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Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften

Philosophisch-historische Klasse
Jahrgang 1984 . Bericht 1

WALTER BURKERT

Die orientalisierende Epoche


in der griechischen Religion und Literatur

Vorgetragen am 8. Mai 1982

HEIDELBERG 1984

eARL WINTER· UNIVERSITÄTSVERLAG


ABHANDLUNGEN UND SITZUNGSBERICHTE
der Heidelberger Akademie der Wissenschaften · Philosophisch-historische Klasse

lan Assmann Zeit und Ewigkeit im alten Ägypten


Ein Beitrag zur Geschichte der Ewigkeit
1975. 71 S. (Abhandlung 197511) Kart. DM 45,-

At-Tahawi Das kitab adkar al-huquq war-ruhun aus dem al-garni'


al-kabir fis-surut des abu Ga'far Ahmad ibn Muhammad
at-Tahawi
In arabischer Schrift. Hrsg. v. Schacht, Joseph
42 S. (Sitzungsbericht 1926/27/4) Kart. DM 15 ,-

At-Tahawi Das kitab as-sufa aus dem al-garni' al-kabir fis surut
des abu Ga'far Ahmad ibn Muhammad at-Tahawi
Hrsg. v. Schacht, Joseph
XI,61 S. (Sitzungs bericht 1929/30/5) Kart. DM 25,-

J osef van Ess Chiliastische Erwartungen und die Versuchung der


Göttlichkeit. Der Kalif al Hakim (386-411 H.)
1977.85 S. (Abhandlung 1977/2) Kart. DM 60,-

J osef van Ess Der Tailasan des Ibn Harb


'Mantelgedichte' in arabischer Sprache
1979. 59 S. (Sitzungsbericht 1979/4) Kart. DM 40,-

Martin Hengel Achilleus in Jerusalem


Eine spätantike Messingkanne mit Ach illeus-Darstellungen aus
Jerusalem. Unter Mitarb . v. Peled, Ruth. 1982. 59 S., zahlr. Abb. ,
30 Taf. (S itzungsbericht 198211) Kart. DM 40, -

Gustav Hölscher Drei Erdkarten


Ein Beitrag zur Erkenntnis des hebräischen Altertums
73 S. (Sitzungsbericht 1944/48/3) Kart. DM 20,-

. Luise Klebs Die Reliefs und Malereien des neuen Reiches (18. bis
20. Dynastie, ca. 1580-1100 v. Chr.)
Material zur ägyptischen Kulturgeschichte, Teil 1/1 : Szenen
aus dem Leben des Volkes. 1934. XXX, 243 S. , 144 Abb.
(Abhandlung 9) Kart. DM 95 ,-

Giovanni Pettinato Das altorientalische Menschenbild und die sumerischen


und akkadischen Schöpfungsmythen
. 1971. 164 S., 1 Taf. (Abhandlung 197111) Kart. DM 85,-

Gerd Schäfer König der Könige - Lied der Lieder


Studien zum Paronomastischen Intensitätsgenitiv
1974. 182 S. (Abhandlung 197312) Kart. DM 95,-

eARL WINTER· UNIVERSITÄTSVERLAG . HEIDELBERG


Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
Philosophisch-historische Klasse
Jahrgang 1984 . Bericht 1
WALTER BURKERT

Die orientalisierende Epoche


in der griechischen Religion und Literatur

Vorgetragen am 8. Mai 1982

HEIDELBERG 1984

eARL WINTER· UNIVERSITÄTSVERLAG


CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Burkert, Walter:
Die orientalisierende Epoche in der griechischen
Religion und Literatur: vorgetragen am 8. Mai 1982/
Walter Burkert. - Heidelberg: Winter, 1984.
(Sitzungs berichte der Heidelberger Akademie
der Wissenschaften, Philosophisch-historische
Klasse: Bericht; Jg. 1984, 1)
ISBN 3-533-03528-X
NE: Heidelberger Akademie der Wissenschaften /
Philosophisch-historische Klasse: Sitzungsberich-
te der Heidelberger Akademie der Wissenschaften

ISBN 3-533-03528-X kart.

Alle Rechte vorbehalten. © 1984. Carl Winter Universitätsverlag, gegr. 1822, GmbH., Heidelberg
Photomechanische Wiedergabe nur mit ausdrücklicher Genehmigung durch den Verlag
Imprime en Allemagne. Printed in Germany
Photosatz und Druck: Carl Winter Universitätsverlag, Abteilung Druckerei, Heidelberg
Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Forschungsgeschichtliche Perspektiven. . . . . . . . 7

1. 01 LlHMIOEPrOI EA~IN: Orientkontakte und wandernde


Handwerker. . . . . . . . 15
1. Historische Grundlagen. 15
2. Orientalische Produkte in Griechenland
und das Problem der wandernden Handwerker. 19
3. Schrift und Literatur im 8. Jahrhundert . 29
4. Zum Lehnwörter-Problem . . . . . . . . . . . 36

11. MAN TIN H IHTHPA KAKQN: Ostwestliche Magie und Medizin 43


1. Mobilität und Familienmodell . . 43
2. Die Hepatoskopie. . . . . . . . . 48
3. Deposita bei Tempelgründungen . 55
4. Katharmos . . . . . . . . . . . 57
5. Totengeister und Schadenzauber 65
6. Ersatzopfer . . . . . . . 73
7. Asklepios und Asgelatas . . 75
8. Ekstatische Mathematik . . 77
9. Lamastu, Lamia und Gorgo. 80

111. H KAI 8E~IIIN AOILlON: Akkadische und frühgriechische Literatur. 85


1. Von Atral].asis zum 'Trug an Zeus' . . . . . . . . 85
2. Die Beschwerde im Himmel: IStar und Aphrodite 92
3. Die übervölkerte Erde . . . . . . . . . . . . . '. 95
4. Sieben gegen Theben. . . . . . . . . . . . . . . 99
5. Stilistische Gemeinsamkeiten orientalischer und griechischer Epik 106
6. Die Fabel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
7. Zusammenfassung: Bild, Magie und Literatur 114

Abkürzungen . . . 119

Literaturverzeichnis 121

Index . . . . . . . 132
Einleitung: Forschungsgeschichtliche Perspektiven

"Gottes ist der Orient, Gottes ist der Okzident" - so der Koran 1 • Der Klas-
sischen Altertumswissenschaft fällt gleiche Gelassenheit schwerer; das N ebenein-
ander gerät fast stets zur Antithese. Im Abwehrkampf gegen den ~Orient', das
persische Weltreich, sind die Griechen sich ihrer Eigenart bewußt geworden; im
Zeitalter der Kreuzzüge sind Begriff und Name ~Orient' in die abendländischen
Sprachen eingegangen2 ; und auch heute noch ist unbefangene Diskussion orien-
talisch-griechischer Beziehungen nicht selbstverständlich, sie stößt auf bezogene
Positionen, Apologetik, wenn nicht Ressentiment. Dem Fremden, Unbekannten
begegnet vorsichtige Abwehrhaltung und hält es eben damit auf Distanz. Dies
ist nicht zuletzt das Ergebnis einer wissenschaftsgeschichtlichen Entwicklung,
die vor etwa 200 Jahren einsetzte, als fortschreitende Spezialisierung und ideo-
logische Abschirmung übereinkamen in der Isolierung des reinen Griechentums.
Solange die Philologie aufs engste mit der Theologie verbunden war, bis weit
ins 18. Jahrhundert hinein, stand die hebräische Bibel mit Selbstverständlich-
keit neben den griechischen Klassikern, und Querverbindungen schienen problem-
los. J ephthas Tochter und Iphigenie waren als Exempel austauschbar; man fand
in Iapetos den Japhet, in den Kabiren semitische ~Große Götter', in Kadmos dem
Phöniker den ~Osten' wie in Europa den ~Westen,3, man nahm überhaupt mit
Herodot die Phöniker als ostwestliche Vermittler an. Diese Symbiose zerbrach
durch drei neue Tendenzen, die je ihre eigenen Abgrenzungen errichteten und
dabei die Linie Orient-Griechenland gemeinsam blockierten: Die Philologie eman-
zipierte sich von der Theologie - Friedrich August Wolf folgt der Ruhm, sich 1777
demonstrativ als studiosus philologiae immatrikuliert zu haben4 -, während zugleich

I Koran 2, 142, bekannt in der Gestaltung J. W. Goethes, Der West-Östliche Divan: Talis-
mane (Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche III [1948] 290).
2 E. Littre, Dictionnaire de la langue fran~aise (1857) V 1125; The Oxford English Dic-

tionary (1933) VII 199; 1. Grimm, Deutsches Wörterbuch VII (1889) 1345. Angelegt ist
die Antithese Orient-Okzident vor allem im christlichen Latein, Thesaurus linguae
Latinae IX 2, 1004, 52ff. 'Ex oriente lux' ist nicht antik.
3 Die Etymologie von Kabeiros/hebr. arab. kabir geht auf J. J. Scaliger zurück, Coniec-
tanea in M. Terentium de lingua Latina (1565) 146 (Hinweis von A. Kurmann), vgl.
Hemberg (1950) 318f.; dagegen eine indische Etymologie bei 1. Wackernagel ZVS 41
(1907) 316-8, eine kleinasiatische bei P. Kretschmer ibo 55 (1928) 82-8. Kadmosl qdm
wird von Edwards (1979) 58, 60 bis 1646 zurückverfolgt; Eupwml' Tj xwpn: .11<; öUoew<;
Hsch. (hebr. 'ereb; Edwards 78f.). Zu lapetos --+ I 4, 37.
4 Präzisierend R. Pfeiffer, History of Classical Scholarship from 1300 to 1850 (1976) 173,
vgl. E. Schröder, Studiosus philologiae, NJb 32 (1913) 168-71.
8 WALTER BURKERT

mit Winckelmann ein neuer Begriff von tendenziell heidnischer Klassik sich durch-
setzte und mit Anschauung füllte. Zum zweiten entwickelte sich, von Herder aus-
gehend, ein romantischer Nationalismus, dem Literatur aufs innigste mit dem je-
weiligen Volk oder Stamm verbunden war; organische Entwicklung statt kultu-
reller Wechselwirkungen wurde zum Leitfaden des Verstehens. Besonderen Einfluß
gewann, in der Auseinandersetzung mit Friedrich Creuzers universalen Entwürfen,
Carl Otfried Müller mit dem Bild griechischer Stammeskulturs . Mit dem natio-
nalen Bewußtsein, mit der Wendung gegen (Morgenländerei' war bereits die Chance
zum Antisemitismus gegeben, gerade in der Zeit, als die volle rechtliche Gleich-
stellung der Juden zustandekam. Da trat als drittes just zurecht die Entdeckung
der indogermanischen Sprachverwandtschaft auf den Plan, geeignet, die Allianz von
Griechen, Römern und Germanen zu stärken und die Semiten in eine andere
Welt zu verweisen 6 • Es blieb nur noch die Eigenständigkeit der Griechen gegen-
über dem Indisch-Indogermanischen zu verteidigen7, um jene Auffassung vom
klassisch-nationalen Griechentum in seiner vorbildlichen Geschlossenheit und Ab-
geschlossenheit zu festigen, die das spätere 19. Jahrhundert zumindest in Deutsch-
land beherrscht8 • Der Hohn, zu dem sich der jugendliche Wilamowitz hinreißen
läßt - "die seit jahrhunderten faulenden völker und staaten der Semiten und
Aegypter, die den Hellenen trotz ihrer alten cultur nichts hatten abgeben können,
als ein paar handfertigkeiten und techniken, abgeschmackte trachten und geräte,
zopfige ornamente, widerliche fetische für noch widerlichere götzen ... " - ist für ihn
selbst nicht repräsentativ; doch daran hält er fest, der Geist der Spätantike stamme
"aus dem Orient und ist dem echten Hellenentum todfeind,,9.
Hinter der Gereiztheit läßt sich Unsicherheit vermuten. In der Tat ist das selbst-
genügsame Bild vom reinen Hellenentum, das mit Homer wundersam anhebt,
im Verlauf des 19. Jh. durch drei Gruppen neuer Entdeckungen überholt worden:

5 Vgl. Burkert (1980) 162-8. K O. Müller wendet sich bereits gegen die semitische Her-
leitung des Kadmos: Orchomenos und die Minyer (1820) 113-22 (1844 2 107-16).
6 L. Poliakov, Le mythe aryen (1971) ~ Der arische Mythos. Zu den Quellen von Ras-
sismus und Nationalismus (1977). - So setzt z.B. F. G. Welcker, Griechische Götter-
lehre 1 (1857) 116-8 die Griechen prinzipiell von den Semiten ab.
7 Dies leistete bes. K Lehrs: Populäre Aufsätze aus dem Alterthum (1856) p. VIII
(= 1875 2 p. VI): "daß ich unter Griechen dasjenige Volk verstehe, welches in Griechen-
land wohnte und Griechen hieß, durchaus keine Nation am Ganges oder Himalaya".
Vgl. Kleine Schriften (1902) 388f.
8 Hierzu gehört auch E. Zellers Argumentation gegen orientalischen Ursprung der grie-
chischen Philosophie, Die griechische Philosophie in ihrer geschichtlichen Entwicklung
Erster Theil (1856 2) 18-34 ~ 16 (1919) 21-52. - Verschärfend H. Diels, Rez. von Gruppe
(1887) AGPh 2 (1889) 88-93; 658f.; Thales ein Semite?, ibo 165-70.
9 U. v. Wilamowitz-Moellendorff, Homerische Untersuchungen (1884) 215; Hellenistische
Dichtung 1 (1924) 2; vgl. Aus Kydathen (1880) 40. Er findet Poseidonios 1911 (Die Kul-
tur der Gegenwart3 , 145) "doch schon orientalisch infiziert"; doch "eine Naturwissen-
schaft wie die des Poseidonios hat kein Semit im Altertum auch nur von fern be-
Die orientalisierende Epoche 9

die Erschließung der Keilschriftkulturen neben der Entwicklung der Ägyptologie;


die Entdeckung der mykenischen Kultur; die Feststellung einer orientalisierenden
Phase in der Entwicklung der archaischen griechischen Kunst.
Die Klassische Philologie hat darauf nur zögernd und oft widerstrebend rea-
giert. Die mykenische Vorgeschichte allerdings wurde schließlich akzeptiert lO , ja
mit der Entzifferung von Linear B als griechisch zur Selbstverständlichkeit. Die
Entwicklung der Keilschriftforschung mit ihren Anfangsschwierigkeiten - Gilga-
mes erscheint in Roschers Mythologischem Lexikon als Izdubar11 - konnte man
nicht ohne Herablassung aus der Feme verfolgen; als einige unmethodische Vor-
stöße die fundamentale Bedeutung der babylonischen' Literatur. für die Welt-
geschichte des Geistes propagierten, blieb den Theologen die Zurückweisung der
(Panbabylonisten' überlassen 12. Nur Außenseiter schrieben über (Homer und Baby-
Ion' 13 • Dagegen öffneten sich die Historiker für die neuen Dimensionen der Welt-
geschichte: Eduard Meyer konnte als einmalige, fundamentale Leistung seine
(Geschichte des Altertums' (I 1884, 1913 3 ) vorlegen; in dem Kollektivwerk der
(Cambridge Ancient History' ist die universale Intention weitergeführt 14 .
griffen" (Der Glaube der Hellenen 11, 1932, 403). Objektiver über die orientalisierende
Epoche: Glaube der Hellenen I (1931) 76; 11 (1932) 7. Daß Wilamowitz in Schulpforta
Hebräisch gelernt hat (Inwieweit befriedigen die Schlüsse der erhaltenen griechischen
Trauerspiele? ed. W. M. Calder 111 [1974] 116f.), hat er sich später nicht mehr an-
merken lassen.
10 Zu Wilamowitz' spöttischer Zurückhaltung gegen Schliemann vgl. Erinnerungen (1928)

148. Die Verbindungen vom Mykenischen zu Homer wurden besonders in England


diskutiert. Eine einflußreiche Synthese gab M. P. Nilsson, Homer and Mycenae (1933)
(zur Forschungsgeschichte dort 19-30).
II A. Jeremias RML 11 773-823 (1890/4), mit Ablehnung der Lesung 'Gilgames' Sp. 774.

Die übliche Schreibweise für 'Gilgames' in der Ninive-Rezension ist GIS·GIN·MAS,


wobei Zeichen 296 i~ = giS, 595 tu = gin, 74 mas = bar. - Vgl.u. v. Wilamowitz-
Moellendorff, Die Heimkehr des Odysseus (1927) VI über die "hethitischen Entdeckun-
gen" und "die Anfange der Assyriologie, die ich miterlebt habe": "auf dem Nachbargebiet
wartet man besser ab".
12 Das Schlagwort "Babel und Bibel" wurde durch zwei Vorträge dieses Titels von F. De-

litzsch (Berlin 1903) aktuell, die Bezeichnung "Panbabylonismus" wurde 1906 von A. Jere-
mias aufgegriffen: Das Alte Testament im Lichte des alten Orients (1906 2 Vorwort;
1904 1, 19304 ); ders., Die Panbabylonisten (1907); Handbuch der altorientalischen Geistes-
kultur (1913; 1929 2); dazu H. Winckler, Die babylonische Geisteskultur (1907; 1912 2 );
P. Jensen, Das Gilgamesch-Epos in der Weltliteratur 1/11 (1906/28); vgl. Jensen (1912/3);
(1924).
13 Wirth (1921), ~ 111 1. Eine selbständige Auseinandersetzung von der Religionsgeschichte

aus versuchte nur Farnell (1911), ~ 11 4.


14 Zu nennen sind auch C. F. Lehmann-Haupt und W. Otto, der das 'Handbuch der klas-

sischen Altertumswissenschaft' 1920 ins 'Handbuch der Altertumswissenschaft' umwan-


delte. Wichtig für orientalisch-griechische Beziehungen waren zuvor die Untersuchungen
von A. Boeckh und F. Hultsch zur Metrologie gewesen. - Gegen den Universalismus
der Cambridge Ancient History wandte sich H. Berve, Gnomon 7 (1931) 65-74.
10 WALTER BURKERT

Dagegen siegte die Abwehr in dem für Graezisten so viel näherliegenden Pro-
blem der Phöniker als der altvertrauten Vermittler zwischen Orient und Hellas:
Julius Beloch, eigenwillig und genial, dabei eindeutig antisemitisch motiviert, hat
die These durchgesetzt, die Bedeutung der Phöniker im frühen Griechenland
konvergiere gegen Null, der phönikische Herakles von Thasos sei nicht weniger
Phantasie als der mythische Phöniker Kadmos 15 . Dafür trat Altkleinasien in den
Blick, wo alsbald mit den Hethitern Indogermanen auftreten sollten. Gegen (Semi-
tisches' war ein Wall errichtet.
Daß allerdings zwischen der geometrischen und der archaischen Epoche der
griechischen Kunst ein Einbruch des (Orientalischen' liegt, faßbar in importierten
Objekten, neuen Techniken und Darstellungsmotiven, ist spätestens 1912 durch.
Frederik Poulsen systematisch ins Bewußtsein gerückt worden 16 • Selbst Fach-
archäologen freilich scheinen über diese Tatsache nicht glücklich zu sein, ja war-
nen vor dem Umgang mit dem Begriff der (orientalisierenden' Epoche 17 • Das
Fremde wird auch hier zerniert: kaum je fmdet man in den älteren Standard-
werken orientalische und griechische Gegenstücke nebeneinander abgebildet;
viele der orientalischen Funde in den großen griechischen Heiligtümern wurden
und werden nur zögernd bearbeitet und veröffentlicht. Daß Olympia der be-
deutendste Fundort für orientalische Bronzen ist, hierin reicher als alle nahöst-
lichen Ausgrabungsstätten, macht man sich selten klar.
Es war ja gerade die Epoche zwischen den beiden Weltkriegen, die mit neuem
hermeneutischem Bewußtsein die immanente Konzentration auf die je beson-
dere Eigenform vorantrieb. Die Archäologie gewann ein neues Verständnis für den
archaischen, sie entdeckte erst den geometrischen Stil, Philologen suchten die
(innere Form'; ein Historiker wie Helmut Berve wollte der Universalgeschichte
zugunsten des Hellenentums entsagen (Anm. 14). Die Zusammenarbeit von Franz
Boll mit earl Bezold blieb ein persönlicher Glücksfall im abseitigen Spezialbereich
der Astrologie 18 ; eine Spezialität, die sich allgemeiner Kenntnisnahme entzog,

15 Die Phoeniker am aegaeischen Meer, RhM 49 (1894) 111-32; Griechische Geschichte I


(1893) 75f.; 167f.; I 22 (1913) 65-76; vgl. zu Belochs Leistungen und Idiosynkrasien
A. Momigliano, Terzo Contributo alla storia degli studi classici edel mondo antico
(1966) 239-269; K Christ, Von Gibbon zu Rostovtzeff (1979) 248-285. Zur modernen
Korrektur an Belochs Phoeniker-These vgl. Niemeyer (1982), dort bes. Coldstream. - Kraft
Belochs Argumentation wurde Berard (1902/3) in Deutschland kaum zur Kenntnis ge-
nommen. Auch F. C. Movers, Die Phönizier (1841/56), Lewy (1895), Brown (1898)
waren Außenseiter geblieben.
16 Hogarth (1909) hat sich auf lonien konzentriert. Poulsen (1912) behandelt auch Homer
(168-83). Vgl. Müller (1929); Barnett (1956); Akurgal (1966/8); Stf0m (1971); ->- 12.
17 Schefold (1967) 19: "Es ist also eine nicht sehr glückliche Gewohnheit, die Kunst des
7. Jahrhunderts 'orientalisierend' zu nennen ... "
18 Gemeinsame Publikationen: Reflexe astrologischer Keilinschriften bei griechischen Schrift-
stellern, Sitzungsber. Heidelberg 1911, 7; Zenit- und Aequatorialgestirne am babyloni-
Die orientalisierende Epoche 11

war auch die Entdeckung des (pythagoreischen Lehrsatzes' in der Babylonischen


Mathematik ein Jahrtausend vor Pythagoras 19 . Von den deutschen Philologen be-
hielt nur Franz Dornseiff die östlichen Hochkulturen von Israel bis Anatolien
stets im Blick, gerierte sich freilich eben damit als Außenseiter.
Franz Dornseiff war damit einer der ersten, den neuen Vorstoß vom Orient ins
klassische Griechentum zu würdigen, der sich mit der Entzifferung der hethiti-
schen mythologischen Texte ereignet hat 20 • Doch fanden die Hinweise auf (Illu-
yankas und Typhon' zunächst geringes Echo. Den Durchbruch brachte der 1946
veröffentlichte Text vom (Königtum im Himmel' mit der Kastration des Himmels-
gottes, der Parallele Kumarbi - Kronos. Dies wurde, nicht zuletzt dank der kundigen
Vermittlung Albin Leskys, seit den Fünfzigerjahren zu einem festen Lehrstück
der Klassischen Philologie 21 . Daß mit den Hethitern ein indogermanisches Volk
für Orientkontakte zuständig wurde, betreut von den befreundeten Indogermani-
sten, war dabei nicht unwichtig. Doch ist im Gefolge der hethitischen dann auch
die ugaritische Epik und Mythologie in den Gesichtskreis der Gräzisten getre-
ten22 , und auch die griechischen Fragmente des Philon von Byblos gewannen
wieder aktuelles Interesse 23 . Neben den mythischen Motiven wurde auch die
Technik der Erzählung und überhaupt die literarische Form der Epik vergleichend
untersucht. Das homerische Epos steht seither nicht mehr isoliert, es hebt sich
ab vom Hintergrund vergleichbarer orientalischer Literaturformen.
Doch eine neue Abschirmung hat sich rasch eingespielt: Daß in der Bronze-
zeit enge Kontakte zwischen Orient, Ägypten und der mykenischen Welt be-
standen, daß geradezu eine (Ägäische Koine' im 13. Jh. festzustellen ist, dies wird

sehen Fixsternhimmel, ibo 1913, 11; Eine neue babylonisch-griechische Parallele, Auf-
sätze zur Kultur- und Sprachgeschichte E. Kuhn gewidmet (1916) 226-35; Sternglaube
und Sterndeutung (1918, 1931 4 ); vgl. auch F. Boll, Zur babylonischen Planetenordnung,
ZA 25 (1911) 372-77; Neues zur babylonischen Planetenordnung, ibo 28 (1914) 340-51;
Antike Beobachtungen farbiger Sterne, Abh. München 30, 1916; Nachruf auf Carl Be-
zold, Kleine Schriften zur Sternkunde des Altertums (1950) 397-405, vgl. XXlIIf.
19 O. Neugebauer, Zur Geschichte des Pythagoräischen Lehrsatzes, NGG math.-ph. Kl.
1928, 45-8; vgl. Burkert (1972b) 429.
20 Dornseiff (1933) 25-7 nach E. Honigmann 'Syria' RE IV A (1932) 1577; W. Porzig,
Illuyankas und Typhon, Kleinasiatische Forschungen I 3 (1930) 379-86. - Dornseiff
(1937), vgl. (1934).
21 H. G. Güterbock, Kumarbi, Mythen vom churritischen Kronos (1946); The Song of
Ullikummi (1952); vgl. Lesky (1950), (1954), (1955); Dirlmeier (1955); Heubeck (1955);
Steiner (1958); Walcot (1966); West (1966).
22 Lesky (1955); Dirlmeier (1955); Gordon (1955) mit Rz. A. Lesky Gnomon 29 (1957)
321-5; Webster (1956), (1958). Weitgehend Astour (1966), kritisch J. Boardman CR 16
(1966) 86-8.
23 Eissfeldt (1939), (1952); Heubeck (1955); vgl. aber jetzt Baumgarten (1981).
12 WALTER BURKERT

gern und allgemein eingeräumt24 ; man verweist auf die mykenischen Import-
stücke in Ugarit, man nennt Alasia-Cypern als Knotenpunkt ostwestlicher Be-
ziehungen. Man sieht in dieser Perspektive auch Hesiod und Homer. Ausge-
blendet bleibt dabei die (orientalisierende Epoche', das Jahrhundert etwa zwischen
750 und 650 v.Chr., also gerade das eigentliche (homerische' Zeitalter, als neben
östlichen Techniken und Bildmotiven doch auch die Schrift zu den Griechen kam
und die Aufzeichnung griechischer Literatur erstmals ermöglicht hat. Bezeichnend
ist die Hartnäckigkeit, mit der man besonders in der deutschen Wissenschaft einer
Frühdatierung der griechischen Schrift zuneigte 25 : so schien griechische Schrift
und Literatur dem im materiellen Bereich so auffälligen Einströmen des Orienta-
lischen vorauszuliegen und gleichsam davor bewahrt zu sein.
Dabei haben die Fortschritte der Archäologie das Bild der (Dunklen Jahrhun-
derte' zunehmend erhellt und lassen insbesondere das 8. Jh. in immer klareren
Konturen erscheinen. Entscheidend waren die Entdeckungen der griechischen
Niederlassungen in Syrien und auf Ischia in Verbindung mit den Ausgrabungen
von Lefkandi und Eretria auf Euboia. Die Ausbreitung des Erzhandels im Mittel-
meerraum zugleich mit der assyrischen Expansion zum Mittelmeer ergibt den
einleuchtenden historischen Rahmen auch für die Wanderung östlicher Hand-
werker nach Westen und für die Ausbreitung der phönikisch-griechischen Schrift26 •
Ein ausgewogenes Bild jener entscheidenden Epoche, in der die griechische Kul-
tur unter orientalischer Anregung ihren einzigartigen Aufschwung nahm, um als-
bald selbst die kulturelle Führung im Mittelmeerraum zu übernehmen, sollte in
Reichweite sein27 .
In vorliegender Studie wird der Vermutung nachgegangen, daß in dieser Epoche
den Griechen aus dem späthethitisch-aramäisch-phönikischen Raum nicht nur ein
paar (Handfertigkeiten' und (Fetische', nicht nur neue Handwerkstechniken und
Kunstmotive zugekommen sind, sondern Religion und Literatur in wesentlicherer
Weise affiziert wurden28 • Zum einen wird auf die (Handwerker des Sakralen' hin-
gewiesen, den mobilen Stand der Seher und Reinigungspriester, die mit manti-

24 Gordon (1955); Webster (1958); vgl. Astour (1966) Untertitel; Harmatta (1968); Laroche
(1973); Stella (1978); Duchemin (1980c) 848f.
25 Für Datierung der griechischen Schrift "lieber ins X. als ins IX. Jahrhundert" A. Rehm,
Handbuch der Archäologie I (1939) 197f., 194f., danach G. Klaffenbach, Griechische
Epigraphik (1957) 35, (vorsichtiger 1966 2, 36); vgl. W. Schadewaldt, Von Homers Welt
und Werk (1951 2) 26; 94, 4; Heubeck (1955) 521, 56: "Auf alle Fälle kommen wir be-
trächtlich vor die Epoche der 'orientalisierenden' Kunst". Widerlegung durch Jeffery
(1961), -+ I 3.
26 -+ I 1/2.

27 Vgl. bes. Jeffery (1976); Murray (1982).


28 Für nachmykenische orientalisch-griechische Vermittlung der mythologischen Themen
ist bes. Heubeck (1955) eingetreten, vgl. jetzt auch F. Schachermeyr, Die griechische
Rückerinnerung im Lichte neuer Forschungen, Sitzungsber. Wien 404 (1983) 23.
Die orientalisierende Epoche 13

schen und kathartischen Techniken' auch Elemente mythologischer ~Weisheit'


übertragen konnten, - nennt doch Homer an einer vielzitierten Stelle (Od. 17,
383-5) unter den wandernden ÖTJlltOEpyoi an erster Stelle, noch vor dem Zim-
mermann, den Seher und Heiler, dann aber auch den ~göttlichen Sänger'. Zum
anderen werden dann Entsprechungen zusammengestellt, die auch direkten lite-
rarischen Einfluß der östlichen Hochkultur auf die letzte Phase, die Phase der
Verschriftlichung des Homerischen Epos vemuten lassen.
Die Ergebnisse, die sich mit einiger Sicherheit fassen lassen, bleiben in be-
scheidenen Dimensionen. Dafür ergibt sich die besondere, ja einmalige Situa-
tion, daß sich gleichzeitige Texte von beiden Seiten in Beziehung setzen lassen.
Dies ermöglicht Präzision und verpflichtet zu ihr. Im Gegensatz dazu sind bei
den an sich sensationelleren Verbindungen von Kumarbi und Illuyankas zu Hesiod
zusätzlich zu der Ost-West-Distanz jeweils fünf bis sechs Jahrhunderte hypothe-
tisch zu überbrücken. Diese vielbehandelten Probleme, überhaupt die Orient-
beziehungen Hesiods werden in vorliegender Studie nicht nochmals diskutiert2 9 ; sie
lassen sich den hier entworfenen Perspektiven durchaus einfügen, zum al ange-
sichts der Verbindung Hesiods mit Euboia. Im übrigen darf die Tatsache, daß
zwischen den Möglichkeiten bronzezeitlicher oder späterer Übernahme - die sich
zudem nicht ausschließen - nicht immer sicher zu entscheiden ist, nicht dazu dienen,
die Entlehnung in beiden Bereichen in Frage zu stellen.
Daß mit dem bloßen Faktum einer Entlehnung erst ein Ansatzpunkt zur Inter-
pretation gegeben ist, daß die Art der Adaption, der Selektion und Umarbei-
tung, der Einpassung in ein neues System wesentlich ist, bleibt anerkannt. Doch
kann die Versicherung, die schöpferische Umgestaltung durch die Griechen sei
interessanter als das allenfalls Erborgte 30 , wiederum zur Immunisierungsstrategie
werden, die das Faktum der Übernahme verdunkelt. Darum liegt der Nachdruck
hier zunächst auf dem Aufweis der Entsprechungen und der sich ergebenden
Wahrscheinlichkeit einer Entlehnung. Zu bedenken ist, daß in jener Epoche seit
Mitte des 8. Jahrhunderts, als direkte Kontakte zwischen Assyrien und Griechen
sich etablierten, die griechische Kultur ihrer selbst noch weniger sicher und darum
eher formbar und aufnahmewillig war als in den späteren Epochen. Auch wenn
im übrigen zuweilen das Material zum stringenten Beweis der Entlehnung nicht
ausreicht, hat die Feststellung der Entsprechungen ihren Wert, insofern sie das
griechische Material aus seiner Vereinzelung löst und einen Bereich des Ver-
gleichbaren konstituiert.
In diesem Sinn möchte die vorliegende Studie eine Aufgabe der Vermittlung
wahrnehmen und die Aufmerksamkeit der klassischen Philologen auf Bereiche

29 Verwiesen sei neben Walcot (1966) vor allem auf West (1966) und (1978a).
30 [oeus c/assieus ist (Plat.) Epin. 987 d.
14 WALTER BURKERT

lenken, die immer noch wenig in ihren Blick getreten sind. Auch die Orienta-
listen freilich freuen sich einer splendid isolation 31 • Vielleicht ist es eben darum
angezeigt, sich beherzt zwischen die Stühle zu setzen32 •

31 Der Artikel 'Griechen' von W. Röllig RlA 111 643-7 (1971) ignoriert die Präsenz der
Griechen in Syrien und K.ilikien, beurteilt darum das älteste Zeugnis ( --+ I 1, 15) als
"ganz unsicher" (645) und meint, "daß etwa von einem direkten Einfluß auf Homer ...
keine Rede sein kann" (646).
32 Verf. ist Graezist, nicht Orientalist, hat aber die zitierten semitischen Quellen auch im
Urtext studiert. Dank für Hilfe und Kritik gilt den Kollegen R. Stucky und M. Wäfler,
die einen ersten Entwurf gelesen haben, sowie P. Frei, P. Hoskisson, F. Stolz und be-
sonders auch meinen Assistenten A. Kurmann und E. Krummen. Vorläufige Kurz-
fassungen von Kapitel 11 und 111 sind veröffentlicht in Burkert (1983).
I
01 ~HMIOEPrOI E~IN:
Orientkontakte und wandernde Handwerker
1. Historische Grundlagen

Nach den Umwälzungen und Verwüstungen, die der Seevölkersturm im öst-


lichen Mittelmeerraum hinterlassen hatte, war Stadt- und Schriftkultur - abge-
sehen von Ägypten - nur im Raum Kilikien-Syrien-Palästina erhalten geblie-
ben l . Dabei wirkte bis Nordsyrien das Erbe der Hethiter, in der Bildkunst, zumal
der monumentalen Skulptur - man denkt an Städte wie Tell Halaf-Guzana, Kar-
kemis, Malatya, Zincirli-Sam'al, Karatepe 2 - und besonders deutlich in der hiero-
glyphenhethitischen Schrift, die in Karatepe bis gegen Ende des 8. Jh. fortbe-
steht. Darüber schoben sich erobernde Aramäerstämme, die Fürstentümer wie
Guzana und Sam'al errichteten. Der südsyrische Raum seinerseits mit den Städten
Byblos, Sidon, Tyros war seit langem von ägyptischem Einfluß mitgeprägt. Die
hier ansässigen Westsemiten, von den Griechen Phoinikes genannt, konnten mehr
und mehr den Seehandel ausweiten. Frühe Verbindungen laufen nicht nur nach
Cypern, sondern auch nach Kreta 3 . Zunehmend wichtig wird dabei die Suche
nach Kupfer- und Eisenerzen4 •
Die zukunfts trächtigste Errungenschaft des syrisch-palästinensischen Raums war
die Konsonantenschrift 5 , die durch ihre geniale Vereinfachung Schreiben und Lesen
erstmals weiteren Kreisen zugänglich machte. Sie wird von Hebräern, Phöni-
kern, Aramäern gleichermaßen verwendet.

1 Zur historischen Übersicht Labat (1967) und jetzt bes. CAH III 3, darin Braun (1982);
Klengel (1980); Murray (1982). Mazzarino (1947) war ein kühner, nicht durchweg fun-
dierter, inzwischen überholter Vorstoß (vgl. A. Momigliano, Quarto Contributo aHa storia
degli studi c1assici edel mondo anti co [1969] 581-8).
2 Vgl. Sendschirli I-V; Landsberger (1948); zu den archäologischen Befunden neuerdings

Winter (1973); Genge (1979).


3 Bronzeschüssel mit phönikischer Inschrift aus einem Grab bei Knossos, ca. 900 v. Chr.:

Arch. Rep. 1976-77, 11-4; M. Sznycer, Kadmos 18 (1979) 89-93; Coldstream (1982)
263; 271; pI. 27; vgl. auch Stucky (1981); BIome (1982).
4 Oppenheim (1967/9); Wäfler (1982); Röllig (1982) 26.
5 I 3. Gründliche Übersicht bei Heubeck (1979); er kennt noch nicht das phönikische
--7

Alphabet aus dem 8. Jh. (A. Lemaire, Semitica 28 [1978] 7-10) und das sensationellere
aus dem 12. Jh. (M. Kochavi, Tel Aviv 4 [1977] 1-13; A. Demsky ibo 14-27; 1. Naveh,
BibI. Archaeologist 43 [1980] 22-25); vgl. auch Naveh (1979); Lemaire (1981) 7-10.
16 WALTER BURKERT

Weltgeschichtliche Dynamik brach in diese kleinstaatliche Welt durch die Ex-


pansion Assyriens im 9. Jh. ein. Auch hier wird die Suche nach Rohstoffen, be-
sonders Metallen als ein treibendes Motiv angenommen. Jedenfalls hat Assur das
stärkste Heer der Zeit aufgebaut, mit immer weiter ausgreifenden Beutezügen und
Tributforderungen erfolgreich eingesetzt und so die erste Weltmacht begründet.
Die ersten Vorstöße nach Syrien erfolgten unter Assuma~irpal (884-858) und Sal-
manassar III. (858-824); 877 stand zum ersten Mal eine assyrische Armee am
Mittelmeer. 841 wurde Tyros und Sidon zur Tributzahlung gezwungen, 834 auch
Tarsos in Kilikien. Die hethitischen Stadtstaaten mußten sich ebenso fUgen oder
wurden zerstört. Zumindest auf Cypem müssen Griechen schon damals von der
östlichen Macht gewußt haben, zumal eben damals Phöniker von Tyros und Sidon
sich endgültig auf Cypem festsetzten; Kition wurde eine phönikische Stadt 6 •
Darüber hinaus griff die phönikische Expansion nach dem femen Westen: 814 ist
das traditionelle Gründungsdatum fUr Karthago.
Nach Salmanassar trat die assyrische Macht eine Zeitlang am Mittelmeer nicht
in Erscheinung. Eben damals erfolgt der Vorstoß griechischer Handelsleute nach
Syrien. Seit Ende des 9. Jh. sind griechische Händler in Al Mina an der Orontes-
Mündung ansässig 7 ; von dort gehen die Verbindungen nach Nordsyrien, Urartu,
und auf der kürzesten Karawanenroute bis Mesopotamien. Etwa gleichzeitig sind
Griechen in Tarsos 8, etwas später in Tell Sukas 9 nachgewiesen, auch aus Hama
und aus Res-al-Basid (Poseidonia) gibt es griechische Funde. Es laufen Beziehun-
gen zum nahegelegenen Cypem, doch vor allem nach Euboia lO , wo die Aus-
grabungen in Letkandi ein relativ wohlhabendes und dem Osthandel offenes Ge-
meinwesen des 10./9. Jh. nachgewiesen haben; im 8. Jh. steigt dann Eretria
neben Chalkis zur Blüte auf; doch auch Athen ist stets mit im Spiel. Von Chalkis
geht noch vor der Mitte des 8. Jh. der griechische Vorstoß nach Westen aus,
faßbar in der Handels- und Handwerkerniederlassung von Pithekussai-Ischia 11.

6 V. Karageorghis, Kition, Mycenaean and Phoenician (1976); Excavations at Kition III


(1977) 7-10.
7 Woolley (1953); Murray (1982) 91-93; Boardman (1981) 41-59; Braun (1982) 7-11;
Riis (1982). Für spätere Datierungen (ab 750) J. P. Descoeudres Eretria VI (1978)
7-19; vgl. Coldstream (1982) 262.
8 Boardman (1965); (1981) 49.
9 Riis (1970), (1982).
10 West (1978a) 29f. und pointiert zusammengefaßt (1978b); nach seinem Hinweis (münd-
lich) deutet 'ferner als Euboia' Od. 7, 321 aus Phäaken sicht e contrario auf Euboia als
Zentrum der realen Welt. Vgl. auch P. Wathelet, La langue homerique et le rayonne-
ment litteraire de l'Eubee, AC 50 (1981) 819-33.
11 Die Funde, deren sensationellster der 1955 veröffentlichte 'Nestorbecher' war, sind noch
nicht vollständig veröffentlicht. Vgl. G. Buchner bei Ridgway (1979) 129-44; Boardman
(1981) 195-99; Buchner (1982); zu ägyptischen Funden Hölbl (1979); zu den Schrift-
funden ->- I 3, 5/6.
Die orientalisierende Epoche 17

Auch hier geht es um den Erzhandel, vor allem mit Etruskern, wobei die phö-
nikische Route Cypern-Karthago-Sardinien die griechische von Euboia über
Ithaka nach Pithekussai gleichsam umklammert. In diesem Zusammenhang tre-
ten auch die ersten Zeugnisse der griechischen Schrift auf, in Euboia, Naxos,
Pithekussai und Athen 12. Ortsnamen wie Soloi (Metallbarren', Chalkis (Erzingen'
und TarSiS (Schmelze,13 markieren die Interessen der Wirtschaft ebenso wie jener
Vers der Odyssee, der den Taphier Mentes übers Meer fahren läßt, um mit einer
Ladung Eisen Bronze einzuhandeln 14.
Der erneute und stärkste Vorstoß der Assyrer begann unter Tiglatpilesar III.
(745-727), der die Macht Urartus brach, Tyros und Byblos zu Vasallen machte
und die assyrische Macht im Westen dauerhaft verankerte. In seine Zeit fällt
der Bericht, der zum ersten Mal, kurz nach 738, (Ionier' im Gegenangriff auf
Syrien bezeugt: "Die Ionier sind gekommen. Sie haben die Städte ... angegrif-
fen ... (N.N. verfolgte sie?) in seinen Schiffen ... inmitten der See,,15.
Daß die Orientalen die Griechen schlechthin (Ionier' nennen - hebräisch Jawan,
arabisch und türkisch Junan -, ist seit langem bemerkt und diskutiert worden 16 .
Die assyrische Form ist Iawan(u) bzw., mit spezifisch assyrischem lautlich-ortho-
graphischem Wandel, Iaman(u); im zitierten Text steht (Land) ia-u-na-a-a, d.i.
Iaunaia. Ausgemacht ist, daß dies nicht die Bezeichnung von Cypern ist, das as-
syrisch vielmehr Iadnana heißt 17 ; Griechen von Cypern haben sich auch nie
(Ionier' genannt. Doch für Beziehungen zu kleinasiatischen Ioniern, zu Milet und
Samos spricht um die Mitte des 8. Jh. nichts. Die von der See kommenden
(Ionier', die mit den Assyrern zusammentrafen, müssen vielmehr, wie Keramik
und Schriftausbreitung nahelegen, die Griechen von Euboia und/oder Athen ge-
wesen sein. Diesen Schluß bestätigt die Ilias: an der einzigen Stelle, an der dort

12 ~ I 3.
1J Chalkis: M. Meier, -id-, Zur Geschichte eines griechischen Nominalsuffixes (1975) 52f.;
vgl. Bakhuizen (1978); seine mythologische Deutung des Namens Chalkis (1981) geht an
der Realität des Erzhandels vorbei. - Tarsis 'Schmelze' (ass. rasasu): W. F. Albright BASO
81 (1941) 14f.; vgl. Anm. 4. Zu 06AO~ -+ 14,29.
14 Der Name der Stadt, wo man Erz einhandelt, Od. 1, 184, war schon im Altertum um-
stritten: TejlEOTJ (Unteritalien) - so die Homerhandschriften - oder Tamasos (Cypern):
Steph. Byz. s. v., Braun (1982) 13; "C' "AAaow = Alasia/Cypern K Hadjioannou AA 81
(1966) 205-10, doch stört das "C'.
15 H. W. Saggs Iraq 25 (1963) 76-78; Braun (1982) 15.
16 Beloch I 2 2 (1913) 67f.; L. W. King JHS 30 (1910) 327-35; Luckenbill (1933); Mazza-
rino (1947) 112-30; Braun (1982) 1-5.
17 In einer Inschrift Assarhaddons erscheinen Iadnana und Iawan nebeneinander, Hirsch-
berg (1932) 68; Borger (1956) 86 § 57, 10; Braun (1982) 3; 20; vgl. auch Luckenbill
(1933) gegen Beloch, Mazzarino (Anm. 16), die beide Namen identifizieren. Alle Quellen
über Iadnana und Iamani bei S. Parpola, Neo-Assyrian Toponyms (1970) 183; 186f. und
I. Urio in: Chypre des origines au Moyen-Age, Univ. de Geneve, Seminaire interdisci-
plinaire (1975) 78-81.
18 WALTER BURKERT

Iaones genannt sind, kämpfen sie neben den opuntischen Lokrem, danach sind
die Athener hervorgehoben: offenbar sind benachbarte Stämme gemeint, zwischen
Opuntiem und Athenem aber sind euböische Iaones am Platze 18 •
Ihren Höhepunkt erreicht die assyrische Macht unter Sargon II. (722-705). Nicht
nur die hethitischen Kleinstaaten wie Karkemis und Zincirli, auch Kilikien wird
assyrische Provinz. Im Jahre 708 haben die Könige von Cypem Sargon gehuldigt,
darunter auch die Vertreter von Griechenstädten wie Salamis und Paphos. In
Kition hinterließ Sargon eine Stele mit seinem Tatenbericht 19 • Auch König Midas
von Phrygien hat Sargons Vormacht anerkannt. Damit war indirekt eine weitere
Route, eine Landroute von Ninive zur Ägäis gegeben, die Griechenland am Hel-
lespont erreichte. Ob andererseits der Usurpator Iamani von Asdod, der 711 von
Sargon vertrieben wurde, seinem Namen nach (der Ionier' war, ist unsicher und
wird neuerdings bestritten2o •
Sanherib (705-681) hat 696 einen Aufstand in Tarsos niedergeschlagen. Nach
griechischen Angaben, die Berossos vermittelte, haben damals Griechen zur See
gegen die Assyrer gekämpft und sind unterlegen21 . Auch Al Mina ist um 700 zer-
stört worden, wurde aber in neuer Weise alsbald wieder aufgebaut. Überhaupt
haben die zahlreichen Gewalttaten und Katastrophen die Ost-West-Beziehungen
nicht gebrochen, sonde!ll eher intensiviert, vielleicht weil nun mit den Handels-
interessen auch Flüchtlingsströme sich kfeuzten. Jedenfalls setzen um 700 auf
breiter Front die orientalischen Importe und die orientalisierenden N achbildun-

18 11. 13, 685. U. v. Wilamowitz-Moellendorff, Die Ilias und Homer (1916) 227,1: "Die
Ionier sind mit den Athenern identisch"; er glaubt freilich eben darum an eine 'späte'
Interpolation; die Bedeutung von Athen und Euboia im 8. Jh. war ihm noch nicht be-
kannt. Ein Problem bleibt die Tatsache, daß gerade im attisch-ionischen Dialekt das w
früh geschwunden ist und (XO > w kontrahiert wird. Eine Selbstbezeichnung 'Iawones'
müßte also wesentlich älter als das 8. Jh. sein; so J. Chadwick in: Greece and the
Eastern Mediterranean in Ancient History and Prehistory, Studies pres. to F. Schacher-
meyr (1977) 106-9: "A group of the Mycenaean inhabitants of Greece called themselves
'l&foVE<;" (109). Nun kann man euböisch-syrische Beziehungen bis ins 9. Jh. zurück-
verlegen (vg1. Coldstream [1982] 264f.); doch wesentlicher ist, daß die unkontrahierte
Form ja geläufig blieb, und dies ist wohl als Fremdbezeichnung zu erklären, durch
Cyprier, Dorier, später auch Orientalen (Aisch. Pers., Aristoph. Ach. 104), die die Selbst-
bezeichnung Iones begleitete. Die 'Ionier' Siziliens gehen nicht auf Kleinasien, sondern
auf das Naxos des 8. Jh. zurück (vg1. auch I 3,5).
19 Luckenbill 11 (1927) §§ 179-89; vg1. §§ 70; 99; Elayi/Cavigneau (1979).

20 Luckenbill 11 (1927) §§ 30; 62/3; 79/80; 194/5; ANET 285f.; von H. Bengtson, Grie-

chische Geschichte (1950) 21; 69 = (1977 5) 24; 77 als "erste Berührung der Griechen
mit den Assyrern" verzeichnet. lamani als einheimischer Name, nicht als 'der Grieche'
zu verstehen: H. Tadmor JCS 12 (1958) 80, 217; Elayi/Cavigneau (1979).
21 Berossos FGrHist 680 F 7 p. 386; Abydenos FGrHist 685 F 5 § 6; Streck (1916)

CCCXCI-III; die authentische Überlieferung (Seeschlacht) bei Abydenos: Momigliano


(1934); vg1. auch Mazzarino (1947) 125f.; Boardman (1965).
Die orientalisierende Epoche 19

gen in Griechenland und wenig später auch in Etrurien ein. Daß eben damals in
Tarsos Keilschriftliteratur und Keramik aus Rhodos, Samos, Korinth sich neben-
einander fmden, daß auf Cypern die assyrische zugleich eine (homerische' Epoche
ist, bleibt festzuhalten.
Auch Assarhaddon (681-669) hat die Könige von Cypern als seine Unter-
gebenen behandelt 22 ; Assurbanipal (669-629) blieb den Griechen als (Sardana-
pallos' dauerhaft im Gedächtnis 23 . Gegen die Kimmerier hatten ebenso Assar-
haddon und Assurbanipal wie die kleinasiatischen Griechen zu kämpfen. Doch
verlagern sich die Schwerpunkte. Sidon, als Zentrum phönikischer Händler den
Griechen wohlbekannt, wurde im Jahr 677 gründlich zerstört 24 • In Ägypten aber
konnte seit 663 König Psammetich seine Macht festigen und schließlich das as-
syrische Joch abschütteln. Indem er griechische Söldner in seinen Dienst zog,
wurde Ägypten im Gesichtskreis der Griechen bald wichtiger als die ruinierten
Städte Syriens. Zudem hat Gyges, der im Kampf gegen die Kimmerier das Reich
der Lyder mit dem Zentrum Sardes begründete, im Jahr 660 die direkte Ver-
bindung mit Assyrien aufgenommen 25. Damit war der (Königsweg' erschlossen,
der von Sardes aus nach Osten ftihrt2 6• Erst dies brachte den direkten Anschluß
Ioniens an den Osthandel und damit den raschen Aufstieg der kleinasiatischen
Ionier, während auf Euboia Chalkis und Eretria sich im Leiantinischen Krieg
aufrieben, nachdem sie im Westhandel durch Korinth, das noch im 8. Jh. Ker-
kyra gewann, längst überflügelt waren.

2. Orientalische Produkte in Griechenland


und das Problem der wandernden Handwerker

Nicht griechische Texte, sondern archäologische Befunde bieten die solide Grund-
lage, um östlichen Kultureinfluß im Griechenland des 8. und frühen 7. Jh. nach-
zuweisen und in seiner Bedeutung abzuschätzen. Eine zulängliche Behandlung

22 Borger (1956) 60; Luckenbill 11 § 690.


23 Hdt. 2, 150, 3; Hellanikos FGrHist 4 F 63, also vor Ktesias bekannt; Streck (1916)
I CCCLXXXVI-CDV, vgl. 11 14Of.: Prisma Assurbanipals mit Liste der Könige von
Cypem; dazu C. Baurain BCH 105 (1981) 366-70.
24 G. Scheibner, Wiss. Zeitschr. der Friedrich-Schiller-Universität Jena, ges. und sprachwiss.
Reihe 15 (1965) 93-6 möchte dies zum t.a.q. für die homerischen Gedichte machen,
vgl. WSt 89 (1976) 20.
25 Streck (1916) 11 20-23; Luckenbill 11 (1927) §§ 849; 909f.
26 Der 'Königsweg' verläuft bei Hdt. 5, 49-53 noch über Gordion, d. h. er schließt an die
Route Phrygien-Assyrien an, während Xenophons Anabasis die viel direktere Route
über Kelainai-Ikonion benützt. Vgl. R W. Macan, Herodotus Book IV V VI (1895) 11
289-303; Hanfmann (1948). Im Gefolge von Hogarth (1909) hatte man die Verbindung
lonien-Orient für die Frühzeit überschätzt. Bamett (1956) 229 rechnete mit einer Route
Urartu-Trapezunt, dagegen Carter (1972) 41 mit Anm. 86.
20 WALTER BURKERT

dieser Befunde ist an dieser Stelle nicht zu erwarten. Eine zusammenfassende Dar-
stellung hat, nach Poulsen und Dunbabin, kürzlich John Boardman gegeben,
reiches Material haben auch Hans-Volkmar Herrman und Wolfgang He1ck vorge-
legt!. Die genaue Bestimmung der Herkunft einzelner Stücke und Stile ist noch
im Fluß; die vorderasiatische Archäologie hat noch viel aufzuarbeiten, sie kämpft
mit sehr ungünstigen Verhältnissen in einem immer wieder verheerten und ausge-
plünderten Land. Doch dürften die Grundlinien der Entwicklung hinlänglich ge-
sichert sein; die zentrale Vermittlerrolle Syriens zwischen späthethitischen, ur-
artäischen, assyrischen und ägyptisierenden Kulturströmungen ist dabei immer
deutlicher geworden.
Für Griechenland hatte der Orienthandel nie ganz aufgehört, selbst abgesehen
von dem Sonderfall Cypern. Vereinzelte Importstücke fmden sich schon im 10. und
9. Jh., sie nehmen aber im 8. Jh. deutlich zu und häufen sich in der ersten Hälfte
des 7. Jh. Die exotische Herkunft liegt klar zutage bei Elfenbeinschnitzereien -
doch wird die Technik dann von Griechen übernommen2 -, erst recht bei Straußen-
eiern oder den Tridakna-Muscheln vom Roten Meer, die im 7. Jh. auftauchen3 •
Häufiger ist Schmuck, so Gold in mannigfachen Formen, Perlen aus Fayence
und auch aus Glas; das Ohrgehänge der Hera bei Homer, ~dreiäugig-maulbeer­
haft', glaubt man so identifizieren zu können 4 . Nicht minder deutlich zeugen
von den östlichen Verbindungen die geschnittenen Steine und SiegelS. An die
100 syrisch-kilikische Siegel fanden sich in Pithekussai-Ischia6 ; amulettartige An-
hänger syrischen und ägyptischen Stils fanden sich in Gräbern von Lefkandi, und
der Fürst, der im ~Heroon' von Eretria beigesetzt war, trug einen phönikischen
Skarabäus in Goldfassung 7 • Rollsiegel, die typisch mesopotamische Siegelform,
kamen vereinzelt in Olympia wie auf Samos und Delos zutage 8 •

1 Poulsen (1912); Dunbabin (1957); Akurgal (1966); Herrmann (1975); Helck (1979);
Boardman (1981); Braun (1982); vgl. Einleitung Anm. 16.
2 Barnett (1948); (1956); Greifenhagen (1965); B. Freyer-Schauenburg, Elfenbeine aus dem

samischen Heraion (1966); E.-L. Marangou, Lakonische Elfenbein- und Beinschnitzereien


(1969); vgl. Helck (1979) 175, 28; Boardman (1981) 70f., auch zu den Statuetten vom
Dipy1onfriedhof, 3. Viertel 8. Jh.
3 E. Diehl AA 1965, 827-50; R. A. Stucky, Engraved Tridakna Shells (1974); Boardman

(1981) 82f.; S. Boessneck, A. von den Driesch AM 98 (1983) 22-4.


4 Eine Kette aus einem Grab am Areopag, Mitte 9. Jh., E. L. Smithson, Hesperia 37
(1968) 77-116, T. 33. Vgl. Helck (1979) 203f.; Boardman (1981) 85f.; 'tpiYAT)V<X f.LopoeV't<X
11. 14, 183, vgl. Ch. Kardara AJA 65 (1961) 62-4; Coldstream (1982) 266.
5 J. Boardman, Island Gems (1963); Archaic Greek Gems (1968); Boardman/Vollenweider

(1978); Boardman (1981) 79-81; Depositum beim Apollon-Tempel von Eretria, BCH 103
(1979) 597-9; 104 (1980) 657f. Abb. 156; Arch. Reports 1980/81 8 mit fig. 8.
6 Boardman/Buchner (1966); vgl. P. Zazoff, Die antiken Gemmen (1983) 59.
7 Popham/SackettiThemelis (1980) T. 233e, 235c-e; Co1dstream (1982) 264f. - C. Berard,

Eretria III: L'Heroon a la Porte de l'Ouest (1970) 14-16; Murray (1982) 101.
Die arientalisierende Epoche 21

Wichtiger sind die Metallarbeiten. Als besondere Kostbarkeiten wurden phöniki-


sche Bronze- und Silberschalen weithin gehandelt; sie fmden sich außer auf Cypern
in Athen, Olympia und Delphi, in Unteritalien, Praeneste und Etrurien. Man hat
sie längst mit den (Krateren' aus Sidon zusammengenommen, von denen Homer
spricht, und fmdet zudem in ihrer Bildertechnik die nächste Analogie zur home-
rischen Schildbeschreibung9 • Mindestens drei der gefundenen Stücke, aus Olympia,
Unteritalien und Praeneste, tragen aramäische bzw. phönikische Inschriften, eine,
aus Falerii, sogar eine Keilinschrift lO • In Olympia sind um 670 Reliefstreifen von
Bronzegefäßen, die in diesem Fall aus dem späthethitischen Tabal stammen, zu
Mänteln für große bronzegetriebene Statuen verarbeitet worden ll . Aus gleichem
Bereich oder Nordsyrien oder auch aus Urartu über Nordsyrien kam weiteres
Metallgerät, reliefverzierte Untersätze und vor allem eine neue Form der großen
Dreifußkessel, jetzt mit Sirenen- und Schlangenattaschen. Rasch haben daraus
griechische Handwerker ihre eigenen Meisterstücke entwickelt l2 . Eine Besonder-
heit ist das assyrisierende Bronze-Tympanon und die Bronzeschilde aus der
Idäischen Höhle in Kreta, über deren Datierung noch nicht volle Einigkeit er-
zielt ist; daß sie dem Zeuskult in der heiligen Höhle dienten, wird nicht be-
zweifelt 13. Schließlich sind noch vielerlei Teile von Pferdegeschirr als Import-
artikel zu erwähnen 14, auch dies Prestigeobjekte adliger Herren wie so vieles andere.

8 A. Furtwängler, Die Bronzen und die übrigen kleineren Funde von Olympia (= Olym-
pia IV) (1890) 187; E. Diehl AA 1965, 823-7 (Samos, 2 Exemplare); H. Gallet de
Santerre,1. Treheux BCH 71/2 (1947/8) 240-43, Abb. 39 (Delos).
9 11. 23, 741-5, Od. 4, 615-9; zur Schildbeschreibung Fittschen (1973). Neuere Literatur
zu den Silberschalen: K. Kübler, Kerameikos V 1 (1954) 201-5; Canciani (1970); Carter
(1972); Herrmann (1975) 307; 309; Imai (1977); Helck (1979) 192; Barell (1978) 74-92.
10 Olympia: Furtwängler, Olympia IV (vg1. Anm. 8) 141, Tf. 52; CIS 11 112. - Ponte-

cagnano bei Salerno, jetzt Paris, Sammlung Tyskiewicz, -+ 11 1, 29. - Praeneste, Tomba
Bernardini: CIS I 164; M. G. Guzzo Amadasi, Le iscrizioni fenicie e puniche delle
colonie in occidente (1967) 157f. - Falerii: M. Christofani, P. Fronzardi Stud. Etr. 39
(1971) 313-31. - Vg1. Borell (1978) 80-82. Schale aus Knossos -+ I 1,40.
II Der Fund wurde vorläufig angezeigt von E. Kunze ArchDelt 17 B (1961/2) 115f.,

T. 129/30; 19 B (1964) T. 181bc; vg1. Herrmann (1975) 307f.; A. Mallwitz, H. V. Herr-


mann, Die Funde aus Olympia (1980) 53f. T. 23/4. Die Rekonstruktion der Statuen wird
B. Seidel-Borell veröffentlichen. - Eine späthethitische Löwenprotome (Votivschild?) in
Olympia: ILN 25. 7. 1964, 121; H. V. Herrmann in: 10. Olympiabericht (1981) 72-82.
12 H. V. Herrmann, Die Kessel der orientalisierenden Zeit 1/11, Olympische Forschungen

6/11 (1966; 1979); vg1. Jdl 81 (1966) 79-141; Herrmann (1975) 306f.; Boardman (1981)
72-75.
13 Kunze (1931); Canciani (1970); Herrmann 01. Forschungen 6 (1966) 179-85 und (1975)

308 (,Impart'); Helck (1979) 191f.; Boardman (1981) 63-67; H. Verbruggen, Le Zeus
Cretois (1981) 71-99; Biome (1982) 15-23; vg1. bei Anm. 38.
14 Herrmann (1975) 308f.; Helck (1979) 187-90; Boardman (1981) 79; vg1. auch Burkert

(1979) 114-8; H. Philipp in: 10. Bericht über die Ausgrabungen in Olympia (1981)
91-108.
22 WALTER BURKERT

Unter geographischem Gesichtspunkt nimmt nicht nur Cypern, sondern auch


Kreta eine Sonderstellung ein. Auch Rhodos wird im 8. Jh. wichtig; dort ist -
entgegen Belochs Thesen - noch vor 700 eine phönikische Parfum-Manufaktur
nachweisbar 15 . Auch auf Samos setzt der Zustrom orientalischer Güter wohl schon
vor 700 ein 16 • Alle die großen, im 8. Jh. aufblühenden Heiligtümer, Delos, Delphi
und vor allem Olympia haben stattliche Funde gebracht; im übrigen ist neben
Eretria auch Athen besonders hervorzuheben 17 . Auf Etrurien 18 , das in selbstän-
digen Kontakten mit Phönikern seine orientalisierende Epoche beginnt, auf Latium
und die erstaunlich reichen Gräber von Pr(leneste 19 sei nur im Vorübergehen hin-
gewiesen.
Dem Import folgt das heimische Handwerk, wie in der Elfenbeinschnitzerei so
auch in der Metallbearbeitung 2o • Zugleich dringen die orientalischen Bildmotive
in andere Gattungen von Produkten ein, so vor allem in die dauerhafteste und
darum best erhaltene, die Keramik 21 • Auch hier nur einige Hinweise: zu neuem
Leben erweckt wird das Schema der (Herrin der Tiere' und des (Herrn der
Tiere', das an sich auf bronzezeitliche Tradition zurückgeht 22 ; dazu kommen
die charakteristischen Tierkampfuilder und ganz besonders der Löwenkampf23 :
kaum je wird ein Grieche Gelegenheit gehabt haben, einen lebenden Löwen zu
sehen, doch von der Ikonographie her ist der Löwe jedem zum Begriff geworden,

15 Coldstream (1969); (1982) 268f.; Boardman (1981) 89. Zu Phönikern auf Rhodos: Ath.
360f. = Ergias FGrHist 513 F 1, Polyzelos FGrHist 521 F 6; vgI. Anm. 1; der Baal vom
Tabor als Zeus Atabyrios, O. Eissfeldt Kleine Schriften 11 (1963) 29-54; A. B. Cook,
Zeus 11 2 (1925) 922-5; Helck (1979) 160; ->- Einleitung Anm. 15; 14, 13.
16 G. M. Hanfmann BibI. Or. 30 (1973) 199 und H. V. Herrmann G~omon 47 (1975) 401
in der Besprechung von Jantzen (1972); vgI. Börker-Klähn (1973).
17 C. Rolley, Bronzes geometriques et arientaux aDelos, BCH Suppl 1 (1973) 523-4; zu
Athen Anm. 4; zu Eretria Anm. 5; 7; zu Olympia Anm. 11/12.
18 Brown (1960); Str0m (1971); A. Rathie in Ridgway (1979) 145-83; vgI. auch Verzar
(1980).
19 Not. Scav. 1876, 282-95; G. Proietti, M. Pallottino, I1 Museo Nazionale Etrusco di Villa
Giulia (1980) nr. 363-79; 386; A. Bedini PP 32 (1977) 274-309.
20 VgI. Anm. 2; 40.
21 VgI. Ahlberg (1967); (1971): Barell (1978); Helck (1979) 192; Stucky (1982).
22 Das Schema ist bereits mykenisch, es findet sich auf einem der nach Theben gelangten
kassitischen Rollsiegel (P. Amiet, Orientalia 45 [1976] 28 fig. 13; K Demakopoulou,
D. Konsola, Archaeological Museum of Thebes [1981] 52f.), taucht aber auch auf den
Importstücken der arientalisierenden Epoche immer wieder auf. Eine Linie Syrien-
Böotien um 700 zieht Coldstream (1977) 13; vgI. Helck (1971) 223-9; (1979) 210;
"praktisch unmöglich, die Übermittlung zu beweisen" Boardman (1981) 90; vgI. 60.
23 Als ältestes galt das Bild auf einem geometrischen Untersatz aus Athen, Schefold (1964)
T. 5a, bis in Knossos eines aus dem 9. Jh. zutage kam, H. Sackett BSA 71 (1976) 123-4;
vgI. Brown (1960); Gabelmann (1965); Carter (1972); Boardman (1981) 90f. Zur Etymo-
logie I 4, 30.
Die orientalisierende Epoche 23

auch wenn im Bild gelegentlich Löwe und Panther vermischt werden. Ein älterer,
hethitischer Löwentyp wird im 7. Jh. von einem assyrischen abgelöst. Die noch
exotischere Galerie der Mischwesen, Greifen, Sphingen und Sirenen haben gleich-
falls bronzezeitliche Ahnen, werden aber nach der neuen Mode umgeformt2 4 .
Der Typ der Chimaira knüpft offenbar besonders ans Hethitische an 25 , der Triton
und Acheloos eher an Mesopotamisches 26 • Schließlich ist das Motiv des Lebens-
baums zu nennen, überhaupt die Lotus- und Palmettenfriese 27 , die Tierfriese
und auch die Darstellung des Symposiums 28 •
Die im engeren Sinn religiöse Ikonographie zeigt einen entsprechenden Wandel:
mykenisches Erbe weicht zurück vor östlichen Vorbildern. Aus hethitisch-syri-
schem Bereich waren, zum Teil schon weit früher, einzelne Bronzestatuetten eines
kriegerischen, mit Waffen drohenden Gottes nach Griechenland gelangt; sie wer-
den im 8. Jh. nachgebildet - ob Götter oder menschliche Krieger gemeint sind,
ist umstritten -, sie setzen sich schließlich in bedeutenden, (typisch griechischen'
Bildern von Zeus und Poseidon fort2 9 . Doch die Darstellung des Blitzes in der
Hand des Wettergottes bleibt besonders deutlich von östlichen Vorbildern ab-
hängig 30 • Gleichsam als Gegenstück kommt aus Syrien, teils als Goldschmuck,
teils in Gestalt schlichter Ton-Plaketten, das Bild der stehenden, nackten Göt-
tin, Astarte-Aphrodite, das für die Griechen das Bild der stehenden Göttin
prägt 3l ; die Nacktheit freilich wird rasch aufgegeben. Auch andersartige Götter-

24 Helck (1979) 194-7; 211f.; Boardman (1981) 9lf.; vgl. zur Sphinx Vermeule (1977);
H. Demisch, Die Sphinx (1977) 77-82. A. Dierichs, Das Bild des Greifen in der frü-
griechischen Flächenkunst (1981) 275-94.
25 Helck (1979) 2l2f.; Boardman (1981) 92f.; 'Chimaira' von Karkemis: E. Akurgal, Die
Kunst der Hethiter (1976 2 ) T. 110; von Zincirli: Sendschirli III (1902) T. 43.
26 Zum Fischmensch (akk. kulilu, AHw 501) E. Dnger RlA 3, 70f.; Rittig (1977) 94-6;
Helck (1979) 219; R. Stucky (ed.), Sumer Assur Babylone, Exposition Sammlung Ludwig
(1979) nr. 141. Vgl. auch K Shepart, The fish-tailed Monster (1940); H. P. !sler, Ache-
loos (1970) 92-5.
27 Boardman (1981) 94f.; C. P. Kardara, Oriental Influences on Rhodian Vases, in: Les
ceramiques de la Grece de l'est et leur diffusion en occident, ColI. intern. du centre
J. Berard (1976/1978) 66-70.
28 H. Kyrieleis, Thronen und Klinen (1965); B. Fehr, Orientalische und griechische Gelage
(1971); J. M. Dentzer, Le motif du banquet couche et le monde grec du VII" au IVe
siecle avant J.-C. (1982) 143-53.
29 E. Kunze AuA 2 (1946) 95-115; D. Collon, The Smiting God, Levant 4 (1972) 111-34;
Burkert (1975); Helck (1979) 179-82; H. Seeden, The Standing Armed Figurines in the
Levant (1980).
30 P. Jacobsthal, Der Blitz in der orientalischen und griechischen Kunst (1906); berichti-
gend und ergänzend G. Furlani Stud. Etr. 5 (1931) 203-31; zum Gott mit zwei Blitzen,
Zeus Dipaltos, H. L. Lorimer BSA 37 (193617) 178.
31 P. J. Riis Berytus 9 (1949) 69-90; id. (1960) 193-8; Helck (1971) 233f.; (1979) 173-7;
Boardman (1981) 86-88.
24 WALTER BURKERT

bilder werden gelegentlich importiert32 . Doch auch die Göttergewänder der realen
Statuen, die nun in den neu errichteten Tempeln ihren Platz fmden, sind dem
Luxus des Orients nachgebildet, nicht anders als Heras Ohrgehänge in der Ilias;
dies gilt insbesondere rur das rechteckig· unterteilte Gewand der Artemis von
Ephesos, auch rur die (Rückentänie' ihres Kopfschmucks und die Wollbinden in
ihren Händen 33 • Noch unmittelbarer in den Kult greifen anscheinend die Masken
ein, die nun in griechischen Heiligtümern geweiht werden, auf Samos wie vor allem
bei Ortheia in Sparta; ihre groteske Gestaltung knüpft an orientalische (Humbaba'-
Masken an34 • Orientalisch ist auch die Form der Omphalos-Schale, die rur die
Libation im griechischen Gottesdienst nun allgemein in Gebrauch kommt 35 , und
erst recht bleibt der Weihrauch, der im Götterkult üblich wird, orientalischer Im-
port, wie auch die Namen Aißavo<; und jluppa anzeigen36 •
Entsprechend dem Bild, das die Odyssee von den <l>oiv1.xe<; zeichnet, den Män-
nern von Sidon, die kostbare Metallgefaße herstellen und den Seehandel, bei
Gelegenheit auch Seeraub betreiben, hat man früher in den phönikischen Händ-
lern die eigentlichen Vermittler und Zwischenträger der orientalischen Importe
nach Griechenland gesehen. Beloch hat dann versucht, die Phöniker aus der
Ägäis zu verdrängen, indem er auf dem Fehlen phönikischer Keramik insistierte.
Mit der Ausgrabung von Al Mina trat der selbständige Vorstoß der Griechen nach
Osten in den Blick. Doch lassen sich inzwischen auch Phöniker zumindest auf
Kos und Rhodos deutlich fassen 37 . Das Ausgreifen der Griechen und der Phöniker

32 Ein assyrisches Götterbild, mit polosartiger Kopfbedeckung, Epoche Sargons 11., in


Samos, Jantzen (1972) B 165 T. 69, vgl. Herrmann Gnomon 47 (1975) 398; Helck (1979)
184-6; vgl. auch Kranz (1972).
33 Oppenheim (1949); Fleischer (1973) 96; Börker-Klähn (1973) 45. Zur 'Rückentänie' Flei-
scher 50f., Burkert (1975) 63 (zu dem Köpfchen von Amyklai). - Die keppe der !Star,
Höllenfahrt 27 (ANET 107) deutet B. Landsberger WZKM 56 (1960) 121-4; 57 (1961)
23 als 'Springseil' mit Verweis auf Siegelbilder wie Ward (1910) nr. 912-23. Diese Kette
ist zunächst der Gewandsaum der sich entschleiernden Göttin, Helck (1971) 112f. Die
Verbindung vom 'Springseil' zu den Binden, die die Göttin von Ephesos und Samos
hält (vgl. Fleischer 102-11), drängt sich auf.
34 Zu mesopotamischen und syrisch-phönikischen Masken, die sich auch in Gräbern finden,
R. D. Barnett in: Elements (1960) 147f.; A. Parrot Ugaritica VI (1969) 409-18; S. Mos-
cati in: Near Eastern Studies in Honour ofW. F. Albright (1971) 356f.; 362f.; H. Kühne,
Rätselhafte Masken - Zur Frage ihrer Herkunft und Deutung, Bagd. Mitt. 7 (1974)
101-10; E. Stern, Phoenician Masks and Pendants, Palestine Exploration Quart. 108 (1976)
109-18. - Samos: H. Walter, Das griechische Heiligtum. Heraion von Samos (1965) 28. -
Ortheia: R. M. Dawkins, The Sanctuary of Artemis Orthia, JHS Suppl. 5 (1929) 163-86
T. 47-62. - Boardman (1981) 88. - Humbaba-Maske in Gortyn -+ 11 2, 23.
35 H. Luschey, Die Phiale (1939); Herrmann (1975) 309; Boardman (1981) 76-79.
36 -+ I 4; Masson (1967) 53-6; Burkert (1977) 110.

37 Zu Beloch -+ Einleitung Anm. 15; zu Kreta und Cypern I 1 Anm. 4; 6; zu den Phö-
nikern Dunbabin (1957) 35-43; Ward (1968); Edwards (1979); wichtig Coldstream (1969)
Die orientalisierende Epoche 25

aufs Mittelmeer scheint früh schon nebeneinander und in Konkurrenz zueinan-


der zu verlaufen; während man aber zunächst, wie früh schon die Assyrer, am
fremden Ort nur eine Art (Handelskontore' - assyrisch karu - einrichtete, be-
gannen die Phöniker in Kition und Karthago, die Griechen in Unteritalien und
Sizilien mit Städtegründungen, (Kolonien', was zu neuen Formen konkurrierender
Machtpolitik führte.
Doch waren die Handelsbeziehungen, die erst von den Phönikern, dann von
den Euböern in Gang gesetzt wurden, nicht der einzige Kanal für gegenseitige
Kontakte. Intimerer Kulturaustausch spielte sich auf der Ebene handwerklicher
Fertigkeiten ab. Man rechnet seit langem damit, daß seit dem ausgehenden
9. Jh. orientalische Handwerker in griechische Städte einwanderten und dort ihre
Fertigkeiten schließlich an Griechen weitergaben; in den argen Zeiten der assy-
rischen Eroberungen ist vor allem mit Flüchtlingen zu rechnen. Im Detail hat dies
vor allem für Kreta John Boardman nachzuweisen unternommen. Er verweist auf
drei Gruppen von Befunden: Goldschmiede und Gemmenschneider in Knossos,
die ein minoisches Tholos-Grab wieder in Benutzung nahmen und, um 800,
durch ein Gründungsopfer orientalischen Stils sich weihten; dann jene Werkstatt
von Bronzeschmieden, die das Tympanon und die Bronzeschilde für die Ida-
Höhle schufen; schließlich Gräber syrischen Typs, wie er bei Karkemis bezeugt
ist, in Afrati, Zentralkreta, aus der 1. Hälfte des 7. Jh. Gerade diese Gräber, doch
auch die Halbfabrikate im (Grab des Goldschmieds' sind überzeugende Indizien
für Einwanderung, und mit den assyrischen Vorstößen treffen Fluchtbewegungen
vor 800 und wieder um 700 einleuchtend zusammen 38 •
Der eigentliche Beweis dafür, daß bei den (orientalisierenden' Produkten nicht
nur ein Handel mit beliebigen Zwischengliedern, sondern ein Verhältnis des
Lehrens und Lernens in direktem Kontakt im Spiele ist, liegt in der Übernahme
neuer Techniken, die sich nicht einfach aus dem Erwerb fertiger Produkte er-
geben. Dies betrifft neben der Elfenbeinschnitzerei die Goldschmiede- und Stein-
schneidekunst39 und besonders verschiedene Formen der Bronzetechnik, die Treib-
arbeit (a<puP1lA,tX'tov) wie den Guß mit (verlorenem Kern'; wenn dabei an Stelle
eines Alphaltkerns ein Harz-Kleie-Kern tritt, sieht man, wie Handwerker sich
neuen'Bedingungen kreativanpassen40 . Auch die schlichte, aber ungemein frucht-
bare Technik des Abformens von Tonfiguren nach Matrizen stammt aus Mesopota-

und Muhly (1970); umfassende Orientierung: Bunnens (1979); Niemeyer (1982), darin
insbes. Coldstream (1982),
38 Barnett (1948) 6; P. Jacobsthal JHS 71 (1951) 91-3; Dunbabin (1957) 40f.; 49; Board-
man (1961) 150f,; (1967) bes. 63-7; (1970) 14-25; (1980) 61-69; Greifenhagen (1965)
127; 136; Coldstream (1968) 348f.; van Loon (1974); Murray (1982) 81.
39 Greifenhagen (1965); Boardman (1981) 70f.; Coldstream (1982) 266.
40 Van Loon (1974) 23; Boardman (1981) 62f. mit Anm. 73: "solche Techniken können
nicht durch Beobachtung erlernt werden, .. ".
26 WALTER BURKERT

mien und Syrien, tritt dann in Gortyn und Korinth kurz nach 700 au~l. Daß
vielmehr Griechen im Orient, in Syrien oder Tarsos bei einheimischen Meistem
in die Lehre gingen, wäre eine Hypothese, die im Prinzip gleichviel erklärt; in
beiden Fällen geht es nicht um Femberührung, sondern um intensive Zusammen-
arbeit mit detaillierter Verständigung wenigstens für eine Lehrzeit. Die kretischen
Befunde geben den Ausschlag, eher mit eingewanderten Handwerkern im griechi-
schen Bereich zu rechnen, was einzelne Reisen in umgekehrter Richtung natür-
lich nicht ausschließt.
Die Annahme wandernder orientalischer Handwerker stößt noch zuweilen auf
Kritik, von seiten klassischer Archäologen wie Orientalisten. Steht bei jenen me-
thodische Zurückhaltung im Vordergrund 42 , die die historische, fast anekdotische
Konkretisierung scheut, so scheint diesen das Bild freien Unternehmertums, das
hier in die dunklen Jahrhunderte projiziert wird, mit den von Königsmacht und
Bürokratie beherrschten Verhältnissen des Orients kaum vereinbar43 . Hier ist in
der Tat ein deutlicher Unterschied zwischen (westlicher' und (östlicher' Überliefe-
rung. Daß die Handwerker dank ihrer (Kunst' sich durch individuelle Mobilität
auszeichnen, im Gegensatz zu den Bauern wie zu den landsässigen Adligen, sagt
der bekannte Homervers über die örn.noepyo( (Od. 17, 383-5). Bereits Solon hat,
laut Plutarch, die Konsequenz gezogen und Handwerker zum Zuzug nach Athen
veranlaßt: lle't'Dtx((eaihX1. btt 't'exv1J ist sein Terminus für diese Wanderschaft44 .
Gleichzeitig haben die Tyrannen von Korinth die Handwerker gefördert, während
nach Athen wiederum Themistokles die Techniten' durch Angebot von Steuer-
freiheit lockte, "damit möglichst viele Leute sich ansässig machten,,45. Aus der
Fremde zugewandert sind bereits früher, den Namen nach zu urteilen, Töpfer
und Vasenmaler wie Brygos und Lydos46 . Daß Handwerker zugewanderte Nicht-
Bürger sind, ist noch für Aristoteles fast die Regel; er spricht auch von Sklaven
als Handwerkern47 , doch steht fest, daß für hochqualifizierte Handarbeit Sklaven

41 Dunbabin (1957) 37; 50,5; Riis (1960) 197; Rizza-Santa Maria Scrinari (1968) 213-45;
Boardman (1981) 86-88.
42 Herrmann (1975) 304, der das Bronzetympanon vom Ida als ein Importstück betrachtet
(308); dagegen BIome (1982) 16.
43 He1ck (1979) 55; 226-8; Diskussion der Probleme bei Winter (1973) 477-82; Grottanelli
(1982b) 664.
44 Plut. Sol. 24, 4; zu Korinth Hdt. 2, 167, 2.
45 Diod. 11, 43, 3.
46 Boardman (1981) 97. Auch an 'Amasis' ist zu denken, vgl. dazu K Schauenburg
JdI 79 (1964) 136-8.
47 Arist. Pol. 1278a 7 ÖOUAOV 1:0 ß&vauaov Tl ~Evtx6v, Öt61tEP oi 1toUot 1:01OU1:01 xat vUv.
Zum persischen Hintergrund der 'Handwerkersteuer' (XEtpWV&~toV, Arist. Oik. 1345b 7)
M. Wörrle Chiron 9 (1979) 91f. - Unfreie Frauen als Weberinnen werden 'mitgenom-
men' und gehandelt: Il. 6, 290f.; 23, 263; Od. 15, 418, vgl. zu Ägypten Helck (1979)
226.
Die orientalisierende Epoche 27

nicht in Frage kommen. In der hellenistischen Zeit sind die wandernden Hand-
werker, oi IlE't'a1t0pEUoIlEVOt 't'Exvl't'at, ein fester Begrur 8 . Spätestens jetzt sind sie
auch im semitischen Orient selbstverständlich; so schreibt Jesus Sirach von den
Handwerkern: "und wenn sie am fremden Orte wohnen, brauchen sie doch
nicht zu hungern,,49. So ist denn auch ein Teppichweber aus Tarsos zu einem
der weltgeschichtlich folgenreichsten Reisenden geworden: der Apostel Paulus.
Zurück zur archaischen Epoche: Man nimmt assyrische Handwerker in Urartu
an50 , und auf eben diesem Weg verbreiteten sich offenbar die Metallarbeiten
zu den Skythen bis weit nach Asien. Die antike Tradition knüpft das Übergrei-
fen griechischen Handwerks nach Etrurien an Demaratos von Korinth, den Vater
des Tarquinius Priscus an, und läßt ihm Handwerker in Menge folgen 51 . Auch
ohne die Stütze dieser anekdotischen Überlieferung steht fest, daß griechische
Töpfer und Vasenmaler sich an verschiedenen nichtgriechischen Orten Italiens
etablierten. Im Orient ist demgegenüber zwar seit alters deutlich, daß gute Hand-
werker gesucht und sehr begehrt waren, eben darum aber versuchen die Könige
·mit bürokratischen Machtmitteln möglichst über sie zu verfUgen. Salomon läßt
sich zum Tempelbau eine ganze Truppe von Handwerkern schicken, die im Dienst
des Königs Hiram von Tyros standen52 . Entsprechend erzählt der Achiqar-Roman,
wie der König von Ägypten sich beim Herrscher von Ninive einen Architekten
besteI1t53 . Wenn Sargon seinen Palast in ijor~abad nach dem Vorbild eines (hethi-
tischen Hilani' erbaut 54 , hat er gewiß nicht gezögert, die kundigen Bauleute aus
Nordsyrien zu requirieren. Dokumente aus Mari zeigen, daß Handwerker vom
König als mobile Einheit organisiert und einsatzfähig gehalten wurden55. So ver-
säumt auch der Flutheros nicht, den Handwerkern einen Platz in der Arche zu
reservieren56 . In einem hethitischen Staatsvertrag ist ausdrücklich stipuliert, daß
flüchtige Handwerker auszuliefern sind 57 . Eben hierin freilich zeigt sich auch die
Grenze der zentralen Organisation: der Flüchtling wird sich seine Chance ausge-
rechnet haben, selbständig am neuen Ort tätig zu werden. Briefe aus Mari

48 M. Wörrle Chiron 9 (1979) 83.


49 Sirac. 38, 30, nach dem syrischen Text, E. Kautzsch, Die Apokryphen und Pseudepi-
graphen des Alten Testaments I (1900) 422.
50 S. Kroll bei D. Ahrens (Hg.), Archäologie entdeckt Geschichte: Urartu (Hamburg
1979) 53.
51 Strab. 5 p. 220 etmopia ÖT)~J..wupywv 'twv ouvaxoAoußT)Oav'twv obcoßev; Plin. n.h. 35,
152. Vgl. Plin. n.h. 12, 5 Helico ex He/vetiis ob ... fabri/em artem Romae commoratus ...
52 1. Kön. 5, 32, 15-25; vgl. 20; Röllig (1982) 22.
53 Achiqar 16, 3, p. 204 Nau, p. 115 Rendell Harris (~ 13, 30).
54 Luckenbill 11 (1927) § 100; 105.
55 Sasson (1968) 47.
56 Atrahasls p. 128f.; Gilgames XI 85.
57 J. Frfedrich, Staatsverträge des Hatti-Reiches (1930) 77 § 18, Z 65-67 (ergänzt); Sasson
(1968) 51.
28 WALTER BURKERT

sprechen davon, daß ein Architekt oder Schmied einfach (weggegangen' sei, offen-
bar aus freiem Antrieb und ohne daß staatliche Maßnahmen ergriffen werden58 .
Dies ist ein bemerkenswertes Zeugnis dafür, daß zumindest de facto bereits im
bronzezeitlichen Orient eine gewisse freie Mobilität für qualifizierte Spezialisten
gegeben war. Ein Gegenstück liefert dann in der Zeit des Dareios der Lebensweg
des Arzt Demokedes, wie ihn Herodot erzählt 59 ; er kehrte gegen den Willen
des Großkönigs in seine Heimat zurück, und es gelang diesem nicht, seiner hab-
haft zu werden. Damals hatten längst auch andere griechische Spezialisten den
Weg zu den orientalischen Höfen gefunden, zu Nebukadnezar in Babylon60 wie
zu Dareios in Persepolis 61 •
Zumindest Ansätze zu freier Mobilität der Handwerker bestanden also im Osten
seit langer Zeit, und die Reichweite der Despoten war begrenzt; im Westen ist
diese Mobilität in der orientalisierenden Epoche voll entfaltet. Daß eben dies einen
starken Anreiz zur Auswanderung in den freien Westen ausüben konnte, ist zu
vermuten. Bereits die orientalischen Handwerker sind in Form des Familienver-
bandes organisiert, als (Söhne der Handwerker', mare ummani, im Zweistromland,
(Söhne der Gießer', bn nsk, in Syrien62 • Dies schließt Formen der gegenseitigen
Unterstützung ein, die gerade Auswanderern zugute kommen mußte. Selbst wenn
das freie Unternehmertum im Handwerk eine (Erfmdung' der frühorientalisie-
renden Epoche sein sollte, waren die (Orientalen' gewiß daran beteiligt.
Als weiteres mobiles Element sind die Söldner in Betracht zu ziehen. Wir
wissen von den griech~chen und karischen Söldnern des Psammetich63 ; Anti-
menidas, der Bruder des Alkaios, war Söldner in BabyIon, wie Sapphos Bruder
Charaxos in Ägypten64 . Ob freilich in Davids Leibwache, (Krethi und Plethi',
bereits (Kreter' neben den Philistern Dienst taten, ist ganz unsicher65 . Eher sind
die (Karim', die dann im 9. Jh. bezeugt sind 66 , in der Tat Karer, wie dann ka-
rische Söldner im Ägypten des 7./6. Jh. eine wichtige Rolle spielen. Dann wird
es auch an Griechen nicht gefehlt haben, selbst wenn der Fall des Iamani von

58 Sasson (1968) 48f.


59 Hdt. 3, 125-37.
60 E. F. Weidner in: Melanges Syriens off. a R. Dussaud (1939) 11 932f.; ANET 308b;
Boardman (1981) 56f.
61 G. M. A. Richter AJA 50 (1946) 15-30; C. Nylander, Ionians at Pasargadae. (1970);
Boardman (1981) 120 und JHS 100 (1980) 204-6.
62 Inschrift der Silberschale Tyskiewicz, o. Anm. 10; -->- 11 1, 29.
63 Hdt. 2, 152: 'Ionier und Karer'.
64 Alkaios 350 vgl. 48, wo erstmalig BabyIon und Askalon genannt sind. Sappho 202 =
Hdt. 2, 135.
65 'Krethi und Plethi' 2. Sam. 8, 18; 15, 18; 20, 7; 23; 1. Kön. 1, 38.
66 2. Kön. 11, 4; 19; zu Karern in Ägypten vgl. Anm. 61 und O. Masson, J. Yoyotte,
Objets pharaoniques a inscription carienne (1956); O. Masson, Carian inscriptions from
North Saqqara and Buhen (1978).
Die orientalisierende Epoche 29

Aschdod unsicher bleibt 67 . Die Hoplitenbewaffnung, wie sie gegen Ende des
8. Jh. in Mode kommt, knüpft jedenfalls an assyrische und urartäische Bewaff-
nung an, und zur Illustration eines Gorgonenschildes, wie er in der Ilias be-
schrieben ist, pflegt man eine Exemplar aus Olympia neben eines aus Karkemis
am Euphrat zu stellen68 .

3. Schrift und Literatur im 8. Jahrhundert

Die Übernahme und erfolgreiche Umgestaltung der phönikischen Schrift durch


die Griechen ist unter kulturgeschichtlichem Aspekt das weitaus wichtigste Er-
eignis der Orientalisierenden Epoche 1 . Es kann auch insofern als exemplarisch
gelten, als die Entlehnung aus dem Semitischen jedem Zweifel entrückt ist, die
schöpferische Weiterentwicklung aber nicht weniger deutlich ist und an einer Da-
tierung wesentlich nach dem Zusammenbruch der mykenischen Kultur, doch
spätestens um die Mitte des 8. Jh. nicht zu rütteln ist.
Als früheste Alphabetschrift, die konsequent Vokale und Konsonanten schreibt,
ist für uns die griechische Schrift die erste perfekte Schrift überhaupt; dies be-
stätigt ihr Erfolg im Abendland. Freilich war die Vokalschreibung zunächst ein
produktives Mißverständnis: man lernte die Alphabetreihe und begriff das akro-
phone Prinzip, doch beginnt für Griechen Alpha eben mit (a' und nicht mit einem
gutturalen Knacklaut 2• Die Schaffung eines Zu~atzbuchst~bens für den fünften
Vokal, Y, zeigt dann aber bewußtes System eines griechischen ~rfmders'; dieser
Buchstabe gehört allen griechischen und den dav~n abgeleiteten Alphabeten an3 •

67 -+I 1, 20.
68Zu assyrischen und urartäischen Prototypen des griechischen Hoplitenschilds A. Snod-
grass, Early Greek Armour and Weapons (1964) 66f. Gorgonenschild von Karkemis:
L. Woolley, Carchemish II (1921) 128; H. L. Lorimer, Homer and the Monuments
(1950) 191 A 6; Boardman (1981) 55f.; - von 0lympia: E. Kunze 5. Olympiabericht
(1956) 46-9, T. 12-14; - von Delphi: L. Lerat BCH 104 (1980) 103-14. - Zu den
Ida-Schilden -+ Anm. 13.
1 Grundlegend Jeffery (1961); vgl. Guarducci (1967); Die Schrift und die Schriftzeugnisse,

in: U. Hausmann (ed.), Handbuch der Archäologie I (1969) 207-393; Artikelserie 'Dal
sillabario miceneo all'alfabeto greco' in PP 31 (1976) 1-102; zusammenfassend Heubeck
(1979); vgl. I 1, 3.
2 M. P. Nilsson, Opuscula selecta II (1952) 1029-56 (urspr. 1918); Jeffery (1961) 22;

Helck (1979) 165-7.


3 Nach diesem Kriterium ist die seit ca. 725 bezeugte phrygische Schrift von den Grie-

chen entlehnt; gegen R. S. Young Proc. Am. Philos. Soc. 107 (1963) 362-64: Heu-
beck (1979) 78. Für spätere Datierung der phrygischen Funde A. M. Snodgrass, The
Dark Age of Greece (1971) 349f. Als Vermittlungs weg kommt eher die Route Kilikien-
Gordion in Frage als der Weg über die Troas oder gar über Ionien, vgl. I 1, 26.
30 WALTER BURKERT

Für Ort und Zeit der Übernahme der cI>owudluX, wie die Buchstaben nach Hero-
dots Zeugnis genannt wurden4 , gibt es viele feste Anhaltspunkte, doch bleiben
auch Fragen offen, und Neufunde können das Bild verschieben. Die ältesten zur
Zeit bekannten Zeugnisse stammen aus Naxos, Ischia, Athen und Euboia5 und
setzen etwas vor 750 ein. Dies fügt sich aufs beste zu den Handelsbeziehungen
der Iawones von Syrien über Euboia nach dem Westen. Auf Ischia finden sich
die griechischen Graffiti im Verbund mit phönikisch-aramäischen, so daß in Einzel-
fällen die Zuweisung umstritten ist 6 • Eine Komplikation ergibt sich aus der Tat-
sache, daß in den Zusatzbuchstaben gerade das chalkidikische Alphabet (X = (x')
vom attischen (X = (ch') sich unterscheidet; beiden muß doch wohl ein (rotes'
Alphabet ohne Zusatzbuchstaben vorausgegangen sein, wie es auf Kreta, Melos,
Thera belegt ise. Einiges spricht für die Vermutung, daß Cypern als Zwischen-
station eine Rolle spielte: die distinktive Bezeichnung der Buchstaben als cI>OtvtxiJta
setzt sprachlogisch voraus, daß andere ypuJ.LJ.La't'a bekannt waren, von denen die
(phönikischen' abzuheben waren. Dies war einzig auf Cypern der Fall, wo eine
Linearschrift mykenischen Typs dem Griechischen angepaßt worden war8 • Doch
läßt sich ebensowohl auf Kreta verweisen, weniger wegen der phönikischen In-
schrift auf jener Schale, die bereits um 900 in ein Grab bei Knossos kam, als
wegen der besonders engen Beziehungen zu orientalischem Handwerk und orien-
talischen Handwerkern um und nach 800; auf Kreta sind auch früher als andern-
orts Gesetze schriftlich aufgezeichnet worden9 • Doch fehlen bislang auf Cypern
4 Hdt. 5, 58; 1tOtVtxao'tlX<; 'Schreiber' in Kreta: L. H. Jeffery, A. Morpurgo Davies Kadmos
9 (1970) 118-54; SEG 27 (1977) 631.
2
5 Ein Ehrenplatz bleibt der Dipylonkanne (735/25), IG 1 919 = SEG 28 (1978) 36; Heubeck

(1979) 116-8; Boardman (1981) 96f., auch wenn eine Inschrift aus Ischia jetzt als etwas
älter gilt (750/30), Buchner (1978) 135-7, und eine geometrische Scherbe mit Graffito
aus Naxos gar auf 770 angesetzt wird, BCH 106 (1982) 605; 604 fig. 132. Man beachte
die Rolle von Naxos bei der sizilischen Kolonisation um eben diese Zeit. - Lefkandi:
Popham/Sackett/Themelis (1980) 89-92. Vgl. Johnston (1983).
6 Graffito mit liegendem Alpha, P. K. McCarter AJA 79 (1975) 140f., als griechisch bei

Guarducci (1967) 225, Heubeck (1979) 123, aramäisch nach Garbini (1978), Coldstream
(1982) 271. - Griechisches und aramäisches Graffito auf der gleichen Scherbe: Johnston
(1983) 64 fig. 2. Zum 'Nestorbecher' Heubeck (1979) 109-16, vgl. auch A. Landi, Dia-
letti e interazione sociale in Magna Grecia (1971) 225f.
7 Die Farben nach A. Kirchhoff, Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets (1863;

1887 4).
8 Heubeck (1979) 85-7 vgl. 64-70. Eine phönikische Inschrift aus
Kition, 9. Jh., liefert die nächste Parallele zur griechischen Form des Jod/Iota, Coldstream
(1982) 271. Altertümlich klingt der Terminus öup"ÖepaAoHp6<; auf Cypern, Hsch. S.v.
(d 1992). Ältestes griechisches Dokument in kyprischer Silbenschrift: V. Karageorghis
CRAI 1980, 122-36 (11. Jh.).
9 Boardman (1970) 18-23, (1981) 68. Graffito auf einem geometrischen Pithos aus Phaistos,
um 700, Kret. Chron. 21 (1969) 153-70; Heubeck (1979) 125. Zur phönikischen In-
schrift -+ 1, 4.
Die orientalisierende Epoche 31

wie auf Kreta Zeugnisse griechischer Schrift aus dem 8. Jh. Schließlich kann die
griechische Schrift auch in Syrien entwickelt worden sein: soeben ist endlich ein
griechisches Graffito aus Al Mina bekannt geworden, auf einer um 700 datierten
attischen Scherbe lO • Das früher viel gebrauchte Argument jedenfalls, daß die große
Verschiedenheit lokaler griechischer Alphabete eine 1.ange Entwicklung' voraus-
setze, ist von Lilian Jeffery bündig widerlegt worden 11. Die (Entwicklung' oder
vielmehr Vermittlung, einschließlich der Vermittlungsfehler und gewisser Ergän-
zungen, erfolgte überaus rasch innerhalb weniger Jahrzehnte, wenn nicht Jahre,
einschließlich der Weitergabe an die Phryger einerseits, die Etrusker andererseits.
Gelegentlich wird trotzdem noch von semitistischer Seite für ein wesentlich
höheres Alter des griechischen Alphabets plädiert 12 . Einige Details der Buch-
stabenformen werden als Argumente angeführt. Doch sind die Funde phönikisch-
aramäischer Inschriften aus Nordsyrien noch immer zu lückenhaft als daß eine
sichere Abfolge von Buchstabenformen sich erstellen ließe; zudem ist nicht von
den monumentalen Formen der Steininschriften, sondern von kursiven Formen
auszugehen 13. Von griechischer Seite her ist das argumentum ex silentio für die
Zeit vor ca. 770 nachgerade erdrückend: in der noch ständig wachsenden Menge
älterer Keramik, die sich wohl klassifizieren und datieren läßt, ist immer noch
nichts gefunden worden, was nach einem griechischen Buchstaben aussieht, wäh-
rend von 750 an die Zeugnissen der Graffiti rasch dichter werden. Hier scheint
sich eine Explosion zu ereignen; die Epoche zuvor bleibt stumm. Griechische
Schrift im 9. Jh. scheint demnach nach dem Stand der Dinge so gut wie ausge-
schlossen zu sein. Der Ort der Übernahme bleibt vorläufig offen, zumal die grie-
chische Bezeichnung des (Phönikischen' keineswegs besagt, daß Phöniker im enge-
ren Sinn, Einwohner von Byblos, Sidon, Tyros und nicht etwa Aramäer Nord-
syriens die Lehrmeister gewesen sein müßten.
Für die Art, in der die Übertragung erfolgte, gibt es ein unschätzbares, wenn
auch oft übersehenes Dokument: die griechischen Buchstabennamen alpha, beta,
gamma etc. mit ihrer unveränderlichen Reihenfolge. Dies sind bekanntlich semi-
tische, im Griechischen sinnlose Wörter, die nichtsdestoweniger erhalten blieben,
weil eben der Schreib- und Leseunterricht immer mit dem Auswendiglernen
dieser Reihe begann. Dies erklärt zunächst, warum die standardisierte Reihenfolge
in zwei völlig verschiedenen semitischen Konsonantenschriften auftreten konnte,
im ugaritischen Keilschriftalphabet wie im (phönikischen', das jetzt immerhin
auch bereits im 12. Jh. bezeugt ist 14 . In gleicher Weise ist dann sogar über die
10 J. Boardman, An Inscribed Sherd from Al Mina, Oxford Journal of Archaeology 1 (1982)
365-7.
11 Jeffery (1961) 13-16.
12 J. Naveh AJA 77 (1973) 1-8; id. (1979); id. Early History of the Alphabet (1982);
dagegen McCarter (1975); A. Demsky, Tel Aviv 4 (1977) 22f.
13 Johnstone (1978); Coldstream (1982) 271.
14 -+ I 1, 3. Ugaritische Alphabete: KTU 5.6.
32 WALTER BURKERT

Sprachbarriere hinweg immer noch die gleiche Merkwortreihe auswendig gelernt


worden. Mit der vereinfachten Alphabetschrift war zum ersten Mal ein Schrift-
system gefunden, das außerhalb der Zirkel von gelehrten Berufsschreibern ver-
wendbar war. Vom Schreibunterricht im syrisch-palästinensischen Raum läßt sich
eine gewisse Vorstellung gewinnen 15 . Wenn Iosephus feststellt, daß "von allen,
die mit den Griechen verkehrten, die Phöniker am meisten sich der Schrift be-
dienten, für private Wirtschaft wie für öffentliche Arbeiten'~16, so hat dies zu seiner
Zeit schon tausendjährige Tradition. Für jenen (Erfmder', der sich erstmalig dieser
Buchstaben zur Aufzeichnung der griechischen Sprache bediente, ergibt sich: er
hat zumindest eine phönikisch-aramäische Schulstunde mitgemacht, sei es in Syrien
oder auf Cypern, vielleicht auch anderswo bei einem kundigen Auswanderer.
Es läßt sich von hier aus auch die Zufälligkeit der uns zugänglichen Bezeugung
ermessen: die semitischen Buchstabennamen sind im Griechischen nicht vor dem
5. Jh. bezeugt 17 , und doch-müssen sie sofort mit dem Alphabet übernommen
worden sein; ein nachträgliches Eindringen der sinnentlehrten Wortgebilde ist
ganz unmöglich. Zur Gegenprobe kann das lateinische Alphabet dienen, das gerade
diese alte Merkwortreihe nicht tradiert hat; wie die Griechen selbst bei ihren
Zusatzbuchstaben <I> X 'P einen einfachen e-Vokal an den Konsonanten anhäng-
ten und die Vokale - Y Q - für sich klingen ließen, lernten die Latiner und
Römer, und wir nach ihnen, ihr A Be Ce. In diesem Punkte also steht er-
staunlicherweise die griechische Praxis der phönikisch-aramäischen näher als die
lateinische der griechischen.
Die Übernahme der phönikischen Schrift durch Griechen bedeutete also nicht
nur Kopie von Buchstabenformen, sondern Übertragung von Schreibunterricht
und setzt damit einen einigermaßen einläßlichen Kontakt voraus. Darauf weisen
auch die Gegenstände, die in der archäologischen Dokumentation fast nie auf-
tauchen und doch für den Schriftgebrauch nicht minder wichtig sind als einzelne
Graffiti: Schreibtafel und Lederrolle. Alles spricht dafür, daß sie von Anfang an
den Gebrauch der griechischen Schrift begleiten. Dabei hat die Schreibtafel,
öeA:t'oc;, ihren semitischen Namen dauerhaft bewahrt. Daltu, hebräisch daleth,
das semitische Wort für Türe', wird schon in Ugarit für eine Schreibtafel ge-
braucht, wird auch im Hebräischen so verwendees. Hölzerne Schreibtafeln waren in
Mesopotamien so gut wie in Syrien und Palästina in Gebrauch; einige Schreib-
tafeln aus Elfenbein fanden sich im Palast Sargons in Nimrud 19. Im Griechi-

15 Lemaire (1981).
16 C. Ap. 1, 28.
17 I:6:v Pindar Fr. 70b 3; E. Schwyzer, Griechische Grammatik 1(1939) 14Of.
18 Galling (1971); KTU 5.7. - Lachisch I: The Lachisch Letters (1938) 79f.; A. Lemaire,
Inscriptions H6braiques I: Les Ostraca (1977) 11Of. Vgl. Masson (1967) 64;KAINr. 43,12.-
Das akkadische Wort ist /e'u, hebräisch !üalj, aramäisch !ülja.
19 D. J. Wiseman, Assyrian Writing-Boards, Iraq 17 (1955) 1-13; M. Howard, Technical
Description of the Ivory Writing-Boards from Nimrud, ibo 14-20; H. Th. Bossert, Sie
Die orientalisierende Epoche 33

schen ist die ~zusammenklappbare Tafel' als Schriftträger erstmalig bei Homer im
Rahmen der Bellerophontes-Erzählung beschrieben 20 • Für das Wort öeÄ:mc; liefert
Aischylos die ältesten direkten Belege, doch daß öeA't'ot xaAXat speziell als Be-
zeichnung alter Sakralgesetze gilt, dürfte ins 7./6. Jh. zurückftihren21 . Bemerkens-
wert ist die Vokalisierung mit ~e' gegenüber semitischem ~a' in da/tu. Verschie-
bungen in der Vokalfarbung sind bei Lehnwörtern nicht erstaunlich. Doch kenn-
zeichnet die e-Färbung eben den griechischen Buchstaben Delta, der ja das gleiche
semitische Wort wiedergibt, während in der cyprischen Silbenschrift, abgeschirmt
von der griechischen Normalorthographie doch in unmittelbarer Nähe der Phöni-
ker, die Schreibtafel ~korrekt' als daltos erscheint 22 • Die Bezeichnung der Schreib-
tafel und der Buchstabenname gehen zusammen. Dies weist darauf, daß beides
von Anfang an zusammengehört, m.a.W.: die öeA't'oc; ist in Griechenland so alt
wie das Alphabet.
Lederrollen waren als ~Bücher' im phönikisch-aramäischen Raum allgemein in
Gebrauch; im Sonderfall der Thora sind sie es bis heute geblieben. Die ara-
mäischen ~Rollenschreiber' haben sich in der assyrischen Verwaltung bald unent-
behrlich gemacht, auch wenn die Tafelschreiber' mit der altehrwürdigen Keil-
schrift den höhern Rang genossen; so war die Verwaltung des assyrischen Reichs
zweisprachig oder eigentlich zweischriftig 23 • Die Vorzugs stellung des Aramäischen
als Verwaltungssprache setzt sich dann im ~Reichsaramäischen' der Perserzeit fort,
obgleich Darius dem alten Prestige nachgab und auch noch eine persische Keil-
schrift schaffen ließ. Auch die Perser gebrauchen nach wie vor die Lederrollen;
in Persepolis bestand eine Lederrollen-Bibliothek 24 . In Griechenland tritt die
Lederrolle mit der, axu't'IXAll des Archilochos auf25 ; sie dient bei ihm als Brief,
wie die ÖeA't'oC; des Bellerophontes. Herodot bezeugt dann, daß bei den Ioniern
allgemein auch die Papyrus bücher noch öt<plJepCX1" ~Häute' heißen; dazu tritt jetzt
als älteres Zeugnis öt<plJepwv auf einem Geschäftsbrief des 6. Jh. aus Olbia, das

schrieben auf Holz, in: Minoica, Festschr. J. Sundwall (1958) 67-79; H. Hunger, Baby-
lonische und Assyrische Kolophone (1968) 7f.; Heubeck (1979) 143f.
20
11.6, 119-211, vgl. Burkert (1983) 51-3.
21 Aisch. Eum. 275; Fr. 530, 21 Mette; Prom. 789 (übersehen von Masson [1967] 62). -
öthot XCXAXCXt Pollux 8, 128, vgl. R. Stroud, Hesperia 32 (1963) 138-43.
22 O. Masson, Les Inscriptions chypriotes syllabiques (1983 2 ) nr. 217,26. Vgl. auch Masson
(1967) 61-5.
23 Wendel (1949). Der akkadische Terminus für den 'Rollen-' oder 'Übersetzungsschreiber',
sei/ru, ist ein aramäisches Fremdwort, AHw 1036b. Ein neues zweisprachiges Doku-
ment aus Nordsyrien, 8. Jh.: A. Abou-Assaf, P. Bordreuil, A. R. Millard, La statue de
Tell Fekjerye et son inscription bilingue assyro-arameenne (1982).
24 Ktesias bei Diod. 2, 32, 4; R. A. Bowman, Aramaic Ritual Texts from Persepolis (1970)
17-19. - Fund aramäischer Lederrollen in Ägypten: G. R. Driver, Aramaic Documents
of the Fifth Century B.C. (1954).
25 Fr. 185 West.
34 WALTER BURKERT

als (Hauptbuch' mit der ad hoc verwendeten Bleifolie, l-loÄtßöiov, kontrastiert 26 •


Es ist kaum ein Zufall, daß im 5. Jh. gerade Orakelbücher als öupfiepat erschei-
nen 27 • Als die Kontakte mit Ägypten reger wurden, hat sich Papyrus, billiger und
leichter, als Schriftträger durchgesetzt, frühestens seit der Epoche Psammetichs,
wahrscheinlich erst mit den Niederlassungen in Naukratis um 600. Daß der
Durchbruch zur Schriftlichkeit auch noch in Ionien vor dieser Epoche liegt, ist
in der Sprache gespiegelt. Charakteristisch scheint im übrigen die durchgehende
Verwendung von Deminutiva für die Schreibmaterialien zu sein: öeÄnov öupfieptov
l-loÄtßöiov ßtßÄiov.
Akkadische Keilschrift, aramäisch-phönikische und griechische Alphabetschrift
stellen im 8. Jh. ein Kontinuum der Schriftkultur vom Euphrat bis Italien her.
Keilschrifttafeln fmden sich noch in Tarsos, wo doch auch schon Griechen zu-
gegen waren. Weiter östlich, in Guzana, wickelt der gleiche Kaufmann seine Kor-
respondenz teils in Keilschrift, teils aramäisch ab 28 • Daß die Zusammenhänge über
Geschäftsbücher hinausreichen, hat Carl Wendel anhand der (Buchbeschreibung'
aufgezeigt: insbesondere die Praxis der subscriptio, die Angabe von Autor und
Titel am Ende des (Buchs' stimmt detailliert und ausschließlich mit der Anlage
der Keilschrifttafeln überein und ist von diesen herzuleiten, wobei aramäische
Lederrollen als Zwischenglieder anzunehmen sind 29 • Hier freilich zeigt sich am
deutlichsten der katastrophale Zufall der Überlieferung: die gesamte aramäisch-
phönikische Literatur ist mitsamt ihrem vergänglichen Schreibmaterial unterge-
gangen, mit Ausnahme jenes seinerzeit eher provinziellen Ablegers in Israel, der
als Heilige Schrift erhalten blieb. Daß überhaupt literarische Keilschrifttexte auf
aramäische Lederrollen-Literatur eingewirkt haben, dafür gibt es immerhin zwei
Anhaltspunkte: Der einzige kümmerliche Rest aramäischer profaner Literatur liegt
im Achiqar-Fragment aus Elephantine vor. Der Achiqar-Roman, der durch die
späteren, vor allem die aramäisch-syrische Bearbeitung seit je bekannt war, spielt
in Assyrien zur Zeit des Königs Sanherib, ja verwendet möglicherweise historische
Namen. Die Komposition selbst entstand aller Wahrscheinlichkeit erst nach der
Katastrophe von Ninive, doch steht sie noch ganz unter dem Eindruck der As-
syrerzeit; die Verbreitung des Textes zeugt von der kontinuierlichen Tradition von
Mesopotamien über Syrien nach Palästina und Ägypten30 • Vielleicht noch wichtiger

26 Hdt. 5, 58; J. G. Vinogradov, Olbia. Xenia, Konstanzer althistorische Beiträge und For-
schungen 1 (1981) 19; lloAtßöiov SEG 26 (197617) 845 rev.
27 Eur. Fr. 627; Sprichwort apxato-eepa -efic; öupl1epac;. Diog. 3, 2 (Paroemiogr. Gr. I 214);
vgl. Zenob. 4, 11; Porphyrios Schol. B 11. 1, 175. Zu öupl1epaAoupoc; Anm. 8.
28 J. Friedrich, G. R. Meyer, A. Ungnad, E. Weidner, Die Inschriften vom Tell Halaf (1940)
47 (m. 101-6) und 70-78 (m. 1-5). Zu Tarsos -+ 11 2, 7; 11 4, 6.
29 Wendel (1949).
30 F. C. Conybeare, J. Rendell Harris, A. Smith Lewis, The Story of Al;liJ.<:ar from the
Aramaic, Syriac, Arabic, Armenian, Ethiopic, Old Turkish, Greek and Slavonic Vers ions
(1913 2 ; 1898 1 ohne den aramäischen Text); F. Nau, Histoire et sagesse d'Achikar l'As-
Die orientalisierende Epoche 35

ist, daß unter den Resten aramäischer Lederrollen aus Qumran, in einem Frag-
ment des aramäischen Henoch-Buchs, als mythischer Riese Gilgames auftauche l :
von der Hauptperson des bedeutendsten Werks der Keilschrift-Literatur ist ein
Nachhall noch im aramäischen Schrifttum des 3. Jh. geblieben. Auf irgendeinem
Weg ist der Name Gilgamos ja auch zu den Griechen gelangt 32 .
Um vorsichtig zu sein: auch wenn Beziehungen der aramäisch-phönikischen
Lederrollen-Literatur zur griechischen Literatur feststehen, müssen sie nicht über
griechische öt<pßepat des 8. Jh. v. ehr. gelaufen sein. Hauptzeugnis eines viel
späteren Kontaktes ist die Septuaginta; doch auch die griechische Bearbeitung
des Achiqar-Romans, die in der Äsop-Vita vorliegt, ist wohl erst in hellenistischer
Zeit entstanden33 ; die Händler und Schmiede im Umkreis von Pithekussai dürf-
ten sich kaum um Bücher im literarischen Sinn gekümmert haben - und doch
stellt die Inschrift des Nestor-Bechers auch diese negative These wieder in Frage.
Jedenfalls ist die Behauptung, die Griechen hätten nur das pure Alphabet und
sonst nichts von den (Phönikern' übernommen, sie hätten die weiteren Errun-
genschaften ihrer Schriftkultur ganz selbständig geschaffen34 , mit Zurückhaltung
aufzunehmen. Zumindest Schreibtafel und Lederrolle gingen mit der Schrift ein-
her, und sie prägten den Begriff des Buchs; nichts begann mit tabula rasa. Im
übrigen ist gerade auf diesem Gebiet der semitischen Schriftkultur so viel so
vollständig verlorengegangen, daß eher mit reicheren und dichteren Beziehungen
zu rechnen ist als dies sich aus den kümmerlichen Resten erweisen läßt. Jeder
Neufund in diesem Jahrhundert, sei es in Elephantine oder Qumran, in Kara-
tepe oder Deir~a35 hat neue, oft unerwartete Verbindungen ans Licht gebracht.
syrien (1909); der Text aus Elephantine: E. Sachau, Aramäische Papyrus und Ostraka
aus einer jüdischen Militär-Kolonie zu Elephantine (1911) 147-82, T. 40-50; A. Ungnad,
Aramäische Papyrus aus Elephantine (1912); dazu E. Meyer, Der Papyrusfund von Ele-
phantine und seine Bedeutung (1912) 102-28; Th. Nöldeke, Untersuchungen zum Achiqar-
Roman, Abh. Göttingen N.F. 14, 4, 1913; A. Hausrath. Achiqar and Aesop, SBHeid.
1918, 2. Neue Übersetzung: P. Grelot, Documents arameens d'Egypte (1972) 427-52.
Erwähnt ist Achiqar im Buch Tobit 14, 10.
31 GLGMS, J. T. Milik, The Books of Enoch (1976) 313 (3. Jh. v. Chr.). - Zu akkadi-
scher religiöser Tradition bei Aramäern vgl. Lipinski (1976).
32 Ael. n. an. 12, 21.
33 Rodriguez Adrados (1979) 290-3, 674f., 680-7; id. QUCC 30 (1979) 93-112. Doch ist
'Axixapoc; spätestens seit Theophrast (D. L. 5, 50) den Griechen bekannt; Demokrit
B 299 = Clem. Str. 1, 69, 4 ist apokryph. Unsicher Poseidonios Fr. 133 Theiler = Strab.
16 p. 762 'AXaixopoc;, napa. BoonoP1lvoic;.
34 J. Goody, J. Watt in: J. Goody (ed.), Literacy in Traditional Societies (1968) 42. Vgl. 111.
35 J. Hoftijzer, G. van der Kooi), Aramaie Texts from Deir cAlla (1976); vgl. W. Burkert in:
D. Hellholm (ed.), Apocalypticism in the Mediterranean World and the Near East (1983)
246. Zu Mopsos und Karatepe -+ 11 2, 31. Auf literarischer Abhängigkeit griechischer
Literatur vom Orient bestand Dornseiff (1937); vgl. auch West (1968) und (1978); zu
direkt D. Fehling, Zur Funktion und Formgeschichte des Proömiums in der älteren
griechischen Prosa, in: Dorema H. Diller zum 70. Geburtstag (1975) 61-75.
36 WALTER BURKERT

4. Zum Lehnwörter-Problem

Das deutlichste und anhaltendste Zeugnis ftir kulturellen Einfluß ist in der
Sprache aufgehoben. Was das Christentum, die römische Zivilisation und die
griechische Bildung ftirs Abendland bedeutet hat, spricht immer noch aus unserer
gegenwärtigen Sprache. Anders scheint es mit dem Griechischen zu stehen, es
erweckt den Eindruck einer von keinem Fremden getrübten Reinheit. Dies wird
nicht ohne den Anschein der Berechtigung als Argument gegen die Hypothese
tiefergreifender Einflüsse des (Orients' verwendet: wenn enger Kulturkontakt zum
semitischen Osten je bestand, müßte dies in einer Fülle von semitischen Fremd-
und Lehnwörtern sich verraten 1. Dies ist offenbar nicht der Fall, womit die Hypo-
these als widerlegt zu gelten hat.
Doch ist zu differenzieren. Es gibt anerkannte semitische Lehnwörter im vor-
hellenistischen Griechisch, darunter so wichtige wie IJ.vä die (Mine', grundlegende
Gewichts- und Geldeinheit; xavwv der (Maßstab'; ÖEA:WC; die (Schreibtafel'. Sie
zeugen mit aller wünschenswerten Deutlichkeit vom Handels-, Handwerker- und
Schriftverkehr in der orientalisierenden Epoche.
Die Tatsache freilich, daß die Beschäftigung mit der griechischen Sprache seit
bald zwei Jahrhunderten den Indogermanisten zufällt, droht die Perspektiven zu
verzerren. Als (Etymologie' eines griechischen Worts gilt in den einschlägigen
Lexica per defmitionem eine indogermanische Etymologie; dabei wird auch ent-
legenes, etwa armenisches oder litauisches Sprachgut mit Liebe beigebracht;
mögliche Entlehnungen aus dem Semitischen aber werden, als uninteressant,
allenfalls ungenau angegeben und nicht weiter verfolgt. Zwar ist bekanntlich
ein Großteil des griechischen Wortschatzes ohne sichere indogermanische Etymo-
logie; doch pflegt man lieber mit ägäischem Substrat oder anatolischen Parallelen
zu rechnen2, weithin unbekannte Größen, statt die wohlbekannten semitischen
Sprachen heranzuziehen. Beloch wollte gar den rhodischen Zeus Atabyrios von
Atabyrion = Tabor trennen zugunsten vager anatolischer Anklänge 3 • Hier war der
Antisemitismus manifest; sonst mag er nicht selten im Verborgenen wirken. Die
angesehensten Indogermanisten haben sich erstaunliche Fehlurteile geleistet: die
Zahl der semitischen Lehnwörter im Griechischen sei "ganz verschwindend ge-
ring" - so Debrunner -, ja sie erreiche nicht einmal die Zehnzahl - so Meil-

1 Z.B. Vermeule (1971) 185f. "If eastern influence had been comparatively recent, one
might expect the seams to show, or names and terms to have been merely transliterated
from another language".
2 Vgl. Einleitung bei Anm. 15. 'Substratwörter' wird man bei mediterranen Charakteristika
wie (Wein' (semit. wajn, hebr. jajn: Brown [1969] 147-51) oder (Rose' (arab. ward, aram.
werad: Brown (1980) 11; 19,1) annehmen.
3 RhM 49, 1894, 130, "einleuchtend" nach Hiller v. Gärtringen RE 11 1887. --+ I 2, 15.
Die orientalisierende Epoche 37

let4 -; allein schon die 15 semitischen Buchstabennamen sind dabei vergessen.


Emilie Masson hat dann in ihrer durchaus restriktiven, kritischen Arbeit (1967)
immerhin 37 sichere und 12 mögliche semitische Wörter im Griechischen fest-
gestellt, Szemerenyi konnte mit leichter Hand ein weiteres Dutzend hinzufügen;
an weiteren Versuchen fehlt es nichts. Manches davon bedarf der Überprüfung,
anderes wird noch zu fmden sein. Soviel steht fest: die semitischen Lehnwörter
im Griechischen sind durchaus vorhanden.
Freilich haben entdeckungsfreudige Dilettanten in diesem Bereich viele Unvor-
sichtigkeiten begangen, während der Minimalismus der Kritiker den Vorteil
strenger Methodik genießt: hier strenge Lautgesetze, dort die verdächtigen Kling-
Klang-Etymologien. Doch eben die Methode ist hier das Problem. Das Griechi-
sche, zumindest das literarische Griechisch, das wir kennen, ist gegenüber unan-
gepaßten Fremdwörtern ausgesprochen abweisend; allenfalls in assimilierter Form,
als Lehnwörter, an Lautbestand und Flexion voll angepaßt, werden sie zugelas-
sen. Nun gibt es aber schlechthin keine Methode, Lehnwörter aufzudecken: sie
treiben Mimikry, indem sie sich nach einheimischen Bedeutungsträgern und Suf-
fixen richten, und können in der Regel nur von Fall zu Fall auf Grund ent-
sprechend detaillierter Dokumentation dingfest gemacht werden6 . Wer sieht es der
deutschen (Hängematte' an, daß das Wort aus einer Indianersprache stammt?
Erst auf den zweiten und dritten Blick wird auch dem Laien einleuchten, daß
es doch eigentlich keine (Matte' ist, was da (hängt'. Hier spielt die volksetymo-
logische Umdeutung; es lassen sich keine Lautgesetze aufstellen, und auch die
Bedeutungsentsprechung ist selten perfekt, halbe Mißverständnisse sind durchaus
zu erwarten. So scheint der Fall fürs 8. Jh. v. Chr. vollends hoffnungslos zu we-
den: die griechische Dokumentation ist spärlich, zudem fast ganz auf den sehr
speziellen Bereich der epischen Kunstsprache beschränkt, die aramäisch-phöniki-
sche Dokumentation ist größtenteils verloren. Freispruch aus Mangel an Beweisen
wird im Einzelfall immer wieder das Ergebnis der Untersuchung sein - und doch
ergibt dann die allgemeine Wahrscheinlichkeitsüberlegung, daß ein so gewonne-
nes Resultat des Minimalismus absolut falsch sein muß. Die Mafia der Lehn-

4 O. Hoffmann, A. Debrunner, Geschichte der griechischen Sprache 13 (1953) 18; «n'atteint


sans doute pas la dizaine» A. Meillet, Apen;u d'une histoire de la langue grecque (1935 4 )
56 = (1965 7) 59; "ein schwaches Dutzend" in der deutschen Übersetzung, Geschichte
des Griechischen (1920) 56.
5 Masson (1967) mit Übersicht über die älteren Studien (11-18); ferner Hemmerdinger
(1970); Krause (1970) (unselbständig); Brown (1965); (1968); (1969); Salonen (1974);
Szemerenyi (1974) und Gnomon 53 (1981) 113-6.
6 Vgl. L. Deroy, L'emprunt linguistique (1965); R. Schmitt, Probleme der Eingliederung
fremden Sprachguts in das grammatische System einer Sprache, Innsbrucker Beiträge
zur Sprachwissenschaft 11, 1973. Als Beispiel für die Vielschichtigkeit und Vielgestaltig-
keit kultureller Entlehnungen vgl. H. u. R. Kahane, Byzantium's Impact on the West:
The Linguistic Evidence, Illinois Classical Studies 6 (1981) 389-415.
38 WALTER BURKERT

wörter bleibt, getarnt, durchaus vorhanden. Eine gewisse Chance, über Kling-
Klang-Spiele hinauszukommen, liegt darin, Komplexe ins Auge zu fassen, entweder
Namen in Verbindung mit konkreten Gegenständen bzw. Techniken oder aber
Gruppen zusammengehöriger Bezeichnungen. Darüber hinaus können sehr spezi-
fische, besonders mehrsilbige Klangkörper und spezielle Bedeutungsstrukturen
auch in der Isolation überzeugende Verbindungen herstellen, weil dann die Wahr-
scheinlichkeit zufälligen Gleichklangs überaus klein wird.
Überblickt man die Listen anerkannter semitischer Lehnwörter im Griechischen,
tritt ein weiteres Stereotyp hervor: gern zugegeben wird die semitische Herkunft
von Termini des Handels und Handelsgütern 7 ; eher ausgeblendet bleiben - was·
doch die historischen Zusammenhänge nicht minder erwarten lassen - die Be-
reiche des Handwerks, des Kriegswesens, der Schriftkultur. So bestätigt sich ein
im Grund antisemitisches Vorverständnis vom Wesen des Semitischen.
Gewiß, die Liste semitisch benannter Handelsgüter ist imposant 8 • Xpuao<;; und
Xn:wv sind dabei die beiden wichtigen Entlehnungen, die bereits im Mykenischen
bezeugt sind und so rur bronzezeitlichen Wirtschaftsaustausch zeugen. Ähnlich
sind Stoffe wie OlVÖWV, ofiovll, ßuaao<;; zu den Griechen gelangt und natürlich
arabische Spezialitäten wie Atßavo<;; und Iluppa, dazu vapöo<;;, xaata, xavvaßt<;;,
xlVvallWIlOV, va<pfia, vhpov, ferner xpoxo<;; und ai]aallov. Vielleicht gehört dazu
auch die Bezeichnung rur (salben, eincremen', Atna uAei<peafiat 9 • Das akkadische
(Feinmehl', samidu, ist zu aelltÖaAt<;; geworden und lebt so nicht nur im Neu-
griechischen, sondern über lateinisch simila auch in der bayerischen (Semmel' fort lO •
Dazu kommen Gefäßnamen wie xaöo<;;, OlnUll und - am geläufigsten - AeXaVll;
hier spiegelt, gegenüber aramäisch laqna, die Volksetymologie ein geläufiges grie-
chisches Sufftx vor ll . Wenn uAaßa01:pov mit akkadisch algameSu, hebräisch älgabis
zusammengestellt wird, stimmen die Konsonanten nur noch von ungefähr; bei
allapayöo<;;, akkadisch barraqtu, aramäisch bar qa, sanskrit marakatam, scheint es
vollends aussichtslos, den Weg des Wortes durch die orientalischen Basare zu
verfolgen 12. Deutlicher wäre XaAXll rur eine Art Purpur 13 , was vom Handel auch
7 E. Boisacq, Dictionnaire etymologique de la langue grecque (1916) VII: «l'influence se-
mitique ... bornee a l'adoption ... de quelques termes commerciaux»; A. Meillet, Ge-
schichte des Griechischen (vgl. Anm. 4) 55; Masson (1967) 114, die (47f.) zwar xawa,
nicht aber xavwv behandelt.
8 Das Folgende, soweit nicht anders angegeben, nach Masson (1967). Dort fehlen die Anm.

9, 10, 11, 16, 19,21-26, 31, 32, 33, 36 genannten Wörter.


9 Zu der erstarrten Form Aina können die Indogermanisten Vergleichsmaterial liefern

(Chantraine [1968/80] 642), aber 'Fett' heißt gerade akkadisch lipu (Akkusativ lipo) und
wird besonders auch in der Magie verwendet, AHw 555.
10 Vgl. Szemerenyi (1974) 156; Chantraine (1968/80) 996.

11 Salonen (1974) 143.

12 J. Tischler Glotta 56 (1978) 60f. - Vgl. Chantraine (1968/80) 1026.

13 Das semitische Wort ist aber nur erschlossen: G. Garbini Riv. di Studi Fenici 3 (1975)

15f.
Die orientalisierende Epoche 39

aufs Handwerk weist; xuavoc; als blaube Farbe dagegen wird vom hethitischen
kuwanna hergeleitet 14 • Wie komplex die Beziehungen sein können, zeigt der Fall
xauvuxTJC; ~Wollmantel': das Wort ist persisch und wurde sowohl ins Akkadische
als auch ins Griechische entlehnt 15 , wobei der Anklang an vuxoc; ~Schaffell' seine
Rolle gespielt haben mag.
In den lebendigen Handel führt, neben dem SchiffyauAoc;, dem unentbehrlichen
Sack auxxoc; und dem Markt IJ.UXeAAOv 16 , vor allem die schon erwähnte ~Mine'
mana, IJ.Va 17 , dazu das wichtige Wort für ~Anzah1ung', ~Depositum', appaßwv.
Die ~Mine' ist eine der geläufigsten griechischen Gewichts- und Geldbezeichnun-
gen geworden, ohne doch den Stempel ihrer mesopotamischen Herkunft zu ver-
lieren: hier, und zunächst nur hier, ist das babylonische Sexagesimalsystem ins
Griechische übernommen worden. Die nächsthöhere Einheit von 60 Minen, das
Talent, hat freilich seinen altgriechisch-indogermanischen Namen, der indirekt
auch im Mykenischen bezeugt ist. Dagegen fmdet sich im mykenischen Maß- und
Gewichtssystem, das gut bekannt ist, von ~Mine' und Sexagesimalsystem keine
Spur. Hier liegt also eine sichere nachmykenische Entlehnung vor, die für die
griechische Wirtschaft fundamental geworden ist; sie verweist auf den Handelsweg
von Nordsyrien nach Karkemis am Euphrat.
Vermutlich gehen die Beziehungen weiter als strikt zu beweisen ist. Die ~Mine'
war vor allem das Gewicht zum Abwägen von Silber. Aus Zincirli stammen Silber-
barren, ~Minen' von offenbar standardisiertem Gewicht, in die der Name des
Königs Barrakib (732-720) eingeritzt ist 18 ; es handelt sich um bemerkenswerte
Vorläufer geprägten Geldes. Solches ~Einritzen' heißt auf akkadisch harasu, auf
griechisch xapu~at 19; das griechische Wort wird dann in der 2. Hälfte~ de; 7. Jh.
zum Terminus für die Münzprägung, obwohl dabei nicht eigentlich die Münze,
sondern allenfalls der Münzstock, der nun xapaxTIjp heißt, ~geritzt' wird. Die Ter-
minologie weist also auf ein Verfahren zurück, das dem ~Sch1agen' der Münzen
vorausliegt und für das eben die Talente' von Zincirli die Anschauung liefern.

14 Chantraine (1968/80) 594.


15 Chantraine (1968/80) 212.
16 Chantraine (1968/80) 660.
17 Masson (1967) 32-4. Standardgewicht war die Mine von KarkemiS, Oppenheim (1967/9)
239, 8. - Zu .UAUV''COV Chantraine (1968/80) 1089.
18 Sendschirli V 119ff., T. 58; zur Diskussion, inwieweit es sich um eine Vorform von
Münzprägung handelt, M. S. Balmuth, AJA 67 (1963) 208; id. in: D. G. Mitten et al.
(ed.), Studies pres. to G. M. A. Hanfmann (1971) 1-7; N. F. Parise, Dialoghi di Archeo-
logia 7 (1973) 382-91.
19 Erwähnt LSJ, nicht bei Masson (1967); «hypothese ... en tout cas aberrante» Chantraine
(1968/80) 1247. Semitisch 1J ist im Alphabet als h übernommen, doch akk. 1Jura~u ent-
spricht xpuaoc; (vgl. Septuaginta IJam = Xuj.L; wieder anders der Bergname IJazzi =
Kuawc;; Hemberg [1950] 129; 320). lfarä~u für 'einritzen' = 'schreiben': Gilgames I 1, 8.
40 WALTER BURKERT

Zufall oder Entlehnung? Vom gleichen Stamm bildet das Akkadische den Namen
für den Befestigungsgraben, ~arl~u, während griechisch der Pallisadenwall oder
auch der einzelne Schanzpfahl xapa~ heißt; solch eine Verbindung zweier nicht
natürlicherweise benachbarter Bedeutungsfelder in zwei verschiedenen Sprachen ist
zumindest aufallend. Angefügt sei die Beobachtung, daß die distributive Verwen-
dung der Präposition ava im Griechischen zumal in Verbindung mit Zahlen,
Jeweils', von der Grundbedeutung (hinauf recht weit abliegt, aber gerade mit der
entsprechenden Verwendung der akkadischen Präposition ana zusammenfallt 20 .
Fassen wir hier syrischen Kaufmanns-Slang, wie ja auch das französische a in
deutsche Rechnungsbücher eingedrungen ist?
Zurück zum Sicheren, Anerkannten: Für den Bereich der Handwerker tritt
als deutlichste Entlehnung das Wort xavwv ein. Gewiß ist das allgemeinere Wort
für Schilfrohr, canna, in der ganzen mediterranen Welt geläufig; aber die spezielle
Verwendung als Meßrohr, akkadisch qan mindati, hebräisch qane hammiddah, ist
so gut bezeuge 1 , daß niemand annehmen wird, die Griechen seien von sich aus
und unabhängig auf diesen Gebrauch von Schilfrohr verfallen. Damit allerdings
erweist sich ein Grundbegriff der Baukunst als importiert. Dazu kommen 't"havoc;
(Kalk,22 und ytnllOv (Gips,23, vor allem aber der Lehmziegel1tAtvßoc; aus akkadisch
libittu, *libintu 2\ so hat auch das Grundwort mesopotamischer Architektur seinen
Weg nach Griechenland gefunden. Wie die Germanen offenbar erst von den
Römern lernten, eine feste (Mauer' im Gegensatz zur lockeren (Wand' zu bauen,
haben die Griechen von östlichen Baumeistern das rechte Mauern nach Maß mit
Ziegel, Kalk und Gips gelernt. Auch das Wort für (Axt', a~tv'Tl, klingt mit akka-
disch hassinnu zusammen 25 , und das nachmals so berühinte Wort für (Bude'
oder (Zeit'" axava, ist offenbar ein assyrisch-aramäisches maskanu 26 ; nur ob dies
eher aus dem Handwerker- oder dem Soldatenbereich stammt, bleibt fraglich.
Was die Handwerker betrifft, wird auf die charakteristische Bezeichnung als (Söhne
der Handwerker' zurückzukommen sein 27 • Möglicherweise ist das stolze Wort

20 AHw 48a. Zum distributiven <xva Th. Horovitz, Vom Logos zur Analogie (1978) 137-44.
21 AHw 898 vgl. 650. Entlehnungen von qanu "höchstwahrscheinlich durch mehrere ana-
tolische Sprachen" behauptet H. Kronasser Kratylos 7 (1962) 163.
22 ,fidu 'Lehm' AHw 1391, 1) "zum Bauen und Verputzen", hebr. lij; nicht erwähnt in den
etymologischen Lexika von Boisacq, Frisk, Chantraine s. v.•havoc; oder bei Masson
(1967). Zur Assoziation mit den 'Titanen' --+ 111 1 Anm. 28/9.
23 Salonen (1974) 139; AHw 282 gassu.
24 Brown (1968) 182; Szemerenyi (i974) 149; Stamm labanu (AHw 522) 'streichen'.
25 Hemmerdinger (1970) 45; AHw 332. Salonen (1974) 144 stellt auch a<pf]v 'Keil' mit akk.
supplnu zusammen, doch ist nach AHw 1060 die Bedeutung dieses Wortes unsicher.
26 Szemerenyi Gnomon 53 (1981) 114; maskanu assyrisch, aramäisch 'Zelt' AHw 627.
Stamm sakanu 'aufstellen'; hebr. miSkan.
27 --+ 11 1, 30.
Die orientalisierende Epoche 41

xel.pwva~ für den Handwerker eine Lehnübersetzung aus späthethitischem Be-


reich 28 . Die Bezeichnung des Metallbarrens, a6Aoc;;, weist in eben diese Richtung 29 .
So ergibt sich denn im handwerklichen Bereich auch vom Sprachlichen her ein
Bild, das mit dem archäologisch faßbaren Einströmen orientalischer Techniken
und Produkte im 8. Jh. durchaus zusammenpaßt. Für den Einfluß östlicher Ikono-
graphie mag man noch festhalten, daß nicht nur der Löwe A'iC;;30, sondern auch
der Stier 1:aupoc;;31 einen semitischen Namen trägt. Das Beispiel1tAtvßoC;;-libittu
zeigt freilich wieder, wie stark die Umformung, ja Verballhornung des Grund-
wortes sein kann: es ist hier eher der Gegenstand als das Wortbild, was die Ent-
lehnung plausibel macht. Vieles wird in der Grauzone des Unbeweisbaren ver-
bleiben, zumal die Terminologie der frühen Handwerker auch im Griechischen
uns nur ganz lückenhaft bekannt ist.
Dies gilt auch für jenen anderen Bereich, in dem Kontakte sicher bestanden,
für Söldnerwesen und Militär überhaupt. Es gibt im Vokabular manchen sugge-
stiven Anklang, doch keines der vermuteten Lehnwörter hat allgemeine Aner-
kennung gefunden. Zu nennen wäre das Sichelschwert &p1tll neben aramäisch
harba 'Schwert'32, vielleicht auch axuAov für die BeutewafTe 33, ja sogar f.UXXll
'Schlacht' neben llaxeaaaaßal. entsprechend dem gemeinsemitischen Wort für
'Schlagen', akkadisch maha~u neben aramäisch maha34 ; hier könnte die vom
Griechischen her gesehen ganz irreguläre Stammbildung auf äußeren Einfluß
weisen. Dann läßt sich auch der griechische Kampfruf eXAaA& mit dem entspre-
chenden akkadischen Ruf alala - und letztlich also auch mit 'Halleluja' - zu-
sammenstellen35 . Daß hellenische Krieger von einem 'semitischen' Vorbild ab-
28 Szemerenyi (1974) 156, Gnomon 43 (1971) 647 verwies auf akk. bel qiiti 'Herr der Hand'.
Nun heißt aber bel qatiite ('Herr der Hände') im Akkadischen 'Bürge', AHw 120. Da-
gegen ist im Hethitischen die sumerisch-akkadische Schreibung EN (= belu) qiiti mit der
Bedeutung 'Handwerker' bezeugt, J. Friedrich, Hethitisches Wörterbuch (1952) 271.
Das zugrundeliegende hethitische Wort kann also direkt oder indirekt Vorbild der
griechischen' Prägung geworden sein.
29 Laroche (1973); zu Ortsnamen Soloi ->- I 2, 13.
30 Masson (1967) 86; Aewv, bereits mykenisch, hängt mit Ägyptischem zusammen, 1. C. Billig-
meier, Talanta 6 (1975) 1-6.
31 Brown (1969) 159-164: aramäisch tawr(u} (hebr. sär). Trotz der genauen Entsprechung
im Aramäischen meint Chantraine (1968/80) 1097: « il n'y a pas lieu ... d'evoquer les
formes semitiques».
32 Hebr. ~äräb; Brown (1968) 178-82; doch gibt es für &p1tT] eine befriedigende indo-
germanische Etymologie, Chantraine (1968/80) 114.
33 Szemerenyi Gnomon 53 (1981) 115.
34 Zu aram. mahii neben mahas L. Köhler, W. Baumgartner, Hebräisches und aramäisches

Lexikon zum~ Alten Testa~'ent' 3(1974) 541; 537; llaXOIlCtl hat keine indogermanische
Etymologie, und «la structure de llaxeaaaaÜ'at reste obscure», Chantraine (1968/80) 674.
35 aliilu "ein Arbeitsruf' AHw 34. Ausrufe können unabhängig entstehen (Chantraine
[1968/80] 53); aber 'Hurra' hat eine germanische Etymologie und ist in andere Sprachen
(russisch) entlehnt worden.
42 WALTER BURKERT

hängig seien, dürfte eine für manchen noch ganz inakzeptable Vorstellung sein;
doch historisch gesehen geht die Militarisierung der Assyrer der griechischen
Polis voraus, und was die Waffentechnik, insbesondere den Hoplitenschild betrifft,
ist Anregung vom Osten offenbar36 .
Die Suche nach orientalischen Entlehnungen in den Namen der griechischen
Mythologie steht, dem Gegenstand entsprechend, auf besonders unsicherem
Grund 37 ; auch bei Termini der rituellen Praxis ist äußerste Vorsicht am Platze.
Hinweise auf solche Möglichkeiten sollen im folgenden 38 immer nur als Möglich-
keiten und gleichsam als Illustration gegeben werden; als selbständige Argumente
sind sie nicht zu verwenden. Es bleiben ungeklärte Verhältnisse mannigfacher
Art - auch griechisch nuÄÄuxi] (Nebenfrau' neben hebräisch-aramäisch pilleges/
pilaqta gehört dazu 39 . Und doch: der Minimalismus, der sämtliche Beziehungen
zu Semitischem abstreitet, ist aufs ganze gesehen die unwahrscheinlichste der
möglichen Hypothesen.

36 -+ I 2, 67.
37 Am weitesten ging Astour (1965). Besonders bemerkenswert bleibt Iapetos/Japhet
(West [1966] 202f.), aber auch Nereus/akkad. nQru (hebr. nahar) 'Fluß'. Zu Asgelatas
-+ II 7, 8; Tethys -+ III 1,15; Lamia -+ II 9,10; Titanen -+ III 1, 28/9.

38 Zu haruspex -+ II 2, 24; xaßaipw, AUJ.La, apa -+ II 4, 46/8; "EJ.Lßapo«;; -+ II 6, 8.


39 Brown (1968) 166-69; «l'hypothese d'un emprunt semitique ... n'est acceptee par per-
sonne» Chantraine (1968/80) 854.
11. MANTIN H IHTHPA KAKQN:
. Ostwestliche Magie und Medizin

1. Mobilität und Familienmodell

Seher und Arzt nennt Homer an erster Stelle unter den wandernden (Hand-
werkern', um die der Demos sich bemüht. Sie sind Spezialisten besonderer Art,
sie haben eine (Kunst', Techne, die kein anderer ~ann'. Seher und Arzt sind
dabei vor der hippokratischen Wende, die in der Streitschrift Von der Heiligen
Krankheit' dokumentiert ist, ganz eng miteinander verbunden; Seher und Heiler
erscheinen in der Personalunion des 'tEAEonxoc;; XUt ~uvnxoc;; ßiOC;;l. Das aufkläre-
rische Vorurteil gegen alle (Charlatane' darf nicht darüber hinwegtäuschen, wie
wichtig Formen ritueller, religiös begründeter Therapie in urtümlichen Gesell-
schaften waren. Daß damit in Einzelfällen erstaunliche Erfolge erzielt werden,
wird heute kaum bestritten, und auch Seher mit mannigfacher Techne haben
durchaus Konjunktur.
"Der das Heilige zur Techne macht", 6 'tEXVll~ 1totOU~EVOC;; 'ta iEpii, dies ist die
prägnante Bezeichnung, die der Derveni-Papyrus für einen Spezialisten der priva-
ten Weihen liefert. Entsprechend nennt Strabon "die dionysischen und orphi-
schen 'tEXVUt", während für den hippokratischen Polemiker ein solcher Techniker'
vielmehr ein (Banause' istl. Auch er freilich gibt an, daß wandernde Seher und
Heiler als Träger eines (Wissens' auftreten. In der Tat wurden und werden Cha-
rismatiker als erfolgreiche (Spezialisten' zu weitum gesuchten Persönlichkeiten,
die noch leichter und weiter ausgreifend Grenzen überschreiten können als die
Handwerker schlichterer Art. Als mobile Träger grenzüberschreitenden Wissens
verdienen die wandernden Charismatiker daher für die Frage nach Kulturkon-
takten besondere Aufmerksamkeit; sie stellen in früher Zeit die geistige Elite dar,
und die ist alsbald internationae.

1 PI. Phdr. 248d. Moderne Sicht des Verhältnisses von Magie und Wissenschaft bei
G. E. R. Lloyd, Magie, Reason and Experience, Studies in the Origin and Develop-
rnent of Greek Science (1979). Zu den 'Handwerkern des Heiligen' Burkert (1982a). -
Horner Od. 17, 383f.
2 Pap. Derveni ZPE 47, 1982, KoI. XVI 3f. - Strab. 10, 3, 23 p. 474: "to qn.l..o"tEXvOV ...
"to nEpi "ta<; ßwvuouxxa<; "texvIX<; xIXi "ta<; 'Opqnxa<;. - Hippokr. Morb. Sacr. 18, VI 396
Littre: ßIXvIXuol".
3 Ähnlich hat West (1971) 239-42 die Funktion wandernder llayOl. für iranisch-griechische
Kontakte im 6. Jh. herausgestellt.
44 WALTER BURKERT

Die Mobilität der magisch-mächtigen Seher ist bereits im Alten Orient be-
zeugt. Der König von Moab läßt Bileam vom Euphrat kommen, damit er Israel
verfluche, doch der Geist Gottes, der über den Seher kommt, spricht Segen über
Israel4 • So werden in der Amarna-Korrespondenz tatsächlich Ärzte und Seher
angefordert, vom König von U garit wie vom König der Hethiter; auch ein König
von Alasia- Cypern wünscht einen (Adler-Beschwörer', einen Vogelschauer aus
Ägypten; König Muwatallis von Hattusa beordert einen Beschwörer aus Babylon5 .
Ein babylonischer Beschwörungspriester in der charakteristischen Fischmaske ist
auch in Terqa in Nordsyrien dargestellt 6 • Dabei nimmt in Randgebieten mit
schwacher Königsrnacht die Selbständigkeit des Sehers zu; er wandert nun aus
eigener Initiative, wie dies in Israel und Griechenland gleichermaßen bezeugt
ist 7 • Besonders im griechischen Bereich tritt, wie bei den eigentlichen Handwer-
kern, das freie Unternehmertum hervor. Was sich ein Seher einer Stadt gegen-
über leisten konnte, zeigt der Fall des Melampodiden Teisamenos, der (Siegers'
von Plataiai, im Umgang mit Sparta 8 • Im Kontrast dazu schildert Platon im Ton
der Verachtung die (Seher und Bettelpriester', die mit ihren Anerbietungen "zu
den Toren der Reichen kommen"; und doch bezeugt er, daß sie auch ganze
"Städte" überzeugen9 • So hat Athen um 600 Epimenides zur Reinigung der Stadt
vom kylonischen Frevel berufen lO , Sparta noch nach 466 Totenbeschwörer von
Phigalia wegen des bösen Endes des Pausanias ll . Bereits um 670 hatte Thaletas
von Gortyn in Sparta eine Pest gestillt 12 ; dessen Lehrer Onomakritos wiederum,
hieß es, sei als Lokrer bis Kreta gelangt, emÖrll.LouV1:lX XlX'tCt 'texvll v I.l.lXvnxf}v 13,
womit ein für den Wanderarzt typischer Terminus sich auch für den Seher als
passend erweist. So kam laut Platon auch Diotima aus Mantineia nach Athen

4 AT Num. 22, 5; 24. Überraschend ist Bileam (BaCalam) als Seher der Vorzeit in dem
Text von Deir cAlla aufgetaucht, -+ I 3, 35.
5 Helck (1979) 226f.; E. Edel, Ägyptische Ärzte und ägyptische Medizin am hethitischen
Königshof (1976); Ugarit: Knudtzon (1915) 49, 22; Alasia: ibo 35, 26. - Meissner 11
(1925) 198 (KBo I 10 Rs. 42ff.).
6 Genge (1979) 44 nach Annales archeoIogiques de Syrie 2 (1952) 179 T. 2.
7 Grottanelli (1982b) bes. 651; 655f.; 664f.
8 Hdt. 9, 33-36. Zu den Melampodiden I. Löffler, Die Melampodie (1963); Kett (1966)
94-6.
9 PI. Resp. 364 b/e.vgl. Leg. 909b.
10 FGrHist 457 bes. T 4b; Burkert (1972b) 15f.
11 Plut. De sera 560 ef, Fr. 126, cI>tyaAla Konjektur von Mittelhaus fUr 'haAla bzw.
8e't"1"aAla, RE XIX 2084, vgl. W. Burkert, RhM 105 (1962) 48f.
12 Plut. Mus. 42, 1146bc = Pratinas 4 F 9 (Tragicorum Graecorum Fragmenta ed B. Snell I),
Philodem. Mus. 4 = Diogenes von Babyion, SVF 11 232; Plut. Mus. 9f., 1134b-e,
nach Glaukos von Rhegion; Datierung der EinfUhrung der Gymnopaidia in Sparta
(Plut. 1134c) durch Euseb. Chron. auf a. Abr. 1348, 01. 27 (672/68).
13 Arist. Pol. 1274a25-8. Zum hippokratischen Begriff der emÖll1l1a H. Diller, Wanderarzt
und Aitiologe (1934).
Die orienta1isierende Epoche 45

und schuf denen, die nach ihrer Anweisung opferten, einen Aufschub der Pest
für 10 Jahre 14. Im Reinigungsgedicht des Empedokles gewinnt die Wanderschaft
des Sehers eine grundsätzliche, existentielle Dimension: "Verbannter von den
Göttern, ein Umherirrender", der doch zugleich geradezu als Gott auftreten
kann 15 .
Jeder, der in dieser Weise das (mantische und telestische Leben' wagt, tut dies
auf eigene Rechnung und Gefahr. Es gibt kein Mönchtum, keinen Orden. Und
doch genießen diese Leute nicht nur einen wenigstens in Umrissen vom Her-
kommen anerkannten Status, sie stützen sich auch auf eine feste Filiation der
Lehre. Jeder der wandernden Charismatiker hat seinen Vater', sei es der leibliche
Erzeuger, sei es der Lehrer, der durch die Lehre ihn zu seinem Sohn gemacht,
nicht selten auch formell adoptiert hat. Griechische Seher treten in Familien
auf. Am berühmtesten waren die Melampodiden, denen jener Teisamenos ange-
hörte 16, doch geschlechterstolz und durch Jahrhunderte erfolgreich waren auch
die in Olympia beheimateten Iamiden 17 und die ihnen verbundenen Klytiaden.
Noch anhaltender war der Erfolg der in Eleusis ansässigen Priesterfamilien, der
Eumolpiden und Keryken, die bis zum Verbot der Mysterien durch Theodosius
amteten 18 ; ein Glied der Familie konnte auch zum Wanderer werden und in der
Feme als Spezialist des Heiligen zu Erfolg kommen, wie Timotheos beim ersten
Ptolemäer in Alexandreia19. Aber auch außerhalb der etablierten Geschlechter
sehen wir Familien-Linien sich etablieren. Einige Details liefert die Prozeßrede
(Aiginetikos' des Isokrates 2o : Der erfolgreiche Seher Polemainetos - ein reden-
der Name? -, selbst kinderlos, wählte sich als Nachfolger Thrasyllos und ver-
machte ihm seine (Kunst', seine Bücher und sein Geld. Thrasyllos "machte Ge-
brauch von der Kunst", gewann großes Ansehen und ein so großes Vermögen,
daß noch lange nach seinem Tod die Kinder aus verschiedenen Ehen darum
prozessierten; er hatte in eine vornehme Familie auf Siphnos eingeheiratet, und
dies war offenbar das Ende der Sehertradition in dieser Linie. Doch ließ sich
dergleichen notfalls wieder aktivieren: Die Mutter des Aischines, die Demosthenes
als hexenhafte Priesterin von Winkelmysterien karikiert, stammte, wie eine In-
schrift zeigt, aus einer Familie von Sehern in der Tradition des Amphiaraos; Vater
wie Bruder waren praktizierende Seher, und sie trug das ihre bei, die verarmte

14 PI. Symp. 201de.


15 Empedok1es B 115,13; Selbstvorstellung als wandernder Seher und Heiler B 112.
16 --->- Anm. 8.

17 Pindar 01. 6; Hepding 'Iamos' RE IX 685-9; Kett (1966) 84-9.


18 K. C1inton, The Sacred Officia1s of the Eleusinian Mysteries (1974).

19 Plut. Is. 28, 362a; Tac. Hist. 4, 83f.; A. Alfdldi Chiron 9 (1979) 554f. m. Lit.

2°lsokr. 19, 5f.; 45; zur Rechtslage H. J. Wolff Sitzungsber. Heidelberg 1979, 5, 15-34.
Kett (1966) 49f., 66f. der aber übersieht, daß die Sehertätigkeit des Thrasyllos dem Pro-
zeß um etwa 50 Jahre voraus liegen muß.
46 WALTER BURKERT

Familie zu erhalten21 . Ein Dekret des Königs Ptolemaios Philopator, um 210 v. ehr.,
verpflichtet alle diejenigen, die Dionysos-Mysterien in Ägypten durchführen,
sich in Alexandreia registrieren zu lassen und anzugeben, "von wem sie die heili-
gen Dinge übernommen haben, bis zu drei Generationen,,22. Ein Mann vom
(telestischen' Stand hat sich also nicht nur durch den Namen seines unmittel-
baren Lehrers zu legitimieren, sondern soll auch seinen geistlichen Groß- und Ur-
großvater kennen. Es liegt auf anderer Ebene und ist doch vergleichbar, wenn
Magnesia am Mäander für die neu zu organisierenden Dionysosmysterien aus
Theben drei Mänaden aus dem Geschlecht der Ino, der mythischen ersten
Mänade, kommen läßt 23 .
Daß geheimes Wissen nur dem eigenen Sohn weitergegeben werden darf, ist
eine Bestimmung, die auch im alchimistischen Schrifttum und in den Zauber-
papyri erscheint24 . Sie gilt aber ähnlich auch schon für die Organisation der frühen
griechischen Ärzte. Die (Familie' der Asklepiaden25 nimmt in diesem Zusammen-
hang ihren rechten Platz ein. Der berühmte (Eid des Hippokrates' erlegt dem
SchülerPllichten auf, die einer de-facto-Adoption gleichkommen26 ; der ~omos'
umschreibt, nicht weniger bezeichnend, die Weitergabe des Wissens als Mysterien-
initiation: "Heiliges wird heiligen Männern gezeigt, für profane ist es nicht er-
laubt, ehe sie geweiht werden durch die Orgien der Wissenschaft,,27.
Eben die Bindung des heiligen Handwerks an die Familientradition samt ent-
sprechender Esoterik fmdet sich auch in den Keilschrifturkunden, die über vieler-

21 Demosth. 19, 249; 18, 120; 259f.; H. Wankel, Demosthenes, Rede ftir Ktesiphon über
den Kranz (1976) 710-2, 1132-49. Seherfamilie: SEG 16 (1959) 193, mit einem Epi-
gramm, das auf Amphiaraos anspielt (Thebais Fr. 5 Allen, Pind. 01. 6, 13).
22 W. Schub art, Amtliche Berichte aus den Kgl. Preußischen Kunstsammlungen 38 (191617)
189f., Sammelbuch Nr. 7266; G. Zuntz Opuscula Selecta (1972) 88-101; P. M. Fraser,
Ptolemaic Alexandria 11 (1972) 345f.
23 O. Kern, Die Inschriften von Magnesia (1900) Nr. 215a; A. Henrichs HSCP 82 (1978)
123-37.
24 M. Berthelot, Collection des anciens alchimistes grecs (1888) 11 30, 7: e<popxioa<; ...
IiTjÖEVt IiEmÖtÖÖVat Ei Ii" IiOVOV 'texv4> xat <pU4> YVTjoi4>. PGM 4, 475 IiOV4> öe 'texv4>
1tapaöo'ta, vgI. 1, 193.
25 J. Bousquet, Delphes et les Asc1epiades, BCH 80 (1956) 579-93 mit der neuen In-
schrift SEG 16, 326; M. Gamberale, Ricerche sul rENO~ degli Asc1epiadi, RAL 33
(1978) 83-95; S. M. Sherwin-White, Ancient Cos (1978) 257-63. Asklepios 'unser Vor-
fahr', Eryximachos bei PI. Symp. 186e; 'AoxA.Tjmaöat PI. Prot. 311b; Resp. 408b;
Phdr. 270c; 1tapa. 'toi<; YOVEÜatV ex 1taiöwv aoxoUlievot<; Galen Anat. admin. 2, 1, 11 280f.
Kühn; Soran. Vit. Hippocr. H. Die extreme Skepsis von E. J. und L. Edelstein, Asc1e-
pius 11 (1945) 53-62 ist durch die Inschrift aus Delphi widerlegt.
26 L. Edelstein, The Hippocratic Oath (1943) in: L. E., Ancient Medicine (1967) 3-63, bes.
40-44, der eine speziell pythagoreische Regel an Stelle der Handwerker-Tradition finden
möchte.
27 Lex 5, IV 642 Littre.
Die orientalisierende Epoche 47

lei Arten von Sehern und magischen Praktikern ausführlich Auskunft geben.
Schon im gewöhnlichen Handwerk übernimmt der Sohn die (Kunst' vom Vater,
so daß der rechte Handwerker (Sohn des Handwerksmeisters', mor ummoni, heißt,
und der Codex Hammurabi macht das Erlernen des Handwerks zu einer de-
facto-Adoption 28 • Phönikische Künstler stellen sich auf der in Italien gefundenen
(Schale Tyskiewicz' als (Söhne der Gießer' vor 9 • Ganz entsprechend ist der rechte
Seher der (Sohn eines Sehers', er stellt sich in der Beschwörung als den "Wis-
senden, Sohn des Handwerksmeisters" hin 3o . "Der Wissende soll es dem Wis-
senden zeigen", ist die Formel esoterischer Tradition in den Beschwörungstexten31 ;
konkret aber heißt dies: "Der Weise läßt seinen Sohn ... schwören, er läßt ihn
lernen .. .,m. Gerade die Form des Eides, die das (Wissen' als Familienbesitz
sichert, ist dem babylonischen Magier und dem Hippokratiker gemeinsam. Noch
Diodor bezeugt, daß bei den (Chaldäern' regelmäßig (der Sohn vom Vater' die
geheimnisvolle Kunst übernimmt33 •
Gewiß, solche Formen können polygenetisch und unabhängig voneinander zu-
standekommen. Auch für ägyptische Priester, auch für iranische Magier ist ent-
sprechende Familienbindung überliefert 34 . Auf eine engere Beziehung zwischen
Semitischem und Griechischem scheint indessen eine sprachliche Eigentümlichkeit
zu weisen: gerade im Bereich von Handwerkern und von Sehern, Heilem, Ärzten
ist im Akkadischen, Phönikischen und Hebräischen einerseits, im Griechischen
andererseits die Umschreibung des Kollektivs als (Söhne von ... ' in Gebrauch 35 :
'AoxA:rl1ttaÖwv miiöec; wie (wypa<pwv mxiöec; bei Platon36 ; später ist dann auch
<ptAoo6<pwv mxiöec; geläufig. Daß die Übereinstimmung von Semitischem und Grie-
chischem in dieser Ausdrucksweise nicht selbstverständlich ist, ermißt man daran,
daß (die Kinder Israel' im Deutschen immer noch als Semitismus kenntlich ist.
Gewiß, es gibt auch Auöwv naiöec; bei Herodot 37 unf früher noch die utec; 'AXatwv
bei Homer; aber es läßt sich auch zeigen, wie im christlich-gnostischen Bereich
der Kontakt zum Semitischen die entsprechende Ausdrucksweise noch einmal

28 Codex Harnrnurabi § 188; Borger (1979) 37; ANET 174f.


29 bn nsk, B. D'Agostino Stud. Etr. 45 (1977) 51-58; zur Inschrift G. Garbini, ibo 58-62.
-+ I 2, 10; 62.

30 mar bare Zimmern (1901) nr. 1, 1 p. 97 f., vgl. p. 87 über die Seher als 'Zunft'; miidii
mar ummani Schrank (1908) 16. Vgl. AT Amos 7, 14: "Ich bin nicht Prophet, ich bin
nicht Prophetensohn".
31 miidii miida likallim, AHw 666 2d; Ebeling (1931) p. 37; 47; 111.
32 Zimmern (1901) 118f.; nr. 24, 19-22.
33 Diod. 2,29,4 (Quelle unsicher, kaum Poseidonios, vgl. FGrHist 11 C p. 157).
34 Diod. 1, 73, 5. J. Bidez, F. Cumont, Les mages hellenises 11 (1938) 8f.; 119. Auch
Schamanismus kann vom Vater auf den Sohn übergehen: M. Eliade, Schamanismus
und archaische Ekstasetechnik (1957) 22; 24f.; 28f.; 30-2.
35 Szemerenyi (1974) 157; Fehling (1980) 15f.
36 Pl. Resp. 408b; Leg. 769b. Vgl. Anm. 28-30.
37 Hdt. 1, 27, 4.
48 WALTER BURKERT

als deutliche Lehnübersetzung zustandebringt38 . Für die ältere Zeit ist ein zwin-
gender Beweis nicht zu führen, doch die allgemeine Situation spricht dafür, daß
die Parallelität auf Wechselbeziehungen weist.
Ein weiterer Traditionsbereich, in dem die esoterische Vater-Sohn-Linie beson-
ders streng eingehalten und mit dauerhaftem Erfolg in der Fremde verbunden
war, ist auf jeden Fall noch zu nennen: die estruskische Haruspizin39 ; sie blieb
in Rom stets den (fremden' Spezialisten überlassen. Daß die vornehmen Familien
der Etrusker dieses (Wissen' für sich reservierten und nur innerhalb der Familie
weitergaben, sagt ausdrücklich Tacitus; doch auch schon für Cicero ist die aus-
schließliche Weitergabe vom Vater auf den Sohn in dieser disciplina selbstverständ-
lich40 • Daß sie bis in die Blütezeit Etruriens, bis in die archaische Epoche also
zurückgeht, ist im Ernst nicht zu bezweifeln, auch wenn direkte Dokumente
fehlen. Die römische Geschichtsschreibung läßt die haruspices mit Selbstverständ-
lichkeit schon in der Königszeit amtieren, läßt den berühmten Attus Navius bei
Etruskern in die Lehre gehen41 . Dies führt schließlich in die (orientalisierende
Epoche' Etruriens zurück; so schließt sich der Kreis.

2. Die Hepatoskopie

Daß die etruskische Haruspizin mit der in Mesopotamien entwickelten Form


der Weissagung aus Schaflebern auffallend übereinstimmt und daß dies am
ehesten als tatsächliche Vermittlung einer (Lehre' von Babyion bis Etrurien zu
erklären ist, wurde seit der Erschließung der Keilschrifttexte festgestellt 1, doch

38 'Söhne der Menschen' = Menschen im Thomasevangelium 28, A. Guillaumont in:


Studies in Gnosticism and Hellenistic Religions pres. to G. Quispel (1981) 19l.
39 Thulin III (1909) 131-49; Pfiffig (1975) 36-41; 115-27; J. Heurgon, Tarquitius Priscus
et l'organisation de l'ordre des haruspices sous l'empereur Claude, Latomus 12 (1953)
402-17.
40 Tac. Ann. 11, 15: primores Etruriae ... retinuisse scientiam et in familias propagasse;
Cic. div. 1, 92: ut de principum jiliis X ex singulis Etruriae populis in disciplinam traderen-
tur; ad farn. 6, 6, 3 an A. Caecina: Tuscae disciplinae, quam a patre ... acceperas.
41 Dion. HaI. Ant. 3, 70; --+ II 2, 9.
I Ein babylonischer Leberschautext wurde erstmals 1873 durch F. Lenormant bekannt
gemacht; vgI. Bezold bei Blecher (1905) 247; Allgemeine Hinweise auf die orientali-
sche Herkunft der griechischen Leberschau bei Bouche-Leclerq I (1879) 170; vgI. Far-
neU (1911) 248f.; zu babylonisch-etruskischen Beziehungen Boissier (1905); Blecher
(1905) (ablehnend); Thulin II (1906); R. Pettazzoni, Stud. Etr. 1 (1927) 195-9; Nougayrol
(1955b); (1966); M. Pallottino, Etruscologia (1963 5) 247f.; Pfiffig (1975) 115-27. - All-
gemein zur mesopotamischen Hepatoskopie A. Boissier, Mantique babylonienne et man-
tique hittite (1935); La divination en Mesopotamie ancienne, 14 e Rencontre Assyriologique
International (1966); Nougayrol (1968); u. Jeyes, The Act of Extispicy in Ancient Meso-
potamia, An Outline, Assyriological Miscellanies 1, 1980, 13-32.
Die orienta1isierende Epoche 49

kaum je in einen allgemeineren Rahmen des Kulturaustausches eingeordnet.


Freilich bestehen auch hier spezifische Schwierigkeiten des Vergleichs: das keil-
schriftliche Material ist überreich, doch noch nicht abschließend erschlossen2,
das etruskische ist verloren und läßt sich nur bruchstückhaft aus lateinischen und
griechischen Texten zurückgewinnen. Die Entsprechung von etruskischer und assy-
rischer Hepatoskopie wurde augenfällig, sobald man die etruskische Bronzeleber
von Piacenza 3 mit dem assyrischen Tonmodell einer Leber im Britischen Museum 4
zusammenstellte; weitere Exemplare sind später dazugekommen. Zwar bringt die
Praxis des Schlachtens vielerlei unvorhersehbare, ominöse Einzelheiten mit sich,
und besonders die Leber scheint mit ihrer Vielgestaltigkeit allgemein zum Orakeln
einzuladen; darum hat man den direkten Zusammenhang zwischen Orientalischem
und Etruskischem auch wieder in Zweifel gezogen5 • Doch daß man ein System
speziell aufs Schafe-Schlachten aufbaut, daß man Schaflebern als Demonstrations-
objekte aus Ton und Metall herstellt und mit Inschriften versieht, dies ist doch
wohl eine Eigentümlichkeit des Korridors vom Euphrat nach Etrurien. In der
Tat sind das assyrische und das etruskische Modell in ähnlicher Weise gegen die
Natur stilisiert 6 •
Lebermodelle sind die archäologisch faßbaren Dokumente für die Ausbreitung
der mesopotamischen Hepatoskopie. Sie fmden sich außer im Zweistromland bei
den Hethitern in Kleinasien, aber auch in Alalah, Tell el Hajj und U garit in
Syrien, in Hazor und Meggido in Palästina, schließlich auch auf Cypern. Auch in
Tarsos in Kilikien wurde zur Assyrerzeit assyrische Hepatoskopie betrieben7 • Die

2 HKL 111 96; eine Grundlage schuf Boissier (1905); reiche Auswahl in Übersetzung bei
Jastrow 11 (1912) 231-415; Übersicht H. Dillon, Assyro-Baby1onian Liver-Divination
(1932); I. Starr, The Bäru Rituals, Diss. Ya1e (1974); vgl. auch R. Labat, Commentaires
assyro-baby1oniens sur 1es presages (1933); B. Meissner, Omina zur Erkenntnis der Ein-
geweide des Opfertiers, AOF 9 (1933) 118-22; J. Nougayro1, Textes hepatoscopiques
d'epoque ancienne conserves au musee du Louvre, RA 38 (1941) 67-88; A. Goetze, Reports
on Acts ofExtispicy from Old Baby10nian and Kassite Times, JCS 11 (1957) 89ff.; J. Aro,
J. Nougayro1, Trois nouveaux recuei1s d'haruspicine ancienne, RA 67 (1973) 41-56.
3 Gefunden 1877; W. Deecke, Das Temp1um von Piacenza, Etruskische Forschungen 4
(1880); Blecher (1905) 201; Thulin 11 (1906) 20f., 37-9, T. 1111 und: Die Götter des Mar-
tianus Capella und die Bronzeleber von Piacenza (1906); Pfiffig (1975) 121-7. - Eine
Tonleber aus Fa1erii: Nougayro1 (1955b) 513, 515-7; Pfiffig (1975) 116f. Abb. 45.
4 BM Bu 89-4-26, 238, veröffentlicht von Th. G. Pinches CT 6 (1898) T. 1-3; A. Bois-
sier, Note sur un monument baby10nien se rapportant a l'extispicine (1899); Thulin 11
(1906) T. 11; Meissner 11 (1925) Abb. 40; J. Nougayro1 RA 38 (1941) 77-9. Ein zweites
Exemplar, BM Rm 620, Thulin ibo T. 111; Boissier (1905) 76-8; ein weiteres Nougayro1
(1966).
5 Blecher (1905) 199-203, 241-5.
6 Thulin 11 (1906) 30.
7 Lebermodelle der Hethiter: KUB 4, 71-5; 37, 68-72 nr. 216-30; A. Goetze, Kultur-
geschichte Kleinasiens (Handbuch der Altertumswissenschaft, 1957 2) T. 11, 21; Mari:
50 WALTER BURKERT

etruskischen Exemplare, soweit bisher bekannt geworden, werden dagegen erst


ins 3. und 2. Jh. v. Chr. datiert, so daß die Vermutung, es handle sich um Kon-
takte "in hellenistischer Zeit"s, nicht von vornherein auszuschließen ist. Doch
spricht die allgemeine Wahrscheinlichkeit dagegen: die große Zeit Etruriens lag
damals weit zurück, die interne Tradition der etruskischen disciplinae führt ein-
deutig bis ins 7. Jh. zurück9, gerade in die Epoche, die ihren Glanz in so vielen
orientalischen Importstücken spiegelt lO • Die esoterische Familientradition der
haruspices garantierte die unveränderte Bewahrung des ~Wissens'; wenn die Lehre
je von auswärts kam, muß die Übertragung in die noch aufnahmefähige Früh-
zeit fallen.
Dies bestätigt der griechische Befund. In der alten Tradition des Homerischen
Epos hat die Hepatoskopie offenbar noch keinen Platz. Ka1chas ist der "beste der
Vogelschauer"ll, kraft dieser Kunst führt er das Heer. Später dagegen genießt, laut
Platon 12 , die Hepatoskopie größeres Prestige als die Vogelschau. Der Seher, der
die Leber untersucht, tritt in der Ikonographie seit etwa 530 auf13 , die literari-
schen Quellen seit den Perserkriegen zeigen die Leberschau voll entwickelt als
herrschende Form der Mantik. In der Tat taucht bereits im 24. Buch der Ilias
und in der Odyssee der ~Opferschauer' auf, ß'uOOX60<;14; gewiß gibt es vielerlei
Spielarten der Mantik beim Opfer, doch die Leberschau ist weitaus die promi-
nenteste; man hat später den Namen der Etrusker, Tusci, spielerisch von ß'uoox6ot
abgeleitet 15 . Man darf also mit Wahrscheinlichkeit feststellen, daß gerade in den
letzten Schichten des alten Epos die neue Technik der Opferschau bereits ein-
gedrungen ist, und wird damit wiederum in die Epoche um 700 geführt. Aufs
beste fügt sich hierzu eine Tradition, die auf Kilikien und Cypern weist: das Prie-
stergeschlecht der Tamiraden in Paphos nahm in Anspruch, diese Kunst aus Kili-

M. Rutten RA 35 (1938) 36-70; Alalal].: L. Woolley, Alalakh (1955) 250-7, T. 59; Tell el
Hajj: R. A. Stucky AK 16 (1973) 84, T. 15, 2; Ugarit: Ugaritica VI (1969) 91-119, vgI.
J. C. Courtois, M. Dietrich, O. Loretz ibo 165-79; Hazor: B. Landsberger, H. Tadmor
Israel ExpI. J. 14 (1964) 201-18; Megiddo: H. Th. Bossert, Altsyrien (1951) nr. 1193;
Cypern: BCH 95 (1971) 384 mit fig. 93a; Kadmos 11 (1972) 185f. Text aus Tarsos:
A. Goetze JAOS 59 (1939) 12-6.
8 VgI. Pfiffig (1975) 117.
9 Die Angaben über die etruskischen saecula, Varro bei Cens. 17, geben für die ersten

vier saecula runde Zahlen (4X 100), dann aber genaue Zahlen: seit etwa 600 verfügt
die etruskische disciplina über zuverlässige, auch schriftliche Tradition, vgI. Thulin 111
(1909) 66; vgI. auch 11 1,41.
10 --+ I 2, 18.

II 11. 1, 69. VgI. Bouche-Leclercq I (1879) 168f.

12 PI. Phdr. 244 c.: 'teAewn:pov xat eV'tlj..Lo'tepov j..LavnxT] OiWVlO'tlXflc;.


13 Van der Meer (1979); 1. L. Durand, F. Lissarague, Hephaistos 1 (1979) 92-108.
14
11.24,221; Od. 21, 145; 22,318-23.
15 Dion. HaI. Ant. 1, 30.
Die orientalisierende Epoche 51

kien mitgebracht und an die Kinyraden weitergegeben zu haben16 ; auch der be-
sondere Rang der Leberschau bei den Orakelpriestern des karischen Telmessos 17
dürfte an die Epoche erinnern, als vor und neben den Griechen karische Söldner
sich im Orient tummelten.
Plastische Lebermodelle sind, soweit bisher bekannt, ins eigentliche Griechen-
land nicht gelangt. Doch eine andere kuriose Denkmälergattung, die auf die Ein-
geweideschau Bezug nimmt, ist das Humbaba-Gesicht', das ganz aus Darmschlin-
gen geformt werden kann 18. Man kennt es aus mesopotamischen Fundstätten;
ein charakteristisches Exemplar aber ist auf der Akropolis von Gortyn zutage
gekommen, in einem Heiligtum, wo die Anwesenheit orientalischer Handwerker
und Seher im 8. ih. durch die Architektur wie durch die GfÜndungsopfer so-
wieso wahrscheinlich gemacht wird 19. Man kann das (Humbaba-Gesicht' von Gor-
tyn als ein kurioses Souvenir abtun, doch kann es auch ein zusätzliches, bestäti-
gendes Indiz sein für die Ausbreitung östlicher Seherkunst nach Westen.
In der Tat gibt es auffällige Übereinstimmung in der babylonischen und der
westlichen Terminologie der Hepatoskopie. Fürs Etruskische freilich muß für uns
das Griechische und Lateinische eintreten. Das System ist nicht identisch; die
strenge Reihenfolge der Untersuchung von zehn Leberteilen in assyrischer
Lehre 2o ' hat keine Parallele. Doch eine ganze Reihe gerade der griechischen Ter-
mini wirkt wie eine Übersetzung aus dem Akkadischen: Hier wie dort hat die
Leber ein Tor', einen (Kopf, einen (Fluß', einen (Pfad,21. Betrachtet man -die
Benennung der vielgestaltigen Leberlappen wie einen Rohrschach-Test, ist die
Übereinstimmung doch wohl mehr als Zufall. Tiefer greift die im Akkadischen

16 Tac. Hist. 2, 3, 1 scientiam artemque haruspicum accitam et Cilicem Tamiram intulisse ...
ipsa, quam in tulerant, scientia hospites cessere: tantum Cinyrades sacerdos consulitur.
Bouche-Leclercq I (1879) 170 verbindet damit auch den Kult des Zeus Splanchnotomos
(Hegesandros Ath. 174a) und die 'Erfindung' des Opfers auf Cypern (vgI. Burkert [1975]
76f.). Hdt. 2, 58 führt die Opfermantik auf Ägypten zurück, wofür jeder Anhalt fehlt.
17 Hsch. 1tUAIX\ = Aristoph. Fr. 540; Cic. div. 1, 91; -+ I 2, 65.
18 Oft abgebildet ist das Exemplar aus dem British Museum 116624: Elements (1960) pI. IIa;
Caquot-Leibovici (1968) gegenüber S. 32; Th. Jacobsen, The Treasures ofDarkness (1976)
194 (datiert 700/500). S. Smith, The Face ofHumbaba, AnnaIs of Archaeology and Anthro-
pology 11 (1924) 107-14; id. JRAS (1926) 440-2.
19 Rizza-Santa Maria Scrinari (1968) 206-2, T. XXXII nr. 215. -+ 11 3, 10.
20 Nämlich mazzazu 'Ort', padanu 'Pfad', dananu 'Stärke', bab ekalli 'Tor des Palastes',
sulmu(?), martu 'Galle', padan sumel marti 'linker Gallenpfad', ubanu 'Finger', nlru 'Joch',
~ibtu 'Zusatz' (processus papillaris), Jeyes (1978).
21 Zu griechischen Termini Thulin 11 (1907) 50-54; Rufus Onom. 158, 5f. ed. Daremberg-
Ruelle (1tUAIX\, 'tpam:(IX, llaXIX\PIX, övu~); 1tUAIX\ Eur. EI. 828, Aristoph. Fr. 540 etc. - bab
ekalli; xe<pIXAT] Plut. Kim. 18d; caput Thulin ibo 30-4 - reS amütim 'Kopf der Leber' AHw
46b; reS ubanim 'Kopf des Fingers' 975a; 1to'tIXllo<; Hsch. - nar amütim 'Fluß der Leber'
AHw 46b, Thulin ibo 54; XeAeUlJo<; Hsch. axeAeUlJIX - padanu; vgI. auch llaXIX\PIX (Rufus
a.O.) und die 'Waffe' in der Leber AHw 46b. VgI. Nougayrol (1955) 512.
52 WALTER BURKERT

wie im Griechischen und vor allem Etruskisch-Lateinischen bezeugte binäre Logik


des Systems: es gibt einen (günstigen' und einen (feindlichen' Teil der Leber, und
je nachdem wechselt das Vorzeichen der Beobachtungen; das Normale ist (gut'
nur im günstigen Teil, gefährlich im feindlichen Teil, Störung im feindlichen
Teil ist (gut,22. Weniger Beweiskraft wird man einleuchtenden Assoziationen zu-
billigen, etwa daß der fehlende (Kopf auf Untergang, zwei (Köpfe' auf zwei ri-
valisierende Machthaber hinweist. Immerhin reicht auch hier die Gemeinsamkeit
von authentischen mesopotamischen Berichten bis zu den Schilderungen römi-
scher Dichter23 .
Am unsichersten ist das scheinbar schlagendste Argument für die assyrisch-
etruskische Achse, das der sprachlichen Entlehnung. Boissier, der zum ersten
Mal systematisch babylonische Leberomina-Texte bearbeitete, stellte fest, daß die
Opferleber mit dem Ideogramm BAR bezeichnet wird, und fand hierin die
schlagende Etymologie für das bislang nicht sicher gedeutet Wort haruspex, das
doch sowieso (Leberschauer' heißen müßte 24 . Dies wirkt zunächst verblüffend; doch
Zweifel behalten die Oberhand. Wenn eine Vermittlung der Lehre von Meso-
potamien nach Etrurien wahrscheinlich ist, so war doch offensichtlich nicht das
Erlernen der Keilschrift damit verbunden. In mündlicher Instruktion aber dürfte
etwas wie lIAR nie laut geworden sein; das Zeichen spielt seine Rolle hier nur
als Ideogramm, akkadisch hieß die Opferleber amutu 25 • Obendrein haben die
Etrusker, die eigentlichen Spezialisten, ein ganz anderes Wort für diesen Seher26 ;
wie kämen Lateiner für das, was bei ihnen die Etrusker ausübten, zu einer su-
merischen Bezeichnung? Man muß wohl Boissiers Etymologie als Beispiel dafür
nehmen, wie leicht der Zufall mit sprachlichem Gleichklang uns narren kann.
Suggestiver vielleicht ist die Tatsache, daß das (Zeichen', das der Seher zu deuten
hat, auf akkadisch tertu heißt, Plural teretif 7 , was an die 'tEpa'ta, mit denen ein
Seher wie Tetpeaiac; zu tun hat, doch merkwürdig anklingt. Doch ein kurioser
Zufall ist auch hier nicht auszuschließen.
Cicero schreibt, es sei undenkbar, daß Etrusker, Griechen, Ägypter und Punier
in Sachen Hepatoskopie zu einem gemeinsamen Consilium zusammenkämen;
sie würden sich nicht einig werden, nec esse unam omnium scientiam28 • Der Skep-

22 Thulin 11 (1906) 34f. nach Boissier (1905) 220-34.


23 Fehlender 'Kopf Plut. Kim. 18, 5; Zwei 'Köpfe' Sen. Oed. 353-65, Lucan. Bell. civ.
1, 618-29; zu direkt zieht W. G. Schileico, Ein Omentext Sargons von Akkad und sein
Nachklang bei römischen Dichtern, AOF 5 (1928/9) 214-8 die Verbindungen.
24 ABoissier, Memoires de la Societe linguistique 11 (1901) CXXXIX; 330; Thulin 11 (1907)
3,1; A Ernout-A Meillet, Dictionnaire etymologique de la langue latine (1959 4) 290
mit Fragezeichen.
25 AHw 46.
26 Nämlich nefsvis, Pallottino a.O. (0. Anm. 1).
27 AHw 135Of.; Zimmern (1901) 88f.
28 Cic. div. 2,28. Blecher -->- A 5.
Die orientalisierende Epoche 53

tiker mag daraus den Schluß ziehen, es handle sich um Unsinn überall; der
Historiker indessen fmdet gerade in Übereinstimmungen des scheinbar Absurden,
nicht natürlich Gegebenen den deutlichsten Beweis für kulturelle Diffusion. Daß
dabei Abweichungen im einzelnen eintreten, ist zu erwarten; daß die jeweils sich
stabilisierenden Einzelformen dem jeweiligen Kulturkontext angepaßt werden,
ist richtig und wichtig. So ist bezeichnend, daß die griechische Mantik offenbar
weit mehr visuell-assoziativ vorgeht, ohne den fast schon scholastischen Ballast
etruskischer Disziplin; umgekehrt hat diese wohl mehr von der Herkunft be-
wahrt. Die Ähnlichkeiten zeugen jedenfalls für einen Zusammenhang, der alle
einzelnen Ausformungen verbindet. Die Ausbreitung der Hepatoskopie ist eines
der klarsten Beispiele für Kulturkontakt in der orientalisierenden Epoche. Es muß
hier zu ostwestlichen Verständigungen auf einigermaßen hohem Niveau gekom-
men sein. Die einleuchtende Voraussetzung hierfür liefert die Mobilität der wan-
dernden Charismatiker, der gesuchten Spezialisten, die doch in ihrer Kunst je
ihrem Lehrvater verpflichtet waren. Nur in Ausnahmefällen kann derartiges ar-
chäologisch faßbare Spuren hinterlassen, ein Lebermodell oder auch ein (Humbaba-
Gesicht'.
In bemerkenswerter Weise aber hat der wandernde Mantis sich in die griechi-
sche Mythologie eingeprägt. Ein Name, der Orient und Griechenland verbindet,
ist der des Sehers Mopsos. Für die griechische Überlieferung, die vor allem in der
hesiodeischen Melampodie fixiert war29 , ist er ein Enkel des Teiresias, der erst
das Orakel von Klaros gründete und schließlich nach Kilikien auswanderte, wo
die Stadt Mopsuestia dauerhaft seinen Namen trug. Überraschend ist der Name
Mopsos nun einerseits, als Muksus, in einem hethitischen Bericht aufgetaucht30 ,
andererseits lehrte die Inschrift von Karatepe in Kilikien im 8. Jh. einen König
Azitawadda aus dem (Haus des Mopsos' kennen31 ; die hieroglyphenluwische
Namensform führt dabei auf Moxos, ein Name, der bezeichnenderweise in klein-
asiatischer Überlieferung bewahrt ise 2 , die phönikische auf Mopsos. Wie diese
Zeugnisse zu einem Bild der Geschichte Kleinasiens zu kombinieren sind, ist
ein Problem, das hier nicht zu erörtern ist. Es genügt die Feststellung, daß ein
Name hethitisch-kilikischer Tradition im griechischen Mythos einen der großen

29 Die Hauptquellen jetzt bei Prinz (1979) 382-4, vgl. 23-8, der freie Erfindung postu-
liert; I. Löffler, Die Melampodie (1963) 47-51.
30 Maduwattas-Text, A. Goetze, Maduwattas, Mitteilungen der Vorderasiatisch-ägyptischen
Gesellschaft 32 (1928) 37. Zur Datierung: H. ütten, Sprachliche Stellung und Datierung
des Maduwatta-Textes (1969); J. D. Muhly Historia 23 (1974) 139-45; R. D. Bamett
Cambridge Ancient History 11 2 3 (1975) 363-6.
31 KAI Nr. 26 I 16; ibo 11, 11; ibo 111, 12; F. Bron, Recherches sur les inscriptions
de Karatepe (1979) 172-6; vgl. Bamett a.ü.; A. Strobel, Der spätbronzezeitliche See-
völkersturm (1976) 31-8.
32 Xanthos der Lyder FGrHist 765 F 17. Ein Name mo-qo-so erscheint in Linear B, KN
De 1381. B; PY Sa 774.
54 WALTER B URKERT

Seher kennzeichnet, der auch nach griechischer Version mit Kilikien verbunden
ist. An die kilikische Herkunft der Seher von Paphos (Anm. 16) ist dabei zu er-
innern. Neben Mopsos steht, mit gut griechischem Namen, Amphilochos der
Sohn des Amphiaraos. Mopsos und Amphilochos sind gemeinsam die Gründungs-
heroen des berühmten Orakels von Mallos in Kilikien, einem Ort, wo orientali-
sche und griechische Traditionen sich in besonderer Weise treffen 33 . Gerade über
die Gestalt des wandernden Sehers also stellt der griechische Mythos eine Ver-
bindung zwischen Griechenland und Kilikien her; Tarsos, wo ebenso Keilschrift-
dokumente mantischen Inhalts wie griechische Keramik sich fanden, liegt dann
nicht weit ab; auch führt die (hesiodeische' Bezeugung des Mythos an die Zeit
der Karatepe-Inschrift, an die Assyrerzeit zumindest nahe heran. Die aus ganz
anderen Indizien zu erschließende Ausbreitung der Seherkunst vom Euphrat
bis zu Griechen und Etruskern gibt den plausiblen Hintergrund ab für die Aus-
bildung des Mopsos-Mythos. Freilich hat die griechische Erzählung die Verhält-
nisse umgekehrt, läßt den Griechen Mopsos nach Kilikien auswandern, wo doch
offenbar sein Name seit je zuhause ist. Immerhin läßt der Mythos diesen Mopsos
im Wettkampf obsiegen über Ka1chas, den "besten der Vogelschauer"; die fremde
Herkunft jener Kunst' aber wird verdrängt.
Nicht zu vergessen ist, daß auch eine ganze Reihe von anderen Formen der
Mantik dem semitischen Orient und den Griechen gemeinsam sind; neben der
Deutung vieler anderer portenta spielt auch die Vogelschau in BabyIon eine un-
verächtliche Rolle 34 . Eine speziellere Kunst sind verschiedene Arten von Lekano-
mantie35 , sei es daß man Öl auf Wasser gießt, sei es daß man Mehl auf Flüs-
sigkeiten streut; hiervon, "Essig und Mehl ins gleiche Gefäß gießen" und ihre
Bewegung beobachten, spricht einmal Aischylos, und Farnell hat dies als ein
klares Beispiel mesopotamischen Einflusses gewertee 6 • Die Bedeutung der Leber-
schau haben solche Praktiken indessen auch nicht von feme erreicht. Daß gerade
7
ÄexavT) ein aramäisches Wort ise , dürfte wieder Zufall sein.

33 Zu Mallos RE .XIV 916f. Münzen des 4. Jh. mit einem Flügelwesen, das an die as-
syrisch-persische Flügelsonne erinnert, ein Typ mit bilinguer, griechisch-aramäischer Be-
schriftung: C. M. Kraay, Archaic and Classical Greek Coins (1976) 285.
34 Hunger (1909) 23-25; Jastrow 11 (1912) 798-812; E. Reiner JNES 19 (1960) 28.
35 Zimmern (1901) 85; 89; J. Hunger, Becherwahrsagung bei den Babyioniern nach zwei
Keilschrifttexten aus der Hammurabi-Zeit (1903); Jastrow 11 (1912) 749-75. Vgl. Ganszy-
niec 'Lekanomanteia' RE XII 1879-88.
36 Aisch. Ag. 322; Farnell (1911) 301; vgl. J. Nougayrol, Aleuromancie babylonienne,
Orientalia N.S. 31 (1963) 381-6.
37 --+ I 4, 11.
Die orientalisierende Epoche 55

3. Deposita bei Tempelgründungen

(Bauopfer' sind ein recht allgemeiner und verbreiteter Brauch, dem Ethnologen
wie dem Folkloristen wohlbekannt. Doch gibt es kulturspezifische Ausformun-
gen, die zur festen Tradition werden können. Im Nahen Osten, wo zu den ar-
chäologischen Befunden wiederholt auch Schriftquellen kommen, treten nach Ort
und Zeit verschiedene Formen hervor: Es gibt Wächterfiguren, die unter dem Haus
beigesetzt werden, es gibt Steinplatten mit Inschriften, es gibt aber auch wenig spe-
zifische Opferbräuche, mit Tieropfer und Libationen; dazu kommt, vor allem bei
den Assyrern, der Brauch, Stücke von Wertgegenständen mannigfacher Art, ver-
schiedene wertvolle Metalle und kostbare Steine unter Tempel oder Palast bei-
zusetzen 1 . Ein Text für ein solches Ritual bei der Errichtung eines neuen Hauses
ist im hethitischen Bereich erhalten: Gold, Silber, Bronze und weitere Gegen-
stände werden an bestimmten Stellen unter Gebeten deponiert2 •
Es gibt Vergleichbares, doch nicht genau Entsprechendes auch in der minoi-
schen Welt: Farbige Meereskiesel, kleine Gefaße, auch einmal Tierknochen oder
Siegel unter dem Boden oder der Schwelle eines Sakralraums 3 . Ein Depositum
der östlichen Form, absichtlich beigesetzte Bronzegegenstände sind dagegen unter
dem spätbronzezeitlichen Tempel IV' in Kition auf Cypern zutage gekommen,
und die Ausgräber haben sogleich auf die mesopotamische Praxis verwiesen4 • Der
nächste Befund, näher dem griechischen Kernland, stammt dann aus der Periode
um 800 in Kreta: in einem wieder benutzten Tholos-Grab bei Knossos hat, nach
Boardmans Deutung, eine aus Syrien eingewanderte Goldschmiedefamilie ein De-
positum von Goldklümpchen, halbbearbeiteten Stücken und anderem Schmuck
vergraben und so das Grab für den eigenen Gebrauch geweiht5 • Hier also ist
der Import der religiösen mit der handwerklichen Praxis aus dem Orient direkt
zu fassen. Aus der folgenden Zeit gibt es zwei vielbeachtete Deposita vergleich-
barer Art unter zwei berühmten Tempeln: das eine fand sich unter dem älte-
sten Artemision von Delos und wird auf etwa 700 datiert; mykenische und zeit-
genössische kleine Wertgegenstände, zum Teil schon fragmentiert, waren zusam-

1 E. D. van Buren, Foundation Figurines and Offerings (1931); vor allem Ellis (1968); .
davon zu trennen sind die in Ziegelkapseln beigesetzten magischen Figuren, dazu Rittig
(1978) pass. Vgl. J. M. Weinstein, Foundation Deposits in Ancient Egypt (1973).
2 ANET 356f.
3 Meereskiesel, Ostraum des Heiligtums von Archanes: I. Sakellarakis Praktika 1979,
381; kleine Gefäße, Tierknochen, ein Siegel unter einem Steinblock im (Kannibalen'-
Kultraum von Knossos, P. Warren in R. Hägg, N. Marinatos (ed.), Sanctuaries and Cults
in the Aegean Bronze Age (1981) 166; 3 Kylikes-Paare unter einem Kultraum in Tiryns:
K. Kilian ibo 53.
4 V. Karageorghis BCH 99 (1975) 831-35.
5 Boardman (1967) 57-67; (1981) 62; ~ I 2, 38.
56 WALTER BURKERT

men beigesetzt6 • Das zweite Depositum, unter dem Artemistempel von Ephesos,
ist besonders reich und aufsehenerregend; um seine Datierung wird immer noch
gerungen, zumal auch die Datierung der ältesten Elektronmünzen mit an dieser
Frage hängt; die Optionen schwanken zwischen 650/30 und 600 7 •
Schlichter und andersartig ist das Gründungsopfer, das beim Tempel auf der
Akropolis von Gortyn festgestellt wurde: Neben der Tempelmauer waren zwei
Gruben angelegt, in denen Reste von Tierknochen und von organischen Spenden,
Brei-Libationen offenbar, nebst kleinen Gefäßen lagen; alles war durch Stein-
platten sorgsam abgedeckt worden, auf denen nochmals Feuer entzündet worden
warB. Hier fanden also Opferrituale in einer Form statt, wie wir sie auch aus
späteren griechischen und lateinischen Texten kennen: erst wird (in die Grube', den
ß6ßpo<;, geopfert, dann wird diese zugedeckt und darüber ein dauerhaftes Mal,
ein Grenzstein, ein Gott (errichtet,9. Doch wie die Ausgräber für die Architektur
des Gebäudes, das sie auf etwa 800 datieren, auf Späthethitisches verwiesen,
haben sich auch die Gründungsopfer aus gleicher Perspektive beurteilt: auch Tier-
opfer und Libationen sind, wenn auch in wenig spezifischer Form, in Mesopota-
mien als Bauopfer bezeugt lO •
Spezieller ist jenes Begraben von kleinen Wertgegenständen, besonders Metall-
stückchen: Hier hat sich offenbar eine mesopotamische Praxis ausgebreitet, wo-
bei der entscheidende Sprung über die Ägäis mit der Auswanderung von Hand-
werkern um 800 sich fassen läßt. Mit solcher Praxis muß freilich nicht viel an
geistiger Welt übernommen werden, kein Pantheon, keine Mythen; das Verfahren
wird selbst in den östlichen Texten nicht eigentlich verbal erklärt ll . Zu genügen
scheint die im Akt inhärierende Überzeugung, daß wertvolle Hingabe dauerhaf-
ten Wert und ungestörten Besitz schaffen werde. Doch eines zeigen gerade die
östlichen Texte: so sehr der Bauherr sich selbst in den Vordergrund drängt, die

6 H. Gallet de Santerre, J. Treheux BCH 71/2 (1947/8) 148-254; H. Gallet de Santerre,


Delos primitive et archalque (1958) 129; V. R. d'A. Desborough, The Last Mycenaeans
and their Successors (1964) 45f.; er nimmt an, man habe die mykenischen Objekte zu-
fällig beim Bau gefunden und wieder vergraben; gerade dies ließe sich mit assyrischem
Brauch, nach dem 'alten temennu' beim Bauen zu suchen (Ellis [1968] 147-50) zu-
sammennehmen.
7 P. Jacobsthal JHS 71 (1951) 85-95; L. Weidauer, Probleme der frühen Elektronprägung
(1975) 72-80; Boardman (1981) 118. A. Heubeck Kadmos 22 (1983) 62.
8 Rizza-Santa Maria Scrinari (1968) 24f.
9 Inschrift über die Errichtung einer Apollon-Statue zur Bannung einer Pest aus Kallipolis,
Chersonnes, K Buresch, Klaros (1889) 81-6, J. Krauss, Die Inschriften von Sestos
(1980) Nr. 11. - Grenzstein: Gromatici ed. Lachmann I 141.
10 Ellis (1968) 42f.
11 Ellis (1968) 138-40; 167f.: "to enhance the value of the building and the validity of
the ceremonies connected with its construction" (140).
Die orientalisierende Epoche 57

Gründung erfolgt ~nach der Botschaft der Beschwörungskunst' 12, der charismatische
Spezialist darf nicht fehlen. Dann aber hat man sich vorzustellen, daß auch bei
dem Bau in Gortyn, wo vielleicht nordsyrische Handwerker wirkten, ja vielleicht
beim Bau auf Delos auch ein ÖTJl.Ltoupy6C;; anderer Art, ein wandernder Seher
zugegen war.

4. Katharmos

Während die Entsprechungen mesopotamischer und etruskischer Hepatoskopie


seit langem diskutiert worden sind, sind die kaum geringeren Übereinstimmungen
östlicher Magie mit dem kathartischen Ritual der Griechen kaum je im Detail ins
Auge gefaßt worden. Dabei besteht auch insofern eine Parallele, als wiederum
im homerischen Epos die später geläufige Praxis nicht erscheint, wie schon antike
Kommentatoren feststellten; im kyklischen Epos jedoch, in der ~Aithiopis' war die
Reinigung des Achilleus nach dem Totschlag an Thersites dargestellt 1 . Dies wird
meist als Jüngere' Stufe genommen, scheint doch die Sorge um Reinigungen
und Reinheit ein wesentliches Charakteristicum der archaischen Epoche zu sein 2•
Daß der Einfluß Delphis darin zum Ausdruck kommt, gilt als ausgemacht.
Mögliche Kontakte mit einem skythischen ~Schamanismus' haben seit Karl Meuli
die Aufmerksamkeit auf sich gezogen3 ; auf ~Babylon' hat einzig Lewis Richard
FarneIl seinen Blick gerichtet, mit dem Ergebnis, die Unterschiede zwischen Ost
und West seien so wichtig, daß das griechische kathartische System nicht aus
BabyIon erborgt sein könne, zumindest könnten etwaige Übernahmen nicht in die
vorhomerische Epoche fallen 4 . Dies hat beruhigend gewirkt, obgleich FarneIl
Homer ins 10. Jh. datierte und damit für das 8./7. Jh. ~Einflüsse' durchaus zu-
ließ, ja in Einzelfällen ausdrücklich anerkannte.

12EIlis (1968) 16; 31; 34; ina sipir asipiiti: Sanherib, D. D. Luckenbill, The Annals of
Sennacherib (1924) 137, 31 (= Luckenbill 11 [192] § 437); Nabopolassar, S. Langdon,
Die neubabylonischen Königsinschriften (1912) 62,40-3.
1 Schol. T 11. 11, 690a, 111 261 Erbse: 1tap' 'OIlTJPY> oux otÖallEV <povea xaU-atpOIlEvoV. vgl.

aber 11. 24, 480 m. Schol. - Aithiopis, Prokl. ehrest. p. 106f. Allen.
2 Nilsson I (1967) 91f.; 632-7 und Greek Piety (1948) 41-7; Dodds (1951) 28-63; L. Mou-

linier, Le pur et l'impur dans la pensee et la sensibilite des grecs (1952); dagegen be-
streitet Parker (1983) 15f.; 66-70; 115f.; 130-43, daß·hier eine Entwicklung nachweisbar
sei.
3 K Meuli, Skythica, Hermes 70 (1935) 121-76 = Ges. Sehr. 11 (1975) 817-79; vgl. Dodds

(1951) 135-78.
4 Farnell (1911) 289; das Buch scheint die einzige redliche und gründliche Auseinander-
setzung mit dem Problem geblieben zu sein, wobei allerdings Farnell anscheinend die
Originalsprachen nicht studiert hat. --.. 11 2, 36.
58 WALTER BURKERT

Auch von den Quellen her ist die Lage ähnlich wie im Fall der Leberschau:
auf griechischer Seite sind wir auf einzelne Anspielungen und kurze Hinweise,
oft auch auf späte Berichte angewiesen; dem stehen in der akkadischen Literatur
ganze Corpora von magischen Ritualtexten gegenüber, die freilich noch nicht voll-
ständig erschlossen sind 5 . Oft handelt es sich um zweisprachige, sumerisch-
akkadische Texte, was für ihr Alter spricht; doch waren sie vor allem in der Biblio-
thek Assurbanipals gesammelt. Einzelnes ist bis nach Tarsos gelangt6 • Was die
Praktiker des Rituals betrifft, treten zwei Haupttypen hervor, der (Seher' barn,
der für Mantik zuständig ist, und der eigentliche Zauberpriester, asipu, dessen
Hauptaufgabe die Krankenheilung ist 7 • Auf ihn vor allem kommt es hier an.
Die kathartische Praktik der Griechen scheint sich auf die Reinigung des Mör-
ders von Blutschuld zu konzentrieren: Blut wird durch Blut gereinigt8 , das Stan-
dardbeispiel des Mythos ist Orest; Aischylos allerdings setzt als noch (früheres'
Paradigma Ixion an9 . Wie man sich die Prozedur des näheren vorstellt, läßt im
Fall des Orestes Aischylos erkennen 10 : um die Befleckung (auszuwaschen' (Iltaolla
bmAu't'ov, 281), muß ein Ferkel so geschlachtet werden, daß sein Blut den Be-
fleckten überströmt; mit fließendem Wasser wird dann das Blut hinweggespült:
so ist die Befleckung (vertrieben', xaßaplloic; T]AaßTJ XOtpox't'OVotc; (283). Daß das
Schmutzwasser, AUlla't'a, dann seinerseits beseitigt werden muß, erfahren wir
schon in der Ilias ll . Eindrucksvoll ist die Reinigung des Orestes auf einem apuli-
schen Glockenkrater im Louvre dargestellt, unmittelbar angeregt durch den Text

5 Liste in HKL 111 85-93; gute Übersicht bei Meissner 11 (1925) 198-241; vgl. auch G. R. Ca-
stellino, La letteratura magica, in O. Botto (ed.), Storia delle letterature d'oriente I (1969)
227-38. Sammlungen von Bearbeitungen und Übersetzungen magischer Texte bei Zim-
mern (1901); Fossey (1902); Thompson (1903/4); Thureau-Dangin (1921); Ebeling (1931);
gut ediert sind die Sammlungen Maqlü (G. Meier 1937) und Surpu (E. Reiner 1958);
repräsentative Auswahl in Übersetzungen bei Castellino (1977) 519-743. In SAHG sind
oft nur die Gebete, nicht die Ritualanweisungen wiedergegeben.
6 A. Goetze, Cuneiform inscriptions from Tarsus, JAOS 59 (1939) 1-16, hier 11-15
(Amulett?).
7 Zimmern (1901) 82-93; Meissner 11 (1925) 64-6.

8 Heraklit B 5; die Formel <povep <povov Soph. OT 100; Eur. Herc. 40; IT 1213; Or. 510; 816.
9 Aiseh. Eum. 441; 718; Fr. 313-8 Mette; Waser RE X 1373-83; Ixion als HI3IQN, d.h.
assoziiert mit ixe-t"TJ<;, auf einem neu aufgetauchten Vasenbild, E. Simon Würzb. Jb 1
(1975) 177-85. Hdt. 1, 35, 2 behauptet, die Lyder hätten die gleiche Form der Mord-
Reinigung wie die Griechen. - Im Mythos unterzieht sich auch Apollon der Reinigung
nach Tötung, bei Karmanor (Paus. 2, 30, 3; 10, 7, 2; Schol. Pind. Pyth. hypo c), in
Tempe (Delphischer Hymnos des Aristonoos I 17, p. 163 Powell), durch Verbannung
zu Admet (Eur. Alk. 5-7).
10 Aiseh. Eum. 282f.; 448-52. Ausführlichste spätere Schilderung einer Mordreinigung:

Ap. Rh. 4, 662-717; vgl. Parker (1983) 370-4.


11 Il. 1, 314.
Die orientalisierende Epoche 59

des Aischylos12: Apollon selbst hält das Sühne-Ferkel direkt über den Kopf des
Befleckten, das Blut wird direkt auf sein Haupt fließen, läßt sich aber auch wieder
beseitigen; Schuld wird w~chbar.
Reinigung von Blut durch Blut in dieser Form ist in (Babylonien' nicht be-
zeugt, wie Farnell feststellte 13 . Doch das gleiche Ritual mit dem über den Kopf
gehaltenen Opferferkel zeigt in dramatischer Bewegtheit der Krater von Cani-
cattini 14, nur daß es dort nicht um Reinigung eines Mörders geht, sondern um
Reinigung der Proitos-Töchter vom Wahnsinn; ihm lag eine rituelle Verfehlung
zugrunde, die bald so, bald so erzählt wird; die Kur gilt der Krankheit. Damit
aber wird auch der Fall des Orestes doppeldeutig: auch Orestes ist wahnsinnig,
ist (krank'. Geht es um Sühne oder Krankenheilung? Die Frage stellen, heißt sie
aufheben: daß in archaischen Gesellschaften soziale und leibseelische Störungen
nicht klar geschieden werden, daß Richten und Heilen ineinandergeht, ist neuer-
dings oft hervorgehoben und dargestellt worden. Verfehlung führt zu Krankheit,
Krankheit beruht auf Verfehlung. Auch das griechische Wort v6aoc; umfaßt ja
beides 15, Leibliches und Soziales, ein breites Spektrum von Störung und Lei-
den. Entsprechend breit ist die Wirkungskraft der Therapie, die der (wissende' Spe-
zialist zu fmden weiß. Mit anderen Worten: die (Entsühnung' des Orestes läßt
sich gleichermaßen, auch schon vor Euripides, als Heilung von einer manifesten
(Krankheit' auffassen. Dann aber wird die Grenze zwischen (Babylonien' und Grie-
chenland durchlässig.
Ein zweisprachiger Ritualtext der Sammlung (Die schlimmen Krankheitsgeister' ,
asakki mar~uti, enthält folgende Anweisung für den Beschwörer - sie wird di-
rekt vom Himmelsgott Anu an seinen Sohn Marduk mitgeteilt -: "Ein Ferkel
(nimm und leg es auf den) Kopf des Kranken, reiß sein Herz heraus und (leg
es auf) die Herzgrube des Kranken, mit seinem Blut bestreiche die Seiten des
(Kranken)bettes, das Ferkel zerlege in seine Glieder und breite sie über den
Kranken hin; diesen Menschen reinige und säubere mit dem reinen Wasser des
Apsu, Räucherbecken und Fackel bringe zu ihm, Aschenbrote, zweimal sieben,
lege an der Außentüre nieder; gib das Ferkel als Ersatz für ihn, gib Fleisch wie

12 Louvre K 710; A. D. Trendall, A. Cambitoglou, The Red-Figured Vases of Apulia I


(1978) nr. 4/229; G. Schneider-Hermann AK 13 (1970) 59, T. 30, I; R. R. Dyer, The
Evidence for Apollo Purification Rituals at Delphi and Athens, JHS 89 (1969) 38-56;
dort auch weitere Vasenbilder.
13 Farnell (1911) 129f. Mesopotamische Blutrituale sind zusammengestellt von L. Cagni in:
Sangue e Antropologia Biblica ed. F. Vattioni (1981) 74-6, und R. Gelio ibo 438-45.
14 E. Langlotz, M. Hirmer, Die Kunst der Westgriechen (1963) 24; A. D. Trendall, The
Red-figured Vases of Lucania, Campania and Sicily (1967) 602 nr. 103; AK 13 (1970)
59f., T. 30, 2. Dazu ein Cameo der ColI. Fould, RML II 2574. Zum Proitidenmythos
Burkert (1972a) 192f.
15 VgI. Soph. Tr. 1235: E~ UAIX01;6pwv voaot. Die Frage nach der Ursache einer Krankheit
richtet sich an 'Seher, Priester, Traumdeuter', 11. 1, 62.
60 WALTER BURKERT

sein Fleisch, Blut wie sein Blut: sie (sc. die Dämonen) sollen es nehmen; das
Herz, das du auf die Herzgrube gelegt hast, gib wie sein Herz, sie sollen es
nehmen" (Lücke) "Das Ferkel sei seine Stellvertretung. Möge der böse Geist,
der böse Dämon beiseitetreten! Möge der freundliche Geist, der freundliche
Dämon zugegen sein!,,16
Dieses Ritual ist nicht identisch mit dem, was wir für Orestes und die Proitiden
uns vorzustellen veranlaßt sind, hat aber doch so viele Ähnlichkeiten, daß es
einem flüchtigen Beobachter zum Verwechseln ähnlich erscheinen muß: die Si-
tuation der Krankheit, der (wissende' Spezialist, das Ferkel als Opfertier, Schlach-
ten und Blutkontakt, dann Reinigung mit Wasser. Fackel und Räucherbecken
gehören auch zum Apparat des griechischen Reinigungspriesters 17 . Auffallend be-
tont ist im mesopotamischen Text die Funktion des (Ersatzes', worauf zurück-
zukommen ist. Am genauesten entspricht dem ein Ritual gegen Hexen, striges,
de facto gegen eine Kinderkrankheit, wie es Ovid im Zusammenhang der Car-
mentalia beschreibt: wiederum ist es ein Ferkelopfer, das die Göttin Carmenta
selbst exemplarisch vorführt, mit der Formel "nehmt das Herz für das Herz,
Eingeweide für Eingeweide, dieses Leben geben wir euch für ein besseres,,18.
Handelt es sich hier um Spontanparallelen auf Grund von ~lementargedanken',
oder sind im niederen Bereich der Hexen' und der Magie die Kulturschranken
durchlässiger als in der hohen Kultur?
Betrachtet man Orestes als einen Fall von Krankheit, v6aoc;;, so ist eben seine
1<rankheit' in besonderem Maße personalisiert, als Ansturm von Dämonen aus-
gemalt. Die Erinyen sind vorgestellt wie Raubtiere, Hunde', die sein Blut aus-
saugen, seine Lebenskraft auszehren wollen. Merkwürdigerweise erscheint einmal
bei Homer Krankheit allgemein als (Ansturm eines Daimon,19. Von dämonischen
und göttlichen (Angriffen' (eq>oöOt) sprechen auch jene Magier, die der Verfasser
der Schrift (Von der Heiligen Krankheit' bekämpft. Geläufig, ja grundlegend ist
die Vorstellung von den raubtierhaften, nach Fraß gierigen Dämonen in der meso-
potamischen Heil-Magie. Doch fehlt dort auch nicht der sachlichere Begriff vom
(Fluch des Mordes', der durch ein Ritual im Waschhaus' beseitigt werden muß 20 •
Trotzdem bleibt bestehen, daß die besondere Funktion Oder Mordsühne, für die
Orestes Modellfall ist, daß das System der Reinigungen im archaischen Blut-
recht der Griechen nicht als solches (babylonischer' Import ist; insoweit ist Far-
nell durchaus Recht zu geben. Doch spricht dies nicht gegen einen Zusammen-
hang, im Gegenteil. Im Zweistromland war Blutschuld seit ungewöhnlich langer

16 Thompson II (1904) 16-21; Meissner II (1925) 222.


17 Spöttische Beschreibung der Proitiden-Reinigung bei Diphilos Fr. 126: ö~öt J.Lt~ OXiAAT:J 't'e
J.Lt~ ... i}eiep 't" ao<paA't'ep 't'e 1tOAU<pAOioßep 't'e i}aAaOOT:J.
18 Ov. Fast. 6, 158-62.
19 Od. 5, 396 o't'Uyepoc; öe oi expae öaiJ.Lwv. - Aiseh. Cho. 1054; Eum. 264-7. ->- II 6, 2.
20 arrat saggaste, Surpu 5, 48f. Näher noch ist dem Griechischen das Alte Testament:
das vergossene Blut 'schreit' von der Erde, Gen. 4, 10, wie Aiseh. Cho. 400-404.
Die orientalisierende Epoche 61

Zeit durch die staatliche Gesetzgebung eingefangen und reglementiert, war inso-
fern kein Problem; unbeeinflußbar durch Gesetze waren aber die individuellen
Leiden, Krankheiten, hinter denen eine juristisch nicht faßbare Schuld zu stehen
scheint. Dies war der Bereich der Praktiker, der Beschwörungspriester. In Grie-
chenland traf solche Praxis nicht nur auf private Bedürfnisse gleicher Art, sondern
darüber hinaus auf ein Vakuum, was (soziale Krankheiten', Störungen der Gemein-
schaft zumal durch Mord und Blutvergießen betraf. So konnte die magische
Therapie' zu einer öffentlichen Bedeutung kommen, die im Bereich östlicher
Verwaltungsbürokratie undenkbar war. Bei den Griechen fehlte die Eindeutigkeit
von Herrschermacht und -recht: Ungewißheit, Unsicherheit ist auch hier das Pendant
der Freiheit. So gab es die beunruhigenden Fälle der (Krankheit' einer Stadt und
das Bedürfnis nach heilender Sühnung; so wurde Epimenides von Kreta nach
Athen berufen21 . Die Differenz zwischen Östlichem und Griechischem ist also
allerdings kulturspezifisch, was aber nicht gegen (Einfluß' und (Übernahme'
spricht: eben der (Import' mußte im neuen Kontext eine neue Funktion ge-
winnen; die rituellen Praktiken selbst, wie sie von östlichen Beschwörern seit
langem geübt wurden, brauchten sich deswegen kaum zu ändern.
(Reinigung' ist ein Elementaranliegen, das auch in religiöser Formung weltweit
seine Rolle spielt; ähnliche Formulierungen, ähnliche Prozeduren sind zu erwarten:
"Geh hinaus, Böses! Komm herein, Wohlergehen,,22 ist ein sehr allgemeiner
Wunsch. Die detaillierte Übereinstimmung von Mesopotamischem und Griechi-
schem ist trotzdem bemerkenswert, in diesem Fall wie in anderen Einzelheiten. Hier
wie dort fürchtet man schon den bloßen Kontakt mit umeinen Personen oder
umeinen Stoffen: "Er ist mit einer Frau mit umeinen Händen in Kontakt ge-
kommen, er ist mit einem Mann mit unreinen Händen in Kontakt gekommen,
seine Hand hat einen unreinen Körper berührt", dies gehört zu den Vermutun-
gen des Beschwörers im Krankheitsfa1l23 . Bei der Reinigung spielen, neben Ferkel-
blut, Fackel, Wasser der Tiefe auch Zweige eine bezeichnende Rolle. Im Ge-
dicht des Mannes, der seine Heilung von Krankheit feiert, (Ich will preisen den
Herrn der Weisheit', wird ein Hoffnung spendender Traum geschildert: "Im Traum
sah ich (. ..) einen bestimmten Mann (. .. ); einen Tamariskenzweig, ein Wasser-
gefäß hielt er in der Hand ... Er erhob das Wasser, er sprengte es über mich, die
Beschwörung des Lebens rezitierte er, er salbte mich,,24. Daneben die Ursprungs-
legende von Didyma: Branchos, der apollinische Seher, befreite die Milesier von

21 -+ II 1, 10. Vgl. Parker (1983) 125f.


22 Inschrift auf magischen Figuren: Rittig (1977) 188-94; ganz ähnlich beim Ritual der 'Aus-
treibung des Heißhungers' in Chaironeia: E~W ßOUAtIlOV' eow öe 1tAOU'WV xat uyietav,
Plut. q. conv. 694F (diesen Hinweis verdanke ich R. Stucky).
23 Thompson II (1904) 138-41; vgl. AT Lev. 5, 2f.; Aisch. Eum. 285: erst nach der Reini-
gung gibt es aßAaßfJ<; ouvouoia mit Orestes.
24 'Lüdlü1 bel nemeqi' III 23-8, Lambert (1960) 48f., übersetzt ANET 436, Castellino
(1977) 487.
62 WALTER BURKERT

der Pest, "er besprengte das Volk mit Lorbeerzweigen, begann den Gesang ...
Das Volk sprach den Refrain"; Kallimachos läßt Branchos selbst die Formel, die
die Menschen nicht verstehen, zwei- oder dreimal sprechen25 . Ist hier eine Fremd-
sprache im Spiel? Eine andere, drastische Reinigungsprozedur ist das (Abreiben',
(X1Wjlanetv. Demosthenes erwähnt den Terminus in seiner Invektive gegen die
Mutter des Aischines, die Reinigungspriesterin; die Lexika erklären, daß die zu
Reinigenden mit Lehm und Spreu umkleistert und dann abgeschabt wurden.
Den (Reiniger des Heeres, Kenner der <X1WjlaYjla'ta' nennt auch Sophokles 26 .
Das (Abwischen', kuppuru - in der Regel mit Teig (flsu) - ist aber auch eine
wohlbezeugte Praxis der mesopotamischen Reinigungspriester27 ; wie wichtig die
Hantierung war, spiegelt sich darin, daß dieser Wortstamm im Hebräischen die
Reinigung schlechthin, auch ohne die entsprechende Praxis, bezeichnet: Yom
Kippur ist der Tag der Reinigung'. Die Praxis selbst verbindet das Akkadische
gerade mit dem Griechischen. Eine Reinigungssubstanz, die in östlichen Texten
oft erwähnt wird, ist Asphalt; &a<paA'to<; gehört aber auch zur Ausstattung der
Hexen des Sophron28 . Wie man mit einer Zwiebel (reinigt', indem man sie zer-
blättert, wird ausführlich im akkadischen Text vorgeschrieben; im Griechischen
heißt die entsprechende Zwiebel nach Epimenides 29 .
Rückstände von der Reinigung müssen entsorgt werden: ,,sie warfen die AUjla'ta
ins Meer", so die llias (1, 314). Auch der babylonische Beschwörer kann das
Wasser mit "allem Bösen" wegschütten30 - andere freilich müssen sich hüten,
damit in Kontakt zu kommen -. Besser, man verwendet" einen Topf, in dem auch
die zuvor hergestellten magischen Figuren sicher eingeschlossen werden 3!. Ent-
sprechend stellt man auch im Griechischen für "diejenigen, die die Städte reini-
gen", einen Topf bereit, der <papjla%T) heißt 32 . Die Reste, auch die Kohlen vom
Opferbrand, werden in Mesopotamien "an eine wüste Stelle geworfen", "in ver-
fallene Wüsteneien begraben", "in der Steppe unter einem Dornbusch deponiert,,33.

25 Apollodoros von Kerkyra bei Clem. Str. 5, 48, 4; Kallimachos Fr. 194, 26-31.
26 Demosth. 18, 259; Harpokr. (bto~(i't"rwv. Sophokles Fr. 34 Radt: o'Lpa'wü xaß'ap'LfJe;;
xcX1to~ay~iX'Lwv tÖpte;;. Tatsächlicher Fall der Reinigung eines Heeres: Xen. Anab. 5, 7, 35.
27 Zimmern (1901) 92; AHw 442f.; Schrank (1908) 81-8.
28 Kupru AHw 509 - Sophron Fr. 5 Kaibel, --+ Anm. 17.
29 Surpu 1, 13; 18; rev. 9'; 5, 60-72 - OXiAAT) 'Em~eviöelOe;; Theophr. h. plant. 7,2,1 vgl.
Char. 16, 14; Kratinos Fr. 250 Kassel-Austin, Diph1los Fr. 126, 3 Kock (--+ Anm. 17).
30 Surpu 8, 89f.: Maqlü 7, 81.
31 Ebeling (1931) 80-2, Nr. 21, 1-38; 138 Nr. 30 C 9.
32 <pap~iXXTr i] XU'Lpa, ilv i]'Loi~a(ov 'LOte;; xaß'aipou01 'Lae;; 1tOAete;;, Hsch. In der Querolus-
Komödie (p. 38, 10-15 Ranstrand) verlangt der angebliche Magier nach einer arcula
inanis . .. , in qua lustrum illud exportetur foras; auf Menander zurückgeführt von K. Gaiser,
Menandros Hydria, Abh. Heidelberg (1977, 1) 179-86.
33 Ebeling (1931) 138 Nr. 30 C 11 ana ~urbati; id. 82 Nr. 21, 38 ina ~urbl nadüti; Surpu
7, 64ff. 'Dornbusch'. Vgl. Ebeling (1919) I 33 = Castellino (1977) 633.
Die orientalisierende Epoche 63

In der Schrift Von der Heiligen Krankheit' klingt das so: "Die Reinigungsreste
verbergen sie teils in der Erde, teils werfen sie sie ins Meer, teils tragen sie sie
in die Berge, wo niemand sie berühren noch darauftreten wird,,34. Daß einer mit
dem Fuß auf unreines Wasser getreten ist, gilt wiederum in Mesopotamien als
mögliche Ursache des Leidens, ebenso wie noch in der römischen Kaiserzeit 35 .
Übrigens wird auch im Rahmen der römischen Devotion das Ersatzbild dort ver-
graben, "wo kein römischer Beamter hintreten darfd6 .
Noch ein besonders auffallendes Detail: Epimenides, der berühmteste Reini-
gungspriester, erhielt von den Nymphen eine Wundernahrung, die ihn ohne ge-
wöhnliches Essen auskommen ließ, ein &ÄlIlOV. Er bewahrte es in einem Kuh-
huf auf - anscheinend hätten gewöhnliche Behälter es nicht zu fassen ver-
mocht _37. Ein akkadischer Beschwörungstext schreibt VO~8: "Eine Rinderklaue
sollst du mit Wasser füllen, Bitterkommehl hineinwerfen, mit einer Binse vor dem
Sonnengott schlagen, ausgießen: die Toten werden femgehalten werden". Der
Effekt ist anders, doch das Rezept offenbar verwandt. In einem Mauleselhuf
wurde, nach dem Alexanderroman, das Gift des Antipatros transportiert, an dem
Alexander der Große starb, in Babylon39 .
Der Skeptiker kann immer noch den direkten Kulturkontakt bezweifeln und
auf Spontanparallelen insistieren. Doch gerade mit dem Namen Epimenides
kommt der historische Horizont der orientalisierenden Epoche ins Spiel. Es ist
gerade das archaische Kreta, das in der griechischen Überlieferung als Heimat
des kathartischen Wissens gilt. Epimenides ist mit den Kulthöhlen Kretas verbun-
den, einer Höhle des Zeus, wo er in einem Jahrzehnte dauernden Schlaf seine
Initiation erfuhr; als Initiant wiederum erscheint Epimenides gerade für die Zeus-
höhle am Ida4o . Falls der historische Epimenides je diese Höhle aufsuchte,
stand er jenem assyrisierenden Tympanon gegenüber, das wahrscheinlich orien-
talische Handwerker für den Zeuskult gefertigt haben41 . Noch vor Epimenides

34 VI 362 Littre. - Man kennt auch Entfernung der Pest durch Vögel, Arist. Fr. 496 =
Paus. Att. q> 5 Erbse, wie bei Aussatz AT Lev. 14,4-7; 49-53.
35 Thompson II (1904) 138f. ina me la isaruti sepsu istakan. - Petron Sat. 134, 1 quod
purgamentum in nocte calcasti in trivio ...
36 Liv. 8, 10, 12 ubi ilIud signum deJossum erit, eo magistratum Romanum escendere Jas non
esse.
37 Diog. Laert. 1, 114 = FGrHist 457 T 1.
38 Ebeling (1931) 150 Nr. 30 F 35f.
39 Historia Alexandri Magni 2, 31, 3 Kroll; Testamenturn Alexandri, R. Merkelbach, Die
Quellen des griechischen Alexanderromans (1977 2 ) 254. Vgl. Paus. 8, 18, 6: Styx-Wasser
kann nur in einem Pferdehuf aufbewahrt werden.
40 Diog. Laert. 8,3; Epimenides FGrHist 457 F 18 nennt die Ida-Höhle im Zusammenhang
des Zeusmythos. - Grottanelli (1982b) 659 assoziiert den Namen von Epimenides' Mutter,
BahT], mit Ba 'alat.
41 ...... I 2, 13.
64 WALTER BURKERT

war Thaletas von Gortyn tätig, der eine Pest in Sparta heilte 42 ; Gortyn ist gleich-
falls ein Zentrum orientalisierender Handwerkskunst. Ganz ins Mythische ftihrt
Karmanor, der ApolIon selbst nach der Tötung des Delphischen Drachens rei-
nigte; dieser Name scheint nicht griechisch zu sein 43 . Jedenfalls ist Kreta nicht
nur das alte Zentrum der Minoischen Kultur, sondern auch - nächst Cypern -
der dem semitischen Orient am nächsten verbundene Bereich in der geometri-
schen und frühorientalisierenden Epoche. ApolIon selbst hat merkwürdige rituelle
Verbindungen zum semitischen Orient, vor allem in der Feier des Neumondtages
und des siebten Monatstages44 . So wird die Annahme bloßen Zufalls nachge-
rade zur unwahrscheinlichsten Hypothese.
Es bleibt die Frage, ob nicht sprachliche Entlehnungen den schlüssigen Beweis
für die kulturelle Abhängigkeit vom Osten liefern können. An nichtgriechische
Eigennamen wie Karmanor oder auch Branchos und Rhakios 45 Assoziationen zu
knüpfen, ist wenig aussichtsvoll. Ernster ist die Vermutung, daß gerade das Ver-
bum xaßaipw samt dem Adjektiv xaßap6<; an einen semitischen Stamm im Um-
kreis der (Reinigungen' anknüpft, qa.täru (räuchern,46. Nicht weniger suggestiv
ist der Zusammenklang des akkadischen Wortes für (beschmutzt', lu"u, luwwu, mit
dem zu beseitigenden (Schmutz' der griechischen Reinigungsrituale, AUjla'ta,
Äußpov. Griechen konnten diese Wörter ebenso mit Ä'uetv wie mit Äouetv asso-
ziieren, doch lassen die Regeln der Wortbildung das eine nicht, das andere nur
mit Schwierigkeiten ZU47. Freilich sind beide Wortgruppen, insbesondere aber
xaßaipetv in der Sprache Homers bereits verwurzelt, haben also den Fremd-
wörterstatus längst überwunden. Ähnlich steht es mit einem dritten Gleichklang
in diesem Bereich: apa heißt Gebet und Fluch, der apll'tf]p Chryses ist es, der
eine Pest herbeiftihren und wieder bannen kann; (fluchen' heißt auf Akkadisch
aber aräru; arä! (fluche', lautet der Auftrag des Königs von Moab an Bileam;
Griechen hätten dieses Wort in dieser Situation wenn nicht grammatikalisch so

42 --+ II 1, 12.
43 --+ Anm. 9.
44 ApolIon und Numenia: Hdt. 6, 57, 2; Philochoros FGrHist 328 F 88; voulJ.TJvtao'tai des
Apollon Delphinios: F. GrafMH 31 (1974) 214; vgl. RE XVII 1293; ApolIon eßöolJ.ayha<;;
Aiseh. Sept. 800f., vgl. Hdt. 6, 57, 2, 'EßMlJ.eto<;; IG II/lII2 4974, 'Eßö0lJ.a{wv Inschriften
von Erythrai (1972/3) 207, 87; 'Eßö0lJ.a'ia der Molpen von Milet LSAM 50, 6; 21 etc. -
Neumondfest der Juden: 1. Sam. 20, 3; 2. Kön. 4, 23; Esra 3, 1 etc. Vgl. auch Burkert
(1975).
45 rähü 'Spukmacher' AHw 944a. Rhakios ist der Gatte der Manto, Ziehvater des Mopsos.
46 S. ievin SMEA 13 (1971) 31-50 zu vb,'tap; Burkert (1975) 77. Vgl. AHw 907 (qua/aru);
930f. (qu/renum 'Weihrauchopfer'); AT z.B. 2. Kön. 23, 5 jeqa.t.ter(u) 'sie räucherten', was
transskribiert in etwa exaöTJp(e/av) ergäbe.
47 AHw 565 lu"u 'beschmutzt', lutu(m) 'Schmutz'; rimk[i lu]'ti vom schmutzigen Wasch-
wasser der Reinigung Maqlü 1, 105. Zu den Schwierigkeiten der Wortbildung von AUlJ.a/
AUÖPOV Chantraine (1968/80) 650f., zu Bedeutung und Assoziationen E. Tagliaferro in:
Sangue e Antropologia Biblica I (1980) 182, 36; 186-9; vgl. auch lustrum (Anm. 32).
Die orienta1isierende Epoche 65

doch dem Inhalt nach zweifellos (verstanden'. Schwierigkeiten macht, daß inner-
griechisch vielmehr apf& anzusetzen ist48 . Die möglichen Lehnwörter können den
gewünschten bündigen Beweis nicht liefern; zu behaupten, daß es sie nicht gibt,
wäre aber nicht weniger kühn. Anzuerkennen bleibt das Kontinuum von der meso-
potamischen zur mediterranen Kultur.

5. Totengeister und Schadenzauber

Die bösen Mächte, gegen die die (Reinigungen' helfen sollen, werden als böse,
raubtierhafte Dämonen vorgestellt!. Neben vielerlei phantastischen Namen, die
dabei genannt werden, spielt im besonderen auch der Totengeist' eine üble Rolle,
e!emmu 2 • Dem steht auch im Griechischen eine bei Homer eher verdrängte
als (noch nicht' erwachte Angst vor Totengeistern und ihrem Einfluß gegenüber;
hierauf hat besonders Erwin Rohde die Aufmerksamkeit gelenkt 3 • Freilich hat die
universale Hypothese des Animismus, von der auch Rohde beeinflußt war, kultur-
spezifische Vergleiche eher hintangehalten.
Immerhin muß auffallen, wie sehr die homerische Hadesvorstellung der meso-
potamisehen entspricht; insbesondere die Erscheinung der Seele des Patroklos
vor Achilleus mit der Auskunft über die Unterwelt ist der entsprechenden Szene
, zwischen Enkidus Geist und Gilgames auffallend ähnlich4 • Darüber hinaus erfolgt
die rituelle (Besänftigung' der Toten in ganz ähnlicher Weise, vorzugsweise durch
Libationen verschiedener Art, "Wasser, Bier, Röstkorn, Milch, Honig, Rahm, Öl"
in Mesopotamien5 gegenüber "Milch, Honig, Wasser, Wein, Öl" bei Aischylos6.
Vor allem fällt auf, wie wichtig reines Wasser als Totenspende ist, "kühles Was-
ser", "reines Wasser"7; daß man dazu eigens Röhren ins Grab verlegte, ist im

48 Zu araru AHw 65; Bileam AT Numeri 22, 6 -+ II 1, 4; zu apa Chantraine (1968/80)


100f.
t -+ II 4, 19.

2 AHw 263f.

3 Rohde (1898), bes. I 259-77: "Elemente des See1encultes in der Blutrache und Mord-

sühne".
4 "The comparison ... is, indeed, almost irresistib1e" G. S. Kirk, Myth (1970) 108; vgl.
id., The Nature of Greek Myths (1974) 26Of.; -+ III 1, 1.
5 Ebe1ing (1931) 68f., Nr. 15, 23-5, beim rituellen Begräbnis im Rahmen eines Ersatz-
opfers, -+ II 6.
6 Aisch. Pers. 611-8; vgl. Eur. Iph. Taur. 159-66 (Wasser Milch Wein Honig).
7 Assurbanipa1 restituierte "Totenspeise und Wassergüsse" (naq me) rur die früheren
Könige, Streck (1916) II 25Of.; vgl. Ebeling (1931) 131 Nr. 30A III 38; Farber (1977) II a
158; unruhige Geister "die keine Wassergüsse" (naq me) "haben" Thompson 1(1903) 40.
Zu Wasserlibationen im griechischen Totenkult Burkert (1977) 125; 299.
66 WALTER BURKERT

griechischen Kleinasien seltene Kuriosität 8 , in Mesopotamien dagegen auch lite-


rarisch direkt bezeuge.
Tote, die sich wirkungsmächtig erweisen, heißen griechisch (Heroen'; daß Heroen
insbesondere die Macht haben, alle möglichen Krankheiten über die Menschen
zu bringen, wenn sie nicht besänftigt' werden, zeigt besonders beredt und spaßig
ein neues Aristophanes-Fragment lO • Gleiche Angst gilt im Akkadischen dem
e,temmu, der für vielerlei Krankheiten die Ursache sein kann; hier liegen wieder-
um ausführliche Beschwörungstexte vor 11 : "Wenn ein Totengeist einen Menschen
gepackt hat", "die Hand eines Totengeistes,,12, bedarf es der Beschwörung. So
empfmdet und betet der Kranke selbst: "Sei es nun ein Totengeist meiner Fa-
milie oder meiner Hausgemeinschaft oder der Totengeist eines im Kampf Ge-
töteten oder ein herumirrender Totengeist" 13. Es ist für die psychosozialen be-
dingungen des Leidens bezeichnend, daß gerade die Geister von Nahestehenden
zu fürchten sind: "Die Hand des Totengeistes seines Vaters und seiner Mutter
hat ihn gepackt,,14. Nicht weniger fürchtet man den Zorn derer, die keines
natürlichen Todes gestorben sind, der ßtatoßava't'Dt nach griechischer Termino-
logie: Der "im Kampf Getötete" und der Unbestattete, "der in der Wüste liegt,
von Erde nicht bedeckt", "dessen Leichnam man in die Steppe warf ... : sein Geist
ist ruhelos auf der Erde,,15. Doch auch ein "fremder Totengeist", "dessen Namen
niemand kennt", kann hinter den Qualen eines Kranken stehen 16.
Der griechische Terminus für solchen (Zorn' eines Toten ist jJ.llvtjJ.a. Er tritt
in bezeichnender Weise schon bei Homer auf: Hektor droht im Sterben Achil-
leus, der ihm die Bestattung verweigern will, er könne ihm zum ßEWV jJ.llvtjJ.a
werden und ihn selbst zu Tode bringen; Elpenor fordert von Odysseus eine or-
dentliche Bestattung, damit er nicht zum jJ.llvljJ.a werde 17 • Dies sind offenbar
kritische Fälle, der "im Kampf getötete" und der "unbestattete", herumirrende
Totengeist. Daß man den "alten jJ.llvijJ.a't'a" mit magischen Weihen zu Leibe geht,
sagt ausdrücklich Platon; sie manifestieren sich in "größten Leiden", die in "gewis-
8 Th. Wiegand, Sechster vorläufiger Bericht über die in Milet und Didyma vorgenom-
menen Ausgrabungen, Abh. Berlin (1908) 27; Nilsson (1967) 177, 1; RE Suppl. VIII 136.
9 CAD 11 (A) 324 s.v. aliitu (das Wort ist anders aufgefaßt von Ebeling [1931] 132, AHw
72b).
10 Aristophanes, Heroes, Fr. 58 bei C. Austin, Comicorum Graecorum Fragmenta in Papy-
ris reperta (1973) = ZPE 1 (1967) 16lf.; Th. Gelzer ibo 4 (1969) 123-33.
11 Bes. Ebeling (1931) nr. 30 A-F; nr. 31 'Beschwörungen und Riten gegen den Toten-
geist'.
12 Ebeling (1931) 80, Nr. 21, 1; 138; Nr. 30 CI; 142, Nr. 30 D 1.
13 SAHG 341 = Ebeling (1931) 141, Nr. 30 CRs. 10f.
14 Ebeling (1931) 84 Nr. 21 Rs. 23; vgl. Castellino (1977) 647.
15 Thompson I (1903) 38f. (Serie utukki lemnüti); Gilgames XII 151f.; Vgl. Ebeling (1931)
145, Nr. 30 C 22-9.
16 Ebeling (1931) 145, Nr. 30 E 22.
17 11. 22, 358; Od. 11, 73.
Die orientalisierende Epoche 67

sen Familien" auftreten, in "Wahnsinn" - dies erinnert wieder an Orestes -, der "aus
alten, ungereinigten Unrechtstaten für die Menschen kommt,,18. Platon möchte
den moralischen Faktor betonen und kann doch nicht umhin, die ~Reinigungen'
zu nennen. Spezialist für solche Reinigungen aber ist wiederum Epimenides, der
"nicht über Zukünftiges, sondern über Vergangenes" weissagte 19.
Nun fehlt es nicht an Menschen, die gerade den ~Zorn' der Totengeister sich
gerne nutzbar machen durch Schadenzauber. Eine in der ganzen Antike bekannte
Praxis ist, Bilder des zu Schädigenden herzustellen und in Gräbern zu vergraben;
so verfallen sie den Toten und den Göttern der Toten. Eine solche ~Rachepuppe'
aus Perikleiseher Zeit wurde im Kerameikos gefunden; die gleiche Praxis wird
von bösen Hexern aber auch im Zweistromland angewandt. So klagt der Kranke:
"Figuren von mir habt ihr einer Leiche übergeben", man hat "meine Bilder ins
Grab gelegt"; "wenn eines Menschen Bilder hinter ihm einem Toten übergeben
sind", spürt dies der Betroffene durch Verlust an Lebenskraft. Gegenzauber-
Rezepte enthält vor allem die Sammlung Maqlü 2o .
Auch andere Formen des Schadenzaubers treten hier wie dort auf: daß man
"die Gestalt nachbildet", "Speichel nimmt, Haar, Gewandsaum, Fußspuren,,21,
mag freilich als Allerweltszauber erscheinen. Den ~Gewandsaum' verwendet natür-
lich auch die Pharmakeutria Theokrits 22 . Immerhin gibt es auch akkadischen
Liebeszauber unter Verwendung von Figuren 23 , die Pharmakeutria aber beruft
sich ausdrücklich auf einen "Fremden aus Assyrien", von dem sie ein besonders
wirkungsvolles Mittel hat24 . Dies ist hellenistisch; doch schon Platon schildert den
unheimlichen Eindruck, den es bei den Bürgern einer Stadt macht, "wenn sie
wächserne Nachbildungen erblicken, vor den Türen oder an den Dreiwegen oder
auf Gräbern, vielleicht denen der eigenen Eltern,,25: die magischen Praktiken
sind längst vorher zugegen; und in gleicher Weise erschrickt man in Babyion
über "Machwerke, die sich zeigen" und "Lebensabschneidung" anzeigen26 : hier
ist Gegenzauber vonnöten.
Unmittelbar anschaulich und eindrücklich ist der Vernichtungsritus, der wäch-
serne Bilder zerschmelzen läßt; dies wird wie bei Theokrit auch in Mesopota-

18 Plat. Leg. 854b; Phdr. 244d. VgL Trag. Adesp. F 637, 16 Snell; Eur. Phoin. 934 - beide
Male ist der jlcXV't'l<; zur Stelle, sich mit dem jlf]VtjlCX zu befassen.
19 Arist. Rhet. 1418 a 24-6 = FGrHist 457 F 1.
20 J. Trumpf, Fluchtafel und Rachepuppe, AM 73 (1958) 94-102. Burkert (1977) 129. -
Maqlü 4, 27-47; VgL 1, 1; Ebeling (1919) II 38, 26 = Castellino (1977) 675, 27; Farber
(1977) III 10; Ebeling (1931) 133, nr. 30 A Subscriptio.
21 Maqlü 1, 131ff. = Castellino (1977) 618. Biggs (1967) 28.
22 Theokr. 2, 53.

23 Biggs (1967), bes. 28, Z 22-24: Figuren aus Wachs, Talg, Bitumen, Gips.
24 Theokr. 2, 162; q>ihpot<; xcx'möf]aojlcxt 159.
25 Plat. Leg. 933b.

26 Ebeling (1931) 71 nr. 17, 2.


68 WALTER BURKERT

mien durchgeflihrt. In Ägypten ist Wachsfiguren-Zauber gar schon im 3. Jahr-


tausend bezeugt27 . Aus dem 8. Jh. liegt in diesem Fall sogar ein aramäisches
Dokument vor, so daß· die vermutliche Brücke zwischen dem Zweistromland und
griechischen Bereichen flir einmal sichtbar wird. Es handelt sich um eine Eides-
formel in einem internationalen Vertrag: "Wie eine Wachsfigur verbrannt wird,
so sollen ... verbrennen". Das gleiche steht dann im 7. Jh. in einem Vertrag des
assyrischen Königs Assarhaddon mit Vasallen28 . Dem entspricht der Eid der
Kyrenäer gemäß der Gründungsurkunde, die freilich kaum ein authentisches
Dokument aus dem 7. Jh. ist: "Sie formten wächserne Bilder und verbrannten
sie, wobei sie beteten, daß der, der nicht diese Eide bewahre sondern über-
träte, zerschmelzen und niederfließen sollte wie die Bilder,,29. Immerhin ist die
Praxis vom Osten her gerade flir die archaische Epoche gesichert, und Eides-
rituale und -formeln haben wohl eine ganz besondere Chance zur grenzüber-
schreitenden Diffusion.
Ein Name jedenfalls ist gerade im Bereich des Schadenzaubers eindeutig von
Sumer bis ins hellenisierte Ägypten und bis Karthago gelangt: Ereskigal heißt mit
sumerischem Namen die furchtbare Göttin der Unterwelt, 'EpeoXtyaÄ aber ist
ein Göttername, der in den späteren Defixionen und Zauberpapyri durchaus ge-
läufig ist3o . Hier liegt eine der genauesten Transkriptionen vom Sumerischen ins
Griechische vor; zufälliger Gleichklang ist bei einer so komplizierten Silbenfolge
ausgeschlossen. Allerdings scheinen bisher nur kaiserzeitliche Texte mit diesem
Namen publiziert worden zu sein; damals war die eigentliche Ausstrahlungs-
kraft Babyloniens längst erloschen. Man wird die Epoche der Entlehnung in
diesem Fall also im Unbestimmten lassen, sollte vielleicht gerade im Bereich der
Magie nicht auf zeitlicher Festlegung insistieren. Jedenfalls zeugt der Name von der
weit ausgreifenden Wirkung mesopotamischer Magie.
In diesem Zusammenhang ist noch ein weiterer Text aus Kyrene ins Auge zu
fassen: Im 4. Jh. v. Chr. wurde dort eine ausflihrliche Delphische Weisung über

27 2. Märchen des Papyrus Westcar, A. Erman, Die Literatur der Ägypter (1923) 66,
E. Brunner-Traut, Alt-Ägyptische Märchen (1965 2) 12f. - Zerstörung des Apopi, G. Roe-
der, der Ausklang der ägyptischen Religion mit Reformation, Zauberei und Jenseits-
glauben (1961) 150f. Ph. Derchain, Le papyrus SaU 825 (1965) 161f.; E. Hornung,
Altägyptische Höllenvorstellungen, Abh. Leipzig 59, 3 (1968) 27.
28 Inschriften von Sefire I A: ANET 660; KAI 222; Fitzmeyer (1967) 14f.; 16f. (135, 42). -
Vasallenvertrag Assarhaddons Z. 608-10, D. J. Wiseman Iraq 20 (1958) 75f.; vgl.
D. J. McCarthy, Treaty and Covenant (1963) 76f.; 204.
29 S. Ferri, Abh. Berlin 5 (1925) 19-24; SEG 9 (1944) 3; R. Meiggs, D. Lewis, A Selec-
tion of Greek Historical Inscriptions (1969) nr. 5, 44: x1lpivoC; 1tAaaactVn:c; xOAoaoc; Xct't"e-
Xctl.OV ... Vgl. A. D. Nock, ARW 24 (1926) 172f. Fälschung des 4. Jh. nach S. Dusanic,
Chiron 8 (1978) 55-76.
30 PGM 2, 34; 339; 1419; 2485; 2750; 2912; 5, 340; 425; 7, 317; 985; 13, 923; 70 etc. Auch
auf Defixionstafeln und magischen Gemmen. Vgl. Drexler RML 11 1584-7.
Die orientalisierende Epoche 69

Reinigung'sriten aufgezeichnet; dem Inhalt nach kann sie wesentlich älter sein31 • Es
geht hier nur um den Abschnitt, der 'Ixeoiwv überschrieben ist. Man glaubte
allgemein das Wort ixeolOC; wohl zu kennen, (der Schutzflehende', und so
haben die Interpreten kaum daran gezweifelt, daß eben die Behandlung von
Schutzflehenden, ixhat, hier geregelt sei. Und doch: unter dieser Voraussetzung
müssen die Bestimmungen im einzelnen über die Massen abstrus erscheinen.
Es ist kein Zufall, daß John Gould in seiner vorzüglichen Behandlung der Hikesie
den Text von Kyrene nicht berücksichtigt hat 32 • Drei Fälle werden in der Wei-
sung für Kyrene unterschieden: zunächst ein (Zugesandter', ixeOloc; btaxt'6C;. Hier
scheint das Hauptproblern zu sein, zu ermitteln, wer ihn (gesandt' hat. "Wenn
man weiß, von wem er einem zugekommen ist, wird man ihn dreimal am Tag
namentlich nennen; wenn er im Land gestorben oder anderswo verschollen ist,
wird man ihn, falls bekannt, mit Namen nennen, andernfalls mit der Formel (du
Mensch, ob du nun Mann oder Frau bist'. Man stellt Bilder her, ein männ-
liches und ein weibliches, aus Holz oder Lehm, nimmt sie im Haus auf und setzt
ihnen einen Teil von allem vor. Wenn du getan hast, was Brauch ist, dann bringe
sie in einen Wald, wo kein Ackerbau betrieben wird, und stoße sie in den Boden,
die Bilder und ihre Teile' (von der Mahlzeit) ,,33 .
Daß man dieses Ritual je für Entsühnung eines (schutzflehenden' Menschen
halten konnte, ist eigentlich kurios; um einen solchen Menschen scheint sich
niemand zu kümmern; nur von einem offenbar nicht Anwesenden, Bekannten
oder Unbekannten ist die Rede, der einem (zugeschickt' hat, was man offen-
sichtlich dringend wieder los sein will. Sucht man zu dem tatsächlichen Verfah-
ren, wie es im zitierten Passus mit aller Deutlichkeit beschrieben wird, ein Gegen-
stück, so liefert es die akkadische Zauberliteratur: Da wird, wiederum zur Heilung
eines Kranken, ein Bild "von jeglichem Bösen" hergestellt, auf dem Dach, neben
dem Krankenbett, aufgestellt und drei Tage lang bewirtet. Dann aber wird das
Bild unter Beschwörungen im schon bekannten Topf verschlossen, weggetragen
und in "verfallenen Wüsteneien" begraben34 • Die Entsprechung im Ablauf -
Herstellung einer Figur, Bewirtung, Wegschaffen in die Wüstenei - ist perfekt;
und plötzlich wird das Wort (zugesandt' erhellt: E1taywyf) ist ja eine bekannte

31 S. Ferri Notiziario Archeologico 4 (1927) 91-145; SEG 9 (1944) 72; U. v. Wilamowitz-


Moellendorff, Heilige Gesetze, Eine Urkunde aus Kyrene, SB Berlin (1927) 155-76;
G. I. Luzzato, La Lex Cathartica di Cirene (1936); LSS 115; H. Jeanmaire REG 58
(1945) 66-89; J. Servais BCH 84 (1960) 112-47; Parker (1983) 332-51.
32 J. Gould, Hiketeia, JHS 93 (1973) 74-103.
33 LSS 115 B 35-9: XOAOOO<; 1tOl.f]oav't'a epoeva xat ßf]Aeta[v] 11 xaAivo<; 11 yatvo<; u1toöe~{x­
jlevov 1tapnß[e]jlev 't'o jlepo<; mxnwv. E1td öe xa 1tOl.fjoe<; 't'a vOjlt(ojleva, <pepona E<; üAav
aepyov Epe[i]oat 't'a<; XOAOOO<; xat 't'a jlepll. - Beschwörung eines Geistes "männlich oder
weiblich" Maqlu I, 73-86 = Castellino (1977) 616; II 38-49 = 620; II 108-110 = 622f.;'
II 131 = 623; vgl. 632, 28-30.
34 Ebeling (1931) 80-2, nr. 21 Vs. 1-39; vgl. Ebeling ibo 82f.; 84f.; Rs. 23-32.
70 WALTER BURKERT

Form des Schadenzaubers; sie steht bei Platon unmittelbar neben der Deftxi0 35 .
Ein Hexer (schickt' seinen Feinden Böses (auf den Hals'. Darum ist es so wichtig
herauszufmden, wer dahinter steckt, um das Übel an der Wurzel zu bekämpfen
oder vielmehr, im Sinne des (Besänftigens', zu einer gütlichen Lösung zu kom-
men. Darum wird das (Bild des Bösen' denn auch erst beköstigt und dann
energisch abserviert. Also ist der Schluß zu ziehen: ixemoc; bezeichnet in Kyrene
nicht einen schutzflehenden Menschen, sondern einen bösen Geist, der einen
(ankommt,36.
Die Hypothese muß sich an Hand der beiden anderen Paragraphen über den
Umgang mit ixeatOl. in Apollons Weisung für Kyrene bestätigen oder falsiftzie-
ren lassen37 . Der zweite Abschnitt ist praktisch vollständig erhalten, doch leidet
das Verständnis unter der Mehrdeutigkeit der Ausdrücke 'teÄiaxeaß'al. bzw. u'teÄf]c;/
'te'teÄeallevoc; und npoq>epeaß'al.. Dazu kommt, daß der archaische Stil das Subjekt
des Verbums unbezeichnet läßt und wir auch nicht wissen, was das (öffentliche
Heiligtum', öallomov iapov der Kyrenäer war. Es sei versucht, ohne weitere
Festlegung die Struktur der Weisung wiederzugeben, wobei 'teÄeiv in dem allge-
meinen Sinn (Vollzug eines Rituals' genommen werden kann38 : Beim zweiten
ixemoc;, der sich im (öffentlichen Heiligtum' niedergelassen hat, ist entweder das
Ritual bereits vollzogen oder nicht vollzogen; liegt eine (Äußerung' vor, vollzieht
man das Ritual um den Preis, den die (Äußerung' nennt; liegt keine (Äußerung'
vor, muß man alljährlich für alle Zeiten Feldfrüchte opfern und Spenden aus-
gießen; falls ein Kind dies vergißt und eine Unterbrechung eintreten läßt und
dann eine (Äußerung' erfolgt, ist (dem Gott' zur Sühne zu opfern, was das Orakel
mitteilt, und zwar (dem väterlichen Gott', falls man ihn kennt; anderfalls ist das
Orakel zu befragen.
Daß es hier im wesentlichen um Einrichtung und Aufrechterhaltung eines
Kultes geht, ist klar. Interpreten, die dies auf einen' Schutzflehenden' beziehen,
machen drei Zusatzannahmen: es handle sich um einen Mörder - obgleich doch
nur im dritten Abschnitt, im Unterschied zu den vorhergehenden, von einem
Mörder die Rede ist -; der Kult gelte dem Opfer des Mordes; die (Äußerung'
erfolge durch einen Priester: "(the priest) lays down", und jenes (Ritual' bedeute
Aufnahme in die Bürgerschaft, "to be initiated,,39. Absurd unter diesen Vor-
aussetzungen ist bereits die erste Zeile: das Ritual kann bereits vollzogen oder

35 Plat. Resp. 364c btaywyatc; not xat xa"CaöeOIlOtC;; Eur. Hipp. 318 e~ E1tax"Cou 1tlllloviiC;;;
vgl. Theophr. Char. 16, 7; Hippokr. Vict. 4, 89 VI Littre; Parker (1983) 348.
36 Diese Auffassung vertrat erstmals H. J. Stukey CP 32 (1937) 32-43, jetzt auch Parker
(1983) 348f.
37 Diese Konsequenz zieht auch Stukey, nicht aber Parker (1983) 348: der 2. und 3.
ixemoc; sei "palpably human".
38 Zur Bedeutung von "CE}"e1V im Sinne von "to do rites on" K Dowden RHR 197 (1980)
415f.
39 LSJ 1tpo<pepEtv und -CE}..tOXEtv; vgl. Sokolowski zu LSS 115, 40-9.
Die orientalisierende Epoche 71

auch nicht vollzogen sein, es läßt sich offenbar wiederholen. Ferner: mit selt-
samer Willkür kann der Priester einen Preis festsetzen oder auch nicht; gerade
in diesem Fall treten Opfer für alle Zeiten ein, während im anderen Fall das
vermutete Mordopfer offenbar ein für alle Male abgefunden wird. Vor allem:
wenn in späteren Generationen ein Problem auftritt, soll erst ~ein Priester fest-
legen' und anschließend noch ein Orakel die Opfer bestimmen? Ganz anders
und weitaus klarer sind die Weisungen unter der anderen Annahme, daß wiederum
ein mächtiger Dämon sich ~äußert', sei es im Traum, sei es in visuellen oder audi-
tiven Erscheinungen; dann gibt es einen Kult xa-r' btt-rayfJv, wie dies Weihin-
schriften so oft ausdrücken. IIpo<pepealJat gewinnt dann seine wohlbezeugte Be-
deutung ~vorhalten, sich beschweren' zurück: es heißt so viel wie ~ein ~fJvt~a zur
Sprache bringen', nahe auch dem Terminus btta~T)~atvetv. Fehlt die genaue Äuße-
rung, hat der Dämon nur sprachlosen Schrecken verbreitet, tritt die übliche Form
der ~besänftigenden' Totenopfer ein, ~Früchte der Erde' und Totenspenden. Xind'
und Kindeskind sind betroffen, insofern Totenkult eben ein Ahnenkult ist. So kann
ein vergessener Ahn seine ~Beschwerde äußern': "ein Totengeist meiner Familie
hat mich gepackt". Gegebenenfalls erfragt man vom Orakel die rechten Opfer.
Sie gelten dem Familiengott, wenn man ihn kennt - "sie opfern dem Zeus Karios",
weiß Herodot von der Familie des Isagoras in Athen40 -; andernfalls wird auch
dies das Orakel festlegen. So fügt sich alles zusammen. TeA,taxeaß'at bedeutet
dann die rituelle ~Weihe' durch Errichtung eines Kultes. Daß das ö(X~6mov iap6v
in spezieller Weise mit Heroenkult behaftet war, ist eine naheliegende Zusatz-
annahme.
Im dritten Fall handelt es sich um einen ~Mörder' oder ~Selbstmörder', au-ro-
<p6VOC;41. Hier wird dem ~Eindringen' dessen, der ~ankommt', mit einem Gegenritus
des a<ptxe-reuetv begegnet. Schon dies zeigt klar, daß man hier nicht einen ~Schutz­
flehenden' in die Gemeinschaft aufnimmt, sondern vielmehr jemanden oder etwas
loswerden möchte. Der Text ist jedoch lückenhaft und läßt sich nicht sicher er-
gänzen. Der Betroffene hat das Ritual anzukündigen, er soll auf der Schwelle
in weißen Kleidern, gesalbt, auf einem Vlies Platz nehmen lassen42 ; dann zieht
er mit Begleitern auf der öffentlichen Straße, während alle Begegnenden schwei-
gen, bis - hier ist eine Lücke; lesbar ist noch, daß ~Opfer und anderes' statt-
fmden. Ginge es um die Entsühnung eines Mordbefleckten, wäre ein abschließen-
der Akt der Integration, der Einführung in die Heiligtümer der Stadt etwa, an-
zunehmen; dementsprechend hat man ergänzt. Der erhaltene Text aber spricht nur

40 Hdt. 5, 66, 1.
41 Mit Recht notiert das Supplement zu LSJ z.d.St.: "dub. sense". Das Wort kommt sonst
nur in der Poesie vor; mit 'selbstmörderischem' Sinn: Opp. Cyn. 2, 480.
42 taaav-ca Z. 52 in Opposition zu iaaulJ.evoc:; Z. 40f. ist doch wohl transitiv zu nehmen;
daher das Argument, der Betroffene sei 'palpably human' (Anm. 37). Sollte es sich um
die Leiche des Selbstmörders handeln?
72 WALTER BURKERT

vom Wegführen, unter Schweigen entsprechend der Gegenwart von ~Stärkeren,43:


dies ist eine (btono~nfJ, und als Ziel läßt sich [~EXPt öpw]v ergänzen 44 . An die
Prozession der athenischen Skira, bei denen auch das Widdervlies eine Rolle spielt,
darf von fern erinnert werden45 .
Es bleibt als Gegenargument, daß iXEmo<; doch eben sonst, wohlbezeugt, die
Bedeutung ~Schutzflehender' hat. Doch gibt es eine genaue Parallele in der Dop-
pelbedeutung des Wortes npoo't'pomxwc;. Auch dieses Wort bezeichnet - seit Aischy-
los - den ~Schutzflehenden', der sich ~an jemanden wendet', ebenso aber auch
einen bösen Geist, der sich ~an einen heftet'. Diese Bedeutung ist allerdings oft
verkannt worden, besonders im Lexikon von Liddell-Scott, obgleich doch Aus-
drücke wie "der npoo't'ponaw<; des Myrtilos folgte ihm" bei Pausanias oder die
Zusammenstellung EPtvU<; xai notva<; xai npoo't'ponaiouc; 't'wv Öt' EXclvov T]'t'UXTJxo't'wv
bei Polybios klar genug sprechen46 . Entsprechend sind dann auch die Drohungen
mit dem npoo't'pomuoc; der Toten bei Antiphon und bereits bei Aischylos zu
verstehen47 . Der ~Andringende' kann ein befleckter Mensch, kann aber auch ein
Totendämon sein; die gleiche Ambivalenz ist dem einen wie dem anderen grie-
chischen Wort eigen. So kann die mesopotamische Parallele sogar helfen, die Be-
deutung eines gut griechischen Wortes zu sichern. Freilich zeigt sich Kyrene,
zeigt sich die apollinische Mantik tiefer in ~Aberglauben' verstrickt als man er-
kennen wollte. Auch insofern gerät die Grenze zwischen Orientalischem und
Griechischem ins Fließen.

43 Vgl. Epicharm Fr. 165 Kaibel; Hsch. xpeLnovee;; Schol. Aristoph. Av. 1490.
44 Z. 55 [bti iapw]v Oliverio. Der Text ist nicht stoichedon. Entsprechend vielleicht Z. 50f.

aqnxe"Ceuev ee; [f.Le"Ca]TIoAiav xat "Cp1<puAiav, 'Gebiet zwischen den Städten, zwischen drei
Stämmen'. Vgl. Plat. Leg. 873d: Begräbnis des Selbstmörders ev "Cote; "Cwv owoexa opiotot
f.Lepwv.
45 Burkert (1977) 349f.
46 Paus. 2, 18, 2; Polyb. 23, 10, 2.
47 Antiph. 2, 3, 10; 4, 1, 4; 4, 2, 8 (LSJ trennt die genau parallelen Stellen 2, 3, 10
und 4, 2, 8 und übersetzt die erste "suppliant for vengeance", die zweite "avenger"). -
Aisch. eh. 286f. "Co yap oxo"Cewov "Cwv evep"Cepwv ßeAOe; ex TIpoo"CpoTIaiwv ev yevet
TIemwxo"Cwv ... Der Scholiast deutet ex "Cou 'Ayaf.Lef.LvOvOe; ixe"CeuoV"Coe; "Coue; ßeoue; exot-
xfJoewe; "CUXelV und hat damit LSJ in die Irre geführt. Richtig verstand Rohde (1898)
1264,2, der animistisch interpretiert: "die zürnende Seele wird zum TIpoo"CpoTIawe;." Vgl.
auch Aischin. 2, 158 "Co "CowU"Cov a1;'ou TIpoo"CpoTIawv, dazu Harpokr. TIpoo"CpoTIawv'
f.Liaof.La; Stukey (Anm. 36) 40; Parker (1983) 108; 349;
Die orientalisierende Epoche 73

6. Ersatzopfer

Von Verfolgungsangst gepackt, sind Menschen allgemein und natürlicherweise er-


leichtert, wenn ein anderes Wesen an ihrer Statt vom Verhängnis' ereilt wird.
Ersatz- oder Substitutionsopfer sind verbreitet!. Sie treten besonders in den Vor-
dergrund in Mesopotamien, weil dort Bedrängnis in die Gestalten raubtierhafter
Dämonen projiziert und so konkretisiert wird 2 • In Griechenland ist dies weniger
entwickelt. Um so mehr fällt eine Überlieferung aus dem Rahmen, die als Kult-
legende des attischen Heiligtums der Artemis von Munichia erscheint:
Wieder einmal ist es eine Seuche, in der der Zorn der Göttin sich anzeigt. Als
Ursache wird die Tötung eines heiligen Bären angegeben. Die Göttin fordert zur
Sühne das Opfer eines Mädchens. "Embaros versprach, dies zu tun unter der
Bedingung, daß seine Familie das lebenslängliche Priesteramt erhalte. Er schmückte
seine Tochter, verbarg sie selbst aber im Tempel, schmückte eine Ziege mit einem
Gewand wie seine Tochter und opferte sie". So der Attizist Pausanias 3 , ganz ähnlich
die Sprichwortsammlung des Zenobios. Genannt war Embaros in Komödien des
Menander.
Es ist offensichtlich, daß diese Erzählung eigentlich ein Ritual beschreibt, ein
Ersatzopfer im Kult der Artemis zwecks Sühnung einer Seuche. Die Parallele
zum mythischen Opfer der Iphigenie liegt auf der Hand, nur daß die Munichia-
Legende die tatsächlichen Manipulationen sehr viel drastischer bezeichnet. Ob
man sie als Beschreibung eines regelmäßig praktizierten Rituals beim Wort nehmen
darf, ist freilich keineswegs sicher. Von einer Familie der *Embaridai und ihrem
Priestertum ist in der attischen Prosopographie nichts Konkretes faßbar. Doch
reine Erfmdung anzunehmen, würde den sprichwörtlichen Status des Embaros
noch weniger erklären.
Andernorts gibt es wohlbezeugte Rituale, bei denen ein Tier für den Menschen
eintritt; so die Bestimmung aries subicitur im Zwölftafelgesetz4 in Rom. Die engste
Parallele aber liefert ein mesopotamischer Beschwörungstext.
Es handelt sich auch hier um Krankenheilung. Der Text trägt den Titel "Ersatz
eines Menschen, für Ereskigal"s. Ereskigal ist die sumerisch-akkadische Göttin
der Unterwelt. Als Ersatz dient eine (unbesprungene Ziege'. Sie wird zum Kranken
ins Bett gelegt und soll mit ihm über Nacht schlafen. Beim Morgengrauen (Text
unsicher) kommt der Beschwörer, wirft die Ziege und den Kranken aus dem Bett

1 Burkert (1979) 70-2; (1981b) 115[.


2 Furlani (1940) 285-305, bes. 29Of.; vgl. 11 4 bei Anm. 19.
3 Paus. Att. e 35 Erbse; Zenob. Ath. 1, 8 p. 350 Miller; zur gemeinsamen Quelle (Didy-

mos) Rupprecht RE XVIII 4, 1754[.; vgl. W. Sale RhM 118 (1975) 265-84. - Menander,
Phasma 80 Sandbach; Fr. 368 Koerte.
4 Lex XII tab. VIII 24a, Erklärung bei Festus 347; 351 M.

5 Ebeling (1931) 65-9, nr. 15, vgl. Furlani (1940) 294[. RA 38 (1941) 60. Ein ähnlicher,
kürzerer Text Ebeling (1931) 69[. nr. 16. -+ 11 5,5 zur Libation, 11 5, 30 zu Ereskigal.
74 WALTER BURKERT

zu Boden, berührt die Kehle des Kranken mit einem hölzernen Messer und
durchschneidet mit einem veritablen Messer die Kehle der Ziege. Dann aber
wird die geschlachtete Ziege mit Spezereien ausgestopft, mit einem Gewand be-
kleidet, mit Schuhen versehen, ihre Augen werden geschmückt, die Kopfbinde
des Kranken wird dem Tier umgelegt; sie wird "wie ein toter Mensch" betreut,
während der Kranke aus dem Hause geht. Der Beschwörer erhebt vor dem Ka-
daver die Totenklage, bringt Totengaben, libiert mit Wasser, Bier, Röstkorn,
Milch, Honig, Rahm und Öl, begräbt das Tier unter Totenopfern für die Ziege
und den Totengeist der Familie'. So ist der Kranke befreit.
Die Unterschiede beider Rituale sind nicht zu übersehen; insbesondere wird
in Munichia ein Opfer am Altar beschrieben, während im Osten ein Sterben im
häuslichen Bett durchgespielt wird. Die Ähnlichkeit der Praxis, indem hier wie
dort eine Ziege in menschlichen Kleidern zum Ersatzopfer gewählt wird, ist
trotzdem frappant; um Heilung von Krankheit geht es auch in der Legende von
Munichia. Im übrigen wird von hier as vorstellbar, was gemeint ist, wenn Gellius
für den römischen Veiovis-Kult bezeugt, dort werde eine Ziege ritu humano ge-
opfert 6 • Beim Opfer für Dionysos' Anthroporraistes auf Tenedos, wo Beiname und
Legende wiederum auf Menschenopfer weisen, wird das geopferte Kalb mit
Schuhen versehen7 •
An Parallelen also fehlt es nicht. Unmittelbaren Kontakt könnte die sprachliche
Entlehnung beweisen, doch bleibt es abermals bei einem Vielleicht'. Der Name
Embaros - mit langem ä - klingt ungriechisch, jedenfalls unattisch. Nun nennt
der Attizist Pausanias und danach auch andere Lexika als Variante des Namens
(Baros'. Dies klingt noch exotischer, entspricht nun aber sehr genau dem akkadi-
sehen Wort für den (Seher', barfi. Dann müßte man annehmen, daß hinter der
Legende eine Tatsache steht derart, daß wirklich einmal anläßlich einer Seuche
ein (Seher' östlicher Provenienz mit einem Ersatzopfer öffentlichen Erfolg davon-
trug. Kult und Heiligtum der Artemis von Munichia, mit dem Monat Munichion
auch im attischen Kalender verankert, kann freilich gewiß nicht als ganzes zum
orientalischen Import gemacht werden. Überdies bleibt (Baros' doch recht un-
sicher bezeugt; die Menandertexte, unser ältestes Zeugnis, von dem die Lexika
azsgehen, haben eindeutig (Embaros'. Doch partielle Neuerungen sind auch in
etablierten Kulten möglich, ja zu erwarten. Auch wenn der genaue Traditions-
weg nicht zu sichern ist, verdient die ostwestliche Parallele festgehalten zu werden.

6 Gell. 5, 12, 12.


7 Ael. nat. an. 12, 34, Burkert (l972a) 204.
8 AHw 109[.
Die orientalisierende Epoche 75

7. Asklepios und Asgelatas

Härtester Beweis für babylonischen Import nach Griechenland im Bereich von


Krankheitsdämonen und Heilgottheiten sind drei Kleinbronzen aus dem Hera-
heiligtum von Samos. Zwei davon sind erst 1979 veröffentlicht worden; sie stam-
men aus Fundschichten des 7. Jh. 1 . Dargestellt ist ein betender Mann mit einem
großen Hund. Solche Figuren weisen, wie entsprechende Funde im Zweistrom-
land und auch Keilschrifttexte sichern, auf die babylonische Heilgöttin Gula von
Isin, der (großen Ärztin', azugallatu. Hundeopfer gehören zu ihrem Kult; bei ihrem
Heiligtum in Isin ist eine ganze Reihe von Hundebestattungen zutage gekommen 2 •
Wenn mehrere Figuren dieser Art der Hera von Samos geweiht wurden, han-
delt es sich kaum mehr um zufälliges Souvenir. Eher dürfte auch Hera hier als
Heilgottheit angesprochen sein, traut man solche Hilfe doch praktisch allen Göt-
tern und erst recht den Göttinnen zu. Ob die Weihungen von östlichen Kauf-
leuten stammen, die bis Samos gelangten, oder aus Babyion mitgebracht wur-
den von Griechen wie Alkaios' Bruder Antimenidas, ist nicht zu entscheiden.
Was Krankheit ist, läßt sich leicht über die Sprachgrenze hinweg erfassen, und
daß eine solche Figur gut dagegen ist, läßt sich kaum weniger leicht deutlich
machen.
Weiter zu gehen nötigt die markante Rolle, die der Hund im Kult des grie-
chischen Heilgotts kat'exochen, des Asklepios spielt. Neben dem Goldelfenbeinbild
im Tempel von Epidauros stand ein Hund; Hunde begleiten die Asklepiossöhne
auf einem Weihrelief von ebenda3 . Der Mythos berichtet, Asklepios sei auf dem
Kynortion-Berg ausgesetzt, von einer Hündin ernährt, von Jägern, (Hundeführern' -
XUVTJye-rcu - aber gefunden worden 4. Unmittelbar in den Kult führt darüber hin-
aus die Bestimmung in der Lex Sacra aus dem Piraeus-Heiligtum des Asklepios,
wonach die Heilung Suchenden Voropfer darzubringen haben für Maleatas,
ApolIon, Hermes, Iaso, Akeso und Panakeia, und schließlich Tur Hunde' und
Tur Hundeführer' , drei Kuchen in sämtlichen Fällen5 .
Man kann die (Hunde und Hundeführer' vom Mythos her erklären, doch legen
die Bronzen vom Hera-Heiligtum eine viel unmittelbarere, anschauliche Erklärung
nahe: hier stehen (Hunde und Hundeführer' in effigie vor Augen. Man kann ver-
muten, daß solche Figuren auch im Piraeus-Heiligtum zu sehen waren, und dann

1 H. Kyrieleis, Babylonische Bronzen im Heraion von Samos, JdI 94 (1979) 32-48. Vgl.
A. Furtwängler AK 21 (1978) 113f.
2 Fuhr (1977) 136.

3 Paus. 2, 27, 2, eine entsprechende Münze bei Fuhr (1977) 140 Abb. 10; Asklepios-

Weihrelief, Asklepsiossöhne mit Hunden: U. Hausmann, Kunst und Heiltum (1948)


Abb. 10; K. Kerenyi, Der göttliche Arzt (1948) Abb. 15 (aus Epidauros, Athen NM 1426).
Vgl. M. P. Nilsson, Griechische Feste (1906) 409, 7.
4 Apollodor FGrHist 244 F 138.
5 IG II/Ilf 4962 = LSCG 21, 9 f.: xuatv 1tomXvet 'tpiet· XUVTjYE'tettt; 1t01tetVet 'tpiet.
76 WALTER BURKERT

verdienten sie so gut wie die anderen Asklepios zugeordneten Gottheiten Be-
rücksichtigung. (Hunde und HundefUhrer' kommen als Empfänger eines Voropfers
auch in einer grotesken Kultparodie beim Komiker Platon vor6 • Dies war also ein
bekanntes, irgendwie auffälliges Detail. Die seltsame Regelung wird lebendig und
sinnvoll, sobald man die Statuetten vom Heraion sich vorstellt, die schon durch
ihre Existenz eine eigentümliche ostwestliche Verständigung in Sachen Heilgott-
heiten anzeigen.
Dazu kommt an anderem Ort nun doch ein Sprung in die sprachliche Evi-
denz. Gula die Heilgöttin, Patronin von (Hunden und HundefUhrern', heißt su-
merisch-babylonisch azugallatu, (die große Ärztin,7. Auf der Kykladeninsel Anaphe
bei Thera, und nur dort, wird ApolIon als 'AaYEAa't'a<; verehrt, mit einem Fest
Asgelaia gefeiert 8 • Der ungriechisch klingende Name hat wiederholt Aufmerk-
samkeit erregt, zumal er an den nicht weniger rätselhaften Namen Asklapios an-
zuklingen scheine. Az(u)gallat(u) und Asgelat(as), die lautliche Übereinstimmung
ist, zumal wenn man die wandelbaren Morpheme wegläßt, vollkommen; der Wort-
körper ist kompliziert genug, um Zufall praktisch auszuschließen, und die Be-
deutung fUgt sich aufs beste: (Arzt' zu sein, ist doch eine der wichtigsten Auf-
gaben des ApolIon, der ausdrücklich (Arzt' genannt wird 10. Allerdings ist eine
Konsequenz dieser Deutung, daß der Festname Asgelaia eine Rückbildung aus
dem im Sinn griechischer SuffIXbildung verstandenen Namen Asgelatas ist. Wird
die Gleichsetzung akzeptiert, so ergibt sich, daß einmal auf dieser Insel anläß-
lieh einer Seuche ein Heiler und Kultstifter den Titel der mesopotamischen azu-
gallatu ins Spiel brachte und damit zu Erfolg kam: Seither verehrte man dort
ApolIon Asgelatas, wie nach der großen Pest den Apollon Epikurios in Bassai 11.
Dann ist ApolIon Asgelatas der direkteste Beweis fUr das Eindringen von charis-
matischen Praktikern östlicher Tradition ins archaische Griechenland.
Wie die griechische Sprache dergleichen absorbiert und verdrängt, ist gerade
am Beispiel des Asgelatas evident: früh schon tritt die Nebenform Aiglatas auf,
Apollon vom strahlenden Himmel; sie wird auch in den Argonautenmythos über-
nommen, sie tritt in Weihungen bereits im 5. Jh. v. ehr. auf12 • Wer möchte

6 Fr. 174, 16. CAF I 648 = Ath. 442a, aus 'Phaon'; xuoiv t'E xa! xuvT]ye.a1<; ist über-
liefert, von Kock falsch geändert; Versanfang korrupt: 1tUPYT]<;; t'Et'CtPt'T]<;;; lies 1tUPVOU t'E-
t'Ctpt'T] 'ein Viertel Weizenkuchen'?
7 Fuhr (1977); AHw 92b; äsjä 'Arzt' auch aramäisch-syrisch geläufig.
8 IG XII 3, 248 = LSCG 129 = SIG 977 Zeile 8; 27 (Ende 2. Jh. v.); Asgelaia IG XII

3, 249; Nilsson (Anm. 3) 175f.


9 U. v. Wilamowitz-Moellendorff, Isyllos von Epidauros (1886) 93. - Eine hethitische
Etymologie rur Asklepios schlägt Szemerenyi (1974) 155 vor.
10 Apollon Iatros, Aristoph. Av 584; Plut. 11 etc.

11 Paus. 8, 41, 7-9.

12IG XII 3, 412 (5. Jh. v. Chr., Thera); IG XII 3, 259; 260 (Anaphe); Apoll. Rh. 4, 1716.
Personenname Aiglatas: Jeffery (1961) 199, Nr. 22.
Die orientalisierende Epoche 77

hinter so lichtem Griechisch Sumerisch-Akkadisches auch nur vermuten? Es ist


ein glücklicher Zufall, daß uns in einigen Dokumenten der offizielle Kult- und
Festname erhalten ist. Das Asgelatas älter ist als Aiglatas, ist evident. Er wird
damit spätestens der archaischen Epoche zugewiesen. So führt auch die äußere
Bezeugung dicht an die orientalisierende Epoche heran, für die auch die sami-
schen ~Hundeführer' zeugen.
Noch ein Hinweis auf ein Wort aus dem Zuständigkeitsbereich der Asklepia-
den: ein Wort für Kopfweh, Benommenheit, belegt seit den aristotelischen Proble-
rnata, ist xtipo<;;; es hat keine griechische Etymologie. Wohl aber heißt akkadisch
karu ~benommen sein', aramäisch karah ~krank sein,13. Bei einem so simplen Wort-
stamm kann der Zufall spielen; man kann sich aber auch gut vorstellen, daß das
Wort mit den orientalisierenden Gelagesitten, der Einführung der KIine an Stelle
des Stuhls l 4, zu den Griechen gekommen ist. Im medizinischen Vokabular ist
dergleichen kaum ein Einzelfall; die Besonderheit ist nur, daß xtipo<;; ungetarnt
blieb.

8. Ekstatische Mantik

Mantik ist eine besondere Kunst, die nur Spezialisten unter besonderen Um-
ständen gelingt. Freilich tritt bald mehr der äußerlich-technische, lernbare Appa-
rat, bald mehr der besondere Bewußtseinszustand in Erscheinung, der auch allein
das Feld beherrschen kann, als ~Besessenheit', ~Rasen', ~Wahnsinn'. Bei den Grie-
chen wird die ~rasende' Seherin Kassandra erstmalig im ~Agamemnon' des Aischylos
auf die Bühne gebracht; schon früher sprach Heraklit von den Prophezeiungen
der Sibylle ~mit rasendem Munde', und Herodot setzt den ~rasenden' Propheten
schon 480 für das Orakel am Ptoon voraus l . Dann hat Platon sich mit der man-
tischen Ilavia in besonderer Weise auseinandergesetzt. Er bezeugt auch eindeutig,
daß die berühmteste Seherin Griechenlands, die Pythia von Delphi, als Ekstati-
kerin weissagte2 • So stellt es weit später, aber aus erster Hand auch Plutarch
in seinen Schriften über Delphi dar. Die rationalisierenden Fabeleien über die

13 ;capa«; nicht bei Chantraine (1968/80). Vgl. AHw 452a, s. v. kfuu und karn.
14 -+ I 2, 28.
1 Heraklit B 92; Aisch. Ag. 1072-1263 (dazu H. L. lansen, Die Kassandragestalt in

Aischylas' Agamemnon, Ternenos 5 [1969] 107-19); Hdt. 8, 135. VgL Medea (ajlevtl«; ...
UltEltVeUae, Pind. Py. 4, lOf.; Theoklymenos u<ppaivet bereits Od. 20, 360 (S. Scheinberg
HSCP 83 [1979] 16).
2 Plat. Phdr. 244a; bestritten wird die Ekstase der Pythia, nach P. Amandry, La mantique

apollonienne a Delphes (1950) von l. Fontenrose, The Delphic Orac1e (1978) 204-12;
er ist geneigt der Pythia "enthusiasm but not uncontrolled and irrational frenzy" zuzu-
billigen - als ob der Bereich der Mantik nicht notwendigerweise irrational wäre. Vgl.
auch Dodds (1951) 70-4.
3 Bes. Def. or. 51, 438a-d.
78 WALTER BURKERT

Delphischen Erddämpfe, die geologisch widerlegt sind, sollten vom Faktum der
Ekstase nicht ablenken. Wie die Ekstase im einzelnen verlief, mag von Fall zu
Fall varüert haben; daß man ein geeignetes Bauernmädchen als Medium wählte,
hat, entgegen manchen gelehrten Äußerungen, nichts Erstaunliches, kommt es
doch eben auf eine spezifische, nicht vorhersehbare Begabung an.
Wenn FarneIl 1911 schrieb, ekstatische Prophetie sei in Babyion nicht zu fm-
den, was Griechenland vom Osten abhebe 4 , so ist dies längst widerlegt. Ekstati-
sche Priester und Priesterinnen, mahhu, mahhutu, sind in Mesopotamien ganz
geläufig. Die ausführlichsten Zeugniss~ ~ind in Mari aufgetaucht 5 • In der Zeit Assar-
haddons aber haben auch in Assyrien ekstatische Frauen, Tempeldienerinnen der
IStar von Arbela, die direkten Botschaften der Göttin an den König verkündigt.
Aus dem Mund der Frau spricht direkt in Ich-Form die Gottheit6 •
Die Tradition über die Sibylle oder die Sibyllen reicht von Babyion bis Cumae,
mit deutlichem Schwerpunkt in Kleinasien7 • Freilich sind die historischen Vor-
stellungen, die mit den Sibyllen verbunden sind, ganz uneinheitlich, und noch
schwieriger ist es, die alten Traditionen aus dem Späteren herauszuschälen.
Heraklit, der älteste Zeuge, macht keine weiteren Angaben über einen vagen
Hinweis auf (1000 Jahre' hinaus. Die Sibylle von Marpessa wird vor den Troischen
Krieg gesetzt, die von Erythrai ins 8. Jh. 8 ; die Sibylle von Cumae wird zur Zeit-
genossin des Tarquinius Superbus in Rom9 • Dies ist wenigstens insofern ernst zu
nehmen, als die Tradition von Cumae über die Eroberung der Stadt durch die
Osker im 5. Jh. zurückreichen muß.
Seit dem Altertum hat man immer wieder an östliche Herkunft der Sibylle
gedacht; in gewisser Weise tragen ja die Sibyllinenbücher der Kaiserzeit die öst-
liche Opposition gegen Rom. Doc? angesichts der allgemeinen Verbreitung me-
dialer Fähigkeiten können für die alte Zeit nur spezifische Details oder aber der
Name eine ostwestliche Ausbreitung beweisen. Es gibt auch eine Babylonische
Sibylle; doch den Sibyllennamen direkt an die (Schankwirtin' Siduri, sabltu, an-
zuknüpfen, die Gilgames den Weg zu Utnapistim weist, ist Spielerei lO • Ernst zu
4 Farnell (1911) 303.
5 F. Ellermeier, Prophetie in Mari und Israel (1968). Grottanelli (1982); AHw 852[.
s.v. mahhu, mahhiitu.
6 Jastrow~ iI (191i)~ 158-65; Luckenbill 11 (1927) 238-41; ANET 449[. Vgl. auch A. K Gray-

son, W. G. Lambert JCS 18 (1964) 7-30; W. W. Hall Israel Expl. J. 16 (1966) 231-42.
7 Vgl. Rzach 'Sibyllen' RE 11 A 2073-2183. '
8 Berühmt scheint die Erythräische Sibylle erst durch ihre Wiederentdeckung' durch eine
Prophetin zur Zeit des Alexanderzugs geworden zu sein, Kallisthenes FGrHist 124 F 14;
vgl. Apollodoros FGrHist 422, Inschriften von Erythrai und Klazomenai 11 (1973) 224-8.
9 Herkunft und Alter der libri Sibyllini in Rom bleiben umstritten, vgl. R. Bloch in: Neue
Beiträge zur Geschichte der Alten Welt 11 (1965) 281-92; R. M. Ogilvie, A Commen-
tary on Livy I (1965) 654f.
10 A. Peretti, La sibilla babilonese nella propaganda ellenistica (1943). Andere semitische
Etymologien zu 'Sibylla' bei O. Gruppe, Griechische Mythologie und Religionsgeschichte
Die orientalisierende Epoche 79

nehmen ist dies allenfalls für den speziellen Namen, der einmal der Babyloni-
schen Sibylle gegeben wird, Sambethe, zumal es zugleich heißt, sie sei als Schwie-
gertochter Noahs in der Arche dabei gewesen ll . Auch mit Berossos wird die
Babylonische Sibylle in Verbindung gebracht, was aber allenfalls in die Helle-
nistische Epoche weist. Für die archaische Zeit muß nachdenklich machen, daß
in ganz anderem Zusammenhang Verbindungen speziell nach Delphi zu laufen
scheinen, nämlich in Bezug auf das Kalendersystem mit Schaltmonaten nach dem
Prinzip der babylonischen Oktaeteris; dies hat Martin Nilsson herausgearbeitet l2 .
Astronomisches Wissen ist immer wieder aus dem Zweistromland zu den Grie-
chen gekommen. Die Ausgestaltung der penteterischen Spiele, insbesondere der
Olympiaden, setzt die Fixierung des Kalenders nach den Regeln der Oktaeteris vor-
aus. Dies führt auf das traditionelle Datum der (ersten Olympiade', 776. Etwa um die
gleiche Zeit setzt auch der große Aufschwung von Delphi ein. Die Unsicherheits-
faktoren bei solchen Überlegungen bedürfen kaum der Hervorhebung; selbst wenn
die frühe Olympiadenliste als authentisch gelten darf, besagt sie noch nichts
über den Zeitplan der frühen Spiele. Trotzdem darf die von Nilsson gezogene Linie
Babyion - Delphi nicht ganz aus dem Blick geraten. Die Entsprechungen in Reini-
gungs- und Heilungsritualen, auf die Nilsson nicht geachtet hat, kommen ja dazu.
Auch daß man vor der Seance der Pythia eine Ziege mit Wasser besprengt und
ihre Reaktion beobachtet, hat eine Parallele in Mesopotamien 13. So könnte denn
auch die ekstatische Prophetie der Pythia in solcher Perspektive zu sehen sein:
hat, parallel zur Ausbreitung der Leberschau, auch die direktere Art der Prophetie
sich damals gegenüber älterer Losungspraxis und Vogelbeobachtung durchgesetzt
und Delphis Ruhm mitbegründet?14. Auf die Versuchung, sogar den Namen
Apollons aus dem Babylonischen herzuleiten, sollte man aber verzichten 15.

11 (1906) 927; H. Lewy Philologus 57 (1898) 350f.; F. Ellermeier, Sibyllen, Musikanten,


Haremsfrauen (1970) 7-9; R. B. Coote, Journal of North West Semitic Languages 5
(1977) 3-8.
11 Schol. Plat. Phdr. 244b = Nikanor FGrHist 146. - Berossos FGrHist 680 F 7, vgl. Höfer

RML IV 264-9.
12 M. P. Nilsson, Die älteste griechische Zeitrechnung, Apollon und der Orient, ARW 14
(1911) 423-48 = Opuscula Selecta I (1951) 36-61; Die Entstehung und religiöse Be-
deutung des griechischen Kalenders (1918, 1962 2). Einiges an Nilssons Thesen ist über-
holt, insbesondere insofern jetzt mykenische Monatsnamen bekannt sind. Der Grund-
gedanke bleibt wichtig. Vgl. B. C. Dietrich, Reflections on the Origins of the Oracular
Apollo, BICS 25 (1978) 1-18.
13 Plut. Def. or. 435c, 437b - "sprinkling an ox with water to observe its re action" Reiner

(1960a) 25; 28.


14 Vgl. auch K. Latte, The coming of the Pythia, HThR 33 (1940) 9-18.
15 Assoziiert mit akk. abu/lu, aram. abü! 'Stadttor', E. Simon, Die Götter der Griechen

(1967) 132; mit akk. ap!u 'Erbe, Sohn', H. Lewy, Wochenschrift für klass. Philol. 10
(1893) 860.
80 WALTER BURKERT

9. Lamastu, Lamia und Gorgo

Nicht nur Rituale und Beschwörungstexte, auch Amulette gehören zur Tätig-
keit der mesopotamischen Magier. Man fmdet kleine, schlichte Zylinder und ~Per­
len' mit einschlägiger Beschriftung!, aber auch sehr auffällige Bildwerke, besonders
Pazuzu-Köpfe 2 und Lamastu-Tafeln 3 • Sie sind, ähnlich den Lebermodellen der
Hepatoskopie, bis Nordsyrien, U garit und Cypern verbreitet; weiter im Westen
sind sie bislang anscheinend nicht aufgetaucht, obwohl damit an sich zu rechnen
wäre, so wie jenes ~Humbaba-Gesicht' nach Gortyn, die ~Hundeführer'-Statuetten
nach Samos gelangten4 . Doch wenn auch der direkte, materielle Beleg noch fehlt,
ist doch nicht daran zu zweifeln, daß solche Figuren auch Griechen der ar-
chaischen Epoche gelegentlich vor Augen standen. Die mesopotamischen Dä-
monen scheinen, auch wenn sie archäologisch nicht direkt in Griechenland zu
fassen sind, doch immaterielle Spuren hinterlassen zu haben.
Bereits bei Sappho war die Schreckgestalt reAAw genannt, vor der die Kinder
zittern: man sagt, sie raubt und frißt kleine Kinder5 . Bis in die modeme Zeit hat
sich dies in Spuren erhalten. Der Name der Gello läßt sich mit bösem Grinsen,
yeAav, assoziieren, doch stimmt weder die Lautgestalt noch die Bedeutung so
recht dazu. Gallu aber ist eine der geläufigsten sumerisch-akkadischen Benen-
nungen für einen bösen Dämon. Die Entsprechung ist mehrfach schon von Assy-
riologen hervorgehoben und als Entlehnung aus Mesopotamien interpretiert
worden6 , die also spätestens ins 7. Jh. fallen müßte. Daß a mit e wiederge-
geben wird, hat in Azugallatu/Asgelatas und ~Delta' eine Parallele 7.
1 Vgl. Reiner (1960b) bes. 154.
2 F. Thureau-Dangin RA 18 (1921) 192-8; Frank (1941) 15-23; H. W. Saggs, Pazuzu,
AOF 19 (1959/60) 123-7; ANEP 857; Exemplare aus Zincirli: Sendschirli V (1943) 31
Abb. 24/5, T. 12a-d.
3 D. W. Myhrman, Die Labartu-Texte, ZA 16 (1902) 141-200; K. Frank, Babylonische
Beschwörungsreliefs, Leipz. Semitist. Stud. 3,3 (1908); F. Thureau-Dangin, Rituels et
amulettes contre Labartu, RA 18 (1921) 161-98; id. Le voyage de Lamastu aux en-
fers, RA 31 (1934) 120; Frank (1941); F. Koecher, Beschwörungen gegen die Dämonin
Lamastu, Diss. Berlin 1949; L. 1. Krusina-Cerny, Three new Amulets of Lamasthu,
Arch. OrientaIni 18, 3 (1950) 297-303; H. KlengeI, Neue Lamastu-Amulette aus den
Vorderasiatischen Museen zu Berlin, Mitt. d. Inst. f. Orientforsch. 7 (1960) 334-55,
vgl. 8 (1963) 25-9; W. v. Soden AOF 20 (1963) 148; vgl. auch Meissner II (1925) Taf.
Abb. 33/34; Reallexikon der Assyriologie III (1957/71) 32; Leibovici (1971) 92; 95f.
E. Lichty, Demons and Population Control, Expedition 13,2 (1971) 22-26. Abbildungen
auch RML III 269; ANEP 857.
4 -+ II 2, 19; II 7, 1.

5 Sappho 178 LP; Hsch.; Maas RE VII 1005f., dort auch Hinweise auf Neugriechisches,
vgl. R. Reitzenstein, Poimandres (1904)299 und id. ZA 23 (1909) 157-63 (ruUw).
J. C. Lawson, Modern Greek Folktale and Ancient Greek Religion (1964) 176-9.
6 C. Frank ZA (1910) 161-5; Meissner II (1925) 200; vgl. AHw 275.
7 -+ II 7, 8.
Die orientalisierende Epoche 81

Neben Gello steht als noch populärere Schreckgestalt die Lamia. Auch sie ist
bereits in archaischer Zeit, bei Stesichoros, bezeugt 8 : auch sie ist bis in modeme
Folklore lebendig geblieben9 • Lamia ist grotesk, widerlich und häßlich über die
Maßen; doch gibt es keine sichere griechische Bilddarstellung. Vor allem traut
man der Lamia zu, daß sie kleine Kinder stiehlt, vielleicht schon im Mutter-
leibe.
Damit nun entspricht die Lamia der gefürchteten Dämonin Lamastu; daß ihr
Name zunächst Labartu gelesen wurde, hat die Namensentsprechung eine Zeit-
lang verdunkelt 1o . Auch Lamastu wird von den Schwangeren, den Gebärenden,
den Müttern gefürchtet. Man erwehrt sich ihrer mit Zauber: ein Esel, ein Schiff
soll sie hinwegtragen; man stellt darum die Amulett-Täfelchen mit entsprechenden
Bildern her, die direkt vor ihr schützen sollen. Lamastu-Tafeln fanden sich auch
in Ugarit, Boghazköy, Karkemis und Zincirli ll . Übrigens gibt es auch auf einem
Siegel die Darstellung eines assyrischen Dämons mit phönikischer Beischrift 12 ,
es gibt auch Lamastu-ähnliche Dämonen im späteren syrischen Zauber-Aber-
glauben 13 . Die Brücke zwischen (BabyIon' und Griechenland ist also durchaus
faßbar. In der Tat sagt ein griechisches Zeugnis, die Lamia sei eine Tochter des
phönikischen Belos 14, schreibt also der Dämonin eine Herkunft aus dem semi-
tischen Orient zu.
Lamastu hat eine sehr spezielle Ikonographie, die aus den Tafeln und zuge-
hörigen Texten genau bekannt ist: sie ist nackt, hat einen Löwenkopf, Hänge-
brüste, Raubvogelftiße; sie säugt an ihren Brüsten ein Schwein und einen Hund;
oft hält sie je eine Schlange in beiden Händen; oft ist sie im (Knielaufschema'
dargestellt, was wohl ihre schleunige Flucht ausdrücken soll. Meist ist unter ihr
ein Esel, unter diesem ein Schiff dargestellt, alles für den Abtransport. Zuweilen
erscheinen die Tiere auch losgelöst von der Hauptgestalt, zur Rechten und Linken
gruppiert, im Schema einer (Herrin der Tiere' 15 •

8 Stesichoros 220 PMG; Duris FGrHist 76 F 17; Diod. 20, 41, 3; Anspielungen etwa bei
Aristoph. Vesp. 1035; 1177; Pax 758; Fr. 700b. Vgl. Schwenn RE XII 544-6; J. Fonten-
rose, Python (1959) 100-4; Zum Problem von Bilddarstellungen vgl. Vermeule (1977).
9 Stoll RML 11 1820f.; Schwenn RE XII 545f.; Lawson (Anm. 5) 173-6.
10 Im Keilschriftzeichen nr. 74 sind mas und bar zusammengefallen. Die Lesung Lamastu
wurde durch einen 1934 publizierten Text gesichert, Frank (1941) 4, 1.
11 Ugarit: 1. Nougayrol, Ugaritica VI (1969) 393-408. - Boghazköy: ibo 405. - Karkemis:
Goldman (1961) T. 4, 1. - Zincirli: ibo T. 4,2; Klengel (0. Anm. 3 - 1960) nr. 4617.
12 Ch. Clermont-Ganneau, Etudes d'archeologie orientale 1 (1895) 85-90; vgl. W. Culican,
Phoenician Demons, JNES 35 (1976) 21-4.
13 H. Gollancz, A Selection of Charms from Syriac Manuscripts, Actes du XI Congres
International des Orientalistes (1897) IV 77-97, hier 80; 85.
14 Schol. Aristoph. Pax 758.
15 Z. B. Meissner 11 (1925) Tafelabb. 34.
82 WALTER BURKERT

Damit hat Lamastu, wie oft schon diskutiert wurde, eine ganze Reihe von
Zügen mit der griechischen Gorgo gemeinsam 16. Dies betrifft weniger das eigent-
liche Gorgonengesicht; auch dieses hat zwar Löwenzüge, doch ist das Löwenhafte
nur ein Element dieser Sonderschöpfung; es wird immer en face dargestellt,
Lamastu immer im Proftl. Wohl aber betrifft die Entsprechung die Hängebrüste
und das Knielaufschema, vor allem aber das ikonographische Ambiente. Nimmt
man als Beispiel die berühmte Gorgo vom Tempel in Korfu 17, so erscheint diese
im Knielauf, zwischen zwei (Löwen', zwei Schlangen sind ihr Gürtel, Pferd und
Mensch, ihre (Kinder', berühren ihre Hände rechts und links. Fast alle diese
Elemente, mit Ausnahme des (Menschen' Chrysaor, haben ihre Entsprechung
im Lamastu-Bild. Übrigens kann gelegentlich auch Gorgo, wie Lamastu, zwei
Schlangen fassen. Daß Pferd statt Esel steht, ist eine geringfügige Verschiebung.
Und doch: alle diese Elemente sind gleichsam durcheinandergeschüttelt, aus ihrem
Zusammenhang gerissen und in eine neue Ordnung gebracht. Identisch ist zwar
die Grundvorstellung: die fliehende Unholdin, doch der griechische Mythos hat
ein ganz neues System entworfen, mit Perseus, Pegasos, Chrysaor; Ross und
Krieger sind Geschöpfe einer Initiationsprobe, der bewaffnete Held, nicht der
Magier vertreibt die Dämonin. Es ist nicht zu bezweifeln, daß die Schöpfer von
Gorgonen-Kompositionen dieser Art Lamastu-Tafeln gesehen haben; sie haben
aber die Bilder naiv und ohne Kommentar genommen und daraus gemacht, was
eigene Überlieferung ihnen nahelegte.
Gerade die Beziehung des Perseus-Gorgo-Mythos zum Orient ist aber noch
komplexer. Zum einen wird der Andromeda-Mythos in Ioppe-Jaffa lokalisiert 18 ,
zum andern hat Perseus merkwürdige Beziehungen zu Tarsos 19 • Ikonographische
Vorbilder für den Ketos-Kampf sind in der orientalischen Siegelkunst durchaus
gegeben20 , auch für die Tötung eines weiblichen Monsters durch einen jugend-
lichen Helden21 • Freilich ist die Benennung der Szenen gerade innerhalb der orien-

16 Allgemein zur Gorgo-Ikonographie Th. G. Karayorga, ropYeLT] Ke<paÄi} (1970); J. Floren,


Studien zur Typologie des Gorgoneion (1977); zu orientalischen Beziehungen: C. Hop-
kins, Assyrian Elements in the Perseus-Gorgon Story, AJA 38 (1934) 341-58; vgl.
M. E. Will, Rev. Arch. VI 27 (1942) 60-76; Hopkins (1961); Goldman (1961); Bar-
nett (1960) 145-8; H. J. Kantor, A Bronze Plaque with Relief Decoration from Tell
Tainat, JNES 21 (1962) 93-117; Akurgal (1966) 187; Helck (1979) 214f.; von Pazuzu
übernommene Details weist Boardman (1981) 93 nach.
17 Z.B. G. Richter, A Handbook of Greek Art (1959) 63; Schefold (1964) 49. - Gorgo
zwischen 2 Schlangen: Goldanhänger von Delphi, Hopkins (1961) T. 15, 2.
18 Strabo 16 p. 759; Konon FGrHist 26 F 1, 40; los. bell. lud. 3, 420; Plin. n.h. 5, 69; 128;
Paus. 4, 35, 9.
19 Münzen von Tarsos, Burkert (1972a) 232, 25.
20 Z.B. Ward (1910) 201 nr. 578 = S. N. Kramer, Sumerian Mythology (1961 2 ) T. 19, 2 =
West (1971) T. Ha; Ward ibo nr. 579.
21 Die sog. 'Polyphema'-Darstellungen: E. Unger DLZ 85 (1964) 694, 1; M. Knox JHS
99 (1979) 164f.
Die orientalisierende Epoche 83

talischen Siegelkunst keineswegs einfach; die Beziehung zu den bekannten mytho-


logischen Epen wie Gilgames ist nicht zu sichern. Besonders merkwürdig nun
ist ein syrisches Siegel aus Cypern, das nach Berlin gelangt ise 2 : ein übergroßes
dämonisches Wesen, en face im Knielauf dargestellt, ist von einem jugendlichen
Helden gepackt, der in der rechten Hand ein Sichelschwert, eine ~Harpe' hoch-
hält; dabei hat er sein Gesicht auffällig vom Gegner abgewandt; er trägt Flügel-
schuhe; hinter ihm ist ein großer Fisch dargestellt. Dieses Siegel ist bereits in
Roschers Mythologischem Lexikon abgebildet und mit Selbstverständlichkeit als
Darstellung von Perseus' Angriff auf Gorgo in Anspruch genommen23 • Mit gleicher
Selbstverständlichkeit hat neuerdings Pierre Amiet das Bild im Rahmen orientali-
scher mythologischer Darstellungen behandelt, ohne sich veranlaßt zu sehen
Perseus und Gorgo auch nur zu erwähnen. Er erinnert an den ugaritischen
Mythos vom Kampf der Göttin Anat gegen Mot2 4 • Nicht zu Gorgo stimmt, daß
das Ungeheuer Vogelkrallen hat; dies erinnert wiederum an Lamastu. Es sei hier
nicht versucht, über die Deutung zu entscheiden. Texte des 8. Jh. aus Syrien
oder Cypern, die das Rätsel vielleicht lösen könnten, stehen uns nicht zur Ver-
fügung. Auf jeden Fall ist dieses Bild ein bezeichnendes Dokument für die Ver-
schlungenheit der ostwestlichen Kontakte in der orientalisierenden Epoche: Bilder
und wohl auch Erzählmotive werden mehrdeutig, gehen neue Konstellationen
ein, werden von verschiedenen Seiten verschieden ~verstanden'. Man mag das
schöpferische Mißverständnis für wesentlicher halten als die Übernahme, die doch
als Faktum gegeben ist, wie auch die ikonographische Vorzeichnung erhalten
bleibt, bei Perseus' Monsterkampf wie auch sonst bei Lamastu-Gorgo.
Eines freilich ist sehr bezeichnend: Für die Griechen sind diese vorgezeichneten
Dämonen nicht eigentlich dämonisch; es haftet an ihnen kein mysterium tremen-
dum. Man kann Kinder damit schrecken: dem Mann liefert Perseus das Exempel,
wie man damit fertig wird, mit der Waffe in der Hand, wenn auch nicht ganz
ohne Magie und Götterbeistand. Eine ähnliche Wandlung läßt sich in einem zweiten
Fall feststellen, im Bild des Schlangenwürgers. Dies ist ein altehrwürdiges Bild
im mesopotamischen Repertorium, ein Herr der Tiere, eine schamanenhafte Ge-
stalt, die zwei große Schlangen gepackt hält 25 ; sie ist wohl in apotropäischer
Funktion zu verstehen. Die Griechen haben daraus das erste Heraklesabenteuer
gemacht, die Heldentat, die Herakles bereits als Kleinkind in der Wiege verübte26 •

22 A. de Ridder BCH 22 (1898) 452; Ward (1910) 212 nr. 643c; A. Moortgat, Vorder-
asiatische Rollsiegel (1940) nr. 781; C. Hopkins AJA 38 (1934) 351 fig. 5; id. (1961)
T.15,3.
23 E. Kuhnert RML III 2032; Goldman (1961) 21f.
24 Amiet (1976) 26 fig. 11; die gleiche Deutung schon bei Hopkins (1961) 31.
25 Steatitgefäß von Khafajah, um 2700, Brit. Mus., 128887, Strommenger (1962) T. 38f.
Amulettscheibe aus Luristan in Genf, Goldman (1961) T. 1b.
26 Pind. Nem. 1, 43-47; Fr. 52u 7-18 Sn.; Eur. Herc. 1266-68; Theokr. 24. Bilddarstel-
lungen: O. Brendel JdI 47 (1932) 191-238; F. Brommer, Denkmälerlisten zur griechi-
84 WALTER BURKERT

'AAE~ixaxoc;, den man


In der Praxis freilich ist auch Herakles der apotropäische
durch Amulette bannen kann 27 . Im Mythos aber ist die Dämonenangst aus-
geblendet. Durchaus optimistisch und auf die eigene Kraft vertrauend steht
der griechische Held da, vom Dämonischen scheint nur der überwundene
Schrecken übriggeblieben zu sein. Auch dies ist wohl ein Charakteristicum der
Griechen in der orientalisierenden Epoche28 •

sehen Heldensage I (1971) 149-55; Vasenlisten zur griechischen Heldensage (1973 3)


189f. Zu anderen orientalischen Verbindungen der Herakles-Ikonographie Burkert (1979)
80-3.
27 Daß ägyptische Bes-Amulette als Bilder von 'Herakles dem Daktylen' umgedeutet wur-
den, zeigt C. Grottanelli, Erade dattilo delI' Ida, Aspetti 'Orientali', Oriens antiquus 11
(1972) 201-8. Beziehungen von Bes zur Herakles-Ikonographie hat schon A. Furtwängler
behandelt, RML I 2143-5, ARW 10 (1907) 325 = Kleine Schriften 11 (1924) 420;
vgl. A. M. Biri, Da Bes a Herakles, Riv. Stud. Fen. 8 (1980) 15-42.
28 J. Boardman, Pre-Classical: From Crete to Archaie Greece (1967) 106: "In the art of
the 'orientalizing' period we look in vain far anything which we might call religious art"
ist übertrieben - es gibt nicht nur Weihgeschenke aller Art, sondern auch Götterdar-
stellungen -, hat aber seine Berechtigung in diesem Zusammenhang.
II!. H KAI eE~IIIN
AOIaON:
Akkadische und frühgriechische Literatur

1. Von Atral].asis zum Trug an Zeus'

Seit die akkadischen Epen und insbesondere (Gilgames' ~ieder entdeckt worden
sind, hat es an Assoziationen mit Motiven des Homerischen Epos, insbesondere
der Odyssee nicht gefehlt!. Es mag freilich mit Motivverwandtschaften stehen
wie mit den Kling-Klang-Etymologien: Ungefähr Ähnliches wird sich immer und
überall fmden lassen, es läßt sich herauspräparieren und zur Verblüffung ver-
wenden, kaum aber zum Beweis. Demgegenüber seien hier statt einzelner Motive
komplexere Strukturen hervorgehoben, wo Zufälligkeiten weniger zu erwarten sind:
ein Göttersystem und eine kosmogonische Grundidee, ein Szenenaufbau, ein
Götter-Ratschluß, eine spezielle Konfiguration von Angriff und Abwehr. Wenn
jeweils der Kontakt festgestellt ist, werden auch weitere Beziehungen, ja sogar
sprachliche Entlehnungen wahrscheinlich, auch wenn diese von sich aus die Be-
weislast nicht zu tragen vermöchten.
Erst im Jahre 1969 wurde mit tunlicher Vollständigkeit der Text eines akkadi-
schen Epos veröffentlicht, von dem zuvor nur wenig charakteristische Bruchstücke
bekannt gewesen waren: die Geschichte von Atrabasis, dem (durch Weisheit Her-
vorragenden', wie der Name sagt, oder vielmehr eigentlich eine (Geschichte der
Menschheit', beginnend mit der paradoxen Situation, laut Anfangszeile, "als Götter
Menschen waren,,2. Die alte Redaktion in drei Tafeln stammt aus der Zeit Am-

I Jensen (1902), (1912/3), (1924) und Ungnad (1923) brachten besonders die Parallelen
Kalypso / die 'Schenkin' Siduri und Alkinoos / UtnapiStim zur Sprache; auffallend ist,
daß der Zauberfährmann des Gilgames dann seinen Fährdienst einstellt (XI 234-6), wie
die Phäaken nach dem Transport des Odysseus (Od. 13, 125-87). Spezifischer ist eine
Beziehung der Totenbeschwörung von Gilgames XII zur 'Nekyia': C. F. Lehmann-
Haupt RE XI (1921) 433; G. Germain, Genese de l'Odysse (1954) 342-46; Dirlmeier (1955)
30-5; "A faintly possible model" G. S. Kirk, The Songs of Homer (1962) 107; enger
noch ist die Beziehung zur Erscheinung des Patroklos 11. 23, 65-107, -+ 11 5,4; wichtig
auch eine gewisse Stilähnlichkeit der Anfänge von 'Gilgames' und Odyssee, -+ 111 5 bei
Anm. 15. - Knappe Übersicht bei Gresseth (1975); ganz negativ Frenkian (1960). -
Umgekehrt formuliert A. Heidel, The Gilgamesh Epic and Old Testament ParalleIs
(1949 2) 1: "The Gilgamesh Epic ... may weIl be called the Odyssey of the Babylo-
nians". - Zu Hesiod als orientalisierendem Dichter -+ Einleitung bei Anm. 21 und 29.
2 Atral].asis ed. Lambert-Millard (1969); W. v. Soden, Die erste Tafel des altbabylonischen
Atraml].asls-Mythus, 'Haupttext' und Parallelversionen: ZA 68 (1978) 50-94; vgl. auch
Burkert (1982b).
86 WALTER BURKERT

mi~aduqas; verschiedene altbabylonische Exemplare sind in Fragmenten erhalten;


aber auch die Bibliothek Assurbanipals enthielt noch mehrere leicht voneinander
differierende Ausgaben; ein Bruchstück einer weiteren Rezension fand sich in
U garit. Es handelt sich also um einen mehr als 1000 Jahre lang verbreiteten
und beliebten Text, einen Text von erstaunlich origineller Konzeption: "Als die
Götter Menschen waren" und es noch keine Menschen gab, mußten die Götter
selbst alle Arbeit leisten; dies führt zu einer Rebellion der jüngeren Götter gegen
Enlil, den obersten der Götter; zur Abhilfe schafft Enki zusammen mit der Mutter-
göttin als Roboter die Menschen, die nun die Last der Arbeit zu tragen haben.
Doch alsbald, nach kaum 1200 Jahren, nehmen diese Kreaturen überhand und
werden lästig, und die Götter versuchen, sich ihrer wieder zu entledigen. Drei
Versuche unternehmen sie, sie schicken - offenbar im stereotypen Abstand von
je 1200 Jahren - erst eine Pest, dann eine Hungersnot, zuletzt die Sintflut. Doch
der listige Gott der Tiefe, Enki, im Bund mit dem (an Weisheit überragenden'
Atra~asis vereitelt diese Anschläge, er spielt die Götter gegeneinander aus und
läßt schließlich die Arche bauen. Der Schlußabschnitt ist, wie man jetzt sieht,
die Vorlage der berühmten Tafel XI des Gilgamesepos, der seit langem bekannten
Sintflutgeschichte\ die auch aufs 1. Buch Moses gewirkt hat. Weit entfernt von
alttestamentlicher Frömmigkeit jedoch ist (Atra~asis' von einem merkwürdig hu-
manen, wenn nicht gar zynischen Optimismus geprägt: ob mit, ob gegen die
Götter, dieses Menschengeschlecht mit all seiner Plackerei ist unverwüstlich.
"Wie hat der Mensch in der Vernichtung überlebt?" (III vi, 10) - kein Zweifel
jedenfalls: er hat überlebt.
Gleich am Anfang des (Atra~asis'-Textes wird das babylonische Pantheon sozu-
sagen systematisch eingeführt: "Anu, ihr Vater, war König, ihr Ratgeber Enlil der
Held, ihr Minister Ninurta, ihr Deichgraf Enki". Auch diese Verse hat das Gilga-
mes-Epos kopiert, nicht aber die folgenden Zeilen: "Sie faßten die Losflasche an
ihrem Hals, warfen das Los; die Götter teilten: Anu ging nach oben in seinen
Himmel", ein zweiter Gott - hier ist eine Textlücke - nahm "die Erde ... ; und die
Riegel, die Falle des Meeres, waren dem ... Enki hingelegt,,4. In die Lücke ist
sicher Enlil, der aktivste der Götter, einzusetzen, so daß die übliche Dreiheit von
Anu, Enlil, Enki, Himmelsgott, Sturmgott, Wassergott zustandekommt. Auf die
grundlegende Dreiteilung des Kosmos, der den drei großen Göttern unterstellt
ist, kommt der Atra~asis-Text im folgenden wiederholt zurück, besonders als
anläßlich der Hungersnot Enlil eine totale Blockade der Menschenwelt durchzu-
setzen unternimmt 5 • Eine abweichende Version nennt dabei für den Himmel

3 Lambert-Millard (1969) 11-13.


4 Atral].asis I 11-17, Text und Übersetzung nach v. Soden ZA 68 (1978) 55. Atral].asis I
7-10, p. 42f. = Gilgames XI 15-8.
5 11 v 16-19, 30-3', p. 80-83; Tafel 'X' rev. I 4-7; 11 2, 5, p. 116-9; vgl. Kommentar
von Lambert-Millard p. 166.
Die orientalisierende Epoche 87

(Anu und Adad', den Wettergott, für die Erde (Sin und Nergal', Mondgott und
Totengott; die Unterwelt also ist dem Begriff (Erde' zugerechnet; fest liegt der
Bereich von Enki, dem Herrn der Wassertiefe - nicht des Salzmeeres, sondern
des trinkbaren Grund- und Quellwassers, was übrigens auch für Poseidon wesent-
lich ist -.
Nun stehen in der llias die bekannten und später oft zitierten Verse, in denen
die homerische Einteilung der Welt mit den zuständigen Göttern besetzt wird.
Poseidon spricht: "Als wir die Lose warfen, da erhielt ich die graue See zum
ständigen Wohnsitz, Hades erloste das dunstige Dunkel, Zeus aber erloste den
weiten Himmel mit Himmelsblau und Wolken; die Erde ist allen gemeinsam und
der weite Olymp,,6.
Vom System des (Atra1].asis' weicht dies in dem Detail ab, daß Erde samt
Götterberg zum Condominium erklärt werden; Poseidon pocht ja auf sein Recht,
vor Troia aktiv zu werden. Aber die Grundstruktur beider Texte ist überraschend
ähnlich: drei Bereiche des Kosmos sind unterschieden, Himmel, Erdentiefe und
Wasser, und diese drei kosmischen Bereiche sind den drei ranghöchsten Göttern
des Pantheons zugewiesen, männlichen Göttern insgesamt. Die Verteilung erfolgt
in beiden Fällen ausdrücklich durch das Los. Dies ist bei griechischen Göttern
sonst nicht der Brauch; nach Hesiod hat Zeus seinen Vorgänger und Vater mit
Gewalt entthront, dann aber haben alle andern Götter ihn aufgefordert, König zu
sein7 • Auch in anderer Hinsicht ist der Passus in der griechischen Überlieferung,
genauer besehen, ein Unicum: wenn sonst im alten Epos die Teile des Kosmos
aufgezählt werden, fmden sich die Dreiheiten Himmel- Erde - Unterwelt oder
Himmel- Meer - Erde, oder auch eine Vierheit als Kombinations. Die Dreiheit
der Kronossöhne und ihrer Bereiche spielt im weiteren bei Homer keine Rolle.
Dagegen ist jener Passus im Atra1].asis-Text grundlegend und wird wiederholt
aufgegriffen.
Es dürfte keinen anderen Homerpassus geben, der so nahe daran herankommt,
Übersetzung eines akkadischen Epos zu sein. Gewiß, es ist nicht Übersetzung, son-
dern Umsetzung, doch in einer Weise, daß das fremde Gerüst noch durch-
schimmert. Man mag noch immer an den Zufall glauben, der uns narrt. Doch steht
der Passus im Gesamtbau der Ilias in einem sehr besonderen Kontext. Die Szene
gehört noch zu dem Stück, das die Antike den (Trug an Zeus', LltoC; U1tUTIl be-

6 11. 15, 187-93. Die drei göttlichen Brüder sind dargestellt auf einer schwarzfigurigen Schale
des Xenokles-Malers, Brit. Mus. B 425, ABV 184. Die 'Losung' wurde in Klaros lo-
kalisiert und als Erklärung dieses Ortsnamens angeführt, Schol. Apoll. Rh. 1, 308.
7 Hes. Theog. 883.
8 Himmel-Erde- Unterwelt im Eid 11. 15, 36f., vgl. 3, 277-9, Od. 5, 184f.; Erde-Him-
mel- Meer 11. 18, 483 (Schildbeschreibung), Od. 1, 52f., Hes. Theog., 847, Hymn. Dem.
33f.; Himmel- Unterwelt-Erde-Meer Hes. Theog. 736f. Vgl. E. G. Schmidt, Himmel-
Erde - Meer im frühgriechischen Epos und im alten Orient, Philologus 125 (1981) 1-24
(der Atral].asis noch nicht kennt).
88 WALTER BURKERT

titelt hat. Seine Sonderstellung ist in der Homerforschung oft hervorgehoben


worden9 • Zuletzt hat Albrecht Dihle die sprachlichen Besonderheiten hervorge-
hoben; er fand so viele Abweichungen vom normalen, traditionellen Formelge-
brauch, daß er zum Schluß kam, dieser Teil der !lias könne nicht mehr der
Phase der mündlichen Tradition angehören, sondern setze schriftliche Komposi-
tion voraus. Nicht alle werden ihm in diesem Schluß folgen; doch daß hier ein
auch sprachlich ungewöhnlicher, eigenwilliger, sozusagen (moderner' Text vorliegt,
ist anzuerkennen. Willy Theiler hat den eingängigen Namen (Berückungsdichter'
geprägt.
Vor allem ist es eine inhaltliche Besonderheit, die bereits Platon und vielleicht
schon vor ihm (Vorsokratikern' aufgefallen ist1°: Hier und nur hier innerhalb
der homerischen Dichtung taucht unversehens kosmogonische Thematik auf.
Hera, in ihrer Trugrede, will zu Okeanos und Tethys gehen, zu dem (Ursprung
der Götter' und zur (Mutter'; einmal heißt Okeanos dann auch (Ursprung ftir
alle(s)'l1. Okeanos und Tethys enthalten sich jedoch (seit langem' des Beilagers,
getrennt vom (Streit', VetXEa; dies klingt wie eine Vorwegnahme der empedo-
kleischen Neikos-Kosmogonie. Die yevEatc;; der Götter hat aufgehört. Gewiß,
alles dies ist nur eine Trugrede. Doch der dann folgende Höhepunkt der Schil-
derung, die Vereinigung des Götterpaars in der goldenen Wolke auf dem Ida-
Gipfel, zeigt wiederum die Gottheiten in einer naturhaften, kosmischen Dimen-
sion, die dem homerischen Anthropomorphismus sonst nicht eigen ist. Die kosmi-
sche Dreiteilung in der Rede Poseidons ist das dritte Motiv, das in diese Dimen-
sionen vorstößt.
Aristoteles fand, Platon folgend, in der Okeanos-Kosmogonie die Anregung ftir
den ersten (Naturphilosophen', Thales. Die moderne Forschung hat über Thales
zurück auf die Wasserkosmogonien orientalischer Provenienz hingewiesen 12, faß-

9 Bereits Gruppe (1887) 612-8; von einer "fremden Genealogie" sprach Wilamowitz, Der
Glaube der Hellenen I (1931) 341; 'Berückungsdichter': W. Theiler, Untersuchungen zur
antiken Literatur (1970) 24-6. - A. Dih1e, Homer-Prob1eme (1970) 83-92. Zur Bedeutung
der Szene für unsere l1ias H. Erbse, Zeus und Here auf dem Idagebirge, A&A 16
(1970) 93-112.
10 Plat. Krat. 402 ab; Tht. 152e; 180cd; Arist. Met. 983 b27; P1ut. Is. 364cd verwies auf
Ägypten.
11 'Qxeavöv 1:E: frewv yeve01v xai jlT]'repa Tr]l'1uv 11. 14, 201 = 302; 'Qxeavou, ÖC; nep yeve01C;
mXV1:wot -re..ux-rat 246. Okeanos und Tethys auch Hes. Theog. 133/6; beide mit In-
schrift (eEey~) auf dem Dinos des Sophi1os, Brit. Mus. 1971. 11-1.1, A. Birchall,
Brit. Mus. Quart. 36 (1971/2) T. 37; G. Bakir, Sophilos (1981) 64 Abb. 3.
12 U. Hö1scher, Anaximander und der Anfang der Philosophie, Hermes 81 (1953) 257-77,
385-418, rev. in: Anfängliches Fragen (1968) 9-89, bes. 40-3; G. S. Kirk, J. E. Raven,
Presocratic Philosophers (1957) 15-9; W. K C. Guthrie, A History of Greek Phi1o-
sophy I (1962) 58-61; Walcot (1966) 34; West (1966) 204. Die Verbindung von Enuma
elis und Hesiod wurde zuerst 1941 von F. M. Cornford gezogen, A Ritual Basis for
Hesiod's Theogony, in: The Unwritten Philosophy (1950) 95-116.
Die orientalisierende Epoche 89

bar bei Ägyptern, Phoinikern und nicht zuletzt im babylonischen Weltschöpfungs-


epos Enuma elis. Dieses beginnt damit, daß, "als droben" der Himmel noch
nicht vorhanden war und auch nicht unten die Erde, Apsu da war, der Süßwasser-
Ozean, "der erste, der Erzeuger", und mit ihm Tiamat, das Salzmeer, "die Ge-
bärerin von allen,,13. Beide "vermischten ihre Wasser". Damit hatte es dann später
sein Ende, als Apsu eingeschläfert und Tiamat schließlich erschlagen wurde in
einem sehr dramatischen (Streit'. Damals wurde der Kosmos so befestigt, wie
er jetzt ist.
Die beiläufigen Improvisationen Heras stimmen also, wie mehrfach bemerkt
wurde, mit dem Anfang von Enuma elis in frappanter Weise überein. Apsu und
Tiamat als Urelternpaar scheinen Okeanos und Tethys voll zu entsprechen. Dazu
kommt, daß Tethys keineswegs eine lebendige Figur der griechischen Mythologie
ist. Im Gegensatz zur Meeresgöttin Thetis hat sie keinen Kult, und niemand
weiß weiteres von ihr zu erzählen; sie lebt offenbar nur aus diesem Homerpassus;
wie sie zur Ehrenstellung der Urmutter kam, bleibt im Dunkel. Und nun kommt
doch das Kling-Klang der Namen ins Spiel. Ti-amat' gibt die übliche Schreib-
weise des Enuma elis wieder; das dahinter stehende akkadische Wort aber ist
tiamtu oder tomtu, (das Meer'14; der Name kann auch so geschrieben werden,
doch im 'Enuma elis' findet sich überdies auch die Schreibweise tawatultawtu 15 •
Geht man aber von dieser Namensform aus, so ist *TaU'u<;; die geradezu perfekte
Transskription. Der Purist könnte sich an der verschiedenen Wiedergabe der
Dentale stören - doch E>EE>Y1: schreibt Sophilos auf seinem Vasenbild, was nor-
malgriechisch zu Trröu<;; normalisiert werden mußte. Genau bekannt wurde das
Enuma elis dem Aristotelesschüler Eudemos; er aber transskribierte Tiamat als
TauU'e, wobei wiederum Tawtu zugrundeliegen dürfte 16. Daß ein entlehntes a
im Ionischen als TJ erscheint, hat in KußilßTJ/Kubaba, BfjAo<;;/Baal, Mfjöm/Mada
seine wünschenswerten Parallelen 17 . Damit ist der Beweis geschlossen, daß hier,
gleichsam mitten in der Ilias, die Einwirkung zweier akkadischer Klassiker zu
konstatieren ist. Wichtig ist festzuhalten, daß von bronzezeitlicher Entlehnung
nicht die Rede sein kann; abgesehen davon, daß 400-jährige mündliche Über-
lieferung stärkere U mschmelzung erwarten ließe, ist das Enuma elis gar nicht so

13 Enuma elis I lff., bes. 3-5.


14 AHw 1353f.
15 fa-a-wa-fi (Genetiv) IV 65, p. 23 Lambert-Parker; ti-a-wa-ti 11 81, p. 12 Lambert-Parker;
ta-ma-tu I 33, p. 2 Lambert-Parker. Das Zeichen wa kann auch aw gelesen werden. Zum
Wechsel m/w W. v. Soden, Grundriß der akkadischen Grammatik (1952) § 21d; 31a. Die
Gleichung Tiamat-Tethys auch bei Szemerenyi (1974) 150; allgemeiner Hinweis aufEnuma
elis und Atrabasis von 11. 14/15 aus auch bei Duchemin (1980c) 851; 858f.; 864; 868.
16 Eudemos Fr. 150 Wehrli = Damask. Princ. I 322, H. Zur Wiedergabe von akk. t durch
ß vgl. auch E. Schwyzer, Griech. Grammatik (1939) 154.
17 R. Gusmani in: Studies in Greek, Italian and Indoeuropean Linguistics pres. to L. R. Pal-
mer (1976) 77-82 (gegen E. Laroche, MeIanges P. Chantraine [1972] 83-91).
90 WALTER BURKERT

früh zu datieren; dem entsprechen die Beobachtungen Albrecht Dihles zum


Jungen' Charakter eben dieses Stücks. Wir fassen also, um mit Martin West zu
sprechen, "a neo-oriental element" 18 .
Die Feststellung zieht weitere Beobachtungen nach sich. Hera leistet den be-
rühmten Eid der Götter bei der Styx, der eigentlich ein kosmischer Eid ist:
Himmel, Erde und das Wasser der Unterwelt werden zu Zeugen gerufen. Eben
eine solche kosmische Formel aber schließt die göttlichen Eideszeugen ab auf dem
einzigen aramäischen Vertragstext, der aus dem 8. Jh. erhalten ist: (Himmel und
Erde, Abgrund und Quellen, Tag und Nacht,19. Auch die Hochzeit von Himmel
und Erde ist in akkadischer Literatur explizit bezeugt 20 ; der Wettergott und seine
sich entschleiernde Frau auf ihren Gewitterdrachen ist ein mehrfach dargestelltes
Thema orientalischer Siegelkunst21 . Spezieller noch ist das Problem der Titanen.
Drei der fünf homerischen Passagen, in denen die in der Unterwelt gefangenen
früheren Götter erwähnt werden, gehören in den Kontext der LltöC; una'tT); auch
die anderen beiden stehen in Götterszenen, als Proklamation des Göttervaters
Zeus 22 . Daß die Vorstellung von älteren, gestürzten Göttern die griechische Mytho-
logie mit der der Hethiter, Phoiniker und BabyIonier verbindet, ist seit der
(Kumarbi'-Entdeckung allgemein anerkannt; im einzelnen jedoch sind die Befunde
kompliziert, im Griechischen wie im Orient. Dort stehen die Tt't'iivec; als Kollek-
tiv unausgeglichen neben dem einzelnen Kronos, hier gibt es neben dem Ku-
marbi des hethitischen Sukzessionsmythos offenbar noch andere, jedenfalls eine
Mehrzahl von (alten Göttern'; der Wettergott - der Zeus entspricht - hat sie in
die Unterwelt gesandt2 3 • In Mesopotamien entsprechen die il'äni kamuti, (über-
wältigte Götter' - die Übersetzung (gefesselte Götter' wird neuerdings ange-
fochten 24 -, auch sie durch die siegreichen Götter unter die Erde gebannt. Im

18 West (1971) 205. Zur Datierung von Enuma elis Walcot (1966) 33; Reiner (1978) 175.
19 11. 15, 36-38 (= Od. 5, 184-6) - Inschrift von Sefire (--->- II 5, 28), ANET 659, Fitz-
meyer (1967) 12f. (I A 11f.).
20 Erra I 28f.: "Anu, der König der Götter, begattete die Erde: 7 Götter gebar sie ihm ... "
(--->- III 4). - Beschwörung bei Ebeling (1919) II 45: "Wie der Himmel die Erde be-
gattete und das Kraut reichlich wurde ... "
21 R. M. Boemer, Die Entwicklung der Glyptik während der Akkad-Zeit (1965) 62-4, Abb.
333; 364; 367; 368; 371; 373 etc. (3. 11.); E. D. van Buren, The Rain-Goddess as re-
presented in Early Mesopotamia, Analecta Biblica 12 (1959) 343-55, hier 35Of., T. XXVI 9
(Syrien 2. 11.).
22 11. 14, 274; 279; 15, 225; 8, 478f.; oupaviwvec; 5, 848; vgl. West (1966) 20Of.; die älte-
ren Arbeiten zu den Titanen sind durch die hethitischen Entdeckungen überholt, vgl.
Burkert (1977) 270.
23 karuiles siunes, V. Haas, G. Wilhelm, Hurritische und luwische Riten aus Kizzuwatna
(1974) 50-3; O. R. Gumey, Some Aspects of Hittite Religion (1977) 15; V. Haas,
Hethitische Berggötter und Hurritische Steindämonen (1982) 32-4; 133.
24 kamu wird AHw 433 mit 'binden' wiedergegeben, dagegen CAD VII (K) 127f. 'to van-
quish'. Enuma eliS 4, 127 vgl. 7, 27; Ebeling (1931) 38, nr. 8, 5 (die 'Sieben', die Söhne
Die orientalisierende Epoche 91

Enuma elis sind dies die Anhänger der Tiamat, in anderen Texten die bösen
!Sieben', die der Himmelsgott gebunden hat - und in der orphischen Tradition
sind auch die Titanen, die Söhne von Himmel und Erde, eben !sieben,25.
Die bösen !Sieben' gehören vor allem in den Bereich von Beschwörung und
Abwehrzauber. Dies führt auf eine weitere Beziehung: im Abwehrzauber werden
immer wieder Figuren hergestellt, freundliche und vor allem feindliche, die sich
dann zerstören lassen. Das bequemste Material ist Lehm, fi!; dieses Wort ist als
't'havo<;; 'Gips' auch zu den Griechen gelangt26 . Spätere Autoren haben eben
dieses Wort als Etymologie für die Titanen' herangezogen: als die Titanen das
Dionysoskind überfielen, machten sie ihre Gesichter durch Gips unkenntlich;
daher ihr Name 27 . Innergri~chisch fällt diese Etymologie durch die Feststellung,
daß das i von Tt'riiVE<;; lang, von 't'havo<;; dagegen kurz ist; das semitische Grund-
wort aber hat langes i, so daß mit der Hypothese der Entlehnung auch ein Zu-
sammenhang beider Wörter wieder plausibel wird. Es bietet sich so eine rituelle
Etymologie an: die Titanen tragen ihren Namen als !.li,t-Volk,28, weil mesopotami-
sche Magier die !überwundenen Götter', die man doch zu Schadenzauber, Abwehr-
zauber oder auch· als Eidesgaranten braucht, als Lehmfiguren, ~alme .li,f9 , dar-
zustellen pflegten. Diese Hypothese zu verifizieren, fehlt es jedoch an spezifi-
schem Material.
Eine andere, literarische Übertragungshypothese ist ihr vielleicht überlegen:
Beide Passagen, die so merkwürdig in der Ato<;; a1tCtTIl widerhallen, stammen je
vom Anfang eines besonders bekannten und vielgebrauchten mythischen Textes,
Atral].asis und Enuma elis. Nun ist bekannt, daß im Schulunterricht die mythologi-
schen Texte herangezogen wurden 30, und dabei fällt das Schwergewicht natur-
gemäß auf den Anfang der Lektüre. Die betreffenden Passagen dürften also fast
eine ähnliche Rolle gespielt haben wie das &vöpa 1l0t eVVE1tE in unseren Gymna-
sien. Ein lemwilliger Grieche, auf weIchen Wegen immer und möglicherweise
auch indirekt über aramäische Texte, hatte also Chancen gerade mit diesen Texten
konfrontiert zu werden, auch wenn er nicht eben weit in der Lektüre fortzu-
schreiten Gelegenheit hatte. Eine Schultradition, wenn auch auf elementarem
des Enmesarra, die Anu 'gebunden' hat). Vgl. B. Landsberger, J. V. Kinnier Wilson
JNES 20 (1961) 178f.
25 Orph. Fr. 114.
26 -+ I 4, 22; III 5.

27 Eust. 332, 24-8; A. Dieterich RhM 48 (1893) 280 = Kleine Schriften (1911) 121; J. E. Har-
rison, Prolegomena to the Study of Greek Religion (1922 3) 491-3; L. R. Farnell,
The Cults of the Greek States V (1909) 172.
28 E. Assmann, Titaia, Titanen und der Tartaros, Babyloniaca 6 (1912) 236-9; Astour
(1965) 196, 3.
29 ~alam .. sa .t~ti Ebeling (1931) 76, nr. 20, 4 vgl. 138, nr. 30 C 4; Orientalia 10 (1942)
69f. - Aus .ti,t sind die Menschen gebildet worden, Atral].asis I 203; Zimmern (1901)
158f. nr. 48, 1.
30 Reiner (1978) 157.
92 WALTER BURKERT

Niveau, ist ja auch in der Übernahme des Alphabets vorausgesetzt31 . Die ver-
schiedenen zu erwägenden Möglichkeiten, das rituelle, das bildhafte und das
eigentlich literarische Element schließen sich auch keineswegs aus, sondern könn-
ten sich mannigfach überkreuzt und verstärkt haben. Auf jeden Fall zeigt sich
die llias, wie wir sie kennen, orientalisierend üb erforme 2 •

2. Die Beschwerde im Himmel: IStar und Aphrodite

Der (Götterapparat', der die Handlung der llias und in etwas anderer Weise
auch der Odyssee begleitet, ist öfter als ein (spätes' Element im heroischen Epos
angesprochen worden 1 ; andererseits ist man längst auf orientalische Parallelen
gerade zu den Götterszenen aufmerksam geworden 2 • Zwar die doppelte Bühne
der Götter- und Menschenhandlung, die der lliasdichter virtuos beherrscht, ist
in dieser Form in den mesopotamischen Epen nicht zu fmden; doch bietet
einen Ansatz dazu immerhin die Sintfluterzählung im Gilgames-Epos, in der die
Rettung der Menschen auf dem Hintergrund eines Konflikts der Götter zustande-
kommt.
Eine berühmte Begegnung von Gottheit und Mensch wird auch in einem frühe-
ren Teil des gleichen Werks gestaltet3 : als Gilgames Humbaba getötet und sich
dann vom Kampfschmutz gereinigt hat, erhebt IStar ihre Augen zu dem strah-
lenden Sieger und bietet sich selbst ihm an, bietet märchenhaftes Glück: "Schenke,
o schenke mir deine Fülle". Gilgames weist sie schnöde ab, gibt den Katalog von
IStars Partnern, die sie alle einmal (geliebt' hat, um sie dann zu verstoßen und
zu verwandeln. "Und liebst du mich, machst du mich jenen gleich". "IStar - kaum
daß sie dieses hörte, war sie, IStar, sehr zornig, stieg empor zum Himmel, es
ging IStar hin, weint vor Anu, ihrem Vater ... Vor Antum, ihrer Mutter, fließen
ihre Tränen: (Mein Vater! Gilgames hat mich sehr beschimpft! Gilgames zählte
auf alle meine Beschimpfungen, meine Beschimpfungen und Flüche'. Anu tat
zum Reden den Mund auf und sprach zur fürstlichen IStar: (Wohl reiztest du
selber den König von Uruk, darum zählte Gilgames deine Beschimpfungen auf,
deine Beschimpfungen und Flüche'."
31 ->- I 3.
32 Über Entstehung und Datierung unseres l1iastextes läßt sich vorderhand keine Einigung
erzielen. Hier genüge der Hinweis auf A. Lesky, 'Homeros' RE Supp!. XI 687-846 (1968)
und A. Heubeck, Die Homerische Frage (1974). Verf. geht davon aus, daß unsere (schrift-
liche) l1ias eine überlegte Gesamtkomposition ist, und neigt einer Datierung in die erste
Hälfte des 7. Jh. zu (WSt 89 [1976] 5-21).
1 In der Analyse P. Von der Mühlls, Kritisches Hypomnema zur Ilias (1952) werden die
Götterszenen praktisch durchwegs dem Bearbeiter 'B' zugewiesen; zu 11.5,353-431 Von der
Muh1r96f.
2 L. A. Stella, 11 Poema di Ulisse (1955) 188-205; Stella (1978) 73-123.
3 Gilgames 6, 1-91. Übersetzung nach von Soden.
Die orientalisierende Epoche 93

Dagegen nun eine Szene aus der Ilias4 : Aphrodite ist, als sie Aineias schützen
will, von Diomedes verwundet worden, ihr Blut fließt. "Sie aber, außer sich,
ging weg und wurde schrecklich gepeinigt"; mit Hilfe von Iris und Ares ge-
langt sie zum Olymp os. "Sie aber, die göttliche Aphrodite, fiel der Dione in den
Schoß, ihrer Mutter, und sie nahm in die Arme ihre Tochter, streichelte sie mit
der Hand", fragt: "Wer hat dir solches angetan, liebes Kind?", sie antwortet:
"Verwundet hat mich des Tydeus Sohn, der hochgemute Diomedes." Die Mutter
tröstet sie mit mythischen Exempeln; Athena macht eine spitze Bemerkung,
Zeus der Vater aber lächelt, er ruft die Tochter zu sich heran und sagt: "Nicht
dir, mein Kind, sind gegeben des Krieges Werke! Sondern du gehe den lieblichen
Werken der Hochzeit nach ... "; mit anderen Worten: ein wenig bist du doch
selber schuld.
Die beiden Szenen sind im Aufbau, in der Erzählweise, im (Ethos' erstaunlich
parallel5 • Eine Göttin, verletzt durch einen Menschen, fährt auf zum Himmel,
um sich bei Vater und Mutter zu beschweren, und erntet milden Vorwurf von
seiten des Vaters.
Gewiß, im Grund ist dies eine Allerwelts-Situation aus dem Kinderbereich.
Die Szene wiederholt sich, leicht variiert, beim Götterkampf der Ilias 6 : Artemis,
von Hera geprügelt, setzt sich weinend Vater Zeus auf die Knie, der zieht sie an sich
und fragt lachend: Wer hat dir solches angetan? Und sie erzählt: Deine Frau hat
mich gehauen. Die Szene der Diomedie ist insofern schlichter, als dort die Eltern
gemeinsam als Zufluchtsort auftreten, 'Yobei der Vater die Rolle leicht distanzier-
ter Überlegenheit spielt. Eben dies entspricht der Gilgames-Szene. Vor allem aber:
Aphrodite als Liebesgöttin ist ja eben der IStar äquivalent; Aineias ist ihr Sohn,
weil sie sich einem sterblichen Mann angeboten hat, dem der Umgang mit der
Göttin übel bekam. Möglicherweise ist der Name Aphrodite selbst ein griechisch
überformtes Astorit, also letztlich mit IStar identisch7 • Dazu kommt etwas besonders
Merkwürdiges: In der Szene der Diomedie, und nur hier, hat Aphrodite eine
Mutter, Dione, die offenbar als Frau des Zeus zusammen mit dem Gatten im
Olympos lebt. Der Kontrast zur Schaumgeburt der Aphrodite bei Hesiod nach
der Kastration des Uranos ist seit je aufgefallen. Man hat für Dione in der
Tradition von D~dona Anknüpfungspunkte gefunden, hat auch an die mykenische

4 H. 5, 330-431. Übersetzung nach Schadewaldt.


5 Festgestellt von Gresseth (1975) 14, der auch darauf hinweist, daß IStars anschließende
Drohung, sie werde die Toten löslassen, wenn Anu ihren Wunsch nicht erfüllt (6, 96-100),
in der Drohung des Helios Od. 12, 382f. ein Gegenstück hat.
6 H. 21, 505-13.

7 Vgl. Burkert (1977) 238-40; zu Anchises und Aphrodite-Hymnos sei auf L. H. Lentz,
Der Homerische Aphroditehymnus und die Aristie des Aineias in der Ilias (1975) bes.
104-7, 144-52 verwiesen.
94 WALTER BURKERT

Diwija erinnert 8 • Jedenfalls hat die Mutter der Aphrodite in der Ilias einen Namen,
der einfach als Femininbildung zu (Zeus' durchsichtig und verständlich ist. Dies
ist unter den indivi~ualisierten Eigennamen der homerischen Götterfamilie ein
Unicum. Genau dieses aber hat sein Gegenstück in dem akkadischen Text, denn
Antu ist die normale und durchsichtige Femininbildung zu Anu dem Himmels-
gott. In Kult und Mythos Mesopotamiens ist dieses Paar fest etabliert.
Will man den Zufall nicht über Gebühr strapazieren, muß man konstatieren,
daß hier Umsetzung aus einem akkadischen Klassiker nicht nur die erzählerische
Gestaltung einer Götterszene, sondern sogar die homerische Göttermythologie ge-
prägt hat. Dies ist dann, auf etwas anderem Niveau, ein Gegenstück zur Ur-
mutter Tethys beim (Berückungsdichter'. Die Diomedes-Tradition weist einerseits
nach Argos, wo insbesondere die Wagenfahrt des Pallas-Bildes mit dem Schild des
Diomedes das unmittelbare rituelle Gegenstück zum zweiten Teil der homerischen
Diomedie darstellt 9 ; andererseits führt sie nach Salamis auf Cypern: dort soll es
bis in frühhellenistische Zeit ein Menschenopfer für Diomedes und Agraulos ge-
geben haben, im Tempelbezirk, der auch Athena gehörte, vollzogen im Monat
Aphrodisios; das Opfer wurde mit einer Lanze getötet und verbrannt 10. Sehr
seltsam scheinen hier die Namen Diomedes, Athena, Aphrodite um eine Lanzen-
Tötung gruppiert; das Ritual des Holokausts hat an Semitisches erinnert l1 ; jeden-
falls weist so ein Aspekt der Diomedes-Tradition, der mit der Aphrodite-Szene
der homerischen Diomedie sich zusammensehen läßt, auf die Insel zurück, wo
Griechisches und Orientalisches am intensivsten in Kontakt standen und wo just
in der homerischen Epoche die assyrischen Könige herrschten 12 • In solcher Si-
tuation erscheint die Berührung von akkadischem und homerischem Epos kaum
mehr erstaunlich.

8 Dione erscheint Hes. Theog. 17 in einem Homer-nahen Katalog, vgl. West (1968) 156
z.d.St.; als Okeanine Hes. Theog. 353. Vgl. Escher RE V 878-80, auch zum Kult in
Dodona; Strab. 7 p. 392 behauptet, Dione sei dort sekundär. G. Murray, Five Stages of
Greek Religion (1925) hielt Dione für primär gegenüber Hera; dies ist durch Linear B
widerlegt. Zu Diwija: M. Gerard-Rousseau, Les mentions religieuses dans les tablettes
myceniennes (1968) 67-70. Das Suffix -WVTJ ist in der epischen Sprache produktiv, vgl.
(Danae) 'AXpWtwvTJ,I1. 14, 319; (Helena) 'ApyetwvTJ Hes. Fr. 23a20 U.ä.
9 Kallim. Hy. 5, 'Schild des Diomedes' V. 35; W. Burkert, Zeitschrift für Religions- und
Geistesgeschichte 22 (1970) 361f.; so ist Diomedes auch im Schiffskatalog in Argos an-
gesiedelt, 11. 2, 559-68. Im übrigen ist Diomedes unsterblich. Vgl. auch 0. Andersen,
Die Diomedesgestalt in der !lias, Symb. Oslo. Suppl. 25 (1978).
10 Porph. Abst. 2, 54f. (nicht aus Theophrast). Weder der 'König von Cypern' (d.i. Sala-

mis?) Diphilos noch der 'Theologe' Seleukos läßt sich bestimmen oder datieren; der
Name des 'Theologen' ist kaum vor der Alexanderzeit zu erwarten, nach dem Tod des
Nikokreon (310) aber gab es keine Könige mehr auf Cypern, vgl. RE 'Salamis' I A 1835.
11 Abgelehnt von F. Schwenn, Die Menschenopfer bei den Griechen und Römern (1915)

71f.
12 -+ I 1, 19; III 3, 12.
Die orientalisierende Epoche 95

Akzeptiert man den Kontakt, so lassen sich weitere lockerere Vergleiche zwischen
(Gilgames' und Homer anschließen, etwa' dem Katalog der Liebhaber Htars und
der Liebschaften des Zeus ausgerechnet beim (Berückungsdichter,13. Doch wesent-
licher ist, gleich auch die Unterschiede bei allen Gemeinsamkeiten festzuhalten.
Htars Begegnung mit Gilgames ist fest verankert im Aufbau des Epos; sie bildet
die Klammer zwischen dem Humbaba-Thema und der nächsten Heldentat, der
Überwindung des Himmelsstiers. Eben um sich zu rächen, schickt Htar, die mäch-
tige Göttin, den Himmelsstier und gibt so Gilgames und Enkidu Anlaß, mit
dem Stiersieg das Stieropfer zu stiften; ritueller Hintergrund und rituelle Einzel-
heiten sind deutlich; daß Gilgames Htar abweist, entspricht dem Jäger-Tabu: eben
die sexuelle Enthaltsamkeit macht die erfolgreiche Jagd möglich, bringt den Stier
herbei 14 . Auch von den Verwandlungen, von denen der Liebhaber-Katalog be-
richtet, hat mindestens eine deutlich kulturstiftende Funktion 15. Bei Homer ist
daraus eine in der Erzählkette funktionslose, aber um so liebevoller ausgemalte
Genreszene geworden. Sie hat ihren Reiz und ihre ästhetische Funktion im Rah-
men der gesamten Dichtung, aber weder in der Handlung noch in Bezug auf
einen kultischen Hintergrund ein der akkadischen Dichtung vergleichbares Schwer-
gewicht. Die Art, wie akkadische Dämonen sich in mythische Popanze verwan-
deln, Lamastu zu Gorgo wird 16 , hat auch auf der Ebene der Götterdichtung ihr
Gegenstück.

3. Die übervölkerte Erde

Die Grundkonzeption des altbabylonischen Atral].asis-Epos ist fast beunruhigend


modern: die Menschen nehmen überhand, die Erde gerät in Bedrängnis, nur eine
Katastrophe des Menschengeschlechtes, scheint es, kann die Lösung sein; doch
die Menschen überleben, und so ist schließlich das einzige Mittel, das gefunden
wird, (Geburtenkontrolle'; freilich scheint nur eine Methode zuhanden, die Institu-
tion von Priesterinnen, die keine Kinder haben dürfen 1 .
In Versen, die formelhaft je zu Beginn eines neuen Aktes wiederkehren, wird die
Bedrängnis der Erde geschildert: "Zwölfhundert Jahre waren noch nicht vergan-

13 Gilgames 6, 42-78; H. 14, 315-28; vgl. auch Kalypsos Katalog der Göttinnen, die sterb-
liche Männer liebten, Od. 5, 118-28.
14 Vgl. Burkert (1972a) 72f.

15 IStar schafft auf diese Weise das gebändigte Pferd, VI 53-7.


16 -+ II 9.

1 AtralJasis III vii 1-9, p. 102f. aladam pursi Z. 9 bringt den wörtlichen Begriff der (Ge-

burtenkontrolle'. Vgl. A. D. Kilmer, The Mesopotamian Concept of Overpopulation and


Its Solution as Reflected in the Mythology, Orientalia 41 (1972) 160-77; allgemein, noch
ohne Kenntnis von AtralJasis, H. Schwarzbaum, The overcrowded earth, Numen 4 (1957)
59-74.
96 WALTER BURKERT

gen, da breitete das Land sich aus, die Leute wurden viel. Das Land brüllte
wie ein Wildstier, von ihrem Lärmen gerieten die Götter in Unruhe. Enlil hörte
ihr Geschrei, er sprach zu den großen Göttern: schwer geworden ist das Geschrei
der Menschheit, von ihrem Lärmen bin ich des Schlafes beraubt ... ,,2. Darum
also die geplanten Katastrophen, Seuche, Dürre, und Sintflut.
Hier drängt sich die Parallele zu einem Stück des griechischen Epos auf, einem
durchaus prominenten Text, geht es doch um nicht weniger als die letzte Ursache
des Troianischen Kriegs. Es handelt sich um den Anfang der (Kypria', jenes Epos,
das den Beginn des Troischen Kyklos markierte. Herodot bereits bezweifelte die
Autorschaft Homers, und kraft der literarischen Verdammung ging der Text als
ganzer verloren; doch eben der Anfang ist als Fragment, in korrupter Textform,
erhalten als Erklärung für den (Ratschluß des Zeus', den die Ilias gleich zu An-
fang hervorhebt (1, 5). Im Stil eines Märchenanfangs setzen die Kyprien ein:
"Es war eine Zeit, als unendlich viele Völker der Menschen über die Erde sich hin-
und herbewegten .. , (Lücke; sie bedrängten?) die Breite der tiefbrüstigen Erde. Zeus
sah es und empfand Mitleid, und in seinem dichten Denken beschloß er, die all-
nährende Erde von Menschen zu erleichtern, indem er den großen Streit des Ilios-
Kriegs entfachte. ,,3
Daneben steht in den gleichen Scholien eine Prosaerzählung4 : "Die Erde, be-
schwert von der Überfülle der Menschen, zumal es keinerlei Frömmigkeit bei
den Menschen gab, bat Zeus, von der Last erleichtert zu werden. Zeus bewirkte
zuerst gleich den Thebanischen Krieg, durch den er sehr viele vernichtete;
danach wiederum beriet er sich mit Momos - das ist der (Ratschluß des Zeus',
von dem Homer spricht -: Er hätte mit Blitzen oder Sintfluten alle verderben
können; doch daran hinderte ihn Mamas, schlug ihm vielmehr vor, Thetis mit
einem Menschen· zu verheiraten und eine schöne Tochter zu zeugen ... " So
kommen Achilleus und Helena und durch sie der Troianische Krieg zustande.
Beide Texte lassen sich nicht einfach zusammensetzen. In den zitierten Ver-
sen reagiert Zeus auf den Zustand der Erde direkt mit seinem Beschluß, und dieser
zielt gleich auf den Troischen Krieg; daß Zeus die Einzelheiten dann mit Themis
besprach, wie die Inhaltsangabe der Kyprien bei Proklos angibt5 , läßt sich an-
schließen; in der Prosafassung aber ist die Erde nicht stummes Objekt des Mit-
leids, sondern sprechender Partner, der Beschluß bezieht den Thebanischen Krieg
mit ein, und dann kommt die merkwürdige Beratung mit Momos. Es handelt
sich also um zwei konkurrierende Fassungen; als dritte tritt ihnen ein Passus

2 Atrahasis 1352-9 = II 1-8.


3 Kypria Fr. 1 Allen = Schol. AD A 5.
4 Schol. AD A 5, dazu Schol. Eur. Or. 1641; E. Bethe, Homer II (1929 2) 154f., disku-
tiert 228. - Gilgames XI 182-5; Götter diskutieren über Sintflut, Raubtiere, Hunger, Pest
als Methoden, die Menschheit zu reduzieren.
5 Chrestom. p. 102, 13 Allen.
Die orientalisierende Epoche 97

vom Ende der Hesiodeischen Katalog zur Seite 6• Hier faßt Zeus einen einsamen
Beschluß, den die anderen noch nicht' durchschauen; sein Ziel ist, der Ver-
wirrung von menschlichem und göttlichem Bereich ein Ende zu bereiten und damit
das Heroenzeitalter abzuschließen, "er erstrebte, das Geschlecht der Menschen
großenteils zu vernichten" (98f.), durch die Katastrophe des Kriegs; nach Hesiods
(Erga' haben der Thebanische und der Troische Krieg dem Heroenzeitalter das
Ende gesetzt (163-5). Der Text der (Kataloge' freilich ist stark zerstört und nicht
voll verständlich; daß die Katastrophe an Helena anknüpft, steht fest.
Drei Varianten der Grundkonzeption einer Menschheitskatastrophe also liegen
vor, wobei Xyprien' und ~taloge', wenn auch nicht sicher datiert, doch wohl der
archaischen Epoche angehören, während die Quelle der Prosafassung sich gar
nicht fIxieren läßt. Gerade sie hat eine besondere AffInität zum Atral].asis-Text,
weil hier verschiedene Katastrophenpläne wenn nicht ins Werk gesetzt so doch er-
wogen werden, wobei gerade die Sintflut einigermaßen überraschend als die radi-
kalste Maßnahme auftaucht. Sehr seltsam ist die Rolle des Momos, des personi-
fIzierten Tadels', der hier als Berater des Zeus eingeftihrt ist - viel Aufwand,
nur um zwei Vorschläge abzulehnen. Oder hat er die Menschen zu (tadeln'?
Kurioser noch ist, daß am Anfang des Enuma elis Apsu, (der Erste, der Erzeuger',
vergrämt vom Lärm der jungen Götter, die seine Ruhe stören, einen Vernichtungs-
plan faßt; zur Seite steht ihm ein anderer Urgott, Mummu: "den Apsu beriet
er,,7. Ist Momos gleich Mummu? Dann wären im griechischen Text Motive aus
Atra1].asis und Enuma elis in ähnlicher Weise kontaminiert wie es in der Llto<;;
umxTIl der Fall zu sein scheint. Auch damit freilich wäre dem Scholientext noch
kein sicherer Platz im Rahmen griechischer Literatur zugewiesen; es ist daran zu
erinnern, wie im Fall des Typhon-Mythos ein später Prosatext, erhalten in Apol-
lodors Bibliotheke, die frappantesten Parallelen zu (Illuyankas' liefert8 •
Für die (Kypria' jedenfalls erweist der Atral].asis-Text das Motiv von der Über-
belastung der Erde und dem Vernichtungsplan des höchsten Gottes, des Wetter-
gottes, als außerordentlich alt; dies widerrät dringend, in dem Kyprienanfang
eine beliebige (nachhomerische' ErfIndung zu sehen9 • Dazu kommt in diesem Fall
auch vom Griechischen her ein Hinweis auf den Osten: der merkwürdige Titel
(Kypria' kann nur als Hinweis auf die Insel Cypern verstanden werden 10, auch

6 Hes. Fr. 204, 96ff.; zur Interpretation M. L. West CQ 11 (1961) 133-6; K. Heilinger
MH 40 (1983) 23f.
7 Enuma eliS 1, 47; in der Transskription des Eudemos (--+ III 1, 16) MwuJ.Liv.
8 Apollod. 1 (39-44) 6,3; Burkert (1979) 7-9.
9 Auf dem Alter des Motivs hatte W. Kullmann bestanden, Ein vorhomerisches Motiv
im Iliasproömium, Philologus 99 (1955) 167-92; er verwies auf eine Stelle des Mahabha-
rata, die auch Schwarzbaum (Anm. 1) heranzieht.
10 Rzach RE XI 2379f.; H. Lloyd-Jones, Stasinus and the Cypria, in Stasinos, Syndesmos
Hellenon Philologon Kyprou 4 (1968/72), 115-22 bes. 117f. Eine direkte Beziehung
auf Aphrodite-Kypris, Stamm Kyprid-, ist schon formal ausgeschlossen.
98 WALTER BURKERT

wenn man den späteren Notizen über Stasinos von Cypem als Verfasser des
Gedichts mit sehr viel Skepsis begegnet. Ein Indiz dafür, die (Kypria' spätestens
um 650 anzusetzen, gibt die früheste Darstellung des Paris-Urteils auf der Chigi-
Kanne, auch abgesehen von dem umstrittenen Hinweis auf eben dieses im 24.
Buch der Ilias 11. Dann aber führt dies eben in jene Epoche Cypems, als seine
Könige formell noch unter assyrischer Oberhoheit standen und doch in erstaun-
licher Weise Macht und Pracht entfalten konnten; merkwürdig mischen sich dort
orientalischer Luxus und (homerischer' Lebensstil: die Bestattungen sind auf-
wendig wie bei Patroklos, orientalisierende Prunkmöbel fmden sich im Grab,
Opfer von Wagen und Pferden vor dem Eingang; ein veritables (Schwert mit
Silbernägeln', ~i<po<; apyup61lAOV, evoziert besonders die homerische Welt 12 . Es
bleibt freilich dunkel, warum gerade das (homerische' Thema vom Krieg um
Troia in Cypem beachtet und gestaltet wurde; daß dies geschah, bezeugt das
Faktum der KU1tpw; E1tll. Klar und unübersehbar aber waren die Beziehungen zu
Syrien und Mesopotamien, standen doch die Gedenkstelen der assyrischen Könige
in Cypems Städten.
Anhangsweise ist von (Atral].asis' aus noch auf einen weiteren möglichen Reflex
in unserer llias hinzuweisen: Eine der dramatischsten Episoden gleich am Anfang
des babylonischen Gedichts ist der Streik der niederen Götter gegen Enlil, ihren
Boß. Sie sind der mühevollen Arbeit an den Deichen überdrüssig, sie verbrennen
ihre Werkzeuge und ziehen zur Nachtzeit vor das (Haus' - den Tempel - des
Enlil, um Revolution zu machen. En1il gerät in verständliche Erregung, er sendet
rasch einen Boten zu Anu im Himmel, zu Enki in der Wassertiefe; beide kom-
men denn auch, sie beraten, das Ergebnis ist die Schaffung der menschlichen
Roboter 13 • Im ersten lliasbuch aber erzählt Thetis eine sonst nie erwähnte Ge-
schichte, "wie den Zeus die anderen Olympischen Götter binden wollten" - ein
Grund für die Palastrevolution wird nicht genannt -. Da handelte Thetis als Bote
und holte aus der Meerestiefe den gewaltigen Briareos-Aigaion, der sich Zeus
zur Seite setzte und mit seinem kampfesfrohen Ausdruck die anderen Götter
verscheuchte 14 . Die Übereinstimmung mit (Atral].asis' ist nicht sehr detailliert;
Geschichten um Streit und Kampf im Götterbereich sind auch sonst nicht selten.
Wenn aber Beziehungen zwischen diesen Texten sowieso festgestellt sind, dann
ist eine Anregung für den griechischen Sänger aus der östlichen Dichtung doch

11 Schefold (1964) T. 29b, datiert 640/30; vgl. I. Raab, Zu den Darstellungen des Paris-
urteils in der griechischen Kunst (1972). - 11. 24, 29f.; K. Reinhardt, Das Parisurteil
(1938).
12 V. Karageorghis, Salamis. Recent Discoveries in Cyprus (1969), Kap. III: The Age of
Exuberance (~i<poc; apyupOT]AOV 70, T. 25); -+ I 1, 19; III 2, 12.
13 Atrahasis 127-102, p. 44-9.
14 11. 1,w 396-406; vgl. W. Kullmann, Das Wirken der Götter in der Ilias (1956) 14-7;
Duchemin (1980c) 864. Vgl. auch B. K. Braswell, Mythological Invention in the Iliad,
CQ 21 (1971) 18f.
Die orientalisierende Epoche 99

in Rechnung zu stellen. Es wiederholt sich dabei das Verhältnis, daß ein in (Atra-
Vasis' fest eingefügtes Hauptstück der Handlung selbständig als bloßes Motiv,
als unverbindliche Improvisation ohne Voraussetzungen und Folgen verwen-
det wird.
Weitere Fäden laufen von (Atravasis' zum Prometheusmythos. Doch sind diese
Beziehungen weniger spezifisch, zum al sie auf dem Hintergrund des sehr allge-
meinen Trickster-Typus zu sehen sind 15.

4. Sieben gegen Theben

Geschichte ist weithin Kriegsgeschichte, und darum machen Kriege den Ein-
druck historischer Realität. Der Krieg der Sieben gegen Theben ist als historisches
Faktum der Bronzezeit kaum in Zweifel gezogen worden, weniger noch als der
Troianische Krieg: "There is no reason to suppose that the tale was not based on
fact,,1. Zumindest eine Zerstörung Thebens im 13. Jh. gegen Ende von (Spät-
helladisch III B' ist archäologisch festgestellt, wenn auch das genaue chronologi-
sche Verhältnis zur Zerstörung von Troia VII A und auch zum Untergang von
Pylos und Mykene strittig ist2. In Theben könnte es sich um die Eroberung
durch die (Epigonen' handeln, die der gleichen Generation wie die Troia-Kämpfer
angehören. Im Schiffskatalog der Ilias wird Theben als zerstört vorausgesetze .
Man nimmt an, daß dies noch im 8. Jh. galt, daß der Aufstieg Thebens zur
Hegemonialmacht in Böotien erst später einsetzt 4 .
15J. Duchemin, Promethee, Histoire du mythe de ses origines orientales a ses incarna-
tions modernes (1974). Zum Trickster-Typ in 'Atrahasis' Burkert (1982).
3
1 F. H. Stubbings in Cambridge Ancient History 11 2- (1975) 168.

2 S. Symeonoglou, Kadmeia 1 (1973) 72-6; F. H. Stubbings Cambridge Ancient History

11 23 (1975) 168f.; Th. G. Spyropoulos Minos Suppl. 4 (1975) 53-5; 58-71. Das Ver-
hältnis von Ausgrabungsbefunden und mythischer Überlieferung wird diskutiert bei
A. Schachter, The Theban Wars, Phoenix 21 (1967) 1-10; Edwards (1979) bes. 104f.;
C. Brillante, Le leggende Tebane e l'archeologia, SMEA 21 (1980) 309-340. Eine ge-
wisse Kompatibilität läßt sich herstellen, sofern die Zerstörungen von Theben und Troia
ungefähr gleichzeitig waren; eben diese Überlegung hat aber bereits Blegens Datierungen
für Troia beeinflußt. "More than one hypothesis will fit" Edwards (1979) 189. Radikal
gegen die Historizität des troianischen Krieges: M. I. Finley Proc. Brit. Ac. 60 (1974)
393-412.
3 Statt Theben 'Hypothebai' 11. 2, 505; Schol. B z.d.St. und Strab. 9, p. 412. Die Ilias

setzt die 'Boiotoi' in Böotien voraus, die der lokalen Überlieferung nach erst nach dem
Troianischen Krieg aus Thessalien einwanderten. Zur Spätdatierung des Schiffskatalogs
A. Giovannini, Etude historique sur les origines du catalogue des vaisseaux (1969).
4 Zur Geschichte Thebens in der früharchaischen Epoche: P. Guillon, La Beotie antique

(1948); P. Cloche, Thebes de Beotie (1952); M. Sordi, Mitologia e propaganda nella


Beozia arcaica, Atene e Roma N.S. 11 (1966) 15-24; Jeffery (1976) 77-9; R. J. Buch,
A History of Boeotia (1979).
100 WALTER BURKERT

Vom Krieg der Sieben gegen Theben freilich, der literarisch weit berühmter
war, sind keine archäologischen Spuren zu erwarten: die sieben Tore und die
Mauem blieben ja, laut Überlieferung, damals unerstürmt, der Angriffverwandelte
sich in den Untergang der Angreifer. Das Epos, das diese Kämpfe zum Inhalt
hatte, war offenbar das Zentrum des Thebanischen Kyklos. Sein Inhalt ist an
mehreren Stellen unserer Ilias vorausgesetzt. Insbesondere dürfte die formelhafte
Bezeichnung vom (siebentorigen Theben', 8ilßll<;; E1t't'U1tUAOtQ (Il. 4, 406; Od. 11,
263) aus der Thebanischen Epik übernommen seins.
Gerade hier aber setzt das Problem der Realität ein: Es macht Schwierig-
keiten, sich die (siebentorige Stadt' in. der Bronzezeit vorzustellen. Eine myke-
nische Festung mit sieben Toren sich zu denken ist unsinnig. Der Hügel, auf dem
noch die heutige Stadt Theben liegt und wo in zentralen Sektionen Funde
aus dem mykenischen Palast zutage kamen, ergibt für die damalige Zeit ja auch
eine ganze Stadt. Die lokalen Archäologen haben an seinem Rand denn auch die
sieben Tore seit langem eingetragen6 • Doch fehlt es schon wegen der ständigen
Überbauung an archäologischen Befunden. Andere haben festgestellt, daß der
Hügel natürlicherweise drei, nicht sieben Zugänge hat. Die spätere griechische
Stadt griff w,eit in die Ebene aus und war entsprechend ummauert. Wilamowitz
hat 1891 kühl erklärt, die sieben Tore seien offenbar nur um der sieben Angreifer
willen im Epos angesetzt, erzählerische Symmetrie, die mit der Wirklichkeit nichts
zu tun hat.
Eben die Angreifer aber sind ein merkwürdiger Haufe: ihre Namen variieren,
ohne daß das Älteste sich mit Sicherheit rekonstruieren ließe; es ist nicht einmal
klar, ob der Anführer Adrastos und der Anlaß des Unternehmens, der vertriebene
König Polyneikes, mitzuzählen sind 7• Einige der Helden, wie wir sie aus Aischy-
los kennen, haben eine sehr starke Eigenprägung; so der göttlich verehrte Am-

5 Fragmente bei T. W. Allen, Homeri Opera V (1912) 112-4; vgI. Burkert (1981a) 29-34;
ausführlichste Untersuchung der ganzen Überlieferung des thebanischen Epenzyklos bei
C. Robert, Oidipus (1915).
6 Seit Keramopoullos, vgI. die Karte RE V A 1425f., danach N. D. Papachatzis, IIauaaviou
IIepl.T]YTJot!; V (1981) 64f.; Th. G. Spyropoulos Minos SuppI. 4 (1975) 62. S. Symeonoglou,
On the Topography of Prehistoric Thebes, in: Actes du 2e Congres international sur la
Beotie antique, Montreal1973 (1979), 3-6; K. Demakopoulou, D. Konsola, Archaeologi-
sches Museum Theben: Führer (1981) 22. Die Existenz der 7 Tore wurde bestritten von
U. v. Wilamowitz-Moellendorff, Die sieben Tore Thebens, Hermes 26 (1891) 191-242 =
Kleine Schriften V 1 (1937) 26-77, bes. 228 = (1937) 62f., danach F. Schober RE V A
142~f. ("drei Tore ... entsprechen allein der Lage auch der heutigen Stadt, die auch nur
drei Ausgänge kennt" 1429); Howald (1939) 3; P. J. Reimer, Zeven tegen Thebe,
Diss. Amsterdam (1953).
7 Älteste Listen bei Aisch. Sept. 375-652 und vom Argivischen Weihgeschenk in Delphi,
Paus. 10, 10,4; vgI. Apollod. BibI. 3 (63) 6, 3; Robert (Anm. 5) 1237-47.'
Die orientalisierende Epoche 101

phiaraos und Tydeus, Vater des unsterblichen Diomedes 8 • Andere erscheinen


als bloße Füllfiguren: Eteoklos auf der Gegenseite zu Eteokles scheint eine fast
schon verzweifelte Erfmdung eines stockenden Sängers zu sein. Aber daß es Sieben
waren, steht fest. Dabei haben Eteokles und Polyneikes redende, auf eben diesen
Krieg bezogene Namen, der 'viele Streit' gegen den 'wahren Ruhm', der die Stadt
verteidigt; unmöglich kann beides, der Krieg und die Namen der Anführer,
historisch und damit zufällig sein, die dichterische Erfmdung ist offenbar.
Solche und ähnliche Erwägungen haben Ernst Howald in einer Rektorats-
rede von 1939 zu einer radikalen These veranlaßt, die freilich ohne Widerhall
blieb: die Erzählung von den sieben bösen Angreifern, die glücklich zurückge-
schlagen werden, angeführt von Adrastos dem 'unentrinnbaren' auf seinem
Zauberpferd Arion, sei im Kern ein reiner Mythos: vorgestellt werde ein Zug
von sieben Dämonen, ein "Ausbruch der Hölle,,9. Adrastos verrate sich als Herr
der Unterwelt noch durch die 'tragischen Chöre', die ihn laut Herodot in Sikyon
zu ehren hatten; Arion, von Erinys geboren, sei ein Höllenroß; sein Gefolge
seien sieben unterweltliche Dämonen, darunter Tydeus mit seinen kannibalischen
Gelüsten. Erst sekundär sei der Unterweltsmythos in ein realistisches Helden-
epos umgesetzt und mit der realen Stadt Theben verknüpft worden. Dies hat
Geschichte gemacht, bis hin zur Cambridge Ancient History.
Was Howald nicht wußte: ein epischer Text, der den Ansturm der bösen, unter.,.
weltlichen Sieben unter Leitung eines schrecklichen Gottes schildert, existiert in
Gestalt eines akkadischen Epos, des Gedichts von Erra dem Pestgott. Es ist einiger-
maßen vollständig erst 1956, verbessert 1969 herausgegeben worden lO • Es handelt
sich - ein einmaliger Fall - um das Werk eines individuellen Dichters, der sich
in einer Art Sphragis am Schluß selbst vorstellt, Kabti-Ilani-Marduk. Gott Erra
selbst, sagt er, habe ihm im Traum den Text eingegeben. Im Gegensatz zu
'Atral].asis' ist das Gedicht relativ 'jung'; man setzt es zwischen dem 9. und dem
7. Jh. an; von Soden hat 765/3 vorgeschlagen ll .

8 Amphiaraos, eigentlich wohl *Amphiares (zu Ares, A. Heubeck, Die Sprache 17 [1971]
8-22) erscheint bei Aischylos als Amphis (Fr. 632 Mette), könnte also eigentlich mit
Amphion zusammengehören. Zu Diomedes -+ III 2, 9/10. Vgl. die Assoziierung von
Adrastos und Amphios 11. 2, 830 (B. C. Dietrich Historia 29 [1980] 499).
9 Howald (1939); Sikyon: Hdt. 5, 67; Zu Arion/Erion Burkert (1979) 127.
10 Ed. Gössmann (1956), Cagni (1969); E. Ebeling, Der akkadische Mythos vom Pest-
gotte Era (1925) und AOT 212-30; Labat (1970) 114-37. Walcot (1967) 49-54 vergleicht
die Selbstvorstellung des Verfassers (Erra V 42-61) mit dem Proömium des Hesiod.
Sehr eigentümlich ist, daß im 'König Ödipus' des Sophokles Ares als Pestgott auftritt (190),
der ins Meer zurückgetrieben werden soll (195). Man möchte vermuten, daß anläßlich
der Pest in Athen (vgl. B. M. W. Knox AJPh 77 [1956] 139f.) auch östliche Erra-
Magie angewandt wurde.
11 Ugarit-Forschungen 3 (1971) 255f.; vgl. Erra ed. Cagni (1969) 44f. (frühestens 9. Jh.);
Reiner (1978) 166-8.
102 WALTER BURKERT

Das Gedicht des Kabti-Ilani-Marduk beginnt damit, daß die tSieben', Sebettu,
die Söhne von Himmel und Erde, die fKrieger ohne gleichen' - dies ihr formel-
haftes Beiwort - den Gott Erra, Gott des Krieges und der Pest, auffordern die
Menschheit zu zerstören. Marduk, der höchste Gott in Babyion, verläßt seinen
Thron und überläßt die Welt dem Untergang. BabyIon, Uruk und andere Städte
werden verwüstet. Auch Fremdvölker fallen ein, werden aber ihrerseits von den
Sieben angegriffen. Schließlich Klage allenthalben, tErra hat getötet'. Doch dann
fühlt der Gott, der seine Macht so unwiderstehlich erwiesen hat, sich beruhigt,
und noch ehe die Menschheit ganz zerstört ist, zieht er sich mitsamt seinen
tSieben' zurück. Es bleibt ein Segensspruch für Akkad und der Preis des ge-
waltigen Gottes.
Es sei nicht behauptet, daß dieser Text nun einfach die von Howald vermutete
U rfassung und tQuelle' darstelle. Doch merkwürdige Parallelen bestehen: die sieben
. tKrieger ohne gleichen', deren Zahl viel bezeichnender ist als etwaige Namen, ein
unentrinnbarer Gott an ihrer Spitze, Angriff und höchste Gefahr, und doch
schließlich der Rückzug, der Rettung für die Bedrohten bedeutet. Eine bezeich-
nende Differenz des Griechischen gegenüber tBabylon' ist, daß sich hier auf die
eine Stadt Theben konzentriert, was dort in einen weltweiten Rahmen gesetzt
ist; und während dort Pest und Kriegsnot zusammengehen, wird im Griechischen
nur heroisches Kampfgeschehen vorgestellt und ausgemalt.
Dabei ist tErra' insofern noch ein Epos besonderer Art, als der literarische,
individuell gestaltete Text alsbald magische Funktionen annahm: er schien ge-
eignet, als mythisches Exempel eben den Pestgott zur Umkehr zu veranlassen,
und damit eine Beschwörung zu ersetzen. Darum wurde der Text, oder Teile
davon, auf Amulette geschrieben, die vor Krankheit schützen sollen 12 •
Denn die bösen tSieben' kommen auch sonst in einer ganzen Reihe von akka-
dischen Beschwörungen aus verschiedenen Sammlungen vor 13 • Gelegentlich
werden sie differenzierend aufgezählt, mit verschiedenen Dämonennamen: tasakku,
namtaru, utukku, alU, e.temmu, gallu, ilu limnu (böser Gott)d4, oder auch tSüd-
wind, Groß drache , Panther, Schlange, Schlammgetier, Wirbel, böser Wind,15.
Was feststeht, ist ihre Zahl, die fast zwangshaft wiederholt wird: "Sieben sind sie,
sieben sind sie"; sie wohnen in den Klüften der Erde, sie steigen aus der Erde
auf16 ; sie ttöten', sie bringen Krankheiten aller Art; sie sind es auch, die die

12 Reiner (1960b) vgl. (1978) 167; zu Tarsos ---.. I 1, 8; 11 2, 7; Cagni (1969) 45.
13 Vgl. allgemein Jastrow I (1905) 173f.; Meissner 11 (1925) 203; D. O. Edzard in H. W. Haus-
sig (ed.), Wörterbuch der Mythologie 1(1965) 124f.; Gössmann (1956) 70-2.
14 Serie 'Asakki marsüti', Thompson 11 (1904) 28f. Zu etemmu vgl. 11 5, 2 zu gallu 11 9, 6.
15 Serie 'Utukki lem~ütf XVI, Thompson I (1903) 88-i03; hier greifen sie den Mondgott

an, d.h. verursachen die Mondfinsternis. Vgl. Tafel V der gleichen Serie, Thompson
I 50f.; 74f.
16 Thompson I (1903) 184-201, vgl. Meissner 11 (1925) 199f.
Die orientalisierende Epoche 103

Mondfmstemis veranstalten. Zum Glück hat der Beschwörungspriester Gegen-


mittel und gute, starke Hilfsgeister.
Unter den Texten, in denen die (Sieben' ihre Rolle spielen, ist auch eine
Beschwörung aus der Serie Bit meseri, (das von Schutzgeistern umschlossene
Haus,l? Auch hier geht es um Krankenheilung. Die bösen Kranklleitsmächte sind
durch die (Sieben' repräsentiert, die (Sieben mit furchtbaren Flügeln'; sie werden
vom Beschwörungspriester in effigie dargestellt, vielleicht an die Wand gezeich-
net. "Das Bild des Nergal stellte ich ihnen zu Häupten": Nergal ist der Gott der
Unterwelt und der Pest; er kommt in seinen Funktionen Erra sehr nahe. Dann
aber werden eigenartige Figuren von (Zwillingen' genannt: zwei Bilder (zusammen-
gefUgter Zwillinge' zu Häupten des Kranken rechts und links, (Zwillinge, die sich
bekämpfen, aus Gips' inmitten des Tores, entsprechende Zwillinge aus Asphalt an
den Pfosten des Tores rechts und links. Dazu kommen als Wächter die Götter
Ea und Marduk inmitten des Tores rechts und links. Der Gebrauch von ad hoc
hergestellten Figuren, die dann wieder beseitigt werden, ist auch sonst bei Be-
schwörungen geläufig 18 ; die (Zwillinge' aber treten so nur in diesem Text auf.
Es folgt eine Beschwörung an die (Sieben, vor denen das Bild Nergals steht';
dann aber wendet sich der Beschwörer an andere (sieben Götter', die (Waffen
tragen', und fordert sie auf, (Feinde' und böse Mächte zu vernichten, Leben zu
schenken.
Sieben (furchtbare' Wesen also sind zugegen, an deren Spitze der Pest- und
Totengott steht; sieben göttliche Streiter sollen das Böse niederwerfen; und dazu
stehen (Zwillinge, die sich bekämpfen d9 , im Tor. Die Situation entspricht damit
in verblüffender Weise der der (Sieben gegen Theben', wie wir sie von Aischylos
kennen: sieben furchtbare Angreifer, an ihrer Spitze der (Unentrinnbare', sieben
bewaffnete Helden, die ihnen entgegengestellt werden; und der entscheidende
Kampf der Brüder, die sich im Tor bekämpfen und gegenseitig töten werden.
Dazu kommt eine merkwürdige ikonographische Brücke von Ost nach West:
Unter den Orthostatenreliefs vom Palast von Tell Halaf, neben Karkemis und
Zincirli ein Hauptbeispiel späthethitischer Monumentalkunst, erscheinen neben an-
deren kämpferischen Figuren wie Löwen und Greifen auch zwei fast völlig
gleich gebildete Männer, (Zwillinge', die sich gegenseitig am Schopf gefaßt haben
und sich zugleich mit dem Schwert erstechen. Die ikonographische Parallele zu
den Darstellungen von Eteokles und Polyneikes im wechselseitigen Brudermord,

17 Meier (1941/4); zuvor Zimmern (1901) 168f. nr. 54; vgl. Castellino (1977) 716-25. -
'Siebengottheit' (d sebetti) und 'sieben Waffenträger' erscheinen nacheinander auch in dem
Text zur Herstellung magischer Bilder KAR 298, Rittig (1977) 154f.; 164f.
18 VgI. C. L. Woolley JRAS (1926) 689-713; R. Borger BibI. Or. 30 (1973) 176-83; 11
-4-

4, 31; 11 5, 28; 34; 111 1,29.


19 W. v. Soden weist (brieflich) darauf hin, daß die Verbalform munda~~e (zu ma~äsu -4-I 4,
34) nicht nur 'die sich schlagen' (Meier [1941/2] 151), sondern auch 'gemeinsam aktiv
bekämpfend' heißen kann.
104 WALTER BURKERT

wie sie von etwa 600 an in Etrurien beliebt werden, ist evident 2o . Zwischen-
glieder scheinen nicht bekannt; man könnte an verlorene Metallreliefs oder auch
an Stoffe denken. Statt des Bildes tritt aber noch ein Text aus Palästina in die
Lücke: im 2. Samuelbuch kommt es, im Bürgerkrieg zwischen Sauls Nachfolger und
David, zum ~Kampfspiel' von je 12 ausgewählten Kriegern jeder Seite. "Jeder
aber faßte seinen Gegner am Schopf und stieß ihm das Schwert in die Seite,
so daß sie alle zugleich fielen,,21. Auch an den Kampf der Horatier und Curia-
tier hat man in diesem Zusammenhang erinnert2 2 • Im griechischen Mythos kom-
men die gewaltigen Brüder Otos und Ephialtes vor, die Aloaden, die unwider-
stehlich wären, wenn sie sich nicht gegenseitig durch Zufall erschossen hätten,
als eine Hirschkuh zwischen ihnen durchsprang 23 . Die mythische Phantasie malt
mit Hartnäckigkeit den realiter unwahrscheinlichsten Fall aus. Sie zielt offenbar
auf die gleichsam glatteste, autogene Vernichtung: kein Außenstehender ist be-
teiligt, der Konflikt hebt sich selber auf. Vielleicht, daß in diesem Sinn die
Etrusker dieses Bild am Platze fanden im Bereich des Todes, als Schmuck ihrer
Aschenkisten; man könnte von hier aus auch die ~apotropäische' Funktion ver-
stehen, die das Bild in Tell Halaf gehabt haben muß, und schließlich auch die
Figürchen des Magiers nach der Regel von Bit meseri. Der Konflikt hebe sich
selber auf, dann kehrt Harmonie und Gesundheit wieder ein.
Dies muß Vermutung bleiben. Dringender ist wohl die Frage, wie eine Be-
schwörung dieser Art überhaupt auch nur das mindeste mit einem Epos ums
böotische Theben zu tun haben kann. Doch Antworten bieten sich an. Auch
Böotien hat seine orientalisierende Epoche, liegt es doch Euboia, dem Zentrum
des Ost-West-Handels, nahe genug. Böotische Fibeln gehören zu den frühesten
mythologischen Darstellungen in der griechischen Kunst, die etwa um 700 ein-
setzen 24 ; dabei treten unter den Herakles-Themen mindestens zwei auf, die ein-
deutig orientalischer Provenienz sind, der Löwenkampf und der Kampf mit der

20 M. v. Oppenheim, Tell Halaf 111: Die Bildwerke, hgg. v. A. Moortgat (1955) T. 35b,
A 3, 49; S. 54: ,,Die Absicht des Bildhauers war anscheinend, die Männer spiegelbild-
gleich zu bilden". - I. Krauskopf, Der Thebanische Sagenkreis und andere griechische
Sagen in der etruskischen Kunst (1974).
21 AT 2. Sam. 2, 16; vgl. C. Grottanelli, Horatius, i Curiatii eIl Sam. 2, 12-28, Annali
dell' Istituto Orientale di Napoli 35 (1975) 547-54.
22 Liv. 1, 24f. G. Dumezil, Horace et les Curiaces (1942); Grottanelli -+ Anm. 21.
23 Pind. Fr. 162/3, vgl. Pyth. 4, 88 m. Schol.; Diod. 5, 50f.; Apollod. 1 (53-5) 7, 4; Eust.
1687, 36. Erwähnt sind die Aloaden bereits 11. 5, 385f., Od. 11, 305-20, Hes. Fr. 19.
24 R. Hampe, Frühe griechische Sagenbilder in Böotien (1936); Datierung ins 8. Jh. z.B.
bei Schefold (1964) Abb. 6a, vgl. aber K. Fittschen, Untersuchungen zum Beginn der
Sagendarstellungen bei den Griechen (1969) 213-21. Zu Parallelen aus orientalischer
Ikonographie: Burkert (1979) 80-3. lawones und Lokrer als Nachbarn, 11.13,685 -+ 11, 18.
Man beachte auch, daß gerade bei den Opuntischen Lokrern der Sintflutmythos festen
Fuß gefaßt hat, Pind. 01. 9,41-53.
Die orientalisierende Epoche 105

siebenköpfigen Schlange. Zugleich ist auf diesen Fibeln mit dem hölzernen Pferd
auch die Präsenz der Troia-Epik nachgewiesen. Theben selbst aber lag noch zer-
stört, ersetzt durch Hypothebai, wenn denn der SchifIskatalog als Zeugnis der geo-
metrisch-früharchaischen Epoche genommen werden darf; der Kadmeia-Hügel lag
verwüstet, bis der Wiederaufbau begann, der einige mykenische Ruinen als sakrale
Relikte, als (Haus des Kadmos' bestehen ließ. Daß bei einem solchen Neuanfang
Seher mitwirkten, ist selbstverständlich; daß Spezialisten aus dem Osten die hei-
mischen Vogelschauer zu übertrumpfen wußten, zeigt das Vordringen der Leber-
schau und das gelegentliche Vorkommen von Bauopfern an25 • So liegen die Ele-
mente bereit, sich vorzustellen, daß bei jener Neugründung ein wandernder Prak-
tiker zur Abwehr böser Mächte ein Ritual in der Art von Bit meseri vollzog,
und daß ein Sänger, dem der Gott mannigfache Wege des Gesanges eingab,
die Abwehr der in Figuren vorgestellten (Sieben' zum Leitfaden eines epischen
Liedes machte: eben diese Stadt Theben habe in der Vorzeit einmal einem
schrecklichen Angriff der Sieben glücklich getrotzt, mit sieben Streitern die bösen
Sieben vertrieben, auch wenn die königlichen Brüder sich im Tor gegenseitig
zu Tode brachten. Was dabei in Gestalten wie Amphiaraos und Tydeus an boden-
ständiger Tradition mit einbezogen wurde, ist hier nicht im einzelnen zu analysieren.
Eine zweite Möglichkeit steht daneben: Ein kulturübergreifendes Problem sind
die Krankheiten; Epidemien machen an Sprachbarrieren nicht Halt. Indizien deuten
auf eine Dürrekatastrophe in Griechenland gegen Ende des 8. Jh?6, Hunger und
Seuche gehen leicht zusammen - Anlaß genug, auch ungewohnte, fremde Proze-
duren zu suchen, eine Chance für wandernde Charismatiker. Ähnlich wie Asgelatas
nach Anaphe gelangte, wäre dann in Böotien eine Nachwirkung mesopotamischer
Beschwörungskunst geblieben, freilich ins nahezu Unkenntliche transformiert, in
ein heroisches Gedicht. Doch auf die Frage, warum die Thebais anscheinend
bei Etruskern, nach den Bilddarstellungen zu urteilen, populärer war als in Grie-
chenland, ergab sich die Anwort, dies liege offenbar an der besonderen Rolle,
die den Sehern und der Mantik in diesem Epos zugewiesen wird 27 . Vielleicht
war dem Gedicht, das uns verloren ist, mehr von solcher Herkunft anzumerken
als die kümmerlichen Reste ausweisen.
Wenn das Lied von den (Sieben gegen Theben' eine Erfmdung der orientali-
sierenden Epoche ist, muß es sich doch recht rasch ausgebreitet haben; doch
dazu bedarf es auch in urtümlichen Zeiten nur weniger Jahre, auch die Inter-
ferenz mit den Troia-Themen kann sich sehr rasch eingespielt haben. Unsere
Ilias setzt die Erfmdung der Thebais voraus, wenn auch nicht notwendig erweise
den später schriftlich vorliegenden Text; doch kann unser Iliastext durchaus bis

25 ->- 11. 2; 11 3.
26 J. Mck. Camp, A Drought in the late Eight Century B.C., Hesperia 48 (1979) 397-411.
27 Nach E. Simon, I. Krauskopf, Der Thebanische Sagenkreis und andere griechische Sagen
in der etruskischen Kunst (1974) 86, 299; LIMC I 711 s.v. Amphiaraos.
106 WALTER BURKERT

ins 7. Jh. herabgesetzt werden28 • Gegen Ende der geometrischen Periode ist bei
Eleusis ein altes Grab entdeckt und zu einem Heroon ausgestaltet worden; man
nimmt an, dies sei das später bekannte (Grab der Sieben,29; dies ordnet sich
ein in die Art von Heroenkult, die unter dem Einfluß des alten Epos im 8. Jh.
aufkommt 30. Damit wäre ein Terminus ante quem für das Thema der Thebais
gegeben und zugleich ein Hinweis auf seine Berühmtheit in eben jener Zeit.
Eine gewisse Unsicherheit bleibt, da kein direktes Zeugnis gefunden wurde,
jenes Grab zu identifizieren.
Auch wenn die dunklen Jahrhunderte zu Ende gehen, bleibt vieles dunkel und
unbestimmbar. Um so mehr muß man alle Indizien ausschöpfen, die auf sinn-
volle Zusammenhänge weisen. Wer sich dagegen wehrt, daß die (Sieben gegen
Theben' einen mesopotamischen Stammbaum haben sollen, muß doch hinnehmen,
daß sie dieses Schicksal nicht nur mit der siebenköpfigen Hydra, sondern auch
mit den Sieben Weisen 31 teilen. Bei den Aramäern jedenfalls waren im 8. Jh.
die (Sieben' Götter oder Dämonen bekannt 32 .

5. Stilistische Gemeinsamkeiten orientalischer und griechischer Epik

Seit man von seiten der Klassischen Philologie auf die mythologischen Texte
aus Hattusa und U garit aufmerksam geworden ist, hat man auch begonnen Par-
allelen in Erzähltechnik und Motivik zu sammeln; auch Mesopotamisches wurde
dabei gelegentlich berührt. Einen ausfUhrlichen Katalog von Entsprechungen hat
zuletzt Luigia Achillea Stella vorgelegt 1. Sie tritt dabei entschieden für die bronze-
zeitliche Kulturbrücke ein; doch ist eine eindeutige Entscheidung zwischen früher
oder später Entlehnung, ja zwischen Entlehnung überhaupt oder paralleler Ent-
wicklung hier nicht durch bestimmte Indizien angezeigt. Eindrucksvoll und we-
sentlich ist zunächst, wie weit die Übereinstimmungen gehen.
Freilich ist von vornherein festzuhalten, daß das griechische Epos ohne Zweifel
ein sehr eigenständiges Gewächs ist: an die griechische Sprache, an die ganz
besondere, in langer Tradition ausgebildete epische Kunstsprache ist das Formel-

28 Sicher ins 7. Jh. gehört der orientalisierende Gorgonenschild 11. 11, 36; vgl. Burkert
(1976), -+ In 1, 32.
29 G. Mylonas Praktika (1953) 81-7; mit vager Datierung 'spätgeometrisch' (83). Vgl. Paus.

1, 39, 2; Plut. Thes. 29, 5.


30 J. N. Coldstrearn, Hero-Cults in the Age of Homer, JHS 96 (1976) 8-17.

31 Zu den 7 Weisen (apkalle) der Urzeit vgl. AHw 58f.; E. Reiner Orientalia N.S. 30

(1961) 1-11; R. Borger JNES 33 (1974) 183-96.


32 Inschrift von Sefire (--+ In 1, 19), Fitzrneyer (1967) 12f. CI A 11).

1 Stella (1978) 362-91, Mit dem Vorbehalt « esc1usa naturalmente ogni eventualita di in-

flussi diretti su Omero» (368); einiges bereits bei Ungnad (1923), --+ In 1, 1; dann be-
sonders Bowra (1952), Dirlrneier (1955), Gordon (1955), Walcot (1967), Gresseth (1975).
Die orientalisierende Epoche 107

system gebunden, das in seiner Eigenart und Funktion Milman Parry erschlossen
hat2; es ist ein Produkt mündlicher Tradition und ermöglicht eben diese in Form
immer neuer Improvisation im vorgegebenen Rahmen. Unter diesem Gesichts-
punkt ist (Homer' zu einem Modellfall einer mündlichen Dichtung überhaupt
geworden 3• Dagegen steht die orientalische Epik zumindest im Zweistromland
in einer Jahrtausende überspannenden, festen Tradition der Schriftlichkeit und der
Schreiberschulen. Hier sind immer wieder Tafeln kopiert, auch übersetzt worden.
Man sollte also ganz verschiedene Stilprinzipien erwarten.
Demgegenüber fallen jedem, der beide Seiten zur Kenntnis nimmt, weit mehr
die Gemeinsamkeiten auf. Das Wesentliche, zumeist schon Festgestellte sei ohne
Anspruch auf Vollständigkeit zusammengefaßt:
Hier wie dort geht es um erzählende Dichtung in einer Form von Langvers,
der sich gleichmäßig ohne Strophenbildung wiederholt. Die Rede ist von Göttern
und großen Menschen der Vergangenheit, nicht selten in Interaktion. Auffallende
Stilcharakteristika sind die stehenden Beiwörter, die Formelverse, die Verswieder-
holungen, die typischen Szenen.
So erscheint, vergleichbar dem (Wolkensammler Zeus' oder dem (listenreichen
Odysseus', der Hauptgott Enlil sehr oft als (der Held Enlil'\ der Sintflutheros
fast immer als (Utnapistim der Feme's; die gefährlichen (Sieben' im Erra-Epos
sind (Helden ohne gleichen,6. Ähnlich kennt das ugaritische Epos feste Ver-
bindungen wie (die Jungfrau Anat' oder (Danel der Rephaite,7. Noch (homerischer'
klingt, wenn der Mitstreiter (kundig im Kampfe' heißt 8 • Weniger klar ist, wieso
die (Herrin der Götter' (gut im Rufen' ist9: eine ÖeLVTJ ß'eoc; auöf}eooa? Die Erde
ist (die weite Erde,lo, und ein Himmelsgott kann (Vater der Götter und Men-
schen' heißen l1 . Die Beiwörter werden (schmückend', ohne direkt vom Kontext
der jeweiligen Situation gefordert zu sein, angewandt und helfen unter anderem
auch dazu, den Halbvers aufzufüllen.
Unter den Formelversen ist am auffälligsten die umständliche Einleitung der
direkten Rede; die reichliche Verwendung der direkten Rede, die Darstellung

2 M. Parry, The Making of Homeric Verse ed. A. Parry (1971); R. Finnegan, Oral Poetry,
Hs Nature, Significance, and Social Context (1977).
3 Die Unterschiede betonte F. Dirlmeier, Das serbokroatische Heldenlied und Homer,

Sitzungsber. Heidelberg 1971, 1.


4 Zum Folgenden' auch Bowra (1952) 241; quradu Enlil Atrahasis 1, 8 = Gilgames XI 16.

5 Utnapistim l'Üqu; Gilgames X/XI pass. -


6 quarrod 10 sanon Erra pass.
7 btlt cnt in 'Baal' und 'Aqhat' pass., dnl rpe Aqhat pass.

8 mudu tuquntu Gilgames IV vi 30.


9 ,tabat rigma Gilgames XI 117.
10 Gilgames VIII iii/iv 43; 46; 47 p. 49 Thompson: ersetim rapastim.

11 Sumerische Gebetsbeschwörung an Sin, SAHG 233, Z. 16 = Castellino (1977) 336, 16. -

EI ab 'dm ugaritisch pass.


108 WALTER BURKERT

ganzer Szenen in Form von Gesprächen ist überhaupt ein besonderes Kennzeichen
der Gattung. Im Akkadischen heißt die Formel wörtlich "er setzte seinen Mund
und redet, zu ... sprach er (das Wort),,12; das (Sprechen' ist so drei- bis vierfach
ausgedrückt, wie in dem bekannten <pwvf]oac;; em:a 1t't'EpoEV't'a 1tpOol1uöa. Auffällig
ist ferner, daß es auch in (Gilgames' das ausflihrlich eingeleitete Selbstgespräch
gibt: "Mit ihrem Herzen sich beredend sagte sie die Worte, Ja, mit sich selber
ging sie zu Rate" - es folgt direkte Rede 13 • Ferner hat von Anfang an an Homers
rosenfmgrige Eos die formelhafte Ankündigung des neuen Tags erinnert: "Kaum
daß ein Schimmer des Morgens graute,,14. Daß die Erzählung von Tag zu Tag
fortschreitet, ist natürlich, doch die Stereotypie der Ausdrucksweisen flir Sonnen-
untergang und -aufgang, Rast und Aufbruch ist spezifische Technik.
Unter den viele Verse umfassenden Wiederholungen fällt besonders die genaue
Entsprechung von Auftrag und Ausflihrung, von Mitteilung und Wiederholung
der Mitteilung auf; die babylonischen Schreiber benützen gelegentlich ein Wieder-
holungszeichen, was die Homerhandschriften sich nicht erlauben.
Als typische Szene fällt die Götterversammlung auf; sie heißt akkadisch mit
festem Begriff pu~ur ilani; die gleiche Bezeichnung fmdet sich im Ugaritischen,
eine entsprechende Szene auch im hethitischen Ullikummi-Epos. Daß sich daran
leicht die Aussendung eines Boten anschließt, ist naheliegend und doch be-
merkenswert.
Vergleiche sind auch im akkadischen Epos ein beliebter Kunstgriff15 . Wichtiger
ist, daß in dem längsten und anspruchsvollsten Text, im Gilgames-Epos, auch
bereits kompliziertere Formen der Erzähltechnik erprobt werden. Eine weit zurück-
liegende, aber besonders fremdartig-fesselnde Handlung wird als direkte Rede eines
Beteiligten eingebaut: die Sintflut als Erlebnis des Utnapistim auf der 11. Tafel.
Die Doppelhandlung des Anfangs, durch die Enkidu und Gilgames zusammen-
geflihrt werden sollen, wird in der Weise bewältigt, daß die Erzählung zunächst
Enkidu folgt und Gilgames' Vorbereitung auf die Begegenung als Erzählung der
Hure an Enkidu nachgetragen wird (I v 23-vi 24). So ist selbst flir die Erzähl-
technik des Odysseedichters hier ein gewisses Vorbild zu fmden. Auf die Ähn-
lichkeit des Anfangs von (Gilgames' und Odyssee, die Vorstellung des Helden,
der so viel gesehen hat, ohne Namensnennung wurde schon hingewiesen 16 .
Merkwürdiger noch erscheint als Folie zur Ilias ein gewisses Ethos des (sterb-
lichen Menschen' gerade im (Gilgames'. Durchgehendes Thema ist hier ja die

12 pasu ippus-ma iqabbf, izakkar ana .. mit leichten Variationen, F. Sonnek, Die Einfüh-
rung der direkten Rede in den epischen Texten. ZA 46 (1940) 225-35; auch in Fabeln,
z.B. Lambert (1960) 178, Z. 7.
13 Gilgames X 1, 11f.; Stella (1978) 365.

14 mimmu reri ina namari Gilgames XI 48 = 96. Ungnad (1923) 30.


15 Einiges aus Gilgames bei Bowra (1952) 266f.
16 -+ III 1, 1.
Die orientalisierende Epoche 109

(Bestimmung der Menschheif 17 , die Tod bedeutet, im Kontrast zum Leben der
Götter, das Utnapistim gewann. Vor dem Kampf mit Humbaba zieht Gilgames
daraus die heroische Konsequenz: "Götter nur thronen ewig mit Schamasch; der
Menschheit Tage aber, sie sind gezählt, ... Du hier aber scheuest den Tod! ...
So will ich denn ziehen, dir voran - ... Fiele ich selbst - meinen Namen richtet'
ich aurd8 . Gerade also weil den Menschen die Ewigkeit versagt ist, bleibt ihnen
nur, durch Todesgefahr hindurch sich wenigstens den Ruhm zu erwerben, der
auch über den Tod hinaus bestehen bleibt, das XAEOC; &q>l1t't'ov im Kontrast zu'
den XU't'Ul1vT)'t'Ot &Vl1PW1tOt, wie die Leitbegriffe in der llias lauten. ,,Ja Lieber!
Wenn wir, aus diesem Krieg entronnen, für immer ohne Alter sein würden und
unsterblich, dann würde ich selbst nicht unter den Ersten kämpfen ... Jetzt aber,
da gleichwohl vor uns stehen die Göttinnen des Todes ... Gehen wir! ob wir
einem Ruhm verleihen oder einer uns" - so Homer 19 . Die Einsicht in die con-
dition humaine bedeutet nicht durchweg Bescheidung gegenüber den Göttern,
im Gegenteil, der aggressive Ausbruch ist möglich: Enkidu wirft IStar die Keule
des Himmelsstiers zu und ruft "kriegte ich dich, auch dir tät' ich wie diesem,,2o.
"Wahrhaftig, rächen wollte ich mich, wenn ich nur die Macht hätte", so Achilleus
gegen Apollon21 .
Doch der Mensch ist schwach und haltlos; "denn immer nur so ist der Sinn
der Erdenmenschen, wie den Tag heraufführt der Vater der Menschen und der
Götter" formuliert ein in der Antike besonders berühmter Passus der Odyssee 22 ;
ähnlich spricht es das Weisheitslied (Ich will preisen den Herrn der Weisheit' aus:
"Wie Tag und Nacht ändert sich der Leute Sinn: Geraten sie in Mangel, so
sind sie wie eine Leiche, sind sie satt, so stellen sie sich ihrem Gotte gleich"23.
Manche Übereinstimmungen bleiben uns rätselhaft, wie die (Rede von Baum
und Stein' in Ugarit einerseits, bei Homer und Hesiod andererseits 24 . Weniger

17 simatu awllutim Gilgames, bab. Fassung X ii 4, p. 53 Thompson.


18 Gilgames 11 iv 141-8; vgl. Gresseth (1975) 14; T. Bauer JNES 16 (1957) 260, der auch
in Schülertexten den Ausdruck 'sich einen Namen für die spätesten Menschen setzen'
nachweist, sakin sumim ina niSi u ~~uräti. Zum indogermanischen iicpi1t,WV xAeo<;: R. Schmitt,
Dichtung und Dichtersprache in indogermanischer Zeit (1967) 61-9.
19 Il. 12, 322-8, variiert von Stesichoros, Geryoneis 56 D bei D. L. Page, Lyrica Graeca

Selecta (1968) 266.


20 Gilgames VI l6f. Mißverständlich spricht nach anderen Bowra (1952) 63 vom "rnember"
des Stiers; imittu 'Schulter, Keule' AHw 377.
21 11. 22, 20.

22 Od. 18, 136f. ~ Archilochos 131/2 West (danach wieder Heraklit B 17).

23 11 43-5, Lambert (1960) 40f.; er übersetzt "like opening and shutting (the legs)" (ki pite

u katämi), der Kommentar aus Assurbanipals Bibliothek aber paraphrasiert 'Tag und
Nacht' (umu u musi), entsprechend übersetzt R. H. Pfeiffer ANET 435 "like day and
night". Dies gibt jedenfalls das Textverständnis aus der Zeit des Archilochos wieder.
24 H. Gese, Die Religionen Altsyriens (Die Religionen der Menschheit 10, 2. 1970) 54;
Dirlmeier (1955) 25f.
110 WALTER BURKERT

erstaunlich, doch eindrücklich ist, wie der Segen des Landes unter Herrschaft
des guten Königs ganz ähnlich bei Homer und Hesiod und direkt in der Selbst-
darstellung des Assurbanipal erscheint: Seit die Götter "mich wohlwollend auf dem
Thron des Vaters, meines Erzeugers hatten Platz nehmen lassen, ließ Adad seine
Regengüsse los, öffnete Ea seine Quellen, wurde das Getreide 5 Ellen in seinen
Ähren hoch ... gedieh die Feldfrucht ... brachten die Obstpflanzungen die Frucht
zu üppiger Entfaltung, hatte das Vieh im Gebären Gelingen. Während meiner
Regierungszeit triefte die Fülle, während meiner Jahre wurde Überfluß aufge-
häuft". 'APE't'Wat öe ÄUOt lm' U1J't'OÜ 25 .
Dies führt vom Stilistischen wieder zum Inhaltlichen. Hier sei innegehalten.
Was die stilistischen Elemente anlangt, läßt sich kein Beweis einer direkten (Ab-
hängigkeit' führen; jedenfalls geht es, im Gegensatz zu dem, was zum (Be-
rückungsdichter', zum Kyprienanfang, zur Thebais zu sagen war, hier nicht an,
von einem Jungen', zusätzlichen Element in der altepischen Dichtung zu sprechen,
das erst in einem letzten Stadium die ältere Tradition überformt hätte. Völlig
getrennte Entwicklung und rein zufällige Parallelität zu konstatieren ist ebenso
wenig empfohlen, handelt es sich doch um räumlich und zeitlich miteinander
verbundene Entwicklungen. Die Einrichtung einer ersten Rhapsoden-Bibliothek,
d.h. einer schriftlichen Ilias, und die Bibliothek Assurbanipals könnten fast gleich-
zeitig sein, wobei bis fast zur Mitte des 7. Jh. dem Orient die kulturelle Füh-
rung verblieben ist. Man muß wohl, auf dem Hintergrund sowohl des allgemein
Menschlichen wie auch besonderer paralleler (feudaler' Entwicklungen, mit mehr-
fachen Berührungen rechnen, wobei auch Bronzezeitliches durch spätere Kon-
takte wieder aktualisiert werden konnte. Daß neben dem alten, assimilierten
Lehnwort für Löwe, ÄEWV, das deutlich semitisch-palästinensiche ÄiC;26 im homeri-
schen Vergleich auftaucht, kann vielleicht als symptomatisch gelten. Jedenfalls
sind die orientalischen Befunde als naheliegendes Vergleichsmaterial für die Inter-
pretation der homerischen Dichtung heranzuziehen - was auch davor warnt,
allzu einsträngig und einseitig auf (indogermanische' Heldendichtung abzustellen.

6. Die Fabel

Die Tierfabel ist seit dem Ende der Aufklärung der Verachtung anheimge-
fallen; und doch ist sie eines der eigentümlichsten und durchsetzungskräftigsten
Genres der volkstümlichen Literatur l . Man könnte geneigt sein, sie von vorn-

250d. 19, 107-14; Hes. Op. 225-47 - Streck (1916) 11 6f.; vgl. West (1978) 213; Walcot
(1967) 72f.; Jeffery (1976) 39.
26 -+ I 4, 30.

1 Vgl. allgemein W. Wienert, Die Typen der griechisch-römischen Fabel (1925); K. Meuli,

Herkunft und Wesen der Fabel (1954) = Ges. Schriften 11 (1975) 731-56; M. N0jgaard,
La fable antique I (1964); Rodriguez Adrados (1979); T. Karadagli, Fabel und Ainos
Die orientalisierende Epoche 111

herein in den Bereich des Volksmundes und damit der Mündlichkeit zu verweisen,
ließen nicht genauere Untersuchungen vor allem im Bereich des Mittelalters und
der frühen Neuzeit erkennen, wie es immer wieder die schriftlichen Sammlungen
waren, die Übersetzungen und Redaktionen des Äsop, die die Vermittlung her-
stellten. Allerdings haben sie, vor allem über den Elementarunterricht der Schule,
Eingang in die lebendige Volksüberlieferung gefunden, so daß Sammler sie
wieder wie Märchen neu entdecken können. Doch die literarische Fixierung
liegt all dem weit voraus.
Auch (Äsop' ist kein Anfang. Daß es die Tierfabel nicht nur im Ägypti-
schen2 , sondern auch im Sumerischen, Akkadischen3 und, zumindest in der Form
der Pflanzenfabel, im Hebräischen4 gibt, ist seit längerem bekannt. Über (orien-
talische Fabeln in griechischem Gewand' hat Hermann Diels bereits 1910 ge-
handelt5 . Babrios, der die äsopischen Fabeln in Verse brachte, gibt zu Beginn
seines zweiten Buchs ausdrücklich an, diese Art von ~ythos' sei eine Erfindung
der alten (Syrer' aus der Zeit von Ninos und Belos, was mit der Terminologie
des Ktesias auf die assyrische Epoche verweist; Äsop habe sie als erster den
(Söhnen der Hellenen' erzählt. Babrios schreibt anscheinend in Syrien/Kilikien
für einen der dort ansässigen Kleinkönige 6 ; er weiß, wovon er spricht, auch wenn
wir seine Quellen nicht direkt nachprüfen können. Bestätigend steht neben seiner
Angabe die Tatsache, daß die Achiqar-Erzählung aus dem Aramäischen ins Grie-
chische übersetzt und ins Leben des Äsop eingefügt wurde - vielleicht eben zur
Zeit des Babrios7 ; und in der Sache hat Babrios evidentermaßen recht.

(1981); viel Material zur Nachwirkung in der Enzyklopädie des Märchens (1977ff.) bes.
s.v. Äsopika, Babrios, Avianus.
3
2 E. Brunner-Traut, Altägyptische Tiergeschichte und Fabel (1970 ).

3 E. I. Gordon, Sumerian Animal Proverbs and Fables, JCS 12 (1958) 1-21, 43-75;

E. Ebeling, Die babylonische Fabel und ihre Bedeutung für die Literaturgeschichte,
Mitteilungen der Altorientalischen Gesellschaft 2, 3 (1931); die Texte jetzt bei Lambert
(1960).
4 Der König der Bäume, Richter 9; Distel und Zeder, 2. Kön. 14,9.
5 H. Diels, Internationale Wochenschrift 4 (1910) 993-1002, 'Palme und Tamariske' Getzt
Lambert [1960] 151-64; ANET 41Of.) - 'Lorbeer und Ölbaum' Kallim. Fr. 194. - A. La
Penna, Letteratura esopica e letteratura assiro-babilonese, RFIC 92 (1964) 24-39; Rodri-
guez Adrados (1979) 301-79.
6 11 2f.... ~upwv naAal.G>v eonv eüpe\J.' avßpwnwv, 01 npiv nOT ~oav ent Nivou 't"e xat
Bf]AOU ... Zur Identität des in der Widmung genannten 'Königs Alexander' und zur
Herkunft des Babrius aus KilikienJSyrien B. E. Perry, Babrius and Phaedrus (Loeb
Classical Library 1965) xlvii-lii.
7 -+ I 3, 30. Zusammenstellung griechischer Fabeln mit mesopotamischen Parallelen bei
Rodriguez Adrados (1979) 376-8; hellenistische Parallelen auch bei West (1969). Be-
sonders auffallend schien die Übereinstimmung von Aesop Nr. 137 Perry, Babrius 84
'Mücke und Stier' mit 'Vogel und Elefant' Lambert (1960) 217f., 339; doch ist das
kleine Tier niniqu im Akkadischen nicht sicher identifiziert, Moran (1978) 18, 7.
112 WALTER BURKERT

Man kann die griechische Fabel mit Hesiods aIvoc; von Habicht und Nachti-
gall (Erga 203-12) beginnen lassen; zur pointierten Geschichte ausgestaltet tritt
sie mit Archilochos auf. Am besten faßbar ist aus einem seiner angriffigen Ge-
dichte die Fabel vom Adler und vom Fuchs. Ihr Ziel, die Warnung an den
übermütigen Frevler vor der Rache des Schwachen, liegt klar genug zutage. Fuchs
und Adler schlossen einen Vertrag, doch eines Tages frißt der Adler die Jungen
des Fuchses und verhöhnt ihn noch von der uneinnehmbaren Höhe seines Nestes
aus. Der Fuchs ruft Zeus, den mächtigen Wächter über Hybris und Dike - ein
Stück direkter Rede im Gedicht. Die Strafe folgt 8 • Sehr nahe steht dem ein akka-
diseher Text, der nicht eine selbständige Fabel ist, sondern Einleitung der mythi-
schen Erzählung von Etana, der auf einem Adler zum Himmel fliegt. Hier sind
es Adler und Schlange, die einen Vertrag schließen und sich gemeinsam Nahrung
verschaffen und teilen, bis der Adler eben jenen Frevel begeht. Die Schlange
wendet sich an Samas, den Sonnengott, in direkter Rede, ruft ihn als Aufseher
über Recht und Unrecht; die Strafe folgt, dank einer List der Schlange 9 • Die Art
der Rache freilich ist in beiden Texten ganz verschieden ausgemalt. Es sind
auch nicht die gleichen Tiere im Spiel - wobei die Polarität Schlange - Adler
eine respektable Symboltradition aufweist und insofern als ursprünglich gelten
darflO -. Von Übersetzung kann also nicht die Rede sein. Und doch ist nicht
nur die Abfolge der Motive, der merkwürdige Bund und sein Bruch gemeinsam,
sondern auch der pathetische Anruf an den himmlischen Gott als Wahrer des
Rechts und Bestrafer des Übergriffs - solch ein Gebet an Zeus ist in Griechen-
land zur Zeit des Archilochos nicht selbstverständlich, während der akkadische
Sonnengott in seiner dort normalen Funktion ins Spiel kommt; daß das Gebet in
den Tierbereich vesetzt wird, wirkt im Akkadischen und im Griechischen gleich
grotesk und merk-würdig. Etana, vom Adler in den Himmel getragen, wird auf
orientalischen Siegeln nicht selten dargestellt; die Vermutung liegt nahe, daß der
Mythos vom Raub des Ganymedes von solchen Darstellungen mit angeregt ist 11.
Wie Kenntnis von einem mesopotamischen Text zu Archilochos kommen konnte,

8 Fr. 174-81 West; Aesop Nr. 5 Halm = 1 Perry. Vgl. Williams (1956); I. Trencsenyi-
Waldapfel, Untersuchungen zur Religionsgeschichte (1966) 186-91; H. Freydank, Die Tier-
fabel im Etana-Mythus, Mitt. d. Inst. f. Orientforsch. 17 (1971) 1-13; Rodriguez Adrados
(1979) 319-21. Archaische Fabeln ferner Archilochos Fr. 187 West - Aesop Nr. 81 Perry;
Semonides Fr. 13 - Aesop Nr. 3 Perry.
9 E. Ebeling AOF 14 (1944) 298-303; W. v. Soden WZKM 55 (1959) 59-61; ANET

114-8 und 517; Labat (1970) 294-305; vgl. I. Levin Fabula 8 (1966) 1-63.
10 R. Wittkower, Eagle and Serpent, Journal of the Warburg Institute 2 (1938/9) 293-325;

eh. Grottanelli Riv. Stud. Fen. 5 (1977) 16-8; B. Garbe, Vogel und Schlange, Zeitschr.
f. Volkskunde 75 (1979) 52-6.
11 Darstellungen auf Siegelzylindern bei Ward (1910) 144 nr. 391-4; Enciclopedia dell'Arte

Antica s.v. Etana; solche Darstellungen haben aber nicht direkt auf die griechische,
jedenfalls nicht die archaische griechische Kunst gewirkt: der Adlerflug wird erst im
Die orientalisierende Epoche 113

ist damit noch nicht erklärt. Aber eine weitere denkwürdige Verbindung ist ge-
rade bei Archilochos aufgetaucht: das neue Archilochos-Gedicht des Körner
Papyrus verwendet das Sprichwort von der übereiligen Hündin, die darum blinde
Junge gebiert, 01tEUÖOUOa XUWV 't'u<pÄa 't'tX't'Et 12. Eben dieses Sprichwort aber taucht
gut 1000 Jahre vor Archilochos in einem Königsbrief aus Mari auf13 . Dies ist
volkstümliche Tradition, gewiß, zugleich aber auch eine Weisheits-Tradition, die
gerade in Form des Tier-Exempels die Sprach- und Kulturgrenzen übergreift.
Im Fall der Adlerfabel aus (Etana' ist daneben eine eigentlich literarische Be-
ziehung keineswegs ausgeschlossen. Archilochos kennt die phönikisch-aramäischen
Lederrollen14.
Volkstümlich und literarisch zugleich erscheint auch ein sehr viel berühmteres
Motiv, das in der akkadischen Literatur und dann im archaischen Griechenland
nachweisbar ist: Die Erzählung vom Kraut der Verjüngung, das die Schlange
dem Menschen weggefressen hat. Sie steht im Gilgames-Epos als dramatischer
Abschluß der Fahrt zu Utnapistim; die Suche, dem Tod zu entrinnen, ist ja
das Zentralmotiv in Gilgames' Wanderschaft. Utnapistim gibt Gilgames die An-
weisung, aus der Tiefe des Meeres jene Pflanze zu holen, die verjüngt; Gilgames
macht sich mit dem köstlichen Besitz auf den Heimweg. Als er aber an einer
Quelle im kühlen Wasser badet, wird eine Schlange vom Duft der Pflanze ange-
lockt und verschlingt sie: so wirft sie ihre alte Haut ab, das Yiipac;, (Alter' wie die
Griechen sagen; dem Menschen Gilgames bleibt nur die Klage 15. In der griechi-
schen Version hat Zeus den Menschen, weil sie Prometheus angezeigt haben,
zur Belohnung eine Droge gegen das Alter überlassen. Man lädt sie einem Esel
auf. Der Esel kommt an eine Quelle, will trinken; eine Schlange wehrt ihm den
Zugang, bis der Esel ihr schenkt, was er auf dem Rücken trägt. So kann sich
die Schlange verjüngen, die Menschen gehen leer aus. Die Geschichte stand
erstmalig, so weit wir wissen, bei Ibykos 16 . Sie ist also noch in archaischer Zeit
den Griechen bekannt geworden.
Man wir~ hier an mündliche Erzähltradition denken. Der Grundgedanke der
Geschichte ist unmittelbar einleuchtend und leicht zu merken, die Ausgestaltung
4. Jh. dargestellt; vgl. H. Sichtermann, Ganymed, Mythus und Gestalt in der antiken
Kunst (1952); G. Schwarz, Iris und Ganymed auf attischen Vasenbildem, ästerr. Jahresh.
51 (1976) 7, 1-10; A. Kaempf-Dimitriadou AK 22 (1979) 49-54.
12 Archilochos Fr. 196a (M. L. West, Delectus ex Iambis et Elegis Graecis 1980) = ZPE 14
(1974) 97-112; om:uöouoa XUWV 'W<pA& 'ttX'tE1 App. Provo 1, 12 (Paroem. Gr. I 381),
Makar. 5, 32 (Paroem. Gr. II 181), Apost. 10, 23 (Paroem. Gr. II 491), Schol. Aristoph.
Pax 1078; Aesop 223 Perry.
13 W. H. Moran HSCP 82 (1978) 17-19.
14 ---+ I 3, 25.

15 Gilgames XI 266-89. Die Bezeichnung der Schlange (~erru 287) als 'Erd-Löwe' (nesu sa

qaqqari) 296 erinnert O. Szemerenyi Gnomon 53 (1981) 116 an griechisch xa~a1AEwv.


16 Ibykos 342 PMG zusammen mit Soph. Fr. 362 Radt und anderen Quellenangaben bei

Ael. n. an. 6, 51.


114 WALTER BURKERT

im einzelnen ist gegenüber dem Gilgames-Original durchaus verändert: ein anderer


Zusammenhang, eine andere Motivierung, ein ganz anderer Träger des Wunder-
mittels. Die scheinbare Verjüngung der Schlange ist eine Naturbeobachtung,
und Schlangen fmden sich vorzugsweise am Wasser, in der Natur wie in der grie-
chischen Mythologie. Insofern ist Entlehnung hier nicht am Detail zu erweisen.
Im Gesamtrahmen der orientalisierenden Epoche jedoch und insbesondere der
Anregung der griechischen durch die mesopotamische Tierfabel wird diese Er-
zählung von der verpaßten Unsterblichkeit zu einem Element des gemeinsamen
ostwestlichen Kulturhorizontes.

7. Zusammenfassung: Bild, Magie und Literatur

Im Zusammenhang militärischer und wirtschaftlicher Expansion ist, vom Nahen


Osten ausgehend, spätestens im 8. Jh. über den ganzen Mittelmeerraum hin ein
Kulturkontinuum en~standen, das insbesondere auch Gruppen von Griechen in
intensivem Austausch mit den östlichen Hochkulturen verbindet; den Vorrang
hat zunächst der (Orient', doch entwickelt sich in Übernahme und Umgestaltung
die eigentümlich griechische Hochkultur, die alsbald die mediterrane Führungs-
rolle übernimmt.
Die ostwestlichen Beziehungen ~ieser Epoche sind intensiver als die (ägäische
Koine' der Bronzezeit es war: es gibt die militärischen Vorstöße vom Zweistrom-
land bis Kilikien und Cypern, es gibt die Niederlassungen der Phöniker im Westen,
der Griechen in Syrien und dann auc~ im Westen; es gibt die massiven Im-
porte von Metallarbeiten, aber auch handwerklichen Techniken bis ins eigentliche
Griechenland. Mit Bronzereliefs, Stoffen, Siegeln und anderen Produkten gelangte
zu den Griechen eine orientalische Bilderwelt, die eifrig aufgenommen und ver-
arbeitet wurde. Ebenso wie andere Handwerker sind aller Wahrscheinlichkeit nach
auch wandernde Seher und Reinigungspriester bis in griechische Städte gekom-
men; die Leberschau, Bauopfer, Verfahren der kathartischen Heilungsmagie tra-
gen die Spuren davon. Darüber hinaus ging der direkte Impuls der Schriftkultur,
wie das Alphabet, die Schreibtafel, die Buchbeschreibung anzeigen; dies bestäti-
gen auch einzelne Passagen der erhaltenen frühgriechischen Literatur. Ähnlich
der Leberschau scheinen auch diese erst der letzten Phase der epischen Dichtung
der Griechen anzugehören; so haben denn gerade nach-bronzezeitliche Werke
wie (Enuma elis' und (Erra' ihre Spuren hinterlassen. Die (homerische' Epoche
ist die orientalisierende Epoche der griechischen Kultur.
Zu beachten ist dabei, wie sehr die Fäden der Beziehungen miteinander ver-
schlungen sind: Bilder, Praktiken, mythische Erzählungen sind wechselseitig ver-
bunden. Siegel, Skarabäen, Amulette können im Gebrauch austauschbar sein;
Umdeutung aber läßt aus einem Amulettbild eine rein mythische Figur entstehen,
Die orientalisierende Epoche 115

Lamastu wird zur Gorgo!. Mythische Motive können aus Bildern erwachsen, wie
der Kampf mit dem Löwen, der Kampf mit der siebenköpfigen Schlange bald als
Abenteuer des Herakles erzählt werden2 ; der Kampf mit dem Monster wird zur
Tat des Perseus von Mykene 3 ; auch die Darstellung vom Tode Agamemnons
sch1i~ßt an Humbaba-Bilder an 4 • So formt das Bezeichnungssystem der eigenen
Heroenmythologie das vorgegebene Material, das Mißverständnis wird produktiv
und läßt sich doch leiten von den übernommenen Schemata.
Daß Mythos und Magie in inniger Weise sich durchdringen können, ist be-
kannt und mehrfach gründlich untersucht 5 • Magische Beschwörungen verwenden
gern eine mythische Geschichte als exemplarischen Präzedenzfall, der das Ergebnis
vorzeichnet und damit herbeizwingt. Dies gilt vom Veda bis zu den Merseburger
Zaubersprüchen; doch nicht minder klare Beispiele liefert das (babylonische'
Material. Die assyrische Version des Adapa-Mythos wird am Ende zur Beschwö-
rung gegen die vom (Südwind' verursachte Krankheit, der Erra-Text wird auf
magische Amulette geschrieben6 • Auch die Menschenschöpfung aus (Atra.gasis' ist
als magischer Text verwendet worden, auch die Überwindung der Dürre im
gleichen Text wird Regenzauber7 . Ein anderer Beschwörungstext schildert, wie
der Mondgott Sin mit einer Jungfrau sich paart, sie als Kuh, er als Stier; der
Gott zeugt Kinder und greift dann helfend ein, um die Geburt zu erleichtern:
auch dies ein durchsichtiger Geburtszauber; man hat den Text aber auch zu-
sammengerückt mit dem Mythos von Zeus und 10, der Kuh, und der Geburt
des Epaphos durch die helfende (Berührung,8. Es gibt aber auch kosmogonische
Texte, die gegen Zahn- und Kopfweh verwendet werden 9 •

1 -+ 11 9.
2 Burkert (1979) 80-3; -+ I 2, 23.
3 -+ 11 9, 22.

4 Vgl. das Tonrelief aus Gortyn, Schefold (1964) T. 33, mit Siegelbildern wie Ward (1910)
211 nr. 642: Opfer en face und zwei Angreifer von rechts und links, deren einer ein
Beil schwingt und ein langes Gewand trägt (vgl. dazu auch C. Hopkins AJA 38 [1934]
352 fig. 6).
5 G. van der Leeuw, Die sogenannte epische Einleitung der Zauberformeln, Zeitschrift
flir Religionspsychologie 6 (1933) 161-80; M. Eliade, Kosmogonische Mythen und magi-
sche Heilungen, Paideuma 6 (1954/8) 194-204.
6 Adapa: ANET 102f.; zu Erra -+ 111 4, 16.

7 Der Passus über die Menschenschöpfung, AtralJasis I 190-217, war ANET 99 in seiner
rituellen Funktion, nicht aber als Teil des Epos erkannt und vorgestellt (Berichtigung:
ANET 513); Bezugnahme darauf in einem Beschwörungstext: J. van Dijk, Une incanta-
tion accompagnant la naissance de l'homme, Orientalia 42 (1973) 505. - Regenzauber:
Lambert-Millard, Atrabasis p. 27f.
8 'Der Mondgott und die Kuh Amat-Sin', HKL III 63; W. G. Lambert Iraq 31 (1969) 31f.;

Labat (1970) 285f.; Duchemin (1980a/b).


9 'The Worm and the Toothache' ANET 100f. - B. Landsberger, Th. Jacobsen, An Old

Babylonian Charm against merbu, JNES 14 (1955) 14-21.


116 WALTER BURKERT

Denn darin treffen sich Spekulation und Praxis in der kosmogonischen Per-
spektive: Es .gilt, eine rechte Ordnung von Grund auf zu errichten; um eine Stö-
rung zu beseitigen, muß man ganz von Anfang an noch einmal beginnen. Die
berühmte Verwendung des kosmogonischen Epos (Enuma elis' beim Neujahrs-
fest der Stadt Babylon lO ist insofern im gewaltig vergrößerten Rahmen durchaus
parallel zu dem Verfahren, mit dem ein Magier einem individuellen Übel zu Leibe
geht. (Hohe' Literatur und Beschwörungen fallen zusammen auf gleichem Niveau;
die praktizierenden Priester sind es, die auch die (literarischen' Texte verwalten;
in U garit und Sultantepe ließ sich dies im einzelnen nachweisen11.
Ein Doppelgesicht von kathartischer Praxis und spekulativer Mythologie zeigt
im Griechischen besonders die (Orphik,12: da sind die Bettelpriester mit ihren
(Weihen', die Platon geißelt 13 , da ist der berühmte und umstrittene Mythos vom
Ursprung der Menschen aus dem Ruß der Titanen, die Dionysos zerrissen:
so tragen sie ebenso das Aufrührerische wie das göttliche Element in sich 14. Der
notwendige Zusammenhang von beidem zeigt sich aus der Sicht der charismati-
schen Heiler: der Kranke fragt nach dem Ursprung der Plagen, "woher sie ent-
sprungen sind, welches die Wurzel der Übel ist, welchen der Götter sie mit
Opfer versöhnen müssen, um Ruhe von den Leiden zu finden"15; Antwort
sucht Epimenides als Seher in der Vergangenheit 16 ; die generellste Antwort
aber, die über die Probleme des Einzelfalls hinausfUhrt, ist die Deutung der
menschlichen Existenz übe~haupt als Folge eines Verbrechens, als Strafe auf
Grund des ältesten j.LTJVlj.La von großen Göttern. Noch bei Empedokles geht die
Praxis des Sehers und Heilers mit dem Mythos von der menschlichen Existenz
zusammen: <puyac; ßeoih:v :Kai UA,l1nlC;17. Daß die dionysisch-orphische Anthro-
pogonie explizit erst bei Olympiodor belegt ist, hat immer wieder Bedenken
erregt. Die eigentümlichsten Parallelen liefert aber gerade die Mesopotamische

10 C. J. Gadd in S. H. Hooke, Myth and Ritual (1933) 47-58; Th. H. Gaster, Thespis
(1961 2) 62-4; Cornford -+ 111 1, 12.
11 'Haus des Priesters' in Ugarit: J. C. Courtois Ugaritica 6 (1969) 91-119 (Lebermodelle

und mythologische Texte); Bibliothek eines Priesters in Sultantepe: W. G. Lambert


RA 53 (1959) 12lf.; vgI. Wa1cot (1966) 47f.
12 Zu den Problemen um die 'Orphik' sei auf Burkert (1977) 436-51 und Burkert (1982b)

verwiesen; zum Derveni-Papyrus -+ 11 1, 2.


13 -+ 11 1,9.

14 Olympiodor. In Phaed. p. 4lf. Westerink = Orph. Fr. 220; vgI. Burkert (1977) 442f.;

die Zählung von 'vier Monarchien' bei Olympiodor stimmt mit dem Derveni-Papyrus
überein (KoI. 10,6: Uranos, Sohn der Nacht, als erster König).
15 Eur. Fr. 912, im Zusammenhang einer Totenbeschwörung: 'wie; ßouAOJleV01e; &ßAOUe;

npoJlaßeiv noßev eßAao'wv, 'de; pi(a xaxwv ... Subjekt zu eßAao'wv ist doch wohl aßA01,
doch suggeriert das Verbum eine weitere Perspektive.
16 -+ 11 5, 19.

17 -+ 11 1, 15.
Die orientalisierende Epoche 117

Mythologie. Daß die Menschen aus dem Blut eines aufrührerischen Gottes er-
schaffen werden, der dem Göttergericht verfällt, stellt auch das (Enuma elis' dar;
andere Texte liefern Varianten dazu 18. Vor allem aber geht bereits im alt-
babylonischen Atrabasis-Epos die Menschenschöpfung so vor sich: Mit dem
LehmW:t) muß Fleisch und Blut eines Gottes gemischt werden, "damit Gott
und Mensch gründlich miteinander im Lehm vermischt werden: aus dem Blut des
Gottes soll ein Geist vorhanden sein"19. Das mit (Geist' übersetzte Wort ist
et~mmu, das sonst den zu exorzierenden Totengeist bezeichnet 2o . Dies ist unge-
wöhnlich und eben darum so bemerkenswert. Hier bereits, rund 1000 Jahre vor
Homer, liegt eine dualistische Anthropologie vor, die (Geist' und (Lehm' im
Menschen, das göttliche und das körperliche Element einander gegenüberstellt.
Ähnliches der Orphik bereits in der archaischen Epoche zuzuweisen, ist alles
andere als anachronistisch. Gewiß, der orphische Dionysosmythos ist keine Über-
setzung aus dem Orientalischen. Doch eine kontinuierliche Tradition gerade über
die Sukzessionen der ayup't'cxt xcxi IlUV't'Et<; ist von der Überlieferung wie von den
innerlich notwendigen Zusammenhängen her anzunehmen. Dann freilich geht der
ostwestliche Zusammenhang über bloß zufällige Berührungen und punktuelle
Entlehnungen entschieden hinaus.
Doch wie die Orphik nicht eigentlich repräsentativ rur das ist, was die Einzig-
artigkeit der griechischen Klassik ausmacht, sind auch nicht allein die charisma-
tischen Handwerker' rur ostwestlichen Austausch verantwortlich zu machen. Es
muß auch rein literarische Beziehungen gegeben haben, die ihren Niederschlag
in der Gestaltung homerischer Szenen, vor allem der Götterszenen gefunden haben
so gut wie in der Weisheitsliteratur eines Hesiod. Wenn Horner' die Weltsicht
der Griechen rur die Folgezeit prägen konnte, so ist er dauerhaft doch eben
dadurch zur Wirkung gekommen, daß die Griechen in den Bereich der Schrift-
kultur sich endlich einbeziehen ließen. Kultur wächst nicht aus eigener Kraft in
stiller Verborgenheit, sie wird bewegt durch Lerneifer, Neugier, Aufnahmewillig-
keit gerade im Kontakt mit dem Anderen, dem Fremden; so hat sie besonders
in einer Umbruchszeit wie der orientalisierenden Epoche ihre Chance. Das (grie-

18 Enuma elis VI 1-34; ein Text aus Assur (KAR 4): A. Heidel, The Babylonian Genesis'
(1942) 68-72; Berossos FGrHist 680 F 1, p. 373 Jacoby; vgl. V. Maag, Sumerische und
babylonische Mythen von der Erschaffung des Menschen, Asiatische Studien 8 (1954)
85-106 = Kultur, Kulturkontakt und Religion (1980) 38-59; G. Pettinato, Das altorienta-
lische Menschenbild und die sumerischen und akkadischen Schöpfungsmythen, Abh.
Heidelberg 1971, 1.
19 Atral].asis I 215: ina sir ili e,temmu /iMi. W. v. Soden, Symbolae biblicae et meso-
potamicae F. M. T. de Liagre Böhl dedicatae (1973) 349-58, vgl. ZA 68 (1978) 80f.,
sucht statt e,temmu ein Wort edimmu Wildmensch' zu fassen; ihm folgt L. Cagni in:
F. Vattioni (ed.), Sangue e Antropologia Biblica (1981) 79-81. Vgl. auch W. L. Moran,
The Creation of Man in Atral].asis I, 192-248, BASO 200 (1970) 48-56.
20 -+ 11 5, 2.
118 WALTER BURKERT

chische Wunder' ist nicht nur Ergebnis einer einzigartigen Begabung, es wird
ebenso dem schlichten Faktum verdankt, daß die Griechen die östlichsten der
Westlichen sind: sie konnten damals an allen Fortschritten partizipieren, ohne
jedoch - wie Syrien - selbst der Vernichtung anheimzufallen. Einmal noch, in
den Perserkriegen, hat das Wunder sich wiederholt; später sollten die Kata-
strophen bald vom Westen, bald vom Osten kommen. Die Unbehaglichkeit der
Zwischenlage ist geblieben. Hellas ist nicht Hesperien.
Abkürzungen

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WZKM Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes
ZA Zeitschrift für Assyriologie

Die übrigen Zeitschriften werden nach den Normen der 'Annee Philologique' abgekürzt.

Folgende akkadische Texte werden nur mit Titelstichwort zitiert:

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Index
Stichwörter

Acheloos 23 Bronzetechnik 25
Achiqar 34, 111 Bronzezeit 11f., 13, siehe Hethitisches,
Adapa 115 U garitisches
Ägyptisches 19, 34, 47, 51.16, 68, 88f., 111
Ärzte 43, 46, 75f. Chaldäer 47
Aischines, Mutter des 45f., 62 Chalkis 16, 17.l3, 19
Aisopos 111-114 Chimaira 23
Aithiopis 57 Cypern 15f., 17.l4, 18f., 22, 30, 49, 50f., 55,
Al Mina 16,18,24,31 94, 97f., siehe Kition, Salamis
Alasia 17.l4, 44
Alttestamentliches 28, 47.30, 60, 63.34,104, Defixio 67f., 68.30, 70
111.4, siehe Bileam, Sintflut Delos 20, 22, 55
Amarna-Briefe 44 Delphi 21f., 57, 68, 77f.
Amphiaraos 45, 100f. Derveni-Papyrus 43
Anaphe 76f. Didyma 61f.
Andromeda 82 Dione 93f.
Antisemitismus 7f., 10, 36, 38 Diotima 44f.
Aphrodite 23, 93f. Dornseiff, Franz 11, 35.35
Apollon 58.9, 64, 79, Apollon Asgelatas/ Dreifüsse 21
Aiglatas 75f.
Aramäer 15,31, aramäische Inschriften 21, Eid 47,68,90
30.6,68,90,106, aramäische Literatur 34, Eleusis 45, 106
111, aramäische Schreiber 33 Elfenbein 20.2, 22, 25
Archilochos 33, 109.22, 112f. Embaros 73f.
Artemis von Ephesos 24, 56, Artemis von Empedokles 45, 88, 116
Munichia 73 f. Enuma eliS 88-91, 97, 116f.
Asklepiaden 46 Ephesos 56
Asklepios 75-77 Epimenides 44, 61-63, 67, 116
Asphalt 60.l7, 62 Ereskigal 68, 73
Assurbanipal19, 58, 110 Eretria 12, 16, 19,20,22
Astarte 23 Erra-Epos 101-103, 107, 115
Athen 16f., 20.4, 21f., 26, 30, 44, 61 Erzhandel12, 15, 17
Atral].asis 85-88, 91.29, 95-99, 107f., 115, 117 Etana 112f.
Etrusker 17, 19, 21f., 48-54, 105
Babyion, Griechen in, 28 Euboia 13, 16f., 19, 30, 104, siehe Eretria,
Bellerophontes 33 Chalkis, Lefkandi
Beloch, Julius 10, 22, 24, 36 Eumolpiden 45
Bileam 44, 64
Blitz 23 Familien-Modell 28, 45f., 50
Branchos 61f., 64 Foundation Deposit siehe Gründungsopfer
Die orientalisierende Epoche 133

Ganymedes 112 lonien 17, 19,29.3,33, siehe lawones


Gello 80f. Iranisches 43.3, 47
Gilgames 9, 65, 78, 85f., 107-109; Ischia/Pithekussai 12, 16f., 20, 30, 35
11 iv 141-148: 109, VI 1-91: 92-95, IStar 78, 92-95
VI 16f.: 109, XI 182-185: 96.4,
XI 266-289: 113 Kabiren 7.3
Göttergewand 24 Kadmos 7, 8.5
Gordion 19.26 Kalchas 50, 54
Gorgo 29, 82f., 115 Karatepe 15, 35, 53f.
Gortyn 26, 51, 56, 64, 80 KarkemiS 15, 18, 23.25, 25, 29, 39, 81
Greif 23 Karmanor 58.9, 64
Gründungsopfer 25, 51, 55-57 Karthago 16, 25
Gula 75f. Kilikien 15f., 18, 29.3, 50f., 53f.,
Gyges 19 siehe Tarsos, Karatepe
Kimmerier 19
Handwerker 25, 26-28, 30, 40f., 43, 46f., 56f. Kition 16, 18, 25, 55
Haruspizin siehe Leberschau Knossos 15.3, 25, 30, 55
Herakles 83f., 104f., 115 Königsweg 19
Herrin/Herr der Tiere 22 Korinth 19, 26
Hesiod 12f., 8J, 201.10, 109, 112, 117 Kreta 15, 22, 25f., 30f., 63f., siehe Gortyn,
Hethitisches lOf., 44, 49, 53,55, 81,90,108, Ida-Höhle, Knossos
siehe Illuyankas; Späthethiter 15f., 21, 53 Kriegergott 23
Hippokrates, Von der Heiligen Krankheit Kypria 96-98
43,46,60,63 Kumarbi 11, 13
Homer 11-13, 50, 57, 85-95, 106-110, Kyrene 68-72
siehe Ilias, Odyssee
Lamastu 80-82, 115
Humbaba-Masken 24, 51
Lamia 81
Hund 75-77
Leberschau 48-54, 116.11
Lederrolle 33f., 113
ladnana 17 Lefkandi 12, 16, 20
lamani 18, 28f. Libationen 56, 65f., 74
lamas 45 Löwenbild 21.11, 22f., 115
lawones/lawan/lonier 17f. Lyder 19
lapetos 7, 42.37
Ida-Höhle 21, 25, 26.42, 63 Magie 43-48, 57-74, 80f., 102, 115f.
Ilias 50, 87-95, 99.3, 105f., 108f., I 5: 96, Magnesia 46
162: 59.15, I 314: 58,62, I 396-406: 98f., Mallos 54
V 330-431: 93, VI 119-211: 33, Mantik 43-54, 77-79
XII 322-328: 109, XIII 685: 17f., 104.24, Masken 24
XIV 183: 20, XIV 201, 246, 302: 88 f., Melampus 44f.,
XIV 315-328: 95, XV 187-193: 87f., Midas 18
XXI 505-513: 93, XXII, 20: 109, Mopsos 53f.
XXIII 65-107: 65, 85,1 Mord-Reinigung 58f.
Illuyankas 11, 13, 97 Munichia 73f.
Indogermanische Sprachwissenschaft 8,11,
36 Naxos 17, 18.18, 30
10115 Nereus 42.37
134 WALTER BURKERT

Odyssee 24, 50, 85, 108; I 1-4: 85.1, 108, Sidon 15f., 19, 21, 24
1184: 17, V 118-128: 95.13, V 396: 60.19, Sieben Götter/Dämonen 91, 101-106
VII 321: 16.10, XII 382f.: 93.5, Sieben Weise 106
XVII 383-385: 13,26,43, XVIII 136f.: Silberschalen 21, 28.62
109, XIX 107-114: 110 Sintflut 86, 96f., 104.24, 108
Olbia 33f. Söldner 28f., 41f., 51
Olympia 10, 20f., 22, 29 Soloi 17
Omphalos-Schale 24 Sparta 44
Orestes 58-60, 67 Sphinx 23
'Orient' 7 Symposion 23
Orphik 116f. Syrien, Griechen in, 12, 16
Ortheia 24
Tamasos 17.14
Panbabylonismus 9 Tarsos 16, 18f., 34, 49, 54, 58, 102.12
Paphos 18, 50f. Teiresias 52f.
Papyrus-Buch 34 Teisamenos 44f.
Patroklos 65, 85.1 Tell HalaflGuzana 15, 34, 103f.
Persepolis 28, 33 Tell Sukas 16
Perseus 82f., 115 Telmessos 51
Phiion von Byblos 11 Temesa 17.14
Phöniker 7, 10, 15f., 17,20-22, 24f., 31f.; Tethys 88-90
phönikische Inschriften 15.3, 21, 28.62, Thaletas 44, 64
30, 47; phönikische Literatur 34 Theben 46, 99-106
Phrygien 18, 19.26, 29.3 Theokrit, Pharmakeutria 67
Piacenza, Lebermodell 49 Titanen 90f., 116f.
Platon, Phdr. 244d 66f. Ton-Matrizen 25f.
Platon com. fr. 174 76.6 Totenkult 65f.
Polemainetos 45 Triton 23
Praeneste 21f. Tyros 15f.
Proitiden 59f. Ugaritisches 11f., 31, 44, 49, 81, 107-109, 116
Prometheus 99 Urartu 16, 27
Ptolemaios Philopator 46
Vogelschau 50, 54
Qumran 35
Wachsbilder 67f.
Rhakios 64 Weihrauch 24
Rhodos 22, 24 Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von 8,
9.10,9.11
Salamis (Cypern) 18, 94
Samos 20, 22, 24, 75f., 80 Zeus Atabyrios 22.15, 36, Zeus Dipaltos
Schamanismus 47.34, 57 23.30
Schreibtafel 32f. Zincirli/Sendschirli 15, 18, 23.25, 39, 80.2,
Schrift 12f., 15, 29-35 81
Seher 43-54, 56f., 61f., 67, 74, 105 Zwiebel 62
Die orientalisierende Epoche 135

Griechische Wörter

aAaßao"Cpov 38 j..LaXT) , j..LaXEoßa\ 41


aAaAa 41 j..Lvii 36, 39 .
iiA\j..LOV 63 j..LoA\ßöiov 34
ava 40 j..Luppa 24, 38
a~ivT) 40 olvoe; 36.2
anoj..La't"t'Ew 62 naAAaxll 42
apa 64f. nAivßoe; 40f.
iipnT) 41, 83 npoo"Cponatoe; 72
appaßwv 39 no"Caj..LOe; 51.21
ytn\lOv 40 npo<pepeoßa\ 70f.
öthoe; 32f., 34, 36 nUAa\ 51.21
öupßepa, öupßeptov 33f. poöov 36.2
Enax"Cov, EnaywYll 69f. oEj..LiöaA\e; 38
ixeotoe; 69-72 oxava/oxT)vll 40
xaßaipw 64 oxu"CaAT) 33
xaAXT) 38 oj..Lapayöoe; 38
xavwv 36, 40 OOAOe; 41
xapoe; 77 0<PllV 40.25
xauvaxT)e; 39 "Caupoe; 41
xeAEUßOe; 51.21 "CEAe1V 70f.
XE<paAll 51.21 "Cepae; 52
xuavoe; 39 "Ci"Cavoe; 40, 91
AExavT) 38, 54 <papj..LaxT) 62
Aißavoe; 24, 38 xapaooEw 39f.
Aina 38 XE\pWVa~ 41
Are; 41, 110 X\"Cwv 38
AUj..La 58, 62, 64 xpuooe; 38
j..LaxEUov 39

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