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·' Von Husserl zu Heidegger

Kritik der phänomenologischen Philosophie

Von
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f Dr. Julius Kraft
Privatdozent an der Universität Frankfurt a. M.

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Die gegenwärtige Lage der europäischen
Wissenschaften nötigt zu radikalen Be-
sinnungen. Husserl

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Alle Rechte vorbehalten

Copyright 1932 hy Hans Buske, Verlag, Leipzig Meinem Vater
zum sechzigsten Gehurtstag

Printed in Germany
Buch- und Kunstdruckerei E. Haberland, Leipzig
 Vorwort.
Vor knapp zehn Jahren äußerte S c h e I e r die Hoffnung, "daß
von der Phänomenologie aus sich allmählich ein Einheitshoden
der Betrachtung für die ganze Philosophie entwickelt, von dem aus
eine neue universale Sachphilosophie ... sich entfalten kann".
S c h e 1 er verhehlte sich nicht, daß noch "viele fundamentale Fra·
gen der Philosophie" in der Phänomenologie "ungeklärt sind"\
und dennoch sprach er seine hoffnungsvolle Prognose aus. Mit wel-
chem Recht, so muß man um so mehr fragen, wo heute von einem
solchen phänomenologischen Einheitshoden wenig erkennbar ist:
Mit demselben Recht, das jede philosophische Schule für sich hat,
die der Philosophie den ihr gebührenden Platz als Königin der
Wissenschaften zu erobern strebt, und die für dieses große Ziel die
geistige Energie philosophischer Führerpersönlichkeiten und ihrer
Schüler aufbietet.
Nicht etwa mit einem vermeintlich darauf zu gründenden An-
spmch, daß man den Geist der Zeit für sich habe. Zwar kann die
phänomenologische Schule nach anfänglichen heftigen Anfeindun-
gen zu Beginn ihres Auftretens (vor dreißig Jahren) sich jetzt über
mangelnde Anerkennung nicht mehr beklagen. Nicht nur in allen
philosophischen Disziplinen, von der Logik bis zur Religionsphilo-
1
Deutsches Lehen der Gegenwart, herausgegeben von W i t k o p , Berlin
1922. s. 204.
5
sophie, hat sie Anwendung gefunden, sondern auch in der Mathe-
matik, Physik, Biologie, Psychologie und Soziologie spielt sie min-
destens eine methodische Rolle: es ist also nicht zuViel behauptet,
daß die Phänomenologie das geistige Antlitz des beginnenden
20. Jahrhunderts mitgeformt hat. Und dennoch wird sie hieraus
kein wissenschaftliches Recht für sich ableiten wollen, eingedenk der
Warnung B r e n t an o s , des Ahnherrn ihres fruchtbaren Gedanken-
kerns, in seiner klassischen Kritik Pi o t ins : Wer die Erfolge des
Neuplatonismus kennt, der weiß wie wenig der Schluß von der
Größe eines philosophischen Anhanges auf die Größe einer Philo-
sophie beweist 2
• Aber die Phänomenologen sind auf diesen faden-
scheinigen Schluß gar nicht angewiesen, sie können auf theore-
tische Leistungen verweisen, mit denen ihr philosophisches Streben
'auch praktische Früchte geerntet hat. Wenn heute die Philosophie
ihr Haupt in der Öffentlichkeit wieder erheben kann, ohne hinter
anderen Wissenschaften als Schleppenträgerin einherschreiten zu
müssen, so ist dies, soweit es überhaupt in der Entwicklung der
Philosophie selbst liegende Ursachen hat, zum großen Teil dadurch
möglich geworden, daß H u s s e r ls Aufruf zur "Philosophie' als
strenger Wissenschaft" überzeuFgskraft ·besaß: Aus H u s s e r ls
Beiträgen zur Logik und zur Theorie der Erkenntnis, aus S c h e -
le r s ethischen und religionsphilosophischen Schriften spricht ein
leidenschaftlich den Sachen selbst zugewandter philosophischer
Geist, der aller bloßen Methodik, aller bloßen Kritik und aller
bloßen Historie müde geworden ist und durch seinen Impuls wieder-
erwachenden philosophischen Selbstvertr~uens mitreißt.
Dieses kraftvolle Schauspiel begleitet jedoch ein deprimieren-
des S c h a t t e n t h e a t e r , das den sarkastischen Satz eines gro-
2 finden. Aber es fragt sich ja gerade, ob diese Probleme wirklich
Philosophische Bibliothek, Bd.l95, herausgegeben von Kraus: "Was
für ein Philosoph manchmal Epoche macht", S. 57.
6 1
ßen Vorbildes H u s s e r I s : D e s c a r t e s aufs neue zu bestätigen
scheint. "Die Philosophie", sagt Des c arte s gelegentlich, "er-
möglicht uns über alle Dinge mit dem Anschein der Wahrheit zu
reden ...": Die Phänomenologie ist auch zum Ausgangspunkt eines
solchen Scheinphilosophierens geworden, das seinen Kulminations-
punkt in den Schrüten H e i d e g g e r s gefunden hat, deren Denk·
weise, wenn sie allgemein würde, Philosophie 'und Erfahrungswissen-
schaft vernichten müßte.
So entsteht das wichtige systematische Problem, an der Phäno-
menologie Haltbares von Unhaltbarem zu sondern, um von ihr zu
lernen, unl. ihre unheilvollen Folgen zu bekämpfen und ihren zwie-
spältigen Entwicklungsgang zu verstehen. Es ist heute kein Rätsel
mehr, weshalb der Weg von P I a t o .zu P I o t i n , von A r i s t o -
teles zu Thomas von Aquino, von Kant zu Hegel
führen konnte (wenn auch durchaus nicht führen mußte) : immer
waren ursprünglich scho:O. Keime gelegt, deren Sprößlinge, nur ge-
nügend gepflegt, die Saat philosophischer Wissenschaft überwuchern
konnten. Daß auch das Bewegungsgesetz der Entwicklung von
H u s s e r I zu H e i d e g g e r kein anderes ist, wird sich mit aller
Stringenz beweisen lassen.
Eine andere Frage ist es, wie solche Leser, die sich an
der "aktuellsten Problemlage" orientieren, auf. diesen Nachweis
reagieren werden. Soweit sie nicht etwa ·zu jener Gruppe ge-
hören, die eine kritische Diskussion ihnen liebgewordener Meinun-
gen von vornherein als Zeichen des Unverständnisses betrachten
(und sich durch diese "Geisteshaltung" auf das Niveau eines kon-
fessionellen Fanatikers stellen), werden sie sicher den Gedanken-
gang viel zu einfach, nicht auf der Höhe ihrer Probleme stehend
so hoch sind..Tatsächlich sind sie es gar nicht, und der nicht zuletzt
durch dunkle Worte erzeugte GI a u h e an ihre Höhe versperrt nur
die Möglichkeit, zu den wirklichen philosophischen Schwierigkeiten
vorzudringen.
Von vielen einaußreichen Seiten aus ist man heute bemüht,
den R a t i o n a I i s m u s aus der Wissenschaft und Kultur über·
haupt auszumerzen. Di~ Vieldeutigkeit dieses Schlagwortes ist der
"theoretische" Schutzwall einer Kampfesleidenschaft geworden, lnhal tsverzeichnis.
deren ungehemmtes Weiterwüten den Mephistophelismus des "Ver·
Vorwort . . . . . . 5
achte nur Vernunft und Wissenschaft" erneut' zu blutigem Ernst
I. Philosophie als strenge Wissenschaft: H u s s er 1 11
werden lassen muß. Wer Rationalismus in kulturkritischer Absicht 11
1. Philosophische und historische Betrachtung der Phänomenologie .
sagt, kann Logik, Logizismus, Vernunft, Liberalismus, Sozialismus, 2. Die Restitution des Wissenschaftscharakters der Philosophie 12
Weltfrieden und unabsehbar viel anderes meinen: ilnmer aber 3. Die phänomenologische Methode und ihre Mängel . 18
wird er seinen Angriff gegen den erhabenen Geist der Aufklärung 4. Zur phänomenologischen Logik 41
richten und sich selbst als Propheten einer von den "Aufklärungs- II. Philosophie als Metaphysik: S c h e 1 e r 56
idolen" freien Zukunft empfehlen. Zu dieser Empfehlung hat sich 1. Problemstellung und Methode der Philosophie 56
2. Zur materialen Wertethik und zur Religionsphilosophie . 67
auch die Phänomenologie gehrauchen lassen, und zwar hauptsäch-
3. Zur phänomenologischen Soziologie . . . . . . 81
lich in Form ihres, wie sich zeigen wird, mißlungenen Versuchs, das
III. Philosophie als kosmisches Geschehnis: Heide g g er 91
Werk K an t s zu entwurzeln. Zu ihrem Teil hat sie, wenn auch
vielfach wider ihren Willen, an der Heraufführung des "neue n
r 1. Problemstellung und Methode der Philosophie . . 91
I. 2. Die Nichtigkeit der Fundamentalontologie 98
Mitte I a I t er s" mitgewirkt, in dem wir trotz aller Fortschritte
1 IV. Die Unmöglichkeit des Intuitionismus und die Aufgabe der kritischen
der Erfahrungswissenschaften und der Technik, trotz aller Verände- Philosophie . . . . . . . . . . . , , . . . . . . 116
rungen der Gesellschaftsordnung so lange verharren werden, bis 1. Die Entwicklungsetappen der phänomenologischen Schule . 116
2. Die Unmöglichkeit des Intuitionismus . . 119
der irrationale und arationale Spuk der Gegenwart wieder zu
3. Die Aufgabe der kritischen Philosophie . . . . . . . . '1.22
weichen beginnt.
Frankfurt a.JM., im April 1932.
r
l

l I.
r
,- Philosophie als strenge Wissenschaft: Husse r l.
1. Philo sop hisehe und historische Betrachtung
der Phänomenologie.

In einem für den Ernst seines Lehenswerkes sehr charakteristi·

sehen Doppelsinn bezeichnet sich H u s s e r I als Anfänger in der
Philosophie, als jemanden, der einen philosophischen Anfang ge-
macht hat und sich erst im Beginn der Ausschöpfung seines Anfangs
weiß: H u s s e r I hat kein philosophisches System errichtet, er hat
eine philosophische Methode ausgearbeitet und in immer wieder
· erneuten elementaren Studien ihre Brauchbarkeit zu erproben ge·
sucht. Es sind nun zwei wohl zu trennende Aufgaben, den Entwick-
lungsgang dieser Untersuchungen Schritt für Schritt historisch zu
verfolgen und ihre' tragenden Grundgedanken zu würdigen. Die
letztere Methode kommt für den theoretischen Zweck einer philo~
sophischen Betrachtung der phänomenologischen Schulentwicklung
allein in Frage, kann daher von den für die erstere unvermeidlichen
entwicklungsgeschichtlich(m Einzelheiten ahsel:!en und hält sich an
die ty-pischen Gedanken H u s s er I s in ihrer jeweils ausgebildeten
4
Gestalt3 •

3
Wofür vor allem folgende Werke H u s s e r I s die Grundlage bilden:
Philosophie der Arithmetik, 1. Bd., Leipzig. Logische Untersuchungen, 3. Auf·
Iage, Halle 1922. Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen
Philosophie, Halle 1913. Formale und transzendentale Logik, Halle 1929.
Meditations Cartesiennes, Paris 1931.
4 Und gleiches gilt natürlich für die Erörterung der weiteren Entwick-

lungsetappen der phänomenologischen Schule.

11
 So wäre es zum Beispiel chronologisch notwendig, von H u s -
s e r I s logischen Studien auszugehen und dann erst .die von ihm
später voll entwickelte phänom~nologische Methode zu betrachten.
Da nun aber diese Methode das Spezifische seines und seiner Schule
positiven Gedankenganges ist. und implizit von ihm auch schon
dann angewendet
.
wird, wenn. sie explizit noch nicht vorliegt, muß
sie das erste und zwar das Grundthema einer systematischen
Untersuchung der phänomenologischen Philosophie bilden. Erst,
wenn die Bedeutung der phänomenologischen Methode fest-
steht, läßt sich ein prinzipiell-begründetes Urteil über ihre An-
wendungen, -bei H u s s e r I speziell über ihre Anwendung auf
die L o g i k , gewinnen. Prinzipiell begründet ist nämlich ein sol-
ches Urteil nur dann, wenn es nicht nur zu den philosophischen
Ergebnissen Stellung nimmt, d. h. sie annimmt oder ablehnt, son-
dern wenn es ihre Begründung prüft, d. h. ihren Zusammenhang
mit den methodischen Leitsätzen, durch deren Befolgung sie ge-
wonnen sein sollen. Auch unter dem Gesichtspunkt einer Beur-
teilung ihrer Anwendungen besteht also die Notwendigkeii, einen
Standpunkt zu der phänomenologischen Methode zu gewinnen, die
nach der Meinung H u s s e r I s zum erstenmal in der Geschichte
Philosophie als strenge Wissenschaft möglich gemacht hat.
2. Die Restitution des Wissenschaftscharakters
der Philosophie.
In der. Erneuerung der Zielsetzung, Philosophie als strenge
Wissenschaft zu betreiben, sind gewisse fundamentale Momente ent-
halten, die, obgieich nicht neu entdeckt, so doch im 19. und 20. Jahr-
hundert vielfach verschüttet, von H u s s e r I wiederentdeckt wur-
den (ohne indessen von seiner Schule festgehalten zu werden). Diese
Momente ergeben sich durch eine Analyse des Begriffs der philo-
12
l
sophischen Erkenntnis. Wenn die Philosophie Wissenschaft ist (was
ihre ernsthaften Vertreter nie bezweifelt haben, mochten sie auch
inhaltlich noch so uneinig sein), dann muß sie Erkenntnisse ent-
halten und steht insofern auf einer Linie mit dem, was man positive
Einzelwissenschaften nennt. Die Gegenüberstellung von Philosophie
und Wissenschaft ist also mindestens außerordentlich irreführend
und erleichtert es nur, die Philosophie den Gebieten der Kunst oder
gar des subj~ktiven · Meinens zuzurechnen. Solchen verderblichen
Desorientierungen gegenüber kann H u s s er I , als radikaler "An-
fänger"~ wieder mit dem Kantianer Rein h o I d sagen: "Meine
Philosophie weiß nicht vieles; aber sie meynt gar nichts" 5 •
Aus der Natur des philosophischen Wissens leitet H u s s e r I drei
Folgerungen ab, die gerade zur Zeit seines Auftretens vorwiegend
verkannt wurden und auch heute in neuer Form verdunkelt werden:
1. Die Unmöglichkeit des Relativismus.
2. Die strenge Unterscheidung von Inhalt und Gegenstand der
Erkenntnis.
3. Die Unmöglichkeit der empiristischen Philosophie.
;
Die Kritik des R e I a t i V i s m u s6 geht von einer Selbstbesin-
nung auf den Begriff der Wahrheit aus: "Was wahr ist, ist absolut,
ist ,an sich' wahr; die Wahrheit ist identisch Eine, ob sie Men-
schen oder Unmen.Schen, Engel oder Götter urteilend erfassen." Da
aber das Moment der Wahrheit "im Begriff der Erkenntnis im
strengen Sinne liegt", hebt sich der allgemeine Relativismus, der
doch als Theorie auch Behauptungen aufstellt, selbst auf. H.u s -
s er I präzisiert diesen eindringlich formulierten alten Grundge-
danken durch die wichtige Konsequenz, daß die Widersinnigkeit
5
Über das Fundament des philosophischen Wissens, Jena 1791, S. 3·, 4.
6
Das Nähere hierzu findet sich im siebenten Kapitel des ersten Bandes der
"Logischen Untersuchungen": "Der Psychologismus als skeptischer Relativismus."
13
des allgemeinen Relativismus unabhängig davon besteht, ob er die
Wahrheit durch das jeweils urt~ilende Subjekt {individueller Rela~
tivismus) oder durch die jeweilige Spezies urteilender Wesen {spezi-
fischer Relativismus, insbesondere Anthropologismus) relativiert
denkt: Beide Male wird der Sinn der Wahrheit, den auch der
Relativismus implizit für sich in Anspruch nimmt, verleugnet. Die
Tragweite dieser Überlegung reicht, was für ihre richtige Auffassung
hervorzuheben wichtig ist, nicht so weit, um den Wahrheitscharakter
bestimmter inhaltlicher Behauptungen, zum Beispiel der Möglich-
keit einer Philosophie als strenger Wissenschaft, sicherzustellen7 :
es wird nur eine grundsätzliche Verkennung der Natur des Wissens
überhaupt abgewiesen, und damit ein Hindernis für alle Wissen-
schaft ~d also auch für die wissenschaftliche Philosophie be-
seitigt8.
7
Etwas ganz anderes als allgemeiner Relativismus ist jene k r i t i s c h e
G es in nun g, die menschlicher Wissenschaft gegenüber Distanz einhält und
sie für ständig verbesserungsfähig ansieht. Diese aus der Einsicht in die Ober-
bietharkeit a 11 e r menschlichen Leistungen sich ergehende Überzeugung zweifelt
nicht an der Wahrheit der Erkenntnis, sondern hat vielmehr eine so hohe Mei-
nung von ihr, daß sie es ablehnt, einen historisch gegebenen Wissenschaftsstand
mit der Wahrheit selbst gleichzusetzen. Sehr schön sagt daher M a c h , "daß
der Naturforscher sich gewöhnt habe, auch seine sichersten, bestbegründeten
Ansichten und Grundsätze als provisorisch und durch neue Erfahrungen modi-
fizierhar zu betrachten. In der Tat sind die größten Fortschritte und Ent-
deckungen nur durch dieses Verhalten ermöglicht worden". Diese "Denk- un•l
Arbeitsweise des Naturforschet:s" ist jedoch nicht, wie Mach kontrastierend
meint, "von jener des Philosophen, der in der glücklichen Lage ist, unerschütter-
liche Prinzipien zu besitzen", verschieden. (Erkenntnis und Irrtum, 5. Auflage,
Leipzig 1926, S. 15, 16.) Wie der Naturforscher immer bereit sein muß, Korrek-
turen durch neue Erfahrungen entgegenzunehmen, so auch der Philosoph, sich
niemals Ergehnissen neuen Denkens zu verschließen, während der Dogmatiker,
als Naturforscher wie als Philosoph, auf seiner einmal gewonnenen Theorie
beharrt.
s Dieses Hindernis des allgemeinen Relativismus kann sich auch den Mantel
der objektiven Wahrheit umhängen und heißt dann Dia I e k t i k. Die (auch
14
Dieselbe Funktion hat die Festhaltung des elementaren Sach-
verhalts, daß alles Erkennen Erkennen von Etwas ist, und daß daher
dieses Etwas, der Ge g e n s t an d der Erkenntnis, von der über
ihn gemachten Aussage, dem I n h a I t der Erkenntnis, wohl zu
unterscheiden ist. Erkenntnis ist nicht Hervorbringung, "Erzeu-
gung" eines Dinges, sondern seine "Erfassung": Erkenntnis hat, wie
sich H u s s e r I im Anschluß an B r e n t a n o ausdrückt, "den
Grundcharakter der Intentionalität", des Gerichtetseins auf Etwas.
Wie aber die Kritik des allgemeinen Relativismus nicht beweist,
daß es bestimmte m~teriale, z; B. empirische Erke~tnisse gibt, so
läßt sich aus dem Intentionalitätsprinzip nicht entnehmen, daß es
bestimmte Realitäten {Außenwelt, Innenwelt) gibt. Das Prinzip
schließt aber die Behauptung aus, daß Inhalt und Gegenstand ent-
weder in dem Bewußtsein oder außerhalb des Bewußtseins zusam-
menfallen. Angenommen selbst es gäbe nur Bewnßtseinsinhalte, so
wären diese doch von den über sie gemachten Aussagen noch zu
unterscheiden und also auch in diesem Grenzfall Inhalt und Gegen-
stand nicht dasselbe. Diese Unterscheidung zwingt sich am unmit-
telbarsten an den Fällen auf, bei denen Gegenstand und Inhalt der
Erkenntnis nicht qualitati~-gleichartig sind, wie etwa in dem ele-
mentaren Beispiel H u s s e r I s , "daß so etwas wie ein materielles
Ding, z. B. dieses im Wahrnehmungserlebnis gegebene Papier, prin-
zipiell kein Erlebnis ist, sondern ein Sein von total verschiedener
Seinsart". Diese Einsicht ist unabhängig davon, ob man die Existenz
einer materiellen- Welt anerkennt oder leugnet, wie auch die Inten-
tionalität nicht erst ein Charakteristikum assertorischer, sondern
von BoI z an o treffend und scharf zurückgewiesene) HegeIsche Dialektik
könnte man als m a t e r i a I e n Relativismus bezeichnen: während der allgemeine
Relativismus bereits den ,ßegdff der Erkenntnis widerspruchsvoll bestimmt, ver-
legt die Dialektik denselben Widerspruch in ein notwendiges Kriterium aller
Erkenntnis - beide Male wird die Erkenntnis überhaupt aufgehoben.
15
schon problematischer Vorstellungen9 ist: bei jeder Annahme ist
ihr Gegenstand von ihrem Inhalt genau so unterschieden, wie bei
einer Erkenntnis im eigentlichen Sinne, d. h. wie bei einer wahren
Behauptung10 • Diese Unterschiedenheit ist nicht irgendeine belie-
bige, sondern eine spezifische Verschiedenheit, kraft derer jedem
Inhalt als Inhalt ein von ihm unabhängiges Etwas, ein Gegenstand,
zugeordnet ist.
Husse r I s Nachweis der Unmöglichkeit einer e m p i r i-
s t i s c h e Ii Philosophie ist mit klassischer Einfachheit geführt und
. erneuert gleichfalls alte philosophische Gedanken. Während die
Widerlegung des Relativismus und das Intentionalitätsprinzip aus
dem Begriff der Erkenntnis fo1ge~ beruht die Abweisung des Empi-
rismus auf einem Vergleich empirischer und philosophischer Er-
kenntnis. Empirische Erkenntnis ist ihrem Gegenstand nach Tat-
9 B r e n t an o hat sein Intentionalitätsprinzip nicht· genügend von dem
Prinzip der Objektivität der Erkenntnis getrennt. Die Objektivität der Erkenntnis
fordert allerdings ihre Intentionalität, es gilt aber nicht das Umgekehrte, wie
B r e n t a n o , nachdem er die von ihm ursprünglich vertretene, scholastische
Lehre von der mentalen Inexistenz der Objekte kritisiert und aufgegeben hatte,
behauptete.
1o Die Unterscheidung von Inhalt und Gegenstand der Erkenntnis kann
durch physikalische Theorien nicht widerlegt werden, da sie aus dem Begriff der
Erkenntnis folgt und daher allen Theorien schon zugrunde liegt. Infolgedessen
verbietet sich auch der naheliegende V ersuch, aus den viel diskutierten H e i -
s e n b e r g sehen Unbestimmtheitsrelationen eine solche Schlußfolgerung ab-
zuleiten. Der Satz von der B~ei:Q.flussung des Beobachtungsgegenstandes durch
das Meßinstrument setzt genau so, wie das durch ihn vermeindich erschütterte
Kausalitätsprinzip (in der ausgesprochenen s p e z i e 11 e ·n Kau s a I b e -
zieh u n g zwischen Meßinstrument und Beobachtungsgegenstand), als Urteil
über Etwas die Scheidung von Inhalt und Gegenstand voraus. Dann allerdings,
wenn man in m a t e r i a 1 i s t i s c h e r Weise die Beziehung zwischen dem
Inhalt des H e i s e n b e r g sehen Prinzips und seinem Gegenstand mit der in
ihm behaupteten, speziellen physikalischen Kausalrelation gleichsetzt, wäre es
als Argument gegen die Unterscheidung von Inhalt und Gegenstand verständlich;
aber diese Gleichsetzung ist offensichtlich unstatthaft und daher auch die Ver-
wandlung der Inhalt-Gegenstandbeziehung in eine physi~alische Relation.
16
sachenerkenntnis; Tatsächliches ist aber "ganz allgemein gesprochen,
zufällig. Es ist so, es könnte seinem Wesen nach anders sein". Philo-
Sophische Erkenntnis bezieht sich nun gerade· auf Nichttatsächliches,
Nichtzufälliges und kann daher ebensowenig empirisch begründet
werden, wie empirische Erkenntnis philosophisch. Wer sich also
"nach den Sachen selbst" richten will, kann kein Empirist sein,
sondern muß die Erfahrung auf ihr legitimes Gebiet beschränken11 •
Die Philosophie muß infolgedessen einem anderen Wissen-
schaftsprinzip angehören als die Erfahrungswissenschaften, von
denen sie sich insofern i n h a I t I i c h differenziert. Es ist die
Aufgabe echter Philosophie "die Idee _absoluter Erkenntnis zu ver-
wkklichen" -·dies ist die stolze Form H u s s e r I s , die zwei prin-
11 Diese prinzipielle Überlegung trifft den modernen, durch die logistische
Symbolik differenzierten Positivismus genau so wie seinen naiveren Vorgänger.
Es ist bemerkenswert, wie die Verlegenheit, in die der Positivismus durch diese
Aufnahme der Logik in sein System kommen muß, dadurch gelöst wird, daß er
sich dem logischen Nominalismus anschließt, so z. B. Hahn (Erkenntnis, I, 2--4,
S. 98, 99) mit der Erklärung: "Logik ist daran g_eknüpft, daß etwas gesagt wird."
"Sie ist eine Anweisung, wie man etwas Gesagtes anders sagen kann." Diese
Kunst der Verwandlung des Den:kens in Sprechen wirbt der von S c h 1 i c k
für den modernsten Positivismus in Anspruch genommenen "Wende der Philo-
sophie" (1. c. I, 1, 4 ff)) wenig Vertrauen, noch weniger aber, wenn man folgende
Betrachtung von C a r n a p , einem logischen Spezialisten dieser Schule, in
Betracht zieht. C a r n a p will "die Ausschaltung der Metaphysik" (l. c. I, 1,
S. 25) demonstrieren und glaubt dies folgendermaßen erreichen zu können: "Es
werden in der Metaphysik", so stellt C a r n a p unwiderleglich fest, "Begriffe
eingeführt, die weder auf das Gegebene noch auf das Physische zurückführbar
sind. Es sind daher ( !) bloße Scheinbegriffe, die sowohl vom. erkenntnistheore-
tischen Standpunkt, als vom inhaltlich-wissenschaftlichen Gesichtspunkt aus
abzulehnen sind. Es sind sinnlose Worte, mögen sie auch noch so sehr durch
die Tradition geheiligt und mit Gefühlen behangen sein". Man möchte beinahe
annehmen, daß dieses Schulbeispiel einer petitio principii nach Regeln der
positivistischen Logik des S p r e c h e n s zustande gekommen ist, da es doch nur
allzu geringe Anstrengungen des D e n k e n s verrät, gegen den Apriorismus
etwas auszurichten. Wichtige und zutreffende Argumente gegen die positi-
vistische Logistik enthält D in g I e r s "Philosophie der Logik und Arithmetik",
München 1931.
2 Kraft, Von Husserl zu Heidegger 17
zipielle Momente umschließt: Philosophie bezieht sich auf ein
transempirisches Gegenstandsgebiet und zwar auf das unwandel-
bare Wesen der Dinge; philosophische Erkenntnis ist "Erkenntnis
aus letzter Begründung" und daher d i e strenge Wissenschaft, wäh-
rend alle anderen Wissenschaften in "dogmatischer Einstellung ver-
harren".
Den Realitätsbeweis dieser Bestimmungen soll die Au.sführung
der phänomenologischen Philosophie erbringen, die aus einer mit
anschau~cher Klarheit in das Wesen der Dinge eindringenden Er-
kenntnis zu schöpfen beansprucht. Diese Erkenntnis heißt W e -
s e n s s c h a u : in der Auseinandersetzung mit ihrer Methode wird
sich auch die Realität des Begriffs Philosophie entscheiden, .der ihr
zugrunde liegt.
3. Die phänomenologische Methode und ihre
Mängel.
a) Der Stumpf sehe Ansatz.
ln einer Rede über die "Wiedergeburt der Philosophie" spricht
S tu m p f1 2 von einem "Gebiet", woran ,,Psychologen mit Natur-
forschern, namentlich seit H e Im h o I t z , zusammenarbeiten" und
nennt es "Phänomenologie, d. h. eine bis zu den letzten Elementen
vordringende Analyse der sinnlichen Erscheinungen in sich selbst".
S tu ni p f gibt als Beispiele solcher Erscheinungen Farben, Töne,
Gerüche, Gestaltungen in Raum und Zeit an, die weder die phy-
sische Wekseien, "wie sie sich dem Gebiete des Naturforschers· dar-
stellt, noch die psychische Welt. Aber sie sind das Material woraus
der Physiker schöpft, und sie sind zugleich der· Ausgangspunkt und
12
Philosophische Reden und Vorträge, Leipzig 1910, S. 186.
18
der Nährstoff des gesamten Seelenlebens". Deshalb dürften Physik,
Psychologie und Philosophie an der Phänomenologie nicht vorüber-
gehen. Was Stumpf unter diesem Namen zusammenfaßt sind jene
sinnespsychologischen, sinnesphysiologischen' und physikalischen
Untersuchungen, die- es mit de~ sinnesanschaulichen Daten der
materiellen Welt, von denen die Mechanik abstrahiert, und ihren
psycho-physiologischen Korrelaten zu tun haben. Phänomenologie
im Sinne S tu m p f s ist also eine Naturwissenschaft, die allerdings
naturphilosophische und erkenntniskritische Betrachtungen nahe-
legt13 (über primäre und sekundäre Qualitäten, sinnesanschauliche
und mathematische Erkenntnis, usw.). Indem Stumpf den Sam-
melllanien Phänomenologie einführt, prätendiert er also keineswegs
eine neue Philosophie zu begründen, und es bedurfte daher einer
grundlegenden Umformung und Verallgemeinerung der empirischen
Klassifikation S tu m p f s , um die phänomenol~gische Philosophie
zur Entstehung zu bringen.
b) Die apriorische Psychologie.
Ihr Begründer H u s s e r 1 gab seine anfängliche unmittelbar
an B r e n t a n o und S t um p f orientierte Charakterisierung der
Phä~omenologie als "deskriptive Psychologie" bald auf, um dem
gegen ihn erhobenen Vorwurf des Psychologismus be.Sser begegnen
zu können; statt dessen bestimmte er die Phänomenologie als
"Wissenschaft vom Bewußtsein und doch nicht Psychologie"; sie
habe "es ausschließlich mit den in der Intuition erfaßharen und
analysierbaren Erlebnissen in reiner Wesensallgemeinheit zu tun,
nicht aber mit empirisch-apperzipierten Erlebnissen als realen
13
Daher tritt in K an t s "Metaphysischen Anfangsgründen der Natur-
wissenschaft'·' und in Fries' "Mathematischer Na'turphilosophie" ein eigener
Abschnitt "Phänomenologie" auf.
2* 19
Fakten, als Erlebnissen erlebender Menschen oder Tiere in der
erscheinenden und als Erfahrungsfaktum gesetzten Welt". . H u s -
s e r l nimmt au~h hiermit die B r e n t a n o sehe Konzeption einer
deskriptiven, d. h. einer alle genetischen Gesichtspunkte ausschal-
tenden Psychologie auf und sucht diese allerdings als nicht-empi-
rische Disziplin zu entwickeln, die sowohl für die Psychologie als
Naturwissenschaft, wie für die Philosophie grundlegend sei.
Das erstere hat sich zum Teil als berechtigt erwiesen. Die phä-
nomenologische Maxime unbefangener Deskription hat, wie bereits
bei B r e n t an o, erheblich zur Erschütterung desSen s u a l i s m u s
beigetragen und damit einen Anstoß zur Verschärfung allgemeiner
psychologischer Abstraktionen gegeben, so vor allem durch die
psychologischen Arbeiten von Ge i g e r , P f ä n d e r , S c h e l e r ,
Linke. Zwar halten sich alle diese Untersuchungen, gemäß dem
methodischen Vorgang H u s s e r l s , für intuitive Wesensanalysen
psychischer Regionen (psychischen Seins überhaupt, von Wahr-
nehmungs-, ethischen, ästhetischen, religiösen Akten). Tatsächlich
sind sie jedoch Aufweisungen von und Folgerungen aus elemen-
taren psychischen Qualitäten und in diesem Sinne Grundunter-
suchungen (die eine ' von der Experimentalpsychologie vielfach
offen gelassene Lücke mit Recht auszufüllen suchen), aber sie he-
ruhen prinzipiell doch nur a,uf empirischen Konstatierungen, wenn
auch auf solchen e l e m e n t a r er Natur.
Wenn z. B. H u s s er l die Sätze formuliert, "daß ein Urteil
nicht farbig sein kann", "daß eine Wahrnehmung in sich Wahr-
nehmung von etwas ist", so sind diese "generellen Selbstverständ-
lichkeiten", wie er sie nennt, Folgerungen aus den Begriffen des
Urteils und der Wahrnehmung, deren' Materie aus der introspek-
tiven Beobachtung geschöpft ist, also aus der gleichen Quelle, wie
irgendwelche psychologischen Existentialsätze. Um solche handelt
20
es sich bei Husse r l s Beispielen und ähnlichen Formulierungen
seiner Schüler.14 tatsächlich nicht; sie haben es nicht "mit realen
Fakten zu tun", sie sind nur· problematische Vorstellungen, nicht
Behaup.tungen des Vorhandenseins solcher Fakten.
Durch die Verwechslung von psychologischen Begriffen, im
Unters~hiede zu psychologischen Existentialsätzen, mit apriori-
schen Begriffen ergibt sich die Selbsttäuschung einer nicht-empi-
rischen Psychologie. Dieser methodische Mangel kann zwar für
die Einzelu:D.tersuchung folgenlos hleihen., führt jedoch immer die
Gefahr mit sich, einer Verfeinerung durch weitere Deskriptionen
mit dem Hinweis auf psychologische Wesenseinsicht einen Riegel
vorschieben zu können, und.· wurde tatsächlich zu einer der wirk-
samsten Stützen jener Disziplin, die sich als g e i s t e s w i s s e n-
s c h a f t l i c h e Psychologie bezeichnet, deren Inexaktheil der Korn-
14
Es ist durchaus nicht, wie Linke (Grundfragen der Wahrnehmungs-
lehre, München 1918, S. 2) meint, "inkorrekt" die phänomenologische Psycho-
logie als "begriffsanalytische" zu bezeichnen. In der Verwendung dieses Ausdrucks
:\ _,.
bei L i n k e kommt vielmehr das unwillkürlich zum Ausdruck., was die phäno-
menologischen Psychologen wirklich tun. Sie betreiben keine psychologische
"Sinnforschung" (6) sui generis, sie produzieren keine apriorischen Intuitionen,
sondern sie formulieren den Inhalt elementarer Beobachtungen in psycholo-
gischen Begriffen, die sie "analysieren". Linke täuscht sich also darin, daß er es
nicht mit "Beobachtungsergebnissen" in der phänomenologischen Psychologie zu
tun hat; er stützt sich allerdings nicht auf Ergebnisse komplizierter Experimental-
ordnungen, aber doch auf Beobachtungen im allgemeinen Sinne des Wortes.
Im Gegensatz zu L i n k e beschreibt ein anderer Phänomenologe, F. K a u f -
m a n n , die phänomenologische Methode als eine ;,ohne Erfahrungsgrundlage un-
denkbare Verdeutlichungsthematik". (Gesellschaft, Staat und Recht, K e I s e n -
Festschrift, Wien 1931, S. 30.) Zwar sind viele phänomenologische Analysen
nichts anderes als aus empirischen Begriffen folgende, sie insofern verdeutlichende
Konsequenzen, die sich irrtümlich für Wesensanschauungen halten. Ah.er einmal
entspricht dieser tatsächliche Sachverhalt nicht dem Programm der Phänomeno-
logie, und außerdem hat sie die Methode der Begriffsanalyse nicht nur an empi-
rischem, sondern ebenso an nicht-empirischem Material geübt, wie zum Beispiel
in S c h e I e r s Ethik und Religionsphilosophie.
21

plexität ihrer Objekte wenig gerecht wird. Dieser Grenzfall zeigt
deutlich, daß die phänomenologische Psychologie Empirisches
apriorisiert, woraus sich durch eine Verallgemeinerung ein aprio-
ristischer Einbruch in das Gebiet der Erfahrungswissenschaften
überhaupt ergehen muß, dem diese um so mehr ausgesetzt sein
werden, als sie sich noch in einem relativ-inexakten Zustand he--
finden (ll, 3.). Aber diese Zusammenhänge werden sich erst nach
Erörterung der voll ausgebildeten phänomenologischen Methode
ganz übersehen lassen.
c) Intuitionismus und wissenschaftliche Philosophie.
Das Moment des Deskriptiven, das in dem paradoxen Postulat
einer "deskriptiven W esenslehre" wiederkehrt, -bildet das V er-
hindungsglied der apriorischen Phänomenologie H u s s e r I s mit
der empirischen S tu m p f s , deren optische und akustische
Gegenstände von H u s's er I immer wieder zur Exemplifizierung
einfacher W esens~rusammenhänge herangezogen werden. Zur
systematischen Gewinnung der W esensanschauungen, die primär
nicht im Dienste der Erfahrungswissenschaften, sondern vielmeh,r
eines strengen Aufhaues der Philosophie stehen, hat Husse r I
eine .eigene Methode ausgebildet: die Methode der phänomeno-
logischen Reduktionen. Sie ist der eigentlich-theoretische Kern
der gesamten phänomenologischen Philosophie; ihre Aus-, Umbil-
dung und Anwendung determiniert den wissenschaftlichen Ent-
wicklungsgang der phänomenologischen Schule. Erst die Reduk-
tionsmethode umreißt die Forderung einer p s y c h o I o g i e-
) f r e i e n Bewußtseinsforscihung, als welche die eidetischen Intui-
tionen aufzutreten beanspruchen, genau genug, um sie einer ab-
schließenden Beurteilung zugänglich zu machen.
22
Um Sinnes.anschauungen zu vollziehen, dazu sind keine kom-
plizierten V orhereitungen erforderlich; anders bei den Wesens-
anschauungen, die gemäß der methodischen Vorschrift H u s s er 1 s
nur nach solchen Vorbereitungen vollziehbar sind. W eieher Grund
veranlaßt H u s s e r I aber überhaupt, die Philosophie als i n tu i-
t i v e Disziplin aufzuhauen? Die bisherigen Leistungen der In-
tuitionsphilosophie, die seit P I a t o immer wieder zum Mysti-
zismus führte, sind doch nicht geeignet, eine wissenschaftliche
Philosophie zur Beschreitung dieses Weges zu ermuntern; und
eines der gesichertsten Ergehnisse der Vernunftkritik K an t s ist
der Satz von dem Nichtbestehen einer i n t e ll e k tu e ll e n A n -
schau u n g, den Husse r I gleichwohl als schwersten Fehler
K an t s bezeichnet. Diese Sicherheit des Urteils muß ein zunächst
wenigstens durchschlagendes Argument für sich haben: H u s-
s er I formuliert es mit seinem "Prinzip aller Prinzipien", dem-
gemäß "ein absoluter Anfang" in der Philosophie, wie in der Wis-
senschaft überhaupt, ein intuitiver sein müsse. Der Philosoph kann
es hiernach nur dann mit dem Naturforscher an Strenge auf-
nehmen, wenn er einem der Erfahrung "parallelen Prinzip" folgt.
Erfahrung beruht aber auf Sinnesa~chauung; folglich müßte die
Philosophie auf einer "p~allelen" Anschauung, auf einer philo-
sophischen, wie H u s s e r I sagt, Wesensanschauung beruhen. Die
Orientierung an der Naturforschung gibt also Husse r I die
Sicherheit bei seinem Postulat der Intuitionsphilosophie, und es
wird sich daher fragen, oh diese Form der philosophischen Orien-
tierung an der Naturwissenschaft berechtigt ist. Der Gedanke, die
Sicherheit der Erfahrung, die in der naturwissenschaftlichen Exakt-
heit ihren konzentriertesten Ausdruck findet, für die Philosophie
als Vorbild zu wählen, wird auf jeden Fall seine positive Bedeu-
tung behalten; denn eine andere Orientierung gibt es für die wis-
23
senschaftliehe Philosophie nicht15 • Die programmatische Grund-
überzeugung der Phänomenologie, daß "nur durch Rückgang auf
die originären Quellen der Anschauung u~d auf die aus ihr zu
schöpfenden Wesenseinsichten die großen Traditionen der Philo-
sophie nach Begriff und Problemen auszuwerten sind", hat aber
noch ein elementareres Argument für sich, als es die Analogisie-
rung mit der Naturwissenschaft ist; und zwar den einfachen
logischen Gedanken, daß für die' philosophischen Grundsätze eine
u nm itt eIh ar ~ , d. h. nicht weiter zurückführbare Erkenntnis-
grundlage angegeben werden muß, die, wie es H u s s e r I einmal·
formuliert, im "Gegensatz zur Mittelbarkeit eines unanschaulichen,
etwa eines symbolisch-leeren Denkens" steht. Die Unmittelbarkeit
dieser Erkenntnisgrundlage setzt H u s s e r I nun damit gleich, daß
sie ihre Gegenstände "nach ihrer intuitiven Selbstgegehenheit" er-
fasse, daß sie also selbst eine, wenn auch nicht sinnliche, so doch
e i d e t i s c h e I n tu i t i o n sei. Die berechtigte Ablehnung einer
dogmatischen Urteilsevidenz als Kriterium der Wahrheit führt
H u s s e r I zu der Annahme einer nichturteilsmäßig gegebenen
und in diesem Sinne unmittelbaren "Schau" ·als konstitutivem Prin-
zip der Philosophie16• Die Aufweisung der heuristischen Gesichts-
15
In diesem Gedanken begegnet sich H u s s e r 1 mit der kritischen Philo·
sophie, nur mit dem Unterschied, daß K a n t die Analogie zwischen Philosophie
und Naturwissenschaft in ihrer 1 o g i s c h e n Verwandtschaft als strengen
Wissenschaften erblickt, jedoch nicht in einer gleichartig-intuitiven Erkenntnis-
grundlage. Während H u s s e r I sich bemühte, K a n t in intuitiver Richtung
fortzubilden, sChlugen die Neukantianer Co h e n und Nato r p den entgegen·
gesetzten Weg ein, indem sie die reine mathematische Anschauung K a n t s in
"reines Denken" umzuformen suchten, allerdings im Widerspruch zu Grund-
intentionen K an t s und ohne E~folg.
16
Den Begriff des konstitutiven Prinzips, d. h. der "Erkenntnisquell!l des
in den Urteilen einer Wissenschaft ep.thaltenen Wissens" ·entnehme ich der
Abhandlung von N e 1 s o n über "Die kritische Methode und das Verhältnis der
24
punkte, die bei H u s s e r I zu einem intuitionsphilosophischen An-
Ii satz führen, zeigt zwar schon, daß dieser Ansatz nicht notwendig
aus ihnen folgt: das Analogieargument wie das logische Argument
zieht die Intuitionsphilosophie keineswegs mit logischer Not-
wendigkeit nach sich; aber aus dieser logischen Möglichkeit eines
anderen folgt natürlich nicht. die Unmöglichkeit des Intuitions-
ansatzes. Seine Möglichkeit oder Unmöglichkeit, seine wissen-
schaftliche Bedeutung überhaupt muß an ihm selbst nachge- ·
wiesen werden und das heißt zunächst an der R e d u k t i o n s -
m e t h o d e ·, dem Eingangstor zu den W esensanschauungen.
d) Die Reduktionsmethode.
Um dieses Tor zu durchschreiten, muß der Philosoph die
"phänomenologische epoche" vornehmen, die ihm jedes Urteil
über räumlich-zeitliches Dasein "völlig verschließt". Er bezweifelt
nicht mit D e s c a r t e s .die W e1t des Nicht-ich, er klammert ledig-
lich "die Generalthesis der natürlichen Einstellung" ein, in der
methodischen Absicht, in seinen Überlegungen von ihr keinen Ge-
brauch zu machen. Diese Vorschrift, konsequent ausgeführt, he-
sagt im Grunde nichts anderes als die Elimierung aller E x i s t e n -
t i a I u r t e i I e und ihre Ersetzung durch bloße Annahmen. Der
Philosoph behauptet von nun an als Philosoph nicht mehr, daß
es Planeten, physiches und psychisches Menschenleben, Natur-
gesetze, Moralität, Schönheit und Göttlichkeit gehe, sondern er
Psychologie zur Philosophie", Abhandlungen der Fries sehen Schule, N. F.
Bd. I, H. 1, S. 46.
In seiner Schrift "über das sogenannte Erkenntnisproblem", Göttingen
1908, S. 483, hat N e 1 s o n gezeigt, daß eine ·p s y c h o I o g i s c h e Evidenz-
definition kein Wahrheitskriterium und eine nichtpsychologische, o b j e k t i v e
Definition kein Evidenzkriterium enthält!. Diese Schwierigkeit bedingt es, da.B
H u s s e r I das Wort intuitiv sowohl im objektiven wie im subjektiven Sinne
verwendet.
25
läßt die Existenz dieser Gegenstände dahingestellt: Er sieht also
sein Wissen so an, als ob es bloß aus Annahmen bestände. Es ist
klar, daß durch das bloße Absehen von der Existenz keine Wesens-
hestimmung möglich ist. Ob die Existenz eines Gegenstandes zuge-
gehen wird oder nicht, hat auf die Erkenntnis seiner Eigenschaften
keinen Einfluß, und wenn also die phänomenologische Methode
nur in ·der Einklammerung besteht, dann ist mit ihr nur eine be-
langlose Modi:fikation des sonst schon gegebenen Wissens erreich-
bar, aber sicher keine W esenserkenntnis.
Diese Überlegung bleibt, solange nicht die Festsetzung: Wesen
= Eingeklammertes eingeführt wird, unabhängig davon, was man
sich unter W e s e n exakt denkt. Das Wesen eines Gegenstandes
ist jedenfalls als Gegensatz zu seinen zufälligen Momenten
definiert; die Abstraktion von der Existenz betrifft aber Zufälliges
und Wesenhaftes · in gleicher Weise, kann also auch zu ' keiner
Scheidung zwischen ihnen dienen. Von Wesen kann man typischer-
weise in einem drei f a c h e n Sinne sprechen. Wesen bedeutet
einmal überhaupt den Gegensatz zu einer Welt, in der es. Zufall
gibt. Wesen in diesem Sinne ist gleichbedeutend mit dem Abso-
luten, und eine philosophische Wesenserkenntnis dieser Art wäre
also ein~ Philosophie des Absoluten. Wesen bedeutet weiter die
Entgegensetzung zum Zufälligen beliebiger Dinge, insbesondere
auch räumlich-zeitlicher Erscheinungen: die Natur, die Substanz
von N atu~dingen, speziell die Naturgesetze. Eine dementsprechende
Wesensphilosophie wäre eine apriorisierte Erfahrungswissenschaft,
im günstigsten Fall eine methodisch schwankende Philosophie der
Erfahrungswissenschaften. Wesen bedeutet schließlich soviel, wie
logisch-notwendige Merkmale eines Gegenstandes, die also durch
seinen Begriff gedacht werden. Eine dieser Auffassung ent-
sprechende Wesensphilosophie ist eine Systematisierung von De:fi-
26
nitionen beliebiger Begriffe. Die Einklammerungsmethode kann
keiner dieser denkbaren Problemstellungen genügen: weder der
Philosophie des Absoluten, noch der apriorisierten Erfahrungs-
wissenschaft, noch der Philosophie der Erfahrungswissenschaften,
noch dem De:finitionensystem. Es müssen sich also von der postu-
lierten Methode bis zu ihrer Anwendung Z w i s c h e n g I i e d e r
einschieben, die der phänomenologischen Philosophie zu Ergeh-
nissen verhelfen, die mehr sind, als Verwandlungen von Existen-
tialbehauptungen in Annahmen.
e) Die Prävalenz der inneren Anschauung.
Eines dieser ZWischenglieder H u s s er I s ist die von ihm
zwar kritisierte, aber prinzipiell doch beibehaltene D e s c a r t e s -
B r e n t a n o sehe Lehre von der Prävalenz der inneren vor der
äußeren Wahrnehmung. H u s s e r 1 formuliert sie folgendermaßen:
,,Alles leihhaft gegebene Dingliche kann auch nicht sein, kein leih-
haft gegebenes Erlebnis kann auch nicht sein: das ist das Wesens-
gesetz, das diese Notwendigkeit und Zufälligkeit definiert." Dieses
Wesensgesetz ·leistet wohl seine De:finitlonsfunktion, aber es trifft
nicht zu, und zwar nicht etwa deshalb, weil es von jedem Materia-
listen geleugnet wird, sondern aus dem einfachen Grunde, weil
auch die Erlebnisse nur konstatierhare Fakten der "natürlichen
Welt" sind und daher widerspruchslos als nichtexistierend gedacht
werden können. Dies gilt auch für jenes Erlebnis, für jenen Denk-
akt nämlich, durch den man sich widerspruchslos die Nichtexistenz
der Erlebnisse denkt: denn seine Existenz, wie die aller anderen
Erlebnisse, wird nicht als logisch-notwendig durch Denken, son-
dern als zufällig-vorhanden durch innere Beobachtung erkannt.
Der schon D es c a r t e s täuschende Schein des Gegenteils entsteht
durch die Überlegung, daß man doch auch denken müsse, um die
27
Nichtexistenz alles Psychischen zu denken; dies bedeutet jedoch
entweder n.ur die Trivialität: wenn ich irgend etwas denke, muß
ich denken und sagt also nicht, daß wirklich gedacht wird, oder
setzt, als Existentialbehauptung verstanden, eine Beobachtung die-
ses Denkaktes voraus; und das Gegenteil dieser Behauptung bleibt,
wie das eines jeden synthetischen Urteils, immer denkbar. Trotz
dieser Sachlage ist die vermeintliche Prävalenz der inneren An-
schauung eine Voraussetzung mit Hilfe derer H u s s er l seine
Welt der W esenheiten zu bestimmen sucht. Nicht schon in der
Region der empirischen, sondern erst im Reich des r e in e n Be-
wußtseins sollen diese allerdings anzutreffen sein. Um jedoch von
diesem in jenes zu gelangen, dazu ist eben die phänomenologische
Reduktion da. Wir abstrahieren einfach von der Realität der
psychischen Akte des V orstellens, Interessierens, W ollens, des psy-
chischen Lehens überhaupt, und schon eröffnet sich uns das Feld
des absoluten Bewußtseins, des transzendentalen Ichs, dessen .,Er-
forschung die üherschwenglich große, aber durchaus angreifbare
und stufenweise zu lösende Aufgabe der transzendentalen Phäno-
menologie ist": die beabsichtigte Bestimmung der Phänomenologie
als psychologiefreier Bewußtseinsforschung ist erreicht, das reine
Bewußtsein, dieses Korrelat einer vermeintlich ausgezeichneten
empirischen Seinsphäre, ist das "phänomenologische Residuum"
der eingeklammerten Welt, seine spezielle Untersuchung kann .he-
ginnen17. Diese Verwandlung des empirischen in das absolute Be-
17
Unter dem H u s s er 1 sehen Gesichtspunkt muß man also unterscheiden:
empirische Psychologie, apriorische Psychologie und transzendentale Phäno-
menologie, von denen nur die erste eine Naturwissenchaft ist. Die methodische
·Verwirrung der geisteswissenschaftlichen Psychologie kann man an der mit ihr
sympathisierenden Darstell~g von S e i f e r t ermessen (Handbuch der Philo-
sophie, Bd. 3, daraus: Psychologie, Metaphysik der Seele, S. 90 ff., München und
Berlin 1931).
28
wußtsein durch Existentialabstraktionen gibt die gleichen Rätsel
auf wie die Transformation sonstiger Tatsächlichkeiten in Wesen.
Daß sich durch diese Manipulation an die Stelle des wirklichen
ein Bewußtsein schiebt, dessen Realität dahingestellt bleibt, das
ist das einzige, was einleuchtet; wie aber auf diese Weise eine -
Wissenschaft konstituiert werden soll, "von derem gewaltigem Um-
fang die Zeitgenossen noch keine Vorstellung haben", das :bleibt
völlig im Dunkeln, es sei denn, daß man die Gewaltigkeit ihres
Umfanges darin erblickte, nunmehr psychologische und so:nstige
Behauptungen nach geeigneter Umformung. in phänomenologische
Terminologie übertragen zu können. Diese Vermutung wird von
H u s s e r I selbst völlig bestätigt, indem er nicht nur eine Phäno-
menologie "des naturwissenschaftlichen Bewußtseins", ,,sondern
auch eine solche der Natur selbst", in specie eine .Phänomenologie
"des Menschen", "des sozialen Geistes", der "gesellschaftlichen Ge-
staltung", schließlich auch der ethischen, ästhetischen und reli-
giösen Gegenstände fordert, so daß es also wirklich kein Gegen-
standsgebiet gibt, auf das die Phänomenologie nicht irgendwelche
Ansprüche erhöhe.
Daß H u s s er I die Aufgabe einer "deskriptiven Wesenslehre
der reinen Erlebnisse" in den Vordergrund stellt und erst in
zweiter Linie die dieser Disziplin zugeordnete Gegenstandsphäno-
menologie, das heißt die entsprechenden "formalen und materialen
Ontologien" postuliert, findet seinen allgemeinsten Grund in H u s-
s e r I s Problemstellung der Philosophie, wie sie noch unabhängig
von seinem Intuitionismus vorliegt. Seine Idee absoluter Erkennt-
nis verlangt nämlich zweierlei: Erkenntnistheorie und Ontologie,
"letzte Begründung" und Wissenschaft vom Absoluten. Das Postu-
lat der letzten Begründung führt H u s s e r I zunächst auf eine
allgemeine Theorie der Erkenntnis und der logischen Erkenntnis
29
insbesondere. Daß die Ausführung des H u s s e r l sehen Werkes
über diese Untersuchungen hisher nicht hinausgelangt ist, ist
durch sein Streben nach höchster Exaktheit bedingt, das, wenn
auch auf begrenztem Gebiet, so doch Grundlegendes schaffen
will. Die erkenntnistheoretische Problemstellung H u s s e r l s ent-
hält jedoch eine wichtige, auch für die Entwicklung seiner Schule
bedeutungsvolle Zweideutigkeit. Fordert sie nur eine Deskription
der Erkenntnis oder will sie zugleich eine Begründung aller Er-
kenntnis liefern? Für den ersten Fall ist das Prinzip der eide-
tischen, der nicht-empirischen "Deskription" unbegreiflich, das
H u s s e r I mit der ausdrücklichen _Begründung einführt, die
Phänomenologie könne als "Grundwissenschaft der Philosophie"
keine Erfahrungswissenschaft sein. Im zweiten Fall verfällt aber
auch H u 8 s e r I der allgemeinen erkenntnistheoretischen Schwie-
rigkeit eines regressus ad infinitum: denn wenn es sich um die
Begründung aller Erkenntnis handelt, wie sollte dann die Wesens-
anschauung davon ausgenommen werden können? H u ss er I s
Antwort auf diese ihm wohl bewußte crux, die transzenden-
tale Phänomenologie beantworte die Frage nach ihrer Möglichkeit
durch sich seihst, vermag nicht zu genügen: diese Antwort durch-
haut den erkenntnistheoretischen Knoten. sie löst ihn aber nicht.
Nimmt man, wie H u s s e r l es tut, die erkenntnistheoretische Pro-
blemstellung prinzipiell auf, dann ist die Annahme einer "letztbe-
gründenden Erkenntnis" unmöglich18 • Andererseits bedeutet deren
18
Auf eine . halsbrecherische, aber für den Intuitionismus sehr charakte-
ristische Art und Weise sucht sich I r m g a r d e n den Schlingen der Erkenntnis-
theorie zu entziehen. Nach Ir m gar den ist "jede Möglichkeit einer Täuschung
bei der Intuition des Durchlebens prinzipiell ausgeschlossen", da die Intuition
"eine Art Sympathie", ein "Sichhineinversetzen = in" "und ein Zusammen-
fallen = mit dem Gegenstand" ist (Jahrbuch für Philosophie und phänomeno-
logische Forschung, Bd. IV, S. 564; Bd. V, S. 378). Diese mystische Konstruktion
30
Einführung bei H u 8 s er I emen Ansatz zur Sprengung des Rah-
mens einer Erkenntnistheorie im Sinne eine's Beweises der Gültig-
keit der Erkenntnis überhaupt und insofern die Überwindung einer
logisch urihaltharen Problemstellung.
H u s s e r I gibt aber noch eine weitere Auszeichnung der Er-
kenntnisphänomenologie an und zwar den p h ä n o m e n o I o -
g i s c h e n I d e a I i s m u s-, den er als essentielles Prinzip der
Phänomenologie überhaupt ansieht. Es besagt, daß alles Sein .
"seine Seinsgeltung aus der transzendentalen Subjektivität" emp· /
. "\
fange, daß es "im absoluten Bewußtsein" konstituiert werde, ohne \
indessen mit ihm zusammenzufallen.
Unter der Voraussetzung dieser Lehre gewinnt die Bewußt-
seinsphänomenologie auch einen ontologischen Sinn: sie ist Phä-
nomenologie des "sinngebenden Bewußtseins", "das seinerseits abso-
lut und nicht wieder durch Sinngebung ist". Sie ist damit Onto-
logie einer ausgezeichneten, nämlich allein als absolut vorausge-
setzten Sphäre. Den Charakter der Selbstverständlichkeit erhält
der phänomenologische Idealismus jedoch nur durch eine einfache
Selbsttäuschung. Daraus nämlich, daß man über, Seiendes nur ur-
teilen kann, indem man urteilt, aus dieser Identität folgt keines-
wegs eine Abhängigkeit des Beurteilten vom Urteil oder gar vom
reinen Bewußtsein. H u s s e r I sagt einmal über sein reines Be-
belegt es ausgezeichnet, wie leicht es der Intuitionist hat, von der Wissenschaft
zur Phantasie hinüherzuwechseln.
Die erschöpfendste Kritik des erkenntnistheoretischen Zirkels und seiner
Erscheinungsformen bleibt die Schrift von Ne h o n "Über das sogenannte
Erkenntnisproblem", Göttingen 1908. WennSchI i c k (Allgemeine Erkenntnis-
lehre, 2. Auflage, Berlin 1925, S. 83) durch seine WOrtunterscheidung von Kennen
und Erkennen den "Beweis der Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie" widerlegt
zu haben glaubt, so kommt darin zum Ausdruck, daß S c h I i c k das Beweis-
argument, die Einsicht in die Unvermeidlichkeit von Prämissen für jeden, also
auch .für den erkenntnistheoretischen Schluß, verkennt.
31
wußtsein: "Es ist die Urkalegorie des Seins überhaupt (oder· in
unserer Rede die Urregion), in der alle andern Seinsregionen wur-
zeln, auf die sie ihrem Wesen nach bezogen sind, von der sie daher
wesensmäßig alle abhängig sind." Die unbegründete Kühnheit, mit
der hier aus der Trivialität des Bezoge~seins allen Seins, nämlich
als Gegenstand, auf ein Bewußtsein, nämlich als Inhalt, eine Ab-
hängigkeit, die mehr als diese Intentionalitätsheziehung ist, und
insofern eine Ahsolutheit des rej.nen Bewußtseins gefolgert wird,
kann dadu~ch verschleiert werden, daß man kurzerhand das logisch
nicht Einsichtige als Wesenserkenntnis diktiert. Eheuso steht es
mit dem anderen Satz: "Alle realen Einheiten sind Einheiten des
Sinnes", der, wenn man ihn noch so vorsichtig gebraucht, eine
. äußerst mißverständliche Formulierung darstellt. Reale Einheiten
werden durch Einheiten des Sinnes, zum Beispiel des Sinnes· von
Sinnesanschauungen erfaßt, sie sind aber nicht notwendig seihst
Sinneinheiten. Sie als solche zu beschreiben, ist keine intuitive
Aufweisung, sondern eine de~ Intentionalitätsprinzip wider-
sprechende Verwirrung von Inhalt und Gegenstand des erkennen-
den Bewußtseins, genau so wie der reine Solipsismus, von dem sich
H u s s e r I ausdrücklich distanziert19 •
f) Beispiele.
Mit dem Satz vom Entspringen allen Seins aus dem seihst aller
Realität baren Gegenstand der problematischen Vorstellungen des
19
Der phänomenologische Idealismus wird von L i n k e (1. c., 2. Auflage,
S. 368 ff.) abgelehnt. Linkes "Gegenstandsphänomenologie", die er Husse r I s
"Erlebnisphänomenologie" entgegensetzt, ist jedoch, wie Link e anerkennt,
schon in dem allgemeinen Programm H u s s e r I s enthalten.
Weitgehend richtig hatWund t (Kleine Schriften. Bd. I, Leipzig 1910) die
Phänomenologie beurteilt, insbesondere ihre "Absorption des Psychischen durch
das Logische" (574), "ihre Psychologie ohne Psychologie" (580}, die auch D ri es c h
(Philosophische Forschungswege, Leipzig 1930, S. 18 ff.). treffend kritisiert.
32
,.,,
Bewußtseins und seiner Inhalte (denn nichts anderes ist das "reine
Bewußtsein") 20 , befindet man sich im Beginn seiner phänomenolo-
gischen Analyse. Da es nun aber nach Husse r I "Wesenswahr-
heiten verschiedener Allgemeinheitsstufe" gibt, entsteht das Problem,
auch synthetische Wesensintuitionen über die reinen Bewußtseins-
inhalte zu entwickeln. Hierfür zwei elementare Beispiele: Bei der
Analyse der visuellen Wahrnehmung stellt H u s s e r l folgende
eidetischen Sätze-auf: "Jede Dingwahrnehmung hat einen Hof von
Hintergrundsanschauungen"; überhaupt gehöre zum Wesen der
Wahrnehmung "jene merkwürdige Modifikation ..., die Bewußtsein
im Modus aktueller Zuwendung in Bewußtsein im Modus der In-
aktualität" überführe und umgekehrt. Daher könne "der Erlebnis-
strom ... nie aus lauter Aktualitäten bestehen". Diese Sätze gehen
sämtlich von introspektiven Beobachtungen aus, die zur Grundlage
für die Formulierung psychologischer N a tu r g es e t z e gemacht
werden. Als unbestrittenes Beispiel eines Naturgesetzes gibt näm-
lich Husse r l seihst die Beziehung an: Alle Körper sind schwer.
Orientiert man sich hieran, so muß die Beziehung: Alle Wahr·
nehmungen sind mit Hintergrundsanschauungen verbunden oder
allgemeiner: In dem Erlebnisstrom wechseln Aktualität und In-
aktualität miteinander ah, gleichfalls als Naturgesetz anerkannt
werden. H u s s e r I versucht dieser Konsequenz dadurch zu ent-
gehen, daß er das in der Wahrnehmung liegende "Erfassen" von
Etwas als "Herausfassen" bestimmt und so scheinbar unabhängig
von einer Erfahrung der Hintergrundsanschauungen mit Apodik-
tizität sein Wesensgesetz von den "Hintergrundsanschauungen" ge-
winnt. Aber dieses Verfahren verdeckt nur eine tatsächlich zu-
20
Die Fiktivität des reinen Bewußtseins hat K r a u s in seiner Einleitung
zum 2. Band der B r e n t an o sehen Psychologie (Philosophische Bibliothek.
Bd. 207, Leipzig 1928, S. XXII) eindringlich hervorgehoben.
3 Kraft, Von Husserl zu Heidegger 33
;.
grundeliegende psychologische Konstatierung, sie vermag diese
Konstatierung keineswegs üher:ßüssig zu machen. Ob übrigens die
als Wesensintuitionen vorgetragenen psychologischen Zusammen-
. \
hänge wirklich vorliegen, ist eine Frage für sich, die sich in diesem
Fall mit gewissen Einschränkungen bejahend beantwortet, weil es
sich um Zusammenhänge handelt, die aus Grundtatsachen des er-
kennenden Geistes folgen.
Dies gilt für das zweite Beispiel, nämlich für die Theorie der
Noesis und des Noemas, nur mit bedeutend stärkeren Einschrän-
kungen. Gemäß dem Intentionalitätsprinzip unterscheidet H ~ s -
s e. r 1 "zwischen eigentlichen Komponenten der intentionalen Er-
lebnisse und ihren intentionalen Ko~elaten", oder was dasselbe he-
sagt, zwischen noetischem und noematischem Gehalt. Und für diese
Gehalte, also für Inhalt und Gegenstand, formuliert H u s s e r I
"das sich überall bewährende W esensgesetz": "kein noetisches Mo-
ment ohne ihm spezifisch zugehöriges noemarisches Moment". Die-
ses Gesetz enthält zunächst eine neue Formulierung des bereits
angeführten _analytischen Satzes, daß jede Vorstellung in sich Vor-
stellung von Etwas sei, also eine mit dem Begriff der Vorstellung
logisch-feststehende Wesenswahrheit, eine solche, "die nicht weg-
gedacht werden kann" (Husse r 1). Aber die neue Terminologie
"noetisch-noematisch" verbindet mit dieser Wahrheit angreifbare
Vorimssetzungen. Das noetische Moment, der Sinn des Erlebnisses,
den Hu s s e r I auch einfach und eindeutig als Inhalt bezeichnet,
ist nämlich als nichtreelle Erlebniskomponente bestimmt und zwar
als nichtreell unabhängig von einer etwa vorgenommenen Reduk-
tion; auch das Noema, z. B. "das Wahrgenommene als Solches, das Er-
innerte als Solches, das Geurteilte als Solches", bestimmt H u s s e r 1
als Sinn, genauer als "gegenständlicher Sinn". Beides, der no.etische
und noematische Sinn, sind jedoch unhaltbare Konstruktionen.
34
Der S i n n einer bestimmten Vorstellung ist nichts anderes, als
eine ihr spezifische Qualität, die sie zu dieser bestimmten Vor-
stell~g macht. Eine Vorstellung besitzt einen Sinn, so wie ein
Körper eine Farbe: nur ist der Sinn eine psychische, die Farbe
eine physische Qualität. Eine Qualität könnte man höchstens in
dem Sinn "irreal" nennen, als sie nur an etwas, aber nicht ohne dies,
für sich bestehend, auftreten kann. Diese Irrealität besteht also
in ihrer spezifischen Unselbständigkeit, jedoch nicht in ihrer Zu-
gehörigkeit zu einem Reich der "Irrealitäten". Zu der Annahme
eines solchen Reiches wird H u s s e r 1 infolge seines phänomeno-
logischen Ideali.smus gedrängt, demzufolge die klare Unterscheidung
von Inhalt und Gegenstand verwischt wird. Infolgedessen überträgt
sich auch die nichtfaktische Natur der mathematisch-philosophi-
schen Gegenstände auf die sie erfassende Erlehnisinhalte, die dann
plötzlich als nichtreelle Komponenten erscheinen, wobei noch ihre
Gegenstände zu Sinneinheiten umgedeutet werden. .Dazu kommt
als zweite Fehlerquelle die Zweideutigkeit des Ausdruckes "Sinn".
Sinn bedeutet einmal soviel wie Inhalt und ist dann eine nur durch
introspektive Konstatierung erkennbare psychische Qualität. Sinn
bedeutet aber weiter soviel wie Gesetz, das erfüllt sein muß, damit
ein psychischer Inhalt mit Grund auf Objektivität Anspruch er-
heben kann. So spricht man von einem lo<Tischen Sinn der für
' o- '
Urteile, und von einem ethischen Sinn, der für Handlungen gilt
und unterscheidet dann sinnvolle und sinnlose Urteile, h~ziehungs­
weise Handlungen. Wie beschaffen aber auch das Verhältnis ge-
gebener Urteile und Handlungen zu den für sie gültigen Gesetzen
sein mag, sie sind nie selbst diese Gesetze und verharren, mögen
sie richtig oder falsch, gut oder schlecht sein, im Bereich des
Psychischen.
Diese Unterschiede nicht beachtend, proklamiert jedoch H u·s-
3*
35
s e r I den Satz: "Alles, was dem Erlebnis rein immanent und
"Beseelende Funktionen" greifen erst dort ein, wo zur Auffassung
reduziert eigentümlich ist" (und dazu gehören Noesis und Noem~),
der sinnesanschaulichen Qualitäten die Bestimmung anderer Mo-
"was von ihm, so wie es in sich ist, nicht weggedacht werden kann
mente des Gegenstandes hinzutritt, z. B. seiner Gestalt und seiner
und in eidetischer Einstellung eo ipso in das Eidos übergeht, ist
Stellung in einem naturgesetzliehen Zusammenh~ng.
von ~ller Natur und Physik und nicht minder von aller Psychologie Aber die
Untersuchung der verschiedenartigen Erkenntnisse, die etwa zur
durch Abgründe getrennt - und selbst dieses Bild als natura-
Bestimmung eines materiellen Dinges zusammentreten müssen, hat
.
listisches, ist nicht stark genug, den Unterschied anzudeuten" · H"Ier
sich die Phänomenologie durch ihr intuitionistisches Axiom weit-
liegt in Wirklichkeit ein Schulfall dafür vor, wie eine tiefe Ent-
gehend verhaut, das sie vor allem den Reflexionselementen gegen-
deckung gerade dort vermutet wird, wo sie sicher nicht vorliegt.
über blind macht.
Das ganze antinaturalistische Pathos bezieht sich im Grunde auf die
V ergleicht man das Vorgehen der Erlebnisphänomenologie
Verteidigung der Wahrheiten a priori gegenüber einer Grenzüber-
mit der für sie entwickelten Reduktionsmethode, dann zeigt es
schreitung der Tatsachenkenntnis. Aber der Apriorismus ist keines-
sich, daß als Zwischenglieder von dieser zu jener nicht nur die
wegs dadurch bedroht, daß man Begriffe psychologischer Quali-
Prävalenz des Psychischen und der phänomenologische Idealis-
täten nicht für philosophische Sätze hält. Vielmehr mißversteht er
mus auftreten, sondern außerdem noch eine. über das Prinzip der
sich selbst, wenn er eine Region der Erfahrung entrissen zu haben
Existentialabstraktion hinausgehende Abstraktionsreget ·Diese Ah-
glaubt, die ihr der Natur der Dinge nach nicht entrissen werden
straktionsregel findet sich nirgends explizit formuliert, aber sie
kann.
läßt sich zum Teil rekonstruieren. Wenn H u s s er 1 Eidos und Be-
An die Fiktion der irrealen noetischen Komponente schließt
griff, Eidos und Nichtwegdenkbares gleichsetzt, dann haben wir
sich noch eine charakteristische Konsequenz an. Erst durch die
es mit der Ahstraktions.regel zu tun, alles Logisch-Zufällige eines
irrealen sollen nämlich die realen (auch hyletisch genannten)
Gegenstandes hinwegzudenken. Wenn dagegen eine materiale W e-
Komponenten, z. B. visuelle Inhalte, "beseelt" werden. Erst durch
sensregion postuliert wird, dann fehlt bei H u s s e r I eine analoge
die Noesis soll der hyletische Bestandteil zur Erkenntnis, etwa zum
Regel, und an ihre Stelle treten irgendwelche Gedankenfolgen, die
W ahrnehmungshewußtsein von einem Baumstamm, z. B. von der
mehr oder minder folgerichtig auf nicht-logische, aber dennoch
F arhe des Stammes, werden. Im Gegensatz zu dieser Theorie zeigt
.apodiktische Behauptungen führen. Diese Überlegungen, die der
die psychologische Realität einer visuellen Anschauung keinen
individuellen Willkür der Intuitionisten einen besonders weiten
Grund zur Annahme solcher beseelenden Funktionen. Vielmehr
Spielraum gewähren, treten allerdings bei H u s s er 1 infolge seiner
erweist sich die Wahrnehmung eines Baumes unmittelbar als Er-
Bevorzugung des Logisch-Einleuchtenden zurück, aber sie sind auch
fassung seiner Farhenqualitäten. Diese Wahrnehmung hat insofern
von ihm methodisch zugelassen und gelegentlich verfolgt worden.
bereits einen bestimmten Inhalt und bezieht sich auf einen he-
Immerhin wird die logische Methode auch bei ihrem Ergebnis
stimmten Gegenstand: sie ist also Erkenntnis der Farhenqualitäten. ·''
nach material gerichteten, phänomenologischen Untersuchungen
36
37
angewandt werden, da ihr Anspruch, Wesensanschauungen wissen·
schaftlieh aufzwingen zu können, zunächst noch am: meisten ein-
leuchtet. Hieran erweist es sich klar, wie wenig Grund die Phäno-
menologen haben, von einer philosophischen Anschauung zu spre.
chen. Sofern sie sich überhaupt der Formen wissenschaftlicher Be-
gründung bedienen und nicht einfach philosophische Behauptungen
dekretieren, sind sie vielmehr die echten Logizisten 21
•
g) Philosophiegeschichtliche Analogien.
V ergleicht man den phänomenologischen Intuitionismus mit
F i c h t e s und S c h e ll i n g s intellektueller Anschauung, so
fällt neues Licht auf ersteren. Diese systematisch naheliege~de Zu-
sammenstellung wurde hisher gegenüber einer Verfolgung des
historischen Ursprungs der H u s s er I sehen Lehre vernachlässigt,
obwohl die systematische Frage für die philosophische Beurteilung
der Phänomenologie doch viel wichtiger ist. Was gerade den V er-
gleich mit Fichte und S c h e 11 in g so nahe legt, ist .die Tat·
sache, daß heide nicht nur lntuitionisten sind (dieser Bedingung .
genügen auch P I o t i n mit sehter Ekstase und B er g s o n mit
seiner intellektuellen Einfühlung), daß sie nicht nur eine intuitive
Philosophie des Absoluten erstreben, sondern, wie H u s s e r I , die
Oi Wenn S c h I i c k bemerkt, die phänomenologische Methode beruhe auf
"der ·allbekannten Unterscheidung zwischen Existenz und Essenz, zwischen
Dasein und Wesen" (Allgemeine Erkenntnislehre, 2. Auflage, Berlin 1925, S.128),
so liegt hierin zwar die Erkenntnis des Reflexionscharakters ihrer vermeint·
liehen Intuition, aber es fehlt die Einsicht in die Unbestimmtheit ihrer Abstrak-
tionsregeln. Diesen Mangel der Reduktionsmethode hebt dagegen H ö n i g s -
w a l d klar hervor, der feststellt, daß nach vollzogener Reduktion "das Schauen
dem Schauenden - methodenlos und kriterienfrei - iiberlassen" bleibe (Grund·
fragen der Erkenntnistheorie, Tübingen 1931, S. 39; vgl. auch das Beispiel
auf S. 72).
38
Argumente K a n t s gegen den Intuitionismus zur Kenntnis ge-
nommen haben und sich über sie hinwegsetzen.
F i c h t e s22 Wissenschaftslehre (der K a n t ihren unendlichen
Regreß nachgewiesen, und von der er erklärt hatte, daß er sie "für
ein gänzlich unhaltbares System halte") behauptet, auf intellek-
tueller Anschauung zu beruhen und zwar auf "einem Wissen vom
Wissen" "durchaus mit einem Blick". Hiermit spricht F i c h t e
die typische Verwechslung von introspektiver Beobachtung und
intellektueller Anschauung aus, die er wiederholt, wenn er diese
als "das unmittelbare Bewußtsein, daß ich handle" bezeichnet und
damit glaubt, den "einzigen festen Standpunkt für alle Philosophie"
gewonnen zu haben. Auch die für den Intuitionismus charakte·
~istische ~ersicherung der Unwiderleglichkeit fehlt h~i F i c h t e
nicht: "Das also, was nun wirklich Wissenschaftslehre ist, kann von
einem vernünftigen Wesen nicht widerlegt, ihm kann nicht wider-
sprochen, es kann daran nicht einmal gezweifelt werden ..." Daß
das Wissen der intellektuellen Anschauung schließlich als Gott
selbst erscheint, wenn auch als "Gottes Seyn außer seinem Sein"
rundet die Analogie ~u der Region des "absoluten Bewußtseins", in
dem sich alle Realität konstituiert, befriedigend ab.
Auch S c h e ll i n g s23 Lehre vom "fortwährenden Potenzieren
der Selbstanschauung, deren erster Akt das Zusammentreffen von
Objekt und Subjekt durch ihr Zusammenfallen erklären soll,
nimmt ihren A~sgangspunkt von einer Umdeutung der introspek-
tiven Beobachtung. Systematisch bemerkenswert ist der Ästheti·
zismus S c h e ll i n g s , der ihn von F i c h t e unterscheidet, und
den er in dem Satz formuliert: "Der eigentliche Sinn, mit dem diese
22
Sämtliche Werke, Bd. 2, herausg. von J. H. Fichte, Berlin 1845,
sämtliche Werke, Bd. 2, herausg. von M e d i c u s , Leipzig 1912.
23
Sämtliche Werke, Stuttgart und Augsburg, 1858, Bd. 3.
39
 r
I

Art der Philosophie aufgefaßt werden muß, ist also der ästhe-
tische, und eben darum, die Philosophie der Kunst das wahre Or-
ganon der Philosophie." Und hieran knüpft sich als Konsequenz
die clausula salvatoria: "alles vorgehliehe Nichtverstehen jenes
Philosophierens hat seinen Grund nicht in seiner eigenen Unver-
ständlichkeit, sondern in dem Mangel des Organs, mit dem es auf-
gefaßt werden muß".
Eine ästhetisierende Ausdeutung der Wesensanschauung tritt
in der phänomenologischen Schule erst bei S c h e I e r und H e i -
d e g g e r auf, während H u s s e r I diese Vermengung von Phan-
tasie und Erkenntnis streng verpönt24 •
Jedenfalls ist aber auch ihr Ästhetizismus der Phänomenologie
von der Geschichte der Philosophie schon vo~demonstriert worden.
Mit H e g e I , der die Fiktion der intellektuellen Jnschauung
durch die seiner dialektischen Logik ersetzt, wird zwar der Intui-
tionismus F i c h t e s und S c h e ll i n g s verlassen, es bleibt aber
die Philosophie des Absoluten mit ihrer charakteristischen Lehre
vom höheren Wissen, vom Eindringen in das Wesen der Dinge,
schließlich/vom Zusammenfallen des Denkens mit dem Gedachten
im "konkreten Begriff": von der Phänomenologie eines "üherindi-
viduellen" Geistes, die damit Metaphysik des Alls der Dinge wird -
gleichfalls in unverkennbarer Verwandtschaft mit H u s s e r I s An-
satz .vom absoluten Sein des transzendentalen · Bewußtseins, mehr
aber noch mit Konstruktionen S c h e I e r s und H e i d e g g e r s.
24
Dagegen kommt z. B. G e i g e r der Lehre vom Mangel des Organs sehr
nahe, wenn er der phänomenologischen Methode eine "aristokratische Natur"
zuspricht und den Fall in Erwägung zieht, daß "selbst die Wesensmomente, die
andere bereits erschaut haben, derjenige nicht wird erschauen können, dem die
Begabung hierfür fehlt" (Zugänge zur Ästhetik, Leipzig 1928, ,S. 152). Man
bedenke demgegenüber die Forderung K an t s, daß die Kritik der Vernunft
"bloß aus dem Standpunkt des gemeinen, nur zu solchen abstrakten Unter-
suchunge~ hinlänglich kultivierten V erstand es zu betrachten ist".
4. Z ur p h ä n o m e n-o I o g i s c h e n L o g i k.
H u s s er I s Beiträge zur Logik gehören zu jener Klasse auf-
rüttelnder philosophischer Schriften, die unwiderleglich die Un-
vollkommenheit einer Wissenschaft beleuchten, derer man sich
sicher zu sein glaubte. Dieser kritischen Leistung entspricht aller-
dings kein ihr adäquater positiver Ansatz, obwohl auch in dieser
Richtung von H u s s e r I Anregungen gegeben wurden, die jedoch
hisher _nicht in aufhauender Wei~e weitergewirkt haben; ja, seihst
die kritischen Ergehnisse H u s s e r I s sind keineswegs Allgemein-
gut der Wissenschaft geworden. Die an diese Ergehnisse anknüpfen-
den Schlagworte, z. B. das beliebteste: "Psychologismus", können
trotz ihrer V erhreitung nicht als Index für ein Durchdringen des
Gedankens angesehen werden.
H u s s e r I setzt bei einer Kritik der zur Zeit seines Auftretens
vorherrschenden logischen Systeme ein, und man kann das prin-
zipielle Ergebnis dieser Kritik in zwei Sätzen zusammenfassen:
I. Die Logik ist keine Psychologie des Denkens.
2. Die Logik ist keine normative Wissenschaft.
Den Beweis hierfür führt H u s s e r I durch eine subtile V er-
gleichullg der entgegengesetzten Behauptungen (in ihren verschie-
denen Varianten) mit dem wirklichen Inhalt logischer Aussagen.
Und dabei erweist es sich zwingend, daß solche weder etwas über
die Naturgesetze des Denkens noch über den Wert von Denkinhal-
ten (hzw. über die Mittel zu seiner Realisierung) enthalten, daß viel-
mehr alle V ersuche einer psychologischen oder einer normativen
Behandlung der Logik zu widersinnigen Ergehnissen führen müs-
sen. Diese im I. Band von H u s s e r I s "Logischen Untersuchun-
gen"_ bewiesene Konsequenz ist deshalb unvermeidlich, weil die-
Logik bei aller Naturwissenschaft und aller normativen Theorie

40 41
schon vorausgesetzt ist, und auf sie daher nicht reduziert werden
kann25 •
Die Logik muß also eine von diesen Wissenschaften unab-
hängige Wissenschaft sein, und es entsteht die Frage: Was für eine
Wissenschaft? Bereits diese Problemstellung erfährt durch H u s ·
s e r 1 eine bedeutsame Vertiefung, indem er die Vorfrage aufwirft,
ob die unter dem Namen Logik überlieferten Erkenntnisse über-
haupt Teile einer einheitlichen Disziplin sind, und es zeigt sich
bald, daß dies nicht der Fall ist. In der traditionellen Logik wird
einmal geurteilt über Dinge überhaupt, und zwar in solchen Sätzen
wie A = A, kein A = Nicht-A; es wird ht ihr weiter geurteilt über
Begriffe, Urteile, Schlüsse, also über eine . bestimmte Klasse von
Dingen. Dies sind die beiden wesentlichen· Gegenstandsgebiete der
traditionellen Logik, für die Husse r I die Terminologie ontolo-
25
Dagegen glaubt R i c k e r t , "daß gerade durch die konsequente Trennung
von Logik und Psychologie das Wesen der Logik als W ertwissenschaft, die H u s -
s er I noch bekämpft, erst recht deutlich wird" (271) •. Diese AnnahmeRicke r t s
beruht auf seiner erkenntnistheoretischen Lehre, daß "allein im Sollen, welches.
das Urteil anerkennt, das Moment zu finden sei", "das dem Erkennen Objektivität
verleiht" (213) (Der Gegenstand der Erkenntnis, 6. Auflage, Tübingen 1928).
Wenn dies allgemein der Fall wäre, müßte es natürlich auch für die Logik gelten,
die sich damit als normative Wissenschaft herausstellen würde. Aber es trifft
weder zu, daß jedes Urteil ein Sollen anerkennt, noch auch, daß dies speziell bei
den logischen Urteilen der Fall ist, die vielmehr, wie allen material-bestimmten
Sätze;,., so auch ·allen Sollsätzen zugrunde liegen. H u s s e r I s Verwerfung der
normativen Logik behält also auch gegen R i c k er t Recht'·. Dagegen hat
R i c k e r t gegenüber H u s s e r I insofern eine starke Position, als er den
Intuitionismus ablehnt und die Bedeutung der gedachten Erkenntnis betont, was
Kreis (Phänomenologie und Kritiziinus, Tübingen 1930) einseitig zugunsten
R i c k e r t s verwendet.
H u s s e ~ I s Kritik logischer Schulen siegt auch gegen jene modernen
Empiristen, die eine nominalistische Symbolik vertreten (wohl zu unterscheiden
von der symbolischen Darstellung der Logik, die in ihrem systematischen
Aufbau fortgebildet, nicht aber, wie z. B. von Ca r n a p meint [Abriß der
Logistik, Wien 1929], überwunden werden soll).
42
gisehe und apophantische Logik verwendet; ontologisch, weil auf
Dinge überhaupt, apophantisch, weil auf Sätze bezüglich. Die onto-
logische Logik ist gleichzeitig die Grundlage der von H u s s e r I
postulierten formalen Ontologie, die apophantische Logik soll sich ·
bei H u s s e r I zu einer "apriorischen Wissenschaftslehre" gestal-
ten. Für beide Disziplinen fordert H u s s e r I jedoch noch eine
Ergänzung. Sie genügen ihm zwar als "intentionale Exp~ation
des eigentlichen Sinnes der formalen Logik", den sie durch eine
klare Disziplinunterscheidung erfassen, ·aber es steht ihnen keine
Begründung ihrer Axiome zur Seite. Sie deduzieren aus zwar ein-
leuchtenden Grundsätzen, für die aber ein Nachweis ihres Erkennt·
nisgrundes gefordert werden muß. Dieser' Forderung glaubt H u s-
s er I "ausschließlich im Zusammenhang einer transzendentalen
Phänomenologie" genügen zu können. Die transzendentale Phäno-
menologie hat es aber mit den noetisch-noematischen Strukturen
des reinen ·Bewußtseins zu tun, das der Voraussetzung gemäß, wie
allen Gegenstandsregionen, so auch der logischen Region "ihre
Seinsgeltung verleiht". Daher findet die formale Logik ihre Be-
gründung in dem allgemeinen Zusammenhang der Theorie des
reinen Bewußtseins, sie wird zur transzendentalen Logik, "die nicht
eine zweite Logik, sondern nur die in phänomenologischer Methode
erwachsene konkrete Logik ist". Dieser Begründungsmethode der
Logik liegen die Voraussetzungen der phänomenologischen Methode
überhaupt und • speziell des phänomenolOgischen Idealismus 'zu-
·grunde, die sich beide als nicht-haltbar erwiesen (3.). Ihre Anwen-
dung zum Zweck einer Begründung der Logik führt aber noch auf
eine spezifische Schwierigkeit. Die Grundsätze der Logik liegen,
wie aller Wissenschaft, so auch der Erlebnisphänomenologie zu-
grunde; sie wendet sie speziell in ihren verschiedenen Ahstrak~
tionen an, und die für das Reduktionsverfahren postulierte "Aus-
43
 quenz doch nicht· folgen. Denn zu den Bestimmungsstücken des
schaltung der Logik" ist nur eine durch die Fiktion der Wesens·
Etwas überhaupt, die auf jeden Fall gegeben sein müssen, und ohne
anschauung erleichterte Selbsttäuschung. Infolgedess~n schließt
die überhaupt keine Ableitungsgestalt aus ihm gewonnen werden
aber di~ phänomenologische Begründung der Logik unmittelbar
kann, gehört, daß es den logischen Grundrelationen genügt, die also
einen Zirkel ein, sie setzt das voraus, was sie ableiten 'will, ihre
auch in der formalen Mathematik vorausgesetzt werden und daher
einzelnen Deduktionen müssen daher Trugschlüsse sein. Die
nicht (bis auf die wissenschaftstheoretische Anwendungsintention)
transzendentale Logik H u s s e r I s verkennt also die aus ihrem
"mit ihr zusammenfallen. Wenn sich auch die Identität von formaler
Grundsatzcharakter folgende Unahleitharkeit der logischen Grund-
Mathematik urid Logik nicht aufrecht 'erhalten läßt, so fragt es sich
sätze und ist also eine Analogie zu dem Grundmangel von K a n t s
doch noch, welche Bedeutung ihrer Analogisierung zukommt. Daß
transzendentalen Beweisen aus dem Prinzip der Möglichkeit der
sie nicht im Sinne eines logischen Intuitionismus verstanden wer-
Erfahrung.
den darf, steht bereits fest. Aber auch die Gegenstandsanalogie,
"··"~/ Die nach H u s s e r I für den strengen Aufhau der Logik
d. h. diejenige zwischen logischen und mathematischen Objekten,
grundlegenden und ihrem Ausgangspunkt, wenn auch nicht ihrem
ist in dem Umfang, wie H u s s er I sie versteht, nicht gegeben. Sehr
Au~hau nach unanfechtbaren Unterscheidungen von apophan-
einleuchtend erörtert Husse r I den fundamentalen Unterschied
tischer und ontologischer, formaler und transzendentaler Lo-
zwischen den psychischen Akten des Z ä h I e n s und dem arithme-
gik erhalten ihre abschließende Bestimmung erst durch H u s -
tischen Ohj.ekt der Z a h I e n r e i h e : "Die Zählungsakte entstehen
s e r I s Vergleich der Logik mit der Mathematik. Immer wieder
und vergehen; in Beziehung auf die Zahlen ist von dergleichen
behauptet er, daß die Logik über ihre Gegenstände "ganz analog,
sinnvoll nicht zu sprechen." Der entsprechende Satz für die Logik
wie die reine Arithmetik über Zahlen, die Geometrie über Raum·
müßte lauten: Die sich auf die logischen Gesetze beziehenden
gestalten spricht, auf Grund reiner Anschauung .in ideativer Allge·
Denkakte entstehen und vergehen; in Beziehung auf die logischen
meinheit". Es müßte also eine logische Anschauung gehen, deren
Gesetze ist von dergleichen sinnvoll nicht zu sprechen. In diese
Objekte ehensowenig Tatsachen sind, wie Zahlen und Raumfiguren.
elementare Parallele schleicht sich jedoch bei H u s s e r I ein weit-
Diese Überlegung wird noch durch die weitere Voraussetzung' ge-
tragender Fehler ein, indem er nämlich nicht die Zahlen mit den
stützt, daß die allgemeinsten Größenbegriffe "Ahleitungsgestalten
logischen Gesetzen, sondern jene mit ihren Anwendungsbedingun-
des Etwas überhaupt" sind, woraus H u s s er I schließt, daß for·
gen in der apophantischen Logik vergleicht. Diese Anwendungs·
male Logik und formale Mathematik sich nur durch das Fehlen·
hedingungen sind aber die Denkinhalte, denen die Denkgesetze die
einer "wissenschaftstheoretischen Intention" bei letzterer unter·
notwendigen Bedingungen ihrer Wahrheit bestimmen. Und so
scheiden. Angenommen, es träfe zu, daß formale Mathematik eine
überträgt sich das, was für die Denkgesetze richtig ist: ihre Zeit-
Ableitungsgestalt der formalen Ontologie sei (worüber die Ent-
.}osigkeit, ih~e Idealität, auf die Denkinhalte, für die sie Gültigkeit
scheidung ganz von der genauen Bestimmung des Terminus "Etwas
besitzen: Begriffe, Urteile, Urteilsreihen sind plötzlich in eine
überhaupt" abhängt), so würde hieraus die H u s s e r I sehe Konse·
45
44
"ideelle Region" versetzt, obwohl die psychologische Natur der
Akte des Begriffhildens, des Urteilens, Schließens zugegeben' wird.
Hier liegt jedoch ein offenkundiger Widerspruch vor, denn es ist
unmöglich, daß aus Psychischem Ideelles entspringt: eine solche
Transformation wäre ein logisches Wunder.
H u s s e r I ist der Auflösung dieser Schwierigkeit, die ihn
immer wieder beschäftigt, sehr nahe gekommen. Er hebt nämlich
ausdrücklich hervor, daß die logischen Gesetze sich nicht auf Denk-
akte, sondem auf Denkinhalte beziehen. Für die Logik ist es irre-
velant, wann, wo, von wem, ob überhaupt gedacht wird, sie
macht lediglich von dem Begriff · des Denkinhalts und seiner
Komplexionen Gehrauch und entwickelt Regeln ihrer Wahrheit
und Falschheit. Es bleibt. also richtig, daß die Logik keine
Theorie der Naturgesetze des Denkverlaufs ist, aber als Lehre von
den Denkgesetzen muß sie doch den Begriff einer psychischen
Qualität, den des Denkinhalts, einführen, ohne den ihr das An-
wendungsgehiet fehlen würde. Die gelungene Kritik des logischen
Psychologismus erkauft H u s s e r I also mit einem psychologischen
Mystizismus, bezüglich dessen er sich der richtig gemeinten, aber
irreführend formulierten Lehre B o I z a n o s vom Satz an sich an-
schließt26. Husse r I s Bemühungen um eine exakte Prohlemstel-
26
B o I z an o formuliert seinen Gedanken folgendermaßen: "Soll eine
Vorstellung A in dem Gemüte eines denkenden Wesens wirklich vorhanden sein:
so ist der Satz, dies Wesen habe. die Vorstellung, eine Wahrheit, und zwar auch,
wenn es niemand gibt, der diese Wahrheit denket, d. h. also eine Wahrheit an
sich" (Wissenschaftslehre, Bd. II, S. 819, Sulzbach 1837). B o 1 z an o drückt
hiermit aus, daß der Wahrheitsbegriff auf gedachte Inhalte angewandt wird,
unabhängig davon, ob sie wirklich gedacht werden. Er verbindet aber diese
Einsicht·mit der Konstruktion eines spezifischen Gegenstandsgebietes"Wahrheiten
an sich" und hierin liegt eine Fiktion. Die Wahrheit eines Satzes ist kein
neben diesem Satz· bestehender "Satz an sich", sie ist vielmehr seine in keiner
Zeitbestimmung ausdrückbare Übereinstimmung mit einer, wie H u s s e r 1 sagen
würde, originär gebenden Erkenntnis.
46
lung der Logik zeigen also wohl, was die Logik nicht ist, sie schlie-
ßen verfehlte Gebietsumgrenzungen der Logik aus, aber gelangen zu
keiner ausreichenden positiveU: Bestimmung. Zwei wesentliche Mo-
mente hat allerdings H u s s e r I auch hierfür angegeben: Die Idee
der "Doppelseitigkeit der Logik" (ontologische und apophantische
Logik) und das PoStulat der Begründung der Logik. Das erste wird
wichtig für die Einordnung des Systems der Logik in die Philo-
sophie iiberhaupt, das zweite für die vemunftkritische Untersuchung
der logischen Grundsätze, womit Aufgaben der kritischen Logik um-
schrieben sind, an deren Lösung sie 1m Anschluß an K an t s Unter-
scheidung der analytischen ~nd synthetischen Urteile, sowie auf
Grund seiner Problemstellung der Kritik der V emunft (wozu auch
eine Kritik der logischen Vemunft gehört) herangehen muß.
H u s s e r I s Konstruktion einer ideellen logischen Sphäre Im
Bewußtsein ist nicht nur eine für die Einzelheiten der phänome-
nologischen. Logik belanglose Abstraktion, sondern ein wirklich an-
gewandter Gedanke, dessen Mängel in seinen Anwendungen immer
wieder hervortreten und gleichzeitig die V erfehltheit der Phäno-
menologie überhaupt beleuchten. Für die Technik der phänomeno-
Unter dem Titel "Vom Psychologismus" hat B r e n t an o (Psychologie
vom empirischen Standpunkt, Bd. II, Leipzig 1925, S. 179 ff.) sich ausdrücklich
gegen die Lehren vom Satz an sich, vom reinen Bewußtsein, von der ideellen
Urteilsregion, usw. gewandt. B r e n t an o wendet sich mit Recht gegen den
gedankenlosen Gebrauch des Schlagwortes "Psychologismus", insbesondere da·
gegen, daß auch derjenige des Psychologismus geziehen werden soll, "der da
glaubt, daß die Psychologie in der Erkenntnislehre· und Logik irgendein Wort
mitzusprechen habe". "So sehr ich", sagt er, "den Subjektivismus verdamme, so
wenig werde ich mich dadurch zur Verkennung dieser Wahrheit verleiten lassen.'"
In diesem Gedankengang B r e n t a n o s liegt die volle Auflösung der prin-
zipiellen Sch·wierigkeiten, mit denen H u s s e r 1 in der Logik kämpft. Aus dem
Satz, daß die Logik keine Denkpsychologie ist, folgt nicht, daß sie von keinen
psychologischen Begriffen Gebrauch machen darf. Vielmehr muß sie von solchen
Gebrauch machen, um ihrer Aufgabe als apophantischer Logik genügen zu können.
47
logischen ldealitätsfiktionen ist es nun äußerst charakteristisch, daß
und wie H u s s e r I die "Idealität des Sprachlichen" zu beweisen
sucht. Denn, wenn bereits "die Sprache . . . die Objektivität der
Gegenständlichkeiten der sogenannten geistigen Welt oder Kulturwelt
und ni.cht die der bloßen physischen Natur" hat, dann muß sicher
das Gleiche für die durch sprachliche Ausdrücke bezeichneten Be-
deutungen gelten, die überhaupt nicht mit der physischen, sondern
nur mit der psychischen Natur direkt in Beziehungen stehen. H ~ s ·
s e r l unterscheidet "die aktuell geredete Rede, genommen als ein
sinnliches, speziell als ein akustisches Phänomen ... von dem Wort
und Aussagegesetz selbst oder der eine größere Rede ausmachenden
Satzfolge selbst". "Das Wort selbst, der grammatische Satz selbst"
aber sei "eine ideale Einheit, die sich mit ihren tausendfältigen
Reproduktionen nicht vervielfältigt". Reduziert man diese Über-
legung auf ihren Kern, so ergibt sich nur die Behauptung, daß die
in physiologisch-physikalischen Vorgängen bestehende Tätigkeit des
Redens von den erzeugten Worten zu differenzieren sei. Diese Diffe-
renzierung besteht jedoch nicht zwischen der. physischen Natur
und der geistigen Welt, sondern innerhalb ersterer zwisch~n physio-
logisch-physikalischen Prozessen und ihren spezifischen, in diesem
Fall a~Mstischen Qualitäten. Das Wort, der Satz, die Satzfolge sind
nichts a:d-;es als akustische Qualitäten mechanischer Prozesse,
an ·denen sie auftreten, und daher ist auch dieselbe Sprache durch
immer neue Sprachakte reproduzierbar - genau so, wie derselbe
Denkinhalt, derselbe Gedanke, durch immer neue Denkakte. Die
Reproduzierbarkeit einer und der~elben Qualität durch numerisch
verschiedene Abläufe ist also nur eine Folge davon, daß ihr Auf-
treten nicht einem numerisch-bestimmten, sondern einem gewissen
naturgesetzliehen Bedingungen genügenden Ablauf zugeordnet ist.
Die Voraussetzung einer spezifischen Ku I tu r o h j e k t i v i t ä t
48
.:; '
ist also zum Verständnis dieses Sachverhaltes nicht erforderlich.
Sie ist aber darüber hinaus zu seinem Verständnis auch gar nicht
geeignet, sondern führt auf die unlösbare Schwierigkeit, wie ein
r'
Naturphänomen eine Idealität hervorbringen könne. Wenn übrigens
die Reproduzierbarkeit eines Dinges das Kriterium seiner Idealität
wäre, so müßte auch das Sprechen, wie alle in der Gewalt . des
{Menschen befindlichen Tätigkeiten, ja alle. wiederholbaren Natur-
/ prozesse Idealitäten sein. Tatsächlich zieht die Phänomenologie
•~··;.;;;h diese Konsequenz, indem sie sogar allen Naturerscheinungen
ein ideales "Wesen" als das ihnen zukommende "unzerbrechliche
Selbige, im Anders und Immer-wiederanders" (Husse r I) zu-
ordnet. Die zur Begründung der Sprachidealität, zur Einführung
einer "apriorischen Grammatik", verwendeten Argumente bedeuten
also in ihrer Verallgemeinerung eine Mystifikation der Natur über-
haupt27.
In der Logik findet diese Sprachtheorie ihr Analogon in der
phänomenologischen Lehre vom B e g r i f f und vom Ur t e i I. Beide
werden nicht als psychische Qualitäten (und zwar solche von Denk-
prozessen), sondern als spezi:fis~he "Bedeutungskomplexionen" oder
"Sinneinheiten" aufgefaßt. Auf die Bedeutungseinheiten kommt
H u s s e r I in Anwendung seiner allgemeinen Auffassung der apo-
phantischen Logik, als einer speziellen Disziplin vom reinen Be-
wußtsein, durch die Unterscheidung von Bedeuten und Bedeu-
tung, Begreifen und Begriff, Urteilen und Urteil, Schließen und
27
Wie für das Sprechen und die Sprache, könnte man natürlich für das
Klingen .und den Klang, das Singen und den. Gesang, das Arbeiten und die Arbeit,
das Beten und das Gebet, aber auch für das Bewegen und die Bewegung, kurz
für jede einem Prozeß spezifische Eigenschaft ihre Idealität beweisen. Seine
Unterscheidung von den ihm spezifischen Qualitäten tritt somit neben die Exi-
stentialabstraktion. die Abstraktion vom begrifflich Zufälligen, usw., um eine
,.
Wesensregion aufzuweisen, die jedoch tatsächlich weder durch Intuition erkannt,
noch überhaupt vorhanden ist.
4 Kraft, Von Husserl zu Heidegger 49
·~ :·
Schluß, also durch seme Qualitätsabstraktion (die philosophische.
Ausdeutung des S tu m p f sehen Ansatzes [3.]). Die Idealitäts-
fiktion 'täuscht hier besonders leicht, weil sowohl im allgemeinen
Sprachgebrauch, ·wie verstärkt durch den phänomenologischen
Idealismus Begriff und Begriffenes, Urteil und Urteilsgegenstand,
Schluß und Schlußg~setze nicht klar ge~hieden werden. Infolge-
dessen tritt wieder die Übertragung logischer Gesetze auf die sie
erfassenden Inhalte ein - ein Vorgang, der sich bei Husse r I
fortwährend wiederholt. So, wenn er davon spricht, daß "Gegen-
stände überhaupt nur urteilsmäßig sind", oder wenn er in charakte-
ristischer Vieldeutigkeit den "transzendentalen Gegenstand" "den
den einzelnen Erlebnissen immanenten und doch in der sie über-
steigenden Identität transzendenten Identitätspol" nennt. Das Bild
des Identitätspols erhält seine Erklärung dadurch, daß die Theorie
des Begriffs und Urteils außer durch die Qualitätsabstraktion noch
durch eine im bestimmten Sinn b e g r i f f s ~ e a I i s t i s c h e Über-
legung gestützt wird. ,,Die Bedeutungen bilden" nämlich nach
H u s s e r I eine Klasse von Begriffen im Sinne von "allgemeinen
Gegenständen". "Die Bedeutung verhält sich ,hiernach' zu den je-
weiligen Akten des Bedeutens (die logische Vorstellung zu den Vor-
stellungsakten, das logische Urteil zu den Urteilsakten, der logische
Schluß zu den Schlußakten) wie etwa die Röte in specie zu den
hier liegenden Papierstreifen, die alle dieselbe Röte ,haben'." Die-
ser Vergleich mit der "Röte" ist zur Erhellung der "Bedeutung"
sehr aufschlußreich. Was .ist nämlich diese Röte, die "weder in
diesem Streifen, noch sonst in aller Welt existiert"? Sie ist der
Gegenstand der problematischen und daher keine Existenz erfassen-
den Vorstellung Rot. Und dieser Gegenstand ist wirklich in keiner
Welt, weder in der realen noch in einer "idealen" vorhanden. Vor-
handen sind allein bestimmte rotgefärbte Körper, z. B. Papier-
50
streifen. Diese Papierstreifen haben alle die gleiche Qualität rot.
Genau so ist es mit den Bedeutungen. Diese Vorstell~g des A
von diesem Rot hat eine spezifische Bedeutung, d. h. eine spezi-
fische Inhaltsqualität, die sie mit allen Auffassungsakten derseihen
Farbe gemeinsam hat. Die spezifische Inhaltsqualität verhält sich
also zu dem ihr zugeordneten Vorstellungsakt keineswegs so, wie
eine "allgemeine Vorstellung" zu einer individuellen, was schon
daran erkennbar ist, daß die "allgemeine Vorstellung" auch einen
allgemeinen Aktcharakter besitzen müßte, und dieser doch zuge-
gebenermaßen für die Bedeutung belanglos ist. Soviel bleibt aller-
dings bestehen: Wenn der Logiker von einem Begriff oder Urteil
spricht, so reflektiert er nur auf spezifische Denkinhalte und läßt
es dahingestellt, von wem auch immer, oder ob sie überhaupt ge-
dacht werden. Diese Abstraktion vom "tragenden Akt" hat jedoch
mit allgemeinen Gegenständen nur das eine gemein, daß die vor-
gestellte Qualität dieseihe bleibt unabhängig von ihren individuell
wechselnden Trägem - womit sie jedoch keineswegs ins Reich der
,,Idealitäten" .versetzt ist, so wenig wie "in der Röte" die roten Pa-
pierstreifen "gründen", die vielmehr unter den Begriff des roten
Körpers fallen. H u s s er I lehnt zwar die ,.metaphysischen Hy-
postasierungen" der allgemeinen Gegenstände ab. Dennoch vollzieht
er sie seihst; denn es bleibt eine metaphysische Fiktion, für Begriffe,
Urteile, Satzfolgen und Wissenschaften eine eigei::te ideale Region
in Anspruch zu nehmen - auch dann, wenn man behauptet, die
Annahme dieser Region sei mit Evidenz aufgedrungen. Die An-
nahme einer evidenten Wesenserfassung entspricht haargenau der
Gleichsetzung von "Wesen" und "allgemeinen Gegenständen'•. Denn
der "allgemeine Gegenstand" ist d i e klassische Begriffshyposta-
sierung und die Lehre von seiner evidenten Anschauung die seit
PI a't o ihm zugeordnete Erkenntnis:fiktion. Die typische phäno-
51
 menologische Wendung des "gründen in Etwas" bringt auch unge-
synthetische sein: die Behauptung, daß es eine Welt gehe, oder die,
wollt die Voraussetzung der "allgemeinen Gegenstände" zum Aus-
daß sie nur nach bestimmten, z. B. Naturgesetzen, möglich sei.
druck28. Was von den Denkgebilden falsch ist, das ist von den für
Keine dieser Voraussetzungen ist jedoch in den logischen Grund-
sie gültigen logischen Gesetzen richtig: sie gehören einer idealen
sätzen enthalten. Der Satz A = A z. B. sagt weder, daß es eine
Region an und sind der psychologischen Erfahrung entrückt. Die
Welt gehe, noch daß es nur eine bestimmten synthetischen Bedin-
allgemeine phänomenologische Idealitäts:fiktion schließt also den
gungen genügende Welt gehen könne. Er sagt vielmehr: Wenn
logischen Gesetzen gegenüber ihre empiristische Mißdeutung aus.
es (was auch immer für ein) A gibt, dann ist es mit sich selbst
Die phänomenologische Logik beabsichtigt aber mehr zu lei-
identisch: er behauptet die Unmöglichkeit der Nichtidentität des
sten, sie will zu einer vertieften Auffassung der logischen Gesetze,
Identischen. Auch die Allgemeingiiltigkeit der logischen Giundsätze
so, wie sie in den logischen Grundsätzen erfaßt werden, vordringen.
wird von H u s s e r I bezweifelt, da nämlich seiner Meinung nach
In diesen glaubt H u s s e r I eine unzulässige Voraussetzung ge-
",alle inhaltlich sinnlosen' Urteile die Gültigkeit des Sat~es vom
funden zu haben, nämlich die Voraussetzung der W i r k I i c h k e i t
ausgeschlossenen Dritten" durchbrechen. Ein inhaltlich sinnloses
oder M ö g I i c h k e i t einer Welt. Mit der Möglichkeit kann H u s -
Urteil, etwa das von Husse r I gebildete Beispiel: "ein Mensch
s e r I nicht jene Möglichkeit meinen, die durch die logischen Ge-
und ist", ist jedoch gar kein Urteil, d. h. eine gedachte Be hau p.
setze, als solche der formalen Ontologie, selbst bestimmt wird. Sagt
t u n g • sondern eine Reihe von W o r t e n , die zwar jedes für sich
er doch selbst, daß "die in sich geschlossene Gesetzlichkeit der
eine einzelne Bedeutung, jedoch nicht als Wortfolge eine solche zu-
,Widerspruchslosigkeit' diejenige möglicher Wahrheit", also auch
sammengesetzte Bedeutung besitzen, wie sie für ein Urteil erforder-
möglichen Seins überhaupt, "fundiert". Die Wirklichkeits- oder
lich ist. Diese Annahme einer Ausnahme vom Satz des ausgeschlos-
Möglichkeitsvoraussetzung der tradionellen Logik müßte also eine
28 H us s e r 1 unterscheidet eine "Konsequenzlogik" oder "Logik der senen Dritten beruht also auf der Verwechslung eines gramma-
... Widerspruchslosigkeit" und eine "formale Wahrheitslogik". Diese formale tischen mit einem logischen Gesichtspunkt: Wo nichts behauptet,
I
;Wahrheitslogik müßte also auf Prinzipien anderer Art, als diejenigen es sind, sondern nur geredet2 9 wird, da liegt kei~ Denkinhalt und also auch
i zu denen der Satz des Widerspruchs gehört, beruhen. Welche Prinzipien dies
sind, hat Husse r I nicht angegeben. Jedenfalls aber geht er davon aus, daß
kein Anwendungsfall für logische Gesetze vor.
"jeder Widerspruch ... von vornherein Fragen der Adäquation" ausschließt, daß Auf dem Boden der von H u s s e r I entwickelten methodischen
er vielmehr "a limine eine Falschheit" ist. Sobald man jedoch von einem wahren
Leitsätze hat P f ä n d e r 30 mit großer Klarheit eine phänomeno-
oder falschen Urteil spricht, ist bereits der Begriff des Denkinhalts (sofern e:r
gewissen Gesetzlichkeitsbedingungen genügt oder nicht genügt) eingeführt. 29 Husse r l meint einmal: "Ein Papagei redet in Wahrheit natürlich

über diese unvermeidliche psychologische Voraussetzung der apophantischen
Logik kann man nicht hinwegkommen. Wenn auch die Logik nicht den Ablauf
des Urteilens erforscht, so muß sie doch, um die notwendigen Bedingungen der
Wahrheit von Urteilen überhaupt entwickeln zu können, von dem Begriff des
letzteren Gebrauch machen, und dieser Begriff entstammt der psychologischen
Erfahrung.
nicht." Versteht man in diesem Zusammenhang unter wahren Reden, sinnvoll
~eden, dann ist der Bereich des Redens auch beim Menschen mit seinem Sprechen
uherhaupt keineswegs zusammenfallend, und es ist eine aprioristische Ein-
schränkung der tierpsychologischen Forschung, von vornherein dem Papagei die
:Fähigkeit des wahren Redens abzusprechen.
30
Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische F orsch ung, Bd.4.
S· 139 ff.., Halle 1921; vgl. insbesondere S. 334, 349, 376, 377.

52
53

logische Logik entwickelt und versucht darin auch eine phänomeno-
logische Begründung der logischen Grundsätze, die bereits H u s -
s e r I postuliert hat. P f ä n d er s Argument läßt sich am besten
auffassen, wenn man einige seiner Begründungen nebeneinander-
stellt: Der Satz der Identität beruht nach Pfänder darauf, daß
"es im Wesen des Gegenstandes unnrittelbar und letztlich h~grün­
det" liegt, ... "daß er mit sich selbst identisch ist". Der Satz vom
Widerspruch beruht darauf, daß "ein Gegenstand, der in bestimm-
tem Sinne P ist, ... nicht zugleich in demselben Sinne nicht P sein"
kann. Der Satz vom Grunde findet nach P f ä n d e r seinen eigenen
"zureichenden Grund" "in dem Wesen des Urteils und in dem Wesen
der' Wahrheit": "Es liegt im Wesen der Urteile, ihre ganze Legitima-
tion von ihren Objekten her zu beziehen. Sie bedürfen, wie Papier-
geld notwendig der hinreichenden Deckung durch die Sachen."
Diese Beispiele genügen für die Feststellung, daß die Begrün-
dungen P f ä n d e r s (die übrigens den Begriff des reinen Bewußt-
seins nicht verwenden, sondern o n t o I o g i s c h vorgehen), sämt-
lich a~ einem Z i r k e I beruhen. Was sie als ,,Wesen" des Gegen-
standes voraussetzen, aus dem sie sein Nicht-Anders-Sein-Können
ableiten, ist erst als solches durch die abzuleitenden logischen Ge-
setze bestimmt. Und so muß es sich verhalten, da diese Ge-
setze Gesetze möglichen Seins überhaupt sind. Im Falle .des Satzes
vom Grunde trennt dazu P f ä n d e r die Objektivität der Wahrheit
nicht genügend von der Begründungsbedürftigkeit der Urteile, die
der Satz vom Grunde ausspricht, und verkennt daher, daß dieser
üherha"!lpt keinen ontologischen lnhalt81 hat und daher noch aus
einem besonderen Grunde nicht ontologisch begründet werden kann.
Es ist natürlich auch ein "erlehnisphänomenologischer" V ersuch
31 Dies erörtert Fr i e s einleuchtend in seinem "System der Logik", Beidei-
berg 1837, Neudruck Leipzig 1914, S. 135 ff.
54
Z1ll' Begründung der logischen Grundsätze denkbar, der aber gleich-
falls scheitern müßte, da auch er diese Grundsätze bereits voraus-
setzt. Es kann überhaupt keinen Beweis dieser Grundsätze gehen;
sofern vielmehr die Phänomenologie die Logik dadurch zu refor-
mieren sucht, daß sie den V ersuch macht, sie aus höheren Ur-
teilen abzuleiten, wird sie nur zu ihrer Fiktion der ideellen Region
~d zu sonstigen Trugschlüssen verleitet82 •
Diese Fiktion ist es, aus deren Verallgemeinerung und Syste-
matisierung sich die W e s e n s r e g i o n und die W es e n s s c h a u
ergehen, d. h. aber diejenigen Fehlgriffe hervorgehen, die bereits
in H u s s e r ls Werk schwerwiegende Mängel hinterlassen, die aber,
schon bei S c h e I e r beginnend, vor allem aber bei H e i d e g g e r ,
fortschreitend die wissenschaftliche Philosophie überhaupt ver-
drängen.
So hat es sich gezeigt, wie aus einem theoretischen Fehler in
der Logik der irrige phänomenologische Ansatz entspringt, und es
wird sich weiter zeigen, wie dieser die phantastischsten Sprößlinge
aus sich heraustreiht, die ihren wissenschaftlichen Mutterhoden
schließlich völlig überwuchern.
Diese Fehler .sind i~plizit schon in H u s s e r I s Unterscheidung von
32
Philosophie als der allein strengen Wissenschaft, durch die alle anderen Wissen-
schaften erst zu echten werden, und Erfahrungswissenschaften (samt Mathe-
matik) als in dogmatischer Einstellung verharrenden Disziplinen, enthalten. Aus
diesen Begriffsbestimmungen folgt unmittelbar die Problemstellung einer allge-
meinen Zurückführung der nichtphilosophischen Wissenschaft auf philosophische
und zwar auf die aUgemeinste philosophische Wissenschaft; d. h. für H u s -
s er l speziell, auf die "transzendentale Phänomenologie", als "letzte Wissen-
schaft", die dem erkenntnistheoretischen circulus vitiosus dadurch entzogen
wird, daß man kraft ihrer Definition ilire "wesensmäßige iterative Zurück-
bezogenheit" auf sich selbst dekretiert. H u s s e r I hat für seine Begriffsbestim-
mungen und die Ausführbarkeit ihrer Konsequenzen den Realitätsbeweis nicht
erbracht. Die Kritik zeigte, daß dieser Beweis nicht erbracht werden konnte, und
leitet damit mittelbar zu einer brauchbaren Unterscheidung von Philosophie und
nichtphilosophischer Wissenschaft an.
55

~!
II.
Philosophie als Metaphysik: S c h e 1er.
l. Problemstellung und Methode der Philosophie.
Unter den Führern der phänomenologischen Schule ist ohne
Zweifel S c h e I er der Geist mit der größten Weite und dem glän-
zendsten Komhinationsvermögen. Sein Gesichtskreis und Arbeits-
feld reichen von der Religion bis zum individuellen und sozialen
Menschenleben, das er in dem Brennspiegel seiner unveröffentlich-.
l
· ten philosophischen Anthropologie zum zentralen Gegenstand seines
Philosophierens macht. S c h e I e r s Phänomenologie 33 ist in einem
tieferen Sinne des Wortes iillmer "interessant": sie fesselt immer
das Interesse, weil sein Gedankengang aus den Quellen einer un-
gemein-erfüllten Persönlichkeit gespeist wird, die dazu mit einem
besonders-"eingängigen", oft glänzenden und hinreißenden Stil aus-
gestattet ist. Es ist daher verständlich, daß Sehe I er faszinierend
gewirkt hat, wenn er auch nicht in de:.;n Maße, wie H u s s er l ,
schulenbildende Kraft besaß. Dazu war seine Persönlichkeit viel
33
Für deren Würdigung ich mich vor allem auf folgende WerkeSche l er s
beziehe:. Die psychologische und die transzendentale Methode, 2. Auflage, Leipzig
1922. Philosophische Weltanschauung, Bonn 1929. Idealismus-Realismus, Philo-
sophischer Anzeiger, 2. Jahrgang, H. 3, S. 255 ff., Bonn 1927/1928. Der Forma-
lismus in der Ethik und die materiale Wertethik, 3. Aufl~ge, Halle 1927. Wesen
und Formen der Sympathie, 3. Auflage, Bonn 1929. Vom Ewigen im Menschen,
Leipzig 1923. Die Wissenschaft und die Gesellschaft, Leipzig 1926.
56
zu sehr auf Originalität und also auf Unnachahmlichkeit hin orien-
tiert, dazu war sein Gedankensystem nic~t geschlossen genug, sein
philosophischer Entwicklungsgang zu (,ri:h:ii~t:il Es ist bezeichnend,
daß solche seiner Leistungen, wie die Ethik, die sich strengerer
theoretischer Formen b~dient, im engeren Sinne philosophische
Nachfolge gefunden haben.
Während H u s s e r I auf dem Weg über die Kritik der psycho-
logistischen Logik zu sein~r Phänomenologie geführt wurde, ge-
langte S c h e I e r zu H u s s e r I s Intuitionismus auf Grund einer
Loslösung vom Neukantianismus (die sich später zur Ablehnung
des K a n t ianismus überhaupt steigerte). "Das Sein des Gegen-
standes mit dem Gegenstandsein eines Seienden zu verwechseln'',
so formuliert S c h e I er in einer seiner letzten Arbeiten die aus
. dem Jntentionalitätsprinzip abgeleitete Kritik der neukantischen
/ ' '~··i-) .,". ~._:·,~:.~;;
· Ei-zeuguilgstheorie, "ist einer der Grundfehler des Bewußtseins-
'idealismus"34. Es ist klar, daß Sc h e I er bei dieser entschiedenen
I
Opposition auch H u s s e r s phänomenologiscl?-en Idealismus nicht
!.~!!e.~.~onnte und daher diese grundlegende Voraussetzung H u s -
s er I s fallen ließ: " ... nicht bewußtseinsimmaU:ent und idea-
listisch ..., sondern ontologisch und realistisch gew!l:r;tdte Unter-
~"'l:-))~)1.
34
Dabei schweben S c h e I e r solche paradoxen Formulierungen vor, wie
z. B. die folgende Co h e n s : "Natur ist Erfahrung, das ist mathematische Natur-
wissenschaft, deren Möglichkeit in den ,allgemeinen Naturgesetzen' der synthe-
tischen Grundsätze beruht. In dieser Möglichkeit der Erfahrung liegt somit alle
Naturnotwendigkeit der Natur beschlossen. Das ist die Summe transzendentaler
Einsicht in die apriorischen Bedingungen der Erfahrung." (Kants Theorie der
Erfahrung, 3. Auflage, Berlin 1918.) Daß eine solche Verkehrung des Verhält-
nisses von Naturwissenschaft und Natur, allgemeiner von Erkenntnis und Gegen-
stand auf die Dauer nicht ertragen werden konnte, sondern schließlich eine ent-
schiedene Gegenströmung hervo~rufen mußte, kann denjenigen nicht in Erstaunen
setzen, der die Tiefe der Philosophie nicht in ihrer Absonderlichkeit erblickt
und dieselbe Einschätzung auch .bei anderen mindestens als eine Komponente
ihres Philosophierens voraussetzt.
57
suchung der nur durch unmittelbare evidente Anschauung zugäng-
Natur, Gesellschaft und Geschichte" diene, von denen das zweite,
lichen W esenshestände der Welt und des Geistes", so lautet das
von diesem Zwang frei, rein-kontemplativ beschaffen sei, während
sich hieraus ergehende, in seinen methodischen Konsequenzen sich
das dritte keine "vergegenständlichende Betrachtung", sondern "ak-
von H u s s e r I weit entfernende phänomenologische Programm
tiver Einsatz" des ganzen Menschen "Mitvollzug des ewigen Aktes
Schelers.
·- sowohl der geistigen ideenbildenden Tätigkeit als seiner in
Der Konflikt mit H u sse r I beginnt schon auf einer
unserem Trieblehen spürbaren Drangswucht" sein soll.
höher liegenden Stufe, auf einer Stufe, die noch vor der phäno-
Daß die psychologische Disposition zur Erfahru.ngswissenschaft
menologischen Methode (sei sie erlebnismäßig .oder ontologisch
hier pragmatistisch uingedeutet, daß die ontologische Phänomeno-
ausgestaltet) liegt: bei der Problemstellung der Philosophie über-
logie als berechtigte philosophische Disziplin vorausgesetzt wird,
haupt. Von dem Postulat der Philosophie als strenger Wissen-
kann für die Erörterung der allgemeinen philosophischen Problem-
schaft ist der Intuitionismus logisch abtrennbar und daher auch
stellung außer Betracht bleiben. Es kommt auf die Konfrontie-
mit einer anderen Aufgabenbestimmung der Philosophie verbind-
rung von Betrachtung und Einsatz, auf die, mystische Töne an-
bar. Er drängt sogar zu einer anderen Verbindung: denn, da der
schlagende Bestimmung der "allem Philosophieren" zugrundeliegen-
Intuitionismus sich wissenschaftlich aus naheliegenden und ein-
den "Geisteshaltung als liehebestimmtem Aktus der Teilnahme des
leuchtenden Gründen nicht stützen läßt, besteht für denjenigen,_
·Kernes einer endlichen Menschenperson am Wesenhaften aller mög-
der sich ihm dennoch anvertraut, eine starke Verführung, sich im
lichen Dinge" an, die e x p I i z i t die Preisgabe einer konsequent-
Besitz eines der Wissenschaft überlegenen, eines höheren Wissens
wissenschaftlichen Problemstellung der Philosophie, dieser grund-
zu dünken. Dieser Verführung ist S c h e I e r , zwar mit Kompro-
legendsten Wiedereroberung Husse r I s, enthalten. Zwar möchte
missen, aber dennoch unterlegen. Sein Ziel, "die apriorischen W e-
S c h e I er daran festhalten, daß "Philosophie Erkenntnis ist und
sens- und Ideenstrukturen, die als objektiver Logos die. gesamte
der Philosoph ein Erkennender", die Philosophie soll sogar die
Weltwirklichkeit durchflech,ten und (im Sinne der Gültigkeit) he-
voraussetzungsloseste Erkenntnis sein. An den Früchten ihrer Kon-
herrschen, aufzudecken", führt~ ihn unmittelbar, vor allen Ergeh-
sequenzen beurteilt, erW-eisen sich jedoch diese mit der "aktiven
nissen, schon i~ seiner Fragestellung von den strengen Forde-
Einsatztheorie" unvereinbaren Bestimmungen als zu nichts ver-
rungen der wissenschaftlichen Philosophie a h. Dies zeigt S c h e -
pflichtend. Die Philosophie besitzt nämlich nach S c h e I e r "ihre
I~ r s bekannte Unterscheidung der drei Wissensarten: Herrschaft-
eigene Idee von Strenge", die offenbar auf Widerspruch_slosigkeit
wissen (Erfahrungswissenschaften), Wesenswissen (insbesondere Lo-
____ )~.einen Wert legt. Tatsächlich vertritt S c h e I e r die Meinung, es
gik, ontologische Phänomenologie) und Heilswissen (Philosophie
des Absoluten in Kombination mit dem ~,vulgären Wissen" und der
g:h: ,,kei~~ --ill.gemeingültig wahre, sondern nur eine indi~dual
gültig wahre . . . inhaltliche" Weltanschauung, wohl aber eine
"prima philosophia"), von denen das erste unter dem Zwang des "streng allgemeingültige Methode" zur Gewinnung dieser individual-
"Trieb und Bedürfnissystemes" "unserer möglichen Macht über gültigen WeltanSchauung. Hiermit ist ein weiterer Grundpfeiler
.. \.
58 59
Husse r I s kurzerhand umgestürzt: denn, was S c h e I er "indi-
vidual gültige Weltanschauung" nennt, ist R e I a t i v i s m u s , der
nur nicht die Offenheit seiner positivistischen Spielart besitzt, den
Wahrheitsbegriff über Bord zu werfen. Die Methode S c h e I e r s
kann daher keines1\'"egs "allgemeingültig" sein. Wäre sie dies,
so müßte sie auch zu eindeutigen Ergebnissen führen können. Da
ihr diese Fähigkeit aber ausdrücklich abgesprochen wird, könnte
ihre "Gültigkeit" (zur Gewinnung metaphysischer Wahrheit) nur
darin bestehen, daß ihre Anwendung allen Menschen den GI a u -
b e n an den Besitz solcher Wahrheiten erwerben könnte. Aber
auch das ist unmöglich, da nicht alle Menschen in der Philosophie
auf Widerspruchslosigkeit verzichten wollen, und da, sofern sie es
wollten, sie. sich überhaupt keine Meinungen mehr bilden können:
Denn jede, auch die individuellste Mein'img, muß als M e i n u n g
einen bestimmten Inhalt haben; diese Bedingung entfällt aber,
wenn man Widersprüche in seinem Meim~ngssystem zuläßt 35
•
S c h e 1 e r selbst findet sich mit einem fundamentalen Wider-
spruch in seiner individualgültigen Weltanschauung ab, indem
er nämlich die Unterordnung der Philosophie unter den Glau-
ben fordert (unter welchen Glauben bltl:lbt dabei. natürlich auch
Sache freien Ermessens, wie ja S c h e I e r sich vom Katholi-
zismus zu einer Art Pantheismus entwickelte). In seiner katho-
35 "Nicht nur bestimmte Resultate, sondern überhaupt eine ganz bestimmte
Methode ihrer Auffindung unter eine Sanktion stellen zu wollen, die ihren Rechts-
grund auf die positive Offenbarung zurückführt, ist sachlich widersinnig" - so
meint S c h e l e r und wäre völlig im Recht, wenn er das, was er für die Methode
behauptet, auch für deren Resultate in Anspruch nähme. Wenn 'es sachlich
widersinnig ist, eine Methode unter autoritäre Sanktion zu stellen, so gilt dies
notwendig auch für die Resultate, die ja nichts anderes sind als die Konsequenzen
der Anwendung einer Methode. Es ist also sachlich widersinnig zwischen Me-
thode und Resultat hinsichtlich ihrer Bestimmtheit durch den S a t z v o m
G r u n d e, d. h. hinsichtlich ihrer Unabhängigkeit von einer autoritären
Sanktion, einen Unterschied zu machen.
60
lischen Epoche sprach er jedenfalls den (durch entsprechende Stil-
änderung leicht einem anderen Glauben anzupassenden) Satz aus:
,,Nur als ,freie Magd' des Glaubens vermag die Philosophie die
Würde einer Königin der Wissenschalten zu bewahren, und sie
muß notwendig Diener_in, ja Sklavin und Hure der ,Wissenschaften'
werden, wenn sie sich erkühnt, sich als Herrin des Glaubens zu ge-
bärden." Diese "autonom vollzogene Unterwerfung unter die gött-
liche Offenbarungsordnung" (sei sie theistisch, pantheistisch oder
sonstwie gedacht) hat man in der Autoritätsphilosophie des Mittel-
alters bedeutend-klarer unumwunden als Unterordnung der Philo-
sophie unter die Theologie ausgesprochen, woran sich das Schein-
königtum der von S c h e l e r postulierten Philosophie und die me-
thodische Verwirrung ermessen läßt, die aus einer auch nur kurzen
Herrschaft dieaer scheinköniglichen Regierung im Reiche der Philo-
Jr.. sophie und der sonstigen Wissenschaften entstehen muß. S c h e -
l e r definiert die . Philosophie als "ihrem Wesen nach streng evi-
dente dnrch Induktion unvermehrbare und unvernichtbare, für alles
zufällig Daseiende ,a priori' gültige Einsicht in alle nur an Bei-
spielen zugä.D.glichen W esenheiten und Wesenszusammenhänge des
Seienden, und zwar in der Ordnung und dem Stufenreich, in denen
sie sich im Verhältnis zum absolut ·Seienden und seinem Wesen
befinden". Aus dieser Erklärung (die den Intuitionismus einfach
definitorisch einführt) geht klar hervor, daß das Prinzip der indi-
"idualgültigen W ahrheit 36 sich über die ganze Philosophie erstreckt,
36
Nach N. Hartmann untersteht die Philosophie der a p o r e t i s c h e n
Methode, . kraft derer sie ihre Fragen nicht "löst", sondern nur "behandelt"
(Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis, 2. Auflage, Berlin 1925, S. 123).
Diese aus einer Verzerrung des aristotelischen Erörterungsverfahrens (das vor-
schnelles Aburteilen ausschließen soll) entstandene Meinung drängt unwiUkürlich
die Frage auf, wozu man überhaupt noch philosophieren soll, und worin die
·. \
aporetische Methode sich von ziellosem Problematisieren unterscheidet.
61
 da alle ihre Wesensaussagen zu einer Weltanschauung, d. h. hier
zu einer Anschauung der Abhängigkeit aller Dinge von Gott, ge-
hören. S c h e i er zieht vieHach diese Konsequenz der generellen
"lndividualgültigkeit"' nicht und nimmt, z. B. für die Ethik, Allge-
meingültigkeit in Anspruch _:___ unter welcher Voraussetzung auch
diese und manche andere seiner Werke betrachtet werden müssen.
Insbesondere gilt dies auch für seine Methode der W esensanschauung,
die er mit einer Kritik der H u s s e r I sehen Reduktionsmethode
verbindet.
Die Unzulänglichkeit der in dem H u s s e r I sehen Reduktions-
verfahren postulierten Existentialabstraktion hat S c h e l e r sehr
treffend kritisiert. -Wie er nämlich mit Recht bemerkt, "sieht man . · ·
gar nicht, was an dem ,blühenden Apfelbaum' (ein Beispiel H u s-
s e r I s) nun anders werden soll durch die bloße Zurückhaltung des
Daseinsurteils, man sieht gar nicht, wie sich nur dadurch eine neue
Gegenstandswelt eröffnen soll, die in der natürlichen W eltan-
schauung noch nicht mit enthalten war. Vom Wesen bleiben wir
dabei völlig fern - und verwundert muß man sich fragen: Wozu
denn das Ganze?" Aus dieser Abweisung der Existentialabstrak-
tion, verbunden mit der des phänomenologischen Idealismus, ergibt
sich für s' c h e I er die Notwendigkeit, eine neue Methode zur
Gewinnung von W esensanschauungen, eine gegenüber der H u s -
s e r I sehen modifizierte phänomenologische Methode zu entwickeln
- (die auch, wenigstens in ihren Grundzügen, vorliegt). Zu diesem
Zweck überbietet Sc h e I er die von H u s s er I vorgenommene
aprioristische Umdeutung der Erkenntnis zu einer spezifischen
idealen Region dadurch, daß er den Begriff des Wissens durch allge-
meinste o n t o I o g i s c h e Merkmale zu bestimmen sucht. "Das
Wissen"', erklärt er, "ist ein letztes eigenartiges und nicht weiter ab-
leitbares Seins-Verhältnis zweier Seienden" (also keine irreale
62
Sphäre) : Wissen bedeute nichts anderes als T e i I h a b e n an
Etwas, und zwar entweder "ekstatisch" (bei Tieren, Primitiven,
Kindern, beim Erwachen aus der Narkose) oder "bewußt"' (gegen-
ständliches Wissen, im Gegensatz zu ersterem nichtgegenständlichen
Haben).
Diese platonisierende Konstruktion bricht aus einem elemen-
taren Grunde zusammen: der ihr zugrunde gelegte Begriff der Teil-
habe ist nämlich, als Verhältnis des Teiles zum Ganzen verstanden,
durchaus keine geeignete Grundlage zur Bestimmung des Erkennt-
nisbegriffs. Die Erkenntnis ist weder ~in Teil ihres Gegenstandes,
noch ihr Gegenstand ein Teil seiner Erkenntnis. S c h e I e r will es
allerdings dennoch so, denn sein "Haben", seine "Ekstase" be-
zeichnet diese logisch unmögliche Beziehung zwischen den beiden
Momenten der Erkenntnis: diese offene Erkenntnismystik. Es ist
charakteristisch für die Denkweise S c h e I e r s , daß er diese My-
stik an die angegebenen empirischen Beispiele knüpft, die doch
nur Fälle von mehr oder minder u n r e f I e k t i e r t e n Erkennt-
nissen sind, im übrigen aber so "gegenständlich", wie jede ausge-
. baute Theorie. S c h e I e r liegt eben daran, ein "lebensnaher", d. h.
in diesem Falle aber methodisch, ein auf Umfassung von Erfahrung
und Philosophie bedachter Philosoph zu sein, wovon jedoch beide
Gebiete ihren Schaden tragen müssen.
Versteht man unter Teilhabe aber nur ein B i I d für die Inten-
tionalität der Erkenntnis, dann ist diese sicher auf kein "Seinsver-
hältnis", auf keine ontologische Beziehung gegründet, und es gibt
auch dann kein übergegenständliches Haben der Sache an sich. Das
Teilhabebild verdeckt in diesem Falle nur die petitio principü der
ganzen Ableitung, die deshalb scheitern muß, weil Erkenntnis nur
durch introspektive Erfahrung in ihrer qualitativen Eigenart er-
faßt werden kann. Die Fiktion des Habens zieht bei S c h e I e r
63
eine weitere, für seine Methode der Wesenserfassung grundlegende
Fiktion nach sich. S c h e I er glaubt nämlich, ein elementares Wis-
sen aufweisen zu können, das notwendig einen e k s t a t i s h e n. c
Grund hat: Das Wissen von Existenz überhaupt. Realität sei ur-
sprünglich kein Gegenstand des Erkennens, sondern des Leidens,
~es W i d e r s t a n d s e r I eh n i s s e s. "Ein nur erkennendes W e-
sen hätte keine Realität, wobei Realität den Inbegriff alles dessen
'bedeutet, was gegen unser Streben Widerstand leistet." In dieser
Form wird der "voluntaristische Realismus" S c h e I er s zu einer
Tautologie: ein Wesen, das nicht leidend mit seiner Umwelt zu-
sammenstößt, stößt mit ihr nicht leidend zusammen. Die eigent-
liche Behauptung, daß es ohne Widerstandserlebnisse keine Reali-
tätserfassung gehe, ist jedoch, wie man sie auch interpretieren mag
(ob genetisch oder deskriptiv), ein offensichtlich bloß hingeworfener
Aphorismus. Dieser Aphorismus mag denjenigen blenden, bei dem
die Erinnerung an Prügel, an Zahnziehen oder an Sonstiges, das
seinem "Streben Widerstand" leistete, noch mit so starken Unlust-
gefühlen assoziiert ist, daß er darüber die Ruhe verliert, seine Er-
kenntnisakte genau zu beobachten. Kehrt jedoch sein psychisches
Gleichgewicht wieder ~urück, dann wird er sofort zugehen, daß man
von der schmerzerregenden Natur des z'ahnziehens und der Prügel
zwar durch Unlustgefühle, von diesen auslösenden Tätigkeiten selbst
aber durch seinen Gesichtsinn weiß. Er wird weit~r zugehen, daß
dieses doppelte Wissen nicht auseinander ableitbar ist, daß das eine
ohne das andere auftritt, und daß speziell das Widerstandserlebnis
nur eine beschränkte Klasse von W ertqualitäten, sonst aber nichts
erfaßt37 •
37 Die von N. Hartmann im Anschluß an Dilthey und Scheler
entwickelte Lehre von den "emotional-transzendenten Akten" als Grundquellen
der Erkenntnis - deren Reflexionselementen H a r t m a n n , auch schon
64
Die Hauptvorschrift von S c h e I e r s phänomenologischer
"Techne" besteht darin, nicht nur mitHusse r I die "in der natür-
lichen Weltanschauung stets implizierte Daseinssetzung auszuschal-
ten", sondern "die es gehenden voluntaristischen Funktionen zu he·
seitigen" oder populärer ausgedrückt, "alles begierliebes triebhaftes
#
V erhalten möglichst ruhen zu lassen". Diese Methodik (deren konse·
quente Durchfühning die unmögliche Verwandlung des Menschen
in ein rein-komtemplatives Wesen voraussetzt - daher das ver·
räterische Wort ,,möglichst") wiederholt 'eklatant den gerade von
S c h e I er kritisierten Grundfehler der Reduktionsmethode H u s-
s e r 1 s. Ob das Realitätsmoment voluntaristisch oder intellektuell
"entfernt" wird (natürlich nur als entfernt g e d a c h t, nicht etwa
wirklich entfernt wird, wie S c h e I er , seinen Realismus über Bord
werfend, einmal behauptet): "vom Wesen bleiben wir dabei völlig
·fern". Sc h eIergelangt sogar mit seiner Technik noch nicht ein,
mal zur Existentialahstraktion, weil eben Realität nur für einen
kleinen Ausschnitt von Gegenständen durch Widerstandserlebnisse
gegeben ist, und weil, sofern sie so gegeben ist, ihre Ausschaltung
doch einen D .e n k a k t voraussetzt, so daß S c h e I e r , noch mehr
S c h e I e r , wieder gerechter wird als H u s s e r 1 - unterliegt prinzipiell . der
gleichen Kritik, wie aus m e i n e r Diskussionsrede zu H a r t m a n n s Vortrag
auf der Haller Tagung der Kautgesellschaft hervorgeht· (Philosophische Vorträge
der Kantgesellschaft, Heft 32, S. 57 ff., Berlin 1931). Daß Hartmann weder
von einer h!oßen Erkenntnistheorie, noch von Erkenntnisphänomenologie, sondern
klar und deutlich von "Metaphysik der Erkenntnis" spricht, bedeutet für die
Kritik eine systematisch-wichtige Klärung. Den dennoch verbleibenden, unauf-
löslichen Schwierigkeiten der Erkenntnismetaphysik kann H a r t m a n n nich~
etwa dadurch entgehen, daß er sich auf die, wie er meint, der Metaphysik nun
einmal eigentümlichen , ,irrationalen Restprobleme" zurückzieht. Denn gibt
man einmal diese "Restprobleme" zu, so folgt unweigerlich die "Irrationalität"
der Metaphysik überhaupt, da doch ihre für sich rationalen Teile in ihr System
eingegliedert sind, das bereits durch einen einzigen "irrationalen" Satz gänzlich
irrational wird. Die Hochschätzung H a r t m a n n s für die H e g e I sehe Dia·
lektik ist also kein Zufall. •
5 Kraft, Von Husserl zu Heidegger 65
als H u s s e r I , für die Anwendung seiner Methode auf Zwischen-
glieder angewiesen bleibt.
S c h e I er s Philosophie entwickelt sich ausdrücklich nicht
nur in Form der Wesenserkenntnis; in ihren höchsten und
abschließenden Teilen, in der Anthropologie und Religions-
philosophie, tritt schon programmatisch eine neue "Erkenntnis-
quelle" auf: der aktive Einsatz, die liehende Hingabe, die Sym-
pathievereinigung mit dem All der Dinge. Systematisch betrachtet,
ist dies ein Ersatz für den phänomenologischen Idealismus, der
H u s s e r I die Realität garantieren soll. Aus dem Schattenreich
des absoluten Bewußtseins flieht S c h e I er zum "Lehen, We~en,
Wollen, ·Denken ,in ihm' und kraft seiner und gleichsam aus ihm
heraus - cognoscere in lumine dei, velk in deo, nannte es
Augustmus - das keine Spur mehr von jener gegenständlichen Ein-
stellung einschließt, wie wir sie bei aller Welt-, Selbst- und Fremd-
~eohachtung zu haben pflegen." Die ontologische Phänomenologie
S c h e I e r s landet so bei dem Satz "Gefühl ist alles": die Wissen-
schaft dankt bei ihr insofern endgültig ah38 39•
38 Der bisher zum großen Teil unveröffentlichte Nachlaß Sc h e I er s wird
auch einen Ausbau seiner Erkenntnislehre (genauer Erkenntnismetaphysik) ent·
halten. Wesentlich neue Gesichtspunkte zu ihrer Beurteilung sind darin kaum
zu erwarten, denn schon die vorliegenden Ansätze zu einem solchen Aufhau zeigen,
daß dieser vollkommen der Haltlosigkeit seiner Gmndlage entsprechen wird.
·S c h e I e r s "Funktionalisiemng der Wesensanschauungen an den Sachen
selbst" - · eine andere Bezeichnung für das Teilhaben, die gleichzeitig die
Wandelbarkeit der Wesenserkenntnisse, die relativistische Metaphysik Schelers,
bezeichnen soll - erlaubt in praxi alle jene Kombinationen vorzunehmen und
als Wesenserkenntnisse auszugeben, die dem funktionalisierenden Philosophen
gerade einfallen. So überläßt man es dem "westeuropäisch-voreingenommenen''
K a n t , vom Raum als Gegenstand einer Anschauung zu sprechen, und vollzieht
selbst das "ekstatische Haben", daß "Räumlichkeit ..., nach ihrer subjektiven
Seite hin gesehen, ... zunächst weiter nichts als die erlebte Macht, Bewegungen
vom Wesen der Vitalbewegung vollziehen zu können" ist, daß der leere Raum
"aus dem Erlebnis der Unhefriedigung und Unerfülltheit eines Triebhungers nach
66
2. Zur materialen Wertethik und zur Religions-
philosophie.
I.
Neben H u s s er I s "Ideen" ist S c h e I e r s "Ethik" die selb-
ständigste Leistung aus der phänomenologischen Schule und an Ge-
halt in ihr sogar unerreicht dastehend. Sie greift die von Husse r I
gestellte Aufgabe einer phänomenologischen Ethik wirklich an und
hat eine Systematisierung und Fortbildung bei N. Hartman n 40
gefunden. Daß auf Grund der phänomenologischen Methode die
Ethik gerade d i e Gestalt erhielt, die S c h e I e r und H a r t m a n n
ihr gegeben haben, ist natürlich keinesfalls notwendig. Da allgemein
sowohl die Materialauswahl wie der Grad seiner Reduktion dem
spontaner Bewegung entstammt". Für die Vorstellungen der Zeit, der Kausalität
und für sonstige Grundkategorien lassen sich leicht analoge Kombinationen aus·
führen, die jedoch immer einen gleich-spielerischen Charakter haben und durch-
aus keine Vertiefung des Kategoriesystems bedeuten. Sie müssen vielmehr zu
einer jeder wissenschaftlichen Mode anpaßbaren V erwirmng führen und haben
tatsächlich schon dazu geführt (7.). Eine für alle Einzelfälle explizierte Auf-
weisung der von dem voluntaristischen Realismus in seiner Erkenntnismetaphysik
fortwährend geübten petitiones principii und seiner genetisch-psychologischen
Willkürlichkeiten erübrigt sich deshalb, weil diese Mängel sich jeder aufmerk-
samen Lektüre aufzwingen und sie dazu nur Konsequenzen ihres bereits kritisch-
erörterten Gmndprinzips sind.
Gegen den lntuitionismus, insbesondere in seiner ekstatischen und emotio-
nalen Form, wendet sich mit treffenden Argumenten S o m o g y i (Philosophia
perennis, Bd. II, S. 700 ff., Regensburg 1930).
39
Diese Abdankung nimmt also bei S c h e I e r eine doppelte Form an:
einmal die der Unterordnung der Philosophie unter den Glauben und außerd~m
die Aufnahme außererkenntnismäßiger "Haltungen" in die philosophischen Er-
kenntnisquellen. Da das Erlösungswissen S c h e I e r s die Prätention hat, alles
sonstige Wissen mit dem vom Absoluten in Beziehung zu setzen, muß sein Gesamt-
aufbau der Philosophie "ekstatisch" durchsetzt sein und jenes eigentümliche
Mischungsverhältnis von L i t e r a t e n t u m und S c h o I a s t i k zeigen das
S c h e I e r idealtypisch verkörpert. '
40
Ethik, Berlin und Leipzig 1925; auch auf dieses Werk muß daher im
folgenden Bezug genommen werden.
5*
67
Ermessen des Phänomenologen überlassen bleiben, besteht a priori
K an t s kategorischen Imperativ. als eme Fiktion, ohne zur Be-
die Möglichkeit, vielerlei phänomenologische Moralsysteme zu ent-
gründung dieser Kritik etwas anderes anzuführen, als daß K a n t
wickeln. Die Rolle der Zwischenglieder wird hier also wieder her-
zu keiner I n h a l t s hestimmung seines Sittengesetzes vorgedrungen
vortreten; eine gegebene Reihe solcher Glieder determiniert dann
ist. Der von S c h e I e r besonders populär gemachte, aber auch in
allerdings eine bestimmte Ethik. So ist z. B. die phänomenologische
der Schule des Kritizismus. erkannte und ausgesprocheneH Forma-
Rechtsph:ilosophie eine Wiederholung der Theorien J e 11 i n e k s ,
lismus der K a n t ischen' Ethik veranlaßt also schon B r e n -
:K e I s e n s und altüberlieferter Naturrechtsideen, also bereits in
t a n o , den Begriff des ethischen Ge s e t z e s , als zum Aufhau
sich völlig ge~palten41 und zum großen Teil durchaus nicht in jener
der Ethik untauglich, zu verwerfen. In Analogie zu seiner Lehre
Opposition gegen die imperativische Ethik, der S c h e I er s Haupt-
von der Urteilsevidenz führt er statt dessen den Begriff des rich-
angriff gilt42 • tigen Liehens, allgemeiner des richtigen Vorziehens, als vermeint-
In allen Hauptpunkten ist die phänomenologische Ethik von
lich evidente, tatsächlich aber bereits logisch (infolge ihres Psycho-
B r e n t a n o vorweggenommen worden. In seiner Schrift "Vom
logismus und der in ihr enthaltenen petitio principii) untaugliche
Ursprungs sittlicher Erkenntnis" 43 bezeichnet bereits B r e n t an o
Grundvoraussetzung der Ethik ein. Auf dem Umwege über die alte
41Näheres hierüber findet sich in meiner Abhandlung: Die wissenschaft- Lehre vom höchsten Gut, das nach B r e.n t anodenhöchsten Gegen-
liche Bedeutung der phänomenologischen Rechtsphilosophie, Kantstudien, Bd. 31,
stand des "als richtig charakterisierten Bevorzugens" bildet, tritt in
H. 2/3, S. 286 ff.
42 Deutlicher als S c h e l e r und H a r t m an n spricht es Li t t aus, was dieser Ethik der Pflichtbegriff wieder auf, und zwar als Pflicht der
dieser Kampf gegen die imperativische Ethik bedeutet. Er befreit uns "in voller maximalen Förderung des höchsten Gutes, womit im Keime die
Bewußtheit von jenem Dualismus von Wert und Wirklichkeit, der mit seiner
äußerlichen Entgegensetzung des innerlichen Zusammengehörigen gleich· uner- materiale Wertethik vorliegt. Der logische Weg B r e n t an o s
träglich ist für das Denken, das die angeblich r.adikal geschiedenen in der inneren besteht also. darin, in seiner Lehre vom r i c h t i g e n Vorziehen die
Erfahrung unausgesetzt sich durchwirken sieht, wie für das Handeln, das nur als
materiale Wertethik vorauszusetzen, um sie dann aus dieser Voraus-
,Aufhebung' jener Trennung seinen höheren Sinn gewinnt." Um dies ganz zu
verstehen, muß man berücksichtigen, daß sich L i t t die Beziehung zwischen setzung, d. h. im Wege eines Trugschlusses, abzuleiten.
Wert und Wirklichkeit als "dialektische Vereinigung" vorstellt. (Handbuch der S c h e I e r s ethischer Ansatz ist nun keine unselbständig aus-
Philosophie, herausgegeben von Bäumler und Schröter, Bd. 3, daraus: Ethik der
; > geführte Kopie B r e n t a n o s , sondern entwickelt sich in freier
Neuzeit, S.180, 182, München und Berlin 1931.) Die Vereinigung zwischen Wert
und Wirklichkeit ist also nach L i t t s eigenem Zeugnis widerspruchslos nicht Anlehnung an ihn aus gewissen systematischen Voraussetzungen,
möglich, womit für ·die wissenschaftliche Ethik die Notwendigkeit anerkannt
die der phänomenologischen Philosophie (in der Fassung Sc h e-
ist, in vollem Bewußtsein den Dualismus von Wert und Wirklichkeit, als logisch
unvermeidlich, vorauszusetzen und auf den höheren Sinn des Handeins V erzieht l e r s) überhaupt eigentümlich sind.
zu leisten, der, als dialektische~, doch nur Schein ist. Die schon von H u s s e r I postulierte, von S c h e I e r noch
Die Konsequenzen der Litt sehen Dialektik für die Staatstheorie hat
K e l s e n schlagend in seiner Schrift: Der Staat als Integration, Wien 1930, 4
~ Z. B: mit besonderer Klarheit und Ausführlichkeit von N e I s 0 n in
kritisiert.
42 2. Aufl., herausgeg. u. eingeleitet von Kr a u s , Leipzig 1921.
seiner Schrift:
\ Die kritische Ethik bei K an t , Sc h 1• 11 e r un d F r 1· e s , G""ot--
tingen 1914.

68 69
mehr in den Vordergrund gerückte Philosophie des Absoluten,
schließt in ihrer Konsequenz eine selbständige Ethik aus. Es liegt
in dem Begriff einer solchen Philosophie, daß sie den V ersuch
machen muß, aus e i n e r philosophischen Disziplin alle übrigen
abzuleiten. Bei H u s s er I spielt die B e w u ß t s e i n s phänomeno-
logie diese ausgezeichnete Rolle. In s~inem letzten Entwicklungs-
stadium sprach Sch eIe r einer philosophischen A n t h r o -
p o I o g i e diese Sonderstellung zu. Im Verhältnis zu seiner Ethik
ist jedoch die R e I i g i o n s p h i I o s o p h i e die übergeordnete
Disziplin, wie dies vollkommen der Frage nach dem höchsten Gut
entspricht. S c h e I e r s Ethik ist insofern eine religiöse Ethik,
wenn auch unmittelbar keine theologische, da sie den V ersuch
macht, unabhängig von konfessionellen Traditionen ein System
ethischer Sätze zu entwickeln.
Da der Ansatz einer religiösen Ethik sowohl aus dem Begriff
der Philosophie des Absoluten wie aus der Idee der Wertethik folgt,
ist es lediglich eine Inkonsequenz, wenn man als Phän0 menologe
dennoch die in der kritischen Philosophie entwickelte Selbständig-
keit von Ethik und Religionsphilosophie aufrecht erhalten will.
H a r t m an n , de~ dies versucht, fällt auch schon mit seiner allge-.
meinsten Fragestellung ~eder in die religiöse Ethik zurück. H a r t -
m a n n s systematische Grundfrage lautet nämlich: ,.Was ist wert-
voll im Leben, ja in der Welt überhaupt?" Erst aus der Antwort
auf diese Frage folgt nach Hartmann, was der Mensch tun soll.
Faßt man die Ausgangsfrage, die mit der nach dem höchsten Gut
zusainmenfällt, streng auf, so muß auf sie eine religiöse Antwort
gegeben werden; diese Antwort zu verweigern, bedeutet die Frage
willkürlich abzuschneiden, allerdings auch den Fortschritt, implizit
zu einer logisch-selbständigen ethischen Problemstellung .zurückzu-
kehren. Diese Rückkehr ist bei H a r t m a n n keineswegs konse-
70
quent vollzogen, wie etwa daraus hervorgeht, daß er der reinen
Solleusethik ,.sittliche Verblendung" vorwirft, während doch viel-
mehr die s i t t 1 i c h e Verblendung gerade dort liegt, wo man ,.das
Leben in einer entwerteten und entheiligten Welt" nicht ertragen
kann (Hartmann), wo man sich also aus dem unversöhnlichen
Ernst der ethischen Aufgabe und dem Kontrast ihres Inhalts zu der
Wirklichkeit ·des Lebens in eine Welt metaphysischer Phantasie
:flüchtet.
überhaupt sind die phänomenologischen Argumente gegen den
ursprünglichen Aufgabencharakter der Ethik, sofern sie nicht nur
den Formalismus gerade der K an t ischen Ethik kritisieren und
hiermit den Ansatz der Aufgabenethik gar nicht treffen, wenig
weiterführend. Daß S c h e 1 er K a n t s Prinzip der Gesinnungs-
moral als pharisäisch verdächtigt, daß er das Prinzip des katego-
rischen Imperativs als Ideologie des preußischen Absolutismus dar-
stellt und um solche Analysen sich ernsthaft bemüht, kann nur als
Produkt einer übereifrigen Kritik verstanden werden. Denn es
genügt, den Unterschied zwischen p:ßichttreuer, also erfolgsabholder
und gefallsüchtiger, also erfolgsuchender Gesinnung, zwischen
P:ßichterfüllung und Gehorsam aufzufassen, um die g~nze Willkür-
lichkeit dieser psychologisch-soziologischen Einordnungen zu er~
kennen.
Theoretisch ernster zu nehmen ist die Einführung des W e r t .
begriffs und des Begriffs der Werts c h a u , als Mittel zur Über·
windungdes ethischen Formalismus. In einem gewissen Sinne näm·
lich ist der Begriff des Wertes für die Ethik unvermeidlich, und
zwar insofern, als ohne Rücksicht auf von den Menschen v~r­
folgbare Werte sich keine P:ßichten entwickeln lassen. Dies be-
deutet jedoch nicht, daß die Pflichten aus Werten folgen, sondern
vielmehr nur, daß sie ohne gegebene Werte nicht aufgestellt werden
71
 :,Ta
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I
h
können. Im Sprachgebrauch der kritischen Philo'sophie: Die Werte
gehören zur Materie der Pflicht, aber die Pflicht· selbst ist kein die
Handlung auszeichnendes Verdienst, sondern bloße Schuldigkeit.
An diesem fundamentalen Sachverhalt muß jede W ertethik, wenn
sie sich auch noch so sehr sträubt, Zweck- und Güterethik genannt
zu werden, scheitern und daher ·prinzipiell auf die alte Lehre vom
höchsten Gut zurückführen, die von K a n t endgültig widerlegt
wurde.
Die Einführung der Wertschau ·beruht nach S c h e I e r auf
"dem höchsten Grundsatz der Phänomenologie", kraft dessen ein
Zusammenhang zwischen dem Wesen des Gegenstandes und dem
Wesen des intentionalen Erlebnisses besteht. Dieser höchste Grund-
satz ist eine verallgemeinerte Formulierung der Annahme, daß alle
Urteile schließlich intuitiv begründet werden müssen, woraus un-
mitt~lhar folgt, daß die ethischen Urteile, als Sätze a priori, auf
einer eidetischen Intuition beruhen müssen. Die Grundlagen der
phänomenologischen Ethik sollen aber nicht nur intuitiv-eidetische,
sondern darüber hinaus jenseits intellektueller Erfaßbarkeit ·lie-
gende, e m o t i o n a I e Inhalte sein. Der emotionale Apriorismus,
der in Anlehnung an P a s c a I s logique du coeur concipiert und
ein Spezialfall der antiintellektuellen, voluntaristischen Philosophie
S c h e I e r s ist, beruht jedoch auf einem doppelten Mißverständnis:
er mißdeutet einmal ethisches Lehen als auf ethischer Erleuchtung
beruhend und hält sodann diese für die konstitutive Grundlage
der philosophischen Ethik. Daß "der brave Mann seine Pflicht tat,
ehe noch Weltweise waren", stellte bereits Schiller fest, ohne
hieraus einen emotionalen Intuitionismus für die Ethik abzuleiten.
Daß es ohne sittliches Interesse keine moralischen Handlungen
gehen kann, war K a n t kein Geheimnis. Dennoch konnte er sich
auch für die Ethik nicht zur Anerkennung einer "Lehensphilo-
72
sophie" entschließen, weil eine emotionale, philosophische Disziplin
ein Widerspruch in sich ist. Es bleibt also von der Wertschau an
Positivem nichts übrig, als die Intention zur Überwindung des
Formalismus- in den von Irrtum und Widerstreit der Gefühle so
heftig erfüllten Tatsachen des ethischen Lehens findet sie sicher
keine Grundlage45 •
In einem wichtigen Punkte weicht die phänomenologische Ethik
von ihrem Vorbilde B r e n t an o ab, und zwar als Folge der
o n t o I o g i s c h e n Orientierung S c h e I e r s , die ihn die Ethik
nicht als Lehre vom richtigen Vorziehen, sondern von den Gegen-
ständen dieses Vorziehens, den durch die Menschen darzustellen-
den Werten aufhauen läßt. Hierdurch wird der psychologistische
Fehler B r e n t a n o s korrigiert, gleichzeitig aber ein E m p i r i s -
m u s der ethischen Inhalte eingeleitet: Ausdrücklich fordert
S c h e 1 e r eine Wesensanschauung "sittlicher Tatsachen", die not-
wendig zu einer Verwirrung vo~ Geltendem und Gültigem führt.
Die Idee der sittlichen Tatsache folgt solange nicht aus dem Ge-
danken der materialen W ertethik, als man diese nicht als Lehre
vom höchsten Gut, sondern nur als solche von gewissen positiv
ausgezeichnetenWerten (die darum nicht beanspruchen, das höchste
Gut der Welt zu sein) entwickelt. Auf die sittlichen Tatsachen,
45
In scharfsinniger und aufklärender Art und Weise wird der ethische
Intuitionismus S c h e l e r s und H a r t m a n n s als Gegenstück zu dem ethischen
Logizismus K a n t s von G y s i n (Recht und Kultur auf dem Grunde der Ethik,
Zürich 1929, S. 30 ff.) erörtert.
Anregend setzt sich auch·von Aster (Zur Kritik der materialen Wertethik,
Kantstudien, Bd. 33, H. 1/2, S. 172 ff.) mit Hartmanns Ethik auseinander und
stellt, den Kern der Sache treffend, fest: "Indem wir Wertethiker werden und
den Maßstab lebendigen Wertgefühls an Dinge, Personen, Sachverhalte, schließ-
lich an uns selbst legen, verwischen wir die Grenze zwischen der Moral und der
Welt des Ästhetischen, der Kunst" (188). Leider vermindert von A s t e r die
Stärke seiner kritischen Position durch ein Bekenntnis zum ethischen Relativismus.
73
d. h. aber auf das ethische Immanenzprinzip, gelangt man erst
durch konsequentes Zuendedenken der Abhängigkeit des Systems
der Ethik von der Religionsphilosophie: Die ethischen Tatsachen
erscheinen dann als eine Klasse jener Tatsachen, in denen sich die
Heiligkeit Gottes in dieser Welt offenbart.
Diese Grenzverwirrung zwischen Religion und Ethik bestimmt
den gesamten Aufbau d~r phänomenologischen Moralphilosophie.
So vertritt S c h e l e r als eine seiner grundlegendsten ethischen Ein-
sichten (und ihm folgend Hartmann und Hildehrand46 ) die
Meinung, daß ursprünglich nicht der W i 11 e des Menschen, son-
dern seine "Person", sein "individuelles Wertwesen" Gegenstand
der ethischen Beurteilung sei. Die "selbstverständlich gewordene
Voraussetzung, daß der Wille der alleinige Träger des Sittlichen
sei, von Grund auf zu prüfen", hält H i l d ehr an d für ein funda-
mentales Problem und S c h e I e r zögert sogar nicht, "Gesamt-
personen" (Volk, Staat, Kirche) als ethische Subjekte einzuführen,
was übrigens H a r t m an n wieder korrigiert.. Der haltbare An-
stoß zu der mit der Verkennung des Aufgabencharakters der Ethik
nahegelegten "personalistischen" Neuerung liegt ebenso, wie die
Einführung des W erthegriffs, in einer Hervorhebung der M a t e r i e
ethischen Verhaltens. Zu dieser gehören zweifellos vom Willen
unabhängige Momente des ethischen Subjekts, wie z. B. "Güte,
Großmut, Edelmut hzw. Kleinlichkeit, Bosheit" (H i l d ehr an d),
die sogenannten Temperamentstugenden und -Untugenden. Es ge-
hören zu ihr die Interessen und die Geistesverfassung des Men-
schen, die aber nicht an die Stelle jener Kraft treten können, die
allein zur ethischen Verwirklichung fähig ist: des Willens. Das
V erwirklichungsprohlem und damit die ethische Bedeutung des
46 Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung, Bd. III,
S. 126 ff., Bd. V, S. 462 ff.
74
Willens muß in emer religiösen Ethik, wie es die phänomenolo-
gische ist, verkannt werden und damit die ethisch ausgezeichnete
Bedeutung des Willens.
Auch die phänomenologische Idee der ethischen "Wertrangord"
nung" und einer "Rangordnung reiner W ertpersontypen" ordnet sich
in das Bild einer religiösen Ethik ein. Als höchster Wert in ihrer
konsequenten Ausgestaltung bei S c h e l e r erscheint die Heiligkeit,
als höchste Wertperson das göttliche Wesen. Dessen Heilige sind hier
auf Erden kraft göttlicher Sanktionierung legitimiert, Pflichten zu
setzen, ebenso, wie die ihnen nachgeordneten Wertpersontypen des
Genies, des Helden, des führenden Geistes mit diesem Privileg aus-
gestattet sind. Die materiale Wertethik erweist sich mit dieser Be-
rufung auf bestimmte Willensinhalte als Autor i t ä t s ethik,. mit-
telbar sogar als Moraltheologie, da ihr oberster irdischer W ertperson-
typ, der ohne weiteres das sittlich "Beste" repräsentierende Heilige,
kein Gegenstand der Erkenntnis, sondern nur des durch Wider-
sprüche nicht zu beirrenden Glaubens ist. Die materiale Wesens-
anschauung der Wertewelt klassifiziert daher in ihrer Ausführung
beliebige, darunter vor illern historisch geltende W ertvorstellung~n.
Während S c h e I e r s Wertrangordnung von Gott, der "Person
der Personen" zum "Künstler des Genusses" hinabsteigt und dazu
mit dem fragwürdigen Einfall der Gegenstandsunfähigkeit des Per-
. ~ sonseins helastet ist, begnügt sich H a r t m a n n , das Wertreich in
seine ihm wesentlich erscheinenden Teile zu zerlegen, ohne dabei
ein höchstes Grundprinzip, eine "punktuelle Einheit", erreichen zu
wollen. Was H a r t m a n n über das Gute, das Edle, die Fülle, die
Reinheit, die Gerechtigkeit, usw. teils richtig, teils falsch47 er-
47
Nach Sc h e l er ist für das Bestehen einer Verpflichtung immer ein Be-
fehlsakt Voraussetzung, diese leite ihre Verbindlichkeit aus dem materialen Wert
der befehlenden Autorität ab. Diese autoritative Form der Umdeutung sittlicher
75

örtert, ist für die Beurteilung seiner Ethik viel weniger wich:tig
als die eigenartige, an das Dogma von den Pflichtenkollisionen
erinnernde Lehre, daß es unaufhehhare ethische Widersprüche,
ethische Antinomien, gehe. Dieser Gedanke spielt bei H a r t m a n n
eine ähnliche Rolle, wie· bei S c h e l er , die Konzeption der uner-
kennharen Person: Er ist das charakteristische metaphysische Ge-
heimnis, das uns durch den Tiefblick der ethischen Schau enthüllt
wird, wenn es sich auch bei kühler Betrachtung immer als V er-
wechslung von U n t e r s c h i e d e n und G :e g e n s ä t z e n mit
Widersprüchen darstellt, wie dies schon die Methode der Wider-
spruchs"entdeckung" H e g e l s war, und wie es von der apore-
tischen Ethik lediglich wiederholt wird48 •
Verpfiichtung vermeidet H a r t m a n n , geht aber statt dessen von dem apore-
tischen Gedanken aus, das Gute sei "partial irrational", was ihn nicht hindert,
es material als "Auslese der Werte selbst nach dem Prinzip der Werthöhe" zu
bestimmen: Das Gute ist hiernach "die Teleologie der Werte in der realen Welt"
oder einfacher, das Mittel zu ihrer Realisierung, also doch ein "Mittelwert",
genau so, wie bei dem von H artman n scharf abgelehnten Utilitarismus. Die
teleologische Theorie des Guten ist die logische Folge der Eliminierung des kate-
gorischen Imperativs, der durch den hypothetischen Imperativ verdrängt wird.
das materiale Wertreich zu realisieren. Dies selbst ist bei H a r t m a n n
mehr ein Gegenstand traditionell-erbaulicher Betrachtungen als philosophischer
Einsichten. So erscheint in diesem Reich die "Idee der Menschheit" als "tief
unwirklich", es gilt daher auch keine "Einheitskultur der Menschheit", sondern
nur eine "völkische Kultur". Die Gerechtigkeit muß sich gefallen lassen, als
Mittelwert für andere Güterwerte niederer und höherer Art bestimmt zu werden;·
dagegen wird an dem positiven Recht der Sinn erschaut, "Formulierung mensch-
licher ,Urrechte' in ihren weitverzweigten Konsequenzen zu sein" und insofern
-~
eine immanente Tendenz zur Gerechtigkeit zu besitzen.
'.J
Um wieviel klarer hat der von H artman n so viel genannte Ar i s t o -
t e 1 es im Anfang der "Nikomachischen Ethik" seinen Gegenstand umschrieben:
"Wenn es nun ein Ziel des Handeins gibt", sagt Ar ist o t e I es, "das wir
seiner selbst wegen wollen, und das andere nur um seinetwillen, und wenn wir
nicht alles wegen eines anderen uns zum Zwecke setzen - denn da ginge die
Sache ins Unendliche fort, und das menschliche Begehren wäre leer und eitel - ,
so muß ein solches Ziel offenbar das Gute und das Beste sein."
48 Während Sc h e·I er seine materiale Wertethik konsequent in einer
76
Das eigentliche Ziel der phänomenologischen Ethik, die Über-
windung des ethischen Formalismus, ist ihr also nur in sehr approxi-
mativem Grade gelungen. Die Verkennung des Aufgabencharakters
der ethischen Ziele, die Umdeutung des Guten zu einem klar ge-
fühlten materialen Wert werden durch die Anregungen keineswegs
aufgewogen, die von manchen ihrer psychologischen und manchen
ihrer Wertanalysen ausgehen, und die heiderseits, auch soweit sie
positiv zu beurteilen sind, auf keiner Schau, sondern auf einzelnen
glücklichen phil,~sophischen Abstraktionen und vor allem auf dem
psychologischen Scharfblick S c h e I e r s beruhen.
II.
Wie indifferent die phänomenologische Methode gegen die
durch sie mit vermeintlich absoluter Evidenz zu erschauenden In-
halte ist, wie sich also durch die gleiche Methode der Reduktion
inhaltlich ganz verschiedene Ergehnisse ableiten lassen, dafür ist
der krasse Wechsel der religionsphilosophischen Anschauungen
S c h e I e r s ein klassischer Beleg. In einer seiner letzten Abhand-
lungen bekennt sich S c h e I er zu der metaphysischen Lehre: ,,Der
Mensch ist der einzige Ort, in dem und durch den das Urseiende
sich nicht nur selbst erfaßt und erkennt, s~ndern er ist auch das
Religionsphilosophie ihren Abschluß finden läßt, vertritt H a r t m a n n den
·~~Gedanken einer durchgängigen A n t i n o m i e zwischen Ethik und Religion,
ohne irgendeine zureichende Begründung hierfür angeben zu können. Wider-
sprüche können nur dann auftreten, wenn die Religion in die Ethik oder
die Ethik in die Religion Übergriffe vollzieht. Beides tut die materiale Wert-
ethik, und insofern enthält s i e allerdings Antimonien. Diese Schwierigkeiten
liegen jedoch nicht in der Idee der Ethik und der Religion, sondern in ihrer
mangelhaften Ausführung durch den phänomenologischen Intuitionismus. Wenn
es in den exakten Wissenschaften als conditio sine qua non gilt,- Widersprüche
zu vermeiden, so hat nunmehr die Philosophie des Schauens geradezu dahin
geführt, Widersprüche zu suchen, ein seltsames Beispiel dafür, welche spekula-
tiven Erfindungen die Metaphysik geschaut zu haben sich einbilden kann.
77
Seiende, in dessen freier Entscheidung Gott sein bloßes Wesen zu
verwirklichen und zu heiligen vermag." Fünf Jahre vorher bezeich-
nete er Eduard v. H artman n s Gedanken einer Erlösung Gottes
durch den Menschen mit dem zwingenden Hinweis als widersinnig,
es sei unmöglich, "daß das Abgeleitete den Grund erlösen soll, der
Mensch, in dem .doch nichts an positiven Kräften sein kann, was
nicht auch in seinem und seines Geistes Ursprung ist, diesen Ur-
sprung". Das logische Verständnis dieses Schwankens bereitet keine
Sch~erigkeiten: läßt es die phänomenologische Methode doch
durchaus dahingestellt, ob man als Ausgangspunkt seiner Reduk-
tionen ein theistisches, ein pantheistisches, ein jüdisches, ein christ-
liches oder ein mohammedanisches Glaubensbekenntnis wählt: wie
in der Ethik, so begünstigt sie auch in der Religionsphilosophie
einen Empirismus der Inhalte.
Sie begünstigt aber gleichzeitig eine nicht-sensualistische Reli-
gionspsychologie, für die sich S c h e I er (in der methodisch ver-
fehlten Form einer Aktphänomenologie, die sich über ihren Cha-
rakter als d e s k r i p t i v e Psychologie nicht klar ist) mit beson-
ders gelungenen Darstellungen eingesetzt hat. Es ist weniger die
Schärfe seiner psychologischen Begriffsbildung, als die bildhafte
Anschaulichkeit seiner Sprache, die den Wert dessen ausmacht, was
er zur Wiederentdeckung der religiösen Akte des menschlichen
Geistes beigetragen hat. Ein tiefes Gefühl für das Wesentliche
der hier zu erforschenden Tatbestände leitet S c h e I er, wenn er
z. B. sagt: "Da der religiöse Akt eine wese~notwendige :Mitgift der
menschlichen geistigen Seele ist, kann gar nicht die Frage ergehen,
ob er von einem Menschen vollzogen wird oder nicht. Es kann nur
die Frage ergehen, ob er das ihm adäquate Objekt :findet, das
Ideenkorrelat, zu dem er wesensmäßig gehört oder ob er auf ein
Objekt zielt und es als heilig und göttlich, als absolutes Wertgut
78
bejaht, das seinem Wesen widerstreitet, da es der Sphäre endlicher,
kontingenter Güter angehört. Es besteht das Wesensgesetz: Jeder
endliche Geist glaubt entweder an Gott oder an einen Götzen."
Die Plastik dieser und ähnlicher Formulierungen läßt über die
metaphysischen Willkürlichkeiten, die mit ihr verbunden sind, hin-
wegsehen, so z. B. über die Sätze: Alles Wissen über Gott ist Wis-
sen durch Gott; der religiöse Gegenstand trägt notwendig personale
Gestalt; der religiöse Akt ist immer gleichzeitig individueller und
sozialer Art. Solche Diktate sind immer in Wesensaussagen trans-
formierte, konfessionelle und philosophische Dogmen, die ihre histo-
rische Herkunft aus dem P I a t o nismus und Katholizismus ohne
weiteres verraten.
Die tiefste Schwäche der Religionsphilosophie S c h e I e ·r s liegt
in ihren Distinktionen über die notwendigen Offenbarungsgrund-
lagen der Religion. Es verhält sich hiermit ähnlich wie bei dem'
ethischen Intuitionismus. S c h e I e r geht von dem elementaren
Tatbestand aus, daß religiöses Leb e n sich nicht in religiöser Er-
kennt:njs erschöpft und diese nicht in Religionsphilosophie, um aber
hieraus eine grenzenlose Verwirrung zwischen religiösen Interessen,
religiöser Gefühlsgewißheit und Religionsphilosophie abzuleiten,
als wichtigsten Anwendungsfall seiner allgemeinen Untero~dnung
der Philosophie unter den Glauben. Die kritisch-wicht.igste Auf-
~gabe der Religionsphilosophie, die Begründung ihrer Selbständig-
keit gegenüber jeder konfessionellen Dogmatik und jedem konfes-
sionellen Bekenntnis, wird also von S c h e I e r vollständig verkannt.
Und dies, obwohl alle Voraussetzungen zur Widerlegung des Scheins,
den die .Lehre von einer selbständigen, d. h. von den Quellen der
religionsphilosophischen Überzeugungen gänzlich-unabhängigen,
religiösen Glaubensgewißheit hat, ihm vollkommen zur Verfügung
standen. In der Konsequenz dieses grundlegenden Mangels gestaltete
79
sich die Religionsphilosophie S c h e 1 e r s in ihrer Wirkung vor-
wiegend zu einer religiösen Ideologie.
Diese Tendenz wurde noch unterstützt durch S c h e I er s Intui-
tionen über das göttliche Wesen. So .scharfsinnig und treffend viele
seiner Bemerkungen auch hier sind, so die Lehre von dem not-
wendig negativen, hzw. analogischen Charakter aller Aussagen
über das Ewige, schließlich verliert sich seine Darstellung der gött-
lichen Attribute doch in einen sublimierten konfessionellen Anthro-
pomorphismus49, der durch sehr brüchige Argumentationen gestützt
wird. Ein Prototyp sol~her Argumentation ist S c h e 1 e r s Beweis
der Geistigkeit Gottes. Dieser Beweis lautet folgendermaßen:
1. Diese Welt ist in ihrem Sein unabhängig vom Dasein meines
geistigen Akts und vom Dasein jedes Aktes desselben W e-
sens; jeder ihrer Gegenstände ist nur teilweise und inadäquat
solchem geistigen Akte (möglich) immanent.
2. Es gehört gleichwohl zum Sein jeder möglichen Welt, das
Sein eines möglichen Geistes und zu jedem Gegenstand, volle
mögliche Immanenz dieses Gegenstandes in diesem Geiste.
3. Also gehört ~uch zur Welt ein Geist, der - wenn ich 'die
Welt setze- notwendig mitzusetzen ist und der (auf Grund
der ersten Prämisse) nicht der menschliche Geist sein kann
- weder seinem Dasein nach, noch· seinem Wesen nach.
S c h e I e r wäre dieser Be~eis bedeutend einfacher möglich
gewesen, wenn er den dem phänomenol~gischen Idealismus ver-
49 Solange S c h e I e r die Unhestimmbarkeit des göttlichen Wesens durch
Naturbegriffe, wie Raum, Zeit, psychologische Qualitäten. entwickelt, ist er seinen
Kritikern aus dem Kreise der katholischen Philosophie (Pr z y w a r a, Ge Y s er)
überlegen. Aber mit der Lehre. von den analogischen Attributen Gottes (z. B.
Geist, natürliche Offenbarung, Wille, Schöpfermacht) lehnt sich Sc h e I er
allzueng an die A u g u s t i nische Mystik an, gegen die der T h o mismus in
entscheidenden Punkten siegreich bleibt.
80
wandten Inhalt der z w e i t e n Prämisse allein vorausgesetzt hätte,
der nämlich den Inhalt seiner Behauptung enthält: Wenn ich weiß,
daß das Sein j e d e r möglichen Welt ein geistiges Sein voraussetzt,
so weiß ich es natürlich auch für d i e s e Welt. Die Frage ist aber
gerade, ob für jede mögliche Welt ein geistiges Sein vorauszusetzen
sei, und diese Frage gibt S c h e I e r einfach wieder zurück.
S c h e I e r s Religionsphilosophie ist im doppelten Sinne ein
Torso. Das Vorliegende ist mehr Skizze als ausgearbeitete Lehre; er
selbst hat sich von ihr losgelöst. Ihre Bedeutung im Rahmen der
phänomenologischen Schule ist daher vorwiegend eine exemplifi-
zierende: sie belegt eine m ö g I i c h e Ausgestaltung der ·phäno-
menologischen Religionsphilosophie. Darüber hinaus ist sie der
Grenzfall einer Sphärenverwirrung zwischen subjektivem Bekennt-
nis und wissenschaftlicher Einsicht, die durch die phänomenolo-
gische Philosophie logisch ermöglicht, sich gerade bei S c h e I er
bis in seine empirischen Untersuchungen hinein fortsetzt. Deren
Kritik ermöglicht erst ein vollständiges Erfassen des phänomeno-
logischen Einbruchs in die Erfahrungswissenschaften, der sich para~
digmatisch in der S o z i o I o g i e 50 vollzogen hat.
3. Zur ph änomeno log.ischen S oz.iolo gie.
Wie kaum eine andere Erfahrungswissenschaft, spiegelt die
~Soziologie d~n heftigen Methodenstreit wieder, der sich zwi-
schen dem hergehrachten Positivismus und der wieder erwachten
Metaphysik abspielt. Es koexistieren heute soziologische Theorien,
die sich ausdrücklich als Tochterdisziplinen einer theologischen
50 Ich wähle das Beispiel der Soziologie., weil es mir .aus eigener Arbeit
vertraut ist, und weil es die früher entwickelte Bedingung der relativen Unent-
wickeltheit (I, 3.) erfüllt, die es aprioristischen Eingriffen im besonderen Maße
aussetzt.
6 Kraft, Von Husserl zu Heidegger 81
Dogmatik bezeichnen mit solchen, die dem radikalsten Positivismus
folgen, und es ist ·daher nicht leicht, diesen Gegensätzen und den
sich zwischen ihnen einschiebenden vermittelnden Ansichten gegen-
über einen adäquaten Standpunkt zu gewinnen. Die Schwierigkeit
wächst bei einem tieferen Studium, das in jeder der vorliegenden
Theorienbildungen irgendeinen auswertbaren Gedankenkern finden
wird. Es ist kein Zufall, daß innerhalb dieses Bildes die phäno-
menologische Soziologie nicht auf jener Seite steht, die auch in
der Soziologie das Ideal der exakten Wissenschaft, d. h. aber das
der N a tu r w i s s e n s c h a f t im Sinne der Grundintention von
M.a r x und P a r e t o vertritt. Die phänomenologische Soziologie
ist vielmehr die sublimierteste Form der antinaturalistischen Ten-
denzen in der Soziologie, und in dieser Form ist sie bereits von
H u s s e r I postuliert worden. Die "intersubjektiven Gemeinschaf-
ten" erweisen sich nämlich nach einer Bemerkung Husse r I s "ob-
schon wesentlich fundiert in psychischen Realitäten, die ihrerseits
im Physischen fundiert sind, als neuartige Gegenständlichkeiten
höherer Ordnung". 'Oberhaupt zeige es sich, daß es vielartige Gegen·
ständlichkeiten gehe, "die allen psychologistischen und naturalisti-
schen Umdeutungen trotzen. So alle Arten von W ertohjekten und
praktischen Objekten, alle konkreten Kulturgehilde, die unser
aktuelles Lehen als harte Wirklichkeiten bestimmen, wie z. B. Staat,
Recht, Sitte, Kirche usw." Dieser Hinweis H u s s er I s läßt sich
zwanglos als Analogie zu seiner .Apriorisierimg der psychischen
Inhalte zu einer autonomen Sinnregion deuten. Der Sinnregion des
reinen Bewußtseins entspricht auf. sozialem Gebiete die höhere
Gegenständlichkeit seiner Erscheinungen, wobei bei H u s s e r I he-
.reits, wie seine Beispiele Recht, Staat und Kirche zeigen, wert·
immanente Gedankengänge eine unterstützende Rolle spielen.
Die Apriorisierung des Sozial~n wird von S c h e I er dadurch
82
mächtig gefördert, daß er - mit Recht - die Soziologie als Sonder-
fall der A n t h r o p o I o g i e auffaßt, diese aber - mit Unrecht -
als "philosophische Anthropologie" bearbeitet, deren Thema nicht
die Stellung des Menschen in der Natur, sondern seine "Stellung
im Kosmos" ist. Die Problemstellung der philosophischen Anthro-
pologie ist nichts anderes als eine Weiterführung der von S c h e •
I e r in seiner Religionsphilosophie vertretenen Lehre von der natür-
lichen Offenbarung Gottes im Menschen (die von dem Wandel
seines Gottesbildes unberührt bleibt). Die von S c h e I e r mit so
großer Verve gegen den Sensuiilismus wieder zu Ehren gebrachte,
über die bloße Animalität hinausweisende Seite der menschlichen
Seele verwandelt sich ihm so in ein partielles Herausfallen des
Menschen aus dem Natursystem überhaupt: die philosophische An-
thropologie S c h e I er s führt in den . Formen der phänomeno-
logischen Metaphysik zu der uralten t h e o I o g i s c h e n Anthro-
pologie zurück51•
Für die phänomenologische Soziologie ergibt sich hieraus die
Konsequenz, daß auch sie philosophische Gedanken dort einführen
wi!d, wo eigentlich die Erfahrung zu sprechen hat, und daß siebe-
reits dem P r i n z i p der Erfahrungswissenschaft, das die Einfüh-
rung transzendenter Beziehungen in die empirische Analyse über-
haupt ausschließt, nicht Genüge tun wird. Sehr treffend bemerkt
S c h e I e r. einmal: " ... jede Geschichtslehre hat in einer bestimm-
ten Art von Anthropologie lhren Grund, gleichgültig, ob sie dem
51
Es besteht ;lwischen H u s s e r I s Avriorisierung des Psychischen durch
die Lehre vom reinen Bewußtsein und S c h e I e r s philosophisch~r Anthropo·
logie kein wesentlicher Unterschit"d. Die Annahme einer durch psychische Akte
"getragenen" transnaturalen Sinnregion impliziert bereits die Leugnung des
Naturcharakters des IV.Ienschen. S c h e I e r denkt diesen Gedanken lediglich zu-
ende, indem er sich das Verhältnis des "Ewigen im Menschen" zum Kosmos und
zu Gott zum metaphysischen Problem macht. Die transzendentale Verdrängung
. der Psychologie ist also die Vorstufe der philosophischen Anthropologie.
6*
83
Historiker, Soziologen oder Geschichtsphilosophen bewußt und be-
kannt ist oder nicht." Die Konsequenz aus dieser Einsicht ist aber
durchaus nicht die Ableitung der Soziologie aus philosophischen
Spekulationen über die Natur des Menschen, sondern die Vertiefung
und Verfeinerung ihrer e m p i r i s c h - p s y c h o 1o g i s c h e n
Voraussetzungen.
Die phänomenologische Soziologie ist charakterisiert durch die
Fragestellung, das W e s e n der sozialen Erschein~gen durch We-
sensanschauung zu bestimmen. Man kann diese Aufgabe einmal
meth 0 d i s c h verstehen und kommt dann auf eine phänomeno-
logische Philosophie der Sozialwissenschaften. Man kann sie aber
auch in haItIich auffassen und erhält dann die Aufgabe einer
philosophischen und einer nach ihren Leitgedanken zu behandeln-
den empirischen -Soziologie.· Diese Möglichkeiten entsprechen den
bereits erÖrterten (I, 3.) Grundfällen einer W e s e n s wissenschaft,
es mit dreierlei zu tun haben kann: mit dem Inneren eines
Gegenstandes, worüber uns G o e t h e eindringlich helehrt hat,
daß es keinem erschaffenen Geist zugänglich ist; weiter mit den-
jenigen Momenten, die durch den Be g r i f f eines Gegenstandes
gedacht werden, . aber zu, deren Bestimmung . bedarf es keiner
besonderen Anschauung, sondern nur des Denkens; schließlich mit
der Natur bestimmter Erscheinungen, z. B. mit der Natur des
Staates, d. h. mit dem für sein Auftreten in der Geschichte bestehen-
den Gesetzmäßigkeiten: diese finden wir jedoch allein auf erfah-
rungsmäßigem Wege, so daß_ also die phänomenologische Soziologie
metaphysische Konstruktionen, Begriffsbestimmungen sozialer Er-
scheinungen und empirische soziologische Theorien enthalten wird,
die sie sämtlich von anderen übernommen oder sich selbst gebildet,
keinesfalls aber erschaut hat.
Eine charakteristische Zusammenfassung der phänomenolo-
84
gischen Methodenlehre der Sozialwissenschaften hat S o m h a r t 52
in Analogie zur geisteswissenschaftlichen Psychologie entwickelt.
S o m h a r t s Argumentation beruht durchgehend darauf, daß er
die methodischen und inhaltlichen Mängel der Aufklärungs-
soziologie und des soziologischen Positivismus gegen den sozial-
wisSenschaftlichen Naturalismus auszuspielen sucht,. um aber
im Ergebnis mit seiner verstehenden Sozialwissenschaft nicht mehr
zu gehen als inexakte Empirie mit metaphysischen Dekorationen.
B~ides steht völlig außer Zusammenhang mit den empirischen Fort-
schritten der Nationalökonomie und der sonstigen soziologischen
Disziplinen: ein deutliches Zeichen dafür, wie wenig die Praxis
der sozialwissenschaftliehen Forschung von der phänomenologischen
Methodenlehre zu erwarten hat. Die materiale Soziologie der Phäno-
menologen zerfällt deutlich in zwei Gruppen: in die doktrinäre und
in die essayistische, von denen jene zwar nach Exaktheit strebt,
aber zu keinen wesentlichen Ergehnissen gelangt, während diese
sich ihren Einfällen überläßt und daher, wenn sie von einem Kopf,
wie S c h e I e r , behandelt wird, Anregungen bietet.
Daß die sozialen Phänomene einen "Zustand innerer Verbun-
denheit" aufweisen, daß sie "eigene -Gebilde gegenüber den ein-
zelnen" seien, -daß die Gemeinschaft sich "durch Ausweitung des
Ichhewußtseins" konstituiere, die Gruppe ein "soziales Objektiv-
gebilde", der Vertrag aber einen "zarte~ Regenbogen einer sittlichen
V erhundenheit" darstelle, zu diesen und anderen logisierend-ästhe-
tisierenden Thesen bedarf man keinerlei Schau, zu ihrer Aufstel-
lung braucht man nur hergehrachte soziologische Unhestimmtheiten
in die phänomenologische Terminologie zu übertragen. Der herech-
52
"Die drei Nationa!ökonomien", München und Leipzig 1930; näheres zur
Beurteilung S o m hart s bringt meine Abhandlung "Somharts drei National-
ökonomien", Die Volkswirte, 29. Jahrg., Nr. 13/16, S. 220 ff.
85
tigten Forderung nach einer tieferen anthropologischen Fundierung
der Soziologie wird auch dadurch keineswegs Genüge getan, daß
ein Katalog von Triehen (etwa: Selbstgefühl, Unterordnungstrieh,
Kampftrieh, appetitus socialis, usw.) als Ur p h ä n.o m e n e hinge-
stellt werden, wo es sich doch tatsächlich dabei um komplexe Phä-
nomene handelt, die nur analytische Aufgaben nennen, aber keines-
falls einen Abschluß der Untersuchung bedeuten5 3 • Diese Form der
phänomenologischen Soziologie führt also zu einer auf theoretisch-
unzureichenden psychologischen Begriffen beruhenden, klassi:fik.ato-
rischen Darstellung, im Grunde genommen also auf eine inhaltsent-
leerte Soziologie ohne eigentlichen Erklärungswert zurück.
Mit großer Kombinationskraft hat S c h e I e r eine phänomeno-
logische Soziologie im Sinne einer teils metaphysischen, teils empi-
rischen Betrachtung entwickelt und dabei die P:t:ohleme der Ku 1-
t u r soziologie bevorzugt. Wie er richtig betont, kann eine Ana-
lyse der religiösen, künstlerischen, rechtlichen, wissenschaftlichen
Zwecken dienenden, sozialen Organisationen sich mit einer bloßen
Trieblehre nicht begnügen, sondern bedarf der Ergänzung durch
eine den höheren psychischen Funktionen gewidmeten Theorie, die
er Geistlehre nennt. Seine eigene Geistlehre unterliegt jedoch
schwerwiegenden Einwänden. So z. B. seine bekannte, an der mate-
rialistischen Geschiehtsauffassung und dem Pragmatismus über-
haupt orientierte These von der M a c h t I o s i g k e i t des Geistes
in der Geschichte. Diese Lehre beruht nur auf einer Verwechslung
der höheren geistigen Akte mit ihren Ge g e n s t ä n d e n. All~r­
dings: weder die Wahrheit noch das Recht können handelnd in der
Geschichte auftreten, aber S c h e I e r selbst hebt ausdrücklich her-
vor, daß das S t r eh e n nach ihnen durch die "freie Tat von Pio-
53
Die Beispiele aus: Vier k an d t, Gesellschaftslehre, Stuttgart 1923,
5.17, 203, 321, 241, 24ff'.
86
nieren" ein höchst wichtiger Faktor des sozialen Geschehens ist.
Es bedeutet daher eine unhegründhare, aprioristische Vorwegnahme
der Erfahrung, wenn S c h e I e r prinzipiell Planwirtschaft, Welt-
staat und Eugenik auf Grund seiner Lehre von der Machtlosigkeit
des Geistes für Utopien erklärt. Die unbestreitbare Tatsache macht-
voller Hemmungen für die Verwirklichung solcher und anderer auf
menschlichen Fortschritt abzielenden Einrichtungen.läßt sich nicht
a priori, sondern nur empirisch für bestimmte historische Epochen
in ihrer Relevanz bestimmen. .
Ein unglücklicher Gedanke S c h e I e r s ist auch die in seinen
soziologischen Untersuchungen immer wiederkehrende Behauptung
von dem N i c h t h e s t e h e n einer Einheit der Menschennatur.
Zwar lehnt er den groben M a r x sehen Soziologismus, der Wissen-
schaft, Kunst und Religion dem Götzenbild des bewußtseinsbestim-
menden gesellschaftlichen Seins opfert, scharf ab, gelangt aber
dennoch in bedenkliche Nähe zu dem Grundansatz dieser Theorie
mit dem, was er Wissenssozi o I o g i e nennt. Hiermit hat
er eine soziologische Sensation eingeleitet, bei der gegenwärtig
immer mehr die ungesunden die gesunden Elemente überwuchern.
Zwei grundlegende Tatsachenreihen legt S c h e I e r anschaulich in
ihrer Bedeutung klar: Die Abhängigkeit gegebener Wissensentwick-
lungen. von der sonstigen Gesellschaftsorganisation und cler Gesell-
.Schaftsorganisation überhaupt von der Wissensentwicklung, heide
Male die T a t s a c h e des Wissens als gegeben voraussetzend.
Wer Betrachtungen darüber anstellt, wie Staat und Kirche die
Entwicklung von Philosophie und Naturwissenschaft gehemmt und
gefördert haben, oder wie das techni~che Wisstm für die Wirt~
Schaftsentwicklung relevant wurde, reduziert damit das Wissen
nicht auf andere Daten, sondern setzt es zu außerintellektuellen
Bedingungen in eine g e n e t i s c h e Beziehung. Ganz anders ge-
87
staltet sich die Sachlage, wenn man das Wissen selbst auf andere,
und zwar sogenannte soziologische Bedingungen zu reduzieren
s~cht. Dann ergibt sich unweigerlich ein Rückfall in die Fiktion
der sozialen W esenheiten, wie auch S c h e l e r seine geistreiche
Wissenssoziologie mit dem aprioristischen Diktat einleitet: Kein
Ich ohne Wir, und zwar ohne Gruppenseele und Gruppengeist. Die-
ser Ansatz hat den groben Materialismus des M a r x ismus beseitigt,
erneuert aber dafür Hege l s objektiven Geist und S a v i g n Y s
V olksgeist. S c h e I e r-s bekannter Katalog klassenmäßig bestimmter
formaler Denkarten, z. B. Unterklasse- W erdensbetrachtung, Ober-
klasse - Seinsbetrachtung, steht auch auf schlechtem Fuß mit der
Erfahrung. Er umfaßt keineswegs "formale Denkarten", sondern
Klassifikationen historisch-variabler Betrachtungsarten, ähnlich
wie die Aufreihung sogenannter Kategorien des deutschen und
englischen Denkens im "Genius des Krieges und der deutsche
Krieg". überhaupt ist die Verwandtschaft der Wissenssoziologie
mit der national orientierten Kulturgeschichte auffallend: In dieser
spielt die metaphysische Potenz der Volksindividualität dieselbe
Rolle, wie in jener die Klasse. Beide Male wird das ignoriert, was
die Grundkräfte des kulturellen Geschehens in sich enthält: das
produktive und das rezeptiveIn d i v i du u m.
Die Wissenssoziologie im Sinne einer Z~rückführung des Wis-
sens auf soziale W esenheiten (diese Konsequenz ist unvermeidbar,
da die empirisch gegebenen sozialen Erscheinungen bereits Wissens-
elemente enthalten und zu einer Reduktion des Wissens überhaupt
sich also nicht eignen) führt zu folgender typischen Konsequenz:
man muß entweder die Möglichkeit einer Wahrheitserfassung
o h n e Wissensgrundlage annehmen und kommt dann auf die soge-
nannte Klassenwahrheit, allgemeiner ~uf das "seinsgebundene Den-
ken" (Mann heim), oder aber man erklärt alle Vorstellungen für
88
I 11 u s i o n e n. Beid~_ heute so verbreiteten Lehren widersprechen
sich zwar selbst, aber hierfür steht das bewährte Hilfsmittel der
He g e 1 sehen Dialektik zur Verfügung, das mit seiner Eliminierung
des Satzes vom Widerspruch die hier durch die Soziologie voll-
zogene Vernichtung des Denkens allgemein formuliert 54•
Die Methode, ungebundene Einfälle als soziologische W esensan-
schauungen vorzutragen, steigert sich noch weiter in der a n g e-
wan dt e n Soziologie. Hierfür ist das eindringlichste Beispiel
S c h e 1 e r s Stellung zum Kriege, den er während des Weltkrieges in
seiner "erkenntnisdisponierenden Bedeutung für die Erfassung abso-
luter Realitäten", "als Ahmesser der Gesamtwerte einer Nation",
"als Vorstufe der religiösen Liebesmoral" lobpries, und dem er später
mit gleicher Apodiktizität die Forderung des Weltfriedens ent-
gegenstellte. Gerade an diesen politischen Konsequenzen erweist
sich die ganze praktische Gefahr, die in der Sphärenverwirrung
liegt, wie sie in der phänomenologischen Soziologie vollzogen wird.
Was sie im Ergebnis gebracht hat, ist kein Fortschritt über den
Positivismus hinaus, sondern eine Untergrabung des Exaktheits-
strebens in den Sozialwissenschaften55•
Die durch die Phänomenologie beförderte fundamentale V er-
54 V ergleiehe hierzu m e i n e Abhandlungen: "Soziologie oder Soziologis-
mns?'\ Zeitschrift für Völkerpsychologie und Soziologie, 5. Jahrg., H. 4, sowie:
"Reine und augewandte Soziologie", Gesellschaft, Staat und Recht, Festschrift
für Hans K e I s e n, Wien 1931, S. 42 :ff. An diesen Beitrag schließt sich die
obige Stellungahme zur Wissenssoziologie an; eine ansgezeichnete Kritik von
Sc h e I er s "Wissensformen und die Gesellschaft" bietet Kreis (Kantstndien,
Bd. 34, H. 3/4, S. 479 :ff.).
55 Zur Beurteilung der ans der phänomenologischen Soziologie ableitbaren
politischen Konsequenzen vergleiche man S c h e I e r : Der Genins des Krieges
und der deutsche Krieg, 3. Anfl., Berlin 1916; Die Idee des Friedens und der
Pazifismus, Berlin 1931; außerdem D. v. H i I d e brand, Metaphysik der Ge-
meinschaft, Augsburg 1930, der ein vollständiges katholisches Naturrecht phäno-
menologisch entwickelt.
89
wirrungzwischen Religion und Erfahrung zersetzt im weiteren Ent-
wicklungsgang der Schule fortschreitend ihre eigentlich-philoso-
phischen Teile. Logik, Metaphysik und Erfahrung werden trotz
ihrer unaufhehharen Schranken disziplinlos durcheinander ge-
worfen, und ail Stelle der Gedanken breitet sich ein undurchdring-
licher W ortnehel aus.
m.
Philosophie als kosmisches Geschehnis:
Heidegger.
l. Problemstellung und Methode der Philosophie.
Der höchste Zweck, dem Husse r I s Philosophie nachstrebt,
ist das Ideal der strengen Wissenschaft. Schon S c h e I e r :findet
an dieser Aufgabe kein Genügen mehr und schwankt zwischen Be-
kenntnis und Wissenschaft unentschieden hin und her. Bei He i ·
d e g g e r wird der w i s s e n s c h a f t l i c h e Ausgangspunkt H u s -
s e r I s völlig verleugnet und der Sprung in die Mystik hinein voll-
zogen. Die Richtung, in der He i d e g g e r die Phänomenologie
umgebildet hat56, ist schon in seiner Erstlingsschrift über D u n s
"·~;--;~tu s vorgezeichnet. He i d e g g er bezeichnet dort "Philo-
sophie als vom Lehen ~_hgelöstes, rationalistisches Gebilde", als
"machtlos", "Mystik als irrationalistisches Erleben, als ziellos",
; woraus sich unmittelbar seine Aufgabe ableitet, eine r a t i o n a I e
. .
L.Mystik, hzw. einen m y s t i s c h e n Rationalismus zu entwickeln.
Ganz in der Richtung des letzteren liegt schon die Art, wie H e i -
d egge r H u s s er I s Prinzip der logischen Sinnreg.!,~n auffaßt.
...............-....
~- •.-.,~

56
Für die Beurteilung H e i d e g g e r s beziehe ich mich auf folgende seiner
Schriften: Die Kategorien- und die Bedeutungslehre des. Duns Scotus, Tübingen
1916. Sein und Zeit, 2. Aufl., Halle 1929. Kant und das Problem der Metaphysik,
Bonn 1929. Vom Wesen des Grundes, Bonn 1929. Was ist Metaphysik? 2. Aufl.,
Bonn 1930.

90 91

Er hält es für notwendig, diesen "Gegenstandshereich hinsichtlich
seiner Wirklichkeitsform. •.. noch weiter zum Problem" zu machen,
und zwar "mit den systematischen Mitteln einer prinzipiell welt-
anschaulich· orientierten Philosophie", die sich "die Aufgabe einer
letzten metaphysisch-teleologischen Deutung des Bewußtseins" stel-
len müsse. H u s s e r I s Apriorisierung des Psychischen wird hier
also im Sinne ihrer ·~~~ordnung in eine· Kosmologie gesteigert,
deren Ansatzpunkt der Mensch ist. Bei der Präzisierung seiner
metaphysischen Konstruktionsaufgabe konnte H e i d e g g e r in ent-
scheidenden Stücken auf H u s s e r I und S c h e I er zurückgreifen.
Dies gilt schon für seine eigentümliche Sprachtechnik, die sich auf
H u s s er I s allgemeine Legitimation berufen kann, die Eigenart
der phänomenologischen Erkenntms. mache auch e~ne besondere
Sprache nötig. H u s s e r I seihst benutzt vielfach sprachliche Neubil-
dungen, allerdings mit der - auch seiner allgemeinen sprachlichen
Darstellungsregel zugrunde liegenden - Absicht maximalster Klar-
heit, die. er auch i~ seinen gelungensten Untersuchungen wirklich
erreicht, während der für H e i d e g g e r typische Stil sich gerade
durch das Verschwimmen aller bestimmten Konturen auszeichnet.
Bereits
.
in seinen "Ideen'', noch eindringlicher
.
in den "Medi~
tations cartesiennes", hat H u s s e r I eine phänomenologische 0 n -
t o I o g i e postuliert: ,;la phenomenologie transcendentale, syste-
matiquement et pleinement developpee, est eo ipso une ·authentique
ontologie universelle". He i.d egge r brauchte nur noch nach dem
Vorbild S c h e I e r s auf den ·phänomenologischen. Idealismus zu
verzichten, um die Phä~omenologie überhaupt als Ontologie he·
treiben zu können. Auch H e i d e gg 'e r s Vorliehe für die Meta-
physik des Nichts und des Menschen, findet hei H u s s er I und
S c h e I e r verschiedene Anregungen. Die Irrealität· des· reinen Be-
wußtseins in seiner merkwürdigen Funktion der Garantie aller
92
Seinsgeltung, S c h e I e r s Schaudern vor dem "Abgrund des abso-
luten Nichts" konnten durch entsprechenden Aushau leicht eine
bevorzugte ontologische Stellung erhalten. Der lehensphilosophische
Einschlag H e i d e g g e r s , das Ausgehen vom "ln-der-Welt-sein"
des "Daseins", d. h. des Menschen, findet gleichfalls ein Vorbild
hei S c h e I e r , der die philosophische Anthropologie als Zentral-
disziplin der Philosophie ansah und eine Phänomenologie der natür-
lichen Weltanschauung skizzierte, die sich u. ·a. mit dem jeweiligen
"Umweltsein" des Subjekts hefaßi. übrigens n.ach H u s s er I s
Anweisung, der das Moment des "Seins in der Welt" als . Grund-
cha~a!-:teristikum der ,,natürlichen Erkenntnis" hervorheht57 •
57
, Unter die Phil~sophen, auf die H e i d e g g er sich zu stützen sucht, ist
auch K an t gerückt, wobei H e i d e g g er erkennt, daß K an t die Metaphysik
nicht einfach zermalmen, sondern ihr vielm"ehr einen· sicheren Grund bereiten
wollte. Die Metaphysik; die K a n t von H e i d e g g er unterlegt wird, ist aber
von solcher Art, ilaß sie an interpretatoiischer Willkür nicht ihresgleichen findet.
Allerdings: eine Interpretation, die "notwendig Gewalt brauchen" muß, um das
"noch Ungesagte durch das Gesagte vor Augen" zu legen, kennzeichnet sich damit
se~bst "als schweifende Willkür", mag sie noch so emphatisch "die Kraft einer
vorausleuchtenden Idee" beschwören. Nach dieser Methode ist "das Problem von
,Sein und Zeit'" niir eines der unendlich vielen Probleme, die man, bei ent-
sp:rechender "Kraft zur Durchleuchtung'', als der Kritik der Vernunft zugrunde
liegend, "ait den Tag bringen kann".· Aber auch für diese Vieldeutigkeitskonse-
que~z ist VorsÖrge get~offen. Denn "die Metaphysik des Daseins ist" nun einmal
"überhaupt kei~ fest und bereit liegendes ,Organon', sie muß sich jederzeit unter
Verwanjllung ihrer Idee in der Ausarbeitung der Möglichkeit der Metaphysik
erneut umbilden".. .
. Bei solchen Interpretationsprinzipien kann. die. Behauptung nicht in Er-
staunen setzen, daß die_ "Wesensstruktur der Achtung in sich die ursprüngliche
Verfassung der transzendentalen Einbildungskraft hervortreten läßt". ,In wem
bei dieser "fundamental-ontologischen Analyse" "qas ständige, obzwar meist ver-
borgene Erzittern alles Existierenden" nicht "geschieht", der mag alle Be-
mühungen um die Pilosophie als hoffnungslos aufgeben, und all die überraschen-
den Kombinationen, die K an t s feierlicher,. vorläufiger Suspendieru~g der Meta-
physik zum Trotz die Litik der Vernunft zu "einer Metaphysik des Daseins"
umdeuten, sind für den dergestalt philosophisch Unbegabten doch zu nichts
93
 Zu diesen konkreten Anknüpfungsmöglichkeite11 kommt der
allgemeine systematische Sachverhalt, daß die Phänomenologie, als
Philosophie des Absoluten, eine allgemeine Ontologie, eine Lehre
vom "Sein des Seienden", ebenso begünstigt, wie sie mit der We-
sensanalyse j e d e s Gegenstandsbereichs auch einer solchen des
menschlichen Daseins die Bahn freigibt. He i d e g g e r , der als
philosophische Gesamterscheinung in so krassem Gegensatz zu
H u s s e r I steht, ordnet sich also dennoch dem Gang der phäno-
menologischen Schulentwicklung zwanglos und kontinuierlich ein.
Seihst unter Berücksichtigung dieser systematisch-historischen
Zusammenhänge ist es bei der Dunkelheit der H e i d e g g er sehen
Sprache nicht leicht, seine wirklichen Meinungen über Aufgabe,
Methode und Inhalt der Philosophie festzustellen. Immerhin, über
einen entscheidenden Punkt spricht er sich klar aus: "Seine Philo-
sophie kann nie am Maßstab der Idee der Wissenschaft gemessen
werden." Die Metaphysik gehört nach Heide ggerzur "Natur .des
Menschen". Sie ist weder ein Fach der Schulphilosophie- sie ist
"das Grundgeschehen im und als Dasein seihst". "Sofern der Mensch
existiert, geschieht das Philosophieren." Aber wie geschieht es? Bis-
her philosophierte man mit dem Kopf, aber um die Geheimnisse des
Seins und des Nichts zu entschleiern, genügt der Kopf nicht. Wir
müssen uns den "Grunderfahrungen" der "Langeweile" und der
"Angst" hingehen, um des "In-die-Nähe-Kommen zum Wesentlichen
, aller Dinge" teilhaftig zu werden. Dann offeilhart uns die Lange-
weile "das Seiende im Ganzen" und die Angst das "Nichts", von
dem wir schaudernd inne werden: "das Nichts nichtet".
Man kann diese ·philosophische Methodik, bei der sich die Idee
nütze. Im einzelnen hat C a s s i r e r (Kaut und das Problem der Metaphysik,
Kantstudien., Bd. 36, H. I/2, S. 1 'ifJ die Unhaltbarkeit der He i d e g g er sehen
~"':K.-;~ti~terpretation gezeigt.
94
der Logik im "Wirbel eines ursprünglicheren Fragens" (He i d e g.
g e r) auflöst, wenn man sie ~it S c h e I er s Absage an die Idee der
wissenschaftlichen Philosophie vergleicht, so charakterisieren: sie
ist eine Übersteigerung des voluntaristischen Realismus zu einem
kosmischen Mysterium. Sie begnügt. s,~ch nicht, in der Philosophie
die Erkenntnis durch Glaube, Trieb, Gefühl und Offenbarung einzu-
schränken und damit tatsächlich zu verdrängen, sondern sie will von
vornherein n~r ein Mysterium sein und als solches geglaubt werden.
Die Argumentationsmethode dieser Philosophie ist daher keine
nach Regeln 'der Logik fortscheitende B e g r ü n d u n g , sondern
etwas, was man besser B e w o r t u n g nennen kann, eine Kunst der
"Belehnung" mit Worten. Die Bewortung substituiert alten Be-
zeichnungen n~ue, um so auf unmerkliche Weise alte und neue
Vorstellungsinhalte miteinander · vertauseilen zu können. Sie he-
legt aber nicht minder alte IDhalte mit neuartigen Bezeichnungen
wid glaubt schon damit eine philosophische Einsicht zu ve~it­
teln. Sie bildet Präp6'Sitionen, V erha .und Konjunktionen zu Sub-
stantiva um, sie verselhständigt W ortsilhen und vermeint durch
. diese Bezeichnungsart neuartige .Entitäten aufzuweisen5s.
Die Husse r I sehe Forderung: "Zu den Sachen selbst" ist
das Sprungbrett, von dem aus sich H e i d ~ g g e r zu seiner "Funda-
mentalontologie" .emporschwingt59• Dieser Emporschwung beruht
'
58
Die Geistesverfassung der Verbalphilosophie drückt in theologischer
Sprache charakteristisch B u 1 t m a n n aus, der sich zu dem Satze versteigt:
"Eine andere Möglichkeit, daß die Vergebung Gottes für den Menschen Wirk-
lichkeit werde, als das Wort, gibt es nicht" (L c. S. 200). Religiöser Glaube wäre
· also W ortglaube. Die Religion offenharte sich im Wort, wir wären auf die Stufe
der Wortmystik herabgesunken.
59
Yor H e i d e g g. e r hat sich in dieser Richtung, aber ohne ähnlichen
Erfolg in der Öffentlichkeit, Hedwig C o n r a d - M a r t i u..s bemüht, z. B. in
ihrer ~.Realon~oiogie" (Jahrb., Bd. VI, X) und i~ den "Metaphysischen Gesprächen",
die, sich über Dämonen, Engel, Pflanzen, Tiere und Menschen verbreitend, eine
typische ."Bilderbuchphänomenologie" enthalten.
95
auf folgender einfacher Bewortungsanweisung: Man setze an die
Stelle von "Zu den Sachen seihst": ,,Das was sich zeigt, so wie es
sich von ihm selbst her zeigt, von ihm seihst her sehen lassen".
Was ist aber "notwendig Thema einer ausdrücklichen Aufweisung ?"
Offenbar solches, "was sich zunächst und zumeist gerade nicht
zeigt ..." Was zeigt sich aber' zunächst nicht? Das "Sein · des
Seienden".
Durch Wortersetzung ist hier folgende Verschiebung erzielt
worden: Von der Intuitionsphilosophie zum ,,Begegnen von Sub-
jekt und Objekt", von dem sich Zeigenden zu dem sich nicht
Zeigenden, d. h. von den psycho-physischen Qualitäten B r e n ·
t a n o - S t um p f s und ihrer Apriorisierung bei H u s s er l-
S c h e I er zum Sein an sich, das "am wenigsten je so etwas sein"
kann, dahinter "noch etwas steht, was nicht erscheint": Die intui-
tionistische Philosophie des Absoluten endet bei den von vorn-
herein nicht geschiedenen, sondern durcheinander geworfenen,
. fundamentalontologischen Fragen nach dem "S~-.'!~~-§ein", nach
dem "Sinn des Sein", nach dem ,,Begriff des Seins", nach dem
"Sein des Seienden". Diese exemplarische Vieldeutigkeit der funda-
mentalontologischen Problemstellung, deren "konkrete Ausarbei-
tung" die "Absicht" von "Sein und Zeit" ist, ermöglicht es H e i •
d e g g e r durch reine Bewortung philologische, religionsphilo-
sophische, logische Fragen ,,in eins" zu "lösen". Seine Technik be-
steht also darin, fortwährend das Gegenteil von dem zu tun, was
P I a t o n in dem von H e i d e g g e :r:., s,!> geschätzten "Sophistes"
eindringlich fordert: "Die richtige s~t~id~g der Begriffe vorzu-
nehmen und weder ein und demseihen Begriff verschiedene Be-
deutungen' noch verschiedenen Begriffen dieseihe Bedeutung zu
gebe~ ..." Es ist nur eine naive Seihstcharakterisierung, wenn
H e i d e g g e r seine phänomenologische Deskription als "Aus-
96
legung", als "Hermeneutik", bezeichnet. Durch geeignete herme-
neutische Behandlung von Worten, d. h. durc~ Substituierung neuer
Worte und entsprechende Sinnvefschiehii:Dg~~. wird dem W o r t •
s e i n und damit auch - die philologisch-logisch-religionsphiloso-
phische Vieldeutigkeit der H e i d e g g e r sehen Grundfrage voraus-
gesetzt -,dem Begriff des Seins und dem absoluten Sein seihst jener
"Sinn" Iieigeie'~~ der sich H e i d ·e g g e r "erschlossen" hat. .
Der Weg zu dieser Erschließung geht über "die ontologische
-_)· Analytik des Daseins", das als das grundsätzlich "vorgängig auf
sein Sein zu befragende Seiende fungiert". Es hat· keinen Sinn,
diesem Umweg, einer ontologischen Umdeutung der Husse r I-
schen Bewußtseinsphänomenologie, entgegenzuhalten, daß es zur
Klä~ng des..fulJE-Sbegriffs nicht erforderlich ist, eine Hermeneutik
des menschlichen Daseins, eine Existentialanalytik, auszubilden;
daß man sich vielmehr an Hand des Sinnes der C o p u I a belie-
biger Sätze, des Wortes "ist", den Begriff des Seins klarmachen
kann. Auf eine solche Betrachtung würde der Fundamentalonto-
. loge erwidern, daß er auf den Sinn des Seins abziele, dieser
aber gerade nur durch das Medium menschlichen Daseins sich er·
schließe. Und wer darauf den logischen Zweifel äußern würde,
wie der S.inn eines b e s tim m t e n Seins (angenommen er sei
seihst erkennbar) der S.~pn des Seins überhaupt sein soll, der
müßte sich belehren lassen, daß logische Einwendungen einem so
tiefen Ansatz geg~nüber von vornherein als steril abzuweisen seien.
. Die Fundamentalontologie kann also beruhigt als Existentialana-
lytik beginnen: sie wird "beweisen", daß das menschliche Dasein
"in Zeitlichkeit fundiert" ist, und sie wird erahnen, daß diese·
Zeitlichkeit der Horizont "e~~s---~!len Seinsverständnisses über-
haupt" ist.
1 Kraft, Von Husserl zu Heidegger 97

2. Die Ni eh tigkei t d.er Fundamen talontolo gie.
a) Die Existentialanalytik.
Die Existentialphilosophie verwirklicht in mythologischer
Form eine Konsequenz, die schon aus H u s s e r I s Wesenslehre
[ . folgt und an ihr nachgewiesen wurde (!z..~) : die l.!Y~~~~~~ryng der
Natur, vor ~.!l_l:l.!'- des Menschen. Wie aber unternimmt dies die Exi-
stentialanalytik mit dem Menschen? Sie will keine Biologie, keine
Psychologie, selbst keine philosophische Anthropologlie sein, son-
dern sich auf eine weit höhere Sphäre als diese Disziplinen be-
ziehen. " ... nicht vorhandene Eigenschaften eines so und so aus-
sehenden vorhandenen Seienden, sondern je ihm mögliche Weisen
zu sein und nur das" untersucht die Existentialanalytik. Das Sein
des Dasein das sie "abhört", sind seine "Existentialien". Daher
der Satz: "Das ,Wesen' des Daseins liegt in seiner Existenz" -
' wofür man ohne weiteres einsetzen kann: ,,Das ,Wesen' des Daseins
liegt in seinem ,Wesen' "; denn die ~~4e.J:! des Seins sind natür-
lich nichts anderes als Eigenschaften, die nach dem Vorbilde mit-
-~.."...
telalterlicher Universalien zu spezifischen ~,xistell:~ialien umge.
,..",,.~.,...,··~"'"''"
deutet sind. Die Q. .u.a.lLtä t s abstrakt i o n, die bereits H u s-
s e r I zur Einführung der ;~rfehlten Sinnregion diente (I, 4.), wird
also von H e i d e g g e r als Hermeneutik von Existentialien miß-
verstanden.
Welches Erstaunen würde D e s c a r t e s erleben, wenn er sein
Cogito nicht nur zur phänomenologischen Reduktion umgebildet,
sondern zu Heide g g er s "Jemeinigkeit" des Daseins erhöht
fände. Wahrscheinlich würde er aber in der "J emeinigkeit" eine Er-
niedrigung erblicken, denn als Philosophen der wissenschaftlichen
Strenge wäre es ihm kaum möglich, den Satz: "Ich bin ich" in das
Existential der Jemeinigkeit umzuformen, dem die Sinnverschie-
98
bung60 auf dem Fuße folgt: Dem Dasein geht es in semem Sein
um sein Sein. Wie D e s c a r t e s von dem Ich zu Gott, so gelangt
H e i d e g g e r vom Menschen zur Welt, auf Grund des Existentials:
Das Sein des Daseins ist das "In-der-Welt-sein", und zwar zunächst,
d. h. vor aller philosophischen Spekulation, das Sein in d~r Welt
?der Alltäglichkeit. Vom Sinn des Seins sind wir so zum Seinssinn
' des Menschen und seiner alltäglichen Umwelt geführt worden,
deren Existentialien uns Rede stehen sollen über seine "Eigent-
lichkeit und Uneigentlichkeit" oder, wie der vorontologische Geist·
es ausdrücken würde, über sein wirkliches Ich und über sein
besseres Ich.
b) Die Erkenntnis.
Kombiniert man aus dem Existential "In-der-Welt-sein" die
Anfangs- mit der Endsilbe, so ergibt sich das ,,In-Sein", die for-
male Bedingung des "Im-Raum-sein" des Daseins. Wie beschaffen
diese formale, nicht-räumliche Sphäre des In-Seins ist, läßt H e i-
d e g g e r vorsichtigerweise dahingestellt, um ihr später durch ge-
eignete Auslegungen um so überraschende~e Aspekte entlocken zu
. können. 'Wenn man beachtet, was alles sich als "Weisen" des "In-
60
Auch nach M i s c h (Lebensphilosophie und Phänomenologie, 2. Aufl.,
Leipzig und Berlin 1931) muß "jedem, der genauer hinsieht, auffallen, daß" ...
H e i d e g g er s "maßgebende Begriffe zuweilen etwas Schillemdes haben: eine
,Doppelbödigkeit' der ganzen Stellung scheint sich darin zu verraten". "Aber
diese Zweideutigkeit", so meditiert Mi s c h weiter,. "braucht nicht ein Mangel
zu sein, sondern könnte wesentlich zu dieser Art von Begriffen gehören, die
nicht eigentliche Begriffe im Sinne von termini, sondern ausdruckskräftige Worte
der Sprache sind, oder sein müßten, da sie hinter die ~::ein diskursiv-logische
Schicht zurückdringend, die ,Lebendigkeit in ihr Recht einsetzen' wollen" (4).
Weiche unbegreiflichen Kräfte müssen H e i d e g g e r , diesem "starken Denker"
(7), dessen "Begriffe ... mit der neuen Lebensfülle geladen sind" (175) zur Ver·
fügung stehen, daß ihm z. B. der Beweiszirkel zum Mittel tiefsten "Verstehens''
(8) wird, daß er durch Wortmystik sonst unenthüllbares Sein bannen kann!
99
Seins" darstellen soll - Herstellen von etwas, Unternehmen, Be-
fragen, Betrachten, Bestimmen, Versäumen, Ausruhen - , und daß
diese Weisen· die "Seins-Art" des "Besorgens" haben, so ist schon
ein kleiner Vorgeschmack von den Auslegungsmöglichkeiten mensch-
lichen Daseins gegeben, die noch zu erwarten sind..
H u s s er I sprach von Wesensschau; S c h e I e r ging von hier
zum Haben, zur Teilhabe, zur Extase über; Heide g g er genügt
beides nicht. Um die "ontologische Notwendigkeit und vor allem
den ontologischen Sinn" der "Subjekt-Objekt-Beziehung" zu sehen,
fundiert" er das Erkennen im In-der-Welt-sein: "Erkennen selbst
"grÜndet vorgängig in einem Schon-sein-bei-der-Welt, als welches
das Sein von Dasein wesenhaft konstituiert" (hier liegt in dem
Schon-sein-bei die Bewortung; denn das Sein-bei des Erkennens
ist das e r k e n n e n d e Sein-bei, und der Schein einer tieferen,
d. h. über die Trivialität, daß der Erkennen..1!e, um zu erkennen,
existieren müsse, hina:u.~gehenden, Fundierung des Erke~ens wird -
nur durch die Sprachtechnik erregt). Diese bemächtigt sich .z. B.·
auch S c h e 1 e r s verfehlten Widerstandserlebnisses, und bewortet
es als "eine Weise des In-der-Welt-seins". Die ganze Fruchtbarkeit _
dieser terminologischen Erkenntnistheorie zeigt sich aber erst an
dem tiefen Zusammenhang, den sie zwischen B es o r g e n und
Erkennen herstellt. Da das .In-Sein Besorgen, das Besorgen aber
in der Form.·des nächsten Umgangs mit der Welt das Hantieren mit
körperlichen Gebrauchsgegenständen ist, muß das Erkennen offen-
bar seinen tiefsten ontologischen Sinn diesen Gebrauchsgegen·
ständen, ;t;a dem Schreibzeug, Nähzeug, Werkzeug, Fahrzeug, ver-
danken. Dieses "Zeug" ist uns ohne Theorie zur Hand, es hat eine
.
"Zuhandenheit"; kraft derer es sich "von ihm selbst her offenbart ·
"
Wer könnte noch zweifeln, daß Erkenntnis ein Modus der Zuhanden·
heit ist, und nicht darüber vergessen, daß die Ki>chin bei ihren
100
Besorgungen, die Näherin an der Nähmaschine, die Stenotypistin
an der Schreibmaschine von d e r s e I b e n Erkenntnis Gehrauch
machen müssen, die der Philosoph in der Existentialanalyse, voll
des hermeneutischen Dranges, aus dem Auge verliert.
Schon S c h e I e r hatte in seiner Ethik und Religionsphilo-
sophie das Erkennen mit anderen psychischen Tätigkeiten in V er·
wh:rung gebracht und daran die Lehre von der natürlichen Offen-
barung Gottes im Menschen geschlossen. H e i d e g g e r begnügt
sich mit dem Zeug, das sich selbst offenbart und mag damit
Lesern, die nach m a r x istischer oder überhaupt wissenssoziolo-
gischer Methode die Erk-enntnis für einen Überbau der Produk-
tionsverhältnisse, der Klassenlage halten, das beglückende Bewußt-
sein einer ontologischen Vertiefung ihrer soziologistischen :Fik-
tionen verschaffen.. Andere werden das Besorgen, das Zeug, die
Zuhandenheit in das terminologische Kuriositätenkabinett der Er-
kenntnistheorie verweisen.
c) Der Raum und die Mitwelt.
Aus dem leeren In-Sein läßt sich durch hermeneutische Intui-
tion nicht nur die Ontologie der Erkenntnis in Form ihrer Fun-
dierung in der Zuhandenheit ableiten, sondern auch die Um w e 1 t
des Erkennenden ontologisch durchleuchten. Ein wahrhaft erhel-
lender Blickstrahl durchflutet das All, indem ihm He i d e g g er s
Satz begegnet: "im Dasein liegt eine wesenhafte Tendenz auf
Nähe". Die Nähe geht nun nicht mehr verträumt umher (Mo r •
g e :n s t er n), ,,Init dem ,Rundfunk' zum Beispiel vollzieht das
Dasein heute eine in ihrem Daseinssinn noch nicht übersehbare
Ent-fernung der ,Welt' auf dem Wege einer Erweiterung der all-
täglichen Umwelt". Der Raum überhaupt ist aber - "weder im
Subjekt, noch ist die Welt im Raum"; "der Raum befindet sich
101
 ·'·.
nicht im Subjekt, noch betrachtet dieses die Welt ,als ob' sie in
einem Raum· sei, sondern das ontologisch wohl verstandene ,Sub-
jekt', das Dasein, ist räumlich". "Sondern", sagt Heide g g er,
und kann seinen Leser vielleicht einen ·Augenblick vergessen
inachen, daß das Dasein doch ein In-der-Welt-sein ist und daher,
wenn ersteres, auch letzteres räumlich, die Welt daher selbst nach
H e i d e g g er i m Raum ist. Wieder also eine Bewortung! 6~.
"Kein Ich ohne Wir" ist ein aprioristischer Aphorismus aus
Sc h e I er s Soziologie {II, 3.). Heide g g ~ r drückt ihn existen-
analytisch so aus: "Das Mitsein bestimmt existential das. Dasein,
auch dann, wenn ein anderer faktisch nicht vorhanden und wahr-
ge~ommen ist. Auch das Alleinsein des Daseins ist MitseiU: in der
Welt." Das soziologische Dogma von der Unmöglichkeit eines iso-
lierten Individuums findet hierin seine "ontologische Vertiefung",
die man allerdings nur genau genug zu lesen braucht, um sie zu
entwirren. Die überraschende Wesenseinsicht nämlich, daß auch
das Dasein des Alleinseienden durch das Mitsein bestimmt werde,
löst sich in die Feststellung auf, daß auch der Alleinseiende mög-
licherweise mit P:Q.anzen, Tieren, Sachen, Himmel und Luft zu-
sammen ist. Sicher ein vorzüglicher Beweis für die Unmögli~hkeit
der Robinsonade, bestimmt aber für den "wissenschaftlichen" Wert,
den die Bezeichnung des Menschen als Dasein besitzt! Die "existen~
tiale Wesensaussage", daß das Dasein Mitsein "um willen Anderer",
daß der Andere eine Dublette des Selbst ist, erfährt jedoch eine
tragische Trübung. Das Miteinandersein hat nämlich "den Cha-
rakter der Ahständigkeit", es ruht ständig auf der "Sorge, um
61Die widersinnigen Konsequenzen der von B e c k e r (Mathematische
Existenz, Halle 1927) vollzogenen Übertragung H e i d e g g er scher Methoden
auf die Philosophie der Mathematik hat Geiger (Göttingische Gelehrte An-
zeigen, 190. Jahrgang, S. 401 ff., Berlin 1928) zwingend aufgewiesen.
102
einen Unterschied gegen die anderen auszugleichen". Erlaubt ist,
was gefällt, und zwar was der Öffentlichkeit gefällt, heißt aller-
dings die traurige ethische Maxime, nach der sich viele richten
oder auch sich zu richten gezwungen werden. Sie tun, was man
von ihnen erwartet, sie sind dem "Man" unterworfen. Dies alles
.- wissen wir aus der alltäglichen Erfahrung schon lange, daß aber
das Man ein Existential ist, daß ihm gegenüber die traditionelle
Logik versagt, darüber helehrt uns erst die hermeneutische Onto·
logie dadurch, daß sie das Wort ,,man" statt klein groß schreibt.
d) Weitere Existentialien.
Das allmächtige Man bemächtigt sich nicht nur der anderen,
sondern auch unserer selbst: Man selbst verhält sich so und so.
Man selbst hat Stimmungen, ist abhängig, denkt, spricht und
schweigt.
Um diese Akte des alltäglichen Lehens kreist H e i d e g g e r s
existentialanalytisches Interesse. Die dankbaren Stoffe des Essens,
T:i:inkens und Schlafens hat er sich ebenso entgehen lassen, wie die
Metaphysik der Liehe: Sie passen in sein tragisch-aschgraues Da-
seinshild nicht h.inein. In ein Bild, das so ausgezeichnet geeignet
ist, den Trühsalsstimmungen einer an sich selbst verzweifelnden
Gesellschaft philosophischen "Halt" zu gehen, - den Halt des
Nihilismus.
H e i d e g g e r s anthropologische Mythologie führt jetzt· zwei
wirkungsvolle "Existentialien" ein: Die Stimmung und die Geworfen-
heit. Die Stimmung macht offenbar, "wie einem ist und wird".
Daß einem aber überhaupt ist und wird, daß man überhaupt dieser
Mensch in dieser Welt ist, darin besteht die Geworfenheit des Men-
schen. Der Mensch befindet sich in einem Gestimmtsein und in
einer Gewo~fenheit; er hat insofern seine Befindlichkeit. Diese drei
103

r
Bezeichnungen enthalten wiederum nichts, was sich nicht in ein-
fachen Sätzen über menschliches Lehen, über die Stellung des
Menschen in der Natur sagen ließe, so aber seinen unter dem
Niveau der Wissenschaft liegenden Charakter sofort "offenbaren"
würde. H e i d e g g e r s substantivierende Umschreibung dieser
·i
Alltagsweisheiten erfüllt also die doppelte Funktion: ihnen den
Schein philosophischen Tiefsinns und außerdem manchem Leser
den metaphysischen .Schauer zu verschaffen.
-Neben die Befindlichkeit (als deren Modus es H e-·i d e g g e r
nicht schwer fällt, die Furcht zu konstruieren) wird das. Verstehen .
gestellt. "Das V erstehen : .. im Sinne einer möglichen Erkenntnis-
art unter anderen, etwa unterschieden", von "Erklären", soll die
Wurzel von Anschauung (auch von Wesensanschauung) und Den-
ken, selbst aber folgendes sein: "Das existentiale Sein des eigenen
Seinkönnens des Daseins selbst, so zwar, daß dieses Sein an
ihm selbst das Woran des Mit-ihm-selbst-Seins erschließt." Dieser
existentialanalytische Tiefsinn spottet, für sich genommen, jeden
V erstehens. Der Zusammenhang des Ganzen ergibt, daß das V er-
stehen, äh:n:Iich wie das Besorgen im Umgang mit dem Zeug, ein
die sonstige Erkenntnis fundierender, höherer Griff in die Wirk-
lichkeit sein soll. Die Praxis dieses Greifens enthüllt eine über-
raschende Einfachheit seiner Methodik, nämlich die der Au s -
leg u n g. Was tut aber die Auslegung? ,,Diese", so beschreibt.
sie H e i d e g g e r wörtlich, "gründet jeweils in einer Vorhabe, sie
bewegt sich als Verständnis zur Eignung im verstehenden Sein zu
einer schon verstandenen Bewandtnisganzheit. Die Zueignung des
Verstandenen, aber noch Eingehüllten, vollzieht die Enthüllung
immer unter der Führung einer Hinsicht, die das :fixiert, im Hin-
blick worauf das V erstandene ausgelegt. werden soll. Die Auslegung
gründet jeweils in einer Vorsicht, die das in Vorhabe genommene
104
"•!
I
auf eine bestimmte Auslegharkeit hin ,anschneidet'. Das in der
Vorhabe Gehaltene und ,vorsichtig' anvisierte V erstandene wird
d~ch die Auslegung begreiflich. Die Auslegung kann die dem aus-
Ir
_I zulegenden Seienden zugehörige Begrifflichkeit aus diesem selbst
schöpfen, oder aber in Begriffe zwängen, denen sich das Seiende
f: gemäß seiner Seinsart widersetzt. Wie immer - die Auslegung hat
I
i sich hier schon endgültig oder vorbehaltlich für eine bestimmte
Begrifflichkeit entschieden; sie gründet in einem Vorgriff."
G o e t h e hat die Fundiertheit des V erstehens und der Auslegung
in Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff mit dem schönen Vers ausge-
drückt: "Im Auslegen seid frisch und munter, legt ihrs nicht aus,_
so legt was·· unter." H e i d e g g e r s Auslegung, seine Hermeneutik,
ist prinzipiell Unterlegung, sie unterlegt alt~n Worten neue Worte
und versieht alte Worte mit einem neuen Sinn. Was sie verstehende
Analyse des Daseins nennt, ist eine solche planmäßige Unterlegnng
bei Daseinshezeichnungen, für die sie sich nicht auf ernsthaftes
historisch-philologisches Arbeiten, sondern nur auf. Praktiken der
Rabulistik stützen kann; sie ist geradezu die zur philosophischen
Methode erhobene Rabulistik. Daher ihre grotesken Bemühungen,
den in i h r e n Unterlegungen fortwährend enthaltenen Zirkel als
Zirkelstruktur historische~ Erkenntnis aufweisen zu wollen: Nicht
die historische Erkenntnis bewegt sich aber im Zirkel, sondern
He i d e g g er s Philosophie des V erstehens.
An die V ersteheuslehre schließt sich die Theorie des Urteils
und der Sprache, heide gleichfalls mythologische Fortsetzungen
Husse r I sehen Apriorisierens (I, 3., 4.). über die Aussage erfahren
wir, daß sie- ,,mitteilend bestimmende Aufzeigung", eine "Modali-
tät" von "Umgang mit den Dingen" sei 62 ; die "Rede" ist aber gar
62
H. Li p p s , Untersuchungen zur Phänomenologie der Erkenntnis, Bd. 2,
S. 7, Bonn 1928.
105
,,mit Befindlichkeit und V erstehen existential gleich ursprünglich".
Es hat einen besonderen Reiz, gerade von H e i d e g g er , dem Mei~
ster der Substantivierung, weiter über die Sprache generell zu er~
fahren: "Den Bedeutungen wachsen Worte zu, nicht aber werden
Wörterdinge mit Bedeutungen versehen." Bed~nkt man, daß He i-
de g g er s Darstellung vielfach nur Wortkombinationen enthält,
die sich allerdings ihrem Autor als Ausdrucksformen eines in ihm
stattfindenden, kosmischen Geschehnisses darstellen, dann wird
auch dieses Existential, wenigstens psychologisch; verständlich. Zu
deren völliger Erschließung und zur Soziologie ihrer Wirkunge~
trägt in hervorragenderWeise jene hermeneutische Untersuchung bei,
die Heide g germit der Überschrift versieht: "Das Gerede." Hier-
aus entnehmen wir zunächst, daß "die Sprache als die Ausge-
sprochenheil . . • eine Ausgelegtheil des Daseinsverständnisses in
sich" birgt, daß also tatsächlich die Sprache die Wirklichkeit be-
reits im Griff hat, und daß es also genügt, auf ihren ursprünglich
anschaulichen Sinn zurückzugehen, um über das Dasein und die
Welt schließlich zum Sein d~s Seienden vorzudringen: Die Intui-
tionsphilosophie des Absoluten hat sich in eine Beschäftigung mit
dem wirklichen oder vermeintlichen anschaulichen Urgehalt von
Sprachzeichen verwandelt. Für diese Philosophie und ihre Aus-
breitung gilt nun allerdings wörtlich was H e i d e g g e r über das
G e r e d e sagt: "Man versteht nicht so sehr das beredete Seiende,
sondern man hört schon nur auf das Gerede als solches. Dieses wird
verstanden, das Worüber nur ungefähr, obenhin; man meint das-
selbe, weil man das Gesagte gemeinsam in derselben Durchschnitt-
lichkeit versteht . . . Die Sache ist s~, weil man es sagt . . . Die
Bodenlosigkeit des Geredes versperrt ihm nicht den Eingang in die
Öffentlichkeit, sondern begünstigt ihn. Das Gerede ist die Möglich-
keit, alles zu verstehen, ohne vorgängige Zueignung der Sache. Das
106
G~rede behütet schon vor der Gefahr, hei einer solchen Zueignung
zu scheitern. Das Gerede, das jeder aufraffen kann, entbindet nicht
nur von der Aufgabe echten Verstehens, sondern bildet eine in-
differente Verständlichkeit aus, der nichts mehr verschlossen ist."
Diesemeisterhafte (0 vi ds "it fama", M oz a rts und Ro s-
s i n i s Verleumdungsarien nacheifernde) Schilderung des Geredes
beschreibt erschöpfend den Zustand, der sich unter dem Einfluß
existentialanalytischer Methoden philosophischer Literatur und
p~ilosophischer Diskussionen bemächtigen muß (und zum Teil
schon bemächtigt hat). Diese Schilderung des Gered~s ist der ein-
zige, uneingeschränkt-positive Ertrag der Fundamentalontologie,
von dem schließlich einmal offenbar werden wird, daß er das
i n n e r s t e Wesen dieser Philosophie enthüllt.
Durch das Gerede und zwei weitere ExistentiaHen (die Neugier
und die. Zweideutigkeit) ist das alltägliche Dasein einer tragisch-
ontologischen Bewegung, einem Absturz und einem Wirbel, dem
Zustand der Verfallenheit ausgeliefert. Welches ist aber das Grund-
existential, aus dem sich diese Züge des· Alltags erst ableiten:
"Das verfallend-erschlossene, geworfen-entwerfende ln-der-Welt-sein,
dem es in seinem Sein bei der ,Welt' und im Mitsein mit anderen
um das eigenste Seinkönnen selbst geht"? Wir kommen ihm
nahe, wenn wir K i e r k e g a a r d s Erbsündemetaphysik der Angst
mit He i d e g g er folgend, auf das Grundphänomen der Sorge
stoßen. Was wäre auch selbstverständlicher als dies, besagt doch
das Sein des Daseins: "Sich-vorweg-schon-sein~in (der-Welt-) als Sein-
'hei (innerweltlich begegnendem Seienden)"? Was kann dies aber
anderes besagen als Sorge? - es kann natürlich ebensogut Freude,
Hingegehenheit, Wonne, oder sonst etwas sagen. H e i d e g g e r
besagt es jedenfalls Sorge, in der Theorie und Praxis, Wollen und
Wünschen samt allen ExistentiaHen der Alltäglichkeit fundiert
107
sind. Vergehlieh hat F a u s t ausgerufen: "Doch Deine Macht, o
Sorge, schleichend groß, ich werde sie nicht anerkennen." Schon
F a u s t muß am Ende seines Lebens durch die Sorge erblin-
den, H e i d e g g e r aber ist die Sorge überhaupt die Herrin
menschlichen Daseins. Das Ganze bleibt natürlich wieder nur
eine Bewortung. Man nennt die Angewiesenheit des Menschen auf
seine Umwelt erst Sorge und unterschiebt dann dieser Benennung
wirkliche Sorge oder sorgenähnliche Entitäten. Der Satz vom
Sorgecharakter des Daseins ist also auch eine leere Phrase.
e) Der Tod, das Gewissen, die Zeitlichkeit.
Aber noch wissen wir nur von dem uneigentlichen Se4J_ des
Daseins, von seiner Alltäglichkeit; es steht die Existentialana-
lyse der Eigentlichkeit und Ganzheit des Daseins noch aus, die
H e i d e g g e r am Tode und am Gewissen vollzieht. Erschütternde
Begegnungen stehen uns jetzt bevor. Als Vorbereitung hierzu z-q.-
nächst ein merkwürdiges Rätsel: "Am Sterben der anderen kann
das merkwürdige Seinsphänomen erfahren werden, das sich als Uni-
schlag eines Seienden aus der Seinsart des Daseins (hzw. des Le-
bens) zum Nichtmehrdasein bestimmen läßt. Das Ende des Seien-
den qua' Dasein ist der Anfang dieses Seienden qua Vorhandenes."
Auf deutsch: Das Ende des Lebens ist der Beginn des Totseins.
Bei seiner Abfahrt von den Phäaken läßt H o m e r 0 d y s-
s e u s die geflügelten Worte sprechen: "Lebe beständig wohl, o
Königin, bis Dich das Alter sanft beschleicht und der Tod, die allen
Menschen bevorstehen!" Ahnungsloser H o m er! Wann hätte er
sich träumen lassen, daß diese harmlosen Verse nach drei Jahr-
tausenden in existentialanalytische Beleuchtung gerückt würden?
Aber He i d e g g er ist der große Wurf gelungen, er enthüllt das
bis dahin Unbekannte: "der Tod ist ... ein Bevorstand". Nur
108
wenige Philosophen wagen es ihren Lesern solche Steine statt Brot
zur Befriedigung ihres metaphysischen Bedürfnisses zu bieten, und
es ist ein niederschmetterndes Zeugnis für die Bedürfnislosigkeit
der Gegenwart, daß sie derartige Trivialitäten zu ihren religiösen
Symbolen erhebt.
DerTod gründet natürlich in Sorge und Angst, seine volle existen-
tialanalytische Bedeutung bekundet- er aber folgendermaßen: "Das
Vorlaufen enthüllt dem Dasein die V erlorenheit in das Man-selbst
und bringt es vor die Möglichkeit, auf die besorgende Fürsorge primär
ungestützt, es selbst zu sein, selbst aber in der leidenschaftlichen,
von den IDusionen des Man gelösten, faktischen, ihrer selbst ge-
wisseiJ. und sich ängstenden Freiheit zum Tode." Vor He i d e g g er
bat S c h e l e r 63 einen phänomenologischen Beweis a priori der
·~otwendigkeit des Todes aus der je erlebten Zeitstruktur versucht.
.. -~h·:"t.:..--
. Dieser Beweis ist nicht minder, wie H ei d e g g er ~ Analyse, ~in
Versuch am untauglichen Objekt, da hier ~in physiologisches und
kein philosophisches Problem vorliegt. Trotzdem mag jeder
Sc h e I er s und Heide g g er s Todesmetaphysik miteinander
vergleichen, ·der sich auch an Hand dieses Problems in concreto
davon überzeugen will. daß He i d e g g er s vermeintliche Intui-
tionen den ,,Fortschritt" von Sc h e I er s Einfällen - aber immer-
hin noch solchen - zu reinen W Qrtkombinationen vollzogen haben.
Das Gewissen, die "Bezeugung eines Selbstseinkönnens" des
Daseins, bringt He i d e g g er auf die einfachste Weise mit der
Sorge in Verbindung: "Das Gewissen offenbart sich als Ruf der
Sorge: Der Rufer ist das Dasein, sich ängstend in der Geworfenheit
(Schon-sein-in ... ) um sein Seinkönnen." Daß das Gewissen sich
!(gerade n i c h t um die Existenz des Menschen ängstet, sondern seine
\·!\Existenz dem ~setz der Pflicht unterstellt und auch das Opfer der
63
ll)..!;~li..siU..us - Realismus, Philosoph. Anzeiger, Bd. 2, S. 309
..... -....,.,.,.
.~ ............,...-...................
~.-~-~· ·- .
ff.
109
 .,..
l
Existenz verlangen kann, dies alles dem Existentialanalytiker ent·
gegenzuhalten, ist natürlich bedeutungslos. Denn sofort würde er
dann den Sinn seiner Worte dergestalt ändern, daß jeder Angriffs-
punkt entschwände. Das gleiche Schauspiel würde sich bei einer
Diskussion über den "Nicht-Charakter" der sittlichen Schuld und
über die durch das "Gewissen bezeugte eigentliche Erschlossenheit
- das verschwiegene, angstbereite Sich-Entwerfen auf das eigenste
Schuldigsein - ... die Entschlossenheit" ergehen. Diese K i e r k e -
g a a r d nachgebildeten Paradoxien sind jedoch sehr geeignete An-
schlußpunkte der Fundamentalontologie an die theologische Dog-
matik.64.
64
Durch das Auftreten H e i d e g g e r s ist in Form einer Auseinander-
setzung zwischen seiner Ontologie und der protestantischen Theologie der alte
p h i I o s o p h i s c h • t h e o I o g i s c h e Antagonismus neu angefacht worden,
Dieser Antagonismus liegt in der Natur der Sache begründet; denn die Problem-
stellung jeder theologischen Dogmatik enthält einen Widerspruch. Sie will
Wissenschaft von Gott sein und gleichzeitig auf geschichtlicher Offenbarung
beruhen. Ihre wissenschaftliche Seite drängt sie daher immer wieder zur Philo-
sophie (oder in positivistischen Perioden zur Geschichte, Psychologie und Sozio-
logie), ihre dogmatische Seite zwingt sie dagegen, den Anspruch einer autonomen
Glaubenslehre zu erheben, die von keiner Wissenschaft abhängig, ja sogar über
alles natürliche Wissen erhaben ist. Die H e i d e g g e r sehe Ontologie, die bereits
in ihrer Problemstellung den wissenschaftlichen Autonomieanspruch der Philo- ·
sophie preisgibt, erleichtert die prekäre Lage der Theologie bedeutend, indem
sie ihr eine Philosophie zur Agglomeration bietet, die ihr von vornherein nicht
den Widerstand logischer Konsequenz entgegensetzt, und bei der es daher' nur
gilt, ihre individuellen mythologischen Gebilde mit der historischen Dogmatik
in Einklang zu bringen. (Ein Anliegen, um das sich, allerdings noch unter V er-
gewaltigung der evangelischen Tradition, B u I t man n bemüht. [Jesus. Die
Unsterblichen, Bd. I; vergleiche zur Kritik B u 1 t man n s die Abhandlungen von
Förster und Kuh 1m an n, Zeitschrift für Theologie u. Kirche, N. F.,
9. Jahrg., S. 28 ff., 10. Jahrg., 3, 28 ff.])
Es verrät einen sicheren theologischen Instinkt, gleichzeitig aber ein
bedenkenloses Hinweggehen über alle logischen Schwierigkeiten, wenn T i 11 i c h
(Religiöse Verwirklichung, S. 22/23) H e i d e g g er s Verhältnis zur Theologie
folgendermaßen umschreibt: "Die Frage, ob das (Zusatz: Heide g g er s Ver-
fahren) theologische oder philosophische Ontologie sei, ist in dem Augenblick
no
Den Übergang vom Tod zur Zeit zu vollziehen, ist eine leichte
Aufgabe, denn "wenn zum Sein des Daseins das eigentliche hzw.
uneigentliche Sein dem Tode gehört, dann ist dieses nur möglich
als zukünftiges". Mit der Zukunft (einem ahkünftigen Modus der
"Kuuft", "in der das Dasein in seinem eigensten Seinkönnen auf sich
zukommt", also gleichzeitig einer Art umgekehrter Kausalität) ist
aber die Zeit vorausgesetzt, und so liegt der Satz nicht mehr fern:
,,Zeitlichkeit enthüllt sich als der Sinn der eigentlichen Sorge." Mit
der Zeitlichkeit, dem "ursprünglichen ,Außer-sich' an und für sich
selbst", aus dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ja auch
die Kuuft, erst _ekstatisieren, lassen sich weiter das V erstehen, die
bedeutungslos, wo die Philosophie - wie es bei H e i d e g g e r geschieht '--- ihre
eigene, konkret geschichtliche Gebundenheit durchschaut und anerkennt, und
wo die Theologie - wie ich meine, daß sie es tun muß - an Stelle der Autoritäts-
die reine Sachgebnndenheit setzt. Natürlich ebenso wie die Philosophie auf einem
konkret-geschichtlichen Boden." Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß gegen-
über solchen Fiktionen einer geschichtsgebundenen Philosophie und einer auto-
ritätsfreien und doch wieder geschichtsverankerten Theologie die katholische
Theologie und Philosophie infolge ihrer festeren Traditionen prädisponiert ist,
He i d e g g e r gegenüber ein nüchternes Urteil zu bewahren. Als Beleg hierfür
kann die Abhandlung von D y r o f f dienen: Glossen über Sein und Zeit, Philo-
·sophia perennis, Regensburg 1930, Bd. II, S. 775 ff.
Welcher fanatische, den Traditionen aller fortgeschrittenen positiven Reli-
gionen hohnsprechender Glaube durch H e i d e g g e r s Verbalbeschwörungen
erzeugt werden kann, geht aus dem Aufsatz von V i e t t a hervor: Martin
, Heidegger und die Situation der Jugend, Die Neue Rundschau, 10. Heft,
S. 501 ff., 1931. Nach V i e t t a hat Heide g g er die gewaltige Tat vollbracht,
"den Wahrheitsbegriff" in eine "tiefere vorlogisehe Schicht, in ein ursprüngliches
Vermögen des Daseins" (507) verlegt zu haben. Daß unter diesen Umständen
. "Widerlegungen nicht mehr am Platze sind", daß das "Wagnis" "der philoso-
phischen Ergriffenheit" nunmehr "zu gar keinem" Zweck (506/507) unternommen
wird, kann nicht mehr überraschen, ist doch alle Diskussion und alle vernünftige
Zwecksetzung durch entsprechende Erregung der "Urstimmung unseres Daseins
- die Angst" ·(508) völlig unterbunden worden. Vor den Früchten dieser Men-
talität, die sich von dem Glauben an die Heilskräftigkeit der Angst und der
Langeweile nährt, mag es einem tatsächlich Angst und Bange werden!.
lll
Befindlichkeit, das Verfallen, die Rede, das In-der-Welt-sein, das
Besorgen, die Alltäglichkeit des Daseins aufs einfachste vergleichen.
Und es kann schließlich der tiefe Satz nicht ausbleiben: ,,Nur auf
dem Grunde der ekstatisch-horizontalen Zeitlichkeit ist der Ein-
bruch des Daseins in den Raum möglich." Wie sollte das auch
anders sein, da jeder Einbruch Zeit zum Einbrechen gebraucht,
leider aber auch schon Raum, woher und wohin er einbricht?
H e i d e g g e r stellt seine Mythologie der Zeitlichkeit und der
Sorge schließlich in den Dienst einer an D i I t h e y anknüpfenden
Philosophie der Geschichte, die, wie nicht anders zu erwarten, in
einen Schicksalsglauben ausläuft, der den Blick für die historische
Wirklichkeit, für ihre Erforschungsmethoden und für die Lenkhar-
keit der historischen Naturprozesse versperrt.
f) Das Nichts.
Bis zur Entschleierung des ahgrundtie:Cen Zusammenhanges von
Sein und Zeit ist die Fundamentalontologie nicht vorgedrungen.
Ebensowenig hat sie den Sinn des Seienden, den Begriff des Seins,
den Sinn. von Sein erreicht. Sie hat sich in der Exi.stentialanalyt~
erschöpft, deren Bemühungen, in sich nichtig, sie sich überdies
zum Behufe ihrer philologisch-logisch-religionsphilosophischen Be-
mühungen hätte schenken können. Wenn so auch das Sein des
Seienden verschlossen blieb, so wissen wir doch einiges über das
Nichts, das uns als "die Nichtung" durch die Angst offenbart wird.
Das "Nichts ist nämlich ursprünglicher als das Nicht und die Ver-
neinung." (Wenn es auch im Widerspruch hierzu- aber was he-
sagen Widersprüche in dieser Tiefenregion? - als "schlechthin-
nige V e r n e i n u n g" der Allheit des Seienden bestimmt wird.)
"Das Nichts begegnet in der Angst in eins mit dem Seienden im
Ganzen." ,,Das Nichts gibt nicht erst den Gegenbegriff zum Seien•
112
den her, sondern gehört ursprünglich zum Wesen des Seins selbsL
Im Sein des Seienden geschieht das Nichten des Nichts." Wir sind
gelandet bei H e g e I s Identität von Sein und Nichts, bei einer
W ortspielerei, die Modalitäts- und Qualitätskategorien um des
Paradoxen willen hemmungslos durcheinander wirft und damit
dem Ahnungslosen metaphysische Einblicke in die göttliche Schöp-
fungsordnung vortäuscht 65 •
65
Ein wegen seiner - H e i d ·e g g e r noch überbietenden - Offenheit
unschätzbares Selbstbekenntnis hat die Existentialphilosophie bei Ja s p er s
(Philosophie, 3 Bände, Berlin 1932) abgelegt. Ohne alle Umschweife, mit völliger
Selbstverständlichkeit, verzichtet J a s p e r s auf den Wissenschaftsanspruch der
Philosophie: in seinem "Philosophieren spricht sich ein Glaube ohne jede Offen-
barung· aus, appellierend an den, der auf demselben Weg ist.. (I, S. VII). Daher
wird "nicht der V erstand, sondern die Phantasie, aber nicht die beliebige des
Bewußtseins, so~dern sie als das Spiel des existentiellen Grundes Organ, durch
das Existenz sich des Seins vergewissert''. Das "Wahrheitskriterium" "existenz-
erhellenden Philosophierens« ist "statt eines objektiven Maßstabes, nachdem
das Gesagte richtig oder falsch ist, oder statt eines gegebenen Phänomens,
das darin treffend oder verfehlt gemeint ist, vielmehr der Wille selbst, der bejaht
oder abstößt". Glaube, Phantasie und Wille reichen aber zur Entschleierung des
höchsten philosophischen Geheimnisses, zur Entzifferung der metaphysischen
"Chiffren" noch nicht aus: Diese graphologische Metaphysik erblüht erst auf'
dem Trümmerhaufen eines "logischen Einsturzes" sondergleichen. Denn, so
lautet wörtlich die Beschreibung dieses Einsturzes, dieses· Absturzes einer philo-
sophischen Schule von dem Ernst und Feuer B r e n t a n o s zu dem Gestammel
der Existentialphilosophie: "Was aufzeigbar oder zu beweisen ist, ist endliche
Einsicht in ein Besonderes. Existenz und Transzendenz sind im Sinne dieses
Seins nicht da. Werden sie gedacht, so nimmt der Gedanke logische Formen
an, welche ihn als Einsicht ruinieren. Die Relevanz des Gedankens ist durch
seine Macht der Existenzerhellung im Appell an ~reiheit, oder der Beschwörung
der Transzendenz im spielenden Zusammenhang seiner als Gegenstand. Wenn
Argumentieren als Ansdruck des Transzendierens die Verkleidung des Beweises
annimmt, so scheitert dieses als eigentlich Gemeintes. Solches uneigent!ichcs
Beweisen bewährt sich durch Mitteilbarkeit dessen, worauf es, obgleich es nu-
:; .
~
erkennbar ist, im Transzendenten ankommt.
,. '~
. : ~; . Sofern Philosophieren Ergr.üheln der Transzendenz ist, zeigt es im Ent·
scheidenden einen Zirkel, der, obgleich er den Gedanken als bewiesene Einsicht
vernichtet, ihn als philosophisch erweist .durch seine Ausdruckskraft und Weite.
s Kraft, Von Husserl zu Heidegger 113
··~
 ,~-

Die Verehrung des Nichts 66 ist der adäquate Ausdruck für die des Seienden. Ihre Bewunderung durch die Mitwelt macht eme
Nichtigkeit des Suchens der Fundamentalontologie nach dem Sein packende Vision N i e t z s c h e s67 wahr:
"Mußte man nicht endlich einmal alles Tröstliche, Heilige,
Der Zirkel kann sich reduzieren auf T a u t o I o g i e , wenn er, im Grunde erfaßt,
seinen Gehalt in objektiv nichtssagenden, jedoch mögliche Existenz ergreifenden Heilende, alle Hoffnung, allen Glauben an verborgne Harmonie,
Sätzen verkürzt ausspricht. an zukünftige Seligkeiten und Gerechtigkeiten opfern?, mußte man
Zirkel und Tautologie ~-ird der W i d e r s p r u c h entgegengesetzt, der
nicht nur den Beweis, sondern auch den Bestand vernichtet; er ist die eigentliche
nicht Gott selber opfern und, aus Grausamkeit gegen sich, den
Zerstörung der Gegenständlichkeit metaphysischer Gedanken. Jeder tiefe Aus- Stein, die Dummheit, die Schwere, das Schicksal, das Nicht s an-
druck der Transzendenz, da er als Gegenstand nicht _bestehen darf, ohne die
beten? Für das Ni c h t s Gott opfern - dieses paradoxe Myste-
Transzendenz zu verlieren; muß sich durch einen Widerspruch zum Verschwinden
bringen. War Zirkel und Tautologie Ausdruck des lnsichberuhens, das nichts rium der letzten Grausamkeit blieb dem Geschlechte, welches jetzt
anderes außer sich hat, sondern aus sich selbst ist, so ist der Widerspruch der eben herauf kommt, aufgespart: wir Alle kennen schon etwas
Ausdruck der Daseinsunbeständigkeit dessen, was eigentlich ist" (111, 17).
davon.-"
Nach dieser Selbstcharakterisierung muß man von vornherein die existen-
tialphilosophischen Äußerungen über Gott, Welt, Mensch und Gesellschaft als
Ne I so n (Göttingische Gelehrte· Anzeigen, 1905. S. 610 ff.) charakterisiert
bloße Wortkombinationen beurteilen. Sie sind nicht nur nichts anderes, sie
worden: ",Um nun das in der Logik schon erstorbene Interesse am Ursprung•
wollen auch gar nichts anderes sein. Sie sind eine raffinierte Technik m e t a -
(S. 66) wieder zu beleben, macht sich C o h e n an das Unternehmen, durch reines
p h y s i s c h e n Für c h t e m a c h e n s, eine Rückkehr zu der altbewäh~ten
Denken den Ursprung des Seins zu ergründen. ,Woher kommt, worin entspringt
Methode der Beschwörung durch Wortformeln.
das Etwas?' So hatte schonThaIesund die anderen ionischen Naturphilosophen
Die psychologische Natur solcher philosophischen Leistungen ist grundlegend
gefragt. Aber C o h e n findet eine neue Lösung des alten Rätsels. Wenn nämlich
von S t ö h r (Psychologie, Wien u. Leipzig 1917) erörtert worden. S t öhrfaßt sie
ThaI es im Wasser den Ursprung aller Dinge sucht, so hat er offenbar nicht
als Fälle der "GI o s so m o r p h i e", des "~e.erla~fs der Rede", auf, der; wie
bedacht, das ja das Wasser ein Etwas ist. Aber auch das Chaos des A n a x i -
er sehr treffend ausführt, "einmal zu den Ent;:i~k:I~gsnotwendigkeiten" gehört:
m a n. d e r und das H er a k I i t i sehe Feuer ist ein Etwas. Wie kann aber der
"Gewisse Verwechslungen, gewisse Verdrängungen des Denkens durch das Reden,
Ursprung des Etwas im Etwas liegen? ,1~ dem Etwas kann der Ursprung des
müssen eintreten, um überwunden zu we;den, denn das Philosophieren ist zum
Etwas nicht zu suchen sein. Das Urteil darf einen abenteuerlichen Umweg nicht
großen Teil ein Ringen mit der Sprache, wobei der schwächere Kopf unterliegt~··
scheuen, wenn anders es in einem Ursprung das Etwas aufspüren will. Dieses
Aber: "Zum anderen mal ist die Glossomorphie ein Zeichen des Niederganges,
Abenteuer des Denkens stellt das Nichts dar:•• Aus Co h e n s Abenteuer des
ein Zeichen, daß das Reden immer stärker und das Denken immer schwächer
Denkens ist bei H e i d e g g e r das Abenteuer der Angst geworden. Die Ausgangs-
:wird. Die Glossomorphie kann leicht einmal das Ende der Philosophie und der
frage ist bei beiden die gleiche.
ireineil P5'ychologie werden, denn ihre Macht scheint von Tag zu Tag zuzunehmen"
Das Vorbild aller modernen Sein-Nichts-Spekulationen; Hege I s Logik
:(434, 435). Die Antwort der wissenschaftlichen an die "glossogene Philosophie"
der Qualität, ist ebenso scharfsinnig wie humorvoll von Fries (Geschichte der
kann nur die sein, sie nach Klarstellung ihres methodischen Geheimnisses, Ba-
Philosophie, Bd. 2, S. 674, 675, Halle 1840) erledigt worden.
nalitäten und Widersinnigkeiten durch eine absonderliche Sprache den Anschein 67
Jenseits von Gut und Böse, Leipzig 1906, S. 79; die Sperrungen stammen
des Tiefsinns zu verleihen, auf sich beruhen zu lassen, um nicht etwa durch ein
von mir.
gegenseitiges subtiles Auseinandersetzungsspiel ihr Dasein unnötig zu verlängern.
66 Es ist eine Ironie der Philosophiegeschichte, daß die Philosophie des

Nichts nicht nur für die Phänomenologie, sondern auch für C o h e n eine hervor-
ragende Anziehungskraft besessen hat, ein erneuter Beleg dafür, daß dessen
logizistische Erkenntnistheorie gleichfalls eine verkleidete Metaphysik des Abso-
luten ist. C o h e n s Philosophie des Nichts ist folgendermaßen treffend von

114 8* ll5
 des reinen Bewußtseins bis zu He i d e g g e r s Hermeneutik des
.'1
Daseins verfolgen. Durch die Existentialabstraktion der phäno-
menologischen Reduktion entsteht bei H u s s er I die Selbsttäu-
schung einer apriori~chen Psychologie (allgemeiner einer apriori-
schen Wissenschaft von allen Erfahrungs- und allen sonstigen
Gegenständen), und zwar auf Grund der Verwechslung von An-
IV.
nahmen (Beg!ift'en und problematischen Urteilen) mit Sätzen
Die Unmöglichkeit des Intuitionismus und die a priori. Der Inhalt dieser Annahmen ist, nach Eliminierung des
Aufgabe der kritischen Philosophie Modalitätsmomentes der Realität, insbesondere durch Q u a I i t ä t s-
I
momente bestimmt, die entweder logisch Notwendiges oder auch lo-
1. D i e E n t w i c k I u n g s e t a p p e n d e r p h ä n o m e n o -
gisch nicht Notwendiges enthalten. Es treten in den Annahmen in-
logischen Schule.
sofern die Formen der Qualitätsabstraktion, der Abstraktion vom
Das Schicksal der phänomenologischen Schule hat sich in
logisch Zufälligen und auch synthetische Vorstellungsverbindungen
einem elementaren Vorgang vollzogen: Der intuitionistische Ansatz
auf. Schon bei Ru s s er I zeigt sich die b e griff s r e a li s t i s c h e
hat das Gebäude der wissenschaftlichen Philosophie, statt es zu
Umdeutung dieser. Abstraktionen zu allgemeinen Gegenständen, in
errichten, vielmehr gesprengt. Die Intention der Philosophie als
denen die erfahrungsmäßige Wirklichkeit "gründen" soll: Die
strenger Wissenschaft forderte die Ausscheidung des lntuitionis-
phänomenologische Wesensanschauung erweist sich als Erneu~rung
mus; statt dessen hat der Intuitionismus die wissenschaftliche Phi-
des Begriffsrealismus.
losophie ausgeschieden.
Während H u s s e r I eine bestimmte E r k e n n t n i s a r t fin-
Insofern die phänomenologische Schule auf der Problemstel-
giert, erfindet S c h e I e r eine v o I u n t a r i s t i s c h e Intuition.
lung einer intuitionistischen Philosophie des Absoluten verharrte,
Dieser Voluntarismus bedient sich zwar in der Anwendung auch
ist ihr fortschr~itender Verfall etwas logisch Zwangsläufiges. Eine
der H u s s e r I sehen Abstraktionsformen, fügt dem aber in fort-
philosophische Anschauung des Wesens der Dinge kann sich nicht
schreitendem Maße persönliche Einfälle, eigentliche "In tu i-
mit einer apriorischen Bewußtseinsanalyse zufriedengeben, die
t i o n e n", bei. Zu diesen Intuitionen wird Sc h e I er durch die
höchstens einen Teilbezirk des Seienden eröffnet; sie wird also zu
Fülle seiner Gesichte über hdisches und Ewiges, die oft W esent-
einer Philosophie des Absoluten, d. h. zu einer Metaphysik des
liches enthalten, sich aber der wissenschaftlichen Philosophie nicht
Hervorgehens der Dinge aus dem Sein Gottes hingedrängt, die sie
mehr unbedingt verpflichtet fühlen, besonders befähigt.
in der faßlicheren Form S c h e I er s und in der glossogenen Form
Ohne S c h e I e r s Weltaufgeschlossenheit und Phantasie setzt
H e i d e g g e r s behandelt.
He i d e g g er die ontologische Phänomenologie fort und verallge-
Diese Linie läßt sich von H u s s e r I s eidetischer Deskription
meine~ sie zur Fundamentalontologie, deren auf Reduktionen ver-

116
117
ziehtende hermeneutische Methode sich in WOrtneubildungen ge-
fällt, in denen unter Ausnützung des anschaulichen Urgehalts von
'Sprachzeichen da; Sein des Seienden "ergriffen" wird. An die
Stelle der subtilen Abstraktionen H u s s e r I s und des mehr oder
minder geordneten Einfallsreichtums S c h e I e r s ist also bei He i-
d e g g e r eine V e r b a I t e c h n i k getreten. Der Überschwang
des intuitiven philosophischen Erkennens hat in einem aller Er-
kenntnis baren Gerede geendet, die Unmöglichkeit der phänomeno-
logischen Philosophie beweist sich selbst im Gestammel der Existen-
tialanalyse..
Die Einführung der Wesensanschauung konnte sich auf zwei
Momente stützen: auf den sinnesanschaulichen Charakter exem-
plarischer Ausgangsgegenstände der phänomenologischen Analysen
und auf den A p o d i k t i z i t ä t s charakter der auf diese bezüg-
lichen W esensaussagen. Beide Momente, Anschaulichkeit und Apo-
diktizität, gehören aber zu einer W esensanschauung, und so erklärt
es sich, daß die Reflexionsmethodik der Phänomenologen ihnen
unter dem Zwange ihres intuitionistischen Grunddogmas als ein
philosophisches Anschauungsverfahren erscheinen konnte.
Tatsächlich führt die phänomenologische Ausgangsfrage, die
Frage nach dem Wesen der Dinge, gehörig verallgemeinert, auf die
Frage nach dem Wesen des Seins überhaupt zurück. Faßt man diese
Frage mit den Mitteln der Abstraktion vom logisch Zufälligen an,
so ergibt sich eine I o g i z i s t i s c h e 0 n t o I o g i e , die aus dem
Begriff des Seins das Wesen der Welt abzuleiten sucht und sich
dabei in einem unvermeidlichen Zirkel bewegt. Es verhällt sich-
hiermit umgekehrt, wie- bei· dem ontologischen Gottesbeweis. Wäh-
rend dieser aus dem Begriff des allerrealsten Wesens- auf dessen
Existenz schließt, folgert umgekehrt die logizistische Ontologie
(und auch eine nicht-logizistische) aus dem Begriff (oder auch
ll8
T einem synthetischen Merkmal) des Seins überhaupt das W e s e n
bestimmter Dinge. Es ist daher kein Zufall, daß H u s s er I
dem reinen Bewußtsein, S c h e I e r Gott, · H e i d e g g e r dem
Menschen Merkmale entnehmen und sie auf das reine Sein über-
tragen, um so von vornherein einen Gehalt ihrer Ontologie zu er-
zwingen. Damit hat die Phänomenologie jedoch nicht die Mög-
lichkeit einer kritischen Ontologie, sondern nur wieder die Unmög-
lichkeit jeder Ontologie bewiesen.
............,.........
"""""·~
2. D i e U n m ö g li c h k e i t d e s I n tu i t i o n i s m u s.
_Die Entwirrung des nur scheinbar so verschlungenen Entwick-
lungsganges der phänomenologischen Schule ist nicht auf dem Wege
einer Schlagwortkritik erfolgt. Der Phänomenologie wurde nicht-
irgendeine Etikettierung erteilt, wie Mystizismus, Psychologismus
oder AnthropologismU:s. Sie wurde vielmehr auf das hin geprüft,
was sie wirklich tut, und was sie zu tun behauptet. Dabei ergab
sich, daß ihre Methodik der Wesensanschauung auf einfachen logi-
schen Fehlern beruht, und daß sie diese Fehler auf Grund vielfäl--
tiger Selbsttäuschungen für Intuitionen hält. Diese Fehler sind
typische Fehler und in der Geschi~hte des Intuitionismus von PI a-
t o n bis B er g so n immer wieder nachweisbar. Es sind verhältnis-
mäßig leicht nachzuweisende Fehler und dennoch treten sie immer
wieder auf. Warum?
Das Streben nach einer intuitionistischen Philosophie hat ein
;'mächtiges Motiv für sich: den Wunsch, der Pb.Qg!lophie____ ~n~§.elhe
.Ev.it!enz und dens_~l,!'~!l",.fuhaltsr_eichtum zu v;;~chaffen, den die
1
J Si:llllesansch_l!yy;ng__!Jesitzt. Das Ideal der exakten Wissenschaft scheint
..
J' ·-·~··---····-·--·---- ------~
daher ebenso, wie die Träumerei des Mystikers, in der intuitio-
nistischen Philosophie Erfüllung zu finden. Diese Befriedigung
. ist dem menschlichen Geist aber unmöglich: Mit· Recht hat K a n t
ll9
 von dem "Unding der Möglichkeit einer übersinnlichen Erfah-
rung" gesprochen und die Philosophie des Schauens eine ,,After-
philosophie"68 genannt.
Die Unmöglichkeit des philosophischen Intuitionismus, die mit
der Kritik der Phänomenologie noch nicht erwiesen ist, ist keine
zeitweilige, -dergestalt, daß etwa durch fortschreitende Entwicklung
des menschlichen Geistes er sich zu einem intuitiven verändern
könne, oder daß es einzelne begnadete intuitionistis.che Seelen gehe.
Der Intuitionismus ist überhaupt unmöglich, er ist ein in dieser
Welt nicht r~alisierhares Unterfangen.
Hierfür läßt sich der Beweis einfach führen. Alle Anschauung
ist unmittelbare Erkenntnis, sie verlangt und bedarf keiner weiteren
Zurückführung, um sich in ihrer Wahrheit auszuweisen. Die Exi-
' stenz der Anschauung und die Wahrheit ihres Inhalts ist dem Be-
wußtsein unmittelbar gegenwärtig. Der Gegenstand der Anschauung
drängt. sich ihr unmittelbar auf, im Gegensatz zur gedachten E~­
kenntnis, die ihren Gegenstand erschließend· suchen muß. Gäbe es
eine intuitionistische Philosophie, so müßte also das All der Dinge
mit derselben Klarheit dem Blick offenliegen, wie das Auge den
Sternenhimmel erblickt. Das. All der Dinge, weil die Philosophie
des Absoluten sich auf dieses All richtet, aber auch deshalb, weil
die Vernunft, ihrer ursprünglichen Einheit zufolge, wenn einer
ihrer tatsächlich nur gedachten Inhalte intuitiv wäre, es in a 11 e n
ihren Inhalten sein müßte. Wenn sie· es ~her in allen ihren In-
halten Ist, so muß sie es auch in ihren auf das Absolute gerichteten
Erkenri.tnissen sein. Eine Intuitionsphilosophie gelangt daher -un-
vermeidlich zu der Annahme, der Mensch erschaue die Herrlich-
keit Gottes und seiner Schöpfung. Denn Anschauung richtet sich
auf die Qualitäten der Dinge und müßte also, als Anschauung des
68
Werke, Bd. VIII, Ausgabe Cassirer, S. 230.
120
Absoluten, auch dessen Qualitäten erfassen. Daraus ergibt sich aber
notwendig die Unvereinbarkeit des Intuitionismus mit der Erfah-
rimgserkenntnis. Besäßen wir eine Intuition des Absoluten in seinen
Eigenschaften und seiner Wirkungsweise, so wäre darin eme solche
des Hervorgehe:OS der Erfahrungswirklichkeit aus dem Absoluten
eingeschlossen, das heißt aber eine widerspruchsvolle Schöpfungs-
metaphysik. Es ist daher kein Zufall, daß S c h e 1 er den Gedan-
ken des "Ewigen im Menschen", des Mitvollzuges des göttlichen
Schöpfungsaktes durch den Menschen, und daß He i d e g g er eine
Schicksalsmetaphysik der Geschichte konzipiert: Der Intuitionis-
mus ist mit der Tatsache des Erfahrungswissens und mit dessen
Selbständigkeit unvereinbar.
Er ist aber aus einem noch all~emeineren Grunde unmöglich.
Da nämlich der Anschauungscharakter einer Erkenntnis ihre Wahr-
heit verbürgt, würde ein intuitiver Geist überhaupt nicht irren
können. Er hätte eine u n f e h 1 h a r e Erkenntnis der göttlichen
Schöpfungsordnung, deren Inhalt mit dem Erfahrungswissen,
-Jr deren Unfehlbarkeit mit der Natur überhaupt unvereinbar ist. Der
Satz ,,Irren ist menschlich" ist eine Folgerung aus dem Begriff der
Erkenntnis in der Natur, dergestalt, daß ein Geist, der nicht irren
könnte, in der Natur nicht auftreten kann. Ein solcher Geist würde
das, was in der Natur nur eiU:e Aufga-he ist, mit Naturnotwendig-
keit verwirklichen. Die Naturgesetze seines Erkennens garantier-
I.' . ten zugleich die Wahrheit seiner Erkenntnis"hemühungen", derer
er vielmehr überhohen wäre. Die in der intuitionistischen Philo-
sophie vollzogene Aufhebung der Selbständigkeit des Erfahrungs-
l\isse_ns führt daher zur Aufhebung der Selbständigkeit des Wissens
/
überhaupt, zum Glauben an die Selbstoffenbarung Gottes im Men-
I. schen. Da der unfehlbare Geist kein bloß natürlicher Geist sein
kann~ muß er ein übernatürlich inspiriertes Wesen sein; in ihm
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fallen ekstatisch Erkenntnis und Gegenstand zusammen. Er · ent-
hält überhaupt keine Erkenntnis mehr, er ist ein Wunder, und
derWund er g I a u h e daher die intuitionistische Endkonsequenz~9.
3. D i e Auf g a b e d er k r i t i s c h e n Phi I o s o p h i e.
Man kann den Intuitionismus als idealisierenden Empiris-
mus auffassen, indem er wie dieser auf dem Prinzip der An-
schauung beruht, die er nur aus einer sinnlichen. in eine i n t e 1-
l e k tu e ll e i:ntuition sublimiert. Die Unmöglichkeit des Empi-
rismus hat H u s s e r I erneut nachgewiesen, die Unmöglichkeit des,
httuitionismus steht gleichfalls fe~t. Beide Irrwege beruhen auf
einem verfehlten m o n i s t i s c h e n Streben:, das immer wieder
dazu verleitet, empirische Probleme a priori und Probleme a priori
a postefiori zu bearbeiten. Diesem eigentlichen Grundmangel läßt
sich n~ begegnen durch restlose Klarheit über den Beitrag der
verschiedenen Erkenntnisquellen zum Ganzen der Erkenntnis über-
haupt, das heißt aber durch K r i t i k d e r V e r nun f t. Hiermit
sind wir auf die kritische Philosophie geführt, die "von der Unter-
suchung der Vermögen der menschlichen Vernunft (in welcher Ab-
sicht es auch sei) Eroberungen zu machen anfängt". Daß dieser
Weg K a n t s "allein den ewigen Frieden" in der Philosophie "nicht
nur bewirken, sondern auch in aller Zukunft sichern" könne, dies
nicht nur als begründete Überzeugung zu besitzen, sondern auch zu
demonstrieren, ist die Aufgabe der auf dem Boden der tiefen Ein-
sichten des echten Kriti~ismus weiterarbeitenden Zukunft.
Die kritische Philosophie ist in ihrem von den Zufällig-
keiten bestimmter Systembildungen unabhängigen GrundbeStande
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Die positive Beurteilung der Phänomenologie durch P r z y w a r a beruht
darauf, daß sie "echte Scholastik im Geiste Thomas v. Aquins" (Stimmen der
Zeit, 58. Jahrg., 10. Heft, 115. Bd., S. 264) ist.
122
durch zwei einfache Gedanken charakterisiert. Sie verschmäht das
f und a m e n t I o s e Systemhauen und fordert daher eine Unter-
suchung über die Erkenntnisgründe philosophischer Systeme: Die
Kritik der Vernunft. Die Kritik der Vernunft ist kein Beweis der
Gültigkeit menschlicher Erkenntnis überhaupt und in diesem Sinne
keine Erkenntnistheorie. Sie ist vielmehr die Determination der
zum Aufhau der philosophischen Disziplinen in der menschlichen
Vernunft gegebenen Stücke der Erkenntnis. Sie befriedigt insofern
das letzte Begründungsbedürfnis des wissenschaftlichen Gei~tes.
Die Kritik der Vernunft zwingt die Philosophie zu einer tief-
gehenden S e I h s t h e s c h r ä n k u n g , und diese Selbstbeschrän-
kung der philosophischen Erkenntnis ist der zweite Grundgedanke
der kritischen Philosophie. Er schließt jene Metaphysik als un-
möglich aus, die auf eine Erfassung des Alls der Dinge abzielt.
Diese Selbstbeschränkung wird in P I a t o n s Höhlengleichnis, in
K an t s Unterscheidung von Erscheinung und Ding an sich, in
F r i e s ' Lehre von· den verschiedenen W eltansichten, die gleich-
berechtigt und aufeinander unzurückführbar nebeneinander stehen,
ausgesprochen. Der t r a n s z e n d e n t a I e I d e a I i s m u s ver-
nichtet also nicht die Metaphysik überhaupt, sondern jene Meta-
physik, die mit der Selbständigkeit des Erfahrungswissens unver-
einbar ist, und jene, die das Erfahrungswissen zu einer positivisti-
schen Metaphysik umdeutet. Er trifft den Relativismus und den
Mystizismus in der 'Wurzel: in ihrer Unkenntnis der wirklichen
Organisation des menschlichen Geistes.
Die kritische Philosophie ist die Philosophie des Selbst-
denkens, woraus K an t folgerte, daß man nicht Philosophie, son-
dern nur Philosophieren lehren könne. Dieser tiefe pädagogische
Gedanke gilt auch für die Entwicklungsbedingungen der kritischen
Philosophie selbst. In ihr gibt es kein doktrinäres Festhalten, auch
123
 T

1Jl
nicht solcher E;~ehnisse, die in ihrer Schule ausgebildet wurden.
Das Postulat des Selhstdenkens fordert vielmehr eine fortschrei-
tende Vervollkommnung der philosophischen Abstraktionen, die,
ehensowenig wie die mathematischen, auf Grund eines bestimmten
historischen Standes der Wissenschaft kanonisierhar sind. Es ist
daher ein durchaus oher:ßächlicher Ei~wand gegen den Kritizismu~,
wenn man ihn als durch• veränderte Grundlagen der Erfahrungs-
wissenschaften widerlegt und überwunden betrachtet. Abgesehen
davon, daß im allgemein'en diese Neuerungen mit dem histo-
rischen Bestand der kritischen Philosophie sich als wohl vereinbar
erweisen, ist selbst in solchen Fällen, wo dies nicht der Fall ist,
nie der Kritizismus, sondern nur ein philosophischer Satz oder ein
System solcher Sätze getroffen. Gerade darin zeigt sich aber der
wissenschaftliche Charakter der kritischen Philosophie, daß sie
keine ein für allemal vollendete Weisheit ist, sondern, wie jede
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