Sie sind auf Seite 1von 10

ENDE DEB ECHTZEIT T.

^
M it der S o n n e blieb in d er À r a der T ech n o-Z eit auch d ie von
den G e stim e n bestim m te siderische Z e it zurück, in welche
die m enschliche Z e it eingebettet w ar. Sid erisch e Z e it ist die
Z eit, w elche die E r d e ben ôtigt, um eine v ollstân d ige U m d re-
h ung zu m ach en, g em essen an einem hypothetischèn F ix-
stem . D a s M e ssen d er Z e it geschieht j a durch d as M essen
eines Z eitin tervalls zw ischen zwei E reign issen , die sich regu-
làr w iederholen m ü ssen , u m als S tan d ard dienen zu konnen.
D a b e i gibt es voile Intervalle ( ein durchgehendes Sign al) un d
leere Intervalle (zw ischen zw ei R eizen ). D ie E p h e m e n d e n -
Z e it, d ie a u f d er N ew ton’sch en Z e it basiert, w urde 1967
durch d ie ato m are Z e it ersetzt, die a u f atom aren Schw ingun-
gen, Strah lun gsfrequen zen atom arer P ro zesse beruht. D e r
Sch atten d er Z eit, d er die Z e it sichtbar gem ach t hatte, ver-
d am p fte - den n die S o n n e(n u h r) blieb stehn. D a s V er-G eh en
der Z e it verflüchtigte sich, als d ie Z e it sich besch leun igte un d
versch leuderte. T ag u n d N ach t als natürliche M aB einheiten
d er Z eit, von den D reh u n gen d er E rd e u m sich selb st u n d um
d ie S o n n e h ervorgebrach t u n d in Jah rtau se n d e n d er G ew ôh -
nung als natürliche R ealzeit bzw. E ch tzeit d e s M ensch en
erfahren, verloren ihren Sinn, als die N ach t zum T age w urde,
nicht allein w egen d er E n td eck u n g der E lektrizitàt, son d ern
auch als entdeckt w urde, daB d ie R o tatio n an sich sch on eine
B esch leu n igu n g ist. B esch leu n igu n g m eint j a eine (anstei-
gen d e) À n d e ru n g d er G eschw indigkeit. G eschw indigkeit
ab er ist definiert als B ew egu n g in gleicher R ichtung. W enn
etw as rotiert, b ew egen sich seine Teile m it kon stan ter
G eschw indigkeit, ab er d a sie sich im K reise drehen, w echseln
sie k on stan t die R ich tu n g d er B ew egu n g u n d d ah er ihre
G eschw indigkeit. U m k on stan t im K re ise drehen zu k on nen ,
m ü ssen sich d ie T eüe k on stan t beschleunigen. D a s Sonnensy-
stem ist im G ru n d e sch on beschleunigt, u n d auch die Partikel
reisen desw egen im T eilchenbeschleuniger zirkular b esch leu ­
nigt. T ech n o-Z eit ist nur au s d er N atu r losgesch leu d erte
B esch leu n igu n g, so w ie die losgesch leuderten B litze der
N atu r schlieBlich zur E lek trizitàt w urden. B esch leu n igte
K o r p e r sch leudern Strah lung aus. S o wird die V erfallszeit,

72
der rad ioaktive V erfall, zu unserer eigentlichen unsichtbaren
U hr. Y o m Q uan tu m -V aku u m b is zu den schw arzen L ô ch ern
wird d as U n iversu m von den hyperbolischen K urven durch-
kreuzt, w elche die W eltlinien gleichfôrm ig beschleunigter
K ô rp e r ziehen. E in e U h r k an n so a u f ihrer R e ise durch die
R au m zeit a u f ihrer W eltlinie, w o die Z e it u m so lan gsam er
vergeht, je schneller sie reist, d ie vergeh en de E igen zeit oder
A u sd eh n u n g der Z e it m essen . E in e id eale U h r ist je n e , w el­
che die E igen zeit entlang der W eltlinie anzeigt. D e r relativi-
stische Z eiteffek t kann zu einer D ilatatio n der Z e it führen.
E in stein zeigte, die B esch leun igun g beeinfluBt den G an g
einer U h r: bew egte U h ren gehen lan gsam . S o w ie ein bew eg-
ter S tab kürzer ist als ein identischer in R uh e. D ie L a n g e eines
S ta b e s in seinem eigenen R uh esy stem heiBt dah er E ig en -
lànge. W ir aile sind U hren, beschleunigte U hren. D o ch wis-
sen wir, w as un sere E igen zeit, un sere E igen lân ge ist? W as ist
un sere natürliche Z e it? Ist Z e it nur A rb eit, gem essen durch
L e istu n g ? Ist Z e it nur E n tfe m u n g , dividiert durch G eschw in­
digkeit? Ist G eschw indigkeit nur Lichtw eg durch Z e itd au e r?
E in gleichfôrm ig beschleunigter B eo b ach ter w urde au f seiner
R e ise im plodieren wie ein schw arzes L o ch ; seine B esch leu n i­
gung w ürde m it der Schw erkraft verschm elzen, bestim m te
E reign isse w ürden fur im m er jen seits seines E reign is-H ori-
zontes unsichtbar bleiben. D ie R â tse l u n d P arad o xien der
R elativitâts-T h eorie, die b is h eute noch nicht zu E n d e
gedach t u n d au sgesch ôp ft sind, h aben ihre U rsa c h e im
B esch leunigungsproblem . S ie h e z .B . die E n tro pie- B esch leu ­
nigung u n d die B eken stein -H aw kin g F orm el der E n tro p ie
fur ein schw arzes L o ch . A ile B e g riffe u n d P roblèm e der R ela-
tivitàtstheorie w ie G leichzeitigkeit u n d Synchronisation von
U hren, d as Z w illin gsparad ox, d as P roblem der B esch leu n i­
gung, der besch leunigten U h ren , die Z eitkontraktion , die
Sim ultaneitàt, d as M essen , ob die Z e it fü r aile gleich vergeht,
ob m an d as W achstum (d a s A ltern ) beschleunigen o d er
v erlan gsam en kan n (durch Z eitreisen w ie A stro n au ten es
tun) sind zentral für eine p o stm o d ern e  sth etik d es Ver-
schw indens.
S o ist also m it der M edien ku n st zu fragen, ob die R ealzeit des
M ensch en wirklich ident ist m it der E chtzeit der N atur, wo

73
w ir d och n och g ar nicht w issen, w as Z e it wirklich ist, u n d wir
n ur einer G ew o h n u n g anhàngen, deren E n d e d ie astronauti-
schen S p az ie rg ân ge im AU sch on anküncügen. H ab e n wir uns
von d er E ch tzeit d er N atu r nicht falsch e, vereinfachen de V or-
steUungen gem ach t? Ist nicht die T ech n o-T une eine L ist der
N atur, die E ch tzeit d es M ensch en zu überw inden, die Z eit
des M ensch en zu deh n en ? D e r von d er C om puter-K ultur
h ervorgebrach te A u sd ru ck «re a l tim e» (R ealzeit bzw. Echt-
zeit), d er die Z e it d er W irklichkeit, w irkhcher V o rgàn ge bzw.
d ie Z eit, w elche V orgàn ge in der W irklichkeit brauchen, defi-
niert, u n d sein G ege n te il d ie C om pu ter-T im e, «ru n tim e»
(L a u fz e it), d as ist d ie A n z ah l d er diskreten Schritte, die ein
C o m p u te r braucht, u m eine bestim m te B erech n un g durchzu-
führen, d ie eine K o m p o sitio n o d er eine grafisch e A n im atio n
o d e r ein R ech en p roblem sein kann, m arkieren d en B egin n
eines Sch ism as u n d Z w eifels. D ie runtim e eines V organ gs im
C o m p u te r k an n k ü rzer o d e r lan ger sein als die realtim e d es
gleichen V organ gs in d er R ealitàt. D ie runtim e eines R echen-
V o rgan gs d e s C o m p u ters, d er ein E reign is darsteUt, erzeugt
o d er sim uliert, k an n kürzer o d e r lan ger sein als d ie realtim e,
d ie d er gleiche V o rgan g in der W irklichkeit braucht. D ie
C o m p u terzeit ist also v o n der R ealzeit ab gelô st w ie einst die
B ew egu n g v o m K ô rp er. S ie verschiebt sich p araü e l zur R e a l­
zeit, n ach v o m e o d e r n ach hinten, besch leun igt o d e r verzô-
gert. A ls Sim ulationszeit bed eu tet sie d as E n d e d er Echtzeit,
den B egin n d er digitalen Z eit: C o m pu ter-Sim u lation von
R a u m u n d Z eit.
D a s E n d e d e r E ch tzeit ist d a s E n d e d er sichtbaren Z eit. D ie
S o n n e blieb zurück u n d wirft keinen Schatten m ehr. O hne
Sch atten ist d as V ergehen d er Z e it unsichtbar. D ie Z iffern -
Z eit, die digitale Z eit, ist eine sch atten lose Z eit, w eil Z ah len
diskret springen, w o früher Z é ig e r sich stetig bew egten.W enn
ich d ie h istorische M ôglichkeit ch arakterisiert h abe, im ràum -
lichen N eb en ein an d er d as zeitliche N ach ein an d er zu veran-
schaulichen, d an n h ab e ich eine fun d am en tale, jah rh u n d erte
alte, h istorische  sth etik -R egel form uliert, nâm lich Z e it
durch R a u m darzustellen. W enn die versch ieden en Bew e-
gu n gsp h asen von H u n d e-, Pferde- o d e r M enschenbeinen,
w enn die versch ieden en Station en einer G eschich te, d ie aUe

74
au f einem B ild n eben ein an der lokalisiert sind, in W irklich­
keit ab er ein zeitliches N ach ein an der b ed eu ten sollen, dann
heiBt d a s soviet, daB durch d ieses ràum liche N eben ein an d er
eigentlich Z eit, G eschich te dargestellt wird. F ü r die âstheti-
sche Strategie der R e p résen tatio n von Z e it durch R a u m gibt
es eine G leich un g: D istan z = D au e r. D a s ist die G leichung
der E ch tzeit, der durch den M ensch en u n d seinen K o rp e r
erfahrenen natürlichen R ealzeit. D ie râum lichen V erhâlt-
n isse im B ild , die P ro p ortio n en der G egen stân d e, die
A b stâ n d e der P ersonen , ail d iese topologisch en V erfahren
der B ild e r stellen eigentlich Z eitverhàltn isse dar. Z e it w urde
sichtbar gem acht durch R au m . D ie se am 2-dim ensionalen
T afelbild, d as ja nicht ü b er die Z eit-D im en sion verfügt, ent-
w ickelte M éth o d e w urde an fan gs n och im zeitfundierten
M ed iu m d es F ilm s verw endet. D e r sogen an n te graphische
ab strak te Film , von Y ikin g E g g e lin g zu B egin n der 2 0 e r Ja h re
b is zu den digitalen F ilm en v o n Jo h n W hitney Sr., ist der gra-
phisch en D arstellu n g der Z e it verpflichtet.
E s gibt ab er ein K unstw erk, w elches d as E n d e der Echtzeit,
d a s E n d e der sichtbaren Z e it u n d die A n ku n ft der Techno-
Z e it bru tal verkün det hat: d as M etron om von M a n R a y m it
d em T itel « O bj ekt zu zerstôren » von 1923, d a s in der T at vom
P ublikum zerstôrt w urde, sod aB es nur m ehr in spâteren
R ep lik en existiert. In d iesem O bj ekt kulm inieren m ehrere
T en den zen der G eschw indigkeitskun st n ach 1900.
A ls M etro n om ist es ein zeitm essen des u n d Z eitm aB geben-
d e s O bj ekt, ein C hronom eter, eine dreieckige U h r m it einem
bew egüchen S ta b als Z eiger. D ie E r fo lg e d er m etrischen
M o n ta g e von E isen stein u n d V ertov w aren so groB, daB
an gebüch so ga r in H olly w o od s Schn eiderâum en die M étro­
n o m e tickten. A ls In d e x ist d as M etron om ein M usikinstru-
m ent. W enn wir ein M etro n om sehen, steht es fü r u n s p ars pro
toto für M usik, den ken wir autom atisch an K lav ier u n d T a k t.
A ls Sy m b ol steht d as M etro n om für Z eit. A ls korrespon die-
ren des O rgan h at d as M etro n om d as Ohr, d a es sich j a um ein
M usikobj ekt, um ein O bj ekt zum H ôren handelt. W ir w ürden
also die F o to g rafie eines O hres a u f dem S ta b d es M etron om s
erw arten, dâchten wir isom orph .
In M a n R a y s O b jek t ist ab er auch die avantgardistische Ten-

75
den z d er Synâsth etik eingeschrieben, der es u m die E n tspre-
chung v o n Sin n esem pfin du n gen geht (w elche F arb e n wir
beim H ôren u n d w elche M u sik wir beim Seh en em pfinden).
D ie se s synâsthetische P rogram m reicht von A rth u r R im -
b a u d s G ed ich t ü b er d ie F a rb e d er V o k ale «V o y e lle s» (1 8 6 9 -
71) bis zu Sergei M .E isen stein s E s s a y ü b er « D ie Synchronisa­
tion d er S in n e », d er selbst eine klein e G esch ich te zur S y n âs­
thetik enthâlt. D a s a u f d em Stab d es M etro n om s m it einer
H eftk lam m er b efestigte A u g e , d a s au s einem M agazin ausge-
schnitten w urde, korrespon d iert also m it d em Sin n eso rgan
d er Sicht. A ls Sy m b o l steht d a s A u g e fu r R au m , als Ikon fur
K a m e ra (sieh e V ertovs K a m e ra-A u g e ). E s h an delt sich also
évident um ein k in em atograph isch es O b jek t, d essen U nterti-
tel (gem àB den vertretenen Sin n esorgan en A u g e u n d O h r)
Sim ultan eitât von Sigh t an d So u n d , B ild u n d T on sein
kônnte.
D ie Sign ifikan ten kette O h r - M u sik - Z e it k orrespon d iert m it
d er K e tte A u g e - B ild - R au m . A u f d er ikon ograph ischen
E b e n e interpretiert ist d a s M etron om m it dem bew egten
B lick (B ild ) a u f dem senkrechten S ta b ein O b jek t d er S y n âs­
thetik u n d Synchronie, w ie sie um die Jah rh u n d ertw en d e und
b e so n d e rs in den 2 0 e r Ja h re n im A van tgard efilm unter ver-
sch ieden en T iteln (w ie z .B . «M u sik zum S e h e n ») diskutiert
u n d zum al durch d en n ah en d en Tonfilm n ah egelegt w urden.
A ls F ilm kün stler w ar M an R a y u n d sein K reis m it diesen Pro-
blem en vertraut.
E isen stein h at in seinem E s s a y «Syn ch ron isation d er Sin n e»
g e ra d e je n e K o rresp o n d en z von A u g e u n d O hr, von B ild un d
T on, von d er B ew egu n g d er B ild er un d d er B ew egu n g der
M u sik fü r den T on film angestrebt. Z u d iesem Z w eck erwei-
terte er d ie p o ly p h o n e M o n ta g e d es Stum m film s u m die V er-
tikalitât. In einer orchestralen Partitur w erden j a d ie T ô n e der
Instrum ente nicht n ur h orizontal w eiterentw ickelt, so n d e m
d ie v ertik ale Struktur, w elche aile E le m e n te /In stru m e n te
eines O rchesters in einer gegeb en en Z eitein heit m iteinander
verbindet, ist g en au so wichtig. D ie au d io-visu elle P artitur des
T on film s h at also nicht nur eine h orizontale M on tagestru k -
tur, die h orizon tale S u k zessio n der B ild e r (M u y b rid ge) zu
beach ten , so n d e m gleichzeitig d ie d a rau f errichtete vertikale

76
M ontagestruktur, die vertikale Sim ultan eitât der T ôn e. D ie
séquentielle O rdnun g d er B ild er m ischt sich m it d er sim ulta-
nen O rdnun g d er T ôn e. D ie se s Prinzip, d iese «Su p er-Stru k -
tu r» n an n te E isen stein «v ertik ale M o n ta g e ». D a s M etro-
nom , d a s T oninstrum ent m it d em bew egten B lick a u f dem
vertikalen S tab verkô rp ert also d a s Prinzip der vertikalen
M on tage. Synchronitàt, Sim ultaneitât, V ertikalitât von T on
u n d B ü d , von Z e it u n d R a u m stellen korrespon dieren de
B eg riffe dar, die wir sp âter zur Polytropik entwickeln werden.
Synchronitàt, Sim ultan eitât, V ertikalitât, Polytropik sind
also B e g riffe der T echn o-Z eit. M a n R a y s O b jek t ist also vor
allem eine A u ssa g e ü b er d as E n d e der E ch tzeit u n d den
B egin n der T echnozeit, w enn wir es schlieBlich au f d er sym -
boh schen E b e n e interpretieren w ollen, die nichts an deres ist
als eine A llego risieru n g der indexikalischen.
D ie K o rresp o n d en z von O h r u n d A u g e steht fur die E n tspre-
chung von Z e it und R au m . D ie se E n tsprech u n g funktioniert
im M etro n om gen au in der W eise, w ie wir die D arstellu n g der
Z e it durch R a u m als h istorische  sth etik besch rieben haben.
D ie durch d ie B ew egu n g d es S ta b e s im R au m zurückgelegte
D istan z m arkiert nàm lich exak t die identische D a u e r in d er
Z eit. D ie angeführte G leich un g der klassischen R ep râsen ta-
tion von Z e it durch R au m , D istan z = D au er, wird durch
nichts b e sse r veranschaulicht als durch d as M etron om selbst,
w o in d er T at d as V er-G eh en von Z eit, die D a u e r von Z e it
durch d a s H in- u n d H er-G eh en d es S ta b e s im R a u m gem es-
sen wird. B eim M etron om sieht m an realiter die Z e it verge-
hen. D ie D istan z, die der S ta b zurücklegt, entspricht exakt
der D au er, die dadurch gem essen wird: V isualisierung der
Z e it durch R au m , der D a u e r durch D istan z. A ls F o lg e der
D arstellu n g von Z e it durch R a u m h aben wir uns an d as K on -
zept der sichtbaren Z e it gew ôhnt. D e r W eg eines Z e ig e rs au f
dem Z iffe m b latt einer m echanischen U h r w iederholt den
W eg d es Schattens des S ta b e s der Sonnenuhr. D ie B ew egu n g
d es M etro n o m -Stab es ist d as ab strak te M o d ell d avon. D ie
E chtzeit rekurriert a u f d iese Sichtbarkeit der Z eit, die durch
die À q u iv alen z v o n D a u e r u n d D istan z gegeb en ist. D ie se
À qu iv alen z von M illim etem u n d Sekun den , von M e te m und
M inuten, von R aum ein heiten u n d Z eiteinheiten ist ab er

77
natürlich nur m ôglich, w enn ü b erh au p t eine E in h eit von
R a u m u n d Z e it existiert. In d er technischen W elt existiert
d iese E in h eit nicht m ehr, R a u m un d Z e it sind durchlôchert
u n d p arallel versch oben. A u fgru n d d er besch leun igten Vehi-
kel ist d ie À q u iv alen z v o n M illim etem u n d Sek u n d en aufge-
lôst. Z u F u B gehst du p ro S e k u n d e w eniger M eter als du m it
d em A u to fâh rst o d e r m it d e m F lu gzeu g fliegst. D ie râum li-
chen E n tsprech u n gen (K ilo m e te r) zu d en zeitlichen E in hei-
ten (S tu n d e ) sind extrem v ariabel gew orden, je n ach der
G eschw indigkeit d es m essen d en G é râte s. D a rü b e r hinaus
wird ja d ie Z e it lan gsam er, je schneller d a s m essen d e G é râ t
sich bew egt. D ie E in h eit von R a u m u n d Z e it ist also durch die
technische W elt zerstôrt, eb en so d ie sichtbare Z eit, die D ar-
stellung von Z e it durch R au m , die Echtzeit. D a s A u g e au f
d em M etro n om v o n M a n R a y steht also fu r sichtbare Z eit.
W enn M an R a y ihm d e n T ite l « O b je k t zu zerstôren » gegeb en
hat, d an n ging es ihm eben darum , die sichtbare Z eit, die
Sichtbarkeit d er Z e it zu zerstôren. D a s A u g e als M etap h er fur
sichtbare Z e it w ar eine M assen -R ep ro d u k tio n , d ie durch den
M assen artik el H eftk lam m er ohnehin zerstôrt w urde, so w ie
sp âte r in L u is B u n u els un d S alv ad o r D a lis F ilm « U n C hien
A n d a lo u » (1 9 2 8 ) ein A u g e m it einem R asie rm esse r h orizon ­
tal durchschnitten wird. U m nicht nur psychoanalytisch, son-
d e m auch sozialan alytisch zu interpretieren, sei d as A u gen -
m erk d a ra u f gelegt, daB a u f den Schnitt durch d as A u g e eine
E in stellu n g folgt, w o d er K reis d e s M o n d es v o n einer W olke
durchschnitten wird. D e r M o n d ist ein uraltes Sy m b o l fur
Z eit, in un serem F alle als G e stim fu r siderische Z eit, für
natürliche E chtzeit. S o w ird also hier d ie natürliche E ch tzeit,
die sichtbare Z e it im G e fo lg e d er M etap h er von M an R a y
gleich zw eim al angegriffen, einm al als A u g e , ein zw eites M al
als M on d . D esw egen reagierte j a in b eid en F âlle n d as Publi-
k u m so em pôrt, w eil d as so zial U nbew uBte, d a s E n d e der
E ch tzeit, aggressiv an gesproch en w urde. M it d er A u ffo rd e-
rung, d a s M etro n o m -O b jek t zu zerstôren, w ar d a s Publikum
j a anim iert w orden, d ie K o rresp o n d en z von A u g e u n d Ohr,
die E in h eit v o n R a u m u n d Z e it zu zerstôren. In d e m histori-
schen M om en t, w o die E p o c h e d er sichtbaren Z e it zu E n d e
gin g bzw. d ie V isualisierun g von Z e it durch R a u m o bso let

78
gew orden w ar, zeigt un s M a n R a y noch einm al als nostalgi-
sches O b jek t die sichtbare Z eit, ab er m it der A u ffo rd e ran g
zur Z erstô ru n g. D ie se A u ffo rd eru n g wird vorgebrach t von
einem k in em atograph ischen O bjekt, denn es sind die
beschleunigten B ü d er, w elche die E p o c h e der E chtzeit been-
deten. D en n im historischen M om ent, w o die natürliche
B ew egu n g durch die M asch in enbew egun g ihre prim âre R o lle
verlor, tauch te die B ildm asch in e F o to grafie anf, w elche die
natürliche B ew egu n g von tierischen un d m enschlichen K o r-
p e m aufbew ahrte. E s fü gt sich w underbar in unseren A rg u -
m en tation szusam m en hang, daB 1916 auch die m oderne,
vom W echselstrom bew egte, elektrische U h r von H en ry E llis
W arren erfun den w urde. M an R a y s M etron om m iBt die Z eit,
ist also ein C h ronom eter. D ie dreieckige F o rm des M e-
tronom s w iederholt die T ripel der R elativitàtstheorie:
G eschw indigkeit - Lich tw eg - Z e it bzw. E n e rg ie - M a sse -
Lichtgeschw indigkeit. D ie m etrisch e Z eit d es C h ronom eters
(Z eitm essers), die sich in den m etrischen F ilm en d er A vant-
gard e der 2 0 er Ja h re spiegelt, stellte schon die E ch tzeit in
F rag e, in dem deren P aram eter E ig en rau m (S ta b ) u n d E igen -
zeit (A u g e ) am bivalen t w urden (z .B . b ei M an R a y ). D e r
schw ankende S tab d es C h ronom eters bzw. M etron om s ist
also ein M aB -Stab , der R ich ter u n d A n gek lagter zugleich ist,
der zeigt, daB der M aB stab selbst ins Schw anken geraten ist.
D ie Schw ankungen d er S ta b lâ n g e aufgrun d d es relativisti-
schen Z eiteffektes, der Z eitd ilatatio n u n d B esch leunigung,
spiegeln sich in den beliebigen M aB -Stabs-V erzerrungen (à la
d e C h irico) der technetronischen W elt. D en n w ie soll korrekt
gem essen u n d M aB gen om m en w erden, w enn d as M eB-
Instrum ent, der M aB -Stab sich selbst d a u e m d àn d ert? A uch
die E ch tzeit taucht als B e g riff in d em historischen M om en t
auf, w o sie eigentlich verloren ist, d a sie durch die C om pu ter-
sim ulation konkurriert w erden kann. In dem M om en t, w o die
Z e it m eB bar wird, zàh lbar wird, zur Z ah l wird un d durch Z if-
f e m (digital) dargestellt w erden u n d dam it in der F o lg e sim u-
hert u n d m anipuïiert w erden kann , in diesem M o m en t ist die
sichtbare, stetige, natürliche E ch tzeit historisch been det.
D ie G leichheit von D istan z u n d D a u e r geht au s d er À sth etik
d es Statisch en, die bei M arey zum T eil n och überlebt hat, her-

79
O
vor. In d er n eu en àsthetischen Strategie der bew egten B ild er
w ird nicht m ehr Z e it durch R a u m dargestellt, so n d e m um ge-
kehrt, R a u m w ird durch Z e it dargestellt. In d em R a u m durch
Z e it dargestellt wird, geht ab er etw as verloren klarerw eise,
nàm lich die Sichtbarkeit d er Z eit. W o d er R a u m gelôscht
wird, w ird auch die Z e it unsichtbar. M it d en bew egten Bil-
dern geht die E p o c h e d er sichtbaren Z e it zu E n d e . M an R ay s
O b jek t lôscht also nicht die Z e it selbst, n ur die sichtbare Z eit,
die D arstellu n g der Z e it durch R au m . A ls kin em atograph i-
sch es O b jek t wül es j a d ie Z e it un d die B ew egu n g zum B lüh en
bringen. U m d ie Z e it u n d m it ihr die B ew egu n g artikulieren
zu k ôn nen , w ird im F ilm d er R au m , d en d ie B ild e r einneh-
m en, a u f d em sie plaziert sind, die Lein w an d, K a d e r fur
K a d e r gelôscht. Z e rstô rt w ird also nicht d ie Z eit, so n d e ra der
R au m , u n d zw ar m it zuneh m en der B esch leun igun g. D ie
G esch ich te d er technischen T ran sform atio n d er W elt hat
hierfür ein h übsch es B e isp ie l parat. O tto m ar A n sch ü tz au s
L is s a (h eute P olen ) h at m it seiner speziellen Seq u en zk am era
nicht nur A u fn ah m en von M ilitârm an ôvem u n d T ieren
gem acht u n d die W elt 18 8 4 m it F o to s von fliegen d en Stôr-
chen überrasch t, so n d e ra auch eine A r t B ild b etrach ter kon-
struiert, w elcher d en F ilm p ro jek tor vorw egnahm , u n d den er
T ach yskop (Sch n ellseh er) nannte, v om griechischen W ort
«tac h y s» fu r «sch n ell». E in e ab 1970 en tw ickeltekosm ologi-
sche T h é o rie d es U n iv ersu m s, d ie Su perstrin g-T h eorie,
setzte die E x isten z v o n T eilchen vorau s, die schneller w aren
als d ie Lichtgeschw indigkeit u n d dah er R e ise n in d ie V ergan-
genheit erm ôglichen w ürden. D ie se T eilchen w urden
«T ach y o n en » genannt. V or hundert Ja h re n b e k am m an also
sch on d a s G e fü h l einer ü b em atü rlich en G eschw indigkeit,
w enn d er FluB d er B ew egu n g durch projizierte B ild e r sim u-
liert w erden konnte. D e r T rium ph der B ew egu n g ü b er die
Schw erkraft, d er G eschw indigkeit ü b er den R au m , w ie er in
F lu gzeu gen un dprojizierten bew egten B ild e m erlebt w urde,
aktivierte ein G e fü h l d e s Schw indels, d er G eschw indigkeit
u n d d er L év itatio n , d a s offensichtlich m it d er B esch leu n i­
gu n g d e s L ich ts verglichen w urde. In d er beschleunigten
T echnozeit, die im T ach yskop einen w eiteren Z e u g e n hat,
w ird der R au m ausgelôscht. In der tach yskopischen G esell-

80
f ' o
j schaft dom iniert die Z e it ü b er den R au m . F ü r d ieses Ver-
: schw inden d e s R au m e s in d er Z eiterfah ru n g finden wir in der
K unstgeschichte eine eindringliche R eih e von Indizien, eine
j lückenlose Illustration: die steigen d e V ertikalitât des B lick s
;« un d die entfesselte Perspektive. Im A u fstieg des orbitalen
ij B lick s in d er K unstgeschichte, in der B efreiu n g d es B lick s aus
der H orizon talitàt ü b er die V ertikalitât zur O rbitalitàt erken-
? nen wir d as V erschw inden d es R au m e s, d as Y erlôsch en der
!; E chtzeit, der sichtbaren Z eit.

81

Das könnte Ihnen auch gefallen