„ e D i„e i   „ ei 
@t @t @t @t
q @ i  @ i 
q ! qe i   e D qe i
„ e
c @t @t
Die Zusatzterme aus re i  und A0 heben einander auf:
 q   q  
i„r  A ! i„r  A0 e i 
c  c 
q q
D e i„r C „.r/  A  .r/
i

 c c
q 
D e i„r  A
i
c
Daraus folgt:
 q 2 i    q   q 
i„r  A0 e D i„r  A0 e i  i„r  A
c c c
 q 2
D e i„r  A
i
c
Die Schrödinger-Gleichung ist also auch für das transformierte erfüllt. Es entsteht
nur der Faktor e i  , alle additiven Zusatzterme heben sich weg.
362 Lösungen der Aufgaben

Lösung 10.4
Die Eichtransformationen implizieren

@
r D C;  D c
@t
)  D C  r  ct C a

mit beliebiger Konstante a.


h  q q qa i
0
) D exp i  t  CrC
„ „c „c
Nach den Ehrenfest-Gleichungen gilt

d 1  q 
hri D hpi  A :
dt m c
Nach der Transformation ist hpi D h ji„rj i um qc C erhöht, aber auch qc A um
denselben Wert. Die Änderungen heben sich auf, die Geschwindigkeit hängt nicht
von der Eichung ab.

Lösung 10.5
Für Vektoren gilt die Identität

a  .b  c/ D b.a  c/  c.a  b/:

Wenn der Nabla-Operator involviert ist, muss man auf die Reihenfolge achten. In
Komponenten gilt
X @ 
@

Œr  .r  B/i D xi Bj  xj Bi
j
@xj @xj
X
D ıij Bj  ıjj Bi D Bi  3Bi D 2Bi :
j

Zweite Gleichung:
X @ X 
@
r  .r  B/ D .r  B/i D ij k xj Bk D 0
i
@xi @xi
ij k

Lösung 11.1

P2 e2
H0 D  ; H1 D eE0 Z
2m r
eE0 2 eE0 ieE0 „
ŒH0 ; H1  D ŒPz ; Z D .Pz ŒPz ; Z C ŒPz ; ZPz / D  Pz
2m 2m m
ŒLx ; Z D ŒYPz  ZPy ; Z D i„Y
Lösungen der Aufgaben 363

analog W ŒLy ; Z D i„X; ŒLy ; X D i„Z; ŒLx ; Y  D i„Z


ŒLx ; X D ŒLy ; Y  D ŒLz ; Z D 0

) ŒL2 ; H1  D eE0 ŒL2x C Ly2 ; Z


 
D eE0 Lx ŒLx ; Z C ŒLx ; ZLx C Ly ŒLy ; Z C ŒLy ; ZLy
 
D i„eE0 Lx Y  Y Lx C Ly X C XLy
 
D i„eE0 2Lx Y C ŒLx ; Y  C 2XLy C ŒLy ; X
 
D i„eE0 2Lx Y C i„Z C 2XLy  i„Z
 
D 2i„eE0 XLy  Lx Y
Lösung 11.2
Z

 D d 3r 2;1;0 .r/ 2;0;0 .r/z

Z1 Z1 Z2
1 r r  r=a
D dr d cos d r 2 2  e cos r cos
32a3 a a
0 1 0
 Z1 Z1
1 r 5 r=a
D dr 2r 4
e d cos cos2
16a4 a
0 1
21 3
Z Z1 5
1 4 r
D dr 2r 4 e r=a  dr e r=a 5
24a4 a
0 0
21 3
Z Z1
1
D 4 dr 48 a4 e r=a  dr 120 a4e r=a 5
24a4
0 0
Z1
D 3 dr e r=a D 3a
0

Der erste Term der vorletzten Zeile kam nach viermaliger partieller Integration zu-
stande, der zweite nach fünfmaliger.

Lösung 11.3
Zt Zt1
2
dt1 dt2 hf jU0 .t; t1 /H1 .t1 /U0 .t1 ; t2 /H1 .t2 /U0 .t2 ; 0/j ii e i !f t
„2
0 t0
Zt Zt1 X
2
D 2 dt1 dt2 hf jU0 .t; t1 /j j i hj jH1 .t1 /j ki hk jU0 .t1 ; t2 /j li

0 t0 j;k;l;m

 hl jH1 .t2 /j mi hm jU0 .t1 ; 0/j ii e i !f t


364 Lösungen der Aufgaben

Zt Zt1 X
2
D 2 dt1 dt2 hj jH1 .t1 /j ki hl jH1 .t2 /j ii

0 t0 j;k;l;m

 e i !f .t t1 / ıfj e i !k .t1 t2 / ıkl e i !i t2 ımi e i !f t


Zt Zt1 X
2
D 2 dt1 dt2 hf jH1 .t1 /j ki hk jH1 .t2 /j ii e i.!f !k /t1 e i.!k !i /t2

0 t0 k

Lösung 12.1
n.n C 1/
.C/ ./ n.n  1/
dim H2 ;D dim H2 D
2 2
Die Zahl der Dimensionen entspricht der Anzahl der Möglichkeiten, zwei Basis-
vektoren von H1 auszuwählen. Im einen Fall kann derselbe Basisvektor zweimal
gewählt werden, im anderen Fall nicht.

Lösung 12.2
Die Gleichung überprüft man, indem man auf der linken Seite die Positionen der
Zustände verfolgt, z. B. j ! m ! n ! i. Für die Eigenwerte folgt
2 2

ni
mj
mn D
ij )
mn D
ij
für beliebige i; j; m; n.

Lösung 12.3

(a) Für nj > 1 gibt es nj Š Permutationen, die nur gleiche Zustände miteinander
vertauschen. Für jedes solche j muss daher die Gesamtzahl der möglichen Per-
mutationen durch nj Š dividiert werden.
(b) Die Anzahl der Summanden ist 3Š 2Š
D 3:
ˇ ˛
ˇfnj g .C/ D p1 .j1 W 2; 2 W 1; 3 W 1i C j1 W 1; 2 W 2; 3 W 1i C j1 W 1; 2 W 1; 3 W 2i/
3

Lösung 12.5
1 1 1 1 3
p.xC/ D j hx C jzC i j2 C j hx C jxC i j2 D C D ;
2 2 4 2 4
1 1 1 1 1
p.yC/ D j hy C jzC i j C j hy C jxC i j D C D ;
2 2
2 2 4 4 2
1 1 1 1 3
p.zC/ D j hz C jzC i j2 C j hz C jxC i j2 D C D
2 2 2 4 4
„ 1 1 „ 1 „
hSx i D hz C jx j zCi C hx C jx j xCi D C0 D
2 2 2 2 2 4

analog W hSy i D 0; hSz i D
4
Lösungen der Aufgaben 365

Lösung 12.6
H ist der Raum, den die n Zustände aufspannen, aus denen gebildet wird. AH
ist der Bildraum von AjH , also der Einschränkung von A auf H . Dann ist HA der
Raum, der von H und AH aufgespannt wird, der also aus allen Linearkombina-
tionen von Vektoren in H und AH besteht. Da H und AH jeweils höchstens
n-dimensional sind, ist HA höchstens 2n-dimensional.

Lösung 12.7

(i) !
1 1 1 1 0
D jzCi hzCj C jzi hzj D
2 2 2 0 1

„ 1 „
hSi i D Sp i 1 D Sp.i / D 0
2 2 4

(ii) !
1 1 1 3 1
D jzCi hzCj C jxCi hxCj D
2 2 4 1 1
!! !
„ 3 1 „ 1 1 „
hSx i D Sp x D Sp D
8 1 1 8 3 1 4
!! !
„ 3 1 „ i i
hSy i D Sp y D Sp D0
8 1 1 8 3i i
!! !
„ 3 1 „ 3 1 „
hSz i D Sp x D Sp D
8 1 1 8 1 1 4

Lösung 12.8

(b)
4 2 4 2 2 i
˛2 D ) ˛D ; ˛ˇ D C i ) ˇD C
9 3 9 9 3 3
2 2 i
) j i D jzCi C C jzi
3 3 3
366 Lösungen der Aufgaben

Lösung 14.1
Mit
fi ; j g WD i j C j i D 2ıij 1
(vgl. Aufgabe 2.26) erhält man sofort
!2 !
0 i i2 0
˛i2 D D D1
i 0 0 i2
!
i j C j i 0
˛i ˛j C ˛j ˛i D D 2ıij 1
0 i j C j i
! !
0 i 0 i
˛i ˇ C ˇ˛i D C D 0:
i 0 i 0

Lösung 14.2

(c) Wir benötigen die Relation


X
i j D ıij 1 C i ij k k ;
k

die sich leicht aus


X
fi ; j g D 2ıij 1; Œi ; j  D 2i ij k k
k

herleiten lässt. Damit ist


X
.  U/.  V/ D .i ˝ Ui /.j ˝ Vj /
i;j
X
D .i j / ˝ .Ui Vj /
i;j
X X
D ıij 1 ˝ .Ui Vj / C i ij k k ˝ .Ui Vj /
i;j i;j;k
X X
D 1 ˝ Ui Vi C ik ˝ .U  V/k
i k
D U  V C i  .U  V/:

(d) U  U ist nicht unbedingt null, weil der Kommutator Ui Uj  Uj Ui nicht un-
bedingt verschwindet. Da Ableitungen nach verschiedenen Koordinaten aller-
dings kommutieren, ist
P  P D 0:
Lösungen der Aufgaben 367

Damit folgt für Q WD .P  qA/  .P  qA/:

Qi j i D Œ.P  qA/  .P  qA/i j i


D q ŒP  A C A  Pi j i
D i„q Œr  A C A  r j i
X 
@ @
D i„q ij k Ak C Aj j i
@xj @xk
j;k
X 
@ @
D i„q ij k Ak  Ak j i
@xj @xj
j;k
X 
@ @
D i„q ij k .Ak j i/  Ak j i
@xj @xj
j;k
X 
@
D i„q ij k Ak j i
@xj
j;k

D i„qBi j i

In der fünften Zeile wurde i kj D  ij k verwendet.


(e) Man erhält (14.25), indem man die Ergebnisse von (c) und (d) in die Pauli-
Gleichung einsetzt. Daraus ergibt sich ge D 2, wenn man mit Hmag vergleicht:

qge qge „
Hmag D B  M D  BSD  B
2m 4m
Literaturverzeichnis

 Cohen-Tannoudji C., Diu B. und Laloe F. (2010) Quantenmechanik, 2 Bände,


4. Auflage, de Gruyter.
! Gutes Lehrbuch mit sehr ausführlichen Erklärungen. Besonders ausführlich
beim Thema stationäre Störungstheorie und reales H-Atom.
 Messiah A. (1991) Quantenmechanik, 2 Bände, 2. Auflage, de Gruyter.
! Ein Klassiker und immer noch eines der besten QM-Lehrbücher. Besonders
gut beim Thema relativistische Verallgemeinerung.
 Nolting W. (2013) Grundkurs Theoretische Physik 5: Quantenmechanik, 2 Bän-
de, 8. Auflage, Springer.
! Didaktisch ansprechend aufbereitetes Lehrbuch. Ragt besonders durch 400
Seiten Aufgaben mit ausführlichen Lösungen heraus.
 Pade J. (2012) Quantenmechanik zu Fuß, 2 Bände, Springer.
! Ungewöhnliches Lehrbuch, behandelt viele moderne Themen, die in den
anderen genannten QM-Büchern kaum erwähnt werden, z. B. Experimente
zur Verschränkung, Quanteninformation, Dekohärenz, QM-Interpretationen,
Bell’sche Ungleichung. Daher empfehlenswerte Ergänzungslektüre.
 Shankar R. (2008) Principles of Quantum Mechanics, 2. Auflage, Springer.
! Sehr gutes englisches Lehrbuch. Zwei umfangreiche Kapitel zum Pfadinte-
gral.
 Wachter A. und Hoeber H. (2009) Repetitorium theoretische Physik, 2. Auflage,
Springer.
! Der gesamte Kanon der Theoretischen Physik (klassische Mechanik, Elektro-
dynamik, QM, Statistische Mechanik) zusammengefasst. Ideal zur Prüfungs-
vorbereitung. Im QM-Teil ähnlicher axiomatischer Ansatz wie in diesem
Buch.

! Die sechs genannten Lehrbücher im ersten Teil dieser Literaturliste sind in mei-
nen Augen alle sehr empfehlenswert; sie ergänzen sich sehr gut und bilden ein
ausgewogenes Lernmaterial zum Studium der QM. Der Rest der Literaturliste
bezieht sich auf Spezialthemen, v. a. im Bereich QM-Interpretation.
369
370 Literaturverzeichnis

 Alt H. W. (2012) Lineare Funktionalanalysis, 6. Auflage, Springer.


! Die Funktionalanalysis bildet den mathematischen Hintergrund zur QM der
Wellenfunktionen.
 Boas M. J. (2005) Mathematical Methods in the Physical Sciences, 3. Auflage,
John Wiley & Sons.
! Klassiker zum Thema mathematische Methoden. Für die QM v. a. in Behand-
lung der Legendre-, Hermite- und Laguerre-Polynome lehrreich.
 Dürr D., Goldstein S. und Zanghi N. (2003a) Quantum Equilibrium and the Role
of Operators as Observables in Quantum Theory, Journal of Statistical Physics
116, 959; online: http://arxiv.org/abs/quant-ph/0308038.
! Zeigt, wie QM-Postulat 2 in der Bohm’schen Theorie enthalten ist.
 Dürr D., Goldstein S. und Zanghi N. (2003b) Quantum Equilibrium and the Ori-
gin of Absolute Uncertainty, Journal of Statistical Physics 67, 843; online: http://
arxiv.org/abs/quant-ph/0308039.
! Zeigt, wie QM-Postulat 3 in der Bohm’schen Theorie enthalten ist.
 Elitzur A. C. und Vaidmann L. (1993) Quantum Mechanical Interaction-Free
Measurements, Foundations of Physics 23, 987; online: http://arxiv.org/abs/hep-
th/9305002.
! Beschreibt den wechselwirkungsfreien „Bombentest“.
 Holland P. R. (2008) The Quantum Theory of Motion, Cambridge University
Press.
! Umfangreiche Darstellung der Bohm’schen Theorie.
 Itano W. M., Heinzen D. J., Bollinger J. J. und Wineland D. J. (1999) Quantum
Zeno effect, Physical Review A 41, 2295.
! Beschreibt ein bekanntes Experiment zum Quanten-Zeno-Effekt.
 Joos E., Zeh H. D., Kiefer C., Giulini D., Kupsch J. und Stamatescu I.-O. (2003)
Decoherence and the Appearance of a Classical World in Quantum Theory,
2. Auflage, Springer.
! Beschreibt das Phänomen der Dekohärenz und einige Sichtweisen auf die
QM, z. B. Viele-Welten-Interpretation, Consistent Histories, Kollapsmodelle.
 Kim Y.-H., Yu R., Kulik S. P., Scully M. O. und Shih Y. H. (1999) A Delayed
Choice Quantum Eraser, Physical Review Letters 84, 1–5; online: http://arxiv.
org/abs/quant-ph/9903047.
! Beschreibt ein verblüffendes Experiment mit einem Quantenradierer.
 Kominis I. K. (2008) Quantum Zeno Effect Underpinning the Radical-Ion-Pair
Mechanism of Avian Magnetoreception, http://arxiv.org/abs/0804.2646.
! Erklärt, warum der Quanten-Zeno-Effekt beim magnetischen Orientierungs-
sinn der Zugvögel eine wichtige Rolle spielt.
 Kuypers F. (2010) Klassische Mechanik, 9. Auflage, Wiley-VCH.
! Gutes Mechanik-Lehrbuch. Für die QM besonders relevant: Hamilton-For-
malismus, Poisson-Klammern, Hamilton-Jacobi-Theorie.
Literaturverzeichnis 371

 Kwiat P. G., Weinfurter H., Herzog T., Zeilinger A. und Kasevich M. A. (1995)
Interaction-Free Measurement, Physical Review Letters 74, 4763.
! Beschreibt Experimente zur wechselwirkungsfreien Quantenmessung.
 Kwiat P. G., White A. G., Mitchell J. R., Nairz O., Weihs G., Weinfurter H. und
Zeilinger A. (1999) High-efficiency quantum interrogation measurements via the
quantum Zeno effect, Physical Review Letters 83, 4725; online: http://arxiv.org/
abs/quant-ph/9909083.
! Beschreibt weitere Experimente zur wechselwirkungsfreien Quantenmes-
sung.
 Pusey M. F., Barrett J., Rudolph T. (2011) On the reality of the quantum state,
Nature Phys. 8, 476; online: http://arxiv.org/abs/1111.3328.
! Relativ neues Forschungsergebnis, das eine Klasse von QM-Interpretationen
ausschließt. Zeigt, wie viel Bewegung im Bereich QM-Interpretation immer
noch herrscht.
 Saunders S., Barrett J., Kent A. und Wallace D. (Hrsg.) (2012), Many Worlds?,
Oxford University Press.
! Diskussion verschiedener Ansichten zur Viele-Welten-Interpretation.
 Schlosshauer M. (Hrsg.) (2011) Elegance and Enigma, Springer.
! Interviews zum aktuellen Stand der Interpretation der QM. Zeigt die Vielfalt
der Meinungen unter den führenden Vertretern dieses Gebiets.
 Schrödinger E. (1965) Geist und Materie, 3. Auflage, Vieweg.
! Philosophisches Werk von Erwin Schrödinger.
 Stapp H. P. (2009) Mind, Matter and Quantum Mechanics, 3. Auflage, Springer.
! Stapp erläutert hier seine Theorie über den Kollaps der Wellenfunktion als
Schnittstelle zwischen Geist und Materie.
Sachverzeichnis

A Determinismus, 135
Absteigeoperator, 176, 239 Dichtematrix, 302
Aharanov-Bohm-Effekt, 270 Dichteoperator, 302, 306
Antikommutator, 53 reduzierter, 308
Antikorrelation, 70 Dipolmoment, 266
Antisymmetrisierung, 298 Dirac-Bild, 282
asymptotische Reihe, 276 Dirac-Gleichung, 321
Aufsteigeoperator, 176, 239 Dirac-See, 323
Ausschließungsprinzip, 295 Dirac-Spinor, 320
Automorphismus, 78 Direkte Summe, 62
Dirichlet-Bedingungen, 88
B Doppelspalt, 326
Bell’sche Ungleichung, 3 Doppelspalt-Versuch, 270
Besetzungszahl, 297 Drehimpuls
Bessel-Funktionen in drei Dimensionen, 190
sphärische, 212 in zwei Dimensionen, 184
Bohm’sche Mechanik, 147 verallgemeinerter, 238
Bohr’scher Radius, 215 Drehimpulsalgebra, 192
Born’sche Näherung, 228, 230 Drehimpulsoperator, 190
Born’sche Reihe, 228 Drehimpulsquantenzahl, 185, 241
Bosonen, 294 Dreiecksungleichung, 16
Bra-Vektor, 18 Dualraum, 18

C E
charakteristisches Polynom, 24 Ehrenfest-Gleichungen, 107
Clebsch-Gordan-Koeffizienten, 242 Ehrenfest-Theorem, 61
Coulomb-Eichung, 265 Eichinvarianz, 262
Coulomb-Potential, 214 Eichtransformation, 262
Eigenraum, 24
D Eigenvektor, 11, 24
Darstellung, 249 Eigenwert, 11, 24
Darwin-Term, 280 Eigenwertgleichung, 11
De-Broglie-Beziehung, 109 Eikonalgleichung, 126
De-Broglie-Bohm-Theorie, 146 Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon, 7
Dekohärenz, 136, 140 Energiequantenzahl, 204
Delayed Choice, 327 Energie-Zeit-Unschärferelation, 61, 287
Delta-Distribution, 95 Entartung, 162

373
374 Sachverzeichnis

Epsilon-Tensor, 191 I
Erhaltungsgröße, 61 Impulsoperator, 111
Erhaltungsgröße, 256 Impulsübertrag, 229
Erwartungswert, 35 Information, 136
Erzeugungsoperator, 300
J
Jacobi-Identität, 50
F
Feinstruktur, 279 K
Fermionen, 294 kanonische Transformation, 121
Fermis Goldene Regel, 289 Ket-Vektor, 18
Feynman-Graphen, 282 klassische Näherung, 124
Fock-Raum, 299 Klein-Gordon-Gleichung, 320
Fourier-Reihe, 89 Kochen-Specker-Theorem, 334
Fourier-Transformation, 101 Kohärenz, 307
Fourier-Zerlegung, 88 Kollaps
Führungsgleichung, 147 durch Bewusstsein, 150
Führungswelle, 148 durch Quantengravitation, 150
Funktional, 97 dynamischer, 149
Funktionenraum, 77 im Messgerät, 149
Kollaps der Wellenfunktion, 149
Kommutator, 49
G kommutieren, 22
Gauß’sches Wellenpaket, 111, 158 Kontinuitätsgleichung, 119, 123
Gelfand’sches Raumtripel, 99 im elektromagnetischen Feld, 261
Gemisch, 303 Kopenhagener Deutung, 13, 144
Gram-Schmidt’sches Korrelation, 5, 70
Orthogonalisierungsverfahren, 81 maximale, 70
Green-Funktion, 227 Korrespondenzprinzip, 107
Grundzustand, 45, 117 Kugelflächenfunktionen, 200
Harmonischer Oszillator, 176
Grundzustandsenergie, 45 L
Gruppe, 248 Laguerre-Polynome, 84, 218
gyromagnetisches Verhältnis, 267 Laplace-Operator, 198
Legendre-Polynome, 83, 202
Lie-Algebra, 249
H
Lie-Gruppe, 249
Hamel-Basis, 78
Linearform, 18
Hamilton-Funktion, 106
Lokalität, 3
Hamilton-Jacobi-Gleichung, 125
Hamilton-Operator, 42 M
im elektromagnetischen Feld, 261 Mach-Zehnder-Interferometer, 326
Hamilton-Prinzip, 314 magnetischer Fluss, 270
Hamilton’sche Gleichungen, 106 magnetisches Dipolmoment, 266
Harmonischer Oszillator, 174 Magnetquantenzahl, 193
isotroper, 179, 186 Masse
Heisenberg-Bild, 57, 282 reduzierte, 130
Heisenberg-Gleichung, 60 Materiewelle, 115
Heisenberg’sche Unschärferelation, 55 Messproblem, 134
Heliumatom, 295
Hermite-Polynome, 84, 177 N
hermitesch, 14 Näherung
Higgs-Boson, 240 Born’sche, 228, 230
Hilbert-Raum, 10, 14 klassische, 124
Hyperfeinstruktur, 279 Neumann-Funktionen, 213
Sachverzeichnis 375

O Prinzipalfunktion, 125
Observable, 10 Projektionsoperator, 28, 33
Operator, 10 Propagator, 46
Absteige-, 176 Pseudo-Basis, 94
adjungierter, 21 Pseudo-Vektor, 94
antihermitescher, 23
Aufsteige-, 176 Q
Drehimpuls-, 190 QED, 260
Erzeugungs-, 300 QFT, 300
Hamilton-, 42 quadratintegrabel, 80
hermitescher, 22 Quanteninformation, 34
Impuls-, 111 Quantenradierer, 330
Laplace-, 198 Quantenzahlen, 53
Orts-, 111 Quanten-Zeno-Effekt, 332
Projektions-, 28, 33 Quantisierung, 42
Spin-, 28 Qubit, 34
Transpositions-, 293
unitärer, 37 R
Vektor-, 122 Radialgleichung, 185, 204
Vernichtungs-, 300 Realität, 3
Zeitentwicklungs-, 46 reduzierte Masse, 130
Zeitordnungs-, 47 Reflexionskoeffizient, 166
Optisches Theorem, 234 Relativistische Korrektur, 279
Orbitalquantenzahl, 195 Rutherford’sche Streuformel, 231
Orthohelium, 296 Rydberg-Energie, 215
Orthonormalbasis, 15
Orts-/Impulsunschärfe, 111 S
Ortsoperator, 111 Schauder-Basis, 78
Ortspropagator, 313 Schrödinger-Bild, 57, 282
Schrödinger-Gleichung
P eindimensionale, 117
Parahelium, 295 im Ortsraum, 122
Parität, 277 stationäre, 44, 117, 123
Pauli-Gleichung, 323 zeitabhängige, 12, 117, 122
Pauli-Matrizen, 23, 239 Schrödingers Katze, 134
Pauli-Prinzip, 295 Schwarz’sche Ungleichung, 15
Permutation, 297 Signum einer Permutation, 297
Pfadintegral, 313 Singlet, 294
Photon, 4, 260 Skalarprodukt, 14
Identitätskrise, 116 Slater-Determinante, 298
Planck’sches Wirkungsquantum, 12 Spektrum
Poisson-Klammern, 121 diskretes, 117
Polarkoordinaten, 182 kontinuierliches, 117
Positron, 323 Spin, 238
Postulate der Quantenmechanik, 10 in externem Magnetfeld, 43
Potential Spin-Bahn-Kopplung, 243, 280
Coulomb-, 214 Spinoperator, 28
des harmonischen Oszillators, 174 Spin-Statistik-Theorem, 295
effektives, 185, 205 Spinzustand, 27
stückweise konstantes, 162 Standardabweichung, 35
Yukawa-, 230 Stark-Effekt, 277
Potentialstufe, 164 Stern-Gerlach-Versuch, 238, 269
Potentialtopf, 167 Störparameter, 274
Potentialwall, 172 Störung
376 Sachverzeichnis

periodische, 286 Vollständigkeitsrelation, 31


Störungstheorie Von-Neumann-Gleichung, 306
erster Ordnung, 280
stationäre, 273 W
zeitabhängige, 273 Wahrscheinlichkeitsamplitude, 115
Strahl, 17 Wahrscheinlichkeitsdichte, 107
Streuamplitude, 224 Wahrscheinlichkeitsstromdichte, 119
Streuphase, 232 Wahrscheinlichkeitswelle, 116
Streuphasenanalyse, 231 Wasserstoffatom
Streuung, 223 naives, 214
elastische, 221 Wasserstoff-Spektrum, 217
Superpositionsprinzip, 45 Wechselwirkungsbild, 282
Symmetrie, 256, 262 wechselwirkungsfreie Messung, 329
Symmetrisierung, 297 Welle
einlaufende, 224
T gestreute, 224
Target, 224 Wellenfunktion, 106
Teilchen, 116 Wellenpaket, 111
freies, 118, 158, 209 Wellenzahl, 109
ununterscheidbare, 292 Wellenzahlvektor, 209
virtuelles, 300 Wigners Freund, 135
Tensordichte, 191 Wirkung, 314
Tensorprodukt, 63 Wirkungsquerschnitt
Theta-Funktion, 88 differentieller, 222
Transformation totaler, 222
Eich-, 262
kanonische, 121 Y
Translation, 252 Yang-Mills-Theorie, 264
Transmissionskoeffizient, 166 Yukawa-Potential, 230
Transpositionsoperator, 293
Triplet, 294 Z
Tunneleffekt, 173 Zeeman-Effekt
anomaler, 238, 269
U normaler, 268
Übergangsrate, 289 Zeitentwicklungsoperator, 46
Übergangswahrscheinlichkeit, 281 Zeitordnungsoperator, 47
Unschärfe, 35 Zentralpotential, 179, 185, 204
Unschärferelation, 11, 55 Zentrifugalterm, 185
Zufall, 135
V Zustand
Vakuum, 299 freier, 171
Variablenseparation, 180 gebundener, 168
Vektoroperator, 122 reiner, 303
verborgene Variable, 147, 334 stationärer, 44
Vernichtungsoperator, 300 verschränkter, 65
Verschränkung, 6, 65 Zustandsvektor, 10
Viele-Welten-Interpretation, 137 Zweikörperproblem, 130

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